Aufklärung, Band 13: Empfindsamkeit / Politische Theorie im 18. Jahrhundert 9783787334803, 3787334807

Gegenstand des Jahrbuches Aufklärung« ist die Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte. Der Gedank

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German Pages 339 Year 2002

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Table of contents :
COVER
INHALT
EMPFINDSAMKEIT
Einleitung. Von Karl Eibl
Lothar Pikulik: Die Mündigkeit des Herzens. Über die Empfindsamkeit als Emanzipations- und Autonomiebewegung
Dietmar Till: „Der Gräber Todesnacht ist nun nicht mehr! erwacht!' Pietismus, Neologie und Empfindsamkeit in Klopstocks Bearbeitung von Nicolais 'Wächterlied'
Katja Mellmann: Güte - Liebe - Gottheit. Ein Beitrag zur Präzisierung des 'utopischen' Gehalts von Goethes "Stella"
Hans-Edwin Friedrich: „Ewig lieben", zugleich aber „menschlich lieben"? Zur Reflexion der empfindsamen Liebeskonzeption von Geliert und Klopstock zu Goethe und Jacobi
York-Gothart Mix: Männliche Sensibilität oder die Modernität der Empfindsamkeit. Zu den Leiden des jungen Werther, Anton Reiser, Buddenbrooks und den Verwirrungen des Zöglings Törleß
ABHANDLUNGEN ZUR POLITISCHEN THEORIE IM 18. JAHRHUNDERT
Einleitung. Von Diethelm Klippel
Sandra Pott: Gemeinwohl oder „schöner Schein". Staatszwecke und Staatsideen bei Christoph Martin Wieland und in der Weimarer Klassik
Martin Fuhrmann: Die Politik der Volksvermehrung und Menschenveredelung. Der Bevölkerungsdiskurs in der politischen und ökonomischen Theorie der deutschen Aufklärung
Keith Tribe: Natürliche Ordnung und Ökonomie
KURZBIOGRAPHIE
Wilhelm Haefs: Ignaz von Born (1742-1791)
DISKUSSION
Gerhard Sauder: Empfindsamkeit. Tendenzen der Forschung aus der Perspektive eines Betroffenen
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Aufklärung, Band 13: Empfindsamkeit / Politische Theorie im 18. Jahrhundert
 9783787334803, 3787334807

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AUFKLÄRUNG Interdisziplinäres Jahrbuch zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte

In Verbindung mit der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts Herausgegeben von Günter Birtsch, Karl Eibl, Norbert Hinske unter Mitwirkung von Klaus Gerteis und Rudolf Vierhaus sowie Carsten Zelle

Band 13, Jg. 2001

Themenschwerpunkte EMPFINDSAMKEIT Herausgegeben von Karl Eibl POLITISCHE THEORIE IM 18. JAHRHUNDERT Herausgegeben von Diethelm Klippel

F E L I X M E I N E R V E R L AG H A M B U RG

Unverändertes eBook der 1. Aufl. von 2001. ISBN eBook 978-3-7873-3480-3  ·  Print-ISSN 0178-7128

© Felix Meiner Verlag 2001. Das Jahrbuch und alle in ihm enthaltenen Beiträge sind urheber­ rechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.  www.meiner.de/aufklaerung

INHALT

E MP FI NDSAMKEIT

Einleitung. Von Karl Eibl ....... .. .... ............. ...... .. ..................... ...... ........ .... ....... .... Lothar Pikulik: Die Mündigkeit des Heraeos. Über die Empfindsamkeit als Emanzipations- und Autonomiebewegung .................... „ ... „....................... Lutz Danneberg, Friedrich Vo/lhardt. Sinn und Unsinn literaturwissenschaftlicher Innovation. Mit Beispielen aus der neueren Forschung zu G. E. Lessing und zur ,,Empfindsamkeit'' .................................................... Dietmar 1ill: ,,Der Gräber Todesnacht ist nun nicht mehr! erwacht!" Pietismus, Neologie und Empfindsamkeit in Klopstocks Bearbeitung von Nicolais 'Wächterlied'................................................................................

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Katja Mel/mann: Güte - Liebe - Gottheit. Ein Beitrag zur Präzisierung des 'utopischen' Gehalts von Goethes Stella ..........................................................

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Hans-Edwin Friedrich: ,,Ewig lieben", zugleich aber ,,menschlich lieben"? Zur Reflexion der empfindsamen Liebeskonzeption von Gellert und Klopstock zu Goethe und Jacobi ..............„....... ........... ........ ........ ........... ......... .....

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York-Gothart Mix: Männliche Sensibilität oder die Modernität der Empfindsamkeit. Zu den Leiden des jungen Werther, Anton Reiser, Buddenbrooks und den Verwirrungen des Z-öglings Törleß ...............................„....... .... ..............

