Aula Caesaris: Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von Augustus bis Commodus (31 v. Chr.–192 n. Chr.) [Reprint 2014 ed.] 9783486829921, 9783486561951

Der Hof der römischen Kaiser von Augustus bis Commodus ist in systematischen Zusammenhängen zuletzt in den großen staats

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German Pages 293 [296] Year 1999

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Table of contents :
Vorwort
I. Einleitung
II. Forschungslage
1. Mommsen und Friedländer
2. Spezialforschung
3. Allgemeine Forschung
4. Zusammenfassung
III. Das aristokratische „Haus“ bei Vitruv und Lukian
IV. Der Palast
1. Augustus und Tiberius
2. Caligula
3. Claudius
4. Nero
5. Domitian
6. Zusammenfassung
V. Die materielle Kultur
VI. Die höfische Organisation
1. Forschungslage
2. Militärische Organisation und zentrale politische Sekretariate
3. „Unpolitische“ Stellen
4. Die Emanzipation der Organisation aus der familia
5. Zusammenfassung
VII. Die Salutatio
1. Senecas Kritik
2. Der kaiserliche Morgenempfang
3. Salutationes in aristokratischen Häusern
4. Zusammenfassung
VIII. Die Gastmähler
IX. Die „Freunde“ der Kaiser
1. Forschungslage
2. Die drei Kategorien kaiserlicher Freunde
3. Historische Entwicklung
4. Zusammenfassung
X. „Aula Caesaris“
XI. Schluß
Anhang: „Palatium“ und „Palast“
Literaturverzeichnis
Register
Abbildungen
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Aula Caesaris: Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von Augustus bis Commodus (31 v. Chr.–192 n. Chr.) [Reprint 2014 ed.]
 9783486829921, 9783486561951

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Aloys Winterling · Aula Caesaris

Aloys Winterling

Aula Caesaris Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von Augustus bis Commodus (31 v.Chr.-192 n.Chr.)

R. Oldenbourg Verlag München 1999

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Winterling, Aloys: Aula Caesaris : Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von Augustus bis Commodus (31 v. C h r . 192 η. Chr.) / Aloys Winterling. - München : Oldenbourg, 1999 Zugl.: München, Univ., Habil.-Schr., 1992 ISBN 3-486-56195-2

© 1999 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D - 81671 München Internet: http:/www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbH, München ISBN 3-486-56195-2

für

R. R. und

R. R.

Vorwort Dieses Buch ist die überarbeitete und um einige Abschnitte gekürzte Fassung meiner Habilitationsschrift, die 1992 von der Philosophischen Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen worden ist. Es behandelt Ausbildung und institutionelle Verfestigung des Hofes der römischen Kaiser in der Zeit von Augustus bis Commodus und verfolgt das Ziel, durch eine systematische Rekonstruktion den Hof als zentrales Phänomen der Geschichte der römischen Kaiserzeit im Bewußtsein der Forschung präsent zu machen. Auf der Basis der hier vorgelegten Ergebnisse konzentrierten sich meine weiteren Arbeiten zum Thema auf die im Zuge der Ausdifferenzierung des Hofes erfolgten Wandlungen der aristokratischen Kommunikation und der politisch-sozialen Strukturen im kaiserzeitlichen Rom, deren Erforschung funktionale, auf im engeren Sinne außerhöfische Phänomene bezugnehmende Analysen erfordert. Aufgrund der Unterschiede in Fragestellung und methodisch-konzeptioneller Anlage erscheint es mir angemessen, die Ergebnisse in einer eigenständigen, ergänzenden Studie vorzulegen. Ich danke Christian Meier für die Möglichkeit, in einem intellektuell anregenden Umfeld zu arbeiten, Hatto H. Schmitt für Gesprächsbereitschaft und Unterstützung, Paul Zanker für die Gelegenheit, meine Thesen in seinen Kolloquien zur Diskussion zu stellen, sowie Jakob Seibert und Eduard Hlawitschka, die - ebenso wie die zuvor genannten - in ihren Gutachten kritische Hinweise gegeben haben. Kai Brodersen, Martin Jehne, Wilfried Nippel, Siegbert Peetz, Rolf Ritinger und Manfred G. Schmidt haben diese Arbeit ganz oder in Teilen gelesen. Ihnen sowie Bert Hildebrand, Claudia Horst, Tanja Schaufuß, Dirk Schnurbusch und Markus Sehlmeyer, die bei den Korrekturen geholfen haben, gilt mein herzlicher Dank. Christian Kreuzer und Cordula Hubert vom Oldenbourg Verlag danke ich für die Unterstützung bei der Drucklegung, der V G Wort für einen namhaften Druckkostenzuschuß. Bielefeld, im März 1999

Aloys Winterling

Inhalt Vorwort

VII

I.

Einleitung

II.

Forschungslage

12

1. 2. 3. 4.

12 18 32 37

Mommsen und Friedländer Spezialforschung Allgemeine Forschung Zusammenfassung

1

III.

Das aristokratische „Haus" bei Vitruv und Lukian

39

IV.

Der Palast

47

1. 2. 3. 4. 5. 6.

48 57 60 65 70 74

Augustus und Tiberius Caligula Claudius Nero Domitian Zusammenfassung

V.

Die materielle Kultur

76

VI.

Die höfische Organisation

83

1. Forschungslage 2. Militärische Organisation und zentrale politische Sekretariate 3. „Unpolitische" Stellen 4. Die Emanzipation der Organisation aus der familia 5. Zusammenfassung

84

VII. DieSalutatio 1. 2. 3. 4.

Senecas Kritik Der kaiserliche Morgenempfang Salutationes in aristokratischen Häusern Zusammenfassung

VIII. Die Gastmähler

93 96 108 115 117 119 122 138 143 145

χ IX.

Inhalt Die „ F r e u n d e " der Kaiser

161

1. Forschungslage

161

2. Die drei Kategorien kaiserlicher F r e u n d e

166

3. Historische E n t w i c k l u n g

169

4. Zusammenfassung

192

X.

„Aula Caesaris"

195

XI.

Schluß

204

A n h a n g : „ P a l a t i u m " und „Palast"

209

Literaturverzeichnis

219

Register

247

Abbildungen

273

Zur Zitierweise: Mehrfach zitierte Schriften werden bei der ersten Nennung vollständig, dann nur mit Kurztitel und Seitenzahl und im Literaturverzeichnis wiederum vollständig angeführt. Zeitschriften, auch die archäologischen, werden nach der „Année Philologique", die antiken Quellen nach den gängigen Konventionen (vgl. das Verzeichnis im „Kleinen Pauly") abgekürzt. Cassius Dio wird entsprechend der Boissevainschen Bucheinteilung zitiert und, falls abweichend, zusätzlich in Klammern nach der traditionellen Leonclaviusschen, die bei Boissevain in den Kolumnentiteln und Marginalien erscheint, die Briefe Frontos nach der Ausgabe van den Houts, wobei in Klammern auf die Seitenzahlen dieser Ausgabe sowie auf die Seitenzahlen der Ausgabe von Haines verwiesen wird, in der abweichende Numerierungen der Briefe vorkommen.

I. Einleitung In seinen „Selbstbetrachtungen" macht sich Marc Aurel, der Philosoph auf dem römischen Kaiserthron, an verschiedenen Stellen Gedanken über den kaiserlichen Hof. Im geschichtlichen Rückblick erscheint er ihm als beispielhaft für die Vergänglichkeit und stets gleichförmige Wiederkehr aller menschlichen Verhältnisse: „Der H o f des Augustus, Frau, Tochter, Enkel, Stiefsöhne, Schwester, Agrippa, Verwandte, Dienerschaft, Freunde, Areios, Maecenas, Ärzte, Opferpriester: eines ganzen Hofes Tod." 1 Er faßt den Vorsatz, sich „ganze gleichartige Schauspiele und Szenen, wie du sie aus eigener Erfahrung oder aus der älteren Geschichte kennenlerntest", vor Augen zu stellen. „Zum Beispiel den ganzen H o f des Hadrian und den ganzen H o f des Antoninus und den ganzen H o f des Philipp, des Alexander und des Kroisos. Denn alle jene Schauspiele waren in der Art wie die heutigen, nur mit anderen Personen." 2 Dieses Hofleben erscheint dem Kaiser als tadelnswert. Der Hof, so schreibt er, sei ihm nur Stiefmutter, die Philosophie dagegen eine Mutter; die Beschäftigung mit dieser mache ihm auch jenen erträglich 3 . Demgemäß nimmt er sich vor: „Niemand soll dich mehr das Leben am H o f anklagen hören, auch du dich selbst nicht!" 4 Denn: „Wo man leben kann, da kann man auch gut leben. A m Hof kann man leben; man kann also auch am H o f gut leben." 5 Sein Adoptivvater, der Kaiser Antoninus Pius, habe ihn gelehrt, „daß es auch für einen, der am H o f e lebt, möglich ist, weder eine Leibgarde nötig zu haben, noch auffallende Gewänder, noch Kandelaber und Bildsäulen von entsprechender Art und sonst dergleichen Prunk, sondern daß es freisteht, sich beinahe wie ein Privatmann einzuschränken, ohne sich deswegen mit geringerer Würde oder mit geringerem Eifer dem zu widmen, was zum allgemeinen Wohl von der höchsten Stelle aus durchgeführt werden muß" 6 . In diesem Sinne habe ihm auch der Philosoph Rusticus zu der Er-

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4 5 6

αύλή Αύγουστου, γυνή, θυγάτηρ, εγγονοί, πρόγονοι, άδελφή, Άγρίππας, συγγενείς, οικείοι, φίλοι, "Αρειος, Μαικήνας, ιατροί, θύται· όλης αύλής θάνατος. (Μ. Aur. ad se ipsum 8, 31,1; Übs. in Anlehnung an W. Theiler.) και όλα δράματα και σκηνάς ομοειδείς, δσα έκ πείρας της σης ή της πρεσβυτέρας ιστορίας εγνως, προ ομμάτων τίθεσθαι, οιον αύλήν δλην 'Αδριανού και αύλήν ολην Άντωνίνου και αύλήν δλην Φιλίππου, 'Αλεξάνδρου, Κροίσου· πάντα γάρ εκείνα τοιαύτα ήν, μόνον δι' ετέρων. (10, 27, 2) εί μητρυιάν τε άμα είχες και μητέρα, έκείνην άν έθεράπευες και δμως ή έπάνοδός σοι προς T T J V μητέρα συνεχής έγίνετο. τοΰτό σοι νϋν έστιν ή αυλή και ή φιλοσοφία· ωδε πολλάκις έπάνιθι και προσαναπαύου ταύτη, δι' ήν και τά έκεΐ σοι άνεκτά φαίνεται και συ έν αύτοϊς ανεκτός. (6,12,1 f.) μηκέτι σου μηδείς άκούση καταμεμφομένου τον έν αύλη βίον μηδέ σύ σεαυτοϋ. (8,9) ... δπου ζην έστιν, έκεΐ και ευ ζην έν αύλη δέ ζην έστιν εστίν άρα καί ευ ζην έν αύλη. (5,16,2) ... ότι δυνατόν έστιν έν αύλη βιοϋντα μήτε δορυφορήσεων χρή ζειν μήτε έσθήτων

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I. Einleitung

kenntnis verholfen, daß es nicht nötig sei, „zu Hause" im Ornat herumzulaufen 7 . „Sieh zu," sagt er sich, „daß du nicht .verkaiserst', daß du dich nicht verfärbst. Das kommt nämlich vor." 8 Marc Aurels Ausführungen stehen zwar in der Tradition stoischen Gedankenguts 9 , die zitierten Stellen lassen gleichwohl einige Rückschlüsse auf den Gegenstand der Reflexion zu, auf Begriff und Vorstellung des Hofes, die den philosophischen Betrachtungen des Kaisers implizit zugrunde liegen. Dieser ist zunächst ein Ort, an dem sich der Kaiser aufhält - das zeigen Wendungen wie έν αύλη βίος oder ζην έν αύλη - , daneben aber auch der Kreis von Personen, die in einer besonderen Beziehung zum Kaiser stehen, was bei der Schilderung des augusteischen Hofes deutlich wird. Zudem tritt am Hof ein außergewöhnlicher und aufwendiger Lebensstil hervor, der sich von dem von „Privatleuten" unterscheidet, indem dort eine Leibgarde, prachtvolle Gewänder und prunkvolle Einrichtungsgegenstände zu finden sind. Das Postulat des ευ ζην am Hof und der Vorsatz, nicht zu .verkaisern', lassen den Rückschluß auf bestimmte Verhaltensweisen zu, die dort herrschen, Verhaltensweisen, die nicht .moralisch gut' sind und die sogar den um philosophische Lebensführung bemühten Kaiser beeinflussen können. In der Gegenüberstellung von Hof und Philosophie schließlich erscheint der Hof geradezu als Metapher für das kaiserliche Dasein, seine üblichen Beschäftigungen und Pflichten. Entsprechend zeigt die Betonung, geringerer Aufwand tue weder der kaiserlichen Würde noch seiner Regierungstätigkeit Abbruch, daß der Hof in einen Zusammenhang mit beiden gesetzt wird. So erscheint der Kaiserhof in Marc Aurels „Selbstbetrachtungen" als etwas notwendig mit dem Kaisertum Verbundenes: Der kaiserliche Philosoph kann ihn zwar kritisieren und zu verändern suchen, muß sich aber mit ihm arrangieren. Ihn einfach abzuschaffen liegt offensichtlich nicht im Bereich des Denkbaren. Marc Aurel und sein Hof sind in der neuzeitlichen Rezeption der Antike in ganz unterschiedlicher Weise gewürdigt worden. Während der Kaiser in einem 1528 erschienenen biographischen Roman, dem „Libro aureo de Marco Aurelio" des Fray Antonio de Guevara, das europaweit bis ins 18. Jahrhundert nahezu 100 Auflagen erlebte, als der große Vereiniger der gelehrten und der höfischen Welt gefeiert wurde 10 , sind die hofkritischen Aus-

7 8 9

10

σημειωδών μήτε λαμπάδων και ανδριάντων τοιώνδέ τίνων και τοϋ όμοιου κόμπου, αλλ' εξεστιν έγγυτάτω ίδιώτου συστέλλειν έαυτόν και μή δια τοϋτο ταπεινότερον ή ραθυμότερον εχειν προς τά υπέρ των κοινών ήγεμονικώς πραχθήναι δέοντα. (1,17, 5) και τό μή έν στολίω κατ' οίκον περιπατεΐν μηδέ τά τοιαύτα ποιεΐν. (1, 7, 4) δρα, μή άποκαισαρωθής, μή βαφής· γίνεταιγάρ. (6, 30,1 f.) Max Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, 2 Bde., 3. Aufl., Göttingen 1964,1 341-353. Claus Uhlig, Hofkritik im England des Mittelalters und der Renaissance. Studien zu einem Gemeinplatz der europäischen Moralistik, Berlin, N e w York 1973, 236-241; Helmuth Kiesel, „Bei Hof, bei Holl". Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller, Tübingen 1979,223. Vgl. 5. 88 ff.

I. Einleitung

3

fiihrungen seiner „Selbstbetrachtungen" in der Altertumswissenschaft des 20. Jahrhunderts nahezu unbeachtet geblieben11. Der Hintergrund der modernen Zurückhaltung ist leicht auszumachen. Schlägt man ein beliebiges neueres Handbuch zur Geschichte der römischen Kaiserzeit im ersten und zweiten nachchristlichen Jahrhundert auf, so wird man vergeblich nach Informationen über einen kaiserlichen Hof Ausschau halten 12 . Häufig wird er nicht einmal erwähnt, und wenn er gelegentlich zur Sprache kommt, dann meist in Gestalt einer kulturhistorischen Residualkategorie, die unspezifisch verwandt wird und ohne analytischen Wert bleibt. Zwei französische Althistoriker, Jean Gagé und Paul Veyne, haben die Frage nach dem Hof en passant aufgeworfen: Mit vergleichendem Blick auf den französischen Königshof im Absolutismus kommen sie zu dem Ergebnis, daß man von einem römischen Kaiserhof im eigentlichen Sinne gar nicht sprechen könne 13 . Der Gegenstand der Reflexionen Marc Aurels hätte demnach nicht existiert, wäre jedenfalls kein Hof gewesen. Dies ist der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit. Ihr Ziel ist der systematische Nachweis, daß es im ersten und zweiten Jahrhundert einen römischen Kaiserhof gegeben hat und daß dessen Wahrnehmung für ein angemessenes Verständnis von Politik und Gesellschaft im Zentrum des römischen Reiches dieser Zeit unumgänglich ist. Es ist zu zeigen, 1. daß das „Haus" der römischen Kaiser seit der frühen Kaiserzeit eine Transformation erfuhr, die es zu einem neuen, von aristokratischen „Häusern" grundsätzlich unterschiedenen sozialen Gebilde machte, 11 Fergus Millar zitiert in seinem Buch „The Emperor in the Roman World" (2. Aufl., London 1992, 3) gleich zu Beginn die Sentenz über die Gleichartigkeit des Hoflebens unter den verschiedenen Herrschern - um sie mit den Worten zu kommentieren: „This private moral reflection cannot be taken as a considered historical judgement." Gelegentlich werden die zitierten Stellen, sofern sie philosophisch bzw. für die Interpretation der „Selbstbetrachtungen" relevant erscheinen, erwähnt. Siehe Anthony R. Birley, Marcus Aurelius. A Biography, 2. Aufl., New Haven, London 1987,219-221; Peter A. Brunt, Marcus Aurelius in his Meditations, in: J R S 64, 1974, 1-20. 2; Klaus Rosen, Herrschaftstheorie und Herrschaftspraxis bei Marc Aurel. Eine antike Kontroverse, in: Peter Neukam (Hg.), Motiv und Motivation, München 1993, 94-105. 97f. 12

13

Jüngst ist als erste Ausnahme die Cambridge Ancient History zu nennen: Siehe Andrew Wallace-Hadrill, The Imperial Court, in: C A H , Bd. 10,2. Aufl., 1996,283308. Vgl. zur englischen Forschung unten S. 32 Anm. 115. Jean Gagé, Les classes sociales dans l'Empire romain, 2. Aufl., Paris 1971, 191 ff.; Paul Veyne, Le pain et le cirque. Sociologie historique d'un pluralisme politique, Paris 1976, 619ff. Vgl. unten S. 35-37. - Unbeachtet bleibt ihre These in dem Buch von Robert Turcan, Vivre à la cour des Césars d'Auguste à Dioclétien (1er - l i l e siècles ap. J.-C.), Paris 1987, das zwar den Hof im Titel führt, die Frage nach ihm aber gar nicht stellt. Turcan gibt vielmehr eine Anknüpfung an die alte „Kulturgeschichte" vor und schildert (tatsächlich im Gegensatz zu jener) antiquarisch-anekdotenhaft „Geschichten" aus dem täglichen Leben der Kaiser (vgl. ausführlich Aloys Winterling, in: Gnomon 64, 1992,414-418; sowie unten S. 15ff. und S. 18 Anm. 30).

4

I. Einleitung

2. daß sich diese Transformation als Institutionalisierung beschreiben läßt, d. h. als Entstehung von sozialen Strukturen, die eine von den persönlichen Beziehungen der sie bildenden Menschen weitgehend unabhängige Konstanz aufwiesen 14 , 3. daß die neu entstandene Institution als „Hof" zu bezeichnen ist und schon von Zeitgenossen so bezeichnet wurde, sowie 4. daß die Institutionalisierung des kaiserlichen Hofes trotz verschiedener, v.a. von einzelnen Kaiserpersönlichkeiten hervorgerufener Variationen einherging mit seiner Politisierung und seiner Aristokratisierung: mit der Entstehung neuartiger, politische Aufgaben übernehmender Stellen der höfischen Organisation einerseits, mit der sukzessiv erfolgenden Integration der senatorisch-ritterlichen Aristokratie in die Umgebung der Kaiser am Hof andererseits. Das Ziel der Untersuchung legt ein methodisches Vorgehen nahe, das auf verschiedenen Ebenen ansetzt: Zunächst ist die Forschungsgeschichte zu skizzieren und zu klären, warum der kaiserliche Hof nach seiner teilweise ausführlichen Würdigung in den großen Synthesen des späten 19. Jahrhunderts - in Theodor Mommsens „Staatsrecht", in Ludwig Friedländers „Sittengeschichte" und in konkurrierenden Entwürfen - im 20. Jahrhundert zunehmend der Aufmerksamkeit der Althistorie entglitten ist (Kapitel II). Eine kurze, exemplarische Analyse hat das aristokratische „Haus" der Kaiserzeit zum Gegenstand (III). Es dient als Folie, vor deren Hintergrund die Ausdifferenzierung des kaiserlichen Hofes in ihrer sachlichen, zeitlichen, sozialen und sprachlichen Dimension rekonstruiert wird. Um den Hof als sachliche Größe geht es in den drei folgenden Kapiteln. Zunächst wird mittels einer Interpretation der archäologischen und der literarischen Uberlieferung die Entstehung neuartiger, die traditionellen Formen aristokratischen Hausbaus überwindender, schließlich den gesamten Palatin bedeckender Gebäudestrukturen untersucht (IV). Dabei wird u.a. die von der bisherigen Forschung abweichende These begründet, daß der erste kaiserliche Palast unter Claudius entstanden ist. Im Anschluß daran zeigt eine Untersuchung der materiellen Kultur, daß sich die am Hof entfaltete Pracht zu einem von den einzelnen Kaisern in unterschiedlicher Weise gehandhabten Distinktionsmerkmal gegenüber aristokratischen Haushaltungen entwickelte (V). Anhand der Analyse des politischen und „unpolitischen" kaiserlichen Dienstpersonals sowie seiner Rekrutierung aus unfreien, freigelassenen und freien Personen wird gezeigt, wie sich am Hof neuartige, politische Funktionen übernehmende organisatorische Strukturen ausdifferen14

Die Begriffe „Institution" und „Institutionalisierung" werden also in dieser Arbeit entsprechend dem wissenschaftlichen Allgemeinverständnis verwandt. Zu einer generalisierten und als historisches Forschungsprogramm respezifizierten Sicht von Institutionalisierung, Institution und Institutionalität vgl. die Beiträge in: Gert Melville (Hg.), Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde, Köln u.a. 1992.

I. Einleitung

5

zierten (VI). Sie waren grundlegend von denen der familiae aristokratischer Haushalte unterschieden - werden daher durch das moderne Kunstwort „familia Caesaris" ganz unzutreffend bezeichnet - und lassen sich aufgrund ihrer rechtlichen Besonderheiten und ihrer politischen Bedeutung als indifferent gegenüber der traditionellen römischen Unterscheidung von domus und res publica charakterisieren. Sodann werden die beiden zentralen, das Hofleben in zeitlicher Hinsicht strukturierenden Ereignisse behandelt. Hinsichtlich der täglichen Morgenbegrüßungen (VII) wird gezeigt, daß die in der Forschung topisch tradierte, z.T. durch willkürliche Textkonjekturen gestützte Vermutung, es habe bei der salutatio unterschiedliche „Vorlassungen" (admissiones) - und entsprechende Klassifizierungen der kaiserlichen Freunde - gegeben, ohne Quellengrundlage ist. Die bereits unter Augustus die gesamte stadtrömische Aristokratie einschließenden Morgenempfänge wiesen vielmehr von Anfang an, die abendlichen Gastmähler (VIII) beginnend mit Claudius einen institutionellen, von den einzelnen Kaiserpersönlichkeiten weitgehend unabhängigen Charakter auf. Zulassung dazu und Stellung dabei bestimmten sich (bei gegenläufiger Ausdifferenzierung kleinerer Kreise) durch den politischsozialen Rang, über den die Teilnehmenden (außerhalb des Hofes) verfügten. Die folgende Untersuchung der aristokratischen Personen, die als „Freunde" der Kaiser bezeichnet wurden (IX), geht im Gegensatz zu üblichen Annahmen von deren Differenzierung in verschiedene Kreise aus, die durch unterschiedliche Interaktionsnähe zum Kaiser am Hof gekennzeichnet waren. These ist, daß in der frühen Kaiserzeit freundschaftliche Kaisernähe eher mit niedriger Stellung in der aristokratischen Hierarchie einherging, daß in der Folgezeit dagegen zunehmend senatorischer Rang als solcher zur Kaisernähe qualifizierte. Damit nahm einerseits die „Freundschaft" zum Kaiser einen institutionellen, von der persönlichen Beziehung der Beteiligten tendenziell unabhängigen Charakter an, andererseits glich sich die höfische Hierarchie nach Nähe zum Kaiser der traditionellen politisch-sozialen Rangordnung an: Seit Hadrian bildeten die „Vornehmsten" des Senats den Kreis der täglich anwesenden kaiserlichen familiares. Schließlich wird gezeigt, wie die Römer die neu entstandene Institution im Wort aula auf einen neuen, den kaiserlichen Hof von aristokratischen „Häusern" differenzierenden Begriff brachten (X). Dieser löste seit dem 2. Jahrhundert - mit Variationen bei den verschiedenen Autoren - den Begriff domus tendenziell ab, der zur Bezeichnung des Hofes spezifizierender Zusätze wie „principis/principum", „Caesaris/Caesarum" etc. bedurfte. Ergänzend wird im Anhang untersucht, wie das Wort Palatium, das ursprünglich nur den Palatin meinte, seine Bedeutung veränderte und schließlich die den Hügel bedeckenden kaiserlichen Wohngebäude bezeichnete - um später als „palazzo", „palais", „palace", „Pfalz" und „Palast" Eingang in die europäischen Sprachen zu finden.

6

I. Einleitung

Abschließend werden die in den verschiedenen Dimensionen des Hofes festgestellten Institutionalisierungstendenzen aufeinander bezogen (XI). Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit betreffen zentrale Themen der kaiserzeitlichen Geschichte: die problematische „Staatlichkeit" der politischen Organisationsstrukturen 1 5 und die fortbestehende städtisch-politische Integration der aristokratischen Gesellschaft 16 , die Deutung einzelner Kaiserpersönlichkeiten und das Verhältnis von Kaiser und Aristokratie generell 17 , die Relation zwischen gesellschaftlichem Rang, (institutionell bedingter) Kaisernähe sowie politischem Einfluß prominenter Senatoren und damit den Gang der Ereignisgeschichte 18 . Entsprechende Sachverhalte werden an verschiedenen Stellen angesprochen, ihre systematische Behandlung würde jedoch die Grenzen einer Untersuchung der Institutionalisierung des kaiserlichen Hofes überschreiten. Aus der dargelegten Problemstellung ergeben sich zudem verschiedene Eingrenzungen des Untersuchungsgegenstandes „Kaiserhof" selbst, die vorweg zu benennen sind. In räumlicher Hinsicht ist die Institutionalisierung des Hofes als Phänomen anzusehen, das im Zentrum des römischen Reiches, in der Stadt Rom stattfand und das entscheidend von den dortigen Gegebenheiten bestimmt wurde. Die Aufenthalte der Kaiser in ihren Villen in Italien, das dort ansässige Dienstpersonal, die Reisen der Kaiser im Reich und ihre Reisebegleitungen sind daher nicht Gegenstand der Analyse 1 9 . Sodann werden nicht alle Personengruppen, die am Hofleben beteiligt waren, eigens untersucht. Davon sind zumal die Mitglieder der kaiserlichen Familie, kaiserliche Ratgeber (als solche) und das teilweise zahlreiche Unterhaltungspersonal betroffen, wenngleich alle drei Gruppen - die sich je nach Kaiser in unterschiedlicher Weise überschneiden konnten - durch ihre verwandtschaftliche oder informelle Nähe zu ihm von zentraler politischer Bedeutung sein konnten. Für alle gilt jedoch, daß sie an der Institutionalisierung des Hofes keinen Anteil hatten: Ebenso wie das Kaisertum selbst 20 löste sich auch der Hof als Institution in julisch-claudischer Zeit von der „Familie der Caesaren" ab - auch dies ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem aristokratischen „Haus", das mit dem Ende des jeweiligen aristokratischen Geschlechts als eigenständige Einheit zu bestehen aufhörte. Der Hof ist von 15 16

17 18

19

20

Vgl. z.B. unten S.88f. 114. Vgl. dazu Aloys Winterling, „Staat" und „Gesellschaft" in der römischen Kaiserzeit. Zwei moderne Forschungsprobleme und ihr antiker Hintergrund, in: Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld. Mitteilungen 3, 1998, 5 23. 19 ff. Vgl. z.B. unten zu Vitellius und Domitian S. 178-180. 184f. Vgl. z.B. die Deutung des bekannten domitianischen consilium bei Juvenal unten S. 186. Vgl. dazu unten S. 47 Anm. 1, S. 89 f. Anm. 36 und S. 168 Anm. 31.

Vgl. Suet. Galba 2: Neroni domum.

Galba ¡accessit

nullo gradu

contingens

Caesarum

I. Einleitung

7

der Kategorie „Kaiserhaus" her mithin nicht aufzuschlüsseln, und entsprechend lenkt auch der sich in jüngerer Zeit etablierende Begriff „domus Augusta", belegt nur in den ersten Jahrzehnten der Kaiserzeit und bezogen auf die exzeptionelle Stellung der Familie des Augustus, den Blick jedenfalls vom Problem des Hofes eher ab21. Hinsichtlich der (politischen) Beratung der Kaiser ist in den ersten beiden Jahrhunderten keinerlei institutionell verfestigte Organisation feststellbar, die über kontinuierlich besetzte Stellen oder klar umgrenzte Aufgabenfelder verfügt hätte. Die hartnäckige Benutzung der in den Quellen nicht belegten Formulierung „consilium principis" als historischem Begriff in der Forschung ändert daran nichts22. Für das kaiserliche „Unterhaltungspersonal" - von Gelehrten über Künstler bis zu Konkubinen und Lustknaben - gilt, daß ihre Stellung an persönliche Vorlieben einzelner Kaiser geknüpft war und mit deren Ableben - oder nachlassendem Interesse - jeweils ein Ende fand. Schließlich bleiben auch spezifische, den Hof bestimmende kommunikative Strukturen außer Betracht: die Bedeutung der kaiserlichen Gunst und die daraus resultierende informelle Hierarchie der Hofgesellschaft, Intrigen und Schmeichelei der am Hof Anwesenden in der Konkurrenz um diese Gunst sowie aus informeller Kaisernähe resultierende Macht außerhalb des Hofes. Entsprechende Phänomene lassen sich an Höfen vormoderner Monarchen generell feststellen, und ihnen kommt zumal Bedeutung für die politischen Funktionen des Hofes zu23. Auch für sie gilt jedoch, daß sie keinerlei institutionellen Charakter hatten. Sie waren vielmehr in hohem Maße von den persönlichen Beziehungen der Beteiligten abhängig, von entsprechender Labilität und tendierten dazu, die institutionalisierten höfischen Strukturen, um deren Freilegung es in dieser Arbeit gehen wird, zu konterkarieren24. Der Zeitraum der Untersuchung bleibt auf die Phase von Augustus bis Commodus beschränkt. Die Bedeutung, die die Königshöfe des Hellenismus für den römischen Kaiserhof hatten, zeigt sich schon daran, daß sie ihm seinen Namen gaben - allerdings in latinisierter Form und mit einem veränderten semantischen Gehalt25. Anders als in früheren Forschungen wird hier davon ausgegangen, daß ihr Einfluß nicht als das „Wirken von Vorbildern" zu deuten ist, sondern erheblich komplexer gestaltet war. Als entscheidend 21 22

23

24

25

Vgl. unten S. 21 f. mit Anm. 45. Vgl. unten S. 26 f. Die Untersuchung des Hofes deutet zudem darauf hin, daß die regelmäßigere Heranziehung von aristokratischen Personen zu Beratungen als Folge der Institutionalisierung der verschiedenen Kreise kaiserlicher Freunde anzusehen ist, die über die politische Bedeutung der jeweiligen Veranstaltungen noch nichts aussagt. Vgl. z . B . unten S. 177 mit Anm. 87 sowie S. 186 mit Anm. 139. Vgl. Aloys Winterling, „ H o f " . Versuch einer idealtypischen Bestimmung anhand der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte, in: ders. (Hg.), Zwischen „Haus" und „Staat". Antike Höfe im Vergleich, München 1997, 1 1 - 2 5 . bes. 1 5 - 1 8 . Vgl. als kurze Skizze Aloys Winterling, H o f ohne „Staat". Die aula Caesaris im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr., in: ders. (Hg.), Antike Höfe 9 1 - 1 1 2 . bes. 9 8 - 1 0 1 . Siehe unten S. 196 ff.

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I. Einleitung

werden die innerrömischen Bedingungen der Möglichkeit einer Rezeption hellenistischer Vorbilder angesehen. So sind zumal hinsichtlich der aristokratischen Freunde der Herrscher erhebliche Differenzen zwischen den hellenistischen Höfen und dem römischen Kaiserhof feststellbar. Während die φίλοι der hellenistischen Könige aus unterschiedlichen sozialen Schichten unterschiedlicher Polisgesellschaften rekrutiert wurden, in frühhellenistischer Zeit gemeinsam mit den Königen in den eroberten Reichen eine eher egalitäre „herrschende Gesellschaft" bildeten und sich in späterer Zeit in Rangklassen nach formalisierter Nähe zum König gliederten26, gehörten die amia der römischen Kaiser wie diese selbst zu einer stadtsässigen, seit Jahrhunderten über eine städtische politische Ordnung integrierten aristokratischen Gesellschaft, und ihre Untersuchung wird zeigen, daß nicht eine neue höfische Hierarchie die Aristokratie prägte, sondern daß der Hof selbst in den ersten beiden Jahrhunderten der Kaiserzeit eine Aristokratisierung erfuhr. In ähnlicher Weise dokumentiert das Scheitern von Kaisern wie Caligula oder Nero, die möglicherweise an hellenistische Vorbilder anzuknüpfen versuchten, die fehlende Anschlußfähigkeit von Formen, die den gesellschaftsstrukturellen Gegebenheiten der Zeit widersprachen. Der Beitrag, den eine Untersuchung des römischen Kaiserhofes gerade auch für eine vergleichende Analyse antiker Höfe leisten kann 27 , besteht daher nicht in der Suche nach hellenistischen „Vorbildern" - die die Forschung gelegentlich geradezu in die Irre geführt hat 28 - , sondern zunächst in einer induktiv vorgehenden Untersuchung des Gegenstandes selbst. Die Deutung früh- und hochkaiserzeitlicher Sachverhalte vom Ergebnis der Entwicklung, den spätantiken Kaiserhöfen her, kann sicherlich in verschiedenen Hinsichten aufschlußreich sein. Auch sie unterliegt jedoch der Gefahr, historische Kontingenzen und wiederum strukturelle Differenzen zu unterschätzen: Während die hier behandelte Zeit - wie zu sehen sein wird gerade durch den Prozeß der Integration der Senatsaristokratie in den kaiserlichen Hof gekennzeichnet war, ergaben sich in der Spätantike durch die räumliche und soziale Emanzipation des Kaisertums und des Hofes aus der senatorischen Gesellschaft der Stadt Rom grundlegend andere Bedingungen 29 . 26

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28 29

Vgl. Gregor Weber, Interaktion, Repräsentation und Herrschaft. Der Königshof im Hellenismus, in: Winterling (Hg.), Antike Höfe 27-71. bes. 42-46 (mit ausführlichen Hinweisen zur Forschung); Gabriel Herman, The Court Society of the Hellenistic Age, in: Paul Cartledge u.a. (Hg.), Hellenistic Constructs. Essays in Culture, History, and Historiography, Berkeley u.a. 1997, 199-224; und als „Klassiker": Christian Habicht, Die herrschende Gesellschaft in den hellenistischen Monarchien, in: VSWG 45,1958, 1-16. Siehe Aloys Winterling, Vergleichende Perspektiven, in: ders. (Hg.), Antike Höfe 151-169. bes. 153-156; ders., Hof, Der Neue Pauly 5,1998, 661-665. 661 f. Vgl. unten S. 128 f. mitAnm. 56. Siehe Karl L. Noethlichs, Strukturen und Funktionen des spätantiken Kaiserhofes, in: Aloys Winterling (Hg.), Comitatus. Beiträge zur Erforschung des spätantiken

I. Einleitung

9

Zu klären sind schließlich noch zwei methodisch-konzeptionelle Fragen. Zunächst die Frage nach dem im folgenden (und im voranstehenden) zugrunde gelegten Hofbegriff: Hier kann vom semantischen Befund der europäischen Sprachen vom Mittelalter bis in die Gegenwart ausgegangen werden 3 0 : So haben die mittellateinischen Begriffe „curia" und „curtis", das mittelhochdeutsche Wort „hof" und die neuzeitlichen Begriffe „cour", „court", „corte" und „Hof" eine weitgehend deckungsgleiche Bedeutung 31 . Im hier interessierenden Zusammenhang bezeichnen sie vornehmlich 1. in sachlicher und lokaler Hinsicht: den Aufenthaltsort, die Residenz eines Herrschers („bei Hofe sein"), 2. in sozialer Hinsicht: das Gefolge eines Herrschers, die in seiner Umgebung anwesenden Personen („ein Mitglied des Hofes") sowie 3. in zeitlicher Hinsicht: die herausgehobene Lebensführung und die Ereignisse in der Umgebung eines Herrschers („Hof halten") 3 2 . Geht man von diesem Bedeutungsspektrum aus, so läßt sich ein „Hof" definieren als das erweiterte „Haus" eines Monarchen. Dabei meint „Haus" im Anschluß an Otto Brunner eine räumlich-sachliche, soziale, wirtschaftliche und herrschaftliche Einheit 33 . Unter „Monarch" soll dasjenige Mitglied einer Adelsgesellschaft verstanden werden, das über das eigene „Haus" hinausgehende Herrschaft über andere, konkurrierende Adlige erfolgreich beanspruchen kann. „Erweitert" meint in quantitativer Hinsicht, daß andere adlige „Häuser" an Umfang übertroffen werden, insbesondere durch die Anzahl

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33

Kaiserhofes, Berlin 1998, 13-49; Aloys Winterling, Einleitung ebd. 7-11; zur Literatur: Tassilo Schmitt, Bibliographie ebd. 161-173; Winterling, Vergleichende Perspektiven 160-165. Zum folgenden ausführlicher Winterling, Idealtypische Bestimmung bes. 13 f. Siehe Charles du Fresne Sieur du Cange, Glossarium mediae et infimae latinitatis, Niort, 5. Aufl., Bd. 2, 1883, 665-670, s.v. curia; 585 f., s.v. cortis; vgl. Bd. 1, 1883, 481, s.v. aula; Bd. 6, 1886, 98 f. 106 f., s.v. palatia; Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Bd. 1, Leipzig 1872, 1320f., s.v. hof; Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 4, 2. Abt., Leipzig 1877, 1654-1659, s.v. Hof; vgl. Johann Ch. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Bd. 2, Wien 1811,1232-1235, s.v. Hof; Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 3, Mannheim 1977, s.v. Hof; Paul Imbs, Trésor de la langue française. Dictionnaire de la langue du X I X e et du X X e siècle (1789-1960), Bd. 6, Paris 1978, 331-334, s.v. cour; Grand Larousse de la langue française, Bd. 2, Paris 1972, 1023 f., s.v. cour; Hans Kurath, Middle English Dictionary, Part C . l , Ann Arbor 1959, 671-673, s.v. court; The Oxford English Dictionary, Bd. 3, 2. Aufl., Oxford 1989, 1057-1059, s.v. court; Salvatore Battaglia, Grande dizionario della lingua italiana, Bd. 3, Turin 1964, 854—857, s.v. corte. Zu weiteren Konnotationen des mittelalterlich-frühneuzeitlichen Hofbegriffs sowie zur Äquivalenz von curialitas!„Höflichkeit" und Hrbanitas/άστειότης in der Antike vgl. Winterling, Idealtypische Bestimmung 14; ders., Vergleichende Perspektiven 165f.; sowie John Procopé, Höflichkeit, R A C 15, 1991, 930-986. 933f. Otto Brunner, Das „ganze Haus" und die alteuropäische „Ökonomik", in: ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2. Aufl., Göttingen 1968, 103127.

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I. Einleitung

derjenigen dauernd oder vorübergehend anwesenden Personen, die nicht zum „Haus" im ursprünglichen Sinn gehören, die vielmehr ihrerseits adlig sind und über eigene Haushaltungen verfügen. Es bedeutet in qualitativer Hinsicht, daß sich die sozialen Beziehungen an einem Hof durch besondere Strukturen und Funktionen, die aus der politischen Rolle des Monarchen resultieren, von denen in adligen „Häusern" unterscheiden. Ein zentrales Problem jeder historischen Untersuchung stellt sodann die Aussagekraft der zur Verfügung stehenden Quellen dar. Dazu nur einige grundsätzliche Bemerkungen: Bei den antiken Berichten über den kaiserlichen Hof ist zunächst zu unterscheiden zwischen zeitgenössischen Selbstdeutungen, d.h. hier vor allem moralisierender Wertung und Kritik des Hofes, und den unter einer modernen Fragestellung als solche relevant werdenden „Fakten", die berichtet werden. Bezogen auf ersteres haben frühere Forscher oft nach tradierten Topoi Ausschau gehalten, um die so entlarvten Aussagen als irrelevant auszuscheiden. Demgegenüber ist davon auszugehen, daß „Gemeinplätze" ihren Platz nur dann behaupten können, wenn sie eine gemeinsame Wahrnehmung und Erfahrung ausdrücken 34 : Konstant durchgehaltene, oft kontrafaktisch moralisierende Wertungen sind mithin nicht nach der Unterscheidung richtig/falsch zu beurteilen, sie sind vielmehr ihrerseits Teil der historischen Realität und als solche zu deuten. Die Frage nach der Zuverlässigkeit überlieferter „faktischer" Informationen führt zunächst auf die nach der Abhängigkeit der antiken Autoren von ihren Quellen, ein altes Thema der philologischen Forschungsgeschichte. Sie ist auch hinsichtlich des Hofes häufiger bemerkbar, stellt jedoch im Rahmen der hier verfolgten Fragestellung kein zentrales Problem dar: Da es nicht primär um die Originalität des jeweiligen Autors, sondern um seine Sachaussagen geht, dürfte die Übernahme von Informationen früherer, den Ereignissen zeitlich näherliegender Berichte in der Regel eher von Vorteil sein. Problematischer erscheinen gelegentlich feststellbare Mißverständnisse dessen, worüber berichtet wird, also gerade nicht die Übernahme und Weitergabe früherer Informationen, sondern einerseits die eigenständige Deutung von Sachverhalten, deren ursprüngliche Rationalität nicht mehr erkannt wird, andererseits die unbewußte Rückprojektion höfischer Verhältnisse der jeweiligen Gegenwart auf die Zeit, über die berichtet wird 3 5 . Dies hat zur Folge, daß oft gerade die Autoren, die weniger um sinnhafte Deutung des Gesamtgeschehens bemüht sind und sich stärker auf den anekdotischen Bericht von Einzel34

35

Vgl. Lothar Bornscheuer, Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft, Frankfurt am Main 1976. Für ersteres sind die Schilderungen über Caligulas Regierungszeit aufschlußreich, f ü r letzteres z.B. die Berichte der Autoren des zweiten und dritten Jahrhunderts über die Bebauung des Palatins in der frühen Kaiserzeit und die dabei verwandte anachronistische Begrifflichkeit. Beides deutet darauf hin, daß sie mit den sachlichen Gegebenheiten, über die sie berichten, nicht mehr vollständig vertraut waren. Vgl. dazu unten S . 2 1 2 f f .

I. Einleitung

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heiten einlassen - hier also v.a. Sueton - , vielfältigere Informationen zu bieten haben. Die oft untersuchte (politische) „Tendenz" der einzelnen Autoren, d. h. die bewußte Beeinflussung oder Verfälschung des Berichteten durch die Aussageabsicht, stellt ein Problem v.a. bei ereignisgeschichtlichen Detailanalysen des Hoflebens dar. Dagegen ist feststellbar, daß gerade tendenziöse Schilderungen darauf angewiesen waren, das Berichtete in einem plausiblen Kontext zu präsentieren. Genau auf diesen Kontext aber bezieht sich die hier verfolgte Fragestellung, so daß möglicherweise falsche Geschichten gelegentlich auch zur Generierung wahrer Sachverhalte benutzt werden können 36 . Zum anderen zeigen die geschichtstheoretischen Diskussionen der Zeit, daß „Tendenzen" der Darstellungen bereits vom zeitgenössischen Publikum kritisch registriert und von den Historikern selbst als Problem ihrer Quellenarbeit gesehen wurden 37 . Die Berichte der Quellen werden somit im folgenden nicht vorschnell als topisch, abhängig oder tendenziös verworfen. Statt dessen wird versucht, auf der Basis möglichst vieler, oft en passant gegebener Einzelinformationen die Uberlieferung in ein stimmiges Gesamtbild zu integrieren. Daß es sich lohnt, die Quellen auf diese Weise beim Wort zu nehmen, können die eingangs zitierten stoischen Sentenzen Marc Aurels verdeutlichen. So entspricht nicht nur sein Hofbegriff - in Abweichung von der üblichen Bedeutung des Wortes αυλή bei den griechisch schreibenden Autoren der Kaiserzeit - dem Bedeutungsspektrum von aula, dem lateinischen Begriff für Hof 3 8 ; auch die in seinen Äußerungen zutage tretenden sachlichen Gegebenheiten finden eine Entsprechung in dem, was die übrigen Quellen über den römischen Kaiserhof berichten.

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38

Vgl. z . B . unten S. 134 Anm. 79, S. 151 f. Anm. 43. Siehe Lukians Schrift „Wie man Geschichte schreiben soll" (bes. 11 f.), die bekannten Reflexionen des Tacitus im Anfangskapitel der Historien über die Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Wahrheit (1,1 f.) oder Cassius Dios Ausführungen zu den Problemen der Geschichtsschreibung unter den Bedingungen der Monarchie (53,19, 2-4). Vgl. unten S. 203.

II. Forschungslage 1. Mommsen und

Friedländer

„Die in vieler Hinsicht lohnende Aufgabe, das kaiserliche Hauswesen in seiner auch politisch wichtigen Entwickelung zu schildern, kann innerhalb des römischen Staatsrechts ihre Lösung nicht finden." Mit diesen Worten beginnt Theodor Mommsen in seinem klassischen Werk das Kapitel über „Hof und Haushalt" des römischen Kaisers1. Hier wie auch an anderen Stellen treten seine Fragestellung und seine theoretische Konzeption deutlich hervor: Es geht ihm - unter Ausblendung anderer Aspekte historischer Sozialbeziehungen - um die Rekonstruktion von Rechtsverhältnissen, die sich zu institutionell faßbaren Elementen einer „staatlichen" Ordnung des antiken Rom verdichtet haben. Andere Strukturen und ihr Wandel, insbesondere die im Rahmen dieser Ordnung historisch in Erscheinung tretenden politischen Machtverhältnisse - „Politik" und „Geschichte" - werden zwar in ihrer Eigenart anerkannt, jedoch als staatsrechtlich nicht bedeutsam von der Untersuchung ausgeschlossen2. Der zitierte Satz dokumentiert dementsprechend einerseits Mommsens Bewußtsein, daß sich der kaiserliche Hof mittels staatsrechtlicher Kategorien nicht hinreichend erfassen läßt. Das Kapitel, das er dem Hof gleichwohl widmet, zeigt andererseits die Notwendigkeit, ihn im Rahmen einer Strukturanalyse, die mit der Grundunterscheidung privat/staatlich arbeitete, zu berücksichtigen: Aufgrund seiner politischen Bedeutung ließ sich der Hof insgesamt nicht als „Privatangelegenheit" des Kaisers charakterisieren. Das Problem der Einordnung des kaiserlichen Hofes in ein Staatsrecht, das von den Verhältnissen zur Zeit der römischen Republik seinen Ausgang nahm, löste Mommsen auf folgende Weise: In dem genannten Kapitel beschreibt er zunächst das als „Hoffähigkeit"3 charakterisierte Recht der amici Augusti, zur morgendlichen salutatio und zur kaiserlichen Tafel zugelassen zu werden. Im Gegensatz zur „privaten" habe die auf den Kaiser bezogene Hausfreundschaft „weniger an der Person des Princeps als am Principat (gehaftet)". So sei für die Zulassung zur kaiserlichen Morgenaudienz „die Rang1 2

3

Theodor Mommsen, Römisches Staatsrecht, Bd. II 2, 3. Aufl., Leipzig 1887, 833 f. Vgl. bes. die häufigen Dichotomien faktisch/staatsrechtlich, geschichtlich/staatsrechtlich, materiell/von Rechts wegen, rechtlich/tatsächlich, formell/tatsächlich, politisch/rechtlichu.ä. z . B . ebd. 748. 869. 923 Α. 1. 960. 1135. 1 1 3 7 . 1 1 3 8 . 1145 und die unten in Anm. 13 bis 16 zitierten Stellen. Vgl. auch Alfred Heuß, Theodor Mommsen und die revolutionäre Struktur des römischen Kaisertums [1974], in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 3, Stuttgart 1 9 9 5 , 1 7 3 0 - 1 7 4 3 , und Jochen Bleicken, Lex publica. Gesetz und Recht in der römischen Republik, Berlin, N e w York 1975, 16-51. StR II 2, 834 A. 3.

1. Mommsen und Friedländer

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und Lebensstellung überhaupt" maßgebend gewesen, wodurch diese „gewissermaßen zu einer politischen Institution" geworden sei4. Sodann verweist er auf Besonderheiten des kaiserlichen „Haushaltes", der Organisation der aus Sklaven und Freigelassenen bestehenden Dienerschaft. Sie zeigten sich in der Nomenklatur der kaiserlichen Diener und in Überschneidungen „zwischen dem persönlichen und dem politischen Dienst", namentlich bei den Sekretärsposten. Diese - ursprünglich als kaiserliche „Privatsache" behandelt seien seit dem späteren 1. Jahrhundert „als Theil der öffentlichen Verwaltung des Princeps" aufgefaßt und dann mit Personen des Ritterstandes besetzt worden 5 . Weitere Personen, Ereignisse und Einrichtungen in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers behandelt Mommsen nicht in dem genannten Hofkapitel, sie werden vielmehr unterschiedlichen staatlichen Bereichen zugeordnet und entsprechend auf das Werk verteilt: Die kaiserlichen Verwandten erscheinen unter der Uberschrift „Das Kaiserhaus und dessen Ehrenrechte", (einzelne) Kaiserinnen aufgrund ihres Einflusses auf Regierungsgeschäfte zudem im Zusammenhang von „Mitregentschaft" und „Sammtherrschaft"6. Die amici finden weitere Erwähnung bei der Behandlung des unter Augustus, Tiberius und Alexander Severus erkennbaren politischen „Staatsrates" sowie bei der Untersuchung des consilium, des juristischen Beirats der Kaiser7. Prätorianer und Leibwache zählt Mommsen zum „Amtsgefolge" des Prinzeps 8 . Unter der Rubrik „Amtsehren" werden die „öffentliche Feier kaiserlicher Privatfeste" (Geburtstag, Tag des Regierungsantritts) und (erneut) die Morgenaudienzen, auch als kaiserliche „Levers" bezeichnet, angeführt9. Aspekte der materiellen Kultur, die „Tracht" des Kaisers und die weiße oder goldbestickte Kleidung der bei der Tafel aufwartenden Dienerschaft, zählt Mommsen ebenfalls zu den „Amtsabzeichen" und „Amtsehren"10. Die „kaiserliche Privatbühne ... im Palast", die eine „Abtheilung der kaiserlichen Hausverwaltung" war, erwähnt er im Zusammenhang mit den „Fechterschulen" und der „Verwaltung der Stadt Rom" 11 . Charakteristisch ist mithin, daß Mommsen seine Grundunterscheidung privat/staatlich auch auf den kaiserlichen Hof anwendet. Dies führt dazu, t Ebd. 834 f. 5 Ebd. 836-838. In der ersten Auflage des „Staatsrechts" hatte Mommsen im A b schnitt über „Hof und Haushalt" neben dem „eigentlich privaten Haushalt" auch die „Gehülfen senatorischen Standes" und die „Gehülfen von Ritterstand" zu den „Kategorien der kaiserlichen Diener" gezählt (StR II 2 , 1 . Aufl., Leipzig 1875, 781— 787. 784 f.). Vgl. ausführlicher unten S. 84-86. 6 StR II 2, 3. Aufl., 8 1 8 - 8 3 3 . 1 1 6 2 . 1 1 6 8 . 7 Ebd. 904. 9 8 8 - 9 9 2 . 8 Ebd. 807-809. 9 Ebd. 812. 813 m. A . 6. 10 Ebd. 806. 805 A . 2. 11 Ebd. 1070. Zu weiteren Erwähnungen von „höfischem Stil", „Hofbeamten", „Hofjournal" etc. vgl. 759. 824. 907 A. 1. 908 A . 3. 951. 990.

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II. Forschungslage

daß er - sichtbar bei der Behandlung der Haushaltsorganisation - eine Trennlinie zwischen beiden Bereichen innerhalb des Hofes selbst postulieren muß, daß er den „nicht privaten" Hof auf zwei Sachverhalte reduziert (aristokratische Freundschaft mit dem Kaiser und Haushaltsorganisation), weitere Elemente des Hofes dagegen als Teile des römischen „Staates" ansieht, entsprechend seiner Systematik segmentiert und in getrennten Abschnitten be handelt. Mommsen selbst war sich der Selektivität (und Problematik) seiner Konstruktion durchaus bewußt. Darauf deuten verschiedene Stellen, in denen er die in dem eingangs zitierten Satz angesprochene politische Bedeutung des kaiserlichen „Hauswesens" näher ausführt. Im Zusammenhang mit den „Amtshandlungen" des Kaisers, seinen acta, stellt er fest, „daß der kaiserliche Privathaushalt und die kaiserliche Amtsführung in vieler Hinsicht zusammenfließen" 12 . Bei der Erörterung der politischen und militärischen Beratung des Prinzeps weist er auf die „persönliche Einwirkung einzelner oft amtloser Vertrauensmänner (auf) die Entschließungen des Regenten" hin, auf die „Einwirkung der Diener und der .Freunde' auf den Gang der Staatsgeschäfte". Dies gehöre aber „der Geschichte an, nicht dem Staatsrecht" 13 . Im Abschnitt über „die Vertretung des Princeps" schreibt er, daß der römische Prinzipat „für die allgemeine Stellvertretung des Herrschers" zwar „keine Rechtsform" entwickelt habe; „factisch freilich konnten Gehülfen auch jener Art dem Regenten eines Reiches, wie es das römische war, nicht durchaus fehlen." Die geringe Kenntnis über solche Hilfstätigkeiten sei in erster Linie der Uberlieferungslage zuzuschreiben. „Aber auch wenn wir besser über sie unterrichtet wären, würde das Staatsrecht sich kaum mit ihr zu beschäftigen haben; denn durchgängig scheint diese Hülfsthätigkeit von Personen ohne jede amtliche Stellung geleistet worden zu sein. Dies gilt nicht bloß von den auf Mißbrauch der persönlichen Verhältnisse zurückgehenden Einwirkungen der Frauen des kaiserlichen Hauses und der Personen des kaiserlichen Gesindes; auch staatsmännische Stellungen, wie sie Maecenas unter Augustus, L. Vitellius unter Claudius, Seneca unter Nero, Mucianus unter Vespasian namentlich während der Abwesenheit des Herrschers von Rom eingenommen haben, ermangeln jedes formalen Fundaments." Es gehöre, schreibt Mommsen, „geradezu zum Charakter des römischen Principats, politische Machtstellung und Staatsamt nach Möglichkeit getrennt zu halten." 14 Unter der Überschrift „Die persönliche oberste Reichsverwaltung des Kaisers" heißt es sogar, „die persönliche Thätigkeit des Princeps, welcher alles angehört, was derselbe durch andere als seine amtlichen Gehilfen von Senatorenoder Ritterstand vorbereiten läßt und schließlich vollzieht oder vertritt," sei „das eigentliche Triebrad in der großen Maschine des Kaiserreichs". Dessen 12

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Ebd. 906 f. A. 5. vgl. StR I 326; III 1, 555. StR II 2, 904.

ι* Ebd. 1 1 1 3 f.

1. Mommsen und Friedländer

15

Bewegungen ließen sich jedoch nicht „auf feste Gesetze" zurückführen 1 5 . „Wir müssen uns darum bescheiden, daß da, w o die Untersuchung an dem kaiserlichen Feldherrnzelt und dem kaiserlichen Cabinet anlangt, die staatsrechtliche Darstellung eigentlich zu Ende ist und nur die geschichtliche Schilderung übrigbleibt." 16 Während Mommsens Beurteilung der „amtlosen Hilfstätigkeit" - als „Triebrad" bzw. als „Mißbrauch der persönlichen Verhältnisse" - im „Staatsrecht" ambivalent ist, wertet er sie in seinem 1893 erstmals erschienenen „Abriß des römischen Staatsrechts" deutlich negativ. Hier wird die Scheidung von „personalem Dienst bei dem Herrscher" und „Staatsdienst" als „Fortschritt" und als „ehrbare Ordnung" bezeichnet. Zwar habe „daneben unter Claudius wie unter Domitian namentlich in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers das Bedientenregiment gewaltet", doch werde, so Mommsen, ja „jede schwache und jede nichtswürdige Regierung durch dasselbe gekennzeichnet" 11 . Während parallele staatsrechtliche Synthesen des späteren 19. Jahrhunderts den kaiserlichen Hof in ähnlicher Weise wie Mommsen in den Blick nahmen 18 , widmete ihm Ludwig Friedländer in seinen „Darstellungen aus is Ebd. 948. Ebd. 952. 17 Leipzig 1893, 209 f. (= 2. Aufl., 1907, 164 f.) Wieweit bei diesen hofkritischen Wendungen der Blick auf zeitgenössische Mißstände, d.h. konkret auf das Regiment Wilhelms II. eine Rolle gespielt hat, muß in unserem Zusammenhang offenbleiben. Zumindest beklagte sich Mommsen in einem Brief an seinen Bruder Tycho vom 2.12.1892 über „die Nichtswürdigkeit unseres Regiments" und verwies in einem Schreiben an L. Brentano vom 30. l0.1901 im Zusammenhang mit dem .Fall Spahn' auf den „pseudokonstitutionellen Absolutismus, unter dem wir leben." (Zit. nach Lothar Wickert, Theodor Mommsen. Eine Biographie, Bd. 4, Frankfurt am Main 1980, 72. 79. Vgl. zu Mommsens Kritik an Wilhelm II. auch Albert Wucher, Theodor Mommsen. Geschichtsschreibung und Politik, Göttingen 1956, 180. 182; vgl. zum „Politiker" Mommsen jetzt Stefan Rebenich, Theodor Mommsen und Adolf Harnack. Wissenschaft und Politik im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Berlin, New York 1997.) Die zeitgeschichtlichen Implikationen althistorischer Literatur dieser Jahre dokumentiert eindrucksvoll Ludwig Quidde, Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn, 12. Aufl., Leipzig 1894. Diese auf heutige Leser wie eine ganz aus den antiken Quellen gearbeitete biographische Skizze wirkende, nur 17 Druckseiten umfassende Schrift war für zeitgenössische Leser so eindeutig auf den deutschen Kaiser gemünzt, daß die Kalkulation des Autors, kein Staatsanwalt könne durch eine Anklage öffentlich die Parallelen zwischen dem „wahnsinnigen" antiken Kaiser und Wilhelm II. bestätigen, nicht aufging: Das kleine Werk brachte seinem Autor drei Monate Haft, eine Unterbrechung seiner akademischen Karriere und erzielte in kurzer Zeit 30 Auflagen. Vgl. (mit aufschlußreichen tatsächlichen Parallelen zum deutschen Kaiser) John C.G. Röhl, Kaiser Wilhelm II. Eine Studie über Cäsarenwahnsinn, München 1989, 9 ff. 18 Vgl. bes. Johann N. Madvig, Die Verfassung und Verwaltung des römischen Staates, Bd. 1, Leipzig 1881, 542-553. bes. 548-553 (§ 4: „... die äußeren Auszeichnungen der kaiserlichen Familie"). 553-560 (§ 5: „Der kaiserliche Hofstaat, die Freigelasse16

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II. Forschungslage

der Sittengeschichte Roms in der Zeit von Augustus bis zum Ausgang der Antonine" ein umfangreiches eigenständiges Kapitel19. Darin beschreibt er den Einfluß des Hofes auf „Formen und Sitten" der römischen Gesellschaft, „die Beamten, Freigelassenen und Sklaven des kaiserlichen Hauses", „die Freunde und Begleiter des Kaisers", seine „Gesellschafter" und schließlich unter der Uberschrift „das Zeremoniell" - den „Morgenempfang" und die „öffentlichen Gastmähler" der Kaiser20. Wie in der „Sittengeschichte" insgesamt, so ist auch hier Friedländers Quellenkenntnis beeindruckend, mit der er auch abgelegene Informationen über Herkunft, Stellung und Verhaltensweisen der am Hof in Erscheinung tretenden Personengruppen und über die Art der dort stattfindenden Ereignisse zusammenträgt21. Den für einen heutigen Leser zunächst wie eine rein antiquarisch-positivistische Stoffsammlung anmutenden „Darstellungen" liegt bei genauerem Hinsehen eine klare Konzeption zugrunde. Dies zeigt sich vor allem an dem, was Friedländer nicht behandelt. Der Kaiser selbst und seine Familie, die ja den Mittelpunkt des Hoflebens bildeten und dieses individuell prägten, sodann institutionelle Aspekte des Hofes, v.a. die Organisation der „Hofämter", und schließlich sein historischer Wandel - Friedländer verzichtet auf zeitliche Differenzierung - bleiben als Gegenstände der Untersuchung ausgespart. Ähnlich wie parallelen, in der Tradition der Erforschung antiker „Privataltertümer" stehenden „kulturgeschichtlichen" Bemühungen des späteren 19. Jahrhunderts 22 geht es ihm weder um politische Verhältnisse - ohne deren Berücksichtigung man das Leben der Kaiser kaum hätte behandeln können - noch um (staatliche) Institutionen oder (Ereignis-)Geschichte. Thema sind vielmehr die der Politik, den Institutionen und dem geschichtlichen Wandel zugrundeliegenden längerfristigen und überindividuellen Dispositionen und Strukturen, die in den Ereignissen und in dem Verhalten der

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nen, das kaiserliche Kabinet"). 5 7 0 - 5 7 4 (§ 7: „Die Bildung eines neuen kaiserlichen Rathes, amici, comités, consiliarii, consilium principis"); Ernst Herzog, Geschichte und System der römischen Staatsverfassung, Bd. II 2, Leipzig 1891, bes. 7 7 8 - 7 9 0 („Der kaiserliche Hof in seiner Bedeutung f ü r das Staatswesen. Die kaiserliche Familie"). 7 9 1 - 8 0 5 („Titel und Ehren des Kaisers"); Otto Hirschfeld, Die kaiserlichen Verwaltungsbeamten bis auf Diocletian, 2. Aufl., Berlin 1 9 0 5 , 3 0 7 - 3 1 7 („Der kaiserliche Haushalt"). 3 1 8 - 3 4 2 („Das kaiserliche Kabinett und der Staatsrat"). Bd. 1 , 1 0 . A u f l . besorgt v. Georg Wissowa, Leipzig 1 9 2 2 , 3 3 - 1 0 3 (1. A u f l . 1862). Vgl. auch Joachim Marquardt, Das Privatleben der Römer, 2 Bde., 2. Aufl., Leipzig 1886, z.B. I 145f. A . 5. Friedländer, S G I 33 ff. 35 ff. 74 ff. 86 ff. 90 ff. 98 ff. Zu Friedländer vgl. A r t h u r Ludwich, Ludwig Friedländer, in: Biographisches Jahrbuch für die Alterthumswissenschaft 34, 1 9 1 1 , 1 - 2 4 (Bursians Jahresbericht 152, 1911). Thomas Nipperdey, Kulturgeschichte, Sozialgeschichte, historische Anthropologie, in: V S W G 55, 1968, 1 4 5 - 1 6 4 . 1 4 9 f f . Vgl. ders., Die anthropologische Dimension der Geschichtswissenschaft, in: ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur Neueren Geschichte, Göttingen 1976, 33-58. 418 f.

1. Mommsen und Friedländer

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beteiligten Personen zum Ausdruck kommen - eben das, was Friedländer als „Sitten" und „Formen" bezeichnet. Bedeutsam für den Charakter des Werkes ist jedoch vor allem sein methodisches Verfahren bei diesem Vorhaben. Er versucht - auch dies ist typisch für die „Kulturgeschichte" des 19. Jahrhunderts23 - , durch reine Deskription „Kulturbilder" zu zeichnen und zur „lebendigen Anschauung" zu bringen24. Der Versuch, einfach nur „darzustellen", wie es gewesen ist, hat jedoch zur Folge, daß Friedländer weitgehend beim Nacherzählen dessen stehenbleibt, was die Quellen berichten, d. h. bei der Selbstbeschreibung und dem Bewußtseinshorizont der untersuchten Zeit. „Sitten" aber als den Ereignissen und Institutionen zugrundeliegende längerfristige Einstellungen und Verhaltensweisen, so muß man einwenden, werden, da den Zeitgenossen selbstverständlich und eher unbewußt, in den Quellen kaum explizit zur Sprache gebracht. Zu ihrer Erkenntnis ist vielmehr die analytische Arbeit des Forschers notwendig, der mittels einer reflektierten Begrifflichkeit - die nicht im Sprachgebrauch der untersuchten Zeit aufgehen muß - Fragen an die überlieferten Texte heranträgt und so die Quellen erst „zum Sprechen" bringt. Gerade an dem analytischen Instrument einer differenzierten Begrifflichkeit mangelt es Friedländer jedoch, was besonders seine diffus bleibende Zentralkategorie „Sitte" zeigt. So belegt er in dem kurzen einleitenden Abschnitt den „Einfluß (des Hofes) auf Formen und Sitten" mit dem Satz des Jüngeren Plinius, „daß fast die ganze Welt nach den Sitten eines einzigen (sc. Trajans) lebt" 25 , und illustriert dies durch die Schilderung der Nachahmung der jeweiligen kaiserlichen Vorlieben (z.B. beim Essen oder bei der Haartracht) in der vornehmen Gesellschaft Roms 26 . Ob jedoch Plinius, wenn er in der zitierten Stelle von mores spricht und im gleichen Zusammenhang die vita principis als censura perpetua bezeichnet27, solche „Sitten" im Blick hat, ist zu bezweifeln. Unklar bleibt aber vor allem, was solche kurzfristigen Verhaltensänderungen innerhalb der Oberschicht, die man weniger als „Sitten" denn als „Moden" beschreiben würde, mit den im folgenden unter der Gesamtüberschrift „Sittengeschichte" beschriebenen Sachverhalten gemein haben. So muß Friedländer den einleitenden Versuch, seinen Zentralbegriff „Sitte" den Quellen selbst zu entnehmen, mit dem Hinweis beenden, daß „freilich auch solche Erscheinungen, je augenblicklicher sie eintraten, desto oberflächlicher bleiben mußten" 28 .

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Nipperdey, Kulturgeschichte 147 f. So formuliert zutreffend Georg Wissowa im Vorwort zur 10. Auflage (Friedländer, SG I, S. IV. VII). Friedländer, SG 134. Plin. paneg. 4 5 , 5 : . . . eoque obsequii continuatione pervenimus, ut prope omnes homines unius moribus vivamus. Friedländer, S G I 34 f. Plin. paneg. 4 5 , 6 : Nam vita principis censura est eaque perpetua: ad hanc dirigimur, ad hanc convertimur, nec tarn imperio nobis opus est quam exemplo. Friedländer, SG I 35.

