Auf der Suche nach politischer Gemeinschaft: Oppositionelles Denken zur Nation im ostmitteleuropäischen Samizdat 1976-1992 9783110418774, 9783110419771

An IfZ Publication In the waning years of socialism, the nation remained the dominant idea of social order in Eastern

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German Pages 415 [416] Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1 Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa
1.1 Krisen sozialistischer Staatlichkeit
1.2 Neue Strategien für eine neue Opposition
1.3 Oppositioneller Aufbruch
1.4 Unabhängige Publizistik
2 Aufbrüche mit der Nation
2.1 Kreuzungen von Nation und Opposition in Polen
2.1.1 Ein „Geist, der belebt“
2.1.2 Neue konservative Programme
2.1.3 Eine neue Ordnung der Opposition
2.2 Vom Sinn der tschechischen Nation
2.2.1 Jan Patocka und das „kleine“ Tschechentum
2.2.2 Ein „Versuch über das Vaterland oder die Heimat“
2.2.3 Eine politische tschechische Nation?
2.3 Oppositionelle Programme für die ungarische Nation
2.4 Der nationale „Karneval“ der Solidarnosc
2.4.1 Der Streik auf der Lenin-Werft
2.4.2 Suche nach einem Programm
2.4.3 Eine solidarische Nation
2.5 Schlussbetrachtung: Die Nation als oppositionelle Strukturkategorie
3 Eine neue Vergangenheit der Nation
3.1 Die polnische Nation im Kriegsrecht
3.1.1 Eine neue Qualität des Konflikts: „Krähe“ gegen „Adler“
3.1.2 Eine Renaissance der Nationaldemokratie?
3.2 Ein „Recht auf Geschichte“ in der Tschechoslowakei
3.3 Die „Tschechen in der Neuzeit“
3.4 Schlussbetrachtung: Geschichtsdenken als oppositionelle Sinnstiftung der Nation
4 Eine Nation unter anderen
4.1 Die „deutsche Frage“ und polnische Hoffnungen
4.1.1 Neue Gedanken zu Deutschland
4.1.2 Deutsche Wiedervereinigung und polnische Souveränität
4.1.3 Impulse aus Deutschland?
4.2 Der „Abschub“ der Deutschen aus der Tschechoslowakei
4.3 Irredenta und nationale „Sündenböcke“ in Ungarn
4.4 Die polnische Nation und ihr Osten
4.4.1 Brüder im Osten?
4.4.2 Ein anderer Blick gen Osten
4.5 Mitteleuropäische Reflexionen gegenüber der Nation
4.5.1 Die Entführung des Abendlands
4.5.2 Mitteleuropa in Ostmitteleuropa
4.5.3 Mitteleuropa oder Europa?
4.5.4 Mitteleuropa, Europa und die oppositionelle Nation
4.6 Schlussbetrachtung: Eine Nation der inneren und äußeren Anerkennung
5 Oppositionelle politische Gemeinschaft
5.1 Oppositionelle Nation
5.2 Opposition über Grenzen
5.3 Oppositionelle Zivilgesellschaft
5.4 Ausblick: Oppositionelle Nation in der gesellschaftlichen Transformation
Schlussbetrachtung: Eine Politische Gemeinschaft im Samizdat
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Personenregister
Reihenübersicht: Ordnungssysteme
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Auf der Suche nach politischer Gemeinschaft: Oppositionelles Denken zur Nation im ostmitteleuropäischen Samizdat 1976-1992
 9783110418774, 9783110419771

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Gregor Feindt Auf der Suche nach politischer Gemeinschaft

Ordnungssysteme

Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit Herausgegebenen von Jörg Baberowski, Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael

Band 47

Gregor Feindt

Auf der Suche nach politischer Gemeinschaft Oppositionelles Denken zur Nation im ostmitteleuropäischen Samizdat 1976–1992

Ausgezeichnet mit dem Fritz-Theodor-Epstein-Preis des Verbands der Osteuropahistorikerinnen und -historiker und dem Johannes-Zilkens-Promotionspreis der Studienstiftung des deutschen Volkes. Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. Zugl.: Bonn, Univ. Diss., 2013.

ISBN 978-3-11-041977-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041877-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041886-6 ISSN 2190-1813 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog recorwd for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

 Es ist durchaus möglich. […] Gleichwohl sollte der Intellektuelle diesen [Traum] verteidigen – auch gegen die Wirklichkeit, auch um den Preis der Vereinsamung und des Verlusts an Popularität. Auch um den Preis des Erleidens von Verfolgung. Nicht aber um den Preis der Wahrheit.“* Adam Michnik

 * Adam Michnik: Czerwona nić. Adam Mickiewicz – my wszyscy z niego, in: Ders.: Polskie pytania, Warschau 2009 [Erstausgabe Paris 1987], S. 237–259, hier S. 258.

Danksagung Das erste Mal begegnete ich dem politischen Denken von Opposition und Widerstand in Ostmitteleuropa während meines Freiwilligendienstes in Krzyżowa/Kreisau. Seitdem ließ mich dieses Denken unter Bedrohung und im Geheimen nicht mehr los. Umso mehr habe ich es genossen, über Jahre in die Texte dieser Untergrundliteratur einzutauchen und polnische, tschechoslowakische und ungarische Oppositionelle so zu meinen täglichen Begleitern zu machen. Daraus ist dieses Buch entstanden, das 2013 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen wurde. Ein Buch, zumal eine Dissertation, entsteht aber nicht einfach im luftleeren Raum. Trotz langer Stunden am einsamen Schreibtisch lebte mein Schreiben vom ständigen Austausch mit anderen: Dittmar Dahlmann (Bonn), der mein Vorhaben betreute, bin ich zu besonderem Dank verpflichtet. Er verband akademische Freiheiten mit vielfältigen Anregungen und Gelassenheit. Unsere fast täglichen „Balkongespräche“ halfen bei allen Fragen und Sorgen, die das Sammeln, Niederschreiben und Verwerfen von Ideen mit sich bringen. Sie brachten aber auch über das vorliegende Buch hinaus viele Überlegungen hervor, nicht zuletzt zum Fußball. Zudem machte es mein schöner Arbeitsplatz in der Bonner Abteilung für Osteuropäische Geschichte – mit Blick auf den Hofgarten – umso leichter, im Stoff zu versinken. Ebenso danke ich Joachim Scholtyseck (Bonn), der das Zweitgutachten zur Dissertation übernahm. Albert S. Kotowski (Bonn, jetzt Bromberg) und Andrzej Leon Sowa (Krakau) begleiteten erste Gedanken zur polnischen Zeitgeschichte und zur Opposition im Spätsozialismus. Die intensiven Diskussionen mit Jörn Leonhard (Freiburg) und Joachim von Puttkamer (Jena) bei einem Wissenschaftlichen Kolleg der Studienstiftung prägten mein Verständnis von Geschichte nachhaltig. Wolfgang Eichwede (Bremen) reicherte meine ersten Pläne mit seinem konkreten Wissen über den Samizdat an und Tatjana Tönsmeyer (Wuppertal/Essen) stellte mir anregende, oft knifflige Fragen zum vergleichenden Ansatz. Mit Michal Kopeček (Prag) und Robert Brier (Warschau) konnte ich aus der Perspektive der Oppositionsforschung diskutieren. Darüber hinaus stellte ich vor, während und auch nach dem Schreiben meine Gedanken bei Kolloquien und Konferenzen in Bamberg, Berlin, Bremen, Cambridge, Erlangen, Hamburg, Jena, Krakau, London, Marburg, Warschau und Potsdam vor. Die Nachfragen und Kritiken, die ich dort erfuhr, halfen mir, meine Argumente zu schärfen und für dieses Buch zu strukturieren.

VIII  Danksagung In der Bonner Osteuropäischen Geschichte bot sich fernab institutionalisierter oder gar finanziell geförderter Formen ein enger und fruchtbarer Diskussionsraum, der Wissenschaft als Lebensstil möglich werden ließ. Dafür danke ich unserem „Seminarkollektiv“, Anke Hilbrenner, Alexander Chertov, Jan Kleinmanns, Marit Kretschmann, Diana Ordubadi, Felix Schönfelder, Pascal Trees und Matthias Winterschladen, herzlichst. Das Denken und Diskutieren hörte mit ihnen nie auf, auch wenn man irgendwann an bequemere Orte wechselte. Mit Félix Krawatzek (Oxford), Daniela Mehler (Frankfurt am Main), Friedemann Pestel (Freiburg/Wien) und Rieke Trimçev (Hamburg) verbindet mich seit Beginn der Promotion die Arbeit zur europäischen Erinnerung, ein Thema, das einerseits nur sehr bedingt mit meinem Vorhaben zu tun hatte und dessen theoretische Reflexion meine Arbeit andererseits fast vollständig durchzieht. Unser konspiratives und öffentliches Nachdenken und gerade das kollektive Schreiben waren mehr als nur geistige Arbeit, sondern immer auch eine intellektuelle Heimat, nicht zuletzt aber ein Vergnügen. Die Arbeit mit Samizdat-Quellen ist oft mühsam und hat mich fast ein Jahr in Archiven verbringen lassen. Ohne Archivare und ihr Hintergrundwissen wäre ein solches Unterfangen wohl unmöglich. Karina Garsztecka an der Forschungsstelle Osteuropa (Bremen) und Robert Parnica an den Open Society Archives (Budapest) gilt daher mein ganz besonderer Dank. Meine Mitbewohnerinnen und Mitbewohner, Jeannine Bischoff, Daniel Habeck, Angela Schmitz und Urs Schüffelgen und mein Bruder Ulrich Feindt ertrugen alle Spinnereien, die mir im Laufe des Projekts einfielen. Sie waren stets mit Rat, Tat und Ablenkung zur Stelle, wenn es einmal genug war mit dem Samizdat. Alle diese Betreuer, Kollegen und Freunde, ob nun in Bonn oder woanders, waren wertvolle Gesprächspartner und kritische Leser meiner Texte. Auf ganz unterschiedliche Weise haben sie dazu beigetragen, dass diese Arbeit am Ende zwischen zwei Buchdeckel passte. Dafür mein herzlicher Dank! Mein freies und reisendes Forschen wäre ohne eine entsprechende Finanzierung nicht möglich gewesen. Die Studienstiftung des deutschen Volkes verband ihre verschiedenen Stipendien, zuletzt das dreijährige Promotionsstipendium, mit einer wunderbaren ideellen Förderung. Über den unbürokratischen Bonner Direktaustausch mit der Universität Warschau konnte ich insgesamt fünfmal zu Bibliotheksstudien an die Weichsel aufbrechen. Das Deutsche Historische Institut Warschau und das Herder-Institut in Marburg gaben mir zudem die Möglichkeit, im Exil zu Ende zu schreiben. Besonders gefreut habe ich mich, dass der Verband der Osteuropahistorikerinnen und -historiker meine Arbeit mit dem Fritz Theodor Epstein-Preis und die Studienstiftung des deutschen

Danksagung  IX

Volkes sie mit dem Johannes Zilkens-Promotionspreis auszeichneten. Schließlich ermöglichte der Förderungs- und Beihilfefond der VG Wort das Erscheinen dieses Buches mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss. Zu allerletzt und allermeist sei aber denen gedankt, die tiefgründiger zu diesem Buch beitrugen, als ich – und vielleicht auch sie selbst – es richtig erfassen könnte, meinen Eltern: Elisabeth Sänger-Feindt und Josef Feindt. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Mainz, im April 2015 Gregor Feindt

Inhalt Einleitung  1 1 1.1 1.2 1.3 1.4

Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa  27 Krisen sozialistischer Staatlichkeit  28 Neue Strategien für eine neue Opposition  36 Oppositioneller Aufbruch  41 Unabhängige Publizistik  47

2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.5

Aufbrüche mit der Nation  61 Kreuzungen von Nation und Opposition in Polen  63 Ein „Geist, der belebt“  65 Neue konservative Programme  75 Eine neue Ordnung der Opposition  80 Vom Sinn der tschechischen Nation  83 Jan Patočka und das „kleine“ Tschechentum  83 Ein „Versuch über das Vaterland oder die Heimat“  90 Eine politische tschechische Nation?  96 Oppositionelle Programme für die ungarische Nation  98 Der nationale „Karneval“ der Solidarność  109 Der Streik auf der Lenin-Werft  113 Suche nach einem Programm  120 Eine solidarische Nation  130 Schlussbetrachtung: Die Nation als oppositionelle Strukturkategorie  132

3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.3 3.4

Eine neue Vergangenheit der Nation  141 Die polnische Nation im Kriegsrecht  142 Eine neue Qualität des Konflikts: „Krähe“ gegen „Adler“  145 Eine Renaissance der Nationaldemokratie?  150 Ein „Recht auf Geschichte“ in der Tschechoslowakei  159 Die „Tschechen in der Neuzeit“  172 Schlussbetrachtung: Geschichtsdenken als oppositionelle Sinnstiftung der Nation  183

4 4.1 4.1.1

Eine Nation unter anderen  189 Die „deutsche Frage“ und polnische Hoffnungen  191 Neue Gedanken zu Deutschland  194

XII  Inhalt 4.1.2 4.1.3 4.2 4.3 4.4 4.4.1 4.4.2 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.6

5 5.1 5.2 5.3 5.4

Deutsche Wiedervereinigung und polnische Souveränität  200 Impulse aus Deutschland?  202 Der „Abschub“ der Deutschen aus der Tschechoslowakei  206 Irredenta und nationale „Sündenböcke“ in Ungarn  221 Die polnische Nation und ihr Osten  234 Brüder im Osten?  243 Ein anderer Blick gen Osten  250 Mitteleuropäische Reflexionen gegenüber der Nation  254 Die Entführung des Abendlands  256 Mitteleuropa in Ostmitteleuropa  264 Mitteleuropa oder Europa?  270 Mitteleuropa, Europa und die oppositionelle Nation  274 Schlussbetrachtung: Eine Nation der inneren und äußeren Anerkennung  276 Oppositionelle politische Gemeinschaft  285 Oppositionelle Nation  286 Opposition über Grenzen  295 Oppositionelle Zivilgesellschaft  301 Ausblick: Oppositionelle Nation in der gesellschaftlichen Transformation  312

Schlussbetrachtung: Eine Politische Gemeinschaft im Samizdat  331 Abkürzungsverzeichnis  339 Quellen- und Literaturverzeichnis  341 Personenregister  395 Reihenübersicht: Ordnungssysteme  399

Einleitung Der Kampf um die Gestalt des polnischen Patriotismus wird über das Schicksal unserer Nation entscheiden – über seine moralische, kulturelle und politische Zukunft.1

Mit diesen Worten umschrieb der polnische Literaturkritiker und Oppositionelle Jan Józef Lipski im Sommer 1981 ein Kernthema oppositionellen politischen Denkens. Anders als diese Worte zunächst vermuten lassen, war Lipski kein Konservativer und gegenüber traditionellen Vorstellungen der Nation ausgesprochen skeptisch. In seinem berühmt gewordenen Aufsatz Zwei Vaterländer – zwei Patriotismen ging er vielmehr eine kritische Neuausrichtung der polnischen Nation an. Mit seinem Entwurf eines alternativen und von oppositionellen Ideen geprägten Patriotismus repräsentiert Lipski hier nur einen kleinen Ausschnitt oppositionellen Denkens zur Nation, das in dieser Arbeit analysiert werden wird. Er steht aber stellvertretend für oppositionelle Debatten der späten 1970er und 1980er Jahre in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn, die eine solche nationale Selbstreflexion mit oppositionellem Handeln verbanden. Oppositionelle unterschiedlicher politischer Weltanschauungen diskutierten gemeinsam über ihre Vorstellungen, was die eigene Nation sein könne, über die Geschichte, Gegenwart und Zukunft dieser politischen Gemeinschaft und über ihre Bedeutung für die Opposition gegen den Staatssozialismus. Indem sie den Begriff Nation für ihr Menschenrechtsengagement öffneten, wurde die Nation zugleich zu einem herausfordernden Leitbegriff oppositionellen politischen Denkens. Seit Mitte der 1970er Jahre ging in Ostmittel- und Osteuropa ein Gespenst umher, „ein Gespenst, das man im Westen ‚Dissidententum‘ nennt“2, wie es der tschechische Literat Václav Havel in Anlehnung an Karl Marx ausdrückte. Solche Dissidenten oder Oppositionelle blieben aber keine Schattengestalten, die selten und nur im Verborgenen sichtbar werden konnten. Sie suchten mit ihren Forderungen nach Menschenrechten, Freiheit und Selbstbestimmung gezielt den Weg in die Öffentlichkeit. Die seit 1976 entstandenen oppositionellen Bewegungen gingen über politische Resistenz, Nonkonformismus und Dissidenz,  1 Jan Józef Lipski: Dwie ojczyzny – dwa patriotyzmy. Uwagi o megalomanii narodowej i ksenofobii Polaków, in: Kultura, 35/10 (1981), S. 3–29, hier S. 7. Wenn nicht anders angegeben, stammen Zitatübersetzungen vom Autor. 2 Václav Havel: Versuch, in der Wahrheit zu leben, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 9.

2  Einleitung wie sie seit den Anfängen sozialistischer Herrschaft in Ostmitteleuropa bekannt und in unterschiedlichem Ausmaß verbreitet waren, hinaus. Sie unterschieden sich auch deutlich von Regimekritikern in anderen Staaten des Ostblocks, wie der Sowjetunion und DDR. Ihr entscheidender Schritt war es, die Kritik der Zustände im real existierenden Sozialismus nicht mehr an Staat und Partei zu richten, sondern unmittelbar an die Gesellschaft. Zudem blieben oppositionelle Akteure nicht mehr auf sich gestellt, sondern schlossen sich zu Menschenrechtsappellen und Hilfskomitees zusammen. Mit einfachsten Mitteln organisierten diese Oppositionellen im Selbstverlag, dem sogenannten Samizdat, eine alternative Diskussionsöffentlichkeit, die das staatliche Informationsmonopol genauso unterlief wie den staatssozialistischen Anspruch auf eine holistische Deutung von Gesellschaft und Welt. Diese Untergrundpublizistik bot somit eine Bandbreite an höchst unterschiedlichen, oft eigenständigen politischen Konzepten zwischen Sozialismus, Liberalismus und Konservatismus, die sich wiederum in verschiedener Weise auf die Ideenwelt des Regimes, historischer Vorbilder oder auch des Westens bezogen. Der hier untersuchte Zeitraum der späten 1970er und 1980er Jahre markierte für Ostmitteleuropa die Phase des Spätsozialismus, also eines desillusionierten und auf bloßen Machterhalt ausgerichteten Zustands der sogenannten Volksdemokratien. Von den hier behandelten oppositionellen Denkern wurde dieser Zustand als fundamentale Krise der politischen Ordnung und des sozialen Zusammenlebens verstanden, folglich also auch als Krise der Nation. Diese Krise stellte eine besondere Herausforderung für Konzepte und Strategien politischer Gemeinschaft dar. In dieser Situation emanzipierten sich die Autoren des Samizdat von staatlicher Bevormundung und nutzten die Sprache eines internationalen Menschenrechtsdiskurses zur moralischen Selbstermächtigung.3 Dessen Kerninhalte, also die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte des Einzelnen, beeinflussten die Debatten des Samizdat nachhaltig. Sie prägten die Art und Weise, wie Oppositionelle das Verhältnis von Menschen zueinander verstanden und welche Form von sozialer Ordnung sie aus oppositioneller Perspektive für erstrebenswert erachteten. Wenn also oppositionelle Denker wie Petr Pithart, János Kis oder der bereits angeführte Jan Józef Lipski nach politischer Gemeinschaft im Spätsozialismus suchten, gingen sie weit über das bekannte Maß sozialer Ordnungsvorstellungen hinaus. Sie schufen einen konkreten oppositionellen Beitrag zum politischen Denken.

 3 Samuel Moyn: Last Utopia. Human Rights in History, Cambridge, Mass. 2010, S. 136–138.

Nation und Opposition  3

Nicht nur die sozialistische Ordnung, sondern das Wesen der Nation als zeitlich übergreifende politische Gemeinschaft stand in den Augen dieser Akteure grundsätzlich in Frage. Aus den Nationsbildungsprozessen des 19. Jahrhunderts hervorgegangen und durch Kriege und politische Strukturbrüche wiederholt stabilisiert, war die Nation zur unumwundenen diskursiven Realität des Politischen in Ostmitteleuropa geworden. Für oppositionelle Akteure der 1970er und 1980er Jahre war die Nation somit eine selbstverständliche, ja die offensichtliche Bezugsgröße ihrer Überlegungen zur politischen Gemeinschaft und zur Organisation sozialer Ordnung. Aus der Krisenerfahrung des Spätsozialismus und dem freien Denken des Samizdat entwickelten Oppositionelle alternative Konzepte der Nation und gesellschaftliche Utopien, die den Raum des intellektuellen Räsonnements überschritten. In Anknüpfung an Traditionen der jeweiligen Nation, im Widerspruch zu staatssozialistischen Nationskonzepten und in verschiedenen Neustiftungen gewannen ihre Vorstellungen für das oppositionelle Handeln handlungsleitende Bedeutung. Sie verbanden nicht nur politische Theorie mit dem sich schrittweise vollziehenden politischen Wandel4, sondern stifteten auch pragmatisch oppositionellen Sinn und oppositionelle Gemeinschaft.

Nation und Opposition Der Zusammenhang zwischen der Opposition in Ostmitteleuropa und dem Begriff der Nation eröffnet zwei Fragedimensionen, die den Untersuchungsrahmen des Vorhabens ausmachen. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht erstens die Nation als Manifestation politischer Gemeinschaft und als soziale Realität des Spätsozialismus. Oppositionelle Bewegungen und Akteure werden dabei auf ihre konkreten Beiträge zum politischen Denken über die Nation untersucht, um daraus zweitens Erkenntnisse über Opposition und Dissidenz in Ostmitteleuropa, ihre Funktionsweise und den publizistischen Untergrund, den Samizdat, zu gewinnen. Die beiden Untersuchungsgegenstände, Nation und Opposition, werden in einer vergleichenden und transnationalen Betrachtung zusammengeführt, um Opposition in einem breiteren Zusammenhang als Phänomen des spätsozialistischen Ostmitteleuropas zu verstehen und nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten sowie nach grenzübergreifenden Transfers und Verflechtungen zu fragen. Ein abschließender Ausblick über die vermeintliche Zäsur des  4 Barbara J. Falk: The Dilemmas of Dissidence in East-Central Europe. Citizen Intellectuals and Philosopher Kings, Budapest 2003, S. xv.

4  Einleitung Jahres 1989 hinaus wird die Relevanz oppositionellen Denkens zur Nation für die politische Transformation Ostmitteleuropas in den Blick nehmen. Anders als die in der klassischen Nationalismus-Forschung verhandelte Frage, was die Nation historisch war und ist5, liegt der Fokus dieser Arbeit auf dem oppositionellen Verständnis des Begriffes Nation. Sie nutzt also die seit den 1980er Jahren erfolgte Dekonstruktion der Nation6 als Zugang einer Ideengeschichte und geht von der Grundannahme aus, dass die Nation im spätsozialistischen Ostmitteleuropa eine diskursive Realität darstellte. Diese Arbeit trägt also nicht zur intensiv betriebenen Analyse von Nationsbildung und nationalen Bewegungen bei, sondern versteht diese vielmehr als Hintergrund zu den hier behandelten oppositionellen Debatten. Folgt man den Erkenntnissen der Wissenssoziologie nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann, verfügt alltägliche Wirklichkeit nicht über essentielle Faktizität, sondern ist Ergebnis intersubjektiver Aushandlung und somit soziale Konstruktion. In dieser Sinnwelt, die „jedermanns Gedanken und Taten ihr Vorhandensein und ihren Bestand“7 verdanken, ist Nation eine sprachliche Objektivation von alltäglichem Sinn, also Abbildung und Strukturelement sozialer Wirklichkeit. Sie entsteht in einem Prozess von sozialer Aushandlung zwischen Subjekten, der sich durch seine Sprachlichkeit auf soziale Gruppen als Ganzes erstrecken kann.8 Nation ist also als „essentially contested concept“9 nicht nur unterschiedlichen Betrachtungen, sondern einer dauerhaften Veränderung unterworfen. Diese unterschiedlichen und umstrittenen Inhalte der Nation und die in ihrer Aushandlung erkennbaren Mechanismen und Regeln des Sprechens über die Nation sind das Hauptinteresse dieser Arbeit. Auch wenn die Nation als Bestandteil alltäglicher Sinnwelten während des ostmitteleuropäischen Spätsozialismus angenommen werden kann, erstreckt sich dies nicht im gleichen Maße auf die jeweiligen Gesellschaften als Ganzes.

 5 Auch die Nationalismus-Forschung kann diese Frage freilich nicht endgültig beantworten. Vgl. Eric Hobsbawm: Nations and Nationalism since 1780. Programme, Myth, Reality, Cambridge 2. Aufl. 1992, S. 5f. 6 Klassisch für diese sozialkonstruktivistische Schule: Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London durchgesehene Aufl. 2006 [Erstausgabe 1983]; Eric Hobsbawm/Terence Ranger (Hrsg.): The Invention of Tradition, Cambridge 2008 [Erstausgabe 1983]. 7 Peter L. Berger/Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt am Main 5. Aufl. 1977, S. 21f. 8 Ebd., S. 33f. und 41. 9 W. B. Gallie: Essentially Contested Concepts, in: Proceedings of the Aristotelian Society, 56 (1956), S. 167–198.

Nation und Opposition  5

Nation als Begriff10 war nicht nur allgemein verständlich, sondern auch als grundlegendes Konzept breit akzeptiert. Für einen Teil der politischen Opposition in Ostmitteleuropa war die Nation zum Beispiel nicht nur ein Konzept oder eine Vorstellung, sondern ein affirmatives Bekenntnis. Hingegen standen linke, also vor allem ursprünglich sozialistische beziehungsweise in der Opposition dann postrevisionistische, Intellektuelle dem Konzept der Nation im Allgemeinen und dem Nationalismus im Besonderen skeptisch oder gar ablehnend gegenüber.11 Dennoch ergab sich aus der besonderen Dynamik oppositionellen Denkens über weltanschauliche Grenzen hinweg ein Diskurs zur Nation, in dem diese als Bekenntnis anderer auch für linke Oppositionelle relevant war. Nation ist folglich eine, und im spätsozialistischen Ostmitteleuropa die wirkmächtigste, Vorstellung von sozialer Ordnung und kann so im hier behandelten Zusammenhang als Oberbegriff von politischer Gemeinschaft gelten. Die Beschäftigung mit Phänomenen wie Nonkonformität, Resistenz, Dissidenz, Opposition oder Widerstand steht grundsätzlich vor der Frage, wie diese zu fassen sind und wo in autoritären Regimen die Grenze zwischen möglicher Selbstbestimmtheit, unentdeckter Nonkonformität und offener Regimekritik lag.12 Bereits zeitgenössisch gilt es zwischen oppositioneller Selbstzuschreibung, der abgrenzenden Fremdzuschreibung staatlicher Behörden wie der Staatssicherheit und oft empathischen westlichen Beobachtern zu unterscheiden. Prägten so zum Beispiel ex eventu westliche Auslandskorrespondenten in Moskau, Warschau oder Prag den Begriff des Dissidenten13, standen die selbst so Bezeichneten ihm lange Zeit distanziert gegenüber. Václav Havel setzte ihn beispielsweise in Anführungszeichen, wohl wissend, dass das Etikett des Dissi-

 10 Eine solche semantische Betrachtung der Nation soll im Folgenden durch Kursivierung ausgedrückt werden, um die Redundanz von Formulierungen wie „der Begriff der Nation“, „die Vorstellung der Nation“ und ähnlichen zu reduzieren. 11 Auf die problematische und keineswegs einheitliche Haltung linker Intellektueller zur Nation wies in einem allgemeineren Zusammenhang beispielsweise Eric Hobsbawm hin. Ders.: Nations and Nationalism, S. 148.; zu Osteuropa: Robert Zuzowski: The Left and Nationalism in Eastern Europe, in: East European Quarterly, 61/4 (2008), S. 453–466. 12 Vgl. für grundsätzliche Überlegungen: Martin Broszat: Resistenz und Widerstand, in: Ders./Elke Fröhlich/Anton Grossmann (Hrsg.): Bayern in der NS-Zeit IV. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, München 1981, S. 691–709; Michal Kubát: Political Opposition in Theory and Central European Practice, Frankfurt am Main/New York 2010, S. 34–40. 13 Julia Metger: Writing the Papers. How Western Correspondents Reported the first Dissident Trials in Moscow, 1965–1972, in: Robert Brier (Hrsg.): Entangled Protest. Transnational Approaches to the History of Dissent in Eastern Europe and the Soviet Union, Osnabrück 2013, S. 87–108.

6  Einleitung denten ihn im Westen verständlich und zudem interessant machen könnte.14 Der Dissidenten-Begriff – seiner bloßen Wortbedeutung nach ‚Nicht-Übereinstimmender‘ oder ‚Getrennter‘15 – beschrieb zunächst aus orthodox kommunistischer und staatstreuer Sicht abgefallene Kommunisten und Sozialisten, die nach einer Reform der Doktrin strebten. Für zahlreiche Regimekritiker ohne eine solche Vergangenheit, wie eben Havel, blieb er daher problematisch. Wagten solche Andersdenkenden in den 1970er Jahre den Schritt in die Öffentlichkeit, hin zur Selbstorganisation und zu einer eigenen politischen Programmatik und Zielsetzung, wählten sie als Selbstbezeichnung oftmals enge Beschreibungen ihres Handelns, also ‚Menschenrechtsgruppe‘, ‚Verteidigungsbewegung‘ oder ‚Friedensbewegung‘, die für eine wissenschaftliche Betrachtung jedoch ungeeignet bleiben.16 In einem breiteren und allgemeineren Zusammenhang sprachen bereits Akteure wie auch Zeitzeugen von einer Opposition im Sozialismus, die als Begriff hier die Untersuchung leiten soll. In diesem, der parlamentarischen Demokratie entlehnten Begriff drückt sich auch der legalistische Anspruch eines solchen Handelns aus, der sich auf die allgemeinen Menschenrechte und die formale Rechtsordnung der sozialistischen Staaten berief. In der entsprechenden Forschung aus den verschiedenen Ländern Ostmitteleuropas selbst wird Opposition oftmals als allgemeines Phänomen nach der Entstalinisierung der Staatsmacht, also in der Zeit nach 1956 beziehungsweise 1968, angesetzt. Abgegrenzt wird sie dabei, wie zum Beispiel vom polnischen Historiker Andrzej Friszke, vor allem vom gewaltsam verstandenen Widerstand als bewusste, geplante, auf ein gewisses Programm begründete organisatorische oder intellektuelle Handlung zum Sturz des Regimes oder seiner Reform zur Beschränkung des Machtmonopols der Partei und zur Wiederherstellung der Subjekthaftigkeit der Gesellschaft.17

In anderen, ebenso von einem konkreten nationalen Beispiel geprägten Überlegungen ist Gewalt nur ein nachgeordneter Abgrenzungsfaktor, da sich zum  14 Havel: Versuch, S. 9. 15 In dieser Form wurde der lateinische Terminus ‚dissidere‘ während der Konföderation von Warschau 1573 mit Bezug auf religiös Andersdenkende – ‚dissidentes in religione christianae‘ –, also Protestanten und späterhin auch Orthodoxe, geprägt. Vgl. Józef Siemieński: Dysydenci w ustawodawstwie, in: Reformacja w Polsce, 5 (1928), S. 81–99. 16 Vgl. zum Beispiel die Einschränkungen Ehrhart Neuberts für die hier nicht behandelte Opposition in der DDR. Ders.: Geschichte der Opposition in der DDR 1949–1989, Bonn 2. Aufl. 2000, S. 27. 17 Andrzej Friszke: Opozycja polityczna w PRL 1945–1980, London 1994, S. 5.

Nation und Opposition  7

Beispiel in der tschechoslowakischen Nachkriegsgeschichte – abgesehen vom Pilsener Arbeiteraufstand 1953 und Einzelfällen in Reaktion auf die Niederschlagung des Prager Frühlings – Protest und Nonkonformität stets gewaltlos ausdrückten.18 Folglich kann Opposition als konkrete und weiterentwickelte Ausdrucksform einer Ablehnung des Regimes verstanden werden. So soll hier das öffentliche Handeln und die Entstehung einer alternativen Öffentlichkeit betont werden, die das methodische Vorgehen dieser Arbeit leitet. Eine solche neue Opposition, deren Entstehung im folgenden Kapitel näher ausgeführt werden wird, kann jedoch erst ab den Jahren 1976 für das polnische und tschechoslowakische Beispiel und ab 1982 für das ungarische Beispiel angesetzt werden. In der Forschung zu diesen Bewegungen sind die Begriffe Opposition und Dissidenz oftmals synonym oder parallel verwendet worden, ohne dass sich eine allgemeinverbindliche Unterscheidung dieser beiden Begriffe bislang etablieren konnte oder dass die weiterführende Ausdifferenzierung eine inhaltliche Strukturierung der beschriebenen Phänomene tatsächlich befördert hätte.19 So sprach beispielsweise der Historiker Tony Judt in einem frühen Syntheseversuch zwar ostentativ von Opposition, wo es ihm organisatorisch gerechtfertigt erschien, analysierte aber dennoch „dilemmas of dissidence“.20 In dieser Arbeit soll Opposition als öffentlich ausgeübte Regimekritik verstanden werden, so dass Dissidenz ihre nicht-öffentliche Vorstufe ist. Bei allen unterschiedlichen Strategien und Formen oppositionellen Handelns kann Opposition folglich aus ihrer Kritik und Gegnerschaft zum sozialistischen System oder dessen Teilen und in ihrem Streben nach politischer Gestaltung definiert werden, unabhängig davon, ob sie sich immanent oder fundamental abgrenzend zum System positionierte. Welche Relevanz diese oppositionellen Bewegungen erreichen konnte, lag grundsätzlich an ihrer Autonomie und ihren Handlungsspielräumen unter den gegebenen Bedingungen des Spätsozialismus, war also in nicht zu unter-

 18 Vgl. Milan Otáhal: Opoziční proudy v české společnosti 1969–1989, Prag 2011, S. 5f. 19 Vgl. zu den weitläufigen Konzeptionen rund um den Oppositionsbegriff: Ilko-Sascha Kowalczuk: Von der Freiheit, Ich zu sagen. Widerständiges Verhalten in der DDR, in: Ulrike Poppe/Rainer Eckert/Ders. (Hrsg.): Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung. Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR, Berlin 1995, S. 85–115; Petr Blažek: Typologie opozice a odporu proti komunistickému režimu. Přehled koncepcí a limity bádání, in: Ders. (Hrsg.): Opozice a odpor proti komunistickému režimu v Československu 1968–1989, Prag 2005, S. 10–24. 20 Tony Judt: The Dilemmas of Dissidence. The Politics of Opposition in East-Central Europe, in: East European Politics and Societies, 2 (1988), S. 185–240, hier S. 186f.

8  Einleitung schätzendem Maße von den Reaktionen der Staatsmacht beeinflusst.21 Abhängig von deren Repressionen konnte Opposition in existierenden Nischen staatlicher Öffentlichkeit, zum Beispiel in kirchlichen Räumen oder gar in eigenen, originär oppositionellen Zusammenhängen, existieren.22 Für das hier untersuchte oppositionelle politische Denken war der Samizdat, wörtlich der ‚Selbstverlag‘, also mit einfachsten Mitteln hergestellte Untergrundliteratur, eine notwendige Bedingung. Denn zum einen ermöglichte diese oppositionelle Publizistik Kommunikation zwischen Oppositionellen, und zum anderen schuf sie durch den Austausch von Ideen und Meinungen eine stabile alternative Öffentlichkeit, in der in einem breiten und dialog-orientierten Diskurs oppositioneller Sinn ausgehandelt wurde. Die in dieser Arbeit betrachteten Debatten über die Nation lassen sich folglich anhand ihrer Repräsentation im Samizdat untersuchen, so dass hier Opposition zusätzlich mit dieser Untergrundpublizistik definiert werden soll. Mit anderen Worten soll als Oppositioneller verstanden werden, wessen Beiträge im Samizdat publiziert wurden, unabhängig von der jeweiligen Haltung zum Regime. Dies soll keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass auch außerhalb des selbstgedruckten Wortes oppositionelles Denken zum Beispiel bei Debatten oder im Rahmen der sogenannten Fliegenden Universitäten23 Raum fand. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass solche Anregungen grundsätzlich ihren Weg in die gedruckte oppositionelle Öffentlichkeit des Samizdat fanden. War die Nation einerseits eine diskursive Realität und die Opposition die sie aushandelnde und damit schaffende soziale Gruppe, so bildete der Samizdat den diskursiven Raum und das Forum dieses Geschehens.

 21 Detlef Pollack/Jan Wielgohs: Introduction, in: Dies. (Hrsg.): Dissent and Opposition in Communist Eastern Europe. Origins of Civil Society and Democratic Transition, Aldershot 2004, S. ix–xvii, hier S. xii. 22 Vgl. die politisch-theoretischen Begriffsunterschiede zu politischer Opposition in undemokratischen Regimen bei: Kubát: Political Opposition, S. 27–34. 23 Dabei handelte es sich um alternative Lehrveranstaltungen von Dozenten, die mit Berufsverbot belegt waren und im Zuge der neuen Opposition einen geregelten Vorlesungsbetrieb in Privatwohnungen abhielten. Vgl. Petr Oslzlý: Podzemní univerzita, Brünn 1993; Ryszard Terlecki: Uniwersytet Latający i Towarzystwo Kursów Naukowych 1977–1981, Krakau 2000; Karoline von Graevenitz: Die „Untergrunduniversität“ der Prager Bohemisten. Ein Fall für Parallelkultur in der „normalisierten“ ČSSR, Bremen 2008.

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Dissidenz und Opposition in der Forschung Oppositionelle Bewegungen in Ostmitteleuropa wurden seit ihrem Entstehen von der westlichen Öffentlichkeit wohlwollend wahrgenommen und ausführlich betrachtet. Der Kontakt zu westlichen Intellektuellen und besonders auch zu Wissenschaftlern gehörte seit den 1970er Jahren zum Handeln vieler Oppositioneller und eröffnete ihnen materielle und immaterielle Unterstützung.24 Aus naheliegenden Gründen war ihre anfängliche Erforschung im Westen eine Domäne der Politikwissenschaften, die anhand oppositioneller Bewegungen seit den späten 1970er Jahren zeitgenössische Forschungsparadigmen wie Zivilgesellschaft und Neue Soziale Bewegungen überprüfte und vor dem Hintergrund des Kalten Krieges weiterentwickelte.25 Neben Reisen in die untersuchten Länder beziehungsweise von Oppositionellen in den Westen waren vor allem schriftliche Quellen der Opposition die maßgebliche Grundlage einer solchen Forschung: Exilpublikationen und eben der sogenannte Samizdat. Verschiedene Institutionen im westlichen Ausland sammelten diese Publikationen und dokumentierten sie, oft gegen den Widerstand der ostmitteleuropäischen Regime. Eine herausragende Stellung in der Dokumentation und Erforschung des Samizdat nimmt die 1982 gegründete Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen ein, die ein breites Sammlungsgebiet zum gesamten Ostblocks abdeckt, das seit 1990 sukzessiv um dissidentische Nachlässe ergänzt wird.26 Die hier vorliegende Untersuchung fußt zum Großteil auf der Untersuchung dieser Bestände der Bremer Forschungsstelle, wozu zusätzlich, vor allem für

 24 Vgl. die Berichte des Bremer Osteuropa-Historikers und Gründungsdirektors der Forschungsstelle Osteuropa, Wolfgang Eichwede. Er verfügte über hervorragende Kontakte zu Oppositionellen und Dissidenten, besonders in die Tschechoslowakei und nach Ungarn. Ders.: Archipel Samizdat, in: Ders./Ivo Bock (Hrsg.): Samizdat. Alternative Kultur in Zentral- und Osteuropa. Die 60er bis 80er Jahre, Bremen 2000, S. 8–19. 25 Vgl. Andrew Arato: Civil Society vs. the State. Poland 1980–1981, in: Telos, 47 (1981), S. 23– 47; Melanie Tatur: Solidarność als Modernisierungsbewegung. Sozialstruktur und Konflikt in Polen, Frankfurt am Main/New York 1989. Zur Verortung solcher Forschung in den Forschungsparadigmen des Kalten Krieges, wie der Totalitarismus-Theorie, und ihrer Ablehnung: Barbara J. Falk: Resistance and Dissent in Central and Eastern Europe. An Emerging Historiography, in: East European Politics and Societies, 25/2 (2011), S. 318–360, hier S. 323. 26 Zdenka Phillipsová (Hrsg.): Tschechischer und slowakischer Samisdat der siebziger und achtziger Jahre. Bestandskatalog, Bremen 1994; Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen: Monographien im polnischen Zweiten Umlauf. 1976–1990, Stuttgart 2008; Wolfgang Eichwede (Hrsg.): Das Archiv der Forschungsstelle Osteuropa. Bestände im Überblick. UdSSR/Russland, Polen, Tschechoslowakei, Ungarn und DDR, Stuttgart 2009.