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POLITISCHE THEORI E IM 18 . J AHRH UND E RT

Einleitung. Von Diethelm Klippe/ .................................. „ •.......•.•••••........ ..... „. . .. Sandra Pott: Gemeinwohl oder „schöner Schein". Staatszwecke und Staatsideen bei Christoph Martin Wieland und in der Weimarer Klassik ................. . Martin Fuhrmann: Die Politik der Volksvermehrung und Menschenveredelung. Der Bevölkerungsdiskurs in der politischen und ökonomischen Theorie der deutschen Aufklärung ....................................................................... Keith Tribe: Natürliche Ordnung und Ökonomie ..................................................

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KURZBIOGRAPH I E

Wilhelm Haefs: Ignaz von Born (1742- 1791) ............. „......... „„ .......... „..„........

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DISKUSSION

Gerhard Sauder. Empfindsamkeit. Tendenz.eo der Forschung aus der Perspektive eines Betroffenen .............................. ................. .. .... ... ..... ......... .. ..

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Die Halbjahresschrift ,,Aufklärung" wird mit dem vorliegenden Jahrgang 2001 in ein Jahrbuch umgewandelt. Damit soll größere Flexibilität beim Behandeln von Themenschwerpunkten erreicht werden. Es können nun auch in einem Band mehrere Schwerpunkte ganz unterschiedlichen Umfangs sowie ,freie' Abhandlungen geboten werden. Eine Rubrik ,,Diskussionen" ist neu hinzugekommen, und an die Stelle der Rezensionen werden umfangreichere Literatur- und Forschungsberichte treten. Der Wechsel ist Teil eines Revirements, das vom nächsten Jahrgang an durch das Hinzutreten von Lothar Kreimendahl (Mannheim) und Monika NeugebauerWölk (Halle) zum Herausgebergremium fortgesetzt wird. Die Redaktion

ABHANDLUNGEN ZUR EMPFINDSAMKEIT

EINLEITUNG

„Fundament der deutschen sittlichen Kultur"

Goethe hat die Bedeutung der Empfindsamkeit in seiner Autobiographie Dichtung und Wahrheit in personalisierter Form dargestellt und an den Namen Christian Fürchtegott Gellerts geknüpft. Von seiner Leipziger Universitätszeit berichtet er über die abflauende Wirkung des Professors: Gellert hatte sich nach seinem frommen Gemüt eine Moral aufgesetzt. welche er von Zeit zu Zeit öffentlich ablas, und sich dadurch gegen das Publikum auf eine ehrenvolle Weise seiner Pflicht entledigte. Gellerts Schriften waren so lange Zeit schon das Fundament der deutschen sittlichen Kultur und Jedermann wünschte sehnlich jenes Werk gedruckt zu sehen, und da dieses nur nach des guten Mannes Tode geschehen sollte, so hielt man sich sehr glücklich, es bei seinem Leben von ihm selbst vortragen zu hören. Das philosophische Auditorium war in solchen Stunden gedrängt voll, und die schöne Seele, der reine Wille, die Teilnahme des edlen Mannes an unserem WohJ, seine Ermahnungen, Warnungen und Bitten, in einem etwas hohlen und traurigen Tone vorgebracht, machten wohl einen augenblicklichen Eindruck; allein er hielt nicht lange nach, um so weniger als sich doch manche Spötter fanden, welche diese weiche und, wie sie glaubten, entnervende Manier uns verdächtig zu machen wußten. Ich erinnere mich eines durchreisenden Franzosen, der sich nach den Maximen und Gesinnungen des Mannes erkundigte, welcher einen so ungeheueren Zulauf hatte. Als wir ihm den nöthigen Bericht gegeben, schüttelte er den Kopf und sagte lächelnd: Laissez Je faire, il nous forme des dupes. 1

Schon in diesem Bericht Goethes wird das ambivalente Urteil deutlich, das auch späterhin die Empfindsamkeit und ihre Metamorphosen treffen wird: Sie ist „Fundament der deutschen sittlichen Kultur", und sie ist eine Ethik, die mit ihrer Betonung der Innerlichkeit, des privaten Glücks und der Zufriedenheit geeignet ist, ruhige Untertanen hervorzubringen. Es ist angesichts der herausragenden Bedeutung der Empfindsamkeit für die deutsche Mentalitätsgeschicbte einigermaßen verwunderlich, daß sie von der Geschichtswissenschaft kaum

1 Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, hg. von Klaus-Detlef Müller, Frankfurt am Main 1986, 322.