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II. Forschungslage

Friedländers Beschränkung auf Deskription und Anschauung und sein Verzicht auf eine analytische Begrifflichkeit haben schließlich zur Folge, daß er zwar eine Reihe von Aspekten des Hoflebens „beleuchtet", den Hof als strukturelles Phänomen insgesamt jedoch nicht in den Blick bekommt - wobei es dann wie eine ungewollte Pointe erscheint, daß er, der sich fast ausschließlich auf die Wiedergabe des in den Quellen Berichteten beschränkt, eine aus der Antike selbst überlieferte Analyse des Hofes, diejenige Marc Aurels, als unzutreffende „philosophische Abstraktion" zurückweist 29 . Die Virtuosität Friedländers in der Handhabung seiner Konzeption und deren - bei gleichbleibendem Quellenbestand - fehlende Ausbaufähigkeit haben bewirkt, daß spätere Versuche in ähnlicher Richtung das Format seines in 10 Auflagen perfektionierten (und noch mehrfach nachgedruckten) Lebenswerks nicht mehr erreicht haben 30 , zugleich aber auch, daß dieses selbst für weitergehende, etwa in Richtung auf sozialgeschichtliche oder historischanthropologische Fragestellungen zielende Forschungen keine Anschlußmöglichkeiten bot. Was Alfred Heuß über Friedländers „Sittengeschichte" insgesamt gesagt hat, gilt auch für das Kapitel über den Hof: Sie ist „eine Fundgrube für alle spätere Forschung geworden, aber auch nicht mehr." 31 Dies schmälert nicht das Verdienst, den kaiserlichen Hof erstmals einer umfangreichen Darstellung gewürdigt zu haben.

2. Spezialforschung Die althistorischen Forschungen der letzten Jahrzehnte, die in irgendeiner Weise die direkte Umgebung der römischen Kaiser betreffen, haben als gemeinsames Charakteristikum, daß sie - obwohl sie meist keine staatsrechtliche Fragestellung verfolgen - von der Mommsenschen Segmentierung des 29 30

31

Ebd. 33. Vgl. M. Aur. ad se ipsum 10, 27,2 (oben S. 1). Vgl. Albert Forbiger, Hellas und Rom. Populäre Darstellung des öffentlichen und häuslichen Lebens der Griechen und Römer. Erste Abtheilung: R o m im Zeitalter der Antonine, Bd. 2, Leipzig 1 8 7 2 , 1 - 2 5 („Der kaiserliche H o f " ) ; Ulrich Kahrstedt, Kulturgeschichte der römischen Kaiserzeit, München 1944, 9 - 2 2 („Kaiser und H o f " ) . Vgl. aus jüngerer Zeit Robert Turcan, Vivre à la cour des Césars d'Auguste à Dioclétien (1er - lile siècles ap. J.-C.), Paris 1987, der in einer antiquarisch-anekdotenhaften Schilderung von „Geschichten" am Kaiserhof einen Anschluß an die Kulturgeschichte versucht, dem aber deren „Theoriekonzept", die Ausblendung politischer Strukturen und des Kaisers selbst, schon nicht mehr bewußt ist. Die Ausdehnung des antiquarischen Nacherzählens der Quellen auch auf den Bereich kaiserlicher politischer Tätigkeiten führt dann zu einer Reihe von Inkonsistenzen und Fehldeutungen (vgl. dazu ausführlich Aloys Winterling, in: Gnomon 64, 1992, 414^418). Alexander Demandt, Das Privatleben der römischen Kaiser, 2. Aufl., München 1997, obwohl in vielen Hinsichten der Kultur- und Sittengeschichte des 19. Jahrhunderts verbunden, schließt den H o f aus seinen Darstellungen aus (vgl. 30 f.). Alfred Heuß, Römische Geschichte, 6. Aufl., Paderborn u.a. 1998, 526.

2. Spezialforschung

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Kaiserhofes in rechtlich faßbare „staatliche" Zusammenhänge ihren Ausgang nehmen, den Hof insgesamt, der Mommsen noch klar vor Augen stand, jedoch nicht mehr in den Blick nehmen. Vielmehr zeigt sich, daß der Bereich, den Mommsen aufgrund seiner Konzeption als „kaiserlichen Privathaushalt" marginalisieren mußte, nun meist gar nicht mehr in Erscheinung tritt. Hinsichtlich der im folgenden exemplarisch angeführten Arbeiten ist vorweg zu betonen, daß sie eine Vielzahl aufschlußreicher Ergebnisse hervorgebracht haben und hier nicht generell oder als solche kritisiert werden. Die Analyse einiger charakteristischer Untersuchungen zu politischen, rechtlichen und sozialen Aspekten der kaiserlichen Umgebung verfolgt lediglich den Zweck zu zeigen, wie und warum der Kaiserhof nicht mehr zum Gegenstand althistorischer Forschung geworden ist. 1. Typischer Exponent einer Richtung, die vor allem in der älteren, biographisch orientierten Forschung vorherrschte und die sich auf den Bereich konzentriert, den Mommsen als „das Kaiserhaus" bezeichnete, ist Eckhard Meise. In seinen „Untersuchungen zur Geschichte der julisch-claudischen Dynastie" 32 versucht er Detailrekonstruktionen der Ereignisgeschichte von Affären und Verschwörungen in der unmittelbaren kaiserlichen Umgebung, in die die Kaiserinnen oder weibliche Verwandte des Kaisers involviert waren. Sein durchgängiges Ergebnis ist, daß der häufig in den antiken Quellen und oft auch in der modernen Literatur erhobene Vorwurf der sexuellen Lasterhaftigkeit denunziatorischer Natur ist, nicht aber das Hauptmotiv ihrer Handlungsorientierung beschreibt. Vielmehr seien die Liebesaffären in der Regel politische Bündnisse gewesen, die die Frauen mit dem Ziel eingegangen seien, „ihre politische Position zu verbessern und ihre eigenen Ansprüche gegen den Prinzeps durchzusetzen" 33 . Zugrunde liegt der Meiseschen Untersuchung die Prämisse längerfristiger, ihre Gründer oder Exponenten zum Teil überdauernder 34 dynastischer .„Parteien"', die sich um kaiserliche Familienzweige, Familienmitglieder und vor allem um Thronprätendenten und ihre Mütter gruppierten 35 und mit deren Hilfe - oder gegen deren

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33 34

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München 1969. Zur umfangreichen älteren Forschung vgl. das Literaturverzeichnis ebd. 2 5 3 - 2 6 2 . Zur Arbeit von Andreas Mehl, Tacitus über Kaiser Claudius. Die Ereignisse am Hof, München 1974, in der der Hof zwar im Titel vorkommt, aber als analytische Kategorie keine Rolle spielt, vgl. die Besprechung von Klaus Bringmann, in: G n o m o n 48, 1976, 5 6 6 - 5 6 9 . Meise, Dynastie 220. Vgl. ζ. B. ebd. 89: „Die ,Partei', die Seian und Livilla sich geschaffen hatten, wurde im Jahr 31 zerstört, doch existierten ihre Reste als politische Gruppierung weiter." Vgl. 71 (die „alte .Partei' des Germanicus"). 93 („tiberiusfreundliche Gruppen" unter Caligula, vgl. 117). 1 1 7 (ehemalige .„Seianer"', vgl. 245 ff.). Vgl. ζ. B. ebd. 79 („.Partei'" Seians). 1 1 6 („.Gemelluspartei'"). 80. 1 1 7 („.Partei' der Agrippina"). 182 Α . 40 („.Britannicuspartei'").

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II. F o r s c h u n g s l a g e

„Opposition" 3 6 - die weiblichen Mitglieder der Kaiserfamilie ihre Machtambitionen und die ihrer Söhne durchzusetzen versuchten. Meises zum Teil äußerst scharfsinnige Analysen der sich oft widersprechenden und von unterschiedlichen „Tendenzen" geprägten antiken Berichte und seine ausführlichen Diskussionen der durchweg kontroversen modernen Forschung zeigen, daß die Einschätzung der einzelnen Ereigniskomplexe in hohem Maße von den Grundannahmen des jeweiligen Forschers über die strukturellen Rahmenbedingungen politischen Handelns in der kaiserlichen Umgebung (und denen über den unterstellbaren Grad an Rationalität der Handlungsmotive der Beteiligten 37 ) abhängt. Sein Modell der „Familienparteien" überprüft Meise jedoch nicht auf seine Angemessenheit im weiteren politisch-sozialen Kontext 38 . Uber die Ereignisgeschichte hinausgehende Fragen z.B. nach den strukturellen Bedingungen politischen Handelns am Hof, nach Klientel- oder Patronageverhältnissen als Machtressourcen der Beteiligten oder auch nach den Gegenständen der Politik im weiteren Sinne werden nicht gestellt. Das Modell der „Familienparteien" erhält seine Plausibilität vielmehr nur aus der Analyse der Einzelereignisse - bei der es als theoretisches Konzept und als die widersprüchlichen Quelleninformationen ordnendes Prinzip bereits vorausgesetzt wird. Aber auch bei einer Beschränkung auf die von Meise behandelten Ereignisse lassen sich Einwände gegen sein Parteimodell erheben. So war für den Ablauf der Affäre Livilla/Seian unter Tiberius die Macht des Prätorianerpräfekten entscheidend, die ihrerseits mit dynastischen Verhältnissen zunächst nichts zu tun hatte, sondern auf seiner außergewöhnlichen Vertrauensstellung beim Kaiser und seiner Fähigkeit basierte, kaiserliche Patronageressourcen weitgehend zu monopolisieren 39 . Unter Claudius konnten die kaiserlichen Freigelassenen die - nach Meise auf dynastische Ziele gerichteten - Ambitionen der Kaiserin Messalina erfolgreich zurückweisen und diese selbst beseitigen, ohne ihrerseits einer familienpolitischen Gruppierung anzugehören 40 . Daß Verwandtschaftsbeziehungen nur ein - wenn auch wichtiger Aspekt der Machtstrukturen am kaiserlichen Hof waren, können zudem von

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Z . B . ebd. 71 f. 117. 173. O b man, wie Meise, in der Regel politische Rationalität unterstellen kann, ist z u m i n d e s t zweifelhaft. E i n Beispiel dafür, d a ß ein r ö m i s c h e r A d l i g e r a u f g r u n d der L i e b e z u einer F r a u seine g e s a m t e E x i s t e n z z u ruinieren bereit war, gibt O c t a v i u s Sagitta, V o l k s t r i b u n des J a h r e s 58 (Tac. ann. 13, 44). Gelegentlich weist M e i s e selbst auf E i n w ä n d e gegen das „ P a r t e i e n " - M o d e l l hin, o h n e daß dies j e d o c h F o l g e n f ü r d e n Verlauf seiner U n t e r s u c h u n g hätte (ebd. 77 A . 172). Tac. ann. 3, 66, 3; 4, 41; 4, 68, 2; 6, 8; C a s s . D i o 57, 19, 7; 58, 4 , 1 ; 58, 5 , 2 . Tac. ann. 11, 29; 1 2 , 1 f.; C a s s . D i o 61 (60), 3 0 , 6 b; 61 (60), 3 1 , 2 . 6 f . ; die Freigelassenen entwickelten also erst nach d e m T o d M e s s a l i n a s (unterschiedliche) Vorstellungen, wer C l a u d i u s ' neue G a t t i n sein sollte.

2. Spezialforschung

21

Meise nicht behandelte Ereignisse wie z . B . die Ermordung des Kaisers Caligula zeigen, bei der dynastische Motive ebenfalls keine Rolle spielten 4 1 . D a Meise den kaiserlichen H o f zwar oft erwähnt 4 2 , nicht aber nach den damit gegebenen strukturellen Bedingungen politischen Handelns in der N ä h e des Kaisers fragt, ist seine Annahme von dynastischen „Parteien" als revisionsbedürftig anzusehen. Die Konzentration seiner Untersuchung auf die verwandtschaftlichen Beziehungen im „Kaiserhaus" zeigt deutlich die politische Relevanz und den daraus resultierenden lebensbedrohenden Charakter dieser Beziehungen für alle Beteiligten mit Einschluß des Kaisers und zwar unabhängig davon, ob, wie Meise generell nachzuweisen versucht, die Handelnden politische Intentionen verfolgten oder ob dies nicht der Fall war bzw. man ihnen dies nur unterstellte. Dieses Ergebnis ist allerdings schon an den vielen Verbannungen und Morden innerhalb der Kaiserfamilie in julisch-claudischer Zeit ablesbar, die ja dazu führten, daß nach N e r o s Tod diese „Dynastie" ausgelöscht war. Auch neuere Forschungen, die sich stärker mit strukturgeschichtlichen Fragen befassen, haben sich auf die kaiserliche Familie als Gegenstand konzentriert und u. a. die Bedeutung dynastischer Legitimation für die kaiserliche Herrschaft behandelt 4 3 . Sie beschränken sich meist auf die frühe julischclaudische Zeit, da - wie Timpe am Beispiel der Thronwechsel gezeigt hat jene Zeit insgesamt gerade durch die „Auflösung der Familienherrschaft in der Institution (sc. der Kaiserherrschaft)" gekennzeichnet war 4 4 . Die Arbeiten scheinen aber den in unserem Zusammenhang bemerkenswerten Effekt zu haben, daß sich der Begriff „domus Augusta" als eine Art Ersatzchiffre für den Kaiserhof in der Forschung etabliert 45 , wozu sicherlich auch sein Auftauchen in neuen Inschriftenfunden beigetragen hat 4 6 . Die - soweit ich sehe -

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46

Suet. Cal. 56,1; Cass. D i o 59, 25, 7f.; los. ant. lud. 19, 37-110. Meise, Dynastie z . B . 61. 123. 136. 141. 161. 172. 182. Vgl. zuletzt etwa Mireille Corbier, Male Power and Legitimacy through Women. The D o m u s Augusta under the Julio-Claudians, in: Richard Hawley, Barbara Levick (Hg.), Women in Antiquity. N e w Assessments, London, N e w York 1995,178193; Frédéric Hurlet, Les collègues du prince sous Auguste et Tibère. D e la légalité républicaine à la légitimité dynastique, R o m 1997. Dieter Timpe, Untersuchungen zur Kontinuität des frühen Prinzipats, Wiesbaden 1962, 126. Vgl. den in Anm. 43 genannten Aufsatz von Corbier sowie dies., À propos de la tabula Siarensis. Le sénat, Germanicus et la domus Augusta, in: Julián González Fernández (Hg.), R o m a y las provincias. Realidad administrativa e ideología imperial, Madrid 1994, 39-85; Simonetta Segenni, Antonia Minore e la domus Augusta, in: S C O 44,1994, 297-331; Marleen B. Flory, Dynastie Ideology, the D o m u s Augusta, and Imperial Women. A Lost Statuary G r o u p in the Circus Flaminius, in: T A P h A 126, 1996, 287-306; Hurlet, Collègues du prince 415 ff.: „ L e membre de la D o m u s Augusta: la primauté du facteur dynastique"; vgl. auch Fergus Millar, Ovid and the D o m u s Augusta. R o m e seen from Tomoi, in: J R S 8 3 , 1 9 9 3 , 1 - 1 7 . Tabula Siarensis fr. I Z. 10; fr. II b Z. 22 (ed. Michael H . Crawford, Roman Statutes,

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II. Forschungslage

lediglich vier literarischen Belege für „domus Augusta,"

sind jedoch auf die

Zeit von Augustus und Tiberius (3) bzw. N e r o (1) beschränkt. Sie beziehen sich tatsächlich nur - wie auch die inschriftlichen Zeugnisse - auf die Familie des Augustus47

oder auf das von ihm bewohnte Gebäude 4 8 , während der B e -

griff domus in Kombination mit anderen Epitheta wi e principi*, Caesarum

Caesaris oder

neben der Familie und dem Gebäude auch weitere Personengrup-

pen sowie das Hofleben insgesamt bezeichnen kann 4 9 . D e r ausschließlichen Konzentration auf die Mommsensche

Kategorie

„Kaiserhaus" 5 0 haftet nun der Schönheitsfehler an, daß die Familien der römischen Kaiser im rechtlich exakten Sinne gar keine „Dynastien" waren. M o m m s e n hat - freilich nur in Fußnoten - auf diesen, seiner Konstruktion widersprechenden Sachverhalt selbst hingewiesen: „Es scheint von dem E r messen eines jeden Princeps abgehangen zu haben, ob und welchen seiner Verwandten er nur die Stellung angesehener Privaten oder die Theilnahme an der den N a c h k o m m e n des Stifters der Dynastie ein für allemal z u k o m m e n den Sonderstellung einräumen wollte." 5 1 Bekannte Beispiele dafür, daß mithin die kaiserliche „ G u n s t " der rechtlichen Institution „Kaiserhaus" vorgelagert war, sind der spätere Kaiser Claudius, Stiefenkel des Augustus, unter Tiberius oder Marciana, die Schwester Trajans 5 2 .

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52

Bd. 1, London 1996, 515 ff.); Senatus consultum de Cn. Pisone patre Z. 33. 161 (ed. Werner Eck u.a., München 1996, 38ff.). Ov. Pont. 2 , 2 , 74; Sen. Oct. 168. Val. Max. 2, 8, 7; 8, 15 praef. Vgl. unten S. 196. Vgl. auch zu den Kaiserinnen Friedrich Sandels, Die Stellung der kaiserlichen Frauen aus dem julisch-claudischen Hause, Darmstadt 1912, und Hildegard Temporini, Die Frauen am Hofe Trajans. Ein Beitrag zur Stellung der Augustae im Principat, Berlin, New York 1978. Beide Untersuchungen beschränken sich ganz auf (staats)rechtliche Aspekte ihres Themas. Mommsen, StR II 2, 820 A. 1; vgl. 818 f. A. 2: „Es ist wahrscheinlich, dass von dem das gesammte römische Familienrecht beherrschenden Grundgedanken der agnatischen Descendenz auch hier ausgegangen ist; ob aber die früh technisch gewordene Bezeichnung des .kaiserlichen Hauses' (...) genau diesen Kreis umfasst, bleibt fraglich. Eine Definition der domus finde ich nicht; und es kann wohl sein, dass das Wort bald enger unter Beschränkung auf die Gattin und die Descendenz des zur Zeit regierenden Herrn, bald weiter mit Erstreckung auf andere nahe, aber doch ausserhalb dieses Kreises stehende Verwandte gebraucht wird. Dass dabei auf die väterliche (potestas) oder die eheherrliche Gewalt (manus) Rücksicht genommen ist, lässt sich nicht erweisen und ist nicht wahrscheinlich." Vgl. 820: „Die mannichfachen Auszeichnungen und Ehrenrechte, welche im Anschluss an die analogen dem Kaiser zukommenden auf die Glieder seines Hauses Anwendung finden, entziehen sich insofern einer festen Abgrenzung, als sie häufig nur einzelnen derselben beigelegt, andererseits aber wohl auch auf solche Verwandte oder Verschwägerte des Kaisers erstreckt werden, die dem Kaiserhause im strengen Sinne des Wortes nicht angehören. In den meisten Fällen beruhen diese Ehrenrechte auf besonderer Verleihung .. Vgl. ebd. 820 A. 1.

2. Spezialforschung

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2. Den kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen, von denen einige in der unmittelbaren Umgebung der Kaiser zu außergewöhnlicher Macht und Reichtum gelangten und die Mommsen der Kategorie „Haushalt" zugeordnet hat, sind in jüngerer Zeit mehrere umfangreiche Untersuchungen auf der Basis insbesondere auch des inschriftlichen Materials gewidmet worden 53 . Seit der Arbeit von Weaver ist in der Forschung für diesen Personenkreis weitgehend die Bezeichnung „familia Caesaris" üblich geworden 54 , die die Vorstellung nahelegt, die Sklaven und Freigelassenen der Kaiser hätten sich im Prinzip nicht wesentlich von den familiae anderer römischer Aristokraten unterschieden. Weavers Arbeit, deren Ziel „a social study of the emperor's freedmen and slaves" ist, zeigt jedoch einen ganz anderen Befund. Einerseits schreibt Weaver, die „familia Caesaris" sei „in general... an élite among the slave and freedmen classes of Imperial society" gewesen, „a new .estate' or status-group in the hierarchy of Roman Imperial society" 55 . Andererseits heißt es: „From the social point of view the Familia Caesaris was far from homogeneous." 56 Obwohl er die Arbeiter in den Minen, Steinbrüchen und auf den umfangreichen kaiserlichen Gütern, die ja von ihrem Rechtsstatus her ebenso wie die übrigen kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen Mitglieder der kaiserlichen „familia" waren, von vornherein von der Untersuchung ausschließt - sie seien „of very low status" gewesen 57 - , ergibt sich immer noch „a considerable degree of social differentiation within the Familia Caesaris" 58 , abhängig vor allem vom Ort der Tätigkeit im Dienst des Kaisers (in Rom oder im Reich) und von der Art dieser Tätigkeit. Nach den Tätigkeiten unterteilt Weaver die „familia Caesaris" in zwei Hauptkategorien: eine „domestic group", die für den persönlichen Dienst des Kaisers zuständig war und zu der er das Palastpersonal in Rom rechnet, Gérard Boulvert, Les esclaves et les affranchis impériaux sous le Haut-Empire romain, 2 Bde., Diss. o. O. (Aix-en-Provence) 1964; (überarbeitete Fassung von Bd. 1 u. d. T.:) Esclaves et affranchis impériaux sous le Haut-Empire romain. Rôle politique et administratif, Neapel 1970; (überarbeitete Fassung von Bd. 2 u. d. T.:) Domestique et fonctionnaire sous le Haut-Empire romain. La condition de l'affranchi et de l'esclave du prince, Paris 1974; Manfred Wolf, Untersuchungen zur Stellung der kaiserlichen Freigelassenen und Sklaven in Italien und den Westprovinzen, Münster 1965; Heinrich Chantraine, Freigelassene und Sklaven im Dienst der römischen Kaiser. Studien zu ihrer Nomenklatur, Wiesbaden 1967; Walter Seitz, Studien zur Prosopographie und zur Sozial- und Rechtsgeschichte der großen kaiserlichen Zentralämter bis hin zu Hadrian, München 1970; Paul R.C. Weaver, Familia Caesaris. A Social Study of the Emperor's Freedmen and Slaves, Cambridge 1972. 5 4 Vgl. z.B. Géza Alföldy, Römische Sozialgeschichte, 3. Aufl., Wiesbaden 1984, 124 f.; Friedrich Vittinghoff, Gesellschaft, in: ders. (Hg.), Europäische Wirtschaftsund Sozialgeschichte in der römischen Kaiserzeit, Stuttgart 1990,161-369.190-196. 5 5 Weaver, Familia Caesaris 295. 5. 56 Ebd. 3. 57 „Although they could be said to make up a familia rustica, they do not belong to the Familia Caesaris status group we are considering." (Ebd. 5). 58 Ebd. 295 (Hervorhebung Weaver). 53

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II. Forschungslage

von den einfachen Türwärtern und Sänftenträgern bis hin zu den kaiserlichen Kammerdienern (cubicularii) und den Freigelassenen ab admissione, welche aufgrund ihres vertrauten Kontaktes zum Kaiser „a potent ... influence on matters of policy outside their strictly domestic sphere" ausüben konnten59; sowie einen „administrative staff", zu dem er das „Verwaltungspersonal" von niedrigen Chargen wie Lakaien (pedisequi) oder nomenclátores bis hin zu den freigelassenen Sekretären a rationibus, ab epistulis und a libellis „and others of indisputable eminence" zählt60. Im Gegensatz dazu heißt es aber dann wiederum, eine wirklich klare Unterscheidung dieser Funktionen sei nicht möglich aufgrund der Ambivalenz der kaiserlichen Position hinsichtlich der Trennung zwischen persönlichem und staatlichem Bereich61. Zudem betont Weaver, daß die „familia Caesaris" - im Gegensatz zu allen übrigen familiae römischer Aristokraten - nicht privatrechtlich vererbt wurde, sondern mit dem Kaisertum als solchem verknüpft war und daß die übliche Unterscheidung großer familiae in die familia urbana (Haushalt in der Stadt) und familia rustica (Arbeitssklaven auf den Landgütern) für die „familia Caesaris" nicht anwendbar ist62. Das verwirrende Bild rundet sich ab durch die Tatsache, daß der quellennah klingende Begriff „familia Caesaris" in Wirklichkeit eine moderne Kreation ist63: „.Familia Caesaris', in the general collective sense in which it is used throughout this study, does not occur in the ancient sources."64 Sofern der Terminus familia in den Quellen vorkommt, bezeichnet er in der Regel „Unterabteilungen" der kaiserlichen Sklavenschaft, z.B. eine familia castrensis, monetalis, gladiatoria etc.65 Das Problem der Arbeit Weavers besteht darin, daß zwischen den Kategorien „personenrechtlicher Status", „sozialer Status", „Funktion im Rahmen der kaiserlichen Verwaltungsorganisation" und „politischer Einfluß infolge persönlicher Nähe zum Kaiser" nicht unterschieden wird. Das einzig Gemeinsame seines Untersuchungsgegenstandes - und damit seinen Ausgangspunkt - bildet die personenrechtliche Diskriminierung der Freigelassenen und Sklaven des Kaisers (sowie die Tatsache, daß ihr Sklavenhalter bzw. Patron der Kaiser war). Dieses Kriterium trifft aber auch auf die Sklaven in den Bergwerken und Latifundien zu. Darüber hinaus gab es keine „sozialen" Gemeinsamkeiten dieser Gruppe. Die Konstruktion einer Sozialpersönlichkeit „kaiserlicher Sklave" oder „kaiserlicher Freigelassener" ist nicht möglich, da Ebd. 7 (Hervorhebung A. W.). so Ebd. 6 f. 61 „Not that any clear-cut separation of these functions into domestic on the one hand, and administrative on the other is possible." (Ebd. 5). 62 Ebd. 2. 4. 63 Er taucht bereits bei Martin Bang auf (Caesaris servus, in: Hermes 54, 1919, 174186. 181 f.). m Ebd. 299. 6 5 Vgl. die Belege ebd. 299 f.

2. Spezialforschung

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mit dem diskriminierten Personenrechtsstatus alle Funktionen und sozialen Status kompatibel waren, die der Kaiser als Sklavenhalter bzw. Patron seinen Sklaven oder Freigelassenen zuweisen konnte. Eine „social study" dieses Personenkreises, sofern sie ihn als „soziale Klasse" ansieht, ist daher aussichtslos, weil es eine solche nicht gab66. Ebensowenig sind die Funktionen der kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen innerhalb der kaiserlichen Verwaltung aus dem ihnen Gemeinsamen, das heißt aus ihrem Rechtsstatus ableitbar. Deren Untersuchung muß vielmehr von der Organisation selbst und den Stellen, die die kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen darin bekleideten, ihren Ausgang nehmen67. Schließlich können auch die außergewöhnliche Macht und der Reichtum einiger kaiserlicher Freigelassener nicht von ihrer Rolle als Mitglieder einer kaiserlichen familia als solcher oder von ihren Funktionen innerhalb der kaiserlichen Verwaltungsorganisation her begriffen werden. Zu ihrem Verständnis ist vielmehr zu fragen, unter welchen strukturellen Bedingungen es dazu kam, daß einzelne Personen trotz ihres diskriminierten Rechtsstatus und gerade in der Mißachtung verwaltungsmäßiger Kompetenzen zu Macht und Reichtum in einem Umfang gelangten, der zum Teil sogar den Rahmen des sonst für aristokratische Sklavenhalter Üblichen sprengte. Gérard Boulvert umgeht die Aporien Weavers, indem er das Problem in seiner juristischen Dissertation, einer von der Systematik her klareren, jedoch v.a. in der Datierung der inschriftlichen Zeugnisse manchmal problematischen Behandlung des Themas68, primär von der Frage nach der Rolle der Sklaven und Freigelassenen in der kaiserlichen Regierungs- und Verwaltungsorganisation und nach ihrer juristischen Stellung dem Kaiser gegenüber angeht. Hinsichtlich letzterer stellt er den Wandel von einer zunächst privatrechtlichen zu einer eher „öffentlichrechtlichen" Bindung an den Kaiser 66

Dies gilt für Sklaven und Freigelassene in der römischen Gesellschaft generell, worauf Friedrich Vittinghoff nachdrücklich hingewiesen hat. Versuche, sie als „Klassen" oder soziale „Schichten" aufzufassen, übersehen - wenn die Begriffe einen heuristischen Wert haben sollen - , daß mit dem gemeinsamen Personenrechtsstatus die unterschiedlichsten sozialen Lagen einhergehen konnten. (Soziale Struktur und politisches System in der hohen römischen Kaiserzeit [1980], in: ders., Civitas R o mana. Stadt und politisch-soziale Integration im Imperium Romanum der Kaiserzeit, Stuttgart 1994, 2 5 3 - 2 7 1 . 254 ff.; ders., Gesellschaft 172 ff.; vgl. Paul Veyne, Das Leben des Trimalchio [1961], in: ders., Die römische Gesellschaft, München 1995, 9 - 5 0 . 4 2 ff., nach dessen Modell die sozialen Schranken zwischen rechtlich diskriminierten Personen und Freigeborenen nicht horizontal, sondern vertikal verliefen; und Rolf Rilinger, Moderne und zeitgenössische Vorstellungen von der Gesellschaftsordnung der römischen Kaiserzeit, in: Saeculum 36, 1985, 2 9 9 - 3 2 5 ) .

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Dies war bereits der Ansatzpunkt der älteren Forschung. Vgl. Emile Farion, L'organisation du palais impérial à Rome, in: Le Musée Belge 4, 1900, 5 - 2 5 ; Joseph M i chiels, Les cubicularii des empereurs romains d'Auguste à Dioclétien, in: Le Musée Belge 6 , 1 9 0 2 , 3 6 4 - 3 8 7 . Vgl. bes. die Kritik von Graham P. Burton, Slaves, Freedmen and Monarchy, in: J R S 67, 1977, 1 6 2 - 1 6 6 .

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II. Forschungslage

fest69. Bezüglich der von ihnen ausgeübten Funktionen in Regierung und Verwaltung unterscheidet er zwischen vorclaudischer Zeit, in der noch keine ausdifferenzierte Organisation mit klar abgegrenzten „Kompetenzen" („un veritable cadre de fonctions") erkennbar ist, und der späteren Zeit, wo dies der Fall war70. Die politische Macht, die vor allem einige Freigelassene ausübten und die Boulrvert ausführlich würdigt71, erklärt er folgendermaßen: Sie habe nicht auf ihren Verwaltungsfunktionen, etwa als kaiserliche Sekretäre, und auch nicht auf ihrer Teilnahme an einem „consilium principis" beruht, sondern ihre Rolle sei essentiell von ihrer Nähe zum Kaiser innerhalb der kaiserlichen domus bestimmt gewesen72. D.h. die Untersuchung der Funktionen der kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen innerhalb der sich im frühen Prinzipat ausbildenden kaiserlichen Regierungs- und Verwaltungsorganisation ergibt, daß ihr Einfluß und ihre Macht nicht von ebendiesen Funktionen, sondern von dem Kriterium „Nähe zum Kaiser" innerhalb des kaiserlichen „Hauses" - das nicht Boulverts Thema ist - abhing73. 3. Die kaiserlichen „Freunde" adligen Standes, seine amici, sind in den Detailforschungen nach Mommsen nicht mehr unter dem Aspekt ihrer „Hoffähigkeit"74, sondern vornehmlich im Rahmen der von Mommsen hervorgehobenen staatlichen Institutionen, innerhalb derer sie in Erscheinung traten, untersucht worden: im Zusammenhang mit dem „consilium" des Kaisers75, daneben auch als kaiserliche Reisebegleitung, deren Mitglieder in den Quellen als seine comités bezeichnet werden76. Spätestens seit dem gleichnamigen Buch von John Crook 77 hat sich in der 69 70 7' 72

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Boulvert, Domestique et fonctionnaire (1974) 11 ff. 66 ff. vgl. 181 ff. 191 ff. Boulvert, Esclaves et affranchis (1970) 334 ff. 374 ff. Ebd. 343 ff. Unter der Uberschrift „Nature du rôle joué par les affranchis impériaux" faßt Boulvert zusammen: „Leur rôle se joue à l'interieur de la domus du prince . . . Leur influence ne tient pas à leur fonctions de secrétaires . . . Leur influence n'est pas due à leur participation au consilium principis ... Leur influence tient essentiellement à leur proximité du prince." (Ebd. 370 ff.). Vgl. zu Boulvert sowie zu Chantraine, Freigelassene und Sklaven, unten S. 87 f. 108 ff. Vgl. Mommsen, StR II 2, 834 A. 3. Edouard Cuq, Mémoire sur le consilium principis d'Auguste à Dioclétien, Paris 1884; Giovanni Cicogna, Consilium principis. Consistorium. Ricerche di diritto romano pubblico e di diritto privato, Turin 1902; O t t o Seeck, Consistorium, R E 4, 1 , 1 9 0 0 , 9 2 6 - 9 3 2 ; Ettore de Ruggiero, Consilium principis, Diz. Epig. 2, 1900, 6 0 9 620. bes. 6 1 4 - 6 1 6 . Theodor Mommsen, Die comités Augusti der früheren Kaiserzeit [1870], in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 4, Berlin 1906, 3 1 1 - 3 2 2 ; vgl. zuletzt Helmut Halfmann, Itinera principum. Geschichte und Typologie der Kaiserreisen im Römischen Reich, Stuttgart 1986, 92 ff. 245 ff. John C r o o k , Consilium principis. Imperial Councils and Counsellors from Augustus to Diocletian, Cambridge 1955. Zu der Arbeit von Francesco Amarelli, Consilia principum, Neapel 1983, siehe die Besprechung von Werner Eck, in: Z R G 107, 1990, 491—493. Vgl. etwa Francesco Arcaría, Commissioni senatorie e „Consilia

2. Spezialforschung

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Forschung für die kaiserliche „Regierungsinstitution" allgemein der Begriff „consilium principis" eingebürgert 78 . Dabei kommt Crook in der Untersuchung der „imperial councils and counsellors from Augustus to Diocletian" zu einem Ergebnis, das in merkwürdigem Widerspruch zum Titel seiner A r beit steht: Der aus kaiserlichen „Freunden" gebildete „Rat" sei „in every case ad hoc" gewesen; „there is no recognized constitutional body in question and no fixed list of members" 79 . Daran habe sich auch durch die Reformen Hadrians nichts Wesentliches geändert 80 . Sein „negative result" faßt er in dem Kapitel über die Organisation kaiserlicher Beratung in der Zeit von Augustus bis Diokletian mit den Worten zusammen: „,THE consilium principis' never existed." 81 Seiner Sachanalyse entspricht der sprachliche Befund: Der Ausdruck „consilium principis" kommt in den antiken Quellen, abgesehen von der singulären Erwähnung eines consilium principum bei Papinian, nicht vor 8 2 . Das Ergebnis von Crooks Arbeit, die durch eine Prosopographie von mehr als 360 in den Quellen als kaiserliche „Freunde" belegten Personen abgerundet wird 8 3 , ist hinsichtlich des informellen Charakters der politischen Beratung der römischen Kaiser von der folgenden Spezialforschung bestätigt worden 8 4 . Lediglich seine These, daß dies - im Gegensatz zu Mommsens principum" nella dinamica dei rapporti tra senato e principe, in: Index 19, 1991, 269-318. 78 Vgl. z.B. Heuß, RG 349. 396; Werner Dahlheim, Geschichte der römischen Kaiserzeit, 2. Aufl., München 1989, 38; Peter Garnsey, Richard P. Salier, The Roman Empire. Economy, Society and Culture, London 1987, 24; Joel Le Gall, Marcel Le Glay, L'Empire romain, Bd. 1: Le Haut-Empire de la bataille d'Actium (31 av. J.-C.) à l'assassinat de Sévère Alexandre (235 ap. J.-C.), Paris 1987, 368; Karl Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zu Konstantin, 3. Aufl., München 1995, z.B. 281 f. 321.431. 79 Crook, Consilium principis 26. so Ebd.56ff.65. 81 Ebd. 104. 82 „That is," schreibt Crook (ebd. 104), „why it (sc. the phrase consilium principis) is avoided in the present work." D.h. der Titel seines Buches ist als indirekte Rede oder Ironie zu verstehen. Vgl. Dig. 27,1,30 pr.: Iuris peritos, qui tutelam genere coeperunt, in consilium principum adsumptos optimi maximique principes nostri constituerunt excusandos, quoniam circa latus eorum agerent et honor delatus finem certi temporis ac loa non haberet. 83 Crook, Consilium principis 148-190; vgl. dazu unten S. 163 ff. 84 Wolfgang Kunkel, Consilium, consistorium [1968/69], in: ders., Kleine Schriften. Zum römischen Strafverfahren und zur römischen Verfassungsgeschichte, Weimar 1974, 405-440. 421: „Einen institutionell ausgeprägten .Staatsrat' hat es unter dem Prinzipat überhaupt nur in kurzlebigen Ansätzen gegeben." Ders., Rez. Crook, Consilium principis (1955), in: ZRG 72, 1955, 463-470, zit. nach: Kunkel, Kleine Schriften 595-601.601: „... die politischen Beratungen (fanden) geheim und im engsten Kreis der nächsten Freunde und Mitarbeiter des princeps statt." Vgl. Jochen Bleicken, Senatsgericht und Kaisergericht. Eine Studie zur Entwicklung des Prozeßrechtes im frühen Prinzipat, Göttingen 1962, der Crooks These von der fehlenden institutionellen Trennung von politischem und juristischem consilium (vgl.

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II. Forschungslage

Auffassung85 - auch für den juristischen „Beirat" der Kaiser galt bzw. daß „politisches consilium" und „Rechtskonsilium" der Kaiser identisch waren, ist auf Widerspruch gestoßen86. Ein Nebenergebnis von Crooks vergeblicher Suche nach der Institution „consilium principis" ist in unserem Zusammenhang bemerkenswert. Uber die kaiserlichen Beratungsgremien bis in trajanische Zeit faßt er zusammen, daß die Kaiser eine feste Organisation und eine professionelle Körperschaft vermieden und statt dessen die Vorteile einer persönlichen Auswahl mit dem Maximum an praktischer Erfahrung ihrer Räte kombiniert hätten. „This had its attendant disadvantage, that there was always an element of the cabal, and court intrigue was consequently a larger factor in the government of the Empire than it should have been. However, if one is looking for the sources of imperial policy, it is in this direction that one must look." 87 4. Gegenüber der übrigen, weitgehend von Mommsens Kategorien geprägten Spezialforschung ist als Ausnahme Andreas Alföldi zu nennen, der, in bewußter Absetzung von Mommsen, die von Friedländer dominierte „kulturgeschichtliche" Betrachtungsweise wieder aufnahm - wenn auch unter veränderten methodisch-konzeptionellen Vorzeichen. In dem 1934 erschienenen Aufsatz „Die Ausgestaltung des monarchischen Zeremoniells am römischen Kaiserhofe"88 untersucht er die entsprechenden Formalisierungen des Verhaltens im Verkehr mit dem Kaiser. Ausgehend von der Annahme, daß der „große Wandel der Dinge ... vielleicht nirgends besser zu fassen (ist) als in den unscheinbar anmutenden Äußerlichkeiten, die das Leben des Kaiserhofes färbten und beherrschten"89, ist sein Ziel - im Gegensatz zu Fried-

unten Anm. 86) „bestätigt" (92), ebenso das Fehlen irgendwelcher „ N o r m e n " (89) bei der Besetzung des Gremiums, der gleichwohl die Behauptung Crooks, „das" consilium principis sei nicht existent gewesen, zurückweist: „So formlos es auch immer gewesen sein mag und so mannigfach in seiner Zusammensetzung, wenn der Kaiser einen Rat zusammenrief und ihn sich anhörte, bildete er dennoch eine Einrichtung, mit der man bestimmte Vorstellungen verband und die als das dem Kaiser am nächsten stehende Gremium selbst ein Stück der Monarchie war." (86) Vgl. ders., Verfassungs- und Sozialgeschichte des römischen Kaiserreichs, 2 Bde., Bd. 1, 4. Aufl., Paderborn 1995, 166. 188f. 85 StR II 2, 988 ff. 86 Kunkel, Kleine Schriften 421: Das „Gerichtskonsilium" dürfe man „keineswegs . . . mit dem Kreis der politischen sowie der militärischen Berater des Princeps gleichsetzen". Vgl. 422 f. Lediglich das von Kunkel so genannte „Reisekonsilium", das „provinzielle Gerichtskonsilium des Kaisers", sei „weitgehend identisch... mit dem Kreise seiner politischen und militärischen Berater" gewesen (424). Vgl. 600 f. (anders Bleicken, Senatsgericht und Kaisergericht; vgl. oben Anm. 84). 87 Crook, Consilium principis 55. 88 In: M D A I ( R ) 49, 1934, 3 - 1 1 8 ; im folgenden zitiert nach dem unveränderten Neudruck in: ders., Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche, Darmstadt 1970, 3 - 1 1 8 . Ebd. 5.

2. Spezialforschung

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länder - „nicht..., alle faßbaren Einzelheiten der Hofsitten zu verzeichnen", sondern nur „die wesentlichen Züge des Zeremoniells zu erfassen und ihren Werdegang zu skizzieren" 90 . Seine Methode ist gekennzeichnet durch die Heranziehung umfangreichen bildlichen - numismatischen und archäologischen - Quellenmaterials bei gleichzeitiger Kritik der literarischen Uberlieferung durch Aufdeckung von tradierten Aussagen topischer Natur. Zugrunde liegt die Prämisse einer Wechselwirkung zwischen den Formen zeremonieller Repräsentation und den politisch-sozialen Verhältnissen, in denen sie manifest wurden. Zunächst weist Alföldi „die angebliche Einführung des persischen Hofzeremoniells durch Diocletianus" 91 , von der Eutrop, Aurelius Victor, Hieronymus und Ammianus Marcellinus berichten 92 , als Wiederaufnahme alter, feststehender Topoi zurück, die in Rom zur Zeit der Republik und des Prinzipats als „wirksame Waffe der Gegner der Monarchie" gedient hätten, später aber eine „leere Phraseologie" geworden seien und ein „merkwürdiges Eigenleben" geführt hätten 93 . Demgegenüber sei die „tatsächliche Ausgestaltung des monarchischen Zeremoniells" von zwei „gegnerischen Richtungen" oder „Tendenzen" bestimmt gewesen 94 : einerseits „das bürgerlich-einfache Verhalten des Prinzeps seinen Untertanen gegenüber", geprägt durch das Prinzip der aristokratischen Gleichheit, einfachen Zugang zum Kaiser und das Vorherrschen republikanischer Grußformen und Ehrenbezeugungen wie Wangenkuß und salutatio95; zum anderen die „sakral-theologische Formprägung des Verkehrs zwischen Kaiser und Untertan", die in seiner Überhöhung und Absonderung, in Proskynese und adoratio ihren Ausdruck fand 96 . Während für die erste Richtung Kaiser wie Augustus, Vespasian und die des 2. Jahrhunderts von Trajan bis Marc Aurel stünden, sei die zweite bei Caesar, Caligula, Nero, Domitian und Commodus zum Tragen gekommen. „Die Ausschläge des Pendels nach den beiden Seiten hin bestimmten gemeinsam den Gang der Geschichte." 97 Ab Commodus habe sich die zweite Tendenz schließlich durchgesetzt. In einem Aufsatz über „Insignien und Tracht der römischen Kaiser" 98 und einer Reihe weiterer Forschungen über die „optisch faßbaren Zeichen der politischen und gesellschaftlichen Eigenart des Römerstaates" versucht Alföldi, die Untersuchungen über das Hofzeremoniell in ein „historisch-ent9°

Ebd. 118. Ebd. 6 ff. 92 Eutr. 9, 26; Aur. Vict. Caes. 39, 2-4; Hier, chron. 226 c (Helm); Amm. 15, 5, 18. 93 Alföldi, Repräsentation 19. 23. 94 Ebd.25ff.vgl. 54. 95 Ebd. 25-28. 40 ff. 9 6 Ebd. 29. 45 ff. 9 7 Ebd. 273. 9 8 MDAI(R) 50, 1935, 3-158; zit. nach dem unveränderten Neudruck in: Alföldi, Repräsentation 121-276. 9»

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II. Forschungslage

wicklungsgeschichtliches Gesamtgebilde" einzuordnen". Die diesem zugrundeliegende Konzeption des Verlaufs der kaiserzeitlichen römischen Geschichte entspricht in Anfangs- und Endpunkt zwar weitgehend der vorherigen Forschung, jedoch ersetzt Alföldi die Annahme einer entscheidenden Zäsur zwischen Prinzipat und Dominât im 3. Jahrhundert durch die These einer kontinuierlich verlaufenden Entwicklung. Sie habe - in „gleichlaufenden Kurven" - im politischen Bereich zur „Durchbildung des Staatsmechanismus", zur Durchführung des „Staatsgebäudes des Dominates" mit „eiserner Konsequenz" und zum Zurücksinken des Kaisers in „Passivität" geführt 1 0 0 . Im sozialen Bereich seien „kulturell hochstehende Gesellschaftsschichten" zur „primitiven Menge" herabgesunken 101 . Generell sei eine „Rückentwicklung", das „Zurücksinken von der alten Kulturhöhe auf eine weit primitivere Stufe" erfolgt, die einen „orientalischen Anstrich" gehabt habe 1 0 2 . An Alföldis Ergebnissen hinsichtlich der Entwicklung des Zeremoniells sind von einigen Forschern Zweifel angemeldet worden. Sie beziehen sich vor allem auf die Stichhaltigkeit seiner Belege für die vordiokletianische adoratio und seinen Versuch, die Quellenangaben über die diokletianischen Neuerungen als Topoi zu entlarven 103 . Zu fragen ist darüber hinaus, inwieweit nicht auch die Aussagen der früh- und hochkaiserzeitlichen Quellen, z . B . Senecas Angabe, Caligula habe die Sitten der freien civitas in persische Knechtschaft verwandelt 104 - die Alföldi nicht grundsätzlich anzweifelt - , ebenso topischen Charakters sind bzw. welchen gesellschaftlichen und politischen Hintergrund die Tradierung solcher Topoi in der Prinzipatszeit und der Spätantike hatte 1 0 5 . Auch Alföldis Gesamtkonzeption der kaiserzeitlichen Geschichte, insbesondere das Bild der Spätantike als „technisch voll-

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Zusammengefaßt im Vorwort zu Alföldi, Repräsentation IX-XVII. Zit. I X f. Vgl. dazu auch Hartmut Wolff, Einführende Bemerkungen zu Andreas Alföldis Caesarbild, in: Andreas Alföldi, Caesar in 44 v.Chr., Bd. 1: Studien zu Caesars Monarchie und ihren Wurzeln, aus dem Nachlaß hg. v. Hartmut Wolff u.a., Bonn 1985, 1-10. Alföldi, Repräsentation 273. 275. Ebd. 274. Ebd. 275. Vgl. William T. Avery, The adoratio purpurae and the Importance of the Imperial Purple in the Fourth Century of the Christian Era, in: MAAR 17, 1940, 66-80; Henri Stern, Remarks on the,adoratio' under Diocletian, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 17, 1954, 184-189; Henrik Löhken, Ordines dignitatum. Untersuchungen zur formalen Konstituierung der spätantiken Führungsschicht, Köln, Wien 1982, 48-53. Sen. de benef. 2, 12, 2. V g l . dazu allgemein die - bei der antiken Tradition ansetzende - Untersuchung von Lothar Bornscheuer, Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft, Frankfurt am Main 1976.

2. Spezialforschung

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kommene, abstrakt erdachte Zwangsordnung" 106 , wird von der neueren Forschung kaum mehr uneingeschränkt akzeptiert 107 . Problematisch erscheint jedoch vor allem seine Theorie des Verhältnisses zwischen Hofzeremoniell bzw. monarchischer Repräsentation im weiteren Sinne und politisch-sozialen Verhältnissen sowie sein Erklärungsmodell für den Wandel beider Bereiche. Besonders im Vorwort zur Neuausgabe der Abhandlungen über Hofzeremoniell sowie Insignien und Tracht der Kaiser vermittelt Alföldi den Eindruck, daß die zeremoniellen Formen eine Art Eigenexistenz hatten und als solche historisch wirkende Kräfte darstellen. So werden die „Wurzeln", aus denen sie emporwuchsen, und die „fremden Einwirkungen" auf die kaiserzeitlichen Herrschaftsattribute hervorgehoben: Unter anderem das „etruskische Erbe", die Kultur der homerischen Zeit und des archaischen Griechenlands, die „auf die sichtbaren Merkmale des politischsozialen Aufbaus Roms gewirkt" hätten, aber auch „hellenistische Komponenten" und „mesopotamisch-persische Elemente"108. Andererseits spricht er öfters davon, daß z.B. die unterschiedlichen Begrüßungsformen die staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse „genau gespiegelt" hätten109. Im Abschnitt über „die bewegenden Kräfte der Entwicklung" werden dann „allgemeinere historisch-biologische Ursachen", die „stille Wirkung immanenter Kräfte", aber auch der „Zwang von höheren Gesetzen" angeführt 110 . Wenn so auch einiges im Dunkeln bleibt, läßt sich doch feststellen, daß Alföldi nicht nach der Funktion von formalisiertem Verhalten für die sich historisch wandelnden politisch-sozialen Gebilde fragt, daß er vielmehr Zeremoniell und soziale Verhältnisse als gemeinsamen Ausdruck von metaphysischen - jedenfalls nicht sichtbaren - geschichtlich wirkenden Kräften ansieht 111 . Der Kaiserhof, der in den beiden genannten Arbeiten dauernd präsent ist und häufig angeführt wird, bleibt dabei insgesamt unscharf. Er wird nur als ein Ort des Zeremoniells unter anderen, nicht aber als soziales Gebilde sui generis zum Thema gemacht, das das „Hof"-Zeremoniell in irgendeiner Weise determiniert hätte. Dies scheint allerdings nicht in Alföldis Konzeption, sondern in der Sache selbst begründet zu sein: So behandelt er im selben Zusammenhang auch „die kollektive Begrüßung des Kaisers und seine EhAlföldi, Repräsentation XVIII. 107 Vgl. Rolf Rilinger, Die Interpretation des späten Imperium Romanum als „Zwangsstaat", in: G W U 36, 1985, 321-340; Hermann-Josef Horstkotte, Die „Steuerhaftung" im spätrömischen „Zwangsstaat", 2. Aufl., Frankfurt am Main 1988. Die „traditionelle" Sicht vertritt dagegen weiterhin Alfred Heuß, Das spätantike römische Reich kein „Zwangsstaat"? Von der Herkunft eines historischen Begriffs [1986], in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, Stuttgart 1995, 1439-1454. 1 0 8 Alföldi, Repräsentation IX-XVI. 1 0 9 Ebd. 39. 1 1 0 Ebd. 273. 275. 1 1 1 Zu forschungsgeschichtlichen Parallelen einer Geschichte der „Kultur" als „Objektivation von Geist" vgl. Nipperdey, Kulturgeschichte 150. 106

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II. Forschungslage

rung in der Öffentlichkeit", z.B. im Zirkus und im Theater, und meint, daß diese „als zu dem Hofzeremoniell gehörig aufzufassen" seien112. Man kann daher festhalten, daß nach Alföldi „Hof" und „städtische Öffentlichkeit" in gleicher Weise den Bezugsrahmen für Zeremoniell und monarchische Repräsentation bildeten. Dies aber bedeutet, daß man von einem Hofzeremoniell im spezifischen Sinne gar nicht sprechen kann: Als primärer Bezugsrahmen der kaiserlichen Selbstdarstellung erscheint vielmehr - entsprechend langer aristokratisch-römischer Tradition - der städtische Raum 113 , und die Untersuchung der salutatio wird zeigen, daß Formalisierungen des Verhaltens am Hof nicht als eigentümlich höfische Phänomene zu deuten sind, sondern als Durchsetzung und zeremonielle Manifestation der (außerhöfischen) aristokratischen Rangordnung auch am Hof im Laufe seines hier zu untersuchenden Institutionalisierungsprozesses114.

3. Allgemeine

Forschung

In neueren Forschungen, die sich in einem weiteren Rahmen mit den politischen und sozialen Verhältnissen der römischen Kaiserzeit beschäftigen, bleibt unklar, welche Rolle der Kaiserhof in diesen Zusammenhängen spielte. Sofern er zur Sprache kommt, lassen sich drei Positionen unterscheiden: Seine Marginalisierung, die Postulierung seiner politischen Bedeutung und das Anzweifeln seiner Existenz115. 1. In einer großen Zahl von Untersuchungen wird der Hof der Kaiser beiläufig - vereinzelt oder häufiger - erwähnt: In Römischen Geschichten z.B. bei Heuß, Bengtson, Dahlheim und Christ 116 ; in sozialgeschichtlich orien-

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Alföldi, Repräsentation 79 ff. Zit. 80. Als aufschlußreiches Beispiel kann Neros Krönung des Tiridates im Jahre 66 angeführt werden (Suet. Nero 13; Cass. Dio 62 [63], 1-6): Sie fand im Zentrum der städtischen Öffentlichkeit auf dem Forum statt, das Volk nahm in weißen Gewändern Aufstellung, und der Kaiser vollzog mit großem Aufwand, umgeben vom Senat und von der Prätorianergarde, die Krönung. Selbst in einer Zeit also (nach der Pisonischen Verschwörung), als die politische Rolle des Senates weitgehend marginalisiert war, griff der Kaiser auf den städtischen Raum und die traditionellen Institutionen der res publica zurück, um seinen eigenen Rang gegenüber einem ausländischen König im Zeremoniell zu manifestieren. Vgl. dazu unten S. 128ff. 143 f . Daß vorwiegend die erste Position in der deutschen, die zweite in der englischen und die dritte in der französischen Althistorie vertreten wird, dürfte mit den jeweiligen Nationalgeschichten zusammenhängen, indem der Hof im Heiligen Römischen Reich oft ein lächerliches (Duodezabsolutismus), in England (in Konkurrenz zum Parlament) ein ernstzunehmendes und in Frankreich (Ludwig XIV.) ein unvergleichliches Phänomen darstellte. Heuß, RG 332. 338; Hermann Bengtson, Grundriß der römischen Geschichte mit Quellenkunde, Bd. I: Republik und Kaiserzeit bis 284 n.Chr., 3. Aufl., München

3. Allgemeine Forschung

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tierten Überblicksdarstellungen z.B. bei Alföldy, Chr. Meier, Garnsey/Salier und Vittinghoff 1 1 7 ; in Arbeiten zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte z.B. bei Ernst Meyer, Kunkel, Pflaum, Bleicken, Eck und Ausbüttel 1 1 8 ; in Untersuchungen zur senatorischen Führungsschicht z.B. bei Bergener, Grenzheuser, Eck, Szramkiewicz, Alföldy, Gaudemet, Syme und Talbert 119 ; in Arbeiten über den Charakter des römischen Kaisertums z.B. bei Wickert, Timpe, Miliar und Bleicken 120 . Charakteristisch ist für alle diese Beispiele, deren Zahl sich leicht vermehren ließe, daß die Autoren zwar das Vorhandensein eines Kaiserhofes offensichtlich voraussetzen, diesem aber im Rahmen der untersuchten Sachverhalte keinerlei Bedeutung zumessen. „Hof" wird als Kategorie ohne analyti1982, 300; Dahlheim, Geschichte der römischen Kaiserzeit 173. 180. 186; Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit 213. 229f. 117 Alföldy, Römische Sozialgeschichte 114. vgl. 96 f.; Christian Meier, Größe, Stabilität, Untergang. Zu den Bedingungen der römischen Geschichte, in: Karl H. Burmeister, Emmerich Gmeiner (Hg.), Brigantium im Spiegel Roms, Dornbirn 1987, 57-74. 69; Garnsey/Saller, Roman Empire 56; Vittinghoff, Gesellschaft 192. 118 Ernst Meyer, Römischer Staat und Staatsgedanke, 4. Aufl., Zürich, München 1975, 392. 394. 402. 414; Kunkel, Kleine Schriften 596; Hans-Georg Pflaum, Procurator, • RE 23,1,1957,1240-1279. 1243 f. 1278 f. („Hofämter"); Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte I 144. 159; Werner Eck, Zu den prokonsularen Legationen in der Kaiserzeit, in: Epigraphische Studien 9, 1972, 24-36. 32; ders., Die staatliche Administration des römischen Reiches in der hohen Kaiserzeit. Ihre strukturellen Komponenten [1989], in: ders., Die Verwaltung des römischen Reiches in der hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge, Bd. 1, Basel 1995, 1-28. 20; Frank M. Ausbüttel, Die Verwaltung des römischen Kaiserreiches. Von der Herrschaft des Augustus bis zum Niedergang des Weströmischen Reiches, Darmstadt 1998, 174. vgl. 12. 19. 119 Alfred Bergener, Die führende Senatorenschicht im frühen Prinzipat (14—68 n.Chr.), Bonn 1965,215; Bruno Grenzheuser, Kaiser und Senat in der Zeit von Nero bis Nerva, Münster 1964, 24; Werner Eck, Senatoren von Vespasian bis Hadrian. Prosopographische Untersuchungen mit Einschluß der Jahres- und Provinzialfasten der Statthalter, München 1970,55; Romuald Szramkiewicz, Les gouverneurs de province à l'époque Augustéenne. Contribution à l'histoire administrative et sociale du Principat, 2 Bde., Paris 1975. 1976, II 136ff.; Géza Alföldy, Konsulat und Senatorenstand unter den Antoninen. Prosopographische Untersuchungen zur senatorischen Führungsschicht, Bonn 1977, 126; Jean Gaudemet, Note sur les amici principis, in: Gerhard Wirth (Hg.), Romanitas - Christianitas. Untersuchungen zur Geschichte und Literatur der römischen Kaiserzeit. Johannes Straub zum 70. Geburtstag, Berlin, New York 1982, 42-60. 53 A. 65; Ronald Syme, The Augustan Aristocracy, Oxford 1986, z.B. 168ff.; Richard J.A. Talbert, The Senate of Imperial Rome, Princeton 1984, 92. 163 Α. 2. 120 Lothar Wickert, Princeps (civitatis), RE 22, 2, 1954, 1998-2296. 2110; Timpe, Kontinuität 31; Miliar, Emperor z.B 3. 62. 73-75. 78-82. 112. 116; vgl. ders., Epictetus and the Imperial Court, in: JRS 55, 1965, 141-148; Jochen Bleicken, Zum Regierungsstil des römischen Kaisers. Eine Antwort auf Fergus Millar [1982], in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, Stuttgart 1998, 843-875. 851 f. 866; Dieter Timpe, Claudius und die kaiserliche Rolle, in: Volker M. Strocka (Hg.), Die Regierungszeit des Kaisers Claudius (41-54 n.Chr.). Umbruch oder Episode?, Mainz 1994, 35—42. 41.

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II. Forschungslage

sehen Wert und ohne Einfluß auf den Gang der Argumentation verwandt 121 . Zugleich sind jedoch häufig bestimmte, durchweg negative Assoziationen erkennbar, die mit dem Begriff „Hof" angesprochen werden: Pracht und Verschwendung 122 , Intrigen 123 , Günstlingswirtschaft 124 und ähnliche Sachverhalte. So erscheint der Hof wie ein gelegentlich - besonders bei den „schlechten" Kaisern - auftretendes, insgesamt jedoch zu vernachlässigendes Störphänomen im ansonsten geregelten Betrieb kaiserzeitlicher Politik. 2. In Teilen der neueren Forschung zeigen sich Zweifel an der Bedeutungslosigkeit des Kaiserhofes: Nach Garzetti verwandelte sich das „Haus" des Kaisers unter Caligula und Claudius allmählich in einen „Hof", da mit der Entwicklung des Kaisertums zur Autokratie auch die Macht der Personen in seiner Nähe zugenommen habe 125 . Garnsey/Saller sprechen gelegentlich über „the way in which policy was actually made, at court, where the emperor sat with his immediate circle of advisers" 126 . Salier betont in seiner Untersuchung der Patronageverhältnisse in der frühen Kaiserzeit die Bedeutung der „structural features of the court" für die Kanalisierung kaiserlicher beneficiau?. Champlin charakterisiert den Rhetor M. Cornelius Fronto als einen „Höfling", der sich im Geflecht von Einfluß, Intrige, Rivalität und wechselnden Allianzen in Abhängigkeit von der stets unsicheren Gunst des Kaisers am Antoninenhof bewegt habe 128 . In neueren Biographien finden sich verstärkt auch einzelne Kapitel über den Hof des jeweiligen Kaisers, so bei Kienast, Levick und Jones 129 . 121

Dies gilt auch für verschiedene Arbeiten, die den Begriff „Hof" im Titel führen: Vgl. z.B. Jutta Kollesch, Aus Galens Praxis am römischen Kaiserhof, in: Elisabeth Ch. Welskopf (Hg.), Neue Beiträge zur Geschichte der Alten Welt, Bd. 2, Berlin 1965, 57-61; Mehl, Tacitus; Temporini, Frauen; Margarethe Billerbeck, Philology at the Imperial Court, in: G & R 37, 1990, 191-203; Michael Kaplan, Greeks and the Imperial Court. From Tiberius to Nero, New York 1990.

Vgl. z.B. Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit 213, der „jenen sinnlosen Luxus" kritisiert, „den der Hof (sc. unter Caligula) vor allem am Golf von Neapel praktizierte". 123 Vgl z g Heuß, R G 332, über die „ungesunde Atmosphäre des julisch-claudischen Hofmilieus" oder Millar, Emperor 75, über den Freigelassenen M. Antonius Pallas: „Under Claudius he was a rationibus, and deeply involved in the intrigues of the court." 124 Vgl. Z- g. bei Heuß, R G 338, die Erwähnung der „Nebenregierung" am Hof unter Tiberius und Claudius. 1 2 5 Albino Garzetti, L'impero da Tiberio agli Antonini (Storia di Roma 6), Bologna 1 9 6 0 , 1 1 6 ££. 126 p e t e r Garnsey, Richard P. Sailer, The Early Principate. Augustus to Trajan, Oxford 1982, 4. 1 2 7 Richard P. Salier, Personal Patronage under the Early Empire, Cambridge 1982, 41 ff. („The emperor and his court"). Zit. 58. 1 2 8 Edward Champlin, Fronto and Antonine Rome, Cambridge Mass. 1980, bes. 94 ff. 1 2 9 Dietmar Kienast, Augustus. Prinzeps und Monarch, Darmstadt 1982,253-263; Barbara Levick, Claudius, London 1990, 53-79; Brian W. Jones, The Emperor Domitian, London 1992, 22-71. 122

3. Allgemeine Forschung

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Löhken, der die Entstehung der spätantiken Führungsschicht untersucht, beschreibt den H o f der frühen Kaiserzeit als „Quelle informaler Macht" und weist ihm sodann eine zentrale Bedeutung im Prozeß der Ausbildung und Stabilisierung der römischen Monarchie zu. Er habe dem Kaiser nicht nur als Repräsentationsorgan, sondern auch als Mittel der „Kontrolle" und „Domestikation" des Adels gedient 130 . „Wesentliche Grundvoraussetzung der D o mestikation war der ständige soziale Verkehr der zu domestizierenden Aristokraten mit dem Domestikanten, der ihnen zusammen mit ihrer - auch durch eben diesen Verkehr dokumentierten - sozial herausgehobenen Stellung zugleich immer wieder die absolute Überlegenheit des Herrschers eindringlich vor Augen führte." 1 3 1 Löhkens Ausführungen sind durch theoretische Modelle angeregt, die am Beispiel des französischen Königshofes im Absolutismus entwickelt worden sind 132 . Sie bleiben jedoch hypothetisch, da er weder die generelle Übertragbarkeit der Modelle, noch die Interaktion zwischen Kaiser und Aristokratie am Hof einer systematischen Uberprüfung am Quellenmaterial unterzieht. Mit Bezug auf Elias, aber ohne anachronistische Wertungen hat zuletzt Wallace-Hadrill in der Cambridge Ancient History eine kurze Analyse des kaiserlichen Hofes vorgelegt und dem Hof damit erstmals seit Friedländer wieder den Einzug in ein althistorisches Handbuch verschafft 133 . 3. „Avons-nous le droit de parler d'une Cour impériale?" fragt Jean Gagé unter der Überschrift „La place sociale du pouvoir impérial" in seinem Buch „Les classes sociales dans l'Empire romain" 1 3 4 . Auch er wählt - wie Löhken - als Bezugspunkt die Verhältnisse im absolutistischen Frankreich in der Zeit von Ludwig XIV. bis Ludwig XVI., kommt aber zu ganz anderen Folgerungen. Im Gegensatz zum antiken Rom habe es in Frankreich eine „noblesse de Cour" gegeben, die sich vom Landadel und dem Pariser Bürgertum deutlich abhob, dort sei eine klare Scheidung von „la Ville et la Cour" erkennbar, die

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Löhken, Ordines dignitatum bes. 54 ff. Zit. 58. 55. 59. Ebd. 59 f. Vgl. Ebd. 1 A. 1; 4 f. A. 12. 13; 55 A. 36; 57 A. 43. Ganz abgesehen von der Frage ihrer Übertragbarkeit auf römische Verhältnisse sind diese Modelle, d. h. insbesondere die Arbeiten von Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft, Darmstadt, Neuwied 1969, und Jürgen von Kruedener, Die Rolle des Hofes im Absolutismus, Stuttgart 1973, in ihrer Tragweite auch hinsichtlich des Hofes im Absolutismus umstritten. Vgl. zu v. Kruedener bes. Aloys Winterling, Der H o f der Kurfürsten von Köln 1 6 8 8 - 1 7 9 4 . Eine Fallstudie zur Bedeutung „absolutistischer" Hofhaltung, Bonn 1 9 8 6 , 2 2 ff.; zur Kritik an Elias zuletzt ders., Idealtypische Bestimmung 13 A. 6. Wallace-Hadrill, C o u r t 2 8 3 - 3 0 8 . E r charakterisiert den H o f der frühen Kaiserzeit in politischer Hinsicht zusammenfassend als „arena" (283 f.) der monarchischen Machtausübung und zugleich als „a private household with a central role in public life" (287), der gleichwohl keine „official or public function" (286) gehabt habe. 191 ff. 197.

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II. Forschungslage

im Aufenthalt des Hofes in Versailles ihren Ausdruck fand 135 . Umgekehrt verweist er auf eine Reihe von Besonderheiten der römischen Monarchie gegenüber dem französischen Königtum des 17. und 18. Jahrhunderts: Die kaiserliche Residenz sei nicht „maison royale", nicht regia, sondern palatium genannt worden 136 ; dem kaiserlichen Dienstpersonal habe es an einem „Statut public" gemangelt 137 ; auch dem kaiserlichen Vermögen habe - zumindest in der frühen Kaiserzeit - ein öffentlicher Charakter wie auch eine öffentliche Administration und Kontrolle gefehlt 138 ; die kaiserliche Familie sei kein privilegiertes Geschlecht gewesen, das sich durch Geburtsrecht über den Rest der Aristokratie erhob 139 . Gagé kommt zu dem Schluß: „II n'y a pas eu de Cour impériale proprement dite, au moins avant le temps des Sévères, en ce sens qu'il n'y a pas eu de particuliers, d'origine clarissime, vivant en permanence et avec leurs familles auprès du Prince et sur ses subventions." 140 Bei Paul Veyne nimmt die Suche nach absolutistischer Hofhaltung im antiken Rom eine originelle Wendung. In seinem Buch „Le pain et le cirque" charakterisiert er den Kaiser als „Euergeten", der zugleich Herrscher, städtischer Magistrat und privater „Mäzen des Staates" war 141 . Die für jede Monarchie notwendige prachtvolle Ostentation der Majestät des Herrschers habe im kaiserzeitlichen Rom nicht - wie bei patrimonialen Monarchien - primär in Form von demonstrativem Konsum, von kaiserlichem Luxus, Vergnügungen und Müßiggang stattgefunden. Vielmehr habe der Kaiser seiner Majestät durch demonstrative Schenkungen an seine Stadt Ausdruck verliehen 142 . „La Ville éternelle tient lieu de cour", folgert Veyne. Die Stadt Rom selbst habe für die Kaiser die Bedeutung eines Hofes eingenommen. So wie andere Monarchen ihren Hof versorgten und Ballettaufführungen für ihn veranstalteten, hätten die Kaiser dem Volk von Rom Brot und Spiele gegeben. Die Beziehung des Prinzeps zur stadtrömischen plebs sei wie die eines Königs des Ancien Régime zu seinen Höflingen gewesen 143 . Anders als Gagé, der sachliche Ungleichheiten konstatiert, sucht Veyne also gewissermaßen nach einem funktionalen Äquivalent des absolutistischen Hofes im antiken Rom. Sein Ergebnis, daß die Stadt selbst Repräsentationsfunktionen erfüllte, daß sich also die Manifestation der Sonderstellung des Kaisers (als Euerget) nicht in seinem „Haus", sondern im Rahmen einer städtischen Öffentlichkeit abspielte, erinnert an Alföldis Feststellung einer fehlenden Trennung von höfischem und städtischem Zeremoniell und ist auf135 Ebd. 197. i* 6 Ebd. 191. 137 Ebd. 194. 1 3 8 Ebd. 1 9 5 - 1 9 7 . 1 3 9 Ebd. 216. ito Ebd. 197. 1 4 1 Le pain et le cirque 6 1 9 - 6 2 1 . >« Ebd. 6 7 5 - 6 8 1 . 1 « Ebd. 6 8 2 - 6 8 5 . 700. 706. Zit. 682.

