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Der vorliegende Sammelband mit seinen fünf Beiträgen renommierter Experten geht auf den 15. Augustinus-Studientag des Zentrums für AugustinusForschung an der Universität Würzburg im Luther-Jubiläumsjahr 2017 zurück. Er diskutiert aus verschiedenen Perspektiven die Frage, wie sich die geistige und geistliche ‹Verwandtschaft› dieser beiden Leitfiguren der Kultur- und Theologiegeschichte näherhin gestaltet: als enge, als entfernte – oder als vielfältig schillernde. christof müller , Prof. Dr., ist Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für AugustinusForschung an der Universität Würzburg sowie Hauptherausgeber des internationalen und interdisziplinären Forschungsprojekts Augustinus-Lexikon.
guntram förster , Diplomtheologe, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg und Redaktor des Webportals www.augustinus.de.
müller · förster | hg. Augustinus und Luther
«Unsere Theologie und St. Augustinus blühen und herrschen unter Gottes Beistand auf unserer Universität», so schreibt der Augustinermönch M artin Luther vor rund 500 Jahren aus Wittenberg an seinen monastischen Mitbruder und reformatorischen Mitstreiter Johann Lang. Augustinus und L uther, zwei religiöse Genies und ‹Kirchenväter›, stehen zweifelsfrei in theologischer Verwandtschaft, am engsten hinsichtlich ihrer radikalen Gnadenlehre.
c h r i sto f m ül l e r g unt ram f ö r st e r h e rau s g e b e r
Augustinus und Luther Zur Verwandtschaft zweier ‹ Kirchenväter › Beiträge des 15. Würzburger Augustinus-Studientages vom 19. Mai 2017
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res et signa
Augustinus-Studien
ISBN 978-3-429-04250-9
cassiciacum Forschungen 15 über Augustinus und den Augustinerorden
Augustinus bei echter
Umschlag_Cassiciacum_39_15_03.indd 1
16.12.2019 10:45:37
christof müller guntram förster herausgeber
Augustinus und Luther
CA SSI C IACUM Forschungen über Augustinus und den Augustinerorden. Herausgegeben von der Bibliotheca Augustiniana – Forschungsbibliothek der Deutschen Augustiner
CAS S I C I AC U M will theologische und philosophische Studien in der Augustinerfamilie fördern im Gedenken an die wissenschaftliche Tätigkeit Augustins zu Cassiciacum bei Mailand, wo er sich im Freundeskreis auf die Taufe vorbereitete.
Band 3915
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res et signa Augustinus-Studien
christof müller guntram förster herausgeber
Augustinus und Luther Zur Verwandtschaft zweier ‹Kirchenväter› Beiträge des 15. Würzburger Augustinus-Studientages vom 19. Mai 2017
Augustinus bei echter
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. © 2019 Augustinus bei echter, Würzburg Umschlag | Crossmediabureau Druck und Bindung | Friedrich Pustet GmbH ISBN 978-3-429-04250-9
Den Studientagsband
Augustinus und Luther
Zur Verwandtschaft zweier ‹Kirchenväter› widmet das
Zentrum für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg (ZAF) in dankbarer Verbundenheit dem Generalökonomen des Augustinerordens
Pater Franz Klein OSA. Durch seine engagiert ausgeübten Ämter und mit seiner vermittelnden Persönlichkeit hat Pater Franz die Würzburger Augustinus-Forschung in eine fruchtbare Kooperation mit dem römischen Institutum Patristicum Augustinianum begleitet und sich nachhaltig um das internationale und interdisziplinäre Augustinus-Lexikon verdient gemacht. Würzburg, am 13. November 2019
Inhalt CHRISTOF MÜLLER / GUNTRAM FÖRSTER Vorwort der Herausgeber ......................................................................................... 9 MARKUS WRIEDT Das Siegel der Orthodoxie Augustin und seine Bedeutung für die spätmittelalterliche Theologie ............ 13 GABRIELE ZIEGLER Luther und die Mönchsväter .................................................................................. 31 CHRISTOPH BURGER Luthers Inanspruchnahme Augustins Vergleich mit Gregor von Rimini und Hugolin von Orvieto ........................... 47 THORSTEN DIETZ Furcht bei Augustin und Luther ............................................................................ 75 CHRISTIAN DANZ Der unfreie Wille Augustin und Luther über göttliche Gnade und Freiheit des Menschen ........ 89 Abkürzungsverzeichnisse ...................................................................................... 103 Stellenregister .......................................................................................................... 113 Namenregister ......................................................................................................... 117 Autoren- und Herausgeberverzeichnis ............................................................... 121
Vorwort der Herausgeber Das Luther-Jubiläum 2017 löste bei den der Geistes- und Kulturwissenschaft Verpflichteten höchst unterschiedliche Gefühlsregungen aus, deren Extreme häufig in ein und derselben Institution, in ein und derselben Person gleichzeitig aufklafften: auf der einen Seite die motivierende und mobilisierende Begeisterung, einen Beitrag zu einem wichtigen Gedenkjahr leisten zu können, auf der anderen Seite Skepsis, wenn nicht gar Aversion gegenüber der Vorstellung, dem vielstimmigen Klang und Klingeln von Luther-Gedächtnisveranstaltungen eine weitere Glocke oder womöglich nur Schelle hinzuzufügen. Auch das Zentrum für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg (ZAF) und seine Verantwortlichen fühlten 2017 zwei Herzen in ihrer Brust schlagen, folgten nach einer Phase der Besinnung jedoch letztendlich dem Lutherfreundlichen Pochen. Als hauptsächlicher Grund und Hintergrund dieser Entscheidung firmierte die Überzeugung: Die Verbindung von AugustinusForschung und Luther-Gedenken verdankt sich nicht Jubiläums-Aktivismus, Fest-Populismus oder hermeneutischer Taschenspielerei, sondern einer tatsächlich vorhandenen und tatsachenorientiert nachweisbaren Beziehung zwischen dem spätantiken Bischof aus Hippo und dem frühneuzeitlichen Reformator aus Wittenberg. Um die Komplexität dieser Beziehung anzudeuten, die keineswegs auf eine stringente Abhängigkeit des Jüngeren vom Älteren oder auf eine unvermittelt-ungebrochene Rezeption des Früheren durch den Späteren reduziert werden kann, wählte der 15. Augustinus-Studientag des ZAF am 19. Mai 2017 als sein Programm die Formulierung: Augustinus und Luther. Zur Verwandtschaft zweier ‹Kirchenväter› – eine Formulierung, die der vorliegende Tagungsband für seine Dokumentation der fünf Beiträge namhafter Expertinnen und Experten übernommen hat. Die Entscheidung des ZAF für ein Luther-Gedenken unter dem besagten Titel stieß beim vermeintlich Gedenken-gesättigten Publikum auf erfreulich lebhaftes Interesse. Der rege Zuspruch zur Studientags-‹Aufführung› verdankte sich dabei gewiss hauptsächlich der Bedeutung und Brillanz der beiden ‹Hauptdarsteller›, die vom ZAF gleichermaßen als ‹Kirchenväter› tituliert werden. Nachdem sich das katholische Verhältnis zu Martin Luther in den letzten Jahrzehnten doch merklich entspannt hat und insofern dieser maßgebliche Motor der Reformation schon rein deskriptiv betrachtet zweifelsfrei ein Mitbegründer von ‹Kirche› und eine Kapazität der Theologie ist, dürfte es kein Skandalon darstellen, das Epitheton ‹Kirchenvater› nicht nur auf den Mann aus
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Vorwort
Hippo, sondern auch auf den Mann aus Wittenberg anzuwenden und dadurch eine gewisse Kongenialität, ja sogar theologische ‹Verwandtschaft› dieser beiden Gestalten und Gestalter zu unterstreichen. Mit diesem seinem Programm und Titel durfte das ZAF seinen AugustinusStudientag seinerzeit inmitten der umfassenden Veranstaltungsreihe Rechtfertigung 2017: Erinnern – Vergegenwärtigen platzieren, die gemeinsam von der katholischen Akademie ‹Domschule› und der evangelischen Bildungseinrichtung ‹Rudolf-Alexander-Schröder-Haus› in Würzburg entworfen und ausgerichtet worden war. Freilich kamen das ZAF und seine universitären Kooperationspartner nicht mit leeren Händen zu den geschätzten Gastgebern, sondern führten als geistig-geistliche Gabe die Theologie Augustins mit sich, die dem Leitthema der Veranstaltungsreihe ‹Rechtfertigung 2017› eine entscheidende ‹Erinnerungs-und-Vergegenwärtigungs›-Dimension hinzufügen durfte, ist doch Luthers theologischer Paradigmenwechsel ohne vorauslaufende und von Luther aufgenommene augustinische Impulse schwer vorstellbar. Nebenbei stützten wir ‹Augustinisten› die dezidiert ökumenische Konstruktion und Realisierung des thematischen Dachs ‹Rechtfertigung 2017› mit einer bewährt tragfähigen ‹Säule›: Denn ebenso wie katholische und reformatorische Theologien und Kirchen sich gleichermaßen in nicht wenigen Teilen ihrer Theorie und Praxis auf Augustinus und seine Lehren berufen, so vermag diese Autorität Augustins postum die mit dem Ende des Mittelalters zerstrittenen und geschiedenen Geschwister von ihren gemeinsamen Wurzeln her zusammenzuhalten, vielleicht sogar zu einem mutigeren Zusammenwachsen zu bewegen: Augustinus ist auch in diesem Sinne ein echter ‹Kirchen-Vater›, indem er seine zwei entfremdeten Kinder wieder an einen gemeinsamen runden (Familien-)Tisch ruft – hoffentlich auch einmal an einen gemeinsamen eucharistischen Tisch. Vor diesem weitgespannten theologischen und ekklesialen Hintergrund widmete sich der Augustinus-Studientag bzw. widmet sich der vorliegende Tagungsband der Frage, in welchem Verhältnis denn nun Luther und Augustinus näherhin stehen und worin denn wohl ihre behauptete ‹Verwandtschaft› liegen mag. Diese Frage lässt sich, wie es für die meisten geschichtlichen Problemstellungen gilt, nicht ohne Analyse der Details und nicht ohne Differenzierung unterschiedlicher Bereiche beantworten. Der Studientag und seine Dokumentation lassen es folgerichtig nicht bei einer einzigen Antwort bewenden, sondern präsentieren fünf Antwortenskizzen fünf renommierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit fünf unterschiedlichen Perspektiven. Selbst diese breit gefächerte Perspektivik vermag freilich noch keineswegs die gesamte Komplexität der Thematik abzudecken – von dieser Komplexität
Vorwort
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zeugt bereits ein Blick auf die Vielzahl von diesbezüglichen Publikationen –, aber immerhin erhellende Schlaglichter auf sie zu werfen. Um diese Schlaglichter nicht allzu erratisch erscheinen zu lassen, seien den Herausgebern dieses Bandes als Abschluss des Vorwortes und als Überleitung zu den einzelnen Beiträgen einige kurze Bemerkungen zu dem quasi ‹empirischen› Befund gestattet, wo und wie Luther im Laufe seines bewegten Lebens auf Augustinus und seine geschichtlichen Spuren gestoßen ist und in welcher Weise er sich mit diesen Spuren auseinandergesetzt hat. Durch sein Studium mit dem ursprünglichen Ziel einer Juristenlaufbahn nach Erfurt gekommen, trifft Luther hier auf eine Niederlassung der Augustiner-Eremiten und tritt nach religiösen und akademischen Selbstfindungsprozessen am 17. Juli 1505 in den Orden ein. Spirituell und theologisch wird Luther in den nächsten Jahren stark vom Orden geprägt, 1512 wechselt er als Professor für Bibelexegese an die Reformuniversität Wittenberg, deren Patron Augustinus war und an der die Augustiner eine festgeschriebene Lehrdomäne innehatten. Die Lektüre und Interpretation der paulinischen Briefe an die Römer und an die Galater, nicht zuletzt aber auch der für deren Hermeneutik entscheidenden augustinischen Schrift De spiritu et littera führten Luther zu einem gegenüber dem großkirchlichen ‹Mainstream› inversen Verständnis von göttlicher Gerechtigkeit. Diesem Verständnis zufolge, das Luther nicht nur rational, sondern in Form des sogenannten ‹Turmerlebnisses›, vermutlich im Jahr 1518, auch existenziell frappiert, besteht die Gerechtigkeit Gottes in erster Linie nicht im Richten, sondern im Rechtfertigen des Sünders. Hier vollzieht sich in den gnadentheologischen Spuren Augustins ein für die Reformation wegweisender Perspektivenwechsel mit erheblichen soteriologischen und ekklesiologischen Konsequenzen – Stichwort: Ablass –, der Luther zunehmend in Opposition zur Römischen Kirche brachte. Nachdem der Ordensobere Staupitz ihn bereits 1518 von seinem Gelübde entbunden hatte, legt Luther schließlich am 9. Oktober 1524 seinen Augustiner-Habit ab – freilich ohne die Prägung durch die augustinische Gnadentheologie abzulegen: vielmehr ganz im Gegenteil. Die Forschungen zum Einfluss von Augustinus auf Luther lassen trotz aller Gewichtungsdifferenzen drei bedeutende Wirkungsachsen erkennen: 1. Luther ist stark und bleibend von der Spiritualität und Theologie des Augustinerordens her geprägt; 2. er rezipiert eine im Spätmittelalter innerhalb wie außerhalb des Ordens keimende anti-pelagianische Theologie – bei Betonung der alleinigen Letztmacht der göttlichen Gnade im Erlösungsgeschehen; 3. er studiert unmittelbar und teilweise intensiv eine größere Zahl von Werken Augustins – zunächst eher sporadisch, später auch systematisch –, vor allem Schriften
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Vorwort
exegetischer und gnadentheologischer Natur. Dabei leistete ihm die ab 1506 in Basel erschienene erste Gesamtausgabe Augustins von Amerbach, Petri und Froben nachweislich wertvolle Dienste. In Parenthese: Der Verlag dieser drei aus Franken in die Schweiz eingewanderten Herausgeber und Drucker besteht als weltweit ältester bis auf den heutigen Tag und verlegt unter anderem das seinem Abschluss nahe gekommene Augustinus-Lexikon – wie, wenn nicht klein, so doch vernetzt die augustinische Welt ist! Ab den 1520er Jahren wird Luthers direkte und explizite Verarbeitung von augustinischen Schriften seltener; auch geht Luther nunmehr souveräner, bisweilen kritischer mit dieser theologischen Autorität um. Unbenommen freilich bleibt dabei Luthers Verbundenheit mit Augustinus als dem ‹doctor gratiae›, der dem reformatorischen Impetus zur Initialzündung verhalf und ihn über längere Wegstrecken hin mit theologischem Zündstoff und Treibstoff versorgte – bis in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts und bis in das Jubiläumsjahr 2017 hinein.
Würzburg, am 13. November 2019
Christof Müller Guntram Förster
Markus Wriedt
Das Siegel der Orthodoxie Augustin und seine Bedeutung für die spätmittelalterliche Theologie Kaum ein Theologe des Mittelalters, der sich in seinem Traditionsbezug nicht auf Augustin berief! Nicht nur die Vielfalt einer knapp 1000 Jahre umfassenden Theologiegeschichte, auch die Größe des Werkes Augustins tat das ihrige dazu, eine Fülle an Bezugnahmen zu ermöglichen. So wenig eine Einheit des Werkes des nordafrikanischen Kirchenvaters der Spätantike behauptet werden kann, so wenig lässt sich eine einheitliche Augustinrezeption für das Mittelalter nachweisen1. Weniger die Überlieferung des wie auch immer gewonnenen, vermeintlich oder tatsächlich originalen Augustin und seiner Theologie als vielmehr die vermittelte Bezugnahme auf den Kirchenvater des Abendlandes spielt im Mittelalter eine Rolle. In Ermangelung authentischer Quellenüberlieferung sind zahlreiche Leser auf Augustinparaphrasen, -sequenzen und -zitate in den verschiedensten Literaturgattungen angewiesen. Ein spezifisches literarisches Genre, das in besonderer Weise geeignet gewesen wäre oder in signifikanter Häufigkeit verwendet wurde, Augustins Werke sprechen zu lassen, lässt sich nicht nachweisen. Wohl aber gibt es eine auffällige Häufung von Augustinreferenzen in bestimmten Werken, die gleichsam als Textsammlungen und Florilegien herangezogen wurden, um eines Zitates oder einer längeren Passage des Kirchenvaters habhaft zu werden. Dabei steht freilich weniger die Suche nach Augustin als nach einer thematisch passenden Verwendung seiner Ausführungen im Zentrum. Eine systematische Augustinrezeption ist wiederum schwer nachzuweisen. Es gibt zweifellos thematische Konzentrationen, aber der Nachweis einer bestimmten Lebensphase oder einer besonderen Werkauswahl ist nicht in der sich systematischer Rekonstruktion der jüngeren Zeit verdankenden Zusammenstellung nachzuweisen. Immer noch erweist sich die Frage nach dem spätmittelalterlichen Augustinismus als ein Feld höchst unterschiedlicher, wenn nicht divergierender Fragestellungen, Antwortmöglichkeiten, 1
Hinweise dazu etwa bei I. BACKUS (Ed.), The Reception of the Church Fathers in the West, Leiden 1997; K. POLLMANN (Ed.), The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine 1–3, Oxford 2013; E.L. SAAK, Creating Augustine, Oxford 2012.
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Markus Wriedt
Methoden und rezeptionsästhetischer Ansätze. Neben der Frage, wodurch sich unter formalen Gesichtspunkten eine Augustinreferenz auszuzeichnen habe, steht auch das Problem ihrer Begrenzung, systematischen Erfassung und statistischen Auswertung im Raum. 1. Personen und Institutionen 1.1. Petrus Lombardus Auch wenn nahezu in jedem Werk des Mittelalters Augustin erwähnt oder auf sein Leben und seine Theologie Bezug genommen wird, lassen sich doch einige Zentren der Augustinrezeption ausmachen. Hier ist zunächst Petrus Lombardus und sein für das scholastische Ausbildungswesen des Mittelalters schlechterdings essentielles Werk der Sentenzen zu nennen2. Eine große Zahl der in den Sentenzen aufgeführten Referenzen bezieht sich auf echte oder pseudepigraphe Werke Augustins. Die Auswahl ist dabei erkennbar limitiert. Petrus Lombardus verweist vornehmlich auf De doctrina christiana, das Enchiridion, De diuersis quaestionibus octoginta tribus und die Retractationes. Diese Werke kennt er freilich nicht aus originaler Lektüre, sondern vermittelt durch die Glossa ordinaria oder die Expositio des Florus von Lyon. Durch die im mittelalterlichen Ausbildungswesen verbindliche Sentenzenvorlesung3 wurde das von Petrus Lombardus erschlossene Material kommentiert, erweitert und ergänzt und so der Grundstock einer umfangreichen universitär-akademischen Augustinrezeption gelegt4. 1.2. Decretum Gratiani Parallel dazu dürfte sich die mit Autoritätenzitaten reich geschmückte Sammlung rechtlicher Quellen im Decretum Gratiani als Zentralort einer umfassenden
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Cf. dazu R. RIEGER, Sentenzenwerk des Petrus Lombardus: Augustin Handbuch (hrsg. von V.H. DRECOLL), Tübingen 2007, 587–592. Cf. F. STEGMÜLLER, Repertorium commentariorum in Sententias Petri Lombardi 1–2, Würzburg 1947. Ob und in welchem Maße eine populäre oder in der Volkspredigt enthaltene Augustinrezeption vorliegt, ist gegenwärtig noch nicht erforscht.
Augustin und seine Bedeutung für die spätmittelalterliche Theologie
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Augustinrezeption ergeben haben5. Die von Gratian von Bologna angelegte Sammlung päpstlicher, kanonischer und anderer Rechtsquellen enthält eine Fülle von Augustinbezügen, die als Quellenzitat der Rechtssammlung oder auch als Allgemeinwissen in die verschiedenen Ausdrucksformen des Mittelalters eindrang. 1.3. Tischlesungen Eine dritte Textgattung, die noch näher zu untersuchen wäre, stellen die täglichen Tischlesungen in den monastischen Konventen oder Lebensgemeinschaften der Religiosen dar. In ihnen wurde aus relevanten Quellen zur Spiritualität, zum monastischen Leben, zur Nachfolge Christi und der Verähnlichung mit ihm und zu anderen Themen monastischer Lebensführung und meditativer Frömmigkeit während der Mahlzeiten im Kloster vorgelesen6. Jenseits dieser drei ‹Hauptzeugen› für die Aufnahme der Werke Augustins im Mittelalter kommen eine Vielzahl von Textgattungen und möglichen Autoren in den Blick. Die Forschung zur Aufnahme der ‹auctoritas patrum› in den Schriften mittelalterlicher Autoren hat zwar in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Fülle an Einzelforschungen mit teilweise hochinteressanten und weiterführenden Ergebnissen hervorgebracht, doch fehlt bis heute eine systematische Übersicht – dies wohl auch, weil der rezeptionsgeschichtliche Methodenansatz bisher nicht einvernehmlich geklärt werden konnte.
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Zum Decretum Gratiani cf. R. WEIGAND, Glossatoren des Dekrets Gratians, Goldbach 1997; A. WINROTH, The making of Gratian’s Decretum, Cambridge 2000. Eine zusammenfassende Übersicht zu den Leseordnungen liegt trotz einer Fülle von Einzeluntersuchungen zu diversen Klöstern und Konventen nicht vor.
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Markus Wriedt
2. Welcher Augustin? 2.1. Theologiegeschichtliche Rezeptionsästhetik7 Theologiegeschichtlich ist neben der Tatsache eines umfassenden Rekurses auf Augustin in den letzten Jahren verstärkt die Frage diskutiert worden, welche Schriften Augustins im Fokus des Interesses standen. Dabei zeigte es sich, dass weniger ganze Schriften und die in ihnen zusammenhängend entwickelte Argumentation als vielmehr einzelne Passagen und Teilargumente aufgenommen wurden. Gleichwohl ist die Frage nicht unerheblich, aus welcher Schaffensperiode Augustins die jeweiligen Übernahmen stammen. Freilich liegt in diesem methodischen Zugang auch eine Gefahr verborgen: die theologiegeschichtliche Rekonstruktion bestimmter Lehr- und Lebenszusammenhänge im Werk Augustins verdankt sich einer nachträglichen Betrachtungsweise. Insofern kann sie nicht völlig frei von der Gefahr einer unter gegenwärtigen Bedingungen erfolgten Fragestellung und ihren Auswirkungen auf die theologiegeschichtliche Rekonstruktion sein. Mit anderen Worten: die Vorstellung eines objektiven, irreversiblen und für alle Zeit gültigen Augustinverständnisses muss als Fiktion entlarvt und hermeneutisch ernst genommen werden. Zahlreiche neuere rezeptionsgeschichtliche Untersuchungen zur Wirkungsgeschichte Augustins sind denn auch immer wieder von konfessionellen oder auch anderen theologischen Vorentscheidungen geprägt: So wird der mittelalterliche Augustinismus aus protestantischer Sicht häufig auf die Rezeption der antipelagianischen Gnadenlehre konzentriert8, während die katholische Augustinforschung mehrheitlich Augustins kirchenleitendes Handeln im Blick auf die Wahrung kirchlicher Einheit und die Entwicklung institutioneller Amtsstrukturen hin befragt9. Exegesegeschichtliche Untersuchungen konnten
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Die Schlagworte verbinden zwei unterschiedliche Konzepte miteinander: das der Rezeptionsgeschichte, das insbesondere von der Theologiegeschichtsschreibung intensiv gepflegt wird, und das der Rezeptionsästhetik, die seit den Schriften von Walter Benjamin und Vertretern der sogenannten Frankfurter Schule eine charakteristische Ausprägung erhielt. Eine weitere Differenzierung erlangten diese Forschungsrichtungen durch Umberto Ecos semiotische Texterschließungen. Cf. exemplarisch H.A. OBERMAN, «Tuus sum, salvum me fac». Augustinreveil zwischen Renaissance und Reformation: Scientia Augustiniana. Festschrift für A. Zumkeller, Würzburg 1975, 349–393. Cf. A. ZUMKELLER/A. KRÜMMEL (Ed.), Traditio Augustiniana. Studien über Augustinus und seine Rezeption, Würzburg 1994.
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sich in letzter Zeit von derartigen konfessionellen Engführungen lösen10. Dafür aber repristinierten zahlreiche Arbeiten zu Spiritualität und Frömmigkeit Augustins sowie deren Wirkungsgeschichte die kontroverstheologischen Gegensätze vergangener Jahrhunderte. 2.2. Augustin als Garant katholischer Orthodoxie Der theologiehistorische Befund scheint diese Bedenken zu bestätigen. Zunächst und auf den ersten Blick wurde Augustin als Vertreter einer als Einheit und in ihrer Orthodoxie zweifelsfreien Theologie gesehen. Seine Äußerungen entstammen allesamt einem als Einheit begriffenen theologischen Entwurf, der als enzyklopädische Zusammenfassung die legitime Auslegung des biblisch begründeten und durch den Hl. Geist jedem Zeitalter je individuell übermittelten Glaubenszeugnisses umreißt. Diese Einheit wird anachronistisch und ahistorisch wahrgenommen und tradiert. Dieses einheitliche Verständnis der Theologie Augustins wird freilich unter verschiedenen Gesichtspunkten akzentuiert: Für etliche Schriftsteller des Mittelalters ist Augustin Ausdruck der Fülle abendländischer Theologie und damit Garant des theologischen Wissens, zugleich aber auch Grenze und Rahmen theologischen Erkenntnisstrebens. Orthodoxie ist, mit anderen Worten, über Augustin hinaus nicht zu wahren. Damit verbindet sich die Inanspruchnahme Augustins als Verteidiger des katholischen Glaubens. Seine kontroverstheologischen Stellungnahmen zu Donatismus, Manichäismus, Pelagianismus etc. sind nicht nur Produkte einer aktuellen Auseinandersetzung, sondern dienen als Modell jedweder Verteidigung katholischer Orthodoxie im Mittelalter. Zugleich wird Augustin damit zum Inbegriff des Glaubensstreiters und Vertreter der christlichen Theologie schlechthin. Dazu trägt zugleich die legendarische Ausgestaltung seines Lebens aufgrund der autobiographischen Angaben bei, welche vor allem die Verbindung von Lehre und Ethos sinnfällig akzentuiert. Im Zuge der sich immer weiter ausdifferenzierenden Augustininterpretation kommt es seit dem 13. Jh. verstärkt zum Disput über die legitime, sich aus der orthodoxen katholischen Theologie ergebende Augustinrezeption: Augustin wird von verschiedenen Parteiungen für die je eigene Position in Anspruch genommen. Offenkundig sprechen seine tradierten Werke und Sentenzen sowie die ausgestaltete Biographie des Kirchenvaters nicht mehr für sich selbst, 10
Cf. etwa den Überblick bei A. SIQUANS, Augustinus (AT): WiBiLex, https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/16569 (zuletzt eingesehen 17.12.2017).
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sondern bedürfen ihrerseits eines Interpretationsmaßstabes, der außerhalb der von Augustin begründeten und verteidigten Doktrin liegt. In diesem Zusammenhang verstärken sich Inanspruchnahmen im Sinne eines ‹Augustinus totus noster est›. Zugleich intensiviert sich die Suche nach einer übergeordneten Autorität der Augustinauslegung. Sie konvergiert mit der zentralistischen Ausformung des römischen Papsttums und seines im 13. Jh. entwickelten Lehrund Jurisdiktionsprimats11. Es sind in besonderer Weise die Bettelorden, die zu diesen Fragen Stellung nehmen und dabei auf je eigene Weise Augustin als entscheidende Autorität der Tradition, als ‹auctoritas patrum›, verwenden12. Früh waren unterschiedliche Phasen der geistigen und theologischen Parteinahme auf dem intellektuellen Weg Augustins zum Bischofsamt in Hippo bekannt13. Dennoch wird dieses differenziertere Augustinbild in der mittelalterlichen Augustinrezeption kaum aufgenommen. In für die historisch-kritische Theologiegeschichte anachronistischer Weise werden die Schriften Augustins gemeinsam als Einheit begriffen und nicht nach Entstehungssituation und Intention unterschieden. Gleichwohl gibt es Häufungen inhaltlich zusammenhängender Aussagen des Kirchenvaters, die den Eindruck einer thematisch akzentuierten Rezeption etwa der antidonatistischen, antipelagianischen, sakramententheologischen etc. Schriften entstehen lassen. 2.3. Zitation, Paraphrase, Motive Neben der Frage, welcher Augustin aufgenommen wurde, stellt sich in der Forschung zunehmend das Problem, den Rezeptionsvorgang selbst stärker zu betrachten. Zunächst ist die Überlieferung in den Blick zu nehmen; wir haben darauf eingangs verwiesen. Aber auch unbeschadet der Tatsache, dass es keine kritische Edition der Werke Augustins gab, hat der die Geschichte der Augustinrezeption erforschende Theologiehistoriker Auskunft darüber zu geben, ab wann von einem tatsächlichen Zitat im Unterschied zur Paraphrase, inwiefern von einem Motiv oder einer bloßen gedanklichen Nähe zu Ausführungen des Kirchenvaters geredet werden kann. Was macht ein Zitat aus? Setzt die Verifi11 12
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Cf. K. SCHATZ, Der päpstliche Primat. Seine Geschichte von den Ursprüngen bis zur Gegenwart, Würzburg 1990. Nach wie vor unverzichtbar B. TIERNEY, Origins of Papal Infallibility, 1150–1350, Leiden 1972; U. HORST, Die Lehrautorität des Papstes und die Dominikanertheologen der Schule von Salamanca, Berlin 2003; id., Juan de Torquemada und Thomas de Vio Cajetan. Zwei Protagonisten der päpstlichen Gewaltenfülle, Berlin 2012. Cf. die autobiographische Entwicklungskonstruktion in conf. 1–9.
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kation eines Zitates einen quantitativen Mindestbestand voraus? Bedarf ein Zitat einer formalen Abgrenzung, in Ermangelung von An- und Abführungszeichen entsprechende Formulierungen unter Verweis auf Autorschaft und Quelle? Im Blick auf die höchst disparate Überlieferung ist die Unterscheidung von Zitat und Paraphrase alles andere als selbstevident. Zahlreiche Übernahmen der Begrifflichkeit oder gar Argumentation Augustins verdanken sich nicht automatisch der Lektüre seiner Originalschriften. Zuweilen genügt auch die Vermittlung durch die eingangs erwähnten Autoritäten oder Sentenzensammlungen sowie schlicht die Erinnerung an gedankliche oder formale Zusammenhänge, in denen Augustin einen wie auch immer näher zu bestimmenden Sitz im Leben hat. In besonderer Weise erweist sich die Isolierung und Vermittlung von theologischen ‹Motiven› oder auch ‹Motivzusammenhängen› als Problem. Fällt häufig schon die präzise Bestimmung eines theologischen Motivs außerordentlich schwer, erweist sich der Nachvollzug seiner theologisch-kirchlichen Vermittlung als aberwitziges Unterfangen. Nimmt das jeweils isolierte – wenn nicht gar nachträglich re-konstruierte – Motiv doch kontextabhängig je und je neue Gestalt an und verliert damit in entscheidender Weise den Aussagegehalt seiner originären Herkunft. Das gilt natürlich auch für die Motivzusammenhänge oder Argumentationsstrukturen der vielgestaltigen Werke Augustins. Hierbei wird häufig die ‹originale› Aussageintention bzw. Motivation Augustins bei der Abfassung einer speziellen Formulierung oder Argumentationssequenz ins Feld geführt. Sowenig eine authentische Rekonstruktion der Intentionen des Kirchenvaters aus dem Rückblick heraus möglich ist, sowenig wird die Bestimmung der die Werke des Nordafrikaners zitierenden Autoritäten des Mittelalters möglich sein. Eine sich postmoderner Wissenschaftstheorie gegenüber verantwortende geistesgeschichtliche Hermeneutik wird jegliche Nähe zu positivistischer Quelleninterpretation und damit zu einer authentischen Wiedergabe der Aussagen und ihrer Intention über den gewaltigen Abstand von 1500 Jahren hinweg zu vermeiden haben14.
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Sie steht bis heute, trotz einer nahezu unübersehbaren Flut an rezeptionsgeschichtlichen Untersuchungen zum Erbe der Spätantike in den theologischen Werken des lateinischen Westens, aus. Cf. allerdings hierzu die eindringlichen Warnungen von U. ECO, Lectura in fabula, München ³1998.
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2.4. Methode und Hermeneutik Eine sich von den positivistischen Voraussetzungen des Historismus und seiner Nachwirkungen15 befreiende Rezeptionsgeschichtsforschung wird im Nachvollzug spezifischer Übernahmeprozesse zunächst die quellentechnisch verifizierbaren Evidenzen zu sammeln haben. Dazu zählen die literarisch eindeutigen Zitate, d.h. Sequenzen, die als Zitat ein- und ausgeführt werden, sowie offenkundige Parallelen zu hinlänglich als authentische Quelle bekannten Texten der Vorläufer. Der Semantik dieser Texte ist in besonderer Weise nachzuspüren. Sodann sind in einem weiteren Durchgang erneut eindeutig eingeführte und zugeordnete Motive, Gedanken und Elemente einer für die Berufungsinstanz eindeutigen Argumentation zu sammeln. Weitere Evidenzen lassen sich durch Phrasen in der Art von ‹Wie Augustin sagt ...› nachzeichnen. Nicht übersehen werden sollten in diesem Zusammenhang auch Textbestandteile, die Augustin in seiner Gesamtheit – historisch berechtigt oder nicht, sei einmal dahingestellt – in Anspruch nehmen: Augustin als ‹Vater der ...›, Augustin als Lehrer, Priester, Bischof etc. In einem weiteren Schritt sind die Verwendungszusammenhänge zu prüfen und der Versuch einer Hypothese zu wagen, mit welcher die Frage nach der Funktion des Arguments im Gesamtzusammenhang näher beleuchtet und möglicherweise sogar schon beantwortet werden kann. In einem dritten Schritt ist sodann nach Rezeptionsstrukturen zu fahnden, die sich aus parallelen Ergebnissen in zeitlich, thematisch oder auch gattungsgeschichtlich zusammenhängenden Zeugnissen finden lassen. Diese Parallelen können sich sowohl auf bestimmte, immer wiederkehrende Zitate, Motive, Strukturen beziehen bzw. inhaltliche Schwerpunkte setzen, sich dem literarischen Genre etwa der Predigt, des Kommentars oder anderer Literaturgattungen verdanken oder auch sogar die wiederholte Aufnahme einer oder mehrerer bestimmter Schriften Augustins in den Blick nehmen. Erst dann wird es möglich sein, Rezeptionswege und -strukturen zu benennen, die einem explizite vereinbarten oder auch nur implizite wahrgenommenen Regelwerk folgen. Davon ist die Forschung gegenwärtig allerdings noch sehr weit entfernt. 15
Cf. dazu zunächst F. MEINECKE, Die Entstehung des Historismus, München 1936; F. JAEGER/J. RÜSEN , Geschichte des Historismus. Eine Einführung, München 1992; H. SEIFFERT, Einführung in die Wissenschaftstheorie 2. Geisteswissenschaftliche Methoden: Phänomenologie, Hermeneutik und historische Methode, Dialektik, München 101996; G.J. HENZ, Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung, Berlin 2014.
Augustin und seine Bedeutung für die spätmittelalterliche Theologie
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Die gegenwärtige Rezeptionsgeschichtsforschung ist zunächst mit der Dekonstruktion vorgefasster und im Verlaufe der Geschichte verhärteter Positionen beschäftigt. Dazu gehören die Aufgabe statistisch gestützter Quellenanalysen und die Suche nach historisch-kritisch verifizierter ‹korrekter› Zitation. Insgesamt ist einer statischen Verifikation des mittelalterlichen Augustinismus mit größter Vorsicht zu begegnen. Ebenso wenig ist die systematische Rekonstruktion des theologischen Systems oder auch nur seiner kontextbedingten Teilsysteme mit abschließender, gleichsam objektiver Gültigkeit möglich. Die patristisch akzentuierte Theologiegeschichtsschreibung ist vielmehr aufgefordert, die Kontexte der Werke Augustins in einer Weise aufzubereiten, dass sie mit der dann ebenso sorgfältig analysierten historischen Bedingungssituation seiner mittelalterlichen Rezipienten verglichen werden können. Auch wenn diesem Programm ein anti-historistischer Akzent eignet, ist das nicht seine eigentliche Zielsetzung. Vielmehr geht es darum, die theologiegeschichtlich hoch virulente Wahrheitsfrage aus dem historischen Diskurs zunächst zu verbannen und erst in einem dann systematisch-theologisch reflektierten weiteren Diskussionsgang zu erörtern. Ihre Beantwortung wird damit nicht negiert, wohl aber ihrer Beantwortung ein anderer ‹Sitz im Leben› zugeordnet. Die theologisch intendierte Suche nach Wahrheit kann nicht den Ausgangspunkt, sondern vielmehr nur den Endpunkt der historischen, insbesondere die geisteswissenschaftlichen Arbeitsweisen zur Synthese führenden Theologiegeschichtsschreibung darstellen. Theologiegeschichte darf, und das zeigt die Beschäftigung mit der Rezeptionsgeschichte altkirchlicher Autoritäten im Verlauf der Kirchengeschichte, nicht mit der Dogmengeschichte, insbesondere nicht in ihrer nachaufklärerischen Funktion als Substitut der Dogmatik, verwechselt werden. Augustin war im gesamten Mittelalter bis in die Moderne das Siegel katholischer Orthodoxie16. Aufgrund der Inkompatibilität der Entstehungskontexte seiner Äußerungen zu denen seiner Rezipienten ergeben sich gravierende Unterschiede zu seiner ursprünglichen Intention und mithin zu der inhaltlichen Aussage selbst. Die hermeneutische Frage lautet also weniger, was von Augustin in der mittelalterlichen Theologie aufgenommen wird, als vielmehr, wie er übernommen und mit welcher Aussageintention der Bezug auf seine Schriften hergestellt wird. Vor diesem Hintergrund werden theologiegeschichtliche Eng16
So beispielsweise auch für Luther; cf. M. WRIEDT, Produktives Mißverständnis? Zur Rezeption der Theologie des lateinischen Kirchenvaters Augustin im Werk Martin Luthers: Augustinus. Spuren und Spiegelungen seines Denkens 1. Von den Anfängen bis zur Reformation (hrsg. von N. FISCHER), Hamburg 2009, 211–223.