10  Einleitung den ungarischen Quellenbestand, die Open Society Archives an der Central European University in Budapest herangezogen wurden. Mit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus wurden sukzessive die Archive der Staatssicherheitsdienste geöffnet, die Dissidenten und Oppositionelle ausgiebig beobachtet und auch drangsaliert hatten. Auch wenn diese Überlieferung aus quellenkritischer Sicht problematisch bleibt, eröffnete sie weitreichende neue Erkenntnisse über den ostmitteleuropäischen Staatssozialismus und die Opposition. In Anlehnung an die deutsche Behörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes wurden in Polen, der Tschechischen Republik und der Slowakei Institute des Nationalen Gedächtnisses beziehungsweise für das Studium totalitärer Regime gegründet, die nicht nur mit der Verwahrung und Aufbereitung dieser Unterlagen beauftragt sind, sondern sich auch mit deren Erforschung und der Popularisierung ihrer Erkenntnisse zur sozialistischen Epoche und zum Zweiten Weltkrieg, der ebenso in ihre Zuständigkeit fällt, befassen.27 Gerade das polnische IPN, das auch über staatsanwaltliche Kompetenzen bei der Verfolgung von „Verbrechen gegen die polnische Nation“ verfügt, kann als Beispiel einer politisierten und kontroversen Aufarbeitung des Sozialismus angeführt werden. Die sogenannte Lustration28 oder Durchleuchtung von politischen Würdenträgern und Personen öffentlichen Interesses auf eine Vergangenheit als informeller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes ist auch immer wieder von tagespolitischen Interessen gesteuert, wie nicht zuletzt das Beispiel des Solidarność-Führers und späteren Staatspräsidenten Lech Wałęsa zeigt.29 Über das wissenschaftliche Interesse hinaus wird in solchen medial  27 Eine Ausnahme stellt der ungarische Fall dar, wo das Historische Archiv der ungarische Staatssicherheit über keinen solchen Forschungs- und Bildungsauftrag verfügt. Michal Kopeček: In Search of „National Memory“. The Politics of History, Nostalgia and the Historiography of Communism in the Czech Republic and East Central Europe, in: Ders. (Hrsg.): Past in the Making. Historical Revisionism in Central Europe after 1989, Budapest 2008, S. 75–95, hier S. 87–91; Zoltán Gábor Szücs: Archives and Institutes Concerned with Contemporary Hungarian History, in: Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen (Hrsg.): „Das Andere Osteuropa von den 1960er bis zu den 1980er Jahren“. Berichte zur Forschungs- und Quellenlage, Bremen 2008, S. 101–108, hier S. 106. 28 Der Begriff ist in der Tschechischen Republik ebenso gebräuchlich. Roman David: Lustration Laws in Action. The Motives and Evaluation of Lustration Policy in the Czech Republic and Poland (1989–2001), in: Law & Social Inquiry, 28 (2003), S. 387–439. 29 Wałęsa wurde in einer Arbeit zweier Historiker des IPN vorgeworfen, nicht nur im Dezember 1970 eine Mitarbeitererklärung des Staatssicherheitsdienstes unterschrieben zu haben, sondern diese Kontakte auch noch während seiner Zeit als Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarność in den Jahren 1980 und 1981 gepflegt zu haben. Vgl. Sławomir Cenckiewicz/Piotr Gontarczyk: SB a Lech Wałęsa. Przyczynek do biografii, Danzig 2008. Ähnlich: Paweł Zyzak:

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lebhaft begleiteten Fällen der Lustration in einem weiteren Sinne eine gesamtgesellschaftliche Deutung der sozialistischen Vergangenheit, also die Erinnerung an die Volksrepubliken, ausgehandelt. In Polen zum Beispiel fordern dabei die zumeist jüngeren Historikerinnen und Historiker des IPN eine oftmals kompromisslose und national-konservativ geprägte Aufarbeitung ein. Trotz dieser Einschränkungen leistet das Institut mit zahlreichen Mitarbeitern immer wieder unschätzbare Grundlagenarbeit in der Edition von Quellen und der Erschließung einer Sachgeschichte der polnischen Opposition. Neben diesen Instituten und der westlichen Politikwissenschaft waren es vor allem ostmitteleuropäische Autoren, die sich mit der Geschichte von Opposition und Dissidenz in ihren Ländern beschäftigten. Während erste Abhandlungen bereits vor 1989 im Samizdat erschienen30, bearbeiteten nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Ostmitteleuropa zunächst ehemalige Oppositionelle wie Milan Otáhal und Andrzej Friszke – nun als professionelle Historiker – einzelne Themen der Oppositionsgeschichte und legten erste Gesamtdarstellungen vor.31 Mit neuen Institutionen und neuen Historikern entstand eine ostmitteleuropäische Zeitgeschichtsschreibung, die sich zumeist an der Periodisierung 1938/39 bis 1989 orientierte, aber zunächst deutlich faktographisch blieb, also von „einer regelrechten Theorieabstinenz“32 zeugte. Dabei folgte sie den positivistischen Traditionen ostmitteleuropäischer Historiographie, die während des real existierenden Sozialismus als Möglichkeit verstanden wurden, die Ideologisierung von Geschichtsschreibung einzudämmen, indem sie Geschichte auf die Abfolge von Ereignissen reduzierten. Demgegenüber entwickelte sich in den letzten Jahren sowohl in der westlichen, zumeist englischsprachigen Forschung, als auch in der ostmitteleuropäi Lech Wałęsa. Idea i historia: Biografia polityczna legendarnego przywódcy „Solidarności“ do 1988 roku, Krakau 2009; kritisch dazu: Andrzej Friszke: Zniszczyć Wałęsę, in: Gazeta Wyborcza, 21.06.2008. 30 Jerzy Holzer: „Solidarität“. Die Geschichte einer freien Gewerkschaft in Polen, München 1985. 31 Vgl. als richtungsweisende Gesamtdarstellungen: Milan Otáhal: Opozice, moc, společnost 1969–1989. Příspěvek k dějinám „normalizace“, Prag 1994; Ders.: Opoziční proudy; Friszke: Opozycja polityczna; Ders.: Anatomia buntu. Kuroń, Modzelewski i Komandosi, Krakau 2010; Ders.: Czas KOR-u. Jacek Kuroń a geneza Solidarności, Krakau 2011; Ders.: Rewolucja „Solidarności“ 1980–1981, Krakau 2014. 32 Rafał Stobiecki: Die Zeitgeschichte in der Republik Polen seit 1989/90, in: Alexander Nützenadel/Wolfgang Schieder (Hrsg.): Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven in Europa, Göttingen 2004, S. 329–346, hier S. 335. Vgl. auch Martin Schulze Wessel: Zeitgeschichte in Tschechien. Institutionen, Methoden, Debatten, in: Ebd., S. 307–328, hier S. 327f.

12  Einleitung schen Geschichtswissenschaft eine zunehmend ideengeschichtliche Betrachtung der Opposition. In dieser distanzierteren, nun historisierenden Betrachtung der Endphase des Sozialismus ist eine zunehmend „antiheroische“ Analyse dieser Geschichte zu erkennen, die sich den normativen Implikationen der frühen Oppositionsforschung entzieht und Opposition zugleich vom teleologischen Fluchtpunkt 1989 befreit.33 Beides fußte auf der Annahme einer fundamentalen Dichotomie zwischen Regime auf der einen Seite und Opposition und Gesellschaft auf der anderen Seite, die in nicht geringem Maße auch von der Opposition selbst angeleitet wurde.34 Durch eine Revision dichotomischer Deutungsmuster verlieren auch die seit den 1970er Jahren gebräuchlichen Prädikate ‚demokratisch‘ oder ‚antikommunistisch‘ zur Beschreibung oppositioneller Gruppen zunehmend an Bedeutung. Angefangen mit Barbara J. Falks grundlegender Arbeit zum Zivilgesellschaftsdenken35 betonen neuere Studien – so von Agnes Arndt oder Dariusz Gawin – daher mehr die praktische Wirkung von dissidentischen und oppositionellen Konzepten und deren Entstehen in hybriden Kontexten.36 Die hier vorliegende Arbeit versteht sich explizit als Teil dieser Fokussierung auf oppositionelles politisches Denken im Samizdat und kann dabei auf die Erkenntnisse dieser neuen Schule der Oppositionsforschung zurückgreifen. Dagegen sind komparatistische Methoden in den verschiedenen Forschungsbeiträgen zu oppositionellen Bewegungen in Ostmitteleuropa bislang nur begrenzt zur Anwendung gekommen, auch wenn seit den Anfängen oppositioneller Bewegungen in Ostmitteleuropa ein Bewusstsein für die grenzüberschreitende Zusammengehörigkeit der Akteure und Gruppierungen bestand. Stellten erste Forschungsbeiträge Opposition und Dissidenz in unterschiedli-

 33 Vgl. Jonathan Bolton: Worlds of Dissent. Charter 77, the Plastic People of the Universe, and Czech Culture under Communism, Cambridge, Mass. 2012, S. 14; Robert Brier: Entangled Protest. Dissent and the Transnational History of 1970s and 1980s, in: Ders. (Hrsg.): Entangled Protest, S. 11–42, hier S. 25–27. 34 Im methodischer Perspektiver zu dieser neueren Geschichte Ostmitteleuropas: Pavel Kolář: Historisierung, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte. http://docupedia.de/images/5/56/ Historisierung_Version_2.0_Pavel_Kol%C3%A1%C5%99.pdf (letzter Aufruf 29.04.2015) , S. 5f. 35 Falk: Dilemmas of Dissidence. 36 Beide Studien sind jedoch dieser Arbeit zeitlich vorgelagert. Agnes Arndt: Rote Bürger. Eine Milieu- und Beziehungsgeschichte linker Dissidenz in Polen (1956–1976), Göttingen 2013; Dariusz Gawin: Wielki zwrot. Ewolucja lewicy i odrodzenie idei społeczeństwa obywatelskiego 1956–1976, Krakau 2013.

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chen Ländern nebeneinander37, versuchten einzelne Beiträge wie Tony Judts Aufsatz Dilemmas of Dissidence oder eine Untersuchung von Helmut Fehr, Opposition als Gesamtphänomen der Spätphase des Sozialismus zu betrachten und Grundstrukturen oppositionellen Handelns herauszuarbeiten.38 Eine Betrachtung oppositionellen politischen Denkens in einer gesamt-ostmitteleuropäischen Perspektive leisteten dagegen die bereits erwähnte Arbeit Barbara J. Falks und Studien des tschechischen Historikers Michal Kopeček, der besonders nach den Auswirkungen dieses Denkens auf die Transformationsphase fragt.39 Diese Untersuchungen konnten immer wieder zeigen, dass oppositionelle Bewegungen in Ostmitteleuropa und ihr politisches Denken nicht ohne eine Einbeziehung westlicher Akteure zu erklären sind, die sowohl die Kommunikation Oppositioneller im eigenen Land erleichterten als auch ein zweites Publikum eigener Güte darstellten.40 Eine transnationale Geschichte oppositioneller Bewegungen über die Grenzen des sozialistischen Europas hinaus wurde jedoch nur in seltenen Fällen, zum Beispiel von Robert Brier oder Friederike KindKovács, konkret und methodisch explizit angegangen.41 Das liegt zum einen daran, dass für eine solche transnationale Forschung immer noch historiographische Grundlagen fehlen und gerade die an nationalstaatlichen Paradigmen orientierte ostmitteleuropäische Forschung kaum grenzüberschreitende Kontakte zwischen Oppositionellen untersucht.42 Dass solche Kontakte vor allem ein  37 Als Beispiel kann der frühe Sammelband von Rudolf L. Tőkés dienen, der nebeneinander einzelne Beiträge zu den jeweiligen Ländern versammelt. Ders. (Hrsg.): Opposition in Eastern Europe, London 1979. 38 Vgl. Judt: The Dilemmas of Dissidence; Helmut Fehr: Von der Dissidenz zur Gegen-Elite. Ein Vergleich der politischen Opposition in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und der DDR (1976 bis 1989), in: Poppe/Eckert/Kowalczuk (Hrsg.): Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung, S. 301–334. 39 Vgl. als Auswahl: Michal Kopeček: Citizen and Patriot in the Post-Totalitarian Era. Czech Dissidence in Search of the Nation and its Democratic Future, in: Transit, 20/39 (2009), http://www.iwm.at/read-listen-watch/transit-online/citizen-and-patriot-in-the-posttotalitarian-era/ (letzter Aufruf 29.04.2015); Ders.: Human Rights Facing a National Past. Dissident ,Civic Patriotismʻ and the Return of History in East Central Europe, 1968–1989, in: Geschichte und Gesellschaft, 38 (2012), S. 573–602; Ders.: The Rise and Fall of Czech Post-Dissident Liberalism after 1989, in: East European Politics and Societies, 25/2 (2011), S. 244–271. 40 Brier: Entangled Protest, S. 28. 41 Ebd.; Friederike Kind-Kovács/Jessie Labov (Hrsg.): Samizdat, Tamizdat and Beyond. Transnational Media during and after Socialism, New York 2013; Friederike Kind-Kovács: Written Here, Published There. How Underground Literature Crossed the Iron Curtain, Budapest/New York 2014. 42 Vgl. als Ausnahme: Łukasz Kamiński/Petr Blažek/Grzegorz Majewski: Ponad granicami. Historia Solidarności Polsko-Czechosłowackiej, Breslau 2009.

14  Einleitung Phänomen der noch wenig erforschten zweiten Hälfte der 1980er Jahre waren, erschwert dies weiterhin. Zum anderen stehen solche Vorhaben einer problematischen Quellenüberlieferung gegenüber, wie Padraic Kenney in Carnival of Revolution deutlich machte. Zumeist fehlen schriftliche Zeugnisse über einen solchen Kontakt, so dass Zeitzeugengespräche unumgänglich sind.43 Kenney legte für die Betrachtung von Opposition über Grenzen ein Verständnis transnationaler Prozesse zugrunde, das auf der „Diffusion“, also den physischen Grenzüberschreitungen politischer Akteure, ihrer Handlungen und Konzepte beruht und deren genauere Wege betrachtet.44 Für oppositionelle Akteure und ihr perfomativ umgesetztes Freiheitsstreben war der Transfer von Techniken, Strategien und Ressourcen über staatliche Grenzen hinweg folglich nur eine logische Konsequenz ihres grundsätzlichen Handelns.

Methodische Grundlagen für eine Geschichte oppositionellen Denkens In diesem sozialkonstruktivistisch geprägten Verständnis der Nation orientiert sich die vorliegende Untersuchung oppositionellen politischen Denkens an drei Traditionen einer im breitesten Sinne verstandenen Ideengeschichte. Dabei wird Nation entsprechend ihrer vorherigen Herleitung als Objektivation sozial konstruierten Sinns als Begriff oder Konzept verstanden, dessen Inhalt sich in Zeit und Raum wandelt und in neuen Zusammenhängen andere Bedeutungen annimmt. Auch wenn das sprachliche Zeichen Nation dabei unverändert bleibt, vollzieht es auch im relativ kurzen Untersuchungszeitraum dieser Arbeit, der vom Entstehen einer neuen Opposition Mitte der 1970er Jahre bis zum Zusammenbruch des Sozialismus und in einem Ausblick auch in die demokratische Transformation reicht, „einen deutlich festzustellenden Übersetzungsvorgang“.45 Gerade die Nation, als vermeintlich zeitlose politische Gemeinschaft, steht in einem inhaltlichen Zusammenhang, der weit über den eigentlichen Untersuchungszeitraum hinausgeht und einen komplexen historischen Hinter 43 Vgl. Padraic Kenney: A Carnival of Revolution. Central Europe 1989, Princeton 2002. 44 Ders.: Opposition Networks and Transnational Diffusion in the Revolutions of 1989, in: Gerd-Rainer Horn/Ders. (Hrsg.): Transnational Moments of Change. Europe 1945, 1968, 1989, Lanham 2004, S. 207–223; siehe auch: Ders.: Electromagnetic Forces and Radio Waves or does Transnational History actually Happen?, in: Brier (Hrsg.): Entangled Protest, S. 43–52. 45 Reinhart Koselleck: Einleitung, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. XIII–XXVII, hier S. XV.

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grund in konkrete Debatten überführt. Wenn diese Studie also die Konstruktion der Nation durch oppositionelle politische Denker nachvollzieht, wird sie einerseits deren Argumentation dekonstruieren und kontextualisieren sowie andererseits nach den Bedeutungen fragen, die diese Akteure ihr geben. Die Untersuchung eines Begriffes oder Konzeptes orientiert sich in dieser Arbeit also an der Begriffsgeschichte, wie sie seit den ausgehenden 1960er Jahren besonders von Reinhart Koselleck und dem Projekt der Geschichtlichen Grundbegriffe geprägt wurde. Aus der Erkenntnis heraus, dass Sprache als Struktur und Begriffe als Elemente dieser Struktur sich gegenseitig bedingen, schlug Koselleck eine doppelte Definition von Begriffen als Untersuchungsgegenstand vor. Die Nation konstituiert sich danach zum einen semasiologisch in der Verwendung ihres äußeren sprachlichen Zeichens, oder des Signifikants, um es in den nicht nur für Koselleck anregenden linguistischen Strukturalismus zu übersetzen. Die Nation wird so zunächst einmal durch den Begriff ‚Nation‘ selbst ausgedrückt. Zum anderen stehen onomasiologisch andere sprachliche Zeichen für den Zeicheninhalt oder das Signifikat, die „als Nachbarbezeichnungen und Synonyma die historische Vielfalt oder als neu sich aufdrängende Benennungen soziale und politische Veränderung indizieren.“46 So kann die Nation auch in anderen Begriffen des Wortfelds politische Gemeinschaft erscheinen, wie zum Beispiel ‚Volk‘, oder konkreter ‚Polen‘, der ‚Tschechoslowakei‘, ‚Ungarn‘. Dies wird besonders deutlich, wenn zum Beispiel linke oder liberale Oppositionelle in einer Debatte über die Nation Gesellschaft verwenden, die sich zwar von der Nation distinkt unterscheidet, aber zumeist dieselbe soziale Gruppe bezeichnet. Darüber hinaus verfügt Nation in den für diese Arbeit relevanten Quellensprachen über ein hohes Maß an Alltäglichkeit und beschränkt sich keineswegs nur auf eine intellektuelle Aushandlung von politischer Gemeinschaft. ‚Naród‘ im Polnischen, ‚národ‘ im Tschechischen und Slowakischen sowie ‚nemzet‘ im Ungarischen lassen sich in dieser Bedeutungsbreite zwischen Nation und Volk, oder einfach als eine große Gruppe von Menschen, nicht exakt ins Deutsche übertragen.47 Nation als politische Gemeinschaft ist somit in der Semantik ost 46 Ebd., S. XXIf., Zitat S. XXII. Koselleck selbst verweist zwar auf den Strukturalismus Ferdinand de Saussures, führt dessen Begriffssetzungen, also Signifikant und Signifikat, jedoch nicht aus. Vgl. Ferdinand de Saussure: Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 3. Aufl. 2001, S. 76–82. 47 Vgl. naród, in: Witold Doroszewski (Hrsg.): Słownik Języka Polskiego. Bd. 4: L–Nić, Warschau 1962, S. 1176f.; národ, in: Slovenská Akadémia Vied (Hrsg.): Slovník slovenského jazyka, Bratislava 1960, S. 278; národ, in: Československá Akademie Věd (Hrsg.): Slovník spisovného jazyka českého. Bd. 2: N–Q, Prag 1964, S. 85; nemzet, in: A Magyar Tudományos

16  Einleitung mitteleuropäischen politischen Denkens eine Zuspitzung des Signifikants durch ein spezifisches Signifikat. Bezeichnet seit den politischen Zäsuren des ausgehenden 18. Jahrhunderts Nation im britischen, amerikanischen und französischen Denken eine Gemeinschaft politischer Partizipation, die sich scharf von ‚people‘ und ‚peuple‘ als Beschreibungen der Bevölkerung abgrenzte, fand dies im Deutschen vor dem Hintergrund einer mangelnden politischen Manifestation der Nation keinen semantischen Niederschlag.48 Dagegen beschrieben die jeweiligen Ableitungen der slawischen Wortwurzel ‚narodъ‘49 zunächst nur „ethnisch-kulturelle und religiöse Inhalte außerhalb einer distinkt politischen Sphäre.“50 Erst im Zuge der nationalen Wiedergeburten des 19. Jahrhunderts entfalteten die jeweiligen Begriffe eine weiterreichende Relevanz, die sich auf politische und emanzipatorische Aspekte beziehen konnte und so eine politische Gemeinschaft beschrieb. Eine Grundannahme der Geschichtlichen Grundbegriffe bestand in der herausgehobenen Bedeutung der „Sattelzeit“, also der Jahre zwischen etwa 1750 und 1850, in der traditionale und vermeintlich natürliche Ordnungsvorstellungen durch „einen neuen Zukunftshorizont, der den Begriffsgehalt anders umgrenzt“51, abgelöst wurden. Im deutschen Sprachraum bedeutete dies nicht nur eine Welle von Neologismen, sondern auch eine nachhaltige Umprägung vorhandener Begriffe wie Demokratie, Republik oder Revolution. In seiner Weiterentwicklung dieses begriffsgeschichtlichen Ansatzes stellte Rolf Reichardt heraus, dass ein solch grundlegender Wandel von gesamtgesellschaftlichen Begriffen und Sinnwelten auch die handelnde Subjekte selbst prägt, also „auf die ‚Produzenten‘ [dieser Begriffe] zurückwirk[t]“.52 Dies kann auch für eine  Akadémia Nyelvtudományi Intézete (Hrsg.): A Magyar nyelv értelmező szótára. Bd. 5: Mo–S, Budapest 1980, S. 175f. 48 Reinhart Koselleck/Fritz Gschnitzer/Karl Ferdinand Werner: Volk, Nation,Nationalismus, Masse, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7. Stuttgart 1992, S. 141–431, hier S. 145–149 und 321–329. 49 narodъ, in: R. M. Cejtlin/R. Večerka/Ė. Blagova (Hrsg.): Staroslavjanskij slovar’ (po rukopisjam X–XI vekov), Moskau 1994, S. 352f. 50 Ulrike von Hirschhausen/Jörn Leonhard: Europäische Nationalismen im West-OstVergleich. Von der Typologie zur Differenzbestimmung, in: Dies. (Hrsg.): Nationalismen in Europa. West- und Osteuropa im Vergleich, Göttingen 2001, S. 11–45, hier S. 13. 51 Reinhart Koselleck: Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft, in: Ders., Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt am Main 2000, S. 298–316, hier S. 303. 52 Rolf Reichardt: Einleitung, in: Ders./Eberhard Schmitt (Hrsg.): Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680–1820. Bd. 1, München 1985, S. 39–146, hier S. 25-40, Zitat S. 29.

Grundlagen für eine Geschichte oppositionellen Denkens  17

neue Phase der Moderne seit den 1970er Jahren angenommen werden, auch wenn hierfür grundständige empirische Untersuchungen ebenso wie für das östliche Europa im Allgemeinen bislang noch fehlen.53 Ohne Zweifel jedoch lässt sich für das spätsozialistische Ostmitteleuropa ein deutliches Schwinden traditionaler Ordnungsvorstellungen und auch sozialistischer Legitimität feststellen, das die Suche nach politischer Gemeinschaft vor grundsätzliche Herausforderungen stellte und folglich der Aushandlung von Begriffen eine zusätzliche Dynamik verlieh. Die vielfache Krise des Spätsozialismus und die nachfolgende demokratische Transformation stellen also im Koselleck’schen Sinne den Umbruch eines neuen Zukunftshorizonts dar. Oppositionellem politischen Denken kommt dabei in seiner doppelten Liminalität, also in der Grenzerfahrung einer Krise politischer Ordnung und der Randständigkeit von Dissidenz und Opposition, ein besonderer Laborcharakter zu, der sowohl die intellektuelle Neuformulierung politischer Begriffe als auch die soziale Wirkmächtigkeit innerhalb der Opposition förderte. Grundfrage jeder Ideengeschichte ist die Spannung von Kontext und Autonomie eines Textes, Denkers oder einer konkreten Vorstellung. Quentin Skinner plädierte bereits in den 1960er Jahren für eine Historisierung von Ideen als Gegenstand der Ideengeschichte, also für die Überwindung einer scheinbaren Zeitlosigkeit, die ihre jeweiligen Untersuchungsgegenstände verabsolutiert.54 Dies bedeutet nicht nur, dass Ideen im Zusammenhang mit anderen Äußerungen zu verstehen sind, sondern dass sich ihr Inhalt aus einer vermeintlich feststellbaren Intention des einzelnen Akteurs und durch seine Wirkung beziehungsweise in seiner Rezeption konstituiert.55 Im oft betonten Gegensatz zur Begriffsgeschichte hat die von Skinner zusammen mit J. G. A. Pocock maßgeb-

 53 Vgl. als Versuche dieses zukünftig zu bearbeitende Forschungsfeld abzustecken: Christian Geulen: Plädoyer für eine Geschichte der Grundbegriffe des 20. Jahrhunderts, in: Zeithistorische Forschungen 7 (2010), S. 79–97; Roundtable: Geschichtliche Grundbegriffe Reloaded? Writing the Conceptual History of the Twentieth Century, in: Contributions to the History of Concepts, 7 (2012), S. 78–128. Walter Sperling konstatierte kürzlich ein weitgehendes Fehlen solcher Forschungen für die russische Geschichte und sprach sich „[f]ür neue Fragen anstatt ‚nachholender‘ Begriffsgeschichten“ und einen sozialhistorischen Fokus solcher Forschungen aus. Ders.: „Schlafende Schöne“? Vom Sinn und Unsinn der Begriffsgeschichte Russlands. Ein Diskussionsbeitrag, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, 60 (2012), S. 373–405, hier S. 395. Vgl. kritisch dazu: Martin Aust: Kommentar: Russländisches Imperium und Begriffsgeschichte, in: Ebd., S. 406–410. 54 Quentin Skinner: Meaning and Understanding in the History of Ideas, in: History and Theory, 8 (1969), S. 3–53, hier S. 7f. 55 Ebd., S. 51.

18  Einleitung lich geprägte Cambridge School of Intellectual History weniger einzelne Kristallisationspunkte des politischen Denkens hervorgehoben als allgemeiner Sprache als grundlegende Struktur betrachtet, in der ein solches Denken stattfinden kann.56 Um im Bild zu bleiben, bedeutet dieser Ansatz, dass Begriffe nur in der jeweiligen Sprache politischen Denkens, also im Kontext intellektueller Traditionen und struktureller Gegenwart, zu formulieren sind. Eine auf diese Weise erweiterte Begriffsgeschichte im oppositionellen Denken kann also anhand der Objektivation der Nation die dahinterliegende Sinnwelt politischer Ordnung und deren Wandel nachvollziehen. Zugespitzt folgt auf dieses Postulat der Kontextualisierung von politischem Denken, dass sich eine Ideengeschichte nur in der Betrachtung des Zusammenspiels von verschiedenen Akteuren und Äußerungen verstehen lässt. Weder einzelne Denker noch gesamte Debatten sind als geschlossene oder kohärente Systeme zu begreifen, die einen Begriff prägen, sondern vielmehr als Aushandlungsprozesse, in denen inhaltliche Argumente einer Äußerung sowie deren Wirkung und pragmatische Funktion unterschiedliche und nicht zwingend korrelierende Aspekte der Betrachtung sind. Folglich muss eine Geschichte oppositionellen politischen Denkens zur Nation die Debattenzusammenhänge des Samizdat untersuchen, also dieses Denken an oppositionelle Kernthemen wie Menschenrechte, politische Freiheit und gesellschaftliche Solidarität rückbinden. Durch seine prekäre Situation als Publizistik im Untergrund in einem kleinen und beschränkten Raum prägte der Samizdat oppositionelles politisches Denken nachhaltig. Neben der jeweiligen nationalen Tradition der Nation und der Krise des Spätsozialismus bildet der Samizdat so eine dritte Dimension des für diese Arbeit maßgeblichen Kontextes. Über die Dimensionen von Begriff und Kontext hinaus spiegelt das hier untersuchte politische Denken Strukturen oppositioneller Ordnung wider, die über die Inhalte der Nation hinausgehen. Oppositionelle Akteure, die im Samizdat publizierten, Strategien entwickelten und dabei die Nation verhandelten, ordneten in diesem Handeln auch die Opposition selbst. In den hier betrachteten oppositionellen Debatten sind folglich zwei Formen von Ordnung zu erkennen, eine intellektuelle und abstrakte Ordnung, die sich als Deutungsgeschichte verstehen lässt, und eine zweite pragmatische und performative Ordnung, die

 56 J. G. A. Pocock: The Concept of a Language and the Métier d’Historien. Some Considerations on Practice, in: Anthony Pagden (Hrsg.): The Languages of Political Theory in Early-modern Europe, Cambridge/New York 1987, S. 19–38; Ders.: Languages and their Implications. The Transformation of the Study of Political Thought, in: Ders. (Hrsg.): Politics, Language, and Time. Essays on Political Thought and History, Chicago 2. Aufl. 1992, S. 3–41.

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diesen Diskussionsbeiträgen zugehörig ist und als eine Geschichte oppositioneller Akteure beschrieben werden kann. Solche Strukturen und Regeln der Aushandlung von Sinn sind in den Geistes- und Sozialwissenschaften unter dem heterogenen Paradigma des Diskurses näher behandelt worden. Zurückgehend auf Michel Foucault und in einer breiten Debatte zwischen Philosophie und Sozialwissenschaften weitergeführt, kann der Diskursansatz in einer Minimaldefinition als Frage nach dem Sagbaren, Denkbaren und Machbaren in einer Aushandlung von Sinn verstanden werden. Foucault begreift den Diskurs als latent repressives System der Reglementierung und Verknappung von Sinn und der Ordnung seiner Aushandlung. Auch wenn diese Untersuchung weder im engeren noch im weiteren Sinne eine Diskursanalyse darstellt, greift sie von der Diskurstheorie angeregte Fragen auf und bindet sie in die Untersuchung ein. Ob und wie ein Gedanke, oder im Sinne dieser Arbeit eine bestimmte Vorstellung von Nation, im Zusammenhang der oppositionellen Publizistik sagbar war, beruhte auf diskursiven Formationen. Vor allem aber bedingt das Zusammenspiel von Sprecher, Sprecherposition im Diskurs und Beziehungsgeflecht zwischen den einzelnen Sprechern den Diskurs.57 Diese Beziehungen beschreiben weder die Inhalte noch die Sprache des Diskurses, sondern erfassen diesen „selbst als Praxis“.58 Mit anderen Worten erhellt der Diskursansatz, wie die Aushandlung der Nation geschieht, und ermöglicht Erkenntnisse über die handelnden Akteure, die über die inhaltlichen Aussagen ihrer Nationsvorstellungen hinausgehen. Besonders deutlich wird dies in Konstellationen, in denen die Sagbarkeit von Aussagen ausgeschlossen wird, allen voran Verbote und Wahnsinn, die Aussagen unterbinden und entwerten. Für die Opposition gegen sozialistische Regime waren solche Mechanismen gesellschaftlicher Ausgrenzung alltägliche Erfahrung, denn die sozialistische Staatlichkeit tabuisierte nicht nur bestimmte Themen. Sie diffamierte Oppositionelle auch als verwirrt oder gar geisteskrank, was in der hier nicht behandelten Sowjetunion in der gängigen Praxis einer psychiatrischen Zwangsstationierung Andersdenkender anstelle einer polizeilichen Strafverfolgung mündete.59 Für die betrachtete Aushandlung der Nation, deren Aushandlungsort – der Samizdat – aus programmatischen Gründen und zur Überwindung der Zensur eine vergleichsweise offene und einschränkungs-

 57 Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1983, S. 61–69. 58 Ebd., S. 70. 59 Vgl. Robert van Voren: Cold War in Psychiatry. Human Factors, Secret Actors, Amsterdam/New York 2010, S. 112–117.

20  Einleitung freie Diskussion ermöglichte, ist aber eine andere Konstellation von Sagbarkeit maßgeblich, nämlich die Unterscheidung zwischen wahr und falsch.60 Auf diese Untersuchung gewendet war Nation für oppositionelle Autoren des Samizdat mithin kein Abstraktum, sondern ein Bekenntnis zu ihren Überzeugungen oder zumindest das ernstzunehmende Bekenntnis anderer Oppositioneller. Nation bildet somit für die Untersuchung keine Analysekategorie, sondern als Begriff der handelnden Akteure eine Linse der Analyse. Dadurch wird Nation zu einem Prozess der Aushandlung, der kein normatives Telos kennt und über keinen universellen oder zeitlosen Gehalt verfügt, den es zu entschlüsseln gäbe. Im Zusammenhang dieser Arbeit ist Nation folglich ein potentiell widersprüchlicher, situativ konstituierter und nicht linearer Ausdruck von sozial verbindlicher Ordnung. Die Dichotomie von Wahrheit und Unwahrheit beschränkte sich im oppositionellen politischen Denken nicht auf das Verhältnis zum Staat alleine, sondern fand auch in der originär oppositionellen Aushandlung von Sinn statt. Wenn Foucault diese Ausgrenzungsform als „Willen zur Wahrheit“61 bezeichnete, berührt dies einen Kernaspekt oppositionellen Denkens. Vor allem in der tschechoslowakischen Opposition waren mit Jan Patočka und Václav Havel zwei Vertreter eines auf moralischer Authentizität beruhenden Wahrheitsbegriffes62 einflussreich und prägten mit der Wahrheit nachhaltig das Denkbare und das Sagbare im Samizdat. Ohne die grundsätzlich bestehenden methodologischen Unterschiede zwischen der Begriffsgeschichte, der Cambridge School und dem hier nur nach Foucault umrissenen Diskurs auflösen zu wollen, greift diese Arbeit in ihrer Zielsetzung Aspekte dieser drei Ansätze auf und ergänzt sie um eine komparatistische Perspektive. Sie folgt damit Jörn Leonhards Postulat einer Historischen Semantik, die Begriffe in ihrer Deutungsgeschichte vergleicht und die Grenzen einer nationalstaatlichen Perspektive überschreitet.63 Für die Nation im oppositionellen politischen Denken gewinnt diese Forderung eine besondere Bedeutung, denn die Nation ist eo ipso von nationalen und nationalstaatlichen Rahmen bedingt. Folglich überschneidet sich hier die vergleichende Ideengeschichte mit  60 Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt am Main erweit. Aufl. 1993, S. 11–13. 61 Ebd., S. 16. Dieses Zitat stammt freilich aus seiner 1970 gehaltenen Antrittsvorlesung am Collège de France und steht in keinem direkten Bezug zu Opposition und Dissidenz in Ostmitteleuropa. 62 Vgl. Aviezer Tucker: The Philosophy and Politics of Czech Dissidence from Patočka to Havel, Pittsburgh, Penn. 2000. 63 Jörn Leonhard: Liberalismus. Zur historischen Semantik eines europäischen Deutungsmusters, München 2001, S. 71–73.

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der vergleichenden Nationalismusforschung und der vergleichenden Oppositionsforschung. In der deutschen Historiographie erlangte der historische Vergleich als Methode erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts größere Bedeutung64, nachdem er in der Abkehr vom historischen Positivismus und Historismus seit den 1960er Jahren zum „Königsweg“65 der Forschung idealisiert worden war. Zielt der Vergleich als heuristisches Verfahren an sich darauf, Ähnlichkeiten und Unterschiede von zwei oder mehr Vergleichsfällen herauszuarbeiten und dadurch gegenüber der isolierten Betrachtung ein Mehr an Erkenntnis zu gewinnen, erweiterten neuere Ansätze dies um die Betrachtung von wechselseitigen Beeinflussungen zwischen diesen Vergleichsfällen. Ein solch erweiterter Vergleich geht notwendigerweise nicht methodisch starr, sondern induktiv und flexibel entlang seines Untersuchungsgegenstandes vor. Diese Öffnung des Vergleichs bedingt auch den Untersuchungsgegenstand Nation. Wurden Nationen und Nationalismen von der Forschung oftmals in Typologien unterschiedlicher Modernisierungsstufen66 oder unterschiedlicher geographischer Modelle, vereinfacht eines westlichen, politischen und eines östlichen, ethnischen Nationalismus, eingeteilt67, können diese eine solche Untersuchung nicht anleiten. Dagegen haben Ulrike von Hirschhausen und Jörn Leonhard in einer Differenzbestimmung europäischer Nationalismen Kernfragen der Nations- und Nationalismusforschung herausgearbeitet. Diese aus der Anschauung der Nationsbildungsprozesse gewonnenen Fragekomplexe zwischen Moderne, demokratischer Partizipation, sozialer Strukturierung und Religion und ebenso zwischen Selbstverständnis, Loyalitäten und Abgrenzung können eine induktive Bildung von Vergleichskategorien in dieser Arbeit anregen.68 Für oppositionelle Denker bildeten die historische Nation und ihre ideo-

 64 Jürgen Kocka: Historischer Vergleich in Deutschland, in: Heinz-Gerhard Haupt/Jürgen Kocka (Hrsg.): Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt am Main 1996, S. 47–60. 65 Hans Ulrich Wehler: Einleitung, in: Ders. (Hrsg.): Geschichte und Soziologie, Köln 1972, S. 11–31, hier S. 24. Dass Wehler selbst keine größeren vergleichenden Arbeiten vorlegte, illustriert die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit des historischen Vergleichs. 66 Miroslav Hroch: Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas. Eine vergleichende Analyse zur gesellschaftlichen Schichtung der patriotischen Gruppen, Prag 1968. 67 Vgl. z.B. Theodor Schieder: Typologie und Erscheinungsformen des Nationalstaates in Europa, in: Ders.: Nationalismus und Nationalstaat. Studien zum nationalen Problem im modernen Europa, hrsg. v. Otto Dann/Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 2. Aufl. 1992, S. 65–86; Ernest Gellner: Nations and Nationalism, Ithaca 1995, S. 88–109. 68 Hirschhausen/Leonhard: Europäische Nationalismen.

22  Einleitung logische Ausgestaltung nämlich den offensichtlichen und allgemein bekannten Hintergrund ihres eigenen Denkens. In diesem historischen Bewusstsein wurden, wie sowohl im folgenden Kapitel als auch den einzelnen Debatten gezeigt werden wird, überkommende Fragestellungen in die eigene Gegenwart überführt und für die eigene Reflexion nutzbar gemacht. Die konkrete Ausgestaltung dieser Kategorien soll entlang der zu untersuchenden Debatten aufgezeigt und in einer abschließenden Zusammenschau verbunden werden. Versteht diese Arbeit Ostmitteleuropa als eine zusammenhängende Geschichtsregion, die besonders von spezifischen Nationalitätenfragen geprägt wurde69, muss der Vergleich auch Prozesse von Transfer und Verflechtung berücksichtigen. Die im deutsch-französischen Kontext zwischen Literatur- und Geschichtswissenschaften entwickelte Transferforschung betrachtet den Transfer von kulturellen Praktiken nicht anhand fremder Kulturgüter oder Kultur vermittelnder Individuen und sozialer Gruppen, sondern vor dem Hintergrund des Rezeptionskontextes eines solchen Prozesses.70 Im kolonialen Kontext forderten die post-colonial studies eine ähnliche Betrachtung der Beziehung zwischen Metropole und Peripherie ein, in der die Rückspiegelung solcher Transferprozesse maßgeblich wird.71 Die von Bénédicte Zimmermann und Michael Werner vorgeschlagene Histoire croisée führte, wenngleich eher theoretisch als bislang in die Praxis umgesetzt, diese Anfragen an den traditionellen Vergleich zusammen und ergänzte sie um die Problematik historischer Selbstreflexion. Die Betrachtung von historischen Phänomenen in vergleichender Perspektive und unter Fragen des Transfers oder der Verflechtung beruht wie diese Phänomene selbst auf verflochtenen Strukturen, die Fragestellung und Untersuchung prägen.72 Mit anderen Worten ist der Historiker – erst recht ein deutscher Ostmitteleuropa-Historiker der Studien- und Forschungsaufenthalte in den Län-

 69 Vgl. in einer klassischen Definition der Geschichtsregion Ostmitteleuropa: Klaus Zernack: Osteuropa. Eine Einführung in seine Geschichte, München 1977, S. 37. 70 Michel Espagne/Werner Greiling: Einleitung, in: Dies. (Hrsg.): Frankreichfreunde. Mittler des französisch-deutschen Kulturtransfers (1750–1850), Leipzig 1996, S. 7–22, hier S. 10f. Zur Kritik am Historischen Vergleich: Michel Espagne: Sur les limites du comparatisme en histoire culturelle, in: Genèses, 17 (1994), S. 112–121. 71 Sebastian Conrad/Shalini Randeria: Geteilte Geschichten. Europa in einer postkolonialen Welt, in: Sebastian Conrad/Shalini Randeria/Beate Sutterlüty (Hrsg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main/New York 2002, S. 9–49, hier S. 17. 72 Michael Werner/Bénédicte Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft, 28 (2002), S. 607–636, hier S. 626f.