4. Zusammenfassung

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schlußreich für die besondere Situation des Kaiserhofes, der - anders als mittelalterliche und frühneuzeitliche Höfe - in ebendieser städtischen Öffentlichkeit entstand und seinen Platz finden mußte. O b man jedoch, was Veyne implizit tut, dem kaiserlichen „Haus" deshalb den Charakter eines Hofes absprechen kann, wird davon abhängen, ob man die Funktion der monarchischen Repräsentation, die Veyne dem französischen Hof zuweist, für dessen einziges und entscheidendes Merkmal hält, vor allem aber davon, ob man bereit ist, dem Hof der absolutistischen Könige Frankreichs paradigmatische Bedeutung für monarchische Höfe schlechthin zuzubilligen. Die Gegenposition besagt, daß es sich beim französischen Königshof im Absolutismus um den Sonderfall (Frankreich) eines Sonderfalls (Absolutismus) im Rahmen vormoderner monarchischer Hofhaltung handelt 144 . Der Sondercharakter des kaiserlichen „Hauses" gegenüber adligen „Häusern" wird jedenfalls auch bei Veyne deutlich: wenn er Intrigen, die dort stattfanden, als „querelies du sérail" bezeichnet 145 , wenn er es (in einem über die räumlich-lokale Bedeutung hinausgehenden institutionellen Sinne) „palais" nennt 1 4 6 - und wenn ihm gelegentlich dann doch die Bezeichnung „cour" für das „Haus" des Kaisers unterläuft 147 .

4.

Zusammenfassung

Die großen Althistoriker des 19. Jahrhunderts, einer Zeit also, in der monarchische Höfe selbst noch einen Teil der politischen Wirklichkeit ausmachten, haben den Hof der römischen Kaiser zum Gegenstand ihrer Überlegungen gemacht und auf seine historische Bedeutung verwiesen. Aufgrund ihrer spezifischen Fragestellungen und Theorieansätze konzentrierten sie sich jedoch auf seine staatsrechtlichen (Mommsen) bzw. kulturgeschichtlichen Aspekte (Friedländer) und ließen seine politisch-soziale Rolle in systematischen Zusammenhängen außer Betracht. Obwohl sie selbst somit dem Hof gerecht zu werden suchten, scheinen doch durch ihre Arbeiten die entscheidenden Weichenstellungen erfolgt zu sein, die zu seiner Vernachlässigung in der späteren Forschung führten: Friedländers Verfahren der antiquarischen Deskription war nicht anschlußfähig für veränderte Fragestellungen. Mommsens Anwendung der Unterscheidung privat/staatlich auf den Hof 144 Vgl ausführlicher Winterling, Idealtypische Bestimmung bes. 22 ff. 145 146 147

Ebd. 700. 706. Ebd. 695. Ebd. 775 A. 387: „ O n a exagéré l'exhibitionnisme des .Césars fous' eux-mêmes. Le plus souvent, les empereurs ne s'exhibent comme cochers, gladiateurs ou chasseurs, acteurs, qu'à l'intérieur de leur palais, sur leur théâtre privé ou dans l'amphitéâtre de la C o u r . . . " ; 785 A. 476: „ O n ne confondra pas les jeux et muñera publics avec les spectacles de cour que l'empereur organise en son palais: quand Caligula et N é r o n jouèrent le rôle de cochers, ce fut sans doute à l'intérieur de leur cour."

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II. Forschungslage

sowie seine Reduktion und Segmentierung desselben legten eine politische Marginalisierung der engsten Umgebung der Kaiser und die Zuordnung unterschiedlicher Aspekte des Hofes zum römischen „Staat" nahe. Dies war forschungsgeschichtlich folgenreich. So haben spätere Detailuntersuchungen die von Mommsen selbst hervorgehobene Selektivität seiner staatsrechtlichen Fragestellung nicht mehr beachtet. Vielmehr sind sie, wenngleich sie Fragestellungen der Politik- oder Sozialgeschichte verfolgten, seiner staatsrechtlichen Konzeption gefolgt und haben sich auf entsprechende Segmente des Kaiserhofes konzentriert, das Gesamtphänomen, auf dessen Bedeutung Mommsen selbst ausdrücklich verwiesen hatte, jedoch nicht mehr in den Blick genommen. Entsprechend wird die systematische Stelle des Hofes in der Mehrzahl allgemeiner neuerer Forschungen zur römischen Kaiserzeit meist mit temporären bzw. in den Quellen nicht vorkommenden Begriffen besetzt (domus Augusta, „familia Caesaris", „consilium principis"). Der Hof selbst findet meist gar keine oder nur noch beiläufige Erwähnung. Arbeiten, die die Frage nach ihm gelegentlich aufwerfen, kommen dagegen zu widersprüchlichen Ergebnissen hinsichtlich seiner politisch-sozialen Bedeutung bzw. hinsichtlich der Frage, ob es ihn überhaupt gegeben hat.

III. Das aristokratische „Haus" bei Vitruv und Lukian Neuere Forschungen, die das aristokratische römische „Haus" in der späten Republik und Kaiserzeit als gesellschaftliche Einheit in den Blick nehmen, stellen seine Verschiedenheit von modernen häuslich-familialen Einheiten heraus. Salier zeigt in einer terminologischen Untersuchung den breitgefächerten, sich weitgehend überschneidenden Bedeutungsgehalt der Begriffe domus und familia. Beide bezeichnen die Verwandtschaft des Hausherrn wobei familia die agnatische, domus auch die kognatische umfaßt - , die von ihm abhängigen Sklaven, Freigelassenen und Klienten sowie seinen sachlichen Besitz, das Hausvermögen (Patrimonium); domus heißt zudem das Gebäude, in dem der aristokratische Haushalt sein Zentrum hatte. Für die Kernfamilie, bestehend aus Eltern und Kindern, haben die Römer dagegen keinen eigenständigen Begriff entwickelt 1 . Wiseman und Wallace-Hadrill betonen, ausgehend von archäologischen Quellen, unter anderem die fehlende Scheidung von häuslichem und sakralem 2 sowie die Vermischung von öffentlichem und privatem Bereich im „Haus" 3 . Wendet man diese, auf Defizite gegenüber modernen Erscheinungen (Kleinfamilie, Scheidung von religiöser, öffentlicher und privater Sphäre) hinweisenden Bestimmungen ins Positive, wird man das aristokratische römische „Haus" als ein gesellschaftliches Ge1

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Richard P. Salier, Familia, Domus, and the Roman Conception of the Family, in: Phoenix 38, 1984, 336-355; ders., Patriarchy, Property and Death in the Roman Family, Cambridge 1994, 74 ff. - Zur Sozialgeschichte der römischen „Familie" als einem rechtlich abgrenzbaren Personenverband gibt es eine umfangreiche Forschungsliteratur. Vgl. die Hinweise bei Vittinghoff, Gesellschaft 175ff. und z.B. Beryl Rawson (Hg.), The Family in Ancient Rome. New Perspectives, London, Sidney 1986; Marie-Thérèse Raepsaet-Charlier, La femme, la famille, la parenté à Rome. Thèmes actuels de la recherche, in: AC 62, 1993, 247-253; Dale Β. Martin, The Construction of the Ancient Family. Methodological Considerations, in: JRS 86, 1996, 40-60; Beryl Rawson, Paul R.C. Weaver (Hg.), The Roman Family in Italy. Status, Sentiment, Space, Canberra, Oxford 1997; zum aristokratischen „Haus" als Gebäude und zur Lokalisierung senatorischer Häuser in Rom siehe jetzt Werner Eck, Cum dignitate otium. Senatorial domus in Imperial Rome, in: SCI 16, 1997, 162-190. Timothy P. Wiseman, Conspicui postes tectaque digna deo. The Public Image of Aristocratic and Imperial Houses in the Late Republic and Early Empire, in: L'Urbs. Espace urbain et histoire (1er siècle av. J.-C. - l i l e siècle ap. J.-C.), Rom 1987, 393—413. bes. 396ff. Andrew Wallace-Hadrill, The Social Structure of the Roman House [1988], in: ders., Houses and Society in Pompeii and Herculaneum, Princeton 1994,1-61. bes. 17 ff.; aus archäologischer Sicht zuletzt Reinhard Förtsch, Die Herstellung von Öffentlichkeit in der spätrepublikanischen Wohnarchitektur als Rezeption hellenistischer Basileia, in: Wolfram Hoepfner, Gunnar Brands (Hg.), Basileia. Die Paläste der hellenistischen Könige, Mainz 1996, 240-249.

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III. Das aristokratische „Haus" bei Vitruv und Lukian

bilde beschreiben können, dessen auf den Hausherrn zentrierte soziale Beziehungen familiale (Verwandtschaft), herrschaftliche (Verhältnis zwischen dominus und servus/libertus), wirtschaftliche, sakrale und öffentlich-politische (Versammlung der Klientel) Funktionen in sich vereinten, Funktionen also, für die - abgesehen von den kernfamilialen Verwandtschaftsverhältnissen - in modernen Gesellschaften der häuslich-familiale Bereich keine tragende Rolle mehr spielt4. Bei den antiken Autoren findet diese Funktionsvielfalt des aristokratischen „Hauses" in gelegentlichen Parallelisierungen seiner Strukturen mit denen der (politischen) Gesellschaft insgesamt ihren Ausdruck: Seneca antwortet in einem seiner „Dialoge" einem Aristokraten, der sich über Mangel an libertas in der res publica beklagt, er solle zunächst einmal in seiner domus, personifiziert als servus, libertus, uxor und cliens, für Freiheit sorgen 5 . Der Jüngere Plinius schreibt, für Sklaven sei das „Haus" gewissermaßen ihr Gemeinwesen und ihre Bürgerschaft: nam servis res publica quaedam et quasi civitas domus est.6 Einige typische Einrichtungen und Strukturen des aristokratischen „Hauses" lassen sich beispielhaft durch einen Abschnitt aus Vitruvs De arcbitectura und durch Lukians wenig beachtete Schrift De mercede conductis potentium familiaribus veranschaulichen. Bei seiner Behandlung der privata aedificia, d. h. Häusern (im sachlichen Sinne) von „Privatpersonen" (im Gegensatz zu „öffentlichen" Gebäuden), unterscheidet Vitruv zunächst propria loca, Räumlichkeiten, zu denen nur geladene Gäste Zutritt haben, und communio, loca, in denen sich auch ungeladene Leute aus dem Volk einfinden dürfen 7 . Generell macht er die Beschaffenheit eines Hauses und seiner Räume abhängig vom Stand und der gesellschaftlichen Funktion des Hausherrn. Einfache Leute brauchten keine auf-

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Vgl. als Klassiker Marquardt, Privatleben I 1 ff. und zuletzt Rolf Rilinger, Domus und res publica. Die politisch-soziale Bedeutung des aristokratischen „Hauses" in der späten römischen Republik, in: Aloys Winterling (Hg.), Zwischen „Haus" und „Staat". Antike Höfe im Vergleich, München 1997, 73-90; Christiane Kunst, Zur sozialen Funktion der Domus. Der Haushalt der Kaiserin Livia nach dem Tode des Augustus, in: Peter Kneissl, Volker Losemann (Hg.), Imperium Romanum. Studien zu Geschichte und Rezeption. Festschrift für Karl Christ zum 75. Geburtstag, Stuttgart 1998, 450-471. bes. 453-456; zur modernen Familie vgl. Hartmann Tyrell, Probleme einer Theorie der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung der privatisierten modernen Kernfamilie, in: Zeitschrift für Soziologie 5, 1976, 393—417. Sen. de ira 3, 35, 1 f. vgl. 5. Plin. ep. 8, 16,2. Vitr. de arch. 6, 5,1 : namque ex his quae propria sunt, in ea non est potestas omnibus introeundi nisi invitatis, quemadmodum sunt cubicula, triclinia, balneae ceteraque, quae easdem habent usus rationes. communia autem sunt, quibus etiam invocati suo iure de populo possunt venire, id est vestibula, cava aedium, peristylia, quaeque eundem habere possunt usum. - Vgl. Filippo Coarelli, La casa dell'aristocrazia romana secondo Vitruvio, in: Herman Geertman, Jan J. de Jong (Hg.), Munus non ingratum. Proceedings of the International Symposium on Vitruvius* De Architectura and the Hellenistic and Republican Architecture, Leiden 1989, 178-187; WallaceHadrill, Roman House lOf.

III. Das aristokratische „Haus" bei Vitruv und Lukian

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wendigen Vorhallen, Empfangssäle etc., weil sie anderen ihre Aufwartung machten, sie selbst aber keine Besucher empfangen müßten. Personen, die sich mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen beschäftigten, Geldverleiher und Steuerpächter sowie Rechtsanwälte und Redner müßten über die für ihre jeweiligen Tätigkeiten zweckmäßigen und ihrem Stand angemessenen Räumlichkeiten verfügen 8 . Für hochstehende Personen (nobiles) schließlich, die wegen der Bekleidung von Ehrenämtern und Magistraturen Verpflichtungen gegenüber den Bürgern hätten, müßten fürstliche und hohe vestibula gebaut werden, zudem sehr geräumige Atrien und Peristyle, Gartenanlagen und weiträumige Spaziermöglichkeiten, die ihrer maiestas angemessen seien, außerdem Bibliotheken, Pinakotheken und basilicae, ähnlich prachtvoll wie öffentliche Gebäude, weil in ihren Häusern häufig sowohl Beratungen in öffentlichen Angelegenheiten {publica Consilia) durchgeführt als auch private Urteile und Entscheidungen {privata indicia arbitriaque) gefällt würden 9 . Das Gebäude, das ein aristokratisches „Haus" beherbergt, muß also nach Vitruv den Rang des Hausherrn äußerlich sichtbar machen. Es muß darüber hinaus die Möglichkeit bieten, daß Leute aus dem Volk ihm ihre Aufwartung machen können und daß er selbst dort seinen „öffentlichen" politischen Aufgaben und „privaten" Entscheidungspflichten nachkommen kann. Lukian rät in seiner um 180 n.Chr. verfaßten Schrift 1 0 einem Philosophen namens Timokles eindringlich davon ab, sich in den Dienst eines vornehmen Römers zu begeben (mere. cond. 3). Durchgängig argumentiert er, durch Annahme einer solchen bezahlten Stellung verliere man seine Freiheit und erwähle sich gewissermaßen freiwillig die Sklaverei (5. 23 u.ö.). Dabei zeigt Lukian, daß aristokratische „Häuser" große Attraktivität auf Außenstehende ausüben: Die Teilnahme an teuren Gastmählern, das prachtvolle Wohnen, der allgemeine Luxus und die materiellen Vorteile sind begehrenswert (3. 7); schon durch Anwesenheit in der Nähe vornehmer und hochgestellter Männer fühlen sich viele über das einfache Volk erhaben (9); sie werden beneidet von denen, die außerhalb solcher „Häuser" leben (21). Neben dem Hausherrn, der auch als βασιλεύς bezeichnet wird (29) und dessen Hauptinteresse Erbschaften, politischen Ämtern (άρχαί) und Reichtumsvermehrung gilt (27), seiner Frau und seinen „Freunden" ( 1 2 . 1 4 . 3 8 ) bevölkert ein umfangreiches Personal das Haus: Philosophen, Grammatiker, Rhetoren und Musiker, die für die Bildung (παιδεία) zuständig sind (4), wer-

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Vitr. de arch. 6, 5, 1 f. Vitr. de arch. 6, 5, 2: nobilibus vero, qui honores magistratusque gerundo praestare debent officia civibus, fadunda sunt vestibula regalia alta, atria et peristylia amplissima, silvae ambulationesque laxiores ad decorem maiestatis perfectae; praeterea bybliothecas, pinacothecas, basilicas non dissimili modo quam publicorum operum magnificentia comparatas, quod in domibus eorum saepius et publica Consilia et privata iudicia arbitriaque conficiuntur. Vgl. Christopher P. Jones, Culture and Society in Lucian, Cambridge Mass., London 1986, 78 ff. 167ff.

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III. Das aristokratische „Haus" bei Vitruv und Lukian

den erwähnt, sodann eine Menge von Gymnastiklehrern, Tanzmeistern, alexandrinischen Zwergen, unzüchtigen Possenreißern, Sängern erotischer Lieder, Magiern, Wahrsagern, Eunuchen und Konkubinen für die Unterhaltung (4. 27. 29), schließlich ein Aufseher (επίτροπος), der Hausverwalter (οικονόμος; 12. 38), ein Türsteher, der nomenclátor (10), der Koch (32), der „Vorschneider" bei Tisch (26) und der Friseur der Herrin (32). Der Lebensstil des aristokratischen „Hauses" ist nicht nur durch allgemeinen materiellen Aufwand gekennzeichnet - Lukian weist den Philosophen darauf hin, daß sein Gehalt weitgehend von den Aufwendungen für angemessene Kleidung verschlungen wird (38) - , sondern auch durch „Feinheit" des Verhaltens. Beim Essen bricht einem Philosophen anfänglich jedenfalls der kalte Schweiß aus: Infolge der komplizierten Tischsitten und der Aufmerksamkeit der übrigen Speisegesellschaft und der Diener ist er gezwungen, seinen Nachbarn zu beobachten und dessen Verhalten zu kopieren, um nicht unangenehm aufzufallen (15). Insgesamt dient das „Haus" dem Zweck, das Ansehen des Hausherrn durch Außenwirkung zu erhöhen: So befinden sich Philosophen nicht etwa aufgrund seines Interesses an Bildung in seinem Gefolge. Vielmehr sollen sie, erkennbar an Bart und Philosophenmantel, öffentlich den Eindruck hervorrufen, der Herr und die Herrin seien kultivierte Leute, die sich um die griechische Sprache bemühten und über literarischen Geschmack verfügten (25. 36)

·. Die inneren Strukturen des vornehmen römischen „Hauses" in der Schilderung Lukians sind geprägt durch Rivalität, Konkurrenz und Neid der Hausmitglieder untereinander 11 , die dort vorherrschende Kommunikations form durch permanente Schmeichelei (κολακεύειν) 12 . Der neu angekommene Philosoph erregt sofort die Eifersucht der übrigen, weil durch seinen Platz beim Gastmahl andere zurückgesetzt werden (16). Um zu seinem Lohn zu kommen, muß er nicht nur dem Herrn, sondern auch dem Hausverwalter und dem Freund und Berater des Hausherrn schmeicheln, unterwürfig auftreten und ihnen den Hof machen 13 , denn diese beeinflussen jenen in seinen Entscheidungen. Aber Schmeichelei bestimmt auch das Verhalten der „Freunde" selbst. Lukian charakterisiert einen φίλος als alten Mann, der von Kindheit an daran gewöhnt ist (κολακεία σύντροφος) und den Herrn mit der Aussage erfreut, sein „Haus" sei das erste im ganzen römischen Reich (20). Wer nicht schmeichelt, kann leicht seine Stellung verlieren, von anderen denunziert werden und sich in den „Steinbrüchen des Dionysios" wiederfinden, denn er gerät in den Verdacht, Übles gegen den Hausherrn im Schilde zu 11 12 13

Mere. cond. 11. 16.20. 27f. 39. Merc. cond. 4. 24. 35. 38. 40. Vgl. dazu allgemein Otto Ribbeck, Kolax. Eine ethologische Studie, Leipzig 1883. Merc. cond. 38: ινα δ' ουν λάβης (sc. den Lohn), κολακευτέος μέν αυτός (sc. der Hausherr) καί ίκετευτέος, θεραπευτέος δε και ó οικονόμος, ούτος μέν και άλλος θεραπείας τρόπος· ουκ αμελητέος δέ ουδέ ó σύμβουλος καί φίλος.

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führen (35). Ein Philosoph, schreibt Lukian, ist kaum in der Lage, unter diesen Bedingungen seine Gunst zu erhalten (κεχαρισμένος είναι), während die übrigen Hausmitglieder in den geschilderten Verhaltensweisen eine besondere Kunstfertigkeit (τέχνη) entwickelt haben (30). Die Schrift endet mit der Schilderung eines allegorischen Gemäldes, das den Lebensweg in einem aristokratischen „Haus" darstellt: Ein schlüpfriger Weg nach oben, auf dem mancher ausrutscht und sich den Hals bricht. Ziel ist ein goldenes Tor, hinter dem Wohlstand winkt. Hoffnung begleitet den Eintritt, Trug, Knechtschaft, Mühen und Alter nehmen den Eintretenden in Empfang. Hybris treibt ihn zur Verzweiflung. Statt des goldenen Tores ist es eine Hintertür, durch die er schließlich nackt, dickbäuchig, bleich und alt wieder hinausgeworfen wird. Buße hilft ihm, sein Leben zu beenden (42). Dem Bild des aristokratischen „Hauses", das Vitruv aus der Perspektive architektonischer Planung und Lukian aus der einer satirischen Gesellschaftskritik zeichnen, entsprechen die Informationen, die die übrigen Quellen bieten. Auf die enorme Größe und Pracht der Gebäude, die die Vornehmsten in Rom bewohnten, weist z.B. der Ältere Plinius hin: Das Haus des Marcus Lepidus, das zur Zeit seines Konsulates 78 v. Chr. das schönste und berühmteste gewesen sei, habe 35 Jahre später nicht einmal mehr zu den hundert ersten Häusern Roms gezählt, und diese hundert wiederum seien zu Plinius' eigener Zeit durch den Luxus unzähliger anderer Gebäude übertroffen worden 1 4 . Die Menge der Klienten, die zur morgendlichen salutatio in solche Häuser strömten, erschütterte nach Senecas Angaben die ganze Stadt, besetzte ganze Stadtviertel und verstopfte die Straßen 15 . Er mag dabei an eine Haushaltung wie die des Seian unter Tiberius gedacht haben - oder an seine eigene 16 . Die zahlenmäßige Stärke der Dienerschaft aristokratischer „Häuser" belegt das Beispiel des praefectus urbi Pedanius Secundus - zum Zeitpunkt seiner Ermordung im Jahre 61 befanden sich allein 400 Sklaven mit ihm unter einem Dach 1 7 - , ihre Spezialisierung auf unterschiedlichste Funktionen dokumentiert reichhaltiges inschriftliches Material 18 . Auch Seneca beschäftigte einen „Vorschneider", auch bei ihm war es eine Kunst, bei der Tafel aufzuwarten 19 . Die materielle Pracht, die in aristokratischen „Häusern" vor allem in der frühen Kaiserzeit entfaltet wurde, belegt eine Reihe von Versuchen, gesetzlich dagegen einzuschreiten. So scheiterte im Jahre 16 im Senat das Vorhaben, die Benutzung von Tafelgeschirr aus gediegenem Gold zu verbieten und den Besitz von Silber, Hausrat und Dienerschaft einzuschrän-

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Plin. nat. hist. 36, 109 f.; vgl. Minger, Domus 79 f. Sen. de benef. 6, 34, 4; vgl. ad Polyb. 4, 2, allgemein Friedländer, SG I 225 ff. und unten S. 138 ff. Tac. ann. 4 , 4 1 , 1 ; 4, 74, 3 - 5 ; Cass. Dio 5 7 , 2 1 , 4 ; 5 8 , 5 , 2 . 5 (Seian); Tac. ann. 14, 5 2 , 2 ; 14, 56, 3 (Seneca). Tac. ann. 14, 42 f. Vgl. Marquardt, Privatleben I 142 ff., und unten S. 83 f. Sen. de vita beata 17, 2.

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III. Das aristokratische „Haus" bei Vitruv und Lukian

ken 20 . Der Grund für den Aufwand aristokratischer Haushaltungen dieser Zeit war nach Tacitus der Versuch der Repräsentation des von den Hausherren beanspruchten Ranges: ut quisque opibus domo paratu speciosus, per nomen et clientelas inlustrior habebatur (ann. 3, 55,2). „Stets ist Schmeichelei die Begleiterin einer herausgehobenen Lebensstellung", heißt es bei Vellerns Paterculus21. Daß Lukian in seiner Satire nicht übertreibt, zeigt auch - aus der Perspektive derer, denen man schmeichelte ein Exkurs im vierten Buch von Senecas Naturales quaestiones. Darin warnt er Lucilius, 63/64 Prokurator in Sizilien, nachdrücklich vor Schmeichlern. Sie seien Künstler im Einfangen der Hochstehenden22. Das Gefährliche an der Schmeichelei sei, daß sie von Natur aus die Eigenschaft habe, auch dann zu gefallen, wenn man sie zurückweise23. Seneca entwickelt eine regelrechte Typologie der Schmeichelei: Der eine mache es heimlich und vorsichtig, der andere offen und mit Derbheit, um so zu tun, als sei es Naivität und nicht Kunstfertigkeit (ars) 24 . Dagegen habe Munatius Plancus, artifex maximus in diesen Dingen, zu sagen gepflegt, man dürfe es nicht versteckt oder unbemerkt tun. Wenn sie nicht erkannt werde, habe Schmeichelei keinen Effekt. Am meisten profitiere der Schmeichler, wenn er dabei ertappt werde25. Seneca stimmt dem zu: Je offener und schamloser die Schmeichelei sei, desto schneller führe sie zum Erfolg. Uber den Grund der Wirksamkeit solchen Kommunikationsverhaltens trotz des Bewußtseins der Beteiligten darüber schreibt er: „Wir sind nämlich schon zu einer solchen Verrücktheit gekommen, daß, wer nur mäßig schmeichelt, für übelwollend gehalten wird." 26 Seneca unterstreicht in seinem Exkurs somit nicht nur die Ubiquität des Phänomens, sondern - aus selbstkritischer Perspektive von oben - auch die Psychologie des aristokratischen Hausherrn, die Lukian - aus der Perspektive von unten - beschreibt. Schmeichelei ist für die Personen in der Umgebung von Hochstehenden nicht nur erfolgversprechend, sondern geradezu notwendig, da sie gern gehört und als Unterwürfigkeit und damit soziale Hierarchie dokumentierendes Kommunikationsverhalten erwartet wird27. 20

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Tac. ann. 2, 33; vgl. 3, 5 3 , 4 und Suet. Tib. 3 4 , 1 . Vgl. dazu Ernst Baltrusch, Regimen morum. Die Reglementierung des Privatlebens der Senatoren und Ritter in der römischen Republik und frühen Kaiserzeit, München 1989, 153 ff. Veil. Pat. 2 , 1 0 2 , 3: etenim semper magnae fortunae comes adest adulatio. Sen. nat. quaest. 4 A praef. 3: artifices sunt ad captandos superiores. Sen. nat. quaest. 4 A praef. 4: habent hoc in se naturale blanditiae: etiam cum reiciuntur placent. Sen. nat. quaest. 4 A praef. 5. Sen. nat. quaest. 4 A praef. 6: plurimum adulator, cum deprehensus est, proficit. Sen. nat. quaest. 4 A praef. 9: ita est, mi Iunior; quo apertior est adulatio, quo improbior, ... hoc citius expugnat. eo enim iam dementiae venimus ut qui parce adulatur pro maligno sit. Den zitierten Lukian- und Senecastellen wird man - ebenso wie vielen ähnlichen Quellen von im weiteren Sinne sozialethischem Gehalt - entgegenhalten können, es handle sich um die Tradierung literarischer Topoi (vgl. zur Schmeichelei etwa

III. Das aristokratische „ H a u s " bei Vitruv und Lukian

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Die Charakteristika des aristokratischen „ H a u s e s " der ersten beiden Jahrhunderte der Kaiserzeit 2 8 lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: E s konstituierte sich als soziales Gebilde durch die tägliche Anwesenheit eines „engen Kreises" von „Freunden" des Hausherrn, seiner „Familie" und seiner umfangreichen Dienerschaft sowie durch die gelegentliche Anwesenheit eines „weiten Kreises" von Personen, die dem Hausherrn - besonders bei der morgendlichen salutano - aufwarteten. Die Anwesenheit ist Zeichen einer Attraktivität, die das „ H a u s " auf weite Personenkreise ausübte und die sich aus der Zugriffsmöglichkeit auf gesellschaftlich knappe Güter über die persönliche N ä h e zum Hausherrn und/oder den Dienst in seinem H a u s ergab. Die inneren Strukturen zeichneten sich aus durch Rivalität u m seine Gunst, Labilität der Stellungen, opportunistisches Verhalten und entsprechende Kommunikationsformen (Unterwürfigkeit, Schmeichelei, Denunziation von Konkurrenten), sodann durch einen hohen Grad an Organisation und Spezialisierung des Dienstpersonals. D a s „ H a u s " repräsentierte den sozialen Rang des Hausherrn in der Gesellschaft durch die Weitläufigkeit des Gebäudes, materielle Pracht und einen aufwendigen und verfeinerten Lebensstil. E s war Träger politischer Funktionen, indem die Größe des täglich anwesenden und des zu bestimmten Gelegenheiten aufwartenden Personenkreises die Macht des Hausherrn dokumentierte und es selbst Ort politischer Beratung und Entscheidung war 2 9 . E s läßt sich mithin feststellen, daß die aristokratischen „ H ä u s e r " im kaiserzeitlichen R o m in zentralen Hinsichten typisch höfische Strukturen aufwiesen 3 0 . Die Hintergründe dieses Sachverhaltes hat Mommsen - mit Blick auf das Reich und die materiellen Ressourcen der römischen Oberschicht - in einem Vortrag über „Boden- und Geldwirtschaft der römischen Kaiserzeit" erörtert: D a s enorme Vermögen der „Reichen der oberen Klassen" habe bewirkt, daß sie „eine Herrenstellung in den Ortschaften einnahmen, aus denen sie hervorgingen," und daß „eine Art H o f und Gefolge sich um jeden von ihnen sammelte . . . D a s R o m der augustischen und der claudischen Zeit erinnert vielfach an das der Päpste und Kardinäle des sechzehnten Jahrhunderts;

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Ribbeck, Kolax). Selbst unter der Voraussetzung, daß dies zutrifft, übersieht ein solcher Einwand jedoch, daß Topoi kein gesellschaftliches Eigenleben führen, sondern stets an ihre Aktualisierung in konkreten historischen Kontexten gebunden sind, als solche Elemente einer „Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft" und mithin soziales Verhalten beeinflussende Zeitdokumente darstellen (Bornscheuer, Topik pass.). Zumal bei Seneca deutet im übrigen der hohe Grad an Reflexion bei der Analyse dieses Kommunikationsverhaltens auf dessen Realität hin. Zur spätrepublikanischen Zeit vgl. Wilhelm Kroll, Die Kultur der ciceronischen Zeit, Bd. 2, Leipzig 1933, bes. 59 ff. („Umgangsformen und Etikette"), und Rilinger, D o m u s 79 ff. Z u m politischen Funktionswandel aristokratischer „ H ä u s e r " der Kaiserzeit am Beispiel der salutatio vgl. unten S. 138 ff. Vgl. Winterling, Idealtypische Bestimmung 15 ff.

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III. Das aristokratische „Haus" bei Vitruv und Lukian

das Kaiserhaus war in der Tat nur das erste unter vielen strahlenden Gestirnen." 31 „Eine Art H o f " schreibt Mommsen und beschränkt diese Aussage unter Berufung auf Tacitus (ann. 3, 55) auf die julisch-claudische Zeit. Fragt man nach dem, was die aristokratischen römischen „Häuser" von Höfen unterschied, so ist vor allem die politische Rolle ihrer Hausherren zu nennen. Denn diese waren keine Monarchen, sie verfügten nicht monopolartig, sondern nur oligopolartig über gesellschaftlich knappe Güter. Dabei waren sie in zunehmendem Maße ihrerseits von der kaiserlichen Macht abhängig. Wie demgegenüber das „Haus" der Kaiser im Laufe des 1. Jahrhunderts aus der von Mommsen beschriebenen Konkurrenz mit den übrigen aristokratischen „Häusern" als Größe sui generis hervorging, ist im folgenden zu untersuchen. Dabei ist zu zeigen, wie die wichtigsten Elemente aristokratischer Haushaltung im kaiserlichen „Haus" nicht nur quantitativ, sondern qualitativ gesteigert sowie in einigen Hinsichten monopolisiert wurden und wie dieses selbst damit zu einer neuen Institution wurde, die von Zeitgenossen schließlich als Hof wahrgenommen und bezeichnet wurde.

31

Theodor Mommsen, Boden- und Geldwirtschaft der römischen Kaiserzeit [1885], in: ders., Römische Geschichte, hrsg. v. Karl Christ, 8 Bde., München 1976, Bd. 7, 353 f.

IV. Der Palast Eine Rekonstruktion der von den Kaisern erbauten Räumlichkeiten auf dem Palatin 1 stößt auf eine Reihe von sachlichen und methodischen Schwierigkeiten, die in den insgesamt sehr spärlichen Hinweisen der literarischen Quellen und der erst ansatzweise geleisteten Erforschung der archäologischen Überreste begründet sind sowie darin, daß sich bei beiden Quellengattungen eine Überlagerung und Verdunklung der älteren durch jüngere Strukturen zeigt: Die frühkaiserzeitlichen Gebäude sind fast vollständig durch zwei großräumige Palastanlagen späterer Zeit überbaut worden, die noch heute das Bild des Palatin prägen, durch die „domus Tiberiana" genannte Anlage, die den nördlichen Teil des Hügels einnimmt, und durch die domitianischen Bauten, die, erweitert in severischer· Zeit, seinen südlichen Teil bedecken 2 . In ähn1

Die Gärten der Kaiser innerhalb und ihre Villen außerhalb Roms bleiben hier außer Betracht, da es in unserem Zusammenhang nicht um eine Untersuchung kaiserlicher Aufenthaltsorte als solcher (in deren Rahmen dann ζ. B. auch der Ablauf kaiserlicher Reisen in Betracht zu ziehen wäre; vgl. Halfmann, Itinera principum 88 f.), sondern nur um die räumlichen Voraussetzungen für eine stetige kaiserliche Hofhaltung geht. Räumliches Zentrum jedes aristokratischen römischen Haushalts und ebenso auch des aus einem solchen hervorgehenden kaiserlichen Hofes war aber das Stadthaus in Rom. Millar, Emperor 22-24, der die literarische Überlieferung über die kaiserlichen Gärten zusammenfaßt und diese als gleichberechtigte Aufenthaltsorte der Kaiser neben den Häusern/Palästen auf dem Palatin - die von ihm nicht eingehender behandelt werden - darzustellen versucht, vernachlässigt den Ausnahmecharakter der beiden einzigen ausführlicher dokumentierten Fälle kaiserlicher „Regierungstätigkeit" an solchen Orten: Caligulas Empfang einer jüdischen Gesandtschaft in den Gärten des Maecenas und des Lamia wird von Philo v. Alexandrien, der darüber berichtet (leg. 351-367), als Skandalon präsentiert. Daß Vespasian nur „wenig" im Palatium und statt dessen in den Sallustischen Gärten wohnte, wird von Cassius Dio durchaus als Besonderheit vermerkt (65 [66], 10, 4 f.) und bedeutete eine Ubergangslösung zwecks deutlich sichtbarer Distanzierung von den Palastbauten und damit dem Kaisertum Neros, was die Wichtigkeit der Art und Beschaffenheit des kaiserlichen Wohnhauses nur unterstreicht. Dies tun auch die Ereignisse des Jahres 69 in Rom, in deren Verlauf das Wohnen auf dem Palatin geradezu als äußeres Zeichen des Kaisertums hervortritt und das Verlassen von Palast und Palatin als einem Rücktritt gleichbedeutend erscheint (besonders anschaulich bei Vitellius: vgl. Tac. hist. 3, 67, 2; 3, 68, 3; 3, 84, 4). Entsprechend bezeichnet Tacitus das Palatium als fortunae sedes des Kaisers und ipsa imperii arx (hist. 3, 68, 1; 3, 70, 2). - Zu den kaiserlichen Villen vgl. Manfred Leppert, 23 Kaiservillen. Vorarbeiten zu Archäologie und Kulturgeschichte der Villegiatur der hohen römischen Kaiserzeit, Diss, maschr. Freiburg i.B. 1974; Harald Mielsch, Die römische Villa. Architektur und Lebensform, München 1987, 141-160.

2

Vgl. unten Abb. 1 und allgemein Heinrich Jordan, Topographie der Stadt Rom im Alterthum, Bd. 1,3. Abth., bearb. v. Christian Huelsen, Berlin 1907,29-111; Samuel B. Platner, A Topographical Dictionary of Ancient Rome, compi, and rev. by Thomas Ashby, London 1929; Giuseppe Lugli, Roma antica. Il centro monumentale, Rom 1946,389-527; ders., Möns Palatinus, Rom 1960 (Quellenzusammenstellung);

48

IV. D e r Palast

licher Weise ist bei den literarischen Quellen eine Überlagerung des älteren semantischen Gehalts des Wortes Palatium / Παλάτιον, das ursprünglich nur den Hügel bezeichnete, durch einen späteren, sich in domitianischer Zeit einbürgernden, feststellbar, der „kaiserlicher Palast" meinte. Dies führt dazu, daß die im 2. und frühen 3. über das 1. Jahrhundert berichtenden Historiker und Biographen, besonders Tacitus, Sueton und Cassius Dio, den Begriff durchweg anachronistisch auf die kaiserlichen Wohngebäude der frühen Kaiserzeit übertragen, in der es weder der Sache noch dem Begriff nach einen kaiserlichen Palast gegeben hatte 3 . Im folgenden wird versucht, mittels der sachlichen Informationen der literarischen Quellen und der vorhandenen archäologischen Grabungsergebnisse die Geschichte der kaiserlichen Bauten auf dem Palatin zu rekonstruieren. Die von den (späteren) literarischen Quellen benutzte Terminologie bleibt dabei zunächst unbeachtet; sie wird im Anhang gesondert untersucht. Gefragt wird einerseits nach dem Grad der Okkupation des Palatin durch kaiserliche Gebäude und nach der damit verbundenen zunehmenden qualitativen Differenz zwischen dem kaiserlichen und den übrigen aristokratischen Häusern, andererseits nach den durch die erkennbaren Raumstrukturen gegebenen Möglichkeiten für Interaktion, d. h. für Zugang und Anwesenheit.

1. Augustus und Tiberius In spätrepublikanischer Zeit war der Palatin derjenige Teil Roms, wo die bedeutendsten aristokratischen Familien traditionell ihren Wohnsitz hatten 4 . Oktavian hatte dort zunächst nur das relativ bescheidene „Haus des Hortensius" besessen 5 . Nach dem Sieg über Sextus Pompeius im Jahre 36 v. Chr. ließ Konrat Ziegler, Palatium, R E 1 8 , 2 , 1 9 4 9 , 5 - 8 1 ; Ernest Nash, Bildlexikon zur Topographie des antiken Rom, Tübingen 1961; Brigitta Tamm, Auditorium and Palatium. A Study on Assembly-Rooms in Roman Palaces during the 1st Century B . C . and the 1st Century A.D., Lund 1 9 6 3 , 4 4 ff.; Filippo Coarelli, R o m . Ein archäologischer Führer, Freiburg i.B. 1975, 1 3 6 - 1 6 1 ; Hans P. Isler, Die Residenz der römischen Kaiser auf dem Palatin. Zur Entstehung eines Bautypus, in: A W 9, H . 2 , 1 9 7 8 , 3 - 1 6 ; Helmut Castritius, Palatium. Vom Haus des Augustus auf dem Palatin zum jeweiligen Aufenthaltsort des römischen Kaisers, in: Franz Staab (Hg.), Die Pfalz. Probleme einer Begriffsgeschichte vom Kaiserpalast auf dem Palatin bis zum heutigen Regierungsbezirk, Speyer 1 9 9 0 , 9 - 2 4 . 1 2 - 1 4 ; Gisella Cantino Wataghin, Le sedi del potere, in: Salvatore Settis (Hg.), Civiltà dei Romani, Mailand 1991, 1 0 6 - 1 2 2 . 1 0 6 - 1 1 8 ; John R. Patterson, The City of Rome. F r o m Republic to Empire, in: J R S 8 2 , 1 9 9 2 , 1 8 6 - 2 1 5 . 2 0 4 - 2 0 7 (Überblick über die neuere Forschung); Eva M. Steinby (Hg.), Lexicon topographicum urbis Romae, Bd. 1. 2, R o m 1993. 1995. 3 4

5

Vgl. dazu ausführlich unten S. 2 0 9 f f . Jordan/Huelsen, Topographie I 3, 55 ff.; Coarelli, R o m 139; Tamm, Auditorium 28 ff.; Manuel R o y o , Le quartier républicain du Palatin. Nouvelles hypothèses de localisation, in: R E L 65, 1987, 8 9 - 1 1 4 ; Eck, D o m u s 179f. Suet. Aug. 72. Vermutlich handelte es sich um das Haus des berühmten Redners Q .

1. Augustus und Tiberius

49

er durch seine Prokuratoren in der Umgebung für persönliche Zwecke mehrere Häuser (complures domos) aufkaufen, die er, nachdem dort ein Blitz eingeschlagen war, zu öffentlichem Nutzen (publicis usibus) bestimmte, um einen Apollontempel mit Säulenhallen bauen zu lassen6. Nach Angaben Cassius Dios wurde ihm daraufhin aus öffentlichen Mitteln (έκ του δημοσίου) ein Haus geschenkt7. Der Tempel wurde, zusammen mit den Säulenhallen und einer griechischen und lateinischen Bibliothek, im Jahre 28 v. Chr. geweiht 8 . Im Rahmen der Ehrungen des Jahres 27 v. Chr. wurden die Türen des Hauses des neuen Augustus mit Lorbeer geschmückt, eine „Bürgerkrone" über dem Eingang (ianua) befestigt und - im Jahre 2 v. Chr. - in seinem vestibulum die Inschrift „pater patriae" angebracht9. Im Zusammenhang mit der Übernahme des Oberpontifikats 12 v. Chr. überführte er, da der pontifex maximus in einem öffentlichen Gebäude zu wohnen hatte, einen (weiteren) Teil seines Hauses - nach Xiphilinus sogar dieses insgesamt - in öffentliches Eigentum und errichtete darin ein Vestaheiligtum10. Als das Haus im Jahre 3 n. Chr. durch einen Brand zerstört worden war, beteiligten sich weite Kreise der Bürgerschaft am Wiederaufbau11. Über die Beschaffenheit des gesamten augusteischen Gebäudekomplexes „Hortensius-Haus", vom Gemeinwesen geschenktes Haus, Apollontempel, Porticus, Bibliotheken, Eingang und vestibulum - geben die literarischen Quellen folgende Auskunft: Das „Haus des Hortensius" wird von Sueton als sehr „bescheiden" charakterisiert. Augustus habe dort vierzig Jahre lang das

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7 8 9 10 11

Hortensius Hortalus, Konsul 69 v. Chr.; vgl. Ziegler, Palatium 47. Vgl. zum folgenden Ferdinando Castagnoli, Note sulla topografia del Palatino e del Foro Romano, in: ArchClass 16, 1964, 173-199. 186ff.; Nevio Degrassi, La dimora di Augusto sul Palatino e la base di Sorrento, in: RPAA 39, 1966/67, 77-116; Florens Feiten, Häuser des Augustus, in: Jahrbuch der Universität Salzburg, 1985-87, 163-189; Timothy P. Wiseman, Josephus on the Palatine, in: ders., Roman Studies. Literary and Historical, Liverpool 1987,167-175; ders., Conspicui; Manuel Royo, Du Palatin au „Palatium". Organisation spatiale et enjeux politiques à l'avènement d'Auguste, in: Mario Pani (Hg.), Continuità e transformazioni fra repubblica e principato. Istituzioni, politica, società, Bari 1991, 83-101; Mireille Corbier, De la maison d'Hortensius à la curia sur le Palatin, in: M E F R A 104, 1992, 871-916; Michael Donderer, Zu den Häusern des Kaisers Augustus, in: M E F R A 107,1995, 621-660. 621-630. Veil. Pat. 2, 81, 3; vgl. Suet. Aug. 29, 3. Vgl. Paul Zanker, Der Apollontempel auf dem Palatin. Ausstattung und Sinnbezüge nach der Schlacht von Actium, in: Città e architettura nella Roma imperiale, Odense 1983, 21—40; Barbara A. Kellum, Sculptural Programs and Propaganda in Augustan Rome. The Temple of Apollo on the Palatine, in: Rolf Winkes (Hg.), The Age of Augustus. The Rise of Imperial Ideology. Interdisciplinary Conference held at Brown University April 3 0 - 2 May 1982, Löwen, Providence 1985, 169-176; Eckard Lefèvre, Das Bild-Programm des Apollo-Tempels auf dem Palatin, Konstanz 1989. Cass. Dio. 49,15, 5. Suet. Aug. 29, 3; Cass. Dio. 53, 1, 3; vgl. Aug. res gest. 19. Aug. res gest. 34 f.; Cass. Dio 53, 16,4. Cass. Dio 54, 27, 3; vgl. 55,12, 5 (Xiph.). Suet. Aug. 57,2; Cass. Dio 55, 12, 4.

50

IV. Der Palast

gleiche cubiculum benutzt. Das zur Zeit des Biographen noch erhaltene Inventar sei damals kaum noch privatem Wohnkomfort angemessen gewesen 12 . Uber das geschenkte Haus gibt es keine zusätzlichen Angaben, es wird jedoch noch von einigen weiteren Häusern auf dem Palatin berichtet, die sich zur Zeit des Augustus im Besitz des Kaisers bzw. der kaiserlichen Familie befanden. So wird ein Haus der Livia erwähnt, in dem der Großvater des späteren Kaisers Otho aufwuchs und eine Zeitlang auch die späteren Kaiser Caligula und Claudius wohnten 13 . Josephus berichtet im Zusammenhang mit der Ermordung Caligulas über ein Haus, das seinerzeit von Germanicus (gest. 19 n.Chr.) bewohnt worden war 14 . Im Atrium des Hauses des Catulus, quae pars Palatii tunc (sc. zur Zeit des Augustus) erat, lehrte M. Verrius Flaccus. Er war auf Veranlassung des Kaisers mit „seiner ganzen Schule in das Palatium" gezogen mit der Auflage, keine weiteren Schüler mehr anzunehmen und mit einem Jahresgehalt von 100000 HS praeceptor der Enkel des Augustus zu werden 15 . Aus Cassius Dio geht hervor, daß auch das frühere Haus des Antonius auf dem Palatin in kaiserlichem Besitz (und von ziemlicher Größe) gewesen sein muß: Augustus hatte es ursprünglich dem Agrippa und Messalla gemeinsam geschenkt, gab dann aber, nachdem es im Jahre 25 v. Chr. durch einen Brand zerstört worden war, dem Messalla Geld und ließ den Agrippa bei sich wohnen, d. h. er führte das Gebäude fortan anderer (eigener) Nutzung zu 16 . 12

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Suet. Aug. 72,1 : . . . postea in Palatio (sc. habitavit), sed nihilo minus aedibus modicis Hortensianis, et ñeque laxitate neque cultu conspicuis, ut in quibus porticus breves essent Albanarum columnarum et sine marmore ullo aut insigni pavimento conciavia. acper annos amplius quadraginta eodem cubiculo hieme et aestate mansit. 73: instrumenti eius et supellectilis parsimonia apparet etiam nunc residuis lectis atque mensis, quorum pleraque vixprivatae elegantiae sint. Suet. Otho 1, 1; Cai. 10, 1; Cass. Dio 60, 2, 5. Ob Livia zu Lebzeiten des Augustus dieses Haus bewohnte oder ob es ihr Witwensitz war, läßt sich nicht entscheiden. Jedenfalls befand es sich im Besitz der kaiserlichen Familie. Vgl. zuletzt Irene Iacopi, Domus: Livia, Lexicon topographicum urbis Romae 2, 1995, 130-132; Kunst, Haushalt der Kaiserin Livia 466, sowie unten Anm. 25. los. ant. lud. 19,117 (unten Anm. 62); vgl. Matthias Geizer, Iulius (Germanicus) 38, R E 10, 1, 1918, 435-458. 451; Henry Hurst, Domus Germanici, Lexicon topographicum urbis Romae 2, 1995, 111 f. Suet, gramm. 17: (M. Verrius Flaccus) ...ab Augusto quoque nepotibus eius praeceptor electus, transiit in Palatium cum tota schola, verum ut ne quem amplius posthac discipulum reciperet; docuitque in atrio Catulinae domus, quae pars Palatii tunc erat, et centena sestertia in annum accepit. - Suetons Ausdrucksweise ist anachronistisch: Daß mit Palatium nicht der Palatin gemeint ist, geht aus der zweiten Nennung des Wortes eindeutig hervor. Zur Zeit des Augustus hieß das Haus des Kaisers jedoch noch nicht - wie im zweiten Jahrhundert - Palatium (vgl. unten S. 209 f.). - Zur möglichen Lage des Hauses nordöstlich des sog. „Hauses der Livia" vgl. Tamm, Auditorium 55 ff.; Filippo Coarelli, Domus: Q. Lutatius Catulus, Lexicon topographicum urbis Romae 2, 1995,134. Cass. Dio 53, 27, 5. Vgl. Rudolf Hanslik, M. Vipsanius Agrippa, RE 9 A 1, 1961, 1226-1275. 1250, Tamm, Auditorium 46ff., und Jean-Michel Roddaz, Marcus Agrippa, Rom 1984,186. 236 m. A. 32.

1. Augustus und Tiberius

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Apollontempel, Porticus und Bibliotheken müssen nach übereinstimmenden Aussagen der antiken Autoren eine prachtvolle großräumige Anlage gebildet haben. Josephus beschreibt ein συνέδριον, das Augustus mit seinen „Freunden" und den vornehmsten Römern im Apollonheiligtum (έν ίερφ Α π ό λ λ ω ν ο ς ) abgehalten habe. Dabei sollen eine aus fünfzig Personen bestehende jüdische Gesandtschaft empfangen worden und zugleich 8000 stadtrömische Juden anwesend gewesen sein 17 . Von der aurea Phoebi porticus (Prop. 2, 3 1 , 1 f.), dem sogenannten Danaidenmonument, wird berichtet, daß zwischen Säulen aus numidischem Marmor fünfzig Statuen der Beliden, die ihres Vaters Dañaos und - ihnen gegenüber unter freiem Himmel - fünfzig Reiterstandbilder der Aigyptossöhne aufgestellt waren 18 . Nach Ovid trafen sich hier vornehme Römer und Römerinnen beim Spaziergang 19 . Auch die mit der Porticus verbundenen Bibliotheken müssen über größere Räumlichkeiten verfügt haben. Nach Sueton versammelte Augustus besonders im Alter dort häufig den Senat 20 . Der wohl Ende des 3. Jahrhunderts schreibende Solin erwähnt schließlich noch eine silva, quae est in area Apollinis (1,18).

Der Bezirk um das Heiligtum, die Häuser und das (in seiner Lage und Beschaffenheit unbekannte) Vestaheiligtum bildeten insgesamt eine Einheit und wurden als domus (Ovid) oder Palatina domus (Sueton) des Augustus bezeichnet 21 . Der beeindruckende Eingangsbereich des gesamten Gebäudekomplexes war nach dem Zeugnis Ovids, der den Weg seines Buches vom Caesar-Forum zum Palatin beschreibt, bereits zu erblicken, wenn man über die sacra via kommend beim (alten) Vestaheiligtum rechts abbog, die porta Palatii durchschritt und damit von Nordosten her die sogenannte area

Palatina betrat22: video fulgentibus armis conspicuos postes tectaque digna 17

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19 20 21

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los. ant. lud. 17, 301; vgl. bell. lud. 2, 81 f. Zum Gesandtschaftsempfang im Apollonheiligtum vgl. auch Verg. Aen. 8, 720-722. Ov. trist. 3, 1, 61 f.; Prop. 2, 31, 1-16; Schol. Pers. 2, 56. Beschreibung und Analyse bei Zanker, Apollontempel 27 ff.; Lefèvre, Bild-Programm 14, deutet das PersiusScholion, das als einziges von den Aigyptossöhnen berichtet, als Mißverständnis und meint, es sei „wahrscheinlicher ..., daß die Aegyptus-Söhne gar nicht dargestellt waren" - u. a. weil eine plausible Rekonstruktion sonst „riesige Ausmaße der Porticus" voraussetzen würde. Vgl. auch Lilian Baiensiefen, Überlegungen zu Aufbau und Lage der Danaidenhalle auf dem Palatin, in: M D A I ( R ) 102,1995, 189-209. Ov. ars. amat. 1, 73 f.; vgl. 3, 389; amor. 2, 2, 3 f. Suet. Aug. 29, 3 (vgl. die folgende Anm.). Ov. fast. 4, 951-954: Phoebus habet partem, Vestae pars altera cessit: / quod superest Ulis, tertius ipse tenet. / state Palatinae laurus, praetextaque quercu / stet domus! aeternos tres habet una deos. Suet. Aug. 29, 3: templum Apollinis in ea parte Palatinae domus excitavit, quam fulmine ictam desiderari a deo haruspices pronuntiarant; addidit porticus cum bibliotheca Latina Graecaque, quo loco iam senior saepe etiam senatum habuit decuriasque iudicum recognovit. - Zur Einheit des Gesamtkomplexes: los. ant. lud. 19, 117 (unten Anm. 62). Vgl. zur area Palatina Platner/Ashby, Topographical Dictionary 50, und unten Abb. 1.

52

IV. Der Palast

deo2ì. Ovids Hinweise auf Eichenkranz und Lorbeer 2 4 zeigen eindeutig, daß es die ianua der domus des Augustus war, von der er spricht. Die Lokalisierung der Palatina domus des Augustus wirft einige Probleme auf. In dem am Südwesthang des Palatin ausgegrabenen sogenannten „Haus der Livia", das, mit einer Größe von etwa 770 qm, als einziges republikanisches Haus die späteren Kaiserbauten nahezu unbeschadet überstanden hat und in dem bleierne Wasserleitungsröhren mit der Inschrift Iuliae Aug(ustae) gefunden worden sind, hatte die Forschung schon früh das Haus des Hortensius oder/und das der Livia vermutet 2 5 . Apollontempel und Danaidenmonument mußten nach Ansicht des überwiegenden Teils der älteren Forschung dagegen eher auf dem südöstlichen Teil des Palatin, im Bereich des späteren Domitianspalastes, gelegen haben, weil sie am Südwesthang, gegenüber dem Circus Maximus, aufgrund ihrer Größe „schlechterdings nicht unterzubringen" seien 26 . Genau an diesem Ort, unterhalb des „Hauses der Livia", haben nun die seit den fünfziger Jahren durchgeführten Grabungen Gianfilippo Carettonis Apollontempel und „Augustushaus" lokalisiert 27 . Es sind dort Teile eines Baukomplexes freigelegt worden, der sich insgesamt über eine Fläche von 150 m Breite und 80 m Tiefe erstreckt und dessen Achse der Apollontempel gebildet haben soll 28 . Betrachtet man den auf Carettonis Plan nordwestlich an den Tempel anschließenden Gebäudeteil, den er als „Wohnung der Familie des Augustus" bezeichnet 29 , so fallen die relativ geringen Ausmaße der einzelnen Räume ins Auge. Der zentral gelegene größte von ihnen, der nach Carettonis Vermutung als „Empfangssaal" oder „Versammlungsraum für die politischen Besprechungen des Princeps" diente, hatte eine Gesamtgröße von 10,50 χ 6,70 m, die zudem durch ein an drei Seiten umlaufendes 80 cm hohes

23 24 25

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28 29

Ov. trist. 3, 1, 27 ff. Zit. 33 f. Ov. trist. 3, 1 , 3 6 . 3 9 . 4 7 . CIL X V 7264. Da Livia erst durch das Testament des Augustus in die julische Familie adoptiert wurde und den Augustatitel verliehen bekam, müßte es sich bei dem Haus also um ihren Witwensitz handeln. Vgl. Jordan/Huelsen, Topographie I 3, 60-63; Ziegler, Palatium 50; Tamm, Auditorium 50 ff. Vgl. unten Abb. 2. So Ziegler, Palatium 58, mit Diskussion der älteren Forschung. Gianfilippo Carettoni, I problemi della zona augustea del Palatino alla luce dei recenti scavi, in: RPAA 39, 1966/67, 55-75; ders., Terracotte .campana' dallo scavo del tempio di Apollo Palatino, in: RPAA 44, 1971/72, 123-139; ders., La decorazione pittorica della casa di Augusto sul Palatino, in: MDAI(R) 90, 1983, 373-419; ders., Das Haus des Augustus auf dem Palatin, Mainz 1983 (erweiterte dt. Übs. des letztgenannten Aufsatzes ohne den Anmerkungsapparat); vgl. ders., La X regione. Palatium, in: L'Urbs. Espace urbain et histoire, Rom 1987, 771-779. 775 ff.; ders., Die Bauten des Augustus auf dem Palatin, in: Kaiser Augustus und die verlorene Republik, Mainz 1988,263-267. Carettoni, Haus des Augustus 9; vgl. unten Abb. 3 und 4. Carettoni ebd.; vgl. unten Abb. 3.

1. Augustus und Tiberius

53

Podest von 1,20 m Breite verkleinert wurde 30 . Die Dimensionen entsprechen damit zwar durchaus den Angaben Suetons über die Bescheidenheit der „Wohnung" des Augustus, eine Reihe von Gründen spricht jedoch dagegen, den teilweise freigelegten Gebäudekomplex - wie dies die Ausführungen Carettonis nahelegen - als „das Haus des Augustus auf dem Palatin" anzusehen. Zunächst läßt sich der von Ovid beschriebene, von der area Palatina aus sichtbare Eingangsbereich ohne Annahme weiterer Gebäudeteile in keinen Zusammenhang mit den ausgegrabenen Bauten bringen 31 . Sodann sprechen gegen die Beschränkung des augusteischen „Hauses" auf das neben dem Tempel gelegene Gebäude nicht nur alle angeführten literarischen Quellen über die weiteren Häuser des Kaisers auf dem Palatin, sondern auch der archäologische Befund selbst: Ehrhardt hat darauf hingewiesen, daß sich keinerlei Spuren des Brandes finden lassen, der nach Sueton und Cassius Dio das kaiserliche Haus im Jahre 3 n. Chr. zerstört hat, und daß z. B. Raumaufteilung und malerische Ausstattung auf Verbindungen mit dem benachbarten „Haus der Livia" deuten 32 . Es wird daher in der archäologischen Diskussion der Ergebnisse Carettonis durchweg davon ausgegangen, daß das freigelegte Haus nur ein „Teil" 33 oder das „Fragment eines kaiserlichen Wohnhauses auf dem Palatin" 34 gewesen ist. Schließlich ergeben sich auch Schwierigkeiten bei der Identifizierung des Danaidenmonuments. Die Nachrichten bei Properz, Velleius und Dio deuten zunächst darauf hin, daß sich der Apollontempel inmitten der Porticus befand 35 . Dementsprechend zeichnet z. B. Coarelli in seinem Plan von Augustushaus und Apollonheiligtum (anders als Carettoni) rechts und links neben dem Tempel eine Säulenhalle ein und schreibt im begleitenden Text, dies sei 30 31

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35

Vgl. unten Abb. 4, Raum 10. Vgl. Andrew Wallace-Hadrill, Rez.: Carettoni, Haus des Augustus, 1983, in: JRS 75, 1985,247 f. Wolfgang Ehrhardt, Rez.: Carettoni, Haus des Augustus, 1983, in: Gnomon 60, 1988, 640-649. 641 ff. - Bei der von Carettoni als „Empfangssaal" oder „Versammlungsraum" angesehenen Lokalität (vgl. unten Abb. 4, Raum 10) handelt es sich nach Ehrhardt eher um einen „von zwei Cubicula flankierten festlichen Speiseraum" (644). Ebd. 642. 648. Jutta Meischner, Rez.: Carettoni, Haus des Augustus, 1983, in: Gymnasium 93, 1986, 232 f. 232; vgl. Wallace-Hadrill, JRS 75, 1985, 248; Feiten, Häuser 173. Edmond Frézouls, Les Julio-Claudiens et le Palatium, in: Edmond Lévy (Hg.), Le système palatial en Orient, en Grèce et à Rome, Leiden 1987, 445-462. 448ff., der demgegenüber die Ergebnisse Carettonis übernimmt und die Angaben der literarischen Quellen über die weiteren Teile der augusteischen domus unberücksichtigt läßt, kommt (folgerichtig) zu problematischen Schlüssen über den Umfang der personellen Umgebung des Kaisers (zu deren Erörterung er die vorhandenen literarischen Quellen ebenfalls nicht heranzieht [458]). Prop. 2, 31, 9: tum medium claro surgebat marmare templum ...; Veil. Pat. 2, 81, 3: ... templumque Apollinis et circa porticus facturum promisit (sc. Oktavian); Cass. Dio 53, 1, 3: τό τε Άπολλώνιον τό [τε] έν τω ΓΤαλατίω και τό τεμένισμα τό περί αυτό.

54

IV. Der Palast

das Danaidenmonument gewesen 36 . Unklar bleibt dabei jedoch, wo auf solch engem Raum die 101 Statuen untergebracht waren. Zanker hat demgegenüber die Vermutung „eines von Portiken umzogenen Platzes vor dem Tempel auf hohen Substruktionen" geäußert 37 . In der Tat lassen die Angaben bei Vellerns (circa) und Dio (περί) ebenso wie die übrigen Quellen 38 auch ein Nebeneinander beider Baukomplexe zu. Zankers Annahme läßt sich zudem durch den Eingangssatz der Tabula Hebana und parallele inschriftliche Zeugnisse stützen, die ebenso wie die Properzstelle das Vorhandensein zweier Monumente (und Apollonstatuen) nahelegen 39 . Nach Ausweis der literarischen Quellen enthält Carettonis Rekonstruktion mithin auch nur einen kleinen Teil des gesamten Apollonbezirks auf dem Palatin, der sich möglicherweise auch - wie dies die ältere Forschung vermutete - auf das Gebiet des späteren flavischen Kaiserpalastes erstreckte 40 . Die Palatina domus des Augustus, so läßt sich zusammenfassen, war ein Gebäudeensemble, das aus (ehemals von republikanischen Adelsfamilien bewohnten) Häusern und Heiligtümern bestand. Eines der „Häuser im Haus" bewohnte der Kaiser, andere Häuser einzelne Mitglieder seiner Familie 41 . Das Apollonheiligtum, der weitläufige Tempelbezirk und die mit ihm verbundenen Räumlichkeiten boten Platz für Senatssitzungen, Gesandtschaftsempfänge, Versammlungen großer Personenkreise oder Spaziergänge der vornehmen „Gesellschaft". Die Einheit der augusteischen Palatina domus symbolisierte ein Eingangstor, das durch Eichenkranz und Lorbeer, aber auch durch die Präsenz physischer Gewalt - fulgentibus armis (Ov. trist. 3 , 1 , 36

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Coarelli, R o m 138 (unten Abb. 5). 145. In seiner Zeichnung scheint Coarelü - anders als im Begleittext - eine Fortsetzung der Porticus in südöstliche Richtung, also eine Art Zweiteilung anzunehmen. Daß der Tempel von der Porticus umgeben war, hatte meist auch die ältere Forschung angenommen (vgl. z . B . Jordan/Huelsen, Topographie I 3, 68 ff. und Tafel 1), wobei allerdings davon ausgegangen wurde, daß das Gesamtmonument auf dem südlichen Teil des Palatin gelegen war, w o entsprechender Platz dafür gewesen wäre. Zanker, Apollontempel 27 (Hervorhebung A.W.); ähnlich auch die Rekonstruktion von Volker M. Strocka, mitgeteilt von Lefèvre, Bild-Programm 13 (unten Abb. 6). Suet. Aug. 29, 3: addid.it porticus-, Aug. res gest. 19: templumque Apollinis in Palatio cumporticibus (gr.: συν στοαΐς). Lediglich das „medium" des Properz bleibt unklar; vgl. Zanker, Apollontempel 32. Ζ. 1 f . : . . . in Palatio in porticu quae est ad Apollinis in eo templo in quo senatus haberi solet ... (Victor Ehrenberg, Arnold H . M . Jones, Documents illustrating the Reigns of Augustus and Tiberius, 2. Aufl., Oxford 1976, Nr. 94a); dazu Hugh Last, The Tabula Hebana and Propertius II, 31, in: J R S 43, 1953, 2 7 - 2 9 . Vgl. die F o r m u lierungen der Tabula Siarensis fr. II b Z. 20 f. (... in Palatio in porticu quae est ad Apollinis in templo, quo senatus baberetur...) und des Senatus consultum de Cn. Pisone patre Ζ. 1 (... in Palatio in porticu quae est ad Apollinis). Vgl. Degrassi, Dimora di Augusto 78 f.; Wiseman, Conspicui 404. Vgl. zur möglichen Lage der Häuser die Rekonstruktionen von Tamm, Auditorium 27 Abb. 2; Donderer, Häuser 626, charakterisiert den Baukomplex als „Häuserkonglomerat".

1. Augustus und Tiberius

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33) - die Sonderstellung des Hausbesitzers verdeutlichte. Bei dem teilweise freigelegten Bereich dürfte es sich um Augustus' „Haus im Haus" sowie um das Zentrum und den programmatischen Kern der Anlage handeln: Zanker hat den außergewöhnlichen Charakter des „Wohnens bei Apollo" gezeigt, und Brigitta Tamm hat die ansprechende Vermutung geäußert, daß sich Augustus durch die (von Sueton beschriebene) Bescheidenheit und den republikanischen Stil des von ihm als Wohnhaus genutzten Teils seiner domus schon zu Lebzeiten eine Art Museum selbst errichtete 42 . Vier Aspekte erscheinen in unserem Zusammenhang bemerkenswert: 1. Das von Sueton beschriebene (und vermutlich von Carettoni ausgegrabene) kleinräumige und bescheidene, von Augustus als Wohnung benutzte „Haus im Haus" bot für die Anwesenheit größerer Personenkreise in direkter räumlicher Nähe des Kaisers keinen Platz, wohl aber andere der kaiserlichen Häuser (wie etwa das ehemalige Haus des Catulus, wo Verrius Flaccus lehrte) und der weitläufige Apollonbezirk. 2. Während der Zugang zum kaiserlichen „Teilhaus" bewacht, d.h. kontrolliert wurde 43 , war der Gesamtkomplex des kaiserlichen Hausensembles - entsprechend der Uberführung von einigen seiner Teile in öffentliches Eigentum - frei zugänglich. 3. Die Einbeziehung von Vesta- und Apollonheiligtum, die Tagungen des Senats in der domus des Kaisers und deren (teilweise) „Entprivatisierung" stellen zwar außergewöhnliche Neuerungen dar; insgesamt ist das Haus des Augustus auf dem Palatin jedoch als (nur) quantitative Steigerung dessen anzusehen, was Vitruv als angemessen für privata aedificia römischer nobiles beschreibt: Auch in jenen soll Platz für die Abhaltung von publica Consilia sowie von privata iudicia arbitriaque sein. Auch sie sollen neben propria loca (cubicula, triclinia, balneae etc.) über offen zugängliche communia loca, über geräumige Eingangshallen, Peristyle, silvae, Spaziermöglichkeiten, schließlich über Bibliotheken, basilicae und weitere „öffentlichen Gebäuden" ähnliche Räumlichkeiten verfügen 44 . 4. Nicht alle Mitglieder der Familie des Augustus wohnten in den übrigen Teilen des kaiserlichen Hausensembles auf dem Palatin. So besaß z. B. der spätere Kaiser Tiberius, Stiefsohn, von 11 bis 2 v. Chr. 42

Zanker, Apollontempel 22; Tamm, Auditorium 49, die dabei allerdings - Carettonis Grabungen waren noch nicht abgeschlossen - das „Haus der Livia" für das „Haus des Hortensius" hält. Zur Frage der Vorbildfunktion hellenistischer Architektur, insbesondere der Burg von Pergamon, vgl. - im Anschluß an Zanker - Feiten, H ä u ser 173 ff.; Pierre Gros, Le palais hellénistique et l'architecture augustéenne. L'exemple du complexe du Palatin, in: Wolfram Hoepfner, Gunnar Brands (Hg.), Basileia. Die Paläste der hellenistischen Könige, Mainz 1996, 2 3 4 - 2 3 9 .

