“Aus meiner Sprache verbannt ...”: Der Journalist und Schriftsteller Moritz Goldstein im Exil [Reprint 2019 ed.] 9783110953718, 9783598213236

In her well-documented study, Irmtraud Ubbens focuses on the life and work of Moritz Goldstein, a writer and journalist,

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German Pages 284 [312] Year 2002

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. "Der Weg zurück" Einleitung
2. „Sehnsucht nicht nach einem fernen und immer ferneren Lande sondern nach einer entschwundenen Zeit" Berliner Jahre Erinnerungen 1880-1933. Eine Autobiographie
3. "Emigration bedeutet Hilflosigkeit, Vereinsamung, Unstetheit" Das Erleben des Exils
4. „ ... diese ununterbrochen klappernde und blechern klingende Kette äusserer, meist unerfreulicher Begebenheiten " Stationen des Exils
5. „Ich bin, trotz alledem, mit Deutschland nicht fertig" Rückkehr nach Deutschland?
6. „Ich fühle mich als Schriftsteller gescheitert" Lebensabend in New York
7.„Aus meiner Sprache verbannt" Zusammenfassung und Ausblick
Beiträge aus dem Exil
Dokumentation
„Jüdische Welt-Rundschau"
„Pariser Tageszeitung"
„Aufbau"
" Die Neue Zeitung"
Anhang
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“Aus meiner Sprache verbannt ...”: Der Journalist und Schriftsteller Moritz Goldstein im Exil [Reprint 2019 ed.]
 9783110953718, 9783598213236

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Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung Band 59 Herausgegeben von Hans Bohrmann und Gabriele Toepser-Ziegert Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund

Irmtraud Ubbens

"Aus meiner Sprache verbannt..." Moritz Goldstein, ein deutsch-jüdischer Journalist und Schriftsteller im Exil

K G-Säur

München 2002

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ubbens, Irmtraud: Aus meiner Sprache verbannt: Moritz Goldstein, ein deutsch-jüdischer Journalist und Schriftsteller im Exil / Irmtraud Ubbens. - München : Saur, 2002 (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung ; Bd. 59) ISBN 3-598-21323-9

O Gedruckt auf säurefreiem Papier © 2002 by K. G. Saur Verlag GmbH, München Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten / All Rights Strictly Reserved Diese Werk - oder Teile daraus darf nicht vervielfältigt, in Datenbanken gespeichert oder in irgendeiner Form - elektronisch, photomechanisch, auf Tonträger oder sonstwie - übertragen werden ohne die schriftliche Genehmigung des Verlags. Druck/Binden: Strauss Offsetdruck GmbH, Mörlenbach ISBN 3-598-21323-9

5

Inhalt:

Vorwort

9

1.

»Der Weg zurück" Einleitung

11

2.

„Sehnsucht nicht nach einem fernen und immer ferneren Lande, sondern nach einer entschwundenen Zeit" Berliner Jahre 1880-1933. Eine Autobiographie

14

2.1. 2.2. 2.3.

Kindheit und Jugend „Goldene Klassiker-Bibliothek" „Vossische Zeitung"

16 19 20

3.

„Emigration bedeutet Hilflosigkeit, Vereinsamung, Unstetheit" Das Erleben des Exils

26

4.

„...diese ununterbrochen klappernde und blechern klingende Kette äusserer, meist unerfreulicher Begebenheiten..." Stationen des Exils

31

Italien 1933-1939 Schreiben in Italien: „Die Sache der Juden" Korrespondenz zu „Die Sache der Juden" American Guild for German Cultural Freedom

31 43 48 52

4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.1.3.

4.2. England 1939-1947 4.2.1. Schreiben in England: Die „Pariser Tageszeitung" 4.2.2. Was soll aus Deutschland werden? „Vision der Zukunft"

56 66 76

4.3. USA 1947-1977 4.3.1. Schreiben in den USA: „Die Neue Zeitung"

80 88

5.

„Ich bin, trotz alledem, mit Deutschland nicht fertig" Rückkehr nach Deutschland?

97

5.1.

„Am Ende ist es gar nicht Berlin? Oder bin ich es nicht mehr?" Wiedersehen mit Berlin

106

6.

„Ich fühle mich als Schriftsteller gescheitert" Lebensabend in New York

108

7.

„Aus meiner Sprache verbannt" Zusammenfassung und Ausblick

113

6

Beiträge aus dem Exil Dokumentation

Vorbemerkung

118

„Jüdische Welt-Rundschau" Spiel mit Juden / Rückblick auf Italien Von einem Ausgetriebenen Nr. 16(30. Juni 1939) Nr. 17 (7. Juli 1939) Nr. 18 (14. Juli 1939)

120 127 133

„Pariser Tageszeitung" Aufbruch (14./15. Mai 1939) Chinesisches Visum (21./22. Mai 1939) Menschen und Hunde (4./5. Juni 1939) Rettungsring (11./12. Juni 1939) Wellenreiten (18./19. Juni 1939) Hospitality (4. Juli 1939) Blick ins Getriebe (19. Juli 1939) Fernsehen 25. Juli 1939) Adam (30./31. Juli 1939) Dienstverweigerer in England (4. August 1939) Zwischen Manchester und Halle (10. August 1939) Wettbewerb in Wales (17. August 1939) Autorität und Tradition (20./21. August 1939) Feindliche Ausländer (13. September 1939) Das seelische Gleichgewicht (1. Oktober 1939) Ladies in Uniform (13. Oktober 1939) Der goldene Ring (26. Oktober 1939) Brief aus England (15. November 1939) Toller in Manchester (26. November 1939)

138 141 143 145 147 149 151 154 156 158 160 163 166 169 170 172 174 176 178

„Aufbau" Aus Breslau (15. Juni 1951) Vorsicht! Gift! (14. Dezember 1951) Mutter Erde in Manhattan (17. August 1951) Wollen Sie ein Stipendium? (16. November 1951)

180 182 184 185

7

Die Neue Zeitung" Das Geld auf der Straße (4. Februar 1950) Paradies des Kindes (20. Februar 1950) Das Land des Lächelns (24. Februar 1950) Einholen (11 März 1950) Gespräch im Drugstore (15. März 1950) Herr und Diener (20. März 1950) Darrows Geist blieb stumm (13. April 1950) Anders als bei uns (18 April 1950) Politik der Kirschblüten (9. Mai 1950) Die gute Gelegenheit (13. Mai 1950) Indianergeschichten (20. Mai 1950) Präsident und Presse (8 Juni 1950) Die Schlange im Paradies (14. Juni 1950) Der Mann Washington (30. August 1950) Freude am Mitmenschen (3 Oktober 1950) Wir - das Publikum (12. Oktober 1950) Lesen und Schreiben (5. Dezember 1950) Ehe mit Dorothy (19. Dezember 1950) Der gute Rat (4 Januar 1951) Gesetzgeber halten Wacht (1 Februar 1951) Das Mienenspiel (17. Februar 1951) Du bist dabei (21 April 1951) Das Recht zu pfeifen (19 Mai 1951) Selber kochen in den USA (28 /29. Juli 1951) Der Leuchtturm der Kinder (11/12. August 1951) Klassisches New York (4. September 1951) Bildnis einer uralten Frau (5 /6. Januar 1952)

187 190 193 196 198 200 202 204 209 212 215 217 221 224 227 230 233 236 238 241 243 246 249 251 253 256 259

Anhang Lebensdaten von Moritz Goldstein Anmerkungen Zitierte Quellen Der Goldstein-Nachlaß im „Institut für Zeitungsforschung" in Dortmund Sekundärliteratur Personenregister

Bildanhang

263 264 274 275 278 283

I -XXVI

9

Vorwort Die Berliner Journalistik hatte in der Weimarer Republik ihre große Zeit. Zahlreiche qualitätsvoll gemachte Zeitungen konkurrierten um die Leser. Die Blätter erschienen nicht nur in den großen Verlagshäusern (Ullstein, Mosse, Scherl - Hugenberg), sondern auch in kleineren (etwa die Münzenbergs). Einige, wie das „Berliner Tageblatt" sind relativ gut erforscht, obwohl die Quellenlage oft wenig reichlich ist. Die historischen Verlagsarchive fehlen in vielen Fällen ganz. Das ist auf den politischem Umsturz und die damit verbundene Vertreibung von Verlegern und Journalisten und die nachfolgenden Kriegsverluste zurückzuführen. Auch die Erforschung des Exilschicksals von Berliner Publizisten ist bislang nicht zu einer Gesamtschau gediehen, weil es noch an vielen Einzelforschungen fehlt. Auch hier sind die zur Verfügung stehenden Quellen oft mager, weil durch die Flucht von einem Ort zum anderen immer wieder reduziert. Deshalb kann es als ein Glücksfall angesehen werden, dass Moritz Goldstein sein Archiv von Berlin über Italien und Großbritannien und nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich in die USA, überall bewahren konnte. Goldstein hat seinen Nachlass zu Lebzeiten dem Institut für Zeitungsforschung übergeben. Das Material kam etwa zeitgleich mit dem Nachlass des 1971 verstorbenen, ehemals auch in Berlin wirkenden Pressezeichners Benedikt Fred Dolbin Mitte der siebziger Jahre nach Dortmund. Aus dem Nachlass hat Kurt Koszyk die autobiographischen Aufzeichnungen Moritz Goldsteins „Berliner Jahre. Erinnerungen 1880-1933" 1977 noch unter Anteilnahme des Autors veröffentlicht. Der Nachlass ist durch ein Findbuch erschlossen und nach Jahren der Ruhe hat die Forschung ihn inzwischen gleich an verschiedenen Stellen (Oxford, Berlin, Passau, Bremen, Leiden /NL, Aachen) als Fundgrube entdeckt. Die Entdeckung galt weniger dem Journalisten und auch nicht dem Romancier und Dramatiker - gerade das würde Moritz Goldstein sicher am besten gefunden haben, da er trotz aller erfahrungsbedingten Skepsis bis zuletzt glaubte, dass seine Zeit erst komme - , sondern in erster Linie seinen Schriften über die gesellschaftliche und geistige Position der Juden im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Diese kleine Renaissance ist für das Institut für Zeitungsforschung Anlass genug, nun eine Moritz Goldstein Biographie vorzulegen, die gerade die Exilzeit aus dem reichhaltigen Nachlass nachzeichnet. Autorin ist Irmtraud Ubbens, die mit dem Textteil an der Universität Bremen den Magistergrad erworben hat. W i e Goldsteins Autobiographie durch eine Auswahl seiner Journalistik der Weimarer Jahre ergänzt wurde, hat die Autorin der Biographie jetzt eine Auswahl seiner Zeitungs- und Zeitschriftenaufsätze aus dem Exil beigefügt. Die Veröffentlichung kommt in einer Zeit, in der gewohnte Strukturen von öffentlicher Wissenschaft und vor allem Forschung aufgrund der Krise der staatlichen Finanzen in Deutschland an Scheidewegen stehen. Um so dankbarer kann ich mitteilen, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft dem Institut für Zeitungsforschung eine Zuwendung gegeben hat, mit der die fast zwei Dutzend Exilnachlässe unserer Sammlung - soweit das noch nicht geschehen ist - durch Findbuch erschlossen werden und alle Nachlässe dieser Gruppe dann im Internet für Forschung in aller Welt recherchierbar gemacht werden. Das Institut hat die technische Möglichkeit, für Interessenten auch Teile der Nachlässe (gegen Entgelt) auf Mikrofilm aufzunehmen oder sie zu digitalisieren (soweit es urheberrechtlich zulässig ist). Dortmund, April 2002

Hans Bohrmann

11

1. "Der W e g zurück" Einleitung

,Der Weg zurück Drei Männer sitzen in der Fremde beieinander, in sorgenvollem Gespräch über die Gegenwart und Zukunft. Die Frage taucht auf, ob sie nach Deutschland zurückkehren sollen. Der erste, der jüngste von ihnen, lacht höhnisch: „Nach Deutschland zurück? Ich denke nicht daran. Ich müßte mich ja selbst verachten, wenn ich das täte. Ich will nichts mehr zu schaffen haben mit den Deutschen, von denen die Welt binnen einer Generation in zwei entsetzliche Kriege verstrickt worden ist; die viele Tausende unschuldiger Menschen, außer den Kriegsopfern, in kaltblütig hergestellten Tötungsetablissements haben umbringen lassen; die so sklavenhaft fühlen, daß sie die unwürdigste Tyrannei einer gewissen Minderheit jahrelang willig ertragen haben; die von allen freien Nationen gehaßt und verachtet, ja verabscheut werden. Ich kann es nicht ändern, daß ich aus diesem Volke stamme. Aber soweit es von mir abhängt, sage ich mich los. Daß ich von ihnen verfolgt worden bin und ins Ausland habe fliehen müssen, darauf bin ich stolz. Wie sollte es mir einfallen, zu ihnen zurückzukehren?" Der zweite, älter als jener, läßt sich vernehmen: „Ich würde nicht ungern zurückkehren. Ich träume oft davon und male mir aus, wie es sein würde. Ich kann nicht vergessen, wie Deutschland früher war und auch nicht, was ich früher dort galt. Aber ich fürchte, es gibt für mich kein Zurück. Das Deutschland, das ich liebe und an das ich nie aufhöre zu denken, ist untergegangen. Die Städte liegen in Trümmern. Ich würde nicht einmal eine Wohnung finden, nicht das bescheidenste Stübchen. Die Not geht um und der Hunger. Soll ich denn zurückkehren um all das Glend freiwillig auf mich zu nehmen? Soll ich unter fremder Besatzung leben? Soll ich dahin reisen, wo ich mich zu den Wiedergutmachungen mit heranziehen lassen muß? Wer garantiert mir, daß die Verfolgungen aufgehört haben? Vielleicht würde ich wieder in Lebensgefahr kommen, wie ich es vor meiner Auswanderung war. Mir scheint, solange ich meine fünf Sinne beisammen habe, kehre ich lieber nicht zurück." Leise hebt der dritte an, es ist der älteste, fast schon alt. „Was mich betrifft, ich kehre zurück am ersten Tag, an dem ich darf. Und wenn es mir nicht erlaubt wird, so werde ich darum kämpfen. Und wenn ich nichts erreiche, so will ich heimlich über die Grenze schlüpfen, so wie ich einst heimlich hinausgelangt bin. Trotz der Not, trotz des Hungers, trotz der Wiedergutmachungen und auch trotz der persönlichen Gefahr. Warum? Empfinde denn nicht auch ich das Entsetzen der Welt über das Blut, über die Untaten, über die Entartungen, über den Absturz? Doch, so brennend wie nur irgend jemand in der Welt. Aber ich bestreite, daß Nationen schlecht sein können. Ich sträube mich dagegen, daß ein ganzes Volk gerichtet und verworfen wird. Alle Deutschen tragen die Schuld gemeinsam. Aber dann will ich sie mittragen. Denn ich gehöre zu ihnen und habe den größten Teil meines Lebens mit ihnen verbracht. Ich will das Elend teilen und die Strafe. Denn auch ich habe nicht verhütet, was gekommen ist, zu jener Zeit, da ich es hätte verhüten sollen, als ein freier Mann, dem

12

jede Wirkung und Gegenwirkung offenstand. Ich habe mein Vaterland verlassen in den Tagen seines kraftstrotzenden Obermuts und seiner johlenden Selbstvergötterung. In die niedergeworfene, völlig verarmte, ausgeblutete, verwüstete, tief gedemütigte Heimat — warum sollte ich nicht zurückkehren? Zwanzig Jahre lang hat die Welt von Deutschland nur eine Fratze zu sehen bekommen. Eines Tages wird sein Antlitz wieder sichtbar werden. Und ich, für mein bescheiden Teil, will daran mithelfen, daß es emportaucht, und daß es erkannt wird." (1) Dieser Text von Moritz Goldstein war im Oktober 1945 in der „Allgemeinen Zeitung"

veröffentlicht

worden

und

wurde

1977

im

Jubiläumsband

zum

hundertjährigen Bestehen des Ullstein Verlages wieder zitiert. Für den Band schrieb Hans Wallenberg, ehemaliger Mitarbeiter der „Vossischen Zeitung", später u.a. Chefredakteur der „Allgemeinen Zeitung", der „Neuen Zeitung" und der „Welt", biographische Miniaturen einiger Ullstein-Mitarbeiter. Eine hiervon ist Moritz Goldstein gewidmet, „seinem alten Journalistenvater", dem er, wie er sagt, die Grundlagen seiner journalistischen Ausbildung verdankt und mit dem ihn eine bis zu dessen Tode im selben Jahr 1977 andauernde Freundschaft verband. In Goldsteins Text werden die widerstreitenden Gefühle für Deutschland wie Haß, Enttäuschung, Angst, Unsicherheit, aber auch Liebe, Sehnsucht und Verantwortungsgefühl einander gegenübergestellt.

Gefühle, wie sie wohl

in den

meisten

Emigranten

nach

Kriegsende miteinander stritten. Auch Moritz Goldstein war nach 1945 bis in die sechziger Jahre hinein unentschlossen, ob er wieder nach Deutschland zurückkehren sollte. Er tat es nicht und ist 1977, mit 97 Jahren in New York gestorben. Er war, wie Will Schaber in seinem Nachruf auf Goldstein im „Aufbau" schrieb, „der Älteste unter den überlebenden Publizisten der Weimarer Republik;" er „verkörperte ein bedeutsames Stück deutscher Verlags- und Pressegeschichte." (2)

Mit dem Leben dieses deutsch-jüdischen Schriftstellers und Journalisten kann ein in vieler Hinsicht exemplarischer Lebenslauf des 20. Jahrhunderts aufgezeigt werden. Goldstein hat das Berlin der Kaiserzeit, die Weimarer Republik, die Machtergreifung Hitlers und das daraus folgende Exil in verschiedenen Ländern, Italien, England und den USA, nicht nur erlebt, sondern er hat diese Zeit auch in vielen Zeitungsartikeln und Essays, aber auch in zwei Romanen und einigen Erzählungen und Dramen schriftlich festgehalten und sich mit ihr auseinandergesetzt. Den ersten Teil seines Lebens

hat

er

Autobioeraohie

in

seiner

mit

dem

1946-1948 Titel

verfaßten

..Berliner

Jahre.

und

1977

veröffentlichten

Erinneruneen

1880-1933"

13

beschrieben. Über die schwierigen Jahre des Exils geben nur Tagebücher, Briefe und Zeitungsartikel, in denen er auf seine Situation Bezug nimmt, Auskunft. In den USA schrieb er einen bis heute nicht veröffentlichten Roman mit autobiographischen Zügen, „Die Götter von Manhattan". Mit diesen Schriften werde ich mich eingehend beschäftigen. Vor dem politischen Zeithintergrund soll Goldstein selbst zu Wort kommen

mit

seinen

ganz

persönlichen

Erfahrungen,

Beobachtungen

und

Reflexionen. Arbeiten von Moritz Goldstein, die sich nicht direkt mit dem Exil oder den aktuellen Fragen dieser Zeit beschäftigen, habe ich nicht berücksichtigt.

Goldstein hat seine private und geschäftliche Korrespondenz, seine Tagebücher, veröffentlichte und unveröffentlichte Manuskripte und viele Durchschläge seiner Zeitungsartikel sorgfältig gesammelt und geordnet. Dieser Nachlaß befindet sich im Institut für Zeitungsforschung in Dortmund und stand mir für meine Arbeit zur Verfügung. Er ist die alleinige Grundlage der Darstellung seines Lebens fiir die Zeit nach

1933. So war es möglich, an authentischem, zum größten Teil nicht

veröffentlichtem Material, Einblick in das Leben des Journalisten und Schriftstellers Moritz Goldstein zu gewinnen. In dieser Arbeit sollen vor allem Goldsteins Leben und Erleben der von ihm nicht beschriebenen Exiljahre lebendig werden; sein unstetes Leben, sein Kampf um die Existenz, das Ausweichen auf fremde Berufe; daneben die ständigen Bemühungen, Kraft und Zeit für literarische Arbeiten zu finden,

und die Versuche, diese Arbeiten zu veröffentlichen. So können die

objektiven und die subjektiven Schwierigkeiten deutlich werden, im Exil zu schreiben und zu publizieren. In diesem Zusammenhang ist es auch aufschlußreich, zu sehen, wie die Beziehungen zwischen ihm und den Freunden und Kollegen aus der Zeit der Weimarer Republik, die wie Goldstein Deutschland verlassen mußten und nun in vielen verschiedenen Ländern lebten, Uber die Jahre fortbestanden. Ein weiterer Aspekt der Arbeit wird die Frage nach einer Rückkehr nach Deutschland sein und den Gründen, die in Goldsteins Fall eine Remigration verhinderten. Die Erforschung jeder Lebensgeschichte, auch die weniger prominenter Emigranten, kann ein neues Licht auf den gesamten Komplex Exil und Remigration werfen und die damalige Zeit und ihre Auswirkungen auf den einzelnen Menschen etwas mehr

14

erhellen. Denn, wie Wolfgang Frühwald 1994 auf dem Berliner Symposium „InnenLeben Ansichten aus dem Exil" sagte: „Wenn ich richtig sehe, so haben wir bisher vor allem Kultur, Bildung und Wissenschaft im Exil erforscht, der Alltag - auch im Sinne unserer täglichen Erfahrung mit dem Exil - wartet noch auf die Erforschung." (3)

2. „Sehnsucht nicht nach einem fernen und immer ferneren Lande sondern nach einer entschwundenen Zeit" Berliner Jahre Erinnerungen 1880-1933. Eine Autobiographie

Bei vielen emigrierten Schriftstellern führte das Erlebnis des Exils, das für sie einen existentiellen

Einschnitt

in die bisherige Lebensplanung

bedeutete, zu

einer

Identitätskrise, deren Hauptproblem die Ich-Behauptung und Ich-Verwirklichung war. (1) Das Exil bedeutete die Vertreibung aus dem Vertrauten und Geplanten in die Unsicherheit und Unberechenbarkeit. Diese Situation hatte unterschiedliche Folgen für die schriftstellerische Arbeit. Die einen empfanden die literarische Bewältigung dieses Problems als unmöglich, so daß sie verstummten; andere waren durch die aufreibenden täglichen Belastungen, ihr Leben zu fristen nicht in der Lage, sich intensiv mit sich selbst zu beschäftigen; sehr viele aber fühlten sich zur literarischen Verarbeitung dieser Krise gedrängt. Autobiographisches Schreiben im Exil wurde daher oft zur Suche nach dem eigenen Ich als dem einzigen Beständigen und zu einer Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. In der Rückbesinnung wollte man die Verbundenheit mit der deutschen Kultur aufrecht erhalten. Ernst Weiß sagt in diesem Sinne: „Was bleibt unsereins im Exil jetzt noch übrig, als von Erinnerungen zu leben und Memoiren zu schreiben." (2) Es gibt daher eine große Zahl

von

Lebenserinnerungen

Lebensbereichen.

Auch

Moritz

deutschsprachiger Goldstein

schrieb

Emigranten im

englischen

aus

allen

Exil

eine

Autobiographie, die 1977 posthum unter dem Titel „Berliner Jahre. Erinnerungen 1880

-1933"

veröffentlicht

wurde.

Im

ersten

und

einführenden

Kapitel

IS „Rechtfertigung" spricht er über die Gründe, die ihn dazu getrieben haben, aus seinem Leben zu erzählen. Goldstein strebt wie andere Exilautoren eine Form von subjektiver Selbstrechtfertigung an. (3) „Ich will", so sagt er die Partei meiner geistigen Leistung ergreifen, ihre Sache zu führen, so wie man einen Prozeß führt, zur Abwehr von Unrecht und in Verteidigung des Rechts. Dies ist das Unrecht, gegen das ich mich wehre: Ich erhebe den Anspruch, eine schöpferische Leistung von Rang vollbracht zu haben. Aber ich lebe im Dunkeln, unbekannt, unerkannt, vereinzelt und vereinsamt. Ich führe das Leben einer unscheinbaren Pflichterfüllung; von j e her, aber mehr als je, seit ich aus meiner Heimat vertrieben bin." (4) Diese

Autobiographie,

so

hoffte er,

sollte

„die

Mauer"

die

ihn

umgab,

„durchbrechen" und ihn aus seiner Vereinzelung und Vereinsamung befreien. Mit dieser Schrift gedachte er etwas von seiner „schaffenden und erkennenden Existenz" bewahren; durch sie wollte er „bemerkt werden" und er wünschte, daß „verwandte Menschen den Weg zu seiner Leistung suchen." (5) Neben der Selbstrechtfertigung war es für ihn wie für viele Exilautobiographen charakteristisch, sich als einen Vertreter der eigenen Generation zu beschreiben. (6) Dieses Motiv äußerte er in einem Brief an Hannah Arendt: „Fundamentally it is a description of the life of people like us in Germany before Hitler." (7) Drittens hielt er seine Erinnerungen für ein Stück Kulturgeschichte: „Am Faden meines eigenen Schicksals fuehre ich das Leben der intellektuellen Kreise Deutschlands bis zum Dritten Reich vor. Ich nehme daran teil als ein Mensch, der in Berlin geboren und aufgewachsen ist und fast seine ganze Leistung in Berlin vollbracht hat. (...) Nach Meinung von anderen meines Kreises (und nach meinem eigenen Urteil) stellt das Buch ein Kulturdokument dar." (8) Diese

Absicht

wird

deutlich,

wenn

Goldstein

neben der Schilderung

ganz

persönlicher Erinnerungen in die Autobiographie auch verschiedene essayistische Texte einstreut z.B. über die Linden-Passage und das Panoptikum; die Zeitung der Großmutter; die Zeitung des Vaters u.a., ein häufiges stilistisches Verfahren für im Exil entstandene Autobiographien. (9) Im Gegensatz zu vielen Exilautoren hat sich Goldstein in seinen Erinnerungen nicht mit seinen Erfahrungen im Exil

16

auseinandergesetzt; er hat dieses auch später nicht beabsichtigt. Seine Erinnerungen, die 1933 mit der Vertreibung aus Deutschland enden, sind daher sicher auch Ausdruck seiner „Sehnsucht nicht nach einem fernen und immer ferneren Lande, sondern nach einer entschwundenen Zeit." (10)

2.1. Kindheit und Jugend

Am 27. März 1880 wurde Moritz Goldstein in Berlin als Sohn eines jüdischen Textilkaufmanns und seiner jüdischer Ehefrau geboren. Er hatte noch zwei Brüder, einen älteren und einen jüngeren, und eine jüngere Schwester, die in den ersten Lebensjahren starb. In den ersten Jahren seiner Kindheit zog die Familie innerhalb Berlins häufig um, und vielleicht ist das auch einer der Gründe dafür, daß er sich als Kind immer isoliert und einsam gefühlt hat. 1892 bezogen sie eine Wohnung in der Augsburger Straße nahe dem Zoologischen Garten und dem Kurfürstendamm. „Als wir dorthin zogen, begann unplaniertes Gelände wenige Schritte von unserem Hause, und in fünf oder zehn Minuten konnten wir die unberührte Natur mit bestelltem Kornfeld, Wiesengras und Wasserläufen erreichen." (1) Damals

war

die

Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche

noch

im

Bau,

und

der

Kurfilrstendamm reichte nur drei Block weit bis zur Fasanenstraße. Goldstein erlebte zu dieser Zeit den rasanten Aufbau Berlins zur drittgrößten Stadt Europas nach London und Paris. Nach ungefähr zwei Jahren zog die Familie auch hier wieder fort, denn sein Vater wurde der kaufmännische Direktor des Aktienbauvereins der „Passage" Ecke Friedrichstraße / Unter den Linden und blieb es zwanzig Jahre lang. Es war die damals berühmte Berliner Passage, die am Geburtstag Kaiser Wilhelms I., am 22. März 1873 eingeweiht worden war, und an deren Eröffnungsfeier der ganze kaiserliche Hof teilgenommen hatte. Zu dieser Passage, auch Kaiser- oder LindenPassage genannt, gehörten Geschäfte, Cafés, Kabarett, Festsäle, ein Theater, Kino und ein Hotel. Am reizvollsten für die Berliner, aber auch für auswärtige Besucher war das Panoptikum, über das Egon Erwin Kisch schrieb:

17

„Das Schönste an Berlin ist die Lindenpassage. Das Schönste von der Lindenpassage ist das Panoptikum. Das Schönste vom Panoptikum ist das Anatomische Museum. Das Schönste vom Anatomischen Museum ist das Extrakabinett. Das Schönste vom Extrakabinett ist - pst!" (2) Schon vor dem Umzug dorthin hatte das Panoptikum auf Moritz Goldstein einen besonderen Reiz ausgeübt, so daß er häufig mit seinen Brüdern und Freunden den weiten Weg zu Fuß zurücklegte, um sich dort „sattzustaunen". Hier lebte Moritz Goldstein von seinem 15. Lebensjahr an (1894) bis zum Abschluß seines Studiums (1906). Viele Jahre später, als im Februar 1923 das Panoptikum aufgelöst und das gesamte Inventar versteigert wurde, schrieb Goldstein einen Beitrag in der „Vossischen Zeitung" mit dem Titel „Unter den Kuriositäten der Passage", und noch später im Exil 1946-1948 schilderte er in seiner Autobiographie das ungewöhnliche Leben, das die Familie dort geführt hatte. Er erzählt, wie das Panoptikum praktisch ein Teil der elterlichen Wohnung war und wie es zum „Familienprogramm" gehörte, jeden Besuch zwischen Kaffee und Abendbrot dorthin zu führen. Er erzählt, wie die Familie Kontakt hatte zu den Künstlern des Varietes, Riesen, Zwergen, exotischen Truppen und wie ein zweijähriges, jede Druckschrift lesendes Wunderkind, auf dem elterlichen Küchentisch „aus dem feuchten in den trockenen Zustand" gebracht wurde. Zu den größten Attraktionen zählte aber auch eine Nachbildung der blauen Grotte von Capri mit richtigem Wasser, einem Boot und unwirklich blauem Licht und die Silhouette des Golfs von Neapel, die man in einem schaukelnden Boot erleben konnte, während die Kulissen an einem vorüber geschoben wurden. (3) 1930 hat Goldstein in dem Roman-Manuskript „Victoria-Palast", die Linden-Passage wieder lebendig werden lassen.

Von der Wohnung in der Passage aus besuchte er das nicht weit entfernte Köllnische Gymnasium. Hier war Alfred Döblin sein Klassenkamerad, den er in seinen Erinnerungen charakterisiert: „Er war älter als wir alle, auch menschlich reifer und wußte mehr. Er verbarg dies alles unter einer gewissen Albernheit, die ihn auch nicht verließ, als er ein ausgewachsener und berühmter Mann geworden war. Wir zeigten uns unsere ersten schriftstellerischen Versuche und fanden sie gegenseitig schlecht. Als er anfing berühmt zu werden, zweifelte ich lange an der Berechtigung seines Erfolges, bis sein , Wallenstein' mich überwältigte." (4)

18

Viele Jahre später, als Goldstein Redakteur bei der „Vossischen Zeitung" geworden war, kamen sie sich näher. Döblin war es auch, der dem Ehepaar Goldstein 1939 ein Visum zur Ausreise aus Italien nach Frankreich verschaffte, und sie haben sich in demselben Jahr auf der Weiterreise Goldsteins von Frankreich nach England in Paris wiedergesehen. (5) Seit seiner frühen Jugend, angeregt durch Ernst von Wildenbruchs „König Heinrich", stand für Moritz Goldstein fest, daß er ein „deutscher Dichter" werden wollte. Darum studierte er nach dem Abitur an der Universität Berlin die Fächer Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. Sein ganzes Studium, außer einem Semester in München, absolvierte er in Berlin. Von 1903-1904 mußte er sein Studium ftlr ein Jahr unterbrechen, da er als Einjähriger zum Militärdienst einberufen wurde. Hier lernte der junge Goldstein eine ganz neue Welt kennen, über die er in seinen Erinnerungen schrieb: „Ich stand plötzlich und unerwartet vor den Fundamenten der Macht und des Staates. Dies war das Werkzeug, mit dem die Regierenden ihren Willen durchsetzten, ich war ein Teil der Maschinerie, ich durfte sie mir von innen betrachten." (6) Von nun an ließ ihn das Phänomen der Macht nicht mehr los. Im englischen Exil schrieb er eine Abhandlung in drei Büchern mit dem Titel „Widerlegung der Macht", von der aber nur das zweite Buch in englischer Sprache unter dem vom Verlag Allen gewählten Titel „Führers must fall" veröffentlicht wurde. Aus dem Militärdienst wurde er als einziger ohne Beförderung entlassen, was er darauf zurückführte, daß er der einzige Jude des Bataillons war. 1906 wurde Moritz Goldstein promoviert mit dem Thema „Die Technik der zyklischen Rahmenerzählungen Deutschlands von Goethe bis Hoffmann", das ihm sein Literaturprofessor Erich Schmidt vorgeschlagen hatte.

19

2.2. „Goldene Klassiker-Bibliothek"

Nach Abschluß des Studiums wußte Goldstein noch nicht, womit er künftig seinen Lebensunterhalt verdienen sollte. Ein glücklicher Zufall keim ihm zu Hilfe. Bei einem Besuch bei Erich Schmidt riet ihm dieser, zum Verleger Richard Bong zu gehen, der gerade die „Hempel'schen Klassiker" erworben hatte. Diese sollten nun neu bearbeitet werden, und hierfür suchte der Verlag einen Herausgeber. Goldstein befolgte den Rat noch am selben Tag und wurde von Richard Bong angestellt. Die Klassiker-Texte sollten nach dem neuesten Stand der Forschung mit

neuen

Lebensbildern, Einleitungen und Anmerkungen versehen werden. Der Verleger überließ Goldstein die Auswahl der Texte und die der jeweiligen Bearbeiter, während er sich selbst die äußere Gestaltung und die Ausstattung der Bände vorbehielt. Goldstein stellte zunächst eine Liste der Klassiker und der einzelnen Bearbeiter zusammen und entwarf einen Leitfaden, in dem die Textgestaltung und Kommentierung,

aber

auch

Äußerlichkeiten

wie

Zeilen-

und

Verszählung,

Inhaltsverzeichnisse, Register, Seitenüberschriften etc. einheitlich geregelt wurden, und den jeder Herausgeber erhielt. (1) So entstand die

„Goldene-Klassiker-

Bibliothek", mit deren Namen und Aussehen Goldstein allerdings überhaupt nicht einverstanden war. Fast acht Jahre blieb er Herausgeber der Reihe und obwohl ihn der Beruf mit vielen Journalisten, Theaterkritikern und Literaturwissenschaftlern in Berührung brachte, ergaben sich hieraus nie engere menschliche Kontakte, wie Goldstein bedauerte. (2) Ursprünglich hatte er die Stelle angenommen, weil er gehofft hatte, noch Zeit für eigene literarische Arbeiten zu finden, denn er war davon überzeugt, ein Dichter, vor allem, ein Dramatiker zu werden. Die berufliche Tätigkeit nahm ihn aber viel zu sehr in Anspruch, so daß für diese Pläne weder die Zeit noch die Kräfte ausreichten. Darum bedauerte er es auch nicht allzusehr, als ihm der Verleger bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs kündigte. Während seiner Zeit als Herausgeber waren ungefähr 150 Bände mit je 600 - 800 Seiten erschienen. Schwierig wurde jetzt allerdings seine finanzielle Situation, denn Goldstein hatte 1911 Antonie Charlotte Schlesinger geheiratet, und 1913 war der Sohn Thomas geboren worden. Im Januar 1915 erhielt er eine Stelle als Sekretär bei der „Kriegschemikalien AG", wurde aber schon zum 1. Oktober beim Ullstein Verlag eingestellt. Auch hier blieb er nur sechs Wochen, da er zum Militär einberufen

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wurde. Goldstein kam nach Frankreich, zuerst in eine „Dauerpatrouille", die parallel zur Front die Starkstromleitungen bewachen mußte. Und hier kam es für ihn, der ohne Begeisterung in den Krieg gezogen war, zu einer unerwarteten Reaktion. „Es jauchzte in mir, wenn ich das Gefühl auch nicht laut werden liess. Und hatte ich nicht Grund zujauchzen? Dies war das Leben. Ich stand nicht mehr abseits, ich war dabei, ich selber, endlich!" (3) Später, in Clermont les Fermes, dolmetschte er für den Ortskommandanten und überwachte die Quartiere. Noch vor Kriegsende wurde Goldstein wieder zurück nach Berlin beordert, um bei der Ludendorffspende mitzuarbeiten. Als er ankam, war der Posten aber schon besetzt, und er wurde anderweitig beschäftigt. Schon im November 1918 holte ihn Georg Bernhard der Chefredakteur der „Vossischen Zeitung" als Redakteur zu sich. Hier fand Moritz Goldstein, wie er schreibt, seinen eigentlichen, ihm entsprechenden Platz, an dem er bis zu seiner Emigration 1933 bleiben sollte.

2.3. „Vossische Zeitung"

Obwohl Goldstein nach Abschluß seines Studiums den Entschluß gefaßt hatte, nicht zur Presse zu gehen, kam er nun doch mit 38 Jahren an die „Vossische Zeitung". Die „Vossische Zeitung" war die.älteste noch erscheinende Berliner Zeitung. Sie war unter ihrem ursprünglichen Titel „Königlich priviligierte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen" 1722 von Johann Andreas Rüdiger gegründet worden; das Druckprivileg wurde nach Rüdigers Tod auf seinen Schwiegersohn Christian Friedrich Voß übertragen. Auf Chr. Fr. Voß und seine Erben bezieht sich der Name der „Vossischen Zeitung", den sie in dieser Form erst seit 1911 offiziell führt. 1914 wurde die Zeitung vom Ullstein Verlag erworben. In dieser sehr alten und renommierten Zeitung hatten schon Gotthold Ephraim Lessing und Theodor Fontane geschrieben. Sie war und blieb eine Zeitung, die sich an das gebildete Bürgertum wandte.

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Die

anfängliche

Ablehnung

der

Presse

fuhrt

Goldstein

auf

seine

Kindheitserinnerungen zurück. Seine Großmutter mütterlicherseits war einige Jahre Besitzerin einer Zeitung, des „Berliner Fremdenführers", gewesen, die aus einer Idee seines Großvaters Anfang der siebziger Jahre entstanden war. E s war ein Blatt, in dem man Anzeigen für Theater- und Konzertveranstaltungen, aber auch für andere Vergnügungen,

sowie

Tips

für

Einkäufe

in

Berlin

finden

konnte.

Dieses

Anzeigenblatt wurde durch Inserenten finanziert und kurz vor Berlin kostenlos in den Zügen verteilt. Auch sein Vater, von Beruf Textilkaufmann und später bei einer Privatbank angestellt, gründete eine Zeitung. Durch den engen Kontakt zu seinen Chefs hatte er Einblick in die Bankgeschäfte und wollte diese Kenntnisse nutzen, indem er einen Ratgeber für Bankiers und Börsen-Publikum herausgab, die „Berliner Börse". Als sein Vater Direktor der „Linden-Passage" wurde, schenkte er das Blatt seinem Schwager, der es aber nur noch kurze Zeit weiterführte. (1) Später als Sohn des Direktors der Passage machte Goldstein wieder negative Erfahrungen mit der Presse, die immer dann in das Varietö-Theater eingeladen wurde, wenn

das

Programm wechselte. Die Journalisten, die dort erschienen, hielt der j u n g e Goldstein für wenig seriös, denn:

„Es versteht sich, daß kein vielbeschäftigter Journalist ausgesandt wurde, um ein neues Variete-Programm des Passage-Theaters kritisch zu beleuchten. Zu uns kam der , S c h w ä r m ' . Er sah sich mit Vergnügen an, was ihm auf der Bühne an Akrobatenkunststücken, Spässen der Komiker und Fleisch der Soubretten vorgesetzt wurde, und ließ sich nach der Vorstellung um die gedeckten Tische nieder, um sich an kalten Platten, Majonäsen und Champagner gütlich zu tun. Meine Eltern mussten die Honneurs machen und auf ein bis zwei Stunden mit dabei sitzen, und wir Brüder gingen dann auch von unserer W o h n u n g durch die geheime Tür, um einen Blick auf das Gelage zu werfen."' (2) Allerdings las er mit „Ehrfurcht" die Feuilletons des „Berliner Tageblatts" und der „Vossischen Zeitung", die bei ihm zu Hause gehalten wurden. (3) Schon bevor ihm von Georg Bernhard 1918 die Stelle als politischer Redakteur angeboten wurde, hatte Goldstein f ü r verschiedene Zeitungen geschrieben, darunter für die Berliner „Nationalzeitung", deren Feuilletonredakteur M a x Osborn ihn zur Mitarbeit aufgefordert hatte. Eine engere Verbindung entstand zu der Zeitschrift „Die Grenzboten" unter Georg Cleinow.

22

„Er nahm wirkliches Interesse an mir als Schriftsteller, und zwar an dem, was ich wirklich konnte, nämlich mich frei äussern auf Grund selbständigen Denkens und eigenen Einfalls." (4) Aber auch Emil Faktor, der Chefredakteur des „Berliner Börsen-Courirs", schätzte Goldsteins Arbeiten, und Siegfried Jacobsohn druckte zwischen 1912 und 1918 in der „Schaubühne", der späteren „Weltbühne", dreizehn Beiträge von ihm; als Goldstein im Ersten Weltkrieg in Frankreich war, bekam er von Jacobsohn regelmäßig die „Schaubühne" als Geschenk zugeschickt. (5) Das Interesse der verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften an Goldstein beruhte vor allem auf seinem Erfolg, den er mit dem

1912 im nationalkonservativen

„Kunstwart"

erschienenen Aufsatz „Deutsch-jüdischer Parnaß" erlebt hatte, nachdem zuvor zwei andere Blätter den Beitrag abgelehnt hatten. Das Problem, gleichzeitig Jude und Deutscher zu sein, war Thema des Aufsatzes. Goldstein äußerte hier Zweifel an der endgültig vollzogenen deutsch-jüdischen Symbiose und warf den Juden vor, diese Tatsache zu leugnen. Später, in ihrem Essay über Walter Benjamin, ging Hannah Arendt ausfuhrlicher auf Goldsteins Aufsatz ein, der nach ihrer Ansicht die damalige Diskussion zu diesem Thema „in vorbildlicher Weise zusammenzufassen scheint." (6) Sie vertritt in ihrem Essay eine ähnliche Position, wenn sie das Unerträgliche an der jüdischen Gesellschaft, vor allem bei deren intellektuellen Vertretern, darin sieht, daß diese zwar Juden bleiben, sich aber nicht als solche bekennen wollten. (7) Provoziert fühlten sich Deutsche, aber auch Juden vor allem von Goldsteins These der Abhandlung: „Wir Juden verwalten den geistigen Besitz eines Volkes, das uns die Berechtigung und die Fähigkeit dazu abspricht." (8) Mit diesem Aufsatz entfachte er eine ausgedehnte Debatte, an die noch 1970 Kurt R. Grossmann in einer Besprechung von Bernt Engelmanns Buch „Deutschland ohne Juden" erinnerte:

„Wenn man vom Beitrag der Juden zur deutschen Kultur spricht, wie kann man dann die größte aller Debatten zu diesem Gegenstand aus dem Jahre 1912 auslassen?" (9) Nachdem Goldstein seine Arbeit bei der „Vossischen Zeitung" aufgenommen hatte, kam er zuerst als politischer Redakteur zu Julius Elbau. (6.11.1918) Er empfand die Arbeit als sehr anstrengend, denn der Dienst dauerte manchmal bis spät in die Nacht, auch

lag ihm

„das

Politische" nicht. Im Juni

1919 wurde

bei

ihm

eine

Lungentuberkulose festgestellt, und er mußte für drei Monate zur Kur. Nach seiner Rückkehr im Oktober wurde Goldstein in die Feuilletonredaktion unter Max Osborn

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versetzt, der inzwischen bei der „Vossischen Zeitung" war. Diese Arbeit gefiel ihm viel besser, und er „begann mit Lust zu arbeiten". (10) Als Osbom von seinem Posten zurücktrat, wurde Goldstein bald danach, am 4.3.1921, Leiter des Feuilletons. Schon nach knapp fünf Monaten, am 7.8.1921, wurde er von Monty Jacobs abgelöst, hätte aber unter diesem weiter am Feuilleton mitarbeiten können. Goldstein empfand das Verhalten der Verlagsleitung ihm gegenüber als unfair, da er den Grund für seine Ablösung nicht erfuhr. Er meinte diesen einerseits in seinem kontaktscheuen Wesen zu finden, andererseits aber auch in seinem Namen, unter dem er Zeit seines Lebens gelitten hat. Er vermutete, „dass den dirigierenden Herren, oder einigen von ihnen, das Etiquette Moritz Goldstein an dieser sichtbaren Stelle nicht passte." (11) Von nun an blieb er als freier Mitarbeiter, aber mit Redaktionsvertrag, bei der „Vossischen Zeitung" und schrieb Besprechungen und Aufsätze j e nach Bedarf der Redaktion. Diese Stellung befriedigte ihn aber nicht, und so nahm er am 15.2.1922 zweieinhalb Monate unbezahlten Urlaub, um sein Drama „Melissas Schatten" zu schreiben. Hiervon versprach er sich viel, denn mit seinem Theaterstück „Die Gabe Gottes" hatte er 1920 einigen Erfolg gehabt. Dieses Stück war unter der Intendantur von Leopold Jessner im Berliner Staatstheater aufgeführt worden. In den Hauptrollen sah man Albert und Else Bassermann. Später gab es auch Aufführungen in Dresden und

Königsberg,

und

Siegfried Jacobsohn

druckte den dritten Akt

in der

„Weltbühne" ab. Die Erwartungen, die Goldstein mit seinem neuen Drama verband, schlugen aber fehl, darum trat er am 2.Mai 1922 wieder in die Redaktion ein. Aus sachlichen Gründen wollte er nicht zur Politik und aus persönlichen Gründen nicht zum Feuilleton zurückkehren, und so kam er 1922 zur Lokalredaktion, wo er Vertreter des Redaktionsleiters Fritz Goetz >vurde Hier blieb er sechs Jahre lang, b's zum Tode seines Freundes und Kollegen Paul Schlesinger (Sling) am 23.5.1928.

Schlesingers Tod bedeutete für Goldstein zunächst die Trauer über den Verlust des Freundes, wurde aber gleichzeitig zu einem Glücksfall für ihn. Sling hatte den journalistischen Gerichtsberichten eine ganz neue Form gegeben. Er wollte mit ihnen „Berlin schreiben", indem er Richter und Gerichtete mit menschlichem Interesse und Verständnis, aber auch mit Humor zeichnete. Eine solche Art, aus den Gerichten zu berichten, fand bei den Lesern großen Anklang und wurde bald auch von anderen Zeitungen nachgeahmt. Goldstein hatte Sling schon von Zeit zu Zeit vertreten; auch hatte er bereits als Lokalredakteur vor dessen Zeit über Gerichtsverhandlungen

24

geschrieben, und diese Beobachtungen

in drei großen Aufsätzen unter dem

gemeinsamen Titel „Vom Tagwerk der Justiz" für die „Vossische

Zeitung"

zusammengefaßt. (12) Nun wurde er von Georg Bernhard aufgefordert, Slings Nachfolger zu werden (31.5.1928). Auch er sollte auf Wunsch des Verlages ein Pseudonym verwenden., und so schrieb er unter der Chiffre „Inquit" („sagt er"), die er schon einige Male für Glossen verwendet hatte. Eingefallen war ihm dieses Pseudonym, als er während des Ersten Weltkriegs in Frankreich Posten stand und dabei Zukunftspläne schmiedete. Mit diesem Namen wurde er zu einem Begriff. Noch 1960 zu Goldsteins achtzigsten Geburtstag erinnerte sich Kurt Pinthus im „Aufbau" an dessen fast tägliche Gerichtsberichte, die, wie er schreibt, „die weitaus beliebtesten und gelesensten" der Zeitung waren..

Er „zeigte so viel menschliches Verständnis und psychologische Kenntnis, zugleich so viel Kunst in der Sprachbehandlung wie in der Darstellung der auftretenden Menschen und ihrer Handlungen, dass hier Berichterstattung zur Literatur erhoben war, und nicht nur zur unterhaltenden Literatur, so unterhaltend sich auch das meist nur kurze Stück las." (13) Nun begannen, -wie Goldstein sagt - die fünf besten Jahre seines Lebens, denn es entsprach seiner nachdenklichen Persönlichkeit, die Gerichtsfälle, die er erlebte, zu analysieren und zu bewerten. Hinzu kam sein ausgeprägtes Interesse am Erkennen von Machtverhältnissen, die ja besonders deutlich im Gericht sichtbar wurden. Für Goldstein spiegelte sich in der Welt des Gerichts das ganze Leben. Er wollte verstehen, und er wollte etwas ändern, nicht nur bei der Justiz, sondern auch bei den Lesern,

indem

sie

zum

Nachdenken

angeregt

werden

sollten.

Es

ist

selbstverständlich, daß sich in diesen fast täglich erscheinenden Gerichtsberichten zwischen 1928 und 1933 Zeitgeschichte widerspiegelt. Nicht nur Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur, wie u.a. George Grosz und Wieland Herzfelde, Arnold Zweig und Marlene Dietrich sah er vor Gericht auftreten, sondern auch Personen aus dem politischen Leben wie die Nationalsozialisten Otto Strasser, Joseph Goebbels und Adolf Hitler, über die er sich in seinen Berichten deutlich kritisch äußerte. Später, im englischen Exil, schrieb er über diese Zeit: „Da waren die Prominenten der Nazis, zynisch und selbstgewiss auf den neuen Tag wartend, der sie an die Macht bringen würde. Nicht wenige von ihnen habe ich in Moabit auftreten sehen. Hitler selbst erschien einmal als Angeklagter in einem belanglosen Prozess wegen eines Pressevergehens, einmal als Zeuge für eine Gruppe

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halbwüchsiger Anhänger, die einen Überfall auf eine Gruppe der Gegenseite verübt hatte. Dabei fanden die Anwälte Gelegenheit, dem nichtsahnenden und hilflosen Gericht auf der Nase herumzutanzen, zur höhnischen Freude der Parteigenossen im Zuschauerraum." (14) Goldstein sah in den Jugendlichen, über die in dem oben erwähnten Prozeß verhandelt worden war, von der NSDAP Getäuschte und Mißbrauchte, da Adolf Hitler und die anderen Führer der NSDAP immer von Legalität redeten, aber mit ihren Worten indirekt zu Gewalttaten aufforderten. Am 9.5.1931 schrieb er über diesen Prozeß gegen die gewaltbereiten jugendlichen Nazis in der „Vossischen Zeitung" unter dem Titel: „Adolf Légalité": „Wenn die Unterführer anfangen, sich dagegen aufzulehnen, daß zwischen Rede und Rede, zwischen Rede und Tat Widersprüche klaffen, vielleicht fällt ihnen eines Tages die Binde von den Augen, und sie entdecken, daß die blendende und rasselnde Organisation durch nichts anderes in Bewegung gesetzt worden ist, als durch das Gerede der Unverantwortlichen, die ihre Hände in Unschuld waschen, wenn die Saat ihrer Worte aufgeht." (15) Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler Reichskanzler, am 27. Februar 1933 brannte in Berlin das Reichtagsgebäude, und am 31. März 1933 wurden alle jüdischen Richter, Ankläger, Rechtsanwälte und Pressevertreter von den Nationalsozialisten aus den Gerichten vertrieben. Goldstein notierte an diesem Tag in sein Tagebuch: „Den jüdischen Berichterstattern ist das Betreten des Kriminalgerichts verboten worden. Ein günstiges Geschick hat mich davor bewahrt, persönlich hinausgeworfen zu werden. Ich trete wieder zum Dienst der Lokalredaktion der Vossischen Zeitung an." (16) Schon am 7.April 1933 wurde Moritz Goldstein vom Ullstein Verlag aufgefordert, aus dem Verlag auszuscheiden und war damit eines der ersten Opfer der Gleichschaltung des Verlags. Er war einer unter den fast ausnahmslos jüdisch geborenen

Journalisten

der

„Vossischen

Zeitung",

wie

Georg

Bernhard

(Chefredakteur), Julius Elbau und Carl Misch (Politik), Monty Jacobs (Feuilleton), Richard Lewinsohn-Morus (Wirtschaft), Arthur Eloesser (Theater), Max Osbom (Kunst), Fritz Goetz (Lokales), Erich Eyck (Recht) u. a., die den Ullstein-Verlag und Deutschland verlassen mußten. Fast fünfzehn Jahre lang hatte Goldstein für die „Vossische Zeitung" gearbeitet. Rückblickend schrieb er:

26

„Aber von Anfang an fühlte ich mich wohl und zuhause bei der ,Vossischen Zeitung'. Hier fand ich den Kreis, in dem ich mich verstanden wußte, die Menschen, von denen gerade das geschätzt wurde, was ich konnte. (...) Wir alle, die wir uns um die ,Vossische Zeitung' bemühten, zusammen mit ihren Lesern, bildeten einen Gesinnungsbund, wir fühlten uns im Dienste einer Idee und wirkten für sie mit dem Enthusiasmus, den nur die Idee auslöst." (17) So ist es nur natürlich, daß der Kontakt mit vielen ehemaligen Kollegen auch während der Zeit des Exils aufrecht erhalten wurde. Die „Vossische Zeitung" mußte ihr Erscheinen 1934 einstellen.

3. "Emigration bedeutet Hilflosigkeit, Vereinsamung, Unstetheit" Das Erleben des Exils

Mit Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 begann eine Welle der Flucht und Vertreibung aus Deutschland und ab 1938 auch aus Österreich, dem Sudetenland und der Tschechoslowakei. Unter den ersten dieser unzähligen Flüchtlinge waren Moritz Goldstein, seine Frau, sein Sohn und seine Schwiegermutter. Kein Mitglied der Familie kehrte aus dem Exil nach Deutschland zurück. Wenn auch jedes einzelne Flüchtlingsschicksal individuell und daher von jedem anderen verschieden war, so teilten sie doch einige grundsätzliche Gemeinsamkeiten. Allen Emigranten gemeinsam war, ganz gleich, ob sie aus politischen oder aus rassischen Gründen Deutschland verlassen hatten, daß sie es nicht aus eigenem Wunsch getan hatten, sondern daß sie durch die politischen Verhältnisse dazu gezwungen worden waren. Für jeden einzelnen von ihnen war die Situation in Deutschland nicht mehr erträglich, da sie zunehmend an Leib und Leben gefährdet waren. Später im Exil machten sie, auch wenn sie alle unter verschiedenen Bedingungen lebten, weitgehend die gleichen leidvollen Erfahrungen. Nicht nur für Moritz Goldstein, sondern für den größten Teil der Emigranten war das Leben im

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Exil verbunden mit den Erfahrungen der Hilflosigkeit, der Vereinsamung und der Unstetheit, die er rückblickend besonders hervorhebt. „Emigration bedeutet Hilflosigkeit. In der Fremde sitzen die Landsleute (...) beieinander, aber keiner bildet ein Kraftzentrum, aus dem er Nutzen für andere strahlt. Sie sitzen beieinander, weil sie niemanden haben als sich selbst, aber sie wissen nichts miteinander anzufangen. Das macht die Emigrantengeselligkeit so unfroh. Und eben durch diese gegenseitige Hilflosigkeit sind sie proletarisiert; viel mehr dadurch als nur durch die Enge und Dürftigkeit der Behausung und durch den Zwang, die sogenannten untergeordneten Arbeiten der Wirtschaft selber zu verrichten." (1) Das Verlassen der Heimat war für fast alle Emigranten ein schockartiges Erlebnis, denn es bedeutete die Trennung von Verwandten und Bekannten, von der bekannten Sprache, von der Tradition und Erziehung. Durch diese Trennung vom Bekannten und Vertrauten und aus der Begegnung mit dem Neuen entstanden Ängste, die Mut und Zuversicht lähmten. (2) Dabei mußte nicht nur der Schmerz um das Verlorene bewältigt werden, sondern es wurde außerdem erwartet, daß mein sich den neuen Anforderungen

des

Lebens

stellte.

Dieses

Leben

aber

bestand

in

einem

„unermüdlichen und aussichtslosen Kampf mit der kleinen Misere," (3) so daß oft die Beschäftigung mit der Sorge um das alltägliche Leben die Verarbeitung der Situation

durch

Reflexion

verhinderte,

und

„die

Beschäftigung

mit

dem

Wesentlichen nur nebenher und allenfalls zufällig geleistet wurde." (4) Etwas leichter hatten es die Emigranten, die von einer Hilfsorganisation, von Bekannten oder Verwandten Unterstützung erhielten. Allerdings war es für viele nicht leicht, diese Hilfe anzunehmen, da es schmerzhaft ist, solche Bedürftigkeit zuzugeben. Für manche war es unerträglich, die eigene Regression zu ertragen, die wie eine „demütigende Infantilisierung" erlebt wurde. (5) Erwachsensein dagegen bedeutet, daß man eine gewisse Selbständigkeit genießt und von seiner Umwelt als kompetent, erfahren und vertrauenswürdig anerkannt und verwendet wird. Es ist nur allzu verständlich, wenn die Situation des Exils bei den Betroffenen das Selbstwertgefühl und die eigene Identität immer wieder in Frage stellte. Vor allem für ältere Emigranten kam es zu besonderen Schwierigkeiten, nicht nur weil sie es bei der Arbeitsuche schwerer hatten, sondern für sie war die Strecke des Lebens, die hinter ihnen lag, schon länger, als die noch vor ihnen liegende Zeit; sie hatten daher viel mehr zu verlieren, als zu gewinnen. Goldstein war dreiundfunfzig Jahre alt, als er Deutschland verließ, wo er sich als „Inquit" erfolgreich einen Namen gemacht hatte.

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„Denn Emigration bedeutet auch Vereinsamung. Das andere Land, in dem man lebt und obwohl man darin lebt und es täglich und stündlich um sich hat, bleibt verschlossen und fem. Du erreichst es nicht, allen Anstrengungen zum Trotz. Wie sollte es anders sein? In der Heimat wuchsest du aus deiner Familie mit allen ihren Verästelungen, aus deinem Kreise, aus deiner Schule, aus deinem Beruf. In der Fremde siehst du dich aus allen diesen Bindungen gerissen. (...) Und daher bedeutet Emigration vor allem Verlust des angeborenen, mit dir gewachsenen, von dir erworbenen, des gewohnten und dir gebührenden Ansehens. Vielleicht ist dies der Verlust, der sich am schwersten tragen läßt." (6) Kaum einer der Emigranten konnte im Exil beruflich an dem Punkt anknüpfen, an dem er in Deutschland aufgehört hatte. Die meisten lebten „weit unterhalb ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten", (7) und hieraus ergab es sich, daß die meisten Emigranten auch in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht oft mehrere Stufen unter ihr gewohntes Niveau hinunterfielen. Wie schwer ihnen dieses neue Leben wurde, drückt Goldstein, der vor 1933 ein gut verdienender Journalist gewesen war, und der nun zusammen mit seiner Frau als Pensionswirt arbeiten mußte, in einem Brief an seine Freunde aus. Hierin äußert er sich über die „Banalität des häuslichen Einerleis", die obendrein noch schwere körperliche Arbeit bedeutete. Am Schluß heißt es: „Ich weiß es seit langem: Man muß bedient werden, sonst ist man kein Mensch." (8) Daß es nicht nur die Banalität und die körperliche Anstrengung war, die Goldstein beklagte, sondern daß er sich von dieser Arbeit geradezu gedemütigt fühlte, beschrieb Gabriele Tergit, Schriftstellerin und vor 1933 Journalistin am „Berliner Tageblatt", mit der Goldstein auch während der Exiljahre persönlichen und brieflichen Kontakt behielt. „Sie machten wieder eine Pension in Wales auf. Wenn ich ihn bodenwischend traf, sagte er: ,Hier sehn Sie mich in meiner Knechtsgestalt. "'(9) So entstand ein Gefühl der Unterlegenheit bei den Emigranten; denn wer in diesem fremden Land wußte schon etwas von ihnen, von dem Leben, das sie vorher geführt hatten, und von der Rolle, die sie früher gespielt hatten. Durch dieses Bewußtsein, daß man im gesellschaftlichen Sinne „nichts ist", verlor man seine Sicherheit im Umgang

mit

denen,

die

„etwas

sind",

und

man

wurde

mißtrauisch

und

empfindlich.(10) Manch einer neigte daher dazu, seine Bedeutung in der alten Heimat zu übertreiben, um dann aber bald danach wieder in eine tiefe Depression zu fallen. Je mehr die Freiheit eingeschränkt wurde, über das eigene Leben zu

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entscheiden, desto größer war die Versuchung, eine Fassade aufzurichten und andern eine Rolle vorzufuhren. (11) Denn die alte Lebenswelt, in der man seinen gesellschaftlichen Platz gefunden hatte, war verloren, und in der neuen wurde man nicht gebraucht; dort hatte mein sie nicht gerufen, sie wurden nur geduldet. Es war dieser Zwiespalt der Emigranten zwischen dem Festhalten an der Vergangenheit und dem Versuch, sich den neuen Verhältnissen anzupassen, der zu einer Isolierung von der Umwelt und zu innerer und äußerer Kontaktlosigkeit führte. (12) „Und endlich bedeutet Emigration Unstetheit. In der Fremde weht es dich hin und her, hierhin und dorthin, du wirst nicht gefragt, es vollzieht sich an dir, du kannst dich nicht widersetzen, du bist den unbekannten Mächten ausgeliefert. Jedesmal packst du dein bisschen Habe zusammen, das für einen, der weder Geldmittel noch Heimat hat, viel zu umfangreich und viel zu schwer ist. Jedesmal lösest du den engen Zauberkreis eines äusserlichen Behagens und einer vorläufigen Ordnung wieder auf und fängst irgendwo anders einem willkürlichen und beziehungslosen Ort, ganz von vorne an. Dabei geht die rasende Fahrt dicht am Abgrund entlang." (13) Die politischen Verhältnisse bestimmten nicht nur die Wahl des neuen Standortes, sondern auch die privaten Lebensumstände der Emigranten völlig. So riß ein Lebenslauf plötzlich ab, um irgendwo, an einem anderen Ort, in einem anderen Land weiterzugehen, angefüllt mit völlig neuen Inhalten, die vielleicht nichts mit der Zeit davor zu tun hatten. Dieser neue Lebensabschnitt wurde von den meisten Emigranten nicht mehr als kontinuierliche Verlängerung des vorherigen Lebens, sondern als ein Bruch empfunden. (14) Da sich zusätzlich alles um den Einzelnen herum immer wieder änderte, die Orte, die Menschen, die Sprachen, ja auch der Einzelne selbst seine Identität wechselte, war die nicht menschliche Umwelt, der eigene Besitz, die mitgebrachten Möbel, Bilder, Bücher etc. beim Versuch, doch eine Kontinuität zu bewahren, von großer Bedeutung. Die Dinge des eigenen Besitzes blieben unverändert, sie waren Symbole des früheren Lebens und wurden daher nicht selten zu einem bedeutenden Teil des Identitätsgefuhls. Der Verlust der früher so geschätzten Gegenstände konnte ebenso schmerzlich werden wie der Verlust einer geliebten Person. (15) Eine ähnliche Bedeutung hatten die Erinnerungen, denn auch diese konnten dem Emigranten ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. In diesen Erinnerungen an Orte und

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Menschen, die man verlassen mußte, mit denen man sich aber immer wieder beschäftigte, war nichts fremd, hier war alles vertraut. Dieses ständige SichAnklammern an die Vergangenheit verhinderte oft eine aktive Bewältigung des Lebens in der neuen Umgebung und unter den neuen Umständen. Moritz Goldstein schildert in seiner Glosse „Ponte Vecchio" solch einen Menschen. Dieser, ein Bekannter aus Berlin, der wie Goldstein in Italien lebte, und sich eine neue Existenz suchen mußte, erzählte nur von früher. Er erinnerte sich an alles, an gemeinsame Freunde und Bekannte, an Goldsteins Eltern, Tanten, Onkel, Cousinen und flüchtige Bekannte, an

Feste und

Begebenheiten,

aber auch an Möbel, Bücher

und

Kleidungsstücke. Goldstein war über diese Begegnung erschüttert. Er hatte das Gefühl, einem Gespenst aus der Vergangenheit begegnet zu sein, das in den letzten Jahren überhaupt nicht weitergelebt hat. (16)

Goldstein, der im Verlauf des Exils fast all seinen Besitz verlor, verhielt sich anders; er versuchte mit seiner Frau immer wieder das jeweilig neue Leben im Exil mit allen zur Verfügung stehenden Kräften zu meistern, so schwer es ihnen beiden auch wurde. „(...) wir tragen mit uns als längst vertraute Begleiter unsere Sorgen, unsere Unsicherheit, unsere Mühsal. Es folgen uns unsere Fähigkeiten, unser Wissen, unsere Arbeitskraft (solange sie vorhalten mag) und unsere Hoffnung, dazu unser Verlangen nach Ruhe, nach Geborgenheit, nach einem Obdach, aus dessen Hut wir nicht mehr vertrieben werden können." (17)

31

4. „ ... diese ununterbrochen klappernde und blechern klingende Kette äusserer, meist unerfreulicher Begebenheiten

"

Stationen des Exils

4 . 1 . Italien 1 9 3 3 - 1 9 3 9

Im Gegensatz zu den meisten Juden, die 1933 noch nicht darEin glaubten, daß Hitler seine Drohungen gegen sie wahr machen würde, war es für Moritz Goldstein und seine Familie schon zu dieser Zeit klar, daß sie nicht mehr in Deutschland bleiben konnten. „Ich bin weggegangen aus einem Deutschland, in dem ich nicht mehr leben konnte. Nicht nur, dass die materielle Möglichkeit mir genommen und mein Leben bedroht war; ich konnte als ein mich selbst achtender Mensch in dieser Luft nicht atmen." (1) Sie entschieden sich, ein neues Leben in Italien anzufangen. Gründe dafür waren Beziehungen, die dorthin bestanden, daß sie das Land schon kannten, und daß die italienische Sprache ihnen nicht fremd war. Auch hatte Goldstein vom 20.9. 6.10.1931 das faschistische Italien besucht und die dortigen Zustände als nicht beängstigend

empfunden.

In

einer

Glosse,

mit

dem

Titel

„Italienisches

Volkstheater", schrieb er über das viele Militär, das dort zu sehen war, aber so, daß der Leser den Eindruck hatte, als wäre dieses nicht ernst zu nehmen, ebenso wie das faschistische Regime. „Sowie du die Grenze überschritten hast, fallen dir seltsam uniformierte Gestalten auf, die du nicht einzuordnen weißt. Sie schreiten klein und breit, wohlgenährt und selbstbewusst, den Bahnsteig auf und nieder. Kaum fahrt der Zug, so entdeckst du ihresgleichen draussen im Gang. So einer geht von Wagen zu Wagen, eigentlich zu reden: er schleicht, er blickt dabei argwöhnisch in jedes Abteil. Auch in deines. Was zum Teufel, denkst du, will der Mann? Den Pass hat der Passbeamte kontrolliert, das Gepäck ist von der Zollbehörde revidiert worden, den Fahrschein prüft immer von neuem der Schaffner. Was bleibt für den unheimlichen Späher? Er ist, überzeugst du dich durch schüchterne Beobachtung, schwer bewaffnet und trägt auf dem Kopf eine Art verbogenen und viel zu grossen Jägerhutes. Erst wenn du weit nach Italien hineingelangt bist, wird dir Aufklärung zuteil. Das ist Mussolinis Eisenbahnmiliz.

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Armer Mussolini! Er sitzt in der Macht, die Staatsmaschinerie funktioniert, für die wackeren Parteigänger, die mit ihm oder für ihn nach Rom marschiert sind, hat er keine Verwendung mehr. Aber was soll er mit ihnen anfangen? Er kann sie ja nicht auf die Strasse setzen. Bewacht mir, liebe Freunde, die Eisenbahn, hat er zu ihnen gesprochen. Und so bewachen sie ihm die Eisenbahnen bis auf den heutigen Tag. Arme Milizmänner! Es gibt für sie nichts zu bewachen. Sie tun ja nur so, als ob sie etwas bewachten. Sie reisen viele Kilometer mit und langweilen sich. Ausser wenn sie in den grossen Städten aussteigen und durch die Strassen prunken. Denn dann zeigen sie sich in der Pracht ihrer Uniform, dann wollen sie gesehen werden und werden gesehen. Dann fühlen sie sich in ihrer Macht und in ihrer Würde als die Beherrscher Italiens, lauter kleine Mussolinis. Sie sind nicht die einzigen, die dir durch ihre Uniformen auffallen. Die dort, im Zweispitz und Galanteriedegen wie aus einer Operette um den Konsul Bonaparte, sind Carabinieri, zu deutsch Schutzleute. Sie zeigen sich nicht nur bekleidet wie auf dem Theater, sie bewegen sich auch wie auf dem Theater; eigentlich wie ungeschickte Statisten auf dem Theater; sie stehen, zwei und zwei, mit gekreuzten Armen, und - komischer Anblick - sie gehen, zwei und zwei, ohne die Arme zu lösen. Und die dort, rasselnd und klirrend, sind des Königs Soldaten. Es wimmelt von Militär. Nur, wunderst du dich, warum verschwinden sie alle unter Türmen von Mützen? (...) Viel zu hohe, viel zu weite Mützen? Schirmmützen-Kolosse? O du schelmisch beredte Symbolik der Uniformen! (...) Als Michelangelo das Grabmal der Mediceer zu bauen und zu meisseln begann, war seine Vaterstadt Florenz Republik. Als er es in tragischer unvollkommener Fassung zu Ende führte, hatte ein Alessandro von Medici die Freiheit umgebracht und sich selbst unter dem Namen eines Herzogs zum Diktator gemacht. Heute haben sie wieder die Diktatur. Aber die Sonne scheint und der Himmel ist blau." (2) Mit

seiner

Unterschätzung

der

faschistischen

Macht,

die

für

ihn

etwas

Operettenhaftes an sich hatte, stand Goldstein nicht allein. Auch Walter Hasenclever, der von Hitler verfolgte Pazifist, dessen Bücher 1933 in Deutschland verbrannt wurden, der von 1936-1938 in Italien lebte und der sich 1941 im französischen Exil das Leben nahm, hatte in Mussolini keine große Gefahr gesehen und noch 1935 zu Max Krell gesagt: Dachten Sie, mich schreckt Mussolini? Ich beobachte die Italiener. Sie wissen, daß er halb verrückt ist, aber nicht so wie der andere in Berlin." (3) Viele außenstehende Beobachter meinten im Faschismus Italiens ein theatralisches und spielerisches Element von einer gewissen Beliebigkeit erkennen zu können. Wenn auch der Faschismus als System auf das überwiegend liberal eingestellte jüdische Bürgertum keine größere Anziehungskraft ausübte, so fand sich hier doch eine

wohlwollende

Einstellung

gegenüber

Mussolini,

in

dem

man

eine

„charismatische Gestalt" sah. (4) Theodor Wolff, Chefredakteur des „Berliner Tageblatts",

zeigte

sich

beeindruckt

von

den

innen-,

wirtschafts-

und

33

finanzpolitischen

Erfolgen Mussolinis, ähnlich Julius Elbau von der „Vossischen

Zeitung"

Leopold

und

Schwarzschild,

Herausgeber

der

demokratischen

Wochenzeitung „Der Montag-Morgen" und der linksliberalen Zeitschrift „Das TageBuch". (5) Für Hannah Arendt war Mussolini ein typischer Intellektueller, der in der Tradition des romantischen Genie- und Persönlichkeitskultes stand. Sie schrieb über ihn: „Mussolini war der Meinung, daß man Faschist sei, wenn man ,Relativist' ist.(...) Dieser Relativismus ist in der Tat romantisch, und wo er herrscht, ist es unvermeidlich, daß jede nur denkbare Meinung eines Tages in das Spiel der Einfälle hineingezogen, geistreich formuliert zu Papier gebracht und eiligst gedruckt wird. Weder der Inhalt dieser Meinungen noch das Chaos der Willkür im intellektuellen Leben der Zeit ist in unserem Zusammenhang von Wichtigkeit. Wesentlich ist nur der hinter beiden stehende Kult der Persönlichkeit und des Genies." (6) Über diesen Kult seiner selbst, der von vielen Zeitgenossen verharmlosend als gelungene

Theaterinszenierung

beschrieben

wurde,

darf

jedoch

nicht

der

„ästhetisierende Antihumanismus" vergessen werden, der die „Auslöschung der Individuen betrieb". (7) Denn diese „Vergewaltigung der Massen" durch die „Ästhetisierung der Politik" gipfelte in einem Punkt. „Dieser Punkt ist der Krieg." (8)

Es ist aber nicht so, daß die relativ wohlwollende Einstellung der Emigranten zu Mussolini oder etwa zum Faschismus ausschlaggebend für die Wahl Italiens gewesen wäre. Der größte Teil der Emigranten, die nach Italien gingen und nicht in eines der demokratischen europäischen Länder, war unpolitisch in dem Sinne, daß sie keinen

politischen Parteien oder Verbänden

angehörten.

1939

bedauerte

Goldstein in der „Jüdischen Welt-Rundschau" diese Naivität gegenüber dem italienischen Regime: „Daß es ein Land faschistischen Regimes war, schlug ich in den Wind. Es war falsch von mir wie von allen, die ebenso handelten; heute wissen wir es, und es hat sich an uns gerächt. Wir hätten nicht daran vorbeisehen dürfen, denn wir waren keine Faschisten." (9) Obwohl Italien ein diktatorisch regiertes Land war, mit dem Verbot anderer Parteien, mit Zensur, und Unterdrückung der Meinungsfreiheit, glaubten damals wie Goldstein viele deutsche Emigranten, daß sie dort - unter einer milderen Form der Diktatur ruhiger und sicherer leben könnten als im nationalsozialistischen Deutschland. Vor

34

allem für die Juden lag ein wichtiger Grund für die Entscheidung, nach Italien zu emigrieren, in dem dort bis 1938 kaum vorhandenen Antisemitismus. Mussolini hatte noch 1932 in einem Gespräch mit Emil Ludwig gesagt: „Rasse ist ein Gefühl, keine Realität. (...) Ich werde nie glauben, daß sich die mehr oder weniger reine Rasse biologisch beweisen läßt. (...) Der Nationalstolz braucht durchaus keine Delirien der Rasse." (10) Juden waren Mitglieder in der faschistischen Partei, und man fand sie in vielen einflußreichen Positionen. Ein anderer Grund für Italien als Emigrationsziel war die in Italien bis 1938 liberale und wenig bürokratische Fremdengesetzgebung. Man brauchte für die Einreise z.B. kein Visum, und es gab, was für die Emigranten besonders wichtig war, in begrenztem

Umfang

auch

legale

Arbeitsmöglichkeiten.

Dazu

kamen

Umzugsgenehmigungen von deutscher Seite, Vorteile beim Devisentransfer und nicht zuletzt viel niedrigere Lebenshaltungskosten als in den anderen Nachbarländern Deutschlands. Auch die wohlwollende Einstellung der italienischen Bevölkerung zu den deutschen Emigranten war ein Grund für die Wahl Italiens, da vor allem aus den Reihen der italienischen Antifaschisten, aber auch von Anhängern Mussolinis, den Emigranten Verständnis und Solidarität entgegengebracht wurde, wahrscheinlich aufgrund der Abneigung

der

Bevölkerung

gegen

ein

zu

enges

Verhältnis

mit

dem

nationalsozialistischen Deutschland. Allerdings bedeutete die Wahl Italiens einen völligen Rückzug aus der Politik. Von dort aus war es nicht möglich, Hitler und den Nationalsozialismus zu bekämpfen. Das war auch Moritz Goldstein bewußt, als er Italien als neue Heimat wählte. In der „Jüdischen Rundschau", Berlin, in der emigrierte Juden aus verschiedenen Ländern über die dortigen Verhältnisse berichteten, schrieb auch Goldstein 1936 über die Lebensbedingungen in Italien: „Daß sie (die Emigranten) sich dem Regime gegenüber völlig loyal verhalten, erwarten die italienischen Wirte von ihnen, dasselbe dürfen die italienischen Juden erwarten, die jeden Verstoß mit zu spüren bekommen würden. Dies vorausgesetzt, können sich die Emigranten in Italien frei und unbefangen bewegen und werden sich inmitten des liebenswürdigen, warmherzigen und hochkultivierten italienischen Volkes wohlfühlen." (11)

35

Die „Jüdische Rundschau" (1896-1938) in Berlin war das Organ der zionistischen Bewegung in Deutschland. Robert Weltsch, der seit 1918 Chefredakteur der Zeitung war, wollte mit dieser Zeitung das jüdische Selbstbewußtsein stärken und wandte sich gegen den - seiner Meinung nach - zu großen Anpassungswillen, mit dem viele Juden auch noch zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft versuchten, das immer feindseliger werdende Verhalten der Umwelt von sich abzuwenden. Vor allem aber wollte Weltsch mit den Berichten ausgewanderter Juden diejenigen, die noch nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland geblieben waren, ermutigen das Land zu verlassen. Insofern stimmten seine Interessen in diesem Punkt mit der Vertreibungspolitik der Nationalsozialisten bis zum Kriegsbeginn iiberein. Noch 1938 hieß es zur Frage der jüdischen Auswanderung in einer nationalsozialistischen Verordnung: „Jüdische Organisationen, die Berufsumschichtung fordern, um Juden für ihre Auswanderung vorzubereiten, betätigen sich in Ubereinstimmung mit den Interessen des Dritten Reiches. Deshalb sind zionistische Gruppen, die zur Auswanderung ermutigen, nicht mit gleicher Strenge zu behandeln, die gegenüber Mitgliedern jüdisch-assimilatorisch eingestellter Organisationen am Platz ist." (12) Persönliche

Beziehungen,

Kenntnis

des

Landes

und

der

Sprache,

einfache

Einreisebedingungen, Arbeitsmöglichkeiten, niedrige Lebenshaltungskosten, aber auch die Unterschätzung der faschistischen Regierung gaben auch für die Familie Goldstein den Ausschlag, in Italien Zuflucht zu suchen. Das Auswanderungsziel und der frühe Zeitpunkt der Emigration ermöglichten es ihnen, Geld und Möbel aus Deutschland mitzunehmer, so daß die Familie fiirs erste vor materieller Not geschützt war. Nachdem seine Frau und sein Sohn schon im Juli 1933 Deutschland verlassen hatten, folgte Goldstein am 1.Oktober 1933 mit seiner Schwiegermutter, nachdem die Berliner Wohnung aufgelöst und alle Möbel verpackt und verladen worden waren. Er hatte schon in Berlin mit Werner Peiser verabredet, in Florenz eine Schule und eine Zeitungskorrespondenz zu eröffnen, womit sich ihm eine sinnvolle Tätigkeit bot. Dieser Entschluß läßt erkennen, daß sowohl Goldstein wie auch Peiser schon 1933 im Gegensatz zu vielen anderen Emigranten nicht daran glaubten, daß die Nazidiktatur und damit das Exil nur von kurzer Dauer sein würde. Die Gründung einer Schule deutet darauf, daß beide für längere Zeit ein neues Leben in Italien planten.

36

Werner Peiser war Oberregierungsrat und Pressesprecher des sozialdemokratischen preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun gewesen. Er hatte sich 1931 für fünf Jahre beurlauben lassen und war durch die Vermittlung Brauns und des preußischen Kultusministers

Adolf

Grimme

an das Preußische Historische

Institut in

Rom

gekommen. Hier sollte er das italienische Schul- und Ausbildungswesen studieren und regelmäßig darüber nach Deutschland berichten; außerdem sollte er die deutschitalienischen Kulturbeziehungen fördern. 1933 wurde der Sozialdemokrat Peiser von den Nationalsozialisten

aus dem Staatsdienst entlassen. Er blieb in Italien und

begann über die Gründung eines Landschulheims nachzudenken. Durch seine frühere Stellung hatte er Beziehungen

zu italienischen

Ministerien und

Schulbehörden

anknüpfen können und fand Unterstützung bei führenden Faschisten, w i e Giovanni Gentile, dem Philosophen und Herausgeber der „Enciclopedia Italiana", und dem Erziehungsminister Giuseppe Bottai. ( 1 3 ) Er und Moritz Goldstein inserierten für das „Landschulheim F l o r e n z " in der „Jüdischen Rundschau", die 1933 in Berlin noch frei verkäuflich, ab 1934 allerdings nur noch für Abonnenten zu haben war, und fanden auf diesem W e g Schüler und Lehrer. Der Wunsch vieler jüdischer Eltern, ihre Kinder

aus

Gründung

Deutschland

von

fortzubringen,

Internaten.

Die

Kinder

war kamen

eine

gute

Voraussetzung

überwiegend

aus dem

assimilierten jüdischen Bürgertum, doch schickten auch einige Eltern, die

ihre

Kinder

nicht

im nationalsozialistischen

wollten, diese nach Italien. Emigrierte

für

deutschstämmige

Sinne erzogen

Pädagogen und frühere

die

liberalen,

wissen

Hochschullehrer

fanden hier eine willkommene Gelegenheit, wieder in ihren früheren Berufen zu arbeiten. Die politische Einstellung der Lehrer und ihre pädagogische Auffassung entsprachen im „Landschulheim Florenz" der in demokratischen Ländern; es wurden hier auch Bücher und Zeitungen benutzt, die in Deutschland verboten waren. Das Alter der Schüler und Schülerinnen lag zwischen 8 und 22 Jahren. Die älteren Schüler sollten vor allem auf das Leben und eine berufliche Laufbahn im Exil vorbereitet

werden,

daher

standen

Fremdsprachen

wie

Englisch,

Italienisch,

Französisch und Neuhebräisch im Mittelpunkt des Unterrichts. Durch die Kontakte Werner Peisers war es ihnen möglich, an einem staatlichen Gymnasium in Florenz das Abitur als Externe abzulegen und in Italien oder auch mit einem zusätzlichen Zertifikat in England, den U S A

oder Jerusalem zu studieren. Moritz

Goldstein

beteiligte sich an diesem Unternehmen mit eigenem Kapital und übernahm die wirtschaftliche Leitung der Schule, die sich mit ca. 100 Kindern und bis zu 30

37

Lehrern zum größten und bedeutendsten von sechs ähnlichen Internaten in Italien entwickelte. ( 1 4 )

Erster Standort für die Schule war ein leerstehendes Haus mit Garten, „Villa Elena", in der Nähe von Fiesole bei Florenz, das Platz für dreißig Kinder bot. Hier zog Moritz Goldstein am 5. Oktober 1933 mit seiner Frau, seinem Sohn und seiner Schwiegermutter ein. Am 1 7 . 1 0 . 1 9 3 3 wurde die Schule mit zwei Pensionären und drei Tagesschülern eröffnet, deren Zahl aber schon im November auf 12 Kinder angestieg. Auch der Plan mit der Zeitungskorrespondenz von Goldstein und Peiser machte Fortschritte, und so schien es am Ende des Jahres 1933 gerechtfertigt zu sein, hoffnungsvoll in die Zukunft zu sehen. Schon kurze Zeit später jedoch wurde der Plan einer Zeitungskorrespondenz wieder aufgegeben - eine große Enttäuschung für Goldstein. ( 1 5 ) V o m Januar 1934 an übernahm er neben der wirtschaftlichen Leitung der

Schule

zusätzlich

noch

Unterrichtsstunden

für

die

Fächer

Deutsch

und

Judentumskunde. Nachdem der Mietvertrag für die „Villa E l e n a " abgelaufen war und nicht verlängert wurde, mußte die Schule umziehen, und Lehrer und Schüler gingen für die Sommermonate ans Meer nach Forte dei Marmi.

„Was wir an Kämpfen und Schwierigkeiten, an Sorgen und Kränkungen in der Villa Elena erlitten haben, läßt sich nicht schildern. Ein Ende dieser Leiden läßt sich nicht absehen, unsere Existenz ist so unsicher wie möglich. Dennoch liegt ein Grund vor, Hoffnung zu hegen: wir sind nicht gescheitert, und es könnte geschehen, daß wir Land erreichen." ( 1 6 ) Für die Wintermonate wurde dann in einer der schönsten Gegenden von Florenz von einem englischen Bankier die „Villa Pazzi" gemietet, die im 15./16. Jahrhundert Sommersitz der Familie Pazzi, der Widersacher der Medici, gewesen war. Zu dieser Villa gehörten ein großer Garten, ein Tennisplatz sowie Werk- und Laborräume. Wegen der steigenden Schülerzahl wurde kurz darauf noch ein weiteres Gebäude, die „Villa Barbera" in der unmittelbaren Umgebung dazu gemietet. Moritz Goldstein spricht in seinem Tagebuch von einem „waghalsigen Unternehmen", ( 1 7 ) da es wegen einer Devisensperre zu

finanziellen

Schwierigkeiten gekommen war. Die

Sommermonate sollte die Schule auch weiterhin in Forte dei Marmi verbringen, denn der Besitzer der „Villa Pazzi" wollte diese während der Zeit selber nutzen.

38

Im Laufe des Jahres 1935 stiegen die Schülerzahlen weiter an, die Devisensperre wurde gelockert, und die Anfangsschwierigkeiten schienen überwunden zu sein. Goldstein aber spricht in seinem Tagebuch von „übermäßiger Beanspruchung durch Arbeit, Sorgen und Zwietracht" (18) Im November 1934 war seine Schwiegermutter gestorben, im Oktober 1935 erhielt er die Nachricht vom Tode seines älteren Bruders Paul, er selbst war häufig krank, und als seine Frau am 23.12.1935 einen Selbstmordversuch unternahm, unterzeichnete er einen Vertrag, um aus der Leitung des Landschulheims auszutreten. Der Grund für die „Zwietracht", von der er in seinem Tagebuch schrieb, lag sicher in den unterschiedlichen Ansichten zu Geldfragen zwischen ihm und Werner Peiser. Goldstein schrieb hierüber am 16. Dezember 1936 an seinen früheren Kollegen, den Theaterkritiker der „Vossischen Zeitung", Arthur Eloesser: „Dann bin ich ausgeschieden, nicht aus Uebermut. sondern aus allerlei Gründen, deren triftigster das Geldbedürfnis des Heims war."(19)

Es

wurde

mit

der

neuen

Schulleitung

vereinbart,

daß

er

eine

Entschädigung von 50 000 Lire und eine Rente, die sich nach der Schülerzahl richtete, erhalten sollte. Seine Stelle wurde nun von Werner Peisers Freund Robert W. Kempner eingenommen, dem späteren amerikanischen Ankläger bei den Nürnberger Prozessen. Nach der Vertragsunterzeichnung dauerte es aber noch bis zum 6.Juni.l936, bis Goldstein endgültig die Geschäfte abgab und aus dem Landschulheim austrat. Werner Peiser, Robert W. Kempner und Franz Leppmann, Germanist und Lehrer an der Schule, hielten die Abschiedsreden.

Wieder in seinem eigentlichen Beruf, dem Journalismus, zu arbeiten, war für Goldstein, wie auch für andere Journalisten in Italien fast unmöglich, denn das faschistische Regime verbot natürlich eine Mitarbeit an Emigrantenblättem. Die drei jüdischen Zeitungen, die es in Italien gab. „Israel, „Davar", und „La nostra bandiera" hatten nur eine geringe Auflagenhöhe und waren finanziell zu schwach, um ständige Mitarbeiter unter den Emigranten zu beschäftigen. (20) Entmutigend war für Goldstein außerdem, daß er mit seiner „Italien-Korrespondenz" gescheitert war. So eröffneten er und seine Frau für die Sommermonate eine Pension in Forte dei Marmi, denn im Hotel- und Gaststättengewerbe bot sich eine Gelegenheit, auf legale Weise Geld zu verdienen. Nicht nur Goldstein wich auf diese ihm ganz fremde Arbeit aus, sondern auch andere, prominente Emigranten wie z.B. der frühere

39

Besitzer der Schultheiß-Brauerei Ludwig Katzenellenbogen und seine Frau, die Schauspielerin Tilla Durieux, die ein Hotel eröffneten; und auch der Verleger Kurt Wolff verdiente zusätzliches Geld, indem er Zimmer in seinem Haus vermietete. Die tägliche Arbeit in der Pension fiel Goldstein sehr schwer, außerdem fühlte er sich beruflich deklassiert. Die Unmöglichkeit, als Literat zu arbeiten und damit Geld zu verdienen, deprimierte ihn zutiefst, denn auch für ein Theaterstück, "Abdullahs Esel", das er im ersten Jahr in Forte dei Marmi geschrieben hatte, gab es keinerlei Aussichten aufgeführt und veröffentlicht zu werden. In diesem Stück beschäftigt er sich mit dem Problem der Machtausübung und erzählt von einem Gouverneur in Afrika während des Ersten Weltkriegs. Dieser, der im Bewußtsein seiner Machtfülle ein Verbrechen begangen hat, muß nun erfahren, daß er trotz seiner Macht nicht in der Lage ist, sein Vergehen wieder gut zu machen. Von nun an wandelt sich seine Einstellung, und er gelangt von einer Überschätzung der Macht zu deren Unterschätzung. Goldsteins frühere Kollegen Arthur Eloesser, Monty Jacobs und Manfred Georg hatten sich für dieses Stück ohne Erfolg eingesetzt. Es nützte auch nichts, daß Goldstein das Pseudonym Michael Osten, das er schon früher benutzt hatte, vorschlug. Ein Jahr nach Eröffnung der Pension schrieb er in sein Journal: „Ein neuer Sommer, der für Toni in vielen Beziehungen erfolgreich, für mich gänzlich erfolglos, von völliger Vereinsamung und seelisch fast untragbar schwer gewesen ist. - Ich habe einige deutsche Stunden gegeben." (21) Allerdings war nicht nur für seine Frau Toni sondern auch für den Sohr. Thomas das Jahr erfolgreich gewesen, denn dieser war im November 1937 als Historiker promoviert worden und arbeitete nun im „Landschulheim Florenz" als Lehrer. Am 20.April 1938, die Familie hielt sich während der Wintermonate in Florenz auf, wurde Moritz Goldstein von einem Zivilbeamten auf das Polizeirevier gebeten, wobei ihm gesagt wurde, er sei in einer Viertelstunde wieder zurück. Tatsächlich kam er erst drei Wochen später wieder nach Hause, da man ihn nicht auf das Polizeirevier, sondern in das Florentiner Gefängnis Istituto di Pena gebracht hatte. Erst allmählich begriff er, daß diese Festnahme ihren Grund im erwarteten Italienbesuch Adolf Hitlers (3.-9. Mai 1938) hatte. Goldstein war einer der ersten von

40

später ca. 80 Häftlingen dort, unter denen sich alte Männer von über siebzig Jahren, aber auch Kinder aus dem „Landschulheim Florenz" befanden.