Autlclärung 13 · C Felix Meiner Verlag 2001 · ISSN0178-7128

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Karl Eibl

ausführlicher thematisiert wurde und weitgehend eine Domäne der Literaturwissenschaft blieb. Die Einschätzung der 'Empfindsamkeit' im Laufe der Geschichte folgt ziemlich genau den Tendenzen der germanistischen Fachgeschichte. Im Zeichen einer national orientierten Fachkonzeption galt sie als ein wichtiger Meilenstein auf dem Wege des deutschen Geistes zu sich selbst: Unter Anleitung des Pietismus habe die deutsche Seele hier erstmals an den Ketten der Fremdherrschaft des französischen Rationalismus gerüttelt. Diese Vorstellung ist im vorliegenden Heft nicht mehr aufzufinden. Wohl aber ist mit Gerhard Sauder der wichtigste Vertreter der Folgerichtung, der sozialhistorischen Empfindsamkeitsdeutung, vertreten. Empfindsamkeit ist für sie eng mit der Emanzipation des Bürgertums verknüpft und aus dieser mehr oder weniger direkt kausal herleitbar. 2 Gerhard Sauder stellt die weitere Entwicklung der Empfindsamkeitsforschung aus seiner Perspektive dar. - Ein Antipode Sauders ist Lothar Pikulik.3 Er hat immer wieder gerade die Unbürgerlichkeit der Empfindsamkeit hervorgehoben, Empfindsamkeit und Bürgerlichkeit seien „Gegenbegriffe". Auch von ihm kann dieser Band einen Original beitrag vorlegen. Eine Metaebene zieht der Beitrag von Lutz Danneberg und Friedrich Vollhardt ein. Auch hier handelt es sich um eine Art Forschungsbericht, doch wird hier die Empfindsamkeitsforschung zum Paradigma der Probleme literatur-

und geisteswisssenschaftlicher Innovation überhaupt. Vier weitere Beiträge, von jüngeren Autoren, machen den aktuellen Stand der Forschung deutlich und weisen zugleich auf zwei Paradigmaverschiebungen der letzten Jahre hin: Die erste Paradigmaverschiebung ist verknüpft mit dem Namen von HansGeorg Kemper: 4 Sie leitet zurück zur Ideengeschichte, genauer: zur PietismusThese, ergänzt diese durch den Nachweis des engen Zusammenhangs von Neologischer Theologie und Empfindsamkeit. In der Nachfolge dieser Änderung steht der Beitrag von Dietmar Till. Eine zweite Paradigmaverschiebung läßt sich in einem weiten Sinn als diskursanalytisch charakterisieren. Sie knüpft bei neuere Entwicklungen der Soziologie, insbesondere bei Niklas Luhmann l!lild Friedrich H. Tenbruck, an, nutzt auch Formulierungsangebote Michel Foucaults und bleibt insgesamt dem 2 Gerhard Sauders Hauptwerk in diesem Bereich: Empfindsamkeit. Bd. 1. Voraussetzungen und Elemente, Stuttgart 1974. 3 Lothar Pikuliks Hauptwerk in diesem Bereich: Leistungsethik contra Gefühlskult. Über das Verhältnis von Bürgerlichkeit und Empfindsamkeit in Deutschland, Göttingen 1984. 4 Hans-Georg Kemper, Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 6/I Empfindsamkeit, Tübingen 1997. Eine gewisse Verwandtschaft in der ideengeschiclhtlichen Grundorientierung besteht bei Friedrich Vollhardt, Selbstliebe und Geselligkeit. Untersuchungen zum Verhältnis von naturrechtlichem Denken und moraldidaktischer Literatur im 18. Jahrhundert, Tübingen 2001.

Einführung

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sozialgeschichtlichen Paradigma in einem weiteren Sinne verpflichtet. Marksteine dieser Entwicklung sind die Dissertationen von Nikolaus Wegmanns, der Luhmanns Befunde mit einigen Instrumenten Michel Foucaults verknüpft, und von Marianne Willerns, die den Komplex von Empfindsamkeit und Sturm und Drang von Luhmanns Begriff der Exklusionsindividualität her aufrollt und die alten Frontstellungen als obsolet erweist. 6 In den Zusammenhang dieser Grundrichtung gehören im vorliegenden Band die Beiträge von Katja Mellmann und Hans-Edwin Friedrich. Eine weitergehende Perspektive merkt York-Gothart Mix an: Die Nachwirkungen der Empfindsamkeit, die er insbesondere am Beispiel der Jahrhundertwende von 1900 anleuchtet. Der Herausgeber bekennt, daß er sich der zweiten Paradigmaänderung am ehesten verpflichtet fühlt. Die Auswahl der Beiträger ist dadurch aber, wie man unschwer feststellen kann, nicht beeinflußt worden. Doch scheint mir wenigstens an dieser Stelle der Hinweis angebracht, daß jede Konfrontation von Sozial- und Ideengeschichte mit Ausschließlichkeitsanspruch ein verhängnisvoller Fehler ist. Die sozialgeschichtliche Entwicklung als problemgenerierende 'letzte' Instanz und die Ideengeschichte als Entwicklung des Reservoirs, aus dem die problemdeutenden semantischen Muster gewonnen werden, stehen zueinander in einem Verhältnis der wechselseitigen Selektivität: Im je aktuellen Problemlösungszusammenhang wählt das Problem die semantischen Muster, wählen diese die wahrnehmbaren Aspekte des Problems aus, mögen auch beide ansonsten in relativer Autonomie sich entwickeln. Schon vor 80 Jahren hat Levin L. Schücking dieses Grundverhältnis von Gesellschaftsentwicklung und Ideenentwicklung in das einprägsame Bild gefaßt: „Der Schlamm bringt nicht den Aal hervor, wie Aristoteles meinte, aber die Auffassung: wo kein Schlamm, da auch kein Aal, käme der Wahrheit schon naher( ...] eine an sich unendliche Variabilität des Schaffens wird durch eine gewisse Auswahl in bestimmte Richtungen gelenkt." 7 Dieses Verhältnis der wechselseitigen Selektivität ermöglicht es auch, das 'Nachleben' der Empfindsamkeit bis in die Gegenwart zu beobachten: Die Tradition wertbewußter Innerlichkeit, der Primat der Gesinnungsethik, die Auffassungen von Liebe, Ehe und Familie, die Grundorientierung an einer als 'Gemeinschaft' erfahrbaren Nahwelt, der die 'große Welt' des Hofes, der s Diskurse der Empfindsamkeit. Zur Geschichte eines Gefühls in der Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1988. 6 Das Problem der Individualität als Herausforderung an die Semantik im Sturm und Drang, Tübingen 1995. 1 Levin L.Schücking, Soziologie der literarischen Geschmacksbildung, Bern 3 1961, 23. Hervorhebung von mir.