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Suet. Aug. 19, 2 berichtet, ein mit einem Jagdmesser bewaffneter Marketender des illyrischen Heeres sei eines Nachts iuxta cubiculum des Augustus aufgegriffen w o r den, wohin er sich durch Täuschung der Türhüter (ianitoribus deceptis) habe durchschleichen können. Vgl. auch die von Cassius D i o berichtete Anekdote, wonach sich der kaiserliche „Freund" Athenodoros unangemeldet in einer Frauensänfte ins cubiculum des Augustus tragen ließ (56, 43, 2). Vitr. de arch. 6, 5, 1 f. (oben S. 40 f. Anm. 7. 9).

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IV. Der Palast

Schwiegersohn und seit 4 n.Chr. Adoptivsohn des Augustus, das frühere Haus des Pompeius in den Carinae am Esquilin, von wo er nach seiner Rückkehr aus Rhodos im Jahre 2 n. Chr. in die Gärten des Maecenas auf dem Esquilin umzog 45 . Normalerweise besaßen auch die engsten Vertrauten des Kaisers eigene Häuser. Daß Agrippa bei Augustus wohnte, wird von Cassius Dio als außergewöhnliche Auszeichnung vermerkt 46 . Auch Freigelassene des Kaisers schließlich verfügten über eigene Haushaltungen. Sueton erwähnt gelegentlich ihre suburbana47. Augustus' Nachfolger Tiberius hat nach übereinstimmenden Angaben der Quellen keinerlei größere Bauaktivität entfaltet 48 . In der Tat scheint sich an der skizzierten Struktur der kaiserlichen domus auf dem Palatin während seiner Regierungszeit nichts Wesentliches geändert zu haben. Daß der kaiserliche Gebäudekomplex den Hügel noch nicht vollständig bedeckte, zeigen Nachrichten über dort weiterhin vorhandenen privaten Hausbesitz 49 . Den eigenständigen Charakter der von Mitgliedern der kaiserlichen Familie bewohnten „Teilhäuser" dokumentieren die Berichte über das Haus des Germanicus. Im Zusammenhang mit den Intrigen Seians schreibt Tacitus, daß es weiterhin von der älteren Agrippina, seiner Witwe, und seinen Kindern bewohnt wurde, daß es (im Jahre 28 nur noch vereinzelt) von Klienten besucht und daß der Zugang zu ihm kontrolliert wurde: Seians Pläne im Jahre 23, auch die Germanicussöhne durch Gift zu beseitigen, wurden durch die herausragende Treue der Wächter (egregia custodum fide) und die Distanziertheit Agrippinas vereitelt 50 . Auch die Nachrichten über den Haushalt der Livia unter Tiberius lassen vermuten, daß ihr Haus eine ähnlich eigenständige Einheit bildete 51 . Bei einigen Häusern, die von Mitgliedern der Kaiserfamilie bewohnt wurden, läßt sich nicht entscheiden, ob sie Teil des kaiserlichen Hausensembles oder außerhalb des Palatin gelegen waren 52 . Die kaiserliche Nutzung besonderer Teile der Palatina domus läßt sich aus

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Suet. Tib. 15, 1. Vgl. Platner/Ashby, Topographical Dictionary 187f.; Vincent Jolivet, Domus Pompeiorum, Lexicon topographicum urbis Romae 2,1995, 159 f. Cass. Dio 53,27, 5. Vgl. auch die domus des Maecenas bei Suet. Aug. 72,2. Suet. Aug. 72, 2. Tac. ann. 6 , 4 5 , 1; Suet. Tib. 47; Cass. Dio 57, 10,2. Veil. Pat. 2, 14, 3; Plin. nat. hist. 17, 1-6; Ascon. in Scaur. 45 (p. 27 Clark); vgl. Tamm, Auditorium 32; Eck, Domus 179 f. Tac. ann. 4, 12, 2; 4, 68, 1 (über den vornehmen Ritter Titius Sabinus, der ob amicitiam Germania bedrängt wurde): neque enim omiserat coniugem liberosque eius percolere, sectator domi, comes in publico, post tot clientes unus,.. Vgl. oben Anm. 13. Vgl. Kunst, Haushalt der Kaiserin Livia 466 ff. Drusus, Sohn des Tiberius, beschäftigte sich intensiv mit eigenen Bauprojekten und hatte gelegentlich seinen kaiserlichen Vater beim convivium zu Gast (Tac. ann. 3,37; 4, 10, 3). Das Haus der Antonia Minor, der Mutter des Germanicus, wo zeitweise Caligula aufwuchs (Suet. Cal. 10, 1), lag wohl nicht auf dem Palatin (darauf deutet Tac. ann. 13,18, 3 in Verbindung mit Suet. Nero 34, 1).

2. Caligula

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verschiedenen Berichten rekonstruieren: Der falsche Agrippa Postumus wurde im Jahre 16 in secreta Palatii parte hingerichtet. Drusus, der Sohn des Germanicus, wurde in Palatio in Haft gehalten 53 . Daß die Räumlichkeiten um das Apollonheiligtum unter Tiberius ähnlich wie unter Augustus genutzt wurden, zeigen Nachrichten über Tagungen des Senats in Palatio54. Der Fall des Q. Haterius belegt schließlich die freie Zugänglichkeit des kaiserlichen Gebäudekomplexes: U m in einer bestimmten Angelegenheit bei Tiberius Abbitte zu leisten, ging er „in das Palatium" und warf sich dem dort - gemeint ist wahrscheinlich ebenfalls der Bezirk um das Apollonheiligtum spazierenden Kaiser zu Füßen. Daß die Aktion unangemeldet und der Zugang mithin frei war, zeigt ihr Ablauf. Da Tiberius dabei stürzte, hätten die Soldaten seiner Leibwache, die einen Anschlag vermuteten, Haterius um ein Haar getötet 55 .

2. Caligula Von Caligula werden zwei Bauprojekte berichtet: Zunächst habe er einen Teil des Palatium bis zum Forum hin ausgebaut und den Castor- und Polluxtempel zu einem vestibulum umgestaltet. Dort habe er sich zwischen den göttlichen Brüdern stehend von Besuchern anbeten lassen 56 . Sodann habe er das Palatium mit dem Kapitol durch eine Brücke verbunden und dort die Fundamente einer neuen domus legen lassen 57 . Mit seinem Haus, schreibt der Ältere Plinius, habe Caligula erstmals (ebenso wie später Nero) die ganze Stadt „umzingelt" 5 8 . Durch Caligulas Bauten dürfte das an der Nordspitze des Palatin gelegene Haus, das in tiberischer Zeit noch in Privatbesitz gewesen und in republika53 54 55

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Tac. ann. 2, 40, 3; 6, 23, 2. Tac. ann. 2, 37,2; Cass. Dio 58, 9,4. Vgl. die oben Anm. 39 zitierten Stellen der Tabula Hebana, der Tabula Siarensis und des Senatus consultum de Cn. Pisone patre. Tac. ann. 1,13, 6: constat Haterium, cum deprecandi causa Palatium introisset ambulantisque Tiberii genua advolveretur, prope a militibus interfectum, quia Tiberius casu an manibus eius impeditus prociderat. - Inhaltlicher Zusammenhang (Spaziergang) und Formulierung (introisset) zeigen, daß Palatium hier weder „Palatin", noch „vom Kaiser bewohntes Teilhaus", sondern „kaiserliches Hausensemble" meint (vgl. unten S. 213 Anm. 26). Suet. Cal. 22, 2; Cass. Dio 59, 28, 5. Vgl. zu den Bauten Caligulas Esther B. Van Deman, The House of Caligula, in: AJA 28, 1924, 368-398; Brigitta Tamm, Ist der Castortempel das vestibulum zu dem Palast des Caligula gewesen?, in: Eranos 62, 1964, 146-169 (mit ausführlicher Diskussion der älteren Literatur); Anthony A. Barrett, Caligula. The Corruption of Power, London 1989, 192-212; Henry Hurst, Domus Gai, Lexicon topographicum urbis Romae 2, 1995,106-108. Suet. Cal. 22, 4; vgl. Cass. Dio 59, 28, 2 f., der zudem von zwei Tempelbauten auf dem Palatin berichtet. Plin. nat. hist. 36, 111: bis vidimus urbem totam cingi domibus principum Gai et Neronis.

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IV. Der Palast

nischer Zeit unter anderem von Cicero bewohnt worden war 59 , in die kaiserliche domus integriert worden sein. Dies ergibt sich aus der Konzentration der kaiserlichen Bauaktivitäten auf diesem Teil des Hügels und aus Suetons Angabe, Caligula habe von seinem Speisezimmer aus die Einäscherung seiner Großmutter Antonia beobachtet 60 . Dagegen waren zwei - vermutlich miteinander verbundene - Häuser, die im ersten vorchristlichen Jahrhundert dem Redner L. Licinius Crassus, Censor 92 ν. Chr., und M. Aemilius Scaurus, Adii des Jahres 58 v.Chr., gehört hatten und die sich vielleicht an der Nordostseite des Hügels befanden, weiterhin in Privatbesitz 61 . Die innere Struktur der kaiserlichen domus, die weiterhin eine Einheit bildete, die aus einzelnen, miteinander durch Gänge und Wege verbundenen Teilhäusern bestand, beschreibt anschaulich Flavius Josephus im Zusammenhang mit der Ermordung Caligulas im Jahre 41. Die Mörder hätten aufgrund der Menge von Dienern und Soldaten, die den schmalen Weg blockierten, auf dem sie den Kaiser getötet hatten, einen anderen Fluchtweg eingeschlagen und seien zum Haus des Germanicus gekommen. Denn, so erklärt Josephus, obwohl ein einheitliches Gebäude, sei das βασίλειον von den einzelnen Herrschern stufenweise erweitert und die neuen „Teile" nach den Personen (der Herrscherfamilie) benannt worden, die sie vollendet oder begonnen hatten 62 . Uber die Nutzung der „Teilhäuser" unter Caligula durch Verwandte des Kaisers geben die Quellen keine Hinweise. Es ist dies allerdings in größerem Umfang auch gar nicht zu erwarten, da zum Zeitpunkt des Todes des Tiberius die männlichen Mitglieder der julisch-claudischen Familie bis auf Caligula, den im Jahre 38 von ihm getöteten Enkel des Tiberius, Tiberius Gemellus, und seinen Onkel und Nachfolger Claudius bereits eines natürlichen oder unnatürlichen Todes gestorben waren 63 . An einzelnen Gebäuden werden eine ansonsten unbekannte domus Gelotiana erwähnt, die am Südwesthang des Palatin gelegen haben muß, da Caligula von dort aus den Spielen im

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Veil. Pat. 2 , 1 4 , 3. Suet. Cal. 23, 2; vgl. Tamm, Auditorium 68. Sie wurden noch zur Zeit des Claudius von dem Konsular C . Caecina Largus bewohnt. Plinius erwähnt, daß einige uralte Bäume, die sich dort befanden, (erst) dem Brand Roms im Jahre 64 zum Opfer fielen (Plin. nat. hist. 17, 1 - 6 ; Ascon. in Scaur. 45 [p. 2 7 Clark]); vgl. Tamm, Auditorium 32; Emanuele Papi, Domus: M. Aemilius Scaurus, Lexicon topographicum urbis Romae 2, 1995, 26. los. ant. lud. 1 9 , 1 1 6 f . ; 1 1 7 : . . . διά τό ε ν τ ό βασίλειον öv έπ'έποικοδομίας έκαστου των έν τϊ) ηγεμονία γεγονότων άσκηθέν άπό μέρους ονόματι των οίκοδομησαμένων ή και τι των μερών οικήσεις άρξάντων τήν έπωνυμίαν παρασχέσθαι (zit. nach der Ausgabe von Louis H . Feldman [London, Cambridge Mass. 1965]). Der Satz ist an einigen Stellen schlecht überliefert. Der Sinn, auf den es hier ankommt, ist jedoch eindeutig. Vgl. Tamm, Auditorium 66; Castagnoli, Topografia 1 8 8 - 1 9 0 ; Wiseman, Josephus 167 ff. Zu den Haushaltungen der Schwestern des Caligula, deren räumliche Zuordnung jedoch unklar ist, vgl. Suet. Cal. 3 9 , 1 .

2. Caligula

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Circus Maximus zusah64, und ein Hermaeum genannter Pavillon, in dem sich Claudius nach der Ermordung Caligulas versteckt hielt65. Des weiteren wird von Bordellräumen berichtet, die Caligula in Palatio eingerichtet haben soll, sowie von einem patentissimus locus, an dem der Kaiser Geld hortete66. Auf freie Zugänglichkeit der kaiserlichen Palatina domus auch unter Caligula deutet eine zunächst merkwürdig erscheinende, von Sueton berichtete Episode: Der Kaiser sei beim Würfelspiel aufgestanden, in das Atrium seiner domus gegangen und habe befohlen, zwei gerade vorbeigehende reiche Ritter zu verhaften und ihr Vermögen zu konfiszieren. Anschließend sei er zu seinen Mitspielern zurückgekehrt und habe sich gerühmt, noch nie größeres Glück im Spiel gehabt zu haben67. Zwei Erklärungsmöglichkeiten sind gegeben: Wenn sich das Ereignis vor der Erweiterung des kaiserlichen Hauses zum Forum hin abgespielt hat, begingen die beiden Ritter eine der Straßen, die zwischen den Einzelhäusern des kaiserlichen Hausensembles verliefen. Das Atrium des vom Kaiser genutzten „Teilhauses" wäre dann unmittelbar an eine der Straßen gestoßen68. Wenn es sich um das Haus des Caligula nach der Erweiterung gehandelt hat, hielten sich die Ritter in seinem an das Atrium anschließenden Vestibulum, d. h. im Castortempel auf. Dieser diente zugleich als eine Art Wirtschaftszentrum, wo Standardgewichte und -maße aufbewahrt wurden und auch Privatpersonen Geld deponieren konnten69, wo die Anwesenheit reicher Ritter mithin nichts Ungewöhnliches gewesen wäre. Beide Möglichkeiten belegen die offene Zugänglichkeit des kaiserlichen Wohnbereichs - die des Hausensembles insgesamt oder die des als Vestibulum genutzten Tempels, der damit einen ähnlich „öffentlichen" Charakter wie das Apollonheiligtum gehabt hätte. Keine der beiden den Rahmen des vorher Üblichen sprengenden Baumaßnahmen des Caligula waren von Dauer. Der Castortempel wurde von seinem Nachfolger Claudius wiederhergestellt70. Weder von der domus auf dem Kapitol noch von der Brücke dorthin haben sich irgendwelche Spuren oder spätere Nachrichten erhalten, so daß man vermutet hat, letztere sei aus Holz gewesen71. 64

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Suet. Cal. 18, 3; Emanuele Papi, Domus Gelotiana, Lexicon topographicum urbis Romae 2, 1995, 110. Suet. Claud. 10, 1. Suet. Cal. 41,1; Cass. Dio 59, 28, 9; Suet. Cal. 42; Cass. Dio 59, 30, 3. Suet. Cal. 41, 2: ... progressas in atrium domus, cum praetereuntis duos équités R. locupletis sine mora corripi confiscarique iussisset. So interpretiert Marquardt, Privatleben 1228 Α. 1, die Stelle. Platner/Ashby, Topographical Dictionary 102-105.103; Hirschfeld, VB 4 f. m. A. 4; Jean Andreau, La vie financière dans le monde romain. Les métiers de manieurs d'argent, Paris, Rom 1987, 110. 661. Vgl. auch Suet. Cal. 42, wo berichtet wird, der Kaiser habe in vestíbulo aedium Neujahrsgeschenke von Personen aller Stände entgegengenommen. Cass. Dio 60, 6, 8. Lugli, Roma antica 187; Ziegler, Palatium 64.

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IV. Der Palast

3. Claudius Während der Regierungszeit des Claudius scheint sich ein entscheidender Wandel der kaiserlichen domus auf dem Palatin vollzogen zu haben: die Uberbauung des auf dem nördlichen Teil des Hügels gelegenen Ensembles von kaiserlichen „Einzelhäusern" durch einen einheitlichen, großräumigen „Palastbau", die sogenannte domus Tiberiana72. Für die ersten Regierungsjahre des Kaisers deuten die Berichte der Quellen über die Aktivitäten der Kaiserin Messalina und die notorische Unfähigkeit des Claudius, zu bemerken, was in seinem Hause vor sich ging, zunächst auf das Fortbestehen der älteren Strukturen. So soll Messalina έν τω Παλατίω in einem „Raum" - Dio spricht von οίκημα - ein Lupanar eingerichtet haben, in dem sie sich selbst prostituierte und andere vornehme Frauen dazu anhielt, dasselbe zu tun73. Den beliebten Tänzer Mnester soll sie von der Bühne weggeholt und „bei sich" gehalten haben, während der Kaiser vor dem Volk versicherte, Mnester halte sich nicht „bei ihm" auf (οτι μή συνείη αύτω). Nach Cassius Dio, der dies berichtet, war das Volk traurig darüber, daß Claudius nicht wußte, was εν τφ βασιλείψ gespielt wurde74. Im Zusammenhang der Affäre der Kaiserin mit dem designierten Konsul C. Silius im Jahre 48 wird berichtet, Messalina habe diesem eine οικία βασιλική geschenkt. In Tacitus' Schilderung wird diese domus als Teil des fortunae paratus, d. h. der Ausstattung der kaiserlichen Stellung und mithin des kaiserlichen Eigentums, bezeichnet75. Die zum Teil unglaubwürdig klingenden Berichte erscheinen durchaus plausibel, wenn man die von Josephus zum Regierungswechsel bezeugte Struktur der kaiserlichen domus in Rechnung stellt: Es waren offensichtlich eigenständige „Teilhäuser", die von der Kaiserin in einer Weise genutzt wurden, die zu den entsprechenden Nachrichten Anlaß gab. Auch bei dem C. Silius geschenkten Haus wird es sich um ein solches gehandelt haben. 72

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Der Begriff „Palast" wird hier - unter Vorwegnahme der römischen Begrifflichkeit, die die kaiserlichen Gebäude auf dem Palatin erst ab domitianischer Zeit als Palatium bezeichnete - aufgrund der neuentstandenen, den Charakter aristokratischer domus definitiv sprengenden Raumstrukturen des claudischen Großbaus gewählt. Vgl. unten S. 216 f. Cass. D i o 61 (60), 31, 1; vgl. luv. 6, 1 1 5 - 1 3 2 , der berichtet, daß sich die Kaiserin in ein (professionelles) Lupanar begab, und Plin. nat. hist. 10, 172. Cass. Dio 60, 28, 3 f. Tac. ann. 11, 30, 2; vgl. 11, 12, 3 und 11, 35, 1; vgl. Cass. Dio 61 (60), 31, 3. Erich Koestermann, Cornelius Tacitus. Annalen, 4 Bde., Heidelberg 1963. 1965. 1967. 1968, III 94 (zu Tac. ann. 11, 30, 2), weist ohne Angabe von Gründen die Ansicht zurück, daß das Haus aus dem Besitz der Messalina stammte. Die Möglichkeit, daß es sich um ein Teilhaus der kaiserlichen domus handelt, erörtert er nicht, da er das Vorhandensein eines geschlossenen Palastkomplexes vorauszusetzen scheint, für den es jedoch für diese Zeit noch keine Anhaltspunkte in den Quellen gibt. Vgl. ebd. III 51 (zu Tac. ann. 11, 12, 3) und III 101 (zu Tac. ann. 11, 35, 1). Zum Hintergrund der Affäre insgesamt vgl. die Deutungen von Meise, Dynastie 123 ff.

3. Claudius

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Auf den gleichbleibenden Charakter des Bezirks um das Apollonheiligtum unter Claudius deutet eine Notiz in den Briefen des Plinius. Dort heißt es, der Kaiser habe, als er in Palatio spazierenging und Lärm hörte, nach dem Grund gefragt. Als man ihm sagte, Nonianus halte eine Rezitation ab, sei er plötzlich und für den Vortragenden unerwartet dazugekommen 76 . Da solche Rezitationen meist an öffentlich zugänglichen Örtlichkeiten, z.B. in den Porticus der kaiserlichen Foren oder öffentlichen Bädern, stattfanden 77 , dürfte die Lesung in einer der Bibliotheken des Apollonheiligtums vorgetragen worden sein, die somit weiterhin öffentlichen Charakter hatten und frei zugänglich waren 7 8 . Für die Zeit nach dem Tod der Messalina im Jahre 48 geben die Quellen keine Hinweise mehr auf ein Weiterbestehen des Ensemblecharakters der kaiserlichen Palatina domus. Dagegen deuten die Berichte über den Thronwechsel des Jahres 54 auf neuentstandene Gebäudestrukturen. Tacitus schreibt, nach der Vergiftung des Claudius habe die Kaiserin Agrippina, um den Herrschaftsantritt ihres Sohnes Nero vorzubereiten, Claudius' Sohn Britannicus in einem cubiculum festgesetzt und auch seine Schwestern Antonia und Octavia zurückgehalten, sodann „alle Zugänge" (cunctos aditus) durch Wachen schließen lassen, während sie offiziell bekanntgeben ließ, das Befinden des (schon toten) Kaisers bessere sich. A m Mittag des 13. Oktober seien dann plötzlich „die Tore des Palatium" geöffnet worden (foribus Palatii repente diductis) und Nero in der Begleitung des Prätorianerpräfekten Bur76 77

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Plin. ep. 1, 13, 3. Vgl. Adrian N. Sherwin-White, The Letters of Pliny. A Historical and Social Commentary, Oxford 1968, 115 (zu Plin. ep. 1,13, 2). Die beiden alternativen Orte der Lesung auf dem Palatin, eines der Häuser der kaiserlichen domus oder ein Privathaus (ein solches ist bis in neronische Zeit belegt, s. unten Anm. 112), sind wenig wahrscheinlich: zum einen, weil es keinerlei Hinweise für eine solche „öffentliche" Nutzung der kaiserlichen Häuser gibt, zum anderen, weil Claudius kaum in dem „am wenigsten kaiserlichen Teil" des Palatin spazierengegangen sein wird (vgl. Suet. Aug. 82,1: Augustus ging domi spazieren; zu Tiberius vgl. Tac. ann. 1, 13, 6 [oben Anm. 55]). Sherwin-White nimmt einen vierten Ort an (Letters 116 z.St.: „He [sc. Claudius] was walking in the great villa, the Domus Tiberiana, on the Palatine - the word is not yet quite identified with the imperial .palace' - and heard the noise, but not... from the Apollinine library, because it was evidently a private party on which the emperor .gatecrashed'."). Dies ist jedoch in mehreren Hinsichten problematisch bzw. unklar: Gerade weil Palatium hier die Bedeutung „Palatin" hat, spricht nichts dafür, daß Claudius in seiner domus spazierte; von einem „privaten" Charakter der Rezitation wird bei Plinius nicht gesprochen; die domus Tiberiana war keine „great villa", sondern ein geschlossener Palastbau (dazu das folgende); wenn die domus Tiberiana zur Zeit des Ereignisses bereits erbaut gewesen und der Kaiser dort spazierengegangen wäre, hätte aufgrund der Größe des Gebäudes auch die Rezitation dort stattgefunden haben müssen (sonst hätte Claudius den Lärm nicht gehört). Das aber würde zu dem angeblich privaten Charakter der Lesung noch weniger passen als die Bibliotheken des Apollontempels, auf deren Nutzung als Ort solcher Lesungen Sherwin-White zuvor (115 zu Plin. ep. 1, 13, 2) selbst hinweist.

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IV. Der Palast

rus zur Kohorte, die dort den Wachdienst versah, herausgetreten79. Sueton berichtet, „auf den Stufen des Palatium" (pro Palati gradibus) sei Nero als Imperator begrüßt worden 80 . Hier ist offensichtlich von einem neuen Gebäude die Rede, denn das gleichzeitige Vorhandensein verschließbarer Zugänge, eines Tores, vor dem eine Kohorte postiert war, und einer Treppenanlage vor dem Tor läßt sich weder mit dem für die Zeit vor 54 belegten Ensemble von Einzelhäusern, noch mit einem einzelnen Haus innerhalb dieses Ensembles räumlich in Verbindung bringen. Eine genauere Vorstellung des Baus vermitteln Tacitus' Schilderungen der Ereignisse auf dem Palatin im Jahre 69, in denen ebenfalls die Stufen, das Tor und die anderen sicherbaren Zugänge erwähnt werden: Als am 15. Januar das Gerücht von der Erhebung Othos aufkam, habe Piso, der einige Tage zuvor von Galba adoptiert worden war, vor den pro gradibus domus zusammengerufenen Soldaten der wachhabenden Kohorte eine Rede gehalten81. Später habe „die gesamte Plebs vermischt mit Sklaven" das Palatium angefüllt82. Galba und seine Berater hätten erwogen, zunächst intra domum zu bleiben, Sklaven zur Gegenwehr aufzustellen, die Zugänge (aditus) abzusichern und sich auf eine Belagerung einzustellen83. Als dann die (falsche) Nachricht vom Tode Othos die Runde machte, hätten zahlreiche Ritter und Senatoren „die Tore des Palatium" aufgebrochen und seien vor Galba getreten, um ihm ihre Unterstützung zu bekunden84. Aus der Ereignisfolge geht eindeutig hervor, daß Tacitus hier das Wort Palatium in doppelter Bedeutung gebraucht: einmal für den Ort, wo sich Volk und Sklaven versammelten, im Gegensatz zur domus, in der sich Galba aufhielt, dann für diese selbst, in die die Ritter und Senatoren einbrachen, um Galba zu sehen, d.h. einmal in der Bedeutung „Palatin", dann in der Bedeutung „Palast" 85 . Dabei zeigt die Schilderung, daß dieser „Palast auf dem

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Tac ann. 12, 6 8 , 2 - 6 9 , 1 . Suet. N e r o 8. - Claudius war noch auf der area Palatina von den Soldaten ausgerufen worden (los. ant. lud. 19, 223: έν ευρυχωρία δέ του Παλατιού). Vgl. zu den gradas Palatii Tamm, Auditorium 84 f., die deren Lage auf der zum F o r u m hin gelegenen Seite des Palatin vermutet. Dagegen spricht aber Suet. Claud. 18, 2, w o (ebenfalls erstmalig) eine „Hintertüre" (posticum) erwähnt wird, durch die sich Claudius vor einer aufgebrachten Menge auf dem F o r u m in das Palatium rettete. Tac. hist. 1, 29, 2. Tac. hist. 1, 32, 1: universa iamplebs Palatium implebat, mixtis servitiis... Tac. hist. 1 , 3 2 , 2 : Titus Vinius manendum intra domum, opponenda servitia, firmandos aditus, non eundum ad iratos censebat. Tac. hist. 1, 35, 1: ... equitum plerique ac senatorum, posito metu incauti, refractis Palatii foribus ruere intus ac se Galbae ostentare... Vgl. dazu detailliert unten S. 212 f. Helmuth Vretska (Stuttgart 1984) übersetzt jeweils zutreffend „Palatin" bzw. „Palast", während bei Joseph Borst (München 1959), der Palatium durchgängig mit „Kaiserpalast" übersetzt, der Sinn widersprüchlich wird. Heubners Historienkommentar geht auf das Problem nicht ein.

3. Claudius

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Palatin" durch die Sicherbarkeit der Zugänge festungsähnlichen Charakter hatte, während der Palatin selbst frei zugänglich war 86 . Die Ereignisse während eines Gastmahls, das Otho als Kaiser „den vornehmsten Frauen und Männern" gab, bestätigen dies. Die Otho ergebenen Prätorianer befürchteten aus geringfügigem Anlaß eine Gefährdung des Kaisers, stürzten in die Stadt und zum Palatium87, ließen sich auch an den Toren des Palastes (foribus Palati) nicht zurückhalten und brachen in das triclinium ein mit der Forderung, man solle ihnen den Kaiser zeigen 88 . Die Schilderung des Gastmahls gibt zugleich eine Vorstellung von der Größe des Gebäudes: Da Plutarch die Zahl von 80 Personen nennt, von denen „einige" von ihren Frauen begleitet worden seien 89 , muß der Speisesaal um die 100 Personen sowie dem entsprechenden Bedienungspersonal Platz geboten haben. Da die Gäste zudem - wie dies üblich war 90 - jeweils ein Gefolge von Begleitern und Sklaven bei sich hatten 91 , muß das Gebäude anläßlich des Gastmahls insgesamt mehreren hundert Personen Aufnahme geboten haben. Hält man Ausschau nach archäologischen Uberresten auf dem Palatin aus vordomitianischer Zeit, die mit dem nach Ausweis der literarischen Quellen mithin höchstwahrscheinlich unter Claudius entstandenen Gebäude zu identifizieren wären, wird man schnell fündig. Unter den Resten der im 16. und 17. Jahrhundert auf dem nördlichen Teil des Palatin errichteten Farnesischen Gärten befinden sich die noch heute deutlich sichtbaren Grundmauern eines monumentalen Baus. Er wird in der Forschung „domus Tiberiana" genannt, da in einigen Quellen zum Jahre 69 ein dort lokalisierbarer Bau so bezeichnet wird: Im Zusammenhang mit Othos Erhebung am 15. Januar wird berichtet, er habe morgens an einer Opferhandlung Galbas im Apollontempel teilgenommen, diese vorzeitig verlassen und sei dann per Tiberianam domum zum Velabrum, dem Tal zwischen Palatin und Kapitol, und von dort zum „Goldenen Meilenstein" am Forum in der Nähe des Saturntempels geeilt, wo ihn die eingeweihten Mitglieder der Leibgarde erwarteten 92 ; d.h. er legte den Weg vom Apollontempel zum Forum zurück, indem er ein als domus Tiberiana bezeichnetes Gebäude durchquerte. Dessen Lage bestätigt auch Suetons Erwähnung, Vitellius habe von der domus Tiberiana aus beim Mahle den Brand

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Vgl. Tac. hist. 1, 72, 3. Tac. hist. 1 , 8 0 , 2 . Suet. Otho 8, 2; Tac. hist. 1, 82, 1. Plut. Otho 3, 6-8. Marquardt, Privatleben I 305. Tac. hist. 1, 81, 2 (vitata [sc. beim Verlassen des Gastmahls] comitum et servorum frequentia). Tac. hist. 1, 27, 2: ... per Tiberianam domum in Velabrum, inde ad miliarium aureutn sub aedem Saturni pergit; vgl. Plut. Galba 24, 7: ... καί διά της Τιβερίου καλούμενης οικίας καταβάς έβάδιζεν εις άγοράν. Vgl. Suet. Otho 6, 2 und Platner/Ashby, Topographical Dictionary 342, s.v. Miliarium Aureum.

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IV. Der Palast

des Kapitols beobachtet 93 . Der Name des Gebäudes, bei dem es sich somit um den hier aus den literarischen Quellen rekonstruierten claudischen Palast handeln muß, ist vermutlich erst in späterer Zeit aufgekommen, um es von dem neuen domitianischen Palast zu unterscheiden. Er wird daher von den Autoren des 2. Jahrhunderts für das Jahr 69 wohl anachronistisch verwandt 94 . Durch die Ergebnisse der archäologischen Erforschung der „domus Tiberiana" werden nun die Angaben der literarischen Quellen bestätigt. Die ältere Forschung, der auch bekannt gewesen war, daß die erhaltenen Teile hauptsächlich von späteren Uberbauungen und Erweiterungen stammen 95 , nahm gleichwohl an, daß der Bau insgesamt schon unter Tiberius als geschlossener Palastkomplex aus der Verbindung der früheren Einzelhäuser entstanden und dann durch die folgenden Kaiser - wozu das Zeugnis des Josephus zu passen schien 96 - schrittweise erweitert worden sei 97 . Neue, Anfang der achtziger Jahre von Schweizer Archäologen durchgeführte Grabungen im Bereich der „domus Tiberiana" haben nun - wenngleich ihre Ergebnisse bislang erst sehr vorläufig und hypothetisch formuliert worden sind jedenfalls folgendes erbracht 98 : Der in vordomitianischer Zeit entstandene Palast ist nicht aus einem Konglomerat von Einzelhäusern hervorgegangen, vielmehr liegt ihm eine einheitlich geplante, auf streng axialsymmetrischen Grundstrukturen basierende Gesamtkonzeption zugrunde. Die über einem 117,60 χ 133,20 m Seitenlänge messenden Podium gelegene Anlage ist aus nachtiberischer Zeit, da im Nordbereich unterhalb des Sockels überbaute „republikanische" Häuser nachweisbar sind, die noch in der frühen Kaiserzeit renoviert und daher bewohnt worden sind 99 . Als frühester Bautermin ist aufgrund des archäologischen Befundes die Regierungszeit des Claudius anzusehen 100 .

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Suet. Vit. 1 5 , 3 . Vgl. unten S . 2 1 5 Í . Jordan/Huelsen, Topographie I 3, 77 ff.; Ziegler, Palatium 65. los. ant. lud. 1 9 , 1 1 7 (oben Anm. 62); vgl. Clemens Krause, Ricerche sulla storia edilizia. Rapporto preliminare, in: Domus Tiberiana. N u o v e ricerche - studi di restauro, Rom, Zürich 1985, 7 3 - 1 3 6 . 73 ff. - Liest man die Stelle im Zusammenhang (der Ermordung Caligulas), ergeben sich allerdings kaum Hinweise auf einen geschlossenen Palastbau. Jordan/Huelsen, Topographie I 3, 76 ff.; Lugli, R o m a antica 479 ff.; Ziegler, Palatium 63ff.; zuletzt z . B . noch Coarelli, R o m 146ff.; kritisch demgegenüber jedoch schon (aufgrund der literarischen Überlieferung und noch ohne Kenntnis der neuesten Grabungen) Tamm, Auditorium 64f.; vgl. Isler, Residenz 7f. Domus Tiberiana. N u o v e ricerche - studi di restauro, R o m , Zürich 1985. Krause, Ricerche 76 f. Vgl. unten Abb. 7. Ebd. 134. Krause erwägt auch eine Entstehung in neronischer Zeit (ebd.) und entscheidet sich an anderer Stelle für diesen Termin (La Domus Tiberiana e il suo contesto urbano, in: L'Urbs. Espace urbain et histoire, R o m 1987, 7 8 1 - 7 9 8 ) . Diese Datierung ist aufgrund des archäologischen Befundes, der als Terminus ante quem den Brand R o m s im Jahre 80 ergibt (Krause, Ricerche 77), lediglich möglich, aber

4. N e r o

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Der in claudischer Zeit entstandene Palastbau, so läßt sich zusammenfassen, war schon durch seine Größe und Lage von den traditionellen Stadthäusern römischer Aristokraten grundsätzlich verschieden. Er bot einerseits die räumliche Voraussetzung zur Versammlung großer Personenkreise im unmittelbaren Wohnbereich des Kaisers, andererseits war der Zugang zu ihm durch „Tore" in Verbindung mit einer Treppenanlage, auf der Mitglieder einer wachhabenden Kohorte postiert waren, sowie durch weitere verschließbare „Zugänge" kontrollierbar, was ihm, wie die Ereignisse des Jahres 69 zeigen, einen festungsähnlichen Charakter gab. Demgegenüber war der umliegende Bereich weiterhin frei zugänglich.

4. Nero Einige Nachrichten vom Anfang der Regierungszeit Neros bestätigen zunächst die Größe des neuen Gebäudes durch die Hinweise auf die dort ständig wohnenden Personen. So lebte dort mit Nero zusammen seine Mutter Agrippina 101 , die über ein eigenes Gefolge und eine Leibgarde aus Soldaten und Germanen verfügte. Im Jahre 55, schreibt Tacitus, habe Nero ihr die Wache entzogen, ihr „Haus" abgetrennt und sie in das frühere Haus der Antonia übersiedeln lassen. Sueton schreibt, Agrippina sei aus der gemeinsamen Wohnung (contubernium) und vom Palatin entfernt worden 102 . Auch Neros Stiefbruder Britannicus, den der junge Kaiser im Jahre 55 vergiften ließ, hatte ein Gefolge von proximi, das in den Jahren zuvor von Agrippina mit ihren

nicht notwendig, sie basiert vielmehr auf Krauses Interpretation der literarischen Quellen: Als Argument gegen die Datierung in claudische Zeit führt er v.a. die Existenz des Hauses des Crassus an. Dessen Lokalisierung auf dem Gebiet der „domus Tiberiana" im Anschluß an Tamm ist aber ganz hypothetisch (Tamm, Auditorium 33: „We have no direct evidence . . . to help us place the houses of Octavius, Scaurus and Crassus."). Krauses Argumentation mit Plin. nat. hist. 36, 111 (oben Anm. 58) ist unklar: D o r t ist nicht, wie Krause schreibt (Ricerche 134; Domus Tiberiana 783 f.), von der domus Cai et Neronis die Rede, sondern von den domus Cai et Neronis, was keinen Zusammenhang mit der „domus Tiberiana" ergibt. Dagegen deuten die für das Jahr 54 erstmals erwähnten gradus Palatii, wie auch Krause sieht (Ricerche 134), direkt auf einen Podiumsbau, zudem auch die (von ihm nicht erörterten) neuen absicherbaren Zugänge, von denen die literarischen Quellen berichten (s.o.). Vgl. zur Datierung in neronische Zeit auch Clemens Krause, W o residierten die Flavier? Überlegungen zur flavischen Bautätigkeit auf dem Palatin, in: Franz E . Koenig, Serge Rebetez (Hg.), Arculiana. Recueil d'hommages offerts à Hans Bögli, Avenches 1 9 9 5 , 4 5 9 ^ 6 8 . 461. 101

102

Sueton spricht vom contubernium ( N e r o 3 4 , 1 ; vgl. die folgende Anm.), Cassius Dio v o m täglichen Umgang beider (61, 8, 5). Tac. ann. 13, 18, 3 : . . . separat (sc. Nero) domum matremque transfert in earn, quae Antoniae fuerat (d. h. Tacitus benutzt domus hier sowohl in personaler wie in sachlicher Bedeutung); vgl. Cass. Dio 61, 8 , 4 ; Suet. N e r o 3 4 , 1 : . . . abductaque militum et Germanorum statione contubernio quoque ac Palatio expulit (se. Nero Agrippinam).

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IV. Der Palast

Vertrauten durchsetzt worden war103, und lebte im Palast104. Das gleiche gilt für seine Schwester Octavia, Neros Frau, deren Sklaven und andllae erwähnt werden und die Nero, als er sich im Jahre 62 von ihr trennte, ebenfalls „entfernte", wobei er ihr das frühere Haus des Burras schenkte105. Nur indirekt erschließen läßt sich sodann, daß der kaiserliche Freigelassene und Sekretär a rationibus Pallas eine Art Büro im kaiserlichen Palast gehabt hat. Im Zusammenhang mit seiner Entmachtung im Jahre 55 wird berichtet, er sei mit großem Gefolge „heruntergestiegen (sc. vom Palatin)"106. Zusammen mit dem Fehlen irgendwelcher Nachrichten von selbständigen Teilhäusern auf dem Palatin, die - wie noch zum Jahre 41 belegt - von Mitgliedern der kaiserlichen Familie bewohnt worden wären oder früher bewohnt worden waren, dokumentieren die Zeugnisse deutlich den neuen Charakter der vom Kaiser bewohnten Räumlichkeiten. Eine Senatssitzung im Palatium - gemeint sein dürften wiederum die Bibliotheken des Apollontempels - im Jahre 54 107 und eine dort in Form eines Volksauflaufes stattfindende Sympathiekundgebung für Octavia im Jahre 62 108 zeigen zugleich den „öffentlichen" und frei zugänglichen Charakter der Umgebung des Palastes am Anfang von Neros Regierungszeit. Vergleichsweise ausführlich berichten die Quellen über Neros eigene Bautätigkeit109, die außergewöhnlichen Charakters war und schon vom Alteren 103

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Tac. ann. 1 3 , 1 5 , 3 (proximi); 1 2 , 2 6 , 2; Cass. Dio 61 (60), 32, 5 (Ersetzung der früheren serviles ministri des Britannicus durch Agrippina). Das zeigt sein Festgehaltenwerden in cubiculo des Palastes beim Regierungswechsel (Tac. ann. 1 2 , 6 8 , 2 ) und seine regelmäßige Anwesenheit beim Mahl (was im Zusammenhang mit seiner Vergiftung berichtet wird; ann. 1 3 , 1 6 , 1 ) . Tac. ann. 14, 60, 2 (Sklaven und andllae der Octavia); vgl. Cass. Dio 62, 13, 4; Tac. ann. 14, 6 0 , 4 : movetur tarnen primo civilis discidii specie domumque Burri... accipit (sc. donum). Tac. ann. 13, 14, 1; vgl. Koestermann, Annalen III 259 z.St. mit Hinweis auf Tac. hist. 3, 67, 2; ähnlich auch Sen. de benef. 3, 27, 2 (Augustus' Verlassen des Palatin). Daß Pallas nicht im Palast wohnte, geht aus der Schilderung seines eigenen Haushaltes hervor (Tac. ann. 13, 23, 2). Tac. ann. 13, 5, 1. Im Palast dürfte die Sitzung kaum stattgefunden haben. Damit Agrippina passiv daran teilnehmen konnte, wurde in einer Wand eine Türe durchgebrochen, vor der ein Vorhang angebracht wurde. Dies scheint auf das übliche, für solche Zwecke nicht geeignete Tagungslokal des Senats auf dem Palatin hinzudeuten. Tac. ann. 14, 61, 1 : . . . Palatium multitudine et clamoribus complebant. - Vgl. dazu die Ereignisse im Jahre 69 (Tac. hist. 1, 32, 1 f.; oben Anm. 82. 83). Tac. ann. 1 5 , 3 9 , 1 : . . . (Nero) non ante in urbem regressus est, quam domui eius, qua Palatium et Maecenatis hortos continuaverat, ignis propinquaret; 15, 42, 1: ceterum Nero usus est patriae minis extruxitque domum, in qua baud proinde gemmae et aurum miraculo essent, solita pridem et luxu volgata, quam arva et stagna et in modum solitudinum bine silvae, inde aperta spatia et prospectus... - Suet. N e r o 31, 1 f.: non in alia re tarnen damnosior quam in aedificando domum a Palatio Esquilias usque fecit, quam primo transitoriam, mox incendio absumptam restitutamque auream nominavit. de cuius spatio atque cultu suffecerit baec rettulisse. vestibulum eius fuit, in quo colossus CXX pedum starei ipsius effigie; tanta laxitas, ut porticus tríplices miliarias baberet; item stagnum maris instar, circumsaeptum aedificiis ad urbium

4. Nero

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Plinius mit der des Caligula verglichen wurde. Mit jener hat sie in der Tat gemeinsam, daß durch sie der kaiserliche Wohnbereich über den Palatin hinaus auf einen weiteren Hügel der Stadt übergriff (und Rom damit „umzingelte" 110 ) - und daß auch diese Entwicklung das gleiche Schicksal wie Caligulas Bauprojekte ereilte: Sie wurde von Neros Nachfolgern auf dem Kaiserthron rückgängig gemacht 111 . Als unumkehrbar stellte sich dagegen eine Entwicklung heraus, die zur gleichen Zeit mit Neros Bautätigkeit ihren Abschluß fand: die vollständige Okkupation des Palatin mit kaiserlichen Gebäuden. Plinius' Notiz, daß mit dem Brand Roms im Jahre 64 einige sehr alte Bäume zerstört wurden, die sich im Bereich des Hauses des Konsulars Caecina Largus befunden hatten, ist die letzte Erwähnung des Hauses eines römischen Aristokraten auf dem Palatin 112 . Nero ließ eine domus erbauen, die „vom Palatin bis zum Esquilin" reichte (Suet.) und die das Palatium mit den Gärten des Maecenas „in Verbindung setzte" (Tac.). Vor dem Brand Roms hatte sie den Namen domus transitoria, danach nutzte Nero die Zerstörung der Stadt zu ihrer Erweiterung - die Forschung schätzt v.a. aufgrund der Hinweise Martials eine Gesamtfläche von mehr als 50 ha mitten in R o m 1 1 3 - und gab ihr den Namen domus aurea. Der

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speciem; rura insuper arvis atque vinetis et pascuis silvisque varia, cum multitudine omnis generispecudum ac ferarum. in ceterispartibus cuneta auro lita, distincta gemmis unionumque conchis erant; cenationes laqueatae tabulis eburneis versatilibus, ut flores, fistulatis, ut unguenta desuper spargerentur; praecipua cenationum rotunda, quae perpetuo diebus ac noctibus vice mundi circumageretur; balineae marinis et albulis fluentes aquis. - Mart. lib. spect. 2: hic ubi sidereus propius videt astra colossus/ et crescunt media pegmata celsa via,/ invidiosa feri radiabant atria regis/ unaque iam tota stabat in urbe domus./ hic ubi conspicui venerabilis amphitheatri/ erigitur moles, stagna Neronis erant./ hic ubi miramur velocia muñera thermas,/ abstulerat miseris tecta superbus ager./ Claudia diffusas ubi porticus explicat umbras,/ ultima pars aulae deficientis erat./reddita Roma sibi est et sunt tepraeside, Caesar,/ deliciae populi, quae fuerant domini. Plin. nat. hist. 36, 111 (oben Anm. 58). Auswahl aus der umfangreichen Literatur: Jordan/Huelsen, Topographie I 3, 273279; Lugli, Roma antica 348-374; Axel Boëthius, The Golden House of Nero. Some Aspects of Roman Architecture, Ann Arbor 1960, 94 ff.; Friedrich Rakob, Propyläen Kunstgeschichte, Bd. 2, Berlin 1976, 187f.; Mielsch, Villa 64-68; Helmuth Prückner, Sebastian Storz, Beobachtungen im Oktogon der Domus Aurea, in: MDAI(R) 81,1974,323-339; Laura Fabbrini, Domus Aurea. Una nuova lettura planimetrica del palazzo sul colle Oppio, in: Città e architettura nella Roma imperiale, Odense 1983, 169-186; Giorgio Rocco, Alcune osservazioni sul valore architettonico delle antica decorazione parietale. La Domus Aurea di Nerone, in: Palladio 1, 1988,121-134; Larry F. Ball, A Reappraisal of Nero's Domus Aurea, in: Laetitia A. La Follette u.a. (Hg.), Rome Papers, Ann Arbor 1994, 183-254; vgl. zuletzt mit einer Ubersicht über die Forschungsgeschichte und aufschlußreichen Interpretationen Marianne Bergmann, Der Koloß Neros, die Domus Aurea und der Mentalitätswandel im Rom der frühen Kaiserzeit (Trierer Winckelmannsprogramme 13,1993), Mainz 1994, 1-37. Plin. nat. hist. 17, 5 (vgl. oben Anm. 49. 61). Vgl. die modernen Rekonstruktionsversuche unten in Abb. 8 und 9.

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IV. Der Palast

gesamte Komplex besaß ein vestibulum bzw. atrium (Suet./Mart.), in dem ein 120 Fuß hoher Koloß Neros stand, eine meilenlange dreigliedrige Porticus (Suet.), einen großen See, umgeben von Gebäuden, dort, wo später das Colosseum gebaut wurde (Suet./Tac./Mart.), dazu ausgedehnte Ländereien (Suet.: rura\ Tac.: arva; Mart.: superbus ager) mit Feldern, Weinbergen, Weiden, Wäldern und Tiergehegen. Uber die Gebäude schreibt Sueton, daß alles mit Gold, Edelsteinen und Perlmutt bedeckt war, daß die Speisezimmer mit beweglichen elfenbeinernen Täfelungen und Röhrchen ausgestattet waren, damit man Blumen und Parfum über die Gäste streuen konnte, und daß ein besonderer Speisesaal vorhanden war, der rund war, „damit er herumgedreht werden konnte wie das Weltall ohne Unterbrechungen Tag und Nacht" 114 . Zudem gab es Bäder, in die Meerwasser und Wasser von den Albulaquellen flöß. Das Ganze wird in den Quellen als domusnb, die einzelnen Elemente (Bauten, Felder, Wälder etc.) werden als „Teile" der domus bezeichnet (Suet./ Mart.: partes/pars). Unter den Trajansthermen haben sich umfangreiche Gebäudestrukturen erhalten, die die archäologische Forschung als den Hauptbau mit der drehbaren Rotunda identifiziert hat 116 . Neben Versuchen, die literarischen mit den archäologischen Quellen in Verbindung zu bringen, hat Neros domus aurea Anlaß zu vielfältigen Interpretationen gegeben. So hat man ihren „ideologischen" Gehalt zu ergründen versucht117 und ihr den außergewöhnlichen Charakter einer „Villa in der Stadt" zugesprochen118. In unserem Zusammenhang sind drei Dinge bemerkenswert: 1. Keiner der ausgegrabenen Räume des Hauptbaus verfügt über den Platz, der es erlaubt hätte, größere Personenkreise in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers, z. B. beim Gastmahl, zu versammeln - so wie dies im claudischen Palast möglich war, in dessen Triklinium bei dem erwähnten Gastmahl Othos um die hundert vornehme Gäste anwesend waren119. 2. Der als domus bezeichnete Gesamtkomplex war nicht frei zugänglich. Tacitus spricht von der solitudo der ländlichen Teile und berichtet an anderer Stelle im Zusammenhang mit der Pisonischen Verschwörung, daß Nero selSuet. Nero 31,2; vgl. Prückner/Storz, Oktogon 330. Vgl. oben Anm. 109, Cass. Dio 64 (65), 4, 1 (οικία) und den bei Suet. Nero 39, 2 überlieferten Spottvers (unten Anm. 121). Lediglich Martial benutzt daneben noch aula als Bezeichnung für den gesamten Komplex (a.O.). 1 1 6 Vgl. unten Abb. 10. 117 Vgl. zuletzt Boëthius, Golden House 119 ff.; Yves Perrin, La Domus Aurea et l'idéologie néronienne, in: Edmond Lévy (Hg.), Le système palatial en Orient, en Grèce et à Rome, Leiden 1987, 359-391; Jean-Louis Voisin, Ex oriente sole (Suétone, Ner. 6). D'Alexandrie à la Domus Aurea, in: L'Urbs. Espace urbain et histoire (1er siècle av. J.-C. - lile siècle ap. J.-C.), Rom 1987, 509-543. 1 1 8 Mielsch, Villa 64; vgl. Bergmann, Domus Aurea 27 ff., die die domus aurea auf einen allgemeinen aristokratischen Mentalitätswandel in der frühen Kaiserzeit bezieht. 1 1 9 Vgl. oben Anm. 89.

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4. Nero

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ten ausging, meist in seiner domus oder seinen Gärten „verschlossen" war und daß die Verschwörer daher Zirkusspiele abwarten wollten, um bei dieser Gelegenheit leichteren Zugang zum Kaiser zu haben 120 . Sodann zeigt zeitgenössische und spätere Kritik, daß die Bewohner Roms von der domus aurea verdrängt und ausgeschlossen wurden: Sueton berichtet von einem Spottvers, wonach ganz Rom Nero zum Haus geworden sei und die Bürger aufgefordert wurden, nach Veii auszuwandern, falls dieses Haus sich nicht auch schon dorthin ausgedehnt habe 121 . Tacitus spricht in einem Nebensatz von dem, was Neros Haus von der Stadt übriggelassen habe 122 , und Martial preist, daß unter den Flaviern Rom sich selbst zurückgegeben worden sei und daß jetzt, durch die flavischen Bauten auf dem Gebiet der früheren domus aurea, zur Freude des Volkes geworden sei, was vorher nur dem Herrscher gedient habe (a.o.). Wendet man Vitruvsche Terminologie an, wird man daher die domus aurea Neros - im Gegensatz zu dem unter Claudius entstandenen Palastbau, der die traditionellen Raumstrukturen aristokratischer Häuser überwand und auf die Anwesenheit großer Personenkreise hin angelegt war - als eine Art letzte hypertrophe Übersteigerung eines privatum aedificium beschreiben können, dessen weiteste Teile jedoch nicht mehr den Charakter von für alle offenstehenden communia loca, sondern den von nur dem Kaiser vorbehaltenen propria loca hatten 123 . 3. Über die Nutzung des mit der domus aurea „verbundenen" claudischen Palastes in den letzten Jahren der Regierungszeit Neros geben die Quellen keine direkten Auskünfte. Er wurde im Jahre 64 ebenfalls vom Brand Roms erfaßt 124 , muß dann aber wiederhergestellt worden sein, da in den Jahren 68/ 69 die kurzfristig regierenden Kaiser ihn regelmäßig in Besitz nahmen und dort wohnten 125 . Die Selbstverständlichkeit, mit der dies geschah, deutet darauf hin, daß auch zur Zeit der domus aurea die „domus Tiberiana" auf dem Palatin stetig vom Kaiser genutzt wurde. Während die unmittelbaren Nachfolger Neros so den Kaiserpalast als Wohnort wählten, Otho und Vitellius zudem auch die domus aurea weiterbauen ließen bzw. nutzten 126 , distanzierte sich Vespasian grundsätzlich von

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Tac. ann. 15, 5 3 , 1 : . . . quia Caesar rarus egressu dotnoque aut hortis clausus ad ludiera circi ventitabat promptioresque aditus erant laetitia spectaculi. Suet. Nero 39, 2: Roma domus fiet: Veios migrate, Quirites,/ si non et Veios occupât ista domus. Tac. ann. 15, 43, 1. Vgl. Vitr. de arch. 6, 5 , 1 f. (oben S. 40 f. Anm. 7. 9). Tac. ann. 15,39, 1. Allgemein: Plut. Galba 1, 8. - Galba: Suet. Galba 14,2; 18,1; vgl. Otho 6,1; Tac. hist. 1, 32, 2. - Otho: Suet. Otho 7 , 1 ; vgl. 8, 2; Tac. hist. 1,47, 2; 1, 8 0 , 2 ; Plut. Otho 3, 6; Cass. Dio 63 (64), 9 , 2 . - Vitellius: Suet. Vit. 15, 2 f.; 16; Tac. hist. 3, 67, 2; 3, 68, 3; 3, 74, 2; Cass. Dio 64 (65), 16, 4f.; 64 (65), 2 0 , 2 . Suet. Otho 7,1 (Othos erste subsariptio habe einem Kredit über 50 Mill. HS zum Wei-

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IV. Der Palast

den Bauten seiner Vorgänger und von der Art ihrer Nutzung: Anstelle der domus aurea schuf er „the largest pleasure grounds created by any megalopolis for the masses"127; er selbst verbrachte die meiste Zeit in den Gärten des Sallust und wohnte nur „wenig", wie Cassius Dio sich ausdrückt, im Παλάτιον; zugleich standen dessen Tore, die nicht bewacht wurden, den ganzen Tag über weit offen 128 . Auch diese Art kaiserlichen Wohnens blieb eine temporäre Erscheinung. Erst Vespasians Sohn Domitian war es, der eine mehr als hundertjährige Entwicklung zu ihrem Abschluß brachte und Gebäudestrukturen schuf, die, zusammen mit dem claudischen Palast, den kaiserlichen Wohngebäuden auf dem Palatin eine dauerhafte Form gaben.

5. Domitian Vom Palast Domitians, der nach inschriftlichen Zeugnissen domus August(i)ana genannt wurde 129 und den südlichen Teil des Palatin bedeckte, sind umfangreiche archäologische Überreste erhalten130. Zudem wird in schriftlichen Quellen seine Größe und Pracht beschrieben. Die archäologische Forschung hat sich unter anderem darum bemüht, die Aussagen beider Quellengattungen aufeinander zu beziehen und die Funktionen der einzelnen Räume zu ermitteln 131 . Martial beschreibt - mit etwas wolkigen Worten - , der Palast übertreffe an Größe die Pyramiden Ägyptens und berühre die Sterne132. Er biete Platz, um

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terbau der domus aurea gegolten); Cass. Dio 64 (65), 4 , 1 f. (Vitellius und seine Frau seien unzufrieden über die „bescheidene" Ausstattung der domus aurea gewesen). Boëthius, Golden House 128. Cass. Dio. 65 (66), 10,4 f.: ολίγα μέν έν τ ω Παλατίψ ωκει, τό δέ δή πλείστον έν τοις κήποις τοις καλουμένοις Σαλουστιείοις διέτριβε ... αϊ τε θύραι των βασιλείων ήνεωγμέναι δια πάσης της ημέρας ήσαν, και φρουρός ουδείς έν αύταΐς έγκαθειστήκει. Vgl. 65 (66), 15,4 (Berenike wohnte mit Titus im Palast); 65 (66), 16, 3 (Verschwörer beim gemeinsamen Mahl mit Titus im Palast). - Zu den baulichen Veränderungen, die Vespasian und Domitian an der „domus Tiberiana" vornehmen ließen, siehe Krause, Flavier 464—466. Zusammengestellt bei Lugli, Möns Palatinus 183 Nr. 330-332; 216-218 Nr. 532548. Die Herkunft des Namens ist unklar. Die ältere Forschung, die das „Haus des Augustus" und das Apollonheiligtum auf diesem Teil des Hügels vermutet hatte, ging davon aus, daß der Name daher rührte (ähnlich wie bei der „domus Tiberiana" auf dem nördlichen Teil, wo sich ursprünglich das Geburtshaus des Tiberius befunden hatte; vgl. unten S. 215 f.). Vgl. unten Abb. 1 und 11. Vgl. bes. Jordan/Huelsen, Topographie I 3, 87-99; Lugli, Roma antica 486—492. 509-516; Ziegler, Palatium 70-77; Tamm, Auditorium bes. 206-216; Helge Finsen, Domus Flavia sur le Palatin. Aula Regia - Basilica, Kopenhagen 1962; ders., La résidence de Domitien sur le Palatin, Kopenhagen 1969; Coarelli, Rom 148-158; Isler, Residenz 12-16; Sheila Gibson u.a., The triclinium of the Domus Flavia. A N e w Reconstruction, in: PBSR 62, 1994, 67-100. Mart, epigr. 8, 36; 7, 56.

5. Domitian

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die kaiserlichen Tischgesellschaften (Palatinae convivía mensae) aufzunehmen (was vorher nicht der Fall gewesen sei)133. Auch Statius preist in einem Dankgedicht für die Einladung zu einem kaiserlichen Gastmahl die Größe des Palastes, vergleicht ihn mit dem Jupitertempel auf dem Kapitol, beschreibt die Marmordekorationen im Innern und die hohen Gewölbe, die man für die vergoldete Decke des Himmels halten könne 134 . Hier, so Statius, habe der Kaiser die Vornehmsten Roms und festlich gekleidete Ritter, tausend zugleich, an Tischen lagern lassen135. Bei Plutarch, der (in nachdomitianischer Zeit) die Säulenhallen, Basiliken, Bäder und Räumlichkeiten der kaiserlichen Konkubinen im „Haus Domitians" erwähnt, überwiegt dagegen die Kritik an der außergewöhnlichen Pracht des Palastes und der als übertrieben dargestellten Bautätigkeit dieses Kaisers136. Sueton und die Uberlieferung von Cassius Dios Römischer Geschichte nehmen vom Palastbau Domitians - ebenso wie von dem des Claudius (s. o.) - merkwürdigerweise keine Notiz. Sueton berichtet lediglich über einen Blitzeinschlag im cubiculum des Kaisers als Vorzeichen seines nahenden Endes 137 , und daß er die Säulenhallen, in denen er spazierenging, mit Spiegeln verkleiden ließ, um sehen zu können, was hinter seinem Rücken vorging 138 . Der Grundriß des Gebäudes weist eine klare Dreiteilung in einen westlichen, einen mittleren und einen östlichen Trakt auf 139 . Der westliche Trakt, in der Forschung (in Abweichung von der Terminologie der Quellen) meist als domus Flavia bezeichnet und als „offizieller", der „Repräsentation" dienender Palast gedeutet, verfügt in seinem nördlichen Teil über drei größere, nebeneinander liegende Räume (vgl. unten Abb. 11, Räume b, c und d), von denen der mittlere etwa 31 χ 38 m mißt, was eine Fläche von ca. 1180 qm ergibt. Südlich schließt sich ein großes rechteckiges Peristyl (e) und ein weiterer Saal (f) an, der mit ca. 29 bzw. 30 m Seitenlänge eine Fläche von etwa 870 qm hat. Der mittlere nördliche Raum (c), in der Forschung meist als ,/iula regia" bezeichnet, soll als „Thronsaal" und Empfangsraum für die salutatio, der sich westlich anschließende (b) als „auditorium" zur Abhaltung kaiserlicher Beratungen und der südliche Raum (f) als triclinium gedient haben. Der mittlere Trakt wird meist als „privater Bereich" 140 des Palastes angesehen, wobei der südliche, zum Circus Maximus hin gelegene Teil, der klar von den übrigen abgegrenzt ist, als eigentlicher kaiserlicher Wohnbereich gedient 133

Mart, epigr. 8, 39. Stat. silv.4,2; bes. 18-31. 135 Stat. silv. 4, 2, 32 f.: hic cum Romuleos proceres trabeataque Caesar/ agmina mille simul iussit discumbere mensis. M Plut. Pubi. 15,5. 137 Suet. Dom. 15, 2; vgl. 16, 2; vgl. Cass. Dio 67, 16,1. i3» Suet. Dom. 14, 4. 139 Vgl. unten Abb. 1 (Nr. 6) und 11. - Zum folgenden zusammenfassend: Coarelli, Rom 148 ff.; Isler, Residenz 12 ff. Vgl. z.B. Coarelli, Rom 153f. 134

72

IV. Der Palast

haben soll. Nördlich schließt sich ein größeres Peristyl (h) und ein in seinen Grundmauern stark zerstörter Bereich (g) an, den man auch als ein vestibulum gedeutet hat. Den Osttrakt schließlich bildet das sogenannte Stadion, ein von Mauern umgebenes Rechteck von ca. 160 m Länge, das vermutlich zugleich als Garten und als Arena gedient hat. Läßt man die problematische Unterscheidung von „repräsentativen" und „privaten" Bereichen 1 4 1 und die spekulativen Funktionszuweisungen von Einzelräumen außer Betracht, so lassen sich die in der archäologischen Forschung beschriebenen Grundstrukturen des Palastes durch die Berichte über die Ermordung des Pertinax im Jahre 193 veranschaulichen, die dort stattgefunden haben dürfte. Nach Angaben der Historia Augusta drangen die meuternden Prätorianer in die porticus Palatii ein bis hin zu dem Ort, der Sicilia und Iovis cenado genannt wurde. Als sie in die inneren Gemächer (ad interiora) vorrückten, sei ihnen der Kaiser entgegengetreten und dann von ihnen niedergemacht worden. Nach anderen Berichten, so die Historia Augusta, seien sie sogar bis ins cubiculum vorgedrungen und hätten ihn dort getötet 1 4 2 . Die Unterteilung des Palastes in Sicilia/Iovis cenado, interiora und cubiculum könnte sich auf den westlichen Trakt mit dem triclinium (f), den südlichen Teil des mittleren Traktes (m) und einen weiteren Raum innerhalb dieses Traktes beziehen 1 4 3 . Eine deutliche Scheidung verschiedener Palastbereiche bestätigen auch die Berichte Cassius Dios und Herodians. Dio schreibt, erst nachdem die Soldaten auf den Palatin gestürmt waren und schon die Höhe erstiegen hatten, sei Pertinax davon Meldung gemacht worden. E r habe jedoch davon abgesehen, die Palasttore und die übrigen Zwischentüren (τάς τε πύλας τοΰ Παλατιού και τάς άλλας τάς διά μέσου θύρας) schließen zu lassen - bzw. die Türwächter und die anderen kaiserlichen Freigelassenen hätten diese sogar geöffnet - , und sei statt dessen vor die Soldaten getreten, als sie sich schon im Gebäude (έν xfj οίκίςι) befanden 1 4 4 . Nach Herodian verließ die Dienerschaft, als die Soldaten in den Palast eingedrungen waren, am „Hoftor" (έπί τη αύλειφ) und an den übrigen Eingängen (έπί ταΐς λοιπαϊς είσόδοις) aus Angst ihre Posten. D e r Kaiser sei den Prätorianern aus seinem δωμάτιον kommend entgegengetreten 1 4 5 .

141 Vgl. zur Schwierigkeit der Abgrenzung von „privaten" und „öffentlichen" Räumen schon in „privaten" Häusern oben Kap. III und Wallace-Hadrill, Roman House 17-37. 1 4 2 Hist. Aug. Pert. 11,6-13. 143 Wenn man die Bezeichnungen cubiculum/δωμάτιον nicht als Raumbezeichnungen, sondern als Bezeichnungen eines Palastteils deutet, ergäbe sich die Reihenfolge von westlichem Trakt, nördlichem Teil des mittleren Traktes und südlichem Teil des mittleren Traktes. 1 4 4 Cass. Dio 74 (73), 9, 2-4. 145 Herodian. 2, 5, 2-5. Vgl. auch Cass. Dio 74 (73), 16, 4, wo berichtet wird, Didius Iulianus habe nach den Erfahrungen bei der Ermordung des Pertinax den Palast vergittern und mit festen Türen sichern lassen.

5. Domitian

73

Für die Zeit des Bauherrn Domitian bestätigt indirekt auch Plinius abgeteilte Palastbereiche. In seinem Panegyricus betont er, daß unter Trajan der Kaiserpalast, der vorher den Charakter einer „Burg" (arx) gehabt habe, jetzt so frei zugänglich sei wie irgendein Forum, ein Tempel oder das Kapitol. Es gebe jetzt keine Riegel, keine entwürdigenden Stufen mehr, man müsse nicht mehr tausend Schwellen überschreiten, um immer wieder auf neue Hindernisse zu stoßen (sc. wie unter Domitian) 146 . Für unsere Frage nach Raumstrukturen als Voraussetzungen für Interaktion läßt sich folgendes festhalten: 1. Ahnlich wie bei der unter Claudius entstandenen „domus Tiberiana" und im Gegensatz zu dem kaiserlichen Hausensemble in vorclaudischer Zeit handelt es sich auch bei dem Palast Domitians, dessen Nordterrasse (a) sich 10 m über die area Palatina erhob, um einen nach außen abgeschlossenen Baukomplex, zu dem der Zugang leicht kontrollierbar war. 2. Ein Teil der Räume bot Platz für die Versammlung von Personenkreisen erheblicher Größe. Geht man von der Situation eines Gastmahls aus, bei dem (auch) zu dieser Zeit üblicherweise neun Personen auf drei lecti um einen Tisch lagerten, wobei das Ensemble nach der Rekonstruktion Marquardts einen Raum von ca. 4,5 χ 4,5 m (inklusive des Raums vor der freibleibenden Tischseite) einnahm 147 , und rechnet man einen Zwischenraum von 1,5 m zwischen den Triklinien für das Bedienungspersonal, was eine Fläche von 36 qm pro neun Personen ergibt, so hätte - grob überschlagen - beispielsweise der als „aula" bezeichnete Raum (c) mit 1180 qm Grundfläche 32 Triklinien und damit 288 Personen, der als „triclinium" bezeichnete Raum (f) mit 870 qm Grundfläche 24 Triklinien und 216 Personen beherbergen können 148 . Bei einem „Stehempfang" hätte jeder der Räume ein Mehrfaches dieser Personenzahlen aufnehmen können. 3. Es zeigt sich erstmals ein deutlich abgegrenzter, an seinen Zugängen kontrollierbarer, kleinräumig strukturierter Palastbereich, der sich als kaiserlicher Wohnkomplex deuten läßt. Seit Domitian scheint der Claudiuspalast in unterschiedlicher Weise genutzt worden zu sein. Man hat angenommen, daß die „domus Tiberiana" in erster Linie der kaiserlichen Verwaltung zur Verfügung stand 149 . Daß ein Bedarf für solche Räumlichkeiten bestand, zeigt schon die „Schatzkammer" des Caligula 150 , die erwähnte Szene bei der Abdankung des Pallas 151 und Cassius Dios Bericht, daß bei dem Brand des Παλάτιον im Jahre 192 fast alle „herr-

146 147 148

149

150 151

Plin. paneg. 47, 4 f. Marquardt, Privatleben I 302 ff. Statius' Angabe von tausend Personen beim Gastmahl des Kaisers (oben Anm. 135) dürfte also, wenn alle in demselben Raum wie Statius gespeist haben sollten, der den Kaiser dabei sah (silv. 4, 2, 40 ff.), übertrieben sein. Vgl. z.B. Isler, Residenz 15f. Anders Krause, Flavier 466, der auf ihre Rolle als „Wohnpalast" auch im 2. Jahrhundert hinweist. Oben Anm. 66. Oben Anm. 106.