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führungen, wie etwa die Frage, ob die akzentuierte Wahrnehmung seiner antipelagianischen Auslegung der paulinischen Rechtfertigungslehre die Reformation wenn denn nicht provoziert, so doch zumindest in ihrer Initiation maßgeblich unterstützt hat, letztlich obsolet. 3. Gibt es eine Theologie der Augustiner im Spätmittelalter? Die Vielfalt mittelalterlicher Augustinrezeption findet sich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit auch im Augustinereremitenorden, einem der drei großen Mendikantenorden des Spätmittelalters, wieder. Gleichwohl ist die Frage berechtigt, inwieweit die explizite Bezugnahme auf den Bischof von Hippo eine spezifische Ausprägung des mittelalterlichen Augustinismus darstellt17. Da im Folgenden keine vollständige Übersicht zur Ausprägung der in den Generalstudia der Augustiner gelehrten Theologie geleistet werden kann, sollen nur einige wenige Beispiele der insgesamt viel breiteren Augustinrezeption innerhalb des Ordens skizziert werden. Dabei kommen unterschiedliche Konzeptionen zum Tragen, die auf ihre innere Kohärenz zu untersuchen sein werden. Zunächst ist hier Gregor von Rimini zu nennen, der eine akzentuierte Wahrnehmung des antipelagianisch argumentierenden Augustin übernahm. Als zweiter Vertreter des spätmittelalterlichen Augustinismus soll das Œuvre von Jordan von Quedlinburg erwähnt werden, der sich auf Augustin als Vorbild und Modell der Einheit von Leben und Lehre beruft. Schließlich sei die weitgehend unspezifische Ausprägung der Augustinrezeption im Werk des für Luther prägend wirkenden Generalvikars der observanten Augustinereremiten, Johannes von Staupitz, skizziert. Abschließend und im Sinne eines weiterführenden Ausblicks ist sodann zu fragen, ob und wie diese Augustinrezeption für den Entwicklungsgang Luthers von Bedeutung sein könnte. 3.1. Gregor von Rimini Kennzeichnend für Gregor ist der Versuch, in der Denkweise der ‹Via moderna› gewissen, von ihm als Pelagianismus bekämpften Strömungen seiner 17
Cf. zum Folgenden auch M. WRIEDT, Via Augustini – Ausprägungen des spätmittelalterlichen Augustinismus in der observanten Kongregation der Augustinereremiten: Luther und das monastische Erbe (hrsg. von C. BULTMANN /V. LEPPIN / A. LINDNER), Tübingen 2007, 9–38.
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Zeit eine augustinische Lehre vor allem in den Fragen über Urstand, Erbsünde, Prädestination, Gnade, Rechtfertigung und Verdienst entgegenzustellen18. Als Charakteristika dieser Gnadenlehre treten hervor: ihr betonter Antipelagianismus, die Vorrangstellung, welche der ‹gratia sanans› vor der ‹gratia elevans› eingeräumt wird, die Lehren von der Prädestination der Guten unter der Voraussetzung der Erbsünde, der moralischen Wirksamkeit der Gnade und der Notwendigkeit einer besonderen Gnadenhilfe zu einem sittlich guten Werk. Seine theologische Richtung findet bei etlichen Theologen der Augustiner Resonanz und wird weiter ausformuliert. Dennoch ist eine gradlinige Schulbildung oder ein eindeutiges augustinisches Sentiment nicht auszumachen19. Die Rezipienten Gregors akzentuieren durchaus die antipelagianische Gnadenlehre Augustins, tragen dabei allerdings nur zum insgesamt breiten Augustinbezug der spätmittelalterlichen Theologie und Philosophie bei. Im Sinne des spätmittelalterlichen Bemühens um Lehrkontinuität wäre eine einseitige Akzentuierung auch nicht ratsam gewesen. 3.2. Jordan von Sachsen «... beatus Augustinus est praeceptor noster in disciplina regulari. Unde et in hoc opere frequenter ipsum praeceptorem nostrum appellavi», schreibt Jordan von Quedlinburg (oder auch von Sachsen) in seinem Liber Vitasfratrum20. Jordan zielt ausdrücklich darauf, Augustin als Vorbild und Modell des klösterlichen Lehrers zu beschreiben. Augustin ist gerade nicht nur der spirituelle Lehrmeister oder Ausbilder von monastischen Lehrlingen. «Unde doctores et 18
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Zu Gregor von Rimini cf. G. LEFF, Gregory of Rimini: Tradition and Innovation in Fourteenth Century Thought, Manchester/New York 1961; W. ECKERMANN, Wort und Wirklichkeit. Das Sprachverständnis in der Theologie Gregors von Rimini und sein Weiterwirken in der Augustinerschule, Würzburg 1978; H.A. OBERMAN (Ed.), Gregor von Rimini. Werk und Wirkung bis zur Reformation, Berlin 1981. Cf. dazu H.A. OBERMAN, Werden und Wertung der Reformation. Vom Wegestreit zum Glaubenskampf, Tübingen 1977; M. SCHULZE, Von der Via Gregorii zur Via Reformationis. Der Streit um Augustin im späten Mittelalter, Tübingen 1981; M. WRIEDT, Via Guilelmi – Via Gregorii. Zur Frage einer Augustinerschule im Gefolge Gregors von Rimini unter besonderer Berücksichtigung Johannes von Staupitz’: Deutschland und Europa in der Neuzeit. Festschrift für K.O. Freiherr von Aretin 1, Stuttgart 1988, 111– 131. Für die allfälligen Nachweise der Zitate sowie zum Folgenden cf. E.L. SAAK, Highway to Heaven. The Augustinian Platform between Reform and Reformation, 1292–1524, Leiden 2003.
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magistri scholastici dicuntur praeceptores ... Sic etiam beatus Augustinus est praeceptor noster ...». Schon früher hatte Jordan in seinem Opus Postillam darauf hingewiesen, dass das Lehren zu den geistlichen Gaben gehört. Im Blick auf die Religiosen betont Jordan die Lehre, insofern sie die in frommer Abgeschiedenheit lebenden Mönche vor Irrlehre und Heterodoxie bewahren kann. Insbesondere für die Augustiner zählt die Lehre zu den elementaren Bestandteilen ihres kontemplativen Lebens. In diesem Sinne verweist Jordan auf den legendären Gründer seines Ordens als ‹praeceptor noster›. Jordan steht hier wohl in einer längeren Tradition seines Ordens. Bereits im frühen 14. Jh. finden sich Belege für das Vorbild Augustins mit der Akzentuierung seiner Tätigkeit als Lehrer: so bei Nikolas von Alexandria 1332, der Augustin als «dux, magister, caput et pater eremitarum» charakterisiert. Eine gleichlautende Liste von Prädikationen findet sich in der Bulle Veneranda sanctorum Papst Johannes’ XXII. Schließlich wird das Bild Augustins als Lehrer durch die literarische Tradition des Mittelalters, allerdings auch in Miniaturen und Skizzen bis hin zu Fresken in Kirchen und anderen ikonographischen Darstellungen als durchgängiges Motiv tradiert. 3.3. Johann von Staupitz Der um 1465 in Motterwitz geborene sächsische Adlige wurde am 7. Mai 1503 zum Nachfolger des verstorbenen Andreas Proles im Amt des Generalvikars der observanten Augustinereremiten gewählt. Staupitz setzte das Werk der Ordensreform im Sinne einer konsequenten Observanz fort und übergab dafür 1512 seinen Lehrstuhl an den frisch promovierten Ordensbruder Martin Luther. Dieser zählte ihn in ausgezeichneter Weise zu jenen, die ihm das Licht des Evangeliums gewiesen hätten21. Die Durchsicht der Werke von Staupitz ergibt, dass seine Augustinrezeption nicht unter systematischen oder positionellen Gesichtspunkten erfolgt. Weder zitiert er Schriften des Kirchenvaters aus einer bestimmten Schaffensperiode, noch zeichnet sich die Zitation durch charakteristische Merkmale aus. Aus der Verwendung einzelner Exemplare, die durch ihre Randbemerkungen eindeutig zu bestimmen sind, lässt sich jedoch erkennen, dass Staupitz seine Augustinkenntnis zu einem Teil durch die Lektüre von Originalschriften er21
Die wichtigsten Quellen- und Literaturhinweise zum Folgenden bei M. WRIEDT, Johann von Staupitz OSA/OSB (1460–1524): Gelehrter – Diplomat – Seelsorger. Zur geistlichen Reform am Vorabend der Reformation: SMGB 127 (2016) 309–329.
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worben hat. Gleichwohl wird die Vermittlung durch die scholastische Tradition und zeitgenössische Autoren nicht unterschätzt werden dürfen. Hier bieten die neueren Editionen eine wichtige Hilfe22, insofern sie neben dem möglichen Augustinzitat parallele Überlieferungen nennen. Dabei zeigt sich, dass ein Großteil augustinischen Gedankengutes auch durch Quellen vermittelt wird, die durch spätere Systematisierungen mit der augustinischen Theologie nicht mehr in Verbindung gebracht werden: Thomas von Aquin, Aegidius Romanus, Johannes Gerson, Gabriel Biel und viele andere mehr. Eine erhebliche Bedeutung hat für die Augustinkenntnis von Staupitz schließlich seine Ordenszugehörigkeit. Neben der Lektüre Augustins wurde dessen Werk auch in den Schriften anderer Ordenstheologen bewahrt und vermittelt. Zudem lassen sich kaum thematische Schwerpunkte seiner Augustinlektüre, wie sie sich in seinen Schriften widerspiegelt, feststellen. Gleichwohl ist die antipelagianische Ausrichtung der Gnadenlehre von Staupitz und die exponierte Nennung Augustins – er zählt neben der Bibel zu den ganz wenigen namentlich erwähnten Autoritäten der Tradition – als Zeuge der evangelischen Wahrheit charakteristisch23. In dieser dienenden Funktion tritt er allerdings deutlich hinter ausdrücklich erwähnte Schriftbelege zurück. Augustin bezeugt mithin – allerdings außerordentlich profiliert – jene Tradition, die Staupitz bei seiner Schriftauslegung stützend hinter sich weiß. In dieser Funktion muss sich allerdings sogar der Kirchenvater des Abendlandes manche Uminterpretation gefallen lassen. Seine Aussagen werden mit anderen, zumeist biblischen Zitatsplittern durchsetzt oder im Sinne der Intention von Staupitz paraphrasiert. Die mangelnde Kontexttreue von Staupitz ist freilich nicht ihm allein anzulasten, sondern zum Teil Folge der bereits im Mittelalter verfremdeten Rezeption. So ist die theologische Originalität von Staupitz durch seine Rezeption Augustins nicht hinreichend erklärt. Der sächsische Generalvikar zitiert nicht mehr und nicht außergewöhnlicher als ein großer Teil der spätmittelalterlichen, insbesondere auch der scholastischen Theologen. Sein theologisches Profil muss – wenn überhaupt – im Kontext seines seelsorgerlichen Wirkens gesucht werden, von dem die Predigten und Traktate nur einen, freilich nicht unerheblichen Teil darstellen. Charakteristisch ist, dass bei allen, die ihre theologische Umorientierung Staupitz verdanken, nur Karlstadt den konkreten Hinweis auf 22
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Cf. L. GRAF ZU DOHNA/R. WETZEL (Ed.), Johann von Staupitz. Sämtliche Schriften: Abhandlungen, Predigten, Zeugnisse 1–3, Berlin 1979–2001; zwei weitere Bände sind laut Herausgeber kurz vor der Fertigstellung. Cf. dazu M. WRIEDT, Staupitz und Augustin. Zur Kirchenväterrezeption am Vorabend der Reformation: Auctoritas Patrum. Zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert (hrsg. von L. GRANE/A. SCHINDLER/M. W.), Mainz 1993, 227–257.
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Augustin erwähnt24. Luther hingegen betont, dass er das Ganze der Theologie, die ‹doctrina›, Staupitz verdanke25. Und damit meint Luther eben nicht eine bestimmte augustinische Position, sondern das «Licht des Evangelium»26. Diese Einschätzung konnte Staupitz voll und ganz akzeptieren. Mithin ist es die schriftbezogene Auslegung und Seelsorge, die Staupitz auszeichnet und die er unter anderem durch die Autorität Augustins gestützt bzw. besonders pointiert formuliert sieht. Die Rezeption des Kirchenvaters steht ganz im Dienste einer angemessenen Formulierung des die Liebe Gottes in tätiger Nächstenliebe bezeugenden Glaubens. Das verbindet Staupitz, auch wegen seiner integren und glaubwürdigen Lebensweise, mit dem oben auch für Jordan von Sachsen und andere skizzierten Profil der Ordenstheologie der Augustiner als einer akzentuierten Theologie der barmherzigen Liebe Gottes. Zugleich machte der sächsische Adlige damit (Theologie-)Geschichte. Stellvertretend für viele Hörer seines Ordensvorgesetzten konnte Luther im Rückblick sagen: «Haesit hoc verbum tuum in me sicut sagitta potentis acuta»27. 3.4. Theologie der Liebe Gottes Von Aegidius von Rom über Thomas von Straßburg, Gregor von Rimini, Hugolin von Orvieto, Jordan von Sachsen bis hin zu Johann von Staupitz und Johann von Paltz scheint es eine charakteristisch ausgeformte, akzentuierte Theologie der Liebe Gottes gegeben zu haben, welche die Augustinertheologie des Spätmittelalters auszeichnet28. Die Liebe Gottes manifestiert sich in Akten der Liebe, Güte und Barmherzigkeit. In der möglichen Dreiheit theologischen Arbeitens – Verteidigung des Glaubens, Lehren und Predigen sowie schlichte Unterweisung des frommen Laien – konzentriert sich das wissenschaftliche Selbstverständnis der Augustiner auf den mittleren Bereich: Lehren und Predigen. So werden die Mönche zunächst in den Ordensstudien auf diesen Bereich 24 25 26 27 28
E. KÄHLER, Karlstadt und Augustin. Der Kommentar des Andreas Bodenstein von Karlstadt zu Augustins Schrift De spiritu et litera. Einführung und Text, Halle 1952. WAT 1,245, nr. 526 (Frühjahr 1523); zu den Luther-Ausgaben und ihren Abkürzungen cf. das Literaturverzeichnis Luther an Johann von Staupitz am 17. September 1523 (WAB 3,155, nr. 659). WA 1,525. Cf. A. ZUMKELLER, Die Augustinerschule des Mittelalters. Vertreter und philosophisch-theologische Lehre: Analecta Augustiniana 27 (1964) 167–262; id., Johannes von Staupitz und seine christliche Heilslehre, Würzburg 1994.
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konzentriert hin vorbereitet, bevor sie zu ihren externen Weiterbildungen nach Paris und Oxford weiterziehen. Innerhalb des Ordens werden also die akademische Theologie in ihrem Orthodoxie wahrenden und den Glauben verteidigenden Akzent und die Ordenstheologie mit ihrer Vorbereitung von Predigt und Seelsorge zu einer charakteristischen Melange verbunden. Die Augustinertheologie der Liebe verbindet ethische Handlungsorientierung und -anweisung mit wissenschaftlicher Theologie (‹vita et scientia›). Neben der bereits oben erwähnten Theologie sieht Jordan von Sachsen das Ideal der Augustinertheologie insbesondere in den Werken von Jakobus von Viterbo, Heinrich von Friemar, Augustinus von Ancona, Bartholomäus von Urbino, Albert von Padua und Herman Schildesche verwirklicht. Ihre faktische Ausgestaltung im Rahmen der Studienordnungen wird besonders ausführlich wiedergegeben. Eric Saak fasst treffend zusammen: «Jordan’s theology was intimately entwined with the ideals of his Order. It was a theology, however, designed not simply for the brother in his cell, but for the Christian making his or her way back to God, the heavenly judge and the loving Father. It was a moral theology, that exhorted the believer to fight fiercely the forces of Satan»29. Hier scheint die Charakteristik einer prinzipiell praktischen Mendikantentheologie der Augustiner sich herauszubilden. Sie intendierte eine affektive Kenntnis Gottes, die auf eine handlungsorientierende und sinnstiftende Einsicht in die Liebe zu Gott und zum Nächsten zielte. Bevor ein junger Kommentator der Sentenzen sich den Herausforderungen einer Disputation über hochspekulative Fragen stellte, hatte er schon gelernt, was es bedeutet, ein heiligmäßiges Leben, angefochten von Teufel, Welt und Hölle, zu führen. 4. Ausblick: Martin Luther und der Augustinismus des Spätmittelalters Luther hat den Augustinismus des Spätmittelalters wenn auch nicht ausschließlich, so doch ganz wesentlich durch seinen Orden, die observanten Augustinereremiten kennengelernt und übernommen. Eine schwerlich zu überschätzende Rolle spielte dabei der Generalvikar und Luther eng verbundene sächsische Adlige Johann von Staupitz. Seine charakteristische Umprägung des spätmittelalterlichen Erbes einer Augustin verbundenen Theologie war für Luthers weiteren Lebensweg von schlechterdings zentraler Bedeutung. Dass Staupitz überdies eine wichtige Rolle bei der Vermittlung des antipelagianischen Augustin nach Wittenberg spielte, steht außer Zweifel. Ob und wie29
SAAK, Highway (cf. n. 20) 465.
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weit Staupitz dabei ein charakteristischer Repräsentant einer spezifischen Augustininterpretation seines Ordens war, lässt sich angesichts der Vielfalt und teilweisen Divergenz der Augustinrezeption innerhalb der Augustinereremiten nicht in der wünschenswerten Eindeutigkeit feststellen. Sicherlich aber fühlte sich Staupitz in der Tradition seines Ordens, wie sich mit Verweisen auf Gregor von Rimini und Jordan von Sachsen zeigen lässt. War es diese Form der Augustinrezeption, die Luther auf seinen weiteren Weg zur Reformation leitete? Erneut ist mit einem entschiedenen ‹Ja› und ‹Nein› zu antworten. Ohne Zweifel hat die Augustinrezeption von Staupitz Luther für die Wahrnehmung von dessen antipelagianischer Gnaden- und Rechtfertigungslehre sensibilisiert. Ebenso zweifelsfrei kann heute aber auch darauf verwiesen werden, dass zahlreiche andere theologische Zeitströmungen für die Entwicklung des theologischen Profils des jungen Luther von gleichberechtigter Bedeutung waren: die Entdeckung der mystischen Theologie etwa eines Johannes Tauler oder der ‹Theologia Deutsch›, die in Erfurt in signifikanter Konzentration vorhandenen humanistischen Bildungs- und Erkenntnisansätze sowie deren das klassische Erbe betonende Aussagen. Sie formulieren zum Teil eine radikale Aristoteles- und damit verbunden auch Scholastikkritik, die bruchlos übergeht in das gesellschaftliche wie kirchliche Sentiment zu Beginn des 16. Jh.s, das üblicherweise mit dem Reformbedürfnis von Kirche und Gesellschaft an Haupt und Gliedern umschrieben wird. So ist die Augustinrezeption der Augustiner im Orden im Allgemeinen und in Erfurt im Besonderen sicherlich nicht im Sinne eines monokausalen Nexus für Luthers weitere Entwicklung verantwortlich zu machen. Wohl aber war Staupitz für Luther ein, wenn nicht phasenweise der Wegbegleiter, der entscheidende reformatorische Einsichten ermöglichte. Literatur I. BACKUS (Ed.), The Reception of the Church Fathers in the West, Leiden 1997. W. ECKERMANN, Wort und Wirklichkeit. Das Sprachverständnis in der Theologie Gregors von Rimini und sein Weiterwirken in der Augustinerschule, Würzburg 1978. U. ECO, Lectura in fabula, München ³1998. L. GRAF ZU DOHNA/R. WETZEL (Ed.), Johann von Staupitz. Sämtliche Schriften: Abhandlungen, Predigten, Zeugnisse 1–3, Berlin 1979–2001. G.J. HENZ, Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung, Berlin 2014. U. HORST, Die Lehrautorität des Papstes und die Dominikanertheologen der Schule von Salamanca, Berlin 2003.
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Id., Juan de Torquemada und Thomas de Vio Cajetan. Zwei Protagonisten der päpstlichen Gewaltenfülle, Berlin 2012. F. JAEGER/J. RÜSEN, Geschichte des Historismus. Eine Einführung, München 1992. E. KÄHLER, Karlstadt und Augustin. Der Kommentar des Andreas Bodenstein von Karlstadt zu Augustins Schrift De spiritu et litera. Einführung und Text, Halle 1952. G. LEFF, Gregory of Rimini: Tradition and Innovation in Fourteenth Century Thought, Manchester/New York 1961. M. Luther, D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883–2009 Abteilung Schriften/Werke 1–80 = WA. Abteilung Tischreden 1–6 = WAT. Abteilung Briefwechsel 1–18 = WAB. F. MEINECKE, Die Entstehung des Historismus, München 1936. H.A. OBERMAN, «Tuus sum, salvum me fac». Augustinreveil zwischen Renaissance und Reformation: Scientia Augustiniana. Festschrift für A. Zumkeller, Würzburg 1975, 349– 393. Id., Werden und Wertung der Reformation. Vom Wegestreit zum Glaubenskampf, Tübingen 1977. Id. (Ed.), Gregor von Rimini. Werk und Wirkung bis zur Reformation, Berlin 1981. K. POLLMANN (Ed.), The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine 1–3, Oxford 2013. R. RIEGER, Sentenzenwerk des Petrus Lombardus: Augustin Handbuch (hrsg. von V.H. DRECOLL), Tübingen 2007, 587–592. E.L. SAAK, Highway to Heaven. The Augustinian Platform between Reform and Reformation, 1292–1524, Leiden 2003. Id., Creating Augustine, Oxford 2012. K. SCHATZ, Der päpstliche Primat. Seine Geschichte von den Ursprüngen bis zur Gegenwart, Würzburg 1990. M. SCHULZE, Von der Via Gregorii zur Via Reformationis. Der Streit um Augustin im späten Mittelalter, Tübingen 1981. H. SEIFFERT, Einführung in die Wissenschaftstheorie 2. Geisteswissenschaftliche Methoden: Phänomenologie, Hermeneutik und historische Methode, Dialektik, München 101996. A. SIQUANS, Augustinus (AT): Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/16569 (zuletzt eingesehen 17.12.2017). F. STEGMÜLLER, Repertorium commentariorum in Sententias Petri Lombardi 1–2, Würzburg 1947. B. TIERNEY, Origins of Papal Infallibility, 1150–1350, Leiden 1972. R. WEIGAND, Glossatoren des Dekrets Gratians, Goldbach 1997. A. WINROTH, The making of Gratian’s Decretum, Cambridge 2000.
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M. WRIEDT, Via Guilelmi – Via Gregorii. Zur Frage einer Augustinerschule im Gefolge Gregors von Rimini unter besonderer Berücksichtigung Johannes von Staupitz’: Deutschland und Europa in der Neuzeit. Festschrift für K.O. Freiherr von Aretin 1, Stuttgart 1988, 111–131. Id., Staupitz und Augustin. Zur Kirchenväterrezeption am Vorabend der Reformation: Auctoritas Patrum. Zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert (hrsg. von L. GRANE/ A. SCHINDLER/M. W.), Mainz 1993, 227–257. Id., Via Augustini – Ausprägungen des spätmittelalterlichen Augustinismus in der observanten Kongregation der Augustinereremiten: Luther und das monastische Erbe (hrsg von C. BULTMANN/V. LEPPIN/A. LINDNER), Tübingen 2007, 9–38. Id., Produktives Missverständnis? Zur Rezeption der Theologie des lateinischen Kirchenvaters Augustin im Werk Martin Luthers: Augustinus. Spuren und Spiegelungen seines Denkens 1. Von den Anfängen bis zur Reformation (hrsg. von N. FISCHER), Hamburg 2009, 211–223. Id., Johann von Staupitz OSA/OSB (1460–1524): Gelehrter – Diplomat – Seelsorger. Zur geistlichen Reform am Vorabend der Reformation: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 127 (2016) 309–329. A. ZUMKELLER, Die Augustinerschule des Mittelalters. Vertreter und philosophischtheologische Lehre: Analecta Augustiniana 27 (1964) 167–262. Id., Johannes von Staupitz und seine christliche Heilslehre, Würzburg 1994. Id./A. KRÜMMEL (Ed.), Traditio Augustiniana. Studien über Augustinus und seine Rezeption, Würzburg 1994.
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Luther und die Mönchsväter In einem Schreiben an Papst Leo X. vom 30. 5. 1518, den Resolutiones de virtute indulgentiarum, erläutert Martin Luther die Sätze seiner 95 Thesen. Einen Widerruf lehnt er ab, will aber keinen Bruch mit der Kirche. Ganz der Tradition verpflichtet, stellt er die Väter der Kirche1 als Autoritäten auf den zweiten Platz nach der Heiligen Schrift und vor der kirchlichen Lehre: «Ich bezeuge, dass ich gänzlich nichts sagen oder halten will außer dem, was erstens aus der Schrift, zweitens von den Vätern der Kirche von der Römischen Kirche übernommen wurde und bis heute gehalten wird, sowie aus den Canones und päpstlichen Dekreten gehalten wird und gehalten werden kann» 2.
1. Mönchsväter 1.1. Zum Begriff Als ‹Mönchsväter› werden die Begründer der Mönchstradition, vor allem in Ägypten, Palästina, Syrien, der heutigen Türkei, allgemein im Vorderen Orient, bezeichnet. Zu ihnen gehören herausragende Persönlichkeiten wie Pachomius (292–348), Basilius (330–379), Ephraem der Syrer (306–373), Dorotheus von Gaza (gestorben ca. 540). Johannes Cassian3 (360–435) überlieferte dem Wes1
2
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Der Ehrentitel ‹Väter› wird ununterschieden für Väter der Kirche und Mönchsväter verwendet. Die Konzilsväter der vier frühkirchlichen Konzilien Nikaia 325, Konstantinopel 381, Ephesus 431, Chalkedon 481, auf denen das Credo formuliert wurde, waren zumeist nicht nur Presbyter und Bischöfe, sondern auch Mönche. WA 1,529sq.; zu den Luther-Ausgaben und ihren Abkürzungen cf. das Literaturverzeichnis. Übersetzungen aus dem Lateinischen stammen von der Autorin. Zitate im sogenannten Lutherdeutsch werden leicht an die heutige Schreibweise angepasst. Prosper von Aquitanien beschuldigte Johannes Cassian, die Gnade zu vernachlässigen, und rief dadurch Augustinus auf den Plan. Cf. zum Kontext C. MÜLLER, Liberum arbitrium: AL 3 (2004–2010) 972–980 und die Ausführungen von G. Förster über ‹Gnade und Semipelgianismus› bei G. ZIEGLER, Geistliches Leben konkret – Cassians Collationes 11–17: Johannes Cassian, Unterredungen mit den Vätern. Colla-
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ten die Tradition der Orientalen. Benedikt von Nursia (480–547), spätere Ordensgründer und spirituelle Lehrer sehen die Väter als ihr Vorbild, so Franziskus und Dominikus, Heinrich Seuse oder Meister Eckart, Teresa von Ávila und Ignatius von Loyola.
Abb. 1: Kellion, Mönchsbehausung in der ägyptischen Wüste um 400.
1.2. Antonius, der ‹Vater der Mönche› Antonius (250–356), genannt ‹der Große›, aus Kome (heute Qiman al-Arûs in Ägypten) stammend und auf dem Berg Kolzim (Suezgebiet) gestorben, erreichte ein biblisches Alter4. Athanasius, der Bischof von Alexandria, schrieb seine Biografie, die sich wie ein Lauffeuer in der antiken Welt verbreitete. Zusammen mit Abbas Amun gründete Antonius im Jahr 338 durch Aufrichten des Kreuzes im westlichen Nildelta die Mönchssiedlung der Kellia und Nitria.
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tiones Patrum 2. Collationes 11 bis 17. Übersetzt und erläutert von ead., Münsterschwarzach 2014, 9–19, hier 16 mit n. 18. Alle Jahreszahlen sind ungefähre Angaben, aber auf jeden Fall wurde Antonius sehr alt.
Luther und die Mönchsväter
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Dies ist der älteste überlieferte Gründungsakt einer monastischen Niederlassung5; «the desert became the powerhouse of a new culture»6. Augustinus berichtet in den Confessiones7, wie es ihn traf, dass Antonius das Herrenwort Mt 19,21 konkret befolgte und sich radikal auf den Weg der Nachfolge begab, indem er allen Besitz verließ und sich in die Wüste zurückzog. Zu Alypius und Augustinus kommt Ponticianus, ein Afrikaner in hoher Stellung am kaiserlichen Hof, zu Besuch. Er berichtet von «Antonius, dem ägyptischen Einsiedler, dessen Name bei Deinen (sc. Gottes) Dienern schon hoch berühmt, uns aber bis zur Stunde unbekannt geblieben war. Als er das bemerkte, verweilte er bei diesem Gegenstand, um den großen Mann uns Unwissenden nahezubringen, und wunderte sich sehr, dass wir so gar nichts von ihm wussten». Ponticianus berichtet weiter, dass in Trier unter den kaiserlichen Beamten die Antoniusvita dazu führte, dass etliche den Dienst quittierten und Mönche wurden. Seine eigene Reaktion auf diesen Bericht kleidet Augustinus in ein Gebet: «Du aber, Herr, Du wandtest mich während seines Redens zu mir selbst herum, Du holtest hinter meinem Rücken mich hervor, wo ich mich eingerichtet hatte, dieweil ich mich nicht anschauen wollte». Ausgelöst von den Worten des Ponticianus, gehen Augustinus die Augen auf über sich selbst. Er erkennt seine Weigerung, sich wie Antonius ganz Gott hinzugeben. 1.3. Die Überlieferung in das Mittelalter Die Worte (‹verba›) und beispielgebenden Haltungen (‹exempla›) der Mönchsväter wurden dem Mittelalter vor allem durch die Legenda Aurea (13. Jh.), die Lebensbeschreibungen der Väter (Vitae Patrum), die Worte der Väter (Verba Seniorum, griechisch Apophthegmata) oder Sammelwerke wie die Historia Monachorum sowie durch die Unterredungen mit den Vätern (Collationes Patrum) und die Weisungen für Klöster (Instituta Coenobiorum) des Johannes Cassian tradiert. 5
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Cf. G. DESCŒUDRES, Die Mönchssiedlungen in der nitrischen und sketischen Wüste: Vom Orient bis an den Rhein. Begegnungen mit der christlichen Archäologie (hrsg. von U. LANGE/R. SÖRRIES), Dettelbach 1997, 75–89. P. BROWN, The Body and Society. Men, Women and Sexual Renunciation in Early Christianity, New York 132005, 229. Conf. 8,14–16; Zitate nach Augustinus, Confessiones – Bekenntnisse. Lateinisch und deutsch. Übersetzt von J. BERNHART, München 41980, 386–393. Lateinischer Text der Vita Antonii von Athanasius: PL 73,125–194; deutsche Übersetzung: Athanasius, Leben des Antonius. Aus dem Griechischen übersetzt von A. STEGMANN/ H. MERTEL, München 1917.
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Luther kennt selbstverständlich diese Werke. Die ursprüngliche Bedeutung von ‹Mönch› definiert er mit «monachos, lateinisch solitarius: Klausner, Einsidel, Einsamer ... in einem Holz oder Wildnis oder sonst allein» (WA 50,535). Wie zu seiner Zeit üblich, zitiert er Worte und Geschichten der Vätertradition assoziativ und leitet sie häufig mit den Worten ein: «Wie wir in den Vitae Patrum lesen ...»; «wie ... sagt»; «wir lesen bei den Vätern ...». Er glaubt den Vätern aber nur, sofern sie ihren ‹Vorstand›, ihre herausragende Rolle, aus der Schrift belegen, die nicht irrt. Von den Vätern gilt: «Auch wenn die Väter oft irren, sind sie dennoch zu ehren wegen ihres Glaubenszeugnisses»8. Augustinus, sein Ordensvater, ist als Mönch und Prediger, das heißt in seiner Schriftauslegung, von gleichem Rang wie die Mönchsväter des Orients und Hieronymus (347–420), der Altes und Neues Testament neu übersetzte und sogar Hebräisch konnte. Als Bischof überragt Augustinus auch die berühmtesten Würdenträger, denn er hat mehr getan als alle Päpste und Bischöfe zu Rom «auf einen Haufen geschmelzt» (WA 10/III,257sq.). 2. Luthers Rückgriff auf Weisungen der Mönchsväter Luther verfasste die Vorrede zur zeitgenössischen Ausgabe der Vitae Patrum des Georg Major (WA 54,107–111). Das zeigt, wie wichtig ihm die Väter waren. Im Folgenden sollen einige der zahlreichen Väterzitate vorgestellt werden, auf die Martin Luther eingeht. Sie entstammen deutschen und lateinischen Predigten Luthers sowie anderen lateinischen Werken9. Dass und wie Luther nicht nur als Mönch, sondern auch als Theologe für die Schriftauslegung und die großen Glaubensthemen auf die Mönchsväter zurückgreift, ist eine für seine Zeit selbstverständliche Methode. Es ist zu bedauern, dass es noch keine vollständige Konkordanz zu dieser Auslegungsmethode Luthers gibt. Sie könnte Brücken im ökumenischen Dialog bauen.
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«patres quamquam saepe errant tamen sunt reverendi propter testimonium fidei» (WAT 1,272). Da die hier aufgeführten Beispiele nur wenige Väterworte bei Luther erfassen, kann auch der gesamte Zeitraum solcher Zitate nicht angegeben werden. Der vorliegende Beitrag berücksichtigt die Zeit von 1518 bis 1540.
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2.1. Antonius Antonius ist auch für Luther ‹Vater der Mönche›: «Antonius, wirklich Vater der Mönche und Erster des klösterlichen Lebens (ipsissimus monachorum pater et monasticae vitae princeps)» hat «äußerst weise und durch und durch christlich erkannt und gelehrt, dass überhaupt nichts zu unternehmen sei, was nicht die Autorität der Schrift hat». «Freiwillig wohnte er in der Wüste, freiwillig lebte er ehelos, entsprechend dem Vorbild (forma) im Evangelium». «Die Regel des Antonius: Die Regel Christi» (WA 8,578). Antonius wird von Luther als Vorbild auch deshalb so hoch geachtet, weil er von sich weg auf das Evangelium verweist. Es entspricht Luthers Frömmigkeit, dass Antonius die Schrift als göttliches Gebot genügt (ib.). Die Vorlage bietet die Vita Antonii: «cum sanctus Antonius a congregatis fratribus rogaretur ut eis institutoria largiretur praecepta, ... aiebat ad omnem quidem mandatorum disciplinam scripturas posse sufficere» (PL 73,134sq.) – «Als Antonius von den versammelten Brüdern gebeten wurde, ihnen die Weisungen der Gebote darzulegen, sagte er, dass gewiss zur völligen Erfüllung der Gebote die Schrift genüge». Diese Vorrangstellung der Heiligen Schrift und die zahlreichen überlieferten Antoniusworte führen dazu, dass markante Ausführungen Luthers zu den Mönchsvätern kaum ohne den Hinweis auf Antonius auskommen. Abb. 2: Antonius der Große.