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Karl Eibl

Großstadt, der 'Gesellschaft' gegenüberstehen - das sind alles Vorstellungen, die dem ethischen Design der Empfindsamkeit entsprechen. Die Empfindsamkeit stellte offenbar einen Wertespeicher zur Verfügung, der in der Folgezeit, wo immer entsprechender gesellschaftlicher Bedarf bestand, für die Lebensorientierung herangezogen werden konnte. Und insofern wird man sie durchaus in den Zusammenhang der Entstehung der 'bürgerlichen' Gesellschaft stellen können. Nicht in dem Sinne, daß da ein Bürgertum gewesen wäre, das sich im Rahmen seines Aufstiegs, sozusagen aus Gründen des Sozialprestiges, auch ein Ethos zulegte. Sondern daß die neue, überaus heterogene Schicht der neuen 'Bürgerlichen' (zu der auch viele Adelige gehörten) eine Empfindens- und Verhaltenstopik brauchte und daß die Empfindsamkeit die Grundlegung dieser Topik bildete. Diese Topik war gewiß nicht die des erfolgreichen Wirtschaftsbürgers. Aber gerade ein Gesellschaftssystem, das den Erfolg prämiert, braucht auch ein Ethos für die Mehrheit, die weniger Erfolgreichen. So läßt sich das scheinbare Paradox einer empfindsamen Ethik für eine Leistungsgesellschaft verstehen: Komplementär zur brutalen Welt von Kapitalismus und Imperialismus entstehen Armenküchen und Rotes Kreuz, zieht sich die Kontinuität einer Werthaltung, die Sensibilität und Kommunikativität prämiert und so einen Raum des 'wahren' Menschseins parat hält für alle, die den Maximen der großen Welt nicht gehorchen können oder wollen. Die vorerst letzte Station dieser Entwicklung läßt sich in den USA beobachten, wo die forcierte Freisetzung der Marktkräfte auch die Bewegung des 'Kommunitarismus' hervorgebracht hat, die die Schäden dieser Entwicklung durch Besinnung auf Tugenden zu heilen versucht, die in ihren Wurzeln in die Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts zurückreichen. 8 Karl Eibl

8 Eines der programmatischen Werke: Amitai Etzioni, Die Verantwortungsgesellschaft. Individualismus und Moral in der heutigen Demokratie, Berlin 1999 (im Englischen der vielleicht aussagekräftigere Titel: „The new golden rule").

LOTIIAR PIKULIK

Die Mündigkeit des Herzens Über die Empfindsamkeit als Emanzipations- und Autonomiebewegung