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dern seiner Untersuchung absolviert hat – selbst Teil von Geschichte und muss „sich auch selbst als aktiver Verflechtungsfaktor versteh[en]“.73 Diese unterschiedlichen methodischen Anregungen bilden als Bestandteile einer transnationalen Geschichte den zwangsläufigen Hintergrund für die Untersuchung oppositioneller Bewegungen in Ostmitteleuropa. Transnationale Geschichte hinterfragt und überschreitet in ihrem Untersuchungsdesign die Grenzen des Nationalstaates, ohne sie vollständig überwinden zu können.74 Anders gesprochen, verfremdet sie also durch eine breitere Kontextualisierung wie Vergleich, Verflechtung oder Transfer den nationalen Zusammenhang, um über ihn andere und weiterreichende Erkenntnisse zu ermöglichen75, als dies eine durch „methodologischen Nationalismus“76 geprägte Untersuchung leisten kann. Dies erlaubt es also das geteilte und getrennte77 strategische und konzeptionelle Denken im ostmitteleuropäischen Samizdat zu untersuchen, auch wenn es keine nennenswerte Migration von Dissidenten zwischen ostmitteleuropäischen Ländern gab. So bleibt für diese Arbeit insbesondere unter dem Blickpunkt Nation zunächst offen, ob ein Transfer oppositioneller Konzepte und Ansätze zwischen den untersuchten Ländern auch Rückwirkungen ermöglichte, also eine solche oppositionelle Ideengeschichte der Nation verflochten war. Auch wenn diese Arbeit sich auf oppositionelle Akteure und ihr Denken im Samizdat konzentriert, werden dabei an einigen Stellen asymmetrische Verflechtungen zwischen diesen Akteuren und westlichen Beobachtern zu behandeln sein, die für die Konstitution unseres heutigen Verständnisses von Opposition und Dissidenz maßgeblich waren.78 Aufgrund ihres thematischen Interesses an der Nation wird diese Arbeit solche Überkreuzungen nicht gezielt in den Blick nehmen, sie aber situativ integrieren.

 73 Ebd., S. 618. 74 Kiran Klaus Patel: Überlegungen zu einer transnationalen Geschichte, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 52 (2004), S. 626–645, hier S. 628. 75 Vgl. als Beispiele einer solchen Vergleichsprogrammatik: Agnes Arndt/Joachim C. Häberlen/Christiane Reinecke: Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, in: Dies. (Hrsg.): Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen 2011, S. 11–30. 76 Vgl. Ulrich Beck: Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter, Frankfurt am Main 2002, S. 70–94. 77 Die Wiedergabe von ‚shared history‘ ist im Deutschen nur in dieser begrifflichen Dopplung möglich. Conrad/Randeria: Geteilte Geschichten, S. 17. 78 Vgl. als Beispiel einer solchen Umsetzung: Robert Brier: Adam Michnik’s Understanding of Totalitarianism and the West European Left. A Historical and Transnational Approach to Dissident Political Thought, in: East European Politics and Societies, 25/2 (2011), S. 197–218.

24  Einleitung Diese transnationale Untersuchung zur Nation im oppositionellen politischen Denken kann schon aufgrund ihrer thematischen Ausgangslage die Bedeutung von Nationalstaaten und nationalstaatlich gerahmten Gesellschaften kaum unterschätzen79, sondern strebt danach, eine solche nationalstaatliche Perspektive durch einen für Transfer und Verflechtung sensibilisierten historischen Vergleich zu erweitern und so die Nation nicht als nationalen Einzelfall, sondern als Grundelement gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen in Ostmitteleuropa und als Ausdruck von oppositioneller politischer Gemeinschaft zu untersuchen. Wenn dies im Folgenden – mit Ausnahme der Rolle Mitteleuropas und Europas im Denken der ostmitteleuropäischen Opposition – anhand von national konstituierten Fallbeispielen geschieht, so folgt dies der spezifischen Logik der untersuchten Quellen. Bei allem Austausch über Grenzen war der Samizdat zunächst eine Form von alternativer Öffentlichkeit in einem Nationalstaat. Nach dieser Einleitung gliedert sich diese Arbeit in sechs weitere Kapitel. Das folgende erste Kapitel führt zunächst in den historischen Gegenstand dieser Untersuchung ein und breitet in der Betrachtung Ostmitteleuropas im Spätsozialismus die Grundlagen von Opposition und Dissidenz aus. In einer transnationalen Perspektive sollen dabei Strategien und Strukturen oppositionellen Handelns in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn ausgeführt werden, deren konkretere Ausgestaltung jedoch im weiteren Verlauf der Arbeit und am jeweiligen Gegenstand vertieft werden wird. Den Hauptteil der Untersuchung bilden das zweite, dritte und vierte Kapitel. Sie befassen sich mit der Aushandlung der Nation im Samizdat als Forum oppositionellen Denkens und unterscheiden sich anhand von zwei Modi von Vergewisserung und Infragestellung der Nation. So befassen sich die beiden ersten empirischen Kapitel mit Reflexionen über die Nation in Geschichte und Gegenwart: Das zweite Kapitel analysiert die Bedeutung der Nation in der formativen Frühphase oppositionellen Handelns und das dritte Kapitel nimmt eine erneuerte, oppositionelle Betrachtung nationaler Geschichte in den Blick. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Nation in Abgrenzung und Annäherung zu anderen politischen Gemeinschaften, wie zum Beispiel ethnischen Minderheiten, Nachbarnationen oder der Mitteleuropadebatte. Während in diesen Kapiteln die Ergebnisse in Form einer vergleichenden Schlussbetrachtung systematisiert und zusammengeführt werden, wird das fünfte Kapitel konkreter  79 Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Transnationale Geschichte – der neue Königsweg der historischen Forschung?, in: Gunilla Budde/Sebastian Conrad/Oliver Janz (Hrsg.): Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006, S. 161–174, hier S. 173.

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nach den Inhalten dieser oppositionellen Nation fragen und die Erkenntnisse in die Forschungen zu politischen Gemeinschaften und ihren Konzepten sowie in die Historiographie zu Opposition und Dissidenz einordnen. Ein Ausblick dieses synthetisierenden Kapitels fragt nach Einfluss und Konsequenz des hier behandelten oppositionellen politischen Denkens über den Zusammenbruch des Staatssozialismus hinweg. Fand nämlich mit der vermeintlichen Zäsur von 1989 der Samizdat als Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ein abruptes Ende und fanden zahlreiche ehemalige Oppositionelle den Weg in die Politik und in höchste Staatsämter, so stand die Nation in einem neuen öffentlichen Fokus und wurde zu einem Leitbegriff des demokratischen Aufbruchs. Das sechste Kapitel fasst schließlich die Erkenntnisse der Arbeit zusammen.

1 Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa Eine Untersuchung oppositionellen politischen Denkens zur Nation muss die historischen Grundlagen dieser oppositionellen Bewegungen und ihre spezifischen Handlungsspielräume reflektieren. Der Vergleich dieser oppositionellen Nationsvorstellungen in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn beruht nicht nur auf den Verflechtungen dieser sowjetischen Satellitenstaaten während des Sozialismus. Er greift vielmehr auch auf Strukturelemente dieser zwischen Deutschland und Russland gelegenen Geschichtsregion Ostmitteleuropa zurück, nämlich auf die frühneuzeitlichen Traditionen ständischer Freiheit1 und stärker noch auf ethnische und nationale Differenz, die das 19. und auch das 20. Jahrhundert prägten. Beide Charakteristika sind nicht als vermeintliche „Rückständigkeit“2 der politischen, kulturellen oder gesellschaftlichen Entwicklungen Ostmitteleuropas zu verstehen, sondern zeugen von einer spezifischen Ausprägung dieser Divergenzen und Dynamiken zwischen den Polen von Ausgleichs- beziehungsweise Föderationskonzepten und Homogenisierungsprojekten. Gerade für die Betrachtung der Nation als Ausdruck politischer Gemein-

 1 Hier sind die unterschiedlichen Verfassungsprojekte des ausgehenden 18. Jahrhunderts anzuführen, die auf eine bewahrende Erneuerung der ständestaatlichen Ordnung abzielten. Als politisches Konzept war ihnen die Idee der libertas gemeinsam, die auf einer im europäischen Vergleich großen Gruppe politisch privilegierter und in ihrer politischen Partizipation de iure gleichgestellter Adeliger beruhte. Vgl. Klaus Zernack: Polen und Russland. Zwei Wege in der europäischen Geschichte, Berlin 1994, S. 276–295; Éva H. Balázs: Hungary and the Habsburgs, 1765–1800. An Experiment in Enlightened Absolutism, Budapest 1997. Grundlegend zum Vergleich Ostmitteleuropas in der Frühen Neuzeit: Gottfried Schramm: Polen – Böhmen – Ungarn. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Przegląd Historyczny, 76 (1985), S. 417–437. 2 Das Narrativ der Rückständigkeit Osteuropas und Ostmitteleuropas ist seit der Aufklärung virulent und prägt über die Historiographie hinaus die Wahrnehmung der Region im europäischen Westen. Vgl. dazu als Auswahl: Manfred Hildermeier: Das Privileg der Rückständigkeit. Anmerkungen zum Wandel einer Interpretationsfigur der neueren russischen Geschichte, in: Historische Zeitschrift, 244 (1987), S. 557–603; Larry Wolff: Inventing Eastern Europe. The Map of Civilization on the Mind of the Enlightenment, Stanford 1994; Valerie Bunce: The Historical Origins of the East-West Divide. Civil Society, Political Society, and Democracy in Europe, in: Nancy Gina Bermeo/Philip G. Nord (Hrsg.): Civil Society before Democracy. Lessons from Nineteenth-Century Europe, Lanham 2000, S. 209–236.

28  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa schaft sind diese Möglichkeitsrahmen politischer Ordnung von großer Bedeutung. Erst im Verlauf und nach Ende des Ersten Weltkrieges entstanden in der Region nationale Staaten, die sich jedoch in ihrer ethnischen Zusammensetzung vom Nationalstaat westlicher Prägung deutlich unterschieden. Die Frage von Homogenität und Heterogenität politischer Gemeinschaft blieb so bis in den Spätsozialismus und darüber hinaus eine fundamentale Herausforderung politischen Denkens in Ostmitteleuropa. Ein weiterer Aspekt dieser konflikthaften Differenz lässt sich anhand des Zweiten Weltkriegs und seiner Folgen nachzeichnen; ab den Jahren 1938 beziehungsweise 1939 begann in Ostmitteleuropa ein Jahrzehnt des wiederholten Bruchs politischer und gesellschaftlicher Ordnung. Die Schrecken des Krieges, Verbrechen an der Zivilbevölkerung, der Mord an den europäischen Juden und wiederholte Zwangsmigrationen, kurz die Verwandlung Ostmitteleuropas in einen Landstrich extremer Gewalt und der Massenmorde – mit Timothy Snyder: „bloodlands“3 – veränderten die Region nachhaltig und brachen ihre sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen. Zum Kriegsende hin und mit dem schrittweisen Zurückdrängen deutscher Truppen etablierten kommunistische Kampfverbände und ihnen angeschlossene politische Komitees eine neue autoritäre Herrschaft in Ostmitteleuropa. Nach einer kurzen Übergangsphase des politischen Pluralismus festigten diese kommunistischen beziehungsweise sozialistischen Parteien bis 1948 ihre Alleinherrschaft.4 Die Phase des Stalinismus bedeutete nicht nur eine endgültige Orientierung Ostmitteleuropas zur Sowjetunion hin, sondern auch einen gesellschaftlichen und kulturellen Wiederaufbau der Region entlang des sowjetischen Vorbilds.

1.1 Krisen sozialistischer Staatlichkeit War die Macht von Staat und Partei in den Jahren des Stalinismus auf Gewalt und Einschüchterung gegründet, stellten der Tod Stalins im März 1953 und die folgende Entstalinisierung diese Herrschaftsform unweigerlich in Frage. Die Abkehr vom Personenkult und die Verurteilung von Verbrechen des Stalinismus  3 Vgl. Timothy Snyder: Bloodlands. Europe between Hitler and Stalin, New York 2010. Snyders regionale Zuordnung deckt sich jedoch nicht völlig mit dem Fokus dieser Arbeit. 4 Vgl. Krystyna Kersten: The Establishment of Communist Rule in Poland, 1943–1948, Berkeley 1991. Kerstens regimekritische Studie erschien zunächst nur im Samizdat und im Tamizdat. Erst nach 1989 konnte sie auch in offiziellen polnischen Verlagen veröffentlicht werden. Dies.: Narodziny systemu władzy. Polska 1943–1948, Warschau 1984 [Samizdat].

Krisen sozialistischer Staatlichkeit  29

unter Nikita S. Chruščev führten zu einer Liberalisierung sozialistischer Herrschaft, die zugleich den Auftakt einer ersten tiefgreifenden Krise von Staat und Partei in Ostmitteleuropa bedeutete. Ihr folgten wiederholte Stabilisierungen, auch wenn die Regime zur Sicherung ihrer Macht weiterhin auf Gewalt und Propaganda angewiesen blieben. In Polen kam nach einem Arbeiteraufstand in Posen im Juli 1956 und Auseinandersetzungen innerhalb der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, PZPR) der zuvor inhaftierte Nationalkommunist Władysław Gomułka an die Spitze von Staat und Partei. Unter dem Schlagwort eines Polnischen Oktobers ließ er die Hoffnung auf eine dezidiert polnische Liberalisierung aufkommen, die zugleich durch die Treue zur Sowjetunion eingeschränkt bleiben musste.5 Nachdem in Ungarn erste Reformbestrebungen noch von Moskau beschwichtigt werden konnten, gaben die polnischen Ereignisse ein Vorbild für Massendemonstrationen und Proteste. Innerhalb weniger Tage eskalierten die Bestrebungen zur politischen Pluralisierung des Landes, als sich Imre Nagy an die Spitze der Reformen stellte und am 1. November 1956 den Austritt aus dem Warschauer Pakt verkündete. Sowjetische Truppen marschierten in Budapest ein und schlugen den Volksaufstand blutig nieder. Nur in der Tschechoslowakei blieb es im Jahre 1956 ruhig, beinahe als sei die Tschechoslowakei bei der Entstalinisierung „auf halbem Wege steckengeblieben“.6 In diesen Erschütterungen sozialistischer Herrschaft ist zugleich ihre Überwindung zu erkennen. Grzegorz Ekiert deutete die Überwindung solcher Herrschafts- und Legitimationskrisen als repressive Demobilisierung von Protest verbunden mit einer affirmativen ideologischen (Gegen-)Mobilisierung.7 So hatten die Entstalinisierungskrisen des Jahres 1956 nicht nur Massenbewegungen, sondern auch nationale Deutungsmuster verstärkt in das öffentliche Leben gebracht. Sowohl Gomułkas „polnischer Weg zum Sozialismus“ als auch János Kádárs „Gesellschaftsvertrag“ in Ungarn nutzen nationale Sinnwelten und die Betonung nationaler Eigenständigkeit als Legitimitätsressourcen ihrer Herrschaft. Damit knüpften sie an das sowjetische Vorbild an, in dem seit dem Beginn sozialistischer Staatlichkeit die Verwendung nationaler Traditionen im neuen Gewand zur Selbstdarstellung von Herrschaft gehörte.8 Hatten Marx und

 5 Włodzimierz Borodziej: Geschichte Polens im 20. Jahrhundert, München 2010, S. 299. 6 Tony Judt: Die Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg, München 2006, S. 491. 7 Vgl. Grzegorz Ekiert: The State against Society. Political Crises and their Aftermath in East Central Europe, Princeton 1996. 8 Jan C. Behrends: „Heben wir einen neuen Staat als den Ausdruck einer neuen Ordnung aus der Taufe“. Zur Legitimation von Staatlichkeit in Polen, der Tschechoslowakei und der

30  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa Engels die Nationalbewegungen der kleinen Nationen zunächst ausgesprochen skeptisch beäugt und sie, wie Lenin und Stalin später, nur als taktisches Mittel im Klassenkampf vorgesehen, erlangte die Nation in Teilen der kommunistischen Bewegung seit Ende des 19. Jahrhundert und daraus resultierend bis in die sozialistischen Regime Ostmitteleuropas große Bedeutung.9 Anders als oftmals angenommen, widersprachen sich Kommunismus und Nationalismus nicht zwangsläufig, sondern boten in ihrem emanzipatorischen Grundimpetus, beispielsweise in antiimperialen Bewegungen, Überschneidungsmöglichkeiten.10 So ist die Frage nationaler und nationalistischer Tendenzen im Staatssozialismus in den letzten gut zwanzig Jahren eine der Kernfragen zeithistorischer Forschungen zu Ost- und Ostmitteleuropa geworden, die sich bislang jedoch besonders auf die 1950er und 1960er Jahre konzentriert11, also die Vorgeschichte der hier behandelten oppositionellen Bewegungen beleuchtet. Dagegen stellt der Spätsozialismus an sich in weiten Teilen ein Forschungsdesiderat dar. Bei allen Chiffren des Sozialismus, des Internationalismus und der Völkerfreundschaft blieben die sogenannten Volksdemokratien in ihrer politischen Rhetorik, ihrer Symbolik und ihrem Denken zutiefst nationalistisch. Gerade in ihrer Geschichtsschreibung zeigte sich, wie sehr ein solcher Synkretismus tradierte Formen des Nationalismus nur mit klassenkämpferischem Pathos und marxistischer Dialektik überformte, ansonsten aber „über allem die Nation zu stehen“ hatte.12 Eine solche Betonung nationalistischer Elemente wurde immer wieder als Demokratisierung des Sozialismus verstanden, verbreiterte sie die legitimatorische Grundlage des Regimes doch in nicht geringem Maße und konnte mutmaßlich „die Barriere der Fremdheit zwischen Staatsmacht und

 SBZ/DDR (1943–1952), in: Jana Osterkamp/Joachim von Puttkamer (Hrsg.): Sozialistische Staatlichkeit, München 2012, S. 45–71, hier S. 70f. 9 Koselleck/Gschnitzer/Werner: Volk, Nation, S. 364–366; Michal Kopeček: Hledání ztraceného smyslu revoluce. Zrod a počátky marxistického revizionismu ve střední Evropě 1953– 1960, Prag 2009, S. 120f. 10 Hobsbawm: Nations and Nationalism, S. 148. 11 Vgl. Martin Mevius: Reappraising Communism and Nationalism, in: Nationalities Papers, 37 (2009), S. 377–400, hier S. 380f. 12 So in Anlehnung an: Maciej Górny: Przede wszystkim ma być naród. Marksistowskie historiografie w Europie Środkowo-Wschodniej, Warschau 2007. Darüber hinaus zur sozialistischen Historiographie: Ders.: Między Marksem a Palackým. Historiografia w komunistycznej Czechosłowacji, Warschau 2001; Magdalena Lechowska: Węgrzy patrzą na swą historię (1945– 2003), Warschau 2004; Rafał Stobiecki: Historiografia PRL. Ani dobra, ani mądra, ani piękna … ale skomplikowana, Warschau 2007; Vítězslav Sommer: Angažované dějepisectví. Stranická historiografie mezi stalinismem a reformním komunismem (1950–1970), Prag 2011.

Krisen sozialistischer Staatlichkeit  31

Gesellschaft überwinden.“13 Mit Blick auf Max Webers Typologie von Herrschaft lässt sich diese Vermischung zweier unterschiedlicher Legitimationsquellen als Verbindung von Elementen charismatischer und traditionaler Herrschaft verstehen. Die Ideologie des Marxismus-Leninismus und seine Utopie gesellschaftlichen Fortschritts waren die Grundlage einer „institutionalisierten charismatischen Partei“14, deren alltägliche Bewährung – also nach Weber die eigentliche Begründung ihrer Legitimität – in den verschiedenen Krisen sozialistischer Herrschaft in Frage gestellt wurde.15 Der Verweis auf die traditionale Legitimität der Nation als Rekurs auf eine althergebrachte und unstrittige Ordnung16 lässt sich dabei als ein Versuch der Partei und führender Vertreter der sozialistischen Staatsmacht beschreiben, sich in die politische Gemeinschaft ihrer Staaten einzuschreiben. Der Rückgriff auf Webers idealtypische Differenzierung veranschaulicht, dass der Nationalismus angesichts von Schwäche und Legitimitätskrisen eine Strategie der Krisenbewältigung für die sozialistische Herrschaft war. So konnten beispielsweise die Propaganda gegen einen vermeintlichen deutschen Revisionismus oder das Lancieren antisemitischer Vorbehalte situativ die sozialistische Herrschaftslegitimation ergänzen oder gar völlig ersetzen.17 Anders als Staat und Partei suchten sozialistische Intellektuelle „den verlorenen Sinn der Revolution“ zunächst nicht in der Nation, sondern fanden ihn einer erneuerten sozialistischen Utopie. Dieser sozialistische Revisionismus  13 Marcin Zaremba: Komunizm, legitymizacja, nacjonalizm. Nacjonalistyczna legitymizacja władzy komunistycznej w Polsce, Warschau 2001, S. 7. Vgl. Krzysztof Tyszka: Nacjonalizm w komunizmie. Ideologia narodowa w Związku Radzieckim i Polsce Ludowej, Warschau 2004, S. 174f.; Martin Mevius: Agents of Moscow. The Hungarian Communist Party and the Origins of Socialist Patriotism 1941–1953, Oxford 2005, S. 263f.; Kopeček: Hledání ztraceného smyslu, S. 128f. 14 Zaremba: Komunizm, legitymizacja, nacjonalizm, S. 84. 15 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 5. Aufl. 1980, S. 140. Weber geht von charismatischen Individuen, also „Führern“ oder „Leitern“ einer politischen Gemeinschaft, als Träger von Herrschaft aus. Wie Marcin Zaremba zeigt, kann dies durchaus auf eine sozialistische Partei übertragen werden. Auch Staat- und Parteiführer in Ostmitteleuropa können als solche „charismatische Führer“ betrachtet werden, wobei ihr Personenkult nach dem Ende des Stalinismus deutlich eingeschränkt blieb. 16 Ebd., S. 130. 17 Vgl. hier besonders das polnische Beispiel: Łukasz Polniak: Patriotyzm wojskowy w PRL w latach 1956–1970, Warschau 2011, S. 151; Jerzy Eisler: Polski rok 1968, Warschau 2006, S. 127– 129. Zur Einordnung in die Deutungsgeschichte der Nation: Zaremba: Komunizm, legitymizacja, nacjonalizm, S. 399f.; Árpád von Klimó: Nation, Konfession, Geschichte. Zur nationalen Geschichtskultur Ungarns im europäischen Kontext (1860–1948), München 2003, S. 402–404; Bradley F. Abrams: The Struggle for the Soul of the Nation. Czech Culture and the Rise of Communism, Lanham, Md. 2004, S. 127.

32  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa integrierte seine Kritik am Zustand des Sozialismus in das System selbst, stellte es also zugleich in Frage, wie er auch zu seiner inneren Stabilität beitrug.18 Während der humanistische Marxismus in der Tschechoslowakei und in Ungarn eine tatsächliche Alternative zum Etatismus der Staatsmacht darstellte und auch innerhalb der Partei eine gewisse Repräsentation fand, sah sich der polnische Revisionismus dagegen einem innerparteilichen und stark nationalistisch geprägten Konservatismus gegenüber.19 Als beispielsweise zwei junge Warschauer Intellektuelle, Karol Modzelewski und Jacek Kuroń, ihre marxistische Kritik am real existierenden Sozialismus äußerten, erschien diese an sich systemimmanente Form der Kritik den Herrschenden als Bedrohung. Auf ihren 1964 veröffentlichten offenen Brief reagierte die PZPR mit harten Repressionen und Haftstrafen.20 Die revisionistische Utopie erlebte ihren Höhepunkt 1968, als in der Tschechoslowakei eine innerparteiliche Reformbewegung um Alexander Dubček weitreichende Reformen des bestehenden Sozialismus wagte. Der Prager Frühling rüttelte mit dem Versuch einer sozialistischen Marktwirtschaft, eines politischen und gesellschaftlichen Pluralismus, der partiellen Trennung von Staat und Partei, der Rechtsstaatlichkeit und der Föderalisierung des Staates an den Grundfesten des parteilichen Machtmonopols sowjetischer Prägung.21 So ist es kaum verwunderlich, dass nicht nur Leonid I. Brežnev, sondern gerade auch die Staats- und Parteichefs der Satellitenstaaten, wie Walter Ulbricht und Gomułka, auf die Eindämmung solcher Reformvorhaben drängten. Als in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 Truppen des Warschauer Paktes nach Prag einmarschierten, bedeutete dies nicht nur das jähe und sehr konkrete Ende des „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, sondern perspektivisch auch für viele revisionistische Intellektuelle das „Ende der Affäre“22 mit dem Sozialismus an sich, wie es Tony Judt formulierte. Auch wenn sich führende Revisionisten keineswegs von allen Ideen des Sozialismus lossagten, wurde deutlich, dass die kommunistischen Parteien in den Ländern des Ostblocks kein Instrument auf dem

 18 Kopeček: Hledání ztraceného smyslu, S. 351. 19 Ebd., S. 353–355; Arndt: Rote Bürger, S. 107–112. 20 Karol Modzelewski/Jacek Kuroń: Offener Brief an die Vereinigte Polnische Arbeiterpartei, Kiel 1968. Vgl. Friszke: Anatomia buntu, S. 203–221; Arndt: Rote Bürger, S. 128–137; Gawin: Wielki zwrot, S. 103–116. 21 Jan Pauer: Prag 1968. Der Einmarsch des Warschauer Paktes. Hintergründe – Planung – Durchführung, Bremen 1995, S. 22f. 22 So betitelte Judt das dreizehnte Kapitel seiner Geschichte Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Vgl. Judt: Geschichte Europas, S. 474–506.

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Weg zu seiner Erreichung sein konnten. Vielmehr wurden sie das größte Hindernis eines liberalisierten Sozialismus. In Polen kam es seit Dezember 1967 zu politischen Protesten besonders von Studenten, zunächst aufgrund der Absetzung des antizarischen und somit vermeintlich antirussischen Theaterstückes Ahnenfeier des Nationaldichters Adam Mickiewicz. Im März 1968 mündeten die Proteste nach der Verweisung protestierender Studenten und Professoren von der Warschauer Universität in allgemeinere Forderungen nach Redefreiheit und einem anderen Sozialismus. Konkretes Vorbild und Hoffnung dieses sozialistischen Protestes war der Prager Reformkurs und wie es ein Schlagwort dieser Tage treffend ausdrückte, wartete „ganz Polen […] auf seinen Dubček“.23 Dagegen ging die Parteiführung, allen voran der als „Partisanen“ bezeichnete nationalkommunistische Flügel, gewaltsam und mit einer massiven antisemitischen Kampagne vor. Sie trieb erfolgreich einen Keil zwischen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die ein solcher Protest hätte erreichen können, besonders zwischen Intellektuelle und Arbeiter. Für nonkonforme Jugendkreise blieb die Erfahrung von Unterdrückung und Repression in diesem Polnischen März auf Jahre hin der Maßstab politischer Selbst- und Fremdwahrnehmung und somit die Grundlage zukünftigen Nonkonformismus.24 Diesmal gab es in Ungarn keine innenpolitische und gesellschaftliche Unruhe, was den sukzessiven Reformen und Zugeständnissen Kádárs zuzurechnen war25, die vieles vorwegnahmen, was in den 1970er zum Allgemeingut des Spätsozialismus werden sollte. Auch die Folgen dieser zweiten Legitimitätskrise sozialistischer Herrschaft in Ostmitteleuropa lassen sich als ein Kompromiss eigener Art betrachten. Standen der Prager Frühling und der Polnische März im Zeichen einer sozialistischen Utopie und gesellschaftlicher Partizipation, stellten sie den Alltag des Sozialismus zwischen Repression und Mangelwirtschaft in Frage. Die Regime suchten nach der gewaltsamen Beendigung der Reformhoffnungen nun nicht mehr nach der affirmativen Legitimation, die Nationalismus oder Sozialismus bieten konnten, sondern oftmals nur noch nach stillschweigender Akzeptanz. Diese schleichende Entpolitisierung des real existierenden Sozialismus folgte dem sinnbildlichen Grundsatz des ungarischen Kádárismus „Wer nicht gegen

 23 Jerzy Eisler: Wpływ praskiej wiosny na polski Marzec ’68, in: Łukasz Kamiński (Hrsg.): Wokół praskiej wiosny. Polska i Czechosłowacja w 1968 roku, Warschau 2004, S. 24–31, hier S. 29. 24 Andrzej Friszke: Polska. Losy państwa i narodu 1939–1989, Warschau 2003, S. 191–203. 25 Árpád von Klimó: Ungarn seit 1945, Göttingen 2006, S. 121.

34  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa uns ist, ist für uns“26 und kehrte somit die Leitlinien des Stalinismus diametral um. Eine Ausnahme in dieser Hinsicht war zweifelsohne die Tschechoslowakei, deren sogenannte Normalisierung die sozialistische Ordnung wiederherzustellen und durch weitreichende Säuberungen Reformer aus den Funktionseliten des Staates zu verdrängen suchte.27 Akzeptanz oder mindestens eine Beruhigung der Lage erreichten die Regime Ostmitteleuropas auch jenseits einer politischen Demobilisierung. In den 1950er Jahren hatten ein massiver gesellschaftlicher Wandel, Industrialisierung und Urbanisierung vor allem eine neue, technische Intelligenz am sozialistischen Fortschrittsversprechen teilhaben lassen. Waren die wirtschaftlichen Probleme dieser Modernisierung zunächst durch eine allgegenwärtige Aufbaurhetorik überdeckt worden28, schien eine Anhebung des Lebensstandards und des Konsumniveaus ab Beginn der 1970er Jahre diese Versprechen in die Tat umzusetzen. Das kleine, private Auto wurde zum Symbol dieses am Vorbild des kapitalistischen Westens orientierten Aufschwungs. In der breiten Masse beruhte er dagegen vor allem auf Lebensmitteln und gerade Fleischprodukten, deren Verfügbarkeit anstieg.29 Dabei entsprach ein solcher „Gulaschkommunismus“30 oder die „belle époque des Sozialismus“31 keineswegs der Wirtschaftsleistung der sozialistischen Staaten, sondern beruhte in großem Maße auf westlichen Krediten. Eine solche „Fürsorgediktatur“32 führte zwar zu einer Stabilisierung sozialistischer Herrschaft, stellte diese aber auf ein wackeliges, da geliehenes Fundament. Die schnell anwachsende Verschuldung erwies sich schon bald als massives Problem und bereits Mitte der 1970er Jahre traten zum Beispiel in Polen ernsthafte Engpässe in der Lebensmittelversorgung auf. Der durch Konsumorientierung und politische Resignation provisorisch gestützte Sozialismus beförderte aber auch in anderer Hinsicht eine gesellschaftliche Krise. Als Gegenreaktion zur propagandistisch überhöhten Massen- und

 26 Ebd. 27 Milan Otáhal: Normalizace 1969–1989. Příspěvek ke stavu bádání, Prag 2002, S. 42–44. 28 Judt: Geschichte Europas, S. 481. 29 Peter Hübner/Christa Hübner: Sozialismus als soziale Frage. Sozialpolitik in der DDR und Polen 1968–1976. Mit einem Beitrag von Christoph Boyer zur Tschechoslowakei, Köln 2008. 30 In Ungarn wird diese Phase zumeist als „Kühlschrankkommunismus“ bezeichnet. Vgl. Klimó: Ungarn, S. 153. 31 Andrzej Paczkowski: Pół wieku dziejów Polski, 1939–1989, Warschau 5. Aufl. 2005, S. 265. 32 Konrad H. Jarausch: Care and Coercion. The GDR as Welfare Dictatorship, in: Ders. (Hrsg.): Dictatorship as Experience. Towards a Socio-Cultural History of the GDR, New York 1999, S. 47–69, hier S. 60–62. Als Fallstudie: Jakub Rákosník: Sovětizace sociálního státu. Lidově demokratický režim a sociální práva občanů v Československu 1945–1960, Prag 2010.

Krisen sozialistischer Staatlichkeit  35

Kollektivkultur kam es nun nicht nur zu einer Individualisierung von Lebensentwürfen, sondern auch zur gesellschaftlichen Partikularisierung, die bereits zeitgenössisch bereits als „Atomisierung“ bezeichnet wurde.33 Der Rückzug ins Private, in der Tschechoslowakei auch als „Wochenendhäuschen-Mentalität“ bezeichnet, entzog gerade Nonkonforme und Regimekritiker staatlicher Kontrolle. Er schloss den Einzelnen aber auch in private und abgeschottete Netzwerke ein, die sowohl neue Freiräume schufen als auch gesellschaftliche Integration und gesellschaftliches Vertrauen unterminierten.34 Will man dieses spezifische Stadium des Sozialismus nach Reformen und Krisen mit Dieter Segert als „Spätsozialismus“ bezeichnen35, so sind es die oben skizzierten Phänomene der ideologischen Desillusionierung und Entpolitisierung, Konsumorientierung und gesellschaftlichen Atomisierung, die die hier untersuchte Zeit ausmachten. Der dem zugrunde liegende Verzicht auf absoluten Wahrheitsanspruch, innere ideologische Kohärenz und Terror hob einen solchen Spätsozialismus folglich signifikant von der totalitären Herrschaftspraxis stalinistischer Regime in Ostmitteleuropa ab.36 Nicht nur die vom Systemgegensatz geprägte westeuropäische Politikwissenschaft, sondern auch viele Dissidenten und Oppositionelle in Ostmitteleuropa verwendeten den Totalitarismusbegriff dennoch auch für diese Epoche, zumeist in abgrenzender und mobilisierender Absicht.37 Ähnlich und ebenso oft von aktuellen politischen

 33 Vgl. Stefan Nowak: Values and Attitudes of the Polish People, in: Scientific American, 245/1 (1981), S. 45–53. 34 Miloš Havelka: Vergleich des Unvergleichbaren oder: Gab es in der neuesten tschechischen Geschichte eine Epoche des Totalitarismus?, in: Bohemia, 49 (2009), S. 311–330, hier S. 329f., Zitat S. 329; Klaus Ziemer: Polens Weg in die Krise. Eine politische Soziologie der „Ära Gierek“, Frankfurt am Main 1987, S. 405f. 35 Dieter Segert: Postsozialismus – Spätsozialismus – Staatssozialismus. Grundlinien und Grundbegriffe einer politikwissenschaftlichen Postsozialismus Forschung, in: Ders. (Hrsg.): Postsozialismus. Hinterlassenschaften des Staatssozialismus und neue Kapitalismen in Europa, Wien 2007, S. 1–23, hier S. 14. 36 Vgl. als klassische Beschreibung des Totalitarismus: Hannah Arendt: The Origins of Totalitarianism, Cleveland/New York 2. Aufl. 1958, S. 470–473. Arendt ging in einer frühen Beschreibung der ostmitteleuropäischen Satellitenstaaten davon aus, dass der „totalitarian imperialism“ der Sowjetunion dort gescheitert sei, es sich also um keine voll entwickelten totalitären Regime gehandelt habe. Ebd., S. 506–510. 37 Andrzej Walicki: Czy PRL była państwem totalitarnym [zuerst erschienen in: Polityka, 21.07.1990], in: Paweł Śpiewak (Hrsg.): Spór o Polskę. Wybór tekstów prasowych, Warschau 2000, S. 115–117. Vgl. dazu Paweł Śpiewak (Hrsg.): Anti-Totalitarismus. Eine polnische Debatte, Frankfurt am Main 2003. Václav Havel sprach beispielsweise von einem „posttotalitären“ Regime, das den Totalitarismus nicht überwunden, aber verändert habe. Ders.: Versuch, S. 13.

36  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa Kontroversen und Versuchen der Vergangenheitsbewältigung beeinflusst, bemüht die heutige Zeitgeschichtsforschung in Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn dieses Interpretationsmuster, das den Staatssozialismus zur Abweichung vom eigentlichen Weg der Nationalgeschichte werden lässt.38 Im Gegensatz dazu werden in dieser Arbeit die Regime des Spätsozialismus nicht als totalitär verstanden. Sie waren zwar in ihrer Herrschaftsausübung autoritär und repressiv, verbanden dies aber situativ mit stabilisierenden Elementen einer politischen Liberalisierung. Der Spätsozialismus war so zunächst eine Krisenerscheinung, womöglich gar eine Dauerkrise des „klassischen Staatssozialismus“39, der nicht mehr im Stande war mit Ideologie zu mobilisieren. Zugleich ist der Spätsozialismus als gesellschaftliche Krise zu verstehen. Massenbewegungen, wie sie die behandelten Erschütterungen sozialistischer Herrschaft in den 1950er und 1960er Jahren begleitet und radikalisiert hatten, wurden so für den Spätsozialismus zunehmend unwahrscheinlicher und kamen – mit Ausnahme Polens – nicht mehr auf.

1.2 Neue Strategien für eine neue Opposition Diese spätsozialistische Krise konfrontierte nonkonforme und kritische Kreise mit einem Verlust von politischem Sinn und bot ihnen gleichzeitig neue Handlungsspielräume und Möglichkeiten. In einem berühmt gewordenen Essay erörterte der seit 1968 im Oxforder Exil wirkende polnische Philosoph Leszek Kołakowski 1971 diese Widersprüchlichkeiten zwischen Hoffnungslosigkeit und Hoffnung. Überwogen in seiner Betrachtung Polens die hoffnungsstiftendenden Perspektiven möglicher Veränderungen im Sozialismus, wurde aus seiner desillusionierten Betrachtung der Staatsmacht ebenso deutlich, dass Veränderungen nur noch ohne und gegen das Regime möglich waren.40 Nicht nur in Polen, sondern auch in der Tschechoslowakei und in Ungarn entstanden neue Antworten auf die spätsozialistische Krise. Kołakowskis Anstoß von außen skizzierte so einen Paradigmenwechsel nicht nur im ostmitteleuropäischen Revisionismus.41

 38 Kolář: Historisierung, S. 5f. Vgl. als Überblick: Bianca Hoenig: Chancen und Grenzen eines Paradigmas. Die Totalitarismustheorie in Anwendung auf den ostmitteleuropäischen Staatssozialismus. Literaturbericht, in: Bohemia, 49/2 (2009), S. 431–444. 39 Segert: Postsozialismus – Spätsozialismus – Staatssozialismus, S. 14. 40 Leszek Kołakowski: Tezy o nadziei i beznadziejnośći, in: Kultura, 258/6 (1971), S. 3–21. 41 Agnes Arndt: Der Bedeutungsverlust des Marxismus in transnationaler Perspektive. „Histoire Croisée“ als Ansatz und Anspruch an eine Beziehungsgeschichte West- und

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Er markierte den Auftakt einer schrittweisen Neuorientierung unabhängigen Denkens in Ostmitteleuropa nach 1968, deren intellektuelle Grundlagen es als Impuls einer neuen Opposition zwischen seinen spezifischen Besonderheiten und seinen länder- und kontextübergreifenden Zusammenhängen im Folgenden zu skizzieren gilt. In Polen prägten Kołakowskis Thesen das Denken jüngerer Andersdenkender und der „roten Bürger“, bei denen der Philosoph als einer der wenigen protestierenden Professoren des März 1968 hohes Ansehen genoss.42 Einen weiteren Meilenstein dieser Neuorientierung bedeutete Bohdan Cywińskis Buch Stammbäume der Unbeugsamen, eine Geschichte der polnischen Intelligenz und des politischen Denkens im 19. Jahrhundert.43 Cywiński spannte in diesen Stammbäumen einen Bogen zwischen den Traditionen linken und rechten Denkens im geteilten Polen und dem Ziel polnischer Unabhängigkeit. Offenkundig hatten seine Begriffsbildung und die politische Zuschreibung einer politischen Linken wenig mit der regierenden Partei gemein, sondern rehabilitierten vielmehr linke Grundlagen und hinterfragten aus progressiv-katholisch Perspektive die polnische Ideengeschichte. Sein Buch trug damit zu einer Annäherung gerade jüngerer Revisionisten an den kritischen Katholizismus und an patriotische Traditionen bei44 und wirkte für viele seiner Leser wie eine Aufforderung zum Handeln in der Gegenwart. Solche Anregungen griff zum Beispiel Jacek Kuroń auf und entwickelte seit 1974 ein Programm der gesellschaftlichen Selbstorganisation, das die Initiative für Veränderungen von der Partei hin zur Gesellschaft verlegte. Kuroń, seit seinem gemeinsam mit Modzelewski verfassten offenen Brief an die Partei eine Symbolfigur des polnischen Revisionismus, verstand die Gesellschaft nicht mehr nur als Ort für oppositionelle Tätigkeit, sondern entwickelte ein Organisationsmodell, das Gesellschaft zu einer Form von Opposition werden ließ.45 Adam Michnik entwickelte den Gedanken einer oppositionellen Gesellschaft  Ostmitteleuropas, in: Dies./Häberlen/Reinecke (Hrsg.): Vergleichen, verflechten, verwirren?, S. 89–114. 42 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 165. 43 Bohdan Cywiński: Rodowody niepokornych, Warschau 5. Aufl. 2010 [Erstausgabe 1971]. Cywińskis Band erschien damals legal im katholischen Verlag Więź, der zu einer der für Polen so prägenden und legal erscheinenden, kritisch katholischen Zeitschriften unter gleichem Namen gehörte. 44 Arndt: Rote Bürger, S. 140–151. 45 Jacek Kuroń: Myśli o programie działania, in: Biuletyn Informacyjny KOR [Samizdat], 1/4 (1976), S. 7–9. Vgl. David Ost: Solidarity and the Politics of Anti-Politics. Opposition and Reform in Poland since 1968, Philadelphia 1990, S. 64; Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 187.