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2.2. «cogitaui dies antiquos» – «Ich denke an die Tage von damals» (Ps 76 [77],6) In seiner Auslegung zu Ps 76 (77) erinnert Martin Luther sowohl an die schon zitierte Stelle aus den Confessiones als auch an ein berühmtes Antoniuswort. Der menschliche Geist wird verwirrt, wenn er die Nichtigkeit des Trostes der Welt betrachtet. Er sieht ein, dass er stattdessen Trost bei Gott braucht. Er hat ‹Einstiche›, also Gewissensbisse, ist aufgerieben und gedemütigt10. Mit den Worten «Streit drinnen im Haus des Herzens (rixa intus in domo cordis)» (WA 55/II,517) verweist Luther auf Augustinus und zitiert conf. 8,19, wo Augustinus vom Widerstreit in seinem inneren Haus spricht («rixa interioris domus»). Dieser innere Kampf, der Augustinus hinaus in den Garten treibt, geht der berühmten ‹Tolle-lege›-Szene in conf. 8,29 voraus. Es ist also nicht falsch zu konstatieren, dass die Wucht, mit der Antonius Augustinus zur Umkehr trieb, noch von Martin Luther empfunden wird. Die ‹contritio›, das Zerknirschtsein, Aufgeriebensein, definiert Luther als «echte innere Buße (vera poenitentia interior)» (WA 1,319). Der Textmarker ‹contritio› im Verbund mit ‹Demut› (‹humilitas›) erinnert einerseits an die erste These des Jahres 1517: «Da unser Meister und Herr Jesus Christus spricht: Tut Buße, will er, dass das ganze Leben seiner Gläubigen auf Erden eine stete oder unaufhörliche Buße sein soll». Andererseits gehören Demut und Buße/Umkehr (‹poenitentia›, griechisch ‹metanoia›; cf. Mt 4,17) zum Mönchsleben. Mönche werden geradezu als solche charakterisiert, ‹die ein Leben der Umkehr Abb. 3: Augustinus. 10
«compunctus, contritus, humiliatus» (WA 55/II,518). Lateinisch ‹humiliatus› meint wörtlich: ‹auf den Boden gebracht›.
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führen›11. «Demut beschreibt bei den Mönchsvätern nicht das Verhältnis zu den Mitmenschen, sondern vor allem das Verhältnis des Menschen zu Gott. Echte Gotteserfahrung ist demnach nur aus der spirituellen Haltung der Demut heraus möglich, denn vor Gottes Größe werden wir uns unserer Grenzen bewusst»12. Hierher gehört ein berühmtes Antoniuswort, auf das Martin Luther wiederholt anspielt. Lateinisch lautet es nach PL 73,785: «Antonius ... uidisse omnes laqueos inimici super uniuersam terram extentos ... cum suspirans dixisset: quis hos poterit transire? ... audiuit: humilitas sola pertransit». In der Übersetzung durch Martin Luther: «Sankt Antonius hat auf eine Zeit gesehen, dass die Welt gar voller Stricke gelegt war ... do seuftzet er tief und sprach: wer will den Stricken allen entlaufen? Do wurde ihm geantwortet: wer do demuttig ist»13. Die ‹humilitas› bewahrt nicht nur vor den Stricken der Welt, sie öffnet laut Antonius auch den Himmel: «Unter allen Werken und Tugenden Bescheydenheyt die beste were und eyn sicher Weg zum Hymel» (WA 17/II,96; cf. PL 73,871 [nr. 55]). 2.3. Mönche und Eremiten als Beispiele und Vorbilder des Lebens im Glauben Der alle überragende Antonius steht für Martin Luther jedoch nicht alleine für eine gültige Umsetzung des Evangeliums. Mönche und Eremiten überhaupt geben Beispiele (‹exempla›) des Lebens im Glauben: «Zu Gott kumpt man mit dem Geyst und durch die Hend, das ist, nit mit der Zungen und mit Worten, sondern mit der Tat und Warheyt, als die lieben Vetter in den Wüsten Aegypti und Morenland, wie das wohl bekannt ist» (WA 8,32). Die Väter lehrten ‹in Wort und Beispiel› (‹verbo et exemplo›). Die Frage, die die Väter umtrieb und die überhaupt den Anlass für ihre Weisungen gab, lautete, ausdrücklich gestellt oder mitgedacht: «Wie kann ich gerettet werden?» Das war bekanntlich auch die Frage Luthers. Schon deshalb mögen die Überlieferungen der Mönchsväter ihn angesprochen haben. Er kritisiert sie zwar für ihre Irrungen, aber der Glaube
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Cf. Kap. 4 von Acta Sanctorum. Die Legende der Maria aus Ägypten. Übersetzt und erläutert von G. ZIEGLER, Münsterschwarzach 2013. So programmatisch der Klappentext von A. GRÜN, Demut und Gotteserfahrung, Münsterschwarzach 2012. WA 33,565 (im Druck der WA werden Augustinus und Antonius verwechselt); cf. das Stricke-Zitat auch in WA 47,599: Demut ist völlig verschieden vom heuchlerischen Gebaren der ‹Möncherei›.
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der ersten Mönchsväter ist nachzuahmen, zum Beispiel der des Benedikt, Augustinus, Antonius oder Paphnutius (WA 8,471). In der Auslegung zu Ps 67 (68),31sq., «Könige aus Ägypten kommen mit Gaben», deutet Martin Luther diese ‹Könige› als die Mönchsväter und die theologische Schule des ägyptischen Alexandria: «Diße aegyptische Bottschafft seyn gewißlich die heyligen Vetter ynn der Wüsten, Sankt Antonius, Macharius und der viel mehr, dazu [die Stadt] Alexandria, da geweßen ist eyn grosse Schule der Christenheit fur allen Ortern der Welt ... das seyn die Botschafften, die do Gottes Wort lehren und predigen in Aegypten» (WA 8,31).
2.4. Die Gefahr des Hochmuts Luther sieht klar, dass die Mönchsväter, auch wenn sie in die Wüste gingen, doch nicht der Welt entkamen. Denn sie mussten nicht nur in Kontakt mit Weltleuten sein, um ihre Waren – Seile oder Körbe – zu verkaufen. Es kamen auch Pilger zu ihnen, um sie zu befragen, und brachten viel ‹Welt› mit. Die eigentliche und größte Gefahr lauerte jedoch im Herzen: in den Gedanken und Leidenschaften des Habenwollens, des Berühmtseins, des Zorns, der Einbildung auf die eigene Demut14. Luther hält fest: Antonius ist in der Welt gewesen. Wenn einer Mönch wird, heißt das nicht, er ist ‹aus der Welt geflogen›. Antonius war nicht frei von Gedanken des Hochmuts (‹superbia›). «Sankt Antonius ist einmal eine Anfechtung ankommen, dass er gerne gewußt hette, wem er doch gleich sei im Himmelreich. Do wirdt ihm offenbaret, das er noch nicht gleich sei einem Schuster zu Alexandria, einem Bürger, der Weib und Kind hatte»15. Antonius geht nach Alexandria16, um den Schuster aufzusuchen. Auf die Frage, was er denn so tue, sagt ihm der Schuster: «Ich armer Burger wardte meines Handwerks, bitte täglich, dass Gott allen Menschen das Himmelreich geben wolle, und dass ich armer unwirdiger Sünder auch durch Christum das ewige Leben erlangen möge». Antonius muss hören, dass er noch nicht so weit ist wie dieser Schuster. Das treibt ihm die Schamesröte ins Gesicht. Für den 14 15 16
Cf. G. ZIEGLER, Leidenschaften und geistlicher Weg: Geist und Leben 88 (2015) 253–260. Zu diesem und den folgenden Zitaten cf. WA 47,599sq.; cf. auch PL 73,785 (nr. 130). Luther erklärt an dieser Stelle, dass das Kloster des Antonius von Alexandria ungefähr so weit entfernt war wie die Thubische Heide von Wittenberg. An anderer Stelle erklärt er: Hippo war so groß wie Wittenberg (WA 10/III,257).
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Christen legt Luther als Folgerung aus dieser Episode Christus die folgenden Worte in den Mund: «Du hast die Taufe, das Predigtamt des göttlichen Worts, so ich geordnet habe, daran halte dich. Du hast das Sakrament und die Gewalt der Schlüssel, darbei bleibe, wenn du betrübt bist oder wenn man dir helfen sol. Item hast du ein Weib und Kinder, dein Handwerk, darbei bleibe und nähre dich».
Luther warnt somit wie die Väter vor asketischen und frommen Extraleistungen oder Übertreibungen. Der Christ soll bei den vier Sakramenten bleiben, in denen Christus ihm das Heil schenkt17. Eine ähnliche Geschichte übernimmt Luther aus der Vätertradition zu Paphnutius (gest. 360). Paphnutius18 «kam in die Vermessenheit, dass er gerne gewusst hätte, wem er doch gleich were im Himmelreich. Do wird ihm geantwortet, er sei zwei Weibern gleich». Der Altvater sucht die beiden Frauen auf und fragt sie, was sie denn so tun. Ihm wird geantwortet: «Nichts sonderlichs, wir nähren uns wie arme Leute und haben friedlich mit unseren Männern gelebt und lange beieinander gewesen». Sie hätten «sich nie gezankt noch gescholten». Mit Paphnutius folgert Luther: «Nun soll man nimmermehr einen Stand oder einen Menschen in einem Stande, wie gering er sein möge, verachten». Hinsichtlich des Hochmuts von Mönchen heißt das nach Luther: «Ein Münch, wenn er in das Unglück gerät, der gedenket, die ganze Welt sündiget und ist ungerecht, er aber allein ist heilig und aus seinen übrigen Werken heilig». Aus diesem Dünkel heraus werden dann alle in der Welt «für verdammte Leute gehalten» (WA 47,601; cf. PL 73,1013sq.19).
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Allerdings mahnt Luther in diesem Zusammenhang auch zur Treue gegenüber der weltlichen Obrigkeit, wie er überhaupt an den Mönchen kritisiert, dass sie sich dem Wehrdienst entziehen. Dem Paphnutius wurde in mittelalterlicher Tradition die Rolle zugewiesen, die Nonne Thais davon zu überzeugen, dass sie zu recht und zur Strafe für weibliche Sexualität als Reklusin zu büßen habe. Roswitha von Gandersheim schrieb über diese Geschichte ihr Reimepos Thais. Dazu G. ZIEGLER, Die Wüstenmütter, Stuttgart 2016, 47–54. In PL wird diese Anekdote dem Abbas Makarius zugeschrieben. Luther zitiert auch das Antoniuswort über Paphnutius: «Paphnutius weiß, wie man Seelen sollt selig machen» (WA 17/II,112; cf. PL 73,787).
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2.5. Nicht urteilen Da nach Luther vor Gott weder Bescheidenheit noch Unbescheidenheit gelten, sondern allein Glaube und Liebe (WA 17/II,96), verurteilt er wie die Mönchsväter aufs schärfste das Urteil über andere. Die Antoniustradition schildert eine Situation, in der Mönche einen Bruder wegen einer Sünde zur Anklage vor Antonius schleppen. Sie bekommen zu hören: Anzuklagen statt zu helfen ist soviel wie einen, der nahe am Ufer ins schlammige Wasser gefallen ist, erst recht hineinzustoßen, damit er untergeht, anstatt ihm die rettende Hand zu reichen20. Dieselbe Haltung des Verurteilens beschreibt Luther auch in einem noch drastischeren Vergleich, wieder unter Bezug auf Antonius und Paphnutius: «Das ist, als ob man einen Karren, der festhängt, noch tiefer in den Dreck hineinfahren will» (WA 31/II,311). Unter dem Motto «Non est peccatum quod fecit homo, quod non possit facere alter homo» – «Keine Sünde, die einer tut, könnte nicht auch ein anderer tun»21, geht Luther auf eine Beispielgeschichte aus der zweiten Unterredung des Johannes Cassian ein22. Darin fragt ein junger Mann einen Altvater um Rat, weil er von Gedanken sexuellen Begehrens angefochten wird. Er erwartet von dem älteren Bruder Hilfe und Heilung von seiner inneren Wunde. Der ältere Mönch jedoch «schalt ihn mit den bittersten Worten, bezeichnete ihn als verachtenswert und keinesfalls würdig, ein Mönch zu heißen, wenn er durch ein derartiges Laster und die Begierde gekitzelt werden könne. So verwundete er ihn durch seine 20
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WA 41,686; cf. PL 73,787 (nr. 138) und Weisung der Väter. Apophthegmata Patrum. Übersetzt von B. MILLER, Trier 72005, 29. Dieser eindrückliche Vergleich findet sich noch Jahrhunderte später in der Bildungsliteratur; cf. z.B. J.G. ZIMMERMANN (Ed.), Familienbibliothek der deutschen Classiker 53, Hildburghausen/Amsterdam 1842, 107: «Ein herrliches moralisches Wort kam auch aus dem Munde des Antonius, als man einen Mönch in seinem Kloster eines Vergehens wegen heftig ausgefilzt hatte. Dieser Mönch ging nach dem Antonius, um sich über diese Härte zu beklagen; die übrigen Mönche galoppierten ihm nach, um ihn zurück zu zerren, und schalten ihn noch ärger in Gegenwart des Antonius. Eben war der heilige Paphnutius auch da. Als er den Mordslärm hörte, sagte er den Mönchen: ‹Ich sah einst am Ufer eines Flusses einen Menschen bis an die Kniee im Morast stecken; einige kamen herbei, reichten ihm die Hände, um ihn herauszuziehn, und stießen ihn in den Morast bis an den Kopf›. ‹Das ist nach der Wahrheit gesprochen›, erwiderte Antonius. ‹Paphnutius, du verstehst, wie man Seelen rettet›». WA 41,686; cf. Augustinus, s. 99,6. Ausgabe der folgenden Passagen: Johannes Cassian, Unterredungen mit den Vätern. Collationes Patrum 1. Collatio I–X. Übersetzt und erläutert von G. ZIEGLER, Münsterschwarzach 22018.
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Vorwürfe. Nachdem er ihn in tiefste Verzweiflung gestürzt und mit todbringender Traurigkeit zu Boden geschlagen hatte, befahl er ihm, sein Kellion zu verlassen».
Der junge Mönch geht völlig verzweifelt weg und «richtete sein Denken nicht mehr auf die Heilung von seinem Leiden, sondern auf die restlose Befriedigung der aufgebrochenen Begierde». Zum Glück begegnet ihm ein anderer Altvater namens Apollo: «Der erkannte die Schwere und Wucht des Kampfes, der ohne Worte im Herzen des Bruders tobte, als er ihm ins Angesicht schaute. Indem er sich vor ihm auf den Boden warf, fragte er nach dem Grund für so große Verwirrung. Doch jener konnte dem Altvater, der ihn sanft anredete, auch nicht eine einzige Antwort geben. Mehr und mehr merkte der Altvater, dass er nicht ohne Grund die Ursache solch großer Traurigkeit mit Schweigen bedecken wollte, die er nicht einmal in seinem Gesicht verbergen konnte, und begann ihn drängender nach den Gründen seines verborgenen Schmerzes zu befragen ...».
Der junge Mönch erklärt dem Altvater Apollo, dass er jetzt in sein altes Leben zurückkehren wolle, weil er nach der Aussage jenes Altvaters, den er vorher aufgesucht habe, ja doch nicht als Mönch tauge. Apollo tröstet den jungen Mönch und erzählt ihm, dass er selbst noch jeden Tag mit Anfechtungen zu kämpfen habe. Der junge Mönch dürfe sich jetzt nicht in Verzweiflung und Trauer verlieren. Gottes Barmherzigkeit und Gnade sei größer als unser Versagen. Dann bricht Apollo in aller Eile und betend zur Einsiedelei des vorgenannten Mönches auf. Dort angekommen, sieht er deutlich eine schwarze Gestalt gegenüber der Zelle jenes Mönches stehen und feurige Pfeile dagegen schleudern. «Jener wurde auch sogleich von den Pfeilen verwundet, er stürzte aus seinem Kellion, rannte hierhin und dorthin wie ein Wahnsinniger und Betrunkener, lief bald in das Kellion hinein, bald wieder heraus, konnte sich nicht mehr darin aufhalten. Schließlich begann er, auf dem gleichen Weg so schnell er konnte davonzulaufen, auf dem der junge Mann gegangen war».
Altvater Apollo stellt sich ihm in den Weg und fragt: «Wohin eilst du? Welche Ursachen regen dich so kindisch auf und treiben dich an, ziellos umherzulaufen? ... Kehre zurück in dein Kellion ... Der Herr hat deshalb zugelassen, dass du von diesen Pfeilen verwundet wirst, damit du wenigstens noch im Alter lernst, mitzuleiden mit den Schwachheiten anderer und damit du durch dein Beispiel und deine eigene Erfahrung gelehrt wirst, mitherabzusteigen zur Verwundbarkeit der Jüngeren».
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Soweit die Wiedergabe der Episode aus Cassians zweiter Unterredung. Martin Luther bringt sie in einer Predigt im Jahr 1536 und kommentiert sie in einer deutsch-lateinischen Mischung mit etlichen Väterzitaten. Er mahnt, diejenigen, die es brauchen, «mit sanftmütigen Worten, nicht mit Poltern» anzusprechen. «Hüte dich, dass nicht auch du [fällst]. Du bist noch nicht ‹Hans überm Berg›. Heute fromm, morgen ein Schalk». «Wir sind oder waren oder können sein, was dieser [der Angefochtene oder Gefallene] ist», da «wir alle eines Teigs, eines Leims, eines Kloses [= Erdklumpens] sind». Das Gute «wächst nicht in unserem Fleisch, es muss von oben her kommen». «Daraus folgt: Wenn einer fällt, stehe ich nicht als Pharisäer! Non est peccatum quod fecit homo quod non possit facere alter homo» (WA 41,686). Schon in der Fastenpostille 1525 warnt Luther vor dem Urteil über andere: «Wo du siehest einen, der so leicht ist zu urteylen und zu tadeln und will solch reyne Volkommenheit haben von den Christen, dass der eyn lautter Gesetz Treyber, Heuchler und Stockmeister [Büttel] ist und nichts recht von Christo weys». «Denn gleich wie unter den Christen kein Gesetz mehr ist, sondern eyttel Liebe, so ist und kann auch keyn Richten, Urteylen und Tadeln da sein. ... Womit einer den anderen richtet, verdammet er sich selbst» (WA 17/II,112). Die Aufgabe heißt nach den Vitae Patrum, Augustins, Cassians, überhaupt nach den Vätern und Luther: trösten und erquicken. «Erige et suscipe!» – «Richte auf und nimm auf!» (WA 31/II,311): Das geknickte Rohr soll nicht zerbrochen werden (cf. Is 42,3). 2.6. ‹Wenn du einen zum Himmel emporsteigen siehst ...› «Wenn du einen Jüngling siehst, der [mit seinem Eigenwillen] zum Himmel hinaufsteigt, dann packe seinen Fuß und ziehe ihn auf die Erde, denn das andere nützt ihm nichts»23. Dieses Apophthegma interpretiert Martin Luther in gewohnt kräftigen Worten. Dem eigenmächtigen Aufstieg in den Himmel, der natürlich nicht gelingen kann, kontrastiert er das Herabsteigen Christi in die Welt. Gott kommt zu den Menschen, er lässt sich sehen, hören und anfassen: «Gott ... hat dir nicht befohlen, dass du sollst so blos hinauf fahren und gaffen, was er im Himmel mache mit den Engeln, sondern also heißt sein Befehl: ‹Dies ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören›, da komme ich herab zu euch, dass ihr mich sehen, hören und greiffen möget ...» (WA 45,520).
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Weisung der Väter, MILLER (cf. n. 20) 1122; cf. PL 73,932.
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2.7. Geistliche Freude Am Sonntag Quasimodogeniti 1522 nimmt Martin Luther Ps 31 (32),11 und 32 (33),1 zum Anlass, über die «Freude im Herrn» oder den «Jubel im Geist» zu predigen (cf. WA 10/III,81–85). Da es im Psalm heißt: «Ihr Gerechten, jubelt im Herrn», will er von den Vätern reden, die laut Paulus in Hbr 11 Vorbilder sind, die zum Glauben an Gott auffordern. Zuerst zitiert Luther Augustinus, der in conf. 9,3 bekennt, «bekehrt worden zu sein, als er von den Beispielen der Heiligen hörte»24. Vorbild und Beispiel der Heiligen besteht jedoch nicht in Werken und Wundern, denen zu glauben wäre, sondern in ihrem Glauben. Da sein Augustinerorden dem Antonius in besonderer Weise verpflichtet ist, will sich Luther auf die Antoniusvita beziehen. Darin empfiehlt Antonius als Heilmittel in Versuchungen und täglichen Traurigkeiten die Freude (PL 73,145sq.). Sie kommt von geistlichen Dingen, den unsichtbaren Gaben Gottes. Wort und Sakrament sind nach Luther «das schöne Heilmittel», das die Sehnsucht des Menschen stillt. «Was begehrt der Mensch? Leben, niemals sterben, ... sicher sein vor der Todesfurcht und Höllenangst». Wo aber sind solche Freude, solche Weisheit und solcher Friede zu finden? Im Wort der Verheißung Gottes. Luther gibt den Rat, in der Anfechtung nicht auf die Widerwärtigkeiten zu starren: «Wende die Augen ab vom Bösen ... (cf. Ps 33 [34],15). Sprich: Ich bin getauft und glaube an Christus». «Wenn du dich tapfer an diesen Worten festmachst und nicht daran zweifelst, dass sie wahr sind, ist es unmöglich, dass Sünde, Tod oder Teufel dich besiegt oder betrübt». Der Glaubende darf der Lossprechung in der Beichte glauben. «Wirf die Traurigkeit weit von dir» (Ecli 30,24). Gute Werke sind dennoch zu tun: «Bona opera sunt facienda». Vorbild dieser geistlichen Freude ist Antonius (nach PL 73,156 [nr. 40]). Er war heiter und ausgeglichen und hatte die Gabe der Herzenserkenntnis. «Sein Antlitz erschien niemals verändert, sondern immer ausgeglichen, und zwar so sehr, dass es hieß: Auch wer ihn niemals zuvor gesehen hatte, erkannte ihn am Blick und der heiteren Miene. So erfüllte er das Wort des Herrn: ‹Freut euch allezeit im Herrn› (Phil 4,4)».
Luther folgert daraus:
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Conf. 9,3 schreibt Augustinus von den «Worten und Beispielen deiner Diener (seruorum)». Ib. 9,16 berichtet er dann von der Auffindung der Gebeine des Gervasius und des Protasius.
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Die Predigt beschließt Martin Luther mit dem Wunsch und Gebet: «Nehmt also das Beispiel des heiligen Antonius als euch für dieses Leben anvertraut. Der Herr schenke uns, zu unserem Glück [dahin] verwandelt zu werden». 3. Resümee: Christus und der Heiligen Schrift folgen Das in der soeben vorgestellten Predigt vorkommende lateinische Wort ‹fortiter – tapfer› lässt eine andere, sehr einprägsame Aufforderung Martin Luthers assoziieren. Er schreibt im August 1521 an Philipp Melanchthon (WAB 2,370sq., nr. 424): «Esto peccator et pecca fortiter. Sed fortius fide et gaude in Christo, qui victor est peccati, mortis et mundi». — «Sei Sünder und sündige tapfer. Aber tapferer glaube und freue dich in Christus. Er ist der Sieger über Sünde, Tod und Welt».
Martin Luther bringt damit in Worte, was Graffiti in den Kellia darstellen: Jesus Christus ist Sieger (siehe Abb. 4). Was also bedeuten die Mönchsväter für Martin Luther? Sie sind Vorbilder und Beispiele für den Glauben; sie leben die Schrift; sie verurteilen nicht; sie wissen um den Königsweg Demut; sie schauen in den Anfechtungen auf Christus. Dabei ist Luther aber nicht unkritisch. Er verweist auf Mönchsväter auch, um die ‹Möncherei› seiner Zeit scharf zu verurteilen, und sieht Missstände schon bei den Vätern, zum Beispiel, dass sich etliche von der Welt abgesondert haben und sich deshalb für vollkommen hielten. Martin Luther stellt in seinem Rückgriff auf die Mönchsväter in Schriftauslegung und Predigt das Kernanliegen der Väter heraus: in Wort und Tat der Heiligen Schrift zu folgen.
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Abb. 4: Kreuz in den Kellia mit der Umschrift: IC ist Sieger».
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XC NIKA – «Jesus Christus
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Literatur Acta Sanctorum. Die Legende der Maria aus Ägypten. Übersetzt und erläutert von G. ZIEGLER, Münsterschwarzach 2013. Athanasius, Leben des Antonius. Aus dem Griechischen übersetzt von A. STEGMANN/ H. MERTEL, München 1917. Augustinus, Confessiones – Bekenntnisse. Lateinisch und deutsch. Übersetzt von J. BERNHART, München 41980. P. BROWN, The Body and Society. Men, Women and Sexual Renunciation in Early Christianity, New York 132005. G. DESCŒUDRES, Die Mönchssiedlungen in der nitrischen und sketischen Wüste: Vom Orient bis an den Rhein. Begegnungen mit der christlichen Archäologie (hrsg. von U. LANGE/ R. SÖRRIES), Dettelbach 1997, 75–89. A. GRÜN, Demut und Gotteserfahrung, Münsterschwarzach 2012. Johannes Cassian, Unterredungen mit den Vätern. Collationes Patrum 1. Collatio I–X. Übersetzt und erläutert von G. ZIEGLER, Münsterschwarzach 22018. M. Luther, D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883–2009 Abteilung Schriften/Werke 1–80 = WA. Abteilung Tischreden 1–6 = WAT. Abteilung Briefwechsel 1–18 = WAB. C. MÜLLER, Liberum arbitrium: Augustinus-Lexikon 3 (2004–2010) 972–980. Weisung der Väter. Apophthegmata Patrum. Übersetzt von B. MILLER, Trier 72005. G. ZIEGLER, Leidenschaften und geistlicher Weg: Geist und Leben 88 (2015) 253–260. Ead., Die Wüstenmütter, Stuttgart 2016. Ead., Geistliches Leben konkret – Cassians Collationes 11–17: Johannes Cassian, Unterredungen mit den Vätern. Collationes Patrum 2. Collationes 11 bis 17. Übersetzt und erläutert von G. ZIEGLER, Münsterschwarzach 2014, 9–19. J.G. ZIMMERMANN (Ed.), Familienbibliothek der deutschen Classiker 53, Hildburghausen/ Amsterdam 1842.
Abbildungsnachweise p. 32: Kellion, Mönchsbehausung in der ägyptischen Wüste um 400. © Georges Descœudres (Mission suisse d’archéologie copte, Universität Genf). p. 35: Antonius der Große. Koptische Ikone (18. Jh.). © Museum of Coptic Art, AltKairo. p. 36: Augustinus. Fresko in der byzantinischen Kirche der Benediktinerabtei Chevetogne, Belgien. Foto: Franz Gundler. p. 45: Kreuz in den Kellia (Qlz 90–3, Südwand). © Georges Descœudres (Mission suisse d’archéologie copte, Universität Genf).
Christoph Burger
Luthers Inanspruchnahme Augustins Vergleich mit Gregor von Rimini und Hugolin von Orvieto 1. Gründe für die Inanspruchnahme von Autoritäten und erprobte Methoden Wer von Überzeugungen abweicht, die bei den Menschen in dem Umfeld, in dem er lebt, emotional fest verankert sind, der muss sich absichern. Wer gar meint, an einer herrschenden Weltanschauung Kritik üben zu müssen, einer in sich kohärenten Sicht von Gott, Welt und Menschen, der tut gut daran, bei allgemein anerkannten Autoritäten Unterstützung zu suchen. Luthers Entdeckung, dass der in Sünde verstrickte Mensch durch den Glauben allein gerechtfertigt werde, ohne selbst etwas leisten zu müssen, war in seiner Zeit revolutionär. Aufgrund seines Verständnisses der Briefe des Apostels Paulus betonte Luther, wer tun wolle, was Gott ihm gebiete, sei vollkommen auf Gottes Gnade angewiesen. Und er behauptete folgerichtig, dass kein Mensch vor Gott ein Verdienst geltend machen könne. Weil er damit der herrschenden Auffassung widersprach, der zufolge Gott den Menschen nicht ohne dessen Mitwirkung selig machen werde1, dass also Gnade und die Anstrengung des Menschen in sehr verschieden gestuften Formen miteinander zusammenarbeiten müssten, um den Geboten Gottes Genüge zu tun, suchte er nach Autoritäten, die seine Sicht stützen konnten. Auch jemand, der bereits Autorität genießt, kann sich dadurch noch weiter aufwerten, dass er beansprucht, zu denken wie ein anderer anerkannt Bedeutender. Drei Beispiele mögen das verdeutlichen. Gotthold Ephraim Lessing berief sich in seinem Streit mit dem Hamburger Hauptpastor Melchior Goeze auf Luther. Er stellte die rhetorische Frage, wer denn ihm und seinen Zeitgenossen endlich das Christentum bringen werde, wie Christus selbst es lehren würde, wenn er sein, Lessings, Zeitgenosse wäre, und wie Luther es lehren
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Häufig zitiert wurde hierfür eine Aussage, die sich bei Augustin so nicht nachweisen lässt: ‹qui te saluauit sine te, non te iustificabit sine te›. – Für hilfreiche Hinweise zu einer früheren Fassung dieses Aufsatzes danke ich meinen Kollegen Berndt Hamm und Eugène Honée.
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Christoph Burger
würde2. Der Neutestamentler Rudolf Bultmann zitierte Luther, um sich gegen die Angriffe konservativer Lutheraner zu wehren. Er versuchte, ihnen auf diese Weise ihren verehrten ‹Lebe-Meister› zu entwinden, obwohl er selbst nicht etwa über eine wirklich souveräne Kenntnis der Schriften Luthers verfügte3. Der systematische Theologe Karl Barth schrieb einmal, er gehe zuweilen auf den Spuren des Philosophen Hegel: «Ich selbst habe eine gewisse Schwäche für Hegel und tue gern immer wieder einmal etwas ‹hegeln›»4. Weder Lessing noch Bultmann noch Barth bemühen sich bei ihren Rückgriffen auf ihre großen Vorgänger darum, die vollkommen differente Situation, in der diese gelebt und gewirkt haben, von der je eigenen abzusetzen5. Als die beiden Augustinereremiten Gregor von Rimini und Hugolin von Orvieto und anderthalb Jahrhunderte nach ihnen ihr Ordensbruder Martin Luther die Autorität Augustins für sich beanspruchten, war es nicht anders. Auch sie waren nicht etwa daran interessiert herauszuarbeiten, in welche Situation der Kirchenvater hineingesprochen hatte, sondern wollten ihn als den anerkannten Interpreten des Apostels Paulus für sich in Anspruch nehmen. Luther reklamierte Augustin zum einen auf die Weise für seine eigene Ansicht, dass er pauschal behauptete, dieser sei in allem der gleichen Meinung wie er selbst. Er traf aber, zum anderen, auch eine Auswahl aus dessen Aussagen, die dem eigenen Interesse entgegen kam. Er bediente sich auch des Mittels, den Kirchenvater, den er für sich in Anspruch nehmen wollte, dadurch an eine
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G.E. LESSING, Eine Parabel (1778): Werke 1–8 (hrsg. von H.G. GÖPFERT et al.), München 1970–1979, hier 8,125sq. Cf. C. BURGER, Zur Luther-Benutzung des großen deutschen Neutestamentlers Rudolf Bultmann in seiner Aufsatzsammlung ‹Glauben und Verstehen› (1996): Tradition und Neubeginn. Martin Luther in seinen frühen Jahren, Tübingen 2014, 224–235, hier 225: «Bultmann beansprucht, Luthers Kampf gegen eine Berufung auf gute Werke in seiner eigenen Zeit dadurch sachgemäß fortzusetzen, dass er sich gegen objektivierendes Wissen wehrt». Nach E. BUSCH, Karl Barths Lebenslauf, München 1975, 402 (cf. M. WELKER, Barth und Hegel. Zur Erkenntnis eines methodischen Verfahrens bei Barth: Evangelische Theologie 43 [1983] 307–328, hier 307). Welker zeigt auf, welche Züge Hegels und Barths Denken in der Tat miteinander verbinden, obwohl Barth nur wenig von Hegel im Original gelesen hatte [ib. 325]). Cf. dazu L. GRANE, Modus loquendi theologicus. Luthers Kampf um die Erneuerung der Theologie (1515–1518), Leiden 1975, 13: «Gedanken für feste Größen zu halten, zu glauben, daß sie sich in verschiedene Zusammenhänge einsetzen lassen, ist naiv».
Luthers Inanspruchnahme Augustins
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noch höherrangige Autorität zu koppeln, dass er behauptete, Augustin sei der treueste Interpret des Apostels Paulus6. Da es bereits zahlreiche hervorragende Darstellungen gibt, die Luthers Berufung auf Augustin zum Thema machen7, soll sein Vorgehen hier mit dem seiner beiden Ordensbrüder Gregor von Rimini und Hugolin von Orvieto verglichen und soll der Akzent darauf gelegt werden, wie Luther dabei methodisch vorgeht. Einleitend wird die theologische Position des Pelagius in Erinnerung gerufen. 2. Skizze der Anschauungen des Pelagius Augustin rückte unter dem Eindruck intensiver Lektüre der Paulusbriefe von der bei den Theologen seiner Zeit allgemein verbreiteten Ansicht8 ab, Gottes Gnade und freier Wille des Menschen wirkten zusammen9. Deswegen widersprach er seinem Zeitgenossen Pelagius10. Dieser dachte in dieser Frage differenzierter, als ihm das später unterstellt wurde. Seine Ansichten wurden jedoch 6
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In der Einleitung zu den theologischen Thesen der Heidelberger Disputation (1518) behauptete Luther, er habe sie Paulus und dessen treuestem Ausleger Augustin entnommen (WA 1,353; zu den Luther-Ausgaben und ihren Abkürzungen cf. das Literaturverzeichnis). Cf. dazu L. GRANE, Divus Paulus et S. Augustinus, interpres eius fidelissimus. Über Luthers Verhältnis zu Augustin: Festschrift für E. Fuchs, Tübingen 1973, 133–146, hier 134. Aus gutem Grund hat beispielsweise die nach wie vor brauchbare Arbeit von Adolf Hamel 45 Jahre nach dem Erscheinen des zweiten Bandes einen Neudruck erfahren: A. HAMEL, Der junge Luther und Augustin. Ihre Beziehungen in der Rechtfertigungslehre nach Luthers ersten Vorlesungen 1509–1518 untersucht 1–2, Hildesheim/New York 1980 (Gütersloh 1934–1935). Besonders hervorzuheben ist unter anderen Arbeiten ferner das in n. 5 bereits genannte Buch von GRANE, Modus loquendi theologicus. Dazu A. SCHINDLER, Gnade und Freiheit. Zum Vergleich zwischen den griechischen und lateinischen Kirchenvätern: ZThK 62 (1965) 178–195, hier 178: «Obschon Vinzenz (von Lerinum) den expliziten Traditionsbeweis gegen Augustin nicht leistet, weiß er sich doch mit den ‹sancti patres› einig, wenn er Augustins profilierte Lehre von Prädestination und Freiheit ablehnt». V.H. DRECOLL, Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins, Tübingen 1999, 144: «Für eine historische Einordnung der anhand der Paulusexegese (sc. Augustins) entwickelten Gnadenlehre ist nach der Motivation und Zielrichtung der Paulusexegese zu fragen». Für eine erste Information über Pelagius und dessen Lehre cf. W. LÖHR, Pelagius/Pelagianer/Semipelagianer: RGG4 6 (2003) 1081sq.; V.H. DRECOLL, Pelagius, Pelagiani: AL 4 (2012–2018) 624–666.
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im Laufe der Zeit sehr vergröbert. Da er nun einmal zu den Erzketzern gerechnet wurde, wurden seine Werke vernichtet. Was er dachte, muss aus den Schriften seiner Gegner rekonstruiert werden. Weil es fortan so schwierig war, zur Kenntnis zu nehmen, was er gesagt und geschrieben hatte, hatten denn auch die Vorwürfe, die immer wieder gegen seine Ansichten erhoben worden sind, mit seinen eigenen Aussagen nur noch wenig zu tun. Wie er wirklich dachte, macht beispielsweise das Glaubensbekenntnis deutlich, in dem er einen Mittelweg sucht zwischen der Annahme, der Wille des Menschen sei unfrei, und der Behauptung, trotz der Folgen der Erbsünde vermöge ein Mensch sich aus eigener Kraft für das Gute zu entscheiden. Dieses Bekenntnis formulierte Pelagius im Jahre 41711. Darin grenzte er sich einerseits gegen die Position des Dualisten Mani ab, andererseits gegen die Ansichten seines Zeitgenossen Jovinian. Wie viel oder wie wenig Pelagius von Mani wusste, lässt sich schwer sagen. Immerhin wird er gewusst haben, dass Mani das Böse als eine ewige kosmische Kraft betrachtete und deswegen davon ausging, dass Menschen vom Bösen beherrscht und deswegen außerstande dazu seien, sich aus eigener Kraft für das Gute zu entscheiden. Von Jovinian kann Pelagius gewusst haben, dass dieser der Meinung war, Christen, die in der Taufe wiedergeboren seien und am christlichen Glauben festhielten, seien in der Lage, nicht mehr zu sündigen12. Er formuliert: «Den freien Willensentscheid bekennen wir so, dass wir sagen, dass wir stets Gottes Hilfe brauchen und dass diejenigen, die mit Mani sagen, ein Mensch könne die Sünde nicht vermeiden, ebenso irren wie jene, die mit Jovinian versichern, ein Mensch vermöge die Sünde zu vermeiden. Jeder von beiden nimmt die Freiheit der Willensentscheidung weg. Wir aber sagen, der Mensch vermöge immer sowohl zu sündigen als auch nicht zu sündigen, um auf diese Weise zu bekennen, wir hätten stets einen freien Willensentscheid»13. Es sei hervorgehoben: Pelagius sagt immerhin, ein Mensch bedürfe stets der Hilfe Gottes, um sich frei entscheiden zu können. Da er aber nach 11 12 13
Zu dem Bekenntnis des Pelagius cf. P.J. VAN EGMOND, ‹A Confession without pretence›. Text and Context of Pelagius’ defence of 417 A.D., Diss. Amsterdam 2013. Für eine erste Information über Jovinian und dessen Lehre cf. S. ELM, Jovinianus: RGG4 4 (2001) 592sq. Pelagius, Libellus fidei 25,13: «liberum sic confitemur arbitrium ut dicamus nos semper dei indigere auxilio, et tam illos errare qui cum Manichaeo dicunt hominem peccatum uitare non posse, quam illos qui cum Iouiniano asserunt hominem non posse peccare: uterque enim tollit arbitrii libertatem. nos uero dicimus hominem semper et peccare et non peccare posse, ut semper nos liberi confiteamur esse arbitrii». Hier zitiert nach VAN EGMOND (cf. n. 11) 172, dort erneut zitiert ib. 337. Ib. 172 verweist VAN EGMOND auf Hieronymus, In Hieremiam 5,3,3 zu Ier 25,3.
