Künste im Exil [Reprint 2021 ed.] 9783112422700, 9783112422694


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German Pages 210 [224] Year 1993

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Künste im Exil [Reprint 2021 ed.]
 9783112422700, 9783112422694

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Exilforschung • Ein internationales Jahrbuch • Band 10

EXILFORSCHUNG EIN INTERNATIONALES JAHRBUCH Band 10 1992 Künste im Exil Herausgegeben im Auftrag der Gesellschaft für Exilforschung / Society for Exile Studies von Claus-Dieter Krohn, Erwin Rotermund, Lutz Winckler und Wulf Koepke

edition text + kritik

Anschriften der Redaktion: Prof. Dr. Erwin Rotermund Fachbereich 13 Johannes Gutenberg-Universität Mainz Weiderweg 3 6500 Mainz Prof. Dr. Lutz Winckler Vogelsangstraße 26 7404 Ofterdingen

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Künste im Exil / hrsg. im Auftr. der Gesellschaft für Exilforschung von Claus-Dieter Krohn ... - München : edition text + kritik, 1992 (Exilforschung ; Bd. 10) ISBN 3-88377-421-9 NE: Krohn, Claus-Dieter [Hrsg.]; GT

Satz: offizin p + p ebermannstadt Druck: Weber Offset GmbH, München Buchbinder: Buggermann & Wappes GmbH & Co KG, München Umschlagentwurf: Dieter Vollendorf, München Copyright edition text + kritik GmbH, München 1992 ISBN 3-88377-421-9

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Kunst und Architektur Peter Rautmann:

Keith Holz:

Viktoria SchmidtLinsenhoff:

Moya Tönnies:

Cordula Frowein:

Jean-Louis Cohen:

Max Beckmann in Paris 1937 bis 1939. Kunst und Gewalt am Vorabend des Zweiten Weltkriegs

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Responses from Bohemia to »Entartete Kunst«, 1937-1938

33

»Unvergessen und nachtragende Erinnerung«. Zu der Radierfolge Entre Chien et Loup von Leo Maillet

50

Netz oder Hängematte. Alltagserfahrung und Werk der Künstlerin Hella Guth im Londoner Exil

65

Die verfemte Kunst im Exil - Kunsthandel und Nationalsozialismus. Das Schicksal der modernen Kunst am Beispiel der Sammlung Ludwig und Rosy Fischer

74

Julius Posener à L'Architecture d'Aujourd'hui: un regard parisien sur l'architecture allemande des années 30 84

Musik

Nicolas Schalz:

»Ein Opfer der Masse«. Der Tanz um das Goldene Kalb aus Arnold Schönbergs Oper Moses und Aron

Martin Zenck:

Das revolutionäre Exilwerk des Komponisten Stefan Wölpe - mit kritischen Anmerkungen zur Musikgeschichtsschreibung der dreißiger und vierziger Jahre 129

100

Hanns-Werner Heister:

»Amerikanische Oper« und antinazistische Propaganda. Aspekte von Kurt Weills Produktion im US-Exil 152

Jacques Picard:

Vom Zagreber zum Zürcher Omanut 1932 bis 1952. Wandel und Exil einer jüdischen Kulturbewegung

168

Hollywood - Hölle oder Paradies? Legende und Realität der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Exilanten in der amerikanischen Filmindustrie

187

Film Helmut G. Asper:

*

Walter Huder:

Doktor Faustus von Thomas Mann als Nationalroman deutscher Schuld im amerikanischen Exil konzipiert

Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren

201

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Vorwort Die Herausgeber des Jahrbuchs fiir Exilforschung hatten seit längerem den Plan, einen Band über die in der Forschung bisher stark vernachlässigten Künste im Exil herauszubringen. Der vorliegende 10. Band enthält Untersuchungen zur Bildenden Kunst und zur Musik, daneben einzelne Beiträge zur Architektur und zum Film. Wer einen vollständigen Überblick erwartet, wird sich enttäuscht sehen. Angesichts der insgesamt auf diesem Gebiet immer noch prekären Forschungssituation konnten zunächst nicht mehr als einzelne Einblicke und methodische Anregungen gegeben werden. Die folgenden Jahrbücher werden dem Thema Kunst im Exil daher verstärkt Aufmerksamkeit widmen. Im Mittelpunkt dieses Bandes stehen einmal Fragen der kunst- und musikhistorischen Entwicklung in den dreißiger Jahren. In einzelnen Werkanalysen werden Wege und Methoden thematischer und ästhetischer Auseinandersetzung mit dem Faschismus verfolgt. Die Autoren unterstreichen in ihren Beiträgen über Max Beckmann und Arnold Schönberg, Stefan Wölpe, Kurt Weill oder Julius Posener, daß sich künstlerische Avantgarde und Engagement nicht grundsätzlich auszuschließen brauchten, aber aus der politischen Gegnerschaft zum Nationalsozialismus auch nicht ohne weiteres auf Avantgardepositionen geschlossen werden darf. Eine zweite Gruppe von Beiträgen geht den schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen einzelner Künstler in der Emigration nach, dem Schicksal Leo Mayers, Hella Guths, und sucht die Spuren ihres Werks zu sichern. Ähnliches gilt für die Geschichte jüdischer Kunstsammlungen, die wie die Sammlung Ludwig und Rosy Fischer in den dreißiger Jahren aufgelöst und zerstört wurden und deren Rekonstruktion man in einer Frankfurter Ausstellung versuchte. Eine letzte Gruppe von Beiträgen erforscht die Wirkungsmöglichkeiten künstlerischer Zusammenschlüsse wie des Oskar-Kokoschka-Bundes in Prag und des Zürcher Omanut, einer jüdischen Kulturvereinigung. Der kunsthistorische Teil des Bandes beginnt mit einem Beitrag von Peter Rautmann über Max Beckmanns 1938 in Amsterdam entstandenes Werk Apachentanz. Beckmanns Weg ins Exil und seine Position innerhalb der künstlerischen Moderne der dreißiger Jahre werden nachgezeichnet. Im Mittelpunkt steht Beckmanns Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Remythisierungstendenzen von rechts (Arno Breker) und von links (die sozialistische Monumentalplastik), denen der Künstler sein kritisches Bild vom Mythos des modernen Heros und der politischen Gewalt entgegensetzt. Rautmann zeigt, daß der Apachentanz kein »zeitloses Urbild des Siegers« (Günther Busch) ist, sondern Beckmanns Auseinandersetzung mit dem »Bild des Siegers der dreißiger Jahre«, in erster Linie des deutschen Faschismus, dokumentiert.

Die Auseinandersetzung zwischen Exil und Nationalsozialismus verfolgt auch der Beitrag von Keith Holz. Der Schauplatz wird von Amsterdam nach Prag verlegt; im Vordergrund des Beitrags stehen die Aktivitäten des OskarKokoschka-Bundes, künstlerische und publizistische Arbeiten von John Heartfield, Bert (Albert Kaufmann), Thomas Theodor Heine, aber auch von sudetendeutschen, reichsorientierten Künstlern. Holz verfolgt insbesondere die Reaktionen der emigrierten Künstler auf die Ausstellung »Entartete Kunst« (1937), auf die sich auch Beckmanns Arbeit bezieht. Ähnlich wie Max Beckmann lassen sich auch die emigrierten Künstler in Prag vom Nationalsozialismus nicht einfach ihre Gegenposition vorschreiben: Heartfield und Bert verpflichten sich nicht zu einer bedingungslosen Verteidigung der von den Nationalsozialisten angegriffenen Tradition auratischer bürgerlicher Kunst, sondern versuchen, unter den Bedingungen der Emigration, die kritischen Ansätze der Photomontage und engagierter Kunst fortzuführen. Die Beiträge von Viktoria Schmidt-Linsenhoff und Moya Tönnies handeln von Künstlerbiographien am Rande der Geschichte: die Namen und Werke von Leo Mayer oder Hella Guth waren weder in der Ausstellung »Entartete Kunst« verzeichnet noch einer breiteren Exilöffentlichkeit bekannt. Viktoria Schmidt-Linsenhoff schildert das Exil des Beckmannschülers Leo Mayer bzw. Leo Maillet von der Emigration 1933 über die Internierung, Verhaftung und die Flucht in die Schweiz bis zu seinem Tod 1990 im Tessin. Im Mittelpunkt ihrer Darstellung steht der graphische Zyklus Entre Chien et Loup von 1970. Leo Maillet nimmt hier Motive seiner Aquarelle und Zeichnungen aus den Jahren 1940 bis 1944 auf - Themen wie: Hafenkneipe in Cannes, Deportation, Hinter dem Vorhang - und setzt diese historischen Grenzerfahrungen von Exil und Verfolgung der Arbeit des Erinnerns aus. Die Verfasserin deutet den Zyklus als einen Versuch »nachtragender Erinnerung«, einen Akt des Eingedenkens durchlebten Exils ohne belehrende Absichten und moralisierende Gesten. - Fragmente zu einer Biographie der tschechisch-deutschen Künstlerin Hella Guth setzt Moya Tönnies aus Interviews zusammen. Mit der erzwungenen Emigration 1939 aus Prag nach England wurde Hella Guth für mehr als ein Jahrzehnt der Boden für die künstlerische Arbeit entzogen. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt als Kellnerin in London, nach dem Krieg fertigte sie handbemalte Halstücher für das Kaufhaus Harrods an, bevor sie sich Anfang der fünfziger Jahre in Paris niederließ und sich seitdem wieder der Malerei widmet. Von dem im englischen Exil entstandenen zeichnerischen Werk ist eine Skizze überliefert: sie zeigt eine Frau in einer netzartigen Hängematte ruhend. Die Künstlerin selbst interpretiert die Zeichnung als Ausdruck der Exilsituation zwischen Gefangenschaft und Geborgensein. Das Schicksal Hella Guths und Leo Mayers erscheint symptomatisch für das Überleben von 1933 noch jungen und relativ unbekannten Künstlern, auch an Peter Weiss ist hier zu denken, die sich nach langer Isolierung erst die Bedingungen für die künstlerische Arbeit schaffen können - und deren Werk es in Deutschland wiederzuentdecken gilt.

Der Wiederentdeckung einer Kunstsammlung galt die Ausstellung der Sammlung Ludwig und Rosy Fischer in Frankfurt/M., über die Cordula Frowein berichtet. Die Rekonstruktion dieser bedeutenden Sammlung expressionistischer Werke von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Emil Nolde und Otto Mueller beschreibt die Odyssee von den Nationalsozialisten beschlagnahmter und zum Teil im Ausland versteigerter oder getauschter Bilder, soweit sie nicht der systematischen Zerstörung zum Opfer fielen. Aber auch die Frankfurter Ausstellung kann nicht darüber hinwegtrösten, daß mit der erzwungenen Auflösung dieser und anderer Sammlungen, der Vertreibung der Sammler und ihrer Familien, kunsthistorische Dokumente ersten Ranges vernichtet wurden. Der Forschung bietet sich hier ein breites, aber schwieriges Feld, in dem auch die Rolle des deutschen Kunsthandels der dreißiger Jahre verstärkt untersucht werden muß. Von der Architektur in den dreißiger Jahren, den deutsch-französischen Beziehungen und dem Verhältnis von innerdeutscher und Emigrationsarchitektur handelt der Beitrag von Jean-Louis Cohen. Mit Julius Posener, Schüler von Hans Poelzig, wird einer der entscheidenden Vermittler deutscher Architektur im Frankreich der dreißiger Jahre vorgestellt. Im Unterschied zu den bekannten emigrierten Architekten wie Ernst May, Hannes Meyer, Mies van der Rohe oder Bruno Taut war Posener kein Anhänger des modernen Funktionalismus, wie ihn in Frankreich vor allem Le Corbusier vertrat. In seinen Beiträgen in der von Pierre Vago herausgegebenen Zeitschrift L'Architecture d'Aujourd'hui zwischen 1930 und 1936, vor allem in seinem großen, im Aprilheft 1936 erschienenen Essay L'architecture du Troisième Reich, bezieht Posener Positionen, die, wie Cohen darstellt, die nationalsozialistische Architektur in die Tradition eines >gemäßigten Modernismus< einordnen. Der Architekturkritiker Posener läßt sich ebensowenig wie der emigrierte Kunstkritiker Paul Westheim auf die Verteidigung der Avantgarde festlegen - eine Haltung, wie sie aufgrund der Lage der Emigration und ihrer politischen Frontstellung gegen den Nationalsozialismus zu erwarten gewesen wäre. Dies ist ein Hinweis mehr darauf, daß die Kunst des Exils, die ästhetischen Positionen der emigrierten Künstler nicht unmittelbar aus ihrer Lebenssituation hergeleitet werden können. Nicolas Schalz' Beitrag über Schönberg leitet den musikhistorischen Teil des Bandes ein; er steht in engem Zusammenhang mit der Beckmann-Studie von Peter Rautmann. Schönbergs Oper Moses undAron (1930-1932) wird als Werk eines innerlich Exilierten gesehen. Schalz deutet die hochkomplexe dritte Szene des zweiten Aktes (Der Tanz um das Goldene Kalb) - auf der Grundlage einer detaillierten Form- und Strukturanalyse - von Walter Benjamins These der »Ästhetisierung der Politik« im Nationalsozialismus her als prophetische Entlarvung der faschistischen Orgien universaler Vernichtung und Selbstzerstörung. Avantgardistische Differenzierung und Perfektion wird in dieser »Konstruktion der Destruktion« zum Spiegel perfekter politischer Verblendung.

Das Verhältnis von Avantgarde und Exil thematisieren die Beiträge von Martin Zenck und Hanns-Werner Heister. Martin Zenck behandelt die Gesamtentwicklung des viel zu wenig bekannten Komponisten Stefan Wölpe, stellt aber dessen revolutionäres Klavierwerk (1936-1947) ins Zentrum der Betrachtung. Wölpes Studien bei Anton von Webern (1933) sowie die Exilierung führten zu einer Abkehr von der angewandten Musik, jedoch gerade im Bereich avancierter Klaviermusik wurde der Komponist seiner früheren funktionalen Konzeption wieder inne: speziell die Integration von Elementen des Tanzes zeigt die Suche nach einer konstitutiv aufeinander bezogenen Verbindung von autonomer und angewandter Kompositionsweise. Exemplarisch zeigt sich die Synthese im kämpferischen Pazifismus des Baitie Piece (1943-1947), das bereits auf Positionen der Neuen Musik der fünfziger Jahre vorausweist. Mit Kurt Weills umfangreicher musikdramatischer Produktion in den USA befaßt sich Hanns-Werner Heister. Sein Beitrag gibt ein Bild von den im ganzen erfolgreichen Versuchen des Komponisten, seiner Leitidee »qualitativer Gebrauchskunst« treu zu bleiben und sein humanistischdemokratisches Engagement auch unter den Bedingungen kommerzialisierter Musikkultur durchzuhalten. Deutlich wird aber auch, wie die spezifische Exilsituation zu beträchtlichen thematisch-stofflichen Umakzentuierungen sowie zu Verschiebungen und Erweiterungen im Gattungsgefüge der Weilischen Musikdramatik führte. Der Frage nach dem Verhältnis von Kultur und Identität, von Exil und Akkulturation geht Jacques Picard in seinem Beitrag nach. Er informiert ausführlich über die 1932 in Zagreb gegründete jüdische Kulturbewegung Omanut (»Kunst«). Ursprünglich als Verein zur Förderung jüdischer Musik geplant, entwickelte sie sich zu einer alle Künste fördernden Organisation, deren zahlreiche Aktivitäten der jüdischen Selbstverständigung im Sinne eines kulturellen Zionismus dienten. Die Errichtung des faschistischen Ustascha-Staates bedeutete das gewaltsame Ende des Zagreber Omanut, nach dessen Modell jedoch 1941 in Zürich eine gleichnamige Schwesterorganisation ins Leben gerufen wurde, die sowohl den Charakter einer Exilvereinigung als auch den einer eigenständigen Kulturorganisation der jüdischen Schweiz hatte. Der von bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten getragene Zürcher Omanut spielte in den frühen vierziger Jahren eine wesentliche Rolle für die geistig-moralische Stabilisierung der Schweizer Juden und hat noch heute einen festen Platz im pluralistischen Kulturleben dieser Stadt. Den Abschluß des Bandes bilden zwei ganz unterschiedliche Beiträge. Helmut G. Asper wendet sich in seinem Beitrag über die Emigranten in Hollywood gegen den in der Forschung und den autobiographischen Zeugnissen immer wieder geäußerten Vorwurf, Amerikas Filmindustrie habe für die exilierten deutschen Künstler und Schauspieler kaum Überlebens- und Arbeitsmöglichkeiten geboten. Das Gegenteil ist nach Asper der Fall gewesen; allerdings habe das an traditionelle Statuserwartungen ge-

knüpfte Selbstbewußtsein vieler Emigranten einer realistischen Wahrnehmung der Lebensbedingungen in den USA im Weg gestanden. Den abschließenden Beitrag über Thomas Manns Roman Doktor Faustus hat sich sein Verfasser, Walter Huder, zum 70. Geburtstag selbst geschrieben. Die Redaktion des Jahrbuchs druckt den Vortragstext in leicht gekürzter und überarbeiteter Form als Hommage an die mit der Exilforschung aufs engste verbundene Lebensarbeit Walter Huders hier ab.