38  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa weiter und suchte nach Möglichkeiten, die gesellschaftliche und politische Partikularisierung Polens zu überwinden und zu einem Dialog zwischen linken Revisionisten und der katholischen Kirche zu kommen.46 Vor dem Hintergrund innerkirchlicher Reformen durch das Zweite Vatikanische Konzil und einer schwindenden Bedeutung des katholisch-sozialistischen Antagonismus war eine solche Kooperationsmöglichkeit zum Beispiel in der Frage der Menschenrechte durchaus realistisch. Dies zeigte sich erstmals 1975 bei Protesten gegen eine geplante Verfassungsänderung, als auch Kardinal Wyszyński das Wort ergriff.47 Anders als Cywińskis Stammbäume der Unbeugsamen konnten Kurońs und Michniks Überlegungen jedoch nicht im Land selbst publiziert werden, sondern erschienen im Kontext der Pariser Exilzeitschrift Kultura (Kultur), die seit den 1950er Jahren eine gemäßigte Position innerhalb des polnischen Exils einnahm und nicht nur über ein enormes Ansehen, sondern auch über wachsenden Einfluss in Polen verfügte.48 In der Tschechoslowakei kamen solche Impulse aus einer anderen Richtung. Wie viele Unterstützer des Prager Frühlings und kritische Intellektuelle hatte der Philosoph Jan Patočka seine Stellung als Professor an der Prager Karlsuniversität verloren. In seiner persönlichen Ernüchterung und unter dem Eindruck einer gesellschaftlichen Desillusionierung prägte er das Leben in der Wahrheit als Konzept des Durchhaltens in auswegloser Lage. In seinen Ketzerischen Essays entwickelte Patočka Wahrheit in Anlehnung an seinen akademischen Lehrer Martin Heidegger zum Postulat individueller Authentizität im Widerspruch zur Gesellschaft und bildete damit das Leben vieler Nonkonformisten dieser Normalisierungsepoche ab.49 Eine Vielzahl dieser späteren Oppositionellen hatte in den Säuberungswellen der Normalisierung, wie Patočka selbst, ihre berufliche Stellung an Universitäten oder im Kulturbereich verloren und war nun gezwungen, mit körperlicher Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ständig von der Entlassung aus politischen Gründen bedroht.50 Wichtigste Bewältigungsstrategie dieser aus dem intellektuellen und kulturellen Leben Ausgegrenzten war die Schaffung eines eigenen, alternativen Kulturlebens im

 46 Adam Michnik: Kościół, lewica, dialog, Warschau 2009 [Erstausgabe Paris 1976]. 47 Friszke: Opozycja polityczna, S. 276. Ähnliche Überlegungen wie Michnik entwickelte auch der katholische Geistliche Józef Tischner. Ders.: Polski kszałt dialogu, Paris 1981. 48 Friszke: Polska, S. 214. 49 Jan Patočka: Kacířské eseje, in: Ders.: Sebrané spisy, Bd. 3. Péče o duši III, Prag 2002, S. 13–144; Vgl. Tucker: Philosophy and Politics, S. 34–48. 50 Bolton: Worlds of Dissent, S. 88f.

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Privaten.51 Patočkas moralisch geprägter und an den Einzelnen gerichteter Wahrheitsanspruch führte der Schriftsteller und spätere Protagonist der tschechoslowakischen Opposition Václav Havel in seinen Theaterstücken und dem berühmt gewordenen Essay Macht der Ohnmächtigen fort, der im Deutschen zumeist als Versuch, in der Wahrheit zu leben wiedergegeben wird.52 Auch in Ungarn waren die universitäre Philosophie und daneben die Soziologie Entwicklungsorte kritischer Gedanken im Spätsozialismus. Mitglieder der Budapester Schule um den Philosophen György Lukács analysierten in ihren Arbeiten wiederholt Gesellschaften sowjetischen Typs und übten an diesen Beispielen ihre kritische Marx-Exegese.53 So bemängelten beispielsweise György Konrád und Iván Szelényi in ihrer 1973/1974 entstandenen Samizdat-Schrift Die Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht die Lebensumstände ungarischer Arbeiter und die faktische Herrschaft der Intelligenz.54 Diese wiederum stehe vor dem Dilemma, sich entweder in den Diensten des Staates zu stellen oder diesen radikal abzulehnen.55 Im vergleichsweise liberalen Ungarn war dieses Problem konkreter erfahrbar als in Polen oder der Tschechoslowakei, denn auch Systemkritiker konnten im Alltag des Kádárismus ihren Platz finden. Diese scheinbare Toleranz des Regimes resultierte jedoch in einem fließenden Übergang zwischen Duldung, Selbstzensur und drohendem Verbot, in dem ein Zensor im eigentlichen Sinne überflüssig geworden war.56 Neben diesen endogenen Entwicklungen bedingten auch exogene Faktoren die Handlungsräume nonkonformer Akteure in Ostmitteleuropa. Seit den 1960er Jahren manifestierten sich die Hoffnungen sozialemanzipatorischer Bewegungen in Westeuropa, in Lateinamerika oder auch in Afrika im Begriff der Menschenrechte, die in einem weltweiten moralischen Diskurs zu einer universellen

 51 Marketa Spiritova: Hexenjagd in der Tschechoslowakei. Intellektuelle zwischen Prager Frühling und dem Ende des Kommunismus, Köln 2010, S. 181f. 52 Václav Havel: Moc bezmocných, o.O. 1978 [Samizdat]; Havel: Versuch. 53 Vgl. Ferenc Fehér/Agnes Heller/György Márkus: Dictatorship over Needs, New York 1983. 54 Im ostmitteleuropäischen Sprachgebrauch wird unter Intelligenz eine breite Funktionselite mit universitärer, im Sozialismus meist technischer Bildung verstanden. Angehörige dieser „Intelligenzklasse“, wie Konrád und Szélenyi sie bezeichnen, sind also keine Intellektuellen im eigentlichen Sinne des Wortes. 55 György Konrád/Iván Szelényi: Die Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht, Frankfurt am Main 1978 [Erstausgabe Budapest 1973], besonders S. 391f. 56 György Dalos: Archipel Gulasch. Die Entstehung der demokratischen Opposition in Ungarn, Bremen 1986, S. 15–17.

40  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa Vorstellung erwuchsen.57 Sowjetische Dissidenten bezogen sich bereits zu dieser Zeit auf die Menschenrechte und begründeten ihre legalistische und vermeintlich unpolitische Kritik an den herrschenden Zuständen moralisch.58 Mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zwischen 1973 und 1975 gelangten die Menschenrechte auf diplomatischer Ebene auch in den Entspannungsprozess zwischen Ost und West. Da die Beratungen in Helsinki zunächst die Deténte nur auf einer formalen Ebene weiterentwickeln sollten, waren Menschenrechte ursprünglich nicht als Thema vorgesehen und schienen auch als Teil der KSZE-Schlussakte von eher untergeordneter Bedeutung.59 Mit der Ratifizierung der Schlussakte von Helsinki übernahmen die Staaten des sozialistischen Blocks jedoch auch die „Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit“60 in ihre Rechtsordnung, auch wenn diese keineswegs als Rechtstaatlichkeit zu begreifen war. Damit erweiterte die Schlussakte in den sozialistischen Staaten wenigstens auf dem Papier die Freiheiten und folglich die Handlungsspielräume von Andersdenkenden. In den Ländern selbst waren diese neuen Rechtszusagen jedoch anfangs nur Wenigen bekannt, denn die Schlussakte wurde in staatlichen Verlagen zwar gedruckt, aber nicht in den freien Verkehr gebracht.61 Folgt man einer weitläufigen Forschungsmeinung zu Opposition und Dissidenz in Ostmitteleuropa, so war Helsinki ein „Moment des Aufholens“62, also ein Wendepunkt, an dem der Staatssozialismus mit den Menschenrechten einen entscheidenden Baustein seiner fehlgeschlagenen Modernisierung nachholte. Anders als von den Staaten des Warschauer Pakts angenommen, neutralisierten sich die widersprechenden Prinzipien der Schlussakte nicht; das heißt, der Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten hinderte west-

 57 Moyn: Last Utopia, S. 121 und 567f. Auch wenn die vergleichsweise junge Historiographie der Menschenrechte für diesen plötzlichen Bedeutungsgewinn eines moralischen Universalismus noch keine abschließende Erklärung anbieten kann, erscheint die nachlassende Wirkungskraft revolutionärer Ideen einen Anteil an dieser Entwicklung gehabt zu haben. 58 Philip Boobyer: Conscience, Dissent and Reform in Soviet Russia, New York 2009, S. 75–84. 59 Moyn: Last Utopia, S. 149f. 60 Die Schlußakte der Konferenz von Helsinki 1975, in: Österreichisches Helsinki-Komitee (Hrsg.): KSZE. Die Abschlußdokumente der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Helsinki 1975 und der Nachfolgekonferenzen Belgrad 1978 und Madrid 1983, Wien/Köln/Graz 1984, S. 23–99, hier S. 29. 61 Daniel C. Thomas: The Helsinki Effect. International Norms, Human Rights, and the Demise of Communism, Princeton 2001, S. 98. 62 Judt: The Dilemmas of Dissidence, S. 190.

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liche Regierungen nicht daran, die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern. In der Dynamik eines normativen internationalen Rechtsdiskurses konnten Menschenrechte zum Argument westlicher Kreditgeber werden.63 Dieser „Helsinki Effect“64 wurde innerhalb kürzester Zeit zu einem Impuls für die Dissidenten, wie das Beispiel der verschiedenen „Helsinki-Gruppen“ in der Sowjetunion und in anderen sozialistischen Staaten, aber auch weitere Gruppen, die im Folgenden behandelt werden sollen, zeigen.65

1.3 Oppositioneller Aufbruch Als die polnische Regierung am 24. Juni 1976 die Preise für Lebensmittel um durchschnittlich 40 Prozent erhöhte66, gingen in Polen erneut Arbeiter auf die Straße. In Radom und dem Warschauer Vorort Ursus eskalierte die Lage so sehr, dass die Miliz brutal gegen die Proteste vorging. In Radom brannte das örtliche Parteigebäude, zwei protestierende Arbeiter kamen ums Leben, mehrere Hundert wurden verletzt und an die tausend verloren ihre Arbeitsstelle.67 Auch wenn die Preiserhöhungen selbst nach nur einem Tag zurückgenommen wurden, waren die Breite des Protestes und die Gewalt des staatlichen Einschreitens völlig unerwartet.68 Anders als bei den Arbeiterprotesten vom Dezember 1970 in Danzig, bei denen Intellektuelle angesichts des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte tatenlos geblieben waren, schwiegen die polnischen Andersdenkenden diesmal nicht. Schon die 1975 geplante und letztlich durchgesetzte Verfassungsreform, die der führenden Rolle der Partei und dem Bündnis mit der Sowjetunion Verfassungsrang verlieh, hatte ein neues Widerspruchspotential offenbart. Gesellschaftliche Proteste gegen die neue Verfassung in kirchlichen wie revisionistischen Kreisen kritisierten vor allem die geplante Verknüpfung von Bürgerrechten mit der Loyalität gegenüber dem Staat. Nach den Vorkommnissen in Radom

 63 Thomas: Helsinki Effect, S. 270. 64 Ebd. 65 Wolfgang Eichwede: „…but it must be a détente with a human face“. Helsinki and the Human Rights Movements in Eastern Europe, in: Vladimir Bilandžić/Dittmar Dahlmann/Milan Kosanović (Hrsg.): From Helsinki to Belgrade. The first CSCE Follow-up Meeting and the Crisis of Détente, Göttingen 2012, S. 255–284, hier S. 261f. 66 Paweł Sasanka: Czerwiec 1976. Geneza, Przebieg, Konsekwencje, Warschau 2006, S. 115. 67 Die Todesfälle waren „ein tragischer Unfall“, der jedoch von den Behörden nur widerwillig und nicht öffentlich aufgearbeitet wurde. Ebd., S. 198 und 203. 68 Friszke: Czas KOR-u, S. 102.

42  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa und Ursus wendeten sich Warschauer Intellektuelle um Jacek Kuroń mit Protest-Briefen an Intellektuelle in Westeuropa und baten diese um Solidaritätsbekundungen für die verfolgten polnischen Arbeiter. Zudem begleiteten sie die eilig angesetzten Gerichtsverfahren, in denen einige Hundert der an den Protesten beteiligten Arbeiter wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt wurden, organisierten Rechtsbeistand und unterstützten die Familien der Inhaftierten finanziell.69 Wenige Wochen später entstand aus diesen zunächst spontanen Protestund Hilfsaktionen das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników; KOR), die erste öffentlich agierende oppositionelle Gruppierung in Ostmitteleuropa. Sein Appell an die Gesellschaft und Staatsmacht der Volksrepublik Polen vom 23. September 1976 war nicht nur ein Protest gegen Gewalt und fehlende Rechtsstaatlichkeit, sondern auch ein Aufruf zum Handeln, „als ob“ es die Freiheit zum gesellschaftlichen Handeln gebe.70 Schützten Gewerkschaften die Streikenden nicht und kümmerte sich die Sozialfürsorge nicht um durch Arbeitslosigkeit verarmte Familien, habe die Gesellschaft „folglich keine anderen Methoden zum Schutz vor Unrecht als Solidarität und gegenseitige Hilfe.“71 Dabei beriefen sich die 14 Unterzeichner auf die KSZE-Schlussakte, aber auch auf „menschliche und patriotische Pflichten, die der guten Sache des Vaterlands, der Nation und des Menschen dienen“.72 Dieser erste Schritt in die Öffentlichkeit überwand nicht nur die Verborgenheit der bisherigen Dissidenz, sondern ging auch in der Zusammensetzung solcher Gruppen über den vertrauten Rahmen hinaus. Im KOR kamen Sozialisten der Vorkriegszeit und geläuterte Revisionisten mit ehemaligen Soldaten der Heimatarmee zusammen; Pfadfinderfunktionäre und katholische Priester trafen auf Schriftsteller, Schauspieler und Rechtsanwälte.73 Auf diese Weise überwand das KOR die Zweiteilung des polnischen Dissens seit 1956 in einen revisionistisch-sozialistischen und einen

 69 Ebd., S. 103–105; Jan Skórzyński: Siła bezsilnych. Historia Komitetu Obrony Robotników, Warschau 2012, S. 92–100. 70 Judt: The Dilemmas of Dissidence, S. 195f. 71 Komitet Obrony Robotników: Apel do społeczeństwa i władz PRL, in: Andrzej Jastrzębski (Hrsg.): Dokumenty Komitetu Obrony Robotników i Komitetu Samoobrony Społecznej „KOR“, Warschau/London 1994, S. 30–31, hier S. 30. Teil der legalistischen Strategie des KOR war es, diesen Appell mit Klarnamen unterschrieben an den Sejm-Marschall zu schicken. 72 Ebd., S. 31. 73 Vgl. die Biogramme der Mitglieder: Jan Józef Lipski: KOR. Komitet Obrony Robotników, Komitet Samoobrony Społecznej, Warschau 2006 [Erstausgabe London 1983], S. 138–145.

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laienkatholischen Flügel74 und führte beide zu einer pragmatischen Kooperation zusammen. In der Tschechoslowakei waren es die Prozesse gegen Mitglieder und Sympathisanten der psychedelischen Rockband Plastic People of the Universe, der ab September 1976 Intellektuelle zusammenbrachte, um gegen staatliche Repressalien zu protestieren. Polizeigewalt, Schikanen und Verhaftungen hatten auch in den Jahren zuvor Konzerte der Band und den Underground an sich begleitet. Was im März und April 1976 mit Hausdurchsuchungen begann, wurde eine weitreichende staatliche Aktion gegen nonkonforme Künstler, nicht nur gegen die Plastic People, und bedrohte die unabhängige Kultur in ihrem Bestand.75 Wiederum waren Protestbriefe an offizielle Stellen der ČSSR und an westliche Intellektuelle Auftakt eines öffentlichen Engagements. Dabei überraschte zunächst, dass sich zum Beispiel Ludvík Vaculík, Vorsitzender des offiziellen Schriftstellerverbandes, an Heinrich Böll wegen einer Solidaritätsbekundung für die Plastic People wandte, die nicht wegen politischer Aktivitäten, sondern „simply for their relationship with the world“76 verfolgt würden. Auch wenn die unangepasste Rockband zwar einiges Ansehen in alternativen Kreisen genoss, verfügte sie keineswegs über öffentlichen Rückhalt.77 Für Intellektuelle in der Tschechoslowakei wirkten staatliche Maßnahmen gegen den musikalischen Underground aber wie ein Warnschuss und bedrohten die arglose Sicherheit ihres inneren Exils.78 Ähnlich wie die Prozesse gegen protestierende Arbeiter in Polen zog auch das Gerichtsverfahren gegen die Plastic People ausgesprochen unterschiedliche Beobachter an, nonkonforme Intellektuelle, sozialistische Revisionisten wie auch die nicht-angepasste Jugend des Underground.79 Václav Havel verarbeitete das absurde Theater des Verfahrens in einem Essay, der später als Maschinenschrift in Prag herumgereicht wurde, und demaskierte die bloß als Illusion be-

 74 Nachdem der katholische Sejm-Abgeordnete Stanisław Stomma sich bei der Ratifizierung der neuen Verfassung der Stimme enthalten hatte, verlor die Znak-Gruppe ihre Sitze im Sejm und andere katholische Gruppierungen wurden zunehmend stärker drangsaliert, wodurch sie ihren Status als geduldeter Dissens einbüßten. Vgl. Andrzej Krajewski: Między wspólpraca a oporem. Twórcy kultury wobec systemu politycznego PRL (1975–1980), Warschau 2004, S. 419. 75 Bolton: Worlds of Dissent, S. 115–125. 76 Jaroslav Seifert: Letter to Heinrich Böll (16 August 1976), in: H. Gordon Skilling, Charter 77 and Human Rights in Czechoslovakia. London 1981, S. 199f., hier S. 200. 77 Skilling: Charter 77, S. 10. 78 Bolton: Worlds of Dissent, S. 140. 79 Ebd., S. 139–141.

44  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa stehende Rechtsstaatlichkeit des tschechoslowakischen Sozialismus.80 Für den weit verzweigten tschechischen Dissens bot der Prozess erstmals eine Möglichkeit, sich über die Grenzen von persönlichen Netzwerken und klandestinen Zirkeln hinaus kennenzulernen und so die Isolation des Nonkonformismus zu durchbrechen. Havel postulierte in dieser Atmosphäre seine Vorstellungen authentischen Handelns, die er wenige Monate später in der Macht der Ohnmächtigen niederschreiben sollte. Wirkmächtiger als diese intellektuellen Reflexionen arbeitete zum Beispiel Ivan Martin Jirous, der ebenso angeklagte Manager der Plastic People, am Mythos des musikalischen Undergrounds. Er komprimierte die Erzählung der Vorgänge auf einen Prager Prozess im September 1976, der eigentlich nur einer von mehreren war, und auf die Plastic People, neben denen noch andere Bands des Undergrounds verfolgt wurden. Dieser Mythos sollte zu einem der nachhaltigsten Gründungsakte der neuen Opposition in der Tschechoslowakei werden und wurde nicht nur für die Anwesenden identitätsstiftend.81 Aus diesem Anstoß entwarfen im Dezember 1976 Prager Intellektuelle um den wenig bekannten Historiker Václav Vendelin Komenda herum einen Menschenrechtsappell, der den Protest gegen staatliche Repressionen bündeln und weiterführen sollte.82 Ihre auf den 1. Januar 1977 datierte Charta 77 klagte die alltägliche Verletzung der allgemeinen und rechtlich garantierten Menschenrechte in der ČSSR an. Eine solche streng legalistische Argumentation bediente sich der Gesetze des sozialistischen Staates, um sich vor diesem Staat selbst zu schützen. So verstanden die Erstunterzeichner die Charta als Beitrag dazu, „dass in der Tschechoslowakei alle Bürger als freie Menschen arbeiten und leben“ können.83 Anders als das polnische KOR sollte die Charta keine formale Organisation sein – als solche hätte sie eine staatliche Genehmigung benötigt –, sondern nur eine „freie, informelle und offene Gemeinschaft von Menschen unterschiedlicher Überzeugungen, unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Berufe“.84 Folglich kannte die Charta auch keine formelle Mitglied 80 Václav Havel: Proces. 11.10.1976, in: Ders.: Spisy, Bd. IV. Eseje a jíne texty z let 1970–1989. Dálkový výslech, Prag 1999, S. 135–142. 81 Bolton: Worlds of Dissent, S. 141–143. 82 Otáhal: Opoziční proudy, S. 126f. 83 Charta 77: D[okument] 1. 1977, 1. leden, Praha. Základní (konstitutivní) Prohlášení Charty 77 o příčinách vzniku, smyslu a cílech Charty a metodách jejího působení, in: Vilém Prečan/Blanka Císařovská (Hrsg.): Charta 77. Dokumenty 1977–1989: Bd. 1: 1977–1983, Prag 2007, S. 1–5, hier S. 3. 84 Ebd. Vgl. darüber hinaus: Jan Patočka: Čím je a čím není Charta 77, in: Ders.: Sebrané spisy Jana Patočky, Bd. 12 , Prag 2006, S. 429.

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schaft, sondern nur Unterzeichner und jährlich neu bestimmte Sprecher, zu Beginn neben Havel und Patočka den ehemaligen Außenminister der Regierung Dubček, Jiří Hájek. Die 243 Erstunterzeichner der Charta waren zumeist Intellektuelle, kamen aber aus unterschiedlichen Bereichen. Sozialistische Revisionisten und Christen verschiedener Konfessionen, zumeist mit einem distanzierten Verhältnis zur Kirchenhierarchie, machten einen Kern der Chartisten aus. In den Jahren bis 1989 wuchs die Zahl der Signatare auf 2000, worunter sich im Lauf der Zeit immer mehr Arbeiter fanden.85 Für den einzelnen Signatar war seine Unterschrift ein zunächst kaum abzuschätzendes Wagnis und wurde zumeist durch persönliche Kontakte vermittelt. Auch wenn die Charta in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren zum herausragenden Symbol der tschechoslowakischen Oppositionsbewegung wurde, bedeutete dies nicht zwingend, dass alle Oppositionellen die Charta unterzeichnet hatten. Oft sprachen schlicht pragmatische Gründe, wie eine bislang unentdeckte und erfolgreiche Zusammenarbeit mit Exilzeitschriften oder eine große, der Staatssicherheit unbekannte Wohnung, gegen die formale Unterschrift Einzelner, die dennoch faktisch Chartisten waren.86 In Form von KOR und Charta 77 traten nonkonforme Denker in Polen und der Tschechoslowakei mit ihrer Regimekritik in die Öffentlichkeit und legten damit den Grundstein neuer oppositioneller Bewegungen in Ostmitteleuropa. In diesen Entstehungsmomenten lassen sich zwei programmatische Kerngedanken ausmachen, die im nonkonformen Denken seit 1968 schrittweise entwickelt worden waren und nun zur Anwendung kamen: Die Hinwendung zur Gesellschaft und eine Selbstbeschränkung in der eigenen Zielsetzung. Diese beiden Strategien beeinflussten die weitere Entwicklung oppositioneller Strukturen und Bewegungen in Ostmitteleuropa maßgeblich, ohne jedoch einen durchgängig verbindlichen Rahmen oppositionellen Handelns zu bilden. Zum einen ging das Entstehen einer öffentlichen Opposition über die Abgrenzung von Staat und Partei hinaus, wie sie in den verschiedenen bereits geschilderten postrevisionistischen Ansätzen nach 1968 nahe gelegt wurde. Hatten die sozialistischen Revisionisten die Zusammengehörigkeit von Partei und Sozialismus verworfen, entkoppelte das pragmatische Handeln der öffentlichen Opposition auch den Zusammenhang von Partei und Reformen. Folgte daraus eine klare Hinwendung zur Gesellschaft, musste dies das Selbstverständnis der kritischen Intelligenz verändern und ein neues Verständnis von Verantwortung einleiten.  85 Skilling: Charter 77, S. 40–51. 86 Bolton: Worlds of Dissent, S. 161–163.

46  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa Für diese neue Form der Opposition, die über die kulturelle und intellektuelle Dissidenz unverbundener Andersdenkender hinausging, schloss sich ein „Sonderfrieden“ mit dem Staat, wie man ihn dem Revisionismus noch vorhalten konnte, aus.87 Solche innovativen Strategien oppositionellen Handelns wurden allzu oft auf konkrete Denker, wie Michnik, Kuroń oder Havel, und einzelne programmatische Texte zurückgeführt.88 Jedoch müssen solche Kerntexte oppositionellen Aufbruchs vor dem Hintergrund zunächst nicht-schriftlicher Kommunikation betrachtet werden und stellen letztlich weniger den Ausgangspunkt einer Entwicklung als deren Abbild dar.89 Zudem lässt sich eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Opposition und Regime nicht nur für den gesamten Untersuchungsraum Ostmitteleuropa, sondern auch für die unterschiedlichen oppositionellen Spektren in drei Ländern und ihre zeitliche Entwicklung nur schwer treffen. Tony Judt folgerte in einem frühen Versuch, Opposition und Dissidenz als ostmitteleuropäisches Gesamtphänomen zu beschreiben, dass im Verhältnis zum Staat, in der Frage von „Kompromiss oder Isolation“, ihr größtes Dilemma liege.90 Zum anderen gründete die pragmatische Selbstbeschränkung der neuen Opposition auf einem weltweiten Menschenrechtsdiskurs, an den die sozialistischen Staaten Ostmitteleuropas durch die KSZE-Schlussakte gebunden waren. Die Argumentation mit bestehendem Recht und universellen moralischen Werten ermöglichte es den neu entstehenden Bewegungen, mit einem gemeinsamen und konkreten Ziel zu agieren, obwohl es sich um eine Sammlungsbewegung von Regimekritikern verschiedenster politischer Überzeugungen handelte. In Polen fanden so ein katholischer Diskurs über Menschenwürde und sozialistisch-revisionistische Vorstellungen von Arbeiterrechten zusammen, während es in der Tschechoslowakei ein auf der Vorstellung von persönlicher Authentizität beruhender Freiheitsbegriff war, der den Underground mit revisionistischen

 87 Vgl. György Konrád: Antipolitik. Mitteleuropäische Meditationen, Frankfurt am Main 1984, S. 217. 88 Vgl. z.B. Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 177. 89 Friszke: Opozycja polityczna, S. 344; Gawin: Wielki zwrot, S. 337–349. Vgl. dazu Adam Michniks Neuen Evolutionismus. Ders.: Le nouvel évolutionisme, in: Pierre [Peter] Kende/Krzysztof Pomian (Hrsg.): 1956 Varsovie–Budapest. La deuxième révolution. Paris 1977, S. 201–214; Ders.: Nowy ewolucjonizm – Polskie perspektywy – Będę krzyczał, Warschau [Samizdat] 1977. Zur Textgeschichte: Agnes Arndt: Intellektuelle in der Opposition. Diskurse zur Zivilgesellschaft in der Volksrepublik Polen, Frankfurt am Main 2007, S. 60. Eine ähnliche Rolle spielten Kurońs Gedanken über ein Programm des Handelns. Ders.: Myśli o programie (1977). Vgl. Friszke: Czas KOR-u, S. 154f. 90 Judt: The Dilemmas of Dissidence, S. 225f.

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und bürgerlichen Intellektuellen kooperieren ließ.91 Mit Helsinki wurden die Menschenrechte zu einer blocküberschreitenden Vorstellung, derer moralischer Sprache sich ostmitteleuropäische Dissidenten auch jenseits eines sozialistischen Revisionismus oder einer fundamentalen Regimekritik bedienen konnten, um von der westlichen Öffentlichkeit verstanden zu werden.92 Dissidenten und spätere oppositionelle Bewegungen waren umgekehrt auch für den westlichen Diskurs eine notwendige Anschauung, um die Universalität der Menschenrechte zu konkretisieren.93 Menschen- und Bürgerrechte waren dabei Teil einer umfassenderen Emanzipationsbewegung, die, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung, beide Teile des europäischen Kontinents erfasste und sich entscheidend durch den Austausch zwischen diesen entwickelte.94

1.4 Unabhängige Publizistik Persönliche Treffen, Diskussionsrunden und eine begrenzte Öffentlichkeit im Privaten überwanden zwar die Zersplitterung nonkonformer Intellektueller und dissidentischer Milieus, konnten aber keine Opposition aufbauen, die über private und ineinander verschränkte Netzwerke hinausging. Auch die immer wieder genutzten Nischen einer staatlich sanktionierten Öffentlichkeit, wie Theater, Badehäuser und öffentliche Plätze95, konnten keine stabile Grundlage für eine Opposition bieten, die sich von der sozialistischen Staatlichkeit abzugrenzen suchte. Erst oppositionelle Publizistik schuf in diesen Nischen eine

 91 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 165f.; Friszke: Opozycja polityczna, S. 276; Tucker: Philosophy and Politics, S. 124–126. 92 Robert Brier: Poland’s Solidarity as a Contested Symbol of the Cold War. Transatlantic Debates after the Polish Crisis, in: Kiran Klaus Patel/Kenneth Weisbrode (Hrsg.): European Integration and the Atlantic Community in the 1980s, Cambridge 2013, S. 83–105. 93 Vgl. dazu Samuel Moyns Kapitel „The Purity of this Struggle“: Ders.: Last Utopia, S. 120– 175. 94 Vgl. Ulrich Herberts Überlegungen zu einem empirischen Modernebegriff, bei dem er das sozialistische Ostmitteleuropa jedoch als rückständig und folglich nachholend in seiner Modernisierung beschreibt. Ders.: Europe in High Modernity. Reflections on a Theory of the 20th Century, in: Journal of Modern European History, 5 (2007), S. 5–20, hier S. 17. 95 Gábor T. Rittersporn/Jan C. Behrends/Malte Rolf: Öffentliche Räume und Öffentlichkeit in Gesellschaften sowjetischen Typus. Ein erster Blick aus komparativer Perspektive (Einleitung), in: Dies. (Hrsg.): Sphären von Öffentlichkeit in Gesellschaften sowjetischen Typs. Zwischen partei-staatlicher Selbstinszenierung und kirchlichen Gegenwelten, Frankfurt am Main 2003, S. 7–21, hier S. 8.

48  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa Form von Öffentlichkeit, die das Informationsmonopol offizieller Medien durchbrechen konnte und oppositionelle Themen und Gedanken in einen breiten Diskussionsraum stellte.96 Dieser Samizdat, wie sich diese Untergrundliteratur mit einem russischen Neologismus bezeichnete97, wurde zum Motor und Ausdruck nonkonformen Handelns nicht nur in Ostmitteleuropa, sondern auch in der Sowjetunion und mit zeitlicher Verzögerung in der DDR. Der Begriff selbst wurde mutmaßlich durch den Moskauer Dichter Nikolaj I. Glazkov geprägt, der seit den 1940er Jahren seine mit der Schreibmaschine vervielfältigten Gedichte an Freunde weitergab und sie in Anlehnung an die Akronyme sowjetischer Verlage mit der Bemerkung „samsebjaizdat“ – in etwa: ‚Sich-Selbst-Verlag‘ – versah, denn kein Verlag hätte seine Werke zu dieser Zeit gedruckt.98 Glazkov stand so stellvertretend für zahlreiche Autoren, denen die Möglichkeit zur Veröffentlichung fehlte, so dass sie in ein inneres Exil und die publizistische Tatenlosigkeit gedrängt wurden. Dieses Selbstherausgeben ist die grundständigste Definition des Samizdats, wie er in dieser Arbeit untersucht werden soll. Samizdat ist mit einfachsten Mitteln selbst vervielfältigte und unabhängige Literatur oder Publizistik, die sich der staatlichen Zensur entzieht.99 Eine solche unabhängige Publizistik bestand in der Sowjetunion seit den 1940er Jahren und war als Prinzip auch in den sowjetischen Satellitenstaaten bekannt, zum Beispiel durch die Untergrundpublizistik während des Zweiten Weltkriegs. In seinen Anfängen in der Sowjetunion stand Samizdat vor allem für handgeschriebene und maschinenschriftliche Texte in kleinsten Auflagen, die zumeist vom Autor selbst verantwortet waren. Vladimir Bukovskij beschrieb die Eigenlogik eines solchen Handelns eindringlich mit den Worten „Man schreibt  96 Jan C. Behrends/Friederike Kind: Vom Untergrund in den Westen. Samizdat, Emigrationsliteratur und Tamizdat und die Neuerfindung Mitteleuropas in den Achtzigerjahren, in: Archiv für Sozialgeschichte, 45 (2005), S. 427–448, hier S. 431. 97 Der Begriff ist im Tschechischen und im Ungarischen gebräuchlich, wogegen im Polnischen zumeist von einem ‚Zweiten Umlauf‘ oder der ‚unabhängigen Publizistik‘ gesprochen wird. Aus Gründen der besseren Verständlichkeit und einer großen grundsätzlichen Nähe soll hier ‚Samizdat‘ für alle drei untersuchten Länder verwendet werden. 98 Eichwede: Archipel Samizdat, S. 8; H. Gordon Skilling: Samizdat and an Independent Society in Central and Eastern Europe, Basingstoke 1989, S. 4f. 99 Die prekären Herstellungsumstände und die sukzessive Vervielfältigung von SamizdatPublikation sorgen dafür, dass Einzelschriften, Zeitschriften und Monographien oftmals in unterschiedlichen Fassungen vorliegen. Auch die im Literaturverzeichnis angeführten Archivsignaturen können eine eindeutige Zuordnung nicht immer gewährleisten. Seitenangaben orientierten sich also am jeweils vorliegenden Text, ohne dass alternative Ausgaben ausgeschlossen werden können.

Unabhängige Publizistik  49

selbst, redigiert selbst, man zensiert selbst, verlegt selbst, man verteilt selbst und sitzt auch selbst die Strafe dafür ab.“100 In solcher Form erlebte der Samizdat in der Sowjetunion eine erste Blüte in den 1960er Jahren, während er zu dieser Zeit in Ostmitteleuropa noch ein zu vernachlässigendes Phänomen darstellte. Hier ermöglichten zum einen staatlich sanktionierte Nischenpublikationen, wie die katholischen Wochen- und Monatszeitschriften Tygodnik Powszechny (Allgemeines Wochenblatt), Znak (Zeichen) und Więź (Band) in Polen oder die ungarische Zeitschrift Mozgó Világ (Welt in Bewegung) eine begrenzte intellektuelle Autonomie im Sozialismus. Darüber hinaus boten die Publikationen des ostmitteleuropäischen Exils und des sogenannten Tamizdats101 unabhängige und kritische Informationen.102 Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in den Metropolen Paris und London Zentren eines Exils entstanden, das besonders durch die Ereignisse der Jahre 1956 und 1968 in immer neuen Emigrationswellen ergänzt wurde. Zeitschriften wie Kultura, Svědectví (Zeugnis) und Magyar Füzetek (Ungarische Hefte) entwickelten zeitgenössische politische Gedanken jenseits des real existierenden Sozialismus und in durchaus engem Austausch mit dem Land. So schrieben Autoren aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn eben für diese im Westen angesiedelten Blätter, die wiederum – teils in speziell verkleinerten Formaten – ins Land hineingeschmuggelt wurden. Neue Bedeutung erreichte der Samizdat in Ostmitteleuropa mit den neuen öffentlich agierenden oppositionellen Bewegungen ab Mitte der 1970er Jahre. So publizierten bereits die ersten Gruppierungen wie das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter oder die Charta 77 Informationsbulletins zu den laufenden Ereignissen.103 In der Folge kamen literarische und politische Magazine hinzu, die zunächst Texte druckten, die von der Zensur abgelehnt worden waren. Eine solche „Schubladenlite-

 100 Eichwede/Bock (Hrsg.): Samizdat, Klappentext. 101 Tamizdat ist wie Samizdat ein russischer Neologismus und ein Sprachspiel zu ihm. Statt selbst herauszugeben, wird beim Tamizdat dort, also im Exil, herausgegeben und dann ins geistige Ursprungsland zurückgeschmuggelt. 102 Vgl. Heinrich Olschowsky/Ludwig Richter: Exil- und Samizdatliteratur in Ostmittel- und Südosteuropa. Voraussetzungen, Themen, Funktionen, in: Dies. (Hrsg.): Im Dissens zur Macht. Samizdat und Exilliteratur der Länder Ostmittel- und Südosteuropas, Berlin 1995, S. 7–18; Alfrun Kliems: Der Dissens und seine Literatur. Die kulturelle Resistenz im Inland, in: Eva Behring/Alfrun Kliems/Hans-Christian Trepte (Hrsg.): Grundbegriffe und Autoren ostmitteleuropäischer Exilliteraturen 1945–1989. Ein Beitrag zur Systematisierung und Typologisierung, Stuttgart 2004, S. 203–285. 103 So die Einführung in der ersten Ausgabe des Biuletyn Informacyjny KOR, vgl. [Einleitung], in: Biuletyn Informacyjny KOR [Samizdat], 1/1 (1976), S. 1.