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seiner Verurteilung als Erzketzer betrachtet wurde, war es Theologen nach ihm weder möglich noch war es auch nur erwünscht, exakt zur Kenntnis zu nehmen, was er eigentlich gesagt hatte. 3. Die Stellungnahmen zweier Ordensbrüder Luthers zur Frage, wozu Menschen nach dem Sündenfall noch imstande seien Zwei Ordensbrüder Luthers bezogen um die Mitte des 14. Jh.s an der damals neben Oxford in ganz Europa maßgeblichen theologischen Fakultät der Universität Paris in ihren Vorlesungsreihen engagiert Position gegen andere Theologen, denen sie vorwarfen, moderne Pelagianer zu sein. Der Wunsch, sich damit zu profilieren, kann dabei durchaus mitgespielt haben. Hielten doch zahlreiche Theologen aus dem Ordens- und Weltklerus gleichzeitig mit ihnen diese Qualifikationsvorlesungen in Paris. Gregor von Rimini (um 1300–1358)14 berief sich im Jahre 1342 beispielsweise darauf, dass Augustin in seinem Werk De praedestinatione sanctorum den Vers 2 Cor 3,5 zitierte. Er selbst paraphrasierte Augustins Zitat so: «Niemand ist sich selbst genug, um irgendein gutes Werk zu beginnen oder zu vollenden. Vielmehr kommt fürs Beginnen und fürs Vollenden eines jeden guten Werkes ‹unser Vermögen von Gott›»15. Und Gregor behauptete nun unter Berufung auf Paulus und Augustin, ein Mensch, der ja als solcher durch den Sündenfall beeinträchtigt sei, könne ohne eine jeweils neue Gnadenhilfe Gottes weder erkennen, was gut sei, noch könne er es wollen, noch könne er es tun16. Denen, die er als seine Gegner betrachtete, warf 14
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Zu seinem Wirken an der Universität Paris cf. V. MARCOLINO, Der Augustinertheologe an der Universität Paris: Gregor von Rimini. Werk und Wirkung bis zur Reformation (hrsg. von H.A. OBERMAN), Berlin/New York 1981, 127–194, hier 170. Praed. sanct. 5: «non sumus idonei cogitare aliquid quasi ex nobismetipsis, sed sufficientia nostra ex deo est». Bei Gregor wird daraus: «Nemo sibi sufficit ad incipiendum vel perficiendum quodcumque opus bonum. Sed in omni opere bono et incipiendo et perficiendo ‹sufficientia nostra ex deo est›» (Gregor von Rimini, In 2 Sententiarum distinctiones 26–28, qu. 1 ad oppositum [Gregorii Ariminensis oesa Lectura super primum et secundum Sententiarum. Super secundum, dist. 24–44 (hrsg. von A.D. TRAPP/ V. MARCOLINO), Berlin/New York 1980, tomus 6, p. 23,20–22]). Cf. Gregor von Rimini, In 2 Sententiarum distinctiones 26–28, art. 1, concl. tres (Gregorii Ariminensis oesa Lectura [cf. n. 15], tomus 6, p. 24,11–19): «prima (sc. conclusio) est quod nullus homo in statu praesenti, dei etiam generali influentia stante, potest absque speciali auxilio eius agere aliquem actum moraliter bonum. Secunda, quod nullus homo etc. potest absque speciali auxilio dei in his quae ad moralem vitam pertinent sufficienter cognoscere quid volendum vel nolendum, agendum vel vitan-
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Gregor vor, sie irrten schlimmer als der Erzketzer Pelagius. Meinten sie doch, der Mensch sei für das Erkennen, Wollen und Tun dessen, was Gott ihm geboten habe, nicht auf Gottes Hilfe angewiesen17. Es blieb Luthers Diskussionsgegner Johannes Eck vorbehalten, Luther während der Leipziger Disputation 1519 darauf hinzuweisen, dass er sich inhaltlich in der Nähe der Gnadenlehre seines Ordensbruders Gregor von Rimini befinde18. An der Universität Wittenberg wurde offenbar zwar die Erkenntnislehre des Gregor von Rimini vermittelt, nicht aber seine antipelagianische Gnadenlehre. Sonst hätte Luther es gewiss nicht nötig gehabt, sich von seinem Diskussionsgegner Eck darauf hinweisen zu lassen. Wenige Jahre nach Gregor von Rimini vertrat ein anderer Augustinereremit, Hugolin von Orvieto (nach 1300–1373), ebenfalls an der Universität Paris eine ähnliche Position wie dieser. Hugolin billigte den Fähigkeiten des Menschen nur eine dienende Rolle zu, wenn ein Mensch eine gute Tat tun wolle: Gott müsse den Anfang machen, er müsse den Menschen leiten, und er müsse am Ende akzeptieren, was der Mensch getan habe19. Der Wille des Menschen spiele beim Tun des Guten nur die Rolle einer halben Teil-Mitursache20.
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dum sit. Tertia, quod nullus homo etc., habita etiam sufficienti notitia de aliquo volendo vel nolendo, agendo vel vitando ex his quae ad moralem vitam pertinent, potest absque speciali auxilio conformiter velle vel agere». Cf. Gregor von Rimini, In 2 Sententiarum distinctiones 26–28, art. 2: De errore Pelagianorum modernorum (Gregorii Ariminensis oesa Lectura [cf. n. 15], tomus 6, p. 58,23– 26): «Pelagius posuit quod homo, habita sufficienti notitia per doctrinam vel revelationem dei de his quae volenda et agenda sunt, potest absque alio auxilio velle et agere quae volenda et agenda esse cognoscit»; ib. (ib., p. 59,33–60,1): «ipsi absolute dicunt hominem posse sine adiutorio dei recte velle et agere, non ponentes ipsum indigere iuvari ad notitiam habendam de volendis et agendis». Cf. M. BRECHT, Martin Luther. Sein Weg zur Reformation 1483–1521, Stuttgart 1981, 306. Cf. dazu C. BURGER, Freiheit zur Liebe ist Geschenk Gottes. Hugolin von Orvieto als Schüler Augustins: Augustine, the Harvest, and Theology (1300–1650). Essays Dedicated to H.A. Oberman in Honor of his Sixtieth Birthday, Leiden 1990, 21–40, hier 28: «Als einen tugendhaften Akt anerkennt Hugolin nur den, der entweder selbst Liebe zu Gott über alles ist oder doch aktuell oder habituell darauf bezogen wird». Hugolin von Orvieto, Commentarius, principium primum, qu., art. 1 (Hugolini de urbe veteri Commentarius in quattuor libros Sententiarum 1–4 [hrsg. von W. ECKERMANN, davon Bde. 3–4 unter Mitarbeit von V. MARCOLINO], Würzburg 1980–1988, tom. 1, p. 12,51–55): «Sed addo aliud, quod respectu aliqualiter operari, quo eadem creatura avertitur a per se vita et deterioratur, per culpam potest esse partialis causa integra et sufficiens. Exemplum. Sit A dilectio Dei, sit B velle furari. Tunc utriusque entitatis deus est causa partialis et voluntas creata altera causa partialis, sed differenter.
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Eine ähnliche Konzeption hatte bereits Bernhard von Clairvaux vertreten21. Etwa 180 Jahre nach Hugolin sollte Erasmus von Rotterdam sie vorsichtig befürworten22. Die in der Auseinandersetzung zunächst mit Pelagius, später vor allem mit Julian von Eclanum ausgearbeitete Konzeption Augustins von Gottes Gnade und des Menschen Angewiesenheit darauf war zu dem Zeitpunkt, zu dem Luther sich so begeistert auf sie berief, keineswegs unangefochten. Man konnte sie engagiert verteidigen, man konnte es vermeiden, Augustins Spitzenaussagen anzuführen, seine scharf zugespitzten Formulierungen wurden aber durchaus auch kritisiert. Die Gnadenlehre Augustins wurde aus philosophischen und theologischen Gründen angegriffen. Ihren Anhängern wurde beispielsweise vorgeworfen, dass sie die Unfähigkeit des Menschen zum Tun des Guten aus eigener Kraft so stark hervorhöben, dass der freie Wille inhaltlich entleert werde: Philosophisch geurteilt verfielen die Augustinisten in den Irrtum des Determinismus. Im Jahre 1277 verurteilte der Bischof von Paris Étienne Tempier die Aussage als einen Irrtum, alles geschehe aus Notwendigkeit. Im Hinblick auf die höchste Ursache, Gott, geschehe nichts zufällig23. Theologisch
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Nam respectu B est partialis, integra et sufficiens, sed respectu A est semiconcausa partialis et eget pro suo partiali coefficere vitae iuvamento seu complemento divino». Bernhard von Clairvaux, Tractatus de gratia et libero arbitrio, cap. 14,46 (S. Bernardi opera [ed. L. LECLERCQ/H.M. ROCHAIS/C.H. TALBOT] 3. Tractatus et opuscula, Roma 1963, p. 199,1–18): «Quid igitur? Hoc ergo totum liberi arbitrii opus, hoc solum eius est meritum quod consentit? Est prorsus. Non quidem quod vel ipse consensus in quo omne meritum consistit, ab ipso sit, cum nec ‹cogitare›, quod minus est quam consentire, ‹aliquid a nobis quasi ex nobis sufficientes sumus› (2. Kor. 3,5). Verba non sunt mea, sed Apostoli, qui omne quod boni potest esse, id est ‹cogitare, et velle, et perficere pro bona voluntate›, attribuit Deo (Phil. 2,13), non suo arbitrio». Erasmus von Rotterdam, De libero arbitrio diatribe sive collatio IIIc4 (ed. J. VON WALTER, Leipzig 21935, p. 70,4–16): «Primum enim quidam orthodoxi patres tres gradus faciunt operis humani: primus est cogitare, secundus velle, tertius perficere. Atque in primo quidem ac tertio nullum locum tribuunt libero arbitrio quicquam operandi. Animus enim a sola gratia impellitur, ut cogitet bonum, et a sola gratia peragitur, ut perficiat, quod cogitavit. Ceterum in medio, hoc est in consensu, simul agit gratia et humana voluntas, sic tamen, ut principalis causa sit gratia, minus principalis nostra voluntas. Quoniam autem summa rei tribuitur illi, qui totum contulit ad perficiendum, non est, quod homo ex bono opere sibi quicquam asserat, cum hoc ipsum, ut possit consentire et cooperari gratiae divinae, dei munus sit». «Quod nichil fit a casu, sed omnia de necessitate eveniunt ...» (Étienne Tempier, Bischof von Paris, These 21 innerhalb der Verurteilung von 1277 [K. FLASCH,
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wurde gefolgert, wer Gottes Gnade so stark hervorhebe wie diejenigen Theologen, die sich strikt an Augustins antipelagianischen Aussagen orientierten, der erkläre Gott zum Urheber der bösen Taten der Menschen. Ein anderer Vorwurf war der, wer dem Menschen, der nun einmal durch die Erbsünde und durch Tatsünden geschädigt sei, die Fähigkeit abspreche, aus eigener Kraft das Gute zu tun, der entmutige diese Christen und führe sie in die Verzweiflung. Auch Sündern müsse es noch möglich sein, einen Schritt in die gute Richtung zu tun24. Interessant ist in dieser Frage ein Blick auf die Position des Petrus Lombardus in dessen Lehrbuch, den Vier Büchern Sentenzen, das im akademischen theologischen Unterricht sehr einflussreich werden sollte. Er hatte dort, wo er sich zur Gnadenlehre äußert, weit seltener Augustins antipelagianische Spitzenaussagen herangezogen, als es die engagierten Vertreter von Augustins antipelagianischer Gnadenlehre Gregor von Rimini und Hugolin von Orvieto in ihren Kommentaren zu seinem Lehrbuch tun sollten25. So ließ der Lombarde beispielsweise in einem Zitat aus De gratia et libero arbitrio zwei ganz entscheidend wichtige Wörter weg. Augustin hatte geschrieben: «Wer Gottes Gebot befolgen will und es nicht vermag, dessen Wille ist zwar freilich schon gut, aber noch gering und kraftlos. ... Dass wir also wollen, wirkt er (sc. Gott) ohne uns. Wenn wir aber wollen und es so wollen, dass wir es auch tun, wirkt er mit uns zusammen»26. Der Lombarde zitierte aber nur: «Dass wir also wollen, wirkt er (sc. Gott)». Die beiden Wörter ‹ohne uns› ließ er weg. Es heißt beim Lombarden gerade nicht: «Dass wir also wollen, wirkt er ohne uns». Die mitwir-
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Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277. Das Dokument des Bischofs von Paris. Eingeleitet, übersetzt und erklärt von K. F., Mainz 1989, p. 117]). Cf. dazu M. SANTOS NOYA, Die Sünden- und Gnadenlehre des Gregor von Rimini, Frankfurt a.M. et al. 1990, 199–202. Cf. C. BURGER, Der Augustinschüler gegen die modernen Pelagianer: Das ‹auxilium speciale dei› in der Gnadenlehre Gregors von Rimini: Gregor von Rimini. Werk und Wirkung bis zur Reformation (hrsg. von H.A. OBERMAN), Berlin/New York 1981, 195–240, hier 212sq.: «Duns Scotus befürchtete, wenn diese Lehre Bonaventuras (der Todsünder erwerbe selbst dann, wenn er tue, was ihm geboten sei, nicht das Ziel des ewigen Lebens) unwidersprochen bleibe, dann würden alle Todsünder auch keinen der Art nach guten Akt mehr tun wollen». Cf. dazu die Gegenüberstellung der Aussagen Augustins, die Petrus Lombardus und Gregor von Rimini zitierten, in BURGER, Der Augustinschüler (cf. n. 24) 230– 240. Gr. et lib. arb. 33: «qui ergo uult facere dei mandatum et non potest, iam quidem habet uoluntatem bonam, sed adhuc paruam et inualidam. ... ut ergo uelimus, sine nobis operatur. cum autem uolumus, et sic uolumus ut faciamus, nobiscum cooperatur».
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kende Gnade Gottes muss dem Menschen nach Ansicht des Lombarden lediglich helfend zu Seite stehen. Damit hat Petrus Lombardus in seinem in der Folgezeit sehr erfolgreichen Lehrbuch der Aussage Augustins die Spitze genommen. 4. Die im Erfurter Augustinerkonvent vertretene Sicht Augustins Der japanische Germanist Jun Matsuura hat die Bemerkungen, die Luther 1509–1511 in Bücher eingetragen hat, die ihm damals im Erfurter Konvent zugänglich waren, mustergültig ediert. Die Unterstreichungen und Bemerkungen Luthers zu Schriften Augustins sind hier präzise verzeichnet27. Die Liste der von Luther benutzten Schriften des Kirchenvaters, die Matsuura in seiner Einleitung bietet, lässt darauf schließen, dass Luther damals in Erfurt noch keine Vorliebe für die antipelagianischen Schriften Augustins gehabt hat28. Für Luther hatten die antipelagianischen Schriften Augustins bis zu seinem Wechsel von Erfurt nach Wittenberg im Jahre 1511 keine besondere Bedeutung29. Der vermeintliche Ordensgründer stand im Erfurter Konvent zwar in hohem Ansehen, aber es wurden bei der Lektüre und Auslegung seiner Werke nicht etwa diejenigen Schriften besonders betont, in denen er die Angewiesenheit des Menschen auf Gottes Gnade hervorhebt. Da von Luthers Lehrern Usingen und Trutfetter keine theologischen Schriften überliefert sind, die das Gegenteil beweisen könnten, darf man sagen, dass im Erfurter Konvent der Augustinereremiten zu der Zeit, in der Luther dort lebte, die antipelagianischen Schriften Augustins innerhalb von dessen Werken nicht in besonders herausgehobener Geltung gestanden haben30. In den erhalten gebliebenen Schriften 27
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M. Luther, Erfurter Annotationen, 1509–1510/11 (hrsg. von J. MATSUURA), Köln et al. 2009, 561–646. Zu dieser Edition cf. C. BURGER, Rez. M. Luther, Erfurter Annotationen 1509–1510/11: Church History and Religious Culture 92 (2012) 141–143. Darauf verweist die gründlich annotierte Liste der Schriften des Kirchenvaters bei J. MATSUURA, Einleitung: M. Luther, Erfurter Annotationen, 1509–1510/11 (hrsg. von J. M.), Köln et al. 2009, XV–CCLX, hier LXXXIII–CVI. Cf. dazu MATSUURA (cf. n. 28) XCVII: «So ist sehr wahrscheinlich, daß die ganze Amerbachsche Gesamtausgabe in Luthers Kloster vorhanden war. Aber wie sich bereits an konkreten Fällen gezeigt hat, bedeutet das noch lange nicht, daß er für eine bestimmte Schrift diese Ausgabe herangezogen hat»; ib. CIV: «Aus dem ganzen wird man schließen können, daß ihm die antipelagianischen Schriften noch gar nicht in ihrem besonderen Charakter in den Blick kamen». ZUMKELLER vertritt freilich die Ansicht, dass im Erfurter Konvent der Augustinereremiten zu Luthers Zeit über Gnade, Rechtfertigung und Verdienst durchaus im
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des Hochschullehrers der Theologie Johannes von Paltz, der den Erfurter Konvent etwa zu dem Zeitpunkt verließ, als Luther eintrat, stößt man zwar auf eine breite Palette von Zitaten aus Augustins Schriften. Paltz hebt jedoch nicht etwa diejenigen Aussagen hervor, die betonen, dass ein Mensch auf Gottes Gnade angewiesen sei, um seinen Willen tun zu können31. 5. Der Einfluss seines Ordensoberen Johann von Staupitz auf Luther, was Augustin betrifft Luthers Schwerpunktsetzung innerhalb der Schriften Augustins änderte sich jedoch eingreifend, als er von Johann von Staupitz, dem Generalvikar der observanten Kongregation seines Ordens in Deutschland, an die Universität Wittenberg berufen wurde. Weil die Leitungsfunktion, die er im Orden innehatte, Staupitz stark beanspruchte, bestimmte er Luther zu seinem Nachfolger auf der Professur, die dieser 1512 antrat. Der Einfluss des Ordensoberen auf den Jüngeren war erheblich. Für Staupitz spielte Augustin eine wichtige Rolle, schrieb er doch programmatisch: «Von Wort zu Wort gebrauche ich lieber die Worte des heiligen Aurelius Augustinus als meine eigene Sichtweise (sc. zum Ausdruck zu bringen). Und das nicht zu Unrecht. Ist er doch mein Vater und Lehrer, ja sogar der der heiligen Kirche, von sehr profundem Intellekt, gefällig in seiner Art, sich auszudrücken und zuverlässig in dem, was er geltend macht»32. Die Augustinrezeption des Staupitz in diesen Tübinger Predigten aus
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Sinne der antipelagianischen Schriften Augustins gedacht worden sei: A. ZUMKELLER, Erbsünde, Gnade, Rechtfertigung und Verdienst nach der Lehre der Erfurter Augustinertheologen des Spätmittelalters, Würzburg 1984. Cf. dazu die Rezension von C. BURGER, Rez. A. ZUMKELLER, Erbsünde, Gnade, Rechtfertigung und Verdienst: ThLZ 111 (1986) 291–293. Dem Urteil von V. LEPPIN, Die Verbindung von Augustinismus und Mystik im späten Mittelalter und in der frühen reformatorischen Bewegung: Lutherjahrbuch 85 (2018) 130–153, hier 130 n. 3, es handle sich dabei um eine «grandiose Studie», kann ich, was diesen Punkt angeht, also nicht zustimmen. Die erhalten gebliebenen Schriften des literarisch fruchtbaren Hochschullehrers Johannes von Paltz liegen in kritischen Editionen vor (J. von Paltz, Werke 1–3 [hrsg. von C. BURGER/B. HAMM/F. STASCH et al.], Berlin/New York 1983–1989). Die Augustinzitate sind in den Registern zusammengestellt: ib. 1,498–500; 2,534sq.; 3,534sq. Sofern Johannes von Paltz überhaupt aus antipelagianischen Schriften Augustins zitiert, finden sich diese Zitate oft in von ihm herangezogenen Schriften scholastischer Theologen. Er hat sie in diesen Fällen also nicht aus selbständiger Lektüre. J. von Staupitz, Predigt 7 (Tübinger Predigten. Bearbeitet von R. Wetzel [= Sämtliche Schriften 1. Lateinische Schriften I], Berlin/New York 1987, p. 124,92–96 [in eigener
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dem Jahre 1498 ist von Richard Wetzel, einem der Editoren seiner Schriften, der zweifelsohne zu den besten Kennern seiner Werke gehört, dargestellt worden. Wetzel hat unter anderem in Staupitz’ Bezugnahmen auf Augustin in diesen Predigten zwischen Aussagen, die dieser in dessen Schriften im Original gelesen hat, und solchen, die er in Werken scholastischer Theologen gefunden hatte, unterschieden33. Das ist deswegen von Bedeutung, weil eine Aussage Augustins, die Staupitz in ihrem ursprünglichen Kontext gelesen hat, ihn ja viel authentischer erreicht hat als Sätze, die im Vorgang der Rezeption durch andere Autoren in ihre eigenen Argumentationen eingepasst und dadurch verändert worden waren. Ein Hinweis darauf, wie sehr Staupitz schon in den frühen Tübinger Predigten den Christen als auf Gottes Gnade angewiesen betrachtet, findet sich in dessen Zitat aus Augustins Brief 194: «Was ist denn ein ‹Verdienst› des Menschen, bevor er die Gnade empfangen hat, wenn doch allein die Gnade jedes gute Verdienst in uns bewirkt?»34. Dazu passt, dass Staupitz schreibt, ein Christ solle in
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Übersetzung]). Der Editor zeigt in seinem Aufsatz über die Augustinrezeption des Staupitz auf, dass dieser sich nicht darauf beschränkt, programmatisch zu formulieren, sondern dass er sich in der Tat an Augustin orientiert: R. WETZEL, Staupitz Augustinianus. Eine Bestandsaufnahme der Rezeption Augustins in seinen Tübinger Predigten: Staupitz, theologischer Lehrer Luthers. Neue Quellen – bleibende Erkenntnisse (hrsg. von L. GRAF ZU DOHNA/R. W.), Tübingen 2018, 223–265, hier 232 und 233 n. 53. Cf. auch M. WRIEDT, Staupitz und Augustin. Zur Kirchenväterrezeption am Vorabend der Reformation: Auctoritas Patrum. Zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert (hrsg. von L. GRANE/A. SCHINDLER/M. W.), Mainz 1993, 227–257. Cf. R. WETZEL, Einleitung: J. von Staupitz, Tübinger Predigten. Bearbeitet von R. W. (= Sämtliche Schriften 1. Lateinische Schriften I), Berlin/New York 1987, 3–42, hier 15.17. J. von Staupitz, Predigt 23,321sq. (Tübinger Predigten. Bearbeitet von R. Wetzel [= Sämtliche Schriften 1. Lateinische Schriften I], Berlin/New York 1987, p. 359). Zitiert ist Augustin, ep. 194,19: «quod est ergo meritum hominis ante gratiam, quo merito percipiat gratiam, cum omne bonum meritum nostrum non in nobis faciat nisi gratia et, cum deus coronat merita nostra, nihil aliud coronet quam munera sua?». Freilich zitiert Staupitz die verkürzte Fassung, die Petrus Lombardus bietet: «‹Quid›, inquit (sc. Augustinus), ‹est meritum hominis ante gratiam, cum omne bonum meritum nostrum non in nobis faciat nisi gratia?›». – Die Kapitelzählung ist in der zweiten der beiden modernen Editionen der ‹Sentenzen› verändert worden. Die Fundstelle in der Edition des Jahres 1916 war: 2 Sent dist 27 cap. 8 [246]. In der Edition des Jahres 1971 ist die Aussage nun zu finden: 2 Sent dist 27 cap. 4 [176] (p. 483, Zeilen 8–10). Herrn Dr. R. Wetzel danke ich für den hilfreichen Hinweis auf diese Verschiebung.
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Demut dem Urteil Gottes zustimmen, das über ihn ergeht35. In seiner Schrift De exsecutione aeternae praedestinationis (Nürnberg 1517) nennt Staupitz Augustin «Augustinus noster», nimmt ihn also für die eigene Position in Anspruch36. Auch wenn man in Staupitz’ Schriften kein abgerundetes Lehrgebäude erwarten darf, muss er als eigenständiger Theologe ernst genommen werden. Sein Einfluss auf Luther hat sich nicht auf seelsorgerlichen Zuspruch beschränkt37. Luther hat vielmehr wiederholt darauf hingewiesen, wie wichtig Staupitz für seinen theologischen Werdegang gewesen ist. Noch 1531 hat er im Rückblick dessen Auffassungen und seine eigenen als «unsere Lehre» zusammengefasst38. Dennoch haben viele Lutherforscher bisher nicht genau genug darauf geachtet, was Staupitz’ Augustinrezeption für Luther bedeutet hat39. Von seinem Vorgesetzten lernte Luther eine andersartige Auswahl aus Augustins Schriften kennen als von seinen Mitbrüdern im Erfurter Kloster.
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J. von Staupitz, Predigt 23,199 (Tübinger Predigten. Bearbeitet von R. Wetzel [= Sämtliche Schriften 1. Lateinische Schriften I], Berlin/New York 1987, p. 355): «divini iudicii rectificatio». Hinweis bei M. SCHULZE, Der Hiob-Prediger. Johannes von Staupitz auf der Kanzel der Tübinger Augustinerkirche: Augustine, the Harvest, and Theology (1300–1650). Festschrift für H.A. Oberman zum 60. Geburtstag, Leiden et al. 1990, 60–88, hier 79. J. von Staupitz, Libellus de exsecutione aeternae praedestinationis (bearbeitet von L. Graf zu Dohna und R. Wetzel [= Sämtliche Schriften 1. Lateinische Schriften II], Berlin/New York 1979, 70–304), cap. IV: De praedestinatione sanctorum, p. 92,17: «Nam et Augustinus noster, in culmine luminis naturae ambulans ...». L. GRAF ZU DOHNA, Staupitz und Luther. Kontinuität und Umbruch in den Anfängen der Reformation: Staupitz, theologischer Lehrer Luthers. Neue Quellen – bleibende Erkenntnisse (hrsg. von L. G. Z. D./R. WETZEL), Tübingen 2018, 176–189, hier 181sq. Kommentar zum Galaterbrief (1531/1535) (WA 40/I,131): «memini D. Staupitium ... inicio causae meae ad me dixisse: Hoc me, inquit, consolatur, quod haec doctrina nostra gratiae totam gloriam et omnia soli Deo tribuit, hominibus nihil». In diesem Zusammenhang relativiert Luther freilich kurz zuvor Augustins Autorität: «Sive ... Augustinus ... sive Angelus e coelo aliter doceat ...» (ib.). Hinweis bei O. SCHEEL, Dokumente zu Luthers Entwicklung (bis 1519), Tübingen 1929, 62. «Hier wird deutlich, wie stark die Auffassung von Ordensreform bei Staupitz von seiner Theologie geprägt wird, die sich von Augustin ausgehend zu einer biblisch begründeten, vor allem auf Paulus fußenden Gnadentheologie entwickelt» (GRAF ZU DOHNA [cf. n. 37] 179).
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6. Luthers pauschale Berufung auf Augustin und seine Inanspruchnahme von dessen antipelagianischen Schriften in den ersten Jahren seiner Wittenberger Hochschullehrertätigkeit Schon in der ersten der beiden Vorlesungen, die Luther in den Jahren 1513– 1515 über die Psalmen hielt, den Dictata super psalterium, ist spürbar, wie intensiv er sich auf Augustin stützt. Dessen Enarrationes in Psalmos sind die wichtigste theologische Quelle, auf die er für die Ausarbeitung seiner Vorlesung zurückgreift40. So kann er sagen: «Die ganze und höchste Weisheit des Menschen ist diese: zu wissen, dass er durch sich selbst nichts ist»41. Er beruft sich damit auf eine Aussage Augustins: «Dies ist also die ganze große Weisheit, dass ein Mensch weiß, dass er selbst als solcher nichts ist, und dass er, was er ist, von Gott und um Gottes willen ist»42. Auch der bei Augustinus begegnende Gedanke des ‹fröhlichen Tauschs›, dem zufolge die Gerechtigkeit Christi der Seele des sündigen Menschen zuteil wird und Christus deren Sünde auf sich nimmt, wird von Luther schon in seiner ersten Vorlesung über die Psalmen formuliert43. Seine eigene Sicht vertrat Luther zu dieser Zeit ganz besonders deutlich in akademischen Disputationen an der Universität Wittenberg, aber auch in seinen Vorlesungen. Seit 1515 beanspruchte er, um seine eigenen Aussagen zu unterstützen, in erster Linie Aussagen Augustins aus dessen antipelagianischen Schriften, wie er sie vor allem im achten, aber auch im sechsten Band der von dem Drucker/Verleger Amerbach gedruckten Edition lesen konnte44. In sei40
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K. UNTERBURGER, Unter dem Gegensatz verborgen. Tradition und Innovation in der Auseinandersetzung des jungen Martin Luther mit seinen theologischen Gegnern, Münster 2015, 51, referiert, dass F. HELD, Augustinus’ Enarrationes in Psalmos als exegetische Vorlage für Luthers erste Psalmenvorlesung: Theologische Studien und Kritiken 102 (1930) 1–30, hier 12sq., in Luthers Dictata super psalterium 270 namentliche Hinweise auf Augustins Psalmenkommentar gezählt hat. Dictata super psalterium (WA 55/II,425): «Tota et summa scientia hominis est hec: Scire scilicet, quod per se nihil est». «haec est ergo tota scientia magna, hominem scire quia ipse per se nihil est; et quoniam quidquid est, a deo est, et propter deum est» (Augustin, en. Ps. 70,1,1). Auf diese beinahe wörtliche Entlehnung weist UNTERBURGER (cf. n. 40) 39 hin. Augustin, s. 121,5: «communicauit nobiscum mala nostra, nobis daturus bona sua». Cf. Luthers Dictata super psalterium Scholion zu Ps 68 (69),17 (WA 55/II,405): «si ergo triduo in inferno fueris, signum est, Quod tecum Christus et tu cum Christo sis». Hinweis bei UNTERBURGER (cf. n. 40) 40. GRANE, Modus loquendi theologicus (cf. n. 5) 18 schreibt dazu: «Erst in der Römerbriefvorlesung hat Luther Augustins antipelagianische Schriften in größerem Umfang benutzt». Das Inhaltsverzeichnis der 1506 erschienenen Amerbach-Edition ist
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nen frühen polemischen Äußerungen sagte Luther freilich nicht, dass er gezielt diejenigen Aussagen Augustins zitierte, die er brauchen konnte, sondern er nahm die Autorität des Kirchenvaters als solche pauschal in Anspruch. Leif Grane charakterisierte Luthers Interesse treffend, als er schrieb, es sei Luther dabei nicht um Augustins Theologie gegangen, sondern um die des Apostels Paulus. Dieser hatte ja nach Luthers Ansicht am besten formuliert, was er selbst als den Kern der Hl. Schrift betrachtete45. Wenn es für seine Argumentation wichtig war, dann behauptete Luther auch einmal einfach, Augustin sei derselben Ansicht wie er selbst: In einem Fall, in dem der von ihm selbst bekämpfte scholastische Theologe Gabriel Biel (ca. 1413/14–1495) ein Wort Augustins aus dessen Schrift De libero arbitrio zitiert, in dem dieser noch die Freiheit der menschlichen Willensentscheidung betont, behauptet Luther, diese Aussage Augustins widerlege nicht seine eigene Interpretation46. Luther versuchte Augustins Autorität ganz besonders für sich ins Feld zu führen, um diejenige zeitgenössische Interpretation der Schriften des Aristoteles zu bekämpfen, mit der er vertraut war und die er für verfehlt hielt47. Luther war ja der Ansicht, ein Sünder sei außerstande dazu, Gott über alles zu lieben. Und nur dann, wenn ein Mensch ohne egoistische Hintergedanken aus Liebe zu Gott handele, erfülle er Gottes Gebote in dem Sinne, wie Gott das wolle. In seiner Vorlesung über den Römerbrief des Apostels Paulus (1515/1516) betrachtete Luther die antipelagianischen Schriften Augustins als die wichtigsten Quellen für dessen adäquate Auslegung48. Von der Auslegung von Kap. 2 an zitiert Luther Aussagen Augustins oder verweist auf sie. Dabei haben diese Zitate oder Verweise allerdings lediglich die Funktion, seine eigene Exegese zu unter-
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bequem erreichbar bei MATSUURA, Einleitung (cf. n. 28) XCII–XCIV. Die für Augustins ausgereifte Gnadenlehre besonders wichtigen Schriften finden sich in den Bänden 6 und 8 der Amerbach-Ausgabe: cf. M. SCHULZE, Martin Luther and the Church Fathers: The Reception of the Church Fathers in the West 2 (ed. by I. BACKUS), Leiden et al. 1997, 573–626, hier 577 n. 17. Cf. GRANE, Modus loquendi theologicus (cf. n. 5) 111. Disputatio contra scholasticam theologiam concl. 11–12: «Das zu behaupten, ist nicht im Gegensatz zu dem, was Augustin sagt: Nichts liegt so sehr in der Macht des Menschen wie der Wille selbst» («Nec sic dicere, est contra Beatum Augustinum dicentem: Nihil est ita in potestate voluntatis sicut ipsa voluntas» [WA 1,224; StA 1,166]). Luther zitiert fast wörtlich Augustin, lib. arb. 3,7: «quapropter nihil tam in nostra potestate quam ipsa uoluntas est». Die Fundstellen zur Position Gabriel Biels in dieser Frage verzeichnet der Editor H. Junghans in StA 1,166 n. 15. Cf. dazu T. DIETER, Der junge Luther und Aristoteles. Eine historisch-systematische Untersuchung zum Verhältnis zwischen Theologie und Philosophie, Berlin/New York 2001, 254. Cf. R. SCHWARZ, Luther, Göttingen 1986, 33.
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stützen49. Er grenzt sich scharf gegen eine Position ab, in der dem Menschen zugetraut wurde, dass er aus eigenen Kräften Gott über alles lieben könne. Sei doch aufgrund des Sündenfalls kein Mensch mehr dazu imstande. Und dennoch sei es erforderlich, die Gebote aus Liebe zu Gott zu erfüllen und eben nicht aus uneigentlichen Motiven50. Im September des Jahres 1516 wurde Bartholomäus Bernhardi aus Feldkirch an der Wittenberger Theologischen Fakultät zum ‹Baccalaureus sententiarius› promoviert. Die Disputation, die aus diesem Anlass gehalten wurde, ist bekannt geworden unter dem Titel: Diskussion der Frage, was der Mensch ohne die Hilfe der Gnade Gottes zu tun und zu wollen vermag51. In der akademischen Auseinandersetzung um das Verhältnis zwischen Gottes Gnade und dem freien Willen des Menschen wurden ja, wie weiter oben zu der Position des Gregor von Rimini bereits erwähnt, auf Seiten des Menschen oft drei Fähigkeiten voneinander unterschieden: die, das Gute zu erkennen, es zu wollen und es zu tun. Und Anhänger der voll ausgebildeten Gnadenlehre Augustins betonten dann, dass ein Mensch, der eben die Folgen des Sündenfalls Adams und Evas tragen müsse, kraft der ihm verbliebenen Fähigkeiten weder erkennen noch wollen noch tun könne, was Gott geboten habe, wenn ihn nicht Gottes Gnade unterstütze52. In den Thesen, die in diesem Falle ausnahmsweise der Schüler Bernhardi selbst verfasste, freilich auf der Grundlage von Luthers Vorlesung über den Römerbrief 53, geht es in erster Linie um eine Auseinandersetzung mit dem Spätscholastiker Gabriel Biel, der eine pelagianisierende Überschätzung der
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Cf. G. SCHMIDT-LAUBER, Luthers Vorlesung über den Römerbrief 1515/16. Ein Vergleich zwischen Luthers Manuskript und den studentischen Nachschriften, Köln/Weimar/Wien 1994, 140. Die Autorin formuliert ib. 142: «Luther hat also in einigen Fällen, gehäuft im Rahmen der Interpretation des siebten Kapitels (sc. des Römerbriefs) gemeint, daß seine eigene Meinung völlig mit der Augustins übereinstimmt». Vorlesung über den Römerbrief (WA 56,274): «mera deliria sunt, que dicuntur, Quod homo ex viribus suis possit Deum diligere super omnia Et facere opera precepti secundum substantiam facti, Sed non ad Intentionem precipientis, quia non in gratia. O stulti, O Sawtheologen!». M. Luther (B. Bernhardi), Quaestio de viribus et voluntate hominis sine gratia disputata (WA 1,145–151; StA 1,155–162). Cf. das Zitat oben n. 16. Cf. zu der Beteiligung seines Schülers Luthers eigene Aussage in Brief nr. 26 (WAB 1,65): «De positione mea, imo Bartholomaei Feldkirchen ...». Das war nicht die Regel: cf. G. HAMMER, D. Martin Luther. Operationes in psalmos (1519–1521). Historischtheologische Einleitung, Köln/Wien 1991, 81sq. n. 12.
