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German Pages 484 [485] Year 2009
Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von
Albrecht Beutel
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Jörg Trelenberg
Augustins Schrift De ordine Einführung, Kommentar, Ergebnisse
Mohr Siebeck
Jörg Trelenberg, geboren 1965; Studium der Ev. Theologie sowie der lateinischen und griechischen Philologie in Münster; Oberstudienrat in Hemer; 2003 Promotion; 2007 Habilitation.
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. e-ISBN PDF 978-3-16-151054-0 ISBN 978-3-16-149545-8 ISSN 0340-6741 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2009 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Bembo Antiqua gesetzt, von GuldeDruck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Meinen Eltern
Vorwort Augustin stellt in seinem philosophischen Frühdialog De ordine die grundsätzliche Frage nach dem Bösen in der Welt: Woher stammt das Übel? Ist es von Gott verursacht oder zumindest zugelassen? Kann das Schlechte und Böse in die umfassende göttliche Weltordnung integriert werden? Welche Macht kommt dem Zufall im Weltgeschehen zu? Es sind die zentralen Fragen der Theodizee, auf die der junge Philosoph von Cassiciacum eine Antwort sucht. Seine überaus tiefsinnigen Gedanken hat er in eine reizvolle äußere Form und Szenerie gekleidet: Eine kleine exquisite Runde von Gleichgesinnten führt auf dem idyllischen Landgut eines Freundes ein von weltlichen Sorgen freies, kontemplatives Leben und trifft sich regelmäßig zum philosophischen Austausch. Die Atmosphäre ist zwanglos und heiter, die amoenitas loci wirkt inspirierend und führt zu Gesprächen, die mit feinem, geistreichen Humor gewürzt und in der Urbanität des Umgangstons ganz dem Vorbild der antiken Dialogtradition verbunden sind. In seinem opusculum produziert und präsentiert Augustin, auf der Höhe der Gelehrsamkeit seiner Zeit, eine unglaubliche Anzahl von literarischen Reminiszenzen und Anspielungen. Pythagoras, Platon, Cicero, Vergil, Terenz, Varro, Plotin und Ambrosius sind, um nur einige Koryphäen der antiken Literatur zu nennen, in Form und Inhalt der Augustinschrift gleichsam omnipräsent und lassen die Lektüre von De ordine – nicht nur für den Zeitgenossen Augustins – zu einem eindrucksvollen Bildungserlebnis werden. Da es hierbei einen großen Unterschied darstellt, ob der Zugang zur Gedankenwelt Augustins in einer vermittelten Form (über eine neusprachliche Übersetzung) oder in einer direkten, unmittelbaren Begegnung stattfinden kann, möchte der vorliegende Kommentar Anregung und Hilfe bieten, die kleine, gehaltvolle Schrift im Original zu lesen und zu interpretieren, sei es im klassisch-philologischen, philosophischen oder theologischen Seminar, oder überall dort, wo das Interesse am authentischen Augustinus ipse wach und vorhanden ist. Im Juni des Jahres 2007 wurde die Studie von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Habilitationsschrift anerkannt. Nicht nur der „Ordnung“ halber, sondern in aufrichtiger Verbundenheit steht zum Schluss daher ein Wort des Dankes. Dieser gilt zuerst und im besonderen Maße meinem langjährigen akademischen Lehrer Herrn Prof. Dr. Wolf-Dieter Hauschild, der nach der Betreuung meiner Dissertation sich nicht scheute noch schonte, auch das anschließende, ungleich umfangreichere Projekt stets mit wohlwollendem und fachkundigem Rat zu begleiten und in bewährter
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Vorwort
Weise zu einem guten Abschluss zu verhelfen. Herrn Prof. Dr. Holger Strutwolf danke ich für die bereitwillige Übernahme des Korreferates, eine mühevolle Arbeit, die – obgleich er es rücksichtsvoll leugnet – bei einem Nachschlagewerk kein pures Vergnügen gewesen sein kann. Zuletzt ist es mir eine mehr als angenehme Pflicht, Herrn Prof. Dr. Albrecht Beutel für seine vorbehaltlose Empfehlung und Aufnahme der Schrift in die Reihe der „Beiträge zur historischen Theologie“ zu danken, insbesondere aber für die vielfältige weitere Unterstützung, die er seinem jüngeren, häufig Rat suchenden Seminar- und Fachkollegen immer wieder angedeihen ließ und lässt. Hemer / Münster, 17.11.2008
Jörg Trelenberg
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Der Philosoph von Cassiciacum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gedankengang und Struktur der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Gedankengang der Schrift De ordine . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Struktur der Schrift De ordine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Quellen und Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lateinische Klassiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pythagoras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Marcus Terentius Varro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Marcus Tullius Cicero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Neuplatonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Christlicher Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. De ordine in der Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Textausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Weitere Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Corrigenda zu CChr.SL XXIX, pp. 89–137 . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Proömium Thema, Widmung, Situation (1,1,1–1,2,5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hauptteil Erster Abschnitt: Bestimmung der Seinsordnung (1,3,6–1,11,33) . . Zweiter Abschnitt: Verteidigung der Seinsordnung (2,1,1–2,11,34) Dritter Abschnitt: Aufweis der Bildungsordnung (2,12,35–2,19,51) 3. Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Danksagung und Rückblick (2,20,52–2,20,54) . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 1. Die Historizität der Cassiciacum-Dialoge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 2. Der Rückzug nach Cassiciacum: Verzicht auf weltlichen Ruhm? . . 385
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Inhaltsverzeichnis
3. Der Ertrag und die Einheit der Schrift De ordine . . . . . . . . . . . . . . 391 4. Welche Schriften Plotins kannte Augustin in Cassiciacum? . . . . . . . 397 5. Die Bekehrung des Licentius: Eine Spiegelung der augustinischen Konversion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473
I. Einführung 1. Der Philosoph von Cassiciacum Die Schrift De ordine wird neben Contra Academicos und De beata vita zu den philosophischen Frühdialogen des Kirchenvaters Augustin gerechnet. Nach ihrem gemeinsamen Entstehungsort werden sie – zusammen mit den wenig später verfassten Soliloquia – als die sog. „Cassiciacum-Schriften“ bezeichnet.1 Der äußere Anlass und die Umstände der Entstehung sind nach den Angaben der confessiones, retractationes und nicht zuletzt der Frühdialoge selbst relativ gut rekonstruierbar: Im Spätsommer des Jahres 386 hatte der prominente Mailänder Rhetor nach einem einschneidenden Bekehrungserlebnis seine über viele Jahre verfolgte weltliche Karriere überraschend abgebrochen. Seinen anstrengenden Lehrberuf hatte er – auch aufgrund körperlicher Überlastung – quittiert, um nunmehr in einer ländlichen Idylle am Fuße der Alpen ein meditativ-beschauliches, dem Gebet und den wissenschaftlichen Studien gewidmetes Leben zu führen. Dem antiken Freundschaftsideal entsprechend hatte er sich mit einer kleinen, auserlesenen Schar von Gefährten umgeben, darunter sein engster Freund und Gesinnungsgenosse Alypius,2 seine Mutter Monnica, sein 15-jähriger Sohn Adeodatus3 und zwei intellektuell begabte Schüler namens Licentius und Trygetius.4 In diesem Kreise scheinen unter der Leitung des Meisters in bestimmten Abständen und in strukturierter Form philosophische Gespräche zu vorgegebenen Themen stattgefunden zu haben.5 In ihrer Lebendigkeit und Unterhaltsamkeit sind sie wohl als die historischen Vorläufer der späteren, uns heute vorliegenden schriftlichliterarischen Gestalt anzusehen. Auch wenn das Ausmaß der augustinischen Überarbeitung und Stilisierung (elaboratio) in der Forschung heftig umstritten ist,6 spiegelt sich in der frühen Trilogie noch heute, wofür Cassiciacum gleichsam als 1 Im corpus Augustinianum erscheint die Bezeichnung des verecundischen Landgutes als rus Cassiciacum lediglich in conf. 9,3,5. Zu seiner vermuteten Lage nordwestlich der Metropole Mailand (Mediolanum) in der Nähe des heutigen Como vgl. infra unter 1,2,5, Z. 15 f (s. v. ad villam familiarissimi nostri Verecundi). 2 Zur Person und Biographie des Alypius vgl. infra unter 1,2,5, Z. 22 (s. v. Alypius). 3 Conf. 9,6,14. 4 Zur Person der beiden sog. pueri bzw. adulescentes vgl. infra unter 1,2,5, Z. 22 (s. v. Licentius) und Z. 23 (s. v. Trygetium). 5 Zu den komplizierten Fragen der Chronologie dieser Gespräche vgl. infra zu 1,3,7, Z. 20 f (s. v. nam et Alypius …). 6 Siehe infra Ergebnis 1: „Die Historizität der Cassiciacum-Dialoge“.
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I. Einführung
Synonym im Leben des Augustinus steht: für eine einmalige kurze, heiter-glückliche und von allen weltlichen Sorgen unbeschwerte Zwischenzeit.7 Cassiciacum ist für Augustin die Erfüllung eines alten Jugendtraumes. Die Bemühung um die Philosophie als dem Streben nach gesicherter Erkenntnis und zweifelsfreiem Wissen sei ihm schon lange eingepflanzt gewesen. Die Liebe zur Weisheit (amor sapientiae = ) sei geradezu zu einem Grundzug seines Wesens geworden. Aufgrund äußerer Zwänge habe er sich ihr jedoch niemals ganz widmen können. Eine Art „geistige Initialzündung“ sei für ihn, so berichtet er später in den confessiones, die Lektüre einer protreptischen Schrift Ciceros gewesen.8 Dessen Dialog Hortensius und die darin enthaltene eindringliche Werbung für die Philosophie habe eine glühende Leidenschaft in ihm entfacht,9 die auch in den schwersten Krisen niemals völlig ausgelöscht, vielmehr immer wieder neu entfacht worden sei. Augustin selbst deutet sein in Cassiciacum verwirklichtes otium philosophandi mehrfach als eine späte Reaktion auf sein damaliges Hortensius-Erlebnis.10 Vor diesem Hintergrund erscheint es konsequent, wenn er seine Schüler Licentius und Trygetius, die er ebenfalls für die Philosophie begeistern will, zuallererst den besagten Cicero-Dialog lesen lässt.11 Augustin will in Cassiciacum die Bedingungen schaffen, um endlich weise (sapiens) zu werden, und er hält dies tatsächlich für ein realistisches Ziel.12 Viel verspricht er sich von einer neuen Art des Philosophierens, die als ihre wichtigste Ausgangsbasis eine „Rückkehr zu sich selbst“ (reditio ad se ipsum) ansieht. Umso größer sind seine Hoffnungen, als er auf seiner langen Suche nach Wahrheit – so seine späteren biographischen „Geständnisse“ – bereits eine Reihe von Enttäuschungen hinter sich gebracht hat. So habe ihn seine Neugier (curiositas) in die Arme der Manichäer getrieben, da diese Wissen statt Glauben zu vermitteln versprachen. Erst lange später wird ihm sein Irrtum bewusst. In seinem unstillbaren Wissensdurst habe er sich auf die Astrologie gestürzt.13 Seine Hoffnungen erfüllten sich ebenso wenig. Wahllos habe er die verschiedensten Schriften verschlungen, derer er habhaft werden konnte, seriöse wissenschaftliche wie phi7 Vgl. conf. 9,3,5. – P. Keseling (Weltregiment, S. 45) vergleicht das augustinische Cassiciacum mit dem ciceronischen Tusculum, dem Inbegriff des Ortes philosophischer Muße (z. B. in den Tusculanae disputationes), wenn er gelungen feststellt: „Tusculum und Cassiciacum haben ja überhaupt den gleichen symbolischen Klang.“ 8 Vgl. conf. 3,4,7 f. 9 Conf. 3,4,8: hoc tamen solo delectabar in illa exhortatione, quod non illam aut illam sectam, sed ipsam quaecumque esset sapientiam ut diligerem et quarererem et adsequerer et tenerem atque amplexarer fortiter, excitabar sermone illo et accendebar et ardebam. 10 Vgl. conf. 8,7,17; beat. vit. 1,4. 11 Siehe c. acad. 1,1,4: … volui tentare pro aetate quid possent: praesertim cum Hortensius liber Ciceronis iam eos ex magna parte conciliasse philosophiae videretur. Vgl. auch ibid. 3,4,7 und 3,14,31. 12 Vgl. die futurische Aussage (cum sapiens fuero) in c. acad. 2,3,9; siehe auch ibid. 3,20,43: Sed cum tricensimum et tertium aetatis annum agam, non me arbitror desperare debere eam [sc. sapientiam] me quandoque adepturum. 13 Conf. 5,3,3–6; 7,6,8–10.
1. Der Philosoph von Cassiciacum
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losophisch-esoterische Literatur.14 Am Ende stand der skeptische Zweifel an der Erkenntnisfähigkeit des Menschen überhaupt.15 Umso erstaunlicher ist sein Erkenntnisoptimismus, wenn er in Cassiciacum nun einen neuen Versuch unternimmt. Wahrhaft enthusiastisch geht er zu Werke: „Gotteserkenntnis durch Selbstreflexion“ heißt seine neue Formel und sein Programm, welches er nicht nur in den drei Frühdialogen, sondern vor allem auch in seinen bekannten „Alleingesprächen“ propagiert und anschaulich präsentiert.16 In den Cassiciacum-Schriften greift Augustin die elementaren Grundfragen der antiken Philosophie auf. Er beginnt noch einmal ganz am Anfang und ist sichtbar bemüht, für spätere Gedankengebäude zunächst ein tragfähiges logisches Fundament zu gründen. Dies gilt vor allem für die erkenntnistheoretische Schrift Contra Academicos, in welcher die grundsätzliche Frage nach der Erkenntnisfähigkeit des menschlichen Geistes gestellt wird. Ist den akademischen Skeptikern Recht zu geben, die behaupten, dass nichts mit Sicherheit erfasst werden könne (nihil percipi posse)? Oder gibt es axiomatisch gültige, logisch evidente und gleichsam überzeitliche Grundwahrheiten, die jenseits aller Subjektivität einsichtig sind und aus denen im Sinne einer „positiven Philosophie“ weitere Erkenntnisse entwickelt werden können? Augustinus entscheidet sich im Sinne des platonischen Idealismus für die zweite Alternative. – In De beata vita kommt der eudämonistische Grundzug der antik-philosophischen Ethik zum Tragen und es wird die zentrale, jeden Menschen betreffende Frage nach dem individuellen Glück aufgeworfen. Die Antwort bleibt zunächst im traditionellen Rahmen, nämlich dass die Glückseligkeit im Besitz des höchsten Gutes bestehe. Ihr unverkennbares Gepräge bekommt sie dadurch, dass das summum bonum mit dem christlichen Gott identifiziert wird und dass „Gott besitzen“, d. h. Gott erkennen und ihn „genießen“ (frui) zum Inbegriff des gelingenden und glückseligen Lebens wird. – Der Dialog De ordine schließlich sucht eine Antwort auf das Theodizeeproblem. Ist die göttliche Ordnung (ordo) und Vorsehung (providentia) in der Welt allgegenwärtig und allumfassend? Wenn dies der Fall sein sollte: Wie ist dann das Vorhandensein der unverkennbaren Übel (mala) dieser Welt zu erklären? Um an diesem klassischen Dilemma nicht vorschnell zu scheitern, entwirft Augustin eine Lern- oder Studienordnung (ordo studendi) der enzyklopädischen Wissenschaften. Denn nur der umfassend Gebildete dürfe auf die Lösung dieser und anderer philosophischer Grundfragen hoffen. Man hat in älterer wie in neuerer Zeit versucht, die erkenntnistheoretische, die ethische und die kosmologische Schrift jeweils auf ciceronische Vorlagen zurückzuführen. Für die augustinischen Bücher Contra Academicos sind die Academica 14
Conf. 4,16,30 u. ö. Vgl. conf. 5,14,25: itaque academicorum more, sicut existimantur, dubitans de omnibus atque inter omnia fluctuans …; ibid. 5,10,19: etenim suborta est etiam mihi cogitatio, prudentiores illos ceteris fuisse philosophos quos academicos appellant, quod de omnibus dubitandum esse censuerant nec aliquid veri ab homine comprehendi posse decreverant. 16 Soliloq. 1,2,7; 2,1,1; ord. 1,2 f,3; 2,18,47 f u. ö. 15
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I. Einführung
Ciceros genannt worden, für De beata vita die Tusculanae disputationes und De finibus, für die am meisten „theologisches“ Gedankengut enthaltende Schrift De ordine schließlich die ciceronische Trilogie De natura deorum, De divinatione und De fato, die sich insbesondere im Gedanken der göttlichen Vorsehung treffen.17 Die gedankliche und sprachliche Affinität zu Cicero ist tatsächlich unübersehbar. Dies verwundert nicht, da der ehemalige Rhetorikprofessor das opus seines großen Vorbildes, an dessen literarischen Stil sich der damalige Schulbetrieb orientierte, nur allzu gut kannte. Und Augustin ist in Cassiciacum noch keineswegs gewillt, seine hohe klassische Bildung gering zu schätzen oder seinen Lesern zu verheimlichen. Dennoch kann man Augustin keinen Plagiatvorwurf machen. Auch wenn das corpus philosophicum des berühmten römischen Schriftstellers ihm vielerlei Anregungen zu geben vermochte, so ist der Philosoph von Cassiciacum in seinen Schlussfolgerungen und Ergebnissen ganz und gar selbstständig. Cicero ist für Augustin ein wichtiger Stofflieferant, durch ihn wird die Auswahl der Themen, oft auch die Richtung und die Art des logischen Denkens und Abwägens, nicht aber die Entscheidung selbst präjudiziert. Eine dogmatische Abhängigkeit besteht allerdings in Bezug auf die neuplatonische Lehre. Durch seine Mailänder Kontakte ist Augustin mit einer christianisierten Form des Neuplatonismus, wie sie im sog. „milieu milanais“18 gepflegt wurde, in Berührung gekommen. Hochgebildete Männer wie der Mailänder Bischof Ambrosius, dessen geistiger Vater und Amtsnachfolger Simplicianus, der spätere Konsul Mallius Theodorus und andere hervorragende Vertreter dieses Philosophenzirkels lebten und vertraten – z. T. nach dem Vorbild des römischen Rhetors Marius Victorinus – eine spezielle Symbiose von neuplatonischer Ontologie und „modernem“ rationalistischen Christentum, die auf Augustin offensichtlich attraktiv wirkte und einen nicht zu unterschätzenden Einfluss ausgeübt hat. Nachdem man ihn auch mit dem Schrifttum der griechischen Neuplatoniker (Plotin, mindestens ein weiterer Autor19) versorgt hatte, gelang ihm auch die endgültige Abkehr vom manichäischen Aberglauben, dem er seit seiner Jugendzeit in Afrika verfallen war. In einer fundamentalen Umkehrung seines Denkens löste das monokausale Weltbild der Neuplatoniker den alten dualistischen Antagonismus von Gut und Böse ab und bot ihm eine faszinierend einheitliche Interpretation der hiesigen und transzendenten Welt. Dass das Böse (malum) keine Substanz besitze, wird ihm zum Axiom. Dass alles, was Sein besitzt, gleichzeitig ein vom höchsten Prinzip vermitteltes Gut-Sein erhalten habe, steht ihm unverrückbar fest. Die Prävalenz der geistigen Welt (mundus intelligibilis) vor der sinnlichen 17 Vgl. die Hauptthese von M. P. Foley, The ‚De Ordine‘ of St. Augustine, Diss. Boston College 1999; hier: S. 7 (u. ö.); siehe aber schon ähnlich P. Keseling, Weltregiment, S. 44 f, der die „Gespräche von Tusculum“ allerdings den augustinischen „Selbstgesprächen“ zuordnen will. 18 G. Madec, Le milieu milanais: philosophie et christianisme, in: BLE 88, 1987, S. 194– 205. 19 Siehe hierzu infra Ergebnis 4 („Welche Schriften Plotins kannte Augustin in Cassiciacum?“).
1. Der Philosoph von Cassiciacum
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(mundus sensibilis) verteidigt er nun, wann immer es möglich ist, mit äußerstem Nachdruck. Ebenso deutlich wird die Gewissheit der geistigen Erkenntnis der Unsicherheit sensueller Wahrnehmung gegenübergestellt. Im ethischen Bereich empfiehlt er, den „Schmutz der Körperlichkeit“ und darauf bezogener Begierden zu meiden; in gnoseologischer Hinsicht rät er zur konsequenten Ausrichtung auf das ontologisch Höherwertige, nämlich die unsterbliche Seele (anima), den individuellen wie universellen Geist (animus, ratio) und – in letzter Konzentration – auf das Eine (unum) und Einfache. In jeder der augustinischen Cassiciacum-Schriften ist die Euphorie der in Mailand vollzogenen philosophischen Neuorientierung deutlich zu spüren. Dennoch hat die Philosophie für Augustin letztlich nur eine dienende Funktion. Sofern es sich um die wahre Philosophie (vera et germana philosophia)20 handelt, ist sie geeignet, dem Gebildeten die heiligen Lehren (mysteria) des katholischen Christentums, die vormals lediglich geglaubt wurden, nunmehr auch rational einsichtig zu machen.21 Der Philosoph von Cassiciacum ist davon überzeugt, dass die (neu)platonische Lehre und der christliche Glaube sich vor allem in der Gottesfrage vereinigen lassen. Mehrfach expliziert er das christliche Trinitätsdogma mit Hilfe der termini technici, die der Triadenlehre Plotins entstammen.22 Zwar muss man bisweilen konzedieren, dass der noch ungetaufte Katechumene Augustinus noch nicht in jeder Hinsicht umfassend über die christlichen Lehren informiert ist, doch an der Ernsthaftigkeit seines Glaubens darf nicht gezweifelt werden. In einem großen Eingangsgebet richtet er sich in den Soliloquia an den christlichen dreieinigen Gott, mit der flehenden Bitte, ihn auf der Suche nach Erkenntnis zu unterstützen. Und ausdrücklich bekennt er sich zur christlichen Überlieferung (bzw. zu Christus selbst) als der stärksten ihm bekannten Autorität.23 Eine ältere Forschungsrichtung, welche die augustinische Konversion in Mailand lediglich zu einer Bekehrung zur neuplatonischen Philosophie degradieren wollte, ignoriert innerhalb der Frühschriften die entscheidenden Aussagen. Wie sieht Augustin rückblickend seine Religionsphilosophie von Cassiciacum? Man hat davon gesprochen, dass er sie später „nicht gerade anerkennend“ und sehr „kritisch“ beurteile.24 Dies ist sicher zu einseitig gesehen, ein differenziertes Bild muss gezeichnet werden: In den confessiones fällt er als Christ und Kirchenmann das Urteil, dass seine damaligen Schriften zweifelsfrei bereits dem christlichen Gott „dienten“ (litteris … servientibus tibi), andererseits aber noch nach der 20 In der Forschungsliteratur wird die Frage, was Augustin unter der mehrfach genannten „wahren Philosophie“ exakt versteht, kontrovers diskutiert; zur Position des Verfassers siehe infra zu 2,1,1, Z. 7 (s. v. verae philosophiae). 21 Siehe ord. 2,5,16 und dazu infra zu Z. 31 f (s. v. vera et … germana philosophia) und Z. 30 (s. v. non contemnere illa mysteria). 22 Vgl. besonders deutlich ord. 2,5,16; beat. vit. 4,35. 23 Vgl. den berühmten Satz zum Ende von c. acad. (3,20,43): Mihi ergo certum est nusquam prorsus a Christi auctoritate discedere: non enim reperio valentiorem. 24 So P. Keseling, Weltregiment, S. 42 f.
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I. Einführung
„Schule der Überheblichkeit lechzten“ (superbiae scholam … anhelantibus).25 Ihren dezidiert christlichen Charakter habe er gegen Alypius durchsetzen müssen. Dieser wollte mittels der Schriften – so Augustin – „den Geruch der Schulen“ (gymnasiorum cedros) verbreiten lassen und habe sich ursprünglich dagegen ausgesprochen, den Namen Christi in die Schriften aufzunehmen.26 Eine sehr ähnliche Wertung nimmt der greise Bischof von Hippo in den retractationes vor: Ihm missfällt, dass er den Wissenschaften (disciplinae liberales) zu viel Wert beigemessen habe,27 dass er sich zu häufig (z. B. bei der Erwähnung der fortuna oder der Musae) des paganen Sprachgebrauchs befleißigt habe28 und manchen heidnischen Philosophen, beispielsweise Pythagoras, über Gebühr gelobt habe.29 Viele weitere Details werden nachträglich korrigiert und vor allem – sprachlich wie inhaltlich – der biblischen Norm angepasst. Auch der ausgeprägte Erkenntnisoptimismus der frühen Schriften wird getadelt und unzweideutig darauf verwiesen, dass gemäß der Schrift die vollendete Erkenntnis Gottes (cognitio dei) nicht schon in diesem, sondern erst im zukünftigen Leben zuteil werde.30 Auf der anderen Seite wird auch im Spätwerk der christliche Charakter der Erstlingsschriften bestätigt und ausdrücklich gewürdigt. Der Cassiciacum-Aufenthalt wird als ein christianae vitae otium angesprochen.31 Besonders seine Argumente in Contra Academicos sieht der Kirchenvater nach mehreren Jahrzehnten immer noch als wertvoll an und er ist fest davon überzeugt, dass die Widerlegung der akademischen Skepsis nur „aufgrund des Erbarmens und mit der Hilfe des Herrn“ (miserante atque adiuvante domino) bewerkstelligt worden sei.32
25 Conf. 9,4,7: ibi [i. e. in Cassiciacum] quid egerim in litteris iam quidem servientibus tibi, sed adhuc superbiae scholam tamquam in pausatione anhelantibus, testantur libri disputati cum praesentibus et cum ipso me solo coram te. 26 Ibid. 9,4,7: quoque modo ipsum etiam Alypium, fratrem cordis mei, subegeris nomini unigeniti tui, domini et salvatoris nostri Iesu Christi, quod primo dedignabatur inseri litteris nostris. magis enim eas volebat redolere gymnasiorum cedros, quas iam contrivit dominus, quam salubres herbas ecclesiasticas adversas serpentibus. 27 Retr. 1,3,2: multum tribui liberalibus disciplinis, quas multi sancti multum nesciunt; quidam etiam qui sciunt eas, sancti non sunt; vgl. auch ibid. 1,4,4. 28 Retr. 1,1,2; 1,2,2; 1,3,2. 29 Retr. 1,3,3: Nec illud mihi placet, quod Pythagorae philosopho tantum laudis dedi, ut qui hanc audit vel legit possit putare, me credidisse nullos errores in Pythagorica esse doctrina, cum sint plures idemque capitales. 30 Retr. 1,2,2: … et quod tempore vitae huius in solo animo sapientis dixi habitare beatam vitam, quomodo libet se habeat corpus eius, cum perfectam cognitionem dei … in futura vita speret Apostolus. 31 Retr. 1,1,1. 32 Siehe ibid. und 1,1,4.
2. Gedankengang und Struktur der Schrift
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2. Gedankengang und Struktur der Schrift a) Der Gedankengang der Schrift De ordine Augustin beginnt seinen Dialog stilgerecht mit einem Proömium (1,1,1–1,2,5), gestaltet als Widmung an seinen Freund Zenobius, und führt seine Leser direkt und ohne Umschweife in ein ebenso kompliziert wie bedeutsam vorgestelltes Thema ein, welches man im modernen Sprachgebrauch wohl als das Problem der Theodizee bezeichnen würde. Das klassische theologische Dilemma wird in kunstvollen Satzgefügen scharf und anschaulich herausgearbeitet: Der Glaube an ein göttliches Wesen, welches einerseits als gütig-fürsorglich und andererseits als allmächtig gilt, erscheint angesichts der allgegenwärtig begegnenden Übel (mala) in dieser Welt als in sich widersprüchlich. Wie kann man sich eine umfassende göttliche Ordnung aller Dinge (ordo rerum) vorstellen, wenn eine überall zu beobachtende Unordnung (perversitas) im Weltgeschehen sie ständig ad absurdum führt? Zwingt die scheinbare Widersinnigkeit kontingenter Ereignisse nicht zu dem Eingeständnis, dass die göttliche Vorsehung (divina providentia) in ihrer ordnenden Kraft entweder nicht machtvoll und weitreichend genug oder aber durch einen prinzipiell fehlenden Ordnungswillen gekennzeichnet ist? Vor einer solchen Alternative aber warnt der Autor der Schrift: Jeder Zweifel an der Allmacht Gottes müsse als töricht, gefährlich und pietätlos (impium) zurückgewiesen werden, vollends frevelhaft aber sei die boshafte Unterstellung, das Übel könnte durch Gottes Willen (dei voluntate) erst entstanden und verschuldet sein. Zumindest die Richtung der Antwort, die Augustin auf das drängende Theodizeeproblem zu geben gedenkt, ist im Proömium bereits angedeutet: Keineswegs herrscht im Universum der Zufall (casus) oder gar Unordnung (perturbatio). Es ist vielmehr der Beschränktheit unseres Geistes zuzuschreiben, dass die große Harmonie und der umfassende Zusammenhang alles Seienden nicht erkannt wird. Nur deshalb gelangen wir zu einer falschen Ansicht über die Weltordnung, da wir gewohnt sind, unseren Blick lediglich auf die Einzelheiten zu richten, ohne das übergeordnete Ganze zu überschauen. Ein Urteil steht dem nicht an – so ein originelles Bild Augustins33 – , der die Schönheit eines kunstvollen Mosaikfußbodens nach dem Aussehen einzelner Steinchen zu beurteilen und daraufhin den Künstler (artifex) ob seines mangelnden Ordnungssinnes zu tadeln wagt. Wenn man das Universum in seiner harmonischen Gesamtheit überschauen will, so gelingt dies nicht von einem beliebigen Standpunkt der äußeren Peripherie, sondern gleichsam nur – wie bei einer geometrischen Kreisfigur34 – von dessen innerstem Zentrum ( ) her. Dieser eine Mittelpunkt (unum medium) des Alls, in dem das komplizierte universale Ordnungsgefüge gewissermaßen zu33 Zur Singularität dieses Beispiels in der antiken Literatur siehe infra unter 1,1,2, Z. 29 (s. v. in vermiculato pavimento). 34 Zur plotinischen Provenienz des Kreisvergleiches siehe infra unter 1,2,3, Z. 46–51 (s. v. ut in circulo).
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I. Einführung
sammenläuft und seinen letzten Ursprung besitzt, ist – Augustin umschreibt es in mystisch-neuplatonischer Terminologie – das Göttliche selbst, welches niemals in der Außenwelt der sinnlichen Erscheinungen, sondern nur in der Reflexion auf den eigenen Geist und dessen transzendenten „Kern“ erblickt und erfahren werden kann. Die angekündigte philosophische Disputation beginnt mitten in der Nacht (1,3,6–1,5,14). Eine Koinzidenz von scheinbar zufälligen Ereignissen führt dazu, dass alle Gesprächsteilnehmer zeitgleich wach sind und sich im Schlafgemach aus verschiedenen Gründen ein zunächst zwangloses Gespräch über die Ordnung dieser Welt entspinnt. Nachträglich wird dieser Umstand als ein Teil eines umfassenden Weltplanes gedeutet, welcher – zunächst meist unerkannt – durchaus zweckbestimmt agiert. Denn ohne eine nahezu unendliche Anzahl von Voraussetzungen wäre es nie zu der bedeutsam empfundenen Diskussion, geschweige denn ihrer schriftlichen Fixierung und Erhaltung für die Nachwelt gekommen. Es ist Licentius, der Schüler Augustins, der unter dem Eindruck des Erlebten die Behauptung aufstellt, nichts geschehe außerhalb der Ordnung (praeter ordinem nihil fieri). An nicht wenigen Beispielen wird demonstriert, dass kein Ereignis ohne Ursache geschieht. Auch wenn dem menschlichen Geist die genauen Gründe für ein Geschehen oft nicht in allen Einzelheiten fassbar sind, so muss doch der Schluss gezogen werden, dass eine geschlossene Kausalkette (ordo causarum) existiert, die bei Berücksichtigung aller relevanten Faktoren den Zufall, welcher dezidiert als „Ursachenlosigkeit“ verstanden wird, kategorisch ausschließt. Um den Begriff der Seinsordnung (ordo rerum) definitorisch fassbar zu machen, wird auf einer Vorstufe gefragt, was denn das Gegenteil (contrarium) der Ordnung sei (1,6,15). In einem bemerkenswerten Gedankengang wird von Licentius nicht etwa die Unordnung oder ein anderes sprachlich-negatives Derivat genannt, sondern spontan und mit großer Bestimmtheit das Nichts (nihil). Die Begründung ist denkbar einfach: „Wie kann es etwas Gegenteiliges zu der Sache geben, die das Ganze eingenommen hat, das Ganze innehat?“35 Denn das Gegenteil der Ordnung müsste sich zwangsläufig und definitionsgemäß außerhalb der Ordnung (praeter ordinem) befinden. Wenn aber nichts existiert, was von der Weltordnung nicht umfasst wird, kann es auch kein Gegenteil geben. Selbst der Irrtum (error), d. h. das unstete Hin- und Herschwanken, kann der Ordnung nicht als Gegenteil opponiert werden, denn kein Irrtum geschieht bei genauer Betrachtung ohne Ursache. So ist auch der error von der Ordnung fest umschlossen, kann daher nicht außerhalb ihrer existieren und damit keinesfalls ihr entgegengesetzt sein. In einer Weiterführung dieses Gedankens entscheidet sich Licentius, der im Dialog funktional als der große Verteidiger der Weltordnung auftritt, für die Aussage, dass die allumfassende Ordnung notwendigerweise sowohl das Gute als auch das Übel enthalte (1,6,16–1,7,19). An dieser Stelle nun nähert sich die Diskussion 35
nuit?
§ 15, Z. 7 f: quomodo esse quicquam contrarium potest ei rei, quae totum occupavit, totum obti-
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zum ersten Male ihrem zentralen Thema, der Möglichkeit der Theodizee. Der liebende Gott wird ins Spiel gebracht. Wie kann es sein, so lautet der Einwand, dass Gott die Welt und die von ihm geschaffene Ordnung liebt und gleichzeitig dieselbe Weltordnung auch das Übel enthält? Daraus folge doch zwangsläufig, „dass das Übel von dem höchsten Gott stammt und dass Gott das Übel liebt.“36 Licentius gibt sich nicht geschlagen. Das Übel, welches von Gott zweifellos nicht geliebt werde, könne sich dennoch innerhalb der Ordnung (in ordine) befinden. Denn dass Gott das Gute liebt und das Böse nicht liebt, sei geradezu der Inbegriff des Ordnungswillens Gottes. Das Prinzip der Unterscheidung (distinctio; hier: von Gut und Böse) konstituiere gewissermaßen erst den Ordnungsbegriff. Wo keine Unterschiede existierten, werde auch keine Ordnung benötigt. Darin bestehe Gottes Gerechtigkeit (iustitia), dass er jedem das Seine (sua cuique) zuteile und je nach seinen guten oder schlechten Taten das jeweils Verdiente ganz „ordnungsgemäß“ zukommen lasse. Augustin kündigt sein Vorhaben an, als advocatus diaboli die Thesen des Licentius widerlegen zu wollen, doch lediglich mit dem Ziel, sie in einem kritischen Diskurs weiter „auszufeilen“ (elimare) und gegen potentielle Angriffe zu schützen. Ein höheres Gesprächsniveau soll erreicht werden, was nicht zuletzt dem Adressaten Zenobius geschuldet sei, der sich schon seit geraumer Zeit grübelnd mit dem Wesen der Weltordnung auseinandersetze (1,7,20; 1,9,27). Als Vorbereitung der eristischen Auseinandersetzung wird Licentius zu einer Definition der Ordnung aufgefordert (1,10,28). Nach kurzem Zögern formuliert er: „Ordnung ist das, wodurch alles gelenkt wird, was Gott beschlossen hat.“37 Es entsteht ein Disput, wo Gott selbst angesiedelt werden könne, ob innerhalb oder außerhalb der Ordnung (1,10,29). Es wird gefragt, ob man nicht der Definition gemäß zwischen dem außerhalb der Weltordnung stehenden Gottvater und dem innerhalb der Ordnung sich befindlichen Gottessohn unterscheiden könne. Denn Letzterer sei durch den Vater in die Welt gesandt, werde in gewisser Hinsicht von ihm geleitet. Eine endgültige Übereinstimmung wird an dieser Stelle nicht erzielt und das philosophische Gespräch wird kurz darauf für einige Tage unterbrochen. Zu Beginn des zweiten Buches wird die Definition der Ordnung als das allumfassende Weltregiment Gottes erneut aufgenommen (2,1,2). Licentius sieht sich gezwungen, noch einmal deutlich zu betonen, dass auch das Übel sich innerhalb der Ordnung befinde, dass Ordnung erst dort entstehe, wo das Zusammensein von Gutem und Bösem geregelt, d. h. prinzipiell Ungleiches unterschieden werden müsse. Augustin als nomineller Widersacher des Licentius setzt seine Fangfragen fort (2,1,3), indem er das in der antiken Philosophie gebräuchliche Gegensatzpaar von „bewegt werden“ (moveri) und „unbeweglich sein“ (immobile esse) einführt: Wenn Gott selbst und alles, was mit Gott verbunden ist, unbeweglich (sc. unveränderlich) sei, und wenn andererseits Vieles eindeutig der Bewegung 36 37
§ 17, Z. 12 f: Ex quo sequitur, ut et mala sint a summo deo et mala deus diligat. § 28, Z. 10: Ordo est …, per quem aguntur omnia, quae deus constituit.
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(sc. der Veränderlichkeit) unterworfen sei, so folge daraus, dass es etwas gebe, was nicht mit Gott verbunden (cum deo), sondern von ihm getrennt (sine deo) sei, sich demnach auch nicht innerhalb seiner Ordnung befinden könne. Licentius kann den Einwand nicht auflösen, sondern lediglich bekräftigen, was ihm als Prämisse unverzichtbar erscheint: Zum einen stehe ihm fest, dass nichts von Gott getrennt sei, zum anderen könne an der Unveränderlichkeit im göttlichen Bereich kein Zweifel bestehen. Auf welche Weise aber auch das Veränderliche mit Gott verbunden sein könne, sei ihm noch nicht ersichtlich. Zunächst wird versucht, den Terminus „mit Gott verbunden sein“ (esse cum deo) näher zu bestimmen (2,2,4–2,2,5). Man einigt sich schnell auf die Definition, dass „das mit Gott ist, was fähig ist, Gott zu erkennen.“38 Der imaginäre Weise (sapiens) wird genannt, der zweifellos Gott zu erkennen vermöge und darum auch mit Gott verbunden sei. Weiterhin besteht ein Konsensus, dass auch die Erkenntnisgegenstände des Weisen, die er nicht sinnlich, sondern geistig erfasst, zum Bereich des mit Gott Verbundenen zu rechnen seien. Der Argumentationsgang wird durch das Gedankenspiel gekrönt, dass der Weise unter anderem auch sich selbst erkenne. Da er selbst zu den Objekten seiner Erkenntnis zähle, sei der erkennende Weise sowohl als Subjekt als auch als Objekt gewissermaßen auf zweifache Weise mit Gott verbunden. – Für die Tatsache, dass auch das Vergängliche, wenn auch nur indirekt, mit Gott verbunden sei, wird ebenfalls der Weise als Beispiel bemüht (2,2,6–2,2,7). Im unteren Teil seiner Seele wohne ein Seelenteil, welcher auf die sinnliche Wahrnehmung zurückgreife: das Erinnerungsvermögen (memoria). Der Geist des Weisen bediene sich seiner wie eines Sklaven, den er herbeiruft, wann immer es ihm nützlich erscheint. Dass diesem untersten Seelenteil auch das Vergängliche (mobilia) zugeordnet werden müsse, sei evident. Denn wofür sonst sei das Gedächtnis verantwortlich, wenn nicht für die vergehenden und leicht entschwindenden Dinge? Auf eine weitere Probe stellt Augustin seine Schützlinge (2,3,8–2,3,10): Da man die Erkenntnisobjekte des Weisen als „mit Gott verbunden“ bezeichnet habe, müsse man notgedrungen auch die Torheit (stultitia) dem göttlichen Bereich zuordnen. Denn wie könne der Weise die Torheit meiden, wenn er sie nicht vorher erkannt habe? Sowohl Alypius, der mittlerweile aus Mailand zurückgekehrt ist, als auch Trygetius versuchen sich an einer Antwort, doch ohne überzeugenden Erfolg. So muss der Lehrer selbst die Lösung vorgeben: Wie auch die Finsternis (tenebrae) auf keine Weise zu sehen sei, sondern nur dadurch vermieden werden könne, dass man sie mit seinen Augen zu durchdringen suche, so gehöre auch die Torheit, die man gewissermaßen als die „Finsternis des Denkens“39 bezeichnen könne, keineswegs zu den Objekten der Erkenntnis. Wer weise werden möchte, solle nicht versuchen, die Torheit zu erkennen, sondern möge bedauern, dass eben diese ihn daran hindert, anderes zu erkennen. Es ist dies – Augustin spricht 38 39
§ 4, Z. 9 f: cum deo est quidquid intellegit deum. Vgl. § 10, Z. 62: … mentis tenebras …
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es nicht vollkommen deutlich aus – die Konstruktion des Privationsgedankens: Torheit gilt nicht als eigenständige substanzielle Größe, sondern lediglich als die „Abwesenheit von Weisheit“. Um wieder zum Thema der Ordnung zurückzukehren, gibt Augustinus folgendes Rätsel auf (2,4,11–2,5,13): Geschieht alles, was ein Tor tut, nach der Ordnung? Bejahte man die Frage, vertrüge sich dies schlecht mit der Definition, dass „die Ordnung das sei, wodurch Gott alles Bestehende leite“40. Verneinte man dagegen, dass die häufig ungeordneten Handlungen der Toren jederzeit der Ordnung entsprechen, so wäre die Ordnung nicht umfassend und es gäbe etwas außerhalb ihres Wirkungsbereiches. Es ist Trygetius, der hier durch eine bemerkenswerte Antwort (der Leser der Schrift kennt sie schon aus dem Proömium) den Gesprächspartnern imponieren kann: Den törichten Handlungen sei durch das unaussprechliche und ewige Gesetz Gottes ein gewisser Raum zugewiesen. Wer innerhalb der umfassenden Ordnung des Seins nur diesen Ausschnitt betrachte, komme notwendigerweise zu dem Schluss, dass hier die „Hässlichkeit“ (foeditas) herrsche. Wer aber seine geistigen Augen auf das Ganze (universa) richte, werde nichts finden, was ungeordnet sei oder sich nicht an seinem ihm zugehörigen Platz befinde. Augustin ist von diesem Gedanken, den er Trygetius kaum zutraut, begeistert und fügt seinerseits eine Reihe von Beispielen als Illustration hinzu. So sei der Hahnenkampf, den man einige Tage zuvor beobachtet habe (1,8,25–1,8,26), ein besonders passendes Bild für die schönheitssteigernde Wirkung des Hässlichen. Das verunstaltete Aussehen des unterlegenen Hahnes, nur für sich betrachtet, sei in jeder Hinsicht abstoßend, dennoch bringe seine Hässlichkeit – durch Kontrastwirkung – die Schönheit des Überlegenen und des gesamten Kampfes erst richtig zum Ausdruck. Für den notwendigen „Blick auf das Ganze“ sei allerdings, so Augustin, eine umfassende Bildung in den enzyklopädischen Wissenschaften notwendig (2,5,14– 2,5,17). Nur sie könne vor einseitigen Sichtweisen schützen. Mit ihrer Hilfe sei es möglich, viele Fragen, die sich angesichts scheinbarer Ungerechtigkeit und Unordnung in der Welt stellten, aufzulösen und zu beantworten. Denjenigen allerdings, für die aufgrund äußerer Umstände (Zeitnot, fehlender Eifer, mangelnde intellektuelle Begabung) eine derartige Bildung nicht zugänglich sei, stehe als Alternative der Weg des Glaubens offen. Gott werde den nicht im Stich lassen, der den christlichen Lehren (mysteria) vertraut. Während der Weg der Vernunft (ratio) die vollkommene Einsicht verspreche, habe die Autorität (auctoritas) eine „befreiende“ (sc. soteriologische) Wirkung. Das Ziel beider Wege sei identisch: es gehe um das Verständnis und die Anerkennung des einen göttlichen Ursprungs der Welt, d. h. des allmächtigen Gottes in seiner dreifachen Gestalt. Nach einem Exkurs über die Ubiquität des Göttlichen und der daraus folgenden Einsicht, dass der Weise (sapiens) trotz seiner körperlichen Beweglichkeit geistig immer mit Gott in Verbindung stehe (2,6,18–2,6,19), startet Augustin 40
§ 11, Z. 3 f: ordo est, quo deus agit omnia, quae sunt.
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einen letzten Angriff auf die Weltordnung (2,7,22–2,7,23). Die Ausgangsfrage lautet: War Gott immer gerecht? Da man dies schlecht abstreiten könne, sei die notwendige Folgerung, dass sowohl das Gute als auch das Böse immer schon existierten. Denn ansonsten brauchte Gott nicht – gemäß der bereits anerkannten Definition der Gerechtigkeit – „jedem das Seine“ (sua cuique) zuteilen. Trygetius versucht eine Entschärfung der Problematik, indem er postuliert, dass Gott zwar immer schon gerecht war, aber diese seine Gerechtigkeit (iustitia) erst anwenden musste, als das Übel entstand. Diese Erwägung allerdings hält den advocatus diaboli nicht davon ab, nunmehr seinen wichtigsten Einwand vorzubringen: Wenn das Übel irgendwann entstand und erst dann Gottes Gerechtigkeit zum Tragen kam, um eben dieses Übel durch seine Platzanweisung in die Weltordnung zu integrieren, dann wäre tatsächlich etwas außerhalb der Ordnung (praeter ordinem) entstanden. Die Ordnung wäre also nicht umfassend. Als Alternative sei lediglich denkbar, dass das Übel innerhalb der Ordnung entstanden sei, dann aber wäre Gott der Urheber (auctor) des Übels. Dies wiederum sei die abscheulichste Gotteslästerung (sacrilegium). Die Diskussion endet an dieser Stelle und Augustin zieht es vor, einen zusammenhängenden Vortrag (oratio perpetua) zu halten.41 Eine tief verborgene Vernunft (occultissima ratio) scheine zwar anzudeuten, dass nichts außerhalb der Ordnung geschehe, doch dürfe man nicht ungeordnet den ersten Schritt vor dem zweiten gehen (2,7,24–2,10,29). Wer Klarheit in den aufgeworfenen Fragen zu erlangen suche, müsse sich selbst einer zweifachen Ordnung unterwerfen, zum einen einer vernünftigen Ordnung der Lebensführung (ordo vitae), zum anderen einer geregelten Ausbildungs- und Studienordnung (ordo eruditionis). In einem detaillierten Tugendkatalog stellt Augustin zunächst die sittlichen Voraussetzungen des Erkenntniswilligen vor. Danach wendet er sich in einem nächsten Schritt ganz den geforderten Wissensgrundlagen zu. Hier existieren wiederum zwei Wege, welche der Lernende beschreiten kann. Einerseits könne man sich auf dem Wege zum Wissen einer Autorität (auctoritas) anschließen, andererseits aber auch seiner eigenen Vernunft (ratio) folgen. Die erste Art der Wissensaneignung sei in zeitlicher Hinsicht vorzuziehen, sie bilde gewissermaßen das Eingangstor (ianua) zur wissenschaftlichen Bildung. Der zweite Weg, der des selbstständigen Vernunftgebrauchs, habe in sachlicher Hinsicht die Priorität. Er verspreche vollendete Einsicht und nicht zuletzt Glückseligkeit, nicht erst im jenseitigen, sondern bereits im hiesigen Leben. Für den Philosophen ist naturgemäß der Gebrauch der Vernunft die angemessene Methode. Zunächst nimmt Augustin eine begriffliche Bestimmung der ratio vor und klärt insbesondere ihr Verhältnis zur sinnlichen Wahrnehmung (2,11,30– 2,11,34). Danach stellt er die Leistungen der menschlichen Vernunft vor, indem er in der Form einer Kulturentstehungslehre das Anwachsen des „Weltwissens“ beschreibt. Hierzu lässt er die personifizierte ratio die verschiedenen enzyklopä41
Zur Begründung dieses Vorgehens vgl. retr. 1,3,1.
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dischen Wissenschaften gleichsam „durchwandern“ (2,12,35–2,15,43). Insgesamt enthält Augustins normativer Bildungskanon sieben Disziplinen. Dem trivium von Grammatik, Dialektik und Rhetorik (den sog. Wissenschaften des Wortes) lässt er das quadrivium von Musik / Poetik, Geometrie, Astrologie / -nomie und Arithmetik (die sog. Wissenschaften der Zahl) folgen. In diesen Wissensgebieten müsse derjenige gründlich gebildet sein, der nach der Ordnung dieser und der jenseitigen Welt frage. Als die Krönung aller Wissenschaften gilt Augustin die Philosophie (2,16,44–2,19,51). Sie wird zwar nicht im engeren Sinne zu den septem artes gezählt, gleichwohl enthält sie deren Quintessenz. In der „wahren und echten“, d. h. der neuplatonischen Philosophie, kulminiert die schiere Unermesslichkeit des Lernstoffes und erfährt hier gleichzeitig ihre radikale Vereinfachung. Sie ist es, welche in glückseliger Gottesschau den Anblick der höchsten Schönheit und des Ursprungs der Welt verspricht. Erst wenn der Geist dort, in jener intelligiblen Welt (in illo … mundo intelligibili 42), angelangt ist, wird er den Blick auf das harmonische und vollendete Ganze (totum) werfen können, von dem in der hiesigen Welt nur die widersprüchlichen Einzelteile wahrgenommen werden. Erst dort wird sich auch das verwickelte Problem der Theodizee, die unerträgliche Anwesenheit des Ungeordneten und Bösen in der Welt, endgültig auflösen.
b) Die Struktur der Schrift De ordine Eine Grobgliederung der Schrift lässt sich relativ gut und trennscharf vornehmen. Auf das Proömium (1,1,1–1,2,5) folgt der erste Hauptteil (1,3,6–1,11,33), welcher Thesen zur Existenz und Ausprägung einer göttlichen Weltordnung enthält. Im zweiten Hauptteil (2,1,1–2,7,23) werden die Gesprächsrollen so verteilt, dass der Augustinschüler Licentius die Verteidigung der aufgestellten Thesen übernimmt, während Augustin selbst den „Ankläger“ spielt, um in einem dialektischen Verfahren die Evidenz der Thesen zu erhärten. Der dritte Hauptteil (2,7,24–2,19,51) enthält – nach dem Vorbild eines aristotelischen bzw. ciceronischen Dialogs – eine oratio perpetua, in welcher Augustin anthropogene und methodische Voraussetzungen zum Verständnis der umfassenden Seinsordnung aufzeigt. Den Abschluss (2,20,52–2,20,54) bildet eine Aufforderung zum tugendhaften Lebenswandel und zum Gebet sowie ein von Alypius formulierter Dank an den Hauptredner Augustinus. – Die Schnittstellen der Gliederung des Hauptteils sind aus inhaltlichen Gründen, aber auch in formaler Hinsicht von Augustinus selbst vorgegeben. Die erste Zäsur fällt mit der vom Autor vorgenommenen Bucheinteilung zusammen, die zweite wird extern durch die Besprechung der Schrift in den retractationes bestätigt.43 Die entstandenen drei Teile sind von ihrem äußeren Umfang her etwa gleichgewichtig. 42
Vgl. § 51, Z. 49 f. Augustin führt in retr. 1,3,1 das Unverständnis seiner Gesprächspartner als Grund dafür an, dass er einen Wechsel vom Disputations- zum Vortragsstil gewählt habe. 43
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Eine weitergehende Feingliederung gestaltet sich insofern schwierig, als es sich bei De ordine mitnichten um eine systematische Abhandlung, sondern um eine zwar gedanklich vorwärts drängende, aber immer wieder von illustrierenden Exkursen unterbrochene Darstellung handelt. Diese besonders im ersten, aber auch im zweiten Buch auftretenden exkursorischen Partien stehen in einer sehr unterschiedlichen Nähe zum Hauptgedankengang und sind nicht immer eindeutig in ihrem Umfang abzugrenzen. Eine Gliederung, die sich ausschließlich an chronologischen Kriterien44 orientiert, kann ebenfalls nicht vollends befriedigen, da äußerlich sehr ungleiche Abschnitte entstehen würden, die zum Teil – so besonders bei der Zäsur nach 2,6,18 – einer inhaltlichen Disposition eklatant zuwiderlaufen. Schließlich ist – vor allem in Buch 1 – der Fortschritt des philosophischen Gesprächs (Hauptthema: Die Weltordnung) begleitet von einer Progression in der szenischen Rahmenhandlung (Hauptthema: Die Bekehrung des Licentius). Die strukturierenden Prinzipien führen auch in dieser Hinsicht zu vielfältigen, inkongruenten Überlagerungen. – Aufgrund der skizzierten Schwierigkeiten ist die Systematik der folgenden Feingliederung bewusst einfach gehalten. Auf die Einführung weiterer Unterebenen wurde verzichtet. Sie würde eine alles durchwaltende und umfassende „Ordnung“ suggerieren, die in der Schrift De ordine eindeutig nicht besteht. 1. Proömium Thema, Widmung, Situation (1,1,1–1,2,5) 2. Hauptteil a) Erster Abschnitt: Bestimmung der Seinsordnung (1,3,6–1,11,33) ) Erste These des Licentius: Nichts geschieht „außerhalb der Ordnung“ (§ 6–9) ) Bekräftigung der These: Ausschluss des Zufalls aus der Ordnung; in einem ununterbrochenen ordo causarum geschieht nichts ohne Ursache (§ 10–14) ) Zweite These des Licentius: Ordnung umfasst Gutes und Schlechtes (§ 15–16) ) Bekräftigung der These: Die Ordnung wirkt durch das Prinzip der Unterscheidung, durch gerechte Zuteilung und Platzanweisung (§ 17–19) ) Ankündigung der Widerlegung der Thesen durch Augustin; Hinweis auf den Adressaten Zenobius; Bekehrung des Licentius zum Philosophen (§ 20–21) ) Bekehrung heißt Abwendung von schmutzigen irdischen Gelüsten und Zuwendung zum reinen Antlitz Gottes (§ 22–24) 44 Die Disposition des Hauptteils nach zeitlichen Aspekten sähe wie folgt aus: 1. Nachtgespräch im Schlafgemach (1,3,6–1,8,21) 2. Gespräch am frühen Morgen im Schlafgemach (1,8,22–1,8,24) 3. Nach dem Aufstehen: Beobachtung des Hahnenkampfes im Hof (1,8,25 f) 4. Gespräch am zweiten Tag (1,9,27–1,11,33) 5. Wenige Tage später: Gespräch am Morgen (2,1,1–2,6,18) 6. Gespräch und Vortrag am Nachmittag (2,6,19–Ende)
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) Harmonie der Gegensätze: Der Hahnenkampf als Gleichnis für Ordnung, Schönheit und Maß (§ 25–26) ) Bedeutung der Frage nach der Ordnung; Definition der Ordnung als das Weltregiment Gottes (§ 27–28) ) Tadel der Eitelkeit der Schüler durch Augustin (§ 29–30) Die Rolle der Frauen in der Philosophie (§ 31–33) b) Zweiter Abschnitt: Verteidigung der Seinsordnung (2,1,1–2,11,34) ) Gesprächseinleitung; Wiederaufnahme der Definition der Ordnung als allumfassendes Weltregiment Gottes (§ 1–2) ) Einwand: Ist nicht alles Veränderliche von Gott getrennt? Versuch einer Entkräftung (§ 3) ) Arbeitshypothese: Der Weise ist mit Gott verbunden, da er Gotteserkenntnis besitzt; alle Erkenntnisgegenstände des Weisen sind ebenfalls mit Gott verbunden (§ 4–5) ) Kritische Rückfrage: Ist die Vernunfterkenntnis des Weisen von der sinnlichen Wahrnehmung unabhängig? Differenzierte Antwort (§ 6–7) ) Einwand: Befindet sich die Torheit bei Gott? Entkräftung mit Hinweis auf den Privationsgedanken (§ 8–10) ) Einwand: Werden die Handlungen des Toren von der göttlichen Ordnung umschlossen? Hinweis auf den notwendigen „Blick auf das Ganze“ und die schönheitssteigernde Wirkung des Hässlichen (§ 11–13) ) Die Bildung in den enzyklopädischen Wissenschaften ist Voraussetzung für das Verständnis der Weltordnung Gottes (§ 14–17) ) Der körperlich bewegliche Weise kann geistig immer mit Gott verbunden sein, denn Gott ist überall (§ 18–19) ) Einwand: Was entstand zuerst? Das Übel oder die Ordnung (= Gottes Gerechtigkeit, die dem Übel den angemessenen Platz zuweist)? Lediglich unbefriedigende Antworten (§ 20–23) c) Dritter Abschnitt: Aufweis der Bildungsordnung (2,12,35–2,19,51) ) Die doppelte Ordnung für das Verständnis der Welt: ordo vitae und ordo eruditionis (§ 24–25) ) Der doppelte Weg des Lernens: Autorität und Vernunft (§ 26) ) Wesen, Bedeutung und Funktion der Autorität (§ 27–29) ) Begriffliche Bestimmung der Vernunft und ihr Verhältnis zur sinnlichen Wahrnehmung (§ 30–34) ) Der Aufstieg der Vernunft; die Entstehung der enzyklopädischen Wissenschaften des Wortes und der Zahl (§ 35–43) ) Beschränkung des notwendigen Lernstoffes: die neuplatonische Philosophie der Einheit als die Quintessenz der umfassenden Bildung (§ 44–51) 3. Abschluss Danksagung, Aufforderung zum Gebet, Hinweis auf Pythagoras (2,20,52–2,20,54)
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3. Quellen und Traditionen a) Lateinische Klassiker Die Cassiciacum-Trilogie Augustins orientiert sich in Sprache und Stil an den ciceronischen Dialogen.45 So wird in besonders auffälliger Weise auch die für Ciceros philosophische Werke charakteristische Einflechtung von Dichterzitaten imitiert. Allerdings tritt an die Stelle des vormals – d. h. zu Ciceros Zeiten – „klassischen“ Schulautors Ennius nunmehr der in der Spätantike ungleich bekanntere Vergil. Augustinus konnte fest damit rechnen, dass sein gebildeter Leserkreis die Anspielungen auf das Werk des allseits geschätzten doctus poeta problemlos identifizierte. Besonders häufig sind die Zitate und Anklänge an Vergil in den drei Büchern Contra Academicos,46 doch steht die Schrift De ordine, die insgesamt ein wenig kürzer ist, in dieser Hinsicht nur wenig nach.47 Die Frequenz der Vergil-Reminiszenzen in den philosophischen Frühdialogen mag sich auch aus dem Umstand erklären, dass das literarische Werk des augusteischen Dichters in Cassiciacum einen Hauptteil der gemeinsamen Lektüre darstellte: Insgesamt dreimal (nämlich in c. acad. 1,5,15; 2,4,10 und ord. 1,8,26) erwähnt Augustin, dass neben der philosophischen Disputation auch das regelmäßige Studium des Vergil zum Tagespensum gehörte. Schenkt man dieser Notiz Glauben, so wurde täglich ein halbes Buch (dimidium volumen; und zwar der Aeneis!48) durchgenommen. – Neben Vergil ist der Komödiendichter Terenz zu nennen, der seinen Niederschlag weniger in Contra Academicos gefunden hat,49 dagegen in De beata vita und De ordine jeweils mit drei Versen zitiert wird (3 x Andria, 2 x Eunuchus, 1 x Phormio).50 Die meist scherzhaften Einflechtungen geschehen ornandi causa und verleihen der phi45 Vgl. C. Mohrmann, Etudes sur le latin des chrétiens, Bd. 2, S. 248; B. R. Voss, Dialog, S. 230. Die Unterschiede zur ciceronischen Diktion im Detail – Abweichungen von der klassischen Syntax bzw. vom klassischen Vokabular, reichere Ausgestaltung der Szenerie, größere Variation der sprachlichen Gestaltung bei Augustin – fasst konzise Th. Fuhrer (Contra Academicos, S. 45 f) zusammen. 46 Vgl. Hagendahl, Latin Classics, S. 446: „No other work of Augustine’s has so many quotations“. 47 Besonders auffällige (wörtliche) Zitate – in der Textausgabe von Green durch Kursivschrift hervorgehoben – finden sich in ord. 1,4,10 (Aen. 10,875), 2,11,34 (Georg. 2,481 f; Aen. 1,745 f) und 2,20,54 (Aen. 7,586). Die impliziten Anspielungen und Reminiszenzen sind weitaus häufiger. Vergilische Formulierungen und sprachliche Versatzstücke unterschiedlichen Umfangs werden – in der Regel kommentarlos – in die eigene Diktion „eingebaut“ und dem Leser auf diese Weise ein willkommener „Wiedererkennungseffekt“ geboten. Schöne Beispiele etwa: 1,4,10, Z. 13–15 oder ibid. Z. 18–20 (siehe infra zur Stelle). Zur statistischen Häufigkeit der Vergil-Bezüge in De ordine: siehe infra unter 1,8,26, Z. 82 f. 48 Zur umstrittenen Frage, welches Werk Vergils (Aeneis oder Georgica) gelesen wurde, siehe die Ausführungen infra unter 1,8,26, Z. 82 f (s. v. dimidium volumen Vergili …). 49 Siehe aber ibid. 3,16,35 mit Bezug auf Eun. 331; der Bezug auf den Heautontimoroumenos (V 242) in 2,7,17 (Z. 43 f Green) ist unsicher. 50 Siehe im Einzelnen: beat. vit. 4,25 (Eun. 761 und Andr. 305 f); 4,32 (Andr. 61); ord. 1,3,9 (Eun. 1024); 1,7,20 (Andr. 730); 2,7,21 (Phorm. 419).
3. Quellen und Traditionen
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losophischen Disputation mitunter das Kolorit der volkstümlichen Diatribe. – Die Dichtung des Ovid wird in De ordine insofern berücksichtigt, als mehrfach die Vorliebe des Licentius für die Pyramus-Sage erwähnt wird. Dass bei der Bezugnahme auf den althergebrachten mythologischen Stoff speziell die Version der ovidischen Metamorphosen (met. 4,55–166) im Hintergrund stand, ist zumindest sehr wahrscheinlich.51 – Die Bezüge auf die lateinischen Prosaiker sind, wenn man von der Sonderstellung Varros und Ciceros absieht, in De ordine äußerst selten. Eine vage Reminiszenz an die coniuratio Catilinae des Sallust kann ausgemacht werden.52 Aus dem Werk des Tacitus ist mitunter der Dialogus benutzt,53 einmal wird an exponierter Stelle am Ende eines Gesprächs – zur Kennzeichung der heiteren, freundlich-urbanen Grundatmosphäre – dessen Aufbruchsformel aus dial. 42,2 (Hic cum arrisissent, discessimus) wörtlich übernommen.54
b) Pythagoras Ausdrücklich wird in De ordine, unmittelbar am Ende der Schrift, der Name des Pythagoras als Gewährsmann für die Ausführungen Augustins genannt (vgl. ord. 2,20,53 f). Von Pythagoras stammten die Lebensregeln (vitae regulae) und die aufgezeigten Wege zum Wissen (scientiae itinera), die Augustin seinen Schülern in seiner langen Abschlussrede vermittelt habe. Die Lehre dieses großen Philosophen werde, so die Wertung im Munde des Alypius, mit Recht für ehrwürdig (venerabilis) und fast göttlich (prope divina) gehalten und Augustin habe sie seinen Zuhörern mit der ihr eigenen Leuchtkraft eindrucksvoll vor Augen führen können. So sehr die augustinische Begeisterung für die disciplina Pythagorae in dem Frühdialog spürbar ist, so groß ist seine spätere Irritation: In den retractationes sieht sich Augustin genötigt, seine Aussage zu widerrufen und bedauert, dass er dem Pythagoras angesichts dessen zahlreicher und schwerwiegender Irrtümer (errores plures idemque capitales) so großes Lob gespendet habe.55 Für die Vermittlung der (von Augustin so bezeichneten, in ihrer Kontur jedoch äußerst unscharfen) „Lehre des Pythagoras“ kommen grundsätzlich verschiedene Quellen in Frage. Zu verweisen ist zunächst auf die in der Antike weit verbreitete Legende, Platon habe nach dem Tode seines Lehrers Sokrates ausgedehnte Bildungsreisen nach Ägypten, Italien und Sizilien unternommen, um die Entdeckungen des Pythagoras zu studieren.56 Augustin, der dies nachweislich für wahr 51 Siehe dazu infra unter 1,3,8, Z. 45–47; 1,8,25, Z. 62 und insbesondere 1,8,21, Z. 4 f mit dem deutlichen Bezug auf met. 4,55 f. 52 Siehe zu 2,7,22, Z. 42–44. 53 Siehe zu 1,3,8, Z. 41 f; 1,10,28, Z. 6; 1,11,31, Z. 11 f. 54 Siehe infra unter 2,6,18, Z. 16 f. 55 Retr. 1,3,3: Nec illud mihi placet, quod Pythagorae philosopho tantum laudis dedi, ut qui hanc audit vel legit possit putare, me credidisse nullos errores in Pythagorica esse doctrina, cum sint plures idemque capitales. 56 Vgl. z. B. Cicero, rep. 1,16; Tusc. 1,39; fin. 5,87; Val. Max. 8,7, ext. 3; Hieronymus, adv. Rufin. 3,40; Apuleius, Plat. 1,3.
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hält und insbesondere platonische Aussagen über die Natur und das Wesen des Göttlichen auf Pythagoras zurückführt,57 konnte sich aufgrund dieser Annahme berechtigt fühlen, kosmologische und theologische Deutungen, die ihm in der Überlieferung unter dem Namen Platons begegneten, als Pythagorica anzusehen und als solche zu bezeichnen. Pythagoreisches Gedankengut konnte Augustin auch bei seinem literarischen Vorbild Cicero finden. Hier sind die Abhängigkeiten – aufgrund des guten Erhaltungszustandes der philosophica Ciceros – zum Teil konkreter fassbar. So wird beispielsweise das Ideal der inneren Einigkeit unter guten Freunden (vgl. ord. 2,18,48: Amici quid aliud quam unum esse conantur? Et quanto magis unum, tanto magis amici sunt) bei Cicero explizit und mit ähnlichem Wortlaut auf die Lehre des Pythagoras zurückgeführt (off. 1,56: … efficiturque id, quod Pythagoras vult in amicitia, ut unus fiat ex pluribus).58 Insgesamt wird man aber konzedieren müssen, dass der Einfluss Ciceros in seiner Rolle als Pythagoras-Vermittler nur begrenzt angesetzt werden kann. Ein spezifischer „ciceronischer Pythagoras“ hat in De ordine über die wenigen, fast schon topischen Einzelzüge hinaus keinen besonderen Niederschlag gefunden. Die herausragende kosmologische Bedeutung der Zahl, vor allem die augustinische Spitzenthese, dass das Verständnis der Welt letztlich auf der Erkenntnis der Zahlen beruhe (ord. 2,16,44; 2,18,47 u. ö.), ist zentrales Gedankengut des pythagoreisierenden Mittelplatonismus wie des platonisierenden Neupythagoreismus, deren Kenntnis – ohne dass in jedem Einzelfall ein bestimmter Autor namhaft gemacht werden könnte – für Augustin sehr wahrscheinlich ist.59 Eine besondere Nähe scheint zum Neupythagoreer Nikomachos von Gerasa zu bestehen, den Augustin nachweislich bereits für seine verlorene Jugendschrift De pulchro et apto verwertet hat.60 So kann man die sog. „doppelte Zahlendimension“, nämlich die Zuweisung der numeri sowohl zur geistigen Welt (als numeri intelligibiles) als auch zur körperlichen, sinnlich wahrnehmbaren Welt (als numeri sensibiles), als ein Erbe des Geraseners ansehen.61 Als die wichtigste Quelle für die disciplina Pythagorae wird man jedoch das Schrifttum des Marcus Terentius Varro ansehen müssen. Nicht zuletzt gibt Au57 Siehe c. acad. 3,17,37 und aus späterer Zeit civ. 8,4; doctr. christ. 2,43. Dass das Platon-Bild Augustins von Cicero übernommen ist, zeigen Dörrie / Baltes, Platonismus, Bd. 1, S. 539, und F. Regen, Darstellung, S. 222 mit Anm. 66. 58 Zum Gedanken des unum esse / fieri unter Freunden siehe auch Aug., c. acad. 2,3,9 und Cic., Lael. 92. 59 Vgl. A. Dyroff, Form, S. 46 f; A. Solignac, Doxographies, S. 125; C. Andresen, Bildungshorizont, S. 90–93; Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 407. 60 A. Solignac (BAug 14, 1992, S. 673) zeigt die Affinität einer Passage aus Augustins De pulchro et apto zum ersten Buch der Arithmetika theologumena des Nikomachos. – Denkbar ist, dass Augustin für De ordine auch dessen Introductio arithmeticae (ins Lateinische übersetzt von dem aus Madaura, der Nachbarstadt Thagastes, stammenden Apuleius) benutzt hat. Vgl. hierzu B. R. Voss, Frühdialoge, S. 10; A. Solignac, Doxographies, S. 129–137. 61 In diesem Sinne urteilen A. Solignac (Doxographies, S. 135) und D. J. O’Meara (Pythagoras revived, S. 29, Anm. 79). Siehe infra zu 2,15,43, Z. 13 f (s. v. in illis dimensionibus).
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gustin selbst den römischen Polyhistor als Tradenten pythagoreischer Weisheit an (ord. 2,20,54). Die Lehre von der universalen Macht der Zahl, der Zahlhaftigkeit alles Seins, der Identifizierung von Zahl und Vernunft sowie insbesondere der Herrschaft rationaler Zahlenverhältnisse in den Künsten ist ein Herzstück des augustinischen Wissenschaftsexkurses (ord. 2,12,35–15,43). Es sind diejenigen Lehren, die man seit Jahrhunderten traditionell mit dem Pythagoreismus in Verbindung brachte.62 Aus welchen der zahlreichen Schriften des Universalgelehrten nun Augustin geschöpft haben könnte (vielleicht aus den verlorenen Büchern De principiis numerorum?63), muss angesichts der sehr lückenhaften und fragmentarischen Überlieferung der varronischen Werke letztlich offen bleiben.
c) Marcus Terentius Varro Neben der pythagoreisierenden Schrift De principiis numerorum sind andere Werke Varros als Vorlagen für Augustins De ordine in Betracht gezogen worden. Einzelne sprachliche oder inhaltliche Parallelen zum teilweise erhaltenen Werk De lingua Latina und auch zu dessen Rerum rusticarum libri sind ausgemacht worden, doch eine konkrete Benutzung als Quellen im engeren Sinne bleibt unsicher.64 Heftig umstritten ist aber vor allem die Frage, ob Augustins Gesamtkonzept der enzyklopädischen Bildung, einschließlich des von ihm präsentierten Fächerkanons, auf Varros Disciplinarum libri zurückgehen könnte. Die These an sich ist schon älter: Bereits F. Ritschl65 unternimmt 1877 den Versuch einer Rekonstruktion der varronischen „Bücher über die Wissenschaften“ und gelangt aufgrund eingehender Auswertung von Hinweisen, Reminiszenzen und Zitaten unterschiedlichster Varro-Rezipienten (im Einzelnen: Vitruv, Plinius, Martianus Capella, Priscian, Cassiodor, Isidor, Nonius, Gellius, Claudianus Mamertus, schließlich auch Augustin selbst) zu einem mutmaßlichen Aufbau des Werkes. Varro habe demnach in insgesamt neun Büchern66 die folgenden Disziplinen behandelt: Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Musik, Medizin, Architektur. Die Rekonstruktion der Wissenschaftslehre Varros hat bis heute großen Anklang gefunden, die Abhängigkeit Augustins von der Konzeption Varros ist weit62
Siehe z. B. das Referat bei Sext. Emp., adv. math. 7,92 ff. So P. Keseling (Weltregiment, S. 81), der darauf hinweist, dass dieselben „in pythagoreischem Geiste gehalten“ waren. 64 Vgl. zu De lingua latina infra unter 2,12,35, Z. 9 f (s. v. imponenda rebus vocabula …) und 2,12,36, Z. 24 (s. v. motus integritas iunctura); zu den Rerum rusticarum libri siehe unter 2,14,39, Z. 9 f (s. v. sonum eumque esse triplicem). 65 F. Ritschl, De M. Terentii Varronis disciplinarum libris commentarius, in: Opuscula Philologica 3, Leipzig 1877, S. 352–402. 66 Die Neunzahl der libri disciplinarum ist als erstes bezeugt bei Vitruvius, De architectura 7, praef. 14: … item Terentius Varro de novem disciplinis unum de architectura. Vgl. auch Cassiodor, Institutiones 2,3,2; Isidor, origines 2,23. Der Titel des Werkes ist überliefert bei: Aulus Gellius, Noctes Atticae 10,1,6 und 18,15,2; Nonius Marcellus 135,10 und 551,15 (Lindsay); Cassiodor, Institutiones 2,3,2. 63
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I. Einführung
gehend – allerdings nicht bei allen Forschern – akzeptiert.67 Für eine varronische Provenienz des augustinischen Fächerkanons im zweiten Buch von De ordine68 sprechen einige gute Gründe: 1) Augustin reproduziert den Titel von Varros Werk, indem er in den retractationes angibt, er habe einen Zyklus von sieben Büchern mit dem Titel disciplinarum libri schreiben wollen.69 2) Der Name des Varro wird in De ordine explizit an zwei Stellen als Gewährsmann für gewisse Detailinformationen erwähnt.70 3) Es existieren sprachliche und inhaltliche Parallelen zu Werken anderer (meist spätantiker) Autoren, bei denen ein Bezug auf Varro konstatiert oder zumindest vermutet werden kann.71 4) Parallelen können zu einer Passage in einem späteren Werk Augustins – De doctrina christiana – gezogen werden, in welchem der varronische Kontext eindeutig ist.72 – Mit einer gewissen 67 Dass das augustinische Bildungskonzept in De ordine sich auf Varros Disciplinarum libri stützt, wird angenommen von: H.-I. Marrou, culture, S. 105–124; 209–235 (= Bildung, S. 93–109; 183–203); H. Fuchs, Enkyklios Paideia, S. 387–389; H. Hagendahl, Latin classics, Bd. 1: S. 267, Bd. 2: S. 590; U. Pizzani, L’enciclopedia Agostiniana, S. 331–361; ders., Carmen, S. 497–515; J. Doignon, Etat, S. 78 f; D. Shanzer, Epistle, S. 140 f. Grundsätzlich abgelehnt wird die These von I. Hadot (Arts, S. 101–136; Erziehung, S. 99–130). Die Rekonstruktion der varronischen Disciplinae sei nicht in allen Punkten stichhaltig und sicher, insbesondere aber deute der neuplatonische Charakter des Bildungsprogramms Augustins, wie es in ord. präsentiert werde, auf eine spätere Quelle hin. Statt Varro wird Porphyrios – evtl. dessen verlorene Schrift De regressu animae – als Quelle des augustinischen Wissenschaftsexkurses angesetzt. Gegen die Sichtweise Hadots hat sich neuerdings (2005) wiederum D. R. Shanzer gewandt (Augustine’s Disciplines, S. 69–112), mit dem Argument, dass schon Varro als platonisch gefärbt gelten müsse (S. 74). 68 In ord. 2,12,35–15,43 steht der sog. „große“ Wissenschaftsexkurs; behandelt wird zunächst das trivium der „Wortwissenschaften“, nämlich Grammatik (§§ 35–37), Dialektik (§ 38) und Rhetorik (§ 38), danach das quadrivium der „Zahlenwissenschaften“, nämlich Musik (§ 39; mit dem Nebenfach der Poetik: §§ 40 f), Geometrie (§ 42), Astrologie / -nomie (§ 42) und Arithmetik (§§ 43 f). Daneben existiert ein vorgezogener kleiner Wissenschaftsexkurs in ord. 2,4,13–5,14, bei dem i. W. lediglich die Reihenfolge verändert ist. Auf die Grammatik / Poetik folgt zunächst die Rhetorik, dann erst die Dialektik (§ 13). 69 Vgl. retr. 1,6: Per idem tempus, quo Mediolani fui baptismum percepturus, etiam Disciplinarum libros conatus sum scribere. Von den sieben Büchern habe er allerdings nur ein Buch De grammatica vollendet, sowie die – später verfassten – 6 Bücher De musica. Bei der Behandlung der übrigen 5 Disziplinen sei er über das Anfangsstadium nicht hinausgekommen: De aliis vero quinque disciplinis illic similiter inchoatis – de dialectica, de rethorica, de geometria, de arithmetica, de philosophia – sola principia remanserunt, quae tamen etiam ipsa perdidimus; sed haberi ab aliquibus existimo. 70 In ord. 2,12,35 und 2,20,54. 71 Vgl. z. B. (bzgl. der Gleichsetzung der Termini grammatica und litteratura) die Stelle ord. 2,12,37 (Z. 30) mit Martianus Capella, De nuptiis Philologiae et Mercurii 3,229. Siehe hierzu infra unter 2,12,35, Z. 16 f (s. v. Graece autem …); 2,12,37, Z. 30 (s. v. unde etiam Latine …). – Siehe infra weitere Beispiele für similia bei Augustinus und anderen Autoren, die auf varronische Benutzung zurückgeführt werden können: 2,5,14, Z. 3 (s. v. per haec …); 2,12,36, Z. 22 (s. v. vocales …); 2,12,36, Z. 23 (s. v. syllabas); 2,14,40, Z. 21 (s. v. moderatos inpressit articulos); 2,14,40, Z. 22 f (s. v. modum statuit …); 2,14,40, Z. 23–25 (s. v. Quod … non esset …); 2,15,42, Z. 1 (s. v. oculorum opes); 2,15,42, Z. 1 (s. v. terram caelumque …); 2,20,54, Z. 34 (s. v. fluctibus). 72 Vgl. (für den Topos der Dreiteilung der Töne) ord. 2,14,39, Z. 9 f mit doctr. christ. 2,17,27; hierzu infra zur Stelle (s. v. sonum eumque esse triplicem); siehe auch unter 2,14,41, Z. 37 f (s. v. Iovis et Memoriae …).
3. Quellen und Traditionen
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Berechtigung kann also das Werk Varros über die Disziplinen als Grundlage für die Studienempfehlungen Augustins angesehen werden. Zwei Wissenschaften hätte Augustin jedoch in diesem Fall zugunsten der von ihm präferierten Siebenzahl ausgelassen: die Behandlung a) der Medizin und b) der Architektur. Allerdings scheinen diese nicht völlig verloren gegangen zu sein: Unmittelbar vor seinem „großen Wissenschaftsexkurs“ behandelt Augustin, gleichsam en passant, Fragen sowohl medizinischer (vgl. ord. 2,11,32) als auch architektonischer Natur (vgl. ord. 2,12,34). Die Vermutung, dass seine Ausführungen an dieser Stelle ebenfalls auf varronische Inspiration zurückzuführen sind, drängt sich geradezu auf.
d) Marcus Tullius Cicero Die Person Ciceros wird in De ordine zweimal ausdrücklich erwähnt, einmal in seiner Funktion als vorbildhafter römischer Politiker,73 daneben in seiner Eigenschaft als unangefochtene Autorität in Fragen der Rhetorik.74 In den beiden anderen Cassiciacum-Dialogen wird Cicero ebenso genannt, in der Schrift Contra Academicos erscheint der illustre Name gleichsam auf Schritt und Tritt (insgesamt 19 Nennungen). Während in den beiden letztgenannten Schriften der ciceronische Hortensius eine herausragende Rolle spielt und sogar eine Reihe von Fragmenten des verschollenen Protreptikos aus dem Augustin-Text eruiert werden können, ist dessen Relevanz für De ordine – nach dem heutigen Stand des Wissens – vergleichsweise marginal. Hier sind es die religionsphilosophischen Schriften, namentlich die Trilogie De natura deorum, De divinatione und De fato, die besonders häufig den Hintergrund der augustinischen Darstellung bilden. Der Dialog „Über das Wesen der Götter“ ist vor allen anderen Schriften im Proömium (ord. 1,1,1–2,5) nahezu omnipräsent. Inhaltlich topologisch und unübersehbar auch sprachlich ist Augustin – bis in die konkrete Wortwahl hinein – von seinem römischen Vorbild abhängig. Auffällige Beispiele der Bezugnahme auf die Religionsphilosophie Ciceros sind, um nur Weniges zu nennen, die Wiedergabe der stoischen These von der begrenzten Fürsorge Gottes für die „letzten und untersten Dinge“ (ultima et ima),75 die zentrale Begriffsbestimmung des ordo rerum hinsichtlich seiner göttlichen Provenienz und seines ubiquitären Wirkungsbereichs,76 die Anspielung auf die ciceronischen Argumente gegen die Weissagekunst,77 die Definition des Schicksals als series causarum78 oder auch die Bemerkungen zur Ursächlichkeit des „fatalen“ Irrtums (error).79 73
Vgl. ord. 2,7,22. Vgl. ord. 2,17,45. 75 Vgl. ord. 1,1,1, Z. 12 mit Bezug auf Cicero, nat. deor. 2,167; 3,86; 3,90. Siehe infra zur Stelle. 76 Vgl. ord. 1,10,28, Z. 10 und nat. deor. 2,75. 77 Vgl. ord. 1,6,15, Z. 1 f mit Anspielung auf das 2. Buch De divinatione. 78 Vgl. ord. 1,6,15, Z. 11 f und div. 1,125 bzw. fat. 20 (weitere Bezüge siehe infra zur Stelle). 79 Vgl. ord. 1,6,15, Z. 12 f und fat. 20 f. 74
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I. Einführung
Ciceros moralphilosophisches Schrifttum, repräsentiert durch De finibus bonorum et malorum, De officiis und die Tusculanae disputationes, ist als Quelle augustinischer Inspiration und Diktion von vergleichbarer Bedeutung. Die vielfältigen Reminiszenzen sind äußerlich meist unauffällig in den Augustin-Text eingewoben, für einen gebildeten Zeitgenossen Augustins nichtsdestoweniger eindeutig zu identifizieren, zumal es sich z. T. um sehr markante Stellen handelt. Zu nennen ist hier die schon in der Antike sprichwörtliche Definition der Gerechtigkeit, die „jedem das Seine“ (suum cuique) zuteilt,80 die ebenso häufig rezipierte Bestimmung der ratio als einer „Bewegung des Geistes“ (mentis motio),81 die Aufforderung, sich am höchsten Gut (summum bonum; Aug.: Gott) zu erfreuen und dieses zu genießen (frui),82 die genuin stoische Schönheitsdefinition mit Hilfe der beiden „Schönheitskriterien“ der Symmetrie (congruentia partium) und der reizvollen Färbung,83 nicht zuletzt die Mittelstellung der Gattung „Mensch“ zwischen Göttern und Tieren als ein animal rationale mortale.84 In reichhaltigem Maße wird auch auf die beiden staatsphilosophischen Werke Ciceros angespielt, nämlich auf De legibus und besonders häufig auf die wichtige Schrift De re publica. Letzteres ist insofern bemerkenswert, da angesichts des fragmentarischen Charakters, in der die Staatsschrift heute vorliegt, uns mit großer Wahrscheinlichkeit nicht wenige augustinische Bezüge noch entgehen. Als positiver Befund kann – hier nur als Auswahl – auf den Vergleich der Staatsführung mit dem Steuern eines Schiffes verwiesen werden,85 die detaillierte Beschreibung bestimmter Kulturleistungen der Menschen,86 den Anklang an das in der stoischen Ethik prominente „ewige Gesetz“ (sempiterna lex),87 die spezielle Ausformung des platonischen Bildes vom „Seelenflug“,88 den Topos des „Herrschens“ (regere) des höheren Seelenteils über den niedrigen,89 die spezielle Schutzfunktion der Dialektik im Kampf um die Wahrheit.90 Damit ist die Ausbeutung Ciceros noch lange nicht umfassend beschrieben. Natürlich fehlen die erkenntnistheoretischen academica nicht in De ordine,91 als 80
Vgl. ord. 1,7,19, Z. 31 f; 2,7,22, Z. 30 und fin. 5,65; 5,67; dazu nat. deor. 3,38. Vgl. ord. 2,11,30, Z. 1 und fin.4,35; daneben auch nat. deor. 1,104; 2,32; 3,69; de orat. 1,113 und Cato 78. 82 Vgl. ord. 2,2,6, Z. 52 und die gleichsam „stehende Wendung“ des summo bono frui in fin. (z. B. in 2,88) und Tusc. (z. B. in 3,40). 83 Vgl. ord. 2,11,33, Z. 53.56 und off. 1,98; Tusc. 4,31. 84 Vgl. ord. 2,11,31, Z. 13 und off. 1,11; Tusc. 1,80; 1,66; acad. 2,21. 85 Die konkrete Wortwahl in ord. 2,20,54, Z. 34 steht rep. 1,11 besonders nahe; siehe infra zur Stelle. 86 In ord. 2,12,35, Z. 5-14 finden sich in besonders dichter Form sprachliche Anklänge an Cicero, nämlich zu rep. 3,3; vgl. daneben Tusc. 1,62. 87 Vgl. ord. 1,4,11 und rep. 3,33; daneben noch nat. deor. 1,40 und leg. 2,8; 2,10. 88 Vgl. ord. 2,5,14, Z. 6 und – innerhalb des bekannten somnium Scipionis – rep. 6,14. 89 Vgl. ord. 2,2,7, Z. 59 f und rep. 1,60 bzw. 3,37 (mit Bezug auf Platon, Politeia 442 und 435 C). Siehe infra zur Stelle. 90 Vgl. ord. 1,9,27, Z. 22 f und leg. 1,62. 91 Vgl. ord. 2,12,35 (Dreiteilung der Philosophie) und acad. 1,19; vgl. ord. 2,11,31, Z. 13 f (Definition des Menschen) und acad. 2,21. 81
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ehemaliger Rhetor kennt Augustin die Werke De oratore, Brutus und Orator nur allzu gut,92 daneben scheint die ciceronische Übersetzung des platonischen Timaios bekannt zu sein,93 einige Topoi – allerdings nicht übermäßig viele – entstammen nachweislich den Reden Ciceros (mit besonderer Nähe zu den Catilinarien),94 auch einzelne Wendungen aus der ciceronischen Briefliteratur finden ihre unverwechselbare Aufnahme in das Werk Augustins. – Über die konkreten Textbezüge hinaus sind Augustins Dialoge auch in konzeptioneller Hinsicht von Cicero beeinflusst. Vor allem die Ausgestaltung der Szenerie, die der schola von Cassiciacum als Hintergrund ihrer philosophischen Gespräche dient, weist eindeutige Anzeichen der Stilisierung auf.95 Das skizzierte ländliche Ambiente, die urbane Höflichkeit der Disputanten, die heiter-gelöste und mit intelligentem Witz verfeinerte Atmosphäre ist in vielen Details unübersehbar durch die berühmten Vorgänger-Dialoge beeinflusst. Obwohl Augustin sich in der szenischen Gestaltung – mehr als Cicero – an die realen Gegebenheiten (Örtlichkeit, Jahreszeit, Personenkreis etc.) gebunden fühlt, bleibt für die stilisierende Genre-Zeichnung noch genügend Raum.96
e) Neuplatonismus Im Proömium der Schwesterschrift De beata vita gesteht Augustin seinem Adressaten Theodorus, er habe in Mailand „sehr wenige Bücher Plotins“ gelesen, diese mit der Autorität der christlichen Überlieferung verglichen und sei durch sie in seinem Inneren geradezu „entflammt“ worden.97 Im Dialog Contra Academicos wird Plotin als der „wiedererstandene Platon“ gerühmt. Derart ähnlich seien sich die beiden Philosophen, dass man meinen könne, sie hätten zur selben Zeit gelebt.98 Auch in den Soliloquia werden die beiden gelehrten Männer mit Hochach92 Vgl. ord. 2,5,13, Z. 48 (die Wirkungsweise der Fehlschlüsse) und de orat. 3,203; vgl. ord. 2,13,38, Z. 2 f (die Definition der Dialektik) und orat. 16 bzw. Brut. 152; vgl. auch ord. 2,2,7, Z. 79 (das Gedächtnis als „Wächter“) und de orat. 1,18; 1,127 bzw. Brut. 219. 93 Siehe infra zu den Stellen: ord. 1,1,1, Z. 3–5; 1,1,2, Z. 30; 2,18,47, Z. 13 f. 94 Vgl. die ungemein enge Anlehnung an Catil. 1,2 und 3 in ord. 2,7,22, Z. 42–44 (siehe infra zur Stelle). 95 Siehe infra Ergebnis 1: „Die Historizität der Cassiciacum-Dialoge“. 96 Die szenische Ausschmückung der augustinischen Dialoge ist – siehe unten Ergebnis 1 – zweifellos eine Mischform aus Realität und Fiktion. Ähnlich urteilt Th. Fuhrer (Contra Academicos, S. 13): „Da die Umgebung der villa in der Tat ein ideales Dialogszenarium abgegeben haben wird, besteht jedoch kein Anlass, die wirklichkeitsnahe Darstellung als reine Fiktion zu verstehen.“ Zu Augustins ciceronischer Stilisierung vgl. auch C. Becker, Art. Cicero, in: RAC 3 (1957), S. 118 f; B. R. Voss, Dialog, S. 228. 97 Vgl. beat. vit. 1,4: Lectis autem Plotini paucissimis libris, cuius te esse studiosissimum accepi, collataque cum eis, quantum potui, etiam illorum auctoritate qui divina mysteria tradiderunt, sic exarsi, ut omnes illas vellem anchoras rumpere, nisi me nonnullorum hominum existimatio commoveret. 98 C. acad. 3,18,41: adeo post illa tempora non longo intervallo omni pervicacia pertinaciaque demortua, os illud Platonis quod in philosophia purgatissimum est et lucidissimum, dimotis nubibus erroris emicuit, maxime in Plotino, qui platonicus philosophus ita eius similis iudicatus est, ut simul eos vixisse, tantum autem interest temporis ut in hoc ille revixisse putandus sit.
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tung in einem Atemzug genannt.99 Augustin hofft in Cassiciacum, die Wahrheit nicht nur glauben zu müssen, sondern sie mit Hilfe seiner Vernunft sogar erkennen zu können. Er ist davon überzeugt, dass ihm auf diesem Wege die Platoniker, soweit sie den christlichen Lehren nicht widersprächen, wertvolle Dienste leisten könnten.100 In diesem Sinne werden im 6. Brief Platon und Plotin als Gewährsmänner gänzlich unbekümmert an die Seite Christi gestellt.101 Dieselbe Annahme von der grundsätzlichen Vereinbarkeit von Platonismus und Christentum wird wenige Jahre später in De vera religione explizit und ausführlich illustriert: Nur wenige Worte und Ansichten müssten die Platoniker ändern, um Christen zu werden.102 Dass Augustin diese Ansicht schon vor seinem Cassiciacum-Aufenthalt gewonnen hatte, bezeugt er ausdrücklich in seinen confessiones.103 In De ordine allerdings wird weder der Name Plotins noch der eines anderen Neuplatonikers als Quelle genannt. Gleichwohl besteht in der modernen Forschung – man hat dies nicht immer so gesehen104 – ein consensus communis, dass die Schrift ein Fülle von neuplatonischem Gedankengut verarbeitet. Schon im Proömium wird dies unmissverständlich deutlich, wenn dem erkenntniswilligen Geist empfohlen wird, sich in der Trennung vom sinnlich Wahrnehmbaren zu üben, sich ins eigene Innere zurückzuziehen, unter gänzlicher Ausschaltung der Außenwelt sich selbst zu erkennen, um ebendort das Prinzip des Universums zu finden.105 Derselbe Erkenntnisweg wird – unverwechselbar mit den Worten der ästhetischen Psychologie Plotins – am Ende der Schrift aufgezeigt: Die Seele solle sich sammeln und ordnen, sich Harmonie und Schönheit verschaffen, in diesem reinen und heiter-seligen Zustande dann die Augen erheben, um schließlich die höchste Schönheit, durch die alles andere schön ist, als den Ursprung ihrer selbst schauen zu können.106 Neuplatonisch eingefärbt ist auch der Vorsehungsbegriff Augustins und die damit zusammenhängende Lösung der Theodizeefrage, wenn zur Rechtfertigung der allumfassenden göttlichen Ordnung der „Blick auf das Ganze“ gefordert wird, welcher die verwirrenden Details einzuordnen und den Kosmos als ein großartiges Ordnungsgefüge – dies geht über die Stoa hinaus – von seinem inneren „Zentrum“ (medium; ) her zu verstehen vermag.107 Die bekannte augustinische Formel, dass das Wissen von Gott im Nichtwissen bestehe (de summo illo deo, qui scitur melius nesciendo), ist natürlich ein Rekurs auf 99
Soliloq. 1,4,9: … si ea quae de deo dixerunt Plato et Plotinus vera sunt … C. acad. 3,20,43: apud Platonicos me interim quod sacris nostris non repugnet reperturum esse confido. 101 Ep. 6,1 (Nebridius an Augustin). 102 Vera relig. 23: paucis mutatis verbis atque sententiis Christiani fierent [sc. Platonici]. 103 Vgl. conf. 7,9,13 ff. 104 Vgl. noch die Ansicht A. Dyroffs (De ordine, S. 47), es sei „vor vielem sicher, daß in De ordine sich nicht die mindeste Spur von Neuplatonismus vorfindet“. Zu deren Widerlegung siehe infra zu 1,2,3, Z. 42. 105 Vgl. ord. 1,1 f,3. 106 Vgl. ord. 2,19,51 mit Enn. 1,6 ( ). 107 Vgl. ord. 1,1,2; 1,2,3; 2,19,51. 100
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die sog. „negative Theologie“ der Neuplatoniker, um mit allen Möglichkeiten gegebener Ausdrucksweise den „ganz anderen“, transzendentalen, menschliches Denkvermögen übersteigenden Gottesbegriff zu betonen.108 Auch die trinitarische Spekulation trägt die Handschrift Plotins, wenn dessen Trias der oberen Hypostasen ( ) in ihrer spezifischen Terminologie zur Interpretation des christlichen Dogmas von der Dreieinigkeit herangezogen wird.109 Dass der Augustin von Cassiciacum auch Neuplatoniker war und sich dieses in seiner Ordnungsschrift niedergeschlagen hat, kann bei genauer Analyse nicht strittig sein. Welche neuplatonischen Schriften er im Einzelnen gelesen hat, ist ein Spezialproblem. Wir haben unsere eigene Lösung in einer gesonderten Untersuchung (siehe infra Ergebnis 4) dargestellt.
f) Christlicher Einfluss Die einzigen christlichen „Quellenschriften“ im engeren Sinne, auf die in De ordine Bezug genommen wird, sind ausgewählte Bücher der Heiligen Schrift.110 Dabei fällt auf, dass Augustin die Bibelzitate im Vergleich zu seinen späteren Werken noch äußerst sparsam verwendet. Er gibt später selbst zu, in Cassiciacum mit der „Sprache der Bibel“ (dominicum eloquium) noch nicht vertraut gewesen zu sein.111 Gleichwohl ist er in den grundlegenden Lehren und Traditionen der katholischen Kirche durchaus beheimatet. Denn in diese war er bereits als Kind in einem christianisierten Umfeld in Nordafrika gleichsam hineingewachsen. So war der Glaube an die unbedingte Güte Gottes, die in der Theodizeediskussion in De ordine eine so große Rolle spielt, ihm tief eingepflanzt und er hat sie – nach eigenen Angaben – auch in den größten Krisen seines Glaubenslebens niemals aufgeben.112 Gleich zu Beginn der Schrift De ordine wird daher der Rahmen abgesteckt: Der Zweifel an der uneingeschränkten Güte des allmächtigen Gottes sei die größte Blasphemie.113 Abgesehen von seiner frühen christlichen Prägung, für die im Wesentlichen wohl seine Mutter Monnica verantwortlich war, findet sich in De ordine der Wi108
Siehe infra zu 2,16,44, Z. 11 f (dort weitere Stellen). Vgl. dazu infra zu 2,5,16, Z. 32 f/33/33 f (s. v. omnium rerum principium sine principio / intellectus / quidve inde in nostram salutem sine ulla degeneratione manaverit); siehe als zweite wichtige Stelle ord. 2,9,26, Z. 11–14 (s. v. quid sit … ratio … et quid intellectus … et quid … principium). 110 Augustin zitiert einmal den 79. Psalm (in ord. 1,8,22, Z. 10), zweimal das Evangelium des Johannes (in ord. 1,11,32, Z. 34 und 1,10,29, Z. 13) und einmal den Kolosserbrief (in ord. 1,11,32, Z. 30–32). Dieser Befund korreliert mit den Angaben der confessiones, wonach Augustin in Cassiciacum die Psalmen las und sang (conf. 9,4,8), bereits in Mailand mit der Lektüre des Paulus begonnen hatte (conf. 7,21,27; 8,6,14; 8,1,2; 8,12,29) und sehr wahrscheinlich auch das Johannesevangelium studierte (vgl. conf. 7,9,13). Alle drei Schriftcorpora (psalmus, evangelium, apostolus) sind nebeneinander in conf. 8,10,24 genannt. 111 Vgl. conf. 9,5,13. 112 Vgl. conf. 5,10,20. 113 Siehe ord. 1,1,1. Eher noch werden – obwohl ebenfalls frevelhaft (impium) – Einschränkungen der Allmacht Gottes in Kauf genommen, als in irgendeiner Weise dessen Gutsein anzutasten. Vgl. infra zu 1,1,1, Z. 13 und zu 2,7,23, Z. 72. 109
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derhall eines kirchlich orthodoxen Glaubens, wie ihn Augustin in seiner speziellen Ausformung im ambrosianisch geprägten Mailand kennenlernte. Vor allem die alten Auseinandersetzungen um das rechte Verständnis der Trinität waren angesichts der sog. „arianischen“ (sc. homöischen) Gesinnung des Kaiserhofes in der Residenzstadt noch virulent. Augustin, der um die unterschiedlichen Auffassungen weiß, legt in seiner Schrift auf den trinitarischen Gedanken das größte Gewicht. Für ihn ist das Verständnis des mysterium trinitatis die Krönung und geradezu der Inbegriff des christlichen Glaubens.114 Dementsprechend scharf wendet er sich gegen eine Auffassung, die die Gottheit des Sohnes – der zweiten trinitarischen Person – auch nur im entferntesten in Zweifel ziehen könnte.115 Auch darin ist Augustin ein Kind des speziellen „Mailänder Milieus“,116 dass sein Gottesbegriff stark philosophisch geprägt ist. So wird in breiter Diktion die Unveränderlichkeit Gottes thematisiert und im Hintergrund steht unverkennbar die uralte, auf die Anfänge griechischer Philosophie zurückgehende Wertung eines Vorrangs der „Ruhe“ vor der „Bewegung“ bzw. des „Seins“ vor dem „Werden“.117 Über derartige allgemeinphilosophische Konventionen hinaus ist es unfraglich der besondere (neu)platonische Grundzug der augustinischen Theologie, der seinen Gottesbegriff an vielen Stellen so entrückt und in die äußerste Transzendenz gesteigert erscheinen lässt. Doch ist dies nur einer der Aspekte des augustinischen Gottesbildes. Auf der anderen Seite wird ein klares Bekenntnis zu den biblischen Grundlagen abgelegt, wenn die Selbsterniedrigung Gottes, die Inkarnation des Göttlichen in die menschlich-körperliche Gestalt gegen jeden „Hochmut“ (sc. der heidnischen Platoniker) verteidigt und in Schutz genommen wird.118 Ein ähnliches zweiförmiges Wesen besitzt die frühe augustinische Soteriologie. An nicht wenigen Stellen möchte man den Eindruck gewinnen, als sei die Möglichkeit einer Selbsterlösung des Menschen ins Auge gefasst und Christus allenfalls auf die Ebene des sittlichen Vorbildes und Lehrers der Moral degradiert. Die Betonung des guten Lebenswandels als Voraussetzung für ein glückseliges Leben in dieser und jener Welt zieht sich tatsächlich als cantus firmus durch die gesamte Schrift119 und der von Augustin aufgerichtete Tugendspiegel fällt recht ausführlich aus.120 Nicht zu übersehen ist die ethisch-asketische Dimension, die Augustin in seine Definition der „Bekehrung“ einfließen lässt.121 Andererseits setzt Augustin mit klaren Worten die ureigene Aktion Gottes, seine Selbsterniedrigung 114
Vgl. ord. 1,7,17; 1,10,29; 2,5,16; 2,19,50. Ord. 1,10,29. 116 Zur Begrifflichkeit vgl. supra Anm. 18. 117 Vgl. ord. 2,1,3–2,4. 118 Vgl. ord. 2,5,16; 2,9,27. 119 Vgl. ord. 2,9,26; 2,17,46; 2,20,52 u. ö. 120 Ord. 2,8,25. 121 Vgl. ord. 1,8,23. Eine conversio zum Christentum bedeutet für Augustin immer auch eine Abwendung von der Körperlichkeit an sich, mit seinen Worten: vom „Kot und Unflat des Leibes“ (a quodam ceno corporis atque sordibus; Z. 29 f). 115
4. De ordine in der Forschungsliteratur
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in Christus,122 an den Anfang der menschlichen Erlösung. Sodann wird der Allmächtige selbst als Helfer im Gebet angerufen,123 in der Psalmodie sein Beistand für die bevorstehende Umkehr (sc. des Augustin-Schülers Licentius) erfleht.124 Deutlich wird bekannt, dass Gott niemanden, der sich aufgrund der Heilslehre (per mysteria) ihm anvertraut, zugrunde gehen lasse, vielmehr denselben durch das „Band des Glaubens“ (fidei … vinculo) zu sich ziehen und von allem Bösen befreien werde.125 Folglich ist denn auch die erste Reaktion nach der endlich erfolgten Bekehrung des Licentius, Christus selbst für seine Mithilfe zu danken.126
4. De ordine in der Forschungsliteratur a) Textausgaben Ein Teil der im Literaturverzeichnis aufgeführten neueren Textausgaben von De ordine orientiert sich maßgeblich am Text der Mauriner in der Patrologia Latina, so vor allem Jolivet (1948), aber auch noch Gentili (1970) und Capánaga (1994). Auf eigene Handschriftenkollationen stützen sich die Ausgaben von Knöll (1922, Nachdruck 1962), Green (1970) und Doignon (1997). Die Edition von Knöll (CSEL, Bd. 63) berücksichtigt im kritischen Apparat insgesamt fünf mittelalterliche Handschriften aus dem 9. bis 11. Jahrhundert,127 die er in zwei verwandte Gruppen einteilt: ) P codex Parisinus 13369, saec. IX H codex Harleianus 3039, saec. X128 M codex Monacensis 14330, saec. XI ) A codex Andegauensis 166, saec. IX T codex Trecensis 1085, saec. XI Knöll hält sich in seiner Ausgabe fast ausschließlich an die Lesart des von ihm favorisierten codex Parisinus (P), nur in seltenen Fällen werden die als minderwertig angesehenen Lesarten der Handschriftengruppe berücksichtigt. Trotz der geringen Anzahl der berücksichtigten Manuskripte und trotz des verhältnismäßig einheitlichen Textes der beiden Handschriftengruppen fällt der textkritische Apparat bei Knöll recht umfangreich aus, da u. a. auch orthographische Varianten 122 In der Literatur herrscht in diesem Punkte eine gewisse Unsicherheit. Dabei ist das Bekenntnis zur Menschwerdung Gottes auch beim frühen Augustin völlig eindeutig. Vgl. infra zu 2,9,27, Z. 27 (s. v. ipsum hominem agens). 123 Vgl. ord. 1,10,29 u. ö. 124 Ord. 1,8,22, Z. 10: Deus virtutum, converte nos et ostende faciem tuam, et salvi erimus. 125 Ord. 2,5,15. 126 Ord. 1,8,21. 127 Siehe Knöll, S. 120; beschrieben ibid., praef., S. 4–12. 128 Rückdatierung ins 9. Jahrhundert (1. Hälfte) von P. Lehmann, Sitzungsberichte Bayrische Akademie 2, 1930, S. 29. Ihm folgt Green, praef., S. 7; Doignon, BAug 4/2, S. 62, enthält sich der Entscheidung.
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I. Einführung
oder offensichtliche Schreibfehler aufgeführt werden. Hilfreich sind noch immer die umfangreichen Indices (I. index locorum, II. index nominum et rerum, III. index verborum et locutionum) im Anhang der Ausgabe.129 Die Ausgabe von Green (CChr.SL, Bd. 29) fügt der Handschriftengruppe den aus dem 9. Jahrhundert stammenden codex Remensis 382 (R) zu, welchen Knöll – wegen des Ausbruchs des ersten Weltkrieges – nur noch in seiner praefatio, nicht mehr für die kritische Textgestalt auswerten konnte.130 Der Handschriftengruppe gliedert Green den in das 12. Jahrhundert datierten codex Trecensis 40 (S) ein. Ebenso wie Knöll stuft die Edition Greens die durch repräsentierte Tradition als höherwertig ein, häufiger als im Text des Vorgängers werden aber auch die Lesarten der Tradition berücksichtigt. Insgesamt jedoch weichen die beiden genannten Ausgaben nur an verhältnismäßig wenigen Stellen voneinander ab.131 Der kritische Apparat Greens konzentriert sich auf die wesentlichen Abweichungen in der Überlieferung und ist auf das Mindestmaß reduziert. Das verfolgte Prinzip, die Orthographie der ältesten Handschriften zu übernehmen,132 führt zu Inkonzinnitäten der präsentierten Textgestalt, störend wirken aber vor allem die große Anzahl offensichtlicher Druckfehler.133 Die zweisprachige Ausgabe von Doignon (BAug 4/2) berücksichtigt für den lateinischen Ursprungstext insgesamt 29 Manuskripte, nach eigenen Angaben alle verfügbaren Textzeugen vor 1300.134 Erwähnenswert ist die Hinzufügung des codex Monacensis 6289 aus dem 9. Jahrhundert (O), welcher der Handschriftengruppe zugeordnet wird. In der Stemma-Diskussion gelangt Doignon zu differenzierteren Ergebnissen als seine beiden Vorgänger, insbesondere bezweifelt er die Existenz der Handschriftengruppe als einer geschlossenen Einheit.135 Dementsprechend behält die erste Tradition (nunmehr durch O verstärkt) ihre beherrschende Stellung. Die Abweichungen gegenüber dem Text von Green sind in ihrer Anzahl überschaubar,136 in ihrer inhaltlichen Relevanz – bei einer insgesamt einheitlichen und unkomplizierten Textüberlieferung – vergleichsweise marginal.
b) Übersetzungen Drei deutschsprachige Übersetzungen von De ordine sind im 20. Jahrhundert entstanden.137 Carl Johann Perl veröffentlicht im Jahre 1940 in seiner von ihm 129
Ibid., S. 188–219. Siehe Knöll, praef., S. 20–30. 131 So auch Fuhrer, Contra Academicos, S. 50; Doignon, BAug 4/2, S. 50: „il (sc. Green) se range aux côtes de Knöll, c’est-à-dire qu’il est très favorable au consensus représenté par .“ 132 Siehe ibid., praef., S. 10. 133 Siehe infra Kap. I 5 („Corrigenda zu CChr.SL XXIX, pp. 89–137“). 134 Siehe ibid., S. 40; das Verzeichnis der Msc. auf S. 62 f. 135 Ibid., S. 45. 136 Siehe die Aufstellung bei Doignon, S. 51 f. 137 Weitere wichtige Übersetzungen in moderne Sprachen (franz., ital., engl., span.) siehe infra im Literaturverzeichnis. 130
4. De ordine in der Forschungsliteratur
29
begründeten Reihe mit dem Titel „Aurelius Augustinus’ Werke in deutscher Sprache“ eine (angebliche) „erste deutsche Übertragung“ der Ordnungsschrift. Die Arbeit ist an philologischem Dilettantismus wohl nicht zu übertreffen. So zahlreich sind die semantischen Ungenauigkeiten, die syntaktischen Fehler, die Sinnabweichungen und inhaltlich-sachlichen Missverständnisse, dass man sich bei der Lektüre nicht nur fragt, aus welcher lateinischen Textfassung übersetzt wurde, sondern ob überhaupt eine lateinische Urfassung zugrunde lag. Unverständlich ist die Tatsache, dass drei unveränderte Neudrucke der Erstauflage (1947, 1952, 1966) erscheinen konnten. Schon der – in allen Neuauflagen wiederholte (!) – Titelzusatz des Perlschen opusculum ist fehlerhaft und grob irreführend, erschien doch ein Jahr zuvor (1939) die Arbeit des Altsprachlers und Orientalisten Paul Keseling. Aus dem Munde fachkundiger Philologen gelobt,138 handelt es sich hierbei in der Tat um eine exzellente Arbeit, die sich durch ihre große Textnähe, die akribisch-exakte Sinnwiedergabe, aber auch eine gute „Lesbarkeit“ in der deutschen Zielsprache auszeichnet. Die Existenz der Übersetzung Keselings ist der Grund, warum für den vorliegenden Kommentar keine eigene deutsche Version angefertigt werden musste. Die Stellen, an denen wir aus unserer Sicht Korrekturen und Verbesserungsvorschläge anbringen mussten, sind in allen Fällen jeweils ad locum verzeichnet. Für die „Bibliothek der Alten Welt“ fertigt Ekkehard Mühlenberg im Jahre 1972 eine dritte deutsche Übersetzung an. Leitlinie ist vor allem Verständlichkeit und Leserfreundlichkeit, welche geeignet sind, auch einem breiteren Publikum die Person und die Gedanken des Kirchenvaters näherzubringen. In der philologischen Exaktheit und in der Genauigkeit hinsichtlich der oft komplizierten Fragen der Detailinterpretation steht diese Übersetzung dem Vorgängerwerk häufig nach. Mühlenberg übersetzt nicht etwa, wie man ihm vorgeworfen hat,139 in Unkenntnis bereits vorliegender Arbeiten, bietet aber erkennbar einen eigenständigen Ansatz. Als Komplementärtext zur Version Keselings ist er daher – nicht nur aus sprachästhetischen Gründen – nützlich und anregend.
c) Kommentare Ein ausführlicher sprachlich-sachlicher Kommentar in der vorliegenden Form existierte zu De ordine bisher nicht. Allerdings sind manche Textausgaben bzw. Übersetzungen in moderne Sprachen mit mehr oder weniger ausführlichen Anmerkungen versehen, die in einem gewissen Sinne als „Vorläuferarbeiten“ gelten können: In einem separaten Anmerkungsteil, den Paul Keseling an seine bereits erwähnte Übertragung anschließt,140 werden Übersetzungsentscheidungen erläutert, sachliche Zusatzinformationen vermittelt und Parallelstellen innerhalb 138
Vgl. (u. a.) W. Hensellek, Notabilien, S. 75. W. Hensellek, ebd. 140 Keseling, Weltregiment, S. 227–249. 139
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I. Einführung
wie außerhalb des augustinischen Werkes angeführt. Insbesondere fließen bei Keseling Ergebnisse aus der älteren Forschungsliteratur zu Augustinus ein. – Die kurzen Anmerkungen (Fußnoten), welche Jean Doignon zu seiner hergestellten Textgestalt und der beigegebenen – bisher weitaus besten! – französischen Übersetzung gibt, berücksichtigen auch neuere Forschungsergebnisse, mit Schwerpunkt auf der reichhaltigen französischsprachigen Sekundärliteratur zum frühen Augustinus. Die Hinweise auf antike Parallelstellen, vor allem auf das ciceronische Werk, sind allerdings oft unausgewogen: Während einerseits inhaltlich recht weitläufig verwandte Stellen, gleichsam in bloß äußerlicher Stichwortassoziation, angegeben werden, vermisst man andererseits so manche substanziell bedeutsame Parallele. Hier wirkt sich negativ aus, dass die wichtigen Arbeiten von H. H. Gunermann (1968, 1973) nicht umfassend und sorgfältig rezipiert wurden. Wichtig und für die neuere Forschung unverzichtbar sind Doignons zusammenfassende „notes supplémentaires“ zu Spezialproblemen der Schrift De ordine. – Die neuere Dissertation von Michael P. Foley (1999) bietet neben einer wörtlich-textgetreuen englischen Übersetzung der Augustinschrift (mit sog. „critical footnotes“) und breiten Paraphrasen der augustinischen Gedanken (mit Konzentration auf die Selbsterkenntnis) insbesondere einen inhaltlich-formgeschichtlichen Vergleich der Schrift De ordine mit der ciceronischen Religions-Trilogie De natura deorum, De divinatione und De fato. Die Ergebnisse reichen nicht nur in dieser Hinsicht (bei einer insgesamt stark selektiven Literaturauswertung) über das bisher Bekannte kaum hinaus. – Besonderer Erwähnung bedarf an dieser Stelle der gelehrte und kenntnisreiche Kommentar von Therese Fuhrer zur Schwesterschrift Contra Academicos (1997). Dieser diente nicht nur in formaler Hinsicht als Vorbild für ein vergleichbares Werk zu De ordine. Aufgrund der Übertragbarkeit zahlreicher Deutungsaspekte, insbesondere die frühe Dialogkonzeption Augustins betreffend, war er für die vorliegende Arbeit auch sachlich-inhaltlich von herausragender Bedeutung.
d) Weitere Literatur141 ) Sprache: H. H. Gunermann, Sprache (1968); W. Hensellek, Notabilien (1983); Th. Fuhrer, Contra Academicos (1997) ) Realien (Ort, Personen, …): O. Perler, Recherches (1968); O. Perler / J. L. Maier, voyages (1969); M. P. Steppat, Schola (1980); A. Mandouze, Prosopographie (1982); G. J. P. O’Daly, Cassiciacum (1986 ff); C. Pietri / L. Pietri, Prosopographie (2000)
141 Die Aufstellung (nach Sachgebieten geordnet) ist nicht auf Vollständigkeit angelegt. Wie bei den bereits aufgeführten Editionen, Übersetzungen und „Kommentaren“ wird lediglich eine Auswahl von Untersuchungen geboten, die sich für das Verständnis der Augustin-Schrift De ordine – aus der Sicht des Kommentators – als besonders wichtig bzw. nützlich erwiesen haben.
5. Corrigenda zu CChr.SL XXIX, pp. 89–137
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) Dialogkonzeption: B. R. Voss, Dialog (1970); W. Hübner, ordo (1987); Th. Fuhrer, Contra Academicos (1997); M. P. Foley, De ordine (1999) ) Quellen und Traditionen: A. Dyroff, Form (1930); K. Svoboda, ésthétique (1933); P. Keseling, Weltregiment (1939); A. Solignac, Réminiscences (1957), Doxographies (1958); H. H. Gunermann, Sprache (1968); ders., Tradition (1973); M. P. Foley, De ordine (1999) ) Historizität der Dialoge: D. Ohlmann, De Dialogis (1897); J. H. Van Haeringen, De operibus (1917); A. Gudemann, Dialoge (1926); R. Philippson, Dialoge (1931); E. B. J. Postma, De beata vita (1946); B. L. Meulenbroek, Character (1947); J. J. O’Meara, Historicity (1951); B. R. Voss, Dialog (1970); J. M. W. Dewart, autobiografía (1985); G. Madec, L’historicité (1986); Th. Fuhrer, Contra Academicos (1997) ) Ordnungs- und Vorsehungsgedanke: W. Thimme, Entwicklung (1908); P. Keseling, Weltregiment (1939); J. Rief, Ordobegriff (1962); E. Mühlenberg, Ordnung (1972); W. Hübner, ordo (1987) ) Wissenschaftslehre: F. Ritschl, commentarius (1877); R. Lorenz, Wissenschaftslehre (1955/6); H. Fuchs, Enkyklios Paideia (1962); I. Hadot, Arts (1984); dies., Erziehung (1989); U. Pizzani, enciclopedia (1987); G. Rechenauer, Enkyklios Paideia (1994); W. Hübner, artes liberales (1994); D. Shanzer, Disciplines (2005)
5. Corrigenda zu CChr.SL XXIX, pp. 89–137 Der vorliegende Kommentar legt die Ausgabe von W. M. Green (1970) zugrunde.142 Wenn im Kommentar eine von der Edition Greens abweichende Lesart bevorzugt wurde, ist dies jeweils ad locum verzeichnet. Die offensichtlichen Druckfehler der o. g. Ausgabe seien hier angegeben und korrigiert. Stelle 1,1,2 1,2,4 1,3,9 1,4,11
Seite 90 91 93 94
Zeile 49 29 69 38
inharere ciuus accupare euenerit
inhaerere cuius occupare eueniret
142 Dies geschieht in Übereinstimmung mit den beiden Kommentaren von Th. Fuhrer (1997) und K. Schlapbach (2003) zur Cassiciacum-Schrift Contra Academicos, die ebenfalls die Greensche Edition zugrunde legen. Die textkritischen Einzelentscheidungen Greens sind – insbesondere bzgl. der sog. „inneren Textkritik“ – in der Regel sehr gut nachvollziehbar. Dass der Verfasser des vorliegenden Kommentars in der Summe der Abwägungsprozesse hier eine gewisse Präferenz entwickelt hat, impliziert ausdrücklich keine Abwertung der ebenfalls hervorragenden und verdienstvollen Ausgabe von J. Doignon (dazu supra Kap. I 4).
32 Stelle 1,4,11 1,4,11 1,6,15 1,6,16 1,8,22 1,8,24 1,8,24 2,1,3 2,2,4 2,2,6 2,2,7 2,3,9 2,3,10 2,7,20 2,7,22 2,8,25 2,10,29 2,11,32 2,11,32 2,11,34 2,12,36 2,12,36 2,13,38 2,16,44 2,16,44 2,19,49
I. Einführung
Seite 94 94 96 97 99 100 101 108 108 109 110 112 112 f 117 119 121 123 125 125 126 128 128 128 131 131 134
Zeile 39 44 4 24 19 61 64 56 9 56 98 41 73 f 2 48 36 34 64 64 87 34 35 16 18 24 10
cediderunt descedunt orbo rspecta religiossima oneraosa uitros hic Non ait, ille coharens esse enim mouueat diuitius iudicium, dei passunt adptere licet rationabillter inuiriam et, dupla, mauime congoscet conteplationemque congoscendo
ceciderunt descendunt ordo respecta religiosissima onerosa uiros hoc Non, ait ille cohaerens sese enim non moueat diutius iudicium dei possunt adpetere dicet rationabiliter iniuriam et dupla maxime cognoscet contemplationemque cognoscendo
II. Kommentar
1. Proömium Thema, Widmung, Situation (1,1,1–1,2,5) [§ 1: Das Problem der Theodizee, § 2: Zufall oder Berechnung? – Der Blick auf das Ganze, § 3: Selbsterkenntnis als Erfahrung der Einheit, § 4: Widmung und Appell an Zenobius, § 5: Zuflucht auf dem Landgut des Verecundus]
1,1,1: Das Problem der Theodizee 1 Ordinem rerum, Zenobi, cum sequi ac tenere cuique proprium tum vero univer-
sitatis, quo cohercetur hic mundus et regitur, vel videre vel pandere difficillimum hominibus atque rarissimum est. Huc accedit, quod, etiamsi quis haec possit, non illud quoque valet efficere, ut dignum auditorem tam divinis obscurisque rebus vel vitae 5 merito vel habitu quodam eruditionis inveniat. Nec tamen quicquam est, quod magis avide expetant quaeque optima ingenia magisque audire ac discere studeant, qui scopulos vitae huius et procellas velut erecto, quantum licet, capite inspiciunt, quam quomodo fiat, ut et deus humana curet et tanta in humanis rebus perversitas usque quaque diffusa sit, ut non divinae sed ne servili quidem cuipiam procurationi, si ei 10 tanta potestas daretur, tribuenda esse videatur. Quam ob rem illud quasi necessarium his, quibus talia curae sunt, credendum dimittitur, aut divinam providentiam non usque in haec ultima et ima pertendi aut certe mala omnia dei voluntate committi, utrumque impium, sed magis posterius. Quamquam enim desertum deo quicquam credere cum imperitissimum tum etiam periculosissimum animo sit, tamen in ipsis 15 hominibus nemo quemquam non potuisse aliquid criminatus est. Neglegentiae vero vituperatio multo est quam malitiae crudelitatisque purgatior. Itaque velut conpellitur ratio tenere non inmemor pietatis aut ista terrena non posse a divinis amministrari aut neglegi atque contemni potius quam ita gubernari, ut omnis de deo sit mitis atque inculpanda conquestio.
1 Ordinem rerum: Das opusculum wird programmatisch mit seinem Titelwort eröffnet (betonte erste Stelle im ersten Satz der Schrift). – Die Verbindung ordo rerum (Mühlenberg: „Ordnung des Seienden“; Perl: „Ordnung der Dinge“) erscheint bereits bei Cicero, De harusp. responso 9,19; Manilius 2,970 (del. Housman, Goold); Plinius, nat. hist. 2,9; dort jeweils in Verbindung mit bestimmten regelmäßigen Himmelserscheinungen. 1 Zenobi: Zu Zenobius als dem Adressaten der Schrift, an den auch ein Brief
36
II. Kommentar
Augustins (epist. 2) aus dem Jahre 386 gerichtet ist, siehe infra zu 1,2,4, Z. 7 f.10; 1,7,20, Z. 49.51; 2,5,15, Z. 18 f; besonders 1,7,20, Z. 53 f. 1 sequi ac tenere: „befolgen und einhalten“; Junkturen wie diese, mit denen verschiedene Nuancen ein und desselben Gedankens wiedergegeben werden, sind charakteristisch für die Diktion in § 1. Vgl. Z. 2: cohercetur … et regitur; Z. 2: vel videre vel pandere; Z. 2 f: difficillimum … atque rarissimum; Z. 4: divinis obscurisque; Z. 6: audire ac discere; Z. 12: ultima et ima; Z. 16: malitiae crudelitatisque; Z. 18 f: mitis atque inculpanda. – Die okkasionelle Bedeutung von tenere ist für die Interpretation nicht unerheblich. Es muss aus dem voranstehenden sequi erschlossen werden, an welches es durch ac (oft Synonyme verbindend; vgl. Menge, Syntax, S. 334) angeschlossen ist. Zur Deutung Hübners s. u. (Z. 1 f). 1 cum … tum: Eine sprachliche Reminiszenz an Cicero, der seine Schrift De natura deorum mit derselben Disjunktion beginnt. 1 f cuique proprium … universitatis: Man erkennt bei Augustin eine „Dichotomie der Ordnung“ in eine individuelle, dem Einzelwesen inhärierende (ordo cuique proprius) und eine allgemeine, das All umfassende (ordo universitatis): Die eine muss man befolgen, einhalten und bewahren (cf. sequi ac tenere), die andere will entdeckt und erkannt werden (cf. vel videre vel pandere). Beides bedingt einander nach augustinischer Auffassung, wie man noch öfter sehen wird: Es gilt den individuell je zukommenden Platz innerhalb eines hierarchisch aufgebauten Weltganzen auszufüllen und zu bewahren und so auch als Einzelwesen gemäß den Gesetzen der allgemeinen Weltordnung zu leben. Unschwer erkennt man hier das (u. a. durch Cicero vermittelte) stoische Erbe, angereichert mit einer speziellen erkenntnistheoretischen Ausrichtung, wie sie insbesondere für Plotin charakteristisch ist. Eine in diesem Sinne erweiterte Deutung schlägt W. Hübner vor: Ausgehend von der Annahme, dass tenere (Z. 1) hier auch ein intellektuelles Erfassen „im Sinne etwa von memoria tenere“ (ordo, S. 28, Anm. 26) bedeute, spiegele sich an dieser Stelle die neuplatonische Auffassung der Zusammengehörigkeit von Selbstreflexion (ordinem cuique proprium tenere) und Welt- bzw. Gotteserkenntnis (ordinem universitatis videre). Erstere weise auf den Dialog De beata vita zurück, letztere bereite auf den Inhalt von De ordine vor (vgl. ibid., S. 27 f; dazu auch Doignon, BAug 4/2; S. 331). 2 difficillimum: Bis in die Wortwahl hinein ist Augustin von Ciceros Proömium zu De natura deorum beeinflusst. So wird auch dort die quaestio de deis als perdifficilis (1,1) bezeichnet. Vgl. ähnlich de orat. 1,16. 3–5 etiamsi quis haec possit, non illud quoque valet efficere, ut dignum auditorem tam divinis obscurisque rebus … inveniat: Augustin spielt hier auf die in der Spätantike berühmte und häufig zitierte Platonstelle (Timaios 28 c) an, nach der es schwer sei, „den Urheber und Vater dieses Weltalls aufzufinden, und unmöglich, nachdem man ihn gefunden hat, ihn allen zu verkünden.“1 1
1. Proömium: 1,1,1
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4 obscurisque: Ähnlich wird bei Cicero (nat. deor. 1,1) die Frage nach dem göttlichen Wesen als perobscura hingestellt. 4 f vel vitae merito vel habitu quodam eruditionis: Bereits hier – an exponierter Stelle unmittelbar am Anfang seines Werkes – gibt Augustin einen wichtigen Hinweis auf die anthropologischen Grundlagen seiner Erkenntnislehre. Um die Ordnung des Seienden zu verstehen, sind zwei Voraussetzungen zu erfüllen: Der Erkenntniswillige muss (1) ein ehrbares Leben führen und (2) einen gewissen Bildungsstand erreicht haben. Dass beide, die ethische wie die geistige Qualifikation, für die cognitio veri(tatis) unerlässlich sind, wird in den Cassiciacum-Schriften, besonders aber in De ordine (vgl. 1,2,4; 8,24; 2,8,25 u. ö.) sehr häufig betont und steht – was in der Literatur bisher kaum beachtet wurde – in einem engen Zusammenhang mit den beiden gnoseologischen Grundprinzipien Augustins, der wechselseitig wirksamen ratio und auctoritas (vgl. infra zu 2,8,25, Z. 4 f). 6 optima ingenia: Das Thema besitzt eine große intellektuelle Anziehungskraft. Wie sich bei Augustin die „besten Geister“ (Mühlenberg) um die Frage nach der göttlichen Weltordnung bemühen, so sind es bei Cicero (nat. deor. 1,1) die doctissimi homines, die hierzu ihre Ansichten mitgeteilt haben. 7 scopulos vitae huius et procellas: Vermutlich eine Reminiszenz an Cicero, phil. fr. 9,9 (Müller = Lactantius, inst. 3,19,14): Non nasci longe optimum nec in hos scopulos incidere vitae … – In den Schriften von Cassiciacum bedient sich Augustin häufig der Seefahrermetaphorik (vgl. c. acad. 1,1,1; 2,1,1; bes. ausführlich beat. vit. 1,1–5). Die Schrift De ordine wird gewissermaßen durch sie eingerahmt (vgl. 2,20,54: qui … scopulos evitaret et … ipse illis fluctibus quasi scopulus fieret; mit anschließendem Vergilzitat: ille velut pelagi rupes immota resistit [Aen. 7,586]). Die „Klippen und Stürme dieses Lebens“ sind nach den Parallelstellen drohende oder bereits eingetretene Schicksalsschläge, auch als flatus fortunae (c. acad. 1,1,1), als fluctus procellaeque fortunae (ibid. 2,1,1) bzw. als fluxae fortunae (beat. vit. 1,2) bezeichnet, die zwar allgemein als „widrig“ und „feindlich“ gelten, aber nicht selten und gegen allen Anschein das „Lebensschiff “ wieder zurück auf den richtigen Kurs bringen können (vgl. c. acad. 1,1,1, wo Letzteres im Übrigen als eine verborgene Wirkung des ordo bzw. der divina providentia beschrieben wird; vgl. hierzu auch Augustins autobiographischen Rückblick in beat. vit. 1,1–5; im Grundsatz ähnlich bereits Plotin, Enn. 3,2,5). Wirkliche Sicherheit bietet allerdings nur, wie mehrfach betont wird, der sichere „Hafen der Philosophie“ (portus philosophiae: c. acad. 2,1,1; beat. vit. 1,1.5) bzw. der „Hafen der Weisheit“ (portus sapientiae: c. acad. 1,1,1; 3,2,3). Abgesehen davon, dass das Motiv der „Seefahrt des Lebens“ als konventionell anzusehen ist,2 kann auch hier insbesondere auf Cicero verwiesen 2 Vgl. Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 62, mit Hinweis auf H. Rahner, Griechische Mythen in christlicher Deutung, Zürich 21957, S. 430 ff; siehe auch K. Schlapbach, Contra Academicos, S. 33. – G. Pfligersdorffer (Augustino Praeceptori, Gesammelte Aufsätze zu Augustin, hrsg. von K. Forster und M. Fussl, Salzburg 1987, S. 151–153) verweist auf Porphyrios als Quelle für die extensive Nutzung der Seefahrtsmetaphorik bei Augustin. Daneben ist bemerkenswert, dass Licentius in seinem bei Augustin, epist. 26, überlieferten Gedicht sich
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II. Kommentar
werden. Siehe z. B. Tusc. 5,5: cuius (scil. philosophiae) in sinum cum a primis temporibus aetatis nostra voluntas studiumque nos conpulisset, his gravissimis casibus in eundem portum, ex quo eramus egressi, magna iactati tempestate confugimus. Vgl. auch fam. 7,30,2: … quae quidem ego non ferrem, nisi me in philosophiae portum contulissem. 8 perversitas: hier nicht primär im ethischen Sinne als „Schlechtigkeit“ aufzufassen, sondern vor allem als Gegenbegriff zum Zentralgedanken des ordo (etwa im Sinne von inordinatio = „Unordnung“). 9 ne servili quidem cuipiam procurationi: Nicht eindeutig zu entscheiden ist, an welche „untergeordnete Vorsehung“ (Mühlenberg) – eine metaphysische oder weltlich-immanente – Augustin hier denkt. Cicero, nat. deor. 3,86.90 (siehe infra zu Z. 11 f) lässt an das Letztere denken. 10 esse videatur: Katalektischer Doppelkretikus als Abschluss einer besonders kunstvoll aufgebauten Periode. 11 f divinam providentiam non usque in haec ultima et ima pertendi: Wiedergabe der stoischen Lösung des Theodizeeproblems: Die tanta in humanis rebus perversitas (Z. 8) rühre daher, dass die göttliche Vorsehung sich lediglich auf die großen und bedeutsamen Dinge des Weltgeschehens beziehe, dass Kleinigkeiten aber vernachlässigt würden. Vgl. Cicero, nat. deor. 2,167: Magna di curant, parva neglegunt; 3,86: At enim minora di neglegunt neque agellos singulorum nec viticulas persecuntur, nec, si uredo aut grando cuipiam nocuit, id Iovi animadvertendum fuit; ne in regnis quidem reges omnia minima curant; 3,90: Non animadvertunt … omnia di, ne reges quidem. Auch bei Plotin (Enn. 3,2,7) wird eben diese Ansicht, dass die göttliche Vorsehung „nicht bis zur Erde gelange“ ( ; Z. 33) referiert, nicht ohne eine solche Vorstellung – ganz ähnlich wie Augustin (Z. 13) – sogleich als „nicht fromm und nicht gottesfürchtig“ ( ; Z. 41 f) abzuqualifizieren.3 – Augustins Stellung zur Providenzfrage ist unmissverständlich; ebenfalls dieser Metaphorik bedient, offensichtlich durch die gemeinsamen Gespräche und Studien in Cassiciacum angeregt (man las täglich den Vergil, wahrscheinlich die Aeneis [!], vgl. infra zu 1,8,26, Z. 82 f; dazu D. Shanzer, „Arcanum Varronis iter“: Licentius’ Verse Epistle to Augustine, in: REA 37 (1991), bes. S. 126). – Eine topologische Untersuchung zum Gebrauch der Meeressymbolik bei Augustin – bis hinein in seine bischöfliche Zeit – bietet H. Rondet, Le symbolisme de la mer chez saint Augustin, in: Augustinus Magister. Congrès International Augustinien, Bd. 2, Paris 1954, S. 691–701. Für das Bild des „sicheren Hafens der Philosophie“ vgl. G. Pfligersdorffer, a. a. O., S. 37 ff; M. Testard, Saint Augustin et Cicéron, Bd. 1, Paris 1958, S. 171 und Anm. 1 f; J. Oroz Reta, En torno a una metáfora augustiniana. „El puerto de la filosofia“, in: La Ciudad de Dioz 181 (1968), S. 825–844; J. Doignon, BAug 4/1, Paris 1986, S. 140. 3 A. Solignac (Réminiscences plotiniennes et porphyriennes dans le début du „De ordine“ de Saint Augustin, in: Archives de philosophie 20, 1957, S. 446–465) hat das Verdienst, die Quellendiskussion für den Anfang von De ordine angeregt und insbesondere auf verschiedene neuplatonische Vorlagen hingewiesen zu haben (nicht immer mit unanfechtbaren Ergebnissen, vgl. zur Kritik insb. Trelenberg, Einheit, S. 72–78). Gewisse Parallelen zwischen Augustin, ord. 1,1,1 und Plotin, Enn. 3,2,7 sind, wie oben dargestellt, nicht zu leugnen. Allerdings sind nicht alle von Solignac angeführten „plusieurs points d’analogie“ zutreffend. Die Aussage, dass Augustin „comme Plotin, … insiste ici sur la nécessité de ne pas rendre la providence responsable de la malice humaine“ (S. 450; von Doignon, BAug 4/2, S. 332 unkritisch übernommen), kann am
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so versichert er seinem Freund Romanianus (c. acad. 1,1,1): Nam si divina providentia pertenditur usque ad nos, quod minime dubitandum est, mihi crede, sic tecum agi oportet, ut agitur. 12 certe mala omnia dei voluntate committi: In dieser zweiten Lösung des Theodizeeproblems, dass das Übel dieser Welt auf den Willen Gottes zurückzuführen sei, sieht man gewöhnlich den Widerhall manichäischer Glaubenselemente (so Solignac, Réminiscences, S. 447; im Anschluss daran Mühlenberg, Frühdialoge, S. 361, Anm. 3, und Doignon, BAug 4/2, S. 332). Als Belege dienen Stellen wie gen. c. Man. 2,17,25 und insb. conf. 5,10,18 (Adhuc enim mihi videbatur non esse nos qui peccamus, sed nescio quam aliam in nobis peccare naturam …), in denen Augustin die manichäische Tendenz schildert, die eigene Sündhaftigkeit mit Hinweis auf eine „andere“, innerhalb des Menschen wirksamen, aber letztlich außerhalb eigener Macht stehenden „Natur“ zu leugnen. – Es ist zu fragen, ob hier in De ordine tatsächlich auf einen solchen Vorstellungshorizont angespielt wird.4 Wahrscheinlicher ist, dass hier keine Bezugnahme auf ein konkretes phiText nicht verifiziert werden. Der Hinweis auf die Bosheit der Menschen als Lösung des Theodizee-Problems ist noch keine Leistung von De ordine, sondern bleibt der späteren (ab 387/88 entstandenen) Schrift De libero arbitrio vorbehalten. Erst dort wird in umfassender Weise und mit allen Konsequenzen – u. a. um Gott zu „entschuldigen“ – das malum physicum aus dem substantiellen Bereich in die Gesinnung des Menschen, d. h. seinen jederzeit freien Willen verlegt. 4 Der Manichäismus ist in seiner historischen Gestalt ein äußerst komplexes, adaptionsfähiges und in der konkreten Ausprägung – je nach Zeit und Ort seines Erscheinungsbildes – zumeist synkretistisches Glaubens- bzw. Religionssystem (vgl. insb. A. Böhlig, Art. „Manichäismus“, in: TRE, Bd. 22, 1992, S. 25–45; G. Widengren, Mani und der Manichäismus, Stuttgart 1961; K. Rudolph, Der Manichäismus: Die Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, Göttingen 31990, S. 352–379). Diejenige Spielart des Manichäismus, die Augustin kennen gelernt hat und über die wir dank der Beschreibung vor allem in den confessiones vergleichsweise gut unterrichtet sind, ist der nordafrikanische (3.,4. und 5. Buch) sowie der römische Manichäismus (5. Buch) des ausgehenden 4. Jahrhunderts (zum nordafrikanischen Manichäismus zur Zeit Augustins: F. Decret, Aspects du manichéisme dans l’Afrique romaine, Paris 1970; ders., L’Afrique manichéenne, 2 Bde., Paris 1978; W. Geerlings, Der manichäische Jesus patibilis in der Theologie Augustins, in: ThQ 152, 1972, S. 124–131; E. Feldmann, Der Einfluß des Hortensius und des Manichäismus auf das Denken des jungen Augustinus von 373, Münster 1975; ders., Christus-Frömmigkeit der Mani-Jünger. Der suchende Student Augustinus in ihrem Netz, in: Pietas, 1980, S. 198–216; A. Böhlig, Der Manichäismus: Die orientalischen Religionen im Römerreich, in: EPRO 93, 1981, S. 436–458; G. R. Evans, Augustine on evil, Cambridge 1982, bes. S. 11 ff). Von dieser speziellen Erscheinungsform des Manichäismus muss ausgegangen werden, um zu beurteilen, ob in ord. 1,1,1 eine diesbezügliche Bezugnahme vorliegt: Bedenkt man, dass die Aussage, „alles Böse geschehe nach dem Willen Gottes“ (Z. 12), ein monistisches, kaum ein dualistisches System voraussetzt, so passt sie denkbar schlecht zur augustinischen Kennzeichnung des manichäischen Glaubens. Besonders aufschlussreich ist die Begründung, die Augustin, selbst jahrelang Anhänger der manichäischen Sekte, für einen solchen metaphysischen Dualismus zu geben vermag: Er habe (so die Darstellung im 5. Buch der confessiones) ein antagonistisches, böses Prinzip dem Guten entgegensetzen müssen, weil er die unbedingte Güte des bonus deus auch in seinen größten Verirrungen als Manichäer niemals anzutasten wagte (10,20: Et quia deum bonum nullam malam naturam creasse qualiscumque me pietas credere cogebat, constituebam ex adverso sibi duas moles, utramque infinitam, sed malam angustius, bonam grandius …). M. a. W.: Die manichäische Lösung des Theodizeeproblems, so wie Augustin sie schildert, besteht eben nicht darin, dass angesichts des Übels in der Welt die Güte des obersten Gottes zur Disposition steht,
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losophie- oder religionsgeschichtliches Phänomen vorliegt, sondern lediglich eine formallogische Antithese: Das innerkosmische Böse befindet sich entweder außerhalb des Machtbereichs Gottes (Z. 11 f) oder eben innerhalb, dann aber notwendigerweise mit einer wie auch immer gearteten Legitimierung durch die dei voluntas (Z. 12). 13 utrumque impium, sed magis posterius: Beide Erklärungen für das Böse in dieser Welt (s. o. Z. 11 f und Z. 12) werden als „frevelhaft“ eingestuft, das Leugnen der Güte Gottes in besonderem Maße. In späteren Aussagen (div. quaest. 82) entfällt die subtile Differenzierung und beides erscheint gleichermaßen als nefas bzw. perniciosissima iniquitas. Vgl. § 2: … desipit, quia non intellegit, sicut nefas est iniustum deum dicere, ita nefas esse omnipotentem negare; § 3: … et esse deum et iustum atque omnipotentem esse perniciosissimae iniquitatis est dubitare. 17 non inmemor pietatis: Die Erwähnung der pietas geschieht in Umkehrung des ciceronischen Gedankengangs in De natura deorum (1,3): Bei Cicero ist die fromme Verehrung der Götter sinnlos, wenn diese sich nicht um die Angelegenheiten der Menschen kümmern. Bei Augustin wird eben diese Annahme durch die Beachtung der pietas gefordert (conpellitur ratio), da die Alternative (vgl. Z. 13) noch frevelhafter ist. 18 ut: Das ut consecutivum hier ohne Beziehung auf einen Einzelbegriff des übergeordneten Satzes (nicht in Korrelation zu ita [Z. 18]; vgl. Menge, Syntax, S. 224 [339,4]). 19 inculpanda: „untadelhaft / frei von Tadel“; augustinisches Hapaxlegomenon, zusammengesetzt aus in (hier Verneinungspräfix) und culpandus. Nach ThLL gleichbedeutend mit non culpandus bzw. inculpabilis. 1,1,2: Zufall oder Berechnung? – Der Blick auf das Ganze 20 Sed quis tam caecus est mente, ut quicquam in movendis corporibus rationis quod
praeter humanam dispositionem ac voluntatem est, divinae potentiae moderationique dare dubitet? Nisi forte aut casibus tam rata subtilique dimensione vel minutissimorum quorumque animalium membra figurantur aut, quod casu quis negat, possit nisi ratione factum fateri aut vero per universam naturam, quod in singulis 25 quibusque rebus nihil arte humana satagente ordinatum miramur, alienare a secretissimo maiestatis arbitrio ullis nugis vanae opinionis audebimus. At enim hoc ipsum est plenius quaestionum, quod membra pulicis disposita mire atque distincte sunt, cum interea humana vita innumerabilium perturbationum inconstantia versetur et fluctuet. Sed hoc pacto, si quis tam minutum cerneret, ut in vermiculato pavimento 30 nihil ultra unius tessellae modulum acies eius valeret ambire, vituperaret artificem velut ordinationis et compositionis ignarum eo, quod varietatem lapillorum perturbatam putaret, a quo illa emblemata in unius pulchritudinis faciem congruentia simul sondern dass – genau entgegengesetzt – die Allmacht des höchsten Wesens eingeschränkt wird. Insofern steht das manichäische System der sog. „ersten Lösung“ in De ordine sogar noch näher als der zweiten.
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cerni conlustrarique non possent. Nihil enim aliud minus eruditis hominibus accidit, qui universam rerum coaptationem atque concentum inbecilla mente conplecti et 35 considerare non valentes, si quid eos offenderit, quia suae cogitationi magnum est, magnam rebus putant inhaerere foeditatem.
22–26 Nisi forte aut casibus … aut … aut …: „es müsste denn sein, dass entweder … oder … oder …“; forte in Verbindung mit nisi ist hier adverbialer Ablativ und muss im Sinne von nisi vero wiedergegeben werden; zu Unrecht deutet Solignac (Réminiscences, S. 451) es substantivisch, um – gezwungen und künstlich – in forte aut casibus („de la fortune et du hasard“; ibid.) eine Anspielung auf Plotin, Enn. 3,2,1 zu sehen.5 Das dreifache aut begründet demnach keine Vierteilung der Periode (so Solignac, ebd., S. 4526), sondern eine Dreiteilung (so richtig z. B. Mühlenberg, Frühdialoge, S. 246). 20 quicquam in movendis corporibus rationis: Der Gedanke, dass Ordnung und Berechnung sich insbesondere dort zeigen, wo sich Körper in einer gewissen Regelmäßigkeit bewegen, gehört zum philosophischen Allgemeingut der Antike, hat aber vor allem im Bereich der Stoa (bzw. in den davon abhängigen philosophischen Richtungen wie etwa dem Neuplatonismus) Raum gewonnen. So kann z. B. der Stoiker Balbus (bei Cicero, nat. deor. 2,43) die regelmäßige Bewegung der Gestirne nicht anders erklären als mit dem Hinweis auf eine übergeordnete planmäßige, jedem Zufall entsagende und darum göttliche Ordnung: Sensum autem astrorum atque intelligentiam maxume declarat ordo eorum atque constantia – nihil est enim, quod ratione et numero moveri possit sine consilio –, in quo nihil est temerarium, nihil varium, nihil fortuitum. Ordo autem siderum et in omni aeternitate constantia neque naturam significat – est enim plena rationis – neque fortunam, quae amica varietati constantiam respuit. Vgl. ibid. 2,56: Nulla igitur in caelo nec fortuna nec temeritas nec erratio nec vanitas inest contraque omnis ordo, veritas, ratio, constantia. Der Begriff ratio (Mühlenberg übersetzt durchgehend mit „Vernunft“) wird in diesem Abschnitt dem „Zufall“ (casus) opponiert (vgl. Z. 23). Das Bedeutungsspektrum ist weit gefächert. Es umfasst einerseits die „technisch-konkrete“ Seite im Sinne von „Berechnung“, „Maß“ und „Verhältnis“ bei der Bewegung (hierauf deutet auch rata [= „berechnet“] in Z. 22), andererseits die „abstrakt-philosophische“ Ebene. So wird die christlich-philosophische Leserschaft Augustins hinter der Schöpfungsmacht „Vernunft“, gleichsam in Personifizierung, niemand anderen als den christlichen Schöpfergott gesehen haben (vgl. Z. 23 f: quod casu quis negat, possit nisi ratione factum fateri). 21 dispositionem: Augustin zeigt sich sprachlich variabel: dispositio ist nur eines von vielen Synonymen für den Zentralbegriff ordo in diesem Abschnitt. Vgl. auch ordinatio (Z. 31), compositio (ibid.), sowie im weiteren Sinne: moderatio 5
Z. 1–3:
. „1. la fortune, 2. le hasard, 3. quelque chose qui ne serait ni le hasard ni la raison, 4. une providence qui ne procéderait pas par un ‚choix très secret‘.“ 6
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(Z. 21 f), coaptatio (Z. 34), concentus (Z. 34) und nicht zuletzt ratio (Z. 20, Z. 24). Als die Antonyme erscheinen casus (Z. 22, Z. 23), perturbatio (Z. 28), inconstantia (Z. 28), varietas (Z. 31), foeditas (Z. 36). 22 f tam rata subtilique dimensione vel minutissimorum quorumque animalium membra figurantur: Die exakten Maßverhältnisse, die Übereinstimmung und symmetrische Anordnung der Extremitäten bei Kleinstlebewesen hat Augustin offenbar besonders fasziniert. Immer wieder kommt er in den Frühschriften auf dieses Phänomen zurück, wenn es darum geht, die gute und in sich perfekte Schöpfung insbesondere gegen die Kritik der Manichäer zu verteidigen. Siehe etwa gen. c. Man. 1,16,26 (über Mäuse, Frösche, Fliegen und Würmer): Non enim alicuius animalis corpus et membra considero, ubi non mensuras et numeros et ordinem inveniam ad unitatem concordiae pertinere. Vgl. auch vera relig. 217 (über den Wurm): … laudem … possum dicere, considerans … priora cum mediis, media cum posterioribus congruentia …, nihil ex una parte formatum quod non ex altera parili dimensione respondeat. Der Gedanke, dass in jedem Lebewesen ein wunderbarer Mikrokosmos existiert, hat schon früh Eingang in die christliche Tradition gefunden. Er ist – neben dem Hinweis auf den geordneten Lauf der Gestirne – gewissermaßen das Paradebeispiel, an welchem der (ursprünglich stoische) Ordnungs- und Providenzgedanke wirkungsvoll demonstriert werden konnte. Vgl. z. B. die bemerkenswerten Aussagen (auch in ihrer sprachlichen Nähe zu ord. 1,1,2) bei Laktanz, inst. 3,7,8: Si enim providentia nulla est, quomodo tam ordinate, tam disposite mundus effectus est? … Item si nulla providentia est, quomodo animalium corpora tam providenter ordinata sunt ut singula quaeque membra mirabili ratione disposita sua officia conservent? Vgl. auch Cicero, nat. deor. 2,85. 24 f naturam … arte humana: Die beiden Begriffe „Natur“ und „(menschliche) Kunst“ sind nicht antithetisch, sondern als Komplemente aufzufassen. Nach Augustins fester Überzeugung (vgl. vera relig. 147–157; 228–233) herrschen hier wie dort dieselben Gesetze: Schönheit und Ordnung finden sich immer dort, wo sich Einheit (unitas), Gleichheit (aequalitas) und Maß (modus) verwirklichen können (vgl. Z. 22 f). Die „Kunst“ orientiert sich in der Regel an der „Natur“ als Vorbild (vera relig. 149 über die Architektur: Ita enim primo quasi natura ipsa consulitur quid probet). Das Verhältnis von natura und ars im Hinblick auf die ihnen zugrunde liegende schöpferische ratio ist als Problem bereits in Ciceros De natura deorum breit entwickelt (vgl. bes. 2,87 ff), jedoch ohne dass eine augustinische Abhängigkeit in concreto nachweisbar wäre. 25 f secretissimo: Gottesprädikat auch in c. acad. 1,1,3 und 8,22 sowie in soliloq. 1,8,15; sol ille secretus heißt es von Gott in beat. vit. 4,35, secretissimus ille medicus in soliloq. 1,14,25. Gott ist für den neubekehrten Katechumenen Augustin noch eine weitgehend unbekannte, eine noch verborgene und geheimnisvolle Größe, das Christentum hat für ihn, zumindest in gewissen Einzelzügen, den Charakter einer Mysterienreligion. Häufig wird die noch nicht gänzlich überschaute kirchliche Lehre als mysteria oder – weitgehend gleichbedeutend – als sacra nostra bezeichnet; vgl. z. B. c. acad. 2,1,1: … quem mysteria nobis tradunt dei filium; 3,19,42:
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… ista huius mundi philosophia, quam sacra nostra meritissime detestantur; 3,20,43: sacris nostris; beat. vit. 1,4: divina mysteria; 3,18: … ritu castissimorum sacrorum; ord. 2,5,15: per mysteria bene credentem …; 5,16: docent veneranda mysteria …; 17,46: … fidem istam tuam, quam venerandis mysteriis percepisti; epist. 11,2: in mysteriis et sacris nostris; besonders charakteristische „Mysteriensprache“ in ord. 2,9,27: … quae omnia s a c r i s, quibus i n i t i a m u r, s e c r e t i u s firmiusque traduntur, in quibus bonorum vita … m y s t e r i o r u m a u c t o r i t a t e p u r g a t u r. Das noch deutlich distanzierte Verhältnis zum Inhalt des christlichen Glaubens, wie es in den ersten Schriften zu beobachten ist, wandelt sich jedoch recht schnell. Insgesamt ist der Einschätzung Thimmes (Entwicklung, S. 39) Recht zu geben: „Was hat das zu bedeuten? Doch wohl dies, daß dem Augustin das Christentum damals noch als eine zwar heilige, aber innerlich fremde Größe, als ein heiliges Institut geheimnisvoller Weihen und göttlich autoritativer Lehren gegenüberstand. Erst nach der Taufe wird das Verhältnis Augustins zum Christentum allmählich ein vertrauteres und intimeres – wie sich das ja ganz von selbst versteht – und er spricht viel seltener von den heiligen Geheimnissen.“7 26 maiestatis: Richtig interpretieren Perl und nachfolgend Mühlenberg (vgl. die Übersetzungen zur Stelle) die maiestas als die „göttliche Maiestät“; die frühen Parallelstellen ord. 2,7,24 (illius ineffabilis maiestatis; nimmt deum in Z. 76 auf) und soliloq. 1,5,11 (ab intelligibili dei maiestate) sind in ihrem Bezug eindeutig. 27 membra pulicis: Zu Augustins Interesse an winzigen Tierchen siehe die Bemerkungen supra zu Z. 22 f; der Floh stellt gewissermaßen die Konkretion der minutissima animalia dar. Gunermann (Tradition, S. 186–189) führt die Erwähnung des Flohs auf stoische Vorlagen zurück (Hinweis auf Chrysipp bei Plutarch, Stoic. rep. 1044 c-d, wo allerdings von [Wanzen] die Rede ist, noch dazu in einem nur bedingt vergleichbaren Zusammenhang8). 28 cum: Mit cum adversativum wird auf eine (scheinbare) Inkonzinnität hingewiesen und gleichzeitig die Problemlage verschärft. Während im „Mikrobereich“ (Beispiel: membra pulicis) eine wunderbare Ordnung herrsche, sei das viel höher und wertvoller einzuschätzende menschliche Leben (humana vita) durch eine Vielzahl von Unregelmäßigkeiten und Verwerfungen (innumerabilium perturbationum inconstantia) gekennzeichnet. Es ergibt sich insbesondere ein Widerspruch zur stoischen These, dass das Göttliche „sich lediglich um das Große kümmere, das Kleine aber vernachlässige“ (vgl. supra zu 1,1,1, Z. 11 f). 7 Anders Nörregaard, Bekehrung, S. 125, Anm. 1; K. Schlapbach, Contra Academicos, S. 58, sieht im Hintergrund der Formulierung die neuplatonische „via negativa“ der Annäherung an den Gottesbegriff. 8 Während Augustin die ästhetisch reizvolle Anordnung der Glieder des Insekts lobt, wird in dem Chrysipp-Referat der Akzent auf den Nutzen (vgl. ) der Kleintiere für den Menschen gesetzt: Die Wanzen wecken uns ( ) und die Mäuse erregen unsere Aufmerksamkeit ( ), damit unser Besitz nicht allzu nachlässig aufbewahrt werde. Vgl. zur teleologischen Argumentation der Stoiker insb.: M. Pohlenz, Stoa, Bd. I, S. 100 (zu Chrysipp) und S. 393 (zu Plotin).
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28 innumerabilium: Bereits an dieser frühen Stelle des Buches deutet sich – noch sehr unscheinbar – der neuplatonische Hintergrund der Schrift an (in vollem Ausmaße erst in § 3 sichtbar). Die Antithese zwischen einer pejorativ bewerteten Vielheit (hier: die „unzähligen“ Verwirrungen des menschlichen Lebens) und einer hoch geschätzten Einheit (vgl. Z. 32: unius pulchritudinis) ist für diesen Bezugsrahmen ausgesprochen charakteristisch. Besonders stark sind die Anklänge an die plotinische Henologie (neben dem Kreisvergleich in ord. 1,2,3) noch einmal in den einschlägigen „unum-Passagen“ am Ende des zweiten Buches (vgl. insb. 2,18,48). 29 in vermiculato pavimento: „bei einem mit buntem Muster versehenen Estrich“ (= Mosaikfußboden). – Das in den Dienst der Erkenntnistheorie (s. u. zu Z. 32.32 f.33) gestellte Bild des Kosmos als ein aus vielen bunten Steinchen (tessellae; Z. 30) zusammengesetztes Mosaik ist in dieser Form in der erhaltenen antiken Literatur singulär und könnte daher – zumal es hier sehr organisch eingepasst ist – auf Augustin selbst zurückgehen. Allerdings hat Augustin als Rhetor zweifellos den (auf die Formulierungskunst abzielenden) Mosaikvergleich des Lucilius (85) gekannt, welcher bei Cicero gleich dreimal überliefert wird: Quam lepide compostae ut tesserulae omnes / Arte pavimento atque emblemata vermiculato! (orat. 149; vgl. de orat. 3,171; Brut. 274). Die sprachlichen Berührungspunkte sind auffällig9 und es ist wahrscheinlich, dass das bekannte Distichon Augustin „inspiriert“ hat. 30 artificem: Die Einführung des „Künstlers“ als Erbauer des Mosaiks zielt hauptsächlich auf die christliche Vorstellung von Gott als Schöpfer der Welt. Sehr häufig, vor allem im antimanichäischen Schrifttum und in den Genesisauslegungen, bezeichnet Augustinus das Schöpferhandeln Gottes als ars, den Schöpfer selbst als artifex. Gleichwohl kann er hierbei an überkommene Vorstellungen aus der klassischen Antike anknüpfen, so an die platonische Gestalt des Demiurgen im Timaios (Cicero übersetzt mit artifex; z. B. Tim. 6) oder das stoische (Cicero: ignis artificiosus; vgl. nat. deor. 2,57) als besondere Ausdrucksform der natura artifex (vgl. SVF I 160.171 f; II 1132–1140). Vgl. hierzu K.-H. Lütcke, Art. „Ars“, in: AL 1, Sp. 459–465, bes. Sp. 463. 31 f varietatem lapillorum perturbatam: Die Wendung stellt den eigentlichen Kernpunkt des Mosaik-Vergleichs dar. In ihrem Bezug auf die „unzähligen Verwirrungen“ des menschlichen Lebens (vgl. Z. 28) kongruieren hier Bild- und Sachbereich. 32 f illa emblemata … congruentia simul cerni conlustrarique non possent: Es ist ein wichtiger und häufig geäußerter, hier am Mosaik-Beispiel illustrierter Gedanke Augustins, dass ein grundlegendes Defizit menschlichen Lebens darin 9 Lucilius 85/Augustin, ord. 1,1,2: compostae / compositionis (31), tesserulae / tessellae (30), arte / artificem (30), pavimento / pavimento (29), emblemata / emblemata (32), vermiculato / vermiculato (29).
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bestehe, dass gewisse (örtlich und zeitlich auseinanderstehende) Dinge bzw. Sachverhalte nur einzeln und nacheinander, nicht aber „gleichzeitig“, d. h. in einer Gesamtschau wahrgenommen werden können. In vera relig. 114–188 wird dieses Phänomen am Hören eines aus vielen Versen und Silben bestehenden Gedichts verdeutlicht, in conf. 3,7,12 f dient es als Erklärung für scheinbare Widersprüche in der biblischen Menschheitsgeschichte, ibid. 11,11,13 zur Unterscheidung der vom Menschen wahrgenommenen, ständig sich verflüchtigenden Zeit von der göttlichen, jederzeit in sich selbst ruhenden Ewigkeit (vgl. hierzu auch 11,31,41). Weitere Parallelstellen: vera relig. 111–113 und insb. epist. 11,4 zum tiefen Sinn der im Hinblick auf das menschliche Fassungsvermögen sich sukzessiv und „ökonomisch“ entfaltenden göttlichen Trinität. 32 unius pulchritudinis: Die „Mannigfaltigkeit“ und „Verschiedenheit“ (Z. 31: varietas) der Mosaiksteinchen, die in kleinen Bildausschnitten betrachtet als äußerst verwirrend (Z. 31 f: perturbata) erscheint, fügt sich für den, der zu einem Gesamtüberblick fähig ist, zu „der einen Schönheit“ zusammen. Zu den neuplatonischen Implikationen dieses Ausdrucks vgl. Z. 28 s. v. innumerabilium. 33 minus eruditis hominibus: Erkenntnis ist an Bildung gebunden, so lautet eine zentrale These Augustins in den Schriften von Cassiciacum. Vor diesem Hintergrund wird im zweiten Buch von De ordine eine umfangreiche Bildungsordnung in den sogenannten enzyklopädischen Wissenschaften vorgeschrieben (siehe 2,7,24–19,51), auf die hier – wie an anderen Stellen des ersten Buches (vgl. 1,1,1, Z. 4 f; 1,2,4, Z. 12 f u. ö.) – gewissermaßen schon vorbereitet wird. In späteren Schriften, besonders deutlich in De utilitate credendi (391/92), tritt der Glaube als Voraussetzung für echte Erkenntnis mehr und mehr in den Vordergrund, ohne jedoch das rationale Element vollständig zu verdrängen.10 34 universam rerum coaptationem atque concentum: „Harmonie und Zusammenklang alles Seienden“ (Mühlenberg); die ideengeschichtlich wirksame Vorstellung einer Harmonie und Zweckmäßigkeit des Universums in allen seinen Teilen ist in der klassischen Antike eine Domäne der stoischen Doktrin. Cicero gibt in div. 2,33 mit dem Ausdruck concentus naturae die stoische wieder (zu dieser Verbundenheit und Wesensverwandtschaft in der gesamten Natur, der , vgl. SVF 10 Gute Darstellung der augustinischen Entwicklung in diesem Punkte (nach wie vor) bei W. Thimme, Augustins geistige Entwicklung in den ersten Jahren nach seiner Bekehrung, Berlin 1908. Zum komplexen wechselseitigen Verhältnis von ratio und auctoritas bei Augustin sei aus der Fülle der Sekundärliteratur besonders hervorgehoben: R. E. Cushman, Faith and reason in the Thought of St. Augustine, in: Church History 19, 1950, S. 271–294; D. Pirson, Der Glaubensbegriff bei Augustin, Diss. Erlangen 1953; P. M. Löhrer, Der Glaubensbegriff des hl. Augustinus in seinen ersten Schriften bis zu den Confessiones, Einsiedeln 1955; G. Daoust, Raison et autorité chez le jeune Augustin, Montreal-Paris 1962; F. Chiereghin, Fede et ricerca filosofica nel pensiero di S. Agostino, Padua 1965; K.-H. Lütcke, „Auctoritas“ bei Augustin mit einer Einleitung zur römischen Vorgeschichte des Begriffes, Stuttgart 1968; E. König, Augustinus philosophus. Christlicher Glaube und philosophisches Denken in den Frühschriften Augustins, München 1970.
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II 534.546.1013.1211), in nat. deor. 2,119 lässt er den Stoiker Balbus (neben vielen anderen Beispielen) die scheinbar verwirrenden, letzlich aber einer höheren Ordnung gehorchenden Himmelserscheinungen in ihrer Auswirkung auf das irdische Leben ausdrücklich als einen großartigen concentus bzw. eine einzigartige copulatio rerum et … coagmentatio naturae bezeichnen. Bei Augustin selbst erinnert die Formulierung an Ausführungen im 4. Buch der confessiones, in denen der Bischof rückschauend den Inhalt seiner verlorenen Jugendschrift De pulchro et apto bespricht (4,13,20–15,28). Damals – ca. 380/81 in seiner manichäischen Phase – habe er eine allgemeine Ästhetiklehre verfasst und als „schön“ definiert, was entweder (1) aus sich heraus schön sei, aufgrund der Tatsache, dass es gleichsam ein Ganzes (quasi totum) darstelle, oder (2) deshalb als schön gelte, weil es an etwas anderes gut angepasst sei (quoniam apte adcommodaretur alicui).11 Beide Schönheitskriterien treffen für Augustin, wie diverse Parallelstellen12 zeigen, in ganz besonderer Weise auf das Universum zu: Es stellt per definitionem eine Ganzheit dar, und in ihm herrschen eine solche Harmonie und Zweckmäßigkeit, dass es von mangelnder Bildung (Z. 33: minus eruditis hominibus) oder von fehlender Geisteskraft (Z. 34: inbecilla mente) zeugt, wenn ihm nicht nur keine Schönheit zugesprochen, sondern sogar „Hässlichkeit“ (Z. 36: foeditatem) unterstellt werde. 36 rebus: Wie schon in Z. 1 und Z. 34 steht res im Plural hier für die Gesamtheit alles Seienden bzw. das (Welt-)All, i. e. die universitas aus 1,2,3, Z. 41. 36 inhaerere: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 36 foeditatem: Die augustinische Erörterung über die allumfassende Seinsordnung, die zunächst von einem ethisch-ontologischen Problem, der Frage nach der Herkunft des Bösen ausgegangen war (§ 1), ist nun – unter dem Einfluss des Mosaikvergleichs – endgültig zu einem ästhetischen Problem mutiert (§ 2 Ende). Hierbei wird deutlich, wie sehr Augustin bestimmten Grundvoraussetzungen antiken Philosophierens verhaftet ist, wonach das Schöne – mit deutlichem Unterschied zur modernen Auffassung – prinzipiell als „Grenzgebiet zum Guten“ begriffen wird (G. W. Most, Art. „Schöne [das], in: HWPh 9, 1995, Sp. 1343), mit diesem insbesondere in der sokratischen Tradition unter dem Begriff der radikal identifiziert (ibid., Sp. 1344 ff) und in eben dieser Gleichsetzung namentlich im Raum der Stoa auch auf kosmologische Phänomene angewandt werden konnte (vgl. etwa Chrysipp, frg. 16.29–37. SVF 3,6,9–11 und ; siehe Most, a. a. O., bereits Zenon, frg. 188. SVF 1,47: Sp. 1347). Insofern wird es verständlich, dass die der Schönheit und Harmonie entgegengesetzte „Hässlichkeit“ (foeditas) nach augustinischem Verständnis nicht nur als Ausdruck der Unordnung, sondern geradezu als Inbegriff des Übels und der Schlechtigkeit fungiert (vgl. zur „Hässlichkeit“ des Bösen auch Stellen wie 11 Zur Möglichkeit der philosophiegeschichtlichen Herleitung dieser „Schönheitsformel“ aus dem Platonismus bzw. der (durch Cicero vermittelten) Stoa vgl. Trelenberg, Einheit, S. 13.18.21. 12 Siehe gen. c. Man. 1,21,32; mus. 6,17,58; ord. 1,2,3.
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vera relig. 142.177.208–215; zur Schönheit des Geordneten siehe ibid. 216: nihil est enim ordinatum quod non sit pulchrum). 1,1 f,3: Selbsterkenntnis als Erfahrung der Einheit Cuius erroris maxima causa est, quod homo sibi ipse est incognitus. Qui tamen ut se noscat, magna opus habet consuetudine recedendi a sensibus et animum in se ipsum colligendi atque in se ipso retinendi. Quod hi tantum adsecuntur, qui plagas quasdam 40 opinionum, quas vitae cotidianae cursus infligit, aut solitudine inurunt aut liberalibus medicant disciplinis. |Ita enim sibi animus redditus, quae sit pulchritudo univer- cap. 2 sitatis, intellegit, quae profecto ab uno cognominata est idcircoque illam videre non licet animae, quae in multa procedit sectaturque aviditate pauperiem, quam nescit sola segregatione multitudinis posse vitari. Multitudinem autem non hominum dico 45 sed omnium, quae sensus attingit. Nec mirere, quod eo egestatem patitur magis, qui magis appetit plura conplecti. Ut enim in circulo quantumvis amplo unum est medium, quo cuncta convergunt, quod geometrae vocant, et quamvis totius ambitus partes innumerabiliter secari queant, nihil tamen est praeter illud unum, quo cetera pariliter dimetiantur et quod omnibus quasi quodam aequalitatis iure domi50 netur, hinc vero in quamlibet partem si egredi velis, eo amittuntur omnia, quo in plurima pergitur, sic animus a se ipse fusus inmensitate quadam diverberatur et vera mendicitate conteritur, cum eum natura sua cogit ubique unum quaerere et multitudo invenire non sinit.
37 homo sibi ipse est incognitus: Mangelnde Selbsterkenntnis ist die Hauptursache (maxima causa; Z. 37) für jeden Irrtum im Verständnis der Welt. Offenbar sieht Augustin – was zweifellos der Erklärung bedarf (siehe dazu unten zu Z. 42) – in der Erkenntnis der eigenen Person eine unabdingbare Voraussetzung für jedes Wissen13 allgemeiner Art. 13 Gemeint ist „echtes“ Wissen im augustinischen Sinne, nicht die beliebige Ansammlung von belanglosen Richtigkeiten. Letzteres ist für Augustin nichts anderes als curiositas (vgl. bes. deutlich die Ausführungen in conf. 10,35,55). Es geht um „bestimmtes, heiliges und von der Menge kaum erahntes Wissen“ (ord. 2,7,24), welches sich letztendlich auf zwei Erkenntnisobjekte reduzieren lässt: Gott und die Seele (ibid.; vgl. 2,18,47 f; siehe auch die berühmten Sätze zu Beginn der Soliloquia [1,2,7]: A. Deum et animam scire cupio. R. Nihilne plus? A. Nihil omnino.). Keinesfalls handelt es sich hierbei jedoch um gleichrangige Erkenntnisobjekte, wie bisweilen angenommen wird (so z. B. A. Speer, Art. „Selbsterkenntnis II“, in: HWPh 9, 1995, Sp. 414). Nicht zuletzt unsere Stelle macht unmissverständlich deutlich, dass die Erkenntnis des eigenen Inneren eine Voraussetzung und gewissermaßen die Vorstufe der Gotteserkenntnis darstellt. Wer Gottes Walten innerhalb des Universums, den geheimnisvollen ordo, der sich hinter allen (scheinbar diffusen) empirischen Erscheinungen verbirgt, verstehen will, muss zuallererst bei sich selbst anfangen. Die Selbsterkenntnis ist „nur ein Mittel zum Zweck. Es gilt, im Inneren festen Fuß zu fassen, um sich von hier aus zu Gott zu erheben“ (W. Thimme, Entwicklung, S. 59). Vgl. in diesem Sinne auch: F. M. Sladeczek, Die Selbsterkenntnis als Grundlage der Philosophie nach dem hl. Augustinus, in: Scholastik 5, 1930, S. 329–356; M. Stumpf, Selbsterkenntnis und Illumination bei Augustinus, Diss. München 1944, passim; G. Verbeke, Connaissance de soi et connaissance de Dieu chez Saint Augustin, in: Augustiniana 4, 1954, S. 495–515; F. Körner, Das Prinzip der Innerlichkeit in Augustins Erkenntnislehre, Diss. Würzburg 1952, passim; A. Schöpf, Wahrheit
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II. Kommentar
Augustin begreift sich in Cassiciacum auf der „Rückkehr zu sich selbst“: Der Wunsch nach „Selbstfindung“ – dies lässt sich aus den Frühschriften eruieren – war eines der Hauptmotive für die Kündigung seiner beruflichen Anstellung in Mailand und seinen Umzug aufs Land. Hier angekommen, atmet er wieder auf, kommt wieder zur Vernunft und zu sich selbst zurück (c. acad. 2,2,4 f). „Bekehrt werden“ ist für Augustin nichts anderes als durch Tugend und Besonnenheit „zu sich selbst gebracht werden“ (in sese adtolli; ord. 1,8,23). Ad nos redeamus! heißt die neue Leitlinie, von der auch sein Freund Romanianus überzeugt werden soll (c. acad. 2,3,8; vgl. ibid. 1,1,1). Erst wenn die Seelen wieder zu sich selbst zurückgekehrt sind, so Augustin in Anklang an platonische Vorstellungen, erkennen sie ihr Vaterland (patria) wieder (c. acad. 3,19,42). Denn nicht irgendwo „draußen“, sondern nur im tiefen Inneren des Menschen (in interiore homine) wohnt die Wahrheit, heißt es wenig später in jener berühmten Stelle in vera relig. 202. Vgl. auch ord. 1,3,6; 3,9; 2,11,30; soliloq. 1,3,8; 2,6,9; quant. anim. 55. 38 consuetudine recedendi a sensibus14: Vor die Gotteserkenntnis setzt Augustin die Selbsterkenntnis, vor die Selbsterkenntnis (ut se noscat; Z. 37 f) die Abkehr von dem Sinnfälligen. Es handelt sich um den Fundamentalsatz des Platonismus, dass die Erkenntnis des Wahren niemals durch sinnliche Wahrnehmung vermittelt werden kann. Besonders deutlich formuliert Augustin in div. quaest. 9: Non est igitur exspectanda sinceritas veritatis a sensibus corporis. Und: … non est constitutum iudicium veritatis in sensibus. In den soliloquia (1,14,24) mahnt daher die augustinische ratio den Erkenntniswilligen, dass penitus esse ista sensibilia fugienda. Die Belege für eine dezidierte Ablehnung des Sensualismus durch Augustin ließen sich allein auf der Basis seiner Frühschriften fast endlos vermehren. Speziell für die Zeit in Cassiciacum vgl. neben ord. 1,1,3 insb. c. acad. 1,1,3; 1,3,9; 3,6,13; 3,17,37 ff; ord. 2,2,5 ff; 2,11,32–34; soliloq. 1,1,3; 1,1,6; 1,3,8; 1,6,12; 2,3,3. Als Begründung für seine Haltung führt Augustin an verschiedenen Stellen mehrere Argumente (allesamt platonisch-neuplatonischer Provenienz) ins Feld: A) Die Sinnenwelt (der sog. mundus sensibilis = ) vermag dem Betrachtenden lediglich einen subjektiven Schein, allenfalls „Wahrscheinlichkeit“, niemals aber die Wahrheit selbst zu vermitteln. Die sensuellen Perzeptionen beund Wissen. Die Begründung der Erkenntnis bei Augustin, München 1965, bes. S. 154–169; J. Mader, Die logische Struktur des personalen Denkens. Aus der Methode der Gotteserkenntnis bei Aurelius Augustinus, Wien 1965, passim; B. Stock, Augustine the reader. Meditation, self-knowledge, and the ethics of interpretation, Cambridge 1998; W. Beierwaltes, Der Selbstbezug des Denkens, Frankfurt a. M. 1998, siehe bes. S. 180. 14 Rückblickend kritisiert Augustin in den retractationes den hier verwendeten Sprachgebrauch; er habe an den Stellen, an denen er in De ordine den sensus erwähnte, präziser vom sensus corporis sprechen müssen: … et quod non addebam corporis, quando sensus corporis nominavi (1,3,3). Hintergrund ist, dass Augustin neben den äußeren „Körpersinnen“ einen sog. sensus interior annimmt (im Gefolge des Aristoteles [vgl. Nic. Eth. 9 f; zur diesbezüglichen Abhängigkeit: R. Schneider, Seele, S. 160 ff]); dieser „innere Sinn“ habe die Aufgabe, alle durch die äußeren Sinne übermittelten Eindrücke zur Unterscheidung und Beurteilung zusammenzufassen und gewissermaßen weiterzuverarbeiten; siehe z. B. lib. arb. 2,25 ff und dazu K. Schön, Skepsis, S. 73 f, sowie J. Ritter, Mundus, S. 89 f.
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ziehen sich ohne Ausnahme auf veränderliche und flüchtige, den Dimensionen von Raum und Zeit unterworfene „Gegenstände“, zum objektiv wahren und unveränderlichen Sein (dem sog. mundus intelligibilis = ) fehlt ihnen definitionsgemäß der Zugang. Vgl. z. B. c. acad. 1,1,3; 3,6,13; 3,17,39 f; soliloq. 1,1,5; 2,3,3; epist. 2; vera relig. 179–182. B) Die Vielfalt der Objekte, auf die sich die sinnliche Wahrnehmung bezieht, lenkt den Geist von dem allein Erstrebenswerten, dem Einzigen und Einen (unum) ab; je mehr er aufnehmen und erfassen will, desto mehr gerät er in Beliebigkeit und (geistige) „Armut“; vgl. ord. 1,2,3. Hinzu kommt, dass durch die Vermittlung der „fleischlichen Sinne“ sich auch die Wünsche und Neigungen des Menschen vermehren, sich eine vordergründige Geschäftigkeit entwickelt, die lediglich dazu beiträgt, den Menschen in seinem Wesen zu „zersplittern“ (multiplicare); vgl. vera relig. 112. In den confessiones (2,1,1) heißt es dazu rückblickend auf die eigene Lebensgeschichte: colligens me a dispersione, in qua frustratim discissus sum, dum ab uno te aversus in multa evanui. C) Wahrheit und Wissen liegen im Inneren des Menschen begründet, sie sind dort apriorisch angelegt und müssen von der Seele entweder erinnert werden (frühe Anamnesis-Lehre Augustins: beat. vit. 4,35; soliloq. 2,20,35; quant. anim. 34; immort. 6; epist. 7,2) oder aber werden dem Menschen durch innere Erleuchtung bzw. „Einstrahlung“ zuteil (später vorherrschende Lehre von der sog. Illumination: beat. vit. 4,35; vera relig. 64 ff.72 f.96 f.113).15 Da eine Erkenntnis „von außen“ von Augustin grundsätzlich nicht akzeptiert werden kann, das Sinnfällige sich aber stets vom Wahrnehmenden räumlich getrennt befindet, scheidet die Sinneswahrnehmung als Möglichkeit der Wissensvermittlung16 von vornherein aus. Vgl. immort. 10: Ea quae sensu capiuntur, extra etiam nos esse sentiuntur, et locis continentur, unde nec percipi quidem posse affirmantur. D) Was die Sinne vermitteln, sind also allenfalls Äußerlichkeiten und daher grundsätzlich von geringem Wert (vile), das Entscheidende erkennt nur der Verstand (intellectus): So antwortet Augustin in den Soliloquia (1,3,8) auf die Frage seiner ratio, ob er seinen Freund Alypius sensu oder intellectu kennenlernen möchte, entschieden zu Gunsten des Letzteren: Sensu quidem quod in eo novi, si tamen sensu aliquid noscitur, et vile est et satis est. Illam partem, qua mihi amicus est, id est ipsum animum, intellectu adsequi cupio.17 15 Zum allmählichen Übergang der augustinischen Lehre von der Erinnerung der Seele zur Vorstellung ihrer göttlichen Erleuchtung, insbesondere zu deren erkenntnistheoretischer Gemeinsamkeit trotz unterschiedlicher anthropologischer Voraussetzungen vgl. kompakt Trelenberg, Einheit, S. 87 f, Anm. 73 (mit Hinweisen auf weiterführende Literatur). 16 Zum Terminus „Wissen“ (scientia) bei Augustin vgl. supra Anm. 13. 17 Zur Rolle der Sinneswahrnehmung innerhalb der Gnoseologie Augustins vgl. W. Thimme, Entwicklung, S. 64–69 (Konzentration auf die Frühschriften); C. Boyer, La philosophie augustinienne ignore-t-elle l’abstraction?, in: Nouvelle Revue Théologique 10, 1930, S. 817–830 (aufgrund der intendierten Harmonisierung Augustins mit der peripatetisch-thomasischen Abstraktionslehre [vgl. S. 817 f und 830] in den Ergebnissen nicht unanfechtbar); A. Muñoz-Alonso, El conocimiento sensible en la doctrina de San Agustin, in: Rf 14 (1955), S. 33–49 (unglücklicher Titel; eine Erkenntnis mit Hilfe der Sinne sieht Augustin – wie der Verfasser selbst bemerkt [siehe S. 49] – gerade nicht vor); M. A. I. Gannon, The Active theory of Sensation in St. Augustine, in: The New Scholasticism 30 (1956), S. 154–180 (betont den Einfluss Plotins auf Augustin);
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II. Kommentar
38 f animum in se ipsum colligendi atque in se ipso retinendi: Der Weg zur Selbsterkenntnis wird von Augustin als Dreischritt beschrieben: Nach der Abkehr von den Sinnen (recedendi a sensibus; Z. 38) muss eine Sammlung bzw. Konzentration des Geistes auf sich selbst folgen sowie – was zweifellos das Schwierigste darstellt18 – der Geist „bei sich selbst“ gehalten werden.19 Die beiden letzten Schritte, die als zusammengehörig präsentiert werden (Parallelismus, Polyptoton, Junktur mit atque), verweisen den, der nach Erkenntis strebt, noch einmal deutlich und bestimmt auf seine eigene Innerlichkeit.20 Es ist der Rekurs auf die innere Geistseele (animus, wenig später synonym auch anima), der die Erkenntnis des Wahren verspricht. 39 f plagas quasdam opinionum, quas vitae cotidianae cursus infligit: Was genau Augustin unter plagae, die hier metonymisch mit „Wunden“21 wiederzugeben sind, verstehen will, erhellt die Parallelstelle ord. 1,10,2922. Gemeint ist, wie Thimme (Entwicklung, S. 52, Anm. 1) zutreffend zusammenfasst, neben einer moralischen Defektivität insbesondere auch eine geistige, nämlich die stultitia des Menschen, der sich lediglich auf Alltagsweisheiten und Vorurteile stützt und daher auf der Suche nach Wahrheit zwangsläufig versagen muss. – Eine inF.-J. Thonnard, La „cognitio per sensus corporis“ chez saint Augustin, in: Augustinus 3 (1958), S. 193–203; J. Hessen, Augustins Metaphysik der Erkenntnis, Leiden 21960; F. Körner, Abstraktion oder Illumination? Das ontologische Problem der augustinischen Sinneserkenntnis, in: RechAug 2, 1962, S. 81–109 (berechtigte Kritik vor allem am „harmonischen“ Ansatz Boyers); A. Schöpf, a. a. O., S. 95–136 (übernimmt wichtige Ergebnisse Hessens: die Sinne können „Anregungen“ für die Erkenntnis vermitteln, aber keinesfalls ein „Wissen“ im engeren Sinne); W. Holzapfel, Mundus sensibilis. Die Analyse der menschlichen Sensualität nach dem heiligen Augustinus, Freiburg 1967; U. Wienbruch, Erleuchtete Einsicht. Zur Erkenntnislehre Augustins, Bonn 1989 (insb. S. 42–54). 18 Vgl. vera relig. 179–184: Immer wieder besteht die Gefahr, dass sinnliche Phantasiebilder (phantasmata) und Einbildungen (illusiones) den Geist in seiner rein geistigen Schau beeinträchtigen und ablenken. In Anbetracht dieser Schwierigkeit kann Augustin beinahe nur resignieren: O animae pervicaces, date mihi qui videat sine ulla imaginatione visorum carnalium! (179). Vgl. auch ibid. 110 (an die Manichäer gerichtet): Sed facillimum est execrari carnem, difficilimum autem non carnaliter sapere. 19 Vgl. Plotin, Enn. V 3,4,28–30: 20 Für die Bedeutung des „Inneren“ in der Gnoseologie Augustins vgl. die vorzügliche, in der Sekundärliteratur – zu Unrecht – kaum rezipierte „Schrift-für-Schrift-Analyse“ F. Körners (Das Prinzip der Innerlichkeit in Augustins Erkenntnislehre, Diss. Würzburg 1952). Die Hauptstellen für die Frühzeit Augustins (Stichworte: Rückkehr zu sich selbst, Selbsterkenntnis, „innere Augen“, Anamnesis-Lehre, „inneres Licht“, „innerer Lehrer“, sapientia inpressa etc.): c. acad. 1,1,1; 2,2,4 f; 2,3,8; beat. vit. 4,35; ord. 2,11,30. 19,51 (um Gott zu schauen, muss die Seele se componere); soliloq. 2,6,9. 20,35; quant. anim. 34.54 ff; immort. 6.17; lib. arb. 2,9,26; 16,41 f; gen. c. Man. 1,43; mag. 11,38. 12,40. 14,46; vera relig. 101 (Gott als die summa et intima veritas); 72,202 f (Noli foras ire …); epist. 7,2; divers. quaest. 83,9. Vgl. auch die späteren confessiones, in denen Gott, das Ziel aller Erkenntnis, als interior intimo meo (3,6,11) bezeichnet wird. 21 Im Folgenden bleibt Augustin im Bild: „Wunden“ kann man „schlagen“ bzw. „zufügen“ (infligere; Z. 40), „ausbrennen“ (inurere; Z. 40) oder „(ärztlich) behandeln“ (medicare; Z. 41). 22 Satis mihi sunt vulnera mea, quae ut sanentur, paene quotidianis fletibus deum rogans indigniorem tamen esse me, qui tam cito saner, quam volo, saepe memet ipse convinco (Z. 34–36).
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haltliche Affinität ergibt sich zum Ausdruck in Z. 26 (ullis nugis vanae opinionis) und es wird bestätigt, dass mit opinio nicht primär auf eine bestimmte philosophische oder religiöse Lehrmeinung angespielt wird, sondern auf die Vielzahl der „Scheinwahrheiten“, die das tägliche Leben (cotidiana vita) reichlich und im Überfluss im Angebot hat. Vgl. ähnlich z. B. Cicero, Tusc. 3,2: Nunc autem, simul atque editi in lucem et suscepti sumus, in omni continuo pravitate et in summa opinionum perversitate versamur, ut paene cum lacte nutricis errorem suxisse videamur. 40 f aut solitudine inurunt aut liberalibus medicant disciplinis: Die an den Erkenntniswilligen gerichteten Anweisungen, nämlich die Einsamkeit zu suchen und sich der Wissenschaft zu widmen, entsprechen Augustins eigenem neuen Lebenskonzept. Eindrücklich schildert das 8. Buch der confessiones, wie Augustin in seiner Mailänder Zeit unter der Last seiner umfangreichen Lehrtätigkeit stöhnte (8,6,13), in dieser Situation durch Pontician von den altchristlichen Einsiedlern und Anachoreten (u. a. Antonius) erfuhr (8,6,14 f), auch von dem Beispiel der beiden kaiserlichen Beamten zu Trier dermaßen beeindruckt war (8,6,15–7,16), dass auch in ihm selbst der Gedanke an „Ausstieg“ und christlich motivierte Weltflucht immer mehr reifte und schließlich mit seinem Umzug aufs Land konkrete Formen annahm. Auch der Lebensstil seines engen Freundes Nebridius in Mailand, der sich bewusst immer wieder der Öffentlichkeit entzog, um sich möglichst viele Mußestunden für philosophisches Forschen, private Lektüre und intellektuell anregende Gespräche zu sichern (8,6,13), mag Augustin beeindruckt und als Vorbild gedient haben.23 In der philosophischen Studien- und Lebensgemeinschaft auf dem rus Cassiciacum konnte Augustin für kurze Zeit sein Ideal verwirklichen; später in Afrika nahmen ihn – viel schneller und nachhaltiger als ihm lieb war – die kirchlichen Dienste in Anspruch; und von Neuem erwachte sein Wunsch in die Einsamkeit zu fliehen (vgl. conf. 10,43,70: Conterritus peccatis meis et mole miseriae meae agitaveram corde meditatusque fueram fugam in solitudinem, sed prohibuisti me …). Die hier und an anderen Stellen in De ordine zum Ausdruck gebrachte Hochschätzung der liberales disciplinae wird dem späteren Bischof zum Stein des Anstoßes (retr. 1,3,4): … in his libris displicet mihi …, quod multum tribui liberalibus disciplinis, quas multi sancti multum nesciunt, quidam etiam qui sciunt eas sancti non sunt. 41 sibi animus redditus: „ein Geist, der zu sich (selbst) zurückgefunden hat“; ähnliche Wendung bereits bei Seneca (epist. 79,12: animus … redditus caelo suo). Zum Motiv der „Rückkehr zu sich selbst“ siehe die Ausführungen oben zu Z. 37; vgl. dazu Porphyrios bei Stobaios 3,379,6 ff. Die Verwendung von animus (siehe auch § 1, Z. 14; § 3, Z. 38; ibid. Z. 51; § 4, Z. 8) und anima (§ 3, Z. 43; § 4, Z. 1) ist in der Einleitung nicht deutlich voneinander abgegrenzt; vgl. Cicero, 23 Die Rolle des Nebridius bei der conversio Augustins ist in der umfangreichen Sekundärliteratur zu diesem Thema kaum je erwähnt, geschweige denn systematisch untersucht worden. Für eine Analyse wäre neben den kurzen retrospektiven Angaben in den confessiones (Buch 8) vor allem die frühe Briefkorrespondenz von Bedeutung (Aug., epist. 3–14). Zur Person des Nebridius vgl. A. Mandouze, Prosopographie, Bd. 1, S. 774–776.
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II. Kommentar
Tusc. 1,19. Zur Unterscheidung der beiden Begriffe siehe ausdrücklich Tertullian, De anima 12, dazu den Kommentar von Waszink24, S. 201. 42 quae [sc. universitas] profecto ab uno cognominata est: „welches in der Tat seinen Namen vom Einen (unum) erhalten hat“; das Kompositum cognominare ist hier im Sinne des Simplex verwendet (mit Perl, S. 5; anders Mühlenberg, S. 247). – Die Etymologie des Augustinus deckt sich mit modernen Erkenntnissen, wonach das lateinische Substantiv universitas eine Ableitung von universus darstellt, welches sich wiederum aus unus und dem Partizip des altlateinischen vortere (klassisch: vertere) zusammensetzt („auf einen Punkt gewendet“). In der Parallelstelle gen. c. Man. 1,21,32 heißt es ähnlich, allerdings weniger korrekt: universum autem ab unitate nomen accepit. Hinter den linguistischen Beweisführungen Augustins verbirgt sich das Theologumenon, dass am Anfang des Weltalls ein generatives (mehr oder weniger personal verstandenes) Urprinzip steht, welches sich vor allem anderen dadurch auszeichnet, dass es als unbedingte Einheit und Einfachheit aufzufassen ist. Die Frage, ob der Ablativ uno ein Derivat des maskulinen unus (so Perl, ibid.) oder des neutralen unum (so Mühlenberg, ibid.) darstellt, hängt davon ab, ob man in den augustinischen Aussagen eine religiöschristliche oder eher philosophische (und dann neuplatonische!) Färbung sehen will. M. a. W.: Geht das Universum auf „den Einen“ oder auf „das Eine“ zurück? Obwohl es grundsätzlich möglich erscheint, dass die ambivalente Ausdrucksweise von Augustin ausdrücklich beabsichtigt ist,25 sprechen doch die meisten Indizien für ein vorwiegend philosophisches Verständnis der Stelle. Der gesamte Abschnitt 1,2,3 ist (s. u. zu Z. 46–51) in enger Anlehnung an plotinisches Bildmaterial konzipiert; speziell auf das neuplatonische verweist das substantivisch verwendete unum (in Verbindung mit neutralem illud) in Z. 48. Für den Makrokontext kann insbesondere auf die eindeutigen (durch Plotin, Enn. VI 9 inspirierten26) unumPassagen in De ord. 2,18,48 verwiesen werden.27 Die Deutung des unum als das augustinische Korrelat zum plotinischen erklärt zwanglos, was die Selbsterkenntnis (sibi animus redditus; Z. 41) mit der allgemeinen, universalen Erkenntnis verbindet (quae sit pulchritudo universitatis; Z. 41). 24 J. H. Waszink, Quinti Septimi Florentis Tertulliani De anima, ed. with introd. and commentary by J. H. Waszink, Amsterdam 1947. 25 Eben dies scheint insbesondere in der 390 entstandenen Schrift De vera religione des Öfteren der Fall zu sein. Vgl. beispielsweise § 182 (und Umgebung). In der „Religionsschrift“ vermischen und durchdringen sich Neuplatonisches und Christliches in noch viel intensiverem Maße und wesentlich organischer als noch in den Erstlingsschriften; vgl. die wichtigen Ergebnisse von H. Dörries (Das Verhältnis des Neuplatonischen und Christlichen in Augustins „de vera religione“, in: Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche 23, 1924, S. 64–102). 26 Vgl. V. Pacioni, L’unità teoretica del „De ordine“ di S. Agostino, Rom 1996, S. 332, Anm. 52. 27 Die geradezu absurde Behauptung A. Dyroffs (De ordine, S. 47), es sei „vor vielem sicher, daß in De ordine sich nicht die mindeste Spur von Neuplatonismus vorfindet“, muss hier nicht weiter kommentiert werden; sie ist bereits von W. Theiler (Porphyrios, S. 47, Anm. 1) und J. Ritter (Mundus intelligibilis, S. 69, Anm. 3) scharf zurückgewiesen worden.
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Innerhalb der Stufenontologie des Plotin ist „das Eine“ sowohl die Mitte und der Ursprung des sich selbst denkenden Geistes (vgl. z. B. Plotin, Enn. VI 9: ) als auch letzter Grund und oberstes Prinzip aller irdischen Schönheit (vgl. insb. Plotin, Enn. I 6: ). Somit gilt für Plotin wie für Augustin: Wer die Mitte seiner selbst zu erkennen vermag, stößt in seiner Schau auf nichts Geringeres als den Ursprung des Universums. 42 illam: Zum grammatikalischen Beziehungsgeflecht des Satzes: Während das adjektivische Interrogativpronomen quae (Z. 41) sich auf die pulchritudo bezieht, nimmt das Relativpronomen quae (Z. 42) die universitas auf, das Demonstrativpronomen illam bezieht sich wiederum auf die pulchritudo (so richtig Mühlenberg, S. 247; teilweise unklar bei Perl, S. 5). 43 animae: Die Verwendung von anima und animus wird (s. o. zu Z. 41) nicht trennscharf durchgeführt; die nahe liegende Vermutung, dass die augustinische anima der plotinischen entspreche (der animus dementsprechend dem plotinischen ), lässt sich am Text nicht eindeutig verifizieren. Alles, was Augustin im Folgenden (vgl. den Kreisvergleich in § 3) zur anima ausführt, könnte ebenso gut von der zweiten plotinischen Hypostase gesagt werden. So steht denn auch Z. 51 wieder unvermittelt animus (mit erneutem Wechsel in § 4, Z. 1.8). 43 quae [sc. anima] in multa procedit sectaturque aviditate pauperiem: Die paradoxe Aussage, dass eine Seele, die dem Vielen (multa) und der Menge (multitudo; Z. 44 und 52 f) nachjagt, lediglich Armut (pauperies; Z. 52: mendicitas) und Mangel (egestas; Z. 45) erfährt, ist zweifellos neuplatonischer Provenienz. A. Solignac28 sieht den Topos der Armut der Seele insbesondere in den sog. „Sentenzen“ bzw. des Porphyrios verankert und folgert daraus eine Lektüre durch Augustin.29 Der Nachweis einer literarischen Abhängigkeit – dem einzig sicheren Kriterium für Quellenfragen dieser Art30 – gelingt allerdings nicht. Die angeblich für die porphyrische Diktion charakteristischen Schlüsselworte, auf die Solignac verweist ( ),31 sind in vergleichbaren Zusammenhängen beispielsweise auch bei Plotin, und zwar in keineswegs geringer Frequenz, nachweisbar.32 Ähnlich paradox wie Augustin kann Plotin formulieren: (Enn. VI 7,8,22). Auch bei Plotin ist die durchweg pejorativ bewertete (meist hylische) Vielfalt nichts anderes als Aus28 Réminiscences plotiniennes et porphyriennes dans le début du „De ordine“ de Saint Augustin, in: Archives de philosophie 20, 1957, S. 446–465. 29 A. a. O., S. 465. Die wichtigsten Referenzstellen bei Porphyrios: Aph. 11,5; 37,45; 40,49.51. 30 B. Altaner, der sich in akribischen Detailuntersuchungen um die Nachzeichnung eines Lektürekorpus des Augustin (insbesondere hinsichtlich der Benutzung der griechischen Kirchenväter) verdient gemacht hat, weist immer wieder und unermüdlich auf die Unverzichtbarkeit der literarkritischen Methode hin (vgl. insb.: Kleine Patristische Schriften, Berlin 1967, passim). Speziell zur Methode des Nachweises einer Porphyrios-Abhängigkeit Augustins siehe auch V. H. Drecoll (Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins, Tübingen 1999), S. 337. 31 A. a. O., S. 461 (Porph., Aph. 37,33,17 f; 40,36,17 ff; 40,38,11 ff). 32 Vgl. sub vocibus: J. H. Sleemann / G. Pollet, Lexicon Plotinianum, Leiden 1980.
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II. Kommentar
druck von Armut, Mangel und Beraubung ( Vgl. z. B. Enn. I 8,3,12–16; II 4,16,20–24; V 9,10,19–21 sowie grundlegend II 4,13 ff. Gegen Solignac ist demnach festzuhalten: Mehr als eine allgemeine gedankliche Affinität und Übereinstimmung mit bestimmten Grundanschauungen der Neuplatoniker sind in diesem konkreten Fall kaum feststellbar. Eine Erweiterung des Lektürekanons Augustins lediglich aufgrund von ord. 1,2,3 ist u. E. nicht gerechtfertigt.33 44 f Multitudinem autem non hominum dico sed omnium, quae sensus attingit: Augustin sieht sich genötigt, einem Missverständnis vorzubeugen. Nicht etwa die Menschenmenge stehe ihm momentan als für die Erkenntnis hinderlich vor Augen34 (anders nämlich als noch wenige Zeilen zuvor35), sondern die Vielzahl der durch die Sinneswahrnehmung vermittelten Eindrücke. In guter platonisch-akademischer Lehrtradition wird eine Erkenntnis mittels der Sinne negiert, gut neuplatonisch ist die hier vorgetragene spezielle Begründung: die unermessliche Vielheit in der Körperwelt36 verwirrt den wahrheitssuchenden Geist und lenkt ihn vom eigentlichen Erkenntnisziel (= das unum; siehe Z. 52) ab. 45 nec mirere, quod: „man möge sich nicht wundern, dass“; 2. Pers. Sing. (Nebenform zu mireris) als „Anrede an eine bloß vorgestellte, die Gesamtheit vertretende Person“ (Menge, Syntax, S. 1, § 1 d). 45 f eo … magis, qui magis: „desto mehr, je mehr“; qui: archaischer Ablativ (statt gebräuchlicherem quo) in seltener relativischer Verwendung (vgl. dazu Menge, Syntax, S. 180, § 272.2). 45 f egestatem patitur … appetit plura conplecti: Subjekt der paradoxalantithetischen Aussage ist die anima aus Z. 43. Inhaltliche Parallelen: Z. 43 f; 50 f; 51 f. 46–51 Ut in circulo quantumvis amplo …, sic animus …: Der mit geometrischem Anschauungsmaterial durchgeführte Vergleich hebt darauf ab, dass es 33 Nichts spricht wohlgemerkt gegen die Möglichkeit einer Lektüre der durch Augustin; dass sie aber mit Notwendigkeit zu den libri Platonicorum (conf. 7,9,13) gehören, kann angesichts der zahlreichen Parallelstellen bei anderen neuplatonischen Autoren kaum zwingend begründet werden. Ausführliche Kritik der Solignacschen These bei Trelenberg, Einheit, S. 72–78. 34 Es handelt sich um eine Anspielung auf einen beliebten Topos namentlich in der pythagoreisch-platonischen Tradition, die den Gegensatz zwischen einer großen unphilosophischen Masse und der kleinen Anzahl der Philosophen, die allein die Wahrheit zu erkennen vermögen, hervorhebt. Vgl. hierzu: H.-D. Voigtländer, Der Philosoph und die Vielen, Wiesbaden 1980. Siehe bei Cicero: Hort. fr. 111 Grilli; rep. 1,3; div. 2,81; de orat. 1,4 f.15 f. Zur ausgeprägt elitären Haltung unter den Neuplatonikern vgl. W. Theiler, Porphyrios, S. 8; E. Feldmann, Einfluß, Bd. 2, S. 192, Anm. 51; ders., Konvergenz, S. 324; A. Hoffmann, De utilitate credendi, S. 219, Anm. 57. 35 De ordine 1,1,3, Z. 40: Augustin betont, dass die Wahrheit nicht im alltäglichen Leben (vita cotidiana), sondern allenfalls in der Einsamkeit (solitudo) gefunden werden könne. 36 Die Körperwelt in ihrer Vielheit ist es, auf die das Relativpronomen quae hier abzielt. Letzteres steht natürlich im Akkusativ Plural, sensus im Nominativ Singular (nicht etwa im Akkusativ Plural) und attingere bedeutet nicht lediglich – wie Perl (S. 5) vorschlägt – „angehen“ bzw. „betreffen“, sondern im konkreten Sinne – ausgehend von einem taktilen Verständnis der Sinneswahrnehmung – „berühren“ oder eben allgemein: „sinnlich wahrnehmen“ (in diesem Sinne vgl. auch Mühlenberg, S. 247).
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„in einem beliebig großen Kreis“ jeweils einen Mittelpunkt (medium) gibt, in dem alle Dinge (sc. die einzelnen Radien) zusammenlaufen, von dem aus Abschnitte (partes) gleichmäßig aufgeteilt werden können, der für jede Teilung gleichsam das Maß darstellt und eben darum über alles andere „herrscht“ (dominetur). Die Gesamtheit der Macht und alles Vermögen liegt demnach im Zentrum. Sobald man sich von dieser einen Mitte entfernt, begibt man sich in die teilbare Vielheit und verliert eben dadurch den Überblick über das Ganze (amittuntur omnia). – Ebenso ergeht es, so Augustin, dem menschlichen Geist (animus), der sich von sich selbst, gleichsam von seinem eigenen Zentrum, entfernt hat und nun ausgebreitet und „ausgeflossen“ (fusus) daliegt. Er begibt sich in die Vielheit, ist damit der Teilung unterworfen (diverberatur) und gerät damit in eine „Armut“ (nämlich geistiger Art), die ihn erst recht daran hindert, im „Überall“ (ubique) der empirischen Vielfalt das Eine und Wesentliche zu finden. A. Solignac, der einen Kreisvergleich bei Plotin (Enn. VI 9,8) entdeckt und daraufhin folgert, dass der betreffende Traktat in die „liste des traités plotiniens lus par Augustin immédiatement avant sa conversion“37 aufzunehmen ist, übersieht die Tatsache, dass Plotin sehr häufig zum Bild des konzentrischen Kreises gegriffen hat, um seine ontologischen bzw. gnoseologischen Grundanschauungen zu erläutern. Neben Enn. VI 9,8 kann auch auf VI 8,18 oder V 1,11 verwiesen werden, ebenso finden sich / -Vergleiche in Enn. IV 4,16; IV 7,6; VI 5,4 f; IV 2,1; III 8,8; I 7,1; IV 1.38 Durch welchen bzw. welche Plotin-Traktate Augustin die Anregung für sein circulus-Bild in ord. 1,2,3 erhalten hat, lässt sich inhaltlich wie sprachlich kaum entscheiden. Allenfalls kann darauf verwiesen werden, dass bestimmte Plotin-Schriften vielleicht deshalb eher in Frage kommen, weil für sie ohnehin, aus verschiedenen anderen Gründen, eine Lektüre seitens des jungen Augustin mehr oder weniger wahrscheinlich gemacht werden kann.39 46 f Ut … unum est medium: das unum muss hier als betontes adjektivisches Numeral gelesen werden („wie … es nur einen Mittelpunkt gibt“); ein substantivischer Gebrauch von unum (im Sinne des neuplatonischen ), wie er in Z. 42.48.52 und § 4 Z. 2 zu beobachten ist, kann hier nur gezwungen hineingelesen werden. 46 f in circulo … unum est medium, quo cuncta convergunt, quod geometrae vocant: Die augustinische Wendung findet sich in ähnlicher Form später bei Isidor, Etym. 3,12,1: circulus … cuius in medio punctus est quo cuncta convergunt, quod centrum geometrae vocant. M. van der Hout folgert aus dieser Beobachtung, Augustin habe die Formulierung „from his school-books“ übernommen.40 – 37
A. Solignac, Réminiscences, S. 465. Ausführliche Darstellung des plotinischen Vergleichsmaterials bei Trelenberg, Einheit, S. 75–77. 39 Zu den (divergierenden) Ergebnissen der langen Suche nach den neuplatonischen Quellenschriften für das augustinische Frühwerk vgl. den tabellarischen Forschungsüberblick und die eigene Positionierung infra in These 4. 40 M. van der Hout, Augustinus De ordine I,3, in: Vigiliae Christianae 2, 1948, S. 56. 38
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II. Kommentar
Sicher ist, dass das gemeinsame quod / centrum geometrae vocant ursprünglich aus Cicero, Tusc. 1,40 (quod illi [sc. mathematici] vocant) stammt. 49 dimetiantur: Das Deponens dimetiri hier in seltener passiver Verwendung; vgl. ebenso: Cic., Cato 59; Att. 1,6,1; Verg., georg. 2,284; Quint., inst. 9,4,27 (weitere Belege: ThLL, s. v. dimetior, Sp. 1194, Z. 28–33). 48–50 illud unum, quo cetera pariliter dimetiantur et quod omnibus quasi quodam aequalitatis iure dominetur: Das „Eine“ wird als das zentrale Maß des Kreises beschrieben; im übertragenen Sinne: als das Maß aller Dinge, d. h. sowohl des Universums als auch des individuellen „Selbst“. – Der Begriff des Maßes spielt in den Frühschriften Augustins eine wichtige Rolle (vgl. z. B. im Zusammenhang mit der Beobachtung des Hahnenkampfes: ord. 1,8,25 f; siehe auch beat. vit. 4,31 ff; vera relig. 232 f); sein Gebrauch ist allerdings alles andere als einheitlich. An der hiesigen Stelle wird nicht – wie anderswo – der formale aristotelisch-stoische Maßbegriff, die „Mitte zwischen den Extrempositionen des Zuviel und Zuwenig“41 zugrunde gelegt, sondern deutlich auf die platonischideale Maßvorstellung zugesteuert. Dieses Maß ist kein beliebiges, sondern das „höchste Maß …, was allem Maß gibt, aber an nichts Maß nimmt“42, das „Maßgebende[], das alle abgeleiteten Maße normiert“43. Es stellt gleichzeitig das „den Menschen eigentümliche Sein des Geistes, aber auch die immanente Wesensmitte seiner Seele“44 dar und ist darum – als sein eingeborener und ureigener Wesenskern – das einzige Kriterium sicherer Erkenntnis und Entscheidung. Die hier vorgenommene Ineinssetzung des „Einen“ mit dem Begriff des Maßes45 entspricht späteren Konstruktionen wie etwa in der aufschlussreichen Stelle vera relig. 232 f, in der Augustin den modus ordinis ausdrücklich mit einem sog. unum principale identifiziert, welches – ähnlich wie hier in De ordine – einerseits als „ausdehnungslos“ (nec crassum), andererseits als „machtvoll“ und „über alle Räume herrschend“ (potentia supra omnes locos magnus) beschrieben wird. Bemerkenswert sind die Ausführungen in der Religionsschrift nicht zuletzt deswegen, weil sie auf eine weitere, dem ersten Blick verborgene Dimension des Kreisvergleiches hinweisen: Wenn das unum und der modus als Chiffre für die erste Person der christlichen Trinität (§ 233: den pater46) dienen, die Begriffe der Ähnlichkeit und Gleichheit (similitudo, aequalitas: vgl. neben § 233 die §§ 158 ff. 185 ff) die
41 I. Schwarz-Kirchenbauer / W. Schwarz, Glück, S. 176. Die aristotelisch-stoische Maßidee sehen die Autoren – zu Recht – in beat. vit. 4,31–33 verwirklicht. Die Stelle ord. 1,8,25 ist in dieser Hinsicht durchaus vergleichbar. 42 Ibid., S. 178. 43 Ibid., S. 177 f. 44 Ibid., S. 177. 45 Der übliche Terminus modus wird zwar nicht explizit genannt, aber in sachlicher Hinsicht durch das pariliter dimetiri und aequalitatis iure dominari hinreichend deutlich beschrieben. 46 Auch in De ordine selbst wird der modus als pater bezeichnet (2,19,50), interessanterweise als „Vater der Ordnung“; der ordo symbolisiert, wie sehr viele Belegstellen unmissverständlich zeigen, die dritte Person der christlichen Trinität. Vgl. dazu infra zu 1,7,17, Z. 8.