50  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa ratur“ dehnte den Schritt in die Öffentlichkeit auf Literaten und Publizisten aus. Mit der zunehmenden Etablierung von Zeitschriften, Editionen und Verlagen im Samizdat kamen neue Beiträge hinzu, die nun für den Samizdat und unter den Bedingungen des unzensierten Wortes entstanden. Neue oppositionelle Akteure, die zuvor nicht in Erscheinung getreten waren, begannen im Verborgenen als Drucker, Verleger und Autoren zu arbeiten. Samizdat und Opposition entwickelten sich in einem dynamischen Zusammenhang und beeinflussten sich gegenseitig. Zu diesem Aufbruch gehörten auch neue Themen, die bald die Frage der Menschen- und Bürgerrechte überschritten und gerade die Tabus des real existierenden Sozialismus aufgriffen und sie in einem geschützten Diskursrahmen in Frage stellen konnten. Mit der Bewegung zum Schutz der Menschen- und Bürgerrechte (Ruch Obrony Praw Człowieka i Obywatela, ROPCiO) entstand im März 1977 in Polen eine konservativ geprägte Gruppe neben dem KOR, die sich organisatorisch am Menschenrechtsappell der Charta 77 orientierte. Auch wenn die Konkurrenz dieser beiden Zirkel im oppositionellen Milieu nicht offen ausgesprochen wurde, war offenkundig, dass ROPCiO einen Gegenentwurf zum vermeintlich elitären oder gar verdeckt kommunistischen KOR bildete und sich an den „grauen Bürger“, also die schweigende Masse der Bevölkerung, richtete.104 Seine seit April 1977 erscheinende Zeitschrift Opinia (Meinung) wurde mit ihren ausführlichen Artikeln und dem Konzept eines medialen Forums für den Zweiten Umlauf, wie der Samizdat in Polen genannt wurde, stilbildend. Opinia weigerte sich, Samizdat oder Underground zu sein, und nahm für sich in Anspruch, eine legale, wenn auch von üblichen Produktions- und Distributionsmöglichkeiten ausgeschlossene Publikation darzustellen. Als Zeichen dieses legalistischen Selbstbewusstseins druckte die Redaktion seit der ersten Ausgabe nicht nur ihre Klarnamen, sondern auch die Adressen und Telefonnummer ihrer Mitglieder ab.105 Nach den ersten Ausgaben des Biuletyn Informacyjny KOR (Informationsbulletin des KOR)106 entfaltete sich ein breites Spektrum politischer Journale mit  104 Friszke: Opozycja polityczna, S. 455; Grzegorz Waligóra: Ruch Obrony Praw Człowieka i Obywatela 1977–1981 (im Folgenden zitiert als ROPCiO), Warschau 2006, S. 75. 105 Vgl. Od redakcji, in: Opinia [Samizdat], 1/1 (1977), S. 1. Diese Praxis wurde in der Folge für viele polnische Samizdat-Journale üblich. 106 In der polnischen Historiographie wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es die Polnische Unabhängigkeitsverständigung [Polskie Porozumienie Niepodległościowe, PPN] gewesen sei, die seit Ende 1975 erste Samizdat-Publikationen veröffentlichte. Diese rein chronologische Argumentation verkennt jedoch den Entwicklungsschritt, den ein periodisches Bulletin gegenüber einzelnen anonymen Texten bedeutete. Vgl. Rafał Habielski: Polityczna historia mediów w Polsce w XX wieku, Warschau 2009, S. 301; Justyna Błażejowska: Papierowa

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einem allgemeinen und abstrakten Anspruch. Zeitschriften wie Krytyka (Kritik), Res Publica, Bratniak (in etwa: Brüderliche Hilfe)107 oder eben Opinia sind jeweils politischen Lagern und noch spezifischer oppositionellen Gruppierungen zuzuordnen. War Warschau zweifelsohne das Zentrum dieser Opposition, verbreitete sich der polnische Zweite Umlauf bald im gesamten Land. Opinia beispielsweise verfügte bald über eine Krakauer Lokalausgabe, während Bratniak seinen Sitz in Danzig hatte. Gerade in der ersten Phase der Opposition in Polen, also zwischen 1976 und der Entstehung der Gewerkschaftsbewegung Solidarność im Sommer 1980, war der polnische Samizdat von intellektuellem Räsonnement und dem Willen zum oppositionellen Pluralismus geprägt, der über eine bloße „Verneinung des offiziell propagierten Wertesystems“ hinaus neue Visionen erbringen sollte.108 Eine solche an offenem Meinungsaustausch und intellektueller Auseinandersetzung interessierte Diskussionskultur stellte die Reflexion und das konstruktive Denken über den Protest an den bestehenden Verhältnissen dar.109 Mit der Unabhängigen Verlagsanstalt NOW-a entstand 1977 ein erster Untergrundverlag, der Essayistik und auch ausländische Autoren oder Klassiker, wie George Orwell und Czesław Miłosz, verlegte. Über die Jahre kamen weitere und durchaus konkurrierende Druckereien und Verlage hinzu, die sich zunehmend professionalisierten, Mitarbeiter anstellten und teils gar – gegen Bestechungsgelder – in staatlichen Druckereien produzieren ließen.110 Ohne Akteure im Hintergrund waren weder Druck noch Vertrieb dieser unabhängigen Literatur

 rewolucja. Z dziejów drugiego obiegu wydwaniczego w Polsce 1976–1989/1990, Warschau 2010, S. 48. 107 Der Titel verweist auf die übliche Bezeichnung der Bratnia pomoc (Brüderliche Hilfe), einer selbstverwalteten studentischen Sozialkasse, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts an polnischen Hochschulen existierte. 108 Zitat: Stefan Starczewski: Od redakcji, in: Krytyka [Samizdat], 1/1 (1978), S. 3. Vgl. dazu zum Beispiel weitere programmatische Herausgebernotizen in den ersten Ausgaben. Od redakcji [zuerst erschienen in: Bratniak [Samizdat] 1/1 (1977)], in: Jakub Czułba (Hrsg.): Bratniak, pismo Ruchu Młodej Polski, lata 1977–81. Wybór publicystyki, Warschau 2009, S. 15f.; Od redakcji, in: Spotkania [Samizdat], 1 (1977), S. 2; Od redakcji (Opinia); Od redakcji, in: Res Publica [Samizdat], 1/1 (1979), S. 1. vgl. auch: Helmut Fehr: Unabhängige Öffentlichkeit und soziale Bewegungen. Fallstudien über Bürgerbewegungen in Polen und der DDR, Opladen 1996, S. 121. 109 Vgl. die typologische Unterscheidung oppositionellen Handelns bei Petr Pithart nach „Reflexion“ und „Protest“. Ders.: Devětaosmdesátý. Vzpomínky a přemýšleni: Krédo, Prag 2009, S. 29f. 110 Friszke: Opozycja polityczna, S. 440–445; Paweł Sowiński: Zakazana książka. Uczestnicy drugiego obiegu 1977–1989, Warschau 2011, S. 174–182.

52  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa mehr möglich, so dass das ursprünglich namensgebende Zusammenfallen von Autorenschaft, Vervielfältigung und Verteilung nurmehr Fiktion wurde. Der Samizdat funktionierte nicht nur im polnischen Beispiel arbeitsteilig und in erstaunlich professionalen Strukturen. An der Herstellung von 5000 Exemplaren des Biuletyn Informacyjny KOR waren so Ende der 1970er Jahre etwa 100 Personen beteiligt.111 Das Entstehen der freien Gewerkschaft Solidarność und ihre Legalisierung im Sommer 1980 öffneten dieser Publizistik völlig neue Perspektiven und ermöglichten ein Wirken außerhalb des Verborgenen. Damit einher ging ein pragmatischer Paradigmenwechsel von zentralen, monatlich oder vierteljährlich erscheinenden Zeitschriften mit abstrakten Themen hin zu lokalen, teils betrieblichen Wochenblättern mit geringerem Umfang und kürzeren Beiträgen, die sich stärker an der Tagespolitik orientierten. Durch die Registrierung der Solidarność als Gewerkschaft erhielten viele dieser Blätter einen offiziellen Status, so dass es fraglich erscheint, ob es sich bei ihnen noch um Samizdat im eigentlichen Sinne handelte. Auch mit der Verhängung des Kriegsrechts endete das verlegerische „Festival der Solidarność“112 nur vorübergehend, denn in den 16 Monaten der Gewerkschaftsbewegung hatte sich das technische Wissen über einfachste Vervielfältigungsmethoden so sehr verbreitet, dass der Zweite Umlauf seit 1982 zu neuer Blüte kam. In der Folge wurden „ästhetische Wertsetzungen“113 zunehmend weniger beachtet und der polnische Samizdat wurde zu einem Massenphänomen mit einer großen Vielfalt unterschiedlicher Publikationen. Anders als in Polen entwickelten sich in der Tschechoslowakei unterhalb der Charta zunächst keine konkurrierenden oppositionellen Gruppierungen. Die mit der Charta zögerlich in die Öffentlichkeit getretene Opposition blieb hier vielmehr in einer stärkeren Kontinuität zum Dissens mit seinem Milieucharakter.114 Das im April 1978 gegründete Komitee zum Schutz der zu Unrecht Verfolgten (Výbor na obranu nespravedlivě stíhaných, VONS) war zunächst die einzige oppositionelle Institution in der Tschechoslowakei im Umfeld der Charta 77 und beschränkte sich auf Hilfsleistungen und juristischen Beistand für verfolgte Dissidenten.115 Nachdem Petr Uhl bereits ab Februar 1977 Reportagen über Dis-

 111 Manfred Mack: Schreibmaschine und Kohlepapier. Die Eroberung des öffentlichen Raums, in: Eichwede/Bock (Hrsg.): Samizdat, S. 106–114, hier S. 111. 112 Błażejowska: Papierowa rewolucja, S. 126. 113 Kliems: Der Dissens und seine Literatur, S. 227. 114 Kenney: Carnival of Revolution, S. 150. 115 Otáhal: Opoziční proudy, S. 187–191.

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sidenten verfasst und weitergereicht hatte, wurde daraus von Januar 1978 an nach polnischem Vorbild ein Bulletin Informace o Chartě 77 (Information über die Charta 77), das vor allem die bis 1989 insgesamt 598 Dokumente der Charta 77 und kurze Diskussionsbeiträge abdruckte.116 Bereits seit 1973 verlegte der Samizdat-Verlag Edice Petlice (Edition hinter Schloss und Riegel) mit einfachsten Mitteln Monographien, seine Tätigkeit intensivierte sich mit dem Entstehen der Charta 77.117 In der Tschechoslowakei prägten gerade Monographien, die leichter als Zeitschriften herzustellen waren, die unabhängige Publizistik. Dagegen etablierte sich erst über Jahre auch eine Zeitschriftenlandschaft, die auffällig viele religiöse Titel einschloss, wogegen politische Journale die Ausnahme blieben.118 Als Besonderheit entwickelte der tschechoslowakische Samizdat ein reiches wissenschaftliches, vor allem geschichtswissenschaftliches Spektrum, das sich zum Beispiel in der Zeitschrift Historické Studie (Historische Studien) äußerte. Trotz der prekären Situation im Untergrund, das heißt ohne Archivund Bibliothekszugang, aber auch ohne feste Beschäftigungsverhältnisse, erzielten diese Arbeiten teils bemerkenswerte Ergebnisse und hinterfragten die offizielle Forschung immer wieder.119 Ungarische Dissidenten nehmen in der oppositionellen Entwicklung in Ostmitteleuropa eine Sonderrolle ein. Seit den 1960er Jahren verfügte der ungarische Dissens über eine vergleichsweise große Entfaltungsmöglichkeit, die das Regime 1972 auf Druck der Sowjetunion wieder einschränkte.120 Anders als in Polen oder der Tschechoslowakei blieben konkrete Anlässe eines oppositionellen Aufbruchs aus. So war es eher die Anschauung oppositionellen Handelns in diesen beiden sozialistischen Nachbarstaaten, die erste Solidaritätsappelle zum Beispiel 1979 für die Charta 77 oder die Gründung des Fonds für die Unterstützung der Armen (Szegényeket Támogató Alap, SzETA) inspirierte.121 Zudem präg-

 116 Bolton: Worlds of Dissent, S. 195f. Seit April 1979 druckte Uhl hier auch seine Privatadresse als Korrespondenzanschrift ab. 117 Johanna Posset zeigt ein Ansteigen der unterschiedlichen Zeitschriftentitel besonders für die Jahre ab 1977 und dann nach einem kontinuierlichen Wachstum besonders nach 1985 an. Vgl. Dies.: Česká samizdatová periodika 1968–1989, Brünn 1993, S. 180. 118 Skilling: Samizdat, S. 129. 119 Jiří Kořalka: Czechoslovakia, in: The American Historical Review, 97 (1992), S. 1026–1040, hier S. 1033f. 120 Máté Szabó: Dissent and Opposition in Kádár-Regime of Hungary, in: Central European Political Science Review, 26 (2006), S. 136–155, hier S. 143. 121 Solidaritätserklärungen ungarischer Intellektueller vom Oktober 1979 zugunsten der Charta 77, in: Dalos, Archipel Gulasch, S. 137–140; Aufruf zur Unterstützung der Armen, in: Gegenstimmen, 1/2 (1980), S. 14.

54  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa te auch der Gegensatz zwischen zwei unterschiedlichen nonkonformen Spektren den ungarischen Dissens stärker als in anderen Ländern. Während sozialistische Revisionisten, die in Anknüpfung an die ungarische Ideengeschichte zumeist als Urbanisten bezeichnet wurden, sich in ihrer Marxismus- und Sozialismus-Kritik kontinuierlich vom Staat lösten und sich in Richtung eines politischen Liberalismus entwickelten, fanden die national-konservativen Populisten oder auch Volkstümler zunehmend größere Entfaltungsmöglichkeiten in der staatlichen Öffentlichkeit.122 Während also Vertreter der Budapester Schule in den 1970er Jahre emigrierten, konnten volkstümliche Schriftsteller wie Sándor Csoóri trotz ihres kritischen Engagements weiter in offiziellen Verlagen publizieren.123 Diese partielle Tolerierung nonkonformer Akteure in staatlich kontrollierten Räumen bedingte auch eine andere Entwicklung des ungarischen Samizdats. Eine Zensur wie in Polen und der Tschechoslowakei war nicht offiziell formuliert, sondern wurde indirekt praktiziert, beispielsweise in Verlagen.124 So fehlte einerseits eine Schubladenliteratur, die aus gesammelten abgelehnten und kritischen Manuskripten hätte zusammengestellt werden können. Andererseits stellte sich angesichts der liberalen publizistischen Praxis in Ungarn die Frage nach einem Mehrwert des Samizdats, der letztlich ein deutliches Risiko für wenig zusätzliche Freiheiten bedeuten konnte.125 Wie ungewiss diese Abwägung war, illustriert der Prozess gegen den Autor Miklós Haraszti, der 1973 der illegalen Weitergabe von Manuskripten beschuldigt wurde. Seine Verteidigung argumentierte schlicht, dies sei unter Schriftstellern gängige Praxis, und konnte so einen Freispruch erreichen, wenn auch das Signal der Anklageerhebung eindeutig war.126 Als der bedeutende politische Denker István Bibó, Jurist und während des Volksaufstandes 1956 drei Tage lang Minister in Imre Nagys Kabinett, 1979

 122 Vgl. Máté Szabó: Urbanisten versus Populisten. Die Pluralität oppositioneller Diskurse in Ungarn als Ausgangspunkt der Polarisierung des postsozialistischen Parteiensystems, in: Berliner Debatte Initial, 20/3 (2009), S. 74–87. Diese Konfliktstellung ist auch in ihrer historischen Herleitung vergleichbar mit dem Gegensatz von Westlern und Slawophilen in der russischen Ideengeschichte. Die ungarische Bezeichnung „népiek“ wird im Deutschen zumeist als Populisten wiedergegeben, leitet sich aber von ‚nép‘ (‚Volk‘) ab und kommt daher nach Szabó dem Begriff ‚Volkstümler‘ sehr nahe. 123 Vgl. István Ötvös: Sándor Csoóri, in: Aleksander Daniel/Zbigniew Gluza (Hrsg.): Słownik dysydentów. Bd. 1, Warschau 2007, S. 803f. 124 Kliems: Der Dissens und seine Literatur, S. 227. 125 Dalos: Archipel Gulasch, S. 48. 126 Kliems: Der Dissens und seine Literatur, S. 228.

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starb, wurde gerade eine Samizdat-Publikation zum Versuch, die beiden traditionell im Konflikt stehenden politischen Lager Ungarns ein erstes Mal im Kádárismus zusammenzuführen. Bibó galt beiden Lagern – durchaus vergleichbar mit der Bedeutung des tschechischen Philosophen Jan Patočka – als moralische Autorität und bot mit seinen Schriften zu den Grundlagen ungarischer Politik immer wieder Anknüpfungspunkte für oppositionelles Denken.127 Das über 1000 Seiten umfassende Bibó-Gedenkbuch wurde einem staatlichen Verlag angeboten, der die Veröffentlichung jedoch ablehnte, so dass es im Samizdat erscheinen musste.128 Der Band führte insgesamt 78 Autoren beider politischer Lager zusammen, die Beiträge über die Relevanz von Bibós Denken für das zeitgenössische Ungarn beisteuerten. Beiträge wie Jenő Szűcs’ Konzept von Mitteleuropa als Überlappungsraum von Ost und West, das auf Bibó rekurrierte, legten eine Annäherung des westlich geprägten Urbanismus und des auf eine ungarische Ausnahmestellung bedachten Populismus nahe, die als situativer Kompromiss tatsächlich einigen Erfolg erzielte.129 Auf längere Dauer konnte diese Annäherung die bekannten Gegensätze jedoch nicht überwinden. Beide Gruppierungen verblieben trotz wiederholter Bestrebungen in ihren jeweiligen Zusammenhängen. Das Beispiel der Solidarność als einer erfolgreichen Massenbewegung war für ungarische Nonkonforme und Dissidenten Ansporn und Grund zum Zweifel zugleich, war doch eine solche Mobilisierung im eigenen Land kaum zu erwarten. Besonders die Verhängung des Kriegsrechts in Polen, also die faktische Zerschlagung der Gewerkschaftsbewegung, läutete eine Belebung des ungarischen Samizdat ein. Waren zuvor bereits Einzelschriften in vergleichsweise hohen Auflagen von bis zu 200 Exemplaren erschienen130, orientierten sich die neuen ungarischen Publikationen am polnischen Vorbild.131 Mit der Zeitschrift

 127 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 262–265; Sándor Szilágyi: István Bibó, in: Daniel/Gluza (Hrsg.): Słownik dysydentów. Bd. 1, S. 800–802. 128 Vgl. Bibó emlékkönyv [Bibó-Gedenkbuch], Budapest 1980 [Samizdat]. 129 Michal Kopeček: Jan Patočka a István Bibó. Kritika dějin a rekonstrukce „smyslu“ národní historie ve středoevropském disentu, in: Ivo Navrátil (Hrsg.): Jan Patočka, české dějiny a Evropa, Semily 2007, S. 124–131, hier S. 127. Vgl. Jenő Szűcs: Vázlat Európa három történeti régiójáról, in: Bibó emlékkönyv, S. 186–256; Ders.: Die drei historischen Regionen Europas, Frankfurt am Main 2. Aufl. 1994. 130 Dalos: Archipel Gulasch, S. 36. 131 Szabó: Dissent and Opposition, S. 145f.; Ferenc Laczó: Between Authoritarian SelfLegitimation and Democratic Opposition. The Variety of Hungarian Reactions to the Rise of Solidarność and the Polish Crisis of 1980–81, in: Remembrance and Solidarity. Studies in 20th Century European History, 1/1 (2012), S. 85–104, hier S. 97.

56  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa Beszélő (Sprecher132) entstand 1981 das wohl wichtigste Journal des ungarischen Samizdats, das von linken Intellektuellen wie János Kis und Miklós Haraszti als Informationsblatt herausgegeben wurde.133 Blätter wie Demokrata (Demokrat) und Hírmondó (Beobachter) vervollständigten dieses Spektrum um nationale und demokratische Medien.134 Betrachtet man diesen Samizdat in Ostmitteleuropa als ein geteiltes Phänomen oppositioneller Bewegungen, so werden die unterschiedlichen Ausgangslagen und Entwicklungsmöglichkeiten in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn deutlich. Öffentlich agierende Opposition und Samizdat waren in diesen drei Ländern zwangsläufig und grundlegend miteinander verzahnt, verbreitete der Samizdat doch oppositionelles Denken und bildete heterogene oppositionelle Strukturen und deren Kooperationsbemühungen ab. Seine offenkundig unterschiedlichen Entwicklungswege und -stufen können aus der Ausgangslage, also dem voroppositionellen Dissens, und den unterschiedlichen Reaktionen der sozialistischen Staatlichkeit auf den Samizdat heraus erklärt werden. In Polen versuchte das Regime, die Gefahren eines oppositionellen Gegenstandpunkts zu bagatellisieren und stillschweigend zu tolerieren, auch um gegenüber westlichen Kreditgebern die Liberalität des Staatssozialismus unter Beweis stellen zu können.135 Hatten Oppositionelle im Sommer 1976 die Grenzen eines möglichen Handelns ausgetestet, überstieg die anfängliche Passivität des Staates sämtliche Erwartungen. Dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in Polen Oppositionelle und Beteiligte des Samizdats drangsaliert und inhaftiert wurden.136 Auch unter den Bedingungen des Spätsozialismus konnte situative Liberalität nicht mit dem Fehlen von Repressionen oder öffentlicher Handlungsfreiheit gleichgesetzt werden. Mit Verweis auf die sowjetische Praxis, Dissidenten nach Sibirien zu verbannen, bemerkte der ungarische Oppositionelle György Dalos 1986, „ein ungarischer Dissident wird heute schlimmstenfalls unter Polizeiaufsicht gestellt. Unser Sibirien ist unsere eigene Wohnung.“137 Ähnlich wie in Polen waren die Reaktionen des Regimes in Ungarn zunächst zurückhaltend; der Samizdat konnte gewähren. Er unterschied sich vom offiziellen Publikationswesen be 132 ‚Beszélő‘ bezeichnet auch den Besuchsraum in einem Gefängnis. Für diesen Hinweis danke ich meinem Kollegen Péter Techet. 133 Sprachrohr der Aufmüpfigen, in: Gegenstimmen, 3/8 (1982), S. 32–34. 134 András Bozóki: A magyar demokratikus ellenzék. Önreflexió, identitás és politikai diskurzus, in: Politikatudományi Szemle, 19/2 (2010), S. 7–45. 135 Friszke: Opozycja polityczna, S. 365–367. 136 Mack: Schreibmaschine und Kohlepapier, S. 111. 137 Dalos: Archipel Gulasch, S. 81.

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sonders dadurch, dass er keinen Zugang zu offiziellen Buchhandlungen finden konnte und so auf einen kleinen Kreis von Eingeweihten beschränkt blieb, der in Lászlo Rajks Samizdat-Boutique verkehrte.138 Die dort und andernorts verkauften „verbotenen Bücher“ waren das eigentliche Erfolgsrezept des Samizdats, denn erst sie machten das Risiko, solche Werke zu drucken, zu kaufen und zu lesen, lohnenswert. Besonders in der Anfangsphase dieser Untergrundliteratur in den späten 1970er Jahren konnten zum Beispiel polnische Samizdat-Händler nahezu alles problemlos verkaufen, auch wenn die Preise für diese unter einfachsten Bedingungen hergestellten Zeitschriften und Bücher um ein Vielfaches höher lagen als für offizielle Druckerzeugnisse. „Nicht die Drucke suchten ihre Leser, sondern die Leser – Drucke.“139 Waren die verbotenen Bücher das größte Kapital, beteiligten sich die Leser selbst an der Weitergabe und Vervielfältigung des Gelesenen. Erste Samizdat-Publikationen waren noch auf Schreibmaschinen mit einfachen Durchschlägen vervielfältigt worden, wogegen sich in Polen schnell die Vervielfältigung auf Abziehern für Spiritusmatrizen etablierte, was eine Auflagensteigerung von anfangs 40–50 Exemplaren auf 200–300 ermöglichte.140 Solche oft nur unter schwierigen Bedingungen zu erhaltenden Geräte wurden bald von der ramka (Rähmchen) abgelöst, einem selbsthergestellten „mit Chiffongewebe bespannten Holz- oder Metallrahmen, den man mit Scharnieren an der Holzunterlage befestigte“.141 Diese einfache Technik – der ungarische Oppositionelle Miklós Haraszti sprach von „Sowjetmacht minus Elektrifizierung“142 – verbreiterte die Basis des Samizdats in Polen und später auch in Ungarn, nicht nur was seine Auflagen und folglich seine mögliche Verbreitung, sondern auch was seine Vielfalt anging. Das Drucken war nun nicht mehr an einen privilegierten Zugang zu Druckmaschinen gebunden. Zudem konnte eine SamizdatAusgabe gut und gerne durch 50 oder gar 80 Hände gehen, so dass die geringen Auflagen nur begrenzt etwas über die Zahl der Rezipienten aussagen. Eine weitere technische Innovation bedeutete der Siebdruck, bei dem die Druckvorlagen photographisch verkleinert werden konnten, so dass sich das Volumen der  138 Paul Wilson: Living Intellects. An Introduction, in: Markéta Goetz-Stankiewicz (Hrsg.): Good-Bye, Samizdat. Twenty Years of Czechoslovak Underground Writing, Evanston 1992, S. 137–141, hier S. 139. 139 Błażejowska: Papierowa rewolucja, S. 205. 140 Friszke: Opozycja polityczna, S. 367. 141 Mack: Schreibmaschine und Kohlepapier, S. 106f. Vgl. Photographien und Zeichnungen der ramka in: Eichwede/Bock (Hrsg.): Samizdat, S. 371; Mateusz Fałkowski: Biznes patriotyczny. Historia wydawnictwa CDN, Danzig 2011, S. 23. 142 Mack: Schreibmaschine und Kohlepapier, S. 107.

58  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa Drucke und der Papierbedarf deutlich senken ließ.143 Problematisch blieb unter den Bedingungen sozialistischer Mangelwirtschaft jedoch weiterhin die Beschaffung von Papier und Druckerschwärze, die auch ohne fertige Druckerzeugnisse in größeren Mengen verdächtig war. Für den verlegerischen Erfolg des Samizdat war solches technisches Wissen zwingend notwendig. Oppositionelle Akteure und Bewegungen standen seit der Entstehungsphase öffentlicher Opposition auch über Landesgrenzen hinweg in Kontakt und gaben so auch praktisches Wissen und Organisationskonzepte für den Samizdat weiter. Der ungarische Dissident Gabor Démszky, kurz zuvor aus seiner Anstellung bei einer Zeitung entlassen, reiste beispielsweise 1980 eigens nach Polen, um das Handwerk des Druckens im Untergrund zu erlernen. Er brachte Baupläne der bereits erwähnten ramka mit nach Budapest und gründete dort mit dem AB Független Kiadó (Unabhängigen Verlag AB) nach polnischem Vorbild den bedeutendsten Samizdat-Verlag Ungarns.144 Solche konkreten Transferprozesse hatten auch eine symbolische Dimension, denn sie blieben nicht auf das rein Materielle beschränkt, sondern waren Teil einer performativen Aneignung von Freiheit durch oppositionelles Handeln. Nur der tschechoslowakische Samizdat blieb von dieser technischen Weiterentwicklung weitestgehend unberührt. Seine Editionen erreichten keineswegs den Professionalisierungsgrad polnischer Verlage, denn Abzieher und Druckmaschinen waren kaum verbreitet, und die Leserschaft war deutlich begrenzter. Nicht nur die Unterzeichner der Charta 77, sondern auch Akteure des Samizdat waren in der Tschechoslowakei deutlich stärkeren Repressionen ausgesetzt als in Polen oder in Ungarn.145 In einzelnen Fällen erhielt der tschechoslowakische Samizdat im Verlauf der 1980er Jahre über polnische Kontakte Offset-Drucker oder gar Fotokopierer, die die polnische Opposition wiederum über Beziehungen zu westlichen Unterstützern erhalten hatte. In einem Fall wurde gar eine komplette Nummer einer Brünner Samizdat-Zeitschrift in Warschauer Untergrunddruckereien gedruckt und von Bergsteigern über die Hohe Tatra in die Tschechoslowakei geschmuggelt.146 Dennoch blieben tschechische Oppositionelle bis zum Ende der 1980er Jahre auf die Schreibmaschine als wichtigste Vervielfältigungsmöglichkeit angewiesen. Der ideelle und materielle Wert dieser durch das dünne Durchschlag-

 143 Ebd. Dass diese Herstellungsmethode zudem geräuschlos war, ließ das konspirative Drucken ungefährlicher werden. 144 Kenney: Carnival of Revolution, S. 138. 145 Skilling: Samizdat, S. 27. 146 Kenney: Carnival of Revolution, S. 106f.

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papier ausgesprochen empfindlichen Schriftstücke schlug sich in oft kunstvollen, leinengebundenen Ausgaben wieder, die auf diese Weise deutlich aufwändiger gestaltet waren als polnische und ungarische Drucke mit einer ungleich höheren Auflage.147 Mit den tschechoslowakischen Verhältnissen war aber auch ein anderes Verhältnis zwischen Samizdat-Autor, seinem Text und dessen Druck verbunden. Galt in Polen und auch in Ungarn mit dem Grundsatz „Lies es, schreib es ab, gib es Anderen zu lesen“148 ein alternativer Urheberrechtsbegriff, der den Nachdruck von Texten als Anerkennung verstand und die Inhalte über die Autorenschaft stellte, verwahrten sich tschechische Autoren ausdrücklich gegen diese Praxis. Stattdessen wiesen sie, beispielweise in den einleitenden Bemerkungen der Edition Petlice, immer wieder darauf hin, dass eine Vervielfältigung ohne Einwilligung des Autors nicht erwünscht sei.149 Da bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre beinahe sämtliche Druckerzeugnisse in Tschechien und davon die meisten in Prag erschienen, muss zudem zwischen beiden Landesteilen unterschieden werden. Hatte bereits die Charta 77 in der Slowakei nur wenig Anklang gefunden, blieben dort auch unabhängige Periodika bis in die 1980er Jahre hinein eine Ausnahme.150 Mit der unabhängigen Publizistik des Samizdat entwickelten ostmitteleuropäische Oppositionelle ihren Schritt in die Öffentlichkeit weiter. Sie wendeten sich nicht nur konkret an die Gesellschaft, sondern schufen auch ihre eigenen Medien und verbreiteten ihre eigenen Informationen. Mit ihren Schriften, Zeitschriften und Buchreihen formten sie so eine eigene, oppositionelle Form der Öffentlichkeit als „eine Art ‚virtueller‘ Ersatz“151 für den staatlich besetzten öffentlichen Raum, in dem tabuisierte und marginalisierte Themen nicht behandelt werden konnten. Versteht diese Arbeit die Nation als diskursive Realität, also als Ergebnis einer sozialen Aushandlung, so ist der Samizdat der publizistische Raum, in dem sich diese Aushandlung vollzog und in dem sie für eine historische Untersuchung nachvollziehbar dokumentiert ist. So wie die Nation als Begriff des politischen Denkens oppositionelle Ordnungsvorstellungen er 147 Vgl. die Photographien tschechoslowakischer Samizdat-Monographien in: Eichwede/Bock (Hrsg.): Samizdat, S. 288–293. 148 [Einleitung], in: Biuletyn Informacyjny KOR [Samizdat], 1/1 (1976), S. 1. Wortgleich fand sich diese Aufforderung auch auf dem Deckblatt der ungarischen Zeitschrift Hírmondó. [Kopfzeile], in: A Hírmondó [Samizdat], 1 (1983), S. 1. 149 Vgl. die Copyright-Formeln der Edition, die im Bremer Katalog des tschechischen und slowakischen Samizdat abgedruckt und aufgeschlüsselt sind: Phillipsová (Hrsg.): Tschechischer und slowakischer Samisdat, S. 17f. 150 Skilling: Samizdat, S. 55. 151 Judt: Geschichte Europas, S. 662.

60  Opposition im spätsozialistischen Ostmitteleuropa schließt, kann die Analyse oppositioneller Debatten und Aushandlungsprozesse den Samizdat selbst als oppositionellen Raum nutzbar machen. Der in der Einleitung ausgeführte Doppelcharakter oppositionellen Denkens zwischen intellektueller Abstraktion und handlungsleitender Pragmatik manifestiert sich in den Strukturen des Samizdat, die Opposition nicht nur abbildeten, sondern auch formten. Damit ist der Samizdat mehr als nur ein Fundus von Quellen einer oppositionellen Ideengeschichte der Nation, sondern in seiner Struktur selbst eine Quelle oppositioneller Ordnungsvorstellungen. Die neue öffentliche Opposition führte zunächst die unterschiedlichen dissidenten Zirkel zusammen und handelte, als ob es eine freie Öffentlichkeit gebe, in der sie ihre Forderungen formulieren könne. Der Samizdat führte diesen Schritt weiter und ermöglichte es, oppositionelles Denken aus der Enge der Privatwohnung und des Heimlichen zu lösen. Dabei veränderte er weniger den Charakter dieser oppositionellen Orte als ihre Anzahl und Streuung, konnten diese unabhängigen Gedanken durch Samizdat-Publikationen doch nun – trotz aller Konzentration auf Städte und Bildungsschichten – an vielen Orten und von Vielen gelesen werden. War also die Hinwendung zur Gesellschaft ein grundlegender Schritt zur Etablierung der Opposition, wurde die Hinwendung zur Öffentlichkeit, als ob diese existiere und für oppositionelles Denken empfänglich sei, der formative Schritt des Samizdats.152 Als Kommunikationsmittel wie als Erweiterung des Horizonts bedeutete der Samizdat so einen entscheidenden Entwicklungsschritt oppositionellen Handelns und Denkens in Ostmitteleuropa. Für die Oppositionsbewegungen war er durch seine immanente Verbindung von intellektuellem Räsonnement und strategischer Planung, von Abstraktion und Handlungsanweisung ein Laboratorium angewandten politischen Denkens, das im Folgenden detaillierter betrachtet wird.

 152 Eichwede: Archipel Samizdat, S. 9.

2 Aufbrüche mit der Nation Oppositionelle in Ostmitteleuropa waren grundlegend mit der Erfahrung einer gesellschaftlichen Atomisierung konfrontiert. So war der oppositionelle Aufbruch der späten 1970er Jahren ein erster Schritt, eine solche Unverbundenheit und Heterogenität im begrenzten Feld der Dissidenz zu überwinden. Dieser Gründungsimpuls oppositioneller Bewegungen und die daraus folgenden Debatten im Samizdat zielten zunächst auf individuelle Rechte und entwickelten nur indirekt soziale Vorstellungen. Auch die Kerntexte oppositioneller Theorie fragten vor allem nach dem Verhältnis des Individuums zur sozialistischen Staatlichkeit. Dabei ist zwischen komplementären Konzepten, wie Adam Michniks Neuem Evolutionismus1 oder György Konráds Antipolitik2, die die staatlich geprägte Realität zu ergänzen suchten, und konfrontativen Ansätzen wie Václav Havels Macht der Ohnmächtigen3, die aus moralischer Perspektive den gesellschaftlichen Zustand angingen, zu unterscheiden. Unabhängig von Argumentationsgang und Herangehen an den Staat prägten diese politischen Konzepte auch das Verhältnis von Individuum und sozialer Gruppe und dachten sie neu. Neben der Einordnung in die bekannten nationalen und sozialistischen Sinnwelten ist diese Originalität der Rahmen oppositionellen Denkens zur politischen Gemeinschaft im Spätsozialismus. Der oppositionelle Aufbruch ging einher mit einem breiten handlungspraktischen Kompromiss, der höchst unterschiedliche Menschenrechtsaktivisten in einer Opposition gegen das Regime zusammenführte, ohne dass sie ihre jeweiligen weltanschaulichen Überzeugungen ablegten. In dieser Anfangsphase standen so besonders symbolische Marker, also die nach außen sichtbaren Zeichen politischer Gemeinschaft, im Mittelpunkt einer oppositionellen Sinnsuche, die über die Menschenrechte hinausging. Oppositionelle Autoren entwickelten dabei die bereits bestehenden Konzepte und Leitlinien oppositionellen Handelns weiter, um den Aufbruch zu verstetigen, und fügten dem eigene, aus der oppositionellen Programmatik entwickelte Inhalte hinzu.

 1 Adam Michnik: Nowy ewolucjonizm, in: Ders.: Szanse polskiej demokracji, Warschau 2. Aufl. 2009 [Erstausgabe London 1984], S. 103–115. 2 Konrád: Antipolitik. 3 Vgl. Havel: Moc bezmocných.

62  Aufbrüche mit der Nation Dabei war die Nation als wirkmächtigste Vorstellung sozialer Ordnung im Spätsozialismus für konservative und national-affirmative Samizdat-Autoren der offensichtliche Ausgangspunkt ihrer Suche nach politischer Gemeinschaft. Ihnen gegenüber stand ein bedeutendes Spektrum oppositioneller Akteure, die ideologisch durch den Marxismus-Leninismus geprägt worden waren, aber mit dessen regimenaher Interpretation und verschiedenen Reformbestrebungen in sehr unterschiedlicher Weise brachen. Diese postrevisionistischen Oppositionellen entdeckten die Nation erst im Verlauf der 1970er Jahre als Sinnressource und konnten sie nur sehr bedingt affirmativ verwenden, da ihre zentralen Bezugspunkte auf die Klasse als gesellschaftliches Strukturelement ausgerichtet waren. 4 So griffen diese Autoren des Samizdat eher in Antwort auf nationale Konzepte oder vermittelt über eigene Begrifflichkeiten von politischer Gemeinschaft wie Gesellschaft in die hier untersuchten Debatten ein. In der Konstellation des ostmitteleuropäischen Spätsozialismus prägten zwei Sinnwelten das Verständnis der Nation, nämlich historische Traditionen und sozialistische Gegenwart. Anders als die Nationalbewegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die in theoretischen Schriften und praktischem Handeln die jeweilige polnische, tschechische, slowakische beziehungsweise tschechoslowakische oder ungarische Nation „erfunden“ hatten und so Anknüpfungsbeispiele einer Sinnstiftung sein konnten, war die sozialistische Staatlichkeit und ihre Vereinnahmung nationaler Symbole ein kontrastiver Bezugspunkt oppositionellen Denkens. So wird dieses oppositionelle Denken zur Nation im Folgenden zunächst anhand symbolischer und konzeptioneller Debatten im polnischen, tschechoslowakischen und ungarischen Samizdat untersucht. Auseinandersetzungen um einen polnischen „Geist, der belebt“, die tschechoslowakischen Reflexionen über die „kleine Nation“ oder die Suche nach einem Programm der ungarischen Opposition standen zu Beginn des jeweiligen Samizdat und spiegeln die Aufbruchsstimmung und Selbstfindungsprozesse einer oppositionellen Debattenkultur wider. Eine Sonderstellung innerhalb der Oppositionsgeschichte Ostmitteleuropas nahm ohne Zweifel die Gewerkschaftsbewegung Solidarność ein, die den überschaubaren Kreis von im Samizdat publizierenden Intellektuellen überschritt und zu einer Massenbewegung anwuchs. Daher nimmt das Kapitel zum Nationsbegriff der Solidarność

 4 Vgl. Arndt: Rote Bürger, S. 143, sowie die Behandlung von Nation und Nationalismus in revisionistisch-sozialistischer Theoriebildung bei Leszek Kołakowski, einem der einflussreichsten Vordenker der Revisionismus und Postrevisionismus: Leszek Kołakowski: Main Currents of Marxism. Bd. 2. The Golden Age, Oxford 1978, S. 88–97 und 398–405.

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stärker performative und symbolische Aushandlungen in den Blick und erweitert so pragmatisch die Untersuchungsbasis dieser Arbeit.

2.1 Kreuzungen von Nation und Opposition in Polen Mit dem Entstehen einer neuen, offen agierenden politischen Opposition in Polen gewann auch der polnische Samizdat an Umfang und Dynamik. Zwar zirkulierten in den Jahren vor 1976 immer wieder einzelne Texte in geringer Auflage, von einem Massenphänomen ließ sich jedoch nicht sprechen. Die Debatte dominierten Emigrationsblätter, allen voran die Pariser Kultura.5 Sie behielten auch in der Folge einige Bedeutung, konnten jedoch kaum die Dynamik der unterschiedlichen Debatten im Land entfalten. Denn zum einen war ihre Rezeption in Polen meist um einige Monate bis Jahre verspätet und zum anderen blieben ihre effektiven Auflagen im Land selbst recht niedrig. Dagegen entfaltete sich während des oppositionellen Aufbruchs eine dynamische Landschaft oppositioneller Verlage und Zeitschriften, die sich zunächst entlang der Aufteilung des oppositionellen Spektrums in das zumeist postrevisionistische und liberale KOR und den national orientieren und konservativen ROPCiO orientierte. Gerade die unzensierte Presse und eine vermeintlich dominierende, sicherlich aber führende Rolle des KOR im Zweiten Umlauf führte zu immer stärkeren Konflikten zwischen beiden oppositionellen Spektren.6 Diese Konkurrenzsituation darf aber nicht über einen wesentlichen Aspekt des frühen Samizdat in Polen hinwegtäuschen. Bei allen programmatischen und politischen Unterschieden überwog ein oppositioneller Grundkonsens, der von der Zusammengehörigkeit und Verbundenheit der verschiedenen Gruppen ausging. Noch vor den Radomer Arbeiterprotesten vom Juni 1976, die zur Entstehung des KOR geführt hatten, veröffentlichte die Polnische Unabhängigkeitsverständigung (Polskie Porozumienie Niepodległościowe, PPN) im Mai desselben Jahres ein Aktionsprogramm mit dem Ziel der staatlichen Unabhängigkeit Polens.7 Anhand von PPN stellte sich in einem gewissen Sinn der plötzliche Wandel  5 Krzysztof Kopczyński: Przed przystankiem Niepodległość. Paryska „Kultura“ i kraj w latach 1980–1989, Warschau 1990; Iwona Hofman (Hrsg.): Kultura paryska. Twórcy, dzieło, recepcja, Lublin 2007. 6 Błażejowska: Papierowa rewolucja, S. 80f. Błażejowskas Darstellung tendiert zu einer teils unreflektierten und präsentisch ausgerichteten Kritik linker Oppositioneller. Vgl. Jan Skórzyński: Jak nie pisać historii. Karykatura drugiego obiegu, in: Gazeta Wyborcza, 14.02.2011; Jan Olaszek: Drugi obieg w krzywym zwierciadle, in: Więź, 54/1 (2011), S. 146–149. 7 Friszke: Opozycja polityczna, S. 490f.