Peter Rautmann

Max Beckmann in Paris 1937 bis 1939 Kunst und Gewalt am Vorabend des Zweiten Weltkriegs

Mein Interesse in diesem Beitrag gilt einem vor 1933 weithin anerkannten und arrivierten Künstler der Moderne - Max Beckmann - , der, durch die gesellschaftliche Situation gezwungen, sich nach langem Zögern zur Emigration entschließt. Wie reflektiert Beckmann theoretisch und künstlerisch seine veränderte Lage, wie wirken sich die neuen Erfahrungen auf seine Kunst aus, gibt es Widersprüche zwischen dem theoretischen Programm und dem künstlerischen Befund? Paradigmatisch werde ich mich des Näheren mit seiner Londoner Rede von 1938 und einem Hauptbild von 1938, dem auf Eindrücke in Paris zurückgehenden Apachentanz, auseinandersetzen. Beckmanns künstlerische Position und Lebenssituation in den dreißiger Jahren Seit Beginn der dreißiger Jahre spitzte sich die kunst- und kulturpolitische Situation zwischen Befürwortern und Gegnern der modernen Kunst und Avantgarde in Deutschland zu. 1932 schreibt die nationalsozialistische Kritikerin Bettina Feistel, Beckmanns Werke seien nichts als »Machwerk, Grimasse, Intellektualismus«1, zu einem Zeitpunkt, als Beckmann auf einem vorläufigen Höhepunkt offizieller Anerkennung stand, war ihm doch 1932 in der zeitgenössischen Abteilung der Nationalgalerie in Berlin, im Kronprinzenpalais, ein eigener Raum gewidmet worden. - Am 31. März 1933 wird Beckmann zum 15. April seine Professur an der Städelschule in Frankfurt gekündigt. Bereits im Januar war er nach Berlin übergesiedelt, da er meinte, in der anonymen Großstadt besser dem Druck der Nazis ausweichen zu können. Beckmann-Ausstellungen, so in Erfurt, werden geschlossen; der BeckmannRaum in der Nationalgalerie wird erst verändert, dann radikal abgehängt. Beckmann kann jedoch, aufgrund privater Förderer, von seiner Kunst weiterhin leben. Der mit Beckmann befreundete, bereits 1933 nach Paris emigrierte Schriftsteller Stephan Lackner berichtet, daß im Jahr 1936 »Beckmann bei uns in Paris auftauchte): er könne so nicht mehr lang weitermachen, der politische Druck werde immer unerträglicher, im Interesse seines Schaffens müsse eine neue Lösung gefunden werden« 2 . Einen Tag nach Hitlers Rede am 18. Juli 1937 anläßlich der Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst in München verläßt Beckmann mit seiner Frau auf einer angeblichen Urlaubsreise Deutschland und emigriert nach Amsterdam, wo er sich eine Wohnung mit

Max Beckmann in Paris 1937 bis 1939

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Atelier im Haus Rokin 85 mietet. Zeitgleich war in München die sogenannte »Entartete Kunst«-Ausstellung, mit der die Moderne an den Pranger gestellt werden sollte, eröffnet worden. Beckmann, von dem insgesamt 590 Arbeiten, davon 28 Gemälde, beschlagnahmt wurden, war auf der Ausstellung mit mindestens 8 Gemälden und ebenso vielen graphischen Arbeiten vertreten.3 Adolf Dresler, die beiden Münchner Ausstellungen vergleichend, polemisierte in seinem Buch Deutsche Kunst und Entartete Kunst 1938 gegen Beckmanns Malerei: »Dabei gibt es kaum ein einziges Werk des Kunstbolschewisten Beckmann, das nicht eine gemeine Zote wäre«4. Amsterdam erschien Beckmann als »Übergang«, für später will er nach Paris.5 Nachdem er vor 1933 regelmäßig längere Zeit in der Stadt verbrachte, ist er im September 1937 erstmalig für länger wieder dort, ebenso 1938 und 1939. Eine monatliche Festabnahme von Bildern durch Stephan Lackner ab 1938 und weitere private Verkäufe ermöglichen ihm eine gesicherte, wenn auch bescheidene ökonomische Lebensgrundlage. Auf Initiative von Paul Westheim und mit Unterstützung Lackners, der Ullstein-Korrespondentin Käthe von Porada und anderer ist Beckmann 1938 an der Londoner Ausstellung »Twenteeth Century German Art« in den New Burlington Galleries mit dem Triptychon Versuchung sowie weiteren fünf Bildern und einer Radierung beteiligt. Beckmann, der vom 20. Juli bis 2. August in London weilt, hält am 21. Juli auf deutsch, simultan übersetzt, seine berühmt gewordene Rede Meine Theorie der Malerei, auf die ich später noch ausführlicher eingehe. Zusätzlich lag ein teilweise ins Englische übersetzter Essay Lackners, Das Welttheater des Malers Beckmann, als Interpretationshilfe für das mit deutscher zeitgenössischer Kunst nicht vertraute englische Publikum bereit.6 Ab Oktober 1938 bis Mai/Juni 1939 lebte Beckmann in Paris und mietete sich eine Wohnung in Passy, 17 Rue Massenet. Beckmanns Ehrgeiz war es, in der Kunstmetropole Paris Fuß zu fassen, im Vergleich mit der ihm Amsterdam klein und beengt erschien. Bereits 1931 hatte er in der Galerie de la Renaissance seine erste Pariser Ausstellung (mit einem Katalogvorwort von Waldemar George); nach 1933 setzte sich in Paris neben Lackner Käthe von Porada für seine Kunst ein und veranstaltete eine kleine Beckmann-Ausstellung in ihrer Wohnung, unter anderem mit dem Triptychon Die Versuchung und einem Essay von Edmond Jaloux. Obwohl er zu einflußreichen Leuten Kontakt hat, so zu der Gattin des Arbeitsministers und früheren Leiterin der Galerie de la Renaissance, Madame Pomaret, die er auch porträtiert, gelingt ihm der Durchbruch nicht. Nach Lackner war 1938 in Paris, am Ende der Volksfrontregierung und angesichts der politischen Situation um das Münchner Abkommen, das Klima für deutsche Kunst nicht günstig. »Hitlers Emissäre« hetzten »gegen die Emigranten (...) Mißtrauen gegen die Réfugiés verbreitete sich, die Franzosen hatten panische Angst vor verkappten Spionen, das Ergebnis war Scheu vor allem, was den Akzent eines boche hatte. Und Beckmanns Malerei hatte ja wohl diesen Akzent.«7 Dennoch bleibt er in Paris. Am 26. April schreibt er an den bereits nach

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Peter Rautmann

New York weitergeflohenen Lackner, nachdem er gerade die »carte d'identité« erhalten hatte: »Endlich. - Ich werde also sicher nach Paris gehen und eine neue und ganz intensive Kraft hier entwickeln können, nachdem mich also la France in ihre mütterlichen Arme genommen hat.« Im Mai bereitet er seinen Umzug nach Paris vor, der dann aufgrund des Kriegsbeginns nicht stattfinden konnte. 8 Nach Kriegsbeginn hofft er in einem Brief an Siegmund Morgenroth - den Vater von Stephan Lackner —, daß »es doch noch einmal gelingen würde uns alle in dem Deutschland was wir alle gemeinsam lieben zu vereinigen«, und will »nicht aufhören das zu gestalten was ich für richtig finde und der Wahrheit zu dienen, wie ich kann«9. Er beginnt, seine Übersiedlung in die USA zu planen, hat auch schon einen Lehrauftrag an einer Kunstschule in Chicago in Aussicht, jedoch verweigert der amerikanische Konsul in Amsterdam ihm das Visum, so daß er von dem Einmarsch der deutschen Truppen in den Niederlanden überrascht wird. Er kann relativ unbehelligt in Amsterdam während der Kriegszeit arbeiten, erlebt dort das Ende des Krieges und wandert erst 1947 in die USA aus, wo er in New York 1950 stirbt. Die Londoner Rede Beckmann begründet die Notwendigkeit zu reden aus der künstlerisch-politischen Situation der dreißiger Jahre: »Die (...) Welt ist in eine derartige, auch künstlerische, Katastrophen-Situation hineingeraten, daß sie mich, der ich fast dreißig Jahre als absoluter Einsiedler gelebt habe, zwingt, aus meinem Gehäuse hervorzutreten und die paar Ideen auszusprechen, die ich mühsam im Lauf der Jahre erkämpft habe.« Zugleich betont er eingangs aber auch, sich »niemals in irgendeiner Form (...) politisch betätigt zu haben«, und sieht »die Welt des Geistes und die der politischen Realität« als »zwei Welten«, die »im Prinzip grundverschieden« sind.10 Hierin traf er sich mit den englischen Organisatoren der Londoner Ausstellung, Herbert Read und Robert Penrose, die ihr Vorhaben, obwohl als Entgegnung auf die Münchner Ausstellung initiiert, als ein unpolitisches ausgaben: »Die Beweggründe der Veranstalter sind indessen nicht politisch. (...) Sie glauben (...), daß die Kunst, die viele Jahre lang in Deutschland aufs höchste geachtet war, nicht völlig vernachlässigt werden sollte; (...) daß sie bloß nach ästhetischen Maßstäben beurteilt werden soll, die der Kunst angemessen sind«11. Dieser Text der Einladungskarte dokumentiert zumindest einen sehr vorsichtigen Kurs angesichts der künstlerischen Situation in Deutschland. Es wäre jedoch verfehlt, in Beckmanns distanzierter Haltung eine opportunistische zu sehen, entsprach sie doch seinem ganzen Selbstverständnis. So schrieb er in einem Brief an Lackner von Anfang 1938: »Echte Kunst kann nun einmal nicht durch Lärm und Agitation im journalistischen Sinne wirken«. Kunst »muß fast geheim sein. Alles zu öffentliche schwächt die Kraft (...) Politik ist eine subalterne Angelegenheit, deren Erscheinungsform je nach dem Bedürfnis der Massen dauernd wechselt (...) Daher nicht Essen-

Max Beckmann in Paris 1937 bis 1939

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tielles«12. Aus dieser Haltung heraus scheint er auch nicht Mitglied des in Paris gegründeten Freien Künstlerbunds (FKB) geworden zu sein; an dessen im November 1938 im Maison de la Culture in Paris eröffneten Ausstellung »Freie Deutsche Kunst«, die einen weitaus politischeren Anspruch als die Londoner hatte und von emigrierten Künstlern selbst organisiert wurde, ist er lediglich mit einer kleinen Landschaft aus Privatbesitz beteiligt. Beckmann warnt vor den Kollektivismus propagierenden politischen Systemen, denen gegenüber die Kraft zur Individualisierung durch die Kunst aufgeboten werden müsse: »Die größte Gefahr, die uns Menschen allen droht, ist der Kollektivismus. Überall wird versucht, das Glück oder die Lebensmöglichkeiten der Menschen auf das Niveau eines Termitenstaates herabzuschrauben. (...) Die Individualisierung des künstlerisch darzustellenden Objektes durch das Gefühl der Sympathie und Antipathie ist notwendig und dient zur Formbereicherung. Mit dem Ausschalten der menschlichen Beziehungen untereinander in der künstlerischen Darstellung entsteht jenes Vakuum, unter dem wir mehr oder weniger alle leiden.«13 Die Ablehnung des »Kollektivismus« läßt sich, ohne daß dies direkt ausgesprochen wäre, primär auf den deutschen Faschismus beziehen, wohl aber auch auf das kommunistisch-stalinistische System in der Sowjetunion der dreißiger Jahre. Künstlerisch distanziert sich Beckmann von der zeitgenössischen abstrakten Kunst — an anderer Stelle nennt er sie abschätzig »Krawattenkunst« 14 — , wie er sich andererseits mit der Betonung der Darstellung gegenständlicher Objekte und menschlicher Beziehungen einem RealismusKonzept nähert, wie es seit 1935/36 in den Pariser Kunstdebatten und andernorts gefordert wurde. Zugleich hält er auch hier auf Distanz: Tritt Beckmann vor allem »für das Individuum, das gesamte sogenannte Individuum« ein und sucht »es auf jede Weise zu ergründen und darzustellen«, so verlangte Louis Aragon, im Anschluß an eine Heartfield-Ausstellung in Paris 1935, von der Kunst, sie habe »Waffe (...) im revolutionären Kampf der Proletariats« zu sein, und auch Paul Westheim, Beckmann mit seiner Orientierung am Expressionismus und dem großen Tafelbild nahe stehend, fordert als Kriterium für den Realismus der Gegenwart das Bekenntnis zu einem »idéal commun«, dem Ideal der Gemeinschaft. 15 Im Einklang mit allen Realismus-Konzepten dient Kunst für Beckmann »der Erkenntnis, nicht der Unterhaltung, der Verklärung oder dem Spiel«, hierin seinem großen Antipoden Picasso nicht unähnlich, der 1944 bekennt: »(...) ich habe die Malerei nie als eine Kunst der puren Unterhaltung und Zerstreuung betrachtet. Ich wollte mittels der Zeichnung und der Farbe, da sie nun einmal meine Waffen waren, immer tiefer in die Erkenntnis der Welt und der Menschen eindringen, damit diese Kenntnis uns alle mit jedem Tag freier mache«16. Spricht sich auch Beckmann für eine Kunst der Sinnlichkeit aus, die »die Weisheit mit den Augen suchen« soll, will er nur eine »zerebrale gemalte Weltanschauung«, die mit »den schrecklichen Furor der Sinne für jede Form von Schönheit und Häßlichkeit des Sichtbaren« ausgestattet ist, so bekennt er gleichzeitig, es gehe ihm um eine »Idealität, die sich hinter der

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Peter Rautmann

scheinbaren Realität befindet«, um »die Brücke zum Unsichtbaren«. Der Gefahr einer Abwertung der sichtbaren Realität, die in dieser Formulierung liegt, begegnet er mit der paradoxen Definition: »Das Unsichtbare sichtbar machen durch die Realität« 17 . Dem Künstler sollen hierbei die Imagination und die Träume zu Hilfe kommen. Beckmann bekennt, daß ihm »zwiespältige Träume« durch die Sinne laufen, »Samothrake, Piccadilly oder Wallstreet. - Eros und Nichtmehr-sein-wollen«18. Mit der großstädtischen Alltagswirklichkeit (Piccadilly, Wallstreet) sieht er die Nike von Samothrake, die berühmte Antikenskulptur des Louvre, zusammen, solcherart die Gegenwart in die Vergangenheit weitend und andererseits den Mythos im gegenwärtigen Alltag entdeckend. Hier berührt er sich mit der künstlerischen Praxis der Surrealisten und Kunstkritikern wie Walter Benjamin. Wenn Benjamin in einen frühen Entwurf zum Passagenwerk 1929 von den Passagen als »einer Welt geheimer Affinitäten« schreibt, wo sich »Palme und Staubwedel, Föhnapparat und die Venus von Milo, Prothese und Briefsteller (zusammen)finden (...), wie nach langer Trennung« oder er von den Eingängen der Passagen sagt, daß sie, »wie im alten Griechenland Stellen« gleichen, »an denen es in die Unterwelt hinabging«19, dann trifft sich diese Kopplung von Urgeschichte, Mythos und Jetztzeit mit Beckmanns Sicht. Mitte der dreißiger Jahre steht Benjamin dagegen dem Mythos weitaus skeptischer gegenüber, so wenn er sich vornimmt, »vor(zu)dringen mit der geschliffenen Axt der Vernunft und ohne rechts noch links zu sehen, um nicht dem Grauen anheimzufallen, das aus der Tiefe des Urwalds lockt. Aller Boden mußte einmal von der Vernunft urbar gemacht, vom Gestrüpp des Wahns und des Mythos gereinigt werden«20. Rückt hier der Mythos in die Nähe des Wahns und Irrglaubens - verständlich aus dem Wunsch, sich vom vernebelnden Mythos-Kult der Nazis abzusetzen - , so will Beckmann zur »Magie der Realität« vorstoßen und die in ihr enthaltene Einheit von Schönheit und Häßlichkeit gestalten: »Nur in beidem, Schwarz und Weiß, sehe ich wirklich Gott als eine Einheit, wie er sich als großes, ewig wechselndes Welttheater immer wieder neu gestaltet«21. Die Vorstellung des Geschehens in Natur und Geschichte als ein »ewig wechselndes Welttheater« kann wiederum mit der von Benjamin bei Blanqui und Nietzsche beobachteten Theorie der ewigen Wiederkehr in Korrespondenz gesetzt werden. Glaubt Benjamin, daß das mythische Bewußtsein im Bannkreis des Mythischen als ewiger Wiederkehr verharrt, so steht Beckmann dem Mythos positiver gegenüber: In der Bildlichkeit des Mythos wird ein Wahrheitskern im Sinne historischer Erfahrung erkannt, ähnlich wie Claude Lévi-Strauss von den Mythen als den verdichteten »kollektiven Phantasien« der Völker spricht. Darüber hinaus wird entscheidend sein, welche zeitbedingte, aus den aktuellen Erfahrungen einer Epoche gewonnene Interpretation der Zeitlosigkeit des Mythos abgewonnen wird.22