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IV. Der Palast

schaftlichen Schriftstücke" (τά γράμματα τά τη άρχη προσήκοντα) vernichtet worden seien 152 . Gegen die Annahme, daß die „domus Tiberiana" in der Folgezeit ausschließlich Sitz der kaiserlichen Verwaltung war, sprechen jedoch die Nachrichten der Historia Augusta und Cassius Dios, wonach Antoninus Pius 1 5 3 , Marc Aurel als Prinz 1 5 4 und L. Verus 155 dort residierten. Von fast allen Kaisern des zweiten Jahrhunderts haben sich - durch Ziegelstempel datierbare - Spuren von Erweiterungs- und Umbauten sowie von Ausbesserungsarbeiten an beiden Palästen auf dem Palatin erhalten 156 . Die von Claudius und Domitian geschaffenen Gebäudestrukturen sind jedoch nicht mehr grundlegend verändert, lediglich in severischer Zeit durch Substruktionen in südliche Richtung erweitert worden 1 5 7 .

6.

Zusammenfassung

Der Palatin, das traditionell vornehmste Wohngebiet Roms, wurde in einer von Augustus bis Nero dauernden Entwicklung von kaiserlichen Gebäuden vollständig okkupiert; zugleich wurden die Häuser anderer römischer Aristokraten von dort verdrängt. Hinsichtlich der räumlichen Strukturen der kaiserlichen Bauten lassen sich drei Phasen feststellen: 1. Von Augustus bis in die Zeit des Claudius bildeten sie eine ensembleartige Einheit von selbständigen, durch Wege und Gänge miteinander verbundenen Teilhäusern, die vom Kaiser und Mitgliedern seiner Familie als Wohnhäuser oder zu anderen Zwecken genutzt wurden, sowie von Heiligtümern, insbesondere dem Apollonheiligtum, das der Allgemeinheit zugänglich war und „öffentlichen" Zwecken diente. 2. Unter Claudius entstand erstmals ein großflächiges Palastgebäude auf dem nördlich gelegenen Teil des Palatins, das von Mitgliedern der kaiserlichen Familie gemeinsam bewohnt wurde und wohl auch als Ort der kaiserlichen Verwaltung diente. 3. Durch den unter Domitian entstandenen Palast auf dem südlichen Teil des Hügels schließlich verfügten die Kaiser über zwei Großbauten, die den gesamten Palatin einnahmen. Den Versuchen Caligulas und Neros, die kaiserlichen Gebäude darüber hinaus auf andere Hügel der Stadt Rom auszudehnen, war demgegenüber kein dauerhafter Erfolg beschieden.

Cass. Dio 73 (72), 24, 2. Hist. Aug. Ant. P. 10, 4. 1 5 4 Cass. Dio 72 (71), 35, 4; Hist. Aug. Marc. 6, 3. 1 5 5 Hist. Aug. Verus 2, 4; 6, 4. 1 5 6 Jordan/Huelsen, Topographie I 3, 93 ff.; Ziegler, Palatium 71 ff.; Krause, Ricerche 127. 157 Vgl, unten Abb. 1; Jordan/Huelsen, Topographie I 3, 98 ff.; Lugli, Roma antica 519ff.; Ziegler, Palatium 77; Coarelli, Rom 158f. 152

153

6. Zusammenfassung

75

In der ersten Phase waren nicht nur das Apollonheiligtum, sondern auch die Wege zu den Teilhäusern des Hausensembles und damit dieses insgesamt frei zugänglich. Dabei boten die Einzelhäuser selbst noch keinen Raum für die Versammlung großer Personenkreise. Ab der zweiten Phase bestand dagegen die Möglichkeit für eine dauernde oder vorübergehende Anwesenheit größerer Gesellschaften in der unmittelbaren Umgebung der Kaiser. Zugleich war auf leichte Weise der Zugang zum kaiserlichen Palast und damit die Anwesenheit von Personen in der Umgebung des Kaisers und seiner Familienmitglieder kontrollierbar. Beim domitianischen Palast sodann zeigt sich eine interne Differenzierung in großräumig gegliederte Bereiche und einen kleinräumig unterteilten Trakt, bei dem es sich um den kaiserlichen Wohnbereich handeln dürfte. Letzterer war gegenüber den übrigen Räumen - ebenso wie die Paläste insgesamt gegenüber der Stadt - durch verschließbare Tore deutlich abgegrenzt. Die geschiedenen Palastbereiche boten die Möglichkeit der Anwesenheit unterschiedlich großer Gesellschaften an verschiedenen Plätzen. Sie konnten zum Empfang und zur Bewirtung von Personenkreisen erheblichen Ausmaßes einerseits, zur Versammlung kleinerer Kreise im Bereich des kaiserlichen cubiculum andererseits genutzt werden. Durch die Monopolisierung des aristokratischen Wohngebietes auf dem Palatin, durch die Größe des Wohngebäudes und die Art seiner Raumstrukturen war das kaiserliche „Haus" (in sachlicher Hinsicht) somit in einem Prozeß, der unter Augustus seinen Anfang nahm und unter Claudius, Nero und Domitian seine entscheidenden Zäsuren hatte, zu einer Größe sui generis geworden. Es war in quantitativer und qualitativer Hinsicht grundsätzlich von allen anderen aristokratischen Häusern unterschieden, wodurch sein Besitz geradezu ein äußeres Zeichen des Kaisertums wurde. In diesem Sinne nennt Tacitus den Palast bei der Schilderung der Ereignisse der Jahre 68/69, als die Kaiser Galba, Otho und Vitellius jeweils für kurze Zeit Besitz von ihm ergriffen 158 , fortunae sedes des Kaisers und imperii ar:c159. Mit der Kontamination der Bedeutungen „Palatin" und „kaiserlicher Palast" im Wort Palatium schließlich, die sich ab domitianischer Zeit durchsetzte 160 , brachten die Römer das Ergebnis der geschilderten Entwicklung auf den Begriff: Den Palatin bedeckten neuartige kaiserliche Bauten, die mittels des für aristokratische Häuser üblichen Begriffs „domus" nicht mehr angemessen beschreibbar waren.

158 Vgl. oben Anm. 125. 1 5 9 Tac. hist. 3, 68, 1; 3, 70, 2. 1 6 0 Vgl. unten S. 211 f.

V. Die materielle Kultur Neben dem Gebäude war es der darin vorhandene Hausrat - Möbel und Einrichtungsgegenstände, Geschirr und Tafelgerät sowie Schmuckgegenstände im weiteren Sinne - , der das aristokratische römische „Haus" in sachlicher Hinsicht konstituierte 1 . Wie dieses insgesamt war auch er auf Außenwirkung hin angelegt, d. h. er stand in einer Relation zum (eingenommenen oder beanspruchten) Rang des Hausherrn. Dies zeigt sich besonders deutlich an Imitations· bzw. Überkompensationsphänomenen von reichen, aber rechtlich diskriminierten Personen in diesem Bereich: Petrons Karikatur des Haushaltes des Freigelassenen Trimalchio ist ein bekanntes Beispiel dafür 2 . Ahnlich berichtet Plinius d.Ä. über einen gewissen Drusillanus Rotundus, Sklave und dispensator des Claudius in Spanien, in dessen Hausrat sich eine Schüssel von 500 Pfund Gewicht befand, zu deren Herstellung eigens eine Werkstatt hatte errichtet werden müssen, und dessen Begleiter (comités) weitere acht Schüsseln von 250 Pfund in Gebrauch hatten 3 . Innerhalb des Senatorenstandes wurde nach Tacitus vor allem in der Zeit von Augustus bis Nero der luxus mensae in einem solchen Ausmaß betrieben, daß sich einst reiche und berühmte Familien durch ihr Streben nach äußerem Prunk (magnificentia) ruinierten und daß zur Zeit Neros Edelsteine und Gold als Schmuck eines Hauses durch den allgemein gewordenen Luxus schon längst nichts Besonderes mehr waren 4 . Auffällig dabei ist der Gegensatz zwischen der realen Steigerung materieller Pracht in den Häusern der Vornehmen, von der die Quellen berichten, und ihrer gleichzeitigen offiziellen (moralisch begründeten) Diskreditierung, die sich in den Urteilen der Geschichtsschreibung, aber auch in Versuchen, rechtlich dagegen vorzugehen, zeigt 5 . Diese „doppelte Moral", die schon in der späten Republik erkennbar ist 6 , hatte zur Folge, daß auch die materielle Kultur, die sich im Haus bzw. Palast des Kaisers entfaltete, von „Hofdichtern" wie Martial und Statius zwar gepriesen, von der senatorischen Geschichtsschreibung jedoch durchgängig mittels der moralgeladenen Unter1

2 3 4 5 6

Die Quellen sprechen meist - mit sich überschneidenden Bedeutungen - von instrumentum (Hausrat, Mobiliar, Geschirr), supellex (Hausgerät), (ap)paratus (glänzende, prachtvolle Ausstattung, Prunk) und ornamentum (Ausrüstung, Schmuck, Kostbarkeit) bzw. von έπιπλα (Gerätschaften, Möbel), (παρα)σκευή (Ausrüstung, Einrichtung), κειμήλιον (Kostbarkeit) und κόσμος (Schmuck). Vgl. ζ. B. Petron. satyr. 34, 2 f.; 73, 5. Plin. nat. hist. 33, 145. Tac. ann. 3, 55, If.; 15,42, 1. Vgl. Baltrusch, Regimen morum 153 ff. Dort konzentrierte sich die Luxusentfaltung besonders auf den Lebensraum der Villa außerhalb Roms; vgl. Zanker, Augustus bes. 35—41. Zum häuslichen Luxus in Rom vgl. Rilinger, Domus 79 f.

77

V. Die materielle Kultur

Scheidung Sparsamkeit/Verschwendung {parsimonia/profusio) gewertet wurde. Versucht man, unabhängig von solchen Werturteilen die sachlichen Informationen zusammenzustellen, so zeigt sich trotz individueller Unterschiede zwischen den einzelnen Kaisern eine gemeinsame Entwicklungstendenz. Zu ihrer Rekonstruktion werden hier nicht erhaltene Gegenstände selbst analysiert: Zum einen wird es im Einzelfall kaum möglich sein, ihre Herkunft aus kaiserlichem Besitz (und erst recht ihre reale Benutzung am kaiserlichen H o f ) nachzuweisen. Zum anderen geht es in unserem Zusammenhang nicht um die Gegenstände als solche, sondern um die Bedeutung, die ihnen von zeitgenössischen Beobachtern beigemessen wurde. Diese aber läßt sich nur aus literarischen Quellen erschließen 7 . Zur Zeit des Bürgerkrieges war Oktavian noch vorgeworfen worden, er sei „allzu gierig nach kostbarem Hausrat und korinthischen Gefäßen" 8 . Nach seinem Sieg über Antonius legte er in diesen Dingen jedoch ein grundsätzlich anderes Verhalten an den Tag: Nach der Einnahme von Alexandria ließ er fast alles vorgefundene Gold einschmelzen und behielt von dem dortigen „königlichen Hausrat" ( i n s t r u m e n t u m regium) lediglich einen Kelch aus Flußspat 9 . Später zeichnete sich nach Sueton die Einrichtung seines Hauses durch größte Sparsamkeit aus. Betten und Tische, die zur Zeit des Biographen noch zu besichtigen waren, hätten kaum dem feinen Lebensstil von „Privatleuten" (sc. zur Zeit Suetons) entsprochen 10 . Von Tiberius wird Ähnliches berichtet. Er sei gegen die Unmäßigkeit bei häuslichen Einrichtungsgegenständen (supellex) vorgegangen und habe versucht, durch sein eigenes Beispiel die allgemeine Sparsamkeit zu fördern 1 1 . Daß bei den Schilderungen der später schreibenden Autoren über die materielle Kultur in den Häusern der ersten beiden Kaiser immer schon deren Sonderstellung mitgedacht war und vor allem: daß das, was über deren Bescheidenheit berichtet wird, nicht unbedingt auch für die übrigen Mitglieder der kaiserlichen Familie zutraf, die ja zum Teil die weiteren Häuser des kaiserlichen Hausensembles auf dem Palatin bewohnten, machen die Schilderungen einer Auktion deutlich, die Caligula im Jahre 39 in Gallien durchführte. Er versteigerte dabei nicht nur „zu ungeheuren Preisen" Schmuck und Hausrat (wie auch Sklaven und sogar Freigelassene) seiner einer Verschwörung bezichtigten Schwestern, sondern auch, „was es an Einrichtungen 7

Moderne Literatur, die das Problem unter dieser Fragestellung behandelt, ist mir nicht bekannt. Zur kaiserlichen Kleidung, die ein eigenständiges Thema darstellt und daher hier außer Betracht bleibt, vgl. Alföldi, Repräsentation 121 ff.

8

Suet. Aug. 70, 2 (pretiosae supellectilis

9

Suet. Aug. 7 1 , 1 .

Corinthiorumque

praecupidus).

10

Suet. Aug. 73: instrumenti eius et supellectilis parsimonia apparet etiam nunc residuis lectis atque mensis, quorum pleraque vixprivatae elegantiae sint.

11

Suet. Tib. 34,1; vgl. 26,1; 46; Tac. ann. 6 , 4 5 , 1 ; Cass. Dio 57,10,3; Plin. nat. hist. 13, 94.

78

V. Die materielle Kultur

des alten Hofes gab" 12 . Nach Dio handelte es sich um Gegenstände, die seinen Eltern, also Germanicus und der älteren Agrippina, seinem Großvater, gemeint ist entweder der ältere Drusus oder M. Agrippa, seinem Urgroßvater, d. h. Augustus, sowie Antonius, ebenfalls Urgroßvater des Caligula, gehört hatten 13 . Die Menge der Stücke, die zur Versteigerung gelangten, unterstreicht Suetons Hinweis, durch die kaiserliche Beschlagnahmung von Mietwagen und Zugtieren zum Transport nach Gallien seien in Rom eine Brotknappheit und allgemeine Beförderungsprobleme entstanden14. Ihren besonderen Charakter zeigt die Formulierung, daß es sich um principales res gehandelt habe, die nicht in die Hände von „Privatleuten" gehört hätten 15 . Dio schreibt, es seien „die schönsten und kostbarsten Schmuckstücke der Monarchie" gewesen (τα της μοναρχίας κειμήλια τά κάλλιστα και τιμιώτατα). Mit ihrem Verkauf habe Caligula zugleich auch den Ruf (δόξα) der früheren Besitzer und die den Dingen beiwohnende dignitas (άξίωμα) mitveräußert 16 . Die materielle Kultur im Haus des Caligula selbst scheint von innovativer und äußerst aufwendiger Art gewesen zu sein. Darauf deuten die Berichte über seine „Verschwendung". Er soll in kostbarstem Parfum gebadet, in Essig aufgelöste Perlen getrunken und seinen Gästen vergoldete Brote und Speisen vorgesetzt haben. Es ist von einer kaiserlichen Jacht die Rede, die mit Edelsteinen verziert war und in deren Inneren sich große Bäder, Säulenhallen, Speisesäle und viele Sorten von Bäumen und Rebstöcken befanden. Für ähnliche Zwecke soll er innerhalb eines Jahres immense Reichtümer und die 2,7 Milliarden HS, die Tiberius hinterlassen hatte, ausgegeben haben 17 . Unter Claudius zeigt sich erstmals eine neue Qualität des kaiserlichen Hausrates. Er erscheint nicht mehr (nur) als ein Element der dignitas der kaiserlichen Familie, sondern als direktes äußeres Zeichen des Kaisertums selbst und als unmittelbar mit diesem verknüpft. Im Zusammenhang der MessalinaSilius-Affäre wird berichtet, die Kaiserin habe in dem Haus, das sie ihrem Liebhaber geschenkt hatte, πάντα τά τιμιώτατα των του Κλαυδίου κειμηλίων zusammengetragen18. Tacitus spricht von „Schätzen des kaiserlichen Haushaltes" (paratas principis/fortunae paratus)19 und bemerkt: Man habe infolgedessen den Eindruck gehabt, „als sei das Kaisertum bereits (auf Silius) übertragen worden" (velut translata iam fortuna)20. 12

13 14 15 16 17 18 19

20

Suet. Cal. 39,1: in Gallia quoque, cum damnatarum sororum ornamenta et supellectilem et servos atque etiam libertos immensis pretiis vendidisset, invitatus lucro, quidquid instrumenti veteris aulae erat ab urbe repetiit... Cass. Dio 59,21, 5. Suet. Cai. 39, 1. Suet. Cai. 39, 2. Cass. Dio 59, 21, 5 f. Suet. Cai. 37, 1-3. Cass. Dio 61 (60), 31, 3. Tac. ann. 11, 12, 3; 11, 3 0 , 2 (Übs. Koestermann, Annalen III 51 zu Tac. ann. 11,12, 3). Tac. ann. 11,12, 3.

V. Die materielle Kultur

79

Welche Schätze sich im kaiserlichen Palast sammelten, zeigt eine Episode, die von Nero berichtet wird. Er habe gelegentlich den Schmuck besichtigt, mit dem die Gattinnen und Eltern der früheren Kaiser geglänzt hätten, und habe diese Dinge - vestem et gemmas - seiner Mutter Agrippina geschenkt. Es handelte sich um „außergewöhnliche Gegenstände, die auch von anderen begehrt wurden" 21 . Nero selbst orientierte sich am Vorbild seines Onkels Caligula. Er soll gesagt haben, der Sinn von Reichtum und Geld liege in ihrer Verschwendung, und er setzte dies auch in die Tat um 22 . Vor allem in zwei Hinsichten, die beide durch die bewußte Vernachlässigung ökonomischer Aspekte gekennzeichnet waren, steigerte er die materielle Kultur in seiner Umgebung: Zum einen praktizierte er „demonstrativen Konsum" 23 , indem er z.B. äußerst wertvolle Dinge - Dio nennt Pferde, Sklaven, Gespanne, Gold, Silber und Gewänder - mittels eines I ,osVerfahrens an das niedere Volk (ές τον ομιλον) verschenkte24. Dies wird kaum als Versuch zu deuten sein, jenes am kaiserlichen Luxus partizipieren zu lassen. Vielmehr drückte sich darin die Verachtung Neros für (üblichen aristokratischen) Aufwand und seine Distanzierung davon aus, wodurch die Exklusivität der materiellen Kultur des kaiserlichen Haushaltes auf eine indirekte, aber sehr augenfällige Weise manifestiert wurde. Auf der anderen Seite versuchte er, diese Exklusivität durch besonderen „Geschmack" zu steigern, indem er Petronius - vermutlich den Autor des Satyrikon - , der als sehr kompetent in solchen Dingen galt, als Schiedsrichter in Geschmacksfragen (elegantiae arbiter) engagierte25. Der Ubergang des Prinzipats an Galba im Jahre 68 unterstreicht in besonderer Weise die direkte Verknüpfung der materiellen Kultur des kaiserlichen Haushaltes mit dem Kaisertum insgesamt, da hier erstmals die privatrechtliche Kontinuität des Eigentums daran - Nero hatte keine Erben - unterbrochen wurde26, und zugleich auch erneut deren Sondercharakter: Parallel zu der Senatsgesandtschaft, die Galba in Spanien zu seiner Thronerhebung gratulieren sollte, schickte ihm der Prätorianerpräfekt Nymphidius Sabinus neben Bedienungspersonal auch eine Menge an neronischem Hausrat27. Galba machte zunächst keinen Gebrauch davon und zeigte sich dadurch über 21 22

23

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27

Tac. ann. 13,13, 4 (praecipua et cupita aliis). Tac. ann. 13, 20,1; 16, 3 , 1 ; Suet. Nero 30,1 f.; 51; luv. 4,137; vgl. Cass. Dio 6 2 , 2 8 , 1 (Luxus der Sabina). Begriff im Anschluß an Thorstein Vehlens „conspicuous consumption" (The Theory of the Leisure Class. An Economic Study of Institutions, New York 1899, 68 ff.). Cass. Dio 62 (61), 18, If. Tac. ann. 16, 18,2. Vgl. Timpe, Kontinuität 112 ff.; Heinz Bellen, Die .Verstaatlichung' des Privatvermögens der römischen Kaiser im 1. Jahrhundert n.Chr., in: ANRW 2, 1, 1974, 9 1 112. 106 f. Plut. Galba 11,2: πολλής κατασκευής και θεραπείας βασιλικής παρούσης, ήν έκ των Νέρωνος ό Νυμφίδιος αύτω προσέπεμψεν.

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V. Die materielle Kultur

diese Dinge erhaben, die sich nach Plutarchs Wertung durch „Geschmacklosigkeit" (άπειροκαλία) auszeichneten, jedenfalls also nicht einem „normalen" Geschmack entsprachen. Er ließ sich jedoch bald von seiner Umgebung davon überzeugen, daß dies falsche Bescheidenheit sei, und benutzte fortan „Neros Reichtümer" und „kaiserliche Pracht" (βασιλική πολυτέλεια) bei seinen Empfängen 28 . Die Quellenberichte über Vitellius, die diesen Kaiser stets besonderer luxuria bezichtigen 29 , zeigen, daß er um eine weitere Steigerung der materiellen Kultur bemüht war. Zunächst beklagten er und seine Frau sich über die schlechte Einrichtung (κατασκευή) und den mäßigen Schmuck (κόσμος) in der domus aurea Neros. Sodann errang er besondere Aufmerksamkeit z.B. durch ein Gastmahl, bei dem für ein eine Million HS teures, aus den Innereien seltener Fische und Vögel zubereitetes Gericht eigens eine riesige silberne Schüssel gefertigt wurde, die nach Angaben Plinius' d.Ä. ebenfalls eine Million HS kostete 30 . Von Vespasian wird demgegenüber Sparsamkeit berichtet 31 . Da Titus nach dem Brand Roms im Jahre 80 ornamenta aus seinen Villen zur Ausschmükkung von Gebäuden und Tempeln in Rom zur Verfügung stellte32, wird man Angaben über die „Bescheidenheit" der materiellen Kultur in den Häusern der ersten beiden Flavier jedoch in Relation zu den früheren Kaisern sehen müssen. Domitian schlug demgegenüber wieder die andere Richtung ein und steigerte die materielle Pracht am Kaiserhof durch eine neue Variante. Zunächst berichten Martial und Statius vom „Glanz" im kaiserlichen Palast, von außergewöhnlichen Trinkgefäßen und mauretanischen Tischen mit indischen (elfenbeinernen) Füßen 33 ; Plinius d.J. spricht von goldenem und silbernem Gerät sowie von verborgenen und geheimen Reichtümern 34 . Sodann scheint Domitian die Exklusivität der materiellen Seite des kaiserlichen Hofes nicht nur durch Prachtentfaltung, deren Steigerungsfähigkeit aus der Natur der Sache heraus begrenzt ist, da ihr die Tendenz zu inflationärer Entwicklung innewohnt, sondern zudem dadurch gesichert zu haben, daß er die übrigen Mitglieder der Aristokratie ihrer materiellen Prestigeressourcen beraubte: Plinius sagt in seinem Panegyricus, unter Domitian sei dem einen Senator sein weitläufiges Haus, dem anderen seine liebliche Villa zu einer Gefahr für die eigene Sicherheit geworden 35 . 28 29 30 31 32 33

34 35

Plut. Galba 11,2 f. Tac. hist. 1, 62, 2; 3, 36, 1; 3, 55, 2; Cass. Dio 64 (65), 2, 1 f. Suet. Vit. 13,2; Cass. Dio 64 (65), 3, 3; Plin. nat. hist. 35, 163 ff. Tac. ann. 3, 55, 4; Cass. Dio 65 (66), 10, 3. Suet. Tit. 8,4. Mart, epigr. 12, 15 (bes. 6); Stat. silv. 4, 2, 38f.; vgl. auch silv. 3, 3, 103; 4, 2, 31; Plut. Pubi. 15, 5; Suet. Dom. 4, 1 (aulicus apparatus)·, Cass. Dio 67, 7, 4. Plin. paneg. 48, 7; 34, 3. Plin. paneg. 50, 6.

V. Die materielle Kultur

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Trajan dagegen hielt, so Plinius, die Senatoren „kaiserlicher Dinge für würdig" (principalibus rebus digni)3b. Dieser Verzicht auf die Monopolisierung einer exklusiven materiellen Kultur ist nach Angaben der Quellen für die Kaiser von Nerva bis Marc Aurel charakteristisch. Ersterer verkaufte aus Geldnot (neben Kleidungsstücken, Landgütern und Gebäuden) Silber- und Goldgeschirr sowie anderen Hausrat teils aus seinem eigenen, teils aus kaiserlichem Besitz37. Hadrian soll bei seinen Reisen stets auf „kaiserliche Pracht" verzichtet haben, die er nur in Rom selbst in Anspruch nahm38. Generell wird von ihm die Geringschätzung äußeren Prunks berichtet39. Antoninus Pius verkaufte nach Angaben der Historia Augusta (neben Grundstükken) überflüssige kaiserliche Prachtgegenstände und führte die kaiserliche „Würde" (fastigium) zu höchster Bescheidenheit zurück40. Lediglich von L. Verus, dem Mitkaiser Marc Aurels, wird die Entfaltung großen materiellen Aufwands berichtet. So soll er bei einem 6 Millionen HS teuren Gastmahl kostbarste Gegenstände, z.B. alexandrinische Kristallbecher, solche aus Achat sowie goldene und silberne, mit Edelsteinen besetzte Trinkgefäße, an die Gäste verschenkt haben41. Neben anderem Luxusgerät (luxuriae apparatus) habe er eine außergewöhnlich große Trinkschale aus Kristall besessen42. Marc Aurel äußerte sich dagegen in seinen „Selbstbetrachtungen" kritisch zu einer als unnütz empfundenen glanzvollen materiellen Kultur am Kaiserhof 43 . Ein Ereignis aus seiner Regierungszeit zeigt jedoch die Relativität der Berichte über die „Bescheidenheit" seiner Vorgänger auf dem Kaiserthron. Zur Finanzierung der Markomannenkriege soll der Kaiser Kostbarkeiten (κειμήλια) aus den Palästen, ornamenta imperialia und res aulicae, zur Versteigerung gebracht haben. Genannt werden im einzelnen goldene, silberne Becher und solche aus Kristall, kaiserliches Geschirr (vasa regia), seidene und golddurchwirkte Kleidung der Kaiserin, Standbilder und Gemälde großer Künstler sowie eine Vielzahl von Edelsteinen, die aus einem Pretiosenkabinett Hadrians stammten44. Von der Menge der Gegenstände gibt die Dauer

36 37 38 39 40

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43 44

Plin. paneg. 50, 7. Cass. Dio 6 8 , 2 , 2 , (σκεύη και άργυρά κα'ι χρυσά, άλλα τε έπιπλα...). Cass. Dio 6 9 , 1 0 , 1 (άνευ της βασιλικής... παρασκευής). Hist. Aug. Hadr. 10, 5; 17,12 (Kleidung und Edelsteinschmuck). Hist. Aug. Ant. P. 7, 10: species imperatorias superfinas et praedia vendidit; 6, 4: imperatorium fastigium adsummam civilitatem deduxit. Hist. Aug. Verus 5. Hist. Aug. Verus 10, 9; vgl. auch 3, 6; 9, 7; Lukian. imag. 7 (Luxus der Panthea, Mätresse des Verus). M. Aur. ad se ipsum 1, 17, 5 (oben S. 1 f. Anm. 6). Cass. Dio 72 (71) Frg. 1 (Zon.; p. 280 Boiss.); Hist. Aug. Marc. 17, 4; 21, 9; Eutr. 8, 13,2; Epit. de Caes. 16, 9. Vgl. Hist. Aug. Heliog. 19,1, wo berichtet wird, der spätere Kaiser Elagabal habe als erster aller Privatleute seine Betten mit golddurchwirkten Beziigen versehen, weil dies aufgrund einer Verfügung Marc Aurels, qui omnem apparatum imperatorium publice vendiderat, zulässig war.

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V. Die materielle Kultur

der Auktion eine Vorstellung: Sie soll 2wei Monate lang auf dem Trajansforum in Rom stattgefunden haben45. Unter Commodus hielt demgegenüber wieder luxuria Einzug am Kaiserhof 46 . Bei einer Prozession, vermutlich im Zusammenhang mit dem Fest der Hilaria47, bei der jedermann die Zeichen seines Reichtums zur Schau trug, wurden auch die Schätze der kaiserlichen Paläste vorgeführt: Es waren Gegenstände, die „von Material und Herstellungstechnik staunenswert" waren, wie Herodian berichtet48. Folgendes läßt sich zusammenfassen: Schon in den Häusern der ersten beiden Kaiser und der Mitglieder ihrer Familien entfaltete sich eine materielle Kultur, die, wie die Versteigerungen Caligulas zeigen, in Qualität und Quantität von derjenigen aristokratischer Haushaltungen verschieden war. Unter Claudius erscheinen Gegenstände des kaiserlichen Hausrates erstmals als ein äußeres Zeichen des Kaisertums, so daß ihre Inbesitznahme durch andere Personen als Bedrohung der kaiserlichen Stellung angesehen wurde. Parallel und in Konkurrenz zur Erhöhung materieller Pracht auch in den Häusern der Aristokratie versuchten die Kaiser des 1. Jahrhunderts - mit Ausnahme Vespasians - , eine Exklusivität der materiellen Kultur am Hof durch den Einsatz folgender Mechanismen zu erreichen: 1. durch quantitative Steigerung der dafür aufgewandten Mittel (Caligula, Nero, Vitellius), 2. durch qualitative Steigerung mittels Innovation (Caligula) oder mittels der Förderung einer besonderen „Geschmackskultur" (Nero) und 3. durch Abwertung bzw. Unterbindung aristokratischer Konkurrenz in diesen Dingen in Form von „demonstrativem Konsum" (Nero) oder gezielter Verfolgung aufwendig lebender Senatoren (Domitian). Die „Bescheidenheit" der Kaiser von Nerva bis Marc Aurel ist vor dem Hintergrund der durch die Kaiser des 1. Jahrhunderts etablierten besonderen materiellen Kultur am Hof zu sehen. Denn diese scheint erst die Voraussetzung dafür gewesen zu sein, daß einerseits eine materielle Pracht, wie sie z. B. in den Versteigerungen Marc Aurels zutage tritt, von aristokratischen Zeitgenossen und Historikern als Zeichen kaiserlicher civilitas akzeptiert wurde und daß es andererseits den Kaisern möglich war, Mitglieder der Aristokratie an den res aulicae in gewisser Weise partizipieren zu lassen, ohne daß dies - wie unter Claudius - als Bedrohung der kaiserlichen Stellung aufgefaßt worden wäre und ohne daß die Exklusivität der kaiserlichen Hofkultur, wie bei Commodus zu sehen, dadurch grundsätzlich in Frage gestellt worden wäre.

Hist. Aug. Hist. Aug. 47 Vgl. Franz 48 Herodian. 45

46

Marc. 17, 5. Comm. 16, 8. Cumont, Hilaria, R E 8, 2, 1913, 1597 f. 1 , 1 0 , 5 : . . . κειμήλια τε βασιλέων ύλης τε ή τέχνης θαύματα.

VI. Die höfische Organisation Die differenzierte Organisation eines vornehmen senatorischen Haushaltes in der ersten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts können exemplarisch die Grabinschriften eines römischen Columbarium zeigen, die sich auf das Hauspersonal der Statilii Tauri beziehen 1 . Diese verfügten zunächst über eine germanische Leibwache zur persönlichen Sicherheit der Familie 2 . An der Spitze der Haushaltsorganisation standen „Hausmeister" (atrienses) 3 . An Personen, die für die Erhaltung der bewohnten Gebäude zuständig waren, werden Gebäudeaufseher, Baumeister, Handwerker, Zimmermänner und Ziergärtner genannt 4 . Zur wirtschaftlichen Versorgung der Familie gab es Bäcker, Köche, Schuster, Walker, Weber, Spinnerinnen, Schneider, Magazinaufseher und Kellermeister 5 , zu ihrer persönlichen Bedienung Kämmerer, Kleiderwarte, Arzte, Bademeister, Barbiere, Masseure sowie Sänftenträger, Lakaien und Reitknechte 6 . Ammen und Pädagogen waren für die Kinder zuständig 7 . Tafeidecker und Musiker sorgten für den stilgerechten Ablauf der Gastmähler, ein silentiarius bei Bedarf für ehrfurchtsvolle Ruhe 8 . Für die Geschäfte des Hausherrn standen dispensatores (Wirtschafter, Kassierer) und tabularti (Rechnungsführer) zur Verfügung 9 ; zudem gab es Bibliothekare 1 0 . 17 Inschriften sind von vicarii bzw. vicariae gesetzt 1 1 , d.h. von Sklaven der 1

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CIL VI, p. 994-1013. Vgl. zum Begründer der Prominenz der Familie, dem homo novus und Feldherrn des Augustus, T. Statilius Taurus, Veil. Pat. 2, 127, 1 f.; PIR 1 S 615; Alfred Nagl, Statilius 34, RE 3 A 2, 1929, 2199-2203. CIL VI 6230-6237. Vgl. (zum Ausnahmecharakter dieser Garde) Mommsen, StR II 2, 824 A. 6; Heinz Bellen, Die germanische Leibwache der römischen Kaiser des julisch-claudischen Hauses, Mainz 1981, 25-27. 33. CIL VI 6239. 6240. 6241 (= ILS 7442b). 6242; vgl. Marquardt, Privatleben 1142. insularii: CIL VI 6296-6298. 6299 (= ILS 7442c). mensor. 6321 .a monumento: 6322. fabril 6283-6285. tignuarii·. 6363-6365. topiarii: 6369. 6370 (= ILS 7442d). pistores: CIL VI 6219. 6337. 6338. coci: 6246. 6247. 6249. sMoriani: 6316. 6317. 6355. fallones: 6287. 6288 (= ILS 7436). 6289. 6290. textores·. 6360. 6361 (= ILS 7432a). 6362 (= ILS 7432b). quasillariae: 6339-6341. 6342 (= ILS 7432c). 6343-6345. 6346 (= ILS 7432d). sarcinatores: 6348-6351. horrearii: 6292 (= ILS 7440a). 6293 (= ILS 7440b). 6294. 6295. cellarius: 6216 (= ILS 7360a). cubiculam: CIL VI 6254. 6255. ad vestem: 6372 (= ILS 7426a). 6373. 6374 (= ILS 7426). media: 6319. 6320. balneator: 6243 (= ILS 7412). tensores·. 6366. 6367. unctores: 6376 (= ILS 7416a). 6377-6381. 6382 (= ILS 7416). lecticarii: 6218 (= ILS 7408a). 6302-6307. 6308 (= ILS 7408d). 6309-6312. 6313 (= ILS 7408b). pedisequi: 6332. 6336. strator. 6352. nutrices·. CIL VI 6323. 6324 (= ILS 8539). paedagogi: 6327. 6328. 6329. 6330 (= ILS 7447a). 6331 (= ILS 7447b). structores: CIL VI 6353. 6354 (= ILS 7623). symphoniacus: 6356 (= ILS 5256). silentiarius: 6217 (= ILS 7450). CIL VI 6269-6274. 6275 (= ILS 8418). 6276-6279. 6358 (= ILS 7404). 6359. librarti: CIL VI 6314. 6315. CIL VI 6384-6395. 6396 (= ILS 7981a). 6397 (= ILS 7981b). 6398-6401.

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VI. Die höfische Organisation

Sklaven der Statilii Tauri, eine Vielzahl weiterer gibt keine ausgeübten Funktionen an. Insgesamt handelt es sich um 427 Inschriften. Schon der Umfang und die Funktionsdifferenzierung der Organisation eines senatorischen Haushaltes können eine Ahnung von der Größe und Differenziertheit derjenigen des kaiserlichen Hofes vermitteln. Diese war jedoch, wie im folgenden zu zeigen sein wird, von jener in einigen Hinsichten grundsätzlich unterschieden.

1.

Forschungslage

Die ältere staatsrechtliche Forschung hatte den „Haushalt" des Kaisers unter behörden- bzw. verwaltungsgeschichtlichen Aspekten untersucht und dabei mit den Unterscheidungen off entlieh (-staatlich )/privat(-häuslich), politisch/ unpolitisch und - hinsichtlich des personenrechtlichen Status der Stelleninhaber - frei/unfrei gearbeitet. Der Versuch, die drei Unterscheidungen zur Deckung zu bringen und damit gewissermaßen das republikanische „Staatsrecht" mit seiner Scheidung der Bereiche res publica und domus in die Kaiserzeit hinüberzuziehen und auf die am kaiserlichen Hof sich ausbildenden Organisationsstrukturen anzuwenden, führte jedoch zu verschiedenen Aporien. Dies zeigt aufschlußreich Mommsens Staatsrecht. In der ersten Auflage hatte er noch den gesamten Bereich, der heutzutage in Handbüchern als „kaiserliche Verwaltung" bezeichnet wird 12 , also auch die kaiserlichen „Gehülfen senatorischen Standes" und die „Gehülfen von Ritterstand", ebenso wie den „eigentlichen Privathaushalt", das Palastpersonal, gemeinsam unter der Rubrik „Kategorien der kaiserlichen Diener" dem kaiserlichen „Hof und Haushalt" zugerechnet 13 . Dabei gab er an, die Scheidung öffentlich(-staatlich)/privat verlaufe entsprechend dem personenrechtlichen Status der Stelleninhaber: Senatorische Stellungen im kaiserlichen Dienst seien „rein amtlich". Die ritterlichen Präfekten und Prokuratoren seien zwar „kaiserliche Privatdiener" bzw. „persönliche Diener des Princeps" ohne magistratischen Charakter, aber gleichwohl als „Theilhaber an der kaiserlichen Verwaltung des Gemeinwesens" anzusehen 14 . Zu dem „eigentlich privaten Haushalt des Kaisers" hätten nur diejenigen Stellen gehört, die von Sklaven und Freigelassenen des Kaisers besetzt worden seien. Diese selbst seien, ebenso wie die Sklaven und Freigelassenen „der Privaten", von den „Staatsämtern und den öffentlichen Stellungen ausgeschlossen" gewesen 15 .

Vgl. z.B. Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte I 127ff.; François Jacques, John Scheid, Rome et l'intégration de l'Empire (44 av. J.-C. - 260 ap. J.-C.), I: Les structures de l'Empire romain, Paris 1990, 99 ff. 13 Mommsen, StR II 2, 1. Aufl., Leipzig 1875, 781 ff. 14 Ebd. 784. 785 f. 15 Ebd. 786. 783.

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1. Forschungslage

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Bei der Anwendung dieser Konzeption auf den Quellenbefund mußte Mommsen einerseits konstatieren, daß einzelne Kaiser die personenrechtliche Scheidung durch Verleihung von Ingenuität und Ritterstatus unterliefen 16 , andererseits für zwei Kategorien der Stellen des „privaten Haushaltes" der Kaiser einen Sonderstatus postulieren: So griffen „allerdings gewisse hochgestellten Beamten persönlich zu leistende Dienste unvermeidlich in die amtliche Sphäre über". Daher habe sich „bei dem Princeps ein Grenzgebiet solcher Verrichtungen gebildet, bei denen der persönliche Dienst bei ihm und die staatsamtliche Thätigkeit sich theoretisch kaum und praktisch gar nicht voneinander scheiden lassen". Dieser „persönliche Dienst bei dem Kaiser" sei dann im frühen Prinzipat „mehr und mehr ... als ein Theil der öffentlichen Verwaltung des Princeps aufgefasst und darum auf Personen vom Ritterstand übertragen worden" 17 . Dies gelte zunächst für die Beihilfe zur Korrespondenz des Kaisers: „Da die späteren dieser Regenten (sc. aus julischclaudischer Zeit) ihr Gesinde nicht zu regieren wussten, sondern von ihm regiert wurden, sind hieraus (sc. Behandlung der kaiserlichen Korrespondenz als „Privatsache") arge Ubelstände hervorgegangen; und in Folge dessen werden seit Nero diese Stellungen nicht ausschließlich, aber überwiegend als Staatsämter behandelt und Personen aus dem Ritterstand übertragen."18 Ahnlich verhalte es sich mit der Verwaltung des kaiserlichen Vermögens: Für die „Provinzialsteuereinnehmer", die procuratores Augusti, sei zwar schon von Augustus das Ritterpferd vorgeschrieben worden, nicht aber für untergeordnete Finanzposten und ebenso nicht für sämtliche Stellen der kaiserlichen Kassen in Rom. „Doch sind die wichtigeren auch dieser Stellungen im Laufe der Zeit mehr und mehr zu Aemtern geworden." Allerdings seien die „niederen Kassenbeamten", arcani und dispensatores, „nach römischem Gebrauch durchgängig Sclaven des Kaisers geblieben"19. Zur Aufrechterhaltung der Koppelung der Kategorien „öffentlich-staatlich", „politisch" und „freier Rechtsstatus" muß Mommsen also den faktischen politischen Einfluß personenrechtlich Unfreier auf von ihm als „nichtstaatlich" angesehenen Stellen als „Ubelstand" charakterisieren und deren spätere Ersetzung durch Freie als Versuch der Behebung dieses Ubelstandes sowie als „Verstaatlichung" dieser Stellen interpretieren. Sodann muß er für den schließlich erreichten Zustand eine Trennlinie zwischen „öffentlichstaatlichem" und „privatem" Bereich postulieren, die mitten durch die kaiserliche Hoforganisation hindurch verläuft. Ab der zweiten Auflage des „Staatsrechts" entfernte Mommsen alle von Personen senatorischen und ritterlichen Standes besetzten Stellen, also auch die Posten in Sekretariat und Vermögensverwaltung, sofern sie von Rittern Ebd. 783 A. 3 mit Quellenbelegen. Ebd. 784. 786 (Hervorhebungen A.W.). 18 Ebd. i ' Ebd. 787. 17

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VI. Die höfische Organisation

bekleidet worden waren, aus dem „Hof und Haushalt" des Kaisers, schlug sie dem Bereich des „Staates" zu und behandelte unter der genannten Rubrik nur noch die von Freigelassenen und Sklaven des Kaisers bekleideten Positionen20. Zugleich betonte er, „dass die von dem Kaiser für die öffentlichen Angelegenheiten verwendeten Personen nicht als persönliche Bediente desselben gelten und das Amt auch unter dem Principat noch die ehrende Beschäftigung des freigeborenen Mannes ist" 21 . Damit war zwar die Konsistenz seiner staatsrechtlichen Rekonstruktion erhöht, der grundlegende Unterschied zwischen den persönlich vom Kaiser beauftragten aristokratischen Amtsträgern der Kaiserzeit und den vom Volk gewählten Magistraten der Republik, d.h. z.B. zwischen einem ritterlichen Sekretär ab epistulis, der über keinerlei magistratische Attribute verfügte, und einem republikanischen Konsul, jedoch eingeebnet und der kaiserliche „Haushalt" um die von ihm als „öffentlich-staatlich" postulierten Stellen beschnitten. Zudem mußte er auch hier konzedieren, daß „unvermeidlich freilich ... ein Grenzgebiet zwischen dem persönlichen und dem politischen Dienst" bleibe22. Otto Hirschfeld übernahm in seiner Untersuchung der „kaiserlichen Verwaltungsbeamten" die Sicht der letzten Auflage des Mommsenschen „Staatsrechts" und behandelte unter der Überschrift „Der kaiserliche Haushalt" keine kaiserlichen „Beamten", sondern nur das „kaiserliche Gesinde". Die „Hofämter" ab epistulis, a libellis und a rationibus stellten, so Hirschfeld, nur eine scheinbare Ausnahme dar: Durch ihre Besetzung mit Rittern sei „die Ausscheidung dieser von vornherein eine Zwitterstellung einnehmenden Posten aus der Reihe der kaiserlichen Hausämter" erfolgt. Besonders in Hinsicht auf die Kammerdiener heißt es: „Tatsächlich haben freilich auch andere Hofdiener einen nicht geringen Einfluß auf die Kaiser und damit auf die Regierung ausgeübt."23 Dies bedeutet aber, daß auch eine Segmentierung der Organisation des kaiserlichen Hofes nach den Unterscheidungsmerkmalen staatlich-frei und privat-unfrei noch nicht ihrer Gliederung in „politische" und „unpolitische" Teile entsprach. Gegenüber einer rein staatsrechtlichen Sicht machte Anton von Premerstein grundlegende Einwände geltend. Hinsichtlich der ritterlichen und freigelassenen Prokuratoren des Kaisers wies er darauf hin, daß diese Gruppe, was schon ihre Titel zeigten, „aus den vom Prinzeps in seiner Haus- und Vermögensverwaltung mit privaten Geschäften beauftragten Hilfspersonen" hervorgegangen sei. Die „mit der Zeit immer weitergehende Heranziehung dieser privaten Gehilfen zu öffentlichen Amtshandlungen und Dienstleistungen im Auftrag und in Vertretung des Prinzeps" habe nicht auf öffentlichrechtlichen Bindungen, sondern auf persönlichen Treu- und Pflichtverhält20 21 22 23

Mommsen, StR II 2, 3. Aufl., 836ff. Ebd. 837 (Hervorhebung A.W.). Ebd. Hirschfeld, VB 307ff. Zit. 308f.

1. Forschungslage

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nissen entsprechend den privatrechtlichen Beziehungen von patronus und libertas beruht. Trotzdem sei ihr schon früh „öffentlich-amtlicher Charakter" zugebilligt worden24. Premerstein behält also die Scheidung öffentlich (-staatlich)/privat bei und sieht die kaiserlichen Prokuratoren als „Privatdiener" an, die gleichwohl zu „öffentlichen Verwaltungszwecken" eingesetzt und auch als „öffentliche Amtsträger" angesehen worden seien. Zur Erklärung dieses latenten Widerspruchs, der sich der Sicht der ersten Auflage des Mommsenschen Staatsrechts annähert, dient ihm die kaiserliche auctoritas, ein Begriff, mit dem, wie Premerstein selbst entdeckt hatte, Augustus in den Res gestae seine eigene Stellung umschrieben hatte, der aber in der Art, wie Premerstein ihn verwendet, auch als „kaiserliche Machtvollkommenheit" übersetzt werden könnte. Spätere, an prosopographischer Detailforschung orientierte Arbeiten sind das Problem der kaiserlichen Hoforganisation nur in indirekter Weise angegangen, indem sie sich einerseits jeweils auf einzelne personenrechtliche oder ständische Kategorien innerhalb der kaiserlichen Funktionsträger beschränkten, indem sie andererseits nicht nur die am Hof angesiedelten, sondern - unter der genannten Beschränkung - die auf den Kaiser zentrierten Organisationsstrukturen insgesamt (am Hof, in Rom und Italien, im Reich) in den Blick nahmen. So behandelt Hans-Georg Pflaum die ritterlichen Prokuratoren und geht auf die freigelassenen prokuratorischen Amtsinhaber nur am Rande ein bzw. nimmt an, diese seien in der Regel einem ritterlichen unterstellt gewesen25 - was jedoch dem epigraphischen Quellenbefund keineswegs eindeutig zu entnehmen ist26. Umgekehrt beschränken sich die Arbeiten von Boulvert und Weaver auf die kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen11. Gegenüber dem Ausgang von Personenrechtskategorien ist jedoch einerseits einzuwenden, daß dabei nur noch ein - sich zudem in der geschichtlichen Entwicklung wandelnder - Ausschnitt der kaiserlichen Hoforganisation erfaßt und als eigenständiges Segment behandelt wird. Denn für diese ist ja gerade die Veränderung des personenrechtlichen Status der Inhaber von zumindest in der Bezeichnung gleichbleibenden Stellen ein Charakteristikum28. Andererseits wird durch die Einbeziehung aller kaiserlichen 24

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Anton von Premerstein, Vom Werden und Wesen des Prinzipats, München 1937, 214. Hans-Georg Pflaum, Les procurateurs équestres sous le Haut-Empire romain, Paris 1950; ders., Les carrières procuratoriennes équestres sous le Haut-Empire romain, Paris, Bd. 1. 2, 1960. Bd. 3 , 1 9 6 1 . Suppl., 1982; ders., Abrégé des procurateurs équestres, Paris 1974. Vgl. die Kritik von Fergus Millar, in: JRS 5 3 , 1 9 6 3 , 1 9 4 - 2 0 0 . bes. 196, und Heinrich Chantraine, Zur Nomenklatur und Funktionsangabe kaiserlicher Freigelassener, in: Historia 24, 1975, 6 0 3 - 6 1 6 . bes. 613 ff. Vgl. oben S. 2 3 - 2 6 . Neuere epigraphische Funde deuten darauf hin, daß dieser Wandel früher, als man zuletzt annahm, stattgefunden hat: Vgl. Werner Eck, Die Laufbahn eines Ritters aus Apri in Thrakien. Ein Beitrag zum Ausbau der kaiserlichen Administration in Ita-

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VI. Die höfische Organisation

Funktionsträger der jeweiligen Personenrechtskategorie die Differenz zwischen höfischen und nichthöfischen kaiserlichen Organisationsstrukturen eingeebnet. Neuere Gesamtdarstellungen umgehen meist das systematische Problem, mit dem die ältere staatsrechtliche Forschung rang, indem sie die Dichotomie „öffentlich(-staatlich)/privat", die als solche ein drittes ausschließt, in die Reihung „staatlich/privat/kaiserlich" überführen 2 9 oder indem sie einen unscharfen Begriff von „Staat" (oder „öffentlich") verwenden, der es erlaubt, auch die freigelassenen Sekretäre des Kaisers als Teile der „staatlichen" (oder) „öffentlichen" Verwaltung zu deuten 30 . Dies bedeutet dann aber, daß das in Mommsens Lösungsversuch auftretende Folgeproblem noch verschärft zutage tritt: Wenn z.B. ein personenrechtlich diskriminierter a rationibus wie der Freigelassene Pallas unter Claudius, dessen Auszeichnung „nur" mit prätorischen Insignien von den Zeitgenossen als Skandal empfunden wurde 3 1 eine Aufnahme in den Senat oder die Verleihung eines magistratischen Amtes lagen offensichtlich außerhalb des Denkbaren - , und z.B. ein Konsul einer gemeinsamen Kategorie „öffentlicher" oder „staatlicher Amtsträger" zugeordnet werden, dann ist nicht mehr erkennbar, was als Merkmal römischer „Staatlichkeit" gelten soll 32 . Zudem muß auch in diesem Fall eine Grenze

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lien, in: Chiron 5, 1975, 365-392. bes. 389; damit werden weitgehend die Angaben der literarischen Uberlieferung bestätigt, die Vitellius, Domitian und Hadrian die entscheidenden Veränderungen zuschreiben (vgl. Tac. hist. 1, 58,1; Suet. Dom. 7, 2; Hist. Aug. Hadr. 22, 8; Epit. de Caes. 14, 11 [unten Anm. 189. 191. 192]). So z.B. Max Käser, Das römische Privatrecht, 2 Bde., 2. Aufl., München 1971.1975, I 285, der Sklaven „eines Privaten oder des Staates oder des Kaisers" unterscheidet. Dies entspricht zwar einer zeitgenössischen Selbstbeschreibung, reproduziert aber damit zugleich deren Paradoxie: die Weiterverwendung der Unterscheidung publicus/privatus, obwohl der Kaiser nicht von ihr erfaßt werden kann. Vgl. Frontin. de aqu. 116 (über die Sklaventruppen der Wasserversorgung Roms): familiae sunt duae, altera publica, altera Caesaris. publica est antiquior; quam ab Agrippa relictam Augusto et ab eo publicatam diximus ...; 118: commoda publicae familiae ex aerarlo dantur... Caesaris familia ex fisco accipit commoda. Es gab somit (wie bei Agrippa) „private", dann „kaiserliche" und „öffentliche" familiae. Vgl. als Beispiele aus der neueren Forschung Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte 1144 f.; Garnsey/Salier, Roman Empire 20 ff.; Werner Eck, Die staatliche Administration des römischen Reiches in der hohen Kaiserzeit. Ihre strukturellen Komponenten [1989], in: ders., Die Verwaltung des römischen Reiches in der hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge, Bd. 1, Basel 1995, 1-28. 18; Jacques/Scheid, Intégration I 103 ff. Plin. ep. 7,29; 8, 6; vgl. Stewart I. Oost, The Career of M. Antonius Pallas, in: AJPh 79, 1958, 113-139. Marginalisiert wird das Problem meist, indem die Besetzung von zentralen Sekretärsposten oder von Prokuraturen mit Freigelassenen - die tatsächlich, nimmt man Vitellius und Hadrian als Fixpunkte, ca. 100 bzw. 150 Jahre dominant blieb bzw. andauerte - als temporär charakterisiert wird (so z. B. bei Jacques/Scheid, Intégration I 103) oder indem die Terminologie von „staatlich" auf „kaiserlich" wechselt (so z.B. bei Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte I 127ff. 138; vgl. Jacques/Scheid, Intégration I 99 ff.; Garnsey/Saller, Roman Empire 20 ff.: „government" und „admi-

1. Forschungslage

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zwischen „(öffentlich-)staatlich" und „privat" innerhalb der kaiserlichen Hoforganisation - etwa gegenüber Vorkostern und Kämmerern - gezogen werden 3 3 . Bezüglich der Frage nach der Organisationsstruktur des kaiserlichen Hofes läßt sich für unseren Zusammenhang folgendes festhalten: 1. Hinsichtlich der unterschiedlichen Zuordnung der senatorischen und ritterlichen kaiserlichen Amtsträger zur Hoforganisation in den verschiedenen Auflagen des Mommsenschen „Staatsrechts" sowie in späteren Forschungen und hinsichtlich der Probleme bei der Kategorisierung der kaiserlichen Freigelassenen und Sklaven 34 ist auf die zeitgenössische antike (und spätere) Begrifflichkeit von „Hof" zu verweisen, die stets räumliche, personale und zeitliche Dimensionen vereint 35 . Dementsprechend kann die durch organisatorische Funktion bedingte Interaktionsnähe der Stelleninhaber zum Kaiser im Palast als Kriterium der Abgrenzung der Hoforganisation gelten 36 .

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nistration" [sc. des Kaisers]). Die Konzentration auf „kaiserliche Verwaltungsbeamte" (unterschiedlichen Standes), d.h. auf organisatorische Strukturen, hat ihr Vorbild in Hirschfelds Untersuchung. Jener ging allerdings im Anschluß an Mommsens Dyarchiethese von einer grundsätzlichen Unterscheidung der „freistaatlichen" von der kaiserlichen Verwaltung aus, einer Unterscheidung also, die die neueren Arbeiten gerade einebnen (vgl. ζ. B. Hirschfeld, VB 471 ff., wonach die organisatorischen Veränderungen der Verwaltung unter Claudius „das kaiserliche Haus an die Stelle des Reiches" setzten und damit aus der „Augustischen Dyarchie" eine „absolute Monarchie" machten [472.475] und wonach [erst] unter Hadrian die „großen Hofämter" a rationibus, ab epistulis und a libellis „auch formell zu Staatsämtern" gemacht und ausschließlich mit Rittern besetzt wurden [478 f.]). Eck, Staatliche Administration 20, ζ. B. scheidet die „Hofhaltung" der Kaiser von der „staatlichen Administration", der die freigelassenen Sekretäre a rationibus, ab epistulis, a libellis und a cognitionibus zugerechnet werden (17 f.). Das bedeutet, daß die Hoforganisation implizit zur kaiserlichen „Privatangelegenheit" erklärt wird und jene daraus entfernt werden. Vgl. ζ. B. Garnsey/Salier, Roman Empire 24 (im Zusammenhang mit der Rolle des a rationibus)·. „It does not follow from the fact that these accounts [sc. of the empire's revenues and expenditures] were kept by the emperor's slaves and freedmen that there was no division between public finances and those of the imperial household." Jacques/Scheid, Intégration I 105: Nachdem unter der Uberschrift „L'administration impérial" die senatorischen und ritterlichen „auxiliaires" sowie - unter der Bezeichnung „fonctionnaires d'execution" auch Freigelassene und Sklaven aufgeführt wurden, wird vermerkt: „II faut noter qu'à côté de cet administration affectée à des tâches .publiques', il existait un vaste personnel proprement domestique, attaché aux palais et aux résidences du prince." Vgl. v.a. zu den Arbeiten von Weaver und Boulvert oben S. 23-26. Vgl. die Sentenzen Marc Aurels oben S. 1 f., unten Kap. X sowie Winterling, Idealtypische Bestimmung 13 f. „Interaktionsnähe zum Kaiser im Palast" schließt nicht aus, daß Stelleninhaber der höfischen Organisation auch bei kaiserlichen Reisen Funktionen wahrnahmen (vgl. Halfmann, Itinera Principum 105-110) oder daß Mitglieder der höfischen Organisation in den von den Kaisern gelegentlich besuchten Villen nur zeitweise in ihrer Anwesenheit tätig waren (vgl. als Beispiel die in den Fasti Antiates verzeichneten Mitglieder der kaiserlichen Dienerschaft in Antium [CIL I 2 , p. 247-249, Nr. XVII =

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VI. Die höfische Organisation

Die seit der frühen Kaiserzeit neu entstehenden, auf den Kaiser ausgerichteten Organisationsstrukturen insgesamt - am Hof, in der Stadt Rom, in Italien und in den Provinzen - lassen sich somit nach der Differenz von Zentrum und Peripherie unterscheiden: Die senatorischen und ritterlichen kaiserlichen Amtsträger sind, sofern in Rom, Italien und den Provinzen tätig 3 7 , daher nicht als Teil der Hoforganisation zu betrachten 3 8 . Dasselbe gilt hinsichtlich freigelassener und unfreier kaiserlicher Funktionsträger. Auch hier ist die organisatorisch bedingte Kaisernähe und Anwesenheit im Palast als Kriterium entscheidend, so daß die in Rom, Italien und in den Provinzen tätigen kaiserlichen Freigelassenen und (Skhven-tfamiliae als nicht der kaiserlichen Hoforganisation zugehörig zu betrachten sind 39 . Schließlich lassen sich auch bei den militärischen Organisationsstrukturen nach einer auf den Kaiser bezogenen Zentrum-Peripherie-Differenzierung höfische (Prätorianer und andere die Funktion einer Leibwache ausübende), städtisch-römische (cohortes urbanae, vigiles) und militärische Verbände im Reich unterscheiden 4 0 . 2. Der auf einem staatsrechtlichen Theoriekonzept beruhende Versuch einer Unterscheidung von (in einem republikanischen Sinne) „öffentlichstaatlichen" und „privaten" Teilen führt zu Aporien und scheint das Besondere und Neue der kaiserlichen Hoforganisation, die Nichtscheidbarkeit beider Bereiche, gerade zu verdecken. Stellt man die Frage nach dem - in seinem institutionellen Substrat in der Kaiserzeit ja weiterbestehenden - republikanischen „Staat" zurück, so ist die auf jenen bezogene Scheidung öffentlich/

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40

Inscr. Ital. 13, 2, p. 201-212, Nr. 26; dazu Hirschfeld, VB 138; Chantraine, Freigelassene und Sklaven 342 f.]). Vgl. die neuere Übersicht bei Werner Eck, Die Ausformung der ritterlichen Administration als Antisenatspolitik? [1986], in: ders., Die Verwaltung des römischen Reiches in der hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge, Bd. 1, Basel 1995, 29-54. 31 f. 36 f. Die Tatsache, daß Senatoren und Ritter, wie zu sehen sein wird, als solche an höfischer Interaktion teilnahmen (vgl. unten die Kapitel VII und VIII zur salutatici und zu den Gastmählern), widerspricht nicht dieser Unterscheidung, da dies nicht aufgrund organisatorischer Funktionen, um die es hier geht, erfolgte. Zum Personal der kaiserlichen Villen außerhalb Roms vgl. Anm. 36. - Nicht zur höfischen Organisation zu rechnen sind somit auch die den Kaisern - wie anderen Magistraten - vom Gemeinwesen gestellten apparitores (scribae, lictores, accensi, viatores und praecones), deren Funktion sich auf den städtischen Bereich erstreckte (vgl. Mommsen, StR II 2, 807; Miliar, Emperor 66-69) und von denen verschiedene den Status eines kaiserlichen Freigelassenen besaßen (vgl. Boulvert, Esclaves et affranchis [1970] 43-48). In Einzelfällen anzunehmende Kaisernähe von Stelleninhabern (vgl. z. B. den Freigelassenen Trajans M. Ulpius Phaedimus, der u. a. apotione, lictorproximus und a commentariis beneficiorum war [CIL VI 1884 = ILS 1792; dazu Leonhard Schumacher, Römische Inschriften, Stuttgart 1988,278 f.]) resultierte nicht aus ihrer organisatorischen Funktion, sondern aus kaiserlicher Gunst: Für die Verwendung z.B. von Liktoren am Hof liegen keinerlei Quellenberichte vor. Da es hier nur um kategoriale Klärungen geht, müssen Differenzierungen (Einsatz von Prätorianern im Reich, équités singulares, Stationierung von Legionssoldaten in der Nähe Roms in severischer Zeit etc.) außer Betracht bleiben.

1. Forschungslage

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privat hinsichtlich der kaiserlichen Hoforganisation durch die neuartige, z u m republikanischen „Staatsrecht" 4 1 gewissermaßen querstehende renzierung

in politische

und unpolitische

Diffe-

Stellen zu ersetzen, wobei „politi-

sche" Stellen diejenigen sind, die hinsichtlich des Zwecks, auf den sie ausgerichtet sind, die Herstellung und Durchsetzung gesamtgesellschaftlich bindender Entscheidungen betreffen, „unpolitische" solche, bei denen das nicht der Fall ist, also z . B . Stellen, deren Aufgabe in der persönlichen Versorgung und Bedienung des Kaisers, seiner Familie und seiner Gäste bestand 4 2 . Die Differenz politisch/unpolitisch ist auch in der Peripherie der auf den Kaiser zentrierten Organisationsstrukturen erkennbar, w o sich politische von senatorischen legati Augusti pro praetore

bis zu kaiserlichen Sklaven, die

als Dispensatoren in der Steuereinnahme tätig sind - und unpolitische Stellen - etwa in der Verwaltung der kaiserlichen Güter oder Bergwerke - unterscheiden lassen. 3. Die Frage nach personenrechtlichem Status und gesellschaftlichem Rang der Stelleninhaber betrifft das Problem der kaiserlichen Besetzung

der

Stellen der Hoforganisation. Sie gehört in den Rahmen einer Sozialgeschichte der Politik, insbesondere einer Geschichte des Verhältnisses von Kaiser und Aristokratie, die sowohl die Bereitschaft von Senatoren und Rittern, gewisse (politische oder unpolitische) Funktionen der kaiserlichen H o f organisation zu übernehmen, wie auch die politisch opportune Verwendbarkeit solcher Personen für den Kaiser zu untersuchen hätte 4 3 . F ü r die Frage nach der Organisationsstruktur selbst ist sie jedoch zunächst nicht von Belang 4 4 . 41

Daß schon die traditionelle republikanische Scheidung zwischen domus, dem Hausbereich, und res publica, der auf ausdifferenzierten Amtern und Verfahren beruhenden „staatlichen" Ordnung, von der die staatsrechtlichen Betrachtungsweisen letztlich ihren Ausgang nehmen, nicht in der Scheidung politisch/unpolitisch aufging (und auch nicht einer modernen Scheidung von öffentlichem und privatem Bereich entsprach), haben die Forschungen Matthias Geizers und Christian Meiers deutlich gezeigt: Vgl. Geizer, Die Nobilität der römischen Republik [1912], in: ders., Kleine Schriften, Bd. 1, Wiesbaden 1962, 17-135. bes. 62ff.; Meier, RPA z.B. 13: „Abgesehen davon, daß .privat' und politisch' in einem aristokratischen und von weitgehender Identität zwischen Staat und Gesellschaft geprägten Gemeinwesen wesentlich schwerer voneinander zu trennen sind als sonst, waren jene .privaten' Bindungen in Rom als Grundlagen der Macht sowie als Möglichkeit der Vertretung zahlloser Interessen und immer neuen Ausgleichs der Kräfte ein bedeutender und durchaus legitimer Bestandteil der staatlichen Ordnung. Indem aber das .Private' die Politeia derart durchdrang und bestimmte, war auch das .Politische' dort viel weniger eigengesetzlich, viel weniger herausgelöst aus dem Ganzen der Vergesellschaftung als zum Beispiel in den modernen Staaten." Vgl. bes. ebd. 37. 47. 59 und oben Kap. III zum aristokratischen „Haus".

42

Es wird also eine - derzeit meist akzeptierte - funktionale Definition von Politik zugrunde gelegt. Dies gilt entsprechend auch für den militärischen Teil der Hoforganisation, speziell für die Bevorzugung germanischer Leibwächter in julisch-claudischer Zeit, quibus fidebat princeps quasi externis (Tac. ann. 15, 58, 2). Vgl. zur Stellenbesetzung unten S. 109-112.

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VI. Die höfische Organisation

Die Unterscheidung von Organisationsstruktur und Stellenbesetzung ist auch für die politischen und militärischen Führungsfunktionen der kaiserlichen stadtrömischen und v.a. der Reichsverwaltungsorganisation in Anschlag zu bringen, wo - bis weit ins dritte nachchristliche Jahrhundert und anders als in der Hoforganisation - gesellschaftsstrukturell bedingte Limitierungen der freien kaiserlichen Stellenvergabe, d.h. konkret der notwendige Rückgriff auf Personen senatorischen oder zumindest ritterlichen Standes, feststellbar sind 45 . 4. Der aus einer behördengeschichtlichen Sicht nur als „Übelstand" zu erfassende Befund, daß der Einfluß von Stelleninhabern auf den Kaiser und ihre daraus resultierende reale politische Macht nicht der politischen oder unpolitischen Funktion ihrer Stelle entsprechen mußte, daß sich manche Kaiser also gewissermaßen nicht an den „Dienstweg" hielten, zeigt, daß es sich bei der kaiserlichen Hoforganisation nicht um eine („öffentlich-staatliche") Behörde im modernen Sinne handelt. Das Vorhandensein nicht formalisierter Einflußstrukturen, die auf persönlicher Nähe einzelner Stelleninhaber (Sekretäre, Kämmerer) zum Kaiser beruhten, ist vielmehr typisch für die Situation, in die Organisationen von vormodernen Höfen eingebunden sind 46 : Die Stelleninhaber, die an persönlicher Interaktion mit dem Herrscher beteiligt sind, müssen sich, um Macht zu erlangen, im Kontext einer vorgelagerten höfischen Hierarchie bewähren, die nach der „Gunst" strukturiert ist, in der sich der einzelne beim Monarchen befindet, und die, wenn sie in Widerspruch zur Hierarchie der Organisation gerät, zum Auswechseln der Stelleninhaber oder ihrer faktischen Bedeutungslosigkeit führen kann (was natürlich nicht ausschließt, daß - je nach Herrscher - die Leistung des Stelleninhabers im Rahmen der Organisation entscheidend für seine „Gunst" sein kann). Die Einwirkungen „unorganisierter" höfischer Gunstverhältnisse auf die reale Macht der Stelleninhaber betreffen die kaiserliche Hoforganisation als solche nun aber „nur" in Form von Außeneinflüssen. Sie sind daher nicht, wie dies die älteren staats- und verwaltungsrechtlichen Arbeiten versuchten, im Rahmen ihrer Strukturanalyse, sondern wiederum im Kontext einer Sozialgeschichte der Politik am kaiserlichen Hof insgesamt zu untersuchen. 45

46

Dazu Mommsen, StR II 2, 933 f.: „Soweit die Diener des Princeps für öffentliche Zwecke bestimmt sind, hat der Principat hinsichtlich der Qualification sich selber rechtliche Schranken gezogen und dieselben mit großer Strenge eingehalten. Dass dieser Verzicht auf die freie Wahl der Gehülfen, ohne Zweifel unter allen der Kaisergewalt gesetzten Schranken praktisch weitaus die wirksamste, gesetzlich formulirt worden sei, ist nicht überliefert und nicht wahrscheinlich. Vielmehr ruht er auf der wohlerwogenen Selbstbeschränkung des Augustus und seiner Nachfolger; und ohne Zweifel ist er es hauptsächlich gewesen, welchem der Principat seine wunderbar lange Dauer zu verdanken hat. Als wesentliches Fundament dieser Qualifikation dienen die beiden ständischen Scheidungen, welche Augustus vorfand und weiter entwickelte, der Besitz des Ritterpferdes und der Sitz im Senat." Vgl. Winterling, Idealtypische Bestimmung 20.