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Fähigkeiten des Menschen vertrete54. Es ist vorauszusetzen, dass der Lutherschüler Bernhardi hier ganz und gar von seinem Lehrer beeinflusst ist. Bernhardi zitiert beispielsweise aus Augustins Schrift gegen den Pelagianer Julian von Eclanum die Aussage: Der Mensch, «der das Ebenbild Gottes ist, verdient diese Gnade – freilich nicht so, als ob dessen guter Wille der Gnade zuvorkommen könnte, noch so, dass dieser (sc. gute Wille) etwas zuvor gäbe, was ihm dann erstattet werden würde»55. Und er fährt fort: «Denn ohne die Gnade ist der Mensch ein schlechter Baum, der unfähig dazu ist, gute Früchte hervorzubringen»56. Aus Augustins Schrift Gegen zwei Briefe der Pelagianer zitiert er: «Ohne ihn – und er erläutert: gemeint ist der Glaube, der durch die Liebe tätig ist – verkehren sich auch Werke, die gut zu sein scheinen, in Sünden»57. In der zweiten Schlussfolgerung dieser Disputation wird einmal mehr deutlich, wie sehr der Lutherschüler Bernhardi eine Übereinstimmung der Aussage Augustins mit der des Apostels Paulus behauptet, wenn er formuliert: «Aus all dem (sc. folgert) der heilige Augustin, der Verteidiger der Gnade, mit dem allerheiligsten Apostel, dem Prediger der Gnade, dass es nicht ‹am Wollen und Laufen› des Menschen liegt, ‹sondern an Gottes Erbarmen›58, der keine Strafe auferlegt, die nicht geschuldet wäre, der aber ausschließlich unverdiente Barmherzigkeit übt»59. Es sei hervorgehoben ‹Augustinus folgert mit Paulus›: Näher 54
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Diese Beurteilung wird in der modernen Biel-Forschung nicht mehr geteilt, hat Biel sich doch dadurch gegen eine Überschätzung der Fähigkeiten des menschlichen Willens abgesichert, dass er auf Gottes Freiheit hinweist, gute Taten des Menschen anzunehmen oder eben auch nicht. Quaestio de viribus et voluntate hominis sine gratia disputata concl. prima: «(sc. homo) qui imago Dei est, meretur hanc gratiam, non tamen ut eius bona voluntas possit praecedere gratiam, ne vel ipsa prior det, ut retribuatur illi» (WA 1,145; StA 1,155). Zitiert ist Augustin, c. Iul. 4,15: «quia imago dei est, meretur hanc gratiam; non tamen ut eius bona uoluntas possit praecedere praeter gratiam, ne uel ipsam prior det, ut retribuatur illi, ac sic gratia iam non sit gratia». Quaestio de viribus et voluntate hominis sine gratia disputata concl. prima: «Nam homo, gratia seclusa, arbor est mala, nullus bonos fructus producere potens ...» (WA 1,145; StA 1,155). Quaestio de viribus et voluntate hominis sine gratia disputata coroll. II: «Sine ipsa vero (loquitur de fide, quae per dilectionem operatur) etiam quae videntur bona opera in peccata vertentur» (WA 1,146; StA 1,156). Zitiert ist Augustin, c. ep. Pel. 3,14: «sine ipsa uero etiam quae uidentur bona opera in peccata uertuntur». Rm 9,16. Quaestio de viribus et voluntate hominis sine gratia disputata concl. secunda: «Ex quibus omnibus Divus Augustinus, gratiae defensor, cum sanctissimo Apostolo, gratiae praedicatore, quod non hominis sit volentis et currentis, sed Dei miserentis, qui poenam non reddit nisi debitam, misericordiam vero non nisi indebitam» (WA 1,147;
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kann man einen Interpreten wohl nicht an den Interpretierten heranrücken. Der Lutherschüler bezeichnet Paulus als den ‹Prediger der Gnade›, Augustinus als deren ‹Verteidiger›. Und er nennt Augustin ‹heilig›, den Apostel Paulus den ‹allerheiligsten›. Die positiv wertenden Adjektive werden hier geradezu gehäuft: Dieses probate Mittel wird ja in der Regel eingesetzt, um die Nähe der eigenen Position zu derjenigen der auf diese Weise anerkannten Autorität zu behaupten. In Briefen an seinen Freund und Ordensbruder Johannes Lang in Erfurt wendet Luther sich Mitte Oktober 1516 einmal mehr gegen den bei den Erfurter Theologen hoch angesehenen Theologen Gabriel Biel und gegen Johannes Duns Scotus mit den Worten: «Ich weiß wohl, was Gabriel sagt – alles in Ordnung, außer dort, wo er über Gnade, Liebe, Hoffnung, Glaube (sc. als Tugenden) redet. Wie sehr er dort (sc. im Einklang) mit seinem Skotus pelagianisiert, kann ich nun in Briefen nicht sagen»60. Wer sich vor Augen hält, von wie zentraler Bedeutung eben diese Themen ‹Gnade›, ‹Liebe›, ‹Hoffnung› und ‹Glaube› – nicht nur in diesen Jahren – für Luther gewesen sind, der muss diese scheinbare Zustimmung als das bewerten, was sie ist: eine radikale Ablehnung. Es klingt so, als wenn jemand über einen allgemein als vorzüglich betrachteten Fußballer sagen würde: ‹Fußball spielen kann er ja nicht, aber er ist immer gut frisiert, das muss man ihm lassen›. Luther meint zu diesem Zeitpunkt, seine eigene Sicht habe sich an der Universität Wittenberg durchgesetzt. Im Mai 1517 schreibt er siegesgewiss an Johannes Lang: «Unsere Theologie und der heilige Augustinus machen durch Gottes Wirken gute Fortschritte und herrschen an unserer Universität. Die Hochachtung für Aristoteles sinkt langsam: Er neigt sich zu seinem baldigen, ewigen Untergang61. Vorlesungen über die Sentenzen werden in auffallender Weise verachtet, und niemand kann auf Zuhörer hoffen, wenn er sich nicht zu
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StA 1,158). Herangezogen ist, freilich nicht wortwörtlich, Augustin, c. ep. Pel. 4,16: «igitur non uolentis neque currentis, sed miserentis est dei» und «ira quippe non redditur nisi debita, ne sit iniquitas apud deum; misericordia uero etiam cum praebetur indebita, non est iniquitas apud deum». Brief nr. 26 (WAB 1,66): «Scio, quid Gabriel dicat, scilicet omnia bene, praeterquam ubi de gratia, charitate, spe, fide, virtutibus dicit; ubi cum suo Scoto quantum pelagizet, non est, ut per literas nunc proferam». Zitiert bei HAMMER (cf. n. 53) 81 n. 9. Die Geltung der Schriften des Aristoteles nahm übrigens an der Wittenberger Universität nur kurze Zeit so stark ab. Danach gewannen sie auch dort erneut an Bedeutung.
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dieser Theologie bekennen will, das heißt zur Bibel oder zu Sankt Augustin oder einem anderen Lehrer, der in der Kirche Autorität genießt»62. Es ist einmal mehr auffallend, mit welcher Selbstverständlichkeit Luther zu diesem Zeitpunkt seine eigene theologische Überzeugung, die Hl. Schrift, zu deren rechter Erkenntnis er gelangt zu sein meint, und Augustinus in einem Atemzug nennen kann: «Unsere Theologie und der heilige Augustinus machen durch Gottes Wirken gute Fortschritte», sagt er. Zudem ist die Reihenfolge der Glieder in Luthers Satz aufschlussreich: «Unsere Theologie und der heilige Augustinus». Luther ist zu diesem Zeitpunkt gerade einmal fünf Jahre Hochschullehrer. Es ist bemerkenswert, mit welchem Selbstbewusstsein er hier formuliert. Luther sagt ferner, es gelte in Wittenberg nun, sich «zur Bibel oder zu Sankt Augustin» zu bekennen. Ich interpretiere diese Aussage so, dass das Wörtchen ‹oder› hier fehl am Platze ist und dass Luther sagen will: ‹Es gilt nun in Wittenberg, sich zur Bibel und zu deren adäquatem Exegeten Augustin zu bekennen›. Wenn das zutrifft, dann erlaubt Luther es sich in diesem Brief an seinen Freund Lang, sich ein wenig übermütig und minder sorgfältig auszudrücken. Auffallend ist in dieser Aussage Luthers ferner, dass er hier immerhin zugesteht, dass neben Augustin auch noch ein anderer Lehrer in Frage kommen könne, der in der Kirche in Geltung stehe. Schreibt er doch: «zu Sankt Augustin oder einem anderen Lehrer, der in der Kirche Autorität genießt ...». Am 4. 9. 1517 verteidigt Luthers Schüler Franz Günther Thesen, die Luther formuliert hatte. Überschrieben sind sie mit Disputation gegen die scholastische Theologie 63. Schon in der ersten dieser Thesen sagt Luther kämpferisch und zugespitzt: «Behaupten, Augustinus habe gegen die Häretiker übertreibend geredet, heißt behaupten, Augustin habe so gut wie überall gelogen»64. Die Auffassung, die Luther hier bekämpft, besagt, manche Aussagen in Augustins antipelagiani62
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Brief nr. 41 (an Johannes Lang in Erfurt vom 18. 5. 1517) (WAB 1,99): «Theologia nostra et S. Augustinus prospere procedunt et regnant in nostra universitate Deo operante. Aristoteles descendit paulatim inclinatus ad ruinam prope futuram sempiternam. Mire fastidiuntur lectiones sententiariae, nec est, ut quis sibi auditores sperare possit, nisi theologiam hanc, id est bibliam aut S. Augustinum aliumve ecclesiasticae autoritatis doctorem velit profiteri». Der Editor H. Junghans weist darauf hin, dass die Überschrift ‹Disputatio contra scholasticam theologiam› sich noch nicht im ältesten bekannten Druck finde, sondern erst in der Ausgabe des Druckers Joseph Klug aus Wittenberg, Druck B (StA 1,165 n. 2). Disputatio contra scholasticam theologiam concl. prima: «Dicere, quod Augustinus contra haereticos excessiue loquatur, est dicere, Augustinum fere ubique mentitum esse» (WA 1,224; StA 1,165).
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schen Schriften seien überspitzt formuliert. Auf diese Weise habe Augustin der bekämpften Meinung dadurch wirkungsvoll entgegentreten wollen, dass er die eigene Position bewusst überzogen formuliert habe. Wer das behauptete, der konnte dann sagen, man biege ja auch einen gekrümmten Holzbogen in die entgegengesetzte Richtung, damit er wieder gerade werde65. Luther behauptet: Nein, Augustin meinte exakt das, was er gegen die Pelagianer sagte, und zwar ‹überall›. Augustin wollte ‹überall› die Notwendigkeit der Gnade Gottes einschärfen! Es geht hier um Disputationsthesen. Es ist also erlaubt, zugespitzt zu formulieren. Aber wer Augustins Werke gut kennt, wird dieser These Luthers nicht zustimmen. Gegen eine Aussage des Gabriel Biel in dessen Kommentar zu den Sentenzen sagt Luther in den Thesen 11 und 12 dieser Disputation gegen die scholastische Theologie: Wer behaupte, es stehe in der Macht eines Menschen, zu wollen oder abzulehnen, was ihm als von Gott gewollt aufgewiesen werde, der wende sich gegen Augustin66. Luther meint hier die zweite von den drei in der akademischen Diskussion um Gottes Gnade und den freien Willensentscheid des Menschen, die vorhin bereits erwähnt worden ist, oft verhandelten Fähigkeiten: erkennen, wollen und vollbringen. In diesem Falle betont Luther, ein durch die Folgen des Sündenfalls geschädigter Mensch könne auch das, was ihm als gut einleuchte, nicht aus eigener Kraft wollen. Einige Monate später eröffnet Luther die Thesenreihe, mit der er sich 1518 den Ordensbrüdern in Heidelberg bei deren alle drei Jahre stattfindender Kapitelversammlung vorstellt, mit einem doppelten Bekenntnis zu Paulus und zu Augustin. Luther schreibt, er lege den Anwesenden Sätze vor, die er aus Briefen des Paulus ausgewählt habe, ferner aus Schriften Augustins. Den Apostel Paulus nennt er hier das ‹allererwählteste Werkzeug Christi›. Augustin bezeich65
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Erasmus von Rotterdam, De libero arbitrio IV,16 (Ausgewählte Schriften 4 [ed. W. WELZIG], Darmstadt 1969, 1–195, hier 189): «Und im Volksmund sagt man, dass man, um einen krummen Stock gerade zu machen, ihn in die entgegengesetzte Richtung biegen müsse». Ähnlich ib. etwas weiter unten: «noch hätte man ein verrenktes Glied auf die Weise heilen dürfen, daß man es in die entgegengesetzte Richtung verrenkte». Erasmus hält diese Interpretation freilich in Fragen von Dogmen für problematisch. Zur Kritik der beiden Augustinereremiten Gregor von Rimini und Jakobus Perez von Valencia an dieser Ansicht cf. BURGER, Der Augustinschüler (cf. n. 24) 225–227 sowie id., Augustinus en Erasmus over de vrije wil: De kerkvaders in Reformatie en Nadere Reformatie (ed. J. VAN OORT), Zoetermeer 1997, 21–34, hier 24 und 25 n. 17. Disputatio contra scholasticam theologiam concl. 11–12: «Nec est in potestate eius (sc. voluntatis) uelle et nolle quodlibet ostensum. Nec sic dicere est contra Beatum Augustinum dicentem: Nihil est ita in potestate voluntatis sicut ipsa voluntas» (WA 1,224; StA 1,166) (oben in n. 46 bereits einmal herangezogen).
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net er als dessen ‹verlässlichsten Interpreten›, als den ‹interpres fidelissimus› des Paulus67. Damit rückt er beide einmal mehr sehr nahe zueinander und wertet durch die Wahl der Adjektive massiv. An seinen Erfurter Lehrer Jodokus Trutfetter schreibt Luther am 9. 5. 1518: «Du bist der erste von allen, von dem ich gelernt habe, allein den Büchern der Hl. Schrift Glauben zu schenken, alle übrigen dagegen (kritisch) zu beurteilen, wie das ja der heilige Augustin, ja noch viel mehr Paulus und Johannes lehren»68. Einmal mehr nennt Luther Paulus und Augustin in einem Atemzug. Und im Galaterbriefkommentar des Jahres 1519 sagt Luther, er kenne niemanden, der die Aussage des Paulus in seinem Brief an die Galater, Gal 2,16, verstanden habe – mit Ausnahme Augustins. Es heißt dort im Galaterbrief: «Doch weil wir wissen, dass der Mensch durch des Gesetzes Werke nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Fleisch gerecht»69. Diese Aussage des Paulus, behauptet Luther, habe allein Augustin verstanden. Und Luther fügt hinzu: «... und auch er nicht überall, sondern dort, wo er mit den Pelagianern, d.h. mit den Feinden der Gnade Gottes, kämpft. Dort macht er dir Paulus leicht und zugänglich»70. In diesem Zitat macht Luther deutlich, dass er innerhalb der Werke Augustins eine Auswahl trifft, dass es ihm eben um dessen antipelagianische Schriften geht. Hier deutet sich also in Luthers Wahrnehmung bereits eine Differenzierung innerhalb der Schriften Augustins an. In der Disputation gegen die scholastische Theologie hatte er ja noch behauptet, Augustin vertrete die Ansicht, der Mensch sei auf Gottes Gnade radikal angewiesen, ‹so ungefähr überall›. Hier dagegen sagt er: Noch nicht einmal Augustin, dessen Autorität ich so oft und so gern in 67
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Einleitung zu den theologischen Thesen der Heidelberger Disputation (WA 1,353): «Diffidentes nobis ipsis prorsus iuxta illud spiritus consilium ‹ne innitaris prudentiae tuae›, humiliter offerimus omnium, qui adesse voluerint, iuditio haec Theologica paradoxa, ut vel sic appareat, bene an male elicita sint ex divo Paulo, vase et organo Christi electissimo, deinde et ex St. Augustino, interprete eiusdem fidelissimo». Hinweis bei GRANE, Divus Paulus (cf. n. 6) 134. Brief nr. 74 (an Jodocus Trutfetter) (WAB 1,171): «ex te primo omnium didici, solis canonicis libris deberi fidem, caeteris omnibus iudicium, ut B. Augustinus, imo Paulus et Iohannes praecipiunt». Zitiert bei HAMMER (cf. n. 53) 85 n. 37. Zur Auseinandersetzung um diese Aussage des Paulus cf. J. SCHRÖTER, ‹The new Perspective on Paul› – eine Anfrage an die lutherische Paulusdeutung?: Lutherjahrbuch 80 (2013) 142–158. Cf. dazu GRANE, Divus Paulus (cf. n. 6) 134.
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Anspruch genommen habe, vertritt diese Ansicht überall. Luther setzt sich also vorsichtig von manchen Aussagen Augustins ab. Nach der Leipziger Disputation von 1519 nahm Luthers Inanspruchnahme Augustins für seine eigene Interpretation der Paulusbriefe zunächst ab. Wirklich brisant wurde der Streit um die Berufung auf Augustin dann aber erneut durch Luthers Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam. Erasmus sah sich ja mit dem Vorwurf konfrontiert, er sei der führende Kopf hinter dem relativ unbekannten Professor Luther an der wenig bedeutenden Universität Wittenberg71. Um diesen Anfeindungen zu entgehen, wollte er sich von Luther abgrenzen. Eine gelehrte Auseinandersetzung über die Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Willensfreiheit in der lateinischen Sprache der Gebildeten schien ihm dafür das geeignete Medium zu sein. Luther entgegnete freilich sehr scharf. Für ihn ging es dabei keineswegs um etwas, was man mit kühlem Kopf unter akademisch geschulten Gelehrten erwägen konnte, sondern um den Kern des Evangeliums. Es wurde in den beiden Schriften der Kontrahenten, im Gespräch oder Unterredung über den freien Willen des Erasmus und in Vom geknechteten Willen Luthers, denn auch deutlich, dass Erasmus ganz anders mit Augustin umging als Luther. Für Erasmus war Augustin nur einer unter vielen Theologen, denen er Autorität zuerkannte. Origenes und Hieronymus standen höher in seiner Gunst, ging es ihm doch in erster Linie um die philologische Kompetenz, nicht um Lehrfragen. In einer Aufzählung derjenigen Kirchenväter, die sich positiv von Theologen späterer Zeiten unterscheiden, fehlt dessen Name72. Erasmus unterscheidet eine Phase in Augustins Denken, in der dieser dem Menschen auch in seinem Verhältnis zu Gott eine freie Willensentscheidung zugetraut habe. Was Augustin in dieser Phase geschrieben hat, kann Erasmus billigen. Aber er sieht in Augustins Denken eine zweite Phase, die mit dem Auftreten des Pelagius beginnt, und die Aussagen, die Augustin in dieser Phase macht, sind für ihn nicht akzeptabel. Wo er Augustin zustimmend zitiert, da beruft er sich vor allem auf dessen Schrift De doctrina christiana und auf seine Kommen-
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Cf. C. AUGUSTIJN, Erasmus von Rotterdam. Leben – Werk – Wirkung, München 1986, 109. Erasmus von Rotterdam, Ratio seu methodus (Desiderii Erasmi Roterodami Opera omnia emendatiora et auctiora 1–10, Leiden 1703–1706 [Nachdr. Hildesheim 1961–1962], tom. 5, p. 82A): «si quis hujus rei promptum aliquod argumentum requirat, veteres illos Theologos, Origenem, Basilium, Chrysostomum, Hieronymum cum hisce recentioribus componat conferatque: videbit illic aureum quoddam ire flumen».
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tare zu biblischen Schriften73. In seinem eigenen Werk Hyperaspistes diatribae kann Erasmus Augustin eher distanziert sogar einmal ‹dieser Mann da› nennen74. Als sein eigenes Votum zum Verhältnis zwischen Gottes Gnade und dem menschlichen Willen darf man wohl die Aussage in De libero arbitrio verstehen: «Bei der Zustimmung ... handelt zugleich die Gnade und der menschliche Wille, doch so, daß die grundlegende Ursache die Gnade ist, die weniger grundlegende aber unser Wille»75. Wie oben schon erwähnt, steht diese Aussage des Erasmus inhaltlich nahe bei der Position Bernhards von Clairvaux und derjenigen des Augustinereremiten Hugolin von Orvieto. Luther dagegen plädierte scharf dafür, der menschliche Wille sei in Heilsfragen unfähig. Schon den Titel seiner Schrift – Vom geknechteten Willen – entlehnte er Augustin76. Als Erasmus ihm entgegenhielt, es sei doch ganz und gar nicht nützlich, dem Volk bekannt zu machen, was Augustin geschrieben habe: Gott wirke in Menschen das Gute und das Böse, er belohne in Menschen seine eigenen guten Werke und bestrafe in ihnen, was er Böses in ihnen bewirkt habe77, entgegnete Luther, es gehe hier nicht um die Frage, ob es pädagogisch 73
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Cf. C. BURGER, Erasmus’ Auseinandersetzung mit Augustin im Streit mit Luther: Auctoritas Patrum. Zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert (hrsg. von L. GRANE/A. SCHINDLER/M. WRIEDT), Mainz 1993, 1–13, hier 1, mit Hinweis auf E.-W. KOHLS, Luther oder Erasmus. Luthers Theologie in der Auseinandersetzung mit Erasmus 1, Basel 1972, 37 bei n. 174. Erasmus von Rotterdam, Hyperaspistes diatribae II (Desiderii Erasmi Roterodami Opera omnia emendatiora et auctiora 1–10 [cf. n. 72], tom. 10, pp. 1521F–1522A): «Priusquam haec de gratia et libero arbitrio contentio incruduisset, Orthodoxi paulo plus tribuebant hominis viribus, quam postea tributum est. In quibus aliquando fuerat et Augustinus ... Quod si quis expendat quam exile sit, quod hic vir, et hunc secuti ... relinquunt libero arbitrio, fatebitur liberi arbitrii nomen assertum potius, quam rem probatam». Auch angeführt bei BURGER, Erasmus’ Auseinandersetzung (cf. n. 73) 12 n. 47 und bei id., Augustinus en Erasmus (cf. n. 65) 26 n. 21. Erasmus von Rotterdam, De libero arbitrio diatribe sive collatio IIIc4 (Ausgewählte Schriften 4 [ed. W. WELZIG], Darmstadt 1969, 1–195, hier 143; das lateinische Zitat cf. oben n. 22). De servo arbitrio (WA 18,665; StA 3,234): «Unde et seruum potius quam liberum arbitrium uocat Augustinus libro 2. Contra Iulianum». Cf. Augustin, c. Iul. 2,23: «non libero, uel potius seruo propriae uoluntatis arbitrio». Erasmus von Rotterdam, De libero arbitrio I a 10 (Desiderii Erasmi Roterodami Opera omnia emendatiora et auctiora 1–10 [cf. n. 72], tom. 9, p. 1217; cf. Ausgewählte Schriften 4 [ed. W. WELZIG], Darmstadt 1969, 1–195, hier 18): «fingamus esse verum iuxta sensum aliquem, quod alicubi scribit Augustinus, deum et bona et mala operari in nobis et sua bona opera remunerari in nobis et sua mala opera punire in nobis. Quantam fenestram haec vulgo prodita vox innumeris mortalibus aperiret ad im-
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sinnvoll sei, sondern ob diese Aussage Augustins dem Wort Gottes entspreche78. Erasmus, der doch ein Geschöpf sei, dürfe nicht seinem Schöpfer vorschreiben, was der Schöpfer zu sagen habe79. Als Luther aufgrund seiner intensiven Beschäftigung mit den Briefen des Apostels Paulus zu der Überzeugung gelangt war, der gottlose Mensch werde allein durch den Glauben gerechtfertigt, ohne selbst etwas zu seinem Heil beitragen zu können, er sei ganz auf Gottes Gnade angewiesen, da war er froh, in Augustins antipelagianischen Schriften Unterstützung für seine Sicht zu finden. Einige Jahre lang berief er sich stets erneut auf Augustin, und zwar sowohl ganz pauschal als auch spezifisch auf Aussagen in den antipelagianischen Schriften. Doch wurde Luther in zunehmendem Maße deutlich, dass das, was Augustin in seiner Zeit und in seiner Situation geschrieben hatte, denn doch nicht identisch war mit dem, was er selbst zum Ausdruck bringen wollte. Er hatte eine Auswahl aus Stellungnahmen Augustins getroffen, die ihm bei der Klärung und Formulierung seiner eigenen Überzeugungen halfen. Aber je klarer ihm selbst wurde, wie er den Apostel Paulus verstand, desto weniger berief er sich auf Augustin als denjenigen, der ihn vermeintlich ähnlich verstanden habe. In einer Tischrede aus dem Jahre 1532 sagte er: «Seit ich Paulus verstanden habe, habe ich keinen Kirchenlehrer mehr hoch achten können. Sie sind für mich recht bedeutungslos geworden. Anfangs verschlang ich Augustin geradezu. Aber als mir in Paulus die Tür aufging, so dass ich wusste, was Rechtfertigung aus dem Glauben bedeutet, war es aus mit ihm»80.
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pietatem ...?». Die gemeinte Aussage bei Augustin ist wohl gr. et pecc. or. 18: «illud ergo timuit, ut non diceret, et nostrum est et dei, ne sibi responderetur, si quod bene agimus, loquimur, cogitamus, ideo est et nostrum et dei, quia ille nobis hoc posse donauit; ergo et quod malum agimus, loquimur, cogitamus, et nostrum est et dei». Der Kommentator der Schrift in der WELZIG-Ausgabe, W. Lesowsky, verweist jedoch auf Augustin, praed. sanct. 33 (hier kann gemeint sein: «et hoc ostendit ex dei dispositione uenisse, qui bene uti nouit etiam malis» (ib.), sowie auf gr. et lib. arb. 43: «manifestatur, operari deum in cordibus hominum ad inclinandas eorum uoluntates quocumque uoluerit, siue ad bona pro sua misericordia, siue ad mala pro meritis eorum». Luther referiert die Aussage des Erasmus in De servo arbitrio (WA 18,630; StA 3,203). De servo arbitrio (WA 18,631; StA 3,204): «ubi est frons tua? ubi pudor? ubi, non dico iam modestia illa Erasmi, sed timor et reverentia Deo vero debita? qui dicis, nihil inutilius dici posse hoc verbo Dei?». De servo arbitrio (WA 18,631; StA 3,204): «Scilicet, Creator tuus a te creatura sua discet, quid utile et inutile sit praedicatu ...?». Tischrede nr. 347 (WAT 1,140): «Sind ich Paulum verstanden hab, so hab ich keinen Doctor konnen achten. Sie sind mir gar gering worden. Principio Augustinum
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Furcht bei Augustin und Luther Das Verhältnis von Augustin und Luther erweist sich immer wieder neu als komplex und vielschichtig. Je nach Perspektive überwiegen Nähe oder Distanz, Kontinuität oder Bruch. Ich möchte heute das Verhältnis der beiden Theologen anhand einer Detailfrage ausloten, die auf den ersten Blick abseitig erscheinen mag: Welches theologische Verständnis von Furcht haben die beiden großen Theologen entwickelt? Dabei möchte ich zeigen, dass diese Fragestellung in zentrale Themen ihrer Theologie einführt und sowohl Luthers engen Anschluss an Augustin als auch den Systembruch mit dessen theologischer Logik erhellen kann. 1. Augustin und die Furcht 1.1. Das antithetische Verhältnis von Furcht und Liebe Augustins Reflexionen über die Furcht1 sind zunächst stark bestimmt von einigen biblischen Aussagen, die Furcht in unterschiedlicher Weise dem religiösen bzw. christlichen Leben zuordnen. Die johanneische Aussage, dass die vollkommene Liebe die Furcht austreibt (1 Io 4,18), beschreibt offensichtlich einen Gegensatz von Liebe und Furcht. Diese Furcht bezeichnet Augustin mit Anklang an Rm 8,15 als ‹timor seruilis›2. Daneben gibt es in der biblischen Tradition auch viele Belege, in denen die Furcht in einem positiven Verhältnis zum Glauben steht, etwa wenn sie in der sapientialen Tradition als Anfang der Weisheit (Prv 1,8) beschrieben wird, als Furcht des Herrn, die nach Ps 19 (18),10 in Ewigkeit bleiben wird. Diese Furcht steht offenbar nicht im Gegensatz zur Gottesliebe, sondern ist mit dieser eng verbunden. Diese Stellen legt Augustin aus auf eine ‹keusche› Furcht (‹timor castus›) hin, die selbst der Liebe entspringt und keine Angst vor Gottes Strafe hat. Eine solche Furcht sei eine 1
2
Cf. J. MAUSBACH, Die Ethik des heiligen Augustinus 1. Die sittliche Ordnung und ihre Grundlagen, Freiburg 1909, 184–190; T. DIETZ, Der Begriff der Furcht bei Luther, Tübingen 2009, 34–43; R. RIMML, Das Furchtproblem in der Lehre des hl. Augustins: ZKTh 45 (1921) 43–65.229–259. Cf. Io. eu. tr. 43,5; ep. Io. tr. 9,4sq.
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positive, kindliche Furcht (‹timor filialis›). Von ihr gilt, dass die Liebe sie weder aufhebt noch austreibt, sondern sie als Begleiterin festhält3. An vielen Stellen unterscheidet Augustin diese beiden Furchtarten grundsätzlich. Der ‹timor seruilis› richtet sich darauf, dass er nicht Strafe erleide, der ‹timor filialis› bzw. ‹castus› zielt darauf, die Gottesgemeinschaft nicht zu verlieren. Dieser ist mit Knechtschaft verbunden im Sinne des paulinischen ‹Geistes der Knechtschaft› (Rm 8,15). Der Geist der Keuschheit bzw. der Liebe wurzelt hingegen nicht in einer Beziehung der Knechtschaft, sondern der Freundschaft bzw. Kindschaft (Io 15,14sq.)4. Augustin erläutert diesen grundlegenden Unterschied beider Furchtarten an einem Gleichnis von zwei Frauen. Eine ehebrecherische Frau fürchtet, ihr Mann möchte ihren Ehebruch entdecken. Eine keusche Frau fürchtet hingegen nur, ihren Mann zu verlieren. Die eine fürchtet die Strafe, die andere die Entfernung. Bei letzterer ist die Furcht eine Frucht der Liebe zu ihrem Mann, bei ersterer ist die Straffurcht allenfalls Frucht ihrer Liebe zu sich selbst5. Die Bewertung dieser beiden Furchtarten ist daher eindeutig: «quid magnum est timere poenam? hoc est nequissimus seruus, hoc et crudelissimus latro. non est magnam timere poenam, sed magnum est amare iustitiam» (Io. eu. tr. 43,7). Nicht die Furcht vor der Strafe ist geistlich, sondern die Haltung der Liebe und Treue. Bislang haben wir die Terminologie Augustins aus seinem Umgang mit unterschiedlichen Tendenzen innerhalb der biblischen Texte erläutert. Wesentliche Bedeutung gewinnen diese unterschiedlichen Auslegungen der Furcht jedoch im Kontext grundsätzlicher Auseinandersetzungen. Die Abwertung des ‹timor seruilis› findet sich vor allem in den antipelagianischen Kontroversen. In De spiritu et littera wird der Gegensatz im Sinne der pneumatologisch zugespitzten Gnadenlehre dieser Schrift betont: Wenn einer das Gebot lediglich aus Furcht vor Strafe erfüllt, geschieht dies nicht im Hl. Geist aus Liebe zur Gerechtigkeit, sondern nur aus einer knechtischen Haltung heraus. Weil nicht in Freiheit vollbracht, ist die Gebotserfüllung als überhaupt nicht geschehen zu betrachten. Denn eine Frucht ist nur dann als gut zu betrachten, wenn sie aus der Wurzel der Liebe hervorgewachsen ist6. Wo aber die Liebe Gottes im Her3 4 5 6
«non enim tollit caritas, nec fortas mittit, sed magis complectitur, et comitem tenet simul et possidet» (Io. eu. tr. 43,7). Cf. Io. eu. tr. 85,3. Cf. ep. Io. tr. 9,6; Io. eu. tr. 43,7. Spir. et litt. 26: «quod mandatus si fit timore poenae, non amore iustitiae, seruiliter fit, non liberaliter et ideo nec fit»; cf. ib. 29. Cf. auch V.H. DRECOLL, Gnadenlehre: Augustin Handbuch, Tübingen 2007, 488–497.
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zen des Menschen ausgegossen ist, wird diese und nicht mehr die Furcht zum Motiv des Handelns. Dann vollbringt man das Gute nicht mehr aus Furcht vor der Strafe, sondern aus Liebe zur Gerechtigkeit7. Beide Motivationen stehen in einem unauflöslichen Widerspruch zueinander. Wer aus Furcht vor der Strafe die Forderungen Gottes befolgt, genügt seiner Gerechtigkeit nicht; nur die Liebe tut dies8. Denn unter dem Einfluss der Furcht geraten Tat und Wille in einen Widerspruch. Einem solchen Glauben fehlt es unter dem Einfluss der sklavischen Furcht an Liebe zur Gerechtigkeit. Die unterschiedlichen Gestalten der Furcht lassen sich aus der Perspektive der Liebe angemessen bestimmen. Es gibt zwei Arten der Liebe: Gottesliebe und Weltliebe9. Beide sind einander entgegengesetzt. Der Mensch ist zutiefst bestimmt durch die Liebe, die ihn im Innersten ausrichtet und prägt10. Im Hl. Geist ist die Gottesliebe bestimmende Macht der menschlichen Daseinsausrichtung. Für den Glauben, der aus solcher Liebe stammt, gilt, dass er mit der Furcht nichts zu tun hat: Er fürchtet nicht die Strafe, sondern liebt die göttliche Gerechtigkeit11. Anders sieht es aus in der ungeordneten Liebe. Hier gewinnt die Furcht ihre fatale Macht über den Menschen. 1.2. Furcht im Horizont eines gradualistischen Entwicklungsschemas Neben dieser antithetischen Gegenüberstellung zweier Furchtarten gibt es jedoch auch eine Reihe von Äußerungen, in denen das Verhältnis der beiden Furchtarten anders bestimmt ist. Neben der konsequenten Dualisierung der Furcht unter dem Gesichtspunkt der Gottesliebe bzw. der Selbstliebe gibt es auch eine Reihe von Texten, in denen die Furchtarten nicht nur als Gegensatz behauptet werden, sondern positiv einander zugeordnet sind. Wir orientierten uns an dieser Stelle an Augustins Auslegung von 1 Io 4,18, dem ‹locus classicus› auch der späteren Diskussion, die Augustin ausführlich Gelegenheit bot, seine Sicht im Zusammenhang darzustellen. Die Formulierung von der Zuversicht am Tag des Gerichts gibt Augustin den Anlass, unterschiedliche Gruppen von Menschen zu unterscheiden. So gibt es erstens solche, die das Gericht nicht fürchten, weil sie nicht an ein solches glauben. Eine zweite Gruppe von Menschen ist zum Glauben gekommen 7 8 9 10 11
So spir. et litt. 51. Spir. et litt. 56. Cf. die Ausführungen zur Liebe in ep. Io. tr. 2. Ep. Io. tr. 2,14. Spir. et litt. 56.