„ U n s wurden sämtliche Gegenstände abgenommen, einschließlich der Hosenträger, und wir wurden in kleine Einzelzellen gesperrt, die durch eine Gittertür käfigartig abgeschlossen waren und auf einen großen, hellen, luftigen Korridor mündeten. Wenigstens die Hosenträger wurden mir nach der ersten W o c h e zurückgegeben. Allmählich wurde die Disziplin gelockert, die Zellentüren standen tagsüber auf, wir durften im Korridor promenieren und uns zwanglos unterhalten. Die Behandlung durch die italienischen Beamten war freundlich und menschlich." ( 2 2 ) Auch Thomas Goldstein, der mit seiner Mutter nach Forte dei Marmi gefahren war, wurde

verhaftet,

während

Toni

Goldstein

irrtümlich

auf

die

Liste

der

nationalsozialistischen Vertrauenspersonen geraten war und daher unbehelligt blieb. Nachdem Hitler am 10. M a i Italien wieder verlassen hatte, wurden alle Inhaftierten entlassen. Mehr als seine Verhaftung aus Anlaß des Hitlerbesuchs traf Goldstein das Verbot des „Landschulheims Florenz" im August 1938, denn damit verlor er die Rente, die ihm nach seinem Ausscheiden aus der Schule versprochen worden war. Das Verbot der Schule war nur ein Indiz für die sich nun deutlich verschlechternden Lebensbedingungen

der Juden. Denn nach dem

Hitlerbesuch

begann auch die

italienische Regierung Rassengesetze zu erlassen. Im September 1938 wurden Juden vom Unterricht an italienischen Schulen ausgeschlossen, im N o v e m b e r 1938 wurden die Juden aus der faschistischen Partei und der öffentlichen Verwaltung entlassen, Mischehen wurden verboten. Mehr Angst als diese rigorosen Einschränkungen im Leben der italienischen und der aus Deutschland emigrierten Juden verbreitete aber das schon am 1. September 1938 veröffentlichte Gesetz zur Ausweisung aller Juden, die nach 1919 in Italien eingewandert waren. Zu diesen gehörten auch diejenigen, die inzwischen die italienische Staatsbürgerschaft erworben hatten. Der Termin der Ausweisung wurde auf den 12. M ä r z 1939 festgesetzt. Die Unsicherheit, die dieses Gesetz unter den Juden hervorrief, schilderte Goldstein nach seiner Ausreise in einem Artikel für die „Jüdische Welt-Rundschau":

„ D a s Gesetz in dieser ersten Verkündigung wimmelte von Unklarheiten. W i e stand es um die Getauften? W i e um die arisch Verheirateten? W i e um die Abkömmlinge aus Mischehen? Es wurden Ergänzungen nötig, die einander widersprachen und neue Unklarheiten schufen. Die Behörden wussten selber nicht mehr Bescheid. Die Praxis, die sich schliesslich ergab, entschied in allen Zweifelsfallen nach der schärferen Seite." ( 2 3 )

41

Goldstein schreibt in demselben Artikel, daß es von der italienischen Bevölkerung zu keinerlei Gewalttaten gegen die Juden kam, sondern daß von dieser immer wieder versucht wurde, die Juden zu beruhigen und ihnen zu versichern, daß ihnen auch nach dem 12. März sicher nichts geschehen würde. Weiter heißt es in dem Artikel: „Es wird dem Duce die Äusserung in den Mund gelegt: ,In allem sind mir meine Italiener gefolgt, nur die Sache der Juden machen sie nicht mit.' Das Ansehen des Regimes und die Beliebtheit Mussolinis hat durch die Judenverfolgung ohne Zweifel eine neue Schwächung erfahren. Man wirft Mussolini seine wachsende Abhängigkeit von Hitler vor, und die Florentiner witzeln: ,Unter Mussolini war es doch besser.'"(24) Als Goldstein die Nachricht von der Ausweisung erhielt, war er verzweifelt, denn er sah seine ganze Existenz vernichtet. Alles, was seine Frau und er aufgebaut hatten, den Pensionsbetrieb in Forte dei Marmi, dessen Umbau gerade abgeschlossen war, wie auch die Rente aus dem Landschulheim, alles schien verloren. Goldstein warf den Leitern der Schule, Peiser und Kempner, Mißwirtschaft vor, die zusätzlich zu den ungünstigen politischen Umständen auch zum Verlust seiner Rente geführt hätten. Nach dem Verbot der Schule waren Werner Peiser und Robert W. Kempner mit einigen Kindern und einigen Lehrern mit Tagesvisa nach Nizza gelangt, wo sie bis zu ihrem Aufbruch in die USA im Sommer 1939 den Unterricht fortsetzten. Die in Florenz gebliebenen Kindel' wurden dort auf die englischen und italienischen Lehrer verteilt, auch wurde versucht, die Kinder, die mit nach Nizza gekommen waren, in anderen Ländern unterzubringen, was aber nicht immer gelang. „Ganz war diese Schlußperiode, die im Exil Erregung hinterließ, nicht zu klären." (25) Auch der Brief von Moritz Goldstein an Rudolf Olden trägt eher dazu bei, die Vorgänge zu verwirren, statt sie zu erhellen. Er schreibt hier: „Ad vocem Robert Kempner: Das Landschulheim Florenz ist inzwischen eingegangen, unter Hinterlassung eines fürchterlich schlechten Rufes. Kempner und sein, früher mein Kompagnon Peiser haben der Sache der Juden in Italien in fast verbrecherischer Weise geschadet. (...) Beide, Kempner und Peiser haben versucht, mich dahin zu täuschen, dass sie nach den Haag gegangen seien. Ich weiss aber, dass sie mit ein paar Kindern, die noch bei ihnen geblieben sind, in Nizza sitzen." (26) Für Moritz Goldstein und seine Familie ging es jetzt nur noch darum, das Land, in dem sie sich eine neue Existenz geschaffen hatten, zu verlassen. Sie bemühten sich verzweifelt, eine Zuflucht zu finden. Über seine finanziellen Mittel schrieb Goldstein

42

12.Okt. 1938 an Philipp Schey, daß die Villa in Forte dei Marmi, in der sie die Pension geführt haben, 120 000 Lire wert sei. davon seien 65 000 Lire Lasten, so daß ihnen für die Weiterwanderung 55.000 Lire blieben. Dies gälte aber nur für den Fall, daß sie die Villa für den Preis verkaufen könnten und daß sie die K a u f s u m m e auch ausfuhren dürften. (27) Schon im November stellte sich heraus, daß der Verkauf von Immobilien für Juden untersagt war. Im N o v e m b e r 1938 gelangte ihr Sohn Thomas nach Norwegen, w o ihm Freunde eine Stellung verschaffen wollten, während die Bemühungen Moritz Goldsteins und seiner Frau Toni bisher nur zu einem Affidavit von Freunden aus den U S A gefuhrt hatten. Da aber zu diesem Zeitpunkt die Einreisequote noch bis Juli 1939 gesperrt war, war eine Auswanderung dorthin vorerst nicht möglich. Die Angst, Italien nicht mehr rechtzeitig verlassen zu können und

eventuell

ausgewiesen

zu

werden,

im

schlimmsten

Falle

zurück

nach

Deutschland, wurde immer größer. Diese Angst wird sehr deutlich in Goldsteins Brief an seinen früheren Kollegen von der „Vossischen Zeitung" Julius Elbau, vom 28 Dez 1938, in dem es heißt:

„Ich übertreibe nicht mit der Behauptung, dass wir uns, meine Frau und ich, in dringender Gefahr befinden. Unser Haus ist nicht verkauft und nicht verkäuflich Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, das (sie) wir gänzlich mittellos hier heraus gehen werden. Der Termin (12. März) ist schon ganz nahe Und noch hat sich nicht die geringste Möglichkeit geboten, irgendwo einzuwandern. Die Welt ist völlig zugeschlossen, wenigstens für den, der keine Mittel hat. Ich kann es auch so ausdrücken: Hätten wir Geld zum Weiterwandern, so nützte es uns nicht, denn wir haben kein Visum. Hätten wir ein Visum, so nützte es uns nichts, denn wir haben kein Geld. Da ist es ja beinahe ein Glück, das wir weder das eine noch das andere haben. (28) Wenn Goldstein die Villa auch nicht verkaufen konnte, so war es ihm schließlich doch gelungen, sie für den Sommer zu vermieten und einen Teil der Möbel unter Preis loszuschlagen. Daher war es ihm und seiner Frau auch möglich, Gebrauch von dem Visum für Frankreich zu machen, das sie von Alfred Döblin buchstäblich am letzen Tag (dem 11. März) vor Ablauf der Frist erhielten. Da sie schon wochenlang mit gepackten Kisten und KofFern gelebt hatten, konnten sie noch in derselben Nacht um 0 Uhr 35 vom Bahnhof Florenz nach Beaulieu sur Mer in Südfrankreich abreisen. In seinem Aufsatz „Spiel mit Juden. Rückblick auf Italien" schrieb Goldstein im Juni 1939 in der „Jüdischen Welt-Rundschau", der in Tel Aviv erscheinenden, von Robert Weltsch herausgegebenen Nachfolgerin der „Jüdischen Rundschau":

43

„Wenn ein Dichter das Schicksal der Juden in der Zerstreuung aus seiner, sozusagen unkünstlerischen Zeitdauer von fast 2000 Jahren lösen und in eine brauchbare Kürze übertragen wollte, es auf eine Formel bringend oder zu einem Symbol läuternd, so könnte er den Stoff der deutschen Emigranten in Italien aufgreifen. Da hätte er, auf sechs Jahre zusammengepresst, alles, was den Juden seit dem Untergang ihres Staates immer und überall widerfahren ist und widerfahren wird. Wie sie, aus dem Lande, das sie bisher als ihre Heimat betrachtet haben, vertrieben, hereinsickern, nicht in Groll und Rachewünschen rückwärts gewandt, sondern guten Willens zu diesem neuen Lande, das ihnen wieder Heimat werden soll, und zu ihrer neuen Zukunft, die sie aus eigener Kraft redlich aufzubauen gedenken; wie sie mit offenem Blick die Möglichkeiten erfassen; wie sie entschlossen zugreifen und mühselig sich vorwärtstasten; wie sie sich zurecht finden und Wurzel zu schlagen beginnen; wie sie sich geborgen und zu neuer Zufriedenheit berechtigt wähnen; wie sie dennoch horchen und spähen, ob nicht jenes wohlbekannte, lebensgefährliche Geflüster um sie her entsteht; wie sie eines Tages Spuren davon entdecken; wie es unterirdisch wühlt, heimlich gefordert wird, zur Sichtbarkeit anschwillt; wie es in die Öffentlichkeit tritt, das Haupt erhebt, schamlos wird, wie Aufklärung und Appell von Seiten der Juden nichts ausrichten; wie die wohlwollenden Einheimischen sich mit Achselzucken begnügen; wie endlich das Unrecht Recht wird und die Juden, ohne Rücksicht darauf, ob sie als Reiche oder als Arme gekommen waren, gleichmässig arm aus dem Lande treibt." (29)

4.1.1. Schreiben in Italien: „Die Sache der Juden"

Moritz Goldstein stammte aus einem liberalen jüdischen Elternhaus.

Seinen

Großvater väterlicherseits schildert er aber noch als einen „wahren Patriarchen" in einem kleinen Dorf in Oberschlesien, der den Wunsch hatte, seinen Sohn, Moritz Goldsteir.s Vater, zum Rabbiner ausbilden zu lassen. Der Wunsch ließ sich aber aus Geldmangel nicht verwirklichen, und dieser mußte daher eine kaufmännische Lehre beginnen. Goldsteins Vater befreite sich später weitgehend vom jüdischen Ritual, ohne sich jedoch ganz aus dem Judentum zu lösen. Die hohen Feiertage wurden weiter nach altem Brauch gefeiert. Moritz Goldstein, obwohl er noch jüdischen Religionsunterricht erhalten und ein wenig Hebräisch gelernt hatte, fühlte sich der jüdischen Religion und den jüdischen Sitten ganz entfremdet. Er sah seine Zugehörigkeit zum Judentum eher historisch begründet, war sich dessen aber immer bewußt und empfand es als ein Problem, sowohl deutsch als auch jüdisch zu sein. In seinem 1912 im „Kunstwart" veröffentlichten Aufsatz „Deutsch-jüdischer Pamass" schrieb er über diesen Zwiespalt, in dem nicht nur er sich befand, sondern seiner

44

Meinung nach, alle deutschen Juden, auch wenn die meisten es nicht wahrhaben wollten. „Machen wir uns doch nichts vor: wir Juden, unter uns, mögen den Eindruck haben, als sprächen wir als Deutsche zu Deutschen - wir h a b e n den Eindruck. Aber mögen wir uns immerhin ganz deutsch fühlen, d i e a n d e r n f ü h l e n uns ganz u n d e u t s c h . Wir mögen nun Max Reinhardt heißen und die Bühne zu ungeahntem Aufschwung beflügeln oder als Hugo von Hofmannsthal einen neuen poetischen Stil an die Stelle der verbrauchten Schillerschen Bildersprache setzen oder als Max Liebermann die moderne Malerei führen: w i r mögen das deutsch nennen, die andern nennen es jüdisch, sie hören das „Asiatische" heraus, sie vermissen das „germanische Gemüt", und wenn sie schon die Leistung - mit Vorbehalten - anerkennen müssen, s i e w ü n s c h t e n , wir leisteten w e n i g e r „ ( 1 ) (Hervorhebungen im Text) Später ließ sich Goldstein für den Zionismus gewinnen, ohne aber am Organisationsund Vereinsleben teilzunehmen. Auch warnte er schon 1933 in der „Jüdischen Rundschau", Berlin vor dem Irrweg des Nationalismus auch auf jüdischer Seite. „Ohne Religion, was heißt Judentum? Nation. Das ist die Antwort des Zionismus. Eine geniale Antwort: in dem Augenblick, da die Klammer des religiösen Judentums ihre bindende Kraft zu verlieren begann, wurde das nationale Judentum ergriffen als neue Kraft die dringende Aufgabe der Bindung zu erfüllen. Zu einer Nation sich bekennen ist das eine; Nationalist sein ist ein zweites und etwas ganz anderes. Zugehörigkeit zu einer Nation ist eine Tatsache, (...) .Nationalismus' dagegen ist eine Lehre. Sie kann wahr oder falsch sein. So wie sie uns heute von manchen jüdischen Nationalisten aufgezwungen werden soll, ist sie falsch." (2) Für Moritz Goldstein, der sich seit seiner Jugend mit den Problemen der deutschen Juden

auseinandergesetzt

hatte,

war

es

auch

als

Emigrant

in

Italien

selbstverständlich, sich zur bedrohlichen Lage der Juden seit der Machtergreifung Hitlers zu äußern. Er verfaßte ein Buchmanuskript, „Die Sache der Juden", das er am 1.6.1938 beendete. Hier versuchte er Gründe für den in Deutschland immer latent vorhandenen Antisemitismus zu finden, der nun drohte, die Juden völlig zu vernichten. Bis zur Zeit der Aufklärung sah er, wie viele andere, den Grund hierfür in der Religion und dem für Christen fremden Ritual. Später wurde aus dem religiös bestimmten Antisemitismus eine biologisch bestimmte Ablehnung der anderen „Rasse", die sich im Nationalsozialismus bis zum „Blutmythos" steigerte.

„Die Lehre, Wert und Wesen des Menschen hänge ab von seinem Blut, das seinerseits bestimmt werde von seiner Nation und Rasse, ist eine Irrlehre. Eine

45

Irrlehre ist also auch die Anschauung, dieses kostbare Blut könne verdorben werden, im materiell wörtlichen Sinne, durch Blutmischung. Es ist aber mehr als eine Irrlehre, es ist der gröbste und beschämendste Aberglaube, um kein Haar besser als der Hexenwahn des Mittelalters." (3) Diesen Glauben an den Wert einer Rasse, den er für verantwortlich für einen übersteigerten,

fanatischen

Nationalismus

hält,

widerlegt

Goldstein

mit

den

Beispielen der Schweiz und der USA. Hier werde vorgelebt, daß es nicht „Natur, Sprache, Blut und Stammesverwandtschaft" sind, die eine Nation bilden, sondern „Tradition und Überlieferung". (4) Er ist daher der Meinung, Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts" sei ein Rückfall ins Mittelalter. Goldstein wollte mit seiner Schrift, vor allem aber mit seinem Vorschlag im 5. Kapitel -„Stadt Israel"- eine Debatte entzünden, ähnlich der „Kunstwart-Debatte" von 1912. Er hoffte, daß dieser Vorschlag dann im großen Rahmen diskutiert werde, und vielleicht helfen könnte, die Lage der Juden zu verbessern. Mit dem Kapitel wollte er sich einschalten in die Bemühungen des Auslands, den verfolgten Juden zu helfen. Goldstein sah die einzige Rettung darin, die Juden wieder zurück zu verwandeln in eine Nation auf eigenem Grund und Boden. In der Idee Theodor Herzls, die zur Zeit ihrer Entstehung (1896) noch keine bittere Notwendigkeit, sondern eine Wahlmöglichkeit bedeutete, sah er Ende der dreißiger Jahre die einzige Möglichkeit für die Juden. Allerdings hielt er den, auch im Ausland viel diskutierten Plan, möglichst viele Juden in Palästina unterzubringen, zu dieser Zeit der wachsenden Bedrohung für nicht realistisch, da er viel zu langwierig sei. 1933 hatte Georg Landauer, Leiter des Palästina-Amtes in Berlin, geschätzt, Palästina könne jährlich ca. 10 000 Einwanderer aufnehmen. Auch der Mandatsstaat Großbritannien war an stabilen Verhältnissen in Palästina interessiert, und da man die arabische Bevölkerung nicht beunruhigen wollte, unterlag die Einwanderung nach Palästina einer

strengen

Quotenregelung.

Gegen illegale Einwanderer

gingen

britische

Streitkräfte und der Küstenschutz vor. (5) Einen anderen Nachteil bei der Besiedelung dieses so fremden und exotischen Landes sah Goldstein auch darin, daß die Juden zum größten Teil aus anderen als bäuerlichen Berufen kamen. Bei dem zweiten

international diskutierten Plan, der die Einwanderung der Juden in

unterschiedliche

europäische

und

außereuropäische

Länder

vorsah,

erkannte

Goldstein die Gefahr eines sich ausbreitenden weltweiten Antisemitismus. Sein Vorschlag, der aber nur eine Zwischenlösung bieten sollte, war irgendwo in der Welt

46 eine jüdische Großstadt zu gründen. Vorbilder für ein solches Projekt sah er in den griechischen Stadtstaaten der Antike, den Städten Venedig und Florenz in der Renaissance und im M o n a c o der neuesten Zeit. Der erste Vorteil einer jüdischen Stadt wäre der relativ geringe Platz, der dafür benötigt würde. Er schrieb dazu:

„ A b e r wenn auch kein Raum da ist für ein Land der Juden, so koennte doch Raum da sein für eine Stadt der Juden. Auch für eine Gross-, Welt-, Riesen- und Millionenstadt. Das Mandatsgebiet Palaestinas, zugegebener Massen ein winziges Land, umfasst 26 300 qkm. N e w Y o r k , die groesste Stadt der Erde, zaehlt in ihren inneren Quartieren 6,96 Millionen Einwohner auf 850 qkm: Gross-New Y o r k , das heisst unter Einrechnung der Vororte, zählt 8,5 Millionen Einwohner auf 3 200 qkm mitsamt den Wasserflächen." ( 6 ) Zweiter Vorteil einer jüdischen Großstadt wäre ihre Planbarkeit:

„ A b e r andere Staedte, auch Gross- und Weltstaedte, sind gemacht worden, ,gegruendet', w i e die Geschichte oder die Sage meldet: Alexandrien im Altertum; man kennt den Mann, von dem der Entwurf stammt, Deniochares heisst er; viele Staedte im Mittelalter; nicht wenige amerikanische Staedte; in juengster Zeit Staedte der Sowjet-Union und des faschistischen Italien, mit beinahe übermütiger Ausnuetzung unseres technischen Könnens." ( 7 ) Dritter Vorteil einer Stadt wäre, daß die meisten Bewohner in ihren llten Berufen arbeiten könnten, da fast alle deutschen Juden Großstadtbewohner seien

„ E s wird so viel geklagt ueber die falsche Berufsschichtung der Juden, in der die Urproduktion fast völlig fehlt oder bisher gefehlt hat. Ich finde das eine schiefe Ausdrucksweise. Die Berufsschichtung der Juden war nicht falsch, soidern voellig richtig, damit sie unter den Umständen, unter denen sie zu leben g e z w i n g e n waren, gerade noch leben konnten. Falsch waere sie, wenn man die Juden, so >vie sie heute sind, naehme und auf ein Land niedersetzte, w o sie sich nun, v o m Bau les Getreides und der Foerderung der Erze und der Kohle angefangen, selber helfen nuessten. Das ist ja einer der Gruende, warum die juedische Kolonisation so schwel faellt. Diese selben Juden jedoch, in eine Stadt gepflanzt, haben die richtige Benfsgliederung, naemlich sie haben gelernt, was in einer Stadt verlangt wird." ( 8 )

Schon

der

„Hilfsverein

der

Juden

in

Deutschland"

hatte

in

seinem

„Korrespondenzblatt für Auswanderungs- und Siedlungswesen" im Henst 1937 über die mangelnde Bereitschaft der jüdischen Emigranten geklagt, aus der Großstädten wegzuziehen, um in kleineren Städten oder gar auf dem Lande zu wihnen. ( 9 ) In dieser

neu

zu

gründenden

Stadt

„Israel"

-

Goldstein

spricht

in

diesem

Zusammenhang ganz naiv von einem Konzentrationslager - sollten de Menschen

47

von Industrie. Handwerk, Handel, Kunst und Kultur leben. Voraussetzung sei, daß die Staaten, die an der Lösung des Judenproblems großes Interesse hätten wie Großbritannien und die USA, sich zu einer Zusammenarbeit und zur Abnahme der jüdischen Produkte verpflichteten. Auch wäre hier die Möglichkeit, für jüngere Bewohner in landwirtschaftlichen

Berufen aber auch in der hebräischen und

arabischen Sprache ausgebildet zu werden, um ihnen ein späteres Leben in Palästina zu erleichtern. Als Moritz Goldstein am 1. Juni 1938 sein Buch beendete, hatte sich die Situation der Juden dramatisch verschlechtert. Nach der Annexion Österreichs im März 1938 als

auch

die

österreichischen

Einwanderungssperren

in

den

Juden

meisten

fliehen Ländern.

mußten, Zwei

führte

Wochen

nach

das

zu

Hitlers

Einmarsch in Österreich kündigte der amerikanische Präsident Roosevelt eine internationale Konferenz an, die sich mit dem Flüchtlingsproblem beschäftigen sollte. Diese fand vom 6. - 15.Juli 1938 in Evian am Genfer See statt. Außer 31 europäischen und außereuropäischen Staaten nahmen an dieser Konferenz auch Vertreter jüdischer Organisationen teil, die große Hoffnungen in die Konferenz setzten. Roosevelt, der durch innenpolitischen Druck zu seinem Schritt gedrängt worden war, hatte allerdings schon in seinem Einladungsschreiben erklärt, er erwarte von den Ländern nicht, daß sie ihre Einwanderungsbestimmungen ändern oder mehr Flüchtlinge aufnehmen sollten. So hatte Leopold Schwarzschild sicher nicht ganz unrecht, als er am 23.7.1938 im „Neuen Tagebuch" schrieb: „Einunddreißig Regierungen entsandten angenehm berührt ihre Delegationen, - jede von ihnen ganz klar darüber, daß die Situation eine wahre Schande ist, - und jede von der Hoffnung beseelt, daß die dreißig anderen sowohl die Situation wie die Schande beseitigen würden." (10) Ergebnis der Konferenz waren die Bildung eines Intergovernmental Committee on Political Refugees (IGC) und das vage Versprechen einiger Staaten, in Zukunft die Einwanderungsquoten auszuschöpfen. So scheiterte der Versuch, den jüdischen Flüchtlingen wirksam zu helfen, an der Einwanderungspolitik der verschiedenen Länder, an der auch das neu gebildete Komitee nichts ändern konnte. (11) Nach dem Scheitern der Evian-Konferenz war Goldstein noch mehr als vorher davon überzeugt, mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag zur Rettung der Juden leisten zu können.

48

4.1.2. Korrespondenz zu „Die Sache der Juden"

Nach Beendigung seines Manuskripts „ D i e Sache der Juden" begannen Goldsteins vergebliche Bemühungen um dessen Veröffentlichung. Denn nicht nur die Situation der Schriftsteller, sondern auch die der Exilverlage war äußerst schwierig, und das aus mehreren Gründen. Da war der Druck, den die deutsche Regierung auf die einzelnen Länder ausübte, diese Verlage zu verbieten. Hinzu kam die Furcht der einheimischen Exilverlage

Verleger

waren

vor

einer

indessen

Konkurrenz.

das

fehlende

Das

größte

Betriebskapital

Problem

und

die

für

die

fehlenden

finanziellen Reserven, die eine längerfristige Planung unmöglich machten. Daher waren die Verleger gezwungen, mit sehr wenig Personal schnell und billig zu produzieren. Eine Fehlentscheidung bei Annahme eines Manuskriptes konnte schon das Ende des Verlags bedeuten. Es gab nur einen sehr kleinen Kundenkreis im nationalsozialistischen Deutschland, und nach 1938 fielen auch noch die Leser in Österreich

und

im

Saarland

fort.

Abnehmer

gab

es

nun

nur

noch

in

der

deutschsprachigen Schweiz und unter den verstreut lebenden Emigranten in den verschiedenen Aufnahmeländem, die in der Regel aber in sehr eingeschränkten finanziellen vielen

Verhältnissen lebten. Es bestand daher ein Mißverhältnis zwischen den

emigrierten

Intellektuellen

und Schriftstellern, die

alle

versuchten,

ihre

Schriften zu publizieren, und den relativ wenigen Möglichkeiten dazu. Vor allem für die weniger bekannten Autoren war es fast unmöglich, einen Verleger zu finden.

Solche Schwierigkeiten bekam auch Moritz Goldstein deutlich zu spüren. D i e erste Adresse, an die er sein Manuskript sandte, war der Querido-Verlag in Amsterdam, einer der bedeutendsten Exil-Verlage, dessen Leiter Fritz Landshoff ein langjähriger Bekannter Moritz Goldsteins war. Dieser versprach ihm zwar, das Buch zu lesen, schon weil es ihn persönlich interessiere, fürchtete jedoch, nicht der richtige Verleger für „die

Publikation

renommierte

Verlag

eines Allert

solchen de

Buches"

Lange

sandte

zu das

sein. ( 1 )

Auch

Manuskript

der ebenfalls

zurücl: mit

den

freundlichen Worten, daß der Lektor das Buch mit Interesse und Sympathie gelesen hätte, daß aber bei den augenblicklichen Verhältnissen keine Möglichkeit gestehe, es

49

herauszugeben. Und der Schweizer Verlag Oprecht & Helbling, der sich sehr für emigrierte

Schriftsteller

einsetzte,

kleidete

seine

Ablehnung

in

einen

fast

ermutigenden Brief ein. Der Verleger Emil Oprecht schrieb hierin: „Das Urteil unseres Lektors ist durchaus günstig, die Arbeit wird als originell und interessant bezeichnet. Wenn wir uns trotz des günstigen Urteils nicht zur Inverlagnahme entschließen können, so nur deshalb, weil wir einfach keine Möglichkeit sehen, genügenden Absatz zu finden und verlegerisch auf die Rechnung zu kommen." (2) Nach diesen Ablehnungen wandte sich Goldstein an Emil Herz, von 1903-1933 Direktor des Ullstein-Buchverlages, zu dem er auch noch Kontakt hatte, nachdem beide aus dem Ullstein-Verlag ausgeschieden waren. Goldstein erwähnte in seinem Brief einen gemeinsamen Spaziergang in Florenz, bei dem er ihm von diesem Buch erzählt habe. Von Emil Herz, dem früheren Verlagsdirektor, erhoffte sich Goldstein Hilfe, da er glaubte, daß dieser noch Beziehungen zu anderen Verlegern unterhielte und daher über ihn eine Möglichkeit zur Veröffentlichung seines Manuskriptes bestehen könnte. Herz, von dem Text offenbar angetan, versprach Goldstein seine Unterstützung. Er schrieb ihm: Lektüre ihres Manuskriptes beendet, und stehe noch ganz unter dem Eindruck ihrer Ausführungen. Seit Jahren habe ich keine so klare und übersichtliche Darstellung der jüdischen Situation gelesen, und ich bin ihnen für die Fülle der Gedanken, die sie mir vermittelt haben, und für die Bereicherung meines Wissens über jüdische Dinge aufrichtig verbunden. (....) Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, diese wertvolle Schrift einem grossen Publikum zugänglich zu machen. (3) Goldstein bat Emil Herz nach diesen zustimmenden Zeilen, sich an Georg Bernhard (Gründer und Chefredakteur des „Pariser Tageblattes" von 1933-1937) zu wenden, der nach Meinung Goldsteins nun Sekretär beim Jüdischen Weltkongress sei, und der sicher über viele wichtige und einflußreiche Beziehungen verfüge. Goldstein hielt den Weg über Emil Herz für aussichtsreicher, als wenn er sich selbst ein seinen früheren Chefredakteur wendete, der ihn 1918 an die „Vossische Zeitung" in Berlin geholt hatte; er begründete seinen Wunsch so: „Wie ich Georg Bernhard kenne, ist er sehr zugänglich, wenn man sich auf einen Erfolg berufen kann, dass heisst, wenn sich schon andere interessiert haben. Ob er den Mut zu eigenen Entdeckungen aufbringt, ist mir zweifelhaft." (4)

50

Goldstein wandte sich auch noch an andere Kollegen, die er aus seiner Zeit bei Ullstein kannte, u.a. an Manfred Georg(e) in New York (später von 1939-1965 Chefredakteur des „Aufbau", New York), von dem er wußte, daß dieser die Buchreihe „Documenta Judaica" und die Zeitschrift „Jüdische Revue" herausgab, die beide in der Tschechoslowakei noch erschienen. Goldstein, um diese Zeit noch immer in Italien mit der Frist von einem halben Jahr, um das Land zu verlassen, schrieb in seinem Brief vom 25.Sept. 1938 an Georg(e) auch von seiner Furcht vor der gegenwärtigen politischen Situation.: „Bis dieser Brief in Ihre Hände gelangt, ist dieses unglückliche Europa vielleicht schon zu einem neuen Weltkrieg explodiert. Ich kann Sie nur beglückwünschen, dass Sie über den Ozean entwischt sind. Wenn Sie auch auf Stein sitzen, so scheint mir das unserer Lage vorzuziehen zu sein, die wir in der leeren Luft hängen und nicht wissen, was morgen mit uns geschehen wird." (5) Hier nun, bei Manfred Georg(e) schien er endlich Erfolg zu haben, wenn auch nur teilweise, denn dieser antwortete auf die Zusendung des V. Kapitels, und den Brief: „Lieber Herr Goldstein, das Kapitel habe ich bekommen. Es hat mir großartig gefallen. Ich habe es sofort in Satz geschickt. Aber ob es in Mukacevo ankommt und ob, wenn es ankommt, die JR noch existiert, das vermag ich Ihnen nicht zu sagen (...) Was sind Ihre Pläne und Ziele? Ich sitze nicht nur auf Stein, sondern auch in der Luft und ernähre mich von dieser. Kein kleines Kunststück." (6) Wegen der gleich danach erfolgenden Teilung der Tschechoslowakei erfüllte sich aber auch diese Hoffnung Goldsteins nicht, denn die „Jüdische Revue" stellte ihr Erscheinen ein, und so kam es nicht zur Veröffentlichung seines Aufsatzes. Manfred Georg(e) wurde bald danach Sekretär der „German-Writers Association" und versprach Goldstein, ihm zu helfen. In seinem Wunsch, mit diesem Buch die festgefahrenen politischen Verhandlungen zur Rettung der Juden wieder in Gang zu bringen, wandte sich Goldstein auch noch an Siegfried Moses, der bis 1937 Präsident der Zionistischen Vereinigung für Deutschland gewesen und 1937 nach Palästina emigriert war. Er hoffte, falls er mit seiner Schrift Erfolg haben sollte, nach seiner bevorstehenden Ausreise aus Italien, vielleicht in einer jüdischen Hilfsorganisation mitarbeiten zu können. Siegfried Moses hielt Goldsteins Plan von der „Stadt Israel" für nicht realisierbar. Er glaubte

51

nicht an die Möglichkeit einer schnellen „Verpflanzung von Industrien und sonstigen gewerblichen Betrieben", auch wären ja die Arbeiter, die dort gearbeitet hätten, nie Juden gewesen. Selbst wenn diese Schwierigkeiten zu meistern wären, so sähe er das noch größere Problem im Konkurrenzkampf auf den Weltmärkten. (7) Trotz seiner Kritik hatte Moses aber Abschriften machen lassen und zwei davon an die Jewish Agency in London geschickt. Eine weitere Adresse, an die Goldstein sich wandte, war Rudolf Olden, Schriftsteller, Journalist und Kollege aus der Berliner Zeit vor der Emigration. Dieser gehörte einem Londoner „Comité der Ausgewanderten" an, das Beziehungen zum „EvianComité" unterhielt. Olden hatte hier allerdings nur eine „bescheidene Position", wie er an Goldstein schrieb. Außerdem war er Sekretär des „Deutschen PEN-Clubs im Exil", der aber nur über wenig Möglichkeiten verfugte, etwas für die in alle Welt zerstreuten Mitglieder zu tun. Olden schickte Goldsteins Manuskript an das „Comité International pour le Placement des Intellectuels Réfugiés", und schlug ihm vor, sich an

Fritz

Demuth

zu

wenden,

der

Leiter

der

„Notgemeinschaft

deutscher

Wissenschaftler im Ausland" war. Allerdings sei es notwendig, so meinte Rudolf Olden „...einen so bedeutenden Plan (...) mit mehr Realität auszustatten, damit er eine Wirkung tut." (8) Daher solle Cioidstein denselben noch einmal mit einem Fachmann z.B. einem Nationalökonomen durcharbeiten. Ausserdem hielt er es für besser, das V. Kapitel „Stadt Israel" ganz aus dem Buch herauszunehmen und es als eigene kleine Schrift zu behandeln. Ein weiteres Exemplar der Schrift ging an den Rabbiner Joachim Prinz in New York, der sehr positiv darauf antwortete und zugab, an einen ähnlichen Plan zur Rettung der Juden auch schon gedacht zu haben; er war der Meinung, „...dass gar keine Phantasie gross genug sein kann, um den Fragen, vor denen wir stehen, gerecht zu werden." (9) Die fünf Manuskripte, die Goldstein von dem Buch hergestellt hatte, waren so in alle Welt zerstreut; zwei davon waren verschollen. Als Hans Meisel, früherer UllsteinKollege, später in Italien Lehrer am „Landschulheim Florenz" und nun Sekretär bei

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Thomas Mann, ein Exemplar von Goldstein erbat, um es Thomas Mann vorzulegen, war keines mehr erreichbar. In einem Brief von Hans Meisel vom 5. Juni 1939 heißt es: „Lieber Inquit, bis heute, dem Tag, an dem Thomas Mann seine Reise nach Europa antritt, habe ich auf Ihr Buch gewartet; ich habe immer wieder gefragt, ob es angekommen sei, aber Dr. Prinz scheint es nicht geschickt zu haben. Das ist sehr schade, denn Th. M. hätte Sie ja sicher gelesen - obwohl die Amerikaner ihn arg plagen: Die Torschlusspanik der Demokratie äussert sich in einer hektischen Betriebsamkeit, täglich entstehen neue Vereine, Ligen, Comités .dagegen', und alle wollen natürlich den grossen exilierten writer als Redner, oder verlangen zumindest ein ,statement' von ihm - jetzt hat ers fiir eine Weile hinter sich und flüchtet über den Ozean, um seine ,Lotte' zuende zu schreiben. Ich furchte, es hat keinen Sinn, ihm Manuskripte nachzuschicken, wir warten besser bis zu seiner Rückkehr im September " (10) Goldstein bedauerte es sehr, daß Thomas Mann seine Schrift nicht lesen konnte, und schrieb bitter an Meisel: „Von allen Arten der Talentlosigkeit ist Pech die traurigste, und beinahe muss ich mich zu ihr bekennen." (11) Das letzte noch greifbare Exemplar der Schrift befand sich auf Veranlassung von Julius Elbau bei der „American Guild for German Cultural Freedom" und bedeutete die einzige einigermaßen realistische Hoffnung auf eine Veröffentlichung

4.1.3. American Guild for German Cultural Freedom

Am 4. März 1939 hatte Julius Elbau, früher Redakteur bei der „Vossischen Zeitung", an Volkmar ZühlsdorfF einen Brief geschrieben, in dem er ihn um Hilfe für Moritz Goldstein bat, den er für „einen der besten Essayisten" hielt, „die es in Deutschland gab." (1) Volkmar Zühlsdorff war Sekretär, Assistent und enger Freund von Hubertus Prinz zu Löwenstein, dem Begründer, damaligen Hauptgeschäftsftihrer und Generalsekretär der „American Guild for German Cultural Freedom". Er erhoffte sich bei ihm genügend Einfluß, um wirksam helfen zu können. Er schrieb, daß er

53

sich große Sorgen um Goldstein und die anderen Menschen mache, die in den letzten Jahren guten Glaubens nach Italien gegangen seien und unter denen auch sein eigener Sohn sei. Die Hilfe war dringend geboten, denn die Juden in Italien hatten nur noch bis zum 12.März Zeit, das Land zu verlassen. Als Elbaus Brief seinen Empfänger erreichte, waren Moritz Goldstein und seine Frau aber schon mit Döblins Hilfe nach Frankreich gelangt, wo sie eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Monate erhielten. Elbau setzte sich auch weiterhin für seinen früheren Kollegen ein, und da er von dessen schlechter finanzieller Situation erfahren hatte, bat er in einem weiteren Brief vom 18.4 1939 Volkmar Zühlsdorf?, ihm eine Unterredung mit Hubertus Prinz zu Löwenstein zu ermöglichen. Mit diesem wollte er sich beraten, auf welche Weise man Goldstein am besten helfen könne und ob es möglich sei, ihn mit Hilfe der „American Guild" finanziell zu unterstützen. (2) Die „American Guild for German Cultural Freedom" war entstanden aus dem Plan Hubertus Prinz zu Löwensteins, eine „Deutsche Akademie" im Exil zu gründen. Hier sollte die emigrierte, nicht parteigebundene deutsche Kunst und Wissenschaft ohne Rücksicht auf Rasse und Religion eine Heimat finden. Es sollten die besten Werke der deutschsprachigen Emigration gefördert werden. Da diese Idee aber nur mit einem ausreichenden finanziellen Hintergrund zu verwirklichen war, brauchte er Sponsoren.

Es gelang Löwenstein, bei vermögenden amerikanischen

Freunden

Interesse zu wecken, besonders bei fuhrenden Persönlichkeiten aus der Filmbranche, dem Verlagswesen und den German Departments amerikanischer Universitäten. 1935 wurde die „American Guild for German Cultural Freedom" zur Finanzierung der „Deutschen A_kadem;e" gegründet, d ; e sich >936 mit dem Sitz in N e w York konstituierte. Thomas Mann und Sigmund Freud wurden die Präsidenten der Abteilungen Literatur und Wissenschaft. Zum Senat der Akademie gehörten außer den beiden Präsidenten u.a. noch Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Bruno Frank. Leonhard Frank, Oskar Maria Graf, Heinrich Mann, Robert Musil, Alfred Neumann, Rudolf Olden, René Schickele, Ernst Toller, Fritz von Unruh, Franz Werfel, Arnold Zweig und Stefan Zweig

(3) Die Gelder, die von der American Guild an die

Deutsche Akademie überwiesen wurden, sollten den bedürftigen Schriftstellern, Künstlern, Musikern und Wissenschaftlern als Arbeitsstipendien zur Verfugung gestellt werden, die sich auf 30 bis 50 Dollar monatlich beliefen. Diese Stipendien wurden nur für eine bestimmte Zeit bewilligt, im allgemeinen für drei bis sechs

54

Monate, in Ausnahmefallen bis zu neun Monaten, und sie richteten sich natürlich nach den vorhandenen

Mitteln.

Durch diese Hilfe sollte es den

Stipendiaten

ermöglicht werden, unvollendete oder geplante Werke zu vollenden. U m sicher zu gehen, daß auch

die richtigen

Personen

unterstützt

wurden, verschickte

man

Fragebogen an die Interessenten. Diese wurden nach Eingang von mindestens zwei Akademie-Mitgliedern begutachtet.

Auch Moritz Goldstein erhielt einen Fragebogen und beantwortete gewissenhaft alle Fragen nach Alter, Familienstand, Staatsangehörigkeit, Ausbildung, vor und nach dem „Umsturz" veröffentlichten Werken und deren Verlagen, nach T h e m a und Art seiner gegenwärtigen Arbeit, deren voraussichtlichem Umfang und der benötigten Zeit, diese zu beenden, und nach eventuellen Gutachtern. Er gab an, daß er für ein Buch über das Machtproblem (später „Widerlegung der Macht"), an dem er gerade arbeitete, und dessen voraussichtlichen Umfang er auf ca. 3 0 0 Druckseiten schätzte, noch etwa ein Jahr benötigen werde. Über seine „gegenwärtige wirtschaftliche Lage" schrieb er aus Beaulieu sur Mer an die „American Guild":

„Ich bin (...) in der Nacht vom 11. zum 12.März nach Frankreich abgereist., unter Verlust nicht nur unserer wieder aufgebauten auskömmlichen Existenz, sondern auch meines gesamten Besitzes. Wir haben hier nicht die Erlaubnis durch Arbeit Geld zu verdienen. B i s zum 12.Mai müssen wir, um weiter hier bleiben zu dürfen, eine Carte d'Identité beantragen, was mit 8 0 0 fr. Kosten verknüpft ist. Unsere baren Mittel sind fast verbraucht. Wir hoffen nach England zu gelangen, wo die Society o f Friends (Quäker) sich für uns bemüht. Wir (meine Frau und ich zusammen) haben hier verbraucht (Erfahrung seit dem 12.3.) bei sparsamster Wirtschaft in bescheidenem Appartement mit Selbstbeköstigung und ohne j e d e Bedienung 3 0 0 0 französische Frank gleich 75 Dollar monatlich. Die gleiche Summe würde ich brauchen, um in Ruhe, hier oder an einem anderen Ort Frankreichs, arbeiten zu können. (...) Wenn ich eine monatliche Unterstützung von 75 Dollar nachweisen könnte, würde die Verlängerung des Aufenthaltes für mich und meine Frau wahrscheinlich bewilligt werden. Für das in Arbeit befindliche Werk über das Machtproblem wäre mir an einer Arbeitshilfe, für die vollendete Schrift „Die Sache der Juden" an einem Druckkostenzuschuss gelegen." (4) In der Anlage zur Beantwortung des Fragebogens befanden sich das Manuskript „Die Sache der Juden" und die Beurteilungen von Fritz Demuth, Joachim Prinz, Rudolf Olden,

Emil

Herz und dem Verlag Oprecht &

Helbling.

Als Gutachter und

Befürworter eines Stipendiums nannte er von den angegebenen Senatsmitgliedern Alfred Döblin, Rudolf Olden und Arnold Zweig, die er alle persönlich kannte. In dem Gutachten Arnold Zweigs über Moritz Goldstein vom 1 7 . 5 . 1 9 3 9 heißt es:

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„Inquits = Dr. Goldsteins Angaben sind sicher zutreffend. Bis zum Jahr 33 kann ich das nachprüfen. Der Wert seiner Arbeiten würde die Hilfe der Guild rechtfertigen, was er nach 33 geschrieben hat, weiß ich natürlich nicht. Aber sein Kampf für Recht, Freiheit und Anstand war seit Jahrzehnten notorisch. Vor Extremen scheute er zurück. Daß er nach Italien ging, darf man bedauern." (5) Volker Zühlsdorff versprach Goldstein, daß die Guild versuchen würde, eine Veröffentlichung seines Manuskripts „Die Sache der Juden" in Amerika zu vermitteln. Er selbst reiste aber erst einmal nach Europa und übergab das Buch einem Lektor. Zwei Monate später, am 8.Juli 1939, äußerte sich Goldstein in einem Brief an Manfred Georg(e) besorgt darüber, daß er noch immer nicht gehört habe, wie es um die Bemühungen um eine Veröffentlichung seines Manuskriptes stehe, und daß er befurchte, daß auch das letzte Exemplar verloren sein könnte. (6) Georg(e) versprach ihm, daß er versuchen wolle, das Exemplar von Joachim Prinz zurückzubekommen. Inzwischen hatte sich aber auch Volker Zühlsdorff aus England gemeldet

mit der Versicherung, daß sich das New Yorker Büro um

eine

„Verwertung" des Manuskripts bemühe. Allerdings sei er noch nicht von einem Ergebnis unterrichtet. Gleichzeitig schrieb er in diesem Brief, daß im Moment leider keine Möglichkeit bestehe, Goldstein mit einem Stipendium zu unterstützen, da die Mittel für das nächste Quartal schon ausgegeben seien. (7) Am 15. August wurde Goldstein aber aufgefordert, an einem Preisausschreiben teilzunehmen, das die „American Guild" zusammen mit der Harvard University erarbeitet hatte. Einsendeschluß war der 1. Oktober 1938. In den Bedingungen für den „Literarischen Wettbewerb des Amerikanischen Bundes fuer Freie Deutsche Kultur" hieß es unter Punkt 3: „Welcher Nationalität der Bewerber auch angehören mag, er muss aus seiner ursprünglichen Heimat aus politischen Gründen vertrieben sein." Da Goldstein aber gleich 1933 aus eigenem Entschluß Deutschland verlassen hatte, hielt er sich nicht für berechtigt, bei diesem Preisausschreiben mitzumachen. Ungefähr zwei Wochen später, am 1.9.1939, eröffnete Hitler den Angriff auf Polen, und damit begann der Zweite Weltkrieg. Für Goldstein, der seit Juni in England lebte, wurde es immer schwieriger, sich von Europa aus um die Veröffentlichung seiner Schrift zu kümmern. Er beauftragte seinen Vetter Ernst Salomon in New York mit dieser Aufgabe. Das Manuskript, das seit Januar 1940 beim Verlag „Alliance

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Book Corporatian" in New York vorlag, wurde dort abgelehnt, und auch der nächste Verlag, „Jewish

American

Publishers", konnte sich nicht zu einem

Druck

entschließen. Danach schickte die „American Guild" das Manuskript an einen Verlag in Philadelphia, aber Ernst Salomon machte Goldstein wenig Hoffnung auf eine Veröffentlichung. Er schrieb ihm: „Das ist schon deshalb nicht anders möglich, weil z.Zt. hier, als wenn Amerika bereits im Kriege wäre, das gesamte Wirtschaftsleben mit Ausnahme der Rüstungsindustrie völlig ins Stocken geraten ist." (8) Aber nicht nur der Krieg wirkte sich negativ auf Gotdsteins Publikationswünsche aus; ebenso schlimm war es für ihn, daß die „American Guild" wegen politischer Differenzen in eine Krise geriet und sich 1940 auflöste.

4.2. England 1 9 3 9 - 1 9 4 7

„Eines Tages findet sich der Mensch wieder ein Land weiter geweht. Vielleicht klingt dieses Bild, das von Blüten und Blättern hergenommen wird, noch zu leicht und lustig. Sagen wir lieber: gespült, so wie ein Stück Holz, Rest irgendwelchen Gerätes, von unbekannten Schiffen oder fernen Gestaden herstammend, bei Ebbe am Strande zurückbleibt. Der Mensch blickt um sich und stellt fest: dies ist England. Wie kommt er hierher? Das haben hilfreiche Menschen zuwege gebracht, die englische Hilfsbereitschaft ist auch für ihn eingesetzt worden. Das Visum steht in seinem Pass, das kostbare Dokument; sonst wäre er nicht einmal auf das Kanalschiff gelangt. Er kommt, der Ausgetriebene, als Englands Gast in des Wortes voller Bedeutung. Denn arbeiten darf er nicht, weder bezahlt noch, ausdrücklich, unbezahlt. Auch das steht in seinem Pass, zur Abrundung des kostbaren Dokuments. Hast du verstanden und ist dir bewusst, dass du nicht arbeiten darfst? So fragt ihn mit väterlicher Fürsorge der Passoffizier als der erste Engländer, der auf englischem Boden das Wort an ihn richtet; so fragen ihn seine hilfreichen Freunde, um ihn vor Schaden zu bewahren, denn bei Uebertretung würde er des neuen, glücklich erreichten Landes wieder verwiesen werden; so fragt ihn die Polizei, bei der er sich zu melden hat, die liebenswürdig weltmännische, ganz unpreussische Behörde. Nach so gründlicher Unterweisung kann der Mensch nicht umhin, ganz genau verstanden zu haben. Schliesslich, warum soll er arbeiten? So viel wissen die freundlichen Helfer, die bewilligende Zentralbehörde und die prüfenden Unterbehörden am Ende auch von den Bedingungen des Lebens, dass für einen, der nicht reich ist und sich dennoch seinen Unterhalt nicht verdienen darf, gesorgt sein muss. Und es ist für ihn gesorgt, die Einreise wäre ihm nicht erlaubt worden, ohne solche garantierte Fürsorge, sie

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gehört zu den Voraussetzungen des Visums. Einer von den guten Menschen, deren es in England offenbar mehr gibt als in anderen Ländern, gewährt ihm Obdach. Und ein anderer hat es auf sich genommen, ihn zu ernähren. Er braucht gar nicht zu arbeiten, er steht unter dem Schutze der Hospitality. ..." (1) Erfahrungen mit der „Hospitality" machten auch Moritz Goldstein und seine Frau, nachdem sie nach ihrer Ausreise aus Italien und den folgenden drei Monaten in Beaulieu sur Mer, am 15.Junil939, das Visum für eine Einreise nach Großbritannien bekommen hatten und am 20.Juni dort eintrafen. Das Reisegeld war von einer jüdischen

Hilfsorganisation gezahlt worden, und die

Aufenthaltsgenehmigung

verdankten sie der „Society of Friends", den Quäkern, die schon 1933 gleich nach Hitlers Machtergreifung begonnen hatten, Flüchtlingen aus Deutschland zu helfen. Im Mai 1939, als Toni und Moritz Goldstein eine Aufenthaltsgenehmigung für Großbritannien bekamen, war es schon leichter geworden diese zu eihalten als zu Beginn der dreißiger Jahre. Bis 1938 war Großbritannien kein bevorzugtes Asylland für Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland gewesen, da die britische Politik sogar noch bis Anfang 1939 bestimmt war durch die Wahrung eigener Interessen, der Friedenssicherung und einer Appeasement-Politik gegenüber Deutschland. Außerdem stieg auch in England die Zahl der Arbeitslosen an, und von rechten Gruppierungen wurde die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen durch eine größere Zahl von Emigranten geschürt. Erst nach

1938, als nach der

„Reichskristallnacht" und der Ausdehnung der Naziherrschaft auf Österreich und die Sudetengebiete eine neue Fluchtbewegung ausgelöst wurde, lockerte Großbritannien seine

Einreisebestimmungen.

Die

meisten

Emigranten

waren

dabei

auf

die

Unterstützung von Hilfsorganisationen angewiesen, denn Grundlage der Aufnahme von Flüchtlingen war eine Garantie, die anglikanische und jüdische Gemeinden der Regierung zu geben hatten, daß diese nicht den öffentlichen Haushalten zur Last fielen. Die Hauptlast trugen die jüdischen Organisationen, so heißt es in einem Leifaden mit Verhaltensregeln für Flüchtlinge, herausgegeben vom „German Jewish Aid Committee":

„Die britische Regierung hat großes Mitgefühl mit der tragischen Lage der Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich und anderen Ländern. Sie müssen jedoch einsehen, dass der Unterhalt der Flüchtlinge während ihres Aufenthalts in GrossBritannien von der jüdischen Gemeinde und nicht von den britischen Steuerzahlern getragen werden muss." (2)

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Nicht nur hierfür wird Verständnis von den Emigranten erwartet, sondern indirekt auch für eine nicht besonders fremdenfreundliche Stimmung unter der englischen Bevölkerung. Daher rät der Leitfaden u.a.: „Verwenden Sie Ihre freie Zeit unverzüglich zur Erlernung der englischen Sprache und ihrer richtigen Aussprache. Sprechen Sie nicht Deutsch auf der Strasse, in Verkehrsmitteln oder sonst in der Öffentlichkeit, wie z.B. in Restaurants. Sprechen Sie lieber stockend englisch als fliessend deutsch - und s p r e c h e n S i e n i c h t l a u t . Lesen Sie keine deutschen Zeitungen. Treten Sie weder einer politischen Organisation bei, noch nehmen Sie sonst Anteil an politischen Bewegungen." (3) Neben jeder Kritik an englischer Lebensweise und Politik sind auch auffallige Manieren, auffällige Kleidung und Übertreibungen unerwünscht. Erwartet werden „gute Manieren" und Bescheidenheit. Über eine der wichtigsten Fragen, die sich den Flüchtlingen stellte, die der Arbeitsmöglichkeiten, heißt es in dem Führer: „Daher kann das H o m e O f f i c e (Innenministerium) nichts erlauben, was britischen Unternehmern und Arbeitern schaden könnte, oder was ihnen Arbeit entziehen würde, solange noch eine sehr grosse Anzahl britischer Männer und Frauen arbeitslos sind. Auf keinen Fall darf es heissen, dass die Flüchtlinge britischen Arbeitern die Arbeit wegnehmen." (4) Jede

Arbeit,

die

man

annahm,

mußte

von

der

Ausländerabteilung

des

Innenministeriums genehmigt werden. Unter diesen Umständen war es klar, daß die Emigranten auf die Hilfe der jüdischen Gemeinden angewiesen waren. Aber auch christliche Organisationen, vor allem die Quäker, standen den Emigranten bei. Das Ehepaar Goldstein wohnte in der ersten Zeit bei einer jungen

Dozentin für

Philosophie der Universität Manchester, Miss. Emmet, einer Schwester der Quäkerin Mrs. Wilson, die sich um ihre Einreisegenehmigung bemüht hatte. Man hatte ihnen H o f f n u n g gemacht, daß sie die Leitung eines Quäker-Heimes

in

Manchester

übernehmen könnten. Ihre Anstellung wurde dann aber doch wegen ihres Alters abgelehnt, da sich auch ein jüngeres Lehrerehepaar beworben hatte, das ihnen vorgezogen wurde. N u n waren sie ganz auf die englische „Hospitality" angewiesen. Das bedeutete, daß man kostenlos untergebracht und verpflegt wurde und sich dafür mit Hilfe in Haus und Garten revanchierte. Auch das Ehepaar Goldstein tat dieses. Von Zeit zu Zeit fanden sie Zerstreuung bei den Garten-Parties für Emigranten, die von den Quäkern veranstaltet wurden. Moritz Goldstein schrieb wieder Glossen und versuchte diese in verschiedenen Zeitungen unterzubringen. Eine kontinuierliche

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Zusammenarbeit entwickelte sich mit der „Pariser Tageszeitung", die bis zu ihrem Ende im Februar 1940 21 Artikel von ihm druckte. Er hielt Vorträge, u.a. im „Austrian

Centre",

das

im

Februar

1939

gegründet

worden

war,

(erster

Ehrenpräsident wurde Sigmund Freud) und das sich zu einem kulturellen Zentrum der österreichischen Emigration entwickelte. Kulturelles Zentrum der deutschen Emigration

sollte der

1938 auf kommunistische

Initiative gegründete

„Freie

Deutsche Kulturbund in Großbritannien" (FDKBGB) werden, der seinen Sitz in London hatte, und dem als Präsidenten Alfred Kerr und Oskar vorstanden.

Die

Gründungsversammlung

fand

im

März

1939

Kokoschka

statt.

Dieser

Kulturbund hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die in Deutschland verbotene „freie deutsche Kunst" zu erhalten und das Verständnis zwischen den Flüchtlingen und der englischen Bevölkerung zu fordern. Sitz des Kulturbundes war London, doch wurden überall im Lande Ortsgruppen gebildet. (5) Am 18.8.1939 erwähnt Goldstein in seinem Journal eine „Vorbesprechung über Gründung eines „Kulturbundes" in Manchester." Es ist anzunehmen, daß es sich hierbei um eine Ortsgruppe des FDKBGB handelte. Auch hier hielt Moritz Goldstein später Vorträge, vom 29.1.1940 an eine sechsteilige Vortragsreihe über deutsche Literatur. Aber auch über politische Themen sprach er, so unter dem Titel „Deutschlands Kampf um die Demokratie", und er las aus seinen Werken. Nicht nur vor Emigranten, sondern auch vor englischen Zuhörern hielt er Vorträge in englischer Sprache. Fast immer waren seine Themen das Judentum, das Machtproblem und die deutsche Literatur. Trotz seiner regen kulturellen Tätigkeit waren die dringendsten Probleme, wie regelmäßiger

Verdienst

und

eine

eigene

Wohnung,

nicht

gelöst.

Denn

die

Unterbringung bei Miss Emmet war nur vorläufig, und so lebten sie wieder mit gepackten Koffern und wußten nicht, wie es weitergehen sollte. Am 19.4.1940 gingen Moritz Goldstein und seine Frau für einige Zeit nach London, wo sie alte Freunde wiedersahen, darunter auch frühere Kollegen aus Berlin wie Monty Jacobs, Fritz Homeyer, Grete Fischer, Franz Leppmann und das Ehepaar Charlotte und Martin Beradt. Zuerst wohnten sie im Refugee Hotel, drei Wochen später aber bezogen sie ein schönes geschmackvoll eingerichtetes Haus, das wegen der drohenden Kriegsgefahr und aus Gründen der Wohltätigkeit für eine sehr geringe Miete zu haben war. Die Zeit in London war aber nur kurz, denn im Juni 1940 wurde ihnen von den Quäkern die Leitung eines Emigrantenheims

in

Manchester

60 angeboten. Sie fanden ein völlig verwahrlostes Haus vor und machten sich sofort daran dieses herzurichten.

Nach

Kriegsbeginn

am

l.Sept.

1939 hatte sich die

Stimmung

der

englischen

Bevölkerung immer mehr gegen die Flüchtlinge aus Deutschland gewandt.

Die

Angst vor Spionen breitete sich aus. Es wurden ungefähr hundert unabhängige Sondergerichtshöfe eingesetzt, die in Klassenzimmern oder Kirchen tagten und die alle 50 000 deutschen und österreichischen Ausländer, von denen fast 35 000 jüdische Emigranten waren, überprüfen sollten. Hierzu wurden Einkünfte eingeholt bei

der

Sonderabteilung

des

Scotland

Yards,

dem

Vorstrafenregister,

dem

Fremdenregister, der Nachrichtenabteilung des Heeres und der Marine und beim Jüdischen Flüchtlingskommitee. Ein Vertreter des „German Emergency Committee" vertrat bei jeder Sitzung, die alle unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfanden, die Interessen der Flüchtlinge. Die Ergebnisse wurden beim Scotland Yard gesammelt. ( 6 ) Die deutschen und österreichischen

Einwanderer (enemy aliens) wurden ab

September 1939 in drei Gruppen eingeteilt. Die Personen der Gruppe A galten als „security

risks",

staatsgefährliche

Personen

und wurden

gleich

interniert.

Die

Personen der Gruppe B galten als politisch unzuverlässig; sie blieben in Freiheit, mußten aber schärfere Kontrollen und Einschränkungen hinnehmen als die Gruppe C, die als echte Flüchtlinge (friendly aliens) galten. Aber auch diese benötigten eine polizeiliche Erlaubnis für Reisen, für eine Änderung des Wohnsitzes, für den Besitz eines Fahrrades u.a.m. Die antideutsche Haltung steigerte sich nach der deutschen Invasion in den Niederlanden, Belgien und Frankreich im Mai und Juni 1940 noch mehr, und die Zeitungen, auch solche, die sich vorher für die Flüchtlinge eingesetzt hatten,

wie

der

„Manchester

Guardian",

forderten

nun

die

Internierung

aller

Ausländer. Im Juni beschloß die britische Regierung alle Deutschen und Österreicher zwischen 16 und 70 Jahren zu internieren. Ausgenommen waren Kranke, Invalide und die Frauen der Gruppe C. Zirka 30 000 Menschen wurden in schnell errichteten Notlagern zusammengepfercht, und ungefähr 4 200 Personen wurden sogar mit dem Schiff nach Kanada und Australien verschickt. Die meisten Internierten lebten sehr beengt auf der Isle o f Man in leerstehenden Pensionen und Hotels, in Warth M i l l in Lancashire

wurden

mehrere

Tausende

in

einer

leeren,

verfallenen

Fabrik

untergebracht, und in Huyten mußten Hunderte wegen Überfüllung der Siedlung in Zelten kampieren.

61

Goldsteins waren beide bei der Überprüfung durch das Tribunal als „friendly aliens" in die Gruppe C eingestuft worden, wie überhaupt die überwiegende Zahl der Emigranten. Nun aber wurde Moritz Goldstein, knapp einen Monat nachdem er und seine Frau das Emigrantenheim übernommen hatten, am 16.7.1940 in das Lager Huyton bei Liverpool gebracht. In seinem Journal steht über diesen Tag: „16.7. um 7 Uhr früh zwei Kriminalbeamte, die mir die - lang erwartete Internierung ankündigen. Ich habe gerade Zeit, mich anzuziehen, zu packen u. zu frühstücken. Um 9 Uhr durch Auto zum Polizeihauptquartier gebracht. Dort sind wir allmählich viele Internierte. Um 2 Uhr mit Autobus nach dem Lager Huyton bei Liverpool: eine neuerbaute Arbeitersiedlung, jetzt durch doppelten Stacheldrahtzaun in ein Gefangenenlager verwandelt, von Militärposten bewacht. Es sind hier mehrere tausend Internierte beisammen. Viele Bekannte darunter. Wir hausen völlig ohne Möbel, schlafen auf Strohsäcken." (7) Auch hier schrieb Goldstein ein paar „Inquits" für die Lagerzeitung und arbeitete an seinem Buch über die Macht. Völlig überraschend wurde er schon am 27.8., knapp sechs Wochen später, wieder freigelassen. Rückblickend sagte er über diese Zeit, daß es „im Wesentlichen eine große Unbequemlichkeit" war, die aber mit Vorträgen, Konzerten

und

neuen

Bekanntschaften einigermaßen

anregend

verging.

Die

Zusammensetzung der Internierten im Lager Huyton war bunter als in anderen Lagern. Unter ihnen gab viele unterschiedliche Berufsgruppen, Arbeiter, Ingenieure, Wissenschaftler, Studenten, Ärzte, Krankenpfleger, Köche, Friseure, Matrosen und Künstler, Schriftsteller und Journalisten. Der größte Teil der Internierten waren jüdische Emigranten, aber es befanden sich hier auch Auslandsdeutsche und sogar SS-Leute. (8) Wieder

in

Manchester

half

Goldstein

seiner

Frau

bei

der

Leitung

des

Emigrantenheims. Der Krieg wurde auch in England immer fühlbarer, und bei einem fast zwölfstündigen Bombenangriff auf Manchester vom 22./23. Dezember 1940 wurde auch das Emigrantenhotel beschädigt. Zum Glück gingen nur ein paar Fensterscheiben entzwei, und man konnte Weihnachten mit den Gästen in relativ guter Stimmung feiern. Schon im März 1941 wurde das Emigrantenheim von der „Society of Friends" wieder

aufgelöst

und

Goldstein

und

seine

Frau

mußten

nach

neuen

62

Verdienstmöglichkeiten

suchen.

Das

war

zu

dieser

Zeit

nicht

mehr

völlig

aussichtslos, denn nach Kriegsbeginn und der Zeit der Internierungen waren die Lebensbedingungen

der Emigranten

in sozialer Hinsicht

besser geworden.

Die

britischen Männer waren jetzt beim Militär, und man besann sich auf die Arbeitskraft der Flüchtlinge, die man statt der eingerückten Briten nutzen konnte. Von nun an fielen die Arbeitsbeschränkungen für Fremde fort, und sie wurden auch sonst (z.B. bei

der

Versorgung

mit

Lebensmittelkarten)

der

britischen

Bevölkerung

gleichgestellt. Goldsteins wollten wieder eine Pension führen, w i e sie es in Forte dei Marmi mit Erfolg getan hatten. Sie fanden ein Haus in Abersoch, North Wales, das sie vom April an für ein Jahr mieteten. Unterstützung fanden sie wieder bei einer jüdischen Hilfsorganisation. A m 23.4.1941 schrieb Goldstein in sein Tagebuch:

„ A m 16.4. Übersiedelung nach Abersoch, North Wales ins Haus Arlanfor, nach unglaublichen Abreiseschwierigkeiten. W i r finden das Haus zwar hübsch und sauber vor, seinen technischen Apparat aber völlig unzulänglich. Da zunächst auch keine Handwerker zu haben sind und wir auf ausgesprochene Fremdenfeindlichkeit zu stoßen scheinen, so verzweifeln wir an der Möglichkeit uns hier zu halten." ( 9 ) Die Zukunft sah aber bald freundlicher aus, als zunächst erwartet, und die ersten Gäste kamen. Auch freute es Goldstein besonders, daß der Verleger Victor Gollanc/. Interesse für sein Manuskript „Widerlegung der Macht" gezeigt hatte, und dessen zweiten Teil „ V o m Machtgenie zum Machtverbrecher" von Dickes, einem Redakteur des Manchester Guardian übersetzen lassen wollte. Der Vertrag wurde am 1.7.1941 unterschrieben. Auch Monty Jacobs, ein Freund und K o l l e g e von der „Vossischen Zeitung" meldete sich und machte Goldstein den Vorschlag, an dem in London erscheinenden Blatt „ D i e Zeitung", mitzuarbeiten.

A m Ende des Jahres stellte sich die Pension als geschäftlicher Erfolg heraus. Die Arbeit nahm das Ehepaar aber sehr in Anspruch, denn es gab neben der oft elfstündigen

Arbeit

immer

wieder

Ärger

mit

dem

Personal,

das den

hohen

Erwartungen der beiden selten genügte. Das Erscheinen des Buches verzögerte sich, und bisher war es auch noch nicht zu einer Mitarbeit an der Zeitung gekommen.

Im Januar 1942 fühlten sich Toni und Moritz Goldstein beide körperlich angegriffen; sie schlössen vorübergehend die Pension, um sich in London ärztlich behandeln zu lassen und sich nach einer neuen H i l f e umzusehen. Diese wurde in einem jungen

63

Ehepaar gefunden, das noch auf der Isle of Man interniert war und hoffte, auf diesem Wege wieder freizukommen. Nachdem das eine Problem gelöst zu sein schien, tauchte sogleich ein neues auf. Zur großen Enttäuschung für Moritz Goldstein kam am 23.1.1942 vom Verleger Victor Gollancz die Nachricht, daß er vom Vertrag zurücktreten würde. Begründet wurde der Rücktritt mit dem Erscheinen des Buches „Dictators" von J. D. Chambers, das ein ähnliches Thema behandelte. (10) Einen Monat später war aber schon ein neuer Verleger in D. H. Allen gefunden, der wie Goldstein schreibt, zwar „nicht so ehrenvoll wie Gollancz, aber vielleicht geschäftstüchtiger" war. (11) Dieser veröffentlichte das Buch im Juli 1943 unter dem Titel: „Führers Must Fall. A Study of the Phenomen of Power from Caesar to Hitler. By Michael Osten." Mit dieser Schrift wollte Goldstein den „Mythos der Macht" und die „Machtanbetung" zerstören, indem er Gründe für den „Machttrieb" bei Personen der Geschichte von Cäsar bis zu Mussolini und Hitler aufzuzeigen versuchte. Er sah das Problem eher psychologisch als gesellschaftlich und sprach von seiner Hoffnung, daß die Psychologie eines Tages in der Lage sein werde, diesen Machttrieb in die richtigen Bahnen zu lenken. Die Resonanz auf das Buch war äußerst schwach. Es erschienen nach Goldsteins Wissen

nur

drei,

seiner

Meinung

nach

nichtssagende

bis

„feindselige"

Besprechungen. Nicht einmal der „Manchester Guardian" nahm Notiz davon, obwohl der Übersetzer E. W. Dickes Redakteur der Zeitung war. Goldstein schickte daher ein Exemplar an Werner Illberg, der von Zeit zu Zeit im „Manchester Guardian" veröffentlichte. Er bat ihn, das Buch zu lesen und ihm seine Meinung mitzuteilen, vor allem aber wünschte er, daß Illberg sich für eine Besprechung in der Zeitung einsetzen sollte. Der aber antwortete mit einem langen Brief, in dem er Goldstein erklärte, warum er das Buch nicht „bejahen" könne und „den Wert des Buches verneine". Er sah den größten Fehler in Goldsteins Hoffnung auf die Wissenschaft, die eines Tages die Menschen bessern solle. Diese Einstellung verleite jedoch zur „Apathie" und biete keine Hilfe an zu der aktuellen Frage, wie man Hitler entmachten könne. Illberg vermißte eine Analyse, in der die gesellschaftlichen Kräfte aufgezeigt würden, durch die ein Mißbrauch der Macht möglich würde. Über Goldsteins Art, mit dem Problem der Macht umzugehen, schrieb er:

64 „Sie sind ein unbeirrter Anhänger der Aufklärung, die aber leider unter Ihren Händen zur Verdunkelung wird. Sie üben eine Art Zivilcourage, die mit Vehemenz offene Türen einrennt, und an die verrammelten mit garnichts rüttelt. (...) Aber das ist nur ein Kratzen an der Oberfläche." ( 1 2 ) Trotz dieser geringen und negativen Resonanz wurden nach Goldsteins Angaben 1000 Exemplare des Buches verkauft. ( 1 3 ) 1943 wurde der Mietvertrag für die Pension „Arlanfor" in Abersoch, Northwales um ein Jahr, bis zum 1 5 . 4 . 1 9 4 4 , verlängert, und die anstrengende und von Moritz Goldstein nur widerwillig getane Arbeit lag wieder für ein Jahr vor ihnen. Am Ende der Saison schreibt Goldstein:

„Sie war geschäftlich ein Erfolg, für uns übermäßig arbeitsreich, manchmal bis an die Grenzen oder über die Grenzen unserer Kraft; menschlich völlig leer, ohne j e d e Möglichkeit eines Restes von geistiger Existenz oder gar Produktion, wie es nicht anders sein konnte. O b das Unternehmen in eine vierte Saison fortgesetzt werden kann, läßt sich noch nicht voraussehen. Wenn nicht, was dann? Wenn j a , wie halt ich mich aufrecht." ( 1 4 ) Zwischendurch gab es aber auch kleine Lichtblicke; z.B. forderte Rudolf Ullstein Goldstein 1943 auf, ihm eine Sammlung seiner Novellen zu schicken, da er deutsche Bücher für Deutschland nach dem Krieg vorbereitete. S o ging es weiter, zunächst bis zum November 1945, Verlängerung des Mietvertrags, Klagen über die anstrengende Arbeit, nicht selten e l f Stunden am Tag, immer wieder Ärger mit dem Personal und kaum Möglichkeiten zu schreiben, geschweige denn zu veröffentlichen. Den Zwiespalt zwischen seinem Bedürfnis zu schreiben und seiner Arbeit in der Pension beschrieb Goldstein in einem B r i e f an seinen Freund Ernst Moritz Manasse selbstironisch und trocken:

„Aber dass ich auf die Kateridee verfallen bin, und immer wieder verfalle, Manuskripte herzustellen, die dann auch erscheinen sollen, wozu irgend jemand sie lesen müsste, was aber keiner will, dessen schäme ich mich jetzt in die tiefste Seele hinein. Glücklicher Weise verfasse ich nicht nur Manuskripte, sondern verbringe den Hauptteil meines Lebens damit, harmlose Leute zu betreuen, so dass sie sich in unserem Boarding House wohl fühlen und satt fressen. Wenn ich sie vor Behagen schmatzen höre, so tröstet mich das über mein unfruchtbares Schreibedasein hinweg. (15)

65

Auch wenn das Ehepaar Goldstein, vor allem aber er, sich bei dieser Arbeit nicht wohl fühlte, so spürten die Gäste, die einige Zeit hier lebten offensichtlich nichts davon, denn diese fühlten sich wohl, wie aus den Worten Gabriele Tergits hervorgeht, die sich zu Goldsteins achtzigsten Geburtstag an diese Zeit erinnerte: „Das Ehepaar machte mit unendlicher Arbeit eine Pension in Wales auf, wo sich im Krieg und im ersten Nachkrieg dankbare Emigranten einfanden, dankbar weil sie sich hier an einen freundlich gedeckten Tisch setzen durften in einer Atmosphäre höchster deutscher Geistigkeit, auch wenn die Fenster gegen die V.l. und V.2. verdunkelt werden mußten, auch wenn vor dem Hause Engländer mit leisem Mißtrauen und schweigender Toleranz die seltsame Gesellschaft betrachteten, die die Sprache des Feindes sprachen." (16) Immerhin war der Verdienst durch die ungeliebte Arbeit so reichlich, daß Goldsteins im Winter längere Zeit in London verbringen konnten. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, am 28.7.1945 kam von ihrem Sohn Thomas, der auf vielen Umwegen über Norwegen, Schweden, Rußland, Rumänien, Italien und Haiti in die USA gelangt war, ein Affidavit für die Einreise in die USA. Goldsteins konnten es aber nicht nutzen, da zu dieser Zeit die Transporte für Zivilpersonen gesperrt waren. Der Mietvertrag für das Haus „Arlanfor" endete am 30.November endgültig, und sie mußten das Haus verlassen. Der ganze Besitz wurde in dreißig Koffer verpackt und in einer Garage in Abersoch untergebracht. Danach zogen Moritz Goldstein und seine Frau nach London in das „Regent Palace Hotel", ein „Massenquartier von 1000 Zimmern". Das ersparte Geld reichte aber nicht lange, und da sie keine Möglichkeit sahen, in London ihren Lebensunterhalt zu verdienen, entschlossen sie sich „schweren Herzens", wieder eine Pension in Abersoch zu führen. Am 25.1.1946 wurde der Mietvertrag für ein anderes Haus in Abersoch unterzeichnet, und im März zogen sie dort ein. Hier fühlten sie sich wider Erwarten wohl, denn sie hatten genügend Personal, u.a. deutsche Kriegsgefangene. Goldstein hatte sogar ein wenig Zeit zum Schreiben, und er begann mit seiner Autobiographie. Da es ihnen nun relativ gut ging, waren sie auch unschlüssig, ob sie England verlassen und nach Amerika gehen sollten. Allerdings hing die Entscheidung auch jetzt noch vom amerikanischen Konsulat ab. Und als am 24.3.1947 die Erteilung der Visen sicher

66

war, hatten sie sich noch immer nicht endgültig entschieden. Noch vier Monate später, als die Papiere endlich eintrafen, schrieb Goldstein in sein Tagebuch:

„ W i r empfangen die kostbaren Dokumente, auf die wir Jahre lang gewartet haben, unter so viel Unsicherheit, Unschlüssigkeit und Überarbeitung, daß wir keinerlei Freude an ihnen empfinden." (17) Aber

der

Wunsch,

ihren

Sohn

Thomas

wiederzusehen,

gab

dann doch

den

Ausschlag, England zu verlassen, und so gingen sie am 14.10.1947 in Southampton an Bord der „Mauretania", die sie nach Amerika brachte. Im August hatte Goldstein, mittlerweile 67 Jahre alt, noch an einen Freund geschrieben:

„Ich gehe sozusagen ohne Hoffnung oder Erwartung einer lebenswerten Zukunft. Im Grunde ist es für alles zu spät." (18)

4.2.1. S c h r e i b e n in E n g l a n d : D i e „Pariser T a g e s z e i t u n g "

In England hatte Goldstein erstmals seit Beginn seines Exils 1933 wieder die Möglichkeit,

als

Journalist

zu

arbeiten.

Schon

in

Beaulieu

sur Mer,

dem

Zwischenaufenthalt vor der Weiterfahrt nach England, nahm er gleich Kontakt mit Robert Weltsch auf, dem Herausgeber der „Jüdischen Weltrundschau'. Goldstein hatte schon früher mit

Weltsch zusammengearbeitet. Dieser hatte i.a. am 20.

Sept. 1933

der

kurz

vor

Emigration

Goldsteins

Aufsatz

„Europäischer

Zusammenhang" in der „Jüdischen Rundschau" gedruckt, und 1936 de:sen Bericht „ A l s Auswanderer in Italien" veröffentlicht. Goldstein bot Robert Vveltsch jetzt seinen Artikel „Spiel mit Juden" an, in dem er, wie er schrieb, „ v o n jüdischen Standpunkt" aus zusammenfaßte, was nach Einführung der Rassegeseze 1938 in Italien geschehen war und wie es von ihm empfunden wurde. Weltsch, der das Thema interessant fand, hielt es aber für nötig, Goldstein darauf hinzuweisen, daß sich die „Jüdische Vorgängerin,

die

Welt-Rundschau"

„Jüdische

- auch wenn sie viel

Rundschau" - in

Berlin, „eine

freier sei gewiss;

als die Reserve"

auferlegen müsse, da es ja überall in der Welt schwieriger würde, frei :u sprechen. ( 1 ) Goldstein dagegen war der Ansicht, daß dieses Thema nicht ohne Aggression

67

gegenüber den „diktatorischen Mächten" zu behandeln sei, da sonst nur etwas Nichtssagendes dabei herauskommen würde. (2) Er fuhrt den neuen Antisemitismus in Italien auf den Einfluß Hitlers zurück und spricht von der „sklavischen Abhängigkeit" Mussolinis vom „Emporkömmling Hitler". Nachdem Robert Weltsch den Artikel gelesen hatte, war er doch bereit, diesen in seiner Zeitung zu veröffentlichen. Er erschien in drei Folgen am 30.6., 7.7. und 14.7.1939 unter dem Titel „Spiel mit Juden. Rückblick auf Italien. Von einem Ausgetriebenen." Goldstein meinte, darauf bestehen zu müssen, daß sein Name nicht erscheinen dürfe, da er um sein beschlagnahmtes Vermögen in Italien fürchtete. Das Honorar, das er für seinen Artikel erhielt, konnte bei den schwierigen finanziellen Mitteln der „Jüdischen WeltRundschau" natürlich nur gering sein, denn diese mußte sich erst Leser in der ganzen Welt erwerben. Eine Ausgabe in Palästina war, wie Robert Weltsch an Goldstein schrieb, von den Hebraisten verhindert worden. (3) Der Grund hierfür lag darin, daß in Palästina keine deutschsprachigen Zeitungen geduldet wurden.

Sehr ermutigend war es für Moritz Goldstein, als sich im Sommer 1941 sein früherer Freund und Kollege Monty Jacobs bei ihm meldete und ihm den Vorschlag machte, an

dem

in

London

erscheinenden

deutschsprachigen

Blatt

„Die

Zeitung"

mitzuarbeiten. Diese Zeitung, deren Chefredakteur der frühere geschäftsführende Direktor der „Frankfurter Zeitung" Johannes Lothar war, wurde im Auftrag des britischen Informationsministeriums herausgegeben und arbeitete mit dem Foreign Office zusammen. Wenn sie auch finanziell vom Informationsministerium abhängig war und sich an die Rahmenbedingungen der englischen Politik halten mußte, so hatte „Die Zeitung" doch relativ großen Freiraum. Viele Mitarbeiter kamen von den bekannten liberalen Blättern der Weimarer Republik, so Monty Jacobs, der an Moritz Goldstein schrieb: „Nun werden Sie allmählich merken, warum mich mein Gewissen eines Briefschreibers gebissen hat. Ich will Sie nämlich dringend auffordern, für uns zu schreiben. (...) Lothar möchte „Essays" haben, darunter versteht er, was wir in feierlichen Momenten: Zimmet mit Gesichtspunkten genannt haben. Ohne Scherz: ich glaube, dass Sie gerade solche Betrachtungen besonders hübsch anstellen werden. Dazu ist zu bemerken: grosse Raumknappheit, also nicht mehr als 1000 Worte = 4 Maschinenseiten. Thema bitte vorher erst anmelden, damit es keine Doubletten gibt. Auch alle Arten, Marke: Inquit sind willkommen. Wir haben den Ehrgeiz Niveau zu halten, haben aber ein Publikum, das mehr nach dem Wiener Neuen Journal als nach der Voss schmeckt. Also darf nicht so viel „High Brow"

vorausgesetzt werden. Nun, Sie kennen ja alle diese Vorreden zu einem herzlichen Wunsch: Machen Sie mit! Honorarsatz: 2 Pfund für tausend Worte." (4) Warum diese herzliche Aufforderung zur Mitarbeit dann doch nicht wie gewünscht verwirklicht wurde, wird nicht klar. Goldstein jedenfalls war sehr enttäuscht. Als nach sechs Wochen sein erster gelieferter Beitrag noch immer nicht erschienen war, fragte er mit bitterer Ironie: „Gehört mein Beitrag zu denen, die wie Neruda sagte, „auf Blei stehen", aber nie ins Blatt gelangen, weil sie, wie Kober sagte "Ewigkeitswert" haben?" (5) Auch drückt sich seine tiefe Enttäuschung aus, wenn er davon spricht, daß diese Aufforderung für ihn „wenn auch kein Fenster, so doch eine Luke in die freie Luft" gewesen sei. Wichtiger und ergiebiger für Goldstein wurde die Verbindung mit Carl Misch und der „Pariser Tageszeitung". Während seines kurzen Aufenthaltes in Beaulieu sur Mer, erfuhr Goldstein,

daß

dieser „führend an der „Pariser

Tageszeitung"

mitwirkt(e)". Tatsächlich war Misch schon seit Ende 1937 deren Chefredakteur. Goldstein und Misch kannten sich von der „Vossischen Zeitung" her, wo Misch, wie zeitweilig auch Goldstein, politischer Redakteur unter Georg Bernhard und Julius Elbau gewesen war. Nach seiner Entlassung aus dem Ullstein Verlag 1934 war Misch nach Paris gegangen. Hier arbeitete er beim „Pariser Tageblatt" mit, zu dem er durch Georg Bernhard gekommen war. 1936 verließen Georg Bernhard und einige Mitarbeiter das „Pariser Tageblatt" wegen einer angeblichen Zusammenarbeit des Herausgebers

Wladimir

Poljakoff mit den Nationalsozialisten.

Sie

gründeten

daraufhin die „Pariser Tageszeitung" mit Georg Bernhard als Chefredakteur und dem neuen Herausgeber Fritz Wolff. Bei späteren Untersuchungen, die sich über ein Jahr hinzogen, stellte sich heraus, daß es sich bei den Anschuldigungen gegen PoljakofT um Verleumdungen und ein abgekartetes Spiel von Georg Bernhard, Fritz Wolff und Kurt Caro gegen jenen gehandelt hatte. (6) Das „Pariser Tageblatt" überstand diese Intrige nicht und mußte sein Erscheinen am 14.6.1936 einstellen. Nun nahm die „Pariser Tageszeitung" dessen Platz als einziges täglich erscheinendes Blatt der Emigration in Frankreich ein, und viele der ehemaligen Tageblatt-Mitarbeiter blieben bei der Nachfolgerin, die in der Aufmachung ihrer Vorgängerin ähnelte. Im

69

Feuilleton schrieben u.a. Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Alfred Kerr, Arthur Koestler, Heinrich, Klaus und Thomas Mann, Rudolf Olden, Robert Musil und Ernst Toller. Nachdem Georg Bernhard von Fritz Wolff wegen des unberechtigten Verdachts einer Unterschlagung entlassen worden war, wurde Carl Misch zusammen mit Kurt Caro Ende 1937 Chefredakteur und er blieb es auch, nachdem Kurt Caro 1938 von Josef Bomstein abgelöst worden

WEIT,

mit einer Unterbrechung bis zum

Ende der Zeitung im Februar 1940. (7) Über die Affare um das „Pariser Tageblatt" äußerte sich Carl Misch zurückhaltend. Obwohl er den Verdacht gegen Poliakov nicht teilte, hielt er es für das Richtigste, „die eklen Beimischungen zu ignorieren und auf die Sache selbst zu achten". (8) Die Sache, das war für Misch die neue „Pariser

Tageszeitung",

in

der

er

ein

wichtiges

Organ

des

gegen

den

Nationalsozialismus kämpfenden Exils sah und die ihm als die einzige Tageszeitung im Exil unersetzlich schien. Auch hatten die Emigranten durch diese täglich erscheinende Zeitung die Chance, sich in deutscher Sprache regelmäßig

zu

informieren und zu äußern.

Als Goldstein von der leitenden Funktion seines früheren Kollegen an der „Pariser Tageszeitung" hörte, schrieb er ihm sofort. Er schrieb ihm, wie sehr er sich sehr freuen würde, an dieser Zeitung mitarbeiten zu können, was ihm ja bis zu diesem Zeitpunkt vom faschistischen Italien aus nicht möglich gewesen war. Misch antwortete schon wenige Tage später auf den Brief: „Lieber Herr Dr. Goldstein, ohne alle Präliminarien: vielen Dank für Ihren Brief und einen herzlichen Willkommensruf. (...) Sie machen sich schwer einen adaequaten Begriff von aer Engigkeit der Verhältnisse, in denen wir hier arbeiten. Nicht nur sind die Honorare winzig, sondern auch die Druck-Kapazität ist erschreckend gering. Aber wenn Sie das berücksichtigen, so werden Sie immerhin ein paar Francs verdienen, und Sie haben recht, dass dies ja die einzige gestattete Arbeit ist. Ob Sie die Chiffre Inquit wieder aufleben lassen, ob Sie unter Ihrem eigenen guten Namen schreiben, oder ob Sie ein neues Pseudonym wählen, werden am besten Sie selbst entscheiden. Wir würden sehr gern Inquits drucken, wobei ich Sie auf die Möglichkeit aufmerksam machen möchte, alte Sachen aus der „Voss" wieder als Zweitdruck zu geben. (...) Lassen Sie recht bald von sich hören. Mit herzlichen Grüssen Ihr Misch." (9) Schon am 14.Mai erschien der erste Text von Goldstein in der Sonntagsbeilage. Als er das Honorar zusammen mit einem Mitarbeiterexemplar erhielt, war er glücklich und schrieb an Misch:

70

„Das rasche Erscheinen meines ersten Beitrags hat mir wohlgetan. Sie glauben nicht, w i e zaghaft man nach fast sechs Jahren geistiger Gefangenschaft in die Freiheit tritt und w i e wenig Mut nach z w e i Austreibungen übrig geblieben ist." ( 1 0 ) Die Austreibung aus Italien und das letzte Zusammensein in einer Trattoria in Florenz mit den Freunden, die nun nach England, Australien oder in andere Länder weiter wandern, ihre Wünsche, Hoffnungen und Sorgen, war denn auch das Thema seiner ersten Glosse mit dem Titel „Aufbruch". ( P T Z 14./15. Mai 1939) In einem anderen Beitrag, „Chinesisches Visum", Februar

1939

in

Rom

um

ein

schreibt Goldstein, der sich selbst im

chinesisches

Visum

bemüht

hatte,

von

dem

eigenartigen Gefühl, das einen Emigranten befallt, der dieses nun in den Händen hält, Schrift und Sprache aber nicht versteht und anfangt zu träumen, welche Botschaft wohl in diesem Stück Papier enthalten sein könne. Goldstein spielt verschiedene Möglichkeiten durch, die zum Schluß in dem Wunsch enden, es möchte darin stehen: „Dieser Mann ist ins I.and zu lassen, darf unbehelligt darin verweilen, solange er nicht gegen die Gesetze verstösst, und er darf auf ehrliche Art sein Brot verdienen." ( 1 1 ) Er schreibt von der Bitterkeit, die entsteht, wenn man um alles, um Wohnung, Essen und Reisegeld betteln muß, so daß man mit N e i d auf die gepflegten Hunde auf den Straßen sieht, und dabei das Gefühl hat, daß der Wert des Flüchtlings unter den eines Hundes gesunken ist. ( 1 2 ) Durch ein Werbeplakat, auf dem ein Paar beim Wellenreiten, gezogen von einem Delphin, abgebildet ist, fühlte er sich zu einer weiteren Glosse angeregt. Er stellt eine Verbindung zwischen diesem Paar und den Flüchtlingen her, denn beide haben keinen Einfluß auf Tempo, Richtung und auf die See bzw. die politischen Verhältnisse, so daß es darauf ankommt, sich diesen Umständen ganz zu überlassen, wenn man überleben will. ( 1 3 ) Das Thema der Hoffnungslosigkeit der Emigranten

und den Versuch, sie zu überwinden,

griff

Goldstein in seinem Text „Rettungsring" auf, in dem es um die Selbsttötung geht. ( 1 4 ) Vielleicht war der Anlaß hierzu der T o d Ernst Tollers am 22.Mai in N e w York. Mit diesem Problem war er aber auch selbst durch den Versuch seiner Frau, sich in Italien das Leben zu nehmen, unmittelbar in Berührung gekommen. Diese Texte, die in

den

drei

Monaten

in

Südfrankreich

entstanden,

sprechen

alle

von

den

verschiedenen Facetten des Exilerlebens, hervorgerufen durch die unsichere Lage, in der das Ehepaar Goldstein sich auch hier befand, da sie nicht wußten, ob und wann sie ein Visum für England bekommen würden. Sie lassen uns miterleben, welche Gefühle und Gedanken einen Menschen in dieser Situation bewegen, der aus Italien

71

vertrieben, auch in Frankreich nur kurze Zeit geduldet wird und der sich schon wieder nach einem neuen Aufenthalt umsehen muß. Nachdem Goldstein und seine Frau endlich ein Visum für England erhalten hatten und nachdem sie dort angekommen waren, wurde ihre Lage wieder etwas stabiler, da sie hoffen konnten, hier nun bleiben zu können. Goldstein schrieb am 29.Juni 1939 an die Pariser Tageszeitung: „Sehr verehrte Herren, hier mein erster Versuch aus England. Die Überfahrt über den Kanal war sanft und harmlos, der Uebergang von einem Land in das andere umso stürmischer. Die Hoffnung, an die Spitze eines Knabenheims gestellt zu werden, hat sich zerschlagen — eine bittere Enttäuschung, mit der wir sehen müssen, fertig zu werden. Ich werde mir alle Mühe geben, die Verbindung mit der PT aufrecht zu erhalten und Ihre Erwartungen zu rechtfertigen." (15) Er schickte auch gleich einen Beitrag, mit dem Titel „Hospitality", in dem er seine ersten Erfahrungen in England schildert. (PTZ 4.Juli 1939. S.o. S.51/52) Carl Misch hatte Goldstein vorgeschlagen, als eine Art „Chroniqueur" Glossen nach Art der früheren „Inquits" zu schicken, so daß etwa zweimal die Woche Texte von ihm erscheinen sollten. Bei diesen Aussichten hatte Goldstein das Gefühl „wieder in den Klub der freien Männer" aufgenommen zu sein. Vor allem freute er sich, an einer Zeitung mitarbeiten zu können, die er für „ausgezeichnet" hielt, und von der er meinte, daß sie die Schwierigkeiten, die es bei allen Emigrantenblättern gäbe, sehr gut gelöst hätte. Eine der Schwierigkeiten bestand nach Ansicht Goldsteins darin, daß „der natürliche Stoffkreis fehlt, der sich normalerweise schon aus dem Erscheinungsort ergibt". Er hat sicher damit gemeint, daß die unmittelbare und kritische Auseinandersetzung mit Politik und Gesellschaft des Gastlandes dort oft nicht erwünscht war, so daß man darauf achten mußte, „keinen Anstoss" zu erregen, und trotzdem die „unübersehbar zerstreute Leserschaft zu fesseln". (16) Ein für ihn wichtiges Thema, das Problem der Juden, stand bei der „Pariser Tageszeitung" nicht im Vordergrund, obwohl die meisten Mitarbeiter jüdischer Herkunft waren und ein großer Teil der Leser aus jüdischen Emigranten bestand. Auf eine dieses Thema berührende Frage Goldsteins antwortete Carl Misch:

„Unsere Haltung zu dem jüdischen Problem lässt sich so formulieren, dass wir nicht das ganze Weltgeschehen vom jüdischen Standpunkt aus betrachten, wohl aber das jüdische Problem als einen Teil des Freiheitsproblems auffassen." (17)

72

Man sah im Schicksal der Juden einen Teil der Folgen von Hitlers Gewaltherrschaft, der wirkungsvoller bekämpft werden konnte, wenn man auch die anderen Opfer des Nationalsozialismus

mit

einschloß.