64  Aufbrüche mit der Nation oppositioneller Spielräume in den Ländern Ostmitteleuropas dar. Einerseits agierte man zwar noch in bekannter Form mit einzelnen und anonymen Texten, ohne öffentlich aufzutreten. Wie andere oppositionelle Gruppen stand aber auch PPN andererseits plötzlich vor ungeahnten und wohl auch schwer einzuschätzenden Möglichkeiten, sich zu organisieren, zu handeln und zu diskutieren. Ihr zunächst im Londoner Tygodnik Polski (Polnisches Wochenblatt) und noch ohne Klarnamen veröffentlichtes Programm befasste sich recht allgemein mit der aktuellen Lage Polens. Seine Forderungen reichten von geopolitischer Souveränität über persönliche, politische und kulturelle Freiheiten bis hin zur Öffnung Polens zur Welt.8 Die Nation sei zuallererst „im Sinne der Gesamtheit der Menschen, die sich der nationalen Solidarität bewusst sind, der Souverän, das heißt, sie hat das unveräußerliche Recht, frei über ihr eigenes Schicksal zu entscheiden.“9 In dieser Übertragung persönlicher Rechte auf die Nation verwiesen die Autoren auf Bürgerrechte und Gleichheit vor dem Gesetz und rekurrierten so auf die Ergebnisse des KSZE-Prozesses.10 Darüber hinaus zielte der Verweis auf ein „polnisches politisches Denken seit dem 16. Jahrhundert“11 und die darin vorhandenen demokratischen und freiheitlichen Ansätze auf eine Traditions- und Legitimationsbildung. Führt man diese Gedanken weiter, widersprachen die Zustände in der Volksrepublik Polen dem historischen Wesen der polnischen Nation. In einer weiteren Erklärung zur Tradition der Unabhängigkeit und ihren Feinden vom März 1977 führte PPN diese Betrachtungen polnischer Geschichte konkreter aus. Polen lasse sich weniger an „Grenzen, politischen Systemen, Landschaft, Zahl und Zusammensetzung seiner Bevölkerung, Bündnissen, Abhängigkeiten, Besatzern, Art der Wirtschaft, Charakter oder gar Landesnamen“ festmachen als daran, dass „die Polen wollen, dass es besteht.“12 Damit stellte PPN sich in die Nachfolge der Zweiten Republik, der Heimatarmee und des Untergrundstaates während des Zweiten Weltkriegs und allgemeiner in die Nach 8 Neben dem Gründer des PPN Zdzisław Najder arbeiteten Jan Olszewski, Jan Zarański und Wojciech Karpiński an diesem Programmtext. Joanna Rutkowska: Zdzisław Najder, in: Antoni Dudek/Jan Skórzyński/Paweł Sowiński/Małgorzata Strasz (Hrsg.): Opozycja w PRL. Słownik biograficzny 1956–1989, Bd. 1, Warschau 2000, S. 256–258, hier S. 257. 9 Polskie Porozumienie Niepodległościowe: Program Polskiego Porozumienia Niepodległościowego, in: Polskie Porozumienie Niepodległościowe. Wybór tekstów, London 1989, S. 3– 15, hier S. 4. 10 Vgl. ebd. 11 Ebd. 12 Zespół Programowe Polskiego Porozumienia Niepodległościowego: Tradycja niepodległościowa i jej wrogowie, in: Polskie Porozumienie Niepodległościowe, S. 23–28, hier S. 26.

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folge einer Denktradition, die sich um die Schlagworte Unabhängigkeit, Demokratie und Antikommunismus gruppierte. Damit reklamierte sie trotz eines politisch konservativen Grundtons auch Traditionen des polnischen Sozialismus um Józef Piłsudski, der den Begriff der Unabhängigkeit ebenso unspezifisch verwendet hatte.13 Eine solche Verknüpfung von Traditionen der frühneuzeitliche Adelsrepublik und der Teilungszeit stiftete unausgesprochen Sinn, wo allgemein im polnischen politischen Denken ein Bruch verstanden wurde. Aus diesem Verständnis heraus konnte die staatliche Wirklichkeit des Spätsozialismus den Akteuren des PPN nur in ihrer Ausdrucksform patriotisch und national erscheinen, nicht aber selbst Ausdruck Polens sein, war doch die Nation der Propaganda nur „die Gesamtheit der Bürger, die sich mit dem Charakter dieser Volksrepublik zufriedengeben“, eines Staates also, „der von einer Partei aus der UdSSR regiert wird“.14 Diese Behandlung eines staatstreuen und in Anführungszeichen gesetzten Patriotismus griff einen der umstrittensten Aspekte der polnischen Verfassungsnovelle auf, die 1975 und 1976 die nonkonformen Kreise Polens erregte.15 Sollte dort die führende Rolle der Partei festgeschrieben und staatsbürgerliche Rechte mit der Verpflichtung zur Staatstreue verbunden werden, drehte PPN dieses Verständnis um und dachte die Nation von den unveräußerlichen Rechten freier Menschen her. Mit der Fokussierung auf die Sowjetunion leitete PPN Unabhängigkeit und Souveränität in erster Linie aus einem negativen Freiheitsverständnis ab und klammerte konkrete Gestaltungshorizonte aus.

2.1.1 Ein „Geist, der belebt“ Hatte PPN keine Überlegungen für die inhaltliche Ausrichtung der Nation dargelegt, war dies für andere offen agierende Gruppierungen ein stärkeres Anliegen. In einem Beitrag für die erste Ausgabe der Zeitschrift Bratniak räsonierte der Jesuit Bronisław Sroka 1977 über einen Geist, der belebt und die Frage, was Polen ausmache. Sroka war den Herausgebern des Bratniaks als Hochschulseelsorger in Danzig verbunden und hatte so einen besonderen Einfluss auf den

 13 Włodzimierz Suleja: Mit niepodległości w dobie PRL, in: Zyta Kwiecińska (Hrsg.): Polskie mity polityczne XIX i XX wieku, Breslau 1996, S. 73–84, hier S. 81; Grzegorz Kucharczyk: Polska myśl polityczna po roku 1939, Dębogóra 2009, S. 142–144. 14 Zespół Programowe Polskiego Porozumienia Niepodległościowego: Tradycja niepodległościowa, S. 23. 15 Friszke: Opozycja polityczna, S. 276.

66  Aufbrüche mit der Nation nationalkonservativen Zirkel um Aleksander Hall, in dem der Bratniak und ab 1979 die Bewegung Junges Polen (Ruch Młodej Polski, RMP) entstanden.16 Die neue Zeitschrift setzte sich zum Ziel, vor allem die junge Generation mit kritischen Informationen zu versorgen, aber auch ein kontroverses Diskussionsforum für Ideen und Grundlagen von Gesellschaft und Opposition zu bieten.17 In seinem Beitrag betonte Sroka zunächst die Bedeutung „ideologischer Inhalte“18 und fundierter Werte für den Einzelnen wie für soziale Gruppen und Nationen. Das Individuum selbst betrachtete er unter der Prämisse der Verantwortung, als „gesellschaftliches Geschöpf“19, der einzelne Mensch trage also in seiner Entscheidung für eine Idee Verantwortung für eine größere Entität. In der konkreten Lage Polens deklamierte er daraus eine Konkurrenz verschiedener solcher Ideen: „Einige von ihnen [d.h. der Ideologien] versuchen sich einfach mit Gewalt in uns hineinzuzwängen, mit der Hilfe der Massenmedien und anderen Formen gesellschaftlichen Drucks. Andere wieder versucht man ganz still und heimlich in uns hineinzudrücken – als unerhört modisches, doch verbotenes Gut!“20 Eine Suche nach Halt sei aber unnötig, schließlich verfüge man in Polen „als Nation“ bereits über einen „Schatz unserer nationalen Kultur, Tradition und Bewusstseins [und] eine außergewöhnliche, einzige und unsrige Idee“, das Christentum.21 Zudem rekurrierte Sroka auf das Diktum des polnischen Nationaldemokraten Roman Dmowski von der untrennbaren Einheit von Polentum und Katholizismus.22 Er betonte aber, einem theologischen Personalismus folgend, in Abgrenzung zu Dmowski deutlich die Rolle des Individuums für die Nation. So könne die Nation zum einen „den Charakterzug des Humanismus, der Toleranz und der Freiheitsliebe“ bewahren, zum anderen sich vor Illoyalität gegenüber der Gemeinschaft schützen. Auch in schweren Zeiten sei es so zu keinem einzi-

 16 Michał Paziewski: O. Bronisław Sroka, in: Antoni Dudek/Jan Skórzyński/Paweł Sowiński/Małgorzata Strasz (Hrsg.): Opozycja w PRL. Słownik biograficzny 1956–1989, Bd. 3, Warschau 2006, S. 251–253, hier S. 252. 17 Vgl. Od redakcji (Bratniak). 18 Bronisław Sroka: Duch, który ożywia [zuerst erschienen in: Bratniak [Samizdat], 1/1 (1977)], in: Czułba (Hrsg.): Bratniak, S. 59–61, hier S. 59. 19 Ebd., S. 60. 20 Ebd. 21 Ebd., S. 61. 22 Dmowskis oft angeführtes Zitat entstammt jedoch erst seinem 1927 erschienenen Buch Kirche, Nation und Staat und stellt in seinem politischen Denken einen späten Paradigmenwechsel dar. Vgl. Brian Porter-Szűcs: Faith and Fatherland. Catholicism, Modernity, and Poland, New York 2011, S. 328-359.

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gen Fall von Kollaboration oder Verrat dieser Ideale durch einen Polen gekommen. Sroka zeichnete so das Bild einer bedrängten, aber ungebrochenen, gläubigen und geeinten Nation. Das Individuum ist dabei zwar Ausgangspunkt seiner Herleitung, muss aber in letzter Konsequenz im Ganzen aufgehen. Diese konservative und antiliberale Gewichtung des Verhältnisses zwischen Individuum und Kollektiv nahm einen „nationalen Personalismus“ vorweg, wie er in den folgenden Jahren die Bewegung Junges Polen prägte. Dieser leitete sich aus der naturrechtlichen Vorstellung ab, dass der Einzelne nur in einer natürlichen Gemeinschaft Erfüllung finden könne, die im von Stefan Kardinal Wyszyński bemühten Bild der Nation als „Familie der Familien“ eine Zuspitzung erfuhr.23 Damit folgte Sroka dem Personalismus als wichtigstem Einfluss innerhalb der katholischen Theologie in Polen, die besonders vom späteren Papst Karol Wojtyła popularisiert worden war. Als ursprünglich links-katholische Vorstellung vom französischen Philosophen Emmanuel Mounier entwickelt und von revisionistisch-sozialistischen Katholiken nach Polen eingeführt, überschritt der Personalismus weltanschauliche Grenzen und prägte auch konservatives Denken einer Theologie vom Individuum.24 Im Konkreten richtete sich Srokas Appell an Studenten. Diese anvisierte Leserschaft des Bratniaks habe sich zunehmend von Glaubenspraxis und Kirche entfremdet und nutze die Angebote der Hochschulpastoral kaum. Sie bekannten sich zwar zum Katholizismus, ihr Lebenswandel lasse aber einen Mangel an Ernsthaftigkeit erkennen. Sroka beschrieb mit dieser spürbaren Distanzierung in religiösen Dingen zugleich einen laxen und inkonsequenten Patriotismus. Säkularisierung bedeutete in der Annahme des „Polak – katolik“ (Der Pole ist ein Katholik) also eine nationale Pflichtverletzung des Einzelnen, die letztlich die Nation gefährde.25 Im Sinne des immer wieder angeführten „Pluralismus“ innerhalb der Opposition26 veröffentlichte der Bratniak kurze Zeit später eine Replik zweier junger Mitglieder des Warschauer Klubs der katholischen Intelligenz (Klub Inteligencji Katolickiej, KIK), einer der für Polen so prägenden regimeunabhängigen katholischen Gruppierungen, auf diesen belebenden Geist. Wojciech Ostrowski und  23 Tomasz Sikorski: Personalizm narodowy. Jednotska i naród w refleksji politycznej Ruchu Młodej Polski, in: Glaukopis, 8/19–20 (2010), S. 165–178, hier S. 170. 24 Vgl. Stefania Szlek Miller: Catholic Personalism and Pluralist Democracy in Poland, in: Canadian Slavonic Papers, 25/3 (1983), S. 425–439; Piotr H. Kosicki: L’avènement des intellectuels catholiques. Le mensuel Więź et les conséquences polonaises du personnalisme mounierien, in: Vingtième Siècle, 102 (2009), S. 31–47. 25 Sroka: Duch, który ożywia, S. 61. 26 Vgl. Od redakcji (Bratniak).

68  Aufbrüche mit der Nation Jan Tomasz Lipski teilten durchaus Srokas pessimistische Einschätzung der polnischen Gesellschaft. Auch sei es für die Opposition notwendig dezidiert Positionen zu formulieren, die „die Barriere einer ängstlichen Passivität“27 überwinden können. Jedoch könne dieses Bedürfnis der polnischen Gesellschaft nicht durch die Verengung auf eine einzige ideologische Option erreicht werden, bedeute diese doch eine Absage an den politischen Pluralismus. Auch könne man das Christentum keineswegs als Ideologie verstehen, sondern müsse es vielmehr als eine Grundlage begreifen, auf deren Leitlinie Nächstenliebe weitere Überlegungen aufbauen könne.28 In Srokas ethnozentrischem Katholizismus erkannten die beiden Autoren so „sowohl für das Christentum als auch für das Polentum“ eine Gefahr.29 Seine zwanghafte Zuspitzung ignoriere weite Teile der polnischen Kultur und vernachlässige ihren europäischen Kontext.30 Schwerer wog für die beiden Gegenredner die Verabsolutierung des Nationalstaates, wie sie der von Sroka angeführte Roman Dmowski vornahm und der so zwischen Bürgern unterschied, „die sein Schicksal [des Nationalstaats] beeinflussen können, und solchen, die dessen nicht würdig sind“.31 Genau dieses Vorenthalten von Menschen- und Bürgerrechten stellte aber einen Hauptvorwurf der Opposition gegenüber dem sozialistischen Staat dar, worauf Ostrowski und Lipski auch explizit verwiesen. Das Verhältnis von Staat, Nation und Religion berührte hier grundlegende Fragen des politischen Denkens der neu entstandenen Opposition. Ostrowski und Lipski warnten also mit anderen Worten davor, die Nation so aufzuladen und zu vereinzeln, dass sie oppositionellen Grundanliegen widerspreche. Diesen Widerspruch gegen einen religiösen Nationalismus führten die beiden Autoren weiter und plädierten für die Notwendigkeit einer Trennung von Staat und Kirche. In einem Gesellschaftssystem, in dem Staat und Kirche sich antagonistisch gegenüberstanden und in dem die katholische Kirche als Garant gesellschaftlicher Autonomie galt, waren dies vergleichsweise abstrakten Überlegungen. Sie illustrieren jedoch den theoretischen Impetus oppositionellen Denkens in diesen ersten Jahren des Samizdat. Für die konkrete Debatte und Situation blieb für Ostrowski und Lipski die strikte Trennung von Nation und Religion die Umsetzung des eingeforderten Prinzips.

 27 Wojciech Ostrowski/Jan Tomasz Lipski: Poglądy, in: Bratniak [Samizdat], 1/3 (1977), S. 14– 16, hier S. 14. 28 Ebd., S. 15. 29 Ebd. 30 Ebd., S. 15f. 31 Ebd., S. 16.

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Der Kontrast zwischen Srokas Vorstellung einer homogenen polnischen Nation und seinen pluralistisch orientierten Kritikern ist offenkundig. Sroka äußerte im persönlichen Gespräch mit dem bekannten Literaturkritiker und Vater eines seiner Gegenredner Jan Józef Lipski, er sei in seinen Ausführungen missverstanden worden und habe nur vor einem drohenden Identitätsverlust Polens warnen wollen.32 Der Zusammenhang zwischen katholischem Glauben und Polen wurde aber nur vordergründig zum Kern dieser innerkatholischen Auseinandersetzung. Entscheidender war die Frage danach, ob eine Nation in sich geschlossen und gegen andere abgegrenzt oder für fremde Einflüsse offen sein solle. Ebenso lassen sich unterschiedliche Auffassungen im Verhältnis von Individuum und sozialer Gruppe ausmachen, auch wenn die Herleitung der Gemeinschaft vom Individuum unstrittig war. Bronisław Sroka betonte sogar ostentativ die Gewissensfreiheit des Einzelnen, nur um dann eine vermeintlich falsche Wahl als Gefahr für die Nation zu brandmarken. Auf die Nation gewendet, lässt sich dies auf die Frage zuspitzen, ob die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft Möglichkeit oder Zwang bedeutete, Wahl oder Verpflichtung. Augenscheinlich hatte das Thema Nation für die Redaktion des Bratniaks eine besondere Relevanz, die im Gründungsvorwort in dieser Form noch nicht benannt worden war. Angeregt durch die Debatte um den Geist, der belebt rief sie in der folgenden Ausgabe Anfang 1978 zu einer Diskussion der jungen Generation über „die Gestalt des zeitgenössischen polnischen Patriotismus“ auf und bat darum Essays einzusenden.33 Bereits dieser Prozess der Meinungserhebung zeugt von einem gewissen oppositionellen Selbstbewusstsein und Vorstellungen politischer Praxis der Redaktion. Für den Bratniak als Zeitschrift34 wirft dies über das eigentliche Thema hinaus die Frage auf, welches Grundverständnis von Opposition – als Teil der Nation – hier vertreten und diskursiv angewandt wurde. Zeitgleich mit dem Diskussionsaufruf beteiligte sich Aleksander Hall im Namen der Redaktion an der Debatte und verteidigte Srokas Standpunkte. Den Pluralismus sprach Hall dabei nicht explizit an, betonte aber die Frontstellung des Christentums gegen „jegliche totalitäre Ideologie“35 und leitete daraus eine allgemeine Kritik an progressiven Katholiken und deren vermeintlich linksradi-

 32 So nach: Lipski: Dwie ojczyzny, S. 25. 33 Aleksander Hall: [Ohne Titel], in: Bratniak [Samizdat], 2/4–5 (1978), S. 1. 34 Vgl. die einleitenden Worte der Redaktion zur Polemik von Ostrowski und Lipski, sowie: Od redakcji (Bratniak). 35 Aleksander Hall: Tradycja i historia źrodłem inspiracji [zuerst erschienen in: Bratniak [Samizdat], 2/4–5 (1978); im Original ohne Titel], in: Czułba (Hrsg.): Bratniak, S. 118f., hier S. 118.

70  Aufbrüche mit der Nation kalen Sympathien ab. Eine solche affirmative und kämpferische Haltung war in der Redaktion des Bratniaks offensichtlich verbreitet, wie Jacek Bartyzel in einem wenig später erschienenen Artikel unterstrich.36 War dies noch am Beispiel Frankreichs vorgetragen, wurde Hall konkreter mit der Vorhaltung, Ostrowski und Lipski stünden dem polnischen Volkskatholizismus abschätzig gegenüber.37 Er stellte so nämlich in Frage, ob das Katholische überhaupt eine gemeinsame Ausgangslage der Debatte darstelle oder sich hier nicht isolierte Intellektuelle und volksnahe Katholiken gegenüberstünden. Schärfer noch ließ sich Halls Vorwurf auch als Zweifel am katholischen Hintergrund der beiden KIK-Mitglieder und ihrer daraus resultierenden Legitimation verstehen. Auch Hall erkannte eine Krise der Nation, in der gar der Verlust der „Fähigkeit eines Denkens in nationalen Kategorien, in Kategorien einer eigenen unabhängigen Staatlichkeit“38 drohe. Dass es katholischen Intellektuellen an Verwurzelung im Volksglauben und weltanschaulicher Zuverlässigkeit mangele, verschärfe diese Krise nur noch einmal. Zwei der erbetenen Zuschriften wurden in der folgenden Ausgabe vom März und April 1978 veröffentlicht und befassten sich mit dem Staat als weiterem Akteur im Deutungsstreit um die Nation. Polnischer Patriotismus sei weder historisch noch in der Volksrepublik auf den Staat ausgerichtet gewesen, argumentierten die beiden bislang in oppositionellen Kreisen unbekannten Autoren, auch wenn sich die Volksrepublik besonders national und patriotisch darstelle.39 Vielmehr speise sich der Patriotismus aus einer langen kulturellen und religiösen Tradition. Der anonyme Autor H. S. argumentierte beispielsweise: „Eine Nation entsteht, wo Menschen sich vereinen, um höhere Werte zu suchen […], um eine nationale geistige Gemeinschaft zu bilden.“ Als Grundlage dieses Willens zur Gemeinschaft verwies H. S. auf die prägende Kraft des katholischen Glaubens für die Ausbildung des polnischen Bewusstseins.40 Dem fügte Julian Traczykowski hinzu, dass auch Freiheit das Polnische ausmache, ohne jedoch genauer auszuführen, was er unter diesem Begriff verstand.41 Die Abgrenzung zur zeitgenössischen Staatlichkeit und der daraus resultierende konfliktdefinierte Patriotismus fanden bei beiden Autoren eine Analogie in einem Ge 36 Jacek Bartyzel: Jeszcze jeden głos w dyskusji, in: Bratniak [Samizdat], 2/6–7 (1978), S. 18– 21. 37 Hall: Tradycja, S. 119. Vgl. ähnlich: Bartyzel: Jeszcze jeden głos, S. 19 und 21. 38 Hall: Tradycja, S. 119. 39 Julian Traczykowski: O patryotyzmie, in: Bratniak [Samizdat], 2/6–7 (1978), S. 7–9, hier S. 7. 40 H. S.: Myśli o Polsce, in: Bratniak [Samizdat], 2/6–7 (1978), S. 9–13, hier S. 9. 41 Traczykowski: O patryotyzmie, S. 9.

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schichtsbild, das vor allem Helden und Aufstände kannte. Dabei definierten sie Freiheit negativ, also als Freiheit von Unterdrückung. Die Nation als Darstellungsraum dieser Vorstellung blieb dagegen eine transzendente Vorstellung, eine „innige Freundschaft zu allem, was polnisch ist“,42 und eine Selbstverortung und Zielvorstellung gegenüber einem als fremd verstandenen polnischen Staat. Mit spezifischem Sinn konnten die beiden jungen Gastautoren den Begriff jedoch nicht füllen. Die im Ton oft aggressive Polemik etwa von Hall und Bartyzel evozierte im Zweiten Umlauf deutliche Kritik am Bratniak selbst. Hall antwortet dem Vorwurf eines übersteigerten Nationalismus im Sommer 1978 und betonte eine europäische Perspektive und das Menschenrechtsengagement der national-konservativen polnischen Opposition, namentlich der ROPCiO. So wie Menschenrechte weltweit in Gefahr seien, sei auch die Nation gefährdet.43 Gefahr gehe weniger vom oppositionellen Patriotismus als von der nationalistischen Rhetorik des Sozialismus aus, wie sie seit den 1960er Jahren zunehmend zu beobachten sei.44 Dass Hall hier einerseits seine linken Kritiker beschwichtig wollte, andererseits Minimalpositionen eines affirmativen Patriotismus wiederholte, zeigt nicht nur ein tatsächliches Annehmen dieser Kritik, wie es der polnische Historiker Andrzej Friszke einschätzte45, sondern auch grundlegende Widersprüche in vorherigen Beiträgen zur Nation. Deren Rhetorik und Polarisierung ließ nämlich eine Alternative weder zur katholischen Nation noch zur oppositionellen Grundausrichtung zu. Dass dieses antagonistische Weltbild aber heftig und offensichtlich auch aus für Hall nachvollziehbaren Gründen kritisiert worden war, unterlief das unterschwellige Selbstverständnis der Autoren des Bratniak, für die gesamte Nation zu sprechen. Geltungsanspruch und Wirkung des vorgetragenen Nationsverständnisses divergierten so offensichtlich, dass die Nation weiter unklar blieb und nur mit formelhaften Sätzen beschrieben werden konnte. Anschaulich wird dies gerade bei dem immer wieder angeführten Argument einer Konfrontation zwischen Nation und Diktatur beziehungsweise der Abgrenzung von einem weit verstandenen Totalitarismus. Während dieser Debatten war das Thema unter links-liberalen Oppositionellen, also im Umfeld des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter, kaum von größerem Interesse. Wenn sich diese Oppositionelle dennoch der Nation wid-

 42 Ebd., S. 8. 43 Aleksander Hall: Wypowiedzi w dyskusji o współczesnym polskim patryotyzmie, in: Bratniak [Samizdat], 2/10–11 (1978), S. 2–6, hier S. 3. 44 Ebd., S. 4. 45 Friszke: Opozycja polityczna, S. 462.

72  Aufbrüche mit der Nation meten, dann, wie dargestellt, als Replik auf Nationskonzeptionen oder über den Umweg anderer Themenkomplexe, die Nation und Nationalismus berührten. Ein solches Thema waren zum Beispiel die Ereignisse des März 1968, denen die im Umfeld des KOR herausgegebene Samizdat-Zeitschrift Krytyka im Sommer 1978 in ihrer ersten Ausgabe gut 40 Seiten widmete. Hier antworteten 23 Intellektuelle aus dem Inland wie aus dem Exil auf die Frage, wie sie die Ereignisse des März 1968 bewerteten und welche Rolle diese in der neueren Geschichte Polens hätten.46 Besonders Jacek Kuroń, seit seinem offenen Brief an die Partei aus dem Jahr 1964 eine der Ikonen der postrevisionistischen sozialistischen Dissidenten, ging hier dem Zusammenhang von Nation und Nationalismus nach. Seiner Meinung nach beruhte der propagandistische Erfolg der Nationalkommunisten im März 1968 auf einer breiten Akzeptanz einer „nationalen Ideologie“, die „trotz aller Unterschiede – in grundlegenden Fragen nahe der hier präsentierten“ totalitären Gedanken der Nationalkommunisten sei. Übertragen auf die polnischen Verhältnisse des Jahres 1978 spitzte Kuroń zu: Ich bin überzeugt davon, dass die national-totalitäre Ideologie sich in unserem Land erneuert, in der Opposition wie auch im Machtapparat. Den Kommunismus als Ideologie gibt es in Polen nicht. Für den ideologischen Hauptgegner der demokratischen Opposition halte ich also den Totalitarismus der Nationalisten.47

Kuroń stellte so nicht nur die gemeinsamen Wurzeln, sondern sogar die einigende Gegnerschaft oppositioneller Gruppen in Polen zur Staatsmacht offen in Frage und setzte Teile der national-konservativen Opposition dem Staat weitestgehend gleich. Schon in früheren Texten hatte er seine kritische Haltung zur Nation ausgedrückt und vor einem Nationalstolz gewarnt, der die Zustände in einem totalitären Regime akzeptiert oder sich über andere Nationen erhebt.48 Dem sozialistischen Internationalismus folgend konnte Kuroń sich, wie er rückblickend formuliert, nur als „Patriot der Menschheit“ begreifen.49 Unter den Bedingungen vor 1976 war jedoch an eine breitere Opposition kaum zu denken, und die sozialistischen Revisionisten waren nach den Enttäuschungen von 1968

 46 Seweryn Blumsztajn: W 10 lat po wydarzeniach marcowych, in: Krytyka [Samizdat], 1/1 (1978), S. 4. 47 Jacek Kuroń: [Ohne Titel], in: Krytyka [Samizdat], 1/1 (1978), S. 19–21, hier S. 21. 48 Ders.: Polityczna opozycja w Polsce [zuerst erschienen in: Kultura, 28/326 (1974)], in: Ders.: Opozycja. Pisma polityczne 1969–1989, Warschau 2010, S. 40–57, hier S. 43f. 49 Ders.: Wiara i Wina [Erstausgabe London/Warschau 1989], in: Ders.: Autobiografia. Warschau 2009, S. 9–332, hier S. 301. Zu diesem Internationalismus: Arndt: Rote Bürger, S. 141– 143.

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und 1970 programmatisch verunsichert, ja desillusioniert. Kuroń hatte dabei, ähnlich wie Adam Michnik, für eine Opposition als Sammlungsbewegung plädiert.50 Dass er diese Sammlung nun gleichsam problematisierte, zeigt, wie fragil und situativ der oppositionelle Aufbruch des Sommers 1976 geblieben war und wie die polnische Opposition bereits in den Folgejahren auseinanderdriftete. Wiederum war es Aleksander Hall, der in einer im Bratniak erschienenen Kritik der „Krytyka“ auf die Vorwürfe antwortete. Die erste Nummer der Krytyka lobte er ausgesprochen freundlich und referierte mit großem Wohlwollen das Konzept der neuen Zeitschrift und die Beiträge zum März 1968. Kurońs Totalitarismus-Vorwurf gegen die national-konservative Opposition empörte ihn jedoch umso mehr. Hall bemühte sich, zwischen der „politisch, ökonomisch und letztlich zivilisatorisch“51 antisemitischen Nationaldemokratie (Endecja) der Zwischenkriegszeit um Roman Dmowski und den rassisch antisemitischen Nationalkommunisten, die im März 1968 auftraten, zu unterschieden. Er hob aber mit seiner Ehrenrettung nur zu einem Teil auf das nationale Denken der Nationaldemokratie ab, die Kuroń expressis verbis gar nicht benannt hatte. Vielmehr bezog sie sich auf Teile der zeitgenössischen Opposition, die sich einem Erbe Roman Dmowskis und seiner Mitstreiter verbunden fühlten. Hall und die Redaktion des Bratniak stellten sich immer wieder, wenn auch mit kleineren Einschränkungen, in eine affirmative Kontinuitätslinie zur Endecja, die letztlich eine selektive Adaption der Nationaldemokratie bedeutete. Dieser „nationale Revisionismus“ zeigte sich in ähnlicher Weise, wenn auch mit geringerem Umfang, aufgeschlossen gegenüber den ursprünglich mit Dmowski konkurrierenden Konzepten Józef Piłsudskis und beanspruchte auf diese Weise höchst unterschiedliche und konkurrierende politische Traditionen für sich.52 So wurde die Frage nach dem Gegner der demokratischen Opposition, Kommunismus oder Nationalismus, mehr als eine Strategiefrage. Denn sowohl für Kuroń als auch für Hall untermauerten Geschichtsdeutung und Abgrenzung von einem Aspekt der sozialistischen Gegenwart Polens die Legitimität ihrer eigenen Position und deren Wurzeln im sozialistischen Revisionismus beziehungsweise in der Nationaldemokratie. In dieser Unvereinbarkeit beider Standpunkte stellte sich für die neue öffentlich agierende Opposition zwei Jahre nach ihren ersten Aktionen offenbar die Frage nach Zielen und Strategien. Halls Auf 50 Kuroń: Polityczna opozycja, S. 45. 51 Aleksander Hall: Krytyka „Krytyki“, in: Bratniak [Samizdat], 2/14 (1978), S. 10–14, hier S. 11f., Zitat. S. 12. 52 Sikorski: Personalizm narodowy, S. 167f.

74  Aufbrüche mit der Nation ruf des gemeinsamen Handelns gegen Staat und Kommunismus53 stand hier vermeintlich Kurońs Vorstellung einer nicht-nationalisierten, sondern ausschließlich an den Menschenrechten orientierten Opposition gegenüber. Dass die polnischen Kommunisten sich in ihren Legitimationsstrategien sowohl des Kommunismus als auch des Nationalismus bedienten54, prägte auch diese Auseinandersetzung zwischen Hall und Kuroń. Beide standen vor der Frage, ob in ihrem Handeln Staat oder Ideologie der eigentliche Widersacher sei, und konnten dabei nicht zwischen beiden Aspekten trennen. Mit einiger Vereinfachung konnte daraus die Erkenntnis entstehen, dass die jeweilige oppositionelle Gegenseite weltanschaulich eher dem Staat nahe stünde. In einem offenen Brief an die Redaktion des Bratniak präzisierte Kuroń seine Gedanken noch einmal, schlug aber einen versöhnlichen Ton an. Obwohl er ein „ideologischer Gegner“ des nationalen Denkens sei, betonte er in schulmeisterlichen Duktus die Gemeinsamkeiten zwischen sich und der Redaktion des Bratniak und übertragen zwischen den postrevisionistischen und nationalkonservativen Spektren der Opposition.55 Dass der Bratniak den Patriotismus und das nationale Denken zu schärfen versuche, sei nach Kuroń für den Pluralismus der polnischen Opposition nur förderlich, auch wenn einzelne Äußerungen Besorgnis erregten. Dass die Partei die Rede von der Nation missbrauche, treffe zu, so wie jede Argumentation mit der Nation ein Missbrauch sei. „Ich bin Gegner einer nationalen Ideologie, weil ich fürchte, dass sie in der Konsequenz antinational ist. Die Nation ist eine Gemeinschaft geistiger und materieller Kultur.“56 So argumentierte Kuroń zwar mit der Nation als Gemeinschaft von Personen, verwahrte sich aber gegen feste Zuschreibungen und Deutungen. Nation stellt hier eine Möglichkeit dar, ohne Zwang ausüben zu können; sie sollte integrieren, ohne auszuschließen. Der Pluralismus sei dabei viel mehr als eine bloße Organisationsform, sondern „die einzige Möglichkeit die nationale Identität zu bewahren“. In Opposition und Gesellschaft über die Inhalte dieser Identität zu streiten, bedeute also letztlich sie zu ermöglichen.57

 53 Hall: Krytyka „Krytyki“, S. 13f. 54 Vgl. Zaremba: Komunizm, legitymizacja, nacjonalizm. 55 Jacek Kuroń: List otwarty do zespołu redakcyjnego „Pisma Młodych Bratniak“, in: Bratniak [Samizdat], 3/16 (1979), S. 16–30, hier S. 16. 56 Ebd., S. 21. 57 Ebd., S. 28.

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2.1.2 Neue konservative Programme In den ersten Jahren ihres öffentlichen Auftretens teilte sich die polnische Opposition in eine moderate Konkurrenz zwischen einem postrevisionistischen und einem national-konservativen Lager; als Sammlungsbewegungen konnten zunächst auch Differenzen integrieren. Aufgrund programmatischer Unstimmigkeiten und wohl auch persönlicher Animositäten zerbrach ROPCiO im Juni 1978, ohne sich aber formal aufzulösen. Leszek Moczulski, einer der Gründer und ersten Sprecher der Bewegung, verstand den Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte vor allem als „Zwischenetappe“ auf dem Weg zu einer oppositionellen Partei.58 ROPCiO selbst hatte sich als Menschen- und Bürgerrechtsbewegung zur Gestalt der Nation in Texten kaum geäußert, sondern bloß mündlich Gemeinschaftsvorstellungen diskutiert.59 Nach der faktischen Spaltung der Bewegung60 konnten einzelne Mitglieder nun in eigener Verantwortung dieser Frage nachgehen und so die Ausdifferenzierung des Spektrums weiter vorantreiben. Anfangs betraf diese Neuformierung Zeitschriften61, späterhin entstanden daraus auch neue Organisationen. Die bedeutendsten dieser Nachfolger waren die im Juli 1979 aus dem Danziger Spektrum des Bratniaks hervorgegangene Bewegung Junges Polen und die im Dezember 1979 um Leszek Moczulski gegründete Konföderation für ein unabhängiges Polen (Konfederacja Polska Niepodległa, KPN), deren Grundlagentexte im Weiteren behandelt werden. Mit einer „Ideen-Erklärung“ der Bewegung Junges Polen knüpften Aleksander Hall, Jacek Bartyzel und Arkadiusz Rybicki62 an die Debatte über den Geist, der belebt an und formulierten grundsätzliche Positionen der neuformierten Gruppierung. Dabei verstand diese sich als „Ideen-Gemeinschaft“63, also als eine Gruppe des intellektuellen Hintergrunddenkens, und definierte sich nicht, wie zuvor der ROPCiO oder auch der KOR, über einen karitativen Arbeitsbereich oder eine konkrete Zielsetzung. Im Bemühen, Menschenrechte und nationales  58 Antoni Dudek: Leszek Moczulski, in: Ders./Skórzyński/Sowiński/Strasz (Hrsg.): Opozycja w PRL. Bd. 1, S. 243–245, hier S. 243. 59 Waligóra: ROPCiO, S. 308; Friszke: Opozycja polityczna, S. 459. 60 Waligóra: ROPCiO, S. 131–192. 61 So zog sich Moczulski gezwungermaßen aus der Zeitschrift Opinia, die bis dahin das Organ des ROPCiO war, zurück und gründete bald darauf mit Droga ein neues Blatt. Obwohl beide miteinander konkurrierten, erschienen sie zunächst weiter als Blätter des ROPCiO. Ebd., S. 136f. und 156. 62 Die Erklärung ist zwar mit 25 Namen unterzeichnet, Hall, Bartyzel und Rybycki waren jedoch für die Entstehung des Textes verantwortlich. Ebd., S. 218. 63 Ebd., S. 217.

76  Aufbrüche mit der Nation Programm miteinander zu verbinden, gründeten die Autoren ihre Argumentation auf dem Wert des menschlichen Individuums, den sie transzendent herleiteten.64 Gleichzeitig sei der Mensch aber „mit [seinen] Pflichten gegenüber einem anderen Menschen, der Nation, dem Staat und der ganzen Menschheitsfamilie“65 verbunden. Die aus der Betonung des Individuums abgeleitete Kritik an der Reduktion des Menschen auf seinen Konsum beziehungsweise seine Funktion innerhalb einer Gesellschaft, also an Materialismus und Sozialismus, übertrugen sie in einem „personalistischen und universalistischen Denken“66 auf ihr Verständnis der Nation.67 Weiter führten sie aus: Die Nation ist die geistige, moralische und kulturelle Gemeinschaft vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Generationen, die zusammengeführt werden durch die Bande des Bewusstseins, der Sprache, der Heimat, des in der Geschichte zurückgelegten Weges, der Tradition, des realisierten Entwurfs des kollektiven Lebens, des Bildes der geschaffenen Kultur, was der höchste Ausdruck des nationalen Selbstbewusstseins ist.68

Die Nation hat demnach eine Entwicklung aus einer „ethnographischen Masse“ zu einer reflektierten und „sich ihrer Zielen bewussten Gemeinschaft“ genommen.69 Eine Bewertung eben dieser Ziele sei dagegen nur auf moralischer Ebene möglich, da die Nation denselben Notwendigkeiten wie der einzelne Mensch unterliege. Garant der „nationalen Gemeinschaft“ und ihrer Werte ist im Denken der Bewegung Junges Polen die Tradition, also das Substrat dessen, „was positiv durch die Geschichte bestätigt wurde“70. Die Gruppe um Hall verstand politische Gemeinschaft folglich als eine natürliche Gemeinschaft. Die allgemein angenommene Atomisierung der polnischen Gesellschaft der Ära Gomułka hingegen bedeute eine Krise dieser Tradition und folglich drohe gar der „geistige Tod der

 64 Grażyna Sordyl: Spadkobiercy Stańczyków. Doktryna konserwatyzmu w latach 1979–1989, Krakau 1999, S. 100. 65 Deklaracja ideowa Ruchu Młodej Polski, in: Bratniak [Samizdat], 3/18 (1979), S. 6–16, hier S. 8. 66 Ebd. 67 Vgl. auch Friszke: Opozycja polityczna, S. 482. Ob allein der Gebrauch der Formulierung „Nationale Gemeinschaft“ aber schon personalistisch ist, wie Piotr Zaremba mit Verweis auf Marek Jurek behauptet, ist zu bezweifeln. Piotr Zaremba: Młodopolacy. Historia Ruchu Młodej Polski, Danzig 2000, S. 85. 68 Deklaracja ideowa, S. 8. 69 Ebd. 70 Ebd., S. 10.