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zweite trinitarische Person, den filius, symbolisieren,47 so ergibt sich – auf ord. 1,2,3 übertragen – die Aussage, dass der „Vater“ (unum) durch den „Sohn“ (iure aequalitatis) über die „Welt“ (cetera, omnia) herrscht (dominetur); mit dem typischen Vokabular neuplatonischer Stufenontologie werden hier offensichtlich ältere christliche Glaubenselemente, wie z. B. die frühchristliche Vorstellung von Christus als Pantokrator, welcher über den „Erdkreis“ herrscht, aufgenommen und in neue Bilder gekleidet. 51 animus a se ipse fusus: Ohne ihr grundsätzlich anzuhängen, verwendet Augustin das typische Vokabular neuplatonischer Emanationstheorie. Demnach ist ein „Sich-Ergießen“ und „Ausströmen“ der hohen Hypostasen in die darunter liegenden Seinssphären48 (der sog. ontologische „Abstieg“) gewissermaßen das Gegenteil zu einer erwünschten Sammlung, Begrenzung und „Konzentration“ (dem sog. gnoseologischen „Aufstieg“), der sich regelmäßig auf das Nächsthöhere (hier das unum; vgl. Z. 52) bezieht. 51 f inmensitate quadam diverberatur et vera mendicitate conteritur: Die antithetische, teils paradoxe Aussage aus Z. 43 und Z. 45 f, durch den circulus-Vergleich illustriert, findet eine neue Formulierung. Die inmensitas schließt sich auf semantischer Ebene – mit deutlich klimaktischer Tendenz – an die Ausdrücke multa (Z. 43), multitudo (Z. 44), plura (Z. 46) und plurima (Z. 51) an; die vera mendicitas („wahre Bettelarmut“) führt – ebenfalls steigernd – die Begriffe pauperies (Z. 43) und egestas (Z. 45) fort. 52 cum: explikatives / modales cum: „indem“, „dadurch dass“. 52 eum natura sua cogit ubique unum quaerere: Reminiszenz an die neuplatonische Kosmogonie: Da der Geist (animus / ) aus dem ursprünglich Einen 47 Einen ersten Überblick über die trinitarische Formelsprache im Frühwerk Augustins geben die nützlichen Tabellen bei: J. Rief, Der Ordobegriff des jungen Augustinus, Paderborn 1962, S. 244 ff; O. du Roy, L’intelligence de la foi en la Trinité selon saint Augustin. Genèse de sa théologie trinitaire jusqu’en 391, Paris 1966, S. 537 ff; J. Tscholl, Dreifaltigkeit und dreifache Vollendung des Schönen nach Augustinus, in: Augustiniana 16, 1966, S. 342 ff (Aufstellung allerdings unvollständig und zudem ungenau). Dass Augustin bereits in Cassiciacum den trinitarischen Gedanken verklausulieren kann, belegen Stellen wie beat. vit. 4,32 (modus, sapientia, plenitudo); 4,34 (summus modus, a quo procedit [sc. veritas], in quem se perfecta convertit); ibid. (verus modus, veritas modo gignitur, modus veritate cognoscitur); 4,35 (a quo inducaris in veritatem, qua veritate perfruaris, per quid connectaris summo modo); ord. 2,9,26 (universorum principium, intellectus in quo universa, ipsa ratio); 2,12,35 (in factis, in dicendo, in delectando); soliloq. 1,8,15 (quod est, quod fulget, quod illuminat); ibid. (quod est, quod intellegitur, quod cetera facit intellegi). Der modus bzw. die mensura treten zusätzlich an folgenden Stellen innerhalb des augustinischen Frühwerks (bis ca. 391) an der Spitze von triadischen Formeln auf: gen. c. Man. 1,15,26 (4 x); 1,20,32; lib. arb. 2,203; mus. 6,17,57; vera relig. 232. Das unum bzw. die unitas erscheinen an erster Stelle: mus. 1,12,21; 6,17,56 (4 x); 6,17,57; 6,17,58 (3 x); vera relig. 41. Begriffe der Gleichheit und Ähnlichkeit (aequalitas, similitudo etc.) für die zweite trinitarische Person in: mus. 6,17,56 (4 x); 6,17,57; 6,17,58 (2 x); vera relig. 310. 312. – Sucht man nach Vorbildern für die triadisch-trinitarische Formelsprache bei Augustin, so entdeckt man besonders enge Beziehungen zu den Hymnen des Marius Victorinus. So kann selbst für das augustinische dominetur (Z. 49 f) auf das anaphorische Miserere, Domine, miserere, Christe aus Hymnus II verwiesen werden. 48 Vgl. die Diktion Plotins z. B. in Enn. VI 8,18: Aus dem Mittelpunkt, dem „Einen“, sind die Radien ( = ) „ergossen und entfaltet“ ( [Z. 20]).
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II. Kommentar
(unum / ) stammt und ihm wesensmäßig (vgl.: natura) zugehört, drängt ihn sein ureigenes Wesen – namentlich in einer fremden, „geistfeindlichen“ Umgebung – zu seinem eigentlichen Ursprung zurückzukehren. Vgl. hierzu z. B. Plotin I 6 oder VI 9 (insb. die letzten Schritte der jeweiligen des Geistes). 52 f multitudo: Die multitudo steht wie schon das ubique (Z. 52) für erkenntnistheoretische Beliebigkeit,49 welche – gemäß dem Hauptgedanken der Schrift – einem geordneten Erkenntnisweg, dessen einziges Ziel das unum darstellt (vgl. ord. 2,18,47), diametral entgegensteht. 1,2,4: Widmung und Appell an Zenobius 1 Sed et haec, quae dixi, qualia sint et quae causa extet erroris animarum quoque
modo et in unum congruant atque perfecta sint cuncta et tamen peccata fugienda sint, assequeris profecto, mi Zenobi – sic enim mihi notum est ingenium tuum et pulchritudinis omnimodae amator animus sine libidinis inmoderatione atque sordi5 bus, quod signum in te futurae sapientiae perniciosis cupiditatibus divino iure praescribit, ne tuam causam deseras falsis voluptatibus inlectus, qua praevaricatione nihil turpius et periculosius inveniri potest – assequeris ergo ista, mihi crede, cum eruditioni operam dederis, qua purgatur et excolitur animus nullo modo ante idoneus, cui divina semina committantur. Quod totum cuius modi sit et quem flagitet ordinem 10 quidve studiosis et bonis ratio promittat qualemque vitam nos vivamus, carissimi tui, et quem fructum de liberali otio carpamus, hi te libri satis, ut opinor, edocebunt nomine tuo nobis quam nostra elaboratione dulciores, praesertim si te in ipsum ordinem, de quo ad te scribo, meliora eligens inserere atque coaptare volueris.
1 quae causa extet erroris animarum: Die Antwort auf die Frage nach dem Grund für den Irrtum der Seelen hat Augustin in 1,1,3 (Z. 37) bereits gegeben. Es ist dies der Mangel an Selbsterkenntnis: quod homo sibi ipse est incognitus. – Zum Begriff der anima siehe oben zu § 3, Z. 41 und 43. 1 f quoque modo et in unum congruant: Rückblick auf den Kreisvergleich in 1,2,3 (vgl. Z. 47: quo [sc. in unum medium] cuncta convergunt), welcher dazu nötigt, das congruere nicht lediglich in seinem allgemeinen, weiteren Sinn zu verstehen (etwa: „zu etw. passen“, „mit etw. übereinstimmen“), sondern durchaus auch im ursprünglichen Sinn als „zusammentreffen“ bzw. „zusammenlaufen“. Sehr konkret wird der ontologische Zusammenhalt alles Seienden in seiner Ausrichtung auf das unum als den Zentralpunkt bzw. die oberste Spitze der Seinshierarchie veranschaulicht.50 – Das Subjekt zu congruant sind nicht etwa nur die animae (Z. 1), sondern cuncta (Z. 2), wie sowohl aus der Parallele § 3, Z. 47 als auch aus der zwar komplizierten, aber stringenten Struktur des Satzes hervorgeht: Auf der obersten logischen Ebene gliedert et … et (Z. 1), auf der nächsttieferen
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Vgl. supra zu 1,1 f,3, Z. 37 (s. v. homo sibi ipse …). Vgl. Plotin, Enn. 3,2,2.
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-que (Z. 1), danach wiederum et … et (Z. 2), auf unterster Stufe der Konnektor atque (Z. 2). 2 f perfecta sint cuncta et tamen peccata fugienda sint: Man wird der Intention Augustins nicht gerecht, wenn man ihn – wie Perl (S. 6) – lediglich ein „Streben“ der Dinge zum Vollkommenen konstatieren lässt. Nein, alles ist vollkommen; es handelt sich hier um eine elementare ontologische Aussage, die Augustin dem Neuplatonismus verdankt und die man auf keinen Fall durch eine zweifelhafte Telos-Formel „verwässern“ darf. Es ist die endgültige Absage an die manichäische Vorstellung vom substanzhaften Bösen, wenn Augustin alles Seiende (cuncta) unmissverständlich als in seiner Art „perfekt“ und „gut“ bezeichnet. Nur in diesem Sinne erhält das kontrastive tamen sein volles Gewicht: Trotz einer durch und durch guten Welt existiert dennoch das Sündhafte (peccata), welches – so Augustin später in De vera religione und insbesondere in De libero arbitrio – darin besteht, dass der Mensch sich in einer verkehrten Ausrichtung den niederen Seinsgraden zuwendet statt den höheren bzw. dem Höchsten. Mit anderen Worten: Das Böse wird aus dem substantiellen Bereich in die Gesinnung des Menschen verlagert. Hier in De ordine sieht man deutlich, dass Augustin zwar das grundsätzliche Problem erkennt und pointiert darstellt, aber – zumindest an dieser Stelle des Buches – noch keiner endgültigen Lösung zuführen kann.51 3 mi Zenobi: Zum Adressaten der Schrift siehe oben zu ord. 1,1,1, Z. 1. 3 sic enim mihi notum est ingenium tuum: Die geistige Fähigkeit des Adressaten lobend zu erwähnen, darf als traditioneller Topos in der formgerechten Widmung nicht fehlen. Niemand wüsste dies wohl besser als der gelernte Rhetoriklehrer. Insgesamt jedoch fällt die dem Zenobius innerhalb einer Parenthese (Z. 3–7) zugedachte Würdigung vergleichsweise nüchtern aus. Ihre höfliche Wiederholung in 1,9,27 – wieder wird das ingenium betont52 – ist ebenfalls nicht von überschwenglicher Rhetorik geprägt. Die Anrede an Romanianus (Contra Academicos53) und Theodorus (De beata vita54), die beide nicht nur im Umfang ausführlicher, sondern auch im Ton wesentlich emotionaler gestaltet sind, geben einen klaren Eindruck davon, was Augustin noch alles hätte schreiben können. 4 f pulchritudinis omnimodae amator animus sine libidinis inmoderatione atque sordibus: Was Augustin unter einer „Liebe zur Schönheit“ versteht, beschreibt er präzise zu Beginn seines zweiten Buches gegen die Skeptiker (c. acad. 2,2,6–3,7): Die philocalia sei die Schwester der philosophia, nicht nur ihres ähnlichen Namens wegen (3,7: prope similiter cognominatae sunt), sondern auch in Bezug auf ihre gemeinsame Ausrichtung. Philosophie (amor sapientiae) und Philokalie (amor pulchritudinis) unterschieden sich deshalb kaum voneinander, weil die 51 Eine solche wird dem Leser trotz einer hier aufgebauten Erwartungshaltung auch im weiteren Verlauf des Dialoges nicht präsentiert. So richtig Thimme, Entwicklung, S. 97 ff. 52 Z. 11–13: vellem … omnes saltem familiares nostros, quorum semper admiror ingenium, nunc mecum habere quam vos estis intentos, aut certe ipsum tantum Zenobium. 53 Vgl. c. acad. 1,1,1 sowie 2,1,1 f; 2,3,8. 54 Vgl. beat. vit. 1,1; 1,4 f.
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II. Kommentar
sapientia letztlich nichts anderes darstelle als die „wahre Schönheit“ (ibid.: Quid ergo sapientia? Nonne ipsa vera est pulchritudo?). Der einschränkende Zusatz sine libidinis inmoderatione atque sordibus wird ebenfalls durch die genannte Parallelstelle verständlich. Es gibt nach augustinischer Auffassung auch eine „falsche Schönheit“ (der Gegner des Romanianus ist ein solcher amator falsae pulchritudinis; vgl. ibid.); diese wird dann verehrt, wenn ihr Liebhaber lediglich ihre irdische Erscheinungsform kennt. Eine solche philocalia, die sich im weitesten Sinne auf materielle Güter erstreckt (vgl. 2,2,6) und daher von „Begierde“ und „Schmutz“55 gekennzeichnet wird, ist deswegen zu verachten, weil sie die Verbindung zu ihrem Ursprung, der wahren geistigen Schönheit, verloren hat. Vgl. dazu die (auf Bilder des platonischen Phaidros zurückgreifende56) augustinische fabula von den beiden Vögeln. Dass die „(wahre) Schönheit“ geliebt werden müsse, ist Augustins feste Überzeugung bereits in seiner (verlorenen, aber offensichtlich platonisch gefärbten57) Jugendschrift De pulchro et apto aus dem Jahre 380/81; vgl. conf. 4,13,20–15,24. Insgesamt ist die augustinische Philosophie durch einen ausgeprägten ästhetischen Grundzug gekennzeichnet,58 der sich seit der Begegnung mit dem Neuplatonismus Plotins, namentlich durch die Lektüre des Traktats (Enn. I 6)59, erheblich verstärkt haben dürfte. Zum amor (verae) pulchritudinis vgl. für Cassiciacum noch soliloq. 1,7,14 (in Bezug auf die anima): illam singularem veramque pulchritudinem cum viderit, plus amabit; ibid. 1,10,17 (Augustinus von sich selbst): quanto augetur spes videndae illius cui vehementer aestuo pulchritudinis, tanto 55 Auch in c. acad. 2,3,7 erscheinen – ähnlich wie in De ordine – die Begriffe libido und sorditatus. 56 Vgl. Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 113 f, unter Hinweis auf: R. Hirzel, Dialog, Bd. 2, S. 379; K. Svoboda, L’ésthétique, S. 18 f; P. Courcelle, L’âme en cage, S. 113 f; G. J. P. O’Daly, Art. „Anima, animus“, in: AL 1, S. 317; G. Pfligersdorffer, Philokalie und Gottesliebe, S. 235. 57 Zur Quellenfrage in Bezug auf De pulchro et apto und zur Herkunft des frühen augustinischen Schönheitsbegriffs vgl. die wichtigen Beiträge von: K. Svoboda, L’ésthétique de saint Augustin et ses sources, Brno 1933, S. 10–16; M. Testard, Augustin et Cicéron, Paris 1958, S. 49–66; A. Solignac, BAug 13 (1962), S. 670–673; T. Katô, Melodia interior. Sur le traité „De pulchro et apto“, in: REA 12, 1966, S. 229–240; J.-M. Fontanier, Sur le traité d’Augustin „De pulchro et apto“: convenance, beauté et adaption, in: RSPT 73, 1989, S. 413–421; J. O’Donnell, Augustine. Confessions, Bd. 2 (1992), bes. S. 248–250 (s. v. apte adcommodaretur und libros ‚de pulchro et apto‘). Zusammenfassend und mit weiterer Literatur: J. Trelenberg, Einheit, S. 7–18. 58 Vgl. dazu insbes.: W. Beierwaltes, Aequalitas numerosa. Zu Augustins Begriff des Schönen, in: Weisheit und Wissenschaft 38 (1975), S. 140–157 (S. 143: „‚Schön’ oder ‚Schönheit‘ ist im Sinne Augustins eine universale Grundstruktur des Seins“); J. Kreuzer, Pulchritudo. Vom Erkennen Gottes bei Augustin, Paderborn 1995, passim; C. Harrisson, Beauty and Revelation in the Thought of Saint Augustine, Oxford 1992, passim. Schon Thimme, Entwicklung, S. 155, schreibt passend (mit den entsprechenden Belegen) von einem „religiösen Ästhetizismus“ des jungen Augustin, und dass der „ästhetische Charakter der augustinischen Frömmigkeit … mit Händen zu greifen“ sei. 59 Dass Augustin diese berühmteste aller Plotin-Schriften (wohl kurz vor seiner „Bekehrung“) gelesen hat, kann als gesichert gelten; vgl. infra These 4.
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ad illam totus amor voluntasque convertitur; ibid. 1,13,22: Quem modum autem potest habere illius pulchritudinis amor, in qua non solum non invideo ceteris, sed etiam plurimos quaero, qui mecum adpetant, mecum inhient, mecum teneant mecumque perfruantur. Für die spätere Bischofszeit, in der Augustin die summa pulchritudo längst mit dem christlichen Gott identifiziert hat, vgl. – neben vielen anderen Belegstellen – den bekannten Ausruf (conf. 10,27,38): Sero te amavi, pulchritudo tam antiqua et tam nova, sero te amavi! Et ecce intus eras et ego foris et ibi te quaerebam et in ista formosa, quae fecisti, deformis inruebam. Siehe auch civ. 5,13; 10,16; in psalm. 103; serm. 1,1,13. 5 signum in te futurae sapientiae: Was das Kennzeichen des Weisen ist, wird Augustin im Fortgang des Dialoges noch präzise klären müssen (vgl. 2,2,4 ff); schon hier wird allerdings deutlich, dass das Erlangen von Weisheit unabdingbar a) mit einer hohen Bildung und b) dem Besiegen der niederen Begierden und Leidenschaften verbunden ist (vgl. zum Letzteren, d. h. zu den notwendigen ethischen Prämissen für den Erwerb der Weisheit insb. ord. 2,2,6). – Zur günstigen intellektuellen Prognose (vgl. futurae) in Bezug auf Zenobius siehe unten zu Z. 7 f. 6 falsis voluptatibus inlectus: Augustin verwendet voluptas, libido (Z. 4) und cupiditas (Z. 5) hier nahezu synonym. Sie kennzeichnen im platonischen Sinne die „verlockende“ Zuwendung zum Sinnlichen, die „verkehrte“ (vgl. falsis) und „schädliche“ (vgl. perniciosis; Z. 5) Ausrichtung der Seele auf die niederen Seinsbereiche; in dieser (wörtlich verstandenen) „Perversität“ der geistig-seelischen Affektion sieht auch der spätere katholische Bischof die (dann oft als concupiscentia bezeichnete) Ursünde schlechthin.60 6 praevaricatione: Die praevaricatio (Pflichtverletzung) bezeichnet als terminus technicus des juristischen Sprachgebrauchs die heimliche Begünstigung der Gegenpartei (vgl. etwa Plinius, epist. 1,20,2). Die Wahl des speziellen Ausdrucks ist konsequent und gut vorbereitet: die Warnung vor praevaricatio korrespondiert mit dem eindringlichen, ebenfalls mit Ausdrücken der Gerichtssprache vorgebrachten Hinweis an Zenobius, es werde von ihm „nach göttlichem Recht“ (divino iure; Z. 5) gefordert, den einmal eingenommenen „Rechtsstandpunkt“ (causam; Z. 6) nicht aufzugeben. Dies aber bedeutet nichts anderes, als mit ganzem Einsatz auf der Seite der „Weisheit“ (Z. 5) und „wahren Schönheit“ (Z. 4) gegen die gemeinsamen Gegner der libido (Z. 4), cupiditas (Z. 5) und voluptas (Z. 6) anzukämpfen. 7 assequeris ergo ista: Geminatio (assequeris) mit inhaltlichem Rückbezug auf das in den Z. 1–3 Gesagte. Vgl. dieselbe Konstruktion in beat. vit. 1,4: direkte Anrede (mi Theodore), Parenthese mit Lob des Adressaten, Geminatio (accipe). 60 Vgl. G. Bonner, Art. „Cupiditas“, in: AL 2, Sp. 166–172; Bonner betont den durch Cicero vermittelten stoischen Charakter des augustinischen „Begierde“-Begriffs; siehe Sp. 166 f; zur spezifischen Verwendung der concupiscentia als „christian technical word“ (Sp. 1113) vgl. dens., Art. „Concupiscentia“, in: AL 1, Sp. 1113–1122.
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II. Kommentar
7 mihi crede: wörtlich derselbe Appell wie mehrfach in den Proömien zu Contra Academicos. Vgl. 1,1,1; 2,3,7; 2,3,9; vgl. auch beat. vit. 1,8 u. ö. 7 f cum eruditioni operam dederis: Die direkte Aufforderung an Zenobius, sich um Bildung zu bemühen, geht einher mit der Bescheinigung einer günstigen geistigen Veranlagung (ingenium tuum; Z. 3) und dem zu beobachtenden „Anzeichen einer zukünftigen Weisheit“ (signum in te futurae sapientiae; Z. 5); gleichwohl scheint in den Formulierungen durch, dass sich der so Angesprochene nach augustinischer Auffassung noch ganz am Anfang eines verheißungsvollen Weges befindet: anders klingt die Anrede an den „hochgebildeten Theodorus“ (beat. vit. 1,1) und an Romanianus, dem zusätzlich zu seinem „Talent“ (indoles; c. acad. 2,3,8) und seiner „Erhabenheit des Geistes“ (altitudo mentis; ibid. 2,1,2) auch eine profunde Ausbildung in den wissenschaftlichen Disziplinen (ibid. 2,3,8) unterstellt wird. 8 qua purgatur: Zum ersten Mal in De ordine klingt das für den frühen Augustin so charakteristische Insistieren auf die „innere Reinheit“ an. (Die wichtigsten Stellen insbesondere der Cassiciacum-Schriften sind gesammelt bei W. Thimme, , die Reinigung der Seele Entwicklung, S. 44–54.61) Die platonische von dem „Schmutz“ der Sinnlichkeit, erfuhr in der religiös-mystisch gefärbten Philosophie der Spätantike, namentlich im Neuplatonismus eines Plotin und Porphyrios, eine Renaissance auf breiter Basis und wurde – in Steigerung und Absolutierung der schon für Platon charakteristischen Verbindung von Reinheit und Erkenntnis – zu einem ungemein beliebten Topos. Augustin ist hiervon, wie Thimme (ibid.) zeigen kann, abhängig und weiß dies auch selbst zu berichten (vgl. vera relig. 8–24 und div. quaest. 46). Spezifisch für die Schrift De ordine ist die Betonung der Tatsache, dass nicht nur dem tugendgemäßen Leben, sondern insbesondere der Bildung (eruditio; Z. 7 f) in den enzyklopädischen Wissenschaften ein hoher „Reinigungseffekt“ zukommt (vgl. ord. 1,1,1; 8,24; 2,8,25 u. ö.). 8 excolitur animus: Mit der metaphorischen Wendung animum excolere, d. h. „den Geist (durch Bildung) veredeln“, spielt Augustin bewusst auf den ursprünglich landwirtschaftlichen Kontext an. Der Geist soll wie ein Acker „bebaut“ werden, denn ihm sind „göttliche Samen“ (Z. 9) anvertraut. 8 f cui … committantur: final-konsekutiver Relativsatz nach idoneus (Z. 8). 9 divina semina: Cicero (Tusc. 3,2) spricht sehr ähnlich von „unserem Geiste eingeborenen Samen der Tugenden“ (ingeniis nostris semina innata virtutum), die uns von einer (sc. demiurgischen, quasi-göttlichen) natura als Anlage mitgegeben seien und die, ließe man sie ungestört heranwachsen, uns von Natur aus und ganz von selbst ad beatam vitam führen könnten. Cicero führt eine solche Lehrmeinung auf das System des Xenokrates und Aristoteles zurück (vgl. fin. 4,15–18, wo ebenfalls zweimal die semina-Metapher erscheint; so auch ibid. 5,18 und 43). Wirkungsgeschichtlich bedeutend wurde die Vorstellung jedenfalls im Raum der 61 Vgl. bes. für die Frühschriften auch E. König, philosophus, S. 55–57; Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 129 f.
1. Proömium: 1,2,4
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Stoa (vgl. O. Gigon, Gespräche, S. 502). – Für die Vermutung Mühlenbergs (Ordnung, S. 362), Augustin denke hinsichtlich der divina semina an eine „göttliche Substanz“ nach manichäischem Vorbild, findet sich kein Anhaltspunkt. 9 cuius: Druckfehler bei Green (siehe supra Kap. I 5). 9 quem flagitet ordinem: Subjekt des indirekten Fragesatzes ist nicht quod totum (Z. 9), wie Mühlenberg (Ordnung, S. 248) annimmt, sondern die ratio (Z. 10), was deutlich aus der Satzstruktur hervorgeht (die durch quem und quid eingeleiteten Fragesätze sind durch das nur schwach ausschließende, oftmals sogar Synonyme verbindende -ve62 angereiht und gehören eng zusammen) und somit einen inhaltlichen Vorverweis auf die Passage 2,12,35–15,43 darstellt: Die suchende Vernunft wagt einen sukzessiven Aufstieg durch die Ordnung der enzyklopädischen Wissenschaften, wo sie Ordnung nicht nur „dringend fordert“, sondern auch schafft. So lauten die signifikanten Tätigkeiten der ratio in Bezug auf den Wissensstoff: in regulas certas disponere (2,12,36); ordinare (13,38); ordinem moliri (14,39); in ordinem nectere (15,42). 10 quidve studiosis et bonis ratio promittat: Für die frühe augustinische Gnoseologie ungemein charakteristische Verbindung der Erkenntnisvoraussetzungen: der Erkenntniswillige muss studiosus und zugleich bonus sein. Vgl. hierzu die obigen Ausführungen zu 1,1,1, Z. 4 f (vel vitae merito vel habitu quodam eruditionis). – Der grundsätzliche Erkenntnisoptimismus, der sich hier offenbart, hat die nagenden Zweifel der akademischen Skepsis bereits weit hinter sich gelassen. Dieses „Schreckgespenst“ (Thimme, Entwicklung, S. 83) ist durch die Beweisführungen der eigens diesem Thema gewidmeten Bücher Contra Academicos endgültig vertrieben. Auf dieser Grundlage, nachdem nun ein für alle Male feststeht, dass Erkenntnis möglich ist,63 beginnt Augustin gewissermaßen einen „Neuaufbau“ eines – so ist es zumindest geplant – voraussetzungslosen und ausschließlich rationalen Wissens, als dessen Baustein sich nicht zuletzt die Schrift De ordine versteht. 10 carissimi tui: Dieselbe Eigenbezeichnung in epist. 2 (an Zenobius): cum omnia bona optes carissimis et familiarissimis tuis (vgl. ord. 1,7,20, Z. 58 f: pro familiaritate … omnium nostrum). 11 quem fructum de liberali otio carpamus: Was Augustin unter einem otium liberale versteht, zeigen die Frühdialoge sehr deutlich. Gemeint ist der gesamte modus vivendi auf dem Landgut von Cassiciacum, dem sich die auserlesene 62
Vgl. Menge, Syntax, S. 347 (522,3). Vgl. Th. Fuhrer, S. 33: „Seine [sc. Augustins] Thesen über die menschliche Erkenntnisfähigkeit sind grundsätzlich optimistisch …, und seinem Aufruf zur Suche liegt die (für die Frühschriften charakteristische) Gewissheit zugrunde, dass das Ziel erreicht werden könne.“ Was eben diese Wahrheitsfindung angeht, so zeigt sich Augustin zumindest für seine eigene Person recht überzeugt (c. acad. 3,20,43): Sed cum tricentesimum et tertium aetatis annum agam, non me arbitror desperare debere eam [sc. veritatem] me quandoque adepturum. Vgl. ebenso: W. Thimme, Entwicklung, S. 69–84; E. Dassmann, Augustinus, S. 90; A. Schöpf, Augustinus, S. 39–46; F. E. Van Fleteren, Authority and reason, S. 51. 63
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II. Kommentar
philosophische Lebensgemeinschaft verschrieben hat und dessen idyllisches Bild Augustin der Nachwelt aufbewahrt hat: Leben in einer anregenden natürlichen Umgebung (ord. 2,1,1 u. ö.), regelmäßige philosophische Disputationen im Freundeskreis (ibid. 1,8,25), gemeinsame und individuelle Lektüre insbesondere der lateinischen Klassiker (zu Vergil: ibid. 1,8,26; zu Ciceros Hortensius: c. acad. 1,1,4), eigene literarische Produktivität (ord. 1,2,5; 3,8 u. ö.), intensives Bibelstudium (conf. 9,4,8; 5,13), gemeinsames Gebet (ord. 1,8,25), Muße für das eigene Nachdenken und Grübeln über „Gott und die Welt“ (ibid. 1,3,6). Inwieweit diese Szenerie bewusst stilisiert wurde, ist eine offene Frage (vgl. infra Ergebnis 1), die für das Verständnis des augustinischen otium-Gedankens allerdings unerheblich ist. 12 nomine tuo: Die beiden Bücher „Über die Ordnung“ sind Zenobius gewidmet (vgl. 1,1,1, Z. 1) und tragen deshalb seinen „Namen“. 12 nostra elaboratione: Über die Art und Weise der „Ausarbeitung“ der Dialoge von Cassiciacum werden wir durch mehrere autoreigene Hinweise zunächst gut informiert. Augustin stellt die Genese der Schriften wie folgt dar: 1) Eine in ihrer Zusammensetzung heterogene, aus Freunden, Schülern und Verwandten bestehende Gesprächsrunde64 disputiert über ein von Augustin vorgegebenes65 philosophisches Thema, 2) ein notarius66 protokolliert die Gespräche, 3) Augustin redigiert die Notizen, wobei er sich bei der Nachzeichnung des Gesprächsverlaufs sowohl wörtlicher Wiedergaben bedient als auch sinngemäße Zusammenfassungen erstellt.67 – Allein das Problem, wie das genaue Verhältnis des – kaum anzuzweifelnden – „historischen Kerns“ der Unterredungen und der nachträglichen Redaktion im Sinne eines deutlich in der Dialogtradition stehenden philosophischen Traktates zu bestimmen sei, ist umstritten, kompliziert und in allen Einzelheiten sicher nicht mehr aufzulösen.68 13 meliora eligens: modale Sinnrichtung des Partizips: Indem Zenobius sich a) in der persönlichen Lebensführung und b) in seinem intellektuellen Interesse am „Besseren“69 und Wertvolleren orientiert, akzeptiert er nicht nur eine hierarchisch aufgebaute, universelle Seinsordnung, sondern fügt sich selbst (vgl. te … inserere atque coaptare; Z. 12 f) in sie ein. Das aber heißt allgemein: Der augus64 Insgesamt erscheinen in den drei Dialogen folgende Personen: Alypius, Licentius und Trygetius als Freunde bzw. Schüler; als Verwandte: Augustins Mutter, sein älterer Bruder Navigius, sein Sohn Adeodatus, die beiden Vettern Lartidianus und Rusticus. Über Anwesenheit und Abwesenheit, Hinzukommen oder Abreise der jeweiligen Gesprächsteilnehmer lässt Augustin gewissenhaft Protokoll führen (siehe ord. 1,11,31). Im Einzelnen vgl. die ausführliche Nachzeichnung bei Fuhrer, Contra Academicos, S. 5–12. 65 C. acad. 1,2,5; beat. vit. 2,7; ord. 1,3,6. 66 Vgl. die Stellenangaben infra zu ord. 1,2,5; Z. 18. 67 Der wichtigste Hinweis zur Arbeitsweise Augustins findet sich in c. acad. 1,1,4: sane in hoc libro res et sententias illorum (sc. des Licentius und Trygetius), mea vero et Alypii etiam verba lecturus es. Dazu K. Schlapbach, Contra Academicos, S. 65 f. 68 Vgl. infra Ergebnis 1. 69 Das „Bessere“ ist in seiner höchsten Steigerung natürlich Gott bzw. das unum (vgl. 1,2,3).
1. Proömium: 1,2,5
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tinischen Ontologie, Ethik und Bildungsauffassung liegt ein und derselbe ordo rerum zu Grunde. 13 coaptare: Ausdruck des Spätlateins; meist mit Dativ, manchmal mit ad konstruiert, nur selten wie hier mit in; vgl. bei Augustin aber noch conf. 12,29,40 und epist. 164,16. 1,2,5: Zuflucht auf dem Landgut des Verecundus Nam cum stomachi dolor scholam me deserere coegisset, qui iam, ut scis, etiam sine 15 ulla tali necessitate in philosophiam confugere moliebar, statim me contuli ad villam
familiarissimi nostri Verecundi. Quid dicam eo libente? Nosti optime hominis cum in omnes tum vero in nos benivolentiam singularem. Ibi disserebamus inter nos, quaecumque videbantur utilia adhibito sane stilo, quo cuncta exciperentur, quod videbam conducere valetudini meae. Cum enim nonnulla loquendi cura detinerer, 20 nulla inter disputandum inrepebat immoderata contentio; simul etiam, ut, si quid nostrum litteris mandare placuisset, nec aliter dicendi necessitas nec labor recordationis esset. Agebant autem ista mecum Alypius et Navigius, frater meus, et Licentius repente admirabiliter poeticae deditus; Trygetium item nobis militia reddiderat, qui tamquam veteranus adamavit historiam; et iam in libris nonnihil habebamus.
14 cum stomachi dolor scholam me deserere coegisset: Nach c. acad. 1,1,3 und beat. vit. 1,3 war ein „Brustschmerz“ (pectoris dolor) die Ursache dafür, dass Augustin sein Lehramt in Mailand quittieren musste. In conf. 9,2,4 (vgl. 9,5,13) spricht der Bischof rückblickend ebenfalls von „Brustschmerzen“ (dolores pectoris), verbunden mit heftigen Atembeschwerden; die permanente Überanstrengung bei den Vorlesungen habe seine Lunge (pulmo) stark angegriffen. Will man ord. 1,2,5 mit diesem Krankheitsbild harmonisieren, darf man stomachi dolor nicht mit „Magenschmerzen“ (Mühlenberg, S. 249) bzw. „Magenleiden“ (Perl, S. 6) wiedergeben; mit stomachus kann ebenso die Luftröhre70, und damit ein Teil der Atmungsorgane, bezeichnet werden.71 Ob die Aufgabe der so erfolgreichen beruflichen Karriere tatsächlich und in der Hauptsache den gesundheitlichen Gründen zuzuschreiben ist (so Thimme, Entwicklung, S. 24 mit Bezug auf F. Loofs, Augustin, S. 260) oder eher, wie der Kirchenvater es in den Konfessionen darstellt, als die Konsequenz einer tiefgreifenden inneren Wandlung zu verstehen ist und die gesundheitlichen Probleme lediglich als äußerer Vorwand dienten, ist ein beliebter Gegenstand der Spekulation,72 letztendlich aber kaum mehr aufzuklären. Die Frage hängt nicht wenig 70 Vgl. Plinius d. J. (epist. 6,16,19) zum Erstickungstod seines Onkels: crassiore caligine spiritu obstructo clausoque stomacho. 71 Vgl. auch B. Legewie (Die körperliche Konstitution und die Krankheiten Augustins, MA 2, S. 5–21), für den der Textbefund aus medizinischer Sicht auf ein Krankheitsbild deute, welches „neben einer teilweisen Aphonie noch eine katarrhalische Erkrankung wenigstens auch der Luftröhre vermuten lässt“ (S. 20). 72 Siehe bes. J. Rief, Ordobegriff, S. 35–38.
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II. Kommentar
davon ab, welchen historischen Quellenwert man den confessiones zuzuschreiben gedenkt. Die kritischen Anfragen lauten: Wie genau sind dem Bischof die damaligen Ereignisse – nach ca. einem Jahrzehnt – noch erinnerlich? Wie stark ist im Hinblick auf den Topos der inneren conversio mit einer nachträglichen Interpretation im Sinne der Gesamtintention der Bekenntnisse zu rechnen? Andererseits: Die Darstellung in den Bekenntnissen ist in sich durchaus konsistent.73 Zudem, so lässt sich argumentieren, kann ein gewisser Abstand zu den vergangenen Ereignissen auch eine größere Objektivität bedeuten. Auch an die Frühdialoge lassen sich kritische Fragen richten. Für unseren Fall beispielsweise: Konnte Augustin in den zeitnah verfassten Cassiciacum-Büchern bereits äußern, dass der stomachi dolor lediglich ein nicht gänzlich erfundener Vorwand war? Immerhin befand er sich in Mailand in einer angesehenen und öffentlich beachteten Stellung,74 konnte durchaus damit rechnen, dass seine Schriften gelesen werden, und war bezüglich seines alten Wirkungskreises noch keineswegs „aus der Welt“.75 14 f sine ulla tali necessitate: Dass die Atembeschwerden mit „Notwendigkeit“ das Ende der ausgeübten Berufstätigkeit bedeuteten, wird auf charakteristische Weise in den confessiones abgeschwächt. In 9,2,4 lässt der Bischof seine Leser wissen, dass seine Krankheit ihn „fast mit Notwendigkeit“ (paene iam necessitate) zwang, die Last des Lehramts niederzulegen. Auch die Möglichkeit einer mittelfristigen Rekonvaleszenz und die Rückkehr auf den Lehrstuhl wird in Erwägung gezogen (si curari et convalescere potuissem). Vor allen Dingen aber schildert der Kirchenvater, dass sein Entschluss, den „Lügenstuhl“ zu verlassen, längst gefasst war, als plötzlich „eine ungeheuchelte Entschuldigung“ (non mendax excusatio) hinzutrat. Eine deutliche Akzentverschiebung zu den Aussagen in Cassiciacum ist nicht zu leugnen. 15 in philosophiam confugere moliebar: Der in Mailand erlangte Wunsch, sich der „Philosophie“ zu widmen, wird in den Proömien der anderen beiden Frühdialoge breit dargestellt und entfaltet. Die Cassiciacum-Schriften selbst sind der handfeste Beweis, dass Augustin hauptsächlich philosophia, wenn auch mit christlich-religiöser Färbung, betrieben hat. Das neunte Buch der Bekenntnisse vermittelt retrospektiv eine andere Sichtweise: Demnach wies Augustin die Mailänder an, sich einen anderen „Wortverkäufer“ suchen, denn er habe beschlossen, seinem Gott zu dienen (quod … tibi ego servire delegissem; 9,5,13). Er wollte sich, so bekennt er eben diesem Gott, dem Nachdenken darüber widmen, „dass du der Herr bist“ (quoniam tu es dominus; 9,2,4). 73 Zu den in den confessiones geäußerten vielfältigen Gründen für den „Ausstieg“ siehe die obigen Bemerkungen zu 1,1,3, Z. 40 f. 74 Dass Augustin sich seiner exponierten Stellung, seiner Verantwortung für die Studenten wie für das Amt selbst bewusst war, zeigt deutlich conf. 9,2,3. 75 Augustin findet sich nur wenig später (im Januar bzw. Februar des Jahres 387; vgl. Perler / Maier, voyages, S. 432) als Katechumene und Taufkandidat wiederum in Mailand ein und hält sich auch nach seiner Taufe (in der Nacht vom 24. zum 25. April) noch mindestens bis zum Sommer ebendort auf.
1. Proömium: 1,2,5
67
Die zeitnahe und die rückblickende Einschätzung Augustins über sein inneres Seelenleben kann nur gezwungen harmonisiert werden.76 Im Allgemeinen rechnet man mit einer größeren Stilisierung der confessiones, die ihren großen Höheund Wendepunkt in der dramatischen Schilderung der Mailänder Gartenszene (Buch 8 Ende) erlebt und alle vorherigen und nachfolgenden biographischen Ereignisse gewissermaßen von diesem „literarischen Zentrum“ aus deutet. Die Frühschriften scheinen hier das authentischere Bild zu liefern.77 15 statim: Dass die Abreise aus Mailand sofort und unverzüglich (sc. nach Ende des Schuljahres) erfolgte, steht im Einklang mit der Schilderung in den confessiones. Zuvor mussten noch ca. 20 Tage bis zum Ferienbeginn überstanden werden, die eine kaum erträgliche Last bedeuteten (so conf. 9,2,4). 15 f ad villam familiarissimi nostri Verecundi: Die Person des Gastgebers und engen Freundes der kleinen Philosophenschar (conf. 8,6,13: omnium nostrum familiarissimus) ist nur in groben Umrissen bekannt: Als Mailänder Bürger übte 76 Ein älterer, seinerzeit beachteter Versuch stammt von G. Boissiers (conversion, S. 339 ff): Augustin sei „christlicher“ gewesen als die Frühschriften glauben machen; lediglich aus Rücksicht auf Alypius, der den christlichen Sprachgebrauch in den Dialogen unterdrücken wollte (vgl. conf. 9,4,7), hätten diese – zumindest in weiten Teilen der Gesprächspassagen – ihren paganen Charakter erhalten. Erst am Ende der Dialoge, in der oratio perpetua, habe Augustin seine eigentliche (christliche) Einstellung demaskiert. – Schon Thimme, Entwicklung, S. 20 f, Anm. 2, wendet sich mit Recht gegen historisch fragwürdige Konstruktionen dieser Art. 77 Die Frage, ob Augustin in der ersten Zeit nach seiner „Bekehrung“ als Christ oder Neuplatoniker bezeichnet werden muss, wurde in der Vergangenheit (in einer älteren Forschungsphase seit etwa dem Ende des 19. Jahrhunderts) heftig und kontrovers diskutiert. Eine „kritischere“ Forschungsrichtung (W. Thimme, Entwicklung; P. Alfaric, évolution; F. Loofs, Augustin) sah in Augustin mehr den neuplatonischen Philosophen, andere Autoren (Ch. Boyer, Christianisme; K. Holl, Entwicklung; J. Nörregaard, Bekehrung; J. Mausbach, Ethik; R. Jolivet, néo-platonisme; rapports) betonten mehr die christliche Seite der Frühschriften. Gemeinsam ist dieser sog. „älteren Phase“ die mehr oder weniger scharfe Alternative von Philosophie und Christentum. Eine „neuere Forschungsphase“ ist hauptsächlich durch die umfangreichen Untersuchungen von P. Courcelle (Recherches; lettres) eingeleitet worden. Courcelle hält die scharfe Trennung von Philosophie und christlichem Glauben im Denken Augustins für unangemessen, da Augustin eine fertige „Synthese“ bereits vorfand (und zwar besonders in der Predigt des Ambrosius und im sogenannten „Mailänder Philosophenzirkel“) und übernehmen konnte. (Vgl. die für die Augustinforschung epochemachenden Sätze Courcelles, Recherches, S. 12: „Mais l’opposition entre hellénisme et christianisme n’est-elle pas surtout une vue des modernes? A supposer que dans le milieu où frequentait Augustin à cette date, cette opposition ne fut pas ressentir, la discussion même ne perdrait-elle pas toute base?“) In der neueren Forschung wird daher versucht, mehr die Einheitlichkeit im Denken Augustins herauszustellen (vgl. etwa O’Meara, Neoplatonism; Augustine; Young Augustine; R. Holte, Béatitude), was natürlich nicht heißen kann, unterschiedliche Tradition und Herkunft der augustinischen Gedankenwelt zu ignorieren. Vgl. zu diesem Fragenkomplex: E. König, philosophus, S. 9–15 und 131 ff; P. Schilling, Verhältnis, S. 20 ff; vor allem A. Schindler, Augustin, S. 660–662. Relative Übereinstimmung herrscht im Übrigen darüber, dass zuungunsten einer allgemeinphilosophisch-intellektualistischen Sichtweise der neuplatonisch-christliche Einfluss, der in seiner Einheit gesehen werden muss, seit den Schriften von Cassiciacum bis etwa zur Schrift De vera religione noch zugenommen hat (vgl. bes. H. Dörries, Verhältnis). Erst ab seiner Priesterzeit bahnt sich bei Augustin langsam, aber sicher eine Trennung von philosophischem und ureigenem christlichen Gedankengut ab, bis hin zu einer geradezu anti-philosophischen Haltung zum Ende seines Lebens. Vgl. retr. 1,1,4.
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II. Kommentar
er den Beruf des grammaticus aus (von Nebridius als Hilfslehrer unterstützt), war mit einer Christin verheiratet und besaß ein Landgut, das bekannte rus Cassiciacum, dessen genaue Lage nicht überliefert ist.78 Am Weggang seiner Gefährten aus Mailand trug er schwer, doch seine Verpflichtungen und Bindungen, u. a. seine Ehe und wohl auch die Tatsache, dass er noch kein „Christ“ (wohl eher: „christlicher Philosoph“) war, hielten ihn davon ab, ebenfalls zur villa zu ziehen und dem geregelten Leben zu entsagen. Nur einige Monate später, während Augustins Aufenthalt in Rom, erkrankt er offensichtlich schwer, bekehrt sich und stirbt. Vgl. conf. 8,6,13; 9,3,5 f. 16 Quid dicam eo libente? „Was soll ich über seine Bereitwilligkeit sagen?“ Die präzise Bedeutungsnuance von libente ergibt sich (u. a.) durch die semantische Korrelation zu benivolentia (Z. 17). Es soll wohl kaum die „Freude“ des Verecundus ausgedrückt werden, wie Mühlenberg (Ordnung, S. 249) vorschlägt. Letzteres stände zu sehr im Widerspruch zur Aussage in den confessiones (9,3,5 f), wo dreimal ausdrücklich betont wird, dass die Bekehrung der Freunde und die daraus resultierende Trennung den Verecundus „quälte“ bzw. „traurig machte“. Stattdessen wird die „Großzügigkeit“ (vgl.: benigne) und „Güte“ (humanitas) seiner Gastfreundschaft hervorgehoben. In diesem Sinne muss auch hier übersetzt werden. 16 f Nosti optime hominis … benivolentiam singularem: Zenobius selbst hat nach ord. 1,7,20 die Gastfreundschaft des Verecundus auf seinem Landgut genießen können. 78 Der Name des Ortes ist lediglich in conf. 9,3,5 überliefert: pro rure illo eius [sc. Verecundi] Cassiciaco. Zwei Orte, beide in der Nähe von Como, erheben den Anspruch, das ehemalige refugium des berühmten Kirchenlehrers zu sein: a) Das bei Varese, ca. 55 km nordwestlich von Mailand gelegene Casciago und b) das knapp 40 km nordwestlich von Mailand befindliche heutige Cassago Brianza (Kartographie bei Perler / Maier, voyages, S. 196). Die größere Anzahl von Argumenten werden für Cassago ins Feld geführt: 1) toponymische Erwägungen: der Name Casciago scheint vom lat. Castilliacus abgeleitet zu sein; mittelalterliche Belege für den Ortsnamen Cassago dagegen sind de Cassiaco (urkundlich erwähnt im Jahre 854), de loco Cassiaco (aus dem Jahre 1117), in Cassciago (Bezeichnung aus dem 12./13. Jahrhundert). 2) Cassago besitzt wesentlich ältere lokale Traditionen zur Identifizierung mit dem augustinischen rus Cassiciacum, die bis ins 17. Jahrhundert (evtl. weiter?) zurückverfolgt werden können. 3) Archäologische Funde: Die Siedlungsspuren für die fragliche Zeit sind in bzw. in der Nähe von Cassago reichhaltiger als in Casciago. 4) Die kürzere Entfernung Cassago-Mailand kann eher mit der c. acad. 1,2,5; 3,8 geschilderten Reise des Alypius in Einklang gebracht werden. – Siehe zu dieser Kontroverse im Einzelnen: O. Perler, Recherches sur les Dialogues et le site de Cassiciacum, in: Augustinus 13, 1968, S. 348– 352; ders. / Maier, voyages, S. 138 f. 179–196; C. Marcora, Da „Rus Cassiciacum“ a Cassago Brianza. Storia e tradizione, Cassago Brianza 1982; L. Beretta, Rus Cassiciacum: Bilancio e aggiornamento della vexata quaestio, in: A. Caprioli / L. Vaccaro (Hrsg.), Agostino e la conversione cristiana, Augustiniana, Testi e Studi 1, Palermo 1987, S. 67–83; S. Colombo, Ancora sul Rus Cassiciacum di Agostino, ibid., S. 85–92; G. J. P. O’Daly, Art. „Cassiciacum“, in: AL 1, 1986 ff, Sp. 771–781, hier: Sp. 772–774; J. Doignon, Etat des questions relatives aux premiers Dialogues de saint Augustin, in: C. Mayer / K. H. Chelius, Internationales Symposium über den Stand der Augustinus-Forschung, vom 12.–16. April in Giessen, Cassiciacum 39,1 (Würzburg 1989), S. 47–86, hier: S. 52 f; J. J.O’Donnell, Confessions, 3,81 f.
1. Proömium: 1,2,5
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18 adhibito sane stilo, quo cuncta exciperentur: Das Stenographieren (excipere ~ hier: „mitschreiben“) übernahm gewöhnlich ein notarius.79 Vgl. supra zu 1,2,4, Z. 12 (s. v. nostra elaboratione). 20 nulla inter disputandum inrepebat immoderata contentio: Beide deutsche Übersetzungen treffen nicht den Sinn.80 Die contentio bezeichnet hier die „Anstrengung“ beim Sprechen, die dadurch vermieden wird, dass sich Augustin, da ja mitgeschrieben wurde, eine gewisse „Sorgfalt beim Formulieren“ (loquendi cura; Z. 19) auferlegt. Diese bedächtige Art des Redens ist seiner angeschlagenen Gesundheit offensichtlich sehr zuträglich (quod videbam conducere valetudini meae; Z. 18 f). Angemessener als Übersetzung wäre daher: „… stellte sich während der Erörterung keine übermäßige Anstrengung ein“. 20–22 ut … nec aliter dicendi necessitas nec labor recordationis esset: Augustin gibt die Gründe für das Mitschreiben der Gespräche an. Falls man etwas in schriftlicher Form publizieren (litteris mandare; Z. 21) wolle, entfalle a) die Notwendigkeit der Neuformulierung und b) die Mühe der Erinnerung. – Implizit gibt der Autor hiermit (zum ersten Male in De ordine) zu verstehen, dass er seine Schrift auf eine echte, historische Gesprächssituation zurückgehend verstanden wissen will. Inhalte und sogar Formulierungen der dem Leser nun vorliegenden schriftlichen Endfassung sollen ihn unmittelbar am ursprünglichen Geschehen teilnehmen lassen. Natürlich handelt es sich hier um einen klassischen literarischen Topos.81 Das Besondere an den augustinischen Dialogen scheint aber zu sein, dass – die meisten Interpreten gehen hier konform82 – die Angaben über angefertigte und später verarbeitete Gesprächsprotokolle dem tatsächlichen Hergang entsprechen könnten.83 Autoreigene (zweifelsfrei nicht literarisch-rhetorisch mo79 Vgl. c. acad. 1,1,4; 1,5,15; 2,7,17; 2,13,29; 3,7,15; 3,20,44; beat. vit. 2,15; 3,18; ord. 1,10,29 f; 1,11,33; 2,7,21. In einem Fall ist kein notarius anwesend und eine nächtliche Unterredung muss – wie Augustin ausdrücklich betont – im Nachhinein mühsam von den Gesprächsteilnehmern rekonstruiert werden: vgl. ord. 1,8,25. Zu den Aufgaben und Einsatzmöglichkeiten eines sogenannten notarius in der (Spät-)Antike vgl. kenntnisreich B. L. Meulenbroek, The Historical Character of Augustine’s Cassiciacum Dialogues, in: Mnemosyne 13, 1947, S. 203– 229; siehe auch D. Ohlmann, Die Stenographie im Leben des hl. Augustinus, in: Ast 56, 1905, S. 273–279; 312–319; R. J. Deferrari, St. Augustine’s method of composing and delivering sermons, in: AmJournPhilol 43, 1922, S. 97–123; 193–219; H. Hagendahl, Die Bedeutung der Stenographie für die spätantike Literatur, in: JbAC 14, 1971, S. 24–38 (für die CassiciacumDialoge bes. S. 34); K. Schlapbach, Contra Academicos, S. 64 f. 80 Perl (S. 7): „… artete die Unterhaltung nie in Heftigkeit aus“; Mühlenberg (S. 249): „… weitete sich die Diskussion nicht ins Uferlose“. 81 Vgl. z. B. Cicero, Tusc. 2,9: disputationem habitam non quasi narrantes exponimus, sed eisdem fere verbis ut actum disputatumque est. 82 Vgl. R. Hirzel, Dialog, Bd. 2, S. 377 mit Anm. 3; A. Dyroff, Form, S. 22; B. L. Meulenbroek, Character, passim; H. Hagendahl, Stenographie, S. 34; Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 18; anders allerdings: A. Gudemann, Sind die Dialoge Augustins historisch?, München 1926, S. 16–27 (zur Kritik an Gudemann vgl. bes. Meulenbroek, a. a. O., S. 222 ff). 83 Vgl. supra zu 1,2,4, Z. 12 (s. v. nostra elaboratione). Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Untersuchung von Meulenbroek, a. a. O.: Der Autor analysiert die metrischen und rhythmischen Figuren vor harten Einschnitten (.?!). Aufgrund seiner Untersuchung zur Frequenz der benutzten bzw. vermiedenen Klauseln erkennt er signifikante Unterschiede im Sprachstil der
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II. Kommentar
tivierte) Hinweise außerhalb des eigentlichen Werkes, nämlich in den confessiones (vgl. 9,4,7) und den retractationes (zu ord.: 1,3,1), sind hier besonders wertvoll. 22 Alypius: Ein enger Freund (familiarissimus amicus meus; c. acad. 3,6,13) und mehr noch: der langjährige Lebensbegleiter des Augustinus. Das sechste Buch der confessiones (Kap. 7–12) liefert eine einfühlsame „Kurzbiographie“, und zwar bis zur gemeinsamen Zeit in Mailand. Demnach stammte Alypius ebenso wie Augustin aus dem nordafrikanischen Thagaste und gehörte mit seiner Familie zur dortigen vornehmen Oberschicht;84 er war jünger als Augustin (me minor natu; 6,7,11) und hatte sogar noch, als Letzerer bereits eine Lehrtätigkeit in seiner Heimatstadt aufgenommen hatte, bei ihm studieren können (studuerat apud me; ibid.). Alypius schätzte Augustin als Gelehrten sehr. Als dieser sich beruflich nach Karthago orientierte, besuchte Alypius auch dort – gegen den Willen und Widerstand seines Vaters – dessen Lehrveranstaltungen. Augustin seinerseits war seinem Schüler zugetan, da schon in frühester Jugend, so das Zeugnis der confessiones, sich an ihm eine „hervorragende moralische Gesinnung“ (magna virtutis indoles; ibid.) offenbarte. Als einziges Laster wird seine Leidenschaft für die Zirkusspiele in Karthago genannt, doch auch von ihr konnte er sich unter dem Einfluss seines Lehrers zumindest zeitweise lösen (6,7,11 f). Der Eindruck, den Augustin auf den jungen Alypius hinterließ, war ohne Zweifel groß: Denn als Augustin sich zu dieser Zeit dem „Aberglauben“ (superstitio; 6,7,12) der Manichäer zuwandte, folgte ihm sein treuer Schüler auch hierin. Nach Rom jedoch ging Alypius dem Augustinus voraus; zur Freude der Eltern begann er ein Studium der Rechtswissenschaft (6,8,13). In der Hauptstadt angekommen lebte eine alte Schwäche wieder auf; es war das große Amphitheater mit seinen Gladiatorenkämpfen, dessen Faszination er sich trotz innerer Gegenwehr und gegen seine grundsätzliche Überzeugung – so stellt Augustin es später dar – lange Zeit nicht entziehen konnte (ibid.). Als Augustin in Rom ankam, schloss sich Alypius wiederum an; der Lehrer wurde nach Mailand berufen, sein Schüler folgte ihm auf der Stelle (6,10,16). Schon in Rom hatte sich der junge Jurist einen Namen gemacht – als Beisitzer (assessor; ibid.) des italienischen Schatzmeisters zeigte er sich unbestechlich und gegen politische Einflussnahmen resistent – und in Mailand sollte sich die erfolgreich begonnene Karriere fortsetzen. Sie fand bekanntlich ein jähes Ende: Eine alternative Lebensweise, die praktische Umsetzung der vita beata, war schon lange angedacht (6,10,17); ihre konkrete Realisierung jedoch wäre niemals erfolgt, wenn nicht Alypius gewesen wäre, der den bereits verlobten Augustin (6,13,23) immer wieder und mit allem Nachdruck vor dem Heiraten gewarnt einzelnen conlocutores (Licentius, Trygetius, Augustinus) und folgert – in Verbindung mit anderen Argumenten – einen real-historischen Hintergrund der Gespräche (vgl. zusammenfassend S. 229: „I consider it likely on the ground of above argumentation that the Cassiciacum-dialogues were actual conversations taken down stenographically though the wording was partly modified later on“). 84 Nach epist. 27,5 ist Alypius verwandt mit dem ebenfalls aus Thagaste stammenden Romanianus, dem Gönner Augustins und Adressaten von Contra Academicos.
1. Proömium: 1,2,5
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hätte (6,12,21). Ein gemeinsames Leben in sorgloser Muße und auf der Basis der Philosophie (in amore sapientiae; ibid.) wäre dann – so der Verfasser der Bekenntnisse – endgültig nicht mehr möglich gewesen. – Auch nach dem CassiciacumAufenthalt verlaufen die beiden vitae parallel: Augustinus und Alypius lassen sich gemeinsam in der Osternacht des Jahres 387 in Mailand taufen (9,6,14); beide verwirklichen eine erneute philosophisch-christliche Lebensgemeinschaft durch die Gründung des Gartenklosters von Thagaste. Alypius besteigt den Bischofssitz von Thagaste im Jahre 394, Augustinus widerfährt dasselbe – nicht ganz freiwillig – in Hippo Regius zwei Jahre später.85 22 Navigius: Über den Bruder Augustins ist nur wenig bekannt. Er scheint Augustin über einen längeren Zeitraum in Italien begleitet zu haben. In Cassiciacum nimmt er an den Disputationen „Gegen die Akademiker“ (mit einem kurzen Gesprächsbeitrag; c. acad. 1,2,5) und „Über das glückselige Leben“ (vgl. beat. vit. 1,6 f) teil. In Ostia leistet er zusammen mit Augustin der Mutter in ihren letzten Stunden Beistand (conf. 9,11,27). Hinsichtlich seiner körperlichen Verfassung wird eine krankhafte Milz (splene vitioso; beat. vit. 1,14) erwähnt. – Warum Navigius hier als Gesprächsteilnehmer genannt wird, ist unklar. Nach ord. 1,3,7 befindet er sich bereits zu Beginn des Gesprächs mit Alypius in der Stadt (Mailand); während ord. 2,1,1 f von der Rückkehr des Alypius berichtet wird, ist von Navigius nicht mehr die Rede. 22 Licentius: Sohn des aus Thagaste stammenden Romanianus (des Adressaten der Bücher Contra Academicos) und somit mit Alypius verwandt; vgl. epist. 27,5; Licentius ist – neben Trygetius – einer der beiden jungen Schüler Augustins,86 der bei allen drei Cassiciacum-Gesprächen beteiligt ist. Besonders häufig wird seine Zuneigung zur Dichtkunst (vgl. Z. 23: repente admirabiliter poeticae deditus) erwähnt; sie ist so stark und leidenschaftlich (c. acad. 3,4,7: video te tantum exarsisse; vgl. ibid. 2,4,10; 3,1,1; 3,4,7), dass er von Augustin bisweilen gemäßigt werden muss (ut aliquantum mihi etiam reprimendus videretur; ibid. 3,4,7). Zu sehr könnte ihn der Eifer für ein „unbedeutendes Fach“ (vgl. ord. 1,6,16) vom eigentlichen Zweck des Cassiciacum-Aufenthalts, dem Studium der Philosophie, abhalten (siehe ord. 1,3,8). Die Ermahnung und Werbung Augustins 85 Zur Biographie des Alypius vgl. ausführlich: M. A. McNamara, Friendship in Saint Augustine, Studia Friburgensia 20, Fribourg 1958, S. 53–62; A. Mandouze, Prosopographie chrétienne du bas-empire, Bd. 1, Paris 1982, S. 53–56; Feldmann / Schindler / Wermelinger, Art. „Alypius“, in: AL 1, Sp. 245–267. 86 Licentius wird von Augustin als adulescens bezeichnet (ord. 1,3,8; 6,15 f; 8,23) und nimmt für sich selbst – allerdings halb scherzhaft – „jugendliche Unbekümmertheit“ (puerilis levitas; ord. 1,8,21) in Anspruch. „Licentius … wird man sich [sc. zur Zeit des Cassiciacum-Aufenthaltes] als jungen Mann im Alter von 15–20 Jahren vorzustellen haben.“ (Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 7) Für genauere Angaben, die über diese grobe Schätzung hinausgehen, fehlen die Anhaltspunkte (so richtig Fuhrer, ebd., S. 7 f, Anm. 21). Nach G. Bardy (Un élève de saint Augustin: Licentius, in: L’Année théol. Aug. 14, 1954, S. 58 und Anm. 2) befindet sich Licentius, der sich erst kurz zuvor mit Ciceros Hortensius vertraut gemacht habe, nun in Cassiciacum – einen geregelten Studiengang vorausgesetzt – auf derselben Ausbildungsstufe wie Augustin mit 19 Jahren und daher in einem vergleichbaren Alter. Eine sehr artifizielle Konstruktion!
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II. Kommentar
verhallen nicht ungehört: Pulchrior est philosophia … quam Thisbe, quam Pyramus, quam illa Venus et Cupido talesque omnimodi amores, bekennt der inmitten des Gesprächs plötzlich „bekehrte“ Licentius, nicht ohne Christus unter Seufzen dafür zu danken (ord. 1,8,21). Als Grundlage für die Kennzeichnung der Person des Licentius87, der überraschend in den confessiones nicht genannt wird, dient neben den Frühdialogen noch der augustinische Briefwechsel88: Anders als Augustin und Alypius strebte Licentius nach der gemeinsamen Zeit auf dem rus Cassiciacum offensichtlich eine weltliche Laufbahn an (vgl. epist. 26,2.4.6; 32,3–5). Der Nachwelt erhalten ist sodann seine sog. „Versepistel“ (aus dem Jahre 39589), ein 154 Zeilen umfassendes, stilistisch mittelmäßiges90 opusculum, in welchem auch auf die Zeit in Cassiciacum zurückgeblickt wird. 23 Trygetium: Der andere junge Schüler Augustins, ebenfalls Nordafrikaner und wahrscheinlich – wie die übrigen Gesprächsteilnehmer – aus Thagaste stammend (Trygetius und Licentius werden in beat. vit. 1,6 von Augustin als cives et discipuli mei bezeichnet). Nach c. acad. 1,1,4 besaß Trygetius vormals eine gewisse Abneigung (fastidium) gegen die Wissenschaft, kehrt jedoch nach dem absolvierten Militärdienst – nunmehr gründlich geläutert – in die Studiengemeinschaft zurück. Sein Interesse gilt insbesondere der (von Augustin gering geschätzten91) Geschichtswissenschaft (vgl. Z. 24: tamquam veteranus adamavit historiam). – Wie Licentius wird auch Trygetius in den confessiones übergangen, sein weiterer Lebensweg (nach Cassiciacum) verliert sich im Dunkeln.92 23 Trygetium … nobis militia reddiderat: Vgl. c. acad. 1,1,4: Illum … adulescentem … militia … nobis … restituit; durch reddere bzw. restituere wird klar bestätigt, dass Trygetius dem Augustin schon vor seinem Militärdienst bekannt und dessen Schüler war. Siehe supra zu Z. 23 (s. v. Trygetium). 24 et iam in libris nonnihil habebamus: „und außerdem stand uns einiges in unseren Büchern zur Verfügung“. Die das Proömium abschließende Bemerkung betont, dass der „Stoff “ und die intellektuellen Anregungen für die philosophi87 Vgl. ausführlich: Bardy, élève, S. 55–79; McNamara, Friendship, S. 86–92; Mandouze, Prosopographie, Bd. 1, S. 640–642. 88 Siehe insb. epist. 26.27.32. 89 Nach Shanzer, Verse Epistle, S. 110 f. Der Text des hexametrischen Gedichts ist in der Edition des CSEL (34/1) als Anhang zu Aug., epist. 26 beigefügt. Siehe auch den Abdruck (mit textkritischen Anmerkungen und englischer Übersetzung) bei Shanzer, a. a. O. 90 Vgl. H.-I. Marrou, Saint Augustin et la fin de la culture antique, Paris 41958, S. 96 und 341 (dt. Übs.: S. 84 und 289); J. J. O’Meara, St. Augustine Against the Academics, London 1950, S. 182, Anm. 30; M. A. McNamara, Friendship, S. 89; D. Romano, Licenzio poeta. Sulla posizione di Agostino verso la poesia, in: Nuovo Didaskaleion 11, 1961, S. 3; Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 9. 91 Vgl. ord. 2,12,37: Die Geschichtswissenschaft sei geradezu unüberschaubar (res infinita multiplex), sie enthalte mehr Sorgen und Mühen (curae) als Annehmlichkeit (iocunditas) oder Wahrheit. 92 Zur Person des Trygetius vgl. noch Mandouze, Prosopographie, S. 1117–1119; M. P. Steppat, Die Schola von Cassiciacum. Augustins „De ordine“, Bad Honnef 1980, S. 7 f.
1. Proömium: 1,2,5
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schen Gespräche einerseits dem Expertenwissen der einzelnen Gesprächsteilnehmer, dann aber auch konkreten literarischen Vorlagen entstammten. – Eine „Bibliothek von Cassiciacum“ zu rekonstruieren ist nur in eingeschränktem Maße möglich. Die Herkunft zahlreicher Zitate vorzugsweise der lateinischen Klassiker können dem Gedächtnis des Rhetorikprofessors zugeschrieben werden oder aber, womit ebenfalls stark zu rechnen ist, den in der Spätantike verbreiteten93 Doxographien, Florilegien und Kompendien jedweder Art. Sicher ist lediglich, dass Vergilius (die Aeneis und / oder die Georgica94; vgl. c. acad. 2,4,10; ord. 1,8,26) griffbereit war, dass auch eine Vetus Latina-Version der Psalmen (conf. 9,4,8) sowie des Propheten Jesaja (conf. 9,5,13) aus Mailand mitgenommen oder aber später nachgeschickt wurde. Aus Contra Academicos (Buch 2 und 3) kann mit Sicherheit die Benutzung von Ciceros Academici Libri als direkte Vorlage erschlossen werden,95 darüber hinaus ist die Verwendung von Ciceros Hortensius (für c. acad. 1 und beat. vit.) zumindest wahrscheinlich.96 Zahlreiche andere Schriften Ciceros, vor allem das corpus philosophicum, werden zitiert oder inhaltlich vorausgesetzt: Ob Augustin in Cassiciacum eine Opera omnia-Ausgabe besaß (weitestgehende These) oder – abgesehen von den zweifelsfrei identifizierten Werken – lediglich mit einem florilegium Ciceronianum97 bzw. einem „Zettelkastensystem“98 arbeitete (Minimalthese), ist wohl nicht mehr aufzuklären. Dass bestimmte neuplatonische Schriften, die Augustin unmittelbar vor seiner Bekehrung gelesen hatte (vgl. conf. 7,9,13; dazu c. acad. 3,18,41; beat. vit. 1,5), ebenfalls seiner eigenen „Wanderbibliothek“ eingegliedert wurden und demnach auch in Cassiciacum zur Verfügung standen, ist aufgrund wörtlicher Übereinstimmungen insbesondere zur plotinischen Traktatliteratur (vgl. vor allem ord. 2,18,48 und Plotin, Enn. VI 999) mehr als wahrscheinlich. Zu den benutzten enzyklopädischen Nachschlagewerken ist die Bemerkung ord. 2,20,54 zu notieren, in der Augustin explizit den M. Terentius Varro als Gewährsmann für die pythagoreische Lehre nennt,100 sowie 93 Vgl. allgemein: J.-P. Dumont, Sensation et perception dans la philosophie d’époque hellénistique et impériale, in: ANRW II 36,7 (1994), S. 4718–4764 (siehe bes. S. 4758 f); speziell zu Augustin: A. Solignac, Doxographies et manuels dans la formation philosophique de saint Augustin, in: RechAug 1, 1958, S. 113–148. 94 Zum komplizierten Problem, welches Werk Vergils in Cassiciacum gelesen wurde, vgl. infra zur angegebenen Stelle. 95 Vgl. das Ergebnis der Quellenanalyse bei Fuhrer, Contra Academicos, S. 43. Zur verwickelten und letztendlich nicht eindeutig zu beantwortenden Frage, welche Version der Academici Libri Augustin vorgelegen hat (Academici Priores oder Posteriores), vgl. ibid., S. 38 f. 96 Für c. acad. 1 vgl. Hagendahl, Latin classics, Bd. 1, S. 489–492; Testard, Ciceron, Bd. 1, S. 186 f; Voss, Dialog, S. 204 f; Fuhrer, Contra Academicos, S. 37, Anm. 115; für beat. vit. siehe Testard, ibid. 97 So J. J. O’Donnell, Augustine’s Classical Readings, in: RechAug 15, 1980, S. 153 und 157. 98 Vgl. F. Regen, Darstellung, S. 223. 99 Dazu im Einzelnen Trelenberg, Einheit, S. 42–48. 100 Zur Benutzung Varros durch Augustin vgl. für die spätere Zeit cons. evang. 1,22,30; civ. 3,4; 6,2.
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II. Kommentar
die Passage soliloq. 1,12,21, in der einer Definition des höchsten Gutes bei Cornelius Celsus zugestimmt wird.101
101 Voss, Frühdialoge, S. 10, vermutet, dass Augustin in Cassiciacum bereits die Introductio arithmeticae des Nikomachos von Gerasa (ins Lateinische übersetzt von dem aus Madaura, der Nachbarstadt Thagastes, stammenden Apuleius) bekannt war; dies ist gut möglich, ein sicherer Beleg für eine solche Kenntnis bzw. Benutzung findet sich allerdings erst in der 388 verfassten Schrift De musica (in dem Exkurs über die Gesetzmäßigkeit des Dezimalsystems in Buch 1, §§ 20–26).
2. Hauptteil Erster Abschnitt: Bestimmung der Seinsordnung (1,3,6–1,11,33) [§ 6: Drei schlaflose Philosophen, § 7: Der scharfsinnige Licentius, § 8: „Nichts geschieht außerhalb der Ordnung“ (Licentius), § 9: „Die Philosophie ist unsere sichere Behausung“ (Licentius), § 10: Abkehr des Licentius von Poesie und Skepsis, § 11: „Nichts geschieht ohne Ursache“ (Licentius), § 12: Handelt die Natur zweckorientiert? § 13: Beitrag der Unmündigen zur Philosophie, § 14: Die Entstehung der Schrift (ord.) ist kein Zufall, § 15: „Zur allumfassenden Ordnung existiert kein Gegenteil“ (Licentius), § 16: Freude über Licentius und sein Philosophieren, § 17: Umfasst die von Gott geliebte Ordnung auch das Böse? § 18: Gottes Liebe ist Teil der Ordnung (Licentius), § 19: Universale Gerechtigkeit als Basis der Ordnung, § 20: Die Schrift De ordine als Antwort an Zenobius, § 21: Die „Bekehrung“ des Licentius, § 22: Indezenter Psalmengesang, § 23: Was bedeutet „Bekehrung“? § 24: Der Weg zum glückseligen Leben, § 25: Schönheit des Hahnenkampfes, § 26: Das Maß aller Dinge (modus rerum), § 27: Die Ordnung führt zu Gott, § 28: Eine Ordnungsdefinition des Licentius, § 29: Umfasst die Ordnung Gott selbst? § 30: Krankhafter Ehrgeiz, § 31: Frauen in der Philosophie? § 32: Philosophie – Liebe zur Weisheit, § 33: Vertagung des Gesprächs]
1,3,6: Drei schlaflose Philosophen 1 Sed nocte quadam, cum evigilassem de more mecumque ipse tacitus agitarem, quae
in mentem nescio unde veniebant – nam id mihi amore inveniendi veri iam in consuetudinem verterat, ut aut primam, si tales curae inerant, aut certe ultimam, dimidiam tamen fere noctis partem pervigil quodcumque cogitarem, nec me patiebar 5 adulescentium lucubrationibus a me ipso avocari, quia et illi per totum diem tantum agebant, ut nimium mihi videretur, si aliquid etiam noctium in studiorum laborem usurparent, et id a me ipsi quoque praeceptum habebant, ut aliquid et praeter codices secum agerent, et apud sese habitare consuefacerent animum – ergo, ut dixi, vigilabam, cum ecce aquae sonus pone balneas, quae praeterfluebat, eduxit me in aures 10 et animadversus est solito adtentius. Mirum admodum mihi videbatur, quod nunc clarius nunc pressius eadem aqua strepebat silicibus inruens. Coepi a me quaerere, quaenam causa esset. Fateor, nihil occurrebat, cum Licentius lecto suo inportunos percusso iuxta ligno sorices terruit seseque vigilantem hoc modo indicavit. Cui ego: Animadvertisti, inquam, Licenti – nam video tibi Musam tuam lumen ad lucu-
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II. Kommentar
15 brandum accendisse – quomodo canalis iste inconstanter sonet? – Iam, inquit, mihi
hoc non est novum. Nam desiderio serenitatis cum expergefactus aliquando aurem admovissem, ne imber ingrueret, hoc agebat aqua ista, quod nunc. – Approbavit Trygetius. Nam et ipse in eodem conclavi lecto suo cubans vigilabat nobis nescientibus – erant enim tenebrae – quod in Italia etiam pecuniosis prope necesse est.
1 f quae in mentem nescio unde veniebant: Dass Augustin zugibt, er wisse nicht, woher seine nächtlichen Gedanken stammten (nescio unde hier mehr als nur sprachliche Formel), ist ein Anklang an spätere Erkenntnisse im Verlauf der Disputation (vgl. 1,4,11): Obgleich innerhalb der Weltordnung niemals etwas zufällig geschieht, bleibt die Ursache dem menschlichen Geist oft verborgen. 3 f dimidiam tamen fere noctis partem pervigil quodcumque cogitarem: Zur Gewohnheit, während der Nacht und Dunkelheit zu wachen, über ein freies, selbstgewähltes Thema zu grübeln, dabei keine Ablenkung zu dulden, cf. sehr ähnlich die Beschreibung des Landlebens bei Plinius, epist. 9,36 (Evigilo … silentio et tenebris ab iis, quae avocant, abductus et liber et mihi relictus … Cogito, si quid in manibus …). Hier wie dort spricht ein dem antiken otium-Gedanken verpflichtetes, auf persönlicher Freiheit und Selbstwertschätzung basierendes Lebensgefühl. – Zum Ideal des Ausnutzens der kostbaren Nachtzeit für philosophisch-wissenschaftliche Zwecke cf. Plinius, epist. 3,5; 9,40. Hübner, ordo, S. 33, erkennt bei Augustin – spekulativ und wenig überzeugend – auf „Insomnie“ infolge von „Überreiztheit“. Die Ansicht, das Werk sei (sc. auf literarischer Ebene) vom Verfasser „psychopathologisch motiviert“ (ebd.), passt kaum zur bewusst positiven und geradezu vorbildhaften Bewertung des nächtlichen Geschehens. 4 f nec me patiebar … a me ipso avocari: Es handelt sich hier um die Umsetzung der augustinischen (maßgeblich neuplatonisch bestimmten) Grundüberzeugung, dass Fortschritte in der Erkenntis nur für den zu erzielen sind, der sich auf sich selbst konzentriert, sich gewissermaßen in die „geistige Einsamkeit“ begibt und sich von der sog. „Außenwelt“ nicht ablenken lässt. Vgl. die inhaltlich affinen Forderungen im Proömium des Werkes (bes. § 3 Beginn). Den eigenen geistigen Freiraum, den Augustin in Cassiciacum für sich selbst beansprucht und unter allen Umständen verteidigt, verordnet (vgl. praeceptum; Z. 7) er konsequent auch seinen Schülern (vgl. ut aliquid … secum agerent et apud sese habitare consuefacerent animum; Z. 7 f). 6 f si aliquid etiam noctium in studiorum laborem usurparent: Es stellt sich die Frage, um wessentwillen die Nächte studienfrei gehalten werden sollen. Den Übersetzungen von Keseling (S. 116) und Perl (S. 7) liegt die Auffassung zu Grunde, dass Augustin hinsichtlich der adulescentes es als übermäßig (nimium; Z. 6) erachtet, „wenn sie auch noch einen Teil der Nächte für die Arbeit an ihren Studien beanspruchten“. Mühlenberg (S. 249 f) möchte die Stelle in dem Sinne verstanden wissen, dass Augustin mit Rücksicht auf seine eigene, ihm selbst zustehende „Nachtruhe“ eine Beanspruchung durch die Schüler ablehnt.
2. Hauptteil: 1,3,6
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Beide Sichtweisen erscheinen möglich und müssen sich nicht ausschließen: Für die erste These spricht vor allem die Betonung, dass „jene den ganzen Tag über so viel verrichteten“ (illi per totum diem tantum agebant; Z. 5 f), für die zweite sein ausdrücklicher Wunsch, dass man ihn wenigstens des Nachts nicht von sich selbst und seinen Gedanken ablenke (nec me patiebar … a me ipso avocari; Z. 4 f). – Siehe auch infra zu 1,3,7, Z. 20 f (s. v. vidi scholam nostram …). 8 apud sese habitare … animum: Die Vorschrift für die Schüler, dass „der Geist bei ihnen selbst1 wohnen“ solle, entspricht der oft geäußerten Ansicht, dass die letzten Wahrheiten im Inneren des Menschen verborgen liegen; vgl. am deutlichsten vera relig. 202: Noli foras ire, in te ipsum redi; in interiore homine habitat veritas. Obwohl „Bücher“ (codices; Z. 7) für die Wahrheitsfindung ohne Zweifel wichtig sind, repräsentieren sie im Sinne augustinischer Gnoseologie doch nur die „Außenwelt“2; wissenschaftliche Bildung ist eine eminent wichtige Bedingung für Erkenntnis,3 aber eben doch nur eine Vorstufe. Die letzten Schritte auf dem Weg zur Wahrheit muss der animus allein gehen. 9 cum ecce: Dieselbe Einleitungsformel wie in 1,8,25 (Z. 58–61: ire coeperamus in balneas … cum ecce ante fores advertimus gallos gallinatios ineuntes pugnam nimis acrem); nach der Schilderung einer gewöhnlichen und „normalen“ Situation (§ 6: das nächtliche Wachsein; § 25: der gewohnte Gang zum Badehaus) geschieht etwas Unerwartetes und plötzlich Eintretendes, welches die Sinne zu besonderer Aufmerksamkeit4 zwingt (§ 6: das unregelmäßige Wassergeräusch; § 25: das Schauspiel des Hahnenkampfes). – Dass Augustin mit dem zweimaligen cum ecce die Ankündigung der Gottheit bei Vergil (Aen. 6,46.255) nachahmt, vermutet Gunermann, Tradition, S. 194, Anm. 46.5 1 Mühlenberg (S. 250) übersetzt „bei sich selbst“ und bezieht das Pronomen sese damit auf den „Geist“; obgleich es unter bestimmten Bedingungen möglich ist, das Reflexivpronomen auch auf oblique Kasus zu beziehen (Menge, Syntax 232,2; S. 161), sollte man hier – in Korrelation zu secum (Z. 8) – direkte Reflexivität annehmen. Sachlich besteht kein Unterschied: Der animus ist bei Augustin der innerste menschliche Wesenskern. 2 Hierin stehen sie in gewisser Weise den sensibilia nahe; wie die sinnlichen Perzeptionen hat auch die „Bildung aus Büchern“ allenfalls intellektuellen Anregungscharakter, wirkliches „Wissen“ (vgl. zur Definition supra zu 1,1 f,3, Z. 37; s. v. homo sibi ipse …) dagegen findet der Mensch nur in und bei sich selbst, wo es apriorisch angelegt ist und – sofern noch verschüttet – wieder freigelegt und gleichsam „wiederentdeckt“ werden muss (zur frühen augustinischen Anamnesislehre vgl. infra zu 1,5,14, Z. 34 f; s. v. ut me ipse …). 3 Zu seltenen Ausnahmen vgl. ord. 1,11,31 f. 4 Vgl. § 6, Z. 10: animadversus est solito adtentius; § 25, Z. 60 f: advertimus … Libuit attendere. Im ersten Fall handelt es sich um eine akustische Wahrnehmung: das Rauschen des Wassers tritt unvermutet in aures (Z. 9); im zweiten Fall wird die Aufmerksamkeit visuell erzeugt (vgl. videre; Z. 65). Um den Aufweis einer sprachlichen wie inhaltlichen Verwandschaft der beiden Abschnitte hat sich – nicht ohne Übertreibungen zu üben – insbesondere H. H. Gunermann bemüht; vgl. dens., Tradition, S. 185 mit Anm. 8; S. 194, Anm. 46; S. 196 mit Anm. 58; S. 198– 201 mit Anm. 69 f und 74. 5 Allerdings mit sophistischer Begründung: Ähnlich wie bei Vergil (vgl. V 46: deus ecce deus!; V 255/58: ecce … adventante dea) habe „sich doch an beiden Aug.-Stellen das Walten Gottes gezeigt“ (a. a.O, Anm. 46).
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II. Kommentar
9 aquae sonus pone balneas, quae praeterfluebat, eduxit me in aures: Das Thema der philosophischen Disputation in De ordine, welches an dieser Stelle seinen ersten Anlass findet, wird nicht wie in den beiden anderen philsophischen Frühdialogen als von Augustinus geplant (vgl. c. acad. 1,2,5; beat. vit. 2,7), sondern als zufällig entstanden hingestellt. Damit wird die äußere Szenerie – wie so häufig in De ordine – geschickt mit dem Inhalt der Schrift verknüpft:6 In 1,5,14 erkennen die drei Philosophen erstaunt, dass selbst eine so geringfügige Sache (tantilla res) wie das unvermutete Vernehmen von rauschendem Wasser seinen Platz in der Ordnung des Seins erhält und damit gegen den ersten Anschein keineswegs als zufällig erachtet werden kann. Gunermann, Tradition, S. 197–199, weist darauf hin, dass das fließende Wasser in der Gestalt eines Baches oder Flusses in der Providenz-Literatur namentlich der Stoa eine gewisse Rolle spielt: Bei Pseudo-Longinus, De sublimitate 35, werden große Flüsse wie Nil, Donau (Ister) und Rhein und insbesondere der Ozean als staunenswert hingestellt, während – so der antike Autor – kleine Gewässer kaum jemand zu beeindrucken wissen (… …).7 Bei Pseudo-Aristoteles, De mundo 391 a, wird dagegen die Größe eines Flusses ( ), neben anderen Beispielen, als irrelevant für den Nachweis einer Weltordung angesehen. Cicero (rep. 6,19 ff) erwähnt das gigantische Rauschen des Nilwasserfälle beim Wadi Halfa (Catadupa) und bei Seneca, nat. quaest. 1,8,7, erscheinen die Grenzflüsse Donau und Rhein zu Beginn eines Abschnitts, der von der göttlichen Vorsehung bzw. dem sog. „Weltgeist“ (mens universi) handelt. – Insgesamt erscheinen die von Gunermann beigebrachten Beispiele sehr disparat und es ist fraglich, ob sie tatsächlich eine (mehr oder weniger geschlossene) philosophisch-literarische Tradition repräsentieren, die als motivgeschichtliches Vorbild für den augustinischen aquae sonus gelten kann. 10 Mirum admodum: Das intensive Fragen und Staunen – hier: über das seltsam unregelmäßige Geräusch des Wassers – entspricht der Grundstimmung, die auch bei der Betrachtung des Hahnenkampfes herrscht (vgl. 1,8,25, Z. 70 f: nescio quomodo concinnum et pulchrum). Beide Male hängt der Grund der Verwunderung mit dem Zentralgedanken des „Gesetzes“ bzw. „Maßes“8 zusammen, während gleichzeitig ein wichtiger Erkenntnisfortschritt zu verzeichnen ist: Hier steht noch die Suche nach der Gesetzmäßigkeit des (scheinbar) Unregelmäßigen im Vordergrund, dort bereits das sichere Wissen, dass die lex und der modus auch in Kleinigkeiten unübersehbar wirksam sind. Dass sowohl das „Hör-“ wie auch das „Schauspiel“ beide in der Natur stattfinden, ist eine weitere Gemeinsamkeit
6 Für diesen Zusammenhang vgl. Hübner, ordo, passim; Voss, Dialog, S. 220 f. 223–225; Rief, Ordobegriff, S. 17. 7 Zum stoischen Kontext der Stelle und zur vermutlichen Herkunft der Topoi aus Poseidonios vgl. Gunermann, Tradition, S. 197, Anm. 61. 8 Zur Rolle des „Maßes“ in den Frühschriften Augustins vgl. oben die Bemerkungen zu ord. 1,2,3 (Kreisvergleich) s. v. illud unum, quo cetera pariliter dimetiantur … (Z. 48–50).
2. Hauptteil: 1,3,6
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der beiden szenisch ausgestalteten Abschnitte, die sich deutlich entsprechen9 und das philosophische Gespräch des ersten Tages – literarisch durchaus kunstvoll – umrahmen. 11 f Coepi a me quaerere, quaenam causa esset: Mit der Frage nach der causa des Unerklärlichen wird der entscheidende Übergang zwischen der szenischen Schilderung und dem ersten zentralen Thema des philosophischen Gesprächs (§§ 6–14: Feststellung der lückenlosen Ursachenkette) hergestellt. Das Vorgehen ist ein induktives: Von einer besonderen Fragestellung und konkreten Einzelbeobachtungen wird im Folgenden auf ein allgemeines philosophisches Problem geschlossen. Anders als beim recht abrupten Themeneinsatz in c. acad. 1,2,5 und beat. vit. 2,7 wird der Leser elegant an die zu erörternde Sache herangeführt, was der Lesbarkeit des kleinen Werkes durchaus zuträglich ist. 12 f Licentius … inportunos … sorices terruit seseque vigilantem hoc modo indicavit: Das Auftreten der lästigen Spitzmäuse, die die Ursache dafür darstellen, dass Licentius sein Wachsein verrät, und die dadurch indirekt das philosophische Gespräch erst ermöglichen, wird retrospektiv (vgl. 1,5,14) als Teil der umfassenden göttlichen Ordnung interpretiert. Man hat in der Erwähnung der Mäuse – unter Hinweis auf Stellen wie Plutarch, Stoic. rep. 1044 c–d10 – einen literarischen Topos sehen wollen. Augustin habe bewusst ein Tier gewählt, welches bei den Stoikern (unter Aufnahme des Volksglaubens) im Rufe eines divinatorisch begabten Tieres stand.11 Die Akzeptanz einer solchen Herleitung hängt davon ab, ob man auch den Floh (1,1,2), die Hähne (1,8,25 f), die verstopfte Wasserleitung (1,3,6 f) und andere szenische Details, mithin die gesamte in De ordine geschilderte Szenerie für fiktiv hält. Siehe dazu infra Ergebnis 1. 14 f nam video tibi Musam tuam lumen ad lucubrandum accendisse: Zur häufig erwähnten dichterischen Leidenschaft des Licentius vgl. supra zu 1,2,5, Z. 22 (s. v. Licentius). – Die Erwähnung der Musen wird in retr. 1,3,2 ff getadelt: Verum et in his libris displicet mihi … quod Musas quasi aliquas deas quamvis iocando commemoravi. Deutlicher kann die persönliche Entwicklung Augustins kaum zum Ausdruck kommen; die 40 Jahre, die zwischen der Abfassung der Schrift und ihrer autoreigenen Rezension liegen, markieren geradezu den Abstand zwischen zwei (gedanklichen) Welten: Für den dogmatisch-ernsten Bischof von Hippo dient ein harmloser Scherz als Stein des Anstoßes,12 der Philosoph von Cassicia9
Vgl. supra s. v. cum ecce (Z. 9). Vgl. supra die Bemerkungen zu 1,1,2, Z. 27 (s. v. membra pulicis). 11 Siehe hierzu Gunermann, Tradition, S. 187 f und dazu Anm. 18–20; als Beleg für das Vorkommen der Maus in der stoischen providentia- und fatum-Literatur wird neben der genannten Plutarchstelle (= Chrysipp-Referat) noch auf Cicero, div. 1,99 und 2,59 verwiesen. 12 Augustin ist grundsätzlich kein engstirniger Charakter; hier jedoch hat man den Eindruck, eher – um ein Beispiel aus Nordafrika zu nennen – den ängstlich-prüden Tertullian sprechen zu hören, der (symptomatisch für einen insbesondere in Afrika beheimateten Aberglauben) die heidnischen Götter im alltäglichen Sprachgebrauch deshalb tabuisieren will, weil ihnen als Dämonen noch immer eine gewisse Wirksamkeit zugetraut wird. Siehe hierzu (neben anderen Stellen) bes. Tert., Apol. 10–27, bes. 22 f. 10
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II. Kommentar
cum dagegen – obgleich bereits Christ – lebt und denkt noch ganz unbeschwert in der Welt des antik-heidnischen Traditions- und Kulturgutes. 16 f desiderio serenitatis cum … aurem admovissem, ne imber ingrueret: Das ne hier – obgleich nach einem verbum sentiendi (aurem admovere = lauschen) recht sperrig13 – als Einleitung eines verneinten Wunsch- bzw. Begehrssatzes (vgl. desiderio) zu verstehen. Eine Übersetzung mit „ob doch nicht etwa“ trifft den Sinn wohl am besten. 19 quod in Italia etiam pecuniosis prope necesse est: „was in Italien selbst für begüterte Leute nahezu unvermeidlich ist“; Keseling (S. 117) und Mühlenberg (S. 250) beziehen diese kulturhistorisch interessante Bemerkung auf die Tatsache, dass die drei Philosophen in einem Zimmer (in eodem conclavi; Z. 18) schlafen müssen. Die Satzstruktur spricht eher gegen eine solche Konstruktion (das aufnehmende quod liegt recht weit von in eodem conclavi … cubans entfernt und die beiden genannten Übersetzungen kommen dementsprechend ohne Wiederholungen nicht aus). Wahrscheinlicher ist, dass das quod auf erant enim tenebrae (unmittelbar zuvor in Z. 19) zu beziehen ist; unter Umständen war Augustin es aus Nordafrika gewohnt, des Nachts – was natürlich teuer ist – bei Kerzen- oder Lampenschein zu schlafen.14 Auch in einer anderen Hinsicht gibt die kurze Zwischenbemerkung Rätsel auf: Für wen ist sie eigentlich bestimmt? Welchen Leser hat Augustin vor Augen? Der formelle Adressat Zenobius (vgl. ord. 1,1,1; 1,2,4) scheidet aus; nach 1,7,20 musste dieser die Gegebenheiten in Italien gut kennen, war er doch sogar, bevor er dringend abreisen musste, in Cassiciacum selbst zugegen (vgl. auch epist. 2). Es liegt auf der Hand, dass Augustin an potentielle Leser außerhalb Italiens, wahrscheinlich in Nordafrika denkt. Aus ord. 1,5,14 wird deutlich, dass Augustin durchaus mit einer gewissen Verbreitung seines Schrifttums rechnet. Die hier bereits eindeutig über Italien hinausreichende Blickrichtung, in Verbindung gesetzt mit der später erfolgten eigenen Rückkehr nach Thagaste (im Spätsommer 388 über Rom, Ostia und Karthago), kann als Indiz gewertet werden, dass Augustin bereits im November 386 – nicht erst im Sommer 387, wie conf. 9,8,17 glauben machen will – an eine Rückkehr in seine Heimat denkt. 1,3,7: Der scharfsinnige Licentius 20 Ergo ubi vidi scholam nostram, quantacumque aderat – nam et Alypius et Navigius
in urbem ierant – etiam illis horis non sopitam, et me cursus ille aquarum aliquid de se dicere admonebat: Quidnam vobis, inquam, videtur esse causae, quod sic alternat 13
Vgl. aber auch: id videre, ut / ne bzw. id spectare, ut / ne. Doignon (BAug 4/2, S. 37, Anm. 33) verweist auf Cicero, Att. 7,7,7: iam dudum et facerem diutius, nisi me lucerna desereret. Doch hilft diese „Parallele“ (aus dem Jahre 50 v. Chr.) nur bedingt weiter; denn ob es wirklich Sparsamkeitsgründe waren, dass eine Öllampe, die ihr Licht zu versagen drohte, nicht neu aufgefüllt wurde, wird von Cicero nicht verraten und bleibt daher Spekulation. 14
2. Hauptteil: 1,3,7
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hic sonus? Non enim quemquam putamus his horis vel transitu vel re aliqua lavanda totiens illum meatum interpellare. – Quid putas, inquit Licentius, nisi alicubi folia 25 cuiuscemodi, quae autumno perpetuo copioseque decidunt, angustiis canalis intertrusa vinci aliquando atque cedere, ubi autem unda, quae urgebat, pertransierit, rursum colligi atque stipari aut aliquid aliud vario casu foliorum natantium fieri, quod ad illum fluxum nunc refrenandum nunc emittendum similiter valeat? – Visum est mihi probabile aliud non habenti confessusque sum laudans ingenium eius nihil me 30 invenisse, cum diu quaesissem, cur ita esset.
20 f vidi scholam nostram … etiam illis horis non sopitam: Ein gewisser Stolz über seine eifrige Schülerschar klingt aus diesen Worten; mit keiner Bemerkung wird deren lautlose Nachtaktivität gescholten, was zweifellos für die Interpretation Mühlenbergs (siehe supra zu Z. 6 f) spricht, dass Augustin den Schülern nicht grundsätzlich die „Nachtarbeit“ (lucubratio; Z. 5) verboten habe, sondern lediglich eine Beanspruchung seiner selbst in jenen für ihn so wertvollen Stunden. 20 f nam et Alypius et Navigius in urbem ierant: Die Reisetätigkeit des Alypius ist ein wichtiger Baustein für die Herstellung einer Chronologie der drei Cassiciacum-Dialoge. In c. acad. 1,3,8 wird von dem Antritt einer bereits länger geplanten Reise des Alypius berichtet (iam dudum disposita profectio interrumpere me conpellit), die nach ibid. 1,2,5 „in die Stadt“, also nach Mailand, erfolgte (cum enim iter mihi in urbem sit constitutum).15 An der in De vita beata geführten Diskussion nimmt Alypius nicht teil (vgl. ibid. 2,15: si adesset Alypius, huic ratiunculae cederet) und auch im ersten Buch von De ordine ist er, wie sich eben hier zeigt, nicht am Gespräch beteiligt; in ord. 2,1,1 wird schließlich von seiner Rückkehr interpositis … pauculis diebus berichtet. Auch im zweiten und dritten Buch von Contra Academicos wird unter Beteiligung des Augustinschülers philosophiert, sodass ein an der Anwesenheit des Alypius orientiertes Schema wie folgt aussähe: 1) Contra Academicos 1 [+ / - Alypius] 2) De beata vita [- Alypius] 3) De ordine 1 und 2 [- / + Alypius] 4) Contra Academicos 2 und 3 [+ Alypius] 15 Über den Grund der Reisetätigkeit des Alypius (und Navigius), ob sie privater oder eher beruflicher Natur war, wird weder in den Cassiciacum-Dialogen noch in den confessiones etwas Konkretes mitgeteilt. Unter Umständen führten sie in Mailand – gewissermaßen als die Bevollmächtigten der Gruppe – die geschäftlichen Angelegenheiten. In conf. 6,14,24 schildert Augustin, wie ein früherer „Ausstiegsplan“ aussah: Mit ca. 10 Männern wollte man ein zurückgezogenes Leben der Muße fernab von allen „verwirrenden Beschwerlichkeiten des menschlichen Lebens“ führen. Während zwei Personen jeweils für ein Jahr die Geschäfte (necessaria) der Gruppe regeln und gleichsam als deren „Amtsträger“ (tamquam magistratus) fungieren sollten, hätten die übrigen ein von diesen Sorgen unbelastetes Leben führen können (ceteris quietis). Dass dieser Plan an der ungelösten Frauenfrage scheiterte, ist nicht von Belang; es ist anzunehmen, dass nicht wenige Ideen der damaligen (in Bezug auf den Personenkreis teilweise identischen) Gruppe in Cassiciacum in ähnlicher Form verwirklicht wurden. Vgl. zu dieser Frage: A.Mandouze, Saint Augustin, S. 125, Anm. 6; Feldmann / Schindler / Wermelinger, Art. „Alypius“, AL 1, Sp. 249; J. J.O’Donnell, Confessions, Bd. 3, S. 84.
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II. Kommentar
Diese Abfolge entspricht auch den Angaben Augustins in den Retractationes, wonach sowohl De beata vita als auch De ordine während (inter) der Arbeit an Contra Academicos entstanden sei (retr. 1,2,1: librum de beata vita non post libros de Academicis, sed inter illos ut scriberem contigit; ibid. 1,3,1: per idem tempus inter illos qui de Academicis scripti sunt duos etiam libros de ordine scripsi). Nun ergibt sich eine nicht geringe Schwierigkeit dadurch, dass im zweiten Buch von De ordine eine eindeutige Bezugnahme auf das dritte Buch von Contra Academicos vorliegt.16 Demnach müsste man – was das inter aus retr. 1,3,1 eventuell noch zulässt – die chronologische Abfolge auf folgende Weise17 konstruieren: 1) Contra Academicos 1 [+ / - Alypius] 2) De beata vita [- Alypius] 3) De ordine 1 [- Alypius] 4) Contra Academicos 2 und 3 [+ Alypius] 5) De ordine 2 [+ Alypius] Hier wiederum ergibt sich die besondere Schwierigkeit, dass die Stellen ord. 2,1,1 (Z. 1–3: … venit Alypius et exorto sole clarissimo invitavit caeli nitor et … blanda temperies in pratum descendere) und ord. 2,3,8 (Z. 7 f: Respondeat, inquit Trygetius, etiam ille, de cuius adventu ad istam disputationem oportunissimo non nos puto temere gratulatos) kaum anders interpretiert werden können, als dass direkt nach der Rückkehr des Alypius mit der Disputation (= De ordine 2) begonnen wurde.18 Eine weitere Hypothese müsste somit eingeführt werden: Wenn man zwei Reisen des Alypius nach Mailand annähme, könnte die erste in c. acad. 1 (nämlich 1,3,8) beginnen und bis zu Beginn von c. acad. 2 (vgl. 2,4,10) andauern. Die zweite Reise würde, ohne dass wir über deren genauen Beginn informiert wären, direkt vor De ordine 2 enden. In diesem Falle wäre die hier in ord. 1,3,7 erwähnte Abwesenheit und die in ord. 2,1,1 festgestellte Rückkehr zwei verschiedenen Reisen des Alypius zuzuordnen.19 16 Alypius habe, so Augustin in ord. 2,15,43 (vgl. infra zur Stelle), beim Gespräch über die Akademiker die Gestalt des Proteus erwähnt. Dies ist tatsächlich der Fall, und zwar in c. acad. 3,5,11. 17 Vgl. D. Ohlmann (s. u. Anm. 19), S. 27; P. Knöll (CSEL 63), S. 2, Anm. 1; E. B. J. Postma, Augustinus. De beata vita, Diss. Amsterdam 1946, S. 22; O. Perler, Recherches sur les Dialogues et le site de Cassiciacum, in: Augustinus 13, 1968, S. 347 f; ders. / J. L. Maier, voyages, S. 189 f; kritisch (zu den Gründen s. u. Anm 19): Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 15–17. 18 Diese Unstimmigkeit (neben anderen, vgl. infra Anm. 19) versucht das Modell von J. H. Van Haeringen zu beseitigen (De Augustini ante baptismum rusticantis operibus, Groningen 1917; übersichtlich zusammengefasst bei J. J. O’Meara, Historicity, S. 157–160). Es müsse zwischen einer von Augustin inszenierten Abfolge der einzelnen Gespräche (nämlich: Contra Academicos; De ordine 1; De beata vita; De ordine 2) und einer anders gearteten Reihenfolge der schriftlichen Abfassung der Dialoge (nämlich: Contra Academicos 1; De beata vita; De ordine 1 und 2; Contra Academicos 2 und 3) unterschieden werden. Zur Kritik bzw. den Schwierigkeiten dieses Modells siehe bereits Ch. Boyer, formation, S. 9, Anm. 4; J. J. O’Meara, a. a. O., S. 159, Anm. 36; Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 17. 19 Dazu passt immerhin, dass hier in ord. 1,3,7 von der Abwesenheit des Alypius und des Navigius berichtet wird, in 2,1,1 aber lediglich die Rückkehr des Alypius erwähnt wird. – Dennoch: Eine in jeder Hinsicht stimmige Lösung des Chronologie-Problems ist bisher nicht gefunden
2. Hauptteil: 1,3,7
83
23 transitu: Die Konjektur von Fuchs (vgl. Hermes 68, S. 349), der haustu statt transitu lesen will, ist aus äußeren wie inneren (sachlichen) Gründen höchst erwägenswert. Zu den äußeren Gründen: In einer Minuskelhandschrift [haustu] kann das ursprüngliche „h“ leicht als „tr“ gelesen werden, „u“ wird bei flüchtigem Blick ebenso leicht als „n“ missdeutet, ein „i“ wird aufgrund des Vorverständnisses hineingelesen. Zu den inneren Gründen: Das Wasser fließt in der Schilderung Augustins nicht in einem breiten Strom herab, sondern innerhalb einer Röhre oder Rinne (canalis; Z. 25), die so schmal ist, dass sich Laub (folia; Z. 24) in ihren Engstellen (angustiis; Z. 25) festsetzen kann.20 Die Vorstellung eines „Durchschreitens“ der Rinne, sei es in Quer- oder Längsrichtung, ergibt nur wenig Sinn. Hinzu kommt, dass dieser transitus wiederholt und geradezu häufig (vgl. totiens; Z. 24) erfolgen müsste. Dagegen ist ein mehrmaliges „Schöpfen“ von Wasser, zu welchem Zweck auch immer, eine geläufige Vorstellung. Zudem passt sie zur zweiten imaginären Handlung, dem „Waschen“ (re aliqua lavanda; Z. 23); beide Tätigkeiten fallen im weitesten Sinne in den hauswirtschaftlichen worden. Die hier präsentierte (zweite) Lösung scheint noch die geringsten Schwierigkeiten zu bieten. Dadurch dass die 3 Bücher Contra Academicos in der vorgestellten Form (u. a. nach Maßgabe der retractationes) zeitlich aufgeteilt werden, lässt sich schlüssig erklären, warum Augustin die Schrift gegen die Akademiker zwar grundsätzlich als seine erste ansieht (vgl. retr. 1,1,1), andererseits aber gewisse Einzelzüge aus den beiden letzten Büchern eindeutig später anzusetzen sind: 1) Die Aussage Augustins in c. acad. 3,20,43, er befinde sich nun in seinem 33. Lebensjahr, setzt den 32. Geburtstag am 13. November 386 (= 1.Tag des Gesprächs von De beata vita; vgl. 1,6) voraus. 2) Licentius, der in beat. vit. 2,15 noch auf der Seite der Akademiker kämpft, lässt sich in c. acad. 2,7,19 endlich und nunmehr ohne Gegenwehr von der anti-skeptischen Position überzeugen. 3) Auch Alypius wird in beat. vit. 2,15 noch als Vertreter des Skeptizismus hingestellt, erst in c. acad. 3,7,14 lässt er sich durch die augustinischen Gegenargumente umstimmen. Die Schwierigkeiten der Lösung bestehen darin, dass in c. acad. 2,4,10 eine siebentägige Philosophie-Pause zwischen dem ersten und dem zweiten Buch der Schrift vermerkt wird: post pristinum sermonem, quem in primum librum contulimus, septem fere diebus a disputando fuimus otiosi. Man muss demnach – zugegebenermaßen gezwungen – postulieren, dass die Karenzzeit lediglich das Gespräch über die mit der akademischen Skepsis zusammenhängenden Erkenntnisprobleme betraf, nicht etwa die in De beata vita oder De ordine 1 verhandelten Themen (so bereits D. Ohlmann, De sancti Augustini Dialogis in Cassiciaco scriptis, Diss. Strassburg 1897, S. 20). Eine weitere Unstimmigkeit hängt mit der absoluten Datierung der Dialoge zusammen: Augustin lässt das erste Tagesgespräch von De beata vita an seinem Geburtstag, dem 13. November (s. o.), stattfinden, sodass auch die Disputation in Contra Academicos 1 keinesfalls früher als in der zweiten Novemberwoche platziert werden kann. Andererseits heißt es in c. acad. 1,1,4, dass nur wenige Tage seit dem Beginn des Aufenthaltes auf dem Lande verstrichen seien (pauculis igitur diebus transactis posteaquam in agro vivere coepimus); demnach müsste man annehmen, dass Augustin nicht direkt nach Beginn der vindemiales feriae (i. e. nach dem 23. August 386 [Cod. Theod. 2,8,19]; vgl. conf. 9,2,2) nach Cassiciacum zog, sondern noch eine Weile in Mailand blieb, was jedoch die Angaben in conf. 9,2,2–5,13 nur äußerst gezwungen zulassen (ähnlich Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 3 und S. 16, Anm. 57 [hier Rechenfehler um einen Monat!]) und man insbesondere aufgrund von ord. 1,2,5 (Z. 15: statim!) nahezu ausschließen muss. 20 Es handelt sich nicht etwa um einen natürlichen Bach bzw. Rinnsal, sondern – wie aus ord. 1,4,11 unmissverständlich hervorgeht – um eine von Menschen künstlich angelegte Wasserleitung aus Holz (siehe ibid. Z. 23: ligneolis canalibus). Siehe hierzu Perler / Maier, voyages, S. 186 und 193, sowie O’Daly, Art. „Cassiciacum“, AL 1, Sp. 773.
84
II. Kommentar
Bereich.21 Als solche finden aber sowohl das „Schöpfen“ als auch das „Waschen“ unter normalen Umständen tagsüber statt, woraus sich – im Sinne Augustins – ja erst die Unmöglichkeit bzw. fehlende Plausibilität (non enim quemquam putamus …; Z. 23) einer darauf aufbauenden Hypothese erweist. 27 vario casu foliorum natantium: Hysteron proteron („durch das regellose Herabfallen der schwimmenden Blätter“). – Der Begriff casus ist hier, ohne dass es in einer deutschen Übersetzung nachgeahmt werden könnte, doppeldeutig zu verstehen: über den wörtlichen Sinn hinaus (vgl. Z. 25: decidunt) konnotiert der aufmerksame Leser des Proömiums zusätzlich den übertragenen (vgl. 1,1,2, Z. 22 f: casus im Sinne von „Zufall“). Wiederum22 gelingt Augustin an dieser Stelle eine geschickte Verbindung von szenischen und thematischen Elementen: In 1,4,11 bekennt Licentius auf die Frage Augustins, ob die Blätter nicht zufällig, d. h. außerhalb der Ordnung, gefallen seien,23 entschieden das Gegenteil: „Nichts geschieht ohne Ursache“. Aus der Tatsache, dass Augustin in seinem Spätwerk De civitate dei als Beispiel für die Vorsehung des höchsten Gottes u. a. das folium arboris nennt,24 hat man geschlossen, dass hier wie dort literarische Traditionen im Hintergrund stehen.25 Nun ist bekannt, dass Augustin und seine Schüler sich in der einwöchigen Pause zwischen Contra Academicos 1 und 2/3 mit der Vergil-Lektüre beschäftigten, um genau zu sein: mit dem Lesen und Besprechen der „drei auf das erste folgenden Bücher“.26 Nach dem oben präferierten (zweiten) Chronologie-Schema (siehe supra zu Z. 20 f) dürfte, da die in De beata vita festgehaltenen Disputationen an insgesamt drei Tagen stattfanden, zur Zeit der Gespräche von De ordine 1 ent21 Vgl. auch hier wieder die Parallelstelle ord. 1,4,11: Augustin erklärt, dass Wasserleitungen dazu dienen, sowohl Trink- als auch Waschwasser zur Verfügung zu stellen, damit nämlich die Menschen uno … itinere simul et biberent et lavarent (Z. 25). 22 Vgl. supra zu 1,3,6, Z. 9 (s. v. aquae sonus …). 23 Z. 26–28: Quod vero illa, ut dicis, folia sic inciderunt, ut hoc, quod ammirati sumus, evenerit, quo tandem rerum ordine ac non casu potius factum putabimus? 24 Civ. 5,11: … qui (sc. deus summus et verus) non solum caelum et terram, nec solum angelum et hominem, sed nec exigui et contemptibilis animantis viscera … nec arboris folium sine suarum partium convenientia et quadam veluti pace dereliquit: nullo modo est credendus regna hominum eorumque dominationes et servitutes a suae providentiae legibus alienas esse voluisse. Stellenhinweis bei Gunermann, Tradition, S. 193; übersehen werden weitere Stellen wie etwa lib. arb. 3,226 (… ad universitatis complexum et totius creaturae … ordinatissimam conexionem non posse superfluum creari qualemcumque hominem, ubi folium arboris nullum superfluo crearetur) oder conf. 7,6,8 (hier werden speziell „fliegende“ Blätter als Objekte der fürsorgenden göttlichen Weisheit erwähnt: … sapientia …, qua mundus administratur usque ad arborum volatica folia). 25 Gunermann, Tradition, S. 193 f, zieht (ohne ausreichende Begründung; Vf.) eine verlorene Stelle in der fragmentarisch erhaltenen Cicero-Schrift De fato als Vorbild in Erwägung. Wesentlich näher liegt jedoch – jedenfalls wenn es um die Blätter als solche, nicht um deren und innerhalb des „Fallen“ geht – eine Bezugnahme auf Plotin, Enn. 3,2,13: die Kosmos – so der Neuplatoniker – zeige sich bis hinab zu den Pflanzen, an deren Früchten und auch Blättern (Z. 23 f: ). 26 C. acad. 2,4,10: Post pristinum sermonem, quem in primum librum contulimus, septem fere diebus a disputando fuimus otiosi, cum tres tamen Vergilii libros post primum recenseremus atque, ut in tempore congruere videbatur, tractaremus.
2. Hauptteil: 1,3,8
85
weder das dritte oder vierte vergilische volumen behandelt worden sein.27 Setzt man voraus, dass die Aeneis gelesen wurde, so ergibt sich eine bemerkenswerte Parallele:28 Auch in der zweiten Hälfte des dritten Buches der Aeneis (V 441–452) sind „fliegende Blätter“ (folia volitantia29) von Bedeutung. In der Ankündigung des sibyllinischen Orakels beschreibt Helenus die Weissagung mittels beschriebener Blätter, welche zunächst ordnungsgemäß (vgl. V 447: … neque ab ordine cedunt) beieinander liegen, jedoch später, wenn der Wind (V 448: ventus30) in die Höhle eingebrochen ist, verwirbelt und scheinbar zufällig in neuer Anordnung herabgleiten. Die Bezüge sind auffallend: Hinter einer augenscheinlichen und vordergründigen, durch „Wind“ hervorgerufenen Zufälligkeit verbirgt sich ein geheimnisvoller, durch das göttliche fatum (Vergil) bzw. providentia (Augustin) bestimmter ordo. Vieles spricht dafür, dass Augustin hier in De ordine den kurz zuvor bzw. zeitgleich gelesenen Vergil eingearbeitet hat.31 1,3,8: „Nichts geschieht außerhalb der Ordnung“ (Licentius) Tum interposito modico silentio: Merito, inquam, tu nihil mirabaris et apud Calliopam te intus tenebas. – Merito, inquit ille, sed modo plane dedisti mihi magnum mirari. – Quidnam hoc est? inquam. – Quod tu, inquit, ista miratus es. – Unde enim solet, inquam, oboriri admiratio aut quae huius vitii mater est nisi res insolita praeter 35 manifestum causarum ordinem? – Et ille: ‚Praeter manifestum‘, inquit, accipio; nam praeter ordinem nihil mihi fieri videtur. – Hic ego erectior spe alacriore, quam soleo esse, cum aliquid ab his requiro, quod rem tantam et tam subito heri paene ad ista conversus adulescentis animus concepisset nulla umquam de his rebus inter nos antea quaestione agitata: Bene, inquam, bene; sed prorsus bene multum sensisti, multum 40 ausus es. Hoc, mihi crede, longo intervallo transcendit Heliconem, ad cuius verticem tamquam ad caelum pervenire conaris. Sed pervellem adesses huic sententiae; nam eam labefactare temptabo. – Sine, inquit, modo me mihi, quaeso te; nam valde in aliud intendi animum. – Hic ego nonnihil metuens, ne studio poeticae penitus provolutus a philosophia longe raperetur: Inritor, inquam, abs te versus istos tuos omni 45 metrorum genere cantando et ululando insectari, qui inter te atque veritatem inmaniorem murum quam inter amantes tuos conantur erigere; nam in se illi vel inolita rimula respirabant. Pyramum enim ille tum canere instituerat. 27 In ord. 1,8,26 wird bestätigt, dass jeden Tag jeweils ein halbes Buch des augusteischen Dichters behandelt wurde: … nihilque a me aliud actum est illo die … nisi quod ante cenam cum ipsis (sc. discipulis) dimidium volumen Vergili audire cotidie solitus eram. 28 Angezeigt durch Gunermann (Tradition, S. 194–196). 29 Auch Augustin verwendet – wie Vergil (V 450) – explizit die Vokabel volitare bzw. volitatio, so in 1,4,11, Z. 31 und 1,5,14, Z. 43. 30 Zum ventus bei Augustin als Ursache des unregelmäßigen Blätterfalls vgl. 1,5,13, Z. 15 und Z. 24; 1,4,11, Z. 31 (aeris mobilitas). 31 Ohne spätere Resultate (vgl. infra Ergebnis 1) vorwegzunehmen: Man kann am Topos des Blätterfalls geradezu mustergültig studieren, dass die ursprüngliche Historizität eines szenischen Elementes (gegen die hier wohlgemerkt nichts spricht) und eine durch literarische Vorbilder geleitete Interpretation bzw. Ausgestaltung desselben sich keinesfalls gegenseitig ausschließen müssen.
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II. Kommentar
31 f Merito … tu nihil mirabaris et apud Calliopam te intus tenebas: Kal– die Schönstimmige] = die Göttin bzw. Muse der (epischen) liope [ Dichtkunst; vgl. Vergil, ecl. 4,57; Ovid, trist. 2,568; carmen Lic. (= Aug., epist. 26) V 111. Die Anspielung gilt der Leidenschaft des Licentius, der gerade an einer poetischen Neufassung von „Pyramus und Thisbe“ arbeitet (vgl. Z. 45–47). Die Tatsache, dass Licentius des Nachts ganz in sich gekehrt (vgl. intus) geistig konzentriert arbeitet und sich in keiner Weise von der Außenwelt ablenken lässt,32 wird ausdrücklich gelobt (vgl. merito).33 – Zur späteren autoreigenen Kritik an der Erwähnung der Musen in De ordine siehe retr. 1,3,5.34 32 f dedisti mihi magnum mirari: Der Infinitiv bei Verben des Gebens (hier: statt einer attributiven Gerundivkonstruktion) ist in der „guten“, klassischen Prosa unüblich,35 dementsprechend bei Augustin vor allem in bewusst umgangssprachlichen oder poetischen Partien bisweilen zu beobachten.36 33 f Unde enim solet … oboriri admiratio aut quae huius vitii mater est: Dass die „Verwunderung“ ein „Laster“ sei, wird in retr. 1,3,6 verworfen: [in his libris displicet mihi] … quod admirationem vitium nuncupavi. Der Sinneswandel Augustins erklärt sich schlüssig aus seiner geänderten Einstellung zum sog. mundus sensibilis. Hier in De ordine befindet sich der junge Philosoph noch ganz in den platonisch-neuplatonischen Bahnen: Die sinnlich-empirische „Außenwelt“ wird als Scheinwelt diskreditiert, das wahrhaft Staunenswerte liegt (in der Form geistiger Ideen) im Inneren des Menschen verborgen.37 Später, besonders in seinem antimanichäischen Schrifttum, hat Augustin gegen eine pessimistische Weltsicht stets das „Staunen“ über die gute und perfekte Schöpfung Gottes geradezu eingefordert. 35 ordinem: Nach längerer Hinführung ist endlich das zentrale Thema angesprochen; zum ersten Male erscheint das Titelwort außerhalb des Proömiums. 35 f nam praeter ordinem nihil mihi fieri videtur: Der Satz des Licentius, der einen geradezu überschwenglichen Beifall seines Lehrers findet (Z. 39: Bene … bene; sed prorsus bene) und vom Autor der Schrift als bedeutend (Z. 37: rem tantam) hingestellt wird, ist faktisch der Grundgedanke der stoischen Schicksalslehre (vgl. Mühlenberg, S. 362). Vgl. zum festgefügten stoischen Ordnungs32 Zur hier implizierten, für die frühaugustinische Philosophie (insb. Gnoseologie) typischen Antithese intus – foris vgl. die Ausführungen supra zu 1,1,3 (Z. 37–41). 33 Eine weiterer Beleg für die Unhaltbarkeit der These (Keseling, Perl), dass Nachtarbeit (lucubratio) in Cassiciacum grundsätzlich verboten war; vgl. supra zu 1,3,6, Z. 6 f (s. v. si aliquid …) und 1,3,7, Z. 20 f (s. v. vidi scholam …). 34 Siehe auch supra zu 1,3,6, Z. 14 f (s. v. nam video …). 35 Siehe Menge, Syntax, 418,3 (S. 281). Als Ausnahme kann allenfalls die Redensart bibere dare („zu trinken geben“) gelten, vgl. ibid. 417,2. 36 Z. B. Psalmus c. part. Don. Str. Qu, Z. 9 (ebenfalls nach dare). Weitere Beispiele für unklassische Infinitiv-Konstruktionen im Psalmus, der nach retr. 1,20 in bewusst einfacher Sprache für das gemeine (Kirchen-)Volk (ad ipsius humillimi vulgi et omnino imperitorum atque idiotarum notitiam) gedichtet ist: A 10 (= Strophe A, Z. 10); C 7; D 5.10; K 12; L 12; Qu 4.9; R 5. 37 Vgl. supra zu Z. 31 f.
2. Hauptteil: 1,3,8
87
und in der hiesigen Welt: Plotin, gedanken, i. e. zu ´, bes. 3,2,4. 37 f heri paene ad ista conversus adulescentis animus: Licentius hat sich (u. a. aufgrund seines noch sehr jungen Alters; vgl. supra zu 1,2,5, Z. 22) erst kurz zuvor der Philosophie (= ista) zugewandt;38 in dem Ausdruck conversus schwingt fraglos das christliche Verständnis mit. 38 concepisset: Augustin wählt den obliquen Konjunktiv nach kausalem quod (möglich wäre auch conceperat), wodurch das subjektive Erstaunen – sc. Augustins über die tiefe Einsicht des Licentius – unterstrichen wird. Der Leser wird unmittelbar in die szenisch ausgestaltete Gesprächssituation hineingenommen. 40 mihi crede: beliebte appellatio in den Dialogen von Cassiciacum; vgl. supra zu 1,2,4, Z. 7. 40 Heliconem: Gebirge Mittelgriechenlands (Böotien); Sitz der Musen. 41 f Sed pervellem adesses huic sententiae; nam eam labefactare temptabo: Obwohl Augustin, wie sich noch zeigen wird, den Standpunkt des Licentius durchaus billigt, kündigt er – gleichsam als advocatus diaboli – den Versuch einer Widerlegung an. Diese Aufteilung der Gesprächsrollen erfüllt einen doppelten Zweck: Zum einen soll aus der bloßen „Meinung“ (sententia) ein „Wissen“ (scientia) bzw. eine „Wahrheit“ (veritas; vgl. Z. 45) werden. Nach den Grundvoraussetzungen augustinischen Philosophieverständnisses „gehört es wesenhaft zum Wissen, daß es niemals, durch keinerlei Argumente, in seiner Sicherheit zu erschüttern ist“ (B. R. Voss, Frühdialoge, S. 10 f). In diesem Falle lässt es sich Augustin nicht nehmen, selbst diese Prüfung vorzunehmen: Sollte sich nämlich zeigen, dass der vergleichsweise unerfahrene und methodisch viel weniger geübte Schüler seine Position seinem überlegenen Lehrer gegenüber verteidigen kann, kann dies der Glaubwürdigkeit und Evidenz der Aussage letztlich nur zuträglich sein. – Zum anderen werden mit der Rollenaufteilung Schulungszwecke verfolgt (vgl. etwa Licentius in c. acad. 1,3,7: Quoniam te, inquit, video magno opere nos urgere, ut adversum invicem disputemus, quod te utiliter velle confido …), die Disputation findet geradezu als Wettbewerb statt, bei der sogar – wie bei Cicero in De natura deorum und im Dialogus des Tacitus – ein Schiedsrichter (iudex) eingesetzt werden konnte (vgl. c. acad. 1,2,5 f bzw. 3,8 f).39 38
Vgl. c. acad. 2,3,8 (an Romanianus gerichtet): filius tuus coepit philosophari. Schon in der vorplatonischen griechischen Tradition trug die philosophische Disputation vielfach Züge eines Streitgesprächs bzw. Rededuells; Platon selbst stand aus sachlichen Gründen dem agonalen Charakter eher kritisch gegenüber und wandte sich im Protagoras (338 bc) dezidiert gegen die Etablierung eines Richters. Doch während sich das beliebte -Motiv schon in der paganen philosophischen Literatur nie völlig unterdrücken ließ, feierte es in der frühchristlichen Literatur geradezu eine „Wiederauferstehung“ (so insb. bei Minucius Felix, in den Pseudo-Clementinen, im Adamantios-Dialog, in den Acta Archelai, bei Arnobius dem Jüngeren und Virgilius von Thapsus). Vgl. zur Vorstellung des philosophischen im Einzelnen: B. R. Voss, Dialog, S. 357 f, sowie ders., Frühdialoge, S. 338, Anm. 9. Hier in De ordine verbietet sich die Einsetzung eines iudex schon allein aufgrund der Ungleichheit der beiden Diskussionskontrahenten. 39
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II. Kommentar
43 f poeticae penitus provolutus: möglicherweise eine bewusste Alliteration als Herstellung einer Form-Inhalt-Beziehung; vgl. den Wunsch des Licentius, ungestört dichten zu dürfen: Sine … modo me mihi; Z. 42. 43 f ego nonnihil metuens, ne studio poeticae penitus provolutus a philosophia longe raperetur: Eine beinahe identische Szene wie in c. acad. 2,4,1040: Augustin will Licentius zur Fortsetzung des (erfolgreichen) Philosophierens bewegen; dieser, dem studium poeticae ergeben, ziert sich zunächst; der Lehrer wird im Ton verbindlicher, der Schüler gibt letztlich nicht unwillig nach. 44 f Inritor … abs te versus istos tuos omni metrorum genere cantando et ululando insectari: versus istos tuos ist gemeinsames Objekt zu cantando et ululando sowie zu insectari: „Ich werde von dir verleitet, diese deine Verse zu verunglimpfen, indem ich sie in jedem Versmaß vortrage und vorheule“; die Auffassung Hübners (ordo, S. 34), Licentius sei das Subjekt des ululare, ist nicht nachvollziehbar; die Übertragung der Stelle bei Perl41 ist völlig verunglückt. 45–47 immaniorem murum [etc.]: Vgl. Ovid, met. 4,55 ff, bes. 65 f; Anspielungen auf die Pyramus-Dichtung des Licentius auch in 1,5,12 und 1,8,24.42 1,3,9: „Die Philosophie ist unsere sichere Behausung“ (Licentius) Quod cum severiore quam putabat voce dixissem, subticuit aliquantum. Et ego iam reliqueram coepta et ad me redieram, ne frustra occupare praeoccupatum atque 50 inepte vellem; tum ille: Egomet meo indicio quasi sorex, inquit, non dictum est commodius apud Terentium quam nunc dici a me de me potest; sed sane illud ultimum fortasse in contrarium vertetur; quod enim ait ille: hodie perii, ego forte hodie inveniar. Nam si non contemnitis, quod superstitiosi solent, etiam de muribus augurari, si ego illum murem vel soricem, qui me tibi vigilantem detulit, strepitu 55 meo commonui, si quid sapit, redire in cubile suum secumque conquiescere, cur non ego ipse isto strepitu vocis tuae commonear philosophari potius quam cantare? Nam illa est, ut tibi cotidie probanti iam coepi credere, vera et inconcussa nostra habitatio. Quare, si tibi molestum non est atque id fieri debere arbitraris, roga quod vis; defendam, quantum possum, ordinem rerum nihilque praeter ordinem fieri 60 posse asseram. Tantum enim eum animo imbibi atque hausi, ut, etiamsi me quisquam in hac disputatione superarit, etiam hoc nulli temeritati sed rerum ordini tribuam. Neque enim res ipsa, sed Licentius superabitur.
49 f ne frustra occupare praeoccupatum atque inepte vellem: Die eigentümliche Satzkonstruktion (Sperrung der Adverbien; überflüssiges vellem nach 40 Quo tamen opere [sc. durch die Vergillektüre] Licentius in poeticae studium sic inflammatus est, ut aliquantum mihi etiam reprimendus videretur. Ita enim ab hac intentione ad nullam se rem devocari libenter ferebat. Tandem tamen ad retractandam quam distuleramus de Academicis quaestionem cum a me, quantum potui, lumen philosophiae laudaretur, non invitus accessit. 41 S. 9: „Ich bin doch recht böse auf deine Verse, die in allen Tonarten singen und klagen“. 42 Vgl. zum Ovidbezug Augustins (allerdings wenig ergiebig): S. Battaglia, Piramo e Tisbe in una pagina di Sant’Agostino, in: Filologia e letteratura 9, 1963, S. 114–122.
2. Hauptteil: 1,3,9
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finalem ne; etc.) zielt auf eine optimale Wirkung des lusus verborum (occupare praeoccupatum; Druckfehler bei Green), der in seiner Anordnung dem „Gesetz der steigenden Silbenzahl“ (hier: das fünfsilbige Wort folgt dem viersilbigen) gehorcht. 50/52 Egomet meo indicio quasi sorex … hodie perii: Zitat aus Terenz, Eunuchus 1024. Das Original lautet: egomet meo indicio miser quasi sorex hodie perii (durch meine eigene Anzeige bin ich Armer heute wie eine Maus verloren).43 Die Auslassung von miser bei Augustin ist dadurch motiviert, dass Licentius den Vers positiv auf sich selbst bezogen umdeutet (vgl. infra zu Z. 52 f). – In den Cassiciacum-Dialogen werden die Komödien des Terenz mehrfach – ernsthaft wie scherzhaft – zitiert: c. acad. 3,16,35 (Eun. 331); beat. vit. 4,25 (Eun. 761 und Andr. 305 f); 4,32 (Andr. 61); ord. 1,7,20 (Andr. 730); 2,7,21 (Phorm. 419).44 53 hodie inveniar: Die Antithese des Licentius zum hodie perii bei Terenz. Die Dialektik von Verlieren und Finden erinnert an die Gleichnisliteratur der Evangelien;45 es steht außer Zweifel, dass hier tatsächlich der Anfang eines „Bekehrungserlebnisses“ geschildert werden soll, welches zuvor bereits vage angedeutet wurde (§ 8, Z. 37 f: heri paene ad ista conversus adulescentis animus) und über verschiedene Zwischenstufen in einem förmlichen Bekenntnis seinen endgültigen Durchbruch erfahren wird (vgl. Licentius in § 21, Z. 4–6: Pulchrior est philosophia, fateor, quam Thisbe, quam Pyramus, quam illa Venus et Cupido talesque omnimodi amores. – Et cum suspirio gratias Christo agebat.) Dabei macht die letzte Stelle unübersehbar deutlich, dass für Augustin die „Bekehrung“ zur Philosophie und die Hinwendung zum christlichen Glauben eine nicht trennbare Einheit darstellt.46 – Zur Vergleichbarkeit der in De ordine geschilderten conversio des Licentius und derjenigen des Augustinus in den confessiones siehe W. Hübner, ordo, S. 47 f (mit Anm. 136: hier zustimmender Bezug auf Thimme, Entwicklung, S. 18). 53 f si non contemnitis, quod superstitiosi solent, etiam de muribus augurari: Die prodigiöse Bedeutung der Maus in der griechischen wie römischen Antike ist häufig – meistens in stoischem Kontext – belegt.47 Wichtige Stellen: 43 Vgl. dazu die Kommentierung Donats (Don. Ter. Eun. 1024): proprium soricum est vel stridere clarius quam mures vel strepere magis, cum obrodunt frivola. ad quam vocem multi se intendentes quamvis per tenebras noctis transfigunt eos. […] sorex non facile caperetur, nisi emitteret vocem noctu. 44 Vgl. für die Einordnung in den kirchengeschichtlichen Gesamtzusammenhang: H. Jürgens, Pompa diaboli. Die lateinischen Kirchenväter und das antike Theater, in: Tübinger Beiträge zur Altertumswissenschaft, Stuttgart 1972, S. 107–145. 45 Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11–32), vom verlorenen Schaf (Mt 18,12–14; Lk 15,4–7), von der verlorenen Drachme (Lk 15,8–10), vom Schatz und von der Perle (Mt 13,44–46). 46 Zur Synthese von (neuplatonischer) Philosophie und Christentum, die Augustin in Mailand innerhalb bestimmter gebildeter Kreise bereits vorfand, vgl. supra zu 1,2,5, Z. 15 (s. v. in philosophiam confugere moliebar). 47 Siehe B. Beckmann, Die Maus im Altertum, Zürich 1972, passim; H. H. Gunermann (Tradition, S. 187, Anm. 18, mit Bezug auf Hunger, Babylonische Tieromina, S. 106 ff) weist darauf hin, dass „schon in den mesopotamischen Kulturen der Maus prophetische Eigenschaft zugeschrieben“ wurde.
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II. Kommentar
Aelian, Var. hist. 1,11 ( … ); Cicero, div. 1,99 und 2,59; Plinius, nat. hist. 8,221–224; Plutarch, Stoic. repugn. 1044 d; Auson. 347,12 (p. 135 Prete); Aug., doct. christ. 2,20,31. 54 illum murem vel soricem: Unter dem Einfluss des Terenzzitates (Z. 50/52) wird aus dem vormaligen Plural der „lästigen Mäuse“ (inportunos sorices; 1,3,6, Z. 12 f) nunmehr ein Singular (vgl. ebenso 1,5,14, Z. 32.40.44: sorex, mus, bestiola).48 Eine Inkonzinnität, die darauf hindeutet, dass das ursprüngliche Mäuseverjagen wohl doch nicht völlig erfunden ist;49 wäre das Ausgangsereignis reine Fiktion, müsste man eine bessere Anpassung an die später beabsichtigte Interpretation erwarten. 54 me tibi vigilantem detulit: Gräzisierende Partizipialkonstruktion; inhaltlich und sprachlich ähnlich Licentius in ord. 1,5,14, Z. 32: ut ego vigilans prodar; vgl. W. Hensellek, Notabilien, S. 88. 55 redire in cubile suum secumque conquiescere: Die Maus wurde, so Licentius, dazu gebracht, „in ihr Nest zurückzuhuschen und bei sich selbst Ruhe zu suchen“ (Übs. Mühlenberg). Die Formulierung zielt in allen Einzelheiten auf den Philosophie-Vergleich. a) Das redire ist protreptischer terminus technicus insbesondere in den Proömien der Cassiciacum-Dialoge: c. acad. 2,2,5 (über Augustins „Bekehrung“): totus in me cursim redibam;50 2,3,8 (an Romanianus): ad nos redeamus, … philosophemur;51 beat. vit. 1,1 (Sturm- und Hafen-Metaphorik); vgl. weiterhin: c. acad. 3,19,42; soliloq. 2,6,9; vera relig. 72. b) Das cubile wird in conf. 10,25,36 (= die Wohnstätte Gottes) auf das Innerste des Menschen übertragen: quale cubile fabricasti tibi [sc. in memoria mea].52 c) Zum philosophischen Gebrauch von (con)quiescere bei Augustin vgl. z. B. beat. vit. 1,4 („Ausruhen“ im Hafen der Philosophie); vera relig. 182 (über die Schau des Einen): Quod si haec intueri palpitat mentis aspectus, quiescite. Das Ruhen von Mäusen wird ebenfalls – wenig später als in Augustins De ordine – von Hieronymus für einen philosophischen Vergleich herangezogen. Die unbewegliche Starre der Winterschlaf haltenden Haselmaus (glis) soll dort die körperlose, unveränderliche und ewige Existenz der Seele symbolisieren: animam 48 Eine sophistisch-artifizielle Deutung bietet W. Hübner, ordo, S. 42: In der hiesigen Zusammenziehung der Vielzahl zur Einzahl sei eine Parallele zu den beiden Stellen ord. 2,1,1 und 2,7,20 zu sehen. Dort werde die an drei Tagen stattfindende Disputation von De beata vita (vgl. hierzu u. a. retr. 1,2,1) nachträglich auf den einen Geburtstag reduziert (vgl. Hübner, ibid., S. 26 f). Das Paradoxon, dass eine inhaltlich „nicht unbedeutende Erörterung“ (ord. 2,1,1) in einem kleinen „Büchlein“ (libellum; ibid.) Platz finde, wiederhole sich in De ordine am Beispiel der Maus: Trotz seiner Winzigkeit erfülle das „Tierchen“ (bestiola; 1,5,14) eine wichtige Funktion im göttlichen Heilsplan, sc. bei der conversio des Licentius. 49 Gegen O’Meara, Historicity, S. 172, der sich auf Ohlmann (Dialogis, S. 79 mit Anm. 4) beruft. 50 Vgl. conf. 7,10,16: et inde [sc. libris Platonicorum] admonitus redire ad memet ipsum intravi in intima mea. 51 Gegen Fuhrer, Contra Academicos, S. 122, die redeamus nicht im philosophischen Sinn verstehen will; anders und mit Recht Thimme, Entwicklung, S. 59. 52 Vgl. Hübner, ordo, S. 42, Anm. 104.
2. Hauptteil: 1,3,9
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… incorporalem et aeternam et in modum glirium immobilem torpentemque;53 und ebenfalls heißt es hinsichtlich der animae an anderer Stelle: an in morem glirium torpentes consopitaeque dormierint.54 Wohl mit Recht schließt Hübner, ordo, S. 45, aus dieser Parallele, „daß Tierbeispiele aus der stoisch gefärbten römischen Mantik in der zeitgenössischen Seelendiskussion eine Rolle spielten und daß dabei Schlupfwinkel und Winterschlaf verschiedener Mäusearten (glis und sorex) … die Ruhe der Kontemplation illustrierten.“ 57 illa: Das philosophari aus Z. 56 lässt keinen Zweifel aufkommen, dass das gedachte Bezugswort zu illa inhaltlich nur die (weit entfernt stehende) philosophia aus Z. 44 sein kann. 57 f vera et inconcussa nostra habitatio: Dem schützenden Nest (cubile) der flüchtenden Maus entspricht für den Menschen die Philosophie als „unsere wahre und unerschütterliche Behausung“. Dieser Vergleich aus De ordine ist die Fortsetzung bzw. „Variante zu Lande“ der in Contra Academicos und vor allem De beata vita weit ausgespannten Seefahrer-Metaphorik, in der Augustin – nach dem Vorbild Ciceros55 – von einem sicheren „Hafen der Philosophie“ (portus philosophiae: c. acad. 2,1,1; beat. vit. 1,1 und 5) bzw. „Hafen der Weisheit“ (portus sapientiae: c. acad. 1,1,1 und 3,2,3) zu berichten weiß. – Der Topos der „Unerschütterlichkeit“ wird am Ende des zweiten Buches (ord. 2,20,49) durch ein Vergilzitat aufgenommen: Der philosophisch Gebildete und Weise sei in allen Flutwellen dieses Lebens „wie ein unbeweglicher Fels im Meer“ (Aen. 7,586: ille velut pelagi rupes immota resistit). 59 ordinem rerum: Rückgriff (wie Z. 61) auf die Anfangsworte der Schrift; zur speziellen Junktur siehe die dortigen Ausführungen. 59 nihilque praeter ordinem fieri: s. o. zu 1,3,8, Z. 35 f. 60 eum animo imbibi atque hausi: Nachhall der in De beata vita exuberant verwendeten Speise-Metaphorik: die intellektuellen Wahrheiten (hier: das Wissen um den ordo rerum) dienen dem Geist als „Nahrung“ (vgl. beat. vit. §§ 9.10. 11.13.14.15.16 u. ö.). 60 f etiamsi [etc.] … tribuam: Eine typisch augustinische Gedankenfigur – die sog. redarguitio elenchia56 – im Munde des Licentius: eine Wahrheit (hier: die Existenz einer Seinsordnung) ist entweder eo ipso wahr oder aber – paradoxerweise – in ihrer Widerlegung. Vgl. sehr ähnlich die genialen Konstruktionen in lib. arb. 2,2057 oder vera relig. 204–206.58 53
Hieron., C. Ioannem Hierosol. 20. Hieron., Adv. Rufinum 3,30. 55 Vgl. supra zu 1,1,1, Z. 7 (s. v. scopulos vitae huius et procellas). 56 Vgl. K. A. Wohlfahrt, Ansatz, S. 95. 57 Augustin unternimmt den Beweis der Selbstexistenz: Quare prius abs te quaero …, utrum tu ipse sis. An fortasse tu metuis ne in hac interrogatione fallaris? cum utique si non esses falli omnino non posses. D. h.: Selbst wenn man sich in der Annahme seiner Existenz täuschte, wäre dies ein Beweis für dieselbe, da nur der irren kann, der auch existiert. 58 Augustin versucht, die Existenz der Wahrheit abzusichern; 204: Aut si non cernis quae dico, et an vera sint dubitas, cerne saltem utrum te de his dubitare non dubites; 205: Omnis qui se dubitantem 54
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II. Kommentar
1,4,10: Abkehr des Licentius von Poesie und Skepsis 1 Ego rursum gaudens eis me restitui. Tum Trygetio: Quid, inquam, tibi videtur? –
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Faveo quidem, inquit, ordini plurimum, sed incertus sum tamen et rem tantam diligentissime discuti cupio. – Favorem, inquam, tuum illa ergo pars habeat; nam quod incertus es, etiam cum Licentio ac me ipso tibi puto esse commune. – Prorsus, ait Licentius, ego huius sententiae certus sum. Quid enim dubitem parietem, cuius mentionem fecisti, antequam plane se erexit, diruere? Non enim vere poetica tantum me avertere a philosophia potest, quantum inveniendi veri diffidentia. – Tum Trygetius gaudentibus verbis: Habemus, inquit, iam, quod plus est, Licentium non Academicum. Eos enim ille studiosissime defendere solebat. – Haec modo, inquit, omitte quaeso, ne me hoc vafrum quiddam et captatorium a nescio qua divina re, quae mihi se ostentare coepit et cui me inhiantem suspendo, detorqueat atque disrumpat. – Hic ego multo uberius cernens abundare laetitias meas, quam vel optare aliquando ausus sum, versum istum gestiens effudi: sic pater ille deus faciat! Perducet enim ipse, si sequimur, quo nos ire iubet atque ubi ponere sedem, qui dat modo augurium nostrisque inlabitur animis. Nec enim altus Apollo est, qui in speluncis in montibus in nemoribus nidore turis pecudumque calamitate concitatus inplet insanos, sed alius profecto est, alius ille altus veridicus atque ipsa – quid enim verbis ambiam? – veritas, cuius vates sunt, quicumque possunt esse sapientes. Ergo adgrediamur, Licenti, freti pietate cultores, et vestigiis nostris ignem perniciosum fumosarum cupiditatum opprimamus.
1 rursum … eis me restitui: Bezug auf 1,3,9, Z. 49 (ad me redieram). 3 illa … pars: Die „Partei“ des Licentius im angekündigten Rededuell, welcher pro ordine sprechen wird. Zur Inszenierung der Wettkampfsituation gehört auch die Parteinahme des (einzigen) Zuhörers; als die hierfür gebräuchlichen termini technici vgl. favere (Z. 2) bzw. favor (Z. 3). 5 f parietem, cuius mentionem fecisti: Bezug auf 1,3,8, Z. 45 f (inmaniorem murum). 8 f Habemus … Licentium non Academicum: Licentius vollzieht einen weiteren Schritt auf dem Wege zu seiner Bekehrung: Der Abkehr von der geliebten Dichtkunst (ein „Abschied auf Raten“; vgl. zuletzt Z. 6 f) folgt nun die Abkehr von der skeptizistischen Doktrin. Licentius ist damit in jeder Hinsicht frei für neue philosophische Erkenntnisse substantieller Art. – Man fragt sich, in welchem Ausmaße die „Bekehrung“ im Nachhinein von Augustin stilisiert wurde, um die folgende Diskussion bzw. das Streitgespräch authentischer erscheinen zu lassen. Dass eine conversio kompositionstechnisch in jedem Fall erforderlich sei, kann man nicht sagen; denn wie man am Beispiel Augustins sieht (siehe 1,3,8, Z. 41 f), kann ein Dialogpartner – gerade innerhalb eines Redewettbewerbs – intellegit, verum intellegit, et de hac re quam intellegit certus est; de vero igitur certus est; 206: Omnis ergo qui utrum sit veritas dubitat, in se ipso habet verum unde non dubitet. M. a. W.: Wer daran zweifelt, dass es eine Wahrheit gibt, soll sich fragen, ob er wenigstens dieses seines Zweifels gewiss ist. In diesem Fall aber trägt er ein verum in sich und bezeugt – da alles Wahre nur durch die Wahrheit wahr ist (§ 206) – indirekt auch die Existenz der Letzteren.
2. Hauptteil: 1,4,10
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auch eine „Rolle“ übernehmen, ohne mit der darin vertretenen Meinung übereinzustimmen. Die sukzessive „Bekehrung“ des Licentius weist nicht wenige Parallelen zu der Augustins auf: Am Anfang steht die Lektüre des protreptischen Hortensius (Lic.: c. acad. 1,1,4; Aug.: conf. 3,4,7 f), wichtiger Meilenstein ist jeweils die Abwendung von der akademischen Skepsis (Lic.: c. acad. 2,7,19; ord. 1,4,10; Aug.: conf. 5,10,19; 14,25; 6,4,6), die relativierende Neubewertung der „Schulweisheiten“ wie Rhetorik oder Literaturwissenschaft (Lic.: ord. 1,3,9; 8,21; Aug.: conf. 9,2,2–5,13), der Rückzug aus dem geschäftigen Alltagsleben der Stadt zur Ruhe und Stille des Landlebens (Cassiciacum-Dialoge, passim; conf. 9,3,5), das völlige Besiegen der Leidenschaften und Begierden (für Lic. angemahnt: ord. 1,4,10; Aug.: z. B. conf. 8,12,29), schließlich die Hinwendung zu einer eigentümlichen Synthese aus platonischer Philosophie und zeitgenössischem Christentum (Lic.: ord. 1,8,21). Die auffallende Kongruenz der Vorgänge ist keineswegs zufällig: Ob man nun die conversio des Licentius für literarische Fiktion hält oder aber als tatsächliches Nacheifern des Schülers im Sinne und nach dem Vorbilde des Meisters begreift, in jedem Falle wird mit der inneren wie äußeren Wandlung des Licentius beschrieben, was Augustin grundsätzlich unter „Bekehrung“ versteht. Dazu ausführlich infra Ergebnis 5. 9 Eos [sc. Academicos] enim ille studiosissime defendere solebat: Licentius vertritt aus Überzeugung die Position der akademischen Skepsis im ersten Buch von Contra Academicos (vgl. etwa 1,8,24) sowie in De beata vita (vgl. 2,15), nicht aber mehr im zweiten und dritten Buch von Contra Academicos (vgl. 2,7,19); hier zu Beginn von De ordine 1 wird ausdrücklich seine Wandlung konstatiert. Die oben favorisierte Chronologie der Schriften von Cassiciacum (siehe Tabelle 2; supra unter 1,3,7, Z. 20 f) wird voll und ganz bestätigt. 12 f multo uberius … abundare laetitias meas, quam vel optare aliquando ausus sum: Die Entwicklung des Licentius in der Nacht seiner Bekehrung wird von Augustin ungemein emotional verfolgt. Hoffnung,59 Angst60 und die sich letztlich durchsetzenden Gefühle der Freude61 wechseln sich gegenseitig ab. Unwillkürlich wird man an die Schilderung der Mailänder Gartenszene (conf. 8,8,19–12,30) erinnert. 13 sic pater ille deus faciat: „So möge es jener Vatergott fügen!“; abgewandeltes Zitat aus Vergil, Aen. 10,875, wo Jupiter als pater deum (Vater der Götter) angesprochen ist. Durch den Austausch eines Buchstabens wird aus dem heidnischen Gebet ein christliches.62 – Das Vorgehen Augustins an dieser Stelle ist 59
Siehe 1,3,8, Z. 36: spe alacriore …. Siehe 1,6,18, Z. 14: timui Licentio. 61 Siehe 1,4,10, Z. 1: gaudens; 1,6,16, Z. 15: egoque me ipsum non caperem gaudio; 1,8,21, Z. 7: inmodice gaudebam. Man beachte die dramaturgische Steigerung mit dem Abschluss eines Gebets „unter Tränen“ (1,8,22, Z. 8: inlacrimans). 62 Diese Interpretation gilt dann, wenn man mit P. Knöll und W. M.Green aus guten Gründen der Handschriftengruppe H, M, P, R folgt; die Textzeugen A, S, T (denen sich die Mauriner-Ausgabe anschließt) führen das Vergilzitat bis zum Beginn von Vers 876 weiter und ergän60
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II. Kommentar
wesentlich geschickter und eleganter als das des Hieronymus: Auch dieser zitiert das bekannte Gebet des Aeneas (Adv. Rufin. 1,5), deutet es ebenfalls christlich um, indem er das nachfolgende altus apollo durch magnus Iesus ersetzt, lässt allerdings die polytheistische Wendung pater ille deum bestehen. Dies aber – so der berechtigte Vorwurf Hagendahls63 – „in this connection borders on blasphemy.“ 13–15 Perducet enim ipse, si sequimur, quo nos ire iubet atque ubi ponere sedem, qui dat modo augurium nostrisque inlabitur animis: Augustin formuliert mit Hilfe von Wendungen aus Vergil, Aen. 3,88 f: quem sequimur, quove ire iubes, ubi ponere sedes? da, pater, augurium atque animis inlabere nostris. Aeneas’ Gebet zu Apollo ist letztlich erfolglos, weil die Antwort des delischen Gottes (V 94–98) von Anchises missdeutet wird und eine verhängnisvolle Irrfahrt (von Delos über Kreta zu den Strophaden) beginnt. Demgegenüber will Augustin (der erst kurz zuvor das dritte Buch der Aeneis mit seinen Schülern durchgearbeitet hat!64) betonen, dass der Gott der Christen (= ipse) im Gegensatz zu Apollo durchaus zum Ziel zu führen vermag (Z. 13 f: perducet enim …).65 Auch in einer weiteren Beziehung wird umgedeutet: Während Aeneas in seinem Gebet zu Apollo Weisung erhofft, wohin er mit seiner kleinen Schar der Gefährten im konkreten Sinne sich aufmachen (ire) und seinen ihm verheißenen neuen Wohnsitz (sedes) gründen soll, verwendet Augustin dieselben Worte im übertragenen Sinne und zielt auf den geistig-philosophischen „Lebensweg“ seiner ihm Anvertrauten. Dazu passt sehr gut, dass die Philosophie erst kurz zuvor von Licentius als „unsere wahre und unerschütterliche Wohnstätte“ (1,3,9, Z. 57 f: vera et inconcussa nostra habitatio) bezeichnet wurde. M. a. W.: Das Ziel des Lebensweges ist dann erreicht, wenn die Philosophie als die von jeher bestimmte Heimstatt erkannt und der Geist (animus; Z. 15) sich bei ihr vollständig niedergelassen hat. Bemerkenswert ist des Weiteren, dass Augustin in dem neuen Textzusammenhang (neben einigen notwendigen syntaktischen Veränderungen) ein zunächst unauffälliges modo (Z. 14) in das Vergil-Zitat einschleust. Die dt. Übersetzungen schwanken in der Wiedergabe zwischen modaler („nur“) und temporaler Auffassung („soeben“, „eben jetzt“). Richtig ist zweifellos das Letztere: Was sich „soeben“ in der geistigen Entwicklung des Licentius abgespielt hat (§§ 9/10: Abkehr von der Dichtkunst und der akademischen Skepsis; erste Annäherung an die zen sic altus apollo incipias. Die sekundäre Texterweiterung ist durch die ausdrückliche Nennung Apollos durch Augustin (Z. 15) motiviert, passt aber denkbar schlecht in den das Zitat umgebenden Kontext: In Z. 13 ff ist von einem „Gott“ im Singular (perducet enim ipse …) die Rede, während der vollständige Vergiltext zwei Götter, nämlich Jupiter und Apollo, anführt. Letzteres dürfte Augustin kaum entgangen sein und eben deshalb zitiert er – in christlicher Abwandlung – nur die erste Hälfte des Verses. 63 H.Hagendahl, Latin Classics, Bd. 2, S. 437. 64 Vgl. dazu supra 1,3,7, Z. 27 (s. v. vario casu …). 65 Vgl. zu diesem Gedankengang: H. H.Gunermann, Tradition, S. 191 f.
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„wahre“ Philosophie), ist nichts weniger als ein göttliches Geschehen und „Vorzeichen“ (augurium; Z. 15), vorausweisend nämlich auf den endgültigen Durchbruch der Bekehrung, welcher sich noch in derselben Nacht ereignen wird (vgl. durchaus eindrücklich die Schilderung in § 21). Man sieht, wie Augustin der ursprünglichen Weissagung des Apollo an Aeneas in einem neuen Kontext mit einem kleinen eingeschobenen Wort unmittelbare Aktualität verleihen kann. 15 Nec enim altus Apollo est …: „Es ist nämlich nicht der erhabene Apollo …“; altus ist nicht als Prädikatsnomen (so Keseling), sondern als Epitheton ornans attributiv (so richtig Perl und Mühlenberg) verwendet, nämlich in Nachahmung der feststehenden Wendung bei Vergil, Aen. 6,9 und 10,875. 15 f in speluncis in montibus in nemoribus: Zusammenfassung verschiedener Stellen aus der ersten Hälfte des vergilischen Epos; Apollo erscheint auf der Irrfahrt des Aeneas immer wieder in der Natur, oft vermittelt durch seine vates und sacerdotes. Vgl. die Höhle der Sibylle (Aen. 6,11: antrum inmane) in der Nähe von Anhöhen (6,9: arces) und heiligem Hain (6,13: lucos); siehe daneben 3,336 (im Zusamenhang der Helenus-Weissagung), 3,91 f (Berg und Lorbeerhain auf Delos erzittern bei der Ankunft des Gottes) und 3,274 f (Apollo erscheint in den wolkigen Berggipfeln des Leukates). 16 nidore turis pecudumque calamitate concitatus: In der Aeneis, auf die auch hier angespielt wird, ist das Entzünden von Weihrauch und vor allem das kultgemäße Tieropfer die wiederholt angemahnte Voraussetzung für das Erscheinen der angerufenen Gottheit; vgl. 3,119.369; 6,38 f.225; etc. 16 f inplet insanos: Die durch Apollo „Verzückten“ sind Helenus (vgl. Aen. 3,369 ff) und Sibylle (ibid. 6,10 ff); Gunermann, Tradition, S. 191, weist darauf hin, dass im ersten Fall sogar wörtliche Entsprechung vorliegt: Praeterea si qua est Heleno prudentia vati si qua fides, animum si veris i m p l e t Apollo … (Aen. 3,433 f) Die Beobachtung ist insofern bemerkenswert, als die vorliegende Stelle ganz offensichtlich Anregung zu weiteren Formulierungen bei Augustin gegeben hat; vgl. infra zu Z. 17 f (s. v. alius profecto est …).66 17 f alius profecto est, alius ille altus veridicus atque ipsa … veritas, cuius vates sunt, quicumque possunt esse sapientes: Die augustinischen Aussagen über den Gott der Christen werden mit Hilfe von Versatzstücken aus Vergil, Aen. 6,9; 10,875 und insb. 3,433 f formuliert. Augustin will sagen: Dort, im heidnischen Epos, ist es der „erhabene Apollo“ (altus Apollo), der seinen „Seher“ (vates) Helenus „mit Wahrheit“ (veris) erfüllt; doch „jener andere“ tritt nun an 66 Wiederum wird eine Stelle aus dem besagten dritten Buch der Aeneis verarbeitet; vgl. ord. 1,3,7, Z. 27 (s. v. vario casu …); 1,4,10, Z. 13–15 (s. v. Perducet enim ipse …); ibid., Z. 15 f (s. v. in speluncis …). Die Hinweise verdichten sich, dass es sich bei dem von Augustin in ord. 1,8,26 und c. acad. 1,5,15; 2,4,10 erwähnten vergilischen Werk tatsächlich um die Aeneis, nicht um die Georgica handelt; vgl. zu dieser umstrittenen Frage infra zu 1,8,26, Z. 82 f (s. v. dimidium volumen Vergili …).
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diese Stelle, der nicht nur „erhaben“ und „wahr redend“, sondern – gleichsam als Steigerung – sogar „die Wahrheit selbst“ ist, der sich nicht nur einigen wenigen „Sehern“ bzw. „Propheten“ offenbart, sondern an eben dieser Wahrheit alle teilnehmen lässt, die sie einzusehen vermögen. – Zur Identifizierung Gottes mit der veritas vgl. auch ord. 1,8,23; mag. 8,21; conf. 3,6,10; 4,16,31; 5,3,5; 5,12,22; 7,17,23. In trinitarischer Aufschlüsselung ist es insbesondere die zweite göttliche Person, die mit der „Wahrheit“ gleichgesetzt wird (nach Joh 14,6); die erste Person fungiert demnach – auch bereits in den Frühschriften – als pater veritatis bzw. fons veritatis: ord. 2,19,51; beat. vit. 4,34 f; soliloq. 1,1,2; quant. anim. 81; immort. 24; lib. arb. 2,153 f; vera relig. 233.310. Die Antithese insanos – sapientes (Z. 17/18), von Augustin durch exponierte Stellung hervorgehoben, stellt ohne Zweifel die Reminiszenz einer Cicero-Stelle dar (angezeigt von Gunermann: Tradition, S. 192). In div. 2,110 heißt es: Quid … habet auctoritatis furor iste, quem divinum vocatis, ut quae s a p i e n s non videat, ea videat i n s a n u s, et is qui humanos sensus amiserit, divinos assecutus sit.67 Augustin nimmt die aufklärerische Kritik an der Weissagungskunst, wie sie ihm bereits in der ciceronischen Darstellung begegnet, dankbar auf, transformiert sie aber insofern, als aus dem ehemals innerheidnischen Konflikt nunmehr ein christliches Argument gegen die tradierte griechisch-römische Religiosität wird: Während der heidnische Gott (Apollo) „Verrückte“ und „Wahnsinnige“ zu seinen Botschaftern zählt, kennzeichnet den christlichen Glauben, dass seine Anhänger als „weise“ – das höchste Prädikat, welches Augustin zu vergeben hat! – gelten können. 18–20 adgrediamur, Licenti, freti pietate cultores, et vestigiis nostris ignem perniciosum fumosarum cupiditatum opprimamus: Wiederum zitiert Augustin ein Gebet an Apollo aus der Aeneis (erkannt von Hagendahl, siehe: Latin Classics, Bd. 2, S. 438); inständig bittet der Etrusker Arruns den Gott, er möge ihm gegen die furchterregende Camilla beistehen: summe deum, sancti custos Soractis Apollo, quem primi colimus, cui pineus ardor acervo pascitur et medium freti pietate per ignem cultores multa premimus vestigia pruna … (Aen. 11,785–88) Neben den wörtlichen Übernahmen (freti, pietate, ignem, cultores, premimus m opprimamus, vestigia mvestigiis) ist insbesondere die Umdeutung der Gottesverehrung bemerkenswert; sie ist typisch augustinisch: Während die Verehrer des Apollo in Ekstase mitten durch das Feuer (ardor, ignis) über glühende Kohlen (pruna) gehen, sollen die Anhänger des Christengottes – gewissermaßen nüchtern und rational – das „gefährliche Feuer der schwelenden68 Leidenschaften“ aus67 Vgl. denselben Gedankengang, mit der Antithese furens – sapiens, bereits in div. 1,85: Quid … causae est, cur Cassandra furens futura prospiciat, Priamus sapiens hoc idem facere non queat? 68 Richtig, wenn auch undeutlich ausgedrückt, erkennt Gunermann, Tradition, S. 191, Anm. 30, dass die vergilische „glühende Kohle“ (pruna) das augustinische Beiwort fumosus motiviert, nunmehr metaphorisch auf die menschlichen Leidenschaften und Begierden bezogen.
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treten. Dass das vernunftgesteuerte Beherrschen der cupiditates als unabdingbare Vorstufe für alle, die „weise“ (sapientes; Z. 18) sein wollen, anzusehen ist, hat Augustin bereits im Proömium seinem Adressaten Zenobius einzuschärfen versucht (vgl. 1,2,4, Z. 5 f: quod signum in te futurae sapientiae perniciosis cupiditatibus divino iure praescribit). Dabei wird die Unterdrückung der Leidenschaften sichtbar als Kampf aufgefasst (vgl. adgrediamur), gleichsam in Analogie zur Schlachtszene der Aeneis, der das Zitat entnommen ist. 1,4,11: „Nichts geschieht ohne Ursache“ (Licentius)
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Iam, inquit, interroga, oro te, si possim hoc tantum nescio quid explicare et verbis et meis. – Hoc ipsum, inquam, mihi responde, primo unde tibi videatur aqua ista non temere sic sed ordine influere. Nam quod ligneolis canalibus superlabitur et ducitur usque in usus nostros, potest ad ordinem pertinere. Factum est enim ab hominibus ratione utentibus, ut uno eius itinere simul et biberent et lavarent, et pro locorum oportunitatibus consequens erat, ut ita fieret. Quod vero illa, ut dicis, folia sic inciderunt, ut hoc, quod ammirati sumus, eveniret, quo tandem rerum ordine ac non casu potius factum putabimus? – Quasi vero, inquit ille, aliter, atque ceciderunt, debuisse aut potuisse cadere cuiquam videri potest serenissime intuenti nihil posse fieri sine causa. Quid? iam vis persequar situs arborum atque ramorum ipsumque pondus, quantum natura foliis imposuit? Quid? aeris vel mobilitatem, qua volitant, vel mollitiam, qua descendunt, variosque lapsus pro affectione caeli pro onere pro figuris suis ceterisque innumerabilibus atque obscurioribus causis quid me attinet quaerere? Latent ista sensus nostros, penitus latent; illud tamen, quod adgressae quaestioni satis est, nescio quo modo animum non latet, nihil fieri sine causa. Potest enim odiosus percontator pergere quaerere: quae causa erat, ut ibi arbores ponerentur? Respondebo secutos esse homines uber terrae. Quid, si fructuosae arbores non sunt ac temere natae sunt? Et hic respondebo nos parum videre; nam temerariam quae illas genuit nequaquam esse naturam. Quid plura? Aut aliquid sine causa fieri docear aut nihil fieri nisi certo causarum ordine credite.
21–28 Iam [etc.] … putabimus: Die Interpretation Gunermanns ist nicht nachvollziehbar. (Vgl. Tradition, S. 192: „Die ‚veri diffidentia‘ als das eigentliche Hindernis der Wahrheitsfindung und der ‚conversio ad philosophiam‘, d. h. ‚ad deum‘, gewinnt wieder Raum. Der Aufschwung der Gedanken hält neuen Bedenken nicht stand.“) In Wirklichkeit ändert sich weder die Geisteshaltung der Diskutierenden, noch ist ein wie auch immer gearteter Rückschritt zu erkennen; im Gegenteil: die Untersuchung schreitet planmäßig und sachlich folgerichtig fort, indem die Ursachenkette weiter zurückverfolgt wird. Nachdem in § 7 festgestellt wurde, dass das unregelmäßige Wasserrauschen seinen Grund in der verstopften Wasserleitung habe, dies wiederum durch das Fallen des Herbstlaubes bedingt sei, steht nun zur Prüfung an, ob auch das Herabgleiten der einzelnen Blätter auf eine Ursache, d. h. auf einen dahinter stehenden ordo, zurückzuführen sei. Dass die Erörterung dieses Problems in der Frageform geschieht, ist nicht
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etwa ein Ausdruck von plötzlich eintretender Unsicherheit, sondern der normale Fortgang des gewählten dialektischen Verfahrens. In § 8 hatte Augustin angekündigt, die sententia des Licentius ins Wanken bringen zu wollen (vgl. Z. 42: eam labefactare temptabo). Es handelt sich hier also um einen rein methodischen Zweifel, der die Aufgabe hat, die bereits gebilligte Auffassung des Licentius in jeder denkbaren Richtung rational abzusichern. 23 ligneolis canalibus: Obwohl Augustin in Z. 23 f eine allgemeine Aussage über die ordnungsgemäße Funktion von Wasserleitungen (Plural!) trifft, ist völlig eindeutig, dass auch „der“ nun mehrfach erwähnte Kanal (vgl. den Singular in 1,3,6, Z. 15 und 1,3,7, Z. 25) gemeint ist, mithin auch die Beschreibung der Bauart – nämlich hölzern – für diesen in Anspruch genommen werden darf. Dies wiederum ist nicht unwichtig, wenn es um bestimmte archäologische Befunde, aber auch textkritische Entscheidungen geht. Vgl. hierzu die Ausführungen zu 1,3,7, Z. 23 (s. v. transitu) sowie zu 1,2,5, Z. 15 f (s. v. ad villam …). 25 f pro locorum oportunitatibus: pro ist nicht im Sinne von „anstatt, als Ersatz für“ (so Mühlenberg) aufzufassen, sondern – wie das nachfolgende consequens nahe legt – im Sinne von „gemäß, entsprechend, angesichts“. D. h.: „Angesichts günstiger örtlicher Verhältnisse“ war es folgerichtig, eine Wasserleitung zu bauen. 27 eveniret: statt evenerit (offensichtlicher Druckfehler bei Green). 28 casu: Wortspiel mit übertragenem casus und wörtlichem cadere (Z. 28 und 29; vgl. das Derivat incidere, Z. 27); um der Eindeutigkeit willen benutzt Augustin allerdings für das buchstäblich-konkrete „Fallen“ der Blätter im Folgenden lapsus (Z. 32). 28 aliter, atque ceciderunt: „anders als sie gefallen sind“; atque heißt hier nicht „und“ (vgl. Mühlenberg, S. 254: „… und sie sind ja gefallen“), sondern bezeichnet eine Korrelation nach einem Ausdruck der Verschiedenheit.69 – Druckfehler bei Green (cediderunt); siehe Kap. I 5. 30–34 iam vis persequar [etc.] … latent: Die Reihenfolge der von Licentius genannten Ursachen (causae) für den besagten Blätterfall ist keinesfalls beliebig, sondern nach einem klaren Schema angeordnet. Die Gründe dafür, dass die Blätter so und nicht anders herabfielen, sind immer schwerer zu durchschauen: Die Lage der Bäume und der Zweige (situs arborum atque ramorum) kann man noch berechnen, unter Umständen auch noch das Gewicht (pondus) der einzelnen Blätter, bei den jeweiligen Luftbewegungen (aeris vel mobilitatem … vel mollitiam) wird es erheblich schwieriger, beim Zusammenspiel der einzelnen Faktoren Wetter, Gewicht und Blattform (pro affectione caeli pro onere pro figuris suis) ist eine Berechnung gar nicht mehr möglich, zumal unzählige andere, noch viel undurchsichtigere
69 Die Interpunktion bei Green (CChr 29; S. 94, Z. 39) kann irreführen; da ohnehin in dieser Edition nicht alle Nebensätze durch Kommata abgetrennt werden, hätte man sie auch hier der Deutlichkeit halber weglassen können.
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Ursachen hinzukommen (ceterisque innumerabilibus atque obscurioribusque causis).70 So steht am Ende der bemerkenswerten und stetig steigernden Aufzählung ein Ergebnis, dem nunmehr jeder zustimmen muss: Latent ista sensus nostros, penitus latent (Z. 34).71 32 descendunt: statt descedunt (offensichtlicher Druckfehler bei Green). 34 f illud tamen … nescio quo modo animum non latet, nihil fieri sine causa: Die Untersuchung ist an einem entscheidenden Punkt angelangt. Licentius schließt nach seiner speziellen Ursachenforschung bezüglich der volitatio foliorum induktiv vom konkreten Einzelfall auf das Allgemeine; die Annahme eines grundsätzlichen, universal gültigen Kausalnexus (nihil fieri sine causa) scheint deshalb gerechtfertigt, weil der Aufweis einer lückenlosen Ursachenkette in einem besonderen Bereich, der noch dazu traditionell dem Zufall zugeordnet wird,72 offensichtlich geglückt ist.73 – Dass es sich bei der Schlussfolgerung um keinen Beweis im engeren Sinne handeln kann, weiß auch Licentius: „irgendwie“ (nescio quo modo) aber ist sie, ohne dass es näher erklärt werden könnte,74 unserem Geiste einsichtig. Der Satz, dass „nichts ohne Ursache geschieht“ ist nach den Regeln der antiken (wie auch der modernen „Logik“) somit keine eigentliche Folgerung, sondern eine plausibel eingeführte Prämisse. Dass sie keinen axiomatischen Charakter haben kann, sondern allenfalls den Rang einer „Arbeitshypothese“ einnimmt, wird noch im Folgenden sichtbar werden: In Z. 39 f versucht Licentius die Gültigkeit seiner sententia dadurch abzusichern, dass er gewissermaßen die „Umkehrung der Beweislast“ fordert, d. h. solange von der Richtigkeit seiner Aussage auszugehen gedenkt, wie sie keiner falsifizieren kann. 38 f temerariam quae illas genuit nequaquam esse naturam: Ein zentraler Gedanke der stoischen Physik im Munde des Licentius; die Vorstellung, dass die schöpferische Natur nicht planlos oder blindlings wirke, sondern zielstrebig ihre und in ihrer Art vernunftgeleitet (sc. durch den ihr innewohnenden und ), ist in der christlichen Spätantike, die die stoische Kosmologie mit nur wenigen Umdeutungen – wie z. B. der Personifizierung des Vernunftgedankens – auf breiter Basis rezipierte, häufig anzutreffen. Vgl. als die klassischen Stellen zur Teleologie der Natur bei den (älteren) Stoikern: SVF I,172 (= Cicero, nat. deor. 2,58); II,1132–1140 (sub tit.: naturam esse artificem). 70 Vgl. Plotin, der in der Einleitung zu seinem Traktat (3,1,1) ebenfalls zwischen leichter und schwer durchschaubaren unterscheidet, je nachdem ob es sich um dem Einzelgeschehen näher oder ferner liegende Ursachen handelt (vgl. § 5). 71 Vgl. (unabhängig vom konkreten Beispiel) ähnlich: Cicero, div. 1,35; Plotin, Enn. 4,3,16: … 72 Zur Zufälligkeit des Fallens von Blättern vgl. Vergil, Aen. 3,441–452 und dazu supra zu 1,3,7, Z. 27 (s. v. vario casu foliorum natantium). 73 Zur besonderen Bedeutung des Dogmas von der sog. infinita series causarum in der älteren Stoa vgl. die unter SVF II,945–951 verzeichneten Belegstellen. 74 Die dt. Übersetzungen für das nicht unwichtige nescio quo modo sind größtenteils unverständlich und sachlich verzerrend (Keseling, S. 122: „glücklicherweise“; Perl, S. 12: „merkwürdigerweise“; Mühlenberg, S. 255: „offensichtlich“).
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39 f Aut aliquid sine causa fieri docear aut nihil fieri nisi certo causarum ordine credite: Licentius, der eingesehen hat, dass der Satz nihil fieri sine causa bei genauer Untersuchung zwar äußerst plausibel,75 aus grundsätzlichen methodischen Gründen allerdings nicht beweisbar ist, wendet einen argumentativen „Kunstgriff “ an: Solange ihn niemand vom Gegenteil überzeugen kann, will er ausdrücklich bei seiner Ansicht bleiben. Gleichzeitig sieht er klar, dass dieser sein Satz in Bezug auf die erkenntnistheoretische Sicherheit allenfalls den Status des Glaubens (vgl. credere), nicht den des Wissens einnehmen kann. An einem konkreten Beispiel macht Licentius (bzw. Augustin) deutlich, wie er sich das Verhältnis von Glauben und Wissen grundsätzlich vorstellt. Denn wie aus ord. 2,9,26 unmissverständlich hervorgeht, kommt dem Glauben zwar die zeitliche Priorität zu, der Vernunft jedoch die sachliche (Tempore auctoritas, re autem ratio prior est). So auch hier: Der Glaube, dass eine feste Ursachenkette (ein certus ordo causarum) existiert, tritt gewissermaßen in Vorleistung und bildet den Ausgangspunkt des Forschens. Dieser Standpunkt ist – wie gezeigt – keineswegs irrational; sollten sich jedoch ernstzunehmende rationale Einwände ergeben, so ist eben dieser Vernunft (ratio) der unbedingte Vorrang einzuräumen. – Die Übereinstimmung der hier von Licentius geäußerten Gedanken mit der bekannten ratio / auctoritas-Theorie Augustins, die noch an mehreren weiteren Stellen entfaltet wird (c. acad. 3,20,43; ord. 2,5,16; quant. anim. 12; vera relig. 122 ff; util. cred., passim), lässt daran zweifeln, dass hier der authentische Licentius zu Wort kommt. Wahrscheinlich handelt es sich an dieser Stelle um einen redaktionellen Einschub, mindestens aber um eine starke Überarbeitung im Sinne der c. acad. geschilderten Vorgehensweise.76 1,5,12: Handelt die Natur zweckorientiert? 1 Cui ego: Licet, inquam, me odiosum percontatorem voces – vix enim possum non
esse, qui expugnavi, ne cum Pyramo et Thisbe conloquereris – pergam tamen quaerere abs te. Natura ista, quam vis videri ordinatam, cui bono – ut de ceteris rebus innumerabilibus taceam – istas ipsas arbores, quae fructus non afferunt, procreavit? – 5 At illo cogitante, quid diceret, ait Trygetius: Numquidnam usus arbustorum in solis fructibus praebetur hominibus? quanta sunt alia, quae umbra, quae lignis, postremo quae ipsis frondibus seu foliis fiant? – Noli obsecro, inquit ille, interrogationibus eius haec reddere. Innumerabilia sunt enim, quae proferri possunt, ex quibus nulla est hominibus utilitas aut certe ita latet vel inbecilla est, ut ab hominibus, praesertim 10 nobis, erui defendive non possit. Ipse potius nos doceat, quomodo aliquid fiat, quod non causa praecesserit. – Post, inquam, ista videbimus. Non enim iam me necesse est esse doctorem, cum tu, qui iam tantae rei te certum esse professus es, adhuc 75 Dass „Gleiches nur aus Gleichem“ und – als Sonderfall dieses Lehrsatzes – „nichts aus nichts“ entstehe, ist ein allgemein akzeptiertes philosophicum: vgl. insb. Lukrez 1,150. 205; Cicero, fin. 1,19; fat. 20 ff; Plotin, Enn. 3,2,1 ff. 76 C. acad. 1,1,4: Sane in hoc libro res et sententias illorum [sc. des Licentius und Trygetius], mea vero et Alypii etiam verba lecturus es.
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me nihil docueris nimium discere cupientem et propter hoc solum dies noctesque vigilantem.
2 expugnavi, ne cum Pyramo et Thisbe conloquereris: Augustin hatte Licentius gegen dessen Willen und mit einigem Nachdruck von seiner dichterischen Tätigkeit abbringen müssen (vgl. § 8 f), war dem Licentius also in diesem Sinne odiosus (= „lästig“, „unangenehm“77). 3 f Natura ista, quam vis videri ordinatam, cui bono … istas ipsas arbores … procreavit? Augustin versucht den Standpunkt des Licentius78 dadurch ins Wanken zu bringen, dass er den Ordnungsbegriff modifiziert. Kennzeichen und Inbegriff des ordo war bisher die geschlossene Ursachenkette, die nichts dem Zufall anvertraute und jedes Einzelgeschehen als Folge einer oder mehrerer Ursachen begreifen ließ. Dieser gleichsam „rückwärts“ gewandte ordo causarum erfährt nun eine völlig neue Qualität dadurch, dass nach seinem immanenten Zweck (cui bono) gefragt wird. Nicht nur das „warum“, sondern auch das „wozu“ eines Geschehens muss in einem Ordnungsgefüge, hier speziell innerhalb der Natur, erklärbar sein. Mit dieser Wandlung des ordo causalis in einen ordo finalis79 nähert sich die Diskussion noch entschiedener der traditionell stoischen Sichtweise an. 3 f ut de ceteris rebus innumerabilibus taceam: Die praeteritio (bzw. praecisio) nimmt wörtlich auf die Argumentation des Licentius Bezug; schon dieser hatte darauf verwiesen (§ 11, Z. 33), dass mit „unzähligen übrigen“ (ceteris … innumerabilibus) Gründen für den speziellen Blätterfall zu rechnen sei. 5 f Numquidnam usus arbustorum in solis fructibus praebetur hominibus? Völlig selbstverständlich bezieht Trygetius die cui bono-Frage Augustins (Z. 3) auf den Menschen. Dass alle Vorgänge innerhalb der belebten wie unbelebten Natur letztendlich dem Menschen dienen, dass der Mensch das höchste Ziel und den eigentlichen Zweck der Schöpfung darstellt, ist in der Kirchenvätertradition breiter Konsens, welcher letztendlich auf einer Synthese biblischer Aussagen (vgl. Gen 1,28–3080) mit genuin stoischem Gedankengut beruht; vgl. für den kirchlichen Westen besonders deutlich: Lactantius, Epitome 69; De ira dei 13 f.81 7 f Noli obsecro … interrogationibus eius haec reddere: Eine im Hinblick auf die Rollenverteilung und den Charakter der beiden Augustin-Schüler typische Szene. Trygetius, von Natur aus recht schüchtern und zurückhaltend (vgl. 77 Die Übersetzung von odiosus bei Keseling (Z. 1: „gehässig“) entspricht in keiner Weise dem von Augustin gezeichneten Schüler-Lehrer-Verhältnis, das an vielen Stellen als geradezu liebevoll und ausnahmslos von gegenseitiger Anerkennung geprägt hingestellt wird. 78 Prägnant formuliert in § 8, Z. 36: praeter ordinem nihil mihi fieri videtur. 79 Zur Unterscheidung einer kausalen von einer teleologischen Betrachtungsweise der Weltordnung vgl. ähnlich J. Rief, Ordobegriff, S. 12 f (mit Anm. 30). 80 Bemerkenswert ist, dass in Gen 1,29 ausdrücklich von den Früchten der Bäume die Rede ist, die dem Menschen als Nahrung dienen sollen. 81 In der letzten Stelle sind zu Beginn die Stoiker als Gewährsmänner dieser Ansicht ausdrücklich genannt: Si consideret aliquis universam mundi administrationem, intelliget profecto, quam vera sit sententia Stoicorum, qui aiunt nostra causa mundum esse constructum.
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ord. 2,2,5; 7,22), aber auf schwierige Fragen selten um eine Antwort verlegen (vgl. c. acad. 1,8,24), nutzt das Schweigen des Licentius, um seine eigene Sichtweise zu präsentieren (so auch ord. 2,2,5; 3,10; 4,11).82 Licentius reagiert – ganz im Kontrast zum nüchtern-nachdenklichen Wesen des Trygetius83 – in seiner Art impulsiv und emotional, schneidet seinem Partner in scharfer, fast beleidigender Weise das Wort ab. – Ob die beiden Charaktere von Augustin aus dramaturgischen Gründen bewusst gegensätzlich gezeichnet werden oder sich hier reale Persönlichkeiten (evtl. überzeichnet?) widerspiegeln, ist eine offene Frage, die sich angesichts der äußerst spärlichen Angaben außerhalb der Cassiciacum-Dialoge84 kaum mehr beantworten lässt.85 8–10 Innumerabilia sunt …, ex quibus nulla est hominibus utilitas aut certe ita latet vel inbecilla est, ut ab hominibus … erui defendive non possit: Die Sichtweise des Licentius deckt sich partiell mit derjenigen Plotins in Enn. ) be3,2,9. Dort wird ebenfalls betont, dass der vielfältige Nutzen ( stimmter Naturerscheinungen dem Menschen oft verborgen sei; allerdings wird nicht im Geringsten daran gezweifelt, dass wirklich alles und jedes (selbst das Auftreten von Stechmücken, etc.) letztendlich dem Menschen dient und zum Guten gereicht. § 88: (sc. die besagten lästigen Insekten) – In civ. 11,22 fordert Augustin auf, die verborgene utilitas rerum86 entweder sorgfältig zu erforschen oder aber, falls sie unserem schwachen Geiste nicht zugänglich sei, wenigstens an diese zu glauben: Unde nos admonet divina providentia non res insipienter vituperare, sed utilitatem rerum diligenter inquirere, et ubi nostrum ingenium vel infirmitas deficit, ita credere occultam, sicut erant quaedam, quae vix potuimus invenire. Vgl. auch ibid. 12,4. 10 f Ipse potius nos doceat, quomodo aliquid fiat, quod non causa praecesserit: Licentius argumentiert weiterhin äußerst geschickt. Präzise erkennt er, dass ein Positivbeweis, wie ihn Trygetius versucht (Z. 5–7), nicht zum Ziele führen kann. Stattdessen versucht er Augustin unter Zugzwang zu setzen: er seinerseits möge dartun (docere), dass etwas ohne Ursache geschehen könne. Zur hier erhobenen Forderung der „Umkehrung der Beweislast“ siehe oben zu 1,4,11, Z. 34 f (s. v. illud tamen …) und Z. 39 f (s. v. Aut aliquid …). 82 Vgl. A. Mandouze, Prosopographie, Bd. 1, S. 1117: „T. est un interlocuteur … qui sait le cas échéant profiter des silences de son camarade Licentius.“ 83 Vgl. die in diesem Punkte zutreffende Charakterisierung bei Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 12. 84 Vgl. supra zu 1,2,5, Z. 22 (s. v. Licentius) und Z. 23 (s. v. Trygetium). 85 In seinen detaillierten Charakterisierungen geht Mandouze, Prosopographie, Bd. 1, S. 640–642 bzw. 1117–1119, stillschweigend von realen Persönlichkeiten aus; ähnlich M. P. Steppat, Schola, S. 7 f. Das andere Extrem vertritt J. M. W. Dewart (La autobiografía de Casiciaco, in: Augustinus 31, 1986, S. 49 ff) und deutet Trygetius – da er häufig die Ansicht Augustins vertrete – als eine lediglich erfundene Figur, die die Dialoge aus szenischen Gründen bereichern solle. 86 Als Beispiele werden genannt: ignis, frigus, fera bestia.
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11 Post, inquam, ista videbimus: Augustin, in die Enge getrieben, reagiert ausweichend auf die Forderung des Licentius (Z. 10 f). Anders als hier angekündigt, wird er auch im weiteren Verlauf des Gesprächs keine Antwort auf das angeschnittene Problem liefern. 11 f Non enim iam me necesse est esse doctorem: Auch Cicero weigert sich als Lehrer aufzutreten (fin. 2,1): Primum … deprecor, ne me tamquam philosophum putetis scholam vobis aliquam explicaturum, quod ne in ipsis quidem philosophis magnopere umquam probavi; siehe auch Augustin in epist. 193,13: ego enim, quod confitendum est caritati tuae, plus amo discere quam docere. – Wie das einschränkende iam andeutet, handelt es sich hier jedoch um keine grundsätzliche Ablehnung; im Gegenteil: das zweite Buch von De ordine schließt mit einer langen lehrhaften oratio perpetua Augustins (2,7,24–20,52; vgl. ebenso c. acad. 3,7,15–20,43 und beat. vit. 4,31–35).87 13 f me … discere cupientem et propter hoc solum dies noctesque vigilantem: Zur augustinischen Gewohnheit, die Nächte bewusst für die ungestörte gedankliche Arbeit zu nutzen, siehe oben zu 1,3,6, Z. 6 f (s. v. si aliquid) und 1,3,7, Z. 20 f (s. v. vidi scholam nostram). B. Legewie, Konstitution, S. 15, vermutet (ohne jedoch weitere Indizien zu liefern), dass die schlaflosen Nächte darauf zurückzuführen seien, dass Augustin in Cassiciacum – sc. als Resultat der einschneidenden persönlichen Erlebnisse in Mailand – an einer nervösen Überspanntheit leide. 1,5,13: Beitrag der Unmündigen zur Philosophie 15 Quo me mittis? inquit; an quia levius te sequor quam illa folia ventos, quibus in pro-
fluentem iaciuntur, ut eis cadere parum sit, nisi etiam trahantur? Nam quid aliud erit, cum Licentius et Augustinum et ea quae sunt in media philosophia docet? – Noli obsecro, inquam, aut te tantum abicere aut me extollere. Nam et ego in philosophia puer sum et non nimis curo, cum interrogo, per quem mihi ille respondeat, qui me 20 cotidie querulum accipit, cuius te quidem credo quandoque vatem futurum; neque hoc ‚quandoque‘ forsitan longum est. Sed tamen alii quoque multum sepositi ab huius modi studiis docere aliquid possunt, cum disserentium societati quasi vinculis interrogationum coartantur. Idem autem aliquid non est nihil. An non vides – tuo enim simili utar libentius – illa ipsa folia, quae feruntur ventis, quae undis innatant, 25 resistere aliquantum praecipitanti se flumini et de rerum ordine homines commonere, si tamen hoc, quod abs te defenditur, verum est?
15 f profluentem: sc. aquam.
87 Augustins Drang zum Lehren betonen Holl, Entwicklung, S. 67 f, und Nörregaard, Bekehrung, S. 117 („Stets tritt er ermahnend und dozierend auf “). Speziell zur Tradition und literarischen Funktion der abschließenden Lehrrede in Contra Academicos vgl. vor allem Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 285 ff.
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II. Kommentar
16 ut eis cadere parum sit, nisi etiam trahantur: Licentius will mit seinem Blättervergleich ein Zweifaches verdeutlichen: Wenn er sich gefügig auf die Diskussionstaktik Augustins einließe, gliche er den Blättern, die gleichsam antriebs- und willenlos – vom Winde verweht – herabfallen und weggeschwemmt werden. Gleichzeitig fürchtet er auch, dass sein philosophischer Standpunkt auf diese Weise „zu Fall kommen“ und „weggespült werden“ könnte. 17 et Augustinum et ea: Ungewöhnliche und ausdrucksstarke Verbindung des Personen- und Sachobjekts durch die Konjunktion et … et; im Sinne des Licentius wird auf eine doppelte Unstimmigkeit hingewiesen: Dass ein Schüler seinen Lehrer belehren soll, ist schon an sich unschicklich, noch dazu wenn es sich um Kernfragen in dessen Spezialgebiet (quae sunt in media philosophia) handelt. 18 f ego in philosophia puer sum: C. J. Perl, Ordnung, S. 96 f, deutet die Bemerkung gesprächsimmanent als „eine wohlüberlegte didaktische Äußerung“, die dem „doch sehr unsicheren Jüngling Mut zu machen“ suche. Auf der anderen Seite deckt sich die Selbsteinschätzung Augustins innerhalb der Cassiciacum-Dialoge mit vielen ähnlichen Aussagen, in denen er konzediert, „Anfänger“ in der Philosophie zu sein, die Wahrheit noch nicht gefunden zu haben, keineswegs weise (sapiens), ja sogar „dumm“ (stultus88) zu sein. Vgl. c. acad. 3,3,5: nondum quidem a me inventam (sc. veritatem), inveniri tamen posse a sapiente; 3,5,12: quasi ego me scire profitear; ibid.: sum enim stultus; 3,8,17: philosophanti mihi iam quidem sed nondum sapienti; 3,9,21: quantum stulti possumus; 3,10,23: qui longe adhuc absum vel a vicinitate sapientis; 3,12,27: mihi tamen tardo illi atque stulto; 3,20,43: eam (sc. humanam sapientiam) me video nondum percepisse; beat. vit. 4,35: nondum tamen sapientes ac beati sumus; ord. 2,2,7: quando de sapiente quaerimus, me nolo nomines; 2,3,9: quia, ut arbitror, adhuc mecum stultus esse dignaris; soliloq. 1,4,9: ego autem sapiens non sum. Siehe ähnlich auch später: lib. arb. 1,80; 1,96; 2,157–159; trin. 14,1,2; epist. 3,1.89 Doch trotz aller subjektiven Unmündigkeit sieht sich Augustin – mit dem Ausdruck puer deutet er es an – am Anfang eines Erfolg versprechenden Weges und ist fest davon überzeugt, dass er noch im hiesigen Leben die Weisheit erlangen wird (c. acad. 2,3,9: cum sapiens fuero); denn noch befindet er sich mit seinen 32 Jahren in 88 Bei Augustin ist jemand, der nondum sapiens bzw. insipiens ist, gleichzeitig stultus; ein Mittleres ist nicht vorgesehen (Augustin folgt hier der stoischen Auffassung; vgl. beat. vit. 4,28; util. cred. 12,27; lib. arb. 2,159 und 3,241). Als stultus muss damit selbst der philo-sophus bezeichnet werden, da er die Weisheit zwar liebt und begehrt, aber eben noch nicht besitzt. Vgl. hierzu Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 301 (zu 3,8,17, Z. 25) unter Hinweis auf O. Luschat, Das Problem des ethischen Fortschritts in der alten Stoa, in: Philologus 102, 1958, S. 178–214, hier: 208 f. 89 Einerseits handelt es sich gewiss bei den angeführten Stellen um sog. „Bescheidenheitstopoi“ (Fuhrer, Contra Academicos, S. 209), die man als konventionell einstufen muss; vgl. z. B. Cicero, ac. 2,66: ego vero ipse et magnus quidam sum opinator (non enim sum sapiens); Seneca, dial. 7,17,3: non sum sapiens … nec ero. Andererseits entsprechen die augustinischen Aussagen tatsächlich seiner biographischen Situation; mit der Lektüre des Hortensius wurde die Sehnsucht nach der Philosophie schon früh entfacht, doch erst in Cassiciacum kann er sich ihr voll und ganz (d. h. vor allem ohne die lästigen beruflichen Pflichten) widmen.
2. Hauptteil: 1,5,13
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einem vergleichsweise jugendlichen Alter (3,20,43: Sed cum tricensimum et tertium aetatis annum agam, non me arbitror desperare debere eam me quandoque adepturum).90 19 f me cotidie querulum: Welchen Inhalts die täglich wiederholte Klage des Augustinus ist, verdeutlichen eindrucksvoll die Gebete der Soliloquia: es ist die Bitte um Erkenntnis und damit um Fortschritte in der Philosophie; vgl. vor allem die Eingangsgebete in soliloq. 1,1,1–6 (bzw. dessen Zusammenfassung in 1,2,7) und 2,1,1. 20 cuius … vatem: Aufnahme der Formulierung in ord. 1,4,10, Z. 18 (cuius vates sunt); dort mit Bezug auf die vergilische Aeneis (vgl. oben zur Stelle, s. v. alius profecto …), die somit auch hier anklingt. 20 f neque hoc ‚quandoque‘ forsitan longum est: Die Bekehrung des Licentius wird sich noch in derselben Nacht ereignen; siehe ord. 1,8,21. Zu den einzelnen „Bekehrungsschritten“ vgl. oben zu 1,4,10, Z. 8 f (s. v. Habemus … Licentium …). 22 f … cum disserentium societati quasi vinculis interrogationum coartantur: Augustin ist vom Nutzen des maieutischen Verfahrens überzeugt, mit dessen Hilfe selbst Ungebildete – wenn nur die richtigen Fragen gestellt werden – zu bedeutenden Einsichten gelangen können (vgl. Plat., Menon 81 b ff). Der Wertschätzung dieser erkenntnistheoretisch fruchtbaren Methode entspringt nach autoreigenen Angaben nicht zuletzt die Dialogform der Soliloquia, das fragende Zwiegespräch zwischen Augustin und seiner eigenen ratio; vgl. soliloq. 2,7,14: Cum enim neque melius quaeri veritas possit quam interrogando et respondendo … – Dass auch wissenschaftliche Laien in der anregungsreichen Umgebung des philosophischen Gesprächs zu mitunter erstaunlichen Erkenntnissen fähig sind, beweist in Cassiciacum wiederholt das Beispiel der Mutter; vgl. beat. vit. 2,10; 3,19; 4,27; 4,35; ord. 1,11,31 f; 2,17,45. 24–26 illa ipsa folia … resistere aliquantum praecipitanti se flumini et de rerum ordine homines commonere: Augustin führt den von Licentius (Z. 15 f) eingeführten Vergleich fort und setzt in Bezug auf die Blätter mit resistere einen aktiven und positiven Gegenbegriff gegen das passive sequi (Z. 15), iaci (Z. 16), cadere (Z. 16), trahi (Z. 16), ferri (Z. 24) und innatare (Z. 24). Dies soll heißen: Selbst die philosophisch Ungebildeten (die sepositi ab huius modi studiis; Z. 21 f), die auf diesem Gebiet in der Regel nichts Eigenständiges zu leisten vermögen, können unter gewissen günstigen Umständen ihren bescheidenen Beitrag liefern. Ihre Funktion ist in diesem Falle die der „Erinnerung“ (vgl. commonere): Wie auf der ursprünglichen Ebene der „Realien“ die das Wasser aufstauenden Blätter auf einen umfassenden ordo rerum verweisen, vertritt auf der Diskussionsebene der junge Licentius – mit großer Eigenaktivität – eben jene Aufgabe. 90 Keseling, Weltregiment, S. 229 f, verweist mit Recht auf einen Widerspruch zu conf. 5,3,3: Während Augustin sich nach den Frühschriften erst im Anfangsstadium des Philosophierens befinde, spreche er rückblickend von „ausgedehnten philosophischen Studien“ (sc. die ihm – in seinem 30. Lebensjahr – bei der Begegnung mit dem Manichäer Faustus äußerst hilfreich waren).
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II. Kommentar
1,5,14: Die Entstehung der Schrift (ord.) ist kein Zufall
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Hic ille lecto etiam exiliens prae laetitia: Quis neget, deus magne, inquit, te cuncta ordine administrare? Quam se omnia tenent! quam ratis successionibus in nodos suos urgentur! quanta et quam multa facta sunt, ut haec loqueremur! quanta fiunt, ut te inveniamus! Unde enim hoc ipsum nisi ex rerum ordine manat et ducitur, quod evigilavimus, quod illum sonum advertisti, quod quaesisti tecum causam, quod tu causam tantillae rei non invenisti? Sorex etiam prodit, ut ego vigilans prodar. Postremo tuus etiam ipse sermo te fortasse id non agente – non enim cuiquam in potestate est, quid veniat in mentem – sic nescio quo modo circumagitur, ut me ipse doceat, quid tibi debeam respondere. Namque oro te, si haec, quae a nobis dicta sunt, litteris, ut instituisti, mandata pervagentur paulo latius ad hominum famam, nonne ita res magna videtur, ut de illa consultus aliqui vates magnus aut Chaldeus respondere debuerit, multo antequam evenit? Quod si respondisset, ita divinus diceretur, ita efferretur laudibus omnium, ut tamen ex eo nemo quaereret, cur folium ex arbore ceciderit aut utrum mus oberrans iacenti homini molestus fuerit. Numquidnam enim talia futura quisquam illorum aut per se dixit aliquando aut a consultore coactus est dicere? Atqui si futurum quendam librum non ignobilem diceret et id necessario eventurum videret – non enim posset aliter divinare – profecto quicquid volitatio foliorum in agro, quidquid vilissima bestiola in domo facit, tam sunt in rerum ordine necessaria quam illae litterae. His enim verbis fiunt, quae sine illis praecedentibus vilissimis rebus nec in mentem venire possent nec ore procedere posterisque mandari. Quare iam, rogo, nemo ex me quaerat, cur quidque fiat. Satis est nihil fieri, nihil gigni, quod non aliqua causa genuerit ac moverit.
27 Hic ille lecto etiam exiliens: Eine detaillierte Zeichnung der Situation mit deutlichem Bezug auf 1,3,8, Z. 36; während Augustin sich bereits in seinem Bette aufgerichtet hatte (hic ego erectior), „springt“ Licentius sogar vor Freude von seinem Lager auf. Beide Male wird – mit fein dosierter Steigerung – die Bedeutung des aktuellen Gesprächsverlaufs unterstrichen. Vgl. auch 1,7,19, Z. 26 und 35. 27 f Quis neget, deus magne, … te cuncta ordine administrare? Das Bekenntnis des Licentius reicht in seinem Gewissheitsgrad eindeutig über das in § 8 formulierte91 hinaus. Gleichzeitig wird der ehemals rein stoische Ordnungsbegriff um seine christliche Komponente erweitert; dem ursprünglich immanenten ordo einer sich selbst organisierenden Natur (vgl. § 11, Z. 38 f) wird durch die Gottesanrufung erstmals transzendente Provenienz zuerkannt. 29 quanta et quam multa: Beide Ausdrücke zielen auf die Quantität der gesprächseinleitenden Vorereignisse (vgl. Z. 30 ff) und sind als Hendiadyoin (etwa: „wie unglaublich viel …“) aufzufassen; gegen Mühlenberg, S. 257, der hier auch einen qualitativen Aspekt („Wieviel Bedeutungsvolles …“) hineinliest, was jedoch der Gesamtargumentation des Licentius diametral entgegensteht: Dieser will kontrastiv herausstellen, wie die Verflechtung von vielen, an sich äußerst 91
Z. 36: praeter ordinem nihil mihi fieri videtur.
2. Hauptteil: 1,5,14
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unbedeutenden Vorgängen (vgl. Z. 32: tantillae rei; Z. 44: vilissima; Z. 46: vilissimis) zu einem sehr bedeutenden Ziel (hier: die Herausgabe der Schrift De ordine) führen kann. 29 f quanta fiunt, ut te inveniamus! „Wie viele Dinge geschehen zu dem Zweck, dass wir dich finden!“ – Dass es sich hier um einen originalen Gedanken des Augustinschülers handelt, ist zwar nicht auszuschließen; andererseits ist gerade die Bekehrungsgeschichte des Licentius insgesamt von Augustin stark stilisiert und – wie gesehen92 – als Analogon zu seiner eigenen konzipiert. Bedenkt man, dass die späteren confessiones in ihrem autobiographischen Teil (Buch 1–9) im Grunde nichts anderes darstellen als die Veranschaulichung der bereits hier geäußerten Erkenntnis, so muss man davon ausgehen, dass Augustin tatsächlich das Erleben seiner eigenen conversio, die er als die Verwirklichung eines komplexen und überaus staunenswerten göttlichen Plans sieht, auch an dieser Stelle auf seinen Schüler Licentius projiziert. 30 f quod … quod … quod … quod: Die vierfache Anapher betont die Vielzahl der „Präliminarien“, die dem eigentlichen philosophischen Gespräch vorangegangen waren. 32 prodit … prodar: Zum Zwecke einer erhöhten Wirkung des lusus verborum (prodire und prodere) wird ein Tempuswechsel vorgenommen. 33 f non enim cuiquam in potestate est, quid veniat in mentem: Dass der Mensch grundsätzlich über seine Gedanken und Einfälle keine Macht besitzt, wird auch in util. cred. 6 hervorgehoben. Vgl. als Parallele auch – mit anderem philosophischen Hintergrund – Lukrez, welcher die Spontaneität plötzlicher einsetzender Gedanken mit unregelmäßigen Bewegungsänderungen der Atome erklärt (rer. nat. 2,256–260): libera per terras unde haec animantibus exstat, / unde est haec, inquam, fatis avolsa voluntas, / per quam progredimur quo ducit quemque voluptas, / declinamus item motus nec tempore certo / nec regione loci certa, sed ubi ipsa tulit mens? 34 f ut me ipse [sc. sermo] doceat, quid tibi debeam respondere: nochmaliger deutlicher Anklang an die hochgeschätzte „sokratische Methode“ (vgl. supra zu 1,5,13, Z. 22 f). Vorausgesetzt wird, dass beim maieutischen Verfahren die Antworten nicht beliebig, sondern geradezu zwangsläufig (vgl. debeam) nach den klaren und eindeutigen Gesetzen der erfolgen. Wie schon in § 13 ist das Gespräch selbst93, d. h. die wissenschaftliche Disputation, die eigentliche „Lehrerin“.94 92
Vgl. supra zu 1,4,10, Z. 8 f (s. v. Habemus … Licentium non Academicum). Das ipse wird pleonastisch – unabsichtlich oder zur besonderen Verstärkung? – doppelt dem sermo attribuiert (vgl. Z. 33 f). 94 Die hier geäußerte erkenntnistheoretische Auffassung steht in der Nachfolge Platons (vgl. bes. Menon 81 b ff) in Verbindung mit der Anerkennung der -Lehre (vgl. als die Hauptstellen bei Augustin: beat. vit. 4,35; quant. anim. 34; immort. 6; epist. 7,2). Sobald diese Lehre durch die Vorstellung der sog. „Illumination“ bzw. „Irradation“ ersetzt wird (schon sehr bald; vgl. Trelenberg, Einheit, S. 87 f, Anm. 73), schwindet dementsprechend auch die gnoseologische Bedeutung des „dialektischen“ Gesprächs an sich. Nun ist zu beobachten, dass diese 93
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II. Kommentar
36 litteris, ut instituisti, mandata: Augustinus scheint hier gegen das „Prinzip der Wirklichkeitsnähe“95 zu verstoßen. Bisher war innerhalb der Dialogpartie von einer schriftlichen Aufzeichnung des Gesprächs nicht die Rede, geschweige denn von einer Veröffentlichung (vgl. Z. 36: pervagentur paulo latius ad hominum famam). Es besteht ein nicht geringer Widerspruch zur augustinischen Darstellung, welche den größten Wert darauf legt, dass das Gespräch über die Ordnung sich äußerlich und insbesondere inhaltlich zwanglos aus der Situation heraus (Wachsein in der Nacht, Wasserrauschen etc.) entwickelt habe. Auf der Ebene der Dialogkomposition muss gefragt werden: Woher wusste Licentius von der weitergehenden Absicht Augustins? Erst in ord. 1,8,26 wird geschildert, dass man die nächtliche Disputation nachträglich aufgrund ihrer empfundenen Bedeutsamkeit schriftlich fixierte. 36 pervagentur paulo latius ad hominum famam: Obwohl es sich bei den Dialogen von Cassiciacum – abgesehen von De pulchro et apto96 – um die Erstlingswerke Augustins handelt, wird offensichtlich mit einem gewissen Verbreitungsgrad der Schriften gerechnet. Die subjektive Überzeugung, dass es sich im Falle von De ordine um ein bedeutendes Werk handeln werde, ist mehrfach deutlich und keineswegs unbescheiden ausgesprochen.97 Wenn es um die Motivation des „Ausstiegs“ aus dem beruflichen Alltag in Mailand geht, wird in der Augustinliteratur ein wohl entscheidender Grund unterbewertet. Zu sehr werden lediglich die hehren, uneitlen Gründe der confessiones nachgesprochen. Augustin war, dies wird ebenfalls autobiographisch auf beinahe jeder Seite bestätigt, ein Mensch von allergrößtem Ehrgeiz. In seinem gelernten Beruf als Rhetor war mit der angesehenen Anstellung in Mailand der Höhepunkt der Karriere zweifellos erreicht; die schriftstellerische Tätigkeit allerdings trug die Möglichkeit einer ungleich größeren fama hominum in sich. Dazu aber benötigte er schlicht und einfach mehr Zeit, die ihm die Last des Lehrberufes nur selten ließ. Es ist sicherlich an der Zeit, das verklärte Bild der „Bekenntnisse“ auch in dieser Hinsicht kritisch zu hinterfragen! Vgl. hierzu infra Ergebnis 2. 37 Chaldeus: das südbabylonische Volk der Chaldäer war in der Antike durch astronomische Kenntnisse, Astrologie und Zauberei berühmt; Chaldeus daher eine metaphorische Sammelbezeichnung für Wahrsager, Sterndeuter und Orakelkünder jeder Art; vgl. Cicero, div. 1,2; 2,87; Lukrez 5,727. 42 futurum quendam librum non ignobilem: Keseling, Weltregiment, S. 230, bescheinigt Augustin (mit Hinweis auf W. Thimme, Bemerkungen, S. 12) bedeutende Zäsur innerhalb der Erkenntnistheorie in bemerkenswerter Weise mit dem frühen Aufgeben der Dialogform überhaupt zusammenfällt (der letzte von insgesamt 8 Dialogen ist bereits die Schrift De magistro aus dem Jahre 388/90). Diesen entscheidenden inneren Grund für die Aufgabe der Dialogform bei Augustin hat B. R.Voss, Dialog, S. 291 (trotz richtiger anderer Erklärungsansätze) nicht gesehen. 95 Vgl. zu dieser von Augustin übernommenen literarischen Tradition B. R.Voss, Dialog, S. 221.223 f.298. 96 Vgl. conf. 4,13,20–15,27. 97 1,5,14, Z. 37: res magna; Z. 42: librum non ignobilem; 1,8,26, Z. 80: tam insignita.