Die

Aufklärung

über

die

Zustände

im

nationalsozialistischen Deutschland konnte aber nur aus zweiter Hand geschehen, da Recherchen vor Ort so gut wie unmöglich waren. Insofern handelte es sich bei der „Pariser Tageszeitung" wie bei der übrigen deutschen Presse des Exils eher um eine „kommentierende Gesinnungspublizistik". (18) An dieser Gesinnung übte Goldstein gelegentlich Kritik und warnte davor, pauschal die Deutschen als Nazis zu verurteilen. Speziell ging er auf einen, seiner Meinung nach hämischen Artikel über das Burgtheater ein, in dem Schauspieler wie Käthe Dorsch und Werner Krauss als Nazis dargestellt worden seien, von denen man doch nicht wüßte, wie ihre wirkliche Überzeugung sei. In seinem Brief an Misch hieß es: „Angreifen soll man das Burgtheater, soweit es die Gesinnung über die Kunst stellt. Verhöhnen kann man es, wenn es mit seiner Leistung zurückgeht. (...) Da wir Todfeinde des Nazitums sind, so dürfen wir, scheint mir, dem Feinde keinen Anhalt für seine Behauptung geben, unsere Feindschaft sei nichts als Ranküne. Dies gilt für die Emigration überhaupt, nicht nur fiir ihre Presse. Für die PT gilt mehr: Sie sollte alles vermeiden, was sie hindern könnte, das zu werden, was sie ihrem inneren Werte nach zu werden vermag und verspricht: die anerkannte Repräsentation der Emigration, die nicht nur von der gesamten Emigration gelesen wird, sondern auch außerhalb der Emigration anerkannt, und schliesslich auch von den Feinden beachtet." (19) Da Misch sich, schon wegen des großen Leserkreises der Zeitung, die 1939 mehr als 10 000 Käufer und Abonnenten hatte, (20) verpflichtet fühlte, sachgerecht und abgewogen zu berichten, stimmte er Goldsteins Kritik zu. Er erklärte das Erscheinen des „übrigens stark gemilderten" Artikels damit, daß man einem Wiener Autoren, der sich von der „Pariser Tageszeitung" boykottiert fühlte, den ersten Beitrag nach der Schlichtung nicht zurückschicken mochte. (21) Außerdem bat er Goldstein, ihm immer seine Kritik und seine Beobachtungen mitzuteilen, da er dieses für „ungemein wichtig" hielt. So sehr Goldstein sich über die Mitarbeit an der „Pariser Tageszeitung" freute, so war er doch noch längere Zeit, und obwohl schon einige Texte von ihm erschienen waren, unsicher über die Art der Texte, die gewünscht wurden. Für aktuelle Beiträge schien ihm der Postweg von Manchester nach Paris zu lang, so daß sie schon veraltet

73

waren, wenn sie in Paris eintrafen; andererseits hatte er den Eindruck, daß feuilletonistische Beiträge im Überfluß eingesandt wurden. Auf seine Bitte um einen Rat antwortet Carl Misch: „Wir möchten recht viel Englisches, was gar nicht immer ins allgemein Menschliche erhoben zu werden braucht. Ich glaube, es ist eine glückliche Verbesserung, dass Sie jetzt in England sind, wo sich diese Möglichkeiten ergeben. (...) Also, der Wunsch geht auf halbaktuelle konkrete Zusammenfassungen, sei es typischen oder individuellen Charakters. Ich habe selbst das Empfinden, mich nicht klar genug ausgedrückt zu haben, aber ich hoffe, es wird Ihnen eine gewisse Richtlinie geben."

(22)

Außer mit dem Wunsch, die Eingewöhnung der Emigranten in der neuen Heimat zu fördern und deren Isolierung zu mildern, beschäftigte sich die Zeitung immer wieder mit der Frage, wie man in anderen Ländern lebte, und ob man vielleicht woanders bessere

Chancen

hätte.

Man versuchte

deshalb

Orientierungshilfen

filr

eine

eventuelle Weiterwanderung zu bieten. (23) Mit Berichten z.B. über die Beschaffung eines Affidavits für Amerika oder über Lebens- und Arbeitsbedingungen in anderen Ländern wurde Uber diese Fragen informiert. Politischer und sozialer Alltag ist aber nicht nur durch sachliche Berichte, sondern auch durch das Feuilleton erfahrbar, mit dem das Fremde, Neue und Unbekannte vertraut gemacht werden kann. Daher war die Zeitung interessiert an feuilletonistischen Beiträgen, die von anderen Exilländem erzählten und dadurch zu einem Bindeglied zwischen den verstreut lebenden Emigranten werden konnten. So war u.a. Alfred Kerr von London aus ständiger Korrespondent und Kolumnist des PTB/PTZ, und vom 4.Juli 1939 an schickte auch Moritz

Goldstein

regelmäßig

aus

England

seine

Glossen.

Das

Thema

des

Exilerlebens trat zurück, und Goldstein sah sich mit Interesse in seiner neuen Heimat um. Immer hob er die tolerante und selbstsichere Haltung der Engländer hervor. In einem Bericht über den Untergang eines U-Bootes bei einer Übungsfahrt, und die darauf folgende Gerichtsverhandlung, wunderte er sich über die Offenheit, mit der die englischen Offiziere über das „vielgliedrige Triebwerk der Marineverwaltung" und auch über mögliche Unzulänglichkeiten und Pflichtverletzungen Auskunft gaben.

„Welch eine Selbstsicherheit! Welch ein Bewußtsein des eigenen Wertes! Wäre irgendeine von den diktatorischen Mächten, bei aller Krafthuberei, so stark, dass sie sich eine ähnliche Offenheit gestatten dürfte?" (24)

74

Auch in einer anderen Gerichtsverhandlung, bei der Kriegsdienstverweigerer ihre Gründe für diese Entscheidung darstellten, fand er wieder diese offene und selbstsichere Haltung, die auf der Seite des Gerichts auf Respekt und Toleranz stieß. Goldstein hob in seinem Text wieder den Unterschied zu Deutschland hervor: „Wenn sie davon in Deutschland lesen, wie werden sie sich in ihrer Nazi-Presse lustig machen! Denn es geht nicht in ihre Köpfe, dass ein moderner Staat, der eine Weltmacht ist, und zu bleiben wünscht, und der aus allen Kräften zur kriegerischen Abwehr rüstet, dennoch sich wohlweislich hütet, die leise Stimme des Gewissens zu überdröhnen, die in einigen seiner Volksgenossen klingt, und gewiss nicht in den schlechtesten." (25) Nicht nur beim Militär oder vor dem Gericht fand Goldstein diese von der Vernunft bestimmte maßvolle Haltung, sondern z.B. auch bei einem Volksfest der Waliser, bei dem sich alles um die keltische Kultur drehte. Man konnte keltische Musik und Tänze erleben, aber auch Schauspiele und Lesungen von Lyrik und Prosa in walisischer Sprache. Bei einem begleitenden Kongress kam es dann von einigen Rednern

zu

Forderungen

nach

walisischer

Amtssprache,

einem

walisischen

Erziehungswesen oder gar nach einer walisischen Regierung. Hiermit büßte das Fest allerdings seine Harmlosigkeit ein, denn durch eine solche Nationalgesinnung war nach Goldsteins Meinung, schon oft in Europa „die nationale Sprengladung in die Luft" gegangen. Dennoch: „Die Engländer hegen keinen Argwohn in Bezug auf ihre guten Waliser. Als der Vorsitzende den ersten Redner fragte, ob er sich denn ein einsprachiges Wales vorstellen könne, antwortete der zwar: Warum nicht? Aber ihm entgegnete ein anderer, ein einsprachiges Wales dürfe ja wohl nur ein englisch sprechendes Wales sein. Und obwohl Waliser aus aller Welt zu diesem ihrem Nationalfest kamen, scheint ein politischer Abenteurer nicht darunter gewesen zu sein." (26) In

Blackpool,

einem

englischen

Seebad

in

Lancaster,

mitten

in

einem

Vergnügungspark, wurde eine Plastik des Bildhauers Jacob Epstein enthüllt. Diese Arbeit, die wie Goldstein vermutete, in Deutschland als „entartete Kunst" verboten worden wäre, zeigt Adam, der, fast noch ein Klumpen Lehm, schon beginnt, diesen zu überwinden, der sein Gesicht nach oben wendet und noch weit entfernt von menschlicher Schönheit, doch schon etwas ausdrückt wie „Sehnsucht nach Klarheit und Reinheit". Einige Reaktionen des bunt gemischten Wochenendpublikums gibt Goldstein in seiner Glosse wieder:

75

„'Wenn das in dem Bildhauer vorgegangen ist, muss er das Recht haben, das auszudrücken: Aber uns soll man nicht einreden wollen, dass es schön ist.' Einige, wie es nicht anders sein kann, übten ihren Witz an dem seltsamen Anblick. Eine Frau bemerkte: .Erst hat es mich erschreckt, aber ich komme nicht los davon, und allmählich beginne ich zu verstehen.'" (27) Nicht nur aus den zitierten, sondern fast aus allen Texten, die Goldstein aus England an die „Pariser Tageszeitung" schickte, spricht seine große Sympathie für die englische

Bevölkerung

unterschiedlichen

und deren Lebensweise.

englischen

So schilderte

Bevölkerungsschichten,

was

ihm

er, aus

ganz

bemerkenswert

erschien. Insgesamt erschienen in der Zeit zwischen März 1939 und dem Ende des Jahres 1939 einundzwanzig Beiträge von Moritz Goldstein in der „Pariser Tageszeitung". Bei Kriegsbeginn, gleich in der ersten Septemberwoche 1939, wurden in Frankreich alle männlichen Mitglieder der Redaktion interniert, auch Fritz Wolff und Joseph Bornstein. Carl Misch wurde nur zweimal für kurze Zeit festgehalten und konnte unter großen Schwierigkeiten mit sehr wenig Personal und praktisch in alleiniger Verantwortung

die

„Pariser

Tageszeitung" weiterführen. (28) Goldstein

war

offensichtlich nur ungenau über die Schwierigkeiten der Zeitung informiert, denn in seinem Ncujahrsgruß an Carl Misch schreibt er: „Aus Ihren Artikeln schloss ich, dass Sie wieder in der Redaktion wirken. Der Schluss ist rieht zwingend, aber inzwischen ; st er mir von Olden bestätigt worden. Dagegen scheint Ihr Kollege noch nicht wieder über sich verfügen zu können. Die Schwierigkeiten, unter denen Sie das Blatt aufrecht erhalten, müssen ungeheuer sein, und ich bewundere Ihren Heldenkampf aufrichtig." (29) Trotz der Bewunderung ftir Carl Misch und dessen „Heldenkampf' um die „Pariser Tageszeitung" schien er den Emst der Situation nicht zu erkennen, denn er beklagte sich in demselben Brief, daß er so wenig von der Redaktion höre, und er wünschte sich „gelegentlich eine Ermunterung oder eine Bestätigung". Außerdem mahnte Goldstein, der im Januar 1940 noch immer keine Möglichkeit gefunden hat, in England eine bezahlte Arbeit zu finden, und der daher auch auf kleinste Summen angewiesen war, noch ausstehende Honorare bei der Zeitung an. Carl Misch antwortete ihm:

76

„Lieber Herr Dr. Goldstein, seit vielen, vielen Tagen will ich Ihren Brief vom 5. beantworten und komme nicht dazu. (...) Seien Sie mir bitte nicht böse, wenn die Antwort sich so lange verzögerte. Die Arbeit häuft sich unkontrollierbar. Gerade Ihren Brief wollte ich besonders rasch beantworten. Ich danke Ihr.en vielmals für die verständnisvollen Worte. Wir hoffen, das Blatt über alle Schwierigkeiten hinwegbringen zu können, so dass schliesslich auch für die Mitarbeiter wieder bessere Zeiten herankommen werden.(...) Von mir persönlich kann ich eigentlich gar nichts sagen. Die Arbeit ist sehr anstrengend, aber ich glaube, dass sie für viele Tausende von Lesern heute wichtiger ist denn je und ihnen Trost und Stärkung vermittelt. Bomsteins Rückkehr erwarte ich jetzt eigentlich jeden Tag, nachdem sie sich so lange hinausgezögert hat." (30) Schon drei Wochen später, am 18.Februar 1940, stellte die Zeitung, die nicht nur für ihre Leser sondern auch für ihre Mitarbeiter ein wichtiges Bindeglied gewesen ist, ihr Erscheinen ein. Für Goldstein aber war sie auch „Trost und Stärkung", denn sie hatte ihm nach vielen Jahren endlich die Möglichkeit gegeben, wenn auch nur für kurze Zeit, in seinem eigentlichen Beruf als Journalist zu arbeiten. Erst viele Jahre später, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, sollte Goldstein in den USA wieder Gelegenheit haben Artikel zu veröffentlichen.

4.2.2. Was soll aus Deutschland werden? „Vision der Zukunft"

Während der Jahre der Nazidiktatur - und vor allem während des Zweiten Weltkriegs - hatten die Intellektuellen im Exil nie an einer Niederlage Hitlers gezweifelt. Immer wieder wurden Pläne für die Zukunft Deutschlands nach Hitlers Fall entwickelt. Die im Exil lange gehegte Hoffnung, Deutschland werde sich aus eigener Kraft von Hitler befreien, war mit Beginn des Krieges erloschen. Nach der Kapitulation war die Chance eines neuen Anfangs unter deutscher Regie verspielt. Aber auch nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes bereitete die Zukunft Deutschlands vielen Emigranten weiter Sorgen. Es ging j a nicht nur um den wirtschaftlichen und technischen Wiederaufbau, sondern auch um die geistige und politische Erneuerung Deutschlands.

77

Wenn die Zukunftspläne und Deutschlandentwürfe des Exils und der Besatzungszeit aus heutiger Sicht oft unwirklich erscheinen und relativ abstrakt anmuten, so liegt dieses an der Ohnmacht und der Machtfeme jener Emigranten und NachkriegsDeutschen. (1) Jean Amery nannte die Nachkriegszeit die "Epoche unserer großen Illusionen", denn er glaubte wie viele andere, daß die Welt nun „frei, gerecht und brüderlich" werden müsse.(2) Auch der in England lebende Goldstein hatte zuerst geglaubt, daß nach Kriegsende alles besser werden würde; doch sah er bald ein, daß diese Hoffnung mehr brauchte, als den Sieg der Aliierten, der von den Emigranten auch als eigener Sieg empfunden wurde. „Wir dachten: Wenn wir nur siegen, so wird sich alles finden. Aber der Sieg allein, obwohl eine unentbehrliche Bedingung jeder Art von selbstgestalteter Zukunft, enthält sie doch nicht und verbürgt sie nicht. Vielleicht hatten wir uns nicht genügend klar gemacht, was für eine Art von Zukunft wir meinten; was wir unter „besser" verstehen wollten; und wie wir dieses Bessere herbeiführen könnten. Vielleicht haben wir uns eine bessere Zukunft mehr gewünscht und von ihr geträumt, als sie in redlicher Denkarbeit gesucht." (3) In seiner unveröffentlichten Schrift „Vision der Zukunft", die 1947 in England entstand, machte Goldstein sich Gedanken über das Zusammenleben der Völker nach Kriegsende. Besonders wichtig war es ihm, seine Pläne und Vorschläge für die Zukunft Nachkriegsdeutschlands festzuhalten. „Vielleicht wird man mich fragen, und ich habe mich selbst gefragt, warum ich, ein längst aus Deutschland Vertriebener, der kaum noch menschliche Verbindungen mit der alten Heimat aufrecht zu erhalten vermag, mir den Kopf darüber zerbreche, wie es diesem Volke, der Quelle der unermesslichen Leiden und des unabsehbaren Elends dieser Zeit, nachdem die unvermeidliche und voraussehbarc Katastrophe hereingebrochen ist, heute geht und künftig gehen mag. Darauf lautet meine Antwort zu anderen und zu mir selbst: Ich bin, trotz alledem, mit Deutschland nicht fertig." (4) Er war, wie viele andere, enttäuscht, daß der Krieg mit all seinen Schrecken und Zerstörungen nur sehr wenig im Denken der Menschen, vor allem der Politiker, verändert hatte. „Was wir nicht erwartet haben, und was wir nicht wegdiskutieren lassen, ist die Entdeckung, dass nach so viel tragischem und entsetzlichem Geschehen der Wille oder die Ziele der Menschen oder der Staaten oder der Politiker nicht im geringsten verändert sind. (...) Es ist die harte Enttäuschung des Erwachens aus einem schönen Traum, das uns zu Tode erschreckt." (5)

78

Seinen Gedanken um eine bessere Zukunft liegt ein moralischer

Idealismus

zugrunde. Wie er glaubten viele, daß nun, da so viele politische Programme und Ideologien versagt hatten, die Chance einer Neuorientierung vor allem in der moralischen Besinnung des Einzelnen lag. Solch eine Gesinnungsänderung aber sei ein langsamer Prozeß, „der nur von Mensch zu Mensch vor sich geht, indem immer mehr einzelne Menschen in diesen Kreis gezogen werden". (6) Nur mit einer gebesserten Menschheit könne ein neuer Krieg vermieden und ein dauernder Friede erreicht werden. Wichtigstes Ziel einer Gesinnungsänderung sollte das Aufgeben des Nationalismus

sein

mit

seinen

Folgen „Rivalität

der Nationen,

Misstrauen,

Kriegsfurcht, Kriegsrüstung und Krieg." (7) Die Amerikaner und Briten sahen einen Weg dahin in der Entnazifizierung und der Umerziehung

der

Deutschen,

der

Reeducation.

Die

Kollektivschuld-Anklage

bestimmte mehr oder weniger das Verhalten der Besatzungsmächte, die sich bei der Diskussion um die Schuldfrage in den Jahren nach 1945 einig waren, daß das deutsche Volk bestraft werden müsse. (8) Goldstein aber fürchtete, daß der Weg, den die Besatzungsmächte bisher eingeschlagen hätten, nicht der richtige sei, um das deutsche Volk zu bessern, und so von künftigen Kriegen abzuhalten. Ein dauernder Friede könne nur dann erreicht werden, wenn die Sieger den Deutschen die Anerkennung ihrer Niederlage erleichtern würden. Man müßte sie „behutsam zurückfuhren

in die

friedliche Gemeinschaft der Nationen".

(9) Bei

allem

Verständnis für den Wunsch nach einer gerechten Bestrafung solle man nicht außer Acht lassen, daß sich damit ,jedes Mass von Fesselung, Gebietsverkleinerung, Geldauflage und Arbeitszwang rechtfertigen (lasse). Es ist die Politik des blinden Gefühls, während eine Politik der hellsichtigen Vernunft gefordert wird." (10) Denn „Demütigung und Schmach" verbunden mit „Not und Elend" könne kein Volk ertragen, ohne wieder anfallig für „kriegshetzende Demagogen" zu werden. Ähnlich wie viele andere Emigranten, die vom Nazi-Regime verfolgt worden waren, lehnte auch Goldstein die Kollektiv-Schuld-These und damit auch eine Kolletiv-Strafe ab, auch wenn man von der Schuld großer Teile der deutschen Bevölkerung überzeugt war.

Bestraft

werden

sollten

allerdings

die

früheren

nationalsozialistischen

79 Machthaber und Verantwortlichen; das V o l k dagegen sei schon bestraft worden, indem es alles verloren habe: seine „erträumte Herrlichkeit", seine „ M a c h t " , seine „staatliche „Habe",

Existenz",

seinen

seine

„technisch

„politische

Selbständigkeit",

hochentwickelten

Lebensstil"

seine und

„Städte", die

seine

„einfachsten

Notwendigkeiten des täglichen Daseins" ( 1 1 )

Für einen Fehler in Hinsicht auf einen lang andauernden Frieden hielt Goldstein auch die Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen, denn es sei zu lange und zu leidenschaftlich um die Einheit Deutschlands gekämpft worden, als daß man sich einfach damit abfinden könne, wenn diese wieder zerstört würde. Obendrein hätten sich die Besatzungsmächte die Bewältigung dieser A u f g a b e dadurch erschwert, daß sie die Gebiete, die zusammen gehörten, voneinander getrennt hätten. ( 1 2 )

„ W a s diese vier Regierungen ahnungslos auf sich genommen haben ist, ihren eigenen erschwerten (durch den K r i e g ) Staatsbetrieb fortzusetzen und zugleich, daneben, mit der linken Hand, eine so komplizierte Maschinerie w i e das zerstörte Deutschland in Gang zu halten." ( 1 3 ) Und

geradezu

für einen „Sprengkörper",

der, „wenn

er explodiert, das ganze

Gebäude zum Einsturz bringen wird", hielt er die Abtretung der Ostgebiete an Polen. Durch diese Politik würde Deutschland, seiner Meinung nach, wieder in den Krieg getrieben. Überhaupt ginge es nicht nur um eine „Behandlung, die dem besiegten Deutschland allein zuteil würde", sondern die deutsche Frage wäre nur zu lösen durch eine „neue Regelung der europäischen Angelegenheiten". ( 1 4 )

Goldsteins Haltung gegenüber Deutschland nach der Kapitulation und auch seine Ansichten darüber, w i e die Alliierten das in jeder Hinsicht zerstörte Deutschland behandeln sollten, sind von einer überraschenden Versöhnungsbereitschaft geprägt. Obgleich ihm so viel Leid zugefügt worden war und sein ganzes früheres Leben zunichte wurde, so daß eine Anknüpfung an dieses fiir ihn unmöglich geworden war, spricht

aus

ihm

die

Stimme

der

Vernunft

und

der

Bereitschaft

zu

einem

gemeinsamen neuen Anfang. A n eine Rückkehr nach Deutschland war jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu denken; statt dessen war Amerika das nächste Ziel.

80

4.3. USA 1947-1977

,.Ich sehe uns noch an jenem besonnten Oktobervormittag unter tiefblauem Himmel den Hudson hinauffahren in laechelnder Betrachtung des endlich aufgetauchten Landes, das uns eine neue Heimat zu werden versprach. (...) Ich führte sie die wenigen Schritte an der Deckkajuete vorbei; und da stand auch sie ueberwaeltigt und entzueckt vor dem steilen Felsengebirge der Kolossalbauten, die auf dem engen Raum von Manhattan mit einander wetteiferten, wer von ihnen den Himmel im Sturm nehmen koennte. Und wie wir nun naeher und naeher kamen und schliesslich an ihnen entlang fuhren, ueberliess sie sich in beredten Worten dem frohen Bewusstsein, auf einem eleganten Schiffe zusammen mit mir in New York anzukommen, voller Mut, in dieser Gigantenstadt und dem unerschoepflichen Lande dahinter den Kampf um unsere Existenz noch einmal, zum soundsovielten Male während unseres Exils aufzunehmen und ihn diesmal siegreich zu bestehen, sodass wir wieder wie früher unsere gesicherte und friedliche Existenz haben wuerden." (1) So oder ähnlich, wie er es in seinem in Amerika entstandenen autobiographischen Roman beschrieb, könnte es gewesen sein, als Moritz Goldstein und seine Frau Toni am 20. Oktober 1947 in New York ankamen, um hier ein neues Leben zu beginnen. Man kann fragen, ob die nun folgenden dreißig Jahre, bis zu seinem Tode (1977), noch als Exil bezeichnet werden können, da ja der Krieg zweieinhalb Jahre zuvor mit der Kapitulation Deutschlands zu Ende gegangen war und Hitler und sein Staat nicht mehr existierten. Goldstein hat sich 1966 hierüber in einem Brief an Wilhelm Sternfeld geäußert, als dieser ihn um biographische und bibliographische Angaben zu seiner Person bat. Denn Sternfeld plante eine zweite Ausgabe seines Werkes „Deutsche Exil-Literatur 1933-1945", das er zusammen mit Eva Tiedemann 1962 herausgegeben hatte. In seinem Brief schrieb Goldstein: „Dass ich in der „Exilliteratur" nicht stattlicher auftrete, ist in gar keiner Weise die Schuld der Herausgeber, sondern es liegt an zwei objektiven Gründen; erstens daran, dass nicht mehr von mir veröffentlicht worden ist, zweitens daran, dass die „Exilliteratur" nur bis 1945 reicht. In diesem Jahr ging das Dritte Reich zu Ende, aber nicht das Exil, wenigstens für viele oder die meisten Emigranten, darunter für mich." (2) Damit spricht Goldstein aus, daß das Exil und dessen Dauer als individuelles Schicksal nicht nach der Jahreszahl definiert werden kann. Wenn auch die Ursachen, die 1933 eine Emigration erzwungen hatten, nicht mehr bestanden, so gab es doch immer noch viele Gründe, die für einen Verbleib im Ausland sprachen. Das

81

Vertrauen in Deutschland war verloren, vor allem bei den deutschen Juden, die ja nicht

nur,

wie

andere

Emigranten,

wegen

einer

dem

Nationalsozialismus

entgegengesetzten politischen Meinung verfolgt worden waren, sondern auch und vor allem aus rassischen Gründen. Bei ihnen saß das Mißtrauen tief, und es konnte ihnen auch durch die Änderung der politischen Situation nicht genommen werden. Wie tief die Verletzung war, die das Hitlerdeutschland Goldstein angetan hatte, kommt in seinem sehr emotionalen Gedicht „Der Flüchtling" (1946) zum Ausdruck. Die erste Strophe beginnt voller Haß: „Kehr nicht zurück in das verfluchte Land, Den Unterschlupf der abgefeimten Horde. Um seine Trümmer wittert noch gebannt Der Blutgeruch der Schlachten und der Morde." Doch sehr viel milder und voll Traurigkeit endet das Gedicht mit den beiden Versen: „Kehr nicht zurück in das geliebte Land. Was Heimat war, ist ach so tief versunken."(3) Nicht nur das Vertrauen in Deutschland war nach Kriegsende zerstört, sondern auch das Land

selbst, ebenso wie die Familien

und die früheren

menschlichen

Beziehungen. Hinzu kam, daß es sowohl von deutscher wie von alliierter Seite kaum Aufforderungen an die Emigranten gab, wieder nach Hause zurückzukehren. Man kann also nur sehr bedingt davon sprechen, daß der weitere Aufenthalt im Ausland ein selbst gewählter und freiwilliger war. Aus diesen Gründen ist es zu verstehen, wenn Moritz Goldstein und seine Frau, statt sich um eine Einreise nach Deutschland zu bemühen, das viele Jahre lang erwartete Affidavit nutzten, um zu ihrem Sohn in die Vereinigten Staaten zu gehen, wo sie sich jedoch auch weiterhin im Exil fühlten. Sie hatten England ohne großen Enthusiasmus verlassen, freuten sich aber sehr, nach neun Jahren ihren Sohn Thomas wiederzusehen. Dieser holte sie in New York ab, und nach einem dreitägigen Aufenthalt dort nahm er seine Eltern mit zu sich und seiner Frau nach Washington. Hier blieben sie einen Monat, zogen dann aber nach New York, wo einige Freunde und Bekannte lebten, die sie gleich in der ersten Zeit ihres Aufenthalts sahen; darunter waren Charlotte und Martin Beradt, Julius Elbau, Hans Wallenberg, Hannah Arendt und Heinz Pol.

82

Da weder Moritz Goldstein noch seine Frau ein eigenes Einkommen hauen, waren sie zunächst auf die Hilfe des „United Service for New American" angewiesen. Trotzdem

bemühten sie sich von Anfang an, selbst ihren Lebensunterhalt

zu

verdienen. Sie fingen wieder ganz von unten an. Wie schwer der Anfang in den U S A ihnen fiel, läßt sich aus Goldsteins B r i e f an das Ehepaar Manasse erkennen.

„Sie bemüht sich, Geld zu verdienen mit Stoffentwürfen und mit Kuchenbacken. Das zweite lässt sich ganz gut an, aber es wird ein Beruf werden nur, wenn wir eine eigene Küche haben. Vorläufig hausen wir in einem möblierten Zimmer und dürfen die Küche der Wirtin benutzen. Und obwohl sie meiner Frau erlaubt hat, dort auch zu backen, und obwohl sie ihr Kundinnen zufuhrt, ist sie doch dagegen. Wir sind also auf Wohnungssuche, aber das ist ein hoffnungsloser J o b ; erschwert dadurch, dass wir seit Italien keine Möbel mehr besitzen (unsere Koffer liegen von der Ueberfahrt her noch auf dem Speicher, denn weder haben wir Platz, sie unterzubringen, noch Geld, sie auszulösen. (Ich erzähle das nicht, um Sie zu rühren, sondern der Komik halber.) (4) Goldstein selbst versuchte, irgendwo als Lehrer angenommen zu werden; er war aber mit achtundsechzig Jahren offenbar zu alt, wie er mit der Zeit feststellte. Schon im April 1947 hatte ihm sein Freund, der Altphilologe Ernst Moritz Manasse, der an einem College in den U S A lehrte, auf eine diesbezügliche Anfrage nach England geschrieben, daß es sicher schwer werden würde, eine Lehrerstelle für ihn zu finden, „vor allem, weil es in diesem Lande ein Vorurteil gegen das Alter gibt." (5) Nach Goldsteins Ankunft in Amerika schlug Manasse ihm vor, ihn auf den „Second Inter-American

Congress

for

Philosophy"

zu

begleiten,

und

als

Gast

daran

teilzunehmen, da es seiner Meinung nach wichtig war, persönliche Kontakte zu knüpfen. Und Carl Misch, zu der Zeit Sprach- und Geschichtsprofessor an einem College in Kentucky, riet ihm, sich an eine Agentur zu wenden. Er selbst würde vom „Committee

for Emigré Scholars" betreut, „der Erfolg sei aber letzten

Endes

Glückssache." Seine eigenen Erfahrungen beschrieb er als „einen negativen Schatz."

(6) Auch Paul Oskar Kristeller (Philosoph und Altphilologe) versuchte, Goldstein den Einstieg in eine Lehrtätigkeit zu ermöglichen, indem er Empfehlungsschreiben an verschiedene Stellen schickte. Er empfahl ihm außerdem, sich an die Sekretärin des „International Committee for Artitsts and Scholars" zu wenden. Überhaupt sei es wichtig, daß er auch Personen anschreibe, die er nicht kenne, denn das sei in Amerika so üblich.

83

„Es ist eine Eigentümlichkeit dieses Landes, dass man bei allen Dingen selbst hinterher sein muss, es wird einem nichts abgenommen. Das kostet Zeit und Kraft, und in der Zeit muss man sich auch ueber allerhand europaeische Bedaenken hinwegsetzen." (7) Diese Flexibilität und Spontaneität, die von ihm erwartet wurde, war für den fast siebzigjährigen Goldstein, der sich schon in seiner Jugend als kontaktarm bezeichnet hatte, ein großes Problem. Aus dieser Misere heraus entwickelte er einen Plan, den er Ernst Moritz Manasse mitteilte. „Viele meiner Bekannten lehren an Hochschulen. Fast alle sind unzufrieden mit ihrer Tätigkeit, weil sie den europäischen Stil einer Hochschule vermissen. Ich andererseits habe keine Aussicht, angestellt zu werden, obwohl ich ebenso gut etwas zu erzählen hätte wie diese meine Bekannten. Wohlan denn! (um mit Schiller zu reden): Könnte ich mich nicht mit diesen meinen Bekannten oder einigen von ihnen verbinden oder verbünden und selber eine Hochschule gründen, so wie ich schon einmal eine Schule gegründet habe?" (8) Im Gegensatz zu dem vertrauten „europäischen Stil" der Hochschulen mußten sich die älteren emigrierten Hochschullehrer an den amerikanischen Universitäten und Colleges völlig umstellen. Sie mußten neben neuen Methoden auch die Teamarbeit erlernen. Beides war für sie revolutionär, und sie gewöhnten sich nur schwer daran. (9) Goldstein stellte sich nun vor, daß an dieser neu zu gründenden Hochschule, die möglichst an einem Platz gelegen sein sollte, wo auch Bedarf danach bestand, Fächer gelehrt werden sollten, die an anderen Schulen fehlten; oder daß man eine Schule für diejenigen einrichte, die an den übrigen Schulen nicht angenommen würden; man könnte auch ganz neue Unterrichtsmethoden

anbieten, oder auch alle diese

Vorstellungen vereinigen. Manasse, der schon mit Goldstein am „Landschulheim Florenz" gelehrt hatte, sah große Schwierigkeiten in der Verwirklichung von Goldsteins Plan, auch hielt er diesen nicht für richtig. Er führte folgende Gründe an: „Die Einheimischen sind doch schon gar nicht mit europäischen Traditionen herbei zu locken, wo doch Europa endgültig verloren hat. Und die Emigranten sind doch auch in einer ganz anderen Situation als etwa in Italien. Irgendwie scheint es doch möglich, dass man hier Wurzeln schlägt, wenn man nicht selber, so doch die Kinder. (...) Man sollte sie nicht künstlich in dem Zwiespalt bestärken, in den sie durch ihr Herkommen geraten sind, sondern ihnen helfen, mit den Menschen zu leben, die die Kultur i h r e r Heimat bestimmen. Die Aufgabe des Emigrantentums scheint mir Interpretation und Vermittlung des Lebens in unserer Tradition für die neue Welt, aber nicht deren direkte Erhaltung in Enklaven." (10)

84

Mit dem letzten Einwand sprach Manasse ein grundlegendes Problem der deutschen Emigration in den U S A an. E s gab hier - vor allem in New York - verschiedene Gruppen von Deutschen, die sich fast völlig vom Gastland abschlössen, da sie meinten, sie müßten sich gegen die neuen Einflüsse wehren, um sich die deutsche Sprache und Kultur zu erhalten. Kultureller Hochmut war unter den deutschen Emigranten

nicht selten. Auch Moritz Goldstein,

der zwar die

demokratische

Gesinnung der Amerikaner und deren größere Achtung vor den Mitmenschen lobte, war nicht ganz frei davon. Er schrieb in einem B r i e f an Bruno Manuel:

„Es gibt gewiss einiges, was Europa von Amerika lernen sollte. Aber alles, was sich auf Kultur bezieht, hat Amerika von Europa zu lernen." ( 1 1 ) Die Emigranten kamen zusammen, in Stadtteilen, die deutsch geprägt waren, mit deutschen Restaurants, Cafés und Läden wo überwiegend deutsch gesprochen wurde. Hinzu kam, daß sich Lebensstil Eigenheiten

auffallig waren

ihre Essensgewohnheiten,

von und

ihre Kleidung, j a

denen

der

Amerikaner

unterschieden.

blieben

sie

Fremdlinge

und

für

die

ihr

Durch

ganzer diese

Einheimischen

unverständlich, was ein gegenseitiges Kennenlernen sehr erschwerte.

Auch Moritz Goldstein verkehrte nur in Emigrantenkreisen,

deren Leben und

Ansichten er in seinem autobiographischen Roman „Die Götter in Manhattan" (1954, unveröffentlicht) spiegelte. Der Titel suggeriert schon, daß dieser Roman mehr sein soll als die Geschichte einer unglücklichen Liebe, j a einer Hörigkeit des fast siebzigjährigen

Ich-Erzählers

und Emigranten.

Es heißt

im

Einleitungskapitel,

„Vorklang":

Nach dem Vordringen des Christentums „...zerstoben vor der unwiderstehlichen Macht des siegreichen Gottes die erhabenen Bewohner des Berges Olympos bestürzt und verwirrt in alle Winde, und gingen ins Exil wie seitdem so viele höchst unglückliche arme Menschenkinder." ( 1 2 ) ) Nur wenige erkennen die Gegenwart der Götter, die nun verstreut unter den Menschen

leben.

Bei

diesen

wenigen

handelt

es

sich

in

Goldsteins

Roman

ausschließlich um deutsche Emigranten, die trotz materieller Not und sozialer Deklassierung ihren hohen geistigen Rang erhalten haben. ( 1 3 ) Die meisten der dargestellten Emigranten leben isoliert und trennen sich daher nicht von ihren

85

Vorbehalten gegenüber einem Lande, daß nichts von ihrer früheren, und wie sie glauben, wahren Bedeutung weiß, und sie daher gleichgültig behandelt. Doch einige versuchen, die positiven Seiten Amerikas anzuerkennen, und sehen die Gefahr, die in der Isolierung liegt. So werden im Roman unterschiedliche Positionen diskutiert. „Es ist doch schliesslich ein freies Land. Noch in diesem Jahre werde ich amerikanischer Staatsbürger sein. Ich freue mich darauf. Vielleicht versperren Sie sich das Gefühl der Zugehörigkeit, wenn Sie so entschlossen an Ihrem Deutschtum festhalten." „Frei nennen Sie dieses Land? (...) Gewiss sind Sie hier auch frei, in mancher Beziehung. (...) Sie dürfen auf öffentlichen Bänken Ihre Füsse mit auf den Sitz nehmen, mag doch der nächste, der sich setzt, sich den Anzug beschmutzen. Sie dürfen in der Untergrundbahn ein Bein über das andere legen, ohne Rücksicht darauf, dass Sie damit Ihren Nachbarn belästigen. Sie dürfen gähnen, laut, ohne sich die Hand vorzuhalten. Sie dürfen sich auf die unappetitlichste Weise räuspern und in weitem Bogen ausspucken. (...) Ein Richter dieses Landes hat in einem Urteil sich dahin ausgesprochen, eine der grundlegenden Freiheiten, die wir geniessen, bestehe darin, dass ein Mensch so ordinär sein darf, wie es ihm beliebt. Vulgär war der englische Ausdruck. Das stand in der New York Times zu lesen. Es ist ein Volk von Flegeln." „Ich bestreite auch nicht, dass unsereiner Grund hat, sich an den Ungezogenheiten, die Sie da aufgezählt haben, zu ärgern. Jeder von uns könnte die Liste beliebig verlängern. Aber ich finde Sie mit Ihrer schroffen Kritik erschreckend ungerecht. (...) Sie (die Amerikaner) sind Demokraten, nicht weil sie eine demokratische Verfassung haben, sondern von innen her. Der andere hat auch ein Recht. Er hat ein volles Recht. Jeder macht Gebrauch von seinem Recht. Manchmal ungeschlacht und töricht. Aber sie räumen dasselbe Recht auch dem anderen ein. Jedem anderen. Sie sollten das amerikanische Volk mehr von dieser Seite zu verstehen suchen, vielleicht würden Sie sich dann weniger unbehaglich fühlen." (14) Diese einerseits so hochgelobte, andererseits so verpönte Freiheit wird jedoch völlig in Frage gestellt beim Problem der Rassendiskriminierung, das Goldstein auch in seinem Roman aufgreift. „Gehen Sie in den Süden und beobachten Sie, wie die Neger behandelt werden. Die weissen Herren denken gar nicht daran, ihnen irgendein Recht einzuräumen, geschweige denn wirkliche Gleichberechtigung." (15) Und auch unter der weißen Bevölkerung scheint die Freiheit ein nicht erfülltes Ideal zu sein, das vor der sozialen Anpassung der Einzelnen keinen Bestand hat. „Es gibt garkeine freie Meinung hier, sondern es herrscht ein klischeehaftes Denken von äusserster Unduldsamkeit. Sie haben mitzudenken. Wenn Sie sich ausschliessen und selber denken, sind Sie gesellschaftlich verfehmt. Das ist natürlich in New York weniger spürbar als in kleinen Städten und auf dem Lande. Aber fragen Sie mal

86

herum, wie die Katholiken sich hier fühlen. Oder die Sozialisten. Die Gesellschaft schreibt Ihnen vor, was Sie zu denken haben. Sie haben zu denken, das System der freien Unternehmung, free enterprise, ist das Himmelreich auf Erden." ( 1 6 ) In vielen Passagen des Romans bringt Goldstein seine Vorbehalte gegenüber den Vereinigten Staaten zum Ausdruck. Tatsächlich ist er dort nie heimisch geworden. Besonders schwer mußte die Anpassung an amerikanische Verhältnisse den älteren Schriftstellern und Journalisten fallen, da diese zu sehr durch alte Sprach- und Denkmuster geprägt waren, als daß sie sich auf die neuen Verhältnisse hätten einlassen können. Die amerikanische Presse unterschied sich sehr von der bekannten europäischen.

Im

Vordergrund

Umsatzsteigerung berichten

durch

stand

bei

einem

Sensationsjournalismus;

war im Vergleich

dazu gering.

großen die

Teil

Frage

der

nach

Presse

die

Hintergrund-

Dazu war die berufliche

Rolle

der

Journalisten hier mit ganz anderen Erwartungen und Ansprüchen verknüpft. Von ihnen

wurden

Eigenschaften

wie

persönliche

und

berufliche

Flexibilität,

Kontaktfreudigkeit, und nicht zuletzt ein angenehmes Äußeres erwartet. ( 1 7 ) Diese Schwierigkeiten lernte auch Goldstein kennen, als er versuchte, mit achtundsechzig Jahren bei der amerikanischen Presse Fuß zu fassen.

„Von Magazinen höre ich immer nur, dass ich short stories schreiben muss auf amerikanischem Wege, und das fürchte ich, werde ich nicht mehr lernen. Ich könnte auch Artikel schreiben, aber dazu sagen die Redaktionen wieder, ich sei noch nicht lange genug im Lande und noch nicht genügend vertraut mit seinen Sitten. Sie werden zugeben, dass sich auf alledem schlecht eine Existenz aufbauen lässt." (18) Es kam schließlich so, wie Goldsteins Frau vorgeschlagen hatte, und wie sie beide schon seit Jahren ihren Lebensunterhalt bestritten hatten. Sie eröffneten im Juli 1949 wieder eine Pension, die sie ohne jedes Personal führten, jetzt in Washington. Goldstein fugte sich dieser Notwendigkeit nur sehr ungern, denn das bedeutete für ihn und seine Frau:

„...eine Art Sklaventum: eine ununterbrochene, von sehr früh bis abends gehende, an keinem Tag der Woche ruhende schwere Arbeit." ( 1 9 ) Ein Jahr nach Eröffnung der Pension waren die Kraftreserven Toni Goldsteins erschöpft; sie nahm sich im August 1950 das Leben. Goldstein gab die Pension auf. Der Tod seiner Frau, mit der er vierzig Jahre lang verheiratet gewesen

war.

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veränderte sein Leben völlig. In einem B r i e f an Hans Wallenberg beschreibt er dieses Leben nach dem Tode seiner Frau:

„Ich habe das grosse Haus, in dem Sie uns seinerzeit besuchten aufgegeben, wie es sich von selbst ergab, und mich unter obiger Adresse in einer bescheidenen Wohnung etabliert. Ich hause da für mich allein, was mir angenehmer ist, als wenn ich mich in eine Pension begeben hätte, was zunächst nahe lag; auch billiger übrigens. Die Folge ist, dass ich mich selber bekoche, bestopfe, benähe und mir aufräume. Das alles fallt mir nicht schwer, ich hatte j a ein langes Training hinter mir, und im Ganzen habe ich es, befreit von der Pflicht, mich um Gäste zu kümmern, hier leichter. Ich lebe völlig vereinsamt, aber das ist eine unvermeidliche Konsequenz dessen, was sich abgespielt hat, und kann, wenn überhaupt, sich nur in Jahren ausgleichen." ( 2 0 ) Goldstein spricht sich in diesem B r i e f nicht klar aus über die Gründe, die zu seiner völligen

Vereinsamung

geführt

haben.

Es

ist aber anzunehmen,

daß

sie

im

Selbstmord seiner Frau lagen und daß er sich vor sich selbst und den anderen schuldig fühlte. S o plante er, wieder nach New York zu ziehen, wo inzwischen auch sein Sohn lebte und wo er mehr Freunde und Bekannte hatte. Ab 1951 wohnte Goldstein wieder in New York und fühlte sich hier im Ganzen wohler, obwohl es ihm finanziell schlecht ging. Sein einziger Verdienst bestand aus Honoraren für seine Beiträge an die „Neue Zeitung", an der er seit 1950 mitarbeitete. Doch diese reichten kaum für seinen Lebensunterhalt, wie er an einen Bekannten in Deutschland schrieb:

„Im Wesentlichen bin ich jetzt von meinem Sohn abhängig. Das heisst, ich leide keine Not, aber die Lage ist aufs aeusserste unbefriedigend. (Mein Sohn, notabene, hilft mir mit Freude und Stolz.)" ( 2 1 ) Sein Sohn Thomas jedoch, der inzwischen bei der „Stimme Amerikas" arbeitete, wollte sich von seiner Frau scheiden lassen, um wieder neu zu heiraten. Beides kostete viel Geld, so daß auch er nur wenig Geld zur Verfügung hatte. Deshalb bemühte sich Moritz Goldstein zusätzlich um freie Mitarbeit an verschiedenen Zeitungen

in Deutschland. Besonders stolz war er darauf, daß die

Rundschau" einige

längere philosophische

Essays von ihm druckte.

„Deutsche Mit

dem

Herausgeber dieser traditionsreichen Zeitschrift, Rudolf Pechel, den er schon aus seiner „Germanistenzeit" kannte, fühlte Goldstein sich innerlich verwandt, und es entwickelte sich ein reger Briefwechsel zwischen gelegentlich

für die „Berliner Morgenpost",

ihnen. Außerdem

schrieb er

die „Frankfurter Rundschau"

und

häufiger für die „Stuttgarter Zeitung". Das alles brachte aber finanziell nur sehr

88

wenig ein, und so schickte er auch von Zeit zu Zeit Artikel an amerikanische deutschsprachige Zeitungen wie den „Aufbau" und die „New Yorker Staatszeitung Sonntagsblatt und Herold". An amerikanischen Zeitungen mitzuarbeiten war ihm bisher noch nicht gelungen. Diese waren, wie er an Wolfgang Goetz schrieb „dem Eingewanderten unzugänglich". Goldsteins Mißerfolg lag sicher auch an seiner Einstellung zum amerikanischen Journalismus, denn er war immer noch ein Journalist der deutschen Schule der Weimarer Republik. In einem Brief an Bruno Manuel heißt es hierzu: „Der Kultus der Tatsachen ist eine typisch amerikanische Erscheinung. Ich protestiere dagegen. (...) Es gibt nichts langweiligeres und gleichgültigeres als Tatsachen." (22) Für Goldstein wurde eine Tatsache erst interessant, wenn hieran eine „kluge Reflexion" geknüpft wurde, oder wenn der Leser veranlaßt wurde, mit seinem Gefühl darauf zu reagieren. Da Goldstein aufgrund seiner Einstellung und seines Alters in Amerika keine beruflichen Chancen hatte, lebte er jahrelang am Rande der Armut, bis ihm ab Juni 1957 eine monatliche Rente von DM 600.- als Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht

unter

nationalsozialistischer

Herrschaft

von

der

Regierung

der

Bundesrepublik Deutschland zugesprochen wurde. Sie wurde 1958 auf Dollar 212, ungefähr DM 850,- erhöht.

4.3.1. Schreiben in den USA: „Die Neue Zeitung"

„Mein lieber Wallenberg, gestern hatte ich Lunch mit Mr. Freimarck, auf seine Anregung hin, um meine Mitarbeit zu diskutieren. Dabei zeigte er mir den Brief, den Sie so freundlich waren, ihm meinetwegen zu schreiben. Ich kenne Ihre freundschaftliche Gesinnung mir gegenüber, aber ich danke Ihnen aufs Neue dafür, daß Sie ihr vor diesem wichtigen Mittler so uneingeschränkt Ausdruck gegeben haben." (1)

Goldstein unterschrieb in Washington ein „Memorandum of Agreement", aufgrund dessen er vom State Department, „Division of Central Sevices, Procurement and Supply Branch", berechtigt war, Beiträge für „Die Neue Zeitung" in München zu liefern. Die Beiträge wurden von der „International Press and Publications Division" des State Departments angenommen und bezahlt. Gleichzeitig sollte dieses Büro in Washington Goldsteins Ansprechpartner bei auftauchenden Fragen sein. So begann seine Mitarbeit an der „Neuen Zeitung", dem Blatt der Reeducation, gleichzeitig offizielle Stimme der amerikanischen Militärregierung in Deutschland. Durch diese Zeitung sollten die Deutschen nach dem Krieg Gelegenheit haben, sich über alles zu informieren, was ihnen während der Hitlerdiktatur verboten gewesen war; und sie sollten durch diese Zugang zur früher verbotenen Kunst, Musik, Wissenschaft

und

Literatur

finden.

Neben

ausländischen,

vorwiegend

amerikanischen Autoren wurden hier schon sehr früh Texte bekannter Emigranten gedruckt. 1947, mit Beginn des „kalten Krieges", wurde es zunehmend das Ziel der „Neuen Zeitung", den kommunistischen Einfluß der Sowjetunion auf die Deutschen einzudämmen. Hans Wallenberg war 1946 Chefredakteur der am 18.10.1945 gegründeten „Neuen Zeitung" geworden, nachdem deren Gründer und erster Chefredakteur Hans Habe nach wenigen Monaten sein Amt niedergelegt hatte. Wallenberg sah ähnlich wie die amerikanische Militärbehörde in dieser Zeitung ein Mittel, die Deutschen zu demokratischem Verhalten zu erziehen; doch sollte sie nach seinen Vorstellungen außerdem Vermittlerin zwischen der amerikanischen Besatzungsmacht und der deutschen Bevölkerung sein. Daher wollte Wallenberg aus dieser Zeitung, an der Amerikaner, Deutschamerikaner (Emigranten) und Deutsche mitarbeiteten, ein gemeinschaftliches Projekt machen, so daß auch die deutschen Redakteure an den redaktionellen Konferenzen teilnahmen. Doch stieß er mit seinen Ansichten häufig auf Widerstand, da er, wie seine amerikanischen Vorgesetzten meinten, zu wenig Rücksicht auf amerikanische Interessen nahm und weil die Zeitung insgesamt zu deutsch sei. Wegen dieser Schwierigkeiten räumte Wallenberg 1947 seinen Platz als Chefredakteur und ging wieder in die USA zurück. Aus der „Neuen Zeitung", die unter ihm ein deutsches Blatt mit Betonung der amerikanischen Interessen gewesen war, wurde nun eine linientreue typisch amerikanische Zeitung. Alle Beiträge

90

wurden daraufhin durchgesehen, ob sie mit der gerade gültigen Politik Washingtons übereinstimmten.

Nach

Wallenbergs

Rücktritt

und

der

daraus

entstandenen

Veränderung der „ N e u e n Zeitung" war die Auflagenhöhe stark zurückgegangen. Daher

entschloß

sich

die

amerikanische

zurückzuholen.

Ab

Herbst

inzwischen

drei

Ausgaben

in

1949

Verwaltung,

übernahm

(Münchner,

er

wieder

Frankfurter

Wallenberg

die und

wieder

Chefredaktion Berliner

der

Ausgabe)

erscheinenden „ N e u e n Zeitung".(2) Damit begann die dritte Periode der Zeitung, und in der ersten Zeit stieg die A u f l a g e langsam wieder an. Wallenberg aber, auf den große Hoffnungen gesetzt wurden, war in den vergangenen zwei Jahren vorsichtiger und bedachtsamer geworden. ( 3 ) Trotzdem wagten es die amerikanischen Behörden auch jetzt, nach Gründung der Bundesrepublik, noch nicht, Wallenberg mehr Freiheit bei der Leitung der Zeitung zuzugestehen. Die inzwischen erfolgte Währungsreform und

das

Ende

der

Papierrationierung

wirkten

sich

zudem

ungünstig

auf

die

geschäftliche Situation der „ N e u e Zeitung" aus; beide Ereignisse brachten mit der Gründung neuer Zeitungen einen echten Wettbewerb zwischen den Lizenzzeitungen und dem privilegierten amerikanischen Organ. Die Dezentralisierung der „Neuen Zeitung", durch die man sich bessere Konkurrenzbedingungen erhofft hatte, konnte den endgültigen Abstieg nicht aufhalten.

Es war diese dritte Periode, in der Goldstein begann, seine Inquits aus den U S A nach Deutschland zu schicken. Über die Art der Beiträge, w i e er sie plante, und w i e er annahm, daß Wallenberg sie wünsche, schrieb er an ihn:

„Ich verstand Sie dahin, dass Sie nicht abstrakte, theoretische Berichte haben wollen, sondern das amerikanische Leben als Erfahrung und Erlebnis eines individuellen Menschen. Dafür könnte ich mir eine Figur erfinden, aber ich könnte es ja einfach selber sein. So habe ich diese drei Beiträge geschrieben, und so würde ich sie weiter schreiben, wenn sie Ihnen zusagen." ( 4 ) Durch die Beschreibung der amerikanischen

Lebensweise

sollte den

deutschen

Lesern vermittelt werden, was Demokratie im täglichen Leben für den Einzelnen bedeutete. Die Leser sollten erkennen, daß Demokratie eine Sache der inneren Haltung sei, die tolerante Einstellung zum Mitmenschen. Für den „Geist Amerikas" standen gegenseitiges Vertrauen und Verstehen und freiwillige Disziplin. Auch die amerikanische Ausdruck

Gesellschaft, die durchlässiger

demokratischen

Denkens

war als die deutsche, wurde

wahrgenommen.

In dieser

Gesellschaft,

als so

91

schien es, gab es keine Klassenunterschiede, denn jeder, der seine Arbeit tat, wurde danach geachtet und nicht aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung. Auch wandte sich „Die Neue Zeitung" gegen das Vorurteil, daß Amerika ein „geistloses Land" sei. (5) In diesem Sinne schreibt Moritz Goldstein seine Beiträge, die vom 4.2.1950 an erscheinen. Er erkennt die tolerante demokratische Gesinnung der Amerikaner in den vielen Facetten des Alltagslebens. So zeigt sich in seinen Augen die Achtung vor dem „Nebenmenschen" vor allem im Umgang mit Kindern, der für ihn allerdings ungewohnt und gewöhnungsbedürftig ist. „Der Gedanke, daß Kinder zunächst gehorchen lernen müssen, ist hierzulande fremd. Nein, sie brauchen nicht zu gehorchen, sie dürfen tun, was iluien beliebt. Es ist ihnen gestattet, in den großen Lebensmittelgeschäften mit ihrem Gewühl von Menschen und Waren umherzutollen. Wenn in einer Straßenbahn ein Dreijähriges ungezogen zu plärren anfangt und eigensinnig damit fortfahrt, so verweist niemand es zur Ruhe, am wenigsten die Mutter. Und warum sollte sie? Die Mitreisenden blicken mit amüsierter Rührung auf den Taugenichts und gönnen ihm von Herzen sein Kinderrecht, aus Leibeskräften zu schreien. Kinder sind daher von entwaffnender Zutraulichkeit; sie kennen keine Scheu vor fremden Erwachsenen, sprechen sie ohne weiteres mit ihren Sorgen und Wünschen auf der Straße an und zeigen ihnen ihre Spielsachen. Sie erwarten von ihnen, daß sie sich benehmen wie Onkel und Tante und werden darin kaum je enttäuscht. So ist auch das Verhältnis von Lehrer und Schülern das der freien Kameradschaft, ohne den Anspruch auf Autorität des Vorgesetzten gegenüber dem Untergebenen. (...) Wenn das amerikanische Kind in einer Phantasiewelt der Sorglosigkeit, Freundlichkeit, Freiheit und Heiterkeit lebt, so hat diese Haltung ihre Gefahren, die nicht geleugnet werden. Aber das Endergebnis des Mannes und der Frau in ihrer Reife ist doch wohl ausgezeichnet. Die meisten Amerikaner erinnern sich ihrer Kindheit als einer Zeit des Glückes; und der Abglanz davon schwebt ihr Leben lang um sie." (6) Aus Goldsteins Text ist zu erkennen, daß er sich sicher häufig durch das allzu freie Verhalten der amerikanischen Kinder gestört gefühlt hat. Gleichzeitig aber achtet er die Freiheit, die ihnen von den Erwachsenen zugestanden wird, denn er weiß wohl, wohin Zwang, Verbote und autoritäre Erziehung fuhren können. Ebenso wie ihm die Toleranz auffallt, mit der die erwachsenen Amerikaner die Kinder behandeln, erkennt er sie auch im Verhältnis zwischen „Herrn und Diener". „Gewiß, die einen haben die Macht, anzuordnen, und die anderen, auch hier, dürfen sich nicht weigern, auszufuhren, aber dabei erkennt jedermann an, daß der Unterschied in den wirtschaftlichen Umständen liegt, nicht in der menschlichen Qualität. Die Umstände können sich ändern, der Tiefstehende kann aufsteigen,

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niemand wird ihn fragen, woher er kommt, und es schändet nicht, unten gestanden zu haben." (7) Fremd ist Goldstein auch die Art der Werbung in Amerika, die nicht nur mit verführerischen Frauen und imposanten Männern, sondern mit ganz normalen Alltagsmenschen wirbt. Diese sind es, die in der Reklame ihren Mitmenschen einen Rat geben, die erzählen, wie sie sich in dieser oder jener Situation verhalten und welche Produkte sie benutzen; der Friseur von nebenan wirbt mit seinem Gesicht ebenso wie der Klempner oder Heizungsfachmann. Für Goldstein zeigt sich an der Art dieser Werbung und an deren offensichtlichem Erfolg die „Freude am Mitmenschen". „Uns kommt die Freude am Alltagsmenschen seltsam vor, vielleicht ein bißchen komisch. Aber die Sache hat ihre ernste Seite: in diesem Lande wird der Mensch, der einfache schlichte Mitmensch und Nebenmensch, für wertvoll gehalten, aus keinem anderen Grunde, als dem, daß er ein Mensch ist. Der eigentliche, auszeichnende und unverlierbare Wert liegt in seinem Menschentum. Darin besteht er und nicht in Berühmtheit, Machtstellung oder Reichtum. Nur in einem Volke, in dem die Freude am schlichten Menschentum des Mit- und Nebenmenschen so lebendig ist wie unter den Amerikanern, kann wahre Demokratie gedeihen." (8) Einmal hatte Goldstein Gelegenheit, an einer der wöchentlich stattfindenden Pressekonferenzen des amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman teilzunehmen. Aus dem Arbeitszimmer des Präsidenten im Weißen Haus waren sie wegen der steigenden Zahl der Journalisten in ein Nachbargebäude verlegt worden. Goldstein betonte, daß diese Treffen nicht zu den Pflichten des Präsidenten gehörten. Hier nun erlebte Goldstein Truman, an dem ihm vor allem seine Schlichtheit und Natürlichkeit auffielen. Er war nur begleitet von einem Stenographen und antwortete - anscheinend über alles gut informiert - prompt auf alle Fragen, und beinahe nach jeder Antwort lächelte er. „Ich hätte erwartet, Truman würde zu irgendeinem Zeitpunkt die Sitzung schließen. Indessen zu meiner äußersten Überraschung, als knapp 15 Minuten verstrichen waren, sagte jemand laut: „Thank you Mr. President." Im gleichen Augenblick verließ Präsident Truman den Saal, die Versammlung brach auf, und die Journalisten stürmten die Telefonzellen, die auf dem Korridor gereiht waren. Der Mann, der das „Danke sehr, Herr Präsident" gesagt hatte, war, wie ich mir sagen ließ, der gewählte Vorsitzende der Pressekonferenz, selbst ein Journalist. Der Gedanke hierbei ist, daß der Präsident eine Gefälligkeit erweist, wenn er sich den Vertretern der Presse persönlich stellt, und daß, in Anerkennung dieser Gunst, die Teilnehmer von der Zeit dieses überbeschäftigten Mannes so wenig wie möglich in Anspruch nehmen. Dies

93

wohl ist die Rechtfertigung für den befremdlichen Vorgang, daß es die Empfangenen sind und nicht das Staatsoberhaupt, die die Audienz beenden. Wenn man sich den Kopf zerbricht und sich streitet und manchmal nicht weiß, was eigentlich unter Demokratie verstanden werden soll: hier empfangt man einen höchst eindrucksvollen Anschauungsunterricht darüber, worauf sie zielt und worin sie besteht. Und wenn auch nur wenige dem Ereignis als Zeugen beiwohnen können, so sollten doch viele davon erfahren. (9) So kann selbst in einem für Goldstein zuerst „befremdlichen" Verstoß gegen die Etikette Respekt, Achtung und Rücksicht ausgedrückt werden. Goldstein stellte den deutschen Lesem in seinen Beiträgen, anders als in seinem Roman „Die Götter in Manhattan", ein humanes, gerechtes und friedliches Amerika vor, wie er es sicher auch teilweise selbst empfand, wie es aber auch von der Redaktion gewünscht wurde. Themen, wie die Verfolgung kommunistischer oder sozialistischer Einwohner, die Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung und die ungerechte

Behandlung

der

indianischen

Ureinwohner

blieben

weitgehend

ausgespart. Nur einmal schrieb Goldstein einen Beitrag über die „miserable" Lage der Indianer, in dem er sich recht deutlich äußerte, nicht aber ohne darauf hinzuweisen, daß es einigen von ihnen gelungen sei, zu Ansehen und Wohlstand zu kommen. „Der weiße Mann, der Eindringling in diesen gesegneten Erdteil hat gesiegt; das Unrecht, das er den Urbewohnem und altgewohnten Eigentümern angetan hat, ist unangefochtenes Recht geworden. Gelassen worden sind ihnen ein paar Reservationen, in denen sie, oder was von ihnen noch übrig ist, wenn sie wollen, ihr altes romantisches Leben fortsetzen können. Der Kampf, solange er noch unentschieden getobt hat, ist von beiden Seiten mit furchtbarer Bitterkeit gefuhrt worden. Jetzt und schon lange hat sich das Verhältnis der amerikanischen Regierung zu den Indianern völlig geändert: sie erkennt ihren Anspruch auf gleichberechtigte Teilnahme am amerikanischen Leben grundsätzlich an. Sie streckt ihnen eine versöhnende Hand hin - aber freilich, die Indianer von sich aus müssen die Hand ergreifen. Viele von ihnen halten standhaft oder eigensinnig an ihrer Besonderheit und ihren nationalen Sitten fest, abweisend gegenüber den neuen und ihrer Zivilisation. Aber andere schließen endlich Frieden und einige arbeiten sich empor zum Erfolg." (10) Goldstein wußte wohl, daß solche Artikel, die ein kritisches Licht auf die USA warfen, nicht gern gesehen wurden, und in einem Brief an Wallenberg äußerte er den Verdacht, daß vom Washingtoner Büro fünf Artikel wahrscheinlich „aus politischen oder sonstigen Bedenken" abgelehnt worden seien. (11) Enttäuscht war Goldstein

94

auch darüber, daß er nicht häufiger gedruckt wurde; er hatte gehofft, w i e er an Hans Wallenberg schrieb, daß j e w e i l s zwei Beiträge die Woche, d.h. acht im Monat, von ihm erscheinen würden. ( 1 2 )

Die Einkünfte aus diesen Beiträgen, die j e w e i l s mit 40-50 Dollar honoriert wurden, brauchte er nach dem T o d e seiner Frau dringend zum Leben. (Zum Vergleich: 1946 verdienten freiberufliche Männer in den U S A wöchentlich durchschnittlich Dollar 79.60. ( 1 3 )

Die

Antwort

von

Wallenberg

war

nicht

ermutigend,

denn

dieser

sah

keine

Möglichkeit, die Anzahl der Veröffentlichungen zu erhöhen. Er bat hierfür um Verständnis und gab Goldstein zu bedenken, daß er „schon jetzt der meistgedruckte ausserredaktionelle Mitarbeiter der N Z " sei. Im übrigen, so schlug Wallenberg ihm vor, könne dieser sich auch mit Fragen oder Beschwerden „an die Herren Kraus und Frcimarck" im Büro der I N P (International Press and Publications Division des State Departments) in Washington wenden, die ihm jederzeit zur Verfügung ständen. ( 1 4 )

1951 verschlechtern sich die Beziehungen zwischen dem Washingtoner Büro und Goldstein,

was

dieser

auf einen

Wechsel

in der Führungsspitze

zurückführte.

Freimarck, mit dem zusammen er den Vertrag über seine Mitarbeit ausgehandelt hatte, war abgelöst worden von Henry B. Kranz. Er schrieb hierüber an seinen Sohn:

„Kraus war vor kurzem in Deutschland, und es scheint, er hat die Weisung mitgebracht, mit Annahmen vorsichtiger zu sein und nur zu nehmen oder zu bestellen, was wirklich gedruckt werden kann. Es ist mir zwar nicht gesagt worden, aber ich schliesse es aus gewissen Bemerkungen. Dazu kommt dieser neue Mann Kranz. Er ist nicht unwohlwollend zu mir, aber schwerfallig und im Uebrigen, verständlicher W e i s e , mehr daran interessiert, seinen Vorgesetzten zu gefallen als mir das Leben zu erleichtern." ( 1 5 ) Mit der Annahme, daß es neue Weisungen gab, hatte Goldstein sicher recht, denn jetzt wurde von ihm verlangt, daß er j e d e m Artikel ein separates Blatt beilegte, auf dem der Titel in englischer Sprache erschien, und der Inhalt kurz auf englisch zusammengefaßt sein sollte. Der Grund dafür war, wie Henry B. Kranz erklärte: „ D e r C h e f unserer Branch, Mr. Miller liest j a nicht Deutsch, will aber wissen, was in jedem Artikel steht." ( 1 6 )

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Nicht nur diese äußeren Kleinigkeiten waren neu, sondern es wurde ein neues Programm für die „Neue Zeitung" geplant, das aber im Oktober 1951 noch auf sich warten ließ, wie Kranz Goldstein mitteilte. „Wir haben unser ,neues Programm' noch nicht begonnen. Wir wissen noch gar nicht, wie es aussehen wird. Es ist moeglich, dass alle .Themen' vorher von drueben ,bestaetigt' werden muessen, bevor wir einen Auftrag erteilen koennen, oder zumindest muessen wir von unserem Chef (der Division) ein Okay erhalten. Aber das ist alles noch in der Schwebe. (...) Bitte senden Sie daher nichts ein, solange Sie nicht von uns hoeren. (17) Mit

diesem

neuen

Programm

wurde

offensichtlich

eine

Etateinschränkung

euphemistisch benannt, da das Parlament weniger Geldmittel bewilligt hatte. Im März 1952 erfuhr Goldstein vom Washingtoner Büro, daß wieder etwas mehr Geld für Artikel ausgegeben werden könne, so daß er wieder die Möglichkeit hätte, gelegentlich Artikel einzusenden. Die Zusammenarbeit verschlechtert sich trotzdem, denn die Vorschriften für das, was veröffentlicht werden konnte und was nicht, wurden anscheinend immer strenger. So bekam Goldstein einen Artikel zurück, zu dem ihm u.a, vorgeworfen wurde, er verbreite „grobe Propaganda" gegen Amerika. (18) Goldstein war enttäuscht und auch empört und wies daraufhin, daß er „schließlich kein Neuling" sei; auch sprach er in diesem Brief von seiner jetzigen Unsicherheit. „Es ist für mich nicht mehr ganz leicht, auf dem Gebiete zwischen Propaganda und Nichtpropaganda neue Themen zu finden, nachdem ich innerhalb von anderthalb Jahren rund 80 Artikel geschrieben h be, von denen 70 von Ihrem Büro angenommen und bezahlt worden sind. Das Schlimmste, was mir jetzt passieren kann, ist, dass ich in Bezug auf Themen unsicher werde, und nicht mehr weiss, was ich schreiben soll und darf." (19) Die Antwort von Kranz war deutlich und bestimmt: „Natuerlich sind Sie nur dann in der Themenwahl und Behandlung frei, wenn diese .unseren Zwecken entspricht'. Niemand, der fuer uns arbeitet - im Buero selbst oder auswaerts - trifft allein die Entscheidung ueber das Thema oder die Behandlung." (20) Goldstein hatte inzwischen den Mut und auch die Lust verloren, unter diesen Bedingungen weiter an der an der „Neuen Zeitung" mitzuarbeiten und schickte nur noch ganz vereinzelt Beiträge. Im Juli 1953 teilte das Büro in Washington ihm mit,

96

daß leider keine Mittel mehr für „solche Arbeiten unserer Freunde, auch wenn sie in frueheren Tagen so erfolgreich an unserer Arbeit teilgenommen haben" zur Verfugung stünden. (21) Am 12.9.1953 stellte die Hauptausgabe der „Neuen Zeitung" ihr Erscheinen ein und auch Hans Wallenberg gab seinen Posten auf. Nur die Berliner Ausgabe wurde noch weitergeführt. Von der Berliner Ausgabe erhielt Goldstein dann noch einmal eine positive Resonanz auf seine Beiträge, denn ihn erreichte im Oktober

1953 ein sehr

freundlicher Brief von Friedrich Luft, dem Leiter der Feuilletonredaktion, der ihm schrieb: „Haben Sie herzlichen Dank fuer die Uebersendung der drei Arbeiten, die mir unser Chefredakteur Mr. Fodor gab. Wir werden alle drei mit Lust und Freude bringen, da sie uns ausgezeichnet gefallen, und weil der Name Inquit in Berlin, wo die Neue Zeitung jetzt ausschliesslich hergestellt wird, bei so vielen Lesern noch einen so guten Klang hat. Sie koennen versichert sein, dass wirklich zahllose Leser sich an Ihre wichtigen und ausgezeichneten Arbeiten von frueher erinnern. (...) Und wir hoffen, dass Sie uns in Zukunft mit Beitraegen nicht auslassen." (22) Ab

Dezember

1953 erschienen

noch einige

Beiträge

von Goldstein.

Diese

Bestätigung, daß man sich in Deutschland, vor allem in Berlin, noch an ihn erinnerte, bedeutete eine große Freude für Moritz Goldstein, doch war der Erfolg nur von kurzer Dauer; denn ein Jahr später, im Januar 1955, stellte auch die Berliner Ausgabe ihr Erscheinen ein.

97

5. „Ich bin, trotz alledem, mit Deutschland nicht fertig" Rückkehr nach Deutschland?

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es unter den Emigranten sehr unterschiedliche Ansichten zur Frage einer Rückkehr nach Deutschland. Drei der wichtigsten beschrieb Goldstein 1945 in seinem Text „Der Weg zurück" (von mir vollständig zitiert S.11/12). Hierin wird die Stimmung unter den Emigranten so genau geschildert, daß Will Schaber und Walter Fabian in diesem Text ein beispielhaftes Zeugnis der Zeit sahen und ihn in die von ihnen herausgegebene Anthologie „Leitartikel bewegen die Welt" aufnahmen In dieser Sammlung von Leitartikeln aus drei Jahrhunderten und aus möglichst verschiedenen Ländern wollten sie nur diejenigen zusammenfassen, von denen sie glaubten, „daß sie die Menschen und damit ,die Welt' ein wenig beeinflußt und verändert und damit bewegt haben." Auch hofften sie, in diesen „Texte gefunden zu haben, die für die Geschichte des Journalismus wesentlich und für den heutigen Leser interessant sind." (1) In Goldsteins Artikel können wir die Gefühle der drei Emigranten sehr lebhaft nachempfinden, die nach dem Ende des Krieges über eine Rückkehr nach Deutschland allmählich

nachdenken, entstandene

Gefühle, die von Distanz

bis

zur

bitterer

Enttäuschung

ungeduldigen

Erwartung

über

eine

reichen,

Deutschland wieder zu einem lebenswerten und geachteten Land in der Welt zu machen. „Nach Deutschland zurück? Ich denke nicht daran. Ich müßte mich ja selbst verachten, wenn ich das täte. Ich will nichts mehr zu schaffen haben mit den Deutschen, von denen die Welt binnen einer Generation in zwei entsetzliche Kriege verstrickt worden ist; die viele Tausende unschuldiger Menschen, außer den Kriegsopfern, in kaltblütig hergestellten Tötungsetablissements haben umbringen lassen; die so sklavenhaft fühlen, daß sie die unwürdigste Tyrannei einer gewissen Minderheit jahrelang willig ertragen haben; die von allen freien Nationen gehaßt und verachtet, ja verabscheut werden." (2) So dachten zahlreiche Emigranten. Sie hatten während der ersten Jahre der Nazidiktatur die Hoffnung nicht aufgeben wollen, daß die Deutschen sich aus eigener Kraft von Hitler befreien würden. Als diese aber auch nach Beginn des Zweiten Weltkriegs Hitler weiter unterstützten, waren sie enttäuscht über die

98 Entwicklung in Deutschland, glaubten an die Kollektivschuld der Deutschen und gaben den Gedanken an eine Rückkehr auf.

Andere lehnten eine Rückkehr nicht grundsätzlich ab. Sie hatten die Entwicklung in Deutschland

kritisch beobachtet.

Da sie sich aber in ihren

Aufnahmeländern

inzwischen gut eingelebt hatten, konnten sie sich mit der Entscheidung für oder gegen eine Remigration Zeit lassen. Sie konnten warten, bis sich die Verhältnisse in Deutschland klären und stabilisieren würden.

„Ich würde nicht ungern zurückkehren. Ich träume oft davon und male mir aus, wie es sein würde. Ich kann nicht vergessen, wie Deutschland früher war und auch nicht, was ich früher dort galt. Aber ich fürchte, es gibt für mich kein Zurück. Das Deutschland, das ich liebe und an das ich nie aufhöre zu denken, ist untergegangen. Die Städte liegen in Trümmern. Ich würde nicht einmal eine Wohnung Finden, nicht das bescheidenste Stübchen. Die Not geht um und der Hunger. Soll ich denn zurückkehren um all das Elend freiwillig auf mich zu nehmen? Soll ich unter fremder Besatzung leben? Soll ich dahin reisen, wo ich mich zu Wiedergutmachungen mit heranziehen lassen m u ß ? Wer garantiert mir, daß die Verfolgungen aufgehört haben?" (3) Wieder andere hatten während der ganzen Jahre im Exil nur darauf gewartet, in ihre alte Heimat zurückkehren zu können. Ihre Bereitschaft, wieder nach Deutschland zu remigrieren, war um so größer, j e mehr politische Gründe für die Emigration ausschlaggebend gewesen waren. Sie wollten nun nach dem Kriege dieses „bessere" Deutschland aufbauen helfen.

„Was mich betrifft, ich kehre zurück am ersten Tag, an dem ich darf. (...) Warum? Empfinde denn nicht auch ich das Entsetzen der Welt über das Blut, über die Untaten, über die Entartungen, über den Absturz? Doch, so brennend wie nur irgend jemand in der Welt. Aber ich bestreite, daß Nationen schlecht sein können. Ich sträube mich dagegen, daß ein ganzes Volk gerichtet und verworfen wird. Alle Deutschen tragen die Schuld gemeinsam. Aber dann will ich sie mittragen. Denn ich gehöre zu ihnen und habe den größten Teil meines Lebens mit ihnen verbracht. Ich will das Elend teilen und die Strafe. Denn auch ich habe nicht verhütet, was gekommen ist, zu jener Zeit, da ich es hätte verhüten sollen, als ein freier Mann, dem jede Wirkung und Gegenwirkung offenstand. Ich habe mein Vaterland verlassen in den Tagen seines kraftstrotzenden Übermuts und seiner johlenden Selbstvergötterung. In die niedergeworfene, völlig verarmte, ausgeblutete, verwüstete, tief gedemütigte Heimat — warum sollte ich nicht zurückkehren? Zwanzig Jahre lang hat die Welt von Deutschland nur eine Fratze zu sehen bekommen. Eines Tages wird sein Antlitz wieder sichtbar werden. Und ich, für mein bescheiden Teil, will daran mithelfen, daß es emportaucht, und daß es erkannt wird." (4)

99

Die Entscheidung flir eine Rückkehr nach Deutschland hing aber in den ersten Jahren nach Kriegsende nicht nur von den Emigranten selbst ab, sondern vor allem von den Besatzungsmächten in Deutschland und von den Deutschen. Die Alliierten erteilten nur Einreisegenehmigungen, wenn eine Anforderung von deutscher Seite vorlag. Aber auch dann war es noch nicht sicher, daß ein Emigrant zurückkommen konnte, denn vor allem die Engländer und Amerikaner verhielten sich in dieser Frage in den ersten Nachkriegsjahren sehr reserviert. ( 5 )

V o n deutscher Seite her war der Wunsch nach einer Rückkehr der Emigranten nur gering, weil auch nach dem Krieg eine Ablehnung den Menschen gegenüber bestand, die Deutschland in der Hitlerzeit verlassen hatten. Statt Einladungen an diejenigen, die unter dem Nationalsozialismus gelitten hatten, gab es Verleumdungen. Man warf ihnen „Feigheit, Schwäche, Desertion, Treulosigkeit, Pflichtvergessenheit, teilweise sogar Deutschfeindlichkeit und Landesverrat" vor, ( 6 ) und man empfand sie als Helfershelfer der Alliierten oder auch nur als Besserwisser und Moralisten. Für dieses Verhalten der im Lande gebliebenen Deutschen gab es verschiedene Gründe. Einerseits war man stolz, im Lande geblieben zu sein und „deutsches Schicksal" miterlebt und miterlitten zu haben. Andererseits hatten viele Deutsche, ja die meisten von ihnen, die Vertreibung während der nationalsozialistischen Herrschaft geduldet oder dieser sogar zugestimmt. A n die Verbrechen des Nationalsozialismus wollten die allermeisten Deutschen aber nicht erinnert werden, da hierdurch auch ihre eigene Vergangenheit der letzten Jahre in Frage gestellt wurde und sie sich daher mit Schuldgefühlen auseinandersetzen mußten. Diese Stimmung beschlieb noch 1956 Heinrich Jacobs, der Sohn von Monty Jacobs, in einem Brief an Moritz Goldstein zu dessen Plänen, seine Autobiographie zu veröffentlichen.

„Es ist beinahe gut, daß Ihre Schilderung vor der Emigration abbricht, denn leider sagen mir alle, daß das deutsche Lesepublikum - und folglich die deutschen Verleger - von Emigranten und ihren Schicksalen nun einmal nichts wissen wollen (aus einer Mischung von Trotz, Schuldgefühl und, erstaunlicherweise, N e i d . ) " ( 7 ) Zur Zeit des Kalten Krieges kam noch erschwerend hinzu, daß die Emigranten, und damit auch die Remigranten alle als entweder politisch links oder jüdisch galten. ( 8 )

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Zu dieser emotionalen Ablehnung der Remigranten durch die zu Hause gebliebenen Deutschen kamen noch ganz praktische Gründe, die gegen eine Rückkehr sprachen. Fast alle Emigranten hatten im nationalsozialistisch regierten Deutschland ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren, und sie mußten sich nun nach dessen Zusammenbruch wieder um ihre Einbürgerung bemühen. Zu diesen Ausbürgerungen waren in der Regel Nebenstrafen ausgesprochen worden, die immer noch wirkten. So war das Vermögen der Emigranten konfisziert worden, sie waren vom Erbrecht ausgeschlossen worden und ihre Versorgungsansprüche aus Renten und Pensionen waren erloschen. Erst 1968 wurden alle rechtlichen Schwierigkeiten, denen sich die Remigranten ausgesetzt sahen, endgültig durch eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgeräumt. (9)

Eine wichtige Rolle bei der Frage für oder gegen eine Remigration spielte auch die zustimmende oder ablehnende Haltung der Familie; denn Ehefrauen und Kinder, die es oft leichter gehabt hatten, sich im Ausland anzupassen, weigerten sich häufig, wieder nach Deutschland zurückzukehren. (10) Es war demnach nicht nur aus psychologischen, sondern auch aus politischen und finanziellen Gründen problematisch, aus dem Exil wieder in die alte Heimat zurückzukehren. So kehrten von den etwa 2000 emigrierten Journalisten auch nur weniger als 500 zurück, und von den jüdischen Emigranten nur fünf Prozent. (11) Moritz Goldstein, Journalist und deutscher Jude, ist ein typisches Beispiel für eine gescheiterte Remigration. Wie sich Moritz Goldsteins Frau Toni zu dieser Frage verhalten hat, wird nicht klar; doch scheint auch sie, die während der Exiljahre fast immer die tatkräftigere und praktischere von beiden gewesen war, eine Rückkehr abgelehnt zu haben. Denn erst nach ihrem Freitod 1950, dachte Goldstein ernsthaft an eine Übersiedelung nach Deutschland, obwohl sein Sohn Thomas in den USA bleiben wollte. Goldstein hatte nach dem Ende des Krieges allmählich wieder angefangen, Kontakte mit deutschen Zeitungen zu knüpfen, und er nutzte nun diese Verbindungen auch, um sich über die Lebensverhältnisse in Deutschland zu informieren. In einem Brief an Maximilian Müller-Jabusch, Mitbegründer und Chefredakteur des „Abend" in Berlin, schrieb Goldstein:

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„Es ist mir schon einmal von einem Berliner Blatte nahegelegt worden, zurueckzukehren und meine Inquit-Taetigkeit wieder aufzunehmen. Damals konnte ich mich nicht entschliessen. Inzwischen hat sich meine Lage geaendert, im Wesentlichen dadurch, dass ich voriges Jahr meine Frau verloren habe und also allein dastehe, wenigstens für die Frage der Rueckkehr. (...) Ich bin auch jetzt noch keineswegs entschlossen, den ungeheuren Schritt der Rueckwanderung wirklich zu unternehmen." (12) Eine Rückkehr nach Deutschland bedeutete für Goldstein keine Heimkehr, sondern wie er in seiner Glosse „Warum sind wir nicht heimgekehrt?" schrieb, eine erneute Auswanderung, und diese sei ein „bitteres Ding". (13) In derselben Glosse beschreibt er einen weiteren ganz praktischen Punkt, der ihm eine Rückkehr erschweren würde, trotz der Sehnsucht nach Deutschland, die ihn immer wieder überfiel: „Nur wenn ich die Möglichkeit der Heimkehr emsthaft ins Auge fasse, stoss ich auf die materiellen Schwierigkeiten. Wo nehm ich das Reisegeld her? Ich hab es nicht, ich wüsste niemanden, der es mir schenkte oder vorschösse. Mir die Ueberfahrt durch Arbeit auf dem Schiffe zu verdienen, dazu bin ich leider viel zu alt. Reisegeld genügt noch nicht einmal, ich muss wissen, wovon ich mich drüben erhalte, bis ich mich irgendwo eingefügt habe. Auch das genügt noch nicht, ich müsste mich für eine neue Uebersiedelung ausstatten. Ich besitze nicht einmal die nötigen Koffer, da mein Gepäck durch das viele Hin- und Herwandern brüchig und unverschließbar geworden ist. Ich darf mich rühmen, dass ich mich im Exil leidlich zurechtgefunden habe. Aber an einem solchen Wendepunkt wird es plötzlich deutlich, dass ich eine Nomadenexistenz führe. Ich erschrecke, wenn ich mir der Folgen bewusst werde."(14) Wegen dieser für ihn sehr wichtigen finanziellen Frage erkundigte er sich in seinem Brief an Müller-Jabusch genau nach den Möglichkeiten, die er in Deutschland hätte, ob er von seiner journalistischen Arbeit leben könne, ob er vielleicht mit einer festen Anstellung rechnen könne, wie die Gehälter seien und wieviel man zu einem leidlich bequemen Leben brauche. Die Antwort, die er bekam, war wenig ermutigend, denn obwohl Müller-Jabusch überzeugt war, daß der Jüdische Beitrag" unentbehrlich sei, und obwohl er schrieb, daß er sich über ,jeden Emigranten freue, der den Weg nach Deutschland zurück fände", sprach er doch einige Bedenken aus: „Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ist die Rückkehr für jeden, der uns ehemals verliess, ein Sprung ins Dunkle. Sie selbst nennen eine Rückwanderung einen ungeheuren Schritt, und Sie treffen damit durchaus das Richtige. In den journalistischen Verhältnissen Deutschlands hat sich sehr viel verändert. Ich mit

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meinen 62 Jahren habe noch eine sehr deutliche Erinnerung an Ihre Arbeit. Aber ich bin wie gesagt 62 Jahre alt. Sie müssten sich in die deutschen Verhältnisse von heute erst wieder hineinleben, und das ist sehr schwierig und dauert sehr lange Zeit. Während der Nazijahre habe ich immer wieder empfunden, dass die Deutschen, die uns verliessen, mit dem Tage ihrer Auswanderung nicht mehr imstande waren, die deutsche Wirklichkeit, die auch für uns schrecklich genug war, zu sehen." (15) In diesem letzten Salz finden wir noch ein anderes häufig wiederkehrendes Vorurteil der im Lande gebliebenen Deutschen gegenüber den Emigranten, nämlich, daß man dabei gewesen sein müsse, um die Verhältnisse in Deutschland zu verstehen. Es spricht daraus, trotz der vorherigen positiven Bemerkungen über Emigranten und Juden, ein gewisser Vorbehalt gegenüber denjenigen, die Deutschland zu Hitlers Zeit verließen. Eine gegensätzliche Meinung zu diesem Problem hatte Rudolf Pechel, der in der „Deutschen Rundschau" über ein Buch von Wilhelm Röpke: „Die deutsche Frage" schrieb: „Röpke (1933 in die Schweiz emigriert. Anm. v. d. Verf.) ist schon dadurch wirklich berufen zu ihrer Antwort, weil er zwar ein geborener Deutscher ist, aber durch seinen Aufenthalt im Auslande die Distanz hat, die kein Deutscher in den Grenzen des Landes selber auch beim besten Willen gewinnen kann, und er andererseits auch dem nichtdeutschen Ausländer dadurch überlegen ist, daß er zwar die Vorteile des ausländischen Betrachters, die Distanz, hat, aber auch über die genaue Kenntnis der deutschen Dinge verfügt." (16) Mit der Bemerkung, daß eine Rückkehr, außer für wenige Ausnahmen „ein Sprung ins Dunkle" sei, hatte Müller-Jabusch allerdings recht. Auch Bruno Manuel, der aus Amerika wieder nach Deutschland remigriert war und danach an der „Stuttgarter Zeitung" als Redakteur arbeitete, sprach in einem Brief an Goldstein von seiner Rückkehr als einem großen Fehler. Er riet diesem zu warten, bis er die amerikanische Staatsbürgerschaft habe, da er sonst eventuell mit den früheren Nazis „in einen Topf geworfen" würde. Er verstehe zwar, daß Goldstein in Amerika nicht warm würde, denn ihm sei es in Hollywood ganz ähnlich gegangen. Dieses Gefühl habe er aber auch in Deutschland nicht verloren, da man an das „vorgestrige Deutschland" keinen Anschluß

mehr

fände, denn

dieses existiere

nicht mehr.(17)

Es war

auch

selbstverständlich, daß einen Emigranten mit dem gerade zu Ende gegangenen Nazideutschland gar nichts verband. Doch auch das Nachkriegsdeutschland, vor allem die Bundesrepublik, wurde von den Emigranten, die hierher zurückgekehrt waren oder die Deutschland nur besucht hatten, mit sehr kritischen Augen gesehen. So schrieb 1958 Oskar Maria Graf, der seit 1938 in New York lebte und auch nach

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dem Ende des Krieges nicht endgültig zurückkehrte, nach einer Deutschlandreise, wie ihn der „wieder latent gewordene Antisemitismus" und das „wiedererwachte engstirnige deutsche Tüchtigkeitsprotzentum" angewidert hatten. (18) Ganz ähnlich negativ hatte sich schon 1953 Gabriele Tergit in einem Brief an Goldstein geäußert. Sie, die enttäuscht von einer fünfwöchigen Deutschlandreise nach England zurückgekommen war, riet Goldstein ganz entschieden ab, wieder nach Deutschland überzusiedeln. „Da ich mit meiner Meinung nicht allein stehen wollte, so rief ich Jameson an, der jahrelang dort gelebt hat, sehr gut verdient hat und nun hierher zurückgekehrt ist. Er sagte, Sie sollen Ihr deutsches Geld dazu benutzen, um jeden Monat einen Ausflug zu machen, eine Kirche zu besuchen, sich dort auf die Knie zu werfen, und Gott zu danken, dass Sie nicht in Deutschland zu leben brauchen. (...) Werner Finck, den von dem dummen Manfred George hochgepumpten Finck, habe ich mit diesen meinen Ohren antisemitisches Kabaret in Frankfurt machen hören." (19) Es

ist

nicht

verwunderlich,

daß

Gabriele

Tergit,

die

als

deutsch-jüdische

Schriftstellerin unter Hitler Deutschland verlassen mußte, besonders hellhörig und sensibel auf wirkliche oder vermeintliche antisemitische Äußerungen reagierte. Jedoch nicht nur Emigranten, sondern auch nicht emigrierte Deutsche, wie z.B. Rudolf Pechel und Joachim Frohner, sahen den politischen Zustand Deutschlands kritisch. Pechel schrieb an Goldstein: „Glauben Sie mir bitte, dass ich volles Verständnis für Ihre Situation habe und es aufrichtig bedaure, dass es nicht möglich gewesen ist, Sie wieder nach Deutschland zurückzuholen. Aber hier machen sich so manchc Tendenzen, zumindest im Hintergrunde bemerkbar, die uns hindern, unseren Freunden zur Heimkehr dringlich zu raten. (20) Sehr viel deutlicher äußerte sich Joachim Frohner, Redakteur beim Berliner „Tagesspiegel" iri einem Brief an Goldstein. „Manchmal freilich denke ich, ich sollte Sie vor einem solchen Schritt warnen, denn Anlaß sich zu ärgern, besteht genug. Es fehlt hier, das darf man wohl sagen, zwar ein offenes Bekenntnis zu Nazitum und Antisemitismus, aber gleichzeitig fehlt auch der geistige linke Flügel. Was übrig bleibt, ist ein satter klerikaler Nationalismus, der sich in Wiedervereinigungsphrasen und Feindseligkeit gegen Rußland nicht genug tun kann." (21)

104

Für Emigranten, die Deutschland besucht hatten, oder für Remigranten, lag der Hauptgrund für ihre Enttäuschung wahrscheinlich darin, daß sie ursprünglich geglaubt hatten, bei einer Rückkehr wieder dort anknüpfen zu können, wo sie vor der Emigration aufgehört hatten. Statt dessen mußten sie feststellen, daß sie vergessen waren. Sie hatten in den Asylländern nichts von der ablehnenden Haltung der Deutschen und dem Desinteresse der Alliierten gewußt oder wissen wollen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Emigranten und Nichtemigranten war durch

die

ganz

unterschiedlichen

Erfahrungen

seit

dem

Beginn

der

nationalsozialistischen Herrschaft gestört, und die Verbundenheit mit Deutschland, von der viele im Exil noch ausgegangen waren, hielt der Realität nicht stand. Sie befanden sich zwischen zwei Welten, da sie weder das Asylland noch Deutschland als Heimat empfanden.