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und fürchtet sich nun vor dem Gericht12. Die Furcht markiert hier gewissermaßen einen Anfang des Heilsweges. Bei einem solchen Menschen gewinnt die Furcht nun eine positive Funktion: «timendo corrigat se»13. Durch die Furcht fängt er an, Sünden zu vermeiden und sich in guten Werken zu üben. Dadurch kommt eine allmähliche Umwandlung in Gang. Überwiegt zunächst die Furcht vor dem kommenden Christus, so gewinnt mit der Zeit die Sehnsucht die Überhand. Auch seine Zuhörer ermutigt Augustin, auf dem Weg von der Furcht zur Sehnsucht voranzuschreiten, was durch die Praxis guter Werke geschehe14. Schließlich kommt Augustin zur Auslegung von 1 Io 4,18. In der vollkommenen Liebe ist jede Furcht vor dem Gericht ausgetrieben. Ist also die Gerichtsfurcht unverträglich mit der Liebe? Nein, sie steht zusammen mit der anfänglichen Liebe (‹caritas inchoata›). Diese Unterscheidung zwischen angefangener und vollendeter Liebe zieht Augustin nun zu weitreichenden Konsequenzen aus. Wer aus dem Glauben heraus das Gericht Gottes zu fürchten begonnen hat, in dem hat die Liebe begonnen. Damit behauptet Augustin einen notwendigen Zusammenhang dieser Gerichtsfurcht mit der beginnenden Liebe: «ergo incipiat timor. ... timor quasi locum praeparat charitati» (ep. Io. tr. 9,4). Als solche gewinnt nun aber die Furcht den Charakter eines notwendigen Anknüpfungspunktes für die Liebe. «sic autem nullus timor, non est qua intret charitas» (ib.). Wenn aber die Liebe im Menschen zu wohnen beginnt, treibt sie nach und nach die Furcht aus. Furcht und Liebe stehen in einem KonvexKonkav-Verhältnis zueinander: «maior charitas, minor timor, minor charitas, major timor» (ib.). Idealerweise ist der christliche Lebensweg ein Prozess, der im Diesseits nicht zum Abschluss kommt. Auf diesem Weg hat die Furcht nun die Rolle eines Anfangs bekommen, der notwendig ist. Das zeigt sich in der These: «nam si sine timore es, non poteris iustificari» (ib.). Diese positive Einordnung der Furcht in den Heilsprozess kann Augustin auch mit einem anderen Gleichnis veranschaulichen. Die Furcht ist wie das Messer eines Arztes, mit dem er einen Krankheitsherd aus der Wunde ausschneidet. Wohl wird der Schmerz durch dieses Heilmittel vergrößert, jedoch zugleich die Wunde der Heilung näher gebracht: «timor medicamentum, caritas sanitas» (ib. 9,5).
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«sic coepit credere, coepit timere» (ep. Io. tr. 9,2). Ep. Io. tr. 9,2. «ergo fratres, date operam, intus agite uobiscum, ut desideretis diem iudicii» (ep. Io. tr. 9,2).
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Anschließend wird in der weiteren Auslegung die oben vorgestellte antithetische Gegenüberstellung der Furchtarten entwickelt. Ausführlich wird das Gleichnis der beiden Ehefrauen entfaltet. Schließlich wendet sich Augustin in seiner Predigt nacheinander den beiden Frauen zu, die als typologische Predigthörerinnen angesprochen werden. Der ehebrecherischen Frau wird eingeschärft, dass Gott ungleich mehr als jeder Ehemann jede Verfehlung sieht und ahndet: «tu non times eius praesentiam, qui auerti a te non potest?» (ib. 9,7). Im Blick auf die keusche Ehefrau ist es Augustin fraglich, ob eine solche hier überhaupt anzutreffen sei und ob er nicht viel mehr von ihr lernen müsse. Deutlich wird dabei: Die Pädagogisierung der Furcht ist durchaus bezogen auf ihre antithetische Unterscheidung. Der an sich unwerte ‹timor seruilis› kann im Glauben einen relativen Nutzen bekommen. Unter der Herrschaft der Gnade gibt es so etwas wie eine Funktionalisierung des Schreckens. Diese Nützlichkeit der Furcht wird von Augustin am eindrücklichsten in der Auslegung von Ps 127 (128),1 zur Geltung gebracht. Zunächst erfolgt die übliche Dualisierung der beiden Furchtarten. Die hier genannte Furcht des Herrn wird mit dem ‹timor castus› identifiziert, der in Ewigkeit bleiben wird, und eben nicht mit derjenigen Furcht, welche von der Liebe ausgetrieben wird. Dann aber erfolgt eine Unterscheidung innerhalb des Spektrums des ‹timor non castus›, nämlich hinsichtlich des zeitlichen bzw. ewigen Charakters des Gefürchteten. Einige fürchten sich, Übel auf der Erde zu erleiden. Davon zu unterscheiden sei aber nun eine andere Angst, nämlich die Höllenfurcht: «alius non in hac terra pati timet, sed gehennas timet, unde terruit et dominus» (en. Ps. 127,7). Diese Furcht führe dazu, dass man sich von der Sünde enthält. Auch hier sei wohl ein ‹timor non castus› gegeben, denn: «timent quidem, sed non amant iustitiam» (ib.). Dann folgt aber ein entscheidender Schritt über die bisherige Dualisierung hinaus. Wenn die Furcht vor der Hölle zur Enthaltung von Sünde führe, geschehe darin eine Gewöhnung an die Gerechtigkeit (‹consuetudo iustitiae›), womit ein Prozess einsetze, in dem Gott die Furcht vor der Strafe umwandle in die Liebe zur Gerechtigkeit15.
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«cum autem per timorem continent se a peccato, fit consuetudo iustitiae, et incipit quod durum erat amari, et dulcescit deus; et iam incipit homo propterea iuste uiuere, non quia timet poenas, sed quia amat aeternitatem» (en. Ps. 127,7).
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1.3. Augustinische Ambivalenz Augustin kann die von ihm entwickelte Unterscheidung von ‹timor seruilis› und ‹timor filialis› sowohl antithetisch als auch gradualistisch auslegen. Einmal erscheinen diese beiden Furchtarten als Paar einander ausschließender Gegensätze; andererseits können sie positiv in einem Entwicklungsschema aufeinander aufbauen. Wie verhalten sich antithetische bzw. gradualistische Linie zueinander? Denn der Unterschied ist offenkundig: Hier ist der Zusammenhang der Gnadenlehre bestimmend, dort ein pädagogischer Kontext leitend. Hier wird eine paulinisch-prinzipielle Argumentation vorgetragen, dort eine praktisch-empirische Erwägung. Dieser Sachverhalt lässt sich im Zusammenhang des berühmten ‹cogite/ compelle intrare› erhellen. In diesem Sinn konnte sich Augustin im berühmten Brief an den Rogatisten Vincentius positiv auf den Nutzen der Straffurcht beziehen. Dem Grundsatz des Vincentius, dass man doch niemanden zur Gerechtigkeit zwingen dürfe, hält er das Wort Jesu im Gleichnis entgegen: «Nötigt sie einzutreten!» (Lc 14,23). So habe Gott auch gegen Paulus gewaltsamen Druck ausgeübt, ihm sogar das Augenlicht genommen und nicht eher zurückgegeben, bis er in die Kirche einverleibt war. So, wie der Hirte bisweilen die verlorenen Schafe mit der Geißel wieder zur Herde zurücktreibe, ziehe Gott den Menschen durch Furcht und Schrecken zu sich: «quod in cordibus omnium qui se ad eum diuinae iracundiae timore conuertunt» (ep. 93,5). Augustin gesteht dort zu, dass er sich lange dagegen gewandt habe, auf die donatistische Mehrheit in seiner afrikanischen Heimat staatlichen Druck ausüben zu lassen16. Doch die Erfahrung habe ihn in dieser Frage einlenken lassen. Viele erklärten sich im Nachhinein dankbar für den ausgeübten Druck, weil sie nur aus Furcht wieder katholisch geworden sind und dies nachträglich entschieden bejahen17. Die Furcht hat dabei als Motivation eine entscheidende Hilfe geboten18. Diese Erfahrungen bezieht Augustin auf den Umgang Gottes mit den Menschen, der in seiner Liebe eben nicht nur freundlich, sondern auch
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Ep. 93,17. Ep. 93,16: «multas ciuitates uidemus fuisse Donatistas, nunc esse catholicas, detestari uehementer diabolicam separationem, diligere ardenter unitatem: quae tamen timoris huius qui tibi displecet occasionibus, catholicae factae sunt per leges imperatorum». So trägt Augustin in ep. 93,18 viele Berichte zusammen, in denen die Zurückgewonnenen betonen, dass die Furcht eine entscheidende Hilfe für ihre Rückkehr zur katholischen Kirche war.
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erschreckend begegnen kann19. In den konkreten Erfahrungen im Umgang mit Bekehrten hat Augustin schließlich die Einsicht gewonnen, dass es vielleicht die Besseren seien, die die Liebe leite, die meisten aber, die durch Furcht zurecht gebracht würden: «sicut meliores sunt, quos dirigit amor, ita plures sunt, quos corrigit timor» (ep. 185 [= correct.] 21). In seinen Aussagen zur Furcht konnte Augustin in verschiedenen Kontexten höchst unterschiedliche und nicht kohärent zu vereinigende Positionen entwickeln. In diesem spannungsvollen Nebeneinander unvereinbarer Akzente nahm Augustin die Tendenz einer tausendjährigen dogmengeschichtlichen Entwicklung vorweg. Vor allem Kurt Flasch hat auf die problematische Wirkungsgeschichte im Werk Augustins hingewiesen20. In seinem Buch Logik des Schreckens entwickelt Flasch einen großen geistesgeschichtlichen Zusammenhang: Augustins Gnadenlehre habe «in Europa die Kirchen und die Staaten, die Lehrer und die Väter gelehrt, sich als Verwalter des Gottesschreckens einzusetzen, den Augustin 397 (mittels seiner neuen Gnadenlehre) rehabilitiert hatte. ... Ihr Schatten liegt über der Geschichte der Inquisition, aber auch über der Geschichte der Sexualität und der Mode»21.
Nun kann die komplexe mittelalterliche Rezeption an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden22. Grundsätzlich aber kann man sagen, dass das bei Augustin erörterte Spannungsverhältnis nur einseitig rezipiert wurde, und zwar tendenziell im instrumentalistischen Sinne Flaschs. Die Gegensatzlogik tritt zurück, der Entwicklungsgedanke dominiert immer mehr die Lehre von der Furcht. Vor allem Gregor der Große verstärkt die Tendenz, Furcht als notwendigen Beginn der Bekehrung zu sehen. In der Frühscholastik kristallisiert sich eine Unterscheidung von vier Furchtarten heraus. Alle natürlichen bzw. irdischen Angsterfahrungen werden als ‹timor mundanus› (Mt 10,28) bezeichnet. Davon werden drei geistliche Furchtformen unterschieden: ‹timor servilis›, ‹timor initialis› und ‹timor filialis›. In der Scholastik erfährt die Straffurcht eine zunehmende 19
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«quis nos potest amplius amare, quam deus? et tamen nos non solum docere suauiter, uerum etiam salubriter terrere non cessat» (ep. 93,4). So kann Augustin ib. 93,3 auch von einem ‹terror utilis› reden, der die Fesseln der schlechten Gewohnheit zu sprengen versteht. K. FLASCH, Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo. Die Gnadenlehre von 397, Mainz 1990. FLASCH (cf. n. 30) 137sq. Cf. den Überblick bei DIETZ (cf. n. 2) 43–73. Cf. vor allem auch A.W. HUNZINGER, Das Furchtproblem in der katholischen Lehre von Augustin bis Luther, Leipzig 1906.
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Aufwertung. Sie wird zur geistlichen Furcht, sie ist eine Gabe des Hl. Geistes, sie ist wurzelhaft bereits kindliche Furcht. Die damit verbundene Ambivalenz des Erlebens beschäftigte die Seelsorger des Spätmittelalters immer stärker23. 2. Luthers Umgang mit Furcht 2.1. Luthers Anschluss an Augustin Die vielfältige Rezeption Augustins beim frühen Luther24 kann an dieser Stelle nicht umfassend gewürdigt werden, sondern soll streng auf das Thema dieses Beitrags konzentriert werden. Luther war mit der Furchtlehre der Spätscholastik konfrontiert. Vor allem in seinen Dictata super Psalterium ist zu sehen, wie sehr Luther sich mit den scholastischen Distinktionen seiner Vorgänger auseinandergesetzt hat25. Die Tendenz ist eindeutig: Luther verwirft sehr früh das gradualistische Aufstiegsschema der spätscholastischen Furchtlehre. Im Blick auf den ‹timor servilis› schärft Luther nachdrücklich ein, dass Furcht in keiner Weise als Motiv geistlichen Handelns in Frage kommt, da sie in dieser Funktion nur Selbstüberschätzung oder Verzweiflung zur Folge haben kann. Die Erfahrung der Furcht erfährt in den Dictata daher eine radikale Umdeutung: Sie wird zum Zeichen des Heils, zum affektiven Ausdruck unbedingter Unterwerfung unter das Gericht Gottes. Durch die Einwilligung in die eigene Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit bejaht der Mensch das göttliche Urteil über die Sünde. Diese Einwilligung in die Angsterfahrung ist theologisch begründet durch die Angst Christi. Der geängstigte Christus ist das Modell, das eigene Angstübernahme ermöglicht und zugleich in eine neue Deutungsperspektive stellt. Wer sich in solcher Weise mit Christus unter das Gericht stellt, hat zugleich Anteil an der Heilszuwendung Gottes in seinem Sohn. In Augustins Gnaden23
24 25
Cf. zur zunehmenden Bemühungen um Tröstung der Verängstigten und Skrupulösen in der Frömmigkeitstheologie DIETZ (cf. n. 2) 58–71. Cf. auch S. GROSSE, Heilsungewissheit und Scrupulositas im späten Mittelalter. Studien zu Johannes Gerson und Gattungen der Frömmigkeitstheologie seiner Zeit, Tübingen 1994. Cf. B. LOHSE, Die Bedeutung Augustins für den jungen Luther: KuD 11 (1965) 116–135. Cf. DIETZ (cf. n. 2) 74–127. Cf. auch B. HAMM, Naher Zorn und nahe Gnade: Luthers frühe Klosterjahre als Beginn seiner reformatorischen Neuorientierung: Der frühe Luther, Tübingen 2010, 25–64; E. VOGELSANG, Die Anfänge von Luthers Christologie nach der ersten Psalmenvorlesung, insbesondere in ihren exegetischen und systematischen Zusammenhängen mit Augustin und Scholastik dargestellt, Berlin 1929.
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lehre findet er einen Deutungshorizont für seine eigenen Angsterfahrungen. Diese Tendenz setzt sich vor allem in der Römerbriefvorlesung (1515/1516) noch weiter durch. Die Erfahrung der prinzipiellen Nichtbewältigbarkeit der Furcht durch bewusstseinsgesteuertes Handeln kommt zusammen mit der augustinisch neu verstandenen paulinischen Gnadenlehre. Eine neue Grundeinsicht der Paulusexegese ist die prinzipielle soteriologische Ohnmacht des menschlichen Handelns Gott gegenüber. Damit bricht Luther nicht nur mit der optimistischen Einschätzung menschlicher Möglichkeiten im Nominalismus, er verwirft insgesamt die scholastische Annahme über die Entmachtung der Erbsünde in der Taufe. Dieser soteriologischen Ohnmacht des Menschen wird nun in rechtfertigungstheologischer Sprache die Unbedingtheit der göttlichen Gnade gegenübergestellt. Die Folge ist, dass eigene Ambivalenzerfahrungen in das Bewusstsein des eigenen Glaubens integriert werden können. 2.2. Luthers Weg über Augustin hinaus Mit der Entwicklung seines reifen Glaubensverständnisses geht Luther schließlich wesentlich über Augustin hinaus. Das Wort des Evangeliums unterbricht das geängstigte Selbstbewusstsein. Gott selbst wird als derjenige geglaubt, der vermittels der Anrede eine solche Lebensgemeinschaft aufbaut, die sich auf menschlicher Seite im Hören und Vertrauen ausdrückt. Nur der Glaube als unbedingtes Vertrauen entspricht der bedingungslosen Gnade. Vertrauen ist dabei das exzentrische Verhalten, indem der Mensch dergestalt innerhalb einer Beziehung in seine Bestimmung von außen einwilligt, dass er dabei zugleich die Begründung seiner selbst erfährt. An dieser Stelle möchte ich nur darauf verweisen, welche theologische Entwicklung Luther über Augustin hinausführt. Es ist die Frage der Heilsgewissheit, die in einigen Texten 1518 eine große Rolle spielt. Interessant ist die Begründung, die für diese Konzentration auf Wort und Glauben geliefert wird: Angeführt wird das Motiv der Sicherheit gegenüber Täuschung, also ein Gewissheitsmotiv, wenn es heißt: Vertraue allein auf das Wort Jesu Christi. Deine Erfahrung kann dich täuschen, aber Christus nicht: «Cave ergo ne quando in tuam contritionem ullo modo confidas, sed in nudissimum verbum optimi et fidelissimi tui salvatoris Ihesu Christi: cor tuum fallet te, ille te non fallet»26. Das Wort ist Zeichen des Heils geworden, zur eigentlichen Instanz der Verge26
WA 1,596; zu den Luther-Ausgaben und ihren Abkürzungen cf. das Literaturverzeichnis.
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wisserung. Wort und Glaube ist die entscheidende Relation der Rechtfertigung. Oben haben wir gesehen, dass die Furcht ihren bisherigen Platz in der Aneignung des Heils verliert. Die Angst des Gewissens zeigt nicht mehr das Heil, sondern die Heilsbedürftigkeit des Menschen an. 2.3. Luthers Abgrenzung gegenüber Augustin Dass diese Entwicklung teilweise auch einen Bruch mit Augustin bedeutet, erkennt man erstmals in der Leipziger Disputation (1519). Johannes Eck war es vor allem um diesen Nachweis zu tun, dass sich Luther nicht nur gegen manche Entwicklungen der neueren Theologie wendet, sondern mit der gesamten kirchlichen Tradition bricht, auch mit Augustin. Ganz im Sinne Augustins will Eck ja durchaus zugestehen, dass es vielleicht vollkommener wäre, wenn die menschliche Buße mit der Liebe begänne. Aber um unserer Gebrechlichkeit willen habe sich auch Jesus selbst dazu herabgelassen, die Buße mit Furcht beginnen zu lassen27. Luther konzentriert sich in seiner Antwort ganz auf sein Verständnis der paulinischen Rechtfertigungslehre. Ohne die Gnade vermag das Gesetz die Sünde nicht zu beseitigen, sondern nur zu verstärken. Jede vom Gesetz erzwungene Furcht ist kein Beginn der Buße, sondern eine Vertiefung der Sünde, da aus solcher Furcht nur Hass, aber nicht wahre Umkehr entstehen könne. Von Augustin zitiert Luther in diesem Sinne Aussagen aus dessen antipelagianischen Schriften. Von dieser Basis aus versucht Luther, sein Verständnis von Buße an den von Eck genannten Belegstellen der Bibel zu bewähren, überall mit dem Ziel, die Buße als «voluntaria, hilariter, amorosa poenitentia»28 darzustellen. Weder Furcht noch Liebe seien der wahre Ausgangspunkt der menschlichen Buße: «nec timore nec amore potest se homo erigere ad gratiam capessendam. Sed gratia prevenit et movet ad merum die obtutum et amorem iusticie»29. Aber wie lässt sich von daher Augustins Umgang mit Furcht verstehen? Ecks Augustindeutung kann Luther sich nur mit Einschränkungen anschließen, nämlich wenn man ihn so versteht, dass die Furcht wohl den Anfang mache und dann die Liebe eintrete, aber erst mit dem Eintritt der Liebe die wahre Buße beginne. Es ist schwer zu sagen, inwieweit Luther sich durch die 27 28 29
WA 59,573sqq. WA 59,578 WA 59,578.
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Autorität des Augustins noch gebunden fühlte oder ob ihn der Rahmen der Disputation nötigte, sich möglichst wenig von den anerkannten Autoritäten loszusagen. Im Blick auf Ambrosius, Gregor und Bernhard geht Luther dann jedoch soweit, dass er ihnen nur soweit zustimmen könne, wie sich ihre Sicht nicht gegen das richtet, was Paulus über den Zusammenhang von Gesetz und Furcht sage. Eck verwirft demgegenüber Luthers Versuch, der Streitfrage durch Thematisierung der paulinischen Gnadenlehre auszuweichen. Dass die Gnade Gottes die erste Anregung zu unserem Heil geben müsse und die Furcht ohne Gnade unfruchtbar bliebe, das sei von allen Scholastikern so gelehrt worden, stellt Eck von seiner thomistischen Prägung her fest. In der weiteren Debatte versucht Eck die klassische Auffassung des ‹timor› mit verschiedenen biblischen Belegen zu begründen, auch mit dem Jesuswort «cogite intrare» (Lc 14,23), das Eck unter Berufung auf Augustin auf die Bekehrung des Paulus bezieht. Augustin, so führt Eck aus, habe ausdrücklich die knechtische Furcht nach 1 Io 4,18 identifiziert mit der Furcht des Herrn (Prv 1,7 und Ps 111 [110],10) und die Gerichtsfurcht als Anfang der Bekehrung verstanden. Diese Furcht vor der Verdammnis sei gut und nützlich, wenn auch unzureichend, aber durch sie geschehe eine Gewöhnung an die Gerechtigkeit. Mit Recht30 glaubt Eck zeigen zu können, dass Luthers Verständnis von der Furcht sich im Widerspruch zu Augustin befindet. Eck will es Luther auch nicht durchgehen lassen, dass dieser die Lehre der Väter nur insoweit akzeptiert, als sie sich in Übereinstimmung mit Paulus befinden. Luther wirft Eck vor allem die Verweigerung vor, konsequent von der paulinischen Gnadenlehre her zu denken. Wiederum stellt Luther den Zusammenhang von Gesetz, Sünde und knechtischer Furcht im paulinischen Sinne dar, um dann deutlich zuzuspitzen: «Vadat ergo cum suo servili timore, qui non operatur nisi odium legis et dei, et cum iniuria vocatur disponens ad gratiam»31. Auch die scholastische Aufteilung der Gnade lässt Luther nicht gelten, wobei er sich ausdrücklich auf Paulus beruft: «Transeat illa distinctio, nihil ad propositum, est elusio verborum Pauli»32. Angesichts der Differenzen zu Augustin ist Luther mehr denn je zuvor genötigt, sich auf die Bibel zur Not auch im Gegensatz zur ganzen Tradition zu berufen. Die Schriften der Väter 30
31 32
«Eck hat bei seiner Interpretation von Ps 111,10 Augustin und die Tradition ganz deutlich auf seiner Seite», so S. KJELDGAARD-PEDERSEN, Gesetz, Evangelium und Buße. Theologiegeschichtliche Studien zum Verhältnis zwischen dem jungen Johann Agricola (Eisleben) und Martin Luther, Leiden 1983, 317. WA 59,584. WA 59,584.
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seien an den Aussagen der Hl. Schrift zu messen, nicht umgekehrt. Augustin rezipiert Luther vor allem mit dessen antipelagianischer Theologie. Schließlich kommt aber Luther nicht daran vorbei, ausdrücklich Stellung zu beziehen zu den Aussagen Augustins, die seiner Sicht am stärksten entgegenstehen. Wenn Augustin schreibt, dass durch die knechtische Furcht eine Gewöhnung an die Gerechtigkeit stattfinde, dann ist Luther nicht mehr in der Lage, dem in irgendeiner Weise noch eine positive Deutung zukommen zu lassen. Daher lässt Luther sich hier zu der Aussage hinreißen, die die Sorbonne noch zwei Jahre später verdammen wird: «hoc est, meo iuditio, consuetudo desperandi et odiendi deum»33. Eck ist es an dieser Stelle gelungen, den tatsächlichen Abstand offenbar zu machen, mit dem Luther nun der bisherigen Scholastik einschließlich ihrer augustinischen Wurzeln gegenüberstand. Viel später konnte Luther sich auch Eck gegenüber dankbar zeigen, dass durch dessen Widerspruch ihm vieles erst deutlich geworden ist: «Eccius me quoque excitavit; der hat mich munter gemacht. ... Er hat mir die ersten gedancken gemacht, da ich niemer mer sunst hin komen were»34.
2.4. Systembruch mit Augustin und der scholastischen Theologie Auf der Leipziger Disputation gelang es Luther nur bedingt, sein neues Glaubensverständnis konsequent zur Darstellung zu bringen. Zu sehr wurde er durch die Situation dazu gedrängt, seine Übereinstimmung mit der Tradition möglichst groß erscheinen zu lassen. Klar ist, dass Luther die traditionelle Einteilung, die auch die knechtische Furcht positiv auf die Furcht des Herrn bezieht, auf keinen Fall übernehmen kann. Hier hat Eck offensichtlich die Tradition ganz auf seiner Seite. Luther versucht daher, mit problematischen Unterscheidungen einen gewissen Zusammenhang mit der scholastischen Terminologie zu wahren. So kommt er zur Unterscheidung zwischen der Furcht, die ohne die Gnade ist, und einer Furcht, bei der die Gnade zugleich anwesend ist, und behauptet allein für die letztere, dass die Furcht dann nicht zur Verzweiflung führe. Diese Lösung ist natürlich hoch problematisch, weil sich hier zwei Schemata vermischen, die schlechterdings nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Luthers Entweder-Oder setzt ein neues Verständnis von Rechtfertigung voraus, in dem die Gottesbeziehung unmittelbar durch 33 34
WA 59,587. Cf. zur Verurteilung durch die Sorbonne: WA 8,267–312. WAT 5,215 (nr. 5525).
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Sünde oder Gnade, Glaube oder Unglaube geprägt ist. Diese Sicht ist nicht zu vermitteln mit einem gradualistischen Schema, in dem die Rechtfertigung stufenweise geschieht. Die Unterscheidung von Anwesenheit oder Abwesenheit der Gnade vermag daher den Nutzen einer Furcht im Beginn der Buße nicht zu klären, sondern stellt vielmehr das prozesshafte Verständnis von Begnadigung insgesamt in Frage. Insofern ist Luthers Lösung des ‹timor›-Problems mehr dessen Auflösung. Der mittelalterliche Gradualismus hatte seine eigene Logik, die sich nicht mehr übersetzen ließ in Luthers neue Rechtfertigungslehre. Freilich: Dieser Abschied auch von Augustin wird nicht zuletzt dadurch möglich, dass sich Luther in seinen Anfängen vom antipelagianischen Augustin dazu anregen lässt, die scholastischen Schemata der Furchtlehre grundsätzlich in Frage zu stellen. Literatur T. DIETZ, Der Begriff der Furcht bei Luther, Tübingen 2009. V.H. DRECOLL, Gnadenlehre: Augustin Handbuch, Tübingen 2007, 488–497. K. FLASCH, Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo. Die Gnadenlehre von 397, Mainz 1990. S. GROSSE, Heilsungewissheit und Scrupulositas im späten Mittelalter. Studien zu Johannes Gerson und Gattungen der Frömmigkeitstheologie seiner Zeit, Tübingen 1994. B. HAMM, Naher Zorn und nahe Gnade: Luthers frühe Klosterjahre als Beginn seiner reformatorischen Neuorientierung: Der frühe Luther, Tübingen 2010, 25–64. A.W. HUNZINGER, Das Furchtproblem in der katholischen Lehre von Augustin bis Luther, Leipzig 1906. S. KJELDGAARD-PEDERSEN, Gesetz, Evangelium und Buße. Theologiegeschichtliche Studien zum Verhältnis zwischen dem jungen Johann Agricola (Eisleben) und Martin Luther, Leiden 1983. B. LOHSE, Die Bedeutung Augustins für den jungen Luther: Kerygma und Dogma 11 (1965) 116–135. M. Luther, D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883–2009 Abteilung Schriften/Werke 1–80 = WA. Abteilung Tischreden 1–6 = WAT. J. MAUSBACH, Die Ethik des heiligen Augustinus 1. Die sittliche Ordnung und ihre Grundlagen, Freiburg 1909. R. RIMML, Das Furchtproblem in der Lehre des hl. Augustins: Zeitschrift für katholische Theologie 45 (1921) 43–65.229–259.
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E. VOGELSANG, Die Anfänge von Luthers Christologie nach der ersten Psalmenvorlesung, insbesondere in ihren exegetischen und systematischen Zusammenhängen mit Augustin und Scholastik dargestellt, Berlin 1929.
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Der unfreie Wille Augustin und Luther über göttliche Gnade und Freiheit des Menschen «Theologia nostra et S. Augustinus», schreibt der Augustiner-Eremit Martin Luther am 18. Mai 1517 aus Wittenberg an seinen Erfurter Ordensbruder Johannes Lang, «unsere Theologie und S. Augustin machen unter Gottes Beistand gute Fortschritte und herrschen an unserer Universität. Aristoteles steigt nach und nach herab und neigt sich zum nahe gerückten Untergang. Auf erstaunliche Weise werden die Vorlesungen über die Sentenzen verschmäht, so dass niemand auf Hörer hoffen kann, der nicht über die Bibel, über S. Augustin oder über einen anderen Lehrer von kirchlicher Autorität lesen will»1. Der zitierte Brief ist für unser Thema – Augustin und Luther – in mehrfacher Hinsicht von Interesse. Zunächst gibt das Schreiben des nachmaligen Reformators ein beredtes Zeugnis über Studienreformen, die an der Wittenberger Universität im zweiten Jahrzehnt des 16. Jh.s im Schwange waren. Das für den mittelalterlichen Lehrbetrieb signifikante Auslegungsverfahren des Sentenzenbuches des Lombarden trete, so lässt der Reformator seinen Briefpartner wissen, hinter die Beschäftigung mit der Bibel und Augustin zurück. Das signalisiert einen humanistischen Anspruch2. Angesichts der Verzerrung und Verstellung der christlichen Überlieferung sei auf die Quellen zurückzugehen. ‹Ad fontes› – so lautet das Losungswort, das den Lehrbetrieb der Wittenberger Theologen orientiert. Sodann – und für uns wichtiger – wird Augustin für die Wittenberger Theologie eine herausragende Bedeutung beigemessen. Und in der Tat ist der Bischof von Hippo eine der zentralen Referenzen in Luthers Vorlesungen an der Wittenberger Universität dieser Zeit. Die Zeugnisse sind gleichsam Legion, die sich anführen lassen, in denen der Reformator auf Au1
2
WAB 1,99, nr. 41; cf. BoA 6,5. Zu den Luther-Ausgaben und ihren Abkürzungen cf. das Literaturverzeichnis. Eine erweiterte Fassung dieses Beitrags ist erschienen unter dem Titel: Augustin und Martin Luther über die Gnade Gottes. Ähnlichkeiten und Differenzen: Lutero, la Riforma, Sant’Agostino, l’Ordine Agostinano (a cura di ORDO SANCTI AUGUSTINI), Lugano 2018, 101–114. Cf. hierzu V. LEPPIN, Martin Luther, Darmstadt 2006, 89–106.
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gustin als Gewährsmann für seine Theologie verweist3. Schwieriger ist indes die Frage zu beantworten, welche Bedeutung der nordafrikanische Bischof für die Herausbildung der reformatorischen Theologie genau spielt und wie man sich die Rezeption der Texte genauer vorzustellen habe4. Luthers Aneignung der Theologie Augustins steht zunächst im Kontext sowohl seines Ordens als auch des mittelalterlichen Lehrbetriebs. Bereits aus seiner Erfurter Zeit sind ausführliche Beschäftigungen mit dem Bischof von Hippo überliefert5. Unklar ist dabei freilich, ob diese auf ein eigenes Quellenstudium zurückgehen oder auf andere Tradenten wie mittelalterliche Kommentatoren. Deutlich belegt ist eine genauere Kenntnis von Augustins Schrift De spiritu et littera erst in der Römerbriefvorlesung von 1515/15166. Die nur äußerst schwer zu entscheidende Frage der genauen Rezeption der Schriften Augustins durch den Reformator möchte ich jedoch im Folgenden auf sich beruhen lassen7. Stattdessen werde ich das Thema in einer systematischen Perspektive angehen und nach der gedanklichen Konstruktion der menschlichen Freiheit im Gottesverhältnis bei Augustin und Luther fragen. Nun hat bekanntlich der Wittenberger Reformator nicht nur in seiner berühmten Kontroverse, die er 1525 mit Erasmus von Rotterdam führte, eine Freiheit des menschlichen Willens grundsätzlich bestritten – das ‹liberum arbitrium› sei ein «plane divinum nomen»8 –, während sich der nordafrikanische Theologe im Jahre 387 in Auseinandersetzung mit den Manichäern daran machte, ein ‹liberum arbitrium› als Grundlage und Voraussetzung des Bösen in der Welt zu begründen. Aber in Spannung zum unfreien Willen vertritt auch Luther die christliche Freiheit, und für Augustin verdankt sich das Gottesverhältnis ausschließlich der Gnade Gottes und eben nicht dem menschlichen Willen. Beide Theologen verschränken den Freiheitsgedanken mit gegenläufi3 4
5 6
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8
Cf. nur die Zusammenstellung der Zitationen Augustins im Werk Luthers von H.-U. DELIUS, Augustin als Quelle Luthers. Eine Materialsammlung, Berlin (Ost) 1984. Cf. hierzu B. LOHSE, Die Bedeutung Augustins für den jungen Luther: Evangelium in der Geschichte. Studien zu Luther und der Reformation, Göttingen 1988, 11–30; A. BEUTEL, Luther: Augustin Handbuch (hrsg. von V.H. DRECOLL), Tübingen 2007, 615–622; V. LEPPIN, Kirchenväter: Luther Handbuch (hrsg. von A. BEUTEL), Tübingen 2005, 45–49. Cf. BoA 5,2–4; cf. WA 9,2–27. Cf. hierzu LOHSE (cf. n. 4) 22–26; U. BARTH, Die Entdeckung der Subjektivität des Glaubens. Luthers Buß-, Schrift- und Gnadenverständnis: Martin Luther. Neue Wege der Forschung (hrsg. von C. DANZ), Darmstadt 2015, 129–153, besonders 138. Zum Problem in einer kultursoziologischen Perspektive cf. P. BOURDIEU, Das kulturell Unbewußte: Kulturphilosophie (hrsg. von R. KONERSMANN), Leipzig 32004, 243–252. WA 18,636; Lt.-dt. StA 1,295.
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gen Elementen. Was bedeutet das jedoch für den Freiheitsgedanken, und wie wird er von beiden vor dem Hintergrund ihrer theologischen Gesamtkonzeption konstruiert? Damit ist bereits die Gliederung der nachfolgenden Überlegungen benannt. In dem ersten Abschnitt ist das Verhältnis von Freiheit und göttlicher Gnade bei Augustin zu diskutieren und im Anschluss daran bei Luther. Abschließen werde ich mit einem kurzen Resümee. Die These, die ich Ihnen zur Diskussion stellen möchte, lautet, dass sowohl Augustin als auch Luther einen strikt religiösen Freiheitsgedanken konstruieren, diesen jedoch vor einem höchst unterschiedlichen Theorierahmen ausarbeiten. 1. Der Wille zu glauben und die Freiheit des Willens bei Augustin In seinen im Jahre 426/427 verfassten Retractationes legte Augustin eine Selbstdeutung seiner Werke vor. Er kommt hier auch auf seine im Jahre 387 in Rom begonnene, aber erst acht Jahre später in Hippo Regius vollendete Schrift De libero arbitrio zu sprechen. In der späten Rückschau deutet er diese Schrift als eine Auseinandersetzung mit den Manichäern und ihrer häretischen Behauptung, das Böse entstamme zwar nicht Gott, wohl aber einem zweiten bösen Prinzip. Jenem verderblichen Dualismus habe er in der besagten Schrift die aus der wahren Erkenntnis Gottes resultierende Einsicht entgegengehalten, dass «das Böse keinen andern Entstehungsgrund hat als die freie Entscheidung des Willens»9. Das Problem der Gnadenlehre, wie es durch die neuen Häretiker – die Pelagianer – erst viel später aufgeworfen wurde, die sich obendrein mit ihrer falschen Lehre auf den frühen Dialog beriefen, sei in De libero arbitrio gar nicht thematisiert worden10. Augustins späte Selbstdeutung gibt ein eindrückliches Zeugnis von der Schwierigkeit, seine frühe Überzeugung von dem freien Willen des Menschen mit seiner späteren, nach 396 ausgearbeiteten Gnadenund Erwählungslehre in Einklang zu bringen, der zufolge der menschliche Wille im Hinblick auf die Gnade vollständig von Gott abhängig sei. Läge es nämlich in der Macht des menschlichen Willens, sich von sich selbst aus Gott – nach dem sündhaften Abfall von diesem – wieder zuzuwenden, dann wäre die Gnade Gottes für den von ihm abgefallenen Sünder eben keine Gnade 9 10
Augustin, retr. 1,9,1 (Übers.: PERL 37). Cf. retr. 1,9,4: «Weil nun in diesen und ähnlichen Äußerungen von mir die Gnade Gottes nicht erwähnt wird, um die es auch damals noch gar nicht ging, glauben die Pelagianer oder könnten zumindest glauben, daß wir mit ihnen einer Meinung sind. Aber das glauben sie vergebens» (Übers.: PERL 43).