2. Hauptteil: 1,6,15
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eine gewisse „Literateneitelkeit“. – Geradezu typisch für die augustinische Kompositionstechnik ist, dass er sein Eigenlob regelmäßig durch seine Gesprächspartner ausdrücken lässt: c. acad. 3,20,44 f (Alypius); beat. vit. 4,35 (Trygetius); ord. 1,5,13 (Licentius); 2,10,28 (Alypius); 2,20,53 (Alypius). 44 in agro … in domo: Die komplementäre Wendung (Übs. Keseling: „draußen … drinnen“) unterstreicht effektvoll die Universalität der in jeder winzigen Kleinigkeit wirksamen göttlichen Ordnung. 1,6,15: „Zur allumfassenden Ordnung existiert kein Gegenteil“ (Licentius) 1 Apparet te, inquam, nescire, adulescens, quam multa et a qualibus viris contra divi-
nationem dicta sint. Sed responde nunc, non utrum fiat aliquid sine causa – nam id iam video te nolle respondere – sed ordo iste susceptus tuus bonumne quicquam an malum tibi esse videatur. – Et ille submorans: Non, inquit, sic rogasti, ut unum e 5 duobus queam respondere. Video hic enim quandam medietatem. Nam ordo mihi nec bonum nec malum videtur. – Quid saltem censes, inquam, ordini esse contrarium? – Nihil, ait ille; nam quomodo esse quicquam contrarium potest ei rei, quae totum occupavit, totum obtinuit? Quod enim erit ordini contrarium, necesse erit esse praeter ordinem; nihil autem esse praeter ordinem video: nihil igitur ordini 10 oportet putare esse contrarium. – Ergone, ait Trygetius, contrarius ordini error non est? – Nullo modo, inquit; nam neminem video errare sine causa; causarum autem series ordine includitur et error ipse non solum gignitur causa sed etiam gignit aliquid, cui e causa fit. Quam ob rem quo extra ordinem non est, eo non potest ordini esse contrarius.
1 f quam multa et a qualibus viris contra divinationem dicta sint: Licentius hatte versucht, die umfassende Weltordnung durch Hinweis auf die Möglichkeit der Weissagung zu verifizieren (vgl. § 14), denn diese könne – so der latente Grundgedanke – nicht ohne einen feststehenden ordo existieren (siehe Z. 43: non enim posset aliter divinare); Augustin hält diesen Weg für nicht gangbar und hält dem unwissenden „Jüngling“ (vgl. die demonstrativ herabsetzende Anrede als adulescens) die Autorität der weissagungskritischen Tradition entgegen. Natürlich ist damit auf das 2. Buch von Ciceros gleichnamiger Schrift De divinatione angespielt.98 98 Die von Cicero gegen die der Stoiker gesammelten Argumente, wohl auch die bloße Autorität des Autors selbst (vgl. a qualibus viris), haben Augustin offensichtlich überzeugt. Später – unter Einfluss der biblischen Prophetie – ist für Augustin die Möglichkeit der Zukunftsvorhersage selbstverständlich; in Cassiciacum aber hat er zu ihr noch kein positives Verhältnis (vgl. das Unverständnis bei der Lektüre des Propheten Jesaja; conf. 9,5,13). Im Gegensatz zu Augustin rechnen andere Neuplatoniker unbedingt (in der Nachfolge der Stoa) mit der Möglichkeit, ja Notwendigkeit der Weissagung; vgl. z. B. Plotin, Enn. 3,1,2,10; 5,20–6,30; 8,34; 10,39 (die bzw. erscheint geradezu als Prämisse der -Lehre); vgl. auch Enn. 4,3,16. Siehe auch die Verteidigung der Orakel in Porphyrios’ De philosophia ex oraculis haurienda (dazu civ. 19,23).
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II. Kommentar
3 ordo: statt orbo (offensichtlicher Druckfehler bei Green; siehe supra Kap. I 5). 6 f Quid saltem censes … ordini esse contrarium? Augustin sucht nach einem Ansatzpunkt, um den Begriff des ordo näher zu bestimmen und zu präzisieren. Nachdem Licentius auf die Frage nach der Güte der Ordnung ausweichend geantwortet hatte (Z. 5 f: ordo mihi nec bonum nec malum videtur), versucht Augustin – nach bewährtem Muster – eine genauere Definition über die Bestimmung des Gegenteils. Bereits in De beata vita hatte er ausführliche Gegensatzbestimmungen vornehmen lassen (siehe 1,8: frugalitas – nequitia; 4,30–32: esse – non esse; divitiae – paupertas; egestas – plenitudo; stultitia – sapientia) und war darüber zu vertieften Einsichten gelangt. Insgesamt spielen die dialektischen Methoden der Semantisierung und Etymologisierung (Gegensatzbestimmung, Analogiebildung, Zergliederung von Wortbedeutungen, Finden von Überbegriffen, Erklärungen durch Wortableitungen etc.) in der Philosophie des jungen Augustin eine nicht zu übersehende Rolle.99 Diese lexikalischen Untersuchungen werden – die vorliegende Stelle ist ein Musterbeispiel – mit höchster Akribie und Ernsthaftigkeit durchgeführt und es zeigen sich hier die platonischen Voraussetzungen: Sprache wird nicht nur als menschliche, mehr oder weniger zufällig entstandene Konvention, sondern als in jeder Hinsicht getreues Abbild von Wirklichkeit aufgefasst. „Worte sind keine Zufallsprodukte, sondern Ausdruck des Wesens einer Sache.“100 – Für die Vorstellung der Entstehung von Sprache, insbesondere der philosophisch wichtigen Begrifflichkeiten, vgl. aufschlussreich beat. vit. 4,30: Adtendite quaeso altius, quanta cura priscorum hominum sive omnia sive, quod manifestum est, quaedam verba creata sunt earum rerum maxime, quarum erat notitia pernecessaria. 7 Nihil: anders als noch in beat. vit. 2,8 ist das nihil hier nicht im ontologischen Sinne aufzufassen; Licentius will lediglich aussagen, dass es zum ordo keinen Gegensatz gebe. 7 f quomodo esse quicquam contrarium potest ei rei, quae totum occupavit, totum obtinuit? Der ordo umfasst das totum und füllt es gewissermaßen vollständig aus. Zwar wird keine ausdrückliche Identifizierung von „Ordnung“ und „(Welt-)All“ vorgenommen, doch ist die begriffliche Approximation – nach dem Vorbild des griechischen – sichtlich weitgehend. Die Worte des Licentius spiegeln die augustinische Geisteshaltung: Die These von der Ubiquität des ordo, der das All umfasst und daher keinen Gegensatz duldet, ist Stoizismus im neuplatonischen Gewande101 und eine klare Absage an alle dualistischen (antagonistischen) Systeme, namentlich des Manichäismus. – Zum Gedanken, dass Gott 99 Ähnliches gilt, mit anderer Intention, für die spätere Presbyter- und Bischofszeit; vgl. hier insbesondere die exegetischen Schriften (inklusive der sermones). 100 I. Schwarz-Kirchenbauer, Glück, S. 358 f. 101 Das neuplatonische Proprium liegt in der dezidierten Weigerung, idealen Begrifflichkeiten bzw. Wesenheiten (zu denen der ordo zweifellos gehört) Gegensätze zuzuordnen. Was als Gegensatz erscheinen mag, ist – so das gängige, auch von Augustin immer wieder übernommene Erklärungsmuster – lediglich „Beraubung“ und „Mangel“ (Plotin: , , ; augustinisch meist: privatio) am Positiven und Ursprünglichen.
2. Hauptteil: 1,6,15
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das Weltall gänzlich und „ohne Rest“ ausfülle, vgl. die berühmte (pantheistische?) Mystik Augustins zum Eingang seiner „Bekenntnisse“ (conf. 1,2,2–3,3). 8 f Quod enim erit ordini contrarium, necesse erit esse praeter ordinem: Gemeint ist, dass der Begriff ordo und dessen (hypothetisches) Gegenteil sich in ihrem Bedeutungsspektrum in keinem Punkte überschneiden dürfen. Es handelt sich um eine notwendige (vgl. necesse), nicht hinreichende (vgl. beat. vit. 4,30–32) Bedingung für ein contrarium. – Zu Begriff und Definition des contrarium siehe Cicero, fat. 37; inhaltlich vergleichbar bei Cicero ist div. 2,18 (als contrarium zur ratio und constantia fungiert dort die fortuna). 9 nihil … esse praeter ordinem: Die bereits in 1,3,8 formulierte, lange strittige Hypothese102 ist mittlerweile approbiert (keiner der Gesprächspartner des Licentius erhebt mehr einen Einwand) und kann innerhalb des Beweisganges – sc. dass es zur „Ordnung“ kein contrarium gebe – als Prämisse eingeführt werden. 10 f Ergone, ait Trygetius, contrarius ordini error non est? Trygetius bringt versuchsweise den error als Gegensatz zum ordo ins Gespräch. Dies ist nur verständlich, wenn man den gesamten Bedeutungsgehalt von error überschaut. Die deutsche Übersetzung mit „Irrtum“ (so Perl, Keseling und Mühlenberg) und auch das französische „erreur“ (Doignon) werden diesem nur bedingt gerecht. Es ist in erster Linie das ziellose „Schwanken“ und „unstet sein“ in der epikureischen Tradition, die hier genannt werden muss, namentlich das zufällige „Abweichen“ (der Atome103), welches einer jederzeit und von Anbeginn feststehenden „Ordnung“ scheinbar widerspricht. 11 neminem video errare sine causa: Licentius schränkt, was für seine Argumentation günstig ist, geschickt und kaum merklich den von Trygetius ins Spiel gebrachten allgemeinen error durch das Setzen von neminem (nicht: nihil) auf das spezifisch menschliche errare ein. Damit evoziert er eine Bedeutungsvorstellung im Sinne von „sich täuschen“ bzw. „einen Fehlschluss ziehen“. Dass aber der error als menschlicher „Fehlschluss“ immer eine Ursache hat, niemals sine causa geschieht, kann er seinen Gesprächspartnern ohne größere Probleme im Folgenden (Z. 11–14) plausibel machen. 11–13 causarum autem [etc.] … fit: Der error wird, indem für ihn eine Ursache postuliert wird, sowohl „rückwärts“ im sog. ordo causalis verankert, als auch „nach vorne“ hinsichtlich eines sog. ordo finalis für gewisse Wirkungen und Folgen verantwortlich gemacht. Damit ist selbst der scheinbar sperrige error in das Kontinuum der series causorum eingefügt und seine Stellung innerhalb der globalen Ordnung steht nicht mehr außer Zweifel. 102
Siehe supra zur Stelle; dortiger Wortlaut: praeter ordinem nihil …. fieri (Z. 36). Vgl. Lukrez 2,132, der die unregelmäßige Bewegung der Körper durch ein „irrendes Abweichen“ der Atome erklärt: scilicet hic a principiis est omnibus e r r o r. Eben diese unvorhersagbare und spontane „Abweichung“ (declinatio) der demokritisch-epikureischen Ursprungskörper setzt den scheinbaren ordo von Ursache und Wirkung, mithin das Schicksal (fatum) selbst, welches auf dieser Ordnung aufbaut, außer Kraft: Denique si semper motus conectitur omnis / et vetere exoritur ‚motu‘ semper novus o r d i n e c e r t o / nec declinando faciunt primordia motus / principium quoddam, quod fati foedera rumpat,/ ex infinito ne c a u s a m c a u s a s e q u a t u r / … (2,251–255). 103
112
II. Kommentar
Die Wortwahl der augustinischen Formulierungen (causarum series als iuxta positum zu ordo; vgl. auch gignere) steht in deutlicher Nähe zu Ciceros bekannter fatum-Definition in div. 1,125: fatum autem id appello, quod Graeci , id est ordinem seriemque causarum, cum causae causa nexa rem ex se gignat. Zum Begriff der causarum series vgl. auch fat. 9,20.104 – Ebenfalls bei Cicero findet sich der Gedanke, dass selbst der Irrtum (in der Form der falsa enuntiatio) eine Ursache besitzt; vgl. hierzu das Chrysipp-Referat in fat. 20 f. 1,6,16: Freude über Licentius und sein Philosophieren 15 Et cum tacuisset Trygetius egoque me ipsum non caperem gaudio, quod videbam
adulescentem, carissimi amici filium, etiam meum fieri, nec solum, verum in amicum quoque iam mihi surgere atque grandescere et, cuius studium vel in mediocres litteras desperaveram, quasi respecta possessione sua toto impetu in mediam venire philosophiam – quod dum tacitus miror et exaestuo in gratulatione, subito ille quasi 20 mente quadam correptus exclamat: O si possem dicere quod volo! rogo, ubiubi estis, verba, succurrite. Et bona et mala in ordine sunt. Credite, si vultis; nam quomodo id explicem nescio.
15 cum tacuisset Trygetius egoque me ipsum non caperem gaudio: Die Beweisführungen des Licentius (Z. 7–10; 11–14) werden szenisch aufgewertet: Trygetius weiß nichts mehr zu sagen und Augustin kann sich vor Freude nicht fassen.105 – Auffällig häufig erwähnt Augustin das Schweigen von Diskussionspartnern; dieses ist manchmal ein ratloses, häufiger ein nachdenkliches, oft ein andächtig staunendes Schweigen, in jedem Fall kompositionstechnisch dazu bestimmt, inhaltlich wichtige oder in der Argumentationsweise gelungene Beiträge nachträglich hervorzuheben, deren Nachhall zu kennzeichnen und gewissermaßen als eingeschaltete retardierende Momente der Gleichförmigkeit entgegenzuwirken, gleichsam dem Leser „Atempausen“ zu gönnen, nicht zuletzt szenische Spannung – je nach gewünschtem Effekt – entweder auf- oder abzubauen. Vgl. im Einzelnen für De ordine die Schweigenotizen in: 1,3,8, Z. 31; 1,3,9, Z. 48; 1,6,16, Z. 19; 1,7,17, Z. 1; 1,7,19, Z. 26.29.36; 1,8,24, Z. 56; 1,10,28, Z. 1.8; 2,1,3, Z. 39; 2,2,5, Z. 22–25; 2,2,7, Z. 56; 2,3,8, Z. 6; 2,7,21, Z. 21; 2,7,22, Z. 39; 2,8,23, Z. 72; für c. acad. siehe 1,3,7; 1,3,9; 1,5,14; 2,7,16; 2,8,21; 2,12,27; für beat. vit. vgl. 2,12. 16 carissimi amici filium: Licentius ist der Sohn des Romanianus, mit dem Augustin seit frühester Jugend freundschaftlich verbunden war (vgl. epist. 104 Gunermann, Sprache, S. 160, verweist zusätzlich auf Cicero, nat. deor. 1,9 (continuatio seriesque rerum), ibid. 1,55 (causarumque continuatione) und div. 1,127 (conligationem causarum omnium). 105 Die Freude des Augustin ist lautlos, wie aus Z. 19 (tacitus miror) und 1,7,17, Z. 1 (Ego mirabar et tacebam) eindeutig hervorgeht; die Übersetzungen von Perl (S. 16) und Mühlenberg (S. 259) an dieser Stelle irreführend; richtig Keseling (S. 126: „ich selbst konnte mich vor Freude nicht fassen“) und Doignon (S. 109: „moi-même ne me contenant plus de joie“).
2. Hauptteil: 1,6,16
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27,4: ab ineunte adulescentia mihi familiariter amicissimus; conf. 6,14,24: Romanianus … ab ineunte aetate mihi familiarissimus; siehe auch epist. 5 und c. acad. 2,2,3). Romanianus entstammte der Oberschicht von Thagaste106 und hatte bereits in Augustins Heimatstadt107 den damals noch jungen Schüler und Studenten finanziell unterstützt, ihn jederzeit in seinem Hause willkommen geheißen und auch später ebendort – Augustin war bereits Berufsanfänger – für die notwendigen Verbindungen und Beziehungen seines nur aus einfachen Verhältnissen stammenden Schützlings gesorgt (vgl. die diesbezügliche „Laudatio“ in c. acad. 2,2,3); insbesondere beim Tode seines Vaters108 (vgl. ibid.) hatte er mit Trost, moralischer wie materieller Unterstützung beigestanden; als Augustin um einer angeseheneren Stellung willen nach Karthago109 wechseln wollte, unterstützte und förderte er – nach anfänglichem Zögern aus lokalpatriotischen Gründen – auch diesen Entschluss mit tatkräftiger Hilfe; in die Pläne zur heimlichen Abreise nach Rom110 wurde Romanianus nicht eingeweiht, dennoch hielt er, was Augustin ihm sehr hoch anrechnete, die Freundschaft unerschütterlich aufrecht (vgl. ibid.). Augustin und Romanianus verbanden gemeinsame Erlebnisse, so der einstige Übertritt zum manichäischen Glauben (vgl. c. acad. 1,1,3: … ab illa superstitione, in quam te mecum praecipitem dederam)111 wie auch die gemeinschaftlichen Pläne zum Rückzug in ein otium philosophandi. Dieses sog. „Mailänder Projekt“112, dessen materielle Unterstützung Romanianus allerdings von dem Ausgang gewisser importunae lites (Voss: „lästige Rechtshändel“) abhängig machen musste,113 wurde in dieser Form zwar nie verwirklicht, Romanianus hätte jedoch – so sehr war er von dieser Idee angetan – sogar sein Erbe mit Augustin geteilt (vgl. ibid. 1,2,4: … tam magno es elatus gaudio, tam sancto huius vitae inflammatus ardore, ut te diceres, si tu ab illarum importunarum litium vinculis aliquo modo eximereris, omnia mea vincula etiam patrimonii tui mecum participatione rupturum). Ob sich Romanianus später aufgrund des unermüdlichen Werbens und Drängens Augustins114 dem katholischen 106 Zur Frage, ob er mit dem auf einer Inschrift aus Thagaste (CIL 8 suppl. 1 Nr. 17226) erwähnten Cornelius Romanianus identisch sei, vgl. Fuhrer, Contra Academicos, S. 5 (dort weitere Literatur). 107 Augustins Aufenthalt in Thagaste wird in der Regel wie folgt datiert: von 369 bis 370 (Beginn eines „Studiums“ nach der Rückkehr aus Madaura) sowie von ca. 373/4 bis ca. 376 (Übernahme eines Lehrauftrags nach dem ersten Karthagoaufenthalt). Vgl. zur Chronologie im Einzelnen O. Perler / J. L. Maier, voyages, S. 128–133 und 430 f; A. Solignac, confessions, S. 202–203; A. Schindler, Augustin, S. 646–648; I. Hadot, Erziehung, S. 121 f. 108 Bereits im Jahre 370, nach der Rückkehr von Madaura nach Thagaste, zwei Jahre vor Augustins 19. Lebensjahr (conf. 3,4,7: iam defuncto patre ante biennium). 109 Augustins Lehrtätigkeit in Karthago umfasste insgesamt die Jahre von ca. 376 bis 383. 110 Im Jahre 383 (vgl. util. cred. 8,20; conf. 5,8,15). 111 Vgl. zur manichäischen Periode des Romanianus: F. Della Corte (Il mecenatismo di Romaniano, in: Maia 38, 1986, S. 3–12), S. 6–9. 112 Vgl. conf. 6,14,24. 113 Zum Hintergrund vgl. Mandouze, Prosopographie, Bd. 1, S. 995; McNamara, Friendship, S. 81; Lepelley, cités, Bd. 2, S. 178. 114 Vgl. die (an Romanianus gerichteten) epist. 15–17.
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II. Kommentar
Glauben zuwandte, ist – nach epist. 27,4 f; 32; 259,3 – zwar nicht zweifelsfrei ersichtlich, aber doch wahrscheinlich.115 17 f cuius studium vel in mediocres litteras desperaveram: Mit den mediocres litterae ist die Dichtkunst gemeint, für die Licentius sich zum Unmut seines Lehrers übermäßig begeistert hatte; vgl. ord. 1,2,5; 1,3,8; 1,8,21; c. acad. 2,4,10; 3,1,1; 3,4,7; vgl. supra zu 1,2,5, Z. 22 (s. v. Licentius). Augustins Geringschätzung der Dichtung als „unbedeutende Wissenschaft“116 basiert darauf, dass ihr zumeist mythologischer Inhalt für die Wahrheitssuche als wenig nutzbringend beurteilt wird. Die Dichtung sage die „Unwahrheit“ und sei nichts anderes als eine „Lügenwissenschaft“; vgl. ord. 2,12,37 und 2,14,40 (Z. 25–28: Sic ab ea [sc. von der ratio] poetae geniti sunt. In quibus cum videret … verborum rerumque magna momenta, plurimum eos honoravit eisque tribuit … rationabilem mendaciorum potestatem). – Wohlgemerkt sind es die lügenhaften Inhalte der Dichtkunst, nicht etwa ihre „vernünftige“ Form, die auf Augustins Ablehnung stoßen; die zuhöchst rationale, auf Maß und Zahl beruhende Wissenschaft der Metrik besitzt jederzeit Augustins Bewunderung (vgl. ord. 2,14,40); immerhin schrieb Augustin in den Jahren 388/90 das Werk De musica, dessen rhythmisch-metrische Spezialanalysen – mit äußerster Akribie verfasst – die ersten sechs Bücher nahezu ausfüllen. 18 quasi respecta possessione sua: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5] Die Übersetzungen weichen in der Deutung der Stelle voneinander ab. Perl (S. 16): versehentliche (?) Auslassung des Ausdrucks; Keseling (S. 126): „… gewissermaßen sein geistiges Vermögen entdeckt hatte“; Mühlenberg (S. 259): „… als betrachte er sie [sc. die Dichtkunst] schon als seine Domäne“; Doignon (S. 109): „[… la philosophie,] comme s’il revoyait son domaine“. Die Übersetzungen Doignons und insbesondere Keselings treffen den Kern der Aussage; die possessio sua des Licentius ist nicht die Dichtkunst, sondern eindeutig die Philosophie (Bezug auf Z. 19: philosophiam),117 diese wurde schon in 1,3,9, Z. 57 f sehr ähnlich als „unsere Behausung“ (nostra habitatio) bezeichnet. Zum Ausdruck kommt derselbe platonische Grundgedanke: „Weisheit“ und „Wissen“ sind das Eigentum eines jeden Menschen, welche in seinem Inneren a priori angelegt sind und lediglich „wiederentdeckt“ (vgl. respecta) werden müssen.118 Auch die Fähig115
So O’Meara, Academics, S. 14; Bardy, élève, S. 70; McNamara, Friendship, S. 82 f. Die Übersetzung bei Keseling (S. 126: „bei dem ich wissenschaftliche Interessen auch in mäßigem Umfange nicht mehr erhofft“) trifft nicht den Sinn. Keineswegs wird Licentius’ mangelnder wissenschaftlicher Eifer von Augustin getadelt, denn dieser ist (siehe die genannten Stellen) zur Genüge vorhanden; lediglich die falsche Akzentsetzung zuungunsten der Philosophie, der „Krone der Wissenschaften“ (vgl. ord. 2,16,44–19,51), wird kritisiert. 117 In diesem Sinne interpungiert auch Green richtig vor quasi respecta possessione sua und nicht etwa dahinter. 118 Zum sog. „Innerlichkeitsprinzip“ als eine der besonderen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen Augustins vgl. (herausgehoben aus den zahlreichen Publikationen zu diesem Thema) die besonders eindrucksvolle Nachzeichnung bei A. Schöpf, Wahrheit, passim, bes. S. 137–171, sowie die sorgfältige und materialreiche „Schrift-für-Schrift“-Analyse bei F. Körner, Innerlichkeit, passim. Zum platonischen Hintergrund der frühen Anamnesislehre bei Augustin vgl. zu 1,5,14, Z. 34 f. 116
2. Hauptteil: 1,6,16
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keit des „Wiederentdeckens“ – namentlich mit Hilfe der Philosophie – inhäriert jedem Menschen gleichermaßen von Natur aus und stellt damit sein ureigenes „geistiges Vermögen“ (Keseling) dar. 18 f in mediam … philosophiam: Es lohnt sich, die Frage zu stellen, was Augustin als „die Mitte der Philosophie“ verstanden wissen will, auf die Licentius „mit vollem Schwung“ (toto impetu; Z. 18) zugesteuert sei. Dies kann nur durch einen Rückblick auf seinen letzten Diskussionsbeitrag (§ 15) geklärt werden: Die Essenz der Aussagen ist fraglos, dass die Ordnung, zu der es angeblich keinen Gegensatz gebe, weltumspannend und im wahrsten Sinne des Wortes all-umfassend sei. Ein eigenständiges, außerhalb des ordo existierendes Gegenprinzip erscheint als nicht vorstellbar. Die „Mitte der Philosophie“ ist also nichts anderes als das kompromisslose Bekenntnis zum monistischen Weltbild. Dies ist insofern verständlich, als für Augustin die „wahre und echte Philosophie“, wie der Schluss der Schrift (siehe ord. 2,16,44–19,51) noch mehr als deutlich zeigen wird, die neuplatonische Lehre darstellt.119 Mit ihrer Hilfe hat er den manichäischen Dualismus seinerzeit überwunden, mit ihrer Hilfe die Möglichkeit gesehen, zum christlichen Glauben an den einen guten und allmächtigen Gott zurückzukehren. Dass nun auch sein Schüler sich diesem bedingungslosen Monismus verpflichtet fühlt und sich in dieser Auffassung in keiner Weise beirren lässt, erfüllt ihn mit größter Freude (Z. 15: gaudio) und Dankbarkeit (Z. 19: gratulatione). 20 f rogo, ubiubi estis, verba, succurrite: „Bitte, wo auch immer ihr seid, ihr Worte, kommt mir zu Hilfe!“ Effektvolle Apostrophe, die die geradezu rauschhafte Verzückung, in der Licentius sich befindet (vgl. Z. 19 f: quasi mente quadam correptus; § 17, Z. 2: ebrietate), unterstreicht. – Das Fehlen der Worte auf dem Höhepunkt der philosophischen , überhaupt die Schwierigkeiten, das intuitiv Erfasste und Geschaute zu vermitteln, ist vor allem durch und bei Plotin bekannt, der mehrfach – unter Ausschaltung aller Rationalität – das geschaut haben will. In diesem Stadium befindet sich Licentius zweifellos noch nicht (die Diskussion verlässt die sachlich-rationale Ebene an keiner Stelle), obwohl Ansätze in der Kennzeichnung durchaus feststellbar sind: So ist Licentius zeitweise nicht ansprechbar (vgl. § 17, Z. 2: affabilem) und verwirrt die anderen durch wiederholtes lautes Aufschreien (ibid., Z. 4: clamitando). 21 Et bona et mala in ordine sunt: Rückbezug auf § 15, Z. 5 f (Nam ordo mihi nec bonum nec malum videtur), wo Licentius es schon einmal abgelehnt hatte, die „Ordnung“ im ethischen Sinne entweder als gut oder als schlecht zu klassifizieren. Gleichwohl ist ein deutlicher Erkenntnis- und Diskussionsfortschritt zu verzeichnen: Die Vorstellung vom ordo wandelt sich von einem wertneutralen 119 Vgl. bes. deutlich 2,18,47 (Z. 8): in ea [sc. philosophia] nihil plus inveniet, quam quid sit unum. Es ist also das unum (= das plotinische ), welches für Augustin getreu seinem neuplatonischen Vorbild den Kern und das innerste Zentrum aller Philosophie darstellt; vgl. bes. auch die augustinische Einheitsspekulation in 2,18,48 (dazu ausführlich Trelenberg, Einheit, S. 42–48 und S. 93–96).
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II. Kommentar
„Mittleren“ (vgl. § 15, Z. 5: medietas) zwischen und außerhalb von Gut und Böse hin zu einem wertumfassenden, inklusivistischen Verständnis von „Ordnung“, welches sowohl das bonum als auch das malum auf einer gleichsam höheren Ebene zu integrieren weiß. Diese neue Sichtweise ist der eingeschobenen Gegensatzdiskussion (siehe § 15, Z. 6–14 mit dem Ergebnis, dass der ordo das totum umfasse) zu verdanken, ist aus dieser konsequent abgeleitet und demonstriert neben der logischen Stringenz eine bemerkenswerte Zielstrebigkeit des von Augustin konstruierten Gesprächsverlaufs. 1,7,17: Umfasst die von Gott geliebte Ordnung auch das Böse? 1 Ego mirabar et tacebam. Trygetius autem ubi vidit hominem paululum quasi digesta
ebrietate affabilem factum redditumque conloquio: Absurdum, inquit, mihi videtur, Licenti, et plane alienum a veritate quod dicis; sed quaeso patiare me paululum nec proturbes clamitando. – Dic quod vis, ait ille; non enim metuo, ne me auferas ab eo, 5 quod video ac paene teneo. – Utinam, inquit, ab eo quem defendis ordine devius non sis! Non tanta in deum feraris, ut mitius loquar, incuria. Quid enim potuit dici magis impium quam etiam mala ordine contineri? Certe enim deus amat ordinem. – Vere amat, ait ille; ab ipso manat, et cum ipso est, et si quid potest de re tantum alta convenientius dici, cogita quaeso ipse tecum. Nec enim sum idoneus, qui te ista 10 nunc doceam. – Quid cogitem? inquit Trygetius; accipio prorsus quod dicis satisque mihi est in eo, quod intellego. Certe enim et mala dixisti ordine contineri et ipsum ordinem manare a summo deo atque ab eo diligi. Ex quo sequitur, ut et mala sint a summo deo et mala deus diligat.
3 f quaeso patiare me paululum nec proturbes: Kompositionstechnischer Hinweis an den Leser, dass Trygetius in Kürze etwas Wichtiges und Bedeutendes sagen wird (vgl. infra zu Z. 12; s. v. Ex quo sequitur …). 5 ab eo quem defendis ordine devius: Hyperbaton mit eingeschobenem Relativsatz; Trygetius macht pointiert auf die Gefahr aufmerksam, Licentius könne in seinem Übereifer beim Verteidigen der Ordnung den „ordentlichen“ (d. h. den rechtmäßigen und gottesfürchtigen120) Weg verlassen. 7 impium: Dass die „Ordnung“ auch das Böse umfasse, ist für Trygetius ein frevelhafter und gottloser Gedanke. In derselben Weise äußert sich Augustin bereits im Proömium (vgl. supra zu 1,1,1, Z. 13): Die Alternativen, Gottes Vorsehung sei entweder nicht allumfassend oder aber das Böse geschehe nach seinem Willen und sei daher in seinem Plan inbegriffen, werden beide verworfen, die letztere jedoch als besonders „frevelhaft“ bezeichnet (utrumque impium, sed magis posterius).
120 Dass der von Trygetius angesprochene ordo eine sittlich-moralische Qualität impliziert, wird im Folgenden sichtbar: Er warnt Licentius davor, sich gegen Gott zu wenden (Z. 6: Non … in deum feraris) und einen frevelhaften Weg (vgl. Z. 7: impium) zu beschreiten.
2. Hauptteil: 1,7,17
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8 ab ipso manat, et cum ipso est: Augustin verwendet das typische Vokabular neuplatonischer Emanationstheorie; (e-)manare (griech. meist: - oder ) ist terminus technicus für das Entstehen (= „Entströmen“) einer Substanz aus der nächsthöheren Hypostase und fungiert als häufig benutzte Metapher für den Gedanken der Seinsmitteilung ohne eigenen Kraft- bzw. Seinsverlust. In der griechischen wie lateinischen Kirchenvätertradition ist für die Erklärung der Trinitätsvorstellung das Bild von Gott (genauer: dem „Vater“) als der „Quelle“ (fons bzw. ) ungemein weit verbreitet.121 Auch Augustin spielt mit der Aussage, dass der ordo von Gott selbst „ausströmt“ und sich „bei ihm selbst befindet“, unübersehbar auf den trinitarischen Gedanken an. Ebenso wird in ord. 2,19,51 das signifikante manare – deutlicher noch als hier – für die trinitarische Spekulation verwendet (Z. 33–35): … audebit [sc. ratio] iam deum videre atque ipsum fontem, unde manat omne verum, ipsumque patrem veritatis.122 Vgl. auch den eindeutigen Gebrauch von emanare in der für die frühe Trinitätslehre Augustins so wichtigen Stelle beat. vit. 4,35: de ipso ad nos fonte veritatis emanat. Noch mehrere andere Indizien vermögen zu bestätigen, dass der kleine eingeschobene Abschnitt (bes. Z. 8–10) gleichsam auf einer Metaebene verstanden werden soll: Dafür muss beachtet werden, dass der Begriff ordo, wie oben bereits vermerkt,123 bereits im augustinischen Frühwerk bis hin zu den spätesten Schriften als häufige und beliebte Chiffre für die dritte trinitarische Person fungiert.124 In besonderer Weise ist sodann das Prinzip der „Liebe“ Kennzeichen für die innertrinitarische Beziehung: Insgesamt drei Mal wird dezidiert festgestellt, dass 121 Vgl. für die Wassermetaphorik im Zusammenhang der bini- bzw. trinitarischen Spekulation: Athenagoras, leg. 10; Tatian, orat. 5; Justin, dial. 61,128; Tertullian, apol. 21; adv. Prax. 8 (fons, flumen, rivus), 51; Athanasius, Expositio fidei 80,2 ( ); or. c. Ar. 1,19; or. c. Ar. 2,27; epist. Serap. 1,19; Hilarius, De trin. 9,37 (fons, rivus); Marius Victorinus, Adv. Ar. 4,31 (fons, flumen); Hymn. III (fons, flumen, irrigatio); Gregor von Nazianz, or. 31,31 ( ); Gregor von Nyssa, epist. 26; Synesios, Hymn. 5,25 ff; Augustinus, beat. vit. 4,35; ord. 2,51; De fide et symbolo 9,17. Vgl. auch Philo, De somniis 2,242; Quod deterius 83; Plotin, Enn. 3,8,10 ( ). 122 Belegstellen für die veritas als Bezeichnung für den „Sohn“ vgl. infra zu 2,19,51, Z. 34 f. 123 Siehe supra zu ord. 1,2,3, Z. 48–50 (s. v. illud unum). 124 Vgl. die folgenden triadisch-trinitarischen Formeln mit dem ordo als jeweils drittes Glied: gen. c. Man. 1,15,26: summa mensura, summus numerus, summus ordo; 1,20,32: mensurae, numeri, ordines; quant. anim. 36,81: esse, agi et administrari, ordo connectitur; mus. 6,17,56: unitas, similitudo, ordo; 6,17,57: unitas, numeri, ordo; ibid.: principatus numerorum, similitudo et aequalitas, ordo; vera relig. 13: esse, species, ordinatissime; ibid.: unum, species, ordo; 81: modus, veritas perpetua, ordo; lib. arb. 2,54: mensura, numerus, ordo; 3,35: naturae moderatae, naturae formatae, naturae ordinatae; agon. 14,16: principium, ex quo sunt omnia; imago, per quam formantur omnia; sanctitas, in qua ordinantur omnia; c. Faust. 20,7: subsistere, ornari, ordinari; 21,6: moderatio mensurarum, parilitas numerorum, ordo ponderum; ibid.: modus, pulchritudo, ordo; 21,7: terminatus, decoratus, ordinatus; nat. bon. 3: modus, species, ordo; trin. 6,10,12: unitas, species, ordo; gen. ad litt. 4,3,7: terminare, formare, ordinare; 5,22,43: modus mensurarum, parilitas numerorum, ordo ponderum; civ. 5,11: modus, species, ordo; 8,4: causa, ratio, ordo; 11,28: modo esse, specie contineri, ordinem adpetere. Zur augustinischen Formelsprache und den implizierten trinitarischen Aussagen vgl. als Überblick insbesondere: J. Rief, Ordobegriff, S. 244 ff; J. Tscholl, Dreifaltigkeit, S. 342–347; O. du Roy, L’intelligence, S. 537–540.
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II. Kommentar
Gott die Ordnung „liebt“ (vgl. amare in Z. 7 und 8; diligere in Z. 12).125 Des Weiteren ist das zweimalige ipso (Z. 8) ein Anzeichen, dass sich hinter der erwähnten Gottheit implizit der „Vater“ verbirgt;126 nicht zuletzt gibt Augustin selbst den entscheidenden Hinweis, wie die offenbar sehr bewusst gewählten Formulierungen zu verstehen sind: sie bezeichnen etwas „sehr Erhabenes“ bzw. „Geheimnisvolles“ (eine res tantum alta; Z. 8) und Licentius empfindet eine gewisse Scheu, das Mysterium mehr als nur andeutungsweise zur Sprache zu bringen (vgl. infra zu Z. 9 f; s. v. Nec enim sum idoneus …). Es ist völlig eindeutig, dass diese bemerkenswerte und tiefsinnige Passage nicht von Licentius stammt, sondern dass Augustin – wie der vielfältige Vergleich mit den angeführten Parallelstellen zeigt – zumindest in den konkreten Formulierungen selbst stilisiert hat. Die Dichte der trinitarischen Terminologie, die geschickte Verklausulierung des Trinitätsgedankens (bei gleichzeitigem Fortschritt in der Primär-Argumentation) steht späteren Passagen im Werk des großen Kirchenlehrers kaum nach.127 Wenn die besagten Sätze dem Schüler in den Mund gelegt werden, so wirft dies ein bezeichnendes und erhellendes Licht auf die Art der Kompositionstechnik in den Dialogen. Zwar sollten ursprüngliche und authentische Gedanken der Unterredner nicht völlig in Abrede gestellt werden.128 Das Ausmaß der redaktionellen Arbeit Ausgustins darf jedoch in keiner Weise unterschätzt werden. 9 f Nec enim sum idoneus, qui te ista nunc doceam: Licentius ist – obgleich auf dem besten Wege – noch kein Christ und daher nicht „der geeignete Mann“ (Keseling), in die trinitarischen Geheimnisse einzuführen. Nec … idoneus zielt also weniger auf mangelnde intellektuelle Fähigkeiten (in diesem Sinne interpretieren Mühlenberg, S. 260, und Doignon, S. 113; gut dagegen Perl, S. 17: „denn ich fühle mich nicht berufen …“). 125 Wie die „Ordnung“ so gilt auch die „Liebe“ (caritas, amor, dilectio etc.) in der Regel als das dritte trinitarische Prinzip und erscheint innerhalb der triadischen Formeln fast immer an letzter Stelle; vgl. quant. anim. 34,77: incommutabile principium, incommutabilis sapientia, incommutabilis caritas; mus. 6,17,56: unum, de uno unum, carissima caritate iunguntur; vera relig. 313: quo creatore vivimus, per quem reformati sapienter vivimus, quem diligentes et quo fruentes beate vivimus; vgl. auch De fide et symbolo 9,19; conf. 7,10,16; trin. 7,3,6; civ. 11,24; 11,28. Der „Liebe“ verwandte Begriffe sind die des „Friedens“ (pax), der „Güte“ (benignitas), der „Freundschaft“ (amicitia), der „Eintracht“ (concordia) und der „Verbindung“ (connectio, copula), sie alle stehen regelmäßig verklausuliert für den Hl. Geist; vgl. mus. 6,17,56; mor. 15,25; vera relig. 68; 94; 312 f; div. quaest. 83,18; doctr. christ. 1,5; civ. 11,24; epist. 232,5. 126 Augustin setzt gerne das ehrwürdige ipse, wenn er speziell den Vatergott als das höchste und vorrangige Prinzip – subordinatianisch abgesetzt von allen nachrangigen, abgeleiteten Prinzipien – bezeichnen will: ord. 2,19,51, Z. 34; beat. vit. 4,35. 127 Zur augustinischen Eigenart, das mysterium trinitatis immer wieder versteckt und innerhalb der unterschiedlichsten Gedankengänge unvermittelt aufscheinen zu lassen, vgl. ausführlich und mit vielen Beispielen: Trelenberg, Einheit, S. 120–128. 128 Dagegen spricht vor allem die glaubhafte Beteuerung Augustins in c. acad. 1,1,4: sane in hoc libro res et sententias illorum (sc. des Licentius und Trygetius), mea vero et Alypii etiam verba lecturus es. Siehe dazu supra zu 1,2,4, Z. 12 (s. v. elaboratione nostra).
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12 Ex quo sequitur …: Stilgerechter Abschluss129 eines vollständigen und reinen Syllogismus, bestehend [1] aus der propositio maior (die Ordnung umfasst das Böse; Z. 11: mala … ordine contineri), [2] der propositio minor bzw. assumptio (die Ordnung stammt von Gott und wird von ihm geliebt; Z. 11 f: ipsum ordinem manare a summo deo atque ab eo diligi) und [3] der abschließenden conclusio bzw. complexio (das Böse stammt von Gott und wird von ihm geliebt; Z. 12 f: et mala sint a summo deo et mala deus diligat). – Die Beweisführung des Trygetius ist formal korrekt und führt dennoch zu einem inhaltlich inakzeptablen Ergebnis. Es handelt sich demnach um eine sog. reductio ad absurdum130, die als einzigen Ausweg aus dem logischen Dilemma die erneute Überprüfung der Ausgangsvoraussetzungen (= Prämissen [1] und [2]) fordert. Im Sinne des Trygetius, der Prämisse [2] ja bereits anerkannt und bestätigt hat (vgl. Z. 7 und Z. 10: accipio prorsus quod dicis), ist folglich die Ausgangshypothese [1] falsch. 1,7,18: Gottes Liebe ist Teil der Ordnung (Licentius) In qua conclusione timui Licentio. At ille ingemescens difficultate verborum nec 15 omnino quaerens, quid responderet, sed quem ad modum quod respondendum erat
promeret: Non diligit deus mala, inquit, nec ob aliud, nisi quia ordinis non est, ut et deus mala diligat; et ordinem ideo multum diligit, quia per eum non diligit mala. At vero ipsa mala qui possunt non esse in ordine, cum deus illa non diligat? Nam iste ipse est malorum ordo, ut non diligantur a deo. An parvus rerum ordo tibi videtur, ut 20 et bona deus diligat et non diligat mala? Ita nec praeter ordinem sunt mala, quae non diligit deus, et ipsum tamen ordinem diligit; hoc ipsum enim diligit, diligere bona et non diligere mala, quod est magni ordinis et divinae dispositionis. Qui ordo atque dispositio quia universitatis congruentiam ipsa distinctione custodit, fit, ut mala etiam esse necesse sit. Ita quasi ex antithetis quodam modo, quod nobis etiam in oratione 25 iucundum est, ex contrariis, omnium simul rerum pulchritudo figuratur.
14 conclusione: Augustin verwendet den terminus technicus für den Abschluss eines Syllogismus; vgl. supra zu 1,7,17, Z. 12 (s. v. Ex quo sequitur …). 18 ipsa mala qui possunt non esse in ordine, cum deus illa non diligat?131 Konzessives cum: Obwohl Gott das Übel nicht liebt, ist es nicht zwangsläufig aus der Ordnung ausgeschlossen. Licentius versucht mit diesem neuen Einwand, die scheinbar so überzeugende Beweisführung des Trygetius (Z. 11–13) auszuhebeln. Der implizite Gedanke ist: Gott liebt zwar die Ordnung als Gesamtheit, muss aber nicht alle ihre Teile lieben. 18 f iste ipse est malorum ordo, ut non diligantur a deo: Explikatives ut erläutert den Begriff ordo, der hier – anders als zuvor – in Richtung der Bedeu129 130
Vgl. Menge, Syntax, S. 350 f, § 527. Vgl. dazu den Wortlaut des Einwandes in Z. 2 f: Absurdum … mihi videtur, Licenti, … quod
dicis. 131 Falsche Zeilenzählung bei Green; die dort mit „20“ bezeichnete Zeile muss als Zeile 22 gelten.
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II. Kommentar
tung „Stellung“ bzw. „Rang“ tendiert: es entspricht der (niedrigen) Stellung des Übels innerhalb des Kosmos, dass es von Gott nicht geliebt wird. 19 f An parvus rerum ordo tibi videtur, ut et bona deus diligat et non diligat mala? Erneut explikatives ut zur näheren Bestimmung des ordo (rerum). Der verkürzte Gedankengang ist gut ergänzt bei Mühlenberg, S. 261: „Oder scheint dir die Ordnung des Seins so begrenzt zu sein, daß sie nicht beides bedeutet: sowohl daß Gott das Gute liebt, als auch daß er das Übel nicht liebt?“ 21 f hoc ipsum enim diligit, diligere bona et non diligere mala, quod est magni ordinis et divinae dispositionis: Der Beweis des Trygetius (§ 17) hatte als latente Prämisse, dass Gott seinen Platz gewissermaßen außerhalb der Ordnung habe (vgl. etwa Z. 12: ordinem manare a summo deo); Licentius korrigiert diese Sichtweise dahin, dass Gott mit seiner Liebe gewissermaßen ein Teil des ordo sei, dass die Ausrichtung seiner Liebe (sc. das diligere bona und das non diligere mala) vom Begriff der Ordnung mit umfasst wird. Damit wird auf eine höhere Ebene der Ordnung zugesteuert; kompromisslos Ernst gemacht wird mit dem Satz, dass der ordo uneingeschränkt das totum (vgl. § 15, Z. 8) enthalte. Weit abgehoben von den kleinlichen Vorstellungen des Trygetius wird ein ordo-Gedanke entwickelt, dessen Geltungsbereich radikal „bis an die Grenzen des Alls“ ausgedehnt wird. Diese Ordnung darf man sich, so Licentius, keinesfalls zu klein (parvus; Z. 19) vorstellen, sie ist „erhaben“ und „göttlich“ (vgl. Z. 22). 22–25 Qui ordo [etc.] … figuratur: Mit bemerkenswert ähnlicher Wortwahl erläutert Licentius, was bereits im Proömium als ein Hauptthema der Schrift eingeführt wurde (vgl. 1,1,2, bes. Z. 29–36): Das All (universitas) erhält seine Schönheit (pulchritudo) dadurch, dass in ihm eine Ordnung herrscht, die Unterschiedliches, ja sogar Gegensätzliches, zu einer harmonischen Einheit (congruentia) führen kann. Wie in einer gut komponierten Rede besteht geradezu der Reiz in den „Antithesen“ (Z. 24), die – passend aufeinander abgestimmt – jeden Hörer bzw. Betrachter faszinieren, der es gewohnt ist, nicht nur das Detail, sondern auch das Ganze zu überschauen. – Wie diese pulchritudo genau zustande kommt, vermag Augustin an dieser Stelle noch nicht zu sagen; es geschieht „auf eine gewisse Weise“ (quodam modo; Z. 24). Festzustellen ist jedenfalls, dass die Gesamtheit (vgl.: omnium simul rerum; Z. 25) offensichtlich mehr darstellt als nur die Summe seiner Teile.132 Im Ensemble trägt auch das ursprünglich Hässliche133 zu einer gleichsam übergeordneten Schönheit bei. 132 Vgl. als Parallele die augustinischen Ausführungen in gen. c. Man. 1,21,32 (sowie vera relig. 114–118) und innerhalb der modernen Philosophie zu diesem Zusammenhang treffend Ph. Lersch (Aufbau der Person, München 111970, S. 20): „Sie [die Ganzheit] ist eine Wirklichkeit eigener, den Teilen übergeordneter Art, innerhalb der den Teilen ein bestimmter Stellenwert und eine je besondere Funktion zugewiesen wird. Das Ganze ist also eine höhere Ordnung als die Summe der unterscheidbaren Teile.“ 133 Zur Vorstellung, dass das Böse „hässlich“ sei, siehe die retrospektiven Angaben zur Jugendschrift De pulchro et apto in conf. 4,13,20–15,27; vgl. auch lib. arb. 3,96 f. „Schönheit“ bzw. „Hässlichkeit“ sind bei Augustin grundsätzlich keine Kategorien, die sich in ihrer Anwendung allein auf Materielles oder Sichtbares beschränken ließen. Anders als die moderne Auffassung, die
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Zur allgemein-menschlichen Schwäche, lediglich Einzelnes „je für sich“ und „nacheinander“ begreifen zu können, ohne den großen Gesamtzusammenhang „gleichzeitig“ (vgl. simul; Z. 25) zu überblicken, siehe epist. 11,4. – Der innere Zusammenhang von Ordnung und Schönheit wird besonders deutlich in De vera religione erläutert: 216 (nihil enim est ordinatum quod non sit pulchrum); 219; 231.134 – Zur Harmonie aus Gegensätzen siehe civ. 11,18 (hier auch das Beispiel der rhetorischen Antithesen); vgl. daneben Platon, Theait. 176 A (die Existenz des Bösen ist als Gegensatz zum Guten notwendig); Plotin, Enn. 3,2,10–12 (ein Weltplan [ ], der nur aus gleichen Teilen bestünde, ist weder tadelsfrei noch denkbar135), ibid. 16 f und 3,3,1; Gellius 7,1,2 ff. 1,7,19: Universale Gerechtigkeit als Basis der Ordnung Post hoc intersiluit modice et repente sese erigens, qua Trygetius lectum habebat: Nam quaero ex te, quaeso, inquit, iustusne sit deus. – Tacebat ille nimis, ut postea retulit, ammirans et horrens subito condiscipuli et familiaris sui afflatum nova inspiratione sermonem. Quo tacente ille ita secutus est: Si enim deum iustum non esse 30 responderis, tu videris quid agas, qui me dudum impietatis arguebas. Si autem, ut nobis traditur nosque ipsius ordinis necessitate sentimus, iustus est deus, sua cuique distribuendo utique iustus est. Quae autem distributio dici potest, ubi distinctio nulla est? Aut quae distinctio, si bona sunt omnia? Quidve praeter ordinem reperiri potest, si dei iustitia bonorum malorumque meritis sua cuique redduntur? Iustum autem 35 deum omnes fatemur: totum igitur ordine includitur. – Quibus dictis resilit e strato et iam lenior voce, cum ei verbum nemo faceret: Nihilne mihi, inquit, vel tu, qui conpulisti ad ista, respondes?
26 sese erigens, qua Trygetius lectum habebat: Ein weiteres, für De ordine typisches Element der subtilen Spannungssteigerung; nachdem Augustin sich bereits von seinem Lager erhoben hatte (1,3,8, Z. 36) und Licentius sogar aus seinem Bett herausgesprungen war (1,5,14, Z. 27), baut sich Letzterer nun – hastig und in innerer Erregung136 – an der Schlafstätte des Trygetius auf. hinsichtlich der Schönheit zwischen dem seelischen Bereich (dem ethisch „Schönen“) und dem sensuellen Bereich (dem ästhetisch Schönen) recht klar zu trennen weiß, sieht Augustin – wie die gesamte platonisch bestimmte Philosophie der Antike – einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen Ethik und Ästhetik, der darin gründet, dass sowohl psychische als auch somatische Schönheiten letztlich auf einen gemeinsamen Ursprung, nämlich die Idee des Guten und ), zurückgehen. Vgl. hierzu grundsätzlich: Schönen selbst (= dem Ideal der sog. A. Bächli / A. Graeser, Art. „Schönheit“, in: Grundbegriffe der antiken Philosophie, Stuttgart 2000, S. 175 f; vgl. auch H.-J. Horn, Symmetrie, S. 1462; G. W. Most, Art. „Schöne (das)“, HWPh 9, Sp. 1345. 134 Vgl. J. Mausbach, Ethik, S. 96; J. Rief, Ordobegriff, S. 341–348, bes. S. 346. 135 3,2,12, Z. 4–7: „ “. 136 Vgl. repente (Z. 26); das retardierende Moment, d. h. Anzeichen einer ruhigeren Stimmungslage bei Licentius, erst wieder Z. 36: iam lenior voce.
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II. Kommentar
27 f ut postea retulit: „wie er [sc. Trygetius] später berichtete“; Konzession an das „Prinzip der Wirklichkeitsnähe“;137 der Autor entgeht mit dieser kurzen Zwischenbemerkung dem Vorwurf, er habe über das innere Gefühlsleben des Trygetius nichts wissen können. Augustin achtet sorgfältig darauf, nur solche Emotionen seiner Unterredner zu schildern, die zweifelsfrei und objektiv wahrnehmbar sind; die nicht-allwissende Erzählperspektive wird jederzeit gewahrt. 30 qui me dudum impietatis arguebas: Bezug auf den Vorwurf des Trygetius in 1,7,17, Z. 5–7. 30 f Si autem, ut nobis traditur …, iustus est deus: Als Prämisse für einen neuerlichen Beweisgang (s. u. zu Z. 35) wird die iustitia dei eingeführt, deren axiomatische Geltung mit dem Hinweis auf das Gewicht der Tradition abgesichert wird. Damit ist, wie die Z. 33–35 nahelegen, insbesondere die christliche Lehre gemeint. Doignon, Anm. 73 (S. 115) verweist konkret auf die Psalmenlektüre des Licentius (ord. 1,8,22) und namentlich auf Ps. 10,8; 114,5; 118,137 als Referenzstellen für die „Gerechtigkeit Gottes“.138 31 ipsius ordinis necessitate: Licentius argumentiert tautologisch; einerseits lässt er aus der „innere[n] Notwendigkeit gerade dieser Ordnung“ (Übs. Mühlenberg, S. 261) die Tatsache der Gerechtigkeit Gottes folgen, wenig später (vgl. Z. 34 f) wird eben diese iustita dei zur Voraussetzung und logischen Bedingung einer allumfassenden Ordnung. 31 f sua cuique distribuendo: Dieselbe Definition der Gerechtigkeit auch in trin. 9,6,9 und civ. 19,21; sie geht auf Platon zurück (rep. 433 a: ) und findet sich ebenso bei Cicero (fin. 5,65: quae animi affectio suum cuique tribuens atque hanc, quam dico, societatem coniunctionis humanae munifice et aeque tuens iustitia dicitur; vgl. ibid. 5,67; nat. deor. 3,38: iustitia, quae suum cuique distribuit, quid pertinet ad deos; inv. 2,160: iustitia est habitus animi communi utilitate conservata suam cuique tribuens dignitatem). Bei Plotin wird – im Hinblick auf den „Weltplan“ – die „gerechte Zuteilung“ anhand von Beispielen aus der Schauspielkunst (die passende Zuweisung von Rollen durch den Dramaturgen) illustriert; vgl. Enn. 3,2,17. 33 Aut quae distinctio, si bona sunt omnia? Auch Plotin (Enn. 3,2,11) wendet sich gegen die naive Vorstellung, alles müsse gut sein. Im Gegenteil: Der ) wollte keinen unterschiedslosen, sondern bewusst einen „Weltplan“ ( „in sich differenzierten“ (Z. 9: ) Kosmos. Vgl. Z. 2–5: . 35 omnes fatemur: In der philosophischen Argumentation Augustins spielt der sog. consensus omnium (hier als „Beweis“ für die Gerechtigkeit Gottes ange137
Vgl. zu diesem Prinzip die Hinweise auf B. R. Voss, Dialog, supra Anm. 95. In der „negativen Theologie“ Plotins wird Gott, der über alle ethischen Begriffe erhaben ist (Enn. 1,2,3), auch die Gerechtigkeit abgesprochen (Enn. 1,2,1). Vgl. Nörregaard, Bekehrung, S. 149, Anm. 2; Keseling, Weltregiment, S. 230. 138
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führt) eine häufige und wichtige Rolle. Er appelliert an die unmittelbare Einsichtigkeit des Behaupteten und erhält dadurch seinen axiomatischen Charakter.139 35 totum igitur ordine includitur: Nach der „logisch-dialektischen“ Begründung der Ubiquität der Ordnung (§ 15) führt die sog. „moralische“ zu demselben Ergebnis. Die Struktur des Beweisganges ist die folgende: I) Gott ist gerecht. [Prämisse; evident aufgrund des consensus omnium (Z. 34 f), des Ordnungsgedankens selbst (Z. 31) und des Gewichts der christlichen Tradition (Z. 33 f)] II) Gerechtigkeit besteht darin, jedem das Seine zuzuteilen. [Definition; übernommen aus der philosophischen Tradition (Z. 31 f)] III) Eine gerechte Zuteilung ist nicht denkbar ohne Unterscheidung zwischen „gut“ und „schlecht“. [Prämisse (Z. 32 f)] IV) Wenn es Gutes und Schlechtes gibt und Gottes Gerechtigkeit für jeden (cuique) gilt, herrscht eine allumfassende Ordnung. [Folgerung aus I, II und III; Z. 33 f] Formal ist gegen den „moralischen Ordnungsbeweis“ kaum etwas einzuwenden. Die Plausibilität des Ergebnisses (totum ordine includitur) hängt davon ab, ob man die Prämissen akzeptieren will. Augustin selbst hält es offenbar für besonders wichtig und notwendig, Prämisse I abzusichern (auf dreifache Weise; mitunter jedoch tautologisch, siehe oben zu Z. 31). Der christliche Philosoph ist überzeugt: Für den Gedanken eines umfassenden kosmischen Ordnungsprinzips ist der Glaube an den einen, allmächtigen und gerechten Gott nicht nur hilfreich, sondern unabdingbare Voraussetzung. 35 resilit e strato: Aufgrund von Z. 26 (siehe oben s. v. sese erigens …) müsste man annehmen, dass hier das Bett des Trygetius gemeint ist, von dem Licentius „zurückspringt“ (gegen Mühlenberg, S. 262). In diesem Falle würde man allerdings einen entsprechenden klärenden Hinweis (z. B. durch ein Possessivpronomen) erwarten können. Eindeutig und klar dagegen ist die Schilderung der Szenerie, wenn man statt resilit e die Lesart relisit se bevorzugt (nach den Handschriften H, M, P, R, so auch Knöll und Doignon; aufgrund des seltenen relidere 139 Augustin neigt dem Gedanken der Seelenverwandtschaft aller Menschen zu. Deutliche Anklänge finden sich nicht nur in den Cassiciacum-Schriften, sondern insbesondere in den beiden Schriften über die Größe und die Unsterblichkeit der Seele. Diese letztlich auf Aristoteles zurückgehende und vor allem in der Stoa (im Zusammenhang mit dem -Gedanken; vgl. Pohlenz, Stoa, S. 115) ausgeprägten Lehre bildet neben der Vorstellung einer den gesamten Kosmos durchdringenden Weltseele (Platon, Stoa, Plotin; ebenfalls Spuren in De quantitate animae) gewissermaßen die psychologische Basis für die große Argumentationskraft der herausgestellten opinio communis. Der consensus-Beweis an sich fußt ebenfalls auf einer langen und weitverbreiteten Tradition: Ausgehend von der griechischen Popularphilosophie („Alle Menschen können sich nicht immer irren.“) führt sein Weg über Aristoteles (z. B. Top. 100 b 21 ff), über die Stoa (im Zusammenhang mit der Logos-Lehre und zentralen Begriffen wie ; vgl. z. B. Chrysipp, SVF II 154,29 f), von dort über Cicero (z. B. Tusc. 1,30. 35F; 3,2; nat. deor. 2,4; 3,28; div. 2,34) und Plotin (vgl. z. B. Enn. 6,5,1) zu Augustin (vgl. mor. 1,29,60 f; 2,9,16; mag. 5,173; util. cred. 7,16.19; 14,31; duab. anim. 10,13; c. Faust. 11,2; 13,5; c. Cresc. 4,7,9; epist. 143,11).
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zweifelsfrei die lectio difficilior). Nunmehr ist es fraglos das eigene Bett, auf welches Licentius „sich zurückwirft“. 37 conpulisti ad ista: Bezug auf 1,3,8; Licentius, der sich ursprünglich dichterisch betätigen wollte, war von Augustin zur aktiven Beteiligung an der philosophischen Disputation gedrängt worden. 1,7,20: Die Schrift De ordine als Antwort an Zenobius
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Cui ego: Nova nunc religio istaec in te incessit, cedo, inquam. Sed quod videbitur, per diem respondebo, qui mihi iam videtur redire, nisi lunae est ille qui fenestris fulgor induitur. Simul et tacendum est, ne tanta bona tua, Licenti, absorbeat oblivio. Quando enim nostrae litterae non sibi haec mandari flagitent? Dicam plane tibi quod sentio. Disputabo adversus te, quantum possum; non enim mihi, si me viceris, maior triumphus dari potest. Si autem vel calliditati vel acuto cuidam errori hominum, quorum partes suscipere temptabo, cesserit inbecillitas tua, quae minus pasta eruditione disciplinarum tantum deum fortasse sustinere non poterit, res te ipsa commonebit, quantae tibi vires, ut in eum firmior redeas, parandae sint, simul quia et istam disputationem nostram elimatius volo provenire; non enim grossis auribus eam debeo. Nam Zenobius noster multa mecum saepe de rerum ordine contulit, cui alta percontanti numquam satisfacere potui seu propter obscuritatem rerum seu propter temporum angustias. Crebrarum autem ille procrastinationum usque adeo fuit inpatiens, ut me, quo diligentius et copiosius respondere cogerer, etiam carmine provocaret. Et bono carmine, unde illum magis ames. Sed neque tunc tibi legi potuit ab istarum rerum studio remotissimo neque nunc potest. Nam profectio eius tam repentina et perturbata fuit tumultu illo, ut nihil istorum venire nobis in mentem potuerit; nam id relinquere mihi responsuro statuerat et multa concurrunt, cur ei sermo iste mittatur. Primum est, quia debetur, deinde, quia, cuius modi nunc vitam ducamus, etiam sic indicari eius in nos benivolentiae decet, postremo, quod in gaudio de spe tua nemini cedit. Nam et cum praesens esset, pro familiaritate patris tui vel potius omnium nostrum multum sollicitus erat, ne ingenii tui quaedam scintillae, quas diligenter animadvertebat, non tam conflarentur cura mea quam tua extinguerentur incuria; et cum te poeticae quoque studiosum esse cognoverit, sic gratulabitur, ut eum mihi gestientem videre iam videar.
38 Nova nunc religio istaec in te incessit, cedo: Zitat aus Terenz, Andria 730, mit geringer Wortumstellung.140 Augustin deutet die nova religio der Vorlage um und spielt auf den christlichen Glauben an. Licentius hat sich in seinen Gesprächsbeiträgen zu dessen zentralen Inhalten bekannt (Trinitätslehre [§ 17], Allmächtigkeit und Gerechtigkeit Gottes [§ 19]) und steht unmittelbar vor seiner Konversion. In diesem Zusammenhang ist das cedo („heraus damit!“) die ultimative Aufforderung, nun auch den letzten Schritt zu wagen (welcher wenig später – in § 21 – tatsächlich erfolgen wird). 140 Zu den weiteren Terenzzitaten in den Cassiciacum-Schriften vgl. supra zu 1,3,9, Z. 50/52 (s. v. Egomet …).
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39 diem … lunae: Die Bekehrung des Licentius erfolgt in dem Augenblick, in dem ein neuer Tag anbricht (siehe später § 22, Z. 8). Damit stehen, wie Hübner (ordo, S. 36 f) eingehend herausgearbeitet hat, der „Tag“ und das „Licht“ symbolisch für die Erkenntnis der Wahrheit, „Finsternis“ und „Nacht“ für die „Zeit einer Gottesferne“ (ebd., S. 37).141 Vor diesem Hintergrund bedeutet Augustins Unsicherheit darüber, ob bereits der Tag anbreche oder aber der Schein des Mondes – als Symbol für die Nacht! – durch die Fenster falle (vgl. Z. 38–40), dass die Bekehrung des Licentius zwar kurz bevorsteht, aber noch keineswegs sicher und endgültig ist.142 O. Perler / J. L. Maier (voyages, S. 186 f) sehen dagegen in der kurzen Zwischenbemerkung ein wichtiges Indiz für die Historizität der Dialogschilderung. Die Angabe, dass Augustin aus dem Inneren seines Schlafraums heraus Mondund Sonnenlicht nicht unterscheiden konnte, habe seine Ursache darin, dass die Römer für ihre Fenster gewöhnlich kein klares, sondern ein recht undurchsichtiges Glas („un verre plutôt opaque, non poli“; ebd.) benutzten. Tatsächlich müsse es sich aber um den Schein des Mondes gehandelt haben, denn nach ord. 1,8,22 erfolgte der Sonnenaufgang erst „ein wenig später“ (vgl. Z. 8: Interea post paululum dies sese aperuit). Aufgrund der Helle des Lichtscheins (vgl. § 20, Z. 40: fulgor) sei davon auszugehen, dass man sich in der Zeit des Vollmondes befunden habe („à l’époche de la pleine lune, ou bien un peu avant ou un peu après“; S. 186). Setze man für die in De ordine 1,3,6–8,26 geschilderten Gespräche und Ereignisse den 20. November 386143 an, so ergebe sich eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit den astronomischen Daten (Vollmond am 21. November 386144; am 20. 141 Augustin selbst gibt den entscheidenden Hinweis, wie die tenebrae der Nacht auf metaphorischer Ebene zu deuten seien: A quibus enim rebus putas nos orare ut convertamur ad deum eiusque faciem videamus, nisi a … tenebris, quibus nos error involvit? (1,8,23, Z. 28–30). 142 Vgl. Hübner, ordo, S. 36, zur Stelle: „Es bestehen also noch Zweifel, ob der Tag wirklich schon anbricht. Das bedeutet auf allegorischer Ebene: Es ist noch nicht sicher, ob Licentius wirklich schon philosophiert.“ 143 Gemäß der von denselben Autoren erstellten (vgl. S. 189 f), weithin akzeptierten Chronologie: 10. November 386, nachmittags: c. acad. 1,2,5–4,10. 11. November, nachmittags: c. acad. 1,4,11–5,15. 12. November, morgens: c. acad. 1,6,16–9,25. 13. November [Augustins Geburtstag], nachmittags: beat. vit. 1,6–2,16. 14. November, nachmittags: beat. vit. 3,17–22. 15. November, nachmittags: beat. vit. 4,23–36. 16.–19. November: keine philosophische Disputation. 20. November, nachts und morgens: ord. 1,3,6–8,26. 21. November, morgens: ord. 1,9,27–11,33. 22. November, morgens und nachmittags: c. acad. 2,4,10–10,24. 23. November, nachmittags: c. acad. 2,11,25–13,30. 24. November, morgens und nachmittags: c. acad. 3,1,1–20,45. 25. November (oder später), morgens und nachmittags: ord. 2,1,1–20,54. 144 Nach H. Lietzmann / K. Aland, Zeitrechnung der römischen Kaiserzeit, Berlin 41984, S. 122–126.
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November Monduntergang in der Region um Mailand ca. 6 Uhr morgens145). Damit der helle Mondschein in die Fenster des cubiculum fallen konnte, müsse eine Ausrichtung der entsprechenden Fassade nach Westen bzw. Südwesten gefolgert werden.146 41 Quando: Zu quando in der Bedeutung von quomodo siehe auch ord. 1,8,26, Z. 79 und 2,13,38, Z. 4. 42 f non enim mihi, si me viceris, maior triumphus dari potest: Augustin übernimmt die Rolle eines möglichen Gegners des Licentius und verweist auf eine Paradoxie: eine Niederlage in der Disputation werde für ihn der größte Triumph sein. Zwei Gründe lassen sich aus dem Kontext (bes. Z. 43 ff) erschließen. a) Es wäre eine nicht geringe Freude, wenn der junge Schüler sich dem großen Thema persönlich – aufgrund seiner bildungsmäßigen Voraussetzungen – als würdig erweisen könnte. b) Die tiefe Wahrheit der von ihm vertretenen Position (= der universale Gottesbegriff) stünde nunmehr unangreifbar fest. – Zum fiktivagonalen Charakter der Disputationen von Cassiciacum und ihrer antiken Vorbilder siehe supra zu 1,3,8, Z. 41 f (s. v. Sed pervellem …). 43 acuto cuidam errori: Es wird vorausgesetzt, dass Licentius die Wahrheit erfasst hat und ein potentiell auftretender Gegner „einem raffinierten Fehlschluss“ (Mühlenberg) unterläge. Demnach dient die nachfolgende Erörterung in der Hauptsache einem „Trainingszweck“, in der der Schüler entweder seine geistige Qualifikation nachweisen oder aber – was Augustin wahrscheinlicher ist – seine Schwäche (imbecillitas; Z. 44) erkennen kann, um diese sodann „durch Bildung in den Disziplinen“ (eruditione diciplinarum; Z. 45) zu beheben. – Die hiesigen Ausführungen kongruieren mit Augustins grundsätzlicher Bildungsauffassung. Die Erkenntnis der Wahrheit ist zwar nicht an Intellekt und Bildung gebunden, gleichwohl kann mit ihrer Hilfe der Vernunft zu einer größeren erkenntnistheoretischen Sicherheit verholfen werden. Vgl. als Parallelen: c. acad. 3,20,43; ord. 2,5,16; 9,26; quant. anim. 12; vera relig. 122 f. 44 quorum partes suscipere temptabo: Augustin kündigt sich – ganz ähnlich wie in § 8 – als advocatus diaboli an. Siehe dort Z. 41 f: nam eam labefactare temptabo; vgl. auch die Ausführungen zur Stelle (s. v. Sed pervellem …). 45 pasta eruditione disciplinarum: Die von Augustin verwendete Speisemetaphorik erinnert an den Dialog De beata vita, wo anlässlich seiner Geburtstagsfeier und der Vorstellung einer „geistigen Tischgemeinschaft“147 extensiv von ihr 145 Quelle: Astronomisches Institut der Universität Bern (nach Perler / Maier, voyages, S. 187, Anm. 2). 146 Zur Grund- und Kardinalfrage von De ordine, ob der historischen (hier: Perler / Maier) oder der symbolisch-metaphorischen Interpretation (hier: Hübner) der Vorzug zu geben ist, vgl. ausführlich infra Ergebnis 1. Es wäre vermessen und verfehlt, eine Entscheidung aufgrund einer Einzelstelle treffen zu wollen; eine solche kann – dies muss auch hier wieder betont werden – nur von einer Gesamtentscheidung, d. h. unter Berücksichtigung aller relevanten Details, abhängig gemacht werden. 147 I. Schwarz-Kirchenbauer / W. Schwarz, Glück, S. 158.
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Gebrauch gemacht wird. Vgl. bes. beat. vit. 2,7–9;148 daneben die Anspielungen in 2,11.13–16; 3,17.20.22; 4,23.34.36. Handelt es sich dort motiv- und (im weiteren Sinne) gattungsgeschichtlich um eine Überhöhung der antiken Symposion-Literatur, so begegnet sie als Bild in De ordine an dieser Stelle singulär: Die Unerfahrenheit und „Schwäche“ (inbecillitas; Z. 44) des Licentius benötigt die Wissenschaft als „geistige Nahrung“, um größere „Kräfte“ (vires; Z. 46) zu erlangen und „stärker“ (firmior; ebd.) zu werden. 45 tantum deum: Es ist ein zentrales Anliegen der Schrift De ordine, einen Gottesbegriff zu etablieren, der von jeder Einengung und Begrenzung und überhaupt von jeder kleinlichen Denkart befreit wird. Gewissermaßen als Antwort auf die manichäische Vorstellung, nach der die kosmische Ordnung von einem „guten“ Gott, aber auch von einer nahezu gleichwertigen Gegenmacht wechselseitig und in stetigem Kampf um die Vorherrschaft neu bestimmt wird, wird mit De ordine eine fundamentale theologische Gegenthese formuliert. Augustin erwähnt diese Frontstellung an keiner Stelle explizit, dennoch muss die Schrift – nicht nur, aber auch – als Teil einer solchen persönlichen Vergangenheitsbewältigung gesehen werden, einer Vergangenheit, die ihn wenig später massiv einholen sollte149 und die auch in Cassiciacum nie ganz ausgeblendet werden kann.150 Die Größe und Erhabenheit des Gottes- und Ordnungsbegriffs zu erfassen (§ 17 f), seine Universalität und Gegensatzlosigkeit zu erkennen (bes. § 15), ist für ihn der Inbegriff der „neuen“ Weisheit, deren Vermittlung neben einer frommen Gesinnung vor allem eine hochstehende Bildung (vgl. Z. 44 f) erfordere und damit bei weitem nicht jedem zuzutrauen sei. 46 ut in eum firmior redeas: ähnliche Wendung c. acad. 2,7,19: in viam firmior et valentior redi (vgl. dazu Cicero, fam. 16,8,2: effice … ut ad nos firmus ac valens … venias). 47 istam disputationem nostram elimatius volo provenire: Augustin zeigt sich mit dem Niveau der bisherigen Disputation nicht recht zufrieden. Ähnliche Vorbehalte äußert er später in retr. 1,3,1 und macht dafür die mangelnde Auffassungsgabe seiner Gesprächspartner verantwortlich; er habe es daher vorgezogen, den anfänglichen Dialog mit einem Monolog (über die Studienordnung) fortzuführen und zu beenden: sed cum rem viderem ad intellegendum difficilem satis aegre ad eorum perceptionem, cum quibus agebam, disputando posse perduci, de ordine studendi loqui malui, quo a corporalibus ad incorporalia potest profici. Diese Sichtweise und Einschätzung steht in deutlicher Inkongruenz zum wiederholten Lob, welches 148 Ibid. § 8 ebenfalls pascere in Bezug auf den Geist: Inde, mihi crede, et talibus epulis animus pascitur, id est theoriis et cogitationibus suis, si per eas aliquid percipere possit. 149 In Rom und Ostia (ab Sommer 387) sowie in Nordafrika (ab Herbst 388) begegnet Augustin seinen ehemaligen Freunden wieder, es entsteht keineswegs zufällig sein umfangreiches antimanichäisches Schrifttum, zunächst De moribus (387/88–389), De genesi contra Manichaeos (388/90), De vera religione (390) und De utilitate credendi (391/92). 150 Sein Freund und Gönner Romanian, der Vater des Licentius, ist wohl noch immer Manichäer; vgl. c. acad. 1,1,3.
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II. Kommentar
er seinen Schülern, besonders dem Licentius, bisher gespendet hat (siehe 1,3,7, Z. 28–30; 1,3,8, Z. 36–40; 1,6,16, Z. 15–19; 1,7,20, Z. 40 f). 47 f non enim grossis auribus eam debeo: Die Bemerkung schließt sich an das urbane Lob des Zenobius in § 4 an; das erst in christlichen und mittellateinischen Texten geläufige grossus (fett, dick, üppig, grob) hier im Sinne von „ungebildet“. 49 numquam satisfacere potui: Dass Augustin in der Frage nach der Ordnung dem Zenobius niemals „Genüge tun“ konnte, wird in epist. 2 nicht erwähnt. Dennoch dürfte es sich bei der dort erwähnten inchoata disputatio151 um genau dieses Thema gehandelt haben. 49 propter obscuritatem rerum: Auf die Dunkelheit der Fragen wird in De ordine häufig verwiesen: ord. 1,1,1, Z. 4 (obscurisque); 2,5,15, Z. 17 (caligine); 2,5,16, Z. 28 (obscuritas rerum); 2,17,46, Z. 21 (rebus obscurissimis); vgl. Cicero, ac. 1,44; 2,147; fin. 2,15; 4,2. 50 propter temporum angustias: Auch in ord. 1,9,27 konzediert Augustin, er habe Zenobius angesichts der Bedeutung des Themas niemals genügend Zeit widmen können (Z. 13 f): … Zenobium, quem de hac re tanta molientem numquam pro eius magnitudine otiosus accepi. Keseling (Weltregiment, S. 230) macht die zeitraubenden Amtspflichten dafür verantwortlich und verweist auf Augustins eindrückliche Klage in conf. 6,11,18. 51 inpatiens: die Bedeutung „ungeduldig“ (Perl, Keseling) setzt in der Regel einen absoluten Gebrauch voraus; die Konstruktion mit Genitiv (hier: crebrarum procrastinationum) legt „unfähig auszuhalten / zu ertragen“ nahe; keinen Anhalt am Kontext hat „aufgebracht“ (Mühlenberg); gut dagegen Doignon: „il a supporté si mal de fréquents ajournements, qu’il …“. 51 carmine: Das provozierende, nach Augustins Urteil „gute“ Gedicht des Zenobius ist leider nicht erhalten (vgl. Pietri / Pietri, Prosopographie, S. 2378). Offensichtlich hat Zenobius es bei seiner überstürzten Abreise aus Cassiciacum (profectio eius tam repentina et perturbata; Z. 53 f) – entgegen seinen ursprünglichen Absichten – mitgenommen; ansonsten hätte Augustin es wohl nach seiner Gewohnheit der Nachwelt aufbewahrt (z. B. in seiner Briefkorrespondenz als Anhang zu epist. 2). 52 legi: legere mit Dativ (tibi) natürlich nicht „lesen“ (Mühlenberg), sondern „vorlesen“. 52 f tibi … ab istarum rerum studio remotissimo: Zu Licentius’ ehemaligem Desinteresse an der Philosophie siehe zu 1,2,5, Z. 22 (s. v. Licentius) und 1,3,8, Z. 43 f (s. v. ego nonnihil …). 53 f profectio eius … repentina et perturbata fuit tumultu illo: In epist. 2 wird die Abreise des Zenobius bzw. sein weiteres Fernbleiben als „Flucht“ bezeichnet, deren tieferer Grund Augustin selbst offensichtlich unklar ist; dennoch 151 Z. 10–14: Quod dum officio, commoneo te interim, qualiscumque sis, inchoatam tecum disputationem perficiendam, si curae nobismet ipsis sumus. Nam eam cum Alypio perfici nequaquam sinerem, etiam si vellet. Non vult autem.
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soll der Kontakt wenigstens in schriftlicher Form aufrecht erhalten werden: … ut in quam multis possemus litteris te nobiscum teneamus nescio qua necessitate fugientem. Deutlicher als in De ordine kommt im 2. Brief zum Ausdruck, wie sehr Augustin an der Abwesenheit seines wohl sehr engen Freundes leidet: Ego quidem quamdiu desidero absentem, desiderari me volo. Invigilo tamen, quantum queo, et nitor, ut nihil amem, quod abesse a me invito potest. – In der Folgezeit verliert sich die Spur des Zenobius (in den confessiones wird er nicht erwähnt); ein letztes und einziges „Lebenszeichen“ enthält noch epist. 117 (Dioscorus an Augustin, aus dem Jahre 410); es ist wahrscheinlich, dass er dort mit dem gleichnamigen magister memoriae identifiziert werden kann (vgl. Pietri / Pietri, Prosopographie, S. 2378).152 152 In der „Prosopographie“ des Zenobius bei Pietri / Pietri (S. 2378) wird die Stelle soliloq. 2,14,26 (bewusst?) nicht erwähnt. Es gibt jedoch eine alte Vermutung der Mauriner, dass die beiden dort erwähnten docti atque prudentes viri (vgl. § 28) mit Ambrosius und Zenobius zu identifizieren seien (siehe Migne, Bd. 32, Sp. 897, Anm. a und b). Für Ambrosius lässt sich der Nachweis – insb. mittels eines Vergleichs mit den augustinischen Beschreibungen in den confessiones – gut und plausibel führen (siehe dazu Remark, Selbstgespräche, S. 214 f.), für den recht unbekannten Zenobius stellt er sich ungleich schwieriger dar. Es dürfte an dieser Stelle lohnend sein, einen Textvergleich der in Frage kommenden Quellen (De ordine; epistula 2; soliloquia) durchzuführen. Gegen eine Identifizierung spricht u. E. vor allem die in ord. 1,7,20 geschilderte Art der Beziehung zwischen Zenobius und Augustinus: Zenobius erscheint als derjenige, der immer wieder gleichsam „Audienz“ bei Augustin fordert und, da dieser ihm wiederholt seine kostbare Zeit verweigert (Z. 49 f; vgl. auch 1,9,27, Z. 13 f), dessen Aufmerksamkeit durch ungewöhnliche und aufwändige Mittel (Provozierung durch ein Gedicht; Z. 50 ff) zu erringen sucht. Deutlich wird hier die Beziehung zwischen einem Bittsteller und dessen „Gönner“ beschrieben. Geradezu umgekehrt das Verhältnis zur – auf kryptische Weise ille alius genannten – Person der „Alleingespräche“: Augustin wartet seinerseits sehnsuchtsvoll auf eine literarische Äußerung (sc. zum Problem der Unsterblichkeit der Seele), die ihm persönlich in seiner intellektuellen Not und Unsicherheit helfen würde, aber aufgrund äußerer Umstände nicht eintreffen will. Objektiver Rang und subjektive Bedeutung der hier beschriebenen „Person“ scheinen der des Ambrosius kaum nachzustehen und lassen eher an einen der wirklich großen christlichen Neuplatoniker (z. B. Manlius Theodorus, Calcidius oder Simplicianus) denken. Für eine Identifizierung sprechen folgende Beobachtungen: A) Der in den soliloquia neben Ambrosius erwähnte Schriftsteller verfasst offensichtlich – wie Zenobius – philosophische Traktate in poetischer Form (i. e. als carmen; § 26, Z. 11 [p. 80]; Z. 12 [p. 81]). B) Augustin lobt in De ordine des Zenobius Talent und geistige Begabung, sein ingenium (ord. 1,2,4, Z. 3; 1,9,27, Z. 12), und wörtlich dasselbe Lob wird auch in den soliloquia (2,14,26; Z. 13 [p. 80]: eorum ingenia talia) ausgesprochen. C) Wie in ord. 1,7,20, Z. 58 (vgl. epist. 2, Z. 5 [p. 4]) wird – wieder mit demselben Ausdruck – die enge persönliche Verbundenheit, die familiaritas (Z. 9 [p. 81]), zwischen Augustin und dem besagten Schriftsteller bezeugt. D) Zenobius ist aus Cassiciacum unter gewissen merkwürdigen, nicht mehr gänzlich zu erhellenden Umständen abgereist (ord. 1,7,20, Z. 53 f; vgl. epist. 2, Z. 16 [p. 4]), der gesuchte Autor aus den soliloquia befindet sich (auf Reisen?) weit entfernt jenseits der Alpen (Z. 10 [p. 81]: longe abest; Z. 12 [ibid.]: otio transalpino). E) Augustin begehrt einen intensiveren Briefkontakt mit Zenobius (epist. 2, Z. 15 f [p. 4]: … ut in quam multis possemus litteris te nobiscum teneamus); auf ähnliche Weise beklagt sich Augustin in den soliloquia, dass ein Briefverkehr mit dem hinter den Bergen gleichsam „Verschollenen“ kaum mehr möglich sei (Z. 10 f [p. 81]: … ut vix ad eum vel epistulae mittendae facultas sit). Lässt sich eine Entscheidung treffen oder sollte man sich der akademischen Tugend der befleißigen? Die präzisen Entsprechungen zwischen der Person des Zenobius und dem ominösen ille alius der Alleingespräche sind nicht zu übersehen und wiegen in ihrer Summe schwer. Eine
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II. Kommentar
56 f Primum … deinde … postremo: die konventionelle Form der dreiteiligen enumeratio (allerdings hier keine adverbiale Verwendung von primum); vgl. Menge, Syntax, § 218 (S. 155). 56 f cuius modi nunc vitam ducamus: Wiederholung der Aussage von § 4, Z. 10: qualemque vitam nos vivamus. Stolz und Begeisterung Augustins über die lange geplante und endlich realisierte Lebensform in Cassiciacum schwingen unüberhörbar mit. 57 eius in nos benivolentiae: „seinem Wohlwollen uns gegenüber“; die Übersetzung „Gastfreundschaft“ (Mühlenberg) ist irreführend, über eine solche ist nichts bekannt.153 58 de spe tua: Possessivpronomen anstatt eines genitivus obiectivus; vgl. Menge, Syntax, § 71 (S. 54); m. a. W.: Licentius hofft nicht selbst, sondern erweckt eine auf ihn bezogene Hoffnung. 58 f pro familiaritate … omnium nostrum: Zenobius’ enge Freundschaft und Verbundenheit mit der schola von Cassiciacum wird auch in epist. 2 betont: … cum omnia bona optes carissimis et familiarissimis tuis (vgl. ord. 1,2,4, Z. 10: carissimi tui; siehe dazu supra zu 1,7,20, Z. 53 f; s. v. profectio eius …). 59 ingenii tui quaedam scintillae: Das ingenium des jungen Licentius wurde bereits in § 7, Z. 29 ausdrücklich gelobt. – Die Junktur scintilla ingenii auch bei Cicero, rep. 2,37 in vergleichbarem Zusammenhang: … non latuit scintilla ingenii quae iam tum elucebat in puero (sc. Servio Tullio). Vgl. fin. 5,43: in pueris virtutum quasi scintillas videmus (Gunermann, Sprache, S. 158, vergleicht das abmildernde quasi bei Cicero mit dem augustinischen quaedam); in ähnlicher Weise spricht Cicero auch von sog. igniculi (siehe leg. 1,33154; fin. 5,18; Tusc. 3,2), die dem jeweils noch jungen und unverdorbenen Geist inhärieren.155 60 f non tam conflarentur cura mea quam tua exstinguerentur incuria: Fortführung der Feuermetaphorik mit wirkungsvollem Chiasmus und Hyperbaton. 61 cum te poeticae quoque studiosum esse congnoverit, sic gratulabitur, …: Die Dichtkunst wird von Augustin hier nicht so pejorativ bewertet wie an anderer Stelle; ist sie grundsätzlich der Philosophie klar subordiniert (vgl. c. acad. Identifizierung scheint dann – u. E. als die einzige plausible Lösung – gerechtfertigt zu sein, wenn man eine Veränderung des persönlichen Verhältnisses zwischen Zenobius und Augustinus konstatiert: Demnach wäre Zenobius seit der gemeinsamen Mailänder Zeit in der intellektuellen Wertschätzung des Augustin (u. a. durch das in De ordine erwähnte carmen?) deutlich gestiegen, was tendenziell in den aktuellen und „präsentischen“ Aussagen von De ordine und vor allem epistula 2 eindeutig verifiziert werden kann. Dass er dennoch in den confessiones nicht erwähnt wird, mag vielleicht überraschen, doch teilt Zenobius dieses Schicksal durchaus mit anderen Zeitgenossen und Freunden Augustins, u. a. mit Licentius und Trygetius. 153 Zur überschaubaren Quellenlage bzgl. der Person des Zenobius vgl. supra zu Z. 53 f (s. v. profectio eius …). 154 Wie bei Augustin so auch hier die Vorstellung, dass die geistigen „Fünkchen“ unter ungünstigen Umständen auch verlöschen (Cic.: exstinguantur; Aug.: exstinguerentur) können. 155 Zum peripatetischen und stoischen Hintergrund der Funken-Metapher bei Cicero: O. Gigon, Gespräche in Tusculum, S. 502.
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3,1,1; ord. 1,3,8), so scheint sie, wenn schon keinen Eigenwert, so doch einen gewissen relativen Nutzen zu besitzen.156 Der Wert jeder Dichtung hängt für Augustin nämlich entscheidend an dem in ihr verarbeiteten Inhalt; siehe dazu aufschlussreich ord. 1,8,24, wo Licentius sogar ausdrücklich zum Dichten ermuntert wird. – Nicht zu vergessen ist, dass Augustin selbst (im Jahre 393/94) den Psalmus contra partem Donati, ein gereimtes Strophengedicht bzw. -lied mit kurzem Refrain (ypopsalma) im Stile eines sog. abecedarius (ein durch die Buchstabenfolge des lateinischen Alphabets gebildetes Akrostichon) verfasst hat, ohne sich jedoch – auch hier mit Verweis auf übergeordnete inhaltliche Ziele – einer necessitas metrica (retr. 1,20) zu unterwerfen.157 62 videre iam videar: beliebter lusus verborum; vgl. c. acad. 2,11,25: Videor … mihi videre; beat. vit. 1,2: mihi videor videre. 1,8,21: Die „Bekehrung“ des Licentius 1 Nihil mihi quidem gratius facies, inquit: sed sive mobilitatem meam et puerilem
levitatem ridebitis sive aliquo vere divino nutu et ordine fit in nobis, non vobis dubitem dicere: pigrior sum ad illa metra subito effectus; alia, longe alia nescio quid mihi nunc luce resplenduit. Pulchrior est philosophia, fateor, quam Thisbe, quam 5 Pyramus, quam illa Venus et Cupido talesque omnimodi amores. – Et cum suspirio gratias Christo agebat. Accepi ego haec, quid dicam libenter aut quid non dicam? Accipiat quisque, ut volet, nihil curo, nisi quod forte inmodice gaudebam.
1 puerilem: Zum vermuteten Alter des Licentius siehe supra zu 1,2,5, Z. 22 (s. v. Licentius). 2 aliquo vere divino nutu: Zu beachten ist das vere und die sich daraus ergebende Frontstellung: In der heidnischen Literatur ist die göttliche Eingebung und Inspiration der Anfang der Dichtung (ein Topos, der bekanntlich in kaum 156 Ähnlich Fuhrer, Contra Academicos, S. 139 (s. v. Licentius … inflammatus), die mit Verweis auf c. acad. 2,3,8 und 3,6,16 die propädeutische Funktion der poetica (sc. für das Studium der Philosophie) innerhalb der Wissenschaftstheorie Augustins hervorhebt. Ein sehr ähnliches Konzept existiert auch bei Synesios von Kyrene (siehe dazu ibid., Anm. 5, mit Hinweis auf I. Hadot, Arts, S. 278 f). 157 Über die äußere Form des Psalmus, insbesondere zur strittigen Frage des dort verwendeten Prosarhythmus, sind folgende Arbeiten zu vergleichen: F. Ermini, Il „Psalmus contra partem Donati“, in: Miscellanea Agostiniana (1931), S. 341–352; H. Vroom, Le psaume abécédaire de saint Augustin et la poésie latine rhythmique, Nijmegen 1933; D. C. Lambot, Texte completé et amendé du Psalmus contra partem Donati de Saint Augustin, in: Revue bénedictine 47 (1935), S. 312–330; J. H. Baxter, On St.Augustine Psalmus contra partem Donati, in: Sacris erudiri 4 (1952), S. 18–26; F. Chatillon, La poésie abécédaire et le vers de seize syllabes; le Psalmus augustinien; la tradition augustinienne et les Prémontrés, a. a. O. (1955), S. 114–127; W. Bulst, Hymni Latini antiquissimi LXXV, psalmi III, Heidelberg 1956; B. Luiselli, Metrica della tarda latinità: i salmi di Agostino e Fulgenzio e la versificazione trocaica, QUCC I (1988), S. 29–91. Eine neuere Zusammenfassung der Ergebnisse bei: J. L. Moreno, El psalmus de S.Agustín: texto, prosodia, métrica, in: a. a.O (1999), S. 419–428.
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II. Kommentar
einem Proömium fehlt), die „wahrhaft göttliche Eingebung“ aber befiehlt ihr Ende (vgl. dazu Z. 3 ff). 2 divino … ordine: Dass Licentius „nach göttlicher Ordnung“ eine conversio erlebt, kann als ein schwacher und erster Anklang an die (spätere) augustinische Prädestinationslehre gewertet werden; allerdings fehlen in dieser Schrift, die sich vom Thema her fraglos eignen würde, eindeutige weitere Hinweise. – Durch diesen neuerlichen Aufweis einer Manifestation göttlicher Ordnung innerhalb des menschlichen Geschehens (weitere Beispiele bes. in § 14) gewinnt man den Eindruck, dass Augustin die Szenerie in De ordine deshalb so reichlich ausgestattet habe, um an jeder nur möglichen Stelle seine „Ordnungstheologie“ in den großen und heiligen, aber auch ganz alltäglichen und profanen Zusammenhängen zu etablieren. Die Interdependenz zwischen szenischer Darstellungsform und philosophischem Inhalt ist in keinem Dialog so gelungen und ausgereift wie in De ordine (vgl. in diesem Sinne vor allem B. R. Voss, Dialog, S. 197 ff, und W. Hübner, ordo, passim). 2 in nobis, non vobis: kurzfristiger Wechsel der Person (1. Pl., ansonsten 1. Sg. in Z. 1–4) um des lusus verborum willen. 3 illa metra: sc. metonymisch für die Dichtkunst. 3 f alia, longe alia nescio quid mihi nunc luce resplenduit: mystischer Hinweis auf die (nach dem Vorbild der plotinischen ) entwickelten Illuminations- oder Irradationslehre Augustins. Die relevante und viel diskutierte Frage, wie man sich den Vorgang der „Erleuchtung“ vorstellen solle und an welchem „Ort“ sich das erhellende Licht befinde (innerhalb oder außerhalb der jeweiligen Person) wird an dieser Stelle offen gelassen. Das Licht, in welchem Licentius „etwas Geheimnisvolles“ (nescio quid) entgegenleuchtet und widerstrahlt, muss jedenfalls mit Gott selbst (so in beat. vit. 4,35; vgl. soliloq. 2,6,9) oder auch Christus (ausdrücklich erwähnt in Z. 6!) gleichgesetzt werden.158 158 Innerhalb des Frühwerks behandelt Augustin seine Theorie der Erleuchtung nirgends systematisch oder rein theoretisch, sie scheint aber – ähnlich wie hier in De ordine – in den unterschiedlichsten Zusammenhängen immer wieder unvermittelt auf, besonders frequent in De vera religione (vgl. die „klassischen“ Kapitel: 3; 64; 66; 72; 73; 96; 97; 113). Zur facettenreichen Illuminationslehre Augustins, ihre psychologischen und historischen Wurzeln, ihrem Werden und Wesen muss nach wie vor auf die gute Darstellung bei J. Hessen, Metaphysik, S. 59 ff und 84–98 verwiesen werden. Vgl. daneben W. Falkenhahn, Augustins Illuminationstheorie im Lichte der jüngsten Forschungen, Diss. Köln 1948; C. E. Schützinger, German Controversy of S. Augustine’s Illumination-Theory, New York 1960; ders. (als Zusammenfassung): Die augustinische Erkenntnislehre im Lichte neuerer Forschung, in: Recherches Augustiniennes 2, 1962, S. 177–203; F. Körner, Die Entwicklung Augustins von der Anamnesis- zur Illuminationslehre im Lichte seines Innerlichkeitsprinzips, ThQ 134, 1954, S. 397–477; ders., Abstraktion oder Illumination? Das ontologische Problem des [sic!] augustinischen Sinneserkenntnis, in: Recherches Augustiniennes 2, 1962, S. 81–109; ders., Innerlichkeit, passim; R. Holte, Béatitude et sagesse. Saint Augustin et le problème de la fin de l’homme dans la philosophie ancienne, Paris 1962, S. 347–360; R. E. Buckenmeyer, The Meaning of „Iudicium“ and its Relation to Illumination in the Philosophical Dialogues of Augustine, Diss. University Southern California 1967; M. Arranz, La iluminación agustiniana y sus intérpres, Religión y Cultura 14, 1968, S. 153–168; T. Alesanco, Metafisica y gnoseología del mundo inteligible. En torno al la teoría agustiniana de
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4 f Pulchrior est philosophia … quam Thisbe, quam Pyramus: Deutliche Anspielung auf den Beginn der Pyramussage bei Ovid, met. 4,55 f (Pyramus et Thisbe, iuvenum pulcherrimus alter / altera, quas oriens habuit, praelata puellis, …). 4 f Pulchrior est … quam illa Venus: Anspielung auf das bekannte Parisurteil, wonach der Aphrodite – gegen Hera und Athene – der mit der Aufschrift pulcherrimae deae donum159 versehene Erisapfel zuerkannt wird. 5 cum suspirio: Hat man vor Augen, unter wie vielen Tränen und inneren Kämpfen die conversio bei Augustin selbst erfolgte (vgl. conf. 8, passim), so fällt sie hier bei Licentius unter emotionalen Gesichtspunkten vergleichsweise nüchtern (lediglich „mit einem Seufzer“) aus. Augustin selbst scheint gefühlsmäßig wesentlich stärker ergriffen zu sein (siehe Z. 7: inmodice gaudebam; § 22, Z. 8 f: ego inlacrimans multa oravi). 6 Christo: Charakteristisch für das „Bekehrungserlebnis“ bei Augustin ist die Verbindung des Bekenntnisses zur Philosophie (Z. 4 f; vgl. bes. conf. 8,7,17) und der im Gebet erfolgten Zuwendung zum christlichen Glauben (Z. 5 f; vgl. bes. conf. 8,12,28). Beides kann nicht voneinander getrennt werden und basiert auf der spezifischen Form des christlichen Lebens, welche Augustin in Mailand, genauer: im sog. „Mailänder Philosophenzirkel“, kennengelernt hat. Vgl. zu dieser besonderen religionsphilosophischen Symbiose supra 1,2,5, Z. 15 (s. v. in philosophiam …). 1,8,22: Indezenter Psalmengesang Interea post paululum dies sese aperuit. Surrexerunt illi et ego inlacrimans multa oravi, cum audio Licentium succinentem illud propheticum laete atque garrule: 10 Deus virtutum, converte nos et ostende faciem tuam, et salvi erimus. Quod pridie post cenam cum ad requisita naturae foras exisset, paulo clarius cecinit, quam ut mater nostra ferre posset, quod illo loco talia continuo repetita canerentur. Nihil enim aliud dicebat, quoniam ipsum cantilenae modum nuper hauserat et amabat, ut fit, melos inusitatum. Obiurgavit eum religiosissima, ut scis, femina ob hoc ipsum, 15 quod inconveniens locus cantico esset. Tunc ille dixerat iocans: Quasi vero, si quis hic me inimicus includeret, non erat deus exauditurus vocem meam.
8 post paululum dies sese aperuit: Wenn der Tag erst post paululum heraufzog, müsse es in § 20 (Z. 38–40) noch der Mond gewesen sein, dessen Schein durch das Fenster fiel (so die „realistische“ Interpretation bei Perler / Maier, voyages, S. 186; siehe ausführlich supra zur Stelle [s. v. diem … lunae]). – Das Hereinbrechen des Tageslichts unmittelbar nach der erfolgten conversio des Licentius kann jedoch auch symbolisch verstanden werden: Die Nacht als die Zeit des Irrla iluminación, Augustinus 13, 1968, S. 9–36; weitere (meist ältere) Literatur bei C. Andresen, Bibliographia, S. 104 f. 159 Nach Myth. Vat. 1,208; vgl. (Schol. Lykophr. 93) bzw. (Lukian, dial. deor. 20,7; dial. mar. 5).
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II. Kommentar
tums (§ 23, Z. 30) und der Gottesferne ist vorüber; das Licht der Wahrheit (vgl. soliloq. 2,20,35) hat sie endgültig abgelöst.160 8 f inlacrimans multa oravi: In Cassiciacum werden häufig Tränen vergossen (vgl. c. acad. 2,7,18; ord. 1,10,29 f; soliloq. 1,14,26; u. ö.). Sie sind keinesfalls nur stilistisches Mittel des literarischen Dialogs,161 wie – vor allem anderen – die äußerst tränenreiche Bekehrungsszene im 8. Buch der confesssiones hinlänglich verdeutlicht. – Zum Gebet unter Tränen vgl. auch heidnische Vorbilder z. B. bei Cicero, div. 1,41; rep. 6,9. 10 Deus virtutum, converte nos et ostende faciem tuam, et salvi erimus: VL-Version von Psalm 79,8 (ebenfalls zitiert im Zusammenhang des augustinischen Bekehrungsweges in conf. 4,10,15). 13 f ipsum cantilenae modum nuper hauserat et amabat … melos inusitatum: Auch Augustin selbst kann sich der emotionalen Wirkung der in Mailand neuartigen Hymnen und Psalmengesänge nicht entziehen; vgl. conf. 9,6,14: Quantum flevi in hymnis et canticis tuis suave sonantis ecclesiae tuae vocibus commotus acriter! Voces illae influebant auribus meis et eliquabatur veritas in cor meum et exaestuabat inde affectus pietatis, et currebant lacrimae, et bene mihi erat cum eis. Zur Entstehung der Psalmodie in der Mailänder Kirche zur Zeit der „arianischen Verfolgung“ durch Justina (Mutter des jungen Kaisers Valentinian), zur Herkunft und Verbreitung dieses orientalischen Brauches siehe conf. 9,7,15. 14 religiosissima, ut scis, femina: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5] – Über den frommen Glauben und den gottesfürchtigen Lebenswandel der Monnica vgl. das Lebensbild conf. 9,8,17–9,22. Augustin wertet die religiösen Bedenken der Mutter hinsichtlich der „indezenten Psalmodie“ als übertrieben ängstlich und sogar superstitiös (vgl. § 23, Z. 25: scrupulus superstitionis) und weiß sich darin offenbar – siehe das leicht ironische162 ut scis – mit dem Adressaten Zenobius einig. Die hier berichtete religiöse Scheu passt indes gut zum charakterlichen Gesamtbild: In christlichem Hause streng erzogen zeigt Monnica von Jugend an eine sittlich-ernste und fromme Gesinnung, derentwegen sie von ihrem Bischof Ambrosius aufs höchste gelobt wird,163 die aber – besonders in Beibehaltung bestimmter nordafrikanischer Kulte und Bräuche164 – von aber160 Vgl. Hübner, ordo, S. 36 f. Dass kurz zuvor noch Unsicherheit über den tatsächlichen Anbruch des Tages herrschte (§ 20, Z. 38–40) und dieser sich erst allmählich enthüllte, korrespondiere mit „der zögerlichen, stufenweisen Bekehrung des Licentius“ (Hübner, ibid., S. 36). 161 In diesem Sinne äußert sich Fuhrer, Contra Academicos, S. 183. 162 Siehe W. Thimme, Bemerkungen, S. 16; zum ironischen Unterton des Abschnitts vgl. bes. auch den Scherz des Licentius (Z. 15 f) auf Kosten der Mutter. 163 Conf. 6,2,2: Quem [sc. Ambrosium] propter salutem meam maxime diligebat, eam vero ille propter eius religiosissimam conversationem, qua in bonis operibus tam fervens spiritu frequentabat ecclesiam, ita ut saepe erumperet, cum me videret, in eius praedicationem gratulans mihi, quod talem matrem haberem. 164 Erst auf die ausdrückliche Anweisung des Ambrosius hin unterlässt sie die in Afrika üblichen (abergläubisch-synkretistischen) Totenopfer an den Gräbern der Ahnen, Heiligen und Märtyrer; vgl. conf. 6,2,2: Itaque ubi comperit a praeclaro praedicatore atque antistite pietatis praeceptum esse ista non fieri … et quia illa quasi parentalia superstitioni gentilium essent simillima, abstinuit se libentissime.
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gläubischen Elementen nicht gänzlich frei zu sein schien. – Augustins Mutter, die aus verständlichen Gründen am nächtlichen Gespräch über die Ordnung nicht teilnehmen konnte, wird – wie schon in De beata vita – recht bald an diesem beteiligt (vgl. ord. 1,11,31) und wird ihm bis zu seinem Ende (2,20,54) aktiv beiwohnen. 16 erat … exauditurus: „er hätte erhört“; zum Indikativ der coniugatio periphrastica act. (statt des Konjunktiv Plusquamperfekt) im Hauptsatz der irrealen Periode vgl. Menge, Syntax, § 382,3 d (S. 254). Vgl. Cicero, Verr. 2,3,121; div. 1,26; Att. 12,32,2; Sest. 81; Livius 1,40,4; 1,7,5; 23,40,8; 2,1,4; 5,53,9; 38,17,4; 41,24,4. 1,8,23: Was bedeutet „Bekehrung“?
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Ergo mane cum regressus esset solus – nam uterque ob eandem causam processerat – accessit ad lectulum meum: Verum mihi dic, inquit, ita fiat nobis quod vis, quid de me existimes. – Atque ego adulescentis dexteram adprehendens: Quid, inquam, existimem, sentis credis intellegis. Neque enim arbitror te frustra heri tam diu cecinisse, ut virtutum deus converso tibi se ostendat. – At ille cum admiratione recordatus: Magnum, inquit, dicis et verum. Non enim me ipsum parum movet, quod modo tam aegre avocabar a nugis illis carminis mei, et iam redire ad eas piget et pudet; ita totus in quaedam magna et mira subvehor. Nonne hoc est vere in deum converti? Simul et illud gaudeo, quod frustra mihi scrupulus superstitionis iniectus est, quod tali loco talia cantitabam. – Mihi, inquam, neque hoc displicet et ad illum ordinem puto pertinere, ut etiam hinc aliquid diceremus. Nam illi cantico et locum ipsum, quo illa offensa est, et noctem congruere video. A quibus enim rebus putas nos orare ut convertamur ad deum eiusque faciem videamus, nisi a quodam ceno corporis atque sordibus et item tenebris, quibus nos error involvit? Aut quid est aliud converti nisi ab immoderatione vitiorum virtute ac temperantia in sese attolli? Quidve aliud est dei facies quam ipsa, cui suspiramus et cui nos amatae mundos pulchrosque reddimus, veritas? – Melius dici non potest, inquit exclamans; deinde suppressius quasi ad aurem: Vide quaeso, quanta occurrerunt, ut credam erga nos aliquid iam prosperiore ordine fieri.
20 sentis credis intellegis: Asyndeton, Homoioteleuton und Klimax („Gefühl“, „Glaube“ und „Wissen“ kennzeichnen im augustinischen Sinne einen Anstieg der erkenntnistheoretischen Sicherheit) mit formaler Beachtung des „Gesetzes der steigenden Silbenzahl“. 20 Neque … frustra: Die Psalmodie des Licentius, seine wiederholt (gedankenlos?) vorgetragene Bitte geschah nicht „ohne Grund“ (gegen Mühlenberg, S. 264), sondern „nicht vergeblich“ bzw. „nicht umsonst“ (so Keseling, S. 132; Perl, S. 21); die „Bekehrung“ wird somit als Gebetserhörung qualifiziert (vgl. exauditurus; § 22, Z. 16). 22 f modo tam aegre avocabar a nugis illis carminis mei: Siehe 1,3,8, Z. 42 ff, sowie supra zu ibid., Z. 43 f (s. v. ego nonnihil …).
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II. Kommentar
23 piget et pudet: „es wäre verdrießlich und schändlich“; zum Indikativ der unpersönlichen Wendung vgl. Menge, Syntax § 330 II (S. 215); stärkerer Ausdruck als noch in § 21 (Z. 3: pigrior sum …): des Licentius Abneigung gegen die (weltliche) Dichtung verschärft sich zusehends. 24 subvehor: „ich fahre hinauf “; Anklang an neuplatonisch mystische Vorstellungen über die (lat.: ascensus)165 in die intelligible Transzendenz (hier: in quaedam magna et mira). 24 vere … converti: „Wahrhaft … sich zu bekehren“ bedeutet – wie Augustin später vor allem in De vera religione verdeutlichen wird – eine Änderung (= „Umdrehung“) der geistigen Ausrichtung vom Niederen hin zum (ontologisch) Höheren und Höchsten. Als systematischer Hintergrund wird dort die hierarchisch gestufte neuplatonische Seinspyramide vorausgesetzt. Anklänge an dieses Konversionsschema finden sich bereits hier: Das „Niedere“ sind die nugae („Nichtigkeiten“, „Spielereien“; Z. 23) der weltlichen Dichtung, von denen man „aufsteigt“ (vgl. subvehor; Z. 24) zu den magna et mira (Z. 24) der geistigen Welt, um ebendort – als dem obersten Ziel dieses Aufstiegs – zu Gott selbst (in deum; ibid.) zu gelangen. Nach erfolgter „Bekehrung“ besteht sogar die Möglichkeit, diesen „Gott der Tugenden“ zu schauen.166 25 scrupulus superstitionis: „abergläubische Skrupel“; gen. definitivus mit Tendenz zum gen. identitatis bzw. inhaerentiae. 26 cantitabam: Betonung des unaufhörlich wiederholten Singens des Licentius: iteratives Imperfekt des Doppelfrequentivum cantitare! 29 f a quodam ceno corporis atque sordibus: Wenn Augustin die „Abkehr von der Körperlichkeit“ fordert, so kann er darunter grundsätzlich etwas Doppeltes verstehen: A) Die erkenntnistheoretische Dimension dieser Forderung zielt auf eine Abkehr vom Sensualismus, von der Überzeugung, dass die Erkenntnis der Wahrheit durch Vermittlung körperlicher Sinne möglich sei. Vor diesem Irrglauben warnt er eindringlich bereits im Proömium der Schrift; vgl. § 3. B) Die ethische Dimension seiner Forderung zielt auf eine Abkehr von körperlichen Genüssen jeglicher Art und enthält eine klare Tendenz zum asketischen Lebensideal. – Hier ist zweifellos die letztere (ethisch-asketische) Komponente angesprochen: die charakteristische Metapher des Schmutzes begegnet auch in ord. 1,2,4 (Z. 4 f) und dient dort der Illustration menschlicher Lust und Begierde (vgl. Z. 4–6: libido, cupiditas, voluptas). Von diesem Schmutz der lasterhaften Körperbezogenheit müsse der Geist erst gründlich befreit werden, gewissermaßen „rein“ (mundus; vgl. § 23, Z. 32) und „schön“ (pulcher; ibid.) sein, vorher kann er die Wahrheit (d. h. bei Augustin: Gott selbst) nicht schauen.167 – Die Inspira165 Vgl. ausführlich: L. Wittmann, Ascensus. Der Aufstieg zur Transzendenz in der Metaphysik Augustins, München 1980. 166 Es ist wahrscheinlich, dass Augustin das ostendere des Psalmverses (vgl. die charakteristische Abwandlung in Z. 21) im Sinne der mystischen Gottesschau versteht. 167 Zu den sittlichen Voraussetzungen der Wahrheitserkenntnis beim frühen Augustinus vgl.
2. Hauptteil: 1,8,23
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tion durch Plotin I 6 ( ) ist evident: Auch dort – in Kap. 5 f – ist ) der körperlichen Begierden es der „Lehm oder Schlamm“ ( und Lüste ( bzw. ), von dem sich die Seele reinigen muss, um sich dem „Quell des Schönen“ nähern zu können und sogar selbst … ). „Gott ähnlich zu werden“ ( 30 tenebris, quibus nos error involvit: Eine der Schlüsselstellen für die Legitimität eines allegorischen Verständnisses von De ordine. Wie Augustin kurz zuvor im Schmutz und Dreck der Kloake (dem Ort der indezenten Psalmodie) einen Hinweis auf die körperlichen Lüste sah (siehe zu Z. 29 f), so deutet er nun die Szenerie der nächtlichen Gespräche insofern, als er die dort waltende Finsternis metaphorisch mit einem den Geist umhüllenden „Irrtum“ (error) gleichsetzt.168 Bereits die Spitzmaus (sorex; § 9) und die vom Winde verwehten Blätter (folia; § 13) waren symbolisch ausgedeutet worden, und der moderne Interpret scheint durchaus berechtigt, im Sinne Augustins nach weiteren Anspielungen zu suchen.169 31 ab immoderatione vitiorum: Die „Maßlosigkeit“ (immoderatio) ist ein wichtiger Terminus augustinischer Philosophie. Sie verkörpert, da sie das genaue Gegenteil von „Gott“ (= dem summus modus170) darstellt, gewissermaßen das Böse selbst. Im ontologischen Sinne wird Augustin später, in seinen Genesisauslegungen, die form- und maßlose (Ur-)Materie als in der Seinshierarchie ganz unten, kaum oberhalb des „Nichts“ stehend, einordnen.171 Im moralischen Sinne ist die Maßlosigkeit identisch mit der „Begierde“, der Ursünde des Menschen, welche in „maßloser“ Weise mehr für sich verlangt, als ihr der Ordnung gemäß zusteht. Deutlicher noch ist dieser Zusammenhang in der Parallele § 4 (Z. 4) ausgedrückt, wo Augustin explizit von der libidinis immoderatio spricht. Dort wie hier ist in der jeweiligen Junktur von einem genitivus definitivus auszugehen: Das Laster bzw. die Begierde besitzt nicht nur die Eigenschaft der Maßlosigkeit, sondern ist gewissermaßen ihr Inbegriff. 31 in sese attolli: „Bekehrung“ ist für Augustin definitionsgemäß ein Zurückfinden und „Sich-Erheben“ zu sich selbst, welches allerdings – im Gesamtzusammenhang gesehen – nur eine Vorstufe zur Gottesbegegnung sein kann. Vgl. supra zu 1,1 f,3, Z. 37 (s. v. homo sibi …) und Z. 38 f (s. v. animum in se). – Insgesamt hat der zentrale Begriff der „Konversion“, wie er sich hier in ord. 1,8,23 besonders klar und mit vielen Textbelegen: W. Thimme, Entwicklung, S. 44 ff („Herzensreinheit“) und S. 159 ff („Die Ethik des angehenden Philosophen“). 168 Vgl. supra zu 1,7,20, Z. 39 (s. v. diem … lunae) und 1,8,22, Z. 8 (s. v. post paululum …). 169 Zum symbolischen Verständnis der Szenerie von De ordine vgl. infra Ergebnis 1 mit den dortigen Stellenangaben. 170 Vgl. für Gott als das „höchste Maß“ die (unmittelbar am Ende des Dialogs) exponierte Stelle beat. vit. 4,34 f; dazu die eingehende Interpretation von I. Schwarz-Kirchenbauer / W. Schwarz, Glück, S. 176 ff. Siehe zur Idee des göttlichen Maßes auch Plotin, Enn. 1,2,2 und 1,8,2. 171 Im Gefolge neuplatonischer Systematik wird die amorphe materia als das prope nihil (conf. 12,6,6; gen. ad. litt. 1,15,29,13), als paene nihil und paene nulla res (jeweils conf. 12,6,6) bezeichnet.
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II. Kommentar
darstellt, folgende Dimensionen: „Bekehrung“ ist 1) eine Abwendung und 2) ein Hinwenden … a) vom Laster zur Tugend b) vom „Schmutz“ zur Reinheit c) vom Hässlichen zur Schönheit d) von der Finsternis zum Licht e) vom Irrtum zur Wahrheit f) vom Körperlichen zum Geistigen g) vom Niederen zum Höheren h) vom Äußeren zum Inneren i) von der Maßlosigkeit zur Mäßigung. Man sieht, dass das augustinische Konversionsverständnis auf vielfache Weise ethische, ästhetische, gnoseologische und ontologische Gesichtspunkte miteinander verquickt. Die starke neuplatonische Prägung ist ebenfalls evident: Kein einziger Gedanke ist unplatonisch und niemand würde sich wundern, wenn als Grundlage der hiesigen Zusammenstellung ein Plotinus-Traktat gedient hätte. 32 facies: Augustin deutet die facies dei des Psalmverses christologisch-trinitarisch, wie man deutlich an der Identifikation mit der veritas erkennt (Z. 31–33: Quidve aliud est dei facies quam ipsa … veritas?).172 Das philosophisch-terminologische System, welches hinter der kurzen und zunächst unscheinbaren Andeutung steht, ist in sich konsistent; sucht man nach lateinischen Synonyma für facies, so stößt man auf trinitarisch hochrelevante Begriffe wie species, forma und pulchritudo.173 Sie alle stehen für dieselbe Person innerhalb der christlichen Trinität. Die feine Stilisierung des Textes reicht sogar noch weiter: Das Sehnen (wörtl.: „Seufzen“) nach der Wahrheit (siehe Z. 32 f: ipsa, cui suspiramus …, veritas) bezieht sich deutlich auf die vorhergehende Stelle 1,8,21: Dort ist es Christus, zu 172 Zur veritas als Chiffre für die zweite göttliche Person vgl. supra zu 1,7,17, Z. 8 (s. v. ab ipso …). 173 Vgl. die folgenden triadisch-trinitarischen Formeln: unum principium – aequalis ac similis species – bonitas (mus. 6,17,56); ad unitatem nitens – speciosior – nitens ad salutem (mus. 6,17,58); causa naturae – species – manentia (epist. 11,3); esse – speciem habere – ordinatissime administrari (vera relig. 40); unum aliquid – species propria – ordo (ibid. 41); unitas – species – ordo (trin. 6,10,11); mensura omni rei modum praefigit – numerus omni rei speciem praebet – pondus omnem rem ad quietem ac stabilitatem trahit (gen. ad. litt. 4,3,7); omnis modus – omnis species – omnis ordo (nat. bon. 3); principium ad quod recurrimus – forma quam sequimur – gratia qua reconciliamur (vera relig. 312); quo auctore conditi sumus – similitudo per quam ad unitatem formamur – pax qua unitati adhaeremus (ibid.); unum incommutabile – sapientia non formata per quam formantur universa – frui deo per spiritum sanctum (ver. rel. 65); naturae moderatae – naturae formatae – naturae ordinatae (lib. arb. 3,35); auctor – formator – ordinator (lib. arb. 3,60); principium ex qua omnia – imago eius, per quam formantur omnia – sanctitas in qua ordinantur omnia (agon. christ. 14,16); terminat omnia – format omnia – ordinat omnia (gen. ad litt. 4,3,7); naturae causa – scientiae forma – vitae summa (civ. 11,25); ab uno incipere – aequalitate ac similitudine pulchrum esse – ordine copulari (mus. 6,17,56); undique sui simile pulchritudine divinitatis (quaest. in Mt., q. 17; über den „Sohn“); cuius unitate omnis modus sistitur – cuius sapientia omnis pulchritudo formatur – cuius lege omnis ordo disponitur (c. Faust. 21,6); interminata aeternitas – pulchra veritas – summa felicitas (serm. 243,8,7); summa origo – perfectissima pulchritudo – beatissima delectatio (trin. 6,10,11).
2. Hauptteil: 1,8,24
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welchem Licentius „mit Seufzen“ sein Dankgebet spricht (Z. 5 f: Et cum suspirio gratias Christo agebat). als Vorbild für die au32 mundos pulchrosque: Zur platonischen gustinische Forderung nach Reinheit der Seele und des Herzens (sc. als Vorbedingung für die Gotteserkenntnis) siehe supra zu 1,2,4, Z. 8 (s. v. qua purgatur). 34 quanta occurrerunt: Rückverweis auf § 14; bereits dort zeigte sich Licentius begeistert, wie viele bedeutende Dinge sich aufgrund einer geheimnisvollen Ordnung ereignen mussten; Z. 29 f: quanta et quam multa facta sunt, ut haec loqueremur! quanta fiunt, ut te inveniamus! 1,8,24: Der Weg zum glückseligen Leben
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Si ordinem, inquam, curas, redeundum tibi est ad illos versus. Nam eruditio disciplinarum liberalium modesta sane atque succincta et alacriores et perseverantiores et comptiores exhibet amatores amplectendae veritati, ut et ardentius appetant et constantius insequantur et inhaereant postremo dulcius, quae vocatur, Licenti, beata vita. Qua nominata omnes sese erigunt et quasi adtendunt in manus, utrum habeas, quod dare possis egentibus variisque morbis impeditis. Quibus sapientia cum praecipere coeperit, ut medicum perferant seque cum aliqua patientia curari sinant, in pannos suos recidunt, quorum concalefactione tabificati scabiem voluptatum aerumnosarum scalpunt libentius, quam ut monita medici paulum dura et morbis onerosa perpetiendo atque subeundo valetudini sanorum lucique reddantur. Itaque illo summi dei nomine ac sensu tamquam stipe contenti vivunt miseri, vivunt tamen. Alios autem viros vel, ut verius loquamur, alias animas, dum hoc corpus agunt, iam thalamo suo dignas coniunx ille optimus ac pulcherrimus quaerit, quibus non vivere sed beate vivere satis est. Vade ergo interim ad illas Musas. Verum tamen scis, quid te facere velim? – Iube, ait, quod placet. – Ubi se, inquam, Pyramus et illa eius super invicem, ut cantaturus es, interemerint, in dolore ipso, quo tuum carmen vehementius inflammari decet, habes commodissimam oportunitatem. Arripe illius foedae libidinis et incendiorum venenatorum execrationem, quibus miseranda illa contingunt, deinde totus adtollere in laudem puri et sinceri amoris, quo animae dotatae disciplinis et virtute formosae copulantur intellectui per philosophiam et non solum mortem fugiunt verum etiam vita beatissima perfruuntur. – Hic ille tacitus ac diu consideratione nutans motato capite abscessit.
36 ordinem: Signifikanter Bedeutungswechsel des Titelwortes: Gemeint ist nicht mehr die bisher behandelte Weltordnung, sondern die sog. „Bildungsordnung“. Damit wird bereits hier auf das große Thema des 2. Buches verwiesen. 36 ad illos versus: Zur poetischen Neigung des Licentius vgl. ord. 1,2,5, Z. 22 f; 1,3,8, Z. 43–47; 1,8,21, Z. 4 f. 36 f disciplinarum liberalium: In retr. 1,3,4 kritisiert der gealterte Bischof die damalige Hochschätzung der enzyklopädischen Wissenschaften: „Viele Heilige besitzen von ihnen kaum eine Kenntnis; auch sind etliche, die davon Kenntnis besitzen, keineswegs heilig.“
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II. Kommentar
37 modesta … atque succincta: Nach Augustins Willen soll die Bildung (eruditio) in den enzyklopädischen Wissenschaften „maßvoll und bescheiden“ erfolgen. Darunter ist nicht ein qualitativ mittelmäßiger Bildungsstandard oder gar nur oberflächliches Wissen zu verstehen, sondern die rein quantitative Beschränkung auf die für die „Wahrheitserkenntis“ (siehe Z. 38) elementaren und wichtigen Gegenstände. Augustins Wissenschaftskritik ist grundlegend: Die in den liberales disciplinae weit verbreiteten Ansammlungen von Belanglosigkeiten (z. B. die unbedeutenden Details der Natur- und Geschichtswissenschaft; ord. 2,12,37) fallen unter das augustinische Verdikt der curiositas (vgl. ord. 2,5,17; conf. 10,35,55).174 Vor nichts müsse man sich mehr hüten als vor dem „Zuviel“ (ord. 2,5,14). 37 f alacriores et perseverantiores et comptiores: Dreigliedrige Aufzählung erstrebenswerter Eigenschaften des wissenschaftlich Gebildeten, inhaltlich bezogen auf eine weitere (ebenfalls komparativisch formulierte) dreigliedrige Reihe in Z. 38 f: ardentius, constantius, dulcius. Die persönliche Disposition des Wahrheitssuchenden wird mit metaphorischen Ausdrücken der „Liebeskunst“ (vgl. Z. 38: amatores) beschrieben: Das erste Wortpaar (alacer / ardens) beschreibt den emotionalen „feurigen“ Beginn der Wahrheitsliebe, das zweite (perseverans / constans) das konsequente und „beharrliche“ Werben und Nachsetzen (vgl. Z. 39: insequi), das dritte (comptus / dulcis) diejenige „liebenswerte“ Eigenschaft, die auch eine dauerhafte Liebesbeziehung (vgl. Z. 39: inhaerere) ermöglichen soll. 38 amatores: Zur Metapher des Liebenden für den Wahrheitssuchenden vgl. c. acad. 2,2,6 und 2,3,7. 39 f quae vocatur … beata vita: Wer die Wahrheit sucht und sie „erfasst“ (vgl. Z. 38: amplecti) besitzt das glückselige Leben. Wie passt diese Definition zur Bestimmung der beata vita im gleichnamigen, unmittelbar vorhergehenden Dialog? Dort (beat. vit. 2,11) galt derjenige als glückselig, der „Gott besitzt“ (Deum igitur, …, qui habet, beatus est.) – Die scheinbare Inkonzinnität löst sich auf, wenn man das trinitarische Denken des Kirchenvaters in Rechnung stellt. Spricht Augustin von Wahrheit (veritas), so ist es die göttliche Wahrheit, die – dies wird häufig ausgesprochen – sogar selbst Gott ist.175 40 Qua nominata omnes sese erigunt et quasi adtendunt in manus: Das Bild wird sprachlich und inhaltlich verständlich durch die Stelle beat. vit. 2,13: Dort wird von Augustin ein rhetorischer „Leckerbissen“ angekündigt, bildlich: eine Dessertschüssel hochgehalten, nach der sich alle anwesenden Gäste ausstrecken, indem sie sich aufrichten und mit gleichsam ausgestreckten Händen nach ihr greifen wollen: Quo audito sese omnes quasi in elatum ferculum tetenderunt coegeruntque, ut dicere properarem, quidnam id esset. (…) Quo accepto nomine tres illi, quibus res nota erat, sese erexerunt alacrius et velut porrectis, ut fit, manibus inferentem 174 Zur augustinischen Verurteilung der „nicht-instrumentalisierte[n] Naturforschung als bloße Neugierde“ vgl. K. Flasch, Bekenntnisse, S. 430, Anm. 16, mit Hinweis auf H. Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde, Frankfurt a. M. 1973. 175 Nach Joh. 14,6. Vgl. supra zu 1,7,17, Z. 8 (s. v. ab ipso) und zu 1,8,23, Z. 32 (s. v. facies).
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ministrum adiuverunt. Die „Hände“ (in ord.) sind demnach die des Darreichenden (so richtig Mühlenberg, S. 266: „… scheinen gespannt auf deine Hände zu blicken“), nicht etwa die der Empfangenden (gegen Keseling, S. 133: „stützen sich gewissermaßen auf die Hände“ bzw. Doignon, S. 127: „les mains en quelque sorte sont tendues pour demander“). 40 f utrum habeas: Oft steht bei Augustin utrum als Einleitung einer einfachen (direkten oder indirekten) Frage; vgl. Philippson, S. 149 f; Kühner / Stegmann II § 235,6 (S. 529): „im Spätl. findet sich utrum = num“; Krebs / Schmalz 2,708 f. 41 egentibus: Der Zusammenhang von „Mangel“ (des Geistes) und Torheit bzw. Unglücklichsein ist zentrales Thema in beat. vit. 4,26–32; als Gegensatz fungiert dort die „Fülle“ (= Weisheit). 43 f scabiem voluptatum aerumnosarum scalpunt: Dasselbe Bild vom „Kratzen“ aufgrund eines „Juckens der Lüste“ in conf. 9,1,1: Iam liber erat animus meus a curis mordacibus ambiendi et adquirendi et volutandi et scalpendi scabiem libidinum. – Eine Parallelstelle findet sich bei Seneca (tranq. an. 2,11), der die „Leidenschaften“ (cupiditates) mit Geschwüren vergleicht, deren „Krätze“ (scabies) nach „Berührung“ und gar „verletzenden Händen“ verlange: ut ulcera quaedam nocituras manus appetunt et tactu gaudent et foedam corporum scabiem delectat quicquid exasperat, non aliter dixerim his mentibus, in quas cupiditates velut mala ulcera eruperunt, voluptati esse laborem vexationemque. Vgl. noch Cicero, leg. 1,47. 45 onerosa: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5] 46 illo summi dei nomine ac sensu … contenti: Augustin kritisiert eine äußerliche, oberflächliche Art der Zugehörigkeit zum Christentum. Wer sich zum bloßen „Namen“ (nomen) des Christengottes bekennt, besitzt Gott selbst (= das glückselige Leben) noch nicht. Wer von Gott lediglich eine „Empfindung“ (sensus) besitzt, hat ihn in seinem wirklichen Wesen noch nicht erkannt. – Innerhalb der Erkenntnistheorie Augustins ist der Begriff sensus insofern negativ belastet, als die sinnliche Wahrnehmung lediglich äußere und oftmals trügerische „Scheinwahrheiten“ zu Tage fördern kann;176 als Gegensatz ist die rein geistige, rationale Erkenntnis (cognitio) zu denken, die einzig adäquate Weise der Annäherung an ein intelligibles Objekt, hier: Gott. 46 vivunt miseri, vivunt tamen: Wer mit Gott lediglich äußerlich (nomine ac sensu; Z. 46) in Verbindung steht, kann nicht glückselig (beatus) genannt werden. Solche Namens- und Gefühlschristen „leben“ zwar (im christlich-eschatologischen Sinne), doch führen sie – zumindest in der hiesigen Welt – gewissermaßen ein „Leben zweiter Klasse“. Die augustinische Wertung ist im Zusammenhang seines auctoritas / ratio-Schemas zu verstehen: „Wie ich die [sc. die Ungebildeten, die sich lediglich mit der Autorität zufrieden geben] selig nennen soll, solange sie unter den Lebenden weilen, weiß ich nicht; trotzdem habe ich den unerschütterlichen Glauben, daß sie, sobald sie den irdischen Leib verlassen, je nach dem, 176
Siehe supra zu 1,1,3, Z. 38 (s. v. consuetudine recedendi …).
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II. Kommentar
ob sie mehr oder weniger gut ihr Leben geführt haben, leichter oder schwerer befreit werden können“ (ord. 2,9,26; Übersetzung Mühlenberg, S. 306). Vgl. auch ord. 2,5,15 f. 47 viros: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 47 f alias animas, dum hoc corpus agunt, iam thalamo suo dignas coniunx ille optimus ac pulcherrimus quaerit: Die erotische Metaphorik ist eindeutig inspiriert durch Plotin, Enn. I 6 ( ),177 einer Schrift, die zur sicheren 178 Augustin-Lektüre gezählt wird. Die Metapher des „besten und schönsten Bräutigams“ hat auch – unter Vermittlung von Ambrosius, bon. mort. 19–20179 – an einen Einfluss des alttestamentlichen Hohenlieds denken lassen.180 49 Musas: Zur Erwähnung der Musen vgl. die spätere Kritik in retr. 1,3,5; vgl. supra zu 1,3,6, Z. 14 f (s. v. nam video). 50 illa eius: „celle qui est à lui“ (Doignon, S. 129); „seine Geliebte“ (Keseling, S. 133; Mühlenberg, S. 266); ungewöhnlicher Bezug des Possessivpronomens auf das Demonstrativum. 51 super invicem: „übereinander“; unklassische, spätlateinische Wendung; vgl. Kühner / Stegmann I § 117, Anm. 11 (S. 617). – Zum Vorstellungshintergrund der körperlichen „Vereinigung“ im Tode siehe den Bezug auf Ovid, met. 4,139: … amplexaque (sc. Eurydica) corpus amatum. 54 adtollere: Infinitiv in der Funktion des Imperativs (wie sehr häufig im Griechischen); im Lateinischen erstmals bei Valerius Flaccus (3,412) belegt, danach erst im Spätlatein. Vgl. Kühner / Stegmann I § 123, Anm. 2 (S. 666). 54 f animae dotatae disciplinis: Die deutschen Übersetzungen181 verkennen die von Augustin feinsinnig fortgeführte Liebes- und Hochzeitsmetaphorik; vgl. supra zu Z. 47 f (s. v. alias animas …). Die dos ist die sog. „Mitgift“, dotare bedeutet im konkreten Sinne „eine Mitgift / Aussteuer geben“. Die disciplinae sind demnach das „Hochzeitsgeschenk“, welches die Seele (anima) dem Geist (intellectus) noch vor der „Vereinigung“ (vgl. copulantur) gleichsam anzubieten hat. 54 f animae … virtute formosae copulantur intellectui: Vgl. als direktes feminin wie die anima!), die Vorbild Plotin, Enn. 1,6,5 ff: Erst eine Seele ( durch Tugenden ( ) schön geworden ist, ist für die Vereinigung mit dem Geist ( ; maskulin wie der intellectus!) bereit. 177 Siehe besonders ibid., Kapitel 7: Die (Aug.: animae) sehnen sich, nachdem sie sich ihrer „Kleidung“ (i. e. ihres irdischen Körpers) entledigt haben, nach der Vereinigung ; vgl. optimus) und Schönen ( ; vgl. Z. 55: copulantur) mit dem Guten ( ( ; vgl. pulcherrimus). 178 Siehe A. Schindler (Art. „Augustin“, in: TRE 4, 1979), S. 659 und 661; weitere Literatur siehe supra zu ord. 1,2,3, Z. 46–51 (s. v. ut in circulo …). 179 Vgl. z. B. § 20 (Beginn): … sponsus autem animae deus verbum est, cui anima legitimo quodam conubii foedere copulatur. – Beachtenswert ist: Auch Augustin verwendet den Terminus copulare in Z. 55. 180 Vgl. D. Doucet: Porphyre, Ambroise et Augustin: l’époux des âmes, in: Revue des Etudes augustiniennes 41, 1995, S. 231–252. 181 Keseling, S. 134: „in der Wissenschaft geschulte … Seelen“; Perl, S. 23: „die wissenden Seelen“; Mühlenberg, S. 266: „die gebildeten … Seelen“.
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55 f non solum mortem fugiunt verum etiam vita beatissima perfruuntur: Inmitten eines Abschnittes, der von purem Neuplatonismus durchzogen ist, plötzlich wieder genuin christliches Gedankengut: Die Vermeidung des (ewigen) Todes gilt – siehe Z. 46 – für alle, die sich zum „Namen des höchsten Gottes“ bekennen und sich Christen nennen. Charakteristisch für den jungen Augustin von Cassiciacum ist allerdings, dass er sich damit nicht zufrieden geben will. Es verlangt ihn – darauf liegt hier der eindeutige Akzent – nach Glückseligkeit bereits in diesem Leben. Sein Erkenntnisoptimismus ist noch ungebrochen: Ein auf die Wissenschaft ausgerichtetes, tugendhaftes und der Philosophie ergebenes Leben (siehe Z. 54 f) verspricht diejenigen Einsichten, die „das höchste Glück auf Erden“ bedeuten. – Zu den genannten Bedingungen für die vita beatissima vgl. Cicero, Tusc. 5,72, der ebenfalls sowohl der Wissenschaft (bes. der Dialektik) als auch den Tugenden eine entscheidende Rolle zuteilt. – Zum Begriff des „Genießens“ (perfrui) bei Augustin vgl. infra zu 2,2,6, Z. 52. 1,8,25: Schönheit des Hahnenkampfes Deinde ego quoque surrexi redditisque deo cotidianis votis ire coeperamus in balneas – ille enim locus nobis, cum caelo tristi in agro esse minime poteramus, aptus 60 ad disputandum et familiaris fuit – cum ecce ante fores advertimus gallos gallinatios ineuntes pugnam nimis acrem. Libuit attendere. Quid enim non ambiunt, qua non peragrant oculi amantum, ne quid undeunde innuat pulchritudo rationis cuncta scientia et nescientia modificantis et gubernantis, quae inhiantes sibi sectatores suos trahit quacumque atque ubique se quaeri iubet? Nam unde aut ubi non potest 65 signum dare? Ut in eisdem ipsis gallis erat videre intenta proiectius capita, inflatas comas, vehementes ictus, cautissimas evitationes et in omni motu animalium rationis expertium nihil non decorum quippe alia ratione desuper omnia moderante; postremo legem ipsam victoris, superbum cantum et membra in unum quasi orbem collecta velut in fastum dominationis; signum autem victi, elatas a cervice pennulas 70 et in voce atque motu deforme totum et eo ipso naturae legibus nescio quo modo concinnum et pulchrum.
58 surrexi: Gunermann (Tradition, S. 204, Anm. 89) denkt an eine symbolische Deutung. Nachdem man im Nachtgespräch lange vergeblich gesucht habe, stehe das morgendliche Aufstehen für ein „Sicherheben zur Kenntnis des ‚ordo‘, der sich aus dem Hahnenkampf offenbart“. Obwohl Gunermann – was er nicht tut – auf einen übertragenen Gebrauch von surgere bzw. surrectio in ord. 1,10,29 (Z. 28: in deum veritatemque surrectio) verweisen könnte, bleibt eine solche Deutung hier doch sehr unwahrscheinlich.182 Zumindest aber hätte sie einheitlich durch-
182 Gunermanns Verweise auf einen allgemeinen philosophisch-metaphorischen Gebrauch von surgere und dessen Äquivalente bei Seneca, Cicero, Aristoteles und Platon tragen für die Interpretation der hiesigen Stelle kaum etwas aus.
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II. Kommentar
geführt, d. h. ebenso auf das „Aufstehen“ der Schüler (1,8,22, Z. 8: Surrexerunt illi) bezogen werden müssen. 58 f balneas: Eine sehr detaillierte Beschreibung von Aussehen und Lage des Badehauses geben Perler / Maier, voyages, S. 185 f. – Dass dieses als Versammlungs- und Diskussionsplatz der kleinen Philosophengemeinschaft dient, wird neben ord. 1,8,25 auch noch in c. acad. 3,1,1; beat. vit. 1,6; 3,17; 4,23 und ord. 2,6,19 erwähnt, in der Regel mit einem expliziten Hinweis auf das häufige (jahreszeitlich bedingte) trübe Wetter, welches einen Aufenthalt im Freien nicht ratsam erscheinen lässt.183 Das Bad, welches man sich nicht zu groß vorstellen sollte (vgl. c. acad. 3,4,9: balneolae), besitzt nach Augustins Schilderung einen seitlichen und einen mittleren Eingang (vgl. ord. 2,11,34), drei symmetrisch, d. h. mit gleichem Abstand angeordnete Fenster tauchen den Innenraum in ein harmonisches Licht (ibid.). Unter Umständen ist der Boden der balneae durch ein oder mehrere Mosaike verziert.184 Eine bauliche Verbindung des Badehauses mit dem cubiculum (bzw. dem triclinium; vgl. ord. 2,6,18) scheint nicht zu bestehen, allerdings befindet es sich wohl in unmittelbarer Nähe zu diesem (nachts kann man – nach ord. 1,3,6 – vom Schlafraum das Rauschen der Wasserleitung vernehmen), in jedem Fall liegt es oberhalb des zweiten beliebten Diskussionsortes, der mehrfach erwähnten „Wiese“ (pratum).185 60 cum ecce: Gunermann (Tradition, S. 194, Anm. 46) stellt die Frage, ob Augustin hier wie in § 6 „bewußt jenes ihm aus Virgil bekannte, das Nahen einer Gottheit anmeldende „ecce“186 … nachgeahmt habe[]“. Zur Bewertung dieser Vermutung vgl. bereits supra zu 1,3,6, Z. 9 (s. v. cum ecce). 60 gallos: Augustins Schilderung des Hahnenkampfes sieht Gunermann (Tradition, S. 188) in der Tradition der Stoa verankert. Auch dort seien Hähne als „Beispiele der Weltordnung“ bekannt. Als Beleg wird Chrysipp (bei Plutarch, Stoic. rep. 1049A) angeführt: ‚ … ‘. – Gewisse Inkongruenzen sind jedoch kaum zu übersehen und sprechen deutlich gegen eine allzu enge Affinität des Gedankengutes: Während Chrysipp von der Teleologie der Natur her argumentiert und dementsprechend die „Nützlichkeit“ der Hähne für den Menschen in den Vordergrund stellt, spielt diese Vorstellung bei Augustin keine Rolle; dieser rekurriert auf die 183 Vgl. A. Zumkeller, Art. „balneum, balnea“, in: AL 1, Sp. 596 f. A. Dyroff (Form, S. 50) sieht in den augustinischen Cassiciacum-Dialogen eine bewusste Fortführung der varronischen „Bäder-Dialoge“; vgl. dazu Hirzel, Dialog, Bd. 1, S. 445. 184 Nach Perler / Maier, voyages, S. 185. – Es ist sicher nicht abwegig, hier den Ursprung des originellen Vergleichs von ord. 1,1,2 (Kosmos = Mosaik; siehe supra zur Stelle [Z. 29, s. v. in vermiculato pavimento]) zu vermuten. 185 Augustin verwendet übereinstimmend in c. acad. 3,1,1, beat. vit. 4,23 und ord. 2,1,1 jeweils den Ausdruck descendere. 186 Vgl. Aen. 6,46 und 255.
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ästhetische Dimension des von den Hähnen gebotenen Schauspiels, indem dessen „Schönheit“ und „Maß“ hervorgehoben wird. Zweifellos richtig sieht Gunermann, dass Augustin mit seiner Episode des Hahnenkampfes in einer gewissen Antithese zu einer bestimmten – ebenfalls im Raum der Stoa geäußerten – Sichtweise steht, derzufolge die providentia dei aus apologetischen Gründen, nämlich um sie in ihrer grundsätzlichen Existenz verteidigen zu können, in ihrer Wirkungsweise einer gewissen Beschränkung unterworfen wird. Kann man dort (als Antwort auf die Theodizeefrage; siehe supra zu 1,1,1, Z. 11 f) bisweilen die Meinung vernehmen, Gott kümmere sich lediglich um das Große und Bedeutende,187 so versucht Augustin im Gegensatz dazu den Ordnungsgedanken konsequent auch in kleinen und alltäglichen Dingen zu etablieren. In diesem Sinne kann der Hahnenkampf in eine Reihe mit weiteren Beispielen gestellt werden: Man denke an den winzigen, feingegliederten Floh (1,1,2), das keinesfalls zufällige Erscheinen der Spitzmaus (1,3,6; vgl. 1,3,9; 5,14), den nur scheinbar unregelmäßigen Blätterfall (1,3,7; vgl. 1,4,11; 5,14). Ob Augustin allerdings mit dem Schauspiel des Hahnenkampfes gezielt das ansonsten in der Stoa gebräuchliche „Testimonium des gestirnten Himmels“ (Gunermann, ibid., S. 199; vgl. S. 211) habe ersetzen wollen, ist – trotz aufwendiger Sprachanalyse188 – nicht ebenso evident. Nichts deutet im augustinischen Textzusammenhang darauf hin, dass der Hahn hier als christliches Symbol der Auferstehung189 zu deuten sei (so behauptet von Gunermann, ibid., S. 226 mit Anm. 199; siehe bereits S. 189, Anm. 23; jeweils ohne Angabe von Gründen). Diese Interpretation ist als eindeutig verfehlt zurückzuweisen. 62 amantum: Die Metapher des „Liebhabers“ aus ord. 1,8,24 – dort übernommen aus Plotin, Enn. I 6 – wirkt nach. Hier wird explizit das „Objekt“ der Liebe genannt: die pulchritudo, genauer: die pulchritudo rationis (Z. 62). Dies entspricht exakt der plotinischen Vorstellung, nach welcher der Liebhaber über die Vernunft ( ), die durch das Schöne ( ) schön ist, zur Schönheit selbst strebt. Siehe Enn. 1,6,6 f. – Vgl. auch supra zu ord. 1,2,4, Z. 4 f (s. v. pulchritudinis omnimodae …). 62 ne: Nicht pleonastisch – nach zweifachem non in Z. 61 f – zu verstehen (in diesem Sinne scheint Mühlenberg, S. 267, zu deuten), sondern im Sinne des enklitischen -ne einer indirekten Satzfrage (= „ob nicht“); so richtig Keseling, S. 134; vgl. Hensellek / Schilling, S. 98. Vergleichbar ist ord. 1,3,6, Z. 16 f: 187 Zur stoischen Vorstellung einer nur eingeschränkten providentia dei vgl. insb. Cic., nat. deor. 2,167 (Magna di curant, parva neglegunt); ibid. 3,86; 3,90; Plotin, Enn. 3,2,7. 188 Siehe Gunermann (Tradition, S. 199–201), der eine stilistisch-syntaktische Nähe zu Stellen wie Cic., nat. deor. 2,90; Tusc. 1,68–70; Aristoteles, De philosophia, frg. Rose 12 b oder auch Philo, Leg. alleg. 3,32,97–99 herzustellen bemüht ist. – Gunermanns Vermutung, Augustin habe das Exemplum des Hahnenkampfes im verlorenen Teil von Ciceros De fato vorfinden können (S. 188 f, Anm. 23), muss in Ermanglung konkreter und stichhaltiger Anhaltspunkte – der Autor gibt dies implizit selbst zu – als pure Spekulation gelten. 189 Vgl. z. B. bei Prudentius, Hymnus, PL 59,775 f; Ambrosius, Hexaemeron 5,24.
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II. Kommentar
aurem admovissem, ne imber ingrueret (hier ne ebenfalls nicht nach einem Ausdruck des Fragens oder Wissens). 62 innuat: Die Andeutung, dass Liebende sich – mehr oder weniger heimlich – Zeichen geben (vgl. Z. 65: signum dare), könnte auch hier wieder eine Reminiszenz an die Pyramus-Sage sein (vgl. met. 4,63: nutu signisque loquuntur). Der Topos ist bei Ovid häufig; vgl. z. B. ars 1,138. 63 f suos trahit quacumque: Doignon, De ordine, S. 341, sieht hier eine sprachliche Reminiszenz an Vergil, Ecl. 2,65: trahit sua quemque voluptas. 64 f unde aut ubi non potest signum dare? In aller Kürze scheint hier eine spezielle Ausformung der Erkenntnistheorie Augustins auf, die zentral in der späteren Schrift De vera religione entwickelt wird. Die Schönheit (pulchritudo), obgleich als solche der oberen Welt – dem mundus intelligibilis – zugehörig, verwirklicht sich in den körperlichen Formen und kann hier „Zeichen“ und „Andeutungen“ geben. Die unkörperliche Idee der Schönheit selbst zu erfassen, ist zwar Sache des Verstandes, gleichwohl besitzt die sinnlich wahrnehmbare Körperwelt einen gewissen Anregungscharakter für einen nachfolgend einsetzenden Denk- und Reflexionsprozess mit dem Ziel, die „Schönheit an sich“, d. h. ohne körperliche Kontamination, rational zu erfassen. Irdische Schönheit weist gewissermaßen zeichenhaft über sich selbst hinaus auf ihr transzendentes Urbild. Vgl. vera relig. 165– 170; 208–215; 228–233. Instruktiv auch C. P. Mayer, Zeichen, S. 204. 65 erat videre: „es war zu sehen“; Infinitiv nach einer Form von esse (im Sinne von licere; vgl. griech.: [= ] ) ist in der „goldenen“ Latinität unüblich. Vgl. aber Varro bei Gellius 18,12,9 (est animadvertere); Livius 42,41,2; Tacitus, Germ. 5; Antiqu. 16,34; die gräzisierenden Dichter wie Vergil (6,596: cernere erat) und Horaz (u. a.: Serm. 1,2,101); häufig bei Plinius maior und Gellius. Siehe dazu Menge, Syntax § 418 (S. 281); Kühner / Stegmann I § 124 d (S. 669). 67 desuper: Zur alles „von oben“ her lenkenden Vernunft vgl. Apuleius, De Platone 1,13: … rationem consulturam desuper cunctorum saluti … 68 f in unum quasi orbem collecta: Nach Doignon, De ordine, S. 341, eine sprachliche Anspielung auf Vergil, Georg. 2,154: in spiram tractu se colligit (dort gesagt von der „schuppigen Schlange“). 70 f deforme … concinnum et pulchrum: Die Antithese „hässlich / schön“ wird aufgelöst durch das augustinische Postulat der Totalansicht: Beim Blick auf das übergeordnete Ganze kann ein „hässliches“ Detail paradoxerweise eine schönheitssteigernde Wirkung hervorrufen; vorausgesetzt wird allerdings, dass das „Hässliche“ nicht dominiert, sondern seinen ihm angestammten Platz erhält, mit anderen Worten: sich der lex naturae (vgl. Z. 68, 70 und 76) anpasst und gleichsam unterordnet. Nicht das „Hässliche“ an sich ist schön, sondern seine gesetzmäßig-harmonische Einfügung in eine übergeordnete „schöne“ Ordnung.190 – Derselbe Gedankengang bereits im Proömium am Beispiel des 190 Mit Doignon, De ordine, S. 342, ist anzunehmen, dass Augustin beim geschilderten spectaculum des Hahnenkampfes von Enn. 3,2,16 abhängig ist. Nach Plotin umfasst der einheitliche Weltplan ( ) auch sich feindlich gegenüber stehende „Teile“ ( ), die – wie in einem
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Mosaikbodens entwickelt; siehe ord. 1,1,2; dazu bes. supra zu Z. 34 (s. v. universam rerum …). 1,8,26: Das Maß aller Dinge (modus rerum) Multa quaerebamus, cur sic omnes, cur propter dominationem in subiectas sibi feminas, cur deinde nos ipsa pugnae facies aliquantum et praeter altiorem istam considerationem duceret in voluptatem spectaculi, quid in nobis esset, quod a sensibus 75 remota multa quaereret, quid rursum, quod ipsorum sensuum invitatione caperetur. Dicebamus nobis ipsis: ubi non lex? ubi non meliori debitum imperium? ubi non umbra constantiae? ubi non imitatio verissimae illius pulchritudinis? ubi non modus? Atque inde ammoniti, ut spectandi modus esset, perreximus, quo propositum erat, atque ibi, ut potuimus, sane diligenter – nam et recentes res erant et quando poterant 80 tam insignita trium studiosorum memoriam effugere? – omnia nostrae lucubrationis opuscula in hanc libelli partem contulimus nihilque a me aliud actum est illo die, ut valetudini parcerem, nisi quod ante cenam cum ipsis dimidium volumen Vergili audire cotidie solitus eram, nihil nobis ubique aliud quam rerum modum considerantibus, quem non probare nemo potest, sentire autem, cum quisque aliquid studiose 85 agit, difficillimum atque rarissimum.
74 in voluptatem spectaculi: Auch in conf. 6,8,13 ist von der voluptas (bzw. den voluptates) bei Schauspielen – im Zusammenhang mit den Zirkusbesuchen des Alypius – die Rede. Diesbezügliche Überlegungen Augustins waren bereits Thema seiner Vorlesungen in Karthago (vgl. conf. 6,7,12). 76 ubi non lex? Zur Ubiquität des „ewigen Gesetzes“ (aeterna lex) vgl. aufschlussreich Augustins spätere Ausführungen in vera relig. 147–164. 77 umbra … imitatio: Schlüsselworte der platonischen Ideenlehre, die Augustin u. a. über seine Plotin-Lektüre rezipiert hat. – Der gesamte Fragenkatalog, der angesichts des Hahnenkampfes formuliert wird (vgl. Z. 72–77), ergibt einen repräsentativen Querschnitt der Gedankenwelt eines christlichen Neuplatonikers. Möchte man diesen augustinischen Neuplatonismus, wie er sich hier präsentiert, nach „ursprünglichen“ philosophischen Richtungen differenzieren (was nur bedingt sinnvoll ist, da dieser bereits als Synthese übernommen wurde!191), so zählt zum genuin stoischen Gedankengut die Vorstellung eines innerkosmisch wirkSchauspiel – sich im Kampf befinden, aber doch von einer übergeordneten Warte aus gesehen zur Einheit und Harmonie des Weltalls beitragen: < [ ] 191 Wichtige kosmologische Grundvoraussetzungen ursprünglich stoischer Provenienz sind bekanntlich in die verschiedenen mittel- und neuplatonischen Systeme integriert und von diesen absorbiert worden; eine besondere Rolle bei der Herstellung einer charakteristischen Verbindung von christlichem und neuplatonischem Gedankengut wird (nach den Forschungen von Courcelle, Hadot, O’Meara, Holte, et al.) heute gemeinhin dem sog. „Mailänder Philosophenzirkel“ zugesprochen. Siehe dazu supra zu ord. 1,2,5, Z. 15 (s. v. in philosophiam …). Kri>
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II. Kommentar
samen, zuhöchst rationalen „Gesetzes“ (lex)192, welches eine gerechte Weltordnung (meliori debitum imperium) garantiert und letztlich für den Bestand (constantia)193 eines Universums, über dessen Schönheit (pulchritudo) und Maß (modus) kein Zweifel besteht, verantwortlich ist. Für die speziell platonische Fragerichtung vgl. zunächst die scharfe Unterscheidung des sinnlichen und rationalen Wahrnehmungs- bzw. Erkenntnisvermögens,194 sodann die gestufte Urbild / Abbild-Vorstellung im Hinblick auf die höchste Schönheit und ihrer sinnlichen Derivate, nicht zuletzt den für die platonische Ästhetik so zentralen Maßbegriff. Der christliche Hintergrund ist versteckt und nur für den mit der Formelsprache Augustins vertrauten Leser zu entdecken: Der „Schatten der Beständigkeit“ (Z. 77), der sich in dem immerfort gleichen Verhalten kampfeslustiger Hähne zeigt (vgl. Z. 72: cur sic omnes), deutet auf eine gewisse höhere Art der constantia. Die „Nachahmung jener wahrhaftigsten Schönheit“ (Z. 77), die sich im Schauspiel des Hahnenkampfes manifestiert, setzt deutlich die Existenz einer höchsten pulchritudo voraus. Den betonten Abschluss bildet die Reflexion über den Maßbegriff (Z. 77), den überall waltenden modus rerum (vgl. Z. 83). Die Anordnung der Begriffe constantia, pulchritudo und modus als Abschluss einer sprachlich (vgl. die fünffache Anapher ubi non) und kompositionstechnisch exponierten Passage (unmittelbar zum Ende des ersten Tagesgesprächs), ist sicher kein Zufall: „Beständigkeit“ ist nach dem Zeugnis des frühen 11. Briefes195 augustinische Chiffre für das dritte wirksame Prinzip innerhalb der christlichen Trinität,196 „Schönheit“ symbolisiert die zweite göttliche Person,197 das „Maß“ zielt auf das väterliche Prinzip innerhalb der Dreieinigkeit.198 Die Aussageabsicht ist deutlich: Am Beispiel des Hahnenkampfes wird aufgewiesen, dass die Wirkung des dreieinigen Gottes weit in den innerkosmischen Bereich hineinragt, diesen vollständig durchdringt und durchwaltet, sich selbst in den kleinen und alltäglichen Dingen
tisch bezüglich der Existenz einer solchen personell fest umrissenen Philosophengemeinschaft: G. Madec, milieu, S. 194–205. 192 Zum philosophiegeschichtlichen Hintergrund der Wirksamkeit eines quasi-göttlichen (Natur-)Gesetzes speziell bei Tieren vgl. Gunermann, Tradition, S. 208, Anm. 117. – Vgl. darüber hinaus den stoisierenden Laelius bei Cicero, rep. 3,33: Die ratio, die mit der Natur im Einklang steht, wird ausdrücklich als eine lex bezeichnet, welche in sich constans, sempiterna und inmutabilis ist, ja sogar mit der Bezeichnung deus ihre ausdrückliche Apotheose erfährt. 193 Vgl. zur staunenswerten constantia innerhalb des Weltalls den Stoiker Balbus in Cicero, nat. deor. 2,43. 194 Vgl. supra zu 1,1,3, Z. 38 (s. v. consuetudine recedendi …). 195 Datierung nach Goldbacher (CSEL 58, 1923, S. 12) zwischen Herbst 388 und Beginn des Jahres 391. Vgl. (u. a. zu den trinitätstheologischen Implikationen) die Interpretation bei Trelenberg, Einheit, S. 108–112. 196 Vgl. über die „Beständigkeit“ (constantia, stabilitas), das „Bleiben“ und „Verharren“ (manere, permanere) als Wirkung des Hl. Geistes neben epist. 11 bes. noch vera relig. 311; fid. et symb. 9,19; trin. 4,7,11; gen. ad litt. 4,3,7. 197 Vgl. supra zu ord. 1,8,23, Z. 32 (s. v. facies). 198 Vgl. supra zu ord. 1,2,3, Z. 48–50 (s. v. illud unum …).
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manifestiert und ebendort – für den, der dies zu deuten weiß – seine sichtbaren Spuren hinterlässt.199 77 imitatio verissimae illius pulchritudinis: Die sinnliche Schönheit ist Abbild der geistigen und eignet sich – nach platonischem Vorbild – als Ausgangspunkt einer in die intelligible Sphäre: ord. 2,39,51; soliloq. 1,14,25; c. acad. 2,3,7; immort. 25; epist. 2; conf. 3,6,10; civ. 10,16. 77 modus: Zum zentralen Begriff des Maßes in De ordine vgl. supra zu 1,2,3, Z. 48–50 (s. v. illud unum …). 78 spectandi modus: Wie so häufig in De ordine wird eine artifizielle Verbindung zwischen dem philosophischen Thema und der äußeren Szenerie hergestellt: Der universale modus wirkt machtvoll bis in die kleinsten Alltagsereignisse hinein (vgl. ord. 2,18,47, Z. 6 f: in his, quae cotidie passim sentimus atque agimus). 79 quando: Zu quando (in der Bedeutung von quomodo!) innerhalb der rhetorischen Frage siehe auch ord. 1,7,20, Z. 41 und 2,13,38, Z. 4. – Mühlenbergs Übersetzung „wie schnell“ führt in die Irre (S. 268: „… wie schnell konnte selbst so Bedeutendes dem Gedächtnis von drei wißbegierigen Menschen entweichen!“). Die Betonung liegt im Gegenteil darauf, dass „in keiner Weise“ bedeutende Gedanken des nächtlichen Gesprächs verloren gehen konnten (so richtig Keseling, S. 135: „… wie hätten so bedeutsame Fragen dem Gedächtnis dreier Wißbegieriger entschwinden können?“). Da in der Nacht nicht wie üblich ein notarius anwesend war, muss Augustin die Glaubwürdigkeit des Überlieferten auf andere Weise gewährleisten. Dazu betont er, dass insgesamt drei (trium) Männer anwesend waren, dass diese als beflissen und sorgfältig (studiosorum) zu gelten haben, dass es sich um außerordentliche und bedeutende Dinge (insignita) handelte, die man kaum hätte vergessen können. 80 f omnia nostrae lucubrationis opuscula in hanc libelli partem contulimus: Zur Junktur in librum conferre vgl. Cic. Tusc. 1,8; Quint. inst. 1, prooem. 25; Aug. c. acad. 2,4,10; ord. 2,1,1; retr. 1,16,1. – Vor dem Hintergrund des in Cassiciacum geleisteten Tagespensums (vgl. infra zu 1,10,30, Z. 57) kann es sich nur um eine vorläufige Skizze, keinesfalls um die Endredaktion des ersten Buches (bzw. eines Großteils desselben) handeln, die schwerlich zu dritt vorgenommen wurde. 82 ut valetudini parcerem: Ähnlich Cicero, Tusc. 1,119: Nunc quidem valetudini tribuamus aliquid. – Zur angeschlagenen Gesundheit Augustins siehe supra zu 1,2,5, Z. 14 (s. v. cum stomachi …). 82 f dimidium volumen Vergili audire cotidie solitus eram: Bereits in c. acad. 1,5,15 wurde auf die Vergillektüre hingewiesen. Hatte man dort noch ein ganzes Buch – nämlich das erste – an einem Tag durchgenommen, wurde das Arbeitspensum in der Folgezeit offensichtlich reduziert; der hier in ord. angegebene 199 Augustin liebt es, längere Passagen oder herausragende Partien innerhalb seiner Schriften in einer charakteristischen Trinitätsmystik enden und aufgehen zu lassen. Kaum ein anderer Gedankenkreis scheint ihm geeigneter und würdiger für einen „krönenden“ Abschluss zu sein. Vgl. aus den Frühschriften vor allem beat. vit. 4,34 f, ord. 2,19,50 f, mus. 6,17,56–59, vera relig. 308–313.
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II. Kommentar
Lektüreumfang (ein halbes volumen200 pro Tag) entspricht recht genau der Angabe in c. acad. 2,4,10: septem fere diebus a disputando fuimus otiosi, cum tres tamen Vergilii libros post primum recenseremus atque, ut in tempore congruere videbatur, tractaremus. Welches Werk Vergils gelesen wurde, die Georgica oder die Aeneis, ist umstritten. Für die Georgica plädieren: P. Alfaric, évolution, Bd. 1, S. 397; D. Bassi, Agostino, S. 420 ff; Th. Fuhrer, contra Academicos, S. 138 f (mit Vorbehalt). Für die Aeneis sprechen sich aus: F. Wörter, Geistesentwicklung, S. 68; R. Reitzenstein, Augustin, S. 42; B. R. Voss (in seiner Übersetzung von c. acad. 1,5,15), S. 58; P. Courcelle, Lecteurs, S. 33. Offen gelassen wird die Frage bei W. Hübner, ordo, S. 23 f, Anm. 3. – Der Hinweis auf die Vergillektüre steht in c. acad. 1,5,15 unmittelbar nach der Schilderung der bäuerlichen Tätigkeit der Philosophengruppe (cum in rebus rusticis ordinandis tum in recensione primi libri Vergilii); man könnte also eine augustinische Andeutung auf die Georgica vermuten, was jedoch unsicher bleibt (so auch Fuhrer, ebd., S. 138). Gewichtiger dagegen scheint das argumentum e silentio zu sein: Wenn Augustin einerseits keinen bestimmten Werktitel nennt, andererseits aber völlig selbstverständlich vom primus liber Vergilii spricht, kann schlechterdings nur die Aeneis, das ungleich berühmtere Hauptwerk Vergils gemeint sein.201 Dass Augustin den Leser durch präzise Buchangaben (primus liber; tres libri post primum) sehr detailliert informiert, andererseits über das gelesene Werk im Unklaren lässt, kann nur so verstanden werden, dass eine solche Information als geradezu überflüssig angesehen wird. Bestätigt wird diese Einschätzung durch eine weitere Überlegung: Hat Augustin während der Gespräche von Cassiciacum tatsächlich eine Vergil-Schrift sowohl gelesen als auch „besprochen“ und „durchgearbeitet“ (vgl. die Formulierungen in c. acad.: recensio, recensere, retractare), so ist zu vermuten, dass dies seinen Niederschlag im Text der Cassiciacum-Dialoge gefunden hat. Tatsächlich berücksichtigen die Vergilzitate und -anklänge die einzelnen Schriften recht unterschiedlich. Bei Green, CChr 29, verteilen sich die insgesamt 21 Vergil-Bezüge wie folgt: 17 x Aeneis, 3 x Georgica, 1 x Eklogen (das Stellenregister bei Knöll, CSEL 63, verzeichnete bereits: 15 x Aeneis, 2 x Georgica, 1 x Eklogen).202 Doch nicht nur in einem rein quantitativen Übergewicht zeigt sich eine besondere Präsenz der Aeneis in Cassiciacum, offensichtlich hat sie sogar die inhaltliche Konzeption von De ordine an einigen entscheidenden Stellen mitgeprägt. Siehe dazu im Einzelnen supra zu 1,3,7, Z. 27 (s. v. vario casu), 1,4,10, Z. 13–15 (s. v. Perducet enim …), ibid., Z. 16 f (s. v. inplet insanos) und ibid., Z. 17 f (s. v. alius profecto …).
200 Ein volumen dürfte hier einem vergilischen „Buch“ (= liber) entsprechen; vgl. P. Petitmengin, Art. „codex“, in: AL 1, Sp. 1024. 201 Zur herausragenden Stellung der Aeneis im Schulunterricht zur Zeit Augustins vgl. aufschlussreich conf. 1,13 f,20–23. 202 Die meisten Vergil-Reminiszenzen finden sich in der umfangreichen Schrift Contra Academicos (Green: 14/Knöll: 11); gefolgt von De ordine (7/7); für De beata vita wird jeweils nichts vermerkt (vgl. aber beat. vit. 1,4 mit Bezug auf Aen. 3,515!).
2. Hauptteil: 1,9,27
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85 difficilimum atque rarissimum: Dieselbe Junktur wie im Proömium: ord. 1,1,1, Z. 2 f. 1,9,27: Die Ordnung führt zu Gott 1 Deinde postridie bene mane alacres ad solitum locum convenimus in eoque conse-
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dimus. Et ego attentis in me ambobus: Hic esto, inquam, Licenti, quantum potes, et tu quidem, Trygeti; nec enim parva res agitur: de ordine quaerimus. Quid ego nunc quasi in schola illa, unde me quoquo modo evasisse gaudeo, constitutus copiose atque ornate vobis ordinem laudem? Accipite, si vultis – immo facite ut velitis – quo neque quicquam de huius laude brevius neque, ut mihi videtur, verius dici potest. Ordo est, quem si tenuerimus in vita, perducet ad deum, et quem nisi tenuerimus in vita, non perveniemus ad deum. Perventuros autem nos iam, nisi me animus de vobis fallit, praesumimus et speramus. Diligentissime igitur inter nos ista quaestio versari debet atque dissolvi. Vellem adessent ceteri, qui nobiscum his negotiis solent interesse; vellem, si fieri posset, non istos tantum, sed omnes saltem familiares nostros, quorum semper admiror ingenium, nunc mecum habere quam vos estis intentos, aut certe ipsum tantum Zenobium, quem de hac re tanta molientem numquam pro eius magnitudine otiosus accepi. Sed quia id non evenit, legent litteras nostras, quoniam instituimus iam de istis rebus verba non perdere resque ipsas a memoria fugaces scriptorum quasi vinculo, quo reducantur, innectere. Et sic fortasse ordo ipse poscebat, qui eorum procuravit absentiam. Nam et vos profecto in rem tantam, quia solis perferenda inponitur nobis, erectiore animo insurgitis et cum illi legerint, qui nobis maxima cura sunt, si quid eos moverit ad contradicendum, alias nobis disputationes disputatio ista procreabit seque ipsa successio sermonum in ordinem inseret disciplinae. Sed nunc, ut promiseram, Licentio, quantum res patitur, adversabor, qui totam causam iam paene confecit, si possit eam defensionis muro stabiliter firmeque vallare.
1 ad solitum locum: Gemeint ist das Badehaus (vgl. c. acad. 3,1,1; beat. vit. 1,6; 3,17; 4,23; ord. 1,8,25; 2,6,19), nicht die ebenfalls häufig aufgesuchte Wiese (vgl. c. acad. 3,1,1; beat. vit. 4,23 und ord. 2,1,1), wie man aus der wenig später verwendeten Formulierung mater ingressa est (§ 31, Z. 1) unzweideutig ersehen kann. – Vgl. als Parallele Cic. Tusc. 5,11: cum eodem in loco consedissemus. 2 Et ego attentis in me ambobus … inquam: Dialogtopos zur Steigerung der Spannung und Erwartungshaltung auch beim Leser; vgl. beat. vit. 1,6: quibus adtentis sic coepi; c. acad. 3,4,8: intentis omnibus sic coepi. Hagendahl, Latin Classics, S. 329 (test. 832), verweist auf Vergil, Aen. 2,1 f: conticuere omnes intentique ora tenebant. / inde toro pater Aeneas sic orsus ab alto. 3 nec enim parva res agitur: de ordine quaerimus: Augustin, der erfahrene Lehrer, weiß um die Wichtigkeit der persönlichen und sachlichen Motivation seiner Schüler zu Beginn eines neuen Diskussionstages. So folgt nach der betonten persönlichen Anrede und der Bitte um äußerste Aufmerksamkeit (Z. 2 f)203 nun 203
Die Aufforderung, aufmerksam bei der Sache zu sein, geschieht nicht grundlos. Besonders
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II. Kommentar
noch einmal der Hinweis auf die Größe und Bedeutung des Themas. Ansonsten kann er sich kurz fassen: Eine wortreiche laudatio, wie sie in der schola üblich gewesen sei (vgl. Z. 3-6), scheint ihm kaum notwendig. Eine in äußerster Kürze formulierte Funktionsbestimmung des ordo verbindet diesen mit dem Gottesgedanken (Z. 7 f), um dadurch alle Diskussionsteilnehmer – vor allem den neubekehrten Licentius (vgl. § 21) – von der Notwendigkeit einer höchst sorgfältig (diligentissime; Z. 9) durchgeführten Untersuchung überzeugen zu können. – Vgl. zur Wichtigkeit und geforderten Ernsthaftigkeit der zu führenden Diskussion die Betonung des in den platonischen Dialogen: soph. 237 b; Theaet. 167 e; 168 e; 169 c; leg. 1,629 a. Siehe dazu Fuhrer, Contra Academicos, S. 196, Anm. 12, mit Hinweis auf W. Burkert, Platonverständnis, S. 192. 4 in schola illa, unde me quoquo modo evasisse gaudeo: Zu den Umständen, unter denen Augustin seine Stelle als Rhetoriklehrer in Mailand quittierte, vgl. supra zu 1,2,5, Z. 14 (s. v. cum stomachi …) und Z. 14 f (s. v. sine ulla …). 4 f copiose atque ornate: Dieselbe Junktur bei Cicero, Tusc. 1,7 – dort zur Qualifizierung der „vollendeten Philosophie“ (perfecta philosophia): … quae de maximis quaestionibus c o p i o s e posset o r n a t e que dicere. 7 Ordo est … perducet ad deum: „Daß die Ordnung zu Gott führt, ist tiefstes Anliegen der ganzen Schrift“ (Keseling, Weltregiment, S. 232, mit Hinweis auf Dyroff, Form, S. 56). Doch ist dies nicht primär im christlich-eschatologischen Sinne zu verstehen, sondern neuplatonisch-diesseitig: Um zu Gott zu gelangen, ist vor allem der ordo disciplinarum (vgl. § 24)204 einzuhalten, welcher im zweiten Buche noch ausführlich vorgestellt werden soll. Die existentielle Annäherung an Gott geschieht nach frühaugustinischer Auffassung ausschließlich über den Weg der intellektuellen (Gottes-)Erkenntnis. Insofern passt die hiesige, äußerst prägnant gefasste Ordnungsdefinition (vgl. Z. 5 f: quo neque quicquam … brevius neque … verius dici potest) zur berühmten Kurzformel in soliloq. 1,2,7: R.: Quid ergo scire vis? … Breviter ea conlige. A.: Deum et animam scire cupio. R.: Nihilne plus? A.: Nihil omnino. 10 ceteri: Zum Gesamtpersonenkreis der an den Disputationen von Cassiciacum Beteiligten vgl. supra zu 1,2,4, Z. 12 (s. v. nostra elaboratione). 11 f familiares nostros: Die hier erwähnten „Vertrauten“ gehören zu einer größeren Gruppe von persönlichen Freunden in Mailand,205 die zum Teil namentlich bekannt sind: Dazu gehören Romanianus, der Mäzen Augustins und Adressat der Schrift Contra Academicos (conf. 6,14,24; c. acad. 1,1,1), Nebridius, der neben Alypius wohl engste Vertraute Augustins (conf. 6,10,17; 9,3,6 u. ö.), die Konzentrationsfähigkeit des Licentius lässt zu wünschen übrig, mehrfach schweift er mit seinen Gedanken vom verhandelten Thema ab. Vgl. ord. 1,3,8 und 2,5,17. 204 Gegen O. du Roy (L’intelligence, S. 136), der an dieser Stelle eine sublime Hypostasierung des Ordnungsbegriffs („troisième hypostase de Plotin“) hineinliest; vgl. Doignon, De ordine, S. 137/39, Anm. 111. 205 In conf. 6,14,24 spricht Augustin von multi amici, von denen wiederum decem ferme homines grundsätzlich zu einem Leben in einer philosophischen Kommune bereit waren.
2. Hauptteil: 1,9,27
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der „kluge Greis“ Vindicianus (conf. 7,6,8), der Astrologie-Interessierte Firminus (conf. 7,6,8 ff), Simplicianus, der geistige Vater und Nachfolger des Ambrosius (conf. 8,1,1 ff), Verecundus, der Hausherr von Cassiciacum (conf. 8,6,13; 9,3,5), der kaiserliche Beamte Ponticianus (conf. 8,6,14 ff), Zenobius, der Adressat von De ordine (ord. 1,1,1; 2,4; 7,20; 9,27), u. U. bereits der ebenfalls aus Thagaste stammende Evodius (conf. 9,8,17). Der von Augustin hochverehrte Politiker und spätere Konsul Manlius Theodorus, der Adressat von De beata vita (beat. vit. 1,1 ff; ord. 1,11,31; retr. 1,2,2), kann nur bedingt zu den familiares im engeren Sinne gerechnet werden, denn Augustins Verhältnis zu diesem erscheint – trotz Betonung ihrer „Seelenverwandschaft“ (beat. vit. 1,5) – insgesamt als recht förmlich. Dasselbe gilt in noch gesteigerter Form für Augustins Beziehung zum Bischof Ambrosius (vgl. conf. 6,3,3 f). 12 quorum semper admiror ingenium: Das „Bewundern“ der geistigen Fähigkeit und Begabung von Gesprächsteilnehmern, abwesenden Freunden und besonders der Adressaten einer Schrift ist ein überaus häufiger, für die Urbanität der Frühdialoge charakteristischer Topos. Zum augustinischen Lob für das ingenium des hier explizit genannten Zenobius vgl. ord. 1,2,4, Z. 3: sic enim mihi notum est ingenium tuum. – Die spezielle Junktur semper admiror erscheint noch mehrfach in den Proömien der Cassiciacum-Dialoge: c. acad. 1,1,1: cum tanta quantam semper admiror indole tua; 2,1,2: illa tua naturali mentis altitudine, … quam semper admiror; beat. vit. 1,4: te unum intueor teque aptissimum semper admiror. 13 f Zenobium, quem de hac re tanta molientem numquam pro eius magnitudine otiosus accepi: Inhaltlich identische Aussage wie in 1,7,20, Z. 48–50: Nam Zenobius noster multa mecum saepe de rerum ordine contulit, cui alta percontanti numquam satisfacere potui seu obscuritatem rerum seu propter temporum angustias. – Über die Deutung des tanta bestehen unterschiedliche Auffassungen: Keseling (S. 136) und Mühlenberg (S. 269) nehmen transitives moliri an und verstehen tanta dementsprechend als Akkusativ („so viel“ bzw. „so viele Gedanken“); Doignon geht von intransitivem moliri aus und zieht tanta zu de hac re (vgl. S. 138 f: „Zenobius …, que je n’ai jamais eu le loisir d’entendre s’occuper de ce sujet si important en raison de son étendue“). Der Vergleich mit der Parallelstelle und ihrer syntaktisch sehr ähnlichen Konstruktion (§ 20: Zenobius …, cui alta percontanti; § 27: Zenobium, quem … tanta molientem) lässt die von den deutschen Übersetzern favorisierte Variante als schlüssiger erscheinen. 14 legent litteras nostras: Die Prognose, dass Freunde und Vertraute die Schrift über die Ordnung lesen würden, bedeutet keineswegs, dass Augustin hier nur ein „beschränkter Leserkreis“ (so Keseling, Weltregiment, S. 233) vor Augen steht. Aufgrund der Gesetzmäßigkeiten der Bücherverbreitung in der Antike waren es naturgemäß – zumal bei einem noch unbekannten Autor206 – zunächst Freunde und Bekannte, die eine Schrift lasen, um ggf. als „Multiplikatoren“ 206 Die Situation, dass Augustin in der Fachwelt noch ein „unbeschriebenes Blatt“ sei, wird reflektiert in ord. 1,11,31 (Mei autem libri si quorum forte manus tetigerint lectoque meo nomine non dixerint: ‚iste quis est?‘ …).
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II. Kommentar
zu fungieren. Dass die Verbreitung der Schrift unter Freunden nur als Durchgangsstadium aufgefasst wird, unterstreicht auch die Stelle ord. 1,10,30 (Z. 60 f): Berühmt zu werden sei nicht einfach, denn die Schrift allein den Freunden und Vertrauten (solis amicis et familiaribus) bekannt zu machen, werde schon viel Mühe kosten. Es dürfte sich hier – wie in soliloq. 1,1,1207 – um einen Bescheidenheitstopos, verbunden mit einer sublimen captatio benevolentiae, handeln. Allein schon die Tatsache, dass Augustin über die voraussichtliche Größe seines zukünftigen Leserkreises so häufig reflektiert, offenbart ehrgeizige Absichten. Völlig eindeutig ist in diesem Sinne die Stelle ord. 1,11,31 (Z. 16 ff), wo offen mit einer unbekannten Leserschaft spekuliert wird. Vgl. hierzu auch ord. 1,5,14. – Über die These, dass Augustin insbesondere an einen nordafrikanischen Leserkreis denkt, vgl. supra zu 1,3,6, Z. 19 (s. v. quod in Italia …). 15 f resque ipsas a memoria fugaces scriptorum quasi vinculo, quo reducantur, innectere: Die Gedanken benötigen einen „Wächter“, der sie an ihrer „Flucht“ hindert. Das Bild ist bei Augustin sehr beliebt, wobei die Funktion des custos mal von der memoria selbst, mal – wenn es sich um größere Mengen handelt – von ihrer „Dienerin“, der schriftlichen Aufzeichnung, übernommen wird. Vgl. c. acad. 2,9,22: memoriam, quae infida custos est excogitatorum; ord. 2,2,7, Z. 79: confiteberis res aliquas sapientis memoria custodiri; 2,19,49, Z. 12 f: memoria custodiat; soliloq. 1,1,1: R.: tantane illa [sc. memoria] est, ut excogitata omnia bene servet? – A.: difficile est, immo non potest. – R.: ergo scribendum est. Siehe auch ord. 1,2,5. – Das Wächtermotiv hat Augustin wohl von Cicero übernommen (vgl. dazu Gunermann, Sprache, S. 109 f); vgl. de orat. 1,18; 1,127; Brut. 219 (zitiert infra zu 2,2,7, Z. 79). 16 f ordo … eorum procuravit absentiam: Die Abwesenheit der Freunde, die nach Augustins Ansicht für die Nachwirkung der Schrift und ihrer späteren Verbreitung nur förderlich sein kann (vgl. Z. 18–21), wird als eine Wirkung des ordo interpretiert. Damit wird eine ganze Reihe glücklicher Umstände und „Zufälle“ fortgesetzt, die bereits die Entstehung der Ordnungsschrift auf geradezu wundersame Weise begünstigten. Dazu gehören (nach § 14): das nächtliche Wachsein der drei Philosophen, das Wasserrauschen und die Frage nach dessen Ursache, die den wachenden Licentius verratende Maus, der besondere Gesprächsverlauf. Es ist ein Zentralanliegen der Schrift, die Bedeutung und Größe der göttlichen Vorsehung und Ordnung herauszustellen, die sich paradoxerweise gerade in den unbedeutenden Kleinigkeiten zeigt. 20 disputationes disputatio: Durch ein Polyptoton wird das unmittelbare Aufeinanderfolgen (successio) der verschiedenen Diskussionen über De ordine illustriert. 20 successio sermonum: Die successio ist der terminus technicus für den ununterbrochenen Kausal- bzw. Finalzusammenhang (vgl. 1,5,14, Z. 28 f: quam ratis
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Nec modo cures invitationem turbae legentium; paucis ista sat erunt civibus tuis.
2. Hauptteil: 1,10,28
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successionibus in nodos suos urgentur!). Augustin will sagen: Weder die Entstehung der Schrift (vgl. § 14) noch ihre Nachwirkung ist ein Produkt des Zufalls! 20 f in ordinem inseret: Zur Junktur in ordinem inserere vgl. bereits im Proömium § 4, Z. 12 f. 21 ut promiseram: Zum dritten Mal bereits kündigt Augustin seine Rolle als advocatus diaboli an; vgl. § 8, Z. 41 f; § 20, Z. 42 f. 22 f si possit eam defensionis muro stabiliter firmeque vallare: Zur militärischen Metaphorik vgl. auch c. acad. 1,9,24; 3,10,22; 3,14,31: nos aliqua conplexione m u n i a m u s ; 3,15,33; 3,15,34: belle tectum et m u n i t u m ; 3,20,43: contra eas ista disputatione m u n i t u s sum. Bereits Cicero weist der Dialektik (ratio disserendi) eine ähnliche Schutzfunktion zu; so in leg. 1,62: haec omnia quasi saepimento aliquo v a l l a b i t disserendi ratione, veri et falsi iudicandi scientia et arte quadam intelligendi, quid quamque rem sequatur et quid sit cuique contrarium; vgl. noch ac. 2,137: Haec tibi …, si es adsensus Antiocho familiari tuo, tam sunt d e f e n d e n d a quam m o e n i a . Für weitere Verwendung von vallare bei Cicero (nach Gunermann, Sprache, S. 22) siehe har. resp. 34; Tull. 49; Mur. 49. 1,10,28: Eine Ordnungsdefinition des Licentius 1 Hic, ubi eos silentio vultu oculis suspensione atque immobilitate membrorum et rei
magnitudine satis commotos et audiendi desiderio inflammatos esse conspexi: Ergo, inquam, Licenti, si tibi videtur, collige in te quidquid virium potes, elima quidquid habes acuminis et ordo iste quid sit definitione conplectere. – Tum ille ubi se ad de5 finiendum cogi audivit, quasi aqua frigida adspersus exhorruit et turbatiore vultu me intuens atque, ut fit, ipsa trepidatione subridens: Quid hoc est rei? Quid quasi tibi videor, inquit, annuere? Nescio, quo adventicio spiritu me credis inflatum. – Statimque sese animans: Aut fortasse, ait, aliquid mecum est? – Paululumque siluit, ut in definitionem, quidquid illi de ordine notionis erat, conduceretur, deinde erectior: 10 Ordo est, inquit, per quem aguntur omnia, quae deus constituit.
4 acuminis: Zum gebotenen Scharfsinn beim Definieren vgl. Cicero, Tusc. 4,11. 5 exhorruit: Vgl. ord. 2,2,4 zur Abneigung des Licentius gegenüber Definitionen (Z. 3: Odi ego, inquit, definire). 6 subridens: Das Lächeln eines Unterredners vor oder nach einem Gesprächsbeitrag wird in den Dialogen häufig beschrieben und unterstreicht als Dialogtopos deren „urban-freundlichen Ton“ (Fuhrer, Contra Academicos, S. 176): c. acad. 1,5,15; 2,7,16; 2,7,17; 3,3,6; 3,20,45; beat. vit. 2,10; ord. 2,2,7; vgl. Gunermann, Sprache, S. 209–211; Bardy, élève, S. 68, Anm. 1 f. – Gunermann, a. a. O., S. 210, Anm. 2, versteht subridens im Sinne von „milde lächelnd“, welches „die Erregung der vorhergehenden Worte“ kontrastiere. Als sprachliche und inhaltliche Parallele wird auf Tacitus, dial. 11,1–2 verwiesen: Quae cum dixisset Aper acrius, ut solebat, et intento ore, remissus et s u b r i d e n s Maternus: … i n q u i t …; im sprachlich-forma-
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II. Kommentar
len Sinne auf Varro, rust. 3,2,2: Ad quem cum accessimus, Axius Appio s u b r i d e n s : Recipis nos i n q u i t … sowie auf ibid. 3,2,7: Appius s u b r i d e n s : … i n q u i t … Bei Cicero ist subridere Hapax legomenon (Qu. Rosc. 22), nie wird es im Dialog zur Charakterisierung einer Person gebraucht, stattdessen erscheint häufig partizipial verwendetes adridere (Belege bei Gunermann, a. a. O., S. 210 f). 7 adventicio spiritu: Man denkt an die Dämonen aus c. acad. 1,7,20, denen dort ausdrücklich jener „Scharfsinn“ (acumen sensuum) zugesprochen wird, den Augustin hier (Z. 3 f) von Licentius verlangt. – Vgl. auch ord. 1,6,16 f zu einer Art „Verzückung“ des Licentius (Z. 19 f: quasi mente quadam correptus). 8 Paululumque siluit: Das Schweigen eines Gesprächspartners, um über Gesagtes nachzudenken oder – wie hier – sich auf eine passende Antwort zu besinungemein häufiger Dialogtopos, nen, ist in der Funktion einer der in der Regel die besondere Bedeutung des jeweiligen Gesprächsbeitrages kennzeichnet bzw. ankündigt.208 Vgl. bei Cicero: de orat. 1,160; 2,232; 3,143; rep. 2,64, u. ö.;209 für Augustins Cassiciacum-Dialoge vgl. die Stellenangaben supra zu 1,6,16, Z. 15; weitere Belege aus der lateinischen Dialogliteratur bei Gunermann, Sprache, S. 209 und 214. 10 Ordo est … per quem aguntur omnia, quae deus constituit: Licentius (bzw. Augustin) scheint es bei dieser Begriffsbestimmung – konform zum bisherigen Gesprächsverlauf – vor allem auf zwei Dinge anzukommen: a) Die Ordnung hat ihren Ursprung in Gott. b) Sie umfasst „alles“ und ist in ihrer Wirkung gleichsam omnipräsent. Beide Vorstellungen über die Weltordnung, ihre göttliche Provenienz und der ubiquitäre Wirkungsbereich, finden sich in ganz ähnlicher Form bei Plotin210, vor allem aber – mit sprachlichen Berührungspunkten – bei Cicero (in der Rede des Stoikers Balbus), nat. deor. 2,75: Dico igitur providentia deorum mundum et omnes mundi partes et initio constitutas esse et omni tempore administrari. – Eine anders akzentuierende, vom Gerechtigkeitsbegriff her konzipierte Ordnungsdefinition ist die bekannte Formel aus civ. 19,13: Ordo est parium dispariumque rerum sua cuique loca tribuens dispositio. Dagegen fassen die Bestimmungen in mor. Manich. 8 mehr die ontologischen Implikationen des Ordnungsbegriffs ins Auge (der ordo bewirkt „Übereinstimmung“, „Einheit“ und letztlich auch das „Sein“ selbst). 1,10,29: Umfasst die Ordnung Gott selbst? Quid? ipse deus, inquam, non tibi videtur agi ordine? – Prorsus, inquit, videtur. – Ergo agitur deus? ait Trygetius. – Et ille: Quid enim? inquit: Christum deum negas, qui et ordine ad nos venit et a patre deo missum esse se dicit? Si igitur deus Christum 208 Vgl. dazu P. L. Schmidt (Zur Typologie und Literarisierung des frühchristlichen lateinischen Dialogs, Entr. Fond. Hardt 23, 1977, S. 101–190), S. 159 f. 209 Dazu E. Becker (Technik und Szenerie des ciceronischen Dialogs, Osnabrück 1938), S. 28. 210 Siehe bes. Enn. 4,3,16 zum allumspannenden Weltplan und seiner einheitlichen, göttlichen Ordnung (bezeichnet als bzw. ).
2. Hauptteil: 1,10,29
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ordine ad nos misit et deum Christum esse non negamus, non solum agit omnia 15 sed agitur etiam deus ordine. – Hic Trygetius addubitans: Nescio, inquit, quomodo
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istuc accipiam. Deum enim quando nominamus, non quasi mentibus ipse Christus occurrit, sed pater. Ille autem tunc occurrit, quando dei filium nominamus. – Bellam rem facis, inquit Licentius. Negabimus ergo dei filium deum esse? – Hic ille, cum ei respondere periculosum videretur, tamen se coegit atque ait: Et hic quidem deus est, sed tamen proprie patrem deum dicimus. – Cui ego: Cohibe te potius, inquam; non enim filius improprie deus dicitur. – At ille religione commotus cum etiam verba sua scripta esse nollet, urgebat Licentius, ut manerent, puerorum scilicet more vel potius hominum – pro nefas! paene omnium, quasi vero gloriandi causa inter nos illud ageretur. Cuius motum animi cum obiurgarem gravioribus verbis, erubuit. Qua eius perturbatione animadverti ridentem laetantemque Trygetium et ambobus: Itane agitis? inquam; nonne vos movet, quibus vitiorum molibus atque imperitiae tenebris premamur et cooperiamur? haecine est illa paulo ante vestra, de qua ineptus laetabar, attentio et in deum veritatemque surrectio? O si videretis vel tam lippientibus oculis quam ego, in quibus periculis iaceamus, cuius morbi dementiam risus iste indicet! o si videretis! quam cito, quam statim quantoque productius eum verteretis in fletus! Miseri, nescitis ubi simus? Demersos quidem esse animos omnium stultorum indoctorumque commune est, sed non uno atque eodem modo demersis opem sapientia et manum porrigit. Alii sunt, credite, alii sunt, qui sursum vocantur, alii, qui in profunda laxantur. Nolite, obsecro vos, geminare mihi miserias. Satis mihi sint vulnera mea, quae ut sanentur, paene cotidianis fletibus deum rogans indigniorem tamen esse me, qui tam cito saner, quam volo, saepe memet ipse convinco. Nolite, obsecro, si quid mihi amoris, si quid necessitudinis debetis, si intellegitis, quantum vos diligam, quanti faciam, quantum me cura exagitet morum vestrorum, si dignus sum, quem non neglegatis, si denique deo teste non mentior, nihil me plus mihi optare quam vobis, rependite mihi beneficium, et si me magistrum libenter vocatis, reddite mihi mercedem: boni estote!
12 Ergo agitur deus? Die ungläubige Rückfrage des Trygetius ist vor dem Hintergrund des Axioms der Unveränderlichkeit (immutabilitas) Gottes zu verstehen. Insbesondere in der platonisch bestimmten Philosophie der Antike ist das höchste Wesen die Ursache aller Bewegung, selbst jedoch steht es unbeweglich (immobilis) fest; es wirkt auf anderes, ohne in irgendeiner Weise selbst affiziert zu werden.211 Wie kann demnach Gott selbst, der außer- und oberhalb aller Veränderlichkeit angesiedelt werden muss, von etwas anderem – und sei es die weltumspannende Ordnung – „getrieben werden“ (agi)? Das logische Dilemma ist perfekt. Einerseits wird eine dogmatische Grenze erkannt, die es nicht erlaubt, die Ordnung vor und über Gott selbst zu stellen. Andererseits war der ordo ausdrücklich als allumfassend qualifiziert worden (vgl. bes. 211 Vgl. zum Topos der göttlichen Unveränderlichkeit in seiner allgemein-philosophischen Verbreitung, speziell seiner Relevanz für die (neu)platonische Lehre und seinem Einfluss auf das (augustinische) Christentum: W. Maas, Unveränderlichkeit Gottes. Zum Verhältnis von griechisch-philosophischer und christlicher Gotteslehre, München / Paderborn / Wien 1974; R. J. Teske, Divine Immutability in Saint Augustine, in: Modern Schoolman 63, 1986, S. 233–249; M. Baltes, Der Platonismus in der Antike, Bd. 5, S. 146–152 und S. 465–482.
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II. Kommentar
§ 15: totum occupavit … totum obtinuit … nihil autem esse praeter ordinem video). Die „Lösung“ wird mit Hilfe christologisch-trinitarischer Überlegungen versucht, wonach die beiden ersten göttlichen Personen in ein jeweils eigenes Verhältnis zur Ordnung gebracht werden. Während Christus gewissermaßen das innerweltliche Prinzip repräsentiert und demnach auch der „Ordnung“ unterworfen ist, wird der Vater als das von außen lenkende und – im wahrsten Sinne des Wortes – „aktive“ Prinzip verstanden. Diese Erkenntnis gipfelt in einem Satz (Z. 14 f: non solum agit omnia sed agitur etiam deus ordine), der die logischen Schwierigkeiten vermeidet, aber die entscheidende Primatsfrage (Gott oder die Ordnung?) letztlich offen lässt.212 12 Christum: Der Name Christi wird in den Cassiciacum-Dialogen nicht häufig erwähnt. In c. acad. nur einmal an der berühmten Stelle 3,20,43 (mihi ergo certum est nusquam prorsus a Christi auctoritate discedere; non enim reperio valentiorem), in beat. vit. gar nicht, in ord. außer an der hiesigen Stelle nur noch 1,8,21 und 1,11,32. Immerhin begegnet das nomen Christi, das Alypius nach dem Zeugnis der confessiones zunächst unterdrücken wollte: dulce mihi fit, domine, confiteri tibi … quoque modo ipsum etiam Alypium, fratrem cordis mei, subegeris nomini unigeniti tui, domini et salvatoris nostri Iesu Christi, quod primo dedignabatur inseri litteris nostris (9,4,7).213 13 qui [sc. Christus] … a patre deo missum esse se dicit: Die Aussage des Gottessohnes, er sei von seinem Vater in die Welt gesandt worden, begegnet besonders häufig im Johannes-Evangelium, in dessen Theologie es eine zentrale Rolle spielt; vgl. u. a. Joh 3,17; 4,34; 5,23 f. 30. 37; 6,38 f. 44; 7,16. 28 usw. 19 periculosum: Der spezielle Ausdruck wird bereits im Proömium (1,1,1, Z. 14) verwendet und steht auch dort im Zusammenhang mit gewissen religiösdogmatischen Bedenken. 21 non enim filius improprie deus dicitur: Augustin weiß sehr wohl, dass die Aussage, der Sohn sei nicht im Vollsinne Gott, leicht als arianische Häresie verstanden werden kann. Daher die scharfe Anweisung an Trygetius: Cohibe te potius (Z. 20). Augustin kannte die (sog.) Ariani aus Mailand, zu denen auch Justina, die Mutter des jungen Kaisers Valentinian, gehörte; vgl. conf. 9,7,15. Andererseits ist – wie viele Belegstellen zeigen – ein Sprachgebrauch, der unter Gott vorzugsweise den Vater versteht, auch in der „rechtgläubigen“ Theologie durchaus weit verbreitet, z. B. bei Justin, Irenäus, Tertullian, Origenes oder Hila212 Auch wenn der Unterschied zwischen der „göttlichen Ordnung“ und einem „ordnenden Gott“ auf ein Minimum reduziert ist und im Grunde hier nur noch in der jeweiligen Perspektive besteht, vermisst man dennoch in De ordine eine Auflösung dieser Frage. Eine solche wird allenfalls angedeutet, und zwar am deutlichsten am Ende des Werkes (ord. 2,19,50), wenn der modus (= Gott-Vater) ausdrücklich als der pater ordinis bezeichnet wird. In diesem Falle existierte nämlich die Ordnung, welche bei Augustin deutlich die dritte göttliche Person symbolisiert (vgl. supra zu 1,7,17, Z. 8; s. v. ab ipso manat), nicht mehr „neben“ oder „außerhalb“ Gottes, sondern wäre, wenn nicht mit Gott identifiziert, so doch in den trinitarischen Gottesbegriff gleichsam hinein- und aufgenommen. 213 Vgl. hierzu noch conf. 3,4,8 und 5,14,25, wo Augustin erwähnt, er habe den Namen „Christus“ in bestimmten philosophischen Schriften (u. a. in Ciceros Hortensius) vermisst.
2. Hauptteil: 1,10,29
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rius.214 Augustin selbst macht – wie vor ihm beispielsweise Athanasius oder Ambrosius215 – vor allem in De fide et symbolo (393) unmissverständlich deutlich, dass das Gottesprädikat allen drei trinitarischen Personen gleichermaßen zukomme: … ne quisquam miretur et absurdum putet, quod d e u m dicimus patrem, d e u m filium, d e u m spiritum sanctum nec tamen tres deos in ista trinitate, sed unum unamque substantiam (9,17).216 21 f cum etiam verba sua scripta esse nollet, urgebat Licentius, ut manerent: In beat. vit. 2,15 ist es Augustinus, der peinlich genau darauf achtet, dass jedes gesprochene Wort vom notarius protokolliert wird. Dieses Verfahren habe u. a. eine erzieherische Funktion: Atque ego semel praeceperam, ut nullum verbum praeter litteras funderet. Ita adulescentem inter verecundiam atque constantiam exagitatum tenebam. Dem Leser wird wiederholt der Eindruck eines in jeder Einzelheit authentisch überlieferten Gesprächs vermittelt. – Zur Frage der Historizität der Dialoge siehe im Einzelnen infra Ergebnis 1. 26 f imperitiae tenebris: Vgl. einen ähnlichen Ausdruck in c. acad. 3,10,22 ad illas inperitorum tenebras), welcher im dortigen Kontext auf die im platonischen Höhlengleichnis geprägte Metaphorik zurückgreift (siehe dazu B. R. Voss, Frühdialoge, S. 348, Anm. 27; Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 325). Bilder wie diese bilden den Hintergrund für Augustins spezifische, schon sehr bald entwickelte Illuminationslehre (vgl. hierzu supra zu 1,8,21, Z. 3 f). 28 attentio: Trotz ord. 1,9,27 (Z. 2: attentis in me ambobus) ist hier wohl weniger die äußere Disziplin und Aufmerksamkeit der Schüler während der Disputationen gemeint, sondern eine innere Haltung und Ausrichtung auf „Gott und die Wahrheit“ (Z. 28: in deum veritatemque), wie sie „kurz zuvor“ (Z. 27: paulo ante) im Ringen um eine adäquate Lösung der Gottesfrage (vgl. Z. 11 ff) zum Ausdruck kam. 28 in deum veritatemque surrectio: Zum religiösen bzw. philosophischmetaphorischen Gebrauch von surrectio vgl. supra zu 1,8,25, Z. 58 (s. v. surrexi). Dazu als Hintergrund die von Gunermann (Tradition, S. 204, Anm. 89) beigebrachten Parallelstellen aus der paganen Philosophie: Seneca, Nat. quaest., praef. 1,5.10.11; Cicero, rep. 3,4; 6,16; Aristoteles, De mundo 391 a; Platon, Tim. 90 a; Ps. Platon, Axioch. 370 bc. 29 morbi dementiam: „Verrücktheit“ (insania) und „Wahnsinn“ (furor) nennt Augustin das eitle und ehrgeizige Treiben im Unterrichtsbetrieb der Rhetorenschule, für das er sich nach eigener Entscheidung nicht mehr zur Verfügung stellen wollte (vgl. conf. 9,2,2: … ne ulterius pueri meditantes non legem tuam, non pacem tuam, sed insanias mendaces et bella forensia mercarentur ex ore meo arma furori suo). 214
Vgl. M. Schmaus, Trinitätslehre, S. 18. Siehe auch Didymus, Epiphanius, Marcell von Ancyra, Amphilochius, Gregor von Nazianz u. a. (Belege bei Schmaus, a. a. O., S. 19). 216 Vgl. sehr klar auch beat. vit. 4,34: est dei filius profecto deus; in vera relig. 186 ist das verbum (sc. der Sohn) deus apud deum; in divers. quaest. 6,85 der verissimus deus; dazu Scheel, Anschauung, S. 27. 215
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II. Kommentar
Umso enttäuschter reagiert er, als er denselben krankhaften „Wahnsinn“ – besonders das selbstgefällige und schadenfrohe Gelächter des Trygetius (Z. 25/29) – nun auch bei den Schülern seiner schola von Cassiciacum wiederfindet. Hieraus erklärt sich seine leidenschaftliche Reaktion, die nicht nur Licentius nicht verstehen will (Z. 43: Quid fecimus?), sondern offenbar auch moderne Ausleger vor Verständnisprobleme gestellt hat.217 31 f Demersos … animos omnium stultorum indoctorumque: Das Bild von der versunkenen Seele auch in c. acad. 1,1,1; vgl. Cicero, fin. 3,48.218 Dass hier von Augustin gezielt die „Dummen“ und „Ungebildeten“ ins Auge gefasst werden, ist noch seinem philosophisch-(neu)platonischen Elitedenken zuzuschreiben;219 später wird der Kirchenvater bekanntlich ebensolche Aussagen, die das Heil eines Menschen an seiner Bildung festmachen, heftig kritisieren (z. B. retr. 1,3,4: [displicet mihi …] quod multum tribui liberalibus disciplinis, quas multi sancti multum nesciunt, quidam etiam qui sciunt eas sancti non sunt). 32 f non uno atque eodem modo demersis opem sapientia et manum porrigit: Die Aussage wird im vollen Umfange erst verständlich, wenn man (mit Doignon, De ordine, S. 145, Anm. 121) die Parallelstelle soliloq. 1,13,23 heranzieht: Sed non ad eam [sc. sapientiam] una via pervenitur. Demnach ist der jeweilige Weg, der zur Weisheit führt, abhängig von der geistig-seelischen „Gesundheit“ (sanitas) des Erkenntniswilligen. Während die einen der Weisheit durch „Glauben, Hoffen und Lieben“ (credere, sperare, amare) teilhaftig werden, benötigen andere – zu ihnen zählt sich zweifellos Augustin220 – viele Hilfsmittel und intellektuelle „Übungsversuche“, vor allem einen methodisch geordneten221 Erkenntnisweg, um sich dem erstrebten Ziel zu nähern. Auch die hiesige Stelle muss vor dem Hintergrund des augustinischen auctoritas / ratio-Schemas verstanden werden, welches dem Leser in extenso allerdings erst im zweiten Buch der Schrift (ord. 2,5,16; 2,9,26; vgl. c. acad. 3,20,43; quant. anim. 12; vera relig. 122–124) unterbreitet wird.
217 Vgl. A. Gudemann, Dialoge, S. 20: „Die … Stelle enthält einen durch nichts motivierten, äußerst heftigen und in Tränen endenden Gefühlsausbruch des Augustinus, der uns lebhaft an ähnliches in den Konfessionen erinnert. (…) Und eine solche Szene soll sich wirklich so zugetragen haben …?“ Dazu bereits kritisch: G. Madec, L’historicité, S. 221. 218 Zu weiteren Parallelen bzgl. des metaphorischen Gebrauchs von demergere (bei Augustinus, Cicero und Laktanz) vgl. Gunermann, Sprache, S. 3 f. 219 Zum allgemeinphilosophischen „Elitedenken“ und seiner bewussten, meist despektierlichen Abgrenzung von der unwissenden Menge vgl. durchaus kritisch und sehr aufschlussreich: H.-D. Voigtländer, Der Philosoph und die Vielen, Wiesbaden 1980, passim; zu speziellen Tendenzen im Neuplatonismus: W. Theiler, Porphyrios, S. 8; E. Feldmann, Einfluß, Bd. 2, S. 192, Anm. 51; ders., Konvergenz, S. 324. 220 Die augustinische Beschreibung des u. U. sehr langen Erkenntnisweges trägt in soliloq. 1,13,23 deutliche autobiographische Züge! 221 Ausdrücklich betont Augustin, dass es zum Erlangen der Weisheit einer „Ordnung“ bedarf: Nam o r d i n e quodam ad eam pervenire bonae disciplinae officium est, sine o r d i n e autem vix credibilis felicitatis (S. 36, Z. 13–15; vgl. Z. 9).
2. Hauptteil: 1,10,29
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Die hier personifizierte sapientia ist nach augustinischem Verständnis, wie viele Vergleichsstellen zeigen, mit dem Gottessohn gleichzusetzen (siehe z. B. soliloq. 1,1,2 f; vera relig. 65.81.222 308; quant. anim. 33,76; 34,77; mor. eccl. 16,27; trin. 13,19,24; 14,1,1), der in diesem Abschnitt – wie bereits vermerkt – eine besondere Bedeutung erfährt; siehe supra zu Z. 12 (s. v. Christum).223 Wenn nun Augustin formuliert, dass die Weisheit „den Versunkenen ihre Hilfe anbietet“ (demersis opem … et manum porrigit), so verbindet er auf durchaus geschickte Weise die genuin christliche Soteriologie mit traditionell philosophischen Vorstellungen.224 34 in profunda: So die Lesart der Handschriften; in profundo bei Doignon offensichtlich ein Druckfehler,225 wie die Übersetzung (S. 145) zeigt: „vers les profondeurs“. 35 vulnera mea: Das Bild begegnete bereits in ord. 1,1,3, Z. 39 (dort plagae metonymisch als „Wunden“; siehe auch epist. 4,2226) und ist neuplatonischer Provenienz; vgl. Plotin, Enn. 1,2,5. Gemeint sind moralische227 und – davon abhängig – geistige Unzulänglichkeiten. Die enge kondizionale Verbindung zwischen Ethik und Gnoseologie wird kaum jemals so deutlich wie in diesem Abschnitt! 35 sanentur: Eine nützliche Zusammenstellung und Interpretation zahlreicher Parallelstellen zur frühaugustinischen Heilungs- und Reinigungsmetaphorik findet sich bei Thimme, Entwicklung, S. 44–54.