Trotz aller Warnungen und Bedenken hatte Goldstein, auch nachdem er am 13.4.1953, mit 73 Jahren, amerikanischer Staatsbürger geworden war, den Gedanken an ein neues Leben in Deutschland immer noch nicht aufgegeben. Der Vorteil lag jetzt darin, daß er jederzeit nach Amerika zurückgehen konnte, falls er sich in Deutschland nicht wohl fühlen sollte. Doch auch jetzt wurde ihm von fast allen Seiten eher ab- als zugeraten. So riet ihm sein früherer jüngerer Kollege von der Vossischen Zeitung, Hans Wallenberg, jetzt Chefredakteur der „Neuen Zeitung", nur dann zurückzukommen, wenn er einflußreiche Freunde im öffentlichen Leben hätte. Andernfalls könne er weder auf einen festen Schreibauftrag noch auf eine feste Stelle rechnen. Er endet den Brief freundschaftlich: „Sie beruehren das Thema zwar nicht, aber ich moechte doch sagen, dass Ihre Mitarbeit sebstverstaendlich auch der „Neuen Zeitung", sollten Sie einmal hier sein, durchaus willkommen waere. Wahrscheinlich wuerden sich aus dem staendigen Kontakt alle moeglichen Aufgaben, die Sie reizen koennten, ergeben. Ich moechte lediglich davor warnen, diese Moeglichkeit allzu stark fuer Ihre Entscheidung, ob Sie hierher kommen oder nicht, ins Gewicht fallen lassen. Und zwar warne ich deshalb davor, weil „Die Neue Zeitung", die ja schliesslich keine permanente Institution ist, immer vom fragwürdigen Nimbus der Ungewissheit umgeben ist." (22) Wilhelm Schulze, Chefredakteur der wieder bei Ullstein erschienenen „Berliner Morgenpost" schrieb ihm von den vielen arbeitslosen Intellektuellen in Berlin, für die sogar eine Extraabteilung beim Berliner Arbeitsamt eingerichtet worden sei. Besonders schwer hätten es die älteren Journalisten, denn um jede frei werdende

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Stelle würden sich mindestens ein Dutzend jüngerer Interessenten bewerben. Schulze glaubte, daß Goldstein nur als freier Mitarbeiter verschiedener Zeitungen eine Chance hätte, doch seien die in Deutschland üblichen Honorare so niedrig, daß man davon kaum leben könne. Goldstein hätte, wie er von Wallenberg erfahren hatte, um mit seinen Bedürfnissen einigermaßen bequem leben zu können, etwa DM 500,- bis DM 600,-DM monatlich gebraucht. Kostspielige Arztrechnungen oder andere Sonderausgaben wären darin aber noch nicht enthalten. (23) Ähnlich wie MüllerJabusch, sah auch Schulze für Goldstein die größten Schwierigkeiten für eine feste Anstellung in dessen Alter und seiner langen Abwesenheit aus Deutschland. „Sie müssen immerhin damit rechnen, daß Sie Monate brauchen werden, um nur die Veränderungen, die seit Ihrem Weggang eingetreten sind, zu registrieren, und um zu verstehen, was im Augenblick die Grundlage eines aktuell arbeitenden Journalisten ist. Ganz abgesehen von Ihrem Alter ergibt schon die Unkenntnis der Entwicklung und der Sachlage ein Handicap für Sie, das Sie kaum überwinden können."(24) Aus den überwiegend entmutigenden Informationen, die Goldstein erhielt, schloß er, daß er so gut wie keine Aussicht hätte, in Deutschland als Journalist seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und gab deshalb den Plan einer Rückkehr zunächst auf. Der Wunsch, nach Deutschland zurückzukehren, wurde 1957 wieder wach, als ihm eine monatliche Rente von ungefähr DM 600,- als Entschädigung für das unter dem Nationalsozialismus erlittene Unrecht zugesprochen wurde. Als diese Summe im Januar 1958 noch etwas erhöht wurde, wäre es ihm möglich gewesen, von diesem Geld in Deutschland „recht bequem" zu leben. Goldstein entschloß sich zunächst zu einer längeren Reise nach Berlin. Über diesen Plan schrieb er an Gabiele Tergit: „Uebrigens bereite ich einen Besuch Deutschlands vor. Dort habe ich durch meine Rente zu leben. Was mir bisher gefehlt hat, war das Reisegeld hin und her. Das wird mir jetzt zur Verfügung stehen. Ich nehme an, zweite Haelfte April werde ich fahren, auf etwa sechs Wochen, nach vorlaeufiger Disposition. Bin sehr gespannt, wie ich mich dort fuehlen werde. Vielleicht kehre ich gleich wieder um. Vielleicht bleibe ich ganz dort." (25)

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5.1. „Am Ende ist es gar nicht Berlin? Oder bin ich es nicht mehr?" Wiedersehen mit Berlin

Am 30.April 1958 sah Moritz Goldstein, inzwischen 78 Jahre alt, nach 25 Jahren zum ersten Mal seine Heimatstadt Berlin wieder, und das erste Gefühl war das einer völligen Fremdheit.

„Dies ist die Kolonnenbrücke, dies ist Schöneberg, dies ist Wilmersdorf. Wie werde ich nicht Bescheid wissen? Ich bin auf Verwüstungen gefaßt, j e d o c h hier stehen die Häuser von damals, ein bißchen verwahrlost, ein bißchen schäbig, eben 25 Jahre älter geworden wie ich selber. Nur es spricht nicht zu mir, es erschüttert mich nicht, wie ich erwartet hatte. Es wirkt auf mich wie eine völlig fremde Stadt. Am Ende ist es gar nicht Berlin? Oder bin ich es nicht mehr? Viel Schicksal ist über mich hinweg und durch mich hindurchgegangen. Ich kann nicht mehr der Mensch sein, der ich war, als ich von dannen zog." (1) Seine ersten Besuche galten dem Bahnhof Zoo, der Tauentzienstraße und dem Wittenbergplatz. miterlebt

hatte,

Die Ruine der Gedächtniskirche, machte

einen

„überwältigenden"

deren A u f b a u er als Eindruck

auf

ihn.

Kind Mit

Presseausweis nahm er an einer Verhandlung im Kriminalgericht Moabit teil, in dem er als Gerichtsreporter gearbeitet und den Stoff für seine „Gerichts-Inquits" gefunden hatte. Auch besuchte er auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee die Gräber seiner Eltern und seines Bruders Paul. Heinz Ullstein lud ihn zu einem E m p f a n g ein, und Presse und R u n d f u n k interessierten sich für ihn. Es erschienen Berichte über seinen Besuch in der „Berliner Morgenpost", „Der Abend", „ T e l e g r a f , im „Tagesspiegel'" und Otto Zarek schrieb einen längeren Artikel in der „Berliner Allgemeinen Zeitung der Juden in Deutschland"; aber auch im Rundfunk, beim „Sender Freies Berlin" und beim „RIAS Berlin" waren Beiträge über ihn und von ihm zu hören. Der Sender „RIAS"

plante

eine

Sendung

von

dreißig

bis

vierzig

Minuten

aus

alten

Gerichtsberichten und für das „Mittwochs-Feuilleton" wünschte man sich Beiträge von zehn Minuten Dauer von ihm. A m 30.7.1958 konnten die Hörer des RIAS „Heimkehr in meine Muttersprache" von Moritz Goldstein hören. In diesem Text schilderte er, wie ihm nicht nur die Stadt Berlin, sondern auch die deutsche Sprache nach fünfundzwanzig Jahren Abwesenheit fremd geworden war.

107

„Zwar ist mir im Ausland bisweilen entgegengehalten worden, die deutsche Sprache weise so viele Veränderungen auf, dass ich nicht mehr mitreden könne. Ich habe diesen Zweifel belächelt. Denn ich bin auch draussen der Gewohnheit treu geblieben, in meinem Kreise deutsch zu sprechen und deutsch zu hören. Seit ich mich selbst aber wieder auf dem Boden befinde, aus dem die deutsche Sprache wächst, muss ich zugeben, dass meine Muttersprache sich verändert hat, zum Teil bis zur Unkenntlichkeit. Zwar vermag ich mich im täglichen Leben leicht zu verständigen. Ich lese auch ohne Mühe und verstehe, wenigstens im Grossen und Ganzen. Aber manches verstehe ich nicht." (2) Er kannte u.a. nicht die Begriffe „Moped", „Herzinfarkt", „Unterwanderung", und „Laster" kannte er nur als Neutrum aber nicht als Maskulinum. Ausdrücke wie „atomar" oder „zonal" klangen ihm wie „falsch gebildete Fremdworte", und Wortverlängerungen wie z.B. „Absicherung" statt „Sicherung" und „durchladen" statt „laden" fand er überflüssig. Auch der Hang zu Uberlangen Komposita wie z.B. „Geschäftsmietengesetz" amüsierte ihn. Als Goldstein gefragt wurde, was er sich nach so langer Zeit von Berlin wünsche, antwortete er hierauf mit seinem „Inquit" „Heutzutage in Berlin", der am 6.8.1958 im „Mittwochs-Feuilleton" des RIAS gesendet wurde. „Ich komme aus New York, und dort war es lange meine Sehnsucht, wieder in einem Lande zu leben, in dem die Familien Dienstmädchen haben, die Anzüge Westen und die Autobusse Schaffner. Nur der letzte Wunsch ist mir erfüllt worden." (3) Diese Wünsche zeugen von der Sehnsucht nach dem alten Berlin vor den Zerstörungen der Hitlerdiktatur und des Zweiten Weltkriegs. Es ist die Sehnsucht eines gut verdienenden Vorkriegs-Berliners nach einem Berlin, wie es ?ich ihm in der Erinnerung darstellte. Doch vieles im täglichen Leben des Jahres 1958 in Berlin war ganz anders als Goldstein es kannte, und vieles erinnerte ihn jetzt an Amerika. Aber das alte Berlin wurde wieder lebendig als der Schaffner rief: „Treten Se durch, lieber Herr, kost't een Jeld!" Das ist echtes Berlinisch, es hat sich nicht geändert und wird sich hoffentlich nicht ändern, solange es in der Welt noch ein Berlin gibt." (4) Goldstein blieb vom April bis Oktober 1958 in Berlin. Auf eine Rundreise durch Deutschland mußte er auf ärztlichen Rat verzichten, wie er an Rudolf Pechel schrieb, der ihn nach Stuttgart eingeladen hatte. (5) Immer wieder dachte er über eine

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endgültige Entscheidung für Berlin und gegen New York nach. Ein Entschluß fiel ihm unendlich schwer, denn im Großen und Ganzen fühlte er sich wohl in Berlin, das Klima bekam ihm besser, und das deutsche Geld, von dem er lebte, war hier mehr wert. Auch meinte er in Berlin seine literarischen Interessen besser verwirklichen zu können, obwohl, wie er in einem Brief an seine Freunde Manasse in New York feststellte, bisher nicht viel dabei herausgekommen sei. Außerdem sprach gegen Berlin, daß er hier „noch viel mehr vereinsamt" sei als in New York. (6) So entschloß

er

sich

doch,

fürs erste

wieder

nach

Amerika

zurückzukehren.

Ausschlaggebend war vor allem, daß sein Sohn Thomas dort lebte; außerdem hatte Goldstein seine New Yorker Wohnung noch nicht aufgelöst. Ihm war aber bewußt, daß er schon in den ersten Tagen dort wieder Sehnsucht nach Berlin haben würde.

6. „Ich fühle mich als Schriftsteller gescheitert" Lebensabend in New York

Goldstein hat Berlin nicht wieder gesehen, obwohl er 1964 nach einer persönlichen Enttäuschung noch einen letzten ernsthaften Versuch unternahm, nach Deutschland überzusiedeln. Seine gesundheitliche Verfassung hinderte ihn jedoch daran, und so fand er sich damit ab, seinen Lebensabend in New York zu verbringen. Allerdings hat er sich in den USA nie heimisch, sondern ausgesprochen unwohl gefühlt; was „an dem hier herrschenden völligen Mangel an Manieren" lag. (1) Weil er hier nie eine angemessene Stellung gefunden hatte, war er immer „Aussenseiter und Zuschauer geblieben." (2) Ein Trost war es sicherlich für ihn, daß er durch die Rente, die er seit 1957 als Wiedergutmachung

für das erlittene Unrecht aus Deutschland

erhielt,

keine

finanziellen Sorgen mehr hatte. Als Wilhelm Sternfeld ihn 1962 nach seiner wirtschaftlichen Situation

fragte, um für ihn eine Unterstützung durch

den

Künstlerfond des Süddeutschen Rundfunks durchzusetzen, antwortete ihm Goldstein:

109

„Zur Frage nach meinen wirtschaftlichen Umständen darf ich berichten, dass ich als Entschädigung nach der letzten (nicht von mir veranlassten) Erhöhung, monatlich $ 212 erhalte. Das reicht im ganzen für meinen Lebensunterhalt. Für gelegentliche Defizite steht mir mein Sohn zur Verfügung. Ihrer freundlichen Bemühungen in dieser Richtung bedarf es also im Augenblick nicht. Vom Süddeutschen Rundfunk habe ich im September 1960, wahrscheinlich aus Anlass meines 80. Geburtstages und wahrscheinlich auf Veranlassung des jüngst verstorbenen Herausgebers der Deutschen Rundschau, Dr. Rudolf Pechel $142,70 erhalten, was einer Spende von DM 600,- entsprechen dürfte." (3) Dennoch bemühte sich Wilhelm Sternfeld beim Bundespräsidialamt um eine laufende Unterstützung durch die „Deutsche Künstlerhilfe" für Moritz Goldstein, der nun ab 1963 auch noch eine jährliche Summe von DM 1500,- als „Ehrengabe für kulturelle Verdienste" erhielt, so daß er im hohen Alter endlich ohne finanzielle Sorgen leben konnte. Jetzt, da der Druck von ihm genommen war, sich durch Schreiben oder andere Tätigkeiten zu finanzieren, konnte er beschaulicher leben. Er beschrieb einen Aspekt dieses Lebens in einem Brief an seine Freundin Marianne Manasse: „Ihre Vorstellung, dass ich in einem Steinbaukasten sitze, ist nicht ganz richtig. Ich sehe aus meinem Fenster auf stattliche Bäume, Eschen, und erfreue mich ein einem wilden Strauch, der gerade anfängt zu knospen. Ausserdem habe ich den Central Park und das Hudsonufer zu meiner nahen Verfügung, das letztere mit seinem Blick über den Strom auf die Hügel von New Jersey durchaus eine Augenweide. Ich pflege im Sommer von beiden viel Gebrauch zu machen." (4) Goldstein lebte jetzt, einigermaßen zufrieden und ohne Geldsorgen, aber mit den Jahren nahmen gesundheitliche Probleme zu. Die Aufenthalte im Krankenhaus wurden häufiger. Dort mußte er sich wegen einer Lungenentzündung,

eines

Herzleidens und eines Leistenbruchs behandeln lassen. Außerdem litt er an rheumatischen Beschwerden, zunehmender Schwerhörigkeit und wie er mit 94 Jahren beklagte, an einer „fortschreitenden Vergreisung". 1967 hatte er wegen seiner gesundheitlichen Probleme ein Altersheim bezogen. Seine menschlichen Kontakte beschränkten

sich

Schwiegertochter,

mit die

der „ein

Zeit

überwiegend

grosses

Glück"

auf für

seinen

ihn

Sohn

bedeuteten.

und Über

seine die

Schwierigkeiten, die ein persönlicher Kontakt mit anderen für beide Seiten mit sich

110

brachte schrieb er sarkastisch an Hannah Arendt, als sie ihm ein Wiedersehen vorgeschlagen hatte: „Ich muss jedoch folgende Gebrauchsanweisung vorausschicken: Mein Gehör ist sehr schlecht, wenn man direkt zu mir spricht, verstehe ich im allgemeinen. Wenn aber ein Rundgespräch im Gange ist, verstehe ich kein Wort und fühle mich höchst unbehaglich. (...) Ferner: Ich wohne in einer privaten Pension, die eigentlich ein Altersheim ist. Sie besteht auf etwas unüblichen Zeiten: Frühstück um 8, Lunch um 12, sogenanntes Abendbrot um Vi 6. Um 10 wird das Haus geschlossen: ich muss also vor 10 zu Hause sein, oder die Nacht auf einer Bank am Broadway verbringen. Infolgedessen darf ich frei herumlaufen von 9 - 1 2 , von I — Vi 6 und von 6 - 1 0 . Darf ich bitten, bei Ihrer Disposition diese traurigen Umstände in Betracht zu ziehen?" (5) Je älter er wurde, und je weniger er schrieb, desto mehr beschäftigte sich Goldstein wieder mit seinen alten Arbeiten, und er versuchte für diese Verleger zu finden. Vor allem seine Gerichtsberichte könnten, so schlug er dem Ullstein Verlag vor, „...die Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Dritten Reich lebendig machen", sozusagen als eine "Kulturgeschichte der Weimarer Republik, ihrer Schwächen und ihrer Vorzüge...". (6) Er erinnerte den Ullstein Verlag an einen früheren Besuch Rudolf Ullsteins bei ihm im englischen Exil. Dieser hatte ihn damals besucht, weil er deutschsprachige Literatur für die Zeit nach dem Kriege sammelte, und hatte ihn um Novellen für eine Veröffentlichung gebeten. Der Ullstein Verlag lehnte jedoch beide Vorschläge ab; einmal, weil im Verlag gerade Gerichtsberichte erschienen seien, und zum

andern

weil

der

Verlag

wegen

schlechter

Erfahrungen

Gedichte

und

Kurzgeschichten nicht mehr in seinem Programm hätte. Ebenso erfolglos blieben Goldsteins Versuche, seinen Roman „Die Götter in Manhattan" in einem deutschen Verlag zu publizieren. Er erhielt u.a. Absagen vom Suhrkamp Verlag, von Rowohlt, Blanvalet und dem Scherz Verlag. Resigniert schrieb er im Alter von 94 Jahren an Gabriele Tergit zu deren achtzigstem Geburtstag: „Der Gedenkartikel ruft mir ins Gedächtnis zurück, wieviel erfolgreicher Sie als Schriftstellerin gewesen sind im Vergleich zu mir, der ich ein armes Luder geblieben bin, und wohl auch bis zum Schluß bleibe." (7) Ähnlich hatte er sich schon 1968 in seiner kurzen Autobiographie für einen Band über emigrierte Schriftsteller, herausgegeben vom „International P.E.N." geäußert, in dem er seit 1962 Mitglied war. Hierin schloß er seinen Text mit dem Satz: „Ich fühle

I]1 mich als Schriftsteller gescheitert." Auf diesen Schlußsatz ging Hans Sahl in seinem Geburtstagsbrief zu Goldsteins neunzigsten Geburtstag ein, in dem er ihm schrieb: „Was uns beide verbindet, ist ja nicht nur die Westend Avenue, obwohl ich die Bedeutung dieser uns beiden gemeinsamen Verkehrsader keineswegs unterschätzen will, sondern die Erinnerung an eine Zeit, in der ich Sie als einen Meister Ihres Faches bewunderte. Wenn es möglich ist, daß ich Sie nach so langer Zeit und ohne jede persönliche Verbindung als etwas für mich Wichtiges in Erinnerung habe, so widerlegt allein schon dies den letzten bitteren Satz Ihrer Autobiographie, die der P E N . i n London veröffentlichte. Natürlich sind wir alle „als Schriftsteller gescheitert"- bis auf einige wenige: Thomas Mann und Bert Brecht und - aber da stocke ich schon, was ist von Lion Feuchtwanger, dem einst so Erfolgreichen geblieben, von Alfred Neumann usw. -? Jeder von uns hat seine Signatur in das große Gästebuch eingetragen, sie ist nicht mehr auszulöschen. Sie haben den Stempel „Inquit" einer Zeit aufgedruckt. Darauf dürfen Sie stolz sein." (8) Dann und wann war Goldstein dennoch als Zeitzeuge gefragt. Artikel von ihm erschienen in einigen Anthologien, er wurde in mehreren Bänden über die deutsche Exilliteratur

erwähnt,

und

es

gab

Würdigungen

zu

seinem

achtzigsten,

flinfündachtzigsten und neunzigsten Geburtstag u.a. von Hermann Kesten, Kurt Pinthus, Gabriele Tergit, Rudolf Pechel, und Will Schaber. Schaber, zu der Zeit Redakteur des „Aufbau" New York, war es auch, der den Anstoß dazu gab, daß der Nachlaß Moritz Goldsteins an das „Institut für Zeitungsforschung" in Dortmund übergeben wurde. Wie es dazu kam, beschreibt ein Brief von Kurt Koszyk - damals Leiter des Instituts - an Thomas Goldstein im Mai 1976 „Neulich besuchte mich Will Schaber, dem wir den Dolbin Nachlaß verdanken. Er erzählte mir von Ihrem Vater, der mir als „Inquit" aus der „Vossischen Zeitung" wohl bekannt ist. Sollte er gelegentlich daran denken, sich von seinen Manuskripten zu trennen, sind wir gern bereit, sie unserer Sammlung einzufügen, unter Bedingungen, die Sie selbst bestimmen können. Auch eine Publikation von Memoiren in unserer Reihe wäre möglich." (9) Daraufhin antwortete Moritz Goldstein selbst, der sich, je älter er wurde, immer mehr darum sorgte, was aus seinem Nachlaß werden sollte, und der bis dahin auch mit den Versuchen gescheitert war, seine Autobiographie zu veröffentlichen. Er schrieb an Kurt Koszyk: Es „gibt in der Tat eine Lebensbeschreibung, die bis zu unserer Auswanderung im Jahre 1933 reicht, und die bisher unveröffentlicht ist." (10)

112

Am Ende seines Lebens wünschte Goldstein sich vor allem, daß etwas von seinem „Ich" als Schriftsteller erhalten bliebe. Er empfand es als „Unrecht", daß seine Arbeiten eines Tages mit ihm vergessen sein sollten. „Mich, der ich mich völlig frei weiß von der Todesfurcht, jagt das Gespenst dieser Möglichkeit. Die Schauer der Vernichtung fallen mich an, wenn ich an meine verborgene unbetreute Hinterlassenschaft denke. (...) Denn es lebt niemand, der mit meinem Nachlaß Bescheid wüßte und darauf vorbereitet und dafür geeignet wäre, ihn ans Licht zu ziehen.(l 1) So sollte Moritz Goldstein am Ende seines Lebens doch noch von seiner größten Sorge befreit sein, als er wußte, daß sein Nachlaß einen angemessenen Platz gefunden hatte, und als seine Autobiographie „Berliner Jahre Erinnerungen 18801933" bald danach in Druck ging. Dieses Manuskript, so konnte er nun sicher sein, sollte dem Schicksal entgehen, das er für seine Schriften am meisten fürchtete, „sich in Makulatur zu verwandeln, völlig unterzugehen, sich in Nichts aufzulösen, in dem Augenblick, da ich die Augen schließe." (12) Das Erscheinen seines Buches hat Goldstein nicht mehr erlebt. Er starb kurz vorher am 3. September 1977 im Alter von 97 Jahren. Abschied Nun ist es bald so weit. Wir werden sein, Ich und mein Werk, als wär' es nie gewesen. Friedlich behaust im holzgefügten Schrein Hoff ich, von Qual des Lebens zu genesen. So viel es war, mir war es nicht genug. Kein Siegesjubel klang um meine Pfosten. Zum vollen Trünke hielt ich zwar den Krug, Doch ich bekam die Neige nur zu kosten. Des Willens des erbarmungslosen Herrn, Darf ich zu guter Letzt mich ledig fühlen. Zu Staub zerfall' ich nur zu gern, Ich selber Erde, mir das Blut zu kühlen. Da lockt kein Ziel, es peitscht nicht Wunsch noch Gier, Kein Irrtum grinst, kein Fehlschlag will mich höhnen, So, wie ich bin, genüg' ich mir, Bereit mit meinem Einst mich auszusöhnen.

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Von Hoffnung frei, nicht mehr um Glück geprellt, Das Herz noch voller Überschwang der Leiden, Werd' ich vom lieben Gott und seiner Welt Aufathmend tief und heimlich lächelnd scheiden. Moritz Goldstein (13)

7.„Aus meiner Sprache verbannt" Zusammenfassung und Ausblick

„Aus meiner Sprache verbannt." Was bedeutete dies für Moritz Goldstein? Sprache war sein Beruf, aus dem er sein Selbstbewußtsein und sein Selbstwertgefühl bezog. Beides ging ihm zum großen Teil verloren, als er 1933 Deutschland verlassen mußte. Wie tief ihn die Unmöglichkeit, weiter als Schriftsteller zu leben und zu arbeiten, getroffen hat, zeigt seine ablehnende Haltung zu Will Schabers Vorschlag (1966), eine Autobiographie zu schreiben, die auch die Exiljahre mit einschließen sollte. Er begründete seine Ablehnung damit, daß er schon seine Erinnerungen geschrieben habe, die allerdings nur bis 1933, dem Zeitpunkt seiner Ausreise aus Deutschland reichten, „ein Vorzug, denn über Emigration kann beinahe jeder Emigrant sich äussern " (1) Es ist zu vermuten, daß Goldsteir. mit seiner Äußerung ausdrücken wollte, wie wenig die Jahre des Exils mit seinem eigentlichen Lebensplan zu tun hatten. Sein Wunsch war es immer gewesen, „für die Literatur zu leben". Statt dessen mußte er nun auf ihm ganz fremde Art seinen Unterhalt verdienen, zuerst als Schulleiter und Lehrer, später vor allem als Pensionswirt zusammen mit seiner Frau. War er zuerst in Italien noch relativ zufrieden, so fühlte er sich später in seiner Eigenschaft als Pensionswirt zunehmend „proletarisiert". Denn er, der sich im Berlin der Weimarer Republik als „Inquit" einen Namen gemacht hatte, wurde im Exil zu einem von vielen Vertriebenen, die sich auf alle möglichen Arten am Leben hielten in der Hoffnung, eines Tages wieder das sein zu können, was sie früher gewesen waren und was sie wieder sein wollten.

114

Dieser H o f f n u n g standen im Exil Schwierigkeiten objektiver und subjektiver Art entgegen. Trotz aller Schwierigkeiten hat Goldstein während seiner Exiljahre aber nie aufgehört zu schreiben und zu versuchen zu publizieren. Denn Schreiben war für ihn auch eine Art, sich „innerlich aufrechtzuerhalten", und zu wissen, daß er mehr war, als er zu sein schien.

Zu den objektiven Schwierigkeiten, zu schreiben und zu publizieren, zählen die politischen Bedingungen des sechs Jahre dauernden Aufenthalts in Italien von 19331939. Aufgrund seiner Wahl des faschistisch regierten Landes als Zuflucht verbot sich jeder Kontakt mit der Exilpresse in den demokratischen Ländern Europas. Goldstein hatte dieses sehr wohl gewußt, als er Deutschland verließ, um in Italien zu leben. Er sah zu A n f a n g im Exil die Chance für einen Neubeginn und plante ein völlig neues Leben, als er mit Werner Peiser eine Schule in Florenz gründete. (2) Diese hoffnungsvolle Stimmung verflüchtigte sich jedoch zunehmend, und wurde mit der Ausweisung der Juden aus Italien 1939 ganz zunichte. Nachdem Goldstein völlig mittellos Italien verlassen hatte, suchte er sofort Kontakt zur

„Pariser

Tageszeitung", bei der er ab Mai 1939 Beiträge veröffentlichen konnte. Die Mitarbeit an diesem Blatt dauerte j e d o c h nur acht Monate, da die Zeitung ihr Erscheinen im Februar 1940 einstellen mußte.

Durch

den

Einmarsch

der

Deutschen

in

die

Tschechoslowakei

wurde

die

Veröffentlichung des fünften Kapitels aus „Die Sache der Juden" in der „Jüdischen Revue" verhindert, das Manfred Georg(e) angenommen hatte. Eine Veröffentlichung der ganzen Schrift „Die Sache der Juden" wurde durch den Beginn des Zweiten Weltkriegs unmöglich.

Nach dem Ende des Krieges war es für Goldstein aufgrund der völlig veränderten politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse schwierig, in der deutschen Presse zu veröffentlichen; außerdem war das Interesse an Beiträgen von Emigranten

in

Deutschland nur gering.

Unter den subjektiven Schwierigkeiten war die hervorstechendste, daß wegen der alltäglichen Arbeit und Sorge um den Lebensunterhalt kaum Zeit und Gelegenheit zum Schreiben blieb. Für Goldstein kam noch erschwerend sein hohes Alter hinzu.

115

Diejenigen seiner früheren Kollegen, die in der Emigration mehr Erfolg hatten und die ihn nach Möglichkeit unterstützten, waren sehr viel jünger als er; zu diesen gehörten u.a. Manfred Georg(e) 13 Jahre, Carl Misch 16 Jahre, Will Schaber 25 Jahre und Hans Wallenberg 27 Jahre jünger. Es war sicher auch eine Frage des Alters, daß Goldstein Schwierigkeiten hatte, sich nach 1947 an die Gepflogenheiten der amerikanischen Presse anzupassen, da seine Liebe immer noch dem Feuilleton der Weimarer Republik galt. Hinzu kam eine gewisse Weltferne, obwohl er von Beruf Journalist war. Diese zeigt sich u.a. darin, daß er im Grunde seine Dramen, mit denen er so gut wie keinen Erfolg hatte, höher einschätzte als seine journalistischen Arbeiten, durch die er bekannt geworden war. Auch im Exil schrieb er Dramen, von denen jedoch keines einen Verleger fand, 1936 in Italien „Abdullahs Esel", 1957 in Amerika „Ein wildfremder Mensch" und 1965 auch in Amerika „Blitz und Donner". Keines dieser drei Stücke zeigt einen thematischen oder stofflichen Einfluß des Exils, sie spielen alle vor der Machtergreifung Hitlers. Goldstein hat sich selbst treffend beschrieben, wenn er von sich sagt:

„der Gefahr, an meiner eigenen Gegenwart vorbeizuleben, bin ich noch heute ausgesetzt. Sie liegt wohl in meiner Grundkonstitution, und ich kann ihr beim besten Willen nicht ausweichen." (3) Als sich die Verhältnisse mit der Zeit wieder besserten, war es für Moritz Goldstein zu spät, wieder einen festen Platz in der deutschen Presse zu finden. Er war zu alt, und paßte nicht mehr in die völlig veränderte Zeit. In dieser Arbeit wurden anhand der zum größten Teil unveröffentlichten Schriften aus dem Nachlaß Goldsteins Jahre des Exils beschrieben, die er selber nicht hatte beschreiben wollen. Mit seiner Aussage, daß sich „über Emigration beinahe jeder Emigrant äußern kann", hat er nur bedingt recht, denn jeder Emigrant, der sich zu dieser Frage äußert, ist eine unverwechselbare Stimme der Zeit. Der Alltag im Exil bedeutete für jeden Emigranten ein ganz individuelles Schicksal, auch wenn die Grunderfahrungen

mit

der

Fremde,

wie

die

Unfreiwilligkeit,

Hilflosigkeit,

Vereinsamung und Unstetheit allen gemeinsam waren. Verschieden waren die Stationen des Exils, die Tätigkeiten, die von den Einzelnen ausgeübt wurden und die Fähigkeiten, sich den Verhältnissen des Exils anzupassen. Um einen möglichst genauen Eindruck von den unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Exil zu erhalten

116

und so einen klareren Blick auf jene Zeit zu gewinnen, ist es notwendig, sich auch mit den Schriften der vergessenen oder fast vergessenen Emigranten zu beschäftigen. Viele Dokumente, die hierzu etwas aussagen könnten, sind in den unruhigen Jahren der Vertreibung verlorengegangen. Daher haben wir im Nachlaß Moritz Cioidsteins ein wichtiges Zeitdokument.

Er ist ein Beispiel

für die vielen

emigrierten

Schriftsteller und Journalisten, deren Lebensplan mit dem Exil abbrach, und die nie wieder ein ihr früheres Leben anknüpfen konnten. Da diese Arbeit Moritz Goldsteins Exiljahre zum Thema hatte, wurden auch nur die Schriften berücksichtigt, in denen er direkt etwas zu seiner Situation im Exil oder zu den aktuellen Fragen dieser Zeit aussagt. Die Auseinandersetzung mit den im Exil entstandenen philosophischen Arbeiten wie „Die Widerlegung der Macht", seinen Aufsätzen für die „Deutsche Rundschau" oder mit seinen in diesen Jahren entstandenen Dramen ist Stoff für eine andere Arbeit. Da er sich während der Weimarer Republik nahezu täglich in der „Vossischen Zeitung" als Feuilletonist und Gerichtsreporter zu Zeitfragen geäußert hat, wäre es für eine Analyse der Zeit äußerst aufschlußreich, sich mit diesen Arbeiten vor der Emigration zu beschäftigen und jenen Goldstein der Weimarer Republik kennenzulernen, den Hermann Kesten „einen der humansten und geistreichsten Journalisten", „eine repräsentative Figur im alten Berlin" genannt hat. (4)

Moritz Goldstein (Inquit)

Beiträge aus dem Exil Dokumentation

118

Vorbemerkung Zwischen 1939 und 1972 hat Moritz Goldstein ungefähr 300 Texte Essays, auch

Erzählungen

und Gedichte -

an verschiedene

Berichte,

Redaktionen

und

Redakteure versandt. Es handelte sich hierbei z.T. um alte Texte, die er schon während der Weimarer Republik geschrieben hatte; vor allem aber waren es neue, im Exil entstandene Arbeiten. Nur ein Teil dieser Arbeiten wurde veröffentlicht. Die folgende Auswahl seiner Beiträge beschränkt sich auf nachweisbar veröffentlichte Arbeiten und darunter auf solche, die das Exil oder die Exilländer zum Thema haben. Diese Arbeiten sind fast alle in der Sammlung enthalten. Sie werden hier in der zeitlichen Folge ihrer Veröffentlichung und im Wortlaut des gedruckten Textes wiedergegeben.

Die

offensichtliche

Schreibfehler

Rechtschreibung wurden

folgt

den

korrigiert.

jeweiligen

Vorlagen;

Hervorhebungen

nur

wurden

übernommen.

Eine regelmäßige Zusammenarbeit mit Zeitungen ergab sich für Goldstein nur in zwei Phasen seines langjährigen Exils; zuerst in den Jahren 1939 und 1940 mit der „Pariser Tageszeitung" und von 1950 bis 1954 mit dem Blatt der amerikanischen Reeducation in Deutschland „Die Neue Zeitung". Daß es mit dem „ A u f b a u " unter Manfred George nicht zu einer engeren Zusammenarbeit kam, hat Goldstein sehr enttäuscht. In Amerika verfaßte er auch einige englische Beiträge, die er an amerikanische Zeitungen und Zeitschriften sandte; jedoch mit wenig Erfolg. In Italien hatte sich Goldstein publizistisch nicht geäußert, da Exilanten von hier aus eine Mitarbeit an den Exilblättern der demokratischen Länder nicht erlaubt war. Einzige Ausnahme war der 1936 in der „Jüdischen Rundschau" Berlin erschienene Artikel „Als Auswanderer in Italien", in dem er sehr sachlich und unpersönlich die Lebensbedingungen

in Italien vorstellt.

(Dieser Text wird hier wegen

dieser

Unpersönlichkeit nicht wiedergegeben.) Erst nach seiner Ausweisung aus Italien 1939 veröffentlichte Goldstein in der „Jüdischen Welt-Rundschau" einen langen, in drei Folgen erschienenen Bericht über die seit 1938 immer mehr sich durchsetzende antisemitische Politik im faschistischen Italien, die in der Vertreibung der Juden gipfelte. Es folgen Beiträge in der „Pariser Tageszeitung", in denen er sich anfangs

119

direkt

mit

dem

Exil

beschäftigt und

uns

seine

Empfindungen,

Ängste

und

Schwierigkeiten als Emigrant mitteilt. Danach, sowohl in der „Pariser Tageszeitung" wie im „ A u f b a u " und in der „Neuen Zeitung", betonte er stärker die Beobachtungen, die er in den Ländern machte, die ihm zur neuen Heimat werden sollten; wir erfahren, was ihm auffiel, was ihm fremd war, worüber er sich wunderte. Die Beiträge für „Die Neue Zeitung" in den fünfziger Jahren sollten den deutschen Lesern in der Nachkriegszeit ausdrücklich ein positives Bild vom Leben in den USA vermitteln.

Durch Goldsteins Beiträge aus dem Exil erfahren wir viel von den Irritationen, Unsicherheiten und Verletzungen, die das Exil filr ihn mit sich brachte. Es sind Eiindrücke eines Beobachters, der sich unfreiwillig in den ihm fremden Ländern aufhält. Wir erkennen, daß er auch nach vielen Jahren immer noch mit dem Blick eines Deutschen beobachtet und urteilt. Wir erfahren aus diesen Texten aber auch von seiner Bereitschaft zu verstehen und von seiner Dankbarkeit für die Länder, in denen er ein neues Leben beginnen konnte. Aus ihnen spricht seine H o f f n u n g auf eine bessere und friedliche Zeit.

120

.JÜDISCHE WELT-RUNDSCHAU"

Spiel mit Juden / Rückblick auf Italien Von einem Ausgetriebenen „Jüdische Welt-Rundschau" Nr. 16 vom 30. Juni 1939

Der nachfolgende Artikel eines vor 6 Jahren nach Italien ausgewanderten Schriftstellers, der jetzt auch dieses Land verlassen mußte, ist die Darstellung der überraschenden Entwicklung der antisemitischen Judenpolitik in Italien während jetzt genau eines Jahres. Es ist dies ein Kapitel, das als charakteristisch und gleichzeitig

als

ein

unverständliches

Kuriosum

in

die

Geschichte

der

Judenverfolgungen unserer Zeit eingehen wird. (Red.) I. EMIGRANTEN Wenn ein Dichter das Schicksal der Juden in der Zerstreuung aus seiner, sozusagen, unkünstlerischen Zeitdauer von fast 2000 Jahren lösen und in brauchbare Kürze übertragen wollte, es auf eine Formel bringend oder zu einem Symbol läuternd, so könnte er den Stoff der deutschen Emigranten in Italien aufgreifen. Da hätte er, auf sechs Jahre zusammengepresst, alles, was den Juden seit dem Untergang ihres Staates überall und immer widerfahren ist und widerfahren wird: Wie sie, aus dem Lande, das sie bisher als ihre Heimat betrachtet haben, vertrieben, hereinsickern, nicht in Groll und Rachewünschen rückwärts gewandt, sondern guten Willens zu diesem Lande, das ihnen wieder Heimat werden soll, und zu ihrer neuen Zukunft, die sie aus eigener Kraft redlich aufzubauen gedenken; wie sie mit offenem Blick die Möglichkeiten erfassen; wie sie entschlossen zugreifen und mühselig sich vorwärts tasten; wie sie sich zurecht finden und Wurzeln zu schlagen beginnen; wie sie sich geborgen und zu neuer Zufriedenheit sich berechtigt wähnen; wie sie dennoch horchen und spähen, ob nicht jenes wohlbekannte, lebensgefahrliche Geflüster um sie her entsteht; wie sie eines Tages Spuren davon entdecken; wie es unterirdisch wühlt; heimlich

gefördert wird, zur

Sichtbarkeit

anschwillt;

wie es in die

121

Öffentlichkeit tritt, das Haupt erhebt, schamlos wird; wie Aufklärung und Appell von Seiten der Juden nichts ausrichtet; wie die wohlwollenden Einheimischen sich mit Achselzucken begnügen; wie endlich das Unrecht Recht wird und die Juden, ohne Rücksicht darauf, ob sie als Reiche oder als Arme gekommen waren, gleichmässig arm aus dem Lande treibt. So hat es sich in Mussolinis Italien abgespielt, rasch und überschaubar wie ein einem Modell oder Experiment; so haben wir es erlebt und erlitten, die wir 1933 auf der Flucht vor dem Dritten Reich ahnungslos und vertrauensvoll über die Grenze kamen und 1939 betrogen und ausgeplündert von dannen zogen. Und so, wie von einem Modell oder nach einem Experiment sollen die bezeichnenden Züge abgelesen und hier festgehalten werden. Als ich 1933, nach Verlust meiner Existenz in Deutschland, mit meiner Familie nach Italien ging, unter der Drohung der nackten Not, da folgte ich, wie es zu geschehen pflegt, dem Zufall gewisser sich bietender Anknüpfungen. Dass es ein Land faschistischen Regimes war, schlug ich in den Wind. Es war falsch von mir wie von allen, die ebenso handelten; heute wissen wir es, und es hat sich an uns gerächt. Wir hätten nicht daran vorbeisehen dürfen; denn wir waren keine Faschisten. Aber wir dachten: Was geht uns als Fremde das Regime an? Und was die Verwandtschaft mit dem Regime betraf, dem wir gerade entflohen, so sagten wir uns: Antisemitisch ist es nicht. Die entscheidende Gunst der Umstände, die mich wie viele in meiner Lage gerade nach Italien führte, lag in dem völligen Fehlen aller Förmlichkeiten für Einreise und Aufenthalt. Man löste sich eine Fahrkarte, stieg aus, wo man wollte, musste sich, wenn man zu verweilen gedachte, auf der Questur ein certificate di coggierno besorgen, das heisst eine Aufenthaltserlaubnis, die niemandem verweigert wurde, und alles war erledigt. Ausweisungen kamen vor, wenn Leute sich politisch verdächtig oder sonst ausgesprochen missliebig gemacht hatten; sie gehörten zu den Ausnahmen. Italien hätte ganz anders verfahren können, nämlich so, wie fast alle anderen

Staaten,

die

die

Einwanderung

von

Juden

beschränken

oder

von

Bedingungen abhängig machen. Das es das nicht tat, erregte unter uns Immigranten Verwunderung; ich kann auch sagen: Bewunderung. Wir erklärten es uns mit seiner Eigenschaft als Reiseland; mit der Gastfreundlichkeit des alten

romanischen

Kulturvolkes; mit der geringen Zahl der einheimischen Juden; mit demonstrativem Wohlwollen für die Vertriebenen und Protest gegen die Vertreiber.

122

Arbeiten durfte man nur auf besondere Erlaubnis, die nicht leicht zu erlangen war. Und dennoch durfte man arbeiten. Das entspricht dem italienischen Behördenwesen, das durch den Faschismus im Grunde nicht geändert worden ist: Das Ja ist nicht unbedingt ein Ja; dafür ist das Nein nicht unbedingt Nein. Es lässt sich paktieren. Viele Emigranten und Emigrantinnen arbeiteten; manche mit Lizenz, manche ohne. Das Unternehmen, das ich selbst gründen half, bekam die beantragte Konzession nie. bestand aber unter den Augen der Behörden, entwickelte sich, wurde in keiner Weise behindert, eher gefördert; und plötzlich verboten erst im Zusammenhang mit der Judenverfolgung

des

letzten

halben

Jahres. Ärzte

mussten

ihr

Staatsexamen

wiederholen und wurden dann zur Praxis zugelassen. Fast jeder von ihnen brachte es zu auskömmlicher

Existenz.

Die Leute

merkten

rasch ihre bessere

ärztliche

Schulung, eine deutsche, nicht eine jüdische Eigenschaft, und liefen ihnen zu, womit sie nicht vermeiden konnten, ihren Landsleuten wegzulaufen. Die italienischen Ärzte waren denn auch die ersten, die ihren grundsätzlichen Protest gegen die jüdische Immigration anmeldeten; und auf ihren Einfluss hin wurden den Immigranten die Neuzulassung

zur Arztpraxis gesperrt. Vielleicht war es dieses

Beispiel,

das

überhaupt allmählich eine strengere Handhabung der Bestimmungen über Arbeit von Fremden herbeiführte. Dennoch haben nicht wenige Emigranten in Italien ihre Existenz gehabt, mit voller behördlicher Erlaubnis: Fabrikanten, Geschäftsleute, Pensionsinhaber,

Zahnärzte,

Photographen,

Heilmasseusen,

Kosmetikerinnen.

Stenotypistinnen, Kinderfräulein und viele andere Berufe. Es lebte sich gut in Italien. Das Volk, gerade der Teil, den man im eigentlichen und überheblichen Sinne „Volk" zu nennen pflegt, ist freundlich, höflich, von tiefer Menschlichkeit

erfüllt,

und

verleugnet

nicht

die

uralte

Kulturüberlieferung.

Fremdheit und Befremdlichkeit fehlte nicht völlig, wie es zwischen Angehörigen verschiedener

Nationen

nicht

anders

sein

kann.

Wir

empfanden

dergleichen

gelegentlich bei jenen; aber noch mehr werden wir Anlass dazu gegeben haben, die wir mit unserer unerträglichen deutschen Korrektheit daherkamen. In den höheren Bezirken knüpften sich ohne Mühe Beziehungen geistigen Austausches, getragen auf der einen Seite von italienischen Universitätslehrern, auf der anderen Seite von jüdischen Gelehrten und Forschern, deren gründliches deutsches Wissen geschätzt wurde. Ihre Hilfe war willkommen, etwa für ein so repräsentatives Werk wie die monumentale Enciclopedia Italiana. Im Mitarbeiterverzeichnis der einzelnen Bände wird man die deutschen Judennamen finden, die auch nach der Austreibung nicht

123

einfach entfernt werden konnten. Von einer eigentlichen geistigen Gemeinschaft war freilich nicht die Rede, und zwar aus dem erschütternden Grunde, dass es im faschistischen Italien ein geistiges Leben nicht mehr gibt. Die ersten Zeichen judenfeindlicher Propaganda zeigten sich im Jahre 1934: Die Aushebung, oder angebliche Aushebung, einer regimefeindlichen Aktionsgruppe wurde von einem Teil der Presse eindeutig und geflissentlich den paar mitverhafteten Juden zur Last gelegt. Über diesen in der italienischen Presse ganz neuen Ton und unerhörten Vorgang waren nicht nur die jüdischen Emigranten erschrocken, sondern mehr

noch

die einheimischen

Juden

bestürzt.

Sie

protestierten

durch

ihre

Repräsentanten, und der Versuch blieb nach zwei oder drei Veröffentlichungen ohne Fortgang. Man sagte, es sei von höchster Stelle eingegriffen worden. Ohne Zweifel ging schon dieser erste Vorstoss auf nazideutsche Einwirkung zurück. Es kam der erste Hitlerbesuch, der sehr unfreundlich verlief. Es kam der Dollfussmord, nach dem Mussolini die verwaiste Familie ostentativ in seine Obhut nahm und das italienische Volk in einer Woge von Empörung gegen Deutschland aufbrauste, während zugleich italienische Divisionen bereit standen, in Österreich einzumaschieren, falls Hitler den Streich wagen sollte. Es kam der abessynische Krieg mit den für Volk und Staat so schwer erträglichen Sanktionen; es kam Deutschlands

Selbstausschliessung

aus

der

Front

der

Sanktionsmächte,

ein

staatsmännischer Meisterzug Hitlers, mit dem er dem Diktaturkollegen nicht weniger bescherte als den Sieg und damit die Rettung des Regimes. Es kam die gewaltsame Anschliessung Österreichs, von der Regierung mit zur Schau gestelltem Gleichmut hingenommen, vom rechtlosen und stimmlosen Volke mit Zähneknirschen ertragen. \ Ind dann kam die Begleichung der deutschen Rechnung. Zur judenfeindlichen

Propaganda

wurde

die

Parole ausgegeben,

und

die

italienischen Zeitungen entwickelten sie rasch bis zur Judenhetze. Journalismus ist nur unter der vollen Verantwortung des Schreibers ein ehrenvoller Beruf, unter dem Gesinnungszwang der Diktaturen jedoch nichts besseres als ein dirnenhaftes Gewerbe. Die journalistischen Dirnen der faschistischen Presse taten, wofür sie bezahlt wurden, Tag für Tag, Nummer für Nummer. Die italienischen Juden sahen das deutsche Verhängnis auch über sich hereinbrechen; wir emigrierten Juden, oder der grösste Teil von uns, seltsamer Weise, glaubten nicht an den Ernst der Lage. Wir glaubten nicht, dass es zu Handlungen gegen die Juden kommen würde. Gerade weil es sich so offensichtlich um Abgeltung empfangener Wohltat handelte, bildeten wir

124

uns ein, es werde mit dem lauten Wort sein Bewenden haben. Wir bildeten uns ein, Italien täte dem deutschen Bruder den Gefallen, mit auf die Juden zu schimpfen; aber es werde sich selber nicht soweit untreu werden, dass es sie an irgendeinem ihrer Rechte kränke. Wir wurden in dieser Meinung von sc gut wie allen Italienern bestärkt. Wir inten uns alle, Recht behielten die italienischen Juden. Das Anschwellen des antisemitischen Chores schien eine Rechtfertigung zu haben: Hitlers zweite Italienreise stand bevor. „Lasst ihn nur erst wieder weg sein," hiess es, „dann spricht kein Mensch mehr von deutscher Freundschaft und deutschen Methoden."

II. DIE AUSTREIBUNG Am 20. April 1938, drei Wochen vor Hitlers Visite, begannen die Festsetzungen. Sie betrafen nicht nur Emigranten, sondern auch Italiener, die der Polizei verdächtig waren. Es scheint, sie wurden strenger behandelt als die Emigranten. In Florenz, wo ich den Vorgang aus der Nähe beobachten konnte, weil ich unter den deutschen Juden mit gefangen sass, wurden wir zwar ins Zellengefängnis gesperrt, erfuhren aber

vom

Personal jede

nur

mögliche

Rücksicht

voll

Freundlichkeit

und

Menschlichkeit. Die Leitung der Aktion lag bei deutschen Nazis, wie die Italiener zugaben und zu ihrer Entlastung verbreiteten. Am ersten Tage waren wir unser sechs, bis zu Hitlers Ankunft kamen wir bis auf 80, allein in der Männerabteilung. Der Absicht nach sollten offenbar alle jüdischen Emigranten gefasst werden. Der von langer Hand vorbereitete, frisch geweisste, mit Decken und Matratzen wohl versehene Flügel des Florentiner Instituto di Pena, Via della Mattonaia 8, stand mit 200 Einzelzellen bereit. Aber die Polizei bekam nicht alle; auf die Nachricht von den ersten Verhaftungen ging jeder, der die Möglichkeit hatte, über die Grenze. Die Behörde arbeitete grundschlecht; rein aus Versehen blieb manch einer, der nicht die Mittel besass, um sich in Sicherheit zu bringen, dennoch unbehelligt. Meiner Frau, Jüdin auch vom

Elternhaus her, zeigte man

ihre Eintragung

in die Liste

nationalsozialistischer Vertrauenspersonen. Dafür wurden andere geschnappt, die es gar nichts anging, darunter ein paar Originalnazis, die wir aus ihrer Hitler treuen Propagandatätigkeit kannten. Sie feinden sich unter die jüdischen

Emigranten

gesperrt und es dauerte immerhin zwei mal 24 Stunden, ehe der Irrtum korrigiert

125

war. Das Übrige enthüllte sich als pure Schikane. Inwiefern konnte ein über 70 Jahre alter früherer deutscher Arzt dem Besucher gefahrlich werden? Inwiefern etwa 20 Knaben eines Florentiner Schulheims, 14 bis löjährig? Als ein elfjähriges Kind eingeliefert wurde, verweigerte der Gefangnisdirektor selbst die Annahme. Wohl aber sass nebenan in der Frauenabteilung ein Säugling von wenigen Wochen, den seine Mutter notgedrungen mit sich genommen hatte. Allen Eingaben zum Trotz blieben Mutter und Säugling drei volle Wochen in Haft. Betagte Ehepaare wurden vor dem Gefängnis nicht dadurch bewahrt, dass ein arischer italienischer aktiver Major oder der Direktor einer großen italienischen

Monopolgesellschaft

ihr

Schwiegersohn war. Die Freude der Nazis darüber, dass sie den Juden auch in Italien an den Kragen konnten, ist ohne Zweifel rein und tief gewesen. Die Italiener schämten sich. Am Morgen des 10. Mai überschritt der „Führer", um dessen Leben wir Geiseln uns während seines dreitägigen italienischen Aufenthaltes gesorgt hatten, die Grenze, und

noch

am

selben

Vormittag

wurden

wir allesamt

ohne

Förmlichkeiten

freigelassen. Wir dachten, wir hätten es überstanden. Aber die Judenhetze ging weiter. Es erschien eine Verlautbarung,

plump

zurechtgemacht als freie Äusserung italienischer Wissenschaftler, mit der das Rassendogma der Nazis anerkannt wurde. Es erschien das offizielle Dekret, das dieses Dogma zum Bekenntnis der faschistischen Partei erhob. Noch immer ahnten wir nicht, was bevorstand. Auch diejenigen deutschen und italienischen Juden, die sich längst auf Schlimmes vorbereitet hatten, fühlten sich durch das, was dann wirklich eintrat, vor den Kopf geschlagen. Es trat dann endlich ein, indem es -• echt italienisch - nur einfach ohr.e Vorbereitung in den Abendzeitungen des 1. September stand. Was stand da? Man las, neben anderen, tief einschneidenden Bestimmungen, dass alle nichtitalienischen Juden das Land binnen sechs Monaten zu verlassen hätten. Kein Wort darüber, dass sie ja nicht gegen Recht und Gesetz, sondern mit Erlaubnis der Regierung hier waren; dass sie über behördliche Konzessionen verfugten; dass sie Haus und Hof besassen. Nichts von alledem. Sondern das alte „Juden raus!", das man früher auf Latrinenwände gekritzelt finden konnte, zu Regime-offizieller Feierlichkeit erhoben, und fertig. Der Termin wurde erst später genau fixiert; es war der 12. März 1939. Man las, dass zu den nicht-italienischen Juden alle Juden gerechnet wurden, die seit 1919 ins Land gekommen waren; also auch diejenigen,

126

die

inzwischen

Staatsbürgerschaft

die

italienische

wurde

ihnen

Staatsbürgerschaft einfach

aberkannt.

erworben Dabei

hatten.

konnte

sich

Diese das

faschistische Regime nicht auf ein „fluchwürdiges Weimarer System" berufen, dessen Fehler zu korrigieren es berufen sei. Es war vielmehr dieses faschistische Regime selber, das die meisten dieser widerrufenen Staatsbürgerrechte verliehen hatte. Nicht betroffen von dieser Ausweisung waren Juden über 60 Jahre. Das Gesetz in dieser ersten Verkündigung wimmelte von Unklarheiten. Wie stand es um die Getauften? Wie um die arisch Verheirateten? Wie um die Abkömmlinge aus Mischehen? Es wurden Ergänzungen nötig, die einander widersprachen und neue Unklarheiten schufen. Die Behörden wussten selber nicht mehr Bescheid. Die Praxis, die sich schliesslich ergab, entschied in allen Zweifelsfällen nach der schärferen Seite. Wie viele von der Ausweisung betroffen wurden, vermag ich nicht zu sagen. Man schätzt ihre Zahl auf 20000. Von ihnen gingen alle diejenigen, die über freies Geld verfugten, sofort ausser Landes. Denn meistens verfügten sie damit auch über die Erlaubnis, in irgendein anderes Land einzureisen. In der Presse fehlte es nicht an Stimmen, die ihnen diesen raschen Ab- und Aufbruch übelnahmen und zu ihren Ungunsten auslegten; sehr kurioser, aber auch sehr bezeichnender Weise. Für die anderen begann der Kampf um die Zuflucht, derselbe Kampf, den die Juden in Deutschland, Österreich, Tschechoslowakei auch fuhren müssen. Vielleicht wären die italienischen Flüchtlinge nicht allzu schwer unterzubringen gewesen; aber die deutsche Katastrophe vom November 1938 verstopfte ja noch einmal die Abflüsse. Was alles an redlichem Streben, blühender Hoffnung und verdientem Erfolg zunichte gemacht wurde, braucht nicht geschildert zu werden. Nicht wenige wussten sich nicht anders zu helfen, als dass sie den heimlichen Übergang nach der Schweiz oder nach Frankreich versuchten. Manche hatten genug von dem aussichtslosen Kampf und begingen Selbstmord.

127

Spiel mit Juden / Rückblick auf Italien Von einem Ausgetriebenen (Fortsetzung) „Jüdische Welt-Rundschau" Nr. 17 vom 7. Juli 1939

Die Ausweisung ausländischer Juden Die Ämter wurden überschüttet mit Anträgen auf Fristverlängerung. Diese Anträge nahm man entgegen und Hess sie fast alle ohne Antwort. Bürgersleute und niedere Beamte versicherten einem unermüdlich, es würde am 12. März niemandem etwas geschehen, der nachweisen könne, dass er sich um Ausreise bemüht habe; man möge sich nicht ängstigen. Die Betroffenen ängstigten sich doch. Höhere Stellen hüllten sich in geheimnisvolles Schweigen, gaben auch geflissentlich beunruhigende Antworten. Der Plan war offenbar, die Ausgewiesenen in Angst zu erhalten, um sie zu veranlassen, mit aller Kraft über die Grenze zu drängen. Schliesslich blieb nach dem Stichtag ein Rest übrig, dem es nicht gelungen war, eine Zuflucht zu finden. Er lässt sich seiner Zahl nach nicht bestimmen. Gerettet sind diese Zurückgebliebenen nicht; denn da sie nicht arbeiten dürfen, so stehen sie vor der nackten Not. Dem Gesetze nach haben sie sich obendrein schwer strafbar gemacht; bis zu drei Monaten Gefängnis und bis zu 3000 Lire Geldstrafe und ausserdem, in beiden Fällen, „espulsione" wird ihnen angedroht. Espulsione, Austreibung, kann nach Lage der Dinge nur Auslieferung an Deutschland bedeuten. Unter dieser Drohung standen wir alle, solange uns nicht die Erlangung eines Visums zur

Einreise

in

irgendein

Land

geglück;

war.

Dass

sie

an

einein

der

Zurückgebliebenen wahrgemacht worden wäre, habe ich nicht gehört. Es steht jedem frei, dieses Verfahren als milde, oder das Aufrechterhalten der Drohung als niederträchtig zu empfinden. Hatte man das Auslandsvisum, so konnte man deswegen die italienische Grenze noch nicht passieren; man musste vielmehr vorher unzählige Formalitäten erfüllt haben, deren Abwicklung bisweilen Monate erforderte. An Geld durfte jeder mit sich nehmen 2100 Lire in Devisen und 350 in bar. Die Lire wurde man dann im Ausland nicht los; die Devisen reichten für ein paar Wochen. Seine Habe zu Geld zu machen, nützte einem nichts, da man den Erlös nicht mit sich nehmen durfte. Aber noch überdies

wollte

für

die

unzähligen

auf

den

Markt

geworfenen

128

Wohnungseinrichtungen

und

Bibliotheken

kein

Mensch

auch

nur

halbwegs

annehmbare Preise zahlen. Wer nicht so viel besass, dass er Möbel und Bücher transportieren lassen konnte, musste sie im Stichc lassen. Der Verkauf von Haus und Garten wurde den Ausgewiesenen verboten; nicht durch Gesetz und Verordnung das wäre zu klar gewesen - sondern durch Rundverfügung durch die Notare. Und ist nun also den ausländischen Juden das schöne kunstberühmte Italien verschlossen? Aber wer sagt das? Es erschien endlich auch noch eine amtliche Verlautbarung, die den Juden aller Welt freistellte, zu kommen, Hotels und Pensionen zu frequentieren, sich die Sehenswürdigkeiten anzuschauen, möglichst viele Pfunde oder Dollar dazulassen und wieder abzureisen. Und wer von uns wagte zu beschwören, es werde sich kein Jude finden, der von dieser Erlaubnis Gebrauch macht?

III. DIE EINHEIMISCHEN Die italienische Judenverfolgung hat bisher - hoffen wir - überhaupt keine Überfalle auf Läden, keine Brandstiftungen in Synagogen, keine Misshandlungen von Menschen und keine Mordtaten gebracht. Dennoch lässt sich behaupten, dass die italienischen Juden von der Katastrophe schwerer getroffen worden sind als die deutschen Juden. Denn in Deutschland, Österreich, Böhmen hatte es Judenhass und Judenhetze immer gegeben. Wir mussten von Kindheit an uns wehren und behaupten. Eine weitverbreitete, zum Teil pseudowissenschaftliche antisemitische Literatur,

antisemitische

Zeitungen,

antisemitische

Professoren,

antisemitische

Politiker und Demagogen und ihren Massenerfolg gab es bei uns längst und von jeher. Wir kannten die Gefahr oder hätten sie kennen müssen. Die italienischen Juden waren völlig unvorbereitet. Wie hätten sie auch vorbereitet sein können? Es ging ihnen gut, und sie genossen an Rechten, Wirkungsmöglichkeit und Anerkennung unangefochten, was sie sich nur wünschen konnten. Um ein Bild von ihrem Zustand zu geben, berufe ich mich auf einen Zeugen, der als unverdächtig gelten darf. Es ist P a o 1 o O r a n o , fruchtbarer Schreiber und Rektor der Universität Perugia, Verfasser des Buches „Gli Ebri in Italia", erschienen Anno XV (1936/37), eines peinlichen und tief unaufrichtigen Buches; geschrieben vielleicht im Auftrag, vielleicht aus Witterung der Konjunktur;

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jedenfalls eines judenfeindlichen Buches. Dabei verfehlt es völlig die bevorstehende Entwicklung: Es weiß von keiner Rassentheorie, es ist bereit, die italienischen Juden anzuerkennen und gelten zu lassen, wenn sie nur auf jede Verbindung mit ausländischen Juden und Organisationen verzichten, vor allem also auf den Zionismus. Denn der Verfasser hält für die ausschliessliche Pflicht jedes Italieners, „zu leben, zu denken, zu kämpfen und sich zu opfem für die Entwicklung des imperialen faschistischen Italien" (Seite 159). Wahrscheinlich also ist das Buch entstanden aus Parteihysterie. Paolo Orano hält sich wie kein anderer „römischkatholisch-faschistischer Italiener" für kompetent in der Frage der italienischen Juden, da er „studierend, schreibend, polemisierend, in enger Verbindung mit frommen Juden" die Entwicklung der jüdischen Sache in Italien seit vier Jahrzehnten verfolgt habe (Seite 73). Er rühmt sich guter Freunde unter den italienischen Juden, worunter sich der junge hochgelehrte Raffaele Ottolenghi befunden hat, der aus Enttäuschung

über den Ausbruch

des Weltkriegs

Selbstmord

beging.

Diese

Vergangenheit hindert den Verfasser nicht, an Verkennung, Herabsetzung und Beschuldigung sich zu eigen zu machen, was der landläufige antisemitische Geschäftskatalog jedem beliebigen Abnehmer nur irgend darbietet. Trotz dieses Abfalls, der aber seine Sachkunde nicht vermindert haben kann, schreibt er am Anfang seines Buches: An alte Zeiten zurückdenkend „sehe ich israelitische Freunde und Bekannte in der innigsten Gemeinschaft mit meinen tief katholischen, tief liberalen Verwandten, von David Levi zu Luigi Luzzatti. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals unter uns, Eltern und Söhnen, in der Kindheit oder Jugend auf die Tatsache der Verschiedenheit der Religion oder der Abstammung Wert gelegt worden wär2. Eine Israelitin, begeisterte Anhängeiin Mazzinis, wai die beste Freundin meiner Mutter." Als Grund für diese innige Gemeinschaft bezeichnet er die „glühende Teilnahme der Juden am Kampf um die Unabhängigkeit und Einigkeit Italiens, dessen, was man das Risorgimento nennt. Er räumt diese Kampfgenossenschaft ein, wenn er auch sofort die Motive verdächtigt. Als solche jüdischen Mitstreiter nennt er Daniele Manin (dessen Denkmal in Florenz steht), Gustavo Modena, Isacco Pesaro Maurogonato. Der Kampf Italiens im 19. Jahrhundert um seine Unabhängigkeit und Einigkeit war nicht geführt worden unter der Parole eines engherzigen und ausschliessenden Nationalismus, sonder im Gegenteil nach den Lehren der freien Geister und revolutionären Köpfe

wie Mazzini. Da dieser blutige Kampf der Helden und

130

Märtyrer schliesslich zu Erfolg gefuhrt hatte, so konnte es auch nicht fehlen, dass die italienischen Juden in den vollen Mitgenuss der errungenen Rechte eintraten. In der Tat standen ihnen alle Berufe offen, auch die Beamtenschaft, auch die Armee. Bürgermeister der Hauptstadt Rom war lange Jahre der Jude N a t h a n , unter vielen jüdischen Ministern bis in die jüngste Zeit brachte einer, Luigi Luzzatti es bis zur Ministerpräsidentenschaft. Änderte sich die Lage der Juden mit dem Siege des Faschismus? Auch dazu lässt sich ein unverdächtiger Zeuge anführen, und ein ohne Vergleich glänzenderer. Im Frühjahr 1932 hatte E m i l

Ludwig

Gelegenheit, durch fast zwei Wochen,

beinahe täglich beliebig Fragen an den Duce zu richten, auf die bereitwillig Antwort erteilt wurde. Der Austausch ist festgehalten in Emil Ludwigs Buch „Gespräche mit Mussolini", in dem gewiss kein Satz steht, der nicht von dem Gesprächspartner gebilligt worden wäre. (Mir liegt die italienische Ausgabe vor, die aber umso authentischer gelten darf.) Darin äussert sich M u s s o l i n i ,

nach fast zehn Jahren

Diktatur: „ A n t i s e m i t i s m u s

in

gibt

es

nicht

Italien.

Die

italienischen Juden haben sich immer als gute Staatsbürger erwiesen und als Soldaten haben sie sich mutig geschlagen.

Sie haben

hohe Stellungen

inne an den

Universitäten, im Heere, bei den Banken. Eine ganze Reihe sind

Generäle.

Kommandant von Sardinien ist der General Modena, ein anderer General ist bei der Artillerie." So fanden wir die Lage vor, als wir 1933 ankamen. Neben den Alteingesessenen gab es Zugewanderte, seit 30, 40 Jahren im Lande, die, unter Bewahrung ihrer deutschen Muttersprache, sich völlig italienisiert hatten.'Nicht wenige von ihnen waren zu Wohlstand, zu Stellungen, zu höchsten Titeln und Ehren gelangt. Vor allem war ihnen die italienische Staatsbürgerschaft verliehen worden, eine Gabe, von der niemand voraussehen konnte, dass sie widerruflich sei. In ihrem V e r h ä l t n i s

zum

Judentum

gab es alle Schattierungen, die

wir früher in Deutschland kannten. Mancherorten scheint ein gewisses eigensinniges Festhalten am freiwilligen Ghetto bestanden zu haben (Orano wirft es ihnen vor). In vielen Kreisen wurde die Tradition, und zwar die sephardische, treulich bewahrt. Jüdische Wissenschaft fand hervorragende Vertretung. (Umberto Cassulo.) Die Zionisten bildeten eine rührige Gruppe mit eigener Zeitung. Andere wieder waren assimiliert bis zur Vernachlässigung und Geringschätzung ihres Judentums. Deutsche Jüdinnen wurden in besseren italienischen Kreisen mit Vorliebe geheiratet, ob aus

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purer Mode oder in Schätzung ihrer Qualitäten, weiss ich nicht zu sagen. So sind sie bis in die hohe Aristokratie gelangt. Noch unter Hitler hätte die jüdische Frau des Chefs der italienischen Handelsmission in Berlin beim deutschen „Führer" ein Wort zu Gunsten ihrer misshandelten Volksgenossen einlegen können. Es ist nicht überliefert, dass die Gelegenheit von ihr benutzt worden wäre.

Die faschistische Haltung zum Judentum Juden waren in der faschistischen Partei. Der neu aufgetretene Faschismus wandte sich mit seiner Werbung an alle, also auch unter den Juden, und wie er überall Anhänger fand, so auch unter den Juden. J u d e n e r s t e n

gehörten

mit

zu

den

Faschisten. Juden gelangten in der Partei zu hohen und höchsten

Stellungen. Von den zahlreichen jüdischen Faschisten, die wir vorfanden, lässt sich begreiflicherweise

nur

schwer

feststellen,

wie

aufrichtig

ihre

faschistische

Anhängerschaft war. Es lässt sich von ihnen so schwer feststellen, wie von den Anhängern überhaupt. Gewisse Berufe konnten nicht ausgeübt werden, wenn man nicht zur Partei gehörte. In anderen wieder, Lehrerschaft zum Beispiel, führt die l'ernhaltung von der Partei zu schwerer Benachteiligung. Ungezählte Italiener sind in die Partei gegangen unter der Konjunktur oder einfach aus Zwang. Niemand weiss, wieviel Anhänger es gäbe, wenn frei gewählt werden dürfte. Manche sind vielleicht keine Faschisten, aber überzeugte Mussolinianer, in Würdigung der überlegenen Klugheit des Duce. Solche Einstellung ist mir von italienischen Juden ausdrücklich bestätigt worden. Als M u s s o l i n i

sich mit Emil Ludwig unterhielt, ihm gewissennassen sass,

wie man einem Porträtisten sitzt, in der von vornherein vereinbarten Absicht, dass der Interviewer ein Buch über ihn veröffentlichen sollte, da war der Duce offenbar kein Antisemit. Mehr noch; er dachte nicht daran, dass irgendjemand in der Welt, auf dessen Meinung er Wert legte, oder jemand in seinem eigenen Volke Anstoss daran nehmen könnte, dass der Zeitgenosse, der mit der weithallenden Resonanz seiner geschätzten Feder das Bild des Menschen Mussolini der Mit- und Nachwelt überliefern sollte, ein Jude war, dessen Vater, wie Mussolini gewusst haben muss, der berühmte Breslauer Augenarzt Cohn war. Über die enge Beziehung Mussolinis zu Juden, ausser der Rolle, die sie in der Partei gespielt haben, gehen mancherlei

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Gerüchte. Sie widersprechen einander und sind schwer nachzuprüfen.

Seine

langjährige Sekretärin, vielleicht mehr als Sekretärin, Sarfatti, Verfasserin des ersten ausführlichen Buches über ihn, war Jüdin. Dass die Familie des Duce mit Juden verschwägert sei, über die Frau oder Uber die Kinder, wird immer wieder behauptet. Die Wahrheit der Behauptung ist nicht so wichtig wie der bereitwillige Glaube, den sie fand und findet; nämlich für unsere Frage, wie weit die italienischen Juden auf das, was kam, vorbereitet sein konnten. Die italienischen Juden trugen das hohe Gut ihrer Gleichberechtigung vor uns, den Entrechteten und Vertriebenen, mit Stolz. Mit dem unterirdischen Raunen und Wühlen begann auch die offene Ängstlichkeit der italienischen Juden. Wir hielten sie fiir übertrieben; heute liegt am Tage, dass sie nicht übertrieben war. Unter der anschwellenden Judenfeindlichkeit schwoll auch das Streben jener gewissen Kreise an, ihre L o y a l i t ä t

in weithin sichtbaren Kundgebungen zu beteuern. Dass diese

Bemühung wirkungslos bleiben musste, wussten wir aus unserer Erfahrung. Dass sie gegen die Würde verstiess, fanden auch italienisch Juden.

Die Katastrophe Als die Katastrophe hereinbrach, gab es, wie gesagt, keine Gewalttaten. Aber - um unter den vielen katastrophalen Folgen zuerst eine zu nennen - Juden flogen aus der faschistischen Partei. Die Ungeheuerlichkeit dieser Massregel ist für deutsche Juden nicht leicht nachzufühlen. Bei uns war von Anfang an nie ein Gedanke, dass wir bei Hitler mitmachen könnten. Aber auch wenn früher in Deutschland Juden zu den Konservativen oder Deutschnationalen zählten, so waren sie doch Eindringlinge. Im Grunde gehörten sie da nicht hin. Und wenn sie selbst es sich nicht eingestanden, so empfanden sie sich als bevorzugt, als Elite. Aber die italienischen Juden gehörten dazu, und ihre Zugehörigkeit wurde von keiner der beiden Seiten auch nur mit einem Gedanken in Zweifel gezogen. Sie sassen in den Gremien, wirkten in den Organisationen, trugen das Schwarzhemd wie ihre Kameraden und waren einig und verbunden mit ihnen.

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Spiel mit Juden / Rückblick auf Italien Von einem Ausgetriebenen (Schluß) „Jüdische Welt-Rundschau" Nr. 18 vom 14. Juli 1939

Die Katastrophe Im vorigen Artikel („J.W.R." Nr. 17) wurde zum Schluss darauf hingewiesen, welchen Schlag es für die italienischen Juden bedeutete, als - vor kaum einem Jahre - die Massnahmen gegen die einheimischen italienischen Juden einsetzten. Sie flogen, so sagten wir, aus der faschistischen Partei. Aber das war nicht alles. Sie flogen auch aus der Beamtenschaft. Sie flogen aus der Lehrtätigkeit aller Grade, von den Volksschulen bis zu den Universitäten und Akademien. Sie flogen aus dem Heere. Gibt es nicht so etwas wie eine Offiziersehre? Ist ein Offizierskorps denkbar ohne diesen besonderen Ehrbegriff? Können Juden ihm angehören, und seit Generationen, ohne sich diesen Ehrbegriff zu eigen zu machen? Man hört von jüdischen Offizieren, die auf die erlittene Schmach damit antworteten, dass sie sich erschossen, in die Fahne gewickelt. Wirtschaftlich werden den Juden die grossen Industrie- und Handelsunternehmen und der grosse Grundbesitz genommen; umgetauscht gegen verzinsliche aber unveräusserbare Staatsanleihe. Der Wert dieser Papiere wird begreiflicherweise sehr skeptisch beurteilt. Kleinere Unternehmungen und Geschäfte bestehen noch fort, unter grosser Unsicherheit und Sorge der jüdischen Eigentümer; auf wie lange und mit welchem Ziele, weiss keiner. Wohl die härteste Massnahme besteht in dem völligen Ausschluss jüdischer Kinder aus allen italienischen Unterrichtsanstalten. Ausnahmslos! Vor den übrigen Massnahmen sind solche Juden geschützt, die aus Familien stammen, deren Mitglieder sich um Vaterland und Partei verdient gemacht haben. Der Emst dieser Begünstigung ist umstritten. Bei strikter Durchführung würde die Zahl solcher sogenannter „discriminati" immerhin erheblich sein. Aber von dem Verbot des Schulbesuches gibt es keine Ausnahme. Es hilft dem italienischen Judenkinde nichts, dass sein Vater als Frontkämpfer gefallen ist oder seinen Tod für die Partei gefunden hat. Es darf doch nicht das Gymnasium oder die Universität oder die Kunstschule besuchen, ja nicht einmal die italienische Volksschule. Die jüdischen Gemeinden

134

sollen sich eigene Schulen halten. Ob das zustande kommt und in welchem Umfang, lässt sich nicht absehen. Die jüdischen Familien haben wenig Lust zu dieser Regelung und behelfen sich vorläufig mit Privatunterricht. Der jüdische Nachwuchs für höhere Berufe ist jedenfalls abgedrosselt. Aber die eigentlich böse Wirkung, und ohne Zweifel die beabsichtigte, liegt ja noch nicht darin. Woher wissen denn die Leute, dass die Juden nicht so sind, wie es ihnen die Hetzblätter und die Karikatur einreden möchten? Sie wissen es daher, dass sie mit Juden auf die Schule gegangen sind. Da haben sie die Erfahrung gemacht, dass Juden Menschen sind, wie sie selber auch. Von daher stammt die Unbefangenheit im Verhältnis von Juden und Nichtjuden. Wird diese Gelegenheit verstopft, so hört das gegenseitige Kennen auf, es bleibt für den durchschnittlichen „Arier" nur das Z e r r b i l d

des Juden übrig,

und zugleich verlernt der durchschnittliche Jude, sich mit würdiger Sicherheit unter den anderen zu bewegen. Diese Entwicklung ist ja in Deutschland in vollem Gange, sie wird auch in Italien nicht anders laufen können. Bis ein paar selbständige Köpfe unter den „Ariern" aus nichts als dem Triebe nach Erkenntnis, sich aufmachen, um Juden aus eigener Erfahrung k e n n e n

zu

l e r n e n , das wird gute Weile haben,

in Italien sowohl wie in Deutschland. Die

italienischen

Juden,

vorläufig

noch

zwischen

Angst

vor

neuen

Verschärfungen und Hoffnung auf Milderung hin und her geworfen, schwanken zwischen Festhalten und Auswandern. Die Sperrung der Schulen für ihre Kinder muss die Entscheidung auf Dauer dahin beeinflussen, dass sie ihrer Wege gehen, sofern sie nur irgend die Möglichkeit

finden.

Wenn das Regime und seine

judenfeindliche Richtung dauern, lässt sich der Tag voraussehen, an dem Italien, ebenso wie Deutschland, judenlos sein wird.

IV. DAS REGIME Die Hoffnung, es könnte eine Milderung eintreten, zusammen

mit einer

Loslösung von Deutschland, ist nicht erloschen. Langsam freilich beginnt die unablässige Judenhetze auf das italienische Volk zu wirken, wie könnte es anders sein? Auch machen die italienischen Juden die Erfahrung, dass ihre arischen Freunde, bei aller Empörung und Sympathie, doch sich hüten, die eigene Karriere zu gefährden, und sich lieber vorsichtig zurückziehen. Ihre Angst hat triftige Gründe;

135

mit dem faschistischen Regime ist auch heute noch nicht zu spassen. Und schliesslich sind die Italiener gegenüber Massnahmen des Regimes, sie mögen sie gutheissen oder nicht, machtlos. Das Judenschicksal vollzieht sich also in Italien so gut wie in Deutschland unabhängig von der Volksmeinung. Aber gebilligt werden die Massnahmen nicht. Es wird dem Duce die Äusserung in den Mund gelegt: „In allem sind mir meine Italiener gefolgt, nur die Sache der Juden machen sie nicht mit." Das Ansehen des Regimes und die Beliebtheit Mussolinis hat durch die Judenverfolgung ohne Zweifel eine neue S c h w ä c h u n g

erfahren. Eine n e u e ; das gibt dem Vorgang seine

erhebliche Wichtigkeit. Das Regime leidet längst unter Einbusse seines Kredits. Erst kam der abessynische Krieg, dessen Opfer, jenseits aller patriotischen Phrasen, das Volk zu tragen hatte. Dann, ebenso, das spanische Abenteuer. Dann der „Anschluss" Österreichs (in italienischen Zeitungen immer mit diesem Wort bezeichnet). Der Italiener ist helle. Er darf zwar nichts sagen; aber das Denken lässt er sich nicht verbieten. Er sieht also um sich und sieht das Ziel des Weltkriegs und den Lohn des italienischen Sieges, nämlich die Zertrümmerung der gefahrlichen Habsburgischen Monarchie,

vernichtet,

wenn jetzt

an seiner Grenze ein viel

gefährlicherer

Machthaber steht. Er sieht diese Macht noch einmal vergrössert durch den Raub der Tschechoslowakei. Er begreift nicht die sklavische Abhängigkeit seines stolzen Landes,

Nachfolgerin

des

römischen

Imperiums,

und

des

hochgemuten

faschistischen Regimes, von dem Emporkömmling Hitler und von den Deutschen, die seit Jahrhunderten niemals anders als mit misstrauischer

Geringschätzung

betrachtet worden sind. Und jetzt dürfen sie sich in italienischen Behörden breit machen. „Unter Mussolini war es doch besser", witzeln die Florentiner mii ihrem losen Mundwerk. Als Florenz sich zum Empfang des „Führers" rüstete und alle Strassen aufgerissen waren, fragten die Florentiner: „Wissen Sie, warum überall gebuddelt wird?" und antworteten: „Sie suchen die Achse. Aber wissen Sie auch, wo man sie gefunden hat? In der Strasse der Unzufriedenen (via dei Malcontenti)." Nein, sie sind nicht zufrieden mit dem, was vorgeht, wenn man von den uniformierten Nutzniessern des Regimes und den kommandierten „Du — ce" Schreiern absieht. Wenn das, was vorgeht, wirklich zu einem neuen Kriege fuhren sollte, so wird man sich wohl hüten, zu prophezeien, die Einberufenen würden den Gehorsam verweigern - das getrauen sich, unter dem Kriegsrecht, die Einberufenen

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in keinem Staate der Welt - ; aber dass die Kampflust nicht lange vorhalten würde, das darf man getrost voraussagen. Diese allgemeine Unzufriedenheit, Misstimmung und Verständnislosigkeit ist also durch die J u d e n v e r f o l g u n g

nicht etwa abgeschwächt, sondern verstärkt

worden. Dem Regime war es vor dem abessynischen Kriege gelungen, seine Sicherung bis zu einem ziemlich hohen Grade in der allgemeinen Billigung zu finden. Heute besteht es nur durch Z w a n g . Aber man darf daraus nicht schliessen, dass es schon gefährdet sei; die Zwangsmittel sind wirksam und befinden sich fest in der Hand der Regierung. Misserfolge, zum Beispiel im Kriege, könnten freilich die Lage sehr rasch ändern.

Unter deutschem Kommando Dass die Judenaktion von Anfang an und in allen Einzelheiten auf Kommando

deutsches

zurückgeht, daran zweifelt in Italien kein Mensch, Jude oder Arier.

Dass Mussolini sich diesem Kommando fügt, erregt die allgemeine Befremdung und Enttäuschung. Man sagt, Mussolini stehe in Bezug auf die Juden in Abhängigkeit von seinen nächsten Ratgebern, die ihrerseits mit den Nazifuhrern sympathisieren, und könne sich gegen diese Umgebung nicht mehr durchsetzen. Es werden nämlich drei Männer genannt: der Parteisekretär Starace, der Propagandaminister Farinacci und der Aussenminister Graf Ciano, zugleich Schwiegersohn des Duce, angeblich präsumtiver Nachfolger. Abhängigkeit von ihnen in der Weise, dass er Politik gegen seinen Willen machen muss, darf ausgeschlossen werden; wenn es darauf ankäme, könnte er jederzeit gegen sie oder gegen wen immer an seine Anhänger appellieren. Aber jene drei sind in der Tat rabiate Antisemiten, und ihr Gesinnungseinfluss auf den Duce mag stark sein. Es deuten manche Anzeichen darauf hin, dass Mussolini inzwischen sich die antisemitischen Anschauungen, die seiner antisemitischen Politik entsprechen würden, zu eigen gemacht hat. Fragen Hesse sich noch, ob denn der K ö n i g

sich der Judenverfolgung nicht

hätte widersetzen können, in Übereinstimmung mit der liberalen Tradition des Hauses

Savoyen.

Aber

seit

17 Jahren

nimmt

der

König

hin, was

sein

Ministerpräsident ihm vorsetzt, lässt sich zum Kaiser von Abessyniei und zum König von Albanien machen, und gibt niemals einen eigenen politischen Willen

137

kund. Italiener sprechen von ihm als von dem „poverino" (etwa: nebbich); das zwergenhafte Männchen tut ihnen leid. Bisweilen gehen Gerüchte um, der Kronprinz oder die sehr beliebte Kronprinzessin leisteten Widerstand; bisher hat sich noch niemals dergleichen ausgewirkt. Wahrscheinlich ist die ganze Königsfamilie längst machtlos geworden und hat für ihren Thron zu fürchten. Mussolinis Politik der letzten Jahre, die den deutschen Nachbarn

immer

mächtiger hat werden lassen, in deren Folge Italien immer abhängiger vom Dritten Reich und damit immer schwächer geworden ist, scheint den wahren Interessen der Halbinsel und also der Vernunft derartig zu widersprechen, dass im Grunde niemand sie versteht, nicht drinnen und nicht draussen. Jeder fragt sich, welcher Preis gezahlt worden ist, und niemand vermag zu antworten. Es waltet hier ein Geheimnis, auf dessen Aufklärung die Welt mit Spannung wartet. Welcher Art diese Aufklärung auch sein wird; mit den Juden hängt das Mysterium gewiss nicht zusammen. Kampf gegen das Judentum mag für die Machthaber des Dritten Reiches eine Sache ihres Herzens sein. Davon ist in Italien keine Rede. Der Kampf gegen das Judentum ist aufgegriffen worden, weil die deutschen Freunde es so verlangten. Die deutsche Freundschaft aber ist angenommen worden um irgendwelcher anderer, vorläufig unbekannter Ziele willen. Ob das ein gutes Geschäft ist, wird die G e s c h i c h t e Vom Standpunkt des j ü d i s c h e n

zu entscheiden haben.

S c h i c k s a l s aus ist das, was sich in 11 a 1-

i e n abspielt, demütigender, auch wenn es sich materiell weniger schlimm auswirkt. Denn Hitler vernichtet den besiegten „Gegner", wie er ihm in der übertreibenden Vorstellung

des

Besessenen

erscheint.

Mussolini

Menschengmppe, die ihm völlig g l e i c h g i l t i g

opfert in den

Juden

eine

ist. Er hat so wenig für sie wie

gegen sie. Irgendwelche Zwecke seiner Politik, unter denen die pure Erhaltung seiner Macht sehr wohl an erster Stelle stehen kann, erfordern ihre Vernichtung, und also werden sie vernichtet, ohne dass es ihn einen Gedanken oder gar ein Gefühl kostet. Dass der Staatschef und Landesvater sich für das Wohl seiner Untergebenen so wenig verantwortlich

fühlt, und dass keine

Mahnung

des Gewissens,

kein

Menschenrecht des Schwachen und Schutzlosen, ihn an der Durchführung einer solchen

Massnahme

hindert,

das

sollen

die

Psychologen

der

menschlichen

Machtausübung recht scharf ins Auge fassen. Dass Juden es hinnehmen müssen, so ihres menschlichen Selbstzweckes entkleidet und zur blossen S a c h e

gemacht zu

138

werden; das enthüllt die alte Judennot in ihrer ganzen erschütternden Tragik und grotesken Sinnlosigkeit. Zur Einleitung der Judenhetze musste auch in Italien ein V o r w a n d

gefunden

werden. Naheliegende und beinahe unvermeidliche Beschuldigung: die Juden seien Antifaschisten und Umstürzler. Die Behauptung - es braucht unter uns nicht erst bewiesen zu werden - ist v e r l e u m d e r i s c h ; Geschichte

des

Faschismus

widerlegt.

Die

Juden

sie wird durch die blosse sind

antifaschistisch

und

umstürzlerisch so viel und so wenig wie die Angehörigen aller anderen Nationen. Auch die italienischen Juden stehen jetzt vor der E m i g r a t i o n .

Auch die

italienischen Juden werden sich einreihen in die Front derer, die gewillt sind, ihre Heimat zurückzuerobern; Heimat im eigentlichen und im übertragenen Sinne als das Land, in dem sie nicht nur leben und arbeiten dürfen, sondern in dem sie auch den geistigen Raum finden zum Kampf um die sittliche Würde des Menschen.

„PARISER TAGESZEITUNG' Quotidien Anti-Hitlerien

Aufbruch Von INQUIT

Wir hocken wieder, unser sechs bis acht, in jener kleinen Trattoria am Lungarno, nicht weit vom Pontevecchio, mit ihren niedrigen Gewölben, mit dem lustigen Wirt und dem flinken Kellnerknaben, wo der Gast sich vorkommt, als spielte er in einer Oper mit. Wir sitzen hier zum letzten Male zusammen, denn vor den Massnahmen des Regimes stiebt der ganze Kreis auseinander. Dennoch geben wir uns heiter, überbieten einander an witzigen Einfällen und füllen den Raum mit Gelächter.

139

Der erste, der Anstalten macht aufzubrechen, ist der Kapellmeister. Er hat den weitesten Heimweg. Bevor er Abschied nimmt, nach menschlicher Voraussicht für immer, denn er wird versuchen, Australien zu erreichen, fragt er in die Runde: „ Also keiner will m i t k o m m e n ? Oder wenigstens n a c h k o m m e n ? " „Ich weiss nicht, wie das in Australien ist", meint der Arzt, „ob sich da auch alle Leute alle Tage treffen, wie hier auf der Piazza Vittorio Emanuele. Wenn j a und wenn die Sache bei uns klappt, dann sehen wir uns vielleicht wieder; denn unsere Anträge laufen." „Und mich lasst ihr in England Dienstmädchen werden?" ruft die Sängerin. „Verschaffen Sie mir die Einreiseerlaubnis und das Reisegeld. Ich möchte gern wieder das Evchen singen, wenn Sie in Sidney die Meistersinger dirigieren." Der Kapellmeister wehrt ab. „Ich werde keine Opern mehr dirigieren und ich will keine Opern mehr dirigieren. Ich will stille sitzen dürfen, nicht mehr vertrieben werden, und nicht mit ansehen müssen, wie dieses unselige Europa in Flammen aufgeht. W e n n ich nur mich und meine Frau gerade ernähren kann. Vielleicht genügt schon ein bisschen Klavierunterricht. Nur hier nicht. Irgendwo in der Welt. Nur weit ab, ganz weit ab." Die Runde stimmt bei. Sich in einen Winkel fern von Europa flüchten, stille sitzen, seinen Frieden haben und gerade sich ernähren. Mehr wünscht sich keiner. „Der Doktor sagt j a gar nichts," neckt die Juristin, die auf Heilmassage umgelernt hat. Sie meint den einstigen Literaten, von dem niemand begreift, wie er eigentlich lebt. Aber er hat Jahre lang unter uns gelebt. „Es gibt für mich keine Aussicht, nach Australien zu gelangen", stellt er unbeteiligt fest. „Haben Sie es denn versucht?" „Nein, ich habe es nicht versucht; denn ich will gar nicht nach Australien." „Wohin wollen Sie denn?" „Es ist mir gleich, wenn ich nur dort bin, wo gekämpft wird." Der Tisch gerät in Erregung. „ W a s heisst das? Was geht das Sie an? Wollen Sie mit in den Krieg? Haben Sie von einem Male nicht genug?" schreit es durcheinander. Der Doktor bleibt gelassen. „Auf dieser Seite, auf der Seite der Diktaturen, will ich nie in den Krieg. Sobald ich jenseits der Grenzen bin, auf der richtigen Seite, will ich auch gern die Flinte noch einmal auf den Buckel nehmen. Ich fürchte nur, sie lassen mich nicht, mit meinen sechzig Jahren. Aber das haben wir j a 1914 gelernt:

140 Wenn erst K r i e g ist, gibt es allerlei zu tun, auch hinter der Front. Ich habe in Laon einen gesehen, in Offiziersuniform, der musste das Verladen von Metallabfallen beaufsichtigen. Auch das war Kriegsdienst damals. A u f der richtigen Seite will ich gerne mitmachen; und wenn ich Lumpen sammeln müsste." „ A b e r es gibt gar keinen Krieg. W i r erleben es alle nicht. Es kann noch zwanzig Jahre dauern, ehe die Ladung explodiert." Es ist der Antiquar, der diesen Einwand macht. „ M ö g l i c h " , gibt der Doktor zu. „ A b e r ich bin nicht versessen auf Krieg. Warum ich nicht nach Australien strebe oder nach sonst einem von euren abenteuerlichen Ländern, das hat einen ganz anderen Grund: Ich will dort sein, w o die geistigen Entscheidungen fallen." A l s ob er dabei mittun könnte! Er, ein Einzelner, ohne Resonanz, aus seiner Sprache verbannt! Der Tisch ist aufs neue in Aufruhr. Der Doktor verschafft sich Gehör. „ A u s meiner Sprache verbannt - aber ich will helfen, sie zurückzuerobern. Ohne Resonanz, ein Einzelner - aber viele Stimmen müssen

zusammenklingen

und

anschwellen,

bis

ein

Sturm

unwiderstehlich daherbraust und den Spuk hinwegfegt. Die grosse

entsteht,

der

französische

Revolution, wer hat sie heraufbeschworen? Zuletzt stammt sie aus den Büchern von ein paar Literaten. Heute tobt die rohe, dumme und blinde Gewalt. A b e r nicht einmal sie tobt aus sich selbst. Auch sie wird von irgend etwas ausser ihr getrieben, auch sie von etwas Geistigem. Nur dass es der Widergeist ist. Gegen den Widergeist den Geist in Bewegung zu setzen, darauf kommt es an. Meine Stimme ist schwach, meine Kraft ist gering. A b e r ich will dabei sein. Und ich will mitmachen." Unvermittelt

steht

er

auf und

geht,

fast ohne

Abschied.

Keiner

von

uns

Zurückbleibenden wagt, hinter ihm her zu spotten. Im Gegenteil, jeder v o n uns hat das Gefühl: Es ist unsere Sache, die er führen will, und es ist gut, dass er sie auf sich genommen hat.

„Pariser Tageszeitung" v o m 14./15. Mai 1939

141

Chinesisches Visum Von INQUIT

„Verschaffen Sie sich auf jeden Fall ein chinesisches Visum, bevor es zu spät ist", sagten die Leute. Und da man nie wissen kann, ob es nicht eines Tages zu spät sein wird, oder wann es zu spät sein wird, und da ich damals in Italien lebte, so fuhr ich kurz entschlossen nach Rom, erkundigte mich gleich am Bahnhof nach der chinesischen Gesandtschaft und fand in der höchst vornehmen Wohngegend die höchst vornehme Villa, die ich suchte. Zu den zahlreichen Sprachen, die ich seit Dreiunddreissig gelernt habe, gehörte damals das Chinesische noch nicht, und diese Bildungslücke ist, um aufrichtig zu sein, bis heute noch nicht ausgefüllt. Aber es sass da an einem nüchtern europäischen Bürotisch ein Mann, mit dem ich mich italienisch verständigen konnte. Er gab mir Formulare zum Ausfüllen und wies mich dann in einen fast leeren Saal, in dem es nichts zu sehen gab ausser dem photographierten Bildnis eines Mongolen, den ich auf sehr gebildet, sehr klug und sehr energisch einschätzte, was sie bei uns beste Rasse nennen würden und was also, gewissen europäischen Lehren zum Trotz, an keine Rasse gebunden zu sein scheint. Und nach einer knappen Viertelstunde Wartens hatte ich das chinesische Visum im Pass. Ausserhalb der vornehmen Wohngegend setzte ich mich in ein schlichtes Café und besah mir die Eintragung. Ich fand hineingestempelt ein Rechteck, in Felder geteilt, voller gestempelter chinesischer Zeichen, durch tintengeschriebene Zeichen ergänzt. Dass man diese verwickelten kunstgewerblichen Entwürfe auch schreiben kann! Unter dem Rechteck ist ein runder Stempel zu sehen, des Inhalts: „Ambassade de la République de Chine. Service Consulaire Rome". Auf Französisch, obwohl wir uns in Italien befanden. Aber die Chinesen können ja nicht gut all die vielen Sprachen erlernen, von denen das bisschen Europa wimmelt. Uebrigens scheint der Mann, der diesen zweiten Stempel aufgedrückt hat, auch Französisch nicht zu kennen; denn die Schrift steht Kopf. Ferner ist da noch zu lesen, ausserhalb der Stempel und handgeschrieben: „Lires it 62", was besagen will, dass eine Gebühr von 62 Liren zu entrichten ist, die ich auch tatsächlich entrichtet habe. Was in dem chinesischen Stempel, und also in dem eigentlichen Visum steht, kann ich nicht lesen und weiss ich nicht.