Max Beckmann in Paris 1937 bis 1939

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Der Apachentanz von 1938 (Abb. 1, S. 26) Mythos, Welttheater, die Doppelnatur von Realität als gegenständlich erscheinender und dahinter verborgener, unsichtbarer sind Leitvorstellungen Beckmanns in den dreißiger Jahren, die seiner bildnerischen Produktion zugrundeliegen. Ihnen wird in der Analyse eine Hauptwerks der dreißiger Jahre, dem auf Erfahrungen in Paris zurückgehenden Tafelbild Der Apachentanz nachgegangen. Das Bild, 171,5 x 151 cm groß, gehörte zunächst dem Beckmann-Freund und Sammler Stephan Lackner, Santa Barbara, Californien, ehe es über einige Zwischenstationen nach Europa zurückgelangte und 1958 von der Kunsthalle Bremen erworben wurde. Das Bild ist in Amsterdam gemalt, geht aber auf Eindrücke 1937 und 1938 in Paris zurück. »Es ist nicht genau bestimmbar, ob Max Beckmann die Szene in einem Zirkus (z.B. dem Circus Medrano in Paris, P.R.), einem Varieté (vielleicht im »Tabarin«, in dem er im gleichen Jahr war, P.R.) oder einem Kabarett gesehen hat, Lokalitäten, die er gleich gern besuchte.«23 Die Arkadenbögen auf der rechten Seite des Bildes sprechen eher für ein Kabarett oder Varieté, zu deren Programm vor dem Zweiten Weltkrieg auch die Nummer des Apachentanzes gehörte. Der Titel des Bildes, er stammt von Beckmann selbst, ist im Bild dokumentiert, lassen sich doch die auf dem Kopf stehenden Großbuchstaben auf dem weißen Programmheft am unteren Bildrand »PR« und »AP« zu »PRogramm APachentanz« ergänzen.24 Der jugendlich-männliche Tänzer steht breitbeinig, mit angewinkelten Knien, auf einem grünen Podest und hält seine Partnerin, die er über die Schulter geworfen hat, an den Beinen fest. Seine athletische, mit einem Akrobatenkostüm bekleidete Gestalt steht dominierend im Zentrum, berührt und überschneidet den Bildrahmen, den Eindruck hervorrufend, den Raum, wie ein Titan, sprengen zu können. Der Ausdruck von Kraft, Aggression und intensiver Spannung wird auch durch die Dreiecksform der Gesamtgestalt, die spitzen roten Schlitze der Beinkleider und den Gegensatz zu den geschwungenen Formen der Frauengestalt unterstützt. Um die Szene sitzt erwartungsvoll ein in Abendgarderobe herausgeputztes großstädtisch-bürgerliches Publikum. Die Dreiergruppe im Vordergrund bleibt auf den ersten Blick im Unklaren: Vom Bildrand überschnitten, scheint sie, teils von der Tanzszene abgewendet, Sekt zu trinken. Bei der mittleren, von der Tanzszene ab-, dem Betrachter jedoch zugewendeten Figur wird es sich um einen Kellner handeln. Das gegenwärtige Welttheater Am 12. September 1940 notierte sich Beckmann in sein Tagebuch: »Wenn man dies alles - den ganzen Krieg, oder auch das ganze Leben nur als eine Szene im Theater der Unendlichkeit auffaßte, ist vieles leichter zu ertragen«. Die Vorstellung von der Welt als Bühne begleitete Beckmann während seines

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ganzen künstlerischen Lebens. Das macht sein bleibendes Interesse für Zirkus, Variete, Kabarett aus: auf der Bühne, in der Maske und den Kostümen Rollen gespielt zu bekommen, in deren Gegenwärtigkeit sich ein allgemeiner Symbolgehalt ausdrückt. So stellte er sich bereits 1921 am Beginn der Radierfolge Jahrmarkt als Ausrufer für einen »Circus Beckmann« (Abb. 2, S. 27) dar, wie die Schrift in der Grafik verkündet, und noch in einem Brief vom 20.11.1939 an Lackner bezeichnet er den Menschen als »unendlich wandelbaren Schauspieler (...), der die jeweilige Lebensetappe schicksalhaft zu repräsentieren« habe.25 1. Akt: Mann und Frau - Sieger und Besiegte In dem Tanzpaar sind die Gegensätze ausgespielt: Männlich gegen weiblich, aufgerichtet gegen herabhängend, die aggressiv-spitzen Dreiecksformen des Tänzers gegen die geschwungenen Formen der Tänzerin. Die Farbe verbindet und trennt die Figuren: Verbindung schafft die Licht- und Farbdominanz beider Figuren im Kontrast zu dem dunklen Grund; das Weiß in beider Kleidung zieht ebenfalls zusammen, wie auch der Dreiklang der Grundfarben Rot, Gelb und Blau; dagegen erzeugt die warme, rot-orange Farbe der Frauenstrümpfe eine Kontrastwirkung zu dem kühleren Krapplackrot der Hosenschlitze, ebenso wirkt das Gelb des Trikots schneidend durch das komplementäre Blauviolett der Spiralornamente auf dem Hemd; Unruhe erzeugt auch das kühle Türkisgrün hinter dem Publikum und auf dem Podest. Die mächtige Hauptfigur erscheint trotz ihrer Monumentalität in sich gebrochen, zusammengesetzt, der Kopf - von dem Weiß des Stoffes der Frau wie ein Siegerkranz umfangen - und der linke Arm sind isoliert, Rumpf und Beine wie getrennt vom übrigen Körper: Unterschiedliche Tendenzen und Spannungen sind in der männlichen Figur wie dem Paar angelegt. Die Verschränkung der beiden ins Relief gedrehten Personen erfolgt wesentlich durch die Vergitterung der Gliedmaßen und die abgrenzende Schwarzkonturierung der Figuren. In der kunstgeschichtlichen Forschung ist die mythologische >Aufladung< des Themas als entscheidende Leistung Beckmanns bezeichnet worden. Günter Busch, der den Ankauf des Bildes für die Kunsthalle Bremen tätigte, interpretiert: »Aus Pariser Lokaleindrücken in einem Apachenkeller (...) gestaltet sich (...) unter seiner formenden Hand ein zeitloses Urbild des Siegers und Entführers, die absolute Verkörperung des männlichen Prinzips, wie sie durch die Kunstgeschichte hindurch immer wieder unter den verschiedensten mythologischen oder historischen Vorwänden im Darstellungstypus des sogenannten >Raptus< (Raub) erscheint. Hier ist das Leben selbst, durch die verwandelnde Kraft großer, sprechender Linien und weiter Farbebenen, zum feierlichen Mal gebändigt - der lodernden Wildheit des Themas zum Trotz.«26 Gerhard Gerkens hat eine Reihe von historischen »Raptus«-Darstellungen zusammengestellt: Giovanni da Bologna, Raptus, 1580; Bernini, Pluto und

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Proserpina, 1621/22; Poussin, Raub der Sabinerinnen, um 1637; Ricci, Raub der Diana, um 1725.27 Als ein Beispiel mag ein Ausschnitt aus Poussins Raub der Sabinerinnen (Abb. 3, S. 27) genügen, denn strukturell sind alle genannten Beispiele gleich aufgebaut: eine männliche Figur trägt eine sich wehrende weibliche davon. Bei den historischen Vorbildern wird der weiblichen Gestalt eine aktive Gegenwehr zugebilligt. In Beckmanns Bild hat der Mann die Frau wie eine willenlose Gummipuppe um die Schultern gehängt und sein Beutestück fest im Griff. Beckmann steigert den Kontrast zwischen männlicher Übermacht und weiblicher Ohnmacht. Erfolgte der Raub der Sabinerinnen zur Sicherung einer Staatsgründung (Roms), so applaudiert das bürgerliche Publikum in Beckmanns Bild einer männlichen, auf Raub gegründeten Macht - erkennt sie sich in dieser wieder? Auf die Darstellung von Gewalt im Verhältnis des Paars scheint es Beckmann angekommen zu sein, hatte er doch ein ganz anderes Paar als zeitgenössische Allegorie einer Gesellschaftsordnung in Paris gesehen: Im März 1938 zeichnete er beim Abbruch des sowjetischen Pavillons der Weltausstellung von 1937 die den Pavillon krönende Plastik Vera Muchinas: Mit der Skulptur Arbeiterund Kolchosbäuerin (Abb. 4,5, S. 27) suchte Sowjetrußland seinen Anspruch des Aufbaus einer neuen, zwischen Mann und Frau gleichberechtigten sozialistischen Gesellschaft Ausdruck zu geben. In Beckmanns abstrahierender Zeichnung, sie ist von der Frauenseite gesehen, ist das Dynamisch-Vorwärtsstürmende des Figurenpaares festgehalten. Die Monumentalität der Plastik mag ihn beeindruckt haben, aber den Gleichklang der Bewegung fand er offenbar nicht nachahmenswert. Die Aufgabe solcher Beschwörung von Harmonie reflektiert die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit wie seine Abneigung gegen »Kollektivsysteme«. In dem Paar und seiner Darstellung bot sich ihm auch eine Möglichkeit, ein Bild der Gewaltpotentiale der Gesellschaft der dreißiger Jahre, zugespitzt im deutschen Faschismus, zu erarbeiten: durch Auseinandersetzung mit Bildern und Vorstellungen, wie sie die Moderne-Antimoderne-Diskussion dieser Zeit bestimmten. 2. Akt: Das Apachentum in der Kunst Das Programm des Welttheaters von 1937/38 verkündet einen Apachentanz. Was der Betrachter sieht, ist aber nicht so sehr die furiose Bewegung eines hektisch-wilden Tanzes - wie bei Loie Füller um 1900 oder in den Neger- und Jazz-Revuen der zwanziger Jahre - , vielmehr die zur Siegerpose erstarrte Haltung der männlichen Hauptperson mit ihrer Beute, der Frau. Zwischen dem Tanzpaar und dem Publikum besteht nicht nur ein Größenkontrast. Vielmehr dringen die Zuschauer in großstädtischer Abendkleidung als Sinnbild europäischer Mode und Zivilisation in eine Varieté-Welt ein, die in ihrem auf Kraft, Wild- und Fremdheit setzenden Gestus wie den farbigen Kostümen als das ganz andere gefeiert wird: Kultur steht dem eigenen Bild von Natur - auch dem der ins Außen gedrängten Triebstruktur - gegenüber. Es ist das

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Bild von Natur, wie es sich seit der Entwicklung der großstädtisch-industriellen Gesellschaft als Unbehagen an eben dieser Kultur äußert - in Projektionen von Natur. An deren bildlich-ideologischer Ausprägung hat die künstlerische Moderne ihren Anteil. Benjamin hat an Baudelaire beobachtet, wie für diesen der »Flaneur, Apache, Dandy und Lumpensammler (...) ebenso viele Rollen« waren, da »der moderne Heros (...) nicht Held«, sondern »Heldendarsteller« sei. Im Apachentum den Heros der Dichtimg zu sehen, hierfür sieht Benjamin von Baudelaire bis Apollinaire eine Traditionslinie. »Der Apache schwört den Tugenden und den Gesetzen ab. Er kündigt ein für alle Mal den contrat social. So glaubt er sich vom Bürger durch eine Welt geschieden«, der in Wirklichkeit doch sein Spießgeselle ist.28 Populär gemacht in Frankreich seit 1850 in Romanen von G. Ferry und anderen, ändert sich das ursprünglich positive Bild des Apachen in der literarischen Konzeption nach 1900, in der der Indianername des Apachen, propagiert von Pariser Journalisten, zum Synonym des nächtlich in der Großstadt agierenden Kriminellen wird, der eine Vulgärsprache spricht (Proust, Sodome und Gomorra, 1922) und unsrer aller Haut begehrt (Celine, Mord auf Kredit, 1936).29 Die deutsche Tradition, weniger durch direkte Kolonialerfahrung geprägt, scheint da stärker am Idealbild des Apachen Karl Mayscher Prägung festzuhalten. Dieser kolportierte nach Ernst Bloch »den Indianerroman aus der Zeit Coopers, der revolutionären Ideale (als die Wilden noch bessere Menschen waren)« und verknüpfte sich mit dem »Flitter des Jahrmarkts«. 30 In Beckmanns Bild läßt das schwarzhaarige Porträt der Hauptfigur an einen Zigeuner denken. Insgesamt - vielleicht ein Resultat der Verarbeitung der unterschiedlichen deutsch-französischen Rezeption kennzeichnet Beckmanns Hauptfigur in ihrem gewalttätigen, zugleich ins Monumentale gesteigerten Charakter eine Ambivalenz positiver und negativer Züge, die sie zugleich an- und abstoßend macht, wofür innerbildlich die Zu- und Abwendung des Publikums ein Indiz ist. In der Kunst lassen sich vergleichbare archaisierende Tendenzen einer Rezeption außereuropäischer Kulturen aufzeigen, es sei nur an Picassos vorund frühkubistische Phase erinnert, in der er an iberische und afrikanische Kunst anknüpfte. Während Gauguin zum Beispiel mit seinen in Tahiti entstandenen Bildern die Kultur der Südsee als Utopie entwirft, ruft Picassos Demoiselles d'Avignon von 1907, mit denen er die Schönheitskriterien europäischer Kunst zerstört, ein derartiges Befremden hervor, daß selbst engste Malerkollegen wie Braque und Matisse ebenso wie der Kunsthändler und -kritiker Uhde zunächst entsetzt waren und das Bild auf einer Ausstellung erst wieder in den dreißiger Jahren auftaucht. Otto Freundlichs Skulptur Der neue Mensch von 1912 (Abb. 6, S. 28) knüpft mit der Reduzierung der Formensprache auf kubische Elemente - das Zylindrische der Hals- und Kinnpartie und die Kantenform der Nase beispielsweise - daran an. Das »Neue« ist hier als das Unvertraute, das Elementare als eine Form des Beginnens, insofern auch Rückgreifens auf eine Frühform menschlicher Entwicklung und Kultur (z.B. Skulpturen der Osterinsel) zu bestimmen.

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3. Akt: Das >Erbe der Antike< - im Dienst des Nationalsozialismus Freundlichs Skulptur wurde stellvertretend für die gesamte moderne deutsche Kunst auf dem Umschlag des Ausstellungs-Führers der »Entartete Kunst«-Ausstellung 1937 in München abgebildet (Abb. 7, S. 28) und im Innern des Katalogs nochmals diffamierend mit einem Porträt von Ludwig Meidner sowie einem Skulpturenkopf von Rudolf Haizmann unter der Überschrift »Drei Kostproben von jüdischer Plastik und Malerei« (Abb. 8, S. 28) vorgeführt. 31 Zur Kennzeichnung des geistigen Klimas in Nazi-Deutschland notiert sich Stephan Lackner in seinen Memoiren Alfred Rosenbergs Angriff gegen die moderne Kunst: »Die Nachtcafes des Asphaltmenschen wurden zu Ateliers (...) Das Mestizentum erhob den Anspruch, seine bastardischen Ausgeburten, erzeugt von geistiger Syphilis und malerischem Infantilismus, als >Seelengeburt< darstellen zu dürfen« 32 . Beckmanns Bild ist auch ein Kommentar dazu, insofern er auf dem »Nachtcafe des Asphaltmenschen« als Rahmenthema beharrt und in diesen Raum den »neuen« Menschen des gewalttätigen Zeitalters hineinstellt. Die Polemik der Nazi-Ideologen wird aufgenommen und das auf der Oberfläche der Propaganda nicht sichtbare Bild der Epoche sichtbar gemacht. Dies auch in bewußter Konfrontation zu dem verschleiernden Bild der gleichzeitigen »Großen Deutschen Kunstausstellung« in München. In ihr beanspruchen die Nationalsozialisten das Erbe der Antike für sich. Das Profil eines griechischen Kriegerkopfes mit Fackel und Adleremblem (Abb. 9, S. 29) figuriert auf dem Katalogumschlag. Arno Brekers Prometheus von 1937 (Abb. 10, S. 29) sucht dort anzuschließen. Prometheus ist jedoch nicht der mutige Rebell, »Sinnbild für Fortschritt und Unabhängigkeit«, sondern verklärt zu einer »Glorie von Aktivität«, wie ihn Nietzsche sieht. »Entkleidet des mythologisch-historischen Zusammenhangs, scheint er nur im Dienste einer herrschenden Ordnung zu stehen. Denn: Die Figur demonstriert Willensstärke und Entschlossenheit - für die erklärten Ziele der Partei.« 33 Mit seiner monumentalen männlichen Hauptgestalt im Apachentanz setzt sich Beckmann mit dem Heros-Bild des Faschismus wie mit der ApachenTradition auseinander. Die athletische Gestalt späht nach links, der Kopf ist ins Profil gewendet und provoziert durch gleiche Profilansichtigkeit einen Vergleich mit dem antiken Kriegerkopf des Katalogeinbands der »Großen Kunstausstellung« von 1937. Indem Beckmann den Helm durch den wilden schwarzen Haarschopf ersetzt, barbarisiert er, in der Tradition Nietzsches, das geglättete Griechenbild zu archaischer Kraft, wie überhaupt das Ungebändigt-Wilde und Gewalttätige des Apachentums hervorgekehrt wird. Willensstärke und Entschlossenheit demonstriert sein Apache, gleichzeitig wird das Gewaltpotential der Verabsolutierung von Stärke und männlicher Überlegenheitsvorstellung deutlich: im Opfer der geschulterten Frau. Während Breker die Ästhetisierung der Gewalt in der Darstellung des isolierten, nackten Heros betreibt - siehe hierzu auch ein zeitgenössisches Foto von