2. Politische Stellen

93

Diese wird sich dann jedoch nicht auf Gunst und Macht von Stelleninhabern beschränken können, sondern weitere Günstlinge auch ohne organisatorische Funktionen - von Konkubinen über Schaupieler bis zu Familienmitgliedern und aristokratischen „Freunden" des Kaisers - einzubeziehen haben 47 . Zur Beantwortung der hier verfolgten Frage nach der Institutionalisierung des kaiserlichen Hofes und damit nach der Differenz zwischen senatorischer Haushalts- und kaiserlicher Hoforganisation genügt es nun, auf die vergleichsweise intensiv erforschte militärische Organisation hinzuweisen, hinsichtlich der politischen Stellen kurz die zentralen Sekretariate zu skizzieren und dann ausführlicher die seltener untersuchten unpolitischen Stellen zu behandeln. Abschließend ist nach dem rechtlichen Charakter der Beziehungen zwischen Kaiser und Stelleninhabern und nach deren sozialer Rekrutierung zu fragen.

2. Militärische Organisation und zentrale politische Sekretariate Es ist oft vermerkt worden, daß mit der Konstituierung des Prinzipats im Jahre 27 v.Chr. auch der Sold der Leibwache des neuen Augustus verdoppelt wurde 48 . Die stetige Präsenz einer militärischen Organisation, deren Funktion in der Bewachung der Person des Kaisers sowie weiterer Mitglieder der kaiserlichen Familie und in der Sicherung einer sofortigen Durchsetzung seiner Befehle mittels physischer Gewaltmittel bestand, kann als grundlegendes Charakteristikum des Hauses bzw. Palastes auch aller späteren Kaiser gelten: Tacitus beschreibt die Stellung des Tiberius nach dem Tod des Augustus und vor der offiziellen Übernahme des Prinzipats mit den Worten: »Es gab Wachen, Waffen und den übrigen Hof." 4 9 Die detaillierten Berichte über die Ermordung des Caligula, an der Mitglieder seiner Prätorianergarde führend beteiligt waren, dokumentieren deren dauernde Anwesenheit in der Umgebung des Kaisers 50 . Claudius war bei Gastmählern regelmäßig von speculatores umgeben 51 . Neros Erhebung zum Kaiser wurde eingeleitet, indem ihn die

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Vgl. dazu die Vorüberlegungen bei Aloys Winterling, Hof ohne „Staat". Die aula Caesaris im 1. und 2. Jahrhundert n.Chr., in: ders. (Hg.), Zwischen „Haus" und „Staat". Antike Höfe im Vergleich, München 1997, 91-112. 98ff. Cass. Dio 53,11, 5; Christian Meier, Augustus. Die Begründung der Monarchie als Wiederherstellung der Republik, in: ders., Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar. Drei biographische Skizzen, Frankfurt am Main 1980, 223-287. 267; vgl. allgemein Marcel Durry, Les cohortes prétoriennes, 2. Aufl., Paris 1968; ders., Praetoriae cohortes, RE 22, 2, 1954, 1607-1634; Bellen, Germanische Leibwache; Michael P. Speidel, Germani corporis custodes, in: Germania 62, 1984, 31-45; ders., Die équités singulares Augusti. Begleittruppe der römischen Kaiser des zweiten und dritten Jahrhunderts, Bonn 1965, bes. 87-92; Miliar, Emperor 61 ff.

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Tac. ann. 1, 7, 5: excubiae arma, cetera aulae.

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los. ant. lud. 19, 102-106; Suet. Cal. 58; Cass. Dio 59, 29. Suet. Claud. 35, 1.

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VI. Die höfische Organisation

v o r den Toren des Palastes wachhabende K o h o r t e als Imperator begrüßte 5 2 . Die Existenz einer militärischen Organisation kann als ein erstes und zentrales Unterscheidungsmerkmal der kaiserlichen Hoforganisation gegenüber senatorischen Haushalten gelten 5 3 . Während Augustus noch, ähnlich wie üblicherweise auch andere Senatoren, von a manu

genannten Sekretären zur Erledigung seiner Geschäfte

Gebrauch machte 5 4 , ist seit Claudius ein kaiserliches „Sekretariat" als eigenständige Organisation feststellbar, mit den drei Stellen a rationibus,

ab epistu-

lis und a libellis an der Spitze 5 5 . Ihre Funktionen, die (ebenso wie die damit verbundene Arbeitsbelastung) in adulatorischen Schriften von Seneca und Statius beschrieben werden, bestanden in der Verwaltung von Dingen, die, sachlich neutral, auf unterschiedlichste und nahezu sämtliche Bereiche der kaiserlichen Tätigkeiten Anwendung fanden: das kaiserliche Geld, den kaiserlichen Briefverkehr und die Bittschriften an ihn. 52 53

54 55

Tac. ann. 12, 69, 1; Suet. Nero 8. Bei der germanischen Leibgarde der Statilii Tauri (s. o.) handelt es sich um ein historisch bedingtes Ausnahmeprivileg - T. Statilius Taurus war neben Agrippa der bedeutendste Feldherr des Augustus und kommandierte in der Schlacht bei Aktium das Landheer (Veil. Pat. 2, 85, 2) - , das spätestens in claudischer Zeit sein Ende fand (vgl. Bellen, Germanische Leibwache 33). Suet. Aug. 67, 2; 101,1; C I L VI 8887. Vgl. Martin Bang, Die Beamten a rationibus, a libellis, ab epistulis, in: Friedländer, S G I V 26—46; vgl. Hirschfeld, VB 29 ff. 318 ff.; Willy Liebenam, a rationibus, R E 1 A 1,1914,263 f.; Michael Rostovtzeff, ab epistulis, R E 6, 1, 1907,210-215; Anton von Premerstein, a libellis, R E 13,1,1926,15-26; Walter Seitz, Studien zur Prosopographie und zur Sozial- und Rechtsgeschichte der großen kaiserlichen Zentralämter bis hin zu Hadrian, München 1970; Boulvert, Esclaves et affranchis (1970) 91 ff. vgl. 252 ff. 283 ff. 303 f.; Weaver, Familia Caesaris 259 ff.; Miliar, Emperor 69 ff. 83 ff. 101 ff.; zuletzt Anthony R. Birley, Locus virtutibus patefactus? Zum Beförderungssystem in der hohen Kaiserzeit, Opladen 1992, 18 ff.; Hartmut Leppin, Totum te Caesari debes. Selbstdarstellung und Mentalität einflußreicher kaiserlicher Freigelassener im frühen Prinzipat, in: Laverna 7, 1996, 67-91; aufschlußreich für die Quellenproblematik: Gavin Β. Townend, The Post ab epistulis in the Second Century, in: Historia 10,1961, 375-381; zum Zeitpunkt der Entstehung der Sekretariate vgl. zuletzt Werner Eck, Die Bedeutung der claudischen Regierungszeit für die administrative Entwicklung des römischen Reiches, in: Volker M. Strocka (Hg.), Die Regierungszeit des Kaisers Claudius (41 - 54 n.Chr.). Umbruch oder Episode?, Mainz 1994, 23-34. bes. 24, der für Kontinuität plädiert und die Veränderungen unter Claudius zu relativieren versucht. Die beiden angeführten Inschriften für möglicherweise vorclaudische Sekretäre mit den ab Claudius üblichen Funktionsbezeichnungen - ein Ianuarius Caesaris Aug(usti) ab epistulis (CIL VI 8596) und ein Ti. Caesaris Aug(usti) l(ibertus) a rationi[b(us)J namens Antemus (CIL VI 8409c) sind jedoch als Funktionsträger nicht mit Sicherheit in vorclaudische Zeit zu datieren (vgl. zu C I L VI 8596 zuletzt Chantraine, Freigelassene und Sklaven 190 A. 15, auf den Eck selbst verweist). Daß auch die Kaiser vor Claudius über umfangreiches Personal für die Erledigung vergleichbarer administrativer Aufgaben verfügten, ist nicht zu bezweifeln, die Frage richtet sich jedoch auf die ab Claudius feststellbare zentrale Organisationsstruktur.

2. Politische Stellen

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Über einen namentlich unbekannten a rationibus, den Vater eines Claudius Etruscus, der das Gedicht in Auftrag gegeben hatte, schreibt Statius, er sei alleinverantwortlich für die Verwaltung der kaiserlichen Schätze gewesen. Sämtliche Einkünfte und Warenlieferungen aus der von Rom beherrschten Welt seien von ihm beaufsichtigt worden. „Wach und mit scharfem Geist" habe er überdacht, welche Ausgaben täglich für das Heer, das Volk von Rom, Tempelbauten, Wasserleitungen und Dammbauten, für das Gold zum Schmuck der Decken des Kaiserpalastes, für die Aufstellung von Statuen und die Münzprägung erforderlich waren. Wenig Ruhe, keine Zeit für Vergnügungen habe er gehabt. Kurz seien seine Mahlzeiten gewesen, nie habe er sich Gelagen hingegeben 56 . Uber Abascantus, ab epistulis unter Domitian, berichtet Statius, seine cura sei die umfangreichste im Haus des Kaisers. Er sende die Befehle des Herrschers in alle Welt, die Machtquellen des Reiches leite er durch seine Hand(schreiben). Nachrichten aus allen Teilen des Erdkreises gingen bei ihm ein. Er verkünde die kaiserlichen Beförderungen im Heer, die Ernennungen zum Primipilus, Kohortenkommandanten, Legionstribunen oder Präfekten einer Reiterschwadron. Er habe Informationen zu beschaffen über Nilüberschwemmungen oder den Regen in Libyen. Sein Lebensstil sei von mäßigen Mahlzeiten und geringem Weingenuß geprägt 57 . Polybius, a libellis unter Claudius, mußte - so Seneca - Tausende von Menschen anhören, unendlich viele Bittschriften erledigen, die Anhäufung von Problemen aus aller Welt entwirren und dem Kaiser in geordneter Form vorlegen. Er hatte keine Zeit, den Schlaf in den Tag hinein auszudehnen, sich durch die Muße des Landlebens, Reisen oder Schauspiele Erholung und Ablenkung zu verschaffen 58 . Bemerkt sei, daß die beiden zeitgenössischen Autoren die Tätigkeiten der drei Sekretäre jeweils ausdrücklich dem Bereich der kaiserlichen domus und nicht dem „öffentlichen" Bereich des Gemeinwesens, der res publica zurechnen 59 . Wie sehr die Sekretariatsorganisation auf der anderen Seite den 56

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Stat. silv. 3, 3, 8 5 - 1 0 8 . Der Vater des Claudius Etruscus war Freigelassener des Tiberius und bis in domitianische Zeit in kaiserlichem Dienst. Anfang und Ende seiner Amtszeit als a rationibus sind unbekannt. Vgl. P I R 2 C 7 6 3 . 1 1 1 4 a ; Friedländer, S G I 54f.; Arthur Stein, Claudius 31, R E 3, 2, 1899, 2 6 7 0 - 2 6 7 2 ; Seitz, Zentralämter 79ff. Nr. 42; Weaver, Familia Caesaris 282 ff. Stat. silv. 5, 1, 8 5 - 1 1 0 . 121. Zu Abascantus vgl. P I R 2 F 194; Friedländer, SG I 57f.; Paul von Rhoden, Abaskantos 3, R E 1 , 1 , 1 8 9 3 , 1 9 ; Arthur Stein, Flavius 25, R E 6 , 2 , 1909, 2529f.; Seitz, Zentralämter 50ff. Nr. 15. Sen. ad. Polyb. 6, 4 f. Vgl. zu Polybius P I R 2 Ρ 558; Friedländer/Bang, SG IV 33; Rudolf Hanslik, Polybios 5, R E 2 1 , 2 , 1 9 5 2 , 1 5 7 9 f.; Seitz, Zentralämter 61 ff. Nr. 24. Statius beschreibt den Amtsantritt des Vaters des Claudius Etruscus als a rationibus mit den Worten: iamque piam lux alta domum praecelsaque toto / intravit Fortuna gradu; iam creditur uni / sanctarum digestus opum... (silv. 3, 3, 8 5 - 8 7 ) ; er sagt über den Posten ab epistulis: nec enim numerosior altera sacra / cura domo (silv. 5, 1, 85 f.); Seneca bezeichnet Polybius als jemanden, den jeder zum amicus haben wolle ex iis quos in principali domo potentes vidi (ad Polyb. 2, 4).

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VI. Die höfische Organisation

kaiserlichen von den Haushalten senatorischer privati unterschied und zugleich als exklusiv ihm vorbehalten galt, zeigt das Schicksal zweier Iunii Silani Torquati unter Nero: Dem einen, einem Urenkel des Augustus, wurden Umsturzpläne mit der Begründung vorgeworfen, er halte sich Sekretäre, die er ab epistulis et libellis et rationibus nenne. Das seien nomina summae curae et meditamenta60. Dasselbe unterstellte Nero dessen Neffen: tamquam disponeret iam imperii curas praeficeretque rationibus et libellis et epistulis libertos61. Tacitus weist zwar die Vorwürfe Neros, die zum Selbstmord bzw. zur Tötung der Inkriminierten führten, als falsche Anschuldigungen zurück, belegt aber zugleich, daß schon die Übernahme der Stellenbezeichnungen des kaiserlichen Sekretariats in einem senatorischen Haushalt zu solchen Verdächtigungen Anlaß geben konnten.

3. „ Unpolitische " Stellen Die Aufgabe des (von seinem Organisationszweck her) unpolitischen Teils der kaiserlichen Hoforganisation war die unmittelbare Beherbergung, Versorgung und Bedienung des Kaisers, seiner Familie und seiner Gäste, sodann mittelbar die Versorgung der dafür zuständigen Personen. Die Herausarbeitung seines Sondercharakters gegenüber senatorischen „Häusern" erfordert eine detailliertere Analyse. Eine solche hat es jedoch aufgrund der Quellenlage mit einer Reihe von methodischen Problemen zu tun. Da die literarische Überlieferung insgesamt nur wenige Hinweise gibt, hat eine Rekonstruktion der Organisation von der inschriftlichen Überlieferung der Funktionsbezeichnungen (meist auf den Grabsteinen der Stelleninhaber) auszugehen. Dies wird nun zunächst durch ein Charakteristikum der epigraphischen Überlieferung, ihre fehlende Repräsentativität, erschwert, die quantitativ-statistische Aussagen häufig verbietet62. So sind in unserem Fall z.B. mehr „Chefköche" als Köche bekannt, was die historische Realität sicherlich auf den Kopf stellt, und man hat davon auszugehen, daß der größte Teil der niederen Stellen in den Inschriften gar nicht erscheint. Die Zufälligkeit der epigraphischen Quellenüberlieferung hat zur Folge, daß Rückschlüsse von vereinzelten Stelleninhabern auf die zeitliche Erstreckung der Stelle nur bedingt möglich sind. So ist es einerseits unzulässig, davon auszugehen, daß der erste Beleg für eine Stelle auch deren Beginn markiert. Ebensowenig kann man bei fehlenden oder nur spärlichen späteren Belegen ohne weiteres auf die

60 61 62

Tac. ann. 1 5 , 3 5 , 2 . Tac. ann. 16, 8 , 1 . Vgl. dazu die Beiträge in: Werner Eck (Hg.), Prosopographie und Sozialgeschichte. Studien zur Methodik und Erkenntnismöglichkeit der kaiserzeitlichen Prosopographie. Kolloquium Köln 2 4 . - 2 6 . November 1991, Köln u.a. 1993.

3. „Unpolitische" Stellen

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Kontinuität der Stelle schließen63. Sodann ist bei ausschließlich epigraphischer Überlieferung manchmal der Rückschluß von der Bezeichnung auf die Funktion der Stelle hypothetisch, in unserem Fall z.B. bei der ratio castrensis und den Stellen a cura amicorum. Gelten diese Probleme größtenteils auch für die Erforschung der politischen und unpolitischen Teile der kaiserlichen Verwaltungsorganisation insgesamt64, so kommt hier erschwerend hinzu, daß kaum „Karrieren", sondern fast ausschließlich einzelne Stellen, vermutlich jeweils die höchste und letzte, die der Verstorbene innehatte, genannt werden65. Bei den seltenen „Laufbahnen", die überliefert sind, handelt es sich in der Regel um „Querläufer", die verschiedene Ressorts in verschiedenen Abteilungen der kaiserlichen Hofhaltung (oder auch in anderen Verwaltungszweigen) nacheinander durchlaufen oder geleitet haben, wie z.B. der Freigelassene Bucolas, der praegustator, tricliniarcha, procurator a muneribus, procurator aquarum und schließlich proc^raíor castrensis war66. Dies hat zur Folge, daß man gelegentlich nur vermuten kann, in welcher Relation die einzelnen Stellen zueinander standen, d.h. wie die innere Organisationsstruktur beschaffen war. So kann man z.B. annehmen, daß die kaiserliche „Kleiderkammer" der Aufsicht über die kaiserlichen Schätze, der ratio thesaurorum, unterstellt war. Eine andere Möglichkeit wäre, daß sie dem Bereich des cubiculum zugehörte, eine weitere, daß sich Zuständigkeiten im Laufe der Zeit verändert haben. Aufgrund der skizzierten Problemlage muß es im Rahmen unserer Fragestellung ausreichen, auf der Basis inschriftlich überlieferter Stellenbezeichnungen ohne zeitliche Differenzierung eine Rekonstruktion der kaiserlichen Hoforganisation nach internen Funktionskreisen zu versuchen. Diese könnte wie folgt ausgesehen haben67: 63

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67

Vgl. in diesem Sinne die Kritik von Graham P. Burton an den Arbeiten von Boulvert: Slaves, Freedmen and Monarchy, in: JRS 6 7 , 1 9 7 7 , 162-166. Vgl. hinsichtlich der ritterlichen Prokuratoren die methodischen Überlegungen von Eck, Laufbahn 388 ff.; ders., Antisenatspolitik 34 f. Zum Problem der Laufbahnen von kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen vgl. Hirschfeld, VB 457 ff. bes. 458; Paul R.C. Weaver, The Slave and Freedmen .Cursus' in the Imperial Administration, in: PCPhS 190 (N.S. 10), 1964, 74-92. bes. 77ff.; ders., Familia Caesaris 224 ff. 228 f.; Boulvert, Domestique et fonctionnaire (1974) 120 ff.; Burton, Slaves 163 f. C I L X I 3612 (= ILS 1567). Vgl. zur Organisation aristokratischer römischer Haushalte allgemein Marquardt, Privatleben I 142 ff.; zu der des kaiserlichen Haushaltes Farion, Organisation 5 - 2 5 , Hirschfeld, VB 307-311, und Boulvert, Esclaves et affranchis (1970) bes. 2 3 - 4 0 . 164-185. 237-251. 296 f. Farion vernachlässigt bei seiner synchronen Ubersicht den Unterschied zwischen dem kaiserlichen und den eigenständigen Haushalten der kaiserlichen Familienmitglieder in der frühen Kaiserzeit. Boulverts umfangreiche Studie, die die Entwicklung des kaiserlichen Haushaltes in den Vordergrund stellt, übersieht v.a. bei der zeitlichen Zuordnung und der Interpretation der einzelnen Funktionen oft die Schwierigkeiten, die sich aus dem spezifischen Charakter eines

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VI. Die höfische Organisation 1. Eine Reihe von Stellen ist der Beaufsichtigung

der sachlichen

Bestände

des Hofes zugeordnet. Die von den Kaisern bewohnten Häuser bzw. Paläste selbst unterstanden jeweils einem atriensisb% („Hausmeister"), dessen Aufgabe die Reinigung und Erhaltung der Gebäude, die Aufsicht über den H a u s rat und das dafür zur Verfügung stehende Personal w a r 6 9 . F ü r einzelne diaetae70,

d.h. Komplexe mehrerer Räume innerhalb der Gebäude („Apparte-

ments"), w a r jeweils ein diaetarcha71

zuständig. Ostiarii („Pförtner"), die in

Dekurien gegliedert und in Kollegien zusammengeschlossen waren 7 2 , und die einem praepositus

unterstellten velarii73

(„die den Vorhang bedienen",

d.h. Türsteher) kontrollierten den Zugang zu den Gebäuden bzw. zu den einzelnen Räumen. Hausrat, Tafelgeschirr und Schmuck waren vermutlich der einem P r o k u rator unterstellten ratio thesaurorum

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74

zugeordnet 7 4 . A n einzelnen Stellen-

fast ausschließlich epigraphischen Quellenbefundes ergeben (vgl. die Kritik von Heinrich Chantraine, in: Gnomon 48, 1976, 477—482, und Burton, Slaves 162 ff.). Turcan, Cour 51-63, gibt einen kurzen Uberblick, ohne auf organisatorische Strukturen einzugehen. - Bei den im folgenden angeführten inschriftlichen Belegen wird keine Vollständigkeit angestrebt. Zu vergleichen sind die von Hermann Dessau, ILS Bd. I, S. 325-367, zusammengestellten „Tituli procuratorum et ministrorum domus Augustae condicionis libertinae et servilis". Kaiserliche atrienses: C I L VI 6040. 8639. 8738 (= ILS 7866; vgl. Chantraine, Freigelassene und Sklaven 299 f.). 8739. 8740. X 713; vgl. VI 3942 (atriensis der Livia). Alle im folgenden ohne zeitliche Differenzierung aufgeführten Funktionsträger sind, sofern nicht anders angegeben, als im Dienst eines Kaisers befindlich ausgewiesen. Vgl. zu den Bediensteten der Kaiserinnen Heinrich Chantraine, Freigelassene und Sklaven kaiserlicher Frauen, in: Werner Eck u. a. (Hg.), Studien zur antiken Sozialgeschichte. Festschrift Friedrich Vittinghoff, Köln, Wien 1980, 389^416, und Susan Treggiari, Jobs in the Household of Livia, in: PBSR 43, 1975,48-77. Vgl. Paul Habel, Atriensis, R E 2 , 2 , 1896, 2145 f. Vgl. August Mau, Diaeta, R E 5, 1, 1903, 307f. diaetarchae: C I L VI 5187. 5196. 8644. 8645. 8818; AE 1939, 150; vgl. C I L VI 8666 (diaetarchae ex hortis Annianis). Vgl. Heinrich O. Fiebiger, Diaetarcha, RE 5, 1, 1903, 308 f. ostiarii: C I L VI 3996. 8963b. X I V 201. decurio ostiariorum: VI 8962. scriba ostiariorum: VI 8961. Vgl. Karl Schneider, Ostiarius, R E 18,2,1942,1665; ders., Ianitor, RE 9, 1, 1914, 692 f. praepositi velariorum bzw. supra velarios: C I L VI 5183a. 8649 (= ILS 1775). 9086. X 1745. proc. thesaurorum: C I L VI 8498 (= ILS 1738). ILS 1518: p]roc. ration, thesaurorum. vgl. C I L VI 325: tabularius thensauror. (sie). Die Funktion der ratio thesaurorum ist nicht unumstritten. Michael Rostovtzeff nahm an, es handle sich dabei um die Oberaufsicht der hier skizzierten kaiserlichen Hoforganisation insgesamt (Das Patrimonium und die ratio thesaurorum, in: MDAI[R] 13, 1898, 108-123). Dies ist jedoch unter anderem deshalb unwahrscheinlich, weil man - gegen Mommsen, StR II 2, 807f. A. 2 - der ratio castrensis diese Funktion zugewiesen hat. Vgl. bes. Emile Farion, Une nouvelle hypothèse sur la „ratio castrensis" et sur la „ratio thesaurorum", in: Le Musée Belge 3, 1899, 1-5; ders., La ratio castrensis ou l'intendance du palais impérial, in: Le Musée Belge 2, 1898, 241-266; Hirschfeld, VB 31 Iff.; Boulvert, Esclaves et affranchis (1970) 173ff.

3. „Unpolitische" Stellen

99

inhabern innerhalb dieses Aufgabenbereiches sind bekannt: die a supellectile genannten Aufseher über das Tafelgeschirr insgesamt 75 , für goldene Trinkgefäße zuständige praepositi auri potori7*3, für goldenes Eßgeschirr zuständige praepositi auri escari77 und praepositi ab auro gemmato, unter deren Aufsicht andere mit Edelsteinen besetzte Goldgegenstände fielen78, sowie deren Hilfspersonal 79 ; die Amtsträger ab argento bzw. ad argentum, die die „Silberkammer" unter sich hatten 80 , mit speziellen praepositi argenti potori-, für korinthische Becher zuständige a corinthis^1; vermutlich für Schmuck und Juwelen verantwortliche ab ornamentisi·, schließlich Aufseher der kaiserlichen Möbel, Statuen, Gemälde bzw. Pinakotheken (a sedibus, a statuis, ad imagines, a tabulis, a pinacothecisM). Gebäuden und Hausrat zuordnen läßt sich eine Abteilung, die man als „Hofwerkstatt" bezeichnen kann. So sind kaiserliche „Handwerksmeister", Steinmetze, Maler, Goldschmiede, Silberschmiede und Hersteller korinthischer Becher inschriftlich belegt 85 . Wohl ebenfalls der ratio thesaurorum zugeordnet war eine umfangreiche Unterorganisation zur Beaufsichtigung, Unterhaltung und Herstellung der Kleidung des Kaisers, seiner Familie und der Dienerschaft. So sind eine Reihe von Funktionsträgern supra veste, ad vestem oder vestiariae bekannt 8 6 . Des weiteren gab es Personal, das für Kleidung zu bestimmten Anlässen zuständig war: Ein a veste imp(eratoria) privata ist belegt, ein adiutor a veste castrense, zwei a veste munda und ein für die vestís venatoria zuständiger „Kleiderwart", sodann ein a veste regia, ein weiterer a veste regia et graecula und schließlich ein praepositus vestís albae triumphaliss?. Ein p(rae)p(ositus) vestís scaenicae und ein vestificus Caesar(is) a veste scaenica waren vermutlich für die Kleidung von kaiserlichen Bühnenkünstlern zuständig 88 . 75

CIL VI 4035. 4036. 4357. 5358b. 8525. 8654 (= ILS 1773). 8973b. 9049. CIL VI 8733 (= ILS 1812). vgl. 8969 (= ILS 1829): ab auro potorio. 77 CIL VI 8732 (= ILS 1811). 78 CIL VI 8734 (= ILS 1814). 8735. 79 CIL VI 8737 (ab auraturis). 8736 (ab auro gemmato adiutor). 80 CIL VI 5185. 5746 (= ILS 1817). 4232 (ab argento der Livia). 4427 (supra argentum)). 81 CIL VI 8729 (= ILS 1813). vgl. 6716 (ab arg(ento) [potjorio). 82 CIL VI 5847. 83 CIL VI 3991. ab ornamentis von Kaiserinnen: 8896. 8952 (= ILS 1781). 8953. 84 a sedibus: CIL VI 2341. 3976b (a sede Augustae der Livia). 9040. a statuis: 4032. a tabulis, ad imagines·. 3970a (Liviae dec(urio) a tabulis). 4032. a pinacotbecis: 10234 (= ILS 7213) Ζ. 2. 85 CIL VI 8648 (praepositus opificibus domus Augustianae). A E 1909, 99 (officinator). CIL VI 8871 (lapidarius). X 702 (pictor). VI 3950. 3951 (aurifices). 5820 (argentarius). 8756 (corinthiarius). 86 CIL VI 5206 (= ILS 1755). 3985. 8557. 87 CIL VI 8550 (= ILS 1756). 8547. 8555 (= ILS 1762). 8548. 8549 (= ILS 1761). 8551 (= ILS 1758). 8552 (= ILS 1759). 8546 (= ILS 1763). 88 CIL VI 8553 (= ILS 1764). 8554 (= ILS 1765). 76

100

VI. Die höfische Organisation

Für Herstellung und Erhaltung der Kleidungsstücke gab es Spinnmeister (lanipendt), Walker {fullones), Kleiderfalter (vestiplici), Schneider (vestitores) und Schneiderinnen (sarcinatrices)^. 2. Ein Teil der Organisation des kaiserlichen Hofes hatte die Funktion der persönlichen Bedienung des Kaisers und seiner Familie. Es waren dies zunächst die für das cubiculum, den kaiserlichen „Wohnbereich" im engeren Sinne, zuständigen Personen: die cubicularii genannten „Kämmerer" oder „Kammerdiener", an deren Spitze wohl der a cubiculo stand90. Deren große Zahl verdeutlicht schon die Tatsache, daß es für sie einen speziellen Alimentierungs- (a frumento cubiculariorum91) und einen medizinischen Versorgungsdienst {ab aegris cubiculariorum*2) gab, sodann ihre Untergliederung in Dekurien mit Dekurionen an der Spitze und das Vorhandensein von scribae cubiculariorum^. In der Forschung umstritten ist die Bedeutung der gelegentlich erwähnten Unterteilung der cubicularii nach einer prima und einer secunda statio94. Während Friedländer annahm, es handle sich um eine Hierarchisierung in zwei Klassen, vermutete Marquardt eine Unterteilung in Tagund Nachtdienst95. Beide Vorschläge sind wenig überzeugend. Plausibler ist es, eine Unterteilung der kaiserlichen Gemächer in einen engeren, die direkt vom Kaiser genutzten Räume betreffenden und einen weiteren, vornehmlich für den mittelbaren Dienst an ihm vorgesehenen Bereich sowie entsprechend aufgeteilte Zuständigkeiten der „Kämmerer" anzunehmen, „statio" hätte dann, ähnlich wie im militärischen Sprachgebrauch, die Bedeutung „Posten" in einem (zunächst) lokalen Sinne96. Auf eine solche räumliche Aufteilung könnte auch die überlieferte Funktionsbezeichnung a loas cubicul(i) stat(ionis) I deuten97. Die realen Tätigkeiten der cubicularii konnten je nach Kaiser stark variieren: Unter Caligula soll sich der Kämmerer Helikon während des gesamten Tagesablaufs in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers aufgehalten haben. Er habe mit ihm Ball gespielt, gymnastische Übungen gemacht, ihn ins Bad 89

90

91

« 93

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95

% 97

lanipendi·. C I L VI 8870. vgl. 3976. 6300 (= ILS 7434). fullones·. 3970. vgl. 4336. vestiplici: 8 5 5 8 - 8 5 6 0 . vestitores·. 8 5 6 1 - 8 5 6 3 . sarcinatrices der Livia: 3988. 4029. 5357. 8903. Die Quellen sind zusammengestellt bei Joseph Michiels, Les cubicularii des empereurs romains d'Auguste à Dioclétien, in: Le Musée Belge 6, 1902, 3 6 4 - 3 8 7 ; vgl. auch Michael Rostovtzeff, a cubiculo, cubicularius, R E 4, 2, 1901, 1 7 3 4 - 1 7 3 7 . C I L VI 8518. 8771 (= ILS 1748). 8772. 33769. C I L VI 8770 (= ILS 1749). decurio cubiculariorum·. C I L VI 8773. scribae cubiculariorum·. 8768. 3 3 7 7 0 (= ILS 9030). A E 1946, 99. cubiculari(us) stationis primae: C I L VI 8532 (= ILS 1747). cubiculario stationis primae: 8774. cubicul(ario) et a locis cubiculi) stat(ionis) I: 8775. cubiculario stationis II: 5195 (= ILS 1746). vgl. 8776 (cubicular(ius) stationfis...). Friedländer, SG I 60 (wo er seine in den früheren Auflagen vertretene These relativiert); Marquardt, Privatleben 1 1 4 4 A. 5. Zur Kritik vgl. Michiels, Cubicularii 382 f. Vgl. Friedrich Lammert, Statio 2, R E 3 A 2, 1929, 2211 f. C I L VI 8775 (s. oben Anm. 94). Vgl. Michiels, Cubicularii 383 A. 4.

3. „Unpolitische" Stellen

101

und abends zu Bett begleitet 98 . Nero soll seinen cubicularii den Auftrag gegeben haben, Rom in Brand zu stecken". Im allgemeinen scheint ihre Aufgabe die Aufsicht über das kaiserliche cubiculum und die Kontrolle des Zugangs dorthin gewesen zu sein 100 . Sodann werden sie Hilfestellungen bei der Toilette und beim Ankleiden gegeben haben 101 , wofür bei den Kaiserinnen besondere „Zofen" (ornatrices 102 ) oder z.B. auch „Schuhanzieher" (calciatores 103 ) zuständig waren. Eine Reihe von Stellen, die den persönlichen Dienst betreffen, bezieht sich auf den Bereich des Bades. Hier sind ein magister a balineis und kaiserliche balneatores („Bademeister") 1 0 4 , eine Vielzahl von „Einreihern" (unctores), die wiederum in Dekurien mit eigenen scribae unterteilt waren 105 , und „Parfumeure" (ab unguentisi06 überliefert. 3. Ein umfangreicher Teil der Hof organisation war für die Versorgung der kaiserlichen Tafel und die Durchführung festlicher Gastmähler zuständig. Die kaiserlichen Köche 1 0 7 waren in Dekurien unterteilt, die über eigene scribae verfügten 108 . An ihrer Spitze stand ein praepositus cocorum bzw. ein archimagirus („Chefkoch") 1 0 9 . Vereinzelt ist auch ein „Geflügelstopfer" (fartor avium) inschriftlich belegt 110 . Aus der „Hofbäckerei" sind ein „Vorsteher der Bäcker" und ein „Kontrolleur" bekannt 111 . Die Vorratskammer unterstand einem p(rae)p(ositus) cellaris bzw. cellarior(um)n2. Die Einladungen zu kaiserlichen Gastmählern wurden von eigens dafür zuständigen invitatores überbracht 113 ; für ihren Ablauf war ein tricliniarcha 9« Philo leg. 175. 9 9 Suet. N e r o 3 8 , 1 . 100 Vgl. Suet. Tib. 21, 2, wo das Gerücht berichtet wird, die cubicularii des Augustus hätten, als Tiberius nach einer geheimen Unterredung dessen cubiculum verließ, abfällige Bemerkungen des Kaisers über seinen Stiefsohn aufgeschnappt. D a s Gerücht ergibt nur einen Sinn, wenn sie sich im Bereich des Eingangs zu dem Zimmer, in dem die Unterredung stattgefunden hatte, aufgehalten haben. 1 0 1 Vgl. Suet. Vesp. 21, wo (als Besonderheit) geschildert wird, daß dieser Kaiser sich Schuhe und Kleider selbst anzog. 102 ornatrices: C I L VI 3993. 3994. 4717. 5539 (= I L S 1786). 8879. 8944. 8957. 8959 (= I L S 1786a). vgl. 8880 (eine Ti. Caes. Aug. ornatrix). 8956 (Ti. Caes, ornator). 103 calciator der Livia: C I L VI 3939 (= I L S 7548). 1 0 4 C I L VI 8512. 8742. 105 unctores·. C I L VI 5540 (= I L S 1789). 9094. 37769. decuriones/scribae unctorum·. 8512. 9093 (= I L S 1791). 1 0 6 C I L VI 9098. 9099. 1 0 7 C I L VI 8753. 8754. 33767. 108 decurio cocorum: A E 1937, 159. scriba cocorum·. C I L VI 9262 (= I L S 7469). 109 praepositus cocorum·. C I L VI 8752 (= I L S 1800). archimagirus·. 7458 (= ILS 1798). 8750. 8751. A E 1973, 84. C I L VI 8849. 111 qui prae(e)s(t) pisto(ribus): C I L VI 8998 (= ILS 1801). contrascript(or) pistorum: 8999. vgl. pistores aus dem Columbarium der Livia: 4010. 4012 (= ILS 7887). 1 1 2 C I L VI 8745. 8746. 1 1 3 C I L VI 3975. 8792. 8857. 8859-8861.

102

VI. Die höfische Organisation

(„Tafelaufseher") 1 1 4 zuständig, der dabei die zahlreiche und hochspezialisierte Dienerschaft zu koordinieren hatte. Diese bestand zunächst aus den structores („Trancheure") 1 1 5 , deren Tätigkeit Juvenal satirisch beschrieben hat 1 1 6 und die im kaiserlichen Palast einem praepositus unterstellt waren 1 1 7 . Sie hatten kunstvoll die einzelnen Gerichte zu zerlegen, bevor diese von den ministratoresn% den Gästen vorgesetzt wurden. Auf die große Zahl der „Servierer" deutet ihre Unterteilung in Dekurien und - ähnlich wie bei den cubicularii - ihre Verpflegung durch einen speziellen Dienst, dem ein a frumento ministratorum vorstand 1 1 9 . Die kaiserlichen Speisen kontrollierten „Vorkoster" (praegustatores)i20. Sie bildeten ein Kollegium und unterstanden einem Prokurator 1 2 1 . Der Wein wurde von „Mundschenken" (a cyatho) gemischt und kredenzt 1 2 2 . Die Unterhaltung der Gäste - und nicht die davon geschiedene Veranstaltung von öffentlichen Festen und Schauspielen 123 - dürfte die Aufgabe der ratio voluptuaria124 gewesen sein, der ebenfalls ein Prokurator, also eine A r t „maître de plaisir", vorstand 1 2 5 . 4. Die Aufgabe einer gesonderten Abteilung war die Regelung des Zugangs zum Kaiser, insbesondere bei den morgendlichen salutationes, zu denen vor allem die kaiserlichen „Freunde" (amici) zugelassen waren 1 2 6 . Da diese dem Kaiser nicht alle persönlich bekannt waren, gab es ein spezialisiertes Personal, das über die Zugelassenen Buch führte, ihnen den Zugang gestattete und dem CIL III 536 (= ILS 1575). VI 1884 (= ILS 1792). 9083. XI 3612 (= ILS 1567). Vgl. August Hug, Tricliniarches, RE 7 A 1, 1939, 91 f. 1 1 5 CIL VI 8639. 8795 (= ILS 1809). 9046. 9047 (= ILS 1810). 9048. 33235. 33470 (= ILS 9033). 33795. Vgl. August Hug, Structor, RE 4 A 1, 1931, 381-383. 1 1 6 luv. 5,120-124 („Sieh den Trancheur dir nun an, auf daß du dich weiter entrüstest, / wie so kunstvoll er tanzt, wie er rhythmisch die Hände bewegt, / wie das Messer ihm fliegt, bis er alle Befehle des Meisters / pünktlich erfüllt; denn es ist ja wahrhaftig von größter Bedeutung, / daß in verschiedenem Rhythmus ein Huhn und ein Hase zerlegt wird!" - Übs. Ulrich Knoche, München 1951). 1 1 7 CIL VI 9045. 1 1 8 CIL VI 4351 (= ILS 1802). 5200. 5351. 5751. 5858 a/b. 5873. 8914 (= ILS 1807). 8915 (= ILS 1805). 8916-8918. 8919 (= ILS 1803). 8920. 8921 (= ILS 1804). 8922. 8923. 37760. AE 1972, 142. AE 1995, 179. 119 decurio ministratorum: CIL VI 8914 (= ILS 1807). a frumento ministratorum : 8924 (= ILS 1808). 8925.8926. 1 2 0 CIL VI 602. 5355. 9005 (= ILS 1795). X 6324 (= ILS 1734). XI 3612 (= ILS 1567). ILS 9504. Vgl. Karl Schneider, Praegustator, RE 22, 2, 1954, 1350. 121 collegium praegustatorum·. CIL VI 9004 (= ILS 1797). procurat(or) praegustatorum·. 9003 (= ILS 1796). Vgl. Leonhard Schumacher, Der Grabstein des Ti. Claudius Zosimus aus Mainz. Bemerkungen zu den kaiserlichen praegustatores und zum römischen Sepulkralrecht, in: Epigraphische Studien 11, 1976,131-141. bes. 132-135. 1 2 2 CIL VI 3963. 8815. 8816. vgl. 8866 (= ILS 1793). i « Hirschfeld, VB295Í. Α. 3. 124 CIL VI 252 (= ILS 1824). 8564. vgl. 8565. 8566 und Hirschfeld, VB 297 Α. 1. 1 2 5 Suet. Tib. 42, 2: novum denique officium instituit a voluptatibus, praeposito equite R. T. Caesonio Prisco; CIL XIV 2932 (= ILS 1569): (procurator) volupta(tum). im Vgl. unten Kap. VII. 114

3. „Unpolitische" Stellen

103

Kaiser bei der Begegnung mit den Aufwartenden deren Namen nannte. Es waren dies die Funktionsträger ab admissione127, die in den Inschriften relativ zahlreich belegt sind und innerhalb derer ein magister, ein próximas und ein adiutor ab admissione gesondert erwähnt werden 128 , sowie die nomenclátores129. Die eigentliche „Verwaltung" der kaiserlichen Freunde, die Stelle also, die den über ein besonders trainiertes Personen- und Namensgedächtnis verfügenden Zulassenden und Namennennern 130 die Anweisungen gab, dürfte sich hinter der Bezeichnung a cura amicorum verbergen. Die von Friedländer und Oehler vertretene Ansicht, es handle sich hierbei um eine Abteilung der kaiserlichen Dienerschaft, die für die spezielle Bedienung der Freunde am Hof zuständig war 131 , dürfte kaum zutreffend sein: Da die „Freunde" des Kaisers, wie zu zeigen sein wird, in der Zeit bis Hadrian, aus der einige der Inschriften von a cura amicorum stammen 132 , nicht dauernd im Palast anwesend waren 133 , sondern ihn dort zur salutatio und den Gastmählern aufsuchten, war für ein spezielles, über das bisher geschilderte hinausgehendes Dienstpersonal für kaiserliche amici kein Bedarf vorhanden 134 . Dagegen ist schon für die spätrepublikanische Zeit eine Art „Buchführung" über die Freunde aristokratischer Hausherrn belegt 135 . Dies dürfte die Aufgabe der Funktionsträger a cura amicorum gewesen sein 136 , mit denen vielleicht auch der inschriftlich belegte a comment(ariis) beneficiorum zusammenarbeitete 137 . Auf die

C I L V I 8 6 9 8 - 8 7 0 0 . vgl. 8931 (nomenclátor ab ammissione f ü r ab admissione). 128 C I L X I V 3 4 5 7 (= ILS 1694). V I 8701 (= ILS 1693). III 6 1 0 7 (= ILS 1692). 1 2 9 C I L V I 4887. 5352. 8930. 8932. 8933 (= ILS 1689). 8934. 8935. 1 3 0 Vgl. Ernst Bernert, Nomenciator, RE 17, 1 , 1 9 3 6 , 8 1 7 - 8 2 0 ; Joseph Vogt, Nomenclátor. V o m Lautsprecher zum Namenverarbeiter, in: G y m n a s i u m 85, 1978, 3 2 7 - 3 3 8 ; J e r z y Kolendo, Nomenciator. „Memoria" del suo padrone o del suo patrono. Studio storico ed epigrafico, Faenza 1989. 1 3 1 Friedländer, S G I 78; J o h a n n Oehler, A m i c u s 2, RE 1, 2 , 1 8 9 4 , 1 8 3 1 f. 1 8 3 1 . Vgl. dagegen schon Marquardt, Privatleben I 144 f. A . 5, der die Träger des Titels a cura amicorum f ü r identisch mit den nomenclátores ab admissione hält; Mommsen, Comités 3 1 9 Α . 3, der annimmt, die Funktionsträger ab admissione hätten den A u f wartenden den Eintritt in die Empfangszimmer gestattet, die a cura amicorum hätten ihnen die Sitze angewiesen und seien ihnen „sonst zur Hand" gewesen; Hirschfeld, V B 3 1 0 A . 2. 1 3 2 C I L V I 6 3 0 (= ILS 1 6 9 9 = 3541): Ti. Claudius Aug. lib. Fortunatus a cura amicorum ( 1 0 8 n.Chr.). 8 7 9 7 (= ILS 1698): T. Flavi Aug. lib. Victoris a cura amicorum. 8799: M. Ulpius Aug. lib. Herma a cura amicor(um). »33 Vgl. unten S. 1 8 8 f . 1 3 4 Dies ist auch gegen M o m m s e n s Auffassung (a.O.) einzuwenden. 1 3 5 Sen. de benef. 6, 33, 4: istos tu libros, quos vix nomenclatorum conplectitur aut memoria aut manus, amicorum existimas esse? »36 Weitere a cura amicorum neben den bereits genannten: C I L V I 8795 (= ILS 1809). 8 7 9 6 (= ILS 1700). 8797. 8798. »37 C I L V I 1 8 8 4 (= ILS 1792). vgl. A E 1987, 2 1 3 und unten S. 1 8 0 mit A n m . 1 0 8 . 109, S. 183 mit A n m . 1 1 7 . 1 1 8 . 127

104

VI. Die höfische Organisation

Verbindung zwischen „Freundschaftsverwaltung" und admissio könnte auch ein ab ofjficiis et admissßone 5. F ü r die Fortbewegung

deuten 1 3 8 . des Kaisers waren lecticarii („Sänftenträger") zu-

ständig, die ein corpus bildeten, in Dekurien mit Dekurionen an der Spitze untergliedert waren und über praepositi

und scribae verfügten 1 3 9 . D e m glei-

chen Z w e c k dienten „Vorleuchter" ( l a m p a d a r i t ) H 0 sowie eine große Zahl v o n p e d i s e q u i („die auf dem F u ß e folgen", „ L a k a i e n " ) 1 4 1 , für die ebenfalls ein „Vorsteher" und scribae belegt sind 1 4 2 . 6. Eine eigene Abteilung der Organisation diente der Erziehung lung des Nachwuchses

der kaiserlichen

rator a paedagogisw

sind eine Reihe von paedagogi

rum Caesaris nostri1*5, rorum Augusti146

Dienerschaft^.

ein subpaedagogus

puerorum

und

Schu-

N e b e n einem procuund praeceptores

puero-

und ein exercitator

libe-

überliefert. Die Eigenständigkeit dieses Bereichs zeigt das

Vorhandensein einer or[natrix]puer[orum] iatroliptes puerorum

eminentium

7. F ü r die medizinische

und eines Arztes, der als

magister

bezeichnet w i r d 1 4 7 .

Versorgung

des kaiserlichen Hofes waren in D e k u -

rien unterteilte medici zuständig, die einen supra medicos an ihrer Spitze hatt e n 1 4 8 . Sie waren einerseits - als Chirurgen, Augen- und O h r e n ä r z t e 1 4 9 - auf bestimmte Aufgaben spezialisiert, andererseits auf O r t e oder Personengruppen als Zuständigkeitsbereiche verteilt 1 5 0 . C I L VI 4026. Vgl. Boulvert, Esclaves et affranchis (1970) 59 Α. 297. ex corpore lecticariorum Caesaris·. C I L VI 8872a/b. decuriones: 8873 (= ILS 1750). 8875. 37756. praepositus: 8874a. scriba: 8875. 1 4 0 C I L VI 8867. 8868 (= ILS 1780). 8869. 141 C I L VI 4354. 5540 (= ILS 1789). 8657. 8658. 8992. 8993. 8994. 8995 (= ILS 1819). 33736. AE 1993, 394. 142 qui praefuit pedisequis: C I L VI 33788 (= ILS 1821 ). p(rae)p(ositus) pedisequis: AE 1974,21. scribai pedisequorum: AE 1923, 79. 1 4 3 Zu den Erziehern der Prinzen, deren prominenteste Vertreter Verrius Flaccus (Suet. gramm. 17), Seneca, Quintilian und Fronto waren, vgl. z. B. Suet. Aug. 67,2 (paedagogus des Gaius); Nero 35,2; Tac. ann. 14,3, 3 (Anicetus, paedagogus bzw. educator Neros); C I L VI 8941. 8942 (= ILS 1839). 8943 (= ILS 1838) (kaiserliche nutrices) und Enid R. Parker, The Education of Heirs in the Julio-Claudian Family, in: AJPh 67, 1946,29-50. 1 4 4 AE 1946, 99. 145 paedagogi·. C I L VI 7767. 8968. 8969 (= ILS 1829). 8970 (= ILS 1831). 8971. 8972 (= ILS 1836). 8974. 8975. 8988. A E 1991, 248.praeceptores·. C I L VI 8977. 8979. 1 4 * C I L VI 8976 (= ILS 1833). 30894. 1 4 7 C I L VI 8977. 8981. 148 medici: C I L VI 4444. 8897. 8898. 8902. 8906. 33752. 33779. a valetudine: 8639. Liviae medicus decurio: 8904. Liviae l(ibertus)... supra medic(os): 3982b. Germanici medicus: A E 1989, 93. 149 cbirurgus: C I L VI 3986. medici oculani: 8909. 8910. medicus auricularius: 8908 (= ILS 7810). vgl. 8948. 8949: obstetnces. 1 5 0 Vgl. den medicus a bybliothecis (CIL VI 8907 [= ILS 1846]), den medicus ex bortis Sallustianis (8671a) und die oben genannten Ärzte der cubicularii und der kaiserlichen Knaben. Zu den prominenten, über Kaisernähe verfügenden Ärzten s. Gabriele Marasco, I medici di corte nella società imperiale, in: Chiron 28, 1998, 267-285. 138

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3. „Unpolitische" Stellen

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8. Man hat vermutet, daß der hier skizzierte „unpolitische" Teil der kaiserlichen Hoforganisation einer Zentrale unterstand, und hat dafür die inschriftlich überlieferte ratio castrensis in Anspruch genommen, die von einem Prokurator geleitet wurde 151 . Dies kann Plausibilität beanspruchen, ist aber nicht beweisbar 152 . Vergleicht man die Organisation des kaiserlichen Hofes mit den Organisationsstrukturen der Höfe im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa nördlich der Alpen 153 , so zeigen sich einerseits Parallelen in den grundlegenden Funktionsbereichen eines monarchischen Großhaushaltes: Die Aufsicht über Gebäude und Zimmer war dort in der Regel dem „Amtsbereich" des Hofmeisters unterstellt, die über das Tafelgerät dem Silberkämmerer. Küche, Keller und Tafel wurden vom „Amt" des Hofmarschalls betreut, die persönliche Bedienung des Monarchen von Kämmerern und Kammerdienern unter der Führung eines Oberkämmerers. Die Interaktion mit Adligen oder anderen, nicht ständisch qualifizierten, aber auch dort gleichwohl zur Aufwartung in den Schlössern berechtigten Personengruppen, in der man ein Äquivalent zur salutatio sehen kann, wurde von Zeremonienmeistern geregelt, die meist dem Oberkämmerer unterstanden. Der Abteilung, die die Mobilität des römischen Kaisers (in der Stadt) sicherte, entsprach an den (in der Regel außerhalb von Städten gelegenen) Höfen späterer Zeit das „Amt" des Oberstallmeisters. Andererseits zeigen sich Unterschiede vor allem in der inneren Struktur der Organisation. Während im nördlichen Europa, besonders in der frühen Neuzeit, der Tendenz nach das Prinzip der Hierarchie und der genauen Funktionsdifferenzierung vorherrschend war, zeigt sich am Kaiserhof daneben eine Art „Querintegration" in Form von Zusammenschlüssen der jeweils gleichen Funktionen zugeordneten Stelleninhaber in Vereins- oder berufsgenossenschaftsähnlichen „Sekundärorganisationen", Kollegien oder corpora, oft unterteilt in Dekurien 154 , sodann die dezentrale Aufgliederung einiger 151

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Farion, Ratio castrensis 241 ff.; Hirschfeld, VB 31 Iff.; Boulvert, Esclaves et affranchis (1970) 1 7 3 f f . - p r o c u r a t o r s castrenses: CIL VI 8511 (= ILS 8094). 8512. 8513. X 5336. 6005. XI 3612 (= ILS 1567). XIV 2932 (= ILS 1569). ILS 8 8 5 6 . p r o c u r â m e s fisci castrensis·. CIL VI 8514 (= ILS 1570). 8515. Vgl. Hirschfelds ursprüngliche These (VB 312 A. 1), daß die ratio castrensis mit dem Heerwesen zusammenhängt, Rostovtzeffs Annahme (Patrimonium 108 ff.), daß die ratio thesaurorum als Zentrale der kaiserlichen Haushaltsorganisation anzusehen ist, und Mommsens Einwände gegen eine Deutung der ratio castrensis als Zentrale der kaiserlichen Haushaltsorganisation im engeren Sinne (StR II 2, 807 f. A. 2). Vgl. Winterling, Idealtypische Bestimmung 18-20; als Ergebnis der Entwicklung im nördlichen Europa: Carl E. von Malortie, Der Hof-Marschall. Handbuch zur Einrichtung und Führung eines Hofhaltes, 2 Bde., 3. Aufl., Hannover 1866.1867. Vgl. Marquardt, Privatleben 1154; zu den Kollegien und corpora Ernst Kornemann, Collegium, RE 4, 1, 1900, 380-480; Frank M. Ausbüttel, Untersuchungen zu den Vereinen im Westen des römischen Reiches, Kallmünz 1982; Vittinghoff, Gesell-

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VI. Die höfische Organisation

Funktionsbereiche - medizinische Versorgung und Frumentation - auf andere Segmente der Organisation. „Daneben" in einem dreifachen Sinne: Auch am Kaiserhof gab es jeweils Dekurionen, praepositi oder Prokuratoren an der Spitze der einzelnen Abteilungen155. Trotz dezentraler Gliederung waren medizinischer Bereich und Frumentation als solche auf bestimmte Funktionen spezialisiert. Schließlich waren die Unterabteilungen selbst wiederum „linearhierarchisch" gegliedert, indem auch dort jedem einzelnen Mitglied ein genauer Standort zugewiesen war156. Strukturelemente, die mithin städtischer Organisation entstammen, lassen sich nun nicht nur in der kaiserlichen Hoforganisation, sondern generell in kaiserzeitlichen aristokratischen Großhaushalten feststellen157, und es zeigen sich - wie eingangs am Beispiel der Haushaltsorganisation der Statilii Tauri zu sehen war - Übereinstimmungen auch hinsichtlich der belegten Einzelfunktionen. Dies läßt abschließend nach Unterschieden beider fragen. Bei aller Zufälligkeit der inschriftlichen Überlieferung wird zunächst der Schluß unabweisbar sein, daß die „unpolitische" kaiserliche Hoforganisation, wenngleich viele der dort vorhandenen Stellen sich auch in aristokratischen Haushalten nachweisen lassen, hinsichtlich ihres Umfangs und hinsichtlich ihrer inneren Differenzierung jene in quantitativer Hinsicht bei weitem übertraf. Für die Ermittlung einer qualitativen Differenz gibt nun das inschriftliche Quellenmaterial kaum Hinweise. Hierfür ist vielmehr auf zeitgenössische Beobachtungen zurückzugreifen, die sich in den literarischen Quellen spiegeln. Ein Sondercharakter der kaiserlichen Dienerschaft ist erstmals unter Claudius greifbar. Unter den erwähnten Geschenken, die Messalina ihrem Liebhaber C. Silius machte, befanden sich auch Teile der servitia des Claudius. Servi und liberti des Princeps wurden im Hause des Ehebrechers gesehen und erweckten nach Tacitus den Eindruck, „als ob er schon Kaiser geworden sei" 158 . Dies setzt voraus, daß sich die kaiserlichen Diener von Dienern „Privater" deutlich sichtbar unterschieden. Der Unterschied scheint vor allem in zwei Hinsichten bestanden zu haben: in der Spezialisierung auf bestimmte Tätigkeiten und in der dabei getragenen Kleidung. So berichtet Plutarch, der spätere Kaiser Otho, der an Neros Hof zeitweise summum inter amicos locum innegehabt hatte159 und im Jahre 68 Statthalter schaft 2 0 8 - 2 1 4 ; zu den Dekurien Bernhard Kübler, Decuria, R E 4, 2, 1901, 2 3 1 6 2318. »55 Vgl. Wilhelm Enßlin, Praepositus, R E Suppl. 8, 1956, 5 3 9 - 5 5 6 . 540f. 156 Vgl z u J e n Kollegien Rilinger, Gesellschaftsordnung 317. 1 5 7 Marquardt, Privatleben I 154; vgl. Plin. ep. 8 , 1 6 , 2 : . . . servis res publica quaedam et quasi civitas domus est. 1 5 8 Tac. ann. 1 1 , 1 2 , 3 (velut translata iam fortuna)·, vgl. zur Ubersetzung Koestermann, Annalen III 51 (z.St.). Vgl. Tac. ann. 11, 30, 2 und Koestermann, Annalen III 94 (z.St.). 1 5 9 Suet. O t h o 2, 2.

3. „Unpolitische" Stellen

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von Lusitanien war, sei nach Galbas Erhebung als erster zu ihm übergetreten und habe ihm sogleich diejenigen seiner Diener geschenkt, „die qualifiziert waren, dem Lebensstil eines Herrschers gemäß aufzuwarten"160. Zugleich schickte der Prätorianerpräfekt Nymphidius Sabinus dem Galba, der in Narbo mit einer Senatsgesandtschaft zusammentraf, neben Hausrat auch θεραπεία βασιλική von Neros früherem Hof zu161. Eine Notiz Suetons zeigt, daß sich die kaiserliche Dienerschaft spätestens in flavischer Zeit durch weiße Kleidung auszeichnete. So soll sich Domitian als junger Mann darüber beschwert haben, daß sich sein Cousin T. Flavius Sabinus, der zugleich Schwiegersohn des Titus war, ebenfalls albati ministri hielt. Die Begründung, die ihm von Sueton als Zeichen fehlender civilitas ausgelegt wird, lautete (mit einem Homervers): „Nie bringt Segen die Herrschaft vieler."162 Daß der Sondercharakter der kaiserlichen Diener auch unter Kaisern wie Trajan, den Plinius lobt, er habe, wenn er als Konsul sein „Haus" verließ, keinen adparatus adrogantiae principalis um sich gehabt163, oder Antoninus Pius, von dem „höchste civilitas" berichtet wird164, deutlich sichtbar fortbestand, zeigt ein Bericht der Historia Augusta über Marc Aurel. Dieser Kaiser, der in seinen Selbstbetrachtungen äußert, er habe von seinem Adoptivvater gelernt, daß man auch am Hof ohne auffallende Gewänder und Prunk fast wie ein „Privatmann" leben könne165, erteilte nach Angabe der Historia Augusta den clariores viri die Erlaubnis, mit der gleichen Aufwartung (cultus) und ähnlichen Dienern (ministri) wie er selbst ihre Gastmähler abzuhalten166 - woraus man schließen kann, daß dies unter Antoninus Pius und anfänglich auch unter seiner eigenen Regierung für die „Vornehmeren" zumindest inopportun war. Nach allem, was man über Commodus weiß, wird man annehmen dürfen, daß dieser Verzicht auf die Exklusivität des „unpolitischen" Teils der kaiserlichen Dienerschaft bald wieder rückgängig gemacht wurde. Daß schließlich auch unter Marc Aurel die kaiserliche Hoforganisation insgesamt grundsätzlich von den Organisationen senatorischer Haushalte unterschieden blieb, dokumentiert nun der bereits im Laufe des 1. Jahrhunderts erfolgte Wandel im Rechtscharakter der Beziehungen des Kaisers zu den Stelleninhabern und der Wandel in der Besetzung der Stellen.

160 pi u t Galba 20, 3: των οίκετών έδωρήσατο τους είθισμένους ήγεμόνι περί δίαιταν έμμελώς ύπουργεΐν. Über Othos Sklaven und Freigelassene berichtet Tacitus dementsprechend, sie seien corruptius quam in privata domo habiti gewesen und hätten ihn später zur Übernahme des Kaisertums überredet (hist. 1, 22,1). 161 162

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Plut. Galba 11, 2. Suet. Dom. 12, 3 (Ilias 2, 204). Vgl. zur Tracht der kaiserlichen Dienerschaft Mommsen, StR II 2, 805 A. 2; Friedländer, SG I 102. Plin. paneg. 76, 7. Hist. Aug. Ant. P. 6 , 4 . ad se ipsum 1,17, 5 (vgl. oben S. 1 f. Anm. 6). Hist. Aug. Marc. 17, 6.

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VI. Die höfische Organisation

4. Die Emanzipation der Organisation aus der familia Organisationen lassen sich allgemein als soziale Gebilde beschreiben, die auf einen bestimmten Zweck hin ausgerichtet sind und dafür über hierarchisch angeordnete Stellen verfügen, deren Inhaber ausgewechselt werden können, ohne daß die Organisation als solche ihren Charakter einbüßt167. Während moderne Organisationen, z.B. in Wirtschaftsbetrieben oder in der öffentlichen Verwaltung, auf (formal) freier Arbeit beruhen, wobei die Mitgliedschaft über Geldzahlung gesichert und für die Mitglieder attraktiv gehalten wird, ist für aristokratische römische „Privathaushalte" charakteristisch, daß die dort vorhandenen Organisationen auf unfreier bzw. halbfreier Arbeit beruhen168. Stelleninhaber mit Sklavenstatus werden als Teil der familia, d.h. als persönliches Eigentum des Hausherrn {pater familias) behandelt und können daher nur durch An- und Verkauf (bzw. Geburt und Tod) in die Organisation ein- oder aus ihr austreten. Ansonsten ist eine Veränderung der Stellenbesetzung nur durch Stellentausch von Mitgliedern der familia möglich. Freigelassene als Stelleninhaber bleiben der Patronatsgewalt ihres Freilassers unterstellt. Eigentums- wie Patronatsrechte über die Stelleninhaber unterliegen den Regelungen der privatrechtlichen Erbfolge169. Die Organisationen aristokratischer Haushalte sind mithin nicht aus dem Rechtsverband der familia ausdifferenziert. Bei der kaiserlichen Hoforganisation zeigen sich demgegenüber grundlegende Veränderungen in zwei Hinsichten: Zunächst ist ein Wandel im rechtlichen Charakter der Beziehungen zwischen dem Kaiser und den unfreien Stelleninhabern feststellbar. Ebenso wie das kaiserliche Patrimonium insgesamt unterlagen sie seit der frühen Kaiserzeit nicht mehr einer privatrechtlichen Erbfolge, sondern galten in rechtlich ungeklärter bzw. „unrechtmäßiger" Weise als Eigentum des jeweils regierenden Kaisers, unabhängig von dessen erbrechtlichem Verhältnis zu seinem Vorgänger170. Dies ist erstmals 167 Vgl. Niklas Luhmann, Interaktion, Organisation, Gesellschaft. Anwendungen der Systemtheorie, in: ders., Soziologische Aufklärung 2, Opladen 1975, 9-20. 12. Dazu allgemein Max Weber, Agrarverhältnisse im Altertum [1908], in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 2. Aufl., Tübingen 1988,1-288. 18 ff. 169 Vgl. Käser, Römisches Privatrecht I 50ff. 97. 112ff. 119. 170 Vgl Boulvert, Domestique et fonctionnaire (1974) 44 ff. 191 ff.; Weaver, Familia Caesaris 2; Chantraine, Freigelassene und Sklaven 78 f. Zur Erklärung der dem Privatrecht widersprechenden Übertragungen des Patrimoniums, für die die antiken Autoren offensichtlich keinen Erklärungsbedarf verspürten, hat sich die Forschung meist legalistischer Hilfskonstruktionen bedient. Vgl. z.B. Herzog, StV II 2, 676f. (Konfiskation durch den nicht erbberechtigten Nachfolger), und Bellen, Verstaatlichung bes. 99 ff. (Einschaltung der diskretionären Klausel der lex de imperio). Demgegenüber hat Alfred Heuß, ausgehend von der Interpretation des Mommsenschen Staatsrechts, den - von seiner Entstehungssituation herrührenden - „revolutionären" Kern des römischen Kaisertums herausgearbeitet, der sich insbesondere bei den Herrscherwechseln zeigt: „Die Bestellung eines neuen princeps ist also 168

4. Die Emanzipation der Organisation aus der familia

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greifbar beim Thronwechsel des Jahres 37. Das Testament des Tiberius, der seinen Enkel Tiberius Gemellus und seinen Großneffen Caligula zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt hatte, wurde vom Senat für ungültig erklärt: Das Patrimonium zeigt sich bereits als unmittelbar mit dem Kaisertum verbunden, und ebenso wie das ius arbitriumque omnium rerum, das dem Caligula in derselben Senatssitzung verliehen wurde, erscheint auch das kaiserliche Eigentum als unteilbar und nicht mehr dem Privatrecht unterliegend171. Besonders die Jahre 68/69 dokumentieren dann, wie Timpe gezeigt hat, trotz bzw. gerade wegen der Schwierigkeiten, die Position zu besetzen, die Kontinuität der Institution Kaisertum und - daran hängend - des nicht mehr privaten kaiserlichen Patrimoniums, das an jeden der kurzlebigen Kaiser überging172. Hinsichtlich der Hoforganisation ist dementsprechend eine Kontinuität der nicht freigeborenen Stelleninhaber unabhängig von Herrscher- und Dynastiewechseln feststellbar. Der erwähnte Vater des Claudius Etruscus, freigelassen von Tiberius und bis in domitianische Zeit, zuletzt als a rationibus, im kaiserlichen Dienst, ist ein bekanntes Beispiel173. Als weitere prominente Fälle kann man den kaiserlichen Freigelassenen Graptus, von dem Tacitus zum Jahre 58 berichtet, er sei „durch Erfahrung und Alter mit der domus principum seit der Zeit des Tiberius bestens vertraut" gewesen174, oder den Freigelassenen Epaphroditus nennen, der unter Nero und unter Domitian a libellis war 175 . Lediglich wenn Funktionsträger allzusehr mit einem der sog. damnatio memoriae verfallenen Kaiser verbunden gewesen waren, liefen sie Gefahr, aus ihren Stellen entfernt zu werden. So scheint Galba den Versuch gemacht zu haben, enge „Mitarbeiter" Neros zu entlassen. Otho, von dem es

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grundsätzlich gleichbedeutend mit dem Umschlag von einem rechtlich blinden, in suspenso befindlichen, usurpatorischen Vorgang in einen Recht schaffenden Zustand. Der Stärkere führt ihn herbei. Das ist aber nicht sein Recht, sondern die Voraussetzung, daß er Recht b e k o m m t . . . " (Revolutionäre Struktur 1741) Vgl. Mommsen, StR II 2, 1133: „Der römische Principat ist nicht bloss praktisch, sondern auch theoretisch eine durch die rechtlich permanente Revolution temperierte Autokratie." Suet. Cal. 14, 1; vgl. Timpe, Kontinuität 70 ff.; Bellen, Verstaatlichung 94 ff.; anders Michael Alpers, Das nachrepublikanische Finanzsystem. Fiscus und Fisci in der frühen Kaiserzeit, Berlin, N e w York 1995, der das Patrimonium, das er mit dem fiscus identifiziert, als kaiserliches „Privatvermögen" deutet, wozu er die Übertragung bei dynastischen Kontinuitätsbrüchen - gegen das Schweigen der Quellen legalistisch konstruieren muß (196-198). Dem liegt ein präziser Begriff des „Staates" (als traditioneller res publica), aber eine unpräzise Fassung des Gegenbegriffs, des traditionell „Privaten" zugrunde. Timpe, Kontinuität 106 ff.; vgl. Bellen, Verstaatlichung 106 ff. Stat. silv. 3, 3, 76 f. 83 f. Vgl. oben Anm. 56. Tac. ann. 1 3 , 4 7 , 1 . Vgl. PIR 2 I 347. Suet. Nero 4 9 , 3 ; Dom. 14,4. Vgl. PIR 2 E 69. Die Argumentation von Seitz, Zentralämter 67 f. Nr. 28, Epaphroditus sei trotz der eindeutigen Aussage von Sueton (Dom. 1 4 , 4 : . . . Epaphroditum a libellis capitali poena condemnavit) unter Domitian nicht mehr in diesem Amt gewesen, ist nicht überzeugend.