142

Ich weiss es nicht, aber ich unterliege bisweilen der Versuchung, mir die fremdartigen Buchstaben oder Worte, die aussehen wie Zauberzeichen, zu betrachten und dabei ins Blaue hinein zu raten, was etwa drinstehen könnte. Vielleicht steht drin: „Dieser Mann ist mit allen Zeichen der Gastfreundschaft zu empfangen, er ist zu ermuntern, sein Geld und seine Arbeit in das chinesische Land zu stecken, und wenn man genügend Nutzen aus seiner Anwesenheit gezogen hat, so ist er unerwartet und ohne seine Habe auszutreiben." Wenn das in meinem Pass stünde, so verführe China noch immer anständiger als Italien, das so gehandelt hat, ohne dergleichen irgendwo, geschweige denn in meinem Pass, anzukündigen. Aber einen solchen Inhalt traue ich den Chinesen nicht zu. Vielleicht steht drin, nach bestem oder jedenfalls besserem europäischen Muster: „Dieser Mann ist ins Land zu lassen, er darf sich vier Wochen drin aufhalten, dann muss er weiter wandern, er mag wissen, wohin er gehen soll oder nicht. Und wenn er diese Bedingung nicht erfüllt, so erklärt er sich im voraus damit einverstanden, dass er an seine sogenannte Heimat ausgeliefert wird, zu jeder beliebigen Misshandlung." Ich traue den Chinesen auch diesen Inhalt nicht zu. Sie sind keine Nachahmer wie die Japaner und brauchen sich an den gehobenen Sitten der arischen Nationen kein Beispiel zu nehmen. Vielleicht aber steht drin: „Dieser Mann ist ins Land zu lassen, darf unbehelligt darin verweilen, solange er nicht gegen die Gesetze verstösst, und er darf auf ehrliche Art sein Brot verdienen." Diesen Inhalt traue ich ihnen zu. Und wenn nicht diesen Inhalt des Visums, so diese Praxis aufgrund des Visums. Denn die Chinesen sind ein uraltes

Kulturvolk,

Philosophen

haben

sie

erzogen,

die

Pflichten

der

Gastfreundschaft stehen bei ihnen in hohen Ehren; das teuflische Gesellschaftsspiel Volkswirtschaft wird nicht bis zu ihnen gedrungen sein, und sie werden keinen Begriff haben von der neuen Staatsmoral des Abendlandes, wonach nur derjenige Fremde, den seine Zinsen ernähren, ein gewisses bescheidenes Mass von Ansehen geniesst, derjenige aber, der von seiner Hände Arbeit leben will, härter behandelt werden darf als die einheimischen Verbrecher. „Pariser Tageszeitung" vom 21./22. Mai 1939

143

Menschen und Hunde Von INQUIT

Ein rhythmisch metallisches Geräusch erregt die Aufmerksamkeit. Der suchende Blick findet ohne Mühe seine Quelle; es ist eine Schere, die beständig auf und zu klappt;

kein

zierliches

Tascheninstrument,

sondern

ein

zu

irgendwelchem

handwerklichen Behufe dienendes wuchtiges Gerät. Das Auf und Zu besorgt der Mann, gross und schwer, mit weit vorgewölbtem Bauch, ganz versunken in Fett, auch das feiste Gesicht, das fröhlich umherlächelt. Nach der Körperlichkeit zu urteilen, könnte es ihm ausgezeichnet gehen. Dem widerspricht aber die Kleidung, die dürftig und abgerissen, beinahe bettlerhaft um ihn schlottert. Ihm hängt mit einem Schulterriemen an der Lende eine alte Tasche, die vielleicht noch mehr Handwerkszeug, ausser der Schere, enthält. Darauf liegt ein Schild, dessen Inhalt den Sinn des Auftritts verrät. Dieser Mann ist ein Hundescherer. Er steht an der verkehrsreichen Stelle an der Autobushaltestelle, klappert mit seiner Schere die Vorübergehenden an, klappert in die Fahrzeuge hinein und wünscht, auf diese Weise bekannt zu geben, dass er bereit ist, den Hunden die Haare zu schneiden; man möge anhalten, sich mit ihm ins Benehmen setzen und die Zeit bestimmen zu der er kommen darf, um seinen Dienst zu verrichten. Aber niemand hält an. Gewiss muss er lange stehen und klappern, ehe er einen Kunden fangt. Die Körperlichkeit täuscht; es ist nicht das feste Fett des Wohlergehens, sondern das schwammige der Unterbeschäftigung. Vielmehr spricht offenbar das Kleid die Wahrheit; es geht ihm schlecht. Und wie sollte es ihm nicht schlecht gehen? Kennt er denn nicht die Hunde dieser Stadt, dass er sich in solch schäbigem Aufzug ihnen unter die Augen oder die Nase traut? Sieht er sie nicht daher stolzieren, erhobenen Hauptes und erhobenen Schweifes, sauber gebadet und reichlich ernährt, das Fell gestutzt und gekräuselt, gekämmt und parfümiert, geschirrt an elegante Leinen und begleitet von edlen Damen oder Herren oder von beiden zugleich, solchen, die in teuren Hotels oder eigenen Villen wohnen und über ein Auto verfugen, durch dessen Scheiben die herrschaftlichen Hunde zufrieden und selbstgefällig über die Menge hinwegblicken? Sie will der arme Mann mit der Schere bedienen, zu ihnen will er vorgelassen werden, ihnen will er die Haare schneiden, und schämt sich nicht, fast wie ein

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Vagabund daher zu kommen? Einen Smoking müsste er tragen, Lackschuhe und blütenweisse Wäsche, silberne Instrumente in kostbarem Lederetui müsste er mit sich fuhren, er selber müsste im Auto vorgefahren kommen, und mit manikürten Händen müsste er seinem Handwerk obliegen; nicht einem Handwerk, sondern einer Kunst, um bei den Hunden dieser Stadt Gefallen zu finden. Ja, wenn es Menschen wären, mit denen er zu tun haben wollte! Wer macht Umstände mit Menschen, zu unseren gesegneten Zeiten, in dieser Stadt oder in irgendeiner anderen Stadt? Menschen, die bestimmt sind, von Fliegerbomben und Giftgas hingemäht zu werden. Menschen, die Zwangsarbeit leisten, nicht weil sie sich schuldig gemacht haben, sondern weil sie Menschen sind. Menschen, die aus der Wohnung, aus der Scholle, aus dem Lande fliehen müssen, die Hilfe brauchen, vor den Geschäftsräumen der Komitees sich drängen, um Zuflucht, um Reisegeld, um Essen betteln, zu Hunderten, zu Tausenden, zu Hunderttausenden, hier und überall, gestern, heut und morgen. Die sich lästig machen und immer lästiger, weil man ihnen nicht helfen kann, selbst wenn man wollte, und weil man ihnen gar nicht helfen will. Menschen, o, sind in Massen zu haben, von Menschen wimmelt es, ihrer gibt es viel zu viel. Nichts mehr gilt der Mensch, er hat weder Wert noch Preis. Alles darf man mit ihm anstellen, was einem in den Kopf kommt und wozu man sich stark genug fühlt. Aber Umstände braucht man sich keine mit ihm zu machen. Wäre der Mann an der Haltestelle ein Menschenscherer, so könnte er sein Geschäft vielleicht auch auf so würdelose Weise betreiben. Das Dürftigste, das Schäbigste, das Gröbste und das Rücksichtsloseste wäre gerade gut genug. Aber dieser da hat es auf Hunde abgesehen. Bildet der Narr sich im Ernst ein, es genüge, mit einer plumpen Schere zu klappern und ein schmutziges Plakat zu zeigen, um sein Geld verdienen zu dürfen an Hunden, den teuren Geschöpfen? Lächerlich! „Pariser Tageszeitung" vom 4./5. Juni 1939

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Rettungsring Von INQUIT

„Uebrigens, was mich betrifft; ich mache Schluss." Er sagt das über seinem Apéritif,

mit

derselben

nüchternen

Gelassenheit,

mit

der

er

soeben

die

Schwierigkeiten und Möglichkeiten unserer Existenz, seiner und meiner, in einem langen aufschlussreichen Gespräch abgeschätzt hat. Ich erschrecke tief. Es ist nicht seine Art, sich blossem Gefühl zu überlassen, dem kein Wille entspricht; erst recht nicht, mit phantasierten Katastrophen zu prahlen und auf billiges Mitleid zu spekulieren. Wenn er, was im innersten Bezirk seines Bewusstseins vorgeht, einfach ausspricht, so hat er den Entschluss gefasst und ist mit der Vorbereitung fertig. Aber das darf doch nicht geschehen! Er nicht, dieser besondere Mensch nicht! Wo, wo, wo in aller Eile ist der Rettungsring, den man ihm zuwerfen könnte? Nicht meine Bestürzung zeigen. Damit, fühle ich wohl, verdürbe ich mir jede Chance von vornherein. Mich gelassen und nüchtern stellen wie er. So, als wäre nichts Besonderes dabei. Wie man im Felde von Gefahr und Tod als von Alltäglichkeiten gesprochen hat. „Sie gestehen also Ihre Niederlage offen ein? Sie erklären sich besiegt? Das hätte ich Ihrem Stolze nicht zugetraut." Geschickt oder ungeschickt, es ist das erste Gegenargument, das mir einfallt. Der Höflichkeit seines Herzens entspricht es, den Einwand wenigstens ernst zu nehmen. „Sieht es aus wie Eingeständnis der Niederlage? Es wäre eine falsche Auslegung. Aber mag es doch. Die Folgen der Urteile über mich erreichen mich nicht mehr. Die Wahrheit ist: Ich habe die Lust verloren, ich spiele nicht mehr mit." Fehlgegangen. mitanzusehen,

Rasch einen anderen Einwand. „Sind

wie

der

Umschwung

kommt?

Wie

Sie nicht der

neugierig,

Uebermut

der

Machtberauschten und ihres Trabantenschwarmes zusammenbricht und gedemütigt wird? Wie alle Throne, auf denen jetzt Gewissenlosigkeit und Selbstsucht prunken, wieder von den Instanzen eingenommen werden, denen es ansteht, zu herrschen? Oder glauben Sie an keinen Umschwung?" Ich ertappe ihn auf einem Lächeln, wie es ein Erwachsener sich wohl erlaubt, wenn ein junger Schwärmer auf ihn einstürmt. Aber er unterdrückt die Anwandlung

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und kehrt mir wieder seine wohltuende Aufmerksamkeit zu. „Der Umschwung steht bevor, morgen oder in zehn Jahren. Aber er kommt nicht so, dass sich das Recht einfach an die Stelle des Unrechts setzt. Vielmehr kommt er mit neuem Unrecht, neuer Gewalt, neuer Knebelung des Geistes. Er kommt mi< unabsehbar vergossenem Menschenblut. Und vor allem, er kommt nicht, ehe nicht das alte Unrecht, das jetzt triumphierende, noch mehr Triumphe der Vergewaltigung und der Zerstörung gefeiert hat. Das Mass ist noch nicht voll. Und die neuen Masse werden nicht damit eingeweiht werden, dass man sie sanfte Limonaden oder lauteren Wein spenden lässt. Mir graut vor alledem, und ich will es nicht mehr mit ansehen." Welche Veränderung eines Kämpfers! Und weiter gibt es kein Argument? Ohne Hoffnung beginne ich zum dritten Male: „Sie malen zwar schwarz in schwarz, aber ich leugne nicht, dass Sie richtig prophezeit haben könnten. Dennoch; eben diesen dunklen Möglichkeiten müssen wir uns widersetzen. Die Ueberlegung genügt nicht, dass die Gewalttat, die Roheit und die Dummheit immer da gewesen sind und immer stärker als der gute Wille der anderen. Gegen das Unrecht vergangener Zeiten können wir nicht mehr ankämpfen; gegen das Unrecht der Zukunft können wir es noch nicht. Aber das Unrecht unserer Zeit geht uns selber an. Wer soll Gegenwehr leisten, wenn nicht wir? Versäumen wir diese unsere Pflicht, so machen wir uns mitschuldig. Der blosse Abscheu spricht uns nicht frei. Auf die Gegenwehr kommt es an und darauf, dass wir nicht nachlassen. Mut ist ja nicht bei denen, die immer neue Waffen der Gewalt erfinden und bereit sind, sie anzuwenden. Mut ist bei denen, die inmitten einer Welt der Gewalttat nicht aufhören, eine Welt der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit zu wollen. Es ist auch nicht wahr, dass wir schwach sind. Freilich kann ein Wanderer, der von Wegelagerern überfallen wird, in der Einsamkeit der dunklen Nacht niedergeschlagen werden. Aber auf die Dauer sind wir die Starken und haben in einem Kampf, den wir zwei und ein halbes Jahrtausend rückwärts verfolgen können, unsere Wertungen durchgesetzt. Oder sie übersetzen sie in ihre Sprache, das heisst, in die Sprache ihres Vorteils. Aber sie kennen die Wertungen und erkennen sie an. Lieber Freund, bisher gingen Sie Hand in Hand mit allen Gleichgesinnten. Mögen ihrer auch noch so viele sein, sie reichen nicht aus. Keinen dürfen wir missen, auf jeden kommt es an. Lösen Sie sich jetzt nicht aus unseren Reihen, brechen Sie nicht die Kette, halten Sie stand." Er greift plötzlich über den Tisch und presst mit kurzem Druck meinen Arm. Dann fängt er ohne Ueberleitung an, von etwas anderem, völlig Belanglosem zu

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sprechen. Hat ihn mein Appell erreicht? Wankt sein Entschluss? Ist er vielleicht gerettet? „Pariser Tageszeitung" vom 11./12. Juni 1939

Wellenreiten Von INQU1T

Das berühmte Seebad findet es nicht unter seiner Würde, mit neuer Werbung zum Besuch anzureizen. Fs bedient sich dazu einer Reihe von Plakaten, die man in dieser Gegend an vielen Mauern kleben sieht, darstellend gewöhnlich junge Damen im Badekostüm, allein oder zu zweien, auch eine ohne jedes Kostüm, die offenbar alle in dir den Wunsch erwecken sollen, sie kennen zu lernen und also um ihretwillen das berühmte Seebad aufzusuchen; die aber zum Ueberfluss noch ungeduldig und erwartungsvoll

um

sich blicken und ganz offenbar nach einem

dämonisch

interessanten Mann oder mit anderen Worten nach dir Ausschau halten. Nebenbei: so oft ich in diesen Wochen das berühmte Seebad betreten habe, nur für Stunden und keineswegs als unternehmender Abenteurer, bin ich einer ganz anderen Art von Gästen begegnet: reiferen Herrschaften, die den Freuden dieser Welt längst entsagt zu haben schienen oder wenigstens Grund hatten, ihnen zu entsagen, ausser der einen, ihre Tage im Kasino zu verbringen und Roulette oder Trente et Quarante zu spielen. Ich zweifle aber nicht, dass die Plakate keinesfalls aufschneiden und dass die jungen begehrenswerten Damen im Badekostüm irgendwo nach dir auslugen. Nicht zu treffen erwarte ich die Figurinen eines anderen Plakates, das ebenfalls an den Mauern klebt; denn was es vorführt, ist offenbar als blosses Märchen gemeint. Man sieht da inmitten der blauen Fluten, vor der Strandkulisse des berühmten Seebades, Mann und Weib, er nur mit einem Lendenfell, sie nur mit Lendenlaub bekleidet, balancierend auf einem länglich weissem Brett, das gezogen wird von einem Delphin. Die beiden, Adam und Eva oder wer sonst, obliegen da offensichtlich dem beliebten Sport des Wellenreitens.

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Die Verbindung von Delphin, Lendenschurz und Luxusbad leuchtet nicht ohne weiteres ein; aber dieses Plakat frappiert mich, so oft ich es sehe. Denn in dem Paar auf dem Brett fühle ich uns beide getroffen. Längst und unabhängig von dem erfindungsreichen Künstler empfinde ich uns als Wellenreiter. Diesen Sport hat keiner von uns je auf harmlos sportliche Weise ausgeübt. Dennoch glaube ich von ihm zu wissen, dass er nicht anders und auch nicht schwerer sein kann, als die übertragene Art, in der wir ihn zu vollführen gezwungen sind; und ich möchte die Berechtigung des Vergleiches von Sportsleuten bestätigt erhalten. Offenbar lässt der Wellenreiter sich, zwar nicht von einem Delphin, aber etwa von einem Motorboot ziehen; er hat keinen Einfluss auf das Tempo der Jagd, nicht auf die Richtung, erst recht nicht auf den Zustand der See unter ihm; und sein Aufrechtstehen hängt davon ab, dass er mit den Schenkeln jeder Bewegung des unsicheren, schaukelnden, vorwärts rauschenden Brettes nachgibt, ja ihr mit einem gewissen körperlichen Genie zuvorkommt. Das ist genau der Sport, den wir beide treiben; nicht eigentlich als Sport, zugegeben, nämlich nicht freiwillig. Unser Motor oder unser Delphin fahrt mit uns in rasender Fahrt dahin. Das Meer unter uns ist kein sommerlich blauer Spiegel, wahrhaftig nicht, sondern ein stürmisch brausendes Gewoge. Wohin es geht, wissen wir nicht. Lenken können wir die Fahrt nicht, aussteigen erst recht nicht. Es bleibt uns nichts übrig, als uns entführen zu lassen. Und dass wir aufrecht stehen, verdanken wir unserer Kunst oder unserer Bereitschaft, jedem wilden Hinauf zum Wellenberg und jedem jähen Hinab ins Wellental mit geschickten, feinfühligen, vorausahnenden Wendungen und Beugungen zu begegnen. Sechs Jahre dauert schon die Fahrt. Vielleicht stürzen wir schliesslich doch ins Meer, trotz aller Geschicklichkeit. Vielleicht ereilt uns in dieser unbürgerlichen Stellung und bei diesem

aufregenden Sport der Tod, von dem wir früher

angenommen hatten, er würde uns hübsch bürgerlich in unseren Betten vorfinden. Vielleicht auch dürfen wir eines Tages landen, irgendwo am lockenden Gestade, das im Hintergrund des Plakates von der Sonne beschienen wird; nicht um selber Kurgast

zu

sein,

aber

wenigstens

um

ahnungslosen

Beschaulichkeit Backwaren oder Seemuscheln zu verkaufen. „Pariser Tageszeitung" vom 18./19. Juni 1939

Kurgästen

in

stiller

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Hospitality Von INQUIT

Eines Tages findet sich der Mensch wieder ein Land weiter geweht. Vielleicht klingt dieses Bild, das von Blättern und Blüten hergenommen wird, noch zu leicht und lustig. Sagen wir lieber: gespült, so wie ein Stück Holz, Rest irgendwelchen Gerätes, von unbekannten Schiffen oder fernen Gestaden herstammend, bei Ebbe am Strand zurückgeblieben. Der Mensch blickt um sich und stellt fest: dies ist England. Wie kommt er hierher? Das haben hilfreiche Menschen zuwege gebracht, die englische Hilfsbereitschaft ist auch für ihn eingesetzt worden. Das Visum steht in seinem Pass, das kostbare Dokument; sonst wäre er nicht einmal auf das Kanalschiff gelangt. Er kommt, der Ausgetriebene, als Englands Gast in des Wortes voller Bedeutung. Denn arbeiten darf er nicht, weder bezahlt noch, ausdrücklich, unbezahlt. Auch das steht in seinem Pass, zur Abrundung des kostbaren Dokuments. Hast du verstanden und ist dir bewusst, dass du nicht arbeiten darfst? So fragt ihn mit väterlicher Fürsorge der Passoffizier als der erste Engländer, der auf englischem Boden das Wort an ihn richtet; so fragen ihn seine hilfreichen Freunde, um ihn vor Schaden zu bewahren, denn bei Uebertretung würde er des neuen, glücklich erreichten Landes wieder verwiesen werden; so fragt ihn die Polizei, bei der er sich zu melden hat, die liebenswürdig weltmännische, ganz unpreussische Behörde. Nach so gründlicher Unterweisung kann der Mensch nicht umhin, ganz genau verstanden zu haben. Schliesslich, warum soll er arbeiten? So viel wissen die freundlichen Helfer, die bewilligende Zentralbehörde und die prüfenden Unterbehörden am Ende auch von den Bedingungen des Lebens, dass für einen, der nicht reich ist und der sich dennoch seinen Unterhalt nicht verdienen darf, gesorgt sein muss. Und es ist für ihn gesorgt, die Einreise wäre ihm nicht erlaubt worden, ohne solche garantierte Fürsorge, sie gehört zu den Voraussetzungen des Visums. Einer von den guten Menschen, deren es in England offenbar mehr gibt als in anderen Ländern, gewährt ihm Obdach. Und ein anderer hat es auf sich genommen, ihn zu ernähren. Er braucht gar nicht zu arbeiten, er steht im Schutze der Hospitality.

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Er blickt durch die Scheiben: Unter Baumgruppen, von Hecken gegliedert, grüne Rasenfläche, so weit das Auge reicht. Es sieht aus wie Samt, er möchte mit der Hand darüber

hin

zweistöckigen

streichen.

Nichts

verrät

die

tosende

Industriestadt

ausser

den

Autobussen, die hinein und heraus rollen, und der Kette

von

Privatwagen, die morgens die Einheimischen zur Arbeit und abends von der Arbeit bringen. Der Mensch tritt aus seinem Obdach und ergeht sich in dem freundlichen Wohnviertel. Häuschen bei Häuschen, niedlich wie aus der Spielzeugschachtel, jedes inmitten seines Gärtchens, das im Kleinen die Landschaft wiederholt: Rasen und Hecken; auch Blumen, auch Gemüse; hier und da Baumgruppen. Wer wohnt in diesen Spielzeughäusern, mit den Stübchen, den Puppenküchen, mit Bad, mit Warmwasserbereitung? In dieser unübersehbar ausgedehnten Villenvorstadt längs den sauberen stillen Strassen oder rings um verschwiegen abgelegene Plätze? Reiche Fabrikbesitzer? Nein, aber der Schlosser, der zu einer Reparatur gerufen ist, oder der Fleischergeselle, der die Bestellungen einsammelt. Kinder k o m m e n aus der Schule, der Polizist, an der gefahrlichen Kreuzung aufgestellt, leitet sie über den Fahrdamm, wie sie sich einzeln und in Rudeln an ihn hängen. Frauen machen ihre Einkäufe, Laden reiht sich an Laden, die Leute brauchen den Penny nicht umzudrehen, das Geschäft geht flott und nährt seinen Mann. Wer denkt an den fernbrüllenden Krieg, wer an die verbrecherisch aufgestörte Welt? Die Leute hier, in ihrem rhythmischen Pendelgang zwischen Häuslichkeit und Beruf, fühlen sich geborgen im glücklichen Frieden, und beides leuchtet aus ihnen, der Friede und das Glück. In eins dieser Häuser darf der Mensch eintreten. Er wird dort erwartet, die Frau des Hauses gehört zu den freundlichen Helfern, sie kämpft den Kampf gegen das ruchlos angezettelte Massenunglück in vorderster Linie mit. Sie weiss: der Mensch vor ihr hat seine Häuslichkeit und seinen Beruf verloren, sie möchte ihm für eine Stunde das Gefühl wiedergeben, er gehöre noch mit dazu, er sei kein Ausgestossener. Da ist das W o h n z i m m e r mit den Bücherregalen rings um die Wände. Da ist der Teetisch, gedeckt, Brot und Butter. Marmelade und Kuchen fehlen nicht. Da ist der Garten mit Rasenfläche, Blumenbeeten, Tennisnetz und allerlei Spielgelegenheit. Und da sind die Kinder, für die das alles sich lohnt. Die Frau des Hauses lässt den Menschen teilnehmen an ihrem Frieden und an ihrem Glück. Behutsam hält sie sich für diese Stunde fern von seinem Schicksal. Sie

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möchte ihm wohltun, sie möchte, dass er für diese eine Stunde vergisst. Sie hat ein gutes, ein hilfsbereites, zugleich tapferes Herz. Dabei singt es aus ihr. Ganz leise trällert sie vor sich hin, während sie ihn durch ihre Häuslichkeit fuhrt, gewiss denkt sie, er hört es gar nicht. Aber er hört es, er hat es längst gehört. Der Friede singt aus ihr und das Glück. Sie hat, was ihm verloren gegangen ist, unangefochten und ungefährdet. Gerade weil da einer in ihrem Hause weilt, dem es verloren gegangen ist, fühlt sie, was sie besitzt und wieviel es wert ist. Gute Menschen gibt es hier, hilfreiche Menschen, gastfreundliche Menschen. Welch ein Segen, dass es sie gibt und dass sie sich der Bosheit des Bösen entgegenstemmen. Wer wird ihnen ihr Glück missgönnen? Wie könnten sie helfen, wenn sie nicht, wenigstens sie, glücklich wären? „Pariser Tageszeitung" vom 4. Juli 1939

Blick ins Getriebe Von INQU1T

Während das englische Unterseeboot Thetis mit seinen Toten noch immer ungehoben

auf dem

Grunde

des

Meeres ruht, läuft inzwischen

schon

die

Gerichtsverhandlung, durch die alle Einzelheiten der Katastrophe erforscht und etwaige schuldhafte Verfehlungen festgestellt werden sollen. Seit Tagen berichten die Blätter über jede Aussage, und noch mindestens eine Woche lang werden die Vernehmungen weitergehen. Erst hat das Gericht die vier Ueberlebenden befragt, jetzt hört es die Kommandeure der Schiffe an, die an die Unglücksstelle befohlen worden waren und die Rettungsversuche zu leiten hatten. Dazwischen wurde die Tragödie erforscht von dem Augenblick, da die Thetis ihre Manövrierfähigkeit verlor und hilflos am Meeresgrund liegen blieb, bis zu dem Augenblick, da die Behörden von dem Unglück Kenntnis erhielten. Die geringe Möglichkeit der Rettung der Eingeschlossenen hing von der Schnelligkeit der Hilfe ab. Wenn hier etwas vernachlässigt worden ist oder nicht geklappt hat, so wären schwere Vorwürfe am

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Platze. Wie kam die Gefahr zur Kenntnis der zuständigen Stellen? Wie konnte sie dahin gelangen? Was war vorgesehen? Jedes Unterseeboot, das im Begriffe steht zu tauchen, hat der vorgesetzten Behörde durch Funkspruch mitzuteilen, dass es tauchen will, wo es tauchen will, wie lange es voraussichtlich unter Wasser bleiben wird. Den Empfang dieser Meldung muss die vorgesetzte Behörde dem Unterseeboot bestätigen; dann erst darf es tauchen. Für die Thetis waren die für die Meldung zuständigen Stellen der Leiter der Fünften U-Boot-Flotte in Fort Blockhouse und der Oberkommandierende

in

Plymouth. Ihnen meldete das Unglücksboot um 1.40 Uhr, dass es tauchen wolle und zwar auf voraussichtlich drei Stunden. Es gibt ein schwarzes Brett auf dem Fort Blockhouse, auf dem die Daten der tauchenden Boote eingetragen werden, so dass jeder mit einem Blick sich überzeugen kann, ob im Bereiche des Forts Boote sich unter Wasser befinden. Auf dieser Tafel las der diensttuende Leiter des Forts, Commander Shadwell, in Vertretung des Kapitäns Oram (der die Probefahrt mitmachte und zu den vier Geretteten gehört) Eintragungen, aus denen er entnahm, dass die neuerbaute Thetis um 1.40 Uhr unter Wasser gegangen sei und bis 4.40 wieder auftauchen müsste. So sagt er als Zeuge aus; vielleicht nicht zutreffend. Denn die Meldung der Thetis war, wie ebenfalls auf dem schwarzen Brett verzeichnet stand, beim Fort eingegangen erst um 2.06. Hatte das U-Boot also vorschriftsmässig die Bestätigung abgewartet, so könnte es nicht vor 2.06 unter Wasser gegangen sein und wurde nicht vor 5.06 überfällig. Indessen auch Plymouth musste ja die Meldung empfangen haben, und eine Bestätigung konnte von dort ergangen sein. Dieser Punkt ist noch ungeklärt, der Präsident bezeichnet ihn als das fehlende Zwischenglied, „the missing link". Commander Shadwell fand die Meldung erst um 4.15; denn bis dahin war er selbst dienstlich auf See gewesen. Er jedenfalls nahm an, dass um 4.40 die Tauchzeit abgelaufen wäre, und so dachten auch andere Dienststellen des Forts; denn fünf Minuten später, um 4.45, meldete der diensthabende Signaloffizier, dass keine Nachricht vom Wiederauftauchen der Thetis vorliege. Er habe bereits angeordnet, dass das U-Boot alle zehn Minuten drahtlos angerufen werde, und Commander Shadwell billigte die Massnahme. Von diesem Augenblick an ging die Verantwortung im Fort Blockhouse auf den nächsten Zeugen über, Commander Fawkes, der die Admiralität vertrat. Er

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informierte die vorgesetzten Stellen, darunter die Admiralität und Plymouth. Die Rettungsaktion in Gang zu setzen war aber auch seine Sache nicht, sie oblag vielmehr dem Oberkommandierenden von Plymouth. Aber, sagt der Zeuge aus, da er selbst der Sachverständige für U-Bootfragen war, so hatte er Plymouth zu beraten. Dabei setzte er voraus, dass seine Vorschläge befolgt werden würden. Und er fugt hinzu: Wären vom Oberkommandierenden in Plymouth Anordnungen getroffen worden, die er, Zeuge, für falsch hielt, so hätte er sich nicht gescheut, dem Vorgesetzten gegenüber seine Meinung zur Geltung zu bringen. Im Telephongespräch mit Plymouth erfuhr er vom Stabsoffizier des dortigen Oberkommandierenden, Commander Bayne, dass sich das Schiff Brazen in der Nähe der Thetis befinde und hinbeordert werden könne. Commander Fawkes war der Meinung, dass man noch nicht ernstlich an Gefahr zu denken brauche, da ja auch die Tauchmeldung der Thetis mit Verspätung eingelaufen war; dass man keine vorzeitige Beunruhigung hervorrufen solle; und dass, wenn man die Brazen benachrichtige, man es jedenfalls chiffriert tun möge. Tatsächlich gab Plymouth, nach Verständigung mit der Admiralität, um 6.22 der Brazen chiffriert die Ordre, sich an die Tauchstelle der Thetis zu begeben. Etwas später wurde in einer zweiten Ordre die Brazen zur höchsten Eile angetrieben. Dann wurde das Küstenkommando der Flieger alarmiert, und endlich die Rettungsaktion in Bewegung gesetzt, die für UBootUnfälle vorgesehen ist und wie automatisch abläuft. Denn inzwischen war ein neues Alarmsignal eingetroffen; ein undeutliches, das aber die Verantwortlichen um so mehr beunruhigte: Den Tauchversuch der Thetis begleitete ein Schlepper Grebecock, und auf ihm befand sich als sachkundiger Offizier Lieutenant Coltart. Der fragte von seinem Ueberwachungsschiff aus, wie lange denn die Thetis tauchen wollte. Er fragte um 3.45, also zu einer Zeit, da die Thetis noch nicht aufzutauchen brauchte. Aber sowohl die Verantwortlichen von Fort Blockhouse als auch der von Plymouth fanden diese Anfragen seltsam und beängstigend. Dennoch antwortete Commander Shadwell nichts als: die Thetis sei um 1.40 auf drei Stunden unter Wasser gegangen. Auf die Frage des Gerichts, warum er seiner Besorgnis keinen Ausdruck verliehen und den Lieutenant Coltart nicht um nähere Angaben ersucht habe, vermag der Zeuge keine genügende Erklärung zu geben. Die Anfrage des Begleitschiffes Grebecock, wenn sie rechtzeitig eingegangen wäre, hätte also die Aufmerksamkeit der verantwortlichen Stellen schon etliche

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Stunden

früher erregen

können,

womit

vielleicht

auch

die

Rettungsaktion

entsprechend früher in Gang gesetzt worden wäre. Aber über Lieutenant Coltarts Botschaft waltete ein Unstern: Sie ging nach der Radiostation Seaforth, von da als gewöhnliches Telegramm nach dem Postamt Gosport. Dort traf sie um 5.38 ein. Aber da die Depesche keinerlei Bezeichnung als dringlich oder dienstlich trug, so blieb sie eine halbe Stunde liegen. Erst um 6.07 schwang sich der Telegraphenbote auf sein Fahrrad und brachte die Nachricht Ein seinen Bestimmungsort. Ehe man im Fort Blockhouse von Lieutenant Coltarts Besorgnis wusste, war es viertel sieben Uhr geworden. Vermutlich hätten diese zwei Stunden die Mannschaft der Thetis auch nicht gerettet. Immerhin: hier ging etwas nicht, wie es sollte. Aber nicht dies ist es, was den beobachtenden Fremden fesselt und überrascht. Die da vor dem Tribunal erscheinen, werden in den Zeitungsberichten harmlos als „Zeugen" bezeichnet. Aber es sind ja die handelnden und verantwortlichen Marineoffiziere selbst. Unbefangen enthüllen die Engländer vor der Oeffentlichkeit ihres Volkes und damit vor der Weltöffentlichkeit das vielgliedrige Triebwerk ihrer Marineverwaltung ohne Sorge, es könne ihnen bei dieser Gelegenheit jemand etwas abgucken; ohne Angst davor, dass bei dem einen oder anderen der verantwortlichen Offiziere oder bei der einen oder anderen Behörde am Ende Unzulänglichkeiten oder Pflichtverletzungen an den Tag kommen. Welch eine Selbstsicherheit! Welch ein Bewusstsein des eigenen Wertes! Wäre irgendeine von den diktatorischen Mächten, bei aller Krafthuberei, so stark, dass sie sich eine ähnliche Offenheit gestatten dürfte? „Pariser Tageszeitung" vom 19. Juli 1939

Fernsehen Von INQU1T

Das englische Publikum und infolgedessen die englische Presse beschäftigen sich gern mit der Frage, wann unsere technische Fähigkeit, in die Ferne zu sehen, so weit entwickelt sein wird, wie unser Vermögen, in die Ferne zu hören; so dass wir die

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tägliche

Bildsendung entgegennehmen können wie heutzutage alle Welt die

Tonsendung empfangt. Die Aufgabe steht offenbar vor ihrer Lösung. Schon gehört in den Tageszeitungen das fernübertragene Photo zu den Selbstverständlichkeiten. Wer von uns noch ein paar Jahre lebt, der darf hoffen, den Tag zu erleben, da er von seinem Sessel im Wohnzimmer aus ein Schauspiel nicht nur mit seinen Geräuschen übertragen hört, sondern es auch an seinem Auge vorbeiziehen sieht. Schon machen die Kinobesitzer sich Sorgen, die neue Erfindung werde die Filmtheater ausschalten; so wie vor zwanzig Jahren die Theaterdirektoren Zeter schrien, die Kinos fingen ihnen das Publikum weg. Und schon, wie damals, sind die Fachleute auf dem Plan, mit beruhigenden Versicherungen, das eine habe mit dem andern nichts zu tun, und die Kinos würden dennoch voll sein. Jetzt hat der Generaldirektor des englischen Rundfunks, Mr. Ogilvie, sich über die Aussichten des Femsehens geäussert. Er tat es während eines offiziellen Besuches, den er einer seltsamen Einrichtung abstattete, nämlich der Sendespiel-Schule (Radio Drama School) von Wales, der ersten dieser Art in England. Nach seiner, ja wohl autoritativen Meinung, sieht die nächste Entwicklung so aus: Man ist aufs eifrigste bemüht, das Fernseh-Netz auszubauen, was bedeuten würde, dass man von überall her den Vorführungen beiwohnen kann, die im Londoner Alexandra Palace veranstaltet werden. Noch sind manche Schwierigkeiten zu überwinden, teils technischer, teils finanzieller Art. Die allgemeine Einführung des Fernsehens wird immerhin einige Millionen Pfund erfordern. Die Kosten hängen wesentlich

davon

ab,

wie

billig

die

Postverwaltung

die

zur

Uebertragung

notwendigen Kabel vermietet. Darüber sind noch keine Abmachungen getroffen. Die erste Fernseh-Linie wird zwischen London und Birmingham eingerichtet werden, nicht aus Vorliebe für diese Stadt, sondern aus technischen Gründen. Auf den Vorhalt, dass auch Manchester dringend

nach einer Fernseh-Linie

verlange,

erwiderte der Generaldirektor: „Je lauter der Ruf, desto lieber ist es uns." Zunächst müsste das Geld zur Verfügung gestellt werden. Die Einrichtung von Bezirkssendern wie beim Rundfunk gehört zu den Fragen, die gegenwärtig gestellt werden; aber für die nächsten Jahre ist dergleichen noch nicht zu erwarten. Soweit Mr. Ogilvie. Wer, der dem heute lebenden Geschlecht angehört, wundert sich noch? Wundern werden wir uns gar nicht, wenn wir eine Fernseh-Vorrichtung zu kaufen bekommen, so wie jetzt einen Fernhör-Apparat. Höchstens darüber wundern wir uns, dass die Technik so langsam vorankommt und uns nicht einfach die Bequemlichkeit zur

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Verfugung stellt, mit jedem, der über die gleiche Vorrichtung verfugt, in eine Augenverbindung zu treten, so dass man sich nicht nur unterhält wie durchs Telephon, sondern sich auch sieht, und nicht nur gegenseitig, sondern auch was um einen her vorgeht. Dahin haben wir es gebracht oder werden es dahin bringen. Aber seien wir nicht übermütig! Das alles samt Bombenfliegern, Steilgeschützen, Tanks und motorisierter Infanterie spielt sich im Räume ab. Im Räume sind wir Meister, und es besteht kein Zweifel darüber, dass wir im nächsten Krieg Schlachten mit Granatengeheul und Todesröcheln als Radiosendung mit Ansager zu hören bekommen, und wenn der Krieg lange genug dauert, auch als Fernseh-Schauspiel. Aber gar nichts vermögen wir mit unseren Erfindungen der Zeit anzuhaben. Und dabei ist doch das, was uns nottut, nicht, dass wir von Manchester oder Birmingham nach London sehen können, sondern von heute bis ins nächste Jahr oder auch nur in den nächsten Monat. „Pariser Tageszeitung" vom 25. Juli 1939

Adam Von INQUIT

Blackpool in der englischen Landschaft Lancaster ist das Seebad der Massen, des kleinen Mannes, der sein Weekend mit Kind und Kegel in der Natur verbringen will, des geräuschvollen Betriebes, von dem auch Angehörige der oberen Kreise angezogen werden, die entweder amüsiert zuschauen, oder unbefangen mitmachen. Mitten hinein in diesen Volkspark hat ein wagemutiger oder einfach nur findiger Unternehmer eine Schau gestellt, von der jeder Engländer sagen würde, und viele auch sagen, dass sie Uberall sonst hinpasse, nur nicht nach Blackpool. Der Unternehmer zeigt nämlich dort ein Meisterwerk moderner Bildhauerkunst, um das der wilde Streit der Meinungen entbrannt ist. Der Streit geht gerade darum, ob man da ein Meisterwerk und überhaupt ein Werk der Kunst vor sich habe. Im Dritten Reich wäre der Fall rasch entschieden: Man würde von oben her die Skulptur als

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entartet brandmarken. Aber in England lässt sich ja keine Frage durch Machtspruch von höchster Stelle lösen, also auch keine Frage der Kunst. Der Schöpfer des Werkes ist der Bildhauer Jacob Epstein; Jude; in den Kunstkreisen der ganzen Welt geschätzt; in England hochberühmt, dazu populär. Als er von dem Plan vernahm jener Unternehmer wolle die Figur in Blackpool zur Schau stellen, war er zuerst empört. Aber dann sagte er sich: Warum nicht Blackpool? Warum nicht mitten unter dem Volk? Wenn ich das ausgedrückt habe, was ich habe ausdrücken wollen, dann muss ich auch von dem Blackpooler Weekend-Publikum verstanden werden. Uebrigens versicherte er, dass er seine Schöpfung längst verkauft habe, mit allen Rechten, zu sehr viel niedrigerem Preise als bei dem letzten Besitzwechsel genannt wurde; dass er also mit dieser Schaustellung nichts zu tun habe und erst recht nicht an den Einnahmen beteiligt sei. Zum Tage der Eröffnung hatte die Presse ihre Berichterstatter und Photographen entsandt. Zeitungen verfehlten nicht, Aeusserungen wiederzugeben, die man aus dem Munde der Neugierigen und Opferwilligen - denn es kostet einen Schilling aufgeschnappt hatte. Einer meinte, und erwies sich damit als guter Engländer : ,,Wenn das in dem Bildhauer vorgegangen ist, muss er das Recht haben, das auszudrücken. Aber uns soll mein nicht einreden wollen, dass es schön ist." Einige, wie es nicht anders sein kann, übten ihren Witz an dem seltsamen Anblick. Eine Frau bemerkte: „Erst hat es mich erschreckt. Aber ich komme nicht los davon, und allmählich beginne ich zu verstehen." Auf den überall veröffentlichten Photographien sieht man ein plump wuchtendes Gefüge von Gliedmassen, die zusammen einer Überlebensgrossen menschlichen Gestalt sich zu nähern suchen, Arme und Hände krampfen sich vor der Brust. Das Haupt, vom Rumpfe kaum gelöst, ist so weit in den Nacken gebeugt, dass das grobflächige, langgezogene Antlitz waagerecht zu liegen kommt. Dass der Koloss schön sei — was man im landläufigen Sinne schön nennt — das kann man wirklich niemandem einreden. Was hat es auf sich mit dem ersten Menschen der Bibel? Aus dem Erdenkloss wurde er geformt, und Gottes Odem wurde ihm eingeblasen. Dieser hier hat noch kaum aufgehört, ein Erdenkloss zu sein. Er ringt mit seinem Ursprung und sucht ihn zu überwinden - auf eine geniale Weise ist es fühlbar gemacht. Er ist weit entfernt von der Schönheit, zu der des Menschen Leib erblühen kann. Aber er ringt, er ringt.

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Und schon wendet sich sein Antlitz nach oben. Es wendet sich zum Himmel in einer Hilflosigkeit, die ergreift und rührt. Noch fest verhaftet im Irdischen, beinahe noch nichts anderes als ein Klumpen Erde; aber Gottes Odem bricht aus ihm zu brünstiger,

vielleicht

hoffnungsloser, aber nie zu stillender

Sehnsucht

nach

himmlischer Reinheit und Klarheit. Die Sprache der Bildhauerei, im Gegensatz zu der landläufigen Meinung über sie, gehört zu den sprödesten und am schwersten verständlichen. Noch dazu ist das Geschlecht von heute sehr wenig geübt im Verständnis dieser Sprache, obwohl unsere Städte mit Monumenten gespickt sind. Aber dann muss man sich eben um Verständnis bemühen. Bei diesem Werke lohnt sich die Mühe. Schliesslich ist es ein Mann von heute, der sich da des harten Steines bedient. Und er handelt von der wesentlichen Frage unserer Zeit. Es wäre gut, wenn er damit nicht erst zu irgendeiner Nachwelt spräche, sondern zu den Menschen von heute, die es auf schicksalsvolle Weise nahe angeht. Am Ende war es ein guter Gedanke, Jacob Epsteins Adam mitten in den Rummel von Blackpool zu setzen. „Pariser Tageszeitung" vom 30./31. Juli 1939

Dienstverweigerer in England Die erste Gerichtsverhandlung über die „conscientious objectors" Von INQUIT

Was würden sie im Deutschland von heute mit einem Menschen anstellen, der sich einfallen Hesse, zu erklären, sein Gewissen verbiete ihm, Waffen zu tragen oder auch nur auf den Waffendienst sich vorzubereiten? Es ist nicht auszudenken; aber man braucht es sich nicht erst auszudenken. In England werden Menschen, die aus Gewissensskrupeln den Kriegsdienst verweigern, die „Conscientious Objectors", nicht beschimpft und nicht gezwungen, sondern zunächst einmal angehört. Denn in England gilt das religiöse Gebot, den Nächsten zu lieben und ihm Gutes zu tun, als verpflichtend. Es ist das Land der

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Puritaner, die den Willen hatten, eine Grossmacht nach dem Beispiel der Heiligen Schrift zu formen, und der Quäker, die ihr göttliches Vorbild lebendig zu machen suchen in jedem ihrer Anhänger und in jeder Zeit, also auch in unserer unseligen Zeit. Wenn nun in diesem Lande des Glaubens sin die Gültigkeit der Moral jemand erklärt, es widerstreite seinen Grundsätzen, Gewalt mit Gewalt zu erwidern, wie wird man sich verhalten, nachdem die Wehrpflicht durch Gesetz allgemein geworden ist? Schliesslich begreift man auch in England, dass man nicht jedem feigen oder faulen Burschen gestatten darf, sich, unter Berufung auf sein Gewissen, von

der

Pflichterfüllung zu drücken. Es genügt also nicht, dass jemand behauptet, das Gewissen verbiete ihm den Kriegsdienst; die Behauptung muss vielmehr vom Staate anerkannt sein. Dann erst gilt sein Einspruch als ein ihm zustehendes Recht und sein Name kommt auf die Liste der Dienstverweigerer. Um nun diese Entscheidung zu treffen, sind Gerichte niedergesetzt worden. Das erste davon hat jetzt getagt, und die Zeitungen berichten darüber. Die Zusammensetzung einer solchen Kammer: der Vorsitzende ein Berufsrichter; die Beisitzer ein früherer Universitätsprofessor, ein früherer städtischer Angestellter, ein

früherer

Bürgermeister,

ein

Gewerkschafisbeamter.

Abgesandte

der

Friedensgesellschaften und religiösen Orden wohnen den Verfahren bei. Die einzelnen -

wenn man so sagen will, Angeklagten dürfen ihren

Sachwalter

mitbringen, es kann der eigene Vater sein. Das Gericht prüft die Ernsthaftigkeit der Gewissensbedenken, es vernimmt darüber Zeugen. Dann berät es und fallt seinen Spruch. Wenn es entscheidet, der Dienstverweigerer solle auf die Liste gesetzt werden, so kann es das unter Bedingungen tun; dass er in ein Arbeitslager geht; oder dass er bei seiner Berufstätigkeit bleibt, wenn sie für kriegswichtig gehalten wird. Das Arbeitslager beschwichtigt die Bedenken noch nicht ohne weiteres; es muss erst versichert worden sein, dass der Eingezogene dort nicht unter militärischem Kommando stehen wird. Die sich zu verantworten haben, sind begreiflicher Weise junge Burschen. Einer gehört zu einer Sekte solcher, die auf baldige Wiederkunft des Herrn Jesus Christus warten und auf die Errichtung seines Reiches auf Erden. Inzwischen nehmen sie keinen Teil an der Politik oder an irgendeiner Art von Militärdienst. Von zwei Zwillingen

ist einer

in einem

Kaufmannsladen angestellt — er kommt

ins

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Arbeitslager; der andere verdient sein Geld in einer Motorfabrik - ihm wird auferlegt, bei seinem Beruf zu bleiben. Einer gehört zu den „pazifistischen Christen". Seine Begründung, die anerkannt wird, lautet: „Wenn ich mich bereit fände, den Kriegsdienst zu lernen, so würde ich ein Heuchler werden". Die meisten Verweigerer berufen sich auf religiöse Bedenken. Aber einer in dieser ersten Verhandlung, Angestellter einer Gasgesellschaft, hat eine andere Rechtfertigung. Er sagt: „ Ich möchte meiner Liebe zu meinem Geburtslande Ausdruck geben, das mir sehr teuer ist, und meiner Hochschätzung fUr die edle Ueberlieferung der

Gedankenfreiheit

und

der Toleranz,

die

uns durch

die

Jahrhunderte überkommen ist. Ich möchte diese hohen Werte aufrecht erhalten und nach meinen Kräften durch persönliche Dienstleistung daran mithelfen. Aber ich bin der Meinung, durch Gewalt können sie nicht aufrecht erhalten werden." Er wünscht sich eine sozialistische Regierung, die für das allgemeine Wohl wirkt; dann würde er gern freiwillig mitarbeiten an einer nützlicheren Stelle als an der er jetzt steht. Aber auch unter einer sozialistischen Regierung würde er sich zum Militärdienst nicht bereit finden. Auch er dringt mit seinem Einspruch durch. Wenn sie davon in Deutschland lesen, wie werden sie sich in ihrer Nazi-Presse lustig machen! Denn es geht nicht in ihre Köpfe, dass ein moderner Staat, der eine Weltmacht ist und zu bleiben wünscht, und der aus allen seinen Kräften zur kriegerischen Abwehr rüstet, dennoch sich wohlweislich hütet, die leise Stimme des Gewissens zu überdröhnen, die in einigen seiner Volksgenossen klingt, und gewiss nicht in den schlechtesten. „Pariser Tageszeitung" vom 4. August 1939

Zwischen Manchester und Halle Von INQUIT

Während die Weltgeschichte ihren Lauf nimmt; eigentlich gesprochen: während jene lärmende Prügelei zwischen Zufall, Torheit, Roheit, Leidenschaft und gutem Willen sich vollzieht, die hinterher, zum Erstaunen der Zuschauer, sich als

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Weltgeschichte herausstellt grosspurigen

scheint das wirkliche Leben an diesem ganzen

Gehaben ruhig vorbeizufliessen. Die Kinos spielen;

Angestellte

bekommen Urlaub und reisen in die Sommerfrische; es wird geliebt, es wird geheiratet;

es

wird

auch

gestorben,

als

stünden

nicht

die

spannendsten

Entscheidungen vor der Tür. Und während die deutschen Zeitungen den Hass auf England und die Geringschätzung Englands demonstrieren und propagieren, hat eine Gruppe deutscher Schuljungen aus Halle, „in Sachsen", wie die englische Zeitung hinzufügt, seelenruhig und arglos einen vollen Monat im Lande des angeblichen Feindes verbracht, in der Stadt Manchester, als Gäste in den Elternhäusern der Jungen einer höheren Schule. Sie nahmen am Leben der Familien teil, wohnten den Abschlussfeiem des Semesters bei, sahen die Stadt und um sie das weite Land. Sie wurden

auch

in die

Bibliothek

gefuhrt, zu

alten

deutschen

Büchern

und

Manuskripten. Schliesslich verliessen sie Manchester, um noch ein paar Tage in London zu verbringen. Die Heimreise werden sie nicht allein antreten, sondern es wird eine Gesellschaft englischer Boys zu ihnen stossen aus einer anderen höheren Schule Manchesters, die wiederum einige Wochen bei deutschen Familien in Halle verbringen sollen. Ihnen sind zugedacht Ausflüge nach Dresden und Berlin, nach der Sächsischen Schweiz, nach Sudetenland und in den Harz. Und also, was auch die Zukunft bringen mag; auf dem Wege über die Schuljugend werden wenigstens einige Familien in Halle über einige Familien in Manchester richtigere und ohne Zweifel günstigere Belehrung geschöpft haben, als ihnen aus den kommandierten Zeitungen zugeflossen wäre. Was die englischen Kinder und auf dem Weg über sie die englischen Familien in Manchester über die Hallenser erfahren werden, lässt sich nicht ebenso sicher voraussehen. Vielleicht werden sie ihre Vermutung bestätigt finden, dass die NaziRegierung und die Nazi-Partei nicht das deutsche Volk sind. Im übrigen haben sie die Aufklärung durch den Augenschein nicht so nötig wie ihre

deutschen

Kameraden, da die Vorstellung, die sie von den Deutschen hegen, nicht durch eine Hetzkampagne entstellt ist. Sie werden nicht unwissend über Deutschland nach Halle kommen. Und etwa den Harz kennen sie sogar sehr gut, auch ohne dort gewesen zu sein. Denn, bemerkt die englische Zeitung, der Harz ist wahrscheinlich diejenige Gegend Deutschlands, die englischen Schuljungen am besten bekannt ist. Wodurch? Durch den, sagt die englische Zeitung, , jetzt verleugneten deutschen Dichter Heine" (through the now disowned German author Heine).

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Richtig, richtig. Es gibt ja die „Harzreise" von Heine, jene übermütige, heute wie je unwiderstehlich komische Farce einer sommerlichen Wanderung. Wer denkt im Lärm der Weltgeschichte daran? Und richtig, richtig - wie sollten wir uns seiner mitten im Strudel der Emigration erinnern? Es gibt ja den deutschen Dichter Heinrich Heine; ihn, der das deutsche poetische Schaffen beeinflusst hat wie vor ihm nur Schiller; der mit seinem Lebenswerk die Kunde von der deutschen Literatur ins Ausland getragen hat wie nur ganz wenige neben ihm. Seiner Wirkung und seines Ruhmes sich zu schämen und ihn zu „verleugnen", deutlicher gesagt: ihn um jede literarische und menschliche Ehre zu bringen, hatten die Deutschen schon vor Hitler begonnen. Der erste vertriebene Jude war der tote Heine, und wenn wir feinhörig gewesen wären, hätten wir aus der Geschichte seines Andenkens schon erfahren können, was da kommen würde. Heute steht zwar seine „Loreley" noch in den nazideutschen Singbüchern, aber sein Name wird unterschlagen. Dass es einen deutschen, in der Welt berühmten Dichter Heinrich Heine gegeben hat, weiss die heutige deutsche Schuljugend wahrscheinlich nicht mehr, wenn sie es nicht heimlich und verbotenermassen weiss. Lustig, sich vorzustellen, dass die englischen Boys in Halle mit ihren deutschen Kameraden von diesem Dichter, dem Verfasser der von ihnen in der Schule gelesenen „Harzreise", sprechen wollen und dabei erfahren, dass es keinen solchen deutschen Dichter gibt. Wie können sie sich gegenseitig überzeugen? Die Engländer weisen ihre Schullektüre vor; aber die ist englisch. Die Deutschen finden keinen Heine in ihrer Schulbibliothek, in ihrer Stadtbibliothek, in ihren Buchhandlungen. Vielleicht in Vaters Bücherschrank, wenn er je da gestanden hat und wenn er da stehen geblieben ist. Aber sorgen wir uns nicht zu sehr wegen der Weltgeschichte, die gerade vorgeht. Es sind nicht nur die englischen Schulboys, die von Heine wissen; und es ist nicht nur die „Harzreise", mit der er weiterlebt. Eines Tages wird der Spuk vorbei sein, und dann wird auch er wieder auftauchen, der Verschmähte und Verjagte. Er wird da sein, mitten in Deutschland, mit gewichtigeren

Werken als seinem

lustigen

Reisefeuilleton, dem Vorläufer ungezählter anderer, aber nicht ebenso gekonnter Feuilletons. Er wird da sein mit den Balladen; mit den späten Leidensgedichten; vor allem mit den prophetischen, nach hundert Jahren unveralteten politischen Visionen „Atta Troll" und „Deutschland". Er wird da sein als einer, der Deutschland kannte

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und erkannte, vor hundert Jahren; das schlimme Deutschland, das er bekämpfte, und das bessere Deutschland, für das er kämpfte. Gewiss wird dann auch der Kampf um Heine wieder anheben, als Zeichen seiner Lebendigkeit. Denn er wird länger leben und sich als stärker erweisen als jene, deren Hass versucht hat, seinen Namen in Deutschland auszulöschen. Aber nicht nur der Kampf um ihn; sein eigener Kampf wird weitergehen, der Kampf gegen das schlimme für das bessere Deutschland. Und mit ihm die Hoffnung, einmal im Laufe der Weltgeschichte werde das bessere Deutschland siegen. „Pariser Tageszeitung" vom 10. August 1939

Wettbewerb in Wales Von INQUIT

Von den alten Kelten, ihren Sitten und Gebräuchen und ihrem Charakter hat der selige Julius Cäsar

uns Kunde gegeben, auf dem Wege über höchst qualvolle

Lateinstunden. Die Kelten waren es, gegen die er zu kämpfen hatte, als er für den Machtzuwachs der römischen Republik, oder eigentlich zur Begründung seines Ruhmes Gallien eroberte. Und nicht minder traf er sie an, als er waghalsig nach Britannien übersetzte. Seither haben mancherlei Ereignisse ihren meist blutigen Weg über sie hinweg genommen. Was Britannien angeht, so kamen erst die Angeln und die Sachsen, dann Dänen, dann Normannen. Für die jeweiligen Zeitgenossen bedeuteten diese Ankünfte und Einbrüche keinen Spass; aber das Ergebnis ist die englische Nation, die ein Weltreich begründet hat, wie es vor ihm keines gab. Seltsamer Weise sind die Kelten über so viel Weltgeschichte nicht einfach verschwunden. Es gibt sie auch heute noch, mitsamt ihrer keltischen Sprache, sogar in mehreren Dialekten, deren wichtigster das Welsche ist, englisch welsh. Und sie sitzen auch heute noch in eigenen Gebieten; nämlich in der französischen Bretagne und namentlich in der englischen Landschaft Wales. Das ist nicht irgend eine englische Landschaft; sondern

nach alter Ueberlieferung trägt der jeweilige

Thronerbe Englands den Titel Prince of Wales.

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Gegenwärtig gibt es keinen Prinzen von Wales, weil es keinen männlichen Thronerben gibt. Und so konnte keiner dem Nationalfest seines Landes beiwohnen, das alle zwei Jahre stattfindet und soeben eine Woche lang in Denhigh gefeiert worden ist. Der Name dieses Festes lautet „Eisteddfod" ein keltisches Wort (von der Aussprache ganz zu schweigen), das so viel bedeutet wie Wettbewerb. Denn um einen harmlosen Wettbewerb handelt es sich dabei im Wesentlichen; einen Wettbewerb der Musik und der Poesie. Für den Sieger ist eine Krönung vorgesehen, und für einen anderen Sieger ein Ehrenplatz (chair). Zur Enttäuschung der Teilnehmer und Zuschauer wurde diesmal keiner der beiden Hauptpreise zuerkannt; und so unterblieben auch die damit verbundenen Zeremonien. Indessen da die Beweggründe idealer Natur waren, weil nämlich die Leistungen den Ansprüchen der Richter nicht genügten, so findet die Gewissenhaftigkeit Zustimmung. Es blieb noch genug zu sehen an Massenversammlungen, Blumentänzen und feierlichen Umzügen, mit den „Druiden" in altertümlicher Priestertracht, an ihrer Spitze ein hochehrwürdiger „Erzdruide". Vielleicht wirkt das auf den Unbeteiligten ein bisschen wie Maskerade und Schauspielerei; aber die Waliser nehmen das Fest ernst, und die Engländer folgen ihm mit beifälligem Interesse. War doch auch diesmal die königliche Familie vertreten in der Person des Bruders der Königin-Mutter, Earl of Athlone mit seiner Frau, und richtete doch Lady Athlone das Wort an die Versammelten, wobei sie ein paar Worte auf welsch anfügte. Und trat doch als Redner kein geringerer auf als der alte Lloyd George, selbst ein Waliser, der, versteht sich, von Anfang bis Ende welsch sprach. Er nahm die Kelten gegen den Vorwurf der Wankelmütigkeit und Unbeständigkeit in Schutz und bezeichnete unser aller Furcht vor der nächsten Zukunft mit dem welschen Sprichwort: Das Morgen ist ein Fremder. Die Leute fanden seine Ansprache so schwungvoll und poetisch, dass sie meinten, er hätte den Poesie-Preis verdient. In Wettbewerb traten: Schauspiele; Lyrik; Prosaerzählungen, alles in welscher Sprache.

Es

gab

sogar

ein

Wettdichten

nach

gestelltem

Thema

und

in

vorgeschriebener Frist. Nicht weniger als 35 Festgenossen fühlten sich fähig, binnen 15 Minuten ein Gedicht in welscher Sprache zustande zu bringen. Andere Wettbewerbe waren musikalischer Art. Mein stritt in Chorgesängen miteinander, Männerchöre, Frauenchöre, Kinderchöre, gemischte Chöre. Händeis „Messias" wurde vorgetragen. Und es rangen um die Palme Spieler und Spielerinnen auf dem Waliser Nationalinstrument, der Harfe.

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Schliesslich hatte die Veranstaltung auch den Charakter eines Kongresses, und so fehlte es nicht an Vorträgen mit angeschlossener Diskussion. Und hier, wie es zu gehen pflegt, warf sich die Gesinnung in die Brust, die aufrechte, echt welsche Nationalgesinnung, und hier, so will es dem fremden Beobachter scheinen, geriet das hübsche Spiel in Gefahr seine Harmlosigkeit einzubüssen. Es handelte sich um die gegenwärtigen Nöte und Schwierigkeiten der welschen Literatur, die zwar über eine eigene Zeitschrift verfugt, aber der zu einer wirklichen und ernsten Literatur noch manches fehlt. Es trat einer auf, der die Meinung hören Hess, die Frage der Literatur sei eine politische Frage. Es könne keine welsche Literatur geben, solange es keine welsche Nation gebe, die an ihre eigene Zukunft glaubt und sie will. Eine zweisprachige Nation werde überhaupt keine ernste Literatur hervorbringen. Sie brauche ein welsches Erziehungssystem und eine welsche Regierung. Eine Dame, Romanschriftstellerin, stimmte bei, indem sie den Mangel an Einigkeit der Waliser für die Mängel in ihrer Literatur verantwortlich machte. Und noch ein Redner verlangte, dass auch die wissenschaftliche und philosophische Literatur auf welsch geschrieben werde. Wo haben wir doch diese Töne schon gehört? Haben wir sie in unserem unseligen Europa nicht immer wieder gehört? Und sind sie nicht oft genug der Auftakt gewesen zu einer Musik, die schliesslich sehr schrill in die europäischen Ohren geklungen hat? Auch anderswo fing es harmlos an mit der Pflege irgendeiner Eigenart, Literatur und Sprache. Und dann stieg die Flut. Und dann entdeckte irgendein unbedeutender und einfallsloser Seiss-Inquart, Henlein oder Forster, dass es sich auf dieser Woge trefflich schwimmen lasse. Und eines Tages ging die nationale Sprengladung in die Luft. Die Engländer hegen keinen solchen Argwohn in Bezug auf die guten Waliser. Als der Vorsitzende den ersten Redner fragte, ob er sich denn ein einsprachiges Wales vorstellen könne, antwortete der zwar: Warum nicht? Aber ihm entgegnete ein anderer, ein einsprachiges Wales dürfe ja wohl nur ein englisch sprechendes Wales sein. Und obwohl Waliser aus aller Welt zu diesem ihrem Nationalfest kamen, scheint ein politischer Abenteurer nicht darunter gewesen zu sein. „Pariser Tageszeitung" vom 17. August 1939

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Autorität und Tradition Von INQUIT

Böse Zeiten voll Kriegsfurcht und Unsicherheit sind nicht eine Errungenschaft unserer aufgeklärten Tage; es gab das alles auch früher schon, viel früher, etwa als die Angelsachsen nach Britannien gekommen waren und anfingen, sich dort heimisch zu fühlen. Und auch damals schon sannen vorsichtige Leute darüber nach, wo sie ihre Habe, oder den kostbaren Teil davon - worunter man damals verstand Gold und Silber - in Sicherheit bringen könnten, bis die Gefahr vorüber wäre und sie sich ihres Besitzes wieder freuen dürften. Eigentlich kannte man nur eine Art, das Seine vor den Feinden zu bergen; man vergrub seinen Schatz, heimlich unter dem Schutze der Nacht, in der Erde oder in Mauerwerk. Da ruhte er denn wohlverwahrt, einen Monat, ein Jahr, viele Jahre. Und wenn der Eigentümer seine Zeit tiir gekommen hielt, so grub er sein Vermögen wieder aus und trug es zurück zu sich und den Seinen. Nun konnte es geschehen, dass so ein verborgener Schatz zufallig gefunden wurde, von einem anderen als dem Eigentümer. Dann, das ist klar, hatte der Finder ihn dem rechtmässigen Besitzer zurückzugeben. Aber wenn man den Eigentümer nicht kannte und nicht zu ermitteln vermochte, was dann? Dann trat zunächst ein besonderer Amtswalter in Tätigkeit, derselbe, der später, unter den Normannenkönigen, den Titel Coroner, Vertreter der Krone, erhielt. Er hatte festzustellen, ob hier eine Schatzfindung im Sinne des Gesetzes, englisch treasure trove, vorliege. War es wirklich ein Schatz, nämlich Gold oder Silber? Und war der Herr wirklich nicht bekannt und nicht zu ermitteln? Wenn der Coroner beide Fragen bejahen musste, dann fiel der gefundene Schatz an die Krone. Wahrscheinlich gab es diese Regelung oder eine ähnliche nicht nur bei den Angelsachsen. Aber in England, und wohl nur in England, besteht diese uralte Regelung fort bis auf den heutigen Tag. Ihre Geltung hat sich soeben weithin sichtbar erwiesen, da mit dem archäologischen Fund von Sutton Hoo, dem ausgegrabenen Totenschiff des Sachsenkönigs, herrenloses Gut ans Licht getreten ist. Das feierliche und umständliche Verfahren zur Feststellung ob Schatzfindung vorliegt, ist dieser Tage in der Nähe der Fundstelle abgehalten worden, im

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Gemeindehaus von Sutton bei Ipswich in der Landschaft Suffolk. In mehreren Kisten, verschraubt und versiegelt, waren die geborgenen Schätze zur Stelle. Experten öffneten unter Polizei-Aufsicht die Behälter und nahmen die Gegenstände in Augenschein. Der zuständige Coroner, dem die Führung der Untersuchung oblag, vereidigte ein Collegium von 15 Mitgliedern. Auf Besichtigung des Grabes wurde verzichtet. Dann trat das Gericht in eine ausführliche Zeugenvernehmung ein. Die Besitzerin des Grundstückes, auf dem sich das Sachsengrab befindet, Mrs. Pretty, erzählte, wie sie sich schon immer für die Grabmäler auf ihrem Gute interessierte; wie sie 1937 auf Anregung eines örtlichen Archäologen, an den Kurator des Ipswich-Museums, Mr. Maynard, herantrat; wie die ersten Grabungen bei den anderen Hügeln geringe Ergebnisse zeitigten; wie sie sich dieses Jahr, von Mr. Maynard ermuntert, zu Nachgrabungen an dem grössten Grabe entschloss; wie auf Empfehlung des Britischen Museums Mr. Phillips von der Universität Cambridge die Leitung der Arbeiten übernahm. Mr. Phillips selbst als zweiter Zeuge legte eine Liste der gefundenen goldenen und silbernen Geräte vor, zwei Seiten in Maschinenschrift. Er beschrieb das Verfahren der Bestattung in einem Schiff, eine schwere Arbeit von vielen Tagen, die nicht im Geheimen vor sich gegangen sein kann. Die beigegebenen Gegenstände, erläuterte er weiter, waren für den Gebrauch des Toten in einem künftigen Leben bestimmt. Niemand von denen, die den Schatz niederlegten, konnten daran gedacht haben, ihn wieder an sich zu nehmen. Mr. Pigott, Sekretär der Prähistorischen Gesellschaft, äusserte sich über das Skelett, nämlich, dass keine Spur mehr davon gefunden worden sei, dass aber kein Zweifel bestehe, dass im Schiff einmal ein Skelett gelegen habe; kein Zweifel wenigstens vom archäologischen Standpunkt, wenn auch vielleicht nicht vom gerichtlichen, wie er gewissenhaft hinzufügte. Auch gab er das sachverständige Zeugnis dafür ab, dass man nicht wisse, wer der Begrabene gewesen ist. Und jetzt legte der Coroner der Jury fünf Fragen vor, die beantwortet werden sollten. Das Collegium zog sich zur Beratung zurück, erschien aber nach 25 Minuten wieder zu einer Ergänzungsfrage. Es wollte wissen, ob es wesentlich sei, dass der Schatz heimlich begraben worden ist. Der Coroner belehrte die Herren dahin, es bestünde keine ausdrückliche Gesetzesvorschrift dieses Inhalts. Jedoch auf Grund der früheren Entscheidungen und der Kommentare halte er es für wesentlich, dass

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der Eigentümer seinen Schatz heimlich verborgen habe, mit der Absicht, ihn später wieder an sich zu nehmen. Darauf zog sich das Collegium abermals zurück, diesmal auf zehn Minuten, und gab dann seine fünf Antworten; nämlich: Der Fundplatz ist Sutton Hoo; die gefundenen Gegenstände entsprechen der überreichten Liste; der Eigentümer kann nicht ermittelt werden; als Finder gilt Mrs. Pretty; Schatzfindung liegt nicht vor. Das bedeutet, dass die ausgegrabenen Gold- und Silbergeräte nicht deshalb an die Krone fallen, weil hier ein Schatz nach dem Wortlaut des Gesetzes aufgefunden worden ist. Man braucht sich aber um die Zukunft der kostbaren Ausgrabung keine Sorgen zu machen; es gibt andere Bestimmungen, die herangezogen werden können, damit der ganze Fund unter die sichere und sachverständige Obhut des Staates komme. Und auch um Mrs. Pretty braucht man sich nicht zu ängstigen; sie wird angemessen entschädigt werden. Schüchtern fragt die Presse, ob denn nicht das ganze Gesetz, stammend aus der Zeit der Sachsenkönige und hier kurioser Weise angewendet auf den Besitz eines Sachsenkönigs, veraltet sei und abgeschafft werden sollte. Darüber werden die Engländer entscheiden. Der Zuschauer erlebt mit Staunen und Bewunderung dieses Festhalten an der Tradition. Manche Seltsamkeit und vielleicht Schwäche des englischen Charakters und der englischen Zustände mag sich daraus erklären; aber auch ihre Stärke und Ueberlegenheit wird dort ihren Ursprung haben. Einer meiner Freunde aus guten Tagen, ein überaus kluger Mensch - was mag aus ihm geworden sein? - hat mir die Quintessenz seines Nachdenkens einmal so formuliert: Autorität ist gar nichts, Tadition ist alles. Das war lange vor Hitler und anderen totalitären Staaten. Hatte er nicht recht? Wie zerreissen sie, unter Missbrauch ihrer Autorität, alle feinen Fäden, aber auch die haltenden Stricke und Taue der Tradition. Wie maskieren sie ihren Vandalismus mit einer angeblich ehrfürchtigen Rückkehr zum germanischen Heidentum und römischem Imperium. Der Tag wird kommen, da die Deutschen und die Italiener sich ihren Schaden besehen. Dann werden sie mit Verwunderung und Neid feststellen, wie viel kräftiger ein Staat dasteht, dessen Volk mehr als tausend Jahre lang über alle Umwälzungen hinweg dafür gesorgt hat, dass die Ehrfurcht vor dem geschriebenen Recht erhalten bleibt.

„Pariser Tageszeitung" vom 20./21. August 1939

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Feindliche Ausländer Von INQUIT

Durch nächtige Strassen, deren Finsternis von keiner Laterne verscheucht wird, irren wir aufgeregt und suchen das Rathaus der grossen Stadt Manchester. Wir kennen es gut, das wuchtige Bauwerk, wir kennen auch den Platz, an dem es steht. Aber das „Black out", das Löschen aller Lichter und Verhängen aller Fenster hat den Anblick der Strassen bis zur Unkenntlichkeit verändert. Fassen wir uns ein Herz und kreuzen wir trotz der Dunkelheit den Fahrdamm, auf dem die Autos und Motorräder mit gezügelter, aber nicht gefahrloser Schnelligkeit dahersurren, ohne uns durch grelle Strahlenbündel zu warnen. Dies hier ist ja wohl unser Ziel, wir tasten die langen, schwarzen Ziegelfronten mehr als dass wir sie sehen. Das Hauptportal ist geschlossen. Wacht denn drinnen noch jemand? Durch einen Nebeneingang, mühsam aufgespürt, gelangen wir in die schwach erhellte Halle und werden an das Ende einer langen Kolonne verwiesen; lauter Flüchtlinge wie wir, durch dringenden Polizeibefehl herbeordert. Nach zwei Stunden sind wir abgefertigt; nur ein paar Vorschriften über Meldepflicht und Bewegungsfreiheit werden uns auferlegt; aber mit uns tragen wir in unserem Registrierbuch die Kennzeichnung als Enemy Alien, feindliche Ausländer. Der neue Home Secretary, wie hierzulande der Innenminister heisst, Sir John Anderson, hat sich inzwischen im Unterhaus zur Sache der feindlichen Ausländer geäussert. Freilich, diejenigen Fremden, die dem Lande feindlich gesonnen sind, müssen

unschädlich

gemacht

werden.

Aber

mein wird

die

Deutschen

und

Oesterreicher, die sich als Flüchtlinge in diesem Lande befinden, nicht einfach als feindliche Ausländer ansehen. Eine Kommission wird eingesetzt werden, der es obliegen soll, ihre Fälle einzeln zu prüfen. Der Bedarf an Arbeitskräften wird wachsen. Man wird überlegen, welcher Gebrauch von den Diensten dieser Fremden gemacht werden kann, die bisher nicht arbeiten dürfen, deren Hilfe aber dem kriegführenden England von Nutzen sein kann. Zusammengefasst, wie es der stellvertretende Leiter der Opposition, der Abgeordnete Greenwood, formulierte: es soll eine scharfe Unterscheidung gemacht werden zwischen denjenigen, die mit

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England sympathisieren, also Feinde des von England bekämpften Hitlersystems sind, und denjenigen, die möglicherweise verdächtig sind. „Feindliche Ausländer" heisst unsere amtliche Kennummer. Aber wenn schon die Regierung uns nicht als Feinde behandelt nur auf unsere Pässe hin, das Volk hält uns schon gar nicht für Feinde. Vielmehr, es sieht in uns Bundesgenossen. Die Leute wetteifern miteinander, uns Aufmerksamkeit zu erweisen; von der opferbereiten Hilfe ganz zu schweigen. Da wir aus Feindesland stammen, unsere Kindheit, unser Leben in ihm verbracht haben, so möchten sie von uns wissen, was für ein Land das ist und was fiir ein Volk darin lebt. Denn mit diesem Volke, darüber herrscht Einmütigkeit, wünschen sie in neuem Frieden zu leben, wenn erst das Regime gestürzt sein wird. Und immer wieder hören wir die Frage, wie es eigentlich vor sich gegangen ist, dass da irgendein Mann namens Hitler die Herrschaft über das deutsche Volk gewonnen hat.

„Pariser Tageszeitung" vom 13. September 1939

Das seelische Gleichgewicht Von INQUIT

Weil der junge Engländer Laboratoriums-Assistent im Allgemeinen Krankenhaus war, darum konnte er sich Gift verschaffen. Damit brachte er sich um, an einsamer Stelle irgendwo ausserhalb der Stadt Birmingham. Dort fand man ihn, um den Arm eine Hakenkreuzbinde, neben sich Hitlers Buch „Mein K a m p f . Er war nicht älter als 17 Jahre. In England muss um einen aufgefundenen Toten eine Verhandlung vor dem „Coroner" stattfinden. Es gab daher eine Vernehmung des Vaters. Daraus erfuhr man, dass der junge Mensch den Ehrgeiz hatte, sich als Chemiker auszuzeichnen. Unabhängig davon hielt er Hitler für einen grossen Mann und Wohltäter seines Volkes und wünschte den Sieg ihm und nicht seinem eigenen König. Zweimal hatte er Deutschland besucht. Dass er von dort als Gesinnungsnazi zurückgekehrt sei,

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bestreitet der Vater. Wohl aber war ein Briefwechsel mit einem deutschen Mädchen übriggeblieben. Darauf schiebt der Vater das ganze Unglück. Abends wollte der Junge die Rundfunkpropaganda des Hamburger Senders hören. Der Vater, ganz unenglisch, verbot es ihm. Darauf entlief der Junge in die Einsamkeit und nahm Gift. Der Spruch des Coroners erging dahin, es läge Selbstmord vor „infolge Störung des seelischen Gleichgewichts". Zwei Jahre hat das Hilfskomitee von Manchester für die armen Chinesen gesorgt, über denen die Japaner ihre Bombenflugzeuge kreisen lassen. Ihnen sind die Bewohner der Dörfer und offenen Städte wehrlos preisgegeben, da es eine Luftabwehr in China praktisch nicht gibt. Das Komitee hat zwei Jahre lang an die Hilfsbereitschaft der Mitbürger appelliert und ist in weitem Masse gehört worden. Nicht weniger als 6 400 Pfund wurden für die verschiedenen Fonds gesammelt. Alle acht Wochen ging eine Ladung dringenden Bedarfs nach dem Fernen Osten ab. Femer wurden gesandt Medikamente, Desinfektionsmittel, Verbandszeug, Karbol in vielen Tonnen, Seife, grosse Mengen von Kleidungsstücken und Decken. Alles erreichte wohlbehalten sein Ziel. Das Letzte, was aufgebracht wurde, war das Jahresgehalt für zwei europäische Aerzte. Vor sechs Wochen sind sie abgereist, um sich dem chinesischen Roten Kreuz zur Verfügung zu stellen. Jetzt ist das Büro des Hilfskomitees geschlossen worden. Denn jetzt braucht man alle Kräfte daheim. Bomben auf Stadt und Land sind keine Sache mehr, die sich am anderen Ende der Welt abspielt. Jetzt sind die Schrecken des mechanisierten Krieges nahe gerückt, und niemand weiss, wann sie sein eigenes Land und seine eigene Stadt erreichen. Aber barmherzige Menschen in England denken vielleicht auch jetzt noch an die armen Chinesen. Und jedenfalls, wie es in der Verlautbarung des Komitees heisst, wird der Fond offengehalten, „solange noch Spenden eingehen". Das Zeitungsblatt, in dem diese Nachrichten zu lesen sind, enthält auch eine Bilderseite und auf ihr eine Photographie aus der Umgebung von London. Da sieht man sitzend am Ufer der Themse einen Soldaten in Uniform. Und hinter ihm stehend einen zweiten Soldaten in voller Kriegsausrüstung, mit Gewehr und Tornister. Er steht da und sieht zu seinem sitzenden Kameraden. Und was treibt der da Sehenswertes? Er angelt.

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Während

beide

schon

den

Stahlhelm

tragen, mit dem

sie dem

Feinde

gegenübertreten werden. Es scheint, sie haben ihr seelisches Gleichgewicht behalten. „Pariser Tageszeitung" vom 1. Oktober 1939

Ladies in Uniform Von INQUIT

Frauen in Uniform sieht man jetzt häufig in England. Es ist eine soldatische, sehr kleidsame, übrigens durchaus weibliche Uniform, Bluse, Rock und Schirmmütze. Getragen wird sie, wie es sich gehört, voll Stolz, jedoch ohne Anmassung in geziemender Schlichtheit. Die sich so zeigen, gehören dem heimatlichen Hilfsdienst an, dem „Auxiliary Territorial Service". Es ist ein militärischer Dienst, im vollen kriegsgemässen Ernst dieser bitteren Zeit. Zum militärischen Dienst gehört die Grusspflicht. Was haben sie uns seiner Zeit in Deutschland damit geschunden! Wie haben wir uns abmühen müssen, ehe wir die verwickelte Theorie und ihre tückische Praxis beherrschten! Der Untergebene hat seinen Vorgesetzten zu grüssen, im Dienst und ausser Dienst. So war es im militärischen Deutschland, so ist es im demokratischen England. Gilt diese Regel auch zwischen Mann und Frau? In England jedenfalls macht man sich Gedanken darüber. Und das englische Kriegsministerium, War Office genannt, hat soeben eine Verfügung erlassen, der zufolge Frauen in Uniform ihre männlichen Vorgesetzten

zwar grüssen dürfen, aber nicht grüssen müssen.

Es ist eine

Höflichkeit, die nicht erzwungen werden darf, selbst dann nicht, wenn männliche Offiziere weibliche Formationen besichtigen. Demokratie? In der englischen Presse taucht eine andere Erklärung auf. Wenn Frauen die Männer zu grüssen haben, die im militärischen Rang über ihnen stehen, so müssen gerechterweise auch Männer die Frauen grüssen, die im militärischen Rang über ihnen stehen. Und das ginge den Männern gegen die Ehre. Mit dieser launigen Vermutung darf die englische Presse ihr War Office necken, mitten im

173

Ernst des Krieges. Aber die Tatsache bleibt; den militärischen Gruss aus Höflichkeit, statt aus Zwang hat die zuständige Stelle anerkannt. Damit ist ein Weg beschritten, von dem sich nicht voraussagen lässt, wohin er fuhrt. Das Grüssen, liest man in der englischen Presse, mag innerhalb des Dienstes als unentbehrlicher Bestandteil der militärischen Disziplin gelten. Obzwar im vorigen Krieg die australischen Regimenter auf französischem Boden dieses Zuchtmittel sehr nebenbei behandelten und dennoch ihre Pflicht taten dort, wo es darauf ankam, nämlich im Schützengraben. Aber ausser Dienst? Ist nicht die Grusspflicht ein überlebter Rest aus längst vergangenen Zeiten? Ist sie nicht ein blosser Fetisch? Und wäre es nicht an der Zeit, diesen Zopf abzuschneiden? Wenn schon reformiert wird; und da dieser Krieg gewiss Anlass gibt zu viel mehr und viel tiefer schneidenden Reformen: Da gibt es noch so einen Fetisch, von dem zwar das englische Exerzierreglement, „King's Regulations'" nichts weiss, dessen Verehrung aber vom allgemeinen Brauch hochgehalten wird: Offiziere sollen mit Gemeinen nicht im selben Eisenbahnabteil reisen und nicht im selben Restaurant verkehren. Wie wäre es, wenn man diesen Fetisch gleich mit verbrennte? So wird in der englischen Presse gefragt, heute, da der eigentliche Krieg fiir England noch nicht losgegangen ist, dessen grausamer Ernst aber unausweislich bevorsteht. Denn dieser Regel liegt die Auffassung zu Grunde, die Stufenleiter der Ränge sei auch eine Stufenleiter der Werte; zwischen Offizier und Gemeinem bestehe eine Verschiedenheit auch der menschlichen Art. Und darin werden wir umlernen müssen, wie über viele andere Auffassungen auch, in diesem Krieg und durch diesen Krieg. 1914 haben wir mit der Lektion angefangen. Dass der Lehrgang 1918 noch nicht abgeschlossen war, ist uns inzwischen schmerzlich klar gemacht worden. Jetzt soll der Kursus weitergehen, und vielleicht steht sogar das Examen bevor; die Prüfung nämlich daraufhin, ob dieses alte gequälte, aber auch sündhafte Europa eine Welt aufzubauen vermag, in der es nicht nur Herren und Knecht gibt; eine Welt, die nicht aus ein paar Befehlenden und zahllosen Gehorchenden besteht; eine Welt, die möglichst wenig unter Zwang, möglichst viel aus Höflichkeit vollbringt. „Pariser Tageszeitung" vom 13. Oktober 1939

174

Der goldene Ring Von INQUIT

Ein Fischerboot, das mit seinem Fang heimwärts fuhr, war Augenzeuge eines der Luftkämpfe über dem Firth of Förth. Einer aus der Besatzung, der Sohn des Schiffers,

hat

schlicht

und

anschaulich

dieses

aufregende

Stückchen

Kriegsgeschichte erzählt. Erst hörten sie das Surren der Propeller, dann sahen sie ein schweres deutsches Bombenflugzeug, das von zwei leichten englischen Maschinen gejagt wurde. Sie zogen Kreise um den Feind, unterflogen ihn, stiegen in Windungen aufwärts und feuerten dabei unablässig. Der Deutsche suchte sich dem Angriff zu entziehen, plötzlich kippte er über und stürzte ins Wasser. Das Fischerboot hielt sofort darauf zu, die Leute sahen das Wrack eine Weile schwimmen und dann untergehen. Als sie herankamen, fanden sie drei Mann der Besatzung an eine Rettungsboje geklammert. Sie warfen ihnen Leinen zu und holten sie an Bord. Drei junge Deutsche hatten sie aufgefischt. Ein vierter, berichteten die Geretteten, war mit dem Flugzeug untergegangen. Alle hatten Schüsse abbekommen, einer durch die Rippen, einer ins Auge, einer in den Arm. Die drei Mann waren sehr dankbar, erzählt der Schifferssohn. Sie dachten, sie wären gerettet, hier bei den Fischern im Boot. Gerettet aber waren nur zwei von ihnen; des Dritten Verwundung erwies sich als zu schwer. Nicht lange nach der Landung starb er, im Hospital von Edinburgh. Aber zunächst im Boot, wie sollen sie nicht alle drei dankbar sein? Wie sollte sie das Gefühl nicht überwältigen. Es stirbt sich nicht leicht; schon gar nicht, wenn man blutjung ist und alles noch vor sich zu haben hofft. Da waren sie todesmutig nach Schottland hinübergeflogen, zum Firth of Förth, hundertfach geschütztem Ankerplatz der englischen Flotte, da sahen sie sich gejagt von den flinkeren englischen Flugzeugen, denen sie nicht entgehen konnten. Da stürzten sie ab, und das schien das bittere Ende zu sein. Da rappelten sie sich aus den schwimmenden Trümmern, ergriffen die Boje, klammerten sich fest und warteten. Wie lange würden sie aushalten, verwundet wie sie waren? Und da kam ein Fischerboot herbeigefahren, ein Fischerboot des Feindes; kam herbei aus Menschlichkeit, um ihnen beizustehen in ihrer Todesnot und nahm sie auf. Sie waren in Sicherheit. Bis auf den einen, der dennoch starb, der es aber zu seinem Glück noch nicht wusste. Wie sehr waren sie in Sicherheit! Ihre Wunden würden heilen. Aber dass sie dann wieder hinaus mussten,

175

zu neuem Kampf und neuer Todesnot, daran war gar nicht zu denken. Der Feind hatte sie aufgenommen, sie waren kriegsgefangen. Das bleiben sie nun, bis das blutige Ringen beendet ist. Dann erst, nicht früher werden sie frei sein. Sie dürfen hoffen heimzukehren, aber in eine Welt des Friedens, in eine völlig andere Welt. Gerettet! Es ist nicht anders möglich, als dass die Gabe des wiedergewonnenen Lebens sie berauschte. Junge Menschen sind es, Männer, Soldaten; nicht Dichter oder Redner. Wie werden sie ihren Jubel und ihre Dankbarkeit ausdrücken, ohne viel Worte? Einer von ihnen, der englisch zu sprechen versteht, ihr Führer, wie der Fischersohn ihn nennt, zieht seinen Ring vom Finger und reicht ihn dem alten Fischer. „Accept the ring for saving me." Nehmen Sie den Ring dafür, dass Sie mich gerettet haben. Es ist ein goldener Siegelring. Er kann nicht meinen, er wolle es mit dem goldenen Ring bezahlen. Er will nur irgendetwas tun, um sein Gefühl auszudrücken, da er die Retter ja doch nicht umarmen und küssen kann; da er sich schämen würde sie zu umarmen und zu küssen. Eines Tages wird er heimkehren in dieses selbe Deutschland, das ihn ausgesandt hat, um zu kämpfen und zu sterben. Sie haben ihm das Evangelium der Macht gepredigt. Sie haben ihm den Hass gelehrt. Sie haben ihn mit Lügen gefüttert, bis er die ganze Welt ausserhalb seiner Heimat für böse und feindselig hielt. Jetzt erlebt er, es sind Menschen jenseits der Grenzen, brüderliche Menschen. Menschenbrüder. Sie vergessen, was er ihrem Lande antun wollte mit seinem schweren Bombenflugzeug, sie kommen herbei zu seiner Rettung, weil sie Menschen sind und weil er ein Mensch ist, ein Mensch trotz alledem, und weiter nichts. Möge er die Stunde nicht vergessen, wenn er heimkehrt. Möge er die Einsicht dieser Stunde mitbringen, dass es falsch gewesen sein muss, was man ihn gelehrt hat. Möge er seine Tapferkeit in den Dienst derer stellen, die statt einer Welt des Hasses und der Gewalt, eine Welt des Friedens und der Hilfe aufbauen wollen. „Pariser Tageszeitung" vom 26. Oktober 1939

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Brief aus England Von INQUIT

Eine Kirche zu verkaufen Bei mir um die Ecke ist eine Kirche zu verkaufen. Es handelt sich um eine recht geräumige Kirche, ohne Turm aber mit Anbauten, nicht unstattlich in der nachahmenden Gotik des 19. Jahrhunderts. Sie ragt da mitten in einer volkreichen Gegend dieser volkreichen Stadt, umbrandet von lärmendem Verkehr; Andacht wird dennoch in ihr möglich gewesen sein, solange sie noch als Stätte der Andacht diente, und zwar, wie die Inschrift über dem Portal verrät, der Sekte der Methodisten. Jetzt steht sie geschlossen, dunkel und stumm. Dass man sie kaufen kann, verraten zwei grosse Plakate, an der Aussenwand befestigt, für die Passanten in beiden Richtungen. Es wird auch die Agentur genannt, an die man sich zu wenden hätte und von der alle Einzelheiten zu erfahren wären, falls man sich für den Kauf interessierte. Wie in aller Welt kann eine Gemeinde in die Lage versetzt werden, dass sie ihre Kirche

zu

verkaufen

wünscht?

Dahinter

muss

sich

ein

seltsames

Stück

Zeitgeschichte verbergen. Aber wer in aller Welt mag sich eine Kirche kaufen wollen? Wir hoffen: zu kirchlichem und nicht zu profanem Zweck. Es lässt sich vermuten, dass der Käufer sich verpflichten muss, das Bauwerk seiner Bestimmung zu erhalten. Da die Welt immer schamloser des Teufels ist, so sollte sich wohl ein Idealist finden, der das Gotteshaus nicht leer stehen lassen will, sondern hingeht und es käuflich erwirbt, um den Kampf des Guten gegen das Böse auf seine Weise führen zu helfen. Wenn irgendwo auf der Welt, so gibt es in England Leute, die zugleich Idealisten und reich sind. Wobei ich nicht die mindeste Vorstellung habe, was, in barem Gelde, von der Agentur zu erfragen, eine guterhaltene Kirche kostet.

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Abschied von der Laterna magica Mehr als 80 Jahre bestand hier zu Lande die weltberühmte Firma, deren Spezialartikel die Laterna magica war. Jetzt wird der Bestand ausverkauft, und die Firma verschwindet. Der schlichte alte Apparat ist durch den lichtstarken raffinierten Kinematographen weit überholt. Die schlichten alten Platten dagegen haben noch etwas von ihrem Wert behalten. Sie waren mit der Hand auf Glas gemalt, Märchen, religiöse Themen, Reiseansichten, Szenen aus dem Leben grosser Männer und dergleichen mehr. Manches davon hatte künstlerischen Rang und wurde von Sammlern geschützt. Und so sind es denn die Sammler, die sich das beste aus dem Vorrat heraussuchen. Auch in meiner Kindheit zauberte noch eine Laterna Magica. Die Lichtquelle, mit Petroleum gespeist, funktionierte schlecht, und das ausgespannte Laken oder Tischtuch, auf dem die Wunderwelt erscheinen sollte, erwies sich immer wieder als ungeeignet durch seine Plättfalten. Die Lampe stank, die Bilder gerieten unscharf, bisweilen war man so unachtsam, sie falsch herum einzuschieben, und die Menschen und Landschaften, zum höhnischen Gaudium des Auditoriums, standen Kopf. Nur die Hoffnung, es könnte mir eines Tages gelingen, die Zauberkraft meiner Maschine zu voller Wirkung zu entfalten, liess sich nicht abschrecken. Bis die Laterna Magica schliesslich doch unbenutzt in der Ecke verstaubte. Denn so geht es mit den Hoffnungen: sie werden uns nicht erfüllt, sie verwandeln sich in Gerümpel.