222 Besonders deutlich formuliert Augustin: dei sapientia, id est unicus filius consubstantialis patri et coaeternus. 223 Für die Identifizierung der sapientia mit der veritas, welche ebenfalls – nach Joh 14,6 – mit Christus gleichgesetzt wird, vgl. insbes. beat. vit 4,34: sed quid putatis esse sapientiam nisi veritatem? etiam hoc enim dictum est: ‚ego sum veritas‘. Siehe dazu M. Gercken, Philosophie, 67–69; R. Holte, Béatitude, S. 88; J. Rief, Wahrheit, S. 286 f. 224 Auch in der heidnischen Philosophie konnte die sapientia mit Gott identifiziert werden; vgl. z. B. Cic. ac. 1,29. In der jüdischen Religionsphilosophie (bes. bei Philo von Alexandrien) fungiert die „Weisheit“ – nach Prov. 8,22 – als eine Art Mittlerwesen zwischen Jahwe und der Welt; eine Konstruktion, die in die christliche Dogmengeschichte (u. a. und in besonderem Maße) über die Logoschristologie der Apologeten des 2. Jahrhunderts Eingang gefunden hat. – Aus der umfangreichen Literatur zur - und -Spekulation sei auf die Überblicksdarstellungen bei Loofs / Aland (Dogmengeschichte, S. 43 ff) und Bousset-Greßmann (Religion, S. 342 ff und 438 ff) hingewiesen; vgl. ferner für die wichtigsten (religions-)philosophischen Strömungen: M. Pohlenz, Stoa, Bd. 1, S. 367 ff; H. J. Krämer, Der Ursprung der Geistmetaphysik, Amsterdam 21967, S. 264 ff; H. Hegermann, Die Vorstellung vom Schöpfungsmittler im hellenistischen Judentum und Urchristentum, Berlin 1961; M. Hengel, Judentum und Hellenismus, Tübingen 31988; B. L. Mack, Logos und Sophia, Göttingen 1973; A. Wlosok, Lactanz und die philosophische Gnosis seiner Zeit, Heidelberg 1960, S. 60 ff; speziell zur jüdisch-christlichen Auslegungsgeschichte von Prov. 8,22 siehe die Literaturhinweise bei R. Lorenz, Arius judaizans? Göttingen 1979, S. 68, Anm. 13. 225 Wahrscheinlich aufgrund von Paralleleintrag aus Cic. fin. 3,48. 226 Dazu: J. Doignon, Le „progrès“ philosophique d’Augustin dans l’„otium“ de Cassiciacum d’après la Lettre 4, hier: S. 145–148. 227 Siehe als Parallele die berühmte Bettlerbegegnung Augustins in den Straßen von Mailand (conf. 6,6,9 f); auch in deren Zusammenhang werden vulnera aufgrund falschen Ehrgeizes beklagt.
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II. Kommentar
35 cotidianis fletibus: Vgl. ähnlich ord. 1,8,25 (cotidianis votis); 1,5,13 (qui me cotidie querulum accipit); 1,8,22 (ego inlacrimans multa oravi); c. acad. 2,1,1 (cotidianis votis); siehe auch soliloq. 1,1,2–6; 2,1,1; ep. 3,4; conf. 9,4,12. Nach den Beleg- und Vergleichsstellen betete Augustin in Cassiciacum – täglich, wohl regelmäßig nach dem Aufstehen und vor dem Einschlafen (ord. 1,8,25; ep. 3,4), – häufig in der Form der Klage und Bitte, – vielfach „unter Tränen“, – in der Regel wohl in kniender Gebetshaltung (conf. 9,4,12), – vorzugsweise um innere Reinheit und geistige Erleuchtung (solil. 1,1,2 ff; 2,1,1), – auch um alltägliche Dinge, z. B. das Nachlassen von Zahnschmerzen (conf. 9,4,12).228 36 Nolite: Ergänze: geminare mihi miserias (Z. 34). 38 quanti faciam: Die Übersetzung Mühlenbergs (S. 272: „was ich aus euch machen möchte“) ist inakzeptabel; quanti natürlich Genitivus pretii (vgl. z. B. Keseling, S. 139: „wie hoch ich euch schätze“; Doignon, S. 147: „combien je vous estime“). 1,10,30: Krankhafter Ehrgeiz
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Hic ubi, ne plura dicerem, lacrimae mihi modum imposuerunt, Licentius molestissime ferens, quod omnia scribebantur: Quid enim, ait, fecimus, oro te? – Adhuc, inquam, nec fateris saltem peccatum tuum? Tu nescis in illa schola graviter me stomachari solitum, quod usque adeo pueri non utilitate ac decore disciplinarum sed inanissimae laudis amore ducerentur, ut quosdam etiam aliena verba recitare non puderet exciperentque plausus – o ingemescendum malum! – ab eisdem ipsis, quorum erant illa, quae recitabant. Ita vos, quamvis nihil umquam, ut opinor, tale feceritis, tamen et in philosophiam et in eam vitam, quam me tandem occupasse laetor, aemulationis tabificae atque inanis iactantiae ultimam sed nocentiorem ceteris omnibus pestem introducere ac proseminare conamini et fortasse, quia vos ab ista vanitate morboque deterreo, pigriores eritis ad studia doctrinae et ab ardore ventosae famae repercussi in torporem inertiae congelabitis. Me miserum, si necesse erit tales etiam nunc perpeti, a quibus vitia decedere sine aliorum vitiorum successione non possint! – Probabis, ait Licentius, quam purgatiores futuri simus. Modo illud obsecramus per omnia, quae diligis, ut ignotum nobis velis atque illa omnia deleri iubeas, simul ut parcas etiam tabulis, quas iam non habemus. Non enim aliquid in libros translatum est eorum, quae a nobis multa disserta sunt. – Prorsus, inquit Trygetius, maneat nostra poena, ut ea ipsa quae nos inlicit fama flagello proprio a suo amore deterreat. Ut enim solis amicis et familiaribus nostris litterae istae innotescant, non parum desudabimus. – Assensus est ille.
228 Zur augustinischen Gebetspraxis vgl. auch E. von Severus, Gebet I, in: RAC 8, 1972, S. 1246.
2. Hauptteil: 1,10,30
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43 fecimus: Mühlenbergs Übersetzung (S. 272) an dieser Stelle schadhaft. 44 peccatum: Der Begriff der Sünde spielt in den ersten Schriften Augustins noch keine überragende Rolle (vgl. Thimme, Entwicklung, S. 236). Erst in den antimanichäischen Schriften wird häufig vom – christlich verstandenen – peccatum gesprochen, wobei die superbia als die Ursünde schlechthin, als das initium omnis peccati (mus. 6,13,40; gen. c. Man. 2,9,12229), verstanden wird. Die hier als besonders verwerflich erscheinende Ruhmsucht (Z. 46: amor laudis; Z. 52 f: ardor famae), der Ehrgeiz (Z. 50: aemulatio) und die Prahlerei (Z. 50: iactantia) sind dem Hochmut zweifellos eng verwandt, sodass in dieser Stelle eine bemerkenswert frühe Vorstufe des spezifisch augustinischen Sündenbegriffs erblickt werden kann. 45 stomachari: „sich ärgern“; man kann hier ein Wortspiel ausmachen, denn Augustin hat – nach ord. 1,2,5 – die hier genannte Schule wegen eines stomachi dolor verlassen. 45 solitum: Hier nicht substantivisch (= „Gewohnheit“) zu verstehen – obgleich stomachari auch transitiv gebraucht wird –, sondern verbal mit Ellipse von esse. 45 usque adeo: nicht temporal (Mühlenberg, S. 272) zu verstehen, sondern modal (= „so sehr“; „in dem Maße“; vgl. Doignon, S. 147: „au point que“) im Hinblick auf den anschließenden Konsekutivsatz (Z. 46 f). 45 utilitate ac decore: Anklang an das horazische Schema des Nützens (prodesse) und Erfreuens (delectare); vgl. zum Wortpaar auch Cicero, off. 3,101. 46 laudis amore: Der inneren Anziehungskraft der Wissenschaft steht als Antithese die „Ruhmsucht“ gegenüber. Man kann für diesen topischen Zusammenhang auf den klassischen Gegensatz von Dialektik (Ziel: unbedingte Wahrheitsfindung) und Eristik (Ziel: ruhmvoller Sieg über den Gegner) verweisen; so Fuhrer, Contra Academicos, S. 171, Anm. 49; vgl. hierzu Aristoteles, soph. el. 171 b 22–172 a 2.230 47 f exciperent plausus … ab eisdem ipsis, quorum erant illa, quae recitabant: In der ehrgeizigen, von Eitelkeit und Ruhmsucht geprägten Unterrichtsatmosphäre in Mailand sieht Doignon (BAug 4/2, S. 147, Anm. 127) Parallelen zur Praxis gewisser „Schulwettkämpfe“ (compétitions scolaires) in Madaura, an denen Augustin als junger Schüler teilgenommen habe; vgl. conf. 1,10,16. 50 aemulationis tabificae atque inanis iactantiae: Mit starken Ausdrücken, chiastisch angeordnet, wird im augustinischen Sinne die Gefährlichkeit des höchst schädlichen, „krankhaften“ Ehrgeizes (Z. 50 f: nocentiorem ceteris omnibus pestem) unterstrichen. 51/52 pestem / morboque: Die Krankheitsmetaphorik aus § 29 (Z. 29: morbi dementiam; Z. 35: vulnera mea) wird konsequent fortgesetzt. 229
Vgl. mus. 6,4,7; lib. arb. 3,100 ff; gen. c. Man. 2,5,6; 15,22; 17,25 f. Vgl. weitere Vergleichsstellen zur Opposition von laus / gloria / victoria und veritas (gesammelt und teilweise zitiert bei Fuhrer, ebd., S. 171): c. acad. 1,3,8; 2,6,15; 3,9,18; 3,14,30; Cic. de orat. 1,47; ac. 2,65; Min. Fel. 14,2; Hieron. adv. Pelag. 1,22 Moreschini. 230
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II. Kommentar
52 pigriores eritis ad studia doctrinae: Augustin ist Pädagoge und weiß, dass der Wegfall extrinsischer Motivation (i. e. das Streben nach Ruhm) zu einem Nachlassen des Studieneifers führen kann. In einem schönen Bild werden der ardor ventosae famae und der torpor inertiae als Skylla und Charybdis einer lernwilligen, rein an der Sache selbst (= der Wahrheit) interessierten Geisteshaltung hingestellt. – Konkrete Anzeichen intellektueller Faulheit oder Trägheit bei Licentius und Trygetius sind allerdings nicht auszumachen, die Sorge und Warnung Augustins muss daher als rein literarisches Motiv aufgefasst werden. 53 torporem inertiae: Die Haltung eines torpens animus, der in seinem egoistischen Streben nach Ruhm und Erfolg gescheitert ist und nunmehr enttäuscht in Untätigkeit daliegt, wird eindrücklich bei Seneca, tranq. an. 2,8 (mit Kontext), beschrieben. 57 tabulis, quas iam non habemus: Der Tag ist noch jung (vgl. 1,9,27: postridie bene mane) und noch ist nicht viel erörtert worden; gleichwohl herrscht ein Mangel an Schreibtafeln, die wenig später vollständig aufgebraucht sind (1,11,33: neque tabulae reliquae forent). Da es sich eindeutig um wiederbeschreibbare Tafeln handelt (vgl. Z. 56: deleri; vermutlich sind wachs- oder gipsüberzogene Holztäfelchen in Gebrauch) und an anderen Tagen – vor allem für die Aufzeichnungen für Contra Academicos – wesentlich mehr protokolliert werden konnte, muss davon ausgegangen werden, dass eine nicht geringe Anzahl von tabulae bereits beschrieben, aber ihr Inhalt noch nicht in Bücher (libri) übertragen worden ist. Es ergibt sich hier ein Indiz dafür, dass die endgültige Abfassung der Schriften von Cassiciacum in der heute vorliegenden Form – zumindest zu einem Großteil231 – erst nach den eigentlichen Gesprächen stattgefunden hat, d. h. als alle relevanten Diskussionen bereits abgeschlossen waren.232 57 f Non enim aliquid in libros translatum est: Dass keine Schreibtäfelchen (tabulae; Z. 57) mehr vorhanden sind, wird damit begründet, dass noch nichts in Bücher (libri) übertragen wurde. Voraussetzung einer solchen Begründung (enim) ist die offensichtliche Gewohnheit, nach Übertragung der Gespräche in 231 Denkbar wäre, dass das erste Buch von c. acad. bereits in der einwöchigen Gesprächspause (c. acad. 2,4,10: septem fere diebus a disputando fuimus otiosi) in seine Endgestalt redigiert wurde. 232 Die Schlussfolgerung gilt unter der Prämisse, dass die Erwähnung des protokollierenden notarius nicht völlig erfunden ist; vgl. hierzu supra zu 1,2,5, Z. 18 (s. v. adhibito sane stilo). – Dass die sog. elaboratio (ord. 1,2,4, Z. 12), wie vielfach stillschweigend vorausgesetzt wird, mehr oder weniger zeitgleich mit den mündlichen Disputationen stattgefunden haben soll, ist auch angesichts des von Augustin geschilderten Tagespensums nur schwer denkbar. Allein die Gespräche – von denen nur ein Teil wiedergegeben wird (vgl. z. B. ord. 1,8,26) – nahmen ein großes Maß an Zeit in Anspruch, daneben wird von häuslichen bzw. bäuerlich-landwirtschaftlichen Pflichten berichtet (c. acad. 1,5,15; 2,4,10; 11,25), hinzu kommt die Lektüre und Besprechung des Vergil (ein halbes Buch pro Tag: ord. 1,8,26; vgl. c. acad. 1,5,15; 2,4,10), teilweise mussten Gespräche rekonstruiert werden (ord. 1,8,26), die Briefkorrespondenz wurde ausführlich erledigt (c. acad. 2,11,25), von kleineren Tätigkeiten wie Morgen- und Abendgebet, Essen etc. ganz zu schweigen. Eine gewissenhafte und sorgfältige Endredaktion der Schriften von Cassiciacum, zu denen – aufgrund des inter haec von retr. 1,4,1 – auch noch die soliloquia zu zählen wären, kann unmöglich zeitgleich mit den geschilderten Gesprächsrunden angesetzt werden!
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die „Bücher“ die wieder frei gewordenen Täfelchen für die nächsten Gesprächsrunden zu nutzen. 58 quae a nobis multa disserta sunt: Eine irritierende Angabe! Die letzte Buchübertragung wurde erst kurz zuvor erwähnt, als die nächtlichen Gespräche am nächsten Tage in hanc libelli partem zusammengefasst wurden (siehe 1,8,26, Z. 81). Wie kann davon die Rede sein, dass seitdem vieles (multa) erörtert wurde? – Als Lösungsmöglichkeiten sind denkbar: a) Ursprünglich wurde an diesem Morgen tatsächlich länger debattiert, Augustin hätte dann für die Endredaktion seines Werkes deutlich zusammengestrichen. b) Auch die Nachtgespräche wurden auf Schreibtäfelchen notiert (libellus in 1,8,26 müsste dann als bloßer Hinweis auf die Werkeinteilung, nicht auf das konkrete Schreibmaterial verstanden werden); in diesem Falle könnte sich das multa auf wesentlich mehr als nur das letzte Tagesgespräch beziehen. 59 a suo amore: Possessivpronomen statt Genitivus obiectivus; vgl. Menge, Syntax § 71 (S. 54). 60 solis amicis et familiaribus nostris: Zum intendierten Leserkreis der Schriften von Cassiciacum vgl. supra zu 1,9,27, Z. 14 (s. v. legent litteras nostras). 1,11,31: Frauen in der Philosophie? 1 Atque interea mater ingressa est quaesivitque a nobis, quid promovissemus; nam
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et ei quaestio nota erat. Cuius et ingressum et rogationem cum scribi nostro more iussissem: Quid agitis? inquit; numquidnam in illis quos legitis libris etiam feminas umquam audivi in hoc genus disputationis inductas? – Cui ego: Non valde curo, inquam, superborum imperitorumque iudicia, qui similiter in legendos libros atque in salutandos homines inruunt. Non enim cogitant, quales ipsi, sed qualibus induti vestibus sint et quanta pompa rerum fortunaeque praefulgeant. Isti enim in litteris non multum attendunt, aut unde sit quaestio aut quo pervenire disserentes moliantur quidve ab eis explicatum atque confectum sit. In quibus tamen quia nonnulli reperiuntur, quorum animi contemnendi non sunt – aspersi sunt enim quibusdam condimentis humanitatis et facile per aureas depictasque ianuas ad sacrosancta philosophiae penetralia perducuntur – satis eis fecerunt et maiores nostri, quorum libros tibi nobis legentibus notos esse video, et his temporibus – ut omittam ceteros – vir et ingenio et eloquentia et ipsis insignibus muneribusque fortunae et, quod ante omnia est, mente praestantissimus Theodorus, quem bene ipsa nosti, id agit, ut et nunc et apud posteros nullum genus hominum de litteris nostrorum temporum iure conqueratur. Mei autem libri si quorum forte manus tetigerint lectoque meo nomine non dixerint: ‚iste quis est?‘ codicemque proiecerint, sed vel curiosi vel nimium studiosi contempta vilitate liminis intrare perrexerint, me tecum philosophantem non moleste ferent nec quemquam istorum, quorum meis litteris sermo miscetur, fortasse contemnent. Sunt enim non solum liberi, quod cuivis disciplinae liberali, nedum philosophiae satis est, sed summo apud suos loco nati. Doctissimorum autem hominum litterae etiam sutores philosophatos et multo viliora fortunarum genera continent, qui tamen tanta ingenii virtutisque luce fulserunt, ut bona sua cum qualibet huiusce modi nobilitate nullo modo vellent, etiamsi possent, ulla condicione mutare. Nec deerit, mihi crede,
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II. Kommentar
tale hominum genus, cui plus placeat hoc ipsum, quia mecum philosopharis, quam si quid hic aliud aut iucunditatis aut gravitatis invenerit. Nam et feminae sunt apud veteres philosophatae et philosophia tua mihi plurimum placet.
3 f feminas … in hoc genus disputationis …? Die verwunderte Frage der Mutter, seit wann denn Frauen in einem philosophischen Dialog ihren Auftritt hätten, scheint ihr von Augustin in den Mund gelegt zu sein. Ganz offensichtlich sieht sich Augustin gezwungen, sich wegen seiner „literarischen Neuerung“ (Thimme, Bemerkungen, S. 12) ausführlich zu rechtfertigen, dabei die Wirkung auf den vermeintlichen Leserkreis zu reflektieren, und benötigt dafür natürlich eine szenische Verankerung. – Hält man dagegen die Gesprächssituation für authentisch, so hat dies Auswirkungen auf die Rekonstruktion der Reihenfolge der geführten Gespräche: In der Geburtstagsschrift De beata vita diskutiert und philosophiert die Mutter ebenfalls lebhaft mit, ohne dass dies einem der Beteiligten in irgendeiner Hinsicht problematisch erscheint. Die Gespräche über das glückselige Leben wären demnach zeitlich nach De ordine 1 einzuordnen, andererseits aber vor De ordine 2, da im letzteren Buche – direkt zu Anfang (2,1,1, Z. 5 f) – eindeutig auf die Geburtstagsdiskussion angespielt wird. Eine solche Abfolge der Gespräche würde sich am besten dem Modell von J. H. Van Haeringen (siehe supra zu 1,3,7, Z. 20 f) einfügen. 10 f aspersi sunt enim quibusdam condimentis humanitatis: „Denn sie sind gewissermaßen233 mit den Gewürzen einer feinen Bildung bestreut“. Die aus der Kochkunst stammende Metapher begegnet sehr ähnlich – mit dem entsprechenden Kontext des Gastmahls – in c. acad. 2,2,6: in conviviis multa humanitas condimenta. Vorbild beider Stellen ist zweifellos Cicero, Ad Q. fr. 1,1,21: Haec illius severitate acerba videretur, nisi m u l t i s c o n d i m e n t i s h u m a n i t a t i s mitigaretur. Vgl. auch Ad Att. 1,13,1: h u m a n i t a t i s s p a r s a e s a l e . – Eine weitere Verwendung der „Gewürzmetapher“ noch in ord. 2,4,13: Detrahe … ista carminibus, suavissima condimenta desiderabimus. Dazu Gunermann, Sprache, S. 139. 11 f ad sacrosancta philosophiae penetralia: Zum klassischen Bild vgl. Seneca, epist. 52,15; 95,64; 103,4; Macrobius, Sat. 7,1. – Der Ausdruck penetralia erscheint zum ersten Mal bei Vergil,234 in metaphorischer Verwendung sodann bei Tacitus (dial. 12,3) sowie Quintilian (inst. 12 pr. 3: ex ipsis sapientiae penetralibus).235 Die wertende Antithese zum „Allerheiligsten der Philosophie“ findet sich bei Augustin in c. acad. 3,10,22; dort wird – ebenfalls unter Verwendung eines spezifischen Ausdrucks der Tempel- bzw. Kultsprache – eine Definition des Stoikers Zenon pejorativ „im Vorhof der Philosophie“ (in vestibulo philosophiae) angesiedelt. Dazu Fuhrer, Contra Academicos, S. 326. 12 eis: Übersetzung bei Doignon (S. 153) unklar; Bezug natürlich auf nonnulli in Z. 13. 233
Zu quidam als Milderung eines „kühnen Vergleichs“ vgl. Menge, Syntax § 279, S. 183. Substantivisch verwendet in Aen. 2,484.508.665; 5,744; 6,71; 7,59; 9,259. 235 Siehe Gunermann, Sprache, S. 155. 234
2. Hauptteil: 1,11,31
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12 f quorum libros tibi nobis legentibus notos esse video: Insbesondere sind hier die Schriften Ciceros zu nennen, von dem (nach c. acad. 1,3,8) „die Philosophie in lateinischer Sprache gleichermaßen begründet und vollendet wurde“. 13 f vir … ipsis insignibus muneribusque fortunae: Zum Typos des homo fortunatus bei Augustin (hier in Bezug auf Theodorus; vgl. c. acad. 1,1,1–4 zu Romanianus; beat. vit. 4,26 zu Orata) aufschlussreich J. Doignon, La fortuna y el hombre afortunado, Augustinus 31, 1986, S. 82–84. 15 Theodorus: Flavius Mallius Theodorus, unbekannter Abstammung, Christ,236 Konsul des Jahres 399,237 Verfasser eines Werkes über die Entstehung des Kosmos und der Seele238 sowie verschiedener astronomischer Betrachtungen;239 von seinen Schriften einzig erhalten ist ein Büchlein De metris, welches seinem gleichnamigen Sohn gewidmet ist;240 Augustin wählt ihn zum Adressaten seiner Schrift De beata vita und rühmt dort seine bewundernswerte Bildung, Tugendhaftigkeit und Eloquenz;241 in den Retractationes wird ausdrücklich bedauert, ihm zuviel Lob gespendet zu haben;242 da Theodorus überdies als eifriger Leser des Plotinos gekennzeichnet wird,243 kann in ihm jener „aufgeblasene Mann“ vermutet werden, der Augustin – nach conf. 7,9,13244 – die berühmten und schicksalhaften libri Platonicorum überreichte.245 17 quorum: Bezug auf manus, nicht auf libri, wie Mühlenberg (S. 274) meint. 18 curiosi vel nimium studiosi: Selbstironie des Autors; er ist im Gegenteil von dem Wert seiner Abhandlung überzeugt und hofft, wie häufig betont wird, auf seriöse Leserschaft. – Das Attribut studiosus ansonsten bei Augustin positiv besetzt, in ord. 2,5,17 wird der ernste Lerneifer der sog. „Neugierde“ sogar ausdrücklich entgegengesetzt (Z. 46 f: pro studioso illum curiosum …. fieri). 18 f contempta vilitate liminis intrare: Mit dem limen, das der Leser bei der Lektüre des Werkes überschreiten muss, sind nicht die „événements insignifiants qui ont amorcé de débat sur l’ordre“ (Doignon, S. 155, mit Hinweis auf ord. 1,3,6) gemeint, sondern die Autorenangabe im Titel der Schrift. Ein unbekannter Name (Z. 18: iste quis est?) könnte einen potentiellen Leser abhalten und das Buch 236
Retr. 1,2,2. Vgl. civ. 18,54. Das Konsulat des Theodorus ist äußerer Anlass eines (noch erhaltenen) Panegyrikos des Claudius Claudianus (siehe folgende Anmerkung). 238 Claudianus, Pan. Dict. Manlio Theodoro, MGH aa 10, S. 185, VV 253–255 und S. 188, VV 332–335. 239 Ibid., S. 180, VV 100–112. 240 Grammatici Latini 6, Keil, S. 585–601. 241 Vgl. insb. beat. vit. 1,1; 1,5. 242 Retr. 1,1,2: Displicet autem illic quod Mallio Theodoro, ad quem librum ipsum scripsi, quamvis docto et christiano viro, plus tribui quam deberem. 243 Beat. vit. 1,4: Plotini …, cuius te esse studiosissimum accepi. 244 … procurasti mihi per quendam hominem immanissimo typho turgidum quosdam Platonicorum libros ex graeca lingua in latinam versos … 245 Vgl. Mandouze, Prosopographie, Bd. 1, S. 2167 f. 237
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II. Kommentar
von vornherein als „nicht beachtenswert“246 erscheinen lassen. – Die Stelle ist ein eindeutiger Beleg dafür, dass Augustin mit einer nicht geringen Verbreitung seines Schrifttums – weit über seinen persönlichen Bekanntenkreis hinaus – rechnet. Vgl. supra zu 1,9,27, Z. 14 (s. v. legent litteras nostras). 20 quemquam istorum, quorum meis litteris sermo miscetur: Deutlich sieht Augustin De ordine als sein ureigenes Werk an; die Gesprächsbeiträge der Schüler sind seiner Schrift lediglich „beigemischt“ (miscere mit Dativ!). Diese Sichtweise, die uneingeschränkt auch für die anderen Cassiciacum-Schriften gilt, deckt sich mit der Darstellung in den Proömien und den Retractationes.247 Einen kleinen Hinweis auf ein eventuelles Mitspracherecht bei der Endredaktion der Werke enthalten allerdings die confessiones: Alypius habe ursprünglich den Namen Christi nicht in die Schriften aufnehmen wollen.248 Dennoch bezeichnet Augustin auch hier die Dialoge ausdrücklich als seine eigenen Werke249 und sieht sich inhaltlich in jeder Hinsicht für sie verantwortlich.250 21 f Sunt enim … liberi, quod cuivis disciplinae liberali, nedum philosophiae satis est: Im Ansatz ähnlich Seneca, epist. 88,2: Quare liberalia studia dicta sint vides: quia homine libero digna sunt. Ceterum unum studium vere liberale est quod liberum facit, hoc est sapientiae, sublime, forte, magnanimum. 22 summo apud suos loco nati: Licentius ist der Sohn des Romanianus, einem Mitglied der sozialen Oberschicht von Thagaste (vgl. c. acad. 1,1,2); Alypius stammt ebenfalls aus der Heimatstadt Augustins, auch dessen Eltern gehörten dort zu den angesehensten Familien (conf. 6,7,11: Alypius ex eodem quo ego eram ortus municipio, parentibus primatibus municipalibus); auch Trygetius wird von Augustin als sein civis (Mitbürger; beat. 1,6) vorgestellt, stammt demnach ebenfalls aus Thagaste; über seine herausgehobene Stellung apud suos251 erfahren wir nur an dieser Stelle. 246
Beachte den Bezug von contempta vilitate auf das geringschätzend formulierte iste (Z. 18). In diesem Sinne auch J. J. O’Meara, Historicity, S. 160: „Augustine edited and published the Dialogues and always regarded them as his books.“ Vgl. hierzu ord. 1,2,4: ordinem, de quo ad te s c r i b o ; retr. 1,1,1: contra Academicos vel de Academicis s c r i p s i ; 1,1,2: in eisdem tribus libris m e i s ; 1,2,1: Librum de beata vita … u t s c r i b e r e m contigit; 1,3,1: duos etiam libros de ordine s c r i p s i ; trin. 15,21: Adversus Academicos … sunt libri tres n o s t r i ; enchir. 7: tria c o n f e c i volumina in initio conversionis meae. 248 Conf. 9,4,7: etiam Alypium, fratrem cordis mei, subegeris nomini unigeniti tui, domini et salvatoris nostri Iesu Christi, quod primo dedignabatur inseri litteris nostris. 249 Ibid.: Ibi quid e g e r i m in litteris iam quidem servientibus tibi … 250 Die vorstehenden Bemerkungen betreffen wohlgemerkt nur die Gesamt- und Endredaktion der Dialoge. Dass die Gesprächsbeiträge der Unterredner natürlich auch inhaltliche Positionen enthalten können, die von Augustin nicht gebilligt werden, bleibt hiervon unberührt. Augustin selbst weist in c. acad. 1,1,4 auf diesen Umstand hin. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Beobachtung, dass in den retractationes ausschließlich Augustins eigene Gesprächsbeiträge (inklusive Proömien, auktoriale Zwischenbemerkungen und oratio perpetua), nie jedoch die Worte seiner Gesprächsteilnehmer rezensiert werden. 251 Der Bezug auf die ortsansässige (nordafrikanisch-thagastenische) Bevölkerung ist als die notwendige Einschränkung zu verstehen; im Hinblick auf den Stadt- bzw. Reichsadel in Mailand oder Rom wären für ein summo loco natus gänzlich andere Maßstäbe anzusetzen. 247
2. Hauptteil: 1,11,32
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23 sutores: Die sutores (Schuster) wurden gemeinhin zur untersten sozialen Schicht gezählt und in der Literatur gern als Beispiel für dieselbe gewählt; vgl. etwa Cicero, Pro Flacc. 7,17; Iuvenal, Sat. 3,294. – Bei Diog. Laert. (2,122 f) wird ) erein gewisser „Schuster Simon aus Athen“ ( wähnt, welcher als erster sokratische Erinnerungen in Dialoge gefasst habe; vgl. Mühlenberg, Ordnung, S. 363. 23 qui: Bezug (constructio ad sensum!) auf genera = Geschlechter / Arten / Sorten von Menschen; vgl. Z. 26: tale hominum genus. 23 f tanta ingenii virtutisque luce fulserunt: Das hohe Lob, welches Augustin den Philosophen spendet, wird – wie so häufig – in den retractationes ausdrücklich zurückgenommen. So heißt es dort (1,3,7) mit eindeutigem Bezug auf die hiesige Stelle: [in his libris displicet mihi …] quod philosophos non vera pietate praeditos dixi virtutis luce fulsisse. Die ethischen Maßstäbe des christlichen Bischofs haben sich deutlich verschoben: Unter keinen Umständen kann demjenigen „Tugendhaftigkeit“ zugesprochen werden, der als Heide keine „wahre Frömmigkeit“ besitzt. 27 iucunditatis aut gravitatis: Der Anspruch, den der Philosoph von Cassiciacum an sein Schrifttum stellt, orientiert sich sichtbar am klassischen Leitbild des Erfreuens und Nützens (delectare und prodesse); dazu Gudemann, Dialoge, S. 23. Vgl. auch die Wendung utilitate ac decore in § 30, Z. 45. 27 f feminae sunt apud veteres philosophatae: Berühmtere Beispiele für philosophierende Frauen in der antiken Literatur sind: Diotima aus Mantinea in Platons Symposion (201 d–204 c); die Aspasia im gleichnamigen Dialog des Sokratikers Aischines; die Mutter des Hortensius (Cicero, Hort. frg. 48 Grilli); Senecas Mutter Helvia (Seneca, Cons. ad Helv. 17,3); Marcella, die Frau des Porphyrios (Porph. Ad Marc. 3); Musonius Rufus verfasste einen Traktat mit dem Titel „Auch die Frauen sollen Philosophie treiben“ (vgl. Keseling, S. 233).252 – Insgesamt 65 Namen von Philosophinnen – von der mythischen Vorzeit bis in das Jahrhundert Augustins – führt unter Angabe der Schulrichtung das sog. „Philosophinnen-Lexikon“ auf (hrsg. v. U. Meyer / H. Bennet-Vahle; vgl. die Zeittafel auf S. 615–617).253 1,11,32: Philosophie – Liebe zur Weisheit Nam ne quid, mater, ignores, hoc Graecum verbum, quo philosophia nominatur, 30 Latine amor sapientiae dicitur. Unde etiam divinae scripturae, quas vehementer am-
plecteris, non omnino philosophos, sed philosophos huius mundi evitandos atque inridendos esse praecipiunt. Esse autem alium mundum ab istis oculis remotissimum, quem paucorum sanorum intellectus intuetur, satis ipse Christus significat, qui non 252 Für die Praxis, interlocutrices in den Dialogen einzusetzen, vermutet Gudemann (Dialoge, S. 25, Anm. 4) Varro als konkretes Vorbild für Augustin. 253 Insbesondere zu den bekannteren gelehrten Frauen vgl. ergänzend: M. Rullmann, Philosophinnen. Von der Antike bis zur Aufklärung, Zürich-Dortmund 1993.
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II. Kommentar
dicit: ‚regnum meum non est de mundo‘, sed: regnum meum non est de hoc mundo. 35 Nam quisquis omnem philosophiam fugiendam putat, nihil nos vult aliud quam non
amare sapientiam. Contemnerem te igitur in his litteris meis, si sapientiam non amares, non autem contemnerem, si eam mediocriter amares, multo minus, si tantum, quantum ego, amares sapientiam. Nunc vero cum eam multo plus quam me ipsum diligas et noverim, quantum me diligas, cumque in ea tantum profeceris, ut iam nec 40 cuiusvis incommodi fortuiti nec ipsius mortis, quod viris doctissimis difficillimum est, horrore terrearis, quam summam philosophiae arcem omnes esse confitentur, egone me non libenter tibi etiam discipulum dabo?
29 Nam ne quid, mater, ignores …: Gudemann (Dialoge, S. 25) gewinnt aus der Belehrung Augustins ein – zweifelhaftes – Argument gegen die Authentizität der Cassiciacum-Dialoge: „Oder wird jemand allen Ernstes behaupten wollen, daß die Mutter des Augustinus, die dessen Lektüre angeblich kannte, und aufgrund dieser Kenntnis behaupten zu können glaubte, daß Frauen in solchen Gesprächen nicht aufzutreten pflegten, von ihrem Sohne wirklich des Gegenteils versichert wurde und – was das Merkwürdigste ist – erst belehrt werden mußte, daß philosophia ein griechisches Wort ist, das lateinisch sapientia laute?!“ 30 amor sapientiae: Dieselbe lateinische Übersetzung der griechischen z. B. auch c. acad. 2,3,7; mor. eccl. 21,38; conf. 3,4,8 (ebenfalls mit Hinweis auf Kol 2,8); 6,12,21; c. Iulian. 4,14,72; civ. 8,1. Sie ist spätestens seit Cicero verbreitet: vgl. leg. 1,58; Hort. frg. 93 Grilli; Tim. 51; Sen. epist. 89,4 f; Lact. inst. 3,2,3; 3,2,7. Der wird dementsprechend bei Augustin mit amator sapientiae wiedergegeben, so z. B. soliloq. 1,13,22; trin. 14,1,2; civ. 8,1 f.254 30-32 divinae scripturae … philosophos huius mundi evitandos … esse praecipiunt: Augustin bezieht sich auf Kol 2,8, wo – im ursprünglichen Kontext – vor Irrlehrern gewarnt wird, die sich lediglich auf menschliche Überlieferung und die elementaren Mächte der Welt, nicht aber auf Christus berufen. Augustin deutet die Stelle im platonischen Sinne um (unter Einfluss der Lehre des Simplicianus?255) und versteht sie im Sinne der Zwei-Welten-Philosophie, dem 254 Alternativ erscheint in der lateinisch-westlichen Tradition häufig auch studium sapientiae bzw. studiosus sapientiae: vgl. z. B. Cic. off. 2,5; Tusc. 1,1; 5,9; Lact. inst. 3,2,3–10; epit. 25,4–7; Aug, vera relig. 26; conf. 6,10,17–6,11,18; 7,17; civ. 8,2. 255 So die These von R. Holte, Béatitude, S. 143–152; unterstützt von G. Madec, Philosophia christiana, S. 588; patrie, S. 42: Augustin stehe in der platonischen Deutung von Kol 2,8 in der Tradition der alexandrinischen Schule (Justin, Clemens, Origenes), die ihm – siehe conf. 8,2,3 – durch Simplicianus vermittelt worden sein könnte. – Laktanz, Hieronymus und Ambrosius warnen in der Interpretation der ps.-paulinischen Stelle vor sämtlichen heidnischen Philosophen. Bezeichnend ist der jeweils zugrunde gelegte Wortlaut der Bibelstelle: Der VulgataText von Kol 2,8 lautet: videte ne quis vos decipiat per philosophiam et inanem fallaciam secundum traditionem hominum secundum e l e m e n t a m u n d i et non secundum Christum. Während die meisten altlateinischen Übersetzungen ebenfalls elementa mundi lesen (als Übersetzung des griechischen ), benutzt Augustin ganz offensichtlich eine Handschrift, die sekundär das Demonstrativpronomen huius einfügt (und damit die platonisch-dualistische Deutung massiv unterstützt!). Vgl. mor. eccl. 21,38: cautissime apostolus, ne ab amore sapientiae deterrere videretur, subiecit: ‚et elementa h u i u s mundi‘; siehe ebenso conf. 3,4,8; civ. 8,10.
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Dualismus des platonischen bzw. Dass Augustin dieser Lehre anhängt, erweist sich zweifelsfrei z. B. aus ord. 2,18,47 (explizit erwähnt er duos mundos) oder 2,19,51 (in hoc sensibili mundo … in illo vero mundo intelligibili); vgl. auch c. acad. 3,17,37; 3,19,42 (ebenfalls Bezug auf Kol 2,8); beat. vit. 1,4; civ. 8,1. – Unter den „Philosophen dieser Welt“ sind im augustinischen Sinne die Vertreter materialistischer Lehren wie die Stoiker, Epikureer oder andere Naturphilosophen zu verstehen, womöglich auch die Manichäer; Augustin selbst beschreibt sie in mor. eccl. 21,28 (ebenfalls in Anlehnung an Kol 2,8) folgendermaßen: sunt enim, qui desertis virtutibus et nescientes quid sit deus et quanta maiestas semper eodem modo manentis naturae magnum aliquid se agere putant, si universam istam corporis molem, quam mundum nuncupamus, curiosissime intentissimeque perquirant. 33 paucorum: Dass nur sehr wenige imstande sind, die jenseitig-geistige Welt mit ihrem Verstand zu erfassen, ist die häufig geäußerte Sichtweise des (Neu-) Platonismus; vgl. Platon, rep. 6,494 a: ’ ; vgl. auch die von Augustin referierte Ansicht des Porphyrios: ad Deum per virtutem intellegentiae pervenire paucis dicis esse concessum (civ. 10,29 p. 448,6–8). Wie sehr Augustin diese Sichtweise absorbiert hat, zeigt seine häufige Unterscheidung zwischen der ungebildeten Masse (imperita multitudo) und den wenigen Gelehrten (eruditi), z. B. ord. 2,9,26.256 Für den Gesamtkomplex der philosophisch-elitären Grundhaltung vgl. aufschlussreich: H.-D. Voigtländer, Der Philosoph und die Vielen, Wiesbaden 1980. 33 sanorum: Zur geistig-seelischen „Gesundheit“ (platonische Metaphorik!) als Voraussetzung der Erkenntnis siehe grundsätzlich und paradigmatisch soliloq. 1,13,23 (z. B. S. 35, Z. 4 f: Quippe pro sua quisque sanitate ac firmitate comprehendit illud singulare ac verissimum bonum).257 Im Widerspruch zur hiesigen Stelle sind es dort nicht nur wenige, sondern „einige“ (nonnulli), die über gesunde und leistungsfähige Augen verfügen, um das Reich des Intelligiblen, ja sogar – nach dem platonischen Höhlengleichnis – die Sonne selbst zu schauen: Nam sunt nonnulli oculi tam sani et vegeti, qui se, mox ut aperti fuerint, in ipsum solem sine ulla trepidatione convertant (ebd. S. 35, Z. 7–9).
256 Vgl. weiterhin: c. acad. 2,1,1 (evenit, ut scientia raro paucisque proveniat); 2,3,7; 2,3,8; beat. vit. 1,1; ord. 2,5,16 (philosophia rationem promittit et vix paucissimos liberat); 2,11,30; 2,13,38; soliloq. 1,13,22 (se illa [sc. sapientia] non sinit nisi paucissimis et electissimis amatoribus suis); mag. 14,46; util. cred. 7,16; lib. arb. 2,126 (sapere pauci possunt); divers. quaest. 46; c. epist. fund. 4; contin. 8,21; trin. 12,14,23; 13,9,12. Auf der anderen Seite macht Augustin – besonders den Manichäern und Donatisten gegenüber – von dem Argument Gebrauch, dass die Wahrheit mit hoher Wahrscheinlichkeit dort zu finden sei, wo sich die Mehrheit befinde, d. h. in der ecclesia catholica, die durch die Menge ihrer Gläubigen den gesamten Erdkreis (totus orbis) ausfülle; vgl. util. cred. 7,19; vera relig. 128; dazu ausführlich: Trelenberg, Einheit, S. 146–150 („Die Autorität der Mehrheit“). 257 Viele weitere frühaugustinische Parallelstellen zur geforderten „Gesundheit“ und „Herzensreinheit“ des Erkenntniswilligen (mit guter Darstellung des platonisch-neuplatonischen Hintergrundes) bei Thimme, Entwicklung, S. 44–54.
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II. Kommentar
33 Christus: Der Name Christi erscheint in den Cassiciacum-Dialogen insgesamt nur viermal (vgl. noch c. acad. 3,20,43; ord. 1,8,21; 10,29); zum möglichen Hintergrund siehe zu 1,10,29, Z. 12. 34 regnum meum non est de hoc mundo: das Schriftzitat (Joh 18,36) wird im Sinne des platonischen Dualismus verstanden (vgl. supra zu Z. 30–32). In retr. 1,3,8 wird diese Deutung ausdrücklich kritisiert, „das Reich Christi sei eine eschatologische Größe (Mt 6,10), nicht eine ontologische“ (so treffend Mühlenberg, Ordnung, S. 363; vgl. Ritter, Mundus intelligibilis, S. 34 f; Hessen, Metaphysik, S. 17.45 ff). Wörtliche Bibelzitate sind in den Cassiciacum-Dialogen, gemessen am späteren Schrifttum Augustins, sehr selten. In De ordine noch in 1,8,22, Z. 10 (Ps 79,8), 1,10,29, Z. 13 (Joh) und 1,11,32, Z. 30–32 (Kol 2,8); in Contra Academicos einmal in 2,1,1 (1 Kor 1,24), ein weiteres Mal in 2,3,9 (Mt 7,7; Lk 11,9), in De beata vita lediglich in 4,34 (Joh 14,6). Worin liegt die Ursache dieser nur spärlichen Benutzung der Heiligen Schrift? Zunächst ist festzuhalten, dass Augustin sich noch im Stande des Katechumenats befand, zwar mit der systematischen Lektüre biblischer Schriften begonnen hatte, aber offensichtlich noch nicht in ihnen „lebte und webte“. Die paganen Schriftsteller, vor allem das corpus Ciceronianum, waren ihm durch den jahrelangen Rhetorikunterricht ungleich vertrauter. Dass Augustin noch inhaltliche Vorbehalte gegen die Heilige Schrift und den christlichen Glauben hatte (so Alfaric, évolution, S. 398 f), ist kaum glaublich, allenfalls könnte man an sprachlich-ästhetische Gründe denken.258 Entscheidender scheint die Beobachtung zu sein, dass in den Frühdialogen insgesamt nur ein maßvoller Gebrauch wörtlicher Zitate – gleichgültig ob paganer oder christlicher Provenienz – zu verzeichnen ist. „Diese Zurückhaltung erklärt sich durch die Stiltradition der rhetorischen und historischen Prosa, wo wörtliche Zitate möglichst vermieden werden, um die Stileinheit zu wahren“ (so treffend Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 67, unter Hinweis auf: P. G. Van der Nat, Voraussetzungen, S. 198). 36 in his litteris meis: Augustin sieht die Schrift De ordine wie auch die anderen philosophischen Frühdialoge, obwohl sie zahlreiche Gedanken seiner Freunde enthalten, als seine ureigenen Werke an. Vgl. supra zu 1,11,31, Z. 20. 38 f cum eam [sc. sapientiam] … diligas: Die Feststellung, dass die Mutter die Weisheit liebt (vgl. Z. 38: amares sapientiam), ist nach Augustins Begriffsdefinition (Z. 30: amor sapientiae) der unumstößliche Beweis für ihr Philosophieren; die aufgeworfene Frage, ob auch Frauen als Philosoph(inn)en zu gelten haben, ist damit obsolet.259 258 Vgl. die in conf. 3,5,9 geschilderten sprachlichen Ressentiments Augustins gegen die Hl. Schrift; einem Vergleich mit Cicero hielten sie in seinen Augen nicht stand: non enim sicut modo loquor, ita sensi, cum attendi ad illam scripturam, sed visa est mihi indigna, quam Tullianae dignitati compararem. 259 J. Rief, Ordobegriff, S. 15, betont, dass Augustin am Beispiel der philosophierenden Mutter vor allem die rechte „ethische Haltung des Wahrheitssuchers“ hervorheben wolle. Die Mutter erscheine innerhalb der Dialogkomposition umso mehr als nachahmenswertes Vorbild, da kurz zuvor die beiden Jünglinge – um äußeren Ruhm streitend – ein negatives Beispiel ablieferten.
2. Hauptteil: 1,11,33
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40 f quod viris doctissimis difficillimum est: Die Angst vor dem Tode zu überwinden, ist selbst für die gelehrtesten Männer äußerst schwierig. Augustin weiß sich darin mit Cicero (vgl. Tusc. 1,95) einig. Dass die Überwindung des horror mortis allerdings die „Krone der Philosophie“ (summam philosophiae arcem; Z. 41) darstellt, ist eine alte Ansicht; es war Platon, der dem Tode des furchtlos philosophierenden Sokrates mit seinem Phaidon das berühmteste Denkmal setzte. Der Freitod nicht weniger Stoiker wurde gern als Ausdruck und Beispiel derselben Grundhaltung gewürdigt. Der Tod als Befreiung der Seele aus seinem körperlichen Gefängnis ist ein beliebtes Thema im Mittel- und Neuplatonismus. Augustin setzt voraus, dass „ein Weiser weder den körperlichen Tod noch Schmerzen fürchtet“ (beat. vit. 4,25; vgl. quant. anim. 76); da er selbst – nach eigener Aussage (c. acad. 2,3,9; 3,20,43) – noch keineswegs weise ist, fühlt er sich auch von der Todesfurcht nicht völlig frei: soliloq. 1,9,16260; 2,13,23; 14,26; ep. 10,2. 1,11,33: Vertagung des Gesprächs Hic illa cum blande ac religiose numquam me tantum mentitum esse dixisset et viderem tam multa nos verba fudisse, ut neque scribenda non essent et iam libri 45 modus esset neque tabulae reliquae forent, placuit quaestionem differri, simul ut meo stomacho parcerem. Nam eum plus, quam vellem, commoverant ea, quae mihi evomenda in illos adulescentes necessario visa sunt. Sed cum abire coepissemus: Memento, inquit Licentius, quam multa et quam necessaria nobis abs te accipienda per occultissimum illum divinumque ordinem etiam te nesciente subministrentur. – 50 Video, inquam, et ingratus deo non sum vosque ipsos, qui haec advertitis, ob id ipsum praesumo fore meliores. – Hoc fuit tantum illo die negotium meum.
43 religiose: Vgl. die Charakterisierung der Mutter in 1,8,22: religiosissima, ut scis, femina. 44 ut neque scribenda non essent: „… daß es unbedingt aufgeschrieben werden mußte“ (so richtig Keseling, S. 143; Mühlenberg, S. 276, unkorrekt wegen Nichtbeachtung der Litotes). 44 f iam libri modus esset: Der Hinweis auf das rechte Maß zum Abschluss einer Schrift oder eines Teilstückes derselben ist konventionell. Siehe etwa Cic. Tusc. 4,82: sit iam huius disputationis modus; Verr. 2,2,118: nos modum aliquem et finem orationi nostrae criminibusque faciamus; Quint. inst. 4,1,62. Bei Augustin kommt hinzu, dass der modus eines der höchsten Gottesprädikate darstellt (vgl. beat. vit. 4,32–36; vera relig. 232; siehe supra zu 1,2,3, Z. 48–50); seine Verletzung wiegt darum schwer und wird – mehr oder weniger offen ausgesprochen – geradezu als Sakrileg empfunden; vgl. ord. 1,8,26: ammoniti, ut spectandi modus esset, perreximus; 2,19,50: ne, cum ordinem vos docere cupio, modum excedam, qui pater est ordinis; c. acad. 2,3,9: Iam enim sero coepi metuere, ne hoc principium modum excederet, et non est leve. 260 S. 25, Z. 4–6: Sed modo videor mihi tribus tantum rebus posse conmoveri: metu amissionis eorum hominum quos diligo, metu doloris, metu mortis.
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II. Kommentar
Nam modus procul dubio divinus est; beat. vit. 4,36: quoniam modus ipse nos admonet et convivium aliquo intervallo dierum distinguere … Modus, inquam, ille ubique servandus est, ubique amandus; lib. arb. 1,118: haec iam sermocinatio modum terminumque desiderat; 3,267: modus libri nos iam finem facere et ab hac disputatione requiescere aliquando compellit; siehe daneben noch trin. 10,12,119; 15,12,21; civ. 1,36 p. 52,31 f; 2,29 p. 97,17 u. ö. 45 neque tabulae reliquae forent: Der Mangel an Schreibtäfelchen wurde bereits in 1,10,30 (Z. 57) erwähnt. 45 placuit quaestionem differri: Der Hinweis auf die Notwendigkeit des Gesprächsaufschubs ist topisch: Cic. orat. 367; fin. 4,80; rep. 2,70: Sed, si placet, in hunc diem hactenus; reliqua … differamus in crastinum. 45 f ut meo stomacho parcerem: Der stomachus ist hier nicht der „Magen“ (so Mühlenberg, S. 276; Perl, S. 32; Fuhrer, S. 289), was aufgrund des Zusammenhangs nur wenig Sinn ergibt. Augustin will nach einem längeren Monolog (§ 27–32; mit nur kurzen Unterbrechungen!) seine überanstrengte Stimme schonen und aus diesem Grunde eine Gesprächspause einlegen. Keselings Übersetzung mit „Kehle“ (S. 143) entspricht diesem Sachverhalt sehr gut. – Zum Krankheitsbild Augustins und den Übersetzungsmöglichkeiten von stomachus vgl. supra zu 1,2,5, Z. 14. 47 evomenda in illos adulescentes: Bezug auf Augustins scharfe Zurechtweisung der Schüler in 1,10,29 f. 49 occultissimum illum divinumque ordinem: Mit einem letzten Hinweis darauf, dass die göttliche Weltordnung für den menschlichen Geist „sehr dunkel“ und äußerst schwer zu erkennen sei, schließt sich der Gedankenkreis des ersten Buches. Deutlich wird aufgegriffen, was der Leser bereits in den ersten Sätzen des Proömiums erfahren konnte: Die Frage nach der Ordnung handele von divinis obscurisque rebus (1,1,1, Z. 4).261
261 In De ordine wird häufig die Dunkelheit des behandelten Gegenstandes betont. Vgl. neben den genannten Stellen vor allem auch 1,7,20, Z. 49 (obscuritatem rerum); 2,5,15, Z. 17 (caligine); 2,5,16, Z. 28 (obscuritas rerum); 2,17,46, Z. 21 (rebus obscurissimis). Zu einem Teil – sicher nicht gänzlich – wird man diese Andeutungen als Topos des philosophischen Dialogs werten müssen: vgl. aufschlussreich Cicero, nat. deor. 1,1 (perobscura quaestio); div. 1,7; ac. 1,44; 2,147; fin. 2,15; 4,2.
Zweiter Abschnitt: Verteidigung der Seinsordnung (2,1,1–2,11,34) [§ 1: Fortsetzung der Gespräche, § 2: Das Gute benötigt keine Ordnung, § 3: Unveränderlichkeit im göttlichen Bereich, § 4: Bei Gott ist, was Gott erkennt, § 5: Sinnliche Wahrnehmung und geistige Erkenntnis, § 6: Das Gedächtnis als „Sklave“ des Weisen, § 7: Das Gedächtnis als „Sklave“ des Weisen (Forts.), § 8: Befindet sich die Torheit bei Gott? § 9: Erkennt der Weise die Torheit? § 10: Die Torheit und die Finsternis, § 11: Die Torheit innerhalb der Weltordnung, § 12: Die schönheitssteigernde Kraft des Hässlichen, § 13: Das Maß in der Poesie, Rhetorik und Dialektik, § 14: Das Maß in der Musik, Geometrie, Astronomie und Zahlenlehre, § 15: Empfehlungen zum Umgang mit dem Theodizeeproblem, § 16: Vernunft und Autorität als der „doppelte Weg“, § 17: Das Wesen der Seele, § 18: Definition der „Bewegung“, § 19: Der Weise und die Allgegenwart Gottes, § 20: „ohne Gott sein“ – ein Definitionsversuch, § 21: Rückkehr zur ordoDefinition, § 22: War Gott immer gerecht? § 23: Die Aporie des Theodizeeproblems, § 24: Die Notwendigkeit einer Lernordnung, § 25: Ein Tugendkatalog als ordo vitae, § 26: Das Verhältnis von auctoritas und ratio, § 27: Göttliche und menschliche Autorität, § 28: Die Lebensnormen des Alypius, § 29: Die nicht geringe Zahl guter Menschen, § 30: Definition der ratio, § 31: Der Mensch – ein vernunftbegabtes Lebewesen, § 32: Vernunftgemäße Sinneswahrnehmung? § 33: Maßverhältnisse als Spuren der Vernunft, § 34: Die nur dem Geiste zugängliche Symbolik]
2,1,1: Fortsetzung der Gespräche 1 Interpositis deinde pauculis diebus venit Alypius et exorto sole clarissimo invita-
vit caeli nitor et, quantum in illis locis hieme poterat, blanda temperies in pratum descendere, quo saepius et familiarius utebamur. Nobiscum erat etiam mater nostra, cuius ingenium atque in res divinas inflammatum animum cum antea convictu 5 diuturno et diligenti consideratione perspexeram tum vero in quadam disputatione non parvae rei, quam die natali meo cum convivis habui atque in libellum contuli, tanta mihi mens eius apparuerat, ut nihil aptius verae philosophiae videretur. Itaque institueram, cum abundaret otio, agere, ut conloquio nostro non deesset. Quod in primo etiam huius operis libro abs te cognitum est.
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II. Kommentar
1 Interpositis deinde pauculis diebus venit Alypius: Zur Bedeutung dieser Angabe für die Chronologie der Schriften von Cassiciacum vgl. supra zu 1,3,7, Z. 20 f. 1 exorto sole clarissimo: Wollte man den symbolischen Deutungsansatz von W. Hübner (vgl. ordo, S. 36 f; dazu supra zu 1,7,20, Z. 39; 1,8,22, Z. 8) fortführen, so ergäbe sich hinsichtlich der verwendeten Lichtmetaphorik eine weitere Steigerung: Nach dem Gespräch im Dunkel der Nacht und der nachfolgenden Morgendämmerung (1,3,6–8,22) folgen Gespräche an zwei Tagen mit recht trübem Wetter (1,8,22–11,33),1 um zuletzt in ein Abschlussgespräch bei strahlendem Sonnenschein zu münden (2,1,1–20,54). Im übertragenen Sinne ließe sich dies nur so deuten, dass nun endlich Licht in die dunkle Frage nach der Ordnung (vgl. 1,11,33, Z. 49: occultissimum illum … ordinem) gebracht werden soll. – Auch wenn man zugeben muss, dass die in De ordine auf eigentümliche Weise „immer heller“ werdende Szenerie mit dem Inhalt der Gespräche in vielfacher Hinsicht gut kongruiert, so erheben sich andererseits grundsätzliche Bedenken gegen eine diesbezügliche Allegorese. Auch in den anderen Cassiciacum-Dialogen erscheinen häufig meteorologische Angaben,2 ohne dass diese eine – wie auch immer geartete – höhere Deutungsebene insinuieren würden. Warum sollte man singulär für De ordine einen Interpretationsansatz postulieren, der in den Parallelschriften erhebliche Schwierigkeiten bereitet? 1–3 invitavit caeli nitor … in pratum descendere: Vgl. die ähnliche Formulierung in c. acad. 2,11,25: ad pratum processimus. Nam invitabat caeli nimia serenitas. – Die Wiese ist grundsätzlich der bevorzugte Ort für Gespräche bei gutem Wetter: c. acad. 2,6,14; 3,1,1; beat. vit. 4,23. – Das pratum liegt offensichtlich tiefer als die zum Gehöft gehörenden Gebäude. Um den Weg dorthin zu beschreiben, werden nämlich auch an anderer Stelle Komposita mit dem Präfix -de verwendet: deambulare (c. acad. 2,4,10), descendere (c. acad. 3,1,1; beat. vit. 4,23). Völlig ausgeschlossen ist allerdings nicht, wie schon Fuhrer (Contra Academicos, S. 141 f) bemerkt, dass Augustin aufgrund ciceronischen Vorbildes stilisiert; siehe Tusc. 3,7: in Academiam nostram descendimus; 4,7: in inferiorem ambulationem descendimus; vgl. auch ibid. 2,9. 2 quantum in illis locis hieme poterat: Aus dem Imperfekt und dem Demonstrativpronomen ille, welches bekanntlich auf (örtlich wie zeitlich) ferner Liegendes verweist, darf nicht geschlossen werden, dass Augustin die Endredaktion seines Werkes erst nach seinem Cassiciacum-Aufenthalt vorgenommen habe.
1 Vgl. für den ersten Tag ord. 1,8,25, Z. 59 (caelo tristi). Der zweite Tag muss ebenfalls trüb und / oder regnerisch gewesen sein, denn wiederum sucht man zum Philosophieren das Badehaus auf, nicht die unter freiem Himmel gelegene Wiese; vgl. supra zu 1,9,27, Z. 1 (ad solitum locum). 2 Vgl. die direkten, manchmal auch indirekten Angaben zur jeweiligen Witterung in c. acad. 1,6,16; 2,4,10; 2,11,25; 3,1,1 (diesmal trübes Wetter bei einer „erhellenden“ peroratio Augustins!); beat. vit. 1,6; 3,17; 4,23. Siehe hierzu Casati, ambiente, S. 507 f.
2. Hauptteil: 2,1,1
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Dem widersprächen die Angaben im Proömium.3 Vielmehr handelt es sich hier um den (besonders aus Cicero vertrauten) klassisch-urbanen Briefstil, wonach sich der Absender – seinen eigenen Standpunkt transzendierend – in die spätere Situation des Adressaten versetzt. 3 familiarius: Vgl. 1,8,25, Z. 60 (familiaris fuit) über das Badehaus als die Alternative bei schlechtem Wetter. 4 ingenium: Augustin ist Pädagoge und urteilt außerordentlich gern und häufig über die geistige Anlage und Begabung seiner Schüler und Mitmenschen, meist um ihnen – wie hier seiner Mutter – großes Lob zu spenden: ord. 1,2,4 (Lob an Zenobius: mihi notum est i n g e n i u m tuum); 1,3,6; 1,7,20 (an Licentius: laudans i n g e n i u m eius; i n g e n i i tui quaedam scintillae); c. acad. 1,1,1; 2,1,2; 2,3,8 (an Romanianus); beat. vit. 1,1; 1,4 f (an Theodorus); conf. 6,7,11 (an Alypius); 9,6,16 (an Adeodatus: i n g e n i o praeveniebat multos graves et doctos viros … horrori mihi erat illud i n g e n i u m ); ord. 1,9,27 (an seine gebildeten Freunde insgesamt: quorum semper admiror i n g e n i u m ). 4 ingenium atque in res divinas inflammatum animum: Vgl. die ähnliche Wort- und Gedankenverbindung bei Cicero, rep. 6,18 (bzgl. gelehrter Philosophen): praestantibus ingeniis … divina studia coluerunt. 5 in quadam disputatione: Gemeint ist der „Geburtstagsdialog“ De beata vita, der allerdings nicht nur die natali meo (Z. 6) stattfand, sondern genau genommen an drei aufeinander folgenden Tagen (siehe dazu supra zu 1,7,20, Z. 39);4 präziser in dieser Hinsicht retr. 1,2,1: [Liber] ortus est diei natalis mei et tridui disputatione conpletus. – Für die hier erwähnte geistige Begabung der Mutter (Z. 7: tanta mens), die damals besonders zu Tage getreten sei, vgl. u. a. und besonders beat. vit. 2,10. 6 in libellum contuli: Vgl. zur speziellen Junktur supra zu 1,8,26, Z. 80 f. 7 verae philosophiae: Der Ausdruck „wahre Philosophie“ mit seiner impliziten Abgrenzung gegen andere Philosophenschulen ist bereits bei Platon nachweisbar;5 siehe z. B. rep. 7,521 c: . Die strenge Blickrichtung auf das ideelle, wahre Sein legitimiert eine diesbezügliche geistige Beschäftigung und verleiht einer solchen Philosophie, die ihren Blick „nach oben“ zu richten vermag, ihr besonderes Güte- und Wahrheitsprädikat. Das Urteil Platons – gerichtet gegen alle materialistischen Systeme – ist von sei3 Vgl. besonders 1,2,4, Z. 10 f: … qualemque vitam nos vivamus, carissimi tui, et quem fructum de liberali otio carpamus, hi te libri satis, ut opinor, edocebunt. 4 Eine ähnliche Konzentration der drei Gesprächstage auf den einen Geburtstag wird auch in ord. 2,7,20 vorgenommen (Z. 10): in sermone illo, quem die natali tuo iucundissimum habuimus. Dazu W. Hübner, ordo, S. 26 f, der für ein solches Vorgehen weitere Parallelen aus der Literatur verzeichnet. 5 Vgl. Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 451, mit Bezug auf: P. Courcelle, Verissima, S. 655 mit Anm. 14; ders., Connais-toi, S. 709 mit Anm. 453; M. Kranz, Art. „Philosophie“, in: HWPh 7, 1989, S. 577–581.
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II. Kommentar
nen Nachfolgern übernommen worden.6 Andererseits wird insbesondere in der griechischen, aber auch der lateinischen Kirchenvätertradition mit der „wahren Philosophie“ die spezifisch christliche Glaubenslehre bezeichnet,7 sodass sich die Frage stellt, was Augustin an dieser Stelle unter einer vera philosophia genau versteht. – In der Literatur werden die verschiedenen Möglichkeiten diskutiert: Für eine Identifizierung der augustinischen vera philosophia mit der christlichen Lehre spricht sich vor allem R. Holte (Béatitude, S. 97–109) aus.8 Die neuplatonische Philosophie als Bezugsgröße vermuten insbesondere C. Boyer (formation, S. 89 f und 167 f; verité, S. 31) sowie O. du Roy (L’intelligence, S. 117).9 Dass Augustin unter der „wahren Philosophie“ eine Synthese von Platonismus und Christentum verstanden habe, meinen vermittelnd G. Madec (Philosophia christiana, S. 589; Philosophie, S. 631; Plato, S. 234 f; Christus, S. 854; Patrie, S. 54), B. R. Voss (Dialog, S. 204; Academicis, Sp. 48), P. Hadot (Patristique, S. 294 f) sowie G. J. P. O’Daly (Cassiciacum, Sp. 775). Die Frage nach dem Inhalt der vera philosophia kann nur durch eine systematische Analyse der übrigen relevanten Textbelege entschieden werden. In dem vor seiner Taufe (Ostern 387) verfassten Schrifttum Augustins kommen im Wesentlichen die folgenden Stellen in Betracht: a) c. acad. 3,17,3810: Augustin referiert, dass Zenon von Kition, der Begründer der Stoa, seine philosophischen Anregungen bei den Platonikern erhalten habe und besonders von der dort vorherrschenden psychologischen Ausrichtung inspiriert gewesen sei. Dieser habe die ursprüngliche vera philosophia (i. e. die platonische Lehre über die unsterbliche und immaterielle ) jedoch insofern korrumpiert, dass er der Seele sowohl Sterblichkeit als auch Körperhaftigkeit zugesprochen habe. b) c. acad. 3,19,4211: Die verissima philosophia wird von Augustin als eine Synthese von peripatetischer und platonischer Philosophie dargestellt, die sich „im Verlauf vieler Jahrhunderte und vieler Auseinandersetzungen“ gleichsam „he6
Belegstellen aus Cicero, Porphyrius (u. a.) bei Fuhrer, ebd. Vgl. z. B. Clem. Alex. paedag. 2,11,117,4; strom.1,18,90,1; Lact. opif. 20,1 (verae philosophiae doctrina); Aug. c. Iulian. 4,14,72 (philosophia … nostra Christiana, quae una est vera philosophia); c. Iulian. op. imperf. 2,166. Dazu bes. L. Honnefelder, Christliche Theologie als „wahre Philosophie“, in: C. Colpe et al. (Hrsg.), Spätantike und Christentum, Berlin 1992, S. 55–75 (dort weiterführende Literaturhinweise). 8 Siehe auch E. König, philosophus, S. 141; G. J. P. O’Daly, Philosophy, S. 5, Anm. 21; J. M. Rist, Augustine, S. 62. 9 Vgl. auch M. A. Smalbrugge, argumentation, S. 48 f; W. Theiler, Porphyrios, S. 1; ders., Forschungen, S. 160; F. E. Van Fleteren, Authority, S. 44 f; M. Cutino, Dialoghi, S. 49 f. 10 Z. 46–53: Quam ob rem cum Zeno sua quadam de mundo et maxime de anima, propter quam v e r a p h i l o s o p h i a vigilat, sententia delectaretur dicens eam esse mortalem nec quicquam esse praeter hunc sensibilem mundum nihilque in eo agi nisi corpore – nam et deum ipsum ignem putabat – prudentissime atque utilissime mihi videtur Arcesilas, cum illud late serperet malum, occultasse penitus Academiae sententiam et quasi aurum inveniendum quandoque posteris obruisse. 11 Z. 5–10: non defuerunt acutissimi et sollertissimi viri, qui docerent disputationibus suis Aristotelem ac Platonem ita sibi concinere, ut imperitis minusque attentis dissentire videantur, multis quidem saeculis multisque contentionibus, sed tamen eliquata est, ut opinor, una v e r i s s i m a e p h i l o s o p h i a e dis7
2. Hauptteil: 2,1,1
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rausdestilliert“ habe. Diese ist – wie aus dem Kontext zweifelsfrei erhellt – die neuplatonische Lehre, die Philosophie einer „nur dem Geiste zugänglichen Welt“, die den heiligen christlichen Lehren, den sacra nostra, keinesfalls widerspreche (aber auch nicht mit ihnen identisch ist; Vf.12). c) Ord. 2,5,1613: Völlig eindeutig bezeichnet die vera et germana philosophia auch hier die neuplatonische Philosophie. Der Bezug auf die plotinische DreiHypostasen-Lehre (principium sine principio; intellectus; quidve inde manaverit) ist offensichtlich.14 Ausdrücklich wird die Widerspruchsfreiheit im Hinblick auf die christlichen „ehrwürdigen heiligen Lehren“ (veneranda mysteria) herausgestellt; eine Identifikation von Christentum und Philosophie wird jedoch wiederum vermieden. d) Epistula 215: Die vera et divina philosophia warnt, so Augustinus, vor der Liebe zu allem sinnlich Wahrnehmbaren und Vergänglichen und richtet sich dezidiert gegen den philosophischen Materialismus. Nichts deutet in diesem Zusammenhang auf traditionell christliches Gedankengut, verarbeitet sind die bekannten, der (neu)platonischen Denk- und Vorstellungswelt entspringenden Forderungen. e) c. acad. 1,1,316: Diejenige Philosopie, die die Wahrheit lehrt (vere docet), habe Augustin selbst vom (materialistischen, substanzhaften) Aberglauben der Manichäer befreit und lehre, all jenes, was mit „sterblichen Augen“ wahrgenommen werden könne, nicht zu verehren, sondern sogar zu verachten. Auch in diesem Falle spielt Augustin, wie man aus seiner Biographie weiß, insbesondere und vor allem auf die neuplatonische Philosophie an.17 Dass Augustin an späteren Stellen eine eindeutige und klare Identifikation der vera philosophia mit der christlichen Lehre vornimmt,18 darf nicht dazu verleiten, ciplina. Non enim est ista huius mundi philosophia, quam sacra nostra meritissime detestantur, sed alterius intelligibilis. 12 Vgl. hierzu in der Argumentation überzeugend: Th. Fuhrer, contra Academicos, S. 453; gegen Voss, Frühdialoge, S. 351, Anm. 56, für den in dem Ausdruck der verissimae philosophiae disciplina eine „auf dem gedanklichen Gerüst des Neuplatonismus beruhende christliche Philosophie, … das heißt ein mit der christlichen Lehre in Einklang gebrachter und entsprechend modifizierter Platonismus“ vorliegt. 13 Z. 31–34: … nullumque aliud habet negotium, quae v e r a e t , ut ita dicam, g e r m a n a p h i l o s o p h i a est, quam ut doceat, quod sit omnium rerum principium sine principio quantusque in eo maneat intellectus quidve inde in nostram salutem sine ullam degeneratione manaverit. 14 Vgl. E. Mühlenberg, Ordnung, S. 364, Anm. 13. 15 S. 3, Z. 16–21: horum (sc. das Materielle) itaque amorem perniciosissimum poenarumque plenissimum v e r a e t d i v i n a p h i l o s o p h i a monet frenare atque sopire, ut se toto animus, etiam dum hoc corpus agit, in ea, quae semper eiusdem modi sunt neque peregrino pulchro placent, feratur atque aestuet. 16 Z. 72–77: Ipsa (sc. p h i l o s o p h i a ) me nunc in otio, quod vehementer optavimus, nutrit ac fovit, ipsa me penitus ab illa superstitione, in quam te mecum praecipitem dederam, liberavit. Ipsa enim docet et v e r e docet nihil omnino colendum esse totumque contemni oportere, quicquid mortalibus oculis cernitur, quicquid ullus sensus attingit. 17 Gleichwohl ist die Affinität zum christlichen Glauben nirgends so eng wie hier: Diese Art von Philosopie verspreche nämlich, „den wahrhaftigsten und verborgensten Gott“ (verissimum et secretissimum deum; Z. 77 f) zu zeigen. 18 Zum Beispiel c. Iulian. 4,14,72: philosophia … nostra Christiana, quae una est vera philosophia. Vgl. auch c. Iulian. op. imperf. 2,166.
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II. Kommentar
eine solche bereits in die Frühschriften hineinzutragen. Seine Haltung zur Philosophie hat sich bis dahin grundsätzlich verändert; unter der „Philosophie dieser Welt“ versteht er nicht mehr nur die materialistischen Systeme, sondern überhaupt jede nicht-christliche, heidnische Philosophie. So wird beispielsweise in civ. 10,32 p. 455,18–20 der porphyrianischen Philosophie der Ehrentitel verissima dezidiert entzogen. In Cassiciacum dagegen versteht Augustin, wie die Beispiele zeigen, unter der „wahren Philosophie“ noch eindeutig die für seine eigene geistige Entwicklung so emminent wichtige neuplatonische Gedanken- und Ideenwelt. 8 cum abundaret otio: Das Argument, dass die Mutter freie Zeit im Überfluss habe und es sich daher anbiete, sie an der Diskussion teilnehmen zu lassen, ist ein weiterer Mosaikstein in Augustins Apologetik. Man spürt förmlich, dass er sich dreht und wendet in seinem Unbehagen und sich trotz aller Rechtfertigung keineswegs sicher ist, wie die ungewohnte Verfahrensweise bei seinen Lesern wohl ankommen werde. Vgl. dazu supra zu 1,11,31, Z. 3 f. 8 f in primo etiam huius operis libro: Siehe ord. 1,11,31 f. 9 abs te: Gemeint ist natürlich Zenobius19 als formeller Adressat der Schrift De ordine. 2,1,2: Das Gute benötigt keine Ordnung 10 Cum igitur memorato in loco, ut commode potuimus, consedissemus, ego illis
duobus adulescentibus: Quamvis vobis, inquam, suscensuerim pueriliter de magnis rebus agentibus, tamen mihi videtur non sine ordine propitio deo accidisse, quod in sermone, quo vos ab ista levitate detrahebam, tempus ita consumptum est, ut res tanta ad Alypii adventum dilata videatur. Quapropter quoniam ei iam quaestionem 15 notissimam feci et quantum in ea processerimus ostendi, paratusne es, Licenti, causam, quam suscepisti, ex illa tua definitione defendere? Nam meminisse me arbitror te ordinem esse dixisse, per quem deus ageret omnia. – Paratus sum, inquit, quantum valeo. – Quomodo ergo, inquam, agit ordine omnia deus? itane, ut etiam se ordine agat? an praeter eum ordine ab eo cetera gubernantur? – Ubi omnia bona sunt, 20 inquit, ordo non est. Est enim summa aequalitas, quae ordinem nihil desiderat. – Negas, inquam, apud deum omnia bona esse? – Non nego, inquit. – Conficitur, inquam, neque deum neque illa, quae apud deum sunt, ordine administrari. – Concedebat. – Numquidnam, inquam, omnia bona nihil tibi videntur esse? – Immo, ait, ipsa vere sunt. – Ubi ergo est, inquam, illud tuum, quod dixisti, omnia quae sunt 25 ordine administrari nihilque omnino esse, quod ab ordine separatum sit? – Sed sunt, inquit, etiam mala, per quae factum est, ut et bona ordo concludat; nam sola bona non ordine reguntur sed simul bona et mala. Cum autem dicimus: ‚omnia quae sunt‘, non sola utique bona dicimus. Ex quo fit, ut omnia simul, quae deus administrat, ordine administrentur.
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Zu dessen Person vgl. die Ausführungen supra zu 1,7,20, Z. 47 f.49.50.51.53 f.58 f.
2. Hauptteil: 2,1,2
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11 pueriliter: Bezug auf 1,10,29, wo den beiden Schülern Licentius und Trygetius ein Streit „nach Art von Kindern“ (Z. 22: puerorum more) bescheinigt wird. Vgl. auch das von Augustin gerügte Verhalten seiner ehemaligen pueri in der schola (1,10,30, Z. 44 ff). 12 videtur non sine ordine … accidisse: Die Allgegenwart der göttlichen Ordnung – auch und gerade in scheinbar zufälligen und alltäglichen Geschehnissen – betont Augustin sehr häufig; vgl. supra zu 1,3,6, Z. 9; 1,8,21, Z. 2; 1,8,26, Z. 78. Auch einem zunächst negativ zu wertenden Ereignis (Streit der beiden Jünglinge) kann ein dahinterstehender höherer Sinn abgewonnen werden. Auf diese Weise gelingt es Augustin immer wieder, eine geschickte Verknüpfung zwischen äußerer Szenerie und gedanklichem Inhalt der Schrift herzustellen. 13 in sermone, quo vos ab ista levitate detrahebam: Siehe Augustins „Moralpredigt“ in 1,10,29 f; dort hatte er angesichts der Eitelkeiten seiner Schüler die traurige und ernste Lage der menschlichen Seele betont. – Das Imperfekt detrahebam kann (mit Mühlenberg, S. 277) als imperfectum de conatu aufgefasst werden. 14 ad Alypii adventum: Siehe 2,1,1, Z. 1 (Interpositis … pauculis diebus venit Alypius); auf den Angaben zur Anwesenheit des Alypius beruht wesentlich die Chronologie der augustinischen Frühdialoge: siehe supra zu 1,3,7, Z. 20 f. 17 ordinem esse …, per quem deus ageret omnia: Rückbezug auf die Definition des Licentius aus 1,10,28, Z. 10: Ordo est, … per quem aguntur omnia, quae deus constituit. 17 Paratus sum: Vgl. c. acad. 2,7,19 (adsum); soliloq. 2,2,2 (istic sum); ibid. 2,5,7 (en adsum). 18 f itane, ut etiam se ordine agat? Wiederholung der Fragestellung aus 1,10,29, welche dort noch nicht abschließend geklärt werden konnte.20 Das Kardinalproblem lautet noch immer: Steht Gott innerhalb oder außerhalb des Wirkungsbereichs der Ordnung? 19 f Ubi omnia bona sunt, … ordo non est: Licentius führt einen Gedanken ein, der aus den Traktaten des Plotin geläufig ist: wo alles gleichermaßen gut ist, wird keine Ordnung benötigt; Ordnung setzt immer die Vielfalt und Unterschiedlichkeit voraus (siehe z. B. Enn. 3,2,1 f; 3,2,11 f; 3,3,7).21 In der plotinischen oberen, geistigen Welt herrscht die vollkommene Gleichheit, alle Teile ( ) ) in vollendeter Harmonie so sehr stimmen mit dem Ganzen ( überein, dass sie selbst das Ganze repräsentieren und von diesem keinesfalls verschieden sind. Auch existiert in der Welt des Geistes keine Veränderung: Da das
20 Die Aufspaltung des Gottesbegriffs in Gott-Vater (= außerhalb der Ordnung) und GottSohn (= innerhalb der Ordnung) konnte zumindest Trygetius nicht recht überzeugen (§ 29, Z. 15 ff). Wie Augustin selbst zur „christologischen Lösung“ des Licentius steht, wird dort eigentümlich offen gelassen. 21 Vgl. bereits Licentius in ord. 1,7,19, Z. 33: Aut quae distinctio, si bona sunt omnia?
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II. Kommentar
Gute immer gut bleibt, kann ein Weltplan ( ), eine Vorsehung ( ) oder eben eine Ordnung ( ) in keiner Weise greifen.22 20 summa aequalitas: In späteren Schriften wird die „höchste Gleichheit“, das Kennzeichen der zweiten plotinischen Hypostase, von Augustin auf die zweite trinitarische Person bezogen;23 hier, an dieser frühen Stelle, ist eine Identifizierung wohl noch nicht angedeutet, ansonsten widerspräche Licentius dezidiert seiner eigenen Aussage, dass Christus der Ordnung unterworfen sei (siehe 1,10,29, Z. 12–15). 21 f Conficitur … neque deum neque illa, quae apud deum sunt, ordine administrari: Dass Gott mit seinem eigenen Bereiche außerhalb und oberhalb der Ordnung stehe, wird im Einklang mit plotinischen Vorstellungen formuliert.24 „Nur die Welt der Erfahrung fällt unter den Ordnungsbegriff “ (Keseling, Weltregiment, S. 235, mit Hinweis auf Enn. 1,2,1; 3,2,1 ff). Der ontologische Dualismus der platonischen Tradition gilt als das Bezugssystem, innerhalb dessen auch das Verhältnis von Gottes- und Ordnungsbegriff definiert wird. 23 f Immo, ait, ipsa vere sunt: Von der Welt des Guten gilt das Sein in seinem vollen Sinne, die wandelbaren Gegenstände der Sinnen- und Erfahrungswelt besitzen lediglich ein abgeleitetes Sein, gewissermaßen ein „Sein zweiter Klasse“; vgl. soliloq. 1,1,2 (deus, per quem omnia, quae per se non essent, tendunt esse); epist. 4,2; immort. 17; vera relig. 169. Zur grundsätzlichen Korrelation von Sein und GutSein vgl. vera relig. 94 (ipsum enim quantumcumque esse bonum est) sowie lib. arb. 3,70 (Considera igitur, quantum potes, quam magnum bonum sit esse). 24 f illud tuum, quod dixisti, omnia quae sunt ordine administrari: Augustin erinnert Licentius an dessen mehrfach geäußerten Satz, dass die Ordnung allumfassend sei (siehe 1,3,8: praeter ordinem nihil mihi fieri videtur; 1,6,15: nihil autem esse praeter ordinem video; 1,10,28: ordo est, … per quem aguntur omnia). Wie könne demnach widerspruchsfrei behauptet werden, das Gute sei aus der Ordnung ausgeschlossen (vgl. Z. 21–23)? 27 simul bona et mala: Dass die Ordnung sowohl das Gute als auch das Übel enthalte, ist eine bereits in 1,7,18 geäußerte Grundannahme des Licentius. Schon im dortigen Zusammenhang wurden die mala als notwendig erklärt, um überhaupt von einer Ordnung sprechen zu können (vgl. Z. 23 f: … ut mala etiam esse necesse sit). Ein ähnlicher Gedankengang auch hier: Nur weil neben dem Guten, welches an sich keiner Ordnung bedürfe, auch gleichzeitig (simul) das Schlechte existiere, sei die Ordnung gleichsam notwendig und aus demselben Grunde allumfassend (vgl. Z. 28 f). – Licentius vertritt hier, wie schon im ersten Buche, 22
Besonders klar formuliert in 3,3,7, Z. 5–7: Vgl.
ebenso 3,2,12, Z. 4–7: . Siehe insbesondere die triadischen Formeln in mus. 6,17,56–58; vgl. auch vera relig. 232 f. Dazu Trelenberg, Einheit, S. 20 f und S. 120–128. 24 Anders R. Radice, Ordine, S. 592. 23
2. Hauptteil: 2,1,3
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einen sog. „antithetischen“ Ordnungsbegriff 25, wie er – als stoisches Erbe – auch bei Plotin zu finden ist.26 Kennzeichnend ist hier die relative Eigenständigkeit des Übels, scheinbar gleichberechtigt neben dem Guten. Schon wenig später, besonders klar im 2. Buche von De moribus und in De vera religione,27 tritt bei Augustin der sog. „hierarchische“ Ordnungsbegriff in den Vordergrund. Das malum verliert seine Eigenständigkeit und wird – in vielfacher gradueller Abstufung – als Defektivität bzw. Privation des Guten begriffen. Auf einer daraus entstehenden differenzierten Werteskala wiederum beruht eine universale Seinsordnung, nach der das summum bonum (= Gott) zuoberst anzusiedeln ist, alle anderen abgeleiteten bona je nach Grade ihrer Teilhabe an diesem entweder einen höheren oder auch niedrigeren Rang einnehmen. Eine solche hierarchisch aufgebaute Stufenontologie entwickelt Augustin in De ordine erst in seiner oratio perpetua in der Beschreibung seiner Bildungsordnung. Dass sein Unterredner Licentius hier noch mit einem sehr statischen Begriff des Übels operiert (vgl. Z. 25 f: s u n t etiam mala; Z. 27 f: ‚omnia quae s u n t ‘, non sola utique bona dicimus), könnte Anlass für die rückblickende Einschätzung der retractationes sein, das Thema habe die Auffassungsgabe seiner Schüler wohl doch überstiegen.28 28 Ex quo fit: Typische Einleitung für den Schlusssatz (conclusio) eines Syllogismus; vgl. Menge, Syntax, § 527 (S. 351). 2,1,3: Unveränderlichkeit im göttlichen Bereich 30 Cui ego: Quae administrantur et aguntur, videntur tibi moveri an immobilia putas
esse? – Ista, inquit, quae in hoc mundo fiunt, fateor moveri. – Reliqua, inquam, negas? – Quae sunt cum deo, inquit, non moventur; reliqua omnia moveri arbitror. – Cum igitur ea, quae cum deo sunt, inquam, non moveri putas, cetera autem concedis moveri, ostendis omnia, quae moventur, non esse cum deo. – Repete hoc 35 ipsum, inquit, paulo planius. – Quod non mihi visus est difficultate intellegendi fieri voluisse, sed quaerendi spatium, quo inveniret quid responderet. – Dixisti, inquam, ea quae cum deo sunt non moveri, cetera autem moveri. Si ergo haec, quae moventur, non moverentur, si essent cum deo, quoniam omnia, quae sunt cum deo, negas moveri, restat, ut praeter deum sint quae moventur. – Quibus dictis adhuc tacebat, 40 cum tandem: Videtur mihi, inquit, quod et in hoc mundo si qua non moventur, cum deo sunt. – Nihil hoc ad me, inquam; fateris enim, ut opinor, non omnia, quae in hoc mundo sunt, non moveri. Ex quo conficitur non omnia mundi huius esse cum 25
Zur Terminologie siehe 1,7,18, Z. 24 f: ex antithetis, ex contrariis. Vgl. insbes. Enn. III 2 und III 3 ( ' und '). 27 Datierung nach A. Mutzenbecher (CChr 57, 1984, S. XVII) für mor.: 387/88–389; für vera relig.: 390. 28 In retr. 1,3,1 wird als Thema der Schrift explizit die Frage angegeben, „ob die Ordnung … alles Gute und Schlechte umfasse“ (… utrum omnia bona et mala … ordo contineat). Genau dieser „Gegenstand“ (res) aber sei für seine Gesprächspartner offenbar zu anspruchsvoll gewesen, sodass er sich entschloss, selbst über die „Studienordnung“ (ordo studendi) zu sprechen, in welcher ein Fortschritt „vom Körperlichen zum Unkörperlichen“ (a corporalibus ad incorporalia), also gewissermaßen ein „Aufstieg“ im hierarchischen Sinne, vollzogen werden konnte. 26
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II. Kommentar
deo. – Fateor, inquit, non omnia. – Ergo est aliquid sine deo? – Non, inquit. – Cum deo sunt igitur omnia. – Hic cunctabundus: Quaeso, inquit, illud non dixerim, quod 45 sine deo nihil sit; nam prorsus omnia, quae moventur, non mihi videntur esse cum deo. – Sine deo est, inquam, igitur caelum hoc, quod moveri nemo ambigit. – Non est, inquit, sine deo caelum. – Ergo est aliquid cum deo, quod moveatur? – Non possum, inquit, ut volo, explicare quod sentio: tamen quid moliar dicere, peto, ut, non expectatis verbis meis, sagacissime, si potestis, intellegatis. Nam et sine deo mihi 50 nihil videtur esse et, quod cum deo est, rursum videtur inconcussum manere; caelum autem dicere sine deo esse non possum, non solum quod nihil sine deo esse arbitror sed quod caelum putem habere aliquid, quod non movetur, quod vero aut deus est aut cum deo, quamvis ipsum caelum non dubitem verti ac moveri.
30 f moveri an immobilia … esse: Die Begriffe „Bewegung“ bzw. „Unbeweglichkeit“ sind nicht primär im physikalisch-technischen Sinne zu verstehen, sondern stehen im Sprachgebrauch der antiken Philosophie in einem sehr allgemeinen Sinne für „Veränderlichkeit“ bzw. „Unveränderlichkeit“. 32 Quae sunt cum deo … non moventur: Der Topos der Unveränderlichkeit Gottes ist in der allgemein-philosophischen Tradition weit verbreitet; zu Grunde liegt das kaum je widersprochene Axiom der Prävalenz des „Seins“ vor dem „Werden“.29 Besonders stark betont wird die Unveränderlichkeit des göttlichen Bereichs im Neuplatonismus.30 Das plotinische Eine ( ) ist im höchsten Grade selbstgenügsam ( ); da es von äußeren Einflüssen nicht affiziert werden kann, ruht es gewissermaßen in sich selbst; seine innere Regungslosigkeit ist das grundlegende Unterscheidungsmerkmal in Bezug auf die nächsttiefere Hypostase, nämlich den denkenden – d. h. sich bewegenden – Geist ( ). In dieser Absolutheit, die dem höchsten Göttlichen in letzter Konsequenz sogar das Denken abspricht, sieht Augustin den christlichen Gottesbegriff nicht.31 Gleichwohl teilt er die Grundannahme der göttlichen Unveränderlichkeit als den prinzipiellen Unterschied zu aller wandelbaren Kreatur (vgl. besonders klar: epist. 18; vgl. auch vera relig. 147–157). 34 f Repete hoc ipsum … paulo planius: Auch in c. acad. 2,7,16 und ord. 2,7,21 bittet Licentius um eine Wiederholung der Frage. Augustin kommentiert dieses Anliegen jeweils, denn als der erfahrene Lehrer32 kennt er selbstverständlich den dahinter stehenden Grund: Einmal möchte der Schüler noch einmal die 29 Siehe hierzu M. Capec, Change, in: Encyclopedia of Philosophy, Bd. 2, 1967, S. 75–79, bes. S. 76. 30 Vgl. Plotin, Enn. 3,2,4; 5,1,6; Porphyrios, Aph. 44. 31 Vgl. hierzu grundlegend: W. Maas, Unveränderlichkeit Gottes. Zum Verhältnis von griechisch-philosophischer und christlicher Gotteslehre, München-Paderborn-Wien 1974. Speziell zum augustinischen Gottesbegriff: R. J. Teske, Divine Immutability in Saint Augustine, in: Modern Schoolman 63 (1986), S. 233–249. 32 Augustin sieht sich gern in der Rolle des allzeit souverän auftretenden, die Gedanken und Absichten der Schüler stets durchschauenden Lehrmeisters; an seiner inneren (i. e. auf intellektueller Überlegenheit beruhenden) wie äußeren Autorität lässt er keinen Zweifel; latente Kritik seitens der Schüler – wie etwa in ord. 1,3,8 – ist selten.
2. Hauptteil: 2,1,3
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genaue Formulierung hören, das andere Mal ist er schlichtweg unaufmerksam, an unserer Stelle soll lediglich Zeit für das Nachdenken (quaerendi spatium; Z. 36) gewonnen werden. 40 et in hoc mundo: Licentius durchbricht, durchaus im augustinischen Sinne, die strikte Trennung zwischen Immanenz und Transzendenz, indem er die diesseitige Welt (hic mundus), zumindest Teile derselben als „mit Gott verbunden“ erklärt. Im Hintergrund steht neuplatonisches Denken, welches den tradierten Zwei-Welten-Dualismus (Unterscheidung zwischen dem und dem ) in vielfacher Weise in ein übergeordnetes organisches Gesamtsystem eingebettet wissen will. Die „Verbindung“ bzw. „Durchlässigkeit“ der beiden Welten ist einerseits durch die Seinsmitteilung „von oben“ (sog. „ontologischer Abstieg“), andererseits durch die positiv beurteilten Möglichkeiten der geistig-rationalen Erkenntnis (sog. „gnoseologischer Aufstieg“) gleichsam garantiert. Das zweite Buch von De ordine ist vor allem an Letzterem interessiert (vgl. den ascensus der menschlichen ratio in 2,12,35 ff). 42 hoc: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 43 f sine deo … Cum deo: Zur Antonymie von sine und cum vgl. Cicero, de orat. 2,340; 2,346; fin. 2,20. 46 caelum hoc, quod moveri nemo ambigit: Vorausgesetzt ist selbstverständlich wie in der gesamten griechisch-römischen Antike das geozentrische Weltbild mit der Drehung des Himmels um die Erde; vgl. z. B. Ennius, Ann. 211; Cicero, nat. deor. 2,97 f; Vergil, Aen. 2,250; Minucius Felix, Oct. 7,3; Lactantius, Epit. 26. 46 f Non est … sine deo caelum: Zum Himmel als der „Manifestation des Göttlichen“ (Mühlenberg, Ordnung, S. 363, Anm. 4) vgl. bereits Platon, Nom. 966 d; Ennius, scen. 345; Cicero, Tusc. 1,63; nat. deor. 2,4; 2,97. – Die letzte Stelle ist besonders bemerkenswert: Zunächst ist eine sprachliche Reminiszenz an ord. 2,1,3 (s. u. zu Z. 53) nicht zu übersehen, sodann erscheinen bei Cicero im Zusammenhang mit der (vom Stoiker Balbus) propagierten Göttlichkeit der Himmelsumdrehung bestimmte Schlüsselworte, die auch in De ordine eine zentrale Rolle einnehmen. So werden genau berechnete Ordnungen (ordines) der Gestirne erwähnt, die keinesfalls zufällig (casu) ihre Bewegungen (motus) vollzögen und daher sichtbar und für jeden erkennbar auf eine inhärente göttliche Vernunft (divina ratio) hinwiesen. 52 quod caelum putem habere aliquid, quod non movetur: Doignon (BAug 4/2, S. 171, Anm. 13) weist darauf hin, dass nach den Vorstellungen der platonisch-stoischen Kosmologie die (Fix-)Sterne an einem in Bewegung befindlichen Himmel befestigt seien (vgl. Cicero, Tim. 36; Tusc. 5,69). Allerdings ist schwer vorstellbar, dass Licentius bzw. Augustin als Christ in Erwägung ziehen könnte, diese in concreto als göttlich zu bezeichnen (siehe Z. 52 f: quod vero aut deus est aut cum deo). In einem weiteren Sinne kann der „Himmel“ jedoch durchaus – auch im christlichen Sinne – für das Göttliche bzw. die jenseitige Welt (als Gegensatz zu hic mundus; siehe Z. 40 und 42) stehen.
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II. Kommentar
53 quamvis ipsum caelum non dubitem verti ac moveri: Siehe die sprachliche Nähe zu Cicero, nat. deor. 2,97: An, cum machinatione quadam m o v e r i aliquid videmus ut sphaeram, ut horas, ut alia permulta, n o n d u b i t a m u s, quin illa opera sint rationis, cum autem impetum c a e l i cum admirabili celeritate m o v e r i v e r t i q u e videamus …, d u b i t a m u s, quin ea non solum ratione fiant, sed etiam excellenti divinaque ratione? 2,2,4: Bei Gott ist, was Gott erkennt 1 Defini ergo, inquam, si placet, quid sit esse cum deo et quid sit non esse sine deo. Si
enim de verbis inter nos controversia est, facile contemnetur, dummodo rem ipsam, quam concepisti mente, videamus. – Odi ego, inquit, definire. – Quid ergo faciemus? inquam. – Tu, inquit, defini quaeso. Nam facilius est mihi videre in alterius 5 definitione, quid non probem, quam quicquam bene definiendo explicare. – Geram tibi morem, inquam. Videtur tibi id esse cum deo, quod ab eo regitur atque administratur? – Non, ait ille, hoc animo conceperam, cum dicebam ea quae non moventur esse cum deo. – Vide ergo, inquam, utrum haec tibi saltem definitio placeat: cum deo est quidquid intellegit deum. – Concedo, inquit. – Quid ergo? inquam; sapiens 10 deum tibi intellegere non videtur? – Videtur, inquit. – Cum ergo sapientes non solum in una domo aut urbe sed etiam per inmensa regionum peregrinando navigandoque moveantur, quomodo erit verum quidquid cum deo est non moveri? – Risum mihi, inquit, movisti, quasi ego quod sapiens facit dixerim esse cum deo. Cum deo est, sed illud quod novit. – Non novit, inquam, sapiens codicem suum pallium tuni15 cam supellectilem, si quam habet, ceteraque id genus, quae stulti etiam bene noverunt? – Fateor, inquit, nosse tunicam et nosse pallium non esse cum deo.
1 Defini ergo … quid sit esse cum deo et quid sit non esse sine deo: Auf den ersten Blick scheint nach derselben Sache gefragt zu sein (esse cum deo = non esse sine deo), doch in beat. vit. 3,21 unterscheidet Monnica scharf zwischen „Gott haben“ und „nicht ohne Gott sein“ (Z. 94 f): Aliud est, inquit mater, deum habere, aliud non esse sine deo. Derjenige, der ein gutes Leben führe, habe Gott; wer Gott zwar suche, aber noch nicht gefunden habe, sei „nicht ohne Gott“ (non … sine deo; Z. 100). Die Ansicht der Mutter findet bei allen Gesprächsteilnehmern Anklang (Z. 101) und es ist anzunehmen, dass Augustin auch hier von Licentius eine zweiteilige Definition erwartet. 1–3 Si enim de verbis inter nos controversia est, facile contemnetur, dummodo rem ipsam, quam concepisti mente, videamus: Der Verweis auf den Vorrang der Sache (res) vor den Worten (verba) ist ein beliebter Topos in der Dialogliteratur; vgl. Gunermann, Sprache, S. 216–219. Insbesondere bei Cicero wird der negativ besetzte „Streit um Worte“ bzw. die „Wortklauberei“33 33 Cicero benutzt für den „Wortstreit“ keine standardisierte Formulierung, sondern ist im Ausdruck variabel; die spezielle augustinische Wendung controversia de verbis begegnet bei ihm nicht, dagegen ähnliche Umschreibungen wie controversia verbi (verborum), discordia verborum, controversia nominum, controversia de nomine, verborum dissensio, verbis dissidere (u. a.).
2. Hauptteil: 2,2,4
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an vielen Stellen thematisiert, sei es um bestimmte philosophische Richtungen zu diffamieren (vgl. de orat. 1,47), die inhaltliche Übereinstimmung hinter den äußeren Wortgefechten abzuschätzen (Tusc. 5,120; leg. 1,54 f; fin. 2,38; 3,41), den Inhalt der zu behandelnden Thematik aufzuwerten (nat. deor. 1,1634) oder dezidiert zur begrifflichen Klarheit der Aussagen zu ermahnen (fin. 4,57). Für Augustin vgl. noch c. acad. 2,10,24 (mit Bezug auf Cicero, de orat. 1,47): Itaque ne longius abeamus, videamus quaeso prius, ne per hanc quaestionem, in qua successisse videor his, qui tibi cesserunt, in verbi controversiam dedicamus; ibid.: non est ista … verborum, sed rerum ipsarum magna controversia; ibid. 3,11,24: Si autem hoc, quod mihi videtur, negas mundum esse, de nomine controversia facis, cum id a me dixerim mundum vocari. – Für die Geringschätzung (contemnere) der Worte im Falle der Übereinstimmung in der Sache siehe auch ord. 2,7,21, Z. 13: Nam ubi res convenit, quis non verba contemnat? 3 Odi ego, inquit, definire: Die Charakterisierung des Licentius durch Augustin ist konsequent: vgl. die Parallele in ord. 1,10,28 zur ausgeprägten Scheu, ja sogar Angst seines Schülers vor einer von ihm geforderten Begriffsbestimmung. 5 f Geram tibi morem: „Ich will dir den Gefallen tun.“ Beliebte Wendung in den philosophischen Dialogen Ciceros, mit welcher ein Dialogpartner einen von ihm erbetenen (kürzeren oder längeren) Gesprächsbeitrag einzuleiten pflegt; vgl. z. B. nat. deor. 2,3 (Geram tibi morem); rep. 3,8 (geram morem vobis); Tusc. 1,17 (geram tibi morem);35 siehe bei Augustin: c. acad. 3,7,15; 15,33; soliloq. 1,15,27; quant. anim. 25,47; 26,51; mus. 4,4,5; mor. eccl. 2,3. 7 ait ille: Die Interpunktion nach ait bei Green offensichtlich ein Druckfehler; richtig: Non, ait ille … 8 f cum deo est quidquid intellegit deum: Eine erweiterte Erklärung des Ausdrucks „mit Gott zusammen sein“ findet sich in vera relig. 162; zum Erkennen tritt dort noch das Moment der Liebe hinzu. Der „geistliche Mensch“ (homo spiritalis) sei mit Gott zusammen, „wenn er ganz rein erkennt und mit ganzer Liebe das Erkannte liebt“.36 – Vgl. auch div. quaest. 54. 12 f Risum mihi … movisti: Ein lusus verborum aus dem Munde des Licentius, welcher den zentralen Schlüsselbegriff des philosophischen Disputs (movere) in einer Wendung des alltäglichen Sprachgebrauchs (vgl. im Dt.: „zum Lachen reizen“) aufgreift und durch die Verwendung in der vordergründigen Dialogsituation gleichsam karikiert. Vergleichbar ist das Spiel mit dem Begriff mirari auf den unterschiedlichen literarischen Ebenen in 1,3,8, Z. 31 ff. 34 Die Cicero-Stelle (haec enim est non verborum parva, sed rerum permagna dissensio) ist unmittelbares Vorbild für Augustin, c. acad. 2,10,24, Z. 12–14: non … verborum, sed rerum ipsarum magna controversia; siehe hierzu Hagendahl, Latin Classics, S. 96 (test. 206); Fuhrer, Contra Academicos, S. 214 (mit Hinweis auf Platon, rep. 7,533 d 7 – e 1 als inhaltliche Parallele). 35 Weitere Beispiele aus Cicero bei Gunermann, Sprache, S. 201; vgl. auch A. St. Pease, De natura deorum, Bd. 2, S. 543, und Pohlenz, Kommentar, S. 48. 36 Siehe § 162 Beginn: … super omnia est quando cum deo est. Cum illo est autem quando purissime intellegit et tota caritate quod intellegit diligit.
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II. Kommentar
15 id genus: adverbialer Akkusativ (= eius generis); vgl. Menge, Syntax 47 (S. 36); Kühner / Stegmann I § 74 b (S. 306). 16 nosse tunicam et nosse pallium: Der Ausdruck entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wie schon Keseling, Weltregiment, S. 235, bemerkt. Denn „Wissen“ und „Weisheit“ im philosophischen Sinne bezieht sich selbstverständlich nicht auf solche profanen Dinge. Vgl. c. acad. 1,6,20, wo als Objekt einer scientia rerum humanarum auf die Kardinaltugenden (prudentia, temperantia, fortitudo, iustitia) verwiesen wird, die Kenntnis von äußeren Gütern dagegen (fundi, aurum, argentum, …) keineswegs als „Wissen“ im eigentlichen Sinne akzeptiert wird. Der Unterschied liegt in der jeweiligen Wahrnehmungsart: Der äußere Besitz wird sinnlich wahrgenommen, die geistigen Inhalte mit der dem (weisen) Menschen zur Verfügung stehenden Vernunft (vgl. ord. 2,2,5, Z. 26: Aliud est enim sentire, aliud nosse). 2,2,5: Sinnliche Wahrnehmung und geistige Erkenntnis
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Hoc ergo, inquam, dicis, non omne, quod novit sapiens, esse cum deo, sed tamen quidquid sapientis cum deo est, id nosse sapientem. – Optime, inquit; nam quidquid sensu isto corporis novit, non est cum deo, sed illud, quod animo percipit. Plus etiam fortasse audeo dicere, sed tamen dicam; vobis enim existimatoribus aut confirmer aut discam. Quisquis ea sola novit, quae corporis sensus attingit, non solum cum deo esse non mihi videtur sed ne secum quidem. – Hic cum Trygetium animadvertissem in eo vultu, ut nescio quid velle dicere videretur, sed verecundia eum, ne quasi in alienum locum inrueret, contineri, feci potestatem iam tacente Licentio, ut promeret, si quid vellet. At ille: Ista, inquit, quae ad sensus corporis pertinent, prorsus nemo mihi videtur nosse. Aliud est enim sentire, aliud nosse. Quare si quid novimus, solo intellectu contineri puto et eo solo posse conprehendi. Ex quo fit, ut, si illud est cum deo, quod intellegendo sapiens novit, totum quod novit sapiens possit esse cum deo. – Quod cum Licentius approbasset, subiecit aliud, quod nullo pacto possem contemnere. Ait enim: Sapiens prorsus ipse cum deo est; nam et se ipsum intellegit sapiens. Quod conficitur et ex eo, quod a te accepi, id esse cum deo, quod intellegit deum, et ex eo, quod a nobis dictum est, id esse cum deo, quod a sapiente intellegitur. Sed hanc eius partem, per quam istis utitur sensibus – non enim puto connumerandam esse, cum sapientem vocamus – fateor me nescire nec omnino cuius modi sit suspicari.
18 quidquid sapientis cum deo est: Übersetzung als Interrogativsatz bei Mühlenberg (S. 281) eindeutig verfehlt; richtig z. B. Keseling (S. 149). 22 ne secum quidem: Wer ausschließlich die Sinneswahrnehmung nutzt, ist nach Ansicht des Licentius „nicht einmal bei sich selbst“. Selbsterkenntnis setzt die rein geistige Reflexion voraus, die von äußeren körperlich-materiellen Eindrücken abstrahieren kann. Die Abkehr von all dem, quae sensus corporis attingit (Z. 21; vgl. dieselbe sprachliche Wendung in 1,2,3, Z. 45), ist die unerlässliche Voraussetzung, um zu sich selbst zu finden. Ausführlich wird dieser für die au-
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gustinische Gnoseologie so zentrale Zusammenhang im Proömium (1,1 f,3) dargestellt. Siehe dazu supra zu 1,1,3, Z. 37.38.38 f und 1,2,3, Z. 44 f. 23 f ne quasi in alienum locum inrueret: Trygetius, der insgesamt von Augustin weniger impulsiv als sein Mitschüler Licentius, eher nüchtern und besonnen geschildert wird,37 scheute sich offenbar „gleichsam einen Platz einzunehmen, der ihm nicht zugehörte“ (Mühlenberg, Ordnung, S. 281). Gemeint ist die Tatsache, dass nach Augustins ausdrücklichem Willen Licentius als Unterredner ernannt wurde (vgl. 2,1,2, Z. 15 f: paratusne es, Licenti, causam, quam suscepisti, … defendere?) und Trygetius diesem aus Gründen der Dialogdisziplin nicht ins Wort fallen wollte. Erst als Licentius schweigt (tacente Licentio; Z. 24), erhält er von Augustin die Redevollmacht (potestatem …, ut promeret, si quid vellet; Z. 24 f). Deutlich sieht man Augustins Bemühen, eine gewissermaßen „offizielle“ Gesprächsatmosphäre herzustellen (bzw. nachträglich darzustellen), die sich besonders von dem eher unkonventionellen Nachtgespräch (1,3,6 ff) deutlich abhebt. 25 f Ista, inquit, quae ad sensus corporis pertinent, prorsus nemo mihi videtur nosse: Die sinnliche Wahrnehmung bezieht sich definitionsgemäß auf Gegenstände der sog. „Körperwelt“, die sich, wie man bereits festgestellt hatte (siehe 2,1,3, Z. 30 f), immerfort in Bewegung befinden, d. h. sich als veränderlich und vergänglich erweisen, sich aus demselben Grund mitunter auch der Wahrnehmung entziehen können. Dagegen kann sich ein Wissen (nosse) im eigentlichen Sinne nur auf Objekte beziehen, die in ihrer Existenz unvergänglich und daher dem Geiste immer und zu jeder Zeit zugänglich sind. Vgl. sehr klar ord. 2,14,41, Z. 34 f: Et quoniam illud, quod mens videt, semper est praesens et inmortale adprobatur. Siehe auch immort. 1. Die Vorstellung ist leicht als neuplatonisch zu erweisen; vgl. Enn. 5,5,1; 6,9,3; u. ö.38 26 Aliud est enim sentire, aliud nosse: Deutlicher kann man die Dichotomie der beiden „Erkenntnis“-Akte wohl kaum ausdrücken. Bereits Platon äußert sich unmissverständlich in diesem Sinne; die augustinische Sentenz, die dem Trygetius hier in den Mund gelegt wird, liest sich geradezu als Übersetzung der Feststellung des Theaitetos: „Es hat sich nun mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß Wissen etwas anderes ist als Wahrnehmung“ (Theait. 186 d; vgl. c. acad. 3,26,37; soliloq. 1,3,8 f; epist. 2; immort. 17; quant. anim. 29; lib. arb. 2,20; civ. 8,7; retr. 1,14,3). 27 intellectu: Mehrfach ist versucht worden, eine inhaltliche Abgrenzung des intellectus im Hinblick auf die „Konkurrenzbegriffe“ der ratio und der mens vorzunehmen; allerdings sind die Ergebnisse, wie bereits Th. Fuhrer (Contra Academicos, S. 362, Anm. 42) eindrücklich vermittelt, alles andere als einheitlich. Das 37 Vgl. insbesondere die Charakterzeichnung bei A. Mandouze, Prosopographie, S. 1117– 1119; dazu A. Dyroff, Form, S. 19 f, sowie M. P. Steppat, Schola, S. 7 f. 38 Ob sich die Ansicht, es könne in der sinnlichen Welt – dem – kein Wissen erworben werden, bereits auf Platon selbst zurückführen lässt, ist in der Forschung umstritten; vgl. A. Graeser, Platons Auffassung von Wissen und Meinung in Politeia V, in: Philosophisches Jahrbuch 98, 1991, S. 365–388, bes. S. 366, Anm. 5 f; dens., Interpretationen, S. 83 ff und S. 259 f.
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II. Kommentar
Spektrum der divergenten Auffassungen gliedert sich wie folgt: a) der intellectus ist eine Teil- und Unterfunktion der mens und höher anzusiedeln als die ratio (R. Jolivet, illumination, S. 205–208; E. Gilson, Introduction, S. 56 f, Anm. 1); b) der intellectus ist eine Teil- und Unterfunktion der mens und entspricht in Teilbereichen der ratio (Nash, mind, S. 63–66); c) intellectus und ratio werden in ihrer Funktion der geistigen Erkenntnisvermittlung weitgehend synonym verwendet (L. J. Van der Linden, Ratio, S. 30 f); d) die mens ist innerhalb der anima für die Wahrnehmung zuständig und damit der ratio und dem intellectus als Träger der geistigen Erkenntnis untergeordnet (J. J. O’Meara, Studies, S. 141–144); e) ratio und mens stehen gleichermaßen für die höchste Stufe der Seele (W. Thimme, Entwicklung, S. 141, Anm. 1; E. König, Philosophus, S. 69 f); f) ratio und intellectus dienen vielfach als Chiffre für die zweite Person der Trinität (O. du Roy, L’intelligence, S. 130–148). 30 f Sapiens prorsus ipse cum deo est; nam et se ipsum intellegit sapiens: Eine originelle Schlussfolgerung des Licentius; da die geistigen Inhalte (die sog. intellegibilia), die der Weise erkennt, sich bei Gott befinden (vgl. Z. 28), befindet sich der zur Selbsterkenntnis fähige Weise ebenfalls bei Gott. Er ist Subjekt und Objekt seiner Erkenntnis zugleich und zählt somit selbst zu den intellegibilia der gleichsam höheren Welt. – Gleichwohl wird im Folgenden eine Einschränkung gemacht: Nicht der Weise insgesamt sei gemeint, sondern nur dasjenige, was ihn als Weisen ausmacht und von anderen unterscheidet. Dass der Körper des Weisen nicht zur Ideenwelt gehört, ist selbstverständlich und bedarf kaum der Erwähnung (vgl. 2,2,6, Z. 39 f); doch selbst der „untere“ Teil seiner Seele, welcher für die Sinneswahrnehmung zuständig ist (hanc eius partem, per quam istis utitur sensibus; Z. 33), ist nicht das, was den Weisen ureigentlich auszeichnet. Also bleibt nur – Augustin überlässt diese Schlussfolgerung dem Leser – der „obere“ Teil der Seele übrig, d. h. der erwähnte intellectus (Z. 27), durch welchen der Weise im gnoseologischen, aber auch existenziellen Sinne das Hier und Jetzt überschreitet und in eine andere, nämlich die geistig-transzendente Welt „bei Gott“ zu gelangen vermag. 31 quod a te accepi: Bezug auf 2,2,4, Z. 8 f (cum deo est quidquid intellegit deum). 32 quod a nobis dictum est: Bezug auf 2,2,5, Z. 27–29. 33 hanc eius partem, per quam istis utitur sensibus: Die Dichotomie der Seele in einen der sinnlichen Wahrnehmung zugewandten und einen auf die höheren geistigen Erkenntnisinhalte gerichteten Teil ist ein immer wieder vorkommender Grundansatz der augustinischen Psychologie. Vgl. hierzu und zur Terminologie des niederen wie höheren Seelenbezirks: c. acad. 1,2,5 (mens und ratio sind als Teil des animus das Beste im Menschen); ord. 2,11,34; soliloq. 2,3,3 f (intellectus als höherer Teil der anima); epist. 3,4; divers. quaest. 7; lib. arb. 2,34 (der untere Seelenteil wird in Unterscheidung von den „körperlichen Sinnen“ als sensus interior bezeichnet); gen. c. Man. 2,10 f.15.18.
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2,2,6: Das Gedächtnis als „Sklave“ des Weisen
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Negas ergo, inquam, non solum ex corpore et anima sed etiam ex anima tota constare sapientem, si quidem partem istam, qua utitur sensibus, animae esse negare dementis est. Non enim ipsi oculi vel aures sed nescio quid aliud per oculos sentit. Ipsum autem sentire si non damus intellectui, non damus alicui parti animae. Restat, ut corpori tribuatur, quo absurdius dici nihil interim mihi videtur. – Anima, inquit, sapientis perpurgata virtutibus et iam cohaerens deo sapientis etiam nomine digna est nec quicquam eius aliud delectat appellare sapientem; sed tamen quasi quaedam, ut ita dicam, sordes atque exuviae, quibus se ille mundavit et quasi subtraxit in se ipsum, ei animae serviunt vel, si tota haec anima dicenda est, ei certe parti animae serviunt atque subiectae sunt, quam solam sapientem nominari decet. In qua parte subiecta etiam ipsam memoriam puto habitare. Utitur ergo hac sapiens quasi servo, ut haec ei iubeat easque iam domito atque substrato metas legis inponat, ut dum istis sensibus utitur propter illa, quae iam non sapienti sed sibi sunt necessaria, non se audeat extollere nec superbire domino nec his ipsis, quae ad se pertinent, passim atque immoderate uti. Ad illam enim vilissimam partem possunt ea pertinere, quae praetereunt. Quibus autem est memoria necessaria nisi praetereuntibus et quasi fugientibus rebus? Ille igitur sapiens amplectitur deum eoque perfruitur, qui semper manet nec expectatur, ut sit, nec metuitur, ne desit, sed eo ipso, quo vere est, semper est praesens. Curat autem immobilis et in se manens servi sui quodam modo peculium, ut eo tamquam frugi et diligens famulus bene utatur parceque custodiat.
36 f ex corpore et anima … constare: Analog zum kosmologischen Dualismus der Platoniker (körperhafte Immanenz vs. immateriell-geistige Transzendenz) vertritt Augustin in der Regel eine Dichotomie des individuellen Menschen.39 Diese grundsätzliche Unterscheidung wird an keiner Stelle aufgehoben oder in Frage gestellt. Jedoch kann er bisweilen eine zusätzliche Differenzierung der „unkörperlichen Komponente“ im Sinne der plotinischen Hypostasenlehre, i. e. in Seele ( ) und Geist ( ), vornehmen oder zumindest andeuten, etwa in ord. 2,19,50.40 Auch in den anderen Frühschriften herrscht mitunter Unsicherheit, ob der Körper und die Seele als die einzigen Bestandteile des Menschen angesehen werden dürfen. Vgl. beat. vit. 2,7;41 2,9; soliloq. 1,12,21;42 epist. 3,4. 36 f ex anima tota constare sapientem: Die Übersetzung Mühlenbergs verfälscht den Gedankengang; tota hier rein attributiv, nicht als prädikatives Attribut 39 Vgl. die diesbezügliche Darstellung der peripatetischen und akademischen Anthropologie bei Cicero, fin. 5,34: Atqui perspicuum est hominem e corpore animoque constare, cum primae sint animi partes, secundae corporis. 40 Die Frage, ob die Seele nicht mit der Vernunft identisch sei, wird in signifikanter Weise offen gelassen: si anima non id est, quod ratio … (Z. 24). 41 Z. 12–16: Ergo duo ista, inquam, esse non dubitas, corpus et animam, sed incertus es, utrum sit aliud, quod ad conplendum ac perficiendum hominem valet. – Ita, inquit [sc. Navigius]. – Hoc quale sit, alias, si possumus, quaeremus, inquam. 42 Augustin gibt die dualistische Sicht des Cornelius Celsus wieder und macht durch eingeschobenes inquit sehr deutlich, dass es sich um eine referierte Meinung handele: Nam quoniam duabus, inquit, partibus compositi simus, ex animo scilicet et corpore …
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II. Kommentar
aufzufassen. Vgl. Kühner / Stegmann I § 63 b (S. 236); Menge, Syntax § 21 (S. 15 f). Nicht die Frage, ob der Weise „ganz Seele“ (Mühlenberg, S. 282) sei, steht zur Disposition, sondern ob „die gesamte Seele“ (oder etwa nur eine pars derselben) den Weisen zum Weisen mache. 38 nescio quid aliud per oculos sentit: Die äußeren Sinnesorgane sind lediglich Vermittler von Sinneswahrnehmungen.43 Die Wahrnehmung selbst übernimmt „irgend etwas anderes“. Man könnte an den ominösen sensus interior denken, welcher ausführlich im zweiten Buch von De libero arbitrio (2,25 ff) beschrieben wird. Dieser beurteilt die Sinneseindrücke und gibt seine Ergebnisse an den Geist – dort als ratio bezeichnet – weiter, von welchem er deutlich unterschieden wird. Hier in De ordine scheint Augustin die Sinnesorgane dem Geist (intellectus; Z. 39) noch gleichsam direkt zu unterstellen. Darauf deutet auch die spätere Stelle ord. 2,11,32, wo ebenfalls die Augen und Ohren als die unmittelbaren „Boten“ des Geistes – diesmal mens genannt – fungieren: In utroque autem utitur mens gemino nuntio pro corporis necessitate, uno, qui oculorum est, altero aurium (Z. 26–28). 40 f Anima … sapientis perpurgata virtutibus: Zum unauflöslichen Zusammenhang von ethisch-moralischer „Reinheit“ und Erkenntnis siehe supra zu 1,2,4, Z. 8 (s. v. qua purgatur). Zugrunde liegt die platonische Vorstellung, dass Gleiches nur von Gleichem erkannt werden kann,44 dass die rein geistigen Inhalte der Ideenwelt nur von dem geschaut werden können, der sich selbst vom „Schmutz“ (vgl. sordes; Z. 43) der Körperlichkeit befreit hat.45 41 cohaerens: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 42 nec quicquam eius aliud delectat appellare sapientem: „und nichts anderes an ihr [sc. der Seele] mag man weise nennen“; gegen Mühlenberg und Keseling. Ersterer kehrt den Gedankengang geradezu um (S. 282: „und es erfreut sie nicht, wenn man auch nur einen Teil von ihr anders als weise bezeichnet“), Letzterer (S. 151) bezieht eius auf den Weisen selbst, nicht auf dessen Seele, wie es aber aufgrund der Parallele in Z. 44 f (ei certe partem animae …, quam solam sapientem nominari decet) eindeutig geschehen muss. 43 sordes atque exuviae: „schmutzige Hüllen“ (Keseling); gemeint ist die auf das Körperliche gerichtete sinnliche Wahrnehmung. 43 Augustin findet sich in Übereinstimmung mit der von Cicero (Tusc. 1,46) referierten Ansicht: Nos enim ne nunc quidem oculis cernimus ea quae videmus; neque est enim ullus sensus in corpore … ut facile intellegi possit animum et videre et audire, non eas partis quae quasi fenestrae sint animi … 44 Vgl. divers. quaest. 64,2. 45 Der spätere Augustin entfernt sich mehr und mehr von der (platonischen) Auffassung, der Mensch könne seine „Reinigung“ selbst, etwa durch ein tugendhaftes Leben, vollziehen. Stattdessen wird im Sinne traditioneller christlicher Soteriologie auf die Notwendigkeit einer „Reinigung“ durch Gott bzw. Christus verwiesen (vgl. die diesbezügliche Kritik an Porphyrios in civ. 10,24; dazu Folliet, Deificari, S. 233 f; Pannenberg, Platonrezeption, S. 154 f). Eine ausdrückliche Revision seiner frühen Reinheitsauffassung findet man in Augustins retractationes zu den soliloquia (1,4,2): In his sane libris non adprobo, quod in oratione dixi: ‚Deus, qui nisi mundos verum scire noluisti.‘ Responderi enim potest multos etiam non mundos multa scire vera …
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43 mundavit: Die hiesige Reinigungsmetaphorik (vgl. zu Z. 40 f), verbunden mit der Vorstellung eines „Sich-Entkleidens“ (vgl. Z. 43: exuviae), ist offensichtlich inspiriert durch Plotin, Enn. 1,6,7:
Vgl. dazu J. Pépin, Le symbolisme néoplatonicien de la vêture, in: Augustinus Magister 1, S. 293–306. 44 f ei certe parti animae … subiectae sunt: Von einer Unterordnung niedrigerer „begehrlicher“ Seelenteile unter die Vernunft spricht – ebenfalls unter Verwendung des Partizips subiectus – Cicero in off. 1,102: Relinquunt [sc. appetitus animi] … et abiciunt oboedientiam nec rationi parent, cui sunt subiecti lege naturae. Dazu Gunermann, Sprache, S. 127. 46 memoriam: Die Wirkungsweise des menschlichen Gedächtnisses hat Augustin zeit seines Lebens fasziniert, ihn zu vielen scharfsinnigen Beobachtungen und wahrhaft tiefsinnigen Gedanken angeregt; vgl. neben den hiesigen Ausführungen vor allem soliloq. 2,20,34; mus. 6,8,21 ff; sodann die großen Abhandlungen in conf. 10,8,12 – 26,37 und trin. 10–15. 47 ut haec …: Der ut-Satz nicht stipulativ (vgl. Hensellek, Notabilien, S. 105), sondern als Explikation des uti servo zu verstehen (demnach ut im Sinne von „indem“; „dadurch, dass“; „in der Weise, dass“). 49 superbire domino: Dativ nach superbire in der Prosa ungewöhnlich (vgl. Hensellek, Notabilien, S. 94); stattdessen z. B. in conf. 9,9,19: superbire a d v e r s u s dominos. 51 f Quibus autem est memoria necessaria nisi praetereuntibus et quasi fugientibus rebus? Der betonte Hinweis, dass das Gedächtnis für das Vergängliche zuständig sei, korrespondiert präzise mit der Sichtweise des Plotin (Enn. 4,4,6); vgl. speziell den dortigen Ausdruck: 46
52 sapiens amplectitur deum eoque perfruitur: Der Ausdruck deo perfrui wird auch in ord. 2,7,20 verwendet, wo „an Gott sich freuen“ mit „Gott haben“ ausdrücklich gleichgesetzt wird (Z. 9–11: deum habere … nihil aliud esse quam deo perfrui; vgl. beat. vit. 4,34: deum habere, id est deo perfrui). Nach soliloq. 1,1,3 wiederum bedeutet „Gott haben“ gleichzeitig „Gott schauen“ (deus …, quem videre hoc est quod habere). Bedeutsam ist die augustinische Unterscheidung von uti und frui. Während uti den „Gebrauch“ einer Sache für einen anderen, meist höheren Zweck bezeichnet, bedeutet frui das „Genießen“ dieser Sache um ihrer selbst willen. Siehe hierzu die grundsätzliche Definition von frui in doctr. christ. 1,4: Frui enim est amore alicui rei inhaerere propter se ipsam. Vgl. auch lib. arb. 2,142; conf. 7,17,23; 18,24; 8,5,10; civ. 8,8; 11,25; 15,7. 46 Zur Abhängigkeit Augustins von Plotin in seiner memoria-Lehre: K. Winkler, La théorie augustinienne de la mémoire à son point de départ, bes. S. 513 f; speziell zu ord. 2,2,6: G. J. P. O’Daly, Memory in Plotinus and two early texts of St. Augustine, S. 466 f. 579.
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II. Kommentar
Auch bei Cicero richtet sich das „Genießen“ auf das „höchste Gut“ (summo bono frui als stehende Wendung in fin. 2,88; Tusc. 3,40; u. ö.; bei Augustin z. B. in lib. arb. 2,141; 3,129). Insofern versteht der christliche Philosoph, welcher nunmehr Gott an die Stelle des „höchsten Gutes“ setzt, das frui durchaus im klassischen Sinne. So können auch verschiedene andere, dem summum bonum (bzw. Gott selbst) entsprechende Begriffe als Objekt der fruitio erscheinen. In der trinitarischen Schlussformel von beat. vit. 4,35 erscheint veritate perfrui mit klarem Bezug auf den Gottesbegriff. Siehe ähnlich lib. arb. 2,137; 3,142; daneben auch ratione perfrui (c. acad. 1,8,23); sapientia perfrui (c. acad. 3,9,20); beatitudine perfrui (c. acad. 1,8,23; mor. 3,4; vgl. ord. 1,8,24). 52 f nec expectatur, ut sit, nec metuitur, ne desit: Die Wiedergabe von expectare mit „annehmen“ (Mühlenberg, S. 283) ist eindeutig verfehlt. Die Bedeutung bestimmt sich natürlich aus der Antithese zu metuere: „und weder wird seine Existenz erhofft noch seine Nicht-Existenz befürchtet“. 52 f qui semper manet … vere est: Das wahrhafte und höchste Sein kommt dem zu, „der immer bleibt“. Den unbeständigen und flüchtigen Dingen dagegen eignet lediglich ein zeitliches „Vorhanden-Sein“, ein „Sein“ im engeren ontologischen Sinne wird ihnen von Augustin – nach dem Vorbild vor allem der Neuplatoniker – nicht zugeschrieben. Frühe Parallelstelle ist beat. vit. 2,8: Dort wird alles Vergängliche radikal als „Nichts“ (nihil) bezeichnet (nihil est enim omne, quod fluit, quod solvitur, quod liquescit et quasi semper perit) und das „Sein“ (esse) exklusiv dem Unvergänglichen und Dauerhaften zugesprochen (Est autem aliquid, si manet, si constat, si semper tale est). – Zum allgemein-philosophischen Axiom der Unveränderlichkeit Gottes vgl. supra zu 2,1,3, Z. 43. 54 in se manens: Reminiszenz an Sap. 7,27 b, wie R. Teske (St. Augustine’s Use of „Manens in se“, in: REAug 39, 1993, S. 293) zeigen kann. Für die Vorstellung der in sich selbst ruhenden Geist-Seele ( bzw. ) vgl. auch Plotin, Enn. 4,4,2 und 5,1,4. 2,2,7: Das Gedächtnis als „Sklave“ des Weisen (Forts.) Quam sententiam eius cum admiratione considerans recordatus sum id ipsum aliquando me breviter illo audiente dixisse. Tum arridens: Gratias age, inquam, Licenti, huic servo tuo, qui tibi nisi aliquid de peculio suo ministraret, nunc fortasse quod promeres non haberes. Nam si ad eam partem memoria pertinet, quae se velut fa60 mulam bonae menti regendam concedit, ipsa nunc adiutus es, mihi crede, ut hoc diceres. Ergo antequam ad illum ordinem redeam, nonne tibi videtur vel propter talia, id est propter honestas ac necessarias disciplinas, memoria opus esse sapienti? – Quid, inquit, memoria opus est, cum omnes suas res praesentes habeat ac teneat? Non enim vel in ipso sensu ad id, quod ante oculos nostros est, in auxilium vocamus 65 memoriam. Sapienti igitur ante illos interiores intellectus oculos habenti omnia, id est deum ipsum fixe immobiliterque intuenti, cum quo sunt omnia, quae intellectus videt ac possidet, quid opus est quaeso memoria? Mihi autem ut opus esset ad haec
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quae abs te audieram retinenda, nondum sum illius famuli dominus sed ei modo servio, modo pugno, ut non serviam, et quasi audeo me adserere in libertatem meam, et si forte aliquando impero atque obtemperat mihi facitque saepe putare, quod vicerim, in aliis rursus rebus ita sese erigit, ut eius sub pedibus miser iaceam. Quam ob rem quando de sapiente quaerimus, me nolo nomines. – Nec me, inquam; sed tamen numquidnam sapiens iste suos potest deserere aut ullo pacto, cum hoc corpus agit, in quo istum famulum sua lege devinctum tenet, relinquit officium beneficia tribuendi quibus potest et maxime, quod ab eo vehementissime flagitatur, sapientiam ipsam docendi? Quod cum facit, ut congrue doceat minusque ineptus sit, praeparat saepe aliquid, quod ex dispositione eloquatur ac disputet, quod nisi memoriae commendaverit, pereat necesse est. Ergo aut officia benivolentiae negabis esse sapientis aut confiteberis res aliquas sapientis memoria custodiri. An fortasse aliquid suarum rerum non propter se quidem sed propter suos, sibi tamen necessarium commendat servandum illi famulo, ut ille tamquam sobrius et ex optima domini disciplina non quidem custodiat, nisi quod propter stultos ad sapientiam perducendos sed quod ei tamen ille custodiendum imperarit? – Nec omnino huic, inquit, commendari quicquam arbitror a sapiente, si quidem ille deo semper infixus est sive tacitus sive cum hominibus loquens; sed ille servus iam bene institutus diligenter servat, quod interdum disputanti domino suggerat et ei tamquam iustissimo gratum faciat officium suum, sub cuius se videt potestate vivere, et hoc facit non quasi ratiocinando sed summa illa lege summoque ordine praescribente. – Nihil, inquam, nunc resisto rationibus tuis, ut quod suscepimus potius peragatur. De isto vero diligenter, quem ad modum sese habeat – non enim parva res est aut tam parvo sermone contenta – videbimus alias, cum deus ipse oportunitatem ordine dederit.
56 admiratione: Anders als in 1,3,8, Z. 33 f (siehe supra zur Stelle) wird der Begriff des „Staunens“ hier nicht im pejorativen Sinne verwendet. 56 f id ipsum aliquando me breviter illo audiente dixisse: Dass die tiefsinnigen Aussagen über das Gedächtnis des Weisen, die Unveränderlichkeit Gottes und die perfruitio Dei (vgl. § 6) dem Licentius in den Mund gelegt werden, kann den verständigen Leser nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Gedankengut von Augustin selbst stammt. Nach dem dialogimmanenten „Prinzip der Wirklichkeitsnähe“47 muss der Autor also konstruieren und erklären, wie Licentius in den Besitz dieser „Weisheiten“ gekommen ist. 57 Tum arridens … inquam: Das Lächeln als Abschluss oder Einleitung eines eigenen oder fremden Gesprächsbeitrags dient in der Dialogliteratur wie viele ähnliche „topisch gewordene Urbanitätsformeln“ (Gunermann, Sprache, S. 210) dazu, den freundschaftlichen Charakter der gepflegten philosophischen Disputation zu unterstreichen.48 Zu den zahlreichen Belegen in den augustinischen Cassiciacum-Dialogen vgl. supra zu 1,10,28, Z. 6 (s. v. subridens); dort weitere Literaturhinweise. – Die spezielle Wortverbindung tum arridens … inquit findet sich auch bei Cicero mehrfach; vgl. de orat. 1,134: Tum Crassus arridens … 47
Siehe dazu supra zu 1,5,14, Z. 36 und 1,7,19, Z. 27 f. Vgl. E. Becker, Technik und Szenerie des ciceronischen Dialogs, Diss. Münster 1938 (speziell zum urbanen „Lächeln“: S. 28). 48
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II. Kommentar
inquit; nat. deor. 3,1: tum adridens Cotta … inquit; fin. 1,26: tum Triarius … adridens … inquit. Zu weiteren Wendungen mit adridere bei Cicero: Gunermann, Sprache, S. 210 f. 58 huic servo tuo: Eines der zahllosen Beispiele für die in De ordine so beliebte Verknüpfung von philosophischem Inhalt mit der unmittelbaren Dialogsituation. 58 nisi aliquid: Das betonte aliquid (statt bloßem quid) im hypothetischen Satz steht im qualitativen Sinne (= etwas Wesentliches, Bedeutendes); vgl. Kühner / Stegmann I § 119, Anm. 3 (S. 640). 59 f si ad eam partem memoria pertinet, quae se velut famulam bonae menti regendam concedit: Das „Herrschen“ (regere) des höheren Teils der Seele bzw. des Geistes über den niedrigeren kennt bereits Cicero und benutzt dafür ebenso Ausdrücke wie regere, regnum, regalis und rex. Siehe das Referat der Psychologie Platons49 in rep. 1,60: … et illud vides, si, in animis hominum regale imperium sit, unius fore dominatum, consilii scilicet – ea est enim animi pars optima – … Sub regno igitur tibi esse placet omnis animi partes, et eas regi consilio? Vgl. daneben rep. 3,37.50 In der letztgenannten Stelle erscheint im Übrigen der signifikante, dem „Herrschen“ entgegengesetzte Ausdruck, nämlich famulari. Es ist gut denkbar, dass die von Augustin breit ausgeführte Vorstellung vom Gedächtnis als „Dienerin“ (famula; Z. 59 f) bzw. „Diener“ (famulus; Z. 55.68.74.81) hier ihren Ursprung hat. Allerdings ist zu beachten, dass Augustin das Bild insofern verändert und in gewisser Weise vergröbert, als er in den meisten Fällen die memoria nicht wie hier einem oberen Seelenteil, sondern direkt dem sapiens als Person unterstellt. 60 mihi crede: Häufige Aufforderung in den Cassiciacum-Schriften, besonders in den Proömien; vgl. supra zu 1,2,4, Z. 7. 62 necessarias disciplinas: Dieselbe Junktur wie in c. acad. 2,3,8; sonst wird meist von disciplinae liberales gesprochen (ord. 1,1,3; 1,8,24; 2,9,26; 2,13,38; soliloq. 2,20,35). Die Ausbildung in den necessariae disciplinae ist für Augustin die Voraussetzung für die höhere Philosophie und die höchste Erkenntnis; vgl. für deren propädeutische Funktion ord. 1,1,3; 1,7,20; 1,8,24; 2,5,14 f; 2,16,44; soliloq. 1,13,23; 2,20,35; quant. anim. 15,25; 33,72; mag. 8,21. In dem großen „Wissenschaftsexkurs“ in ord. 2,12,35–2,15,43 legt Augustin die enzyklopädischen Wissenschaften gleichsam kanonisch fest: Dem trivium von Grammatik (§§ 35–37), Dialektik (§ 38) und Rhetorik (§ 38) habe das quadrivium von Musik (§ 39; mit dem Nebenfach der Poetik: §§ 40 f), Geometrie (§ 42), Astrologie / -nomie (§ 42) und Arithmetik (§ 43 f) zu folgen.51
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Bezugsstelle: Platon, Politeia 442 (siehe Gunermann, Sprache, S. 19). Bezug ebenfalls auf Platon: ibid. 435 c. Hierzu H.-I. Marrou, culture, S. 187–193 / Bildung, S. 163–167; R. Lorenz, Wissenschaftslehre, S. 29–60 und 213–251; H. Fuchs, Enkyklios Paideia, S. 391–394; I. Hadot, Arts, S. 101–136; U. Pizzani, L’enciclopedia Agostiniana, S. 331–361; G. Rechenauer, Enkyklios Paideia, S. 1172 f; W. Hübner, artes liberales, S. 317–344. 50 51
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63 cum omnes suas res praesentes habeat ac teneat: Gemeint ist die Schau der Ideen und insbesondere die Gottesschau; denn Gott semper est praesens (siehe ord. 2,2,6, Z. 53 f). 65 interiores intellectus oculos: Vgl. die detaillierte Beschreibung des sensus interior in lib. arb. 2,25 ff. Zu seiner Funktion siehe supra zu 2,2,6, Z. 38. Das Bild der „inneren Augen“ ist in der platonischen Tradition geläufig: vgl. Cicero, nat. deor. 1,19 (oculi animi); Apuleius, De Platone 2,11; 2,22; Plotin, Enn. 1,6,9 ( ). 67 videt ac possidet: „Gott schauen“ und „Gott besitzen“ sind nach soliloq. 1,1,3 dasselbe (vgl. supra zu 2,2,6, Z. 52); dieser enge Zusammenhang hier sprachlich durch ac (oft Synonyme verbindend; vgl. Menge, Syntax, S. 334) unterstützt. Vgl. in demselben Sinne die ausdrückliche Erklärung in Z. 65 f: habenti …, id est deum … intuenti. 67 quid opus est quaeso memoria? Mihi autem ut opus esset …: Die Konjunktion ut hier okkasionell in der Bedeutung von quod (im Sinne von: „was das betrifft, dass / wenn“); vgl. Hensellek, S. 105. 69 pugno, ut non serviam: Vgl. conf. 10,8,12 über die Schwierigkeit gegen das Gedächtnis anzukämpfen, wenn Gedanken unvermittelt auftauchen und sich gegen den eigenen Willen geradezu „aufdrängen“. 71 sese: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 72 quando de sapiente quaerimus, me nolo nomines: Dieselbe bescheidene Zurückhaltung des Licentius wie bei Augustin selbst; vgl. supra zu 1,5,13, Z. 18 f. Die konkrete Formulierung ist wohl eine Reminiszenz an Cicero (ac. 2,66), der bei der Frage nach dem Weisen ebenfalls von sich selbst wegweist: nec tamen ego is sum, qui nihil umquam falsi adprobem, qui numquam adsentiar, qui nihil opiner; sed q u a e r i m u s d e s a p i e n t e . ego vero ipse et magnus quidam sum opinator (non enim sum sapiens) … sed non de me, ut dixi, sed d e s a p i e n t e q u a e r i t u r. 52 Siehe auch ac. 2,115: sed discedamus a nobismet ipsis, d e s a p i e n t e loquamur, de quo, ut saepe iam dixi, omnis haec q u a e s t i o est. Vgl. ähnlich dezidierte Abgrenzungen vom (idealtypischen) Weisen: Cicero, ac. 2,115; Tusc. 4,55; 4,59; 5,107; Seneca, dial. 7,11,1; benef. 2,18,4. 74 relinquit officium: Die eher seltene Junktur auch bei Cicero, Tusc. 2,31, wo ebenfalls vom „Weisen“ gesprochen wird (vgl. Gunermann, Sprache, S. 102). 75 f sapientiam ipsam docendi: Die Verpflichtung des Weisen, andere zu lehren und Verantwortung für seine Mitmenschen zu übernehmen (vgl. Z. 74 f: officium beneficia tribuendi; Z. 78: officia benevolentiae), kommt in den Frühschriften nicht übermäßig häufig zur Sprache (siehe aber implizit soliloq. 2,14,26). Vorherrschend vermittelt Augustin das Idealbild eines Weisen, dessen rationales Erkennt52 Vgl. den expliziten Bezug auf diese Cicero-Stelle bei Augustin in c. acad. 3,14,31: clamat Cicero se ipsum magnum esse opinatorem, sed de sapiente se quaerere. Dazu Fuhrer, Contra Academicos, S. 383.
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II. Kommentar
nisinteresse sich gänzlich und ausschließlich auf „Gott und die Seele“53 richtet, der seinen Blick von der Außenwelt in sein Innerstes zu lenken imstande ist,54 der in mystischer Selbstversunkenheit und glückseliger Schau sich der intelligiblen Wahrheiten zu erfreuen vermag.55 79 confiteberis res aliquas sapientis memoria custodiri: Allein die Frage, ob der sapiens es noch nötig habe, sein Gedächtnis zu gebrauchen, wirft ein Licht auf den Idealbegriff des augustinischen Weisen, welcher der hiesigen Welt vollkommen entrückt und enthoben erscheint. Gleichwohl hält Augustin dieses hohe Ideal grundsätzlich – auch für seine eigene Person56 – für erreichbar. Das Gedächtnis als „Wächter“ auch in ord. 2,19,49, Z. 12 f und c. acad. 2,9,22 (dazu Fuhrer, Contra Academicos, S. 204 f). Vorstellung und Begriffsbildung gehen, wie Gunermann (Sprache, S. 109 f) zeigen kann, auf Cicero zurück, der sie offenbar als Erster verwendet hat; vgl. de orat. 1,18: Quid dicam de thesauro omnium rerum, memoria? Quae nisi custos inventis cogitatisque rebus et verbis adhibeatur, intellegimus omnia … peritura;57 1,127: Satis est … in ceteris artificiis percipiendis tantummodo similem esse hominis et id quod tradatur vel etiam inculcetur, si qui forte sit tardior, posse percipere animo et memoria custodire; Brut. 219: Iam qui hac parte animi, quae custos est ceterarum ingeni partium, tam debilis esset ut ne in scripto quidem meminisset, quid paulo ante posuisset, huic minume mirum est ex tempore dicenti solitam effluere mentem. Vgl. auch Rhet. Her. 3,28: Nunc ad thesaurum inventorum atque omnium partium rhetoricae artis custodem memoriam transeamus. In der augustinischen Gleichsetzung des Gedächtnisses mit einem servus bzw. famulus, der seinem Herrn verantwortlich ist und gleichzeitig als custos (hier: der Gedanken) tätig ist, sieht J. Doignon (BAug 4/2, S. 346) eine gerade Verbindung zur antiken Komödie (bes. Plautus), in denen häufig ein Sklave – als Sachwalter und / oder paedagogus – die Rolle des „Wächters“ bzw. „Aufpassers“ übernehmen muss. 82 propter stultos ad sapientiam perducendos: Auch an dieser Stelle klingt die eigenartige augustinische Auffassung an, dass es zwischen „dumm“ (stultus) und „weise“ (sapiens) kein Mittleres gebe; vgl. zur philosophiegeschichtlichen Herkunft der Vorstellung supra zu 1,5,13, Z. 18 f. 83 f Nec omnino huic, inquit, commendari quicquam arbitror a sapiente: Die auf den ersten Blick seltsam anmutende Überlegung des Licentius, ob der Weise überhaupt etwas seinem Gedächtnis anvertraue, ist nicht so zu verstehen, als benutze dieser sein Gedächtnis nicht. Die Frage richtet sich vielmehr darauf, wie die Gedächtnisinhalte des Weisen entstanden sind. Abgelehnt wird die Vor53
Vgl. soliloq. 1,2,7. Siehe z. B. ord. 1,2,3; vera relig. 202. 55 Siehe vera relig. 182 u. ö. 56 C. Acad. 2,3,9: cum sapiens fuero; 3,20,43: Sed cum tricensimum et tertium aetatis annum agam, non me arbitror desperare debere eam me quandoque adepturum. 57 Die spezielle Junktur von memoria und perire auch bei Augustin an unserer Stelle (siehe Z. 77 f: quod nisi memoriae commendaverit, pereat necesse est); dazu Gunermann, Sprache, S. 52 f. 54
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stellung, sie würden a sapiente (siehe die exponierte Schlussstellung des Ausdrucks) in das Gedächtnis gelangen, etwa durch eigenes „Denken“ oder „Schlussfolgern“ (Z. 87: quasi ratiocinando). Eindeutig steht hier die traditionelle platonische Anamnesis-Lehre58 im Hintergrund, nach der die Seele des Weisen (sc. in der Ideenwelt, vor ihrer Inkarnation in den menschlichen Körper) die intelligiblen Wahrheiten bereits geschaut habe, dieselben also lediglich „wiedererinnern“ müsse.59 Da dieses Wissen a priori und gewissermaßen „immer schon“ der Seele des Weisen inhäriert, kann es demnach nicht „von außen“ – etwa durch Vermittlung der Sinneswahrnehmung – in die Seele gelangen und auch nicht in irgendeiner Weise vom Menschen selbst – d. h. durch logisch-rationale Abstraktion – geschaffen werden. 87 sub cuius se videt potestate vivere: „unter dessen Herrschaft er, wie er sieht, lebt“; Auslassung in der Übersetzung Keselings; die Übertragung bei Perl – wie so häufig – völlig verunglückt: „der ihm in solcher Güte sein Leben schenkt“60. 88 summa illa lege summoque ordine praescribente: Zu Recht bemerkt Keseling (Weltregiment, S. 236) zu § 7: „Am Schlusse wird im Gegensatz zur plotinischen Auffassung Gottes Aktivität scharf unterstrichen“. Denn summa lex und summus ordo sind hier fraglos als funktionelle Synonyme des Gottesbegriffes zu verstehen (vgl. ord. 1,8,25, Z. 76 ff; 2,18,47, Z. 6).61 Das Gedächtnis des Weisen, welches seinem „Herrn“ (Z. 86: domino62) zuarbeitet und ihm seine Dienste leistet, hat sein Wissen nicht durch eigenes Schlussfolgern (Z. 87: non quasi ratiocinando) erworben, sondern hält sich getreu an das, was ihm durch Gottes Hilfe „vorgezeichnet“ und „vor Augen gestellt“ wurde (praescribere in diesem mehr wörtlichen Sinne, weniger metaphorisch als „befehlen“ zu verstehen). 90 non enim parva res est: Die Ausführungen des Licentius werden von Augustin als bedeutend herausgestellt63 und tatsächlich tut man sich schwer, all 58 Zur Rezeption der platonischen Anamnesis-Lehre beim frühen Augustin, ihren spezifischen psychologischen Voraussetzungen und der relativ schnellen Verdrängung durch die sog. Illuminations- bzw. Irradationstheorie siehe als Überblick: Trelenberg, Einheit, S. 87 f, Anm. 73. 59 Vgl. als die „klassische Stelle“: Platon, Menon 81 b ff. 60 Man fragt sich bisweilen, welchen lateinischen Text Perl vor sich hat, ob er überhaupt aus dem Lateinischen übersetzt; in allen drei [sic!] Textausgaben, die er als Vorlage nennt (S. 87: Migne 1861 f; Erasmus 1556; Œuvres complètes 1870), ist nicht annähernd zu finden, was der o. g. deutschen Übertragung entsprechen könnte. Nicht wenig überrascht ist der Leser, wenn ihm dennoch versichert wird, dass „die wörtliche Wiedergabe zum obersten Grundsatz für diese Übertragung wurde“ (ibid.). 61 Die Terminologie ist stoisch; zum Ausdruck summa lex vgl. Cicero, fin. 4,11: … cuius [Bezug: deus] ad naturam apta ratio vera illa et summa lex a philosophis dicitur. Siehe noch Tusc. 4,53 und besonders leg. 2,11, wo auch die Apotheose des „höchsten Gesetzes“ bereits deutlich ausgesprochen ist: Ergo ut illa divina mens summa lex est … 62 Der dominus in Z. 86 (vgl. Z. 68 und Z. 81) ist nicht etwa der höhere „Vernunftteil der Seele“, wie Gunermann (Sprache, S. 30) meint, sondern der sapiens selbst. Insofern passen auch die aus Cicero beigebrachten Parallelen (rep. 3,37; Tusc. 2,48) nur bedingt. 63 Zur Betonung der Ernsthaftigkeit und Bedeutung des Themas vgl. sprachlich nahezu identisch ord. 1,9,27, Z. 3: nec enim parva res agitur.
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II. Kommentar
dieses – besonders die tiefsinnigen Anspielungen auf die Anamnesis-Lehre – als ureigenes Gedankengut des Schülers zu akzeptieren. Zumindest ist hier – wie an anderen Stellen auch – mit einer starken inhaltlichen wie sprachlichen Stilisierung durch den Autor selbst zu rechnen; vgl. ähnlich – und noch deutlicher! – supra zu 1,7,17, Z. 8. 2,3,8: Befindet sich die Torheit bei Gott? 1 Definitum est autem, quid sit esse cum deo, et cum a me dictum est id esse cum
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deo, quod intellegit deum, vos etiam plus adiecistis, ut ibi sint etiam illa, quae intelleguntur a sapiente. Qua in re multum me movet, quomodo subito cum deo stultitiam collocaveritis. Nam si cum deo sunt, quaecumque intellegit sapiens, nec nisi intellectam stultitiam effugere potest, erit etiam, quod dictu nefas est, pestis illa cum deo. – Qua conclusione commoti cum in silentio se aliquantum tenuissent: Respondeat, inquit Trygetius, etiam ille, de cuius adventu ad istam disputationem oportunissimo non nos puto temere gratulatos. – Tum Alypius: Deus meliora! inquit; hucine mihi tandem tantum meum silentium parabatur? Sed inrupta iam quies est. Verum nunc enitar huic utcumque rogationi satisfacere, cum mihi prius vel futurum prospexero et a vobis impetravero, ut a me amplius ista responsione nihil flagitetis. – Nullo modo, inquam, est, Alypi, benevolentiae atque humanitatis tuae vocem tuam sermoni nostro etiam desideratam negare. Sed perge modo, quod instituisti effice; cetera, ut iam sese habet ordo ille, provenient. – Aeque mihi de ordine, inquit, sunt speranda meliora, in cuius adsertione interim me substituere voluistis. Sed, ni fallor, ob hoc stultitiam deo ista tua conclusione ab his copulatam putasti, quod universa, quae intellegit sapiens, cum deo esse dixerunt. Sed id quatenus accipiendum sit, nunc omitto; tuam illam ratiocinationem paululum adverte. Dixisti quippe: ‚Nam si cum deo sunt, quaecumque intellegit sapiens, nec nisi intellectam stultitiam effugere potest‘ – quasi vero illud obscurum sit, antequam stultitiam quisque vitet, sapientis eum nomine non esse censendum – et dictum est a sapiente intellecta esse cum deo: cum igitur evitandae stultitiae gratia eandem stultitiam quisque intellegit, nondum est sapiens. Cum autem fuerit, non inter ea, quae ille intellegit, stultitia numeranda est. Quam ob rem quoniam ea coniuncta sunt deo, quae iam sapiens intellegit, recte a deo stultitia secernetur.
1 f id esse cum deo, quod intellegit deum: Was Gott erkennt, ist mit Gott verbunden. Rückgriff auf die von Augustin formulierte und von Licentius ausdrücklich approbierte Definition in 2,2,4, Z. 8 f: cum deo est quidquid intellegit deum. 2 f ibi sint etiam illa, quae intelleguntur a sapiente: Auch die Erkenntnisinhalte des Weisen befinden sich bei Gott. Insbesondere Licentius hatte auf diesen Zusatz insistiert; vgl. 2,2,4, Z. 13 f: Cum deo est, sed illud quod novit. 5 quod dictu nefas est: Ablehnung von (zunächst) plausibel erscheinenden und (formal) in Erwägung zu ziehenden Schlussfolgerungen aufgrund von religiös-dogmatischen Bedenken auch in ord. 1,1,1, Z. 13 (utrumque impium, sed magis posterius); 1,7,17, Z. 6 f (Quid enim potuit dici magis impium quam etiam mala ordine contineri?); 1,10,29, Z. 18 f (… cum ei respondere periculosum videretur).
2. Hauptteil: 2,3,8
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5 pestis illa (sc. stultitia): Auch Cicero bezeichnet bestimmte Negativbegriffe als pestis des Menschen; so die voluptas corporis (Cato 39), die cupiditas (Lael. 34) oder die adulatio, blanditia und adsentatio (ibid. 91).64 6 cum in silentio se aliquantum tenuissent: Zur Funktion der Schweigenotizen in De ordine und ihrem Vorkommen in der voraugustinischen Dialogliteratur vgl. supra zu 1,6,16, Z. 15 und 1,10,28, Z. 8. 7 de cuius adventu: Die Zuteilung der Gesprächsrolle an Alypius ist – ein Hinweis auf Stilisierung durch den Redaktor! – in c. acad. 2,8,20 sehr ähnlich inszeniert: En habes Alypium, cuius adventus nobis quaeso feriae dederit. Auch Cicero bedient sich dieser dramaturgischen Technik, neue Gesprächsteilnehmer durch deren „Ankunft“ zu integrieren, an mehreren Stellen. Besonders interessant ist de orat. 2,12: Quod ubi audivit, commotus65 Crassus surrexit omnesque admirati maiorem aliquam esse causam eorum adventus suspicati sunt. – Zu Abwesenheit und Rückkehr des Alypius und die daraus zu gewinnenden Kriterien für die Chronologie der Cassiciacum-Schriften vgl. supra zu 1,3,7, Z. 20 f. 8 Deus meliora: Ausruf der Alltagssprache (etwa: „Gott steh mir bei!“ oder „Gott bewahre!“); vgl. Plautus, Bacchides 626; Casina 913; Pseudolus 315. 12 est … humanitatis tuae: Gunermann bezeichnet das Kompliment an den Gesprächspartner treffend als „Topos der Urbanität“ (Sprache, S. 201) und verweist auf die ciceronische Tradition. Lael. 8: Quaerunt quidem … multi, sed ego id respondeo quod animum adverti, te dolorem quem acceperis cum summi viri tum amicissimi morte, ferre moderate nec potuisse non commoveri nec f u i s s e i d h u m a n i t a t i s t u a e . Vgl. de orat. 1,32: Quid e s s e potest in otio aut iucundius aut magis proprium h u m a n i t a t i s quam sermo facetus …; Manil. 18: E s t igitur h u m a n i t a t i s v e s t r a e …; siehe dieselben Floskeln – prädikativ gebrauchter Genitiv von humanitas mit esse – auch innerhalb des Briefcorpus: Att. 3,18,2; 13,23,3; 16,16C,10; 16,11,1; ad Q. fr. 1,1,27. 17 f id quatenus accipiendum sit, nunc omitto: „Wieweit man das als richtig anerkennen muß, lasse ich jetzt auf sich beruhen“ (Keseling); gegen Hensellek (Notabilien, S. 108), der quatenus als „wie“ im Sinne von quomodo verstehen will66 und dementsprechend accipere mit „verstehen“ wiedergibt (= „wie das zu verstehen ist“). In diesem Falle würde Alypius aber die Schlussfolgerung des Augustinus, nämlich dass die Dummheit bei Gott sei (Z. 3–6; 15–17), grundsätzlich akzeptieren und lediglich um die Art und Weise des rechten Verständnisses ringen. Tatsächlich aber soll die praeteritio des Alypius verdeutlichen, dass der Schluss des Augustinus zwar nicht gebilligt wird, aber zunächst auf eine andere Inkonzinnität in der augustinischen Aussage eingegangen werden soll. Die grundsätzliche Widerlegung der genannten conclusio findet dann in der Tat später 64
Dazu Gunermann, Sprache, S. 39. Vgl. das augustinische commoti in Z. 6! 66 Diese Bedeutung hat tatsächlich quatenus eindeutig in gest. Pelag. 70,1: quaeritur, quatenus sit definiendus haereticus. 65
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II. Kommentar
statt, durch Trygetius und Augustinus selbst (mit Hilfe des plausiblen FinsternisVergleiches in § 10). 18–20 ‚Nam si cum deo sunt … [etc.]‘: Alypius vermag wortwörtlich die beiden Prämissen (propositio maior und minor) des augustinischen Syllogismus (Z. 4–6) zu zitieren, sodass das augustinische Lob, er habe scharfsinnig wie gewöhnlich geantwortet (§ 9, Z. 26: Acute …, ut soles, … respondisti), dem Leser durchaus berechtigt erscheint. 22 intellegit: Mühlenberg übersetzt sehr richtig konativ mit „erkennen will“; vgl. Kühner / Stegmann I § 31,8 (S. 120).67 Der komplizierte, zum Teil umständlich formulierte Gedankengang des Alypius tritt auf diese Weise ein wenig deutlicher hervor: Wer mit dem Ziel, die stulitia zu vermeiden, diese erst noch erkennen will und muss (d. h. der Prozess des Erkennens ist noch nicht abgeschlossen!), kann „noch nicht“ (vgl.: nondum) als weise bezeichnet werden. 2,3,9: Erkennt der Weise die Torheit?
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Acute quidem, inquam, ut soles, Alypi, respondisti, sed tamquam in alienas trusus angustias. Tamen quia, ut arbitror, adhuc mecum stultus esse dignaris, quid faciemus, si aliquem nanciscamur sapientem, qui nos tanto malo docendo ac disputando libenter liberet? Nam nihil eum prius, quantum arbitror, deprecaturus sum, nisi ut mihi ostendat, quae sit, quid sit, qualis sit omnino stultitia. De te enim non facile adfirmaverim; me tamen tantum et tam diu detinet, quantum et quamdiu a me non intellegitur. Dicturus est ergo ille te auctore: ‚ut hoc vos docerem, quando stultus eram, ad me venire debuistis; modo autem vos vestri magistri esse poteritis; nam ego iam stultitiam non intellego‘. Quod quidem ab eo si audirem, non vererer ammonere hominem, ut comes nobis fieret, simulque magistrum alium quaereremus. Ut enim plene stultitiam non intellego, video tamen nihil responsione hac esse stultius. Sed pudebit eum fortasse ita nos aut relinquere aut sequi. Disputabit ergo et exaggerabit copiosissime stultitiae mala. Nos autem bene nobis providentes aut audiemus attente hominem nescientem, quae loquatur, aut credemus eum id, quod non intellegit, scire aut adhuc deo susceptorum tuorum ratione stultitia copulata est. Nihil autem superiorum est, quod video posse defendi: restat igitur, quod non vultis, extremum. – Numquam te, inquit, invidum senseram. Nam si ab istis, ut dicis, susceptis quicquam honorarii, ut solet, accepissem, dum ratiocinationis huius nimium tenax es, id eis modo reddere cogerer. Quare vel hoc contenti sint, quod me tecum laborante non parum eis ad excogitandum temporis dedi, vel, si victi patroni nulla quidem sua culpa consilio libenter auscultant, et in hoc iam tibi cedant et sint in ceteris cautiores.
67 § 31,8: „Auch eine solche Handlung wird oft, der Aktionsart des Tempus entsprechend, durch das Praesens ausgedrückt, welche zwar noch nicht zu Ende geführt, aber doch begonnen oder in der Ausführung begriffen ist. Im Deutschen übersetzt man solche Praesentia gemeiniglich durch eine Umschreibung mit ‚ich will, beabsichtige, schicke mich an‘ …“.
2. Hauptteil: 2,3,9
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26 Acute …, ut soles, … respondisti: Der Scharfsinn des Alypius, der ihn zu einem gefürchteten Diskussionsgegner macht, wird auch in c. acad. 2,8,20 betont: Alypium …, quem te iam dudum non frustra formidare arbitramur. 26 f in alienas trusus angustias: Die gesperrte Wortstellung (Hyperbaton) vermag den Inhalt abzubilden; Alypius ist in die „fremde Enge“ gleichsam „hineingestoßen“ und dort gewissermaßen „eingesperrt“. – Augustin will andeuten, dass Alypius zwar eine scharfsinnige Beobachtung geäußert, aber den Kerngedanken noch nicht getroffen habe. Die schlagkräftige Widerlegung des Satzes, dass die Torheit cum deo sei, stehe noch aus. – Gunermann (Sprache, S. 24–26) verweist darauf, dass metaphorisch verwendetes angustiae (im Sinne von res difficiles, arduae) wahrscheinlich erst bei Cicero bzw. in ciceronischer Zeit üblich gewesen sei. Vgl. fin. 2,28; 4,68; Quinct. 19; ac. 2,112. Siehe hierzu die Parallelen bei Augustin: ord. 2,7,22, Z. 47; beat. vit. 1,3, Z. 52 f. 27 adhuc mecum stultus esse dignaris: Zur Selbsteinschätzung Augustins in Bezug auf den Besitz der Weisheit sowie zur latenten Prämisse, dass es zwischen der sapientia und der stultitia kein Mittleres gebe, siehe supra zu 1,5,13, Z. 18 f. 28 tanto malo: ablativus separativus bei liberare und nicht Teil einer Gerundivkonstruktion in Verbindung mit docendo ac disputando; Letzteres wäre grammatikalisch möglich, aber inhaltlich wenig wahrscheinlich, da der Weise die Dummheit – siehe Z. 33 f – nicht erkennt und darum auch nicht lehren kann. 29 libenter liberet: Einer von mehreren lusus verborum mit gehäuft auftretender Alliteration in kurzer Folge (vgl. Z. 26 f: alienas … angustias; Z. 28: docendo ac disputando; Z. 30: quae sit, quid sit, qualis sit; Z. 31: tamen tantum et tam; Z. 31: quantum et quamdiu); die delectatio des Lesers wird in diesem Abschnitt, der auch des Witzigen nicht entbehrt, groß geschrieben. 30 quae sit, quid sit, qualis sit: Das kleine Trikolon mit Alliteration, epiphorischem Gebrauch von sit und der wirkungsvollen pleonastischen Verbindung von adjektivischen (quae, qualis) und substantivischem (quid) Fragepronomen hebt den augustinischen Hunger nach Wahrheit und Weisheit hervor, indem dieser zunächst alles – mehr als alles! – über ihr Gegenteil, die Dummheit, zu erfahren verlangt. 30 f De te enim non facile adfirmaverim: Die Auslassung von non bei Green ein offensichtlicher Druckfehler, kein textkritisches Problem. 32 Dicturus est ergo ille: „La consultation du sage avec la relation de sa réponse est une mise en scène classique dans la diatribe romaine“ (J. Doignon, De ordine, S. 189, unter Hinweis auf Horaz, Sat. 2,1,1–12). 32 f ut hoc vos docerem, quando stultus eram, ad me venire debuistis …: „um euch dies zu lehren, hättet ihr zu mir kommen müssen, als ich noch dumm war …“; die von Augustin konstruierte Begegnung mit dem fiktiven Weisen zielt bewusst auf Lächerlichkeit. Komische und ausgesprochen witzige Passagen findet man in den Cassiciacum-Schriften – im Unterschied zum späteren Schrifttum Augustins – noch recht häufig. Einige Kostproben sind bei Thimme (Bemerkun-
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II. Kommentar
gen, S. 9–11) gesammelt und vorgestellt.68 Vgl. aus De ordine neben der hiesigen Stelle besonders noch die Verhöhnung der Verskunst des Licentius (1,3,8, Z. 44– 47) und die Rechtfertigung des „Toilettengesangs“ (1,8,22, Z. 15 f). 38 Nos autem bene nobis providentes: „Wenn wir uns aber etwas Gutes tun (wollen) …“; die Bemerkung ist – der gesamten Diktion des Abschnitts entsprechend – ironisch aufzufassen. Die Übersetzung Mühlenbergs (S. 287) erkennt den scherzhaften Unterton nicht und ist insgesamt nicht recht nachvollziehbar: „Wenn wir uns aber nüchtern unsere Lage klarmachten …“. Besser dagegen Keseling (S. 156 f): „Wir aber, wohl auf unsern Vorteil bedacht …“. 42 f quicquam honorarii: Auch das Zugeständnis des Alypius, er müsse seinen Schützlingen, deren Anliegen er schlecht vertreten habe, wohl ihr „Honorar“ zurückzahlen, ist natürlich scherzhaft gemeint. Keseling (S. 237) beschreibt die Gesprächssituation treffend: „A. und Al. stehen sich bei diesem Wortgeplänkel mit schalkhaftem Lächeln gegenüber.“ Der kleine Scherz des Alypius hat einen realen Hintergrund: Alypius, der sich hier im übertragenen Sinne als Anwalt (Z. 45: patronus) der beiden Schüler ausgibt, übte in seinem bürgerlichen Beruf tatsächlich eine juristische Tätigkeit aus (vgl. conf. 6,8,13; 10,16); es ist anzunehmen, dass seine mehrfachen Reisen von Cassiciacum nach Mailand (vgl. dazu supra zu 1,3,7, Z. 20 f) mit gewissen, noch nicht abgeschlossenen Rechtsgeschäften zusammenhängen. 44 me tecum laborante: „während ich mich mit dir herumplagte“; die Wendung laborare cum ist in diesem Sinne selten und erst spät belegt (vgl. Hensellek, Notabilien, S. 92); der Thesaurus (s. v. 802,83) nennt nur vier Stellen, davon drei aus Augustinus. 44 f non parum eis ad excogitandum temporis dedi: Auf die erwünschte, manchmal gewährte, mitunter durch Tricks erlangte „Zeit zum Nachdenken“ wird in den Cassiciacum-Dialogen häufiger angespielt (vgl. supra zu ord. 2,1,3, Z. 34 f); zum einen wird die Schwierigkeit der behandelten Probleme wirkungsvoll unterstrichen, zum anderen spiegelt sich auch hierin die augustinische Dialogtechnik des „Prinzips der Wirklichkeitsnähe“69. 45 patroni: Die aus der Jurisdiktion hergeleitete Metapher erscheint bei Augustin auch in c. acad. 2,7,18 (Licentius als patronus Academiae) und 2,13,29 (die Dunkelheit [tenebrae] als patronae Academicorum); eine solche Verwendung des Ausdrucks patronus als „Anwalt“ und „Verteidiger“ bestimmter philosophischer Lehren und Grundbegriffe hat Augustin bereits bei Cicero vorgefunden; vgl. fin. 3,1; de orat. 3,107 f; Lael. 25; ac. 2,16; nat. deor. 1,6; div. 2,150. 45 nulla quidem sua culpa: Alypius gesteht seine Niederlage im Disput mit Augustin ein, betont aber, dass dies nicht seine Schuld gewesen sei; als Entschuldigung kann er nämlich anführen, dass er gegen seinen Willen eine aufoktroyierte Position übernehmen musste. – Mühlenberg, S. 288, bezieht das Reflexivpro68 69
Vgl. vor allem c. acad. 1,6,17 ff; 3,14,31; 3,15,34; 3,16,35; beat. vit. 2,7. Siehe dazu supra zu 1,5,14, Z. 36 und 1,7,19, Z. 27 f.
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nomen auf das Subjekt des Satzes, d. h. die beiden Schüler Licentius und Trygetius („ohne ihr Verschulden“). Diese Konstruktion ist inhaltlich unwahrscheinlich, denn es besteht kein Grund, die Schüler entlasten zu müsssen; grammatisch besteht für einen solchen Bezug keine Notwendigkeit: Das Reflexivpronomen kann sich in direkter Reflexivität durchaus auf alle obliquen Kasus im Satz beziehen (wenn auch seltener auf einen Genitiv), besonders wenn dieses – wie es hier der Fall ist – betont im Sinne von „(sein) eigen“ steht; vgl. Kühner / Stegmann I S. 603 f (§ 117,4 a); Menge, Syntax, S. 161 (§ 232,2).70 2,3,10: Die Torheit und die Finsternis
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Non contemnam, inquam, quod in tua defensione Trygetius nescio quid etiam perstrepens dicere cupiebat, faciamque bona tua venia; nam fortasse non bene instructus es, qui recens huic negotio supervenisti, ut remoto patrocinio ipsos causam suam peragentes audiam patienter, ut coeperam. – Tum Trygetius Licentio prorsus absente: Quomodo vultis, inquit, accipite et ridete stultitiam meam. Non mihi videtur debere dici intellectus, quo intellegitur ipsa stultitia, quae non intellegendi vel sola vel maxima causa est. – Non facile, inquam, recuso istud accipere. Quamvis enim me multum moveat, quod sentit Alypius, quomodo recte possit quisque docere, qualis sit res, quam non intellegit, quantamque menti afferat perniciem, quod mente non videt – nam id utique attendens, quod tu dixisti, dicere est veritus, cum ei sit ista etiam de doctorum libris nota sententia – tamen sensum ipsum considerans corporis – nam et isto ipso anima utitur et ipsa sola est cum intellectu qualiscumque conlatio – adducor, ut dicam neminem posse videre tenebras. Quam ob rem si menti hoc est intellegere, quod sensui videre, et licet quisque oculis apertis sanis purisque sit, videre tamen tenebras non potest, non absurde dicitur intellegi non posse stultitiam; nam nullas alias mentis tenebras nominamus. Nec iam illud movebit, quomodo stultitia possit non intellecta vitari. Ut enim oculis tenebras vitamus eo ipso, quo nolumus non videre, sic quisque volet vitare stultitiam, non eam conetur intellegere, sed ea, quae possunt intellegi, per hanc se non intellegere doleat eamque sibi esse praesentem, non quo ipsam magis intellegit sed quo alia minus intellegit, sentiat.
47 f perstrepens: Mühlenberg umgeht eine exakte Wiedergabe; Keseling übersetzt ebenfalls unscharf (mit ausdrücklicher Billigung allerdings bei Hensellek, Notabilien, S. 82): „wobei er [sc. Trygetius] sogar sich stark bemerkbar machte“. Berücksichtigt man die Grundbedeutung von strepitus bzw. strepere, so macht sich der Schüler offenbar massiv akustisch bemerkbar; die treffendste Übersetzung daher bei Doignon: „en faisant du bruit“. 48 bona tua venia: Die urbane Höflichkeitsfloskel erscheint mehrfach in den Dialogen Ciceros: de orat. 1,242; leg. 3,34; nat. deor. 1,59; div. 1,25; dazu Gunermann, Sprache, S. 215. 70 Man beachte auch die Wortstellung: der Ausdruck nulla quidem sua culpa steht in enger Verbindung zwischen dem gesperrten Genitivattribut victi patroni und dessen Bezugwort consilio.
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II. Kommentar
48 f nam fortasse non bene instructus es: Dass die instructio eines Gesprächsteilnehmers für einen Disput auf qualitativ hohem Niveau unerlässlich ist, findet man in ähnlicher Form schon bei Cicero (fin. 2,119): nec ante adgrediar, quam te ab istis, quos dicis, instructum videro. Vgl. auch Augustin, c. acad. 2,4,10; 2,7,17; 3,20,45. 49 f remoto patrocinio ipsos causam suam peragentes: die Metaphorik aus dem Bereich des Gerichtswesens (vgl. zu Z. 42 f und 45) wird von Augustin aufgegriffen und erweitert; schon in 2,1,2 wird der philosophische Disput – in traditioneller Topik – als fiktiver juristischer Prozess präsentiert (vgl. termini technici wie quaestio, causa, defendere; Z. 14–16).71 50 Licentio prorsus absente: Augustin zeichnet Licentius – im ganzen Gegensatz zu seinem nüchternen und „bodenständigen“ Mitschüler Trygetius – als einen wechselhaft-launischen und vor allem eigenwilligen Charakter (vgl. supra zu 1,2,5, Z. 22). Je nach Diskussionsgegenstand und Gemütszustand wechseln bei ihm kaum zu bremsender Enthusiasmus (z. B. 1,6,16 f; 8,21) mit offen zur Schau gestellter Unlust (1,3,8), Teilnahmslosigkeit und geistiger Abwesenheit (2,7,21). Auch wenn an der einen oder anderen Stelle mit einer Stilisierung seitens des Redaktors zu rechnen ist, so sperrt sich insbesondere Letzteres gegen die Annahme einer bloßen „Erfindung“ Augustins: Die partielle Interessenlosigkeit des wichtigsten Diskussionspartners, die betonte Bitte um Aufmerksamkeit seiner beiden Schüler, da es sich doch um ein wichtiges Thema handele (1,9,27, Z. 3: non enim parva res agitur), all dies scheint in gewissem Maße die unbeschönigte Realität in Cassiciacum widerzuspiegeln; in den rein fiktiven Dialogen Ciceros findet sich Derartiges jedenfalls nicht! 51 ridete stultitiam meam: Eine der mehr oder weniger geistreichen, nicht selten witzigen, für De ordine so typischen Verbindungen zwischen philosophischem Inhalt und unmittelbarer Dialogsituation; vgl. zu 1,3,6, Z. 9; 1,3,7, Z. 27; 1,8,26, Z. 78; 2,1,2, Z. 12; 2,2,7, Z. 58; 2,4,11, Z. 10 f; 2,6,18, Z. 1; 2,6,18, Z. 11 u. ö. 52 f stultitia, quae non intellegendi vel sola vel maxima causa est: Trygetius bzw. Augustin kann für die Argumentation, dass Dummheit die Ursache für ein Nicht-Erkennen ist, auf die Diskussion über das glückselige Leben zurückgreifen. In beat. vit. 4,29 wird die stultitia als „Mangel“ und „Nichthaben“ an Weisheit bezeichnet.72 Und auch das Beispiel von der Finsternis (tenebrae), welches Augustin wenig später für die Illustration dieser Zusammenhänge in unserem Abschnitt aufgreifen wird (Z. 59–66), ist in beat. vit. (ebd.) schon einmal verwendet worden. 54 moveat: [Druckfehler bei Green; siehe supra Kap. I 5]. 71 Anders als in der Schrift „Gegen die Akademiker“ (c. acad. 1,2,5 f; 3,8 f; 5,15) fehlt hier allerdings das beliebte Motiv des „Richters“ (iudex); zu dessen Verbreitung in der paganen wie christlichen Dialogliteratur siehe supra zu 1,3,8, Z. 41 f. 72 Siehe z. B. Z. 129 f: Eum egere …, qui sapientiam non habeat; Z. 133 f: Nihil est ergo aliud … habere egestatem quam habere stultitiam; Z. 144: Egestas enim verbum est non habendi.
2. Hauptteil: 2,3,10
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56 f cum ei sit ista etiam de doctorum libris nota sententia: Ob man eine kausale Sinnrichtung des cum-Satzes (so Mühlenberg und Doignon) oder eine konzessive (so Keseling) präferieren soll, ist mangels sicherer Kriterien schwer zu entscheiden. Die Bemerkung, dass der Satz des Trygetius (Z. 51–53) natürlich auch dem Alypius – sc. aus den Büchern der Gelehrten – bekannt sei, hat einen doppelten Sinn: Einerseits handelt es sich um eine Apologie des Augustinfreundes, um gar nicht erst den Eindruck aufkommen zu lassen, dass einer der jungen Schüler in diesen philosophischen Fragen gebildeter sein könnte. Zum anderen macht sich auch hier wieder die Tendenz bemerkbar, scharfsinnige Äußerungen, die Augustin den noch unerfahrenen Jünglingen in den Mund legt, auf der primären szenischen Ebene auf irgendeine Art in ihrer Herkunft zu erklären. Offenbar liegt dem Autor – ganz im Gegensatz zu den unbekümmerten Fiktionen eines Cicero – viel an der äußeren Glaubwürdigkeit und Stimmigkeit der Dialoge. Vgl. als sehr ähnlichen Fall supra zu 2,2,7, Z. 56 f. Auf welche libri doctorum Augustin hier anspielt, ist sehr schwer zu entscheiden. Doignon, S. 193, Anm. 37, denkt „en particulier“ an Cicero. Sein Hinweis auf ac. 2,3473 ist aber wohl eher eine „Notlösung“. Die Antwort des Trygetius spiegelt, besonders wenn man die Bezüge zu beat. vit. 4,29 (siehe supra zu Z. 52 f) beachtet, eher Gedankengut einer philosophia negativa (Dummheit als Mangel, Beraubung, Abwesenheit von Erkenntnis) aus dem Umkreis der neuplatonischen Doktrin. 57 f nam et isto ipso anima utitur: Dass der sensus corporis nicht selbst wahrnimmt, sondern lediglich die Vermittlerfunktion für die wahrnehmende Seele übernimmt, hat Augustin bereits ausgeführt; vgl. supra zu 2,2,6, Z. 36–40. 58 ipsa sola est cum intellectu qualiscumque conlatio: Der Vergleich der geistigen Erkenntnis mit der sinnlichen Wahrnehmung zieht sich durch das gesamte platonische Schrifttum, so auch durch die augustinischen Schriften. Er dient vornehmlich der Illustration zum Zwecke einer besseren Verständlichkeit und beginnt bei kleinen sprachlichen Entlehnungen (metaphorische Sprechweise zuletzt Z. 55: quod mente non videt), die vielfach bereits den Charakter fest geprägter „stehender Wendungen“ aufweisen, kann aber auch – wie hier in ord. 2,3,10 – systematisch, wesentlich breiter und mit teilweise nicht geringem theoretischem Aufwand durchgeführt werden. Vgl. etwa soliloq. 1,6,12; 7,13; trin. 11,1; 12,23; bei Plotin: Enn. 1,8,9. 59 neminem posse videre tenebras: Der Hinweis darauf, dass man Finsternis nicht sehen könne, illustriert auf überzeugende Weise wichtige Elemente der neuplatonischen Gnoseologie und Ontologie (vgl. Enn. 1,8,9). Die Finsternis ist ein Negativbegriff, dem eigenständiges Sein abgesprochen wird. Sie existiert nur scheinbar und ist am ehesten als ein „Mangel an etwas anderem“, eine Art ; „Defizit“ oder – mit traditioneller Bezeichnung – als „Beraubung“ ( 73 Quomodo ista aut perspicua dicemus aut impressa subtiliter, cum sit incertum vere inaniterne moveatur?
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II. Kommentar
privatio) einer Substanz zu fassen. Wie die tenebrae eine privatio lucis darstellen, so ist – wie Augustin in späteren Schriften noch häufig betonen wird – das malum die privatio boni, die falsitas das Fehlen von veritas, das nihil eine Nichtverwirklichung von Sein (esse) und die stultitia letztlich überall dort, wo sich die sapientia noch nicht vollständig eingestellt hat. Finsternis wie Dunkelheit existieren weder eigenständig noch wirklich, sondern werden nur als gegenwärtig empfunden (vgl. Z. 65 f: eamque sibi esse praesentem … sentiat), weil ihr Gegenteil noch nicht alles durchdrungen und ausgefüllt hat.74 60 oculis apertis sanis purisque: Der Ausdruck sanus oculus auch bei Ambrosius im erkenntnistheoretischen Zusammenhang gebraucht; siehe Isaac 8,79: solem nisi sanus et vigens oculus non aspicit.75 Siehe dazu soliloq. 1,14,25: amat [sc. oculus] enim tenebras, eo quod sanus non est; solem autem nisi sanus videre non potest; 1,13,23: Nam sunt nonnulli oculi tam sani et vegeti, qui se, mox ut aperti fuerint, in ipsum solem sine ulla trepidatione convertant; vgl. für die augustinischen Frühschriften außerdem ibid. 1,6,12: oculi sani mens est ab omni labe corporis pura; 1,6,13; 1,10,17; beat. vit. 4,35: sanis vel … apertis oculis; ord. 2,19,51: deus magne, qui erunt illi oculi, quam sani, quam decori, quam valentes, quam constantes, quam sereni, quam beati; c. acad. 2,3,7: sanatis renudatis … oculis. 66 alia minus: Nochmalig ein deutlicher Ausdruck der präsentierten philosophia negativa (vgl. supra zu Z. 59). 2,4,11: Die Torheit innerhalb der Weltordnung 1 Sed ad ordinem redeamus, ut nobis aliquando reddatur Licentius. Illud enim ex
vobis iam requiro, utrum quaecumque agit stultus ordine vobis agere videatur. Nam videte, rogatio quos laqueos habeat. Si ordine dixeritis, ubi erit illa definitio: ordo est, quo deus agit omnia, quae sunt, si etiam stultus, quae agit, agit ordine? Si autem 5 ordo non est in his, quae aguntur ab stulto, erit aliquid, quod ordo non teneat; neutrum autem vultis. Videte quaeso, ne cuncta ipsius ordinis defensione turbetis. – Hic item Trygetius – nam ille alter adhuc omnino absens erat –: Facile est, inquit, huic quidem respondere conplexioni tuae, sed me in praesentia similitudo deficit, qua sententiam meam video asseri inlustrarique debere. Tamen dicam, quod sentio; facies 10 enim tu, quod paulo ante fecisti. Non enim illa commemoratio tenebrarum ad id, quod a me involutum prolatum erat, parum nobis attulit luminis. Namque omnis vita stultorum quamvis per eos ipsos minime constans minimeque ordinata sit, per divinam tamen providentiam necessario rerum ordine includitur et quasi quibusdam 74 Plotin formuliert diesen Zusammenhang für das Begriffspaar „Ordnung – Unordnung“ in Enn. 3,2,4: „… um der Ordnung willen … gibt es Unordnung …; nicht als bringe der Wert den Unwert hervor, sondern indem die Wesen, welche die Werte aufnehmen sollten, dazu infolge eigener Anlage oder Fügung oder Hinderung durch andere nicht imstande sind. Denn wo für ein Wesen die Ordnung nur von außen hinzutritt, da mag es vorkommen, daß es sie verfehlt“ (Übersetzung Harder, Z. 28–34). 75 Zur Herkunft des ambrosianischen Vergleichs aus dem berühmten Schluss des plotinischen Traktats (Enn. 1,6,9) vgl. P. Courcelle, Recherches, S. 125 f.
2. Hauptteil: 2,4,11
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locis illa ineffabili et sempiterna lege dispositis nullo modo esse sinitur, ubi esse non 15 debet. Ita fit, ut angusto animo ipsam solam quisque considerans veluti magna re-
percussus foeditate aversetur. Si autem mentis oculos erigens atque diffundens simul universa conlustret, nihil non ordinatum suisque semper veluti sedibus distinctum dispositumque reperiet.
1 ut nobis aliquando reddatur Licentius: Licentius ist unaufmerksam und hängt seinen eigenen Gedanken nach (vgl. Z. 7: ille alter adhuc omnino absens erat). Die Charakterzeichnung seines begabtesten Schülers wird von Augustin sehr konsequent durchgeführt; vgl. supra zu 2,3,10, Z. 50. 3 laqueos: Ein metaphorischer Gebrauch des Ausdrucks auch in c. acad. 1,9,24: Quo laqueo cum te expedisses cautius, quam putabam. „Schlingen“ und „Fallstricke“ enthält nach Cicero und einer weit verbreiteten Ansicht zufolge besonders die Argumentation der Stoiker; vgl. de orat. 1,43: Stoici … nostri disputationem suarum atque interrogationum laqueis te inretitum tenerent;76 Tusc. 5,76: Ut iam a laqueis Stoicorum … recedamus; fat. 7: … ad Chrysippi laqueos revertamur. 3 f ordo est, quo deus agit omnia, quae sunt: Sprachlich leicht verändernder Rückgriff auf die inhaltlich identischen Ordnungsdefinitionen in 1,10,28 (Z. 10: Ordo est, … per quem aguntur omnia, quae deus constituit) und 2,1,2 (Z. 17: ordinem esse …, per quem deus ageret omnia). 6 ne cuncta ipsius ordinis defensione turbetis: Sehr ähnlich wie Trygetius in 1,7,17 (Z. 5 f: Utinam … ab eo quem defendis ordine devius non sis!) warnt Augustin vor einem bedingungslosen Übereifer bei der Verteidigung der Ordnung und mahnt gleichzeitig zur dialektischen Disziplin: ein einmal gefundener Konsens (1,7,17: das Axiom der Güte Gottes; 2,4,11: mühsam errungene Ordnungsdefinitionen) möge nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. 8 conplexioni: Die argumentative Technik der conplexio (gr. ) bescheibt Cicero, inv. 1,45: conplexio est in qua utrum concesseris, reprehenditur ad hunc modum: si inprobus est, cur uteris? si probus, cur accusas? (vgl. Quintilian, inst. 5,10,69). Zwei als Komplemente (tertium non datur!) konstruierte implikative Aussagen (si – si), werden in ihrem Ergebnis als nicht akzeptabel hingestellt.77 In unserem Fall: Wenn der Dumme ordnungsgemäß (ordine) zu handeln vermag, ist eine Definition revisionsbedürftig, nach welcher ausschließlich Gott alles Bestehende der Ordnung entsprechend lenkt (Widerspruch zu 1,10,28, Z. 10 und 2,1,2, Z. 17). Wenn aber die Handlungen des Dummen keine Ordnung aufweisen, existiert etwas außerhalb der Ordnung, diese ist also nicht allumfassend (Widerspruch zu 1,3,8, Z. 35 f, u.ö). Weitere Beispiele für klassische Dilemmata in den Cassiciacum-Schriften: ord. 2,7,23, Z. 68–71; 2,17,46 passim; c. acad. 3,4,10; 3,9,21; 3,14,31.
76 Vgl. A. S. Wilkins, commentary, zur Stelle: „The subtility of Stoic logic was famous“. Siehe dazu Gunermann, Sprache, S. 34. 77 Dazu W. und M. Kneale, The Development of Logic, Oxford 1962, S. 178.
210
II. Kommentar
10 f Non enim illa commemoratio tenebrarum … parum nobis attulit luminis: Die Erwähnung der Finsternis schafft Licht! Trygetius zieht mit seinem Oxymoron eine der überaus beliebten Verbindungen zwischen philosophischem Inhalt und dem Stand der Diskussion. Vgl. für weitere Beispiele supra zu 2,3,10, Z. 51. 11 involutum: Was Trygetius nur dunkel angedeutet, gewissermaßen „eingehüllt“ geäußert hat, ist von Augustin gleichsam „enthüllt“ und ans Licht gebracht worden; vgl. dazu Hensellek, Notabilien, S. 80 f. Die Übersetzung Mühlenbergs ist an dieser Stelle unscharf. Nicht das von Trygetius „verhüllt“ Gesagte wurde von Augustin mit der Finsternis „verglichen“ (sic!); vielmehr wurde die stultitia einem Vergleich mit der Finsternis unterzogen, mit dem Ergebnis, dass auch das kryptische Trygetius-Wort seine Erhellung fand. 12 vita stultorum … minime constans minimeque ordinata: Das Leben der Toren ist ungeordnet und unbeständig; vgl. dagegen die Aussagen über den Weisen: dieser ist immobilis et in se manens (§ 6, Z. 54). Vgl. hierzu Plotin, Enn. 4,4,2 und 5,1,4. – Bereits bei Cicero wird dem engen Zusammenhang von constantia und ordo Ausdruck verliehen, wie bei Augustin in Bezug auf das menschliche Leben (off. 1,14; 1,17; 1,98), besonders auch im Hinblick auf das Weltall (nat. deor. 2,48; 2,56; 2,90; 3,16), welches – nach Cato 77 – dem Menschen als Vorbild dienen soll. Siehe hierzu aufschlussreich Gunermann, Sprache, S. 77 f. 13 f quibusdam locis … dispositis: Ein früher Anklang an die berühmte Ordnungsdefinition in civ. 19,13: Ordo est parium dispariumque rerum sua cuique loca tribuens dispositio. Siehe auch Z. 17 f. 14 sempiterna lege: Auch Cicero kennt das „ewige Gesetz“78 als einen der zentralen Begriffe der stoischen Ethik; siehe neben nat. deor. 1,40 und leg. 2,8; 2,10 vor allem das ausführliche Laelius-Referat in rep. 3,33: Dieses ewige Gesetz ist gleichzeitig das „wahre Gesetz“ (vera lex), es wird mit der „Vernunft“ (ratio) gleichgesetzt, steht mit der Natur im Einklang (naturae congruens), ist allgegenwärtig (diffusa in omnis), „beständig“ und „unveränderlich“ (constans, inmutabilis), geht in letzter Konsequenz auf „Gott“ selbst (deus) zurück, welcher sein „Erfinder“ (inventor) ist. Ganz in diesem stoisch vorgeprägten Sinne kann Augustin in De ordine auch von einer summa lex (2,2,7, Z. 88; 2,18,47, Z. 6) oder auch explizit von einer dei lex (2,8,25, Z. 1) sprechen. 16 mentis oculos: Eine auch bei Cicero gebräuchliche Metapher; vgl. de orat. 3,163; Cato 42; nat. deor. 1,19 (oculi animi); Tusc. 3,43 (lumen mentis). Vergleichbar ist bei Augustin in De ordine der Ausdruck interiores intellectus oculos (2,2,7, Z. 65). 15–18 Ita fit […] reperiet: Die letzten beiden Sätze des Abschnitts zeigen deutliche sprachliche und inhaltliche Affinitäten zum Proömium (speziell zu § 2). Im Einzelnen: Hier wie dort wird die Schwachheit eines „beschränkten Geis78 Die Terminologie bei Cicero ist variabel; ohne erkennbaren Unterschied gebraucht er die Wendungen sempiterna lex, aeterna lex oder perpetua lex (bisweilen auch in Kombination); vgl. Gunermann, Sprache, S. 135.
2. Hauptteil: 2,4,12
211
tes“79 zitiert, der es nicht gewohnt ist, die Gesamtheit eines Ordnungsgefüges zu überschauen, sondern seinen Blick lediglich auf Teilaspekte desselben heftet und daher zwangsläufig „große Hässlichkeit“80 feststellen muss. Um die vollendete Schönheit feststellen zu können, muss „das Ganze“81 möglichst „zusammen betrachtet werden“82; nur in dieser „Totalansicht“ erhält man den Eindruck, dass jedes Einzelne seinen ihm zukommenden Platz einnimmt und alles insgesamt „schön gegliedert und wohlgeordnet“83 erscheint.84 2,4,12: Die schönheitssteigernde Kraft des Hässlichen Quam magna, inquam, quam mira mihi per vos deus ille atque ipse, ut magis ma20 gisque credere adducor, rerum nescio quis occultus ordo respondet! Nam ea dicitis,
quae nec quomodo dicantur non visa nec quomodo ea videatis intellego; ita ea et vera et alta esse suspicor. Simile autem aliquod in istam sententiam tu fortasse unum requirebas. At mihi iam occurrunt innumerabilia, quae me ad consentiendum prorsus trahunt. Quid enim carnifice tetrius? quid illo animo truculentius atque dirius? 25 At inter ipsas leges locum necessarium tenet et in bene moderatae civitatis ordinem inseritur estque suo animo nocens, ordine autem alieno poena nocentium. Quid sordidius, quid inanius, dedecoris et turpitudinis plenius meretricibus lenonibus ceterisque hoc genus pestibus dici potest? Aufer meretrices de rebus humanis, turbaveris omnia libidinibus; constitue matronarum loco, labe ac dedecore dehonestaveris. Sic igitur 30 hoc genus hominum per suos mores impurissimum vita, per ordinis leges condicione vilissimum. Nonne in corporibus animantium quaedam membra, si sola adtendas, non possis adtendere? Tamen ea naturae ordo nec, quia necessaria sunt, deesse voluit nec, quia indecora, eminere permisit. Quae tamen deformia suos locos tenendo meliorem locum concessere melioribus. Quid nobis suavius, quod agro villaeque 35 spectaculum congruentius fuit pugna illa conflictuque gallinaciorum gallorum, cuius superiore libro fecimus mentionem? Quid abiectius tamen deformitate subiecti vidimus? Et per ipsam tamen eiusdem certaminis perfectior pulchritudo provenerat.
19 deus ille: Trygetius hat bemerkenswert tiefe Wahrheiten ausgesprochen (§ 11), wie man sie einem jungen Schüler kaum zutrauen kann. Wie die sprach79
Siehe ord. 1,1,2, Z. 34: inbecilla mente; vgl. 2,4,11, Z. 15: angusto animo. 1,1,2, Z. 36: magnam … foeditatem; vgl. 2,4,11, Z. 15 f: magna … foeditate. 81 1,1,2, Z. 34: universam; 2,4,11, Z. 17: universa. 82 1,1,2, Z. 32 f: simul … conlustrari; vgl. 2,4,11, Z. 16 f: simul … conlustret; siehe daneben auch 1,1,2, Z. 35: considerare; 2,4,11, Z. 15: considerans. 83 2,4,11, Z. 17 f: distinctum dispositumque; vgl. 1,1,2, Z. 27: disposita mire atque distincte; siehe auch 1,1,2, Z. 25: ordinatum; 2,4,11, Z. 12: ordinata; ebd., Z. 17: ordinatum. 84 Vgl. Plotin, Enn. 3,2,3: „Wer also wegen der Teile das Ganze tadeln will, der gerät mit seinem Tadel ins Unsinnige; denn man muß doch die Teile eben in ihrem Bezug auf das Ganze betrachten, ob sie im Einklang mit ihm stehen und sich ihm fügen; anderseits darf man, wenn man das Ganze betrachtet, den Blick nicht auf ein paar winzige Teile richten; das hieße ja nicht das Weltall tadeln, sondern sich ein paar Stücke aus ihm herauspflücken“ (Übersetzung Harder, Z. 10–14). Vgl. bei Augustin: vera relig. 119–121; dann besonders ibid. 213–215; lib. arb. 3,113 f. 80
212
II. Kommentar
liche und inhaltliche Nähe zum Proömium (vgl. supra zu 2,4,11, Z. 15–18) eindeutig zeigt, war auch hier natürlich der Autor selbst literarisch-stilistisch am Werke. Wie so häufig ist auch an dieser Stelle das Bemühen Augustins zu spüren, den Schein des echten Gesprächs zu wahren und den Dialog in jedem Falle glaubwürdig zu gestalten: Die Schüler, so wird bemerkt, sprechen keinesfalls aus sich selbst, sondern sind gewissermaßen inspiriert. „Jener Gott“ antwortet durch sie und eine „verborgene Ordnung“ (occultus ordo; Z. 20). Vgl. hierzu als Parallele 1,5,13, Z. 19 (non nimis curo, … per quem mihi ille [sc. deus] respondeat),85 siehe auch die Verzückung des Licentius in 1,6,16 f; zu anderen Konstruktionen mit demselben Ziel – i. e. der äußeren Glaubwürdigkeit des Dialogs – vgl. supra zu 1,7,19, Z. 27 f; 2,3,10, Z. 56 f; 2,2,7, Z. 56 f. 20 occultus ordo: Dieselbe Junktur auch in ord. 2,20,54, Z. 28; 1,11,33, Z. 49 (occultissimus ordo). Vgl. sachlich außerdem 1,4,11; 7,19; 2,5,15; 6,18; 7,20; 15,43. 21 non visa: „ohne sie [sc. die Erkenntnisse] gesehen zu haben“; die kausale Wiedergabe des negierten Partizips bei Mühlenberg („da man sie doch nicht sieht“; S. 290) trifft schwerlich den Sinn. Die Möglichkeit, dass die Schüler gewisse Erkenntnisse hatten und dementsprechend bestimmte Dinge „gesehen“ haben, wird ja nicht grundsätzlich abgestritten; denn dies stünde im Widerspruch zum nachfolgenden Interrogativsatz (quomodo ea videatis; Z. 21), der nicht mehr nach dem Faktum selbst, sondern bereits nach der Art und Weise des „Sehens“ fragt. 22 vera et alta: Die platonischen Prämissen Augustins kommen zum Vorschein. Nicht das Vordergründige und sinnlich Wahrnehmbare, sondern dasjenige, was nicht für jedermann unmittelbar sichtbar ist, von dem letztendlich nicht völlig klar ist, wie es in den Geist bestimmter Menschen gelangt, dies ist das „Wahre und Erhabene“. 22 suspicor: „ich vermute“; Hensellek (Notabilien, S. 86) möchte darüber hinaus den Grad der Sicherheit der Vermutung Augustins bestimmen (vgl. zu Anm. 35: „suspicor … nicht im Sinne von ‚annehmen, vermuten‘ wie sonst, sondern … ‚fest annehmen‘“). Augustin habe für das, was er sagen wollte, lediglich kein passenderes Wort zur Verfügung gehabt; so scheide beispielsweise das mehr Sicherheit ausdrückende credo aus Gründen der Gleichsilbigkeit zu vera und alta aus. Inhaltliche Kriterien nennt Hensellek allerdings nicht, die Argumentation bleibt sehr spekulativ. 22 Simile … aliquod: Trygetius suchte nach einem illustrierenden Beispiel oder Gleichnis für seine Auffassung; Rückbezug auf 2,4,11, Z. 8 (me in praesentia similitudo deficit). 22 f fortasse unum requirebas: Der Bezug von fortasse eindeutig auf das unmittelbar nachstehende unum, nicht auf das „Suchen“ (gegen Mühlenberg, 85 Auch in beat. vit. 4,31 heißt es ausdrücklich, dass Augustin die Einsichten seiner Schüler nicht gering schätze, da sie „Gott zugewandt“ (intenti … in deum) seien.
2. Hauptteil: 2,4,12
213
S. 290 f: „Vielleicht suchtest du aber nach irgendeinem Beispiel …). Dieses unum in Verbindung mit einem pronomen indefinitum (aliquod) hier im numerisch-beschränkenden Sinne („ein einziges“, „nur eines“), nämlich als Antithese zu innumerabilia (Z. 23) zu verstehen. 24 carnifice: Das Beispiel des bösen Henkers gebraucht auch Plotin in seinem ersten Trakat über die Vorsehung (Enn. 3,2,17 Ende): (…) Der Gedankengang ist dabei dem augustinischen sehr ähnlich: Der ist zwar an sich schlecht (sog. „absolute“ Sichtweise), ein „wohlverwaltetes Gemeinwesen“ wird durch ihn dagegen keineswegs schlechter, denn er wird dort gebraucht und nimmt innerhalb des Gesamtgefüges einen ihm angemessenen Platz ein (sog. „relative“ oder „totalistische“ Sichtweise). Bei Augustin erscheint ebenfalls der Henker als schlimmer Bösewicht (vgl. die Attribute teter, truculentus, dirus, nocens; Z. 24–26), dieser lebt ebenfalls in einem „wohlverwalteten Gemeinwesen“ (vgl. Z. 25: bene moderata civitas), er hat dort – wie bei Plotin – einen „unverzichtbaren Platz“ (vgl. Z. 25: locum necessarium). Warum H. H. Gunermann (Sprache, S. 71, Anm. 3, und Tradition, S. 206 f) diese offensichtlichen Affinitäten nicht akzeptiert bzw. übergeht,86 ist nicht recht nachvollziehbar. Stattdessen wird für eine Abhängigkeit von Cicero, off. 1,150 f plädiert. Doch besteht hier die Übereinstimmung lediglich in einigen Allgemeinbegriffen (verschiedene sprachliche Derivate von modus – ordo – decorum als sog. „Synonyme“; turpitudo – dedecus als sog. „Opposita“); zwar werden auch bei Cicero gewisse Berufsgruppen als unehrenhaft diffamiert, doch sind diese – wie Gunermann selbst zugibt – von gänzlich anderer Art als die des Augustinus.87 Dies ist auch nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, dass die übergeordnete Intention der Herabsetzung der jeweiligen Berufe bei Cicero und Augustin bei genauem Hinsehen kaum konvergiert. Das Argument, dass der Topos der „hässlichen Körperglieder“ (ord. 2,4,12, Z. 31–34) ebenfalls in der genannten CiceroSchrift seinen Platz gefunden hat (off. 1,126), ist nicht besonders stichhaltig; abgesehen davon, dass es in der antiken Literatur allgemein sehr weit verbreitet ist,88 findet es sich gerade auch in dem nämlichen Plotin-Traktat (Enn. 3,2,8). – Noch weitere Gemeinsamkeiten zur plotinischen Vorsehungsschrift fallen auf: Die im Zusammenhang des augustinischen Henkerbeispiels erwähnte Funktion der Strafe (poena; vgl. Z. 26) dient auch bei Plotin als Argument der Theodizee (Enn. 3,2,17); der ordnungstheologischen Apologie der Dirnen (meretrices; vgl. 86 Vgl. sein pauschales Urteil (Tradition, S. 206): „Der Abschnitt … wurde … Plotin zugeordnet, wie mir scheint zu Unrecht. Denn der Kontext ist dort ganz anderer Natur.“ Ganz im Gegenteil! Gerade die kontextuelle Einbettung des Henkersbeispiels, die antithetische Gegenüberstellung von „ethisch-absoluter“ und „kosmologisch-relativer“ Sichtweise, spricht für eine gedankliche Abhängigkeit Augustins von seinem neuplatonischen Vorgänger. 87 Während Augustin den Henker, die Dirnen und die Zuhälter namhaft macht, nennt Cicero – völlig divergierend – die Zöllner, Geldverleiher, Tagelöhner, Verkäufer, Handwerker, Fischhändler, Metzger, Köche, Geflügelhändler, Fischer, Salbenhändler, Tänzer und Sänger! 88 Vgl. infra zu 1,4,12, Z. 31 f.
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II. Kommentar
Z. 28 f) entspricht bei Plotin eine eben solche im Hinblick auf den Ehebruch (Enn. 3,2,18). Bedenkt man abschließend, dass die Lektüre von ´ für Augustin – anders als bei anderen Plotin-Traktaten – gar nicht zweifelhaft sein kann,89 so sollte eine diesbezügliche Reminiszenz nicht mehr ernsthaft bestritten werden. 26 suo animo nocens, ordine autem alieno poena nocentium: Durch Polyptoton (nocens – nocentium) wird die absolute und die relative Bewertung des Henkers (s. o. zu Z. 24) wirkungsvoll kontrastiert. – Die Strafe (poena) spielt eine große Rolle in der Theodizee Augustins; vgl. vera relig. 78–80; 121; lib. arb. 3,96 f. 27 meretricibus: Nach Svoboda (ésthétique, S. 24) hat Augustin zusätzlich zum plotinischen Henkerbeispiel die Prostituierten „à la manière de voir romaine“ hinzugefügt. – Augustin rechtfertigt die Existenz der Prostituierten mit Hilfe der Theorie des kleineren Übels: Fehlten sie in einer Gesellschaft, würden die libidines (Z. 29), i. e. die Urform aller Sünde und schweren Verbrechen (siehe lib. arb. 1,20 ff), derart Überhand nehmen, dass wahrhaft chaotische Zustände entstünden (Z. 28: turbaveris omnia). 29 labe ac dedecore: Zur speziellen Junktur vgl. Cicero, Phil. 7,1590 und leg. 1,60; dazu Gunermann, Sprache, S. 74. 31 f quaedam membra, si … adtendas, non possis adtendere: Oxymoron. – Zur Herkunft und Verbreitung des Topos von den unansehnlichen und darum „versteckt“ angelegten menschlichen Gliedern im Platonismus und in der Stoa vgl. Platon, Tim. 45 a; Xenophon, mem. 1,4,6; Cicero, nat. deor. 2,141; off. 1,126; Seneca, nat. quaest. 1,16,7; Apuleius, De Platone 1,13; Anonymos, sublim. 43,5; Plotin, Enn. 3,2,8. Dazu K. Reinhardt, Poseidonios, S. 254; M. Pohlenz, Führertum, S. 75 f. – Siehe auch die Parallele civ. 22,24. 34 agro villaeque: Dieselbe Junktur in c. acad. 3,15,33: Convertam me ad ea, quae villa et ager ministrat; vgl. die entsprechende dt. Wendung „Haus und Hof “. 35 pugna illa conflictuque gallinaciorum gallorum: Rückbezug auf ord. 1,8,25, Z. 60 ff. 36 Quid abiectius …: Die redundante Struktur des Abschnitts (fünf rhetorische Fragen, durch quid mit nachfolgendem Komparativ eingeleitet; vgl. Z. 24.26 f.27.34) findet sich in ähnlicher Weise und in einem vergleichbaren Kontext, welcher ebenfalls auf den ordo-Gedanken zielt, in lib. arb. 3,96–99. 37 perfectior pulchritudo provenerat: Mit dreifacher Alliteration an exponierter Stelle endet ein sprachlich besonders schön stilisierter Abschnitt.
89
Siehe infra Ergebnis 4. Quanta … illa erit rei publicae turpitudo, quantum dedecus, quanta labes, dicere in hoc ordine sententiam M. Antonium consulari loco! 90
2. Hauptteil: 2,4 f,13
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2,4 f,13: Das Maß in der Poesie, Rhetorik und Dialektik Talia, credo, sunt omnia, sed oculos quaerunt. Soloecismos et barbarismos quos vocant, poetae adamaverunt; quae schemata et metaplasmos mutatis appellare nomini40 bus quam manifesta vitia fugere malunt. Detrahe tamen ista carminibus, suavissima condimenta desiderabimus. Congere multa in unum locum, totum acre putidum rancidum fastidibo. Transfer in liberam forensemque dictionem, quis non eam fugere atque in theatra se condere iubebit? Ordo igitur ea gubernans et moderans nec apud se nimia nec ubilibet aliena esse patietur. Summissa quaedam impolitaeque simillima 45 ipsos saltus ac venustos locos sese interponens inlustrat oratio. Quae si sola sit, proicis ut vilem; si autem desit, illa pulchra non prominent, non in suis quasi regionibus possessionibusque dominantur sibique ipsa propria luce obstant totumque confundunt. |Magnae et hic debentur ordini gratiae. Mentientes conclusiones aut inrepen- cap. 5 tes paulatim vel minuendo vel addendo in assensionem falsitatis quis non metuat, quis 50 non oderit? Saepe tamen in disputationibus certis et suis sedibus conlocatae tantum valent, ut nescio quo modo per eas dulcescat ipsa deceptio. Nonne hic quoque ordo ipse laudabitur?
38 Soloecismos et barbarismos: Grammatische termini technici für grobe Sprachfehler. Der Solözismus ( ) im engeren Sinne bezeichnet die syntaktische Regelwidrigkeit, der Barbarismus ( ) eine lexikalische; vgl. Isidor, Etym. 1,33,1: Soloecismus est plurimorum verborum inter se inconveniens conpositio, sicut barbarismus unius verbi corruptio.91 Vgl. auch Quintilian, inst. 1,5,5– 17. – Die Bezeichnung Solözismus ist von der kilikischen Hafenstadt Soli (später: Pompeiopolis) abgeleitet, deren Bewohner eigenen und fremden Sprachgebrauch fehlerhaft vermischt haben sollen. 39 adamaverunt: Hier präsentisches (resultatives) Perfekt; daher nicht „haben … gerne verwendet“ (Mühlenberg, S. 292), „scheuten sich nicht … zu machen“ (Perl, S. 49) bzw. „se sont épris“ (Doignon, S. 201), sondern etwa „haben … eine Vorliebe“ (Keseling, S. 161); vgl. dazu Hensellek, Notabilien, S. 108 mit der Parallele Sall., Cat. 11,3: avaritia pecuniae studium habet, quam nemo sapiens concupivit. 39 schemata et metaplasmos: Schemata sind – nach einer in der antiken Rhetorik gebräuchlichen Einteilung – entweder Wort- oder Gedankenfiguund ), die dem ren (figurae elocutionis und sententiae; Schmuck der Rede dienen; vgl. z. B. Isidor, Etym. 1,36,1: Schemata ex Graeco in Latinum eloquium figurae interpretantur, quae fiunt in verbis vel sententiis per varias dictionum formas propter eloquii ornamentum. – Ein Metaplasmus ist die Umbildung einer Wortform, z. B. aus euphonischen oder metrischen Gründen; vgl. Isidor, Etym. 1,35,1: Metaplasmus Graeca lingua, Latine transformatio dicitur. Qui fit in uno verbo propter metri necessitatem et licentiam poetarum; siehe auch Quintilian, inst. 1,8,14. 91 Siehe auch ibid. 1,34,2 f mit Beispielen: Barbarismus est corruptio verbi unius. Ut si tertiam syllabam quis producat in ‚ignoscere‘. Soloecismus conpositio vitiosa verborum. Ut si aliquis dicat ‚inter hominibus‘ pro ‚inter homines‘.