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Pierre Vals zur Pariser Breker-Ausstellung von 1942 (Abb. 11, S. 29) - , stellt Beckmann seine Monumentalfigur in einen Raumzusammenhang, in dem die Apachen-Figur und das mondäne Publikum aufeinander bezogen sind. Drängt die hintere Gruppe an die Tanzszene heran, dennoch durch die Rückenfront auf Distanz gehalten, wird die vordere Gruppe von den gespreizten Beinen des Apachen mit seinen zangenartigen roten Hosenkeilen wie in einem Schraubstock eingezwängt. Mag es sich bei der mittleren Figur vordergründig um einen Kellner handeln34, so ist wichtiger, daß dieser sich von der Tanzszene abwendet: Er kennt den ewig wiederholten Tanz mit seinem gewalttätigen Spiel. Der jugendliche Kopf mit dem schwarzen Haarschopf, der in Verbindung mit der bräunlichen Hautfarbe und dem ausgeprägten Ohr ein fremdes Aussehen erhält, steht im Kontrast zu dem blaufarbenen Kopf des Älteren am unteren Bildrand, dessen Physiognomie, vor allem in der Mundpartie, von nachdenklich-schmerzlichem Ausdruck bestimmt ist. Die Gesichtszüge, bis auf die spitze Nase, erinnern an Porträts Beckmanns. So ist wohl nicht explizit ein Selbstporträt gestaltet, wohl aber der Bezug zu sich mitgemeint. Der rätselhafte Kopf rechts daneben scheint eine Pickelhaube zu tragen - wird die »Beckmann«-Figur abgeführt, überwacht oder bespitzelt, wie es gerade im Paris der dreißiger Jahre mit der gemeinsamen Präsenz von Emigranten und Reichsdeutschen vielgeübte Praxis war? Das großstädtische Publikum assistiert der gewalttätigen Schau- und Tanzszene35, noch meinend, selbst nicht betroffen zu sein, obwohl es selbst schon »in Flammen steht«: Das Nächtlich-Gespenstische der Szene wird noch gesteigert durch den roten, schwarz gesprenkelten Vorhang an der linken oberen Ecke, die roten Farbspuren und die lanzettförmigen, weiß aufleuchtenden Flecken zwischen den Zuschauern. Die Glut des Rot und Weiß, die Schwärze ihrer Kleidung und die dunklen Höhlen der Arkadenbögen verwandeln den Kellerraum zu einer höllischen Unterwelt, in der der Apache der Kerkermeister und Höllenfürst ist. Auf ihm sammelt sich das Licht, vereinigen sich die warmen und hellen Farben, während der Kopf, in seiner plastischen Durchmodellierung, in helldunkles Streiflicht getaucht ist. Der ernsten Entschlossenheit des Gesichtsausdrucks kontrastiert ein »zweites« Gesicht: eine grinsende Leib-Maske, die von dem violetten Schlangenornament des Trikots als Augen und dem Gürtel als Mundstreifen gebildet wird.36 In dieser Verdopplung zeigt sich die Figur selbst nicht als Herr ihrer Kräfte: Sucht Beckmann darin das Saturnisch-Verschlingende und sich dem Begreifen des einzelnen entziehende Schauspiel des Welttheaters hintergründig anzudeuten? Die Zuschauergruppe scheint derweil, in einer Feuersbrunst stehend, den eigenen Untergang als ästhetisches Erlebnis zu feiern. Nur die vordere Gruppe hat die Wahrheit des mörderischen Spiels erkannt, um den Preis des Ausgegrenztwerdens. Das weibliche Opfer zeigt mit ihrem ausgestreckten, herabhängenden Arm auf den Melancholiker am Bildrand; der Schatten der Frauenhand berührt dessen Kopf: solidarische und zugleich vergebliche Geste einer Kontaktaufnahme der Opfer.

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4. Akt: Nachspiel - Nachrede Im Apachentanz formt Beckmann nicht ein »zeitloses Urbild des Siegers« (Günter Busch), sondern dessen Urbild wird zum sehr konkreten Bild des Siegers der dreißiger Jahre. Es wird die den Raum zum Bersten bringende zerstörerische Kraft des Siegers gezeigt, die immer noch die wichtigste gesellschaftliche Rolle auf dem Welttheater spielt. Zugleich stellt Beckmann den Gewaltakt in einen gesellschaftlichen Kontext, bringt, vor allem mit der abgewandten Figur im Vordergrund, ein reflektierendes Verhältnis ins Bild selbst hinein: er fordert, bei aller schillernden Faszination vor dem Sieger, zum Nachdenken auf. Ein Denkmal wird aber auch den Opfern und Ausgegrenzt-Exilierten gesetzt. Darüber hinaus zeigt er die Leichtgläubigkeit des Publikums, der Menschen, die blind sind für das, was vor Augen liegt. Indem Beckmann die Auseinandersetzung mit der Ästhetik des Faschismus sucht - ihrem Kult des Heroischen, der Ästhetisierung der Gewalt, der Zusammenbindung von Gewalt, Sexualität und Tod - , kann er auch deren Faszination und Wirksamkeit aufdecken, die gerade in der Ästhetisierung aller Lebensbereiche besteht. 37 Noch ist Frieden, zwei Jahre später, am Beginn des Krieges, malt Beckmann sein Perseus-Triptychon (1940/41), in dessen Mittelteil (Abb. 12, S. 29) der siegreiche Perseus mit Andromache und dem getöteten Seeungeheuer sein Schiff besteigt: Endgültig ist der Sieger zum Gewalttäter geworden und, was er zu befreien vorgab, schleppt er als Beutestück mit sich. In seinen geschichtsphilosophischen Thesen hat Walter Benjamin Ende der dreißiger Jahre mit einer Geschichtsschreibung abgerechnet, die sich zur Vergangenheit einfühlend verhält. Man müsse sich fragen, »in wen sich der Geschichtsschreiber (...) eigentlich einfühlt. Die Antwort lautet unweigerlich in den Sieger. Die jeweils Herrschenden sind aber die Erben aller, die je gesiegt haben (...) Wer immer bis zu diesem Tag den Sieg davontrug, der marschiert mit in dem Triumphzug, der die heute Herrschenden über die dahinführt, die heute am Boden liegen. Die Beute wird, wie das immer so üblich war, im Triumphzug mitgeführt. Man bezeichnet sie als Kulturgüter. (...) Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozeß der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist.«38 Beckmanns Apachentanz ist ein solches vielschichtiges Bild der Barbarei. Die Überlieferung dieses Dokuments sollte der Barbarei entrissen werden. Das Aufdecken des zeitgenössischen Bild-Kontextes verdeutlicht einen Kommunikationszusammenhang, in dem das scheinbar Zeitlose in seiner zeitlich bedingten Zuspitzung kenntlich wird. Die ästhetisch-künstlerische Seite der politisch-sozialen Auseinandersetzung aufnehmend, kann Beckmann die Bedrohung und Macht, die von der Ästhetisierung aller Lebensbereiche (Benjamin/Eksteins) ausgeht, in der Krieg und Gewalt als ästhetisches

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Erlebnis gefeiert werden, aufzeigen, und darüber hinaus die Mitverantwortung von Künstlern an solcher Produktion von Bildern der Gewalt einklagen.

1 Stephan Lackner: Ich erinnere mich gut an Max Beckmann. Mainz 1967, S. 12 (im folgenden: »Lackner 1967«). - 2 Lackner 1967, S. 17. Siehe auch: Stephan Lackner: Selbstbildnis mit Feder. Berlin 1988, S. 98. (im folgenden: »Lackner: Erinnerungen 1988«), - 3 Katalog Max Beckmann. Retrospektive. München 1984, S. 461. Zur Emigration Beckmanns siehe: Lackner: Erinnerungen 1988, S. 99-105, 107. - 4 Lackner 1967, S. 12. - 5 Ebd., S. 21. - 6 Lackner: Erinnerungen 1988, S. 106. Lackner merkt dort auch an, daß sein Essay »Das Welttheater des Malers Beckmann« von Hans Belting 1984 als »Bibel der Beckmannforschung« charakterisiert wurde. - 7 Lackner 1967, S. 74, 75. - 8 Briefe Beckmanns an Lackner vom 26. April und 22. Mai 1939, zitiert nach: Lackner 1967, S. 85. - 9 Brief vom 18. Oktober 1939. Lackner 1967, S. 87. - 10 Vollständiger Abdruck der Rede in: Katalog Max Beckmann. Die Triptychen im Stadel. Frankfurt/M. 1981, S. 3 - 6 ; hier S. 4, 5, 3 (im folgenden: Katalog Die Triptychen 1981). - 11 Zit. nach: Katalog Stationen der Moderne. Berlin 1988, S. 316 f. - 12 Brief Beckmanns an Lackner vom 29. Januar 1938, zit. nach: Lackner 1967, S. 36 f. - 13 Katalog Die Triptychen 1981, S. 5. - 14 U c k n e r 1967, S. 42. - 15 Katalog Die Triptychen 1981, S. 5. Siehe auch: Rosi Huhn, Peter Rautmann: »Paul Westheim und die Kunstkritik im französischen Exil«. In: Kritische Berichte 18 (1990) H. 3, S. 95,92. - 16 Katalog Die Triptychen 1981, S. 3. Wilfried Wiegand: Picasso, rowohlt bildmonographien 205. Reinbek bei Hamburg 1981, S. 122. - 17 Katalog Die Triptychen 1981, S. 4, 3. - 18 Ebd., S. 3. - 19 Walter Benjamin: Das Passagen-Werk. Gesammelte Schriften. Bd. V.2. Frankfurt/M. 1983, S. 1045 f. - 20 Ebd., Bd. V . l , S. 570 f. - 21 Katalog Die Triptychen 1981, S. 3. - 22 Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Bd. V . l , S. 168-178, 177. Herfried Münkler Odysseus und Kassandra. Frankfurt/M. 1990, O.S. Vgl. Lutz Wincklen »Mythos Paris. Feuilletons aus dem Pariser Tageblatt und der Pariser Tageszeitung«. In: Pariser Tageblatt /Pariser Tageszeitung. Konzepte und Praxis der Tageszeitung der deutschen Emigranten in Frankreich. Kolloquium 16. und 17. Dez. 1988 Paris. Beiträge, hg. von Hélène Roussel und Lutz Winckler. Bremen 1989, S. 366-383. 23 Erhard Göpel: »Zirkusmotive und ihre Verwandlung im Werke Max Beckmanns«. In: Die Kunst und das schöne Heim. 56 (1958), S. 329. - 24 Der Text ist lesbar, entgegen der im Gemäldekatalog vertretenen Auffassung. Max Beckmann. Gemälde-Katalog. Bd. 1, Bern 1976, Nr. 495, S. 316. Stephan Lackner bestätigte brieflich die Authentizität des Titels, meint dagegen, »keine Anspielungen auf die Machtergreifung Hitlers, auf die Vertreibung der künstlerischen Moderne etc.« in dem Bild sehen zu können. Brief an den Verfasser, 10. Dez. 1991. 25 Max Beckmann. Tagebücher 1940-1950. München 1984, S. 23. Lackner Erinnerungen 1988, S. 153. - 26 Günter Busch: »Apachentanz. 1938«. In: Westermanns Monatshefte 108 (1967) H. 7, S. 30. - 27 Gerhard Gerkens: »Apachentanz. Und einige Bemerkungen zu Beckmann als Historienmaler.« In: Katalog Max Beckmann. Seine Themen - seine Zeit. Kunsthalle Bremen 1984, O.S. - 28 Walter Benjamin: Charles Baudelaire. Frankfurt/M. 1980, S. 96, 78. - 29 Siehe Stichwort »Les Apaches«: Trésor de la Langue Française. Bd. 3,1974, S. 195. Le Grand Robert de la Langue Française. Bd. 1.1985, S. 434 f. Larousse, Dictionnaire de l'argot. 1990. - 30 Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit (1929). Werkausgabe Bd. 4, Frankfurt/M. 1985, S. 172. - 31 Siehe: Katalog Stationen der Moderne. Berlin 1988, S. 288-298 und Ausstellungsführer Entartete »Kunst*. Berlin 1937, S. 20-22. - 32 Lackner: Erinnerungen 1988, S. 98. - 33 Hans-Werner Schmidt: Katalog »Die Axt hat geblüht...* Europäische Konflikte der 30er Jahre in Erinnerung an die frühe

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Avantgarde. 1937. Düsseldorf 1987, S. 97 f. Z u r » G r o ß e n Deutschen Kunstausstellung« siehe: Katalog Stationen der Moderne. Berlin 1988, S. 276-284. - 34 So E. Göpel (siehe A n m . 23) 1958, S. 329. - 35 Ü b e r den Z u s a m m e n h a n g von künstlerischer und technischer M o d e r n e , von Krieg und Kunst, T a n z und T o d siehe das wichtige Buch von Modris Eksteins: Tanz über Gräbern. Die Geburt der Moderne und der Erste Weltkrieg. Reinbek bei H a m b u r g 1990. 36 D a s O r n a m e n t auf dem Trikot - es r u f t die Assoziation sich windender Schlangen hervor - erinnert d a r ü b e r hinaus an Totentanz-Darstellungen, z.B.: Der Heidelberger Totentanz von 1485, hg. von M a n f r e d Lemmer, F r a n k f u r t / M . und Leipzig 1991. - 37 Benjamins T h e s e der Ästhetisierung d e r Politik durch den Faschismus als Nachwort des Kunstwerk-Aufsatzes (2. Fassung 1936): W.B.: Gesammelte Schriften. Bd. 1.2 F r a n k f u r t / M . 1980, S. 506-508. Bezug Modris Eksteins hierauf siehe: M.E.: Tanz über Gräbern (siehe A n m . 35) 1990, S. 448 f. 38 Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte. These VII. In: Gesammelte Schriften. Bd. 1.2 F r a n k f u r t / M . 1980, S. 696.

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P e t e r R a u t m a n n : Max Beckmann in Paris 1937 bis 1939

Max Beckmann: D e r Apachentanz, Öl/Leinwand, 1938, Kunsthalle Bremen, (c) V G Bild-Kunst, Bonn und Kunsthalle Bremen, 1992.

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: Max Beckmann in Paris 1937 bis 1939

Max Beckmann: D e r A u s r u f e r (Selbstbildnis), Blatt 1 der Mappe D e r Jahrmarkt, Kaltnadel-Radierung, 1921. (c) V G Bild-Kunst, Bonn, 1992.

Max Beckmann: Abbruch des sowjetischen Pavillons mit der Plastik Vera Muchinas nach der Weltausstellung in Paris, Zeichnung vom März 1938. (c) V G Bild-Kunst, Bonn, 1992.

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Nicolas Poussin: D e r Raub der Sabinerinnen, Detail, um 1637.

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Vera Muchina: Skulptur A r b e i t e r und Kolchosbäuerin, Sowjetischer Pavillon auf der Weltausstellung in Paris 1937.

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P e t e r R a u t m a n n : M a x B e c k m a n n in P a r i s 1937 bis 1939

Otto Freundlich: Der neue Mensch, G i p s , 1912, V e r b l e i b u n b e k a n n t .

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Ausstellungsführer »Entartete >Kunstbuy German«, i.e. not from Czechs or from Jews.« Wiskemann, Czechs and Germans, p. 228. 19 Reichenberg. Sudetendeutsche Kunstausstellung. 1937. The exhibition was on view in Karlsbad 1.-25.8.1937, and Reichenberg 19.9.-10.10.1937. Prager Tagblatt, 3.8.1937. - Compare the comments on this exhibition in Pavel Liska: »Zur Funktion der Kunstkritik im Nationalsozialismus«. In: Berlin. Akademie der Künste. Zwischen Widerstand und Anpassung (1979), pp. 60-61,63-64, n. 16, 23. Liska cites from reports published in Germany on the occassion of the Berlin showing: Waldemar Hartmann: »Sudetendeutsche Kulturausstellung«. In: Nationalsozialistische Monatshefte, IX, Nr. 90 (I. 1938), pp. 80ff.; Waldemar Hartmann: »Die Sudetendeutsche Kunstausstellung 1937«. In: Nationalsozialistische Monatshefte, IX, Nr. 93, (I. 1938), pp. 75 ff. - 20 Reichenberg. Messehalle, Sudetendeutsche Kunstausstellung. Bund der Deutschen. 1937, unpaginated. - Cf. Heartfield's publication of Marc's passage in »Antworten«, p. 1112, as an apt response to the rhetoric promoting these local exhibitions. Bert's response was similarly fitting. »Der Photograph und der Maler«, pp. 1107-1109. - 21 Berlin, Kronprinzenpalast. Sudetendeutsche Kunst 1937 (1937), unpaginated. - 22 The Munich showing of »Sudetendeutsche Kunst 1937« was scheduled to open on 28.12.1937 at the Haus der Deutschen Kunst and was sponsored by the Sudetendeutsche Kulturgesellschaft. Imager Tagblatt, 16.10.1937. Other scheduled showings included: Stuttgart (29.10.1937), Köln (3. 1938) and Dresden (24.4.1938).