Unrecht am Dackel In der englischen Zeitung „Observer"

findet

sich ein Protest gegen die

Karikaturisten, die, wenn sie den deutschen Feinden einen Hund beigeben, dazu einen kleinen „Dachshund" verwenden, wie es mit dem deutschen Wort im englischen Texte heisst; wie wir ihn freundschaftlich landsmännisch anreden dürfen: einen Dackel. Der Schreiber nennt dieses Verfahren „unfair": der Dackel sei kein Nazi; denn wie jeder Kenner bestätigen werde, er habe einen hochentwickelten Sinn für Humor. Ausserdem spreche vieles dafür, dass er ein englischer Hund sei.

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Man muss denn also wohl zugeben, dass die Karikaturisten dem Dackel Unrecht tun. Aber auch der „Observer" wird ihm nicht gerecht. Ein englischer Hund? Das ist Nationalismus, mit dem die redliche Hundenatur vergewaltigt wird. Wir sollten den Nationalismus radikal abschaffen, um der Dackel wie um der Menschen willen. „Pariser Tageszeitung" vom 15. November 1939

Toller in Manchester Uraufführung von „Pastor Hall" Von INQUIT

Ernst Tollers letztes Werk, das Schauspiel „Pastor Hall" hat seine „World Premiere", wie es in den Ankündigungen heisst, nirgends anders erlebt, als in der englischen Stadt Manchester. Dieses literarisch-zeitgeschichtliche Ereignis ist damit unerwarteter Weise zu mir gekommen, und ich habe mich für verpflichtet gehalten, es nicht zu versäumen, obwohl Theaterbesuch sonst oberhalb der Möglichkeiten meines Flüchtlingsdaseins liegt. Es war bei mir der erste Gang in ein englisches Theater, und ich bin Zeuge dieser denkwürdigen Vorstellung gewesen; immerhin, nach fünf Monaten England, noch als Neuling, auch gegenüber dem von der Bühne herab gesprochenen englischen Wort. Man hatte vorher gelesen, es sei das tragische Schicksal des wirklichen Pastors Niemöller, das hier gestaltet werde. Ich sehe jedoch keine individuellen Züge, die von jenem Leben in dieses Werk geflossen wären. Tollers Pastor Hall wird aus seiner Familie heraus verhaftet, aber nicht, wie es nahe liegt und einen dramatisch fruchtbaren Konflikt hergegeben hätte, weil er sein christliches Priestertum der nationalsozialistischen Staatsvergottung entgegensetzte, sondern aus der privaten Rache

eines

Sturmbannführers,

den

er

dann

als

Kommandanten

seines

Konzentrationslagers wiederfindet. Dem Feinde ins Gesicht bekennt er Gottes Wort und wird dafür mit 25 Stockhieben bestraft. Dieser zweite Akt, in dem von Toller mehr steckt als in den beiden anderen, enthüllt die Leiden der Kreatur, die wehrlos der Roheit und Niedertracht ausgeliefert

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ist.

Nur

dass

die

Wirklichkeit

der

Konzentrationslager,

von

der

wir

aus

hundertfältigem Zeugnis wissen, die gedichtete Hölle an erbarmungslosem Grauen weit hinter sich lässt. Dem Pastor Hall gelingt es zu fliehen, er rettet sich in das Haus seines

Freundes,

des

Generals

von

Grotjahn.

Kein

Wunder,

dass

der

Lagerkommandant ihn hier alsbald aufstöbert. Aber vielleicht will der Pastor gar nicht ernstlich fliehen. Denn während des Pastors Frau mit dem Widersacher verhandelt, der geneigt scheint, unter Bedingungen die Flucht zu decken, tritt der Pastor aus dem Versteck hervor und stellt sich selbst. Jetzt greift der General zu Gunsten seines Freundes ein - sehr fraglich, ob in Nazi-Deutschland selbst ein so hoher Offizier im Glänze der Uniform und aller seiner Orden imstande wäre, einen Flüchtling gegenüber den Funktionären der Partei zu schützen. Aber während der Feind für diesmal abzieht, begibt sich der Pastor heldenhaft in seine Kirche, um die ewige Wahrheit zu verkünden. In das Glockenläuten dröhnt der Schritt der Sturmabteilung, die heranrückt, um den Bekenner aufs Neue festzunehmen. Vielleicht darf man die dramatischen Qualitäten des Stückes auf sich beruhen lassen; es gewinnt seine Bedeutung daher, dass ein englisches Theater sich beeilt, es seinem englischen Publikum vorzuführen. Toller hat hier, wie auch in früheren Werken, einer verbreiteten Empfindung und Gesinnung einen unproblematischen, leicht fasslichen Ausdruck verliehen. Es ist die Gesinnung, die sich gegen Unrecht empört und die Partei der Leidenden ergreift. Noch mehr; es verkündet den Glauben, das

herrschende

Deutschland

ist nicht

das wahre

Deutschland;

das

wahre

Deutschland, das ist dieser aufrechte Pastor und sein Freund, der General. Und eben das ist es, was der Vorführer des Stückes den Engländern sagen will und was die Engländer aus dem Munde des toten Ernst Toller sich gern sagen lassen. Die Bühne, Manchester Repertory Theatre, liegt in den Aussenbezirken der grossen Stadt. Immerhin und trotz des verkehrsfeindlichen Black Out war der Zuschauerraum gefüllt, mit grosser Autoauffahrt draussen. Der Neuling erlebt mit Verwunderung, dass man seine Garderobe mit hineinnimmt; dass geraucht werden darf; dass vorher und nachher und in den Pausen Musik spielt, vom Radio übernommen, ohne Beziehung zum Stück. Er liest auch im Programmheft voll Staunen die offen eingestandenen Finanzschwierigkeiten der Bühne, zu deren Behebung die Bürger von Manchester durch freiwillige Spenden beitragen sollen, was sie, laut einer langen Liste von Namen, auch tun. Er stellt fest, wie wenig Sorgfalt auf Korrektheit der deutschen Uniformen und auf Echtheit des deutschen

180

Militärbetriebes gelegt wird, obgleich unter den deutschen Emigranten

auch

Gediente zur Stelle sind, die als Experten hätten dienen können. Endlich überrascht es den Neuling, dass der „Vorführer" Mr. James Bould, zum Schluss vor die Gardine tritt, das Stück selber lobt und um die Gunst des Publikums bittet. Vor vier Jahren war Toller hier, um der Aufführung seines Dramas „Feuer aus den Kesseln" beizuwohnen. Wenn er diesmal hätte dabei sein können, so hätte er an der redlichen Aufführung seine Freude gehabt. Und gewiss wäre er selbst gefeiert worden, als ein Anwalt des besseren Deutschland, mit dem auch das kriegführende England sich verbunden fühlt. „Pariser Tageszeitung" vom 26. November 1939

„AUFBAU" RECONSTRUCTION An American weekly published in N e w York

Aus Breslau Von Inquit

Den letzten Krieg habe ich in England verbracht, auf dem Lande, nicht in London; sonst wäre ich gewiss, wie so viele Schicksals- und Altersgenossen, in den Luftschutz eingereiht worden. Aber ein Freund von mir, aus Breslau gebürtig, erzählte mir, er habe, als er eines Nachts, den Stahlhelm auf dem Kopfe, sich an dem vorgeschriebenen Treffpunkt einstellte, dort einen Kameraden vorgefunden, der, wie sich aus kurzem Gespräch ergab, ebenfalls aus Breslau stammte. Und als sich der dritte Mann der Patrouille dazugesellte, ergab sich, dass auch dessen Heimatstadt Breslau war. Die tragisch übermütige Laune des Schicksals hatte drei ältere Juden aus Breslau nächtlicher Weile an einer Londoner Strassenecke zusammengeführt mit

IS!

dem Auftrag, die Hauptstadt Grossbritanniens gegen Flugzeugangriffe ihrer früheren Landsleute schützen zu helfen. Ich bin nicht aus Breslau; im Gegenteil, ich war früher stolz darauf, einer der wenigen in Berlin geborenen Berliner zu sein. Aber geheiratet habe ich in Breslau. Auch ich. Dieser Tage landetete in Bremerhaven ein Truppentransportschiff, das den Vortrupp einer neuen beträchtlichen Verstärkung der amerikanischen bewaffneten Macht

in

Deutschland

hinüberbrachte,

der

Vierten

Infanterie-Division.

Die

Ueberfuhrung der ganzen Einheit wird bis in den Juni dauern; drei weitere Divisionen werden folgen. Der Spitze wurde ein feierlicher Empfang bereitet. Dazu gehörte, dass amerikanische Pressevertreter zugegen waren und, nach gutem amerikanischen

Journalistenbrauch,

den

ersten

Soldaten,

der

den

Laufsteg

herunterkam, umringten. Wer war das? Es war der „Private" Edwin Sternberg aus Breslau. Herr Sternberg, wie die Zeitung und zwar keine geringere als die „New York Times" meldet, ist 26 Jahre alt, hat schwere Emigrantenschicksale hinter sich und lebt jetzt verheiratet in Richmond im Staate Virginia. Die Reporter wollten eine Aeusserung von ihm haben, und was er sagte, lautet auf Deutsch ungefähr: „Nun, ich möchte gern wissen, wie Deutschland jetzt aussieht." Man sollte meinen, für jemanden, der sich an Ort und Stelle begeben hat, kann es nicht allzu schwer sein, dies festzustellen. Indessen viele vor ihm wollten das schon wissen, haben beobachtet, untersucht und berichtet, und dennoch hat die Welt kein deutliches Bild davon gewonnen, wie es in Deutschland aussieht, nämlich in Wirklichkeit und unter der Oberfläche. Also muss man wünschen, dass Private Sternberg gut beobachtet und richtig deutet und dass die Ergebnisse nicht allzu ungünstig

ausfallen,

von

seinem,

nunmehr

amerikanischen

Standpunkt

aus

betrachtet. Zitiert wird die Aeusserung in der „New York Times" begreiflicherweise auf Englisch. Sie lautet: „Well, I'm sort of anxious to see how Germany looks now." Wenn das wirklich die gesprochen Worte sind, so hat Herr Sternberg aus Breslau inzwischen mindestens die Sprache seiner neuen Heimat ausgezeichnet erlernt. „Aufbau". Friday, June 15, 1951

182

Vorsicht! Gift! Von Inquit

Im Hauptlesesaal der N e w York Public Library, unter den Enzyclopädien

der

Welt,

Konversationslexikon".

steht

auch

unser

lieber

alter

hervorragenden

Bekannter,

„Meyers

Es steht dort in der achten Auflage, „in völlig

neuer

Bearbeitung", wie auf dem Titelblatt jedes Bandes vermerkt ist; erschienen in den Jahren 1936 und folgenden. Mit anderen Worten, diese Fassung ist unter den Nazis veranstaltet worden. Ihr Zweck war, Auskunft zu erteilen nicht nach dem Masstabe der

erforschten

und

bekannten

Wahrheit,

sondern

zur

Propagierung

des

Nationalsozialismus. Die Verdrehungen, w e n n sie nicht gedruckt da ständen, würde man nicht glauben. Um nur ein paar Stellen zu zitieren (unter Auflösung der Abkürzungen): Artikel E i n s t e i n , Albert: „ Novemberdeutschland

beteiligt

war an allen salonbolschewistischen Aktionen im ...

Einstein

stellte

die

sogenannten

Rela-

tivitätstheorien auf, die durch eine starke Propaganda der gesamten jüdischen Presse starkes Aufsehen erregten ... aber wenig praktische Bedeutung erlangen konnten, da ihre Grundlagen ausserhalb der vorstellbaren Wirklichkeit stehen." Artikel

F r e u d ,

Siegmund:

„Diese

Theorie

(Psychoanalyse)

und

ihre

Ausgestaltung, die zu einer Verleugnung aller sittlichen Werte führte, spricht für den dem Judentum eigenen Grad der moralischen Zersetzung und ist dem deutschen Wesen völlig f r e m d . " Artikel H e i n e , Heinrich: „(eigentlicher N a m e Chaim Bückeburg)..." Artikel J u d e n t u m : Interesse

Ueber die Juden: „Sinnlichkeit, Schlauheit, fehlendes

für ruhige, systematische

Arbeit, unstetes Wesen, Abneigung

gegen

Ackerbau, Neigung zum N o m a d e n t u m sind die hervorstechendsten Eigenschaften. Ihr eigennütziges Streben geht dahin, alle Kulturwerte der Wirtsvölker zu zerstören, um desto ungehinderter ihre aufs Geldverdienen gerichtete Tätigkeit entfalten zu können. ..." Artikel M a r x , Karl: „(eigentlicher N a m e Mordechai) ... Seine Theorie und sein Handeln wurden nicht bestimmt vom Mitleid mit den Armen ... er lebte fast ausschliesslich

von

den

Unterstützungen

seiner

„Freunde",

die

er

...

aufs

183

schamloseste erpresste und ausnutzte ... in Wirklichkeit selbst das Urbild eines gerissenen und gefühlsrohen Ausbeuters." Artikel M e n d e l s s o h n

- B a r t h o l d y, Felix: „Komponist, Pianist und

Dirigent, mit dem der unheilvolle Einfluss des Judentums auf die deutsche Musik begann. ... Mendelssohns schon vor 1933 mit wenigen Ausnahmen vergessenen Werke, lediglich bestehend durch ihre Form, zeichnen sich nirgends durch wirkliche Schöpferkraft aus." Von einem durchschnittlichen Benutzer der Bibliothek kann nicht erwartet werden, dass er über Ursprung und Absicht dieser Auflage Bescheid weiss. Vielmehr wird er sie für ein vertrauenswürdiges Nachschlagewerk halten und ihre Angabe als bare Münze hinnehmen. Die

Bibliotheksverwaltung

sollte

daher

die

achte

Auflage von

„Meyers

Konversationslexikon" von den Regalen entfernen und sie unter Verschluss halten, und sie nur an diejenigen ausleihen, die sie ausdrücklich verlangen. Das kann umso leichter getan werden, als im Lesesaal zwei andere deutsche Konversationslexika zur Verfügung stehen,

nämlich

„Meyers

Lexikon",

1926-1933,

und

„Brockhaus

Konversationslexikon", 1928-1936. Sie reichen zwar auch in die Nazizeit hinein und sind durch ebendiese Supplementbände ergänzt, aber sie halten sich im Wesentlichen von groben Nazi-Unterstellungen frei. Im Übrigen sollte die Massnahme sich nicht auf die Oeffentliche Bibliothek in New Yorks Fifth Avenue beschränken, sondern überall im Lande durchgeführt werden. Oder wer hat ein Interesse daran, dass diese heimtückische Art von Verleumdung und Betrug fortfahrt, ihre Wirkung zu tun. „Aufbau". Friday, December 14, 1951 (Anmerkung der Redaktion am 28. Dezember, daß nach dem Hinweis Goldsteins die Bände aus der New York Public Library sekretiert wurden.)

184

Mutter Erde in Manhattan Von Inquit

Wir

Menschen

der

grossen

Stadt

sind

von

der

Erde

getrennt

durch

Strassenpflaster: Granitplatten und Asphalt; meistens Asphalt. Wir sehen den Boden nicht mehr, wir kennen kaum noch die nährende Scholle, aus der alles Lebendige wächst, wir selbst eingeschlossen. Aber die Sehnsucht nach der Erde braucht damit nicht abgedrosselt zu sein. Ich für meine Person bekenne, dass ich in dem steinernen Labyrinth, in dem sich unser naturfernes Leben abspielt, nicht aufhöre, den Zusammenhang mit der Scholle zu fühlen. Hier in New York trennt uns von der Erde wahrscheinlich mehr Granit und mehr Asphalt als in irgend einer anderen Stadt der Welt. Freilich, da sind die Parks. Es wächst aus ihnen Gras, Buschwerk und Bäume, prachtvolle Bäume sogar, und also muss es in ihnen echten Boden geben. Indessen, die Parks sind umgeben von Häusern, die an die Wolken zu rühren scheinen; man sieht sie inmitten der Anlagen von jedem Punkt aus, und mir jedenfalls ersticken sie das Gefühl, dass ich hier der Mutter Erde nahe bin. Aber plötzlich und unerwartet, inmitten von schlendernden

Spaziergängern,

ballspielender Jugend und flitzenden Autos, enthüllt sich mir die Erde, der Planet Erde. Aus dem Rasen oder auch aus dem Strassenpflaster bricht nackter Fels, Urgestein.

Es bricht

hervor und

macht

sich

breit, ungefüge,

unverarbeitet,

ungezähmt, so wie es aus wer weiss welchen Tiefen emporgestiegen ist. Aus Tiefen nicht nur des Raumes, sondern auch der Zeit. Da liegt der Fels und kümmert sich nicht um das bisschen Kruste, das von uns Menschen über ihm und neben ihm mühselig und wichtigtuerisch aufgeschichtet worden ist. Wir treiben es für ein paar hundert, besten Falls filr ein paar tausend Jahre. Aber er, der Fels, war da viele hunderttausend Jahre vor uns und wird da sein viele hunderttausend Jahre nach uns. „Im allgemeinen besteht er — der Baugrund von New York - aus jungen geologischen Gebilden, wird aber in geringer Tiefe von kristallinischen Felsarten umlagert, die in der Oberstadt, besonders in den Parks, vielfach zutage treten." So lese ich im Konversationslexikon, da ich mich darum zu kümmern suche, was mir denn eigentlich hier entgegentritt. „Kristallinische Felsarten", im Gegensatz zu , jungen geologischen Gebilden"; das heisst alt, urururalt.

185

Die griechische Sage erzählt von dem Riesen Antäus, der mit Herakles kämpfte und seine Kraft daher bezog, dass er immer wieder die Erde berührte. Ich bin kein Riese und brauche mit keinem Herakles zu kämpfen. Aber es erquickt und belebt mich, wenn ich mitten in der asphaltierten Riesenstadt New York das Urgestein hervorbrechen sehe. „Aufbau" No. 32. Friday, August 17, 1951

Wollen Sie ein Stipendium? Von Inquit

Wenn Sie klug wären, so würden Sie sich nicht so entsetzlich abmühen, um Ihr bisschen Lebensunterhalt zu verdienen. Sie würden sich vielmehr ein Buch anschaffen, betitelt „Amerikanische

Stiftungen und ihre Gebiete" („American

Foundations and Their Fields"). Damit würden Sie sich in Ihr Zimmer einschliessen und es gründlich studieren. Auf Grund dieses Studiums würden Sie Anträge stellen. Und von dem Ergebnis der Anträge würden Sie still und beschaulich leben. Denn es gibt in Amerika so viel Stiftungen mit so viel Kapital für so viel Zwecke, dass es mit dem Teufel zugehen müsste, wenn einer, der sich darin spezialisierte, nicht irgendwo ein Stipendium bewilligt erhielte, dann wieder ein Stipendium und noch ein Stipendium und schliesslich mit Hilfe von Stipendien in ehrenvoller Müsse sein Ende erreichte. Ein bisschen freilich würde er auf dem Gebiete, für dessen Förderung er die Spende erhalten hat, arbeiten müssen. Aber schliesslich kann einer ja auch nicht den ganzen Tag spazieren gehen. Wenn Sie sich die Mühe machen, das segensreiche Buch zu befragen, so werden Sie zunächst feststellen, dass nicht alle Stiftungen zu Ihrer Verfügung stehen. Zunächst scheiden diejenigen aus, die nur durch andere Stiftungen arbeiten. Sie müssen sich also an solche Stiftungen halten, die Stipendien an Privatpersonen bewilligen. Sie sind zwar in der Minderzahl, aber sie machen immer noch eine stattliche Liste aus. Eine weitere erhebliche Einschränkung kommt daher, dass viele Stiftungen nur gewissen Gruppen von Bewerbern offen stehen. Wenn Sie in

186

Alabama leben, wohlan, blättern Sie nach, wahrscheinlich werden Sie eine Stiftung finden, die in Alabama und nirgends sonst wirkt. Stiftungen für Rosenkreuzler kommen für Sie in Betracht, wenn Sie das Glück haben, ein Rosenkreuzler zu sein. Und sollten Sie früher bei .Iones: Brown und Co. Pakete ausgetragen haben, verzagen Sie nicht. Es kann ganz gut sein, dass Sie eine Stiftung finden, die an niemanden als an ehemalige Angestellte der Firma Jones, Brown und Co. ihre Gaben verteilt. Das alles gehört zu den speziellen Bedingungen, und Sie finden sie in dem Buche gewissenhaft aufgezählt. Aber dann, begreiflicherweise, stehen da noch die besonderen Zwecke denen die einzelnen Stiftungen dienen. Forschen Sie Krebs? Dafür sind Beihilfen verfügbar. Erfinden Sie? Da gibt es Organisationen, die Ihnen die Geldmittel verschaffen. Sind Sie lahm oder vorbestraft oder geistig zurückgeblieben? Das gute Herz edler Menschen hat Summen bereitgestellt, Ihnen zu helfen. Sie brauchen nur die Instanz aufzuschlagen und sich zu bewerben. Wenn Sie aber zu allen diesen Gruppen nicht gehören? Wenn Sie ein Zeitgenosse sind und weiter nichts? Auch dann brauchen Sie nicht zu verzweifeln. Denn dafür gibt es ein paar hochgesinnte Stiftungen, die bestimmt sind „Für die Förderung der Wohlfahrt der Menschen überall in der Welt" („For the promotion of the well-beeing of mankind throughout the world"). Sie brauchen also weiter nichts zu tun, als dem bewilligenden Komitee einen Plan vorzulegen, auf welche Weise Sie die Wohlfahrt der Menschen zu fordern gedenken. Aber das kann doch nicht schwer sein. Oder doch? Am Ende finden Sie sich ein bisschen unsicher über die Frage: Was dient denn eigentlich der Wohlfahrt der Menschheit? Vielleicht könnte man dagegen fragen: Was dient denn

n i c h t

der Wohlfahrt der Menschheit? Dass es der

Kommunismus tut, hören wir alle Tage. Früher hörten wir dasselbe von Faschismus und erst recht vom Nationalsozialismus. War die Erfindung des Schiesspulvers zum Besten

der

Menschheit?

Jedenfalls

ist

die

Menschheit

auf

diesem

Wege

fortgeschritten und vorläufig bis zur Atombombe gelangt. Die Erfindung der Buchdruckerkunst? Mit ihr wurde die Bibel gedruckt, aber auch „Mein K a m p f . Versteht sich: auch „Hamlet", „Don Quixote" und „Faust". Auch das Telefonbuch, Schundromane und Schmutzliteratur nicht zu vergessen. Fördert das Flugzeug die Wohlfahrt der Menschheit? Sie können jetzt binnen 18 Stunden Europa erreichen. Sie müssen zugleich darauf gefasst sein, dass Ihnen eines fernen oder nahen Tages von oben her das Haus zerschmettert wird.

187

Was dient der menschlichen Wohlfahrt? Ist man sich einig darüber? Weiss es irgendjemand? Aber zerbrechen Sie sich nicht zu sehr den Kopf. Denken Sie sich etwas aus zum Wohle der Menschheit und beantragen Sie daraufhin Ihr Stipendium. Zunächst auf drei Jahre. Das bewilligende Komitee wird entscheiden. „Aufbau" No. 46. Friday, November 16, 1951

„DIE NEUE ZEITUNG" DIE AMERIKANISCHE ZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND

Das Geld auf der Straße Von Inquit

Der Verfasser der nachstehenden Erzählung aus dem amerikanischen Alltag ist in Deutschland kein Unbekannter. Es handelt sich um Dr. Moritz Goldstein, der sich in früheren Jahren

als Lektor

im Verlagshaus

Bong um die Veröffentlichung

ausgezeichneter deutscher Klassikerausgeben verdient gemacht hat. Als Redakteur der „Vossischen Zeitung" wurde er den Lesern nicht nur durch seine vielen hervorragenden Erzählungen bekannt, sondern vor allem durch die Gerichtsberichte, die er nach dem Tode Slings, des berühmtesten deutschen Gerichtsberichterstatters, unter dem Pseudonym Inquit veröffentlicht hat. Dieses Pseudonym wird die „Neue Zeitung" auch in Zukunft für Beiträge von Goldstein verwenden. (Die Redaktion)

Washington, Ende Januar. - In diesem Lande der überraschenden Aufstiege und durchschlagenden Erfolge, hat der Einwanderer, bevor er die Bahn seines Glückes betritt, gewöhnlich eine Zwischenzeit des harten Kampfes um die bloße Existenz zu

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bestehen. Sie gehört zum Plan, und niemand, der die Schule der vergeblichen Bemühungen und schweren Enttäuschungen durchmacht, darf sich beklagen, noch soll er den Mut sinken lassen. Was mich betrifft, so befinde ich mich gerade mitten in meiner Lehrzeit und schöpfe daraus den Glauben an eine glanzvolle Zukunft. Die Vorbereitung äußert sich, man darf auch sagen: sie besteht vor allem in einem segensreichen Mangel Ein Geld. Vielleicht gereicht mir dieser Zustand nicht zur Ehre, und vielleicht sollte ich ihn verbergen. Indessen ich ziehe viel Nutzen aus der Erfahrung, mit wie wenig Geld man im Notfall auskommt, so daß ich meinerseits ohne jede Verlegenheit mich zu der ersten Phase meiner amerikanischen Laufbahn bekenne. Kein Geld haben bedeutet unter anderem, daß man sich viele notwendige oder erwünschte Dinge nicht anschaffen kann. Dazu gehört im Rahmen meiner Existenz ein gediegener Regenschirm fiir den täglichen Gebrauch. Zwar ließe er sich, wenn ich ihn besäße, im Regen nicht ohne weiteres aufspannen, weil schlechtes Wetter hier nicht selten von sturmartigem Wind begleitet ist. Aber es gibt Lagen, in denen man sich ohne Schirm nicht auszugehen traut. Denn, wenn es in USA erst regnet, regnet es so, wie ich es vorher nur aus dem Film gekannt hatte; das Wasser stürzt vom Himmel. Früher dachte ich, so ein sündflutartiger Regen sei ein Trick der Regie. Erst seit ich in Amerika eingewandert bin, weiß ich, daß die Filmhersteller nur einen Regentag abzuwarten und zu photographieren brauchen. Es ist kein Trick dabei. Aber daraus folgt, daß man einen Regenschirm haben muß, solange man nicht ein Auto besitzt. Solche Gedanken kamen mir, als ich in einem Laden Schutz suchte, um einen filmartigen Regen abzuwarten. Durch die rieselnden Scheiben sah ich viele Leute in ihr eigenes Auto steigen, andere, nicht so viele, unter dem Schutz ihres Schirmes dem Unwetter Trotz bieten. Und so beobachtete ich einen Herrn, wohlgekleidet und schon bei Jahren, aus der Deckung der Häuser sich lösen und einer Autodroschke zueilen, die seinetwegen an der Bordschwelle hielt. Er leistete sich dieses Auto, obwohl er einen Schirm über sich hielt. Er mußte also schon vor langen Jahren hier eingewandert oder aber ein echter Amerikaner sein. Vermutlich war er ein Amerikaner. Denn auf dem kurzen Wege von der Haustür zur Droschke stülpte der Sturm ihm den Schirm um. Das Schutzdach ließ sich nicht einfach wieder zuklappen, es hätte einiger Anstrengung bedurft. Was tat der Herr? Er

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warf den umgestülpten Regenschirm weg, kurzer Hand auf die Straße, stieg ein, und fuhr davon. Ich wandte mich hilfeflehend an einen freundlichen Farbigen, der neben mir wartete. „Was macht der Mann da mit seinem Schirm? Hat er ihn verloren?" „Nein", antwortete der Neger mit entgegenkommendem Lächeln, „er hat ihn weggeworfen". „Weggeworfen? Einen Schirm? Aber warum?" „Ich vermute (I guess), er braucht ihn nicht mehr." „Aber man wirft doch nicht einfach einen Schirm auf die Straße", beharrte ich. „Vielleicht ist es ein guter Schirm." „Vielleicht", stimmte der andere heiter zu. „Jeder Beliebige, der vorbeikommt, kann ihn aufheben und

mitnehmen",

überlegte ich erregt. „Gewiß", versicherte der Schwarze. „Oder", bedachte ich weiter, „wenn er da liegen bleibt, so wird er in wenigen Minuten von vorbeifahrenden Autos zerfetzt und zerbrochen sein". „Da haben Sie vollkommen recht", tröstete mich mein Gesprächspartner. „Wollen Sie ihn nicht aufheben?" fragte ich schüchtern. Der Farbige wies diesen Vorschlag mit heftigem Kopfschütteln von sich.

„Aber

warum heben Sie ihn nicht auf?" ermahnte er mich. „Meinen Sie, ich könnte das tun?" „Warum nicht?" „Ohne Aufsehen zu erregen oder mich verdächtig zu machen?" „Niemand wird auch nur nach Ihnen gucken. Beeilen Sie sich. Noch liegt der Schirm da unversehrt. Aber lassen Sie sich nicht überfahren." Scheu blickte ich mich um, lief in den Regen, nahm den Schirm, an dem gerade ein Wagen haarscharf vorbeigeflitzt war vom Asphalt und trug ihn zurück in den Laden. Mit kräftigem Ruck stülpte ich ihn zurecht. Dann besah ich mir das Ding in Ruhe. Es war ein tadelloser Regenschirm, ohne Riß oder anderen Schaden, mit gebogener Hornkrücke, ein herrschaftlicher Gegenstand, wie ich ihn nur in meinen guten Tagen besessen habe und wie ich ihn mir noch auf lange hinaus nicht werde kaufen können. „Meinen Sie, ich darf ihn behalten?" wandte ich mich noch einmal an den Neger.

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„Ohne allen Zweifel", behauptete er. „Niemand macht Anspruch darauf. Ich selber habe gesehen, wie er weggeworfen worden ist. Bye, bye", verabschiedete er sich und lief hinaus, da der Regen nachließ. Seitdem führe ich den Schirm als mein Eigentum mit mir. Unter Umständen, das heißt, wenn es regnet, ohne zu stürmen, spanne ich ihn auf. Er leistet mir die trefflichsten Dienst. Ich bin zwar, im Unterbewußtsein, darauf gefaßt, ich könnte dem ursprünglichen Besitzer in die Arme laufen, er könnte mich anhalten und ausrufen: „Sie tragen ja meinen Schirm!" Indessen, in dieser volkreichen und ausgedehnten Stadt, ist die Gefahr, daß ich dem Herrn wieder begegne, äußerst gering, und im ganzen halte ich mich im Besitz dieses nützlichen Gerätes für geborgen. Bevor ich nach Amerika kam, habe ich von den unbegrenzten Möglichkeiten des Landes viel gehört. Das Geld, so hieß es, liege sozusagen auf der Straße, man müsse es nur aufzuheben wissen. Aber daß man sich guterhaltene Regenschirme vom Fahrdamm auflesen kann, weil andere sie weggeworfen haben, davon hat mir nie jemand erzählt. „Die Neue Zeitung" vom 4. Februar 1950

Paradies des Kindes Von Inquit

Unsere Nachbarin stammt aus Deutschland. Sie ist als Kind hier mit ihren deutschen Eltern eingewandert, aber längst nicht nur amerikanisiert, sondern auch mit einem Amerikaner verheiratet. Der Großvater mütterlicherseits lebt noch in ihrer Geburtsstadt, durch ihn hält sie die Verbindung mit der alten Heimat aufrecht. Dieser Tage langte von ihm ein Paket an, adressiert an seine Urenkelin, jetzt fünf Jahre alt. Es enthielt, neben anderen Geschenken, den „Struwwelpeter". Der alte HeiT meinte mit seiner Gabe nicht eine Demonstration oder Ermahnung zum Deutschtum, er dachte nur einfach, das Mädchen sollte zur rechten Zeit mit den Gestalten und Begebenheiten des berühmten Kinderbuches vertrauten Umgang pflegen, so wie in

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Deutschland eine kindliche Generation nach der anderen seit mehr als hundert Jahren seine gereimten Erzählungen sich unermüdlich vorlesen läßt und an seinen bunten Bildern nicht mehr satt sieht. Warum, dachte der Urgroßvater, soll die kleine Mary drüben in den USA es nicht ebenso gut haben? Aber es stellt sich heraus, daß Mary die Geschichten nicht hören mag. Sie ist weit entfernt davon, an ihnen Freude zu haben, sie bricht vielmehr in Tränen aus, wenn Paulinchen zu einem Häuflein Asche verbrennt und von ihr nichts übrigbleibt als „beide Schuh' so hübsch und fein"; oder wenn Caspar, der keine Suppe essen will, daran stirbt, so daß sein Grab mit dem traurigen Kreuz darauf abgebildet wird; oder wenn Conrad, der Daumenlutscher, mit verstümmelten Händen dasteht. Das Kind furchtet sich vor dem Struwwelpeter, und die Mutter, wie sie uns mit Verwirrung und beinahe Bestürzung erzählt, hat sich entschließen müssen, die Geschichten nicht nur sprachlich, sondern auch dem Sinne nach ins Amerikanische zu übersetzen, nämlich, sie harmlos abzuwandeln. Ist Mary etwa ein Sonderling? Keineswegs; sondern, wie uns die Mutter berichtet, und

wie

wir aus

Struwwelpeter

liebt,

eigener so

Beobachtung

wenig

mögen

wissen; andere

so wenig,

amerikanische

wie

Mary

Kinder

den

unsere

Grimmschen Märchen. Sie sind ihnen „zu grausam", auch sie. Nach dem Geschmack der amerikanischen Jugend soll Rotkäppchens Großmutter nicht vom Wolf gefressen werden; sie ertragen es nicht, daß der Bursche, der das Gruseln erlernen will, eine Nacht neben den Erhenkten verbringt; und wenn Schneewittchens böse Stiefmutter mit glühenden Pantoffeln tanzen muß, bis sie tot umfallt, so empört sie die Krbarmungslosigkeit der Strafe. Diesem Geschmack entsprechen die amerikanischen „Fairy Tales". Sie lassen sich im allgemeinen an Farbigkeit, Kunst des Erzählens, Originalität und tieferer Bedeutung mit dem deutschen Märchen nicht vergleichen. Dafür aber herrscht in ihnen ungetrübte Lieblichkeit und Güte und sanfte Harmlosigkeit. Das ist es, was kleine Amerikaner von ihren Märchen verlangen. Denn das amerikanische Kind lebt in einem Paradiese. Es soll so leben, nach dem Willen der Erwachsenen, und infolgedessen will es so leben und in seinem Kinderglück nicht durch Kraßheiten und Unbarmherzigkeiten gestört werden. Der Gedanke, daß Kinder zunächst gehorchen lernen müssen, ist hierzulande völlig fremd. Nein, Kinder brauchen nicht zu gehorchen, sie dürfen tun, was ihnen beliebt.

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Es ist ihnen gestattet, in den großen Lebensmittelgeschäften mit ihrem Gewühl von Menschen und Waren umherzutollen. Wenn in der Straßenbahn ein Dreijähriges ungezogen zu plärren anfängt und eigensinnig damit fortfährt, so verweist niemand es zur Ruhe, am wenigsten die Mutter. Und warum sollte sie? Die Mitreisenden blicken mit amüsierter Rührung auf den Taugenichts und gönnen ihm von Herzen sein

Kinderrecht,

aus

Leibeskräften

zu

schreien.

Kinder

sind

daher

von

entwaffnender Zutraulichkeit; sie kennen keine Scheu vor fremden Erwachsenen, sprechen sie ohne weiteres mit ihren Sorgen und Wünschen auf der Straße an und zeigen ihnen ihre Spielsachen. Sie erwarten von ihnen, daß sie sich benehmen wie Onkel und Tante und werden darin kaum je enttäuscht. So ist auch das Verhältnis von Lehrer und Schülern das der freien Kameradschaft, ohne den Anspruch auf Autorität des Vorgesetzten gegenüber dem Untergebenen. Freilich entlädt sich in den Jungenjahren der Kraftüberschuß der Zehn- bis Fünfzehnjährigen in einem fessellosen Uebermut, den wir als grobe Ungezogenheit empfinden würden. Die Magazine bringen immer wieder Scherze, mit denen die Anmaßung der Jugend und die Hilflosigkeit der Erwachsenen verspottet wird, „...und er" — nämlich der Weihnachtsmann, den jedes Warenhaus ein paar Wochen vor dem Fest den Kindern seiner Kunden zur Verfügung hält - „hat mir auch eine Eisenbahn mit Dieselmotor und Signalpfeife und ein rotes Raketenflugzeug und ein Paar Rennschlittschuhe

und

einen

Dobermannpinscher

und

fünf Pfund

Marzipan

versprochen", verlangt der Knirps, der kaum über die Tischplatte reicht, am Schalter für Beschwerden, und die würdevolle Angestellte des Hauses hört ihn mit respektvollem Staunen an. Sie nimmt ihn völlig ernst, daran ist er gewöhnt, und das erwartet er. „John hat mich gestoßen", kommt die siebenjährige Schwester gerannt. Was tut die Mutter? Sie schilt den Buben nicht, noch viel weniger straft sie ihn. Statt dessen sagt sie: „Ich bin sicher, es tut ihm leid. Nicht wahr, John?" Und der Junge beeilt sich zu versichern: „Jawohl. Ich bitte um Entschuldigung." Darauf die Mutter: „Siehst du wohl? Ich wußte ja, er ist ein Gentleman." Allerdings steckt der Gentleman hinterher heimlich seiner Schwester die Zunge heraus; denn in Wahrheit ist er ein zehnjähriger Bengel. Wenn

das amerikanische

Kind

in einer

Phantasiewelt

der

Sorglosigkeit,

Freundlichkeit, Freiheit und Heiterkeit lebt, so hat diese Haltung ihre Gefahren, die nicht geleugnet werden. Aber das Endergebnis des Mannes und der Frau in ihrer Reife ist doch wohl ausgezeichnet. Die meisten Amerikaner erinnern sich ihrer

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Kindheit als einer Zeit des Glückes; und der Abglanz davon schwebt ihr Leben lang um sie. Diese Kinderwelt ist nicht die wirkliche Welt. Aber die unverhüllte Wirklichkeit wird dem Heranwachsenden schon noch begegnen. Keine Angst, sie könnte ihm etwa verborgen bleiben. Bis dahin jedoch will das amerikanische Kind nicht aufgeweckt und nicht an die Härten und Unbarmherzigkeiten des Lebens erinnert werden. Das ist, scheint mir, der Grund dafür, daß die deutschen Märchen und Kinderbücher hier für grausam gelten. „Er wog nur noch ein halbes Lot Und war am nächsten Tage tot." Nicht doch! Der kleine Caspar soll nicht daran sterben, daß er keine Suppe ißt; er soll vielmehr von einem freundlichen Erwachsenen oder einer guten Fee mit geduldiger Nachsicht so lange aufgeklärt werden, bis er seinen Widerstand aufgibt und wieder zu Kräften kommt. So würde es in den amerikanischen Fairy Tales ausgehen. „Die Neue Zeitung" vom 20. Februar 1950

Das Land des Lächelns Von Inquit

Washington. Im Februar. - Die Dame läuft mit Erzeugnissen einer großen Kosmetik-Firma umher. Als Agentin. Von Haus zu Haus. Dabei ist sie schon tief in den Sechzig. Niemand findet etwas dabei. Die meisten Frauen arbeiten; entweder weil sie müssen oder weil sie wollen. Auch die Alten. Auch die Damen. Aber es ist ein schweres Leben. Sie schleppt in großen Taschen die Muster, mit denen sie Kunden werben und Bestellungen sammeln soll; oder die Ware, die sie abzuliefern hat; oder beides. Sie läuft unermüdlich von morgens bis abends, die alte Dame, deren Töchter an Universitätsdozenten verheiratet sind, und verdient sich damit das Geld zu den Geschenken und Bäckereien, mit denen sie ihre Enkel verwöhnt, aber auch die

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Mittel, von denen sie mit ihrem Manne lebt, da er nicht mehr in der Lage ist, zu verdienen. „Was machen Sie, wenn Sie an der Tür abgewiesen werden?" erkundigen wir uns voller Teilnahme. „Dann bleibe ich freundlich, sage ,AlIright' und gehe unangefochten meiner Wege." „Aber", vermuten wir eifrig, „Sie kommen niemals wieder?" „Im Gegenteil. Ich komme immer wieder. Sie meinen es doch nicht böse. Sie wollen mich nicht beleidigen. Sie werden schon ihre Gründe haben, warum sie mich diesmal abweisen: keinen Bedarf, kein Geld, keine Zeit, keine Lust. Aber eines Tages bitten sie mich herein. Und kaufen. Und werden ständig Kundinnen. Eine Hausfrau nannte mich im Scherz ihre getreue Anhängerin, als ich unermüdlich immer wieder anklopfte. Seitdem lächelten wir uns einander zu, wenn wir uns sahen. Heute ist sie nicht nur Kundin, sondern meine gute Freundin. „Geschäftsfreundin", verstehen wir. „Nicht doch", belehrt uns die Dame. „Wirkliche Freundin. Tief menschliche Freundin. Sie glauben nicht, wie viele solcher Freundinnen ich mir auf meinen Gängen erworben habe. Sie sind ja glücklich, wenn ich komme, sie warten schon auf mich. Denn sie lechzen danach, mir ihr Herz auszuschütten. Alle ihre Sorgen vertrauen sie mir an: der Mann, die Kinder, die Nachbarn, das Geschäft, die eigene Gesundheit. Denn natürlich haben sie ihre Sorgen. Jede einzelne hat ihre schweren Sorgen. Wenn sie auch lächeln. Die Menschen hier, nicht wahr, lächeln, wenn sie miteinander reden. Es gehört zum guten Ton. Seine trüben Gedanken zu verraten, gilt als schlechtes Benehmen. Man muß schon sehr befreundet sein, damit man einander sein wahres Gesicht zeigt." „Sie haben ohne Zweifel große Mühe, Ihre Ware zu verkaufen", überlegen wir. „Diese hat sich gerade eingedeckt. Jene mag die Produkte Ihrer Firma nicht. Die Dritte muß erst ihren Mann fragen. Ist es nicht so? Und was tun Sie dann?" „Manchmal ist es so", gibt sie zu. „Das alles kommt vor, und noch diese und jene Begründung, um mich abzuweisen. Was ich dann tue? In keinem Falle verliere ich meine Freundlichkeit. Auch ich kann lächeln, und ich lächle. Wenn ich verriete, was in mir vorgeht, so würde ich sie mir für immer verscherzen. Meine Enttäuschung würden sie mir übelnehmen, vielleicht würden sie sich vor mir schämen. Und auf

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jeden Fall würden sie mit mir nichts mehr zu tun haben wollen. Wenn ich mir aber nichts anmerken lasse, so finden sie ,ich sei eine nette Person'; sie nennen mich so vor ihren Hausgenossen und Bekannten, und wenn ich wiederkomme, so sind sie um ein paar Grade mehr geneigt, von mir zu kaufen. Und eines Tages kaufen sie wirklich." „Kommt es nicht vor," wollen wir weiter wissen, „wenn Sie die bestellte Kosmetik bringen, daß die Bestellerin ihren Entschluß geändert hat und sich weigert, die Ware abzunehmen?" „Es kommt selten vor", erfahren wir, „aber es kommt vor". „Dann", entrüsten wir uns, „bestehen Sie natürlich auf Ihrem Schein und verklagen die Kundin oder drohen mit der Klage". Sie lacht auf. „Wo denken Sie hin. So behandelt man einander doch nicht. Wenn ich so verführe, würde ich was Schönes anrichten. Zunächst würde ich meine Firma schädigen. Diese Kundin kauft nie wieder eins ihrer Produkte. Und nicht nur das; sie rät auch allen ihren Freundinnen, nichts mehr bei uns zu kaufen. Und die Freundinnen lassen sich nur zu leicht beeinflussen. Femer aber würde ich mir eine Todfeindin schaffen. Und wer kann wissen, wie sich das auswirkt." Wir mit unserer europäischen Einstellung schütteln die Köpfe. „Wie also behandeln Sie solche Fälle?" „Sehr einfach. Ich lächle. Ich sage: Oh, das macht gar nichts. Was Sie nicht nehmen, kauft mir gern eine andere Dame ab. Noch ehe ich nach Hause zurückkehre, habe ich die Flaschen und Büchsen abgesetzt. Das sage ich. Dann tut es ihr schon leid, daß sie sich die Sachen hat entgehen lassen. Sie findet mich reizend und hochherzig und rühmt mich in ihrem Kreise. Und wenn ich wiederkomme, bestellt sie um so mehr. Es ist mir begegnet, daß ein Konkurrent um seine Ware herauszustreichen, mich vor einer Kundin schlechtgemacht hat. Es war gerade eine von denen, über die ich Grund gehabt hatte, mich zu ärgern, die ich mir aber durch standhaftes Lächeln gewonnen hatte. Wissen Sie, wie sein Versuch ausgefallen ist? Unter Lobsprüchen auf mich hat sie ihn aus ihrem Hause gewiesen und ihm verboten, je wieder ihre Schwelle zu überschreiten." „Die Neue Zeitung" vom 24. Februar 1950

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Einholen Von Inquit

Mir entgegen kommt ein endloser Zug von Menschen, junge Frauen, alte Frauen, gebrechliche Frauen, dazwischen auch Männer, die alle riesengroße vollbepackte braune Tüten vor sich her schleppen. Sie mühen sich damit ab, sie strengen sich über Gebühr an, sie sind fast am Ende ihrer Kräfte. Denn es ist später Nachmittag, sie kommen aus ihrem Beruf, aber sie haben ihr Tagewerk nicht hinter sich, jetzt ruft sie der Haushalt. Es fängt damit an, daß sie einholen gehen. Diese Last liegt auf den meisten amerikanischen Frauen, es ist das Los des Durchschnitts. Gewiß, es gibt Frauen, denen es besser geht, die keinen Beruf auszuüben brauchen, die mit dem Auto vorgefahren kommen - hierzulande kein Zeichen von Wohlstand - , die am Vormittag von Hause aus, die kleinen Kinder mit im Wagen, in aller Bequemlichkeit einkaufen. Andere bringen wenigstens einen fahrbaren Korb mit, den sie hinter sich herziehen und der ihnen erspart, die schwere Bürde zu tragen. Aber das sind nur einzelne, und diese Erleichterung steht denen nicht offen, die auf dem Heimweg von der Arbeit einholen gehen. Weil die meisten Hausfrauen einen Beruf haben, darum holen vielfach die Männer ein; nicht weil sie ohne Beruf sind, aber weil sie es ihren Frauen wenigstens so weit erleichtern wollen. So habe ich selbst lernen müssen, wie man einholt, es spielt sich ganz anders ab als in der Heimat. Meine Lehrzeit begann damit, daß ich ausgesandt wurde, um Brot zu holen. Ich kannte schon die Geschäftsstraße nahe unserer Behausung und zweifelte nicht, ich würde unter den Läden dort eine Bäckerei finden. Als ich sie bei mehrmaligem Aufund Ablaufen nicht fand, fragte ich eine Frau, die offenbar gleich mir einholen ging, nach einer Bäckerei. Ich fragte auf englisch, und ich wußte, daß Bäckerei „bakery" heißt. Sie verstand mich nicht. Ich fragte andere, aber auch sie verstanden mich nicht. In mir stieg der Aerger, daß ich auf so eine einfache Frage keinen Bescheid erhalten konnte. Schließlich stand ein Ring von Frauen um mich, die kopfschüttelnd herauszubekommen suchten, was ich eigentlich wollte. Eine beschrieb mir den Weg zu einer Bäckerei, aber sie lag offenbar in einem anderen Stadtteil, und ich begriff.

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daß dies nicht die Stelle sein konnte, an der die Frauen meiner Gegend sich mit Brot eindeckten. Ich habe an jenem Morgen das Brot, das ich brauchte, schließlich doch erstanden. Daß die Frauen nicht wußten, wo sich eine Bäckerei befinden mochte, kam daher, daß man hier sein Brot nicht in der Bäckerei kauft. Eine Bäckerei in USA ist nicht ein Laden mit einem Arbeitsraum, in dem der Meister mit seinen Gesellen den Teig in den Backofen schiebt. Eine Bäckerei ist ein Fabrikbetrieb, in dem Brote in die Millionen durch Maschinen hergestellt, stückweise verpackt und an die großen Lebensmittelgeschäfte über das ganze Land hin verteilt werden. Dort liegt das Brot zum Verkauf, mit tausend anderen Markenartikeln. Inzwischen bin ich ein routinierter Einkäufer für den Haushalt geworden. Ich gehe nicht zum Kaufmann, zum Grünkramhändler und in den Butterladen, sondern ich begebe mich, den sorgfältig geschriebenen Zettel in der Tasche, in einen der großen Lebensmittelbasare. Er ist darauf eingerichtet, daß jeder sich selber bedient. Auch das habe ich erst lernen müssen, aber jetzt kann ich es. Ich ziehe mir aus der aufgestellten Reihe ein eisernes Gestell auf vier Rädern und rolle es zu dem Kühlschrank, in dem die Butter in abgemessenen und bedruckten Pfundpaketen liegt, die Milch in undurchlässigen Pappbehältem steht, die Sahne, die Margarine, der Käse und was sonst noch auf Eis gehalten wird. Ich rolle weiter zu den Regalen, auf denen das Mehl, der Zucker, der Tee, der Kaffee in Packungen verschiedener Marken und verschiedener Gewichte bereitgehalten wird. Wenn ich Kaffee in Bohnen vorziehe, so kann ich ihn mir selber mahlen, elektrisch, die Handhabung ist ganz einfach. Die Tüte, aus der ich die Bohnen in die Kaffeemühle schütte, empfängt auch das gemahlene Produkt und läßt sich leicht und fest verschließen. „Die Neue Zeitung" vom 11. März 1950

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Gespräch im Drugstore Von Inquit

Washington im März. - „Ich übersetze amerikanische Romane für deutsche Verleger", sagt der Mann neben mir auf seinem ragenden Drehsitz. „Können Sie denn übersetzen?" fragte ich, nicht ohne Bosheit. Er fuhr hoch. „Erlauben Sie. Ich habe Englisch schon auf der Schule gelernt. Ich lebe seit mehr als zehn Jahren in englisch sprechenden Ländern. Und Deutsch ist meine Muttersprache. Ob ich übersetzen kann." Er meisterte kaum seine Empörung. „Ich wollte Sie nicht ärgern", sagte ich (obwohl ich das wollte). „Weder Ihre Meisterschaft im Deutschen noch Ihre Kenntnis des Englischen ziehe ich in Zweifel. Aber von einer Sprache in die andere — ich habe da meine Erfahrungen. Zum Beispiel so ein Ding wie den Drugstore, in dem wir hier sitzen, wie würden Sie das übersetzen?" „Drugstore?" Nun, selbstverständlich Drogerie. Drug ist Droge; also Drugstore ist Drogenladen oder Drogerie, wie man in Deutschland sagt. Ich lächelte geringschätzig. „Meinen Sie, ein Deutscher, der nicht in Amerika gewesen ist, stellt sich unter Drogerie das vor, was die Amerikaner einen Drugstore nennen?" „Sie bekommen in einem Drugstore alles, was in unseren Drogerien zu haben ist", stellte er eigensinnig fest. „Vermutlich", räumte ich ein. „Aber außerdem ist ein Drugstore auch noch eine Apotheke. Oder vielmehr, die Apotheke, der Ort, an dem Sie ihre Rezepte anfertigen lassen, pflegt sich

im Drugstore zu befinden. Außerdem enthalten

manche

Drugstores, dieser zum Beispiel, eine Postfiliale. In einen Drugstore gehen Sie, wenn Sie telephonieren wollen; denn dort stehen Ihnen die Münzfernsprecher, die Zellen und die Telephonbücher zur Verfügung. Im Drugstore kaufen Sie Zeitungen, Journale und Bücher, Parfumerien und Toilettenartikel, Schreibwaren, Handtaschen, Spielwaren und Uhren. Nichts von alledem hat uns beide hierher gefuhrt. Wir sitzen hier, weil ein Drugstore auch vor allen Dingen ein Restaurant ist, obwohl wieder nicht das, was man in anderen Ländern unter einem Restaurant versteht. Unsereiner geht hierher für einen Imbiß während der Mittagspause; oder um eine Tasse Kaffee zu trinken: im heißen Sommer, um etwas Kühlendes zu sich zu nehmen. Mit den

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hohen

Schemeln den erhöhten

Ladentisch entlang erinnert es an eine Bar.

(offensichtlich fehlt hier ein Absatz im Text) „Womit sonst?" fragte ich gereizt. Die Diskussion ärgerte mich ohne Grund. „Hätten Sie in Deutschland das auch mit einem Mop gemacht?" „In Deutschland", gab er zurück, „hätte ich überhaupt nicht mein Zimmer gefegt, sondern das Dienstmädchen oder die Wirtin damit beauftragt". „Aber", beharrte ich, „in Deutschland hätten Sie dazu einen Besen benutzt. Hier nehmen Sie einen Mop. Warum, Sie bekommen hier gar keinen Stubenbesen in unserem Sinne. Als mir zum ersten Male jemand, den ich um einen Besen bat, einen Mop in die Hand drückte, lachte ich ihn aus. Damit soll ich die Stube kehren? Indessen, ich habe längst erkannt, daß man mit unserem Besen hier nichts ausrichtet, denn der Schmutz besteht hier aus leichten Flocken, die einem davonfliegen. Nur ein Mop, ein Wollebausch an einem langen Stiel, hält das Zeug fest, so daß man es im Freien ausschütteln kann. Es ist eine Sache des Klimas, wie übrigens die meisten landesüblichen Gewohnheiten; man muß die wahre Ursache nur entdecken. Aber übersetzen Sie das mal, ohne dem Leser erst umständlich zu erklären, wovon die Rede ist." „Den

Mop

kennt

man

auch

in Deutschland,

unter demselben

Namen",

widersprach er mir. „Ich brauche gar nicht zu übersetzen." „Jedoch der Gebrauch ist verschieden", belehrte ich ihn. „Was schlagen Sie also vor?" fragte er, nun seinerseits kampfbereit, „soll ich denn die Geschichte mit dem Mop mit langen Anmerkungen belasten? Oder die Szene im Drugstore?" „Ich schlage das keineswegs vor", erwiderte ich und rutschte von meinem Hocker. „Was ich sagen wollte, ist dies: Es übersetzt sich mühelos aus einer fremden Sprache in die eigene, solange man das fremde Land nur so obenhin kennt. Hat man es genau kennengelernt, so passen die Sprachen nicht mehr zu den Dingen noch zu den Umständen. Und ich für meinen Teil hätte nicht den Mut zu übersetzen." Damit grüßte ich und verließ das Lokal. „Die Neue Zeitung" vom 15. März 1950

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Herr und Diener Von Inquit

Washington im März. - Das Kostbarste in diesem Lande ist menschliche Arbeitskraft. Es gibt sie nicht unbeschränkt, und sie muß hoch bezahlt werden. Bedienung zu haben, ist daher ein Privileg der Wohlhabenden, derer, die es sich leisten können. Der Durchschnitt, die allermeisten, können es sich nicht leisten; das Dienstmädchen gehört nicht mit Selbstverständlichkeit zum Haushalt, auch nicht des gehobenen Mittelstandes. Allenfalls hat man eine Aufwartefrau, gewöhnlich eine farbige, eine Stunde am Tag oder einmal in der Woche. Im übrigen muß man sich das seinige selber erledigen. Ein großer Teil davon, die grobe Arbeit, liegt auf der Frau des Hauses. Sie hat es nicht leicht. Aber andererseits haftet an all diesen Verrichtungen kein gesellschaftlicher Makel. Die Dame, die vor der Haustür auf ihren Knien liegt und die Stufen scheuert, habe ich zum ersten Male in England gesehen. Auch den Herrn - höheren Beamten oder Universitätsprofessor - der vor seinem Garten den Bürgersteig fegt. Wir selber sind uns nicht zu gut dazu gewesen, unsere Zimmer zu tapezieren - und zwar tadellos glatt und haltbar -.unsere Möbel und Türen zu streichen, elektrische Leitungen zu legen und ungezählte andere Reparaturen auszufuhren.

Keine Unterschiede Denn es gibt schon in England nicht und noch weniger in den USA den Unterschied zwischen Herren und Dienern. Gewiß, die einen haben die Macht, anzuordnen, und die anderen, auch hier, dürfen sich nicht weigern, auszuführen, aber dabei erkennt jedermann an, daß der Unterschied in den wirtschaftlichen Umständen liegt, nicht in der menschlichen Qualität. Die Umstände können sich ändern, der Tiefstehende kann aufsteigen, niemand wird ihn fragen, woher er kommt, und es schändet

nicht,

unten

gestanden

zu

haben.

In

Deutschland

meldet

das

Dienstmädchen: „Ein Herr möchte Sie sprechen." Dann wird es vielleicht der Anwalt des Prozeßgegners sein. Oder sie sagt: „Ein Mann steht draußen", wenn der Klempner kommt, die Gasleitung nachzusehen. Hier fährt der Klempner in seinem

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Auto vor, er hat sein Haus, vielleicht zur Miete, es kann aber auch sein, es gehört ihm, und jedenfalls, er ist ein Gentleman, ein „Herr", nicht weniger als der Anwalt. Andererseits, wenn von ihnen gesprochen wird, so ist der eine wie der andere ein „Fellow", ein Kamerad, oder, noch vertraulicher, ein „Guy", Bursch, Kerl. Niemand verwehrt dem Personal, im BUro zu rauchen, soweit nicht die Feuerpolizei es untersagt. Man hört den Autobusfahrer und -Schaffner - es ist ein und dieselbe Person — „im Dienst" laut singen und pfeifen, und das Publikum nimmt keinen Anstoß. Vor dem Chef stramm zu stehen, äußerlich oder innerlich, fällt niemandem ein. Der Angestellte würde sich weigern, so etwas wie Unterordnung auszudrücken; und dem Chef wäre es peinlich, den Ausdruck entgegenzunehmen. Ganz im Gegenteil, der Vorgesetzte und der Untergebene nennen sich beim Vornamen. Nichts von klingenden Titeln. Nicht distanziert „Herr Soundso", sondern jungenhaft „Charley" und „Tommy". So geht es hin und her zwischen dem Ladeninhaber und seinem Packer oder Boten; so aber auch im Ministerium zwischen dem Abteilungsleiter und seinen Mitarbeitern. Im Jahre 1941, noch bevor Amerika durch Japans Ueberfall auf den Hafen Pearl Harbour in den Krieg gerissen wurde, sandte Präsident Roosevelt seinen vertrauten Ratgeber, Harry Hopkins, auf eine Informationsreise nach England. Als Roosevelt seinen Entschluß den Vertretern der Presse ankündigte - bekanntlich stellt sich der Präsident der Vereinigten Staaten regelmäßig der Presse für Frage und Antwort zur Verfugung — erkundigte sich ein Journalist: „Herr Präsident, darf man sagen, daß Mr. Hopkins unser nächster Botschafter ist?" und Roosevelt antwortet: „Sie wissen ja wohl; Harry ist für solch einen Posten gesundheitlich nicht kräftig genug." Er nennt den Mann, den er soeben für eine schicksalsvolle staatspolitische Mission ausersehen hat, zwanglos „Harry", nicht steif „Herr Hopkins". So berichtet die Szene Robert E. Sherwood in seinem Buche „Roosevelt and Hopkins" (S. 231). Und von demselben Franklin D. Roosevelt - aber es handelt sich nicht um eine persönliche Eigenart gerade dieses Mannes, von jedem anderen Präsidenten ließe sich ähnliches berichten - erzählt Frances Perkins in ihren Erinnerungen „The Roosevelt I knew" (der Roosevelt, den ich gekannt habe, S. 324); während eines Streikes in der Automobilindustrie wurde dem Präsidenten nahegelegt, mit dem Generaldirektor des großen Automobilwerkes General Motors, namens William Knudsen in Verbindung zu treten. Roosevelt, mit schwerer Erkältung zu Bett, nimmt das Telephon zur Hand. Er weiß von Knudsen, versteht sich, aber er kennt ihn nicht. Da das Amt meldet: „Mr. Knudsen am Apparat", läßt

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Roosevelt sich vernehmen: „Sind

Sie das, Bill? Ich weiß, Sie haben

viel

durchgemacht, Bill, und ich möchte Ihnen sagen, wie leid mir das tut; aber ..." Es folgt ein kurzer Austausch über den Streik und seine Beilegung, bis der Präsident schließt: „Ausgezeichnet, Bill. Danke Ihnen vielmals, Bill. Das isi gut." Der Angerufene ist einer der fuhrenden Männer der amerikanischen Großindustrie. Die beiden sind einander nie begegnet. Aber das Staatsoberhaupt, in einem offiziellen Gespräch von größter Tragweite, nennt ihn nicht nur beim Vornamen, sondern er gebraucht noch überdies die abgekürzte familiäre Form Bill für William. Man sollte auch nicht überhören, daß er nicht eigentlich „Sie" zu ihm sagt, wie ich es übersetzt habe. Es gibt keinen Unterschied zwischen den Anrede-Fürwörtern zu Fremden und zu Vertrauten. Jeder redet jeden mit „you" an. Und also, da er ihn „Willi" nennt, wäre es nicht falsch, das „you" mit „du" wiederzugeben. Als die große Wahlkampagne für Harry Truman im Gange war, wunderte ich mich,

daß

der

Präsident

nie

anders

als

herzlich

oder

übermütig

lachend

photographiert wurde. Ich dachte, dies müßte seiner Würde Abbruch tun, und fragte einen Journalisten nach dem Grunde. Seine Antwort war: „Wir Amerikaner denken uns unseren Präsidenten gem als einen Menschen wie jeder andere von uns." All das muß der Fremde erst verstehen lernen. Aber ich glaube, ich fange an, es zu verstehen. „Die Neue Zeitung" vom 20. März 1950

Darrows Geist blieb stumm Von Inquit

Washington, im April. - Wissen Sie, wer Clarence Darrow ist? Vermutlich wissen Sie es nicht. Aber Amerika kennt ihn und bewahrt sein Andenken als das eines großen Rechtsgelehrten und Rechtspraktikers, dessen Name mit einer langen Reihe aufsehenerregender

und

entscheidender

Prozesse

verbunden

ist.

Er war

ein

vielseitiger Mann, Verfasser nicht nur hochgeschätzter juristischer Werke, sondern auch eines Romans und einer Selbstbiographie, dazu verschiedener Flugschriften

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über soziale und wirtschaftliche Fragen und zahlreicher Beiträge zu Zeitschriften. Seine Figur ist sogar zum Mittelpunkt eines Films geworden. Er lebte und wirkte in Chicago und starb hochbetagt 1938. Lange vor seinem Tode hatte er eine seltsame Verabredung mit zweien seiner Freunde getroffen. Der eine, Mr. Noble, ist ein Geschäftsmann aus Detroit, der andere, Mr. Thurston, wird in der Presse bezeichnet als „Magician", zu deutsch Zauberer oder Magier. Offengestanden, ich habe keine klare Vorstellung davon, was in unserer entzauberten Welt den Zauberern oder Magiern noch zu tun übrigbleibt. Vielleicht war Mr. Thurston das, was wir einen Spiritisten nennen würden; denn die Verabredung lief darauf hinaus, daß derjenige von den dreien, der die anderen überlebte, einmal in jedem Jahre versuchen sollte, sie „to contact", das heißt, mit ihren Seelen in Verbindung zu treten.

Spiritistische Jubiläumssitzung Der Ueberlebende ist der Geschäftsmann Noble aus Detroit, jetzt 60jährig. Auf ihm also liegt das Vermächtnis, und er hat in rührender Pflichterfüllung fast jedes Jahr seit Mr. Darrows Tod versucht, mit dem berühmten Anwalt in Verbindung zu treten und zwar immer an dessen Todestag, dem 13. März. Nur in den Jahren 1948 und 1949 ist er nicht dazu gekommen, aber dieses Jahr war er wieder auf seinem Posten, damit eine Art von Jubiläum begehend, da es die zehnte spiritistische Bemühung um Herrn Darrow gewesen ist. Er hat dazu denn auch, wie man das bei Jubiläen macht, die Presse mit Reportern und Photographen eingeladen. Die Zeitungen nennen bei dieser Gelegenheit den Geschäftsmann Noble ebenfalls einen „Magician", was ich mir also als Spiritisten deute. Magician Noble behauptet, die Verabredung sei getroffen worden, um den spiritistischen Humbug bloßzustellen; aber er gibt zu, daß jeder der drei Kontrahenten die Hoffnung gehabt habe, der Geist des Verstorbenen würde sich dennoch irgendwie manifestieren, vorausgesetzt, der Himmel erlaube es. Neunmal erlaubte es der Himmel nicht. Beim zehnten Experiment versammelten sich die Vertreter der Presse und die Zuschauer um Mr. Noble im Jackson Park von Chicago auf einer Brücke; derselben Brücke, von der einst die Asche des Verstorbenen in alle Winde zerstreut worden ist. Ein kalter Sturmwind fegte durch

204

die kahlen Bäume des Parkes und machte die Versammelten fröstelnd. Ihm zum Trotz entblößte der Magician sein Haupt und kniete nieder. Er betete laut das Vaterunser,

hob

ein

Exemplar

eines

Buches

über

die

Führung

von

Kriminalprozessen, das er in der Hand hielt, empor, und bat den Verstorbenen, an den Einband zu klopfen. Mr. Noble, wie er der Presse eröffnete, glaubte nicht, daß etwas geschehen würde; aber er bekannte sich zu der leisen Hoffnung, der Himmel möchte der armen Seele irgendeine Art von Manifestation gestatten. Darrow schweigt Indessen der Himmel zeigte sich auch dieses Mal unnachgiebig; es klopfte weder, noch geschah irgend etwas sonst, was auf die Gegenwart von Darrows Geist hätte schließen lassen. Wohl aber dröhnte, gerade als Mr. Noble vor aller Augen kniete, ein Flugzeug über die Köpfe der Versammelten hinweg, als offenbare Widerlegung abergläubischen Spukes und als eindrucksvolle Bestätigung der Grenzenlosigkeit technischer Wunder, zwischen denen zu leben wir uns gewöhnt haben. Mr. Noble freilich ist in seinem Eifer durch den neuen Mißerfolg keineswegs wankend geworden. Er wird es am 13. März 1851 noch einmal mit Clarence Darrow versuchen, und er will am 13. April, Mr. Thurstons Todestag, an dessen Grabe auf dem Friedhof in Columbus, Ohio, auch diesem Geist eine Gelegenheit geben, entweder sich zu manifestieren und so den Glauben der Spiritisten zu bestätigen, oder aber sich nicht zu manifestieren und damit den Humbug bloßzustellen. Und eins von beiden, sollte man meinen, muß ihm schließlich gelingen. „Die Neue Zeitung" vom 13. April 1950

Anders als bei uns Von Inquit

Wer ins Ausland geht, muß die Sprache des fremden Landes lernen. Das weiß jeder im voraus. Was man nicht weiß und was einem erst durch bittere Erfahrung beigebracht werden muß, ist das Maß von Fremdheit, das einem jenseits der Grenze

205

oder jenseits des Ozeans entgegenschlägt. Nicht nur die Sprache ist anders, auch das tägliche Leben entspricht in zahllosen Einzelheiten nicht dem gewohnten, von den Menschen ganz zu schweigen. Als wir nach Italien ausgewandert waren, und uns dort ein Haus einrichten mußten, standen wir vor der Aufgabe, einen schweren Spiegel aufzuhängen. Ich wagte nicht, die Bastelei selber zu versuchen, aber jemand, der schon eingewöhnt war, schickte mir den zuständigen Handwerker. Der besah sich den Spiegel und den Platz und erklärte, es müsse ein Loch in die Wand geschlagen werden. Auf italienisch, so gut ich konnte, ermunterte ich ihn: „Schlagen Sie ein Loch in die Wand." Er jedoch belehrte mich, das sei nicht seine Sache, dazu müsse ein anderer geholt werden. Ich bat ihn, er möchte doch einen Maurer schicken. Der Maurer kam, schlug ein Loch in die Wand, aber den Spiegel hängte auch er nicht auf, sondern verlangte, daß ein Holzpflock eingegipst werde. Ich hatte nichts dagegen, wünschte vielmehr, er möchte auch diese Arbeit sogleich ausfuhren. Allein ich erfuhr, daß hierzu ein Tischler benötigt werde. Der Tischler kam, schnitzte den Pflock zurecht und gipste ihn ein. Und der erste Handwerker brachte schließlich den Haken an und hängte den Spiegel auf. Ich bin später sehr gut mit Italienern ausgekommen und habe ihren Fleiß und ihre Geschicklichkeit hochschätzen gelernt. Wenn mir dieser Anfang komisch vorkam, so lag es daran, daß ich noch meine heimatlichen Erwartungen bei mit trug, während es in Italien anders war als bei uns. Die Laune des Schicksals führte uns nach England, und dort war es erst recht anders. Wir wohnten in einer bescheidenen Pension; die Wirtin ließ uns über Weihnachten allein; als wir eines Morgens aufwachten, war das Wasser eingefroren. Von den Mitbewohnern ließ sich keiner aus der Ruhe bringen, aber wir mit unseren heimatlichen Begriffen empfanden das Ereignis als Katastrophe und hielten uns für verpflichtet, den Schaden sofort beheben zu lassen.

„Aber das ist nicht billig" Der zuständige Mann war offensichtlich der Klempner, englisch Plumber. Wo wohnt ein Plumber? Mit Mühe gelang es mir, eine Adresse auszukundschaften, ich pilgerte durch viele Straßen zu ihm, traf ihn auch zu Hause und trug ihm mein

206 Anliegen vor. Er sagte nicht, was daheim der Klempner gesagt hätte: „Ich komme sofort", sondern kratzte sich den K o p f und äußerte bedächtig: „Ich kann ja kommen, aber das ist nicht billig." „ W a s

wird es kosten?" fragte ich ängstlich.

„Fünf

Schilling", lautet sein Bescheid. Ich mußte ihm Recht geben, es war keineswegs billig, aber ich hielt es für unmöglich, mit eingefrorenem Wasser dazusitzen, und bat ihn zu kommen. Er kam auch prompt, taute die Röhren auf, ich zahlte fünf Schilling, und wir setzten frohlockend den Wasserzug in Tätigkeit. Am

nächsten M o r g e n fanden wir zu unserem Entsetzen die Leitung

wieder

eingefroren. Ich stürzte zum Plumber. Er nahm die Nachricht w o m ö g l i c h

noch

gelassener auf und meinte, er könnte j a wieder auftauen, ich müßte dann aufs neue fünf Schillinge bezahlen, aber geholfen sei damit nicht viel, denn solange die Kälie anhielte, würde es immer wieder einfrieren, und auf die Dauer würde mir der Spaß denn doch wohl zu teuer werden. „ W a s wollen wir also tun?" fragte ich fassungslos. - „Warten, bis es von selber auftaut", riet er grinsend. - „Ich kann j a doch nicht bis nach Ostern warten", schrie ich und machte mich kopfschüttelnd, Verzweiflung im Herzen, auf den Rückweg. Zum

Glück

kehrte

die

Wirtin

heim

und

zeigte

uns,

wie

man

ohne

den

kostspieligen Klempner die Röhre mit Güssen heißen Wassers auflaut und durch ein untergestelltes Oelflämmchen vor dem Einfrieren bewahrt. Sie hatte es im Griff, denn w i e mir allmählich klar wurde, sind in ganz England die Röhren ungeschützt an der Außenmauer angebracht, und bei entsprechender Temperatur friert das Wasser überall ein. In einer Stadt w i e London ereignen sich dann tausende von Rohrbrüchen, die Zahl der Klempner reicht jedesmal nicht aus, die Schäden rasch zu beheben, und manche Familien sitzen wochenlang ohne Wasser; aber die Engländer sind das gewöhnt, sie glauben, der strenge Winter ist schuld, und es müßte so sein. Und am wenigsten

kommen

sie

auf

den

Gedanken,

den

Zustand

zu

ändern

und

die

Wasserröhren ins Innere des Hauses zu verlegen.

A m besten auf der Stelle

Zu guter Letzt wehte uns das Schicksal nach den Vereinigten

Staaten von

Amerika. Dort begegnete es mir, daß ich Grund hatte, den Zahnarzt aufzusuchen. Ich ließ

mir

einen

empfehlen,

es

empfing

mich

ein

wohlwollender

Herr,

prüfte

207

kennerisch meinen weit geöffneten Mund und fällte das Urteil: z w e i meiner Zähne müßten vor jeder anderen Maßnahme gezogen werden, am besten auf der Stelle. „ T u n Sie das", rief ich mit gespielter Entschlossenheit. Er lächelte verlegen. „Das geht nicht." - „ W a r u m geht es nicht?" „Ich ziehe keine Zähne. Ich habe seit vielen Jahren keinen Zahn mehr gezogen." - „ W a s also raten Sie m i r ? " - „Ich schreibe ihnen hier eine Adresse auf. Begeben Sie sich sogleich dorthin. Die Leute sind darauf eingerichtet, Zähne zu ziehen, und auf gar nichts sonst. Bei ihnen sind Sie in den besten Händen." Ich

fand

ein

Riesengebäude,

in dem

nur

Aerzte,

Augenärzte,

Ohrenärzte,

Zahnärzte - nicht wohnten, aber ihre Praxis betrieben. Ich wurde empfangen w i e ein Schwerkranker. Eine Schwester stellte eine Art Geschütz neben mich hin, ein Herr im weißen Kittel richtete die Mündung auf mich, es dauerte nur einen Augenblick, und

von

meinem

Gebiß

war

eine

Röntgenaufnahme

angefertigt

worden.

Die

Schwestern brachten mich schonend in einen anderen Raum mit einem anderen Sessel. N e u e Schwestern bemühten sich um mich, bereiteten mich vor, w i e zu einer Operation, sprachen mir gut zu, standen mir bei in meiner schweren Stunde. Das Röntgenbild

wurde gebracht und transparent vor mir aufgehängt. Ich fand es

überraschend ähnlich. Schließlich sah ich die beiden verurteilten Zähne in der Hand des Dentisten, Schmerz hatte ich keinen empfunden. Die Schmerzen

allerdings

wurden ein paar Stunden später nachgeliefert. Durch die ganze Prozedur hatte ich mich nur vor einem gefürchtet, nämlich vor einer horrenden Rechnung. A b e r ich brauchte nicht mehr zu zahlen, als ich von früher gewohnt war. Dafür durfte ich nach ein paar Tagen wiederkommen und nachsehen lassen, ob alles in Ordnung ist. Indessen

der

Mensch

geht

nicht

nur

zum

Zahnarzt,

es

gibt

auch

andere

Verwicklungen des Lebens. Mein Freund, den ich unerwartet nach Jahren wiedertraf und mit dem ich in Erinnerung an längst vergangene Zeiten durch die Straßen schlenderte, bedauerte v o n Herzen, daß er heute abend keine Zeit für mich habe, aber er sei eingeladen. „Übrigens", kam ihm plötzlich in den Sinn, „warum kommst du nicht einfach m i t ? " „Das geht j a wohl nicht", wandte ich erschrocken ein. „Jawohl, es geht. Die Leute sind ganz unformell, ich verkehre dort seit Jahren, sie werden sich nur freuen, meinen Schulkameraden kennenzulernen. Es wird ein Haufen Menschen erwartet, niemand kümmert sich um uns, wir ziehen uns in eine Ecke zurück und können stundenlang plaudern." „ A b e r ich bin nicht angezogen", protestierte ich. „Ich komme auch im Straßenanzug. So wie du da bist, das genügt v o l l k o m m e n . " „ D u

208

siehst

geschniegelt

und gebügelt

aus,

aber

mir

schlottert

dieser

zerdrückte

Arbeitsanzug um den Leib. Hier hängt ein Knopf lose, ein paar Knopflöcher sehen schäbig aus, und meine Hemdsärmel sind ein wenig ausgefranst. So kann ich mich nicht vor Leuten blicken lassen." „Aber das läßt sich doch alles gleich in Ordnung bringen. Du suchst einfach einen Valet Service auf." Was ein Valet Service sei, wollte ich wissen. Meinem Freund blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen. „Was?" brachte er mit Mühe hervor, du lebst in Amerika und kennst nicht den Valet Service? Komm gleich mit mir."

Ich werde besuchsfahig gemacht Er führte mich wenige Straßen weit zu einem Laden, über dem „Valet Service" geschrieben stand. Damit ist gemeint, wie ich jetzt weiß, daß hier die Verrichtungen etwa eines Kammerdieners an einem vollzogen werden. Leute gingen aus und ein, es herrschte

lebhafter

Betrieb.

Einer

Empfangsdame

unterbreiteten

wir

unsere

Wünsche, nämlich daß ich meinen Anzug ausgebessert und gebügelt, mein Hemd mit neuen Stulpen versehen, meinen Hut in anständige Form gebracht und meine Schuhe blank geputzt haben wollte. Ob ich das alles haben könnte, während ich darauf wartete. Mein Freund begab sich ein paar Stufen abwärts in einen Salon, in dem er es sich für eine halbe Stunde bequem zu machen gedachte. Ich selbst, mit einem Leitzettel versehen, wurde eine Treppe hinauf gewiesen, an dem Stockwerk vorbei, in dem sich Werkstätten

befanden,

zu

einem

noch

höheren

Stockwerk,

in

dem

ein

wohlgekleideter Neger mir meinen Paß abnahm. Er ließ mich in eine Ankleidezelle treten,

deren

es,

in

Reihen

angeordnet,

25

bis

30

gab,

ließ

sich

meine

Kleidungsstücke durch den Vorhang reichen, und ich sah, wie er sie mittels eines Aufzugs versenkte. Auf meinem Bänkchen sitzend hatte ich Muße, mich umzusehen und auch den Neger ein bißchen auszufragen. Wenn mir danach zumute gewesen wäre, so hätte ich ein Brausebad nehmen können. Ich war berechtigt, zu verlangen, daß meine Wäsche gewaschen, mein Gepäck repariert, mein Mantel geändert, mein Schirm neu bespannt werde. Man war sogar bereit, orthopädische Verbesserungen nach Vorschrift des Arztes anzufertigen. So wenigstens stand geschrieben, wobei ich freilich vermutete, es handelte sich um schlichte Plattfußeinlagen.

209

Es dauerte keine halbe Stunde, so bekam ich mein umgearbeitetes Hemd, meinen reparierten und gebügelten Anzug und meinen frisch geformten Hut durch den Vorhang wieder hereingereicht, und bald darauf überzeugte ich mich vor dem Spiegel, daß ich jetzt besuchsfahig war. Der Neger, der mein Erstaunen und meine Zufriedenheit mit Genugtuung wahrnahm, bemerkte stolz: „Wir sind berühmt für tausendundeinen Dienst." Es blieb mir nur noch übrig, meinen Freund zu erlösen. Ich kargte nicht mit Lob für seinen guten Rat. Er wehrte ab. „Du sprichst schon ganz gut amerikanisch", meinte er. „Aber offenbar hast du noch lange nicht gelernt, dein tägliches Leben auf amerikanisch zu fuhren." „Die Neue Zeitung" vom 18. April 1950

Politik der Kirschblüten Von Inquit

Washington, im Mai. — Erinnern Sie sich noch - aber dann müßten Sie schon 1905 mit Bewußtsein gelebt haben - wie Japan, damals noch wenig gekannt und unerprobt, mit dem mächtigen, in vielen Kriegen bewährten russischen Reich über Korea in Krieg geriet? Wie die Heere an der mandschurischen

Eisenbahn

aufmarschierten, und wie die Japaner durch überlegene Strategie die Russen von Stellung zu Stellung zurücktrieben? Wie die Welt sich freute, als der selbstgewisse Riese Goliath von dem kecken kleinen David geschlagen wurde? So wenigstens lasen wir es damals in der Zeitung. Nicht in der Zeitung stand, daß Rußland mit seinen unerschöpflichen Reserven, namentlich an Menschen, noch viele Niederlagen in Seelenruhe hinnehmen konnte, während Japan mit seinen Siegen in Gefahr kam, sich völlig zu erschöpfen. Noch ein paar Monate weiter siegreicher Feldzug, und Japan wäre zusammengebrochen. Die Gunst des Augenblickes erkannte mit scharfem Blick der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Theodor Roosevelt. Er bot seine guten Dienste an, und es dauerte nicht lange, so verhandelten die beiden kriegführenden Mächte über

210

den Frieden. In bezug auf Korea gab Rußland nach, auch in ein paar anderen Punkten; aber in anderen zeigte es sich unnachgiebig, und es weigerte sich vor allen Dingen, Kriegsentschädigung zu zahlen. Wenn den Japanern das nicht paßte, so mochte der Krieg weitergehen. Rußland konnte es aushalten. Aber Japan konnte es nicht aushalten. Es blieb ihm nichts übrig, als sich zu fügen. Das japanische Volk, von den Siegen berauscht, über die wirtschaftliche Lage seiner Regierung nicht aufgeklärt, fand, daß die politischen Ergebnisse in keinem Verhältnis zu den militärischen Leistungen standen. Es revoltierte in der Hauptstadt, und der Premierminister verlor sein Amt. Aber der Friede mußte geschlossen werden auf Grund der Bedingungen, die von dem geschlagenen Rußland formuliert worden waren.

Kirschbäume als Dank Die Japaner, die nur ihre Zeitung gelesen hatten, waren tief enttäuscht. Aber ein Mann unter ihnen wußte mehr als in den Zeitungen stand. Er verstand offenbar auch mehr. Er verstand, daß der Krieg Japans Kräfte aufgezehrt hatte und daß ohne Präsident Roosevelts Vermittlung sein Land einer Katastrophe entgegengegangen wäre. Dieser Mann hieß Yukio Ozaki, seit vielen Jahren Abgeordneter des Parlaments. Damals bekleidete er außerdem noch den Posten des Bürgermeisters von Tokio. Ihn erfüllte tiefe Dankbarkeit gegenüber den Amerikanern für ihr rasches, zielbewußtes, selbstloses Eingreifen. Und in seiner Eigenschaft als Bürgermeister der Hauptstadt sah er sich in der Lage, dieser Dankbarkeit sichtbaren Ausdruck zu verleihen; er sandte eine Schiffsladung junger Kirschbäume nach der Hauptstadt Amerikas. Washington empfing die Gabe, wie es sich gebührte; es gab ihr einen ehrenvollen Platz in einem seiner schönsten öffentlichen Parks, nahe dem Flusse Potomac. Dort wurden die Bäumchen sachkundig in den Boden gesetzt, rings um das sogenannte Tidal Basin, zu deutsch Flutbassin, das angelegt ist, um Überschwemmungen zu verhüten; landwirtschaftlich und architektonisch eine Sehenswürdigkeit der Stadt, abgesehen von seinem nützlichen Zweck. Die Kirschbäume schlugen Wurzel, sie wuchsen und gediehen, und heute und schon längst in jedem Jahr entfalten sie sich zu dem lieblichen Wunder ihrer wießen

211

oder rosa getönten Blütenfülle. Die Stämme ringsumher sind noch kahl oder beginnen eben, Knospen zu treiben, aber die japanische Kirsche steht schon im lachenden Schmuck des voll entfalteten Frühlings.

Eine Königin wird gewählt l a g für Tag strömen die Washingtoner herbei, um sich an dem Anblick zu weiden. Fremde kommen von weit her zu der berühmten Kirschblüte des Flutbassins. Ihr zu Ehren wird eine öffentliche Feier und ein Umzug veranstaltet. Und, versteht sich, eine Kirschblütenkönigin wird gewählt. Alle amerikanischen Staaten und Territorien, 51 an der Zahl, schicken eine Repräsentantin. Unter ihnen trifft der Zufall die Auswahl, in Gestalt eines großen Nummernrades. Dieses Jahr entschied es zugunsten der 20jährigen Joan

Rüssel

aus Connecticut.

Der

Marineminister

(Secretary of the Navy) setzte der Kirschblütenkönigin die Krone auf die dunklen Locken. Zwei Zeremonienmeister durften die Königin auf beide Backen küssen, und zwar immer wieder, so lange, bis alle Pressephotographen die Aufnahme gemacht hatten, die sie brauchten. Herr Yukio Ozaki, jetzt ein Patriarch von 91 Jahren, hat in der japanischen Presse die Umstände, unter denen er vor 45 Jahren seine Gabe gesandt hat, der jüngeren Generation in die Erinnerung gerufen. Und er hat überdies angekündigt, er werde die weite Reise hierher nicht scheuen, um sich selbst zu überzeugen, was aus den jungen Bäumchen geworden ist. Wenn er sich beeilt, so kann er das Schauspiel dieses Jahres noch genießen, denn kühles Wetter hat die Entwicklung ein wenig verzögert. Überdies wird man die Kirschblüten, sobald sie voll entfaltet sind, mit Hormonen überspritzen, wodurch die Kelche ungefähr fünf Tage über die normale Zeit hinaus an den Zweigen gehalten werden. Herr Ozaki wird also hoffentlich Augen und Seele an ihnen erquicken können. Er darf eines begeisterten Empfanges sicher sein, wie er einem hochherzigen Manne geziemt. Er hielt sich für berechtigt, im Namen seiner Landsleute, aber ohne ihre Zustimmung, seinen Dank abzustatten, den, wie er glaubte, seine Heimat schuldig war. Er tat es mit der graziösen Geste, mit der man jemandem, dem man sich verpflichtet fühlt, einen Blumenstrauß ins Haus schickt. Er vertraute darauf, die

212

Amerikaner jenseits des großen Wassers würden den Sinn der Gabe verstehen und sie zu würdigen wissen. Und so geschah es. Der Erste Weltkrieg streute Verderben über die Länder, aber die

Kirschbäume

am

Tidal

Basin

wuchsen

und

blühten.

Es

kam

Not,

Ueberschwemmung, Revolution - die Kirschbäume fuhren fort zu wachsen und zu blühen. Es kam der Zweite Weltkrieg, der Spender und Empfanger als Todfeinde gegeneinander hetzte. Die Kriegspropaganda wollte den Japanern einreden, die Amerikaner hätten die Kirschbäume abgeholzt. Herr Ozaki selbst, wie er in seinem Artikel bekennt, glaubte nicht daran. In Wahrheit haben seine Kirschbäume auch diesen Krieg überlebt und stehen da als zartes Zeichen friedlicher Verständigung. Die Welt ist noch nicht so weit. Sie verläßt sich auf Atombomben, Wettrüsten und Kriegsbereitschaft. Aber in ein paar Menschen lebt die geheime Hoffnung auf eine bessere Zeit, da die Politik des Bürgermeisters Yukio Ozaki von Tokio sich als die stärkere Kraft erweisen wird. „Die Neue Zeitung" vom 9. Mai 1950

Die gute Gelegenheit Von Inquit

Washington, im Mai. - Mit dem Opiumschmuggel ist das so: Es gibt einen legalen Handel mit Opium, im wesentlichen zu medizinischen Zwecken. Er wird von den

Regierungen

überwacht,

alle

damit

befaßten

Personen

bedürfen

einer

behördlichen Lizenz. Dieser Handel verspricht einen normalen kaufmännischen Verdienst, aber aufregende Gewinne sind da nicht zu erzielen. Damit einer sich über die Höhe seines Gewinnes aufregt, muß er schmuggeln. Schmuggeln läßt sich nur eine Ware, deren Einfuhr verboten ist. Verboten haben die Staaten die Einfuhr von Opium als Rauschgift. Aber diejenigen, die dem Laster des Opiumgenusses

verfallen

sind

(wozu

auch

Morphium

gehört),

verlangen

leidenschaftlich nach der Droge und locken mit hohen Preisen. Wagemutige Leute

213

ohne moralische Hemmungen überall in der Welt unterliegen daher immer wieder der Versuchung, Opium heimlich und unkontrolliert ins Land zu bringen. Das Gift wird bekanntlich aus Mohn gewonnen; botanisch hört die Pflanze auf den Namen „papavet somniferum", der schlafbringende oder einschläfernde Mohn. Es gäbe kein schmuggelbares Opium, wenn man den Anbau von Mohn regulieren könnte. Jedoch das kann man nicht, oder, nur unvollkommen, weil in manchen Ländern ein gewisser Teil der Bevölkerung vom Mohnanbau lebt. Im Interesse solcher Mohnzüchter in seinen Kronländern wollte zum Beispiel Großbritannien das volkreiche China zwingen, die Opiumeinfuhr zuzulassen, und es kam darüber im Jahre 1840 zum Kriege. Erst allmählich begriff die Welt, daß China mit seinem, Widerstand gegen den Opiumhandel im Rechte war. Im Jahre 1909, auf Anregung Amerikas, trat in Shanghai eine internationale Opiumkommission zusammen. Seit 1912 gibt es eine Opiumkonvention der Staaten. Der Völkerbund übertrug die Verfolgung ihrer Ziele einer eigenen Körperschaft, dem „Permanent Central Opium Board"; die Vereinten Nationen haben ihn übernommen. Diese Zentrale sucht ihre schwere Aufgabe Schritt für Schritt zu lösen; ihre Wirksamkeit gehört zu den segensreichen,

längst

unentbehrlich

gewordenen

Gesamtbemühungen

der

organisierten Menschheit. Sie wundern sich mit Recht, woher ich das alles weiß. Ich will Ihnen das Geheimnis

verraten;

ich habe

im

Konversationslexikon

nachgesehen

in der

amerikanischen Ausgabe der „Encyclopaedia Britannica". Und ich werde Ihnen auch gestehen, was mich dazu veranlaßt hat: Wenn jemals die Bösewichte eine Gelegenheit gehabt haben, mit Opium ein dickes Ding zu drehen, so ist es jetzt der Fall. Denn ein verlöteter Blechbehälter mit Opium, 195 englische Pfund schwer, schwimmt seit drei Wochen im Hafen von New York herum, und es kommt bloß darauf an, daß die Bösewichte ihn finden und unbemerkt herausfischen. Die zuständigen Behörden haben ihn in drei Wochen systematischen Suchens nicht gefunden. Der vermißte Blechbehälter steckt seinerseits in einer Holzkiste. Sie wiederum gehört zu einer Ladung von mehr als tausend Kisten Opium, die zusammen mit einer allgemeinen Fracht und zwölf Passagieren am 21. März vom Fernen Osten her in New York eingetroffen ist. Beim Ausladen zerbrach der Stahlring des Kranes - wie die Ausladefirma behauptet; ein neuer Ring, der eine viel größere Last hätte aushalten sollen - und eine der Opiumkisten fiel ins Wasser und verschwand.