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Nation“71. Mit dieser Argumentation wurde Traditionspflege zu einer patriotischen Pflicht zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Nation, da nur so die Kontinuität der Nation gewahrt werden konnte. Gerade die Verankerung in der christlichen Kultur und im ausgeglichenen Verhältnis zwischen Freiheit und Staatlichkeit stellten solche zukunftsweisenden Traditionen dar.72 Diese Argumentation konstruierte Polen nicht nur entlang westlicher und europäischer Zivilisation, sondern formulierte auch das Ziel einer „wieder organischen Gesellschaft“. Für Polen und die polnische Gesellschaft bedeutet die Erneuerung der Nation also keine Entwicklung, sondern eine beständige Konsolidierung der eigenen – westlichen und katholischen – Wurzeln. Aus diesen nationalen Traditionen hofften die Unterzeichner auch ein handlungsleitendes Programm für die zeitgenössische Opposition erarbeiten zu können, das aus den wichtigsten Strömungen des politischen Denkens in Polen mit expliziter Ausnahme des sozialistischen Lagers inspiriert sein sollte.73 Dass so von einem gemeinsamen Programm der Opposition gesprochen wurde, aber das postrevisionistische Spektrum vor allem des KOR ausgespart wurde, reiht sich in die zuvor geschilderten Auseinandersetzungen ein. Raum für eine Entfaltung dieses natürlichen Zusammenhangs bot im Denken der Autoren nur der souveräne Nationalstaat.74 Souveränität und Unabhängigkeit waren in diesem Denken sich bedingende und kaum zu trennende Postulate einer innen- und außenpolitischen Betrachtung des polnischen Status quo. Die Sowjetunion stellte dabei eine Bezugsgröße als Hegemon im Äußeren und als Garant der Parteiherrschaft im Inneren dar, so dass die Volksrepublik Polen kein polnischer Staat, sondern nur Ergebnis einer Fremdherrschaft war. Waren die polnischen Kommunisten an dieser Fremdherrschaft beteiligt und so diskreditiert, wurde auch postrevisionistischen Dissidenten ein Beitrag zur Zukunft abgesprochen. Wer zur „Gemeinschaft“ der Nation und so auch der Opposition gehörte, entschieden folglich Hall und seine Mitstreiter. Ähnlich verortete sich die Konföderation für ein unabhängiges Polen in der polnischen Geschichte, besonders der Adelsrepublik. Die Namensgebung rückte die Gruppe in die Tradition der Konföderationen, also das Recht des polnischen Adels, des Klerus und der Städte, sich zur Erreichung eines politischen Ziels – meist gegen den König – zusammenzuschließen. Diese aus dem klassischen Widerstandsrecht abgeleitete Vorstellung war für das Selbstverständnis und die  71 Ebd. 72 Ebd. 73 Ebd., S. 15. 74 Ebd., S. 10–13.

78  Aufbrüche mit der Nation Argumentation der KPN grundlegend. Obwohl die Nation ein zentrales Argument in der Sinnwelt der KPN darstellte, wurde ihre Form nur eher beiläufig diskutiert. Leszek Moczulski merkte in seiner grundlegenden Schrift an, dass die Nation als personalistisch verstandene Gemeinschaft und die Würde des Einzelnen Ausgangspunkt einer moralischen Erneuerung Polens seien.75 Seine durchgängige Vorstellung einer Symbiose von Staat und Nation setzt sich in der Gründungsakte der KPN fort, die den Staat als gemeinsamen Wert festschreibt und auf einer katholischen Moral gründet.76 So postulierte auch die KPN die Ablehnung der zeitgenössischen polnischen Staatlichkeit, argumentierte aber – im polnischen politischen Denken durchaus ungewöhnlich – mit einer zu schaffenden Staatlichkeit als Weg und Ziel für die Zukunft. Diese Vermischung verschiedener klassischer und idealtypischer Vorstellungen, wie der Kulturnation und des Staatsvolkes77, musste aber in den Details dessen, was eine Nation ausmachen könnte, unscharf bleiben. Bis in den Herbst 1980 entwickelte die Konföderation für ein unabhängiges Polen keine Wirkung und blieb marginalisiert und sogar weitestgehend unbekannt.78 Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgte Jan Józef Lipski, Literaturwissenschaftler und Gründungsmitglied des KOR. Er führte die verschiedenen Auftaktdiskussionen der neuen polnischen Opposition zusammen und legte 1981 mit seinem Essay Zwei Vaterländer – zwei Patriotismen einen der wohl wirkmächtigsten Texte des polnischen politischen Denkens seiner Zeit vor, der auch außerhalb Polens und gerade im Samizdat wahrgenommen wurde.79 Ungewöhnlich war daran, dass Lipskis im unabhängigen Verlag NOW-a erschienener Essay auch in offiziellen Medien diskutiert wurde und trotz seiner Sprengkraft nicht ausschließlich diffamiert wurde.80 Sein Ansatz fußte darauf, Begriffe wie

 75 Robert Leszek Moczulski: Rewolucja bez rewolucji, o.O. o.J. [1979], S. 21. 76 Konfederacja Polski Niepodległej: Akt Konfederacji Polski Niepodległej, in: Dies., Akt/Deklaracja/Tymczasowy statut, o.O. o.J., unpaginiert. 77 Krystyna Rogaszewska: Główne wartości myśli programowej Konfederacji Polski Niepodległej, in: Krystyna A. Paszkiewicz/Bronisław Pasierb (Hrsg.): Współczesna polska myśl polityczna. Wybrane ośrodki, koncepcja, system wartości, Breslau 1996, S. 187–200, hier S. 193. 78 Friszke: Opozycja polityczna, S. 481. 79 Vgl. Die Übersetzungen im Samizdat: Jan Józef Lipski: Két haza – két hazafiság. Megjegyzések a lengyelek nemzeti megalomániájáról és xenofóbiájáról, in: Máshonnan Beszélő [Samizdat], 1/1 (1985), S. 36–56. In westlichen Zeitschriften: Ders.: Two Fatherlands – Two Patriotisms, in: Survey, 26/4 (1982), S. 159–175; Ders.: Zwei Vaterländer – zwei Patriotismen. Bemerkungen zum nationalen Größenwahn und zur Xenophobie der Polen, in: Kontinent. OstWest-Forum, 8/22 (1982), S. 3–48. 80 Gotthold Rhode: Einführung, in: Kontinent. Ost-West-Forum, 8/22 (1982), S. 3–6, hier S. 3f.

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Vaterland oder Patriotismus nicht aus sich selbst heraus zu erklären, sondern diese Selbstzuschreibung als Abgrenzung und Relation zum Fremden zu begreifen.81 Lipski argumentierte, dass ein moralisch fundierter Patriotismus in christlich geprägten Kulturen von der Vorstellung der Nächstenliebe beeinflusst sein müsse, was eine kategorische Unvereinbarkeit mit „Chauvinismus, nationaler Großmannssucht, Fremdenhass“ nach sich ziehe. Positiv gewendet hieß dies für ihn: „Der Patriotismus entspringt der Liebe – und zur Liebe soll er führen; jegliche andere Form des Patriotismus ist eine ethische Missbildung.“ 82 Auf die oben besprochenen Debatten, aber auch einen allgemeinen polnischen Sprachgebrauch gemünzt, führte er weiter aus: „‚Liebe zu allem was polnisch ist‘ – das ist eine häufige Formel nationaler, ‚patriotischer‘ Dummheit.“ Denn polnisch waren in diesem Sinne beispielsweise auch antisemitische Pogrome und Gräuel gegen Ukrainer im Zweiten Weltkrieg.83 Patriotismus sei eine bewusste Auswahl und eben nicht eine bloße Wertschätzung für Geschichte und Tradition des eigenen Landes. Eine solche Selektion gieße „Öl ins Feuer des nationalen Größenwahns“, wenn Negatives aus der nationalen Geschichte getilgt werden solle. Lipski hingegen reihte nicht nur die Schuld und Verfehlungen in das angestrebte Selbstbild der polnischen Nation ein, sondern wendete diesen Prozess der Selbstreflexion selbst als Weg zu einem „nationalen Ethos“.84 Lipski diagnostizierte diesen verengten „nationalen Größenwahn“ vor allem in der offiziellen Presse.85 Über die Partei hinaus sei dieser Nationalismus aber auch in der unabhängigen Presse Polens, also in der Opposition und den Zeitschriften des Zweiten Umlaufs, zu finden.86 Am Beispiel des Geistes, der belebt und der umstrittenen Verbindung von Katholizismus und Polentum unterschied er die Diskursethik der jeweiligen Autoren, also das jeweilige Verhältnis einer Position zu ihren Gegenstandpunkten. So hatte er an der Hevorhebung des Katholizismus in der polnischen Kultur nichts grundsätzlich auszusetzen.87 Gefährlich und weiter verbreitet dagegen sei aber die Vorstellung, nur ein Katholik könne auch ein wahrer Pole sein. Dagegen bemühte Lipski sich um eine allgemeinere Perspektive.88 Die Abgrenzung einer Kultur nach außen, „der Kult

 81 Lipski: Dwie ojczyzny, S. 3. 82 Ebd., S. 4. 83 Ebd. 84 Ebd., S. 5. 85 Ebd., S. 6. 86 Ebd., S. 7. 87 Ebd., S. 25. 88 Vgl. ebd., S. 26f.

80  Aufbrüche mit der Nation der ‚Eigenheit‘“89 also, schütze keineswegs vor kurzzeitigen Moden oder schädlichen Einflüssen, sondern verenge bloß den kulturellen Horizont einer Nation. Jan Józef Lipskis Beitrag in dieser Diskussion ist vielseitig und in seine Bedeutung kaum zu unterschätzen. Andere Aspekte seines Essays werden daher auch im vierten Kapitel dieser Arbeiten behandelt. Lipski widersprach nicht nur allen bisherigen Äußerungen in Details und historischen Argumenten, sondern hinterfragte auch die Verbindung von philosophischer Betrachtung und politischer Argumentation. Indem er weder Nation noch Patriotismus legitimieren wollte, öffnete er die Möglichkeit einer semasiologischen Betrachtung dieser Begriffe, also einer Betrachtung, die alle unterschiedlichen Gebrauchsmuster und Kontexte der Begriffe umfasst. So gewann Nation an Pluralität und verlor an sinnstiftender und essentieller Wahrheit. Lipski selbst positionierte sich vor allem zu konkreten Positionen und machte deutlich, dass er einen Dialog beispielsweise mit einem antisemitischen Nationalismus für unmöglich und unnütz hielt.90 So wird letztlich deutlich, dass sich Lipskis Beurteilung von Vaterland und Patriotismus nicht an Begriffen selbst festmachen lässt, sondern am Inhalt, mit dem sie gefüllt werden. Sein „aufgeklärter Patriotismus“91, wie ihn Jan C. Behrends nannte, ist aber vor allem keine Zusage an einen wie auch immer gearteten Patriotismus, sondern umriss mit der christlichen Nächstenliebe den moralischen Rahmen, in dem Patriotismus unterstützenswert wurde.

2.1.3 Eine neue Ordnung der Opposition In der Suche nach Konzepten und Gemeinschaftsvorstellungen projizierten polnische Oppositionelle nach dem oppositionellen Aufbruch des Sommers 1976 bekanntes Denken auf ihre gegenwärtige Wirklichkeit. Neben der Verhandlung weltanschaulicher Fragen diente der Begriff der Nation dabei zur programmatischen Abgrenzung von Positionen. Es ist deutlich geworden, dass die Bewertung des Begriffs Nation entlang einer politischen Rechts-LinksPolarisierung verlief, die auch für die Akteure selbst ihre Sinnwelt rahmte. Für die verschiedenen konservativen Beiträge aus dem Kreis des ROPCiO war die

 89 Ebd., S. 27. 90 Ebd., S. 7. 91 Jan C. Behrends: Jan Józef Lipskis europäischer Traum. Zur Geschichtskultur in Polen, Russland und Deutschland nach 1989, in: Themenportal Europäische Geschichte. http://www.europa.clio-online.de/Portals/_Europa/documents/B2007/E_Behrends_Lipski.pdf (letzter Aufruf 28.04.2015), S. 2.

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Nation bei allen Nuancen eine existierende Gemeinschaft, die es zu stärken galt, die gleichzeitig Weg und Ziel eines neuen Polen nach der Parteiherrschaft war. Wie für den polnischen Konservatismus nicht untypisch, bezog sich diese Gemeinschaft auf Werte und nicht auf eine ethnische Zusammengehörigkeit.92 Dem stand eine Betrachtung linker und liberaler Kritiker wie Jacek Kuroń und Jan Józef Lipski gegenüber, die dem Nationalismus grundsätzlich fern standen und die Nation als ordnungsstiftende Vorstellung nur bedingt nutzen konnten. Sie warnten vor den Gefahren des Nationalismus, stellten aber ebenso einen Zusammenhang zwischen Werten und der Nation dar. Wenn in ihrem Denken Werte die Nation ermöglichten, stand dies dem konservativen Ansatz einer Werte schaffenden Nation grundsätzlich entgegen. In diesem Gegensatz fand sich die unterschiedliche Haltung zum katholischen Glauben und seiner Integration in die polnische Nation wieder. Während liberale Kritiker einer religiös motivierten Nation die Vielfalt polnischer Traditionen betonten, verwiesen national-konservative Oppositionelle teils affirmativ, teils kritisch reflektierend auf Roman Dmowskis Diktum vom „Polen – Katholiken“ und hatten nach der Wahl Karol Wojtyłas zum Papst 1978 ein Momentum national-religiöser Aufbruchsstimmung auf ihrer Seite. Im Bratniak nahm die Nation zudem nicht nur katholische, sondern gar transzendente Züge an. Dabei vermischen sich ein pathetischer und moralisch aufgeladener Nationalismus mit katholischem Integralismus, der religiöse Deutungen in das Zentrum seiner Wahrnehmung und folglich auch der Nation rückte. Eine Sonderstellung in diesen Debatten nahm strukturell wie auch inhaltlich die Polnische Unabhängigkeitsverständigung ein, die zwar die Nation als Tatsache begriff, darunter aber eine voluntaristische Gemeinschaft verstand, deren Mitglieder weitestgehend katholisch waren. Diese Perspektive vermittelte in gewisser Weise zwischen linken und konservativen Positionen und gründete die Nation auf Freiheit und staatliche Unabhängigkeit. Eine spezifisch oppositionelle Prägung dieses Diskurses wurde in der Verbindung der Nation mit den Menschenrechten deutlich. Eine solche Überformung traditioneller Denkmuster ist nicht nur dem Denken der Zeit, sondern auch den Kernanliegen der Opposition geschuldet, schließlich muss der Nationsdiskurs als Aspekt oppositionellen Handelns verstanden werden und nicht als davon losgelöstes Thema. Dadurch war die Aushandlung des Begriffes Nation nicht nur von der Struktur des oppositionellen Spektrums berührt, sondern beförderte dessen Ausdifferenzierung selbst. Zwar ist grundsätzlich ein rhetori-

 92 Kucharczyk: Polska myśl polityczna, S. 146.

82  Aufbrüche mit der Nation scher Konsens zu erkennen, der gesellschaftlichen Pluralismus auch in der Opposition anerkannte und auch in der Wortwahl zur Nation eine gegenseitige Anschlussfähigkeit der Akteure beinhaltete. Bemerkenswert ist zudem eine geradezu freundschaftliche Diskussionsatmosphäre über Lagergrenzen hinweg, die auf der expliziten Anerkennung konträrer Positionen basierte. Aleksander Hall und Jacek Kuroń formulierten diesen Anspruch, zeigten ihm zugleich aber in der Auseinandersetzung über die Nation Grenzen auf. Rhetorik und diskursive Pragmatik widersprachen sich so deutlich. Statt des immer wieder bekräftigten Pluralismus stellten exkludierende Denkmodelle in Frage, ob der jeweilige Opponent legitimes Mitglied der Opposition oder stärker noch der Nation sein könne. Oppositioneller Pluralismus war sowohl ein verbindliches Postulat als auch ein offenes Konzept, dessen Reichweite in der neuen Opposition ausgehandelt werden musste. Betrachtet man Aleksander Hall als Exponenten einer solchen Radikalität, lässt sich erkennen, dass oppositioneller Zusammenhalt als schützenswert erachtet wurde. Halls Äußerungen zur Nation waren durchgängig konservativ antiliberal und teils auch überhöhend nationalistisch. Durch den Widerspruch Jacek Kurońs und dessen lehrmeisterlichen Duktus zu einer erneuten Positionierung gezwungen, revidierte Hall seine Aussagen zwar nicht, band sie aber stärker als zuvor an oppositionelle Kernthemen wie die Menschenrechte an. Dieses Anpassungsvermögen ist im Sinne pragmatischer Theorie als Erschließung neuer Handlungsmöglichkeiten zu verstehen93 und zeigt, dass der Zweite Umlauf nicht auf das intellektuelle Räsonnement beschränkt blieb, sondern auch einen pragmatischen oppositionellen Kommunikationsraum darstellte. Strategiefragen und Programmdiskussion standen zunächst kaum im Kontext einer konkreten Handlungsanleitung, waren die Gruppen doch personell auf einen kleinen Personenkreis beschränkt und hatten zunächst wenig öffentliche Breitenwirkung. So illustrieren diese frühen Texte, die nicht zwingend dem zeitlichem Kontext ihrer Veröffentlichung entstammen, sondern teilweise auch zuvor in den sprichwörtlichen Schreibtischschubladen warteten94, einen Selbstvergewisserungs- und Selbstfindungsprozess oppositioneller Akteure.

 93 Vgl. zur soziologischen Theoriebildung in Anwendung auf die polnische Opposition: Hella Dietz: Opposition der Siebziger in Polen. Ein Beitrag zur Integration neuerer Theorien sozialer Bewegungen, in: European Journal of Sociology, 49/2 (2008), S. 207–252. 94 Vgl. die Bemerkung des Tygodnik Mazowszy aus dem Jahr 1983, es seien schon keine Manuskripte mehr in Schubläden vorhanden, weil man diese Texte alle veröffentlicht habe. Wydawanie książek to bacyl. Wywiad z przestawicielem wydawnictwa „Krąg“, in: Tygodnik Mazowszy [Samizdat], 14.04.1983, S. 2.

Vom Sinn der tschechischen Nation  83

2.2 Vom Sinn der tschechischen Nation Anders als in Polen entwickelte die tschechoslowakische Oppositionsbewegung zunächst keine festen Strukturen. War die Charta 77 ein vergleichsweise allgemeiner Appell, so waren die inhaltlichen und weltanschaulichen Hintergründe ihrer Unterzeichner höchst unterschiedlich. Diese programmatische Offenheit ließ die Charta 77 zu einem Ausgangspunkt und Rahmen für weitere Aktivitäten werden, ohne dass dieses Handeln durch den Menschenrechtsappell schon konkret vorgegeben gewesen wäre. Eine Spaltung der Opposition in verschiedene Gruppierungen entlang politischer Richtungen und einzelner Konzepte konnte man so in der Tschechoslowakei nicht auf den ersten Blick erkennen, waren die Akteure der Opposition doch einzeln aktiv, als Philosophen und Dissidenten, und durch das Spektrum der Charta 77 oder noch allgemeiner durch den Samizdat eher lose miteinander verbunden. In dieser frühen Phase des intensivierten Samizdat zum Ende der 1970er Jahre und seines Suchens nach Leitlinien oppositionellen Handelns bedeutete dies eine grundsätzliche Offenheit oppositioneller Debatten. Im Folgenden wird zu zeigen sein, wie diese Suche nach Form und Struktur der Opposition auch eine Suche nach der Nation sein konnte.

2.2.1 Jan Patočka und das „kleine“ Tschechentum Zweifelsohne waren Philosophen und politische Denker prägende Figuren der neuen Opposition in Ostmitteleuropa seit Ende der 1970er Jahre. Doyen dieser Philosophenkönige, wie Barbara J. Falk diese Denker in Anlehnung an Platons Politea nannte, war in der Tschechoslowakei der Prager Phänomenologe Jan Patočka, der zu den ersten Sprechern der Charta 77 gehörte und sie mit seinen Abhandlungen zur Wahrheit entscheidend prägte.95 Der 1907 geborene Patočka hatte zunächst in Prag, dann an der Sorbonne und in Freiburg bei Henri Bergson, Edmund Husserl und Martin Heidegger Philosophie studiert. Erst 1968 erhielt er eine Professur an der Karlsuniversität, nachdem er zuvor in kleineren Instituten und Akademieverlagen beschäftigt gewesen war.96 Im Zuge der sogenannten Normalisierung wurde er 1972 auf diesem Posten zwangspensioniert. Bereits in den 1930er Jahren formulierte Patočka erste Gedanken zur tschechi 95 Vgl. Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 242–247. 96 Petr Pospíchal: Jan Patočka, in: Daniel/Gluza (Hrsg.): Słownik dysydentów. Bd. 1, S. 183– 186, hier S. 185.

84  Aufbrüche mit der Nation schen Nation und erhob einen universellen Humanismus zu ihrem Ideal97, ganz in Anknüpfung an den Staatsgründer und ersten Staatspräsidenten der Tschechoslowakei, Tomáš Garrigue Masaryk. Das Scheitern der Reformutopie des Prager Frühlings bedeutet für Patočka einen spürbaren Einschnitt in seiner Haltung zur Nation und prägte sein philosophisches Spätwerk deutlich. In der Verarbeitung dieses persönlichen und kollektiven Traumas verfasste er nun vermehrt Reflexionen zur Geschichtsphilosophie und speziell zur tschechischen Geschichte und entwickelte im Zusammenspiel aus historischer Anschauung und abstrahierender Analogiebildung ein neues Konzept der tschechischen Nation.98 Patočka reflektierte die vermeintliche Problematik von Brüchen und Kontinuitäten der tschechischen Nation und polemisierte mit den klassischen Positionen tschechischen Geschichtsdenkens, wie sie im Streit über den Sinn der tschechischen Geschichte seit der Jahrhundertwende formuliert worden waren.99 In diesem klassischen Deutungskonflikt Tschechiens stand ein Modernisierungsnarrativ, das vom Hussitentum ausging und dies mit dem Masaryk’schen Humanismus verband, einem katholisch-konservativen Versuch, den böhmischen Adel ins Zentrum der nationalen Geschichte zu rücken, gegenüber. Patočka durchbrach diese Dichotomie in seinem 1973 in deutscher Sprache verfassten Traktat Was sind die Tschechen?100. Dabei unterschied er zwischen kleinen und großen Nationen, wobei es sich nicht um eine quantitative Bewertung handelte, sondern um eine inhaltliche. „Die Größe eines Volks hängt zwar oft mit der Größe seines Territoriums zusammen, aber nicht unmittelbar, sondern durch eine Aufgabe vermittelt, die mit der Größe in einem ursprünglichen Zusammenhang steht.“101 Eine solche Aufgabe umzusetzen, bedeutete, wie Patočka am Beispiel der Vereinigten Staaten oder Russlands ausführte, die ei-

 97 Jan Patočka: Myšlenka vzdělanosti a její dnešní aktuálnost, in: Kritický měsíčnik, 1/6 (1938), S. 241–253. 98 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 243. Diese Schriften wurden wiederholt im Samizdat nachgedruckt. 99 Miloš Havelka: „Smysl“, „Pojetí“ a „Kritiky Dějin“. Historické „identita“ a historické „legitimizace“ (1938–1989), in: Ders. (Hrsg.): Spor o smysl českých dějině. 1938–1989, Prag 2006, S. 7–60, hier S. 35. 100 Patočkas Text entstand ursprünglich 1973 als Reihe von Briefen an eine in der Bundesrepublik lebende Freundin und aus diesem Grund in deutscher Sprache. Eine überarbeitete Zusammenfassung in Form eines Essays konnte er vor seinem Tod nicht abschließen, sie erschien erst 1989 in Übersetzung im tschechischen Samizdat. Vgl. Ders.: Schriften zur tschechischen Kultur und Geschichte, Stuttgart 1992, S. 359. 101 Ders.: Was sind die Tschechen?, in: Ebd., S. 29–106, hier S. 29.

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gene Weltsicht weiterzuverbreiten. Größe war damit eine Kategorie, die jenseits normativer Betrachtungen stand und nur Einfluss und Auswirkung der einzelnen Nation in der Welt wiedergab. Einige Jahre später spitzte Patočka in seinen im Samizdat mehrfach nachgedruckten Ketzerischen Essays102 diese „transcendence of production and reproduction“103 zu und deutete die Hussiten als Vergrößerung der tschechischen Nation. Diese neugewonnene Größe bestand nur im Streben nach Wahrheit, das allen staatlichen und weltlichen Konflikten unbeirrt trotzte. In ihrer modernen Form waren die Tschechen für Patočka jedoch ein kleines Volk. Dabei legte er einerseits eine bloß allgemeine und angenommene Kontinuität der Nation zugrunde und deutete andererseits den allgemein angenommenen Kontinuitätsbruch in der tschechischen Geschichte, also die Schlacht am Weißen Berg und den Sieg der Habsburger über die böhmischen Stände im Jahr 1620, ideengeschichtlich um. Indem die tschechische Nation in der Aufklärung und der damit einhergehenden josephinischen Bauernbefreiung aus einer sprachlichen Spaltung hervorgegangen war und nicht mehr landsmannschaftlich verfasst war, war sie für Patočka lediglich „eine Gesellschaft befreiter Sklaven“.104 Dieser „von unten“ gegründeten Nation fehlte es an Oberschichten, was die Tschechen zu einem Kampf um Gleichberechtigung zwang, der sich nach dem Ersten Weltkrieg und der Gründung der unabhängigen Tschechoslowakei nicht in ein gestaltendes Programm überführen ließ.105 Mit seiner Denkfigur einer im Barock und unter katholischen Vorzeichen entstandenen Nation106 verwarf er progressiv-hussitische Denktraditionen und widersprach folglich der nationalen Selbstwahrnehmung seiner Zeitgenossen. Gerade mit seinem sozio-strukturellen Erklärungsansatz positionierte sich Patočka im tschechischen Diskurs deutlich und wurde zugleich für Andere nur schwer anschlussfähig.107 Es war aber nicht das Entstehen der Nation „von unten“, das für Patočka ihre Kleinheit ausmachte, sondern ihre Haltung gegenüber Bedrohung und Krise. Dass die Tschechen für den Prager Philosophen eine solch tragische Existenz darstellten, lässt sich nur aus der Fokussierung von Was sind die Tschechen? auf  102 Ders.: Kacířské eseje. 103 Aviezer Tucker: Shipwrecked. Patočka’s Philosophy of Czech History, in: History and Theory, 35/2 (1996), S. 196–216, hier S. 204. 104 Patočka: Was sind die Tschechen?, S. 82. 105 Ebd., S. 32f. 106 Ebd., S. 70. 107 Petr Pithart: Der Philosoph als Ketzer. Kommentar zu Patočka, in: Transit, 1/2 (1991), S. 106–109, hier S. 108.

86  Aufbrüche mit der Nation das Jahr 1938 und das Ende der Ersten Republik durch das Münchener Abkommen erklären. Diese außenpolitische Krise, die im tschechischen Diskurs zumeist mit der Chiffre München wiedergegeben wird, bot für Patočka „eine einzigartige historische Chance“, für die Welt einzustehen und zu kämpfen, die Präsident Edvard Beneš jedoch „kläglich“ vergab.108 In dieser Argumentation spielte der Verlauf des Zweiten Weltkriegs keine exponierte Rolle, vielmehr war es die Passivität der Tschechoslowakischen Republik angesichts ihres drohenden Untergangs, die Patočka als tragisch und als Zeichen von „Kleinheit“ herausstellte. Bereits vor dem Einmarsch des Warschauer Paktes 1968 hatte er mit der Unfähigkeit der Ersten Republik gehadert, sich selbst zu verteidigen und so die „überkommene defensive und negative Nationalideologie“109 der vorstaatlichen Zeit zu überwinden. Patočka folgte dabei seinem Verständnis großer, also selbstbestimmter und missionarischer Nationen, wenn er schlussfolgert, dass „‚diese von oben‘ befreiten Knechte“ mit einer Republik, die sich gegen ihre äußeren Feinde und die Gleichgültigkeit der Welt nicht verteidigen konnte, „die Gelegenheit [verpassten], ihre Freiheit nachträglich selbstständig zu erringen.“110 Im Gegensatz dazu hatte das „Böhmische […] Größe, solange es Gelegenheit fand, seine Partikularität in den Dienst von Weltaufgaben zu stellen, so war es im Spätmittelalter. Es hatte Größe, solange das Tschechentum unthematisch blieb.“111 In dieser Darstellung des Topos München 1938 bezog sich der vom Normalisierungsregime drangsalierte Philosoph implizit auf die Krise des Jahres 1968 und suchte diese zu verarbeiten.112 Der Prager Frühling und der Versuch eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ verkörperten für Patočka eine konkrete Form von Größe einer Nation: „Eine Idee ist aufgetaucht, die gleichzeitig unsere ganze Existenz seit den Anfängen unseres modernen nationalen Daseins erklärt, zu den Bestrebungen der ganzen heutigen Menschheit beiträgt und die mögliche Zukunft vorwegnimmt.“113 Diese Idee sei nichts anderes als der „Weg zurück zum ursprünglichen Sinn des Sozialismus, nämlich der Befreiung des Menschen“114, also eine Verbindung von persönlicher Freiheit und sozialer Ord 108 Patočka: Was sind die Tschechen?, S. 102. 109 Ders.: Unser Nationalprogramm für die heutige Zeit, in: Ders.: Schriften, S. 19–25, hier S. 22. 110 Ders.: Was sind die Tschechen?, S. 105. 111 Ebd., S. 33. 112 Ernest Gellner: Wiedergeburt von unten. Jan Patočkas Tschechen, in: Transit, 5/8 (1994), S. 137–148, hier S. 147f. 113 Patočka: Unser Nationalprogramm, S. 25. 114 Ebd., S. 24.

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nung. Umso einschneidender war das Scheitern des Prager Frühlings durch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes und die darauf folgende sogenannte Normalisierung. Diese Erfahrung prägte Patočkas heftige, teils aggressive, Kritik des wiederholten Scheiterns tschechischer Politik, die letztlich eine Kritik dessen war, was in seinen Augen die qualitative „Kleinheit“ der tschechischen Nation ausmachte.115 Beide Ereignisse ließen sich zu einer Niederlage der Freiheit abstrahieren, in der Patočka den höheren Sinn der Nation ausmachte.116 In dieser Betrachtung der Krisenmomente der tschechoslowakischen Geschichte im 20. Jahrhundert – hinzu kam noch das Scheitern der Nachkriegsdemokratie 1948 – ignorierte Patočka externe oder internationale Faktoren: 1938, 1948 und 1968 erklärte er aus einer tschechischen Grundkonstitution und aus autonomen menschlichen Entscheidungen heraus, was mit einer harschen Kritik an seinen Landsleuten und ihrer Kleinheit einherging.117 Die Tragik des Tschechentums lag aber nicht bloß in seinem dreimaligen Scheitern; für Patočka lag die Tragik dieses Scheiterns ganz offensichtlich auch in seiner persönlichen Anschauung dieses Niedergangs. So war diese Zäsur für Patočka der Beginn einer nationalen Sinnsuche, mit der er eine immer wieder aufflammende Diskussion in oppositionellen Kreisen anregte.118 In der Desillusionierung stellte sich die Frage nach Alternativen zu diesem Scheitern, nach Auswegen aus der perpetuierten Niederlage. Ernest Gellner pointierte Patočkas Reflexionen als Suche zwischen „Masaryk oder Schwejk“119 und wies damit auf einen von zwei Aspekten der Sinnsuche hin. Schließlich handelte es sich nicht nur um eine Suche nach philosophischen oder inhaltlichen Anknüpfungspunkten in der tschechischen Geschichte, sondern auch nach konkret handelnden Vorbildern. Patočka selbst schätzte Masaryks Denken zur tschechischen Geschichte nur wenig, bewunderte dagegen dessen Unnachgiebigkeit und Einsatz.120 Er interpretierte Masaryk folglich vor dem Hintergrund seiner philosophischen Überlegungen zur Wahrheit und Authentizität neu und reduzierte ihn dabei auf eine abstrakte und performative Funktion. Authentizität stellt in Patočkas Philoso 115 Vgl. Tucker: Philosophy and Politics, S. 93f; Kopeček: Citizen and Patriot. 116 Jan Patočka: Der Versuch einer tschechischen Nationalphilosophie und sein Scheitern, in: Ders.: Schriften, S. 262–291, hier S. 291. 117 Kopeček: Citizen and Patriot; Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 242. 118 Vgl. Miloš Havelka: Dějiny a smysl. Obsahy, akcenty a posuny „české otázky“ 1895–1989, Prag 2001, S. 159; Kopeček: Citizen and Patriot. 119 Gellner: Wiedergeburt von unten, S. 145. 120 Patočka: Was sind die Tschechen?, S. 103f. Vgl. zur Ambivalenz gegenüber Masaryk: Gellner: Wiedergeburt von unten, S. 145.

88  Aufbrüche mit der Nation phie das Verfolgen und Aufrechterhalten der Wahrheit dar, also ein Leben in der Wahrheit. Letztlich bleibt der Begriff Wahrheit aber in seinem Gesamtwerk offen, denn Patočka zeigt mindestens zwei unterschiedliche Räume auf, in denen Wahrheit auftreten kann. Einerseits verwies er in den 1975 erschienenen Ketzerischen Essays auf eine politische und allgemeine Anwendbarkeit der Wahrheit, wogegen er andererseits im Nachwort seiner nur ein Jahr später in französischer Übersetzung neuaufgelegten Dissertation aus dem Jahr 1938 auf Grenzsituationen des Daseins abhob, in denen Wahrheit zu finden sei.121 Ob Wahrheit nun alltäglich oder liminal sei, wurde für die tschechoslowakische Opposition wiederholt zur Streitfrage. Entscheidend war nämlich, dass Patočka mit seiner Betonung der Wahrheit und der daraus folgenden Mahnung zur Authentizität eine moralische Kategorie prägte, die für die Dissidenz grundlegend werden sollte, für Teile der Opposition, wie zum Beispiel für den Dramatiker und Philosophen Václav Havel, gar den eigentlichen telos ihres Handelns ausmachte. Barbara J. Falk übertrug diese moralische Denktradition im Allgemeinen auf das Spektrum der Charta 77122, was im Weiteren zu überprüfen sein wird. In Verbindung mit seiner universellen und grundlegend moralischen Argumentation entwickelte Patočka den Masaryk’schen Humanitätsgedanken – in dem er einen Versuch erkannte, die menschliche Existenz aus der Marginalität in das Zentrum des Bewusstseins zu führen123 – weiter zu einem allgemeinen Anspruch, der über den nationalen Wirkungsraum hinausging. Authentizität ließ sich für Patočka, wie auch in seinen Überlegungen zu großen Nationen deutlich wird, nicht auf das Erreichen von Zielen beschränken, sondern musste nach Sinn und Verantwortung von Handeln streben.124 Inhaltliche Anregungen suchte Patočka für die tschechische Nation bei eher vernachlässigten tschechischen Denkern, allen voran Bernard Bolzano und Emanuel Rádl. Mit Bolzanos Landespatriotismus des frühen 19. Jahrhunderts und Rádls universellem Demokratismus der Zwischenkriegszeit knüpfte er an nicht-ethnische Konzepte der tschechischen Nation an125 und versuchte, eine territorial und folglich politisch basierte Identität der tschechischen Nation wiederzubeleben126, die über die Jahrhunderte verloren gegangen sei und schon lange keine Mehrheitsposition mehr darstelle. Auffällig an diesen historischen

 121 Tucker: Philosophy and Politics, S. 34–36. 122 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 244f. 123 Havelka: Dějiny a smysl, S. 164f. 124 Alexandra Laignel-Lavastine: Jan Patočka. L’Esprit de la dissidence, Paris 1998, S. 20. 125 Patočka: Was sind die Tschechen?, S. 76-78 und 100f. 126 Kopeček: Jan Patočka, S. 129.

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Vorbildern ist ihre – bei Patočka besonders hervorgehobene – Isolation und ihr mangelnder Anklang bei den Zeitgenossen. Sie repräsentierten vormoderne Nationskonzeptionen, die zwar in der Habsburgermonarchie Verbreitung fanden, dort aber ethnisch motivierte Konflikte zu entschärfen hatten. An den ethnolinguistischen Konfliktlinien, die, wie Tomasz Kamusella gezeigt hat, die Nationalitätenkonflikte in Ostmitteleuropa strukturierten127, lief diese Argumentation vorbei und konnte deren soziale Implikationen nicht erfassen. Auch in diesen abseitigen Klassikerverweisen findet sich wiederum der Erfahrungsraum eines in seiner Zeit marginalisierten Philosophen wieder, der als Phänomenologe gerade aus der Anschauung der Dinge heraus die Welt deutete. Patočkas Beiträge zur Philosophie der tschechischen Geschichte und Nation bilden kein abgeschlossenes Werk, was womöglich auch mit seinem überraschenden Tod zu begründen ist, zu dessen Zeitpunkt die zur Veröffentlichung vorgesehen Fassung von Was sind die Tschechen? noch nicht abgeschlossen war. Mit seinen Überlegungen reihte sich Patočka bewusst und kritisch in eine Kontinuitätslinie tschechischer Denker ein und übersetzte die Frage nach dem Sinn der tschechischen Geschichte in die oppositionelle Sinnwelt des Spätsozialismus.128 Anstatt eine Lösung dieser Frage zu präsentieren oder die Nation neu zu definieren, arbeitete Patočka eine Strategie heraus, wie sich die Tschechen zu neuer Größe hin entwickeln könnten. Nur durch Authentizität, also mit anderen Worten nur durch das Leben in der Wahrheit, sei Freiheit zu erreichen.129 Patočka verband Authentizität und politische Nation miteinander und verstand in diesem Sinne das Scheitern der tschechischen Nation, aus dem er seine Motivation, aber auch seine Inspiration zog, als ein Scheitern auf zwei Ebenen.130 Um die tschechische Kleinheit zu überwinden, mussten die Tschechen den Mut finden die eigene Freiheit und Demokratie zu verteidigen und den Sprachnationalismus abzulegen. Letztlich reduzierte Patočka damit als Phänomenologe die Nation auf eine erfahrbare und bekannte Gemeinschaft, die ihre Berechtigung erst dadurch erfahre, dass sie über sich selbst hinaus wirke. Seine Nation überschritt die Funktion des Begriffes als Selbstvergewisserung einer sozialen Gruppe und wurde zu einem mahnenden und universellen Auftrag. So löste sich die Nation von konkreten Menschen oder Gruppen und basierte auf dem Streben nach

 127 Tomasz Kamusella: The Politics of Language and Nationalism in Modern Central Europe, Basingstoke 2009. 128 Kopeček: Citizen and Patriot. 129 Patočka: Versuch einer tschechischen Nationalphilosophie, S. 291. 130 Gellner: Wiedergeburt von unten, S. 146.

90  Aufbrüche mit der Nation Authentizität und Moral, und verkörperte so das richtungsweisende Konzept oppositionellen Handelns, das Leben in der Wahrheit. In Patočkas Denken ließ sich also der Dissident oder der Oppositionelle nicht von einem „nationalen Auftrag“ trennen, genauso wenig wie sich die angestrebte „große“ Nation von der Opposition trennen ließ. Patočka starb im März 1977 unerwartet und vermutlich an den Folgen einer verschleppten Bronchitis und Überanstrengung. Sein Tod wurde jedoch mit einem zehnstündigen Verhör durch den Sicherheitsdienst und einer dadurch verursachten Hirnblutung in Verbindung gebracht, was möglicherweise eine bewusste Märtyrererzählung in den Kreisen der tschechischen Opposition darstellte.131 Er stellte die organisatorisch wie auch personell fragile Charta 77 vor das Problem, philosophische Leitlinien entwickeln zu müssen und die entstandene Lücke zu füllen.132 Die zwei bedeutendsten Versuche, einen Ausweg aus dieser Krise der Charta zu finden, Havels Macht der Ohnmächtigen und Václav Bendas Parallele Polis, standen sichtbar in dieser Tradition und interpretierten sie dennoch unterschiedlich. Während Havels Moralphilosophie vom Individuum ausging, suchte Benda einen abstrakten gesellschaftlichen Freiraum zu entwerfen, der durch eine legalistische Politik der kleinen Schritte erreicht werden könne.133 Anders als Patočka stellten diese beiden Ansätze aber keinen expliziten Bezug zur tschechischen Nation her und führten auch keine andere Konzeption von politischer Gemeinschaft an. Sie beschränkten ihre Überlegungen vielmehr auf das Individuum und argumentierten damit letztlich elitär134, ein Vorwurf, der auch Patočka gemacht werden konnte.135

2.2.2 Ein „Versuch über das Vaterland oder die Heimat“ Dieses Vakuums einer Gemeinschaftskonzeption in der tschechoslowakischen Opposition nahm sich 1979 der Jurist und Dissident Petr Pithart an und veröf-

 131 So in Widerspruch zu der seit 1977 in Presse und Wissenschaft verbreiteten Auffassung: Bolton: Worlds of Dissent, S. 158–160. 132 Tucker: Philosophy and Politics, S. 115. 133 Václav Benda: Parallel Polis, in: H. Gordon Skilling (Hrsg.): Civic Freedom in Central Europe. Voices from Czechoslovakia, Basingstoke 1991, S. 35–41. 134 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 249. 135 Aviezer Tucker spricht dabei sogar von einem antidemokratischen Elitismus in der Betrachtung der tschechischen Geschichte. Vgl. Ders.: Shipwrecked, S. 208.