Responses from Bohemia to »Entartete Kunst«, 1937-1938

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Prager Tagblatt, 29.10.1937. These dates appear not to have been maintained. - 23 Berlin. Sudetendeutsche Kunstausstellung 1937,8.12.1937-16.1.1938, unpaginated; Konrad Henlein:£>ie deutschen Kulturaufgaben in der Tschechoslowakei. Karlsbad und Leipzig 1936. - 24 John Heartfield: »Die Saat des Todes«. In: Volks-Illustrierte, 14.4.1937, p. 237. - 25 Michael Krejsa: »NS-Reaktionen auf Heartfields Arbeit 1933-1939«. In: Berlin. Akademie der Künste zu Berlin. John Heartfield (1991), pp. 375-376, n. 33 & 34. - 26 Praha. Spolek Vytravarnych Umëlcu Mânes. Dnesni Mânes. 12.10.-28.11.1937. - 27 Letter of 1.10.1936 from Novotny and Gocar to the Ministerstvo Skolstvi a nârodni osvëty asking for financial support for the special deluxe jubilee issue of Volné Sméry, and the favorable reply documenting the Ministry's financial support of the exhibition. Archiv hlavniho mësta Prahy, Mânes Archiv, Karton 100, Folder »1936«. Unpaginated sheets. - 28 Volné Smëry XXXIII (IX: 1937), p. 250-251. - 29 Handwritten phone memos by the Mânes Secretary, J. Toman of 12,13, and 14.10.1937, Archiv hlavniho mësta Prahy, Mânes Archiv, Karton 72, Folder: »Dnesni Mânes - III: Jubilejni Vystava 1937«, unnumbered sheets. - 30 »Der friedfertige Raubfisch«. In: Volks-Illustrierte, 12.5.1937, p. 307. - 31 The request to remove the 4 Heartfield's and 1 Pelc drawing came from Section boss, Dr. J. Riha, seconded by Ministry Councilman Povolny. Povolny also requested removing Sychr's »Almeria« and a Pelc reproduction from the catalogue. Handwritten phone memos by the Mânes Secretary, J. Toman of 12, 13, and 14 10.1937, Archiv hlavniho mësta Prahy, Mânes Archiv, Karton 72, Folder »Dnesni Mânes - III: Jubilejni Vystava 1937«, unnumbered sheets. - 32 For an analysis of this controversy, see Chapter III of my forthcoming dissertation, cited above in n. 2. 33 Wandycz, »Foreign Policy of Benes«, pp. 231-232. - 34 Six page typescript of Dra. J Pecirky's speech, »III. jub. vyst. Mânesa 12.10.1937«. Archiv hlavniho mësta Prahy, Mânes Archiv, Karton 72: Dnesni Mânes«, Folder 2, unnumbered sheets. - 35 »Degenerate Art-State official? Do the Patrons hang such pictures in their apartments?« Rundschau (Prag), 16.X.1937. »The evidence is brought before all the public, that the Prague art life is bolshevized through and through ... We recommend to all who could not see the Munich »Degenerate Art«, a visit to the Prague >Mânes-Exhibition• C •

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Leo Maillet: Vor der D e p o r t a t i o n / L e s Milles, Federzeichnung, 1942, Privatbesitz.



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Leo Maillet: V o r der D e p o r t a t i o n / L e s Milles, 1960, Blatt 8 aus der M a p p e E n t r e Chien et Loup, Radierung (vernis au sucre), 1970, Historisches Museum Frankfurt am Main.

Viktoria Schmidt-Linsenhoff: »Unvergessen und nachtragende Erinnerung«

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Leo Maillet: H i n t e r dem Vorhang, Federzeichnung, 1942, Privatbesitz.

11 Leo Maillet: H i n t e r dem Vorhang, Blatt 7 aus der M a p p e E n t r e Chien et Loup, Radierung (vernis au sucre), 1970, Historisches M u s e u m F r a n k f u r t am Main.

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Moya Tönnies: Netz oder Hängematte

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Hella Guth, Prag um 1933.

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Maske, Gebrannter Ton, London um 1943.

Moya Tönnies: Netz o d e r H ä n g e m a t t e

O h n e Titel, Bleistift, London, nicht datiert.

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Cordula Frowein: Die verfemte Kunst im Exil

Speisezimmer des E h e p a a r e s Fischer im Jahr 1923 mit den Kirchner-Bildern (von links): Frau in grüner Jacke, P a a r unterm Japanschirm, Gelbe Tänzerin, Stilleben mit Gläsern, Drei Knaben in Blau, Kartenspielender Knabe, Zwei Spaziergänger in Parklandschaft und Graef und Freund. Auf dem Sideboard links die Kirchner-Skulptur Akt, sich u m d r e h e n d . (Foto: Paul Wolff ,/ Jüdisches M u s e u m Frankfurt am Main)

Moya Tönnies

Netz oder Hängematte Alltagserfahrung und Werk der Künstlerin Hella Guth im Londoner Exil

»Verstehen Sie doch. Das war nichts Permanentes bei mir. Es war ein Augenblick wo ich diese Idee, diese Ohnmacht hatte, und das habe ich gezeichnet. Aber es bedeutet nicht, daß ich in einer permanent ohnmächtigen Stimmung herumgegangen bin - im Gegenteil! Ich hab' gelebt, ganz normal, ich habe gelebt dabei. Ich habe das Essen gekocht und bin einkaufen gegangen und hab' gemalt, und hier und da sind wir ausgegangen oder haben Besuch gehabt. Und so.« Hella Guth wurde 1908 in Kirchenbirk / Kosteini Briza in Westböhmen geboren und wuchs zweisprachig in einem bürgerlichen tschechisch-deutschen Elternhaus auf. (Abb. 1, S. 62) Als junges Mädchen nahm sie Unterricht bei einem am Bauhaus ausgebildeten Privatlehrer und studierte von 1926 bis 1929 Malerei und Gebrauchsgraphik an der Kunstgewerbeschule in Wien und an der Kunstakademie in Prag. Zwischen 1929 und 1938 entstand ein umfangreiches malerisches Werk; 1933 schuf sie eine Holzschnittserie zu den Songs der Dreigroschenoper, die Bruno Cassirer in Deutschland verlegen wollte. Die Beteiligung an der Prager Sezession 1938 war zugleich ihre letzte Ausstellung in Prag. In Prag stand Hella Guth in enger Verbindung mit deutschen Emigranten, machte Illustrationen für die antifaschistische Zeitschrift Simplicus/Simpl und trat mit politischen Satiren in Hedda Zinners Emigrantenkabarett STUDIO 34 auf.1 Bei ihrer eigenen Emigration ließ sie ihr gesamtes malerisches Werk zurück, das seitdem nicht mehr auffindbar ist. Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit der Situation der Künstlerin zwischen 1939 und 1951, den Jahren ihres Exils in England und den in dieser Zeit entstandenen Zeichnungen und Gebrauchsgraphiken. Grundlage der Dokumentation sind Tonbandaufzeichnungen von Gesprächen mit der 83jährigen Künstlerin, die allein in ihrem Pariser Atelier lebt und zur Zeit an farbigen Papiercollagen arbeitet. 2 Seit den sechziger Jahren wird in England zunehmend der »wertvolle Beitrag« der Emigranten für die englische Kultur entdeckt. 3 Man dankt inzwischen »outstanding émigrés« dafür, daß sie England mit kontinentaler Kunst in Berührung gebracht haben, fragt aber nicht danach, wie diese Berührungen eigentlich für die emigrierten Künstler ausgesehen haben. In seinem Aufsatz The Emigration and theArts4 schreibt der englische Schriftsteller John Willett: »I (...) admire today Meidner's pre-1914 portrait of Max Herrmann-Neisse (...) and wish bitterly that I had made contact with either Meidner or Herrmann-Neisse in the days when they were living in our city, ignored. I was too unimaginative to realize what such contact might have meant.« Wenn schon

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ein Künstler wie Ludwig Meidner nicht davor bewahrt war, seinen Lebensunterhalt im Londoner Exil als Totengräber zu verdienen 5 , um wieviel schwieriger war dann die Ausgangslage der weniger bekannten Künstler? Diese Arbeit stellt eine Künstlerin vor, die gefangen war in Bedingungen, die sie sich nicht ausgesucht hatte, der es aber dennoch immer wieder gelang, ein tragfähiges, wenn auch fragiles Gleichgewicht herzustellen, um leben und arbeiten zu können. I Nach dem Münchner Abkommen im September 1938 bemühte sich Hella Guth um Fluchtmöglichkeiten nach Frankreich. Die Prager Kunstszene orientierte sich an Paris; Hella Guth hatte sich intensiv mit französischer Malerei auseinandergesetzt und hoffte, ihre in Prag nicht mehr realisierbare künstlerische Arbeit in Paris fortsetzen zu können. Ihre schriftlichen Gesuche in Frankreich blieben erfolglos, und als ihre Situation mit dem Einmarsch der deutschen Truppen im März 1939 lebensbedrohlich wurde, schloß sie sich der Thomas-Mann-Gruppe unter Wilhelm Sternfeld an, die Flüchtlinge über Polen nach England rettete. 6 Im Mai 1939 ging sie mit einer weiteren Frau und einem Kind zu Fuß und ohne Gepäck, jedoch mit Schwarzweißfotografien ihrer Gemälde, illegal über die polnische Grenze. Hella Guth verband mit England nichts. Auf dem englischen Konsulat in Kattowice, wo sie sich um ein Visum bemühte, bekam sie den Brief einer Frau zu sehen, der ihr ein erstes Gefühl von ihrem Exilland gab. Es war das durch die Thomas-Mann-Gruppe in London veranlaßte Schreiben einer ihr unbekannten Honourable Diana Croft, die sich bei dem englischen Konsul für sie einsetzte: »Was mich zuerst getroffen hat, war dieser knappe Stil, ohne Verzierungen, einfach, klar. Nur ein Satz. Sie spricht erst von allgemeinen Sachen, um nicht gleich ins Fettnäpfchen zu treten, und dann so wie ein afterthought: >1 wanted to mention Mrs. Guth is a painter and at present at Kattowicenice day, isn't it?1 have to catch my train.< Es war überhaupt ein Kontakt nicht möglich, und es hat mich über alle Maßen und zu Unrecht verstört.« 11 Kontakte zu einflußreichen Engländern herzustellen, um mit Aufträgen für künstlerische oder angewandte Arbeiten Boden unter den Füßen zu gewinnen, war demütigend. Hella Guth wollte sich bei Diana Croft, deren Brief ihr in Kattowice geholfen hatte, persönlich bedanken, aber diese war nicht interessiert, die Künstlerin näher kennenzulernen. Sie ging mit ihren Prager gebrauchsgraphischen Arbeiten zu Werbeagenturen und stellte sich vor. Ihr gefiel die direkte Weise vieler englischer Plakate, etwas mitzuteilen, und sie sah zum Beispiel in den Plakaten der Post einen Anknüpfungspunkt zu ihren eigenen angewandten Arbeiten. »Ich fragte nach dem Publicity Chef der Post und hab'ihm gesagt >1 was told you are interested in more modern displays, could I show you my work?«< Entwürfe für Postplakate sind erhalten; ob es zu einer Ausführung kam, kann sie nicht erinnern. Insgesamt erhielt sie wesentlich weniger Aufträge als in Prag. Es fehlten ihr nicht nur Kontakte, sondern oftmals wich das, was sie gelernt hatte, beispielsweise in Typographie an der Wiener Kunstgewerbeschule, von den Sehgewohnheiten ihrer Auftraggeber ab. »Für den Buchumschlag der englischen Capek-Übersetzung 12 habe ich ein Wort anstatt ganz horizontal ein bißchen abfallend gemacht, und das hat der Mann nicht verstanden und mir gesagt, ich soll das lieber horizontal machen.« Als im September 1940 die Bombardierung Londons begann, luden Freunde Hella Guth ein, von North Hampstead, wo sie alleine lebte, in ein Emigrantenwohnheim in Bloomsbury zu ziehen. Zu der Angst um ihre Familie und um Freunde, die die Tschechoslowakei nicht mehr hatten verlassen können, kam die Unklarheit, was bei einer möglichen Invasion der Deutschen mit ihr selbst geschehen würde. Sie war während dieser Zeit außerstande, an Bildern zu arbeiten. »So wie ich später Keramik gemacht habe zu meiner Nervenberuhigung, so habe ich während der Bombenangriffe Kostümentwürfe gezeichnet.« Als die Zerstörung Londons in ihrer unmittelbaren Nähe begann, zog sie auf das Land und heiratete Otto Eisner, der in Sommerset in einer landwirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaft nicht internierter Emigranten lebte, die als »war effort« die Bevölkerung unterstützten. Sowohl die Heirat als auch das Leben im Kollektiv waren eine Reaktion auf die äußere Bedrohung und entsprachen nicht ihren eigentlichen Bedürfnissen. Hella Guth löste sich nach kurzer Zeit aus der Bindung zu Eisner und der Gemeinschaft von Emigranten und kehrte allein nach London zurück. Da sich weder durch freie noch durch ihre angewandte künstlerische Arbeit ausreichend Verdienstmöglichkeiten ergeben hatten, bewarb sie sich bei einer Firma als technische Zeichnerin. Sie wurde abgelehnt mit der Begründung, daß Ausländer, auch »friendly aliens« wie sie, in Kriegszeiten nicht in industriellen Betrieben arbeiten könnten. Hella Guth nahm daraufhin die Stelle einer Kellnerin im Regent Palace Hotel an. »Die Snobs fanden das

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gräßlich, daß ich das getan habe. Damals war das shocking und ich habe darüber nicht gesprochen. Quel horreur. Und da haben sie mich herausgeholt, einer von der tschechischen Exilregierung ist gekommen und hat gesagt, ich soll meine Zeit nicht verschwenden als Kellnerin, ich soll malen.« Von 1942 bis 1943 konnte Hella Guth als Stipendiatin der tschechischen Kulturbehörde ohne finanzielle Bedrängnis malen. Die Kulturbehörde stellte die in dieser Zeit entstandenen Bilder 1943 im Czech Institute, London, und im Scottish Czech House, Edinburgh, aus und kaufte eines der Bilder an. Besuche in der Fayencensammlung des Victoria and Albert Museum regten Hella Guth dazu an, selbst mit Keramik zu arbeiten. Während ihres Stipendiums nahm sie Unterricht in Keramikklassen an der Camberwell School of Arts and Crafts und an der St Martins School of Art. Ihr Lehrer in Camberwell war sehr aufgeschlossen und interessierte sich für ihre Arbeiten und ihren Hintergrund. An der St Martins School dagegen schien alles verkehrt, was Hella Guth formte. Eine Maske, deren Augen und Mund als Ausdruck von Verzweiflung aufgerissen sind, war der Lehrerin »zu kontinental« und sie fragte die Künstlerin, warum eigentlich alles von ihr immer so tragisch sei.13 (Abb. 2, S. 62) »Die machten die herkömmlichen Sachen. Das kann man machen, wenn man dort aufgewachsen ist. Ich war 30, ich konnte mich nicht mehr ändern. Es lag nicht in meiner Macht. Ich habe noch einen teapot gemacht, aber nicht mehr abgeholt. So fed up.« Während dieser Zeit teilte sie eine Wohnung mit Dora Diamant, der letzten Lebensgefährtin Franz Kafkas (die zu Hella Guth den klugen Satz sagte: »Die Frau ist ein Teppich, über den der Mann geht.«) Dora Diamant war dabei, im East End ein kleines Restaurant mit jiddischer Küche einzurichten, das Hella Guth mit folkloristischen Ornamenten ausmalte. Die gemeinsame Wohnung wurde durch eine Bombe während der deutschen Angriffe auf London zerstört. Bilder wurden von den Glassplittern der Atelierfenster beschädigt. Hella Guth dekorierte nicht nur Dora Diamants Restaurant, sondern renovierte mit Meyer Zelniker das jiddische Theater »Grand Palais« und malte das Bühnenbild für einen Club in West Hampstead, in dem Emigranten ein Stück aufführten. »Ich habe das improvisiert mit Paravents und Kisten und die Paravents ein bißchen angeschmiert und die Kisten einfach mit Decken überworfen und so und Lämpchen, und das hat eine zauberhafte Stimmung gegeben, das hat eine so gute Stimmung gegeben, daß der Vorhang aufgegangen ist und es war noch niemand auf der Szene, da haben die Leute applaudiert.« 1945 ging die Künstlerin zu der Ankäuferin des großen Londoner Kaufhauses Harrods, um handbemalte Halstücher anzubieten. »Damals war nicht viel zu kaufen und wenn die Leute etwas Nettes gebraucht haben, dann war das sehr willkommen. Und ich habe ein Tuch riskiert, Stoff mit einem Alphabet, nur mit Buchstaben bemalt, und die Ankäuferin hat das genommen. Sie sagte: >This is more for children, could you do something else?< Da habe ich ein paar