214

Sofort machten sich die Hafenarbeiter ans Suchen. Da sie nichts fanden, wurden Taucher alarmiert, die drei Tage lang auf dem schlammigen Grund um den Pier und zwischen seinen alten Pfählen sich abmühten, aber auch sie fanden nichts. Inzwischen wurde der Verlust sorgfaltig verheimlicht, jedoch Zollwächter und andere Regierungsbeamte umschwärmten die Ladestelle „wie Mäuse in einem Kornspeicher". Man überlegte, daß der Blechbehälter, da er außer dem Opium auch Luft umschließen mußte, in seiner Holzverschalung vielleicht sich schwimmend verhielt und daß der Wechsel von Flut und Ebbe die Last irgend wohin getragen haben mochte, wo man sie nicht vermutete. Um herauszubekommen, wohin, konstruierte man eine gleichwertige Kiste, brachte sie durch Sand auf dasselbe Gewicht und warf sie ins Wasser. Indessen sie schwankte ziellos auf den Wellen und gab keinen Wink über die Richtung, in der das Opium etwa getrieben ist. Jetzt hat man sich entschließen müssen, die Suche aufzugeben. Die Wacht, versteht sich, wird aufrecht erhalten, und Zollbeamte fahren fort, auf den möglichen Fund aufzupassen. Man ist sich klar darüber, daß der Schatz von der Strömung längst ins offene Meer

hinausgetragen

worden

sein

kann, weit aus dem

Bereich

hafenbehördlicher Nachforschung. Aber man rechnet auch mit der Möglichkeit, daß die Kiste sich noch im Hafen umhertreibt,

irgendwo zwischen

Boden

und

Oberfläche, und daß sie eines Tages auftauchen wird. Nicht gesprochen wird von der dritten Chance, daß nämlich die New Yorker Schmuggler die Kostbarkeit gefunden und in ihre verruchte Obhut gebracht haben. Im normalen Handel, unter der weltumspannenden Kontrolle des „Central Opium Board" der Vereinten Nationen, würde die verschwundene Last ein paar tausend Dollar bringen, die überdies durch Versicherung gedeckt sind. Einen wirklichen Wert bekäme sie erst in den Händen der Bösewichte; wenn sie die Kiste fänden, so könnten sie aus dem Opium einen Gewinn von einer halben bis einer ganzen Million schlagen. Vielleicht erklärt sich aus dieser verlockenden Aussicht, warum einige Leute die Vereinten Nationen so fanatisch bekämpfen. „Die Neue Zeitung" vom 13. Mai 1950

215

Indianergeschichten Von Inquit

Washington, im Mai. - Wenn ich Gelegenheit habe, frage ich, warum die ursprünglichen Einwohner Amerikas nicht Amerikaner genannt werden, sondern Indianer. Selten bekomme ich die richtige Antwort, nämlich daß

Christoph

Kolumbus, als er westwärts segelte, ausgefahren war, um den Seeweg nach Indien zu finden, und daß, als er die Insel Haiti betrat, er dachte, er hätte das gesuchte Land erreicht. Er und seine Gefährten hielten daher die bronzefarbenen Menschen, die sie dort antrafen, für Bewohner Indiens und nannten sie so; und der Name ist ihnen geblieben, auch als sich herausstellte, daß man vom Ziel noch mehr als den halben Erdumfang entfernt war und daß man unerwarteter Weise nichts geringeres entdeckt hatte als einen neuen Erdteil von riesiger Ausdehnung. Dabei unterscheiden wir im Deutschen die Ureinwohner Amerikas durch die altmodische Form von den Indern, während

im Englischen

die einen wie die anderen

„Indians" heißen.

Und

gewöhnlich, wenn wir von Indianern sprechen, denken wir gar nicht mehr an Indien, sondern nur noch an Amerika. Im übrigen weiß ich nicht, ob die heutige Jugend überhaupt noch von Indianern spricht. Wir zu unserer Zeit lasen uns nicht satt am „Lederstrumpf' und bekamen rote Backen über Karl May. Was hätten wir darum gegeben, wenn wir mit den Delawaren gegen die Irokesen hätten ziehen dürfen, wenn wir die Skalpe am Gürtel der Sieger hätten hängen sehen und wenn vor unserem Augen der schnöde Sohn des feindlichen Häuptlings am Marterpfahl gelitten hätte. Damals erlebten wir das alles leidenschaftlichen Herzens mit, jedoch - unter uns gesagt - ohne eine Spur von Grausamkeit oder Rohheit; denn was es mit Qual, Blut und Tod eigentlich auf sich hat, das ahnten wir Jungen noch nicht. Nun hat das Schicksal mich selber nach Amerika verschlagen, und ich sollte mir die Helden meiner Knabenzeit in Ruhe aus der Nähe besehen können. Indessen, wenn ich offen sein soll, ich bin mit Bewußtsein noch keiner „Rothaut" hier begegnet. Ich höre, daß in gewissen Gegenden Indianer in voller Ausrüstung mit Federschmuck und Tomahawk sich um die Bahnstationen drängen, um den Reisenden Andenken zu verkaufen. Sie pflegen ihr Indianertum als eine Art von Fremdenindustrie, mit der sie ihre Armut ein wenig zu mildem trachten, denn den Indianern im ganzen als einem Volk oder einer Rasse, geht es miserabel.

216

Versöhnende Hand Der weiße Mann, der Eindringling in diesen gesegneten Eidteil, hat gesiegt; das Unrecht, das er den Ureinwohnern und altgewohnten Eigentümern angetan hat, ist unangefochtenes

Recht

geworden.

Gelassen

worden

sind

ihnen

ein

paar

Reservationen, in denen sie, oder was von ihnen noch übrig ist, wenn sie wollen, ihr altes romantisches Leben fortsetzen können. Der Kampf, solange er noch unentschieden getobt hat, ist von beiden Seiten mit furchtbarer Bitterkeit geführt worden. Jetzt und schon lange hat sich das Verhältnis der amerikanischen Regierung zu den Indianern völlig geändert; sie erkennt ihren Anspruch auf gleichberechtigte Teilnahme am amerikanischen Leben grundsätzlich an. Sie streckt ihnen eine versöhnende Hand hin - aber freilich, die Indianer von sich aus müssen die Hand ergreifen. Viele von ihnen halten standhaft oder eigensinnig an ihrer Besonderheit und an ihren nationalen Sitten fest, abweisend gegenüber den neuen und ihrer Zivilisation. Aber andere schließen endlich Frieden, und einige arbeiten sich empor zum Erfolg. Sie bringen es zu etwas im Amerika der siegreichen Weißen, sie gelangen zu Stellungen und Ansehen, Mann oder Frau. Und so ist eine von ihnen, Mrs. Roe Cloud aus dem Staate Oregon, soeben zur „Mutter des Jahres", Mother of the year, ernannt worden. Es ist die erste Indianerin, der diese Ehre zuteil wird.

Gründe der Ehrung Den Titel verleiht ein Frauenkomitee in New York. Es hatte die Wahl zwischen 52 Kandidatinnen, die alle amerikanischen Staaten, den Distrikt Columbia, dazu Alaska, Hawai und Puerto Rico vertreten. Es entschied sich für die 59jährige Mutter von vier Töchtern, und zwar wegen ihres Eifers im Dienste der Kirche und wegen des Charakters und der Leistungen

ihrer Kinder. Alle ihre Töchter

Hochschulen

sich

absolviert,

indem

sie

die

Kosten

durch

Arbeit

haben in

den

Sommermonaten verdienten. Sie selber kann das Diplom der weltberühmten YaleUniversität aufweisen und steht heute an der Spitze des Bundes der Frauenvereine und des indianischen Hilfskomitees ihres Heimatstaates Oregon.

217

Denn sie ist eine Indianerin vom Stamme der Chippewa, wenigstens von der Mutter her, während ihr Vater allerdings ein deutscher Siedler namens Bender war. Geboren wurde sie im Blockhaus einer Reservation; und sie heiratete einen VollblutIndianer, einen echten Winnebago. Auch er hatte schon die Wege der Väter verlassen und sich als ein Führer zur Bildung und Zivilisation bewährt. Er gründete in Kansas ein Unterrichtsinstitut für Indianerknaben, brachte es bis zum Vertreter des Regierungsamtes für indianische Angelegenheiten

(Bureau

of

Indian

Affairs),

das

heute

als

Teil

des

Innenministeriums die Interessen der Indianer wahrnimmt. — Als man Mrs. Roe Cloud die Nachricht von ihrer Wahl zur Mutter des Jahres übermitteln wollte, traf man sie nicht zu Hause: Sie hielt gerade eine Rede vor den Frauen ihrer Kirchengemeinde. Dann machte sie sich auf den Weg zu den verschiedenen Organisationen, in denen sie den Vorsitz führt. Erst nach Stunden kehrte sie heim und erfuhr die Ehrung. Im übrigen ist sie nicht die einzige ihrer Familie, deren Name an die Oeffentlichkeit gelangt. Ihr Bruder Charles Bender war jahrelang ein berühmter Spieler in dem amerikanischen Nationalsport Baseball. Das alles klingt nüchtern und prosaisch, verglichen mit den

spannenden

Indianergeschichten von einst. Aber im Grunde ist diese Bekehrung der wilden Ureinwohner

Amerikas zur abendländischen

Kultur viel abenteuerlicher

und

aufregender als alles, was bei Karl May und im „Lederstrumpf zu lesen steht. „Die Neue Zeitung" vom 20. Mai 1950

Präsident und Presse Von Inquit

Washington, im Juni. — Das Oberhaupt des mächtigsten Staates der Erde stellt sich bekanntlich den Vertretern der Presse einmal jede Woche für Frage und Antwort zur Verfügung. Es gehört dies nicht zu den Pflichten des Präsidenten, es steht nichts davon in der Verfassung, es geschieht vielmehr aus seinem eigenen freien Willen,

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wenn er vor den Journalisten erscheint. Die Konferenz hat sich so entwickelt, im wesentlichen seit den Tagen Woodrow Wilsons, und ist zu Bedeutung gelangt unter Franklin D. Roosevelt, der sich ihrer gern bediente, um die öffentliche Meinung zu leiten. Als eine nun schon gewohnte und anerkannte Einrichtung hat Präsident Truman sie übernommen. Die Versammlung tagte ursprünglich in dem historisch geweihten Weißen Haus und zwar in dem ovalen Arbeitszimmer des Präsidenten. Dort hatten diese Sitzungen ihre besondere Würde. Die Teilnehmer empfanden es als ein ehrenvolles Vorrecht, dem Präsidenten an seiner Arbeitsstätte begegnen zu dürfen.

Verlegung der Konferenz Aber es entwickelten sich Mißstände. In dem Maße, wie die Bedeutung Washingtons wuchs, vermehrte sich die Zahl der Journalisten aus aller Welt. Das ovale Zimmer erwies sich als viel zu klein, die meisten der Anwesenden mußten stehen, sie hatten Mühe, den Präsidenten im Auge zu behalten, sie wußten oft nicht, wer die Frage stellte, und sie verstanden bisweilen die Worte nicht. Präsident Truman als guter Hausvater nahm Anstoß an der einreißenden Unordnung und wünschte zugleich, es allen Teilnehmern bequemer zu machen, und kurz, er beschloß, seine Pressekonferenz zu verlegen. Er fand den geeigneten Raum in dem Gebäude gleich neben dem Weißen Haus, dem „Old State", wie es unter Eingeweihten genannt wird, dem früheren Sitz des State Department. Ein riesenhaftes, außen altmodisch verschnörkeltes, innen ernstes und weiträumiges

Bürohaus, das jetzt andere Verwaltungsstellen

beherbergt,

vornehmlich aus dem Amtsbereich des Präsidenten. Dort ist ein Raum im vierten Stock als neue Unterkunft der präsidialen Pressekonferenz eingerichtet worden - die frühere Bestimmung liest man noch über dem Eingang. Die Uebersiedelung hat vor kurzem stattgefunden, zum Teil - wie zu erwarten war - unter dem Widerspruch der Presse. Aber die Vorteile sprechen doch zugunsten der Neuerung. Einer Pressekonferenz an dieser neuen Stätte habe ich beiwohnen können. Ihr Beginn war auf 10.30 vormittags angesetzt; unerfahren wie ich war, fand ich mich schon um 10 Uhr ein. Mit mir zusammen betrat Polizei das Gebäude, aber ich zählte

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nicht mehr als acht Mann, die sich auf die Zugänge verteilten. Man wird also nicht behaupten wollen, der Präsident halte sich abgesperrt. Dagegen versteht es sich, daß man zugelassen sein muß, und daß man auf diese Erlaubnis hin am Eingang geprüft wird. Der Raum selbst ist ein nicht großer quadratischer Saal von außerordentlicher Höhe mit umlaufender Galerie im Renaissancestil ohne künstlerischen Anspruch; es ist sozusagen Gebrauchs-Renaissance. 160 bis 180 Stühle sind in Reihen angeordnet, alle der Fensterwand zugekehrt. Die Teilnehmer würden also unbehaglich ins Licht starren, wenn nicht die Jalousien herabgelassen wären, so daß die Lampen brennen müssen. Den Sitzen gegenüber, jedoch ohne Abstand, befindet sich ein einfacher Schreibtisch, dahinter zwischen zwei aufgestellten Fahnen ein Ledersessel mit hoher Lehne. Als ein Neuling erkundigte ich mich ein bißchen bei eingeweihten Kollegen. Wie lange wird es dauern? „Es dauert kaum jemals länger als 15 Minuten." Ich verstand; es dauert so lange, wie der Präsident Zeit für die Konferenz hat. Jedoch ich wurde belehrt: „Präsident Truman widmet uns so viel von seiner Zeit, wie wir wünschen."

Schlichtheit und Natürlichkeit Um 10.30 war der Saal gefüllt, aber nicht überfüllt. Photographen mit ihren Kameras und Blitzlichtern standen bereit. Um 10.35 erhob sich die Versammlung; Präsident Truman war eingetreten, ohne Ankündigung und unbegleitet. Er schritt auf den Tisch zu, blieb aber dahinter stehen und verharrte so während des ganzen Verlaufs der Konferenz; seine Erscheinung sowohl wie seine Art, sich zu geben, machen den Eindruck der äußersten Schlichtheit und Natürlichkeit. Die Würde und die Machtvollkommenheiten seines hohen Amtes zu betonen oder zur Schau zu stellen, wird offenbar geflissentlich vermieden. Der Präsident bat zunächst die Anwesenden, ihre Plätze wieder einzunehmen. Dann machte er von sich aus eine Mitteilung an die Presse: Um 11 Uhr werde eine Regierungserklärung

ausgegeben

werden,

die

Londoner

Konferenz

der

Außenminister betreffend; die Presse möge sich dafür bereit halten. Diese Erklärung fanden wir später auf einem Tisch am Ausgang hektographiert in vielen Exemplaren, und jeder von uns konnte sich bedienen.

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Danach begann das Frage- und Antwortspiel. Ein Pressevertreter nach dem anderen steht auf und nennt seinen Namen und sein Blatt. Dies Verfahren wird erst seit dem Umzug angewandt, und die Möglichkeit dafür zu schaffen, war einer der Gründe für die Aenderung. Jetzt erst, was früher nicht der Fall war, weiß der Präsident und jeder der Teilnehmer immer, wer derjenige ist, der fragt. Tuman kehrt sich dem Frager zu und gibt ihm damit das Wort, manchmal auch durch eine einladende Geste. Er wendet sich hin und her, um keinen zu übersehen. Wenn sich mehrere zugleich melden, so sorgt er dafür, daß derjenige, der zunächst zurücktritt, danach ebenfalls seine Frage stellen darf. Der das Wort hat, beginnt mit der Anrede "Herr Präsident" und formuliert dann, was er wissen möchte. Daß es sachlich und klar geschieht, fordert die Gelegenheit, und im übrigen sind die Angelsachsen, hier sowohl wie in England, dazu erzogen, bloßes Gerede zu vermeiden. Die Antworten des Präsidenten erfolgen jedesmal sofort, ohne Zögern, und ohne daß er sich an Sachverständige oder Ratgeber zu wenden braucht. Er hat auch niemanden dieser Art bei sich; nur sein Stenograph sitzt neben ihm. Er ist offenbar völlig informiert und beherrscht mühelos den Stoff, der hier zur Sprache kommt. Bisweilen allerdings lautet seine Antwort dahin, daß er ablehnt zu antworten. Sein Bescheid ist kurz und bündig und erledigt den Fall, obwohl dem Journalisten auf seinen Wunsch mehr Fragen eingeräumt werden.

Geschickte Paraden

Beinahe nach jeder seiner Antworten lächelt Truman. Ich erkläre mir das, außer aus seiner allgemeinen Freundlichkeit, damit, daß er die politischen Hintergründe, Tricks und Fallen der Fragen, - namentlich wenn sie von politischen Gegnern stammen, wohl durchschaut und sich freut über die geschickte Art, mit der er wie ein meisterlicher Fechter den Hieb pariert hat. Ich hatte erwartet, Truman

würde

zu

irgendeinem

Zeitpunkt

die

Sitzung

schließen. Indessen zu meiner äußersten Ueberraschung, als knapp 15 Minuten verstrichen waren, sagte jemand laut: „Thank you, Mr. President." Im gleichen Augenblick verließ Präsident Truman den Saal, die Versammlung brach auf, und die Journalisten stürmten die Telephonzellen, die auf dem Korridor gereiht waren. Der

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Mann, der das „Danke sehr, Herr Präsident" gesprochen hatte, war, wie ich mir sagen ließ, der gewählte Vorsitzende der Pressekonferenz, selbst ein Journalist. Der Gedanke hierbei ist, daß der Präsident eine Gefälligkeit erweist, wenn er sich den Vertretern der Presse persönlich stellt, und daß, in Anerkennung der Gunst, die Teilnehmer

von

der

Zeit

dieses

überbeschäftigten

Mannes

so

wenig

wie

irgendmöglich in Anspruch nehmen. Dies wohl ist die Rechtfertigung für den befremdlichen Vorgang, daß es die Empfangenen sind und nicht das Staatsoberhaupt, die die Audienz beenden. Wenn man sich den Kopf zerbricht und sich streitet und manchmal nicht weiß, was eigentlich unter Demokratie verstanden werden soll; hier empfangt man einen höchst eindrucksvollen Anschauungsunterricht darüber, worauf sie zielt und worin sie besteht. Und wenn auch nur wenige dem Ereignis als Zeugen beiwohnen können, so sollten doch viele davon erfahren. „Die Neue Zeitung" vom 8. Juni 1950

Die Schlange im Paradies Von Inquit

Washington, im Juni. - Von hier aus läßt sich schwer beurteilen, welche von den aufregenden neuen Erfindungen und technischen Wundern drüben in Deutschland bekannt und in allgemeinem Gebrauch sind. Ich für meinen Teil war völlig überrascht, als während einer harmlosen Tischgesellschaft, zu der ich geladen war, plötzlich und unerwartet ein Teil der Unterhaltung vom Grammophon wiederholt wurde. Wir hörten unsere Stimmen und unsere, kurz vorher gesprochenen Worte. Daß sie aufgenommen und festgehalten worden waren, hatten wir nicht gemerkt. Der Hausherr erklärte uns dann, daß die Aufnahme von Stimmen, früher ein besonderes und kompliziertes Verfahren, jetzt ohne Umstände vor sich geht. Der Apparat ist ganz unauffällig, die Aufnahme erfolgt nicht auf einer Platte, sondern durch einen Draht. Aber was das für ein Draht ist und wie das alles zusammenhängt, davon habe ich keine Ahnung.

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Dies ist eine unvermeidliche Einleitung; die Geschichte selbst kommt jetzt erst.

Pete's Geschichte. Im Staate Iowa büßt jemand eine lebenslängliche Freiheitsstrafe ab wegen Sexualverbrechens. Er sitzt bereits 19 Jahre lang und hat damit vorläufig ein Alter von 47 erreicht. Ich weiß nicht recht, ob man unter diesen Umständen Gesundheit und

langes

Leben

wünschen

soll.

Aber

vielleicht

doch.

Denn

bei

den

Gefangnisbehörden hat Pete sich den Ruf eines Mustergefangenen erworben, und es ist ihm die dafür vorgesehene Ausnahmebehandlung eingeräumt worden.

Er

beschäftigt sich mit der Anfertigung handgenähter Ledertaschen, und er hat das Recht, seine Ware an Bekannte zu versenden, und sogar, sie zu verkaufen. Aber außerdem ist er zum Leiter des Rundfunkbetriebes innerhalb des Gefängnisses bestellt worden. Die täglichen Programme stammen von ihm, und die technische Durchfuhrung liegt in seinen Händen. Indessen dabei ließ es Pete noch nicht bewenden. Vielmehr benutzte er als der intelligente und tätige Mann, der er offenbar ist, seine Radiowerkstatt dazu, um erstens einen Sender und zweitens einen Empfanger zu bauen. Nun, beides hat einen Sinn nur dann, wenn die Vorrichtungen entsprechend ausgenutzt werden. Pete wußte denn auch sehr gut, wozu er sie verwenden wollte. I;r beabsichtigte zunächst, mit Hilfe des Senders die Welt draußen über die Zustände im Gefängnis aufzuklären. Unter Zuständen im Gefängnis verstand er nicht schlechtes Essen, Ungeziefer oder Mißhandlung. Ober nichts dergleichen hat er sich in seiner lebenslangen Unterkunft zu beklagen. Er meinte vielmehr das Schicksal seiner Mitgefangenen, denen wie er findet, dasjenige Gut vorbehalten wird, das er offenbar in diesem Leben am höchsten schätzt, nämlich Gerechtigkeit. Es bewegt ihn vor allem der Fall eines Kollegen mit Vornamen Clark. Kollege nicht nur, weil er mit ihm zusammen eingesperrt ist, sondern weil auch Clark, ebenso wie Pete, sein Leben lang sitzen soll. Clark hat diese harte Strafe empfangen für Bankraub. Der Verurteilte selbst behauptet, er sei tagelang betrunken gewesen, wisse nicht, was er während dieser Zeit angestellt habe, und beansprucht eine wesentliche Milderung des Urteils. Er kämpft darum schon seit vier Jahren.

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Es sind die Sitzungen der Begnadigungskommission und deren Verhöre, die Petes Empörung gcweckt haben. Es scheint, sie läßt es seinem Urteil nach an Verständnis, Gerechtigkeit oder Milde fehlen. Jedenfalls pflanzte Pete ein hochempfindliches Mikrophon

eben

in

ihr

Beratungszimmer.

Heimlich,

versteht

sich;

und

die

Gefangnisleitung zerbricht sich den Kopf darüber, wie ihm das gelungen sein kann. Rede und Gegenrede, die das versteckte Mikrophon auffing, hielt er auf einem jener erwähnten Zauberdrähte fest. Diese Drähte konnte er nicht selber herstellen, sie mußten ihm hineingeschmuggelt werden; und wie das möglich war, auch darüber zerbricht

sich

die

Gefangnisleitung

den

Kopf.

Das

grammophon-technische

Ergebnis, nach dem Urteil von Kennern, war nicht besonders gut, und das ist kein Wunder, denn, erklären die Fachleute, ein Mikrophon, empfindlich genug, um jedes Wort im Beratungszimmer wiederzugeben, registriert auch alle Nebengeräusche wie das Läuten von Klingeln oder das Zuklappen von Türen. Immerhin, mit seinen besprochenen Drähten hatte Pete den Verlauf solcher Sitzungen in Händen. Was tat er damit? Einen Teil von ihnen sandte er aus dem Zuchthaus hinaus in die Welt. Wahrscheinlich dachte er, die Empfänger würden diese Aufnahmen an die rechte Stelle bringen, zum Beispiel zur Sendestation des Rundfunks, die sie dann vor aller Öffentlichkeit ablaufen lassen könnte. Für diesen Schmuggel nach außen benutzte Pete den Versand seiner Ledertaschen. Er verbarg die Drahtspulen so geschickt darin, daß sie der scharfen Kontrolle entgingen. Darüber zerbricht sich die Gefängnis Verwaltung zum dritten Male und zugleich am heftigsten den Kopf. Den Hauptschlag jedoch gedachte Pete zu fuhren mittels seines eigenen Senders; und hier wollte er den Fall seines armen Mitgefangenen Clark anprangern. Diese Tat mußte

schwere

Folgen

für Pete

nach

sich

ziehen,

mindestens

Verlust

der

Vorzugsbehandlung. Indessen er war entschlossen, um der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen, den Plan durchzuführen, auf jede Gefahr hin. Jedoch am Tage, da er seine Sendung loslassen wollte, wurde er ertappt. Ob Pete recht hat mit seiner Empörung über die Kommission, vermag ich nicht zu beurteilen. Vielleicht, wenn man die Mitglieder befragen könnte, würde sich herausstellen, daß sie alles, was in ihrer Macht steht, zu tun pflegen, um den Bestraften Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Aber hier kommt es nur darauf an, daß Pete zu der Überzeugung gekommen ist, die Kommission verfahre nicht, wie sie seilte.

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Die Schlange hat gelogen Dieser Mensch hat ein entsetzliches Verbrechen begangen, und ohne Zweifel trägt er seine harte Strafe mit Recht. Im Gegensatz dazu erweist er sich in der Haft als arbeitsam, tüchtig, erfindungsreich und im Ganzen als überaus nützlich. Mit seinem jüngsten Streich enthüllt er außerdem, daß er unter Umständen das Wohl des Nebenmenschen höher stellt als den eigenen Vorteil. Ist er also schlecht? Aber was heißt schlecht? Die listige Schlange im Paradies versprach Eva, wenn sie und Adam von dem verbotenen Baum äßen, so würden sie sein wie Gott, gut und schlecht erkennend. Aber wir sind nicht geworden wie Gott. Wir wissen nur mit Mühe und nur annähernd, was gut und was schlecht ist; und erst recht können wir nicht die Guten von den Schlechten unterscheiden. Darum bleibt uns unzulänglichen Menschen nichts anderes übrig, als Gesetze aufzurichten und diejenigen, die dagegen verstoßen, zu bestrafen; im Falle Pete, mit lebenslänglicher Einsperrung. Aber die Frage selbst ist unbeantwortet geblieben, die Schlange hat gelogen. „Neue Zeitung" vom 14. Juni 1950

Der Mann Washington Von Inquit

Washington, im August. - Man fahrt eine der breiten Avenuen entlang, von der Innenstadt nach außen; an einer gewissen Stelle biegt man ab, aus dem Bereich der Wohnhäuser in den grünen Wald. Ein paar hundert Meter weiter unter Baumwipfeln, und man findet sich am oberen Rande einer tiefen und weiten Mulde; wuchernde Wildnis seit unvordenklichen Zeiten, aber jetzt und beinahe über Nacht umgewandelt in das große neue Freilichttheater, errichtet als eine der Veranstaltungen, mit denen der 150. Jahrestag der Gründung dieser Stadt gefeiert wird. Der Zuschauerraum, nach außen begrenzt durch eine umlaufende gedeckte Halle, senkt sich mit mehr als 4 0 0 0 höchst bequemen Sitzen, angeordnet in konzentrischen

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Bogen eines Kreissegments. Unten stößt er über das weiträumige Orchester hinweg auf eine riesenhafte Bühne. Sie wird flankiert von zwei steinernen Bauwerken, die den Hintergrund für Nebenbühnen abgeben, auf denen Szenen mit intimerer Wirkung gespielt werden. Während das Amphittheater entworfen und gebaut wurde, ist auch schon das Festspiel, das hier gespielt werden sollte, erdacht und geschrieben worden. Es wird jetzt jeden Abend aufgeführt. Sein Autor heißt Paul Green, ein Mann, der auf ähnlichem Gebiet sich schon bewährt hat. Er nennt sein Werk ein „Symphonisches Drama", mit dem Titel „Glaube unserer Väter" (Faith of our Fathers). Die

Gründung

der

Stadt

Washington,

genauer

die

Uebersiedelung

der

Zentralregierung an die neue Stätte vor 150 Jahren, ist historisch und im Bewußtsein der Amerikaner eng verbunden mit der Schaffung der Vereinigten Staaten als einer selbständigen Nation und ihrer Verfassung in der Form einer demokratischen Republik. Welcher Stoff liegt für ein Festspiel näher als das Leben und die Leistung des Mannes, der als der Vater sowohl der Verfassung als auch des Staates gilt? Der Versuch, ihn in einer Freilichtarena in seiner ursprünglichen Menschlichkeit zu enthüllen, könnte wohl eine höchst würdige Feier abgeben. Denn George Washington ist in 150 Jahren des Nachlebens zu so hohem Ruhme aufgestiegen, daß seine irdische Form unsichtbar zu werden droht. Es gibt die Stadt Washington, die offizielle Mitte des Landes. Es gibt den Staat Washington weit oben im Nordwesten an der kanadischen Grenze. Daß beide nach einem Menschen heißen, daß sie den Familiennamen eines Mannes tragen, der einmal in Fleisch und Blut gewandelt ist, wer denkt daran? Sein Monument ragt in den Himmel, ein Wahrzeichen der Stadt, von überall her zu sehen. Ein kollossaler Obelisk. Er vermittelt die Vorstellung übermenschlicher Größe, aber er gibt durchaus kein Bild seiner menschlichen Erscheinung. Wie kam er zu seiner historischen Rolle? Nicht durch den angeborenen Ehrgeiz des Politikers oder des Feldherrn oder durch irgendeinen anderen Ehrgeiz außer dem, dasjenige zu tun, was die Umstände erforderten, es so gut wie möglich zu tun, ohne Rücksicht auf Mühseligkeiten und Gefahren, und es selber zu tun, statt darauf zu warten, daß es von anderen getan würde. Er fing bescheiden an, als ein jüngerer Sohn seiner Familie, der nicht zum Erben ausersehen war; während freilich diese Familie ihm die guten Verbindungen in

226

seinem Heimatstaat Virginia gewährte, bis hinauf zum Gouverneur. Er wählte sich einen Beruf, und zwar einen schlichten, den des Landmessers, dessen Ausübung in der noch nicht v ö l l i g erschlossenen und gezähmten Kolonie Beschwerden, Gefahren und Abenieuer in Fülle mit sich brachte. Das A m t befriedigte seine N e i g u n g zu einem Leben in freier Natur sowohl w i e zu praktischer Tätigkeit. Dabei festigte sich seine Gesundheit zu Kraft und Ausdauer. M i t einer ragenden, schweren, bedächtig sich regenden Körperlichkeit stellte er nicht den T y p des Frauenlieblings dar, zumal er seil seinem 20. Jahr durch Pockennarben entstellt war. Er hatte etwas frühreif Ernstes und Nüchternes,

wovon

seine von

Jugend auf mit

Sorgfalt

geführten

Rechnungsbücher Zeugnis ablegen. Andererseits wußte er die Vergnügungen und Entspannungen, die ihm nach seinen Jahren und seinem Stande zugänglich waren, wohl zu schätzen; Essen, Trinken, Besuche auf nachbarlichen Adelssitzen, Jagen, Fischen, Theater und Konzert, auch mannigfache Lektüre. In die militärische Laufbahn geriet er aus Neigung; seine Verbindung mit den früheren Kreisen erleichterte ihm den Aufstieg. Unversehens, und ohne daß es seine Vorgesetzten

eigentlich

beabsichtigt

hatten, sah er sich vor die

schwierigsten

Aufgaben gestellt - und meisterte sie. So erwarb er sich Sachkenntnis und Erfahrung als militärischer Führer. Auch gewöhnte er sich daran, für das Wohl seiner Leute zu sorgen. Mit 23 Jahren fand er sich im Rang eines Obersten, als Kommandant aller Streitkräfte

der

Kolonie

Virginia.

Mit

43

Jahren

wurde

er

zum

Oberkommandierenden der A r m e e der gegen England vereinigten Kolonien ernannt: General Washington.

Genie des gesunden Menschenverstandes

Seine A u f g a b e indessen, während die englischen Kolonien Amerikas sich v o m Mutterland losrissen, erschöpfte sich nicht im Militärischen, sondern forderte den Politiker heraus. George Washington war kein Theoretiker, kein Gelehrter, kein Mann der hinreißenden Rede. Soweit er Genie in sich trug, war es - w i e gesagt worden ist - das Genie des gesunden Menschenverstandes. Er sah, was getan werden mußte und tat es; oder, als Mitglied parlamentarischer Körperschaften formulierte und verlangte er. Ihn leitete eine einzige schlichte und klare Einsicht, so tief mit seinem W e s e n verwachsen, daß sie w i e ein Instinkt wirkte; die Anschauung, daß alle

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Menschen frei und gleichberechtigt sind, und daß daher die einzige vernünftige, ihrer würdige Regierungsform die republikanische Demokratie ist. George Washington, wie ein Biograph Bernard Fay von ihm sagt, „schuf sich sein eigenes Schweigen"; er war nicht nur schweigsam, das Gegenteil von redselig, er bereitete ehrfürchtige, bewundernde Stille um sich her, daß die Zeitgenossen zu ihm aufblickten; daß sie achtgaben, was er tat, um es ihm nachzutun; daß sie Vertäuen in ihn setzten und ihn hochhoben, weil sie darauf vertrauten, er würde sich bewähren. Sie wandten sich zu ihm in den furchtbar schweren Zeiten der Revolution, als die Hand des starken Mannes gefordert wurde. Er war dieser starke Mann, und so hätte er die Diktatur aufrichten können, sogar die Monarchie, wenn es sein Wille gewesen wäre. Es war nicht sein Wille; sondern in dieser kritischen Lage verlangte er unbeirrbar die Republik, mit dem auf Frist gewählten, mit umgrenzten Vollmachten ausgestatteten Präsidenten. Darin beruht sein Heldentum. Als die Verfassung des neuen Staates angenommen

WEIT

und der erste Präsident

ausgesucht werden mußte, fiel die Wahl mit Selbstverständlichkeit auf ihn. Er setzte das große Beispiel, ein für alle Mal. Auf der neuen Bühne im Rock Creck Park erscheinen kostümierte Gestalten in Fülle; intime Gespräche, hitzige Debatten, Massenszenen, Chorgesang und Tänze werden aufgeboten in dem Bestreben, die ins Legendenhafte erhobene Gestalt auf ein menschliches Maß zurückzuführen. Mit alledem erweist das Festspiel sich als taktvoll genug, das geweihte Schweigen um George Washington nicht zu brechen. „Die Neue Zeitung" vom 30. August 1950

Die Freude am Mitmenschen Von Inquit

Frau Jenny Johnson, 173 Park Road, sagt: „Die städtische Verkehrsgesellschaft erleichtert mir alle meine Besorgungen." Diese Reklamezeile spricht zu mir in Straßenbahnen und Autobussen. Wer ist Frau Jenny Johnson, und warum muß ich wissen, was sie sagt? Ihre Photographie ist neben dem Text auf dem Plakat

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abgebildet, eine junge Frau mit angenehmen ZUgen. Da ihre Adresse dabei steht, so könnte ich, wenn ich wollte, mit ihr in Verbindung treten. Ich habe keine Ahnung, ob sie das erwartet, und ich weiß auch nicht, ob irgend jemand sonst die so unbekümmert dargebotene Gelegenheit ausnutzt, zu welchen Zwecken immer. Die städtische Verkehrsgesellschaft offenbar macht Namen, Adresse und Photo der Dame in aller Arglosigkeit bekannt, nur um ihre Fahrgäste davon zu überzeugen, daß es diese Frau gibt und daß sie wirklich und wahrhaftig meint, was da steht. Gut also, Mrs. Jenny Johnson findet, daß Besorgungen ihr durch die städtische Verkehrsgesellschaft erleichtert werden. Was geht das mich an? Was soll ich damit? Ich soll verstehen, daß Frau Johnson, so oft es irgend geht, Autobus und Straßenbahn benutzt. Folglich? Folglich soll ich es ihr nachtun. Ich soll auch Autobus und Straßenbahn benutzen, so oft es geht. Das jedenfalls ist es, was Mrs. Johnson rät, und was die städtische Verkehrsgesellschaft mir einhämmern will. Indessen welchen Grund habe ich, mich nach Jenny Johnsons Rat zu richten? Wer ist schon Jenny Johnson, auch wenn ich ihr Gesicht angenehm finde und auch wenn ich weiß, wo sie wohnt? Schließlich wird über sie nichts anderes ausgesagt, als daß sie ein Mensch ist, irgendein Mensch, bestenfalls ein Mit- und Nebenmensch. Mir kommt ein Dialogfetzen aus Lessings Fragment in den Sinn, „Ich bin ein Mensch da bist du was Rechts." Ein Mensch und weiter nichts, damit läßt sich nicht viel Staat machen. So empfinden wir. Als Europäer haben wir diese Einstellung. Aber ist sie nicht falsch? Der Amerikaner jedenfalls empfindet ganz anders. Ein Mensch, ein Mitmensch und noch obendrein eine Landsmännin; was braucht einer mehr zu sein, um höchste Beachtung und vollen Glauben zu verdienen?

„Vom Menschen kannst Du lernen" So denkt der Amerikaner, und seine Einstellung liegt dieser Art von Reklame zu. Grunde. Denn der städtischen Verkehrsgesellschaft ist mit ihrem Plakat nichts außergewöhnliches eingefallen, vielmehr greift sie damit eine weit verbreitete und beliebte Form der Werbung auf. Vom Menschen, vom Alltagsmenschen kannst Du lernen, wie Du es machen sollst. Daher beruft sich der Geschäftsmann, der seine

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Ware und seine Leistung anpreisen will, auf den Alltagsmenschen, und das heißt sehr häufig: auf sich selbst. Große Firmen, versteht sich, erwerben bisweilen das Recht, berühmte oder hochgestellte Persönlichkeiten oder Filmstars als Zeugen für die Empfehlbarkeit ihrer Marke anzuführen. Das ist hier so wie in jedem anderen Leinde. Aber manche Geschäftsleute

berufen

sich

auf

den

Durchschnittsmenschen

und

das

Durchschnittsgesicht. Der Damenfriseur in seiner Anzeige bildet sich selber ab. Wenn er ein hübscher Kerl ist oder wenn er sich dafür hält, so mag er annehmen, Damen werden sich gern in die Obhut seiner Hände begeben. Aber auch der Herrenschneider bildet sich selber ab - es ist gar nichts an ihm zu sehen. Der Klempner und Heizungsfachmann zeigt seine Photographie, während es schließlich nur darauf ankommt, wie er arbeitet. Ueberhaupt wird der Amerikaner nicht müde, sich am menschlichen Antlitz zu erfreuen. Du findest also nicht nur, wie überall in der Welt, Staatsfunktionäre bei ihrer Ernennung und Entlassung abgebildet, sondern an der Bilderparade nimmt auch die Geschäftswelt teil. Wenn eine Firma jemanden zum Prokuristen oder zum Verkaufsmanager oder zum Propagandachef bestellt, so sträubt sich die Presse nicht, sein Porträt zu veröffentlichen, auch wenn es ein Dutzendgesicht ist. Abgebildet erscheinen Mädchen, die gestern geheiratet haben oder morgen heiraten werden. Und nicht alle verdienen, wegen ihrer Schönheit gesehen zu werden. Und so wird man sich nicht wundern, daß diejenigen Männer oder Frauen als besonders kennenswert angesehen werden, von denen die Artikel in der Zeitung stammen. In Amerika werden Mitarbeiter verpflichtet für eine bestimmte Spalte, täglich, wöchentlich, monatlich, je nachdem. Sie haben ihren Raum mit Text zu füllen; wie, das ist ihre Sache. In vielen Blättern erscheint die Photographie des Verfassers regelmäßig an der Spitze seines Beitrages, täglich, wenn er ihn täglich liefert. Auf mich hat dieser Brauch die Wirkung, daß ich viele Artikel, wenn mir das Gesicht nichts sagt, niemals lese. Ich setze unwillkürlich voraus, der Aufsatz werde mir auch nichts sagen. Aber die Wirkung auf den amerikanischen Leser muß ganz anders sein, sonst würde die Presse nicht darauf bestehen, den Autor im Bilde zu zeigen. Der Amerikaner offenbar, wenn er den Verfasser mit Augen sieht, faßt Vertrauen zu ihm und ist um so bereiter zu hören, was er zu sagen hat. Uns kommt die Freude am Alltagsmenschen seltsam vor, vielleicht ein wenig komisch. Aber die Sache hat ihre ernste Seite; in diesem Leinde wird der Mensch, der

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einfache und schlichte Mitmensch und Nebenmensch, fiir wertvoll gehalten, aus keinem anderen Grunde, als dem, daß er ein Mensch ist. Der eigentliche, auszeichnende und unverlierbare Wert liegt in seinem Menschentum. Darin besteht er und nicht in Berühmtheit, Machtstellung oder Reichtum. Nur in einem Volke, in dem die Freude am schlichten Menschentum des Mit- und Nebenmenschen so lebendig ist wie unter den Amerikanern, kann wahre Demokratie gedeihen. „Die Neue Zeitung" vom 3. Oktober 1950

Wir — das Publikum Von Inquit

Wer von uns, die wir in Amerika unser tägliches Brot zu verdienen suchen, das geringste Zeug dazu hat, sich etwas einzubilden oder sich wichtig zu nehmen, der fühlt sich immer wieder verlockt, diese Anlage bis zum Laster zu entwickeln. Nicht weil wir die Rechte des freien Menschen genießen; nicht weil wir staatsbürgerliche Pflichten erfüllen; nicht weil wir eine Verantwortung tragen. Das alles versteht sich hier von selbst. Die Versuchung kommt daher, daß wir, jeder einzelne von uns, im Anzeigenteil der Zeitungen so behandelt werden, als hinge alles ausschließlich von uns, von jedem von uns ab. Das

beginnt

mit

der

Geschäftsreklame.

Wenn

ich

die

Tageszeitungen

durchblättere und finde darin die ganzseitigen und doppelseitigen Inserate der großen Warenhäuser, die das heutige oder morgige Sonderangebot verkünden, oder in den illustrierten Journalen die bunten Bilder verführerischer Frauen, imposanter Autos, herrlicher Villen, lockender Reiseziele, so habe ich das Gefühl, die mächtigen Firmen stürzen sich auf mich, gerade auf mich. Ich soll kommen, kein anderer als ich, und soll ihnen die Gunst meiner Kundschaft zuteil werden lassen. Ich sehe mich mit beflissenem Eifer, mit Versprechungen, Schmeicheleien, oft mit Geschmack und Kunstsinn, immer mit raffinierten Mitteln der Werbung angelockt, eingeladen, umworben, gefeiert und verführt. Und bisweilen geschieht es mir, daß ich dem

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Ansturm nicht widerstehen kann und die neu erfundene Zahnpasta für 59 Cent oder das unerhört praktische Handwerkszeug für 2 Dollar 10 tatsächlich kaufe. Aber das ist noch nicht die ganze Geschichte. Schließlich bieten Uberall in der Welt Kaufleute ihre Ware durch Inserate an. Wir, das Publikum, werden noch zu ganz anderen Zwecken bemüht. Da steht wieder ein Rieseninserat in der Zeitung, ohne Abbildungen, wenig Text, groß gedruckt über die ganze Seite verteilt, mit breitem Rand, sehr auffallig. Es ist unterschrieben von einem Manne mit geläufigem amerikanischen Namen. Im Nachschlagewerk „Wer ist wer in Amerika?", das alles enthält, was auf irgendeinem Gebiet irgendeine Bedeutung hat, kann ich ihn nicht entdecken. Er sagt von sich selbst im Inserat, daß er ein Haus, ein Auto und noch ein paar andere gute Dinge sein Eigen nenne; aber er bezeichnet sich zugleich als einen der einfachen Leute. Nun, dieser Mitbürger redet mit seiner großen Anzeige den Präsidenten an. Er überschreibt sie wie einen Brief „Mr. Präsident". Er hat einen Vorschlag zu machen, und er läßt es sich etwas kosten - ein ganzseitiges Inserat in einer verbreiteten Tageszeitung ist nicht billig - um seine Idee uns, dem Publikum vorzulegen. Es ängstigt ihn, daß die Preise steigen und damit die Kaufkraft des Dollars sinkt. Amerikanische Soldaten halten die Linie in Korea, also laßt uns hier die Linie des Dollars halten, sagt er; staatliche Kontrollen sind unbeliebt; aber könnten wir nicht aufhören, Dinge zu kaufen, die wir nicht unbedingt brauchen? Dann würden die Preise zurückgehen. Der Präsident möge eine nationale Woche der freiwilligen Kaufbeschränkung verkünden. Das ist der Vorschlag. Der Mann wendet sich formell nicht an mich, sondern an den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Aber er könnte ja an ihn schreiben und auf irgendeinem anderen Weg sich ihm zu nähern suchen. Statt dessen setzt er seinen Plan auf eigene Kosten in mein tägliches Blatt. Tatsächlich wendet er sich also doch an mich. Außerdem lädt er mich ein, falls ich zustimme, meinerseits an den Präsidenten zu schreiben. „In diesem Lande", so meint er, „wenn die Mehrzahl der Leute in irgendeiner Sache derselben Meinung sind, so wird es ausgeführt". Vorläufig, soweit ich sehe, ist sein Vorschlag allerdings noch nicht ausgeführt worden. Aber das ist noch nicht die ganze Geschichte. Von einer völlig unerwarteten Seite sehe ich mich in die Debatte gezogen.

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Inserate - Diskutieren AEG heißt auf amerikanisch GE, General Electric. Das Untemelimen ist noch viel größer, reicher und mächtiger, als die Allgemeine-Elektrizitäts-Gesellschaft jemals war. Einmal befanden sich 40 000 Arbeiter der General Electric im Streik, der auf alle 116 Fabriken der Gesellschaft überzugreifen drohte. Der Konflikt drehte sich um Löhne, Pensionen, Versicherungen und ähnliche Fragen. Um Einzelheiten und Zahlen brauchen wir uns hier nicht zu kümmern. Jedoch

während

der

langwierigen

Verhandlungen

mit

der

zuständigen

Gewerkschaft, was tut die große, reiche und mächtige Compagnie? Sie wendet sich an mich. Sie bezahlt ganzseitige Inserate - was ihr gewiß nicht schwer fällt - und trägt den Fall - so wie sie ihn sieht - der Oeffentlichkeit vor. Sie formuliert ein sorgfältig ausgearbeitetes Angebot und stellt es zur Diskussion. Nicht einmal, sondern wiederholt und von verschiedenen Seiten her beleuchtet. Die Gesellschaft versucht, mir die Vorteile ihres Planes seine Großzügigkeit im Vergleich mit ähnlichen Regelungen bei anderen Großfirmen klarzumachen. Sie wünscht, daß ich ihn verstehe, und legt offenbar Wert darauf, daß ich zustimme. Denn warum sonst ließe sie sich herab, ihre internen Probleme mit erheblichen Kosten in meinem Blatte vorzutragen? Wie stellt sich nun die Gegenseite dazu, die große Organisation der Elektrizitäts-, Radio- und Maschinenarbeiter? Sie wendet sich auch an mich, an keinen anderen, als an mich. Die Arbeitnehmer nicht weniger als die Arbeitgeber wünschen, daß ich unterrichtet bin, daß ich verstehe und daß ich zustimme. Also veröffentlicht die Gewerkschaft ihrerseits ein Inserat und läßt mich wissen Verhandlungspartner

zu benachrichtigen, dafür gibt es den

denn, um den vorgeschriebenen

offiziellen Weg - erstens: sie nimmt den Vorschlag der General Electric an; zweitens: damit ist ein grundsätzliches öffentliches Einvernehmen („A public agreement on principle") hergestellt; drittens: die Grundsätze, auf die man sich geeinigt hat, sollen angewendet werden durch eine von der Regierung bestellte Kommission, zusammengesetzt aus Bürgern mit Gemeinsinn; viertens: während die Kommission ihres Amtes waltet, werden die streitenden Parteien die Waffen ruhen lassen.

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Damit darf der Streik als beigelegt gelten. Welchen Anteil an diesem Erfolg mein Interesse, mein Verständnis und meine Stellungnahme hat, vermag ich nicht zu beurteilen. „Die Neue Zeitung" vom 12. Oktober 1950

Lesen und Schreiben Von Inquit

Washington, im Dezember. - Die Schuldiener, die mich geärgert haben (oder die ich geärgert habe), konnten alle lesen und schreiben. Der Schuldiener der Highland Park School in der Stadt Bristol im Staate Virginia konnte aufräumen und ausbessern, er konnte die Wände streichen (dazu holt man sich in diesem Lande nicht einen Maler, das macht man hier selber); aber lesen und schreiben konnte er nicht. Höchst ungewöhnlich, so ungewöhnlich, daß die Presse darüber berichtet, jetzt, da er sich entschlossen hat, lesen und schreiben endlich zu lernen, mit 48 Jahren als verheirateter Mann und Vater von zwei Kindern. Bisher hatte er es nicht gelernt; noch mehr, er weigerte sich, es zu lernen, sooft seine Frau ihm auch anbot, es ihm beizubringen. Dahinter steckt, versteht sich, seine Lebensgeschichte. Er verlor den Vater mit zwei Jahren. Den Versuchen der Mutter, ihn zur Schule zu schicken, setzte er zähen Widerstand entgegen, und offenbar nahm es die Witwe mit ihrer elterlichen Pflicht nicht allzu genau. Jedenfalls er ging nicht zur Schule und lernte nichts, nicht einmal lesen und schreiben. Mit 13 Jahren begann er, im Bergwerk zu arbeiten. Der erste Weltkrieg rief ihn unter die Waffen, danach kehrte er in seinen Stollen zurück. Von einem schlagenden Wetter trug er Asthma davon. Er mußte den schweren Beruf aufgeben. Er wurde Gefängniswärter, kam nach Bristol, arbeitete hier und da je nach Gelegenheit und fand schließlich vor etwa einem Jahr den Posten als Schuldiener. Und hier, wo das Lernen in der Luft liegt, packte ihn die Wißbegier. Eines Tages hatte er elektrische Lampen auszuwechseln. Jede der Birnen trug Schriftzeichen, und er hätte gern gewußt, was sie bedeuten. Gerade kam der Leiter

234

der Anstalt daher. Der Schuldiener bat ihn, ihm vorzulesen, was auf den Birnen stünde.

Der Direktor greift ein Der Direktor war entsetzt. Was! Ein erwachsener Mann in diesem Land, in dieser Stadt, der Hauswart seiner Schule, konnte nicht lesen und, wie er gestand, auch nicht schreiben, nicht einmal seinen Namen? Er griff sofort ein. Er führte ihn zu der Lehrerin der untersten Klasse, bei der die Sechsjährigen lesen und schreiben lernen, und gab ihn in ihre Obhut. Sie nahm sich des Mannes mit Eifer an, und er seinerseits zeigte sich willig. Es ist noch nicht viel länger als einen Monat her, aber schon hat er Fortschritte gemacht, und jetzt erst beginnt das Leben für ihn eigentlich. Uns anderen ist nicht bewußt, was es bedeutet, daß wir lesen und schreiben können. Wir nehmen es als etwas, was sich von selbst versteht. Jeder beliebige um uns her kann es auch. Wir vermögen uns kaum zurückzuversetzen in die Zeit, da wir es nicht konnten und auf die Hilfe von Vater und Mutter angewiesen waren, um Schriften zu entziffern. Wir machen uns nicht klar, daß wir eine Art Zauberei vollziehen, wenn wir unsere Gedanken niederschreiben und dadurch zu Menschen sprechen, die nicht da sind, über beliebig große Entfernungen hinweg und in unbegrenzte Zukunft. Aber der Schuldiener von Highland Park in Bristol erfahrt das jetzt alles als reifer Mann. Das erste, was er lesen konnte, war ein Schild auf der Straße. Er buchstabierte und entzifferte „Omnibus-Haltestelle", im Englischen nicht mehr als sieben Buchstaben: „Bus Stop". Die Entdeckung regte ihn dermaßen auf, daß er sie seiner Frau zuschrie und auch Fußgänger damit überfiel. Sie müssen geglaubt haben, er sei geistesgestört. Zu Hause machte er sich an die Bilderbücher seiner Kinder. Jedesmal, wenn es ihm geglückt war, eine Schriftgruppe zu verstehen, mußte seine Frau die Arbeit unterbrechen, damit er es ihr vorlesen konnte. Er ist, sagt die Frau, wie ein Kind, das ein neues Spielzeug bekommen hat. „Und das bin ich auch", frohlockt er.

235

Eine neue Welt Indessen was ihm da geschenkt wird, ist viel mehr als ein Spielzeug. Er weiß es noch nicht, aber er wird es merken, gesetzt, daß er bei der Sache bleibt. Bis Lesen ihm zur zweiten Natur geworden ist. Er wird erleben, daß über einem guten Buch so etwas wie ein Vorhang hochgeht, als säße er im Theater und das Schauspiel begänne. Er wird erleben, wie hinter der vertrauten Welt der täglichen Erfahrung eine andere Welt bereit steht, eine Welt der rührenden Gestalten, der erregenden Geschehnisse und der aufwühlenden Gedanken. Er wird zwar nicht wie wir einst über die ungezogenen Kinder des „Struwwelpeter" und ihre gerechten Strafen sich kränken, sondern als einer, der englisch spricht, von „Alice im Wunderland" sich fesseln lassen. Rotkäppchen, Schneewittchen und Hänsel und Gretel werden auch mit ihm spielen, wenn er die Märchenbücher zur Hand nimmt. Er wird mit Mark Twains Huckleberry Finn und Tom Sawyer die Abenteuer des Knaben in der wilden amerikanischen Landschaft erleben. Wo wir mit dem „Grünen Heinrich" geschwärmt haben, da erwarten ihn die großen Romanschriftsteller des 19. Jahrhunderts, Dickens, die Schwestern Bronte, Jane Austen. Und wenn er nicht nur lesen, sondern auch verstehen gelernt, so wird er schließlich zu Shakespeare und den Klassikern gelangen, so wie wir zum „Faust" und darüber hinaus zu der unabsehbaren, nicht nur dichterischen, sondern mehr noch gedanklichen Literatur seiner Zeit. Er wird das alles, oder kann wenigstens das alles als reifer Mann in wenigen Jahren bewältigen, wozu wir in langsamer Entwicklung ein Menschenalter gebraucht haben; so wie ein Blinder, dem das Augenlicht geschenkt wird, die Welt als etwas Fremdes und Ueberwältigendes erleben mag. Und wenn wir auch Grund haben, uns glücklich zu schätzen, daß wir zur rechten Zeit lesen gelernt haben, ein bißchen dürfen wir den sonderbaren Schuldiener um seine späte Erleuchtung beneiden. „Die Neue Zeitung" vom 5. Dezember 1950

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Ehe mit Dorothy Von Inquit

Washington, im Dezember. - Im Staate Washington, nicht zu verwechseln mit dieser Stadt Washington, spielt sich ein Ehekonflikt ab, der mir das Herz bewegt. Ich weiß darüber nur, was in der Zeitung steht. Aber es steht in der Zeitung, und das beweist, daß auch andere den Fall für ungewöhnlich und bemerkenswert halten, obwohl offenbar mehr von der komischen Seite, während ich mich durch seine Tragik angerührt fühle. Vorläufig hat sich noch nichts weiter ereignet, als daß Dorothy, 25 Jahre alt, gegen

ihren

Mann

Harry,

der

36

zählt,

auf

Scheidung

klagt.

Er

ist

Grundstücksmakler und war früher Marineoffizier. Seltsame Karriere, aber in Amerika nicht so seltsam wie in Europa. Grund der Entfremdung, daß sie nicht so will wie er. Und also, wie will er? Da ist zunächst eine rein formale Sache, die ihren Widerspruch erregt, und zwar, wie man wahrscheinlich zugeben wird, ihren berechtigten Widerspruch. Nämlich er pflegt eine Art von Kontrakt aufzusetzen, der anfangt mit den Worten: „Lieber Ehemann, ich verspreche", und den sie unterschreiben soll. Sie weigert sich zu unterschreiben,

denn

sie

hält

das

für

eine

demütigende

Zumutung.

Der

Außenstehende wird vielleicht finden, es verrate außerdem oder vor allem eine unbegreifliche oder unverzeihliche Kindlichkeit auf Seiten Harrys, anzunehmen, Dorothy werde sich zu irgendeiner Handlung oder Unterlassung verpflichtet halten, bloß weil sie eine von ihm verfaßte Erklärung unterzeichnet hat. Nun aber der Inhalt dieser Schriftstücke. Sein letzter Entwurf, der dem Scheidungsantrag beiliegt, enthält - wenn man nachzählt, denn sie sind nicht numeriert

-

zwölf

verschiedene

Forderungen.

Mit

der

letzten

soll

sie

zusammenfassend versprechen, alles in ihrer Macht stehende zu tun, damit die Ehe glücklich wird, „to make our marriage a success". Sehr rührend. Denn gewiß, das ist das Ziel, nicht nur dieser, sondern jeder Ehe; nur: wie erreicht man es? Die Elemente für eine glückliche Ehe sind bei Harry und Dorothy offenbar vorhanden; denn ein anderer Punkt seiner Liste lautet, sie solle versprechen, „die Dinge weiter so zu verrichten, die ich bisher so wohl verrichtet habe und über die keine Klagen laut geworden sind".

237

Worüber beklagt er sich also? Da sind zunächst die äußerlichen Dinge. Sie soll nicht rauchen - das ist denn doch wohl ein übertriebenes Verlangen. Dann aber, sie soll das Radio nicht zu laut spielen lassen. Durchaus vernünftig, vorausgesetzt, sie können sich darüber einigen, was „zu laut" ist. Weiter, sie soll nicht länger als fünf Minuten telephonieren und sie soll sparsam sein mit ihren Anrufen. Wie recht hat der Mann! Ferner, sie soll drei Mahlzeiten täglich kochen, und zwar zu den festgesetzten Zeiten. Nun aber die mehr innerlichen und also viel ernsteren Beschwerden. Sie soll versprechen, sie werde ihm zuhören, wenn er zu ihr redet. Sie hört ihm also nicht zu? Aber welche Frau der Welt hört zu, wenn ihr Mann, keine höhere Instanz als ihr eigener Mann, redet? Auch das könnte er mit 36 Jahren schon gelernt haben. Dann verlangt er, sie solle keine Vergleiche ziehen, denn alle Individuen seien nun einmal voneinander verschieden. Komische Begründung. Gerade deswegen zieht sie Vergleiche. Sie soll, wenn die Diskussion geschlossen ist, nicht weiter auf dem Thema herumhacken. Und nun die letzte Forderung, in seinem Entwurf die erste, die alle folgenden mit umfaßt, eine Forderung der Ratlosigkeit. Sie soll versprechen, ihn niemals zu ärgern, „never to embarras you". Ja, wenn ihr das gelänge. Viele, viel zu viele Ehen halten im nüchternen Alltag nicht stand. Die Volkserzieher Amerikas beunruhigen sich darüber, forschen nach den Ursachen und sinnen auf Abhilfe. Diese Ehe, wenn ich es richtig beurteile, brauchte nicht zu zerschellen. Es ist nichts weiter nötig, als daß er sie hinnimmt, wie sie ist. Er müßte lernen, ihre Fehler und Schwächen zu ertragen, und müßte das an ihr genießen, was sie für ihn vor anderen Frauen voraus hat. Aber er ist Marineoffizier gewesen, er hat gesehen und erfahren, was sich mit Disziplin erreichen läßt, er vertraut auf Disziplin mehr als auf irgendein anderes Mittel, auch auf Selbstdisziplin, und er glaubt, der arme Tor, er werde sie nach seinen Wünschen und Bedürfnissen erziehen können. Sie aber hat nicht gedient, weder bei der Marine noch sonstwo, sie hält nichts von Disziplin, am wenigsten von Selbstdisziplin, sie ist ein junges Weib, das gefallen und Liebe wecken will und weiter nichts. Und so ist es dahin gekommen, daß sie, wie der englische Ausdruck lautet, „ihn scheiden wird". Indessen er liebt sie, ganz unzweifelhaft liebt er sie. Und so könnte seine Ehe mit Dorothy das Paradies sein, wenn? Ja, wenn sie sich änderte. Es ist doch so leicht, denkt er. Es handelt sich nur um ein paar Kleinigkeiten, denkt er. Ich will es ihr

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aufschreiben, Punkt für Punkt, sie braucht nur ihren Namen darunterzusetzen, denkt er. Aber sie ändert sich nicht. Sie kann nicht, und wahrscheinlich will sie gar nicht. Und so verschließt er mit der verzweifelten Plumpheit seiner Rettungversuche sich das Paradies, an dessen Eingang er zu stehen glaubt. Es wirkt grotesk, jedoch im Grunde ist es, auch das, eine Tragödie. „Die Neue Zeitung" vom 19. Dezember 1950

Der gut Rat Von Inquit

Washington, im Januar. - „Willst du genau erfahren, was sich ziemt, so frage nur bei edlen Frauen an", so heißt es ja wohl in Goethes „Tasso". Diese Stadt der hohen Behörden und diplomatischen Vertretungen ist sehr bedacht darauf, die Grenzen des Schicklichen genau innezuhalten. Das ist nicht immer leicht. Amerikanische Freiheit wird im Gesellschaftlichen und in der Beziehung von Mensch zu Mensch überhaupt von strengen Vorschriften der Tradition behütet. Wann man einlädt, und wie man einlädt; wie man deckt; wie man sich bedankt, bei wem man sich bedankt, ob man sich bedankt; wer die Braut fuhrt, wer Pate ist, wer es sein muß und wer es nicht sein darf; wer in den Kreis der Brautjungfern gezogen werden soll; wer mit wem ausgehen oder reisen kann; wer bezahlt und tausend andere Fragen des täglichen Lebens tauchen auf und machen den Beteiligten Kopfzerbrechen. Denn nicht jeder, der gesellschaftliche Rücksichten zu nehmen hat, ist in der gesellschaftsfähigen Schicht aufgewachsen. Manch einer fühlt sich unsicher. Und die Sorge dabei ist weniger, daß man sich blamieren würde, als daß man jemanden vor den Kopf stoßen, beleidigen oder verletzen könnte. Aber glücklicherweise gibt es hier die edle Frau, bei der man anfragen kann, wenn man erfahren will, was sich ziemt. Ihr Name ist Emily Post. Man schreibt an sie und sie gibt ihren Bescheid in dem hiesigen großen Abendblatt. Ihr Bild — denn es erscheint neben ihrer täglichen Spalte -

zeigt eine zugleich freundliche und

entschiedene ältere Dame. Ihr ist gegeben, auf alle diese verwickelten Fragen die

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Antwort zu wissen. Eine knappe und klare Antwort. Sie macht keine Flausen, sie redet nicht um die Sache herum. Hier ist der Brief der Leserin - in überwiegender Zahl fragt das weibliche Geschlecht - hier ist der Bescheid; das und das wäre falsch, das und das ist richtig. Die Fragerin weiß danach, was sie zu tun hat. Frau Post genießt offenbar auf ihrem Gebiet unbeschränkte Autorität. Denn manchmal schreibt jemand: „Ich denke so, mein Verlobter denkt anders. Wer hat recht?" Und es sieht ganz danach aus, als wäre der Fall zwischen ihm und ihr friedlich entschieden, wenn Emily Post gesprochen hat. Da will etwa jemand

wissen, ob nicht die Gastgeberin, wenn sie eine

Brautgesellschaft gibt, für die Verpflegung zu sorgen habe. Sie sei gerade eingeladen worden, und nachdem sie zugesagt habe, sei sie von der Wirtin „ganz nebenbei" gefragt worden, ob sie zu der Gesellschaft nicht einen Kuchen mitbringen möchte. „Jeder steuert etwas bei, und Sie backen so wundervolle Kuchen." Frau Posts Antwort wörtlich: "Sie haben völlig recht. Wenn die Einladung von einem Gastgeber oder von einer Gastgeberin oder von beiden ausgegangen ist, sollten sie auch für die Verpflegung sorgen." Die Fragerin weiß nun unmißverständlich, was schicklich wäre. Wie sie sich verhalten wird, ob sie schreiben wird: "Nein, ich komme nicht", oder „Nein, ich bringe keinen Kuchen", geht daraus nicht hervor. Wahrscheinlich wird sie gehen und den Kuchen mitbringen und sich Ein dem Bewußtsein genügen lassen, daß sie recht und die andere unrecht hat; wie ich - zwar nicht die Amerikanerinnen, aber die Frauen kenne. Indessen, schwerere Fälle tauchen auf. Eine Dame schreibt, sie sei Witwe und lebe in einem schönen ererbten Heim mit schönen ererbten Sachen. Es sähe so aus, als ginge es ihr noch so gut wie zur Zeit ihrer Ehe. Aber ihr tatsächliches Einkommen

sei jetzt

ganz

gering;

und

wenn

sie

ihren

gesellschaftlichen

Verpflichtungen nachkommen wollte, so würde sie sich einen Monat lang nicht satt essen können. Jetzt habe sich die Sorge zugespitzt; denn in einem soeben empfangenen Briefe kündigten entfernte Verwandte, Vater, Mutter und zwei Töchter, an, daß sie im Begriffe ständen, nach der Stadt zu kommen, und fragten rund heraus, ob sie eine Woche lang bei ihr wohnen könnten. Diesmal gesteht Frau Post, daß eine befriedigende Lösung in langem vergeblichen Nachdenken von ihr gesucht worden sei. Sie habe an allerlei gedacht: Kleines Darlehen auf das Haus: vorübergehender Aufenthalt in einer billigen Pension außerhalb der Stadt. Endlich sei sie zu der Ueberzeugung gelangt, das einzig richtige

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wäre, den Leuten einfach die Wahrheit zu sagen. „Schreiben Sie ihnen und sagen Sie, daß Ihnen nichts lieber wäre, als sie wiederzusehen und bei sich aufzunehmen, aber Sie sähen sich gezwungen, ihnen Ihre Lage auseinanderzusetzen - und dann seien Sie ganz offen. Wenn die Verwandten darauf erwidern, sie möchten dennoch kommen und würden gern die Verpflegung bezahlen, so können Sie sie mit offenen Annen empfangen. Keinesfalls dürfen Sie sich in Verlegenheit stürzen lassen. „Vergessen Sie nicht" fügte Frau Post hinzu, „daß Ihre Lage nichts Ungewöhnliches ist. Sie würden sich wundern, wenn Sie wüßten, wie viele Menschen in diesen Zeiten der steigenden Lebenskosten und der verminderten Einkünfte sich in der gleichen Lage befinden". Soweit Emily Posts guter Rat. Hoffen wir, daß die arme Witwe sich danach richtet. Das eigentlich Ueberraschende und Schwerverständliche für uns ist, warum diese geängstigte Dame soviel Umstände mit den aufdringlichen Verwandten macht, statt - was wir tun würden — ihnen einfach zu erwidern: „Bedauere"; und ferner, warum Frau Post soviel Mühe gehabt hat, einen Ausweg zu finden, der doch nahezuliegen scheint. Aber eben da steckt der Unterschied. Es ist nach hiesigen Begriffen undelikat, von seinen

privaten

Sorgen

und

Schwierigkeiten

zu

sprechen,

außer

zu

den

Allernächsten. Man macht keine Bekenntnisse, man behält seinen Kummer für sich. Das ist angelsächsische Erbschaft, mitgebracht aus England, wo diese verschlossene Haltung manchmal bis zum Heroismus getrieben wird. Das zweite ist: Man sagt nicht nein. Die Menschen hier empfinden den heftigsten inneren Widerstand dagegen, eine Bitte rundweg abzuschlagen. Sie machen lieber alle möglichen Umwege, um nur nicht eine Hoffnung oder Erwartung offen und ins Gesicht hinein zu enttäuschen. Die Amerikaner sind sonst unverstellt und gerade heraus. Aber wenn sie Grund haben, eine Bitte nicht zu erfüllen, so sagen sie es lieber nicht. Es widerspräche ihrer Gutherzigkeit, ihrer Menschlichkeit und ihrer Hilfsbereitschaft. Das vielleicht bildet den eigentlichen Grund, warum der Rat einer verständigen, erfahrenen und überlegenen Frau wie Emily Post so dringend gebraucht wird. „Die Neue Zeitung" vom 4. Januar 1951

241

Gesetzgeber halten Wacht Von Inquit

Washington, 31. Januar - Als die beiden Sitzungssäle des amerikanischen Parlaments

neu

ausgestattet

worden

waren,

fanden

die

Abgeordneten

des

Repräsentantenhauses, die sich nach der Wahl zu Beginn dieses Jahres zum ersten Male versammelten, ihren festlich strahlenden Raum geschmückt mit den Medaillons von 23 Gesetzgebern. Es sind Köpfe in Flachrelief, gemeißelt aus runden Scheiben weißen Marmors, kunstvoll geschaffen von sieben Bildhauern, unter der Aufsicht eines achten; angebracht nicht weit unterhalb der Saaldecke und daher nicht leicht zu erkennen von unten, aber gut zu sehen mitsamt den eingravierten Namen von der ringsum

laufenden

Galerie. Angesichts

der

Marmorplaketten

fragt sich

der

Betrachter unwillkürlich: Warum 23? Gibt es in Raum und Zeit nicht weniger und nicht mehr als 23 große Gesetzgeber? Die Frage klingt tiefsinnig, aber diesmal ist der Zusammenhang sehr einfach und enthält gar keinen Tiefsinn. Nämlich die Köpfe wurden bestimmt als Schmuck oberhalb der Türen, durch die man zu den Galeriesitzen gelangt. Deren gibt es 24. Für die Tür oberhalb des Sessels des Präsidenten war kein Porträt vorgesehen, sondern eine Inschrift. Bleiben 23 Plätze für Bildnisse von Gesetzgebern. Indessen, die eigentliche Schwierigkeit erhob sich jetzt erst, nämlich die Auswahl. Denn ohne Zweifel gibt es in der Geschichte der Menschheit mehr als 23 Gesetzgeber, die es verdienen, in diese Reihe aufgenommen zu werden. Also fing man damit an, für die Zulassung Regeln aufzustellen. Keine Religionsstifter, um jeden Glaubensstreit auszuschließen. Also ist weder Jesus noch Mohammed, weder Buddha noch Konfutse da. Eine andere Regel: nicht hervorragende Richter und bedeutende Kommentatoren, sondern die eigentlichen Schöpfer des Rechts, soweit sie auf amerikanische Gesetzgebung eingewirkt haben; diese aber aus allen Zeiten und Ländern. Infolgedessen ist Hammurabi da, der babylonische König aus dem dritten Jahrtausend vor Christus, auf den das große Gesetzbuch seines Weltreiches, in Keilschrift erhalten und von Gelehrten entziffert, zurückgeführt wird. Moses ist da, der auf Hammurabis Spuren, „Das Gesetz" verkündet hat. Noch ein bedeutender Jude ist da, der Philosoph Maimonides, der in Spanien im 12. Jahrhundert um die

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Fortentwicklung des „Gesetzes" hochverdient gewesen ist. Der oströmische Kaiser Justinian ist da, der das Römische Recht im „Corpus juris" aufgezeichnet hat. Ebenso Gajus und Papinian, jedem Studenten der Rechte geläufig. Die großen Gesetzgeber der alten Griechen sind da, Lykurgos und Solon. Herrscher, die Recht geschaffen haben, sind da: König Eduard I. von England; König Alfonso der Gelehrte von Spanien; König Ludwig der Heilige von Freinkreich; Suliman der Große, der türkische Sultan. Auch Päpste wie Innozenz III. und Gregor IX. Gelehrte und Staatsmänner sind da; und endlich auch zwei Amerikaner: Präsident Jefferson, der die Unabhängigkeitserklärung verfaßt hat, und George Mason, auf den ein wichtiger Teil der amerikanischen Verfassung zurückgeht. Leicht hat das Komitee, das die Auswahl treffen mußte, es sich nicht gemacht. Es hatte

zu

seiner

Verfugung zwei

Listen,

getrennt

aufgestellt von

gelehrten

Körperschaften.; mehr als 30 Bücher wurden zu Rate gezogen; und die endgültige Auswahl schließlich Fachleuten der Kongreßbibliothek zur Billigung vorgelegt. Das Ergebnis, so wie es jetzt die Wände des Sitzungssaales schmückt, trifft auf mancherlei Widerspruch und scharfe Kritik, wie es nicht anders sein kann bei einer Auswahl, über die keine zwei Sachkenner jemals übereinstimmen würden. Aber die Kritiker und Tadler haben Unrecht. Die Abgeordneten des Kongresses werden vom amerikanischen Volke gewählt, um über die Gesetze zu beraten und zu beschließen. Sie in erster Reihe sind die Gesetzgeber Amerikas. Daß man ihnen die Bilder der großen Gesetzgeber der Menschheit vor Augen hält, ist ein richtiger Einfall. Denn zwar unterscheiden sich die Gesetze von Nation zu Nation und von Jahrhundert zu Jahrhundert. Aber der Gedanke des Rechts selbst ist ihnen allen gemeinsam. Es ist einer der großen Gedanken der Menschheit, vielleicht ihr größter; der Gedanke nämlich, daß die Ansprüche der Menschen untereinander nicht abgewogen werden sollen

nach

dem

Willen

des

Stärkeren,

sondern

nach

dem

Spruch

eines

unparteiischen Richters, der sich seinerseits stützt auf das rechtmäßig beschlossene und verkündete Gesetz, in tief empfundener Achtung vor diesem Gesetz. Die Köpfe da oben enthalten die tröstliche Gewißheit, daß erleuchtete Menschen die Notwendigkeit der gesetzlich herbeigeführten Rechtsordnung schon vor mehr als 4000 Jahren erkannt haben, und daß diese Einsicht weitergereicht worden ist von Generation zu Generation bis auf diesen Tag. Sie mahnen zugleich die bestellten Gesetzgeber der Vereinigten Staaten, den kostbaren Besitz nicht zu verlieren in einer Zeit, da wir mit eingesehen haben und weiter erleben, wie in gewissen Ländern, die

243

den großen Gedanken nicht verstehen, das Recht verdrängt wird durch die Willkür der Macht, und wie die Achtung vor dem Gesetz zerstört wird durch die zynische Verfolgung von Zwecken. Seit, mehr als 150 Jahren steht das amerikanische Volk und sein Parlament da als Vorkämpfer und Verteidiger des gesetzlichen Rechts. Daß es seine hohe Aufgabe nie vergißt oder verkennt, darüber werden diese 23 Gesetzgeber treue Wacht halten. „Die Neue Zeitung" vom 1. Februar 1951

Das Mienenspiel Von Inquit

Washington, im Februar. — Der Richter auf seinem erhöhten Platz sitzt ruhig da und hört zu, wie die Anwälte ihre umständlichen Ausführungen machen. Man sieht ihm weder Zustimmung noch Widerspruch an, er läßt beherrscht die Plädoyers über sich ergehen. Gelegentlich, selten, greift er mit Anordnungen oder Entscheidungen ein, ohne im geringsten die Stimme zu erheben, wie das auf angelsächsischen Gerichten der Brauch ist. Bisweilen ruft er die Prozeßbeteiligten zu sich, und sie unigeben dann beflissen seinen Platz, die Anwälte eingeschlossen. Dabei wird die Stimme womöglich noch gesenkt, und was sie da oben verhandeln, dringt nicht bis zu mir, dem Zuhörer. Dann nehmen die Plädoyers wieder ihren Fortgang. Der Richter trägt einen Kneifer, aber wenn er in den Saal blickt, was er bisweilen voll Interesse zu tun scheint, so setzt er eine Brille noch davor. Sein Gesicht wirkt ernst und klug, und ich würde daraus schließen, daß er voll Gewissenhaftigkeit und Sachkenntnis sich bemüht, das Recht zu finden. Etwas an ihm fällt auf; sein Mund ist so geformt, daß leicht der Eindruck entsteht, als lächelte oder lachte der Mann. Einoder zweimal, während er die Beteiligten um sich versammelt hat, lacht er unzweifelhaft, und ich folgere daraus, daß jemand, und wahrscheinlich er selbst, einen Scherz gemacht hat. Ich

wohne

Rechtsprechung

der

Sitzung

annähernd

eines

Schöffengerichts

bei

richtig

auszudrücken),

und

(um

es in

verhandelt

deutscher wird

eine

244

Beleidigungsklage, und zwar gegen jemanden, der eine Rolle im öffentlichen Leben spielt. Der Prozeß hat daher politische Bedeutung. Der Saal ist denn auch voll besetzt. Der Richter mit seinen Beamten ist da, die zwölf Schöffen, Männer und Frauen, darunter mehrere farbige sowie Ersatzschöffen, die Parteien und ihre Anwälte, die Zeugen und die Presse sind anwesend. Alle noch bleibenden Plätze werden vom Publikum eingenommen. Indessen es ist nicht dieser bestimmte Prozeß, der mich herbeigelockt hat. Sondern daß ich auch da bin, und den Richter mit gespannter Aufmerksamkeit beobachte, das hat seinen Grund darin, daß ein Urteil eben dieses Richters von der höheren Instanz aufgehoben worden ist, weil er sich geweigert hat, dem Verteidiger zu gestatten gegen des Richters Mienen und Gesten zu protestieren. Jenen umstrittenen Prozeß habe ich nicht mitgemacht. Ich weiß daher zwar, daß damals ein Neger angeklagt war, weil sich in seinem Besitz verbotener Weise Rauschgift befunden hatte, und daß er dafür zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Aber ich habe nicht mit angesehen, was für Handbewegungen der Richter gemacht und wie er sein Gesicht verzogen haben mag. Ich weiß also auch nicht, ob wirklich der Verteidiger Grund hatte zu protestieren oder ob er Entrüstung und Einspruch nur gespielt hat, in der Hoffnung, damit die Jury zugunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Aber nicht darauf kommt es an. Wichtig vielmehr ist die Stellungnahme des höheren Gerichts und die Begründung seines Spruches. Seltsamerweise haben Mienen und Gesten dieses Richters in der Entscheidung einer Berufungsinstanz schon einmal ein Rolle gespielt. Jenes erste Mal handelte es sich um einen Spielerprozeß. Auch dabei wurde das Urteil des Richters aufgehoben, jedoch nicht wegen seines Benehmens. Aber das höhere Gericht sah sich immerhin veranlaßt, seine Ansicht ausdrücklich dahin festzulegen, der Verteidiger habe nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, zu protestieren, wenn er furchtet, das Verhalten des Richters könne dem Angeklagten bei den Laienrichtern schaden. Und zwar verlangt die Gerichtsordnung, daß der Anwalt seinen Widerspruch zu Protokoll gibt, bevor die Jury sich zur Beratung zurückzieht. Wenn die Beschwerde des Anwalts nicht zutrifft, soll der Richter es sagen. Wenn aber nur die geringste Möglichkeit besteht, die Laien könnten das Mienenspiel, die Handbewegungen oder die Stimme des Richters mißverstanden haben, so soll er sie nachdrücklich belehren, so daß jede falsche Deutung aus ihrer Vorstellung weggeräumt wird.

245

In dem zweiten Prozeß wurde nach Meinung der höheren Instanz ein schwerer Fehler begangen. Denn der Richter hinderte nicht nur den Anwalt an seinem Protest, er bedrohte ihn noch überdies mit einem Verfahren wegen Ungebühr vor Gericht („Contempt of Court"), wenn er darauf beharrte, gegen Gesten und Mienenspiel des Richters zu protestieren. Er behauptete, gegen solche Aeußerlichkeiten gäbe es keinen Einspruch. Die höhere Instanz erklärt diese Auffassung für falsch. Mein muß sich vergegenwärtigen, daß in Amerika die echten Geschworenen- und Schöffengerichte in voller gesetzlicher Geltung stehen. Der Richter leitet zwar die Verhandlung. Danach aber zieht die Jury sich zurück und berät für sich allein, ohne den Beistand und die Aufsicht der Juristen. Es sind Laien, die über Schuld und Unschuld entscheiden; je nach ihrem Spruch hat das Gericht alsdann die Strafe zu bemessen. Da die Jury aus Leuten besteht, die in juristischen Dingen ungelehrt und unerfahren sind, so liegt die Sorge nahe, der Richter könne sie durch sein Benehmen, absichtlich oder unabsichtlich, zum Nachteil des Angeklagten beeinflussen. Was die höhere Instanz will, ist also, daß der Verteidiger seinen Protest schriftlich niederlegen läßt, damit das Berufungsgericht, wenn es den Fall überprüft, sich über den Gang der Verhandlung unterrichten kann. Dagegen wird eingewandt, daß nach jüngsten Erfahrungen in politischen Prozessen manche Anwälte, etwa auf Seiten kommunistischer Angeklagter, jedes Mittel benutzen, um den Prozeß zu hemmen und zu stören, und ferner, daß es überhaupt schwer ist, solche flüchtigen Aeußerungen wie Mienenspiel, Handbewegungen und Tonfall durch Beschreibung festzuhalten. Es ist daher vorgeschlagen worden, Prozesse im Tonfilm aufzunehmen, so daß jede Phase der Verhandlung beliebig reproduziert werden kann. Ein entsprechender Antrag liegt tatsächlich dem Parlament vor. Wer wollte voraussagen, daß er nicht eines Tages Gesetz werden könnte? Denn

eine

solche

Sicherung

entspräche

durchaus

dem

amerikanischen

Rechtsgefühl. Wozu gibt es eine Kriminaljustiz? Um die Gesellschaft vor dem Verbrechen zu schützen. Aber wenn jemand in den Zustand der Anklage versetzt wird, so ist er der Gefährdete und Schutzbedürftige. Er hat für sich

ZWEIT

die

Verteidigung, seine eigene und die seines Anwalts; er hat für sich im günstigsten Falle seine Unschuld. Aber er hat gegen sich den Staat und seine Macht. Dem Uebeltäter soll Gerechtigkeit widerfahren; das heißt, Strafe und sogar schwere Strafe, wenn er es verdient; aber Milde oder Freispruch, wenn das am Platze ist. Zu verhüten, daß dem Angeklagten Unrecht geschieht, auf diesem Willen ist das

246 gesamte amerikanische Strafverfahren aufgebaut. Und die Zurechtweisung eines Richters, der nicht zulassen wollte, daß der Verteidiger gegen sein Mienenspiel protestierte,

bedeutet

daher

nichts

anderes

als

eine

neue

Verstärkung

dieses

Bollwerks der Menschlichkeit.

„Die Neue Zeitung" vom 17. Februar 1951

Du bist dabei Von Inquit

Washington, im April. - Bekannte haben dir gestattet, vor ihrem Fernsehapparat Platz zu nehmen. Eine öffentliche Sitzung des Senatsausschusses zur Aufklärung der Zusammenhänge von Glücksspiel und Verbrechen soll durchgegeben werden. S o wie du mit deinen Gastgebern

warten in ungezählten Häusern die Leute a u f das

Schauspiel. Da erscheint schon der Raum auf der erhellten Fläche, ein Durcheinander von Figuren, begleitet von dem wirren Lärm einer Menschenansammlung. Es ist wie im Film und doch ganz anders. Die Fläche ist nicht groß, etwa wie ein Bild in deinem Zimmer: Farblos und insofern unwirklich. Zugleich aber empfindest du die Szene als völlig echt und lebensnah; denn gerade die Schauspielerei fehlt, es fehlt j e d e Spur von Theater, Kulisse und Regie. Was du siehst, ist der Vorgang selbst, du erlebst ihn mit, du bist dabei. Der Senatsausschuß ist kein Gericht im juristischen Sinne des Wortes, aber die Verhandlung hat alle wesentlichen Züge einer Gerichtssitzung. Die untersuchenden Senatoren nehmen ihre Plätze ein und werden einzeln vorgestellt. Man kennt sie schon aus den Zeitungen, aber nun sieht man sie aus der Nähe. Die Figuren sind nur klein, und doch hat man den Eindruck, mein sehe sie selbst und in Lebensgröße. Jetzt sieht man den Tisch der Zeugen, der Blickpunkt hat sich um 180 Grad gedreht. V o n nun an wechselt die Szene zwischen Zeugentisch und Richtertisch hin und her. Da ist der Anwalt des ersten Zeugen, er macht gewisse prozessuale Vorbehalte zum Schutz seines Klienten.

247

Endlich der Zeuge selbst, um den es sich heute dreht. Einer der Zeugen. Wie im Gericht? Nein. Das Publikum im Gerichtssaal sieht den Zeugen über die Köpfe hinweg am anderen Ende des Saales, wie er sich den Richtern zuwendet. Das heißt, es sieht ihn von hinten. Hier, obwohl du Teil eines unabsehbaren Publikums bist, siehst

du

ihn

dir

unmittelbar

unvermeidlicherweise,

grade

gegenüber

ins

Antlitz.

und Und

von also

vorn.

Du

siehst

du

blickst ihn

mit

ihm, einer

Deutlichkeit, wie sie dir nicht einmal die Bühne gestatten würde. „Sind Sie j e m a l s wegen eines Verbrechens bestraft worden?" Es ist ein wohlgekleideter Mann in gesetzten Jahren, an den die Frage ergeht, in Gegenwart der Senatoren, der Beamten, der Journalisten, der Photographen und Funktionäre von Radio und Television, in Gegenwart einer Handvoll Zuhörer im Raum

und

eines

millionenköpfigen

Publikums,

das

über

das

Land

verteilt,

unbekümmert und unbescholten in behaglichen Wohnzimmern sitzt und der für ihn peinlichen Stunde beiwohnt. Und vor ihnen allen, j e d e m einzelnen deutlich sichtbar und hörbar, muß er antworten: „ J a " . In den vergangenen Zeiten der „Prohibition" gehörte er zu denen, die durch Schmuggel von Alkohol Unsummen verdienten. Er hat dafür im Gefängnis gesessen. „Und seitdem?" Seitdem hat er sein Geld verdient „als Gentleman", wie er sich ausdrückt; in allerlei Arten von Geschäften. Aber da die Senatoren genaueres über seine Geschäfte hören wollen, verweigert er die Aussage, um sich nicht der Gefahr auszusetzen, sich selbst zu beschuldigen. „Sind Sie sich auch klar darüber", greift der Vorsitzende ein, „daß Sie durch Verweigerung der Aussage zugeben, daß Sie nach Ihrem eigenen Urteil sich eines Verbrechens bezichtigen müßten, wenn Sie die Wahrheit sagten?" Aber auch darauf verweigert der Zeuge die Antwort. Zwei Stunden lang wird so die Vergangenheit des Mannes öffentlich zur Schau gestellt. Dies ist ein Beispiel der Szenen, die sich auf dem Schirm des Fernsehapparates zugetragen

haben.

Andere

Vernehmungen

vor

dem

parlamentarischen

Untersuchungsausschuß sind ähnlich verlaufen. Zum ersten Male hat damit das neue technische Wunder Television seine Möglichkeiten voll ausgenutzt. Die Leute, in Scharen angelockt wie noch nie, äußern sich verblüfft und erregt. Nicht wenige zeigen sich erschreckt. Wohin soll das führen? Einige Zeugen haben sich geweigert, unter den indiskreten

Augen und Ohren der Fernsehkameras

auszusagen.

Sie

248

riskieren

damit

Verfolgung

Zeugniszwangsverfahren

wegen

nennen

„Contempt

würden.

of

Letztlich

Court",

wird

das

was oberste

wir

ein

Gericht

entscheiden müssen, ob die Verbreitung, nicht nur parlamentarischer Vernehmungen, sondern auch gerichtlicher Verhandlungen, zulässig sein soll. Ich glaube, ich darf getrost voraussagen, daß auf die Dauer diese Art von unbeschränkter Oeffentlichkeit nicht verhindert werden kann. Denn das Prinzip ist längst anerkannt und in allen freien Ländern unangefochten in Geltung; das Prinzip nämlich, daß Gerichtssitzungen

und gerichtsähnliche Verhandlungen öffentlich

stattfinden müssen. Denn nur die Oeffentlichkeit gibt die Gewähr dafür, daß die Rechtspraxis der Juristen in Uebereinstimmung bleibt mit dem Rechtsempfinden des Volkes. Es wird eingewandt, und zwar vorläufig ohne Zweifel mit Recht, daß die Apparate und ihre Betätigung im Verhandlungszimmer stören. Aber das ist eine rein technische Unvollkommenheit, die gewiß mit der Zeit vermindert oder ausgeschaltet werden wird. Alle anderen Bedenken sind an sich zwar nicht unberechtigt, aber sie haften der alten Art von gerichtlicher Oeffentlichkeit ebenso an. Auch bisher werden manche Zeugen irritiert durch das „Auftreten" vor Gericht, durch das Sich-Zeigen und SichAeußern in Gegenwart der thronenden Gerichtspersonen und der mannigfachen Teilnehmer einer solchen Verhandlung. Auch bisher hat dieses „Auftreten" auf andere Zeugen gerade die entgegengesetzte Wirkung, nämlich daß sie sich zur Schau stellen, daß sie einen gewissen Eindruck hervorrufen wollen und dadurch von der schlichten Wahrheit abgedrängt werden. Auch bisher kann ein Richter sich versucht fühlen, ins Publikum zu spielen und die Wirkung etwa auf die Presse zu berechnen. Und daß ein Vorbestrafter in seiner Unehre bloßgestellt wird, folgt aus seinem Lebenswandel und ist nicht erst durch Television herbeigeführt worden. Noch

läßt

sich

nicht

übersehen,

wie

rasch

die

Ausbreitung

der

Fernsehübertragung erfolgen mag. Die Gerichte verhalten sich vorläufig völlig abweisend. In der öffentlichen Debatte kommt der Wunsch zum Ausdruck, es möchten wenigstens solche parlamentarischen Untersuchungen wie diese hier öfter gesendet werden. A u c h wird mit der Möglichkeit gespielt, das Publikum auf dem Wege des Fernsehens an anderen Regierungsfunktionen als Zuschauer teilnehmen zu lassen. Denn das amerikanische Staatswesen beruht darauf, daß der einzelne Bürger die öffentlichen Vorgänge mit lebendiger Teilnahme verfolgt und daß er über sie

249

möglichst gut unterrichtet wird. Nach Meinung vieler Beurteiler gibt es dafür kein besseres Mittel, als daß der Bürger über sie nicht nur in der Zeitung liest und nicht nur aus dem Radio hört, sondern zugleich mit eigenen Augen sieht. So könnte Television sich zu einem großartigen Mitte! staatsbürgerlicher Erziehung entwickeln.

„Die Neue Zeitung" vom 21. April 1951

Das Recht zu pfeifen Von Inquit

Washington, im Mai. -

In Deutschland hatte ich jahrelang die Ehre, einem

deutschen Dichter im Büro gegenüberzusitzen, jeder von uns an seinem Schreibtisch, die mit dem Rücken zusammengestellt waren. Ich will ihn nicht beim Namen nennen, denn was ich zu berichten habe, verbessert vielleicht nicht sein Andenken. Jedenfalls arbeiteten wir nicht nur, mit den Gesichtern einander zugekehrt, sondern wir unterhielten uns auch und diskutierten Gott und die Welt. Dabei erzählte er mir einmal, auf seiner täglichen Bahnfahrt aus einem Vorort in die Stadt habe in seinem Abteil am offenen Fenster ein halbwüchsiger Junge gestanden und vor sich hingepfiffen. Und er, der Dichter, nachdem er es eine Zeitlang hingenommen hatte, sei ihm schließlich in die Musik gefallen mit der barschen Ankündigung: "Wenn Du jetzt nicht aufhörst zu pfeifen, schlage ich Dir ein paar hinter die Ohren." Er hatte sich sogar noch etwas poetischer ausgedrückt, aber zum Besten seines Nachruhms mag diese Andeutung genügen. Der Junge jedenfalls, wenn ich dem Dichter glauben darf, das heißt, wenn er wahrheitsgetreu erzählt und nicht etwa gedichtet hat, sei mit einem

erstaunten

Blick

auf

den

zornigen

Herrn

mitten

in

der

Melodie

steckengeblieben und habe sich nicht wieder anzufangen getraut. Nun, mit diesem Verfahren hätte der Dichter in Amerika gar kein Glück gehabt. Wenn er hier versucht hätte, ebenso aufzutreten, so wären die Mitreisenden wie ein Mann gegen ihn und zum Schutze des Burschen dazwischengefahren. „Was? Nicht einmal pfeifen soll

er dürfen? Pfeif Du ruhig, mein Junge." Ich habe diese

250

Verteidigung nie gehört, denn ich habe noch nie erlebt, daß irgend jemand irgend jemandem das Pfeifen verboten hätte. In Amerika nämlich hat jeder das Recht zu pfeifen, wann und wo es ihm gefällt; und nicht wenige machen von diesem Recht Gebrauch. Es pfeift der Handwerker bei der Arbeit, auch wenn du ihn in deinem Hause beschäftigst. Es pfeift der Kellner beim Bedienen. Es pfeift der Barbier; vielleicht nicht derjenige, der dich rasiert, aber der andere, der gerade nichts zu tun hat, ohne Rücksicht darauf, daß du, sein Kunde, im

Laden

bist.