Wer gedacht hatte, daß die Empfindsamkeit keine ganz unwichtige Strömung des 18. Jahrhunderts war, ja geistes-, seelen- und sozialgeschichtlich zu erheblichen Umbrüchen führte, reibt sich verwundert die Augen, wenn er neuere Gesamtdarstellungen der damaligen Epoche zur Hand nimmt. Da hat sich das Phänomen so sehr in dem Sanunelbegriff ,,Aufklärung" aufgelöst, daß es kaum mehr zu existieren scheint. Um nur einige Beispiele zu nennen: Konsultiert man das Inhaltsverzeichnis des 1980 erschienenen dritten Bandes von Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, der Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680-1789 überschrieben ist, sucht man hier das Stichwort Empfindsamkeit vergebens. Im „Zweiten Teil: Phasen der Aufklärung" hätte es vorkommen können, doch wird hier nur - fast verschämt - ein kleinerer Artikel (14 Seiten) über den „Geniekult des Sturm und Drang" angezeigt; darüber hinaus wird auch dieser Phase der damaligen Gefühlskultur keine eigene Behandlung zugebilligt. Bei Peter J. Brenner, in seiner Neuen deutschen Literaturgeschichte (1996), könnte dieses Verfahren Schule gemacht haben; denn auch hier gibt es zum 18. Jahrhundert nur ein Kapitel „Frühaufklärung" sowie ein weiteres ,,Aufklärung". Der von Sven Aage J0rgensen, Klaus Bohnen und Per 0hrgaard verfaßte Band 6 der von de Boor/Newald begründeten, bei C. H. Beck erscheinenden Literaturgeschichte führt immerhin den Titel Aufklärung, Sturm und Drang, frohe Klassik (1990), macht jedoch ebenfalls von der Empfindsamkeit nicht viel Aufhebens. Nach genauem Durchforschen des Inhaltsverzeichnisses findet man das Stichwort versteckt und kleingedruckt unter „B. Die Literatur der Aufklärung", Abschnitt ,,III. Gattungen. 2. Roman". Ebensowenig wie hier kommt die Empfindsamkeit in dem von Werner Schneiders herausgegebenen Lexikon der Aufklärung (1995) über den Statuseinerunscheinbaren Nebensache hinaus: in dem über 450 Seiten starken Buch wird ihr gerade mal ein Artikel von knapp anderthalb Seiten eingeräumt. 1 Zweifel sind angebracht, ob diese Behandlung berechtigt ist. Nach wie vor scheint eine Verständigung darüber nötig, was Empfindsamkeit eigentlich ist 1 Der Verfasser des Artikels ist Gerhard Sauder, der die Devise zu dem hier bezeichneten Trend der Literaturgeschichtsschreibung bekanntlich mit seinem Buch: Empfindsamkeit, Bd. 1: Voraussetzungen und Elemente, Stuttgart 1974, ausgegeben hatte: „Empfindsamkeit ist als Tendenz der Aufklärung zu begreifen wie Sturm und Drang und Rokoko." (S. XI)

Aufklärung 13 · ' Fuß fassen kann. Das von Tieck entwickelte Generationenmodell wird in seinem zentralen Punkt, nämlich der kompromißlosen Konkurrenz von ideellen und materiellen Besitzansprüchen, von den Autoren des Fin de siecle wie Thomas Mann, Strauß, Hueb oder Rilke variiert oder reformuliert. Tiecks Briefroman führt so die Empfindsamkeit keineswegs „an ein Ende",62 sondern aktualisiert ihre Programmatik unter den Prämissen eines in die Zukunft weisenden Skeptizismus. Die in diesem Kontext tradierten Männlichkeitsbilder sind allerdings in der Gender-Diskussion meist ignoriert worden. Sensitive Helden wie Hanno Buddenbrook, Heinrich Lindner, Hans Giebenrath, Mao oder Julian Boufflers sind in einer Literaturwissenschaft, die sich „neue Weisen des Lesens und Wertens"63 auf die Fahnen geschrieben hat, bisher auf wenig Interesse gestoßen. Der „Gegensatz zu den herkömmlichen männl. Festschreibungen", die „Leerstelle in der phallokratischen u. logozentr. Kultur''64 wird in der Postmoderne anders als in der Zeit der Empfindsamkeit oder des Fin de siecle unter den Vorzeichen „einer Aufklärung im feministi-

schen Sinne"65 ausschließlich mit Weiblichkeit identifiziert. Die Anfänge dieses reduktionistischen Männlichkeits-Weiblichkeitsdiskurses Jassen sich in Klaus Theweleits vielzitiertem Buch Männerphantasien aufzeigen. Seine Ausführungen über die „wilhelminische Gesellschaft" und die „männliche Jugend''66 basieren auf einer inakzeptabel schmalen Auswahl später erschienener, ideologisch einschlägiger Texte von Ernst von Salomon, Edwin Erich Dwinger, Hubert E. Gilbert oder Joseph Goebbels. Autoren und Quellen, die zu seinen Ausführungen quer stehen, haben in diesen „Überlegungen zur Ich-Struktur"67 Ebd„ 294. Ludwig Tieck, William Lovell, in: Ders., Schriften 1828, 5. 62 Lothar Pikulik, Die Frühromantik in Deutschland als Ende und Anfang. Über Tiecks William love/I und Friedrich Schlegels Fragmente, in: Frühromantik (wie Anm.54), 118. 63 Gisela Brinker-Gabler, Vorwort, in: Gisela Brinker-Gabler (Hg.), Deutsche Literatur von Frauen, Bd. 2: 19. und 20. Jahrhundert, München 1988, 9. 64 Gisela Henckmann, Feministische Literaturkritik, in: Literaturlexikon. Begriffe, Realien, Methoden, hg. von Volker Meid, Gütersloh, München 1992, 296. 6S Christine Thürmer-Rohr, ' ... Opfer auf dem Altar der Männeranbetung', in: Gudrun KohnWaechter (Hg.), Opfermythen und Weiblichkeitsentwürfe im 20. Jahrhundert, Berlin 1991 , 36. 66 Klaus Theweleit, Männerphantasien, Bd. 2, Basel, Frankfurt am Main 1986, 440, 403. 67 Klaus Theweleit, Männerphantasien, Bd. 1, Basel, Frankfurt am Main 1986, 8. Es fehlt jede Auseinandersetzung mit den Standardwerken von Heinrich Ahrens, Theodor Herrle, Joachim H. Knoll, Walter Laqueur oder Julius H. Schoeps zur Jugendbewegung sowie mit den entsprechen60