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VI. Die höfische Organisation

bei Tacitus heißt, „der (alte) Hof Neros" sei ihm „zugeneigt" gewesen176, soll jedoch nach seiner Erhebung zum Kaiser die procuratores und liberti Neros wieder in ihre Stellen (officia) eingesetzt haben177. In ähnlichem (wenn auch anders wertendem) Sinne lobt Plinius, daß Trajan nur solche Freigelassene in usu habe, die von ihm, seinem Adoptivvater Nerva oder von „allen guten Kaisern ausgewählt und begutachtet" worden seien178 - wobei zwischen Domitian und Nerva bekanntlich ebenfalls ein durch keine Adoption überbrückter privatrechtlicher Kontinuitätsbruch in den Eigentums- und Patronatsrechten über die kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen bestanden hatte. Ein vergleichbarer Sachverhalt zeigt sich sodann hinsichtlich der Eintrittsmöglichkeiten in die Hoforganisation179. So wird berichtet, daß personenrechtlich Diskriminierte auf eigene Initiative in die kaiserliche familia bzw. domus eintraten. Plinius d.A. schreibt, unter Claudius habe sich ein reicher thessalischer Eunuch, der Freigelassener eines Marcellus Aeserninus war, wegen der damit verbundenen Machtchancen unter die kaiserlichen Freigelassenen aufnehmen lassen180. Nach Tacitus entzogen sich einige Freigelassene den Patronatsrechten ihrer unter Vitellius aus der Verbannung zurückgerufenen ehemaligen Herren, indem sie in die domus des Kaisers übertraten und jene dadurch an Macht übertrafen181. Ein Freigelassener Hadrians schließlich widmet eine Inschrift neben anderen denjenigen seiner Freigelassenen, die er zu seinen (sc. kaiserlichen) Mitfreigelassenen gemacht habe 182 . Ob diese Vorgänge auf privatrechtlich korrektem Wege möglich waren, erscheint zweifelhaft 183 . Die Zeugnisse sind jedoch gerade wegen der selbstverständlichen Beiläufigkeit, mit der sie berichtet werden, nicht wegdiskutierbar184. Sie do176 177 178

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Tac. hist. 1 , 1 3 , A: prona in eum aula Neronis. Suet. O t h o 7 , 1 : procuratores atque libertos ad eadem officia revocavit. Plin. paneg. 88, 3: acprimum neminem (sc. libertum) in usu babes nisi aut tibi aut patri tuo aut optimo cuique principum delectum aestimatumque. Zum „Austritt" vgl. Heinrich Chantraine, Außerdienststellung und Altersversorgung kaiserlicher Sklaven und Freigelassener, in: Chiron 3, 1973, 3 0 7 - 3 2 9 . Plin. nat. hist. 12, 12: . . . Claudio principe Marcelli Aesernini libertus sed qui se potentiae causa Caesaris libertis adoptasset, spado Thessalicus praedives. Tac. hist. 2, 92, 3 : . . . et quidam in domum Caesaris transgressi atque ipsis dominis potentiores. C I L VI 9010 ( = ILS 8267): P. Aelius Aug. lib. Restitutus procurator et sibi et libertis libertabusque suis f(ecit), item iis quos se vi(v)us manumisit et in numerum libertorum ordinavit et collibertos suos fecit. In Mommsens Staatsrecht (nach Ausweis des Malitzschen Registers) und in Käsers Privatrecht wird auf die Stellen jeweils nicht eingegangen. Die Behandlung der Stellen in der Spezialliteratur ist unbefriedigend: Hirschfeld, VB 458 A. 1, bringt Plinius' Bericht als Beispiel dafür, „daß Freigelassene aus Privathäusern, wohl in der Regel auf dem Weg der Erbschaft oder Konfiskation, in den kaiserlichen Hofhalt übergegangen sind". Aber um diese „Regel" handelt es sich hier ja gerade nicht. Chantraine, Freigelassene und Sklaven 81, bringt den Eunuchen als Beispiel dafür, daß der N a m e Augusti libertus „mißbräuchlich" benutzt wurde. Aber von der Nomenklatur des Freigelassenen spricht Plinius ja gar nicht (vgl.

4. Die Emanzipation der Organisation aus der familia

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kumentieren, daß in der kaiserlichen H o f organisation seit E n d e der julischclaudischen Zeit nicht nur Kontinuierungen von Stellenbesetzungen (bei Kaiser· und Dynastiewechseln), sondern auch Neueinstellungen unter U m g e hung privatrechtlicher Bestimmungen erfolgen k o n n t e n 1 8 5 . Damit aber verlor diese selbst zunehmend den Charakter eines familialen Rechtsverbandes: Die kaiserliche Hoforganisation emanzipierte sich aus der familia

und etablierte

sich als eine neuartige, von aristokratischen Haushaltsorganisationen auch rechtlich unterschiedene Institution 1 8 6 . Dies scheint die Voraussetzung für eine zweite grundlegende Besonderheit der kaiserlichen Hoforganisation gewesen zu sein, die sich als Aristokratisierung beschreiben läßt. So wurden führende Stellen - v. a., aber nicht nur - des „politischen" Teils seit dem E n d e der julisch-claudischen Zeit zunehmend mit freien, aristokratischen Personen ritterlichen Standes besetzt, die keinem Eigentums- oder Patronatsverhältnis seitens der Kaiser mehr unterlagen 1 8 7 . Chantraines Deutung ebd. 79 [zit. in der folgenden Anm.]). Boulvert, Domestique et fonctionnaire (1974) 24 Α. 115, hält den Fall für „fraude" seitens des Eunuchen, der sich unter die kaiserlichen Freigelassenen „eingeschlichen" habe (vgl. aber seine Benutzung der Stelle ebd. 113). Die ebenso eindeutige Tacitusstelle paraphrasieren beide kommentarlos (Chantraine 82; Boulvert 191). Weaver, Familia Caesaris 36, spricht von „unauthorised attempts to gain entry" in di e familia Caesaris. Zu dem Freigelassenen Hadrians bemerkt Chantraine ebd. 119: „Die colliberti dieses Augusti libertus sind seine eigenen Freigelassenen und nicht die des Kaisers." Dies beschreibt aber den Sachverhalt nur zur Hälfte. Georges Fabre, Mobilité et stratification. Le cas des serviteurs impériaux, in: Edmond Frézouls (Hg.), La mobilité sociale dans le monde romain, Straßburg 1992, 123-159. 126, spricht von „utilisations abusives" der Bezeichnung collibertus. 1 8 5 So auch die Einschätzung der Sachlage hinsichtlich der Freigelassenen bei Chantraine, Freigelassene und Sklaven 79, der jedoch keine Konsequenzen hinsichtlich der daran sichtbaren Differenz von Organisation und familialem Verband zieht: „Es ist möglich, daß mit Hilfe einer juristischen Fiktion auch der Patronat an die nachfolgende Dynastie überging; denn die in Frage kommenden Personen waren ja nicht nur Freigelassene des erloschenen Herrscherhauses, sie saßen vor allem in den mannigfachsten Verwaltungsstellen und waren einfach nicht zu ersetzen. Es geht aber auch ohne diese Annahme, wenn wir die Sache aus dem Blickwinkel der Augusti liberti betrachten. Für sie bedeutete die Funktion im Palast oder innerhalb der kaiserlichen Administration in Rom, Italien oder den Provinzen Lebensunterhalt und sozialen Rang. Die Gelegenheit, diese sich zu erhalten, werden sie daher gern ergriffen haben. Daß sie den erloschenen Patronat auf ihren neuen Dienstherrn übertrugen, wie das ähnlich der gleich zu besprechende Freigelassene des Marcellus Aserninus [vgl. die vorige Anm.] tat, ist nur die logische Konsequenz." 186 VgJ auch Vittinghoff, Gesellschaft 190, der einerseits betont, daß „in den ersten Jahrzehnten der Kaiserherrschaft... der römisch-privatrechtliche familiale Charakter der Beziehungen zwischen dem Kaiser und seinen persönlich Abhängigen noch vorherrschend" war, dann aber auf deren „gleichsam öffentlich-rechtliche Tätigkeiten" hinweist und betont, daß sich mit der Institutionalisierung des Kaisertums in julisch-claudischer Zeit „auch die .dienstliche' Stellung der Gehilfen des Kaisers verändern" mußte. 187

Zur Deutung dieses Sachverhaltes als „Verstaatlichung" dieser Ämter bzw. als Dokument für ihren „öffentlichen" Charakter in der Forschung vgl. oben S. 84 ff.

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VI. Die höfische Organisation

Schon Tiberius soll bei der Einrichtung eines neuen Amtes „für Vergnügungen" (a voluptatibus) die Stelle des praepositus mit einem Ritter besetzt haben 1 8 8 . Vitellius ist sodann der erste Kaiser, von dem berichtet wird, er habe planmäßig die kaiserlichen ministeria, die üblicherweise von Freigelassenen bekleidet wurden, mit Rittern besetzt 1 8 9 . Diese Maßnahme entspricht weiteren unter seiner kurzen Herrschaft feststellbaren Versuchen der Aristokratisierung des kaiserlichen Hofes 1 9 0 . Unklar ist, ob die ersten beiden Flavier diese Veränderung beibehielten. Von Domitian wird berichtet, er habe einige der „höchsten Ämter" unter Freigelassenen und Rittern aufgeteilt 191 . Schließlich heißt es von Hadrian, er habe als erster (ausschließlich?) Ritter mit den Funktionen ab epistulis und a libellis betraut 1 9 2 . Die inschriftlichen Zeugnisse - bzw. ihre Deutungen - scheinen die Angaben der literarischen Quellen weitgehend zu bestätigen 1 9 3 . Damit waren spätestens seit der Mitte des 2. Jahrhunderts die führenden „politischen" Stellen der Hoforganisation in der Regel mit Rittern besetzt. Ein Bericht der Historia Augusta über Antoninus Pius, von dem auch, wie Nesselhauf festgestellt hat 1 9 4 , durch die dauerhafte Einrichtung einer res privata erstmals die Konsequenz aus dem nicht mehr privaten Charakter des kaiserlichen Patrimonium, gezogen wurde, zeigt den eigenständigen institutionellen Charakter, den die kaiserliche Hoforganisation um die Mitte des 2. Jahrhunderts erlangt hatte: Die höfischen Funktionsträger werden hier mit einer neuen - personenrechtlich indifferenten - Bezeichnung 1 9 5 als aulici Suet. Tib. 42, 2: novum denique officium instituit a voluptatibus, praeposito equite R. T. Caesonio Prisco. Vgl. P I R 2 C 211. 1 8 9 Tac. hist. 1, 58, 1: Vitellius ministeria principatus per libertos agi solita in équités Romanos disponit. - Vgl. den inschriftlich belegten ritterlichen a libellis Sex. Caesius Propertianus, der diese Funktion unter Vitellius ausgeübt haben dürfte: C I L X I 5028 (= ILS 1447); PIR 2 C 204; Pflaum, Carrières I 88-90 Nr. 37; Seitz, Zentralämter 68-70 Nr. 29. 190 Vgl. unten S. 153 f. und 178-180 zu den Gastmählern und den „Freunden" der Kaiser. 1 9 1 Suet. D o m . 7, 2: quaedam ex maximis officiis inter libertinos equitesque R. communicavit. 1 9 2 Hist. Aug. Hadr. 22, 8: ab epistolis et a libellis primus équités Romanos habuit; Epit. de Caes. 14, 11: officia sane publica et palatina nec non militiae in eamformam statuii, quae paucis per Constantinum immutatis hodie perseverai. 1 9 3 Zu Vitellius s. oben Anm. 189. Vgl. allgemein die „Fasti procuratorum equestrium" bei Pflaum, Carrières III 1019-1025 („Officia Palatina"); Suppl. 109ff. Zur Datierungsproblematik Eck, Laufbahn 388ff.; ders., Antisenatspolitik 34f., der gegenüber Pflaum, der die domitianische Zeit als entscheidende Phase der Veränderung ansah, ritterliche Prokuratoren der früheren Kaiserzeit nachweist und damit die Prämisse einer Reihe von Datierungen Pflaums anzweifelt. 1 9 4 Herbert Nesselhauf, Patrimonium und res privata des römischen Kaisers, in: Bonner Historia-Augusta-Colloquium 1963, Bonn 1964, 73-93. 81. 1 9 5 Als Beleg für die Verwendung des Terminus aulicus in hadrianischer Zeit siehe Suet. Cal. 19, 3 (interiores aulici, anachronistisch verwandt für die Zeit des Tiberius); vgl. O t h o 2, 2. D a z u Chantraine, Freigelassene und Sklaven 278: „.Aulicus konnte aber auf Freie, Freigelassene und Sklaven angewendet werden, versagte also gerade in 188

4. Die Emanzipation der Organisation aus der familia

113

ministri vorgestellt, die sich über die civilitas des Kaisers beschwerten 1 9 6 . A n toninus Pius, so heißt es, entzog vielen dieser „Nichtstuer" ihre Gehälter 1 9 7 . Seine Tafel sei statt dessen „durch seine eigenen Sklaven, durch eigene Vogelsteller, Fischer und Jäger" eingerichtet worden 1 9 8 . Die Nachricht hat in der modernen Literatur keine Beachtung gefunden 1 9 9 , obwohl sie anderen Berichten vom H o f dieses Kaisers entspricht 2 0 0 . Sie legt die Deutung nahe, daß sich Antoninus Pius - in Reaktion auf den mittlerweile institutionellen und damit gegenüber der einzelnen Kaiserpersönlichkeit weitgehend selbständigen Charakter der Hoforganisation - mit Dienstpersonal umgab, das in einer engeren Beziehung zu ihm stand und das wahrscheinlich vor seiner Adoption durch Hadrian seine „private" familia gebildet hatte. Weaver, der ebenso wie Boulvert, Pflaum und andere bei der Untersuchung der kaiserlichen Funktionsträger nicht von der Organisation, sondern von einem durch ihren Personenrechtsstatus abgegrenzten Segment der sie bildenden Stelleninhaber ausgegangen ist, hat für die Sklaven und Freigelassenen der Kaiser in der Forschung den Begriff familia Caesaris etabliert 2 0 1 . Der Begriff, der, wie Weaver selbst konstatiert 2 0 2 , in dieser Bedeutung in den Quellen nicht vorkommt, ist irreführend, da er die Vergleichbarkeit (eines Teils) der kaiserlichen Hoforganisation mit den Organisationen aristokrati-

einem der wichtigsten Punkte [sc. über den Personenstand des jeweils genannten präzise Auskunft zu geben]. Es nimmt daher nicht Wunder, nur literarische Belege zu finden." In unserem Argumentationszusammenhang wäre zu formulieren: In der zeitgenössischen Wahrnehmung der Mitglieder der kaiserlichen Hoforganisation, die von den literarischen Quellen dokumentiert wird, tritt deren personenrechtlicher Stand gegenüber ihrer höfischen Funktion in den Hintergrund. Für eine Wiedergabe dieses Phänomens „versagen" die inschriftlichen Zeugnisse, da sie in diesem Zusammenhang primär ein Medium der Selbstdarstellung der Funktionsträger sind. 1 9 6 Hist. Aug. Ant. P. 6, 4; vgl. 10, 5. 1 9 7 Hist. Aug. Ant. P. 7, 7: salaria multis subtraxit, quos otiosos videbat accipere. 1 9 8 Hist. Aug. Ant. P. 7,5: victus Antonini Pii talis fuit, ut... mensa eins per proprios servos, proprios aucupes, piscatores ac venatores instrueretur. 1 9 9 Nach Ausweis der jeweiligen Quellenregister wird die Stelle weder in Mommsens Staatsrecht noch in den Arbeiten zu den kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen von Boulvert, Chantraine oder Weaver erwähnt. Willy Hüttl, Antoninus Pius, 2 Bde., Prag 1933. 1936, I 341 f., interpretiert den Bericht als Beispiel kaiserlicher Sparsamkeit. Millar, Emperor 189, zitiert ihn im Zusammenhang mit der Schilderung der kaiserlichen Besitzungen sowie der von ihm bewohnten Villen und kommentiert anschließend zu jenen: „It is not possible to define closely the legal character of those properties which in some sense belonged to the emperor ..." Keinen weiteren Aufschluß gibt Sabine Walentowski, Kommentar zur Vita Antoninus Pius der Historia Augusta, Bonn 1998, 212-214 (z.St.). 200 Vgl unten S. 157f. und 190 zu den Gastmählern und den „Freunden" der Kaiser. 201 Vgl dieselbe Begrifflichkeit schon bei Martin Bang, Caesaris servus, in: Hermes 54, 1919, 174-186. 181 f. 2 0 2 Weaver, Familia Caesaris 299 f.

114

VI. Die höfische Organisation

scher „Privathaushalte" suggeriert. Es ist gezeigt worden - und entspricht auch Weavers eigenen Ergebnissen - , daß dies nicht der Fall war. Umgekehrt hat, wie oben zu sehen war, die ältere Forschung den ritterlichen Funktionsträgern, die neuere Forschung auch den freigelassenen Amtsinhabern des „politischen" Teils der kaiserlichen Hoforganisation einen „staatlichen" oder „öffentlichen" Charakter zugesprochen 203 . Boulvert hat schließlich - ähnlich wie Bellen dem kaiserlichen Patrimonium - (auch) den kaiserlichen Sklaven angesichts der nachlassenden Bedeutung ihrer privatrechtlichen Beziehungen zum jeweiligen Kaiser einen „caractère public" zugesprochen 204 . Zu fragen ist abschließend, ob die kaiserliche Hoforganisation, wenn nicht als Organisation einer „privaten" domus, so doch als Teil der res publica gedeutet werden kann. Dazu läßt sich folgendes feststellen: Ebenso wie das kaiserliche Patrimonium stets vom aerarium, der Kasse des römischen Gemeinwesens geschieden blieb, blieben auch die kaiserlichen Sklaven von den in der Kaiserzeit weiterhin vorhandenen servi publici, den vom aerarium besoldeten Sklaven des populus Romanus, grundsätzlich unterschieden 205 . Die politischen Funktionsträger der kaiserlichen Hoforganisation verfügten - unabhängig von ihrem personenrechtlichen Status - über keinerlei magistratischen Charakter, sichtbar am Fehlen äußerer Attribute wie Liktoren, fasces u.a. ebenso wie an den Mechanismen der Amtsvergabe, an Amtsdauer oder fehlender Kollegialität. Die kaiserliche Hoforganisation war mithin auch kein Teil der in ihrem institutionellen Substrat in der Kaiserzeit fortbestehenden politischen Organisation der römischen res publica. Die in der Forschung übliche Anwendung der Kategorien „staatlich" oder „öffentlich" sowohl auf das republikanische römische Gemeinwesen als auch auf die neuen vom Kaiser abhängigen Organisationen erscheint somit als problematisch, da grundsätzliche historische Differenzen begrifflich eingeebnet werden 206 . Will man am Staatsbegriff festhalten, muß daher konstatiert werden, daß es sich bei den neuentstandenen politischen Organisationsstrukturen der Kaiserzeit um eine völlig neue Art von „Staatlichkeit" handelt 207 . Eine solche alternative Sichtweise, die den °3 Vgl. oben S. 84-89. Boulvert, Domestique et fonctionnaire (1974) bes. 191 ff.; ebenso Henriette Pavis D'Escurac, La familia Caesaris et les affaires publiques. Discretam domum et rem publicam, in: Edmont Lévy (Hg.), Le système palatial en Orient, en Grèce et à Rome, Leiden 1987, 3 9 3 ^ 1 0 . 405; Bellen, Verstaatlichung bes. lOOff. 2 0 5 Vittinghoff, Gesellschaft 191; vgl. allgemein Walter Eder, Servitus publica. Untersuchungen zur Entstehung, Entwicklung und Funktion der öffentlichen Sklaverei in Rom, Wiesbaden 1980. 2 0 6 Zu einer generellen Kritik an der Verwendung des Staatsbegriffs für vorneuzeitliche politische Gebilde siehe Carl Schmitt, Staat als ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff [1941], in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1958, 375-385. 2 0 7 Aufschlußreich ist dazu Max Webers Herrschaftssoziologie, in der politische Gemeinwesen wie die römische res publica dem Typ einer „herrschaftsfremden Ver2

204

5. Zusammenfassung

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Kaiser nicht mehr als republikanischen Magistraten begreift und seine Hoforganisation dementsprechend nicht mittels der (republikanischen) Kategorien öffentlich(-staatlich)/privat zu erfassen versucht, die vielmehr den Blick auf die weitere historische Entwicklung richtet, hat der späte Mommsen in einem Aufsatz über „Die Freigelassenen im römischen öffentlichen Dienst" (1898) angedeutet. Er beginnt mit den Sätzen: „Nichts ist bekannter als die unter dem römischen Principat dem kaiserlichen Gesinde im persönlichen Dienst wie in der Verwaltung zukommende Stellung. Der Staatshaushalt ist allmählich in dem kaiserlichen Haushalt aufgegangen und Jahrhunderte hindurch ist dieser, unter Leitung von Männern aus der zweiten Adelsciasse, unmittelbar von den Freigelassenen und den Unfreien des Haus- und Reichsherrn beschafft worden." 208

5.

Zusammenfassung

Die sich im frühen Prinzipat ausbildende Organisation des kaiserlichen Hofes war von den Haushaltsorganisationen römischer Aristokraten in grundlegenden Hinsichten unterschieden: Nur sie verfügte über spezielle militärische Verbände. Nur sie verfügte über Stellen, deren Inhaber die Gesamtgesellschaft betreffende politische Funktionen ausübten. Der exklusive Charakter der zentralen kaiserlichen Sekretariate kam darin zum Ausdruck, daß schon die Übernahme der Stellenbezeichnungen in senatorischen Haushalten der frühen Kaiserzeit als Bedrohung der kaiserlichen Position verfolgt werden konnte. Der von seinem Zweck her unpolitische, der Bedienung und Versorgung des Kaisers, seiner Familie und seiner Gäste dienende Teil der Organisation zeichnete sich durch seine Größe und interne Differenzierung aus, sodann durch einen von den Zeitgenossen wahrgenommenen Sondercharakter, der sich aus der Spezialisierung der kaiserlichen Diener auf bestimmte Tätigkeiten und aus der nur ihnen vorbehaltenen weißen Kleidung ergab. Der Versuch der älteren Forschung, den kaiserlichen „Haushalt" in ein von der Republik her geschriebenes Staatsrecht einzuordnen, führte einerseits zu kontrafaktischer Kritik an der Ausübung politischer Funktionen durch Unfreie und Freigelassene, andererseits zu einer Segmentierung der Hoforganisation in einen „staatlichen", von ritterlichen Stelleninhabern besetzten und einen „privaten", von diskriminierten Personen besetzten Teil. bandsverwaltung", die kaiserliche politische Organisation dagegen einer „patrimonialen Herrschaft" zuzuordnen sind. Siehe Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Studienausgabe bes. v. Johannes Winckelmann, 5. Aufl., Tübingen 1976, 1 6 9 - 1 7 1 (Minimierung der Herrschaft zwecks interner Gleichheit aristokratischer Herrenverbände). 1 3 0 - 1 3 3 (patrimoniale Rekrutierung des Verwaltungsstabes z. B. aus Sklaven und Freigelassenen). 208 In: Gesammelte Schriften, Bd. 3, Berlin 1907, 2 3 - 2 6 . 23.

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VI. Die höfische Organisation

Dies erscheint ebenso unangemessen wie die Tendenz neuerer Handbücher, auch freigelassene politische Funktionsträger der „staatlichen" bzw. „öffentlichen" kaiserlichen Verwaltung zuzuordnen und damit implizit die Hoforganisation auf ihre unpolitischen Stellen zu reduzieren. Der staatsrechtlichen Segmentierung folgend hat sich die neuere Spezialforschung auf die Analyse bestimmter, durch ihren Personenrechtsstatus abgrenzbarer Gruppen von kaiserlichen Funktionsträgern konzentriert: ritterliche Prokuratoren einerseits, Freigelassene und Sklaven andererseits, die unabhängig von ihrem Tätigkeitsfeld (am Hof, in Rom, Italien oder in den Provinzen) und obwohl Mitglieder beider Gruppen teilweise als Inhaber derselben Stellen belegt sind, jeweils als gesonderte Einheiten behandelt werden. Nicht zuletzt hat in diesem Zusammenhang offensichtlich auch die Etablierung des Kunstwortes „familia Caesaris" dazu beigetragen, daß die Besonderheiten der kaiserlichen Hoforganisation der Aufmerksamkeit der neueren Forschung entgangen sind. Bei einer analytischen Trennung von Organisationsstruktur und Stellenbesetzung sowie von Hof- und weiteren kaiserlichen Organisationen zeigt sich demgegenüber ein Bedeutungsverlust privatrechtlich-familialer Elemente in den Beziehungen zwischen Kaisern und Stelleninhabern - sichtbar an kontinuierlichen Stellenbesetzungen trotz dynastischer Wechsel und an neuartigen Eintrittsmöglichkeiten - sowie eine Aristokratisierung der Hoforganisation seit dem Ende der julisch-claudischen Zeit - sichtbar an der zunehmenden Besetzung führender Stellen mit Personen ritterlichen Standes. Damit emanzipierte sich die kaiserliche Hoforganisation aus dem Rechtsverband der familia und entwickelte sich zu einer neuartigen Institution sui generis, die gegenüber der traditionellen republikanischen Scheidung von „häuslicher" und „stadtstaatlicher" Sphäre, von domus und res publica, indifferent war: Weder können ihre politischen Teile als der alten republikanischen politischen Organisation zugehörig, noch die unpolitischen als „private", „häusliche" familia angesehen werden. Berichte über Antoninus Pius zeigen, daß es im Gegenzug zur Institutionalisierung der Hoforganisation zur Verwendung besonderen Dienstpersonals kommen konnte, das in einer näheren Beziehung zum jeweiligen Kaiser stand.

VII. Die Salutatio Die Bedeutung des Klientel- und Bindungswesens für die politische und soziale Ordnung der römischen Republik ist bekannt 1 . Selten erwähnt wird, daß das Verhältnis des einzelnen adligen Patrons zu seinen Klienten und den ihm nahestehenden adligen „Freunden" einer dauernden Inszenierung durch die persönliche Anwesenheit der Beteiligten bedurfte 2 . Neben der Begleitung des Patrons auf das Forum war es in besonderer Weise die in seinem Haus stattfindende Morgenbegrüßung, die salutatio, die zu den täglichen Pflichten (cotidiana officia) seiner Anhänger gehörte 3 . Die strukturelle Notwendigkeit von Interaktion, d.h. Kommunikation von Anwesenden, für die Herstellung und Erhaltung von Bindungen, für deren Dokumentation nach außen und damit für die Manifestation des politischen und gesellschaftlichen Status aristokratischer Hausherren zeigt sich vielleicht am deutlichsten durch das in der späten Republik erreichte Stadium einer „Extensivierung" auch in diesem Bereich 4 : Die stetig wachsende Größe der „Gefolgschaften" überschritt den Personenkreis, den ein vornehmer Senator persönlich kennen und den sein Atrium aufnehmen konnte. Die damit 1

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Vgl. z.B. Geizer, Nobilitai (1912) 62ff.; Meier, RPA bes. 24ff.; JochenBleicken, Die Verfassung der römischen Republik. Grundlagen und Entwicklung, 7. Aufl., Paderborn u.a. 1995,23 ff. Vgl. Kroll, Kultur der ciceronischen Zeit II 59 ff.; Walter Allen, Cicero's Salutatio (in Catilinam 1, 9), in: George E. Mylonas, Doris Raymond (Hg.), Studies Presented to David Moore Robinson, Bd. 2, Saint Louis 1953, 707-710; Joël Le Gall, La „nouvelle plèbe" et la sportule quotidienne, in: Raymond Chevallier (Hg.), Mélanges d'archéologie et d'histoire offerts à André Piganiol, Bd. 3, Paris 1966, 14491453; zuletzt Rilinger, Domus bes. 82-84. Eine ausführlichere neuere Untersuchung ist nicht vorhanden. Vgl. Johann M. Heusinger, Dissertatio de salutationibus Romanorum matutinis, Eisenach 1740; Marquardt, Privatleben 1259 f.; August Hug, Salutatio, RE 1 A 2, 1920,2060-2072. bes. 2066-2072; zur salutatio in spätrepublikanischer Zeit vgl. die vorige Anmerkung; zu der beim Kaiser: Mommsen, StR II 2, 813; Friedländer, SG I 90-98; Alföldi, Repräsentation 27 f. 40 ff.; Miliar erwähnt die salutatio beim Kaiser nur en passant im Zusammenhang mit den Palästen, dem „emperor at work" und der Übergabe von libelli an den Kaiser, scheint ihr jedoch keine Bedeutung für den kaiserlichen „Regierungsstil" beizumessen (Emperor 21 f. 209f. 241 f.); eine kurze Schilderung der senatorischen Aufwartungen beim Kaiser gibt Talbert, Senate 68-70; Turcans These, es habe drei Arten des Empfangs der Morgenbesucher, „qui correspondent aux trois classes sociales", gegeben, beruht auf der Mißdeutung von Plin. paneg. 23, 1, wo keine salutatio, sondern Trajans Einzug in Rom geschildert wird (Cour 132-139. bes. 137 f.); Wallace-Hadrills Hinweise zur kaiserlichen salutatio (Court 290. vgl. 291) heben die Vergleichbarkeit mit denen aristokratischer Hausherren hinsichtlich der dabei praktizierten Formen hervor: „The emperor was distinguishable in the scale but not the style of his admissions." (290); bei Demandi, Privatleben, findet die kaiserliche salutatio keine Erwähnung. Begriff im Anschluß an Meier, RPA 64 ff.

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VII. Die Salutatio

entstandenen Kapazitätsprobleme führten jedoch nicht zu grundsätzlichen Veränderungen dieser Art der Herstellung und Dokumentation politisch-sozialer Macht. Vielmehr wurden sie einerseits aufgefangen durch den Einsatz hochspezialisierter Hilfskräfte, der Nomenklatoren, die es dem einzelnen Patron ermöglichten, auch mit ihm nicht mehr persönlich Bekannten in persönlichen Kontakt zu treten 5 . Andererseits wurden die Häuser selbst entsprechend der (vorhandenen oder beanspruchten) dignitas ihrer Besitzer vergrößert 6 und die zur salutatio erscheinenden Besucher in Gruppen unterteilt, so daß die gemeinsame Interaktion von Patron, „Freunden" und Klienten sukzessiv erfolgen konnte 7 . Diese Art der Problemlösung erzeugte allerdings ihrerseits Folgeprobleme: Zum einen wurde - abgesehen von der „Prominenz" - zunehmend der wichtig, den die Nomenklatoren für wichtig hielten, so daß diese „geradezu als Träger der allgemeinen Publizität erscheinen" 8 . Zum anderen bedeutete die Aufteilung der salutatores eine Hierarchisierung und damit eine Distanzierung in der „Nahbeziehung" der Beteiligten. Seneca faßt dies in der frühen Kaiserzeit mit den Worten zusammen: errat autem, qui amicum in atrio quaerit9. Die adlige Mentalität, die der salutatio gleichwohl eine bleibende Bedeutung durch die ganze römische Geschichte hindurch verschaffte, läßt Tacitus im Dialogus - zu einer Zeit also, als sich durch die Abschaffung der Volkswahlen und die Etablierung einer Monarchie der politische Charakter des Bindungswesens grundlegend verändert hatte - den Aper mit folgenden Worten ausdrücken: quid enim dulcius libero et ingenuo animo et ad voluptates honestas nato quam videre plenam semper et frequentem domum suam concursu splendidissimorum hominum?10 Die Ubiquität des Phänomens hat allerdings für den Historiker die negative Folge, daß es in den Quellen zwar häufiger erscheint, aber stets als allgemein bekannt vorausgesetzt und kaum genauer erörtert wird. Ein Versuch, die Differenz zwischen den salutationes beim Kaiser und denen in den Häusern der kaiserzeitlichen Aristokratie sowie den institutionellen Charakter ersterer herauszuarbeiten, hat zunächst von einem Abschnitt in Senecas De benefiais auszugehen. Es handelt sich um die ausführlichste Darstellung des Phänomens salutatio in den antiken Quellen, und die dort gegebenen Hinweise haben das von der Forschung entworfene Bild der kaiserlichen salutatio entscheidend geprägt.

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Plin. nat. hist. 29,19: alienis oculis agnoscimus, aliena memoria salutamus. Vgl. Vogt, Nomenciator 329 ff. Vgl. Vitr. de arch. 6, 5, 2 (oben S. 41 Anm. 9); Rilinger, Domus 76 ff. Sen. de benef. 6, 34, 2. Vgl. das folgende. Vogt, Nomenciator 331. Sen. ep. 19, 11. Tac. dial. 6, 2.

1. Senecas Kritik

1. Senecas

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Kritik

Seneca argumentiert, der Einsatz von Nomenklatoren, die Aufzeichnung der „Freunde" in Büchern und ihre Unterteilung bei der salutatio führe zu einem Verlust der „Freundschaft". Es seien keine Freunde, die in erste und zweite admissiones aufgeteilt würden 11 . Es sei königlicher Hochmut von Hausherren, den Eintritt bei ihnen für etwas Großes zu halten und es zu einer Ehrenbezeugung zu machen, daß einer näher an ihrer Tür (ostium) sitzen oder als erster in das Haus eintreten dürfe, in dem ihm, auch wenn er empfangen würde, gleichwohl viele Türen (ostia) verschlossen blieben 12 . In Rom hätten erstmals C. Gracchus und später Livius Drusus begonnen, die Schar ihrer Aufwartenden einzuteilen und einige abgesondert (in secretum), andere mit mehreren (cum pluribus), wiederum andere als Gesamtheit (universos) zu empfangen (recipere). Sie hätten daher „erste" und „zweite", aber überhaupt keine wahren Freunde gehabt 13 . Es sei kein Freund, dessen Begrüßung eingeteilt werde (cuius disponitur salutatio), der seinen Gruß non nisi suo ordine aussprechen könne 14 . Was läßt sich über den konkreten Ablauf der salutationes ermitteln, von denen Seneca spricht? Eindeutig ist zunächst, daß die salutatores zu Beginn der Begrüßung vor der Türe des Hauses, also in dem Bereich, der ursprünglich vestibulum genannt worden war 15 , warteten, daß einige abgewiesen werden konnten, worauf das receptos quoque (34,1) hinweist, und daß der Eintritt in das Haus, also die eigentliche Zulassung zur salutatio, in einer Reihenfolge stattfand, die vom Hausherrn als eine „Ehrenzuweisung" festgelegt wurde (pro honore dare, ...ut gradum prior intra domum ponas). Sodann ist eindeutig, daß die salutatores in Gruppen unterteilt wurden (digerere/discribere/segregare), daß nicht alle Empfangenen (recepii) zu allen Räumen des Hauses Zutritt hatten und daß die einzelnen Besucher im Haus an bestimmten, nach ihrer Entfernung zur Türe der Gemächer des Hausherrn hierarchisch gestaffelten Orten piaziert wurden 16 , wobei die Plazierung ebenfalls

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Sen. de benef. 6 , 3 3 , 4 -.non sunt isti amici, qui agmine magno ianuam puisant, qui in primas et secundas admissiones digeruntur. Sen. de benef. 6, 34, 1: consuetudo ista vetus est regibus regesque simulantibus populum amicorum discribere, et proprium superbiae magno aestimare introitum ac tactum sui liminis et pro honore dare, ut ostio suo propius adsideas, ut gradum prior intra domum ponas, in qua deinceps multa sunt ostia, quae receptos quoque excludant. Sen. de benef. 6 , 3 4 , 2 : aput nos primi omnium G. Gracchus et mox Livius Drusus instituerunt segregare turbam suam et alios in secretum recipere, alios cum pluribus, alios universos, habuerunt itaque isti amicos primos, habuerunt secundos, numquam veros. Sen. de benef. 6, 34, 3. Vgl. Gell. 16, 5, 8 f.; Marquardt, Privatleben I 224-228. Zum „Sitzen" der salutatores vgl. Cass. Dio 58, 5, 5, wo geschildert wird, daß bei einem Neujahrsempfang im Hause Seians ein Sofa unter der Last der darauf Sitzenden zusammenbrach (was Dio als schlechtes Vorzeichen deutet).

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VII. Die Salutatio

vom Hausherrn in Form einer Ehrenzuweisung festgelegt wurde (pro honore dare, ut ostio suo propius adsideas). Wie sah nun der eigentliche Begrüßungsvorgang aus? Seneca drückt sich hier nicht genau aus. Klar ist nur, daß die in Gruppen eingeteilten Besucher sukzessiv, also nicht alle gemeinsam empfangen wurden und daß die Größe der Gruppen in der Sukzession zunahm (alios in secretum reapere, alios cum pluribus, alios universos). Theoretisch bestehen zwei Möglichkeiten: daß die verschiedenen Gruppen nacheinander in einen Empfangsraum vorgelassen wurden oder daß der Hausherr sie in ihren jeweiligen Räumen aufsuchte 17 . Die Forschung hat diese Alternative nicht diskutiert, scheint aber meist implizit von der ersten Möglichkeit, also von mehreren „Entrees" auszugeben 18 . Dies ist jedoch wenig wahrscheinlich. Zum einen betont Seneca ja gerade die Hierarchisierung der Aufwartenden nach den Plätzen, die sie innerhalb des Hauses aufsuchen durften, und die Tatsache, daß auch verschiedenen der Empfangenen Räume verschlossen blieben. Zum anderen wird deutlich, daß der ganze ordo der salutatio, den Seneca kritisiert, eine Folge der Quantität der Besucher ist: Sie sind in Büchern verzeichnet, die kaum noch das Gedächtnis oder die Hand der nomenclátores zu umfassen vermag, und nähern sich in einem großen Zug (agmine magno) dem Eingang des Hauses (33, 4). Da zugleich die Begrüßung nicht in Form eines Defilees stattgefunden hat, sondern die zweite und dritte Gruppe, wie es ausdrücklich heißt, „mit mehreren" bzw. als „Gesamtheit" empfangen wurden, hätten die Hausherrn, wäre der Empfang in Form von Entrees abgelaufen, nicht nur über die entsprechend großen „Aufstellungsplätze", sondern zusätzlich über einen riesigen Empfangsraum verfügen müssen, der die Gesamtheit ihrer „Freunde" hätte aufnehmen können. Dies widerspricht jedoch nicht nur dem, was man über das römische Haus dieser Zeit weiß. Vielmehr hätte diese Art des Empfangs das Problem, auf das die Bevorzugung einer Gruppeneinteilung gegenüber dem gleichen Empfang aller „Freunde" reagierte - nämlich

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Für denkbare Mischformen beider Möglichkeiten - den Empfang der ersten (oder: der ersten und der zweiten) Gruppe in einem von ihrem Aufstellungsplatz unterschiedenen Raum und die Begrüßung der zweiten und der dritten (oder: nur der dritten) Gruppe an ihrem jeweiligen Aufstellungsplatz - gibt Senecas Text keinerlei Anhaltspunkte. Vgl. Friedländer, S G I 76 (im Anschluß an die zitierten Senecastellen): „Ebenso unterschied man am kaiserlichen Hofe Freunde ,erster und zweiter Vorlassung'." Mommsen, StR II 2, 813 A. 6, bezeichnet die Morgenempfänge des Kaisers als „Levers". Offensichtlich hat das Schlafzimmerzeremoniell Ludwigs XIV. hierzu A n regung gegeben, das in eine Reihe von Entrees unterteilt war, das aber im Rahmen des üblichen absolutistischen Hofzeremoniells einen Ausnahmecharakter hatte (vgl. Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft, Darmstadt, Neuwied 1969, 126 ff.; A l o y s Winterling, Der Hof der Kurfürsten von Köln 1 6 8 8 - 1 7 9 4 . Eine Fallstudie zur Bedeutung „absolutistischer" Hofhaltung, Bonn 1986, 131 ff. 222 ff.). Vgl. unten Anm. 56.

1. Senecas Kritik

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ihre Quantität - , nicht gelöst, sondern (von den notwendigen räumlichen Voraussetzungen her betrachtet) sogar noch verschärft, indem dafür nicht nur die entsprechend großen „Aufstellungsplätze", sondern auch noch ein ähnlich großer Empfangsraurn hätten bereitgestellt werden müssen. Die von Seneca geschilderte Form der salutatio, die nach seinen Angaben erstmals C. Gracchus und Livius Drusus einrichteten, dürfte mithin folgendermaßen abgelaufen sein: Die an der Türe des Hauses zur Begrüßung Zugelassenen wurden entsprechend der „Ehre", die ihnen der Hausherr zuweisen wollte, in Gruppen unterteilt und die Gruppen auf Räume des Hauses verteilt, wobei die „ehrenvolleren" Gruppen näher zur Tür der Gemächer des Hausherrn piaziert waren als die übrigen. Der Hausherr begrüßte die salutatores, indem er nacheinander die verschiedenen Räume aufsuchte. Das ganze Arrangement bedeutete also (in der Aufstellung) eine räumliche und (bei der Begrüßungsfolge) eine zeitliche Inszenierung der Hierarchie der Besucher nach ihrer Nähe zum Hausherrn. Damit aber war in der Tat eine „Klasseneinteilung" der amici gegeben19, und um deren Kritik geht es Seneca in der ganzen Passage, deren Aussage man auf den Satz reduzieren könnte: Hierarchisierung von Freunden zerstört die Freundschaft. Kann man nun aber die Ausführungen Senecas als Beleg dafür heranziehen, daß durch C. Gracchus und Livius Drusus in einem technischen Sinne eine Aufteilung der salutatio in eine „prima admissio" und eine „secunda admissio" eingeführt worden ist (wobei dann noch eine „tertia admissio", die Seneca nicht erwähnt, zu postulieren wäre)? Admissio" bedeutet „Zulassung" zur Begrüßung. Über die Zulassung oder Abweisung der Besucher aber wurde an der Tür des Hauses (ianua) entschieden. Prinzipiell zugelassen war also auch die Masse der nicht Privilegierten, und darin lag ja gewissermaßen der Sinn dieser Form der Begrüßung: die Begrüßungskapazität des Hausherrn über ein in den üblichen Formen praktikables Maß zu steigern und möglichst viele an der „Freundschaft" des Hausherrn teilnehmen zu lassen. Plausibler erscheint folgende Deutung: Ebensowenig wie die genannten Hausherren ihre „Freunde" als „Freunde erster" bzw. „zweiter Klasse" bezeichnet oder gar angesprochen haben werden, werden sie die Morgenbegrü19

Diesen Aspekt betont Heusinger, Salutatio (o.S. Abschn. 4): „ Q u i . . . adeundi potestatem impetrabant, in classes discribebantur, nec una, ut ita dicam, pertica tractabantur. Honestiores enim, et qui primum amicitiae locum obtinebant, quos primae vel interioris admissionis vocant, in secretum recipiebantur; proximi his, qui secundae admissionis erant, quos cum pluribus salutabant; tertiae admissionis, quos cum omnibus." Klasseneinteilung ist jedoch nicht das einzige Gliederungskriterium der „Freunde" bei den geschilderten salutationes: Quer zur Hierarchie (horizontaler) Klassen zeigt sich eine (vertikale) „linear-hierarchische" Gliederung im Prinzip aller Beteiligten vom ersten bis zum letzten Besucher durch die geregelte Reihenfolge des Eintritts in das Haus (34, 1) und die Begrüßung des Einzelnen suo ordine (34, 3). Vgl. zu diesem Gliederungsprinzip der römischen Gesellschaft allgemein Rilinger, Gesellschaftsordnung.

122

VII. Die Salutatio

ßung in ihrem Haus offiziell in eine prima bzw. secunda admissio unterteilt haben (auch wenn faktisch eine „Klassifizierung" der „Freunde" und „Zulassungen" zu den einzelnen Räumen dabei praktiziert werden mußten). Wenn Seneca schreibt, habuerunt itaque isti amicos primos, habuerunt secundos (mit dem Zusatz: numquam veros), und ebenso wenn es heißt, die „Freunde" seien in primas et secundas admissiones unterteilt worden (mit dem Zusatz: non sunt isti amici), so gibt dies jeweils nicht einen technisch präzisen, allgemein üblichen Sprachgebrauch wieder, sondern es dient ihm dazu, seine eigene Analyse der Folgen einer räumlich-zeitlichen Hierarchisierung von Besuchern bei der salutatio auf polemische Begriffe zu bringen: Aus Freunden werden Freunde erster und zweiter Klasse, aus ihrem Empfang wird ein Empfang erster und einer zweiter Klasse.

2. Der kaiserliche

Morgenempfang

Eine Untersuchung der salutatio beim Kaiser kann sich an folgenden Fragen orientieren: Wer durfte überhaupt den Kaiser begrüßen? Welche Personenkreise wurden bei welchem Anlaß zur salutatio hinzugezogen? In welchen Formen fand die Morgenbegrüßung statt? Welche Funktion hatte sie? 1. Im Prinzip konnten, unabhängig von individuellen Unterschieden zwischen den einzelnen Kaisern, alle Personen, die zum „Volk von Rom" gehörten und für die der Kaiser (in räumlicher Hinsicht) erreichbar war, diesem aufwarten, sofern sie nicht im Einzelfall von der salutatio ausgeschlossen waren20. Den Augustus begrüßten in seinem Haus „der Senat, die Ritter und viele aus dem Volk". Nach Dio versuchte der Kaiser, dies gegen Ende seines Lebens einzuschränken. Nero ließ (zu Anfang seines Prinzipats) omnis ordines zur salutatio vor21. Vespasian, der meist in den Sallustischen Gärten 20

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Mommsen, StR II 2, 813: „Die Aufwartung, die den vornehmen Männern nach römischer Sitte am frühen Morgen gemacht wurde, unterscheidet bei dem Princeps sich dadurch von den gleichartigen Morgenaudienzen der Privaten, dass alle namhaften Personen als ,Freunde' des Kaisers zum Empfang zugelassen wurden, wenn nicht etwa einzelnen der Empfang besonders untersagt war." Eine genaue Abgrenzung des zur Aufwartung berechtigten Personenkreises, insbesondere „nach unten" und hinsichtlich des bürger- und personenrechtlichen Status, ist schwierig, da in den Quellen nicht belegt. Sicher kann man davon ausgehen, daß Sklaven ebenso wie der „Eckensteher" in R o m nicht erschienen, also die Kreise, die Tacitus gelegentlich verächtlich als „den gemeinen, nur an Zirkus- und Theaterspielen gewöhnten Pöbel und das Lumpenpack der Sklaven" bezeichnet (hist. 1, 4, 3: plebi sordida et circo ac theatris sueta, ... deterrimi servorunr, vgl. 4, 1, 2). Daß der bürgerrechtliche Status als solcher nicht entscheidend war, zeigt das folgende. Mommsens Ansicht (StR II 2, 834 A. 4: „Der Ausschluß der Plebeier hat wohl fortbestanden.") bezieht sich offensichtlich auf eine bestimmte Art der salutatio und ist insofern zu relativieren. Vgl. das folgende. Cass. Dio 56, 26, 3; Suet. N e r o 10, 2.

2. Der kaiserliche Morgenempfang

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wohnte, empfing dort „alle, die wollten, nicht nur von den Senatoren, sondern auch von den übrigen" 2 2 . Gellius berichtet (im 2. Jahrhundert), daß auf

der area Palatina vor dem Domitianspalast omnium fere ordinum multitudo auf die salutatio des Kaisers wartete 23 .

Daß üblicherweise alle in Rom anwesenden Senatoren am kaiserlichen Morgenempfang teilnahmen, zeigt eine Reihe von Quellenstellen. Sueton hebt hervor, daß Augustus die Senatoren an Sitzungstagen des Senats nur in der Kurie begrüßt habe 24 . Tiberius ersuchte die Senatoren, ihm „gemeinsam" (άθρόοι), d. h. korporativ, aufzuwarten, um ihnen Unannehmlichkeiten im Gedränge zu ersparen 25 . Anläßlich der Geburt seiner Tochter begrüßte „der ganze Senat" Nero in Antium 2 6 . Im Jahre 68, als sich der neue Prinzeps Galba noch in Spanien aufhielt, versammelte sich „der Senat" stellvertretend täglich vor den Türen des Prätorianerpräfekten Nymphidius Sabinus in Rom 2 7 . Mehr oder weniger deutlich zeigt sich eine Verpflichtung der Senatoren, zur kaiserlichen salutatio zu erscheinen. Seneca erbat sich unter Nero mit Hinweis auf seine wissenschaftliche Betätigung Befreiung „vom Kuß", der Teil der Begrüßung war 2 8 . Als Otho eine Morgenbegrüßung Galbas, an der er wie üblich teilnahm, vorzeitig verließ (um seine Usurpationspläne in die Tat umzusetzen), ließ er sich von einem Freigelassenen zur angeblichen Besichtigung eines zum Kaufe angebotenen Hauses abholen. Nach anderen Berichten, schreibt Sueton, täuschte er auch einen Fieberanfall vor und trug den neben ihm Stehenden auf, ihn zu entschuldigen, falls nach ihm gefragt werde 29 . Plinius betont in seinem Panegyricus auf Trajan, daß man bei den Empfängen dieses Kaisers (admitiente principe) im Falle dringender persönlicher Verpflichtungen entschuldigt sei (excusati sumus), was demnach unter Domitian nicht der Fall war 3 0 . Hadrian versuchte, den salutatores (und wohl auch sich selbst) die als mühsam empfundenen Verpflichtungen zu erleich22 23

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Cass. Dio 65 (66), 10, 4. Gell. 4, 1, 1; vgl. 20, 1, 2; 20, 1, 55. Vgl. zum frühen dritten Jahrhundert auch CJ 9, 51,1: imp. Antoninus A. (i.e. Caracalla) cum salutatus ab Oclatinio Advento et Opellio Macrino praefectis praetorio clarissimis viris, item amicis et principalibus officiorum et utriusque ordinis viris et processisset... Suet. Aug. 53, 2; vgl. Cass. Dio 56, 26, 2; 56, 41, 5; Suet. Aug. 27, 4 (Prätor in officio salutationis); 35, 2 (Durchsuchung der Senatoren bei der Vorlassung zur Zeit der zweiten Senatssäuberung). Cass. Dio 57, 11, 1. Tac. ann. 15, 23, 4. Vgl. Cass. Dio 62 (63), 13, 3 (Nero empfing die Senatoren in der Tunika). Plut. Galba 8, 4. Cass. Dio 61, 10, 4. Vgl. Wilhelm Kroll, Kuß, R E Suppl. 5, 1931, 511-520. bes. 513-515; Hug, Salutatio 2070 f.; Werner Kühn, Der Kuß des Kaisers. Plinius paneg. 24, 2, in: WJA 13,1987, 263-271. Suet. Otho 6, 2: alii febrem simulasse aiunt eamque excusationem proximis mandasse, si quaereretur. Plin. paneg. 48, 2.

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VII. Die Salutatio

tern, indem er an bestimmten Tagen allein zu Hause (οίκοι) blieb und niemanden, außer in dringenden Angelegenheiten, zu sich ließ31. Fronto entschuldigt sich in einigen Briefen an Marc Aurel und Antoninus Pius für sein Fehlen bei der salutatio, wobei er als Grund gesundheitliche Probleme angibt^. Daß die Anwesenheit der Senatoren bei den kaiserlichen Morgenempfängen der „Normalfall" war, dokumentiert auch die Art des Ausschlusses davon. Er erfolgte in Form eines ausdrücklichen Hausverbotes seitens des Kaisers, und seine Folge war in der Regel das politisch-gesellschaftliche, oft auch das physische Ende des Ausgeschlossenen33. So berichtet Plutarch von einem Senator, έταϊρος des Augustus, der unerlaubt eine vertrauliche Information weitergegeben hatte. Als er wie üblich morgens kam und den Kaiser grüßte, habe dieser ihm „Lebe wohl!" geantwortet. Die Folge war der Selbstmord des Ausgeschlossenen34. Als dem Senator Paetus Thrasea bei der erwähnten Aufwartung des Senates in Antium unter Nero als einzigem der Zugang zum Kaiser verboten wurde, war dies, wie Tacitus sich ausdrückt, eine Kränkung, die seinen Tod ankündigte 35 . Von dem späteren Kaiser Vespasian wird berichtet, er habe als comes während der Griechenlandreise Neros den Unwillen des Kaisers erregt und sei daraufhin nicht nur aus dem unmittelbaren Gefolge (contubernium) entfernt, sondern auch von der publica salutatio ausgeschlossen worden. An anderer Stelle schreibt Sueton, ihm sei der Hof verboten worden (interdicta aula). Als er sodann einen der kaiserlichen Bediensteten, die den Zugang kontrollierten (ex officio admissionis), fragte, was er denn jetzt machen solle, habe ihm dieser geantwortet, er solle „zum Henker" gehen36. Uber die Teilnahme von Rittern und nicht zum uterque ordo gehörenden Personen an den kaiserlichen salutationes gibt es weniger Einzelberichte. Unter Claudius wurde ein mit einem Dolch bewaffneter Ritter in coetu salutantium principem aufgegriffen 37 . Als im Jahre 69 Gerüchte über den Rücktritt des Vitellius in Umlauf waren, füllten neben Senatoren auch plerique equestris ordinis das Haus des Flavius Sabinus, des Bruders und Vertreters 31 32

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Cass. Dio 69, 7, 2. Fronto ad M. Caes. 5,63 (v.d. Hout p. 83; Haines 1248):plantae, domine, dolore impedior, ideo vos per istos dies non salutavi... ; vgl. 5,45 (v.d. Hout p. 77; Haines 1228. 230); 5, 57,1 (v.d. Hout p. 81; Haines I 244); ad Ant. Pium 5 (v.d. Hout p. 164; Haines I 226. 228). Vgl. Robert S. Rogers, The Emperor's Displeasure - Amicitiam renuntiare, in: TAPhA 90, 1959, 224-237; Kierdorf, Freundschaft 223 ff. Plut. mor. 508 Α-B nennt den Senator Fulvius. Vgl. Tac. ann. 1,5, wo die Geschichte ähnlich, nur ohne die Anekdote bei der salutatio berichtet wird und wonach es sich um den Senator Fabius Maximus (PIR2 F 47) handelte. Tac. ann. 15, 23, 4; vgl. 16, 24,1. Suet. Vesp. 4, 4; 14; vgl. Cass. Dio 62 (63), 10, la, der die Begebenheit ähnlich, aber ohne Nennung Vespasians berichtet. Tac. ann. 11,22,1.

2. Der kaiserliche Morgenempfang

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Vespasians in Rom, um auf diese Weise dem letzteren ihre Unterstützung zu bekunden 38 . Unter Vitellius werden im Geldgeschäft Tätige (faeneratores, stipulatores, publicum) als Teilnehmer an der kaiserlichen Morgenbegrüßung erwähnt 39 . Der Grammatiker Diogenes aus Rhodos wartete, als er zur Zeit des Tiberius in Rom war, salutarteli... causa pro foribus des kaiserlichen Hauses40. Über eine salutatio unter Augustus, zu der auch die plebs zugelassen war, berichten Sueton und Macrob eine Anekdote: Als jemand dem Kaiser ängstlich eine Bittschrift überreichte, habe er ihn scherzhaft getadelt, er halte ihm diese hin wie einem Elefanten ein Geldstück 41 . Neben den bisher angeführten, bis auf den Grammatiker Diogenes aus römischen Bürgern bestehenden Personenkreisen warteten dem Kaiser auch mit Rom verbündete Monarchen, wenn sie sich in Rom oder in den Provinzen in seiner Nähe befanden, „in der Toga nach Art von Klienten" täglich auf 42 . Zudem waren es nicht nur erwachsene Personen männlichen Geschlechts, die sich zur salutatio einfinden durften, sondern auch Frauen, Knaben (praetextati pueri) und Mädchen 43 . 2. Was waren die Anlässe, zu denen die Kaiser salutationes abhielten? Zunächst kann kein Zweifel bestehen, daß sich die Kaiser ohne Anlaß täglich begrüßen ließen. Das zeigen die häufigen Hinweise auf ein tägliches Stattfinden und die Bezeichnung der Aufwartungen als cotidiana officia44. Daß Hadrian an gewissen Tagen keine salutatio abhielt, wird von Dio als erwähnenswerte Besonderheit geschildert, bestätigt also die Regel45. Es wird jedoch deutlich, daß nicht alle der genannten Personenkreise täglich erschienen, d.h. daß es verschiedene Arten der salutatio gab und daß sich diese nach Anlaß und Anzahl der dabei anwesenden Personen unterschieden. Leider sind die Hinweise der Quellen dazu sehr spärlich. Von Augustus berichtet Sueton, er habe zu den promiscuae salutationes auch das Volk zugelassen. Bei Dio heißt es, er habe an Festtagen sogar das Volk in seinem Haus 38 39 40

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Tac. hist. 3, 69, 1. Suet. Vit. 14, 2. Suet. Tib. 32, 2. Vgl. Sen. de ira 3, 23, 4-6 (Augustus verbot dem Geschichtsschreiber Timagenes sein Haus, zu dem er, wie man schließen kann, sonst Zutritt hatte); Suet. Aug. 66, 2 (domo et provineiis suis interdixit [sc. Augustus dem Gallus]). Suet. Aug. 53, 2; Macrob. sat. 2, 4, 3. Suet. Aug. 60 (cotidiana officia togati ... more clientium). Vgl. los. ant. lud. 15, 342 f.; 16,16 f. (Söhne des Herodes und dieser selbst warten Augustus auf); Phil. leg. 261 f. (Agrippa, Enkel des Herodes, „begrüßt" Caligula „wie üblich"). Suet. Claud. 35,1; Galba 4,1; Cass. Dio 60, 3, 3. Belege für tägliches Stattfinden: Suet. Aug. 60; Plut. mor. 508 Β; Plut. Galba 8, 4; Plin. ep. 3, 5, 9: üblicher Tagesablauf Plinius' d.Ä.: ante lucem ibat ad Vespasianum imperatorem; Fronto ad M. Caes. 1, 3, 4 (v.d. Hout p. 3; Haines I 86): Fronto wird vom Kaiser „geliebt", obwohl er nicht täglich grüßt: nam ñeque domum vestram diluco ventitat neque cotidie salutai... Cass. Dio 69, 7, 2.

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VII. Die Salutatio

empfangen. Unter Nero werden publicae salutationes erwähnt, sodann daß seine Begrüßung „aller Stände" subinde, also „öfters", „wiederholt" stattfand 46 . Bei Fronto erscheinen als besondere Anlässe zu Empfängen der dies imperii des Kaisers, der Neujahrstag und die Geburtstage seiner Kinder 47 . Man wird also schließen können, daß bei den täglichen salutationes ein kleinerer Kreis, bei salutationes zu besonderen Festtagen, den promiscuae oder publicae salutationes, größere Kreise bzw. im Prinzip alle, die nicht ausdrücklich davon ausgeschlossen worden waren, erscheinen konnten 48 . Schwierig zu klären ist die Frage, wer bei den täglichen salutationes erscheinen durfte und auf welche Art von salutatio sich die Erscheinungspflicht der Senatoren bezog. Es scheint dies zeitlich und je nach Kaiser unterschiedlich gehandhabt worden zu sein. Der relativ ausführliche, aber in sich etwas unklare Bericht Dios über die salutatio gegen Ende der Regierungszeit des Augustus deutet darauf hin, daß hier nicht eine Erscheinungspflicht, sondern eher das Bedürfnis der Senatoren, daran teilzunehmen, das Problem darstellte: Jedenfalls bat Augustus im Jahre 12 n.Chr. die Senatoren, ihm nicht mehr zu Hause aufzuwarten. Denn diese, so Dio, hätten ihn „meistens, zumal wenn eine Senatssitzung stattfand", auf dem Forum und manchmal sogar in der Kurie - wenn er kam und wenn er ging - „begrüßt" (ήσπάζοντο), ja sogar im Palatium, wenn er saß, manchmal sogar wenn er sich niedergelegt hatte, hätten ihn nicht nur „der Senat", sondern auch „die Ritter" und „viele aus dem Volk" begrüßt 49 . Tiberius stellt es in seiner bei Dio wiedergegebenen Leichenrede auf Augustus als Entgegenkommen des Verstorbenen dar, daß er, der an Festtagen auch das Volk zu Hause empfing, an den anderen Tagen (έν δέ ταΐς άλλαις ήμέραις) aber den Senat in der Kurie begrüßt habe 50 , was sich wohl auf die Sitzungstage beziehen muß. Demnach wurden also die Morgenbegrüßungen des Augustus stark von Senatoren frequentiert, wobei seitens der Senatoren eine Gemengelage aus Wunsch und Verpflichtung, seitens des Kaisers die daraus resultierende Belastung im Vordergrund stand. Die Dimension des Vorgangs wird deutlich, wenn man be-

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Suet. Aug. 53, 2; Cass. Dio 56, 41, 5; Suet. Vesp. 4, 4; Nero 10, 2. - „publica salutatio" scheint Sprachgebrauch des 2. Jahrhunderts zu sein, den Sueton anachronistisch für die neronische Zeit verwendet. Vgl. die parallele Bezeichnung kaiserlicher Gastmähler des 2. Jahrhunderts unten S. 157 f. 47 Fronto ad Ant. Pium 5 (v.d. Hout p. 164; Haines I 226. 228); ad M. Caes. 5, 45 (v.d. Hout p. 77; Haines I 228. 230); 5, 63 (v.d. Hout p. 83; Haines I 248); 5, 57, 1 (v.d. Hout p. 81; Haines 1244). 48 Vgl. Hug, Salutatio 2070. 49 Cass. Dio 56, 26, 3: τό μέν γάρ πλείστον, άλλως τε και οσάκις εδρα αυτών έγίγνετο, εν τε xfj άγορα και έν αύτψ γε εστίν οτε τω συνεδρία) και έσιόντα αυτόν και άπιόντα αύθις ήσπάζοντο, ήδη δέ και έν τψ Παλατίω, και καθήμενόν γε, εστι δ' δτε και κατακείμενον, οϋχ δτι ή γερουσία αλλά και οί ίππής του τε δήμου πολλοί. - Zur Bedeutung von Παλάτιον/παλάτιον bei Dio vgl. unten S. 214 f. so Cass. Dio 56, 41, 5.

2. Der kaiserliche Morgenempfang

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denkt, daß im ersten Jahrhundert - nach der Schätzung von Talbert 51 - mit der Anwesenheit von bis zu 500 Senatoren bei Sitzungstagen des Senats zu rechnen ist. Detailliertere Schilderungen gibt es erst wieder über Vespasian. Einerseits empfing er - wie zitiert - alle, die dies wollten, nicht nur Senatoren. Andererseits ist mehrfach belegt, er habe morgens, nachdem er Briefe und die Berichte aller „Amter" gelesen hatte, seine „engsten Freunde" begrüßt und währenddessen im Bett gelegen bzw. sich Schuhe und Kleider angezogen 52 . Dem entsprechen der Bericht des Jüngeren über den Älteren Plinius - er sei regelmäßig ante lucem zu Vespasian, dessen „Freund" er war, gegangen - und die sozialkritischen Schilderungen Epiktets über die Mühsal kaiserlicher „Freunde", die sich etwa auf diese Zeit beziehen: Sie litten an Schlafmangel, warteten (sc. im Palast), bis gemeldet werde, der Kaiser sei bereits wach, woraufhin dann große Hektik entstünde 53 . Spätestens in dieser Zeit also scheint sich eine Differenzierung in eine tägliche salutatio, zu der ein engerer Kreis herangezogen wurde, und eine gelegentlich, möglicherweise im Anschluß daran stattfindende Morgenbegrüßung in einem weiteren Kreis, der aus der Gesamtheit des Senats (und wohl auch weiteren der genannten Personengruppen) bestand, etabliert zu haben. Dieser Empfang dürfte es sein, auf den Plinius sich bezieht, wenn er als Senator in seiner Rede vor dem Senat sagt: admitiente principe... excusati... summ (paneg. 48,2), und von diesem selbst wird man nochmals diepublicae/promiscuae salutationes an besonderen Festtagen, zu denen „alle" kommen durften, unterscheiden müssen. Schließlich belegt ein Brief Frontos die Möglichkeit des Empfangs einzelner Personen zur Morgenbegrüßung im 2. Jahrhundert: Verus habe ihn als ersten ins cu bleu lum kommen lassen, um ihm, ohne den Neid anderer hervorzurufen, einen Kuß zu geben 54 . 3. In welcher Form lief der kaiserliche Morgenempfang ab? Auf der Ebene der konkreten Umgangsformen zwischen Kaiser und Aufwartenden ist das Bild relativ eindeutig: Die „guten" Kaiser wie Augustus, Vespasian, Trajan und dessen Nachfolger bis Marc Aurel begrüßten die salutatores namentlich, küßten die Vornehmsten unter ihnen und trugen eine Toga, während solche

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Talbert, Senate 151; vgl. Eck, Domus 165 A. 15; allgemein André Chastagnol, Le problème du quorum sénatorial à Rome sous l'Empire, in: Claude Nicolet (Hg.), Du pouvoir dans l'antiquité. Mots et réalités, Genf 1990, 153-163. Suet. Vesp. 21: dein perlectis epistulis offidorumque omnium breviariis, amicos admittebat, ac dum salutabatur, et calciabat ipse se et amiciebat; Cass. Dio 65 (66), 10, 5 : . . . και τοις πάνυ φίλοις και προ της εω εν τε τη εϋνη κείμενος συνεγίνετο; Epit. de Caes. 9, 1 5 : . . . publicisque actibus absolutis caros admitiere, dum salutatur, calciamenta sumens et regium vestitum. Plin ep. 3, 5, 9; Epict. diss. 4 , 1 , 4 7 . Fronto ad Verum imp. 1, 7,1 (v.d. Hout p. 111 f.; Haines II 238; zit. unten Anm. 84).