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II. Kommentar
41 condimenta: Von der Gewürzmetapher wird in De ordine nunmehr zum zweiten Male Gebrauch gemacht; vgl. supra zu 1,11,31, Z. 10 f. Diese ist insgesamt in der Literatur häufig belegt (siehe ThLL 4,142,35 ff und 143,24 ff), doch wieder ist insbesondere an Cicero als Vorbild zu denken, der sie in besonderem Maße – ganz ähnlich wie Augustin an unserer Stelle – auf den Bereich der Rhetorik bezogen hat. Zu verweisen ist beispielsweise auf de orat. 2,271: … omnia haec, quae a me de facetiis disputantur … omnium sermonum condimenta sunt. Auch condire oder conditus werden an anderen Stellen in De oratore in demselben Sinne verwendet; so z. B. de orat. 2,212; 2,227; 3,99.92 42 liberam forensemque dictionem: Nicht „die Rede vor dem Volk und vor Gericht“ (Keseling, S. 161), besser schon: „die ungebundene Gerichtsrede“ (Mühlenberg, S. 292). Das Adjektiv liber steht in Bezug auf die „Redeweise“ (dictio) in gedachter Antithese zu den semantischen und stilistischen Eigenheiten und insbesondere dem metrischen Zwang der Poesie.93 Das Adjektiv forensis verweist auf die Öffentlichkeit der Rede, wie dies – beispielsweise – bei einer Gerichtsrede der Fall sein konnte. Zu übersetzen ist demnach: „eine öffentliche Rede in Prosa“. Vgl. ähnlich Doignon, S. 201: „un discours de prose au forum“. 43 Ordo … moderans: Es ist der Hauptgedanke in diesem Abschnitt, dass die Ordnung mäßigend eingreift, ja mit dem Maßbegriff nahezu identisch ist. In der Poesie (Z. 38–44) zeugt es von Geschmacklosigkeit, wenn gewisse Stilfiguren allzu häufig und redundant verwendet werden (Z. 41 f.43 f);94 ein allzu sparsamer Gebrauch lässt sie dagegen als Fremdkörper erscheinen und verfehlt ebenfalls seine Wirkung (Z. 44). In der Rhetorik (Z. 44–48) gibt es die Technik, in eine Rede relativ kunstlose Partien einzuflechten, um vor diesem Hintergrund die Höhepunkte wirkungsvoller hervortreten zu lassen. Doch auch hier ist das rechte Maß einzuhalten: Weder darf die gesamte Rede kunstlos und dadurch wertlos ausfallen (Z. 45 f), noch darf sie ausschließlich aus Höhepunkten bestehen, die sich gewissermaßen selbst im Licht und im Wege stehen (Z. 46–48).95 In der 92 An der letzten Stelle (3,99) im Übrigen wie bei Augustin in der speziellen Verbindung mit einem Ausdruck der „Süße“: … acerrima suavitate conditis … 93 Vgl. als Hintergrund Cicero (de orat. 1,70), der dem Dichter im Vergleich zum Redner hinsichtlich des Metrums größeren Zwang, in Bezug auf die Wortwahl größere Freiheit, im Hinblick auf die Stilistik eine ungefähr gleich große Gebundenheit bescheinigt: Est enim finitimus oratori poeta, numeris adstrictior paulo, verborum autem licentia liberior, multis vero ornandi generibus socius ac paene par. 94 Dazu als Parallele Cicero, de orat. 3,100; in der schmuckreichen Dichtung oder beim Hören einer festlichen Rede stehe der Überdruss (fastidium; vgl. Augustin: fastidibo) dem größten Vergnügen gefährlich nahe: Sic omnibus in rebus voluptatibus maximis fastidium finitimum est; quo hoc minus in oratione miremur, in qua vel ex poetis vel oratoribus possumus iudicare concinnam, distinctam, ornatam, festivam, sine intermissione, sine reprehensione, sine varietate, quamvis claris sit coloribus picta vel poesis vel oratio, non posse in delectatione esse diuturna. 95 In diesem Sinne wiederum bereits Cicero (de orat. 3,101), der ebenfalls die Lichtmetapher verwendet: In der Rede müsse es auch den Schatten geben, damit das, was im Licht stehen soll, umso mehr hervortreten (exstare atque eminere; vgl. Augustin: prominere) könne: sed habeat tamen
2. Hauptteil: 2,4 f,13
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Dialektik schließlich (Z. 48–52) ist nichts so gefahrvoll wie die Trug- und Fehlschlüsse; diese aber verleiten entweder durch ein – kaum merkliches und subtiles – „Zuwenig“ oder aber ein „Zuviel“ (vgl. Z. 49: vel minuendo vel addendo), dass dem Falschen zugestimmt wird. Dennoch: Auch die an sich zu verabscheuenden Trugschlüsse können – an den richtigen Stellen platziert – z. B. einem Streitgespräch (disputatio) durchaus einen gewissen Reiz verleihen. So zeigt sich auch in diesem Falle die paradoxe Wirkung des ordo, dass nämlich Unschönes, wofern es nur maßvoll und nicht „übermäßig“ auftritt, sehr wohl zur Steigerung einer Gesamtschönheit beitragen kann. 47 possessionibusque: Augustin verwendet possessio mehrfach im uneigentlichen Sinne, so in ord. 1,6,16, Z. 18; 2,14,39, Z. 3; c. acad. 1,7,20, Z. 32 (dort jeweils als „Besitz von Studien- und Bildungsinhalten“). Zum verbreiteten metaphorischen Gebrauch von possessio bei Cicero und Seneca vgl. Gunermann, Sprache, S. 39 f. 47 f sibique ipsa propria luce obstant totumque confundunt: Beispiele für überladene und damit konfuse Reden gibt auch Cicero (de orat. 3,50), der in diesem Zusammenhang wie Augustin sowohl von der Lichtmetapher Gebrauch macht als auch von einem „sich selbst im Wege Stehen und Behindern“ spricht: ita confusa est oratio, ita perturbata, … tantaque insolentia ac turba verborum, ut oratio, quae lumen adhibere rebus debet, ea obscuritatem et tenebras adferat atque ut quodam modo ipsi sibi in dicendo obstrepere videantur. 48 Mentientes conclusiones: Die Beschreibung der Wirkungsweise der „Fehlschlüsse“ geschieht – wie Doignon (BAug 4/2, S. 349) herausgearbeitet hat – mit Hilfe von Versatzstücken aus Cicero, de orat. 3,203. Nach der Erwähnung der „logischen Schlussfolgerung“ (rationis apta conclusio) spricht Cicero von den Verzerrungen der Wahrheit; so nennt er beispielsweise die sog. Hyperbel (veritatis supralatio atque traiectio), die man augendi minuendive causa anwende (vgl. Augustin, Z. 49: vel minuendo vel addendo). Kurz danach wird von der sog. Ironie (dissimulatio) gesagt, dass sie sich besonders gut in die Herzen der Zuhörer „einschleiche“ (inrepit; vgl. Augustin, Z. 48: inrepentes) und dass sie unter bestimmten Umständen als „sehr angenehm“ (periucunda) empfunden werde (vgl. Augustin, Z. 51: per eas dulcescat ipsa deceptio). Cicero übersetzt , den griechischen terminus technicus für den sog. „Trug-, Lügen- oder Fangschluss“ (ursprünglich: des Euklides von Megara), mit dem Partizip mentiens; vgl. div. 2,11: Quo modo autem mentientem, quem vocant, dissolvas (…). Eben diesen griechischen Ausdruck verwendet Augustin – nach dem Vorbild von Cicero, ac. 2,14796 – in c. acad. 2,5,11: Inde dissensiones phi-
illa in dicendo admiratio ac summa laus umbram aliquam et recessum, quo magis id, quod erit inluminatum, exstare atque eminere videatur. 96 Vgl. Gunermann, Sprache, S. 49, mit Verweis auf die Sacherklärung bei A. St. Pease, De divinatione, S. 364 ff (Kommentierung zu div. 2,11).
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II. Kommentar
losophorum, inde sensuum fallaciae, inde somnia furoresque, inde pseudomenoe et soritae in illius causae patrocinio viguerunt.97 48 f conclusiones … inrepentes paulatim vel minuendo vel addendo in assensionem falsitatis: Gedacht ist vermutlich an den sorites ( ), den so genannten „Haufenschluss“98, das Beispiel par excellence für einen Kettenschluss, bei dem sich „allmählich“ durch „Verringern“ oder „Hinzufügen“ eine „falsche Annahme“ gewissermaßen „einschleicht“. Unter dieser Voraussetzung ist der hiesige Ausdruck mentientes conclusiones aut inrepentes nichts anderes als die lateinische Übersetzung der griechischen Version pseudomenoe et soritae, welche Augustin in c. acad. 2,5,11 bevorzugt.99 2,5,14: Das Maß in der Musik, Geometrie, Astronomie und Zahlenlehre 1 Iam in musica, in geometrica, in astrorum motibus, in numerorum necessitatibus ordo
ita dominatur, ut, si quis quasi eius fontem atque ipsum penetrale videre desideret, aut in his inveniat aut per haec eo sine ullo errore ducatur. Talis enim eruditio, si quis ea moderate utatur – nam nihil ibi quam nimium formidandum est – talem 5 philosophiae militem nutrit vel etiam ducem, ut ad summum illum modum, ultra quod requirere aliquid nec possit nec debeat nec cupiat, qua vult, evolet atque perveniat multosque perducat, unde iam, dum ipsis humanis rebus teneatur, sic eas despiciat cunctaque discernat, ut nullo modo eum moveat, cur alius optet liberos habere nec habeat, alius uxoris nimia fecunditate torqueatur, egeat ille pecunia, qui 10 largiri liberaliter multa paratus est, eique defossae incubet macer et scabiosus fenerator, ampla patrimonia luxuries dispergat atque diffundat, vix toto die lacrimans mendicus nummum impetret, alium honor extollat indignum, lucidi mores abscondantur in turba.
1 in musica, in geometrica, in astrorum motibus, in numerorum necessitatibus: In § 13 wurde mit der Grammatik / Poesie, Rhetorik und Dialektik das trivium der sog. „Wissenschaften des Wortes“ vorgestellt, es folgt nun das 97 Weitere Augustin-Stellen zum sog. „Trugschluss“: c. acad. 3,13,29 (die bekannte „LügnerAntinomie“); mag. 8,23; quant. anim. 65; c. Cresc. 2,18,23; civ. 20,1. 98 Der sorites (von griech.: = Haufen) nutzt für seine formale Überzeugungskraft die Unbestimmtheit bestimmter quantitativer Begrifflichkeiten. Die namensgebende Ausgangsfrage bezieht sich auf das Problem, von welcher Anzahl an man bei angesammelten Körnern von einem „Haufen“ bzw. nicht mehr von einem „Haufen“ sprechen könne. Nimmt man beispielsweise von einem großen Sandhaufen nur ein Korn weg, so wird man den Rest auch weiterhin als „Haufen“ bezeichnen können. Man wird nunmehr zu der Behauptung verleitet, dass zwei Ansammlungen von Körnern, die sich nur durch ein Korn unterscheiden, entweder beide als „Haufen“ oder beide als „Nicht-Haufen“ zu gelten haben. Nimmt man nun nach und nach (vgl. Augustin: paulatim) jeweils nur ein Korn weg, so ergibt sich, wenn man die aufgestellte Behauptung aufrecht erhält, die absurde Schlussfolgerung, dass auch zwei Körner, ja sogar ein Korn (oder letztlich auch gar kein Korn), noch einen „Haufen“ darstellt. Vgl. ausführlich zum logischen Problem: R. M. Sainsbury, Paradoxien, Stuttgart 1993, S. 39–72. Siehe die ironische Darstellung bei Horaz, epist. 2,1,35–49, in Bezug auf die Relativität des Begriffes „alt“. 99 Vgl. Cicero, ac. 2,147 für diese feste Wortverbindung: … de sorite aut pseudomeno …
2. Hauptteil: 2,5,14
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quadrivium der „Wissenschaften von den Zahlen“, um die genormte Siebenzahl der artes liberales zu komplettieren. Der hiesige „kleine“ Wissenschaftsexkurs korrespondiert mit dem später folgenden „großen“ (2,12,35–2,15,43) sowohl in der Anzahl der Disziplinen als auch weitgehend in deren Reihenfolge: Lediglich folgen dort auf die Grammatik (§ 35–37) zunächst die Dialektik (§ 38) und dann erst die Rhetorik (ibid.). – Es stellt sich unweigerlich die Frage nach der Ursache für die Dublette. Warum bietet Augustin den Durchgang durch die enzyklopädischen Wissenschaften seinen Lesern zweimal an? Der Versuch einer Antwort wird die Entstehungsgeschichte von De ordine, wie sie in den retractationes (1,3,1) beschrieben ist, nicht ignorieren dürfen. Die Schrift ist hinsichtlich ihrer Struktur nicht von Angang an so konzipiert und entworfen worden, wie sie sich jetzt präsentiert. Offenbar ist es Augustins ursprüngliche Absicht, ein rein dialogisches Werk zu verfassen. Erst als dieses – zumindest in den Grundzügen – feststeht und ihn inhaltlich nicht befriedigt, fügt er seine umfangreiche oratio perpetua (2,7,24–20,52) an, was dann geradezu zwangsläufig zu gewissen Redundanzen führen muss. 1 numerorum necessitatibus: Die Wortverbindung mag eine Reminiszenz an eine Formulierung bei Cicero sein, der sie an einer Stelle seines orator (176) verwendet, allerdings in der andersartigen Bedeutung des „metrischen Zwangs“: Quin etiam se ipse tantum quantum procedebat … relaxarat a nimia necessitate numerorum … 2 eius [sc. ordinis] fontem: Deutlicher Anklang an trinitarische Terminologie; das Bild der „Quelle“ für den Vater als der ersten trinitarischen Person, die den Anfang und Ursprung der beiden nachfolgenden Hypostasen darstellt, ist bei den lateinischen wie griechischen Kirchenvätern gleichermaßen beliebt.100 Bei Augustin erscheint es an zwei weiteren Stellen in den philosophischen Frühdialogen, jeweils in exponierter Stellung innerhalb des trinitarischen Abschlusses von De ordine (2,19,51, Z. 34) und De beata vita (4,35, Z. 270; beide Zitate supra unter 1,7,17, Z. 8). Verbunden ist der Quellenvergleich hier mit dem signifikanten Begriff des höchsten Maßes (summus ille modus; Z. 5), welcher ebenfalls das „väterliche Prinzip“ innerhalb der trinitarischen Spekulation repräsentiert. Im hiesigen Zusammenhang kommt es Augustin darauf an, die wissenschaftliche Betrachtung der Welt als den unverzichtbaren Weg zur Gotteserkenntnis zu erweisen. Nur der gebildete, die übergreifenden Zusammenhänge verstehende Mensch vermag die Welt als das große und einheitliche Ordnungsgefüge zu begreifen, in welchem überall Maß und Harmonie herrschen. Die ultimative Frage nach dem Ursprung dieser wunderbaren Ordnung führt unweigerlich zum höchsten Gottesbegriff. 2 ipsum penetrale: Zur voraugustinischen Verwendung des Begriffs in philosophischen Zusammenhängen vgl. supra zu 1,11,31, Z. 11 f (s. v. ad sacrosancta 100
nität.
Vgl. supra zu 1,7,17, Z. 8; siehe ebd. zum ordo als Klausel für die dritte Person der Tri-
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II. Kommentar
philosophiae penetralia); dass anstatt der sonst üblichen Pluralform hier der Singular erscheint, hängt wohl damit zusammen, dass konkreter als an der Parallelstelle der monistische Gottesbegriff (vgl. fons, summus modus) anvisiert wird. 3–5 Talis enim eruditio … talem philosophiae militem nutrit: Die profunde Bildung in den enzyklopädischen Wissenschaften dient dem Philosophen gewissermaßen als „Nahrung“101. Zu dieser propädeutischen Funktion der artes liberales vgl. neben ord. 1,1,3; 1,7,20; 1,8,24; 2,5,15; 2,16,44 auch c. acad. 2,3,8 (an Romanianus gerichtet): filius tuus coepit philosophari. Ego eum reprimo, ut disciplinis necessariis prius excultus vigentior et firmior insurgat; siehe auch soliloq. 1,13,23: ordine quodam ad eam (sc. sapientiam) pervenire bonae disciplinae officium est, sine ordine autem vix credibilis felicitatis; ibid. 2,20,35: Tales sunt, qui bene disciplinis liberalibus eruditi …; nec tamen contenti sunt nec se tenent, donec totam faciem veritatis, cuius quidam in illis artibus splendor iam subrutilat, latissime atque plenissime intueantur; vgl. mag. 8,21; quant. anim. 15,25: nam et exercet animum hoc genus disciplinarum ad subtiliora cernenda, ne luce illorum repercussus et eam sustinere non valens in easdem tenebras, quas fugere cupiebat, libenter refugiat; ibid. 33,72. – Man sieht deutlich, dass Augustin zur Zeit seiner frühen schriftstellerischen Tätigkeit noch keineswegs gewillt ist, seine eigene wissenschaftliche Bildung und Ausbildung (conf. 4,16,30 u. ö.) gering zu schätzen; am deutlichsten kommt dies durch sein groß angelegtes Vorhaben (retr. 1,6,6) zum Ausdruck, die sieben Disziplinen literarisch zu entfalten und ihnen jeweils eine eigene Schrift zu widmen.102 3 per haec eo sine ullo errore ducatur: Dass die artes liberales für denjenigen Geist, der sich ihnen anvertraut, einen Wegweiser zum Überirdischen darstellen können, ist auch die überlieferte Ansicht Varros, auf den sich Augustin nach eigenen Angaben stützt (vgl. ord. 2,20,54); so gibt Claudianus Mamertus (stat. an. 2,8) die Zielperspektive des Wissenschaftsstudiums nach Varro wie folgt wieder: ut a visibilibus ad invisibilia, a localibus ad inlocalia, a corporeis ad incorporea abstrahat animum.103 Dass Varro hier bereits in neuplatonischer Interpretation vorliege, bemerkt W. Theiler, Porphyrios, S. 5, Anm. 1. 101 Häufig vergleicht Cicero philosophische Bildung und Studien mit dem Begriff der Nahrung, meist der Säuglingsnahrung, wie sie von einer Amme (nutrix) verabreicht wird; vgl. de orat. 2,162 (qui omnis tenuissimas particulas atque omnia minima mansa ut nutrices infantibus pueris in os inserant); orat. 37.42; Tusc. 3,2; dazu Gunermann, Sprache, S. 14. Vgl. auch Aug., soliloq. 1,13,23: Ergo isti exercendi sunt prius et eorum amor (sc. zur Weisheit und Schönheit) utiliter differendus atque nutriendus est. 102 Ausnahme: In einer der Schriften sollte explizit die Philosophie (statt der Astronomie) behandelt werden (vgl. retr. 1,6,6). Das Programm wurde nur ansatzweise umgesetzt, erhalten sind bekanntlich die De musica libri sex und der Anfang der Principia Dialecticae. Der Abbruch des Unternehmens hat mit einer Verschiebung der thematischen Interessen und vor allem der geänderten, kritischeren Einstellung zur Nützlichkeit der Wissenschaften zu tun; vgl. retr. 1,3,4 (zitiert supra unter 1,1,3, Z. 40 f); doctr. christ. 2,58.60–63; epist. 55,21,39; vgl. hierzu H. Fuchs, Bildung, S. 357–359; ders., Enkyklios Paideia, S. 394 f; I. Hadot, Arts, S. 130; G. Rechenauer, Enkyklios Paideia, S. 1177–1179. 103 Vgl. retr. 1,3,1 über den in De ordine dargelegten wissenschaftlichen Bildungsgang: de ordine studendi loqui malui, quo a corporalibus ad incorporalia potest profici.
2. Hauptteil: 2,5,14
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4 nam nihil ibi quam nimium formidandum est: Auch der frühe Augustin steht dem Wissenschaftsbetrieb seiner Zeit keineswegs unkritisch gegenüber. Beim Studium der freien Künste müsse ein gewisses Maß eingehalten werden; die Gefahr, sich ausschließlich mit banalen Belanglosigkeiten zu beschäftigen sei groß; vgl. hierzu supra zu 1,8,24, Z. 37 und 1,1,3, Z. 37. Mitzudenken ist vor allem die neuplatonisch gefärbte Erkenntnistheorie Augustins, wie sie im Proömium (vgl. ord. 1,2,3) so eindrücklich dargestellt wird: Nicht auf die schiere Menge des Wissens (= das multum) komme es an, sondern darauf, das Wesentliche, gleichsam die „Mitte alles Wissens“ (= das unum) als den für Selbst- und Gotteserkenntnis zentralen Inhalt zu erfassen. 5 philosophiae militem … vel etiam ducem: Für den metaphorischen Gebrauch von miles in philosophischen Zusammenhängen gibt es Parallelen und Vorläufer; bei Valerius Maximus (8,7 ext. 5) wird Karneades sapientiae miles genannt; bei Cicero wird der gebildete und weise Mann mit einem altgedienten Soldaten verglichen (Tusc. 2,39): Ergo haec veteranus miles facere poterit, doctus vir sapiensque non poterit? Vgl. auch Tusc. 2,51. – Für den Ausdruck dux philosophiae („Vorkämpfer der Philosophie“ [Übs. Keseling; übernommen von Mühlenberg]) scheint es keinen direkten Vorläufer zu geben; häufig wird allerdings bei Cicero die Philosophie oder auch die Weisheit selbst als dux bezeichnet; Tusc. 5,5: o vitae philosophia dux …; leg. 1,59: … quasi adumbratas intellegentias animo ac mente conceperit, quibus inlustratis sapientia duce bonum virum et ob eam causam ipsam cernat se beatum fore; fin. 1,43: sapientia est adhibenda, quae et terroribus cupiditatibusque detractis et omnium falsarum opinionum temeritate derepta certissimam se nobis ducem praebeat ad voluptatem.104 5 summum illum modum: Das „höchste Maß“ ist die letzte Bezugsgröße für alle anderen Maßeinheiten,105 durch welche Räume und Zeiten und jede in ihnen lebende Kreatur bestimmt ist (vgl. vera relig. 224–233); es ist ein ästhetischer wie ethischer Wert und entfaltet seine Wirkung daher sowohl im körperlichen wie geistigen Bereich. In seiner Identifikation mit dem Gottesbegriff (vgl. supra zu Z. 2) erhält dieser einen gewissen pantheistischen Grundzug.106 Im engeren Sinne ist der Begriff des „höchsten Maßes“ bzw. des „Urmaßes“ für die erste trinitarische Person reserviert; vgl. c. acad. 2,2,4;107 vera relig. 232 f und besonders deutlich die klassische Stelle beat. vit. 4,34: Veritas autem ut sit, fit per aliquem summum modum, a quo procedit et in quem se perfecta convertit. Ipsi autem summo modo 104
Weitere (allerdings weniger gut passende) Parallelen bei Gunermann, Sprache, S. 148 f. Siehe E. Haenchen, Gewißheit, S. 65, Anm. 136. 106 Vgl. dazu F. Hofmann, Kirchenbegriff, S. 28, Anm. 13. – Zur Unterscheidung des aristotelisch-stoischen Maßbegriffes (das Maß als die Mitte zwischen zwei Extremen) und der von Augustin in De ordine vorrangig übernommenen platonischen Maßidee (das Maß als ewige Idee und ubiquitärer Ermöglichungsgrund alles Seienden) vgl. supra zu 1,1 f,3, Z. 48–50 mit weiterer Literatur. Schon bei Platon wird im Übrigen Gott mit dem „Maß aller Dinge“ ( ; leg. 716 c) gleichgesetzt; vgl. dazu Plotin, Enn. 1,2,2; 1,8,2 ( ). Siehe hierzu O. du Roy, L’intelligence, S. 151–161; E. Dönt, Aufbau, S. 195 f. 107 Siehe die Interpretation bei Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 83 f (zu Z. 31 f). 105
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II. Kommentar
nullus alius modus interponitur; si enim summus modus per summum modum modus est, per se ipsum modus est. Sed etiam summus modus necesse est, ut verus modus est. Ut igitur veritas modo gignitur, ita modus veritate cognoscitur. Neque igitur veritas sine modo neque modus sine veritate umquam fuit. Quis est dei filius? dictum est: veritas. Quis est, qui non habet patrem? quis alius quam summus modus? Quisquis igitur ad summum modum per veritatem venerit, beatus est.108 6 evolet: Augustin verwendet metaphorisches evolare (auch superevolare und revolare) mehrfach, um die Loslösung des Geistes aus der irdisch-körperlichen Befangenheit und seinen Weg zu einem höheren Bestimmungsort zu beschreiben. Geradezu als Dublette ist die Stelle c. acad. 2,2,4 anzusehen, da hier – mit derselben Formulierung – auch die Zielperspektive, nämlich „zum höchsten Maß zu gelangen“, beschrieben wird: gaudeo, quod a superfluarum cupiditatium vinculis evolavi …, quod me ad summum ipsum modum perventurum esse confido; vgl. ord. 2,9,27: auctoritas divina …, quae in sensibilibus signis transcendit omnem humanam facultatem …, non teneri sensibus …, sed ad intellectum iubet evolare; die Rolle der Wissenschaften beim „Flug des Geistes“ wird ebenfalls betont in c. acad. 1,7,21: … darentque operam his disciplinis instruere atque adminiculare suam mentem, quibus aeriam istam invisibilium animantium naturam transilire et eam superevolare contingeret; vgl. auch die Fabel von der „frei fliegenden Philosophie“ ibid. 2,3,7: Facile evadit, facile revolat hoc genus avium multis inclusis multum mirantibus; siehe auch soliloq. 1,14,24: Penitus esse ista sensibilia fugienda cavendum magnopere, dum hoc corpus agimus, ne quo eorum visco pennae nostrae impediantur, quibus integris perfectisque opus est, ut ad illam lucem ab his tenebris evolemus; mus. 6,15,50 und epist. 15,2.109 Das Bild des „Seelenfluges“ geht ursprünglich auf Platon zurück (Phaid. 109 e: … ; vgl. Phaidr. 246 a–256 e; aufgenommen von Plotin in Enn. 1,3,3,1 f und 1,8,14,20110), ist Augustin aber vor allem aus Cicero bekannt, der es im 6. Buch von De re publica (innerhalb seines berühmten somnium Scipionis) aufgreift und ausgestaltet; siehe rep. 6,14 zur Reise in die himmlische Sphäre: hi vivunt qui e corporum vinculis tamquam e carcere evolaverunt, vestra vero quae dicitur vita mors est; ibid. 29: sunt autem optimae curae de salute patriae, quibus agitatus et exercitatus animus velocius in hanc sedem et domum suam pervolabit; idque ocius faciet, si iam tum cum erit inclusus in corpore, eminebit foras, et ea quae extra erunt contemplans quam maxime se a corpore abstrahet; dazu inhaltlich passend Lael. 14: Id si ita est, ut optimi cuiusque animus in morte facillime evolet tamquam e custodia vinclisque corporis, cui censemus cursum ad deos faciliorem fuisse quam Scipione? Ähnlich wird der Zustand der Seele bei der extasis (dem Verlassen des Körpers während der Weissagung) beschrieben; div. 1,114: Ergo et ii quorum animi spretis corporibus evolant atque excurrunt foras ardore aliquo inflammati atque incitati cernunt illa profecto 108 Zur trinitarischen Interpretation dieser Stelle vgl. erhellend O. du Roy, L’intelligence, S. 161; L. F. Pizzolato, Il „Modus“ nel primo Agostino, S. 250. 109 Zur letzten Stelle vgl. die Bemerkungen bei J. Doignon, Thèmes, S. 40 f. 110 Dazu P. Courcelle, Connais-toi, S. 607 ff; C. Zintzen, Mystik, S. 81 f; A. Wlosok, Erlösungsvorstellung, S. 33 ff.
2. Hauptteil: 2,5,15
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quae vaticinantes pronuntiant. – Die spezielle Verbindung von evolare und pervenire hat Cicero ebenfalls mehrfach; vgl. z. B. fam. 7,30,1: … hinc ipse evolare cupio et aliquo pervenire …; vgl. Gunermann, Sprache, S. 9. 7 f dum ipsis humanis rebus teneatur, sic eas despiciat …: Gunermann (Sprache, S. 96 f) weist darauf hin, dass die spezielle Wendung res humanas despicere ciceronisch sei und vor allem in stoischen Zusammenhängen erscheine. Tatsächlich ist sie in Ciceros corpus philosophicum geradezu ein Standardausdruck, um innerhalb der Tugendlehre insbesondere die Tapferkeit (fortitudo) und Seelengröße (magnitudo animi) zu beschreiben; vgl. fin. 5,73: … multa sunt ante dicta … de contemnendis ac despiciendis rebus humanis;111 Tusc. 3,15: necesse est, … qui magni animi sit, invictum; qui invictus sit, eum res humanas despicere atque infra se positas arbitrari. Despicere autem nemo potest eas res, propter quas aegritudine adfici potest; off. 1,61: Intellegendum autem est … splendissimum videri, quod animo magno elatoque humanas res despiciente factum sit. – Zur ähnlichen Wendung despicere humana vgl. off. 3,100: Harum enim est virtutum nihil extimescere, omnia humana despicere, nihil, quod homini accidere possit, intolerandum putare; rep. 1,28: Quod autem imperium, qui magistratus, quod regnum potest esse praestantius, quam despicientem omnia humana et inferiora sapientia ducentem nihil umquam nisi sempiternum et divinum animo volutare? Siehe auch fin. 3,29; ac. 2,127; Tusc. 2,11. – Den Ausdruck despicientia rerum humanarum verwendet Cicero in Tusc. 1,95; ibid. 2,32 und off. 1,72. 8 f moveat, cur alius optet liberos habere nec habeat: Wieder eine Dublette!112 Vgl. ord. 2,19,51, Z. 41: movebit, cur alius optans habere filios non habeat …; über die scheinbar ungerechte Verteilung von Lebensgütern handelt ausführlich auch Plotin in seiner ersten Vorsehungsschrift (Enn. III 2), hauptsächlich ) so häufig über unter der Fragestellung, warum die Schlechten ( die Guten ( ) herrschen. 9 alius uxoris nimia fecunditate torqueatur: Eine amüsante, beinahe sarkastische Bemerkung Augustins, von der wir nicht wissen, ob sie auch einen realen personenbezogenen Hintergrund hat. Doignon (BAug 4/2, S. 205, Anm. 54) verweist für den „trait d’humour sarcastique“ auf Cicero, Phil. 2,24,58. – Zur Verwendung des Witzes in den Cassiciacum-Schriften vgl. supra zu 2,3,9, Z. 32 f. 11 f vix toto die lacrimans mendicus nummum impetret: Ein Topos der Diatribe bei Horaz, Sat. 2,2,103 (Doignon, BAug 4/2, S. 205, Anm. 56). 2,5,15: Empfehlungen zum Umgang mit dem Theodizeeproblem Haec et alia in hominum vita cogunt homines plerumque inpie credere nullo nos 15 ordine divinae providentiae gubernari; alios autem pios et bonos atque splendido
ingenio praeditos, qui neque nos deseri a summo deo possunt in animum inducere 111 Vgl. im unmittelbaren Zusammenhang dieser Stelle auch die Hochschätzung der Wissenschaft (scientia). 112 Zu möglichen Ursachen vgl. supra zu 2,5,14, Z. 1.
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II. Kommentar
et tamen rerum tanta quasi caligine atque commixtione turbati nullum ordinem vident volentesque sibi nudari abditissimas causas errores suos saepe etiam carminibus conqueruntur. Qui si hoc solum interrogent, cur Itali semper serenas hiemes orent 20 et item semper Getulia nostra misera sitiat, quis eis facile respondebit? Aut ubi apud nos indagabitur illius ordinis ulla suspicio? Ego autem si quid meos monere possum, quantum mihi apparet quantumque sentio, censeo illos disciplinis omnibus erudiendos. Aliter quippe ista sic intellegi, ut luce clariora sint, nullo modo possunt. Si autem aut pigriores sunt aut aliis negotiis praeoccupati aut iam duri ad discendum, 25 fidei sibi praesidia parent, quo illos vinculo ad sese trahat atque ab his horrendis et involutissimis malis liberet ille, qui neminem sibi per mysteria bene credentem perire permittit.
14 inpie: Anklang an das Proömium, wo in ähnlicher Weise die Auffassung, dass die divina providentia nicht allumfassend sei, als „frevelhaft“ gebrandmarkt wird; siehe supra unsere Bemerkungen zu 1,1,1, Z. 11 f.13.17. Ebenso wird auch dort betont, dass die scheinbare Ungerechtigkeit und Unordnung „in den menschlichen Dingen“ (Z. 8: in humanis rebus; vgl. 2,5,15, Z. 14: in hominum vita) zu diesem falschen Glauben geradezu nötigt und zwingt (Z. 10 f: quasi necessarium … credendum dimittitur …; vgl. 2,5,15, Z. 14: Haec et alia … cogunt homines … credere …). 16 deseri a … deo: Auch diese Wendung erscheint in leichter Abwandlung im Proömium: Quamquam enim desertum deo quicquam credere cum imperitissimum tum etiam periculosissimum animo sit … (1,1,1, Z. 13 f). 17 caligine: Vgl. als sachliche Entsprechung in der Werkeinleitung die obscurae res aus 1,1,1, Z. 4. – Zum metaphorischen Gebrauch der caligo im Sinne von „geistiger Dunkelheit“ kann auf einige Parallelstellen bei Cicero verwiesen werden: fin. 5,43; Tusc. 1,45.64; 5,6; Cato 5; Phil. 12,3.5.113 Bei Augustin selbst vgl. in den Cassiciacum-Schriften noch beat. vit. 1,4, Z. 83. 18 f errores suos saepe etiam carminibus conqueruntur: Hier ist eindeutig auf Zenobius, den Adressaten der Schrift, angespielt, der nach ord. 1,7,20, Z. 48–56 ein Gedicht (carmen) verfasst hatte, durch welches er Augustin zu einer ausführlichen Auseinandersetzung über das Problem der Weltordnung aufforderte. Er erhoffte sich auf diesem Wege die entscheidenden Antworten auf seine grüblerischen Fragen. Offensichtlich enthielt das Gedicht des Zenobius, wie der hiesigen Stelle entnommen werden kann, eine Klage über die eigenen Unzulänglichkeiten (errores) beim Erkennen dieser göttlichen Ordnung. Die Interpretation, dass hier Zenobius gemeint ist, wird durch weitere Beobachtungen gestützt. In Z. 15 f ist von „guten“, „gottesfürchtigen“ und „mit einer glänzenden geistigen Begabung versehenen“ Männern die Rede, welche trotz aller erdrückenden Gegenargumente an ihrem Glauben an die Vorsehung Gottes festhalten wollen. Diese Beschreibung passt tatsächlich auf niemanden besser als auf den besagten Zenobius, der im Proömium (1,1,4) ausdrücklich 113 Vgl. Gunermann (Sprache, S. 28 f), der im Übrigen annimmt, dass diese spezielle Verwendung von caligo vor Cicero nicht gebräuchlich gewesen sei.
2. Hauptteil: 2,5,15
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hinsichtlich seiner geistigen Begabung (ingenium; Z. 3) gelobt, als ein moralisch hochstehender Mensch gewürdigt (animus sine libidinis inmoderatione atque sordibus; Z. 4 f), aber auch hinsichtlich seiner von ihm selbst eingestandenen Zweifel und Irrtümer angesprochen wird (causa … erroris animarum; Z. 1). Des Weiteren sticht ins Auge, dass hier wie dort als „Rezept“ gegen alle Verunsicherung durch das Theodizeeproblem die Beschäftigung mit den enzyklopädischen Wissenschaften empfohlen wird (1,1,4, Z. 7 f: cum eruditioni operam dederis; 2,5,15, Z. 22 f: illos disciplinis omnibus erudiendos). 19 cur Itali semper serenas hiemes orent: Wahrscheinlich eine Anspielung auf Vergil, Georg. 1,100 (Umida solstitia atque hiemes orate serenas), die unter Umständen schon im carmen des Zenobius ihren Platz hatte. – Das kalte, trübe und regnerische Wetter im winterlichen Norditalien ist für den Afrikaner Augustinus häufiger der Erwähnung wert: ord. 1,8,25; 2,6,19; c. acad. 3,1,1; beat. vit. 1,6. Nach epist. 124,1 konnte er Kälte nicht gut vertragen (vgl. Keseling, Weltregiment, S. 238). Dass sein Freund Alypius barfuß über den gefrorenen Boden Italiens ging, wird in conf. 9,6,14 als ein „ungewöhnliches Wagnis“ (insolitus ausus) äußerst mutiger Körperbeherrschung geschildert. 20 Getulia nostra misera sitiat: Getulien (auch: Gätulien), die Region südlich von Numidien zwischen kleiner Syrte und Atlantischem Ozean (im heutigen Marokko und der algerischen Sahara), steht als pars pro toto für Afrika; vgl. in psalm. 148,10; Plinius, nat. hist. 5,4,5 (siehe Doignon, BAug 4/2, S. 207, Anm. 60). – Das Possessivpronomen nostra könnte darauf hinweisen, dass auch Zenobius aus Afrika stammte; Sicherheit ist hier allerdings nicht zu gewinnen.114 23 Aliter … ista sic intellegi, ut luce clariora sint, nullo modo possunt: Bezug von ista auf die ungleiche Verteilung der Lebensgüter, wie sie in § 14 f dargestellt wird. Sie bildet den Ausgangspunkt für das Theodizeeproblem, d. h. das scheinbare Fehlen jeder göttlichen Ordnung und Gerechtigkeit. Das letztgenannte Beispiel der ungleichen Witterungsbedingungen für die verschiedenen Völker (Z. 19 f) ist in besonderem Maße geeignet, die Grundhaltung Augustins zu verdeutlichen: Dadurch dass er eine naturwissenschaftlich erklärbare Fragestellung aufgreift, wird seine Forderung nach einem gründlichen Studium der artes liberales besonders plausibel. – Mit dem eingeschobenen Konsekutivsatz (ut luce clariora sint) scheint im Übrigen schon hier die augustinische These auf, dass die wissenschaftlich-rationale Betrachtung gegenüber dem bloßen Glauben (fides; vgl. Z. 23–27) den Vorteil einer höheren Erkenntnissicherheit besitzt. Folgt man seinen Studienempfehlungen, so wird so manches vorher ungeklärte Problem plötzlich „klarer als das Licht“. Zu diesem sachlichen Vorrang der ratio vor der auctoritas vgl. (neben anderen Stellen) insbesondere ord. 2,9,26, Z. 3: Tempore auctoritas, re autem ratio prior est.
114 Pietri / Pietri behandeln Zenobius im 2. Band der PCBE (= Prosopographie de l’Italie chrétienne; siehe dort S. 2378), jedoch ohne Angaben über dessen Herkunft.
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II. Kommentar
25 f quo … trahat atque … liberet: Der Konjunktiv im Relativsatz erklärt sich allein durch seinen final-konsekutiven Sinn (so richtig Doignon, BAug 4/2, S. 209: „pour que …“); eine Übersetzung im Sinne eines coniunctivus optativus (Keseling, S. 163: „möge ziehen und frei machen“) ist durch nichts angezeigt. 26 liberet: Gott ist der eschatologische Befreier der Seelen115 (sc. beim Verlassen des irdischen Körpers); vgl. in ähnlichem Zusammenhang insbes. ord. 2,9,26, Z. 18–20: credo, mox ut hoc corpus reliquerint, eos, quo bene magis minusve vixerunt, eo facilius aut difficilius liberari. Vgl. soliloq. 1,1,2: Deus, … praesta mihi …, postremo ut liberes! 26 f qui neminem sibi … credentem perire permittit: Anklang an Joh 3,16: … … 26 mysteria: Zum Begriff des mysterium in Augustins Frühschriften vgl. supra zu 1,1,2, Z. 25 f. Er erinnert an neuplatonischen Sprachgebrauch (siehe Enn. 6,9,11; dazu Alfaric, évolution, S. 381), hat aber bei Augustin immer einen eindeutigen christlichen Bezug. Die präzise Bedeutung ist allerdings umstritten: Haenchen (Gewißheit, S. 58, Anm. 107) und Keseling (Weltregiment, S. 239) erkennen in den mysteria speziell die christliche Kirche; Doignon (BAug 4/2, S. 209, Anm. 64; S. 350) vertritt die Auffassung, dass hier – wie in c. acad. 2,1,1 – unter mysteria die Heiligen Schriften verstanden werden. Fuhrer (Contra Academicos, S. 67 f) vermeidet – u. E. zu Recht – eine zu enge Konkretisierung des Begriffs und verweist auf einen allgemeinen unspezifischen Gebrauch in der christlichen lateinischen Literatur, wo er ein breites Bedeutungsspektrum (je nach Zusammenhang: „Offenbarung“ oder „geoffenbarte Lehre“, aber auch „heilige Schrift“ oder „heiliger Glaube“116) ausfülle. 2,5,16: Vernunft und Autorität als der „doppelte Weg“ Duplex enim est via, quam sequimur, cum rerum nos obscuritas movet, aut rationem aut certe auctoritatem. Philosophia rationem promittit et vix paucissimos liberat, 30 quos tamen non modo non contemnere illa mysteria sed sola intellegere, ut intellegenda sunt, cogit, nullumque aliud habet negotium, quae vera et, ut ita dicam, germana philosophia est, quam ut doceat, quod sit omnium rerum principium sine principio quantusque in eo maneat intellectus quidve inde in nostram salutem sine ulla degeneratione manaverit, quem unum deum omnipotentem, eumque tri35 potentem patrem et filium et spiritum sanctum, docent veneranda mysteria, quae fide sincera et inconcussa populos liberant, nec confuse, ut quidam, nec contumeliose, ut multi, praedicant. Quantum autem illud sit, quod hoc etiam nostri generis corpus tantus propter nos deus adsumere atque agere dignatus est, quanto videtur vilius, tanto est clementia plenius et a quadam ingeniosorum superbia longe alteque 40 remotius. 115
Nach beat. vit. 4,36: deo patri, domino liberatori animarum. Terminologie nach: W. Hensellek / P. Schilling, Specimina eines Lexicon Augustinianum, s. v. mysterium zu 1.1.1.2 (Plural). 116
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28 rerum … obscuritas: Rückbezug auf das in § 14 f entfaltete Kardinalproblem der Theodizee. In diesem Kontext müssen die folgenden Aussagen über den doppelten Erkenntnisweg der ratio und der auctoritas verstanden werden. Nur in diesem Zusammenhang erhalten die bekannten augustinischen Aussagen ihren Sinn. Denn besonders in der Frage nach der Theodizee besteht einerseits ein deutliches „Wissensdefizit“ (vgl. die „Warum-Fragen“ in § 14, Z. 8–13; § 15, Z. 19 f), andererseits aber klare grundsätzliche Vorgaben durch den tradierten christlichen Glauben (vgl. § 15, Z. 14–16). 28 f aut rationem aut … auctoritatem: Die Theorie über Zusammenspiel und Wechselwirkung der beiden Erkenntniswege „Vernunft und Autorität“ gehört zu den sehr ausführlich und intensiv erforschten Kapiteln augustinischer Gnoseologie.117 Besonders in seinem Frühwerk hat der junge Christ und Philosoph hierzu seine bemerkenswerten, ideengeschichtlich höchst einflussreichen Gedanken entwickelt. Die bekannten Parallelstellen finden sich in c. acad. 3,20,43; ord. 2,9,26 f; quant. anim. 7,12; vera relig. 122–124.118 – Bemerkenswert an der hiesigen Stelle ist zunächst, dass Augustin bezüglich der Gangbarkeit der beiden Erkenntniswege von einem disjunktiven aut … aut spricht.119 Der Lernwillige 117 Unmöglich kann hier eine nur annähernd vollständige Auflistung der großen Menge an (neuerer wie älterer) Sekundärliteratur gegeben werden. Eine jeweils gute Auswahl von wichtigen Behandlungen des Themas bieten: C. Andresen, Bibliographia Augustiniana (1973); A. Schindler, Augustin (1979); K.-H. Lütcke, Art. „auctoritas“, in: Augustinus-Lexikon 1 (1986– 1994); vgl. auch den Forschungsbericht bei J. Doignon, Etat, S. 68 f. 118 Die Herkunft des augustinischen ratio / auctoritas-Schemas ist in der Forschung umstritten. Dass Augustin bestimmte Stellen aus dem corpus philosophicum Ciceros kannte, darf jedoch mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, auch wenn ein direkter Bezug im Einzelnen schwer nachweisbar ist; vgl. z. B. nat. deor. 1,10: non enim tam auctoritatis in disputando quam rationis momenta quaerenda sunt. Quin etiam obest plerumque iis, qui discere volunt, auctoritas eorum, qui se docere profitentur; desinunt enim suum iudicium adhibere, id habent ratum, quod ab eo, quem probant, iudicatum vident. Nec vero probare soleo id, quod de Pythagoreis accepimus, quos ferunt, si quid adfirmarent in disputando, cum ex iis quaereretur, quare ita esset, respondere solitos ‚ipse dixit‘; ‚ipse‘ autem erat Pythagoras: tantum opinio praeiudicata poterat, ut etiam sine ratione valeret auctoritas; siehe daneben auch Tusc. 1,49: Nec tamen mihi sane quicquam occurrit, cur non Pythagorae sit et Platonis vera sententia. ut enim rationem Plato nullam adferret – vide, quid homini tribuam –, ipsa auctoritate me frangeret: tot autem rationes attulit, ut velle ceteris, sibi certe persuasisse videatur; eine mögliche Quelle stellt auch ac. 2,60 dar: quae sunt tandem ista mysteria, aut cur celatis quasi turpe aliquid sententiam vestram? ‚ut qui audient‘, inquit, ‚ratione potius quam auctoritate ducantur‘. quid si utrumque, num peius est? – Eine aufschlussreiche Zusammenstellung weiterer Thesen zur Herkunft der Glaube / Erkenntnis-Dialektik bei Augustin bringt Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 473 f: Für einen Einfluss neuplatonischer Quellen sprechen sich demnach O’Connell, Theory, S. 24 f (Plotin) sowie O’Meara, Porphyry, S. 176 (Porphyrios) aus; den antimanichäischen Hintergrund betont Van Fleteren, Authority, S. 56 [siehe auch Trelenberg, Einheit, S. 146–150]; Holte, Béatitude, S. 177–190, denkt an einen (indirekten) Einfluss gnoseologischer Theoreme ( vs. bzw. ) in der alexandrinischen Theologie. 119 Vgl. Menge, Syntax § 522.1 (S. 346): „Aut hat ausschließende Kraft und bezeichnet, daß von den aufgeführten Dingen nur eines stattfinden kann, oder daß doch die Begriffe als entgegengesetzt oder scharf getrennt betrachtet werden sollen“. Vgl. Kühner / Stegmann II § 168,2 (S. 100): „Aut verbindet zunächst Begriffe und Sätze, die der Redende einander als wesentlich verschieden gegenüberstellt, es hat also zunächst ausschließende Kraft, d. h. die einander gegen-
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II. Kommentar
muss sich offenbar entscheiden und gewissermaßen schon im Voraus auswählen, welche Art und Weise des Erkenntnisgewinns er anzustreben gedenkt. Dem entspricht exakt die Metapher vom „zweifachen Weg“ (duplex via; Z. 28), welcher ebenfalls eine Entscheidung verlangt, da beide „Wegstrecken“ kaum zugleich verfolgt werden können.120 29 Philosophia: Doignon (BAug 4/2, S. 350; unter Berufung auf O’Connell, Philosophy, S. 76) zieht in Erwägung, dass die philosophia mit Christus zu identifizieren sei. Richtig ist, dass die zweite göttliche Person bei Augustin sehr häufig mit der „Weisheit“ gleichgesetzt wird (u. a. aufgrund von 1 Kor 1,24: Christum Dei virtutem et Dei sapientiam). Die Philosophie als der amor sapientiae (ord. 1,11,32; c. acad. 2,3,7; mor. eccl. 21,38; conf. 3,4,8; 6,12,21; c. Iulian. 4,14,72; civ. 8,1) bzw. das studium sapientiae (vera relig. 26; conf. 6,10,17–6,11,18; 7,17; civ. 8,2) ist mit der Weisheit selbst jedoch keineswegs kongruent. Dass die Philosophie nur „sehr wenige befreit“ (paucissimos liberat; Z. 29), wäre unter der genannten Voraussetzung besonders sperrig. Denn im genauen Gegensatz dazu betont Augustin, dass die Lehre Christi, die mit der (platonischen) Philosophie in weiten Teilen durchaus übereinstimme, den unschätzbaren Vorteil aufweise, auch die Massen anzusprechen und zur wahren Einsicht zu bewegen (besonders ausführlich dargestellt in vera relig. 8–24). Hier ist mit der philosophia, die auch die vera et germana philosophia (Z. 31 f) genannt wird, eindeutig die elitäre121 (neu)platonische Lehre gemeint; siehe hierzu ausführlich supra zu 2,1,1, Z. 7 (s. v. verae philosphiae). 29 vix paucissimos liberat: Dass die Philosophie ihre befreiende Kraft nur für ganz wenige Menschen bereit halte, betont Augustin in den Frühschriften mehrfach; z. B. c. acad. 2,3,7: saepe agnoscit (sc. philosophia), sed raro liberat.122 Immerhin traut Augustin der (platonischen) Philosophie eine solche Befreiung grundsätzlich überstehenden Satzglieder sind von der Art, daß das eine neben dem anderen nicht zugleich bestehend gedacht werden kann“. 120 In den Parallelstellen sind die Akzente mitunter anders gesetzt. In c. acad. 3,20,43 vermittelt das Bild vom „doppelten Gewicht“ (geminum pondus), welches zum Lernen drängt, die Vorstellung einer gleichsam synergetischen Wirkungsweise von Autorität und Vernunft. In ord. 2,9,26 ist wohl eher an ein zeitliches Nacheinander der beiden Erkenntnismethoden gedacht (Z. 3: Tempore auctoritas … prior est), wobei die Autorität in gewisser Weise als das „Pflichtprogramm“, die Vernunfterkenntnis dagegen als die fakultative „Kür“ für besonders Begabte und Ambitionierte vorgestellt wird. Ähnlich, nämlich in Richtung eines solchen Stufenmodells, geht auch die Auffassung in vera relig. 122: Die „Arznei“ (medicina) von Autorität und Vernunft soll ausdrücklich „nacheinander“ bzw. „schrittweise“ (gradatim) verabreicht werden. Dabei kommt der Autorität eine wichtige vorbereitende, den Menschen „präparierende“ Funktion zu (Auctoritas fidem flagitat et rationi praeparat hominem). Unserer hiesigen Stelle in De ordine kommt quant. anim. 7,12 am nächsten: Danach führt der Weg der auctoritas ohne Beschwernis sicher zum Ziel, auf dem Weg der ratio jedoch müssen, um zu demselben Ziel (= der „Wahrheit“) zu gelangen, „viele lange Umwege“ (multi et longi circuitus) in Kauf genommen werden. 121 Zur elitären Grundhaltung der Neuplatoniker vgl. supra zu 1,1 f,3, Z. 44 f. 122 Zur Nachwirkung des alten Topos der platonischen Philosophie, dass zum Philosophieren nicht geeignet seien (Platon, polit. 292 e 1 f), vgl. ord. 1,1,1; 1,11,32; 2,9,26; 2,11,30; 2,13,38; c. acad. 2,1,1; 2,3,7 f; beat. vit. 1,1; soliloq. 1,13,22; mag. 14,46; util. cred. 7,16; lib. arb. 2,126.
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zu.123 Später (in civ. 10,32) äußert sich Augustin nicht nur wesentlich skeptischer, sondern schließt apodiktisch aus, dass außerhalb der christlichen Religion eine „Befreiung der Seelen“ stattfinden könne:124 Haec est religio, quae universalem continet viam animae liberandae, quoniam nulla nisi hac liberari potest. […] Praeter hanc viam, quae … numquam generi humano defuit, nemo liberatus est, nemo liberatur, nemo liberabitur. Vgl. auch epist. 101,2: si vos filius liberaverit, tunc vere liberi eritis … et veritas, inquit, liberabit vos. non ergo illae innumerabiles et inpiae fabulae … ullo modo nostrae consonant libertati, non oratorum inflata et expolita mendacia, non denique ipsorum philosophorum garrulae argutiae. Allerdings muss vermerkt werden, dass auch der Begriff der libertas sich relativ schnell verschiebt. Meint die „Befreiung“ in den Cassiciacum-Schriften noch vornehmlich die „Loslösung“ der Seele von aller körperlich-materiellen Kontamination im platonisch-gnoseologischen Sinne125 (vgl. Platon, Phaid. 114 b 8 f; Plotin, Enn. 3,1,8,10 f; 4,3,12,10; 6,8,3,20), so steht in den späteren Schriften die genuin christliche „Erlösung“ (als eine existenzielle, den gesamten Menschen betreffende) vor Augen. 30 non contemnere illa mysteria: Zur Verwendung des Begriffs mysterium bei Augustin (hier sachlich: der christliche Glaube / die christliche Lehre) siehe supra zu 1,1,2, Z. 25 f und 2,5,15, Z. 26. – Wenn die Philosophie nach Augustin dazu auffordert, „jene christlichen Lehren nicht zu verachten“, so ist darin noch seine ureigene und ursprüngliche Überzeugung verankert, dass die wahre Philosophie (vera et germana philosophia; Z. 31 f) mit dem katholischen Christentum gut zu vereinbaren sei.126 Grundsätzlich wird dies auch noch in De vera religione behauptet, wenn auch bereits mit gewissen Einschränkungen, und es wird kein Zweifel daran gelassen, welche philosophische Richtung Augustin vorschwebt: „Jene Männer [nämlich: Platon und seine Nachfolger] brauchten nur wenige Worte und Ansichten zu ändern, um selbst Christen zu werden, wie es ja die meisten Platoniker unserer jüngeren Zeit gemacht haben.“127 – Die augustinischen Aussagen sind in gewissem Sinne auch autobiographisch zu deuten: Er selbst stand dem Christentum noch in Mailand skeptisch gegenüber, bis sich 123 Siehe c. acad. 1,3,9: libertate, in quam maxime nos vindicaturam se philosophia pollicetur. Dazu auch vera relig. 8–24 passim. 124 Gegen Mühlenberg (Ordnung, S. 364), der in ord. 2,5,16 und in civ. 10,32 die „gleiche Haltung“ Augustins zur Philosophie konstatiert. – Zur soteriologischen Exklusivität und zum Ausschließlichkeitsanspruch der christlichen Religion beim späteren Augustin vgl. T. Kobusch, Wahrheit, S. 126 f; G. Madec, Philosophia Christiana, passim; ders., Philosophie, Sp. 630– 633. 125 Siehe ord. 1,2,3; c. acad. 2,3,7. 126 Siehe dazu M. Gercken, Philosophie, S. 96 f; A. Schöpf, Augustinus, S. 50–52. 127 Vera relig. 23: illi viri … paucis mutatis verbis atque sententiis Christiani fierent, sicut plerique recentiorum nostrorumque temporum Platonici fecerunt. Vgl. als berühmte Parallelen noch conf. 7,21,27 und insbesondere 8,2,3: Der Christ Simplicianus beglückwünscht Augustin, dass er auf die Bücher der Platoniker (libri Platonicorum) gestoßen sei, welche „auf jede Art und Weise den Gedanken an Gott und sein Wort nahelegten“ (omnibus modis insinuari deum et eius verbum). Siehe allerdings auch die kritische inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Platonismus in conf. 7,9,13–15 und dann insbesondere im achten Buch des „Gottesstaates“.
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II. Kommentar
durch die Predigt des Ambrosius und die Rezeption des neuplatonischen Gedankengutes (im sog. „Mailänder Philosophenzirkel“) seine größten Vorbehalte, vor allem den anthropomorphen und rein körperlich gedachten Gottesbegriff betreffend, auflösten und er in einem entscheidenden Zwischenstadium seiner Entwicklung zwar noch nicht die endgültige Konversion vollzogen hatte, aber bereits entscheidende „verächtliche“ Vorurteile über die christliche Lehre, die ihm die manichäische Polemik suggeriert hatte (vgl. conf. 6,11,18), ablegen konnte. 30 sola: Der Bezug von sola wird in der Fachliteratur diskutiert. Bezieht es sich als Attribut auf das Subjekt philosophia oder auf die mysteria? Für die erste Variante sprechen sich aus: R. Jolivet, BAug 4/1, S. 389; J. J. O’Meara, Authority, S. 345; O. du Roy, L’intelligence, S. 124; so auch die Übersetzung bei Keseling, Weltregiment, S. 163. Einen Bezug auf die mysteria favorisieren: G. Madec, traduction, S. 180; F. L. Van Fleteren, Authority, S. 47; J. Doignon, BAug 4/2, S. 349 f. Die deutschen Übersetzungen von Perl (S. 51) und Mühlenberg (S. 294) umgehen das Problem; Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 74, Anm. 24, trifft keine eindeutige Entscheidung. – Inhaltlich sinnvoll sind beide Alternativen. Es kann durchaus gemeint sein, dass allein die Philosophie die rationale Erkenntnis und den intellektuellen Nachvollzug der christlichen Lehren zu gewährleisten imstande ist. In diesem Falle ist die Philosophie scharf von einem Glauben abgegrenzt, der die Annahme der christlichen Offenbarung – aufgrund ihrer Empfehlung durch die auctoritas – verlangt, aber kein tieferes Verständnis ermöglicht.128 Auf der anderen Seite entspricht auch der Bezug auf die mysteria voll und ganz dem augustinischen Denken zu jener Zeit: Aus den folgenden Sätzen wird zweifelsfrei deutlich, dass Augustin bei den mysteria insbesondere und vor allem an die christliche Lehre von der Trinität denkt (vgl. Z. 32–35). Diese Offenbarungswahrheit vom einen (vgl. unum; Z. 34) allmächtigen Gott in seinen drei Personen von Vater, Sohn und Heiligem Geist findet er in der neuplatonischen Philosophie und seinem Drei-Hypostasen-Modell (vgl. die Terminologie in Z. 32–34) mustergültig auch auf rationaler Ebene erklärt. Und genau hierin, in der philosophischen Durchdringung des Mysteriums der christlichen Trinität, sieht Augustin die einzige Berechtigung einer „wahren und echten Philosophie“. Diese hat keine andere Aufgabe (nullumque aliud habet negotium; Z. 31) als das große Paradoxon der unitas in trinitate auch für den Verstand zu deuten und zu interpretieren. Als Beleg kann die wichtige Stelle ord. 2,18,47 dienen: „In ihr [sc. in der neuplatonischen Philosophie] wird man nichts anderes finden als die Frage nach der Einheit“129. Mit anderen Worten: Ein Bezug von sola auf die philosophia kann nicht ausgeschlossen werden, die bewusste Junktur sola illa mysteria 128 Dass sola recht weit von der philosophia in Z. 29 entfernt steht, ist kein schlagendes Argument. Die philosophia ist als das betont vorangestellte Subjekt in den meisten nachfolgenden Verbformen implizit gegenwärtig, bis hin zu doceat in Z. 32. – Als Parallele für einen sprachlich wie inhaltlich ähnlichen Gebrauch von sola kann ord. 2,13,38, Z. 8 gelten: [dialectica] scit scire, sola scientes facere non solum vult sed etiam potest. 129 Übersetzung Mühlenberg; Z. 8: in ea nihil plus inveniet, quam quid sit unum.
2. Hauptteil: 2,5,16
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ist aber wesentlich wahrscheinlicher und damit in einer Übersetzung wohl vorzuziehen. 30 f intellegere, ut intellegenda sunt: Die Aufgabe der Philosophie ist der intellektuelle Nachvollzug dessen, was der Glaube inhaltlich vorgibt. Die auctoritas liefert einen klar umrissenen Vorentwurf der Erkenntnisobjekte, die durch die Philosophie rational verifiziert, d. h. als logisch evident bestätigt werden müssen. Aufgrund dieser Konstruktion des „Ineinandergreifens“ der beiden Erkenntnismethoden im Hinblick auf gänzlich identische Erkenntnisobjekte kann nach augustinischem Verständnis schlechterdings kein Widerspruch zwischen Glauben und Wissen existieren. 31 f vera et … germana philosophia: Die beiden Attribute vera und germana (hier: Hendiadyoin130) werden von Augustin als Iuxta posita auch in c. acad. 2,3,7 verwendet.131 – Ins Auge gefasst ist mit dieser Formulierung zweifelsfrei die neuplatonische Philosophie,132 wie vor allem die unmittelbar folgende Anspielung (Z. 32–34) auf die plotinische Triade der oberen Hypostasen belegt; vgl. dazu und zur traditionsgeschichtlichen Herkunft des speziellen Begriffs supra zu 2,1,1, Z. 7. Die (neu)platonische Philosophie ist deshalb unter allen anderen die einzig „wahre Philosophie“, weil sie den Gottesbegriff der vera religio, d. h. des katholischen Christentums, adäquat zu erklären weiß. 32 quod: Das quod hier nicht etwa Konjunktion (gegen G. Madec, traduction, S. 182), sondern Interrogativpronomen wie auch quantus und quid (beide Z. 33); siehe dazu richtig die deutschen Übersetzungen von Keseling und Mühlenberg; vgl. J. Doignon (BAug 4/2, S. 209, Anm. 67), der zu Recht konstatiert, dass hier nach dem Wesen des „Weltprinzips“ gefragt wird: „de quelle essence est le principe …“. 32 f omnium rerum principium sine principio: Das omnium rerum principium ist ein philosophicum ersten Ranges und kann analog der griechischen sowohl als Anfang aller Dinge, aber auch wesentlich weitreichender als Urgrund, Weltgrund, All-Ursache, Urprinzip etc. verstanden werden. Das principium ist in allen philosophischen Schulrichtungen der Antike Gegenstand der Spekulation und Reflexion; hier wird, wie aus der Dreigliedrigkeit der folgenden Termini hervorgeht (Z. 32–34), speziell auf das neuplatonische als die erste und 130 Dieses hat dieselbe Funktion wie an anderer Stelle der Superlativ; vgl. c. acad. 3,19,42: verissimae philosophiae. In beiden Fällen wird auch exakt derselbe Inhalt bezeichnet; vgl. supra zu 2,1,1, Z. 7. 131 Quid ergo sapientia? Nonne ipsa vera est pulchritudo? Germanae igitur istae prorsus et eodem parente procreatae … Vgl. ebenso Cicero off. 3,69: verae iuris germanaeque iustitiae; Verr. 4,147: verum ac germanum Metellum; siehe dazu Gunermann, Sprache, S. 82. 132 Erhellend ist die Beobachtung Gunermanns (Sprache, S. 81), dass Augustin generell „in platonisch gefärbtem Zusammenhang“ das Attribut verus zu Substantiven hinzufügt; vgl. u. a. ord. 2,19,50: verissima ratio; ibid. 1,2,3: vera mendicitas; c. acad. 2,2,6: erumpere in veram pulchritudinem; ibid. 2,3,7: … si veram pulchritudinem, cuius falsae amator est. Hinzugefügt werden kann, dass der Titel De vera religione für ausgerechnet diejenige Schrift gewählt wurde, die unter allen augustinischen Werken wohl den größten neuplatonischen Einfluss aufweisen dürfte; siehe dazu H. Dörries, Verhältnis, S. 64–102.
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II. Kommentar
oberste der göttlichen Hypostasen angespielt. – Der Zusatz sine principio ist bei Augustin nicht schmückendes Beiwerk, sondern die notwendige Unterscheidung vom „zweiten Prinzip“, welches ebenfalls als der „Anfang aller Dinge“ bezeichnet werden kann, aber im Gegensatz zum „ersten Prinzip“ eine Letztursache, nämlich das principium sine principio, besitzt. Vgl. dazu aufschlussreich die arithmosophischen Ausführungen über unum und duo in mus. 1,12,21: das primum principium sei a nullo, das alterum principium dagegen de illo primo (dazu die Interpretation auf pythagoreischer Grundlage bei Trelenberg, Einheit, S. 114 f). Ins Christliche gewendet heißt dies (nach De gen. ad litt. impf. lib. 3), dass Gott-Vater das besagte principium sine principio, der Sohn das principium cum alio principio darstelle. 33 intellectus: Mühlenberg (S. 294) übersetzt mit „Weltgeist“ und schafft damit die Verbindung zum plotinischen , i. e. der universal wirkenden zweiten göttlichen Hypostase (vgl. ibid. S. 364, Anm. 13, mit Hinweis auf Enn. (augustinisch: intellectus) 5,1,4). – Die Identifikation des neuplatonischen mit Christus als der zweiten Person der christlichen Trinität ist auch an anderen Stellen innerhalb der Cassiciacum-Schriften durchgeführt; vgl. ord. 2,9,26, Z. 12–14; besonders deutlich auch an exponierter Stelle zum Ende von Contra Academicos (3,19,42): … nisi summus deus populari quadam clementia divini intellectus auctoritatem133 usque ad ipsum corpus humanum declinaret atque summitteret … (dazu Fuhrer, Contra Academicos, S. 460). 33 f quidve inde in nostram salutem sine ulla degeneratione manaverit: Zunächst stellt der Ausdruck in nostram salutem eine terminologische Anspielung auf die dritte neuplatonische Hypostase dar; denn die Funktion der bei Plotin ist eine soteriologische: als das Bindeglied zwischen geistiger und sinnlicher Welt hat sie die Aufgabe, sich um das Unbeseelte zu kümmern;134 sie unternimmt dazu den (für sie nicht ungefährlichen) Abstieg in die Körperwelt (Enn. 5,1,1,5), d. h. in Menschen, aber auch Tiere oder Pflanzen (4,4,18,7; 5,2,2,5). Wenn sie sich – eingeschlossen in der Körperlichkeit – dennoch an die frühere geistige Welt zu erinnern vermag und die Rückkehr in die obere Welt antritt ( ; 3,7,7,9), indem sie sich dem Geiste annähert (6,6,7,5) und ihr wahres Wesen wiedererkennt (6,7,21,8), so kann sie auch dem Menschen zu einem Aufstieg und damit seiner Erlösung verhelfen (1,6,8,16). – Die augustinische Formulierung quidve inde … sine ulla degeneratione manaverit wird aus der neuplatonischen Emanationsvorstellung (vgl. manare135) verständlich: Plotin legt größten Wert darauf, dass das „Ausfließen“ ( - oder ), d. h. die Seinsmitteilung der höheren an die nächsttieferen Hypostasen, ohne jeglichen Seinsverlust (vgl. degeneratio) vor sich geht. 133 Der Ausdruck divini intellectus auctoritas entspricht hier in vollem Maße der wenig später verwendeten Formulierung Christi auctoritas (vgl. c. acad. 3,20,43). 134 Vgl. bereits Platon, Phaidr. 246 b: ; vgl. Plotin, Enn. 2,9,18,39; 3,4,2,1. 135 Zum signifikanten Terminus technicus (e-)manare im trinitätstheologischen Zusammenhang in De ordine und De beata vita vgl. supra zu 1,7,17, Z. 8.
2. Hauptteil: 2,5,16
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Eine Durchsicht des frühen Schrifttums Augustins im Hinblick auf die Triade principium, intellectus, salus ergibt insofern ein negatives Ergebnis, als die drei Begriffe an keiner weiteren Stelle zusammen erscheinen. Dennoch haben sie je für sich einen festen Platz innerhalb der trinitarischen Formelsprache. A) Für das principium in der Spitzenstellung vgl. ord. 2,9,26: universorum principium – intellectus in quo universa – ipsa ratio; quant. anim. 34,77: incommutabile principium – incommutabilis sapientia – incommutabilis charitas; vera relig. 312: principium – forma – gratia; mus. 1,12,21: principium – medium – finis; 6,17,56: unum principium – aequalis ac similis species – bonitas. B) Der intellectus als 2. trinitarische Person erscheint lediglich in ord. 2,9,26 (siehe unter A). C) Die salus ist als Chiffre für die 3. göttliche Person vertreten in mus. 6,17,56: appetere unitatem – suique similis esse – ordinem proprium quodam libramento salutem suam tenere; ibid. 6,17,58: unum aliquid – nulla pars toto est dissimilis – partium connexione atque concordia saluberrimam sedem tenere; nitens ad unitatem – ad similitudinem partium – custodiens locum ordinis et salutis suae; ad unitatem nitens – speciosior – nitens ad salutem.136 34 unum deum: Die katholisch-orthodoxe Position findet darin ihren Ausdruck, dass nun die Dreiheit der göttlichen „Personen“ zu der einen Gottheit zusammengefasst wird.137 Der entscheidende Schritt über den heidnischen Neuplatonismus hinaus ist nunmehr geleistet. Während bei Plotin die „Einheit“ das vorrangige Proprium und Spezifikum der ersten Hypostase ist (= separierender, ausschließender Begriff der „Einheit“ und „Einfachheit“) und ansonsten die Triade von und eine in ihrer klaren Subordination stark differenzierte Stellung einnimmt, sieht der Christ Augustinus die wesensmäßige Einheit der drei Personen umfassend in dem einen Gottesprädikat – gleichermaßen und ohne Einschränkung oder Abstufung – verwirklicht (= integrierender Einheitsbegriff).138 34 f tripotentem: Die Übersetzung „in seiner dreifachen Gestalt“ (Mühlenberg, S. 295) ist nicht nachvollziehbar; richtig „dreigewaltig“ (Keseling, S. 164) oder „dreimächtig“ (Perl, S. 51). – Nach J. Doignon (Points litigieux, S. 242; BAug 4/2, S. 351) übernimmt Augustin hier einen Neologismus, der für uns zum ersten Mal bei Marius Victorinus (Adv. Arrium 1,50) nachweisbar ist.139 35 f mysteria, quae … populos liberant: Zum Begriff mysteria siehe supra zu Z. 30 sowie zu 1,1,2, Z. 25 f und 2,5,15, Z. 26. – Die Breitenwirkung und 136 Vgl. zu den frühen formelhaften Trinitätsanalogien die Tabellen bei: J. Rief, Ordobegriff, S. 244 ff; O. du Roy, L’intelligence, S. 537 ff; J. Tscholl, Dreifaltigkeit, S. 342 ff. 137 Mustergültig und dogmatisch völlig unanstößig wird die „reine Lehre“ der Substanz- und Wesenseinheit Gottes dargelegt in De fide et symbolo 9,17 (kommentiert bei J. Trelenberg, Einheit, S. 128–134). 138 Der Unterschied zwischen Plotin und Augustin hinsichtlich der Wesenseinheit und -gleichheit der göttlichen Personen ist bereits in der älteren Literatur klar erkannt und hervorgehoben; siehe sogar P. Alfaric, évolution, S. 519 f (die Unterschiede ansonsten stark nivellierend); vgl. daneben L. Grandgeorge, néoplatonisme, S. 85 ff; J. Nörregaard, Bekehrung, S. 157 ff. 139 Zur allgemeinen Affinität der hier (§ 16) präsentierten trinitarischen Formeln zur Theologie des Marius Victorinus vgl. N. Cipriani, fonti, S. 264–268.
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II. Kommentar
Massenanziehungskraft der christlichen Lehre zur Zeit Augustins wird als ein entscheidendes Argument für ihre Glaubwürdigkeit gewertet: vgl. z. B. vera relig. 128: nec iam nobis dubium esse oportet his esse credendum qui, cum ea praedicent quae pauci adsecuntur, se tamen sequendos p o p u l i s persuadere potuerunt; siehe auch util. cred. 7,19, wo darauf abgehoben wird, dass die Zahl der Christen die der Juden und Heiden längst übersteige und ihre Menge bereits den gesamten Erdkreis (totus orbis) fülle. Allerdings kann, dies sei hier bemerkt, der Hinweis auf die Mehrheitsverhältnisse für Augustin niemals einen Beweis für die Wahrheit (veritas) einer Religion oder Glaubensrichtung darstellen. Die jeweilige Argumentation, die ein erhellendes Licht auch auf die vorliegende Stelle in De ordine wirft, berücksichtigt sehr genau die unterschiedlichen Möglichkeiten der Autorität einerseits und der Vernunft andererseits: Die auctoritas liefert den inhaltlichen Vorentwurf, die ratio hat die Aufgabe, das Geglaubte nachzuvollziehen und als wahr zu erweisen; da nun aber der auctoritas innerhalb des Gesamtsystems offensichtlich ein sehr starkes (vielleicht zu starkes?) Gewicht zukommt, will Augustin zeigen, dass auch die Wahl der Autorität nicht gänzlich irrational ist. Für welche Autorität man sich auch immer entscheidet: Bei derjenigen auctoritas, die bereits ganze „Völker“ für sich einnehmen konnte, stehen die Chancen zweifellos gut, dass der äußeren Wirkung auch ein innerer Wahrheitswert entspricht.140 36 f nec confuse, ut quidam, nec contumeliose, ut multi, praedicant: Zunächst ist ein Missverständis Mühlenbergs (S. 295) auszuräumen: Die quidam und multi bewerten nicht etwa die christlich-orthodoxe Lehre als „unklar“ bzw. „verächtlich“, sondern lehren selbst – nach der Auffassung Augustins – in konfuser und lästerlicher Art und Weise über den dreieinigen Gott.141 Ist hier ein gewisser Konsens erzielt, so gehen dennoch die Ansichten, welche Gruppierungen sich hinter quidam und multi verbergen, in der Kommentarliteratur weit auseinander. Die Frage beschränkt sich nicht nur darauf, wer jeweils confuse und wer contumeliose über die Dreieinigkeit lehrt, sondern verkompliziert sich noch dadurch, dass im unmittelbaren Anschluss (Z. 37–40) zusätzlich zu den trinitarischen auch christologische Kontroversen ins Spiel kommen. Denn mit dem ausdrücklichen Hinweis auf das Dogma der Inkarnation Christi werden implizit diejenigen kritisiert, denen die Vorstellung, Gott habe einen menschlichen Leib angenommen, als verächtlich und der Erhabenheit Gottes nicht angemessen erscheint. Ein Überblick über die wichtigsten Ergebnisse bisheriger Ansichten und Analysen ergibt folgendes Bild: Nach R. Jolivet (BAug 4/1, S. 300, Anm. 3) spielt 140 Für diese komplexe Wechselwirkung von ratio und auctoritas vgl. die ausführliche Interpretation von vera relig. 126 ff und util. cred. 7,19 bei Trelenberg, Einheit, S. 146–150. 141 Sprachlich liegt der Unterschied auf folgender Ebene: Mühlenberg (a. a. O.) fasst das praedicare lediglich als „sagen“ und „behaupten“ auf („sie [sc. die mysteria] sind weder unklar, wie einige sagen, noch verächtlich, wie viele behaupten“). Jedoch muss praedicare im hiesigen christlichen Kontext präziser als der Akt der „Verkündigung“ verstanden werden. Als Subjekt stehen die mysteria, hinter multi ist zu interpungieren. Richtig daher die Übersetzung bei P. Keseling (S. 164: „und zwar verkündigt sie ihn ohne Vermischung, wie manche das tun, und ohne Herabwürdigung, wie das bei vielen der Fall ist“).
2. Hauptteil: 2,5,16
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Augustin auf die heidnische Polemik eines Kelsos oder Porphyrios an; F. L. Van Fleteren (Authority, S. 49) sieht in confuse eine frühe augustinische Kritik an der Seelenlehre des Porphyrios, wie sie später in civ. 10,23 ausgeführt werde (in dieser Auffassung gefolgt von M. Cutino, Dialoghi, S. 70 f), während die multi auf die Neuplatoniker im Allgemeinen zu deuten seien. Andere Interpreten nehmen die christlichen Irrlehrer ins Visier: So machen G. Madec (Philosophia christiana, S. 183 f) und N. Cipriani (fonti, S. 263 f) die Arianer und Sabellianer zum Zielobjekt augustinischer Kritik. Nach J. Doignon (BAug 4/2, S. 352) kommen Markell von Ankyra, die Sabellianer, Photinianer, aber auch die Arianer in Betracht. Differenziert urteilt P. Keseling (Weltregiment, S. 239): Das confuse gehe auf heidnische Neuplatoniker, „während das contumeliose vielleicht auf christliche Irrlehrer zu beziehen ist“. Methodisch am sinnvollsten ist es an dieser Stelle, die einzelnen in Frage kommenden Gruppierungen der Reihe nach am Wortlaut des Augustin-Textes zu messen und zu überprüfen. 1) Die Neuplatoniker: Die christologischen „Seitenhiebe“ (Z. 37–40) treffen scheinbar zielgenau die platonische Grundüberzeugung, dass Gott als reines Geistwesen vollkommen unkörperlich und durch keinerlei Materie kontaminiert gedacht werden müsse. Für den Platoniker, der den Dualismus von sinnlich wahrnehmbarer und intelligibler Welt für unvermittelbar hält, ist die Vorstellung einer höchsten Gottheit, die einen menschlichen Körper angenommen habe, in der Tat eine Zumutung. Vgl. dazu die Ausführungen in conf. 7,9,14, wo Augustin den Platonikern in sehr ähnlicher Weise eine hochmütige Grundhaltung bescheinigt. Auf der anderen Seite passt nicht gut zusammen, dass Augustin kurz zuvor die plotinische Drei-Hypostasen-Lehre geradezu zitiert und die (neu)platonische Philosophie ausdrücklich und offensichtlich ohne Einschränkung als die vera et germana philosophia gerühmt hat. Die distanzierte und vor allem differenzierte Haltung Augustins gegenüber den Neuplatonikern, wie sie sich in den confessiones oder später in De civitate dei präsentiert, kann kaum in vollem Maße auf die Cassiciacum-Schriften übertragen werden. Hinzu kommt, dass das deum praedicare eher auf christliche Theologie als heidnische Philosophie zu deuten scheint. 2) Die Sabellianer kann man gut durch das konkret verstandene confuse charakterisiert sehen, wenn man darauf abhebt, dass der sabellianische Modalismus keine scharfe Trennung zwischen den drei göttlichen Personen vollzieht und eine „Vermischung“ im Sinne einer personal-numerischen Einheit bzw. Identität vertritt. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass Augustin, der sich zur Zeit seines Cassiciacum-Aufenthalts noch im Stande des Katechumenats befand, sich der „Gefahr“ des häretischen Sabellianismus, den er in De trinitate so häufig anprangert, noch keineswegs bewusst war. Er selbst äußert sich in seinem Frühwerk über die Trinität in einer Weise, die einer modalistischen Auffassung zumindest sehr nahe stehen. Vgl. z. B. soliloq. 1,1,4 (… ubi qui gignit et quem gignit unum est; dazu der Widerruf in retr. 1,4,4); hierzu und zu anderen „Sabellianismen“ des frühen Augustin: J. Trelenberg, Einheit, S. 100–106 und S. 132, Anm. 132.
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II. Kommentar
3) Dagegen ist die Irrlehre des Photin von Sirmium Augustin sehr wohl bekannt; über sie ist er nach eigenen Aussagen in conf. 7,19,25 (von seinem geistlichen Vater Simplicianus?) belehrt worden, und zwar nach der Lektüre der libri Platonicorum, aber vor seiner Abreise nach Cassiciacum (vgl. P. Courcelle, photinien, S. 71; Recherches, S. 173, Anm. 4). Diese auf dem Konzil von Konstantinopel (381) verurteilte Häresie, welche die Präexistenz Christi ablehnt und ihm lediglich ein herausragendes, vorbildhaftes Menschsein zuschreibt, kann durchaus von Augustin als „verworren“ (confuse) bezeichnet worden sein. Dass lediglich „manche“ (quidam) sie vertreten, mag aus augustinischer Sicht ebenfalls zutreffen. Letztlich könnte auch die explizit gebrandmarkte Bestreitung einer Inkarnation des Göttlichen (Z. 37–40) in ihre Richtung weisen. 4) Die Arianer, die ebenfalls die göttliche Natur Christi leugnen, kommen aus denselben Gründen in Betracht. Augustin kannte die heftigen Auseinandersetzungen des Ambrosius mit dem „arianischen“142 Kaiserhof allzu gut (vgl. conf. 9,7,15), das Machtspiel zwischen dem Repräsentanten des Katholizismus und der Kaisermutter Justina war in Mailand stadtbekannt. Bedenkt man, dass der Kaiserhof in Mailand recht isoliert dastand und der Streit sich daran entzündete, dass ihm eine der vielen Mailänder Kirchen zur Verfügung gestellt werden sollte (im Februar 386; vgl. P. Brown, Augustinus, S. 67), so ist auch eine zahlenmäßige Beschränkung der Häretiker im Sinne des besagten quidam gut vorstellbar. 5) Wenn mit dem confuse praedicare auf die Arianer und Photinianer gezielt wird und auf diese auch die christologischen Vorwürfe zutreffen, so bleibt noch eine Gruppierung zu finden, die a) contumeliose über die Gottheit lehrt und b) zahlenmäßig so stark ist, dass ihre Mitglieder als multi gelten können. Beides trifft zweifellos auf die Manichäer zu. Augustin hat die damals weit verbreitete Religion als pseudo-christliche Sekte sowohl in Nordafrika als auch in Rom kennengelernt, gehörte ihr selbst neun Jahre lang an und macht in seinem antimanichäischen Werk keinen Hehl daraus, dass er rückblickend die manichäische Gottesvorstellung tatsächlich als „Schmach“ und „Schande“ (contumelia) empfinden muss. Der wahre Gott ist nämlich omnipotens (siehe Z. 34), die dualistischen Manichäer setzen dem guten Gott ein nahezu gleichwertiges böses Gegenprinzip entgegen (vgl. conf. 5,10,20); in der wahren Religion wird nur ein Gott (vgl. Z. 34: unum deum) als das Urprinzip aller Dinge verehrt,143 die Manichäer sehen im hiesigen Kosmos zwei gegensätzliche Prinzipien am Werk;144 vor allem aber ist der so unendlich niedrige körperlich-materialistische Gottesbegriff der Manichäer (vgl. 142 Die Bezeichnung „Arianer“ folgt der zeitgenössischen Terminologie Augustins bzw. der theologischen Gegner. Man kann diesen Wortgebrauch als Vergröberung kritisieren. In der Regel handelt es sich – so im Falle des Mailänder Kaiserhofes – um Homöer. 143 Vgl. in der antimanichäischen Schrift De vera religione den programmatischen Anfangssatz: … in vera religione … unus deus colitur et purgatissima pietate cognoscitur principium naturarum omnium … 144 Siehe über De vera religione die Rezension in retr. 1,12,1: Maxime tamen contra duas naturas Manicheorum liber hic loquitur.
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z. B. conf. 7,1,2) für den Platoniker Augustin die größte „Schande“ und geradezu eine blasphemische „Beleidigung“.145 38 tantus propter nos deus: Durch Sperrung betontes tantus drückt den Gegensatz zur Niedrigkeit der Menschengestalt aus und unterstreicht das Paradoxon der Inkarnation Gottes. 38 adsumere: Die Annahme der Menschengestalt (hoc nostri generis corpus) durch den Gottessohn ist in den Cassiciacum-Dialogen außer an dieser Stelle nur noch in 2,9,27146 und in c. acad. 3,19,24147 erwähnt. Sie spielt damit rein quantitativ keine große Rolle in den frühesten Schriften. Dennoch sind die Aussagen klar und zeigen unmissverständlich, dass Augustin seine „photinianische Periode“ (conf. 7,19,25) überwunden hat.148 Vgl. dazu P. Courcelle, photinien, S. 71; Recherches, S. 173, Anm. 4; G. Madec, Patrie, S. 80 f; W. Mallard, Incarnation, bes. S. 86–90. 39 clementia: Im Begriffe der „Milde“ Gottes gegenüber den Menschen, die sich in der Annahme einer menschlichen Gestalt ausdrückt, kann ein früher Ansatz der augustinischen Gnadenlehre gesehen werden;149 insofern ist clementia gewissermaßen ein Vorläufer des Begriffs gratia, welcher erst in den Werken nach 390 erscheint; dazu Fuhrer, Contra Academicos, S. 459 f, mit Hinweis auf die Interpretationen bei Holte, Béatitude, S. 317–320; Lütcke, Auctoritas, S. 186 f; ders., Auctoritas (AL 1), Sp. 502. 39 ingeniosorum superbia: Die hiesige Polemik, gemischt mit kräftiger Ironie, ist in ihrer Adressierung unspezifisch und kann grundsätzlich gegen mehrere 145 Die augustinische Apologie der Inkarnation Gottes als Akt der Milde (clementia; Z. 39) und des Mitleids kann ebenfalls – nicht nur, aber auch – an die Adresse der Manichäer gerichtet sein. Denn einer ihrer Vorwürfe an das katholische Christentum, welchen auch Augustin rezipiert hatte, war die angebliche anthropomorphe Gottesvorstellung; vgl. conf. 5,10,19: multumque mihi turpe videbatur credere figuram te habere humanae carnis et membrorum nostrorum liniamentis corporalibus terminari; siehe auch conf. 6,4,5 und 6,11,18. 146 Z. 26–28: auctoritas divina … ipsum hominem agens ostendit ei, quo usque se propter ipsum depresserit. 147 Z. 14–16: … nisi summus deus populari quadam clementia divini intellectus auctoritatem usque ad ipsum corpus humanum declinaret atque summitteret. 148 Gegen E. König (philosophus, S. 126–130) und R. J. O’Connell (Theory, S. 260–268), die auch in Cassiciacum noch Reste der alten photinianischen Überzeugung ausmachen wollen. Der entscheidende Unterschied besteht aber in der „Richtung“ der soteriologischen Vorstellungen: Die Photini falsitas (nach conf. 7,19,25) sieht in Christus einen herausragenden Menschen, welcher an der göttlichen Weisheit teilhat und somit als Vorbild dienen kann, wie die irdischen Güter zur Erlangung der Unsterblichkeit zu verachten seien (= Erlösung „von unten“). Dagegen ist hier in De ordine eindeutig die veritas catholica (ibid.) formuliert: Der „so große Gott“ selbst nimmt in Christus Menschengestalt an und erweist dadurch den Menschen seine „Schonung“ und „Milde“ (= Erlösung „von oben“). Vgl. überzeugend Mallard, Incarnation, S. 88 f: „This shift in agency from the man participating ‚upward‘ to God participating ‚downward‘ is quite enough to say that a cornerstone of thought has changed for Augustine“. 149 Vgl. die Parallelen in ord. 2,9,27, Z. 30 f: Doceat enim oportet (sc. die auctoritas divina) et factis potestatem suam et humilitate clementiam et praeceptione naturam; ibid. 2,10,29, Z. 35–37: illud divinum auxilium … latius, quam nonnulli opinantur, officium clementiae suae per universos populos agit; c. acad. 3,19,42, Z. 14–16.
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II. Kommentar
philosophische und / oder christlich-häretische Gruppen gerichtet sein;150 vgl. supra zu Z. 36 f. Vielleicht sind die ingeniosi daher als Kollektivbegriff zu verstehen und sollen lediglich den Gegensatz zu den „Völkern“ (Z. 36: populi) sowie den „Ungebildeten“ (2,9,27, Z. 34: imperiti; 2,9,26, Z. 5: imperita multitudo) ausdrücken, die auf einfache und schlichte Weise der christlichen Autorität Glauben schenken und so ihre Befreiung und Rettung erfahren. 2,5,17: Das Wesen der Seele Anima vero unde originem ducat quidve hic agat, quantum distet a deo, quid habeat proprium, quod alternat in utramque naturam, quatenus moriatur et quomodo immortalis probetur, quam magni putatis esse ordinis, ut ista discantur? Magni omnino atque certi, de quo breviter, si tempus fuerit, post loquemur. Illud nunc a me acci45 piatis volo, si quis temere ac sine ordine disciplinarum in harum rerum cognitionem audet inruere, pro studioso illum curiosum, pro docto credulum, pro cauto incredulum fieri. Itaque mihi quod modo interroganti tam bene atque apte respondetis, et miror unde sit et cogor cognoscere. Videamus tamen, quo usque progredi vestra latens possit intentio. Iam nobis Licenti etiam verba reddantur, qui tam diu nescio 50 qua cura occupatus alienus ab hoc sermone fuit, ut eum ista non aliter quam eos qui non assunt familiares nostros credam esse lecturum. Sed redi ad nos quaeso, Licenti, atque hic totus fac ut assis; tibi enim dico. Nam definitionem meam tu probasti, qua dictum est, quid sit esse cum deo, cum quo mentem sapientis manere immobilem me, quantum assequi valeo, docere voluistis.
41 Anima: Der Frage nach dem Wesen Gottes (§ 16) folgt diejenige nach der Seele. Für Augustin ist die Beantwortung dieser „doppelten Frage“ (duplex quaestio …, una de anima, altera de deo151) die zentrale und im Grunde die einzige Aufgabenstellung der philosophischen Forschung. „Das ist die Formel, welche in das Zentrum des augustinischen Fühlens und Denkens führt“ (M. Schmaus, Trinitätslehre, S. 1 f). Als Bestätigung ist die bekannte Stelle zu Beginn der „Alleingespräche“ zu vergleichen (1,2,7): A. Deum et animam scire cupio. R. Nihilne plus? A. Nihil omnino. Siehe auch das „kürzeste und vollkommenste Gebet“ in soliloq. 2,1,1: Deus semper idem, noverim me, noverim te. Oratum est. 41 f unde … quidve … quantum … quid …quatenus … quomodo: Der hier formulierte Fragenkatalog über Herkunft und Beschaffenheit der Seele152 spiegelt Augustins selbst eingestandene Unsicherheit in den zentralen Fragen der Psycho150 In conf. 5,3,3–4,7 wirft Augustin in breiter Diktion den Philosophen im Allgemeinen, insbesondere den Naturphilosophen, ihre impia superbia vor; die Neuplatoniker sind dort (noch) nicht im Blick. Dieselbe vanitas superbiae wird in conf. 5,5,8 dem legendären „Gründer“ des Manichäismus vorgeworfen. Der Übermittler der berühmten libri Platonicorum soll – nach conf. 7,9,13 – ebenfalls mit „maßlosem Stolz“ (immanissimo typho) aufgetreten sein. 151 Siehe 2,18,47, Z. 9. 152 Die Existenz eines ähnlichen Fragenkatalogs in immort. 1 veranlasst G. Madec (spiritualisme, S. 187) zu der Vermutung, dieser habe seinen Ursprung in den Symmikta Zetemata des Porphyrios.
2. Hauptteil: 2,5,17
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logie; vgl. beat. vit. 1,5: „Was habe ich denn Festes, ich, für den das Problem der Seele noch immer in Fluß und Bewegung ist?“153 Zumindest Teilprobleme zu lösen, traut sich Augustin jedoch bald zu, was er durch die Abfassung seiner beiden „Seelenschriften“ (387: De immortalitate animae; 387/88: De quantitate animae) demonstriert. Auch die Soliloquia enthalten bereits – nach dem berühmten Vorbild des platonischen Phaidon – einen ersten Versuch der rationalen Vergewisserung über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele (vgl. bes. 2,1,1–12,23 sowie die Wiederholung in 2,15,27–19,33). 41 distet: Die varia lectio (agat: HMPR Knöll) als Dittographie (vgl. agat in Z. 41) zu erklären. 42 proprium, quod alternat in utramque naturam: Unter den „beiden Naturen“ muss im platonischen Sinne einerseits die geistige, intelligible Welt ), zum anderen die körperliche, sinnlich (mundus intelligibilis = wahrnehmbare Welt (mundus sensibilis = ) verstanden werden. Das Verb alternare mit der geläufigen Bedeutung „abwechseln“ (vgl. die hiesige Stelle im ThLL, s. v. 1754,16) zeigt an, dass die Seele die eigentümliche Fähigkeit hat, zwischen den beiden Welten hin und her zu wechseln. Augustin ist – zur Zeit seines frühen Schrifttums – von der Präexistenz der Seele in der IdeenWelt überzeugt (wie vor allem die unzweideutigen Anklänge an die platonische Anamnesis-Lehre zeigen: beat. vit. 4,35; soliloq. 2,20,35; quant. anim. 34; immort. 6; epist. 7,2); nach ihrer Inkarnation hält dieselbe Seele sich für eine gewisse Zeit in der unteren Welt auf, um nach dem Tode des durch sie belebten Lebewesens wieder unbeschwert die Reise in ihre geistige Heimat anzutreten. Eine Übersetzung der schwierigen Stelle könnte also lauten: „das [der Seele] Eigene, was abwechselt zwischen den beiden Naturen / Welten“ bzw. „was sich abwechselnd in beiden Naturen / Welten befindet“.154 42 f immortalis: Die Unsterblichkeit der Seele gehört zu den Gewissheiten des Glaubens (ord. 2,9,26; soliloq. 1,1,3), die grundsätzlich – so die feste Überzeugung Augustins – durch geschickte dialektische Beweisführung auch rational verifiziert werden kann (ord. 2,15,43; 19,50; vgl. supra zu Z. 41 f). 44 de quo breviter, si tempus fuerit, post loquemur: Verweis auf die kurzen Bemerkungen in 2,19,50. 45 temere: Vgl. als Parallele 2,16,44, Z. 1–4; wer über den reinen Glauben hinaus sichere rationale Erkenntnisse über Gott und die Seele erstrebt, darf nicht blindlings wissenschaftlich fragen und forschen, sondern muss die in den enzyklopädischen Wissenschaften selbst angelegte Ordnung und Einheitlichkeit beachten und zu ergründen suchen. Dies ist ein grundlegender Zug der frühen augustinischen Epistemologie: Blinde wissenschaftliche Betriebsamkeit ohne klare Ziel153 Übersetzung I. Schwarz-Kirchenbauer / W. Schwarz (Quid enim solidum tenui, cui adhuc de anima quaestio nutat et fluctuat?). 154 Gegen W. Hensellek (Notabilien, S. 77), der die geläufige Bedeutung von alternare unnötig ablehnt und in artifizieller Konstruktion nicht ein „wechselweise“, sondern ein „sowohl als auch“ angezeigt sieht (alternare in im Sinne von utroque participare).
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II. Kommentar
vorstellung wird trotz größten Aufwandes letztlich erfolglos bleiben (vgl. supra zu 1,8,24, Z. 37; 2,5,14, Z. 4); gerade darum ist die Akzeptanz einer geeigneten auctoritas, die plausible inhaltliche Vorgaben liefert und dadurch zumindest eine Erkenntnisrichtung angibt, so ungemein wichtig (siehe zu 2,5,16, Z. 30 f). 46 f pro studioso … curiosum, pro docto credulum, pro cauto incredulum: Das anaphorische Trikolon stellt zu drei ausgewählten Bereichen der Gnoseologie (Erkenntnisstreben, Wissensbesitz, Urteilsvermögen) jeweils vorbildhaftes und negatives Verhalten gegenüber. Zur von Augustin abgelehnten curiositas vgl. supra zu 1,1 f,3, Z. 37 und zu 1,8,24, Z. 37.155 Auch bei Cicero findet sich – in bedingt vergleichbaren Zusammenhängen – die Antithese studium – curiositas; vgl. fin. 5,6; 5,49. Die letztere Stelle ist besonders interessant: Der Wunsch, alles (omnia) zu wissen, wird als Kennzeichen der Neugierigen (curiosi) sichtlich pejorativ bewertet, das Streben nach der Kenntnis von wichtigen Dingen (maiores res) als das Wesensmerkmal bedeutender Männer herausgestellt: Atque omnia quidem scire, cuiuscumque modi sint, cupere curiosorum, duci vero maiorum rerum contemplatione ad cupiditatem scientiae summorum virorum est putandum.156 Die Forderung, nicht „alles“ wissen zu müssen, trifft sich in bemerkenswerter Weise mit der neuplatonisch bestimmten Sichtweise Augustins, wie sie insbesondere in ord. 1,2,3 skizziert wird. 47 quod: Faktisches quod; allerdings nicht von einem Verbum der Gemütsstimmung (miror) abhängig (so fälschlich Mühlenberg, Ordnung, S. 295), sondern im Sinne von „was den Umstand anbetrifft, dass“ bzw. „wenn“ (so richtig Keseling, Weltregiment, S. 164; vgl. Menge, Syntax § 369 b.c, S. 247). 48 miror unde sit et cogor cognoscere: Augustin wundert sich über die guten (vgl. bene) und treffenden (vgl. apte) Antworten der Schüler und fragt nach der Ursache der Inspiration. Thema des Abschnittes sind psychologische Phänomene und es besteht kein Zweifel, dass Augustin hier die Möglichkeit der pränatalen andeutet (siehe dazu supra zu Z. 42 und zu 2,2,7, Z. 83 f). – Auf der literarischen Ebene begegnet hier erneut der Versuch, die mitunter sehr tiefsinnigen und philosophisch-hochgebildeten Gesprächsbeiträge der Schüler, welche ihnen Augustin als Autor der Schrift in den Mund legt, auf höhere Einsicht zurückzuführen und auf diese Weise – wenigstens formal – das Prinzip der Wirklichkeitsnähe zu wahren. Vgl. für dieses Verfahren supra zu 1,7,17, Z. 8; 2,2,7, Z. 90; 2,4,12, Z. 19 (mit weiteren Querverweisen). 50 alienus ab hoc sermone: Licentius ist noch immer geistesabwesend (vgl. 2,3,10 und 2,4,11), sein letzter Gesprächsbeitrag ist in 2,2,7 vermerkt. Augustin 155 Eine Ausnahme gilt offenbar für die Leser seiner eigenen Werke, diese dürfen – falls sie den Namen Augustinus noch nicht kennen – durchaus „neugierig“ sein (1,11,31, Z. 18: vel curiosi vel mimium studiosi; beachte aber die inhärente Ironie!). 156 Vgl. hierzu J. Doignon, BAug 4/2, S. 213, Anm. 70 (mit Hinweis auf A. Labhardt, Curiositas, MH 17, 1960, S. 211 und R. Joly, Curiositas, AC 30, 1961, S. 38). Im Übrigen erscheint im unmittelbaren Kontext der zitierten Cicero-Stelle auch der spezielle Ausdruck studium mehrfach.
2. Hauptteil: 2,6,18
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zeichnet seinen Schüler als einen eigenwilligen Charakter, der gern selbständige Gedanken und Ziele verfolgt (siehe auch 1,3,8, Z. 42 f: Sine, inquit, modo me mihi, quaeso te; nam valde in aliud intendi animum). – Zwar kann man den Hinweis auf die Geistesabwesenheit des Hauptunterredners als kompositorischen „Trick“ ansehen, um die nun deutlich länger werdenden Redeanteile Augustins (bis hin zur oratio perpetua ab 2,7,24) weiterhin in die formal aufrechtgehaltene Dialogsituation einzubinden. Andererseits mag es sich auch um eine reale Begebenheit handeln, denn in den retractationes klagt Augustin, dass er das Problem der Ordnung dem Verständnis seiner Gesprächspartner nur mit Mühe näherbringen konnte: cum rem viderem ad intellegendum difficilem satis aegre ad eorum perceptionem, cum quibus agebam, disputando posse perduci … (1,3,1).157 Siehe hierzu auch supra zu 2,3,10, Z. 50. 50 f eos qui non assunt familiares nostros: Die familiares nostri sind in De ordine mehrfach Gegenstand der Erwähnung (siehe noch 1,2,5, Z. 16; 1,7,20, Z. 58 f; 1,9,27, Z. 11 f; 1,10,30, Z. 60); zu den vermuteten Mitgliedern dieses nicht ganz klar umrissenen Personenkreises vgl. supra zu 1,9,27, Z. 11 f. 51 redi: Ermahnung zur Aufmerksamkeit und Konzentration der Geisteskräfte speziell an Licentius auch in c. acad. 2,7,19: in viam … redi (= „komm wieder zur Sache“158). Die hier jeweils verwendete Metapher der „geistigen Rückkehr“ im profanen Sinne ist sorgsam zu unterscheiden vom philosophischen Topos der reditio der Seele zu sich selbst159 bzw. zu Gott als ihren Ursprung (gegen Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 200, die unsere Stelle – wohl versehentlich – zur letztgenannten Rubrik zählt). 52 definitionem meam: Siehe 2,2,4, Z. 8 f: cum deo est quidquid intellegit deum. 53 f … deo, cum quo mentem sapientis manere immobilem me … docere voluistis: Bezug auf 2,1,3–2,2,5. – Eine ironische Bemerkung, da Licentius kurz zuvor der geistigen Abwesenheit bezichtigt wurde. Durch das Abschweifen seiner Gedanken vom Thema (quaestio de deo), zeigt er sich keineswegs als immobilis und damit auch nicht als sapiens.160 2,6,18: Definition der „Bewegung“ 1 Sed illud me movet, quomodo, cum iste sapiens, quamdiu inter homines vivit, in
corpore esse non negetur, quo pacto fiat, ut eius corpore huc atque illuc vagante mens immobilis maneat. Isto enim modo potes dicere, cum movetur navis, homines, 157 Unentschieden in der schwierigen Frage nach der Realität oder Fiktion der Personenzeichnung der Unterredner äußert sich auch J. Rief, Ordobegriff, S. 18. Vgl. detailliert infra Ergebnis 1. 158 Vgl. bereits Cicero (Phil. 12,7) für den übertragenen Sinn von in viam redire. 159 Vgl. hierzu die Stellenangaben supra zu 1,1,3, Z. 37. 160 Weitere witzige, bisweilen ironische Passagen in den Cassiciacum-Schriften supra zu 2,3,9, Z. 32 f.
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II. Kommentar
qui in ea sunt, non moveri, quamvis ab ipsis eam possideri gubernarique fateamur. 5 Etenim si sola eam cogitatione regerent facerentque ire, quo vellent, tamen, cum ea
moveretur, non possent illi qui ibidem constituti sunt non moveri. – Non, ait Licentius, animus ita est in corpore, ut corpus imperet animo. – Neque ego hoc dico, inquam; sed etiam eques non ita est in equo, ut ei equus imperet, et tamen, quamvis quo velit equum agat, equo moto moveatur necesse est. – Potest, inquit, sedere 10 ipse immobilis. – Cogis nos, inquam, definire, quid sit moveri; quod si potes, facias volo. – Prorsus, inquit, maneat quaeso beneficium tuum; nam manet postulatio mea, et, ne me prorsus interroges, utrum mihi definire placeat, quando id facere potuero, ipse profitebor. – Quae cum dicta essent, puer de domo, cui dederamus id negotii, cucurrit ad nos et horam prandii esse nuntiavit. Tum ego: Quid sit, inquam, mo15 veri, non definire nos puer iste sed ipsis oculis cogit ostendere. Eamus igitur et de isto loco in alium locum transeamus; nam nihil est aliud, nisi fallor, moveri. – Hic cum arrisissent, discessimus.
1 illud me movet: Augustin führt in Stichwortassoziation den Gedanken des vorhergehenden Abschnitts (vgl. zu Z. 53 f) weiter. Wenn Augustin „bewegt“ wird, so ist dies ein implizites – nicht ernst gemeintes – Eingeständnis, ebenfalls nicht weise zu sein. Diese Verklammerung von hoher Philosophie und alltäglicher Redeweise ist in den Cassiciacum-Dialogen (meist bei szenischen Bemerkungen) sehr häufig; vgl. supra zu 2,3,10, Z. 51. In den Übersetzungen (z. B. Keseling, Weltregiment, S. 165; Perl, Ordnung, S. 53) wird diese Anspielung mit ihrer zweifellos bewussten Wortwahl leider nicht adäquat wiedergegeben. 2 quo pacto: Kein relativer Satzanschluss (so fälschlich Mühlenberg, Ordnung, S. 296), sondern Einleitung des von movet abhängigen indirekten Fragesatzes durch Wiederaufnahme von quomodo aus Z. 1. 2 f … ut eius corpore huc atque illuc vagante mens immobilis maneat: Hier wird die Ruhe des Geistes in Abhängigkeit von der Raumänderung des Körpers gesehen, in welchem sich der Geist befindet und damit gewissermaßen „mitbewegt“. Eine für moderne Empfindung absurde Problemstellung! Bedenken muss man, dass nach antiker philosophischer Vorstellung der Begriff der „Bewegung“ ein Zweifaches umfassen kann, sowohl den räumlichen Ortswechsel (vgl. Z. 14–16) als auch im metaphorischen Sinne die Affektion durch ein Verändern, Beeinflussen (vgl. imperare; Z. 7 f) oder Verursachen.161 Weil diese beiden Ebenen nicht sauber differenziert werden, entstehen im Folgenden die inszenierten Kommunikationsprobleme zwischen Augustin und seinem Schüler Licentius. 3 f cum movetur navis, homines, qui in ea sunt, non moveri: Der Vergleich geht auf Aristoteles (De anima 1,3) zurück, der im Zusammenhang seiner Untersuchung über die Seelenbewegung eine Unterscheidung zwischen „direkter“ und „indirekter“ Bewegung vornimmt. Ein Schiff beispielsweise werde direkt bewegt, die Matrosen an Bord des Schiffes lediglich indirekt. – Ob Aristoteles als direkte Quelle Augustins gedient hat, ist sehr fraglich (belegt ist lediglich seine Lektüre 161
Vgl. hierzu bereits supra zu 2,1,3, Z. 30 f.
2. Hauptteil: 2,6,18
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der Decem Categoriae; vgl. conf. 4,16,28); solche und ähnliche Beispiele hatten in spätantiken Handbüchern, Enzyklopädien und Doxographien immer ihren Platz und es ist wahrscheinlich, dass Augustin es aus einem dieser Sammelwerke kannte. Vgl. aus dem Umkreis des lateinischen Neuplatonismus auch Macrobius, somn. 2,14,18 und dazu J. Flamant (Macrobe, S. 640–644), der – sehr spekulativ – an Porphyrius als Vermittler denkt (hierzu mit Recht kritisch J. Doignon, BAug 4/2, S. 215, Anm. 77). 7 … ut corpus imperet animo: Wahrscheinlich eine Reminiszenz an Cicero (rep. 3,37 = Augustinus, c. Iul. 4,12,61), der die allgemeine Auffassung über die „Herrschaftsverhältnisse“ bei Leib und Seele referiert: Nam ut animus corpori dicitur imperare …; siehe als Parallele auch civ. 19,21. 8 eques … equus: Für den Vergleich verweist Keseling (Weltregiment, S. 240) auf das platonische Bild von dem Wagenlenker und seinen Pferden in Phaidr. 246 a, welches sich jedoch auf die unkörperlich existierende Weltseele bezieht. – Näher steht ein Vergleich bei Varro (vgl. das Referat bei Augustinus, civ. 19,3), der die theoretische Frage stellt, ob nicht der Mensch allein aus seiner Seele bestehe, welche sich zum Körper ebenso verhalte wie der Reiter (eques) zu seinem Pferd (equus). Denn unter einem Reiter verstehe man nicht Mensch und Pferd zusammen, sondern lediglich den Menschen. Andererseits würde man ihn nicht Reiter nennen, wenn er nicht in einem gewissen Verhältnis zum Pferd stünde.162 – Der hiesige augustinische Vergleich mit Pferd und Reiter betont die Aktivität der Seele gegenüber den von ihr „regierten“ Leib (vgl. W. Thimme, Entwicklung, S. 146 f), wie dies auch an anderen Stellen häufig der Fall ist. Vgl. speziell im Zusammenhang mit der körperlichen Bewegung mus. 6,5,15: Cum igitur idipsum sentire movere sit corpus adversus illum motum, qui in eo factus est. Ähnlich z. B. auch vera relig. 218: Quid iam de anima ipsa dicam vegetante modulum corporis sui, quomodo eum numerose moveat …? 11 maneat … manet: Eines der zahllosen Beispiele aus De ordine, bei dem ein terminus technicus der Philosophie (manere = immobile esse), über welchen gerade verhandelt wird, unvermittelt auch in der profanen Dialogsituation Gebrauch findet. Zu diesem beliebten Topos des geistreichen Wortspiels innerhalb des urbanen Dialogs vgl. supra zu Z. 1. 11 beneficium tuum: Die Übersetzung „dein Vorschlag“ (Mühlenberg, Ordnung, S. 296) trifft nicht den Sinn. Es handelt sich um einen Rückverweis auf 2,2,4, Z. 1–9; „dein Entgegenkommen“ (so Keseling, Weltregiment, S. 166) ist als Wiedergabe für den dort geschilderten Vorgang angemessener. 11 postulatio mea: Vgl. 2,2,4, Z. 4: Tu … defini quaeso. 14 prandii: Das prandium wird auch in c. acad. 1,8,25; 2,5,13 und 3,3,6 f sowie in beat. vit. 1,6 und 3,17 erwähnt. Eine solche Unterbrechung des Dia162 … dubitat (sc. Varro), … utrum anima sola sit homo, ut ita sit ei corpus tamquam equus equiti (eques enim non homo et equus, sed solus homo est; ideo tamen eques dicitur, quod aliquo modo se habet ad equum).
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II. Kommentar
logs durch die Zwischenmahlzeit163 besitzt häufig eine gewisse Gliederungsfunktion.164 An der hiesigen Stelle allerdings ist in keiner Weise eine inhaltliche Zäsur auszumachen; der Dialog beginnt in § 19 geradezu „ansatzlos“ dort, wo er vor dem Essen geendet hat. Dies führt zu dem Gedanken, dass das Mittagessen, welches nach dem Prinzip der Wirklichkeitsnähe ohnehin irgendwann stattfinden musste,165 einzig und allein um der kleinen scherzhaften Bemerkung willen (bevorstehende Ortsveränderung = „Bewegung“; Z. 14–16) genau an dieser Stelle erwähnt wird. 16 f Hic cum arrisissent, discessimus: „Zum Schlusse feiner Humor!“166 Oft wird das Gespräch mit einem kleinen geistreichen Scherz beendet, wodurch sehr bewusst die gelöst-heitere Atmosphäre auf dem Landgute und der urbane Umgangston unter den Freunden hervorgehoben werden soll. Vgl. zum Dialogtopos der adrisio auch c. acad. 2,7,16; 3,3,6 (hic cum arrisissent, discessimus); 3,20,45 (hic cum arrisissent …); beat. vit. 2,16 (ridentes … discessimus). Ähnlich, aber nicht am Ende eines Gesprächs, auch beat. vit. 4,27: Hic cum … arrisissent … – Der genaue Wortlaut der Formel begegnet bei Tacitus, dial. 42,2: hic cum arrisissent, discessimus. Der Einschätzung H. H. Gunermanns (Sprache, S. 211) ist zuzustimmen: „Es ist schwerlich anders denkbar, als daß Aug. in de ord. 2,6,18 und C. ac. 3,3,6 [sowie in c. acad. 3,20,45 und beat. vit. 4,27; Vf.] Tac. dial. 42,2 vor Augen hatte“ (anders Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 257).167 – Bloßes formelhaftes discedere steht in der paganen wie christlichen Dialogliteratur häufig.168
163 Die Übersetzung von prandium mit „Frühstück“ (so Keseling, S. 166; Schwarz / Schwarz-Kirchenbauer, S. 186 und 196) ist ein wenig irreführend; denn mitunter werden, wie man hier sieht, recht umfangreiche Gespräche vor diesem Essen geführt. Es handelt sich offensichtlich um eine Mahlzeit um die Mittagszeit (das sog. „zweite Frühstück“), bei dem – nach allgemeiner römischer Essgewohnheit – in der Regel kalte Speisen verzehrt wurden. 164 Vgl. Th. Fuhrer (Contra Academicos, S. 22) als Quintessenz über die szenischen Pausen in c. acad.: „Vielmehr haben die Zäsuren offensichtlich retardierende Funktion, d. h. die Unterbrechungen bieten einen Anlass, die diskutierten Punkte noch einmal zu wiederholen bzw. umzuformulieren und auch zu vertiefen.“ 165 Es wäre dem Leser kaum realistisch erschienen, hätte Augustin das gesamte Gespräch des zweiten Buches (inklusive der oratio perpetua) lediglich auf einen Halbtag verlegt. Stattdessen wird in 2,1,1 auf den Sonnenaufgang, am unmittelbaren Schluss in 2,20,54 bereits auf das Einbrechen der Nacht hingewiesen. 166 Keseling, Weltregiment, S. 240. Der kleine Scherz (Z. 14–16) „funktioniert“ wie viele andere in den Cassiciacum-Schriften: Ein Aspekt aus der philosophischen Diskussion (hier: das movere) wird mittels ein Wortspiels, als Metapher oder geistreiche Anspielung in die gerade vorherrschende Alltagssituation übertragen. Vgl. dazu supra zu 2,3,10, Z. 51. 167 In den philosophischen Dialogen Ciceros, in denen ebenfalls sehr viel gelacht wird (vgl. die Stellen bei Gunermann, Sprache, S. 210 f), begegnet nirgendwo exakt derselbe Wortlaut. Vergleichbar sind allenfalls de orat. 2,229 und ibid. 3,46 (jeweils: hic cum adrisisset … inquit) sowie ibid. 2,30 (hic posteaquam adriserunt … inquit). 168 Vgl. die angeführten Stellen aus Cicero, Varro, Tacitus, Minucius Felix und Augustinus bei Gunermann, Sprache, S. 195 f; hierzu auch B. R. Voss, Dialog, S. 42.
2. Hauptteil: 2,6,19
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2,6,19: Der Weise und die Allgegenwart Gottes
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At ubi refecimus corpora, quoniam caelum obduxerat nubes, solito loco in balneo consedimus. Atque ego: Concedis ergo, inquam, Licenti, nihil esse aliud motum quam de loco in locum transitum? – Concedo, inquit. – Concedis ergo, inquam, neminem in eo loco esse, in quo non fuerat, et motum non fuisse? – Non intellego, inquit. – Si quid, inquam, in alio loco fuit dudum et nunc in alio est, motum esse concedis? – Assentiebatur. – Ergo, inquam, posset alicuius sapientis vivum corpus hic modo nobiscum esse, ut animus hinc abesset? – Posset, inquit. – Etiamne, inquam, si nobiscum conloqueretur et nos aliquid doceret? – Etiamsi, inquit, nos ipsam doceret sapientiam, non illum dicerem nobiscum esse sed secum. – Non igitur in corpore? inquam. – Non, inquit. – Cui ego: Corpus illud, quod caret animo, nonne mortuum fateris, cum ego vivum proposuerim? – Nescio, inquit, quomodo explicem. Nam et corpus hominis vivum esse non posse video, si animus in eo non sit, et non possum dicere, ubiubi sit corpus sapientis, non eius animum esse cum deo. – Ego, inquam, faciam, ut hoc explices. Fortasse enim, quia ubique deus est, quoquo ierit sapiens, invenit deum, cum quo esse possit. Ita fit, ut possimus et non negare illum de loco in locum transire, quod est moveri, et tamen semper esse cum deo. – Fateor, inquit, corpus illud de loco in locum transitum facere, sed mentem ipsam nego, cui nomen sapientis inpositum est.
18 solito loco in balneo: Zur Lage, Architektur und Nutzung des Badehauses siehe supra zu 1,8,25, Z. 58 f. Schon an einem der Vortage hatte man sich – wie immer bei trübem Wetter – an diesen „gewohnten Aufenthaltsort“ zurückgezogen; siehe ord. 1,9,27, Z. 1: ad solitum locum convenimus. Als der zweite solitus locus der philosophischen Disputationen wird ein Baum auf einer Wiese genannt, die regelmäßig bei schönem Wetter frequentiert wird; vgl. c. acad. 2,11,25, Z. 7 f: cum ad arborem solitam ventum esset. 19 consedimus: Das Platznehmen der Gesprächsteilnehmer vor der Diskussion ist als zu werten (vgl. Gunermann, Sprache, S. 192) und erscheint in den Cassiciacum-Dialogen noch ord. 1,9,27 (ad solitum locum convenimus in eoque consedimus); c. acad. 1,4,11 (postridie …. cum consedissemus); beat. vit. 1,6 (omnes … ad considendum vocavi); ibid. 4,23 (omnibus nobis … considentibus). Dieser spezielle Topos der Dialogliteratur ist von Cicero übernommen, der die Szenerie der philosophischen Gespräche auf dieselbe Weise fein ausgestaltet: de orat. 3,18; ac. 2,9; div. 2,8; Tusc. 5,11 u. ö. 24 modo … ut: Nicht „in der Art … daß“ (so Mühlenberg, Ordnung, S. 297), denn der Ablativ modo steht bis auf wenige, klar zu bezeichnende Ausnahmen nur mit Pronomen, Zahlwörtern oder einem Genitiv verbunden (vgl. Kühner / Stegmann I § 81, Anm. 32 [S. 412]; Menge, Syntax § 104, S. 82, Anm. 3). Somit ist modo als Adverb aufzufassen und ut im konzessiv-adversativen Sinne verwendet: „Wäre es also möglich …, daß der lebendige Leib eines Weisen hier jetzt bei uns ist, während seine Seele anderswo wäre?“ (Keseling, Weltregiment, S. 167).
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II. Kommentar
25 f Etiamsi … nos ipsam doceret sapientiam: Der Weise bei Augustin ist nicht völlig weltabgewandt und ausschließlich in sich selbst versunken, seine dringlichste Aufgabe und Pflicht ist es, die Weisheit an die Nicht-Weisen (= Ungebildeten) weiterzugeben und zu lehren. Siehe ord. 2,2,7, Z. 74–76: relinquit officium beneficia tribuendi quibus potest et maxime, quod ab eo vehementissime flagitatur, sapientiam ipsam docendi. Dennoch ruht der sapiens mit seinem Geist unbeweglich in sich selbst (vgl. Z. 26: secum) bzw. in Gott (Z. 33: cum deo). Dies ist kein Widerspruch, da die unbewegliche Ruhe nicht mit apathischer Passivität zu verwechseln ist. Zwar beruht die Weisheit des Weisen ausschließlich auf dessen Selbst- und Gotteserkenntnis, diese erscheint aber bei Augustin nicht als weltvergessener mystisch-irrationaler, sondern als ein zutiefst rationaler Akt, der aus eben diesem Grunde auch lehrbar ist. 27 f Corpus illud, quod caret animo, nonne mortuum fateris: Dass der Tod mit der Trennung der Seele vom Körper zusammenfalle und gleichbedeutend sei, ist der consensus communis aller großen antiken Philosophenschulen; vgl. hierzu das Überblicksreferat bei Cicero, Tusc. 1,18. 30 eius animum esse cum deo: Rückbezug auf ord. 2,2,4: Der Geist des Weisen ist bei Gott, weil er ihn zu erkennen vermag (vgl. die zentrale augustinische Definition: cum deo est quidquid intellegit deum; Z. 8 f). 31 ubique deus est: Die Allgegenwart Gottes stellt die Lösung des Problems über den Aufenthaltsort der Seele dar. Denn die Seele des Weisen befinde sich sowohl in dessen Körper, da dieser ansonsten nicht lebendig sein könne. Doch wo auch immer der Körper des Weisen sich gerade aufhalte, die ihn belebende Seele sei immer cum deo. Auf diesen Gedanken der Ubiquität Gottes legt Augustin großen Wert, sie erscheint ihm als etwas Großes und Erhabenes; vgl. conf. 1,2,2–4,4; 5,2,2 (dazu auch Plotin, Enn. 6,5,1). – Man könnte fragen, ob nicht angesichts der Allgegenwart Gottes nicht nur der Weise, sondern auch jeder Törichte immer bei Gott sei. Dies verbietet jedoch die Ausgangsdefinition (2,2,4, Z. 8 f), die die Erkenntnis Gottes voraussetzt, um von einem cum deo esse zu sprechen. Damit ist die Nähe zu Gott sowohl räumlich als auch auf einer geistigen Ebene gedacht. 34 f mentem …, cui nomen sapientis inpositum est: Eine faktische Feststellung (mit klarem Bezug auf ord. 2,2,6169), die nicht kondizional wiedergegeben werden sollte (gegen Mühlenberg, Ordnung, S. 298). 2,7,20: „ohne Gott sein“ – ein Definitionsversuch 1 Nunc interim tibi cedo, inquam, ne res obscurissima et diutius diligentiusque
tractanda inpediat in praesentia propositum nostrum. Sed illud videamus, quoniam definitum est a nobis, quid sit esse cum deo, utrum scire possimus etiam, quid sit 169 Es ist ausschließlich des Weisen Geist bzw. seine Seele, die den Namen eines sapiens verdient; vgl. Z. 40–42: Anima … sapientis … sapientis etiam nomine digna est nec quicquam eius aliud delectat appellare sapientem.
2. Hauptteil: 2,7,20
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esse sine deo, quamvis iam manifestum esse arbitror. Nam credo videri tibi eos, qui 5 cum deo non sunt, esse sine deo. – Si possent, inquit, mihi verba suppetere, dicerem
quod tibi fortasse non displiceret. Sed peto perferas infantiam meam resque ipsas, ut te decet, veloci mente praeripias. Nam isti nec cum deo mihi videntur esse et a deo tamen haberi, itaque non possum eos sine deo esse dicere, quos deus habet. Cum deo item non dico, quia ipsi non habent deum, si quidem deum habere iam inter 10 nos pridem in sermone illo, quem die natali tuo iucundissimum habuimus, placuit nihil aliud esse quam deo perfrui. Sed fateor me formidare ista contraria, quomodo quisque nec sine deo sit nec cum deo.
1 Nunc interim: „einstweilen“ bzw. „für den Moment / Augenblick“. Im Thesaurus keine Parallele für diese abundante, wohl der Alltagssprache entstammenden Verbindung; vgl. Hensellek, Notabilien, S. 99. In demselben Sinne ist die Verbindung modo interim in c. acad. 2,9,23 verwendet: inter quos [sc. Academicos] et me modo interim nihil distat, nisi quod illis probabile visum est non posse inveniri veritatem, mihi autem inveniri posse probabile est.170 1 cedo: Der typische Ausdruck für das Nachgeben bzw. Einräumen im rhetorischen oder philosophischen Wettstreit (certamen); vgl. ThLL 3,727,56 ff. Siehe auch c. acad. 2,7,16: non cedam nisi veritati; 2,7,18: cede iam; 2,13,30: cedam libenter; ord. 2,3,9, Z. 46: in hoc iam tibi cedant. 1 f res obscurissima et diutius diligentiusque tractanda: Zur großen Bedeutung, aber auch zur Schwierigkeit und Dunkelheit gewisser Sachverhalte im Umkreis des ordo-Begriffs vgl. besonders die nach Ciceros De natura deorum stilisierten Hinweise im Proömium; siehe speziell supra zu 1,1,1, Z. 2 und 4. 1 diutius: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 2 f quoniam definitum est a nobis, quid sit esse cum deo: Bezug auf 2,2,4, Z. 8 f: cum deo est quidquid intellegit deum. 3 f quid sit esse sine deo: Die Frage nach dem contrarium des cum deo esse ist an dieser Stelle kein spontaner Einfall Augustins, sondern war systematisch bereits zu Beginn des Tagesgespräches gleichsam programmatisch formuliert; siehe 2,2,4, Z. 1: Defini … quid sit esse cum deo et quid sit non esse sine deo. Man sieht hier die ungemein sorgfältige Konzeption der Schrift, welche die These eines durch Stenographen festgehaltenen authentischen Gesprächs höchst unglaubwürdig erscheinen lässt (siehe hierzu infra Ergebnis 1). 5 Si possent … mihi verba suppetere: Über sein Unvermögen, das im Geiste Vorschwebende mit Worten auszudrücken, klagt Licentius in ähnlicher Weise auch an anderer Stelle; vgl. 1,6,16, Z. 20 f: O si possem dicere quod volo! rogo, ubiubi estis, verba, succurrite. Dazu passt seine Scheu vor jeder Art des Definierens (vgl. 1,10,28; 2,2,4; 2,6,18). Ob hier eine Eigenart des Licentius wirklichkeits170 B. R. Voss (ThRev 69, 1973, S. 28) möchte das interim in c. acad. 2,9,23 textkritisch entfernen; Th. Fuhrer (Contra Academicos, S. 209) zieht die Authentizität von modo in Frage mit der Vermutung, dass es als Glosse in den Text geraten sei. Das nunc interim der hiesigen Stelle in De ordine entspricht dem modo interim aus Contra Academicos jedoch derart, dass sich die Ursprünglichkeit gleichsam gegenseitig bestätigt.
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II. Kommentar
nah wiedergegeben ist oder aber durch den Autor in konsequenter und in sich stimmiger Weise stilisiert wird, mag dahingestellt bleiben. Auffällig ist der Kontrast zur Selbstdarstellung Augustins. Denn dieser zeichnet sich selbst als denjenigen, der sowohl komplizierte Gedankengänge schnell erfasst (vgl. Z. 7: veloci mente) als auch diese jederzeit in Worte und sogar Definitionen (2,2,4; 2,6,18) fassen kann. 6 infantiam meam: Die Übersetzung von infantia lediglich mit „Jugend“ (so Keseling, S. 168; Perl, S. 55; vgl. Péronne: „enfance“) überzeugt an dieser Stelle nicht; eher schon „kindliche Unbeholfenheit“ (Mühlenberg, S. 298). Die infantia des Licentius drückt ein Zweifaches aus: Zum einen tatsächlich sein noch jugendliches Alter,171 zum anderen aber auch den Mangel an Beredsamkeit (vgl. infans = „unberedt“) und insbesondere die konkrete Sprachlosigkeit im hiesigen Moment; vgl. Hensellek, Notabilien, S. 93 und Doignon, BAug 4/2, S. 221. 6 f ut te decet, veloci mente: Augustin lässt sich gern von seinen Gesprächspartnern Lob zuteilen, besonders in Bezug auf seine Bildung, Beredsamkeit und intellektuelle Kraft; vgl. z. B. c. acad. 3,20,44; ord. 1,5,13; 2,10,28; 2,20,53; vgl. außerhalb der Cassiciacum-Dialoge auch mag. 14,46 u. ö. 7 mente praeripias: Zugetraut wird Augustin die Fähigkeit „im Geiste zu antizipieren“, was Licentius nur unzureichend auszudrücken vermag. Für Hensellek (Notabilien, S. 93) bedeutet der Ausdruck ein „stärkeres cogitatione praecipere“. 7 f a deo … haberi: „von Gott gehalten, umfangen, umfasst werden“; die Vorstellung der Ubiquität Gottes steht im Hintergrund. Vgl. conf. 1,2,2–4,4. Auch die neuplatonische Vorstellung, dass im ersten und höchsten Prinzip alles in potentia angelegt und enthalten ist, mag hier anklingen; vgl. Plotin, Enn. 5,5,9. Der Unterschied zwischen a deo haberi und esse cum deo besteht darin, dass für das Zweite nach augustinischer Sicht eine geistige und moralische Eigenleistung notwendig ist (man muss Gott aktiv gesucht und erkannt haben), während das „von Gott umfangen werden“ grundsätzlich für alle Kreaturen gilt, unabhängig von ihrem ethischen oder intellektuellen Niveau. Siehe zum logischen Verhältnis der beiden Begriffe auch: É. Zum Brunn, dilemme, S. 22–24. 8 itaque non possum eos sine deo esse dicere, quos deus habet: Die Folgerung des Licentius basiert auf einer feinen Unterscheidung von cum deo esse und non sine deo esse. Für das „nicht ohne Gott sein“ ist die notwendige und gleichzeitig hinreichende Bedingung, dass der Mensch von Gott „umfasst“ und „gehalten“ wird. Da diese Bedingung offensichtlich für alle Menschen zutrifft, gilt das non sine deo esse ausnahmslos für jeden. Für das „mit Gott sein“ ist erforderlich, dass eine weitere Bedingung realisiert wird: Gott hält nicht nur den Menschen umfasst, sondern der Mensch hat auch Gott erfasst. Diese zweite Bedingung erfüllt nur der Weise (sapiens), der durch die Erkenntnis des höchsten Wesens sich diesem 171 Vgl. 1,8,21, Z. 1: puerilem; siehe zum vermuteten Alter des Licentius auch supra zu 1,2,5, Z. 22.
2. Hauptteil: 2,7,21
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in geistiger Weise auf besondere Weise genähert hat.172 Das durch das cum deo esse bezeichnete Gemeinschafts- und Besitzverhältnis zwischen Gott und Mensch basiert demnach auf Gegenseitigkeit173 und beinhaltet damit mehr als die bloße Negation des Gegenteils. 10 in sermone illo, quem die natali tuo iucundissimum habuimus: Hinweis auf den Dialog De beata vita, dessen erstes Gespräch an Augustins Geburtstag (13. November) stattgefunden haben soll; vgl. die Gesprächseinleitung in beat. vit. 1,6: Idibus Novembribus mihi natalis dies erat. Es zeigt sich bei Augustin die Tendenz, alle drei Gespräche, die nach dialoginternen Angaben an drei verschiedenen Tagen174 stattgefunden haben, rückblickend auf diesen einen Geburtstag zu konzentrieren. Dies gilt sowohl für die Angabe in ord. 2,1,1 (Z. 5 f: in quadam disputatione …, quam die natali meo cum convivis habui) als auch für die hiesige Angabe, die deutlich auf ein Thema des letzten Gesprächs am 15. November anspielt (beat. vit. 4,34; siehe infra zu Z. 11, s. v. deo perfrui). Vgl. dazu W. Hübner (ordo, S. 26 f), der die Konzentration im Zusammenhang einer „kompositorischen Maßnahme“ sieht, nämlich den Dialog nicht in einzelne Bücher aufzuteilen. Die Beschreibung des „Geburtstagsdialogs“ als iucundissimum (vgl. Keseling, S. 168: „herzerquickend“; Mühlenberg, S. 298: „sehr anregend“) weist nicht zuletzt auf die heitere, gelöste Atmosphäre bei diesem Symposium. In keinem anderen Dialog wird so viel gescherzt, so viel geistreicher Humor versprüht wie in De beata vita. 11 deo perfrui: Die Gleichsetzung von „Gott haben“ und „sich an Gott erfreuen“ ist explizit in beat. vit. 4,34 ausgesprochen (Z. 265 f): deum habere, id est deo perfrui. Vgl. zum Hintergrund der Telosformel deo perfrui supra zu 2,2,6, Z. 52. 2,7,21: Rückkehr zur ordo-Definition Non te moveant ista, inquam. Nam ubi res convenit, quis non verba contemnat? Quare iam ad illam tandem ordinis definitionem redeamus. Nam ordinem esse 15 dixisti, quo deus agit omnia. Nihil autem, ut video, non agit deus; nam inde tibi visum est nihil praeter ordinem posse inveniri. – Manet, inquit, sententia mea; sed iam video, quid sis dicturus: utrum deus agat, quae non bene agi confitemur. – Optime, inquam; prorsus oculum in mentem iniecisti. Sed ut vidisti, quid essem dicturus, ita peto videas, quid respondendum sit. – Atque ille nutans capite atque 20 umeris: Turbamur, inquit. – Et huic forte quaestioni mater supervenerat. Atque ille post aliquantum silentium petit, ut a me hoc ipsum rursus interrogaretur; cui loco superius a Trygetio fuisse responsum non omnino animum adverterat. Tum ego: Quid, inquam, vel cur tibi repetam? actum, aiunt, ne agas. Quare moneo potius, ut 172
Vgl. ord. 2,2,6, Z. 52: sapiens amplectitur deum eoque perfruitur. Pointiert ausgedrückt ist dieser Zusammenhang in beat. vit. 4,34. Abgesehen vom glückseligen Weisen gilt für die Gesamtheit der Schöpfung Gottes: Cetera enim quamvis a deo habeantur, non habent deum. 174 Am 13.,14. und 15. November; vgl. supra zu 1,3,7, Z. 20 f (s. v. nam et Alypius) und 1,7,20, Z. 39 (s. v. diem … lunae). 173
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II. Kommentar
ea, quae supra dicta sunt, vel legere cures, si audire nequivisti. Quam quidem ab25 sentiam a sermone nostro animi tui non aegre tuli diuque ita esse pertuli, ut neque
illa impedirem, quae tecum intentus remotusque a nobis pro te agebas, et ea persequerer, quae te amittere stilus iste non sineret.
13 ubi res convenit, quis non verba contemnat: Über die Notwendigkeit, sich über die Sache (res) zu einigen (convenire) und darüber den Streit um Worte (verba) zurückzustellen, äußert sich auch Cicero mehrfach, besonders wenn es – wie hier bei Augustin – um konkrete Definitionsfragen geht; vgl. orat. 116; fin. 2,3–4; ibid. 4,72; rep. 1,38; siehe dazu Gunermann (Sprache, S. 218 f), der für diesen Zusammenhang explizit auf Platon (Phaidr. 237 b) als Vorbild verweist. – Für Augustin vgl. insbesondere als Parallele ord. 2,2,4, Z. 1–3 (siehe supra zur Stelle), wo ebenfalls zu einer Geringschätzung (contemnere) äußerer Wortstreitigkeiten geraten wird, wenn nur die Sache selbst klar erfasst werde. Daneben siehe auch mag. 13,43; civ. 9,4; 9,23; anim. 4,14,20; dazu Fuhrer, Contra Academicos, S. 214, mit Hinweis auf H.-I. Marrou, culture, S. 349 mit Anm. 3 (= Bildung, S. 295 mit Anm. 62). 14 f ordinem esse dixisti, quo deus agit omnia: Bezug auf die Definition der Ordnung in 1,10,28, Z. 10: Ordo est, inquit, per quem aguntur omnia, quae deus constituit. Vgl. auch die abgewandelte Formulierung in 2,1,2, Z. 17: … te ordinem esse dixisse, per quem deus ageret omnia. In 2,4,11, Z. 3 f nahezu derselbe Wortlaut wie an der hiesigen Stelle: ordo est, quo deus agit omnia, quae sunt. 16 nihil praeter ordinem posse inveniri: Vgl. die These des Licentius in 1,3,8, Z. 36: praeter ordinem nihil mihi fieri videtur. Sie wird wiederholt in 1,6,15, Z. 9: nihil autem esse praeter ordinem video. Vgl. auch 1,3,9, Z. 59 und 2,7,23, Z. 52. 18 oculum in mentem iniecisti: Hensellek (Notabilien, S. 91) notiert zum Ausdruck oculum inicere: „spät und offenbar sehr selten“ (vgl. ThLL s. v. inicere, 1614,33). Aufgrund der Analyse der hiesigen Stelle sowie der späteren augustinischen Parallelstellen175 gelangt er zu der Einschätzung, dass die Wendung eine „tiefergehende Art des Betrachtens“ bzw. ein „erkennendes Betrachten“ bezeichne. Es ergibt sich hierdurch eine Kongruenz zur allgemeinen Charakterisierung des Licentius durch Augustin in De ordine. Denn dass Licentius „erkennt“, was Augustin denkt, gewissermaßen seine Gedanken lesen kann, ist angesichts der verwickelten philosophischen Probleme eine intellektuelle Leistung des Schülers, welche seiner – von Augustin mehrfach attestierten – außerordentlichen geistigen Begabung (siehe besonders 1,3,7, Z. 28–30; 1,7,20, Z. 58–62) voll und ganz entspricht. 20 huic forte quaestioni mater supervenerat: Die Ankunft eines neuen Gesprächspartners inmitten der laufenden Diskussion ist ein beliebtes Motiv in der 175 Vgl. serm. 182,2,2: occurrit [sc. Johannes apostolus] exspectationi, iniecit oculum tacitae cogitationi; gen ad. litt. 3,12: in sua membra oculos iniecerunt eaque motu eo, quem non noverant, concupiverunt. Siehe die ähnliche (poetische) Wendung bei Ovid, met. 2,92: utinamque oculos in pectore posses inserere.
2. Hauptteil: 2,7,21
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Dialogliteratur. Gern wird es – anders als hier – mit der Schilderung näherer Begleitumstände verbunden und dient dem offensichtlichen Zweck, eine anschauzu erreichen. Vgl. hierzu Gunermann (Sprache, S. 204 f) liche mit den Hinweisen auf Cicero, welcher allerdings an keiner Stelle supervenire, sondern intervenire als beinahe schon „stehende Wendung“ gebraucht: rep. 1,18; 1,19; de orat. 2,14; nat. deor. 1,17; siehe auch rep. 1,17; fat. 2 sowie Tacitus, dial. 14,2. – Dass die Mutter hier so knapp und kommentarlos in die Dialogsituation eingeführt wird, wundert ein wenig angesichts der sehr viel ausführlicheren Bemerkungen bei ihrer Ankunft in ord. 1,11,31–33. Hier jedoch steht der auf die notwendige Sachinformation reduzierte Berichtsstil im bemerkenswerten Einklang zur Erwähnung der stenographischen Mitschrift in Z. 27. Man hat geradezu den Eindruck, die Ankunft der Mutter werde nur deswegen an dieser Stelle erwähnt, um dem Leser die Anwesenheit des gewissenhaften notarius, welcher alle Ereignisse um das philosophische Gespräch peinlich genau dokumentiert, in Erinnerung zu rufen.176 21 post aliquantum silentium: Zur Funktion der Schweigenotizen in De ordine und ihrem Vorkommen in der voraugustinischen Dialogliteratur vgl. supra zu 1,6,16, Z. 15 und 1,10,28, Z. 8. – An der hiesigen Stelle soll zweifellos die Verlegenheit des Licentius (Z. 20: turbamur) hervorgehoben werden, die ihm gewissermaßen die Sprache verschlägt. Zusätzlich wird auch hier wieder dem Leser signalisiert bzw. insinuiert, dass ihm der Stenograph (Z. 27) – nach dem Prinzip der Wirklichkeitsnähe177 – auch die geringsten Kleinigkeiten der Konversation getreu aufbewahrt hat (siehe oben zu Z. 20). 21 petit, ut a me hoc ipsum rursus interrogaretur: Die Bitte um Wiederholung der Frage seitens des Licentius auch in c. acad. 2,7,16 und ord. 2,1,3, Z. 34 f (siehe dort zur jeweiligen Funktion). 21 f cui loco superius a Trygetio fuisse responsum: Hinweis auf den inhaltlich gewichtigen Beitrag des Trygetius in 2,4,11, Z. 7–18. 23 actum, aiunt, ne agas: Zitat aus Terenz, Phorm. 419. Bereits dort wird das actum ne agas (Keseling: „Was getan ist, tu nicht nochmals!“) als offenbar bekannte Wendung des Volksmundes angeführt und gewissermaßen zitiert. 27 stilus iste: Eine der zahlreichen Erwähnungen der stenographischen Mitschrift; vgl. supra zu 1,2,5, Z. 18. – Auf kompositorischer Ebene ist das retardierende Moment (§ 21 bringt in inhaltlicher Hinsicht nicht den geringsten Fortschritt) zur Genüge ausgeschöpft; der Hinweis auf die Niederschrift der Worte ermöglicht ein Fortschreiten der Diskussion, ohne den Leser durch langatmige Wiederholungen zu ermüden.
176 Zur für Augustin ungemein wichtigen und auffallend häufigen Erwähnung der stenographischen Mitschrift innerhalb der Cassiciacum-Dialoge vgl. supra zu 1,2,5, Z. 18. 177 Vgl. zu dieser dialogimmanenten Technik supra zu 2,3,9, Z. 44 f (mit weiteren Querverweisen).
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II. Kommentar
2,7,22: War Gott immer gerecht?
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Nunc illud quaero, quod nondum discutere diligenti ratione temptavimus. Nam ut primum nobis istam de ordine quaestionem nescio quis ordo peperit, memini te dixisse hanc esse iustitiam dei, qua separat inter bonos et malos et sua cuique tribuit. Nam est, quantum sentio, manifestior iustitiae definitio; itaque respondeas velim, utrum tibi videatur aliquando deum non fuisse iustum. – Numquam, inquit. – Si ergo semper, inquam, deus iustus, semper bonum et malum fuerunt. – Prorsus, inquit mater, nihil aliud video, quod sequatur. Non enim iudicium dei fuit ullum, quando malum non fuit, nec, si aliquando bonis et malis sua cuique non tribuit, potest videri iustus fuisse. – Cui Licentius: Ergo dicendum nobis censes semper malum fuisse? – Non audeo, inquit illa, hoc dicere. Quid ergo dicemus? inquam; si deus iustus est, quia iudicat inter bonos et malos, quando non erat malum, non erat iustus. – Hic illis tacentibus animadverti Trygetium respondere velle atque permisi. At ille: Prorsus, inquit, erat deus iustus. Poterat enim bonum malumque secernere, si extitisset, et ex ipso, quo poterat, iustus erat. Non enim, cum dicimus Ciceronem prudenter investigasse coniurationem Catilinae, temperanter nullo corruptum fuisse praemio, quo parceret malis, iuste illos summo supplicio senatus auctoritate mactasse, fortiter sustinuisse omnia tela inimicorum et molem, ut ipse dixit, invidiae, non in eo fuissent virtutes istae, nisi Catilina rei publicae tantam perniciem comparasset. Virtus enim per se ipsa, non per aliquod huius modi opus consideranda est et in homine, quanto magis in deo, si tamen in angustiis rerum atque verborum componere illis quoquo modo ista permittimur. Nam ut intellegamus, quia deus semper iustus fuit, quando extitit malum, quod a bono seiungeret, nihil distulit sua cuique tribuere; non enim tunc ei erat discenda iustitia, sed tunc ea utendum, quam semper habuit.
30 iustitiam dei, qua separat inter bonos et malos et sua cuique tribuit: Bereits in ord. 1,7,19 begegnet dieselbe zweiteilige Definition der Gerechtigkeit Gottes, welche a) zwischen Guten und Bösen unterscheidet und b) jedem das Seine zuteilt. Siehe 1,7,19, Z. 34: … si dei iustitia bonorum malorumque meritis sua cuique redduntur.178 Der berühmte zweite Teil der Definition, welcher auch an anderen Stellen innerhalb des Augustin-Werkes erscheint, geht bekanntlich auf Platon (rep. 433 a) zurück und ist Augustin – wenn nicht noch aus anderen Quellen – zumindest aus Cicero (fin. 5,65; 5,67; nat. deor. 3,38; inv. 2,160) bekannt. Vgl. dazu supra zu 1,7,19, Z. 31 f. – Gunermann (Sprache, S. 171) erklärt die bemerkenswerte Verbindung der beiden Gerechtigkeitsmerkmale bei Augustin damit, dass zwei verschiedene Definitionen Ciceros, nämlich diejenige der prudentia und die der iustitia konfundiert worden seien. An insgesamt drei Stellen – jeweils im Zusammenhang einer Besprechung der vier Kardinaltugenden – stehe die Definition der „Klugheit“ als die rerum bonarum et malarum scientia179 unmittelbar vor der Definition der „Gerechtigkeit“. Doch ist diese Hypothese tragfähig? 178 Siehe dieselbe charakteristische Gedankenverbindung auch in 2,7,22, Z. 35: … si aliquando bonis et malis sua cuique non tribuit. 179 Wortlaut nach inv. 2,160; vgl. fin. 5,67: prudentia [sc. cernitur] in dilectu bonorum et malorum; nat. deor. 3,38: prudentiam …, quae constat ex scientia rerum bonarum et malarum et nec bonarum nec malarum.
2. Hauptteil: 2,7,22
253
Ist dem Cicero-Kenner Augustin wirklich eine solche Ungenauigkeit180 im Stile einer rein äußerlichen Stichwortassoziation zuzutrauen, zumal bei derart zentralen, bekannten und inhaltlich exponierten Stellen im ciceronischen corpus philosophicum? Eine andere Erklärung erscheint naheliegender und weniger artifiziell: Augustin sieht die iustitia hier nicht wie Cicero als eine menschliche Tugend, die es innerhalb einer Sozialgemeinschaft zu verwirklichen gilt, sondern als iustitia dei vorrangig im Kontext christlich-eschatologischer Vorstellungen (vgl. Z. 34: iudicium dei). In diesem Sinne versteht er die „Zuteilung des Zukommenden“ im engen Konnex mit den ethisch-moralischen Voraussetzungen derjenigen, über die der deus iustus (Z. 38) zu richten hat.181 Die Unterscheidung inter bonos et malos ist integraler Bestandteil jeder Diskussion über die Theodizee und nicht lediglich durch eine zufällige Unachtsamkeit in die augustinische Definition geraten! 34 iudicium dei: Die eigentümliche Interpunktion bei Green (iudicium, dei) ist offensichtlich ein Druckfehler. 35 quando malum non fuit: „als es das Böse (noch) nicht gab“; Monnica als gläubige Christin182 kannte zweifellos die biblischen Geschichten vom Paradies im Garten Eden und dem folgenden Sündenfall in seiner zeitgenössischen Auslegung und scheint hier darauf anzuspielen. Denn anders ist die scheinbar selbstverständliche Voraussetzung, es habe eine Zeit ohne das (innerweltliche) Böse gegeben, aus ihrem Munde kaum erklärbar. Für ihr Denken in biblischen, nicht primär in philosophisch-ontologischen Bezügen spricht auch der von ihr verwendete Ausdruck „Gericht Gottes“ (iudicium dei; Z. 34). Ob Augustin hier im Sinne der Persönlichkeit seiner Gesprächspartnerin stilisiert oder tatsächlich ureigentliche Gedanken seiner Mutter überliefert, bleibe dahingestellt. 37 Non audeo, inquit illa, hoc dicere: Über die religiöse Scheu der frommen Monnica vgl. supra zu 1,8,22, Z. 14. Mehrfach geraten die Gesprächspartner in De ordine in die Situation, dass die Logik der Beweisführung sie zu blasphemischen Schlussfolgerungen183 zwingen will, die dann aber bewusst abgebogen und nicht ausgesprochen werden. Die Treue zum überlieferten Glauben erweist sich in jedem Falle stärker als das Vertrauen in die eigenen dialektischen Fähigkeiten. Vgl. z. B. ord. 1,1,1; 1,7,17; 1,10,29; 2,3,8. 180 Cicero spricht – nota bene – von „guten und schlechten Dingen“, Augustin dagegen von „guten und schlechten Menschen“. 181 Dabei wird die Scheidung zwischen den „Guten“ und den „Bösen“ gemäß der jüdischchristlichen Tradition offenbar als trennscharf angesehen: tertium non datur. Zu der sehr ähnlichen Vorstellung in Bezug auf die Torheit und Weisheit eines Menschen – auch hier scheint es für Augustin kein Mittleres zu geben – siehe supra zu 1,5,13, Z. 18 f. 182 Augustins Mutter wuchs in einem christlichen Elternhaus auf (conf. 9,8,17) und war zeit ihres Lebens ein treues Glied der katholischen Kirche, zuletzt in Mailand ein eifrige Verehrerin des Bischofs Ambrosius, dessen Predigten sie regelmäßig hörte (ibid. 6,1,1 f). 183 An unserer Stelle: Die Affirmation der Anfangslosigkeit des Bösen (semper malum fuisse; Z. 36 f) und die daraus folgende Gleichewigkeit des Bösen mit Gott selbst, würde im Sinne eines Prinzipiendualismus die Größe und Allmächtigkeit Gottes in erheblichem Maße einschränken bzw. beseitigen.
254
II. Kommentar
39 illis tacentibus: Zu den Schweigenotizen in ihrer Funktion innerhalb der Cassiciacum-Schriften sowie als häufiger Topos in der Dialogliteratur vor Augustin vgl. supra zu 1,6,16, Z. 15 und 1,10,28, Z. 8. 39 animadverti Trygetium respondere velle atque permisi: Die Charakterzeichnung der beiden Augustinschüler wird bis in Einzelheiten durchgeführt: Trygetius ist der zurückhaltende Gesprächspartner, der sich trotz seiner geistreichen, innovativen, meist gut durchdachten und geradezu tiefsinnigen Gedanken selten aufdrängt; Licentius ist ein impulsiver Charakter, der die Diskussion mitunter kongenial vorantreiben, teilweise sich aber auch zu vorschnellen Antworten verleiten lassen kann.184 Zur weiteren Kennzeichnung der Person des Trygetius und Licentius siehe supra zu 1,2,5, Z. 22 und Z. 23. 41 ex ipso, quo poterat, iustus erat: Der Hinweis auf die Potentialität im Wesen Gottes erinnert an plotinische Aussagen über das und dessen Kraft und Vermögen ( ) auch außerhalb jeder aktualen Entfaltung. Für die augustinische Rezeption dieses Grundgedankens siehe z. B. vera relig. 232 (Betonung der potentia des höchsten Prinzips oberhalb jeder örtlichen und zeitlichen Konkretion). 52–44 prudenter … temperanter … iuste … fortiter: Die Adverbien leiten formal einen viergliedrigen asyndetischen Parallelismus ein und bezeichnen inhaltlich die bekannten vier Kardinaltugenden (siehe Z. 45: virtutes istae) der Klugheit, Mäßigung, Gerechtigkeit und Tapferkeit. Mehrfach betont Augustin den Wert dieser Tugenden, welche spätestens seit Platon zum „eisernen Bestand der antiken Ethik“ (Keseling, Weltregiment, S. 240) zählen; vgl. c. acad. 1,7,20185; soliloq. 1,1,6; mus. 6,52 ff; mor. eccl. 25; lib. arb. 2,190 ff; trin. 14,12; epist. 155,12 f. Dazu J. Mausbach, Ethik, S. 207 ff. Cicero thematisiert die vier Kardinaltugenden an mehreren Stellen sowohl seiner Reden als auch seiner philosophischen Schriften. Die ursprüngliche Inspiration für die Gestaltung des virtutes-Abschnittes ord. 2,7,22, welcher die vier Kardinaltugenden dem Politiker Cicero selbst – konkretisiert am Beispiel seiner staatsrettenden Tat gegen die Catilinarische Verschwörung – zuschreibt, geht jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit auf Cicero, Catil. 2,25 zurück, wo ebenfalls die besagten Tugenden im Zusammenhang des Kampfes gegen die Catilinarier erscheinen und dort schon in gleicher Weise für die Person Ciceros geltend gemacht werden: Denique aequitas [vgl. aber Augustin: iustitia], temperantia, fortitudo, prudentia, virtutes omnes certant cum iniquitate, luxuria, ignavia, temeritate, cum vitiis omnibus. Die weiteren konkreten Formulierungen, die Augustin hier dem Tryge184 Es ist bei genauem Hinsehen evident, dass der nachfolgende Gesprächsbeitrag (Z. 40–50) nicht spontan und mündlich von Trygetius selbst stammen kann, sondern in seiner bewussten Stilisierung als sorgfältige Schreibtischarbeit des Autors der Schrift anzusehen ist (vgl. infra Ergebnis 1). Dementsprechend ist selbstverständlich auch die typisierende Redeeinleitung fingiert. 185 Z. 24–26: Illa est humanarum rerum scientia, quae novit lumen prudentiae, temperantiae decus, fortitudinis robur, iustitiae sanctitatem.
2. Hauptteil: 2,7,22
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tius in den Mund legt,186 sind – wie J. Doignon, BAug 4/2, S. 353 übersichtlich zeigt – aus verschiedenen anderen Stellen der ciceronischen Catilinarien sowie der coniuratio Catilinae des Sallust kompiliert. Sallust, Catil. 49,1: neque p r e t i o Ciceronem impellere potuere187 Cicero, Catil. 3,1,3: qua ratione i n v e s t i g a t a ; 1,11,27: s u m m o s u p p l i c i o m a c t a r i ; 188 1,1,3: a u c t o r i t a s huius ordinis; 1,8,21: t e l a contineo; 1,9,23: m o l e m i n v i d i a e s u s t i n e b o ; 2,1,1: p e r n i c i e s … c o m p a r a b i t u r. Augustin, ord. 2,7,22: Ciceronem prudenter i n v e s t i g a s s e c o n i u r a t i o n e m Catilinae, temperanter nullo corruptum fuisse p r a e m i o, quo parceret malis, iuste illos s u m m o s u p p l i c i o s e n a t u s a u c t o r i t a t e m a c t a s s e , fortiter s u s t i n u i s s e omnia t e l a inimicorum et m o l e m , ut dixit, i n v i d i a e , non in eo fuissent virtutes istae, nisi Catilina rei publicae tantam p e r n i c i e m c o m p a r a s s e t . H. H. Gunermann (Sprache, S. 172 f und S. 177) vertritt darüber hinaus die These, die augustinische Diktion sei von Cicero, nat. deor. 3,38 abhängig. Die Beweisführung überzeugt jedoch nicht, zumindest lässt sie Zweifel offen. Zu den sog. „sprachlichen Übereinstimmungen“ Gunermanns: Die bloße Erwähnung der Kardinaltugenden ist – wie Gunermann selbst zugibt (S. 172, Anm. 2) – angesichts der Häufigkeit ihres Vorkommens bei Cicero kein schlagendes Argument. Zur Unhaltbarkeit der These der Konfundierung zweier Definitionen Ciceros (der prudentia und iustitia) in eine einzige (der iustitia) bei Augustinus vgl. supra zu Z. 30. Auch die sog. „gedanklichen Übereinstimmungen“, die von Gunermann geltend gemacht werden,189 wirken konstruiert und sind zum Teil sehr allgemeiner Natur. Dass Augustin den Cicerotext gekannt hat, steht auf dem Hintergrund der häufigen Anklänge an De natura deorum zweifellos fest; dass nat. deor. 3,38 jedoch unmittelbare Vorlage für die Formulierung von ord. 2,7,22 war, ist bei genauer Betrachtung – zumal bei den zahlreichen, wesentlich eindeutigeren Reminiszenzen an die Catilinarien – eher unwahrscheinlich. 42 investigasse coniurationem: Die Wendung stammt aus Cicero, allerdings nicht aus den Catilinarien (vgl. Gunermann, Sprache, S. 99). Siehe aber Sull. 3: 186 Die bis heute immer noch vereinzelt herrschende Vorstellung, die Schrift De ordine referiere philosophische Gespräche aus Cassiciacum, die wörtlich (!) in dieser Form von einem Stenographen festgehalten wurden, wird durch den hiesigen Abschnitt – vielleicht mehr als irgendwo sonst – kräftig ad absurdum geführt. Die Vielzahl der komprimiert dargebotenen literarischen Bezüge ist für eine spontane Rede des Augustin-Schülers völlig undenkbar. Es handelt sich hier um eine sorgfältige (ohne Frage schriftliche!) Redaktionstätigkeit des Rhetors und Cicero-Kenners Augustinus selbst. 187 Zu Augustins Rezeption von Sallusts Catilina vgl. H. Hagendahl, Latin Classics, Bd. 1, S. 226–239. 188 Siehe auch Catil. 1,33: Tu, Iuppiter, qui … latrones Italiae scelerum foedere inter se ac nefaria societate coniunctos aeternis s u p p l i c i i s vivos mortuosque m a c t a b i s. Daneben auch Pis. 16; Flacc. 95. 189 Vgl. S. 172: a) Bei Cicero wie Augustin werde die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes gestellt. b) Gott und Mensch würden jeweils hinsichtlich der Tugenden verglichen. c) Trotz einer Mehrzahl von Tugenden werde jeweils der Singular virtus verwendet. d) Die iustitia werde aus dem Kreise der Kardinaltugenden besonders hervorgehoben.
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II. Kommentar
tu enim i n v e s t i g a s t i , tu patefecisti c o n i u r a t i o n e m ; ibid. 85: Grave esse videtur eum qui i n v e s t i g a r i t c o n i u r a t i o n e m , qui patefecerit … dicere in iudicio: … Ego ille c o n i u r a t i o n i s i n v e s t i g a t o r atque ultor certe non defendere Sullam, si coniurasse arbitrarer.190 43 summo supplicio senatus auctoritate mactasse: Eine aus zwei Stellen der ciceronischen Catilinarien (1,1,3; 1,11,27) zusammengesetzte Wendung; vgl. supra zu Z. 42–44. 44 tela inimicorum: Cicero verwendet gern diese „Geschoss-Metapher“, insbesondere im Kontext der coniuratio Catilinae. Vgl. Mur. 87: … vitam ab i n i m i c o r u m audacia t e l i s que ut impune liceat defendere; p. res. in sen. 37: … nec vim i n i m i c o r u m ac t e l a pertimuit. Weitere Belege bei Gunermann, Sprache, S. 161 f. 44 sustinuisse … molem, ut ipse dixit, invidiae: Mit ipse dixit verweist Augustin auf eine spezielle Stelle bei Cicero (Catil. 1,9,23; vgl. supra zu Z. 42–44): … vix m o l e m istius i n v i d i a e , si in exilium iussu consulis ieris, s u s t i n e b o. 45 perniciem comparasset: Ciceronische Wendung (Catil. 2,1,1; vgl. supra zu Z. 42–44): Nulla iam p e r n i c i e s a monstro atque prodigio moenibus ipsis intra moenia c o m p a r a b i t u r. 45 f Virtus enim per se ipsa, non per aliquod …. opus consideranda est: Augustin vertritt hier – u. a. in der Nachfolge stoischer und neuplatonischer Denkweisen (vgl. z. B. Plotin, Enn. 1,5,10) – gewissermaßen eine „Gesinnungsethik“, die die Potentialität guter Handlungen aufgrund einer tugendhaften Wesenseigenschaft höher einschätzt als die tatsächliche gute Tat. Diese spezifische Sichtweise zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte augustinische Werk. In seiner Ethikstreitschrift De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manichaeorum (387/88–389) dient ihm diese Überzeugung – auf der Basis der christlichen Tugend der caritas – als beweiskräftiges Argument für die höhere Sittlichkeit der vielen ehrlichen katholischen Christen gegen die Heuchelei der Manichäer (vgl. besonders deutlich: mor. 1,33,73–34,74191). Auf dieselbe Art und Weise entlarvt er den (aus katholischer Sicht) scheinheiligen Anspruch der Donatisten, die wahren iusti und sancti zu sein (vgl. z. B. psalm. c. Don. B 2, C 1–4, H 5.12, K 1, V 2 u. ö.). Auch sein berühmtes dilige et quod vis fac (in epist. Ioh. 7,8) ist Ausdruck derselben Haltung, die man treffend mit einer „Ethik der Innerlichkeit“ bezeichnen könnte. 47 in angustiis rerum: Für angustiae in metaphorischer Verwendung in augustinischer und voraugustinischer Literatur vgl. supra zu 2,3,9, Z. 26 f. 49 quando extitit malum: „als das Übel entstand“; die Aussage, dass das Böse einen Anfang gehabt habe, ist nicht primär eine philosophische Position,192 son190
Beachte bei beiden Autoren die Verwendung der Perfekt-Kurzformen. Dazu Trelenberg, Einheit, S. 142–146. 192 Im Neuplatonismus, durch den die augustinischen Cassiciacum-Dialoge am stärksten philosophisch geprägt sind, hat das Böse keinen zeitlichen Anfang (vgl. insbes. den Plotin-Traktat Enn. I 8: ); im Gegenteil: trotz einer scheinbar streng monistischen Ausrichtung 191
2. Hauptteil: 2,7,23
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dern Anklang an die jüdisch-christliche Tradition vom Sündenfall (siehe oben zu Z. 35). 50 tunc … tunc: Hinweis auf den (imaginären) zeitlichen Anfang des innerweltlichen Bösen; vgl. oben zu Z. 35 und Z. 49. 2,7,23: Die Aporie des Theodizeeproblems
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Quod cum et Licentius et mater in tanta necessitate approbassent: Quid, inquam, dicis, Licenti? ubi est, quod tam magnopere asseruisti, nihil praeter ordinem fieri? Quod enim factum est, ut malum nasceretur, non utique dei ordine factum est, sed cum esset natum, dei ordine inclusum est. – Et ille ammirans ac moleste ferens, quod tam repente bona causa esset lapsa de manibus: Prorsus, inquit, ex illo dico coepisse ordinem, ex quo malum esse coepit. – Ergo, inquam, ut esset ipsum malum, non ordine factum est, si, postquam malum ortum est, ordo esse coepit. [Semper erat ordo apud deum et aut semper fuit nihil, quod dicitur malum, aut, si aliquando invenitur coepisse, quia ordo ipse aut bonum est aut ex bono est, numquam aliquid sine ordine fuit nec erit aliquando. Quamvis et nescio quid potius occurrit, sed illa consuetudine oblivionis elapsum est; quod credo ordine contigisse pro merito vel gradu vel ordine vitae.] – Nescio quomodo mihi, inquit, effugit quam nunc sperno sententia; non enim debui dicere, postquam malum natum est, coepisse ordinem, sed ut illa iustitia, de qua Trygetius disseruit, ita et ordinem fuisse apud deum, sed ad usum non venisse, nisi postquam mala esse coeperunt. – Eodem, inquam, relaberis; illud enim, quod minime vis, inconcussum manet. Nam sive apud deum fuit ordo sive ex illo tempore esse coepit, ex quo etiam malum, tamen malum illud praeter ordinem natum est. Quod si concedis, fateris aliquid praeter ordinem posse fieri, quod causam tuam debilitat ac detruncat; si autem non concedis, incipit dei ordine natum malum videri et malorum auctorem deum fateberis, quo sacrilegio mihi detestabilius nihil occurrit. – Quod cum sive non intellegenti sive dissimulanti se intellexisse versarem saepius et volverem, nihil habuit quod diceret, et se silentio dedit. Tum mater: Ego, inquit, non puto nihil potuisse praeter dei ordinem fieri, quia ipsum malum, quod natum est, nullo modo dei ordine natum est, sed illa iustitia id inordinatum esse non sivit et in sibi meritum ordinem redegit et conpulit.
innerhalb der plotinischen Ontologie (mit dem an der Spitze der Seinspyramide) erhält man den Eindruck, dass die Verkörperung des Bösen schlechthin, die amorphe Materie ( ), eine vom höchsten Prinzip gleichsam unabhängige Existenz führt und ebenso wie die Welt der oberen Hypostasen eines Anfangs „in der Zeit“ entbehrt. Eindeutig ist (nach Enn. 6,3,7,52 ff), dass die „böse Materie“ in Bezug auf die Sinnendinge ein darstellt, nicht im ontologischen Sinne, aber dezidiert hinsichtlich der Reihenfolge ( ). Vgl. auch Enn. 3,6,19,136–141. – Zur Theorie der Herkunft des Bösen im plotinischen Denksystem siehe die wichtigen Arbeiten von F.-P. Hager, Die Materie und das Böse im antiken Platonismus, in: Museum Helveticum 19 (1962), S. 73–103; ders., Gott und das Böse im antiken Platonismus, Würzburg / Amsterdam 1987 (bes. S. 34 ff und S. 142 ff); K.-H. Volkmann-Schluck, Plotins Lehre vom Wesen und von der Herkunft des Schlechten (Enn. I 8), in: Philosophisches Jahrbuch 75 (1967/68), S. 1–21; E. Varessis, Die Andersheit bei Plotin, Diss. Köln 1996; D. J. O’Meara, Das Böse bei Plotin (Enn. I,8), in: Platon in der abendländischen Geistesgeschichte (1997), S. 33–47.
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II. Kommentar
51 Quod cum … approbassent … inquam …: Nach einem Signal der inhaltlichen Zustimmung durch die Gesprächspartner wird die wörtliche Rede sogleich fortgeführt. Vgl. als nahezu wörtliche Parallele beat. vit. 4,27.193 Es handelt sich um eine deutliche Reminiszenz an Ciceros De re publica; in formelhafter Wendung erscheint dort cum … approbavisse(n)t … inquit insgesamt gleich dreimal: rep. 1,34; 1,38; 2,4. 52 asseruisti nihil praeter ordinem fieri: Wörtlicher Anklang an ord. 1,3,9, Z. 59 f: … nihilque praeter ordinem fieri posse asseram. Vgl. 1,3,8, Z. 36; 1,6,15, Z. 9; 2,7,21, Z. 16. 53 ut malum nasceretur: Die Rede von der Entstehung des Bösen befreit sich mehr und mehr von seinem biblischen Anklang, wie er noch in § 22 im Munde der gläubigen Mutter (vgl. supra zu Z. 35) im Kontext der Vorstellung von Gott als gerechtem Richter mitgedacht werden konnte. Hier gerät mehr und mehr im Zusammenhang mit dem Ordnungsbegriff das philosophische malum metaphysicum in den Blick. 54 f ammirans … inquit: Das Staunen und Sich-Wundern eines Gesprächspartners (hier: des Licentius über eine plötzliche Wendung im Gespräch) gehört zu den beliebten Topoi der dialogischen Gestaltung. In De ordine erscheint es an zwei weiteren Stellen: 1,7,19, Z. 28 (Trygetius wundert sich über eine überraschende Eingebung seines Mitschülers); 2,2,7, Z. 56 (Augustin wundert sich über die tiefsinnigen Gedanken des Licentius). – Die sprachliche Konstruktion (Partizip Präsens Aktiv von admirari mit nachfolgendem inquit) ist bei Cicero abgeschaut; vgl. Brut. 129: Tum Brutus admirans: Tantamne fuisse oblivionem, inquit, … Vgl. auch de orat. 2,12; 2,59; ac. 2,63. 55 lapsa de manibus: „aus den Händen geglitten“; ein weiteres Beispiel für eine ähnliche metaphorische Verwendung von manus findet sich in c. acad. 1,9,24; dort werden dem Trygetius seine guten Argumente geradezu „aus den Händen geschlagen“: rursumque arripuit quod erat de manibus violenter excussum.194 Durch Bilder dieser Art wird vom Autor eine Wettkampfsituation inszeniert, ein certamen mit wechselnder Überlegenheit, dessen Ausgang dem Leser als grundsätzlich offen präsentiert wird. Der Dialog De ordine befindet sich wie auch die philosophischen Dialoge Ciceros in einem lebendigen und sehr reizvollen Spannungsfeld zwischen Dialektik (Ziel: unbedingte Wahrheitsfindung) und Eristik (Ziel: ruhmvoller Sieg über den Gegner).195 193 Z. 94–96: Q u o d c u m a p p r o b a v i s s e t cum ceteris etiam ipsa, cuius sententiam defendebam, aliquantum tamen addubitans: Nescio, i n q u i t , … 194 Bei Cicero sind folgende Stellen zu vergleichen: de orat. 2,74 (qui numquam sententias de manibus iudicum vi quadam orationis extorsimus); ibid. 2,109 (Etenim definitio primum … saepe extorquetur e manibus); Mur. 30 (Omnia ista nobis studia de manibus excutiuntur). Vgl. beim letzten Beispiel die besondere Affinität zu Aug., c. acad. 1,9,24. 195 Zu diesem klassischen Gegensatz vgl. Voss, Dialog, S. 207 mit Anm. 30; siehe auch Fuhrer, Contra Academicos, S. 171, Anm. 49, mit Hinweis bereits auf Aristoteles, soph. el. 171 b 22–172 a 2.
2. Hauptteil: 2,7,23
259
57–62 [Semper … vitae]: Der Einschub von zwei Sätzen fehlt in der wichtigen, alten Handschriftengruppe HMOPR (9. bis 11. Jhdt.) sowie in D, I, W, Y und Z (alle 11. und 12. Jhdt.) und erscheint aufgrund dieses Befundes in den Editionen von Knöll und Green in Atheteseklammern. Der Langtext steht in den wertvollen Handschriften A (codex Andegauensis; 9. Jhdt.) und T (codex Trecensis 1085; 11. Jhdt.), in mehreren jüngeren Handschriften (zumeist 12. Jhdt.) sowie in sämtlichen älteren Editionen des 15.–17. Jahrhunderts.196 – Mag die äußere Textkritik zu keinem eindeutigen Urteil führen, so umso mehr die innere. Folgende Gründe sprechen gegen die Authentizität des Langtextes, d. h. für eine Interpolation: a) Die allgemeine „Faustregel“ lectio brevior potior. b) Der Anschluss von Z. 62 an Z. 57 ist literarisch integer und inhaltlich folgerichtig: Das postquam malum natum est (Z. 63) greift das postquam malum ortum est (Z. 57) auf, das coepisse ordinem (Z. 63) das ordo esse coepit (Z. 57). c) Die Identifikation des Bösen mit dem „Nichts“ (nihil; Z. 58) wirkt im unmittelbaren Kontext von De ordine als Fremdkörper. An keiner anderen Stelle innerhalb des Frühdialoges wird auf diesen höchst gewichtigen Lehrsatz, welcher bekanntlich der plotinischen Privationstheorie entstammt,197 Bezug genommen. Er wird auch nicht sorgsam philosophisch entwickelt, wie man es in einer Schrift über die Ursache des Bösen erwarten könnte, sondern gleichsam in einem Nebensatz thetisch „in den Raum geworfen“. Es liegt auf der Hand, dass hier ein Kernstück augustinischer Ontologie von zweiter Hand aus späteren Werken in die hiesige Schrift sekundär eingetragen wurde. Die Behauptung der Nichtexistenz des malum metaphysicum wird erst in De libero arbitrio (Verlegung des Bösen in die Gesinnung des Menschen) und besonders klar und deutlich in De moribus (Leugnung der Substanzhaftigkeit des Übels) mit aller gebotenen Sorgfalt philosophisch deduziert. d) Die dozierende Sprache des Einschubs passt nicht zum unmittelbaren Kontext, in welchem Augustin den Licentius fast schon im Stile eines maieutischen Verfahrens „interviewt“; insbesondere ergibt sich eine nicht geringe Inkonzinnität, wenn die dortige apodiktische Aussage semper erat ordo apud deum (Z. 57 f) später nur noch im Range einer zweifelhaften Möglichkeit bzw. Alternative erscheint: sive apud deum fuit ordo … (Z. 66). e) Der Hinweis auf Augustins Vergesslichkeit (oblivio; Z. 61) wirkt konstruiert und spiegelt die offensichtliche Unsicherheit des Interpolators, welche seiner präsentierten Alternativen (aut … aut; Z. 58) dem Denken des Kirchenvaters wohl angemessener sein könnte. 59 f numquam aliquid sine ordine fuit nec erit aliquando: Vgl. Plotin (Enn. 3,2,4,25), der es als unmöglich erachtet, dass sich irgendetwas innerhalb dieser Welt „der festgesetzten Ordnung eines allumfassenden Gesetzes“ entziehen könne: … 196 Handschriftensiglen und Altersangaben nach Doignon, BAug 4/2, S. 62 f; die Bewertung der Handschriften(gruppen) aktuell und sehr differenziert ebd. S. 39 ff. 197 Vgl. H. Häring, Die Macht des Bösen. Das Erbe Augustins, Gütersloh 1979, bes. S. 23– 136; D. A. Cress, Augustine’s Privation Account of Evil. A Defense, in: Augustinian Studies 20, 1989, S. 109–128; J. Fritsche, Art. „Privation“, in: HWPh 7, 1989, Sp. 1378–1383.
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II. Kommentar
63 f ut illa iustitia, de qua Trygetius disseruit: Vgl. 2,7,22. Der Vergleich des ordo mit der iustitia ist des Licentius letztes Aufbäumen vor seiner endgültigen Kapitulation. Die Ordnung sei – wie die Gerechtigkeit – zwar immer bei Gott gewesen, habe aber erst zur Anwendung kommen müssen, als das Böse entstand. Durch diese artifizielle Konstruktion soll einerseits das Axiom der Gleichewigkeit der Ordnung bei Gott untermauert, zum anderen die frevelhafte Aussage abgewehrt werden, die Entstehung des Bösen sei auf Gottes Ordnung zurückzuführen. Schwachpunkt dieser Argumentation ist, dass nunmehr die Universalität der Ordnung aufgegeben werden muss (das nihil praeter ordinem posse fieri; vgl. die augustinische Kritik Z. 65-71). Ob die Ordnung erst mit dem Auftreten des Bösen wirksam wurde (d. h. die Entstehung des Bösen „aus zeitlichen Gründen“ nicht verhindert werden konnte) oder ob sie von allem Anfang an existierte (und ihr dann eine „defizitäre Wirksamkeit“ unterstellt werden muss), in jedem Falle vollzog sich die Entstehung des Bösen außerhalb der Wirksamkeit der Ordnung. 68 f si concedis … si autem non concedis: Augustin verwendet die Argumentationstechnik der conplexio (gr. ).198 Die implikative Disjunktion lautet in diesem Falle: Wenn Licentius zugibt, dass das malum außerhalb der göttlichen Ordnung entstehen konnte, dann ist seine Grundthese, nichts geschehe praeter ordinem, durch das genannte Gegenbeispiel zweifelsfrei widerlegt. Wenn er aber nicht zustimmt, dann wird das malum in eine gefährliche Nähe zur voluntas dei (vgl. 1,1,1, Z. 12) gerückt. 70 f malorum auctorem deum fateberis, quo sacrilegio mihi detestabilius nihil occurit: Der Kreis schließt sich. Die vollmundige These des Licentius, nichts geschehe außerhalb der Ordnung (zum ersten Mal geäußert in 1,3,8, Z. 36), wird angesichts des manifesten Bösen in der Welt ad absurdum geführt. Der formallogisch einzige Ausweg, die Allmacht der Ordnung noch zu retten, wäre der Verzicht auf die Güte Gottes. Doch dies sei, wie schon im Proömium verkündet wird (1,1,1, Z. 10–13), die abscheulichste Gotteslästerung. 71 sive non intellegenti sive dissimulanti se intellexisse: Was Augustin seinem Schüler Licentius (einer realen Person!199) vorwirft, nämlich entweder begriffsstutzig oder heuchlerisch zu sein, nimmt im Hinblick auf die Urbanität des Dialogs sicher eine Grenzposition ein. Die Bemerkung steht in einem gewissen Gegensatz dazu, dass ihm an anderen Stellen wiederholt eine außerordentliche geistige Begabung (ein herausragendes ingenium200) attestiert wird. – Es handelt sich hier um diejenige Stelle, die Augustin bei der Abfassung seiner retractationes vor Augen gehabt haben muss. Dort heißt es (1,3,1): Sed cum rem viderem ad intellegendum difficilem satis aegre ad eorum perceptionem, cum quibus agebam, disputando posse perduci, de ordine studendi loqui malui, quo a corporalibus ad incorporalia potest profici. Tatsächlich bricht Augustin, nachdem Licentius in ein ratloses Schweigen 198 Zur Definition der conplexio (Cic., inv. 1,45), ihrer Wirkungsweise und ihrem Vorkommen in den Cassiciacum-Schriften vgl. supra zu 2,4,11, Z. 8. 199 Vgl. supra zu 1,2,5, Z. 22. 200 Siehe supra zu 1,7,20, Z. 59.
2. Hauptteil: 2,7,23
261
(silentium; Z. 72) verfällt, die Diskussion jäh ab und legt sein viel beachtetes „Bildungsprogramm“ in einer oratio perpetua dar, welche nur ein einziges Mal durch eine kurze Zwischenbemerkung des Alypius (2,10,28) unterbrochen wird.201 71 versarem: versare mit Akkusativ (quod) ist geläufig, auch wie hier in metaphorischer Verwendung (= ein Problem „drehen und wenden“); der hinzugesetzte Dativ (intellegenti bzw. dissimulanti) ist dagegen bemerkenswert; vgl. Hensellek, Notabilien, S. 95. Dieser ist als dativus commodi aufzufassen, d. h. die immer wieder aufs Neue versuchte Erklärung der Problemstellung geschieht für bzw. im Interesse des Licentius. 72 silentio: Zur Funktion der Schweigenotizen in den Cassiciacum-Schriften und ihrer Verwendung in der voraugustinischen Dialogliteratur vgl. supra zu 1,6,16, Z. 15 und 1,10,28, Z. 8. – An der hiesigen Stelle ist das resignierte Schweigen des Licentius ein endgültiges, er kommt innerhalb von De ordine nicht mehr zu Wort. Rein kompositionstechnisch hat er seine Aufgabe erfüllt; seine These, nichts geschehe praeter ordinem, konnte er zwar lange verteidigen, letztlich aber gegen den überlegen argumentierenden Augustinus – obwohl letzterer um der Sache willen gern besiegt worden wäre (1,7,20, Z. 42 f)202 – nicht aufrecht erhalten. Dem Leser wurde bereits zweimal eine Ahnung vermittelt, dass Licentius im philosophischen Disput eine Niederlage erleiden würde (1,3,9 und 1,7,20), doch beide Male wird ausdrücklich betont, dass in diesem Falle der unerfahrene Schüler, aber keineswegs „die Sache selbst“ (res ipsa) oder gar der „so große Gott“ (tantus deus) besiegt sei. 72 mater: Die Mutter, die in De ordine gleichsam als die Stimme des religiösen Gewissens fungiert, entscheidet sich im Hinblick auf das Theodizeeproblem für das aus ihrer Sicht kleinere Übel. Sie ist eher bereit, Gottes Allmacht einzuschränken (non puto nihil potuisse praeter dei ordinem fieri) als Abstriche an seiner unbedingten Güte vorzunehmen (ipsum malum … nullo modo dei ordine natum est). Sie trifft sich hierin grundsätzlich mit den authentischen Aussagen Augustins, die bereits im Proömium dem Werk programmatisch vorangestellt wurden (1,1,1). Licentius ist innerhalb des Dialoges der exponierte Vertreter der göttlichen Universalität und Omnipotenz. Die Positionen des Alypius und des Trygetius in dieser zentralen Frage werden nicht völlig deutlich, ihre dialoginterne Aufgabe ist es, wichtige Ideen in der Detailentwicklung des Gesprächs beizusteuern. Eine abschließende, nach allen Seiten schlüssige Antwort auf das Problem der Theodizee sucht man in De ordine vergeblich. Zwar deutet Augustin mitunter an, dass er an eine Lösung glaubt (vgl. bes. 1,7,20), doch ist er weit davon 201 Vgl. Rief, Ordobegriff, S. 18. – Es drängt sich an dieser Stelle die Frage auf, warum Augustin mit § 23 das zweite Buch nicht beendet und die folgende oratio perpetua einem dritten Buche zuführt. Rein äußere, auf den Umfang abzielende Gründe scheinen auszuscheiden, wenn man sich z. B. das 1. Buch Contra Academicos (mit seinen lediglich 25 Paragraphen!) vor Augen führt. 202 Für diesen Topos, um einer religiös-existenziellen, beinahe „heiligen“ Sache willen gern widerlegt und besiegt zu werden, vgl. als vermutliches Vorbild Cicero, nat. deor. 3,95: Ego vero et opto redargui me.
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II. Kommentar
entfernt, dem Leser vorschnelle Antworten zu präsentieren.203 Die Leistung des Autors der Schrift liegt – ohne auf Einzelheiten einzugehen – eher auf einer anderen Ebene: Wie wohl keine andere Schrift in der christlichen Antike wird in De ordine der Blick für die Problematik geschärft, ihre gesamte Tragweite für das christliche Welt- und Gottesverständnis aufgezeigt, unzutreffende und leichtfertige Erklärungen schonungslos aufgedeckt, gleichzeitig aber auch immer wieder Sichtweisen und Denkansätze geliefert, die geeignet sind, das drängende Problem zumindest intellektuell erträglicher zu machen. Dies ist in der Summe nicht wenig; dass es nicht mehr ist, liegt vielleicht daran, dass eine allseits befriedigende Antwort unter den hiesigen Bedingungen vermutlich nicht existiert. 74 f illa iustitia id inordinatum esse non sivit et in sibi meritum ordinem redegit et conpulit: Zur Wendung in ordinem redigere vgl. Lactantius, opif. 13,7: … ita in ordinem redactus est … – Das abschließende Resümee der Mutter greift unverkennbar auf die Erörterung in 1,7,18 f zurück, wo – in ihrer Abwesenheit – auf sehr ähnliche Weise das Verhältnis zwischen malum, ordo und iustitia bestimmt wurde.204 2,7,24: Die Notwendigkeit einer Lernordnung Hic ego, cum omnes cernerem studiosissime ac pro suis quemque viribus deum quaerere sed ipsum, de quo agebamus, ordinem non tenere, quo ad illius ineffabilis maiestatis intellegentiam pervenitur: Oro vos, inquam, si, ut video, multum diligitis ordinem, ne nos praeposteros et inordinatos esse patiamini. Quamquam enim oc80 cultissima ratio se demonstraturam polliceatur nihil praeter divinum ordinem fieri, tamen si quempiam ludi magistrum audiremus conantem docere puerum syllabas, quem prius litteras nemo docuisset, non dico ridendum tamquam stultum, sed vinciendum tamquam furiosum putaremus non ob aliud, opinor, nisi quod docendi ordinem non teneret. At multa talia et inperitos, quae a doctis reprehendantur ac de85 rideantur, et dementes homines, quae nec stultorum iudicium fugiunt, facere nemo ambigit, et tamen etiam ista omnia, quae fatemur esse perversa, non esse praeter divinum ordinem alta quaedam et a multitudinis vel suspicione remotissima disciplina se ita studiosis et deum atque animas tantum amantibus animis manifestaturam esse promittit, ut non nobis summae numerorum possint esse certiores.
77 f sed ipsum … ordinem non tenere, quo ad illius ineffabilis maiestatis intellegentiam pervenitur: Der zentrale Zusammenhang, dass die Erkenntnis 203 Manches erinnert an den Schluss-Satz des Cicero-Dialoges De natura deorum; die Plädoyers (sc. in der Frage nach Existenz und Wesen der Götter) sind gehalten, dem Leser wird die Entjedoch selbst überlassen, gleichzeitig aber zuminscheidung im Stile einer akademischen dest eine Tendenz des Autors mitgeliefert: Haec cum essent dicta, ita discessimus, ut Velleio Cottae disputatio verior, mihi Balbi ad veritatis similitudinem videretur esse propensior (3,95). 204 Affine Gedanken wird Augustin später noch einmal in civ. 19,13 entwickeln, im Zusammenhang mit seiner dortigen, ebenfalls vom Gerechtigkeitsbegriff her konzipierten Ordnungsdefinition (ordo est parium dispariumque rerum sua cuique loca tribuens dispositio).
2. Hauptteil: 2,7,24
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Gottes nur bei strenger Beachtung einer Ordnung realisiert werden kann, ist mit sehr ähnlichen Worten in 1,9,27, Z. 7 f ausgedrückt. „Daß die Ordnung zu Gott führt, ist tiefstes Anliegen der ganzen Schrift“ (Keseling, Weltregiment, S. 232).205 – Der Hoheitstitel „Majestät“ für den christlichen Gott begegnet in den Cassiciacum-Schriften noch in ord. 1,1,2, Z. 26 sowie in soliloq. 1,5,11 (dort mit dem Attribut intelligibilis). 78 inquam: Auf unscheinbare Weise wird Augustins umfangreiche peroratio eingeleitet. Das Verfahren, den Dialogteil im engeren Sinne mit einer zusammenhängenden Rede abzuschließen, ist für Augustins Konzeption charakteristisch: siehe beat. vit. 4,31 ff, c. acad. 3,7,15 ff (der dortige terminus technicus: oratio perpetua), quant. anim. 33,70 ff und mag. 10,32 ff. Dieser Wechsel markiert den Übergang von der platonischen Tradition (Wechselgespräch zwischen zwei oder mehreren Gesprächspartnern) zur aristotelisch-ciceronischen (Gegenüberstellung verschiedener Lehrvorträge).206 Fragt man nach dem Motiv dieser Konzeption, so kann grundsätzlich gesagt werden, dass ein zusammenhängender Lehrvortrag den Vorteil bietet, die zu formulierenden Gedanken wesentlich dichter und konzentrierter sowie mit einem größeren Maß an Stringenz und Kohärenz darstellen zu können. So hat man eine Steigerung im Sinne eines manifesten „Qualitätsanstiegs“ (Fuhrer, Contra Academicos, S. 286) zu beobachten gemeint,207 zumal nun uneingeschränkt der Autor Augustinus selbst – nicht mehr irgendwelche Schüler – zu Wort komme.208 Neben diesen allgemeinen „dramaturgischen“ Gründen sind ergänzend auch inhaltliche Aspekte heranzuziehen, die selbstverständlich für jede Schrift gesondert zu berücksichtigen sind und im Einzelfall sehr unterschiedlich ausfallen können. Für De ordine kann an dieser Stelle beobachtet werden: Gleichzeitig mit der Änderung der äußeren Form setzt insofern eine inhaltlich-thematische Neuorientierung ein, als der Disput über die Existenz einer allumfassenden Welt- und Seinsordnung nunmehr durch ein Referat über die sog. „Bildungsordnung“ abgelöst wird. Da der erste Teil eine klar umrissene Problemstellung zum Ausgangspunkt hat und – trotz einiger „Umwege“ – prinzipiell um ein und dieselbe Kernfrage kreist (geschieht in diesem Kosmos irgendetwas praeter ordinem?), ist angesichts disparater Wahrnehmung eine sorgfältige Analyse mit möglichst unterschiedlichen Zugangsweisen gefordert. Dass das neue Thema des ordo eruditionis mit seiner umfangreichen Aufzählung der enzyklopädischen Bildungsinhalte sich mehr für den dozierenden Stil eignet, steht ebenso außer 205
Vgl. A. Dyroff, Form, S. 56. Dazu R. Hirzel, Dialog, Bd. 1, S. 276 f; E. Becker, Technik, S. 3 f. 207 Oft einhergehend mit einer pejorativen Bewertung des ersten, dialogischen Teils; siehe die Zitate und Hinweise bei Fuhrer (ibid.) auf O’Meara (Academics, S. 30; Historicity, S. 171 f [= Studies, S. 19 f]), Hagendahl (Latin Classics, S. 525), Marrou (culture, S. 310/Bildung, S. 264). 208 Dessen Aussagen erhalten nun eine größere Verbindlichkeit. Der unwillkürliche Eindruck des Lesers verschiebt sich dahingehend, dass er hinter dem Redner (Augustinus) mehr als zuvor den Verfasser der Schrift sieht, nicht lediglich die Figur in einem mehr oder weniger inszenierten Gespräch. 206
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II. Kommentar
Frage. Hier eine Darstellung mittels der maieutischen Technik zu wagen, hieße die Geduld des Lesers über Gebühr zu strapazieren. 79 praeposteros et inordinatos: Vgl. zur speziellen Wort- und Gedankenverbindung Cicero, ac. 2,66 (ebenfalls in der Erörterung eines geeigneten Erkenntnisprozesses): … Quod quoniam a te probatur, ut p r a e p o s t e r e tecum agam iam (mox referam me ad o r d i n e m ), haec primum conclusio quam habeat vim considera … 80 nihil praeter divinum ordinem fieri: Der Leser erfährt an dieser Stelle Augustins ureigene Überzeugung; dass er in der Disputation mit seinem Schüler Licentius gegen diesen Satz argumentierte (vgl. zuletzt § 23), geschah in der Funktion eines advocatus diaboli. Vgl. dazu supra zu 1,3,8, Z. 41 f. 81 f docere puerum syllabas, quem prius litteras nemo docuisset: Doignon (BAug 4/2, S. 233, Anm. 107) vergleicht – mit bedingter Berechtigung – einen von Quintilian (inst. 1,1,24) gebrandmarkten „erreur pédagogique“: neque enim mihi illud saltem placet, quod fieri in plurimis video, ut litterarum nomina et contextum prius quam formas parvoli discant. 82 f non … ridendum tamquam stultum, sed vinciendum tamquam furiosum: Eine weitere Kostprobe von Augustins Humor in den Cassiciacum-Schriften (vgl. dazu supra zu 2,3,9, Z. 32 f); nicht selten basiert der Witz wie hier auf der Schilderung einer fiktiven, ins Skurrile übersteigerten Situation. 86–89 ista omnia, quae fatemur esse perversa, non esse praeter divinum ordinem alta quaedam et a multitudinis vel suspicione remotissima disciplina se ita studiosis et deum atque animas tantum amantibus animis manifestaturam esse promittit: Nach Augustins unverrückbarer Überzeugung umschließt die göttliche Ordnung auch „Perverses“ (perversa), d. h. das jeder vernünftigen Ordnung scheinbar Widerstrebende und Widersinnige (vgl. das Beispiel des verrückten Grammatiklehrers; Z. 81–84). Die Evidenz einer solchen Sichtweise erschließt sich jedoch nur demjenigen, der sich auf eine wissenschaftliche Lehre (disciplina) einlässt, die der breiten Masse der Menschen (multitudo) dermaßen fern (remotissima) liegt, dass sie von ihr nicht einmal das geringste Ahnungsvermögen (suspicio) besitzt. Nur demjenigen, der nichts anderes als lediglich Gott und die Seelen liebt,209 verspricht (promittit) sie die vollendete Einsicht. – Die geheimnisvolle „Lehre“, von der hier Augustin redet, ist nicht der christliche Glaube, wie bisweilen angenommen wird.210 Dagegen spricht seine wiederholt geäußerte Ansicht, dass das katholische Christentum geradezu dafür geschaffen sei, die großen Volksmassen in den verschiedensten Ländern der Erde anzusprechen (vgl. bes. eindrücklich vera relig. 8–24). Gemeint ist vielmehr die (neu)platonische Philosophie, die ebenfalls in ihrer Verachtung alles Irdischen in einer klaren Ausrichtung nach dem Höheren und Geistigen strebt, aber von ihrer gesamten Struktur her 209 Vgl. die berühmte Stelle soliloq. 1,2,7: R.: Quid ergo scire vis? … Breviter ea conlige. A.: Deum et animam scire cupio. R.: Nihilne plus? A.: Nihil omnino. Siehe auch ord. 2,18,47, Z. 9: Cuius [sc. philosophiae] duplex quaestio est, una de anima, altera de deo. 210 Vgl. die Literaturangaben supra zu 2,1,1, Z. 7 (s. v. verae philosophiae).
2. Hauptteil: 2,8,25
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(nämlich als wissenschaftliche „Disziplin“) nur ganz wenige Auserwählte anzusprechen weiß. – Dass hier auf eine genuin philosophische Erkenntnis verwiesen wird, kann durch eine bemerkenswerte Parallele aus dem Proömium von Contra Academicos gestützt werden (1,1,1, Z. 19–22): Quam sententiam (sc. die Ansicht, dass ein occultus ordo die Welt regiere) uberrimarum doctrinarum oraculis editam remotamque longissime ab intellectu profanorum se demonstraturam veris amatoribus suis … philosophia pollicetur. Die Übereinstimmungen reichen bis in die Wortwahl und den Satzbau hinein211 und die Aussage ist nahezu identisch. Tatsächlich erscheint hier als Subjekt der erkenntnistheoretischen Verheißung die Philosophie, deren exklusiver und elitärer Charakter durch Anleihen an die Mysteriensprache212 (oraculis, profanorum, amatoribus, …) noch deutlicher herausgestellt wird.213 89 [ita, …] ut non nobis summae numerorum possint esse certiores: Für den Vergleich (ita … ut) eines sicheren Wissens mit der unangreifbaren Evidenz mathematischer Operationen (bzw. geometrischer Grundkonstanten) siehe auch c. acad. 2,3,9: cavete, ne quid vos nosse arbitremini, nisi quod ita didiceritis saltem, ut nostis unum duo tria quattuor simul collecta in summam fieri decem; soliloq. 1,4,10: Quamobrem responde, utrum tibi satis sit sic deum nosse, ut pilam illam geometricam nosti, hoc est, ita de deo nihil, ut de illa, dubitare; conf. 6,4,6: volebam enim eorum quae non viderem ita me certum fieri, ut certus essem, quod septem et tria decem sint. Zur ewig gültigen Wahrheit der Arithmetik, Geometrie und Mathematik siehe auch ord. 2,19,50; c. acad. 3,11,25; soliloq. 1,4,9; immort. 2; quant. anim. 13; lib. arb. 2,83; dazu A. Schmitt, Mathematik, S. 356 ff. 2,8,25: Ein Tugendkatalog als ordo vitae 1 Haec autem disciplina ipsa dei lex est, quae apud eum fixa et inconcussa semper ma-
nens in sapientes animas quasi transcribitur, ut tanto se sciant vivere melius tantoque sublimius, quanto et perfectius eam contemplantur intellegendo et vivendo custodiunt diligentius. Haec igitur disciplina eis, qui illam nosse desiderant, simul geminum 5 ordinem sequi iubet, cuius una pars vitae, altera eruditionis est. Adulescentibus ergo studiosis eius ita vivendum est, ut a veneriis rebus, ab inlecebris ventris et gutturis, ab inmodesto corporis cultu et ornatu, ab inanibus negotiis ludorum ac torpore somni atque pigritiae, ab aemulatione obtrectatione invidentia, ab honorum potestatumque ambitionibus, ab ipsius etiam laudis immodica cupiditate se abstineant, 10 amorem autem pecuniae totius suae spei certissimum venenum esse credant. Nihil enerviter faciant, nihil audacter. In peccatis autem suorum vel pellant omnino iram vel ita frenent, ut sit pulsae similis. Neminem oderint, nulla vitia non curare velint. Magnopere observent, cum vindicant, ne nimium sit, cum ignoscunt, ne parum. 211 Vgl. im Einzelnen (ord. 2,7,24/c. acad. 1,1,1): remotissima / remotamque; amantibus / amatoribus; disciplina / philosophia; promittit / pollicetur; se manifestaturam / se demonstraturam. 212 Dazu B. R. Voss, Frühdialoge, S. 337, Anm. 4. 213 Zum zahlenmäßig beschränkten Personenkreis derjenigen, die durch die (neuplatonische) Philosophie angesprochen und „befreit“ werden, vgl. supra zu 2,5,16, Z. 29 sowie 1,1 f,3, Z. 44 f.
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II. Kommentar
Nihil puniant, quod non valeat ad melius, nihil indulgeant, quod vertat in peius. 15 Suos putent omnes, in quos sibi potestas data fuerit. Ita serviant, ut eis dominari
pudeat, ita dominentur, ut eis servire delectet. In alienorum autem peccatis molesti non sint invito. Inimicitias vitent cautissime, ferant aequissime, finiant citissime. In omni vero contractu atque conversatione cum hominibus satis est servare unum hoc vulgare proverbium: nemini faciant, quod pati nolunt. Rem publicam nolint ad20 ministrare nisi perfecti, perfici autem vel intra aetatem senatoriam festinent vel certe intra iuventutem. Sed quisquis sero se ad ista converterit, non arbitretur nihil sibi esse praeceptum; nam ista utique facilius decocta aetate servabit. In omni autem vita loco tempore amicos aut habeant aut habere instent. Obsequantur dignis etiam non hoc expectantibus, superbos minus curent, minime sint. Apte congruenterque vivant, 25 deum colant cogitent quaerant fide spe caritate subnixi. Optent tranquillitatem atque certum cursum studiis suis omniumque sociorum et sibi quibusque possunt mentem bonam pacatamque vitam.
1 disciplina … dei lex est: Die vernünftige Wissenschaft als das „Gesetz Gottes“, welche sich fest und unerschütterlich „immer bleibend“ (manens; Z. 1 f) bei Gott befindet, wird in späteren augustinischen Schriften mit der zweiten trinitarischen Person gleichgesetzt (vgl. vera relig. 147–157214; epist. 11215). Eine solche Identifizierung ist hier allenfalls angebahnt, jedenfalls noch nicht explizit ausgesprochen; stattdessen erinnert der Ausdruck dei lex im hiesigen Zusammenhang an die stoisch-ciceronische lex divina, das universal gültige und dem sog. positiven Recht übergeordnete, sich gleichermaßen im göttlichen wie im menschlichen Bereich manifestierende „Naturrecht“. Siehe nat. deor. 1,36: Zeno autem, ut iam ad vestros, Balbe, veniam n a t u r a l e m l e g e m d i v i n a m esse censet eamque vim obtinere recta imperantem prohibentemque contraria; off. 3,23: Atque hoc multo magis efficit ipsa n a t u r a e r a t i o, quae est l e x d i v i n a e t h u m a n a ; siehe auch leg. 1,23. Für den stoischen Kontext vgl. noch Minucius Felix 19,10: Zenon et Chrysippus et Cleanthes sunt et ipsi multiformes, sed ad unitatem providentiae omnes revolvuntur. Cleanthes enim mentem, modo animum, modo aethera, plerumque rationem deum disserit. Zenon, eiusdem magister, n a t u r a l e m l e g e m a t q u e d i v i n a m et aethera interim interdumque rationem vult omnium esse principium; Lactantius, inst. 1,5,20: Chrysippus naturalem vim divina ratione praeditam, interdum divinam necessitatem deum nuncupat, item Zenon n a t u r a l e m d i v i n a m q u e l e g e m . 2 in sapientes animas: Dass das „höchste Gesetz“ sich im Geiste des Weisen befinde, sagt auch Cicero unter Rückgriff auf stoische Vorstellungen von der 214 Siehe besonders § 157 (mit Anklang an Joh 14,6): Haec autem lex omnium artium cum sit omnino incommutabilis, mens vero humana cui talem legem videre concessum est, mutabilitatem pati possit erroris, satis apparet supra mentem nostram esse legem quae veritas dicitur. 215 Dem „Sohn“ werden inhaltsschwere Prädikationen zuteil wie (u. a.) disciplina, ars, intelligentia, norma, regula; er fungiert als Inbegriff für Werte wie Bildung, Erkenntnis und geistig-moralische Erziehung und stellt gewissermaßen den „Weg“, die „Methode“ und das „Hilfsmittel“ für den Menschen dar, um zu Gott als dem „Vater“ zu gelangen. Dazu im Einzelnen Trelenberg, Einheit, S. 108–112.
2. Hauptteil: 2,8,25
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Einwohnung des göttlichen Logos im vernünftigen Menschen (leg. 2,11): Ergo ut illa divina mens summa lex est, item quom in homine est perfecta in mente sapientis. 2 transcribitur: Ähnlich wird in soliloq. 1,1,3 das göttliche Gesetz auf den menschlichen Bereich „überschrieben“: deus, de cuius regno lex etiam in ista regna describitur. In conf. 2,4,9 wird ebenfalls zwischen dem Gesetz Gottes und dem Gesetz, welches in den Herzen der Menschen geschrieben steht, eine Übereinstimmung festgestellt: furtum certe punit lex tua, domine, et lex scripta in cordibus hominum. Vgl. lib arb. 1,39 ff. Eine gelungene Umschreibung des unlösbaren Zusammenhangs zwischen der lex dei (= lex aeterna) und der lex naturae (= lex temporalis), welche dem Gewissen der Menschen eingeschrieben ist, findet sich bei Gilson, Einführung, S. 220 f: „Es gibt in Gott ein Gesetz, das nur in ihm ist und dem alles unterworfen ist, das ewige Gesetz. […] Es gibt auch in uns eine Art Gesetz, gebildet aus den gebieterischen Vorschriften unseres Gewissens … das Naturgesetz. Das Merkmal seiner Evidenz besteht darin, daß es nichts anderes ist als eine Art Umschrift des ewigen, unveränderlich in Gott existierenden Gesetzes in unserer Seele.“ – Zum stoischen Hintergrund dieser Vorstellung vgl. Lucilius Balbus bei Cicero, nat. deor. 2,79: Sequitur, ut eadem sit in is [sc. bei den Göttern], quae humano in genere, ratio, eadem veritas utrobique sit e a d e m q u e l e x , quae est recti praeceptio pravique depulsio. Ex quo intellegitur prudentiam quoque et mentem a d e i s a d h o m i n e s p e r v e n i s s e ; vgl. auch rep. 3,33 (dazu supra zu 2,4,11, Z. 14). 3 f perfectius eam contemplantur intellegendo et vivendo custodiunt diligentius: Mit Hilfe eines kunstvollen – doppelten – Chiasmus wird „eine aktive und eine kontemplative Philosophie unterschieden“ (Keseling, Weltregiment, S. 241).216 Dabei ist zu beachten, dass die Fortschritte in der Lebensführung dem Weiterkommen in Bildung und Erkenntnis zunächst vorausgehen müssen; vgl. 2,9,26, Z. 12 f. Auch in quant. anim. 33,75 f steht innerhalb des 7-stufigen Aufstiegs der Seele zu Gott der gradus actionis an sechster Stelle und ist gleichsam die Voraussetzung dafür, dass auch der septimus atque ultimus animae gradus, nämlich die visio atque contemplatio veritatis erreicht werden kann. – Anders bei Cicero, der umgekehrt die vita contemplativa zur Grundlage der vita activa macht und damit deutlich unterordnet: Etenim cognitio contemplatioque manca quodam modo atque inchoata sit, si nulla actio rerum consequatur (off. 1,153). 4 f disciplina … geminum ordinem sequi iubet, cuius una pars vitae, altera eruditionis est: Dieselbe Dichotomie der Erkenntnisvoraussetzungen in eine ethische und eine bildungsmäßige Qualifikation des Lernenden wird bereits im Proömium vorgenommen; Z. 4 f: vel vitae merito vel habitu quodam eruditionis. Vgl. noch 1,2,4; 8,24 u. ö. In gewisser Weise entspricht der geminus ordo von Lebensführung und Bildung dem geminum pondus von auctoritas und ratio (c. acad. 3,20,43). Denn wer sich an die „Autorität der Guten“ (2,9,26, Z. 4 f) hält, be216 Siehe als Parallele civ. 8,4. So heißt es dort über Platon: Itaque cum studium sapientiae in actione et contemplatione versetur, unde una pars eius activa, altera contemplativa dici potest (quarum activa ad agendam vitam, id est ad mores instituendos pertinet, contemplativa autem ad conspiciendas naturae causas et sincerissimam veritatem).