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Modernität der Empfindsamkeit

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in der frühen Modeme keinen Platz, epochale Phänomene wie die Jugendbewegung finden keinerlei adäquate Berücksichtigung. Die Relativierung der von der jüngeren Forschung konstruierten Geschlechterstereotype ist ein Desiderat.

V. Empfindsame und frühmoderne Zivilisationskritik

Fast alle der unter den Stichworten Sensibilität und Männlichkeit zu subsumierenden Texte aus der Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts und der frühen Modeme problematisieren ein durch Rollenzwänge und Restriktionen definiertes Prinzip zweckrationaler Weltdeutung, bilden aber keine Realität im Sinne simpler Widerspiegelung ab, da natürlich jede Literarisierung subjektiver Affekte und Konflikte unverwechselbare, autorabhängige Brechungen aufweist, die von den Vorgaben des literarischen Feldes, narrativen Konventionen, individuellen Intentionen und sozialen Konventionen abhängig sind. Dennoch ist zu bedenken, daß unter den angeführten Erzähltexten auffallend viele Erstlingswerke sind, die aus einem kaum verhüllten autobiographischen Kontext heraus entstanden sind und sich im Sinne autoanalytisch orientierter Introspektion hartnäckig einer Mystifizierung und Sentimentalisierung der Adoleszenz widersetzen. Vor diesem Hintergrund ist der in Moritz' Anton Reiser, Tiecks

Geschichte des Herrn William Lovel/68, bei Thomas Mann und anderen demonstrativ vorgeführte Rekurs auf Goethes Leiden des jungen Werther weniger als Hinweis auf einen durch literarische Selbstreflexion konkretisierten objektiven Traditionszusammenhang zu sehen, der mit einschlägigen Themen, Motiven und narrativen Mustern assoziiert wird, sondern als subjektive Berufung auf ein epochemachendes Textzeugnis, das als Synonym für die zentralen Werte ästhetischer und individueller Autonomie steht und sich stets jeder zweckrationalen Vereinnahmung entzogen hat. Ungeachtet der Tatsache, daß „die Geschichten" nicht „für die Geschichte"~9 zu nehmen sind, rücken die angeführten Texte auf diese Weise in die Nähe eines Status repräsentativer literarischer Subjektivität, die als sozial bewirktes und gleichzeitig als sozial wirkendes Handeln konkretisierbar ist. den Zcitschriftenquellen ('Altwandervogel', 'Jungwandervogel', 'Wandervogel', 'WandervogelWarte', 'Die Tat', 'Freie Schulgemeinde' u. a.). 68 Tieck, Lovell (wie Anm. 62), VI. Hier heißt es: „Die frühen Werke Göthe's waren die erste Nahrung meines Geistes gewesen. Ich hatte das Lesen gewissermaßen im Ber/ichingen gelernt. [...]Nicht vergessen, aber verdunkelt wurden diese Eindrücke, als sich jener Schatten über mein Gemüth ausbreitete, der durch Werther freilich noch finstrer sich verdichtete." 69 Heinz-Elmar Tenorth, Jugend und Generationen im historischen Prozeß. Historische Befunde und Probleme ihrer Analyse, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 13 (1988), 138.