Es pfeift vor

Straßenbahnschaffner

und

allen

Dingen,

Autobuschauffeur,

andauernd obwohl

und

beide

zu

inbrünstig, der gleicher Zeit

Schaffner sind, das heißt, Billetts verabfolgen, Geld wechseln und Auskunft geben, und also ihren Platz am Steuer innerhalb des Wagens bei den Fahrgästen haben. Und es pfeift bisweilen einer von den Fahrgästen selbst; nicht immer ein Junge, sondern ebensooft ein gereifter schwerer Mann. Er sitzt behaglich auf seinem Platz am Fenster, kümmert

sich den Teufel um die Mitreisenden

um

ihn her, blickt

nachdenklich oder gedankenlos vor sich hin und pfeift sich eins. Oder er singt. Und die Mitreisenden k ü m m e r n sich ebensowenig um ihn. Es stört sie offenbar nicht. Aber auch Zug stört niemanden. Leider bin ich nicht ebenso glücklich veranlagt. Als ein in Deutschland geborener und aufgewachsener Mensch bin ich furchtbar empfindlich gegen Zug. Und was das Singen und Pfeifen betrifft, so gelingt es mir nicht, wegzuhören und es zu überhören. Ich kann vielmehr nicht vermeiden, darauf zu achten. Wer in Italien gelebt hat, der weiß, was es bedeutet oder bedeuten kann, wenn das Volk singt. In Florenz hörst du es bisweilen herrlich durch den besonnten Morgen schmettern, es klingt beinahe wie die geschulte Stimme eines Opernsängers. Die Stimme singt ein Lied, das gerade umläuft, oder auch eine bekannte Arie, sie singt musikalisch und ausdrucksvoll, zur Freude des Sängers und derer, die ihn hören. Und wenn du dich aus dem Fenster bückst, um zu sehen, wer wohl der Künstler sein mag, so findest du einen j u n g e n Austräger, den Bäckerlehrling in weißer Schürze und weißer Mütze oder den Hotelpagen in seiner koketten Uniform. Nicht so in Amerika. Ich habe noch nicht herausbekommen, was sie eigentlich singen oder gewöhnlich pfeifen. Es klingt nicht wie eine Arie und kaum wie ein Gassenhauer. Was hier vollführt wird — w e n n ich das sagen darf, ohne j e m a n d e n zu beleidigen - ist vielmehr,

ein

zielloses

Hin-

und

Hergedudel,

ein

Auf

und

Ab

willkürlich

aneinandergereihter Töne ohne W e g und Ziel. Wenigstens erscheint es mir so. Ich

25!

habe oft sehr genau aufgepaßt, um hinter das Gesetz oder den Sinn dieser Tonfolgen zu kommen. Namentlich den Fahrern der öffentlichen Verkehrsmittel bin ich wißbegierig sozusagen nachgeschlichen, indem ich mich in ihre Nähe gesetzt und die ganze Fahrt über hingehorcht habe. Aber mir ist das Geheimnis nicht aufgegangen. Im übrigen ist das alles nicht amerikanisch, sondern angelsächsisch. Ich habe es so schon in Großbritannien beobachtet, ein neues Zeichen dafür, daß die Vereinigten Staaten als englische Kolonie entstanden sind und die Sitten und Gebräuche des Mutterlandes bewahrt haben. Ich hüte mich, versteht sich, einzugreifen. Ich bin nicht wie der deutsche Dichter, der mir im Büro gegenübersaß. Es fallt mir nicht ein, das Pfeifen zu verbieten. Und übrigens würde mir niemand gehorchen, selbst dann nicht, wenn es ein kleiner Junge wäre. Ja, wenn ich ihn freundlich bäte, wenn ich z.B. sagte, ich habe heftige Zahnschmerzen, und sie werden immer schlimmer von seinem Pfeifen, dann würde er wahrscheinlich aufhören und noch liebenswürdig dazu lächeln. Aber Verbieten ist ungehörig, ebenso wie Befehlen. „Die Neue Zeitung" vom 19. Mai 1951

Selber kochen in den USA Von Inquit

New York, im Juli. - Die Umstände haben es mit sich gebracht, daß ich mir meine Mahlzeiten jetzt selber koche. Nicht neuerdings, schon eine geraume Zeit, und jedenfalls lange genug, um zu wissen, daß ich damit zurande komme. Denn wenn ich es nicht könnte, wäre ich längst an Unterernährung eingegangen. Ich habe meine eigene kleine Küche mit Gasherd. Ich habe meinen eigenen Kühlschrank, der in diesem Klima unentbehrlich ist, und der in den meisten Haushaltungen elektrisch betrieben wird, bei mir aber mit Gas. Der Effekt ist derselbe: Jederzeit stehen mir Eiswürfel zur Verfügung, und ich kann, was ich nicht heute aufesse, bis morgen oder übermorgen stehen lassen, ohne Angst, daß es mir verdirbt.

252

Längst, wie diese Aufzählung verrät, ist mir eine normale Hausfrauenseele gewachsen.

Ich überlege

voraus,

was

ich brauchen

werde,

gehe einholen,

unterscheide die Geschäfte nach der Güte oder Frische oder Reichhaltigkeit der Ware, vergleiche die Preise, ärgere mich, wenn sie steigen, und bin froh, wenn sie zurückgehen (was selten vorkommt); ich empöre mich, wenn ich unschmackhaftes Brot eingehandelt habe, oder wenn ein Ei beim Aufschlagen sich als verdorben erweist. Aber bis zum Zurücktragen und Umtauschen, obwohl ich dazu berechtigt wäre, habe ich mich noch nicht entmännlicht. Uebrigens schneide ich auf, wenn ich behaupte, daß ich selber koche; nämlich wenn man unter Kochen versteht, daß man sich die Materialien besorgt, sie schält, schabt, schneidet, mischt, mit Gewürzen verändert, sie über der Flamme rührt, begießt, schöpft, abschmeckt und auf sie tausend andere kennerische Tricks anwendet, bis man schließlich das Gericht oder die Gerichte serviert und aufträgt. In diesem Sinne bin ich weit entfernt vom Kochen. Meine Kunst und mein Wissen reichen nicht weiter, als daß ich Tee oder Kaffee bereiten, Milch wärmen, Eier hart oder weich sieden kann (ohne Garantie). Ganz zuletzt ist mir beigebracht worden, wie man Rühreier macht, und ich mache seitdem oft Rühreier; weniger ihres guten Geschmacks oder Nährwertes willen als wegen des Stolzes, der meine Brust schwellt, wenn ich ein Gericht Rühreier zustande gebracht habe. Das ist alles, was ich an eigentlichem Kochen vollführe. Im übrigen will ich begreiflicher Weise nicht viel Zeit auf meinen schnöden Leib verschwenden. Zeit hätte ich schon, aber es lohnt sich mir nicht für mich allein. Mehr als zehn Minuten soll mich die Hauptmahlzeit — Mittagbrot, nach treu bewahrtem heimatlichem Brauch — nicht kosten. Dazu kommen Frühstück und Abendbrot; manchmal Nachmittagskaffee. Mit Einholen und Abwaschen werde ich kaum mehr als eine Stunde täglich auf meine Beköstigung verwenden, den Akt des Essens selbst nicht mitgerechnet. In diesem Lande nämlich braucht man nicht selber zu kochen, wenn man nicht will, und kann doch bei sich zu Hause essen. Man braucht bloß zu wärmen, das ist der Witz. Man kriegt alles vorgekocht in Konservenbüchsen oder Glaskrausen; und freilich muß man die Geräte zur Hand haben, um die Konserven zu öffnen, was manchmal Mühe macht; denn sie sind wie für die Ewigkeit verpackt. Ich koche mir also keine Suppe, sondern kaufe sie fertig in Büchsen, und habe die Wahl zwischen Tomatensuppe, Erbsensuppe, Pilzsuppe, Nudelsuppe und noch einem halben

253

Dutzend anderer Suppen. Ich brauche den Inhalt nur in einen Topf zu gießen, ein bestimmtes Quantum Wasser hinzuzufügen (Anleitung auf der Büchse), wenn ich üppig sein will, ein Stückchen Butter daran zu tun und das Ganze aufs Feuer zu stellen. Daß es nicht überkocht, darauf freilich muß ich selber achten. Ich verhandle nicht mit dem Schlachter über ein schönes Stück Fleisch aus einer bestimmten Gegend eines bestimmten Tieres, sondern ich kaufe auch das als fertiges Gericht aus einer Büchse; Fleischkugeln mit Nudeln, Teigtaschen mit Fleischfüllung, Falschen Hasen in Soße, Schweinebraten in Stücken, Huhn in Stücken und dergleichen. Ich schäle keine Kartoffel, sondern kaufe sie geschält und gesalzen. Ich schabe keine Mohrrüben, puhle keine Schoten, schnitzle keinen Rotkohl, sondern bekomme das alles fertig in Büchsen. Und ebenso verhält es sich mit den Kompotten. Alles das, zugegeben, schmeckt nicht so gut, als wenn eine richtige Hausfrau eine richtige Mahlzeit bereitet. Aber das würde ich nie lernen und will es nicht lernen. Die Konservenwirtschaft dagegen habe ich gelernt und geübt und beherrsche sie nachgerade. Indem ich es mir auf genügsame Weise schmecken lasse, bin ich mir immer von neuem bewußt, daß ich die Früchte einer überwältigenden Entwicklung und Industrialisierung genieße, ohne meinerseits das geringste dazu beigetragen zu haben. Denn damit ich einfach in einen Laden gehen kann, irgendwo in dieser Riesenstadt New York und in jeder anderen Stadt und in jedem noch so kleinen Ort überall in Amerika, und diese fertig bereiteten Gerichte vorfinde, überall ungefähr dieselben Marken; damit ich mich auf Güte und Frische des Inhalts und auf einwandfrei hygienische Behandlung verlassen darf, dazu ist nötig gewesen, nicht nur daß dieses wilde Land urbar gemacht, daß in ungeheurem Ausmaß gesät, gepflanzt

und

geerntet

worden

ist,

sondern

auch,

daß

geeignete

Verarbeitungsmaschinen erfunden und zureichende Behandlungsmethoden entdeckt worden sind, daß man riesige Spezialfabriken errichtet hat, daß ein kolossales, zuverlässig wirkendes Verteilungssystem zur Verfügung steht samt dem geschulten Personal für jeden Zweig des verwickelten Gewerbes und einem raffinierten Reklamewesen, das die produzierten Waren zur Kenntnis eines kaufwilligen Publikums bringt. „Die Neue Zeitung" vom 28./29. Juli 1951

254

Der Leuchtturm der Kinder Von Inquit

New York, im August. - Wenn man im Stadtteil Manhattan am Hudson entlang promeniert oder auf einer der Bänke dicht an der Kaimauer sitzt, so wird der Blick flußaufwärts

begrenzt

durch

ein

zauberhaftes Gebilde,

das

mit

der

klaren

Zweckmäßigkeit eines Ingenieurwerkes und zugleich mit der Schwerelosigkeit eines Spinnengewebes sich von einem Ufer zum andern streckt. Es ist die GeorgeWashington-Brücke, die den oberen Teil der Stadt mit dem Staate New Jersey verbindet und einen ungeheuren Autoverkehr herüber und hinüber bewältigt. Wünscht man dieses Wunder aus der Nähe zu betrachten, so muß man etwa mit der Untergrundbahn bis zur 181. Straße fahren. Von da läßt sich die Brücke über ein paar Kreuz- und Querstraßen in etwa zehn Minuten zu Fuß erreichen. Und während die Autos aller Art herüber und hinüber ohne Unterbrechung an einem vorbei rasen, darf man auf geschütztem Fußsteig den Fluß überschreiten, wozu man bei rüstigem Schritt etwa 20 Minuten braucht. War man aus der Ferne von der Grazie entzückt, so fühlt man sich in der Nähe durch die kolossalen Dimensionen überwältigt. Jeder der Pfeiler enthüllt sich als ein Riesenturm, oder vielmehr als zwei Türme an jedem Ufer, über die Breite der Brücke hinweg durch ein eisernes Halbrund verbunden. Was aus der Ferne wie Schnüre ausgesehen hat, sind in Wirklichkeit Röhren, so dick, daß ein Mann bequem hindurchkriechen könnte. Die von ihnen herabhängenden Fäden, die den Uebergang tragen, erweisen sich in der Nähe als gedrehte Stahltrossen, so stark, daß man sie mit der Hand nicht umspannen kann. Jede Aufhängung besteht aus zwei mal zwei Gruppen von je vier Trossen, und solcher Aufhängungen habe ich von Turm zu Turm 60 gezählt. Sie tragen eine Fahrstraße, auf der bequem sechs Autos nebeneinander passieren können, außer den Fußwegen an beiden Rändern; obwohl der Steg unter dem tobenden Verkehr fühlbar vibriert, vermittelt die leicht übersehbare monumentale Konstruktion das Gefühl vollkommener Sicherheit. Beim Hinüberwandern darf man den Blick weiden an der phantastischen Steinsilhouette New Yorks, an den grünen Höhen New Jerseys und an dem

255

strömenden Wasser des Hudson, der tief unter einem zum nahen Ozean fließt. Und wenn man Glück hat, fahrt gerade ein Schiff unter einem hindurch. Man sieht dicht daneben am rasenbedeckten Ufer, von oben her kaum erkennbar, Kinder spielen, Schuljungen baden und Leute hingestreckt sich sonnen. Man sieht die Doppelketten der Autos, die abwechselnd angehalten und entlassen werden. Und man sieht, wenn man sich über das Geländer beugt, unter der Brücke a u f einem Stückchen Felsen einen kleinen Leuchtturm, klein im Verhältnis zur Brücke, aber für sich allein immerhin zwölf Meter hoch. Und um dieses Leuchtturms willen ist die Brücke plötzlich wieder in das Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Denn

der Leuchtturm,

begreiflicherweise,

leuchtet

nicht mehr.

Die

großen

Scheinwerfer der B r ü c k e haben ihn überflüssig gemacht. Aber bis vor etwas mehr als drei Jahren sandte er nachts sein Blinkfeuer über das Wasser und half, die stromauf und stromab fahrenden Schiffe vor dem gefahrlichen Felsenufer zu warnen und in der sicheren Fahrrinne zu halten. Kürzlich indessen hat die zuständige Behörde, das ist das Kommando der Küstenwache, entschieden, daß der zwecklos gewordene Leuchtturm entfernt werden sollte. Unerwarteterweise ist gegen den Plan lauter Protest erhoben worden, und zwar von Seiten amerikanischer Kinder, die in Briefen an die Behörde ihrer Empörung oder ihrem Kummer Ausdruck gaben. Denn der kleine Leuchtturm unter der großen Brücke ist diesen Kindern wohlbekannt, nicht nur denen in New York, sondern überall in Amerika. Die Bekanntschaft stammt aus einem Kinderbuch, betitelt: „Der kleine rote Leuchtturm und die große graue Brücke", die Verfasser heißen Hildegarde H. Swift und Lynd Ward.

Bisher hat wohl niemand geahnt, daß es diese unscheinbare

Kinderbuch, eines unter ungezählten anderen, im Kreise der Kinder zu einer Art von Berühmtheit gebracht hat. Ich habe es mir in einer öffentlichen Bibliothek geben lassen und durchgeblättert. E s erzählt mit knappen, anschaulichen Worten, wie der Leuchtturm jeden Abend vom Leuchtturmwächter angezündet wird; wie der Turm unendlich stolz ist auf seinen Dienst, den er der Schiffahrt leistet; wie eines Tages Arbeiter kommen und anfangen die Brücke zu bauen; wie der Turm sich ängstigt, er könnte überflüssig werden; wie er tatsächlich, während die Lichter der neuen Brücke strahlen, nicht mehr angezündet wird; wie infolgedessen ein S c h i f f scheitert; wie das Versagen sich als ein Irrtum erweist; wie das Turmlicht wieder angezündet wird, um

256

weiter seines segensreichen Amtes zu walten. Der knappe Text begleitet die Reihe der eindrucksvollen bunten Bilder. Zum Schluß heißt es: „Neben der getürmten grauen Brücke steht noch immer brav der Leuchtturm. Er weiß zwar jetzt, daß er klein ist, aber er ist noch immer überaus stolz. Und jeden Tag drehen die Kinder, die in der Stadt New York die Uferstraße entlang fahren sich nach ihm um. Denn da sind sie alle beide - die große graue Brücke und der kleine rote Leuchtturm. Wer's nicht glaubt, gehe hin und sehe selber nach." Ich bin hingegangen und habe nachgesehen. Sie sind tatsächlich beide noch da, wenn auch der Leuchtturm nicht mehr blinkt. Und es sieht so aus, als sollte er da bleiben. Denn es gibt eine Instanz, die sich um die Wünsche der Kinder zu kümmern hat, das ist das „Bürgerkomitee für Kinder" (Citizens committee on children). Es wandte sich an den städtischen Gartendirektor, um auf die Beziehungen zwischen dem Leuchtturm und dem Kinderbuch hinzuweisen. Der Gartendirektor trat sofort mit dem Kommandanten der Küstenwache in Verbindung und schlug vor, der Leuchtturm sollte der Stadt New York übertragen werden. Der Kommandant erwiderte, er sei durchaus dafür und hoffe bestimmt, seine vorgesetzte Behörde würde

einwilligen.

Und

tatsächlich

wird

jetzt

bekanntgegeben,

daß

das

Küstenkommando den kleinen roten Leuchtturm der Stadt New York als Geschenk überlasse, zum Besten der Kinder. „Die Neue Zeitung" vom 11./12. August 1951

Klassisches New York Von Inquit

New

York, Anfang September (NZ). -

Als Jungen

in Berlin, und

als

Gymnasiasten, hatten wir Brüder uns ins alte Museum am Lustgarten verabredet. Als wir ankamen, war Richard schon da. Er saß auf der obersten Stufe der Schinkelschen Freitreppe am Fuße einer der mächtigen jonischen Säulen. Er stand nicht auf und kam uns nicht entgegen, sondern wartete lächelnd, bis wir ihn erreicht hatten. Dann sagte er verträumt: „So, haben die alten Griechen gesessen."

257

Möglich, daß die alten Griechen, etwa zu Perikles' Zeiten, unter dem blauen Himmel

ihres

südlichen

Landes

sich

unbefangen einfach auf

irgendwelche

Steinstufen gesetzt haben, wenn sie sich ausruhen wollten. In Berlin jedenfalls war es zu meiner Zeit durchaus nicht üblich, auf Steinstufen zu sitzen; lind in meiner Vorstellung hat sich durch Richards Bemerkung das Sitzen auf Stufen statt auf Bänken fest mit dem Bilde des alten Griechenland verbunden. Ich war nicht gleich darauf gefaßt, diese Sitte in der ganz ungriechischen Riesenstadt New York anzutreffen. Aber wenn ich zu der großartigen zentralen öffentlichen Bibliothek der Stadt New York pilgere, wo ich bisweilen zu tun habe oder mir zu tun mache, so finde ich Leute auf den Stufen der Freitreppe sitzen. Es sind Bänke da, Steinbänke und auch auf ihnen sitzen Menschen. Sie sind jedoch nicht voll besetzt, und nicht wenige ziehen es doch offenbar vor, auf den Stufen zu sitzen statt auf den Bänken. Wenn ich aber so gegen 12 Uhr herauskomme, so bietet sich mir ein wahrhaft griechischer Anblick. Die Stufen der Freitreppe sind übersät mit Sitzenden. Die Amerikaner haben jetzt ihre Mittagspause. Sie kommen aus der Bibliothek so wie ich, aber auch aus den Geschäften und Büros ringsum, junge Leute, Liebespaare, ältere Männer, ältere Frauen. Die Bänke sind jetzt besetzt, und es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich auf die

Stufen

niederzulassen.

Aber

griechisch

wirkt

die

Unbefangenheit

und

Selbstverständlichkeit, mit der sie es tun.

Klassische Konzerte zur Siesta Jedoch das Sitzen auf den Stufen entfaltet sich in voller Ueppigkeit erst, wenn ich um das Gebäude herumgehe, auf seine Rückseite. Hier blickt die Bibliothek auf eine weite, baumumringte Rasenfläche. Der Park ist seinerseits zwar von Hochhäusern begrenzt, aber die grüne schattige Zuflucht zieht um die Mittagszeit die Leute viel stärker an als die sonnige Vorderfront. Indessen da ist noch etwas, was Menschen herbeilockt. Während der fünftägigen Geschäftswoche immer um 12 Uhr setzt die Bibliothek jedem, der zuhören will, ein ausgezeichnetes Konzert vor. Zwar tritt kein Orchester und kein Solist auf, sondern es wird von Platten gespielt, deren Töne durch Lautverstärker über den freien Platz getragen werden. Das Programm reicht von Bach und Händel über die klassischen Meister bis zu Bizet und Verdi und zu den

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Modernen. Zu hören gibt es Orchestermusik, Kammerspiel, Soloinstrumente und Gesang. Es klingt unverzerrt nach Tonfarbe und Tonstärke, und wer will kann den vollen Genuß eines Konzertes haben.

Goethe als Schutzpatron An einer Stelle ist das Programm ausgehängt, ein paar Schritte vor einem Denkmal. Es stehen allerhand Denkmäler in diesen Anlagen, manche groß und anspruchsvoll, mit Namen, die dem geborenen Amerikaner geläufig sein mögen, zu denen ich aber erst das Konversationslexikon in Anspruch nehmen müßte. Im Gegensatz zu ihnen ist das Denkmal hinter dem Programm eine schlicht Porträtbüste. Ich kümmerte mich erst nicht darum, aber schließlich konnte ich nicht vermeiden, einen Blick darauf zu werfen; und siehe da, es ist kein Geringerer als Johann Wolfgang Goethe. Die Inschrift verrät, daß die amerikanische Goethe-Gesellschaft diese Ehrung des größten deutschen Dichters veranlaßt hat. Kein schlechter Platz für ihn, hier im Schatten der großen öffentlichen Bibliothek und sozusagen als Schutzpatron der volkstümlichen Darbietung meisterhaft ausgeführter edler Musik. Er, wenn irgendeiner, hätte seine Freude gehabt am Bilde dieser, unter freiem Himmel über Stufen, südländisch verstreuten andächtigen Menge. Mitten in Manhattan dehnt sich der Central Park; viel größer, als er scheint, denr da von überall her die Hochhäuser an seinem Rande zu sehen sind, unterschätzt man leicht seine Ausdehnung. Erst wenn man in ihm wandert, merkt man, wie er sich streckt.

Dann

entdeckt

man

auch

seine

Vielseitigkeit.

Er

umfaßt

dichte

Baumgruppen, sonnige Rasenflächen, große Seen; es gibt in ihm Spielwiesen, Sportplätze

mit

Tribünen,

Tennisplätze,

Kinderspielplätze

mit

Turngeräten,

Schaukeln, Rutschbahnen; ein großes Karussell phantastischer Reitpferde dreht sich zu einem altmodischen Orchestrion; aus dem Park bricht hier und da der nackte Fels hervor, an manchen Stellen steigt der Boden zu romantischen Miniaturgebirgen an mit schroffen Abstürzen und lieblichen Tälern. Und ebendort, inmitten von dichtem Laubwerk, stehe ich plötzlich vor Schillers Büste. Es ist das vertraute Haupt mit der

259

schmalen gebogenen Nase, den hervorstehenden Backenknochen, dem

schmal-

lippigen M u n d und den wallenden Locken. Auf dem Sockel nur das eine Wort "Schiller"; weiter nichts. Aber das genügt j a auch. „Die N e u e Zeitung" vom 4. September 1951

Bildnis einer uralten Frau Von Inquit

N e w York, im Januar. -

Ein ungeheurer Vorrat an Photographien

lagerte

vergessen auf dem Boden der Library of Congress in Washington. Eines Tages stieß ein Bibliothekar auf den Schatz und verbrachte Jahre damit, den unübersehbaren Haufen zu sichten und zu katalogisieren. Unter den etwa

2 Vi Millionen Abzügen

entdeckte er kostbare Stücke von unabschätzbarem historischem Wert. Aus ihnen wurde eine Kollektion solcher Bilder zusammengestellt, von denen die soziale Entwicklung Amerikas in den letzten 70 Jahren abgelesen werden kann. Sie ist jetzt im Museum für moderne Kunst (Museum of M o d e m Art) in N e w York zu sehen; die Riesenstadt, wie sie früher war; Chicagoer Straßentypen; Feuerwerk in Philadelphia zur Einleitung des 20. Jahrhunderts; Blick aus einem Fesselballon auf das vom Erdbeben geschüttelte San Francisco; Indianer in ihrer Tracht und Lebensweise; Berühmtheiten der Bühne und des Sports, längst gestorben aber unvergessen; und viele andere Merkmale jüngster amerikanischer Vergangenheit. Die ausgestellten Blätter zeigen nicht nur sehenswerte Ereignisse und Persönlichkeiten; die meisten dürfen zugleich als Musterleistungen unbekannter photographischer Berichterstatter gelten. Da hängt auch das Porträt einer uralten Frau aus dem Jahre 1910. Sie sitzt im Sessel, eine Haube deckt den Scheitel, sie trägt einen gehäkelten Umhang, die Hände stecken in Handschuhen, ein großer Mantel oder Talar liegt zurückgeworfen über der Lehne. Das Gesicht ist von Runzeln überzogen und von Warzen entstellt, der Mund verkniffen, die hellen Augen lassen erraten, daß sie einmal haben strahlen können; aber der Ausdruck enthüllt die Weltentrücktheit und tiefe Einsamkeit des hohen

260

Greisenalters. In der Tat, w i e man die Frau hier vor sich sieht, steht sie in ihrem 92 Jahre. Sie starb in diesem Jahre.

Eine denkwürdige Leistung

A b e r sie hinterließ eine seltsame und denkwürdige Leistung; denkwürdig für jeden Menschen, seltsam für eine Frau, und am seltsamsten für diese Frau, die ihr Leben der Förderung des Friedens und der Menschlichkeit gewidmet hatte. Denn die hier ist Julia Ward H o w e , Verfasserin des „Schlachtgesanges der Republik" („Battie Hymn o f the Republic"). U m zu erfahren, was das für eine Frau gewesen ist, muß man zunächst wissen, wessen Frau sie gewesen ist. Sie heiratete 1843, 24jährig, den um 18 Jahre älteren Philanthropen

Samuel

Gridley

H o w e , der nach seinem Medizinstudium

in die

griechische A r m e e eintrat, um, w i e andere Idealisten auch, - Lord Byron zum Beispiel

-

am K a m p f e um die Befreiung Griechenlands v o m türkischen Joch

teilzunehmen.

Er verhalf den

Kämpfenden zu einem guten

Sanitätskorps

und

zeichnete sich auch als Truppenführer in der Schlacht aus. Dann kehrte er nach Amerika zurück, sammelte Nahrung und Kleidung und verteilte die Gaben selbst unter die schwer notleidenden Griechen. Später wandte er sich einem ganz neuen Gebiet praktischer Nächstenliebe zu: Er studierte in Europa die Blindenfürsorge und gründete nach seinen Beobachtungen und Erfahrungen und seinen eigenen Ideen ein Asyl für Blinde, das heute als Perkin's Institute for the Blinds in Boston sich höchsten Ansehens erfreut. Den Unterricht verbesserte

er

und

gründete

eine

für die des Augenlichts

Druckerei

für

Blindenschrift

in

Beraubten erhabenen

Buchstaben, aus der unter anderem die Bibel in acht Bänden hervorging. Ein Mädchen, Laura D. Bridgman, das in früher Kindheit durch Krankheit Gesicht, Gehör und Geruch verloren hatte, leitete er zu so hoher Bildung, so daß sie, eine Vorgängerin ihrer berühmten Landsmännin Helen Keller, fähig war, einen Beruf auszuüben,

einen

umfangreichen

Briefwechsel

zu

unterhalten

und

schließlich

Menschen in gleicher L a g e zu unterrichten. A n dem langen und bitteren K a m p f gegen die Sklaverei

nahm er führenden Anteil. Und es war gerade in diesen

Bestrebungen, daß er seine junge Frau mit sich riß.

261

Als der Gegensatz der Anschauungen über die Sklavenfrage in Amerika zu dem schrecklichen Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südstaaten geführt hatte, begleitete Mrs. Howe ihren Mann auf einer dienstlichen Reise nach Washington. Dabei — wie sie die Entstehung der Hymne in ihren Erinnerungen selbst schildert — sah sie mit eigenen Augen einen Teil der Armee, ihre Zelte und Wachfeuer, ihre Lager und Hospitäler. Eines Tages fuhr sie in Gesellschaft von anderen in die Umgebung der Hauptstadt, um einer Parade beizuwohnen. Infolge von Kriegsereignissen wurde die Schau

abgesagt,

man

mußte

umkehren

und

geriet

mitten

unter

die

zurückmarschierenden Soldaten, wobei Rufe, Scherze und Lieder ausgetauscht wurden. Die Soldaten stimmten an: "John Browns body lies a - moidering in the grave"; zu deutsch: „John Browns Leib modert im Grabe". Einer ihrer Begleiter, ein Geistlicher, bemerkte: „Sie sollten ein paar neue Worte zu dieser Melodie schreiben", sie antwortete, sie hätte schon selber daran gedacht. Am nächsten Morgen beim Aufwachen formten sich ihr die Verse. Mit ein paar Verbesserungen ist das, was sie geschaffen hatte, „The Battie Hymn of the Republic".

Eine feierliche Hymne Das ist aber kein wildes Schlachtlied wie etwa Kleists „Schlagt sie tot, das Weltgericht - Fragt euch nach den Gründen nicht". Es ist vielmehr eine feierliche Hymne zur Lobpreisung Gottes. „Mire eyes have seen the glory of the Coming of the Lord"; ohne Rhythmus sinngemäß übersetzt: „Meine Augen haben den Herrn gesehen, wie er in seiner Herrlichkeit daherkommt"; mit der viermal variierten verkürzten Endzeile: „Seine Wahrheit marschiert"; und mit der erhabenen Wendung: „

let us die to make men

free"; „laßt uns sterben um die Menschen freizumachen". „Aus der Religion der Menschlichkeit und der Leidenschaft der Vaterlandsliebe", wie sie selber es formuliert hat, ist die Hymne entstanden. Die Dichtung erschien zuerst in der noch heute blühenden Zeitschrift „Atlantic Monthly"

vom

Februar

1862,

ohne

Autornamen.

Die

Überschrift

stammt

wahrscheinlich vom Chefredakteur. Die Verfasserin erhielt ein bescheidenes Honorar von fünf Dollar. Aber die Hymne wurde sofort nachgedruckt und verbreitete sich in der Armee und über die ganze Nation. Sie drang auch ins Ausland und wurde in

262

fremde Sprachen übersetzt. Man deklamierte und rezitierte sie und sang sie immer wieder bei feierlichen Gelegenheiten; sie gilt noch heute, obwohl durch spätere Ereignisse und neue Lieder in den Hintergrund gedrängt, als einer der nationalen Gesänge Amerikas. Die Melodie, sehr schlicht und volkstümlich, kannte ich zu einem parodierten Text schon, bevor ich nach Amerika kam, ohne zu ahnen, was ich da eigentlich pfiff oder trällerte. Die Weise, ursprünglich gesungen bei Zusammenkünften einer frommen Sekte, dann zu einem Militärmarsch umgearbeitet, wurde populär zu einem Text, der das Schicksal John Browns beklagte. Auch das ist kennenswert. John Brown, ein unsteter und erfolgloser Farmer und Viehzüchter, gehört zu den überzeugungsstarken Führern im Kampf gegen die Sklaverei. Als sich, kurz vor Ausbruch

des

Bürgerkrieges,

der erbitterte

Streit darum

im

Staate

Kansas

zusammenzog, ergriff er mitsamt seiner ganzen kinderreichen Familie die Waffen gegen die Partei der Sklavenhalter. Dabei ließ er sich hinreißen, um seine Leute mit Gewehren zu versorgen, das Arsenal von Harper's Ferry mit Gewalt zu nehmen, wurde von Staatstruppen umzingelt, überwältigt, vor Gericht gestellt, verurteilt und gehängt; ein Fanatiker und Idealist, der sich um alles, was ihm gehörte, mit Einschluß des gesetzlichen Rechts, dem Kampf für die Freiheit anderer aufopferte. Es ist sein Lied, das Mrs. Howe benutzt hat. Sie wurde ihr ganzes Leben lang und bis heute gefeiert für diese Hymne; aber es ist nicht ihre einzige Leistung. Sie entwickelte sich zu einer Vorkämpferin des Frauenstimmrechts und gründete den ersten Frauenklub in Amerika. Sie war die amerikanische Delegierte zum Kongreß für Gefangnisreform in London im Jahre 1872. Sie rief eine Friedensgesellschaft der Frauen ins Leben. In Reden und mit der Feder für ihre hohen Ziele unermüdlich kämpfend, erhielt sie sich geistig und körperlich frisch bis kurz vor ihrem Ende. Das ist die hervorragende Frau, von der in ihrem 92. Jahre ein unbekannter Meister der Photographie dieses schlichte und bezwingend wahre Bild aufgenommen hat. „Die Neue Zeitung" vom 5./6. Januar 1952

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Anhang

Lebensdaten von Moritz Goldstein 27.3.1880 1900 — 1906 1 9 0 3 - 1904 1906 1907 - 1914 1910 1912 1912 1915-1918 1918 - 1933 1920 - 1921 1928 - 1933 1933 1936 1939 1947 1950 1957 1958 3.9.1977

in Berlin geboren Germanistikstudium i.w. in Berlin Militärdienst Promotion bei Erich Schmidt. Titel der Dissertation: „Die Technik der zyklischen Rahmenerzählungen Deutschlands". Herausgeber der „Goldenen-Klassiker-Bibliothek" im BongVerlag Berlin Heirat mit Antonie (Toni) Charlotte Schlesinger Aufsatz: „Der deutsch-jüdische Pamass" im „Kunstwart" Geburt von Sohn Thomas Soldat in Frankreich Mitarbeiter und Redakteur der „Vossischen Zeitung" Aufführungen seiner Tragigkomödie „Die Gabe Gottes" in Berlin, Königsberg und Dresden Gerichtsberichterstatter der „Vossischen Zeitung" unter dem Pseudonym „Inquit" Entlassung aus dem Ullstein-Verlag Emigration mit seiner Familie nach Italien Gründung des „Landschulheimes Florenz" mit Werner Peiser Ausscheiden aus der Schule; Betrieb einer Pension in Forte dei Marmi Ausweisung aus Italien. Über Frankreich nach England Emigration in die USA Tod seiner Frau Toni Goldstein Beginn einer monatlichen Rente von der Bundesrepublik Deutschland als Entschädigung für das ihm von den Nationalsozialisten zugefugte Unrecht. Einziger Besuch in Berlin seit der Emigration In New York gestorben

Moritz Goldstein hat nicht nur unter seinem Namen geschrieben und veröffentlicht, sondern benutzte auch die Pseudonyme Egon Distl, Michael Osten und Maximilian Golz. Als Journalist verwendete er außer den üblichen Kürzeln am häufigsten das Pseudonym „Inquit".

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Anmerkungen

1. Einleitung (1) „Allgemeine Zeitung" vom 28. Okt. 1945. (2) Vgl. „Aufbau" New York vom 9. Sept. 1977. (3) Innenleben. Ansichten aus dem Exil. Ein Berliner Symposium. Hrsg.: Hermann Haarmann. Berlin: Fannei & Walz 1995. S.69.

2. Berliner Jahre (1) Kleinschmidt, Erich: Schreiben und Leben. In: Exilforschung Bd.2, Erinnerungen ans Exil. München: edition text + kritik 1984, S. 24. Zit. nach: Wegner, Matthias: Exil und Literatur. Deutsche Schriftsteller im Ausland 1933-1945. Frankfurt/Main: Athenäum Vlg. 1968. S. 153. (3) Vgl. Critchfield, Richard: Einige Überlegungen zur Problematik der Exilautobiographik. In: Exilforschung Bd.2, 1984. S. 49. (4) Goldstein, Moritz: Berliner Jahre. Erinnerungen 1880-1933. (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung Nr. 25) München: Verlag Dokumentation Saur 1977. S. 9. (5) Vgl. ebd. S.10. (6) Vgl. Critchfield, R.: Einige Überlegungen... S. 49. (7) Korrespondenz zur Autobiographie. II AK 85/104-1-, Nr. 156. Brief an Hannah Arendt vom 25. Sept. 1948. (8) Ebd. Nr. 166. Brief an den Verlag Kurt Desch vom 20. Okt. 1948. (9) Vgl. Critchfield, R.: Einige Überlegungen... S. 49. (10) Goldstein: Berliner Jahre, S. 13. 2.1. Kindheit und Jugend (1) Goldstein: Berliner Jahre, S. 21. (2) Geist, Johann Friedrich: Die Kaisergalerie. Biographie der Berliner Passage. München: Prestel 1997, S. 123. Vgl. „Vossische Zeitung" vom 22. 2. 1923, Morgenausgabe und Goldstein: Berliner Jahre, S. 26. (4) Goldstein: Berliner Jahre, S. 35/36. (5) Vgl. ebd, S.36 und Goldstein:Journal IV, Eintrag vom 17. März 1939. (6) Goldstein: Berliner Jahre, S. 53. 2.2. „Goldene Klassiker-Bibliothek" (1) Goldstein: Berliner Jahre, S. 59. (2) Ebd. S. 62. (3) Ebd. S. 82.

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2.3. „Vossische Zeitung" (1) Vgl. Korrespondenz zur Autobiographie. II AK 85/104-1-, Nr. 233. Goldstein an Kurt Koszyk, Brief vorn 20. 7. 1976. (2) Goldstein: Berliner Jahre, S. 97. (3) Ebd. S. 97. (4) Ebd. S. 100. (5) Ebd. S. 85. (6) Geschäftskorrespondenz, Bemühungen in den USA 1968-1973. II AK 85/104-1,4-, Nr.003. Hannah Arendt an Goldstein, Brief vom 15. 12. 1968. (7) Arendt, Hannah: Bertolt Brecht. Walter Benjamin. Zwei Essays. München: Piper 1971, S. 39/40. (8) Goldstein: Berliner Jahre, S. 214. (9) „Rheinischer Merkur", Nr.35 vom 28. 8. 1970. (10) Goldstein: Berliner Jahre, S. 116. (11) Ebd. S. 117. (12) Vgl. ebd. S. 123. (13) „Aufbau" New York, 1.4.1960. (14) Goldstein: Berliner Jahre, S. 126/127. (15) Ebd. S. 231. (16) Goldstein: Journal IV. II AK 85/106-4-. Eintrag vom 31.3. 1933. (17) Goldstein: Berliner Jahre, S. 106. 3.

Das Erleben des Exils.

( 1 ) Goldstein: Berliner Jahre, S . I I . (2) Vgl. Grinberg, Léon, Rebecca Grinberg: Psychoanalyse der Migration und des Exils. München: Verlag Internationale Psychoanalyse 1990, S. 87. (3) Goldstein: Berliner Jahre, S. 12. (4) Ebd. S. 12. (5) Vgl. Grinberg: Psychoanalyse, S. 96. (6) Goldstein: Berliner Jahre, S . l l . (7) Ebd. S. 10. (8) Die Deutsche Bibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945 Frankfurt a.M.. Manasse- Nachlaß. Goldstein an das Ehepaar M anasse, Brief vom 20. 3. 1948. (9) Tergit, G.: Berliner Jahre. In: AJR Information, August 1979. (10) Vgl. Goldstein: Berliner Jahre, S. 13. (11) Vgl. Arendt, Hann ah: Zur Zeit. Politische Essays. Hrsg. MarieLuise Knott. Berlin: Rotbuch Verlag 1986, S. 15. (12) Vgl. Wegner, M.:Exil und Literatur, S. 91. (13) Goldstein: Berliner Jahre, S. 11/12. (14) Vgl. Anders, Günther: Der Emigrant. In: Merkur, XVI. Jahrgang, Heft 7. Stuttgart: Klett Cotta, Juli 1962, S. 601. (15) Vgl. Grinberg: Psychoanalyse, S. 89. (16) Vgl. Inquit: „Ponte Vecchio". In: Gesammelte Inquit-Artikel. II AK 85/194-3-, (17) Goldstein: Berliner Jahre, S. 12.

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4. Stationen des Exils

4.1. Italien 1933-1939 (1) Inquit: Warum sind wir nicht heimgekehrt? (1956) In: Gesammelte Inquit-Artikel. II AK 85/194-3-. (2) Inquit: Italienisches Volkstheater. (1931) In: Gesammelte Inquit-Artikel. II AK 85/194-2-. (3) Krell, Max: Das alles gab es einmal. Frankfurt/Main: Verlag Heinrich Scheffler 1961, S. 272/273. (4) Vgl. Voigt, Klaus: Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933-1945. Bd.I. Stuttgart: Klett Cotta 1989, S. 191-194. (5) Vgl. Sösemann, Bernd: Von Boulanger bis Hitler. In: „Qesher" Sonderheft: „Jüdische Zeitungen und Journalisten in Deutschland". Journalism Studies. Naor Mordechai (Redaktion). Tel Aviv: Tel Aviv University Mai 1989, S. 54d. (6) Arendt, Hannah: Elememte und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt/Main: Europäische Verlagsanstalt 1962, S. 259. (7) Vgl. Sautermeister, Gert: Thomas Mann. Volksverführer, KünstlerPolitiker, Weltbürger. In: Exilforschung Bd. 1, 1983, S. 306. (8) Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Illuminationen. Ausgewählte Schriften. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag (Suhrkamp Taschenbuch Nr. 345) 1977, S. 168. (9) Goldstein: Spiel mit Juden. In: „Jüdische Welt-Rundschau" vom 30. 6. 1939. (10) Zit. nach Voigt, K.: Zuflucht Bd.I, S. 31. (11) Goldstein: Als Auswanderer in Italien. In: „Jüdische Rundschau", Berlin vom 1. 12. 1936. (12) Zit. nach Freeden, Herbert: Die jüdische Presse im Dritten Reich. Frankfurt/Main: Jüdischer Verlag bei Athenäum 1987, S. 179. (13) Vgl. Voigt, K.: Zuflucht Bd.I, S. 201. (14) Vgl. ebd. S. 200. (15) Goldstein: Journal IV. II AK 85/106-4-, Eintrag vom 13. 12. 1933. (16) Ebd. Eintrag vom 8. 7. 1934. (17) Ebd. Eintrag vom 8. 7. 1934. (18) Ebd. Eintrag vom 27. 6. 1935. (19) Korrespondenz zu „Abdullahs Esel". II AK 85/104-1- Nr.022, Goldstein an Arthur Eloesser, Brief vom 16. 12. 1936. (20) Vgl. Voigt, K.: Zuflucht Bd. I, S. 173. (21) Goldstein: Journal IV. II AK 85/106-4-, Eintrag vom 27. 9. 1937. (22) Ebd. Eintrag vom 11.5. 1938. (23) Goldstein: Spiel mit Juden. In: „Jüdische Welt-Rundschau" vom 30. 6. 1939. (24) Ebd. vom 14. 7. 1939. (25) Vgl. Voigt, K.: Zuflucht Bd. I, S. 209. (26) Korrespondenz zu „Die Sache der Juden". II AK 85/104-4-, Nr. 126.

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Goldstein an Rudolf Olden, Brief v o m 28. 11 1938. ( 2 7 ) Ebd. Nr. 104, Goldstein an Philipp Schey, Brief v o m 12. 10. 1938 ( 2 8 ) Ebd. Nr. 148, Goldstein an Julius Elbau, Brief v o m 28. 12. 1938. ( 2 9 ) Goldstein: Spiel mit Juden. In: Jüdische Welt-Rundschau, Nr. 16 v o m 30 6. 1939.

4 11. Schreiben in Italien: „ D i e Sache der Juden" ( 1 ) „ D e r Kunstwart". 25. Jg. Jan -März 1912. München: Callwey 1912, S. 286. ( 2 ) Goldstein: Europäischer Zusammenhang. In: .Jüdische Rundschau", Berlin, Nr.75/76 vom 20. 9. 1933. ( 3 ) Goldstein: Die Sache der Juden. II A K 85/192-10-, S . 7 1 . ( 4 ) Vgl. ebd S. 82 und S. 87. ( 5 ) Vgl. Seyfert, Michael: Im Niemandsland. Berlin: Arsenal 1984, S. 19. ( 6 ) Goldstein: Die Sache der Juden. II A K 85/192-10-, S. 161. ( 7 ) Ebd. S. 161. ( 8 ) Ebd. S. 162. ( 9 ) Vgl.: Die jüdische Emigration aus Deutschland. Frankfurt/Main: Buchhändler-Vereinigung 1985, S. 180. ( 1 0 ) Ebd. S. 207. ( I 1) Vgl. Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945. Hrsg. Claus-Dieter Krohn, Patrick von zur Mühlen, Gerhard Paul und Lutz Winkler Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, S. 63.

4 1.2. Korrespondenz zu „ D i e Sache der Juden" ( 1 ) Korrespondenz zu „ D i e Sache der Juden". II A K 85/104-4-, Nr.047. Fritz Landshoff an Goldstein, Brief v o m 9.7 1938. ( 2 ) Ebd. Nr.056. Emil Oprecht an Goldstein, Brief vom 9.8.1938. ( 3 ) Ebd. Nr.071. Goldstein an Manfred G e o r g ( e ) (Goldstein zitiert Emil H e r z ) Brief vom 27 8.1938. ( 4 ) Ebd.Nr.063. Goldstein an Emil Herz, Brief v o m 18 .8.1938. ( 5 ) Ebd. Nr.092. Goldstein an Manfred G e o r g ( e ) , Brief v o m 25.9.1938. ( 6 ) Ebd. Nr. 098. Manfred G e o r g ( e ) an Goldstein, Brief v o m 10.10.1938. ( 7 ) Vgl. ebd N r 037. Siegfried Moses an Goldstein, B r i e f v o m 15.12.1938 ( 8 ) Ebd. Nr. 122. Rudolf Olden an Goldstein, Brief v o m 25.11.1938 ( 9 ) Ebd. Nr. 151. Joachim Prinz an Goldstein, Brief v o m 13 .1.1939. ( 1 0 ) Ebd. Nr. 176. Hans Meisel an Goldstein, Brief v o m 5.6.1939. (1 1) Ebd. Nr 177. Goldstein an Hans Meisel, Brief v o m 14.6.1939

4 1.3. Die American Guild for German Cultural Freedom ( 1 ) Die Deutsche Bibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt a.M., Materialien zur „American Guild". Julius Elbau an Volkmar Zühlsdorff, Brief v o m 4.3.1939. ( 2 ) Ebd. Julius Elbau an Volkmar Zühlsdorff, Brief v o m 4.3 .1939. ( 3 ) Vgl. Walter, Hans-Albert: Deutsche Exilliteratur 1933-1950, Bd.II, Darmstadt: Hermann Luchterhand Verlag 1972, S.289/290.

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(4) Die Deutsche Bibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt a. M.,. Goldstein an Volkmar Zühlsdorff, Brief vom 3. 5. 1939. (5) Ebd. Arnold Zweig an Volkmar Zühlsdorff, Brief vom 17. 5. 1939. (6) Korrespondenz zu „Die Sache der Juden" II AK 85/104-4-, Nr 180 Goldstein an Manfred Georg(e), Brief vom 8. 7. 1939. (7) Ebd. Nr .181. Volkmar Zühlsdorffan Goldstein, Brief vom 11 7. 1939 (8) Ebd. Nr. 199. Ernst Salomon an Goldstein, Brief ist undatiert. 4.2. England 1939-1947 (1) Inquit: Hospitality. In: „Pariser Tageszeitung" vom 4. 7. 1939 (2) „While you are in England HELPFUL INFORMATION and Guidance FOR EVERY REFUGEE (ohne Vlg u J). (3) Ebd. (4) Ebd (5) Vgl. Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945. Hrsg. Claus-Dieter Krohn, Patrik von zur Mühlen, Gerhard Paul und Lutz Winckler. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, Sp. 261 und Sp. 1000.

(6) Vgl. Siebung der Emigranten. In: „Pariser Tageszeitung" vom 6 10 1939 (7) Goldstein: Journal IV. II AK 85/106-4-, Eintrag vom 16 7 1940 (8) Vgl. Literatur und Kultur in Großbritannien. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1995, S. 289. (9) Goldstein: Journal IV. II AK 85/106-4-, Eintrag vom 23. 4. 1941. (10) Ebd. Eintrag vom 23. 1 1942. (11) Ebd Eintrag vom 26. 2. 1942. (12) Korrespondenz zu „Führers must fall". II AK 85/104-5-, Nr 317 Werner Illberg an Goldstein, Brief vom 30 11 1942 (13) Ebd. Nr.331. Goldstein an L. Mohrenwitz, Brief vom 9. 1. 1943. (14) Goldstein: Journal IV. II AK 85/106-4-, Eintrag vom 2. 10 1943 (15) Die Deutsche Bibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945 Frankfurt Manasse-Nachlaß. Goldstein an Ernst Moritz Manasse, Brief vom 8 (16) Tergit, Gabriele: Emigrant schnitt nie die Nabelschnur ab. In: „Kurier", Berlin vom 28. 3. 1960. (17) Goldstein: Journal IV. II AK 85/106-4-, Eintrag vom 23. 7. 1947. (18) Die Deutsche Bibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945 Frankfurt Manasse-Nachlaß. Goldstein an Ernst Moritz Manasse, Brief vom 8 4.2.1. Schreiben in England: Die „Pariser Tageszeitung" (1) Geschäftskorrespondenz Journalistik 1939-1951. II AK 103-2,1-, Nr.006. Robert Weltsch an Goldstein, Brief vom 8. 5 1939. (2) Ebd. Nr 010. Goldstein an Robert Weltsch, Brief vom 29. 5 1939 (3) Ebd. Nr.006. Robert Weltsch an Goldstein, Brief vom 8. 5 1939. (4) Ebd. Nr. 059. Monty Jacobs an Goldstein, Brief vom 27. 7 1941. (5) Ebd Nr.064. Goldstein an Monty Jacobs, Brief vom 18 9. 1941. (6) Vgl. Huß-Michel, A.: Literarische und politische Zeitschriften des Exils 1933-1945. Stuttgart: Metzlersche Verlagsbuchhandlung 1987

a M 8. 1947.

a M., 8. 1947.

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(Sammlung Metzler, Realien zur Literatur Bd.238) S. 86. (7) Vgl. Maas, Lieselotte: Kurfürstendamm auf den Champs Elysees? In: Exilforschung Bd.3. München: edition text + Kritik 1985, S. 122. (8) Zit. nach Schneider, Sigrid: Die Leute aufklären und Hitler schaden. Carl Misch im Exil. In: Deutsche Exilpresse und Frankreich 1933-1940. Hrs.:Roussel/Winckler. Bern: Peter Lang 1992, S. 121. (9) Geschäftskorrespondenz Journalistik 1939-1951. II AK 85/103-2,1, Nr.005. Carl Misch an Goldstein, Brief vom 3. 5. 1939. (10) Ebd. Nr.009. Goldstein an Carl Misch, Brief vom 29. 5. 1939. (11) Inquit: Chinesisches Visum. In: „Pariser Tageszeitung" vom 21./22. 5. 1939. (12) Inquit: Menschen und Hunde. In: „Pariser Tageszeitung" vom 4./5. 6. 1939. (13) Vgl. Inquit: Wellenreiten. In: „Pariser Tageszeitung" vom 18./19. 6. 1939. (14) Vgl. Inquit: Rettungsring. In: „Pariser Tageszeitung" vom U./12. 6. 1939. (15) Geschäftskorrespondenz Journalismus 1939-1951. II AK 85/103-2,1, Nr.017. Goldstein an die Redaktion der „Pariser Tageszeitung", Brief vom 29. 6. 1939. (16) Vgl. ebd. Nr.009. Goldstein an Carl Misch, Brief vom 29. 5. 1939. (17) Ebd. Nr. 008. Carl Misch ar. Goldstein, Brief vom 20. 5. 1939. (18) Vgl. Paetel, Karl O.: Die Presse des deutschen Exils 1933-1945. In: Publizistik. 4.Jg. Bremen: B. C. Heye & Co.1959, S. 241. (19) Geschäftskorrespondenz Journalistik 1939-1951. II AK 85/103-2,1-, Nr.013. Goldstein an Carl Misch, Brief vom 12. 6. 1939. (20) Roussel H./ L.Winckler:Pariser Tageblatt / Pariser Tageszeitung. In: Exilforschung Bd.7. München: edition text + kritik 1989, S. 128. (21) Geschäftskorrespondenz Journalistik 1939-1951. II AK 85/103-2,1-, Nr.015. Carl Misch an Goldstein, Brief vom 15. 6. 1939. (22) Ebd. Nr.30. Carl Misch an Goldstein, Brief vom 7. 8. 1939. (23) Vgl. Roussel, H. / L. Winckler: Pariser Tageblatt / Pariser Tageszeitung. In: Exilforschung Bd.7, S. 128. (24) Inquit: Blick ins Getriebe. In: „Pariser Tageszeitung" vom 19. 7. 1939. (25) Inquit: Dienstverweigerer in England. In: „Pariser Tageszeitung" vom 4.8.1939. (26) Inquit: Wettbewerb in Wales. In: „Pariser Tageszeitung" vom 17. 8. 1939. (27) Inquit: Adam. In: „Pariser Tageszeitung" vom 30./31. 7. 1939 (28) Vgl. Schneider, Sigrid: Die Leute aufklären und Hitler schaden. In: Deutsche Exilpresse und Frankreich 1933-1940, S. 214. (29) Geschäftskorrespondenz Journalistik 1939-1951. II AK 85/103-2,1-, Nr.048. Goldstein an Carl Misch, Brief vom 5. 1. 1940. (30) Ebd. Nr.051. Carl Misch an Goldstein, Brief vom 27. 1. 1940. 4.2.2. Was soll aus Deutschland werden? (1) Deutschland nach Hitler. Hrsg. Thomas Koebner, Gert Sautermeister und Sigrid Schneider. Opladen: Westdeutscher Verlag 1987, S. 7. (2) Sautermeister, Gert: Messianisches Hoffen, tapfere Skepsis, Lebensbegehren. In: Deutschland nach Hitler, S. 267. (3) Goldstein, Moritz: Vision der Zukunft. II AK 85/192-14-, S. 4. (4) Ebd. S. 4. (5) Ebd. S. 5. (6) Vgl. ebd. S. 6. (7) Ebd. S. 6.

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(8) Vgl. Koebner, Thomas: Die Schuldfrage. In: Deutschland nach Hitler, S. 302. (9) Vgl. Goldstein, Moritz: Vision der Zukunft. II AK 85/192-14-, S. 11. (10) Ebd. S. 12. (11) Vgl. ebd. S. 18. (12) Vgl. ebd. S. 14. (13) Ebd. S. 14. (14) Vgl. ebd. S. 5. 4.3. USA 1947 - 1977 (1) Inquit: Die Götter in Manhattan. II AK 85/192-7-, S. 4/5. (2) Die Deutsche Bibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945 Frankfurt a. M., Thomas Goldstein Nachlaß. Goldstein, M. an Wilhelm Sternfeld, Brief vom 4. 2. 1966. (3) Goldstein: Gedichte.II AK 85/192-6-. (4) Die Deutsche Bibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945 Frankfurt a. M., Manasse-Nachlaß. Goldstein an das Ehepaar Manasse, Brief vom 20. 3. 1948. (5) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 1947-1952. II AK 85/103-1,1-, Nr.003. Ernst Moritz Manasse an Goldstein, Brief vom 28. 4. 1947. (6) Ebd. Nr.046. Carl Misch an Goldstein, Brief vom 3.3.1948. (7) Ebd. Nr.42. Paul Oskar Kristeller an Goldstein, Brief vom 24. 1. 1948. (8) Die Deutsche Bibliothek,Deutsches Exilarchiv 1933-1945 Frankfurt a. M., Manasse-Nachlaß. Goldstein an Ernst Moritz Manasse, Brief vom 20. 3. 1948. (9) Strauss, Herbert A.: Die kulturelle Anpassung der Juden in den den Vereinigten Staaten von Amerika. In: EMUNA, 5. Jg. Frankfurt/Main: Emuna-Verlags-Verein 1970, S. 28. (10) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 1947-1952. II AK 85/103-1,1-, Nr.062. Ernst Moritz Manasse an Goldstein, Brief vom 4. 4. 1948. (11) Geschäftskorrespondenz Journalistik 1952-1955. II AK 85/103 -2,2-, Nr.254. Goldstein an Bruno Manuel, Brief vom 20. 7. 1954. (12) Inquit: Die Götter in Manhattan. II AK 85/192-7-, S. 1. (13) Vgl. Elfe, Wolfgang D.: Moritz Goldstein. In: Spalek, John M. / Joseph Strelka: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933, Bd.II. New York, Bern, München: KG Saur Verlag 1989, S. 236. (14) Inquit: Die Götter in Manhattan. II AK 85/192-7-, S. 109-112. (15) Ebd. S. 112. (16) Ebd. S. 112. (17) Schneider, Sigrid: Zwischen Scheitern und Erfolg. In: Exilforschung Bd.7. München: edition text + kritik 1989, S. 53. (18) Die Deutsche Bibliothek, Deutsches Exilarchiv. 1933-1945 Frankfurt a. M., Goldstein an das Ehepaar Manasse, Brief vom 20.3.1948. (19) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA. „Die Neue Zeitung", 1950-1953. II AK 85/103-3-, Nr.098. Goldstein an Hans Wallenberg, Brief vom 21.8.1950. (20) Ebd. Nr. 125. Goldstein an Hans Wallenberg, Brief vom 2. 12. 1950. (21) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 1947-1952. II AK 85/103-1,1-, Nr.203. Goldstein an Wolfgang Goetz, Brief vom 3. 3. 1952.

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(22) Geschäftskorrespondenz Journalismus 1952-1955. II AK 85/103-,2, Nr.254. Goldstein an Bruno Manuel, Brief vom 20.7.1954. 4.3.1. Schreiben in den USA: „Die Neue Zeitung" (1) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA, „Die Neue Zeitung", 1950-1953. II AK 85/103-3-, Nr.019. Goldstein an Hans Wallenberg, Brief vom 24. 1. 1950. (2) Vgl. Hurwitz, Harold D.: Die Stunde Null der deutschen Presse. Köln: Verlag für Wissenschaft und Politik 1972, S. 261-269. (3) Vgl. Netzer, Hans-Joachim: Die Neue Zeitung. In: Gazette. Internationale Zeitschrift für Zeitungswissenschaft, Volume II, 1956, S. 19. (4) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA, „Die Neue Zeitung" 1950-1953. II AK 85/103-3-, Nr.019. Goldstein an Hans Wallenberg, Brief vom 24. 1. 1950. (5) Vgl. Rollberg, Sabine: Von der Wiederauferstehung des deutschen Geistes. Bonn 1981, S. 97-101. (6) Inquit: Paradies des Kindes. In: „Die Neue Zeitung" vom 20. 2. 1950. (7) Inquit: Herr und Diener. In: „Die Neue Zeitung" vom 20. 3. 1950. (8) Inquit: Die Freude am Mitmenschen. In: „Die Neue Zeitung" vom 3. 10. 1950. (9) Inquit: Präsident und Presse. In: „Die Neue Zeitung" vom 8. 6. 1950. (10) Inquit: Indianergeschichten. In: „Die Neue Zeitung" vom 20. 5. 1950. (11) Vgl. Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA. „Die Neue Zeitung" 1950-1953. II AK 85/103-3-, Nr.098. Goldstein an Hans Wallenberg, Brief vom 21. 8. 1950. (12) Vgl. ebd. (13) Vgl. Strauss, Herbert A.: Die Anpassung der deutschen Juden in den Vereinigten Staaten von Amerika. In: EMUNA. Zur Diskussion über Israel und das Judentum. Frankfurt/Main: Emuna-Verlags-Verein, 5. Jg. 1970, S. 27. (14) Vgl. Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA. „Die Neue Zeitung" 1950-1953. II AK 85/103-3-, Nr.101. Hans Wallenberg an Goldstein, Brief vom 27. 8. 1950. (15) Die Deutsche Bibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945 Frankfurt a. M., Thomas Goldstein-Nachlaß. Moritz Goldstein an Thomas Goldstein, Brief vom 23. 3. 1951. (16) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA. „Die Neue Zeitung" 1950-1953. II AK 85/103-3-, Nr.164. Henry B. Kranz an Goldstein, Brief vom 8. 5. 1951. (17) Ebd. Nr. 190. Henry B. Kranz an Goldstein, Brief vom 3. 10. 1951. (18) Vgl. ebd. Nr.208. Henry B. Kranz an Goldstein, Brief vom 21. 4. 1952. (19) Ebd. Nr.209. Goldstein an Henry B. Kranz, Brief vom 30. 4. 1952. (20) Ebd. Nr.211. Henry B. Kranz an Goldstein, Brief vom 5. 6. 1952. (21) Ebd. Nr.244. Henry B. Kranz an Goldstein, Brief vom 1.7. 1953. (22) Ebd. Nr.246. Friedrich Luft an Goldstein, Brief vom 28.10.1953.

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5. Rückkehr nach Deutschland? (1) Leitartikel bewegen die Welt. Hrsg. Will Schaber und Walter Fabian. Stuttgart: Cotta Verlag 1964, S. 10. (2) Goldstein: Der Weg zurück. In: „Allgemeine Zeitung" vom 28. 10. 1945. (3) Ebd. (4) Ebd. (5) Vgl. Krohn, Claus-Dieter: Remigranten in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. In: Rückkehr und Aufbau nach 1945. Marburg: Metropolis Verlag 1997, S. 9. (6) Vgl. Lehmann, Hans-Georg: Rückkehr nach Deutschland. In: Rückkehr und Aufbau nach 1945. Marburg: Metropolis Verlag 1997, S. 52. (7) Korrespondenz zur Autobiographie. II AK 85/104-1-, Nr.207. Heinrich Jacobs an Goldstein, Brief vom 27. 7. 1956. (8) Vgl. Papcke, Sven: Exil und Remigration als öffentliches Ärgernis. In: Exilforschung, Bd.9. München: edition text + Kritik 1991, S. 20. (9) Vgl. Lehmann, Hans Georg: Wiedereinbürgerung, Rehabilitation und Wiedergutmachung nach 1945. In: Exilforschung, Bd.9. München: edition text + kritik 1991, S. 98. (10) Vgl. Lehmann, Hans Georg: Rückkehr nach Deutschland. In: Rückkehr und Aufbau nach 1945. Marburg: Metropolis-Verlag 1997, S. 47. (11) Vgl. Krohn, Dieter: Remigranten in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. In: Rückkehr und Aufbau nach 1945, S. 10. (12) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 1947-1952. II AK 85/103-1,1-, Nr. 196. Goldstein an Maximilian Müller-Jabusch, Brief vom 7. 12. 1951. (13) Vgl. Inquit: Warum sind wir nicht heimgekehrt? In: Gesammelte Inquit Artikel. II AK 85/104-3-. (14) Ebd. (15) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 1947-1952. II AK 85/103-1,1-, Nr. 199. Maximilian Müller-Jabusch an Goldstein, Brief vom 29. 12. 1951. (16) Pechel, Rudolf: Die deutsche Frage. In: „Deutsche Rundschau", Heft Nr. 1, April 1946, S. 8. (17) Vgl. Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 19471951. II AK 85/103-1,1-, Nr. 107. Bruno Manuel an Goldstein, Brief vom 23. 5. 1951. (18) Dietz, Wolfgang, Helmut Pfanner (Hrsg.): Oskar Maria Graf. Beschreibung eines Volksschriftstellers. München: Leber 1974, S. 170. (19) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 1953-1962. II AK 85/103-1,2, Nr.41. Gabriele Tergit an Goldstein, Brief vom 13. 8. 1953. (20) Geschäftskorrespondenz Journalistik 1955-1971. II AK 85/103-2,3-, Nr.028. Rudolf Pechel an Goldstein, Brief vom 14. 12. 1955. (21) Ebd. Nr.250. Joachim Frohner an Goldstein, Brief vom 27. 12. 1959. (22) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 1953-1962. II AK 85/103-1,2-, Nr.035. Hans Wallenberg an Goldstein, Brief vom 11.8.1953 (23) Vgl. ebd. (24) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 1952-1962. II AK 85/103-1,2-, Nr.037. Wilhelm Schulze an Goldstein, Brief vom 12.8.1953. (25) Korrespondenz zu „Die Götter in Manhattan". II AK 85/104-3-,

273

Nr. 268. Goldstein an Gabriele Tergit, Brief vom 13. 3. 1958. 5.1. Wiedersehen mit Berlin (1) Inquit: Nach fünfundzwanzig Jahren Wiedersehen mit Berlin. In: „Tagesspiegel" vom 29. 6. 1958. (2) Inquit: Heimkehr in meine Muttersprache. In: Hörspiele und Vorträge für den Rundfunk. II AK 85/192-18-, (3) Ebd. Inquit: Heutzutage in Berlin. (4) Ebd. (5) Geschäftskorrespondenz Journalistik 1955-1971. II AK 85/103-2,3-, Nr.133. Goldstein an Rudolf Pechel, Brief vom 12. 7. 1958. (6) Vgl. Die Deutsche Bibliothek Deutsches Exilarchiv 1933-1945 Frankfurt a. M., Manasse-Nachlaß. Goldstein an das Ehepaar Manasse, Brief vom 25. 8. 1958.

6. Lebensabend in New York (1) Geschäftskorrespondenz Journalistik 1955-1971. II AK 85/103-2,3- , Nr. 242. Goldstein an Bruno Manuel, Brief vom 20. 11. 1959. (2) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 1953-1962. II AK 85/103-1,2-, Nr.211. Goldstein an Ruth Aldendorf, Brief vom 6. 11. 1961. (3) Ebd. Nr.224. Goldstein an Wilhelm Sternfeld, Brief vom 25. 4. 1962. Die Deutsche Bibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945 Frankfurt a. M., Manasse-Nachlaß. Goldstein an Marianne Manasse, Brief vom 8. 4. 1965. (5) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 1968-1976. II AK 85/103-1,4-, Nr.006. Goldstein an Hannah Arendt, Brief vom 18.12.1968. (6) Ebd. Nr.009. Goldstein an Jobst Siedler, Brief vom 7. 2. 1969. (7) Ebd. Nr. 140. Goldstein an Gabriele Tergit, Brief vom 19. 7. 1974. (8) Privatkorrespondenz. II AK 85/105-1-, Nr.051. Hans Sahl an Goldstein, Brief vom 26. 3. 1970. (9) Korrespondenz zur Autobiographie. II AK 85/104-1-, Nr.219. Kurt Koszyk an Thomas Goldstein, Brief vom 20. 5. 1976. (10) Ebd. Nr.221. Goldstein an Kurt Koszyk, Brief vom 4. 6. 1976. (11) Goldstein: Berliner Jahre, S. 10. (12) Ebd. S. 9. (13) Goldstein: Gedichte. II AK 85/192-6-.

7. Zusammenfassung und Ausblick (1) Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 1962-1968. II AK 85/103-1,3-, Nr. 107. Goldstein an Will Schaber, Brief vom 21. 4. 1966. (2) Vgl. Goldstein: Berliner Jahre, S. 134. (3) Ebd. S. 67. (4) Vgl. Kesten, H.: Moritz Goldstein 85 Jahre alt. In: „N.Y. Staatszeitung und Herold" vom 27.3.1965.

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Zitierte Q u e l l e n

Goldstein, Moritz: Berliner Jahre. Erinnerungen 1880 - 1939. (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung Nr.25) München: Verlag Dokumentation Saur KG, 1977.

Zeitungen und Zeitschriften mit Beiträgen von Moritz Goldstein „Allgemeine Zeitung" vom 28.10.1958. „Jüdische Rundschau" Berlin vom 20.9.1933. Dto. vom 1.12.1936. „Jüdische Welt-Rundschau" vom 30.6.1939. Dto. vom 14.7.1939. „Der Kunstwart". Halbmonatschau für Ausdruckskultur auf allen Lebensgebieten. Hrsg. Ferdinand Avenarius. 25. Jhg. Jan.-März 1912. München: Callwey 1912. „Die Neue Zeitung" vom 20.2.1950. Dto. vom 20.3.1950. Dto. vom 20.5.1950. Dto. vom 8.6.1950. Dto. vom 3.10.1950. „Pariser Tageszeitung" vom 21./22.5.1939. Dto. vom 4./5.6.1939. Dto. vom 11./12.6.1939. Dto. vom 18./19.6.1939. Dto. vom 4.7.1939. Dto. vom 19.7.1939. Dto. vom 30./31.7.1939. Dto. vom 4.8.1939. Dto. vom 17.8.1939. „Der Tagesspiegel" Berlin vom 29.6.1958. Materialien aus dem Nachlaß Institut für Zeitungsforschung, Dortmund Gedichte. II AK 85/192-6Gesammelte Inquit-Artikel. II AK 85/194-1-3 Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA 1947-1952. II AK 85/103-1,1dto. 1953-1962. II AK 85/103-1,2dto. 1962-1968. II AK 85/103-1,3dto. 1968-1976. II AK 85/103-1,4Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA. „Die Neue Zeitung" 1950-1953. II AK 85/103-2,1Geschäftskorrespondenz Journalistik 1939-1951. II AK 85/103-2,1dto. 1952-1959. II AK 85/103-2,2dto 1960-1971. II AK 85/103-2,3Die Götter in Manhattan (Roman). II AK 85/192-7Hörspiele und Vorträge fiir den Rundfunk. II AK 85/192-18-

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Journale IV-X (1932-1977). II AK 85/106-4-10Korrespondenz zu „Abdullahs Esel" II AK 85/104-1Korrespondenz zur Autobiographie II AK 85/104-1Korrespondenz zu „Führers must fall". II AK 85/104-5Korrespondenz zu „Die Götter in Manhattan". II AK 85/104-3Korrespondenz zu „Die Sache der Juden" II AK 85/104-4Privatkorrespondenz. II AK 85/105-1+2„Vision der Zukunft". II AK 85/192-4-

Die Deutsche Bibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt a. M. Thomas-Goldstein-Nachlaß, Manasse-Nachlaß, Materialien zur „American Guild for German Cultural Freedom"

Der Goldstein-Nachlaß im „Institut für Zeitungsforschung, Dortmund" Moritz Goldstein hat seinen umfangreichen Nachlaß noch zu seinen Lebzeiten geordnet. Diese Ordnung blieb im „Institut für Zeitungsforschung" in Dortmund weitgehend erhalten. So wurde bei der Erstellung des Findbuches und der Zusammenfassung der Schriften in Ordnern seine zeitliche und inhaltliche Einteilung beibehalten Die einzelnen Ordner wurden mit Aktenzeichen versehen, die hier übernommen werden. Meine Erläuterungen und Anmerkungen sind in Klammern gesetzt. Der Nachlaß ist wie folgt gegliedert: Geschäftskorrespondenz Bemühungen in den USA von 1947-1976. II AK 85/103-1,1- 1947-1952 II AK 85/103-1,2- 1953-1962 II AK 85/103-1,3- 1962-1968 II AK 85/103-1,4- 1968-1976 (Schwerpunkte dieser Korrespondenz sind Goldsteins Bemühungen um eine Lehrerstelle, die Versuche, seine Inquit-Artikel zu veröffentlichen und seine Kontakte zur Emigrantenforschung.) Geschäftskorrespondenz Journalistik von 1939-1971. II AK 85/103-2,1- 1939-1951 II AK 85/103-2,2- 1952-1955 II AK 85/103-2,3- 1955-1971 (Schwerpunkte dieser Geschäftskorrespondenz sind seine Versuche, eine Stelle bei verschiedenen englisch- und deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften zu finden.)

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Korrespondenz mit der „Neuen Zeitung". II AK 85/103-3- 1950-1953 (Geschäftskorrespondenz zur Veröffentlichung von Zeitungsartikeln.) II AK 104-1 - 6- Korrespondenz zu Goldsteins veröffentlichten und unveröffentlichten Manuskripten von 1908-1977. (Diese Korrespondenz besteht aus sechs Bänden, in denen der Briefwechsel zu verschiedenen Arbeiten wie: Aphorismen, Dramen, Novellen, Romanen, z.B. „Die Götter in Manhattan", seinen Schriften „Die Sache der Juden", „Vision der Zukunft", zu Goldsteins philosophischer Abhandlung „Widerlegung der Macht" und zu seiner Autobiographie „Berliner Jahre" abgelegt ist.) Privatkorrespondenz II AK 85/105-3,1- Geburtstagsglückwünsche zu Goldsteins Geburtstagen 1940 -1975. II AK 85/105-3,2- Briefe von seinem Sohn Thomas Goldstein 1969-1977. II AK 85/105-3,3- Korrespondenz zur Vorbereitung einer eventuellen Übersiedelung nach Berlin, Nov. 1964 - Apr. 1965. Journale von 1902-1977 II AK 85/106-1- Journal I 1902-1916 II AK 85/106-2- Journal II 1916-1925 II AK 85/106-3- Journal III 1926-1932 II AK 85/106-4- Journal IV 1932-1948 II AK 85/106-5- Journal V 1948-1954 II AK 85/106-6- Journal VI 1954-1958 II AK 85/106-7- Journal VII 1959-1970 II AK 85/106-8- Journal VIII 1970-1973 II AK 85/106-9- Journal IX 1973-1975 II AK 85/106-10- Journal X 1975-1977 (Tagebücher/Kladden, mit fast täglichen Eintragungen, v.a. zu seiner Lektüre und zu seinen schriftstellerischen Arbeiten, gelegentlich zu Tageserlebnissen, wenig Reflexionen.) II AK 85/169-1+2- Ausweise, persönliche Dokumente und Papiere, Zeugnisse, Bilanz (kurze Auflistung seiner Erlebnisse der Jahre 1953-1971 u.a.m.) II AK 85/170-1+2- Verschiedenes (u.a. Adressbuch, Schulbücher, Hochzeitszeitungen, Gästebuch) II AK 85/171 Zeitungsausschnitte über Moritz Goldstein und seine Werke (1958-1970) II AK 85/172 Verband der Gerichtsberichterstatter in Berlin. Schriftverkehr und Protokolle (1925-1933) II AK 85/176 Veröffentlichte Aufsätze von Moritz Goldstein (1906-1957).

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Monographien von Moritz Goldstein I AK 17/399 Begriff und Programm einer jüdischen Nationalliteratur. Berlin o.J. [ AK 58/124-25- Berliner Jahre. Erinnerungen 1880-1933. München 1977. I AK 79/733 Führers must fall. A Study of The Phenomen of Power From Caesar to Hitler. London o.J.(unter dem Pseudonym Michael Osten) l AK 79/ 730 Die Gabe Gottes. Komische Tragödie in drei Aufzügen. Berlin 1919. I AK 79/732 Hafis oder die Lebensfreude. Ein Versspiel in einem Aufzug. Berlin o.J. I AK 79/735 Katastrophe. Berlin o.J. I AK 79/731 Die Technik der zyklischen Rahmenerzählungen in Deutschland. Von Goethe bis Hoffmann. Berlin 1906. [ AK 79/734 Der verlorene Vater. Schauspiel in fünf Aufzügen. Berlin 1932. I AK 79/681 Der Wert des Zwecklosen. Dresden 1920. I AK 79/737 Why not a world court? In: South Atlantic Quarterly. Vol.XLIX, 1950, No.2, April. I AK 79/736 Die zerbrochene Erde. Berlin o.J. (Gedruckte Exemplare) II AK 85/191 Zeitungsartikel von Moritz Goldstein (1914-1958). (Hierbei handelt es sich nur um einen kleinen Teil, da z.B. seine Artikel aus der „Vossischen Zeitung", der „Pariser Tageszeitung" und der „Neuen Zeitung" fehlen. Zu deren Lektüre muß auf die Zeitungen zurückgegriffen werden.) II AK 85/192-1 - 19- Manuskripte von Moritz Goldstein. (Neunzehn Bände mit handschriftlichen und maschinengeschriebenen Manuskripten. U a. enthalten die Bände Betrachtungen, Gedichte, Hörspiele, Theaterstück, Vorträge und Romane, z.B. „Die Götter in Manhattan" und seine Schriften „Die Sache der Juden", „Vision der Zukunft" und „Widerlegung der Macht".) II AK 85/193-1-5- Exzerpte. (Fünf Bände mit Exzerpten, Notizen und Zeitungsausschnitten zu verschiedenen Themen Technik des Erzählens, Sexualität und Ethik, Geschichte, Kultur, Literatur, Naturwissenschaften, Anthropologie und Philosophie.) II AK 85/194-1-3- Gesammelte Inquit-Artikel. (Drei Bände, alphabetisch geordnet nach Titeln. Hierbei handelt es sich um Durchschläge, aus denen nicht hervorgeht, ob, wann und wo diese Artikel veröffentlicht wurden, außer, wenn Goldstein dieses auf dem Durchschlag vermerkt hat. Hilfreich war hier eine Übersicht über die von 1939 - 1972 verfaßten und an Redaktionen/Redakteure zum Abdruck versandten Artikel, die im Institut für Zeitungsforschung in Dortmund erstellt wurde.)

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Sekundärliteratur

Anders, Günther: Der Emigrant. In: Merkur, Jg. X V I , Heft 7 Stuttgart: Klett Cotta Juli 1962, S.601-622. Arendt, Hannah: Walter Benjamin Bertolt Brecht Zwei Essays. München: Piper 1971 Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt/Main: Europäische Verlagsanstalt 1962. Arendt, Hannah: Zur Zeit. Politische Essays. Hrsg Knott, Marie Luise. Berlin: Rotbuch Verlag 1986. Benjamin, Walter: Illuminationen Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag (Suhrkamp Taschenbuch Nr.345) 1977 Beuerlein, Julia: „Er schuf sich seine eigene Form " Versuch einer Biographie des Berliner Journalisten Moritz Goldstein (1880-1977), der unter dem Pseudonym „Inquit" berühmt wurde In: Medien & Zeit, 8. Jg 1993, H. 1, S. 26-33 Critchfield, Richard: Einige Überlegungen zur Problematik der Exilautobiographik In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd.2. Erinnerungen ans Exil. - Kritische Lektüre der Autobiographien nach 1933 und andere Themen. München: edition text + kritik 1984, S.41-55. Deutsche Intellektuelle im Exil. Ihre Akademie und die „American Guild for German Cultural Freedom". Eine Wanderausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 Der Deutschen Bibliothek Redaktion Brita Eckert unter Mitwirkung von Harro Kieser. Frankfurt/Main: Die Deutsche Bibliothek 2000 Deutschland nach Hitler. Zukunftspläne im Exil und aus der Besatzungszeit. Hrsg Thomas Koebner, Gert Sautermeister, Sigrid Schneider. Opladen: Westdeutscher Verlag 1987. Diehl, Katrin: Die jüdische Presse im Dritten Reich. Zwischen Selbstbehauptung und Fremdbestimmung. (Conditio Judaica 17 Studien und Quellen zur deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturgeschichte, Hrsg: Hans Otto Horch.) Tübingen: Max Niemeyer 1997. Elfe, W o l f g a n g D.: Bibliographie Moritz Goldstein. In: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd.IV, Teil I: A-G. Bibliographien: Schriftsteller, Publizisten und Literaturwissenschaftler in den U S A . Hrsg John M. Spalek München: Saur 1994. Elfe, W o l f g a n g D.: Moritz Goldstein. In: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. II. N e w York. Hrsg. John M. Spalek, und Joseph Strelka Bern: Saur Verlag 1989, S 228-237.

279

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7*1

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Personenregister

Allen, D H 63 Amery, Jean 77 Arendt, Hannah 15, 22, 33, 81, 110 Bassermann, Albert 23 Bassermann, Else 23 Benjamin, Walter 22 Beradt, Charlotte 59,81 Beradt, Martin 59,81 Bernhard, Georg 20, 21, 23, 25, 49, 68, 69 Bong, Richard 19 Bornstein, Joseph 69, 75 Bottai, Giuseppe 36 Braun, Otto 36 Brecht, Bertolt 111 Caro, Kurt 68, 69 Chambers, C D. 63 Cleinow, Georg 21 Demuth,Fritz 51,54 Dickes, E. W. 62, 63 Dietrich, Marlene 24 Döblin, Alfred 17, 18, 42, 53, 54 Dorsch, Käthe 72 Durieux, Tilla 39 Elbau, Julius 22, 25, 33, 42, 52, 53, 68, 81 Eloesser, Arthur 25, 38, 39 Emmet, Miss 58, 59 Engelmann, Bernt 22 Epstein, Jacob 74 Eyck, Erich 25 Fabian, Walter 97 Faktor, Emil 22 Feuchtwanger, Lion 53, 69, 111 Fi nck, Werner 103 Fischer, Grete 59 Fodor, M. W. 96 Fontane, Theodor 20 Frank, Bruno 53 Frank, Leonhard 53 Freimarck, (?) 88, 94 Freud, Sigmund 53, 59 Frohner, Joachim 103

Frühwald, Wolfgang 15 Gentile, Giovanni 36 Georg(e), Manfred 39, 50, 55, 103, 114, 115 Goebbels, Joseph 24 Goetz, Fritz 23, 25 Goetz, Wolfgang 88 Goldstein, Antonie Charlotte 19, 39, 40, 70, 86, 100 Goldstein, Thomas 1 9 , 3 9 , 4 0 , 4 2 , 6 5 , 66, 81, 87, 100, 108, 109, 111 Gollancz, Victor 62, 63 Graf, Oskar Maria 53, 69, 102 Grimme, Adolf 36 Grossmann, Kurt R. 22 Grosz, George 22 Habe, Hans 89 Hasenclever, Walter 32 Herz, Emil 49,54 Herzfelde, Wieland 24 Herzl, Theodor 45 Hitler, Adolf 12, 24, 25, 26, 31, 32, 34, 35, 39, 40, 47, 55, 57, 63, 67, 72, 76, 97, 102, 103, 115 Hofmannsthal, Hugo von 44 Homeyer, Fritz 59 Illberg, Werner 63 Jacobs, Heinrich 99 Jacobs, Monty 23, 25, 39, 59, 62, 67, 99 Jacobsohn, Siegfried 22, 23 Jameson, Egon 103 Jessner, Leopold 23 Katzenellenbogen, Ludwig 39 Kempner, Robert W 38,41 Kerr, Alfred 59, 69, 73 Kesten, Hermann 111, 116 Kisch, Egon Erwin 16 Kober, A H. 68 Koestler, Arthur 69 Kokoschka, Oskar 59 Koszyk, Kurt 111 Kranz, Henry B. 94, 95

284

Kraus, Max 94 Kxauss. Werner 72 Krell, Max 32 Kristeller. Paul 82

Röpke, Wilhelm 102 Roosevelt, Franklin D. 47 Rosenberg, Alfred 45 Rüdiger, Johann Andreas 20

Landauer, Georg 45 Landshoff, Fritz 48 Leppmann, Franz 36, 59 Lessing, Gotthold Ephraim 20 Lewinsohn-Morus. Richard 25 Liebermann, Max 44 Löwenstein, Hubertus Prinz zu 52, 53 Lothar, Johannes 67 Ludwig, Emil 34 Luft, Friedrich 96

Sahl, Hans 111 Salomon. Ernst 55. 56 Schaber, Will 1 2 , 9 7 , 1 1 1 , 1 1 3 , 1 1 5 Schey, Philipp 42 Schickele, René 53 Schlesinger, Paul (Sling) 23, 24 Schmidt, Erich 18,19 Schulze, Wilhelm 104,105 Schwarzschild, Leopold 33, 47 Stemfeld. Wilhelm 80. 108. 109 Strasser, Otto 24

Manasse, Ernst Moritz 64, 82, 83, 84. 108 Manasse. Marianne 82. 109 Mann, Heinrich 53, 69 Mann, Klaus 69 Mann, Thomas 52, 53, 69, 111 Manuel, Bruno 84, 88. 102 Medici, Alessandro de 32 Meisel, Hans 51.52 Michelangelo 32 Misch. Carl 25. 68. 69. 71. 72. 73. 75. 82, 115 Moses, Siegfried 50, 51 Müller-Jabusch, Maximilian 100, 101, 102, 115 Musil, Robert 53, 69 Mussolini. Benito 3 1 . 3 2 . 3 3 , 3 4 . 4 1 . 67 Neruda, (?) 68 Neumann, Alfred 53, 111 Olden. Rudolf 41, 51. 53, 54. 69 Oprecht, Emil 49 Osborn, Max 21, 22, 23, 25 Pechel. Rudolf 87, 102, 103, 107. 109. 111 Peiser, Werner 35, 36, 37, 38, 41, 114 Pinthus, Kurt 24, 111 Pol. Heinz 81 Poljakoff, Wladimir 68,69 Prinz, Joachim 51, 54 Reinhardt, Max 44

Tergit, Gabriele 28, 65, 103, 105, 110 111 Tiedemann, Eva 80 Toller. Ernst 53, 69. 70 Truman, Harry S 92 Ullstein, Heinz 106 Ullstein, Rudolf 64. 110 Unruh, Fritz von 53 Voß, Christian Friedrich 20 Wallenberg. Hans 1 2 , 8 1 , 8 7 , 8 8 , 8 9 , 90. 93. 94. 96. 104. 105. 115 Weiß, Ernst 14 Weltsch, Robert 35, 42. 66. 67 Werfel, Franz 53 Wilson, Miss. 58 WolfT, Fritz 68, 69, 75 Wolff, Kurt 39 WolfT. Theodor 32 Wildenbruch, Ernst von 18 Wilhelm I (deutscher Kaiser) 16 Zarek. Otto 106 Zühlsdorff, Volkmar 52. 53. 55 Zweig, Arnold 24, 53, 54 Zweig, Stefan 53

I Moritz Goldstein während seines Exils (undatiert) Institut für Zeitungsforschung in Dortmund

II Villa Pazzi und Villa Barbera in Florenz (zeitgenössische Fotografien) Institut für Zeitungsforschung in Dortmund

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INTERCOMITÉ OES ŒUVRES FRANÇAISES

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25,1949.

Dr.liorltt Goldstein 3 8 1 8 - 1» S t r e e t , - S . V . Washington,D.O.

L l e b a r Freund

3oldsteln:

l o h w e i s s i w a r n i c h t , w i e s o d e r »Aufbau * s o h l a o h t t u I h n s n j m h i b i s t , d a n n w i r s c h a e t i e n und l i e b e n S i e a l l e h i e r . W i r s i n d n u r l e i d e r immer d a r a u f a n g e w i e s e n , d a a a e i c h u n s e r e F r e u n d e b e i uns m e l d e n , » e i l w i r In d e r ^ a g e a a r b e i t e r t r i n k e n und uns I h r e S e a l c h t e r n i c h t immer g e g e n w a e r t t g •lad. UON MUCHT

IL'.;;:;

Wann S i e u e b e r d a s Mann-Buch n i c h t mehr a l » 500 W o r t e , d a s a l n d zwei s w e l i e l l l g g e schriebene Sohrelboasohlnenaeiten, schreib e n , b i n l o h d a « l t e i n v e r s t a n d e n . I c h werde I h n e n -nein i V l v a t e x e n p l a r s e n d e n , «sueaate S i e a b e r b i t t e n , e s mir w i e d e r z u r u e c k i u schicken, well loh nur d i e s e s b e s i t z e . B i t h a r s l i c h a » 8 r u a « an 31« und I h r e faallle, Ihr

M a n f r e d Beors^e E d l t o r . /•}

XVIII Brief von Manfred George (Chefredakteur des „Aufbau") an Moritz Goldstein Institut für Zeitungsforschung in Dortmund

DIE NEUE ZEITUNG DIE

A M E R I K A N I S C H E

ZEITUNG

IN

D E U T S C H L A N D

DER CHEFREDAKTEUR

/Islifi/lt. XIX Brief von Hans Wallenberg (Chefredakteur der „Neuen Zeitung") an Moritz Goldstein Institut für Zeitungsforschung in Dortmund

DIE NEUE ZEITUNG DIE

AMERIKANISCH«

ZS ITUHG

IN

DEUTSCHLAND

B e r l i n - D a h l e m , L e n t i e s t l e e 10? f T e l e f o n 76 52 21

CHEFREDAKTEUR

25.

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1955/3S

Herrn Dr. Moritz i j o i d s t e i n 126, V«Bt SXat Avenue Smm

i o r k

0. s. A.

2 5 ,

H.

T .

L i e b e r Herr Dr. 3 o l d s t e i n , Schweren Herzens s c h r e i b e i c h d i e s e n B r i e f es i n t ein Abschiedsbrief an den e l t e n M i t a r b e i t e r , der mit unE s e i t Jahren verbunden i s t . Sonntag kommt die l e t z t e Summer der "Neuen Zeitung" h e r a u s , und i c h werde Deutschland v o r a u s s i c h t l i c h in e i n i g e n Wochen v e r l a s s e n und w a h r s c h e i n l i c h nach Washington gehen. Ich möchte durch d i e s e n B r i e f zum Auadruck b r i n g e n , wie gern w i r I h r e A r t i k e l v e r ö f f e n t l i c h t e n und wie s e h r wir uns über Ihre Mitarbeit f r e u t e n . • jj • »Ii loh bi n s i c h e r , daii Ihnen das Snde d e r "Neuen Zeitung" genau so weh t u t wie m i r , aber s c h l i e S l i c h haben w i r a l l e gewußt: einmal ko*»t d e r S a g . . . Empfangen Sie daher nochmals meinen p e r s ö n l i c h e n Dank f ü r I h r e w e r t v o l l e M i t a r b e i t . Mit besten GrüSen und Wünschen v e r b l e i b e ich Ihr

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XX Brief von M. W. Fodor (Chefredakteur der Berliner Ausgibe der „Neuen Zeitung" an Moritz Goldstein Institut für Zeitungsforschung in Dortmund

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Ihn8a noch Vortrag de» Ruhms halten? öle Welt i*t riesenhaft geworden, es gibt gute Schriftsteller von Bombay Si» Stanleyville. £in Dutzend i»t allrenein bekannt. Wer kennt wen? loh hat« eben au» Gründen'meines Rcmans »ich mit den Glaaspunkten untrer Generation Tucholsky, Behring und Kästner und Biiaßelnatz beschäftigt. Wunderbar! Tueolsky Uber den grünen Klee bekannt und ¡relobt, «ehring gane unbekannt. Kästner berühmt wegen der Kinderbücher und Kingelneta: veraunken. Von Mascha Kalekos Stenowamisheft »airden So 000 verkauftI »er weiss noch wer Julius Bab ist? Zahlen Sie 2.80 ar ötsr.

£gon Larsen 34 Dartaouth fit London E.ii.2 .

Ich finde Bracht Überschätzt. Der Galilei prachtvoll, die Gewehr'yWP fffli Hat äionty endgültig verrissen. Baal ist nur Pubertät. Der Kreidekreis von dem viillig vergessenen iQabund ist Miel besser »1» der von Erecht. • Tagesspiegel. Haffner vom Observer sagte zu a&r, es sei doch lächerlich, das» ich keine feste äsitarbeit an einer deutschen Leitung habe, ich »oll Herrn Sil««, Chef des Tmxe»»piegel an rufen. Ich hatte mir folien3e~8ii5sihroute' ausgedacht. Ich rufe an und sage der Sekretärin, nie* solle Herrn S.fragen ob er Terglt tennt. Senn nicht, dann u will ich ihn nicht sprechen, wenn Ja., Was tut Sott, er i«t gleich selber am -Slefon und mit leichter sex getönter Stimme : "Nein, gnädige Frau, ich erinnere mich nciht, wo haben wir uns getroffen?" Ich: "loh war Mitglied der Kedaktlon des B.T. bis 1933. Er in sehr spöttischem Ton» "Aber ich bin erst 1933 aus dem «usland zurückgekehrt." Ich (leider?: "Ich habe dann noch einmal von 1946- 49 viel im Iage»*Diegel veröffentlicht« £r i» siehe oben: "Da war ich nun wieder nicht in Deutschland" Ich hä^re an. Glauben Sie, dass es ein land der Welt gibt, in der einer alle Erfindungen der Juden in seiften? ,1ob benutzt ~»elt»T>ieirel

B a u » , facf G a r t a n - und n i c h t Bit « I n « » »ort « a * t "0 S i e a i n d e i n « M i t a r b e i t e r i n (Msweaea. F r e u t mich o d e r irs-end etwa» d e r a r t i g e » , «ondern d e r d i e A n r a f e r i n verhHhat und i h r m i t t e i l t , d a s » e r nur u n t e r den H a s t » t n ^ e u t « e h l « a d g e a r b e i t e t h a t ? Ein 3 o h « f » l n e l a n d ! ! I c h a r b e i t e a » Roman, i c h a r b e i t e am' Rom»*. •"erblichet

Ihre

XXI Brief von Gabriele Tergit an Goldstein zu seinem Eintritt in den „International PEN" Institut fur Zeitungsforschung in Dortmund

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