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Vorschläge gemacht. >Alright!< Aber ersteinmal, wie sie das Alphabet gekauft hat, habe ich mich mit Lotti auf den Zug gesetzt und wir sind nach Cornwall gefahren.« Hella Guth fertigte bis 1947, als sich die Industrie wieder auf Friedenszeiten umgestellt hatte, buntbemalte Tücher für Harrods an. Ihre Tücher fanden guten Absatz, und sie verdiente daran genügend, um malen zu können. »Solange ich etwas hatte, das mich am Leben erhielt, habe ich mich weiter nicht gekümmert.« Neben den Ausstellungen am Czech Institute zeigte Hella Guth 1945 eine Auswahl ihrer Bilder im Londoner Eisobar Club und nahm 1947 mit einem Bild an einer Gruppenausstellung der Ben Uri Art Gallery teil, verkaufte jedoch in keiner der beiden Ausstellungen. Sie hatte keinen Galeristen, der sie vertrat. Das einzige Angebot war das eines Belgiers, der ihr zunächst mitteilte, ihre Bilder seien gut, aber die Engländer würden sie nicht verstehen, und ihr dann sagte, er könnte ihre Bilder zeigen, sofern sie die Kosten selbst übernehme. Eine Galeristin, Erika Brausen, formulierte es noch grober: »You can't do that kind of stuff here. Go to Paris, have success, and then you can come back.« »So I went«, sagt Hella Guth. Ihre erste Reise auf den Kontinent machte sie 1947 als englische Staatsbürgerin mit ihrem zweiten Mann Frank Popper, den sie im selben Jahr geheiratet hatte. Popper war in Wien aufgewachsen, und beide drängte es, ihre Heimatstädte wiederzusehen. Weder ihre Mutter, noch ihre Schwester hatten überlebt. Ihrem Bruder war kurz vor Kriegsende die Flucht aus dem Konzentrationslager gelungen. Im Keller ihres Elternhauses fand Hella Guth das, was von der Zerstörung übrig geblieben war: die Holzstöcke ihres Mappenwerkes zur Dreigroschenoper}* In den folgenden Jahren machte sie mit Frank Popper ausgedehnte Reisen auf dem Kontinent, insbesondere nach Italien, wo er als Agent für ein englisches Reisebüro Routen ausarbeitete und sie Landschaften und Städte zeichnete. Auf der Durchreise blieben sie jedes Jahr längere Zeit in Rom und in Paris. 1951 mieteten sie in Paris ein kleines Atelier, in dem Hella Guth erste abstrakte Bilder malte. 1952 besuchte die Pariser Galeristin Jeanette Vivet Hella Guth in ihrem Atelier und bot ihr an, ihre Arbeiten noch im selben Jahr auszustellen. 1955 entschlossen sich Hella Guth und Frank Popper, ihre Londoner Wohnung aufzugeben und ihren Wohnsitz nach Paris zu verlegen. II Hella Guths Londoner Werk in die zeitgenössische Stilgeschichte einzuordnen, ist nicht ohne weiteres möglich. Viele Gemälde stehen einer kunsthistorischen Bearbeitung nicht mehr zur Verfügung. Hella Guth verschenkte Londoner Bilder noch in England, verlor einen Teil des Werkes in Amerika, wohin ein fragwürdiger Händler die Arbeiten nahm und mit ihnen verschwand, und in den achtziger Jahren verkaufte ein Pariser Händler einige Londoner Bilder auf dem Flohmarkt. Die nicht ausreichend stattgefundene

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Rezeption der Bilder während des Exils wirkte sich auf die Erhaltung der Arbeiten in den Jahren nach dem Exil aus. »Sie sind nicht verloren gegangen, aber ich hab' sie einfach gehen lassen.« Der Großteil der Londoner Bildentwurfsskizzen ist bewahrt und befindet sich im Besitz der Künstlerin. Es sind Zeichnungen auf fragilen Papieren, deren Beschaffenheit und Erhaltungszustand die materielle Not der Entstehungszeit ausdrücken. Auf einer Bleistiftzeichnung, undatiert und ohne Titel, liegt eine Frau in einem Netz. Das Netz ist um ihre Beine geschlungen und zusammen mit ihren Füßen an Pfähle gebunden. Ihre Arme sind frei. Sie hält sie stützend hinter dem Kopf angewinkelt. (Abb. 3, S. 63) »Ja, da ist ein Netz. Eine Hängematte oder soetwas. Eine Figur drin.« Eine Hängematte ist luftig leicht, man schaukelt entspannt und ist es doch nicht, denn das Unsichere der behelfsmäßigen Behausung kann sich umkehren in Fesselung. Die Künstlerin läßt offen, ob es ein Netz ist oder eine Hängematte, und beantwortet mit dieser Haltung auch die Fragen zur Situation ihres Exils. Sie war darin beides: gefangen und aufgefangen, gebunden und gehalten. Ein Dasein voller Einschränkungen, aber, wie bei der Figur im Netz, mit einem klar aufgerichteten Kopf und Armen, die sich selbst stützen. Ein häufig wiederkehrendes Motiv in Hella Guths Zeichnungen ist ein entwurzelter Baum. Auf einem Halstuchentwurf für Harrods tragen Äste kleine rote Blüten. Eine dekorative, angewandte Arbeit, die eigentlich keiner besonderen Erwähnung bedarf. Sie ist aber als Aussage zu der Exilsituation der Künstlerin genauso wichtig wie der entwurzelte Baum. Denn der Textilentwurf dokumentiert, daß Hella Guth sich auf die Veränderungen eingelassen hatte, er dokumentiert, wovon sie sich ernährte und sich zum Beispiel ermöglichte, einmal London für ein Wochenende zu verlassen und an die Küste zu fahren, wo freie, gelöste Tuschezeichnungen von Fischerdörfern entstanden. III In den Zeichnungen von Cornwall zeigt sich der Dialog von Abstraktion und Landschaft, der für die englische Kunst der vierziger und fünfziger Jahre charakteristisch ist. Bei Kriegsausbruch hatten die Avantgardekünstler Barbara Hepworth und Ben Nicholson in Cornwall im Fischerdorf St. Ives Refugium gesucht und eine Künstlerkolonie gegründet. 15 Während der Kriegsjahre entstand hier eine Malerei, die Tendenzen der Moderne mit regionalen Traditionen verband. Hella Guths Exilkunst jedoch an der zeitgenössischen Avantgarde zu messen, wäre wenig ergebnisreich: Englands Avantgarde der vierziger Jahre war nicht international ausgerichtet. Es herrschten keine offenen Strukturen, in die eine Emigrantin hätte eindringen können. 16 An einen Studienaufenthalt in der Künstlerkolonie St. Ives zum Beispiel, der sie hätte prägen und fördern können, war für sie nicht zu denken. Ihre Arbeiten also an den Arbeiten der Besten zu messen, hieße annehmen, ihr wären im Exil Bedingungen gegeben gewesen, die nötig sind, um herausragend zu sein.17

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IV Lebens- und Arbeitsbedingungen einer Künstlerin im Londoner Exil wurden von Robert Neumann bereits 1939 in seiner Erzählung Marcus - oder die Emigration mit der Gestalt der Architektin Sonnenschein beschrieben 18 : »Und nach einer winzigen Warteweile, um ein winziges nur blasser leuchtend, hatte sie gesagt: um so besser! Dann gebe ich eben Sprachlektionen, Französisch, Deutsch! Und hatte dann gesagt: um so besser! Dann geh' ich als Nurse zu Kindern! Es war inzwischen nur eine winzige Anzahl solcher Umsobesser über sie hinweggeglitten und hatte sie schlanker und im halben Lichte jünger aussehend gemacht. Sie war eigentlich in letzter Zeit mit der Kunst des Handschuhnähens beschäftigt gewesen in ihrem Zimmer. Und sie hatte schon fünf Paar verkauft in jenem Monat, da es doch schöne und mutige Handschuhe waren, entworfen von einer Künstlerin. Auch deutsche Kuchen konnte sie backen, wenn einer etwa deutsche Kuchen bestellten wollte.« Der Vergleich mit Künstlerbiographien im Ausstellungskatalog Kunst im Exil in Großbritannien 1933-194519 zeigt, daß Hella Guth und die fiktive Architektin Sonnenschein - die so fiktiv nicht ist: die Malerin Hilde Goldschmidt verdiente sich ihren Lebensunterhalt in London zeitweise mit dem Nähen von Handschuhen - keine Einzelschicksale waren, sondern daß so, oder so ähnlich, die Situation der meisten Exilkünstler in London war. Hella Guths weiterer Weg in Paris macht deutlich, daß sie unter selbst gewählten Bedingungen und in einer international zusammengesetzten Kunstszene, in der sie nicht mehr in erster Linie Exilkünstlerin war, wesentlich mehr Erfolg hatte und sich, wie sie es selbst formuliert, befreit fühlte. Die einzige museale Rezeption ihrer Londoner Exilkunst fand 1989 mit dem Ankauf ihres Gemäldes Harvest von 1943 durch das Jüdische Museum Rendsburg statt. Dieses Museum hat es sich zur Aufgabe gemacht, »den Ausfall an künstlerischen Leistungen« aufgrund der Verfolgung von Künstlern durch die Nationalsozialisten zu veranschaulichen.20 Das Spezifische der Exilkunst geht verloren, wenn Einzelstücke aus einem Werk herausgebrochen werden, um auf diese Weise einen Leistungsausfall für die deutsche Kultur zu belegen. Die deutsche kulturelle Leistungsbilanz interessiert Hella Guth vermutlich wenig. Die Vielschichtigkeit, die in den Erinnerungen und Selbsteinschätzungen der Künstlerin zum Ausdruck kommt, verbietet es, das Werk in Kategorien zu vereinnahmen, die uns nicht mit ihrem Erleben des Exils in Berührung bringen.

1 Vgl. Hansjörg Schneider »Exil in der Tschechoslowakei«. In: Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und Palästina; Bd. 5 der Reihe: Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945. Leipzig 1980, S. 73 f. Hella Guth war an S T U D I O 34 nicht als Kommunistin, wie Schneider schreibt, sondern als parteilose Künstlerin beteiligt. - 2 Die Beschäftigung mit Hella Guth in Deutschland begann 1986 durch die Initiative der Bielefelder Kunsthistorikerin Irene Below: Irene Below: »Im Depot. Künstlerinnen des20ten Jahrhunderts in der Kunsthalle Bielefeld«. In: Kritische Berichte 1/1988, S. 65-74; Irene Below: »Vielheit und

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Ganzheit. Zu Leben und Werk von Hella Guth«. In: Hella Guth. Malerei aus fünf Jahrzehnten. Ausst. Kat. Galerie Sfeir-Semmler, Kiel 1989; Irene Below: »Quel travail le passe. Erfahrungen und Irritationen in der Zusammenarbeit mit Hella Guth«. In: Ich bin nicht ich wenn ich sehe. Dialoge, Ästhetische Praxis von Kunst und Wissenschaft von Frauen. Berlin 1991; Moya Tönnies: »Kunst von Frauen ans Licht gebracht. Konservatorische Überlegungen zu den Zeichnungen von Hella Guth«. Ebd.; Irene Below. »Hella Guth. Collagen aus dreißig Jahren«. In: Feministische Studien, 10. Jg./1992. Eine größere Wahrnehmung der Künstlerin und Museumsankäufe folgten den Ausstellungen der Galerie Sfeir-Semmler, Kiel 1989 und der Kieler Kunsthalle 1991. - 3 Als Beispiel kann dienen: Francis Spalding: British Art Since 1900. London 1986, S. 107 ff. - 4 Gerhard Hirschfeld (Hg.): Exile in Great Britain. Refugees from Hitler's Germany. London 1984, S. 196. - 5 Joseph Paul Hodin: Ludwig Meidner. Seine Kunst, seine Persönlichkeit, seine Zeit. Darmstadt 1973. - 6 Die Thomas-Mann-Gmppe half in erster Linie deutschen Schriftstellern in Prag bei ihrer Flucht nach England. Vgl. Werner Röder und Herbert Strauss: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. München, New York, London, Paris 1980, Bd. 2, (Wilhelm Sternfeld), S. 1129. - 7 Wilhelm Sternfeld, der zusammen mit Bemard Menne der Thomas-Mann-Gruppe vorstand, unterstützte Hella Guth noch in den siebziger Jahren, indem er ihr regelmäßig eine »Künstlergabe« des Südwestdeutschen Rundfunks zukommen ließ (»Sternchen hat mich bemuttert«). - 8 Ihre Beobachtung, daß männliche Künstler und Wissenschaftler schonender behandelt wurden als Frauen der selben Berufe, bezieht sich auf den Czech Refugee Trust Fund, von dem sie eine wöchentliche Unterstützung erhielt. (C.R.T.F.: Erweiterung des 1938 gegründeten British Committee for Refugees from C.S.R., 1939 eingerichtete Hilfsorganisation aus Spenden der britischen Regierung als Kompensation für das Münchner Abkommen). - 9 Lebens- und Arbeitsbedingungen deutscher Emigrantinnen in Prag beschreibt Alice Rühle Gerstel: Der Umbruch oder Hanna und die Freiheit. Frankfurt/M. 1984; Andere Länder vgl. Gabriele Kreis: Frauen im Exil. Dichtung und Wirklichkeit. Düsseldorf 1984; Andreas Lixl-Purcell (Hg.): Women in Exile. German-jewish autobiographies since 1933, contributions in women studies. New York 1988; Wolfgang Benz (Hg.): Das Exil der kleinen Leute. Alltagserfahrung deutscher Juden in der Emigration. München 1991. - 10 Das Aquarell stellt eine Wohnküche dar, in der die Künstlerin arbeitete und schlief. - 1 1 Sir Herbert Read (1893-1968) gilt als bedeutendster englischer Kunstkritiker und erscheint in Lexika als »The Pope of Modern Art«. Hella Guth erfuhr später, daß Read als einer der wenigen Förderer kontinentaler Kunst öfter emigrierte Künstler aufsuchte und sofern sie nicht Repräsentanten des von ihm derzeit gerade begünstigten kontinentalen Stils waren, durch seinen Autoritätsanspruch einschüchterte (und damit behinderte). - 12 Karel Capck:An Atomic Phantasy, erschienen bei George Allen & Unwin. o. O., o. J. - 13 Die Aufforderung der Engländerin an Hella Guth, weniger »tragisch« zu sein, erinnert an Alfred Kerrs bissigen Aufruf an Londoner Emigranten, die sich nach seiner Beobachtung »durch das Fernsein der durchschnittsenglischen Wurstruhe (...) scharf von der eingeborenen Umwelt abheben«, »dem Landesbrauch entgegenzukommen«, um durch »ein wenigstens im Versuch hoffendes Außenwesen (...) die Kraft ihrer Verteidiger zu stärken«. Alfred Kerr: »Abnutzung des Gefühls«. In: Aufbau, 16/1940, zitiert in: Egon Schwarz u.a. (Hg.): Verbannung. Aufzeichnungen deutscher Schriftsteller im Exil. Hamburg 1964. - 14 Der Holzschnittzyklus wurde von den Original-Druckstöcken durch die Galeristin Andree Sfeir-Semmler neu herausgegeben (Kiel 1989). - 15 Vgl. Tom Cross: Painting the Warmth ofthe Sun. St. IvesArtists 1939-1975. Guilford 1984. - 16 Joseph Paul Hodin, der sich jahrzehntelang vergeblich bemühte, Exilkünstler dem englischen Publikum als »Continental British School of Art« nahezubringen, ging irgendwann dazu über, der Täte Galery Werke kontinentaler Künstler zu schenken, wissend, daß sie sofort im Depot landen würden, aber mit der Idee, daß auf diese Weise ihr Name im Erwerbungskatalog auftaucht und sie damit vor dem völligen Vergessen bewahrt sind. (Gespräch mit Hodin, London, Mai 1989). - 17 Die Frage, warum es nur so wenige große Exilkünstler gegeben hat, läßt eine analoge Problemlage zur Situation weiblicher Künstler erkennen, die Linda Nochlin 1971 in ihrem bahnbrechenden Aufsatz mit der rhetorischen Titelfrage »Why have there been no great woman artists« behandelt hat, in: Woman, Art, and Power. New York 1989. - 18 Robert Neumann: »Markus - oder die Emigration«. In: An den Wassern von Babylon. Stuttgart 1987, S. 226. - 1 9 Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Hg.): Kunst im Exil in Großbritannien 1933-1945. Berlin 1986, S. 111 ff. 20 Eva Rühmkorf, Vorwort zum Ausstellungskatalog, Jüdisches Museum Rendsburg 1988, S. 5. Das Museumskonzept löste eine größere Kontroverse aus: Uwe Danker u.a. (Hg.): Streitfall Kunst - Geschichte. Jüdisches Museum Rendsburg. Kiel 1991. Für die Abdruckgenehmigung des Fotos, der Maske und der Zeichnung danken wir Hella Guth.