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II. Kommentar
folgt die „Vorschriften für den besten Lebenswandel“ (ibid. Z. 9); wer eine hohe Bildung erstrebt oder bereits besitzt, wird für die vollendete Erkenntnis um den mühevollen Einsatz seines Verstandes nicht herumkommen (ibid. Z. 5). 6 a veneriis rebus [se abstineant]: Augustin selbst hat sich, wie er in den soliloquia (1,10,17) äußert, um der Weisheit willen befohlen, der geschlechtlichen Liebe ein für allemal zu entsagen: Quamobrem satis, credo, iuste atque utiliter pro libertate animae mihi imperavi non cupere, non quaerere, non ducere uxorem. Vgl. auch retrospektiv conf. 8,11,27: Die Entscheidung für die casta dignitas continentiae war ein konstitutives Element seiner „Bekehrung“. – Lediglich einen maßvollen und vernunftgeleiteten Umgang mit dem Geschlechtstrieb – nicht die völlige Enthaltsamkeit – fordert hingegen Plotin (Enn. 1,2,3; 3,5,1). 6 ab inlecebris ventris et gutturis [se abstineant]: Augustin bekennt für sich selbst (soliloq. 1,10,17), dass er den Verlockungen erlesener Speisen und Getränke gut widerstehen könne; selbst wenn keine Speise zur Verfügung stehe, werde sein Denken dadurch nicht beeinträchtigt; seine appetitio reiche nur so weit, wie es der Erhaltung der Gesundheit zuträglich sei: tantum habere appeto, quantum in valetudinis opem conferri potest. Für das Gebot des Maßhaltens bei der Nahrungsaufnahme vgl. noch beat. vit. 1,6 sowie ähnlich Plotin, Enn. 1,2,5. 7 ab inanibus negotiis ludorum [se abstineant]: Vor dem Besuch der spectacula pflegte Augustin schon vor seiner „Bekehrung“ seine Schüler zu warnen (conf. 6,7,12). Umso mehr mussten dem späteren Christen die vani ludi als „nichtsnutzig“ (nugatorius) und geradezu als „Wahnsinn“ (insania) und „Krankheit“ (pestis) erscheinen; vgl. ibid. 6,7,11–8,13 über die Zirkusspiele in Karthago und die Gladiatorenkämpfe in Rom. Als die grundsätzlichste und ausführlichste Auseinandersetzung mit den Schauspielen im Alten Rom (Zirkus, Amphitheater, Stadion, Bühne) aus spätantik-christlicher Sicht vgl. die vernichtende Kritik Tertullians in seiner Schrift De spectaculis. 8 f ab honorum potestatumque ambitionibus [se abstineant]: Der von Augustin angeführte Lasterkatalog ist deutlich autobiographisch inspiriert; es ist der Autor selbst, der erst wenige Wochen zuvor seine ehrgeizigen Karrierepläne in der Mailänder Metropole zu Gunsten einer Verwirklichung seines lang ersehnten otium philosophandi auf dem Lande aufgegeben hat.217 Vgl. soliloq. 1,10,17: Ratio: Quid honores? Augustinus: Fateor eos modo ac pene his diebus cupere destiti. 10 f Nihil enerviter faciant, nihil audacter: Die Negation der beiden Extrema (schwächlich vs. tollkühn) impliziert gemäß der hier im Hintergrund 217 Zu den Umständen des Abbruchs der Karriereplanung bei Augustin (insbesondere eruiert aus den confessiones) vgl. die folgenden instruktiven Arbeiten: C. Lepelley, Spes saeculi. Le milieu social d’Augustin et ses ambitions séculières avant sa conversion, in: Aspects de l’Afrique romaine, Bari 2001, S. 329–344; ders.: Un aspect de la conversion d’Augustin: La rupture avec ses ambitions sociales et politiques, in: Bulletin de littérature ecclésiastique 88 (1987), S. 229–246; W. H. Semple: Augustinus Rhetor. A study, from the Confessions, of St. Augustine’s secular career in education, in: Journal of Ecclesiastical History 1 (1950), S. 135–150; vgl. neuerdings zusammenfassend: J. Trelenberg, Augustin als Rhetor vor 386, in: V. H. Drecoll (Hrsg.): Augustin Handbuch, Tübingen 2007, S. 144–148.
2. Hauptteil: 2,8,25
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stehenden aristotelischen -Lehre, dass die Tugend auf dem „goldenen Mittelweg“ (hier im Sinne von fortiter = tapfer, mutig) zu finden sei. Dazu auch A. Dyroff, Form, S. 53. 13 ne nimium … ne parum: Ein weiterer, sehr deutlicher Anklang an die peripatetische Tugendlehre; vgl. supra zu Z. 10 f. 14 Nihil puniant, quod non valeat ad melius, nihil indulgeant, quod vertat in peius: Das zweimalige quod bezieht sich als Relativpronomen nicht auf das nihil, sondern jeweils auf den Inhalt des gesamten Hauptsatzes, d. h. den Akt des „Nicht-Bestrafens“ bzw. des „Nicht-Duldens“. Das Problem der Übersetzung ist von Keseling (Weltregiment, S. 174) am besten gelöst: „Keine Strafe dürfen sie verhängen, die nicht zur Besserung dient, keine Nachsicht üben, die zum Schlimmeren sich auswirkt.“ 15 f Ita serviant, ut eis dominari pudeat, ita dominentur, ut eis servire delectet: Eine schöne, in einen Chiasmus gekleidete Sentenz, die sich für eine Anthologie eignen würde. Vgl. Publius Syrus, Sententiae Q 44: Qui docte servit, partem dominatus tenet. 17 Inimicitias vitent cautissime, ferant aequissime, finiant citissime: Wiederum eine reizvolle Sentenz, stilisiert als sprachlich parallel aufgebautes Trikolon, welches inhaltlich – im Hinblick auf die inimicitiae – Weisung gibt a) für deren zu vermeidenden Anfang, b) für deren gemäßigten Verlauf und c) für ein möglichst schnelles Ende. 18 f satis est servare unum hoc vulgare proverbium: nemini faciant, quod pati nolunt: Die deutschen Übersetzer (Keseling, Perl, Mühlenberg) übersetzen das vulgare proverbium einhellig mit dem entsprechenden Sprichwort das deutschen Volksmundes: „Was du nicht willst, daß man dir tu’, das füg auch keinem andern zu!“ Die explizite Beschränkung auf nur eine einzige (unum hoc) Handlungsanweisung für den Umgang mit den Mitmenschen erinnert an den Zusatz des Matthäus zur „goldenen Regel“ der sog. Logienquelle (= Mt 7,12/Lk 6,31), in jenem Gebot bestehe „das Gesetz und die Propheten“. 19 f Rem publicam nolint administrare nisi perfecti: Plotin schätzt in einer seiner Vorsehungsschriften (Enn. 3,2,9) die öffentlich-administrative Tätigkeit nicht sehr hoch, wenn er dem moralisch guten Menschen einen … attestiert.218 Andererseits fordert er ähnlich wie Augustin, dass nach Möglichkeit derjenige die Herrschaft übernehmen solle, der sich bereits von sich aus zum Guten entwickelt habe ( ’ ). 20 perfici … festinent: „sie sollen möglichst bald vollkommen werden“; die Bedeutung von perfici ergibt sich aus dem unmittelbar vorhergehenden perfecti (= vollkommen). Augustin geht es darum, dass die ethisch-moralische Vervollkommnung nicht zu lange aufgeschoben wird (nicht etwa die politisch-öffentliche Betätigung, wie Mühlenberg meint, welcher unter perficere ein „Überneh218
Siehe als Parallele Enn.1,4,7,14.
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II. Kommentar
men“ staatlicher Aufgaben versteht219). Die Auffassung, dass mit dem Ausdruck perfici eine gesinnungsmäßige Weiterentwicklung angesprochen wird (so auch Perl: „reif werden“; Keseling: „vollkommen werden“; Doignon: „être parfait“), lässt sich zudem durch das Verbum convertere (Z. 21) stützen. Es ergibt sich ein eindeutiger Sinn in dreigliedriger Aussage: Die ethisch-moralische Neuorientierung kann, so Augustin, in unterschiedlichen Phasen eines Lebens stattfinden, nämlich in der Jugend (intra iuventutem), in der mittleren Lebenszeit (intra aetatem senatoriam) oder erst später im Alter (sero). 20 aetatem senatoriam: In der Zeit der Republik konnte der Eintritt in den Senat unmittelbar nach der Verwaltung der Quästur erfolgen, für welche nach der lex annalis des Tribuns Villius ein Mindestalter von 31 (= Vollendung des 30. Lebensjahres) vorgeschrieben war. Unter günstigen Umständen war es demnach möglich, bereits mit 32 Jahren ein Senatorenamt zu bekleiden. Augustus setzte die aetas senatoria auf 25 Jahre herab (vgl. Dio Cassius 52,20); diese Bestimmung scheint – die Quellen schweigen – ungeändert die gesamte Kaiserzeit bis 476 n. Chr. gegolten zu haben. 21 converterit: Die Verwendung von convertere im Zusammenhang eines umfangreichen Kataloges ethisch-moralischer praecepta mit unübersehbar asketischer Tendenz (vgl. bes. Z. 5–10) macht deutlich, was Augustin grundsätzlich unter „Bekehrung“ verstanden wissen will. In diesem Sinne ist auch seine eigene conversio (vgl. conf. 8,6,14–12,30) zu sehen, die in ihrem existenziellen Ringen um die richtige, gottgefällige Lebensform weit mehr ist als ein bloßes intellektuelles Anerkennen christlicher Glaubenswahrheiten. Siehe dazu auch G. Madec, Conversio, bes. Sp. 1290. 22 decocta aetate: Richtig urteilt Doignon (BAug 4/2, S. 239, Anm. 116), wenn er in der Metapher decoquere den Ausdruck einer „réduction“ und eines „affadissement“ sieht; vgl. Quintilian, inst. 2,4,7 und Cicero, De orat. 3,103 sowie G. Maselli, Note sul senso di „decoquere“, in: AFLB 3,1981, S. 307–311. Doch ist neben dieser eher negativen Konnotation (decoctus im Sinne von „schwächlich“) auch die positive (decoctus im Sinne von maturus = „reif “220) durchaus mitzudenken. Denn wenn die Vorschriften des Augustinus nach dessen eigener Aussage für einen älteren Menschen leichter (facilius) einzuhalten sind, dann wohl deshalb, weil er diesen sowohl – aufgrund einer natürlichen „Abnahme an Kraft“ – z. B. für sexuell inaktiver hält,221 aber auch – entsprechend seiner inneren Reife – wahrscheinlich für ausgeglichener und weniger reizbar.
219 Die Übersetzung Mühlenbergs (S. 304) ist deshalb nicht plausibel, weil es nur schwer denkbar ist, dass Augustin einerseits die Staatsgeschäfte den perfecti vorbehalten will, andererseits zu ihrer Übernahme schon im jugendlichen Alter auffordert. 220 Für diese Interpretation spricht sich W. Hensellek (Notabilien, S. 78) aus und verweist auf Cicero, Cato 71: poma ex arboribus, cruda si sunt, vix evelluntur, si matura et cocta, decidunt. 221 Man beachte, dass Augustin die sexuelle Abstinenz als das erste seiner „Gebote“ anführt (Z. 6), was ein bezeichnendes Licht auf dessen subjektiv empfundene Wichtigkeit wirft.
2. Hauptteil: 2,8,25
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23 amicos aut habeant aut habere instent: Augustin formuliert seine praecepta – wie schon betont (vgl. supra zu Z. 6, Z. 7, Z. 8 f, Z. 21; infra zu Z. 24) – nicht unabhängig von seinen eigenen biographischen Erfahrungen. Augustin hat sich zeit seines Lebens mit Freunden umgeben, mit ihnen intensiven Kontakt gepflegt, geistigen Austausch gesucht – mitunter über Jahrzehnte hinweg. Beredtes Zeugnis liefern neben den Cassiciacum-Schriften vor allem die confessiones ab und nicht zuletzt sein umfangreiches Briefcorpus. – Das Freundschaftsideal ist mehr als in jeder anderen philosophischen Richtung bekanntlich im antiken Epikureismus verfolgt und thematisiert worden (der „Zusammenschluss“ als Abwehr äußerer Gefahren und zur Befriedigung kultivierter Bedürfnisse); vgl. R. Müller, Die epikureische Gesellschaftstheorie, Berlin 1972. Interessant ist, dass Augustin zumindest zeitweise eine offen zur Schau gestellte Sympathie für die Lehre Epikurs entwickelt hatte; vgl. conf. 6,16,26.222 23 dignis: Auch wenn Augustin sich kurz zuvor über die politisch-öffentliche Amtsführung ausließ (Z. 19–22), sind nicht die „nach außen“ angesehenen gesellschaftlichen Würdenträger gemeint, sondern diejenigen, die eine innere Wertigkeit und Tugend besitzen; denn als der Gegenbegriff zu dignus ist superbus (Z. 24) anzusehen. 24 superbos: Die superbia ist Augustins wichtigster Begriff, um die Ursünde des Menschen zu kennzeichnen, welche alle anderen Fehler und Laster nach sich zieht.223 Besonders häufig werden der „Hochmut“ und die „Hochmütigen“ in den confessiones erwähnt und getadelt, wo sie allein im autobiographischen Teil (conf. 1–9) insgesamt 32 Mal erscheinen, nicht selten zur Schilderung der eigenen sündhaften Vergangenheit. 24 Apte congruenterque: Dieselbe Junktur – allerdings in anderen inhaltlichen Zusammenhängen – in ord. 2,19,49, Z. 6 und bei Cicero, de orat. 3,37; 3,53; fam. 7,23,2; part. 54; off. 1,144. – Man fragt sich, woran die Lebensführung im augustinischen Sinne „angepasst“ werden soll. Ist das apte congruenterque vivere 222 … et disputabam cum amicis meis Alypio et Nebridio de finibus bonorum et malorum: Epicurum accepturum fuisse palmam in animo meo, nisi ego credidissem post mortem restare animae vitam et tractus meritorum, quod Epicurus credere noluit. Es ist kaum ein Zufall, dass Augustin im unmittelbaren Zusammenhang der Schilderung einer gewissen Affinität zur epikureischen Lebensweise auch über das Glück der Freundschaft philosophiert; ibid. 16,26: nec considerabam miser ex qua vena mihi manaret quod ista ipsa foeda tamen cum amicis dulciter conferebam, nec esse sine amicis poteram beatus, etiam secundum sensum quem tunc habebam in quantalibet affluentia carnalium voluptatum. quos utique amicos gratis diligebam vicissimque ab eis me diligi gratis sentiebam. 223 Vgl. aus der umfangreichen Sekundärliteratur besonders: W. M. Green, Initium omnis peccati superbia. Augustine on Pride as the First Sin, in: Classical Philology 13 (1949), S. 407– 432; U. Duchrow, „Signum“ und „superbia“ beim jungen Augustin (386–390), in: Revue des études augustiniennes 7 (1961), S. 369–372; D. J. MacQueen, Augustine on Superbia: The Historical Background and Sources of His Doctrine, in: Mélanges de science religieuse 34 (1977), S. 193–211; M. Testard, La ‚superbia‘ dans les Confessions de saint Augustin, in: Homo spiritalis, Würzburg 1987, S. 136–170; N. J. Torchia, St. Augustine’s Treatment of Superbia and its Plotinian Affinities, in: Augustinian Studies 18 (1987), S. 66–80; J. F. Procopé, Initium omnis peccati superbia, in: Studia patristica 22 (1987), Leuven 1989, S. 315–320.
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II. Kommentar
dem stoischen Ideal und höchsten moralischen Gut des secundam naturam vivere224 nachempfunden? Ein Blick auf die Inhaltsangabe der augustinischen Jugendschrift De pulchro et apto (conf. 4,13,20; 15,24) hilft weiter. Die Tugend (virtus) selbst fungiert dort als Symbol für alles „Zusammenpassende“, für Werte wie Einheit, Übereinstimmung, Liebe, Frieden und Harmonie, die Lasterhaftigkeit (vitiositas) als ihr Gegenteil für alles „Unangepasste“ wie Geteiltheit, Spaltung, Zwietracht, Zorn und Verbrechen. Ein Leben, welches (in sich selbst!) apte congruenterque geführt wird, ist demnach nichts anderes als ein tugendhaftes Leben. 25 fide spe caritate: Augustin zitiert die dreigliedrige Formel aus 1 Kor 13,13 in seinen Schriften häufig (siehe bereits für Cassiciacum: beat. vit. 4,35; soliloq. 1,1,3; 1,1,5; 1,7,14); sie erscheint im Titel seines 421/3 verfassten Werkes Enchiridion ad Laurentium de fide, spe et caritate (CChr 46). 25 f tranquillitatem atque certum cursum studiis suis: Die Wendung erinnert an das Proömium von De beata vita (1,1–5), wo das Bild von der gefahrvollen Reise auf dem Meer (des Lebens) und dem ruhigen und sicheren Hafen (der Philosophie) breit entwickelt wird; zum portus philosophiae bzw. sapientiae siehe auch c. acad. 1,1,1; 2,1,1; 3,2,3. – Die Ruhe des Geistes bzw. der Seelenfrieden, der durch die Beschäftigung mit der Philosophie erreicht wird, ist bei Augustin – wie in der Stoa – die Voraussetzung für das glückselige Leben; c. acad. 1,4,11: Viximus enim magna m e n t i s t r a n q u i l l i t a t e , ab omni corporis labe animum vindicantes, et a cupiditatum facibus longissime remoti, dantes, quantum homini licet, operam rationi; hoc est, secundum illam divinam partem animi viventes, quam b e a t a m v i t a m esse hesterna inter nos definitione convenit; 1,8,24: nisi postremo te tua definitione nova tutareris, diceresque humanam esse sapientiam inquisitionem veritatis, ex qua propter a n i m i t r a n q u i l l i t a t e m b e a t a v i t a contingeret? 26 possunt: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 26 f mentem bonam: Der spezielle Ausdruck, der auch in ord. 2,2,7, Z. 60 erscheint, stellt im hiesigen Zusammenhang des tugendhaften und gelingenden Lebens wohl eine Reminiszenz an Cicero (Tusc. 5,67) dar; dort wird der „scharfe und gute Geist“ (sagax ac bona mens) als das Beste im Menschen vorgestellt; da das Gut des Geistes aber die „Tugend“ sei, müsse in ihrer Verwirklichung (in ihrem „Genießen“) das „glückselige Leben“ bestehen: quid est autem in homine sagaci ac bona mente melius? eius bono fruendum est igitur, si beati esse volumus; bonum autem mentis est virtus; ergo hac beatam vitam contineri necesse est. 27 pacatamque vitam: Das Leben in innerer Ruhe und Frieden erscheint als Ziel des tugendhaften Lebens und ist die Voraussetzung für die irdische Glückseligkeit; vgl. supra zu Z. 25 f. – Ein Sinnabschnitt endet hier; überblickt man abschließend den von Augustin aufgestellten Tugendkatalog (Z. 5–27) als Ganzes, so ist folgende – nicht völlig überschneidungsfreie – Grobgliederung erkennbar: 1) Z. 5–11: Regeln für die eigene Person 2) Z. 11–19: Regeln für den Umgang mit dem unmittelbaren Mitmenschen 224
Vgl. Cicero, fin. 2,34; 4,14.26.27; 5,24.26 u. ö.
2. Hauptteil: 2,9,26
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3) Z. 19–21: Regeln für das Verhalten in der Öffentlichkeit; gefolgt von allgemeinen Grundsätzen (Z. 21 ff) eines bescheidenen, gottgefälligen und glückseligen Lebens.225 2,9,26: Das Verhältnis von auctoritas und ratio 1 Sequitur, ut dicam, quomodo studiosi erudiri debeant, qui sicut dictum est vivere
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instituerunt. Ad discendum item necessario dupliciter ducimur, auctoritate atque ratione. Tempore auctoritas, re autem ratio prior est. Aliud est enim, quod in agendo anteponitur, aliud, quod pluris in appetendo aestimatur. Itaque quamquam bonorum auctoritas imperitae multitudini videatur esse salubrior, ratio vero aptior eruditis, tamen, quia nullus hominum nisi ex imperito peritus fit, nullus autem imperitus novit, qualem se debeat praebere docentibus et quali vita esse docilis possit, evenit, ut omnibus bona magna et occulta discere cupientibus non aperiat nisi auctoritas ianuam. Quam quisque ingressus sine ulla dubitatione vitae optimae praecepta sectatur, per quae, cum docilis factus fuerit, tum demum discet et quanta ratione praedita sint ea ipsa, quae secutus est ante rationem, et quid sit ipsa ratio, quam post auctoritatis cunabula firmus et idoneus iam sequitur atque conprehendit, et quid intellectus, in quo universa sunt – vel ipse potius universa – et quid praeter universa universorum principium. Ad quam cognitionem in hac vita pervenire pauci, ultra quam vero etiam post hanc vitam nemo progredi potest. Qui autem sola auctoritate contenti bonis tantum moribus rectisque votis constanter operam dederint aut contemnentes aut non valentes disciplinis liberalibus atque optimis erudiri, beatos eos quidem, cum inter homines vivunt, nescio quo modo appellem, tamen inconcusse credo, mox ut hoc corpus reliquerint, eos, quo bene magis minusve vixerunt, eo facilius aut difficilius liberari.
2 f Ad discendum … dupliciter ducimur, auctoritate atque ratione: Bereits in ord. 2,5,16 hatte sich Augustin zum Nebeneinander von Vernunft und Autorität als dem „doppelten Weg“ (duplex via) der Erkenntnis geäußert; vgl. die Hinweise dort (bes. supra zu Z. 28 f) u. a. zur vermuteten Herkunft des augustinischen auctoritas / ratio-Schemas, zu den – inhaltlich nicht immer konvergenten – Parallelen im Frühwerk, zur umfangreichen Behandlung in der Sekundärliteratur. Waren an der früheren Stelle die augustinischen Ausführungen durch die konkrete Frage nach der Theodizee motiviert (siehe zu Z. 28), so ist auch hier nicht zu übersehen, dass der übergeordnete Gedanke und Zusammenhang des prä225 Die Abfolge der einzelnen Regeln könnte – trotz aller zugegebenen Inkongruenzen im Detail – dahingehend beschrieben werden, dass die sehr konkreten Handlungsweisen zu Beginn des Abschnitts im Folgenden in ihrem Abstraktionsgrad tendenziell zunehmen, dass die anfangs ausschließlich „negativen“ Verbote von „positiven“ Geboten abgelöst werden, dass die Vorschriften zunächst auf die äußere Tat, sodann mehr und mehr auf die innere Einstellung abzielen, dass die jeweilige Bezugsgruppe des ethischen Handelns sukzessive ausgeweitet wird, dass grundsätzlich eine innerweltlich-immanente Ethik vorherrscht und das Verhältnis zu Gott erst im allerletzten Abschnitt – kurz und nachdrücklich – zur Sprache kommt.
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II. Kommentar
sentierten lerntheoretischen Schemas in der Gottesfrage verankert ist (siehe § 24, Z. 76–78 und Z. 88 f). Dies ist nicht unwesentlich. Es geht keinesfalls um beliebige Objekte der Erkenntnis, die mit Hilfe des Zusammenwirkens von Autorität und Vernunft anvisiert werden, sondern zentral und ausschließlich um die quaestio de deo (über die „Vorstufe“ der quaestio de anima). 3 Tempore auctoritas, re autem ratio prior est: „In zeitlicher Hinsicht gebührt der Autorität der Vorzug, in sachlicher aber der Vernunft.“ Mit tempore (= ablativus respectus vel limitationis226) wird zum ersten Male im augustinischen Schrifttum ausdrücklich und unmissverständlich auf eine festgesetzte Reihenfolge der Anwendung der beiden Lernprinzipien, und damit auf einen in sich gegliederten, aufeinander aufbauenden und zeitlich gestuften Erkenntnisprozess verwiesen.227 Denn bisher, sowohl in c. acad. 3,20,43 als auch in ord. 2,5,16, stand eher die „Zwei-Wege-Metapher“ im Vordergrund (wie sie auch durch das dupliciter in Z. 2 der hiesigen Stelle noch insinuiert wird), welche zunächst die Vorstellung evozierte, dass zwei unterschiedliche Methoden – gewissermaßen unabhängig voneinander – zu ein und demselben Ziel und Ergebnis zu führen vermögen. Vor allem wurde der Eindruck erweckt, dass der Gebildete allein mittels der ratio zur vollendeten Gotteserkenntnis gelangen könne (vgl. bes. ord. 2,5,16, Z. 29–31). Diese Sichtweise wird hier korrigiert, zumindest aber präzisiert: Denn auch der Gebildete war einmal ungebildet (imperitus; Z. 6) und benötigte einen allerersten „Lernimpuls“, nämlich die auctoritas, die ihm das Eingangstor (ianua; Z. 8 f) zum weiteren Wissen und Erkennen gewissermaßen aufstoßen musste. Im Hinblick auf die spezielle Personengruppe der potentiell Gebildeten (eruditi; Z. 5) hat das auctoritas / ratio-Schema durch die Verbindung und Verzahnung der beiden Lernprinzipien, d. h. die zeitliche Vorschaltung des Autoritätsglaubens vor die Vernunfterkenntnis, eine deutliche Weiterentwicklung erfahren. Nur wenig später (vgl. vera relig. 122–129; util. cred. 7,19) erfährt das System eine weitere Differenzierung, wenn die Wahl derjenigen auctoritas, die der ratio vorgeschaltet wird, nun auch rational begründet wird; vgl. supra zu 2,5,16, Z. 35 f. Die zeitliche Reihenfolge des Erkenntnisprozesses – bei einem späteren eruditus (!) – wäre demnach: ratio →auctoritas →ratio. Dem zeitlichen Vorrang der auctoritas entspricht bei der ratio ein solcher „hinsichtlich der Sache“ (re). Abgezielt wird mit dem zweiten Teil der Aussage auf eine substanzielle Wertschätzung der beiden Lernprinzipien hinsichtlich ihres
226 Der Ablativ des Geltungsbereichs, der näheren Bestimmung bzw. Beschränkung der Verbalaussage „wird gebraucht, um anzugeben, in welcher Rücksicht oder von welcher Seite aus betrachtet eine Angabe Geltung habe“ (Menge, Syntax, S. 76, § 98 c). Vgl. Kühner / Stegmann I § 81, Anm. 11 (S. 392); mit Hinweis auf den Ursprung in einer „separative[n] Auffassung“ (= von welcher Seite aus betrachtet?). 227 Vgl. dieselbe Auffassung später in vera relig. 123: [auctoritas] non naturae et excellentiae, sed ipsius temporis ordine prior est. J. Rief, Ordobegriff, S. 326, spricht treffend davon, dass der „Autoritätsgehorsam … nur Durchgangsstadium“ zum rechten Gebrauch der ratio sei.
2. Hauptteil: 2,9,26
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„ureigentlichen Wesens“228. Diese fällt ausdrücklich unterschiedlich aus und entspricht damit vollständig der Aussage der Parallelstelle in vera relig. 129: Nam ipsi rationi purgatioris animae, quae ad perspicuam veritatem pervenit, nullo modo auctoritas humana praeponitur. Stellt man nun die zentrale Frage, warum die ratio als Erkenntnisprinzip wertvoller eingeschätzt wird, so muss im augustinischen Sinne auf den unmittelbaren Zusammenhang mit der – so sehnlichst erhofften – beatitudo verwiesen werden. Während der durch die Autorität vermittelte Glaube ein seliges Leben dereinst nach dem Tode ermöglicht, verspricht die vollendete Vernunfterkenntnis das hohe Gut der Glückseligkeit schon jetzt (vgl. Z. 15–20).229 3 f Aliud est …, quod in agendo anteponitur, aliud, quod pluris in appetendo aestimatur: Gute Übersetzung bei Keseling (Weltregiment, S. 175): „Man muß … unterscheiden zwischen dem, was man praktisch im Leben voranstellt, und dem, was man theoretisch als Ideal höher wertet.“ Der als Antithese zu verstehende Gedanke passt gut in den Zusammenhang der übrigen Aussagen. Augustin will sagen: Der autoritätsvermittelte Glaube ist für jeden sofort, auf der Stelle und ohne große Mühe „in die Praxis“ umsetzbar;230 die rationale Erkenntnis dagegen ist nicht ohne Weiteres erreichbar, sie erfordert die Erfüllung einer Reihe von Vorbedingungen (eine gewisse intellektuelle Veranlagung, eine mühsam zu erwerbende wissenschaftliche Bildung, nicht zuletzt: ausreichend zur Verfügung stehende Zeit231), hat aber als das hohe Ziel zu gelten, an dem sich letztlich alles auszurichten hat. – Eine sprachlich bemerkenswert affine Stelle, mit allerdings nur bedingten inhaltlichen Konvergenzen, findet man bei Cicero (off. 1,131 f); dort ist von „zweifachen Seelenbewegungen die Rede“ (motus animorum d u p l i c e s ). Das „Begehren“ (appetitus) wird mit dem „Handeln“ (agendum) in Beziehung gesetzt und gleichzeitig eben dieses „Begehren“ der „Vernunft“ (ratio) zu- bzw. untergeordnet. 5 imperitae multitudine: Der Verweis auf die „ungebildete Menge“ ist ein häufiger Topos in der philosophischen Literatur, der in der Regel der Selbstiden-
228 Vgl. vera relig. 123; dort heißt es, die ratio sei naturae et excellentiae … ordine prior. Unter Umständen hat Doignon (BAug 4/2, S. 241) diese Stelle vor Augen, wenn er den Ablativ re an der hiesigen Stelle mit „par la nature de la chose“ übersetzt; mit Recht bemerkt er jedenfalls (Anm. 120): „Res exprime le fond de la nature“; vgl. in diesem Sinne ausführlich J. R. Ramirez, The priority of reason over authority in Augustine, in: Augustinian Studies 13, 1982, S. 123– 131, bes. S. 129. 229 Seit seiner Hortensius-Lektüre (beat. vit. 2,10; conf. 3,4,7 f; 8,7,17) ist für Augustin die vollendete Erkenntnis mittels der rationalen Möglichkeiten der Philosophie, die gegenüber dem bloßen Glauben eine höhere Stufe der Erkenntnissicherheit gewährt, immer auch ein Äquivalent für Glückseligkeit. Augustins frühe Gnoseologie wäre ohne diesen in der Protreptik verankerten eudämonistischen Grundzug wohl kaum zu verstehen. 230 Vgl. quant. anim. 12: Sich einer Autorität anzuvertrauen bedeute eine „große Zeitersparnis“ (magnum compendium) und erfordere „keine Mühe“ (nullus labor). 231 Vgl. für die individuellen Voraussetzungen insbesondere ord. 2,5,15, Z. 22–25: censeo illos disciplinis omnibus erudiendos. … Si autem aut pigriores sunt aut aliis negotiis praeoccupati aut iam duri ad discendum, fidei sibi praesidia parent.
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II. Kommentar
tifikation einer sich als elitär begreifenden Sondergruppe dient.232 Im hiesigen Zusammenhang ist eine spezielle philosophische Schulrichtung zwar nicht explizit erwähnt und Augustin scheint neutral und im allgemeinen Sinne von „den Gebildeten“ (eruditi; Z. 5) zu sprechen, aber die im Folgenden präsentierten Erkenntnisinhalte (ratio, intellectus, principium; Z. 11 ff) lassen doch mehr als deutlich erkennen, dass die „Wenigen“ (pauci; Z. 14), die im Gegensatz zu den vielen Ungebildeten zu einer derartigen Erkenntnis fähig und berufen sind, in der kleinen und illustren Anhängerschaft eines insbesondere im „Mailänder Philosophenzirkel“ vertretenen Neuplatonismus christlicher Prägung zu suchen sind. 5 videatur: Mit dem Ausdruck videri (in Verbindung mit quamquam: „obwohl es so scheinen könnte, dass …“) relativiert Augustin sein in c. acad. 3,20,43 und ord. 2,5,16 vertretenes „Zwei-Wege-Schema“, nach welchem sowohl die auctoritas als auch die ratio, bezogen auf die jeweilige Personengruppe, unabhängig voneinander zum Ziel – die salus für die Ungebildeten und die cognitio für die Gebildeten – führen könne. Wie oben ausgeführt233 wird aus dem ursprünglichen Schema der „personenbezogenen Dichotomie“ ein weiterentwickeltes Modell der „erkenntnistheoretischen Dependenz“, welches sich noch später234 als ein subtil ausgefeiltes „Interdependenz-Schema“ präsentieren wird.235 8 f ut omnibus bona magna et occulta discere cupientibus non aperiat nisi auctoritas ianuam: Ausdrücklich ist von allen Lernbeflissenen die Rede, welche in einem ersten Stadium auf die Unterstützung der auctoritas angewiesen seien. Damit sind gewisse Inkongruenzen zur Aussage in ord. 2,5,16 zu verzeichnen, nach der sehr wenige Menschen (paucissimos; Z. 29) allein mittels ihrer vernünftigen Einsicht bzw. mit Hilfe der Philosophie, die diese Einsicht verspreche (Z. 29: philosophia rationem promittit), zur höchsten Erkenntnis gelangen könnten. Dieser Widerspruch kann nicht dadurch aufgelöst werden, dass unter paucissimi diejenigen Philosophen verstanden werden, die „schon vor Augustin und ohne Hilfe der christlichen Autorität die Wahrheit gefunden haben“ und dass es sich hierbei „mehr um eine historische als um eine prinzipielle Aussage“ handle.236 Allenfalls könnte darauf verwiesen werden, dass das Sich-Anvertrauen an eine Autorität für die späteren eruditi noch kein Lernen im vollen Sinne darstellt, sondern ein gewissermaßen „propädeutisches“ und „vorrationales“ (vgl. Z. 11: ante rationem) Stadium vor der eigentlichen Erkenntnisgewinnung meint. Nachdem die Auto232
Siehe supra zu 1,2,3, Z. 44 f. Siehe supra zu Z. 3. 234 Nämlich in vera relig. 122–129 und util. cred. 7,19. 235 Siehe hierzu die ausführliche Interpretation bei Trelenberg, Einheit, S. 146–150. 236 So Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 458 (Zitate aus K.-H. Lütcke, Auctoritas, S. 79 f) mit Hinweis auf den Kontext in De ordine. Doch bietet gerade dieser nicht den geringsten Anhalt, dass mit rarissimum omnino genus hominum (ord. 2,11,30, Z. 3), perpauci (ibid., Z. 6) und paucissimi (2,5,16, Z. 29) voraugustinische, heidnische Philosophen verstanden werden müssen. Im Gegenteil: Augustin befindet sich in seiner Diktion (jeweils mit Einschluss der 1. Ps. Plural) ganz auf der prinzipiellen Ebene der Gegenwart. 233
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rität das „Tor“ der Erkenntnis einmal aufgestoßen hat, kann auch – im notdürftigen Einklang mit den Parallelstellen – die ratio allein ihr Werk vollbringen. Hinsichtlich der Diktion in diesem Abschnitt ist auf Anklänge an eine charakteristische Mysteriensprache hinzuweisen (vgl. magna et occulta; aperiat; auctoritas; ianuam; ingressus); im Hintergrund steht das Bild eines gewissen Initiationsritus, in dessen Verlauf eine „Autorität“ den Neueingeweihten, nachdem sie ein „Tor“ durchschritten haben und „eingetreten“ sind, nunmehr „große und geheime“ Dinge zu „eröffnen“ verspricht.237 9 vitae optimae praecepta: Vgl. § 25 zu den Vorschriften für den ethischmoralischen Lebenswandel. 11 ante rationem: Der Autoritätsglaube ist zwar nicht „irrational“, aber notwendigerweise noch „vorrational“; nicht gegen eine bessere Einsicht soll geglaubt werden, aber durchaus ohne bereits vollständig zu verstehen. Zunächst geht es um ein vertrauendes Befolgen und Einlassen, d. h. der Autorität muss eine Art „Vertrauensvorschuss“ entgegengebracht werden, welcher sich erst in der Retrospektive rechtfertigen kann und soll. Erst im Nachhinein wird es möglich sein, die Rationalität des zunächst Geglaubten zu erkennen (Z. 10 f: tum demum discet … quanta ratione praedita sint ea ipsa, quae secutus est). 11–14 quid sit … ratio … et quid intellectus … et quid … principium: Augustin gibt in kurzer dreigliedriger Formel den Inhalt der angestrebten Erkenntnis an. Unschwer erkennt man hinter den Begrifflichkeiten die drei plotinischen Hypostasen. Zur ratio bemerkt Keseling (Weltregiment, S. 242) zu Recht, dass sie mit der Seele ( ) gleichzusetzen sei.238 Der intellectus ist der Weltgeist ( ),239 der bereits in ord. 2,5,16 (Z. 33) in exakt demselben Zusammenhang als zweites Glied der dortigen Trias erschien.240 Das universorum principium hat als das neuplatonische zu gelten, die Letztursache (= ) aller Dinge.241 Wenn diese nach augustinischem Wortlaut „außerhalb des Universums“ (praeter universa; Z. 13) zu finden ist, so spiegelt sich auch hier plotinisches Denken, wonach das höchste und letzte „Eine“ der nächsthöheren Hypostase des „Denkens“ und des „Seins“ vorgeordnet ist und in gänzlicher Abstraktion außer- und oberhalb derselben 237 Gunermann (Sprache, S. 105) weist auf eine Parallele (Vorbild?) für den Ausdruck aperire ianuam bei Cicero hin, welcher ianuam patefacere in demselben Sinne in imagine verwendet; de orat. 1,204 (vgl. ebenfalls die typische „Mysteriensprache“): si ego intellego, si in haec, quae patefecit oratione sua Crassus, intrare volueritis, facillime vos ad ea, quae cupitis, perventuros, ab hoc aditu ianuaque patefacta. 238 Vgl. ord. 2,19,50, Z. 24, wo diese Identifizierung von Augustin ausdrücklich ausgesprochen wird (wenn auch mit einem kleinen Fragezeichen versehen): si anima non id est, quod ratio … 239 Die Zusatzinformation, dass sich im intellectus das All befinde oder er vielmehr selbst das All (universa; Z. 13) darstelle, steht in Harmonie zur plotinischen Auffassung, nach der sich die Gesamtheit der Ideen im befinde und dieser als das allgemeine Sein schlechthin, als und (bzw. ), zu verstehen sei; vgl. Ritter, Mundus intelligibilis, S. 48; Hofmann, Kirchenbegriff, S. 27. 240 Vgl. die Bemerkungen (inkl. Parallelen) dort zur Stelle. 241 Vgl. supra zu 2,5,16, Z. 32 f.
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II. Kommentar
gedacht werden muss. Gleichzeitig kann der Ausdruck universorum principium in seinem spezifischen Abhängigkeitsverhältnis – im Sinne einer genetischen Sichtweise – christlich verstanden werden, wie Augustin dies bereits in ord. 2,5,16 mit aller wünschenswerten Klarheit ausgesprochen hatte: das omnium rerum principium, der intellectus und die salus seien der unus deus omnipotens bzw. der tripotens pater et filius et spiritus sanctus (vgl. Z. 32–35). 11 f post auctoritatis cunabula: Cicero verwendet cunabula ebenfalls conlate in rep. 2,21: Videtisne igitur unius viri consilio non solum ortum novum populum, neque ut in cunabulis vagientem relictum, sed adultum iam et paene puberem? Beachte daneben auch den mehrfachen Gebrauch des vergleichbaren incunabula (= Wickelbänder, Windeln, Wiege) in orat. 42, fin. 5,55 und besonders in de orat. 1,23, wo zwar nicht die auctoritas als Genitivattribut erscheint, aber die doctrina, und überdies auch – wie bei Augustin – von einem ordo und gewissen praecepta die Rede ist: repetamque non ab incunabulis nostrae veteris puerilisque doctrinae quendam ordinem praeceptorum. Dazu Gunermann, Sprache, S. 139 f. 14 Ad quam cognitionem in hac vita pervenire pauci: Augustin huldigt in seiner Frühzeit hinsichtlich der Gottesfrage einem erstaunlichen Erkenntnisoptimismus; für ihn ist die vollendete Gotteserkenntnis tatsächlich in diesem Leben (in hac vita) möglich, und zwar in so vollständiger Form, dass sie selbst nach diesem Leben (post hanc vitam) nicht überschritten werden kann (vgl. Z. 14 f). Neuplatonischer Enthusiasmus mag hier hineinspielen: immerhin soll Plotin – nach Anin Ekstase gabe seines Schülers Porphyrios (vit. Plot. 23,16) – mehrfach das geschaut haben (vgl. dazu die „Handlungsanweisung“ in dessen Schrift ; Enn. I 6 Ende). Zwar wird man den Augustin von Cassiciacum – einen Rationalisten par excellence – nicht als einen schwärmerischen Mystiker bezeichnen wollen. Offenbar zählt er sich aber selbst zu den „Wenigen“ (pauci), die bereits in diesem Leben die vollkommene Weisheit, d. h. nichts anderes als die Gotteserkenntnis auf rational-dialektischer Basis, erlangen werden; vgl. c. acad. 2,3,9: cum sapiens fuero; 3,20,43: Sed cum tricensimum et tertium aetatis annum agam, non me arbitror desperare debere eam [sc. sapientiam] me quandoque adepturum.242 – Speziell zur äußerst geringen Anzahl (pauci) derjenigen, denen die Weisheit und Erkenntnis vorbehalten ist, vgl. die supra zu 1,11,32, Z. 33 angeführten Parallelen; dort auch Hinweise zur platonischen Provenienz dieser Vorstellung. Unter den vielen Vergleichsstellen bei Cicero (zitiert bei Gunermann, Sprache, S. 220 f), der bestimmte kognitive Leistungen ebenfalls nur einem kleinen ausgewählten Kreis von Philosophen und Intellektuellen zutraut, ragt aufgrund inhaltlicher Affinität div. 1,111 heraus: Rarum est quoddam genus eorum, qui se a corpore avocent et ad divinarum rerum cognitionem cura omni studioque rapiantur (vgl. auch den Hinweis auf die ratio humana im unmittelbaren Kontext). 242 In späterer Zeit urteilt Augustin bekanntlich vorsichtiger über die Möglichkeiten der rein menschlichen Erkenntnisfähigkeit, insbesondere die mysteria des christlichen Glaubens betreffend; vgl. epist. 120,3; trin. 14,1.
2. Hauptteil: 2,9,27
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14 f ultra quam [sc. cognitionem] vero etiam post hanc vitam nemo progredi potest: Augustin setzt sich an dieser Stelle (Z. 14 f) mit einer Ansicht des Porphyrios auseinander, welcher ebenfalls über die Möglichkeiten menschlicher (Gottes-)Erkenntnis in hac vita und post hanc vitam philosophiert. Nach Porphyrios ist Gott „in diesem Leben“ grundsätzlich begreifbar, wenn auch nur für wenige Menschen. Dennoch ist deren Erkenntnis und Weisheit zunächst noch nicht vollständig, sondern wird erst „nach diesem Leben“ vollendet werden – eine Sichtweise, die der frühe Augustin offensichtlich nicht teilt; vgl. civ. 10,29 (Porphyrios wird direkt angesprochen): Confiteris tamen gratiam, quando quidem ad Deum per virtutem intellegentiae p e r v e n i r e p a u c i s dicis esse concessum. Non enim dicis: Paucis placuit, vel: Pauci voluerunt; sed cum dicis esse concessum, procul dubio Dei gratiam, non hominis sufficientiam confiteris. Uteris etiam hoc verbo apertius, ubi Platonis sententiam sequens nec ipse dubitas i n h a c v i t a hominem nullo modo ad perfectionem sapientiae pervenire, secundum intellectum tamen viventibus omne quod deest providentia Dei et gratia p o s t h a n c v i t a m posse compleri. 17 f beatos eos quidem, cum inter homines vivunt, nescio quo modo appellem: Die Glückseligkeit (beatitudo) im irdischen Leben ist nach einer in der antiken Philosophie weit verbreiteten Auffassung an das „Genießen“ des höchsten Gutes gebunden;243 für den christlichen Augustin, der diese Sicht übernimmt, ist das summo bono frui gleichbedeutend mit der „glücksbringenden“ rationalen Erkenntnis Gottes. 19 ut hoc corpus reliquerint: In Verbindung mit liberari (Z. 20) klingt die platonische Metapher des Körpers als eines „Gefängnisses“ der Seele an (vgl. Phaid. 62 b: ) bzw. als deren „Fesseln“ (ibid. 67 d: ) oder auch „Käfigs“ (ibid. 82 d–83 a: ); vgl. Plotin, Enn. 4,8,1.3 f; 6,9,9; Cicero, rep. 6,14; Lael. 14; Cato 77; Tusc. 1,44;244 1,77. Das Bild hat eine große Rezeptionsgeschichte, auch im christlichen Bereich; dazu P. Courcelle, L’âme en cage, S. 103–116 (= ders., Connais-toi, S. 345–380; vgl. auch ibid. S. 345–380). Die augustinische Parallelstelle findet sich in c. acad. 1,3,9 (mit der Wendung hoc corpus delinquere statt relinquere; mit expliziter Erwähnung des platonischen „Kerkers“): veritatem autem illam solum deum nosse arbitror aut forte hominis animam, cum hoc corpus, hoc est tenebrosum carcerem, deliquerit. Vgl. daneben auch (u. a.) soliloq. 1,14,24; mor. eccl. 22,40 f; epist. 166,9,27. 2,9,27: Göttliche und menschliche Autorität Auctoritas autem partim divina est, partim humana, sed vera firma summa ea est, quae divina nominatur. In qua metuenda est aeriorum animalium mira fallacia, quae 243
Vgl. hierzu supra zu 2,2,6, Z. 52 (u. a. mit Hinweis auf Cicero). Zur besonderen inhaltlichen Affinität von ord. 2,9,26 mit Tusc. 1,44 (der Zusammenhang von Glückseligkeit, Befreiung vom Körper, auctoritas und ratio etc.) vgl. Gunermann, Sprache, S. 126, Anm. 1. 244
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II. Kommentar
per rerum ad istos sensus corporis pertinentium quasdam divinationes nonnullasque potentias decipere animas facillime consuerunt aut periturarum fortunarum curio25 sas aut fragilium cupidas potestatum aut inanium formidulosas miraculorum. Illa ergo auctoritas divina dicenda est, quae non solum in sensibilibus signis transcendit omnem humanam facultatem sed et ipsum hominem agens ostendit ei, quo usque se propter ipsum depresserit, et non teneri sensibus, quibus videntur illa miranda, sed ad 30 intellectum iubet evolare simul demonstrans, et quanta hic possit et cur haec faciat et quam parvi pendat. Doceat enim oportet et factis potestatem suam et humilitate clementiam et praeceptione naturam, quae omnia sacris, quibus initiamur, secretius firmiusque traduntur, in quibus bonorum vita facillime non disputationum ambagibus sed mysteriorum auctoritate purgatur. Humana vero auctoritas plerumque fallit, in eis tamen iure videtur excellere, qui, quantum imperitorum sensus capit, multa dant 35 indicia doctrinarum suarum et non vivunt aliter, quam vivendum esse praecipiunt. Quibus si aliqua etiam fortunae munera accesserint, quorum appareant usu magni contemptuque maiores, difficillimum omnino est, ut eis quisque vivendi praecepta dantibus credens recte vituperetur.
21 f vera firma summa ea est, quae divina nominatur: In Übereinstimmung mit der hiesigen Bewertung bezeichnet Augustin in c. acad. 2,20,43 die (göttliche) Autorität Christi als die für ihn denkbar stärkste: Mihi ergo certum est nusquam prorsus a Christi auctoritate discedere: non enim reperio valentiorem. 22 aeriorum animalium: Mit den „Luftwesen“ sind Dämonen (daemones) gemeint; ihre divinatorische Fähigkeit beruht auf einer schärferen und feineren Sinneswahrnehmung, als sie die Menschen besitzen, vielleicht auf einem geheimnisvollen „siebten Sinn“, der den Menschen verborgen ist. Vgl. c. acad. 1,7,20: non mirum est, si sentiri possunt ab huius aeris animalibus quibusdam vilissimis, quos daemonas vocant, a quibus nos superari acumine ac subtilitate sensuum posse concedo, ratione autem nego; atque id fieri nescio quo modo secretissimo atque a nostris sensibus remotissimo. Siehe auch conf. 4,2,3 für die den Dämonen zugeschriebene Weissagungskraft. – Der Aufenthaltsort der Dämonen ist der untere Luftraum unterhalb der Sterne zwischen Mond und Erde; dort hausen sie gleichsam in einer Art „Luft-Gefängnis“ (tamquam in aerio carcere suo; vgl. nat. bon. 33 und epist. 102,20; u. a. nach Eph 6,12). Zur luftartigen Körperlichkeit der Dämonen siehe auch Plotin, Enn. 2,1,6. 24 potentias: Die varia lecto bezeugt stattdessen sententias (HPR; die Gruppe MNYZ; e3.4.6; Knöll), was jedoch – im Sinne von „Weissagungs-“ bzw. „Orakelsprüchen“ – eine offensichtlich nachträgliche Angleichung an divinationes (Z. 23) darstellt. 27 ipsum hominem agens: Die modernen Übersetzungen bieten zum Teil sonderbare Interpretationen; hominem agere bedeutet nicht „den Menschen hervorbringen“ (Perl), auch nicht „den Menschen leiten“ (Mühlenberg), sondern ist – wie hominem gerere / portare / adsumere – ein häufiger terminus technicus für die Inkarnation des Gottessohnes.245 Gewohnt richtig und gut übersetzt Keseling 245 Vgl. erhellend W. Hensellek, Notabilien, S. 76, der auf die „lehrreiche[] Juxtaposition“ in soliloq. 1,1,6 verweist: dum hoc ipsum corpus ago atque porto. Wir fügen eine weitere „lehrreiche
2. Hauptteil: 2,9,27
281
(„durch Annahme der menschlichen Natur“) sowie Doignon („en assumant l’homme même“). – Die in der Literatur bisweilen verhandelte Frage, ob Augustin bereits in Cassiciacum die orthodoxe Lehre von der Menschwerdung vertreten habe,246 ist – wenn nur richtig übersetzt wird (!) – mit der hiesigen Stelle eindeutig beantwortet. Hinzuzufügen ist, dass im Folgenden völlig unmissverständlich von der „Selbsterniedrigung Gottes um des Menschen willen“ (vgl. Z. 27 f: quo usque se propter ipsum depresserit) sowie seiner selbstgewählten „Niedrigkeit“ (Z. 30: humilitas) die Rede ist.247 – Zu den beiden weiteren Stellen innerhalb der Cassiciacum-Dialoge, welche die Inkarnation der auctoritas Christi thematisieren, vgl. supra zu 2,5,16, insb. zu Z. 38 (mit Literaturhinweisen). 27 f quo usque se propter ipsum depresserit: Vgl. die analoge Formulierung im Hinblick auf die Selbsterniedrigung Gottes in c. acad. 3,19,42: usque ad ipsum corpus humanum declinaret atque submitteret. Dazu Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 460 - 464.248 28 f ad intellectum iubet evolare: Die in der Menschwerdung Christi sich offenbarende göttliche Autorität fordert den Menschen auf, sich vom Sinnenfälligen abzuwenden und den Blick auf das Geistige zu richten, d. h. „zum Geist sich aufzuschwingen“ (Übs. Keseling). Deutlich sieht man, wie das christliche Dogma von der Inkarnation mit Vorstellungen und Begrifflichkeiten umschrieben und interpretiert wird, die ihren angestammten Platz im Platonismus behaupten. Hintergrund ist der platonische Zwei-Welten-Dualismus (mundus sensibilis / intelligibilis; vgl. 2,17,47) sowie die genuin plotinische Vorstellung, dass die KreaJuxtaposition“ hinzu: … quod hoc etiam nostri generis corpus tantus propter nos adsumere atque agere dignatus est (ord. 2,5,16, Z. 37 f). 246 Vgl. etwa das – eindeutig falsche – Resümee von E. König, philosophus, S. 128: „… Und damit ist die Behauptung, Augustin vertrete seit Cassiciacum die christliche Lehre von der Inkarnation, nicht mehr ohne weiteres aufrecht zu erhalten.“ 247 Die Ansicht, dass der frühe Augustin am Christus humilis nicht interessiert sei (so Theiler, Porphyrios, S. 64), muss aufgrund dieser Stelle zumindest relativiert werden; so bereits Keseling, Weltregiment, S. 242. 248 Fuhrer setzt sich ausführlich mit der Frage auseinander, ob bereits in c. acad. 3,19,42 – mit dem expliziten Hinweis auf die Menschwerdung Gottes – Augustins spätere Platonismuskritik antizipiert sei oder sich zumindest anbahne, d. h. „ob der Verweis auf die Inkarnation hier schon als Hinweis auf den entscheidenden Unterschied zwischen der platonischen verissima philosophia und der christlichen Lehre zu verstehen sei“ (S. 461). Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Augustin in Cassiciacum zwar die Kompatibilität von Christentum und Platonismus „bezüglich ihrer Terminologie“ und „auf der begrifflichen Ebene“ demonstriert habe (S. 464), aber nichtdestoweniger die entscheidende Differenz durch die Begriffe declinatio und submissio [wir fügen depressio nach De ordine hinzu] hervorgehoben habe. „Augustin hat also bereits in seinen frühesten Schriften nach der Bekehrung seine Vorbehalte gegenüber der platonischen Philosophie, die zwar als die verissima philosophia mit der christlichen Lehre nicht im Widerspruch steht, aber doch … insofern defizient ist, als sie gerade die ‚erblindeten und verschmutzten Seelen‘ ‚niemals‘ zur Rückkehr in die intelligible Welt aufrufen kann. Damit sind die Grundzüge zu Augustins späterer Platonismus-Kritik bereits hier vorgegeben“ (ibid.). Vgl. im Ergebnis ähnlich G. Madec, Plato, S. 235 (zitiert bei Fuhrer, ibid., Anm. 102): „Je crois donc qu’Augustin pensait déjà être au clair sur les rapports du platonisme et du christianisme et qu’il se satisfaisait de cette discrimination générale, sans trop se soucier d’entrer dans le détail de la critique“.
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II. Kommentar
turen der Sinnenwelt eine Art „Vermittler“ aus der oberen Welt, welcher fürsorglich zu ihnen herabsteigt, für ihren „erlösenden Aufstieg“ benötigen.249 Diesen – ursprünglich in der Philosophie beheimateten – Zusammenhang zwischen dem „ontologischen Abstieg“ des Göttlichen als Voraussetzung für den „soteriologischen Aufstieg“ der Kreatur hat Augustin offensichtlich auf die christliche Lehre der Inkarnation anwenden können (vgl. besonders auch die Entwicklung dieser Gedanken im frühen 11. Brief; z. B. epist. 11,4: Nemo enim quemquam erigit ad id, in quo ipse est, nisi aliquantum ad id, in quo est ille, descendat). – Für den Begriff intellectus als Synonym für die zweite plotinische Hypostase siehe supra zu 1,8,24, Z. 54 f; 2,1,1, Z. 7; 2,5,16, Z. 33; 2,9,26, Z. 11–14. – Für evolare als Bild für den platonischen „Seelenflug“ vgl. supra zu 2,5,14, Z. 6. 30 f Doceat enim oportet et factis … et praeceptione: Vgl. die Parallele in c. acad. 3,19,42: cuius [sc. des göttlichen Geistes] non solum p r a e c e p t i s sed etiam f a c t i s excitatae animae redire in semetipsas, et resipiscere patriam, … potuissent. Die „Lehre“ und die „Taten“250 des inkarnierten Gottessohnes erzielen ihre Wirkung unter solchen Menschen, die für diese aufgeschlossen und empfänglich sind. Vgl. die folgenden Parallelen für die „pädagogisch-protreptische Funktion der Inkarnation“ (Fuhrer, Contra Academicos, S. 465): epist. 11,4; 12; vera relig. 32; lib. arb. 3,109; dazu G. Folliet, correspondance, S. 210–212; W. Geerlings, Christologie, S. 228 f. 30 f humilitate clementiam: Die „Milde“ Gottes zeigt sich in der „Niedrigkeit“ der von ihm angenommenen Menschennatur. Vgl. dazu auch ord. 2,5,16, Z. 37–40; c. acad. 3,19,42; lib. arb. 3,108; util. cred. 15,33. Zur clementia als „Vorläuferbegriff “ der späteren gratia vgl. supra zu 2,5,16, Z. 39. – Die von Augustin an dieser Stelle vorgenommene Zusammenstellung von „Herrschaftsbegriffen“ auf der einen Seite (auctoritas und potestas) sowie Aspekten der Selbsterniedrigung und Hilfe andererseits (humilitas und clementia) interpretiert K.-H. Lüttcke (Auctoritas, S. 122) treffend auf folgende Weise: „Die Gefahr, dass die Übertragung des auctoritas-Begriffs auf Gott dem Begriff sehr herrscherliche Züge gibt und ihn dem potestas-Begriff annähert, wird von Augustin durch die Verbindung mit dem humilitas-Gedanken, also durch die Verbindung von Autorität und Christus, zunächst aufgefangen. Durch die Verbindung mit dem clementiaGedanken wird der Aspekt der Hilfe gewahrt, der dem auctoritas-Begriff ursprünglich zugehört“. 31 f quae omnia sacris, quibus initiamur, secretius firmiusque traduntur: Wieder bedient sich Augustin bei dem Hinweis auf die christlichen Glaubens249 Eine solche „Vermittlung“ zwischen den Welten obliegt der Seele ( ). Während jedoch die plotinische Weltseele (sie wird u. a. auch genannt) immer in der geistigen Sphäre verweilt, steigen die Einzelseelen in die Körperwelt hinab (Enn. 5,1,1,5; 4,4,18,7; 5,2,2,5). Ziel ihres Abstiegs ist es, der im Sinnlichen gefangenen Kreatur zu einem Aufstieg ( ; ibid. 3,7,7,9) und damit zu ihrer „geistigen Erlösung“ zu verhelfen (ibid. 1,6,8,16). 250 „Zu den facta gehören die Wundertaten, der Kreuzestod und die Auferstehung; all dies ist mit dem Wort nur angedeutet“ (Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 465, Anm. 103).
2. Hauptteil: 2,9,27
283
inhalte der charakteristischen Sprache der Mysterienreligionen; siehe bereits supra zu 1,1,2, Z. 25 f; 2,9,26, Z. 8 f. In diesem Zusammenhang wird speziell der Ausdruck initiamur von J. O’Meara (Young Augustine, S. 132) als terminus technicus eines Einweihungsritus auf die Taufe Augustins bezogen, auf welche er als Katechumene offensichtlich bereits ernsthaft zusteuerte,251 für die er sich wenig später offiziell anmeldete (conf. 9,6,14) und die in der Osternacht des Jahres 387 in Mailand vom Bischof Ambrosius vollzogen werden sollte. 32 f non disputationum ambagibus sed mysteriorum auctoritate: Die Antithese von rationalem Diskurs und autoritativem Impuls ist klassisch (inklusive der unterschiedlichen Bewertung im Hinblick auf die Effizienz des jeweils angeregten Lernprozesses); vgl. Cicero, De orat. 1,194: et docemur non infinitis concertationumque plenis disputationibus, sed auctoritate nutuque legum domitas habere libidines …; ibid. 2,68: simpliciter et splendide, sine ulla serie disputationum et sine ieiuna concertatione verborum; Cato 77: nec me solum ratio ac disputatio inpulsit, ut ita crederem, sed nobilitas etiam summorum philosophorum et auctoritas. Vgl. vor diesem Hintergrund auch Augustin, c. acad. 3,19,42: der auctoritas divini intellectus wird eine sichtlich kritisch beurteilte ratio (nämlich in Gestalt der disputationum concertatio) gegenübergestellt. – Dass der Weg des Glaubens im Vergleich zu den mühsamen Umwegen der rationalen Beweisführung schnell und einfach zum Ziel führt, wird auch in ord. 1,5,15 (Z. 23–27), quant. anim. 12 und mus. 6,1,1 betont. – Zu Vorkommen, Bedeutung und Verwendung des signifikanten Begriffs mysterium bei Augustin vgl. supra zu 1,1,2, Z. 25 f und besonders zu 2,5,15, Z. 26. 33 Humana … auctoritas: Es ist gerätselt worden, welche Person (oder Personengruppe?) sich hinter der herausragenden „menschlichen Autorität“ wohl verberge. Keseling (Weltregiment, S. 242) denkt an „Cicero und Platons Schule“, O’Meara (Plotinus, S. 333 f) an Paulus, Antonius und Ambrosius, Doignon (BAug 4/2, S. 245/7, Anm. 128) an Mallius Theodorus. Fasst man die Andeutungen Augustins zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: 1) Die besagte Person besitzt eine große Gelehrsamkeit (Z. 34 f): multa dant indicia doctrinarum suarum; 2) sie zeichnet sich durch eine Übereinstimmung von Lehre und Leben aus (Z. 35): non vivunt aliter, quam vivendum esse praecipiunt; 3) sie besitzt „Gaben des Glücks“ (Z. 36: fortunae munera), welche jedoch von ihr gering geschätzt werden. – Alle drei Beschreibungen insgesamt passen im engeren Sinne lediglich auf Ambrosius und Theodorus. Zu Ambrosius ist vor allem conf. 6,3,3 zu vergleichen: Augustin schildert den Mailänder Bischof als einen gelehrten und vielbelesenen Mann, dem eine „herausragende Stellung“ (excellentiae; vgl. ord. 2,9,27, Z. 34: excellere) eigne, dem von den Mächtigen dieser Welt Ehre erwiesen werde, der dennoch im Hinblick auf körperliche Bedürfnisse ein einfaches Leben führe (corpus reficiebat necessariis sustentaculis), den man insgesamt als einen „nach menschlichen Maßstäben glücklichen Mann“ (felicem quendam hominem secundum saeculum) 251 Die Listeneintragung als catechumenus in ecclesia catholica (conf. 5,14,25) nahm Augustin wahrscheinlich bereits im späten Frühling des Jahres 385 vor (vgl. P. Brown, Augustinus, S. 66; mit Bezug auf P. Courcelle, Recherches, S. 86 f).
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II. Kommentar
bezeichnen könne. Mit weit größerer Wahrscheinlichkeit aber zielen die augustinischen Anspielungen auf Flavius Mallius Theodorus, den Adressaten der Schrift De beata vita.252 Der gelehrte christliche Schriftsteller (vgl. beat. vit. 1,1: vir humanissime; ibid. 1,5; retr. 1,1,2: docto et christiano viro) erfüllt für Augustin auch in moralischer Hinsicht die höchsten Kriterien (vgl. beat. vit. 1,5: obsecro te per virtutem tuam). Darüber hinaus ist auffällig, dass dem Manne ebenso wie hier bereits in ord. 1,11,31 mit exakt denselben Worten „Gaben des Glücks“ zugesprochen wurden (Z. 13–15: vir et ingenio et eloquentia et ipsis insignibus m u n e r i b u s que f o r t u n a e , et, quod ante omnia est, mente praestantissimus Theodorus), welche für jenen jedoch – trotz der Größe seines Vermögens – stets von untergeordneter Bedeutung waren (beat. vit. 1,5: Eloquentia tua territus non sum; … f o r t u n a e vero s u b l i m i t a t e m multo minus; apud te enim vere, quamvis sit magna, secunda est). 37 contemptuque: Die Verachtung der Glücksgüter (contemptus fortunae) ist als philosophisches Motiv in Stoa und Platonismus weit verbreitet; vgl. Cicero, Tusc. 2,66; Seneca, epist. 62,3; 93,4; 107,3; u. ö.; siehe in den augustinischen Frühschriften c. acad. 3,2,2: Nam si ad contemnendam fortunam fortuna ipsa opus esse arbitraris, me quoque comitem in hanc sententiam do tibi; vgl. auch soliloq. 1,11,19. 2,10,28: Die Lebensnormen des Alypius 1 Hic Alypius: Permagna, inquit, vitae imago abs te ante oculos nostros cum plene
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tum breviter constituta est, cui quamvis cotidianis praeceptis tuis inhiemus, tamen nos hodie cupidiores flagrantioresque reddidisti. Ad quam, si fieri posset, non solum nos verum etiam cunctos homines iam pervenire et eidem inhaerere cuperem, si, ut haec auditu mirabilia, ita essent imitatione facilia. Nam nescio quo modo – quod utinam vel a nobis procul absit! – animus humanus dum haec audiendo caelestia divina ac prorsus vera esse proclamet, in adpetendo aliter se gerit, ut mihi verissimum videatur aut divinos homines aut non sine divina ope sic vivere. – Cui ego: Haec praecepta vivendi, quae tibi, ut semper, plurimum placent, Alypi, quamvis hic meis verbis pro tempore expressa sint, non tamen a me inventa esse optime scis. His enim magnorum hominum et paene divinorum libri plenissimi sunt, quod non propter te mihi dicendum putavi sed propter istos adulescentes, ne in eis quasi auctoritatem meam iure contemnant. Nam mihi omnino illos nolo credere nisi docenti rationemque reddenti, propter quos pro rerum magnitudine concitandos etiam te arbitror istum interposuisse sermonem. Non enim tibi sunt ad sequendum ista difficilia, quae tanta rapuisti aviditate tantoque in ea naturae admirabilis impetu ingressus es, ut ego tibi verborum, tu mihi rerum magister effectus sis. Non enim est modo ulla causa mentiendi aut saltem occasio; nam neque te falsa tua laude studiosiorem fieri puto et hi adsunt, qui utrumque noverunt, et ei sermo iste mittetur, cui nostrum nullus ignotus est.
11 magnorum hominum et paene divinorum: Die Formulierung ist mit einiger Sicherheit eine Reminiszenz an Cicero, rep. 1,45: … tum vero prospicere in252
Siehe zur Person des Theodorus supra zu 1,11,31, Z. 15.
2. Hauptteil: 2,10,28
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pendentis, in gubernanda re publica moderantem cursum atque in sua potestate retinentem, magni cuiusdam civis et divini paene est viri. – J. J. O’Meara (Plotinus, S. 331–333) schließt aus den Lektüreangaben der confessiones, dass sich hinter den Büchern der „großen und beinahe göttlichen Menschen“ die Schriften von Paulus, Ambrosius sowie die Vita Antonii verbergen; siehe hierzu conf. 7,21,27 und 8,6,14 f. 11 libri plenissimi: Die Qualifizierung von Büchern als „voll“ bzw. „reich gefüllt“ wird in c. acad. 2,2,5 ausdrücklich auf einen Ausdruck des Celsinus253 zurückgeführt: libri quidam pleni, ut ait Celsinus. Nach P. Courcelle (Recherches, S. 158, Anm. 5) ist die dortige Bezugnahme auch hier mitzudenken. Vgl. daneben auch civ. 19,23: quibus praeceptis prophetici libri pleni sunt Hebraeorum. Siehe allerdings auch Cicero, fam. 11,12,1: pleniores epistulae. 12 f quasi auctoritatem meam: Im Hinblick auf seine jungen Studenten nimmt Augustin die auctoritas, über deren lernfördernde Wirkung er in den §§ 26 f theoretisch gehandelt hat, auch für seine eigene Person in Anspruch. Das einschränkende quasi ist (u. a.) als ein terminus modestiae anzusehen. 13 f mihi omnino illos nolo credere nisi docenti rationemque reddenti: Augustin fordert von seinen Schülern kein blindes Vertrauen. Damit fügt er sich und seine eigene Autorität bewusst in den Gesamtkonnex seiner epistemologischen Grundüberzeugungen ein. Generell darf sich keine auctoritas der rationalen Plausibilität entziehen, vielmehr muss sie für die Wiss- und Lernbegierigen grundsätzlich nachprüfbar sein. Einen inhaltlichen Widerspruch zwischen Autorität und Rationalität, zwischen wahrem Glauben und echtem Wissen, wird man beim Augustinus von Cassiciacum in keiner Weise entdecken oder auch nur angedeutet finden. Stattdessen wird größter Wert darauf gelegt, dass das Geglaubte auch nach logisch-rationalen Kriterien sich als glaub-würdig erweisen kann. Vgl. ord. 2,16,44: eruditi nomine dignissimus, non temere iam quaerit illa divina, non iam credenda solum, verum etiam contemplanda, intellegenda atque retinenda; c. acad. 3,20,43: Quod autem subtilissima ratione persequendum est; ita enim iam sum affectus, ut quid sit verum, non credendo solum, sed etiam intellegendo apprehendere impatienter desiderem. 14 concitandos: Doignon (BAug 4/2, S. 249, Anm. 132) verweist auf ein „schéma de la rhétorique classique“ (bei Cicero, De orat. 1,204), nach welchem in einer Diskussion für ein philosophisches Verständnis gewissermaßen „die Tür geöffnet“254 wird, wenn der Zuhörer einen „Antrieb zum Erkennen und Erfassen der Tugend“ erfahren habe: … nam, ut Socratem illum solitum aiunt dicere perfectum sibi opus esse, si qui satis esset c o n c i t a t u s cohortatione sua ad studium c o g n o s c e n d a e p e r c i p i e n d a e q u e v i r t u t i s ; … sic ego intellego, si in haec, quae patefecit 253 Es ist umstritten, wer dieser Celsinus ist. Verwiesen wird auf Aulus Cornelius Celsus (1) – den lateinischen Enzyklopädisten; 1. Jhdt. n. Chr.; vgl. soliloq. 1,12,21 – , auf Kelsinos von Kastabala (2) – den Verfasser der ; 4. Jhdt. n. Chr. – sowie auf Celsinus Tatianus (3) – den Bruder des Symmachus, Inhaber des Amtes eines vicarius Africae im Jahre 380. Vgl. für (1): B. R. Voss, Frühdialoge, S. 341, Anm. 4; für (2): P. Courcelle, Lettres, S. 179–181; für (3): A. Solignac, confessions I–VII, S. 103, Anm. 2; confessions VIII–XIII, S. 535. 254 Vgl. für das ianua-Bild ord. 2,9,26, Z. 8 f.
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II. Kommentar
oratione sua Crassus, intrare volueritis, facillime vos ad ea, quae cupitis, perventuros, ab hoc aditu i a n u a q u e p a t e f a c t a . 15 Non enim tibi sunt ad sequendum ista difficilia: Auch in den confessiones wird Alypius als moralisch integer und höchst vorbildhaft beschrieben. Vgl. z. B. 6,7,11: diligebat multum, quod ei bonus et doctus viderer, et ego illum propter magnam virtutis indolem, quae in non magna aetate satis eminebat. Siehe auch 6,10,16; 6,12,21; 8,12,30. 16 tanta rapuisti aviditate: Gunermann (Sprache, S. 17) vergleicht für den speziellen Ausdruck Cicero, Cato 26: … quae (sc. litteras Graecas) quidem sic a v i d e a r r i p u i , quasi diuturnam sitim explere cupiens, ut ea ipsa mihi nota essent quibus me nunc exemplis uti videtis. Für arripere im Sinne von „eifrig aufgreifen“ vgl. daneben noch: Cato 78 (wie in ord. mit difficilis als Iuxta positum); ac. 2,30; Mur. 62; Mil. 10. 17 ut ego tibi verborum, tu mihi rerum magister effectus sis: Schöner sprachlicher Parallelismus, welcher inhaltlich-substanziell durch die confessiones bestätigt wird; siehe 6,7,11 (zitiert unter Z. 15). Insbesondere war Alypius dem Augustinus ein Vorbild hinsichtlich seiner bewundernswerten, scheinbar mühelos gelebten castitas in sexueller Beziehung; siehe 6,12,21: erat enim ipse in ea re etiam tunc castissimus, ita ut mirum esset. 18 falsa tua laude: Possessivpronomen anstatt eines genitivus obiectivus wie in 1,7,20, Z. 58 (de spe tua) und 1,10,30, Z. 59 (a suo amore); vgl. Menge, Syntax, § 71 (S. 54); m. a. W.: Alypius lobt nicht selbst, sondern ist Adressat (Objekt) des Lobes. 19 ei: Gemeint ist Zenobius als der gemeinsame Freund und Adressat der Schrift De ordine; vgl. 1,1,1, Z. 1; 1,2,4, Z. 3; 1,7,20, Z. 48255; 1,9,27, Z. 13. Zu seiner Person siehe supra zu 1,7,20, Z. 53 f und zu 2,5,15, Z. 18 f. Zu Zenobius’ enger Freundschaft und Verbundenheit mit dem Philosophenkreis in Cassiciacum siehe auch epist. 2: … cum omnia bona optes carissimis et familiarissimis tuis (vgl. ord. 1,2,4, Z. 10: carissimi tui).256 2,10,29: Die nicht geringe Zahl guter Menschen Bonos autem viros deditosque optimis moribus, si non aliter sentis atque dixisti, pauciores te arbitror esse credere, quam mihi probabile est; sed multi penitus latent, item multorum non latentium ea ipsa, quae mira sunt latent; in animo enim sunt ista, qui neque sensu accipi potest et plerumque, dum congruere vult vitiosorum hominum 25 conloquiis, ea dicit, quae aut probare aut adpetere videatur. Multa etiam facit non libenter propter aut vitandum odium hominum aut ineptiam fugiendam, quod nos 255 Vgl. nebenbei die Dublette der Formulierung; ord. 1,7,20, Z. 55 f: cur ei sermo iste mittatur; 2,10,28, Z. 19: et ei sermo iste mittetur. 256 Der zitierte Brief erweist die spekulative Erwägung J. Riefs (Ordogedanke, S. 19; mit Hinweis auf A. Dyroff, Form, S. 22), die enge Beziehung Augustins zum Adressaten der Schrift könnte lediglich „fingiert“ sein, als eindeutig falsch.
2. Hauptteil: 2,10,29
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audientes aut videntes difficile aliter existimamus, quam sensus iste renuntiat, eoque fit, ut multos non tales esse credamus, quales et se ipsi et eos sui familiares noverunt, quod tibi ex amicorum nostrorum quibusdam magnis animi bonis, quae nos soli 30 scimus, persuadeas velim. Nam error iste non minima et hac causa nititur, quod non pauci se subito ad bonam vitam miramque convertunt, et donec aliquibus clarioribus factis innotescant, quales erant, esse creduntur. Nam ne longius abeam, quis istos adulescentes, qui antea noverat, facile credat tam studiose magna quaerere, tantas repente in hac aetate indixisse inimicitias voluptatibus? Ergo hanc opinionem pella35 mus ex animo; nam et illud divinum auxilium, quod, ut decebat, religiose in ultimo sermonis tui posuisti, latius, quam nonnulli opinantur, officium clementiae suae per universos populos agit. Sed ad disputationis nostrae, si placet, ordinem redeamus et, quoniam de auctoritate satis dictum est, videamus, quid sibi ratio velit.
21 f Bonos autem viros … pauciores te arbitror esse credere, quam mihi probabile est: Die vorsichtige Einschätzung Augustins hinsichtlich der Anzahl guter Menschen geht grundsätzlich dahin, dass von ihnen wohl mehr existieren als gemeinhin angenommen wird. Vgl. mor. eccl. 65 ff. 77 ff; vera relig. 8–19; c. Faust. 20,23; in psalm. 136,9. Dies betrifft aber nota bene ausschließlich den ethischen Bereich, d. h. die Menge derjenigen Menschen, die aufgrund der Veranlassung einer auctoritas (vgl. Z. 38) gut und sittenstreng leben. Dabei denkt Augustinus im weitesten Sinne an die christliche Autorität. Im Gegensatz dazu hält er die Anzahl derjenigen Menschen, die aufgrund eigener (philosophischer) Einsicht zu einem tugendhaften Leben gefunden haben, wie an anderen Stellen wiederholt betont wird, für äußerst klein; vgl. c. acad. 2,1,1; 2,3,8; ord. 1,11,32; vera relig. 11 f. 22 multi penitus latent: Vgl. hierzu insbesondere die apologetischen Hinweise in mor. eccl., wo Augustin auf die vielen verborgenen Christen hinweist, die namentlich unter den Anachoreten und Asketen (65 f), den Klosterbrüdern und -schwestern (67 f), den Geistlichen (69) und in den christlichen Wohngemeinschaften von Mailand und Rom (70 ff) zu einem großen Teil sehr bescheiden und zurückgezogen leben. Vgl. conf. 8,6,15. 23 f animo …, qui neque sensu accipi potest: Dass der menschliche Geist (animus, mens) nicht sinnlich wahrnehmbar ist, gehört zu den Gemeinplätzen der platonischen Philosophie; vgl. z. B. eine dementsprechende Tradierung bei Cicero, Tusc. 1,70: mentem hominis, quamvis eam non videas, … ex memoria rerum et inventione et celeritate motus omnique pulchritudine virtutis vim divinam mentis adgnoscito; siehe auch Tim. 27 sowie Cato 80: cum hominis natura morte dissolvitur, ceterarum rerum perspicuum est quo quaeque discedat; abeunt enim illuc omnia, unde orta sunt, animus autem solus nec cum adest nec cum discedit, apparet. 24 f dum congruere vult vitiosorum hominum conloquiis: Doignon (BAug 4/2, S. 251, Anm. 138) verweist auf die ureigenen biographischen Erfahrungen Augustins, als dieser am Mailänder Hof in seiner Funktion als Rhetor auf den Kaiser und andere bedeutende Persönlichkeiten Lobreden (Panegyriken) halten musste, bei denen man es traditionsgemäß der Gattung entsprechend – und wie jeder Zuhörer wusste und erwartete - mit der Wahrheit nicht sehr genau
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II. Kommentar
nahm. Vgl. conf. 6,6,9: quam ergo miser eram, et quomodo egisti ut sentirem miseriam meam die illo quo, cum pararem recitare imperatori laudes, quibus plura mentirer et mentienti faveretur ab scientibus …; ibid. 6,6,10: ego mentiendo quaerebam typhum; ibid. 9,2,2: cathedra mendacii. 25 adpetere: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 25 videatur: Mühlenberg unterschlägt in seiner Übersetzung das videatur: „meistens sagt die Gesinnung nur dann laut aus, was sie billigt und worauf sie sich richtet …“ (S. 309). Dadurch wird der eigentliche Sinn des augustinischen Gedankens in sein Gegenteil verkehrt. Richtiges Verständnis: Der menschliche Verstand (animus) spricht oftmals nicht aus, was er tatsächlich denkt, sondern lediglich das, was er für alle Zuhörenden zu denken scheint. M. a. W.: Augustin ist – wohl aufgrund eigener Erfahrungen (siehe zu Z. 24 f) – davon überzeugt, dass so mancher Mensch in seinem Inneren höhere moralische Wertmaßstäbe besitzt, als man aufgrund seines alltäglichen (d. h. der Umwelt angepassten) Geredes erkennen kann. 27 difficile aliter existimamus, quam sensus iste renuntiat: Dass die sinnliche Wahrnehmung den Geist des Menschen sehr oft täuscht und in die Irre führt, ist ein traditionelles platonisches Argument namentlich gegen den stoisch geprägten Sensualismus. Vgl. c. acad. 3,11,24–12,28; vera relig. 171–175. Allerdings legt Augustin an den genannten Stellen großen Wert darauf, dass der Wahrnehmungssinn an sich lediglich eine Botenfunktion hat, die er in der Regel zwar korrekt ausführt, dass jedoch die durch ihn vermittelten Daten über die sog. „Außenwelt“ niemals ein Wissen im engeren Sinne erzeugen können, da der sensus – ganz wie im hiesigen Beispiel – nur Äußerliches wahrnimmt und dadurch ein nicht geringes Täuschungspotential in sich birgt. – Die Vorstellung des sensus als eines „Boten“ (nuntius, internuntius etc.) ist traditionell und findet sich sowohl bei Cicero (z. B. nat. deor. 2,140257; Tusc. 1,46258) als auch sehr häufig bei Augustin selbst; vgl. c. acad. 3,11,25: si enim [sc. sensus] vera vigilantibus sanisque r e n u n t i a r u n t ; ibid. 26: Restat ut quaeratur, utrum cum ipsi r e n u n t i a n t , verum r e n u n t i e n t ; ord. 2,11,32: utitur mens gemino n u n t i o pro corporis necessitate: uno qui oculorum est, altero qui aurium; ibid. 34: quod autem per eundem sonum bene significatur, n u n t i o quidem aurium sed ad solam mentem refertur; soliloq. 2,6,12: Atqui oportet patienter feramus, donec nobis caeteri sensus r e n u n t i e n t in veri similitudine habitare falsitatem; conf. 7,17,23: atque ita gradatim a corporibus ad sentientem per corpus animam atque inde ad eius interiorem vim, cui sensus corporis exteriora n u n t i a r e t ; u. ö. 28 quales … eos sui familiares noverunt: Zum Sonderwissen der familiares über die ansonsten verborgenen Eigenheiten eines Menschen vgl. auch c. acad. 2,1,2: multos, ac pene omnes latet [sc. die altitudo mentis des Romanianus]: me autem, et alium, vel tertium, familiarissimos tuos latere non potest. Dazu Fuhrer, Contra Academicos, S. 69. 257 Sensus autem interpretes ac n u n t i i rerum in capite tamquam in arce mirifice ad usus necessarios at facti et conlocati sunt. 258 Die fünf Sinne werden explizit als die quinque n u n t i i bezeichnet.
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31 f donec aliquibus clarioribus factis innotescant: Wiederum eine Bemerkung, die ihre Grundlage möglicherweise im eigenen Erleben Augustins hat. Vgl. supra zu Z. 24 f. Doignon (BAug 4/2, S. 253, Anm. 139) denkt an die Quittierung des Amtes als Rhetor im Herbst 386 (nach den Weinleseferien; siehe conf. 9,2,2; 5,13). Bis dahin hatte Augustin seine Absicht geheim gehalten, obwohl er seine endgültige Entscheidung bereits drei Wochen zuvor getroffen hatte (ibid. 9,2,4). Obwohl er in seinem Inneren bereits die entscheidende Wandlung vollzogen hatte, nahm die Öffentlichkeit dies erst mit einiger Verzögerung wahr. – Ebenso wird man sich an die Bekehrung des Marius Victorinus (siehe conf. 8,2,3–5) erinnern. Von seiner gänzlich im Stillen vollzogenen conversio, die er zunächst lediglich dem Simplicianus non palam sed secretius et familiarius anvertraute (8,2,4), erfuhr das römische Volk erst wesentlich später im Zusammenhang mit dessen Taufe und dem öffentlich – in conspectu sanctae multitudinis - vorgetragenen Glaubensbekenntnis (8,2,5). 32 ne longius abeam: Eine wiederholt verwendete Formel (vgl. c. acad. 1,4,11: ne longius abeam; ibid. 2,10,24: ne longius abeamus), die auch in den Reden und philosophischen Schriften Ciceros häufig begegnet (vgl. S. Rosc. 47: ne longius abeam; Caecin. 95: ne longius abeam; fin. 5,85: aberramus a proposito, et, ne longius, prorsus … placet; u. ö.). 32 f istos adulescentes: Gemeint sind Licentius und Trygetius; zur Bezeichnung adulescens für die beiden Studenten Augustins siehe noch ord. 1,3,6; 11,33; 2,1,2; 10,28; für Licentius allein ord. 1,3,8; 6,15 f; 8,23; zum vermuteten Lebensalter des Letzteren vgl. supra zu 1,2,5, Z. 22. 34 indixisse inimicitias voluptatibus: Auch Cicero gebraucht in prov. 24 die Wendung inimicitias indicere bzw. bellum indicere, allerdings im wörtlichen Sinne: … iis, qui haec omnia flamma ac ferro delere voluerunt, non inimicitias solum sed etiam bellum indixi atque intuli. Noch näher steht Cato 46 – hier kann man sogar an eine augustinische Reminiszenz denken –, wo bellum indicere übertragen und (nota bene!) mit der voluptas als Objekt verwendet wird: Quodsi quem etiam ista delectant (ne animo bellum indixisse videar voluptati cuius est fortasse quidam naturalis modus), non intellego ne in istis quidem ipsis voluptatibus carere sensu senectutem. 34 hanc opinionem: Bezug auf die Gesamtheit der vorhergehenden Ausführungen; gemeint ist die weit verbreitete, doch von Augustin in Zweifel gezogene Ansicht, „es gäbe nur wenig Gute“ (Mühlenberg, Ordnung, S. 309). 35 f illud divinum auxilium, quod … in ultimo sermonis tui posuisti: Rückbezug auf 2,10,28; Alypius hatte zum Schluss seiner kurzen Zwischenbemerkung darauf hingewiesen, dass die Tugend im Leben eines Menschen kaum sine divina ope zu verwirklichen sei. 36 clementiae: Die in der Selbsterniedrigung Christi259 konkret gewordene göttliche „Milde“ (clementia) gilt als der augustinische Vorläufer-Begriff der 259 Zur Offenbarung der clementia dei speziell in der Inkarnation des Gottessohnes vgl. c. acad. 3,19,42; ord. 2,5,16, Z. 37–40.
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II. Kommentar
„Gnade“ (gratia); vgl. supra zu 2,5,16, Z. 39. – Augustin lebt in dem Bewusstsein, es sei das besondere Kennzeichen seiner eigenen Zeit, dass die clementia dei zum ersten Male ihre universale Wirkung entfalten könne und sich nunmehr per universos populos260 (Z. 37) über den gesamten Erdkreis verbreite. Genau dieser Aspekt, nämlich die mit Gottes gnädiger Hilfe erzielte Massenwirkung der christlichen Religion, unterscheide jene von allen vorhergehenden Philosophien, selbst wenn diese – wie im Falle des Platonismus – gerade für den ethischen Bereich durchaus Wahres zu sagen vermochten; siehe den diesbezüglichen Vergleich von Plato und Christus in vera relig. 8–24. 2,11,30: Definition der ratio 1 Ratio est mentis motio ea, quae discuntur, distinguendi et conectendi potens, qua
duce uti ad deum intellegendum vel ipsam quae aut in nobis aut usque quaque est animam rarissimum omnino genus hominum potest non ob aliud, nisi quia in istorum sensuum negotia progresso redire in semet ipsum cuique difficile est. Itaque 5 cum in rebus ipsis fallacibus ratione totum agere homines moliantur, quid sit ipsa ratio et qualis sit, nisi perpauci prorsus ignorant. Mirum videtur, sed tamen se ita res habet. Satis est hoc dixisse in praesentia; nam si vobis rem tantam, sicut intellegenda est, nunc ostendere cupiam, tam ineptus sim quam adrogans, si vel me illam iam percepisse profitear. Tamen quantum dignata est in res, quae nobis notae videntur, pro10 cedere, indagemus eam, si possumus, interim, prout susceptus sermo desiderat.
1 Ratio est mentis motio: Die Umschreibung des Denkvermögens als einer „Bewegung des Geistes“ hat Cicero häufig; der augustinischen Formulierung besonders nahe liegt fin. 4,35: Si est nihil in eo quod perficiendum est praeter m o t u m i n g e n i i q u e n d a m , i d e s t r a t i o n e m , necesse est huic ultimum esse ex virtute agere; rationis enim perfectio est virtus; vgl. daneben auch de orat. 1,113: neque vero istis … scriptoribus artis rationem dicendi et viam, sed naturam defuisse; nam et a n i m i a t q u e i n g e n i c e l e r e s q u i d a m m o t u s esse debent, qui et ad excogitandum acuti et ad explicandum ornandumque sint uberes et ad memoriam firmi atque diuturni; nat. deor. 1,104: Quaero igitur, … deus quid appetat, ad quam denique rem m o t u m e n t i s a c r a t i o n i s utatur, postremo quomodo beatus sit, quomodo aeternus; ibid. 2,32: cui [sc. Platoni] duo placet esse genera m o t u s, unum suum, alterum externum, esse autem divinius, quod ipsum ex se sua sponte m o v e a t u r, quam quod pulsu agitetur alieno. H u n c autem m o t u m i n s o l i s a n i m i s esse ponit ab isque principium motus esse ductum putat; ibid. 3,69: haud scio, an melius fuerit humano generi m o t u m i s t u m c e l e r e m cogitationis, acumen, sollertiam, q u a m r a t i o n e m v o c a m u s, quoniam pestifera est multis, admodum paucis salutaris, non dari omnino quam tam munifice et tam 260 Vgl. die Parallelstelle c. acad. 3,19,42; Augustin spricht in demselben Sinne von einer popularis quaedam clementia. Siehe dazu Th. Fuhrer (Contra Academicos, S. 459), die auf den Anklang und das Verständnis von populus als „Menschheit“ (vgl. Forcellini, 4,737 Nr. 3 f) verweist.
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large dari; Cato 78 (nach Platon, apol. 40B ff): … cumque semper agitetur a n i m u s nec principium m o t u s habeat, quia se ipse m o v e a t , ne finem quidem habiturum esse m o t u s, quia numquam se ipse sit relicturus. Ob Augustin seine hiesige Definition der ratio auch bei Varro261 vorgefunden hat (vgl. P. Alfaric, évolution, S. 442, Anm. 9), ist zwar möglich, letztlich aber Spekulation ohne zwingenden Beweis. – Eine andere berühmte Definition der ratio, welche beim frühen Augustinus mehrfach erscheint, ist die des „geistigen Sehvermögens“ (aspectus animi / animae / mentis);262 vgl. soliloq. 1,6,12: Ego autem ratio ita sum in mentibus, ut in oculis est aspectus; ibid. 13: Aspectus animae ratio est; immort. 10: Ratio est aspectus animi, quo per seipsum, non per corpus verum intuetur; aut ipsa veri contemplatio, non per corpus; aut ipsum verum quod contemplatur; quant. anim. 27,53: ut ratio sit quidam mentis aspectus, ratiocinatio autem rationis inquisitio, id est, aspectus illius, per ea quae aspicienda sunt, motio. Quare ista opus est ad quaerendum, illa ad videndum. Itaque cum ille mentis aspectus, quem rationem vocamus, coniectus in rem aliquam, videt illam, scientia nominatur. 1 distinguendi et conectendi: Die Tätigkeit der Vernunft zerfällt formal in die beiden Grundoperationen des geistigen Zergliederns und des Verknüpfens. Wesentlich differenzierter wird diese Fähigkeit in ord. 2,18,48, Z. 18–24 bestimmt.263 Im dortigen Kontext werden das distinguere (bzw. discernere) und das conectere jeweils auf das – neuplatonisch konnotierte – unum als Denkobjekt bezogen, d. h. auf die Zielgröße einer formal-logischen „Einheit“ von in sich stimmigen, gedanklich widerspruchsfreien Aussagen bzw. Repräsentationen von Wirklichkeit.264 Berücksichtigt man diesen Zusammenhang, so ist die Übersetzung Mühlenbergs für conectere (= „zu einer großen Einheit verknüpfen“; S. 310) nachvollziehbar und gelungen. Die Wiedergabe von distinguere („für sich betrachten“; ibid.) ist jedoch nicht präzise genug; gemeint ist ein „Trennen“ und „Zergliedern“, gewissermaßen ein „logisches Segmentieren“ von solchen geistigen Konstrukten, welche eine „Einheit“ (= Widerspruchsfreiheit und innere Stimmigkeit) lediglich vorspiegeln, obwohl sie kein wirkliches „Eines“ (unum) darstellen, oder zumindest nicht in dem Maße einheitlich sind, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Gunermann (Sprache, S. 178 f) verweist für die hiesige ratio-Definition auf Cicero, nat. deor. 2,147 als (zwar nicht sprachliches, aber zumindest gedankliches) Vorbild: Iam vero animum ipsum mentemque hominis, r a t i o n e m , consilium, prudentiam qui non divina cura perfecta esse perspicit, is his ipsis rebus mihi videtur carere. […] Quo enim tu illa modo diceres, quanta primum intellegentia, deinde consequentium rerum 261 Vgl. den autoreigenen Hinweis auf Varro als Quelle für bestimmte Teile von De ordine in ibid. 2,20,54. 262 Dazu E. Haenchen, Gewißheit, S. 82 ff. 263 Vgl. (u. a.) die dortige Paralleldefinition von ratio als (1) geistige „Bewegung“ und (2) Kraft des Zergliederns und Verknüpfens: Ego quodam meo motu interiore et occulto, ea quae discenda sunt possum discernere vel connectere, et haec vis mea ratio vocatur. – Siehe daneben auch die Bestimmung der ratio in ord. 2,13,38, wo ihr als genuine Aufgabenbereiche das definire, distribuere und colligere zugewiesen werden. 264 Vgl. hierzu ausführlich: Trelenberg, Einheit, S. 93–98.
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II. Kommentar
cum primis c o n i u n c t i o e t c o n p r e h e n s i o esset in nobis; ex quo videlicet iudicamus, quid ex quibusque rebus efficiatur, idque r a t i o n e concludimus s i n g u l a s q u e r e s d e f i n i m u s circumscripteque conplectimur. Mühlenberg (S. 364, Anm. 27) sieht insbesondere eine Nähe zu off. 1,11: Homo autem, quod r a t i o n i s est particeps, per quam consequentia cernit, causas rerum videt earumque praegressus et quasi antecessiones non ignorat, similitudines comparat rebusque praesentibus a d i u n g i t a t q u e a d n e c t i t futuras, facile totius vitae cursum videt ad eamque degendam praeparat res necessarias. Doignon (BAug 4/2, S. 253, Anm. 143) wiederum weist auf fin. 2,45 hin: homines enim, etsi aliis multis, tamen hoc uno plurimum a bestiis differunt, quod r a t i o n e m habent a natura datam mentemque acrem et vigentem celerrimeque multa simul agitantem et, ut ita dicam, sagacem, quae et causas rerum et consecutiones videat et similitudines transferat et d i s i u n c t a c o n i u n g a t et cum praesentibus futura c o p u l e t omnemque complectatur vitae consequentis statum. Wie man deutlich sieht, betont Cicero an allen drei Stellen insbesondere die verbindende und verknüpfende Kraft der Vernunft; hierauf konnte unser Autor zweifellos aufbauen und sich gedanklich anschließen. Ob Cicero jedoch als Vorbild für die explizit „duale Formel“ des Augustinus anzusehen ist, ist eher fraglich. 1 f qua [sc. ratione] duce: Die Vorstellung von der ratio als „Führerin“ des Menschen ist bei Cicero gedanklich vorgebildet. Vgl. fin. 5,43: … virtutum quasi scintillas videmus, e quibus accendi philosophi r a t i o debet, ut e a m quasi deum d u c e m subsequens ad naturae pervenit extremum;265 div. 2,83: … ut ad rem gerendam non superstitionem habeas, sed r a t i o n e m d u c e m . 266 2 f ad deum intellegendum vel … animam: Gott und die Seele zu erkennen, ist das höchste und einzige Ziel augustinischer Gnoseologie. Vgl. ord. 2,18,47: Cuius duplex quaestio est, una de anima, altera de deo; zur berühmten Stelle im Eingangsgebet der soliloquia (1,2,7) siehe supra zu 1,1,3, Z. 37. 2 f ipsam quae aut in nobis aut usque quaque est animam: Unterschieden wird nach neuplatonischem Vorbild (vgl. Enn. 4,3,1) zwischen der Einzelseele und der sog. „Weltseele“. Zur Letzteren siehe die augustinischen Ausführungen in immort. 14 f. 24; epist. 7,7; mus. 6,44; quant. anim. 69; vera relig. 62; rückblickend rezensierend: retr. 1,5,4; 10,4.267 3 rarissimum omnino genus hominum: In der philosophischen Dialogliteratur, namentlich bei Cicero, sind die Hinweise darauf, dass gewisse Erkenntnisse sehr schwer zugänglich und darum nur einer eng begrenzten Anzahl von Menschen vorbehalten seien, so häufig, dass man mit Recht ihr „topisches Gepräge“ (Gunermann, Sprache, S. 221) hervorgehoben hat.268 Die spezielle Wendung 265
Zu fin. 5,43 als mögliches Vorbild für De ordine vgl. auch supra zu 1,7,20, Z. 59. Der Ausdruck dux scheint bei Cicero als erstem Autor de rebus incorporalibus gebraucht zu sein; vgl. Gunermann, Sprache, S. 60 (siehe auch die dort verzeichneten Cicero-Stellen zur sapientia, philosophia und – besonders häufig – der natura als dux). 267 Insbesondere zur augustinischen Konzeption in immort. vgl. W. C. Wolfskeel, Weltseele, S. 81–103. 268 Vgl. die zahlreichen von Gunermann (ebd., S. 219–211) notierten Stellen bei Augustin und Cicero, subsumiert unter den Stichworten difficile, rarum, pauci, usw. (auch in den unter266
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rarum genus erscheint im corpus philosophicum Ciceros insgesamt dreimal (zum Teil wie bei Augustin in einem erkenntnistheoretischen Zusammenhang); div. 1,111: R a r u m est quoddam g e n u s eorum qui … ad divinarum rerum cognitionem rapiantur; off. 1,119: Illud … maxime r a r u m g e n u s est eorum qui … aut eruditione atque doctrina … ornati spatium … deliberandi habuerunt; Lael. 79: Digni … sunt amicitia, quibus in ipsis inest causa cur diligantur. R a r u m g e n u s. Et quidem omnia praeclara rara nec quicquam difficilius quam reperire quod sit omni ex parte in suo genere perfectum. 3 f in istorum sensuum negotia progresso: Die konsequente Abkehr vom Sensualismus ist eine erkenntnistheoretische Forderung, die Augustin – im Anschluss an neuplatonische Quellen – bereits im Proömium eindringlich formuliert hatte; siehe ord. 1,1 f,3.269 Der hiesige Ausdruck in negotia progredi findet sein Korrelat in der Wendung in multa procedere (1,2,3, Z. 43); die negotia [sc. sensuum] stehen für eine rein äußerliche „Betriebsamkeit“ und „Vielbeschäftigung“, die sich in der Sorge um Alltäglichkeiten ergeht und gleichzeitig verhindert, dass der Blick zielbewusst auf das Eine und „Eigentliche“ gerichtet werden kann.270 – Bei der Übersetzung von progredi sollte beachtet werden, dass es in Antithese zum nachfolgenden redire steht. Im Hintergrund steht offenbar die Vorstellung einer in die Sinnenwelt – gleichsam in ein fremdes und gefährliches Terrain271 – „vorgerückten“ Seele, deren einzige Chance in einem „Zurückziehen“ in sich selbst (in semet ipsum; Z. 4), d. h. in die ursprüngliche Heimat der geistigen Welt, besteht. 4 redire in semet ipsum: Die Rückkehr des Menschen zu sich selbst ist nach der Abkehr von den Sinnen der zweite Schritt auf dem Wege der Erkenntnis; vgl. dieselbe Reihenfolge der Forderungen in ord. 1,1,3, Z. 38 f: recedendi a sensibus et animum i n s e i p s u m colligendi.272 Siehe auch die berühmte Stelle vera relig. 202: Noli foras ire, i n t e i p s u m r e d i ; in interiore homine habitat veritas.273 schiedlichsten Verbindungen). Richtig wird gesehen, dass manche Ausdrücke und Wendungen derart formelhaft verwendet werden, dass durch sie lediglich eine Betonung der Größe und Bedeutung des jeweils verhandelten Gegenstandes (im Sinne einer bewussten ) intendiert wird. Im spezifischen Kontext unserer Stelle (Forderung der Abwendung von der sinnlichen Äußerlichkeit, der Rückkehr zu sich selbst) spielt selbstverständlich auch das ausgeprägt elitäre Grund- und Selbstverständnis der Neuplatoniker hinein; vgl. dazu supra zu 1,1 f,3, Z. 44 f und 1,11,32, Z. 33. 269 Siehe insbesondere die Ausführungen supra zu 1,1,3, Z. 38. 270 Vgl. vera relig. 112; der Vielfalt der Beschäftigungen innerhalb der Sinnenwelt, die das Wesen des Menschen zu „zersplittern“ drohen, wird die notwendige geistige Konzentration auf das „Wesentliche“ und „Eigentliche“ (= idipsum) entgegengestellt: Temporalium enim specierum multiformitas ab unitate dei hominem lapsum per carnales sensus diverberavit, et mutabili varietate multiplicavit eius affectum: ita facta est abundantia laboriosa, et, si dici potest, copiosa egestas, dum aliud et aliud sequitur, et nihil cum eo permanet. Sic a tempore frumenti, vini et olei sui multiplicatus est, ut non inveniat idipsum, id est naturam incommutabilem et singularem, quam secutus non erret, et assecutus non doleat. 271 Vgl. Z. 5: in rebus ipsis fallacibus. 272 Dazu supra zu 1,1,3, Z. 37 und 38 f. 273 Zur Stellung der Selbsterkenntnis innerhalb der augustinischen Gnoseologie vgl. die wichtigen Beiträge von F. M. Sladeczek, Die Selbsterkenntnis als Grundlage der Philosophie nach dem hl. Augustinus, in: Scholastik 5 (1930), S. 329–356; M. Stumpf, Selbsterkenntnis und Illumination bei Augustinus, Diss. München 1944; J. Mader, Die logische Struktur des per-
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II. Kommentar
5 in rebus ipsis fallacibus: „im Bereich der sinnlichen Phantasie“ (Mühlenberg, Ordnung, S. 310); „in dieser Welt des trügerischen Scheins“ (Keseling, Weltregiment, S. 180). Augustin meint die sinnlich wahrnehmbare Welt, den sog. (= mundus sensibilis) im Gegensatz zur geistig erfassbaren Sphäre des (= mundus intelligibilis; vgl. ord. 2,19,51, Z. 50). Dass die Körperwelt für den Menschen trügerisch sei, führt Augustin eindrucksvoll in vera relig. 171–175 vor Augen. Jedoch wird die in der Literatur häufig verkürzt dargebotene Aussage corpora mentiuntur (§ 171) der komplexen Sichtweise Augustins nur bedingt gerecht. Die „Schuld“ an den Sinnestäuschungen wird weder den Körpern gegeben, denen ja jeglicher „Wille zur Täuschung“ (voluntas fallendi; § 173) fehle, noch den Sinnesorganen oder der sinnlichen Wahrnehmung selbst, welche der Seele lediglich ihre Eindrücke übermitteln, d. h. nichts mehr als eine gewisse Botenfunktion innehaben. Die Täuschungen der Körperwelt resultieren lediglich daraus, dass der Geist hinsichtlich der übermittelten Eindrücke ein falsches Urteil trifft (malus est iudex; § 174), dass er überhaupt versucht, in der Sinnenwelt die Wahrheit zu finden, welche sich – nach traditionell platonischer Prämisse – lediglich geistig und im Blick auf die göttliche Welt (der Ideen) erfassen lässt. 5 totum: hier gleichbedeutend mit omnia = „Alles“; vgl. die Parallelen für diese Verwendung bei Hensellek, Notabilien, S. 87. 8 ineptus: Gunermann (Sprache, S. 202) verweist auf den signifikanten Gebrauch von ineptus bzw. ineptiae in Ciceros Werk De oratore (vgl. 1,111 f. 209; 2,17 f) und formuliert im Hinblick auf den ciceronischen Dialog: „Mit ‚ineptus‘ und ‚ineptiae‘ – beide Wörter sind schwer übertragbar – bezeichnet er [Cicero; Vf.] das, was dem Tone der Urbanität in der Gesprächsführung widerspricht. […] Die Feststellung, daß das ‚ineptum‘ oder die ‚ineptiae‘ im Gespräch zu meiden sei, ist ein Topos der dialogischen Gestaltung, der Urbanität betont.“ Dieser Topos ist zweifellos auch hier mitzudenken: Denn in der Tat widerspräche es einer feinen Geistesart, wenn jemand, der das Wesen der ratio noch nicht vollständig erfasst hat (nämlich Augustinus selbst: Z. 8 f), sich aufschwingen wollte, andere darüber zu belehren. 8 f adrogans, si vel me illam iam percepisse profitear: Zu dem Umstand, dass der Augustin von Cassiciacum sich wiederholt als (noch) nicht weise bezeichnet, vgl. supra zu 1,5,13, Z. 18 f (s. v.: ego in philosophia puer sum). 9 res, quae nobis notae videntur: Die Untersuchung soll sich nach dem Willen Augustins nicht in den „sublimen Höhen der Philosophie“ bewegen, sondern sich zunächst auf Gegenstände beziehen, die aus dem Alltag bekannt sind. Überall, auch in den scheinbar unbedeutenden Zusammenhängen zeige sich, so die sonalen Denkens. Aus der Methode der Gotteserkenntnis bei Aurelius Augustinus, Wien 1965; A. Schöpf, Wahrheit und Wissen. Die Begründung der Erkenntnis bei Augustin, München 1965; E. Booth, St. Augustine’s „notitia sui“ Related to Aristotle and the Early Neo-Platonists, in: Augustiniana 27 (1977), S. 70–132. 364–401; 28 (1978), S. 183–221; 29 (1979), S. 97–124; B. Stock, Augustine the reader. Meditation, self-knowledge, and the ethics of interpretation, Cambridge 1998.
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latente Prämisse, das Walten der Vernunft (ratio). Vgl. die ähnliche Forderung in 2,18,47: Man solle „bodenständige Philosophie“ betreiben und seine Erkenntnisse erwerben nondum in illa summa lege summoque ordine rerum omnium, sed in his, quae cotidie passim sentimus atque agimus (Z. 6 f). 10 susceptus sermo: Augustins sprachliches Vorbild Cicero hat den speziellen Ausdruck sermo suscipere in leg. 1,13: In longum sermonem me vocas …, quem … suscipiam …; weitere ähnliche Wendungen aus den ciceronischen philosophica bei Gunermann, Sprache 212 f. 2,11,31: Der Mensch – ein vernunftbegabtes Lebewesen Ac primum videamus, ubi hoc verbum, quod ratio vocatur, frequentari solet; nam illud nos movere maxime debet, quod ipse homo a veteribus sapientibus ita definitus est: homo est animal rationale mortale. Hic genere posito, quod animal dictum est, videmus additas duas differentias, quibus credo admonendus erat homo, et quo sibi 15 redeundum esset et unde fugiendum. Nam ut progressus animae usque ad mortalia lapsus est, ita regressus esse in rationem debet; uno verbo a bestiis, quod rationale, alio a divinis separatur, quod mortale dicitur. Illud igitur nisi tenuerit, bestia erit, hinc nisi se averterit, divina non erit. Sed quoniam solent doctissimi viri, quid inter rationale ac rationabile intersit, acute subtiliterque discernere, nullo modo est ad id 20 quod instituimus neglegendum. Nam rationale esse dixerunt, quod ratione uteretur vel uti posset, rationabile autem, quod ratione factum esset aut dictum. Itaque has balneas rationabiles possumus dicere nostrumque sermonem, rationales autem vel illum, qui has fecit, vel nos, qui loquimur. Ergo procedit ratio ab anima rationali scilicet in ea, quae vel fiunt rationabilia vel dicuntur.
13 homo est animal rationale mortale: Die augustinische Definition des Menschen ist Traditionsgut274 und erscheint in ähnlicher Form bereits bei Cicero, ac. 2,21: Si homo est, animal est mortale, rationis particeps. Sie ist auch bei Quintilian rezipiert; vgl. z. B. inst. 5,10,56: Homo est animal … mortale … rationale. 13 f Hic genere posito, quod animal dictum est, videmus additas duas differentias: „Hier sehen wir der Gattungsbestimmung als Lebewesen zwei Unterscheidungsmerkmale hinzugefügt“.275 Zur Unterscheidung zwischen dem übergeordneten Gattungsbegriff und dessen (Unter-)Arten in der Theorie der antiken Dialektik (= Logik) vgl. z. B. die Terminologie Ciceros, welcher dem genus verschiedene partes zuordnet (orat. 1,42,189): Genus autem id est, quod sui similis communione quadam, specie autem differentis, duas aut pluris complectitur partis; 274 Als solches – mit Hinweis auf „die Alten“ – wird es dem Leser ausdrücklich in trin. 15,7,11 präsentiert: Homo est enim sicut ueteres definierunt animal rationale, mortale. 275 Während die beiden Übersetzungen von Keseling (Weltregiment, S. 180) und Perl (Ordnung, S. 66) den Sinn richtig erfassen, verkennt die Übersetzung Mühlenbergs (Ordnung, S. 310: „auf sich selbst beruhen lassen“), dass mit ponere ein terminus technicus der Dialektik verwendet wird und hier im Sinne von „bestimmen“, „festlegen“ oder „definieren“ zu verstehen ist. Vgl. Doignon (BAug 4/2, S. 257): „un fois établi le genre qu’on appelle animal“.
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II. Kommentar
partes autem sunt, quae generibus eis, ex quibus manant, subiciuntur. Quintilian unterscheidet – ebenfalls am Beispiel der Definition des „Menschen“ – zwischen dem genus und seinen species (inst. 5,10,56): Itaque a genere perveniendum est ad ultimam speciem, ut ‚homo est animal‘ non est satis, id enim genus est: ‚mortale‘++etiam si est species, cum aliis tamen communis finitio: ‚rationale‘++nihil supererit ad demonstrandum quod velis. Noch präziser diversifiziert Quintilian in inst. 7,3,3; die dortigen Bestimmungen stehen der augustinischen Klassifizierung – inhaltlich wie terminologisch – sehr nahe: Constat maxime, sicut est dictum, genere specie differentibus propriis: ut si finias equum (noto enim maxime utar exemplo), genus est animal, species mortale, differens inrationale (nam et homo mortale erat), proprium hinniens. 15 redeundum … fugiendum: Das „Fliehen“ und „Zurückkehren“ erinnert, wie Keseling (Weltregiment, S. 243) zu Recht bemerkt, an den Schluss des plotinischen Traktats (1,6,8),276 wo mehrfach von einer „Flucht“ ( ) als Rückkehr ins „Vaterland“ ( ) gesprochen wird; siehe z. B. das dortige Homerzitat (Il. 2,14; 9,27; vgl. Od. 10,269) , welches ausdrücklich als eine an den Menschen adressierte „Mahnung“ ( ; vgl. Z. 14: admonendus) angeführt wird. 15 f ut progressus animae usque ad mortalia …, ita regressus … in rationem: Sehr deutlich stehen neuplatonische Vorstellungen von der „irdischen Seelenreise“ (hier: progressus) im Hintergrund. Dem ontologischen Abstieg der individuellen (anima) aus dem Reiche der Ideen und des Geistes bis hinein in die Körperwelt (mortalia) entspricht – im günstigen Fall – ihr gnoseologischer Aufstieg bzw. ihre Rückkehr (regressus), nämlich falls es ihr gelingt, sich von aller materiellen Kontamination zu lösen, sich ihrer geistigen Heimat zu erinnern = ratio) zu und ihren Blick wieder ungetrübt auf den Ursprung ihrer selbst ( richten. Dieses Schema des Ab- und Aufstiegs der Seele ist für neuplatonisches Denken grundlegend, insbesondere jedoch erinnert der spezielle Ausdruck regressus animae an den gleichnamigen Titel der Porphyrios-Schrift,277 deren Kenntnis (u. a.) B. R. Voss auch für den frühen Augustin wahrscheinlich gemacht hat.278 Th. Fuhrer (Contra Academicos, S. 200; mit Hinweis auf O’Meara, Philosophy, S. 130) unterscheidet bei Augustin zwischen einer „asketischen Rückkehr“ der Seele „zu ihrem Ursprung / zu sich selbst / ins Vaterland zu Gott“ und einer „eschatologischen Rückkehr“ der Seele „nach dem Tod ‚in den Himmel‘“. Für beide Arten der Seelen-Rückkehr werden platonische Prämissen namhaft gemacht und der regressus in rationem an unserer Stelle wird der erstgenannten zugeordnet. Allerdings enthält die unmittelbar vorhergehende Formulierung progressus animae usque ad mortalia lapsus est deutliche Implikationen in Richtung 276 Zu Augustins Kenntnis von Plotin I 6 (wahrscheinlich in der Übersetzung des Marius Victorinus) siehe infra Ergebnis 4. 277 Vgl. die aufschlussreiche Besprechung inhaltlicher Aspekte von De regressu animae durch Augustin in civ. 10,29.32; 12,27. 278 B. R. Voss, Spuren von Porphyrios „De regressu animae“ bei Augustinus „De vera religione“, in: Museum Helveticum 20, 1963, S. 273–239.
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eines praeexistenten Vorgangs, sodass die Interpretation des regressus (welcher im augustinischen Sinne dem progressus gleichsam als „Umkehrfunktion“ entsprechen soll; vgl. ut – ita) als eine rein innerweltliche Angelegenheit problematisch erscheint. Ein völliger Ausschluss der eschatologischen Komponente erscheint hier nicht angemessen und es ist fraglich, ob eine so scharfe Unterscheidung (asketische vs. eschatologische Rückkehr) für den Augustin von Cassiciacum überhaupt sinnvoll ist. 16 lapsus est: Mit Keseling (Weltregiment, S. 243279) und gegen Doignon (BAug 4/2, S. 257, Anm. 150) ist der hier angesprochene „Fall der Seele“ durchaus im plotinischen Sinne zu deuten. Denn es ist sehr deutlich an den Abstieg einer präexistenten Seele aus der ewigen in die vergängliche Welt (usque ad mortalia; Z. 15) gedacht; vgl. Enn. 1,8,14; 4,3,9 ff; 5,1,1. Die Stelle ist in Verbindung mit verwandten Aussagen innerhalb des augustinischen Frühwerks zu sehen, welche in eindeutiger Weise die platonische Provenienz der augustinischen Psychologie bezeugen; vgl. soliloq. 1,14,24 (das Irdische als „Leimrute“, „Finsternis“ und „Gefängnis“ der Seele); mor. eccl. 22,40 f (der Körper als „Fessel“ der Seele); c. acad. 1,3,9; epist. 7,5. Siehe auch supra zu 2,9,26, Z. 19. – Dagegen ist in den späteren Schriften der Bezug auf den biblischen Sündenfall evident und mitunter explizit hergestellt; vgl. mus. 6,7.14.30.33; quant. anim. 80 f; gen. c. Man. 2,22 ff; lib. arb. 3,172 ff.280 16 f uno verbo a bestiis, quod rationale, alio a divinis separatur, quod mortale dicitur: Dass der Mensch sich durch den Vernunftbesitz von den Tieren unterscheidet, wird explizit auch bei Cicero gesagt; off. 1,11: sed i n t e r h o m i n e m e t b e l u a m hoc maxime interest, quod haec tantum, quantum sensu movetur, ad id solum, quod adest quodque praesens est, se accomodat, paulum admodum sentiens praeteritum aut futurum. H o m o autem, quod r a t i o n i s e s t p a r t i c e p s, per quam consequentia cernit, causas rerum videt …, facile totius vitae cursum videt; vgl. Tusc. 1,80: … i n b e s t i i s, quarum animi sunt r a t i o n i s e x p e r t e s ; zur Mittelstellung des Menschen zwischen Tieren und Gott bzw. Göttern siehe neben Tusc. 1,66 auch Lactantius, De ira dei 14 und Plotin, Enn. 3,2,8.281 18 f quid inter rationale ac rationabile intersit: Nach Augustin wird mit rationale das Subjekt des vernünftigen Handelns bestimmt (= „vernunftbegabt“), mit rationabile das Objekt und Ergebnis des Vernunftgebrauchs (= „vernunftgemäß“). – Für die spezielle Differenzierung vgl. Plotin, Enn. 6,7,4, wo (im Sinne von rationabile) von (im Sinne von rationalis esse = „vernunftbegabt sein / handeln“) unterschieden wird; vgl. Doignon, BAug 4/2, S. 259, Anm. 153 (mit Hinweis auf Perez Paoli, Begriff, S. 150). 21 f has balneas: Das philosophische Gespräch, welches am Morgen noch auf der Wiese stattfand (ord. 2,1,1), wurde am Nachmittag wegen der schlechten Witterung im Badehaus fortgesetzt; ord. 2,6,19, Z. 18 f: At ubi refecimus corpora, 279
Mit Hinweis auf Hofmann, Kirchenbegriff, S. 32. Dazu Nörregaard, Bekehrung, S. 186 f. 281 E. Norden (Agnostos Theos, S. 105 ff) macht Poseidonios als Quelle namhaft. 280
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II. Kommentar
quoniam caelum obduxerat nubes, solito loco in balneo consedimus. Zur Lage, Architektur und Nutzung des Badehauses vgl. supra zu 1,8,25, Z. 58 f. 23 f procedit ratio ab anima rationali … in ea, quae vel fiunt rationabilia vel dicuntur: Mit einiger Wahrscheinlichkeit basiert Augustins Satz auf Plotin, Enn. 3,2,2: [ ] In der dem Augustinus vorliegenden lateinischen Übersetzung (des Marius Victorinus?!) mag der plotinische mit ratio, der mit anima rationalis und das mit procedere wiedergegeben worden sein. 2,11,32: Vernunftgemäße Sinneswahrnehmung? 25 Duo igitur video, in quibus potentia visque rationis possit ipsis etiam sensibus admo-
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veri, opera hominum, quae videntur, et verba, quae audiuntur. In utroque autem utitur mens gemino nuntio pro corporis necessitate, uno, qui oculorum est, altero aurium. Itaque cum aliquid videmus congruentibus sibi partibus figuratum, non absurde dicimus rationabiliter apparere, itemque, cum aliquid bene concinere audimus, non dubitamus dicere, quod rationabiliter sonat. Nemo autem non rideatur, si dixerit: ‚rationabiliter olet‘ aut ‚rationabiliter sapit‘ aut ‚rationabiliter molle est‘ nisi forte in his, quae propter aliquid ab hominibus procurata sunt, ut ita olerent vel saperent vel ferverent vel quid aliud, ut, si quis locum, unde gravibus odoribus serpentes fugantur, rationabiliter dicat ita olere causam intuens, quare sit factum, aut poculum, quod medicus confecerit, rationabiliter amarum esse vel dulce, aut quod temperari languido solium iusserit, calere rationabiliter aut tepere. Nemo autem hortum ingressus et rosam naribus admovens audet ita laudare: quam rationabiliter fragrat! nec si medicus illam, ut olfaceret, iusserit – tunc enim praeceptum vel datum illud rationabiliter, non tamen olere rationabiliter dicitur – nec propterea, quia naturalis ille odor est. Nam quamvis a coco pulmentum condiatur, rationabiliter conditum possumus dicere, rationabiliter autem sapere, cum causa extrinsecus nulla sit sed praesenti satisfiat voluptati, nullo modo ipsa loquendi consuetudine dicitur. Si enim quaeratur de illo, cui poculum medicus dederit, cur id dulciter sentire debuerit, aliud infertur, propter quod ita est, id est morbi genus, quod iam non in illo sensu est sed aliter sese habet in corpore. Si autem rogetur ligurriens aliquid gulae stimulo concitatus, cur ita dulce sit, et respondeat: ‚quia libet‘ aut ‚quia delector‘, nemo illud dicet rationabiliter dulce, nisi forte illius delectatio alicui rei sit necessaria et illud, quod mandit, ob hoc ita confectum sit.
27 nuntio: Zur sog. „Botenfunktion“ der Sinne – in der Tradition schon vor Augustin verankert – siehe supra zu 2,10,29, Z. 27. 29–31 rationabiliter apparere … rationabiliter sonat … rationabiliter olet … rationabiliter sapit … rationabiliter molle est: Die Fünfzahl der Sinne gilt bei Augustin wie bei anderen antiken Autoren geradezu axiomatisch. Darüber hinaus ist auch die Reihenfolge ihrer Aufzählung – zumindest bei Augustinus –
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genormt: Das Sehen (videre) erscheint immer in der Spitzenposition, das Hören (audire) an zweiter Stelle, nach dem Riechen (olfacere) und dem Schmecken (gustare) folgt zum Schluss regelmäßig das Berühren (tangere); vgl. z. B. quant. anim. 41: Sensus esse quinque audire soleo, videndi, audiendi, olfaciendi, gustandi atque tangendi; siehe auch lib. arb. 2,25; trin. 15,5; epist. 147,7. Die Vorrangstellung des Gesichts- und Gehörsinnes282 hat an unserer Stelle einen tieferen Grund, der in einer besonderen Affinität zur Wirkung der ratio begründet liegt: Den Gegenstand einer visuellen oder auditiven Wahrnehmung kann man – nach Augustinus – durchaus „vernunftgemäß“ (rationabilis) nennen, z. B. einen symmetrischen Körper oder harmonische Klänge. Ungewöhnlich wäre es jedoch, wollte man von einem Gegenstand sagen, dass er „vernunftgemäß“ dufte, schmecke oder sich anfühle. 29 f cum aliquid bene concinere audimus, non dubitamus dicere, quod rationabiliter sonat: Sehr ähnlich äußert sich Plotin in seiner – von Augustin für die Abfassung von De ordine stark benutzten – ersten Vorsehungsschrift ( ’); die Voraussetzung dafür, dass hohe und tiefe Töne einen schönen Zusammenklang ( ) erzeugen, ist das durch sie gebildete rationale Verhältnis ( ): (Enn. 3,2,16). 32 propter aliquid: Der Grundgedanke das Abschnitts besteht darin, dass visuell und auditiv wahrgenommene Erscheinungen als an und für sich vernunftgemäß (rationabilis) bezeichnet werden können, während Objekte der anderen drei Wahrnehmungsarten nur in Abhängigkeit als „vernünftig“ gelten können, nämlich wenn sie einen übergeordneten, außer ihrer selbst liegenden Zweck erfüllen. Die Beispiele wirken ein wenig gesucht: Als rationabilis wird der Gestank bezeichnet, der an einem bestimmten Ort die Schlangen vertreiben soll (Z. 33 f); ebenso der bitter oder süß schmeckende Trank, den der Arzt zur Genesung des Kranken verordnet hat (Z. 34 f); das aus demselben Grund verschriebene heiße bzw. warme Badewasser (Z. 35 f) sowie der ärztlich empfohlene Rosenduft (Z. 36–40); auch von einer Speise könne man allenfalls sagen, sie sei „vernünftig“ gewürzt, dass sie vernunftgemäß schmecke, entspreche nicht dem Sprachgebrauch (Z. 40–42). Erst im Hinblick auf den übergeordneten Zweck – z. B. die Gesundheit des Menschen – sei man in der Lage zu entscheiden, ob ein mittels Geruchs-, Geschmacks- oder Tastsinn wahrgenommenes Objekt als rationabilis gelten könne. – Sprachlich ist Augustin, um seine „Abhängigkeitstheorie“ zu verdeutlichen, recht variabel: Etwas müsse propter aliquid (Z. 32) eingerichtet sein, das quare (Z. 34), das cur (Z. 43; Z. 46) und das propter quod (Z. 44) müsse ersichtlich sein, ein bestimmter Grund müsse extrinsecus (Z. 41) hinzutreten bzw. eine Sache alicui rei … necessaria (Z. 47) sein.
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Siehe auch Plotin, Enn. 1,6,1.
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II. Kommentar
36 solium: Nicht etwa ein „Sessel“ (Übs. Keseling) ist für den Kranken anzuwärmen, sondern – nachklassisch z. B. bei Livius und Petron mehrfach belegt – das „Bad“ bzw. „Badewasser“ (so richtig Perl und Mühlenberg; vgl. Doignon: „bain“). 41 f cum causa extrinsecus nulla sit sed praesenti satisfiat voluptati: Doignon (BAug 4/2, S. 263, Anm. 157) sieht in den hiesigen Ausführungen einen Ansatz für das bekannte augustinische usus / fruitio-Schema283 (vgl. ausführlich doctr. christ. 1,4,4; civ. 11,25). Diese Beobachtung gilt selbstverständlich nur auf einer sehr allgemeinen, formallogischen Ebene, nämlich in dem Sinne, dass Augustin hier – am Beispiel des Würzens eines Stückes Fleisch – eine Unterscheidung zwischen dem augenblicklichen Genuss um seiner selbst willen und einem Nutzen für einen anderen, außerhalb liegenden Zweck vornimmt. – Zu den einschlägigen Stellen bei Augustin, auch zum klassischen Hintergrund dieser Vorstellung vgl. supra zu 2,2,6, Z. 52. 47 dicet: [licet ist Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 47 rationabiliter: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 47 rationabiliter dulce: Dass es eine Paradoxie sei, wenn man über „geschmacklich Angenehmes“ nicht mittels sinnlicher Wahrnehmung (sensu), sondern mittels der Vernunft (ratione) urteilen wollte, findet bereits bei Cicero Erwähnung (fin. 2,91); vgl. den dortigen Vorwurf an die Epikureer: cui vero in voluptate summum bonum est, huic omnia sensu, non ratione sunt iudicanda, eaque dicenda optima, quae sint suavissima. 2,11,33: Maßverhältnisse als Spuren der Vernunft Tenemus, quantum investigare potuimus, quaedam vestigia rationis in sensibus et, 50 quod ad visum atque auditum pertinet, in ipsa etiam voluptate. Alii vero sensus non
in voluptate sua sed propter aliquid aliud solent hoc nomen exigere, id autem est rationalis animantis factum propter aliquem finem. Sed ad oculos quod pertinet, in quo congruentia partium rationabilis dicitur, pulchrum appellari solet, quod vero ad aures, quando rationabilem concentum dicimus cantumque numerosum rationabi55 liter esse conpositum, suavitas vocatur proprio iam nomine. Sed neque in pulchris rebus, quod nos color inlicit, neque in aurium suavitate, cum pulsa corda quasi liquide sonat atque pure, rationabile illud dicere solemus. Restat ergo, ut in istorum sensuum voluptate id ad rationem pertinere fateamur, ubi quaedam dimensio est atque modulatio.
49 investigare: Das Aufspüren bzw. Verfolgen von „Spuren“ (vestigia; Z. 49) ist ein Bild, welches ursprünglich im Bereich des Kriminal- und Jagdwesens anzusiedeln ist284 und nunmehr im übertragenen Sinne auch auf philosophische 283 Dazu R. Lorenz. Die Herkunft des augustinischen Frui Deo, in: ZKG 64, 1952 f, S. 34–60. 284 Dazu H. H. Gunermann, Sprache, S. 163.
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Sachverhalte angewandt wird.285 Objekt der philosophischen Suche sind in diesem Falle die konkreten Manifestationen der Vernunft (ratio) in der Sinnenwelt. 49 vestigia rationis: Das vestigium ist in den augustinischen Frühschriften, besonders in De vera religione,286 ein charakteristischer Begriff für die Bezeichnung der genuin platonischen Vorstellung, dass die Fülle und Macht der oberen, geistigen (Ideen-)Welt weit in die abbildhafte Sphäre des Irdisch-Körperlichen hineinragt.287 Siehe auch die Parallelstelle in ord. 2,15,43, Z. 15 f, wo das vestigium in expliziter Juxtaposition mit der umbra steht, einem ebenfalls für das platonische Urbild / Abbild-Verhältnis höchst signifikanten Begriff. 51 propter aliquid: Wiederaufnahme des zentralen Gedankengangs des vorhergehenden Abschnitts; siehe supra zu 2,11,32, Z. 32 (s. v. propter aliquid). 53 congruentia partium … pulchrum appellari solet: Die „Übereinstimmung der Teile“ eines Körpers, im Idealfalle dessen Symmetrie, ist nach den Vorstellungen der traditionellen stoischen Maßästhetik der Inbegriff von Schönheit; vgl. Cicero, off. 1,98: Ut enim pulchritudo corporis apta compositione membrorum movet oculos et delectat hoc ipso, quod inter se omnes partes cum quodam lepore consentiunt …; Tusc. 4,31: ut corporis est quaedam apta figura membrorum cum coloris quadam suavitate eaque dicitur pulchritudo …; dagegen lehnt der Neuplatoniker Plotin die Symmetriethese dezidiert ab (vgl. Enn. 1,6,1 f): Wenn Schönheit auf Symmetrie beruhe, dann könne es kein einfaches, sondern nur ein zusammengesetztes ( ) Schönes geben; doch sei evident, dass eine große Anzahl „einfacher Schönheiten“ existiere, z. B. schöne Farben, das Licht der Sonne, alles Gold, der einzelne Ton. Zudem seien insbesondere die zusammengesetzten Schönheiten der Veränderung unterworfen; so erweise sich ein und dasselbe Antlitz eines Menschen, selbst wenn sich seine symmetrischen Züge nicht änderten, mal als schön, mal als weniger , schön. Nach Plotin ist dies der klare Beweis, dass das Schöne d. h. „neben“ bzw. „oberhalb des Symmetrischen“, anzusiedeln sei und dass das Symmetrische nicht aus sich selbst, sondern erst durch ein anderes ( ) seine Schönheit erhalte. Die empfundene Schönheit bei Körpern basiere darauf, dass diese an der Idee ( ) partizipierten; sie seien desto schöner, je mehr sich in ihnen die Idee, die per definitionem einheitlich als auch schön ist, verwirkliche und je mehr die abbildhafte Schönheit eines Körpers mit seinem geistigen Urbild übereinstimme. – Augustin selbst, der den Plotin-Traktat gekannt hat,288 versucht eine „Synthese beider Auffassungen“289 herzustellen: 285 Geradezu als „stehende Wendung“ erscheint in c. acad. das „Aufspüren der Wahrheit“ (investigare veritatem bzw. investigatio veritatis); siehe 1,2,6; 1,3,7 (2 x); 1,3,9; 1,5,14; vgl. 3,20,43; 3,3,6. 286 Vgl. vera relig. 115; 168 f; 211; 220; 224. 287 Siehe die vergleichbare Verwendung von in den platonischen Dialogen, z. B. rep. ; polit. 2,365 d: 290 d: … . 288 Siehe infra zu Ergebnis 4. 289 Siehe Keseling, Weltregiment, S. 244.
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II. Kommentar
Einerseits greift er in seiner positiven Rezeption der Symmetriethese290 sichtbar hinter Plotin auf die alte (stoische) Maßästhetik zurück,291 zum anderen erkennt er den ästhetischen Wert der plotinischen „einfachen Schönheiten“ an (Z. 56: die schöne Farbe; Z. 56 f: der schöne Ton), ohne ihnen jedoch das Attribut rationabile zusprechen zu können. 54 rationabilem concentum: Wie Augustin so handelt auch Plotin in Enn. 1,6,3 zunächst von der Schönheit visueller Erscheinungen und im Anschluss daran von den Harmonien der Töne, welche – zwar nicht im ideellen, jedoch ) unterworfen seien. im sinnlichen Bereich – dem Maß ( 55 proprio iam nomine: Vgl. Cicero, de orat. 2,222: nam ea dicta appellantur proprio iam nomine. Hier wie dort ist das iam wohl nicht determinativ, sondern im temporalen Sinne („heute bereits“) zu deuten; vgl. Hensellek, Notabilien, S. 97. 55 f in pulchris rebus, quod nos color inlicit: Eine traditionelle stoische Definition bestimmt die Schönheit eines Körpers als ein Zusammentreffen zweier Faktoren, nämlich eines harmonisch gestalteten Körperbaus in Verbindung mit einer schönen Farbe; vgl. Cicero, Tusc. 4,31: corporis est quaedam apta figura membrorum c u m c o l o r i s q u a d a m s u a v i t a t e eaque dicitur pulchritudo. Augustin kennt diese Definition, denn er zitiert sie in epist. 3,4: Schönheit basiere auf einer congruentia partium c u m q u a d a m c o l o r i s s u a v i t a t e (inhaltlich ähnlich auch vera relig. 217). – Bei Plotin Enn. 1,6,3 ist die Farbe (des Feuers) Inbegriff für eine „einfache“ Schönheit, welche sogar den Rang einer Idee einnimmt. Als solche ist sie nicht den Gesetzen des Maßes unterworfen, welche nur für die „zusammengesetzten“ Schönheiten ihre Gültigkeit haben. Offenbar im Bewusstsein dieser plotinischen Unterscheidung trennt auch Augustin scharf zwischen dem nicht-rationalen Reiz der schönen Färbung (color; Z. 56) und einem solchen der räumlich-rationalen dimensio (Z. 58). 58 f id ad rationem pertinere …, ubi quaedam dimensio est atque modulatio: Augustin legt Wert darauf, dass die ratio im sinnlichen Bereich sich dort entfalte, wo im weitesten Sinne „Messbares“ zu finden sei. Dies gilt sowohl innerhalb räumlicher Koordinaten (die dimensio kann gut – mit Keseling – als „Symmetrie“ gefasst werden; vgl. Z. 53: congruentia partium), als auch im zeitlichen Sinne (die modulatio ist – mit Mühlenberg – als „Rhythmus“ zu verstehen; vgl. Z. 54: cantumque numerosum). Dies aber bedeutet: Wenn sich Messbares in denjenigen Dingen befindet, die entweder eine räumliche oder aber zeitliche Ausdehnung besitzen, kann auch die ratio lediglich in sog. „zusammengesetzten“ Schönheiten wirken (vgl. die signifikante Wortwahl; Z. 53: con-gruentia; Z. 54: con-centum; Z. 55: con-positum). 290 Vgl. besonders klar vera relig. 151: convenientia …, qua una salva et pulchra sunt omnia; siehe auch epist. 3,4, wonach körperliche Schönheit auf einer congruentia partium cum quadam coloris suavitate (Formulierung nach Cicero, Tusc. 4,31!) basiere. Weitere Stellen: gen. c. Man. 1,16,26; vera relig. 217; u. ö. 291 Dazu Trelenberg, Einheit, S. 34–37.
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2,11,34: Die nur dem Geiste zugängliche Symbolik 60 Itaque in hoc ipso aedificio singula bene considerantes non possumus non offendi,
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quod unum ostium videmus in latere, alterum prope in medio nec tamen in medio collocatum. Quippe in rebus fabricatis nulla cogente necessitate iniqua dimensio partium facere ipsi aspectui velut quandam videtur iniuriam. Quod autem intus tres fenestrae, una in medio, duae a lateribus paribus intervallis solio lumen infundunt, quam nos delectat diligentius intuentes quamque in se animum rapit! Manifesta res est nec multis verbis vobis aperienda. Unde ipsi architecti iam suo verbo rationem istam vocant et partes discorditer conlocatas dicunt non habere rationem. Quod late patet ac paene in omnes artes operaque humana diffunditur. Iam in carminibus, in quibus item dicimus esse rationem ad voluptatem aurium pertinentem, quis non sentiat dimensionem esse totius huius suavitatis opificem? Sed histrione saltante cum bene spectantibus gestus illi omnes signa sint rerum, quamvis membrorum numerosus quidam motus oculos eadem illa dimensione delectet, dicitur tamen rationabilis illa saltatio, quod bene aliquid significet et ostendat excepta sensuum voluptate. Non enim, si pinnatam Venerem faciat et Cupidinem palliatum, quamvis id mira membrorum motione atque conlocatione depingat, oculos videtur offendere sed per oculos animum, cui signa rerum illa monstrantur; nam oculi offenderentur, si non pulchre moveretur. Hoc enim pertinebat ad sensum, in quo anima eo ipso, quod mixta est corpori, percipit voluptatem. Aliud ergo sensus, aliud per sensum; nam sensum mulcet pulcher motus, per sensum autem animum solum pulchra in motu significatio. Hoc etiam in auribus facilius advertitur; nam quicquid iocunde sonat, illud ipsum auditum libet atque inlicit; quod autem per eundem sonum bene significatur, nuntio quidem aurium sed ad solam mentem refertur. Itaque cum audimus illos versus: quid tantum Oceano properent se tinguere soles / hiberni vel quae tardis mora noctibus obstet, aliter metra laudamus aliterque sententiam nec sub eodem intellectu dicimus: ‚rationabiliter sonat‘ et ‚rationabiliter dictum est‘.
61 unum ostium … in latere, alterum prope in medio: Zu Aussehen und Lage des Badehauses siehe die detaillierten Angaben bei Perler / Maier, voyages, S. 185 f. Vgl. auch supra zu 1,8,25, Z. 58 f. 63 iniuriam: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 63 f tres fenestrae … paribus intervallis: Auch in vera relig. 149 benutzt Augustin das Beispiel der drei Fenster zum Aufweis des am Gleichmaß orientierten ästhetischen Empfindens: In tribus autem [sc. fenestris] sensus ipse videtur expetere ut aut inpares non sint aut inter maximam et minimam ita sit media ut tanto praecedat minorem quanto a maiore praeceditur. Svoboda (ésthétique, S. 108) sieht keine literarische Vorlage für den Fenstervergleich und vermutet originale Gedanken Augustins: „… l’observation sur la disposition des fenêtres dans un bâtiment … est très juste et pourrait être originale.“ 64 solio lumen infundunt: Keseling (Weltregiment, S. 211) konjiziert solis statt solio und übersetzt „das Sonnenlicht hineinlassen“ (S. 183). Doch besteht kein zwingender Grund an der handschriftlichen Überlieferung zu zweifeln; so-
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II. Kommentar
lium steht hier okkasionell für „Badebecken“292 bzw. metonymisch für das „Bad“ und man kann – beispielsweise – mit Mühlenberg (Ordnung, S. 314) übersetzen: „das Licht … in den Baderaum einfallen lassen“; vgl. ähnlich Doignon (BAug 4/2, S. 267): „répandent la lumière dans le bain“. 66 f ipsi architecti iam suo verbo rationem istam vocant: Vgl. Vitruv 6,2,1: Nulla architecto maior cura esse debet, nisi uti proportionibus ratae partis habeant aedificia rationum exactiones. Cum ergo constituta symmetriarum ratio fuerit et conmensus ratiocinationibus explicati, tum etiam acuminis est proprium providere ad naturam loci aut usum aut speciem, adiectionibus temperaturas efficere, cum de symmetria sit detractum aut adiectum, uti id videatur recte esse formatum in aspectuque nihil desideretur. 66 iam: Auch an dieser Stelle ist iam im temporalen Sinne zu verstehen; siehe supra zu 1,11,33, Z. 55. 66/67 rationem: Die ratio hat eine schleichende semantische Mutation erfahren; musste man sie ursprünglich im allgemein-philosophischen Sinne als „Vernunft“ fassen (vgl. z. B. 2,9,26, Z. 3 ff), so bezeichnet sie hier als konkretmathematischer terminus technicus das auf Symmetrie beruhende „richtige Maßverhältnis“. 69 ad voluptatem aurium: Eine Wendung, die der ehemalige Rhetor Augustin – wie Gunermann (Sprache, S. 164) zeigt – aus den ciceronischen Rhetorica kennt; vgl. de orat. 1,259: A quibus … nihil praeter v o l u p t a t e m a u r i u m quaeritur, in iis offenditur atque imminuitur aliquid de voluptate; ibid. 3,177: … [orationis genus] a d o m n e m a u r i u m v o l u p t a t e m et animorum motum mutatur et vertitur; orat. 38: non … ad iudiciorum certamen sed v o l u p t a t e m a u r i u m scripserat [sc. Isocrates]; ibid. 58: quo magis naturam ducem a d a u r i u m v o l u p t a t e m sequatur industria; ibid. 159: v o l u p t a t i a u r i u m … morigerari debet oratio; ibid. 198: Universa comprehensio et species orationis clausa et terminata est, quod v o l u p t a t e a u r i u m iudicatur; ibid. 208: Gratiam … habet oratori v o l u p t a t i a u r i u m servienti; ibid. 237: Nec in hac modo re, quae ad volgi adsensum spectet et a d a u r i u m voluptatem. 70 dimensionem esse totius huius suavitatis opificem: Schöne Personifikation mit Anklang an das kurz zuvor (Z. 60–67) behandelte ArchitekturThema. – Anders als bisher (z. B. Z. 62) bezeichnet die dimensio nunmehr auch die rein zeitliche Ausdehnung, nämlich die Messung der Silben-Quantitäten in poetischen Texten (carmina). 71 signa: Das signum (Z. 71/76; vgl. significare in Z. 73/81 f; significatio in Z. 80) ist das Schlüsselwort dieses Abschnitts. Zu Grunde liegt die Auffassung, dass das Wahrgenommene eine tiefere Bedeutung besitzt, die unabhängig vom jeweiligen Sinnesreiz die Vernunft anspricht. Als Beispiel dient der Tanz eines Schauspielers, dessen Bewegungen rein äußerlich die Sinne erfreuen können, die aber in der Regel etwas darstellen sollen und dadurch über sich selbst hinaus292 Keseling, der ansonsten vorzüglich übersetzt, scheint diese (nachklassische) Bedeutungsvariante für solium nicht zu kennen; vgl. bereits seine eigentümliche Wiedergabe von ord. 2,11,32, Z. 36 (siehe supra zur Stelle).
2. Hauptteil: 2,11,34
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weisen. Die in den sinnlichen Dingen liegende Symbolik wird zwar durch die Wahrnehmungsorgane – in diesem Falle das Auge - übermittelt, erschließt sich letztlich aber nur dem erkennenden Geist. Dieser wiederum beurteilt die Sinnhaftigkeit des Bezeichneten anhand der ihm inhärenten, gewissermaßen „genormten“ Bilder und Vorstellungen (am Beispiel: eine Venus mit Flügelchen oder ein Cupido im damenhaften Kostüm würden eine solche „geistige Norm“ verletzen). Somit besitzt das sinnlich Wahrnehmbare nach augustinischer Auffassung einerseits eine (im wahrsten Sinne des Wortes) ästhetische Dimension, welche die Sinne (sensus) anspricht, andererseits eine tiefere symbolische Dimension, über die ausschließlich die Vernunft (ratio) zu urteilen vermag. – Zum theoretischen Hintergrund der im augustinischen Opus wiederholt anklingenden und weit verbreiteten „Zeichen-Theorie“ vgl. innerhalb der umfangreichen Sekundärliteratur insbesondere die Forschungen und eingehenden Interpretationen von C. P. Mayer.293 74 pinnatam Venerem … Cupidinem palliatum: Der Chiasmus unterstreicht die vertauschten Rollen: Der Liebesgott Cupido (= Amor) wird traditionell geflügelt dargestellt (vgl. ausdrücklich Cicero, nat. deor. 3,58: pinnatum Cupidinem); die Liebesgöttin Venus (= Aphrodite) trägt die palla294, das lange und faltenreiche Obergewand der römischen Frauen (vgl. die bildlichen Darstellungen in Pompeji; dazu: R. Schilling, La religion romaine de Vénus, Paris 1954, S. 285). 74 faciat: Als Subjekt ist der tanzende histrio (vgl. Z. 70) zu denken; facere ist demnach mit „darstellen“ wiederzugeben. 77 f anima … mixta est corpori: Ähnliche Wendungen bereits bei Cicero, in der Regel im platonisch gefärbten Kontext, wo der „Kontamination“ des Geistes durch die ihm anhaftende körperliche Materie die Schuld an seiner verminderten Erkenntnisfähigkeit gegeben wird; vgl. div. 1,129: ut enim deorum animi sine oculis, sine auribus, sine lingua sentiunt inter se, quid quisque sentiat …, sic animi hominum, cum aut somno soluti vacant corpore aut [mente permoti] per se ipsi liberi incitati moventur, cernunt ea, quae p e r m i x t i c u m c o r p o r e a n i m i videre non possunt; Cato 80: sed cum o m n i a d m i x t i o n e c o r p o r i s liberatus purus et integer esse coepisset, tum 293 Grundlegend: C. P. Mayer, Die Zeichen in der geistigen Entwicklung und in der Theologie des jungen Augustinus, 1. Die Frühschriften (Cassiciacum 24,1), Würzburg 1969; ders., Die Zeichen in der geistigen Entwicklung und in der Theologie Augustins 2. Die antimanichäische Epoche (Cassiciacum 24,2), Würzburg 1974. Siehe daneben auch: ders., Die Zeichen und die Bekehrung Augustins in den Confessiones, in: Augustiniana 19, 1969, S. 5–13 (= Theologie und Glaube 59, 1969, S. 304–309); ders., Signifikationshermeneutik im Dienste der Daseinsauslegung. Die Funktion der Verweisungen in den Confessiones X–XIII, in: Augustiniana 24, 1974, S. 21–74; ders., „Res per signa“. Der Grundgedanke des Prologs in Augustins Schrift De doctrina christiana und das Problem seiner Datierung, in: Revue des études augustiniennes 20, 1974, S. 100–112. 294 Gegen Mühlenberg, der Cupido „mit einem Philosophenmantel“ (S. 314) auftreten lässt, d. h. als Bekleidungsstück das pallium vermutet. Obwohl palliatus ethymologisch eindeutig von pallium abzuleiten ist, so trägt es im weiteren Sinne häufig lediglich die Bedeutung „mit einem Mantel / Umhang / Obergewand“ bekleidet; nur so ist die „permutation ridicule de costume“ (Doignon, BAug 4/2, S. 269, Anm. 166) aufrechtzuerhalten.
306
II. Kommentar
esse sapientem [sc. animum]; allerdings ist die „Vermischung“ rein äußerlich und lediglich temporär; siehe z. B. Tusc. 1,71: In animi autem cognitione dubitare non possumus …, quin nihil sit a n i m i s a d m i x t u m , nihil concretum, nihil copulatum, nihil coagmentatum, nihil duplex; Cato 78: et, cum simplex a n i m i esset natura neque haberet in se quicquam a d m i x t u m dispar sui atque dissimile, non posse eum dividi. 77 f sensum, in quo anima … percipit voluptatem: Ähnlich die Theorie bei Plotin; beim ersten Hinblicken wird das körperlich Schöne sinnlich wahrgenommen, die Seele wird dessen erst sekundär gewahr und gelangt im günstigen Fall zu seiner Billigung (Enn: 1,6,2:
). 82 nuntio … aurium: Die spezielle Junktur erscheint bereits bei Cicero, orat. 177: Aures … vel animus a u r i u m n u n t i o naturalem quandam in se continet vocum omnium mensionem. Vgl. sachlich bereits Aristoteles, De sens. 1,437 a 5: … . – Zur traditionellen Vorstellung von den Sinnen als den „Boten“ des Geistes vgl. supra zu 2,10,29, Z. 27. 83 f quid […] obstet: Vergilzitat (Aen. 1,745 f = Georg. 2,481 f).295 85 ‚rationabiliter sonat‘ et ‚rationabiliter dictum est‘: Auch in mus. 6,57 unterscheidet Augustin am Beispiel des ambrosianischen Hymnus Deus creator omnium zwischen dem Reiz des äußeren (rhythmischen) Klanges und dem inneren Sinngehalt (= sententia; vgl. Z. 84): Quare ille versus a nobis propositus, Deus creator omnium, non solum auribus sono numeroso, sed multo magis est animae sententiae sanitate et veritate gratissimus.
295 Zur Vergillektüre in Cassiciacum sowie zur in der Forschung umstrittenen Frage, welches Werk Vergils (die Aeneis oder die Georgica) gelesen wurde, siehe supra zu 1,8,26, Z. 82 f.
Dritter Abschnitt: Aufweis der Bildungsordnung (2,12,35–2,19,51) [§ 35: Beginn des „großen Wissenschaftsexkurses“: Die Grammatik, § 36: Die Grammatik (Fortsetzung), § 37: Geschichte als „Nebenfach“ der Grammatik, § 38: Dialektik und Rhetorik, § 39: Die Musik, § 40: Poetik als Nebenfach der Musik, § 41: Die Herrschaft der Zahlen in der Musik, § 42: Geometrie und Astronomie, § 43: Arithmetik als Grundwissenschaft, § 44: Die Einheit der Wissenschaften, § 45: Die gezielte Auswahl des Lernstoffes, § 46: Studienordnung und Theodizee, § 47: Beschränkung des Lernstoffes, § 48: Die Einheit als Prinzip des Denkens und Seins, § 49: Der Mensch als rationales Wesen, § 50: Die unsterbliche ratio, § 51: Die glückselige Gottesschau]
2,12,35: Beginn des „großen Wissenschaftsexkurses“: Die Grammatik 1 Ergo iam tria genera sunt rerum, in quibus illud rationabile apparet, unum est in
factis ad aliquem finem relatis, alterum in dicendo, tertium in delectando. Primum nos admonet nihil temere facere, secundum recte docere, ultimum beate contemplari; in moribus est illud superius, haec autem duo in disciplinis, de quibus nunc 5 agimus. Namque illud, quod in nobis est rationale, id est quod ratione utitur et rationabilia vel facit vel sequitur, quia naturali quodam vinculo in eorum societate adstringebatur, cum quibus illi erat ipsa ratio communis – nec homini homo firmissime sociari posset, nisi conloquerentur atque ita sibi mentes suas cogitationesque quasi refunderent – vidit esse inponenda rebus vocabula, id est significantes quosdam 10 sonos, ut, quoniam sentire animos suos non poterant, ad eos sibi copulandos sensu quasi interprete uterentur. Sed audiri absentium verba non poterant; ergo illa ratio peperit litteras notatis omnibus oris ac linguae sonis atque discretis. Nihil autem horum facere poterat, si multitudo rerum sine quodam defixo termino infinite patere videretur. Ergo utilitas numerandi magna necessitate animadversa est. Quibus duobus 15 repertis nata est illa librariorum et calculonum professio velut quaedam grammaticae infantia, quam Varro litterationem vocat; Graece autem quomodo appelletur, non satis in praesentia recolo.
1 tria genera … rerum, in quibus illud rationabile apparet: Die Dreiteilung der Philosophie ist traditionell und geht – nach Cicero, ac. 1,19 – auf Platon zurück: Fuit ergo iam accepta a Platone philosophandi ratio triplex, una de vita et moribus,
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II. Kommentar
altera de natura et rebus occultis, tertia de disserendi. Dass Augustin in De ordine von der bezeichneten Cicero-Stelle abhängig ist, erscheint mit Blick auf die Parallele in civ. 8,4 als sehr wahrscheinlich: Proinde Plato utrumque iungendo philosophiam perfecisse laudatur, quam in tres partes distribuit: unam moralem, quae maxime in actione versatur; alteram naturalem, quae contemplationi deputata est; tertiam rationalem, qua verum disterminatur a falso.1 1 f in factis ad aliquem finem relatis: Die Vernunft manifestiert sich nach Augustinus in zielgerichteten, d. h. „teleologischen“ Handlungen. Damit werden diejenigen Beispiele zusammengefasst, die in § 32 ausführlich vorgestellt und besprochen wurden (zu deren finalistischen Tendenz und zur charakteristischen Wortwahl siehe supra zu 2,11,32, Z. 32). – Die in den menschlichen Handlungen sich spiegelnde Rationalität ist herkömmlicher Gegenstand der ersten Teildisziplin der Philosophie, nämlich der Ethik bzw. Moralphilosophie (vgl. infra zu Z. 4: in moribus). 2 in dicendo: Knöll und Green lesen mit der wichtigen Handschriftengruppe HMOPR sowie mit A (9. Jhdt.) und mehreren anderen (sehr verschiedenen) Textzeugen des 11. und 12. Jahrhunderts discendo. Gegen diese äußerlich sehr stark bezeugte Lesart folgt Doignon der Handschrift S und den wenigen anderen Textzeugen (alle jedoch noch vor dem 13. Jahrhundert; siehe BAug 4/2, S. 362), welche dicendo überliefern. Das Bild in der Sekundärliteratur ist uneinheitlich.2 – Zunächst ist darauf zu sehen, dass di(s)cere als zweites Glied eines Trikolons (zwischen factis und delectando) dem Mittelglied der sich unmittelbar anschließenden Trichotomie, nämlich docere (zwischen facere und contemplari) entspricht. Nun kann das Begriffspaar discere – docere als Ausdruck der zwei Seiten desselben Sachverhaltes der „Wissensvermittlung“, jeweils aus der Perspektive des Lehrenden bzw. Lernenden, begriffen werden. Eine solche bewusst aufgezeigte Korrelation wäre denkbar. Auf der anderen Seite sind, wie schon Doignon (BAug 4/2, S. 362) feststellt, die beiden Begriffe docere und dicere – besonders in der antiken Rhetorik – in enger Affinität zu sehen und in den einschlägigen Texten nicht selten als Junktur (z. B. Cicero, de orat. 3,38) wiederzufinden. Die entscheidenden Argumente jedoch liefert der Augustintext selbst. In 2,11,31, Z. 21 heißt es bereits, dass man dasjenige rationabile nenne, quod ratione factum esset aut d i c t u m . Weiter lässt der Autor verlauten, dass die ratio „in die vernünftigen Werke und Worte“ eingehe (in ea, quae vel fiunt rationabilia vel d i -
1 Vgl. zum Hintergrund des augustinischen Platon-Bildes: P. Hadot, La présentation du platonisme par Augustin, in: Kerygma und Logos, Göttingen 1980, S. 272–280. 2 Der Lesart discendo schließen sich (mitunter unreflektiert?) an: J. Tscholl, Gott, S. 137; C. P. Mayer, Zeichen, S. 203, Anm. 124; H. H. Gunermann, Tradition, S. 216, Anm. 147; W. Hübner, artes liberales, S. 327; für dicendo treten ein: K. Svoboda, ésthétique, S. 26, Anm. 1; R. Lorenz, Wissenschaftslehre, S. 32; G. Pfligersdorffer, Grundlagen, S. 213; I. Hadot, Arts, S. 108.
2. Hauptteil: 2,12,35
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c u n t u r ; ibid. Z. 24). Zu Beginn des nächsten Abschnittes wird ein vorläufiges Resümee gezogen: Zwei Bereiche gebe es, in denen sich die Macht und Kraft der Vernunft manifestiere, nämlich die opera hominum, quae videntur, et v e r b a , quae audiuntur. Die vorgenommene Zweiteilung wird sodann erweitert, indem (insbesondere in § 34) Beispiele der Betrachtung des sinnlich Schönen, inklusive ihres inhärenten Symbolgehalts, namhaft gemacht werden, sodass am Ende ein neuerliches Fazit gezogen werden muss: Es seien nunmehr drei Arten von Dingen (iam tria genera sunt rerum; § 35, Z. 1), in denen das Vernünftige aufscheine. Die Trias muss demnach – gegen die starke äußere Textbezeugung – eindeutig lauten: in factis, in dicendo, in delectando. 4 in moribus: Eine wichtige Teildisziplin der Philosophie ist traditionell die Ethik, die allerdings hier von Augustin ausdrücklich von der wissenschaftlichen Betrachtung im engeren Sinne ausgeschlossen wird. Sie hat ihre Berechtigung neben und – wie viele Belegstellen zeigen3 – vor der eigentlichen Beschäftigung mit den enzyklopädischen Wissenschaften. Dabei entspricht die dezidierte Unterscheidung zwischen den mores und den disciplinae anderen begrifflichen Umschreibungen, welche vornehmlich die Komplementarität von moralischer und geistiger Bildung unterstreichen und hervorheben sollen. Vgl. z.B ord. 2,8,25: una pars v i t a e , altera e r u d i t i o n i s est; ibid. 2,20,53: et v i t a e regulas et s c i e n t i a e … itinera; c. acad. 3,19,42: Quod … ad e r u d i t i o n e m d o c t r i n a m q u e attinet et m o r e s. Vgl. hierzu ausführlich H. H. Gunermann (Sprache, S. 91–94), welcher auf einen starken Einfluss ciceronischer Sprache und Denkweise verweist.4 – Zur Gegenüberstellung von theoretischer und praktischer Philosophie siehe bereits Seneca, epist. 94,45: in duas partes virtus dividitur, in contemplationem veri et in actionem; vgl. Aug., ord. 2,16,44: Cum enim artes illae omnes liberales partim ad usum vitae, partim ad cognitionem contemplationemque discantur. 5–14 Namque illud […] animadversa est: Der gesamte Abschnitt ist sprachlich wie inhaltlich von Cicero abhängig; vgl. H. H. Gunermann, Spache, S. 183– 186; U. Pizzani, linguaggio, S. 404 f; J. Doignon, BAug 4/2, S. 363 f. Augustin nennt für die Entstehung der wissenschaftlichen Disziplin der litteratio drei grundlegende „Erfindungen“ des menschlichen Geistes: die den Dingen beigelegten Bezeichnungen (vocabula; Z. 9), die Entwicklung der Schrift (litteras notatis omnibus oris ac linguae sonis; Z. 12) und die nützliche Entdeckung der Zahl bzw. des Zählens (utilitas numerandi; Z. 14). Dieselben Kulturleistungen des Menschen – in derselben Reihenfolge – hebt bereits Cicero in rep. 3,3 hervor, namentlich die voces, die notae und zum Schluss auch den numerus. Bei einer Detailanalyse können noch weitere Kongruenzen zwischen Cicero und Augustin festgestellt 3
Vgl. besonders deutlich: ord. 2,9,26. Für die explizite Dichotomie von mores und disciplinae kann Gunermann immerhin zwei passende Beispiele beibringen; vgl. Tusc. 5,5: tu [sc. philosophia] magistra m o r u m et d i s c i p l i n a e fuisti; rep. 1,2: Unde in laboribus et periculis fortitudo? Nempe ab iis qui haec d i s c i p l i n i s informata alia m o r i b u s confirmarunt, sanxerunt autem legibus. 4
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II. Kommentar
werden, auffällig ist insbesondere der gemeinsame betonte Hinweis, dass die Errungenschaft der schriftlichen Mitteilung nunmehr auch die Kommunikation unter „Abwesenden“ (absentes) ermögliche. Der besagte Text des ciceronischen Dialogs lautet (man beachte die Hervorhebungen!): et vehiculis tarditati, eademque cum accepisset homines inconditis v o c i b u s inchoatum quiddam et confusum sonantes, incidit has et d i s t i n x i t in partis, et ut signa quaedam sic v e r b a r e b u s i n p r e s s i t , hominesque antea d i s s o c i a t o s iucundissimo inter se sermonis v i n c u l o conligavit. A simili etiam mente vocis qui videbantur i n f i n i t i s o n i paucis n o t i s inventis sunt o m n e s s i g n a t i et expressi, quibus et conloquia cum a b s e n t i b u s et indicia voluntatum et monumenta rerum praeteritarum tenerentur. accessit eo n u m e r u s, res cum ad vitam n e c e s s a r i a tum una inmutabilis et aeterna. – Daneben ist Cicero, Tusc. 1,62 zu vergleichen. Wieder ist in signifikanten Formulierungen von der menschlichen „Erfindung“ sowohl der Begriffe an sich (nomina) als auch der Schriftzeichen (litterarum notae) die Rede; gleichzeitig wird wie bei Augustinus als besondere Kulturleistung der Zusammenschluss der Menschen zu einer societas gewürdigt; die Entdeckung der Zahl erwähnt Cicero an dieser Stelle zwar nicht ausdrücklich,5 dafür aber die der Mathematik affine Wissenschaft der Astronomie: Quid? illa vis quae tandem est quae investigat occulta, quae inventio atque excogitatio dicitur? … aut qui primus, quod summae sapientiae Pythagorae visum est, omnibus r e b u s i m p o s u i t n o m i n a ? aut qui dissipatos homines congregavit et a d s o c i e t a t e m vitae convocavit, aut qui s o n o s v o c i s, qui i n f i n i t i v i d e b a n t u r, paucis l i t t e r a r u m n o t i s t e r m i n a v i t , aut qui errantium stellarum cursus praegressiones insti[tu]tiones notavit? – Die augustinische Abhängigkeit von Cicero, und zwar von beiden zitierten Stellen (!), ist evident; sie zeigt sich in den sprachlichen Details, den inhaltlichen Besonderheiten, aber nicht zuletzt auch in der grundsätzlichen Auffassung, dass die menschliche Sprache nicht etwa von Natur ( ), sondern offenbar durch bewusste menschliche Setzung ( ) entstanden sei; dazu E. A. Kirfel, Gespräche, S. 496, Anm. 94. 6 f quia naturali quodam vinculo in eorum societate adstringebatur: Treffend bemerkt Keseling (Weltregiment, S. 244): „Nicht der Vorteil oder die Not zwingt die Menschen zur Gemeinschaft, sondern die allen gemeinsame vernünftige Menschennatur, ein aristotelisches Denkmotiv … Aus ihr als dem kulturschöpferischen Prinzip fließen zunächst Sprache, Schrift und Ziffern, dann alle Wissenschaften.“ – Die Wendung vinculum societatis verwendet auch Cicero bei der Wiedergabe eines auf Platon (Epinomis 992 a) zurückgeführten Ausspruchs, dass alle menschlichen Wissenschaften in enger Verbindung zueinander zu sehen seien (de orat. 3,21): … est etiam illa Platonis vera … vox, omnem doctrinam harum 5 Die Zahl hat bei Augustinus die Funktion der „Begrenzung“ der unendlich erscheinenden Anzahl der Gegenstände dieser Welt (vgl. Z. 13 f: multitudo rerum … infinite patere videretur). Hierfür findet sich insofern ein Korrelat bei Cicero, als dieser – sowohl in rep. 3,3 wie auch in Tusc. 1,62 – die wenigen Schriftzeichen (paucae notae) die unendlich groß erscheinende Anzahl der Laute „begrenzen“ lässt.
2. Hauptteil: 2,12,35
311
ingenuarum et humanarum artium uno quodam societatis vinculo contineri. Inhaltlich ist unser Autor offensichtlich von off. 1,50 abhängig; denn wenn Augustin (siehe hierzu die Parenthese Z. 7–9) die allen Menschen gemeinsame ratio insbesondere in der menschlichen Kommunikationsfähigkeit und dem dadurch ermöglichten gegenseitigen Gedankenaustausch, also im „Teilen“ von Sprache und Denkvermögen, verwirklicht sieht und hierin die engste aller menschlichen Verbindungen erblickt, so basiert diese Gedankenführung deutlich auf der ciceronischen Feststellung, dass das Denk- und Redevermögen (= ratio et oratio), die principia und das vinculum der societas hominum bilde und zwar – nota bene! – „durch einen ganz natürlichen Gesellschaftsgeist“ (Übersetzung Gunermann für: naturali quadam societate). Im Zusammenhang lautet der relevante Passus bei Cicero: Optime autem s o c i e t a s h o m i n u m coniunctioque servabitur, si, ut quisque erit coniunctissimus, ita in eum benignitatis plurimum conferetur. Sed quae naturae principia sint communitatis et s o c i e t a t i s h u m a n a e , repetendum videtur altius. Est enim primum quod cernitur i n u n i v e r s i g e n e r i s h u m a n i s o c i e t a t e . Eius autem v i n c u l u m est r a t i o e t o r a t i o, quae docendo, discendo, communicando, disceptando, iudicando conciliat inter se homines coniungitque n a t u r a l i q u a d a m s o c i e t a t e , neque ulla re longius absumus a natura ferarum […]; sunt enim r a t i o n i s e t o r a t i o n i s expertes. 9 f inponenda rebus vocabula, id est significantes quosdam sonos: Möglicherweise – trotz der offensichtlichen Abhängigkeit von Cicero (siehe supra zu Z. 5–14) – ein zusätzlicher sprachlicher Anklang an Varro, De lingua latina 8,12,27: et cum utilitatis causa verba ideo sint inposita rebus ut eas significent.6 Vgl. J. Doignon, BAug, 4/2, S. 364, mit Verweis auf U. Pizzani, disciplina grammaticale, S. 404 f. 10 f sensu quasi interprete: Vgl. als sachliches und sprachliches Vorbild Cicero, nat. deor. 2,140: S e n s u s autem i n t e r p r e t e s ac nuntii rerum in capite tamquam in arce mirifice ad usus necessarios et facti et conlocati sunt. Zur traditionellen Vorstellung der Sinne als „Botschafter“ des Geistes vgl. supra zu 2,10,29, Z. 27. 14 utilitas numerandi: Die wissenschaftliche Disziplin der Arithmetik wird noch einmal eigens in § 43 f vorgestellt; sie bildet dort den Abschluss des sog. quadrivium der Zahlen, wird aber grundsätzlich als Basis aller enzyklopädischen Wissenschaften angesehen: In his igitur omnibus disciplinis ocurrebant ei omnia numerosa (§ 43, Z. 13). Dazu A. De Rosalia, Disciplinarum libri, S. 15, Anm. 31. 16 Varro: Zur Benutzung der Schriften Varros durch Augustin in De ordine vgl. supra unter I 4 (Quellen und Traditionen in De ordine). 16 f Graece autem quomodo appelletur, non satis in praesentia recolo: Die litteratio ist – Augustin übernimmt nach eigenen Angaben die varronische Terminologie – die Einführung in die Schreibkunst (Keseling, S. 186: „Elementarunterricht“) und damit die erste Stufe des Studiums der Sprachlehre, mit augustinischen Worten die grammaticae infantia (Z. 15 f). Martianus Capella über-
6
Vgl. auch Varro, ibid. 8,1,1 (zitiert unter 2,12,36, Z. 24).
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II. Kommentar
liefert in De nuptiis 3,229 auch die griechische Bezeichnung, welche Augustin vorgibt, im Augenblick nicht präsent zu haben: Hincque mihi [sc. grammaticae] Romulus litteraturae nomen adscripsit, quamvis infantem me litterationem voluerit nuncupare, sicut apud Graecos primitus vocitabar. Wenn dort in Analogie zur augustinischen Diktion die bzw. litteratio metonymisch als infans bezeichnet wird, so darf man annehmen, dass auch in diesem kleinen Detail sowohl Augustinus als auch Martianus Capella aus dem Fundus des großen Gelehrten Varro geschöpft haben.7 2,12,36: Die Grammatik (Fortsetzung) Progressa deinde ratio animadvertit eosdem oris sonos, quibus loqueremur et quos litteris iam signaverat, alios esse, qui moderato varie hiatu quasi enodati ac simpli20 ces faucibus sine ulla conlisione defluerent, alios diverso pressu oris, tenere tamen aliquem sonum, extremos autem, qui nisi adiunctis sibi primis erumpere non valerent. Itaque litteras hoc ordine, quo expositae sunt, vocales semivocales et mutas nominavit; deinde syllabas notavit. Deinde verba in octo genera formasque digesta sunt omnisque illorum motus integritas iunctura perite subtiliterque distincta sunt. 25 Inde iam numerorum et dimensionis non inmemor adiecit animum in ipsas vocum et syllabarum varias moras atque inde spatia temporis alia dupla et alia simpla esse conperit, quibus longae brevesque syllabae tenderentur. Notavit etiam ista et in regulas certas disposuit.
18 Progressa … ratio: Das topologische „Voranschreiten“ der ratio von Stufe zu Stufe bzw. Disziplin zu Disziplin führt Augustin über den gesamten Wissenschaftsexkurs hinweg durch. Möglicherweise ist er bei der hiesigen Formulierung von Cicero abhängig, der in seinen philosophica die Wendung progressa ratio dreimal benutzt (dazu Gunermann, Sprache, S. 123); ac. 2,44: … si rebus conprensis et perceptis nisa et p r o g r e s s a r a t i o hoc efficiet nihil posse comprendi, quid potest reperiri …; fin. 5,46: Et adhuc quidem ita nobis p r o g r e s s a r a t i o est, ut ea duceretur omnis a prima commendatione naturae; Tusc. 2,47: Sed praesto est domina omnium et regina r a t i o quae conixa per se et p r o g r e s s a longius fit perfecta virtus. Die letzte Stelle ist besonders interessant, da hier die stoische Vorstellung von der allmählichen Höherentwicklung der Vernunft über verschiedene Erkenntnisstufen bis hin zu ihrer endgültigen Vervollkommnung thematisiert wird.8 Offensichtlich hat Augustin sich hierdurch anregen lassen und lediglich den individuellen Vernunftfortschritt 7 Zu demselben Ergebnis kommt J. Doignon (BAug 4/2, S. 364), der noch ergänzend anführt, dass Augustin in 2,12,37, Z. 30 die grammatica auch litteratura nennt – genau wie Martianus Capella an der zitierten Stelle. 8 Dazu Kirfel, Gespräche, S. 506, Anm. 69: „Nach Lehre der Stoiker bildet sich der allmählich bis zum 14. Lebensjahr; es bedarf aber dann einer langen Arbeit bis zu seiner Vervollkommnung, die in der Tugend besteht. Die Tugend ist das Wissen, das die Grundlage des Handelns ist.“ Vgl. in diesem Sinne bereits den Kommentar von Pohlenz zur Stelle (Tusc. 2,47).
2. Hauptteil: 2,12,36
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in Bezug auf das Lebensalter, wie er bei Cicero gemeint ist, durch einen kollektiven Vernunftfortschritt innerhalb der Menschheitsgeschichte ersetzt. 18 oris sonos: Über die Grammatik, die als wissenschaftliche Disziplin (u. a.) „Wächterin und Lenkerin des artikulierten Lautes“ ist, vgl. soliloq. 2,11,19: Est autem grammatica vocis articulatae custos et moderatrix disciplina. Während in soliloq. die „Wahrheit“ der Grammatik geradezu enthusiastisch hervorgehoben wird, relativiert Augustin ihre Bedeutung für den Glauben im späteren 6. Buch von De musica (vgl. 1,1) deutlich. In conf. 1,13,22 wiederum wird deren nüchterne Nützlichkeit und Wahrheit effektvoll von den Lügen der Dichterphantasien abgesetzt: si quaeram quid horum maiore vitae huius incommodo quisque obliviscatur, legere et scribere an poetica illa figmenta, quis non videat quid responsurus sit, qui non est penitus oblitus sui? 20 pressu oris: Die deutschen Übersetzungen geben den Ausdruck unscharf wieder (Keseling: „Mundhaltung“; Mühlenberg: „Mundstellung“). Der pressus oris bezeichnet hier konkret das „Zusammendrücken“ von bestimmten Mundpartien, je nach Qualität des artikulierten Lautes. Gegensatz ist der hiatus (Z. 19), die Öffnung des Mundes bei der Emittierung der Vokale. Nur so erhält das tamen (Z. 20) seinen Sinn; trotz geschlossener Mundstellung erklingt bei den sog. Semivokalen ein Ton. Dieser Ton ist nicht ein abrupt verhallender, sondern (vgl. tenere) ein kontinuierlicher. In jeder Hinsicht gut und nachvollziehbar daher die Übersetzung von Doignon: „dans la pression de la bouche, avaient cependant une sonorité continue“. 22 vocales semivocales et mutas: Zu dieser Einteilung der Laute vgl. Varro, De grammatica frg. 40.43.102 Goetz-Schoell; zur phonetischen Zwischenstellung der sog. Semivokale vgl. die (um 380 verfasste) Grammatik des Diomedes (ars gramm. 2; Keil 423): etenim per se enuntiantur, et per se nec syllabam nec plenam vocem faciunt; zu den mutae (stimmlose Laute) siehe ibid. die der augustinischen Definition recht ähnliche Bestimmung: mutae dictae quae per se sine adminiculo vocalium non possunt enuntiari. 23 syllabas: Zur Einteilung der Worte in Silben vgl. Varro, De grammatica frg. 83.110.113 Goetz-Schoell. 23 f verba in octo genera formasque digesta sunt: Zur Einteilung der Worte in acht Klassen vgl. wiederum die zeitgenössische Grammatik (s. o. zu Z. 22) des Diomedes (ars. gramm. 1; Keil 300). 24 motus integritas iunctura: U. Pizzani (L’enciclopedia Agostiniana, S. 340) sieht - was u. E. unsicher ist – die Grundlage der augustinischen Dreiteilung bei Varro, De lingua latina 8,1,1 gelegt: Oratio …, cuius prima pars, quemadmodum vocabula rebus essent imposita [vgl. Aug. § 35, Z. 9: inponenda rebus vocabula], secunda, quo pacto de his declinata in discrimina ierint, tertia, ut ea inter se ratione coniuncta sententiam efferant. – Folgt man der Terminologie Quintilians, so ist der motus ein allgemeiner Ausdruck für übertragene Redeweise bzw. „uneigentliches Sprechen“ (= ); inst. orat. 8,5,35–6,1: Reddam nunc quam proximam esse dixeram partem de tropis, quos motus clarissimi nostrorum auctores vocant. … Tropos est verbi vel sermonis
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II. Kommentar
a propria significatione in aliam cum virtute mutatio.9 Unter der integritas eines Wortes ist seine „unveränderte Form“ zu verstehen; inst. orat. 1,5,68: Iunguntur autem aut ex duobus Latinis integris, ut „superfui“ „supterfugi“, quamquam ex integris an composita sint quaeritur, aut ex integro et corrupto, ut „malevolus“, aut ex corrupto et integro, ut „noctivagus“, aut duobus corruptis, ut „pedisecus“ … Die iunctura schließlich bezeichnet sehr allgemein die „sprachliche Verbindung“ von der Wort- bis hin zur Satzebene; inst. orat. 9,4,32: Iunctura sequitur. Est in verbis, incisis, membris, perihodis. 25 f vocum et syllabarum varias moras: „die unterschiedlichen Zeiteinheiten der Laute und Silben“; der Ausdruck trägt der metrischen Unterscheidung von Naturlängen (Länge einer Silbe aufgrund eines langen Vokals oder Diphthongs) und Positionslängen (Länge der Silbe aufgrund bestimmter Konsonantenverbindungen) Rechnung. Die mora ist der terminus technicus für die kleinste Zeiteinheit, d. h. diejenige Zeitdauer, die für die Aussprache einer kurzen Silbe notwendig ist; die Zeitdauer einer langen Silbe gilt nach Konvention derjenigen von zwei kurzen gleich (vgl. Z. 26: dupla / simpla). 26 Die eigenartige Interpunktion in der Ausgabe von Green (Kommata jeweils am Ende der Zeile; nach vocum et bzw. dupla) ist unverständlich und wohl als einer der vielen Druckfehler zu deuten. 26 f spatia temporis alia dupla et alia simpla esse conperit: Vgl. z. B. Quintilian, inst. orat. 9,4,47: longam [sc. syllabam] esse duorum temporum, brevem unius etiam pueri sciunt. 27 f in regulas certas disposuit: Vgl. die Vorstellung eines festgefügten grammatikalischen Regelwerks auch bei Diomedes, ars gramm. 2 (Keil 421): grammaticae formam loquendi ad certam rationem dirigit. 2,12,37: Geschichte als „Nebenfach“ der Grammatik Poterat iam perfecta esse grammatica sed, quia ipso nomine profiteri se litteras cla30 mat – unde etiam Latine litteratura dicitur – factum est, ut, quicquid dignum memo-
ria litteris mandaretur, ad eam necessario pertineret. Itaque unum quidem nomen, sed res infinita multiplex curarum plenior quam iocunditatis aut veritatis huic disciplinae accessit, historia non tam ipsis historicis quam grammaticis laboriosa. Quis enim ferat imperitum videri hominem, qui volasse Daedalum non audierit, menda35 cem illum, qui finxerit, stultum, qui crediderit, impudentem, qui interrogaverit, non videri, aut in quo nostros familiares graviter miserari soleo, qui si non responderint, quid vocata sit mater Euryali, accusantur inscitiae, cum ipsi eos, a quibus ea rogantur, vanos et ineptos nec curiosos audeant appellare?
9 Unter die rechnen – nach dem Zeugnis Quintilians – manche Autoren auch die sog. Figuren; vgl. inst. orat. 9,1,2: Nec desunt qui tropis figurarum nomen imponant, quorum est C. Artorius Proculus.
2. Hauptteil: 2,12,37
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29 f grammatica … ipso nomine profiteri se litteras clamat: Anspielung = Buchstabe, Schrift; Pl.: Literatur, auf den Lehnwortcharakter; Wissenschaften. 30 unde etiam Latine litteratura dicitur: Bereits Quintilian (inst. orat. 2,1,4) konstatiert gleichlautend: grammatice, quam in Latinum transferentes litteraturam vocaverunt; vgl. auch Martianus Capella, De nuptiis 3,229: Hincque mihi [sc. grammaticae] Romulus litteraturae nomen adscripsit. Wahrscheinlich fand sich die Gleichsetzung von grammatica und litteratura schon bei Varro; siehe dazu supra zu 2,12,35, Z. 16 f. 32 res infinita multiplex curarum plenior quam iocunditatis aut veritatis: Augustin urteilt in De ordine aus zwei Gründen sehr schlecht über die historische Wissenschaft: (1) sie sei hinsichtlich des Umfangs und der Komplexität ihrer Gegenstände geradezu unüberschaubar und (2) die entsprechende Literatur entbehre des Wahrheitsgehaltes. Der letztere Befund resultiert offensichtlich daraus, dass Augustin hier auch die Mythologie unter die Geschichtswissenschaft rechnet. – Später fällt das Urteil Augustins differenzierter aus; zwar wird in doctr. christ. 2,42 über den Missbrauch der historia im paganen Schulbetrieb geklagt, gleichzeitig aber ihr besonderer Nutzen für das Verständnis der Heiligen Schrift hervorgehoben: quidquid igitur de ordine temporum transactorum indicat ea quae appellatur historia, plurimum nos adiuvat ad libros sanctos intellegendos, etiamsi praeter ecclesiam puerili eruditione discatur. Richtig angewendet sei sie nämlich – so ibid. 2,44 – eine glaubhafte und nützliche Hilfswissenschaft: historia facta narrat fideliter atque utiliter. Auch in epist. 101,2 wird die relative Glaubwürdigkeit der historischen Wissenschaft konzediert: historia sane, cuius scriptores fidem se praecipue narrationibus suis debere profitentur fortassis habeat aliquid cognitione dignum liberis, cum sive bona sive mala hominum, tamen vera narrantur. In civ. 21,6 wird darüber hinaus ein Maßstab und Kriterium für das Vertrauen geliefert, welches man dem historischen Schrifttum entgegenbringen sollte: sed nos, sicut iam in libro duodevicesimo huius operis dixi, non habemus necesse omnia credere, quae historia continet gentium, cum et ipsi inter se historici, sicut ait Varro, quasi data opera et quasi ex industria per multa dissentiant; sed ea, si volumus, credimus, quae non adversantur libris, quibus non dubitamus oportere nos credere. 33 historia: Die Geschichte wird auch bei Seneca unter die Grammatik – jedoch ausdrücklich in einem weiteren Sinne – subsummiert; siehe ep. 88,3: Grammatice circa curam sermonis versatur et, s i l a t i u s e v a g a r i v u l t , circa historias, iam ut longissime fines suos proferat, circa carmina. 33 f Quis enim ferat …: Mühlenberg (Ordnung, S. 316) hat den adversativen Sinn der Stelle offensichtlich nicht erfasst. Augustin will sagen: Es ist unerträglich, dass jemand, der die Sage vom Flug des Dädalus nicht kennt, als ungebildet gilt, während gleichzeitig derjenige, der sie als Dichter erfand, nicht als Lügner (mendax) dasteht, derjenige, der sie glaubt, nicht als Dummkopf (stultus), derjenige, der diesbezüglich Fragen stellt, als unverschämter Kerl (impudens). Gut und richtig übersetzen Keseling (Weltregiment, S. 187: „während“) und Doignon (BAug 4/2, S. 275: „sans que“).
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II. Kommentar
34 Daedalum: Die Sage vom Flug des Dädalus ist durch die Dichtung des Vergil (Aen. 6,14–19) und insbesondere des Ovid (met. 8,183–235) weltberühmt. Vgl. in den Cassiciacum-Schriften auch die Anspielungen auf jene ficta fabula in c. acad. 3,2,310 und soliloq. 2,11,20. Scharfe Negativurteile über den Wahrheitsgehalt und die Nutzlosigkeit der Mythologie im Allgemeinen fällt Augustin in ord. 2,14,40 f (mendacia), in conf. 1,13,22 (error; figmenta; inania) und 1,17,27 (inania nugarum). 36 familiares: Die gemeinsamen familiares der Philosophenschar von Cassiciacum werden in De ordine häufiger erwähnt (siehe noch 1,2,5, Z. 16; 1,7,20, Z. 58 f; 1,9,27, Z. 11 f; 1,10,30, Z. 60; 2,5,17, Z. 50 f); zu den Mitgliedern dieses Kreises siehe supra zu 1,9,27, Z. 11 f. An der hiesigen Stelle könnten speziell der grammaticus Verecundus und sein „Hilfslehrer“ Nebridius gemeint sein; vgl. conf. 8,6,13. 37 quid vocata sit mater Euryali: Der Euryalus ist ein junger Trojaner im Gefolge des Aeneas; ihn zeichnet enge und treue Freundschaft mit seinem Gefährten Nisus aus, bis hin zum gemeinsamen Tod in der Schlacht (Vergil, Aen. 9,431 ff); Euryalus ist „von herrlichem Wuchs und blühender Jugend“ (5,295); „keiner war schöner als er im Gefolge des Aeneas“ (9,179 f). Die von Augustin aufgeworfene Frage nach dem Namen der Mutter ist als geistreich-witzige Anspielung zu verstehen, denn Vergil nennt eben diesen in den betreffenden Schilderungen (9,284– 302 und 473–502) an keiner Stelle. Vgl. auch Macrobius, sat. 4,1,5. 38 curiosos: Zur pejorativ bewerteten curiositas bei Augustin siehe supra zu 1,1 f,3, Z. 37 und 1,8,24, Z. 37. – „Alles wissen zu wollen, welcher Art auch immer es sei“ ist auch nach Cicero unrühmliches Kennzeichen der Neugierigen; fin. 5,49: Atque omnia quidem scire, cuiuscumque modi sint, cupere curiosorum, duci vero maiorum rerum contemplatione ad cupiditatem scientiae summorum virorum est putandum. 2,13,38: Dialektik und Rhetorik 1 Illa igitur ratio perfecta dispositaque grammatica admonita est quaerere atque at-
tendere hanc ipsam vim, qua peperit artem; nam eam definiendo distribuendo colligendo non solum digesserat atque ordinarat verum ab omni etiam falsitatis inreptione defenderat. Quando ergo transiret ad alia fabricanda, nisi ipsa sua prius quasi 5 quaedam machinamenta et instrumenta distingueret notaret digereret proderetque ipsam disciplinam disciplinarum, quam dialecticam vocant? Haec docet docere, haec docet discere; in hac se ipsa ratio demonstrat atque aperit, quae sit, quid velit, quid valeat. Scit scire, sola scientes facere non solum vult sed etiam potest. Verum quoniam plerumque stulti homines ad ea, quae suadentur recte utiliter et honeste, non 10 ipsam sincerissimam quam rarus animus videt veritatem, sed proprios sensus consue10 Dazu Fuhrer, Contra Academicos, S. 240, mit klarer Absage an die Auffassung, dass Augustin am Beispiel der Dädalus-Sage die neuplatonische Vorstellung vom Flug der Seele reflektiere, wie man es auch für ord. 2,14,39, Z. 1 ff angenommen hat; siehe infra zur Stelle.
2. Hauptteil: 2,13,38
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tudinemque sectantur, oportebat eos non doceri solum, quantum queunt, sed saepe et maxime commoveri. Hanc suam partem, quae id ageret, necessitatis pleniorem quam puritatis refertissimo gremio deliciarum, quas populo spargat, ut ad utilitatem suam dignetur adduci, vocavit rhetoricam. Hactenus pars illa, quae in significando 15 rationabilis dicitur, studiis liberalibus disciplinisque promota est.
1 f ratio … peperit artem: Eine offensichtliche Reminiszenz an die ciceronische Formulierung in orat. 183: Neque enim ipse versus r a t i o n e est cognitus, sed natura atque sensu, quem dimensa r a t i o docuit quid acciderit: ita notatio naturae et animadversio p e p e r i t a r t e m . 2 f definiendo distribuendo colligendo: Das dreifache Aufzählung entspricht der traditionellen Differenzierung der Disziplin der Dialektik bzw. (modern ausgedrückt) der Logik in die (1), die (2) und die (3).11 Doch ist insbesondere der Einfluss Ciceros zu verzeichnen, der an drei Stellen sprachlich und inhaltlich affine Formulierungen wählt. Vgl. Tusc. 5,72: Sequitur tertia, quae per omnes partes sapientiae manat et funditur, quae rem d e f i n i t , genera d i s p e r t i t , sequentia adiungit, perfecta c o n c l u d i t , vera et falsa diiudicat,12 disserendi ratio et scientia. Vgl. daneben orat. 16: Nec vero sine philosophorum disciplina genus et speciem cuiusque rei cernere neque eam d e f i n i e n d o explicare nec t r i b u e r e in partes possumus nec iudicare quae vera quae falsa sint neque cernere c o n s e q u e n t i a repugnantia videre, ambigua distinguere. Siehe schließlich Brut. 152 (mit Umstellung der ersten beiden Glieder): … quod numquam effecisset ipsius iuris scientia, nisi eam praeterea didicisset artem, quae doceret rem universam t r i b u e r e in partes, latentem explicare d e f i n i e n d o, obscurum explanare interpretando; ambigua primum videre, deinde distinguere; postremo habere regulam, qua vera et falsa iudicarentur et quae quibus propositis essent quaeque non essent c o n s e q u e n t i a . Was Gunermann (Sprache, S. 168) in Bezug auf die vorliegende Augustin-Stelle bemerkt, trifft geradezu allgemeingültig für die Cicero-Benutzung in De ordine zu: „Augustin wird nicht eine der zum Vergleich herangezogenen Cicerostellen als ‚Quelle‘ benützt haben. Das Gedankengut war ihm vertraut. Aber seine Formulierung ist ohne genaue Kenntnis von Ciceros Schriften nicht denkbar. Die außerordentliche Klarheit seiner Definition im Vergleich zu denen Ciceros zeigt, daß er sich gedanklich mit diesen Bestimmungen auseinandergesetzt hat. Er schreibt aus einer profunden Kenntnis ciceronischer Sprache.“13 11 Dazu Gunermann, Sprache, S. 166 (mit Hinweis auf den Kommentar von W. Kroll zu Ciceros Orator, S. 29, und Sext. Emp., Pyrrh. hyp. 2,213). 12 Mit Recht macht Gunermann (Sprache, S. 168) darauf aufmerksam, dass das ciceronische vera et falsa diiudicare (vgl. die jeweils ähnliche und entsprechende Formulierung in orat. 26 und Brut. 152!) ziemlich genau dem augustinischen verum ab omni … falsitatis inreptione defendere entspricht. 13 Als weiterer Beweis für diese Ansicht mag die augustinische Parallelstelle in soliloq. 2,11,20 dienen. Ebenso klar und deutlich wird – mit teilweise sehr ähnlicher Wortwahl – die dreifach gegliederte wissenschaftliche „Methode“ beschrieben: nec ulla mihi occurrit cuiusvis facies disciplinae, in qua non d e f i n i t i o n e s a c d i v i s i o n e s e t r a t i o c i n a t i o n e s … egerint.
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II. Kommentar
3 f ab omni etiam falsitatis inreptione defenderat: Exakt denselben Gedankengang entwickelt Augustinus wenig später in seinen Soliloquien (2,11,21); nach einer Beschreibung der Aufgaben der Dialektik wird festgestellt, dass es deren methodische Regeln und Grundsätze sind, die das System der Grammatik vor einem Einbruch der „Falschheit“ bewahren: R: Responde nunc, quae disciplina contineat d e f i n i t i o n e m , d i v i s i o n u m p a r t i t i o n u m q u e r a t i o n e s ! A: Iam superius dictum est haec disputandi regulis contineri. R: Grammatica igitur eadem arte creata est ut disciplina et, ut vera esset, quae est abs te superius a f a l s i t a t e d e f e n s a . – Insgesamt gelten die beiden Wissenschaften der Grammatik und Dialektik geradezu als Inbegriff des Wahren, ja der Wahrheit selbst; vgl. soliloq. 2,11,19–21. – Das Verbalsubstantiv inreptio findet sich nach Ausweis des Thesaurus ausschließlich in den opera Augustini; hierzu W. Hensellek, Notabilien, S. 80. 6 disciplinam disciplinarum, quam dialecticam vocant: Die augustinische Hochschätzung der Dialektik als „Königsdisziplin“ spiegelt sich u. a. darin, dass er ihr eine gesonderte Schrift widmet: De dialectica (PL 32; verfasst im Jahre 387; nur der Anfang ist erhalten).14 – In c. acad. 3,19,29 bestätigt er mit Nachdruck, er selbst habe von der Dialektik „mehr als von jedem anderen Gebiet der Philosophie“ gelernt (plura quam de quavis parte philosophiae).15 Nach c. acad. 3,17,37 ist die Dialektik „die Gestalterin“ (formatrix) aller anderen wissenschaftlichen Teildisziplinen bzw. deren „Richterin“ (iudex), sie sei entweder selbst die Weisheit, zumindest aber könne die Weisheit ohne sie nicht existieren (dialecticam, quae aut ipsa esset, aut sine qua sapientia omnino esse non posset). In soliloq. 2,15,27 wird erwogen, die Dialektik mit der Wahrheit zu identifizieren: veritatem esse disputandi in der platonischen Tradition rationem. – Zum hohen Rang der siehe Platon, rep. 7,534 e 2–535 a 1: … ; vgl. auch Plotin, Enn. 1,3,5 f. 6 f Haec docet docere, haec docet discere: Der Passus, der die dialektische Methode beschreibt, ist sprachlich ausgefeilt und angefüllt mit Wortspielen wie diesem (Anapher, Parallelismus, Alliteration, lusus verborum); vgl. auch neben dem Polyptoton in Z. 6 (disciplinam disciplinarum) das nach dem Gesetz der steigenden Silbenzahl gestaltete Trikolon in Z. 7 f (quae sit, quid velit, quid valeat) sowie den lusus verborum in Z. 8 (scit scire). 14 Über die Frage der Echtheit der Schrift spricht sich mit guten Argumenten K. Mizuochi aus (Augustín y el De dialectica, S. 207–212 und S. 350–355), der auch eine nützliche Zusammenfassung der bisherigen Diskussion liefert, welche vor allem von B. D. Jackson (Augustine: De dialectica, bes. S. 21–60) und J. Pépin (Saint Augustin et la dialectique, bes. S. 43–71) geprägt wurde. Nach H. Ruef ist mittlerweile „die Echtheitsfrage mindestens soweit geklärt, daß nun die Beweislast bei den Gegnern von Augustins Autorschaft liegt“ (Art. „Dialectica [De-]“, in: AL, Bd. 2, Sp. 403). 15 Dementsprechend wird er als dialecticus Augustinus bezeichnet (Sidonius Apollinaris, epist. 9,2,2), was ihn in den Augen der eher „unphilosophisch“ orientierten Donatisten ausgesprochen verdächtig macht (vgl. c. Petil. 3,16,19; c. Cresc. 1,13,16; 2,18,23; 2,23,28).
2. Hauptteil: 2,13,38
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8 sola scientes facere … potest: Vgl. ähnlich Cicero (fin. 2,18) über die wissenschaftliche Disziplin der Dialektik, welche allein und ausschließlich ein bestimmtes, funktionales Wissen vermitteln könne: … dialecticam …, quae u n a continet omnem … scientiam. Zur außergewöhnlichen, besonderen Beziehung zwischen Weisheit und Dialektik, ebenfalls mit einem Ausschließlichkeitsanspruch versehen, vgl. die in der Literatur wiederkehrende stoische These (SVF 2,124 und 130; 3,654).16 10 rarus animus videt veritatem: Der Hinweis, dass nur wenigen die Wahrheitserkenntnis vergönnt sei, ist ein topischer Bestandteil augustinischer wie allgemeinphilosophischer Diktion; vgl. supra zu 1,2,3, Z. 44 f; 1,11,32, Z. 33; 2,5,16, Z. 29; 2,9,26, Z. 5. 10 f proprios sensus consuetudinemque sectantur: Die Abkehr von den vielfältigen Sinneseindrücken und den vielen gewöhnlichen und alltäglichen Ansichten und „Meinungen“ ist bereits im Proömium (1,1,3) als wichtigste Voraussetzung für echte, geistige Erkenntnis benannt; siehe supra zur Stelle (bes. zu Z. 38 und Z. 39). Zur notwendigen Transzendenz menschlicher „Gewohnheit“17 ist c. acad. 3,17,38 zu vergleichen: Non enim aut facile ista percipiuntur, nisi ab eis qui se … in aliam quamdam plus quam humanam consuetudinem vindicaverint. Diese „menschliche Gewohnheit“ wird auch dort (ibid.) spezifiziert: es ist die consuetudo corporum, d. h. die gewohnte menschliche Lebensweise innerhalb der Körperwelt. Vgl. auch ibid. 3,6,13: Sunt enim istae imagines, quae consuetudine rerum corporalium per istos quibus ad necessaria huius vitae utimur sensus, nos etiam cum veritas tenetur, et quasi habetur in manibus, decipere atque illudere moliuntur. Zu einer Befreiung durch asketische Lebensweise vgl. noch immort. 10,17: Quibus profecto numquam hoc visum esset, si ea, quae vere sunt et incommutabilia permanent, eodem animo a corporum consuetudine alienato atque purgato videre valuissent; quant. anim. 14,24: si … ab omni corporum consuetudine, quantum in hac vita permittitur, semet avertunt. 12 maxime: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 13 deliciarum, quas populo spargat: Der nüchternen Disputierkunst wird die schillernde Rhetorik gegenübergestellt, welche auch die Massen in ihren Bann zu ziehen vermag. Auf sehr ähnliche Art unterscheidet auch Cicero (part. orat. 23,79) zwischen disputatio und eloquentia, nicht ohne – ebenso wie Augustin 16 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Augustin nach eigener Angabe sich insbesondere in der Dialektik der Stoiker – wohl autodidaktisch – gebildet habe; vgl. c. Cresc. 1,19,24: nos libri Stoicorum dialectice disputare docuerunt. Die Aussage bedeutet jedoch nicht, dass nach Augustin spezielle „Dialektiken“, differenziert nach philosophischen Richtungen, existierten. Dazu richtig Th. Fuhrer (Contra Academicos, S. 368): „Zwischen platonischer und stoischer Dialektik wird – wie in der mittelplatonischen Tradition üblich – nicht differenziert, sondern Augustin bezeichnet mit dem Begriff allgemein eine auf den Regeln der Logik aufbauende Disputiermethode zur Erörterung philosophischer Fragen“. 17 Der Terminus consuetudo (gr. ) ist stoischer Provenienz und bezeichnet „die gewohnheitsbedingte (sinnliche) Erfahrung, beruhend auf wiederholten, alltäglichen Tätigkeiten des Körpers“ (Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 281). Vgl. zur augustinschen Verwendung A. Zumkeller, Art. „Consuetudo“, in: AL 1, Sp. 1253 f.
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II. Kommentar
an unserer Stelle – ihren gemeinsamen Ursprung zu betonen: Nihil enim est aliud eloquentia nisi copiose loquens sapientia, quae ex eodem hausta genere quo illa quae in disputando est, uberior est atque latior et ad motus animorum vulgique sensus accommodatior. 14 rhetoricam: Die ausführlichste Besprechung der Aufgaben der Rhetorik, insbesondere im Hinblick auf den Nutzen für den christlichen Glauben, findet sich bekanntlich im 4. Buch des Spätwerks De doctrina christiana. Als Einstieg wie als Gesamtüberblick vgl. W. Blümer, Art. „Eloquentia“, AL 2, Sp. 775–797. 14 in significando: Als die signa par excellence gelten bei Augustinus die verba; vgl. ord. 2,12,35. 2,14,39: Die Musik 1 Hinc se illa ratio ad ipsarum divinarum rerum beatissimam contemplationem ra-
pere voluit. Sed ne de alto caderet, quaesivit gradus atque ipsa sibi viam per suas possessiones ordinemque molita est. Desiderabat enim pulchritudinem, quam sola et simplex posset sine istis oculis intueri; inpediebatur a sensibus. Itaque in eos ipsos 5 paululum aciem torsit, qui veritatem sese habere clamantes festinantem ad alia pergere inportuno strepitu revocabant. Et primo ab auribus coepit, quia dicebant ipsa verba sua esse, quibus iam et grammaticam et dialecticam et rhetoricam fecerat. At ista potentissima secernendi cito vidit, quid inter sonum et id, cuius signum esset, distaret. Intellexit nihil aliud ad aurium iudicium pertinere quam sonum eumque 10 esse triplicem, aut in voce animantis aut in eo, quod flatus in organis faceret, aut in eo, quod pulsu ederetur; ad primum pertinere tragoedos vel comoedos vel choros cuiuscemodi atque omnes omnino, qui voce propria canerent, secundum tibiis et similibus instrumentis deputari, tertio dari citharas lyras cymbala atque omne, quod percutiendo canorum esset.
1 divinarum rerum beatissimam contemplationem: Das höchste Ziel des Aufstiegs der Vernunft wird genannt; über die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen soll die ratio stufenweise zur glückseligen Schau des Göttlichen gelangen. Die divinae res stehen in der platonischen Tradition für die „obere Welt“, das Reich der Ideen, den lediglich geistig erfassbaren mundus intelligibilis, in welchem – nach ord. 2,19,51 – der Seele nicht nur in Teilbereichen, sondern in ihrer Gesamtheit die höchste Schönheit und Vollendung entgegentreten wird.18 2 ne de alto caderet: Auch Plotin redet in Bezug auf die aufsteigende Geistseele von einem Sturz in die Tiefe (1,6,8: ) in Anspielung auf eine Version der Sage von Narcissus und Echo, nach welcher der Jüngling in das Wasser, in dem er sich spiegelt, hineinfällt und auf diese Weise stirbt (vgl. zu diesem Überlieferungsstrang RE XVI 1723,50 ff). Bedenkt man, dass Augustin 18 Z. 49–51: in illo vero mundo intellegibili quamlibet partem tamquam totum pulchram esse atque perfectam; Z. 38–40: Nihil amplius dicam nisi promitti nobis aspectum pulchritudinis, cuius imitatone pulchra, cuius conparatione foeda sunt cetera; vgl. insbesondere Plotin, Enn. 1,6,6 als gedankliches Vorbild.
2. Hauptteil: 2,14,39
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Enn. 1,6 sehr gut kennt und in ord. 2,14,39 mehrfach als Vorlage benutzt, so ist eine Reminiszenz auch an dieser Stelle erwägenswert. 2 gradus: Stufenförmige Aufstiegsschemata sind bei Augustinus – nach neuplatonischem Vorbild19 – häufig anzutreffen.20 Berühmt sind die 7-Stufen-Aufstiege in quant. anim. 70–76 und vor allem in conf. 9,10,23 ff; vgl. aber auch gen. c. Man. 1,43; vera relig. 133–135; in psalm. 119,2; de serm. dom. 1,10; doctr. christ. 2,9–11. An unserer Stelle kongruieren die 7 Stufen mit der normativen Anzahl der septem artes liberales: Nach der Behandlung der drei „Wissenschaften des Wortes“ (Grammatik, Dialektik, Rhetorik; §§ 35–38) folgen nunmehr, beginnend mit der Musik, die vier „Wissenschaften der Zahl“ (Musik, Geometrie, Astrologie / -nomie, Arithmetik; §§ 39–44).21 3 possessiones: Zum Gebrauch der Metapher possessio (sc. im Sinne eines „Besitzes“ von Studien- und Bildungsinhalten) bei Augustin, seinem Vorbild Cicero, aber auch bei Seneca vgl. supra zu 2,4,13, Z. 47. 3 pulchritudinem: Die Erwähnung der „Schönheit“ als höchstes Ziel des stufenförmigen Aufstiegs ist der deutlichste Hinweis auf Plotins Traktat (I 6) als Vorlage für die augustinische Gedankenentwicklung; wenn I. Hadot (Arts, S. 118) vorzugsweise Porphyrios’ De regressu animae als Vorbild für ord. 2,14,39 sieht, so kann diese Sichtweise angesichts der Tatsache, dass wir von der verlorenen Schrift nicht wesentlich mehr als ihren Titel kennen, weder bewiesen noch widerlegt werden. 4 simplex: Die ratio soll „einfach“ sein, um die höchste Schönheit (= Gott) zu schauen. In seinen späteren Schriften wird noch deutlicher, dass der Erkenntnissuchende sich dem zu erkennenden Objekt innerlich anpassen muss. Denn da es sich bei der obersten Wesenheit gemäß neuplatonischer Ontologie um die höchste Einfachheit handelt,22 muss auch – nach dem philosophischen Grundsatz, dass Gleiches nur durch Gleiches erkannt werden kann – das erkennende Subjekt sich selbst „vereinfachen“, um in eine gnoseologische, ja existentielle Nähe zum erstrebten Erkenntnisinhalt zu gelangen. Größtes Hindernis auf dem Wege zur „Vereinfachung“ der ratio aber ist die Beschäftigung mit der durch die Sinne vermittelten körperlichen Vielfalt, welche den Geist gewissermaßen zu „zersplittern“ droht und von seinem ureigentlichen Ziel ablenken wird. Vgl. 19 Vgl. als berühmtestes Beispiel Plotin I 6 ( ); die dortige führt von den sinnlichen Schönheiten (den zusammengesetzten wie den einfachen) über die Schönheit im seelisch-geistigen Bereich letztendlich zum Einen und Guten als dem Inbegriff der Schönheit (u. ä.) in 1,6,4.6.7.9. selbst; vgl. die Frequenz und Gliederungsfunktion der Vokabel 20 Vgl. als Überblick vor allem: L. Wittmann, Ascensus. Der Aufstieg zur Transzendenz in der Metaphysik Augustins, München 1980. 21 Zur Wissenschaftslehre Augustins (Aufbau, Traditionen, Nachwirkung im Mittelalter, etc.) vgl. die Angaben zur Sekundärliteratur supra zu 2,2,7, Z. 62. 22 Vgl. besonders konzise vera relig. 182: Unum certe quaerimus quo simplicius nihil est. Zur Gleichsetzung des Göttlichen, des Einen und Einfachen vgl. auch ord. 2,16,44: Quibus si quisque non cesserit et illa omnia quae per tot disciplinas late varieque diffusa sunt, ad u n u m q u i d d a m s i m p l e x verum certumque redegerit, eruditi nomine dignissimus, non temere iam quaerit i l l a d i v i n a , non iam credenda solum, verum etiam contemplanda, intellegenda atque retinenda.
322
II. Kommentar
zum epistemologischen Hintergrund des augustinischen Postulats der „Vereinfachung“ (mit Bezug auf zentrale Aussagen in De vera religione) die Ausführungen bei Trelenberg, Einheit, S. 79–85. 4 inpediebatur a sensibus: Dass das Körperliche die Seele an der geistigen Erkenntnis „hindert“, sagt im Rahmen platonischer Denkweise23 auch Cicero in Tusc. 1,47: nam nunc quidem, quamquam foramina illa, quae patent ad animum a corpore, callidissimo artificio natura fabricata est, tamen terrenis concretisque corporibus sunt intersaepta quodam modo: cum autem nihil erit praeter animum, nulla res obiecta i m p e d i e t , quo minus percipiat, quale quidque sit. 5 veritatem sese habere clamantes: Gemeint sind die Sinne (sensus), welche Erkenntnis zu vermitteln versprechen. Augustin als Platoniker jedoch lehnt den stoischen Sensualismus strikt ab wie auch die aristotelische Abstraktionslehre, nach welcher das sinnlich Wahrnehmbare durch gedankliche Reflexion als Anhalts- und Ausgangspunkt für den Wissenserwerb dienen kann. Siehe dazu supra zu 1,1,3, Z. 38 (mit wichtigen Literaturangaben). 6 inportuno strepitu: Die geistige Erkenntnis erfordert Stille, einen konsequenten Rückzug aus der Geschäftigkeit und dem Lärm des Alltags. Die Abwendung von der verwirrenden Vielfalt des sinnlich Wahrnehmbaren und eine gezielte Einübung der inneren Ruhe und Kontemplation sind die wichtigsten Voraussetzungen für die Schau der geistigen Welt. Vgl. besonders eindrücklich den Aufruf zur Stille in vera relig. 182–184; dazu J. Trelenberg, Einheit, S. 82– 85. Doignon (BAug 4/2, S. 281 f, Anm. 188) verweist in diesem Zusammenhang auf Plotin, Enn. 1,6,8; dort wird auf die Irrfahrt des Odysseus angespielt. Unter Umständen hat Augustin, der sich bei den Formulierungen in ord. 2,14,39 mehrfach durch den besagten Plotin-Traktat inspiriert zeigt, ebenfalls die Odyssee vor Augen. Passend wäre die berühmte Sage vom Gesang der Sirenen, die den Seefahrer, obgleich er weitergelangen möchte (vgl. Z. 5 f: ad alia pergere), durch den Klang (vgl. Z. 6: strepitu) ihrer Stimmen zu sich rufen (vgl. Z. 6: revocabant) und auf diese Weise an der Heimkehr zu hindern (vgl. Z. 4: inpediebatur) suchen. Zieht man noch die Übersetzung und Interpretation der Homer-Stelle durch Cicero (fin. 5,49) hinzu, welcher in starkem Maße die Lernbegierde des Odysseus und die versprochene Wissensvermittlung der Sirenen herausstellt, so kann zusätzlich eine augustinische Cicero-Reminiszenz24 angenommen werden; vgl. J. Doignon, Le symbolisme des Sirènes, S. 113–115. 8 potentissima secernendi: Das logische Zergliedern und Unterscheiden ist eine der Hauptfähigkeiten und -aufgaben der Vernunft; vgl. 2,13,38: distribuere (Z. 2), digerere (Z. 3/5), distinguere (Z. 5). Die spezielle Formulierung – potens mit 23
Vgl. Platon, Phaidr. 60 b. 67 b. Auch Cicero verwendet im Übrigen an der besagten Stelle die Vokabel revocare in signifikanter Weise: mihi quidem Homerus huius modi quiddam vidisse videatur in iis, quae de Sirenum cantibus finxerit. neque enim vocum suavitate videntur aut novitate quadam et varietate cantandi r e v o c a r e eos solitae, qui praetervehebantur, sed quia multa se s c i r e profitebantur, ut homines ad earum saxa d i s c e n d i c u p i d i t a t e adhaerescerent. 24
2. Hauptteil: 2,14,39
323
Gerundium im Genitiv – erinnert an die Definition der ratio in 2,11,30, Z. 1: Ratio est mentis motio ea, quae discuntur, d i s t i n g u e n d i et conectendi p o t e n s. Eine ähnliche Definition der ratio mittels ihrer beiden Grundfunktionen des gedanklichen Segmentierens und Verknüpfens folgt wenig später in 2,18,48, Z. 18 f: ego quodam meo motu interiore et occulto, ea quae discenda sunt possum d i s c e r n e r e vel c o n e c t e r e , et haec vis mea ratio vocatur. Das rationale Zergliedern dient der Herstellung einer gedanklich „gereinigten“ (purgatum), d. h. in sich konsistenten formalen „Einheit“ (unum), wozu (sc. im logisch-abstrakten Sinne) alles „Fremde“ (aliena) ausgeschieden werden muss; ibid. Z. 18–24.25 8 f quid inter sonum et id, cuius signum esset, distaret: Die Unterscheidung zwischen dem „Zeichen“ und dem „Bezeichneten“ ist in dieser allgemeinen Form traditionell; vgl. z. B. Quintilian, inst. 3,5,1: Omnis autem oratio constat aut ex iis quae significantur aut ex iis quae significant, id est rebus et verbis. Literaturangaben zur speziellen „Zeichen-Theorie“ bei Augustinus: siehe supra zu 2,11,34. 9 aurium iudicium: Auch Cicero spricht mehrfach im übertragenen Sinne von einem Urteil der Sinne; sogar der spezielle Ausdruck „Urteil der Ohren“ ist bei ihm belegt. Vgl. nat. deor. 2,145 f: Primum enim oculi in his artibus, quarum i u d i c i u m est o c u l o r u m … multa cernunt subtilius; colorum etiam et figurarum † tum venustatem atque ordinem et, ut ita dicam, decentiam o c u l i i u d i c a n t … A u r i u m que item est admirabile quoddam artificiosumque i u d i c i u m , quo i u d i c a t u r … et vocis genera permulta … quae hominum solum a u r i b u s i u d i c a n t u r. N a r i u m que item et g u s t a n d i et parte t a n g e n d i magna i u d i c i a sunt. Siehe auch orat. 150: graves … sententiae … offendent a u r e s, quarum est i u d i c i u m superbissimum. 9 f sonum eumque esse triplicem: Die dreifache Unterscheidung der Töne basiert auf dem „Instrument“, welches diese jeweils hervorbringt; Augustin nennt (a) die Stimme eines Lebewesens, (b) die Blas- und (c) die Schlaginstrumente. Exakt dieselbe Trichotomie später in doctr. christ. 2,27 mit ausdrücklicher Nennung Varros als Gewährsmann: … omnem sonum, quae materies cantilenarum est, triformem esse natura. Aut enim voce editur, sicuti eorum est qui faucibus sine organo canunt, aut flatu, sicut tubarum et tibiarum, aut pulsu, sicut in citharis et tympanis et quibuslibet aliis quae percutiendo canora sunt. – Auffällig sind auch die Übereinstimmungen mit Cicero (nat. deor. 2,146), der – in derselben Reihenfolge wie Augustin – als verschiedene Klangarten (a) vox, (b) tibiae und (c) nervi nennt. Vgl. auch Cicero, rep. 2,69: fidibus … tibiis … cantibus; leg. 2,22 und 38: cantu … fidibus … tibiis; off. 1,145: fidibus … tibiis. – W. Hübner (instrumentum vocale, S. 5–12) sieht in der dreifachen Differenzierung der Musik eine Verbindung zur Dreiteilung der Laute in vocalia, semivocalia und muta bei Varro, rust. 1,17: alii in tres partes, instrumenti genus vocale et semivocale et mutum, vocale, in quo sunt servi, semivocale, in quo sunt boves, mutum, in quo sunt plaustra.