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York-Gothart Mix

Die ungebrochene Aktualität von Goethes Leiden des jungen Werther und Moritz' Anton Reiser für die Autoren des Fin de siecle ist als Beleg für eine imaginative, nicht funktional und zweckrational dominierte, zivilisationskritisch definierte Ursprungslinie der Modeme zu deuten und bestärkt den Verdacht, daß „die ästhetische Modeme viel durchgängigere Strukturen aufweist, als es die eigene Ideologie"70 wahrhaben will. Das auffällige Interesse für die Selbstmordthematik71 , die Depersonalisierungsproblematik, die dilettantische Kunstübung, die Sakralisierung der Musik als „geistigste der Künste des Geistes"72 oder zum geheimen „Alphabet der Empfindungen",73 die Vorliebe für die zum Ichverlust potenzierten Rollenkonflikte, den Typus des sensiblen Sonderlings oder genialischen Außenseiters, für die Depretiation des soziokulturellen Status quo, die illusionäre Beschwörung ästhetischer Gegenwelten, die vielen mit Hypersensitivität assoziierten Symptome wie ,,Nervenschwäche, Nervenfieber, Seelenhypochondrie, Melancholie" und „Schwerrnut",74 für verschiedene Varianten der ästhetischen Gemeindebildung und eines geistesaristokratischen Habitus, die schattenhafte, an den Widrigkeiten des Alltags scheiternde Utopie, die Suche nach erneuerter Innerlichkeit oder die Berufung auf die Authentizität subjektiver Affekte spricht ebenso für die Verflechtungen zwischen der empfindsamen, fiühromantischen und fruhmodemen Zivilisationskritik wie die signifikante Invarianz, mit der man von pädagogischer Seite diesen als skandalös empfundenen Texten begegnet ist. Abgesehen von den „drastischen äußeren Konsequenzen, wie strenge Zensur, Verbot" oder anderen rigiden Verhaltensmaßregeln ähneln sich die Strategien sozialpsychologischer Diskreditierung: zwischen dem „Klischee des melancholischen, tränenseligen, im Mondschein auf Gräbern schmachtenden siegwartisierenden Kopjhängers"75 und der problemblinden Kritik an vermeintlicher moralischer ,,Zersetzung"76 oder dekadenter ,,Kränklichkeit", die Vietta, Modernekritik (wie Anm. 1), 537. Vgl. York-Gothart Mix.• Selbstmord der Jugend. H. Falladas Der junge Goedschal, J. R. Bechers Abschied, H. Hesses Unterm Rad und der Erziehungsalltag im Kaiserreich, in: GerrnanischRomanische Monatsschrift 44/ 1{1994),63 ff. 12 Pierre Bourdieu, Über Ursprung und Entwicklung der Arten der Musikliebhaber, in: Ders. Soziologische Fragen, Frankfurt am Main 1993, 147. - Vgl. Friedrich H. Tenbruck, Die Musik zwischen europäischer Kultur und globaler Zivilisation, in: Ders., Perspektiven der Kultursoziologie. Gesammelte Aufsätze, hg. von Clemens Albrecht, Wilfried Dreyer, Harald Homann, Opladen 1996, 252 ff. n Julia Cloot, Geheime Texte. Jean Paul und die Musik, Berlin, New York 2001, 85. 74 Sauder, Nachwort (wie Anm. 25). 1976, 212. - Vgl. auch: Johannes Radkau, Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München, Wien 1998, 33 ff, 263 ff. 75 Sauder, Nachwort (wie Anm. 25), 215. 16 Ruth Westerrnann, Jugend und Reife in Darstellungen unserer Zeit, in: Bücherkunde. Monatshefte für das deutsche Schrifttum 1017 ( 1943), 244. 10

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Modernität der Empfindsamkeit

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sich der ,,Realität des Lebens einfach nicht gewachsen"77zeigt, existieren ungeachtet unübersehbarer Unterschiede Verbindungslinien, die vor dem Hintergrund tradierter weiblicher und patriarchalischer Männlichkeitsideale konkretisierbar sind. Das zivilisationskritische Potential empfindsamer Postulate steht in jedem Fall in krassem Gegensatz zu „den Rufen nach Ausrottung, Heilanstalten, Trepanation, Arbeitshaus und Deportation"78 , die Sauder bei den hartleibigsten zeitgenössischen Kritikern der Empfindsamkeit ausgemacht hat. Im Unterschied zu manchen soziologischen Modernisierungstheorien, die auf die positiven Konsequenzen der Modernisierung fixiert sind, „hält die ästhetische Modernisierungskritik eben jener Modeme auch die Negativfolgen ihres eigenen Geschichtsprozesses vor Augen".79 Die Lieblingsidee der Aufklärung, das maßvoll-stoische, se/bstdenkende, in sich ruhende Subjekt stellt sich in den Augen empfindsamer Kritiker als zwanghaft postulierte, illusionäre Einheit dar. Die im „ Werther" und im „Anton Reiser" thematisierten Identitätskrisen, Rollenkonflikte, Depersonalitätsphänomene und Selbstmordphantasien werden von der frühromantischen Literatur reformu/iert und in die Moderne tradiert. Dabei ist auffällig, daß der in den Erzähltexten literarisierte Prozeß der Depersonalisierung fast ausschließlich von jungen männlichen Protagonisten erlebt wird. Diese Fokussierung auf miinnliche Helden in einschlägigen Texten von Thomas Mann, Robert Musil, Friedrich Huch, Emil Strauß bis hin zu Thomas Bernhard verweist nicht nur auf den Vorbildcharakter der Romane von Johann Wolfgang Goethe und Karl Philipp Moritz, sondern auch auf ein durch den Vater repräsentiertes Generationenmodel/, das schon in der Empfindsamkeit eine problematisierte Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Relativierung einer von der jüngeren Gender-Forschung konstruierten Geschlechterpolarität als Desiderat. Gleichzeitig wird deutlich, daß die Modernekritik der ästhetischen Moderne aus der Vernunftkritik der Aufklärung erwächst. Sentimental critics perceived the favourite idea of the enlightenment, the moderate and stoica/ weil balanced seif as an illusionary unity. The early Romantic literature takes up main subjects of "Werther" and "Anton Reiser" like identity crisis. role conjlicts, phenomenons ofdepersonalisation and suicidal fantasies and passes them on to the modern age. lt strikes that in the relevant texts by Thomas Mann, Robert Musil, Friedrich Huch, Emil Strauß and Thomas Bernhard the process of 77 Richard Hamann, lost Hermand, Impressionismus, München 1972, 150. - Entscheidend ist, daß der zur Zeit des Fin de siecle in den bildungskritischen Erzähltexten propagierte sensitive männliche Typus unübersehbar gegen das von Stanislaw Przybyszewski propagierte Dekadenzkonzept abgrenzbar ist, vgl. in diesem Kontext Monika Fick, Literatur der Dekadenz in Deutschland, in: York-Gothart Mix (Hg.), Naturalismus, Fin de siecle, Expressionismus. 1890-1918, München, Wien 2000, 220 ff. 1s Sauder, Nachwort (wie Anm. 25), 215. 79 Vietta, Modemekritik (wie Anm. 1), 548.