Cordula Frowein

Die verfemte Kunst im Exil - Kunsthandel und Nationalsozialismus Das Schicksal der modernen Kunst am Beispiel der Sammlung Ludwig und Rosy Fischer

Die Sammlung Ludwig und Rosy Fischer ist eine der wenigen bedeutenden Privatsammlungen expressionistischer Kunst, die zu einem großen Teil über die Zeit des Nationalsozialismus gerettet werden konnte. Die Familie des jüngeren Sohnes, Ernst Fischer, konnte den von ihm geerbten Teil der Sammlung mit mehr als 250 Werken 1934 in die Emigration in die USA mitnehmen und bis heute fast vollständig erhalten. Der älteste Sohn der Sammler, Max Fischer, verkaufte fast sein gesamtes Erbe vor seiner Emigration 1938. Eine Kollektion von 24 Spitzenwerken aus der Sammlung, die Rosy Fischer 1924 an das Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle verkauft hatte, fiel 1937 fast vollständig der Beschlagnahme durch die Nationalsozialisten zum Opfer. Viele der Werke wurden in der Ausstellung »Entartete Kunst« zur Schau gestellt und danach durch den offiziellen Kunsthandel der Nazis gegen Devisen ins Ausland verkauft. Die Geschichte der Sammlung Fischer spiegelt das Schicksal der Moderne in Deutschland. Die Odyssee der Werke moderner Kunst, das Schicksal ihrer jüdischen Sammler und Mäzene und der Handel mit der verfemten Kunst - ein wichtiger Aspekt des Themas Kunst im Exil - sind von der Exilforschung wenig beachtet worden. Die Aufarbeitung der Geschichte der Sammlung Fischer steht als Beispiel für einen Versuch, diese Lücke zu schließen. Die Sammlung Fischer — zur Bedeutung der ursprünglichen Sammlung Die Sammlung Fischer konnte in der Ausstellung »Expressionismus und Exil. Die Sammlung Ludwig und Rosy Fischer Frankfurt am Main« im Jüdischen Museum Frankfurt 1990 zu einem bedeutenden Teil rekonstruiert werden. 1 Die Photographien des Speisezimmers von Ludwig und Rosy Fischer aus dem Jahr 1923 geben eine Vorstellung von der ursprünglichen Sammlung. Die Wände des Zimmers sind dicht an dicht mit Gemälden Ernst Ludwig Kirchners bedeckt. (Abb. 1, S. 64) Sie zeigen die Dominanz seines Werkes in der Sammlung. Die Fischers erkannten schon früh die Bedeutung dieses Künstlers und der damals noch heftig umstrittenen expressionistischen Kunstbewegung. Sie konzentrierten sich in der Sammlung auf die Hauptwerke Kirchners und der anderen Expressionisten und gaben sogar einem so provokanten Gemälde wie Gelbe Tänzerin (1913/14) einen zentralen Platz in ihrem Eßzimmer. Die progressive Sammeltätigkeit von Ludwig und Rosy Fischer wird

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noch unterstrichen durch den Kontrast zwischen den zeitgenössischen Kunstwerken und dem im Gründerzeitstil möblierten Speisezimmer. Ludwig und Rosy Fischer verkörperten einen neuen Sammlertyp, der sich unmittelbar mit der zeitgenössischen Avantgarde identifizierte, die Positionen ihrer Protagonisten teilte und sich somit selbst am kreativen Prozeß beteiligte.2 Ab 1913 hatten sich Rosy und Ludwig Fischer ausschließlich der »Kunstrevolte Expressionismus« zugewandt. In der Regel waren die Kunstwerke, die sie kauften, nicht älter als drei bis fünf Jahre. Gerade diese Zeitbezogenheit 3 gibt der Sammlung Ludwig und Rosy Fischer ihren außergewöhnlichen Charakter. Der Zeitbezug spiegelt sich auch in den thematischen Schwerpunkten wider: Die vielen Porträts von Künstlern, Literaten und bekannten Zeitgenossen des kulturellen Lebens geben Zeugnis von dem Leben in der Großstadt in seiner Vielschichtigkeit. Landschaftsbilder, Badeszenen, naturmythische Akte bilden zusammen mit Tierdarstellungen einen weiteren Schwerpunkt.4 Die politische und soziale Dimension, als Konsequenz der Katastrophenerfahrung des Ersten Weltkriegs, wird von den Expressionisten der 2. Generation reflektiert. Conrad Felixmüller steht in der Sammlung Fischer für diese Strömung. Nach dem Tod von Ludwig Fischer, im Jahre 1922, realisierte Rosy Fischer das Vorhaben der Fischers, den Kern ihrer Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 1924 verkaufte sie 24 Spitzengemälde aus der Sammlung an das Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle. Nach ihrem frühen Tod 1926 wurde die verbliebene Sammlung zwischen den beiden Söhnen geteilt. Die unterschiedliche Geschichte der beiden Sammlungsteile war nicht nur durch die politischen Umstände bestimmt, sondern auch durch den unterschiedlichen Umgang der Söhne mit ihrem Erbe. Ernst und Max Fischer waren in einer Atmosphäre geistiger Unabhängigkeit und gesellschaftlichen Selbstbewußtseins ausgewachsen, wie sie durch ihr Elternhaus repräsentiert wurde. 5 Sie wurden »ohne die Bindung an strenge Regeln und offen gegenüber allem, was von intellektuellem, wissenschaftlichem und künstlerischem Interesse war«6, erzogen. Während Ernst Fischer sich unter dem Einfluß des Rechtsphilosophen Leonard Nelson, dessen sozialistischer Studentengruppe er sich während seines Medizinstudiums anschloß, zum engagierten politisch denkenden Menschen entwickelte, war sein Bruder Max, der Publizistik studierte und als Journalist arbeitete, in seinen politischen Ansichten eher konservativ und trat zum Katholizismus über. Ernst Fischer verlor wie alle jüdischen Akademiker nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten seine Stelle als Privatdozent am Institut für Animalische Physiologie an der Universität Frankfurt am Main. Er emigrierte 1934 - nach einem kurzen beruflichen Aufenthalt in Plymouth - nach Rochester im Staate New York, wo er eine Anstellung an der Medical School der Universität fand. Ernst Fischers Familie, seine Frau Anne und die beiden Kinder George und Eva, brachten 1934 von Frankfurt aus die Sammlung als Teil des Umzugsgutes der Familie in die USA. Als Max Fischer 1938 in die

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USA emigrierte, nahm er wohl nur die wenigen Werke mit, die noch in seinem Besitz waren. Er hatte »als die Nazis an die Macht kamen, nicht geglaubt, daß das Regime sich halten würde. Er war ein großer Patriot und hat deshalb seine Emigration nicht vor 1938 betrieben.« 7 Die Ernst und Anne Fischer Collection in USA Ernst und Anne Fischer haben die Sammlung erhalten, weil Ernst Fischer an der Kunst hing, mit der er aufgewachsen war. Er hat sie zu seinen Lebzeiten als Besitz betrachtet, der der Familie erhalten werden sollte. Während viele Privatsammlungen im Exil aus Gründen finanzieller Not verkauft und danach zerstreut wurden, ermöglichte nicht zuletzt auch Ernst Fischers feste Anstellung als Mediziner an amerikanischen Universitäten, die Sammlung zu erhalten. Lediglich in den fünfziger Jahren, als sich seine finanzielle Situation verschlechterte, verkaufte er vier Gemälde von Kirchner. Anne Fischer hat nach dem Tod Ernst Fischers im Februar 1981 zusammen mit ihren Kindern die Sammlung zusammengehalten. Wie sehr sich Anne Fischer für die Sammlung engagiert, geht aus einem Brief an die Autorin hervor, in dem sie schreibt: »Ihr Vorschlag, im Jüdischen Museum in Frankfurt eine Ausstellung der Sammlung Ludwig und Rosy Fischer zu veranstalten, hat mich tief gerührt. Wie für Sie, so ist auch für mich der Gedanke bedeutungsvoll, daß diese Sammlung von zeitgenössischer Kunst, die einst aus ihrem Heimatort vertrieben wurde, zurückkehrt und sich im neuen Jüdischen Museum zeigen darf - nun nicht mehr als >entartetMenschen< redeten, nicht wirklich >Maler< wie van Gogh oder El Greco, deren Werke in den Kunstbüchern im Wohnzimmer waren.« In der Emigration »war sofort alles anders. Wie die meisten Emigranten-

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kinder wollte ich amerikanischer sein als die Amerikaner. Jedoch war das Innere unseres Hauses anders als das unserer Freunde, und das hat mich in Verlegenheit gebracht. Die Tatsache, daß wir >anders< waren und daß ich mehr wie >sie< sein wollte, gab dem üblichen Eltern-Kind-Konflikt einen extra Geschmack. Ich mußte erst ein Erwachsener werden, um die historische Bedeutung der Kunstsammlung zu erkennen.« 9 Für Eva Fischer Marx war die Kunstsammlung ein Bestandteil des Hauses, an den man sich wie an Möbel gewöhnt hatte. »Die Kunst wurde besonders wahrgenommen, wenn Besucher kamen und fragten >Wer ist der Künstler in der Familie?< Als ich einmal in der Grundschule den Stil eines Gemäldes imitierte, machte sich die Kunstlehrerin über die schwarzen Umrißlinien lustig; >Schau um dich, nichts hat schwarze UmrißlinienEntartete Kunst< gezeigt und 1939 als ausländisches Eigentum< Frau Lissitzky zurückgegeben wurde. Das Bild der Sammlung Fischer ist nicht beschlagnahmt worden, es war auch nicht auf der Ausstellung >Entartete KunstEntartete KunstDegenerate artentarteter< Kunst«. In. Alfred Flechtheim. Sammler. Kunsthändler. Verleger. Ausst. Kat. Kunstmuseum Düsseldorf. Düsseldorf 1987, S. 100 ff. - 28 Ebd., S. 101, Anm. 1: Hans Kahns an das Volksbildungsministerium der D D R , 14.4.1950, Stadtarchiv Halle, Centraibüro, 321^/4-IH, Bl. 138. - 29 Ebd., S. 101, Anm. 2: Eberhard Roters: Galerie Ferdinand Möller. Die Geschichte einer Galerie für Moderne Kunst in Deutschland 1917-1956. Berlin 1984, S. 176. - 30 Ebd., S. 101, Anm. 3: Peter Sager »Die Täter. Der arische Blick.« In: Zeit-Magazin Nr. 26, 19.6.1987, S. 14. - 31 Das erste Internationale Symposium zum Thema Kunsthandel und Nationalsozialismus im Mai 1994 soll die Verflechtungen von Kunsthandel und Kulturpolitik im Nationalsozialismus erstmals zusammenhängend untersuchen und kritisch zur Diskussion bringen. Unser Anliegen ist es, durch die Auseinandersetzung mit dem Kunsthandel dieser Periode einen tieferen Einblick in das Gesamtphänomen Kunst und Kulturpolitik zu ermöglichen. Die Untersuchungen werden sich auf den Zeitraum 1920 bis 1950 beziehen, um die Zusammenhänge zwischen den Entwicklungen vor, während und nach der Zeit des Nationalsozialismus darzustellen. Das Symposium wird an historischem Ort, im Schloß Niederschönhausen in Berlin, stattfinden, wo von 1938 bis 1941 die »verwertbaren« Werke des beschlagnahmten Museumsbesitzes lagerten. Gleichzeitig wird in den Räumen des Schlosses eine Dokumentationsausstellung mit Fotos der gelagerten Werke und Kopien von Akten installiert. Text zum Symposium: Kunsthandel und Nationalsozialismus. Verflechtungen von Kunsthandel und Kulturpolitik in der Zeit von 1920 bis 1950. Internationales Symposium, Mai 1994, Schloß Niederschönhausen in Berlin. Adresse: Dr. Cordula Frowein, Basaltstr. 25, 6000 Frankfurt am Main 90, Tel. 069/775948.

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Julius Posener à L'Architecture d'Aujourd'hui: un regard parisien sur l'architecture allemande des années 30

Dans la circulation des doctrines et des thèmes architecturaux entre la France et l'Allemagne, au cours de cette période extraordinairement féconde et contradictoire qu'est l'entre-deux-guerres, le rôle de certains »passeurs« est fondamental, qu'il s'agisse de critiques, de théoriciens ou d'architectes des deux nationalités.1 Devenu, depuis son retour à Berlin en 1961, la figure majeure de l'histoire de l'architecture moderne en Allemagne, Julius Posener avait tenu dans les années 30 une place de premier plan dans le dispositif des échanges franco-allemands, notamment grâce à sa participation à l'essor de la revue L'Architecture d'aujourd'hui. Ce n'est pas tant, en effet, le travail de dessin que Posener effectuera dans plusieurs agences parisiennes qui lui permettra d'engager sa réflexion personelle sur l'histoire de l'architecture, mais bien sa présence dans la rédaction d'une nouvelle revue née à la fin de 1930 en vue d'offrir enfin une tribune régulière à l'architecture moderne. Né en 1904, Julius Posener étudie à la Technische Hochschule de BerlinCharlottenburg dans l'atelier de Hans Poelzig, figure de proue de l'expressionnisme architectural. 2 Il se rend une première fois en France en 1929, et trouve alors à Paris une place de dessinateur chez Charles Siclis, sur la recommandation de Le Corbusier. 3 Posener découvre ainsi un monde très particulier, dans une agence qui se trouve à côté de la rue Marbeuf. Tout en travaillant pour cet architecte, essentiellement porté par les commandes de Philippe de Rothschild, et que Guillaume Janneau juge »aussi nettement affranchi des conventions romaines que des superstitions contraires« 4 , Julius Posener commence à expédier à Berlin, sans pour autant écrire d'articles dans la Bauwelt à laquelle il l'adresse, une chronique visuelle de la production parisienne. Il parvient par la suite à trouver une place chez André Lurçat, qui emploie dans son atelier de la rue Bonaparte un petit nombre de jeunes architectes français, comme Pierre Pinsard et Marcel Roux, ou étrangers, comme le Suisse Willi Boesiger et le Roumain Oscar Storonov. La naissance de L'Architecture

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Mais Posener quitte Lurçat, que n'avait guère d'affaires, pour travailler chez Jean-Charles Moreux, car les deux hommes sont alors très liés, tout en poursuivant l'envoi de ses correspondances aux revues allemandes Bauwelt et Die Baugilde. Un beau jour, il rencontre à la galerie Goemans l'architecte Marcel-

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Eugène Cahen, dont les critiques sont publiées depuis plusieurs années par L'Humanité et par la revue d'Henri Barbusse Clarté.5 »Je suis allé rue Bonaparte dans une galerie où il y avait une exposition Jean Arp. C'était en face de chez Lurçat. Et je vois alors un vieux monsieur très distingué, avec la rosette. Je dis: >excusez-moi, ce magasin m'intéresse. Je l'ai vu de l'éxterieur, mais qui est l'architecte?< Il me dit >c'est moi.< C'était Marcel-Eugène Cahen. Il me dit: >pourquoi cette question?< Je réponds: >je travaille pour une série de revues d'architecture allemandes II me dit alors: >voulez-vous faire ce travail dans l'autre sens? Je suis en train de fonder une revue, qui doit s'appeler Construire. Vous m'obligeriez en me permettant de disposer de matériaux allemands.< >Mais oui, magnifique! < Un vrai hasard. Je rentrai à Berlin, mon père mourut en décembre 1929. Par l'intermédiaire de Marcel-Eugène Cahen, j'avais été prendre le thé chez André Bloc. J'étais à peine rentré à Berlin, en janvier ou février 1930, qu'André Bloc m'écrivit qu'il avait la tristesse de m'informer de la mort de Cahen, mais que la revue verrait quand même le jour.« 6 En fait, Posener devient le premier collaborateur d'une revue dans laquelle l'influence des idées d'Auguste Perret est fondamentale, avant même Pierre Vago, élève du maître du béton armé 7 : »Pierre Vago était un élève de Perret. C'est lui qui représentait Perret, en quelque sorte. C'est alors qu'ils se sont aperçus qu'une obscure feuille s'appelait déjà Construire: c'était un journal anti-moderne, qui avait attaqué Le Corbusier et André a changé pour un titre moins expressif, plus neutre, L'Architecture d'Aujourd'hui.« De retour à Berlin d'où il espère pouvoir repartir pour Paris, Posener expédie à Lurçat des photographies de villes allemandes (Stralsund, Bamberg), et quelques Blaue Bûcher, dans l'espoir que ces témoignages »d'un esprit étranger (lui) disent quelque chose; car ça, c'est du vrai allemand, prononcé comme Bach et Holbein« 8 . Mais la mort de son père contraint Posener à rester en Allemagne, où il organise une exposition de ses oeuvres, tout en »rassemblant des matériaux pour Monsieur Cahen«, comme il l'avoue dans ses lettres à Lurçat.9 Posener saisit rapidement la chance que lui donne son rôle de correspondant d'une nouvelle revue qui entend »assurer à l'architecture moderne, et à celle-ci seulement, la publicité qui lui est indispensable«10 pour entrer en contact avec tous les architectes significatifs de Berlin, tout en continuant à préparer un éventuel retour à Paris.11 »J'écrivis à tous les architectes qui comptaient quelque peu alors: Peter Behrens, Erich Mendelsohn, Bruno Taut, mon propre maître Hans Poelzig. Chacun reçut une belle lettre de moi, expliquant combien la revue était importante, combien les rapports entre la France et l'Allemagne comptaient: un beau discours... Et tous ces gens m'ont invité, m'ont donné des documents, et m'ont demandé de choisir ce que je voulais. Ils étaient très contents de cette perspective, et c'est comme cela que j'ai fait leur connaissance, Mendelsohn et tous les autres. J'ai écrit une série d'article sur >L'OEuvre de MendelsohnL'OEuvre de Peter BehrensA propos