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VII. Die Salutatio

wie Caligula, Nero, Domitian oder Commodus durch Wertlosigkeit, Verweigerung des Kusses und exzentrische Kleidung hervorstachen 5 5 . Die Frage des Ablaufs des Begrüßungsvorgangs und der Einteilung der Besucher ist demgegenüber schwieriger zu beantworten. Die Forschung ist durchgängig, oft unter Verweis auf die oben erörterte Senecastelle über aristokratische salutationes der späteren Republik, davon ausgegangen, daß bei der kaiserlichen salutatio eine Unterteilung in eine „erste und zweite Vorlassung" {prima und secunda admissio) stattfand und daß dementsprechend die den Kaisern aufwartenden Aristokraten in „Freunde erster und zweiter Vorlassung" (amici primae und secundae admissionis) unterschieden wurden. Meist liegen dabei implizit oder explizit zwei Vorstellungen zugrunde: einerseits daß es sich um Entrees handelte, die Ähnlichkeit mit dem französischen Hofzeremoniell im Absolutismus aufwiesen, andererseits daß die Klassifizierungen der kaiserlichen Freunde dem Vorbild der Rangdifferenzierungen der φίλοι an späthellenistischen Königshöfen folgten 5 6 . Charakteristisch ist, daß 55 56

Vgl. Friedländer, SG I 94 ff.; Hug, Salutatio 2070 f.; Alföldi, Repräsentation 40 ff. Vgl. Mommsen, StR II 2, 834 f.: „Die schon in den grossen republikanischen Häusern aufgekommene Scheidung der Hausfreunde (sc. bei der salutatio) in solche erster und zweiter Klasse ist von den Kaisern beibehalten worden ..."; Friedländer, SG I 76 f. vgl. 90: „Zu den Vorrechten der Freunde, wenn auch vielleicht nur der Freunde erster Klasse, gehörte ganz besonders, daß sie dem Kaiser an jedem Morgen ihre Aufwartung machen durften, ein Brauch, der in dem Lever des französischen Hofzeremoniells seine letzten Nachklänge hinterlassen hat." vgl. 95; Martin Bang, Die Freunde und Begleiter der Kaiser, in: Friedländer, SG IV 56-76. 56: „... neben der Sitte der republikanischen Zeit" habe „sicherlich auch (und zwar in noch höherem Grade) das Zeremoniell orientalischer Königshöfe als Vorbild eingewirkt ..."; vgl. 57 über „die Scheidung der Freunde in zwei Klassen und die hieraus resultierende zwiefältige Abstufung des Zeremoniells bei deren Empfange", die „aus der republikanischen Zeit fortbestanden" habe (mit Verweis auf Mommsen); vgl. Geizer, Nobilität (1912) 106 A. 346 (im Anschluß an Sen. de benef. 6, 34 [zit. oben Anm. 12. 13]): „Zu C. Gracchus ... würde es sehr gut passen, wenn er sich für seine Audienzen gewisse Bräuche des hellenistischen Hofzeremoniells angeeignet hätte."; Alföldi, Repräsentation 28, über „das Vorbild der hellenistischen Königshöfe" bei der „Institution der cohors amicorum" (im Anschluß an Bang) und über deren Einteilung „in eint prima und eine secunda admissio"; Crook, Consilium prineipis 22 f.; Tamm, Auditorium 91 A. 2; Turcan, Cour 133: „Ii y a une hiérarchie, suivant laquelle on est classé en .première' ou en .deuxième audience' {primae, secundae admissionis) et rangé en conséquence à l'entrée de la grande salle du trône. Les inscriptions nous font connaître des personnages de première ou de seconde .salutation'. Les sénateurs, les chevaliers amis du prince ont évidemment la préséance. Ils sont reçus quelquefois dans la chambre de l'empereur, comme les courtisans au lever du rois sous Louis XIV."; Kostas Buraselis, Des Königs philoi und des Kaisers amici. Überlegungen zu Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen dem hellenistischen und dem römischen Modell monarchischer Regierung, in: ders. (Hg.), Unity and Units of Antiquity. Papers from a Colloquium at Delphi 5.-8.4.1992, Athen 1994, 19-33. 25, sieht Sen. de benef. 6, 34 als „Beleg eines direkten hellenistischen Einflusses auf Rom"; Wallace-Hadrill, Court 290, läßt die Frage der Einteilung offen: „If he (sc. the emperor) graded his friends into admissiones, so too did others." Zum Ausnahmecharakter des Zeremoniells am französischen Königshof im Abso-

2. Der kaiserliche Morgenempfang

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die gesellschaftsstrukturelle Bedeutung der postulierten Sachverhalte - vermutlich aus Unkenntnis der Tatsache, daß die gesamte Aristokratie davon betroffen gewesen wäre - jeweils unerörtert bleibt 57 : Eine formalisierte und in stetiger zeremonieller Interaktion manifestierte Hierarchie nach amicitia zum Kaiser hätte eine neuartige höfische Integration der römischen Oberschicht und damit einen grundlegenden Bruch mit der traditionellen, auf ordines und senatorischen Amtsklassen basierenden Rangordnung der römischen Gesellschaft bedeutet. Die angeführten Quellen sind folgende: In De dementia ( 1 , 1 0 , 1 ) schildert Seneca, wie Augustus dem Cinna trotz einer von ihm geplanten Verschwörung verzieh, ihm seine amicitia anbot und ihm sogar das Konsulat übertrug. Seneca begründet dies mit den Worten: Über wen hätte er herrschen sollen, wenn er nicht den Sallust, Männer wie Cocceius und Dellius et totam cohortem primae admissionis aus dem Lager seiner früheren Feinde rekrutiert hätte? 58 Als Beleg für einen Terminus technicus „prima admissio" und eine daraus zu erschließende „secunda admissio" kann die Stelle jedoch nicht dienen. Vielmehr handelt es sich bei „primae" um eine Konjektur zu „primam", die weder sprachlich notwendig, noch, wie zu zeigen ist 59 , von der Sache her gerechtfertigt ist. Seneca redet also unspezifisch von „der ersten Gruppe" beim Empfang, was lediglich auf eine wie auch immer geartete Sukzessivität des Begrüßungsvorgangs deutet. Des weiteren wird für eine Unterteilung des kaiserlichen Morgenempfangs in zwei „Vorlassungen" - und die daraus resultierende Zweiteilung der kaiserlichen amici - die Grabinschrift des Prätors L. Plotius Sabinus aus der Zeit des Antoninus Pius angeführt. Von diesem wird, nach absteigendem Cursus,

gesagt: habenti quoq(ue) salutation(em)

secundam imp(eratoris)

Antonini

Aug(usti) Pifi0. Die Annahme, daß hier eine secunda admissio gemeint ist 61 ,

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59 60 61

lutismus vgl. oben Anm. 18; zu den hellenistischen Höfen bes. Max L. Strack, Griechische Titel im Ptolemäerreich, in: R h M 55, 1900, 1 6 1 - 1 9 0 ; Leon Mooren, Ü b e r die ptolemäischen Hofrangtitel, in: Antidoron Willy Peremans, Leiden 1968, 1 6 1 180; ders., The Aulic Titulature in Ptolemaic Egypt. Introduction and Prosopography, Brüssel 1975; zuletzt Weber, Königshof im Hellenismus bes. 42—46. 5 5 57; Herman, Court Society of the Hellenistic Age 1 9 9 - 2 2 4 . Eine Ausnahme stellt Mommsen dar, was aus seiner - ohne Quellenbeleg formulierten - Annahme hervorgeht, die Scheidung der Freundesklassen habe weitgehend der Unterteilung von Senatoren- und Ritterstand entsprochen (StR II 2, 835; vgl. unten Anm. 61). Es handelt sich um Cn. Cornelius Cinna Magnus ( P I R 2 C 1339), C . Sallustius Crispus (PIR 1 S 61; Arthur Stein, Sallustius 11, R E 1 A 2, 1920, 1955f.), M. Cocceius Nerva (PIR 2 C 1224) und - „Dellios" ist konjiziert - möglicherweise Q . Dellius (Georg Wissowa, Q . Dellius, R E 4, 2, 1901, 2447f.), jeweils ursprünglich Gegner Oktavians, die entweder vor Aktium zu ihm übertraten oder später von ihm unter seine „Freunde" aufgenommen wurden. Vgl. unten S. 1 3 1 - 1 3 3 . C I L VI 31746 (= 41111 = ILS 1078); P I R 2 Ρ 517. Friedländer, S G I 77 Α. 1; Johannes Schmidt, Admissio, R E 1 , 1 , 1 8 9 3 , 3 8 1 f.; C r o o k ,

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VII. Die Salutatici

kann jedoch nicht überzeugen. Einerseits ist eine Gleichsetzung der Bedeutungen von salutatio und admissio in dieser Weise nirgends belegt. Zudem ist die - singuläre - Erwähnung einer secunda salutatio nur dann sinnvoll, wenn es sich um eine besondere Auszeichnung handelte. Für einen Prätor würde eine secunda admissio, wenn es sie gegeben hat, jedoch keine besondere Ehre bedeutet haben. Es ist daher anzunehmen, daß sich secunda salutatio nicht auf die Zugehörigkeit zu einer „Vorlassung" bei der Morgenbegrüßung bezieht, sondern auf den Begrüßungsvorgang selbst. Dann wäre der Prätor, vielleicht bei besonderer Gelegenheit, als zweiter von Antoninus Pius begrüßt worden 6 2 . Dies weist dann aber nicht auf Entrees von Gruppen, sondern auf die Reihenfolge bei der Begrüßung - möglicherweise bei Einzelbegrüßungen, wie sie Fronto berichtet 6 3 - hin. Schließlich wird im Zusammenhang der kaiserlichen „admissiones" eine Stelle aus Plinius' „Naturgeschichte" angeführt: Dort wird (bei der Behandlung von Goldringen) davon gesprochen, daß unter Claudius für diejenigen, „denen die freien Vorlassungen das Recht verschafft hatten, das Bild des Kaisers aus Gold am Ring zu tragen", eine vorzügliche Gelegenheit zu Verleumdungen geschaffen wurde und daß dies durch Vespasian, indem er den Kaiser für alle gleich zugänglich machte, wieder abgeschafft wurde 6 4 . Dies scheint dann auf eine libera admissio einer bestimmten Gruppe zu deuten, die durch

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Consilium principis 23 mit A. 8; Kunkel, Kleine Schriften 597 A. 13 (der hier salutatio und admissio vertauscht); Turcan, Cour 133 mit A. 22. - Mommsen, StR II 2, 813. 834f., geht auf die ihm bekannte Inschrift (vgl. seinen in CIL VI abgedruckten Kommentar) bei seiner Behandlung der salutatio und der Einteilung der amici nicht ein: Sie widerspricht, wenn denn die secunda admissio gemeint wäre, seiner Auffassung, daß für die Unterscheidung der „Klassen" vor allem der Senatoren- bzw. Ritterstand konstitutiv war und daß jedenfalls die Senatoren zur ersten Klasse gehörten. In diesem Sinne auch die Interpretation von Max Lambertz, Plotius 13, RE 21, 1, 1951,596 f.: „... er genoß von Seiten des Kaisers die Auszeichnung, bei den Sonderempfängen zwecks Entgegennahme des Morgengrußes durch den Kaiser von diesem sofort nach dem praefectus praetorio als zweiter Besucher ins kaiserliche Schlafgemach eintreten zu dürfen". - Weitere Teile der Inschrift sind ebenfalls sehr merkwürdigen bzw. singulären Charakters und schwierig zu deuten: Die letzte Zeile lautet: Sabinus praetor magna res formis [oder: Formis] perit. Man hat magna resformis als „ein Meister in den Umgangsformen des Kaiserhofes" (Buecheler), als „ein im Bauen von Wasserleitungen erfahrener Mann" (Mommsen), als „mächtiger Faktor für die Formen, d. h. für die Formulierung der Gesetze" (ebenfalls Buecheler) und als „in Formiae gestorben" gedeutet (Gatti und Dessau durch die Großschreibung von formis in ILS 1078). Vgl. im einzelnen die Diskussion bei Lambertz a.O. Die erste Zeile lautet: dis genitoribus. Dessau kommentiert: „Dis genitoribus dedicatos títulos sepulcrales praeterea non habemus." Oben Anm. 54. Plin. nat. hist. 33, Ah fuit et alia Claudii principatu differentia insolens iis, quibus admissiones liberae ius dedissent imaginem principis ex auro in anulo gerendi, magna criminum occasione, quae omnia salutaris exortus Vespasiani imperatoris abolevit aequaliter publicando principem.

131

2. Der kaiserliche Morgenempfang

das Recht, das Kaiserbildnis auf ihrem Ring zu tragen, kenntlich war. Auch hier handelt es sich jedoch um eine, zwar sehr elegante, aber gleichwohl willkürliche Konjektur, die Mommsen vorgeschlagen hat. Die Handschriften, bis auf die Bamberger, schreiben nämlich: quibus admissionem liberti eins dedissent. In jener heißt es unklar: quibus admissionis liberae eius dedissenfi5. Die

am häufigsten überlieferte Version ergibt jedoch durchaus einen Sinn: Es gab unter Claudius ein außergewöhnliches Vorrecht für die, „denen seine Freigelassenen den Zugang gewährten, das Bild des Kaisers aus Gold am Ring zu tragen". Dies zeigt dann aber, daß es hier nicht um die salutatio gehen kann, zu der zu erscheinen (für Senatoren) kein besonderes Vorrecht darstellte, sondern daß von dem allgemeinen Zugang zum Kaiser außerhalb der Morgenbegrüßung die Rede ist, der unter Claudius durchaus von den kaiserlichen Freigelassenen kontrolliert wurde. So bleibt schließlich nur noch die Inschrift eines ansonsten unbekannten C. Caesius Niger, die aus augusteischer oder tiberischer Zeit stammen muß und in der es heißt, dieser sei exprima admissione gewesen66. Daß dies kaum ein Beleg für eine Unterteilung der kaiserlichen salutatio in unterschiedliche admissiones sein kann, zeigen nun die übrigen Quellen über deren Ablauf unter Augustus und Tiberius. In der bereits zitierten Dio-Stelle wird beschrieben, daß Augustus in seinem Haus „sitzend" oder auch „liegend" den Senat, die Ritter und viele aus dem Volk zur Begrüßung empfangen habe67. Dies bedeutet, daß er sich von dem eingenommenen Platz während der Begrüßung nicht fortbewegte. Das Liegen und die Tatsache, daß der ganze Vorgang als Zeichen großer Zugänglichkeit des Kaisers dargestellt wird, deuten darauf hin, daß er sich dabei in seinem cubiculum aufhielt. Bedenkt man nun die Kleinräumigkeit des von Augustus bewohnten Hauses auf dem Palatin68, so können die von Dio beschriebenen salutationes nur in Form eines Defilees von einzelnen Personen (allenfalls von „Kleinstgruppen")69 stattgefunden haben. Für Entrees einer 65 66

Mommsen, Comités Augusti 320 Α. 2. CIL VI 2169 (= ILS 1320). Der vollständige Text lautet: dis manibus

Caesio Q. f . Ter. Nigr. exprima admissione,

67 68 69

sacrum

ex qua[t]tuor decuris, curio minor.

C.

Cae-

sia C. I. Theoris patrono etsibi. - Vgl. Otto Skutsch, Caesius 25, RE 3 , 1 , 1 8 9 7 , 1 3 1 6 ; PIR 2 C 202. Die Datierung der nur in Abschriften des 16. Jahrhunderts erhaltenen Inschrift ergibt sich aus der Angabe ex qua[t]tuor decuris. Erst unter Augustus wurde eine vierte, unter Caligula eine fünfte Dekurie der Geschworenengerichte eingeführt (Mommsen, StR III 1, 535). Zum gesellschaftlichen Stand des Caesius Niger vgl. unten Anm. 76. Cass. Dio 56, 26, 3 (oben Anm. 49). Vgl. oben S. 49 ff. Auf kleine Gruppen könnte Suet. Aug. 35, 2 deuten, wo es heißt, Augustus habe nach der zweiten Senatssäuberung Senatoren nur einzeln und nach vorheriger Lei-

besvisitation an sich herangelassen (... ne admissum quidem tunc quemquam senatorum nisi solum etpraetemptato sinu). Allerdings ist hier nicht eindeutig von einer

salutatio

die Rede, zudem kann das solum

auch „ohne Begleiter" meinen. Solche

132

VII. Die Salutatio

prima oder secunda admissio, auch wenn sie „nur" aus den Senatoren und vornehmsten Rittern bestanden hätten, war schlechterdings kein Platz. Auch die nach Senecas Angaben von C. Gracchus und Livius Drusus praktizierte Möglichkeit der Aufteilung von Gruppen auf verschiedene Räume kommt nicht in Frage, da Augustus während der Begrüßung an seinem Platz blieb. Die salutatio beim ersten Kaiser vollzog sich also in einer Weise, die Senecas Zustimmung finden mußte: Die salutatores wurden nicht auf verschiedene Räume verteilt und dadurch in Gruppen oder „Klassen" gegliedert, und entsprechend hätte man ihm auch nicht vorwerfen können, es gäbe bei seinem Empfang verschiedene „admissiones"70. Eine Hierarchisierung der Besucher wird gleichwohl durch die Reihenfolge ihres Eintritts in das kaiserliche cubiculum bestanden haben, und hierauf wird sich Senecas „totam cohortem primam admissionis" (de clem. 1,10,1) beziehen: „die ganze erste Menge beim Empfang" 71 . Diese Hierarchie scheint allerdings unter Augustus nicht vom Kaiser vorherbestimmt, sondern den Besuchern selbst überlassen worden zu sein, d. h. vornehmlich der traditionellen politisch-sozialen Rangordnung entsprochen zu haben72. Darauf deutet die Änderung dieses Verfahrens unter Tiberius hin. Dieser bat die Senatoren, ihm gemeinsam, d. h. als Gruppe, aufzuwarten, mit der Begründung, sie müßten sich dann nicht im Gedränge stoßen73. Das wird ihm von Cassius Dio als Entgegenkommen gegenüber jenen ausgelegt, und man kann annehmen, daß die neue Form der Begrüßung auch für den Kaiser eine Erleichterung darstellte, denn das augusteische, „ungeordnete" Verfahren muß für ihn selbst sehr zeitaufwendig und anstrengend gewesen sein, worauf auch die Bevorzugung der kollektiven Begrüßung des Senats an seinen Sitzungstagen in der Kurie und die gänzliche Einstellung der salutatio im Haus des Kaisers gegen Ende seines Lebens deuten74. Die korporative salutatio des Senats unter Tiberius kann nun aufgrund der Größe des Personenkreises nicht mehr im cubiculum des Kaisers stattgefunden haben, von dem generell berichtet wird, daß er einzelnen Senatoren dort ungern Zutritt gewährte75. Auch

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waren normalerweise im Gefolge der Aufwartenden (vgl. z.B. Suet. Claud. 35, 2: comités, librarii). Wie aus Suetons Schilderung der Begrüßung des Senats in der Kurie hervorgeht, verzichtete Augustus auch auf den Einsatz von Nomenklatoren (Aug. 53, 3). Zur linearen Hierarchisierung auch bei der Aufteilung in räumlich geschiedene Gruppen vgl. oben Anm. 19. Zum Vergleich kann man die salutatio bei Seian auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung heranziehen: Dio berichtet, es hätte Rivalität und Gedränge vor seinen Türen gegeben, nicht nur weil man fürchtete, von ihm übersehen zu werden, sondern auch weil man nicht unter den letzten gesehen werden wollte. Dies habe besonders für die πρώτοι gegolten (58, 5, 2). Cass. Dio 57, 11, 1. Cass. Dio 56, 26, 2; vgl. oben S. 126. Suet. Tib. 27: adulationes adeo aversatus est, ut neminem senatorum aut officii aut negotii causa ad lecticam suam admiserit. - „lectica" wird meist als „Sänfte" über-

2. Der kaiserliche Morgenempfang

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die F o r m des Defilees wird durch die gemeinsame Begrüßung aufgehoben worden sein. Als Zwischenergebnis hinsichtlich der Form, in der die kaiserlichen salutationes abliefen, läßt sich mithin festhalten, daß es keinerlei Hinweise auf eine Unterteilung in eine prima und eine secunda admissio gibt, die sich in F o r m von Entrees hierarchisch abgeteilter Gruppen abgespielt hätten. Die einzige aus augusteischer oder tiberischer Zeit stammende inschriftliche Erwähnung einer prima admissio kann sich nicht auf die Teilnahme an der kaiserlichen salutatio beziehen: Augustus hielt seine Morgenbegrüßung als Defilee ab, und Tiberius empfing den Senat kollektiv. Caesius Niger, von dem es heißt, er sei ex prima admissione gewesen, kann also nicht zu einer „ersten Vorlassung" beim Kaiser gehört haben, da er jedenfalls kein Senator war 7 6 . Ein Erklärungsversuch des singulären, nur in Abschriften des 16. Jahrhunderts erhaltenen inschriftlichen Zeugnisses wird ihn wohl als quidam ex officio admissionis77, d. h. als einen (ehemaligen) Funktionsträger der kaiserlichen Hoforganisation ansehen müssen.

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setzt. Es ist jedoch merkwürdig, daß sich Senatoren wegen ihrer officia und negotia ausgerechnet an den Kaiser in der Sänfte gewandt haben sollen. (Auch die im Anschluß von Sueton berichtete Episode von dem Konsular, der sich Tiberius zu Füßen werfen wollte, fand, wie der Parallelbericht bei Tacitus zeigt [ann. 1,13, 6], im Palatium statt, d. h. wahrscheinlich im Bereich des Apollonheiligtums [s. oben S. 57 mit Anm. 55].) Nun wird lectica gelegentlich in gleicher Bedeutung verwandt wie lecticula, was u.a. eine „chaise longue, auf der man beim Studieren lag", bezeichnet, oder lectus, ein Möbelstück „zum Schlafen und Ausruhen am Tage". (Hans Lamer, Lectica, RE 12, 1, 1924, 1056-1108. 1057. vgl. 1084) Die Stelle besagt also, daß Tiberius, im Gegensatz zu Augustus, der sich sitzend und liegend aufwarten ließ, keinen Senator auf seiner lecticula/seinem lectus liegend zur salutatio (officium) oder anderen Besprechungen (negotium) empfing. In diesem Sinne auch Allen, Cicero's salutatio 710: „... it would surely be incorrect to call it (sc. die lectica in Tib. 27) a litter." Vgl. oben Anm. 66. Die Annahme, Caesius Niger sei aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den vier Geschworenendekurien ritterlichen Standes gewesen (so Mommsen, StR II 2, 834 A. 2; Friedländer, SG I 77 A. 1; Crook, Consilium 23; in der RE und der PIR bleibt seine Zugehörigkeit zum Ritterstand offen), erscheint nicht überzeugend: Lediglich die Mitglieder der ersten drei Dekurien hatten über den ganzen, die der beiden anderen nur über den halben Ritterzensus zu verfügen. „Wenn daher ... die Geschwornenbenennung titular geführt wird, nehmen die der drei ersten Decurien neben der allgemeinen Bezeichnung als iudex ex quattuor oder später ex quinqué decuriis noch den Beisatz hinzu ex tribus decuriis oder auch quadringenarius, während die Geschwornen der beiden letzten, nicht ritterlichen Decurien, die ducenarii sich der näheren Bezeichnung enthalten." (Mommsen, StR II 1, 536. vgl. A. 1) Caesius Niger, bei dem auch die Benennung iudex fehlt, enthält sich der „näheren Bezeichnung". Ségolène Demougin, Prosopographie des chevaliers romains JulioClaudiens (43 av. J.-C. - 70 ap. J . - C ) , Rom, Paris 1992, 265, Nr. 312, hält Caesius Niger für einen Ritter, jedoch weniger aufgrund seiner richterlichen Funktion als wegen der Bezeichnung curio minor, hinter der sie ein Priesteramt vermutet (siehe dazu die nächste Anm.). Eine solche Formulierung findet sich in einem Bericht Suetons über die neronische Zeit (Vesp. 14). Die ungewöhnliche Bezeichnung exprima admissione könnte dann

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VII. Die Salutatici

In welcher Weise hat sich der Ablauf der salutatio unter den folgenden Kaisern entwickelt? Unter Claudius, das wurde oben zu zeigen versucht 78 , war erstmals die räumliche Voraussetzung zur gleichzeitigen Versammlung großer Personenkreise im neuentstandenen kaiserlichen Palast gegeben. Ein Hinweis Suetons zeigt, daß jetzt nicht nur die Senatoren, sondern auch weitere Personenkreise den Kaiser gemeinsam begrüßten, d.h. daß die Form des Defilees durch eine vermutlich räumlich gestaffelte Hierarchie von Gruppen abgelöst wurde: Ein Prozeßführender (litigator) habe den Kaiser während des Morgenempfangs beiseite geführt und ihm (seducto in salutatione) berichtet, er habe im Traum gesehen, wie Claudius ermordet werde. Als kurz darauf sein Prozeßgegner dem Kaiser eine Bittschrift überreichen wollte, habe er so getan, als erkenne er plötzlich den Mörder wieder, worauf jener dann sofort wie ein Verbrecher weggeschleppt worden sei 79 . Es war also eine größere Gruppe anwesend, die nicht, zumindest nicht in erster Linie, aus Senatoren bestand, worauf die litigatores und der libellas deuten, man konnte den Kaiser einzeln ansprechen und ihm Bittschriften überreichen. Auf kollektiven Empfang - diesmal (auch) von Senatoren - deutet ebenfalls der Bericht, daß Galba den Piso e media salutantium turba heraus adoptiert habe 8 0 . Die ab Vespasian belegte salutatio „im kleinen Kreis", die sich bei ihm ohne eine erkennbare Ordnung abspielte - die „engsten Freunde" begrüßten ihn im cubiculum, während er sich Schuhe und Kleider anzog 81 - , scheint im Laufe der Zeit stärker formalisiert worden zu sein. Darauf deuten die Zeugnisse aus dem 2. Jahrhundert. Marc Aurel soll seinen Lehrer Iunius Rusticus, mit dem er „alle öffentlichen und privaten Angelegenheiten beriet", „stets" noch vor den Prätorianerpräfekten mit einem Kuß begrüßt haben 82 . D e m nach stand jenen normalerweise die „erste Begrüßung" zu 8 3 . Ähnlich ist die

auf einen Bezug zur statio prima innerhalb der Organisation des kaiserlichen cubiculum verweisen. Vgl. dazu oben S. 100. - Schwierig zu deuten ist auch die Titulierung des Caesius Niger als curio minor (vgl. Joachim Marquardt, Römische Staatsverwaltung, 2 Bde., 2. Aufl., Leipzig 1884. 1885, II 194 A. 2; Mommsen, StR III 1, 101 A. 4; Bernhard Kübler, Curio, RE 4,2,1901,1836-1838.1837). In der Kaiserzeit erscheint curio auch in der Bedeutung „Ausrufer" (vgl. Mart, epigr. 2 praef.; Hist. Aug. Gall. 12, 4). 78 S. 64 f. 7 9 Suet. Claud. 37, 1. Der Wahrheitsgehalt der Geschichte interessiert in unserem Zusammenhang nicht. Gerade wenn Sueton (oder die Quellen, auf denen sein Bericht basiert) hier bezweckte, in tendenziöser Weise die Ängstlichkeit und Beeinflußbarkeit des Kaisers darzustellen, war er darauf angewiesen, dies in einem plausiblen, den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Kontext zu präsentieren. 8 0 Suet. Galba 17. 81 Oben Anm. 52. 82 Hist. Aug. Marc. 3 , 4 : . . . cum quo omnia communicavit publica privataque Consilia, cui etiam ante praefectos praetorio semper osculum dedit. 83 Vgl. Cass. Dio 69, 19, 1, wo als Dokument der Bescheidenheit des Ser. Sulpicius Similis, Prätorianerpräfekt zur Zeit des Thronwechsels von Trajan zu Hadrian (PIR 1 S 735; Arthur Stein, Sulpicius 104, RE 4 A 1,1931, 871 f.), berichtet wird, die-

2. Der kaiserliche Morgenempfang

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erwähnte Einzelbegrüßung Frontos im cubiculum des Verus zu interpretieren 84 : Sie wird damit motiviert, daß der Kaiser ihm auf diese Weise einen Kuß geben konnte, ohne den Neid anderer zu erregen. Auch dies spricht für eine festgelegte Begrüßungsfolge in dieser Zeit. Hinsichtlich der Morgenbegrüßung im größeren Kreis weist ein Zeugnis vom Anfang des 3. Jahrhunderts auf die fortbestehende Praxis einer räumlich gestaffelten Hierarchie von Gruppen hin. So hatte Alexander Severus amici primi loci, secundi loci und inferiores85. Die Charakterisierung der amici nach loci - und nicht nach admissiones - unterstreicht, auch wenn man hier eine übertragene Bedeutung von locus annehmen will, das Vorherrschen einer räumlichen Inszenierung der Hierarchie bei der kaiserlichen salutatio auch in dieser Zeit. 4. Betrachtet man die „weiten", in den Quellen als promiscuae oder publica e salutationes bezeichneten Morgenempfänge am kaiserlichen Hof, zu denen seit Augustus „der" Senat, „die" Ritter und „viele" aus dem Volk (Cassius Dio) Zugang hatten, so ist ein grundlegender Funktionswandel gegenüber den salutationes in den Häusern republikanischer Senatoren feststellbar. Dienten die Aufwartungen zur Zeit der (stabilen) Republik der Erzeugung und Visualisierung von Macht in einer prinzipiell von militärischer Gewalt freien städtischen Gesellschaft 86 , von Macht, die sich ganz real, z.B. bei Wahlen in den Volksversammlungen, in die Tat umsetzen ließ, so war die Machtfrage in der Kaiserzeit bereits vorweg geklärt. Allerdings hatte der Prinzeps, und dies ist gegenüber einer Vorstellung zu betonen, die in ihm in erster Linie einen obersten Patron sieht 87 , seine Sonderstellung nicht durch (gewaltfreie)

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ser habe noch als Zenturio unter Trajan den Kaiser getadelt, weil er ihn einmal vor den Prätorianerpräfekten „hereinrief" (αυτόν έσκαλέσαντι ποτε εϊσω προ των έπαρχων). Vgl. auch C J 9, 5 1 , 1 , für die Zeit Caracallas (oben Anm. 23). Fronto ad Verum imp. 1, 7, 1 (v.d. H o u t p. 112; Haines II 238): primum me intromitti in cubiculum iubebas, ita sine cuiusquam invidia osculum dabas. Hist. Aug. Alex. Sev. 20, 1 : moderationis tantae fuit, ...ut amicos non solum primi aut secundi loci sed etiam inferiores aegrotantes viseret. Vgl. auch den Bericht über die salutationes bei dem 205 gestürzten Prätorianerpräfekten Plautianus von Cass. Dio 77 (76), 5, 3 f.: D o r t hatten nur wenige den Zugang zu einem besonderen E m p fangsraum (wohl dem cubiculum). Daß die übrigen an ihren Plätzen verblieben, daß also auch hier keine Entrees aller anwesenden Gruppen in zeitlicher Folge stattfanden, zeigt die Ausrede eines der „Freunde": E r sei im Zwischenraum (vor dem privilegierten Empfangsraum) stehengeblieben, so daß Plautianus meinen mußte, er sei nicht in der ersten Gruppe, die übrigen aber glaubten, er sei sehr wohl dabeigewesen. Bei nacheinander erfolgendem Eintritt der Gruppen in das cubiculum hätte er dieses Versteckspiel kaum praktizieren können. Mit den Worten vis in populo abesto umschrieb Cicero (de leg. 3 , 1 1 ) diesen Grundsatz in einer Zeit, als er schon vielfach durchbrochen war. Vgl. Wilfried Nippel, Aufruhr und „Polizei" in der römischen Republik, Stuttgart 1988, bes. 108 ff. Diesen Aspekt hat Premerstein, Prinzipat, in den Vordergrund seiner Analyse des römischen Kaisertums gerückt.

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VII. Die Salutatio

Ausdehnung seiner Gefolgschaft in der Stadt, sondern durch die Monopolisierung militärischer Gewaltmittel und - vor allem in Form der Stationierung der Prätorianergarden in Rom - durch die Aufhebung der traditionellen Scheidung der Bereiche domi und militiae erreicht. Daß den Aufwartenden beim militärischen Gewalthaber nicht mehr grundsätzlich persönliche Anhängerschaft unterstellt wurde, zeigt vielleicht nichts deutlicher als die Tatsache, daß sich die Kaiser von den zur salutatio Erscheinenden in ihrer Sicherheit bedroht fühlten: Seit Claudius wurden nicht nur Männer, sondern anfangs sogar Frauen, Kinder sowie die Begleiter und Schreiber der Aufwartenden einer gründlichen Leibesvisitation unterzogen, bevor sie sich dem Kaiser nähern durften. Erst unter Vespasian soll dies wieder abgeschafft worden sein 88 . Die Monopolstellung des Kaisers und die Inklusion „aller" in die kaiserliche Morgenbegrüßung gab dieser einen institutionellen, von der persönlichen Beziehung der Beteiligten unabhängigen Charakter 89 . Ihre Funktion war nicht mehr primär die Erzeugung, sondern in erster Linie die Manifestation von Machtverhältnissen: Für den Kaiser symbolisierte sie in regelmäßiger Interaktion seine alle anderen Aristokraten überragende, konkurrenzlose Stellung, für jene wurde sie zunehmend zu einem Symbol ihres politischsozialen Ranges, für den jetzt die „Freundschaft" zum Kaiser notwendige Voraussetzung war: Wen der Kaiser von der salutatio ausschloß, der war ein (meist nicht nur politisch) toter Mann 90 . Der je nach Kaiser mehr oder weniger starke Anwesenheitszwang für Mitglieder des Senatorenstandes unterstreicht die Notwendigkeit dieser Manifestation seiner Stellung und einer damit (allerdings, wie die Leibesvisitationen zeigen, nur äußerlich) gegebenen Kontrolle der aristokratischen Unterordnung. Den Aristokraten - und ebenso den weiteren Aufwartenden - bot sie umgekehrt die Möglichkeit zu einer Art „Unterwerfungsgeste" gegenüber dem (neuen) Kaiser. Dies zeigt sich besonders in der Krisensituation eines gewaltsamen Herrscherwechsels, in der die Unklarheit der eingenommenen Position äußerst riskant sein 88

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Suet. Claud. 35, 1; Cass. Dio 60, 3, 3. Vergleichbare Verhältnisse in dieser Hinsicht zeigen sich bereits in der späten Republik, wie ein geplanter Anschlag auf Cicero bei einer salutatio dokumentiert (Cie. Catil. 1, 9 f.; Sail. Cat. 28, If.). Vgl. Mommsen, StR II 2, 834: „... während bei den privaten Morgenaudienzen immer persönliche Beziehungen und Nahverhältnisse zu Grunde liegen, (ist) für die Zulassung zu den kaiserlichen die Rang- und die Lebensstellung überhaupt massgebend ..., und durch diese Ausdehnung werden dieselben gewissermassen zu einer politischen Institution." Vgl. II 2, 813. Vgl. Sen. de ira 3, 23, 4-8, wo als Besonderheit der gemäßigten Verhältnisse unter dem ersten Prinzeps Augustus vermerkt wird, daß damals das kaiserliche Hausverbot (praeclusa Caesaris domus), verhängt gegen den Geschichtsschreiber Timagenes, noch nicht dazu führte, daß ihm automatisch alle anderen Häuser verschlossen waren (inimicitias gessit cum Caesare: nemo amicitiam eius extimuit). Allerdings bot Asinius Pollio, der Timagenes Aufnahme gewährt hatte, dem Augustus an: si iubes, Caesar, statim illi domo mea interdicam. - Vgl. dazu Kierdorf, Freundschaft 235 ff.

2. Der kaiserliche Morgenempfang

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konnte: Tacitus schildert in den Historien, wie im Jahre 69 auf das Gerücht hin, Vitellius wolle seine Herrschaft niederlegen, sofort „die vornehmsten Senatoren und sehr viele des Ritterstandes (primores senatus etplerique equestris ordinis), ebenso sämtliche städtischen Soldaten (omnis miles urbanus) und die Wachmannschaften (vigiles)" in das Haus des Flavius Sabinus, Bruder des Usurpators Vespasian in Rom, strömten, „wie wenn die gesamte res publica schon dem Vespasian in den Schoß gefallen wäre" 91 . Der Funktionswandel der salutatio beim Kaiser, ihre Abkoppelung von persönlicher Unterstützung und Machtbildungsprozessen bei weitgehend gleichbleibenden äußeren Formen, ihre Benutzung zur Inszenierung von letztlich auf Gewaltverhältnissen beruhender Hierarchie barg nun die Gefahr einer Doppelbödigkeit der dabei stattfindenden Kommunikation zwischen Kaiser und Aristokratie in sich, die einiges Geschick seitens der Beteiligten erforderte. Leibesvisitationen waren vielleicht eine ehrliche, die Situation aber nicht unbedingt entschärfende Verhaltensweise des Kaisers. Die Alternative, seine salutationes wie ein „Privatmann" abzuhalten, d.h. in erster Linie ohne auffällige militärische Präsenz und ohne entwürdigende Zugangskontrollen, wie es von Augustus, Vespasian oder Trajan berichtet wird, steigerte die Akzeptanz der Machtverhältnisse seitens der Aristokratie, was das gute Echo dieser Kaiser in der senatorischen Geschichtsschreibung zeigt, war aber durchaus riskant und erforderte Gespür für die jeweilige Situation: Den Prätor Quintus Gallius, der bei einer Morgenbegrüßung eine zusammengeklappte Schreibtafel unter seinem Gewand trug, verdächtigte Augustus, wie Sueton berichtet, er verberge ein Schwert. Trotzdem habe der Kaiser nicht gewagt, ihn sofort durchsuchen zu lassen, aus Angst, es könne etwas anderes gefunden werden. Später, d. h. als kein Grund mehr bestand, im Rahmen der salutatio die Form zu wahren, habe er ihn foltern und, als er nichts gestand, töten lassen92. Zur Zeit der Senatssäuberung im Jahre 18 v.Chr. ließ auch Augustus solche Vorbehalte fallen und Senatoren nur einzeln und nach vorheriger Durchsuchung an sich heran 93 . Darüber hinaus hatte die Abkoppelung der salutatio von Machtbildungsprozessen eine Verstärkung der Asymmetrie im dort traditionell stattfindenden Austausch von Leistungen zur Folge. Da äußerlich bekundete politische Loyalität dem Kaiser gegenüber bereits die Voraussetzung einer Zulassung war, hatten die Aufwartenden im Prinzip nur eine in welcher Form auch immer praktizierte Demonstration ihrer Unterordnung zu bieten, während

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Tac. hist. 3 , 6 9 , 1 . Suet. Aug. 27, 4. Sueton berichtet auch die von Augustus verbreitete Version des Vorgangs: Der Prätor habe ihn um ein Gespräch ersucht und bei diesem tätlich angegriffen, sei von ihm daraufhin aus Rom verbannt worden und vermutlich durch Schiffbruch oder Räuber ums Leben gekommen. Auch diese Variante zeigt jedoch die Gefährlichkeit kaiserlicher civilitas. Suet. Aug. 35, 2. Vgl. Kienast, Augustus 96 ff.

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VII. Die Salutatio

umgekehrt der Kaiser in nahezu unbegrenzter Weise begehrte Güter, vor allem Amter, Ehren und Reichtum verteilen konnte94. Die ab Vespasian belegte zusätzliche salutatio im kleinen Kreis mit der Zuziehung besonderer, „enger Freunde" ist demgegenüber als Reaktion auf den institutionellen Charakter des morgendlichen Empfangs „aller" bzw. der Aristokratie insgesamt zu deuten. Ihr kommt insofern eine andere Funktion zu, als die Teilnahme Dokument einer persönlichen Nähe zum Kaiser und aufgrund der damit verbundenen Einflußchancen auch besonders begehrt war. Die wenigen Quellen zu ihrer Entwicklung deuten jedoch darauf hin, daß sich auch diese enge salutatio bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts institutionell verfestigte, indem Teilnahme und Reihenfolge des Empfangs zunehmend formalisiert und an die Bekleidung bestimmter politischer Rollen, sichtbar vor allem an den Prätorianerpräfekten, geknüpft wurden. Die Bedeutung, die der salutatio - trotz ihres Funktionsverlustes in ursprünglich zentralen Hinsichten - für die Manifestation der Machtverteilung zwischen Kaiser und Aristokratie zukam, läßt sich ergänzend an der Entwicklung der Morgenbegrüßungen in den Häusern der kaiserzeitlichen Aristokratie zeigen. 3. Salutationes in aristokratischen

Häusern

In seinem bekannten „sozialhistorischen Exkurs" im dritten Buch der Annalen schildert Tacitus das Fortbestehen der traditionellen Interaktionsformen in den Häusern der vornehmen senatorischen Familien in der frühen Kaiserzeit 95 . Damals sei es den nobiles noch erlaubt gewesen, mit dem Volk, den Bundesgenossen und auswärtigen Königen Nahbeziehungen zu pflegen (colere et coli). Man habe sich noch durch seinen Reichtum, die Größe des Hauses und äußere Prachtentfaltung hervorgetan und sei aufgrund des Namens und der Klientenschar für vornehm gehalten worden 96 . An anderer Stelle spricht er von der pars populi integra et magnis domibus adnexa97. Seneca schildert gelegentlich die Massen der morgendlichen salutatores in den Häusern der „Mächtigen" 98 .

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Vgl. dazu Salier, Personal Patronage bes. 41 ff. Vgl. zum folgenden Friedländer, SG I 225 ff.; Matthias Geizer, Die Nobilität der Kaiserzeit [1915], in: Kleine Schriften I 136-153. bes. 152 f.; Premerstein, Prinzipat 115 f.; Talbert, Senate 74 f. - Die Frage, inwieweit sich der im folgenden an kaiserzeitlichen Beispielen dokumentierte Funktionswandel der salutatio in aristokratischen Häusern bereits in der späteren Republik abzeichnete, bedürfte einer eigenständigen Untersuchung. Vgl. als Beispiel oben Anm. 88.

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Tac. ann. 3, 55, 2: nam etiam tum plebem socios regna colere et coli licitum; ut quisque opibus domo paratu speciosus, per nomen et clientelas inlustrior habebatur.

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Tac. hist. 1,4, 3. Sen. ep. 84,12; 76,12; de benef. 6, 34, 4; ad Polyb. 4, 2.

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3. Salutationes in aristokratischen Häusern

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Der Eindruck, es habe sich nichts Wesentliches gegenüber den Zeiten der Republik geändert, täuscht jedoch. Einerseits fehlten den vornehmen Familien zunehmend die materiellen Grundlagen für den geschilderten Lebensstil. Tacitus schreibt, die einst reichen und berühmten familiae nobilium seien durch ihr Streben nach magnificentia herabgesunken99, und es gibt in der Tat eine Reihe von Beispielen für verarmte altadlige Senatorengeschlechter in der frühen Kaiserzeit. Geizer hat in diesem Zusammenhang davon gesprochen, diese seien, ähnlich wie die Fürsten des deutschen Reiches, mediatisiert, im Gegensatz zu jenen aber nicht (für die Beschneidung der Bereicherungsmöglichkeiten in den Provinzen) finanziell entschädigt worden100. Die in den salutationes zum Ausdruck kommende „Größe" entsprach also nicht mehr unbedingt den realen Ressourcen der Hausherren. Zum anderen zeigen sich Bemühungen der Kaiser, die sich in den Aufwartungen manifestierende magnificentia für sich zu monopolisieren und gezielt gegen senatorische Konkurrenten vorzugehen. Tacitus' „Damals war es ja noch erlaubt ..." deutet darauf hin, und andere Berichte bestätigen dies: Seian, in dessen Haus sich morgens große Besucherscharen, unter ihnen die amtierenden Konsuln, einfanden, mußte Befürchtungen hegen, dies könne zu Verleumdungen Anlaß geben101. Unter Claudius wurde Senatoren verboten, sich von Soldaten aufwarten zu lassen102. Agricola, Schwiegervater des Tacitus und erfolgreicher Feldherr in Britannien, vermied nach seiner Rückkehr nach Rom das amicorum officium und umgab sich stets nur mit wenigen „Freunden", aus Furcht, sonst könne er den Neid des Domitian erregen103. Nach Plinius konnten unter Trajan junge Senatoren endlich wieder den älteren ihre Aufwartungen machen: Deren Häuser waren nun sicher und standen offen104. Das Vorgehen der Kaiser gegen senatorische Konkurrenten auf dem Feld der salutatio läßt sich nun nicht per se als Dokument für deren weiterbestehende Machtrelevanz deuten. Die Möglichkeit, auf diesem Wege ernsthaft mit dem Kaiser und dessen ganz anders gelagerten Ressourcen zu konkurrieren, war spätestens seit der Abschaffung der Volkswahlen unter Tiberius endgültig beendet. Das Scheitern eines prominenten Versuches in diese Richtung, unternommen von Neros Mutter Agrippina, kann dies anschaulich zeigen105. Zwar eigneten sich aristokratische salutationes, parallel zum Tac. ann. 3, 55,2: dites olim familiae nobilium aut claritudine insignes studio magnificentiae prolabebantur. 100 Geizer, Nobilitai (1915) 151; vgl. die Beispiele 152f. und Talbert, Senate 50-53. 101 Tac. ann. 4,41, 1. 102 Suet. Claud. 25, 1: milites domus senatorias salutandi causa ingredi etiam patrum decreto prohibuit. 1 0 3 Tac. Agr. 40, 3 f. 1 0 4 Plin. paneg. 62, 7. 105 Während der Konflikte mit Nero nach der Ermordung des Britannicus empfing sie Tribunen und Zenturionen, hielt Namen und Tugenden der noch vorhandenen nobiles hoch, „so als suche sie einen Parteiführer und eine Anhängerschaft" (quasi 99

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VII. Die Salutatio

Funktionswandel der kaiserlichen, die primär der Machtmanifestation dienten, nach wie vor zur Dokumentation von Machtprätentionen - zumindest waren sie automatisch in der Gefahr, als solche interpretiert zu werden. Die kaiserlichen Reaktionen zeigen allerdings, daß Versuche in dieser Richtung aussichtslos und kontraproduktiv waren, indem sie das Gegenteil von dem möglicherweise beabsichtigten Zweck hervorriefen. Der Funktionswandel der Morgenbegrüßungen in aristokratischen Häusern läßt sich exemplarisch an den salutationes bei zwei prominenten Persönlichkeiten zeigen, bei Seian, dem mächtigen Prätorianerpräfekten unter Tiberius, und bei Seneca, der in den ersten Jahren der Regierungszeit Neros über außergewöhnlichen Einfluß verfügte. Seian befand sich im Jahre 25, nachdem er sich vergeblich um eine Ehe mit Livilla, der Witwe des Drusus, und damit um eine Einheirat in die kaiserliche Familie bemüht hatte, in einer unsicheren Stellung 106 und sah sich vor folgendem Problem: Wenn er die ständig sein Haus frequentierenden Besuchermengen (adsiduos in domum coetus) zurückwies, fürchtete er, seine Macht (potentia) zu vermindern; empfing er sie, glaubte er, Anlaß für Verleumdungen zu bieten. Nach Tacitus kam er daher auf die Idee, Tiberius zum Verlassen Roms zu bewegen. Das hatte für ihn den Vorteil, daß er dann den Zugang zum Kaiser und den größten Teil des Briefverkehrs mit ihm, der über die Prätorianer lief, kontrollieren konnte. Er könne dann, so schildert Tacitus seine Überlegungen, den Neid gegen sich verringern, indem er die salutantum turba abschaffe, zugleich aber werde nach dem Wegfall der leeren Äußerlichkeiten seine wahre Macht vergrößert werden (sublatis inanibus veram poten-

tiam augeri)107.

Unabhängig davon, ob Tacitus hier die wahren Motive des Seian wiedergibt, zeigt sein Bericht die Veränderung in den Bedingungen der Machtbildung: Di e potentia, die eine stark besuchte salutatio bedeutet, erscheint angesichts der Alternative, den Zugang und die Kommunikation mit dem eigentlichen Machthaber zu kontrollieren, d.h. Einfluß auf seine Entscheidungen auszuüben, als „Hohlheit", die überdies gefährlich werden kann. Die vera potentia, die aus letzterem entsteht, ist jedoch anderen Charakters. Sie bildet sich nicht mehr „von unten", sondern kommt „von oben". Der Sturz Senecas zeigt den ergänzenden Aspekt: Nach einem Gespräch mit Nero, das trotz „trügerischer Schmeicheleien" des Kaisers das Ende seiner Stellung signalisierte, reagierte er nach Tacitus auf folgende Weise: Er quaereret ducem et partes). Die Folge war, daß N e r o ihr die Leibwache entzog, sie aus dem Palast verbannte und in das ehemalige Haus der Antonia übersiedeln ließ, w o sie fortan niemand mehr aufsuchte, da sie offensichtlich in Ungnade gefallen war: nihil rerum mortalium tarn instabile ac fluxum est quam fama potentiae non sua vi nixae, kommentiert Tacitus (ann. 1 3 , 1 8 , 2 f.; Zit. 1 3 , 1 9 , 1). 106 Vgl z u m ereignisgeschichtlichen Hintergrund Dieter Hennig, L. Aelius Seianus. Untersuchungen zur Regierung des Tiberius, München 1975, 78 f. 1 0 7 Tac. ann. 4 , 4 1 , l f .

3. Salutationes in aristokratischen Häusern

141

änderte umgehend die „Äußerungen seiner bisherigen Machtstellung" (instituía prions potentiae), verbot die großen Aufwartungen in seinem Haus und vermied überdies, sich mit großem Gefolge in der Stadt sehen zu lassen108. Die früheren Morgenbegrüßungen im Hause Senecas waren also nicht die Basis seiner Machtstellung gewesen, sondern ihr Resultat. Die Macht selbst aber war Folge seiner Nähe zum Kaiser, und mit deren Ende waren daher auch die salutationes hinfällig, was Seneca klug genug war einzusehen. Aus einem Instrument der Machterzeugung wurden die aristokratischen salutationes mithin einerseits, sofern sie ohne kaiserliches Wohlwollen erfolgten, zum Instrument einer (aussichtslosen und gefährlichen) Machtprätention. Die Fortführung alter, mittlerweile leerlaufender Formen der Machterzeugung zum Nachteil des Machtprätendenten konnte dadurch zum Ausdruck von „Eitelkeit" werden und die Funktion der Kompensation von Machtverlust bekommen 109 . Andererseits wurden die salutationes in neuer Weise zu einem äußeren Zeichen der abgeleiteten Macht infolge kaiserlicher Gunst (das mit deren Ende hinfällig wurde)110. Dieser Wechsel hatte nun für die Morgenbegrüßungen in adligen Häusern hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Hausherrn und salutatores ähnliche Folgen wie für die am kaiserlichen Hof: Da die politische Unterstützung des Herrn durch die „Freunde" und Klienten unbedeutend wurde, hatten diese, besonders letztere, ihm lediglich ihre schiere Anwesenheit als Beitrag zu seiner magnificentia zu bieten. Das führte zu der bekannten, in der Literatur der Zeit, besonders bei Martial und Juvenal, beklagten schlechten Behandlung der Klienten 111 , die auf den Status (schlecht) bezahlter „Guten-MorgenSager" herabsanken112, die den Herren mit ihren Wünschen nach UnterstütTac. ann. 14, 56, 3 : . . . sed instituía prioris potentiae commutât, prohibet coetus salutantium, vitat comitantis, rams per urbem. 109 Vgl dazu den Exkurs Dios (58, 5 , 3 ) über die Notwendigkeit prachtvoller salutationes als Kompensation für fehlendes Abstammungsprestige (im Zusammenhang mit Seian) und die Geringschätzung großer Aufwartungen durch den Maternus in Tac. dial. 1 1 , 3 . 108

110

Interessant ist in diesem Zusammenhang Plin. paneg. 62, 7, der sich hier, wie generell in dieser Rede, um eine Art Quadratur des Zirkels bemüht, indem er versucht, die alten Funktionen der salutatio (Machtbildung von unten) mit den neuen (Machtbildung von oben über kaiserliche Gunst) zur Deckung zu bringen: Wer zu den vom Senat geschätzten Männern aufschaue (d. h. ihnen aufwarte, wovon im Satz zuvor die Rede ist), der mache sich auch um den Kaiser verdient {quisquísprobatos senatui viros suspicit, hic maxime principem promeretur). Plinius postuliert also die Entsprechung einer sich aristokratieintern ausbildenden (Macht-)Hierarchie mit der Verteilung der kaiserlichen „Gunst", mithin eine Art Identität beider. Dies ist ein frommer Wunsch. Die Tatsache, daß Plinius an keiner Stelle der Rede auf mögliche Konflikte zwischen den kaiserlichen Interessen und denen der Senatsaristokratie eingeht, deutet darauf hin, daß die kaiserliche Seite überwog und der hintergründige Sinn des zitierten Satzes lautet: Wer sich um den Kaiser verdient gemacht hat, der wird vom Senat geschätzt und dem soll man aufwarten.

111

Vgl. die Zusammenstellung der Quellen bei Friedländer, SG I 227 ff. Vgl. aufschlußreich Columella, der das bezahlte Guten-Morgen-Wünschen als

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VII. Die Salutatio

zung zunehmend lästig wurden. Aber auch im Verhältnis zu den adligen „Freunden" zeigt sich eine ähnliche Asymmetrie infolge fehlender Gegenseitigkeit. Die Macht des Hausherrn, die sich v.a. in seiner Verfügung über Geld und den Einfluß auf Ämterbesetzungen sowie die daraus wiederum resultierenden Geld- und Prestigechancen ausdrückte, beruhte nicht mehr auf der Anzahl und Bedeutung seiner „Freunde", sondern primär auf seinen Beziehungen „nach oben" 1 1 3 . Die Förderung der Freunde war daher kein Akt der Verpflichtung, sondern einer der freiwilligen (oft aber auch durch Geschenke erkauften 114 ) Gunstvergabe. Dies erklärt das in der kaiserzeitlichen Literatur beschriebene unterwürfige Verhalten der salutatores, die, wenn sie zu Ämtern, Würden und Reichtum gelangen wollten, keine andere Wahl hatten, als sich an den Türen der Mächtigen einzufinden und sich z.B. das häufig berichtete erniedrigende Verhalten des Hauspersonals gefallen zu lassen 115 . Die Unabhängigkeit von den „Freunden" und Klienten, die ihren Patron bezeichnenderweise häufig rex nannten 116 , war jedoch nur die eine Seite von dessen Stellung. Da seine eigene Position ebenfalls auf höherer Gunst basierte, war er seinerseits gezwungen, Höherstehenden aufzuwarten: Martial beschreibt, daß er als Klient mit Konsularen konkurrieren mußte 1 1 7 . In Seians Haus erschienen im Jahre 23, also als Tiberius sich noch in Rom aufhielt, die führenden Leute (οί έλλόγιμοι), unter ihnen die amtierenden Konsuln, „in der Morgendämmerung" 118 . Schließlich war es der Kaiser, den auch die „Mächtigsten" des Morgens begrüßten 119 .

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114 115

116 117 118 119

einen „Job" neben anderen, z . B . Kriegsdienst, Seefahrt und Handel oder Geldverleih gegen Zinsen, als ein genus amplificandi relinquendique patrimonii ansieht, das aber aufgrund der dabei erforderlichen Erniedrigung nicht mit der Landwirtschaft konkurrieren könne: an honestius duxerim mercennarii salutatoris mendacissimum aucupium circumvolitantis limina potentiorum somnumque regis sui rumoribus augurantis? (Col. r. r. 1 praef. 7. 9). Eine Analyse der salutatio als der konkreten Kommunikationsform kaiserzeitlicher „Patronagebeziehungen" kann somit das Bild, das in der neueren Forschung von jenen entworfen wird, relativieren. Vgl. bes. Salier, Personal Patronage, der für die salutatio nur wenige Bemerkungen erübrigt (61 f. 128 f.). E r weist zwar selbst auf die Bedeutung der „broker"-Funktion der kaiserzeitlichen Aristokratie bei der Vermittlung und Weitergabe kaiserlicher beneficia hin, entwirft aber gleichwohl - gegen die These eines „Niedergangs" der Patronageverhältnisse argumentierend das Bild einer weitgehenden Kontinuität gegenüber den Zeiten der Republik. Col. r. r. 1 praef. 10: nam nec gratuita Servitute, sed donis rependitur honor. Vgl. z.B. Epict. diss. 4, 10, 20, der die Notwendigkeit schildert, anderen die Hände zu küssen und vor ihren Türen zu „verfaulen", um das Konsulat zu erreichen, und Col. r. r. 1 praef. 10. Vgl. die zitierte Columella-Stelle (oben Anm. 112) und Friedländer, SG I 228. Mart, epigr. 1 0 , 1 0 . Cass. Dio 5 7 , 2 1 , 4 . Es stellt sich bei der Vielfalt von gegenseitigen Aufwartungen die Frage nach deren zeitlicher Abfolge. In einem Falle ist diese belegt: Marc Aurel empfing als Prinz die wichtigsten Personen (χους άξιωτάτους) in der domus Tiberiana, bevor er seinerseits seinem Adoptivvater, dem Kaiser Antoninus Pius aufwartete (Cass. Dio 72

4. Zusammenfassung

4.

143

Zusammenfassung

Die kaiserlichen Morgenbegrüßungen zeichneten sich gegenüber den in aristokratischen Häusern auch in der Kaiserzeit weiterhin abgehaltenen salutationes durch ihre Ausweitung auf den gesamten Senatorenstand, Mitglieder des Ritterstandes und des Volkes aus. Während für jene traditionell persönliche Beziehungen der Aufwartenden zum Hausherrn konstitutiv waren, qualifizierte den einzelnen zur Teilnahme an diesen nicht seine Beziehung zum jeweiligen Kaiser, sondern - sofern kein ausdrückliches kaiserliches Hofverbot ausgesprochen worden war - sein politisch-sozialer Rang als solcher. Dadurch bekamen die kaiserlichen salutationes den Charakter einer politischsozialen Institution neuer Art. Unter Augustus ist eine Unterteilung in „übliche", täglich stattfindende salutationes und solche an Festtagen erkennbar, die jeweils in Form eines Defilees abliefen. Die nach Senecas Angaben zur Zeit der späteren Republik von einzelnen Adligen praktizierte Aufteilung der salutatores in räumlich und zeitlich sukzessiv begrüßte Gruppen fand somit keine Fortsetzung. Wegen der Unannehmlichkeiten (und wohl auch wegen des zeitlichen Aufwands) des augusteischen Verfahrens für alle Beteiligten wurde ab Tiberius der Senat kollektiv empfangen, ab Claudius sind Belege dafür vorhanden, daß dies auch mit den übrigen Aufwartenden geschah. Dabei wurde offensichtlich auf das republikanische Verfahren zurückgegriffen. Ab Vespasian ist zusätzlich eine dritte Kategorie, eine salutatio in einem engen Kreis belegt, die sich durch einen informellen Charakter und eine persönliche Nähe der daran Beteiligten auszeichnete. Auch diese war jedoch einem Institutionalisierungsprozeß unterworfen. Belege aus dem 2. Jahrhundert deuten auf eine formalisierte Hierarchie der Beteiligten durch die Reihenfolge ihres Eintritts in das kaiserliche cubiculum. Für zeitlich sukzessiv ablaufende „Entrees" von Gruppen in einen Empfangsraum, die von der Forschung in Analogie zum französischen Hofzeremoniell im Absolutismus vermutet werden, gibt es im gesamten Untersuchungszeitraum keine stichhaltigen Quellenbelege. Damit entfällt auch die Grundlage der Annahme, die salutatio am kaiserlichen Hof habe - entsprechend der Praxis späthellenistischer Königshöfe - die Basis einer zeremoniellen Hierarchisierung der Aufwartenden nach „Vorlassungen" („admissiones") und einer entsprechenden Klassifizierung der kaiserlichen „Freunde" gebildet. Die Angaben der Quellen zeigen vielmehr, daß die Rangordnung der am Hof Erscheinenden der traditionellen politisch-sozialen Hierarchie nach ordines und senatorischen Amtsklassen entsprach, wobei seit dem 2. Jahrhundert im Rahmen der „engen" salutatio den Prätorianerpräfekten [71], 35, 4). Auch die Zeitbestimmung der gerade erwähnten salutatio bei Seian („in der Morgendämmerung") deutet darauf hin, daß diese vor derjenigen beim Kaiser stattfand.

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VII. Die Salutatio

und weiteren Mitgliedern der kaiserlichen Hoforganisation eine Sonderstellung eingeräumt wurde. Sowohl die salutationes beim Kaiser als auch diejenigen in aristokratischen Häusern waren gegenüber denen der republikanischen Zeit durch einen Funktionswandel gekennzeichnet, der sich als Abkopplung von Machtbildungsprozessen beschreiben läßt: Die kaiserliche Stellung basierte nicht auf der Größe des ihm aufwartenden Anhangs, sondern primär auf der Monopolisierung physischer Gewaltmittel und den daraus resultierenden Machtchancen. Statt dessen bekam die salutatio am kaiserlichen Hof einerseits die Funktion der Manifestation der kaiserlichen Machtstellung in der gemeinsamen Interaktion mit der Aristokratie und den weiteren Gruppen der Gesellschaft. Deren Bedeutung wird unterstrichen durch den mehr oder weniger sanften Anwesenheitszwang, der auf Senatoren ausgeübt wurde. Durch den institutionellen Charakter der salutatio am kaiserlichen Hof und die dabei praktizierte zeremonielle Hierarchie wurde andererseits die Teilnahme daran für die Mitglieder der Aristokratie zu einem neuen Bestandteil ihrer Rangmanifestation und - wie die Folgen des Ausschlusses davon zeigen - zu einem Zeichen ihrer allgemeinen politisch-sozialen Handlungsfähigkeit. Versuche von aristokratischer Seite, an die alten machtbildenden Implikationen großer Kreise von Aufwartenden anzuknüpfen und auf dieser Ebene mit dem Kaiser zu konkurrieren, bekamen zunehmend den Charakter erfolgloser Machtprätentionen, gegen die einzelne Kaiser gezielt vorgingen. Die salutationes in aristokratischen Häusern wurden vielmehr ein äußeres Zeichen der abgeleiteten Macht der Hausherrn durch den Einfluß, den sie auf den Kaiser oder diesem nahestehende Personen ausübten, d.h. der Gunst, in der sie standen und die sie ihrerseits (in Form von Ämtern, Ehren und Reichtum) weitergeben konnten.

V i l i . Die Gastmähler „Bei den Römern sind, von den Volksspeisungen abgesehen, große Tischgesellschaften, so weit wir sehen, nie üblich gewesen."1 Mit diesen Worten beschreibt August Mau die Situation, von der die Entwicklung der kaiserlichen Gastmähler ihren Ausgang nahm: Große gemeinsame Mahlzeiten, in den kaiserzeitlichen Quellen meist epulum (publicum) genannt, fanden unter Beteiligung vieler oder aller Bürger in der städtischen Öffentlichkeit statt, während an den „privaten", convivium genannten und im Haus stattfindenden Essen in der Regel nur neun Personen, auf drei um einen Tisch gruppierten „Speisesofas" {lecti) lagernd, teilnahmen2. Die Zahl Neun als traditionell übliche Größe zeigt sich schon in der gleichlautenden Bezeichnung triclinium für das Ensemble von drei lecti (auf denen jeweils drei Teilnehmer lagerten) und für den Speiseraum, in dem dieses sich befand. Veränderungen zeichneten sich erst gegen Ende der Republik ab. Vitruv berichtet (in frühaugusteischer Zeit) von griechisch eingerichteten Häusern, die Platz für zwei Triklinien, d. h. für sechs lecti mit 18 Teilnehmern, böten; Plutarch kritisiert (in trajanischer Zeit) „Reiche", deren Häuser groß genug für 30 und mehr lecti, d.h. 90 und mehr Gäste seien3. Die Gastmähler in publico unterschieden sich in cenae rectae, bei denen der Veranstalter außer den Speisen auch eigene Tische, lecti und Tafelgeschirr wie bei seinen häuslichen convivía bereitstellte, und solche, bei denen den Gästen in „Körbchen" (sportulae) ihre Essensportionen von einem dazu beauftragten kommerziellen „Beköstigungsunternehmer" (manceps) ausgehändigt wurden. Letzteres Verfahren wurde auch dahingehend vereinfacht, daß den 1 2

3

August Mau, Convivium, R E 4 , 1 , 1900, 1201-1208. 1204. Grundlegend Marquardt, Privatleben I 208-211. 297-309. Zwei Aufsätze von J o h n D ' A r m s (Control, Companionship, and clientela. Some Social Functions of the Roman Communal Meal, in: E M C 28, 1984, 327-348; The Roman convivium and the Idea of Equality, in: O s w y n Murray [Hg.], Sympotica. A Symposium on the Symposion, O x f o r d 1990, 308-320) verfolgen eine interessante Fragestellung - die Symbolisierung gesellschaftlicher Strukturen, insbesondere der widersprüchlichen Kombination von Gleichheit und Ungleichheit in Einrichtung und Ablauf von Gastmählern - , sind jedoch aufgrund einer sehr selektiven Heranziehung des vorhandenen Quellenmaterials (vgl. Marquardt a.O.) im Bereich des Faktischen und daher auch in der Interpretation mit Unklarheiten belastet. D a s gilt besonders für seine Behandlung der kaiserlichen Gastmähler (siehe Anm. 5). Vgl. zur neueren kulturhistorischen Forschung zum römischen Gastmahl allgemein den kurzen Uberblick bei Cletus Pavanetto, R o m a n o r u m epulae, in: Latinitas 38, 1990, 83-86; sowie William J. Slater (Hg.), Dining in a Classical Context, Ann Arbor 1991; O s w y n Murray, Manuela Tecusan (Hg.), In vino Veritas, L o n d o n 1995; zum republikanischen Gastmahl zuletzt Luciano Landolfi, Banchetto e società romana. Dalle origini a l l sec. a. C „ R o m 1990. Vitr. de arch. 6, 3 , 1 0 ; Plut. mor. 679 Β.

146

V i l i . Die Gastmähler

zu Beköstigenden direkt eine bestimmte Summe ausgezahlt wurde, so daß in der Kaiserzeit sportula

häufig ein ausgezahltes Geldgeschenk meint 4 .

A u c h die kaiserlichen Gastmähler waren unterschieden in solche, die in der Stadt, und solche, die im kaiserlichen Haus bzw. Palast stattfanden 5 . Die Einladungen zu letzteren, die in den Quellen allein als kaiserliche

convivía

bezeichnet werden 6 , wurden aufgrund der - wie zu sehen sein wird - bis hin zu Caligula noch sehr kleinen Teilnehmerzahl von den hinzugezogenen G ä sten als besondere Ehre aufgefaßt 7 . D a h e r und infolge der sich bei den Gastmählern ergebenden persönlichen N ä h e von Gastgeber und Gästen waren diese stets ein besonderer Test für die A r t des U m g a n g s des jeweiligen Kaisers mit der Aristokratie 8 . 4 5

6 7

8

Marquardt, Privatleben I 208 ff. mit Belegen. Vgl. zur Unterscheidung von „öffentlichen" und „privaten" Gastmählern allgemein Cass. Dio 51, 19, 7, der berichtet, nach Oktavians Sieg bei Aktium im Jahre 30 v. Chr. habe der Senat angeordnet, ... και έν τοις συσσιτίοις ούχ δτι τοις κοινοΐς άλλα και τοις ιδίοις πάντας αΰτω (sc. dem Oktavian) σπένδειν. - In der gesamten Literatur, die auf die kaiserlichen Gastmähler eingeht, wird dieser Unterschied, meist wegen fehlender zeitlicher Differenzierung, übersehen. Vgl. Friedländer, S G I 98-103, der von den „öffentlichen Gastmählern" der Kaiser spricht, aber tatsächlich nur die in ihrem Haus oder Palast stattfindenden abhandelt. Die als Beleg für die Bezeichnung convivía publica angeführte Stelle aus der Vita des Alexander Severus (Hist. Aug. Alex. Sev. 34, 5; vgl. auch den frühesten Beleg Ant. P. 11,2) spiegelt aber erst die Verhältnisse des 2. Jahrhunderts wider (vgl. dazu das folgende); Turcan, Cour 240-246, verfährt ebenso („dîners officiels ou publics"); vgl. auch Stanislaw Mrozek, Caractère hiérarchique des repas officiels dans les villes romaines du Haut Empire, in: Martin Aureli u. a. (Hg.), La sociabilité à table. Commensalité et convivalité à travers les âges, Rouen 1992, 181-186. 182; DArms, Control 340-343 und Convivium 308-311, bezeichnet die von ihm untersuchten Gastmähler Domitians unterschiedslos als „public feasts", obwohl sie sich einerseits in der städtischen Öffentlichkeit (Suet. Dom. 4 , 5 [DArms, Control 342 Α. 45 und Convivium 309 A. 10, zitiert jeweils versehentlich Suet. Dom. 5]; Stat. silv. 1, 6; Mart, epigr. 8, 50), andererseits im kaiserlichen Palast abspielten (Stat. silv. 4, 2; vgl. auch Mart, epigr. 8, 39) und der Teilnehmerkreis entsprechend unterschiedlich war (Senat, Ritter, Plebs bzw. proceres und Ritter). Aufgrund der fehlenden Differenzierung beider Arten kaiserlicher Gastmähler sind D'Arms' Aussagen über deren Symbolfunktion hinsichtlich sozialstruktureller Gegebenheiten (Gleichheit/Hierarchie) zumindest revisionsbedürftig. Vgl. auch die von D'Arms nicht herangezogenen Berichte von Cassius Dio über ein Gastmahl, das Domitian - wie es ausdrücklich heißt - „öffentlich" (δημοσία) dem Volk gab (67, 8,4), und über das berüchtigte „Totenmahl", das er in einem schwarz ausstaffierten Palastraum für die πρώτοι της γερουσίας και των Ιππέων abhielt (67, 9 , 1 - 5 ) und dessen Analyse ein guter Testfall für eine Interpretation auf sozialstrukturelle Symbolfunktionen sein könnte. Vgl. Alfred Gudeman, T h L L 4, 1909, 881-885, s.v. convivium. Tac. ann. 2 , 2 8 , 2 ; Suet. Vesp. 2 , 3 (der spätere Kaiser Vespasian bedankte sich bei Caligula in einer Rede vor dem Senat,