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mehr, sondern eine Belohnung für sein Tun11. Allerdings verwirft der Bischof von Hippo Regius auch in seinen späten, antipelagianischen Schriften, denen die angedeutete Gnaden- und Prädestinationslehre zugrunde liegt, den freien Willen des Menschen nicht in Gänze12. Was also versteht Augustin unter dem freien Willen, und in welchem Verhältnis steht dieser zur Gnade Gottes? An seiner im Jahre 386 gewonnenen Position, das Böse resultiere weder aus Gott noch aus einem gegengöttlichen bösen Prinzip, sondern aus dem freien Willen des Menschen, hat Augustin auch in seinen Schriften festgehalten, die er nach der Ausarbeitung seiner Gnadenlehre verfasst hat. In dieser Position dokumentiert sich sein, durch die «Platonicorum libri»13 vermittelter, neuer Gottesgedanke, der die theologisch-philosophische Grundlage der neu errungenen Position bildet. Gott ist ein unwandelbares und unveränderliches geistiges Sein, das ‹summum bonum›14. Er wirkt als alles bestimmende Macht alles, und zwar allein15. Dieser Gottesbegriff bildet auch die Voraussetzung seiner Gnadenlehre sowie ihrer Zuordnung zum Willen des Menschen. Auch in seinen antipelagianischen Schriften geht Augustin vom ‹liberum arbitrium› aus. So betont er in De gratia et libero arbitrio, einem Text, der in den 420er Jahren entstanden ist: «Denn man darf nicht meinen: Weil er sagte: ‹Gott ist es ja, der 11
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13 14 15
Cf. retr. 1,9,4: «Nur wenn dieses göttliche Gnadengeschenk, durch das der Wille befreit wird, ihm nicht zuvorkäme, könnte es seinen Verdiensten zugerechnet werden und wäre dann keine Gnade, die jedenfalls umsonst gegeben wird» (Übers.: PERL 43). Die Frage der Modifikation der Überzeugung des freien Willens vor dem Hintergrund der Ausarbeitung der Gnadenlehre wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Während J. BRACHTENDORF, Augustins ‹De libero arbitrio› und die Selbstrezeption in Augustins Spätwerk: Die Gnadenlehre als ‹salto mortale› der Vernunft? Natur, Freiheit und Gnade im Spannungsfeld von Augustinus und Kant (hrsg. von N. FISCHER), Freiburg/München 2012, 50–68, von zwei Stufen einer Selbstkorrektur ausgeht und erst für das späte Werk, wie es in den Retractationes sowie De praedestinatione sanctorum (429) vorliegt, den freien Willen aus dem Zustandekommen des Gottesverhältnisses ausschließt, geht V.H. DRECOLL, Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins, Tübingen 1999, davon aus, dass dies bereits für die Neufassung der Gnadenlehre nach 396 gilt. Einen Überblick über die Forschungslage zur Gnadenlehre Augustins bietet V.H. DRECOLL, Gnadenlehre: Augustin Handbuch, Tübingen 2007, 488– 497, besonders 489–491. Augustin, conf. 7,13; 8,3. Cf. nur conf. 7,6. Cf. conf. 7,18. Cf. hierzu auch DRECOLL, Entstehung (cf. n. 12) 244–246. Zum Gottesbegriff Augustins cf. auch den Überblick von J. KREUZER, Der Gottesbegriff und die fruitio dei (das Genießen Gottes): Augustin Handbuch (hrsg. von V.H. DRECOLL), Tübingen 2007, 428–434.
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nach seinem Wohlgefallen das Wollen und Vollbringen in euch bewirkt›, deshalb habe er den freien Willen aufgehoben. Unter solchen Umständen hätte er nicht vorher gesagt: ‹Wirket euer Heil mit Furcht und Zittern!› (Phil 2,12). Da nämlich befohlen wird, sie sollten wirken, wird ihr freier Wille angesprochen»16. Alleinwirksamkeit Gottes auf der einen Seite und freier Wille des Menschen auf der anderen. Wie konstruiert Augustin seine Gnadenlehre vor dem Hintergrund der beiden Pole? Zur Erörterung des Grundgedankens von Augustins Gnadenlehre können wir uns auf sein wohl bekanntestes Buch beziehen, die um 400 entstandenen Confessiones17. Die Bekenntnisse des Bischofs von Hippo Regius sind weniger eine Autobiographie – die sie zwar auch sind – als eine fulminante Darstellung seiner Gnadenlehre, deren Grundzüge er sich kurz zuvor in Auseinandersetzung mit dem Römerbrief des Paulus erarbeitet und in seiner Schrift Ad Simplicianum ausgeführt hatte. Im Fokus der Schilderungen des Buches steht die Bekehrung Augustins, die im achten Buch als Darstellung der Gnadenlehre in Szene gesetzt wird. Der leitende Gesichtspunkt der Ausführungen besteht in der Frage, wie der Beginn des Glaubens, das ‹initium fidei›, beim Menschen zu verstehen ist. Handelt es sich um einen Willen des Menschen zum Glauben, dem Gott dann mit seiner Gnade gleichsam entgegenkommt, oder verdankt sich bereits dieser Wille zum Glauben dem Wirken Gottes? Im ersten Falle wäre es der Mensch, der sich vermöge seines freien Willens zum Glauben entscheidet. Die Gnade Gottes ist dann jedoch lediglich eine Art Belohnung für den Schritt, den der Mensch auf Gott hin macht. Augustin lehnt diese Lösung ab, da sie den Gnadengedanken aufhebt und Gottes Gnade vom Handeln des Menschen abhängig macht. Vielmehr «bewirkt der Geist der Gnade, daß wir den Glauben haben, damit wir durch den Glauben im Gebete die Fähigkeit zur Ausführung des Gebots erlangen»18. Der Anfang des Glaubens liegt somit nicht in der Macht des Menschen. Diesen Gedanken stellt Augustin seinen Lesern im achten Buch der Confessiones durch den Bericht von seiner Bekehrung eindrücklich dar. Seine Ausführungen erlauben es, seine Gnadenlehre zu strukturieren und deren Aufbauelemente knapp zu diskutieren. Das achte Buch setzt mit der Erkenntnis des wahren Gottes ein, dessen Aneignung durch die «Platonicorum libri» sowie die damit verbundene Abkehr 16 17
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Augustin, gr. et lib. arb. 21 (Übers.: KOPP 111). Zur Deutung der Confessiones cf. V.H. DRECOLL, Augustin, Confessiones/Bekenntnisse (um 400): Kanon der Theologie. 45 Schlüsseltexte im Portrait (hrsg. von C. DANZ), Darmstadt 32012, 43–52; P. FREDRIKSEN, Die Confessiones: Augustin Handbuch (hrsg. von V.H. DRECOLL), Tübingen 2007, 294–309. Gr. et lib. arb. 28 (Übers.: KOPP 123).
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vom Manichäismus im siebenten Buch berichtet wird19. «Deines ewigen Lebens war ich gewiß, wenn ich es auch nur ‹im Rätsel und wie durch einen Spiegel sah›. Aller Zweifel an der Unverderblichkeit deines Wesens und daß von ihm alles andere sein Wesen hat, war mir geschwunden, nicht deiner sicherer, sondern fester in dir gegründet zu sein wünschte ich»20. Die Erkenntnis Gottes als unveränderliches geistiges Sein bildet die erste Stufe der Gnadenlehre. Aus der Gotteserkenntnis folgt jedoch noch nicht die Gewissheit des Heils, jedenfalls ist diese nicht mit jener verbunden. Gleich im Anschluss an die eben zitierte Stelle heißt es: «Was aber mein zeitliches Leben anlangt, so war noch alles im Fluß, und mein Herz mußte noch gereinigt werden von dem alten Sauerteige»21. Das markiert die zweite Stufe in Augustins Ausführungen zu seiner Bekehrung. Die Erkenntnis des wahren Gottes beinhaltet noch nicht die Gabe der Gnade, die Aufhebung der «Härte des Herzens»22. Den damit verbundenen Zwiespalt im Willen, der daraus resultiert, dass der Wille des Menschen nicht ganz ist, führt der Bischof von Hippo als Widerstreit zwischen geistlichem und fleischlichem Willen aus23. Seine Auflösung, auf die die Erzählung hinführt, findet jener Widerstreit in der berühmten Gartenszene, in der Erfahrung der Bekehrung. Mit Tränen in den Augen, so schildert es Augustin, hörte er eine Stimme, die wie die eines Kindes klang: «Tolle, lege», «Nimm und lies, nimm und lies!»24. Die darauffolgende Lektüre einer zufällig ausgewählten Bibelstelle – es handelt sich um Rm 13,13sq. – führt zur Bekehrung, der abschließenden Stufe in der Darstellung der Gnadenlehre. «Denn nun hattest du mich zu dir bekehrt»25. Was Augustin im achten Buch beschreibt, ist der Gedanke, dass es der Mensch nicht in seiner Macht hat, was ihm in den Sinn kommt. Es ist ein göttliches Geschenk, welches aus äußeren und inneren Anregungen resultiert, die der Mensch in seinem Inneren findet und denen er sich nicht entziehen kann26.
19 20 21 22 23 24 25 26
Cf. hierzu C. DANZ, Wirken Gottes. Zur Geschichte eines theologischen Grundbegriffs, Neukirchen-Vluyn 2007, 42–53. Conf. 8,1 (Übers.: THIMME 315). Conf. 8,1 (Übers.: THIMME 315). Cf. hierzu DRECOLL, Gnadenlehre (cf. n. 12) 491. Gr. et lib. arb. 29 (Übers.: KOPP 123). Cf. conf. 8,10–12. Conf. 8,29 (Übers.: THIMME 361). Conf. 8,30 (Übers.: THIMME 365). Cf. spir. et litt. 60 (Übers.: KOPP 419.421). Cf. DRECOLL, Augustin, Confessiones/ Bekenntnisse (cf. n. 17) 49.
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«Wenn Gott also auf diese Weise mit der vernünftigen Seele verfährt, damit sie ihm Glauben schenkt – sie kann ja nicht irgend etwas Beliebiges aufgrund der freien Entscheidungskraft glauben ohne einen empfehlenden Rat oder Ruf, dem sie glauben kann –, so wirkt Gott wahrhaftig im Menschen auch gerade diesen Willen zu glauben, und in allem kommt sein Erbarmen zuvor» 27.
In seiner Gnadenlehre erläutert Augustin, wie bei dem Menschen diejenige Gewissheit zustande kommt, die den inneren Konflikt des Willens überwindet. Das geschieht nicht durch eine intentionale Handlung des Menschen, sondern durch ein inneres Wirken Gottes, welches dem Willen eine Richtung gibt, durch die er ganz wird. In diesem Sinne ist der Wille unfrei. Diejenige Gewissheit, welche die Grundlage für die Ausrichtung des Willens auf Gott als ‹summum bonum› ist, liegt nicht in seiner Macht. Mit der Verleihung der Gnade, also dem Hl. Geist, wird die durch die Sünde gestörte Ordnung wiederhergestellt, die Augustin im Rückgriff auf die stoisch-platonische Kosmologie versteht. 2. «liberum arbitrium esse plane divinum nomen», oder: Martin Luthers Verständnis der menschlichen Freiheit In seiner Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam, die der Wittenberger Reformator im Jahre 1525 führte, hat dieser den freien Willen des Menschen als ein Wort ohne Sache bezeichnet. «Jene dritte Meinung, die härteste, ist die Wyclifs und Luthers, dass das freie Willensvermögen ein leerer Name sei und alles, was geschehe, geschehe aus reiner Notwendigkeit»28. Dem Menschen folglich einen solchen Willen zuzusprechen, sei eine Blasphemie sondergleichen, da das «liberum arbitrium» ausschließlich ein «plane divinum nomen» ist. Die genannte Kritik – der freie Wille sei ein ‹leerer Name› – richtet sich ausdrücklich auch gegen Augustins Auffassung, «die meint, das freie Willensver-
27 28
Augustin, spir. et litt. 60 (Übers.: KOPP 421). Lt.-dt. StA 1,367; cf. WA 18,670. Dass der freie Wille ein Wort ohne Sache ist, hatte Luther bereits in seiner Assertio geltend gemacht. «Ich habe nämlich schlecht gesagt, dass das freie Willensvermögen vor der Gnade eine Sache allein dem Namen nach sei; vielmehr hätte ich einfach sagen müssen: ‹Das freie Willensvermögen ist ein Hirngespinst unter den Dingen oder ein [bloßer] Name ohne Inhalt›. Denn niemand hat es in seiner Hand, sich etwas Böses oder Gutes vorzunehmen, sondern alles (wie der in Konstanz verdammte Artikel Wyclifs recht lehrt) geschieht aus absoluter Notwendigkeit» (Lt.-dt. StA 1,203; cf. WA 7,146).
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Christian Danz
mögen sei zu nichts im Stande als zum Sündigen»29. Das deutet bei dem Reformator eine gegenüber dem nordafrikanischen Bischof veränderte Konzeption des Gnadengedankens an. Doch schauen wir genauer hin. Die These vom ‹servum arbitrium› sowie die Deutung des ‹liberum arbitrium› als eines leeren Namens stellen das Resultat von Luthers theologischer Entwicklung im zweiten Jahrzehnt des 16. Jh.s dar. Sie führte ihn zu einer Neudeutung der christlichen Religion, die ganz auf den individuellen Vollzug des Glaubens zugespitzt ist und in diesem ihr Zentrum hat. Im Unterschied zur mittelalterlichen Lehrtradition rückt bei dem Wittenberger Theologen der Glaubensbegriff in eine Zentralstellung ein30. Mit dem Glauben – und ihm allein – verknüpft er die christliche Freiheit. «Das ist die christliche Freiheit, der einzige Glaube, der da macht, nicht daß wir müßig gehen oder übel tun möchten, sondern daß wir keines Werkes zur Frommheit und um Seligkeit zu erlangen bedürfen»31. Luthers Insistieren auf einem unfreien Willen stellt einen Bestandteil dieses Glaubensbegriffs dar. Das heißt aber auch, der Reformator entwickelt und diskutiert sein Verständnis der christlichen Freiheit sowie der damit zusammenhängenden Gegenstände ausschließlich in einer religiösen Dimension und gerade nicht in einer metaphysischen oder kosmologischen. Das gilt übrigens auch für De servo arbitrio, wo ausdrücklich als Gegenstand des Disputs das «Wort Gottes» benannt wird, und eben nicht der freie Wille32. In seinem 1520 veröffentlichten Tractatus de libertate christiana hat Luther seinen religiösen Freiheitsbegriff wohl am eindrücklichsten zusammengefasst. Gegenüber der Römerbriefvorlesung von 1515/1516, in der Augustins antipelagianische Schrift De spiritu et littera einen wichtigen Bezugspunkt darstellt, weist der fünf Jahre später verfasste Freiheitstraktat signifikante Veränderungen auf. Ich nenne kurz die beiden wichtigsten. In seiner Erläuterung von Rm 7 – Luther folgt hier durchweg dem Bischof von Hippo – diskutiert er das Verhältnis von geistlichem und fleischlichem Menschen. Zunächst: Mit Augustin 29
30 31 32
Lt.-dt. StA 1,367; cf. WA 18,670. Luther fährt an der angegebenen Stelle fort: «Dies aber ist die Meinung des Augustinus, an vielen anderen Stellen auch, aber besonders im Buch über den Geist und den Buchstaben dargelegt, wenn ich mich nicht täusche im 4. oder 5. Kapitel, wo er eben diese Worte benutzt». Cf. hierzu B. HAMM, Der frühe Luther. Etappen reformatorischer Neuorientierung, Tübingen 2010, 65–89. Von der Freiheit eines Christenmenschen, AS 1,244; cf. WA 7,25. Lt.-dt. StA 1,279; cf. WA 18,630. Cf. auch M. EICHHORN, Der Streit Luthers mit Erasmus über die Willensfreiheit: Die Gnadenlehre als ‹salto mortale› der Vernunft? Natur, Freiheit und Gnade im Spannungsfeld von Augustinus und Kant (hrsg. von N. FISCHER), Freiburg/München 2012, 167–190, besonders 177.
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bezieht der Reformator die von Paulus traktierte Unterscheidung auf den geistlichen Menschen. Der geistliche Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass er «weiß, daß er fleischlich ist, und er mißfällt sich, er haßt sich selber und preist das Gesetz Gottes, daß es geistlich ist». Im Unterscheid dazu weiß sich der fleischliche als geistlichen Menschen und «gefällt sich selber, er liebt seine Seele in dieser Welt»33. In dem gesamten Duktus der Auslegung von Rm 7 in der Vorlesung wird der fleischliche und äußere Mensch gegenüber dem inneren abgewertet34. Sodann: In Luthers Erläuterung der Wechselwirkung von Geist und Fleisch, innerem und äußerem Menschen, spielt der Glaubensbegriff noch keine systematisch zentrale Rolle. Die Ausführungen stehen ganz im Horizont der Bußlehre. Die Spitze des Gnadenhandelns Gottes markiert hier noch ganz auf der Linie von Augustin die durch den Hl. Geist verliehene Liebe35. Das ändert sich mit der Hebräerbriefvorlesung von 1517/1518. In ihr hat sich Luther die abschließende Erkenntnis erarbeitet, die den gesamten Gehalt der christlichen Religion im Glaubensbegriff zusammenfasst, so dass die Liebe, wie noch in der Römerbriefvorlesung, als Schlussstein des Glaubens zurücktritt und als Folge von diesem im Hinblick auf die Realisierung des Glaubens durch den äußeren Menschen verstanden wird. Vor dem Hintergrund dieser neuen Gesamtauffassung skizziert der Tractatus von 1520 den Glauben als christliche Freiheit. Für den Glaubensbegriff des Reformators ist die strikte Unterscheidung von Glaube und Werk konstitutiv. Das Gottesverhältnis des Glaubens bezieht sich auf den inneren Menschen, die Seele, im Unterschied zum äußeren Menschen. Zustande kommt der Glaube durch das Wort Gottes und nicht durch Handlungen des äußeren Menschen. Nichts Äußeres macht den inneren Menschen frei oder unfrei. Die christliche Freiheit, der Glaube, ist ausschließlich an das Wort Gottes gebunden. Die Seele hat «keyn ander dinck / widder yn hymel noch auff erden / darynnen sie lebe / frum / frey / vnd Christen sey / den das heylig Eva(n)gelij / das wort gottis von Christo geprediget»36. Das Wort Gottes von Christus normiert das, was wahres Heil heißen kann. Dementsprechend ist das Christusbild selbst schon als Bild des Glaubens von sich
33 34 35 36
M. Luther, Vorlesung über den Römerbrief 1515/1516. Lateinisch-deutsche Ausgabe (hrsg. von M. HOFMANN) 1–2, Darmstadt 1960, 2,25 (zu Rm 7,14). Cf. hierzu auch M.T. DIETZ, De libertate et servitute spiritus. Pneumatologie in Luthers Freiheitstraktat, Göttingen 2015, 32–41. Cf. nur Luther, Römerbrief (cf. n. 33) 2,19. Cf. hierzu auch BARTH (cf. n. 6) 140. Von der Freiheit eines Christenmenschen, WA 7,22.
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selbst in der Antinomie von Gesetz und Evangelium konstruiert37. Die Aneignung des Heils, also der Glaube, besteht im Einbilden Christi ins Herz des Menschen38. Glaube ist ‹fides apprehensiva Christi› und nicht das Für-wahrHalten von historischen Heilstatsachen. Die Aneignungsstruktur, die der Glaube ist, baut sich durch die Antinomie von Gesetz und Evangelium auf. Nur derjenige, der sich als Sünder vor Gott erkennt, vertraut auf die göttliche Verheißung der Sündenvergebung. Der auf diese Weise beim Einzelnen entstehende Glaube besteht in der inneren Einheit von Seele und Christus, so dass der innere Mensch an Christus nicht nur teilnimmt, sondern «ganz und gar aufgesogen wird»39. Allein darin besteht die Freiheit des Glaubens, in der Freiheit von Sünde und Gesetz. Der Glaube als wahre christliche Freiheit ist einerseits ein Vollzug des Menschen, und andererseits kann dieser Vollzug nicht von ihm hergestellt werden. In dieser gegenläufigen Struktur des Aneignungsakts hat die These von der Unfreiheit des menschlichen Willens ihren systematischen Ort. Die Nichtherstellbarkeit des Heils des Glaubens durch den Menschen ist die Bedingung für die wahre Religion40. Der Glaube steht gleichsam für eine reflexiv gewordene Religion. Zu ihm gehört das Wissen des Menschen darum, dass das Heil des Glaubens nicht von ihm in einem intentionalen Akt hervorgebracht werden kann. Dieses Wissen ist, in seiner Auseinandersetzung mit Erasmus hebt es Luther ausdrücklich hervor, für den Christen geradezu notwendig41. Es betrifft die Struktur derjenigen Aneignung, die der Glaube als wahre Religion ist. Der systematische Gehalt der These von dem unfreien Willen besteht somit in der Nichtherstellbarkeit des Heils des Glaubens durch den Menschen. In diesem Sinne stellt das ‹servum arbitrium› einen Bestandteil in der Struktur der Heilsaneignung dar. 37
38 39 40
41
Cf. C. DANZ, Einführung in die Theologie Martin Luthers, Darmstadt 2013, 77–87; J. WOLFF, Luthers Arbeit an christologischen Metaphern: Martin Luther. Neue Wege der Forschung (hrsg. von C. DANZ), Darmstadt 2015, 170–192. Cf. Sermon von der Bereitung zum Sterben, WA 2,685–697. Abhandlung über die christliche Freiheit, Lt.-dt. StA 2,131. Von Luther prägnant in seiner Auslegung des dritten Artikels des Glaubensbekenntnisses im ‹Kleinen Katechismus› formuliert. Cf. M. Luther, Kleiner Katechismus: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 91982, 501–542, hier 511sq.: «Ich gläube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christ, meinen Herrn, gläuben oder zu ihm kommen kann, sondern der heilige Geist hat mich durchs Evangelion berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiliget und erhalten». Cf. Lt.-dt. StA 1,257.259; WA 18,619.
Der unfreie Wille
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Allerdings, und das kann hier nur noch kurz angedeutet werden, markiert die soteriologische Deutung des Glaubens als wahre Freiheit des Menschen lediglich einen – wenn auch den zentralen – Aspekt in Luthers Deutung. Die von ihm ins Zentrum der Religion gerückte Aneignung des Heils setzt nämlich noch fraglos einen metaphysischen und kosmologischen Hintergrund voraus, der den religiösen Gedanken überlagert. Dass Gott «alles in allem» mit einer unverbrüchlichen Notwendigkeit wirkt42, dass die Schöpfung ein göttliches Werk ist und kein Blatt ohne das göttliche Wirken vom Baum fällt, stellen Sachverhalte dar, die Luther auch außerhalb des Glaubens als erkennbar voraussetzt. 3. «Unsere Theologie und S. Augustin», oder: Gott und die menschliche Freiheit Auf die Herausbildung von Luthers reformatorischer Theologie hat Augustin – das wird man nicht gut bestreiten können – einen wichtigen Einfluss gehabt, wie nicht nur das eingangs erwähnte Schreiben des Reformators an seinen Ordensbruder Johannes Lang vom Mai 1517 unterstreicht. Aber meinen beide dasselbe, wenn sie vom freien oder unfreien Willen im Gottesverhältnis sprechen? Es sollte deutlich geworden sein, dass diese Frage weder rundweg mit einem Ja noch mit einem Nein zu beantworten ist. Ich möchte abschließend noch einmal kurz die wichtigsten Aspekte zusammenstellen. Zunächst ist für beider Gnadenlehren der Gottesbegriff schlechterdings grundlegend. Augustin versteht Gott als unveränderliches geistiges Sein, dessen Erkenntnis der Erfahrung der Gnade vorausgesetzt ist. Luther versteht hingegen Gott signifikant anders. Zwar betont bereits Augustin das Willensmoment im Gottesgedanken, es ist aber an die Vorgaben der platonischen Ontologie, also die Ideen gebunden. Der spätmittelalterliche Nominalismus, in dessen Horizont Luther steht, hat die Verzahnung von Gottesgedanken und Ideenlehre aufgelöst. Luthers Gott ist – auch wenn der Fokus auf der Soteriologie liegt – an keine Vorgaben gebunden. Was Gott will, so lesen wir in De servo arbitrio, ist gut, und zwar ausschließlich aus dem Grund, weil Gott es so will43. 42 43
Lt.-dt. StA 1,253; cf. WA 18,615sq. Lt.-dt. StA 1,473 (cf. WA 18,712): «Gott ist der, dessen Wille keine Ursache noch Grund hat, die ihm als Richtschnur und Maß vorgeschrieben würden. Ihm ist nichts gleich oder überlegen; vielmehr ist er eben die Richtschnur für alles. Wenn es nämlich für ihn irgendeine Richtschnur oder Maß gäbe oder eine Ursache oder
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Die unterschiedlichen Fassungen des Gottesgedankens schlagen sich in der Konstruktion der Gnadenlehre nieder. Zunächst: Zwar geht auch Luther von einem metaphysischen Sein Gottes aus, aber dieses tritt hinter den soteriologischen Gedanken, dass Gott für ‹mich› Gott sein muss, zurück44. Das heißt aber auch, unabhängig von der Aneignung des Heils durch den Einzelnen gibt es keine wahre Gotteserkenntnis. Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis sind strikt parallel konzipiert. Sodann: Der Vollzug des Glaubens, also die Selbsterkenntnis des Menschen als Sünder, in der er allein mit dem Urteil Gottes über ihn übereinstimmt und darin gerechtfertigt ist, ist bereits das Ganze des Heils im Gottesverhältnis. Alles andere, die Liebe, die Sakramente oder die Kirche, treten hinter diesen Gedanken zurück. So betonen zwar sowohl Augustin als auch Luther, dass die Gnade Gottes den Anfang des Glaubens darstellt, der somit vom Menschen selbst nicht hergestellt werden kann, aber dieses Moment wird in einem deutlich divergierenden übergreifenden Horizont konzeptionalisiert, der dann auch zu sehr verschiedenen Konsequenzen führt. Literatur Aurelius Augustinus, Der Geist und der Buchstabe. Übertragen von S. KOPP: Aurelius Augustinus, Schriften gegen die Pelagianer 1 (Sankt Augustinus. Der Lehrer der Gnade 1), Würzburg 1971, 303–435. Aurelius Augustinus, Die Retractationen in zwei Büchern. Retractationum libri duo. In deutscher Sprache von C.J. PERL, München 1976. Aurelius Augustinus, Gnade und freier Wille. Übertragen von S. KOPP: Aurelius Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer (Sankt Augustinus. Der Lehrer der Gnade 7), Würzburg ²1987, 76–159. Aurelius Augustinus, Confessiones/Bekenntnisse. Lateinisch-Deutsch. Übersetzt von W. THIMME. Mit einer Einführung von N. FISCHER (Tusculum), Düsseldorf/Zürich 2004.
44
einen Grund, so könnte es nicht mehr der Wille Gottes sein. Denn nicht daher, weil er wollen muss oder musste, ist richtig, was er will. Sondern im Gegenteil: Weil er so will, daher muss richtig sein, was geschieht». Cf. hierzu E. HIRSCH, Luthers Gottesanschauung: Lutherstudien 3 (hrsg. von H.M. MÜLLER), Waltrop 1999, 24–50, besonders 45sq. Cf. Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi (WA 2,137): «Was hilfft dichs / dz gott / gott ist / wan er dier nit eyn gott ist?».
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U. BARTH, Die Entdeckung der Subjektivität des Glaubens. Luthers Buß-, Schrift- und Gnadenverständnis: Martin Luther. Neue Wege der Forschung (hrsg. von C. DANZ), Darmstadt 2015, 129–153. A. BEUTEL, Luther: Augustin Handbuch (hrsg. von V.H. DRECOLL), Tübingen 2007, 615–622. P. BOURDIEU, Das kulturell Unbewußte: Kulturphilosophie (hrsg. von R. KONERSMANN), Leipzig 32004, 243–252. J. BRACHTENDORF, Augustins ‹De libero arbitrio› und die Selbstrezeption in Augustins Spätwerk: Die Gnadenlehre als ‹salto mortale› der Vernunft? Natur, Freiheit und Gnade im Spannungsfeld von Augustinus und Kant (hrsg. von N. FISCHER), Freiburg i.Br./ München 2012, 50–68. C. DANZ, Wirken Gottes. Zur Geschichte eines theologischen Grundbegriffs, Neukirchen-Vluyn 2007, 42–53. Id., Einführung in die Theologie Martin Luthers, Darmstadt 2013, 77–87. Id., Augustin und Martin Luther über die Gnade Gottes. Ähnlichkeiten und Differenzen: Lutero, la Riforma, Sant’Agostino, l’Ordine Agostinano (a cura di ORDO SANCTI AUGUSTINI), Lugano 2018, 101–114. H.-U. DELIUS, Augustin als Quelle Luthers. Eine Materialsammlung, Berlin (Ost) 1984. M.T. DIETZ, De libertate et servitute spiritus. Pneumatologie in Luthers Freiheitstraktat, Göttingen 2015. V.H. DRECOLL, Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins, Tübingen 1999. Id., Gnadenlehre: Augustin Handbuch, Tübingen 2007, 488–497. Id., Augustin, Confessiones/Bekenntnisse (um 400): Kanon der Theologie. 45 Schlüsseltexte im Portrait (hrsg. von C. DANZ), Darmstadt 32012, 43–52. M. EICHHORN, Der Streit Luthers mit Erasmus über die Willensfreiheit: Die Gnadenlehre als ‹salto mortale› der Vernunft? Natur, Freiheit und Gnade im Spannungsfeld von Augustinus und Kant (hrsg. von N. FISCHER), Freiburg/München 2012, 167–190. P. FREDRIKSEN, Die Confessiones: Augustin Handbuch (hrsg. von V.H. DRECOLL), Tübingen 2007, 294–309. B. HAMM, Der frühe Luther. Etappen reformatorischer Neuorientierung, Tübingen 2010. E. HIRSCH, Luthers Gottesanschauung: Lutherstudien 3 (hrsg. v. H.M. MÜLLER), Waltrop 1999, 24–50. J. KREUZER, Der Gottesbegriff und die fruitio dei (das Genießen Gottes): Augustin Handbuch (hrsg. von V.H. DRECOLL), Tübingen 2007, 428–434. V. LEPPIN, Kirchenväter: Luther Handbuch (hrsg. von A. BEUTEL), Tübingen 2005, 45–49. Id., Martin Luther, Darmstadt 2006. B. LOHSE, Die Bedeutung Augustins für den jungen Luther: Evangelium in der Geschichte. Studien zu Luther und der Reformation, Göttingen 1988, 11–30. M. Luther, D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883–2009.
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Christian Danz
Abteilung Schriften/Werke 1–80 = WA. Abteilung Tischreden 1–6 = WAT. Abteilung Briefwechsel 1–18 = WAB. Id., Werke in Auswahl 1–8 (hrsg. von O. CLEMEN), Bonn 1912–1933 = BoA. Id., Vorlesung über den Römerbrief 1515/1516. Lateinisch-deutsche Ausgabe (hrsg. von M. HOFMANN) 1–2, Darmstadt 1960. Id., Kleiner Katechismus: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 91982, 501–542. Id., Ausgewählte Schriften 1–6 (hrsg. von K. BORNKAMM/G. EBELING), Frankfurt a.M. 21983 = AS. Id., Lateinisch-deutsche Studienausgabe 1–3 (hrsg. v. W. HÄRLE/J. SCHILLING/G. WARTENBERG), Leipzig 2006–2009 = Lt.-dt. StA. J. WOLFF, Luthers Arbeit an christologischen Metaphern: Martin Luther. Neue Wege der Forschung (hrsg. von C. DANZ), Darmstadt 2015, 170–192.
Abkürzungsverzeichnisse In den folgenden Verzeichnissen werden die in diesem Sammelband verwendeten, den Konventionen des Augustinus-Lexikons (Basel 1986sqq.) entsprechenden Abkürzungen der Werke Augustins und der Bibel aufgelöst. – Alle darüber hinaus verwendeten Abkürzungen von antiken Autoren und Werken richten sich im Allgemeinen nach den Festlegungen folgender Standardwerke: Für lateinische Texte: D. KRÖMER/C.G. VAN LEIJENHORST, Thesaurus linguae latinae. Index librorum, scriptorum, inscriptionum, ex quibus exempla afferuntur, Lipsiae 21990 (inkl. Addenda); für pagane griechische Texte: H.G. LIDDELL/ R. SCOTT/H.S. JONES/R. MCKENZIE, A Greek-English Lexicon. With a Revised Supplement, Oxford 1996; für christliche griechische Texte: G.W.H. LAMPE, A Patristic Greek Lexicon, Oxford 1961. – Abkürzungen für Periodika, Reihen, Editionen, Lexika etc. wurden nach Möglichkeit vermieden bzw. in den einzelnen Beiträgen des Bandes aufgelöst.
Augustins Werke und kritische Editionen Abk.
Titel
Edition
Acad. c. Adim.
De Academicis libri tres Contra Adimantum Manichei discipulum liber unus Admonitio Donatistarum de Maximianistis liber unus (deperditus) Adnotationes in Iob liber unus Contra aduersarium legis et prophetarum libri duo De adulterinis coniugiis libri duo De agone christiano liber unus De anima et eius origine libri quattuor De animae quantitate liber unus De arithmetica (deperditus) De baptismo libri septem De beata uita liber unus De bono coniugali liber unus De bono uiduitatis Breuiculus conlationis cum Donatistis libri tres De cathecizandis rudibus liber unus Ad catholicos fratres liber unus Contra quod attulit Centurius a Donatistis liber unus (deperditus)
FUHRER/ADAM 3–84 CSEL 25,1,115–190 [a]
adm. adn. Iob c. adu. leg. adult. coniug. agon. an. et or. an. quant. arithm. bapt. beata u. b. coniug. b. uid. breuic. cat. rud. cath. fr. c. Cent.
CSEL 28,2,509–628 CCL 49,35–131 CSEL 41,347–410 CSEL 41,101–138 CSEL 60,303–419 CSEL 89,131–231 CSEL 51,145–375 FUHRER/ADAM 87–113 CSEL 41,187–231 CSEL 41,305–343 CSEL 104,269–307 CCL 46,121–178 CSEL 52,231–322
Abkürzungsverzeichnisse
104 Abk.
Titel
Edition
ciu.
CCL 47,1–314; 48,321–866
en. Ps.
De ciuitate dei libri uiginti duo ‹breuiculus› = ciu. breu. Confessionum libri tredecim Conlatio cum Maximino Arrianorum episcopo De consensu euangelistarum libri quattuor De continentia liber unus De correctione Donatistarum liber unus (= ep. 185) De correptione et gratia liber unus Ad Cresconium grammaticum partis Donati libri quattuor De cura pro mortuis gerenda ad Paulinum episcopum liber unus De dialectica De disciplina christiana De diuersis quaestionibus octoginta tribus liber unus De diuinatione daemonum liber unus De doctrina christiana libri quattuor Contra Donatistas liber unus De duabus animabus liber unus De octo Dulcitii quaestionibus liber unus Gesta cum Emerito Donatistarum episcopo liber unus Ad Emeritum episcopum Donatistarum post conlationem liber unus (deperditus) Enarrationes in Psalmos
ench.
1 – 32 (expositiones) 18 – 32 (sermones) 51 – 60 101 – 109 110 – 118 119 – 133 134 – 140 141 – 150 De fide spe et caritate liber unus
conf. conl. Max. cons. eu. cont. correct. corrept. Cresc. cura mort. dial. disc. chr. diu. qu. diuin. daem. doctr. chr. c. Don. duab. an. Dulc. qu. Emer. Emer. Don.
CCL 27,1–273 CCL 87A,383–470 CSEL 43,1–62.81–418 CSEL 41,141–183 CSEL 57,1–44 CSEL 92,219–280 CSEL 52,325–582 CSEL 41,621–660 PINBORG 83–120 CCL 46,207–224 CCL 44A,11–249 CSEL 41,599–618 SIMONETTI 6–362 CSEL 104,325–374 CSEL 25,1,51–80 CCL 44A,253–297 CSEL 53,181–196
CCL 38,1–616; 39,623–1417; 40,1425–2196 CSEL 93,1A,67–409 CSEL 93,1B,33–313 CSEL 94,1,51–423 CSEL 95,1,25–348 CSEL 95,2,13–210 CSEL 95,3,37–340 CSEL 95,4,23–228 CSEL 95,5,25–304 CCL 46,49–114
Abkürzungsverzeichnisse
105
Abk.
Titel
Edition
ep.
Epistulae
CSEL 34,1,1–125; 34,2,1–746; 44,1–736; 57,1–656; 58,XCIII; 88,3–138
c. ep. Don.