25
Vgl. hierzu die Interpretation bei J. Trelenberg, Einheit, S. 93–96.
324
II. Kommentar
2,14,40: Poetik als Nebenfach der Musik 15 Videbat autem hanc materiam esse vilissimam, nisi certa dimensione temporum et
acuminis gravitatisque moderata varietate soni figurarentur. Recognovit hinc esse illa semina, quae in grammatica, cum syllabas diligenti consideratione versaret, pedes et accentus vocaverat, et quia in ipsis verbis brevitates et longitudines syllabarum prope aequali multitudine sparsas in oratione attendere facile fuit, temptavit pedes illos 20 in ordines certos disponere atque coniungere, et in eo primo sensum ipsum secuta moderatos inpressit articulos, quae caesa et membra nominant. Et ne longius pedum cursus provolveretur, quam eius iudicium posset sustinere, modum statuit, unde reverteretur, et ab eo ipso versum vocavit. Quod autem non esset certo fine moderatum sed tamen rationabiliter ordinatis pedibus curreret, rhythmi nomine notavit, qui 25 Latine nihil aliud quam numerus dici potuit. Sic ab ea poetae geniti sunt. In quibus cum videret non solum sonorum sed etiam verborum rerumque magna momenta, plurimum eos honoravit eisque tribuit quorum vellent rationabilem mendaciorum potestatem. Et quoniam de prima illa disciplina stirpem ducebant, iudices in eos grammaticos esse permisit.
15 materiam: Das uralte, bereits in der griechischen Naturphilosophie verankerte forma / materia-Axiom,26 wonach jedes Sein seine konkrete Existenz grundsätzlich zwei Konstituenten verdanke, nämlich der materialen Grundlage und einem im weitesten Sinne formgebenden Prinzip, wendet Augustin hier auf die Dichtkunst an. Poesie entsteht, wenn der „Rohstoff “ der Töne durch die Metrik in eine „Form“ (vgl. figurare; Z. 16) gebracht wird. 16 acuminis gravitatisque: Das acumen und die gravitas sind die Spezialausdrücke für die Hebung und Senkung in einem Versfuß (pes), beruhend auf der Anordnung der Silbenquantitäten (Z. 18: brevitates et longitudines syllabarum) je nach gewähltem Versmaß (vgl. Z. 15: dimensio temporum). 16 moderata varietate: Die Junktur moderari / varietas bereits bei Cicero, unmittelbar zu Beginn von De oratore (1,18): Nam quid ego de actione ipsa plura dicam? quae motu corporis, quae gestu, quae vultu, quae vocis conformatione ac varietate moderanda est; vgl. ähnlich orat. 70 (moderator / varietas). 17 in grammatica, cum syllabas diligenti consideratione versaret: Zu dieser Funktion der Grammatik (sc. die Messung der Silbenquantitäten) vgl. ord. 2,12,36, Z. 25–28. 18 f brevitates et longitudines syllabarum prope aequali multitudine sparsas: In der Tat sind nach den strengen Regeln der antiken Prosodie die als kurz bzw. lang geltenden Silben quantitativ annähernd gleich verteilt. 21 moderatos inpressit articulos, quae caesa et membra nominant: Zu den durch Zäsuren geprägten Abschnitten (articuli) eines Verses vgl. bereits Varro bei Marius Victorinus, Gramm. 1,13 (= H. Funaioli, Grammaticorum latinorum 26 Siehe C. v. Bormann (et al.), Art. „Form und Materie“, HWPh 2, 1972, Sp. 977 ff; A. Bächli / A. Graeser, „Form“, in: Grundbegriffe der antiken Philosophie, Stuttgart 2000, S. 81–83.
2. Hauptteil: 2,14,40
325
fragmenta 1,288): Versus est, ut Varroni placet, verborum iunctura quae per articulos et commata ac rhythmi modulatur in pedes. 22 provolveretur: W. Hensellek (Notabilien, S. 84) notiert: „provolvi = ‚porro volvi‘ scheint ungewöhnlich, da das Medium ansonsten in anderem Zusammenhang gebraucht wird: ad pedes alicuius provolvi.“ 22 f modum statuit, unde reverteretur, et ab eo ipso versum vocavit: Vgl. Varro bei Marius Victorinus, Gramm. 1,13 (= Keil 6, S. 55): Apud nos autem versus dictus est a versuris, id est a repetita scriptura ex ea parte in quam desinit. – Eine andere Erklärung zur Ethymologie der Vokabel versus erwägt Augustin in mus. 5,3,4: Quamobrem non mihi versus ex eo appellatus videtur, ut nonnulli putant, quod a certo fine ad eiusdem numeri caput reditur, ut nomen ductum sit ab iis qui se vertunt dum via redeunt; nam hoc illi cum his etiam metris, quae versus non sunt, apparet esse commune: sed magis fortasse a contrario nomen invenit, ut quemadmodum grammatici deponens verbum quod r litteram non deponit, sicuti est, lucror, et, conqueror, appellaverunt; ita quod duobus membris confit, quorum neutrum in alterius loco salva lege numerorum constituitur, quia verti non potest, versus vocetur. 23–25 Quod … non esset certo fine moderatum sed tamen rationabiliter ordinatis pedibus curreret, rhythmi nomine notavit, qui Latine nihil aliud quam numerus dici potuit: Varro nennt ebenfalls numerus als den terminus technicus für das griechische „Fremdwort“ rhythmus; darüber hinaus besteht zwischen den beiden Autoren Einigkeit, dass der Rhythmus eine Art „Rohmaterial“ für das Metrum eines Verses darstellt, welches erst in einem zweiten Schritt „begrenzt“ werden muss; vgl. Varro bei Diomedes, ars gramm. 5 (= Keil 1, S. 513): Et Varro dicit inter rhythmum qui latine numerus vocatur et metrum hoc interesse quod inter materiam et regulam. Zur lateinischen Übersetzung numerus für griechisches vgl. auch Cicero; orat. 67: Quicquid est enim quod sub aurium mensuram aliquam cadit, etiam si abest a versu – nam id quidem orationis est vitium – numerus vocatur, qui Graece rhythmos dicitur; siehe auch Quintilian, inst. 9,4,54: Nam sunt numeri rhythmoe, ut et ipse constituit et secuti eum Vergilius, cum dicit ‚numeros memini, si verba tenerem‘, et Horatius ‚numerisque fertur lege solutis‘. 26 verborum: W. Hübner (artes liberales, S. 330) legt Wert auf die Feststellung, dass die Musik als die vierte der sieben Disziplinen eine Art Mittelstellung einnimmt und in der augustinischen Beschreibung sowohl Elemente der sog. „Wissenschaften des Wortes“ (Grammatik, Dialektik, Rhetorik) beinhaltet als auch bereits auf die nachfolgenden „Wissenschaften der Zahl“ (Geometrie, Astrologie / -nomie, Arithmetik) hinweist. Insofern kann der Gegenüberstellung und unmittelbaren Aufeinanderfolge der Ausdrücke numerus (Z. 25) und verbum (Z. 26) in der Tat eine gewisse Bedeutung beigemessen werden. 27 f rationabilem mendaciorum potestatem: Die umständliche Übersetzung Mühlenbergs („die Möglichkeit, Sachverhalte der Vernunft … in Lügenbildern der Phantasie darzustellen“27) verfehlt den Sinn deutlich; besser dagegen 27
Ordnung, S. 320.
326
II. Kommentar
Keseling („Vollmacht zu sinnvollen Lügen“28). Gemeint ist, dass die Gilde der Poeten nach augustinischer Sichtweise zwar Lügengeschichten (mendacia) präsentiert, diese aber durch Beachtung der metrischen Regeln (u. a.) in eine äußere Form kleidet, die als sinnvoll und vernunftgemäß (rationabilis) gelten kann. Vgl. als Referenzstelle supra 2,11,34, Z. 85, wo der Ausdruck rationabilis ebenfalls auf Äußerlichkeiten (sc. auf zwei metrisch einwandfrei gedichtete Verse) bezogen und gleichzeitig in einen betonten Kontrast zur inhaltlichen Beurteilung gestellt wird. – Zur Dichtung als „Lügenwissenschaft“ siehe supra zu 1,6,16, Z. 17 f und 2,12,36, Z. 18. 28 stirpem ducebant: Nach W. Hensellek (Notabilien, S. 94) ist die Wendung eine „gesuchte Variante“ zu genus / originem ducere. Vgl. epist. 3: parvulos … ex illo uno homine … ducere propaginem. 2,14,41: Die Herrschaft der Zahlen in der Musik 30 In hoc igitur quarto gradu sive in rhythmis sive in ipsa modulatione intellegebat
regnare numeros totumque perficere; inspexit diligentissime, cuius modi essent; reperiebat divinos et sempiternos, praesertim quod ipsis auxiliantibus omnia superiora contexuerat. Et iam tolerabat aegerrime splendorem illorum atque serenitatem corporea vocum materia decolorari. Et quoniam illud, quod mens videt, semper est 35 praesens et inmortale adprobatur – cuius generis numeri apparebant – sonus autem, quia sensibilis res est, praeterfluit in praeteritum tempus inprimiturque memoriae, rationabili mendacio iam poetis favente ratione Iovis et Memoriae filias Musas esse confictum est. Unde ista disciplina sensus intellectusque particeps musicae nomen invenit.
30 sive in rhythmis sive in ipsa modulatione: Die ars musica besteht für Augustinus nicht etwa aus zwei klar trennbaren Komponenten, nämlich dem Rhythmus und der Melodie, wie beispielsweise Mühlenberg durch seine Übersetzung insinuiert (Ordnung, S. 320: „sei es in den Rhythmen, sei es allein im Melodischen“). Die modulatio kann im lateinischen Sprachgebrauch zwar auch explizit die „Melodie“ bezeichnen, fungiert aber bei Augustin als ein Oberbegriff für alle diejenigen musikalischen Vorgänge, die sich an einem „Maß“ (modus) ausrichten. Dabei stehen ihm nicht primär die unterschiedlichen Tonhöhen vor Augen, sondern in aller Regel die aneinandergereihten unterschiedlichen Zeitwerte der Töne, i. e. die abgestimmte Tondauer. Bestätigung bringt ein Blick auf seine Definition der Musik zu Beginn des gleichnamigen Werkes: musica est scientia bene modulandi (mus. 1,2,2): Nichts im unmittelbaren Kontext der Definition weist auf einen vorrangig am „Melodischen“ interessierten Wissenschaftler hin, ganz im
28
Weltregiment, S. 190.
2. Hauptteil: 2,14,41
327
Gegenteil: die ersten fünf Bücher von De musica bestehen aus rhythmisch-metrischen Spezialuntersuchungen eines gelernten Rhetors.29 32 divinos et sempiternos: Die Vorstellung der Quasi-Göttlichkeit und Ewigkeit der Zahlen ist gleichermaßen pythagoreisches wie platonisches Erbe; die augustinische Formulierung ist so allgemein, dass man keine literarische Vorlage im Besonderen annehmen müsste.30 Die Apotheose der Zahl – einschließlich ihrer Identifizierung mit den traditionellen Gottheiten – ist inbesondere in der (neu-)pythagoreischen Arithmosophie überaus häufiger Topos;31 die Unvergänglichkeit und Beständigkeit mathematischer Gesetze – im Kontrast zur Vergänglichkeit des Sinnlichen – wird vorzugsweise von den (Mittel- und Neu-) Platonikern betont. Parallelstellen bei Augustinus: Zum Attribut der Göttlichkeit der Zahlen vgl. mus. 6,4,7 (divini numeri); zur Ewigkeit und beständigen Wahrheit mathematischer Operationen siehe c. acad. 3,11,25; lib. arb. 2,8332; mor. Manich. 11,2433; vera relig. 227 (illa incommutabilis numerorum lex); speziell zur bleibenden Gültigkeit der im Rhythmus und in der Metrik wirksamen Zahlen vgl. mus. 6,12,3534 und 12,3635. 29 Keseling (Weltregiment, S. 190) erkennt wohl die Problematik und gibt modulatio neutral mit „Modulation“ wieder, riskiert dadurch jedoch Missverständnisse (Modulation im heutigen musikalischen Sprachgebrauch: Wechsel der Tonart); am besten scheint das Problem der Übersetzung bei Doignon (BAug 4/2, S. 287) gelöst: „soit dans les rythmes soit dans la cadence [Takt] même“. 30 Beachtenswert ist allerdings eine Cicero-Stelle (rep. 3,3; dazu Gunermann, Sprache, S. 135), die Augustinus bereits bei der Besprechung der grammatica bzw. litteratio verwertet hatte (siehe supra zu 2,12,35, Z. 5–14!); dort wird in signifikanter Weise vom numerus behauptet, er sei eine res cum ad vitam necessaria, tum una immutabilis et aeterna. 31 Nach K. Svoboda (ésthétique, S. 41) basiert Augustins pythagoreisch gefärbte Arithmologie auf dem Werk Varros, für den wiederum Poseidonius als Quelle anzusetzen sei: „Ce sont manifestement des idées pythagoriciennes et nous avons déjà fait remarquer qu’Augustin en a trouvé d’analogues chez Varron. Cependant, même ici, Varron n’a été que l’intermédiaire et la source véritable d’Augustin est encore Poseidonios“; kritisch bezüglich der Poseidonius-These: J. Doignon, BAug 4/2, S. 367 f. Dagegen vermutet A. Solignac (Doxographies, S. 129–137) als augustinische Quelle neben Varro die von Apuleius ins Lateinische übersetzte Introductio Arithmeticae des Neupythagoreers Nikomachos von Gerasa.; ähnlich urteilt I. Hadot (Arts, S. 129 f), jedoch mit der Modifikation, dass die Zahlenspekulation des Nikomachos durch Porphyrios als Mittler auf Augustin gekommen sei (siehe dazu auch J. Doignon, Etat, S. 77 f; vgl. civ. 12,19). 32 Septem autem et tria decem sunt; et non solum nunc, sed etiam semper; neque ullo modo aliquando septem et tria non fuerunt decem, aut aliquando septem et tria non erunt decem. Hanc ergo incorruptibilem numeri veritatem, dixi mihi et cuilibet ratiocinanti esse communem. 33 Ratio aliqua numerorum violari et commutari nullo pacto potest nec ulla natura qua libet violentia effecerit, ut post unum qui sequitur numerus non duplo ei concinat. Hoc commutari nullo pacto potest, et Deus vobis commutabilis dicitur. 34 M. – Si ergo quaeramus artem istam rhythmicam vel metricam, qua utuntur qui versus faciunt, purasne habere aliquos numeros, secundum quos fabricant versus? D. – Nihil aliud possum existimare. M. – Quicumque isti sunt numeri, praeterire tibi videntur cum versibus, an manere? D. – Manere sane. 35 M. – Age, nunc dic mihi utrum hi numeri de quibus sic quaeritur, commutabiles esse tibi videantur. D. – Nullo modo. M. – Ergo aeternos esse non negas. D. – Imo fateor.
328
II. Kommentar
33 contexuerat: Die Musik und die in ihr wirksamen Zahlen fungieren als Bindeglied zwischen den drei „Wissenschaften des Wortes“ und den nachfolgenden drei „Wissenschaften der Zahl“; vgl. hierzu die Beobachtungen W. Hübners (siehe supra zu 2,14,40, Z. 26). 33 splendorem illorum atque serenitatem: „Glanz“ und „Reinheit“ der Zahlen sind Attribute, welche auch an anderen Stellen verwendet werden; der splendor wird in soliloq. 2,20,35 der Wahrheit (veritas) zugesprochen, die serenitas ebenfalls der Wahrheit (conf. 2,3,8: serenitas veritatis tuae), die zusätzlich als das höchste und wahre Gut gilt (summum et verum bonum; vgl. quant. anim. 33,76). 34 corporea vocum materia: Die Töne werden akustisch, d. h. sinnlich wahrgenommen (vgl. Z. 35 f: sonus … sensibilis res est) und gehören daher nach augustinischer Überzeugung in das Reich des Körperlichen, in den sogenannten mundus sensibilis bzw. . Diese auf platonisch-dualistischer Gnoseologie beruhende Sichtweise hat nur mittelbar mit dem stoisch-physikalischen Materialismus zu tun, welcher die Ausbreitung von Tönen als Schwingungen innerhalb des Kontinuums der Materie begreift. Die von J. Doignon (BAug 4/2, S. 287, Anm. 199) angeführte „stoische Parallele“ bei Aulus Gellius ist daher nur scheinbar eine solche.36 35 f sonus … praeterfluit in praeteritum tempus inprimiturque memoriae: Vgl. bereits ord. 2,2,6 (Z. 51 f) zur ureigenen Aufgabe des Gedächtnisses, die „vergänglichen und gleichsam flüchtigen Dinge“ festzuhalten. Siehe auch supra zu 2,2,6, Z. 46. – Zum (erstmaligen?) metaphorischen Sprachgebrauch von imprimere bei Cicero (nach dem griechischen ) vgl. die bei Gunermann (Sprache, S. 117) abgedruckten Zitate.37 37 rationabili mendacio: Bereits in § 40 wird den Dichtern eine gewisse rationabilis mendaciorum potestas zugesprochen; vgl. supra zu Z. 27 f. An der hiesigen Stelle liegt die Auffassung zu Grunde, dass die Dichtkunst zwar eine „Lügenwissenschaft“ sei, aber durch allegorische Auslegung des Mythos bisweilen „rationale“ Grundzusammenhänge als Bestätigung realer Sachverhalte herausgelöst werden können. 37 f Iovis et Memoriae filias Musas esse confictum est: Augustin kennt diese Variante des Mythos38 – wie viele andere Details seiner „Wissenschaftslehre“ – 36 Vgl. ibid. 5,15; Aulus Gellius gibt einen Überblick über die alte Frage innerhalb der Naturphilosophie, ob die Stimme als etwas Körperliches oder Körperloses (incorporeum, ) zu gelten habe: Vetus atque perpetua quaestio inter nobilissimos philosophorum agitata est, corpusne sit vox an incorporeum. Hoc enim vocabulum quidam finxerunt proinde quod Graece dicitur asomaton. Corpus autem est, quod aut efficiens est aut patiens; id Graece definitur: to etoi poioun e paschon. Quam definitionem significare volens Lucretius poeta ita scripsit: tangere enim aut tangi nisi corpus nulla potest res. Alio quoque modo corpus esse Graeci dicunt to triche diastaton. Sed vocem Stoici corpus esse contendunt eamque esse dicunt ictum aera; Plato autem non esse vocem corpus putat: „non enim percussus“ inquit „aer, sed plaga ipsa atque percussio, id vox est“. Democritus ac deinde Epicurus ex individuis corporibus vocem constare dicunt eamque, ut ipsis eorum verbis utar, rheuma atomon appellant. 37 De orat. 3,115; leg. 1,30; ac. 1,42; 2,21. 38 Vgl. Hesiod, Theogonie 915 f.
2. Hauptteil: 2,15,42
329
offensichtlich aus dem Werk des Varro.39 Vgl. nämlich doctr. christ. 2,17,27: Non enim audiendi sunt errores Gentilium superstitionum, qui novem Musas Iovis et Memoriae filias esse finxerunt. Refellit eos Varro, quo nescio utrum apud eos quisquam talium rerum doctior vel curiosior esse possit. – Die Musen erwähnt Augustinus in De ordine auch noch in 1,3,6 und 8,24, was er in den retractationes (1,3,2 ff) bedauert: in his libris displicet mihi … quod Musas quasi aliquas deas, quamvis iocando commemoravi. 2,15,42: Geometrie und Astronomie 1 Hinc profecta est in oculorum opes et terram caelumque conlustrans sensit nihil aliud
quam pulchritudinem sibi placere et in pulchritudine figuras, in figuris dimensiones, in dimensionibus numeros quaesivitque ipsa secum, utrum ibi talis linea talisque rotunditas vel quaelibet alia forma et figura esset, qualem intellegentia contineret. 5 Longe deteriorem invenit et nulla ex parte, quod viderent oculi, cum eo, quod mens cerneret, conparandum. Haec quoque distincta et disposita in disciplinam redegit appellavitque geometricam. Motus eam caeli multum movebat et ad se diligenter considerandum invitabat. Etiam ibi per constantissimas temporum vices, per astrorum ratos definitosque cursus, per intervallorum spatia moderata intellexit nihil 10 aliud quam illam dimensionem numerosque dominari, quae similiter definiendo ac secernendo in ordinem nectens astrologiam genuit, magnum religiosis argumentum tormentumque curiosis.
1 profecta est: Wie die sehr ähnliche Metapher progressa … ratio (ord. 2,12,36, Z. 18) nachweislich aus Cicero stammt (ac. 2,44; fin. 5,46; Tusc. 2,47), so ist auch die hiesige, auf die personifizierte Vernunft bezogene Wendung – zumindest in sprachlicher Hinsicht – durch Stellen bei Cicero motiviert; vgl. leg. 2,10: Erat enim r a t i o, p r o f e c t a a rerum natura, et ad recte faciendum impellens …; siehe auch nat. deor. 1,11: Ut haec in philosophia r a t i o contra omnia disserendi nullamque rem aperte iudicandi p r o f e c t a a Socrate … usque ad nostram viguit aetatem. 1 oculorum opes: Die Übersetzung Mühlenbergs „Sehkraft der Augen“ (Ordnung, S. 321) entspricht nicht dem von Augustinus intendierten Sinn. Nachdem die ratio sich zuvor in der „Welt der Töne“ aufhielt, i. e. in dem Bereich, der dem „Urteil der Ohren“ (aurium iudicium; 2,14,39, Z. 9) unterworfen war, so wendet sie sich nunmehr dem „Herrschafts-“ bzw. „Machtbereich der Augen“ (so richtig interpretiert von Keseling, Weltregiment, S. 190) zu. Diese in Augustins Wissenschaftslehre vorgenommene Unterscheidung zwischen den auditiven Phänomenen einerseits und den visuellen andererseits kann mit einigem Recht40 auf die Disciplinarum libri Varros zurückgeführt werden; vgl. Aulus Gellius, noct. Att. 16,18. 39 Vgl. Augustins ureigene Hinweise auf M. Terentius Varro als Gewährsmann in ord. 2,12,35, Z. 16 und vor allem 2,20,54, Z. 30. 40 Vgl. J. Doignon, BAug 4/2, S. 368 (mit Hinweis auf U. Pizzani, L’enciclopedismo varroniano, S. 197).
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II. Kommentar
1 terram caelumque conlustrans: Nach J. Doignon (BAug 4/2, S. 368) könnte die enge Verbindung zwischen Geometrie (terra) und Astronomie (caelum) und der in beiden Wissenschaften gleichermaßen wichtige Maßbegriff (dimensio; Z. 3 und 10) auf eine „inspiration varronienne“ deuten.41 Siehe dazu aufschlussreich Cassiodorus, inst. 2,6,1: Varro, peritissimus Latinorum, huius nominis [sc. geometriae] causam sic extitisse commemorat, dicens prius quidem d i m e n s i o n e s t e r r a r u m … populis pacis utilia praestitisse … Verum postquam ista reperta sunt, provocati studiosi ad illa invisibilia cognoscenda coeperunt quaerere quanto spatio a terra luna, a luna sol ipse distaret et usque ad verticem c a e l i quanta se mensura distenderet; quod peritissimos g e o m e t r a s adsecutos esse commemorat. 2 f in pulchritudine figuras, in figuris dimensiones, in dimensionibus numeros: Augustins Ästhetik basiert zentral auf einem zahlenmäßig fassbaren Maßbegriff. Schön und gefällig ist das, was durch festgelegte Maß- und Zahlenverhältnisse beschrieben werden kann. Mit einer solchen Definition folgt der Autor alten platonischen und stoischen Vorstellungen, deren Ziel und Eigenart es ist, die Schönheit möglichst objektiv und auf einer rationalen Basis nachvollziehbar zu machen. – Zu Plotins berühmter Kritik und Ablehnung einer solchen Maßästhetik – namentlich in Form der stoischen Symmetriethese – vgl. den Beginn seines Traktats Enn. I 6 ( ); dazu supra zu 2,11,33, Z. 53.42 5 f nulla ex parte, quod viderent oculi, cum eo, quod mens cerneret, conparandum: Augustin führt den platonischen Dualismus zwischen Sinneswahrnehmung und geistiger Erkenntnis streng und trennscharf durch. Die irdischen, mit körperlichen Augen erblickten Schönheiten sind mit den schönen Formen und Gestalten, welche im Geiste vorstellbar sind, nicht im entferntesten vergleichbar. Schönheit im mundus sensibilis steht auf einer völlig anderen „Qualitätsstufe“ (vgl. Z. 5: longe deteriorem) als die pulchritudo innerhalb des mundus intelligibilis. Dabei ist zu beobachten, dass Augustin in keiner Weise vom Körperlichen auf das Geistige zurückschließt, etwa in dem Sinne, dass der pulchritudo sensibilis gewissermaßen die körperlichen Komponenten geistig „entzogen“ bzw. „abstrahiert“ werden. Von einer solchen Abstraktionslehre, wie sie Augustin in der Vergangenheit mitunter unterstellt wurde,43 ist weder an anderen Stellen noch hier in De ordine das geringste Anzeichen erkennbar. Im Gegenteil: Der apriorische Charakter der geistigen Denkinhalte (hier: die Schönheit der geometrischen Formen und Figuren) wird insofern betont, als die Objekte der Sinneswahrnehmung mit diesen bereits vorhandenen, dem Geiste offenbar tief eingeprägten Vorstellungen verglichen werden und nicht etwa der umgekehrte Weg beschritten wird. Die 41
Vgl. in diesem Sinne bereits U. Pizzani, L’enciclopedismo varroniano, S. 196. Zur unterschiedlichen Relevanz des Maßes (der Symmetrie) für den Schönheitsbegriff bei Plotin einerseits und Augustin andererseits siehe ausführlich: H.-J. Horn, Stoische Symmetrie und Theorie des Schönen in der Kaiserzeit, in: ANRW, II 36/3, S. 1454–1472. 43 Vgl. neben anderen insbesondere den umstrittenen „klassischen“ Aufsatz von C. Boyer, La philosophie augustinienne ignore-t-elle l’abstraction?, in: Nouvelle Revue Théologique 10, 1930, S. 817–830; dazu supra zu 1,1,3, Z. 38; siehe auch zu 2,2,7, Z. 83 f. 42
2. Hauptteil: 2,15,42
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sensibilia, auf welche die menschliche ratio – gewissermaßen sekundär – mittels der Augen erst aufmerksam gemacht werden musste (vgl. Z. 1 f), werden an den intelligibilia als einer der ratio bereits inhärierenden Norm gemessen. Dass die auf diese Weise festgestellte Inferiorität körperlicher Schönheit gar in dem Urteil der Unvergleichbarkeit (nulla ex parte conparandum) mündet, entspricht dem nach platonischen Prämissen fundamentalen Unterschied zwischen der körperlich-realen und der ideell-geistigen Welt. 7 Motus eam [sc. rationem] caeli multum movebat: Augustin war in der astronomischen Literatur seiner Zeit recht gut belesen, wie seine Aussagen in conf. 5,3,3–6 deutlich zeigen. Die Sternkunde habe durch ihre Forschungen viel Wahres über die Schöpfung herausgefunden, hier sei ihm eine auf der Basis von Zahlen gegründete ratio begegnet, welche er in den höchst konfusen Verlautbarungen der Manichäer schmerzlich vermisst habe: multa tamen ab eis [sc. philosophis] ex ipsa creatura vera dicta retinebam, et occurrebat mihi ratio per numeros et ordinem temporum et visibiles attestationes siderum, et conferebam cum dictis Manichaei, quae de his rebus multa scripsit copiosissime delirans (5,3,6). Nach vera relig. 143 vermag die ratio durch die Betrachtung der Schönheit des Himmels vom Sichtbaren zum Unsichtbaren (a visibilibus ad invisibilia) und vom Zeitlichen zum Ewigen (a temporalibus ad aeterna) fortzuschreiten und aufzusteigen: Non enim frustra et inaniter intueri oportet p u l c h r i t u d i n e m c a e l i , o r d i n e m s i d e r u m , candorem lucis, dierum et noctium v i c i s s i t u d i n e s, lunae menstrua c u r r i c u l a , anni quadrifariam temperationem quadripertitis elementis congruentem.44 Das „seriöse“ Wissen um die Sterne und deren Bewegungen wird in c. acad. 1,8,22 von der „unseriösen“ Wissenschaft der Sterndeuter und Wahrsager positiv abgesetzt, gleichzeitig aber die Gestirne als sinnlich wahrnehmbare Körper dem lediglich geistig zugänglichen „wirklich wahren Gott“ (verissimus Deus) untergeordnet;45 vgl. auch ibid. 1,7,19. 8 f per constantissimas temporum vices, per astrorum ratos definitosque cursus, per intervallorum spatia moderata: Die konkreten Ausdrücke zur Bezeichnung der komplizierten, offenbar fest berechneten und damit staunenswerten Bewegungen des Himmels (motus caeli; Z. 7) bzw. am Himmel hat Augustin zum großen Teil bei inhaltlich ähnlichen Passagen im ciceronischen Werk gefunden und offensichtlich für seine eigene Formulierung genutzt; vgl. Tusc. 5,69: totius mundi m o t u s conversionesque perspexerit s i d e r a que viderit innumerabilia c a e l o inhaerentia cum eius ipsius m o t u congruere certis infixa sedibus, septem alia suos quaeque tenere c u r s u s multum inter se aut altitudine aut humilitate distantia, quorum vagi c a e l i m o t u s r a t a tamen et certa sui c u r s u s s p a t i a d e f i n i a n t … ex alio in aliud v i c i s s i t u d o ; vgl. nat. deor. 2,95: r a t o s inmutabilesque c u r s u s ; ibid. 2,97, wo explizit auf eine in den Sternenbewegungen erkennbare ratio ge44 Vgl. Cicero, nat. deor. 2,4; die Betrachtung des Himmels und seiner Erscheinungen sind für den Verständigen geradezu ein Gottesbeweis: Quid enim potest esse tam apertum tamque perspicuum, cum caelum suspeximus caelestiaque contemplati sumus, quam esse aliquod numen praestantissimae mentis, quo haec regantur? 45 Bei Plotin (Enn. 2,9,8) haben die Sterne den Rang von Göttern.
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II. Kommentar
schlossen wird: Quis enim hunc hominem dixerit, qui, cum tam certos c a e l i m o t u s, tam r a t o s a s t r o r u m o r d i n e s tamque inter se omnia conexa et apta viderit, neget in his ullam inesse r a t i o n e m … An … cum autem impetum c a e l i cum admirabili celeritate m o v e r i vertique videamus, c o n s t a n t i s s i m e conficientem v i c i s s i t u d i n e s anniversarias cum summa salute et conversatione rerum omnium, dubitamus, quin ea non solum r a t i o n e fiant, sed etiam excellenti divinaque r a t i o n e ? Siehe auch nat. deor. 2,54: hanc … in stellis c o n s t a n t i a m , hanc tantam tam variis c u r s i b u s in omni aeternitate convenientiam t e m p o r u m ; Tusc. 1,68: Ut … cum videmus … quinque stellas ferri eosdem c u r s u s c o n s t a n t i s s i m e servantis disparibus inter se m o t i b u s …; nat. deor. 2,51 (in Bezug auf die Planeten): m o t u s c o n s t a n t i s e t r a t o s ; ibid. 2,90 (vom Weltall): … cum vidissent m o t u s eius f i n i t o s et aequabiles omniaque r a t i s o r d i n i b u s m o d e r a t a inmutabilique c o n s t a n t i a . Die vielfachen sprachlichen, aber auch inhaltlichen Bezüge (vor allem der Topos: „Konstanz in der Bewegung“) macht die Bezugnahme auf nur eine Cicero-Stelle als literarische Vorlage sehr unwahrscheinlich; hier wie an unzähligen anderen Stellen innerhalb der Cassiciacum-Schriften wird deutlich, dass Augustin auf der Basis einer tief verinnerlichten Gesamt-Kenntnis der philosophica Ciceronis formuliert und philosophiert. 11 astrologiam: Die Übersetzung „Astrologie“ (Keseling, Weltregiment, S. 191) ist irreführend. Denn wie Cicero, der die „Astrologie“ wie eine scientia46 bzw. eine ars47 behandelt, versteht Augustinus unter dem griechischen Lehnwort astrologia – der hiesige Kontext ist eindeutig – nicht etwa die Sterndeutung, sondern die Sternkunde48 (= Astronomie). Was Augustin nämlich von dem Versuch hält, das Schicksal der Menschen aus der Stellung der Gestirne (constellationes) vorherzusagen, wird in conf. 7,6,8–10 mit beredten Worten geschildert.49 Doch nicht erst zur Zeit der Abfassung der „Bekenntnisse“, sondern bereits in Cassiciacum wird ein eindeutiges Urteil gefällt: die Sterndeutung sei eine superstitio quaedam puerilis (beat. vit. 1,4). Dagegen ist die Sternkunde, i. e. die methodische Untersuchung der Bewegungen und der räumlichen Entfernungen der Himmelskörper, eine von Augustin durchaus geschätzte Wissenschaft; siehe supra zu Z. 7. 46 Siehe rep. 1,22: … cuius (i. e. der sphaera des Thales von Milet) omnem ornatum et descriptionem sumptam ab Eudoxo multis annis post non astrologiae scientia sed poetica quadam facultate versibus Aratum extulisse. 47 Siehe de orat. 1,187: Omnia fere, quae sunt conclusa nunc artibus, dispersa et dissipata quondam fuerunt; ut in musicis numeri et voces et modi; in geometria lineamenta, formae, intervalla, magnitudines; in astrologia caeli conversio, ortus, obitus motusque siderum. Im Übrigen ist diese Cicero-Stelle für die Herkunft der augustinischen Einteilung der enzyklopädischen Wissenschaften höchst interessant, denn zusätzlich zur Musik, Geometrie und Astronomie wird im unmittelbaren Kontext auch die Grammatik (inklusive der Geschichte als „Nebenfach“) sowie die Rhetorik und – in § 188 – die philosophische „Dialektik“ erwähnt. 48 So gut und richtig übersetzt von Mühlenberg, Ordnung, S. 321; in demselben Sinne auch Doignon, BAug 4/2, S. 289: „astronomie“. 49 Vgl. bereits den Eingangssatz der genannten Passage (7,6,8): iam etiam mathematicorum fallaces divinationes et impia deliramenta reieceram.
2. Hauptteil: 2,15,43
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11 magnum religiosis argumentum: Die Beobachtung der auf wunderbare Weise geordneten Himmelsbewegungen hat für die religiösen Stoiker – vgl. Cicero, nat. deor. 2,4 – den Rang eines Gottesbeweises. 12 tormentumque curiosis: Dass besonders die Astronomie den „Neugierigen“ ein unendliches Feld der Betätigung bietet, sagt Augustin – mit einer gewissen Abwertung – auch in conf. 5,3,3: quoniam magnus es, domine, et humilia respicis, excelsa autem a longe cognoscis, nec propinquas nisi obtritis corde nec inveniris a superbis, nec si illi curiosa peritia numerent stellas et harenam et dimetiantur sidereas plagas et vestigent vias astrorum. Zur curiositas bei Augustinus vgl. supra zu 1,1 f,3, Z. 37; 1,8,24, Z. 37 und 2,5,17, Z. 46 f. 2,15,43: Arithmetik als Grundwissenschaft In his igitur omnibus disciplinis occurrebant ei omnia numerosa, quae tamen in illis dimensionibus manifestius eminebant, quas in se ipsa cogitando atque volvendo 15 intuebatur verissimas, in his autem, quae sentiuntur, umbras earum potius atque vestigia recolebat. Hic se multum erexit multumque praesumpsit, ausa est inmortalem animam conprobare. Tractavit omnia diligenter, percepit prorsus se plurimum posse et quicquid posset numeris posse. Movit eam quoddam miraculum et suspicari coepit se ipsam fortasse numerum esse eum ipsum, quo cuncta numerarentur, aut si id non 20 esset, ibi tamen eum esse, quo pervenire satageret. Hunc vero totis viribus conprehendit, qui iam universae veritatis index futurus, ille, cuius mentionem fecit Alypius, cum de Academicis quaereremus, quasi Proteus in manibus erat. Imagines enim falsae rerum earum, quas numeramus, ab illo occultissimo, quo numeramus, defluentes in sese rapiunt cogitationem et saepe illum, cum iam tenetur, elabi faciunt.
13 f in illis dimensionibus: Zweierlei „Dimensionen“ der Zahl werden von Augustin unterschieden, das ursprünglich Zahlhafte in der intelligiblen Welt, d. h. die Idealzahlen, welche nur geistig (cogitando atque volvendo; Z. 14) geschaut werden können, und die Zahlen in der sinnlich wahrnehmbaren Welt (quae sentiuntur; Z. 15), welche nicht eigentlich und selbstständig existieren, sondern – im ontologischen Sinne – gewissermaßen die „Schatten“ und „Spuren“ der ersteren darstellen. Dieselbe Unterscheidung ist im 3. Brief durchgeführt, wo der numerus intelligibilis dem numerus sensibilis gegenüber gestellt wird.50 Vgl. die Terminologie in mus. 6,10,26: sensibilis numerositas; 6,12,34: sensibiles numeri; 6,14,47: numeri sensuales; 6,17,58: rationales et intellectuales numeri. Im Hintergrund steht neuplatonisches 50 Epist. 3,2: ut quoniam numerus ille intellegibilis infinite crescit, non tamen infinite minuitur, nam non cum licet ultra monadem risolvere; contra sensibilis (nam quid est aliud sensibilis numerus, nisi corporeorum vel corporum quantitas?) minui quidem infinite, sed infinite crescere nequeat. Et ideo fortasse merito philosophi in rebus intellegibilibus divitias ponunt, in sensibilibus egestatem. A. Solignac (Doxographies, S. 135) sieht in der augustinischen „doppelten Zahlendimension“ das Erbe des Neupythagoreers Nikomachos von Gerasa; in diesem Sinne auch D. J. O’Meara (Pythagoras revived, S. 29, Anm. 79).
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II. Kommentar
Denken: vgl. z. B. Plotin, Enn. 6,3,13 (Unterscheidung der von den Zahlen ); dazu C. Horn, Zahlen, S. 393–395. 15 f umbras … atque vestigia: Dass das Sinnliche in seiner Schönheit nur ein „Schatten“ der geistig-idealen Schönheit sei und lediglich deren „Spuren“ aufweise, gehört zentral zum Vorstellungsbereich und Sprachgebrauch der Platoniker. Spezielle literarische Vorlage ist aber wohl Plotin, Enn. I 6; den kurzen und kannte Augustin – in der Übersetzung des berühmten Traktat Marius Victorinus – ausgesprochen gut, wie seine zahlreichen Anspielungen u. a. in De ordine zeigen.51 In Kap. 8 formuliert der Neuplatoniker: Offensichtlich hat die plotinische Trias von und nicht nur für die augustinischen umbrae und die vestigia das Vorbild abgegeben, sondern auch für den Ausdruck imagines (siehe Z. 22). – Zum Gebrauch der Ausdrücke umbra und vestigium bei Cicero (allerdings allesamt im nicht-platonischen Zusammenhang) vgl. die zahlreichen Beleg- und Vergleichsstellen bei H. H. Gunermann, Sprache, S. 163 f. 16 erexit [sc. ratio]: Auch bei Cicero (Cato 82) liest man die Wendung animus se erigit, außerdem ist wenig später von animi immortales die Rede (vgl. Augustinus: inmortalem animam; Z. 16 f): Nonne melius multo fuisset otiosam aetatem et quietam sine ullo aut labore aut contentione traducere? Sed nescio quomodo a n i m u s e r i g e n s s e posteritatem ita semper prospiciebat, quasi cum excessisset e vita, tum denique victurus esset. Quod quidem ni ita se haberet, ut a n i m i i m m o r t a l e s essent, haud optimi cuiusque animus maxime ad immortalitatem et gloriam niteretur. 16 praesumpsit: Vgl. ord. 1,9,27, Z. 8 f: Perventuros [sc. ad deum] autem nos iam … p r a e s u m i m u s et speramus; c. acad. 2,9,22: qui se superaturum inimicitias omnium fallaciarum, et veritate comprehensa, quasi in regionem suae originis rediens, triumphaturum de libidinibus, atque ita temperantia velut coniuge accepta regnaturum esse p r a e s u m i t , securior rediturus in coelum. Der Ausdruck praesumere ist offensichtlich ein terminus technicus für das Verlangen und die Vorbereitung der irdischen Seele für einen „Aufstieg zu Gott“ bzw. die „Rückkehr in den Himmel“; eben dieser Kontext der geplanten „Seelenreise“ ist auch hier in ord. 2,15,43 anzutreffen, vgl. insbesondere Z. 20: quo pervenire satageret. 16 f ausa est inmortalem animam conprobare: Das in der platonischen Schule unumstrittene Dogma von der (vgl. insbesondere die „Beweise“ im Phaidon) wird von Augustin recht häufig aufgegriffen, ausdrücklich bejaht und teilweise mit eigenen dialektischen „Beweismethoden“ rational einsichtig gemacht. Vgl. die eigens diesem Thema gewidmete Schrift De immortalitate animae, daneben c. acad. 3,17,37.38; beat. vit. 2,7; ord. 2,19,50; soliloq. 2,3,3 ff; epist. 3,4; aus späterer Zeit siehe vor allem mag. 13,41; trin. 10,7,9; epist.
51 Siehe supra zu 1,8,23, Z. 29 f; 1,8,24, Z. 47 f.54 f; 1,8,25, Z. 62; 2,2,6, Z. 43; 2,11,31, Z. 15; 2,11,33, Z. 54; 2,14,39, Z. 1.2.3.6; u. ö.
2. Hauptteil: 2,15,43
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137,3,12; serm. 240,4,4; vgl. K. Flasch, Augustin, S. 73–78; O’Daly, Anima, S. 328–330; Rist, Augustine, S. 95–97. 17 prorsus: Das Adverbium prorsus hier offensichtlich für „subjektiv-affirmatives utique, profecto“ gebraucht (Hensellek, Notabilien, S. 101); vgl. ähnlich c. acad. 2,3,9: Quid est enim philosophia? Amor sapientiae. Quid philocalia? Amor pulchritudinis. Quaere de Graecis. Quid ergo sapientia? nonne ipsa vera est pulchritudo? Germanae igitur istae sunt p r o r s u s, et eodem parente procreatae. Siehe auch ibid. 3,17,39. 18 f suspicari coepit se ipsam fortasse numerum esse: Für die Vorstellung, dass der ratio als (höchstem) Seelenteil eine zahlhafte Natur eigne, kann sich Augustin auf die Psychologie Plotins berufen: (Enn. 6,6,16). Daneben kannte Augustinus die diesbezügliche Vorstellung des Xenokrates, welcher nach dem mehrfachen Zeugnis Ciceros52 animus und numerus identifizierte; siehe ac. 2,124: Tenemusne quid sit a n i m u s ubi sit, denique scitne an ut Dicaearcho visum est ne sit quidem ullus; si est, trisne partes habeat ut Platoni placuit, rationis irae cupiditatis, an simplex unusque sit; si simplex, utrum sit ignis an anima an sanguis an ut Xenocrates n u m e r u s nullo corpore, quod intellegi quale sit vix potest; vgl. auch Tusc. 1,20: Xenocrates a n i m i figuram et quasi corpus negat esse ullum, n u m e r u m dixit esse, cuius vis, ut iam ante Pythagorae visum erat, in natura maxuma esset; ibid. 1,41: Si … aut n u m e r u s quidam est a n i m u s, quod subtiliter magis quam dilucide dicitur, aut quinta illa non nominata magis quam non intellecta natura, multo etiam integriora ac puriora sunt, ut a terra longissime se ecferant. 19 eum ipsum, quo cuncta numerarentur: Es wird die These diskutiert, ob die ratio nicht mit der Zahl selbst (eum ipsum) identisch sei. Dabei ist an die Zahl an sich, d. h. im Sinne eines „Gattungsbegriffs“ gedacht (wie z. B. in conf. 10,12,1953), insbesondere aber an die Eins als diejenige Zahl, mit deren Hilfe – jeweils durch Addition ihrer selbst – gezählt wird (vgl. z. B. mus. 1,12,22 f). Dass Augustin an das unum, i. e. das principium numerorum54, denkt und dabei die neuplatonische Ontologie im Hintergrund steht, wird aus zwei weiteren Formulierungen dieses Abschnitts deutlich. In Z. 20 wird festgestellt, dass die Zahl sich dort befinde, wohin die ratio strebe (quo pervenire satageret); in die Sprache Plotins zurückübersetzt hieße eben dieses, dass der auf der Rückkehr zu seinem Ursprung nunmehr das , gewissermaßen das letzte und äußerste Ziel seines Strebens, in den Blick nimmt. In Z. 23 wird das Prinzip des Zählens (quo nume52 Der Gedanke der zahlhaften Seele war (teils in direkter, meist jedoch indirekter Abhängigkeit von der xenokratischen These) in der Philosophie der Antike weit verbreitet und taucht sehr verstreut an den unterschiedlichsten Stellen auf; vgl. Aristoteles, De anima 1,414 ff; Plutarch, Decret. phil. 4,2; Nemesios von Emesa, De natura hominis, passim; Macrobius, In somnium Scipionis 1,14; dazu H. H. Gunermann, Sprache, S. 58; zum Stellenwert des Gedankens bei Augustin: J. Rief, Ordobegriff, S. 203 ff. 53 … sensi etiam numeros omnibus corporis sensibus quos numeramus, sed illi alii sunt quibus numeramus, nec imagines istorum sunt et ideo valde sunt. 54 Vgl. mus. 1,11,19 ff.
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II. Kommentar
ramus) gar als illud occultissimum55 bezeichnet, ebenfalls in deutlicher Anspielung auf die Henologie Plotins. 19 f aut si id non esset: Die Alternative, ob die ratio gänzlich Zahl ist oder aber die Zahlen „das Beste und Mächtigste“ in ihr darstellen, lässt Augustin auch in ord. 2,18,48 (Z. 16–18) offen: … in ratione autem aut nihil esse melius et potentius numeris, aut nihil aliud quam numerum esse rationem. 20 f Hunc … totis viribus conprehendit: Vorverweis auf den Vergleich mit Proteus, der der Sage nach mit aller Kraft festgehalten werden muss, damit er seine Weisheit verkündet; siehe infra zu Z. 22. 21 universae veritatis index: Die Zahl ist „Kennzeichen“, „Inbegriff “ und „Ausdruck der universalen Wahrheit“. Denn dass die untrüglichen und immerwährend gültigen Regeln der Arithmetik und Mathematik die veritas in besonderer Weise widerspiegeln, hat Augustin insbesondere in seinem Frühwerk häufig betont; vgl. c. acad. 2,3,9; 3,11,25; ord. 2,19,50; lib. arb. 2,38; 2,134; immort. 2,2; doctr. christ. 2,56; divers. quaest. 81,1; siehe hierzu H.-I. Marrou, culture, S. 286– 288 (= Bildung, S. 244 f); E. König, philosophus, S. 78 f; C. Horn, Augustinus, S. 66–71. – Andererseits besitzt der Ausdruck index eine Nuance, die bereits auf den Vergleich mit dem weissagenden Proteus (Z. 22) hindeutet. Danach ist die Zahl „Wegweiser zur gesamten Wahrheit“ (Keseling, Weltregiment, S. 192) bzw. deren „Offenbarung“ (vgl. Doignon, BAug 4/2, S. 291: „révélateur“).56 22 cum de Academicis quaereremus: Anspielung auf die Erwähnung des Proteus durch Alypius in c. acad. 3,5,11. Die hiesige Stelle hat ihre Bedeutung für die Chronologie der Cassiciacum-Schriften; vgl. supra zu 1,3,7, Z. 20 f. 22 Proteus: Der wahrsagende Meergreis, der sein Wissen erst preisgab, nachdem er im Ringkampf, während dessen er sich in die unterschiedlichsten Formen und Gestalten verwandelte, überwunden wurde (vgl. Homer, Odyssee 4,364 ff; Vergil, georg. 4,388 ff 57). Augustinus wird wohl die Fassung des Vergil vor Augen gehabt haben, wie die wörtlichen Übereinstimmungen (Vergil, georg. 4,405/410: manibus, tenebis, dilapsus; Aug.: manibus, tenetur, elabi) deutlich zeigen. – In civ. 10,10 vergleicht der Bischof von Hippo den Satan mit dem wandlungsfähigen Proteus.
55 Vgl. sehr ähnlich secret(issim)us als das Gottesprädikat in c. acad. 1,1,3; 12,25; 8,22; soliloq. 1,8,15; beat. vit. 4,35. 56 In c. acad. 3,5,11 erscheint der index ebenfalls innerhalb eines Proteus-Vergleiches, bezieht sich aber nicht wie hier auf Proteus selbst, sondern auf diejenige Gottheit, die Proteus (im dortigen Zusammenhang: die skeptischen Akademiker) zu ergreifen hilft: suamque imaginem et quasi speculum quoddam in P r o t e o illo animadverti oportere, qui traditur eo solere capi quo minime caperetur, investigatoresque eius nunquam eumdem tenuisse, nisi i n d i c e alicuius modi numine. 57 Weitere Anspielungen auf den in der Antike für seine Wandlungsfähigkeit berühmten Meergott: Platon, Euthyd. 288 b 8; Euthyphr. 15 d; Ion 541 e; Ovid, met. 8,731; 11,221 ff; Licentius, carm. ad Aug. 18–21: Protea namque ferunt veterum commenta Pelasgum / qui dum sollicitis non vult aperire futura / spumat aper, fluit unda, fremit leo, sibilat anguis / captum aliquando tamen in munera parva volucrum.
2. Hauptteil: 2,16,44
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22 Imagines … falsae: Die sinnlich wahrnehmbaren Abbildungen der ideellen Zahlen sind im ontologischen Sinne „falsch“, d. h. hier: sie sind nicht im eigentlichen Sinne seiend. Vgl. conf. 10,12,19. – Auf der Ebene des Proteus-Vergleichs sind die imagines falsae als die tückisch-trügerischen Verwandlungen des Meeresgottes zu deuten. 23 f defluentes … elabi: Augustin bedient sich der einschlägigen platonischen Terminologie für die Bezeichnung der Vergänglichkeit innerhalb der Sinnenwelt; vgl. z. B. Cicero, orat. 10: Has rerum formas appellat ideas ille non intellegendi solum sed etiam dicendi gravissimus auctor et magister Plato, easque gigni negat et ait semper esse ac ratione et intellegentia contineri; cetera nasci occidere f l u e r e l a b i nec diutius esse uno et eodem statu. Quicquid est igitur de quo ratione et via disputetur, id est ad ultimam sui generis formam speciemque redigendum. 2,16,44: Die Einheit der Wissenschaften 1 Quibus si quisque non cesserit et illa omnia, quae per tot disciplinas late varieque dif-
fusa sunt, ad unum quiddam simplex verum certumque redegerit, eruditi dignissimus nomine non temere iam quaerit illa divina non iam credenda solum verum etiam contemplanda intellegenda atque retinenda. Quisquis autem vel adhuc servus cupi5 ditatum et inhians rebus pereuntibus vel iam ista fugiens casteque vivens, nesciens tamen, quid sit nihil, quid informis materia, quid formatum exanime, quid corpus, quid species in corpore, quid locus, quid tempus, quid in loco, quid in tempore, quid motus secundum locum, quid motus non secundum locum, quid stabilis motus, quid sit aevum, quid sit nec in loco esse nec nusquam, quid sit praeter tempus et semper, 10 quid sit et nusquam esse et nusquam non esse et numquam esse et numquam non esse, quisquis ergo ista nesciens, non dico de summo illo deo, qui scitur melius nesciendo, sed de anima ipsa sua quaerere ac disputare voluerit, tantum errabit, quantum errari plurimum potest. Facilius autem ista cognoscet, qui numeros simplices atque intellegibiles conprehenderit; porro istos conprehendet, qui et ingenio valens 15 et privilegio aetatis aut cuiuslibet felicitatis otiosus et studio vehementer incensus memoratum disciplinarum ordinem, quantum satis est, fuerit persecutus. Cum enim artes illae omnes liberales partim ad usum vitae partim ad cognitionem rerum contemplationemque discantur, usum earum assequi difficillimum est nisi ei, qui ab ipsa pueritia ingeniosissimus instantissime atque constantissime operam dederit.
1 f quae per tot disciplinas … diffusa sunt, ad unum … certumque redegerit: Gunermann (Sprache, S. 102) weist mit Recht auf Cicero, orat. 142, als „enge Parallele“ hin; auch dort ist diffundere als oppositives Iuxta positum mit certum und redigere verbunden, zudem erscheint im unmittelbaren Zusammenhang der zentrale Begriff der „Wissenschaft“ (Cicero: ars; Aug.: disciplina): Est enim, ne forte nescias, heri nobis ille hoc … pollicitus se ius civile, quod nunc d i f f u s u m et dissipatum esset, in c e r t a genera coacturum et ad a r t e m facilem r e d a c t u r u m . 2 simplex verum: Dieselbe Junktur zweimal bei Cicero belegt; vgl. ac. 1,7: Magnum est efficere ut quis intellegat, quid sit illud v e r u m e t s i m p l e x bonum quod
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II. Kommentar
non possit ab honestate seiungi; off. 1,13: Ex quo intellegitur, quod v e r u m s i m p l e x sincerumque sit, id esse naturae hominis aptissimum. 3 f non iam credenda solum verum etiam … intellegenda: Die Konjunktion non solum – verum etiam ist signifikant und verweist auf das spezifisch augustinische Schema der zeitlichen Priorität des Glaubens vor dem Erkennen; vgl. c. acad. 3,20,30: ita enim iam sum affectus, ut quid sit verum, n o n credendo s o l u m s e d e t i a m intellegendo apprehendere impatienter desiderem; ord. 2,19,50, Z. 28 f (von der anima bene erudita): Gradatim enim se et ad mores vitamque optimam n o n i a m sola fide, s e d certa ratione perducit; vgl. den später auf die eigene Entwicklung zurückblickenden Augustinus in trin. 15,28,51: et desideravi intellectu videre quod credidi. Siehe auch supra zu 2,9,26, Z. 3 (s. v.: Tempore auctoritas, re autem ratio prior est). Die Vorstellung von den beiden zeitlich aufeinander folgenden Erkenntnisarten kann im augustinischen Sinne auch biblisch verankert werden: nisi credideritis, non ).59 intellegetis58 (nach LXX Is. 7,9: 4 contemplanda intellegenda atque retinenda: Der glückseligen „Schau“ des Göttlichen (contemplari), welche im heidnischen Neuplatonismus – speziell bei Plotin – vorrangig angestrebt wird, setzt Augustin gleichsam als korrigierende Elemente das intellektuelle „Verstehen“ (intellegere) und das gedächtnisgestützte „Behalten“ (retinere) hinzu. Die plotinische Vereinigung mit der höchsten Gottheit ( ) in der Ekstase, nach deren Vollzug – aufgrund des Übersteigens der eigenen Geistigkeit – auch ein Wiedererinnern unmöglich ist, wird von Augustin in dieser absoluten Form nirgends akzeptiert. Augustin ist zu sehr Rationalist und zu sehr an sprachlich mitteilbaren Erkenntnissen über „Gott und die Seele“ interessiert, als dass er Intellekt und Gedächtnis einer rein mystisch-kontemplativen Gottesschau opferte.60 58
Zuerst zitiert in mag. 11,37; siehe auch lib. arb. 2,17 u. ö. Zu voraugustinischen Traditionen, bes. zur alexandrinischen Religionsphilosophie und (z. B. Clem. Alex. strom. 5,1,1,4; ihrem wiederholt ziterten Programm 6,15,126,2) vgl. K.-H. Lütcke, Auctoritas, S. 35; C. Riedweg, Mysterienterminologie, S. 138 f; J. C. M. Van Winden, Glauben, S. 397–412; T. Kobusch, Christentum, S. 442–446. 60 Das in einer älteren Forschungsphase umstrittene und viel diskutierte Problem, ob Augustin als Mystiker bezeichnet werden kann, hängt naturgemäß davon ab, was unter Mystik jeweils verstanden wird. Vgl. dazu bereits R. Lorenz, Augustin, Sp. 744: „Die Entscheidung hängt vom Begriff der Mystik ab, den man verwendet.“ Die Frage wird heute meist dahingehend beantwortet, dass der Gnoseologie Augustins zwar bestimmte „mystische Züge“ nicht abzusprechen seien (der allgemeine Hang zum Kontemplativen, die Suche nach der Nähe Gottes, das mit asketischem Grundzug versehene „In-Sich-Selbst-Versenken“ etc.), dass aber das für den Mystiker charakteristische – wenn nicht konstitutive – Element des Verschmelzens von Gott und Seele im Sinne einer „umwandelnde[n] Einigung mit Gott“ (A. Schindler, Augustin, S. 668 f) bei Augustin nicht, zumindest nicht in seiner „Reinform“ zu finden sei. Siehe hierzu E. Hendrikx, Augustins Verhältnis zur Mystik, Würzburg 1936; ders., Augustins Verhältnis zur Mystik, in: Scientia Augustiniana, 1975, S. 107–111; H. Meyer, War Augustin Intellektualist oder Mystiker?, in: AM 1, 1955, S. 429–437; F. Cayré, Notion de la mystique d’après les grands traités de saint Augustin, in: AM 2, 1955, S. 609–622; ders., La contemplation augustinienne. Principes de Spiritualité et de Théologie, Paris 1954; J. A. Mourant, Ostia Reexamined: A Study in the Concept of Mystical Experience, in: IJPR 1, 1970, S. 34–45. 59
2. Hauptteil: 2,16,44
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4 f servus cupiditatum: Die Wendung kennt Augustin aus Cicero, welcher diese Verr. 2,58 gebraucht: Vidit [sc. Verres] eos qui iudiciorum se dominos dici volebant harum c u p i d i t a t u m esse s e r v o s. Siehe auch Tusc. 2,12: Videre licet alios [sc. philosophos] tanta levitate et iactatione, ut iis fuerit non didicisse melius, alios pecuniae cupidos, gloriae non nullos, multos l i b i d i n u m s e r v o s, ut cum eorum vita mirabiliter pugnet oratio; zu vergleichen ist noch rep. 3,37: animus corpori dicitur imperare, dicitur etiam l i b i d i n i , sed corpori ut rex civibus suis aut parens liberis, l i b i d i n e autem ut s e r v i s dominus … ) rangiert in der für 6 informis materia: Die formlose Materie (griech. Augustin maßgebenden plotinischen Philosophie auf der untersten ethischen wie ontologischen Stufe, dem Nichts ( ) benachbart bzw. mit ihm identifiziert. Erst durch Hinzutreten der Form oder „Idee“ ( ) entstehen aus der Materie, die sowohl unsichtbar als auch unfassbar ist, die sinnlich wahrnehmbaren Körperdinge ( ). Die Provenienz der amorphen Materie als das Böse schlechthin stellt innerhalb eines streng monistisch ausgerichteten Systems – wie etwa im Neuplatonismus – ein nicht unerhebliches Problem dar: Denn wie kann die „böse Materie“ sich aus dem Einen ( ) als dem Ersten und Gutem ( ) ableiten? Oder existiert sie unabhängig von den sogenannten oberen Hypostasen ( )? Dann aber gefährdet ein latenter Dualismus den ansonsten so vehement verteidigten organischen Monismus.61 – Im Gegensatz zu Plotin ist Augustin eindeutig: Auch die materia informis ist von Gott geschaffen, und zwar aus dem Nichts (ex nihilo). Obwohl die Materie nach plotinischem Vorbild in allerengster Nähe zum Nichts angesiedelt wird (z. B. vera relig. 96 f: divers. quaest. 4; conf. 12,6,6: quiddam inter formam et nihil, nec formatum nec nihil; ibid. 12,8,8: prope nihil, paene nulla res, paene nihil; gen. ad. litt. 1,15,29,13: prope nihil), wird eine vollständige Identifikation sorgsam vermieden. Statt dessen wird die Materie als die capacitas formae sogar als ein unterstes und letztes bonum gewürdigt; siehe die klassischen, mit aller wünschenswerten Klarheit formulierten Aussagen in vera relig. 97: Quapropter etiam si de aliqua informi materia factus est mundus, haec ipsa facta est omnino de nihilo. Nam et quod nondum formatum est, tamen, aliquo modo ut formari possit inchoatum est, dei beneficio formabile est; bonum est enim esse formatum. Nonnullum ergo bonum est et capacitas formae; et ideo bonorum omnium auctor, qui praestitit formam, ipse fecit etiam posse formari. Ita omne quod est in quantum est, et omne quod nondum est in quantum esse potest, ex deo habet. 8 stabilis motus: Nach K. Staritz, Schöpfungsglaube, S. 100, ein Ausdruck, der auf die philosophisch-theologische Aussage von der Unwandelbarkeit Gottes zielt; zustimmend P. Keseling, Weltregiment, S. 246 f. 9 quid sit nec in loco esse nec nusquam: Vgl. die Parallelstelle lib. arb. 2,152; dort heißt es von der „Schönheit der Wahrheit und Weisheit“: nullo loco est, nus-
61 Vgl. zu diesem ontologischen Dilemma die Ausführungen bei J. Trelenberg, Einheit, S. 48–53; dort auch die einschlägige Literatur.
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II. Kommentar
quam deest; zur Frage nach Lokalität oder Ubiquität Gottes siehe die berühmten Sätze zu Beginn der „Bekenntnisse“ (conf. 1,2,2–3,3). 10 f quid sit et nusquam esse et nusquam non esse et numquam esse et numquam non esse: Mit zwei Paradoxien schließt Augustin seine Aufzählung ontologischer Kategorien (Z. 6–11), welche allesamt erkennbar dem neuplatonischen System entnommen sind. Vgl. I. Hadot, Arts, S. 127 f: „l’énumération de ces notions proprement philosophiques constitue en quelque sorte une liste des chapitres d’une ontologie néoplatonicienne“. Dabei ist zu beobachten, dass die Reihenfolge – im Sinne des bekannten Stufenmodells – streng „von unten nach oben“ führt. Zuerst wird das „Nichts“ (nihil) aufgeführt, sodann die „amorphe Materie“ (materia informis),62 danach das aus der Materie Geformte, wobei das „geformte Leblose“ (formatum exanime) dem untergeordnet wird, was auch lebendig und geformt sein kann (= corpus). Die gleichsam höchste Kategorie, die sich innerhalb des Körperlichen manifestiert, ist schließlich die „Form“ (species in corpore). Es folgen Kategorien, die sich an den beiden grundlegenden Dimensionen des Ortes (locus) und der Zeit (tempus) orientieren. Die Gegenstände der hiesigen, sinnlich wahrnehmbaren Welt sind allesamt an Ort und Zeit gebunden (in loco; in tempore); ihre Bewegung vollzieht sich immer örtlich, innerhalb der Koordinaten des Raumes (motus secundum locum). Der körperlich-sinnliche Bereich wird nunmehr endgültig verlassen: mit der „nicht-örtlichen Bewegung“ (motus non secundum locum) wird eine Veränderung bezeichnet, welche nur das Seelische betreffen kann.63 Die sogenannte „feststehende Bewegung“ (stabilis motus) wie auch die „Ewigkeit“ (aevum) weisen bereits auf die höheren Sphären innerhalb der intelligiblen Welt.64 Diese höchsten Ideen existieren völlig ungebunden von Ort und Zeit, sind allgegenwärtig und ewig (nec in loco esse nec nusquam; praeter tempus et semper).65 Die beiden letzten Paradoxien (nusquam esse et nusquam non esse et numquam esse et numquam non esse) erinnern an das hyperontische, d. h. jenseits ). und oberhalb allen Seins anzusiedelnde neuplatonische Eine ( 11 f de summo illo deo, qui scitur melius nesciendo: In dem berühmten Satz drückt sich die sog. „negative Theologie“ Augustins aus, welche als ihren Kerngedanken das Paradoxon verkündet, dass man von Gott nur wissen könne, wie er nicht ist. Eine solche Sichtweise, die den großen Abstand des unfasslichen, alle Sinne und selbst das Denken übersteigenden Gottesbegriffs betonen will, entstammt insbesondere der Vorstellungswelt der Neuplatoniker; vgl. z. B. Plo62
Siehe supra zu Z. 6. Vgl. z. B. epist. 18: alles Körperliche, so Augustin, sei örtlich als auch zeitlich wandelbar (per locos et tempora mutabilis); daneben gebe es ein Wesen, welches in örtlicher Hinsicht keineswegs, sondern nur in zeitlicher Hinsicht der Veränderung unterworfen sei, dazu müsse man die Seele (anima) rechnen. Das ganz und gar unveränderliche, gleichsam außerhalb von Raum und Zeit existierende Wesen, müsse Gott (deus) genannt werden. 64 Siehe supra zu Z. 8. 65 Vgl. als augustinische Beispiele die veritas bzw. sapientia in lib. arb. 2,152; siehe supra zu Z. 9. 63
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tin, Enn. 5,3,13; 6,8,8 ff;66 Porphyrios, sent. 25 ( [sc. ] );67 zum Gottesbegriff bei Numenios vgl. J. Barion, Gottesproblem, S. 24. Sehr prägnante Formulierung der „Negativtheologie“ bei Augustin in der Parallelstelle ord. 2,18,47, Z. 13 f: … parentem universitatis, cuius nulla scientia est in anima nisi scire, quomodo eum nesciat; vgl. auch mor. eccl. 11; gen. c. Man. 1,14; die „Unaussprechlichkeit“ der Größe Gottes ist betont in lib. arb. 3,120 ff; vgl. auch conf. 1,4,4: quid dicit aliquis cum de te dicit? et vae tacentibus de te, quoniam loquaces muti sunt; doct. christ. 1,6; trin. 7,4 ff; in psalm. 85,12. – In einem latenten Widerspruch dazu steht beim Augustinus von Cassiciacum ein ausgeprägter Erkenntnisoptimismus, welcher sich nachweislich und ausdrücklich auch auf den Gottesgedanken erstreckt; dabei ist es insbesondere die (neuplatonische) Philosophie, die eine diesbezügliche Erkenntnis bereits in diesem Leben erwarten lässt; vgl. ord. 2,9,26, bes. Z. 13–15: … et quid praeter universa universorum principium. Ad quam cognitionem in hac vita pervenire pauci, ultra quam vero etiam post hanc vitam nemo progredi potest; c. acad. 1,1,3: Ipsa [sc. philosophia] verissimum et secretissimum deum perspicue se demonstraturam promittit, et iam iamque quasi per lucidas nubes ostentare dignatur; vgl. auch ibid. 2,3,9; soliloq. 1,15,27. 12 de anima: Charakteristisch für die Gnoseologie Augustins ist, dass der Frage nach Gott unmittelbar die Frage de anima folgt. Es sind diese beiden zentralen Erkenntnisinhalte, auf welche sich das exklusive Interesse des Philosophen von Cassiciacum richtet; vgl. supra zu 1,1 f,3, Z. 37 und 2,5,17, Z. 41. 12 f tantum errabit, quantum errari plurimum potest: Th. Fuhrer (Contra Academicos, S. 393) vergleicht die hiesige Aussage über das Ausmaß des Irrens mit der Stelle c. acad. 3,15,34 (die Gegenüberstellung der beiden errores des nimis credulus einerseits und des Akademikers andererseits) und erkennt auch hier „antiskeptische Kritik“. 13 cognoscet: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 15 privilegio aetatis: Keseling (Weltregiment, S. 193) übersetzt „durch das Vorrecht des Alters“; Mühlenberg (Ordnung, S. 365, Anm. 38) erwägt als Alternative die Übersetzung „Gunst des Zeitalters“, allerdings sind die übrigen in diesem Zusammenhang genannten Voraussetzungen für Bildung und Erkenntnis sämtlich biographischer Art, nämlich die gute geistige Anlage (ingenium), das persönliche Glück (felicitas), die notwendige freie Zeit (otiosus) und der motivierende Eifer (studium) für das Absolvieren des umfangreichen Lernprogramms. 17 f ad cognitionem rerum contemplationemque: Cicero hat dieselbe Wortverbindung mehrfach; besonders nahe steht Tusc. 5,9: … raros esse quosdam, qui ceteris omnibus pro nihilo habitis rerum naturam studiose intuerentur; hos se appellare sapientiae studiosos – id est enim philosophos -; et ut illic liberalissimum esset spectare nihil sibi adquirentem, sic in vita longe omnibus studiis c o n t e m p l a t i o n e m r e r u m 66 Weitere Belege aus den Enneaden bei J. Barion, Gottesproblem, S. 65 ff. 164 f; M. Schmaus, Trinitätslehre, S. 81; O. Perler, Nus, S. 25. 67 Zur Nachwirkung dieser speziellen Formulierung bei Augustin siehe W. Theiler, Neuplatonismus, S. 173, Anm. 29.
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II. Kommentar
c o g n i t i o n e m q u e praestare. Mit einigem Recht vermutet Gunermann (Sprache, S. 70) aufgrund zusätzlicher inhaltlicher Übereinstimmungen eine augustinische „Reminiszenz“: a) Sowohl bei Cicero als auch bei Augustin werde die geringe Anzahl der Erkenntnisfähigen betont (Cic.: raros esse quosdem, qui …; Aug.: difficillimum est nisi ei, qui …); b) die theoretische Erkenntnis werde jeweils als liberalis gekennzeichnet; c) an beiden Stellen sei im unmittelbaren Kontext die Bedeutung der wissenschaftlichen Studien (artes, studia) als Voraussetzung für eine schauende Erkenntnis genannt. – Sprachlich affin ist auch fin. 5,11: Vitae autem degendae ratio maxime quidem illis placuit quieta, in c o n t e m p l a t i o n e e t c o g n i t i o n e posita r e r u m , quae quia deorum erat vitae simillima, sapiente visa est dignissima. Vgl. off. 1,153: Etenim c o g n i t i o c o n t e m p l a t i o q u e [naturae] manca quodam modo atque inchoata sit, si nulla actio rerum consequatur. Ibid. 1,154: Quis enim est tam cupidus in perspicienda cognoscendaque rerum natura, ut, si ei tractanti c o n t e m p l a n t i q u e r e s c o g n i t i o n e dignissimas subito sit allatum periculum discrimenque patriae, cui subvenire opitularique possit, non illa omnia relinquat atque abiciat …? 17 f contemplationemque: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. 2,17,45: Die gezielte Auswahl des Lernstoffes 1 Quod vero ex illis ad id, quod quaerimus, opus est, ne te quaeso, mater, haec velut
rerum inmensa quaedam silva deterreat. Etenim quaedam de omnibus eligentur numero paucissima, vi potentissima, cognitione autem multis quidem ardua, tibi tamen, cuius ingenium cotidie mihi novum est et cuius animum vel aetate vel ad5 mirabili temperantia remotissimum ab omnibus nugis et a magna labe corporis emergentem in se multum surrexisse cognosco, tam erunt facilia quam difficilia tardissimis miserrimeque viventibus. Si enim dicam te facile ad eum sermonem perventuram, qui locutionis et linguae vitio careat, profecto mentiar. Me enim ipsum, cui magna necessitas fuit ista perdiscere, adhuc in multis verborum sonis Itali exagitant 10 et a me vicissim, quod ad ipsum sonum attinet, reprehenduntur. Aliud est enim esse arte, aliud gente securum. Soloecismos autem quos dicimus fortasse quisque doctus diligenter attendens in oratione mea reperiet; non enim defuit, qui mihi nonnulla huius modi vitia ipsum Ciceronem fecisse peritissime persuasisset. Barbarismorum autem genus nostris temporibus tale conpertum est, ut et ipsa eius oratio barbara 15 videatur, qua Roma servata est. Sed tu contemptis istis vel puerilibus rebus vel ad te non pertinentibus ita grammaticae paene divinam vim naturamque cognosces, ut eius animam tenuisse, corpus disertis reliquisse videaris.
1 f velut rerum inmensa quaedam silva: Cicero verwendet in seinen Rhetorica das Bild des „Waldes“ mehrfach, um den großen Umfang eines „Stoffes“ (im weitesten Sinne) zu kennzeichnen. Mitunter setzt er ein den Vergleich einleitendes und milderndes quasi bzw. quandam voran (vgl. Aug.: velut und quaedam); dem augustinischen Zusatz inmensa entspricht bei Cicero: magna, infinita, omnis, universa; zweimal erscheint sogar das Genitivattribut rerum. Sprachlich am
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nächsten steht daher die Formulierung de orat. 3,93: Rerum est silva magna …;68 vgl. ibid. 3,103: qua re, ut ante dixi, primum silva rerum comparanda est; ibid. 2,65: Atque in hoc genere illa quoque est infinita silva; ibid. 3,118: … cui loco omnis virtutum et vitiorum est silva subiecta …; orat. 12: Omnis … ubertas est quasi silva dicendi ducta ab illis est; ibid. 139: nam quasi silvam vides …; inv. 1,34: … quandam silvam atque materiam universam … – Eine gewisse Parallele findet sich in c. acad. 3,4,7, wo der disciplinarum circulus (vgl. griech.: ) mit einem verwirrenden labyrinthus verglichen wird. 3 cognitione autem multis quidem ardua: Zum augustinischen Topos, dass die vertiefte Erkenntnis philosophischer Weisheit nicht vielen vergönnt sei, sowie zur platonischen (aber auch allgemein-philosophischen) Provenienz dieser Vorstellung vgl. supra zu 1,2,3, Z. 44 f; 2,5,16, Z. 29; 1,11,32, Z. 33; 2,9,26, Z. 14. 4 ingenium: Gern attestiert Augustin seinen Gesprächsteilnehmern, Schülern, Freunden und Verwandten ihr herausragendes ingenium; vgl. supra zu 2,1,1, Z. 4. 4 f admirabili temperantia: Zur „bewundernswerten Selbstbeherrschung“ Monicas vgl. übereinstimmend die liebevolle Kurzbeschreibung ihres Lebens und ihres Charakters durch Augustin in conf. 9,8,17–9,22. 5 labe corporis: Eine nähere Erläuterung der labes corporis bietet soliloq. 1,6,12, wonach unter der „Befleckung des Leibes“ (Übersetzung Keseling) die „Begierden nach vergänglichen Dingen“ zu verstehen sind: Oculi sani mens est ab omni labe corporis pura, id est, a cupiditatibus rerum mortalium iam remota atque purgata. 6 emergentem: Das Bild des „Auftauchens“ (sc. aus dem unheilvollen Streben nach Vergänglichem) ist auch in c. acad. 1,1,1 verwendet: sinatque [sc. deus] mentem illam tuam, quae respirationem iamdiu parturit, aliquando in auras verae libertatis e m e r g e r e . Siehe auch soliloq. 1,14,25: Nos autem quantum e m e r s e r i m u s, videmur nobis uidere: quantum autem m e r s i eramus, et quo progressi fueramus, nec cogitare, nec sentire permittimur, et in comparatione gravioris morbi sanos esse nos credimus. Der Vergleich stammt offensichtlich, wie Doignon (BAug 4/2, S. 297, Anm. 213) richtig sieht, aus Cicero, fin. 3,48 bzw. 4,64.69 Vgl. dazu dens., Clichés, S. 143. 6 in se: „Ist in se zu emergentem oder zu surrexisse zu ziehen?“, fragt W. Hensellek, Notabilien, S. 89. Die sogenannten „architektonischen“ Gründe sprechen für die zweite Alternative, denn es ergibt sich ein mit remotissimum beginnender und mit emergentem endender chiastisch aufgebauter „Attribut-Bogen“. Inhaltlich 68 Jedoch nicht: Rerum est silva immensa …, wie Gunermann (Sprache, S. 43) wohl versehentlich abdruckt. 69 Beide Cicero-Stellen weisen eine besondere Affinität zu c. acad. 1,1,1 auf; hier wie dort wird jeweils von dem Ziel des „Atemholens“ (respiratio, respirare) gesprochen; fin. 3,48: ut enim qui d e m e r s i sunt in aqua nihilo magis r e s p i r a r e possunt, si non longe absunt a summo, ut iam iamque possint e m e r g e r e , quam si etiam tum essent in profundo; fin. 4,64: Quis enim ignorat, si plures ex alto e m e r g e r e velint, propius fore eos quidem ad r e s p i r a n d u m , qui ad summam iam aquam adpropinquent, sed nihilo magis r e s p i r a r e posse quam eos, qui sint in profundo?
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II. Kommentar
hält Hensellek das „Zu-sich-Kommen / Emportauchen“ für die wahrscheinlichere Variante und belegt dies mit einigen sprachlich und inhaltlich affinen Parallelstellen aus Augustinus selbst. Aber auch das „Zu-sich-selbst-Erheben“ ist keineswegs eine unmögliche Vorstellung;70 ein Aufstieg zu sich selbst, d. h. zu den höheren (geistigen) Sphären der eigenen Persönlichkeit – etwa zur eigenen ratio – ist ein genuin neuplatonischer Gedanke, der für den Augustin von Cassiciacum in keiner Weise anstößig sein kann. 8 f Me enim ipsum, cui magna necessitas fuit ista perdiscere: Über den eigenen Grammatikunterricht in der lateinischen Sprache vgl. den wertenden Rückblick Augustins im 1. Buch der confessiones, insbesondere conf. 1,14,23. 8 f Me … adhuc in multis verborum sonis Itali exagitant: Offenbar sprach Augustin einen afrikanischen Akzent, der sich vom italischen unterschied; vgl. P. Brown, Augustinus, S. 73. Zur allgemeinen Überbewertung von Aussprachemängeln eines Menschen im Vergleich zu seinen moralischen Defiziten vgl. conf. 1,18,29. 11 Soloecismos: Zum sog. Solözismus ( ) als Sprachfehler vgl. supra zu 2,4 f,13, Z. 38. 12 f nonnulla huius modi vitia ipsum Ciceronem fecisse: Vgl. aufschlussreich die Wertung des Aulus Gellius (noctes Atticae 17,1,1) über gewisse Autoren, die sich in ihren Pamphleten anmaßen, die Sprache Ciceros zu tadeln: Ut quidam fuerunt monstra hominum, quod de dis inmortalibus impias falsasque opiniones prodiderunt, ita nonnulli tam prodigiosi tamque vecordes exstiterunt, in quibus sunt Gallus Asinius et Larcius Licinus, cuius liber etiam fertur infando titulo Ciceromastix, ut scribere ausi sint M. Ciceronem parum integre atque inproprie atque inconsiderate locutum. Auch von Didymus Alexandrinus (gest. 398) ist überliefert, er habe einen sogenannten Ciceromastix verfasst. ) als Sprachfehler 13 Barbarismorum: Zum sog. Barbarismus ( vgl. supra zu 2,4 f,13, Z. 38. 14 f oratio …, qua Roma servata est: Gemeint ist natürlich die erste der Catilinarischen Reden (gehalten in der Senatssitzung vom 7. November des Konsulatsjahr 63 v. Chr.). 16 divinam vim naturamque: Die Junktur vis et natura ist charakteristisch für die Diktion Ciceros und erscheint häufig – wie hier bei Augustin – im Zusammenhang religiöser Aussagen; vgl. rep. 6,29; leg. 2,8; fin. 1,50; 3,54; 5,60; Tusc. 1,30: vim et naturam divinam; ibid. 1,54; 1,66; 5,70: vi et natura deorum; Tim 31; nat. deor. 1,49: vim et naturam deorum; ibid. 1,122: vim et naturam deorum; ibid. fr. 2; div. 1,12; 1,15; 2,94; 2,139; fat. 6; ibid. 11: vis et natura fati; Cato 51; off. 1,18; 1,101; orat. 112. 17 animam: Vgl. W. Hensellek (Notabilien, S. 77): „anima grammaticae, wie wir ‚Seele‘ sagen und ‚Wesen‘ meinen.“ 70 Dies ausdrücklich gegen Hensellek (ibid.) der „schwerwiegende Argumente … gegen diese Interpretation“ sieht.
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2,17,46: Studienordnung und Theodizee
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Hoc etiam de ceteris huius modi artibus dixerim, quas si penitus fortasse contemnis, admoneo te, quantum filius audeo quantumque permittis, ut fidem istam tuam, quam venerandis mysteriis percepisti, firme cauteque custodias, deinde ut in hac vita atque moribus constanter vigilanterque permaneas. De rebus autem obscurissimis et tamen divinis, quomodo deus et nihil mali faciat et sit omnipotens et tanta mala fiant et cui bono mundum fecerit, qui non erat indiguus, et utrum semper fuerit malum an tempore coeperit et, si semper fuit, utrum sub conditione dei fuerit et, si fuit, utrum etiam iste mundus semper fuerit, in quo illud malum divino ordine domaretur – si autem hic mundus aliquando esse coepit, quomodo, antequam esset, potestate dei malum tenebatur et quid opus erat mundum fabricari, quo malum, quod iam dei potestas frenabat, ad poenas animarum includeretur? Si autem fuit tempus, quo sub dei dominio malum non erat, quid subito accidit, quod per aeterna retro tempora non acciderat? In deo enim novum extitisse consilium, ne dicam impium, ineptissimum est dicere. Si autem inportunum fuisse et quasi improbum malum deo dicimus, quod nonnulli existimant, iam nemo doctus risum tenebit, nemo non suscensebit indoctus; quid enim potuit deo nocere mali nescio qua illa natura? Si enim dicunt non potuisse, fabricandi mundi causa non erit; si potuisse dicunt, inexpiabile nefas est deum violabilem credere, nec ita saltem, ut vel virtute providerit, ne sua substantia violaretur; namque animam poenas hic pendere fatentur, cum inter eius et dei substantiam nihil velint omnino distare. Si autem istum mundum non factum dicamus, impium est atque ingratum credere, ne illud sequatur, quod deus eum non fabricarit – ergo de his atque huius modi rebus aut ordine illo eruditionis aut nullo modo quicquam requirendum est.
20 venerandis mysteriis: Die deutschen Übersetzungen variieren in der Wiedergabe des Ausdrucks. Siehe P. Keseling, Weltregiment, S. 194: „durch die verehrungswürdigen Glaubenslehren“; C. J. Perl, Ordnung, S. 78: „durch die verehrungswürdigen Geheimnisse“; E. Mühlenberg, Ordnung, S. 324: „durch die verehrungswürdige Taufweihe“; ders., ibid. S. 365, Anm. 40 (als Alternative): „durch die heilige Überlieferung der Kirche“. Der heterogene Befund entspricht dem weiten Bedeutungsspektrum des Begriffs mysterium, der in ord. insgesamt fünfmal verwendet wird (siehe noch 2,5,15, Z. 26; 2,5,16, Z. 30.35; 2,9,27, Z. 33; vgl. c. acad. 2,1,1; 3,17,38; beat. vit. 1,4); siehe dazu die Ausführungen supra zu 1,1,2, Z. 25 f und besonders zu 2,5,15, Z. 26. 20 f ut in hac vita atque moribus constanter vigilanterque permaneas: Vergleicht man die hiesige Mahnung Augustins an seine Mutter mit seinen theoretischen Ausführungen in ord. 2,9,26, so wird Monnica dem Leser als ein „Musterbeispiel“ derjenigen Gläubigen präsentiert, die zwar über keine hohe Bildung verfügen und somit auch in diesem Leben nicht zur vollendeten Erkenntnis gelangen werden, aber durch Beachtung der christlichen Autoritäten und durch sittlich einwandfreien Lebenswandel ihr Ziel im Hinblick auf das ewige Leben nach dem Tode mühelos erreichen können. – Die Junktur vita atque moribus als Bezeichnung der Ethik (als Unterart der Philosophie neben Logik und Physik)
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II. Kommentar
ist traditionell; bei Cicero wird genau diese Art der philosophia – nämlich die Philosophie de vita et de moribus – auf Sokrates als ihren Urheber zurückgeführt; vgl. Tusc. 3,8: … Socratem, a quo haec omnis, quae est d e v i t a e t d e m o r i b u s, philosophia manavit; siehe auch rep. 1,16: … Socratem omnem istam disputationem reiecisse et tantum d e v i t a e t d e m o r i b u s solitum esse quaerere. 21 f rebus … obscurissimis et … divinis: Wiederholung der Wendung unmittelbar zu Beginn des Proömiums: divinis obscurisque rebus (1,1,1, Z. 4); hier wie dort stehen die komplizierten Probleme der Theodizee vor Augen. 22 quomodo: Es wird ein Fragenkatalog über die Entstehung des Übels (Beginn, Ursache etc.) eingeleitet, der sein Pendant in 2,7,23 findet. Damals brach die Diskussion an diesem entscheidenden Punkte ab, ohne dass die aufgeführten Probleme einer eigentlichen Lösung zugeführt wurden. Augustin zog es vor, einen Monolog über die sogenannte Bildungsordnung zu halten (vgl. rückblickend retr. 1,3,1) und somit statt einer konkreten Antwort eher das „Wie“ der Lösung, d. h. das methodische Vorgehen anzudeuten. Auch hier wird der Leser nicht mit vorschnellen Antworten bedient, sondern auf dieselbe Weise – gewissermaßen mit einer „wissenschaftspropädeutischen“ Empfehlung – auf ein späteres Erkennen vertröstet: ergo de his atque huius modi rebus aut ordine illo eruditionis aut nullo modo quicquam requirendum est (Z. 39 f). – Über die Intensität, mit welcher der junge Augustin über eine längere Periode seines Lebens über die Frage Unde malum? nachdachte, legt die berühmte Schilderung in conf. 7,5,7 beredtes Zeugnis ab. 23 qui non erat indiguus: Augustin stimmt in der unverrückbaren Überzeugung von Gottes Autarkie insbesondere mit den Neuplatonikern überein; vgl. P. Keseling (Weltregiment, S. 247) mit Hinweis auf Enn. 1,8,2 und 6,7,23. 25 f utrum etiam iste mundus semper fuerit … si autem hic mundus aliquando esse coepit: Die Frage, ob die Welt einen Anfang besitzt oder immer schon existierte, wird von Augustin, der als Christ natürlich an die creatio ex nihilo glaubt, nicht ernsthaft gestellt. Sie besitzt für ihn allenfalls einen dialektischtheoretischen Wert, um – im Anschluss an die Tradition71 – die verschiedenen Möglichkeiten zu demonstrieren. Vgl. ähnlich c. acad. 3,10,23, wo zusätzlich die Frage nach dem Ende der Welt gestellt und in die rein äußerliche Fallunterscheidung (aut … aut … aut … aut …) eingebracht wird: Item scio mundum istum nostrum … aut semper fuisse et fore, aut coepisse esse minime desiturum; aut ortum ex tempore non habere, sed habiturum esse finem; aut et manere coepisse, et non perpetuo 71 Cicero führt die Ansicht, der Kosmos habe einen schöpferischen Anfang, auf Platon zurück [man denke an den Timaios; Vf.], die These von der Anfangslosigkeit, dem semper esse, dagegen auf Aristoteles [vgl. cael. 2,1]; siehe Tusc. 1,70: haec igitur et alia innumerabilia cum cernimus, possumusne dubitare quin is praesit aliquis vel effector, si haec nata sunt, ut Platoni videtur, vel, si semper fuerunt, ut Aristoteli placet, moderator tanti operis et muneris? Eine ähnliche Gegenüberstellung der Lehrmeinungen, zum Teil mit anderen Gewährsmännern, findet sich bei Cicero auch in ac. 2,118 und nat. deor. 1,20. Die unterschiedlichen philosophischen Ansichten nach der Art eines Kompendiums zusammen- und gegenüberzustellen ist ein beliebter Topos insbesondere in der jüdisch-christlichen Literatur; vgl. dazu Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 340, mit Hinweis auf Lact. inst. 7,1,6 ff; Ambr. hex. 1,1,3; Philon Alex. ebr. 199; Tert. apol. 47,8; Arnob. nat. 2,58.
2. Hauptteil: 2,17,46
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esse mansurum. Vgl. aus späterer Zeit die Widerlegung der Anfangslosigkeit der Welt in civ. 11,4. 27 mundum fabricari: Schon Cicero verwendet – wie Gunermann ausführlich nachweist72 – mehrfach fabricari (niemals fabricare wie Augustinus) als Spezialausdruck, um die Erschaffung des Kosmos durch die Gottheit zu bezeichnen. Oft steht die Vorstellung des platonischen im Hintergrund, z. B. Tim. 17: globosum mundum est fabricatus [sc. effector mundi et molitor deus]. Für fabricare mundum vgl. noch ac. 2,121: … negat opera deorum se uti ad fabricandum mundum. Siehe ähnlich nat. deor. 1,4; ac. 2,87. Auch verwendet Cicero die Vokabel fabricator im Zusammenhang mit der Weltschöpfung: Tim. 6; ac. 2,120; die schöpferische Tätigkeit an sich heißt bei ihm oft fabrica bzw. fabricatio; siehe nat. deor. 1,19; 1,47; 2,121; 2,133; off. 1,127. Der ciceronische Sprachgebrauch wird insbesondere auch von Lactantius aufgenommen; für fabricari mundum siehe inst. 1,5,23; 7,4,2; 7,5,7; fabricatio mundi: inst. 7,1,6; 7,3,4; fabricare opus (d. h. mundum): inst. 1,3,14; 4,8,15; opif. dei 63,1; fabricatrix (von der providentia bzw. prudentia): inst. 2,5,3; opif. dei 663,7. – Die augustinische Rede von der fabricatio steht – so richtig Keseling, Weltregiment, S. 247 – in einem nicht zu übersehenden Widerspruch zur Emanationsvorstellung Plotins, wonach die Welt gewissermaßen zwangsläufig aus ihrem göttlichen Ursprung hervorgeht; vgl. z. B. Enn. 3,2,1 ff. 28 ad poenas animarum: Bezug ist die Lehre des Origenes, wonach Gott die körperliche Welt als ein „Gefängnis“ für die sündigen Seelen erschuf; vgl. Augustins Widerlegung in civ. 11,23: … animas dicunt, non quidem partes dei, sed factas a deo, peccasse a conditore recedendo et diversis progressibus pro diversitate peccatorum a caelis usque ad terras diversa corpora quasi vincula meruisse, et hunc esse mundum eamque causam mundi fuisse faciendi, non ut conderentur bona, sed ut mala cohiberentur. Hinc Origenes iure culpatur. In libris enim quos appellat , id est de principiis, hoc sensit, hoc scripsit. 30 novum … consilium: Dass in Gott ein „neuer Plan“, der nicht von Anfang an vorgesehen war, entstehen könne, ist mit Augustins Begriff von der Unwandelbarkeit Gottes unvereinbar.73 Im hiesigen Kontext ist der Gedanke in Frontstellung zum dualistisch-antagonistischen Manichäismus zu sehen. 30 impium: Mehrfach in De ordine rügt Augustin mit diesem Ausdruck den Frevel und die Ruchlosigkeit von blasphemisch empfundenen Aussagen über den Gott der Christen. So besteht in ord. 1,1,1 (Z. 13; siehe supra zur Stelle) die Gottlosigkeit in der Bestreitung der unbedingten Güte Gottes, in 1,7,17 (Z. 7) in der irrigen Annahme, die Ordnung Gottes umfasse auch das Böse, und in 2,17,46 (Z. 38) ist es die Behauptung, die Welt sei ungeworden und daher nicht von Gott erschaffen. An der hiesigen Stelle wird der geringste Zweifel an Gottes Unwandelbarkeit als Lästerung aufgefasst. Systematisch zusammenfassend: Gottes 72
Ebd., Sprache, S. 115 f. Den allgemein-philosophischen Topos der göttlichen Unveränderlichkeit, welcher in der theologia negativa der neuplatonischen Philosophie zweifellos seine schärfste Zuspitzung erfährt, hat Augustin tief verinnerlicht. Vgl. dazu supra zu 2,1,3, Z. 32 (mit Literatur). 73
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II. Kommentar
Güte, Schöpfungsmacht und Unveränderlichkeit sind für Augustin axiomatisch gültige Aussagen, deren Bestreitung allenfalls formal-dialektisch möglich ist, aber inhaltlich die konventionellen Grenzen des natürlichen religiösen Gewissens und Empfindens überschreitet. – Die Vokabel impius ist auch bei Cicero in ähnlicher Weise verwendet; vgl. nat. deor. 2,44; 2,168; 3,7. Siehe dazu detailliert H. H. Gunermann (Sprache, S. 223 f), welcher darauf verweist, dass sowohl Cicero als auch Augustin in ihrer Wortwahl einen gewissen Zusammenhang zwischen pietätlosen Aussagen und mangelnder Bildung erkennen lassen. 32 quod nonnulli existimant: Zweifellos sind vorrangig die Manichäer gemeint (mit E. Mühlenberg, Ordnung, S. 365, Anm. 41; R. J. O’Connell, Theory, S. 126–129; J. Doignon, BAug 4/2, S. 372). Gegen sie richten sich die einzelnen augustinischen Vorwürfe, pauschal gegen einen grundlegenden Prinzipiendualismus,74 explizit gegen deren Vorstellung vom kosmischen Kampf zwischen Gut und Böse, dass nämlich das Böse Gott in irgendeiner Form beeinträchtigen könne (inportunum fuisse et quasi improbum malum deo; Z. 31), dass ein gewisses böses Wesen Gott sogar schaden könne (quid enim potuit deo nocere mali nescio qua illa natura?; Z. 33), dass Gott überhaupt für verletzlich (violabilis; Z. 35) gehalten wird. 32 f doctus … indoctus: Das Oppositum des „Gebildeten“ und des „Ungebildeten“ ist ein Topos, der bei Augustins Vorbild Cicero sehr häufig – quer durch sein philosophisches Schrifttum – erscheint, z. B. de orat. 2,7; rep. 1,56; ac. 1,4; fin. 5,89; nat. deor. 1,5; 3,5; Cato 75; siehe dazu Gunermann, Sprache, S. 94. 35 nefas: Nicht akzeptable Aussagen über die Gottheit(en) als nefas zu bezeichnen ist ein „Topos der Literatur dieses Themas“ (Gunermann, Sprache, S. 224); vgl. z. B. das berühmte Schlusswort des Lucilius Balbus bei Cicero, nat. deor. 3,94: quae [sc. aras et focos, templa atque delubra; religionem] deseri a me, dum quidem spirare potero, n e f a s iudico; als weiteres bekanntes Beispiel siehe Tim. 6: Atque illum quidem quasi parentem huius universitatis invenire difficile, et cum iam invenerit indicare in vulgus n e f a s. … atqui si pulcher est hic mundus et si probus eius artifex, profecto speciem aeternitatis imitari voluit; sin secus, quod ne dictu quidem f a s (= Platon, Tim. 29 a: ) est, generatum exemplum est pro aeterno secutus. 36 f cum inter eius et dei substantiam nihil velint omnino distare: Wiedergabe der Auffassung der Manichäer von der Substanz- bzw. Wesensidentität Gottes und der Menschenseele; vgl. Augustin rückblickend über seinen Glauben in seiner „manichäischen Periode“: quid autem superbius quam ut adsererem mira dementia me id esse naturaliter quod tu es? (conf. 4,15,26); sed quid mihi hoc proderat, putanti quod tu, domine deus veritas, corpus esses lucidum et immensum et ego frustum de illo corpore? nimia perversitas! (ibid. 4,16,31; vgl. entsprechend ibid. 5,3,5).75 Im 74 Vgl. zur dualistisch-antagonistischen Konzeption der Manichäer insbesondere conf. 5,10,20; siehe supra zu 1,1,1, Z. 12 (mit Literaturangaben). 75 Den Substanz- und Wesensunterschied zwischen Gott und der Seele des Menschen wird von Augustin recht häufig – meist in Abwehr manichäischer Psychologie – betont: vgl. z. B. mor. Manich. 11; conf. 8,10,22; trin. 7,6.
2. Hauptteil: 2,18,47
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Übrigen sind die klaren und eindeutigen Anspielungen auf die superstitio der Manichäer in den Cassiciacum-Schriften nicht häufig; vgl. neben ord. 2,17,46 noch die Hauptstellen in c. acad. 1,1,3: ab illa superstitione, in quam te mecum praecipitem dederam; ibid. 2,3,8: si quid superstitionis in animum revolutum est; beat. vit. 1,4: superstitio quaedam puerilis; soliloq. 1,1,2. Dazu Fuhrer, Contra Academicos, S. 128. 2,18,47: Beschränkung des Lernstoffes 1 Et ne quisquam latissimum aliquid nos conplexos esse arbitretur, hoc dico planius
atque brevius, ad istarum rerum cognitionem neminem adspirare debere sine illa quasi duplici scientia bonae disputationis potentiaeque numerorum. Si quis etiam hoc plurimum putat, solos numeros optime noverit aut solam dialecticam. Si et hoc 5 infinitum est, tantum perfecte sciat, quid sit unum in numeris quantumque valeat nondum in illa summa lege summoque ordine rerum omnium, sed in his, quae cotidie passim sentimus atque agimus. Excipit enim hanc eruditionem iam ipsa philosophiae disciplina et in ea nihil plus inveniet, quam quid sit unum, sed longe altius longeque divinius. Cuius duplex quaestio est, una de anima, altera de deo. Prima 10 efficit, ut nosmet ipsos noverimus, altera, ut originem nostram. Illa nobis dulcior, ista carior, illa nos dignos beata vita, beatos haec facit, prima est illa discentibus, ista iam doctis. Hic est ordo studiorum sapientiae, per quem fit quisque idoneus ad intellegendum ordinem rerum, id est ad dinoscendos duos mundos et ipsum parentem universitatis, cuius nulla scientia est in anima nisi scire, quomodo eum nesciat.
3 potentiaeque numerorum: J. Doignon (BAug 4/2, S. 303, Anm. 222) spricht hinsichtlich des Ausdrucks76 treffend von einer „saveur pythagoricienne“ und verweist auf Porphyrios, Vita Pythagorae 51: [ ] 6 in illa summa lege summoque ordine: Reprise der Formulierung in 2,2,7, Z. 8 (summa illa lege summoque ordine), siehe supra zur Stelle. Siehe auch zu 2,4,11, Z. 14 (sempiterna lege) und zu 2,8,25, Z. 1(dei lex). Die ursprünglich aus der Stoa stammende Vorstellung eines den Kosmos durchwaltenden höchsten, ewigen und göttlichen Gesetzes, welches in allen Teilbereichen auf wunderbare Weise Ordnung, Einklang und Harmonie garantiert, wird hier von Augustin in einen neuplatonischen Kontext (nämlich in Bezug auf das unum = ; Z. 5) gestellt. 6 f quae cotidie passim sentimus atque agimus: Die Macht der Einheit (unum) zeigt sich nach Augustins unverrückbarer Überzeugung nicht nur in den hohen Sphären des mundus intelligibilis, sondern auch in der hiesigen Welt, und zwar „jeden Tag auf Schritt und Tritt“ in allen Einzelheiten des alltäglichen Lebens; der Satz ist als ein Vorverweis auf die Ausführungen in 2,18,48 zu verstehen (vgl. die ausführliche Interpretation bei J. Trelenberg, Einheit, S. 42–48).
76 Vgl. auch mus. 6,9,23: Movet me plurimum istorum iudicialium [sc. numerorum] vis atque potentia.
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II. Kommentar
7 f philosophiae disciplina: Die Philosophie wird bei Augustin hier nicht unter die Anzahl der enzyklopädischen Wissenschaften subsumiert, sondern stellt gewissermaßen die „Königsdisziplin“ dar, welche die Ergebnisse aller anderen Wissenschaften aufnimmt (vgl. excipere) und weiterführt. Dagegen rechnet Augustin in retr. 1,6 – bei der Schilderung seines Vorhabens, in Mailand ein umfassendes Werk disciplinarum libri zu verfassen – die Philosophie sehr wohl unter die gleichsam genormte Siebenzahl: Per idem tempus, quo Mediolani fui baptismum percepturus, etiam disciplinarum libros conatus sum scribere … Sed earum solum de grammatica librum absolvere potui … et de musica sex volumina … De aliis vero quinque disciplinis illic similiter inchoatis – de dialectica, de rhetorica, de geometria, de arithmetica, de philosophia – sola principia remanserunt, quae tamen etiam ipsa perdidimus. 8 in ea nihil plus inveniet, quam quid sit unum: Nirgendwo spricht Augustin deutlicher aus, was er unter dem Begriff „Philosophie“ versteht. Wenn sich nach seinem Verständnis alle Fragen in der Philosophie letztlich auf den Begriff des unum konzentrieren, so ist ohne jeden Zweifel die platonische Philosophie gemeint, und zwar insbesondere in derjenigen Ausformung und Zuspitzung, wie er sie bei Plotin und Porphyrios kennengelernt hat. Prägnant ausgedrückt: Für Augustin ist Philosophie nichts anderes als Henologie. Vgl. dazu ausführlich supra zu 2,1,1, Z. 7 (s. v. verae philosophiae). 9 una de anima, altera de deo: Zur Kenntnis der Seele neben der Gotteserkenntnis als Ziel der Philosophie vgl. ord. 2,5,16 f; 2,11,30; soliloq. 1,2,7; 1,15,27; 2,15,27. Als Vorbild für die augustinische Konzeption einer engen Affinität von Selbst- und Gotteserkenntnis muss vor allem das neuplatonische Gedankengut genannt werden;77 siehe aber auch Cicero, z. B. in Tusc. 5,70: Haec tractanti animo et noctes et dies cogitanti existit illa a deo Delphis praecepta cognitio, ut ipsa se mens agnoscat coniunctamque cum divina mente se sentiat, ex quo insatiabili gaudio compleatur. Ipsa enim cogitatio de vi et natura deorum studium incendit illius aeternitatem imitandi. 10 ut nosmet ipsos noverimus: Der hiesige Hinweis auf die Bedeutung der Selbsterkenntnis nimmt die Gedanken des Proömiums – ebenfalls mit neuplatonischem Kontext – auf; vgl. supra zu 1,1,3, Z. 37. 10 originem nostram: Augustin beantwortet an dieser Stelle beiläufig die in §17 gestellte Frage nach dem Ursprung der Seele (Z. 41: Anima vero unde originem ducat …). Die Feststellung ihrer göttlichen Provenienz deutet auf den Hintergrund der neuplatonischen Ontologie, respektive der plotinischen Emanationslehre.78 Für Gott als den Ursprung der menschlichen Seele spricht sich dezidiert aber auch Cicero in seiner (nicht erhaltenen) consolatio aus, zitiert in Tusc. 1,66: A n i m o r u m nulla in terris o r i g o inveniri potest …; nec invenietur umquam, unde ad hominem venire possint nisi a deo …. Nec vero deus ipse, qui intellegitur a nobis, alio 77 Vgl. die Enneaden passim; dazu K. Kremer, Selbsterkenntnis als Gotteserkenntnis nach Plotin (204–270), in: ISPh 13, 1981, S. 41–68; bei Porphyrios wird man – neben anderen Werken – allein vom Titel her an seine (verlorene) Schrift < > denken. 78 In diesem Kontext ist auch c. acad. 2,9,22 zu sehen, wenn der „Himmel“ als der Ursprung (origo) des Geistes genannt wird; dazu Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 200.
2. Hauptteil: 2,18,47
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modo intellegi potest nisi mens soluta quaedam et libera, segregata ab omni concretione mortali, omnia sentiens et movens ipsaque praedita motu sempiterno. Hoc e genere atque eadem e natura est humana mens. Siehe ähnlich leg. 1,25: Ex quo efficitur illud ut is agnoscat deum qui u n d e o r t u s s i t quasi recordetur agnoscat. Vgl. auch die stoische Vorstellungswelt etwa bei Seneca, epist. 92,30 f: ‚si cui virtus a n i m u s que in corpore praesens‘, hic deos aequat, illo tendit o r i g i n i s suae memor; nat. praef. 12 f: sursum ingentia spatia sunt, in quorum possessionem a n i m u s admittitur, et ita si secum minimum ex corpore tulit, si sordidum omne detersit et expeditus levisque ac contentus modico emicuit. Cum illa tetigit, alitur, crescit ac velut vinculis liberatus in o r i g i n e m redit. 10 f Illa nobis dulcior, ista carior: Möglicherweise ist die antithetische Junktur dulcis – carus eine Reminiszenz an eine Wendung Ciceros in Catil. 4,7,16: Commune patriae solum cum sit carum tum vero dulce. 11 illa nos dignos beata vita, beatos haec facit: J. Doignon (BAug 4/2, S. 373) verweist auf eine bemerkenswert ähnliche Stufung von „Würde“ und „Glückseligkeit“, jeweils abhängig von der Erkenntnis des eigenen Wesens bzw. des höchsten Prinzips, bei Cicero, leg. 1,59: Nam qui se ipse norit … tanto munere deorum semper dignum aliquid et faciet et sentiet; et … quoniam principio rerum omnium quasi adumbratas intellegentias animo ac mente conceperit, quibus inlustratis … cernat se beatum fore. 11 f illa discentibus, ista … doctis: Die antithetische Unterscheidung zwischen dem Lernenden und dem Wissenden ist ein klassischer Topos in der philosophischen Literatur; vgl. z. B. Seneca, epist. 39,1: Illa discenti magis necessaria est, haec scienti. 12 ordo studiorum sapientiae: Gleichbedeutend mit dem Ausdruck ordo philosophiae, denn das studium sapientiae ist nach c. acad. 3,9,20 die lateinische Übersetzung für die griechische : philosophia non ipsa sapientia, sed studium sapientiae vocatur. Vgl. ebenso Cic. off. 2,5: nec quicquam aliud est philosophia … praeter studium sapientiae; Tusc. 1,1: studio sapientiae, quae philosophia dicitur; 5,9: sapientiae studiosos – id est enim philosophos; siehe auch Lactantius, inst. 3,2,3–10; epit. 25,4–7. Weitere Parallelen bei Augustin: vera relig. 26; conf. 6,10,17–6,11,18; 7,17; civ. 8,2. Meist jedoch präferiert Augustin die Übersetzung amor sapientiae; siehe supra zu 1,11,32, Z. 30. 13 duos mundos: Gemeint sind die berühmten zwei „Welten“ Platons,79 der sogenannte mundus sensibilis (= ) und der mundus intelligibilis (= ); vgl. c. acad. 3,17,37: Sat est enim ad id quod volo, Platonem sensisse duos esse mundos: unum intellegibilem, in quo ipsa veritas habitaret; istum autem 79 Siehe Platon, rep. 7,517 bc und 6,509 d 2 f; ob ein dezidierter Dualismus in der Erkenntnistheorie mitsamt der These, dass im sensiblen Bereich (in der Welt der ) kein Wissen erworben werden könne, wirklich bereits für die platonische Lehre authentisch sei, wird in der neueren Forschung bisweilen bestritten; siehe zu dieser Diskussion: A. Graeser, Platons Auffassung von Wissen und Meinung in Politeia V, in: Philosophisches Jahrbuch 98, 1991, S. 366, Anm. 5 f; ders., Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Antike, Stuttgart 1992, S. 85 f und 259 f; für die diesbezügliche Platon-Rezeption siehe vor allem Aristoteles, anim. 3,8,431 b 22 f; Apuleius, Plat. 1,6.
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II. Kommentar
sensibilem, quem manifestum est nos visu tactuque sentire; ord. 2,19,51, Z. 45–50: in hoc sensibili mundo … in illo vero mundo intelligibili. Augustin kennt die Zwei-Welten-Lehre Platons hauptsächlich durch ihre Interpretation und Ausgestaltung im Neuplatonismus, in welchem sie eine zentrale Bedeutung besitzt;80 siehe dazu c. acad. 3,19,42. 13 f parentem universitatis: Das geflügelte Wort „Vater des Alls“ geht letztlich auf die in der Spätantike sehr bekannte und viel zitierte Stelle im platonischen Timaios (28 c) zurück: 14 nulla scientia est … nisi scire, quomodo eum nesciat: Anklang an das sokratische Paradoxon ; vgl. die Wiedergabe bei Cicero, ac. 1,16: unum scire se scire nihil. Zur sogenannten „negativen Theologie“ Augustins vgl. supra zu 2,16,44, Z. 11 f. 2,18,48: Die Einheit als Prinzip des Denkens und Seins 15 Hunc igitur ordinem tenens anima iam philosophiae tradita primo se ipsam inspicit
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et, cui iam illa eruditio persuasit aut suam aut se ipsam esse rationem, in ratione autem aut nihil esse melius et potentius numeris aut nihil aliud quam numerum esse rationem, ita secum loquetur: ego quodam meo motu interiore et occulto ea, quae discenda sunt, possum discernere vel conectere et haec vis mea ratio vocatur. Quid autem discernendum est, nisi quod aut unum putatur et non est aut certe non tam unum est quam putatur? item cur quid conectendum est, nisi ut unum fiat, quantum potest? Ergo et in discernendo et in conectendo unum volo et unum amo, sed cum discerno, purgatum, cum conecto, integrum volo. In illa parte vitantur aliena, in hac propria copulantur, ut unum aliquid perfectum fiat. Lapis ut esset lapis, omnes eius partes omnisque natura in unum solidata est. Quid arbor? Nonne arbor non esset, si una non esset? Quid membra cuiuslibet animantis ac viscera et quicquid est eorum, e quibus constat? Certe si unitatis patiantur divortium, non erit animal. Amici quid aliud quam unum esse conantur? Et quanto magis unum, tanto magis amici sunt. Populus una civitas est, cui est periculosa dissensio. Quid est autem dissentire nisi non unum sentire? Ex multis militibus fit unus exercitus. Nonne quaevis multitudo eo minus vincitur, quo magis in unum coit? Unde ipsa coitio in unum cuneus nominatus est quasi couneus. Quid amor omnis? Nonne unum vult fieri cum eo, quod amat et, si ei contingat, unum cum eo fit? Voluptas ipsa non ob aliud delectat vehementius, nisi quod amantia sese corpora in unum coguntur. Dolor unde perniciosus est? Quia id, quod unum erat, dissicere nititur. Ergo molestum et periculosum est unum fieri cum eo, quod separari potest.
15 anima … primo se ipsam inspicit: Zur Selbsterkenntnis der Seele als Vorstufe (primo!) der Gotteserkenntnis vgl. supra zu 1,1,3, Z. 37 und 38 f.
80 Vgl. neben anderen zahlreichen Stellen insbesondere Plotin, Enn. 5,3,16,8 ff; 5,9,9; 2,4,4,8 ff; 3,4,3,22 ff; 4,1,1; Porphyrios, sent. 44.
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16 se ipsam esse rationem: Augustin deutet die Möglichkeit an, dass die Seele mit der geistigen Vernunft identisch sein könne und (Z. 17 f) die Vernunft wiederum mit der Zahl. Unschwer erkennt man, dass die Gleichung anima = ratio = numerus / unum im Anklang an das plotinische Hypostasenmodell ( ) konstruiert ist.81 17 f numerum esse rationem: Bereits in ord. 2,15,43 hatte Augustin die ratio in eine unmittelbare Nähe zur Zahl gerückt, ohne jedoch eine endgültige Entscheidung zu treffen, ob (a) die ratio der Zahl lediglich ihre Macht verdanke, d. h. der numerus der ratio im ontologischen Sinne vorgeordnet sei, oder aber (b) die Vernunft mit der Zahl wesenhaft identisch sei; vgl. zu Herkunft und Verbreitung dieser Vorstellung supra zu 2,15,43, Z. 18 f. Exakt dieselben Alternativen werden auch hier präsentiert und durch aut – aut als formal gleichwertige Hypothesen nebeneinander gestellt. 18 secum loquetur: Das stilisierte Selbstgespräch der eigenen Seele verweist bereits auf die augustinischen Soliloquien; vgl. auch epist. 3,1. Doignon (BAug 4/2, S. 307, Anm. 228) spricht – unter Verweis auf Seneca, epist. 8,2 und Porphyrios, vit. Pyth. 40 – von einer „inspiration pythagoricienne“. 19 possum discernere vel conectere et haec vis mea ratio vocatur: Inhaltlich dieselbe Bestimmung der ratio wie bereits in ord. 2,11,30, Z. 1: ratio est mentis motio ea, quae discuntur, distinguendi et conectendi potens; siehe supra zur Stelle. Die antinomisch konstruierte Definition („unterscheiden“ vs. „verbinden“) dient im hiesigen Kontext zur Demonstration des – dezidiert im Sinne des Neuplatonismus verstandenen – Satzes, dass jedwedes Denken ein „Denken des Einen“82 ist. 21 f ut unum fiat, quantum potest: „damit es so weit [viel, sehr] wie möglich eins / ein Eines werde“. Die Übersetzung Mühlenbergs (S. 327: „damit eine möglichst große Einheit entsteht“) ist missverständlich; quantum zielt weniger auf die Größe der Einheit als auf die Intensität und Qualität des Eins-Seins. Die rational-logische Operation, die Augustin mit dem Begriff conectere beschreibt, ist kein Addieren beliebiger Inhalte, sondern ein geistiges „Verknüpfen“ von ureigentlich und genuin Zusammengehörigem (vgl. Z. 24: propria). Ziel ist nicht die größtmögliche, sondern eine in jeder Hinsicht vollkommene Einheit (das unum aliquid perfectum; Z. 24). 22 unum volo et unum amo: Bisher fungierte der Begriff des unum als ein terminus technicus der Logik, d. h. als ein Formalbegriff, an dessen materiale Fül81 Zum ontologisch-erkenntistheoretischen Hintergrund bei Plotin siehe J. Trelenberg, Einheit, S. 94: „Für den Verfasser der Enneaden koinzidiert jeder Erkenntnisschritt der aufsteigenden Seele mit ihrer eigenen Metamorphose; nur in ihrer Vergeistigung erkennt die Seele den Geist, nur durch Vereinheitlichung das höchste Wesen. Die (wieder)hergestellte Identität von Subjekt und Objekt ist Voraussetzung für das Gelingen von Erkenntnis.“ 82 Vgl. W. Beierwaltes, Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte, Frankfurt / M 1985; ders., Einheit und Identität als Weg des Denkens, in: L’Uno e i Molti, Mailand 1990, S. 3–23; ders., Selbsterkenntnis und Erfahrung der Einheit. Plotins Enneade V 3, Frankfurt / M 1991.
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II. Kommentar
lung offensichtlich nicht gedacht war. Wenn nun das unum begehrt und sogar geliebt wird, so deutet dies darauf, dass den Verfasser und das unum emotional mehr verbindet, als es zunächst den Anschein hatte. Das „Eine“ ist offenbar nicht nur ein neutraler dialektischer Formalbegriff, sondern fraglos Chiffre für etwas Wesenhaftes. Sehr deutlich wird an dieser Stelle, dass das neuplatonische (bzw. dessen Apotheose) als konkreter Hintergrund der hiesigen Aussagen mitgedacht werden muss; dazu J. Trelenberg, Einheit, S. 95 f.83 24 Lapis: Augustinus demonstriert an unterschiedlichen Beispielen die seinsbegründende Macht der Einheit (unum).84 Dabei ist die Reihenfolge keineswegs willkürlich, sondern folgt einer aufsteigenden Linie: Beginnend bei der leblosen Körperwelt (lapis) führt die Darstellung über die Pflanzenwelt (arbor; Z. 25) und die Lebewesen im Allgemeinen (animal; Z. 27) bis hin zum Menschen (z. B. amici; Z. 27). Daneben kann eine in der stoischen Physik gebräuchliche Einteilung nachvollzogen werden: Zunächst wird das Einfache und Zusammenhängende ( bzw. ) genannt (lapis, arbor, animal), dann das sogenannte „Auseinanderstehende“ und Unzusammenhängende ( = amici, populus, exercitus).85 – Abschließend werden eher abstrakte Begrifflichkeiten zur Veranschaulichung herangezogen (amor, voluptas, dolor; vgl. Z. 32–34). 25 f Nonne arbor non esset, si una non esset: Der gesamte Abschnitt ord. 2,18,48, Z. 24–36 ist eine Explizierung der plotinischen Ontologie, namentlich des Grundsatzes „Alles Seiende ist durch das Eine seiend“ ( ; Enn. 6,9,1,1). Doch auch im Detail sind Anklänge an dessen Abhandlung deutlich erkennbar. So ist die Erwähnung des Baumes sicher kein Zufall, wenn man sieht, dass auch der heidnische Neuplatoniker die Pflanzen ( ; 6,9,1,3) als Beispiele heranzieht. Die literarische Abhängigkeit geht sogar noch weiter: Die spezielle Formulierung der Beweisführung ex negativo (si una non esset) kennzeichnet eine auffällige Nähe zur plotinischen Diktion ( ).86
83 Den neuplatonischen Hintergrund in De ordine, in 2,18,48 u. ö., betont auch V. Pacioni, L’unità teoretica del „De ordine“ di S. Agostino, Rom 1996, bes. S. 320 ff. 84 Vgl. zur Funktion des unum bzw. der unitas in der frühen augustinischen Ontologie die weiteren Hauptstellen: mus. 6,17,57; gen. c. Man. 1,12,18; ibid. 2,7,9; gen. ad litt. impf. lib. 10; vera relig. 218; lib. arb. 3,234–236; mor. 2,6,8. 85 Vgl. SVF II 366–368; Sext. Emp. 9,78; Seneca, epist. 102,5; Marc Aurel 6,14. Auch Plotin, von dem Augustin hier offensichtlich abhängig ist (dazu ausführlich: J. Trelenberg, Einheit, S. 42–48), übernimmt die stoischen Bestimmungen im Anfangskapitel seines bekannten Traktats „Das Gute und das Eine“: … … (Enn. 6,9,1,5). Vgl. hierzu den Kommentar von P. A. Meijer, Plotinos on the Good or the One (Enneads VI,9), Amsterdam 1992, S. 69 und S. 84–89. 86 6,9,1,1.2 (vgl. ibid.: … …, … …, … …). P. A. Meijer, Plotinos, kann für diese Art der „negativen“ Beweisführung („a curious method of demonstration by investigating the consequences of loss of unity“; S. 69) keine literarischen Vorbilder ausmachen, sie sei demnach als genuin-plotinisch anzusehen. Ein starkes Argument für Augustins Kenntnis und Benutzung des besagten Plotin-Traktats!
2. Hauptteil: 2,18,48
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26 animantis: Wiederum wird ein Beispiel aus der besagten Plotin-Schrift ). verwendet (Enn. 6,9,1: 27 divortium: A. Dyroff (Form, S. 58) gibt das divortium unverständlicherweise mit „Ehescheidung“ wieder, was vom augustinischen Kontext her völlig sinnlos ist. Zu Dyroffs absurden Behauptung, es finde sich in De ordine „nicht die mindeste Spur von Neuplatonismus“ (ibid., S. 47) siehe bereits supra zu 1,2,3, Z. 42. 28 quanto magis unum, tanto magis amici sunt: Im Hinblick auf den augustinischen Einheitsbegriff ist an dieser Stelle bemerkenswert, dass Augustin zum ersten Mal, hier im ontologischen Zusammenhang, eine graduelle Abstufung des „Eins-Seins“ und – davon abhängig – des Seins andeutet.87 Diese Sichtweise der unterschiedlichen Intensität einer „sozialen Einheit“ wird später unter ekklesiologischen Gesichtspunkten eine nicht geringe Rolle spielen (dazu J. Trelenberg, Einheit, S. 45 und S. 136 ff passim, bes. S. 163, Anm. 99). – Zur Bedeutung der inneren Einigkeit für die Freundschaft vgl. bereits Cicero, Lael. 92: Nam cum amicitiae vis sit in eo, ut unus quasi animus fiat ex pluribus.88 – Das unum esse konstatiert Augustin in c.acad. 2,3,9 dezidiert auch für seinen eigenen Freundeskreis: Unum tantum est unde invideam fortunae tuae, quod solus frueris Luciliano meo: an et tu invides, quia dixi, meo? Sed quid dixi aliud quam tuo et omnium, quicumque unum sumus? 30 exercitus: Nochmals ein plotinisches Bild; siehe als direktes Vorbild Enn. 6,9,1,4 f: . Zur übrigen Verwendung von und bei Plotin vgl. (fast immer in ähnlichen Zusammenhängen) z. B. 6,2,10,4; 11,8.16; 6,6,12,19; 13,18; 16,37. 32 couneus: Die militärische Formation des Keils (cuneus), bei der alle Linien auf einen Punkt bzw. einen Mann ausgerichtet sind, ist eine coitio in unum, sodass man, um den inneren Zusammenhang zu betonen, statt cuneus auch couneus sagen könne. Ein etymologisch nicht ganz exakter lusus verborum: Nach heutigem Kenntnisstand (siehe den Ausweis der Wörterbücher) trägt die sprachwissenschaftlich erschlossene Wurzel *ku- die Bedeutung „spitz“; vgl. z. B. cu-lex („Mücke“). 33 Voluptas: Die voluptas der Menschen, die Augustin besonders in seinen confessiones so häufig und heftig kritisiert, wird an dieser Stelle keiner negativen Wertung unterzogen. Im Gegenteil: am Beispiel der „Lust“ der Liebenden und ihrem Verlangen nach körperlicher Vereinigung kann der Autor hervorragend 87 Vgl. Plotin, Enn. 6,9,1,5: „ein geringeres Sein bedeutet also auch ein geringeres Einssein, und ein höheres ein höheres“ (Übersetzung Harder). Vgl. auch die sprachlichen Details: Dem augustinischen quantum entsprechen die in 6,9,1 mehrfach verwendeten korrelativen Pronomina bzw. bei Plotin. Dazu P. A. Meijer, Plotinos, S. 103 ff („Plotinos on degrees of unity and existence“). 88 Ein gedanklicher Zusammenhang, der in off. 1,56 auf die Lehre des Pythagoras zurückgeführt wird: Nihil autem est amabilius nec copulatius, quam morum similitudo bonorum; in quibus enim eadem studia sunt, eaedem voluntates, in iis fit, ut aeque quisque altero delectetur ac se ipso, efficiturque id, quod Pythagoras vult in amicitia, ut u n u s f i a t e x p l u r i b u s.
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II. Kommentar
demonstrieren, wie weit die Macht des transzendenten unum in den irdischen Bereich hineinwirkt. 34 Dolor: Zur Funktion des Schmerzes als dem Anzeiger einer den Körper betreffenden Zerstörung vgl. auch vera relig. 64: Quid est enim dolor qui dicitur corporis, nisi corruptio repentina salutis eius rei quam male utendo anima corruptioni obnoxiavit? Besonders ausführlich erklärt Augustin in lib. arb. 3, warum der Schmerz (der Tiere) auf die omnipräsente Kraft der göttlichen unitas hinweise.89 35 dissicere: Zum Schmerz als Begleiterscheinung der Auflösung von Zusammengesetztem vgl. auch Plotin, Enn. 1,8,15. 2,19,49: Der Mensch als rationales Wesen 1 Ex multis rebus passim ante iacentibus, deinde in unam formam congregatis unam
facio domum. Melior ego, si quidem ego facio, illa fit, ideo melior, quia facio; non dubium est inde me esse meliorem, quam domus est. Sed non inde sum melior hirundine aut apicula – nam et illa nidos adfabre struit et illa favos – sed his melior, 5 quia rationale animal sum. At si in ratis dimensionibus ratio est, numquidnam et aves quod fabricant, minus apte congruenterque dimensum est? Immo numerosissimum est. Non ergo numerosa faciendo sed numeros cognoscendo melior sum. Quid ergo? illae nescientes operari numerosa poterant? Poterant profecto. Unde id docetur? Ex eo, quod nos quoque certis dimensionibus linguam dentibus et palato adcommoda10 mus, ut ex ore litterae ac verba prorumpant, nec tamen cogitamus, cum loquimur, quo motu oris id facere debeamus. Deinde quis bonus cantator, etiamsi musicae sit imperitus, non ipso sensu naturali et rhythmum et melos perceptum memoria custodiat in canendo, quo quid fieri numerosius potest? Hoc nescit indoctus, sed tamen facit operante natura. Quando autem melior et pecoribus praeponendus? Quando 15 novit, quod facit. Nihil aliud me pecori praeponit, nisi quod rationale animal sum.
1 f Ex multis rebus … in unam formam congregatis unam facio domum: Der betonte Gegensatz von Viel- und Einzahl weist auf neuplatonische Wurzeln; in der Tat bringt auch Plotin im (von Augustin stark benutzten90) Anfangskapitel seines Traktats (6,9) das Haus als Beispiel für die seinsbegründende Macht der Einheit: – Wenn Augustin die auf Einheit ausgerichtete „eine Form“ als Vorausset89 Siehe die §§ 234–236: Dolor autem quem bestiae sentiunt, animarum etiam bestialium vim quamdam in suo genere mirabilem laudabilemque commendat. Hoc ipso enim satis apparet in regendis animandisque suis corporibus, quam sint appetentes unitatis. Quid est enim aliud dolor, nisi quidam sensus divisionis vel corruptionis impatiens? Unde luce clarius apparet quam sit illa anima in sui corporis universitate avida unitatis et tenax, quae nec libenter, nec indifferenter, sed potius renitenter et reluctanter intenditur in eam passionem corporis sui, qua eius unitatem atque integritatem labefactari moleste accipit. Non ergo appareret quantus inferioribus creaturis animalibus esset appetitus unitatis, nisi dolore bestiarum. Quod si non appareret, minus quam opus esset admoneremur ab illa summa et sublimi et ineffabili unitate creatoris esse omnia ista constituta. 90 Siehe supra zu 2,18,48, Z. 24.25 f.28.30.
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zung für Existenz nennt, so manifestiert sich auch hier plotinische Ontologie, welche das gewissermaßen als „Mittel“ ansieht, wodurch die Einheit es vermag, die Vielfalt der Materie zu sammeln, d. h. ins Sein zu überführen.91 Zur Form als Funktion des unum bzw. der unitas vgl. geradezu definitionsmäßig Augustins Ausführungen in gen. ad litt. imperf. 10: Vis ipsa formae commendatur nomine unitatis. Hoc est enim vere formari in unum aliquid redigi, quoniam summe unum est omnis formae principium. – Die Verwendung des Verbs congregare hier in ord. erinnert an gen. c. Man. 1,12,18, wo die im Schöpfungshymnus erwähnte Sammlung des Wassers (congregatio aquarum) ebenfalls mit den neuplatonischen Begrifflichkeiten der „Einheit“ und der „Form“ interpretiert wird: Nunc vero cum dicitur: congregetur aqua, quae est sub caelo, in congregationem unam, hoc dicitur, ut illa materia corporalis formetur in eam speciem quam habent istae aquae visibiles. Ipsa enim congregatio in unum ipsa est aquarum formatio istarum quas videmus et tangimus. Omnis enim forma ad unitatis regulam cogitur. 2 ideo melior, quia facio: Der Baumeister steht über dem Bauwerk, weil er aktiv handelt. „Besser“ (melior) hier nicht im ethischen, sondern im ontologischen Sinne zu verstehen. Vgl. dieselbe augustinische „Stufenontologie“ an anderen Stellen: omnis materia fabricatore deterior (mus. 6,5,8); oportet enim facientem melius aliquid habere ad faciendum, quam est id quod facit (immort. 8,14); quaelibet namque viva substantia cuilibet non vivae substantiae naturae lege praeponitur (vera relig. 144). 3 f hirundine aut apicula: Wabenbau der Bienen und Nestbau der Vögel dienen in der Literatur als beliebte Beispiele für Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit bestimmter Tiere. Vgl. z. B. Vergil, georg. 4,179: et munire favos et daedala fingere tecta; Cicero, nat. deor. 2,129: avesque … cubilia sibi nidosque construunt; Seneca, epist. 121,23: videbis … par in favis angulorum omnium foramen. Der Nestbau der Schwalbe (hirundo) wird in den augustinischen Frühschriften noch in vera relig. 228 beispielhaft erwähnt: Uno modo namque hirundo nidificat et unum quodque avium genus uno aliquo suo modo. 5 rationale animal sum: Augustin greift auf die traditionelle Definition des Menschen zurück, welche bereits in 2,11,31 (Z. 13: homo est animal rationale mortale) angeführt wurde; siehe supra zur Stelle. – Gunermann (Sprache, S. 134) verweist auf drei inhaltliche Berührungspunkte zwischen Aug., ord. 2,19,49 und Cicero, ac. 2,21 f, wo die Definition in ähnlicher Form erscheint. 1) An beiden Stellen ist von der memoria die Rede; 2) in beiden Fällen ist die Unterscheidung von Wissenden (Cic.: artifex; Aug.: quando novit …) und Unwissenden (Cic.: inscius; Aug.: imperitus, indoctus) durchgeführt; 3) beide Autoren bringen die Musik als Beispiel (Cic.: fides; Aug.: musica, canere) und legen Wert auf den in ihr wirksamen Rhythmus (Cic.: numeri; Aug.: numerosus, rhythmus).92 91 Vgl. W. Perpeet (Antike Ästhetik, S. 80) zum „henadischen Grundzug der Form“ bei Plotin: „Den inneren Grundzug der Form bestimmt Plotin als formende, zur Einheit versammelnden Kraft. (…) Form bedeutet Einheit. Alles Geformte hat den Zug zur Einfachheit.“ 92 Cicero, ac. 2,21 f: „Si homo est, a n i m a l est mortale, r a t i o n i s particeps.“ … M e m o r i a e quidem certe, …, nihil omnino loci relinquitur … Ars vero quae potest esse nisi quae non ex una aut
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II. Kommentar
6 apte congruenterque: Dieselbe (ciceronische) Junktur wie in 2,8,25, Z. 24; siehe supra zur Stelle. 7 numeros cognoscendo: [Druckfehler bei Green; siehe Kap. I 5]. Dass der Mensch durch Kenntnis der Zahlen über den übrigen Lebewesen steht, ist gedanklich bei Cicero vorgeformt. In rep. 3,3 wird im Zusammenhang der Kulturentstehungslehre das Auffinden und Begreifen der „unveränderlichen und ewigen Zahl“93 als Teil des Siegeszuges des menschlichen Geistes gesehen und als Vorstufe der Entwicklung von Kulturtechniken, Wissenschaften, Staatstheorie und Philosophie.94 7 melior sum: Im körperlichen Bereich gilt nach neuplatonischen Prämissen, dass einem höheren Gut (bonum) ein höheres Sein (esse) entspricht. Siehe supra zu Z. 2. – Das von Augustin hier entfaltete hierarchische Schema von (1) leblosem Körper (domus), (2) vernunftlosem Lebewesen (hirundo, apicula) und (3) vernunftbegabtem Lebewesen (Mensch als rationale animal) ist peripatetischen Ursprungs;95 vgl. z. B. Cicero, Tusc. 5,37–39, wo (1) die Pflanzen (quod … ortum esset e terra), (2) die Tiere (bestiae) und (3) die mit Vernunft (ratio) begabten Menschen in eine wertende Rangfolge gebracht werden und diese ausdrücklich auf Aristoteles (u. a.) zurückgeführt wird. Vgl. auch Seneca, epist. 58,10–14. – Bei Augustinus selbst ist das ontologische Ordnungsmodell von vera relig. 144–146 zu vergleichen (mit dem abschließenden Resümee: Quare manifestum est, ut sensualem vitam corpori, ita rationalem utrique praestare.) 9 f linguam dentibus et palato adcommodamus, ut ex ore litterae ac verba prorumpant: Augustin hat unter den Cicero-Schriften das Werk De natura deorum, insbesondere das „stoische“ Buch 2, für De ordine stark benutzt; auch das hier beigebrachte Beispiel von der Art der Laut- und Worterzeugung durch die Mundwerkzeuge deutet auf die angegebene ciceronische Inspiration (siehe nat. deor. 2,149), zumal auch dort im unmittelbaren Anschluss – wie bei Augustinus – von der Musik die Rede ist: Deinde in o r e sita l i n g u a est finita d e n t i b u s ; ea vocem inmoderate profusam fingit et terminat atque sonos vocis distinctos et pressos efficit, cum et d e n t e s e t a l i a s p a r t e s pellit o r i s ; itaque plectri similem l i n g u a m nostri solent dicere, chordarum d e n t e s, nares cornibus his, quae ad nervos resonant in c a n t i b u s. – Das Bild vom „Ausstoßen“ (prorumpere) der Laute und Worte96 ist duabus sed ex multis animi perceptionibus constat? Quam si substraxeris, qui distingues a r t i f i c e m a b i n s c i o : non enim fortuito hunc a r t i f i c e m dicemus esse, illum negabimus, sed cum alterum percepta et comprehensa tenere videmus, alterum non item. Cumque artium aliud eius modi genus sit ut …, quo modo aut geometres cernere ea potest quae aut nulla sunt aut internosci a falsis non possunt aut is qui f i d i b u s utitur explere n u m e r o s et conficere versus … 93 Accessit eo numerus, res cum ad vitam necessaria tum una inmutabilis et aeterna. 94 Vgl. den vermuteten Inhalt der 56 Teubnerzeilen umfassenden Lücke zwischen rep. 3,3 und 3,4 (letztes Blatt des 26. und die 3 ersten des 27. Quaternio); dazu K. Büchner, M. T. Cicero: De re publica. Vom Gemeinwesen, Stuttgart 1979, S. 249. 95 Siehe W. Theiler, Die Vorbereitung des Neuplatonismus (= Problemata 1), Berlin 1930, S. 5. 96 Parallelen: c. acad. 2,7,17 (ore prorumpentia); ord. 1,5,14 (ore procedere); mag. 2,3 (quae ore tuo erumpunt); ibid. 13,42 (sermo … ore funditur).
2. Hauptteil: 2,19,50
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nach H. H. Gunermann (Sprache, S. 124) ebenfalls durch ciceronische Diktion geprägt (allerdings verwendet dieser ausschließlich erumpere; vgl. Vatin. 15; Phil. 10,19; epist. fr. 6,2).97 12 f memoria custodiat: Die sogenannte „Wächterfunktion“ des Gedächtnisses ist ein bei Augustinus häufiger verwendetes Motiv, welches gedanklich wohl auf Cicero zurückgeht; vgl. dazu supra zu 1,9,27, Z. 15 f und 2,2,7, Z. 79. 13 in canendo, quo quid fieri numerosius potest: Dass zuvörderst in der Musik die Herrschaft der Zahlen ausgeprägt ist, wurde bereits in 2,14,41 (Z. 30 f) ausgeführt: In hoc igitur quarto gradu sive in rhythmis sive in ipsa modulatione intellegebat regnare numeros totumque perficere. 14 pecoribus praeponendus: Obwohl der Neuplatoniker Porphyrios dem Tier Vernunft zuspricht (vgl. Nörregaard, Bekehrung, S. 106 f), hält sich Augustin an die überkommene, insbesondere in der Stoa verbreitete Vorstellung, dass das Kriterium des Besitzes der ratio den Vorzug des Menschen vor dem Tier und der gesamten Natur begründet; vgl. z. B. das Chrysipp-Referat bei Cicero, nat. deor. 2,18: Et tamen ex ipsa h o m i n u m sollertia esse aliquam mundi mentem et eam quidem acriorem et divinam existimare debemus. … Illud autem, quod vincit haec omnia, r a t i o n e m dico et, si placet pluribus verbis, mentem, consilium, cogitationem, prudentiam, ubi invenimus, unde sustulimus? 2,19,50: Die unsterbliche ratio Quomodo igitur inmortalis est ratio et ego simul et rationale et mortale quiddam definior? An ratio non est inmortalis? Sed unum ad duo vel duo ad quattuor verissima ratio est nec magis heri fuit ista ratio vera quam hodie nec magis cras aut post annum erit vera nec, si omnis iste mundus concidat, poterit ista ratio non esse. Ista enim 20 semper talis est, mundus autem iste nec heri habuit nec cras habebit, quod habet hodie, nec hodierno ipso die vel spatio unius horae eodem loco solem habuit; ita, cum in eo nihil manet, nihil vel parvo spatio temporis habet eodem modo. Igitur si inmortalis est ratio et ego, qui ista omnia vel discerno vel conecto, ratio sum, illud, quo mortale appellor, non est meum; aut si anima non id est, quod ratio, et tamen 25 ratione utor et per rationem melior sum, a deteriore ad melius, a mortali ad inmortale fugiendum est. Haec et alia multa secum anima bene erudita loquitur atque agitat, quae persequi nolo, ne, cum ordinem vos docere cupio, modum excedam, qui pater est ordinis. Gradatim enim se et ad mores vitamque optimam non iam sola fide sed certa ratione perducit. Cui numerorum vim atque potentiam diligenter intuenti 30 nimis indignum videbitur et nimis flendum per suam scientiam versum bene currere citharamque concinere et suam vitam seque ipsam, quae anima est, devium iter sequi et dominante sibi libidine cum turpissimo se vitiorum strepitu dissonare.
17 f unum ad duo vel duo ad quattuor verissima ratio est: Die Übersetzung Keselings („1 + 2 = 3 oder 2 + 4 = 6 ist eine unbedingt richtige Ver97 Anders Th. Fuhrer (Contra Academicos, S. 180): die Wendung sei „kaum im besonderen ciceronisch“.
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II. Kommentar
nunftwahrheit“) gibt den Sinn nur verkürzt wieder. Denn ratio ist auch – wie der im Griechischen – der mathematische terminus technicus für das „Verhältnis“ von Zahlen zueinander (alternativer Ausdruck: proportio = griech: ).98 In diesem Sinne ist die Übersetzung Mühlenbergs, wenngleich auch diese unscharf ist, vorzuziehen („eins zu zwei oder zwei zu vier bilden doch ein wahres Verhältnis der Harmonie!“). Am treffendsten formuliert Doignon: „le rapport de un à deux ou de deux à quatre est la forme la plus vraie de la raison“. Hier ist der doppelte semantische Aspekt der ratio berücksichtigt, nämlich derjenige des konkreten Zahlenverhältnisses („rapport“) wie auch der abstrakten Vernunft („raison“); zudem wird der für die Diktion Augustins so charakteristische Superlativ von verus nicht unterschlagen, welcher „in platonisch gefärbtem Zusammenhang“ (Gunermann, Sprache, S. 81) regelmäßig auf die transzendente Dimension des durch ihn bezeichneten Begriffs verweist. Die Ewigkeit und Unveränderlichkeit arithmetischer, geometrischer und dialektisch-logischer Lehrsätze wird besonders in Augustins Frühwerk häufig betont und nicht selten daraus die Unsterblichkeit der sie erkennenden Seele bzw. Vernunft abgeleitet; vgl. die engste Parallele immort. 2,299, daneben c. acad. 3,11,25; mus. 6,12,35; lib. arb. 2,83; 2,133–136; doctr. christ. 2,56; divers. quaest. 81,1.100 21 nec … spatio unius horae eodem loco solem habuit: Der unterschiedliche Stand der Sonne, ihre Bewegung, muss hier als ein Zeichen der Veränderlichkeit der Welt herhalten; dagegen ist in der stoischen Tradition gerade die regelmäßige Bewegung der Himmelskörper das herausragende Symbol für die Beständigkeit, Ordnung, Wahrheit, Vernunft, ja Göttlichkeit des Kosmos. Vgl. bes. Cicero, nat. deor. 2,39–58 passim, z. B. 2,56: Nulla igitur in caelo nec fortuna nec temeritas nec erratio nec vanitas inest contraque omnis ordo, veritas, ratio, constantia. 23 vel discerno vel conecto: Das Unterscheiden und Verknüpfen sind definitionsgemäß die beiden Grundfunktionen der ratio; vgl. supra 2,18,48, Z. 19: possum discernere vel conectere et haec vis mea ratio vocatur; 2,11,30, Z. 1: ratio est mentis motio ea, quae discuntur, distinguendi et conectendi potens. 98
Vgl. insbesondere mus. 1,12,22 f zur augustinischen Terminologie der Zahlenverhältnisse. Ratio profecto aut animus est, aut in animo. Melior autem ratio nostra, quam corpus nostrum: et corpus nostrum nonnulla substantia est, et melius est esse substantiam, quam nihil: non est igitur ratio nihil. Rursum, quaecumque harmonia corporis est, in subiecto corpore sit necesse est inseparabiliter, nec aliud quidquam in illa harmonia esse credatur, quod non aeque necessario sit in subiecto illo corpore, in quo et ipsa harmonia non minus inseparabiliter. Mutabile est autem corpus humanum, et immutabilis ratio. Mutabile est enim omne quod semper eodem modo non est. Et semper eodem modo est, duo et quatuor, sex. Item semper eodem modo est quod est, quod quatuor habent duo et duo; hoc autem non habent duo: duo igitur quatuor non sunt. Est autem ista ratio immutabilis: igitur ratio est. Nullo modo autem potest, mutato subiecto, id quod in eo est inseparabiliter non mutari. Non est igitur harmonia corporis animus. Nec mors potest accidere immutabilibus rebus. Semper ergo animus vivit, sive ipse ratio sit, sive in eo ratio inseparabiliter. 100 Die Unveränderlichkeit und Ewigkeit der Zahl an sich ist pythagoreisch-platonisches Axiom und in der arithmosophischen Literatur der griechisch-römischen Antike weit verbreitet; Augustin konnte derartige Vorstellungen auch bei Cicero finden, vgl. z. B. rep. 3,3: numerus, res … una inmutabilis et aeterna. 99
2. Hauptteil: 2,19,50
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23 f illud, quo mortale appellor, non est meum: Augustin als Platoniker neigt der Auffassung zu, dass der von der ratio verschiedene, veränderliche und sterbliche Teil des Menschen, d. h. seine Körperlichkeit, nicht im eigentlichen Sinne zum Wesen des Menschen zu rechnen sei. Ob jedoch die veränderliche Seele (anima) mit der unwandelbaren, ewigen Vernunft (ratio) identisch sein könne, lässt er auch an dieser Stelle bewusst offen (Z. 22/24: si … aut si); vgl. supra zu 2,18,48, Z. 16. Gleichwohl wird das platonische Dogma von der Unsterblichkeit der Seele in den Cassiciacum-Schriften an keiner Stelle ernsthaft bestritten; vgl. beat. vit. 2,7; ord. 2,15,43; soliloq. 2,13,24; epist. 3,4. Vgl. aus späterer Zeit: mag. 13,41; trin. 10,7,9; serm. 240,4,4.101 25 per rationem melior sum: Siehe § 49 zum ontologischen Vorrang des vernunftbegabten Menschen vor aller anderen Kreatur; vgl. die in diesem Sinne explizierende und gelungene Übersetzung Mühlenbergs: „ich, der ich … durch die Vernunft mehr Sein habe“. 25 a deteriore ad melius: Der Aufstieg der Seele vom Niederen zum Höheren, ihre Abwendung von allen körperlichen Implikationen und die Ausrichtung auf die geistigen Wesenheiten, der konsequente Blick auf die Spitze der „Seinspyramide“ ist ein zentrales Thema der Schrift De vera religione (siehe bes. die §§ 73–77; 188–193; 262–263; 280–282). 27 ne … modum excedam: Zum klassischen Topos, am Ende einer Schrift auf das ihr zukommende Maß hinzuweisen, vgl. supra zu 1,11,33, Z. 44 f. 27 f modum …, qui pater est ordinis: In der stoisch beeinflussten Literatur (also auch etwa im Neuplatonismus) wird das „Maß“ und die „Ordnung“ gern in einem Atemzug genannt; vgl. z. B. Cicero, off. 1,17: O r d o autem et constantia et m o d e r a t i o et ea, quae sunt his similia, versantur in eo genere ad quod est adhibenda actio quaedam, non solum mentis agitatio. Is enim rebus, quae tractantur in vita, m o d u m quendam et o r d i n e m adhibentes, honestatem et decus conservabimus. Beim christlichen Neuplatoniker Augustinus ergibt sich allerdings eine besondere Dimension in der Beziehung der beiden „Begriffsrealitäten“: In beat. vit. 4,34 wird der summus modus mit Gott-Vater identifiziert (vgl. ebenso vera relig. 232 f),102 der ordo steht häufig an dritter Stelle innerhalb verschiedener triadischer Formeln.103 Bedenkt man, dass in vielen Schriften Augustins – bei unterschiedlichsten Themen – der Gedankengang zum Abschluss in eine trinitarische Spekulation einmündet (vgl. besonders ausgeprägt in De beata vita, De musica, De vera religione), so ist man auch hier geneigt, einen solchen Hinweis auf die Beziehung innerhalb der göttlichen Dreieinigkeit zu sehen. Vgl. als spezielle Untersuchung: L. F. Pizzolato, Il „Modus“ nel primo Agostino, in: La langue latine langue de la philosophie, Rom 1992, S. 245–261. 101 Siehe dazu K. Flasch, Augustin, S. 73–78; G. J. P. O’Daly, Anima, S. 328–330; J. M. Rist, Augustine, S. 95–97. 102 Weitere Beispiele siehe supra zu 1,2,3, Z. 48–50. 103 Siehe oben zu 1,7,17, Z. 8.
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II. Kommentar
28 Gradatim: Dass der Fortschritt zu einem tugendgemäßen Leben stufenweise und ordnungsgemäß erfolgen muss, ist eine klassische Vorstellung; vgl. Cicero, fin. 5,40: multis gradibus ascendit, ut ad summum perveniret; siehe auch ac. 2,30. 28 f non iam sola fide sed certa ratione: Rückblende auf das in 2,9,26 entwickelte Stufenschema der Erkenntnis (Z. 3: Tempore auctoritas, re autem ratio prior est); siehe supra zur Stelle. 29 numerorum vim atque potentiam: Die Kenntnis der „Kraft und Macht der Zahlen“ gehört nach ord. 2,18,47 (Z. 3: potentiaeque numerorum) zum Kernbestand des Wissens; ohne eine profunde Ausbildung in der Arithmosophie und / oder der Dialektik können weder die verwickelten Fragen der Theodizee gelöst noch überhaupt erfolgreich Philosophie betrieben werden (siehe § 46 f). 31 iter sequi: Die Wendung ist im Thesaurus nicht belegt; Hensellek (Notabilien, S. 92) verweist aber auf Cicero, der vergleichbares viam sequi hat; off. 1,118: nonnulli tamen … sine parentum disciplina rectam vitae secuti sunt viam. 32 dominante sibi libidine: Das Bild der „Herrschaft“ von Begierde, Lust und Verlangen (libido, voluptas, cupiditas) verwendet Augustins Vorbild Cicero recht häufig; vgl. orat. 219: libido … dominatur; fin. 2,117: … virtutes iacere … voluptate dominante; rep. 6,1: Graves … dominae cogitationum libidines infinita quaedam cogunt …; inv. 1,2: … caeca dominatrix animi cupiditas; parad. 40: … cupiditas … quam dura est domina; off. 2,37: … voluptates, blandissimae dominae, … (dazu Gunermann, Sprache, S. 6 f); vgl. Platon, rep. 443 d. 32 cum turpissimo se vitiorum strepitu dissonare: „Wenn das Laster als Mißton in der Harmonie des Alls erscheint, so ist das pythagoreisch.“ (P. Keseling, Weltregiment, S. 249, zur Stelle). – Auch Cicero, off. 1,145 f, deutet in Anlehnung an einen musikalischen Vergleich (in fidibus aut tibiis) die menschlichen Laster (vitia) als Störung der Harmonie (concentus).104 Vgl. ähnlich rep. 2,69 (= Aug., civ. 2,21). Eine detaillierte Analyse der bei Cicero und Augustinus verwendeten Terminologie bringt Gunermann, Sprache, S. 181–183. – Der Lärm (strepitus) ist generell bei Augustin negativ besetzt (vgl. ord. 2,14,39, Z. 6; conf. 3,6,10; 6,3,3; vera relig. 301), meistens als Hindernis der geistigen Erkenntnis, die sich nur in der Stille der inneren Einkehr und Einsamkeit vollzieht (vera relig. 182 f). 2,19,51: Die glückselige Gottesschau Cum autem se conposuerit et ordinarit atque concinnam pulchramque reddiderit, audebit iam deum videre atque ipsum fontem, unde manat omne verum, ipsumque 104 Ut in fidibus aut tibiis quamvis paulum d i s c r e p e n t , tamen id a sciente animadverti solet, sic videndum est i n v i t a ne forte quid d i s c r e p e t , vel multo etiam magis, quo maior et melior actionum quam sonorum c o n c e n t u s est. Itaque ut in fidibus musicorum aures vel minima sentiunt, sic nos, si acres ac diligentes iudices esse volumus animadversores[que] v i t i o r u m , magna saepe intellegemus ex parvis.
2. Hauptteil: 2,19,51
363
35 patrem veritatis. Deus magne, qui erunt illi oculi, quam sani, quam decori, quam
valentes, quam constantes, quam sereni, quam beati! Quid autem est illud, quod vident? quid quaeso, quid arbitremur, quid aestimemus, quid loquamur? Cotidiana verba occurrunt et sordidata sunt omnia vilissimis rebus. Nihil amplius dicam nisi promitti nobis aspectum pulchritudinis, cuius imitatione pulchra, cuius conparatione 40 foeda sunt cetera. Hanc quisquis viderit – videbit autem, qui bene vivit, bene orat, bene studet – quando eum movebit, cur alius optans habere filios non habeat, alius abundanter exponat, alius oderit nascituros, alius diligat natos? Quomodo non repugnet nihil futurum esse, quod non sit apud deum, ex quo necesse est ordine omnia fieri et tamen non frustra deum rogari? Postremo quando istum virum movebunt aut 45 ulla onera aut ulla pericula aut ulla fastidia aut ulla blandimenta fortunae? In hoc enim sensibili mundo vehementer considerandum est, quid sit tempus et locus, ut, quod delectat in parte sive loci sive temporis, intellegatur tamen multo esse melius totum, cuius illa pars est, et rursus, quod offendit in parte, perspicuum sit homini docto non ob aliud offendere, nisi quia non videtur totum, cui pars illa mirabiliter congruit, in 50 illo vero mundo intellegibili quamlibet partem tamquam totum pulchram esse atque perfectam. Dicentur ista latius, si vestra studia sive memoratum istum a nobis sive alium fortasse breviorem atque commodiorem, rectum tamen ordinem, ut hortor ac spero, tenere instituerint atque omnino gnaviter constanterque tenuerint.
33 se conposuerit et ordinarit atque concinnam pulchramque reddiderit: Ordnung, Harmonie und Schönheit der Seele sind Voraussetzung für die glückselige Gottesschau. Zu Grunde liegt der Gedanke, dass das erkennende Subjekt (die anima) dem zu schauenden Objekt (deus), welches die höchste Schönheit (summa pulchritudo) darstellt, möglichst ähnlich werden muss. Denn – so die latente Prämisse – Gleiches kann nur durch Gleiches erkannt werden. Die gesamte Vorstellungswelt ist neuplatonisch und hält sich eng an die „ästhetischen“ Schriften Plotins, namentlich an Enn. V 8 ( / Über die geistige Schönheit) und insbesondere an Enn. I 6 ( / Über das Schöne).105 34 f fontem, unde manat omne verum, ipsumque patrem veritatis: Zwischen dem Schlussteil von De ordine und De beata vita ergibt sich eine nicht zu übersehende Affinität. So münden beide Schriften ultimativ in die trinitarische Spekulation. Dabei wird der „Vater“ jeweils als die Quelle bezeichnet, aus der das Wahre bzw. die Wahrheit selbst (= der „Sohn“) hervorgeht und – neuplatonisch ausgedrückt – gewissermaßen „ausfließt“; siehe beat. vit. 4,35: de ipso ad nos fonte veritatis emanat. – Zur großen Verbreitung des Bildes der Quelle für Gott-Vater in der Kirchenvätertradition siehe supra zu 1,7,17, Z. 8. Zur veritas als augusti105 Vgl. z. B. 5,8,2 f; 1,6,6: „Durch solche Reinigung wird die Seele Gestalt und Form, … ganz dem Göttlichen angehörig, aus welchem der Quell des Schönen kommt, und von wo alles ihm Verwandte schön wird. … Deshalb heißt es denn auch mit Recht, daß für die Seele gut und schön werden Gott ähnlich werden bedeutet, denn von ihm stammt das Schöne“; 1,6,7: „Denn dies selber, da es in höchstem Maße Schönheit ist und ursprüngliche Schönheit, macht die welche es lieben schön“; 1,6,9: „So sieht auch keine Seele das Schöne, welche nicht schön geworden ist. Es werde also einer zuerst ganz gottähnlich und ganz schön, wer Gott und das Schöne schauen will.“ (Übersetzung Harder).
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II. Kommentar
nische Bezeichnung für den „Sohn“ (nach Joh. 14,6) vgl. neben beat. vit. 4,34 f auch vera relig. 67.158.185–187.233.310; De gen. lib. impf. 16,60; conf. 11,30,48; civ. 11,24; serm. 250,3; epist. 14,4. 35 qui erunt illi oculi, quam sani: Wie die allgemeine Vorstellung einer geistigen „Schau“ auf Platon zurückgeht, so auch im Speziellen die beliebte Metapher vom „Auge der Seele“ (vgl. rep. 7,533 d 2; soph. 254 a; symp. 219 a); zum Bild des „gesunden“ Auges (sc. der Seele) vgl. insbesondere die berühmte Stelle Plotin, Enn. 1,6,9 und deren Rezeption bei Ambrosius, Isaac 8,78 f: si quis igitur purum illud et incorporeum summum illud videre meruerit, quid habeat aliud, quod desideret? … solem nisi s a n u s e t v i g e n s o c u l u s non aspicit.106 Augustin verwendet das Bild vom „gesunden Auge“ recht häufig; vgl. c. acad. 2,3,7; soliloq. 1,6,12 ff; 1,10,17; 1,13,23; 1,14,25; beat. vit. 4,35; util. cred. 2,4; u. ö. 35 oculi … quam decori: Die Augen, die die höchste Schönheit (= Gott; vgl. Z. 39 f) schauen sollen, müssen selbst schön sein. Zu Grunde liegt die plotinische Prämisse von der notwendigen Adaption des Erkenntniswillligen an das zu erkennende Objekt: „Wer aber die Schau unternimmt mit einem durch Schlechtigkeit getrübten Auge, nicht gereinigt, oder kraftlos,107 der ist nicht Manns genug das ganz Helle zu sehen, und sieht auch dann nichts wenn einer ihm das was man sehen kann als anwesend zeigt. Man muß nämlich das Sehende dem Gesehenen verwandt und ähnlich machen, wenn man sich auf die Schau richtet; kein Auge könnte je die Sonne sehen, wäre es nicht sonnenhaft; so sieht auch keine Seele das Schöne, welche nicht schön geworden ist. Es werde also einer zuerst ganz gottähnlich und ganz schön, wer Gott und das Schöne schauen will.“ (Enn. 1,6,9; Übersetzung Harder). 39 f aspectum pulchritudinis, cuius imitatione pulchra, cuius conparatione foeda sunt cetera: Eine schöne antithetische Formulierung für die platonische Sichtweise, dass alles Irdische seine Schönheit nur durch Teilhabe an der höchsten Schönheit erhalte,108 d. h. nur insofern schön wirke, als sich ihm die Idee lat.: forma) des Schönen mitteile; dennoch sei eine solche „abgeleitete“ ( und „nachgeahmte“ Schönheit im Vergleich zu seinem Urbild geradezu hässlich. Vgl. z. B. Cicero, orat. 9 f: In formis et figuris est aliquid perfectum et excellens, cuius ad cogitatam speciem i m i t a n d o referuntur ea quae sub oculos ipsa non cadunt; has rerum formas appellat … Plato …, c e t e r a labi. Siehe für den ersten Teil der Aussage insbesondere auch Plotin, Enn. 1,6,2 f. 40 f bene vivit, bene orat, bene studet: Ein anaphorisches Trikolon, welches als Voraussetzung für die schauende Gotteserkenntnis nicht nur – wie sonst 106 Zur Frage des Ausmaßes der literarischen Abhängigkeit des Ambrosius von Plotin an dieser Stelle vgl. P. Courcelle, Recherches, S. 125 f (= Neuplatonismus, S. 165 f). 107 Vgl. zum plotinischen das augustinische Antonym valentes (Z. 35 f). 108 Dieser platonische Grundgedanke kommt in der Übersetzung Mühlenbergs (S. 330: „… Anblick der Schönheit … Schon ihre Nachahmung ist schön …“) nicht zum Ausdruck; besser dagegen Keseling (S. 201: „… Anblick der Schönheit …, deren Nachahmung alles andere schön macht …“).
2. Hauptteil: 2,19,51
365
häufig (vgl. z. B. ord. 1,1,1; 2,4; 8,24; 2,8,25) – das gute Leben und die wissenschaftliche Bildung nennt, sondern auch das fromme Gebet. Gleichsam als Vorbild eines solchen Gebetes kann man soliloq. 1,1,2–6 (bzw. die Kurzfassung in 2,1,1) ansehen. 41 f quando eum movebit, cur alius optans habere filios non habeat, alius abundanter exponat: Die drängende, letztlich auf das Theodizeeproblem führende Frage nach der scheinbaren Ungerechtigkeit bei der „Kinderverteilung“ hat eine teilweise wörtliche Entsprechung in ord. 2,5,14, Z. 8 f: ut nullo modo eum moveat, cur alius optet liberos habere nec habeat, alius uxoris nimia fecunditate torqueatur. Siehe supra zur Stelle. – Die Interpunktion in den Textausgaben und Übersetzungen variiert; mit Mühlenberg (Ordnung, S. 365, Anm. 44) setzen wir die Kommata jeweils vor alius, sodass eine zweifache Antithese entsteht: 1 a: alius optans habere filios non habeat, 1 b: alius abundanter exponat, 2 a: alius oderit nascituros, 2 b: alius diligat natos. Störend könnte allenfalls das alius abundanter exponat wirken, d. h. die Vorstellung, dass jemand „Kinder reichlich aussetzt“; doch ist die hyperbolische Ausdrucksweise – ähnlich wie die Parallele in 2,5,14, Z. 9 – offensichtlich witzig gemeint. 45 blandimenta fortunae: Sprachlich: Cicero hat eine ähnliche Wendung in rep. 1,1: … ut ea vis omnia b l a n d i m e n t a v o l u p t a t i s otiique vicerit. Vgl. auch Cael. 41; siehe dazu H. H. Gunermann (Sprache, S. 138) mit Hinweis auf Beispiele aus der „silbernen Latinität“. – Inhaltlich: Auch in c. acad. 1,1,1 deutet Augustin gegenüber Romanianus an, dass das (persönliche) Glück und Schicksal einer übergeordneten (kosmischen) Ordnung unterliegt: Etenim fortasse quae vulgo fortuna nominatur, occulto quodam ordine regitur. 46/50 sensibili mundo … mundo intellegibili: Zur platonischen ZweiWelten-Lehre und deren Rezeption durch Augustin (vermittelt durch neuplatonisches Gedankengut) siehe supra zu 2,18,47, Z. 13. 46 considerandum est, quid sit tempus et locus: P. Keseling (Weltregiment, S. 249; mit Hinweis auf Svoboda, ésthétique, S. 43 f) legt Wert darauf, dass die „Relativität von Raum und Zeit“ noch kein Gegenstand des Nachdenkens bei Platon, aber sehr wohl bei Plotin sei; vgl. Enn. 3,7,1; 5,9,9; 6,9,6. 47 multo esse melius totum: Die Behauptung des ästhetischen wie ontologischen Vorrangs des Ganzen (totum, universum) vor den Einzelteilen (partes) ist eine häufig geäußerte Grundansicht des augustinischen Neuplatonismus, welcher seine Wurzeln unverkennbar in der stoischen Kosmologie hat. Vgl. z. B. gen. c. Man. 1,21,32: Omnis enim pulchritudo quae partibus constat multo est laudabilior in toto quam in parte.109
109
Siehe dazu die ausführliche Interpretation bei Trelenberg, Einheit, S. 24–27.
366
II. Kommentar
48 f quod offendit in parte, perspicuum sit homini docto non ob aliud offendere, nisi quia non videtur totum: Vermeintliche Defizite bei den Teilen (partes) müssen immer in Beziehung zu dem übergeordneten Ganzen bewertet werden und erhalten dadurch ihren Sinn; vgl. bereits die diesbezüglichen Feststellungen im Proömium (1,1,2) sowie Plotin, Enn. 3,2,2 f: … 50 f quamlibet partem tamquam totum pulchram esse atque perfectam: Hensellek, Notabilien, S. 103, will tamquam getrennt als tam quam lesen, nämlich als korrelative Vergleichspartikeln der Quantität; tam sei demnach auf pulchram … atque perfectam zu beziehen. Doch verfehlt diese Lesart eindeutig Augustins Aussageabsicht. Vielmehr wird auf die in der neuplatonischen Hypostasenlehre Plotins mehrfach ausgedrückte Vorstellung rekurriert, dass in der oberen, geistigen Welt jedes Einzelteil (pars) mit dem Gesamten (totum) sich in so großer Übereinstimmung und Harmonie befinde, dass es geradezu mit ihm identifiziert werden könne und gleichsam (tamquam) als das Ganze zu gelten habe. Vgl. Enn. 5,8,4: „dort oben … sind daher alle Dinge da und jedes ist Alles, das einzelne ist das Ganze“ ( … ); und wenig später heißt es ebendort: „Hier in der sichtbaren Welt entsteht freilich ein Teil aus dem andern und jedes Einzelne ist nur ein Teil; dort oben aber ist das einzelne immerdar aus dem Ganzen, es ist Einzelnes und Ganzes zugleich; es tritt zwar als Teil in Erscheinung, in ihm aber erblickt der Scharfsinnige das Ganze“. Siehe auch Enn. 3,2,14: „Denn in der oberen Welt ist ein jedes Alles, in der unteren Welt aber ist jedes Einzelne nicht Alles“ ( ).110 52 f ordinem … tenere: Die spezielle Wendung erscheint bei Cicero zweimal; vgl. leg. 3,20: … quoniam t e n e s o r d i n e m legum; part. 15: semperne … o r d i n e m conlocandi … t e n e r e possumus?
110
Übersetzungen nach Harder.
3. Abschluss Danksagung und Rückblick (2,20,52–2,20,54) [§ 52: Die Notwendigkeit des Gebets, § 53: Hinweis auf Pythagoras, § 54: Abschluss des Gesprächs]
2,20,52: Die Notwendigkeit des Gebets 1 Quod ut nobis liceat, summa opera danda est optimis moribus; deus enim noster ali-
ter nos exaudire non poterit, bene autem viventes facillime exaudiet. Oremus ergo, non ut nobis divitiae vel honores vel huius modi res fluxae atque nutantes et quovis resistente transeuntes, sed ut ea proveniant, quae nos bonos faciant ac beatos. Quae 5 vota ut devotissime inpleantur, tibi maxime hoc negotium, mater, iniungimus, cuius precibus indubitanter credo atque confirmo mihi istam mentem deum dedisse, ut inveniendae veritati nihil omnino praeponam, nihil aliud velim, nihil cogitem, nihil amem, nec desino credere nos hoc tantum bonum, quod te promerente concupivimus, eadem te petente adepturos. Iam vero te, Alypi, quid horter, quid moneam? 10 Qui propterea nimius non es, quia talia quantumvis amare fortasse semper parum, nimium vero numquam recte dici potest.
1 summa opera danda est optimis moribus: Vgl. hierzu die augustinische Revision in retr. 1,3,9 (zitiert unter Z. 1 f). 1 f deus enim noster aliter nos exaudire non poterit, bene autem viventes facillime exaudiet: In retr. 1,3,9 wird richtig gestellt, dass Gott auch Sünder erhört. Die Behauptung des Gegenteils im Evangelium (Joh 9,31: ) besitzt für Augustin keine Autorität, da es von jemandem ausgesprochen werde, der noch nicht die vollendete Erkenntnis besitze: Nec illud mihi placet, quod cum dixissem: Summa opera danda est optimis moribus, mox addidi: Deus enim noster aliter nos exaudire non poterit, bene autem viventes facillime exaudiet. Sic enim dictum est tamquam deus non exaudiat peccatores, quod quidam dixit in evangelio, sed ille qui nondum cognoverat Christum, a quo iam fuerat inluminatus in corpore. – In soliloq. 1,1,3 wird Gott selbst dafür verantwortlich gemacht, uns der Gebetserhörung würdig zu machen: deus, qui nos exaudibiles facis. 3 f divitiae vel honores vel huius modi res fluxae atque nutantes et … transeuntes: Im Proömium zum ersten Buch von Contra Academicos (vgl. bes.
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II. Kommentar
1,1,2) demonstriert Augustin am Beispiel des ehemals reichen Romanianus, wie vergänglich irdische Glücksgüter sind und wie hinderlich sie für die geistige Erkenntnis mitunter sein können. Vgl. auch das Beispiel des Orata1 in beat. vit. 4,26. 5 f cuius precibus: Der feste Glaube Augustins, dass er durch das Gebet seiner Mutter auf den rechten Weg geführt wurde, deckt sich mit der späteren Einschätzung in den confessiones. Diese legen für das unablässige Bitten, Beten, Weinen und Klagen der Mutter eindrücklich Zeugnis ab; siehe besonders 3,11,19 f: novem ferme anni secuti sunt quibus ego in illo limo profundi ac tenebris falsitatis, cum saepe surgere conarer et gravius alliderer, volutatus sum, cum tamen illa vidua casta, pia et sobria, quales amas, iam quidem spe alacrior, sed f l e t u e t g e m i t u non segnior, non desineret horis omnibus orationum suarum de me p l a n g e r e ad te, et intrabant in conspectum tuum p r e c e s eius (§ 20); 5,8,15–17: post accusationem fallaciarum et crudelitatis meae conversa rursus ad u n u m d e p r e c a n d u m te pro me (§ 15); 6,1,1: tibi autem, fons misericordiarum, p r e c e s e t l a c r i m a s densiores, ut accelerares adiutorium tuum et inluminares tenebras meas; vgl. den berühmten Aus- und Zuspruch des afrikanischen Bischofs an Monnica: „Unmöglich geht ein Sohn so vieler Tränen verloren.“2 8 f tantum bonum, quod te promerente concupivimus: Zur großen Liebe der Mutter zur Weisheit, die seiner eigenen nicht nachstehe, vgl. die augustinischen Aussagen in ord. 1,11,32. In eben dieser Weisheitsliebe betrachte er sich sogar als ihr Schüler; Z. 42: egone me non libenter tibi etiam discipulum dabo? 9 te petente: Auch zum Ende des Dialogs De beata vita ist es die Mutter, welche – mit den Worten des Ambrosius (Hymnus 2,32) – ins Gebet verfällt: Fove precantes, trinitas! 9 adepturos: Zu Augustins erstaunlich optimistischen Überzeugung, dass er noch während seines irdischen Lebens in den Besitz der Wahrheit und Weisheit gelangen werde, vgl. supra zu 1,5,13, Z. 18 f. Sprachlich ähnlich ist in diesem Zusammenhang c. acad. 3,20,43: non me arbitror desperare debere eam me quandoque adepturum. 9 te, Alypi, quid horter, quid moneam: Zur hervorragenden moralischen Gesinnung des Alypius vgl. dessen Kurzbiographie durch Augustinus in conf. 6,7,11–12,21.3 Siehe dazu supra zu 1,2,5, Z. 22. 10 f semper parum, nimium … numquam: In beat. vit. 4,32 wird vor dem „Zuwenig“ (parum) ebenso gewarnt wie vor dem „Zuviel“ (nimium), da beides des Maßes (modus) entbehre und demnach einen Mangel darstelle: Quidquid igitur vel p a r u m vel n i m i u m est, quia m o d o eget, obnoxium est egestati. Für die Liebe (vgl. Z. 10: amare) gilt hier offenbar eine Ausnahme; für sie gibt es kein Zuviel, sie darf durchaus auch maß-los sein. 1 Zum äußerst wohlhabenden Sergius Orata (frühes 1. Jahrhundert v. Chr.), bekannt als Vertreter des uneingeschränkten Hedonismus, vgl. Cicero, fin. 2,70; off. 3,67; de orat. 1,39.178; Hort. fr. 76 Ruch; Varro, rust. 3,3,10; Plinius, nat. 9,54,79. 2 Ibid. 3,12,21: fieri non potest, ut filius istarum lacrimarum pereat. 3 Siehe z. B. 6,7,11: ego illum propter magnam virtutis indolem [sc. diligebam].
3. Abschluss: 2,20,53
369
2,20,53: Hinweis auf Pythagoras Hic ille: Vere effecisti, inquit, ut memoriam doctissimorum ac magnorum virorum, quae aliquando pro rerum magnitudine incredibilis videbatur, et cotidiana consideratione et ista praesenti quae in te nobis est admiratione non solum dubiam non 15 habeamus verum etiam, si necesse sit, de illa iurare possimus. Quid enim? Nobis nonne illa venerabilis ac prope divina quae iure et habita est et probata Pythagorae disciplina abs te hodie nostris etiam paene oculis reserata est, cum et vitae regulas et scientiae non tam itinera quam ipsos campos ac liquida aequora et, quod illi viro magnae venerationi fuit, ipsa etiam sacraria veritatis ubi essent, qualia essent, quales 20 quaererent, et breviter et ita plane significasti, ut, quamvis suspicemur et credamus tibi esse adhuc secretiora, tamen non absque inpudentia nos putemus, si amplius quicquam flagitandum arbitremur?
14 ista praesenti quae in te nobis est admiratione: Augustin lässt sich in seinen Dialogen gern Lob von seinen Gesprächspartnern spenden. Er folgt darin dem Vorbild Ciceros; vgl. u. a. fin. 5,96; leg. 2,6; 3,14; Brut. 253 f.4 Erkennt man dies als ein traditionelles literarisches Motiv, so muss man J. J. O’Meara (Historicity, S. 157 = Studies, S. 13) zustimmen, der sich gegen die Auffassung Ohlmanns wehrt, das „Eigenlob“ sei ein Argument gegen die nachträgliche Bearbeitung der stenographisch protokollierten Gespräche seitens des Autors. 16 f Pythagorae disciplina: In den retractationes (1,3,10) kritisiert und bedauert Augustinus rückblickend, dass er dem Pythagoras so kritiklos sein Lob gespendet habe: Nec illud mihi placet, quod Pythagorae philosopho tantum laudis dedi, ut qui hanc audit vel legit possit putare, me credidisse nullos errores in Pythagorica esse doctrina, cum sint plures idemque capitales. – Der Leser von De ordine mag sich vielleicht wundern, dass als Gewährsmann der augustinischen Philosophie Pythagoras und nicht etwa ein Neuplatoniker – z. B. Plotin – genannt wird. Denn neben vielen anderen Bezügen erweisen sich insbesondere die exponierten Stellen zu Anfang (besonders ord. 1,2,3 innerhalb des Proömiums) und zu Ende der Schrift (besonders ibid. 2,18,47 innerhalb der oratio perpetua) als neuplatonisch gefärbt. Doch ist die Frage, ob eine so scharfe Trennung sinnvoll und der augustinischen Zeit und Sichtweise überhaupt angemessen ist. Der philosophisch gebildete Augustin (vgl. conf. 4,14,23; 16,30; u. ö.) hat mit einiger Sicherheit Kenntnis des pythagoreisierenden Mittelplatonismus5 wie auch Zugang zu Schriften der platonisierenden Neupythagoreer.6 Zudem geht Augustin davon aus, dass bereits Platon die Lehre des Pythagoras in maßgeblicher Weise rezipiert habe; in c. acad. 3,17,37 zeigt sich
4 Vgl. hierzu E. Becker, Technik und Szenerie des ciceronischen Dialogs, Osnabrück 1938, S. 42 f. 5 Vgl. Th. Fuhrer, Contra Academicos, S. 407. 6 Dazu A. Solignac, Doxographies, S. 125; A. Dyroff, Form, S. 46 f.
370
II. Kommentar
unser Autor überzeugt, Platon habe aus der pythagoreischen Lehre über die Natur und das Göttliche – beides zentrale Themen in De ordine (Vf.) – geschöpft.7 17 f vitae regulas et scientiae … itinera: Augustin führt – mit den Worten des Alypius - die für De ordine so charakteristische Verbindung von notwendiger moralischer und wissenschaftlicher Qualifikation des Erkenntniswilligen auf die pythagoreische Lehre zurück. Historisch richtig ist, dass das Pythagoreertum seine Domäne nicht nur auf dem Gebiet der Arithmosophie, Mathematik und Geometrie hatte, sondern auch „reich … an Lebensregeln“ war (vgl. Dörrie / Baltes, Platonismus, Bd. 1, S. 540). – Gunermann (Sprache, S. 92 f) führt im Hinblick auf die oppositiven Iuxta posita (vita – scientia) als Parallelstelle Cicero, Tusc. 2,118 an; allerdings ist der jeweilige Kontext disjunkt und es handelt sich offensichtlich nur um eine äußerliche, rein sprachliche Affinität ohne einen speziellen Vorbildcharakter. 18 campos ac liquida aequora: Doignon (BAug 4/2, S. 323, Anm. 258) möchte hier eine literarische Abhängigkeit von Vergil, Aen. 6,724 erkennen: Principio caelum ac terras c a m p o s q u e l i q u e n t e s … 19 sacraria veritatis: Dass es innerhalb der Philosophie ein geheimnisvolles inneres „Allerheiligstes“ gebe, in welcher sich die Wahrheit und Weisheit in besonderem Maße konkretisieren, ist ein klassischer Topos mit gewisser Nähe zur Mysteriensprache. Vgl. bereits die Formulierung Augustins in ord. 1,11,31, Z. 11 f: ad sacrosancta philosophiae penetralia. Ähnliche Vorstellung auch bei Seneca, epist. 95,64: in philosophia arcana illa admissis receptisque in sacra ostenduntur. Speziell den Ausdruck sacrarium im übertragenen Sinne kennt bereits Cicero: Mur. 84; Catil. 1,24. Inhaltlich sehr nah kommen Stellen aus der nachciceronischen Prosa wie Seneca, epist. 103,4: in huius (sc. philosophiae) sacrario; Lactantius, epit. 65,8: ad ipsum sacrarium caelestium litterarum; Ambrosius, Noe. 7,23: sacrarium sapientiae; vor allem aber Lactantius, inst. 7,3,14: sacrarium veritatis … attingere.9 7 Ibid.: Igitur Plato adiciens lepori subtilitatique Socraticae quam in moralibus habuit, n a t u r a l i u m d i v i n a r u m q u e r e r u m peritiam, quam ab eis quos memoravi [insbes. Pythagoras] diligenter acceperat; vgl. aus späterer Zeit civ. 8,4; doctr. christ. 2,43. Augustin wiederum hat sein „Wissen“ aus Nachrichten wie diejenigen Ciceros z. B. in rep. 1,16: … sed audisse te credo Tubero, P l a t o n e m Socrate mortuo primum in Aegyptum discendi causa, post in Italiam et in Siciliam contendisse, ut P y t h a g o r a e inventa perdisceret, eumque et cum Archyta Tarentino et cum Timaeo Locro multum fuisse et Philolai commentarios esse nanctum, cumque eo tempore in his locis P y t h a g o r a e nomen vigeret, illum se et hominibus P y t h a g o r e i s et studiis illis dedisse. itaque cum Socratem unice dilexisset, eique omnia tribuere voluisset, leporem Socraticum subtilitatemque sermonis cum obscuritate P y t h a g o r a e et cum illa plurimarum artium gravitate contexuit; siehe auch Tusc. 1,39; fin. 5,87. Dass Augustinus das Platonbild Ciceros übernimmt, betonen Dörrie / Baltes, Platonismus, Bd. 1, S. 539, und F. Regen, Darstellung, S. 222 mit Anm. 66. Allerdings war die Legende von der platonischen Pythagoras-Rezeption weit verbreitet. Vgl. Val. Max. 8,7, ext. 3; Hieronymus, adv. Rufin. 3,40; Apuleius, Plat. 1,3. 8 Quotus … quisque philosophorum invenitur, qui … disciplinam suam non ostentationem s c i e n t i a e , sed legem v i t a e putet? 9 Vgl. Gunermann (Sprache, S. 157), der in Bezug auf die letzte Laktanz-Stelle sogar eine augustinische Reminiszenz vermutet.
3. Abschluss: 2,20,54
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2,20,54: Abschluss des Gesprächs Accipio ista, inquam, libenter – neque enim me tam verba tua, quae vera non sunt, quam verus in verbis animus delectat atque excitat – et bene, quod ei mittere statui25 mus has litteras, qui de nobis solet libenter multa mentiri. Si qui autem alii fortasse legerint, neque hos metuo, ne tibi suscenseant. Quis enim amantis errori in iudicando non benivolentissime ignoscat? Quod autem Pythagorae mentionem fecisti, nescio quo illo divino ordine occulto tibi in mentem venisse credo. Res enim multum necessaria mihi prorsus exciderat, quam in illo viro – si quid litteris memoriae mandatis 30 credendum est; quamvis Varroni quis non credat? – mirari et paene cotidianis, ut scis, ecferre laudibus soleo, quod regendae rei publicae disciplinam suis auditoribus ultimam tradebat iam doctis iam perfectis iam sapientibus iam beatis. Tantos ibi enim fluctus videbat, ut eis nollet committere nisi virum, qui et in regendo paene divine scopulos evitaret, et si omnia defecissent, ipse illis fluctibus quasi scopulus fieret. De 35 solo enim sapiente verissime dici potest: ille velut pelagi rupes immota resistit et cetera, quae luculentis in hanc sententiam versibus dicta sunt. Hic finis disputationis factus est laetisque omnibus et multum sperantibus consessum dimisimus, cum iam nocturnum lumen fuisset inlatum.
23 verba tua, quae vera non sunt: Auch am Schluss der Schrift Contra Academicos weist Augustin das Lob des Alypius in ähnlicher Weise als „unwahr“ bzw. „falsch“ zurück; vgl. 3,20,45: Hanc tibi, Alypi, duram mercedem pro mea falsa laude restituo. Vgl. auch ord. 2,10,18. 24 ei: Zur Person des Adressaten Zenobius siehe die Ausführungen supra zu 1,7,20 passim und zu 2,5,15, Z. 18 f. 25 f Si qui autem alii fortasse legerint: Zum vermuteten und intendierten Leserkreis der Schrift (Nordafrika?!) vgl. supra zu 1,3,6, Z. 19. 26 f Quis enim amantis errori … non benivolentissime ignoscat? Das Motiv, dass einem Menschen, der aus Liebe einen Fehler oder Irrtum begangen hat, leicht verziehen wird, begegnet bei Ovid; z. B. in der Orpheus-Metamorphose: Iamque iterum moriens non est de coniuge quicquam / questa suo – quid enim nisi se quereretur amatam? (met. 10,61 f); vgl. auch met. 4,148 f. 28 illo divino ordine occulto: Dass eine verborgene (göttliche) Weltordnung existiert, die der Mensch jedoch aufgrund seines begrenzten Fassungsvermögens nicht immer erkennt, ist eine grundlegende Annahme Augustins. Dieser ordo occultus wirkt nach der festen Überzeugung Augustins auch in den geringsten Kleinigkeiten des alltäglichen Lebens hinein; vgl. besonders ord. 1,5,14. 30 Varroni: Zur Benutzung des varronischen Werkes in De ordine vgl. ausführlich supra unter Kapitel I 3 (Einführung: Quellen und Traditionen). 32 iam doctis iam perfectis iam sapientibus iam beatis: Mit vierfacher Anapher erklärt Augustin implizit, dass die Gelehrsamkeit und Weisheit eines Menschen mit seiner moralischen Perfektion und Glückseligkeit einhergeht; er zeigt auf, welches Idealbild eines Menschen ihm vor Augen steht, in welchem sich die genannten Eigenschaften untrennbar zusammenfügen, ja letztlich gegen-
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II. Kommentar
seitig bedingen.10 Was er hier formal über den pythagoreischen Gelehrten sagt, ist nichts anderes als sein eigenes Verständnis eines Weisen, im Grunde seine eigene biographische Zielperspektive. – Dass die Führung der Staatsgeschäfte ein sehr schwieriges Unterfangen sei und der Staatsmann perfectus sein müsse, ist eine Ansicht, die Augustin bereits in ord. 2,8,25, Z. 19 f formulierte: rem publicam nolint administrare nisi perfecti.11 Dieselbe Auffassung bereits bei Cicero (mit bemerkenswerten sprachlichen Parallelen!) notiert, mit Hinweis auf Platon als Gewährsmann (ad Q. fr. 1,1,29): Atque ille quidem princeps ingenii et doctrinae Plato tum denique fore beatas res publicas putavit si aut docti et sapientes homines eas regere coepissent. Ansonsten finden sich speziell die Attribute perfectus und sapiens bei Cicero häufiger als Iuxta posita; vgl. Lael. 100: Sed nescio quo pacto ab amicitiis perfectorum hominum, id est sapientium; off. 1,46: … vivitur non cum perfectis hominibus planeque sapientibus; fin. 4,37: … quod eos qui sapientes sunt absolutos et perfectos putamus; vgl. auch de orat. 3,80. 34 scopulos: Augustin macht innerhalb der Cassiciacum-Dialoge häufig Gebrauch von der Seefahrermetaphorik, vorzugsweise in den Proömien (vgl. dazu supra zu 1,1,1, Z. 7). Auf die „Klippen“ wird innerhalb dieses Schriftencorpus insgesamt an drei Stellen verwiesen, sie bezeichnen jeweils „Gefahren“12; in ord. 1,1,1, Z. 7 (scopulos vitae huius et procellas) sind die allgemeinen Gefahren der irdischen Existenz ins Auge gefasst, in beat. vit. 1,3 die Gefahr philosophischer Irrtümer und Fehlentscheidungen, an unserer Stelle die heimtückisch lauernden Gefahren des politischen Lebens. Die beliebte Metapher geht offenbar auf Cicero zurück, der sie ebenfalls häufig hat. Im politischen Kontext steht sie in Pis. 41: Tunc etiam atque adeo vos, geminae voragines s c o p u l i q u e r e i p u b l i c a e , vos meam fortunam deprimitis, vestram extollitis …; vgl. ansonsten noch: phil. fr. 9,9 (Müller = Lactantius, inst. 3,19,14); C. Rabir. 25; de orat. 2,154; ibid. 3,163; u. ö. 34 fluctibus: Der Vergleich der Staatsführung mit dem Steuern eines Schiffes ist ein Motiv, welches auch bei Cicero beliebt ist; vgl. insbesondere rep. 1,11. Auch bei Cicero hat der Weise die Aufgabe, ja geradezu die moralische Pflicht, sich auf die Lenkung eines Gemeinwesens zu verstehen (ibid.). Die zahlreichen Widrigkeiten, derer sich ein Staatsmann zu erwehren hat, werden schon bei Augustins Vorbild sehr häufig im metaphorischen Sprachgebrauch als „Fluten“ bezeichnet; vgl. de orat. 1,3; rep. 1,11; Sest. 7.20.73.99; Pis. 20; ein ähnlicher übertragener Gebrauch der fluctus auch har. resp. 48; Mur. 35; prov. cons. 38; Phil. 13,20; Flacc. 57; Mil. 5; Planc. 11.13 Augustins Beschreibung des gebildeten, weisen Staatsmannes als eines „Felsens“ (scopulus; Z. 34), der den besagten „Fluten“ 10
Vgl. z. B. c. acad. 1,3,7: beatum … volumus esse perfectum in omnibus sapientem. J. Doignon (BAug 4/2, S. 377) schlussfolgert aus dem augustinischen Hinweis auf Varro (Z. 30), dass Augustin seine Kenntnis der pythagoreischen Lernordnung „sans doute“ dessen Disciplinarum libri verdanke. 12 Dazu Gunermann, Sprache, S. 158. 13 Das Bild an sich ist in der lateinischen Sprache schon alt; Gunermann (Sprache, S. 32) verweist auf Acc. trag. 608: quam turbam, quantos belli fluctus concitas. 11
3. Abschluss: 2,20,54
373
trotzt, erinnert an Ciceros Sicht seiner eigenen Rolle und Person, namentlich in seinem Konsulatsjahr, wie sie nicht unbescheiden in rep. 1,7 und 1,10 f illustriert werden. So vermutet J. Doignon (BAug 4/2, S. 377 f) mit einigem Recht für Cicero (rep. 1) und Augustin (ord. 2,20,54) dieselbe Quelle, nämlich eben den von Augustin angedeuteten Bericht Varros (sc. in den Disciplinarum libri) über die Bildungsordnung im Pythagoreismus. 35 sapiente: Das Bild des Weisen, welches Augustin in § 54 entwickelt, nimmt unverkennbar stoische Vorstellungen auf, insbesondere dann, wenn auf dessen unerschütterliche Ruhe inmitten einer turbulenten Umgebung (vgl. das Bild vom „Fels in der Brandung“; Z. 33–35) rekurriert wird.14 Keseling (Weltregiment, S. 249, mit Hinweis auf Nörregaard, Bekehrung, S. 230, Anm. 2) nimmt Plotin, der sich bekanntermaßen stark auf die Stoa stützt, als den für Augustin maßgeblichen Tradenten an; vgl. hierzu z. B. Enn. I 4. 35 ille velut pelagi rupes immota resistit: Vergil-Zitat aus Aen. 7,586; auch die Metaphorik im unmittelbaren Kontext des Verses (im Original auf König Latinus bezogen) hat Augustin offensichtlich für seine eigene Zeichnung des unerschütterlichen Weisen genutzt; vgl. die Verse 587–590: ut p e l a g i r u p e s magno veniente fragore / quae sese multis circum latrantibus u n d i s / mole tenet; s c o p u l i nequiquam et spumea circum / saxa fremunt laterique inlisa refunditur alga. 36 f finis … factus est: Die Schlusswendung finem facere o. ä. ist als Topos aus den Dialogen Ciceros entlehnt; siehe fin. 2,119; 4,1 (mit Ellipse von facere); nat. deor. 3,94 (ebenfalls facere zu ergänzen); vgl. auch Tusc. 5,1. Augustin verwendet die Formel noch in c. acad. 3,20,45 (finem … fecimus), beat. vit. 4,36 (facto disputationis fine discessimus) und util. cred. 18,36 (hic finem libro faciamus). 37 f cum iam nocturnum lumen fuisset inlatum: Das Motiv, die philosophische Disputation wegen der fortgeschrittenen Tageszeit enden zu lassen, findet sich als auch bei Cicero; vgl. nat. deor. 3,94 (quoniam advesperascit …) und fin. 4,80 (quoniam … advesperascit …). In c. acad. 3,20,44 wird eine ähnliche Szenerie gemalt: Auch dort findet der letzte Teil des Geprächs – ebenfalls im Badehaus – bereits bei Lampenlicht statt (aliquid etiam lucerna inlata scriptum erat).
14
Vgl. hierzu noch c. acad. 1,1,1; beat. vit. 4,25; ord. 1,11,32; quant. anim. 16,27.
III. Ergebnisse 1. Die Historizität der Cassiciacum-Dialoge Die Frage, ob es sich bei den drei Cassiciacum-Dialogen Contra Academicos, De beata vita und De ordine um die authentische Wiedergabe von tatsächlich erfolgten Gesprächen handelt oder aber um eine literarische Fiktion des Autors, ist eines der großen Rätsel der Augustin-Forschung, welches als Streitfrage in der jetzigen Form auf das 19. Jahrhundert zurückgeht und auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts keinesfalls gelöst zu sein scheint. Trotz intensiver Diskussion unter mittlerweile mehreren Forschergenerationen zeichnet sich unter den AugustinExperten – bei einer konzedierten Annäherung in Einzelfragen – kein Konsens ab. Noch immer ist für diese Frühwerke Augustins unklar, ob ihre originellen Gedanken gewissermaßen am „Schreibtisch“ allein dem Geiste des Autors entsprungen oder tatsächlich im Kreise spontan philosophierender Freunde auf einer ominösen Wiese unter einem schattigen Baum (bei schlechtem Wetter: im Badehaus) entstanden sind. Die Frage nach der Historizität bzw. Realität des Berichteten ist keinesfalls unbedeutend, sondern geradezu grundlegend für die weitere Forschungsrichtung. Zur Verdeutlichung mag ein Beispiel aus der Rahmenhandlung des ersten Buches von De ordine dienen: Die Erwähnung einer Wasserleitung hinter dem Badehaus (ord. 1,3,6 f) wird einerseits zur Beschreibung, ja sogar zur Lokalisierung des rus Cassiciacum herangezogen (vgl. z. B. Perler / Maier, voyages, S. 193), während man andererseits akribisch nach literarischen Vorbildern für das Wassermotiv innerhalb der voraugustinischen philosophischen Tradition sucht (vgl. z. B. Gunermann, Tradition, S. 197–199). Das Dilemma steht deutlich vor Augen: Ist die Rahmenhandlung fiktiv, sind darauf bezogene historische oder gar archäologische Rekonstruktionsversuche vollkommen wertlos. Sind die berichteten Details jedoch real, so wird die literarisch-motivgeschichtliche Forschung in vielen Fällen äußerst fragwürdig. – Schon an diesem einen Beispiel, willkürlich unter vielen anderen ausgewählt, erkennt man, wie sehr die Glaubwürdigkeit einer Vielzahl von Forschungsergebnissen entscheidend von einer grundsätzlichen Klärung der Ausgangsfrage (Realität vs. Fiktion) abhängig ist. Die Argumente pro und contra liegen längst vor, sie sind über die Jahrzehnte zum Teil bis ins Kleinste verfeinert und gegen den Einspruch der Gegenseite
376
III. Ergebnisse
abgesichert worden. Dies haben mit unterschiedlich großem Aufwand für die eine Seite (Verteidigung der Historizität) D. Ohlmann,1 J. H. Van Haeringen,2 R. Philippson,3 E. B. J. Postma4, B. L. Meulenbroek5 und G. Madec6 geleistet, für die andere Seite (Bestreitung der Historizität) R. Hirzel,7 A. Gudemann,8 J. J. O’Meara,9 B. R. Voss10 und J. M.W. Dewart.11 Der Vielzahl der ins Feld geführten Indizien und „Beweise“ ist quantitativ kaum etwas hinzuzufügen, doch halten wir es an dieser Stelle (zumal die Schrift De ordine in der geschilderten Diskussion eine herausgehobene Rolle spielt) für gerechtfertigt, die wesentlichen Argumente noch einmal im Überblick darzustellen und sodann hinsichtlich ihrer logischen Qualität an sich bzw. ihrer kontextuellen Stimmigkeit zu überprüfen. Dabei sind die nachfolgend vorgenommenen Bewertungen und die abschließende eigene Positionierung in der Historizitätsfrage in einem doppelten Sinne zu verstehen: Sie sind teilweise das Ergebnis der kommentierenden Auseinandersetzung mit der augustinischen Frühschrift, andererseits die nachträgliche Rechtfertigung für die Art und Weise der Interpretation, die sich mitunter entscheiden musste, welcher „Forschungsrichtung“ der Vorzug gegeben werden sollte. A) Zur Verteidigung der Historizität der genannten Cassiciacum-Dialoge (ohne soliloq.) werden folgende Argumente angeführt:
1 De sancti Augustini Dialogis in Cassiciaco scriptis, Diss. Strassburg 1897; grundlegende und kenntnisreiche Studie, die bereits viele der noch heute verwendeten Argumente enthält. 2 De Augustini ante baptismum rusticantis operibus, Groningen 1917. 3 Sind die Dialoge Augustins historisch? In: RhM 80, 1931, S. 144–150. 4 Augustinus. De beata vita, Diss. Amsterdam 1946. 5 The Historical Character of Augustine’s Cassiciacum Dialogues, in: Mnemosyne 13, 1947, S. 203–229; versucht durch differenzierende Stilanalyse der Sprache Augustins und seiner Gesprächspartner (Verwendung bzw. Vermeidung von Klauseln; syntaktische Auffälligkeiten; etc.) eine Entscheidung herbeizuführen. 6 L’historicité des Dialogues de Cassiciacum, in: Revue des Etudes Augustiniennes 32, 1986, S. 207–231; eine ausführliche, auf den bisherigen Forschungen aufbauende und mit größter Akribie angefertigte Studie, für die Verteidigung der Historizität bis heute maßgebend. 7 Der Dialog. Ein literarhistorischer Versuch, 2 Bde., Leipzig 1895; Hirzels nicht allzu langen Ausführungen sind gewissermaßen der Auslöser für die Debatte (Bd. 2, S. 377 mit Anm. 3). 8 Sind die Dialoge Augustins historisch? In: Silvae Monacenses (Festgabe zum 50 jährigen Jubiläum des historisch-philosophischen Vereins der Universität München), München 1926, S. 16–28. 9 The Historicity of the Early Dialogues of Saint Augustine, in: Vigiliae Christianae 5, 1951, S. 150–178 (= ders.: Studies, S. 11–23); zusammen mit Gudemann der profilierteste Vertreter der Gegenerschaft. 10 Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970; keine explizite eigene Analyse der Fragestellung, aber insofern von Bedeutung, als dass unter Annahme der literarisch-künstlerischen Fiktion über das sog. „Prinzip der Wirklichkeitsnähe“ (passim) reflektiert wird. 11 La autobiografía de Cassiciaco, in: Augustinus 101–102 (1985), S. 91–98; eine „bizarre lecture“ (Doignon, Etat, S. 53), welche versucht, die beteiligten Gesprächspersonen allegorisch als Ausdruck des komplexen Innenlebens Augustins zu deuten.
1. Die Historizität der Cassiciacum-Dialoge
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I) An zahlreichen Stellen erwähne Augustinus, dass ein notarius12 den Gang der Gespräche sorgfältig und detailliert mitschrieb.13 Diese auf Schreibtäfelchen (tabulae) notierten Mitschriften seien dann später in Bücher (libri) übertragen worden.14 Die Erwähnung des stenographierenden notarius sei deshalb nicht als bloße literarische Fiktion zu werten, weil sie auch in den Proömien vorgenommen werde (vgl. c. acad. 1,1,4 und ord. 1,2,5), wo zweifellos und nachprüfbar Reales berichtet werde.15 II) Bei den Gesprächspartnern des Augustinus (Alypius, Licentius, Trygetius, Monnica etc.) handele es sich um historische Personen, die sich nach dem Ausweis der epistulae und der confessiones tatsächlich zur fraglichen Zeit auf dem rus Cassiciacum aufhielten und dort ein zurückgezogenes Leben führten.16 Dies unterscheide die augustinischen Dialoge von vielen anderen (fiktiven) Dialogen der antiken Literatur. Augustin habe die kontemplative Idylle von Cassiciacum nicht literarisch-künstlerisch geschaffen, sondern diese – inspiriert u. a. durch die ciceronischen Dialoge – in der Realität gesucht und verwirklicht. III) Dass philosophische Gespräche in Cassiciacum stattfanden, werde von Augustin auch in unabhängigen Schriften außerhalb der Frühdialoge bestätigt. Neben conf. 9,4,717 sei besonders deutlich retr. 1,2 (zu De beata vita), weil hier der in dem Dialog selbst angegebene Zeitpunkt und die Dauer des Gesprächs gewissermaßen extern bestätigt würden.18 In retr. 1,3 (zu De ordine) spreche Augustin 12 Zur Stenographie in der (Spät-)Antike, i. e. zum Berufsbild und den Einsatzmöglichkeiten eines sog. notarius bei unterschiedlichen (öffentlichen wie privaten) Verwendungszwecken vgl. die supra unter 1,2,5, Z. 18 (s. v. adhibito sane stilo …) genannte Literatur. 13 Liste der Erwähnungen der Mitschriften nach J. J. O’Meara, Historicity, S. 152, Anm. 7 (vgl. Madec, L’historicité, S. 217): c. acad. 1,1,4; 5,15; 2,7,17; 9,22; 13,29; 3,7,15; 20,44; beat. vit. 2,15; 3,18; ord. 1,2,5; 5,14; 7,20; 8,26; 9,27; 10,29; 10,30; 11,31; 11,33; 2,5,17; 7,21. 14 So Ohlmann, Dialogis, S. 79: „in libris in Cassiciaco compositis novo quodam atque proprio dialogorum genere Augustinus usus est. Sermones enim cum dicipulis et amicis habitos a notariis excipi iussit; deinde quae in tabulis relata erant, in libros transcribenda librariis dictitavit“. Vgl. bes. c. acad. 1,1,4. 15 Vgl. Meulenbroek, Character, S. 224, über c. acad. 1,1,4: „For Augustine talks of a notarius in the solemn dedication to Romanianus …, whom he informs about the progress of his son Licentius in the study of philosophy by sending him a conversation between his son and Trygetius. Within the scope of this dedication there is no room for the supposition that the conversation in question between Licentius and Trygetius would be a fiction; vgl. bereits Philippson, Dialoge, S. 145, über dieselbe Textstelle: „Es ist ausgeschlossen, dass sich Augustin in diesem von heiligstem Ernste erfüllten Schreiben, dessen tatsächlicher Inhalt durch Confess. 6,14 voll bestätigt wird, einer solchen Fiktion bedient hätte; sie würde in diesem Zusammenhange eine Lüge sein.“ 16 O’Meara, Historicity, S. 177; bei Madec, L’historicité, S. 216 f, der Hinweis auf weitere „reale Aktivitäten“ der Philosophengruppe, z. B. „de travaux manuels …, de l’explication littéraire de Virgile …, de la lecture de l’Hortensius …, de la rédaction de lettres …“. 17 … profectus in villam cum meis omnibus. ibi quid egerim in litteris iam quidem servientibus tibi, sed adhuc superbiae scholam tamquam in pausatione anhelantibus, testantur libri disputati cum praesentibus et cum ipso me solo coram te; quae autem cum absente Nebridio, testantur epistulae. 18 Librum De beata vita non post libros De Academicis, sed inter illos ut scriberem contigit. Ex occasione quippe ortus est diei natalis mei, et tridui disputatione completus, sicut satis ipse indicat. In quo libro constitit inter nos, qui simul quaerebamus, non esse beatam vitam nisi perfectam cognitionem dei.