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York-Gothart Mix

depersonalisation is solely experienced by young male protagonists. This focus refers not only to the exemplary character of Johann Wolfgang Goethes' and Karl Philipp Moritz · novels but also to a generational model represented by the figure of the father. which has already been scrutinised during the Age of Sensibility. Considering this background the polarisation of sex constructed by the later gender-research proves tobe in need of revision. At the same time it becomes obvious that criticism concerning the esthetical modern age roots in the Age of Enlightenment and its critique of reason. Prof. Dr. York-Gothart Mix, Jutastraße 9, D-80636 München

ABHANDLUNGEN ZUR POLITISCHEN THEORIE IM 18. JAHRHUNDERT

EINLEITUNG

Mit der Geschichte der politischen Ideen im Deutschland des 18. Jahrhunderts betritt das Jahrbuch 'Aufklärung' kein neues Forschungsfeld. Nicht zuletzt aus zahlreichen Beiträgen in den vergangenen Jahrgängen ergibt sich, daß die historisch arbeitenden Wissenschaften sich aus ihrer jeweiligen Perspektive seit jeher damit beschäftigt haben. Neuerdings jedoch stoßen ideengeschichtliche Forschungen wiederum auf ein gesteigertes Interesse, hervorgerufen durch methodische Überlegungen, die zu zahlreichen neuen Resultaten geführt haben. Insbesondere die sogenannte Cambridge School um John GA. Pocock und Quentin Skinner (dazu jüngst Eckbart Hellmuth und Christoph von Ehrenstein, Intellectual History Made in Britain: Die Cambridge Schoo/ und ihre Kritiker, in: Geschichte und Gesellschaft 27, 2001, $. 149-172) hat ideengeschichtliche Forschungen in den letzten Jahren erheblich befruchtet; freilich sollten daneben auch andere methodische Zugriffe nicht vergessen werden, so etwa die Begriffsgeschichte, repräsentiert in dem monumentalen Werk „Geschichtliche Grundbegriffe". Einige der methodischen Forderungen der „neuen Ideengeschichte" lassen sich in aller Kürze wie folgt zusammmenfassen: Erstens sollen nicht nur die „großen Autoren" untersucht, gewissermaßen ,,historische Gratwanderungen" unternommen werden. Vielmehr gehe es auch und gerade um die Analyse der Masse der ,,mittleren" und ,,kleinen" Quellen, bis hin zu Rezensionen; nicht zuletzt so ließen sich der Stellenwert und die Entwicklung von Ideen in ihrer Zeit einigermaßen zuverlässig rekonstruieren. Zweitens seien alle Quellen, also auch die „großen Autoren", zu kontextualisieren, also im Kontext ihrer jeweiligen historischen Zeit und ihres jeweiligen historischen Ortes zu interpretieren. Drittens und damit zusammenhängend seien Ideen nicht isoliert zu sehen; vielmehr müsse berücksichtigt werden, daß sie häufig Bestandteil bestimmter Diskurse waren. Viertens sei die Wechselwirkung von Ideen und Lebenswelt in den Blick zu nehmen. Selbstverständlich können die folgenden drei Aufsätze weder alle diese methodischen Forderungen verwirklichen, noch einen repräsentativen Überblick über die Geschichte der politischen Ideen im Deutschland des 18. Jahrhunderts Aufklärung 13 ·