Contra epistulam Donati heretici liber unus (deperditus) ep. Io. tr. In epistulam Iohannis ad Parthos tractatus decem c. ep. Man. Contra epistulam Manichaei quam uocant fundamenti liber unus c. ep. Parm. Contra epistulam Parmeniani libri tres c. ep. Pel. Contra duas epistulas Pelagianorum libri quattuor ep. Rm. inch. Epistulae ad Romanos inchoata expositio liber unus exc. urb. De excidio urbis Romae exp. Gal. Expositio epistulae ad Galatas liber unus exp. Iac. Expositio epistulae Iacobi ad duodecim tribus (deperdita) exp. prop. Rm. Expositio quarundam propositionum ex epistula apostoli ad Romanos c. Faust. Contra Faustum Manicheum libri triginta tres c. Fel. Contra Felicem Manicheum libri duo f. et op. De fide et operibus liber unus f. et symb. De fide et symbolo liber unus f. inuis. De fide rerum inuisibilium c. Fort. Acta contra Fortunatum Manicheum liber unus c. Gaud. Contra Gaudentium Donatistarum episcopum libri duo geom. De geometrica (deperditus) gest. Pel. De gestis Pelagii liber unus Gn. litt. De Genesi ad litteram libri duodecim Gn. litt. inp. De Genesi ad litteram liber unus inperfectus Gn. adu. Man. De Genesi aduersus Manicheos libri duo gramm. ars De grammatica: Ars ... pro fratrum mediocritate breuiata gramm. reg. De grammatica: Regulae gr. et lib. arb. De gratia et libero arbitrio liber unus
PL 35,1977–2062 CSEL 25,1,193–248 [b] CSEL 51,19–141 CSEL 60,423–570 CSEL 84,145–181 CCL 46,249–262 CSEL 84,55–141
CSEL 84,3–52 [c] CSEL 25,1,251–797 CSEL 25,2,801–852 CSEL 41,35–97 CSEL 41,3–32 CCL 46,1–19 CSEL 25,1,83–112 CSEL 53,201–274
CSEL 42,51–122 CSEL 28,1,3–435 [b] CSEL 28,1,459–503 [b] CSEL 91,67–172 BONNET 1–49 MARTORELLI 5–145 PL 44,881–912
Abkürzungsverzeichnisse
106 Abk.
Titel
Edition
gr. et pecc. or. De gratia Christi et de peccato originali libri duo gr. t. nou. De gratia testamenti noui ad Honoratum liber unus (= ep. 140) haer. De haeresibus ad Quoduultdeum liber unus c. Hil. Contra Hilarum liber unus (deperditus) imm. an. De immortalitate animae liber unus inq. Ian. Ad inquisitiones Ianuarii libri duo (= ep. 54.55) Io. eu. tr. In Iohannis euangelium tractatus CXXIV adu. Iud. Aduersus Iudaeos c. Iul. Contra Iulianum libri sex c. Iul. imp. Contra Iulianum opus imperfectum
CSEL 42,125–206
lib. arb. c. litt. Pet. loc. mag. Max.
CSEL 74,3–154 [c] CSEL 52,3–227 CCL 33,381–465 CCL 29,157–203
c. Max. mend. c. mend. mor. mus. nat. b. nat. et gr. c. n. Don. nupt. et conc. op. mon. ord. orig. an. pat. c. p. Don.
De libero arbitrio libri tres Contra litteras Petiliani libri tres Locutionum libri septem De magistro liber unus De Maximianistis contra Donatistas liber unus (deperditus) Contra Maximinum Arrianum De mendacio liber unus Contra mendacium liber unus De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manicheorum libri duo De musica libri sex De natura boni liber unus De natura et gratia liber unus. Contra nescio quem Donatistam liber unus (deperditus) De nuptiis et concupiscentia ad Valerium libri duo De opere monachorum liber unus De ordine libri duo De origine animae (= ep. 166) De patientia liber unus Contra partem Donati libri duo (deperditi)
CSEL 44,155–234 CCL 46,286–345 CSEL 89,101–128 CSEL 34,2,158–168.169–213 CCL 36,1–688 PL 42,51–64 PL 44,641–874 CSEL 85,1,3–506; 85,2,3–464
CCL 87A,491–691 CSEL 41,413–466 CSEL 41,469–528 CSEL 90,3–156 CSEL 102,69–233 CSEL 25,2,855–889 CSEL 60,233–299
CSEL 42,211–319 CSEL 41,531–596 FUHRER/ADAM 117–183 CSEL 44,545–585 CSEL 41,663–691
Abkürzungsverzeichnisse Abk.
Titel
Edition
pecc. mer.
De peccatorum meritis et remissione et de baptismo paruulorum ad Marcellinum libri tres De perfectione iustitiae hominis liber unus De dono perseuerantiae liber ad Prosperum et Hilarium secundus De philosophia (deperditus) De praedestinatione sanctorum liber ad Prosperum et Hilarium primus De praesentia dei ad Dardanum liber unus (= ep. 187) Contra Priscillianistas liber unus Probationum et testimoniorum contra Donatistas liber unus (deperditus) De prouidentia dei (= s. Dolbeau 29) Psalmus contra partem Donati De pulchro et apto (deperditus) Quaestionum (in heptateuchum) libri septem Quaestiones euangeliorum libri duo Quaestiones XVI in Matthaeum Quaestiones expositae contra paganos numero sex (= ep. 102) De octo quaestionibus ex ueteri testamento Regula: Obiurgatio (= ep. 211,1–4) Regula: Ordo monasterii Regula: Praeceptum Retractationum libri duo De rethorica Contra Secundinum Manicheum liber unus De sententia Iacobi (= ep. 167) Sermones
CSEL 60,3–151
perf. iust. perseu. phil. praed. sanct. praes. dei c. Prisc. prob. et test. prou. dei ps. c. Don. pulch. qu. qu. eu. qu. Mt. qu. c. pag. qu. uet. t. reg. 1 reg. 2 reg. 3 retr. rhet. c. Sec. sent. Iac. s.
1 – 50 51 – 70A 151 – 156 157 – 183
107
CSEL 42,3–48 PL 45,993–1034
PL 44,959–992 CSEL 57,81–119 CCL 49,165–178.180
DOLBEAU, Préd. (233)–(240) ANASTASI 44–70 CCL 33,1–377 CCL 44B,1–118 CCL 44B,119–140 CSEL 34,2,544–578 CCL 33,469–472 VERHEIJEN 105–107 VERHEIJEN 148–152 VERHEIJEN 417–437 CCL 57,(1–)5–143 [d] GIOMINI 35–76 CSEL 25,2,905–947 CSEL 44,586–609 PL 38,23–1484; 39,1493–1638. 1650–1652.1655–1657.1657– 1659.1663–1669.1671–1684. 1695–1697.1701–1706.1710– 1715.1716–1718.1719–1736 CCL 41,3–633 CCL 41Aa,9–483 CCL 41Ba,13–161 CCL 41Bb,9–733
Abkürzungsverzeichnisse
108 Abk.
Titel
Edition
s. Caillau
Sermones ab A.B. Caillau et B. Saint-Yves editi Sermones in bibliotheca Casinensi editi Sermones a M. Denis editi Sermones a F. Dolbeau editi
MA 1,243–274
s. Casin. s. Denis s. Dolbeau
MA 1,401–419 MA 1,11–164 DOLBEAU, Vingt-six 23–615; REAug 35 (1989) 432; DOLBEAU, Préd. (174)–(182). (193).(233)–(240).(257)–(267). (292)–(298) s. Erfurt Sermones Erfordienses Bibliothecae WSt 121 (2008) 260–264. Amplonianae ab I. Schiller (4.5), 271–274.283–284; 122 (2009) D. Weber (2.6), C. Weidmann (1.3) editi 184–188.195–200.207–213 s. Etaix Sermones a R. Etaix editi CCL 41Aa,391–401; RB 86 (1976) 41–48; 98 (1988) 12; REAug 26 (1980) 70–72; 28 (1982) 253–254 s. Frangip. Sermones ab O.F. Frangipane editi MA 1,169–237 s. Fransen Sermo ab I. Fransen editus RB 84 (1974) 252 s. frg. Sermonum fragmenta REAug 41 (1995) 22–23; CSEL 9,1,899–903 s. frg. Lambot Sermonum fragmenta a C. Lambot edita RB 79 (1969) 208–214 s. frg. Verbr. Sermonum fragmenta a P.-P. Verbraken RB 84 (1974) 251–267; CCL edita 41Bb,189–190.371–372 s. Guelf. Sermones Moriniani ex collectione MA 1,441–585; RB 87 (1977) Guelferbytana 223–225 s. Haffner Sermo a F. Haffner editus Aug 52 (2012) 271–278 s. Jensen Sermones a B.M. Jensen editi (= s. Weidm. 5.17.18) s. Lambot Sermones a C. Lambot editi PLS 2,744–834.839–840; RB 51 (1939) 21 n. 21–23; 59 (1949) 78–80; 66 (1956) 156– 158; REAug 24 (1978) 89–91; CCL 41,269–274 s. Liver. Sermo a F. Liverani editus MA 1,391–395 s. Mai Sermones ab A. Mai editi MA 1,285–386; CCL 41Aa, 365–368.336–339.253–257. 480–483
Abkürzungsverzeichnisse Abk.
Titel
s. Mogunt. s. Morin
Sermones Moguntini a F. Dolbeau editi (= s. Dolbeau) Sermones a G. Morin editi
s. Partoens
Sermones a G. Partoens editi
s. Placent.
Sermones Placentini a C. Weidmann et B.M. Jensen editi (s. Weidm.) Sermo a S. Poque editus (= s. 59 auct.) Sermones ab I. Schiller editi (= s. Erfurt 4.5) Sermones a D. Weber editi (= s. Erfurt 2.6) Sermones a C. Weidmann editi 1–2 (= s. Erfurt 1.3) 3–15 16 (olim en. Ps. 25,2) 17–18 (= s. Jensen 2–3 = s. Placent. 2–3) Sermones ab A. Wilmart editi
s. Poque s. Schiller s. Weber s. Weidm.
s. Wilm.
c. s. Arrian. s. Caes. eccl. s. dom. m. Simpl. sol. spec. spir. et litt. symb. cat. trin. uera rel. uers. mens. uers. Nab.
109
Edition
MA 1,589–613.624–664; ETD 309 n. 2; CCL 41,341–345; 41Ba,175–180; 41Aa,320– 322.345–346.111–123; 41Bb,240–242 Aug(L) 60 (2010) 130–135; IPM 72 (2017) 314–315
CSEL 101,23–216 CSEL 93,1B,73–92 REAug 63 (2017) 257–265.267 MA 1,673–719; RB 44 (1932) 204–205; CCL 41Aa,282–288; 41Bb,634–643 Contra sermonem Arrianorum liber unus CCL 87A,183–256 Sermo ad Caesariensis ecclesiae plebem CSEL 53,167–178 De sermone domini in monte libri duo CCL 35,1–188 Ad Simplicianum libri duo CCL 44,7–91 Soliloquiorum libri duo CSEL 89,3–98 Speculum CSEL 12,3–285 De spiritu et littera ad Marcellinum liber unus CSEL 60,155–229 De symbolo ad catechumenos CCL 46,185–199 De trinitate libri quindecim CCL 50,(3–)25–380; 50A, ‹Breuiculus› (genuinus) = trin. breu. 381–535 De uera religione liber unus CCL 32,187–260 Versus in mensa PELLEGRINO 122 Versus de s. Nabore PLS 2,356–357
Abkürzungsverzeichnisse
110 Abk.
Titel
Edition
uid. deo
De uidendo deo liber unus (= ep. 147) De sancta uirginitate liber unus De unico baptismo contra Petilianum ad Constantinum liber unus De utilitate credendi liber unus De utilitate ieiunii
CSEL 44,274–331
uirg. un. bapt. util. cred. util. ieiun.
CSEL 41,235–302 CSEL 53,3–34 CSEL 25,1,3–48 CCL 46,231–241
Erstellt auf der Grundlage von K.H. CHELIUS, Verzeichnis der Werke Augustins, in: Augustinus-Lexikon 1 (1986–1994) XXVI–XLII, worauf für Abkürzung und Nachweis der Titel generell verwiesen sei. Die ausgewählten Ausgaben liegen als die derzeit maßgebenden kritischen Editionen sowohl dem AL wie dem CAG-online zugrunde. Ausgaben einzelner Briefe und Sermones werden hier nicht aufgeführt; Angaben dazu sowie Anmerkungen zu kritischen Ausgaben der augustinischen Werke insgesamt finden sich in: K.H. CHELIUS (†)/A.E.J. GROTE, Augustins Werke und kritische Editionen, in: AL 4 (2012–2018) XI–XXXIV. Die Anmerkungen [a] – [d] beziehen sich auf die im AL vorgenommene Zitierweise der betreffenden Werke (cf. ib. 4, VIII). Folgende Abkürzungen werden verwendet: AL
= Augustinus-Lexikon, hrsg. v. R. Dodaro/C. MAYER/C. MÜLLER u.a., Vol. 1sqq., Basel 1986sqq. ANASTASI = R. ANASTASI, Aurelii Augustini Psalmus contra partem Donati, Padova 1957 BONNET = G. BONNET, Abrégé de la grammaire de Saint Augustin, Paris 2013 CAG-online = Corpus Augustinianum Gissense, a C. MAYER editum (Version 3.0 – Online-Ressource: www.cag-online.net), Würzburg 2013 CCL = Corpus Christianorum. Series Latina, Turnhout CSEL = Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum, Wien DOLBEAU, Préd. = F. DOLBEAU, Augustin et la prédication en Afrique. Recherches sur divers sermons authentiques, apocryphes ou anonymes, Paris 2005 DOLBEAU, Vingt-six = F. DOLBEAU, Augustin d’Hippone, Vingt-six sermons au peuple d’Afrique, Paris 22009 ETD = G. MORIN, Études, textes, découvertes, vol. 1, Abbaye de Mared sous/Paris 1913 FUHRER/ADAM = T. FUHRER/S. ADAM, Aurelius Augustinus. Contra Academicos, De beata vita, De ordine, Berlin/Boston 2017 GIOMINI = R. GIOMINI, A. Augustinus, «De rhetorica», in: Studi latini e italiani 4 (1990) 7–82
Abkürzungsverzeichnisse IPM MA
MARTORELLI PELLEGRINO PINBORG PL PLS RB REAug RechAug SIMONETTI VERHEIJEN WSt
111
= Instrumenta patristica et mediaeualia. Research on the Inheritance of Early and Medieval Christianity, Turnhout = Miscellanea Agostiniana. Testi e studi pubblicati a cura dell’ordine eremitano di s. Agostino nel XV centenario dalla morte del santo dottore, 2 vols., Roma 1930–1931 = L. MARTORELLI, Ps. Aurelii Augustini regulae. Introduzione, testo critico, traduzione e commento, Hildesheim 2011 = M. PELLEGRINO, Possidio, Vita di S. Agostino, Alba 1955 = B. DARRELL JACKSON/J. PINBORG, Augustine, De Dialectica, Dordrecht/Boston, Mass. 1975 = Patrologiae cursus completus. Series latina, accurante J.-P. MIGNE, Paris = Patrologiae cursus completus. Series latina. Supplementum, accurante A. HAMMAN, Paris = Revue bénédictine de critique, d’histoire et de littérature religieuses = Revue d’études augustiniennes (et patristiques) = Recherches augustiniennes (et patristiques) = M. SIMONETTI, Sant’Agostino, L’istruzione cristiana, Milano 1994 = L. VERHEIJEN, La Règle de saint Augustin, vol. 1, Paris 1967 = Wiener Studien
[a] Gezählt wird nach PL, da in der CSEL-Ausgabe die Unterteilung einzelner Kapitel in Paragraphen fehlt. [b] Da in der CSEL-Ausgabe Paragraphenzählung fehlt, werden sowohl Kapitel- als auch Paragraphennummern nach PL angegeben (cf. AL 4, VIII). [c] Gezählt wird nach PL, die abweichend davon in der CSEL-Ausgabe eingeführte neue Zählung nicht übernommen (cf. AL 4, VIII). [d] Gezählt wird nach PL, die abweichend davon in der CCL-Ausgabe eingeführte neue Zählung wird nicht übernommen (cf. AL 4, VIII).
112
Abkürzungsverzeichnisse
Bücher der Bibel Gn Ex Lv Nm Dt Ios Idc Rt 1–4 Rg 1–2 Par 1–2 Esr Tb Idt Est Iob Ps Prv Ecl Ct Sap Ecli Is Ier Lam Bar Ez Dn Os Ioel Am Abd Ion Mi Na Hab So Agg Za Mal 1–2 Mcc
Genesis Exodus Leuiticus Numeri Deuteronomium Iosue Iudicum Ruth Regum Paralipomenon Esras Tobias Iudith Ester Iob Psalmi Prouerbia Ecclesiastes Canticum canticorum Sapientia Sirach (Ecclesiasticus) Isaias Ieremias Lamentationes Baruch Ezechiel Daniel Osee Iohel Amos Abdias Ionas Micha Naum Habacuc Sophonias Aggaeus Zacharias Malachias Macchabaeorum
Mt Mc Lc Io
Euangelium secundum Matthaeum Marcum Lucam Iohannem
Act
Actus apostolorum
Rm 1–2 Cor Gal Eph Phil Col 1–2 Th 1–2 Tm Tit Phlm Hbr
Epistulae Pauli ad Romanos Corinthios Galatas Ephesios Philippenses Colossenses Thessalonicenses Timotheum Titum Philemon Hebraeos
Iac 1–2 Pt 1–3 Io Iud Apc
Epistula Iacobi Epistulae Petri Epistulae Iohannis Epistula Iudae Apocalypsis
Stellenregister Hl. Schrift Psalmi 18(19),10 31(32),11 32(33),1 33(34),15 67(68),31sq. 68(69),17 76(77),6 110(111),10 127(128),1 Prouerbia 1,7 1,8 24,16 Ecclesiasticus 30,24 Isaias 42,3
75 43 43 43 38 5943 36 85 79 85 75 44 43 42
Euangelium secundum Matthaeum 4,17 36 10,28 81 19,21 33 Lucam 14,23
80.85
Iohannem 15,14sq.
76
Epistulae Pauli ad Romanos 60 7 96sq. 7,14 9733 8,15 75sq. 9,16 6258 13,13sq. 94 2 Corinthios 3,5
51.5321
Galatas 2,16
66
Philippenses 2,12 2,13 4,4
93 5321 43
Hebraeos 11
43
1 Epistula Iohannis 4,18 75.77sq.85
Stellenregister
114
Augustinus Confessiones 33.36.93 1–9 1813 7 94 7,6 9214 7,13 9213 7,18 9215 8 94 8,1 9420sq. 8,3 9213 8,10–12 9423 8,14–16 337 8,19 36 8,29 36.9424 8,30 9425 9,3 4324 9,16 4324
Epistulae 57 93,3 8119 93,4 8119 93,5 80 93,16 8017 93,17 8016 93,18 8018 194,19 5734 In epistulam Iohannis ad Parthos tractatus decem 2 779 2,14 7710 9,2 7812–14 9,4 78 9,4sq. 752 9,5 78 9,6 765 9,7 79
Correct. (= ep. 185) 21 81 De diuersis quaestionibus octoginta tribus 14 De doctrina christiana 14.67 Contra duas epistulas Pelagianorum 62 3,14 6257 4,16 6359 Enarrationes in Psalmos 70,1,1 5942 127,7 79
59
Enchiridion = De fide spe et caritate
De fide spe et caritate
14
De gratia Christi et de peccato originali 18 6977 De gratia et libero arbitrio 54.92 21 9316 28 9318 29 9422 33 5426 43 6977 In Iohannis euangelium tractatus CXXIV 43,7 76 43,45 752 85,3 764
Stellenregister
Contra Iulianum 2,23 6876 4,15 6255
62
De libero arbitrio 60.91 3,7 6046 De praedestinatione sanctorum 51.9212 5 5115 33 6977 Retractationes 14.91.9212 1,9,1 919 1,9,4 9110.9211
115
Sermones 99,6 4021 121,5 5943 Ad Simplicianum
93
De spiritu et littera 11.76.90.96 26 766 29 766 51 777 56 778.11 60 9426.9527
Stellenregister
116
Martin Luther Kritische Gesamtausgabe / Abteilung Schriften WA 1,145 WA 1,145–151 WA 1,146 WA 1,147 WA 1,224 WA 1,319 WA 1,353 WA 1,525 WA 1,529sq. WA 1,596 WA 2,137 WA 2,685–697 WA 7,22 WA 7,25 WA 7,146 WA 8,31 WA 8,32 WA 8,267–312 WA 8,578 WA 8,665 WA 9,2–27 WA 10/III,81–85 WA 10/III,257 WA 10/III,257sq. WA 17/II,96 WA 17/II,112 WA 18,615sq. WA 18,619 WA 18,630 WA 18,631 WA 18,636 WA 18,670 WA 18,712 WA 31/II,311
6255sq. 6151 6257 6259 6046.6464.6566 36 496.6667 2627 312 8326 10044 9838 9736 9631 9528 38 37 8633 35 6876 905 43 38 34 37.40 39.42 9942 9841 6977.9632 6978sq. 908 9528.9629 9943 40.42
WA 33,565 WA 40/I,131 WA 41,686 WA 45,520 WA 47,599 WA 47,599sq. WA 47,601 WA 50,535 WA 54,107–111 WA 55/II,405 WA 55/II,425 WA 55/II,517 WA 55/II,518 WA 56,274 WA 59,573sqq. WA 59,578 WA 59,584 WA 59,587
3713 5838 4020sq..42 42 3713 3815 39 34 34 5943 5941 36 3610 6150 8427 8427sq. 8531sq. 8633
Kritische Gesamtausgabe / Abteilung Briefe WAB 1,65 WAB 1,66 WAB 1,99 WAB 1,171 WAB 2,370sq. WAB 3,155
6153 6360 6462.891 6668 44 2626
Kritische Gesamtausgabe / Abteilung Tischreden WAT 1,140 WAT 1,245 WAT 1,272 WAT 5,215
6980 2625 348 8634
Namenregister Aegidius Romanus 25sq. Albert von Padua 27 Alypius 33 Ambrosius 85 Amerbach, J. 59 Amun (Abbas) 32 Antonius (der Große) 32sq. 35–38.40.43 Apollo (Altvater) 41 Aristoteles 60.6361.89 Athanasius 32.337 Augustijn, C. 6771 Augustinus von Ancona 27 Backus, I. 131.6044 Barth, K. 48 Barth, U. 906.9735 Bartholomäus von Urbino 27 Basilius 31 Benedikt von Nursia 32.38 Benjamin, W. 167 Bernhard von Clairvaux 53.68. 85 Bernhardi, B. 61sq. Bernhart, J. 337 Beutel, A. 904 Biel, G. 25.60sq.6254.63.65 Bordieu, P. 907 Brachtendorf, J. 9212 Brecht, M. 5218 Brown, P. 336 Bultmann, C. 2217 Bultmann, R. 48 Burger, C. 483.5219.5424sq..5527. 5630sq..6565.6873sq. Busch, E. 484
Danz, C. 906.9317.9419.9837 Delius, H.-U. 903 Descœudres, G. 335 Dieter, T. 6047 Dietz, M.T. 9734 Dietz, T. 751.8122.8223.25 Dominikus 32 Dorotheus von Gaza 31 Drecoll, V.H. 142.499sq..766.904. 9212.15.9317.9421.26 Duns Scotus, J. 63 Eck, J. 52.84–86 Eckermann, W. 2318.5220 Eco, U. 167.1914 van Egmond, P.J. 5011.13 Eichhorn, M. 9632 Elm, S. 5012 Ephraem der Syrer 31 Erasmus von Rotterdam 53.6565. 67sq.90.95.98 Fischer, N. 2116.9212.9632 Flasch, K. 5323.81 Florus von Lyon 14 Förster, G. 313 Franziskus 32 Fredriksen, P. 9317 Gerson, J. 25 Gervasius 4324 Göpfert, H.G. 482 Goeze, M. 47 Graf zu Dohna, L. 2522.5732. 5836sq.39 Grane, L. 2523.485.496sq..5732. 5944.60.6667.70.6873 Gratian von Bologna 15
118
Namenregister
Gregor (der Große) 81.85 Gregor von Rimini 22sq.26.28. 48sq.51sq.54.61.6565 Grosse, S. 8223 Grün, A. 3712 Günther, F. 64 Hamel, A. 497 Hamm, B. 471.5631.8225.9630 Hammer, G. 6153.6360.6668 Hegel, G.W.F. 48 Heinrich von Friema 27 Held, F. 5940 Henz, G.J. 2015 Hieronymus 34.5013.67 Hirsch, E. 10043 Hofmann, M. 9733 Honée, E. 471 Horst, U. 1812 Hugolin von Orvieto 26.48sq. 52–54.68 Hunzinger, A.W. 8122 Ignatius von Loyola 32 Jaeger, F. 2015 Jakobus Perez von Valencia 6565 Jakobus von Viterbo 27 Jesus Christus 36.39.44.47.59. 65sq.78.80.82–84.97sq. Johannes XXII. (Papst) 24 Johannes Cassian 31.33.40.42 Jordan von Quedlinburg (von Sachsen) 22–24.26–28 Jovinian 50 Julian von Eclanum 53.62 Junghans, H. 6046.6463 Kähler, E. 2624 Karlstadt 25 Kjeldgaard-Pedersen, S. 8530 Klug, J. 6463 Kohls, E.-W. 6873
Konersmann, K. 907 Kopp, S. 9316.18.9422.26.9527 Kreuzer, J. 9215 Krümmel, A. 169 Lang, J. 63sq.89.99 Lange, U. 335 Leclercq, L. 5321 Leff, G. 2318 Leo X. (Papst) 31 Leppin, V. 2217.5630.892 Lesowsky, W. 6977 Lessing, G.E. 47 Lindner, A. 2217 Löhr, W. 4910 Lohse, B. 8224.904.6 Major, G. 34 Makarius (Abbas) 3919 Mani 50 Marcolino, V. 5114sq..5220 Matsuura, J. 55.6044 Mausbach, J. 751 Meinecke, F. 2015 Meister Eckart 32 Melanchthon, Philipp 44 Mertel, H. 337 Miller, B. 4020.4223 Müller, C. 313 Müller, H.M. 10043 Nikolas von Alexandria 24 Oberman, H.A. 168.2318sq..5114. 5424 van Oort, J. 6565 Origenes 67 Pachomius 31 von Paltz, J. 26.56 Paphnutius 38–40 Paulus 43.47–49.51.60.62sq. 65sq.69.83.85.93.97 Pelagius 49sq.52sq.67
Namenregister
Perl, C.J. 919sq..9211 Petrus Lombardus 14.54sq.89 Pollmann, K. 131 Ponticianus 33 Proles, A. 24 Prosper von Aquitanien 313 Protarius 4324 Rieger, R. 142 Rimml, R. 751 Rochais, H.M. 5321 Roswitha von Gandersheim 3918 Rüsen, J. 2015 Saak, E.L. 131.2320.27 Santos Noya, M. 5423 Schatz, K. 1811 Scheel, O. 5838 Schildesche, Herman 27 Schindler, A. 2523.498.5732.6873 Schmidt-Lauber, G. 6149 Schröter, J. 6669 Schulze, M. 2319.5835.6044 Schwarz, R. 6048 Seiffert, H. 2015 Seuse, H. 32 Sigquans, A. 1710 Sörries, R. 335 Stasch, F. 5631 von Staupitz, J. 11.22.24–28. 56–58
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Stegmann, A. 337 Stegmüller, F. 143 Talbot, C.H. 5321 Tauler, J. 28 Tempier, É. 53 Teresa von Ávila 32 Thimme, W. 9420sq.24sq. Thomas von Aquin 25 Thomas von Straßburg 26 Tierney, B. 1812 Trapp, A.D. 5115 Trutfetter, J. 66 Unterburger, K. 5940.42sq. Vincentius 80 Vogelsang, E. 8225 von Walter, J. 5322 Weigand, R. 155 Welker, M. 484 Welzig, W. 6565.6875.77.6977 Wetzel, R. 2522.5632.57.5836sq. Winroth, A. 155 Wolff, J. 9837 Wriedt, M. 2116.2217.2319.2421. 2523.6873 Ziegler, G. 313.323.3711.3814.3918. 4022 Zimmermann, J.G. 4020 Zumkeller, A. 169.2628.5530.5630
Autoren- und Herausgeberverzeichnis CHRISTOPH BURGER, Prof. em. Dr. theol., lehrte von 1990 bis 2010 Kirchengeschichte an der Vrije Universiteit Amsterdam. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Vermittlung der Ergebnisse akademischer Theologie an ‹Laien›, die Rezeption der Gnadenlehre Augustins in Spätmittelalter und Reformation, spätmittelalterliche Endzeiterwartung sowie Martin Luthers Übersetzung und Exegese des ‹Magnificat›. CHRISTIAN DANZ, Prof. Dr. theol., ist Professor für Systematische Theologie A.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, darüber hinaus Vorsitzender der Deutschen Paul-Tillich-Gesellschaft e.V. Seine Forschungsschwerpunkte sind Religionsphilosophie und Dogmatik, reformatorische Theologie, Theologiegeschichte des 19. und 20. Jh.s sowie Theologie der Religionen. THORSTEN DIETZ, Prof. Dr. theol., ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule TABOR und Privatdozent an der Philipps-Universität Marburg. Er ist theologischer Direktor des Marburger Instituts für Religion und Psychotherapie sowie seit einigen Jahren regelmäßiger Referent auf der Online-Plattform Worthaus.org. GUNTRAM FÖRSTER, Dipl.-Theol., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg, Redaktor des Webportals www.augustinus.de und Mitherausgeber verschiedener Publikationen im Bereich der Augustinus-Forschung. CHRISTOF MÜLLER, Prof. Dr. phil. habil. theol., ist Professor für Fundamentaltheologie und Vergleichende Religionswissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg, Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg sowie Herausgeber und Projektleiter des Augustinus-Lexikons. MARKUS WRIEDT, Prof. Dr. theol., ist Professor für Kirchengeschichte am Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt a.M. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rezeptionsgeschichte – besonders die
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Autoren- und Herausgeberverzeichnis
Kirchenväterrezeption im 16. Jh. –, Kirchen- und Theologiegeschichte des Spätmittelalters und der Reformationszeit sowie Universitäts- und Bildungsgeschichte der Frühen Neuzeit. GABRIELE ZIEGLER, Dr. theol., Patrologin, hat sich unter anderem als Übersetzerin der Werke des Johannes Cassian einen Namen gemacht; sie ist im Vorstand der Johannes-Cassian-Stiftung Münsterschwarzach und arbeitet als Dozentin und Exerzitienleiterin.
res et signa
In der Reihe sind im Echter Verlag Würzburg folgende Bände erschienen:
Band 15
Augustinus und Luther Zur Verwandtschaft zweier ‹Kirchenväter› Beiträge des 15. Würzburger Augustinus-Studientages vom 19. Mai 2017 Herausgegeben von Christof Müller und Guntram Förster
122 Seiten ISBN 978-3-429-04250-9
Band 14
Dialog und Dialoge bei Augustinus Vermehrte Beiträge des 14. Würzburger Augustinus-Studientages vom 17. Juni 2016 Herausgegeben von Christof Müller und Guntram Förster
179 Seiten ISBN 978-3-429-04247-9
Band 13
Augustinus – Christentum – Judentum Ausgewählte Stationen einer Problemgeschichte Beiträge des 13. Würzburger Augustinus-Studientages vom 12./13. November 2015 Herausgegeben von Christof Müller und Guntram Förster
236 Seiten ISBN 978-3-429-04204-2
Band 12
Von Menschenwerk und Gottesmacht Der Streit um die Gnade im Lauf der Jahrhunderte Beiträge des XI. Würzburger Augustinus-Studientages vom 7. Juni 2013 Herausgegeben von Christof Müller und Guntram Förster
192 Seiten ISBN 978-3-429-04191-5
Band 11
584 Seiten Kampf oder Dialog? ISBN 978-3-429-04188-5 Begegnung von Kulturen im Horizont von Augustins ‹De ciuitate dei› Conflict / Dialogue? Augustine’s Engagement with Cultures in ‹De ciuitate dei› Internationales Symposion / International Symposium, Institutum Patristicum Augustinianum, Roma, 25.–29. September 2012 Herausgegeben von Christof Müller in Zusammenarbeit mit Robert Dodaro und Allan D. Fitzgerald
Band 10
Das Schöne in Theologie, Philosophie und Musik «redi ad pulchrum, ut ad pulchritudinem redeas» (Augustinus, sermo 177,9) Beiträge des IX. Würzburger Augustinus-Studientages vom 16./17. Juni 2011 Herausgegeben von Cornelius Mayer, Christof Müller und Guntram Förster
160 Seiten ISBN 978-3-429-04183-0
Band 9
Augustinus – Schöpfung und Zeit Zwei Würzburger Augustinus-Studientage: «Natur und Kreatur» (5. Juni 2009). «Was ist Zeit? – Die Antwort Augustins» (18. Juni 2010) Herausgegeben von Cornelius Mayer, Christof Müller und Guntram Förster
280 Seiten ISBN 978-3-429-04180-9
Band 8
Augustinus: Bildung – Wissen – Weisheit Beiträge des VI. Würzburger Augustinus-Studientages am 6. Juni 2008 Herausgegeben von Cornelius Mayer und Christof Müller
168 Seiten ISBN 978-3-429-04177-9
Band 7
Augustinus – Recht und Gewalt Beiträge des V. Würzburger Augustinus-Studientages am 15./16. Juni 2007. Mit einer kommentierten Quellensammlung zur Richtertätigkeit Augustins Herausgegeben von Cornelius Mayer. Unter Mitwirkung von Guntram Förster
240 Seiten ISBN 978-3-429-04176-2
Band 6
Spiritus et Littera Beiträge zur Augustinus-Forschung Festschrift zum 80. Geburtstag von Cornelius Petrus Mayer OSA Herausgegeben von Guntram Förster, Andreas E. J. Grote und Christof Müller
XCIV–825 Seiten ISBN 978-3-429-04175-5
Band 5
Augustinus als Richter Herausgegeben von Johannes Hellebrand
192 Seiten ISBN 978-3-429-04172-4
Band 4
Augustinus – Ethik und Politik Zwei Würzburger Augustinus-Studientage: «Aspekte der Ethik bei Augustinus» (11. Juni 2005). «Augustinus und die Politik» (24. Juni 2006) Herausgegeben von Cornelius Mayer. Unter Mitwirkung von Alexander Eisgrub und Guntram Förster
312 Seiten ISBN 978-3-429-04174-8
Band 3
Würde und Rolle der Frau in der Spätantike Beiträge des II. Würzburger Augustinus-Studientages am 3. Juli 2004 Herausgegeben von Cornelius Mayer. Unter Mitwirkung von Alexander Eisgrub
139 Seiten ISBN: 978-3-429-04171-7
Band 2
Christof Müller Geschichtsbewußtsein bei Augustinus Ontologische, anthropologische und universalgeschichtlich/heilsgeschichtliche Elemente einer augustinischen «Geschichtstheorie»
XI–353 Seiten ISBN: 978-3-429-04129-8
Band 1
Internationales Symposion über den Stand der Augustinus-Forschung 12.–16. April 1987 im Schloß Rauischholzhausen Herausgegeben von Cornelius Mayer und Karl Heinz Chelius
262 Seiten ISBN: 978-3-429-04113-7
Die Bände sind erschienen im Echter Verlag Würzburg.
Der vorliegende Sammelband mit seinen fünf Beiträgen renommierter Experten geht auf den 15. Augustinus-Studientag des Zentrums für AugustinusForschung an der Universität Würzburg im Luther-Jubiläumsjahr 2017 zurück. Er diskutiert aus verschiedenen Perspektiven die Frage, wie sich die geistige und geistliche ‹Verwandtschaft› dieser beiden Leitfiguren der Kultur- und Theologiegeschichte näherhin gestaltet: als enge, als entfernte – oder als vielfältig schillernde. christof müller , Prof. Dr., ist Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für AugustinusForschung an der Universität Würzburg sowie Hauptherausgeber des internationalen und interdisziplinären Forschungsprojekts Augustinus-Lexikon.
guntram förster , Diplomtheologe, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg und Redaktor des Webportals www.augustinus.de.
müller · förster | hg. Augustinus und Luther
«Unsere Theologie und St. Augustinus blühen und herrschen unter Gottes Beistand auf unserer Universität», so schreibt der Augustinermönch M artin Luther vor rund 500 Jahren aus Wittenberg an seinen monastischen Mitbruder und reformatorischen Mitstreiter Johann Lang. Augustinus und L uther, zwei religiöse Genies und ‹Kirchenväter›, stehen zweifelsfrei in theologischer Verwandtschaft, am engsten hinsichtlich ihrer radikalen Gnadenlehre.
c h r i sto f m ül l e r g unt ram f ö r st e r h e rau s g e b e r
Augustinus und Luther Zur Verwandtschaft zweier ‹ Kirchenväter › Beiträge des 15. Würzburger Augustinus-Studientages vom 19. Mai 2017
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res et signa
Augustinus-Studien
ISBN 978-3-429-04250-9
cassiciacum Forschungen 15 über Augustinus und den Augustinerorden
Augustinus bei echter
Umschlag_Cassiciacum_39_15_03.indd 1
16.12.2019 10:45:37