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III. Ergebnisse
konkret die Verständnisschwierigkeiten seiner Gesprächspartner an;19 ein Umstand, der auch im Dialog selbst geschildert werde.20 IV) Sowohl innerhalb als auch außerhalb der philosophischen Frühdialoge werde deren Entstehung als Gemeinschaftsproduktion bezeichnet. Zum Beispiel rechne Licentius (ord. 1,10,30) fest mit der Übertragung der Erörterungen in Bücher (libri) und Trygetius fühle sich für die künftige Verbreitung eben dieser Schriften (litterae istae) gemeinschaftlich verantwortlich.21 Als externen Beleg könne auf conf. 9,4,7 verwiesen werden, wo eindeutig von einer pluralen Autorschaft (litteris nostris) der Cassiciacum-Schriften und insbesondere von der redaktionellen Mitwirkung des Alypius die Rede sei.22 V) Aufgrund detaillierter Stiluntersuchungen wird ein signifikanter Unterschied in der Sprache Augustins und seiner conlocutores (Licentius, Trygetius, Alypius) konstatiert. Untersucht werden insbesondere rhythmisch-metrische Figuren unmittelbar vor harten Satz-Einschnitten (in den Editionen durch Punkt, Ausrufe- oder Fragezeichen signalisiert). Aus der unterschiedlichen Frequenz der jeweils benutzten bzw. vermiedenen Klauseln ergeben sich eine Reihe von Spracheigentümlichkeiten, die – so die Schlussfolgerung – nur durch die Annahme eines realen und historischen Hintergrunds der Gespräche zu erklären seien.23 B) Im Gegensatz hierzu wird die Realität und Historizität der Dialoge mit folgenden Argumenten angezweifelt bzw. bestritten: VI) Gewisse szenische Details der jeweiligen Rahmenhandlung – insbesondere im ersten Buch von De ordine – seien unglaubwürdig. Dass beispielsweise auf das Nachtgespräch sofort am nächsten Tage ohne eine Schlafpause weiter diskutiert und sogar noch ein halbes Buch Vergil durchgenommen wurde (ord. 1,8,26), wirke nicht besonders plausibel.24 Des Weiteren scheine etwa die nachtaktive Maus (ord. 1,3,6) lediglich um des späteren Terenz-Zitats (1,3,9) „erfunden“ wor19 Per idem tempus inter illos qui De Academicis scripti sunt, duos etiam libros De ordine scripsi, in quibus magna quaestio versatur, utrum omnia bona et mala divinae providentiae ordo contineat. Sed cum rem viderem ad intellegendum difficilem satis aegre ad eorum perceptionem, cum quibus agebam, disputando posse perduci, de ordine studendi loqui malui, quo a corporalibus ad incorporalia potest profici. 20 Gegen Gudemann (Dialoge, S. 30, Anm. 1) legt Madec, L’historicité, S. 216, großen Wert darauf, dass retr. 1,3 mit den Angaben im Dialog übereinstimme und verweist auf ord. 2,7,21–23 (Unverständnis, Ratlosigkeit und geistige Abwesenheit der Gesprächspartner als Hintergrund für die sich unmittelbar anschließende oratio perpetua Augustins). 21 [Licentius:] Non enim aliquid in libros translatum est eorum quae a nobis multa disserta sunt. [Trygetius:] Ut enim solis amicis et familiaribus nostris litterae istae innotescant, non parum desudabimus. 22 … quoque modo ipsum etiam Alypium, fratrem cordis mei, subegeris nomini unigeniti tui, domini et salvatoris nostri Iesu Christi, quod primo dedignabatur inseri litteris nostris. Magis enim eas volebat redolere gymnasiorum cedros, quas iam contrivit dominus, quam salubres herbas ecclesiasticas adversas serpentibus. Dazu Madec, L’historicité, S. 214. 23 Vgl. Meulenbroek, Character, a. a. O.; auf S. 226 die tabellarische Auswertung der Klauselzählung (5 metrische und 3 rhythmische Standardfiguren) im jeweils ersten Buch von c. acad. und ord., getrennt für Licentius, Trygetius und Augustinus. 24 So O’Meara, Historicity, S. 173 f, der ausführlich zu belegen sucht (Anm. 109), dass gemäß Augustins Schilderung weder er selbst noch seine jungen Schüler in der besagten Nacht irgend-
1. Die Historizität der Cassiciacum-Dialoge
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den zu sein.25 Dasselbe könne für die verstopfte Wasserleitung (1,3,6 f) oder den „zufällig“ beobachteten Hahnenkampf (1,8,25 f) gelten: All diese Geschehnisse, welche jeweils wertvolles und thematisch passendes Material für die philosophische Erörterung boten, hätten sich keinesfalls zufällig ereignet.26 VII) Das hohe intellektuelle Niveau, auf welchem sich die beiden Unterredner Licentius und Trygetius in ihren Gesprächsbeiträgen zweifellos bewegten, stehe in Diskrepanz zu ihrem jugendlichen Alter27 und Entwicklungsstand. Da ihre philosophische Vorbildung – nach Augustins eigenen Angaben – nicht besonders groß war,28 sei ihnen Vieles von dem, was ihnen im Verlauf der Debatte zugeschrieben werde, kaum zuzutrauen.29 Für die Schrift De ordine sei der Hinweis aufschlussreich, dass Augustin noch niemals mit seinen Schülern über das Thema des ordo gesprochen habe.30 Wenn Augustin dennoch seine eigenen scharfsinnigen und tiefgründigen Gedanken – aus Gründen der Dialogkomposition – den Licentius aussprechen lasse, so müsse er aus Gründen der Glaubhaftigkeit mehrfach zum „Kunstgriff “ der göttlichen Inspiration greifen.31 VIII) Augustin selbst verweise – besonders in den Proömien – auf seine eigene Ausarbeitung der Dialoge; zum Beispiel in ord. 1,2,4: quem fructum de liberali otio carpamus, hi te libri satis, ut opinor, edocebunt, nomine tuo nobis quam n o s t r a e l a b o r a t i o n e dulciores.32 Auch sei nicht zu übersehen, dass die präsentierte Sprache der Studenten letztlich Augustins Sprache sei, wie er sie nachweislich etwa in den Proömien verwende.33 Aus diesem Grunde sei es gerechtfertigt und in jeder wann geschlafen hätten: „We must conclude that it is likely that none of the participants in that debate had any sleep that night.“ 25 Vgl. O’Meara, Historicity, S. 172. Allerdings hatte bereits Ohlmann (Dialogis, S. 79) diesbezüglich konzediert: „Itaque de minutulis rebus non est cur pugnemus; licet quae de sorice Licentium e somno excitante referuntur, Augustinus fortasse finxerit … propter versum illum Terentii 9 peropportune laudatum, quem proverbii loco fuisse Donatus testatur …“. 26 Es wird darauf verwiesen, dass das Thema des ordo schon lange zuvor zwischen Augustinus und Zenobius diskutiert wurde und Zenobius seit längerem eine Antwort von Augustin auf seine diesbezüglichen Fragen erwartet hatte (vgl. ord. 1,7,20). Dazu passe nicht die szenische Darstellung, dass sich das Ordnungsthema zwanglos aufgrund eines bestimmten Ereignisses (hier: das Geräusch des verstopften Kanals) ergeben habe. „It is to be noted that the debate is supposed to have arisen by accident. It was a too convenient accident!“ (O’Meara, Historicity, S. 174). – Weitere Beispiele für szenische Ungereimtheiten bei Gudemann, Dialoge, S. 20–26. 27 Zum vermuteten Alter der beiden Augustinschüler vgl. supra zu 1,2,5, Z. 22 (s. v. Licentius). 28 Beide hatten gerade erst – gleichsam als philosophische Anfangslektüre – Ciceros Hortensius gelesen (c. acad. 1,1,4) und kannten wohl nicht einmal dessen Academica (ebd. 3,20,45); vgl. Gudemann, Dialoge, S. 24; O’Meara, Historicity, S. 175. 29 O’Meara, Historicity, S. 174 f: „The attribution of such ideas to a youth, probably in his teens, … cannot but cause surprise. (…) We can hardly believe that Licentius really said what he is reported as saying.“ 30 Vgl. ord. 1,3,8: … nulla umquam de his rebus inter nos antea quaestione agitata. 31 O’Meara, S. 176, Anm. 122. 32 Vgl. auch ord. 1,10,30: Erwartung einer noch vorzunehmenden redaktionellen Tätigkeit des Autors. 33 O’Meara, Historicity, S. 174, Anm. 111.
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III. Ergebnisse
Hinsicht konsequent, wenn Augustinus die Cassiciacum-Dialoge insgesamt als seine Werke bezeichne.34 IX) Die philosophischen Frühdialoge Augustins seien gänzlich nach dem Muster und Vorbild der (ebenfalls fiktiven) platonisch-ciceronischen Dialoge entworfen. Wichtige Kompositionselemente seien: das elaborierte Proömium, die darin enthaltene persönliche Widmung des Werkes, die zeitlich-örtliche Allokation der Gespräche, die teilweise recht detaillierte Ausschmückung der Gesprächssituation, die zahlreichen traditionellen Topoi (z. B. die Erwähnung des notarius, die Betonung der Zuverlässigkeit des Berichteten etc.).35 Bei der szenischen Darstellung das Prinzip der Wirklichkeitsnähe zu beachten, sei ein dem literarischen Genus inhärentes Element und gehöre zu dessen Anforderungen und Eigenheiten.36 X) Es bestehe kein Grund, die drei genannten Cassiciacum-Schriften (aus dem Jahre 386) von den anderen Dialogkompositionen Augustins zu unterscheiden. So seien auch die Soliloquia (386/7), De quantitate animae (387/8), De libero arbitrio (1: 387/8; 2–3: nach 391), De musica (388/90) oder De magistro (388/90) leicht als autoreigene Kunstdialoge zu erweisen. Die Art und Weise, wie der Kirchenvater in späteren Werken über seine Dialoge spreche, deute auf keinerlei grundsätzliche Unterschiede hin.37 Unterzieht man die unterschiedlich gewichtigen Argumente einer abwägenden, wertenden Betrachtung, so kann es methodisch sinnvoll sein, diejenigen Untersuchungsergebnisse, denen nachprüfbar die höchste Evidenz eignet, an den Beginn zu stellen: Für den Verfasser des vorliegenden Kommentars stellt sich diejenige Sichtweise als besonders überzeugend dar, die Augustin selbst als den letztverantwortlichen Autor und Herausgeber der Cassiciacum-Schriften sieht und ihm (mindestens) eine redaktionelle Tätigkeit zugesteht. Dies kann u. E. nicht abgestritten werden, dass die Endfassung der heute bekannten Dialogkompositionen auf den philosophisch gebildeten Rhetor persönlich zurückgeht. Und zwar gilt dies nach allen Indizien sowohl inhaltlich (Argument VII) als auch sprachlich (bes. Argument VIII). – Die S p r a c h e der Dialoge, dies hat
34 Vgl. retr. 1,1: contra Academicos … s c r i p s i , ut argumenta [sc. Academicorum] … ab animo meo … amoverem … in eisdem tribus libris m e i s …; ibid. 1,2: Librum de beata vita non post libros de Academicis, sed inter illos ut s c r i b e r e m contigit …; ibid. 1,3: duos etiam libros de ordine s c r i p s i ; trin. 15,21: Adversus Academicos … sunt libri tres n o s t r i … quos qui potuerit et voluerit legere, lectosque intellexerit, nihil eum profecto quae ab eis contra perceptionem veritatis argumenta multa inventa sunt, permovebunt; enchir. 7: tria c o n f e c i volumina in initio conversionis meae. 35 O’Meara, Historicity, S. 162 ff; bes. auch 167, Anm. 79. 36 Voss, Dialog, passim. 37 Vielfach benutze er ähnliche Ausdrücke und Wendungen; vgl. conf. 9,4,7 über c. acad., beat. vit., ord. und soliloq.: … testantur libri disputati cum praesentibus et cum ipso me solo coram te; dazu epist. 162,2 an Evodius, den Gesprächspartner in lib. arb., über den Inhalt der Schrift: … quae te conferente mecum ac sermocinante conscripsi. – Vgl. retr. 1,2 zu beat. vit.: in quo libro constitit inter nos, qui simul q u a e r e b a m u s, non esse beatam vitam nisi perfectam cognitionem dei; dazu retr. 1,9,1 über lib. arb.: cum adhuc Romae demoraremur, v o l u i m u s disputando q u a e r e r e , unde sit malum.
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H. H. Gunermann38 für De ordine detailliert und in seinem Gesamtergebnis unanfechtbar gezeigt, ist durch und durch von spezifisch ciceronischen Ausdrücken, Wendungen und Sprachmustern geprägt. Die ungemeine Dichte dieser Bezüge, auch im Übrigen innerhalb der Gesprächsbeiträge der Unterredner,39 lässt keinen anderen Schluss zu, als dass der ehemalige Mailänder Hofgelehrte selbst, der die Rhetorica wie Philosophica Ciceros wie kaum ein anderer kannte, beherrschte, ja geradezu in ihnen lebte, die endgültige Sprachgestalt der Cassiciacum-Werke zu verantworten hat.40 Die elaboratio nostra (i. e. die Ausarbeitung im Sinne der Redaktion), von der Augustin im Proömium der Ordnungsschrift41 spricht, ist ohne jede Frage sein eigenes Werk. – Vom I n h a l t her ist ähnlich zu argumentieren. Einige Ideen und Gedanken, die den beiden jugendlichen Schülern Augustins in den Mund gelegt werden, sind in der präsentierten Form unmöglich als deren Eigenleistung anzusprechen (z. B. die artifizielle Verklausulierung des Trinitätsgedankens in ord. 1,7,17; die tiefen Gedanken über das Gedächtnis des Weisen, die Unveränderlichkeit Gottes und die perfruitio Dei in 2,2,6; die Anspielungen auf die platonische Anamnesis-Lehre in 2,2,7; etc.).42 Für seinen Schüler Licentius sucht Augustin in De ordine daher die Zuflucht zur „göttlichen Inspiration“;43 aber auch Trygetius äußert sich bisweilen so tiefsinnig und kenntnisreich, dass Augustin – um das dialogische Prinzip der Wirklichkeitsnähe nicht eklatant zu verletzen – nicht müde wird zu betonen, wie sehr er selbst über die intellektuellen Fähigkeiten seiner Schüler erstaunt sei.44 Auf der anderen Seite fällt stark ins Gewicht, dass die in den Dialogen handelnden und sprechenden Personen sich – nach dem Ausweis externer Belege – als historisch-reale Zeitgenossen Augustins erweisen lassen (Argument II / III), die sich offenkundig im Herbst / Winter des Jahres 386/7 auf dem besagten Landgut in der Nähe von Mailand45 aufhielten. Dies gilt nachweislich für Augustins lang38 Gunermann, H. H.: Ciceronische Sprache in Augustinus’ De ordine unter Berücksichtigung von Contra Academicos und De beata vita, Diss. Salzburg 1968. 39 Neben vielen anderen Beispielen kann – als besonders eindeutig und „beweiskräftig“ – die Trygetius-Rede in ord. 2,7,22 angeführt werden, welche bis in kleinste sprachliche Details auf die ciceronischen Catilinarien Bezug nimmt; man vergleiche die obigen Ausführungen zu 2,7,22, Z. 42–44 (s. v. prudenter … temperanter … iuste … fortiter). 40 Für den Einzelnachweis, der an dieser Stelle unmöglich zu führen ist, sei auf das Stellenregister (infra zu Cicero) verwiesen. 41 Vgl. ord. 1,2,4. 42 Vgl. insbesondere supra die Ausführungen zu ord. 1,7,17, Z. 8 (s. v. ab ipso manat …); daneben die Bemerkungen zu 2,2,7, Z. 56 f (s. v. id ipsum aliquando …); ibid. Z. 90 (s. v. non enim parva …); 2,2,5, Z. 26 (s. v. Aliud est enim sentire …); 2,3,10, Z. 56 f (s. v. cum ei sit …); 2,4,12, Z. 19 (s. v. deus ille). 43 Vgl. ord. 1,4,10; 5,13; 6,16; 7,20; 8,21; 10,28; siehe auch beat. vit. 4,31. 44 Besonders „durchsichtig“ Augustins Bemerkung in ord. 2,2,6: „Während ich noch voller Bewunderung über seine Ausführungen nachdachte, fiel mir ein, dass ich vor geraumer Zeit genau dasselbe in seiner Gegenwart kurz geäußert hatte“ (Übs. Mühlenberg). 45 Zur Lage und zum Eigentümer der villa rustica vgl. supra zu 1,2,5, Z. 15 f (s. v. ad villam familiarissimi nostri Verecundi).
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III. Ergebnisse
jährigen Schüler und Freund Alypius,46 den Studenten Licentius,47 die Mutter Monnica,48 den Bruder Navigius49 und den Sohn Adeodatus.50 Dass Trygetius (wie auch die beiden Cousins Lartidianus und Rusticus) außerhalb der Cassiciacum-Schriften keine namentliche Erwähnung finden,51 ist zwar auffällig, aber sicher kein ernsthafter Beweis gegen ihre historische Existenz. Wenn darüber hinaus im 9. Buch der confessiones die Tätigkeiten auf dem rus Cassiciacum beschrieben werden (Meditation, gemeinsames Gebet, Bibellektüre, Psalmengesang, Briefredaktion etc.), so gehört selbstverständlich auch der intensive Gedankenaustausch mit den anwesenden Freunden und Verwandten dazu. Denn diesen hat Augustinus zeit seines Lebens gesucht und praktiziert, hierin liegt letztlich der Sinn des seit längerem geplanten,52 nunmehr verwirklichten kollektiven (quasi-könobitischen) otium philosophandi. Es liegt sehr nahe, dass in solchen philosophischen Gesprächen u. a. auch diejenigen Themen traktiert wurden, die Augustinus in seinen Dialogen in eine ausgearbeitete schriftliche Form gebracht hat.53 Ob solche Disputationen eher zwanglos abliefen und für Augustins literarische Tätigkeit lediglich Anregungen liefern sollten oder ob diese tatsächlich in einer formellen, an der Didaktik der Rhetorenschule orientierten Atmosphäre stattfanden (inszenierte Eristik, Installierung eines Schiedsrichters54 etc.), ist mit letzter Sicherheit nicht mehr aufzuklären. Über den skizzierten Rahmen hinaus wird man sich der akademischen Tugend der befleißigen müssen. Denn andere Argumente haben – unvoreingenommen betrachtet – nicht dieselbe Beweiskraft. Dass sog. notarii in Cassiciacum zur Verfügung standen (Argument I), ist aufgrund von zeit- und kulturgeschichtlichen Parallelen wie auch angesichts des hohen Amtes, welches Augustin ehemalig am Kaiserhof und beispielsweise auch Alypius als Mailänder Anwalt be-
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Zu seiner Person vgl. supra zu 1,2,5, Z. 22 (s. v. Alypius). Licentius wird in mehreren Briefen Augustins erwähnt; überliefert ist ein von ihm verfasstes, an Augustin adressiertes carmen (154 Verse in Hexametern), welches u. a. auf die gemeinsamen Tage in Cassiciacum zurückblickt; vgl. supra zu 1,2,5, Z. 22 (s. v. Licentius). 48 Ihre Anwesenheit auf Cassiciacum wird – wie die des Alypius – durch conf. 9,4,8 bestätigt. 49 Zu dessen Person vgl. supra zu 1,2,5, Z. 22 (s. v. Navigius). 50 Vgl. conf. 9,6,14: adiunximus etiam nobis puerum Adeodatum. 51 Zur Person des Trygetius vgl. supra zu 1,2,5, Z. 23 (s. v. Trygetium). Auch außerhalb der opera Augustini keine Erwähnung, vgl. A. Mandouze, Prosopographie, S. 1117–1119. – Zu Lartidianus und Rusticus (beat. vit. 1,6) vgl. ibid., S. 627 und 1012. 52 Vgl. conf. 6,14,24: et m u l t i a m i c i agitaveramus animo et conloquentes ac detestantes turbulentas humanae vitae molestias paene iam firmaveramus remoti a turbis o t i o s e v i v e r e . 53 Dies konzediert sogar A. Gudemann, der schärfste Gegner der Historizität der Cassiciacum-Schriften: „Daß ungezwungene Unterhaltungen oder Diskussionen des öfteren die unmittelbare Veranlassung abgaben, die betreffenden Gegenstände oder Probleme in einem Dialog zu behandeln, braucht man nicht ohne weiteres als ebenfalls fingiert in Abrede stellen“ (Dialoge, S. 17). 54 Vgl. z. B. c. acad. 1,2,5 u. ö. 47
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kleidete, alles andere als unwahrscheinlich.55 Unter Umständen sind gewisse philosophische Disputationen tatsächlich stenographisch festgehalten worden, gewissermaßen als „Rohmaterial“ oder „Steinbruch“ für eine spätere literarische Bearbeitung des Stoffes. Doch darf daraus nicht gefolgert werden, dass es sich bei den überlieferten Dialogen um deren authentische Protokolle handelt. Insofern deuten die häufigen Stenographiehinweise Augustins zwar auf eine gängige Praxis, wie sie unter ähnlichen Umständen hätte angewandt werden können,56 aber auf der literarisch-kompositorischen Ebene sind sie – da die Gesprächsbeiträge nicht authentisch sein können (s. o.) – eindeutig als Topoi der stilistisch genormten Tradition der Kunstdialoge zu sehen.57 Auf der anderen Seite können nicht alle Elemente der literarischen Tradition, nur weil sie in Werken berühmter Vorgänger lokalisiert werden können (vgl. Argument IX), a priori als unrealistisch diskreditiert werden. Die Ausschmückung der Gesprächssituation durch szenische Details, etwa die Angaben zu den örtlichen Gegebenheiten (die Wiese, der schattenspendende Baum, das Badehaus etc.) oder die Schilderung des Tagesablaufs (Hausarbeit, Lektüre lateinischer Klassiker, philosophische Dispute, nächtliche Meditation etc.), sind nicht deshalb zwingend fiktiv zu nennen, weil sie auch bei Platon oder Cicero ausfindig zu machen sind. Neben einer nicht zu leugnenden literarischen Stilisierung muss man damit rechnen, dass Augustinus sich durch das beschauliche Ambiente, welches die klassischen Dialoge vermitteln, hat inspirieren lassen und nach eben jenem Vorbild dessen reale Verwirklichung gesucht hat. Das Bild, welches die confessiones von einem Leben in ländlicher Idylle und kontemplativer Muße – fernab aller weltlichen Geschäftigkeit58 – zeichnen, stimmt mit den szenisch-atmosphärischen Angaben innerhalb der Dialoge voll und ganz überein. Daher ist insbesondere bei den szenischen Details der Cassiciacum-Dialoge von einer ineinander verwobenen Mischform aus Fiktion und Realität auszugehen. Nach Abwägung aller vorgebrachten Argumente59 und Beobachtungen kann man nur zu dem Ergebnis gelangen, dass die ausschließende Alternative von 55 Dazu B. L. Meulenbroek, Character, S. 203 ff; siehe auch D. Ohlmann, Die Stenographie im Leben des hl. Augustinus, in: Ast 56, 1905, S. 273–279; 312–319; R. J. Deferrari, St. Augustine’s method of composing and delivering sermons, in: AmJournPhilol 43, 1922, S. 97–123; 193–219; H. Hagendahl, Die Bedeutung der Stenographie für die spätantike Literatur, in: JbAC 14, 1971, S. 24–38 (für die Cassiciacum-Dialoge bes. S. 34). 56 In diesem Sinne – sicher nicht generell – ist P. L. Schmidt, Typologie, S. 129, zuzustimmen: „So ist die Antithese Realität-Fiktionalität funktional insofern zunächst irrelevant, als es bei einer – realen oder fingierten – Dialogsituation in erster Linie auf generelle, das u. U. einmalige Ereignis transzendierende Rezipierbarkeit ankommt.“ 57 Zur Versicherung der Glaubwürdigkeit des Berichteten vgl. z. B. Cicero, Tusc. 2,9: disputationem habitam non quasi narrantes exponimus, sed eisdem fere verbis ut actum disputatumque est. 58 Vgl. bes. conf. 9,3,5: … rure illo eius Cassiciaco, ubi ab aestu saeculi requievimus. 59 Die weiteren aufgezeigten pro- und contra-Argumente vermögen zu keiner Entscheidung zu führen: Zu Argument IV: Der auf den ersten Blick wertvolle Beleg conf. 9,4,7 (litteris nostris) muss keineswegs eindeutig im Sinne einer pluralen Autorschaft der Dialoge verstanden werden. Augustin
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III. Ergebnisse
„real“ und „fiktiv“ für weite Teile der Dialoge nicht angemessen ist. Nicht zuletzt gibt auch Augustin selbst einen entscheidenden Hinweis in diese Richtung. In c. acad. 1,1,4 schreibt er im Proömium an den Adressaten Romanianus: Sane in hoc libro res et sententias illorum, mea vero et Alypii etiam verba lecturus es. Es passt gut ins Gesamtbild, wenn Augustinus hier von einer differenzierten Form der Bearbeitung spricht. Bei den Gesprächsbeiträgen der jungen Studenten, so vermittelt er implizit, waren stärkere redaktionelle Eingriffe erforderlich. Dennoch verweist er auch für deren Aussagen auf einen gleichsam „historischen Kern“. Wenn von Augustins langjährigem Freund, dem mittlerweile hochgebildeten Alypius, in den Dialogen sogar Formulierungen (verba) zu lesen sein sollen, so ist sein Anteil an dem Gesamtwerk noch einmal höher einzuschätzen. Den höchsten Anteil hat dagegen Augustin selbst, welcher sich – nach conf. 9,4,7 – bei der Endredaktion in entscheidenden Fragen auch gegen Alypius durchsetzt und damit als letztverantwortlicher Autor zu gelten hat. Die Beachtung des unterschiedlichen personenbezogenen Historizitätsgrads muss im konkreten Einzelfall durch formkritische Erwägungen ergänzt werden. Für die Beurteilung einer Textstelle ist von entscheidender Bedeutung, ob sie Teil des Dialogs im engeren Sinne ist oder ob sie im augustinischen Monolog (seiner abschließenden oratio perpetua) erscheint, ob sie als szenische Bemerkung die Rahmenhandlung skizziert oder gar im Proömium zu lokalisieren ist, wo sich nach gängiger Auffassung die höchste Dichte historisch zuverlässiger Informationen vermuten lässt. Im Rahmen dieses Koordinatensystems abgestufter Historizitätsbzw. Realitätsgrade sind diverse weitere Plausibilitätskriterien anzuwenden, welche geeignet sind, die innere Stimmigkeit und Konvergenz – die unerlässliche spricht in den confessiones zwar nicht häufig, aber doch mehrfach von seiner eigenen Person im pluralis modestiae. Als inhaltlich affine Stelle kann auf conf. 4,13,20 verwiesen werden; über die zweifelsfrei von ihm allein verfasste Jugendschrift De pulchro et apto sagt er: non enim h a b e m u s eos, sed aberraverunt a n o b i s nescio quo modo. Vgl. auch conf. 9,6,14. Zu Argument V: Vorausgesetzt, dass die Unterschiede in der Sprache Augustins und seiner Gesprächspartner tatsächlich – was u. E. nicht eindeutig ist – signifikant sind, so sind auch andere Erklärungsmöglichkeiten denkbar: So könnten die Divergenzen in der Diktion – auf literarischer Ebene – aus der dominierenden Stellung Augustins innerhalb der Disputation resultieren; Augustin könnte als Autor auch bewusst stilisiert und dadurch die Personen charakterisiert haben; etc. Zu Argument VI: Wenn Augustin die vielfältigen szenischen Details allesamt „erfunden“ hat, so war er – nach dem von ihm sorgfältig beachteten „Prinzip der Wirklichkeitsnähe“ – offenbar der Ansicht, dass diese sich so hätten ereignen können. Wenn sie jedoch so hätten geschehen können, dann spricht wenig dagegen, dass sie u. U. auch tatsächlich stattgefunden haben. Ein Urteil ist hier äußerst schwierig und hängt, wie die Diskussion zur Genüge zeigt, in der Regel von Vorentscheidungen ab. Zu Argument X: Ob manche späteren Dialoge Augustins historische Wurzeln haben, ist ebenso schwierig, vielleicht sogar noch schwieriger zu entscheiden als bei den Cassiciacum-Schriften. Die Vertreter einer literarischen Fiktion kommen bei einer Stelle wie conf. 9,6,14 (über Adeodatus / De magistro) zwangsläufig in Erklärungsnot: est liber noster qui inscribitur ‚de magistro‘: ipse ibi mecum loquitur. tu scis illius esse sensa omnia quae inseruntur ibi ex persona conlocutoris mei, cum esset in annis sedecim.
2. Der Rückzug nach Cassiciacum: Verzicht auf weltlichen Ruhm?
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Voraussetzung für die Vermutung von Historizität – entweder zu verifizieren oder aber in begründete Zweifel zu ziehen. Eine häufige Leitfrage wird z. B. lauten: Steht die einzelne Textaussage in inhaltlicher Kongruenz zu anderen glaubwürdigen Stellen im Werk des Augustinus, innerhalb wie außerhalb der jeweiligen Schrift? Ist Widerspruchsfreiheit auch zu anderen Zeugnissen derselben Epoche und desselben Kulturraumes gewährleistet? Standen sich in der Frage nach der Historizität der Cassiciacum-Dialoge über viele Jahrzehnte gleichsam zwei monolithische Blöcke gegenüber, der eine ursprünglich aus der patristisch-kirchenhistorischen Tradition stammend, der andere mehr philologisch-literaturwissenschaftlich interessiert, so kann eine moderne, vielseitig ausgerichtete und die unterschiedlichen neueren Forschungsergebnisse integrierende Sichtweise von der Einsicht nicht abstrahieren, dass es sich bei den Cassiciacum-Dialogen zweifelsfrei um ein verwickeltes Konglomerat sowohl real-historischer als auch literarisch-fiktiver Elemente handelt. Die vielfältigen und oft mehrdeutigen pro- und contra-Argumente können in ihrer Addition nicht mehr über ein alternatives Gesamtergebnis entscheiden, sondern sind zielgenau auf einzelne Textstellen, die in ihrem Historizitätsgrad sehr unterschiedlich sein können, anzuwenden. Spezieller Personenbezug (a), formkritische Analyse (b) und allgemeine Konvergenzkriterien (c) sind in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit zu beachten und gegeneinander abzuwägen, wenn man zu konsens- und tragfähigen Ergebnissen gelangen will. Einseitige literarische oder historische Forschung hat in der Vergangenheit zu nicht wenigen Fehldeutungen geführt; die zukünftige Aufgabe – hierzu möchte der vorliegende Kommentar einen Beitrag leisten – liegt in einer verknüpfenden und disziplinübergreifenden Interpretation, die nicht zuletzt der ambivalenten Persönlichkeit des Augustinus von Cassiciacum gerecht werden muss. Denn dieser ist einerseits professioneller Sprach- und Literaturwissenschaftler, der nach vielen Jahren seiner Lehrtätigkeit hier sämtliche Konventionen kennt, andererseits leidenschaftlicher Philosoph, angehender Theologe und neuerdings auch Biograph, welcher vor dem realen Hintergrund einer existenziellen Wandlung von seiner veränderten Lebensweise Zeugnis geben will.
2. Der Rückzug nach Cassiciacum: Verzicht auf weltlichen Ruhm? Augustins autobiographischer Rückblick in den confessiones vermittelt den Eindruck, als sei der bewusst herbeigeführte Bruch mit der bisherigen Lebensführung – die Absage an eine erfolgreiche berufliche Karriere und der gleichzeitige Rückzug in die Einsamkeit eines abgelegenen Bergbauernhofes – ein Verzicht auf jede Art des äußeren, weltlichen Ruhmes, um sich in anregender Umgebung ganz der eigenen Spiritualität und Askese zu widmen: nec volebam multi-
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III. Ergebnisse
plicari terrenis bonis.60 Nach jahrelangem Streben nach Ehre vor den Menschen sei sein Geist endlich frei gewesen von den quälenden Sorgen seines Ehrgeizes und der Besitzgier: iam liber erat animus meus a curis mordacibus ambiendi et adquirendi.61 Nun habe er in gänzlicher innerer Freiheit und Muße den Lobgesang auf seinen göttlichen Retter anstimmen können.62 Denn nicht mehr draußen im Getriebe der lärmenden Welt, sondern im ruhigen Innern der eigenen Seele habe er das göttliche Licht der Erneuerung gesucht und dort seinen Frieden gefunden: nec iam bona mea foris erant nec oculis carneis in isto sole quaerebantur.63 Die von Augustin selbst vorgezeichnete und dramatisch ausgestaltete Richtung seiner Konversion, nämlich die radikale Abwendung von aller Äußerlichkeit, beherrscht bis heute unser Bild vom berühmten Kirchenvater.64 Im neuplatonischen Geiste und aus christlich-asketischer Motivation heraus habe er sämtlichen „Begierden des Fleisches“ den Kampf angesagt und neben der sich auferlegten sexuellen Enthaltsamkeit insbesondere dem „Ruhm dieser Welt“ entsagt. Dem aufmerksamen Leser der Schriften von Cassiciacum stellt sich jedoch die Frage, ob der Bruch mit der Vergangenheit wirklich so radikal, abrupt und endgültig erfolgte, wie es in der Regel dargestellt wird. Zwar legen auch die Erstlingsschriften beredtes Zeugnis von seiner inneren Wandlung ab. Und dass es den Augustin von Cassicicum in erster Linie nach der Erkenntnis Gottes und der eigenen Seele verlangte,65 ist in jeder Hinsicht evident und im Gesamtkontext seines weiteren Lebens und Wirkens unbedingt glaubhaft. Aber gibt es nicht, so lautet die hier gestellte Frage, trotz einer konzedierten inneren Wandlung auch eine starke Kontinuität, die wesentlich größer und für die weitere Biographie einflussreicher war, als man bisher annehmen wollte? An dieser Stelle mag ein Rückblick auf das bisherige Leben des plötzlichen „Aussteigers“ nützlich sein. Der persönliche Ehrgeiz Augustins war schon in frühester Jugend von seiner in bescheidenen provinziellen Verhältnissen lebenden Familie geweckt worden.66 Seine Begabung wurde schnell erkannt und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gefördert. Er absolviert sein Rhetorikstudium in Karthago mit glänzenden Ergebnissen67 und sein schneller beruflicher Erfolg als angesehener Rhetor – er gewinnt (Dichter-)Wettbewerbe68 und erhält eine Ehrung vom Prokonsul höchstpersönlich69 – scheint ihn geradezu beflügelt zu 60
Conf. 9,4,10. Ibid. 9,1,1. 62 Ibid. 9,3,6; 4,8. 63 Ibid. 9,4,10. 64 Vgl. J. Rief, Ordobegriff, S. 27. 65 Soliloq. 1,2,7: A. Deum et animam scire cupio. R. Nihilne plus? A. Nihil omnino. 66 Vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführungen: J. Trelenberg, Augustin als Rhetor vor 386, in: V. H. Drecoll (Hrsg.): Augustin Handbuch, Tübingen 2007, S. 144–148. 67 Vgl. conf. 3,3,6: tanta est caecitas hominum de caecitate etiam gloriantium. Et maior etiam eram in schola rhetoris, et gaudebam superbe et tumebam typho. 68 Ibid. 4,2,3. 69 Ibid. 4,3,5. 61
2. Der Rückzug nach Cassiciacum:Verzicht auf weltlichen Ruhm?
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haben. Noch in der afrikanischen Metropole tätig schweift sein Blick bereits über das Meer, in die Hauptstadt des Reiches. Er entdeckt die literarische Tätigkeit als Mittel, um zu einer gesteigerten Berühmtheit zu gelangen, und schickt eine Kostprobe seiner Gelehrsamkeit (die philosophisch-eklektizistische Schrift De pulchro et apto) an den allseits bewunderten und einflussreichen Rhetor Hierius in Rom.70 Er selbst übersiedelt aus Prestigegründen71 in das caput mundi und unterlässt dort nichts, um seinen Bekanntheitsgrad schnellstmöglich zu vergrößern. Der entscheidende Karrieresprung an den Kaiserhof in Mailand ist durch einflussreiche Freunde gut und sorgfältig vorbereitet.72 Einmal dort angekommen wird auch hier nichts dem Zufall überlassen: Wichtige Kontakte in der Nobilität werden geknüpft, die Auftritte als Laudator des Kaisers und wichtiger Funktionsträger werden mit größter Sorge um die Gunst der Zuhörer vorbereitet, sich selbst unter einen fast krankhaften Erfolgsdruck setzend.73 Schließlich wird sogar die langjährige Geliebte – gegen die eigenen Gefühle – den ehrgeizigen Karriereplänen geopfert, um durch eine standesgemäße Heirat den weiteren sozialen Aufstieg zu begünstigen.74 Als nächste Stufe wird das Amt eines Provinzgouverneurs (praeses) ins Auge gefasst.75 Unter Umständen ist selbst die geplante Konversion zum Christentum – in Anbetracht des christlich-homöischen Kaiserhofes und der realen Machtverhältnisse in Mailand (Ambrosius!) – als ein „Akt politischer Konformität“76 und damit als weiterer Baustein der ehrgeizigen Karriereplanung zu verstehen.77 Ohne Zweifel ist die überraschende Aufgabe seines bisherigen Berufes und der Rückzug in die ländliche Einsamkeit ein markanter Einschnitt in der äußeren Biographie des zielstrebigen Karrieristen. Auf der anderen Seite liegt in diesem Schritt aber auch eine gewisse innere Stringenz, die aus seiner ureigenen Persönlichkeit heraus durchaus verständlich ist. Schon in Afrika war ihm im Grunde genommen klar, dass ihm ein nachhaltiges Ansehen in der gelehrten Welt erst dann zukommen würde, wenn er nicht nur als genialer Rezipient der klassischen Bildung, sondern auch als Verfasser eigener Schriften von sich reden machen könnte. Auch wenn in einem ersten Anlauf die Jugendschrift De pulchro et apto schließlich als Fehlversuch endete, so war der Gedanke doch einmal eingepflanzt. Der spätere Förderer Augustins in Rom, der Stadtpräfekt Symmachus, mag ihn in dieser Ansicht bestärkt haben: „Die breite Straße zum hohen Amt ist oft durch 70
Ibid. 4,14,21–23. Augustin schwebt, neben anderen Verlockungen, eine maior dignitas vor Augen: conf.. 5,8,14. 72 Ibid. 5,13,23. 73 Vgl. conf. 6,6,9 f (Begegnung mit dem Mailänder Bettler). 74 Ibid. 6,15,25. 75 Ibid. 6,11,18 f. 76 P. Brown, Augustinus, S. 66; vgl. Th. Fuhrer, Augustinus, S. 27. 77 Die Eintragung in die Liste der Katechumenen erfolgte wahrscheinlich im späten Frühling des Jahres 385; vgl. P. Brown, Augustinus, S. 66, mit Bezug auf P. Courcelle, Recherches, S. 86 f. 71
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III. Ergebnisse
literarischen Erfolg geebnet.“78 Und auch in der kaiserlichen Residenzstadt Mailand muss Augustin zur Kenntnis nehmen, dass die wirklich einflussreichen und geachteten Männer einer dort ansässigen glanzvollen Gesellschaftsschicht fast allesamt auch literarischen Ruhm vorzuweisen haben. Als zeitgenössische Beispiele unter vielen seien der Dichter Claudian, der Neuplatoniker Mallius Theodorus, nicht zuletzt Ambrosius, der mächtige katholische Bischof, genannt.79 Die beiden Letzteren kennt Augustin persönlich. Beide werden von ihm auf das Höchste bewundert und verehrt. Theodorus, der spätere Konsul des Jahres 399, der neben diversen naturwissenschaftlichen und rhetorischen Schriften auch ein Werk über die Entstehung des Kosmos und der Seele verfasst hatte,80 wird von Augustin als Adressat seines Dialogs De beata vita ausgewählt, nicht ohne diesen – im besonders umfangreichen Proömium – angesichts seiner Bildung, Tugendhaftigkeit und Eloquenz dermaßen in den Himmel zu heben, dass es ihm später geradezu als peinlich erscheint.81 Auch in De ordine wird er zweimal erwähnt; das erste Mal in 1,11,31 überschwenglich als vir et ingenio et eloquentia et ipsis insignibus muneribusque fortunae et … mente praestantissimus, das zweite Mal verschlüsselt – wie wir meinen – als die große auctoritas humana.82 Angesichts der Werke des Theodorus könne sich, so der Augustin von Cassiciacum, „kein Menschengeschlecht mit Recht über das Schrifttum unserer Zeit beklagen“.83 – Ambrosius wird von Augustin, wie er selbst sagt, für einen nach weltlichen Maßstäben glücklichen Mann gehalten, „da ihm doch einflussreiche Mächtige soviel Ehre erwiesen“.84 Sein Rückhalt in Klerus und Volk ist so groß, dass er es sogar auf einen Machtkampf mit dem Kaiserhof ankommen lassen kann.85 Der Mailänder Bischof genießt bei Augustin eine solche Bewunderung und einen so großen Respekt, dass er es trotz seiner inneren Nöte mehrfach nicht wagt, ihn anzusprechen und um einen dringend benötigten seelsorgerlichen Rat zu bitten.86 Es ist davon auszugehen, dass Augustin das frühe dogmatische und moral-asketische Schrifttum des Ambrosius zumindest von den Titeln her kennt (u. a.: De virginibus, De fide, De spiritu sancto) und mit großer Wahrscheinlichkeit weiß, dass Ambrosius gerade 78
Symmachus, ep. 1,20 (Übs. P. Brown, Augustinus, S. 60). Vgl. P. Brown, Augustinus, S. 61. Zu ergänzen wären aus der Zeit des Claudianus (Wende vom 4. zum 5. Jhdt.) natürlich auch die Neuplatoniker Calcidius und Macrobius, Letzterer wohl aus dem Symmachuskreis stammend. Vor Augustins Italienaufenthalt wirkte in Rom der hochangesehene römische Rhetor Marius Victorinus, dessen Schrifttum Augustin nachweislich kannte und (z. T.) gelesen hatte. 80 Siehe supra zu 1,11,31, Z. 15 (s. v. Theodorus). 81 Vgl. retr. 1,1,2: Displicet autem illic quod Mallio Theodoro, ad quem librum ipsum scripsi, quamvis docto et christiano viro, plus tribui quam deberem. 82 Vgl. die Argumente und Schlussfolgerungen supra unter 2,9,27, Z. 33 (s. v. Humana … auctoritas). 83 Vgl. ord. 1,11,31 (Übs. Mühlenberg). 84 Conf. 6,3,3: Ambrosium felicem quendam hominem secundum saeculum opinabar, quem sic tantae potestates honorarent. 85 Vgl. conf. 9,7,15 f. 86 Vgl. conf. 6,3,3. 79
2. Der Rückzug nach Cassiciacum:Verzicht auf weltlichen Ruhm?
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akribisch an seinem großen, im Jahre 387 veröffentlichten „Sechstagewerk“ (Hexaemeron) arbeitet. Unter Umständen kennt er auch den Plan, eine am Altmeister Cicero orientierte Ethik-Schrift (De officiis ministrorum; verfasst nach 386) herauszugeben. In den philosophisch gebildeten Kreisen, in denen Augustin in Mailand verkehrt, genießen christliche Schriftsteller vom Format des Ambrosius oder Theodorus das allerhöchste Ansehen. Es ist nur allzu verständlich, wenn Augustin nach deren Vorbild auch auf sich selbst aufmerksam machen will. Seine verantwortliche berufliche Stellung in Mailand wird Augustin mehr und mehr zur Last. Vor allem leidet er an akuter Zeitnot.87 Körperliche (psychosomatische?) Beschwerden stellen sich ein.88 Hinzu kommt, dass ein weiterer Aufstieg in der Verwaltungshierarchie angesichts unruhiger politischer Verhältnisse keineswegs ungefährlich erscheint.89 Seine innere Wandlung, die Adaption der christlich-neuplatonischen Weltsicht, entzieht seinem Streben nach weltlichen Ämtern ohnehin den Boden. Der seit längerer Zeit geplante Rückzug in die Abgeschiedenheit erscheint zu diesem Zeitpunkt in jeder Hinsicht konsequent, zumal er sich – wie sich nunmehr zeigt – von seinem ausgeprägten Ehrgeiz und seiner Aussicht auf Ruhm keineswegs zu verabschieden braucht. Er verlagert lediglich seine Ambitionen: Immerhin vollbringt er, eventuell nach einer kurzen Erholungspause im Spätherbst des Jahres 386, die nicht zu unterschätzende Leistung, mit seiner ihm eigenen Schaffenskraft – neben anderen Tätigkeiten – innerhalb kürzester Zeit gleich vier Schriften zu verfassen. Was der neue Autor, welcher endlich aller beruflichen Verpflichtungen ledig ist, sich für die nahe Zukunft noch alles vorgenommen hat, darüber berichten detailliert die retractationes.90 Die Cassiciacum-Schriften untermauern diese Sichtweise gleichsam auf Schritt und Tritt. Allein die Auswahl und Präsentation der Inhalte zeigt, dass Augustin nicht gewillt ist, seine hohe wissenschaftliche Bildung geringzuschätzen. Keineswegs ist er bereit, auf gelehrten Ruhm zu verzichten, wenn er – wie erwähnt – ausgerechnet den hochgebildeten und angesehenen Theodorus als einen der formellen Adressaten seiner Dialoge auswählt. Vieles erinnert hier an die in den confessiones so heftig kritisierte Vorgehensweise bei der Herausgabe der Jugendschrift De pulchro et apto. Wieder möchte Augustin sehr bestimmte Personen beeindrucken. Und der Verfasser schreibt sich nicht einfach nur – wie man es 87 Conf. 6,11,18 (Übs. Mojsisch): „… zum Lesen ist keine Zeit. Wo soll man denn die Bücher hernehmen? Woher und wann sie erwerben? Von wem sie ausleihen? Man müßte sich die Zeit genau festsetzen, die Stunden genau aufteilen … In den Vormittagsstunden beschlagnahmen uns die Schüler; doch was machen wir dann? Warum widmen wir uns dann nicht der Forschung? Aber wann besuchen wir dann die einflußreichen Freunde, deren Unterstützung wir benötigen? Wann bereiten wir dann vor, wofür die Schüler uns bezahlen? Wann können wir uns selbst erholen, indem wir uns von anstrengenden Sorgen entspannen?“ 88 Conf. 9,5,13. 89 Conf. 8,6,15. Vgl. Lepelley, aspect, S. 244. 90 Noch vor seiner Taufe im Frühjahr 387 verfasst Augustin die Schrift De immortalitate animae (retr. 1,5,1) und beginnt mit einem umfangreichen enzyklopädischen Schrifttum, indem er sich – nach dem Ausweis von retr. 1,6 – gleich sieben Werke gleichzeitig vornimmt: De grammatica, De musica, De dialectica, De rhetorica, De geometria, De arithmetica, De philosophia.
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III. Ergebnisse
bisweilen lesen kann – seine gegenwärtigen Probleme von der Seele (seine skeptizistischen Zweifel in c. acad., etc.), sondern hat ein sehr konkretes Interesse an der Verbreitung seiner Ideen und Gedanken. Mehrfach reflektiert er in den Dialogen über die Frage, ob seine Werke auch eine angemessene Leserschaft finden würden.91 Keineswegs souverän fragt er sich, ob nicht eine philosophierende Frau in seinen Schriften einen Teil dieser erhofften Leserschaft abschrecken könnte.92 Auf der anderen Seite ist er zuversichtlich, dass seine Schriften Anklang finden und in den Fachkreisen eifrige Diskussionen auslösen werden.93 Ja, er rechnet damit, dass inbesondere die docti et prudentes viri ihn als Autor zur Kenntnis nehmen werden.94 Aber Augustin schreibt nicht etwa nur für den angesprochenen Mailänder „Philosophenzirkel“. Ihm schwebt offensichtlich – dies ist bisher noch nicht ausgewertet worden – eine Leserschaft vor allem in seiner Heimat Nordafrika vor. In De ordine (1,3,6) verrät er dies durch eine zunächst unscheinbare Nebenbemerkung: erant enim tenebrae; quod i n I t a l i a etiam pecuniosis prope necesse est. Einem in Italien wohnenden Leser muss er diese Tatsache wohl kaum erklären!95 Dass Augustin Leser mit nordafrikanischer Herkunft – also „Landsleute“ (cives) – vor Augen hat, wird bestätigt durch soliloq. 1,1,1. Hier fordert ihn seine ratio auf: Nec modo cures invitationem turbae legentium; paucis ista sat erunt c i v i b u s t u i s. – Deutlich wird hier wie an den vielen anderen genannten Stellen, dass Augustin – selbst wenn urbane Floskeln der Bescheidenheit dies zu überspielen suchen – ein manifestes Interesse an der weit gestreuten, ja sogar „kontinentübergreifenden“ Verbreitung seines Schrifttums hat. Auch wenn Augustins conversio in Mailand einen deutlich zu markierenden Wendepunkt in seiner Biographie darstellt: Sein Ehrgeiz (ambitio) hat ihn auch weiterhin getrieben,96 und den gänzlichen Verzicht auf Ruhm, wie ihn die confessiones insinuieren, hat es in dieser Form nicht gegeben.
91 Vgl. die Befürchtung des Trygetius in ord. 1,10,30: Ut enim solis amicis et familiaribus nostris litterae istae innotescant, non parum desudabimus. Vgl. ord. 2,20,54. 92 Vgl. ord. 1,11,31. 93 Vgl. ord. 1,9,27: cum illi legerint qui nobis maxima cura sunt, si quid eos moverit ad contradicendum alias nobis disputationes disputatio ista procreabit seque ipsa successio sermonum in ordinem inseret disciplinae. 94 Soliloq. 2,15,28: Certe faciemus, quantum possumus, ut docti atque prudentes uiri legant haec. 95 Siehe zu dieser interessanten Stelle unsere Bemerkungen supra zu 1,3,6, Z. 19 (s. v. quod in Italia …). 96 Augustins weiteres Leben deutet in eine entsprechende Richtung. Bereits im Jahre 391 beginnt mit seiner Priesterweihe seine „zweite Karriere“. Und ob er im Jahre 394 völlig gegen den eigenen Willen zum (Hilfs-)Bischof von Hippo ernannt wird (Poss. vit. Aug. 8), mag dahingestellt sein. Fest steht, dass zum Ende des 4. Jahrhunderts die Kirche – im Gegensatz zum intriganten kaiserlichen Verwaltungsapparat – die vergleichsweise sicheren und effektiveren Karrierechancen bot (vgl. Semple, Rhetor, S. 146).
3. Der Ertrag und die Einheit der Schrift De ordine
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3. Der Ertrag und die Einheit der Schrift De ordine Das zentrale Thema der Schrift „Über die Ordnung“ ist die alte Frage nach der Theodizee. Bereits unmittelbar zu Beginn des Proömiums (ord. 1,1,1) ist sie in aller wünschenswerten Klarheit gestellt: Wie kann es sein, dass einerseits Gott sich um die menschlichen Geschicke kümmert und andererseits die Widersinnigkeit (perversitas) im menschlichen Leben einen so großen Raum einnimmt? Ist die göttliche Fürsorge (providentia) so sehr begrenzt, dass sie nur Teilbereiche, nicht aber den gesamten Kosmos zu durchdringen vermag, oder aber sind die dem Menschen begegnenden Übel (mala) gar von Gott selbst gewollt und verschuldet? Der gläubige Mensch könne vor einer derartigen Alternative nur zurückschrecken: Weder die Allmacht noch die uneingeschränkte Güte Gottes dürfe angetastet werden. Beide Annahmen seien pietätlos und frevelhaft (impium), besonders die letzte. Da für Augustin – nach eigenen Aussagen bereits vor seiner „Bekehrung“97 – die Güte Gottes unverrückbar feststeht, konzentriert sich die philosophischtheologische Disputation im Folgenden ganz auf die Frage nach der Präsenz und Wirksamkeit Gottes in der Welt. Im Besonderen wird das Problem erörtert, inwieweit eine einheitliche göttliche Ordnung (der divinus ordo) die in ihrer Vielfalt unterschiedenen, sich überlagernden und gleichsam divergierenden Elemente eines scheinbar ungeordneten Weltgeschehens zu umfassen vermag. Ausgehend von alltäglichen Erfahrungen und Beobachtungen wird auf die universale Verknüpfung sämtlicher Geschehnisse geschlossen, auf einen weltumspannenden, unendlich komplizierten, aber letztlich eindeutigen Kausalnexus, welcher auf die Existenz einer übergreifend wirksamen Seinsordnung (ordo rerum) hinweist. Zur Struktur einer solchen „Ordnung der Dinge“ werden Thesen aufgestellt und eingehend diskutiert: Zunächst wird der dem Kausalprinzip widersprechende Zufall (casus) aus der Seinsordnung ausgeschieden (ord. 1,3,6–5,14), danach postuliert, dass in dieser Ordnung sowohl das Gute als auch das Schlechte enthalten sei (1,6,15–8,26), dass ein solcher ordo rerum in jeder Hinsicht allumfassend und universal wirksam gedacht werden müsse (1,9,27–11,33). Im zweiten Teil der Schrift wird – vornehmlich am Beispiel der Torheit (stultitia) – erörtert, auf welche Art und Weise die Seinsordnung trotz scheinbarer Widersprüche den gesamten Kosmos durchwaltet (2,1,1–7,23). Am Ende wird die so bestimmte Ordnung in einer vorläufigen Lösung mit Gottes Gerechtigkeit (iustitia dei) identifiziert und der Gedankengang gleichzeitig auf die Ausgangsfrage zurückgebogen: Wenn Gott bzw. seine Weltordnung gut und gerecht ist, woher stammt dann das Übel? Wann und aufgrund welcher Ursache ist es entstanden? Existierte es, bevor Gottes Ordnung wirksam wurde? Dann wäre es außerhalb des göttlichen ordo anzusiedeln und Gottes Macht wäre nicht allumfassend. Entstand es innerhalb und durch die Ordnung Gottes? Dann müsste Gott – welch 97
Vgl. conf. 5,10,20.
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III. Ergebnisse
abscheuliche Gotteslästerung (sacrilegium)! – als der Urheber des Übels namhaft gemacht werden. An dieser Stelle scheitern alle Antworten, alle Gedankengänge führen in die Aporie. Augustin zeichnet ein trauriges Bild: Alle Diskussionsteilnehmer fragen für sich „äußerst bemüht und jeder nach seinen eigenen Kräften“ (studiosissime ac pro suis quemque viribus) nach der richtigen Vorstellung von Gott. Die bisher so geordnet geführte Diskussion scheint fast auseinanderzubrechen und ein befriedigendes Ergebnis scheint weiter entfernt als je zuvor. An dieser Stelle setzen die Klagen der modernen Kritiker ein.98 Trotz des großen theoretischen Aufwandes sei Augustin der Lösung des Theodizeeproblems in De ordine nicht näher gekommen: „Hier – so sollte man erwarten – hätte Augustin wenigstens andeuten müssen, wie er sich die Lösung der prekären Frage nach der Entstehung des Bösen dachte. Aber wir werden enttäuscht.“99 „Der Dialog De ord. läßt uns zum Schlusse unbefriedigt und ratlos.“100 „Eins steht jedenfalls außer Zweifel: das Problem der Entstehung des Bösen ist in der Schrift ‚Von der Ordnung‘ weder erschöpfend noch befriedigend behandelt.“101 Noch schärfer geht man mit Augustin darüber ins Gericht, dass er die Disputation über die Seinsordnung (ordo rerum) unvermittelt und plötzlich abbreche, um nunmehr in einem langen Monolog über die Bildungsordnung (ordo eruditionis / studendi) zu dozieren: „Der schwerste Verstoß gegen die Ordnung aber liegt in der befremdlichen Verschiebung des Fragepunktes selbst, in der Verlagerung des Themas von der Weltordnung zur Ordnung des Aufstiegs zur Gottesschau.“102 Die Begründung für dieses Vorgehen in ord. 2,7,24 und retr. 1,3,1103 (sc. die Verständnisschwierigkeiten der Schüler) wird als vorgeschoben gewertet, stattdessen wird gefragt: „War sich Augustin vielleicht selbst über Wesen und Entstehung des Schlechten in der Welt damals noch nicht klar? Wußte er selbst noch keinen rettenden Ausweg aus dem so scharf herausgearbeiteten Dilemma, und brach er deshalb kurzerhand die Besprechung ab, um mit einem kühnen Salto mortale einen anderen Gedankengang zu entwickeln, der ihm ebenso auf der Seele brannte, mit der Frage der Weltordnung aber nur mittelbar zusammenhängt?“104 – Demnach wird der Schrift De ordine ein doppeltes Defizit angelastet: zum einen der fehlende inhaltliche Ertrag, zum anderen ihre fehlende thematisch-formale Einheitlichkeit. Es erhebt sich die Frage, ob diese Kritik berechtigt und angemessen ist. Um hier zu einer ausgewogenen Antwort zu gelangen, ist zunächst ein Blick auf den weiteren Gedankengang der von Augustin vorgetragenen oratio perpetua zu wer98
Vgl. J. Rief, Ordobegriff, S. 10–12, zum „viel kritisierten Wendepunkt“. W. Thimme, Entwicklung, S. 105. 100 Ebd., S. 107. Vgl. S. 201: „… der in De ord. nur halb gelungene Versuch einer Theodizee“. 101 P. Keseling, Weltregiment, S. 78. 102 Ebd., S. 71. 103 Sed cum rem viderem ad intellegendum difficilem, satis aegre ad eorum perceptionem, cum quibus agebam, disputando posse perduci, de ordine studendi loqui malui, quo a corporalibus ad incorporalia potest profici. 104 Keseling, Weltregiment, S. 71. 99
3. Der Ertrag und die Einheit der Schrift De ordine
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fen: Nach einigen überleitenden Bemerkungen zur Notwendigkeit der Bildung (2,7,24) wird als weitere Voraussetzung für das Verständnis der Seinsordnung das Bild einer rechten „Lebensordnung“ (ordo vitae) entwickelt (2,8,25). Es folgen Erörterungen über das Wesen und das Verhältnis von Autorität (auctoritas) und Vernunft (ratio), bevor schließlich auf das eigentliche Herzstück des augustinischen Vortrags zugesteuert wird, die detaillierte Skizze einer Studien- und Bildungsordnung in den sog. enzyklopädischen Wissenschaften (2,12,35–15,43). Nacheinander werden das trivium der Wissenschaften des Wortes (Grammatik, Dialektik, Rhetorik) und das quadrivium der Wissenschaften von der Zahl (Musik / Poetik, Geometrie, Astrologie / -nomie, Arithmetik) behandelt. Den inhaltlichen Abschluss der Rede bildet der eindringliche Hinweis auf die Philosophie als die Zusammenfassung und gleichsam die Krönung und Vollendung der enzyklopädischen Bildung, ohne die ein vertieftes Verständnis der Seinsordnung unmöglich erscheint (2,16,44–19,51). Wichtig ist die Beobachtung, dass Augustin in seinem Wissenschaftsexkurs die sieben artes liberales nicht etwa additiv hintereinanderschaltet, sondern in ihrer spezifischen Anordnung einen übergeordneten Sinn vermitteln will. Er selbst gibt später in den retractationes die Auflösung, wenn er sein Unternehmen als einen Fortschritt a corporalibus ad incorporalia (1,3,1) bezeichnet. Die menschliche ratio durchschreitet bei ihrem Gang durch die Wissenschaften alle Bereiche des Seienden und gelangt so zu einem übergreifenden, ganzheitlichen Verstehen. So beschäftigen sich die sog. Wissenschaften des Wortes zunächst mit den sinnlich wahrnehmbaren Lauten des Mundes (oris soni), ihr Gegenstandsbereich ist noch weitgehend dem körperlichen Bereich verhaftet. Ihre Aufgabe ist hier – in der ungeordneten Vielfalt – die Bestimmung und Begrenzung, das Unterscheiden und Zusammenfassen in Regeln. Das trivium der Wort-Wissenschaften bildet mit seinem theoretischen Rüstzeug gleichsam die Ausgangsbasis für einen weiteren stufenartigen Aufstieg durch die Seinsordnung.105 Doch auch die Wissenschaft der Musik ist noch zu einem erheblichen Teil in der sinnlich wahrnehmbaren Welt beheimatet, als „Ohren-Wissenschaft“ ist ihr Gebiet die „körperliche Substanz der Töne“ (corporea vocum materia106). Ähnliches gilt von den „Augen-Wissenschaften“ der Geometrie und der Astronomie, allerdings richtet sich hier die Beobachtung der ratio bereits verstärkt auf die im Gegenständlichen wirksamen Formen, Maße und Zahlen (figurae, dimensiones, numeri107). Doch sind die auf der Erde und am Himmel sinnlich zu erfassenden Maßverhältnisse noch gleichsam die Schatten und Spuren (umbrae atque vestigia108) der wahrhaft vernünftigen Zahlen und Maße. Diese sind allein in der höheren, durch keine Körperlichkeit kon105 Vgl. ord. 2,14,39: Hinc se illa ratio ad ipsarum rerum divinarum beatissimam contemplationem rapere voluit. Sed ne de alto caderet, quaesivit g r a d u s atque ipsam sibi viam per suas possessiones ordinemque molita est. 106 2,14,41. 107 2,15,42. 108 2,15,43.
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III. Ergebnisse
taminierten Vorstellungswelt des Geistes, im sog. mundus intelligibilis, zu finden. In diesen Sphären bewegt sich die letzte der sieben Wissenschaften, die Arithmetik. Mit ihrer Hilfe erkennt die Vernunft, dass (a) die Seele ihr Vermögen aus der Kraft der Zahl beziehe, dass (b) der Geist selbst vielleicht mit der Zahl identisch sei, wenn nicht (c) die Zahl als das letzte Ziel der Vernunft sogar oberhalb des Geistigen anzusiedeln sei.109 Diese letzte Zahl, so wird mystisch angedeutet, ist diejenige Zahl, durch die alles gezählt werde.110 Deutlich basiert Augustins Wissenschaftslehre auf dem tradierten platonischen Zwei-Welten-Dualismus in seiner charakteristischen Erweiterung durch die plotinische Stufenontologie, i. e. die Differenzierung des intelligiblen Bereichs in die drei hohen Hypostasen der Seele ( ), des Geistes ( ) und des Einen ( ). Der Vorwurf, Augustin verlasse in seiner oratio perpetua das Thema der Weltbzw. Seinsordnung, muss also deutlich relativiert werden. Die Präsentation seiner Studienordnung ist nichts anderes als eine Explizierung des ordo rerum, so wie ihn Augustin als christlicher Neuplatoniker verstanden und als höchst real angesehen hat. Dies ist Augustins originelle Leistung, dass er die überkommenen enzyklopädischen Wissenschaften – wobei er offensichtlich aus Varros materialreichen disciplinarum libri geschöpft hat – in einen auf die platonisch-plotinische Ontologie bezogenen Aufbau gebracht hat. Das Thema der kosmologischen Ordnung ist somit keinesfalls aufgegeben, sondern aus augustinischer Sicht auf ein ungleich höheres Niveau gehoben worden. Es bleibt die Antwort offen, ob Augustin auch in der Frage nach der Theodizee noch Entscheidendes sagen konnte. Dazu ist ein Blick auf den Abschluss seines Vortrages zu werfen. Dort wird resümiert: Wenn jemand alles, was in den verschiedenen Zweigen der Wissenschaften verstreut liegt, zu einer „gleichsam einfachen, wahren und bestimmten Einheit“ (unum quiddam simplex verum certum) zusammenfassen könnte, so wäre dieser ein wahrhaft Gebildeter zu nennen.111 Diese „Einheit“, das ominöse unum, auf welches alle Wissenschaften als Zielpunkt hinweisen und welches gewissermaßen deren Quintessenz darstellt,112 wird sodann nach neuplatonischem Vorbild hypostasiert, detailliert wird seine Omnipräsenz und ubiquitäre Wirksamkeit im Kosmos nachgewiesen,113 am Ende kann es sogar in einer geheimnisvollen Apotheose mit dem christlichen Gottesbegriff identifiziert werden.114 Wer dieses göttliche „Eine“ schaut, wird – dies ist die entscheidende Aussage – den Überblick über das Ganze erhalten. 109 2,15,43: Tractavit omnia diligenter, percepit prorsus se plurimum posse et quidquid posset, numeris posse. Movit eam quoddam miraculum et suspicari coepit seipsam fortasse numerum esse eum ipsum quo cuncta numerarentur aut si id non esset, ibi tamen eum esse quo pervenire satageret. 110 Ibid. – Das „Zählen“ ist eine Operation, die durch jeweiliges Hinzufügen einer weiteren Einheit (unum) vollzogen wird. Eine deutliche Anspielung auf das plotinische , die höchste neuplatonische Hypostase im sog. 111 2,16,44. 112 2,18,47: in ea (sc. in philosophiae disciplina) nihil plus inveniet quam quid sit unum. 113 2,18,48. 114 2,19,51; vgl. bereits 2,18,47.
3. Der Ertrag und die Einheit der Schrift De ordine
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Augustin schlägt hier den großen inhaltlichen Bogen, zurück zum ersten Anfang seiner Schrift. Bereits im Proömium hatte er mit Hilfe des Kreisvergleiches darauf aufmerksam gemacht, dass es ein „Zentrum“ ( ) aller geistigen Betrachtung gebe, von dem allein aus alle Einzelheiten des Universums (= des Gesamtkreises) überblickt und beurteilt werden können. Dieser Gesamtüberblick gehe jedoch immer in dem Augenblick verloren, wenn der Geist sich von diesem Zentrum entferne, sich in einzelne Details verliere, sich in die unermessliche Vielheit begebe und nicht mehr auf das „Eine und Ganze“ konzentriere.115 – Diese aus der Erkenntnistheorie des frühen Augustin stammende Prämisse wird nunmehr am Ende der Schrift, wie es im Proömium bereits angedeutet wurde, konsequent auf das Theodizeeproblem angewandt: Unweigerlich werde derjenige Anstoß an der guten Schöpfung Gottes nehmen, der nur die Einzelheiten betrachte, dessen Geist für ein Gesamtverständnis der universalen Zusammenhänge (noch) nicht reif sei. Nur wer gewohnt sei, scheinbar unschöne Details nicht für sich allein, sondern in ihrem Verhältnis zum harmonisch vollendeten Ganzen (totum) zu sehen, komme zu einem angemessenen Urteil über die von Gott in jeder Hinsicht wunderbar (mirus) und perfekt (perfectus) geschaffene Welt. Augustins Antwort – durch Stoa und Neuplatonismus vermittelt – ist nach seinen einleitenden Worten (ord. 1,1,1) der einzige konsequente Ausweg. Deshalb arbeitet er die Güte und Allmacht Gottes so scharf heraus (bzw. das Dilemma, diese nicht gegeneinander ausspielen zu dürfen), weil er sie nicht im mindesten anzutasten gedenkt. Der Gottesbegriff selbst steht, anders als man zunächst vielleicht vermutete, zu keiner Zeit zur Diskussion. Stattdessen startet er einen zentralen Angriff gegen das vermeintliche Übel dieser Welt – aufgrund seiner ästhetischen Betrachtungsweise: das Hässliche – und versucht, dieses im wahrsten Sinne des Wortes zu „relativieren“. In seinem Bezug auf das Ganze, so wird argumentiert, ist das malum kein solches mehr. Ganz im Gegenteil: Das singulär Unschöne kann (z. B. durch Kontrastwirkung etc.) durchaus seinen Beitrag zur Schönheit des Ganzen leisten. Unerlässliche Voraussetzung ist allerdings, dass ein solches übergreifendes, in sich kohärentes, struktur- und sinnstiftendes Gesamtsystem tatsächlich existiert. Dass die hiesige Welt jedoch von einer solchen Ordnung, die jedem das Seine und seinen ihm zukommenden Platz anweist,116 umfasst und gehalten wird, ist für Augustin, der seiner Vernunft und seinem Glauben vertraut, höchst plausibel und evident. Doch ist dies nur der eine Teil der Antwort. Wenn für die hiesige, sinnlich wahrnehmbare Welt ein solcher ordo notwendig ist, um Verschiedenes und Ungleiches zu einer Einheit zu führen, so gilt dies mitnichten von jener höheren, intelligiblen Welt. Denn dort, wo das Diktat der Zeitlichkeit und Räumlichkeit außer Kraft gesetzt ist, ist auch jedes einzelne Teil so schön und vollkommen wie das Ganze, ja mit diesem sogar identisch (2,19,51: 115 116
1,2,3. Vgl. die Definitionen der iustitia dei in ord. 1,7,19 und 2,7,22.
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III. Ergebnisse
in illo vero mundo intellegibili, quamlibet partem, tamquam totum, pulchram esse atque perfectam).117 Das Böse bzw. Hässliche hat hier, d. h. in der ursprünglichen Welt, keinen angestammten Platz. Natürlich kann auch ein Augustinus das Problem der Theodizee nicht vollständig auflösen. Dass er jedoch einen ernsten Versuch unternimmt und dem Problem zumindest ein wenig von seiner Schärfe nimmt, wird man gegen seine Kritiker wohl eingestehen müssen. Denn auch die Frage nach der Entstehung des Übels ist, wenn es einmal in dieser Weise (weg)rationalisiert ist, nicht mehr allzu virulent. Mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer „holistischen“ Sichtweise des Weltgeschehens bietet er seinen Lesern diejenige Antwort, die für ihn in Cassiciacum die plausibelste war, an der er aber auch in späterer Zeit – zahllose Stellen können angeführt werden – unbeirrt festgehalten hat.118 Dass Augustin daneben keine anderen Lösungsmöglichkeiten in De ordine aufzeigt, ist ein unzulässiger Vorwurf. Wenn kritisiert wird, dass der spätere Entwurf aus De libero arbitrio, i. e. die Verlagerung des Bösen in die freie Gesinnung des Menschen, nicht schon in der Ordnungsschrift platziert wird,119 so wird übersehen, dass es in De ordine primär um das kosmologische, nicht um das moralische Übel geht. Das Thema sind nicht die schlechten Taten der Menschen, sondern die vielen scheinbaren Widersprüchlichkeiten (die perversitas) im Weltgeschehen! Auch die ontologische Frage nach dem Wesen des Bösen, die er in De moribus so exzellent entwickelt und mit der neuplatonischen Formel der privatio boni beantwortet, ist hier nicht sein Thema.120 In der Cassiciacum-Schrift ist der postulierte „Blick auf das Ganze“ die inhaltliche Klammer und der aktuelle Beitrag zum Problem der Theodizee.
117 Zur plotinischen Provenienz des Gedankens siehe supra zu 2,19,51, Z. 50 f (s. v. quamlibet partem …). 118 Vgl. die ungemein vielfältigen Illustrationen und Vergleiche – in und außerhalb der Ordnungsschrift – für sog. „Gesamtschönheiten“, die z. T. aus sehr „hässlichen“ Einzelteilen bestehen: z. B. ord. 1,1,2 (Mosaikfußboden); 1,8,25 f (Hahnenkampf); 2,4,12 (Henker, Dirne, hässliche Körperteile); 2,4,13 (Solözismen und Barbarismen); vera relig. 116 f (Einzelsilbe bzw. Einzelvers im Gesamtgedicht); 213 (Gebäudeecke, Haare eines schönen Menschen, Fingerbewegung eines Vortragskünstlers, unvollständiger Ausschnitt aus der Mondbahn); 215 (schwarze Farbe im Gesamtkunstwerk); 237 f (stürzender Wagenlenker); vgl. auch gen. c. Man. 1,25 f; 32; mus. 6,30; lib. arb. 3,146 f. 119 Vgl. das hieraus abgeleitete negative Gesamturteil bei Thimme, Entwicklung, S. 201; siehe auch ibid., S. 207 u. ö. 120 Dass Augustin den Gedanken in Cassiciacum bereits kennt, beweist die Stelle ord. 2,3,10, wo als Vergleich die Finsternis – als die Abwesenheit von Licht – herangezogen wird; vgl. supra zu Z. 59 (s. v. neminem posse videre tenebras). Vgl. auch die ausführlichen Erörterungen zum Begriff des Mangels (egestas) in beat. vit. 4,23–33; explizit wird das Übel als das NichtSeiende bezeichnet in soliloq. 1,1,2: Deus qui paucis ad id quod vere est refugientibus, ostendis malum nihil esse.
4. Welche Schriften Plotins kannte Augustin in Cassiciacum?
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4. Welche Schriften Plotins kannte Augustin in Cassiciacum? Zweifach berichtet Augustin in seinen confessiones, dass er in Mailand die Bekanntschaft mit „gewissen Büchern von Platonikern“ (quidam libri Platonicorum) gemacht habe, welche einen entscheidenden Einfluss auf ihn ausgeübt hätten. Jene Schriften, die ihm in lateinischer Übersetzung zu Gesicht gekommen seien, habe ihm ein „von maßlosem Dünkel aufgeblasener Mann“ überreicht.121 Auch der Übersetzer der ursprünglich in griechischer Sprache verfassten Werke wird genannt: Marius Victorinus, der berühmte ehemalige Rhetor von Rom.122 – Dass sich unter den bezeichneten Schriften auf jeden Fall (neben mindestens einem weiteren Autor123) auch Plotin-Traktate befanden, wird dem Leser im Proömium des Dialogs De beata vita verraten: lectis autem Plotini paucissimis libris …124 Mit dieser eindeutigen Angabe korrespondiert die hohe Wertschätzung Plotins, welche explizit im Dialog Contra Academicos zur Sprache kommt, wo Augustin seinen Lesern – an exponierter Stelle unmittelbar am Ende der Schrift – den „Fürsten des Neuplatonismus“ gleichsam als den Platon redivivus vorstellt.125 In einem durchaus positiven Sinne ist auch dessen Erwähnung in soliloq. 1,4,9126 und in epist. 6,1127 zu vestehen. Welche Einzelschriften der plotinischen Enneaden Augustin gelesen habe, ist eine viel behandelte, aber erstaunlicherweise noch immer ungeklärte Frage, ob121 Vgl. conf. 7,9,13: procurasti mihi per quendam hominem immanissimo typho turgidum quosdam platonicorum libros ex graeca lingua in latinam versos. 122 Ibid. 8,2,3: ubi autem commemoravi legisse me quosdam libros platonicorum, quos Victorinus, quondam rhetor urbis Romae, quem christianum defunctum esse audieram, in latinam linguam transtulisset, gratulatus est mihi quod non in aliorum philosophorum scripta incidissem … 123 Dies ist u. E. das natürliche und ungezwungene Verständnis des Plurals Platonicorum; so auch P. Courcelle, Les lettres grecques en occident, S. 164: „Pourtant Augustin, lorsqu’il parle de ces lectures, semble bien désigner plusieurs ouvrages et même plusieurs auteurs.“ 124 Die Maurinerausgabe druckt statt Plotini die in einigen Handschriften bezeugte Lesart Platonis (so vor allem im wichtigen codex Monacensis [9. Jhdt.] sowie im codex Trecensis [12. Jhdt.]; vgl. den textkritischen Apparat bei Green). Um den Nachweis, dass es sich hier allerdings um eine sekundäre Änderung zugunsten des im Mittelalter ungleich bekannteren Platon handelt, hat sich insbesondere P. Henry (Plotin et l’Occident, S. 78–88) erfolgreich bemüht. Denn dass die mittelalterlichen Kopisten mit der ursprünglichen Lesart Plotini nur wenig anzufangen wussten, zeigen andere verunstaltende Varianten: Plotinis, Pollitini, Pollitimi; vgl. die Übersicht bei Henry, ibid., S. 87. Dass all diese Abweichungen aus ursprünglichem Platonis (lectio simplex) entstanden sein sollten, ist schwer erklärbar. 125 C. acad. 3,18,41: adeo post illa tempora non longo intervallo omni pervicacia pertinaciaque demortua, os illud Platonis quod in philosophia purgatissimum est et lucidissimum, dimotis nubibus erroris emicuit, maxime in Plotino, qui platonicus philosophus ita eius similis iudicatus est, ut simul eos vixisse, tantum autem interest temporis ut in hoc ille revixisse putandus sit. 126 [RATIO:] … si ea quae de Deo dixerunt Plato et Plotinus uera sunt, satisne tibi est ita Deum scire, ut illi sciebant? AUGUSTINUS. Non continuo, si ea quae dixerunt, uera sunt, etiam scisse illos ea necesse est. 127 Nebridius schreibt an Augustin: Epistolas tuas perplacet ita servare ut oculos meos. Sunt enim magnae, non quantitate, sed rebus, et magnarum rerum magnas continent probationes. Illae mihi Christum, illae Platonem, illae Plotinum sonabunt.
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III. Ergebnisse
wohl die Anfänge ihrer Erforschung nunmehr schon 150 Jahre zurückliegen.128 Trotz vieler z. T. umfangreicher Einzeluntersuchungen ist man von einem allgemeinen Konsens noch weit entfernt. Die folgende Übersicht mag die divergierenden Ergebnisse veranschaulichen: P. Alfaric (1918)129: Enn. I 2.3.4.6; III 2; V I J. Nörregaard (1923)130: Enn. I 2.3.4.6.8; II 4; III 1.2.3.6.8; IV 2.5.7.8.9; V 1.3.5.8.9; VI 9 W. Theiler (1933)131: keine einzige Plotinschrift P. Henry (1934)132: Enn. I 6; vielleicht auch II 2; IV 3; V I P. Courcelle (1948)133: Enn. I 6; wahrscheinlich auch V I J. J. O’Meara (1954)134: Enn. I 6 A. Solignac (1962)135: Enn. I 6.8; III 2.3; V 1.2; wahrscheinlich auch IV 7; V 3; VI 6.9 R. J. O’Connell (1968)136: zusätzlich zu den Ergebnissen Solignacs: III 7; IV 3.4.5.8; V 8; VI 4.5
128 Mit gewissem Recht kann man die Beobachtungen von N. Bouillet (Les Ennéades de Plotin, Bd. 2, Paris 1859), welcher einige Übereinstimmungen der Enneaden mit Augustins De ordine namhaft macht (siehe ibid. S. 324 und 328), an den Anfang der modernen Kontroverse setzen; dazu J.Doignon, Etat, S. 83 f. 129 P. Alfaric, L’évolution intellectuelle de saint Augustin. Du Manichéisme au Néoplatonisme, Paris 1918, S. 374–376. 130 J. Nörregaard, Augustins Bekehrung (übers. v. A. Spelmeyer), Tübingen 1923, S. 106. Nörregaard (ebd.) sieht zwar den Widerspruch zur augustinischen Angabe (beat. vit.1,4), dass nur „sehr wenige Bücher Plotins“ gelesen wurden, rechnet aber mit einer Fortsetzung der Lektüre unmittelbar nach seiner Konversion: „Indessen ist es ja höchst wahrscheinlich, daß Augustin in der Folgezeit sein Studium fortgesetzt hat.“ 131 W. Theiler, Porphyrios und Augustin (= Schriften der Königsberger gelehrten Gesellschaft 10,1), Halle (Saale) 1933. Theiler sieht das gesamte bei Augustin nachweisbare neuplatonische Gedankengut durch Porphyrios vermittelt. Als Arbeitshypothese – nicht etwa als Ergebnis – wird von ihm formuliert: „Erscheint bei einem nachplotinischen Neuplatoniker ein Lehrstück, das nach Inhalt, Form und Zusammenhang sich mit einem solchen bei Augustin vergleichen läßt, aber nicht oder nicht im selben Maß mit einem bei Plotin, so darf es als porphyrisch gelten“ (S. 4). – Die Thesen Theilers sind auf z. T. heftige Kritik gestoßen. In der neueren Literatur ist über Theiler hinaus kaum etwas Substantielles zur Porphyrios-Problematik hinzugefügt worden. Abgesehen von einigen beachtenswerten Argumenten, dass Augustin zumindest die in civ. erwähnte Porphyrios-Schrift De regressu animae schon früher gekannt hat, mündet die Frage der weiteren Porphyrios-Lektüre Augustins aufgrund der schlechten Überlieferungslage meist in ein recht inhaltsarmes Spekulieren. 132 P. Henry, Plotin et l’Occident, Louvain 1934, S. 63–119. Die oben genannten Schriften habe Augustin um die Zeit seiner Bekehrung gelesen; später als Bischof (um 415) sei er mit allen Schriften Plotins vertraut gewesen (ebd. S. 137). 133 P. Courcelle, Les lettres grecques en occident. De Macrobe à Cassiodore, Paris 1948, S. 159–176. 134 J. J. O’Meara, The Young Augustine. The Growth of Saint Augustine’s Mind up to his Conversion, Staten Island (N. Y.) 1954 und 21965, jeweils S. 131–155; vgl. auch dens., Augustine and Neo-Platonisme, in: Recherches Augustiniennes 1, 1958, S. 91–111, bes. S. 104–111. 135 A. Solignac, Les confessions (BAug 13), S. 110. 136 R. J. O’Connell, St. Augustine’s Early Theory of Man, A. D. 386–391, Cambridge MA 1968, S. 9 f.
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A. Schindler (1979)137: Übernahme der Ergebnisse Courcelles K. Ruhstorfer (1998)138: die Frage sei „unbeantwortbar“ Th. Fuhrer (2004)139: Enn. I 6.8; III 2.3; V I; VI 4.5
Natürlich erhebt die Liste der Autoren keinen Anspruch auf Vollständigkeit, weitere z. T. weniger beachtete, in der Regel noch weiter verkomplizierende Einzelergebnisse könnten aufgeführt werden. Ein erstes Fazit kann jedoch schon an dieser Stelle gezogen werden: Abgesehen davon, dass – zumindest annäherungsweise – ein consensus communis in Bezug auf Enn. I 6 ( ) und V I ) besteht, ist ein einheitlicher Kanon der ( Plotin-Schriften kaum auszumachen. Doch worin liegt der Grund für die geradezu verwirrende Vielzahl der Vorschläge? Zunächst ist eindeutig zu sagen, dass die verschiedenen Forschungen einer Lösung der Frage mit recht unterschiedlicher Intensität und Akribie nachgehen. Mitunter fehlen Begründungen für die aufgeführten Positiv-Listen völlig, Ergebnisse vorheriger Untersuchungen werden nur selektiv wahrgenommen oder aber im Vertrauen auf die Autorität großer Namen unkritisch übernommen. – Ein weiteres Problem besteht in der zeitlichen Eingrenzung. Bezieht man sich ausschließlich auf die libri Platonicorum, welche Augustin nach dem Ausweis seiner Bekenntnisse unmittelbar vor seiner Bekehrung las, rechnet man in einem gewissen Umfang mit einer Lektüre auch unmittelbar nach seinem Konversionserlebnis (z. B. in Cassiciacum), hält man es für legitim, wenn aufgrund von Berührungen in späteren Augustin-Werken (z. B. aus der Bischofszeit) eine Kenntnis der entsprechenden Plotin-Traktate auch für die Frühzeit postuliert wird? – Noch komplexer wird das Problem, wenn die Frage nach der geeigneten Methodik aufgeworfen wird. Sind inhaltlich-gedankliche Übereinstimmungen zwischen Augustin und Plotin ausreichend, um eine literarische Abhängigkeit zu begründen? Müssen in jedem Fall auch konkrete sprachliche Muster von Plotin übernommen sein, damit eine Plotin-Schrift mit Sicherheit als bekannt vorausgesetzt werden kann? Muss gar beides, das inhaltliche wie das sprachliche Kriterium, erfüllt sein?140 – Viele weitere Fragen drängen sich auf: Welchen Einfluss auf die Beurteilung hat die Tatsache, dass Augustin Plotin nicht im Original, sondern in einer (u. U. interpretierenden) Übersetzung gelesen hat? Unklar ist auch 137 A. Schindler, Art. „Augustin“, in: TRE 4, 1979, S. 659; vgl. S. 661: „Courcelle hat … faktisch schon Abschließendes gesagt“. 138 K. Ruhstorfer, Confessiones 7: Die Platoniker und Paulus, in: N. Fischer / C. Mayer (Hrsg.), Die Confessiones des Augustinus von Hippo. Einführung und Interpretation zu den dreizehn Büchern, Freiburg 1998, S. 283–341. 139 Th. Fuhrer, Augustinus, Darmstadt 2004, S. 75 f. 140 Am ausführlichsten hat sich mit dieser Frage R. J. O’Connell (Theory, S. 10–20) auseinandergesetzt. Weder „textual“ noch „doctrinal parallels“ seien allein ausreichend, um eine literarische Abhängigkeit zu verifizieren. Idealerweise sei bei zwei Autoren ein analoges „thoughtimage-language pattern“ (ibid. S. 14) aufzudecken, damit der eine als „Quelle“ für den anderen postuliert werden könne.
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III. Ergebnisse
die grundsätzliche Verbreitungssituation141 genuin griechisch-neuplatonischen Schrifttums im lateinischen Westen: Hat Augustin manche Plotinica vielleicht nur durch indirekte Vermittlung, z. B. durch Kompendien oder mündliche Tradierung (Ambrosius? Mailänder Zirkel?), aufnehmen können?142 Angesichts der skizzierten Komplexität der Problematik ist man in der neueren Forschung bescheidener geworden. Apodiktische Aussagen sind merklich seltener geworden. Gleichwohl wäre es ein unverantwortbarer Rückschritt, die Quellenfrage als grundsätzlich unlösbar zu erklären. Hier liegt die Möglichkeit und Aufgabe der neuerdings verstärkt auftretenden Kommentarliteratur, um – in sichtbarer Ermangelung einer plausiblen und allseits akzeptierten Gesamtlösung – zumindest solide Vorarbeiten auf der Grundlage der untersuchten augustinischen Einzelschrift zu liefern. Speziell bei der Kommentierung der Schrift „Über die Ordnung“ ist, um es vorsichtig zu formulieren, eine besondere Nähe zu folgenden Plotin-Traktaten aufgefallen: I 6: Zunächst ist als ein allgemeines Kriterium festzuhalten, dass Augustins Theodizee in De ordine einen ästhetischen Grundzug aufweist, der sich in seiner Intensität und spezifischen Ausrichtung durch eine Lektüre von Enn. I 6 ausgesprochen gut erklären lässt. Die Antithese von Schönheit und „Hässlichkeit“ (foeditas) des Kosmos bzw. seiner Teile durchzieht die gesamte Schrift. Bereits im Proömium wird für denjenigen, der einen ordo im Weltgeschehen sucht, die klare Zielvorstellung genannt: Sein Geist soll die Schönheit des Universums (pulchritudo universitatis) erkennen. Da das Uni-versum seinen Namen vom „Einen“ (unum) erhalten habe und dieses schönheitsstiftende „Eine“ den gesamten Kosmos durchwalte, könne nur eine Seele, die sich von der Vielfalt der sinnlichen Wahrnehmung trenne, den Inbegriff des Schönen schauen (ord. 1,2,3). – Noch deutlicher spiegeln sich die Grundgedanken des Traktats zum Schluss der augustinischen Ordnungsschrift (2,19,51): Alles Schöne in der hiesigen Welt ist als Nachahmung (imitatio) einer höchsten Schönheit zu verstehen; diese ist der irdischen Sphäre dermaßen enthoben, sie ist so unaussprechlich, dass im Vergleich zu ihr alles andere, obwohl es seine Schönheit von ihr gleichsam bezieht, geradezu als hässlich (foedus) erscheint. Der Anblick dieser Schönheit (aspectus pulchritudinis) ist jedoch nur dem verheißen, dessen Geist sich gesammelt und geordnet, der sich selbst Harmonie und Schönheit verschafft hat, dessen geistiges Auge (oculus) sich als gesund (sanus), schön (decorus), kräftig (valens) und klar (serenus) erweist. Die plotinische Prämisse von der notwendigen Adaption des Erkenntniswilligen an das zu 141
Vgl. hierzu Fuhrer, Augustinus, S. 76. Die viel diskutierte Frage, ob Augustinus eher plotinische oder porphyrische Schriften gelesen habe, kann mit einem gewissen Recht unter diesen Gesichtspunkt (direkte oder indirekte Plotin-Kenntnis?) subsumiert werden. Porphyrios ist der große Herausgeber, Bewahrer und „Multiplikator“ des opus Plotinianum, welcher die Doktrin seines Lehrers – bei konzedierten eigenen Akzentsetzungen – einem erweiterten Leserkreis zugänglich machen will. 142
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erkennende Objekt (kulminierend in seinem berühmten Satz: 143) ist von Augustin detailgenau nachgezeichnet. Der Rückgriff auf das Schlusskapitel der Plotinschrift ist in höchstem Maße evident, die Reminiszenzen und Nachahmungen reichen bis in die Wortwahl hinein (vgl. die Einzelnachweise im Kommentar zur Stelle, bes. zu Z. 33; Z. 35 [2 x] und Z. 39 f). Weitere Hinweise auf die augustinische Kenntnis der Ontologie Plotins, wie er sie unverwechselbar in Enn. I 6 entwickelt, finden sich gegen Ende des ersten Buches von De ordine. Wenn Augustin dort (ord. 1,8,23) von demjenigen, der das „Antlitz Gottes schauen“ (dei faciem videre) will, eine Abkehr vom „Schlamm und Schmutz körperlicher Begierden“ (a ceno corporis atque sordibus144) fordert, ein Verlassen der den Geist umgebenden „Finsternis“ (tenebrae), ein „Zu-SichSelbst-Kommen durch Tugend und Mäßigung“ (virtute ac temperantia in sese attolli), schließlich eine innere Vorbereitung, die sich – in erotischer Anspielung – für Gott selbst (bzw. feminin: die „geliebte Wahrheit“ = amata veritas) als das Ziel der Erkenntnis „rein und schön machen“ (mundum et pulchrum reddere) will, so sind diese in konzentrierter Form dargebotenen Anweisungen unzweifelhaft eine Zusammenfassung des 5. und 6. Kapitels der zur Diskussion stehenden Plotinschrift, wo sich ebenfalls die „Liebebewegten“ ( ) vom „Lehm oder Schlamm“ ( ) der körperlichen Begierden und Lüste ( bzw. ) reinigen, der Finsternis ( ) entsteigen sowie im „Glanz der Tugenden“ ( ) sich Mäßigung ( ) auferlegen, d. h. „in einem ruhigen, von keiner Wallung und keiner Leidenschaft erregten Seelenzustande“ ( ) befinden sollen, um sich derart vorbereitet dem „Quell des Schönen“ nähern zu können und sogar selbst „Gott ähnlich zu werden“ ( … ). Dieselbe erotische Liebesmetaphorik wird von Augustin wenige Sätze später erneut aufgegriffen, wenn er „die durch die Tugend schönen Seelen sich mit dem Geist vereinigen“ lässt (animae … virtute formosae copulantur intellectui). Ähnlich Plotin feminin wie die anima!), die durch an der zitierten Stelle: Erst eine Seele ( Tugenden ( ) schön geworden ist, ist für die Vereinigung mit dem Geist ( ; maskulin wie der intellectus!) bereit. (Vgl. wiederum die Einzelnachweise im Kommentar, bes. zu 1,8,23, Z. 29 f; 1,8,24, Z. 54 f [2 x]; 1,8,25, Z. 62.)145 143 Enn. 1,6,9: „Kein Auge könnte je die Sonne sehen, wäre es nicht sonnenhaft“ (Übers. Harder). Vgl. J. W. Goethe in seiner Einleitung zur Farbenlehre: „Wär’ nicht das Auge sonnenhaft, / Wie könnten wir das Licht erblicken? / Lebt’ nicht in uns des Gottes eigne Kraft, / Wie könnt’ uns Göttliches entzücken.“ 144 Vgl. ord. 1,2,4, Z. 4 f: sine libidinis … sordibus. 145 An nicht wenigen weiteren Stellen sind augustinische Reminiszenzen und Bezugnahmen auf auszumachen, vgl. die Kommentare zu 2,2,6, Z. 43 (Reinigungsmetaphorik in Verbindung mit der Vorstellung des „Sich-Entkleidens“) und 2,2,7, Z. 65 (das Bild von den „inneren Augen“) sowie zu 2,11,32, Z. 29–31; 2,11,33, Z. 54.55 f; 2,11,34, Z. 77 f; 2,14,39, Z. 1.2.3.6; 2,15,43, Z. 15 f.
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III 2: ´ Schon allein das Thema der Schrift De ordine – besonders der darin verankerte Theodizee-Gedanke – legt nahe, dass Augustin den bekannten plotinischen Traktat über die Vorsehung herangezogen hat, vielleicht durch dessen Lektüre erst zu einer eigenen Behandlung des Problems inspiriert worden ist. Es ist unverständlich, warum manche moderne Forscher Enn. III 2 nicht in die Liste der von Augustin gelesenen Plotin-Schriften aufgenommen bzw. anderen den Vorzug gegeben haben. Denn jede halbwegs gewissenhafte Untersuchung wird zwangsläufig auf eine immense Vielfalt von Bezügen jedweder Art aufmerksam werden. Bereits im ersten Satz seiner Abhandlung wendet sich Plotin gegen die Annahme, das Wesen und der Bestand des Weltalls sei auf den Zufall ( ) zurückzuführen; dasselbe sagt Augustin über den casus unmittelbar zu Beginn in seinem Proömium.146 Wenn Plotin daraufhin – im zweiten Satz – die einleitende Theodizeefrage formuliert und angesichts bestimmter Verwerfungen als unheilvolle Alternative a) die Ablehnung einer Weltordnung oder aber b) einen „bösen Schöpfer“ ( ) vor Augen stellt, so findet eben dieselbe Argumentationsstruktur präzise ihren Nachklang bei Augustin.147 Die in der Stoa populäre, aber von Augustin abgelehnte Sichtweise, die Vorsehung (providentia) reiche nicht bis zu den letzten und untersten Dingen (non usque in haec ultima et ima pertendi),148 erscheint bei Plotin zwar erst später, aber in beinahe derselben Formulierung als rhetorische Frage ( ;) in Kapitel 7.149 Beide Autoren gehen in großer Einmütigkeit darin konform, dass diese Vorstellung als „nicht fromm und nicht gottesfürchtig“ (Plotin: ; vgl. Augustin: impium) disqualifiziert wird.150 Der plotinischen Beteuerung, die auf Einzeldinge bezogene Vorsehung außer Acht zu lassen und sich thematisch auf die Vorsehung des Alls ( ) zu konzentrieren,151 entspricht bei Augustin die Unterscheidung zwischen einer umfassenden und einer sog. „untergeordneten Vorsehung“ (servilis procuratio).152 Zweimal ist in Enn. 3,2 davon die Rede, dass die Glücksgüter (z. B. Macht oder Reichtum) unter den Menschen scheinbar ungerecht verteilt seien; ihre Zuteilung richte sich oft weder nach Leistung und Verdienst noch nach ethischer Qualifikation.153 Auch Augustin weist zweimal auf eben diese Inkonzinnitäten hin,154 einmal – wie Plotin – mit speziellem Augenmerk auf die pekuniären Aspekte. Die zentrale Antwort auf diese beunruhigenden, den Weltplan in Frage stellenden Beobachtungen sieht Plotin darin, dass die zweifellos „unschönen“ Einzelheiten 146
Vgl. ord. 1,1,2. Ibid. 1,1,1. 148 Ibid. 1,1,1. 149 Vgl. ähnlich Enn. 3,2,6 und 13. 150 Enn. 3,2,7; ord. 1,1,1. 151 Enn. 3,2,1. 152 Ord. 1,1,1. 153 Vgl. Enn. 3,2,6 und 7. 154 Siehe 2,5,14 und 2,19,51. 147
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( ) nicht für sich beurteilt werden sollen, ohne dass das Weltganze ( ) angemessen berücksichtigt wird. Mit immer wieder neuen Bildern und Beispielen wird illustriert, dass sich viele der scheinbaren Ungerechtigkeiten bzw. „Hässlichkeiten“ schnell auflösen, wenn man gewohnt sei, sie von einem übergeordneten Standpunkt aus zu betrachten.155 Und genau hierin liegt auch die von Augustin angebotene Lösung für das Theodizeeproblem: Unermüdlich wird den Lesern der „Blick auf das Ganze“ ans Herz gelegt, mit exakt derselben ästhetischen Ausrichtung der Argumente, Bilder und Vergleiche.156 Dass ein harmonisches und schönes Ganzes durch die Kontrastwirkung seiner widerstreitenden Einzelteile, durch deren geschickte Ergänzung und passende Einordnung entstehen kann, veranschaulichen sowohl Plotin als auch – in dessen Nachfolge – Augustin am vollkommenen menschlichen Organismus,157 an den mitunter hässlichen Details eines schönen Gesamtkunstwerkes,158 am Beispiel der unterschiedlichen Rollen in einem Schauspiel,159 am wunderbar gegliederten Körperbau selbst kleinster Lebewesen,160 am harmonischen Zusammenklang unterschiedlicher Töne,161 an der kunstvollen Darbietung eines Tänzers,162 an dem verborgenen Nutzen des Ehebruchs bzw. der Dirnen und Kuppler,163 schließlich an der geordneten Verfassung eines Gemeinwesens,164 in der selbst der schlechte und abscheuliche „Henker“ ( ; carnifex) seinen ihm zugewiesenen nützlichen Platz findet.165 Auf diese „holistische“ Weise betrachtet wird bei beiden Autoren eine in jeder Hinsicht vollkommene166 und mangellose Welt konstatiert, gewissermaßen die beste aller Welten, die unter den Determinanten der Körpergebundenkeit möglich und vorstellbar ist.167 Denn Plotin wie Augustin unterscheiden streng dualistisch zwischen der hiesigen, irdischen Welt und ihrem höheren Ur- und Idealbild.168 Betont wird jeweils, dass die untere Welt einer ständigen „Bewegung“, 155
Vgl. bes. Enn. 3,2,2.3.5.6.17 u.ö. Vgl. u. a. und vor allem ord. 1,1,2; 1,8,25 f; 2,4,11 f; 2,19,51. 157 Enn. 3,2,3; ord. 2,4,12. Plotin nennt Haar und Zehe als an sich unansehnlich, Augustin spricht allgemein von „hässlichen Körperteilen“. 158 Enn. 3,2,11; ord. 1,1,2. Plotin wählt die Farbgebung eines Gemäldes als Beispiel, Augustin die Zusammensetzung von Steinchen in einem Mosaik. Die Argumentationsweise ist hier wie dort exakt dieselbe. 159 Dies ist der von Plotin am häufigsten gewählte Vergleich; siehe Enn. 3,2,11.15.16.17.18; Augustin könnte nach diesem Vorbild die Schauszene des Hahnenkampfes (ord. 1,8,15 f; 2,4,12) konstruiert haben; denn auch Plotin spricht explizit von „vielen Kämpfen“ ( ) in einem Bühnenstück (Enn. 3,2,16). Vgl. aber auch das Beispiel vom Kampf der Pferde in Enn. 3,3,1. 160 Enn. 3,2,13; ord. 1,1,2 (der Floh). 161 Enn. 3,2,16 f; ord. 2,11,32 f. 162 Enn. 3,2,17; ord. 2,11,34. 163 Enn. 3,2,18; ord. 2,4,12. 164 Enn. 3,2,11; ord. 2,4,12; 2,19,50 u. ö. 165 Enn. 3,2,17; ord. 2,4,12. 166 Plotin: (z. B. 3,2,3); Augustin: perfectus (1,2,4). 167 Enn. 3,2,1; 3,2,3; vgl. ord. 1,2,4; 2,19,51. 168 Enn. 3,2,1 und passim; vgl. bes. ord. 2,18,47 (… ad dignoscendos duos mundos). 156
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d. h. Veränderung unterworfen ist, während die obere Welt keinen solchen Wandel kennt, sondern gänzlich jenseits der Gesetze von Raum und Zeitlichkeit existiert.169 Das aber heißt: In den hiesigen Sphären ist eine Ordnung ( = ordo) bzw. ein umfassendes Gesetz ( = lex) notwendig, um in einer Welt der Unterschiede, ja der Gegensätzlichkeit eine größtmögliche Harmonie herzustellen.170 In der jenseitigen geistigen Sphäre ist eine solche Ordnung keineswegs nötig, da – so betonen unisono Plotin wie Augustin – in einer Welt der vollkommenen Gleichheit alle Teile ebenso schön und vollkommen seien wie das Ganze. Jedes Einzelteil befinde sich dort in so großer Übereinstimmung mit dem Ganzen, dass es geradezu mit diesem identifiziert werden könne; denn in jedem Einzelteil repräsentiere sich das Ganze gleichsam in vollständiger Weise.171 Weitere Übereinstimmungen zwischen De ordine und Enn. 3,2 sind in der häufig und mit Nachdruck geäußerten Auffassung gegeben, dass der Weltplan und die Ordnung sowohl das Gute als auch das Böse umfassen.172 Die Existenz des Bösen sei geradezu notwendig, um unter den hiesigen Umständen das Gute besser empfinden zu können173 bzw. der Ordnung erst zu ihrem Recht zu verhelfen, da eine Welt der Gleichheit in keiner Beziehung eine Ordnung erfordere.174 In beiden Schriften klingt im Hinblick auf eine notwendige Unterscheidung von Gut und Böse wiederholt der Gerechtigkeitsgedanke an,175 unter anderem wird in diesem Zusammenhang – allerdings mit unterschiedlichem Ergebnis – auch die Frage diskutiert, ob das Schlechte in der Welt als Strafe für die bösen Seelen vorhanden sei.176 – Einige weitere inhaltliche, z. T. sogar wörtliche Bezugnahmen auf die plotinische Vorsehungsschrift sind noch auszumachen (vgl. den Kommentar zu 1,3,7, Z. 27; 1,5,12, Z. 8–10; 2,8,25, Z. 19 f; 2,11,31, Z. 16 f.23 f; 2,11,32, Z. 29 f). Insgesamt lässt sich die Fülle der aufgezeigten Beziehungen nur so interpretieren, dass Augustin zur Zeit seines Cassiciacum-Aufenthaltes den ´ zweifellos gekannt hat. plotinischen Traktat
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Enn. 3,2,1; 3,2,4; 3,2,13; 3,2,15; 3,2,17; vgl. ord. 2,19,50 und bes. 2,19,51. Enn. 3,2,11; 3,2,16; ord. 1,7,18 f; vgl. ord. 2,1,2. 171 Enn. 3,2,1 ( ); 3,2,14 ( ); ord. 2,1,2; 2,19,51: in illo vero mundo intellegibili, quamlibet partem, tamquam totum, pulchram esse atque perfectam; vgl. hierzu die Ausführungen im Kommentar zur Stelle: Z. 50 f (s. v. quamlibet partem tamquam totum). 172 Plotin: Enn. 3,2 passim; Augustin: bes. ord. 1,6,16; 1,7,18; 2,1,2. 173 So Plotin in Enn. 3,2,5; vgl. 3,2,18. 174 So besonders klar Augustin in ord. 2,1,1: Ubi omnia bona sunt …, ordo non est. Est enim summa aequalitas, quae ordinem nihil desiderat. 175 Vgl. Enn. 3,2,4; 3,2,17; ord. 1,7,19 und 2,7,22 f. 176 Plotin beantwortet diese Frage befürwortend: Enn. 3,2,4; 3,2,17; Augustin dagegen ablehnend, da er sich in dieser Hinsicht eindeutig von der manichäischen Position abgrenzen muss, siehe ord. 2,17,46: Namque animam poenas hic pendere fatentur, cum inter eius et dei substantiam nihil velint omnino distare. 170
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III 3: ´ Die beiden Vorsehungsschriften Plotins gehören eng zusammen, die zweite ist die Fortsetzung der ersten Abhandlung. Es ist daher von vornherein wahrscheinlich, dass Augustin auch diese zweite Schrift gekannt hat, zumal man grundsätzlich von einer gemeinsamen Überlieferung beider Traktate – auch in der Übersetzung des Victorinus – auszugehen hat. Die zweite Vorsehungsschrift ist sehr kurz. Nichtsdestoweniger finden sich einige bemerkenswerte Bezugspunkte: Vor allem ist es die wiederholte Betonung der ununterbrochenen Ursachen- und Folgekette ( ), die den göttlichen Weltplan in den Augen Plotins zu einem in sich einheitlichen und kohärenten Gebilde werden lässt.177 Augustins breite Darstellung des ordo causarum im ersten Buch von De ordine178 wird mit einiger Sicherheit hieraus ihre Anregung und Inspiration bezogen haben. Wenn Plotin darüber hinaus zu Beginn seines Traktats – mindestens so nachdrücklich wie in Enn. 3,2,16 – den Weltplan aus Gegensätzen ( ) bestehen lässt und dezidiert neben dem Guten auch das Böse inbegriffen wissen will,179 so ergibt sich auch hier eine unmittelbare Nähe zu den einschlägigen augustinischen Aussagen, wo ebenfalls der Weltplan (ordo bzw. dispositio) aus Gegensätzen (ex contrariis bzw. ex antithetis) besteht, welcher dementsprechend auch die Übel (mala) umfasst und alles zu einer großartigen „Harmonie“ (congruentia; vgl. Plotin: ) verbindet.180 Aufmerken lässt bei der plotinischen Darstellung der Gegensätzlichkeit im Kosmos das von ihm verwendete Beispiel des Kampfes unter den Pferden, die „sich einander beißen, streitlustig sind und vor Eifersucht wild werden“ (… ).181 Der von Augustin 182 könnte hier sein Vorbild haben. inszenierte ländliche Hahnenkampf Dass die Weltordnung allumfassend sei und dass nichts außerhalb der Ordnung (praeter ordinem) existiere, ist eine oft wiederholte These in Augustins Dialog, welche formal von seinem Schüler Licentius vertreten wird.183 Auch Plotin ist in die184 ser Frage völlig eindeutig (als rhetorische Frage: … 185 ). Die von Augustin im Proömium aufgeworfene Frage, ob die Vorsehung wirklich bis in alle Einzelheiten des irdischen Lebens hinein wirke,186 wird mehrfach auch bei Plotin behandelt. Beide Autoren bejahen dies einmütig 177
Vgl. Enn. 3,3,2; 3,3,4; 3,3,5. Vgl. ord. 1,3,6–6,16. 179 Enn. 3,3,1. 180 Siehe den Wortlaut von ord. 1,7,18: Qui o r d o atque d i s p o s i t i o, quia universitatis c o n g r u e n t i a m ipsa distinctione custodit, fit ut m a l a etiam esse necesse sit. Ita quasi e x a n t h i t e t i s quodammodo, quod nobis etiam in oratione iucundum est, e x c o n t r a r i i s, omnium simul rerum pulchritudo figuratur. Vgl. auch 1,7,19 und 2,1,2. 181 Enn. 3,3,1. 182 Siehe ord. 1,8,15 f; vgl. 2,4,12. 183 Vgl. ord. 1,3,8 f; 1,6,15; 1,10,28; 2,1,2; 2,7,21; 2,7,23. 184 Enn. 3,3,2. 185 Enn. 3,3,4. 186 Siehe ord. 1,1,1. 178
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III. Ergebnisse
und mit Entschiedenheit.187 Insbesondere beinhalte die Vorsehung – so Plotin – auch das unterhalb des Guten befindliche Schlechte ( ). Denn gäbe es nur Gutes, wäre keine Ordnung nötig. Wollte man das Schlechte beseitigen, wäre dies gleichzeitig die Beseitung der Vorsehung selbst.188 Dies wiederum ist der exakte Sinn der augustinischen Sentenz: Ubi omnia bona sunt, ordo non est.189 Interessant ist schließlich, dass Plotin an einer Stelle von einer „oberen Vorsehung“ (… ) und einem darunter angesiedelten „zweiten Plan“ ( ) spricht. Trotz Unterschiede im Detail kennt auch Augustin eine ähnliche Rangfolge und Subordination, wenn er im Proömium eine gewisse servilis procuratio erwähnt.190 VI 9: Während der gedankliche Reichtum der beiden plotinischen Vorsehungstraktate in Augustins Ordnungsschrift gleichsam passim verarbeitet ist, liegt der Fall bei Enn. 6,9 gänzlich anders. Im Wesentlichen kann sich die Beweisführung hinsichtlich einer Benutzung durch Augustin auf eine einzige konkrete Textstelle beziehen: Die augustinischen Ausführungen in ord. 2,18,48 basieren bei genauem Hinsehen unverwechselbar auf Enn. 6,9,1.191 So beginnt Plotin sein Werk mit der ersten und wichtigsten These seiner ontologischen Grundanschauung: „Alles Seiende ist durch das Eine ein Seiendes“ ( ). Noch im selben Satz unterscheidet er zwischen dem ursprünglich Seienden ( ), i. e. dem geistigen Sein der oberen Welt, und demjenigen Seienden, welches man landläufig als seiend bezeichnet ( ), i. e. dem in der unteren, irdischen Welt Existierenden. Von exakt denselben Grundvoraussetzungen geht auch Augustinus aus, wenn er die plotinische Grundthese vom henadischen Grundzug allen Seins an mehreren Beispielen expliziert und zunächst feststellt, dass auch er „zwei Welten“ (duos mundos) kennt192 und sich zunächst auf diejenigen Wirkungen des „Einen“ (unum) konzentrieren will, „welche man im alltäglichen Zusammenhang überall wahrnimmt“ (quae cotidie passim sentimus).193 Die Explikation der ontologischen Grundthese, dass auf der Erde nichts existiere, was nicht eine wie auch immer geartete „Einheit“ (ein bzw. unum) darstelle, geschieht bei beiden Autoren jeweils an drei Ternaren:
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Siehe für Plotin z. B. Enn. 3,3,5 ( ). 188 Enn. 3,3,7. 189 Ord. 2,1,2. 190 Ord. 1,1,1. 191 Zur diesbezüglichen Abhängigkeit vgl. bereits detailliert Trelenberg, Einheit, S. 42–48. 192 2,18,47, Z. 13. 193 Ibid., Z. 6 f.
4. Welche Schriften Plotins kannte Augustin in Cassiciacum?
Plotinus (Enn. 6,9,1) Heer ( ) Chor ( ) Herde ( )
Augustinus (ord. 2,18,48) Stein (lapis) Baum (arbor) Lebewesen (animal)
Haus ( Schiff ( Leib (
Freunde (amici) Volk (populus) Heer (exercitus)
) ) )
Gesundheit ( Schönheit ( Tugend ( )
) )
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Liebe (amor) Lust (voluptas) Schmerz (dolor)
Ganz offensichtlich hat sich Plotin an ein überliefertes Muster – stoischer Provenienz194 – angelehnt, welches im Bereich des Materiellen das Einfache und Zusammenhängende ( bzw. ) von dem Unzusammenhängenden und „Auseinanderstehenden“ ( ) unterscheidet.195 Dem auf diese Weise konstruierten ersten und zweiten Ternar fügt er abschließend – als genuin (neu)platonische Erweiterung – einige Abstraktionsbegrifflichkeiten hinzu, an denen er die ontologische Macht des auch außerhalb des Körpergebundenen demonstrieren kann. Augustinus übernimmt nun nicht nur bestimmte 196), Einzelbeispiele ( / exercitus; / animal; vgl. lapis zu sondern er richtet sich – was viel auffälliger ist – exakt an der plotinischen Systematik aus, indem er den zwei „körperlichen Ternaren“ ebenfalls ein drittes aus dem Bereich der „Begriffsrealitäten“ hinzufügt.197 Vollends wird ein Rückgriff auf die plotinische Vorlage evident, wenn die Art der Argumentation näher betrachtet wird. Wenn Augustin beispielsweise dem Baum (arbor) sein ontisches Spezifikum als Baum – sein sog. „Baum-Sein“ – abspricht, „wenn er nicht einer wäre“ (si una non esset; Z. 25 f), so ist dies die wörtliche Übernahme der plotinischen Diktion ( ). Es ist das zentrale argumentum ex negativo, die Beschreibung der hypothetischen 194 Vgl. Trelenberg (Einheit, S. 43, Anm. 5) mit Hinweis auf SVF II 366–368; Sext. Emp. 9,78; Seneca, Epist. mor. 102,5; Marc Aurel 6,14. 195 Die traditionelle Dichotomie ist bei Plotin bewusst aufgenommen. Ausdrücklich führt er zu seinem zweiten Ternar aus, dass es sich um „zusammenhängende Größen“ ( ) handle. Und wenig später formuliert er: … … (6,9,1,5). 196 Explizit erscheint bei Augustinus das „Haus“ (domus) als Beispiel nur wenig später in ord. 2,19,49. 197 Die augustinischen Abweichungen von Plotin sind leicht erklärbar. Augustin konstruiert einen charakteristischen ontologischen ascensus und erweist sich hier fast neuplatonischer als Plotin selbst: Beginnend in der leblosen Körperwelt (lapis) führt die Darstellung über die Pflanzenwelt (arbor) zu den Lebewesen im Allgemeinen (animal). Von dort über kleinere (amici) und größere (populus, exercitus) menschliche „Seelengemeinschaften“ bis hin zu den abstrakten geistigen Größen (amor, voluptas, dolor).
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III. Ergebnisse
Konsequenzen eines Fehlens der Einheit,198 welche die Gedankenführung so unverwechselbar macht. Aus der Tatsache, dass nach bisherigen Erkenntnissen für diese eigentümliche „ontologisch-negative“ Beweisführung keine vorplotinische Quelle namhaft gemacht werden kann,199 folgt allein nahezu zwangsläufig, dass Augustins Ausführungen (mittel- oder unmittelbar) auf den genannten Traktat als Vorbild zurückgehen. – Schließlich kann noch auf eine gemeinsame Gedankenfigur hingewiesen werden, die man als eine „ontologische Gradierung“ bezeichnen könnte. „Einheit“ und dementsprechendes „Sein“ kann es in verschiedenen Abstufungen geben. Um mit Plotin zu sprechen: „Ein geringeres Sein bedeutet also auch ein geringeres Einssein, und ein höheres ein höheres.“200 Bei Augustinus ist dieser Gedanke dadurch umgesetzt, dass sprachlich mit korrelativen Pronomina („je – desto“) in Verbindung mit Komparativen gearbeitet wird: Et quanto magis unum, tanto magis amici sunt (Z. 28); oder: multitudo eo minus vincitur, quo magis in unum coit (Z. 30 f).201 Man sieht, dass Augustin den Passus bis in feinste Details hinein nach dem Anfang der besagten plotinischen Abhandlung ( ) stilisiert hat. Soweit unsere Ergebnisse, die als Frucht der Kommentar-Arbeit anzusehen sind. Natürlich lassen sich inhaltliche Affinitäten zwischen De ordine und weiteren Plotin-Traktaten aufdecken und namhaft machen. Doch sind diese u. E. nicht derart, dass daraus eine Lektüre Augustins zwingend gefolgert werden kann. Denn das corpus Plotinianum ist von starken Redundanzen geprägt, in immer neuen Anläufen drehen sich die Gedanken des Philosophen in gleichsam konzentrischen Kreisen um ein und dieselben Dinge. Da bei bestimmten augustinischen Aussagen und Formulierungen häufig Ähnlichkeiten mit mehreren Plotin-Traktaten zu verzeichnen sind, sind eindeutige Feststellungen über die skizzierten Ergebnisse hinaus kaum möglich. Beispielsweise kann für Enn. V 1 ( ), einer – wie oben aufgeführt – sehr gern für den augustinischen Lektürekanon nominierten Schrift, allein von De ordine her keine stichhaltigen „Beweise“ geliefert werden. Denn der augustinische Kreisvergleich in ord. 1,2,3, für welchen mitunter auf Enn. 5,1,11 als Vorbild verwiesen wird, 198 Vgl. P. A. Meijer, Plotinos on the Good or the One (Enneads VI,9), Amsterdam 1992, S. 69: „a curious method of demonstration by investigating the consequences of loss of unity“. Siehe auch die weiteren Formulierungen in Enn. 6,9,1: … …, … …, … … Vgl. die entsprechenden negativ-hypothetischen Wendungen in ord. 2,18,48, Z. 27 (animal), Z. 29 f (populus); Z. 33 f (voluptas). – Daneben stehen die Begrifflichkeiten der Zerstörung der Einheit, mit der Konsequenz der Nicht-Existenz des jeweiligen Gegenstandes; vgl. Plotin: (6,9,1,2) (6,9,1,3); Augustin: divortium unitatis (Z. 27), dissicere (Z. 35), separare (Z. 36). 199 Vgl. Meijer, a. a. O., S. 69. 200 Enn. 6,9,1,5: … . (Übers. Harder). 201 Ähnlich Plotin, der für diesen Zusammenhang Wendungen wie z. B. – (6,9,1,5) bzw. (6,9,1,2 f) oder auch die dem augustinischen quantum entsprechenden Pronomina benutzt.
5. Die Bekehrung des Licentius: Eine Spiegelung der augustinischen Konversion?
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kann ebenso aus anderen Traktaten des Neuplatonikers bekannt sein202 oder aber aufgrund seiner offensichtlichen Popularität einem gänzlich anderen, uns heute nicht mehr nachvollziehbaren Tradierungsweg zuzurechnen sein. – Ähnliches ) zu sagen. Dass ebendort – in Kap. 4 – die ist über Enn. I 8 ( „aufschlußreiche Analogie mit dem Sehen der Finsternis“203 auftaucht (vgl. ord. 2,3,10), berechtigt u. E. noch nicht zu der Annahme, dass Augustinus die gesamte Schrift bekannt gewesen sein muss. Ein solch eingängiger Vergleich für den in der neuplatonischen Ontologie so zentralen Privationsgedanken kann auf sehr unterschiedliche Art und Weise überliefert worden sein. Für eine Aussage über literarische Abhängigkeiten hätte diese „Reminiszenz“ nur dann einen Wert, wenn noch weitere substanzielle Übereinstimmungen mit De ordine beigebracht werden könnten. – Über verstreute Einzelbezüge der augustinischen Ordnungsschrift zum opus Plotini könnte noch viel gesagt werden. Aus der Vielzahl der in Frage kommenden Traktate hat sich aus unserer Sicht die „besondere Nähe“ zu Enn. ), Enn. III 2 ( ´), Enn. III 3 ( I6( ´) und schließlich zu Enn. VI 9 ( ) herauskristallisiert. Die Übereinstimmungen erscheinen uns, wie dargelegt, in allen vier Fällen so groß und so vielfältig, dass wir diese für eine Aufnahme in den augustinischen Lektüre-Katalog204 empfehlen wollen.
5. Die Bekehrung des Licentius: Eine Spiegelung der augustinischen Konversion? Im ersten Buch des Dialogs De ordine wird neben dem eigentlichen Gang der Gespräche, innerhalb der reichhaltig ausgeschmückten Rahmenhandlung, die Bekehrung des Licentius zum Christentum geschildert. Völlig unabhängig davon, ob man hinter dieser Schilderung ein historisches Ereignis vermutet, d. h. eine tatsächliche und „echte“ Konversion des Freundes in den frühen Morgenstunden nach einer durchwachten Nacht, oder ob man eher geneigt ist, die dargestellte Wandlung des Hauptunterredners als literarischen Kunstgriff des versierten Dialogschriftstellers anzusehen, wird man in jedem Fall bei der Darstellung dieser Episode einen gewissen Grad der Stilisierung zugestehen müssen. Diese aber besitzt – wie wir meinen – eine deutliche Richtung und ein prominentes Vorbild:
202 Mehrfach finden sich bei Plotin / -Vergleiche; z. B. in Enn. 1,7,1; 3,8,8; 4,1; 4,2,1; 4,4,16; 4,7,6; 6,5,4 f; 6,8,18; 6,9,8. Die Konzentration auf nur eine Plotin-Abhandlung und die sofortige Folgerung, Augustin müsse diesen gelesen haben (so bei A. Solignac, Réminiscences, S. 465), ist als verfehlt anzusehen. 203 Formulierung bei P. Keseling (Weltregiment, S. 91), der daraus die Lektüre von Enn. 1,8 folgert. 204 Konkret: in denjenigen Kanon von Schriften, die bis etwa zum Ende des Jahres 386 – vor oder in Cassiciacum – von Augustinus zur Kenntnis genommen wurden.
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III. Ergebnisse
nämlich Augustins ureigene conversio, die durch seine späteren „Bekenntnisse“ so berühmt gewordene Hinwendung zum platonisch-christlichen Lebensideal. Folgen wir den einzelnen Stationen der sukzessiv sich vollziehenden inneren Wandlung des Licentius: Zunächst wird von Augustin – bereits im Proömium – bemerkt, der junge Student sei „neuerdings in erstaunlicher Weise der Dichtkunst ergeben“ (repente admirabiliter poeticae deditus).205 Diese Neigung wird keineswegs positiv gewertet. Für Augustin gilt die Dichtkunst, wie er unmissverständlich deutlich macht, als eine nur „unbedeutende Wissenschaft“ (mediocres litterae).206 Ihr zumeist mythologischer Inhalt sei für die Wahrheitssuche nur wenig nutzbringend, sie sage die Unwahrheit und sei nichts anderes als eine „Lügenwissenschaft“.207 Darüber hinaus wird der konkrete Stoff genannt, den Licentius gerade in Verse zu fassen sucht: die alte Geschichte von Pyramus und Thisbe. Gegenstand seiner Beschäftigung sei also, so wird mehrfach betont, die Liebe zwischen den beiden menschlichen Geschlechtern,208 mit ihren unvermeidlichen Begleiterscheinungen der „hässlichen Begierde“ (foeda libido) und der „giftigen Leidenschaften“ (incendia venenata).209 Noch dazu sei gerade dieser Stoff in die Aura des alten heidnischen Götter- und Aberglaubens gehüllt.210 Dieselben Elemente lassen sich in der Autobiographie Augustins in sehr ähnlicher Form wiederfinden. So schildert der ehemalige Rhetoriklehrer die Lage und Situation am Vorabend seiner Bekehrung dahingehend, dass auch er im alltäglichen Betrieb der traditionellen „heidnischen“ Schulwissenschaften gefangen gewesen sei. Durch sein Lehren habe er einer kommenden Generation von eitlen, geschwätzigen Lobrednern und verlogenen Anwälten gleichsam ihre „Waffen“ (arma) zur Verfügung gestellt.211 Sein Amt bezeichnet er rückblickend – auch im Hinblick auf seine eigene Funktion als Panegyriker – als einen „Lügenstuhl“ (cathedra mendacii).212 Nicht besser sei es damals um seine innere Verfassung bestellt gewesen. Mehr noch als der junge Licentius, der sich „nur“ auf literarischer Ebene dem „Schmutz und Unflat“ (cenum et sordes) der leiblichen Begierden und sexuellen Phantasien hingibt,213 sei Augustin selbst sehr real seinen niederen fleischlichen Gelüsten, seiner libido und seinen cupiditates verfallen.214 In beiden 205
Ord. 1,2,5. Ibid. 1,6,16. 207 Vgl. ibid. 2,12,37 und 2,14,40. 208 Ibid. 1,3,8; 1,8,21; 1,8,24. 209 Ibid. 1,8,24; vgl. 1,4,10: fumosae cupiditates. 210 Ibid. 1,8,21. 211 Conf. 9,2,2: et placuit mihi in conspectu tuo non tumultuose abripere sed leniter subtrahere ministerium linguae meae nundinis loquacitatis, ne ulterius pueri meditantes non legem tuam, non pacem tuam, sed insanias mendaces et bella forensia, mercarentur ex ore meo arma furori suo. 212 Ibid. 9,2,4; vgl. 6,6,9 f. 213 Vgl. ord. 1,8,23. 214 Auch in den confessiones werden körperliche Begierde und Lust mehrfach mit der SchmutzMetaphorik belegt: conf. 6,16,26: aderat iam iamque dextera tua raptura me de c a e n o et ablutura, et ignorabam. nec me revocabat a profundiore v o l u p t a t u m c a r n a l i u m gurgite nisi metus mortis et futuri iudicii tui, qui per varias quidem opiniones numquam tamen recessit de pectore meo. Siehe auch conf. 206
5. Die Bekehrung des Licentius: Eine Spiegelung der augustinischen Konversion?
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Fällen wird die Wirkung als dieselbe hingestellt: Körperbezogene Begierden, gepaart mit Eitelkeit und Ruhmsucht, seien jeweils die entscheidenden Hindernisse auf dem Weg zur Philosophie.215 Der Beschreibung der seelisch-geistigen Befindlichkeit des Licentius, die mit der bekannten Ausgangssituation des Augustinus zur Zeit seiner Mailänder Rhetorikprofessur unter gewissen Gesichtspunkten vergleichbar ist, folgen innerhalb der Akoluthie der Bekehrungsschilderung in De ordine einige merkwürdige Andeutungen. Augustinus hatte Licentius in einem scharfen Ton dazu ermahnt, seine Leidenschaft für die Dichtkunst zu mäßigen (1,3,8), woraufhin dieser unter Verwendung eines Terenzzitats (Eun. 1024: Egomet meo indicio quasi sorex hodie perii216), dessen Sinn in einem subtilen lusus verborum in sein Gegenteil gekehrt wird (§ 9, Z. 52 f: ego forte hodie inveniar / „vielleicht werde ich heute wiedergefunden“), seine eigene Bekehrung gewissermaßen ankündigt. In einer sprachlich wie gedanklich höchst artifiziellen Konstruktion heißt es bei ihm: „Wenn ich also diese Maus oder, genauer gesagt, diese Spitzmaus, die dir verriet, daß ich wach war, durch mein Geräusch ermahnt habe, wenn sie klug ist, in ihr Nest zurückzuhuschen und bei sich selbst Ruhe zu suchen, warum sollte ich selbst nicht durch das Geräusch deiner Stimme eindringlicher dazu aufgefordert werden, zu philosophieren als Verse zu deklamieren?“217 Die gesamte Diktion dieses Abschnitts ist vom elaborierten Stil des klassischen Kunstdialogs geprägt. Offensichtlich ist, dass Augustin hier weniger einen historischen Tatsachenbericht liefern will, als vielmehr auf der literarisch-werkimmanenten Ebene die Aufmerksamkeit des Lesers auf die kommende Entwicklung seines Schützlings lenken will. Einen zweiten Hinweis auf die unmittelbar bevorstehende Bekehrung des Licentius erhält der Leser aus dem Munde des Augustinus selbst. In ord. 1,5,13 prognostiziert dieser, Licentius werde nach seiner festen Überzeugung „irgendwann“ zum Künder (vates) des höchsten Gottes werden; und vermutlich liege dieses „irgendwann“ in nicht allzu ferner Zukunft: neque hoc ‚aliquando‘ forsitan longum est. – Die beiden Prophezeiungen sind für das Gesamtverständnis der Bekehrungsschilderung von ausschlaggebender Bedeutung. Hält man die Konversion des Augustinschülers nicht insgesamt für unhistorisch und literarisch-fiktiv bzw. dem Wunschdenken Augustins entsprungen,218 so wird man zumindest die 6,11,18; 8,11,26. – Dass sein seelischer Zustand vor der „Bekehrung“ von der Gier nach der Körperlichkeit, von weltlichen Begehrlichkeiten und fleischlichen Lüsten geprägt gewesen sei, akzentuiert Augustin in der Retrospektive sehr häufig: siehe z. B. conf. 6,6,9; 6,11,18; 6,11,20; 6,12,22; 6,16,26; 8,5,10; 8,5,12; 8,6,13; 8,7,17. 215 Vgl. ord. 1,3,8; 1,8,21; 1,8,24; dazu etwa conf. 6,11,18 u. ö. 216 Der Originalvers erscheint im Munde des augustinischen Schülers leicht verändert; siehe dazu supra zu 1,3,9, Z. 50/52. 217 Übers. Mühlenberg; a. a. O. 218 Jedenfalls war dessen Zuwendung zum Christentum nicht nachhaltig. Vgl. Paulinus bei Aug., epist. 32,3 (geschrieben im Winter 395/96): Utinam haec nunc Domini tuba, qua per Augustinum intonat, filii nostri Licentii pulset auditus, sed ut illa audiat aure, qua Christus ingreditur, de qua non rapit Dei semen inimicus! Tunc vere sibi summus Christi pontifex Augustinus videbitur, quia se tunc et exauditum sentiet ab excelso, si quem tibi dignum genuit in litteris, hunc et sibi digne filium pariat in
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III. Ergebnisse
beiden Ankündigungen in dieser Form für eine vaticinatio ex eventu ansehen müssen. In jedem Fall wird ein unvoreingenommener Betrachter wohl eingestehen, dass Augustin die seltsame Wandlung seines eifrigen Studenten einer gewissen Stilisierung unterzogen hat. Denn auch in den confessiones – dies sei hier nur angedeutet – spielen die Bekehrungsankündigungen eine wichtige dramaturgische Rolle. Bekannt sind neben den vielen anderen Hinweisen vor allem der Traum der Mutter Monnica (vgl. 3,11,19) sowie das an sie gerichtete bischöfliche Wort (3,12,21): „Unmöglich geht ein Sohn so vieler Tränen verloren.“219 Eine weitere bemerkenswerte Parallele zur vita Augustini muss erwähnt werden: In Rom und wohl auch noch in Mailand durchlebte Augustin seine sog. skeptische Phase. Durch die Dialoge Ciceros inspiriert neigte er zeitweise der Auffassung zu, die Philosophie der „Akademiker“ sei allen anderen philosophischen Richtungen vorzuziehen. Gegen jeden Dogmatismus hätten diese – so Augustin rückblickend – den erkenntnistheoretischen Grundsatz vertreten, dass vom Menschen nichts Wahres erfasst werden könne.220 Der methodische Zweifel, d. h. die Enthaltung ( ) von jeglicher Art des sicheren Urteils, galt ihm damals als die einzige Art legitimen Philosophierens. Später habe er sich von dieser Auffassung gelöst. Der Cassiciacum-Dialog Contra Academicos spiegelt gewissermaßen zeitverzögert diese Lebensphase wider: Es ist der Aufweis unumstößlicher, in sich selbst evidenter und gleichsam axiomatischer Wahrheiten mathematischer und dialektischer Art, welcher dem radikalen Skeptizismus schließlich die Spitze nehmen konnte und Augustin offenbar veranlasste, sich wieder den „positiven“ Philosophen zuzuwenden.221 – Interessant ist nun, dass Licentius in den Cassiciacum-Dialogen – zumindest auf literarischer Ebene – dieselbe Phase durchlebt. Während er in dem erwähnten Dialog Contra Academicos noch die Position des Skeptizismus vertritt, löst er sich im Verlauf des Gesprächs über die Weltordnung von dieser seiner Auffassung, sodass Trygetius fröhlich ausrufen kann: „Wir haben bereits … einen Licentius, der kein Akademiker mehr ist! Pflegte er diese doch mit größtem Eifer zu verteidigen.“222 Licentius seinerseits bekennt, dass ihn weder die Dichtkunst noch der „listige und verfängliche“ Skeptizismus von der Philosophie und Christo. Nam et nunc, velim credas, flagrantissima de ipso nobis sollicitudine scripsit. Credimus in omnipotente Christo, quod adolescentis nostri votis carnalibus spiritalia vota Augustini praevaleant. Licentius hat sich nach seinem Cassiciacum-Aufenthalt offenbar einer weltlichen Karriere zugewandt; siehe epist. 32,5 Ende (an Licentius selbst gerichtet): Vive, precor, sed vive Deo: nam vivere mundo mortis opus; viva est vivere vita Deo. – Zu den lückenhaften biographischen Daten des Augustinschülers siehe auch supra unter 1,2,5, Z. 22 (s. v. „Licentius“). 219 … vade, inquit, a me. ita vivas: fieri non potest, ut filius istarum lacrimarum pereat. 220 Siehe conf. 5,10,19: etenim suborta est etiam mihi cogitatio, prudentiores illos ceteris fuisse philosophos quos academicos appellant, quod de omnibus dubitandum esse censuerant nec aliquid veri ab homine comprehendi posse decreverant. Vgl. 5,14,25: itaque academicorum more, sicut existimantur, dubitans de omnibus atque inter omnia fluctuans, manichaeos quidem relinquendos esse decrevi, non arbitrans eo ipso tempore dubitationis meae in illa secta mihi permanendum esse. 221 Vgl. conf. 5,14,25. 222 Siehe ord. 1,4,10: Habemus … iam … Licentium non Academicum. Eos enim ille studiosissime defendere solebat.
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einer sich in ihr ankündigenden göttlichen Macht abbringen kann. Augustin hält dies für einen überaus wichtigen Schritt und es erfüllt ihn eine so große und unbändige Freude, wie er sie nicht zu erhoffen gewagt hätte.223 Bekannt ist auch, dass eine der Vorstufen der augustinischen Wendung zum Christentum darin bestand, dass er sich konsequent von der Astrologie abwandte. Obwohl der „kluge Greis“ Vindicianus wie auch sein junger Freund Nebridius ihn wiederholt von diesem Aberglauben abbringen wollten, habe er ihnen lange und hartnäckig widerstanden. In der Rückschau schreibt er es allein Gott zu, ihn endlich von den „trügerischen Weissagungen und gottlosen Albernheiten der Astrologen“ (mathematicorum fallaces divinationes et impia deliramenta) dadurch befreit zu haben,224 dass er ihm gleichsam als Boten und Retter den Firminus schickte.225 – Was in der Biographie des Augustinus eine längere Zeit beanspruchte, erscheint in der analog geschilderten Entwicklung seines Schülers in einer zeitlich komprimierten Fassung. Nachdem Licentius zunächst den Zufall (casus) aus dem Weltgeschehen verbannt hat und nunmehr von der wunderbaren göttlichen Ordnung des Seins (ordo rerum) überzeugt und geradezu ergriffen ist, neigt er schließlich dazu, den Bogen zu überspannen und sich in gefährlicher Art und Weise einem unreflektierten Determinismus zu nähern.226 Sein Lehrer weist ihn daraufhin kurz, aber unmissverständlich zurecht: „Offensichtlich weißt du nicht, junger Mann, wie viel und von was für Männern gegen das Weissagen gesagt worden ist.“227 Der Abschluss der Bekehrung des Licentius wird in ord. 1,8,21 geschildert. Er fällt zeitlich mit den letzten Minuten der Nacht und dem unmittelbar folgenden Tagesanbruch (1,8,22) zusammen. Die Symbolik ist mit den Händen greifbar, zumal Licentius selbst in seinen entscheidenden Sätzen von der Lichtmetaphorik – mit erkennbarem Anklang an die Illuminationstheorie – Gebrauch macht: „Ich bin an jenen Dichtungen plötzlich nicht mehr so sehr interessiert. Etwas Geheimnisvolles ist mir in einem anderen, ganz anderen Lichte nun aufgeleuchtet. Schöner ist die Philosophie, ich bekenne es, als Thisbe, als Pyramus, als jene Venus und Cupido und alle Liebesgeschichten dieser Art.“228 Mit einem Seufzer der Erleichterung spricht er ein Dankgebet an Christus (cum suspirio gratias Christo agebat) und besiegelt so gewissermaßen seine Wandlung. Augustinus selbst gibt zu, dass er sich geradezu unmäßig gefreut habe (inmodice gaudebam), und vertieft sich in ein langes, tränenreiches Gebet. Unwillkürlich ist man an die Reaktion der Monnica bei Augustins Bekehrung, unmittelbar nach der Schilderung der 223
Ebd. Siehe conf. 7,6,8. 225 Vgl. conf. 7,6,8–10. 226 Vgl. ord. 1,5,14. 227 Ord. 1,6,15: Apparet te … nescire, adulescens, quam multa et a qualibus viris contra divinationem dicta sint. 228 Ord. 1,8,21: pigrior sum ad illa metra subito effectus; alia, longe alia nescio quid mihi nunc luce resplenduit. Pulchrior est philosophia, fateor, quam Thisbe, quam Pyramus, quam illa Venus et Cupido talesque omnimodi amores. 224
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III. Ergebnisse
Gartenszene, erinnert: Die Mutter, die so lange weinen musste, freut sich nun, jubelt und triumphiert (gaudet … exultat et triumphat) und fällt sogleich in den Lobpreis Gottes ein (… et benedicebat tibi).229 Neben mehreren identischen „Stationen“ auf dem Weg zum endgültigen Durchbruch der Bekehrung lassen sich auch einige kleinere Einzelzüge ausfindig machen, welche den beiden Bekehrungsschilderungen in ord. und conf. einen sehr ähnlichen Gesamteindruck verleihen. Sprachlich wird in beiden Fällen starker Gebrauch von der Metaphorik des „Verlierens“ und „Wiederfindens“ gemacht.230 Dies ist auch von inhaltlicher Bedeutung, denn der Akt der Konversion wird geradezu definiert als ein „Zu-sich-selbst-Finden“: quid est aliud converti nisi … in sese attolli?231 Ein anderes Bild deutet den Bekehrungsweg jeweils als einen „Weg zur Schönheit“, nämlich der Schönheit der Wahrheit232 und Tugend233, d. h. derjenigen Schönheit, welche im Geiste neuplatonischer Doktrin mit Gott selbst, im biblischen Sinne mit dem Antlitz Gottes (facies dei) gleichgesetzt werden kann.234 Von der ausgeprägten Lichtmetaphorik in ord. im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Bekehrung des Licentius wurde bereits gesprochen;235 in conf. ist die Verwendung des „Licht-Finsternis“-Dualismus zur Illustration der augustinischen Wandlung nahezu durchgehendes Motiv.236 Eine weitere Eigentümlichkeit besteht darin, dass Augustin in seiner Schilderung den jeweiligen Neubekehrten zum „Sohn“ einer bereits bekehrten Person werden lässt. Wie Augustin erst nach seinem Gartenerlebnis zum vollwertigen geistlichen Sohn seiner Mutter Monnica wird,237 begibt sich auch Licentius mit seiner Entscheidung für das Christentum in ein neuartiges „Sohn-Verhältnis“ zu seinem Lehrer.238 Abschließend lässt sich feststellen: Die Bekehrung des Licentius und des Augustinus ist als ein Gesamtprozess zu begreifen, dessen ersten Anfang man in beiden Fällen mit der Lektüre des ciceronischen Hortensius (Lic.: c. acad. 1,1,4;239 Aug.: 229
Conf. 8,12,30. Vgl. die Deutung der Begegnung mit der Spitzmaus in ord. 1,3,9: … illud ultimum fortasse in contrarium vertetur; quod enim ait ille: hodie p e r i i , ego forte hodie i n v e n i a r. In den „Bekenntnissen“ werden die neutestamentlichen Gleichnisse von dem verlorenen Schaf, der verlorenen Münze und des verlorenen Sohnes zur Illustration herangezogen. Siehe conf. 8,3,6–8. 231 Ord. 1,8,23, Z. 30 f; vgl. etwa conf. 7,10,16: … admonitus redire ad memet ipsum … 232 Ord. 1,8,23 (unmittelbar nach der Bekehrungsdefinition): Quidve aliud est dei facies, quam ipsa cui suspiramus et cui nos amatae mundos pulchrosque reddimus, veritas? Dazu ord. 2,19,51. 233 Conf. 6,16,26. 234 Vgl. die Psalmodie des Licentius (ord. 1,8,22; in Anlehnung an Psalm 79,8): Deus virtutum, converte nos et ostende faciem tuam, et salvi erimus. 235 Ord. 1,8,21 f; vgl. 1,8,23, Z. 28–30: A quibus enim rebus putas nos orare ut c o n v e r t a m u r ad deum … nisi a … t e n e b r i s, quibus nos error involvit? 236 Vgl. conf. 6,10,17; 6,16,26; 7,3,5; 7,10,16; 9,2,3; 7,1,2: … sed nondum inluminaveras tenebras meas; u. ö. 237 Vgl. z. B. conf. 6,1,1; 9,1,1. 238 Ord. 1,6,16: …. cum … me ipsum non caperem gaudio, quod videbam adulescentem, carissimi amici f i l i u m , etiam m e u m fieri. 239 … praesertim cum Hortensius liber Ciceronis iam eos [sc. Licentium et Trygetium] ex magna parte conciliasse philosophiae videretur. 230
5. Die Bekehrung des Licentius: Eine Spiegelung der augustinischen Konversion?
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conf. 3,4,7 f) ansetzen kann und der in sehr ähnlicher Form seinen Abschluss darin findet, dass eine eigentümliche Synthese aus platonischer Philosophie und zeitgenössischem Christentum (Lic.: ord. 1,8,21; Aug.: conf., passim) als persönlich verbindlich anerkannt wird. Dazwischen liegen mehrere identische „Stationen“ der inneren Entwicklung (Abwendung von der akademischen Skepsis, relativierende Neubewertung der „Schulweisheiten“, Verachtung der Astrologie, Besiegen der Leidenschaften und Begierden), welche durch nicht wenige Einzelzüge in der sprachlichen Ausgestaltung (Lichtmetaphorik, übertragene Rede vom „Verlieren“ und „Wiederfinden“, von der „Schönheit“ als Ziel, von der geistlichen „Sohnschaft“) sowie des dramaturgische Aufbaus (Prophezeiungen, unterstützendes Gebet, Schilderung von Freude und Tränen, etc.) illustriert werden und den beiden Konversionserlebnissen insgesamt ein sehr ähnliches Kolorit verleihen. Da unfraglich beide Schilderungen einer gewissen Stilisierung seitens des Autors unterliegen, kann man die Bekehrung des Licentius in De ordine einerseits als Abbild und adaptierte Fassung der historischen Wandlung des Augustinus selbst deuten, andererseits aber auch – unter gewissen Gesichtspunkten – als den frühen literarischen „Prototyp“ der späteren, so berühmten Darstellung in den confessiones. Vor allem jedoch kann am Vergleich beider Versionen studiert werden, was Augustin grundsätzlich unter „Bekehrung“ (conversio) versteht.
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Stellenregister Aelianus Varia historia 1,11
90
Ambrosius De bono mortis 19 f
142
De Isaac et anima 8,78 f 364 De Noe et arca 7,23
370
Hexaemeron 1,1,3 5,24
346 145
Hymni 2,32
368
Anonymus (Ps.-Longinus) De sublimitate 43,5
214
346
De mundo 391a
78, 159
De philosophia frg. 12 b
145
De sensu et sensibilibus 1,437 a 5 306 Ethika Nikomacheia 9f 48 Sophistikoi elenchoi 171 b 22–172 a 2 163, 258 Topica 100 b 21 ff
123
Arnobius Adversus nationes (gentes) 2,58 346 Athanasius Epistulae ad Serapion 1,19 117
Apuleius De Platone et eius dogmate 17, 370 1,3 1,6 351 1,13 146, 214 2,11 197 2,22 197 Aristoteles De anima 1,3 1,414 ff 3,8,431 b 22 f
De caelo 2,1
Expositio fidei 80,2
117
Orationes contra Arianos 1,19 117 2,27 117 Athenagoras
242 335 351
Legatio pro Christianis 10 117
442
Stellenregister
Augustinus Confessiones 1,2,2–4,4 1,2,2–3,3 1,4,4 1,10,16 1,13,20–14,23 1,13,22 1,14,23 1,17,27 1,18,29 2,3,8 2,4,9 3,3,6 3,4,7 f 3,4,8 3,5,9 3,6,10 3,7,12 f 4,2,3 4,3,5 4,10,15 4,13,20–15,27 4,13,20–15,24 4,13,20 4,14,21–23 4,14,23 4,15,24 4,15,26 4,16,28 4,16,30 4,16,31 5,2,2 5,3,3–4,7 5,3,3–6 5,3,3 5,3,5 5,5,8 5,8,14 5,8,15 5,10,18 5,10,19 5,10,20 5,12,22 5,13,23 5,14,25 6,1,1 f
246, 248 111, 340 341 163 150 313, 316 344 316 344 328 267 386 2, 93, 113, 275, 415 2, 158, 170, 228 172 93, 149, 362 45 280, 386 386 134 108, 120 60 272, 384 387 369 272 348 243 3, 220, 369 96, 348 246 238 2, 331 105, 333 96, 348 238 387 113 39 3, 93, 237, 412 25, 236, 348, 391 96 387 393, 158, 283, 411 253
6,1,1 6,2,2 6,3,3 f 6,3,3 6,4,5 6,4,6 6,6,9 f 6,6,9 6,6,10 6,7,11–12,21 6,7,11–8,13 6,7,11 6,7,12 6,8,13 6,10,16 6,10,17–11,18 6,10,17 6,11,18 f 6,11,18 6,11,20 6,12,21 6,12,22 6,14,24 6,16,26 7,1,2 7,6,8 ff 7,6,8–10 7,6,8 7,9,13 ff 7,9,13–15 7,9,13 7,9,14 7,10,16 7,17,23 7,18,24 7,19,25 7,21,27 8 8,1,1 ff 8,1,2 8,2,3–5 8,2,3 8,2,4 8,2,5 8,3,6–8 8,5,10 8,5,12
414 134 153 283, 362, 388 237 93, 265 161, 387, 410 288, 411 288 368 268 168, 177 147, 268 147, 204 204 170, 228, 351 152, 414 387 128, 230, 237, 389, 411 411 170, 228 411 81, 113, 152, 382 271, 410, 411, 414 237, 414 153 2, 332, 413 84, 153, 413 24 229 25, 54, 73, 167, 238, 397 235 90, 118, 414 96, 193, 288 193 236, 237 25, 229, 285 133 153 25 289 170, 229, 397 289 289 414 193, 411 411
443
Stellenregister
8,6,13 8,6,14 ff 8,6,14–12,30 8,6,14 f 8,6,14 8,6,15 8,7,17 8,8,19–12,30 8,10,22 8,10,24 8,11,26 8,11,27 8,12,28 8,12,29 8,12,30 9,1,1 9,2,2–5,13 9,2,2 9,2,3 9,2,4 9,3,5 f 9,3,5 9,3,6 9,4,7 9,4,8 9,3,5 9,4,10 9,4,12 9,5,13 9,6,14 9,7,15 f 9,7,15 9,6,16 9,8,17–9,22 9,8,17 9,9,19 9,10,23 ff 9,11,27 10,8,12–26,37 10,8,12 10,12,19 10,25,36 10,27,38 10,35,55 10,43,70
67, 68, 153, 316, 411 153 270 285 25 287, 389 2, 133, 275, 411 93 348 25 411 268 133 25, 93 414 141, 386, 414 83, 93 83, 159, 289, 410 66, 414 65, 67, 289, 410 68 153, 383 152, 386 6, 67, 168, 377, 378, 380, 383, 384 25, 64, 73, 382, 386 1, 2, 68, 93 386 162 25, 64, 65, 73, 109, 289, 389 1, 134, 225, 283, 382, 384 388 134, 158, 236 177 134, 343 80, 153, 253 193 321 71 193 197 335, 337 90 61 47, 140 51
11,30,48 12,6,6 12,8,8 12,29,40
364 137, 339 339 65
Contra Academicos 1,1,1 37, 39, 48, 50, 59, 91, 152, 153, 160, 177, 265, 272, 343, 365, 373 1,1,1–4 167 1,1,2 168 1,1,3 42, 48, 49, 65, 113, 127, 179, 336, 341, 349 1,1,4 2, 64, 69, 72, 83, 93, 100, 113, 118, 168, 377, 379, 384, 414 1,2,5–4,10 125 1,2,5 64, 68, 71, 7879, 81, 190, 382 1,2,5 f 87, 206 1,2,6 301 1,3,7 87, 112, 301, 372 1,3,8 f 87, 206 1,3,8 68, 81, 82, 163, 167 1,3,9 48, 112, 229, 279, 297, 301 1,4,11–5,15 125 1,4,11 245, 272, 289 1,5,14 112, 301 1,5,15 16, 69, 95, 149, 150, 155, 164, 206, 377 1,6,16–9,25 125 1,6,16 176 1,6,17 ff 204 1,7,19 331 1,7,20 156, 217, 254, 280 1,7,21 222 1,8,22 42, 331, 336 1,8,23 194 1,9,24 209, 258 2,1,1 37, 42, 91, 162, 171, 226, 228, 272, 287, 345 2,1,1 f 59 2,1,2 62, 153, 177, 288 2,2,3 113 2,2,4 221, 222 2,2,4 f 48, 50 2,2,5 90, 285
444 2,2,6 2,2,6–3,7 2,3,7
2,3,7 f 2,3,8
2,3,9
2,4,10
2,4,10–10,24 2,5,11 2,5,13 2,6,14 2,6,15 2,7,16 2,7,17 2,7,18 2,7,19 2,8,20 2,8,21 2,9,22 2,9,23 2,10,24 2,11,25 2,11,25–13,30 2,12,27 2,13,29 2,13,30 3,1,1–20,45 3,1,1 3,2,2 3,2,3 3,3,5 3,3,6 f 3,3,6 3,4,7 3,4,8 3,4,9 3,4,10 3,5,11
Stellenregister
140, 166, 231 59 60, 140, 149, 170, 171, 208, 222, 228, 229, 231, 364 228 48, 50, 59, 62, 87, 90, 131, 171, 177, 196, 220, 287, 349 2, 18, 104, 173, 198, 265, 278, 335, 336, 341, 355 16, 71, 73, 82, 83, 84, 88, 95, 114, 149, 150, 164, 176, 206 125 217, 218 243 176 163 112, 155, 184, 244, 247, 251 69, 155, 206, 358, 377 134, 204, 247 83, 93, 127, 181, 241 201, 203 112 154, 198, 334, 350, 377 247 187, 289 131, 164, 176, 245 125 112 69, 204, 377 247 125 71, 114, 130, 131, 144, 151, 176, 225 284 91, 272, 316 104 243 155, 244, 301 2, 71, 114, 343 151 144 209 82, 336
3,5,12 3,6,13 3,7,14 3,7,15 ff 3,7,15–20,43 3,7,15 3,6,16 3,8,17 3,9,18 3,9,20 3,9,21 3,10,22 3,10,23 3,11,24–12,28 3,11,24 3,11,25 3,11,26 3,12,27 3,19,29 3,14,30 3,14,31 3,15,33 3,15,34 3,16,35 3,17,37 ff 3,17,37 3,17,38 3,17,39 f 3,18,41 3,19,42
3,20,43
3,20,44 f 3,20,44 3,20,45
104 48, 49, 70 83 263 103 69, 187, 377 131 104 163 194, 351 104, 209 155, 159, 166 104, 346 288 187 265, 288, 327, 336, 360 288 104 218 163 2, 155, 197, 204, 209 155, 187, 214 155, 204, 341 89, 204 48 18, 171, 318, 334, 351, 369 178, 319, 334, 345 49, 335 23, 73, 379 42, 48, 90, 171, 178, 231, 237, 281, 282, 283, 289, 290, 309, 352 2, 5, 24, 63, 83, 100, 104, 126, 155, 158, 160, 172, 173, 198, 227, 228, 232, 267, 274, 276, 278, 280, 285 109 69, 248, 373, 377 155, 206, 244, 373, 379
Contra Cresconium 1,13,16 318 2,18,23 218, 318 2,23,28 318 4,7,9 123
Stellenregister
Contra epistulam fundamenti 4 171 Contra Faustum Manichaeum 11,2 123 13,5 123 20,7 117 20,23 287 21,6 117, 138 21,7 117 Contra Iulianum 4,12,61 243 Contra litteras Petiliani 3,16,19 318 De agone Christiano 117, 138 14,16 De beata vita 1,1 ff 1,1–5 1,1 1,2 1,3 1,4 f 1,4
1,5 1,6–2,16 1,6 f 1,6 2,7–9 2,7 2,8 2,9 2,10 2,11 2,12 2,13–16 2,13 2,14 2,15 2,16
153 37 37, 59, 62, 90, 91, 167, 171, 177, 228, 284 37, 131 65, 203, 372 59, 177 2, 23, 43, 61, 90, 150, 153, 167, 171, 224, 332, 345, 349, 398 37, 73, 91, 153, 167, 239, 284 125 71 72, 144, 151, 176, 225, 243, 245, 249, 268, 382 127 64, 78, 79, 191, 204, 334, 361 110, 194 91, 191 91, 105, 155, 177, 275 91, 127, 140 112 127 91, 140 91 69, 83, 91, 159, 377 91, 244
3,17–22 3,17 3,18 3,19 3,20 3,21 3,22 4,23–36 4,23–33 4,23 4,25 4,26–32 4,26 4,27 4,28 4,29 4,30–32 4,30 4,31 ff 4,31–35 4,31–33 4,31 4,32 4,34
445
4,36
125 127, 144, 151, 176, 243 43, 69, 377 105 127 186 127 125 396 127, 144, 151, 176, 245 16, 89, 173, 373 141 167, 368 105, 244, 258 104 206, 207 111 110 56, 263 103 56 212, 381 16, 57, 89, 368 57, 127, 159, 193, 249, 361 96, 137, 149, 364 5, 42, 49, 50, 57, 104, 105, 107, 109, 117, 118, 132, 194, 208, 221, 239, 249, 272, 336, 363, 364 127, 174, 226, 373
De civitate dei 1,36 2,21 2,29 3,4 5,11 5,13 6,2 8,1 f 8,1 8,2 8,4 8,7 8,8 8,10
174 362 174 73 84 61 73 170 170, 171, 228 170, 228, 351 18, 117, 267, 308, 370 189 193 176
4,34 f 4,35
446 9,4 9,23 10,10 10,16 10,23 10,29 10,32 11,4 11,18 11,22 11,23 11,24 11,25 11,28 12,4 12,19 12,27 15,7 18,54 19,3 19,13 19,21 19,23 20,1 21,6 22,24
Stellenregister
250 250 336 61, 149 235 171, 279, 296 180, 229, 296 347 121 102 347 118, 192, 364 138, 193, 300 117, 118 102 327 296 193 167 243 156, 210, 262 122, 243 109, 285 218 315 214
De consensu evangelistarum 1,22,30 73 De dialectica ~
20, 220, 318, 350, 389
De diversis quaestionibus 4 339 6,85 159 7 190 9 48 46 62, 171 54 187 64,2 192 81,1 336, 360 82 40 83,9 50 83,18 118 De doctrina Christiana 1,4 193, 300 1,5 118 2,9–11 321
2,27 2,42 2,43 2,58 2,56 2,60–63
20, 323, 329 315 18, 370 220 336, 360 220
De duabus animabus 10,13 123 De fide et symbolo 9,19 148 De genesi ad litteram 1,15,29,13 137, 339 3,12 250 4,3,7 117, 138, 148 5,22,43 117 De genesi ad litteram impf. lib. 3 232 10 354, 357 De genesi contra Manichaeos 1,12,18 354, 357 1,14 341 1,15,26 57, 117 1,16,26 42, 302 1,20,32 57, 117 1,21,32 46, 52, 120, 365, 396 1,25 f 396 1,43 50, 321 2,5,6 163 2,7,9 354 2,9,12 163 190 2,10 f 190 2,15 2,15,22 163 2,17,25 f 163 2,17,25 39 2,18 190 2,22 ff 297 De geometria ~
20, 350, 389
De gestis Pelagii 70,1
201
De grammatica ~
20, 350, 389
447
Stellenregister
De immortalitate animae 1 189, 238 2 265, 336, 360 6 49, 50, 107, 239 10 49, 291 14 357 14 f 292 17 50, 182, 189, 319 24 96, 292 25 149 De libero arbitrio 1,20 ff 1,80 1,96 1,118 2,17 2,20 2,25 ff 2,26 2,34 2,38 2,41 f 2,54 2,83 2,126 2,133–136 2,134 2,137 2,141 2,142 2,152 2,153 f 2,157–159 2,159 2,190 ff 2,203 3,35 3,60 3,70 3,96–99 3,96 f 3,100 ff 3,108 3,109 3,113 f 3,120 ff 3,129
214 104 104 174 338 91, 189 48, 197, 299 50 190 336 50 117 265, 327, 360 171, 228 360 336 194 194 193 339, 340 96 104 104 254 57 117, 138 138 182 214 120, 214 163 282 282 211 341 194
3,142 3,146 f 3,172 ff 3,226 3,234–236 3,241 3,267
194 396 297 84 354 104 174
De magistro 2,3 5,173 8,21 8,23 10,32 ff 11,37 11,38 12,40 13,41 13,42 13,43 14,46
358 123 96, 196, 220 218 263 338 50 50 334, 361 358 250 50, 171, 228, 248
De moribus 1,2,3 1,15,25 1,16,27 1,21,28 1,22,40 f 1,29,60 f 1,33,73–34,74 2,6,8 2,9,16 2,11,24
187 118 161 171 279, 297 123 256 354 123 327
De musica 1,2,2 1,11,19 ff 1,12,21 4,4,5 5,3,4 6,1,1 6,4,7 6,5,8 6,5,15 6,8,21 ff 6,9,23 6,10,26 6,12,34 6,12,35
326 335 57, 23, 233 187 325 283 163, 327 357 243 193 349 333 333 327, 360
448 6,12,36 6,13,40 6,14,47 6,15,50 6,17,56–59 6,17,56–58 6,17,56
Stellenregister
6,17,57 6,17,58
327 163 333 222 149 182 57, 117, 118, 138, 233 57, 117, 306, 354 46, 57, 138, 233, 333
De natura boni 3 33
117, 138 280
De philosophia ~
20, 350, 389
De quantitate animae 12 100, 126, 160, 227, 228, 275, 283 13 265 24 319 25 196, 220 27 373 29 189 34 49, 50, 107, 239 41 299 47 187 51 187 291 53 54 ff 50 55 48 65 218 69 292 70 ff 263 70–76 321 72 196 75 f 267 76 161, 173, 328 77 118, 161, 233 80 f 297 81 96, 117 De rhetorica ~
350, 389
De sermone domini in monte 1,10 321
De trinitate 4,7,11 6,10,11 6,10,12 7,3,6 7,4 ff 7,6 9,6,9 10,7,9 10,12,119 11,1 12,14,23 12,23 13,9,12 13,19,24 14,1 14,1,1 14,1,2 14,12 15,5 15,7,11 15,12,21 15,21 15,28,51
148 138 117 118 341 348 122 334, 361 174 207 171 207 171 161 278 161 104, 170 254 299 295 174 380 338
De utilitate credendi 2,4 364 6 107 7,16 123, 171, 228 7,19 123, 171, 234, 274, 276 8,20 113 12,27 104 14,31 123 15,33 282 18,36 373 De vera religione 8–24 8–19 11 f 13 23 26 32 40 41 62 64 ff 64
62, 228, 229, 264, 290 287 287 117 24, 229 170, 228, 351 282 138 57, 138 292 49 356
449
Stellenregister
65 67 68 72 f 78–80 81 94 96 f 97 101 110 112 113 114–188 114–118 115 116 f 119–121 121 122 ff 122–129 122–124 122 f 122 123 126 ff 128 129 133–135 142 143 144–146 144 147–157 149 151 158 162 165–170 168 f 169 171–175 177 179–184 179–182 179 182–184 182 f
138, 161 364 118 49 214 117, 161 118, 182 49, 339 339 50 50 49, 293 49 45 120 301 396 211 214 100 274, 276 160, 227 126 228 274, 275 234 171, 234 275 321 47 331 358 357 42, 184, 266 42, 303 302 364 187 146 301 182 288, 294 47 50 49 50 322 362
182 185–187 186 202 f 202 204–206 208–215 211 213–215 213 215 216 217 218 224–233 224 227 228–233 228 232 f 232 233 301 308–313 308 310 311 312 f 312 313
90, 198, 321 364 159 50, 77 48, 198, 293 91 47, 146 301 211 396 396 47 42, 302 243, 354 221 301 327 42, 146 357 56, 182, 221, 361 57, 173, 254 96, 364 362 149 161 57, 96, 364 148 118 57, 138, 233 118
Enarrationes in Psalmos 85,12 341 103 61 119,2 321 136,9 287 148,10 225 Epistulae 2
3–14 3 3,1 3,2 3,4 4,2
36, 49, 63, 80, 128, 129, 130, 149, 189, 286 51 326 104, 353 333 190, 191, 302, 334, 361 161, 182
450 5 6,1 7,2 7,5 7,7 8,2 11 11,2 11,3 11,4 14,4 15–17 15,2 18 21 24,6 26 26,2 26,4 27 27,4 f 27,4 27,5 32 32,3 32,3–5 32,5 39 39,1 55 79,12 92,30 f 94,45 95,64 101,2 102,5 102,20 117 120,3 121,23 124,1 137,3,12 143,11 147,7 162,2 164,16 193,13 155,12 f
Stellenregister
112 397 49, 50, 107, 239 297 292 353 148, 266 43 138 45, 121, 282 364 113 222 184, 340 220 72 37, 72, 86 72 72 72 113 112 70, 71 72, 113 411 72 412 220 351 220 51 351 309 370 229, 315 354 280 129 278 357 225 335 123 299 380 65 103 254
166,9,27 232,5 259,3
279 118 113
In epistulam Iohannis 7,8 256 Psalmus contra partem Donati ~ 86, 256, 131 Quaestiones XVI in Mattheum 17 138 Retractationes 1,1,1 1,1,2 1,1,4 1,2,1 1,2,2 1,3,1 1,3,2 ff 1,3,2 1,3,3 1,3,4 1,3,5 1,3,6 1,3,8 1,3,9 1,4,1 1,4,4 1,5,1 1,5,4 1,6 1,6,6 1,9,1 1,10,4 1,12,1 1,14,3 1,16,1 1,20
6, 83, 168 6, 167, 168, 284, 388 6, 67 82, 90, 168, 177 6, 153, 167 12, 13, 82, 127, 168, 183, 220, 346, 392 79 6 6, 17 51, 139, 160, 220 86, 142 86 172 367 164 6, 235 389 292 20, 350, 389 220 380 292 236 189 149 86, 131
Sermones 1,1,13 182,2,2 240,4,4 243,8,7 250,3
61 250 335, 361 138 364
Soliloquia 1,1,1–6
105
451
Stellenregister
1,1,1 1,1,2 ff 1,1,2–6 1,1,2 f 1,1,2 1,1,3 1,1,4 1,1,5 1,1,6 1,2,7 1,3,8 f 1,3,8 1,4,9 1,4,10 1,5,11 1,6,12 ff 1,6,12 1,7,13 1,7,14 1,8,15 1,9,16 1,10,17 1,11,19 1,12,21 1,13,22 1,13,23 1,14,24 1,14,25 1,14,26 1,15,27 2,1,1–12,23 2,1,1 2,2,2 2,3,3 ff 2,3,3 f 2,3,3 2,5,7 2,6,9 2,6,12 2,7,14 2,11,19–21 2,11,19 2,11,20 2,11,21
154 162 162, 365 161 96, 182, 226, 349, 390, 396 48, 193, 197, 239, 267, 272, 366 235 49, 272 48, 254, 280 3, 47, 152, 198, 264, 292, 350, 386 189 48, 49 24, 104, 265, 397 265 43, 263 364 48, 207, 291, 343 207, 291 60, 272 42, 57, 336 173 60, 268, 364 284 74, 191, 285 170, 171, 228 160, 171, 173, 196, 208, 220, 364 48, 222, 279, 297 42, 149, 208, 343, 364 134 187, 341, 350 239 3, 106, 162, 238, 365 181 334 190 48, 49 181 48, 50, 90, 132 288 105 318 313 316, 317 318
2,13,24 2,14,26 2,15,27–19,33 2,15,27 2,15,28 2,20,34 2,20,35
361 129, 173, 197 239 318, 350 390 193 49, 50, 134, 196, 220, 239, 328
Ausonius Opuscula 347,12
90
Cassiodorus Institutiones 2,3,2 2,6,1
19 330
Chrysippus SVF I 3,6,9–11 46 SVF II 154,29 f 123 Cicero Academica 1,4 1,7 1,16 1,29 1,42 1,44 2,9 2,16 2,21 f 2,21 2,30 2,34 2,44 2,60 2,63 2,65 2,66 2,87 2,112 2,115 2,118 2,120
348 337 352 161 328 128, 174 245 204 357 295, 328 286, 362 207 312, 329 227 258 163 104, 264 347 203 197 346 347
452
Stellenregister
2,121 2,124 2,127 2,137 2,147
347 335 223 155 128, 174, 217, 218
Brutus 129 152 219 253 f 274
258 23, 317 23, 154, 198 369 44
Catilinariae orationes 255 1,1,3 1,8,21 255 1,9,23 255, 256 1,11,27 255 2,1,1 255, 256 2,25 254 3,1,3 255 4,7,16 351 Cato maior de senectute 5 224 26 286 39 201 210 42 46 289 51 344 59 56 71 270 75 348 77 210, 279, 283 78 22, 286, 291, 306 80 287, 305 82 334 De divinatione 1,2 1,7 1,12 1,15 1,25 1,26 1,35 1,41 1,85 1,99 1,111
108 174 344 344 205 135 99 134 96 79, 90 278, 293
1,114 1,125 1,127 1,129 2,8 2,11 2,18 2,33 2,34 2,59 2,81 2,83 2,87 2,94 2,110 2,139 2,150
222 21, 112 112 305 245 217 111 45 123 79, 90 54 292 108 344 96 344 204
De fato 2 6 7 11 20 ff 20 f 20 37
251 344 209 344 100 112 112 111
De finibus 1,19 1,26 1,43 1,50 2,1 2,3–4 2,15 2,18 2,20 2,28 2,34 2,38 2,45 2,70 2,88 2,91 2,117 2,119 3,1 3,29
100 196 221 344 103 250 128, 174 319 185 203 272 187 292 368 22, 194 300 362 206, 373 204 223
453
Stellenregister
3,41 3,48 3,54 4,1 4,2 4,11 4,14 4,15–18 4,26 4,27 4,35 4,37 4,57 4,64 4,68 4,72 4,80 5,6 5,11 5,18 5,24 5,26 5,34 5,40 5,43 5,46 5,49 5,55 5,60 5,65 5,67 5,73 5,85 5,87 5,89 5,96
187 160, 161, 343 344 373 128, 174 199 272 62 272 272 22, 290 372 187 343 203 250 174, 373 240 342 62, 130 272 272 191 362 62, 130, 224, 292 312, 329 240, 316, 322 278 344 22, 122, 252 22, 122, 252 223 289 17, 370 348 369
De haruspicum responso 9,19 35 De inventione 1,2 1,34 1,45 2,160
362 343 209, 260 122, 252
De legibus 1,13 1,23
295 266
1,33 1,47 1,58 1,59 1,60 2,10 2,11 2,22 2,38 2,6 2,8 2,10 3,14 3,34
130 141 170 221, 351 214 329 199 323 323 369 210, 344 210 369 205
De natura deorum 1,1 1,4 1,5 1,6 1,9 1,10 1,11 1,16 1,17 1,19 1,20 1,36 1,40 1,47 1,49 1,55 1,59 1,104 1,122 2,3 2,4 2,18 2,32 2,39–58 2,43 2,44 2,48 2,51 2,54 2,56 2,57 2,58
37, 174 347 348 204 112 227 329 187 251 197, 210, 347 346 266 22, 210 347 344 112 205 22, 290 344 187 123, 185, 331, 333 359 22, 290 360 41, 148 348 210 332 332 41, 210, 360 44 99
454
Stellenregister
2,75 2,79 2,85 2,90 2,97 f 2,97 2,119 2,121 2,129 2,133 2,140 2,141 2,145 f 2,146 2,147 2,149 2,167 2,168 3,1 3,5 3,7 3,16 3,28 3,38 3,58 3,69 3,86 3,90 3,94 3,95
21, 156 267 42 145, 210, 332 185 185, 186 46 347 357 347 288, 311 214 323 323 291 358 21, 38, 145 348 196 348 348 210 123 22, 122, 252, 255 305 22, 290 21, 38, 145 21, 38, 145 348, 373 261
De officiis 1,11 1,13 1,14 1,17 1,18 1,50 1,56 1,61 1,72 1,98 1,101 1,102 1,118 1,119 1,126 1,127
22, 292, 297 338 210 210, 361 344 311 18 223 223 22, 210, 301 344 193 362 293 213, 214 347
1,131 f 1,144 1,145 f 1,145 1,146 1,150 f 1,153 1,154 1,156 2,5 2,37 3,23 3,67 3,69 3,100 3,101
275 271 362 323 372 213 267, 342 342 355 170, 351 362 266 368 231 223 163
De oratore 1,3 1,4 f 1,15 f 1,16 1,18 1,23 1,32 1,39 1,43 1,47 1,70 1,113 1,127 1,134 1,160 1,178 1,187 1,194 1,204 1,242 1,259 2,7 2,12 2,14 2,30 2,59 2,65 2,74 2,109 2,154
372 54 54 36 23, 154, 198 278 201 368 209 163, 187 216 22, 290 23, 154 195 156 368 332 283 277, 285 205 304 348 201, 258 251 244 258 343 258 258 372
2,162 2,212 2,222 2,227 2,229 2,232 2,271 2,340 2,346 3,18 3,21 3,37 3,38 3,46 3,50 3,53 3,80 3,93 3,99 3,100 3,101 3,103 3,107 f 3,115 3,118 3,143 3,163 3,171 3,177 3,203
220 216 302 216 244 156 216 185 185 245 310 271 308 244 217 271 372 343 216 216 216 270, 343 204 328 343 156 210, 372 44 304 23, 217
De provinciis consularibus 24 289 De re publica 1,2 1,3 1,7 1,10 f 1,11 1,16 1,17 1,18 1,19 1,22 1,28 1,34 1,38 1,45
309 54 373 373 22, 372 17, 346, 370 251 251 251 332 223 258 250, 258 284
Stellenregister
455
1,56 1,60 2,4 2,21 2,37 2,64 2,69 2,70 3,3
348 22, 196 258 278 130 156 323, 362 174 22, 309, 310, 327, 358, 360 159, 358 187 22, 148, 210, 267 22, 196, 199, 339 362 134 22, 222, 279 159 177 78 222, 344
3,4 3,8 3,33 3,37 6,1 6,9 6,14 6,16 6,18 6,19 ff 6,29
Epistulae ad Atticum 1,6,1 56 1,13,1 166 201 3,18,2 80 7,7,7 12,32,2 135 13,23,3 201 16,11,1 201 16,16C,10 201 Epistulae ad familiares 7,23,2 271 7,30,1 223 7,30,2 38 11,12,1 285 16,8,2 127 Epistulae ad Quintum fratrem 1,1,21 166 1,1,27 201 1,1,29 372 Hortensius fr. 48 fr. 76 fr. 93 fr. 111
169 368 170 54
456 In C. Verrem 2,2,118 2,3,121
Stellenregister
173 135
In Lucium Calp. Pisonem 16 255 In Publium Vatinium 15 359 Laelius de amicitia 8 14 25 34 79 91 92 100
201 222, 279 204 201 293 201 18, 355 372
Orationes Philippicae 2,58 223 7,15 214 10,19 359 12,3 224 12,5 224 12,7 241 Orator 9f 10 12 16 26 37 38 42 58 70 112 116 139 142 149 150 159 183 177 208 219
364 337 343 23, 317 317 220 304 220, 278 304 324 344 250 343 337 44 323 304 317 306 304 362
237 367
304 174
Paradoxa Stoicorum 40 362 Partitiones oratoriae 15 366 54 271 79 319 Pro Aulo Caecina 95 289 Pro Gaio Rabirio Postumo 25 372 Pro Lucio Murena 30 49 62 84 87
258 155 286 370 256
Pro Lucio Valerio Flacco 7,17 169 Pro Marco Tullio 49 155 Pro Publio Sestio 81 135 Pro Quinto Roscio comoedo 22 156 Pro Tito Annio Milone 10 286 Timaeus 6 17 27 36 51
44, 347, 348 347 287 185 170
Tusculanae disputationes 1,1 170, 351 1,7 152 1,8 149 1,17 187 1,18 246 1,19 52 1,20 335
457
Stellenregister
1,30 1,39 1,40 1,41 1,44 1,45 1,46 1,47 1,49 1,54 1,62 1,63 1,64 1,66 1,68–70 1,68 1,70 1,71 1,77 1,80 1,95 1,119 2,9 2,11 2,12 2,31 2,32 2,39 2,47 2,48 2,51 2,66 3,2 3,7 3,8 3,15 3,40 3,43 4,7 4,11 4,31 4,53 4,55 4,59 4,82 5,1 5,5 5,6
123, 344 17, 370 56 335 279 224 192, 288 322 227 344 22, 310 185 224 22, 297, 344, 350 145 332 287, 346 306 279 22, 297 173, 223 149 69, 176, 383 223, 370 339 197 223 221 312, 329 199 221 284 51, 62, 123, 130, 220 176 346 223 22, 194 210 176 155 22, 301, 302 199 197 197 173 373 38, 221, 309 224
5,9 5,11 5,37–39 5,67 5,69 5,70 5,72 5,76 5,107 5,120
170, 341, 351 151, 245 358 272 185, 331 344, 350 143, 317 209 197 187
Claudianus Pan. Dict. Manlio Theodoro cons. 253–255 167 332–335 167 Claudianus Mamertus De statu animae 2,8
220
Diomedes Ars grammatica 1 2 5
313 313, 314 325
Donatus Ad Terenti Eunuchum 1024 89 Ennius Annales 211
185
Gellius Noctes Atticae 5,15 7,1,2 ff 10,1,6 16,18 17,1,1 18,12,9 18,15,2
328 121 19 329 344 146 19
458
Stellenregister
Gregor von Nazianz
Lactantius
Orationes (Logoi) 31,31 117
De ira dei 13 f 14
101 297
De opificio dei 13,7 20,1 63,1
262 178 347
Gregor von Nyssa Epistulae 26
117
Hieronymus Adversus Pelagianos 1,22 163 Adversus Rufinum 1,5 94 3,30 91 3,40 17, 370 Contra Ioannem Hierosol. 20 91 Hilarius De trinitate 9,37
117
Horatius Saturae (Sermones) 1,2,101 146 2,1,1–12 203 2,2,103 223 Epistulae 2,1,35–49
Divinae institutiones 1,3,14 347 1,5,20 266 1,5,23 347 2,5,3 347 3,2,3–10 170, 351 3,2,3 170 3,2,7 170 3,9,14 372 3,19,14 37 4,8,15 347 7,1,6 ff 346 7,1,6 347 7,3,4 347 7,3,14 370 7,4,2 347 7,5,7 347 Epitome 25,4–7 26 65,8 69
170, 351 185 370 101
218 Livius
Isidorus Etymologiae (Origines) 1,33,1 215 1,35,1 215 1,36,1 215 2,23 19 3,12,1 55 Iustinus Dialogus 61,128
117
Ab urbe condita 1,7,5 1,40,4 2,1,4 4,24,4 5,53,9 23,40,4 38,17,4 42,41,2
135 135 135 135 135 135 135 146
Lukianos Dial. deorum 20,7
133
459
Stellenregister
Nikomachos
Lukretius De rerum natura 1,150 1,205 2,132 2,251 2,256–260 5,727
100 100 111 255 107 108
Macrobius In Somnium Scipionis 1,14 335 2,14,18 243 Saturnalia 4,1,5 7,1
316 166
Manilius 2,979
35
Marius Victorinus Adversus Arium 1,50 4,31
233 117
Ars grammatica 1,13
324, 325
Hymni 3
117
Arithmetica theologumena 1 18 Introductio arithmetica 18, 327 ~ Nonius Marcellus De compendiosa doctrina 135,10 19 551,15 19 Ovidius Metamorphoses 2,92 4,55 ff 4,55–166 4,55 f 4,65 f 4,139 4,148 f 8,183–235 8,731 10,61 f 11,221 ff
250 88 17 133 88 142 371 316 336 371 336
Philon De ebrietate 199
346
Martianus Capella
De somniis 2,242
117
De nuptiis 3,229
Legum allegoriae 3,32,97–99
145
Quod deterius 83
117
20, 312, 315
Minucius Felix Octavius 7,3 19,1
185 266
Nemesios De natura hominis ~ 335
Platon Apologia 40bff
291
Epinomis 992a
310
Euthydemos 288b8
36
460
Stellenregister
Euthyphron 15d
336
Ion 541e
336
Menon 81bff
105, 107, 199
Nomoi 629a 716c 966d
152 221 185
Theaitetos 167e 168e 176a
152 152 121
Timaios 17 28c 29a 45a 90a
347 36, 352 348 214 159
Plinius d. Ä.
Phaidon 62b 67d 82d–83a 114b8 f 246a–256e
279 279 279 229 222
Phaidros 60b 67b 169c 186d 237b 246b
322 322 152 189 250 232
Politeia 290d 292e 365d 433a 435c 442 443d 494a 533df 533d2
301 228 301 122, 252 22, 196 22, 196 362 171, 228 187 364
Protagoras 338bc
87
Sophistes 237b 254a
152 364
Symposion 201d–204c 219a
169 364
Naturalis historia 2,9 5,4,5 8,221–224 9,54,79
35 225 90 368
Plinius d. J. Epistulae 1,20,2 3,5 6,16,19 9,36 9,4
61 76 65 76 76
Plotinos Enneades 1,1,2 1,2 1,2,1 1,2,2 1,2,3 1,2,5 1,3 1,3,3,1 f 1,3,5 f 1,4 1,4,7,14 1,5,10 1,6
1,6,1 f 1,6,1
226 398 122, 182 137, 221 122, 268 161, 268 398 222 318 373, 398 269 256 24, 53, 60, 142, 145, 278, 321, 330, 334, 363, 398, 399, 400, 401, 409 301 299
Stellenregister
1,6,2 f 1,6,3 1,6,5 ff 1,6,6 f 1,6,6 1,6,7 1,6,8 1,6,9 1,6,8,16 1,7,1 1,8 1,8,2 1,8,3,12–16 1,8,9 1,8,14 1,8,14,20 1,8,15 2,1,6 2,4 2,4,4,8 ff 2,4,16,20–24 2,9,8 2,9,18,39 3,1 3,1,2,10 3,1,5,20–6,30 3,1,8,10 f 3,1,8,34 3,1,10,39 3,2 3,2,1 ff 3,2,1 f 3,2,1 3,2,2 f 3,2,2 3,2,3 3,2,4 3,2,4,25 3,2,5 3,2,6 3,2,7 3,2,8 3,2,9 3,2,10–12 3,2,11 f 3,2,11 3,2,13
364 302 142 145 320 193 322 197, 208, 364, 401 232, 282 55, 409 256, 257, 398, 399, 409 221, 346 54 207 297 222 356 280 398 352 54 331 232 398 109 109 229 109 109 183, 223, 398, 399, 402, 404, 409 100, 182, 347 181 41, 402, 403, 404 366 58, 298, 403, 405 211, 403 184, 208, 404, 405 259 37, 403, 404 402, 403 38, 145, 402 213, 214, 297 102, 269 121 181 122, 403, 404 84, 402, 403, 404
3,2,14 3,2,15 3,2,16 f 3,2,16 3,2,17 3,2,18 3,3 3,3,1 3,3,4 3,3,5 3,3,7 3,4,2,1 3,4,3,22 ff 3,5,1 3,6 3,6,19,136–141 3,7 3,7,1 3,7,7,9 3,8 3,8,8 3,8,10 4,1 4,1,1 4,2 4,2,1 4,3 4,3,1 4,3,9 ff 4,3,12,10 4,3,16 4,4 4,4,2 4,4,6 4,4,16 4,4,18,7 4,5 4,7 4,7,6 4,8 4,8,1 4,8,3 f 4,9 5,1 5,1,1 5,1,1,5 5,1,4 5,1,6
461 366, 404 403, 404 403 146, 299, 403, 404, 405 122, 213, 403, 404 214, 403 183, 398, 399, 409 403, 405 405 405, 406 181 232 352 268 398 257 398 365 232, 282 398 55, 409 117 55, 409 352 398 55, 409 398 292 297 229 99, 109, 156 398 194, 210 193 55, 409 232, 282 398 398 55, 409 398 279 279 398 398, 399, 408 297 232, 282 194, 232 184
462 5,1,11 5,2 5,2,2,5 5,3 5,3,4 5,3,13 5,3,16,8 ff 5,5 5,5,1 5,5,9 5,8 5,8,4 5,9 5,9,9 5,9,10,19–21 6,2,10,4 6,2,11,8 6,2,11,16 6,3,7,52 ff 6,3,13 6,4 6,5 6,5,1 6,5,4 f 6,6 6,6,12,19 6,6,13,18 6,6,16 6,6,16,37 6,7,4 6,7,8,22 6,7,21,8 6,7,23 6,8,3,20 6,8,8 ff 6,8,18 6,9 6,9,1 6,9,1,1 6,9,1,2 6,9,1,3 6,9,1,4 f 6,9,1,5 6,9,3 6,9,6 6,9,8 6,9,9
Stellenregister
55, 408 398 232, 282 398 50 341 352 398 189 248 363, 398 366 398 352, 365 54 355 355 355 257 334 398, 399 398, 399 123, 246 55, 409 398 355 355 335 355 297 53 232 346 229 341 55, 57, 409 52, 53, 73, 354, 398, 408, 409 355, 406, 407, 408 354 354 354 355 354, 355 189 365 55, 409 279
Plutarchos De decret. philos. 4,2 335 De Stoic. repug. 1044cd 1044d 1049a
43, 79 90 144
Porphyrios Ad Marcellam 3
169
Aphormai (Sententiae) 11,5 53 37,33,17 f 53 37,45 53 40,36,17 ff 53 40,38,11 ff 53 40,49 53 40,51 53 44 184 Vita Plotini 23,16
278
Vita Pythagorae 40 51
353 349
Ps.-Platon Axiochos 370bc
159
Publius Syrus Sententiae Q 44
269
Quintilianus Institutio oratoria 1, prooem. 25 1,1,24 1,5,5–17 1,8,14 2,1,4 2,4,7 3,5,1
149 264 215 215 315 270 323
463
Stellenregister
5,10,56 4,1,62 5,10,69 7,3,3 8,5,35–6,1 9,1,2 9,4,27 9,4,47 9,4,54 12, prooem. 2
295, 296 173 209 296 313 314 56 314 325 166
Quaestiones naturales praef. 1,5 praef. 1,10 praef. 1,11 praef. 12 f 1,8,7 1,16,7 Sidonius Epistulae 9,2,2
Sallustius Catilinae coniuratio 215 11,3 49,1 255
159 159 159 351 78 214
318
Stobaios Eklogai 3,379,6 ff
51
Seneca Ad Helv. matr. de cons. 17,3 169 De beneficiis 2,18,4
197
De tranquillitate animi 2,11 141 2,8 164 Dialogi 7,11,1 7,17,3
197 104
Epistulae morales ad Luc. 8,2 353 39,1 351 52,15 166 58,10–14 358 62,3 284 79,12 51 88,2 168 88,3 315 92,30 f 351 93,4 284 94,45 309 95,64 166, 370 102,5 407, 554 103,4 166, 370 107,3 284 121,23 357
Synesios Hymnoi 5,25 ff
117
Tacitus Dialogus de oratoribus 11,1–2 155 12,3 166 14,2 251 42,2 244 Germania 5
146
Tatianos Oratio (Logos pros Hellenas) 5 117 Terentius Andria 61 305 f 730
16, 89 16, 89 16, 89, 124
Eunuchus 331 761 1024
89 16, 89 16, 89, 411
464 Phormio 419
Stellenregister
16, 89, 251
Tertullianus Adversus Praxean 8 117 51 117 Apologeticum 10–27 21 22 f 47,8
79 117 79 346
De anima 12
52
Valerius Flaccus Argonautica 3,412
142
Valerius Maximus Facta et dicta memor. 8,7,ext.3 17, 221, 370 Varro
2,1 f 2,250 3,88 f 3,91 f 3,274 f 3,336 3,369 ff 3,433 f 3,441–452 3,515 5,46 5,94–98 5,255 5,258 5,295 5,441–452 5,447 5,448 5,450 6,9 6,11 6,13 6,14–19 6,255 6,46 6,596 6,724 7,586 7,587–590 9,179 f 9,284–302 9,431 ff 9,473–502 10,875 11,785–788
151 185 94 95 95 95 95 95 99 150 77 94 77 77 316 85 85 85 85 95 95 95 316 77, 144 77, 144 146 370 16, 37, 91, 373 373 316 316 316 316 16, 93, 95 96
De grammatica frg. 40 frg. 43 frg. 83 frg. 102 frg. 110 frg. 113
313 313 313 313 313 313
De lingua latina 8,1,1 8,12,27
311, 313 311
De re rustica 1,17 3,2,2 3,2,7 3,3,10
Eclogae (Bucolica) 2,65 146 4,57 86
323 156 156 368
Georgica 1,100 2,154 2,284 2,481 f 4,388 ff 4,179 4,405 4,410
Vergilius Aeneis 1,745 f
16, 306
225 146 56 16, 306 336 357 336 336
465
Stellenregister
Vitruvius De architectura 6,2,1 7, praef. 14
Zenon SVF 1,47 304 19
Xenophon Memorabilia 1,4,6
214
46
Personenregister Aland 125, 161 Alfaric 67, 150, 172, 226, 233, 291, 398 Andresen 18, 133, 227 Bächli 121, 324 Baltes 18, 157, 370 Bardy 71, 72, 114, 155 Barion 341 Bassi 150 Baxter 131 Becker, C. 23 Becker, E. 156, 195, 263, 369 Beckmann 89 Beierwaltes 48, 60, 353 Bennet-Vahle 169 Beretta 68 Blumenberg 140 Blümer 320 Böhlig 39 Bonner 61 Booth 294 Bormann, von 324 Bousset 161 Boyer 49, 50, 67, 82, 178, 330 Brown 236, 283, 344, 387, 388 Büchner 358 Bulst 131 Burkert 152 Capánaga 27 Capec 184 Casati 176 Cayré 338 Chatillon 131 Chiereghin 45 Cipriani 233, 235 Colombo 68
Courcelle 60, 67, 147, 150, 177, 208, 222, 236, 237, 279, 283, 285, 364, 287, 397, 398, 399 Cushman 45 Cutino 178, 235 Daoust 45 Dassmann 63 Decret 39 Deferrari 69, 383 Della Corte 113 Dewart 31, 102, 376 Doignon 20, 27, 28, 30, 31, 36, 38, 39, 68, 80, 111, 112, 114, 118, 122, 123, 128, 141, 142, 146, 152, 153, 160, 161, 162, 163, 166, 167, 185, 198, 203, 205, 207, 215, 216, 217, 222, 223, 225, 226, 227, 228, 230, 231, 233, 235, 240, 243, 248, 255, 259, 264, 270, 275, 281, 283, 285, 287, 289, 292, 295, 297, 300, 304, 305, 308, 309, 311, 312, 313, 315, 322, 327, 328, 329, 330, 332, 336, 343, 348, 349, 351, 353, 360, 370, 372, 373, 376, 398 Dönt 221 Dörrie 18, 370 Dörries 52, 67, 231 Doucet 142 Drecoll 53, 268, 386 Duchrow 271 Dumont 73 Dyroff 18, 24, 31, 52, 69, 144, 152, 189, 263, 269, 286, 355, 369 Ermini 131 Evans 39
468
Personenregister
Falkenhahn 132 Feldmann 39, 54, 71, 81, 160 Flamant 243 Flasch 140, 335, 361 Foley 4, 30, 31 Folliet 192, 282 Fontanier 60 Forcellini 290 Fuchs 20, 31, 83, 196, 220 Fuhrer 16, 18, 23, 28, 30, 31, 37, 60, 62, 63, 64, 69, 71, 72, 73, 82, 83, 90, 102, 103, 104, 113, 131, 134, 150, 152, 155, 159, 163, 166, 172, 174, 176, 177, 178, 179, 187, 189, 197, 198, 221, 226, 227, 230, 232, 237, 241, 244, 247, 250, 258, 263, 276, 281, 282, 288, 290, 296, 316, 319, 341, 346, 349, 350, 359, 369, 387, 399, 400 Gannon 49 Geerlings 39, 282 Gentili 27 Gercken 161, 229 Gigon 63, 130 Gilson 190, 267 Graeser 121, 189, 324, 351 Grandgeorge 233 Green 16, 27, 28, 31, 46, 63, 89, 93, 98, 99, 110, 114, 119, 134, 141, 142, 150, 185, 187, 192, 197, 203, 206, 247, 253, 259, 271, 272, 288, 300, 303, 308, 314, 319, 341, 342, 358, 397 Gudemann 31, 69, 160, 169, 170, 376, 378, 379, 382 Gunermann 30, 31, 43, 77, 78, 79, 84, 85, 89, 94, 95, 96, 97, 112, 130, 143, 144, 145, 148, 154, 155, 156, 159, 160, 166, 186, 187, 193, 195, 196, 197, 198, 199, 201, 203, 205, 209, 210, 213, 214, 217, 220, 221, 223, 224, 231, 244, 245, 250, 251, 252, 255, 256, 277, 278, 279, 286, 291, 292, 294, 295, 300, 304, 308, 309, 311, 312, 317, 327, 328, 334, 335, 337, 342, 343, 347, 348, 357, 359, 360, 362, 365, 370, 372, 375, 381
Hadot, I. 20, 31, 113, 131, 196, 220, 321, 327, 340 Hadot, P. 147, 178, 308 Haenchen 221, 226, 291 Hagendahl 16, 20, 69, 73, 94, 96, 151, 187, 255, 263, 383 Hager 257 Harder 208, 211, 355, 363, 364, 366, 401, 408 Harrisson 60 Hegermann 161 Hendrikx 338 Hengel 161 Henry 397, 398 Hensellek 29, 30, 90, 145, 193, 197, 201, 204, 205, 210, 212, 215, 226, 239, 247, 248, 250, 261, 270, 280, 294, 302, 318, 325, 326, 335, 343, 344, 362, 366 Hessen 50, 132, 172 Hirzel 60, 69, 144, 263, 376 Hofmann 221, 277, 297 Holl 67, 103 Holte 67, 132, 147, 161, 170, 178, 227, 237 Holzapfel 50 Hohnefelder 178 Horn, C. 334, 336 Horn, H.-J. 121, 330 Hübner 31, 36, 76, 78, 88, 89, 90, 91, 125, 126, 132, 134, 150, 176, 177, 196, 249, 308, 323, 325, 328 Hunger 89 Jackson 318 Jolivet 27, 67, 190, 230, 234 Joly 240 Jürgens 89 Katô 60 Keseling 2, 4, 5, 19, 29, 30, 31, 76, 80, 86, 95, 99, 101, 105, 108, 109, 111, 112, 114, 115, 118, 122, 128, 135, 141, 142, 145, 149, 152, 153, 162, 169, 173, 174, 182, 188, 192, 199, 201, 204, 205, 207, 215, 216, 221, 225, 226, 230, 231, 233, 234, 235, 240, 242, 243, 244, 245, 248, 249,
Personenregister
251, 254, 263, 267, 269, 270, 275, 277, 280, 281, 283, 294, 295, 296, 297, 300, 301, 302, 303, 304, 310, 311, 313, 315, 326, 327, 329, 332, 336, 339, 341, 343, 345, 346, 347, 359, 362, 364, 365, 373, 392, 409 Kirfel 310, 312 Kneale, M. 209 Kneale, W. 209 Knöll 27, 28, 82, 93, 123, 150, 239, 259, 280, 308 Kobusch 229, 338 König 45, 62, 67, 178, 190, 237, 281, 336 Körner 47, 50, 114, 132 Krämer 161 Kranz 177 Krebs 141 Kremer 77 Kreuzer 60 Kroll 317 Kühner 141, 142, 146, 188, 192, 196, 202, 205, 227, 245, 274 Labhardt 240 Lambot 131 Legewie 65, 103 Lepelley 113, 268, 389 Lersch 120 Lietzmann 125 Löhrer 45 Loofs 65, 67, 161 Lorenz 31, 161, 196, 300, 308, 338 Luiselli 131 Luschat 104 Lütcke 44, 45, 227, 237, 276, 338 Maas 157, 184 Mack 161 MacQueen 271 Madec 4, 31, 148, 160, 170, 178, 229, 230, 231, 235, 237, 238, 270, 281, 376, 377, 378 Mader 48, 293 Maier 30, 66, 68, 82, 83, 113, 125, 126, 133, 144, 303, 375 Mallard 237
469
Mandouze 30, 51, 71, 72, 81, 102, 113, 167, 189, 382 Marcora 68 Marrou 20, 72, 196, 250, 263, 336 Mausbach 67, 121, 254 Mayer 68, 146, 305, 308, 399 McNamara 71, 72, 113, 114 Meijer 354, 355, 408 Menge 36, 40, 54, 63, 77, 86, 119, 130, 135, 136, 146, 165, 166, 183, 188, 192, 197, 205, 227, 240, 245, 274, 286 Meulenbroek 31, 69, 376, 377, 378, 383 Meyer, H. 338 Meyer, U. 169 Mizuochi 318 Mohrmann 16 Mojsisch 389 Moreno 131 Most 46, 121 Mourant 338 Mühlenberg 29, 31, 35, 37, 38, 39, 41, 43, 45, 52, 53, 54, 63, 65, 68, 69, 76, 77, 80, 81, 86, 90, 95, 98, 99, 106, 111, 112, 114, 118, 120, 122, 123, 126, 128, 130, 135, 141, 142, 145, 149, 153, 162, 163, 167, 169, 172, 173, 174, 179, 181, 185, 188, 189, 191, 192, 194, 202, 204, 205, 207, 210, 212, 215, 216, 221, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 240, 242, 243, 245, 246, 248, 249, 269, 270, 280, 288, 289, 291, 292, 294, 295, 300, 302, 304, 305, 313, 315, 325, 326, 329, 332, 341, 345, 348, 353, 360, 361, 364, 365, 381, 388, 411 Müller 271 Muñoz-Alonso 49 Mutzenbecher 183 Nash 190 Norden 297 Nörregaard 43, 67, 103, 122, 233, 297, 359, 373, 398 O’Connell 227, 228, 237, 348, 398, 399 O’Daly 30, 60, 68, 83, 178, 193, 335, 361
470
Personenregister
O’Donnell 60, 68, 73, 81 Ohlmann 31, 69, 82, 83, 90, 369, 376, 377, 379, 383 O’Meara 18, 31, 67, 72, 82, 90, 114, 147, 168, 190, 227, 230, 257, 263, 283, 285, 296, 333, 369, 376, 377, 378, 379, 380, 398 Oroz Reta 38 Pacioni 52, 354 Pannenberg 192 Pease 187, 217 Pépin 193, 318 Perez Paoli 297 Perl 28, 29, 35, 43, 52, 53, 54, 59, 65, 69, 76, 86, 88, 95, 99, 104, 111, 112, 114, 118, 128, 135, 142, 174, 199, 215, 230, 233, 242, 248, 269, 270, 280, 295, 300, 345 Perler 30, 66, 68, 82, 83, 113, 125, 126, 133, 144, 303, 341, 375 Péronne 248 Perpeet 357 Petitmengin 150 Pfligersdorffer 37, 38, 60, 308 Philippson 31, 141, 376, 377 Pietri, C. 30, 128, 129, 225 Pietri, L. 30, 128, 129, 225 Pirson 45 Pizzani 20, 31, 196, 309, 311, 313, 329, 330 Pizzolato 222, 361 Pohlenz 43, 123, 161, 187, 214, 312 Pollet 53 Postma 31, 82, 376 Procopé 271 Radice 182 Rahner 37 Ramirez 275 Rechenauer 31, 196, 220 Regen 18, 73, 370 Reinhardt 214 Reitzenstein 150 Remark 129 Riedweg 338 Rief 31, 57, 65, 78, 101, 117, 121,
161, 172, 233, 241, 261, 274, 286, 335, 386, 392 Rist 178, 335, 361 Ritschl 19, 31 Ritter 48, 52, 172, 277 Romano 72 Rondet 38 Rosalia 311 Roy, du 57, 117, 157, 178, 190, 221, 222, 230, 233 Rudolph 39 Ruef 318 Ruhstorfer 399 Rullmann 169 Sainsbury 218 Scheel 159 Schilling 67, 145, 226 Schindler 67, 71, 81, 113, 142, 227, 338, 399 Schlapbach 31, 37, 43, 64, 69 Schmalz 141 Schmaus 159, 238, 341 Schmidt 156, 383 Schmitt 265 Schneider 48 Schön 48 Schöpf 47, 50, 63, 114, 229, 294 Schützinger 132 Schwarz 56, 126, 137, 239, 244 Schwarz-Kirchenbauer 56, 110, 126, 137, 239, 244 Semple 268, 390 Severus, von 162 Shanzer 20, 31, 38, 72 Sladeczek 47, 293 Sleemann 53 Smalbrugge 178 Solignac 18, 31, 38, 39, 41, 53, 54, 55, 60, 73, 113, 285, 327, 333, 369, 398, 409 Staritz 339 Stegmann 141, 142, 146, 188, 192, 196, 202, 205, 227, 245, 274 Steppat 30, 72, 102, 189 Stock 48, 294 Stumpf 47, 293 Svoboda 31, 60, 214, 303, 308, 327, 365
Personenregister
Teske 157, 184, 194 Testard 38, 60, 73, 271 Theiler 52, 54, 160, 178, 220, 281, 341, 358, 398 Thimme 31, 43, 45, 47, 49, 50, 59, 60, 62, 63, 65, 67, 89, 90, 108, 134, 137, 161, 163, 166, 171, 190, 203, 243, 392, 396 Thonnard 50 Torchia 271 Trelenberg 38, 46, 49, 54, 55, 60, 73, 107, 115, 118, 148, 171, 182, 199, 227, 232, 233, 234, 235, 256, 266, 268, 276, 291, 302, 322, 323, 339, 349, 353, 354, 355, 365, 386, 406, 407 Tscholl 57, 117, 233, 308 Van der Linden 190 Van der Nat 172 Van Fleteren 63, 178, 227, 230, 235 Van Haeringen 31, 82, 166, 376 Van Winden 338
471
Varessis 752 Verbeke 47 Volkmann-Schluck 257 Voss 16, 18, 23, 31, 73, 74, 78, 87, 108, 113, 122, 132, 150, 159, 178, 179, 244, 247, 258, 265, 285, 296, 376, 380 Vroom 131 Waszink 52 Widengren 39 Wienbruch 50 Wilkins 209 Winkler 193 Wittmann 136, 321 Wlosok 161, 222 Wohlfahrt 91 Wolfskeel 292 Wörter 150 Zintzen 222 Zum Brunn 248 Zumkeller 144, 319
Sachregister Alypius 70 f, 81–83, 158, 168, 203 f, 225, 286, 384 Ambrosius 4, 67, 129, 134, 142, 153, 159, 170, 208, 230, 236, 253, 283, 285, 364, 368, 387–389, 400 Aristotelismus / Peripatos 13, 48, 56, 62, 123, 143, 145, 159, 163, 178, 221, 242, 258, 263, 269, 306, 310, 322, 335, 346, 351, 358 Arithmetik 13, 19 f, 196, 265, 311, 321, 325, 333, 336, 393 f Astronomie / -logie 2, 13, 19 f, 108, 153, 167, 196, 218, 220, 310 f, 325, 329–333, 393, 413, 415 Autorität 11 f, 37, 45, 100, 141, 160, 175, 222, 225, 227 f, 230–232, 234, 237, 240, 267, 273–280, 282 f, 285, 287, 338, 362, 388, 393 Bewegung 9, 22, 26, 41, 157, 184 f, 189, 241 f, 244, 275, 290 f, 331–333, 340, 360, 403 Cassiciacum 1, 2, 23, 68, 72 f, 83, 129, 375, 377, 382 Christus 5, 26 f, 72, 132, 138, 158, 161, 170, 172, 182, 228, 232, 237, 281 f, 290, 413 Chronologie der Schriften 81 f, 84, 93, 125, 176, 181, 201, 336 Dialektik 13, 20, 22 f, 99, 107, 144, 155, 163, 196, 215, 217–219, 258, 295, 316–318, 321, 325, 332, 362, 393 Einheit 42, 44, 47, 52, 115, 120, 147, 156, 219, 230, 233, 272, 291, 323, 349, 352–357, 391, 394 f, 406, 408 Epikur 111, 171, 271, 300
Ganzheit 46, 120, 393 Geometrie 13, 19 f, 196, 218, 265, 321, 325, 329 f, 332, 370, 393 Gerechtigkeit 9, 11 f, 15, 22, 75, 121–124, 156, 224 f, 252, 254 f, 260, 262, 365, 391, 403 f Grammatik 13, 19 f, 196, 218 f, 307, 312–315, 318, 321, 324 f, 332 Harmonie 7, 15, 24, 45 f, 121, 147, 181, 219, 272, 277, 302, 349 f, 362 f, 366, 400, 404 f Hässlichkeit 11, 15, 46, 120, 138, 146, 175, 211, 213, 364, 395 f, 400, 403 Kosmos 24, 42, 44, 84, 120, 122 f, 144, 167, 236, 263, 346 f, 349, 360, 388, 391, 400, 405 Licentius 71 f, 409–415 Mailand 1, 4 f, 23, 25 f, 51, 66–68, 70, 81–83, 108, 113, 134, 147, 152, 158, 163, 168, 204, 236, 287, 387–390 Manichäismus 39, 110, 238, 347 Maß 41 f, 55 f, 78, 114, 137 f, 145, 147–149, 173, 216–222, 301 f, 326, 330, 361, 368, 393 Mathematik 265, 310, 336, 370 Menschwerdung 27, 281 Musik 13, 19 f, 196, 218, 320 f, 323–328, 332, 357 f, 362, 393 Mysterien 5, 11, 26 f, 42 f, 118, 179, 226, 229–231, 233 f, 265, 277 f, 283, 345, 370 Mystik 111, 149, 278, 338 Neuplatonismus 4 f, 8, 13, 15, 20, 23–25, 36, 38, 41, 44 f, 48, 52–62,
474
Sachregister
67, 73, 76, 84, 86, 89, 109 f, 115, 117, 129, 136–138, 143, 147, 152, 160 f, 171, 173, 178–180, 184 f, 189, 194, 207, 213, 220 f, 226–235, 238, 240, 243, 248, 256, 265, 276–278, 291–293, 296, 301, 316, 321, 333–335, 338–341, 344–369, 386, 388 f, 394–400, 407, 409, 414 Platon / Platonismus 3, 5, 17–26, 36, 44–48, 54, 56, 60–62, 86 f, 93, 107, 110, 114, 121–123, 139, 147–149, 152, 157, 159 f, 169–173, 177–179, 182, 185, 187, 189, 191 f, 196 f, 199, 207, 212, 214, 221 f, 228 f, 231 f, 235, 239, 243, 250–254, 263 f, 267, 278 f, 281–291, 294–297, 301, 305, 307 f, 310, 318, 320, 322, 327 f, 330 f, 334, 336 f, 343, 346–352, 360–365, 369 f, 372, 380 f, 383, 394, 397, 407, 410, 415 Poesie / Dichtung 13, 20, 86, 88, 92, 114, 130 f, 196, 215 f, 218, 324, 326, 393 Privation 11, 15, 183, 259, 409 Pythagoras / Pythagoreismus 6, 15, 17–19, 54, 73, 227, 232, 310, 327, 333, 335, 349, 353, 355, 360, 362, 369, 370, 372 f Schönheit 7, 11, 13, 15, 22, 24, 42, 45–47, 53–61, 75, 120 f, 138, 143, 145 f, 148 f, 175, 211, 217, 220, 301 f, 320 f, 330 f, 334, 339, 363 f, 395 f, 400, 407, 414 f Seele 5, 10, 22, 24, 47–50, 56, 61, 90, 123, 142, 173, 178, 190–194, 196, 199, 207, 222, 226, 229, 235, 238 f, 243, 246, 277, 279, 282, 292, 296 f, 306, 320, 334 f, 353, 361, 363 f, 394, 401 Selbsterkenntnis 30, 47 f, 50, 52, 58, 188, 190, 293, 350, 352 Stoa 21 f, 24, 36, 38, 41–46, 56, 61, 63, 78 f, 86, 89–91, 99, 101, 104, 106, 109 f, 123, 130, 144 f, 147 f, 156, 166,
170 f, 173, 178, 183, 185, 199, 209 f, 214, 221, 223, 256, 266 f, 272, 284, 288, 301 f, 312, 319, 322, 328, 330, 333, 349, 351, 354, 358–361, 365, 373, 395, 402, 407 Theodizee 3, 7, 9, 13, 24 f, 35, 38 f, 145, 175, 213 f, 223, 225, 227, 253, 257, 261, 273, 307, 345 f, 362, 365, 391 f, 394 f, 396, 400, 402 f Trinität 5, 25 f, 45, 56 f, 96, 117 f, 124, 138, 140, 148 f, 158 f, 182, 190, 194, 219, 221 f, 230, 232 f, 235, 266, 361, 363, 381 Trygetius 72 Übel / Böses 3 f, 7–9, 12, 15, 39 f, 46, 116, 119–121, 137, 182 f, 213, 236, 252 f, 256–260, 339, 346–348, 391 f, 395 f, 402, 404 f Universum 7, 24, 45–47, 52 f, 56, 148, 277, 365, 395, 400 Vernunft (ratio) 5, 11 f, 22, 25, 37, 41 f, 45, 48, 63, 100, 141, 145, 148, 155, 160, 185, 189–192, 210, 225, 227 f, 234, 239, 267, 273–279, 283, 285, 291 f, 294–298, 302, 304 f, 308, 311 f, 321, 323, 331, 335 f, 353, 358–362, 393 Vielheit 44, 54 f, 395 Wissenschaft 3, 6, 11, 13, 19–21, 31, 45, 62 f, 77, 114, 131, 139 f, 143, 163, 196, 218–221, 225, 239, 266, 307, 309–313, 315, 318–321, 325 f, 328 f, 332 f, 337, 350, 393 f, 410 Zahl 13, 18–20, 114, 218 f, 309–311, 321, 326–328, 331, 333–337, 353, 358–360, 362, 393 f Zenobius 9, 35, 58 f, 61 f, 64, 128–130, 153, 177, 224 f, 286, 379 Zufall 7, 8, 14, 35, 40 f, 75 f, 78, 84 f, 99, 101, 106, 110 f, 145, 154 f, 181, 185, 379, 391, 402, 413