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d'une façadeles précurseurs< - un terme insolent, parce que c'était des gens qui avaient leur position propre. Nous nous sommes unis tout de suite sur cette base, Pierre et moi.«15 Posener oppose ainsi en 1932 l'architecture du cinéma »Universum« d'Erich Mendelsohn à celle du cinéma »Capitol« de Hans Poelzig, tous deux

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construits à Berlin, considérant que la spatialité centrale du second est absente du premier: »Poelzig a très bien compris que la vraie salle de cinéma, la salle en longueur, qui se précipite, pour ainsi dire, sur l'écran, n'est plus ce qu'il appelle Raum (espace architectural). Raum, pour Poelzig, c'est la coupole, la tente, l'espace couronné d'un centre surélevé, au dessus des hommes qui le remplissent. Voici pourquoi la salle du >Capitol< n'est pas une salle de cinéma, pas plus que les théâtres baroques que l'on construit en général. (...) Poelzig dissimule le problème du cinéma. Mendelsohn, tout au contraire, s'y précipite. C'est ce problème, qui lui permet de réaliser une conception très personelle, diamétralement opposée au Raum dans le sens de Poelzig. La salle de cinéma doit se concentrer sur l'écran. Toute la salle de Mendelsohn n'est qu'une émanation de la scène; ce n'est qu'une seule saillie, ancrée dans la scène. Elle émet, pour ainsi dire à mi-hauteur, l'anneau en forme de fer-à-cheval du balcon; à la hauteur du plafond elle rayonne cette grande dalle à nervures qu'est le plafond lumineux. (...) Pour nous, élèves de Poelzig, c'est-à-dire du grand maître des théâtres, des intérieurs concentrés, la question, toujours répétée pendant la construction de lUniversum, était: Comment Mendelsohn concevra-t-il une salle de théâtre? La salle de l'Universum était la réponse. Elle n'est pas un Raum. Elle est, esthétiquement, le porte-à-faux le plus puissant que Mendelsohn ait jamais conçu.«16 L'image que Posener donne de l'architecture allemande est cependant loin de se limiter aux seuls modernes, qu'ils soient fonctionnalistes ou expressionnistes. Il célèbre par exemple l'école de Stuttgart, »dont les travaux ont un caractère sympathique, tranquille et propre« en la personne de Paul Bonatz, »un architecte qui ne comprend ni le dogme du toit oblique, ni celui du toit plat dans le paysage, mais dont le sentiment pour les rythmes divers de la vallée, de la montagne et de la plaine est si prononcé qu'il réagit avec efficacité«. Bonatz est l'homme de la »tradition reconquise, dégagée de tout formalisme, archaïque ou moderniste«: »Pour la jeune génération, une personnalité comme Bonatz est d'une valeur très grande. La réaction et le modernisme, ces deux formes de l'esprit utopiste, se disputent notre âme, comme les diables des vieilles chroniques. Quelle consolation alors de voir que le monde nous offre encore quelque chose de plus que cette alternative sèche, qu'il y a une région au-delà des théories et que, vraisemblablement, la création architecturale ne commence que là.«17 La »tribune libre« que Posener publie, toujours en 1932, sur »l'habitation nouvelle« et dans laquelle il renvoie dos à dos les attaques au nom de l'art contre les fonctionnalistes et la simplification que ceux-ci opèrent de la question de l'habitation est sans doute la meilleure manifestation de sa position. Pour Posener, la notion même de »machine à habiter« est une absurdité, dans la mesure où les machines ont nécessairement des objets très précis, ce qui n'est pas le cas de la maison. Il se demande à ce propos réthoriquement

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si »le mot habiter est un terme analogue à ceux précis comme raboter, labourer, marcher?« 18 Ridiculisant les »chaises à combinaison« qui »tracassent à la façon d'un officier prussien«, il distingue le monde de l'»objet«, formé »d'après nos besoins« et celui de l'»outil«, qui »nous aide dans notre travail«. Le numéro spécial consacré en 1932 par L'Architecture d'Aujourd'hui à Perret et auquel Posener ne participe pas, est l'expression des priorités définies pour la revue par Vago. Quelques mois plus tard, présenté comme »un jeune architecte allemand«, Posener donne toutefois son appréciation sur la »balance architecturale, qui nous rend si chère l'oeuvre et la personnalité de Perret«, sans pour autant basculer dans une apologie sans nuance: »Quand j'ai vu pour la première fois Auguste Perret, il m'a semblé qu'il était le type parfait du professeur français, avec sa dignité, son amour pour les formules lapidaires, la largeur de ses idées générales (et les bornes de ces idées, qu'il cultive consciemment), son doctrinarisme même; et je n'étais pas étonné du tout quand, après m'avoir regardé de haut en bas, il me saluait d'un ton où je ne pouvais pas démêler la moquerie, le gracieux et le solennel: > Jeune homme, asseyez-vousla meilleure orientation pour une rue d'habitationprécurseurça reste! style munichois< les cubes blancs, les toits plats des villas et immeubles nouveaux. C'était juste et c'était faux: ce qu'on ne connaissait pas, c'était la critique allemande. Supprimée par les revues, par les administrations mêmes, qui voulaient être >progressistesmachine< des rationalistes. A ce groupe appartiennent tous les plans des jeunes. Nous avons déjà indiqué les petis manques de conséquence que font la différence entre ces plans et leur modèle, la petite maison de la Fuggerei (seizième siècle). L'autre groupe mérite une critique plus sévère: ce sont les plans qui évoquent la Herrenhaus du dix-huitième siècle, sans pourtant égaler son charme. C'est l'ersatz, qui se donne pour l'original modernisé, des plans aussi symétriques et mal commodes que ceux des ancêtres, mais avec des petitesses, des maniérismes, des froideurs qui sont bien actuelles. Il faut dénoncer ce faux dix-huitième, même s'il est pratiqué par un artiste charmant comme Schmitthenner. Le troisième groupe (...) est celui des modernes >obligés d'écrire avec une plume étrangère< (Julius Hoffmann). Ce ne sont pas les moins bons, et leur composition ce caractérise encore sous la nouvelle forme, par un jeu d'espaces, bien connu des plans >d'avant-janvierAh, vous ne comprenez pas ce que c'est, cet enthousiasme, cet idéalismeart nouveau< qui sera l'art de notre époque«. 29 . Posener écrit aussi pour Chantiers, »organe technique« de L'Architecture d'Aujourd'hui, Albert Laprade apparaît dans la rédaction à titre de responsable pour l'»historique«, mais son hostilité de ce dernier à l'égard de Posener ne se démentira pas: »André Bloc a décidé un beau jour qu'il devait donner un Comité de parrainage à la revue. Il s'est tourné vers les noms les plus fameux dans l'architecture: Laprade a donné aussi son accord. Il avait déjà donné à la revue une série d'articles historiques. (...) Laprade écrivit en 1934 à André Bloc une lettre, dans laquelle il disait: >cher Monsieur Bloc, j'ai regardé attentivement le dernier numéro de la revue, qui n'est qu'un tissu d'erreurs.< Il l'a critiqué très violemment et il a dit: >vous devriez écarter de vortre revue tous les collaborateurs qui ont des noms comme Ginsberg ou Lubetkin. Et en ce qui concerne Monsieur Posener, qui écrit depuis plusieurs années sous le nom de Lepage dans la revue, et qui doit s'estimer heureux d'être publié, il ne doit pas avoir l'impudence d'écrire sur l'architecture française à laquelle il ne peut rien comprendre. Et si vous ne suivez pas mon conseil, L'Architecture d'Aujourd'hui sera considéré comme un organe de cette conspiration judéosoviéto-boche, qui s'efforce de ruiner l'artisanant français en faveur de l'Allemagne.< Littéralement! Dans la rédaction, on ne m'appela plus que le >judéo-soviéto-bocheNeue Sachlichkeitc Elle est survenue après une époque d'un romantisme aigu, celle de l'architecture dite dynamique (les Hollandais, Mendelsohn). Elle affiche la lutte contre l'art dans l'architecture; la construction d'après lui, est fonction des besoins qu'elle

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doit satisfaire. Ces besoins sont à développer non pas d'après les standards crées par la coutume, mais d'après l'analyse scientifique. Ses mots sont: fonction et biologie. L'architecte (...) devient homme de science (puisqu'il recherche lui même les bases scientifiques qui guident ses efforts); pédagogue (puisqu'il entreprend la lutte contre la coutume et éduque le public vers de nouvelles conceptions de la vie urbaine); réformateur social (puisque ces nouvelles formes comportent des réformes profondes de notre société); médecin (voir homme de science); industriel (puisqu'il conçoit de nouveaux éléments de construction depuis la poutre en béton préfabriquée jusqu'au meuble métallique); directeur du goût public (puisqu'il veut que ces éléments soient des types, comme ceux qui sont issus, après un développement séculaire, de la pratique des grandes époques); ingénieur (puisqu'il cherche à introduire les méthodes de la technique dans le bâtiment); philosophe et artiste quand même. Il développe d'après toutes ces prémisses les possibilités qu'il y a pour l'art dans une telle architecture. Les éléments de cet art sont: l'interpénétration de l'intérieur et de l'extérieur, le rythme, la répétition des éléments standard, la structure, le matériau, la couleur. Avec ce sytème, l'architecte croit pouvoir réaliser enfin ce rêve qui hante plusieurs générations d'architectes: la création d'une expression de notre temps.«42 En face de la dissolution de l'identité de l'architecte qu'impliquent les thèses de la Saclilichkeit, Posener critique aussi les prétentions de Schmitthenner à faire une architecture »hors du temps« et le »retour intégral« préconisé par les traditionnalistes comme Paul Schulze-Naumburg et Friedrich Ostendorf, auteurs respectivement avec les Kulturarbeiten et les Sechs Bûcher vom Bauen des deux ensembles d'ouvrages majeurs de ce courant43: »C'était bien là le but de tout ce groupe, voire de toute une génération: reprendre l'architecture d'autrefois quand elle était parfaite, sans s'occuper de la correspondance avec nos moeurs ou le caractère de la nation. Les grands siècles français avaient créé un type d'architecture internationale d'une grande beauté. Les style allemand de 1800 n'était qu'un dérivé où les traits nationaux étaient moins marqués que dans toute autre architecture allemande. Ostendorf a eu conscience de cet état de choses. Schulze-Naumburg, par contre, a pris pour allemande une architecture qui ne l'était pas. Il a dû le faire puisque le retour à de véritables architectures nationales est au-delà des possibilités des hommes de notre époque. Mais son erreur s'est perpétuée et tous les architectes en vue du National-socialisme, les Schmitthenner, Troost, etc., pratiquent sous le nom d'architecture allemande une architecture essentiellement internationale. (...) Enfin, le plan de ces maisons est très loin d'être le plan d'une maison bourgeoise de même échelle ou d'une demeure d'une dixhuitième. Les besoins modernes conduisent ces architectes à s'écarter assez visiblement de leurs modèles, même s'ils veulent en garder la forme extérieure.« 44 Devant cette dualité de la culture architecturale allemande, Posener décrit le désarroi d'une jeunesse qu'il associe aux Français du milieu de Vago, plus proches quant à eux de Perret que de Le Corbusier:

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»La raison pure est a priori suspecte à cette jeunesse. Dire: ceci doit servir à telle chose, ce sera donc un outil de telle forme, lui semble juste s'il s'agit de la construction d'une machine, mais inadmissible lorsqu'il s'agit d'une maison. (...) A ces hommes, une définition comme celle de Perret: >une fenêtre, c'est un hommel'oeil qui regarde horizontalement^ Ici, ils ne voient qu'une prétention en jargon scientifique, prétention fausse d'ailleurs, puisque l'oeil ne regarde ni horizontalement, ni verticalement: il ne regarde pas du tout. C'est l'homme, avec toute sa tête et toute sa volonté, qui regarde et qui choisit la façon avec laquelle il veut regarder. Là, ils saisissent une notion poétique, donc claire: notion du droit et du devoir de l'architecte de créer des formes palpaples comme des êtres vivants. C'est ce droit qu'ils réclament. Impossible alors d'admettre la définition de l'architecte et de son activité telle que la donne la Neue Sachlichkeit: artiste qui ne veut pas afficher son métier d'artiste pour l'exercer d'une façon d'autant plus absolue qu'elle n'est plus contrôlée; homme sans érudition technique ni économique, ni biologique qui, pourtant, se mêle de toutes ces choses; rationaliste dont la raison est constamment attirée vers le charme de certaines formules trop vite acquises, voire certaines formes (esthétiques) trop vite conçues; prédicateur de la raison pure et de l'utilité, tandis qu'il n'aspire qu'à la réalisation de l'unité de tous nos gestes dans un style de l'époque machiniste. Cet architecte n'est pas à leur goût. Tout au contraire, ils cherchent à enfermer dans les limites bien visibles la profession qui est en train de se perdre dans l'abstrait; à renouer les liens qui l'attachaient jadis à l'artisanat; à apprendre à apprécier les habitudes comme un facteur important dans la formation de la demeure, au lieu de les réformer d'après l'image d'une nouvelle demeure. Le >tout naturel< devient leur mot d'ordre opposé à la nouveauté choquante des créations modernes.« 45 Pour Posener, les nouveau héros de la jeunesse ne sont autres que Paul Schmitthenner et Heinrich Tessenow, les plus respectés des traditionnalistes. Rappelant que Schmitthenner s'était dressé en 1934 contre la Neue Mittelmàssigkeit, que lui semblait commencer à remplacer la Neue Sachlichkeit, il ne lui ménage pas ses éloges. Les vertus de Heinrich Tessenow, que Posener avait sollicité en 1934 pour obtenir des photographies de sa piscine à Berlin46 ne sont pas moindres: »tout le raffinement« de cet architecte s'exprime, selon Posener, dans la tribune de Tempelhof, mise en scène par son ancien élève Albert Speer pour les rassemblements de la NSDAP. Il apparaît comme »(1') apôtre d'un renouveau de l'artisanat, dont il a connu lui-même la rude pratique, mais d'un artisanat très raffiné. Lyrique, pédagogue et menuisier, il était fait pour dominer une génération en forte opposition contre l'architecture moderne, mais incapable de bien définir ses appréhensions.« 47 Posener présente une jeunesse qui »peu à peu se dégage des débordements« antérieurs, s'il note, c'est bien le moins, que »l'atmosphère du pays n'est pas favorable à une discussion franche et effective«. A titre d'exemple

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des nouvelles orientations des »jeunes modernes modérés, dont l'architecture est devenue beaucoup plus aimable dès qu'il leur fut »permis« de nouveau d'employer des briques, des tuiles, du bois«, il évoque le travail du Hambourgeois Konstanty Gutschow. Posener explique la vigueur des changements enregistrés depuis 1933 en Allemagne par le fait que les forces culturelles critiques envers le fonctionnalisme, étouffées dans l'architecture de la période de Weimar auraient brutalement été libérées: »Ces critiques émanaient surtout de jeunes architectes. Les hommes de la Sachlichkeit furent irrités, mais n'ont pas voulu comprendre. Au lieu d'ouvrir une discussion franche, ils n'ont fait que renforcer une propagande violente jusqu'au moment où ils furent débordés par l'envahissement du nouveau mouvement. Ceci explique le changement brusque de la doctrine. Pour l'étranger, toute une architecture fut mise à l'écart pour qu'une autre, tout à fait contraire, la remplace. En vérité, un mouvement critique essayait en vain, depuis longtemps, de se faire entendre. Au moment du triomphe, il se voyait lui-même entraîné par son allié réactionnaire dont il ne s'était pas assez distancié. Celui-ci se dépêchait de se saisir de l'appareil de propagande existant, d'y ajouter la propagande de lutte que le National-socialisme manie dans tous les domaines avec maîtrise. La situation ne manque pas d'un certain piquant. D'un extrême, on semble passer à l'autre dans l'intervalle de quinze jours; et dans les deux cas, la nation se range, comme un seul homme, derrière le drapeau.«48 En définitive, le bilan proposé par Posener est »globalement positif«, malgré les incertitudes, au point qu'il conteste l'appréciation d'un jeune architecte allemand sur la mauvaise répartition de la commande, assurant que »le côté esthétique, la recherche du style du Troisième Reich est prise très au sérieux dans les milieux influents«. Il considère que le »dualisme« affirmé en Allemagne entre les bâtiments pour lesquels seules les »méthodes nationales« seraient admises et les constructions industrielles pour lesquelles l'usage des matériaux modernes serait permis est au fond »assez franc de la part du National-socialisme«: »11 convient à sa situation; toute son attitude est partagée entre la lutte contre le progrès et son application à outrance. (...) Peut-être ce mouvement est-il venu trop tôt au pouvoir. Il a dû se servir, en politique comme en art, des moyens mêmes qu'il combattait. En politique, la révolution antiparlementaire a triomphé par le parlementarisme le plus légal, en art, la théorie antimachiniste a pu se propager par un effort matériel et mécanique tout à fait >moderneLe bois allemand« au Kochenhof, Stuttgart«. In: L'Architecture d'Aujourd'hui, n" 1, février 1934, p. 46. - 26 Ibid., p. 48. - 27 Pierre Vago, entretien cité. - 28 Ibid. - 29 Pierre Vago: »Programme«. In: L'Architecture d'Aujourd'hui, n° 2, mars 1934, p. 4. - 30 Julius Posener, entretien cité. - 31 Friedrich Sieburg: £>/