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fentlichte in der Pariser Exilzeitschrift Svědectví136 einen Versuch über das Vaterland oder die Heimat. Aufbauend auf einem langen Exkurs über die Geschichte des tschechischen Nationsverständnisses näherte sich Pithart der tschechischen Nation über den Begrif ‚vlast‘, der sowohl Vaterland als auch Heimat bedeuten kann. Im Folgenden wird diese Offenheit und Begriffsdoppelung in Pitharts Formulierung mitzudenken sein.137 Es gehört zu den häufigen und bereits eingangs beschriebenen Kontakten zwischen Exil- und Samizdatliteratur, dass der Text des in der Tschechoslowakei lebenden Pithart in Paris gedruckt und daraufhin in Prag und anderen tschechoslowakischen Städten diskutiert wurde. Diese Diskussion spielte sich im Wechsel zwischen beiden Foren ab und war nicht auf den Nachdruck von Texten angewiesen, da offensichtlich Texte aus dem Exil, wenn auch mit Verzögerung, in die Tschechoslowakei gelangten. Dennoch lebten die Diskutanten meist in der Tschechoslowakei. Auch Pithart ging wie so viele Oppositionelle seiner Zeit von einer Krise sozialer Gemeinschaften unter dem Sozialismus allgemein aus, so dass die Nation sich in einer durch einen weit verbreiteten Egoismus ausgelösten Krise befinde. Dabei sei gerade „die Nation das, was wir bräuchten.“138 In seinem Versuch die Nation zu erneuern veränderte Pithart zwei Ausgangspunkte einer solchen politischen Gemeinschaft. Da der Begriff Nation selbst höchst problematisch und elitär behaftet sei, wählte er den schon in sich deutungsoffenen Begriff ‚vlast‘. Anders als die als Tatsache verstandene Nation sei das Vaterland oder die Heimat ein „kulturelles Werk“ und damit nie eindeutig oder „fertig“.139 Auch verkehrte Pithart die Logik einer Verantwortung für die Gemeinschaft, wenn er feststellte: „Das Vaterland ist es, das uns braucht.“140 Pithart orientierte seine Überlegungen an historischen Vorbildern und folgte dabei Patočka. Ausgehend von Rádls Gedanken zur osteuropäischen Prägung der tschechischen ethnolinguistischen Nationalidee reflektierte er die Grundlagen einer westlichen, einer politischen Nation und erkannte in ihr einen „Bund von Menschen, der  136 Svědectví druckte seit Beginn der 1970er Jahre zunehmend auch Texte von Autoren, die noch in der Tschechoslowakei lebten, und wurde im Taschenbuchformat, teilweise auch als Výběr z Svědectví [Auswahl aus Svědectví], ins Land geschmuggelt. Daniel/Gluza (Hrsg.): Słownik dysydentów. Bd. 1, S. 132f. 137 Vgl. ‚vlast‘, in: Československá Akademie Věd (Hrsg.): Slovník spisovného jazyka českého, Bd. 4, V–Ž, Prag 1971, S. 108. Michal Kopeček wählt in seiner englischsprachigen Behandlung des Textes beispielsweise die Übersetzung „Attempt of homeland“. Vgl. Ders.: Citizen and Patriot. 138 Petr Pithart: Pokus o vlast, in: Svědectví, 15/59 (1979), S. 445–464, hier S. 445. 139 Ebd., S. 446. 140 Ebd., S. 445.

92  Aufbrüche mit der Nation sich aus praktischen Gründen unter einer Institution organisiert hat“.141 Ein solches Gemeinwesen funktioniere, so Pithart weiter, nur über die Loyalität des Einzelnen gegenüber dem Gesetz und dem Staat als solchen. Gerade diese Loyalität aber sei in der Tradition der tschechischen Nation nicht verankert. Auch die im tschechischen Diskurs als Beispiel einer politischen Nation angeführte Erste Tschechoslowakische Republik orientierte sich nach Pithart nicht an der Loyalität ihrer Staatsbürger, sondern versuchte, die Slowaken in eine tschechische Staatsnation zu assimilieren und Deutsche und Ungarn zu marginalisieren.142 Eine exkludierende Nation, unabhängig davon, ob sie sich auf Sprache oder nach 1945 auf die Klasse als Identifikationskategorie beziehe, sei aber nur „eine Erscheinungsform unserer Unfähigkeit, den Widerwillen gegenüber dem Staat als Gelegenheit für Alle, als Bürgerstaat, zu überwinden.“143 Dieser politischen Vergemeinschaftung durch Abgrenzung hielt Pithart eine moralische Sinnstiftung entgegen und verwies dazu auf Bolzano, den maßgeblichen Vertreter eines böhmischen Landespatriotismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts, und den bereits diskutierten Patočka.144 Brisant daran war, dass er sein mutmaßlich dissidentisches Konzept auf eine, wie auch immer geartete, Staatlichkeit ausrichtete. Pitharts „Bürgerstaat“ und sein Vertrauen auf das moralische Potential des Staates widersprachen den repressiven Erfahrungen nonkonformer Denker während der Normalisierung und folgten dennoch der Programmatik der neuen Opposition. Ein „Bürgerstaat“ bedeutete nämlich in Pitharts Verständnis, den Staat zu ignorieren und die Gesellschaft direkt anzusprechen, wie es Adam Michniks Neuer Evolutionismus eingeführt hatte und auch weitere Kernkonzepte oppositioneller Antipolitik später nahelegen sollten. Pithart übertrug so das oppositionelle Leben als ob auch auf ein Denken als ob man in Freiheit lebe. Der neue Begriff der ‚vlast‘ war so eher ein „zweifelnder und anspruchsvoller Appell als eine Selbstaussage“.145 Pitharts „Bürgernation“146 argumentierte mit dem Wohl aller Menschen und ihrer fundamentalen Gleichheit, unabhängig davon, ob sie Tschechen oder Slowaken, Katholiken oder Protestanten, Dissidenten oder Regimetreue seien.147 Dies verstand Pithart nicht nur als Kritik an der tschechischen Nation, sondern

 141 Ebd., S. 450. 142 Ebd., S. 452. 143 Ebd., S. 453. 144 Ebd., S. 457. 145 Ebd., S. 460. 146 Ebd., S. 459. 147 Ebd., S. 460 und 463.

Vom Sinn der tschechischen Nation  93

an Partikularismen überhaupt. Der Versuch über das Vaterland oder die Heimat sollte so ein „Bekenntnis zur Tradition des europäischen Westens“ oder ein Plädoyer für „Toleranz, Solidität, Ehrlichkeit, Anstand und eine Aufforderung, die sich an den heutigen Funktionär und an den Chartisten richten würde, an den Exilanten und den Mitarbeiter der Staatssicherheit. Ja sogar an ein Mitglied des ‚Trabant-Klubs‘“.148 Mit anderen Worten entwarf Pithart ein politisches Projekt, das sich auf einer anderen Ebene als die Nation im herkömmlichen Sinne bewegte: es zielte nicht nur darauf gesellschaftliche Differenz zu überwinden, sondern diese grundsätzlich zu ermöglichen. Damit griff er Patočkas Postulate der Authentizität und Universalität auf und übertrug sie auf eine politische Gemeinschaft, die weder nach Natürlichkeit noch nach absolutem Sinn strebte, sondern nur ihren Mitgliedern dienen sollte. Geradezu beiläufig erklärte Pithart dabei das Scheitern traditioneller Konzepte einer tschechischen und tschechoslowakischen Nation und forderte damit die Traditionen tschechischen politischen Denkens heraus. Besonders deutlich wurde dies an der Frage der Loyalität des einzelnen Bürgers gegenüber dem eigenen Staat, an der es in der tschechischen Geschichte und Gegenwart ganz grundsätzlich gefehlt habe und immer wieder fehle.149 Pitharts Fundamentalkritik tschechischer Nationsvorstellungen evozierte bald grundsätzliche Einwände. Diese betrafen zum einen die historische Herleitung des Versuchs über das Vaterland oder die Heimat und zum anderen seine konkrete Umsetzung unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus. So kritisierte Jan Sýkora 1982 in der Samizdat-Zeitschrift Kritický Sborník (Kritischer Sammelband) Pitharts Ausführungen zum Fehlen politischer Konzepte der Nation in Tschechien und hielt Pithart den Begründer der wissenschaftlichen Slawistik Josef Dobrovský als Beispiel vor150, der einen kulturellen Landespatriotismus vorgeschlagen habe.151 Jaroslav Mezník hingegen zog Pitharts argumentative Unterscheidung zwischen westlich und östlich inspirierten Nationskonzepten in Zweifel und suchte dessen Argumentation so metho-

 148 Ebd., S. 464. 149 Ebd., S. 451. 150 Jan Sýkora: Pithartův „Pokus o vlast“ a totalitní tendence v Chartě 77, in: Kritický Sborník [Samizdat], 1/1 (1982), S. 67–85, hier S. 73. 151 Vgl. Michal Kopeček: Josef Dobrovský, Concerning the Constant and Enduring Allegiance of the Slav Peoples to the Haus of Austria, in: Balázs Trencsényi/Michal Kopeček (Hrsg.): Discourses of Collective Identity in Central and Southeast Europe (1770–1945). Text and Commetaries, Bd. 1. Late Enlightenment – The Emergence of the Modern National Idea, Budapest 2006, S. 97–103.

94  Aufbrüche mit der Nation disch zu widerlegen.152 Solche Zurechtweisungen und Gegendarstellungen lassen sich durchgängig bei Pitharts Kritikern finden und kennzeichnen ganz grundsätzlich die Debatten über Geschichtsphilosophie im tschechischen Samizdat. Offensichtlich waren Pitharts alternative Bezugspunkte wie Bolzano, Rádl und auch der sonst oft angeführte Patočka kaum anschlussfähig im oppositionellen Diskurs und ließen auch Pithart damit zu einem problematischen Denker werden. Dagegen waren eigene Standpunkte, die mit Pitharts eigentlichem Vorhaben konkurrierten, nur selten zu finden. So wurde bei Sýkora und Mezník zum Beispiel nur deutlich, dass sie die Tradition der Ersten Tschechoslowakischen Republik und deren vermeintlich politische Nationsvorstellung vor Pitharts Kritik schützen wollten.153 Sýkora bekannte sich darüber hinaus nicht nur zu Masaryks Staatsidee des Humanismus, sondern auch zum umstrittenen Tschechoslowakismus, also der Konstruktion einer gesamtstaatlichen Doppel-Nation.154 Damit bezog er zweifelsohne eine Außenseiterposition, sowohl im tschechischen Geschichtsdenken, das sich auf die böhmisch geprägte Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts berief und den Tschechoslowakismus weitestgehend ignorierte, als auch zeitgenössisch in der zum Ende der 1970er Jahre fast ausschließlich tschechischen Oppositionsbewegung. Der Rekurs und die Exegese solcher Klassiker überdeckten zwei andere Dimensionen dieser Kritik, die in einem weiteren Sinne die Programmatik der tschechischen Opposition betraf. So kritisierte Václav Polanský den Realitätsbezug von Pitharts Überlegungen. Sie seien zwar unter demokratischen Bedingungen erstrebenswert und umsetzbar, verfehlten unter den Bedingungen in der normalisierten Tschechoslowakei aber ihre Wirkung gänzlich.155 Auch in Diskussionsrunden, die Oppositionelle in Brünn abhielten und deren Gesprächsprotokolle später im Samizdat abgedruckt wurden, wurde immer wieder auf die „kleine Arbeit“ als einzig gangbaren Weg oppositionellen Handelns verwiesen, also auf eine Politik der kleinen Schritte statt großer Konzepte.156  152 Jaroslav Mezník: Pokus o vlast? Pojmy a fakta v pojetí Petra Pitharta, in: Pokus o vlast. Diskuse, o.O. 1980, S. 59–81, hier S. 59–67. 153 Sýkora: Pithartův „Pokus o vlast“, S. 80; Mezník: Pokus o, S. 81. 154 Sýkora: Pithartův „Pokus o vlast“, S. 73f. Vgl. zum Tschechoslowakismus: Elisabeth Bakke: The Making of Czechoslovakism in the First Czechoslovak Republic, in: Martin Schulze Wessel (Hrsg.): Loyalitäten in der Tschechoslowakischen Republik. 1918–1938. Politische nationale und kulturelle Zugehörigkeiten, München 2004, S. 23–44. 155 Václav Polanský [Jiří Kantůrek]: Rizika „pokusu o vlast“, in: Listy, 10/2 (1980), S. 30–34, hier S. 31. 156 So der bereits zitierte Mezník in: Druhá diskuse v Brně. 7. června 1980, in: Pokus o vlast. Diskuse, S. 195–225, hier S. 195–197. Solche Debatten wurden oftmals auf Kassetten und Ton-

Vom Sinn der tschechischen Nation  95

Auch dies stellte einen Rückgriff auf die Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts dar, die den Oppositionellen für diese Frage als Vorbild ausgesprochen präsent war. Božena Komárková kontrastierte diese kleine Arbeit hart mit dem Leben als ob, und so mit der Annahme, man könne durch die offensive Anwendung von Grundrechten diese verwirklichen. Eine Vorwegnahme von Rechten berge schließlich die Gefahr, die Perspektive der Staatsmacht zu übernehmen, die ja gleichsam behaupte, dass bürgerliche Freiheitsrechte im Sozialismus gewahrt seien.157 Als Philosophin, die seit zehn Jahren mit Berufsverbot belegt war, bezweifelte Komárková, dass der Alltag in der Tschechoslowakei überhaupt die Möglichkeiten eines solchen widerständigen Handelns biete.158 Mit dieser persönlich gefärbten Einschätzung stellte sie, wenn auch nicht völlig stringent, ein Grundtheorem der demokratischen Opposition in Frage, wie es in Havels Macht der Ohmächtigen richtungsweisend vorgedacht wurde. Diese Kritik fokussierte aber nur zu einem Teil die Durchsetzbarkeit oder die Erfolgschancen oppositionellen Handelns, sondern fragte weiterführend nach einem grundlegenden Verständnis von Opposition. Komárková polemisierte dabei heftig gegen die im Leben als ob und auch in Pitharts Versuch über das Vaterland oder die Heimat erkennbaren Elemente einer elitären und vor allem intellektuellen Opposition.159 Sie spielte damit auf Richtungskämpfe innerhalb der Charta 77 an, die an der im vierten Kapitel zu besprechenden Debatte über die Zwangsmigration der Deutschen aus der Tschechoslowakei besonders deutlich wurden. Über die inhaltliche Dimension des Gegenstands selbst stand dabei das Funktionsprinzip der Charta als weltanschaulich heterogener Appell in Frage. Warfen sich dabei die verschiedenen Akteure gegenseitig „totalitäre Tendenzen“ vor, erkannte Josef Vohryzek anhand der Betonung von staatsbürgerlichen Pflichten gegenüber den Rechten des Einzelnen in Pitharts ‚vlast‘ eine solche totalitäre Tendenz.160 Diametral entgegengesetzt verstand Jan Sýkora Pitharts Vorstellung einer politischen Nation als Ausweg aus dieser totalitären Intoleranz einzelner Oppositioneller.161 Bei aller grundlegenden Bedeutung für das Verständnis der tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen

 bändern verbreitet und erfüllten so eine ähnliche Funktion zur Schaffung eines oppositionellen Diskussionsraumes wie der Samizdat. 157 Božena Komárková: Několik poznámek k Pithartově „Pokus o vlast“, in: Svědectví, 62 (1980), S. 401–406, hier S. 404. 158 Ebd. 159 Ebd., S. 405. 160 Josef Vohryzek: Zestatnění vlastí, in: Svědectví, 62 (1980), S. 397–401, hier S. 401. 161 Sýkora: Pithartův „Pokus o vlast“, S. 82.

96  Aufbrüche mit der Nation Nation konnten sich die Diskutanten des Samizdat offensichtlich keinen Reim auf Pitharts Vorschläge machen.

2.2.3 Eine politische tschechische Nation? In diesem größeren Kontext trat Pitharts eigentlicher Versuch über das Vaterland oder die Heimat, also der Versuch einer wirkmächtigen und liberalen Sinnstiftung von politischer Gemeinschaft, in den Hintergrund. Stattdessen dominierte eine kleinteilige und oft unzusammenhängende Debatte die wiederbelebte Frage nach dem Sinn der tschechischen Geschichte. Die Bewertung der tschechischen Nationalbewegung diente hier als Vorbild und Maßstab für Überlegungen der zeitgenössischen Opposition in der Tschechoslowakei und führte zu gegensätzlichen Ergebnissen. Ob die tschechoslowakische Opposition zu Beginn der 1980er Jahres zum Beispiel mehr oder weniger Entfaltungsmöglichkeit habe als die Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts, blieb in der Diskussion ergebnislos.162 Dabei reflektierte der historische Rückgriff vor allem die Schwierigkeiten seiner zeitgenössischen Betrachter, ihre eigene Lage einzuschätzen. So war auch die Debatte über totalitäre Tendenzen innerhalb des oppositionellen Spektrums mehr als eine bloße Übertragung des wirkmächtigen und in der Opposition verbreiteten Totalitarismus-Konzepts auf oppositionelle Konfliktstellungen. Sie zeigte zum einen die Heterogenität und Uneinigkeit der Akteure auf, die sich, auch wegen staatlicher Repressalien, nicht zu einem aktiveren Handeln verständigen konnten. Zum anderen verdeutlichte diese Auseinandersetzung aber auch die Spannung zwischen einer MenschenrechtsBewegung, die sich auf Toleranz und Gleichheit berief, und einer scharfen antikommunistisch und antitotalitären Rhetorik, die auf Abgrenzung beruhte.163 Die anfängliche Krise von Konzepten und Aktivitäten der Charta 77 ist auch als Ungewissheit eines oppositionellen Spektrums zu deuten, das als Diskursgemeinschaft durchaus bestand, wie die Praxis der inhaltlichen Auseinandersetzung über weltanschauliche Verwerfungen hinweg zeigte, obwohl die inhaltlichen Gegensätze eine konstruktive Debatte nur schwer möglich machten. Noch deutlicher wird dies im Falle Jan Patočkas, der zwar ein viel gelesener und geschätzter Denker im Samizdat war, jedoch mit seinen Beiträgen zur tschechi 162 Vgl. beispielsweise die Einschätzungen von Božena Komárková und Petr Pithart: Komárková: Několik poznámek, S. 402; Petr Pithart: Odvaha myslet, in: Listy, 10/2 (1980), S. 35–38, hier S. 37. 163 Kopeček: Citizen and Patriot.

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schen Nation kaum Widerhall in oppositionellen Kreisen fand. In letzter Konsequenz führte dies zu einer oppositionellen Debatte, die mit sich selbst beschäftigt war, auch wenn vordergründig historische Themen verhandelt wurden. Nach außen oder in die Gesellschaft hinein wirkten tschechische Dissidenten so zunächst nicht. Patočka und Pithart gingen von einer Krise der tschechischen Nation aus164 und setzten dieser eine politische Vergemeinschaftung entgegen, die traditionelles politisches Denken zur tschechischen Nation und dessen „self-definition through martyrs“ ablehnte.165 Während Patočka mit dem Begriff der „Größe“ abstrakt die Ziele und den Anspruch einer politischen Nation formulierte, führte Pithart diese Gedanken weiter und umriss eine solche Gemeinschaft als „Bürgernation“ genauer. Auch wenn der Versuch einer liberal-patriotischen Identitätsstiftung bewusst an Vorbilder aus der tschechischen Geschichte, wie den Masaryk’schen Humanismus, anknüpfte, konnte er nur begrenzte Wirkung entfalten. Auch Patočkas Universalismus war keineswegs ohne Vorbilder und dennoch im tschechischen Geschichtsdenken marginalisiert. Dass der Philosoph seine Vorstellungen nationaler Größe demselben Authentizitäts- und Wahrheitsdenken entlehnte, das das Leben in der Wahrheit prägte, und Pithart eben daran anknüpfte, zeigt, wie das moralische Selbstverständnis der Opposition sich in der Suche nach politischer Gemeinschaft niederschlug. Folglich vermischten sich Identitätsfindung und -stiftung mit Strategie- und Zieldiskussionen der Charta 77166 und überkreuzten so den Rahmen oppositioneller Debatten mit seinen konkreten Inhalten. Die verzweigten Auseinandersetzungen über den Sinn der tschechischen Geschichte innerhalb der Opposition ergaben keinen Konsens, auch keine Mehrheitsmeinung. Die Einführung der Moral als Deutungskategorie in diese Debatte und die Vorstellungen der tschechischen Nation waren so der genuine oppositionelle Beitrag zum Streit über den Sinn der tschechischen Geschichte.167

 164 Patočka ging gar von einer allgemeinen europäischen Krise politischer Ordnung aus. Jiří Vítek: Patočkovo pojetí krize moderní doby a člověka. Duševní krize evropského lidstva, in: Navrátil (Hrsg.): Jan Patočka, S. 175–181. 165 Robert B. Pynsent: Questions of Identity. Czech and Slovak Ideas of Nationality and Personality, Budapest 1994, S. 147. 166 Kopeček: Citizen and Patriot. 167 Vgl. Miloš Havelka: Die Debatten über den Sinn der tschechischen Geschichte 1895–1989, in: Christiane Brenner/K. Erik Franzen/Robert Luft/Martin Schulze Wessel (Hrsg.): Geschichtsschreibung zu den böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert. Wissenschaftstraditionen, Institutionen, Diskurse, München 2006, S. 45–60, hier S. 58.

98  Aufbrüche mit der Nation

2.3 Oppositionelle Programme für die ungarische Nation Verglichen mit Polen und der Tschechoslowakei waren Nonkonformisten und Dissidenten in Ungarn in einer besonderen Lage. Seit den frühen 1960er Jahren trugen dort Liberalisierungen zum Entstehen eines sogenannten Gulaschkommunismus oder „Kühlschrankkommunismus“ bei, der stärker noch als in anderen Volksrepubliken gesellschaftliche Zustimmung über einen gesteigerten Konsum erzeugte. Diese wirtschaftlichen Legitimationsversuche fanden ihre Ergänzung im kulturellen Bereich mit zunehmenden Lockerungen für Kulturschaffende. Dies wirkte sich auch auf die traditionelle Polarisierung des ungarischen Geisteslebens zwischen völkisch-nationalistischen Populisten und liberalen, westlich orientierten Urbanisten aus, von denen viele in der Nachfolge eines sozialistischen Revisionismus standen.168 In einer Form von Koexistenz akzeptierte das ungarische Regime führende Köpfe der Populisten seit den späten 1960er Jahren in der Öffentlichkeit und räumte ihnen in der Folge zunehmend Einfluss ein.169 Die Ausdifferenzierung des Nonkonformismus im spätsozialistischen Ungarn verlief darüber hinaus entlang einer zweiten Trennlinie, nämlich der Haltung zur sozialistischen Staatlichkeit in Annäherung oder Konfliktstellung, was die Beschäftigung mit der Nation in der ungarischen Opposition nachhaltig strukturierte. Entstand aus Anregungen durch die tschechoslowakische Opposition ab 1977 langsam eine öffentliche Oppositionsbewegung, so beschränkte sich diese zunächst auf postrevisionistische Intellektuelle, insbesondere aus dem Schülerkreis des Philosophen György Lukács und dessen sogenannter Budapester Schule. Für diese aus einem kritischen Marxismus und liberalen Annahmen entwickelte Kritik der sozialistischen Wirklichkeit170 war die Nation zunächst keine relevante Bezugsgröße. Zugleich waren Akteure, die sich affirmativ auf die Nation als politische Gemeinschaft beziehen konnten, nicht in diese Opposition einbezogen. Einen gemeinsamen Bezugspunkt dieser politischen Spektren stellte die Person István Bibós dar, der Innenminister in der Regierung Imre Nagy gewesen war und nach seiner Freilassung 1963 zurückgezogen in Budapest lebte.171 Seine Texte zu Problemen der ungarischen Politik und sein Manifest an das ungarische Volk vom November 1956 sprachen auch über ihren zeitlichen Kontext

 168 Szabó: Urbanisten versus Populisten. 169 Gyula Borbándi: Der ungarische Populismus, Mainz 1976, S. 300–304; Szabó: Dissent and Opposition, S. 142. 170 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 123. 171 Szilágyi: István Bibó.

Oppositionelle Programme für die ungarische Nation  99

hinaus Nonkonformisten und Dissidenten an, denn sie fußten auf dem Bewusstsein einer fundamentalen Krise und dekonstruierten gleichsam die nationale Romantik.172 Auch im Spätsozialismus wirkten sie so „wie eine Gebrauchsanweisung für ethisches Handeln“.173 Das nach seinem Tod 1979 zusammengestellte Gedenkbuch versammelte Texte von höchst unterschiedlichen Autoren, die keineswegs nur den beiden traditionellen Denkrichtungen angehörten. In einem Minimalkonsens veröffentlichte diese Anthologie Texte, die sich konstruktiv mit ungarischen Denktraditionen und eben der Person Bibós auseinandersetzten. Einzelne Beiträge des Bibó-Gedenkbuches behandelten durchaus Aspekte der Nation und ihrer Herleitung174, sie standen aber in dieser Textcollage in keinem engeren Zusammenhang zueinander. Diese inhaltliche Offenheit führte zusammen mit einer für den frühen Samizdat typischen niedrigen Auflage und hohen Herstellungskosten dazu, dass der Band nur begrenzte Wirkung entfaltete. Seine Entstehung selbst und seine breitgefächerte Autorenschaft motivierte jedoch das Wirken einer Opposition in Ungarn nachhaltig.175 Einen diskursiven Zusammenhang bildete dagegen eine Debatte unter ungarischen Historikern über den Einfluss marxistischer oder auch nationaler ideologischer Axiome auf die Betrachtung historischer Zusammenhänge, die sich seit Beginn der 1960er Jahre über die Gestaltung einer offiziellen Synthese zur ungarischen Geschichte zwischen 1790 und 1945 entfaltete.176 Besonders nach dem Erscheinen der Geschichte Ungarns177 1964 diskutierten Historiker unterschiedlicher politischer und methodischer Prägung vergleichsweise unabhängig – nach George Schöpflin sogar „para-oppositionell“178 – über das Wesen und die Zukunft der ungarischen Nation. Aus der Anschauung historischer  172 Balázs Trencsényi: The Politics of „National Character“. A Study in Interwar East European Thought, London 2012, S. 116–120. 173 Dalos: Archipel Gulasch, S. 72. 174 Gyula Csaba Kiss: A nemzet-fogalom néhány antinómiája Keletközep-Európában, in: Bibó emlékkönyv, S. 127–133; Erzsébet Vezér: Töprengés az antiszemiztizmusról Bibó István tanulmánya nyomán, in: Ebd., S. 267–277; Zsolt Csalog: A cigánykérdés Magyarországon 1980 előtt, in: Ebd., S. 800–835; György Granasztói: Kis közösség, nagypolitikai godolat, in: Ebd., S. 896–904; Bertalan Andrásfalvy: A magyarsag életfája, in: Ebd., S. 836–846. 175 Dalos: Archipel Gulasch, S. 73. 176 Vgl. László Péter: A Debate on the History of Hungary between 1790 and 1945, in: Slavonic and East European Review, 50 (1972), S. 442–447; Ders.: New Approaches to Modern Hungarian History, in: Ungarn-Jahrbuch, 4 (1972), S. 162–171. 177 Erik Molnár/Ervin Pamlényi/György Székely (Hrsg.): Magyarország története, 2 Bde., Budapest 1964. 178 George Schöpflin: Opposition and Para-Opposition. Critical Currents in Hungary 1968– 1978, in: Tőkés (Hrsg.): Opposition, S. 142–187, hier S. 142.

100  Aufbrüche mit der Nation Vorbilder leiteten sie Perspektiven eines erneuten Ausgleichs ab, der diesmal mit der Sowjetunion geschlossen werden sollte und auf eine Liberalisierung bei pragmatischer Anerkennung der sowjetischen Dominanz abhob. Dem entgegen trugen national orientierte Diskussionsbeiträger Perspektiven eines bedingungslosen Streitens für die Existenz einer transzendent verstandenen Nation vor.179 Prägnantes Beispiel dieser Auseinandersetzung waren die Beiträge des Budapester Mediävisten Jenő Szűcs, der sowohl einen historisch argumentierenden ethnischen als auch einen sozialistischen Nationalismus in seiner jeweiligen politischen Funktion aufschlüsselte und so dekonstruierte. In seinem Plädoyer gegen jeglichen Determinismus in der Geschichtswissenschaft löste er die Konsekutivverbindung von Geschichte und Nation.180 Die Geschichte der Nation konnte nach Szűcs keine a priori legitimierende Funktion einnehmen, sondern bewege bloß „zum Nachdenken und zur Kritik“.181 Nach diesem Muster entwickelte Szűcs auch seine Gedanken zu Ostmitteleuropa und zeigte, wie diese Geschichtsregion beziehungsweise Ungarn als ihr strukturelles Zentrum von der wechselseitigen Überformung durch Ost und West geprägt waren.182 Die Historikerdebatte wirkte aber auch im populistischen Sinne affirmativ und durchbrach zum Beispiel erstmals das bis dahin geltende Tabu, über ungarische Minderheiten in Nachbarländern zu sprechen183, eine Fragestellung, die immer wieder ins Zentrum oppositionellen Interesses geraten sollte. Mit der Verhängung des Kriegsrechts in Polen am 13. Dezember 1981 stand für die ungarische Opposition das wirkmächtige Vorbild der Solidarność in Frage. Durch die Bedrohung oppositioneller Hoffnungen provozierten die polnischen Ereignisse eine weitergehende Politisierung der ungarischen Opposition und der sich gerade im Entstehen befindenden Samizdat-Zeitschriften.184 János Kis, ein aus seiner Stellung bei der Akademie der Wissenschaften entlassener Philosoph der Budapester Schule185, plädierte vor diesem Hintergrund in der Zeitschrift Beszélő für eine Überwindung der bisherigen Selbstbeschränkung der Opposition auf ein kulturelles Gegengewicht zum Regime und für ein neues  179 Ebd., S. 174. 180 Jenő Szűcs: Nation und Geschichte. Studien, Köln 1981, S. 138–140. 181 Ebd., S. 151. 182 Szűcs: Die drei historischen Regionen Europas. 183 Schöpflin: Opposition, S. 177. Dieser Zusammenhang wird im Kapitel 4.4 besprochen. 184 Szabó: Dissent and Opposition, S. 144. 185 „Wichtigstes Ziel der Opposition ist die Verteidigung der Menschenrechte“. Interview mit János Kis, in: Hans-Henning Paetzke (Hrsg.): Andersdenkende in Ungarn, Frankfurt am Main 1986, S. 136–149, hier S. 136.

Oppositionelle Programme für die ungarische Nation  101

„Aktionsprogramm“. Kis verstand Ostmitteleuropa und seine Oppositionsbewegungen wie viele andere ungarische Oppositionelle auch als zusammenhängendes Phänomen mit geteilten Vorstellungen und gegenseitiger Inspiration.186 In den folgenden zwei Jahren entwickelte sich aus Kis’ Anstoß eine Debatte über die Zukunft der Opposition, in der die ursprünglich eher als Informationsorgan konzipierte Zeitschrift Beszélő zum publizistischen Forum ungarischer Oppositioneller avancierte. Dabei verstanden die Autoren Opposition zumeist als eine eigene, selbstständige Gruppierung, die sich je nach Auffassung unabhängig, dialogisch oder kooperativ zum Staat positionierte. Anders als in Polen oder der Tschechoslowakei orientierte sich die Diskussion besonders an wirtschaftlichen Fragen, um mögliche Liberalisierungen und Reformen zu konkretisieren. Gerade Autonomie- oder Selbstverwaltungsmodelle – teils unter Bezug auf das polnische Vorbild, das sich wiederum selbst in eine ungarische Tradition stellte187 – wurden im Bereich der Industrie angedacht.188 Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Reformen seit den frühen 1960er Jahren waren die Erwartungshorizonte zukünftiger Liberalisierungen stark zugespitzt und konzentrierten sich vor allem auf industrielle Großbetriebe. Jedoch schlossen diese Überlegungen eine politisch aktive Opposition nur bedingt mit ein, auch aus den Vorbehalten gegenüber einer zwangsläufigen Annäherung an den Staat. In diesem distanzierten Sinne plädierte der Schriftsteller György Konrád für eine soziale und demokratische Opposition, die gerade einen politischen Charakter vermeiden könne. Da die Ungarn freier seien, als ihnen eigentlich klar sei, könne eine solche Opposition zivilgesellschaftliche Strukturen ermöglichen.189 Konrád nahm hier Überlegungen vorweg, die in Grundzügen seinen einige Jahre später im Samizdat veröffentlichten Reflexionen zur Antipolitik entsprachen. In einer generellen Kritik der ungarischen Intelligenz prangerte István Orosz die Distanz zwischen Bevölkerung und der entstehenden Opposition an.  186 János Kis: Gondolatok a közeljövőről, in: Beszélő [Samizdat], 3 (1982). 187 Vgl. Kapitel 4.3. 188 Vgl. Pál Szalai: Remény – remény nélkül, in: Beszélő [Samizdat], 1/4 (1982); Erzsebet Szalai: A liberális alternatíva társadalmi feltételeiről [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 2/7 (1983)], in: László Kristóf Balázs/Zsolt Zádori (Hrsg.): A Beszélő 25 éve, CD-ROM [25 Jahre Beszélő], Budapest 2006; Mária Lehrstück [András Lányi]: A magyar ellenzék programja [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 1/5–6 (1982)], in: Ebd.; István Eörsi: Csto gyélaty? [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 1/4 (1982)], in: Ebd.; András Vízi: Kommunisták és ellenzékiek [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat] 2/8 (1983)], in: Ebd. 189 György Konrád: Adottságainkból kell kiindulnunk [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 2/8 (1983)], in: Ebd.

102  Aufbrüche mit der Nation Dissidenten und Andersdenkende repräsentierten demnach nicht die Interessen der breiten Masse.190 Die Frage, wie die ungarische Opposition zur Staatsmacht stehe, beeinflusste demnach auch ihr Verhältnis zum Begriff der Nation. Wenn nämlich Ungarn als Gesamtheit zwischen Volk und Macht geteilt sei, wie András Lányi ausführte, müsse die Opposition deutlich machen, zu wem sie gehören wolle, und mehr Volksnähe zeigen.191 In dieser frühen Strategiedebatte der ungarischen Opposition blieb es bei dieser Definition der Nation ex negativo, die sich an der bekannten Dichotomisierung „wir und die da“ orientierte, ohne die politische Gemeinschaft übereinstimmend zu definieren. Nachdem die Gedenkschrift für István Bibó 1979 nur zu einer situativen Integration der unterschiedlichen Lager geführt hatte und die Populisten auch in den Zeitschriften des wachsenden Samizdat nur wenig in Erscheinung getreten waren, sollte ein Treffen oppositioneller Akteure im Juni 1985 einen Ausgleich herbeiführen. In Monór, einem kleinen Dorf bei Budapest, trafen sich Oppositionelle, Populisten, Schriftsteller und andere Künstler zu einem Gedankenaustausch, ohne dass ein gemeinsames Dokument entstehen sollte.192 In einer abgeschiedenen und nicht-öffentlichen Atmosphäre nahm das Treffen den Charakter einer Delegiertenversammlung der verschiedenen Interessengruppen an, die zusammenkamen „to search for a way to reserve our society’s deterioration and to try to find solutions for the difficult situation facing our nation.“ 193 So ging es den Initiatoren zum einen um einen Ausgleich zwischen den ideologisch verfeindeten Gruppierungen des ungarischen Nonkonformismus, zum anderen und bedeutender aber auch um eine Zusammenführung von etablierten und marginalisierten Akteuren, die im Widerspruch zum Staat standen.194 Besondere Wirkung erzielte der Vortrag des populistischen Schriftsellers István Csurka über ungarische Minderheiten im Ausland. Csurka skizzierte in einer kulturpessimistischen Gesamtschau eine existenzielle Krise Ungarns. Durch eine beliebige und kaum unterscheidbare „Quasikultur“ sei die Nation als Instanz nicht mehr zu erkennen.195 Ausgehend vom wirkmächtigen Verweis  190 István Orosz: Hivatal védte ellenzékiség [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 1/4 (1982)], in: Ebd. 191 Lehrstück: A magyar ellenzék programja. 192 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 137. 193 So Ferenc Donáth, zitiert nach: Steven Koppany: Hungarian Opposition Groups Hold Meeting to Discuss Nation’s Future. RAD Background Report 24 (Hungary), 13.2.1986, OSA, 373-9, Bl. 1. 194 Ferenc Koszeg: Hungary’s Intellectuals at Monor, in: Across Frontiers, 3/1–2 (1986), S. 18. 195 István Csurka: Neue Ungarische Selbstgestaltung, in: Gegenstimmen, 7/23 (1987), S. 9–18, hier S. 9.

Oppositionelle Programme für die ungarische Nation  103

auf die territorialen Abtretungen Ungarns nach dem Vertrag von Trianon und der daraus resultierenden Irredenta übertrug Csurka dieses AmputationsNarrativ auf andere Aspekte der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Zeichen der Verelendung wie Alkoholismus und eine steigende Zahl von Suiziden, aber auch Bevölkerungsschwund, Landflucht und übermäßiger Fernsehkonsum seien Ausdruck eines ganzheitlichen Kulturverlusts und um sich greifenden Nihilismus, die als Ergebnis des niedergeschlagenen Volksaufstandes von 1956 das Wesen der Nation zerstörten.196 Verschiedene weitere Diskutanten in Monór stimmten in diese kulturpessimistische Einschätzung der Lage Ungarns ein. Miklos Szabó beispielsweise sah in der Gleichgültigkeit Einzelner und der Atomisierung der Gesellschaft das Grundübel der ungarischen Gesellschaft nach der Zäsur des Jahres 1956. Durch das staatliche Zugeständnis, als einzelner Bürger im Sozialismus neutral sein zu dürfen, habe sich in fataler Weise Ungarn als politische Gemeinschaft aufgelöst.197 Die bei Csurka folgende, moralische und antimodernistische Aufzählung dessen, was die Nation gefährde, ließ einen essentiellen Begriff der Nation als Gemeinschaft erkennen. Der Schriftsteller knüpfte dabei an völkische Diskurse des späten 19. Jahrhunderts an, in denen die ungarische Nation in einer Vermischung rassistischer, kulturalistischer und historizistischer Denkmuster von den sie umgebenden „germanischen“ und „slawischen“ Völkern abgegrenzt wurde.198 Besonders deutlich wurde dies in seiner Kritik der Landflucht und Urbanisierung, die für Csurka nicht nur die Destabilisierungserfahrungen der Moderne verkörperten, sondern auch die traditionelle Grundlage des auf eine bäuerliche Idylle fokussierten Populismus gefährdete.199 In dieser Betrachtung bestand die Nation als natürliche Einheit, die auf kleineren natürlichen Einheiten, wie der Familie oder dem Dorf, aufbaute. Es nimmt folglich nicht wunder, dass Csurka die Familie als „Laboratorium“ für eine Erneuerung der Nation anpries, in der die Kritik des politischen Systems mit nachhaltiger Erziehung verbunden werden könne.200 Als Träger  196 Ebd., S. 11–13. 197 Miklós Szabó: Noch einige Worte zur neuen ungarischen Selbstgestaltung, in: Gegenstimmen, 7/24 (1986), S. 19–27. 198 Vgl. zum Diskurs über die Magyaren als „Volk des Ostens“: Klimó: Nation, Konfession, Geschichte, S. 137. 199 Csurka: Neue Ungarische Selbstgestaltung, S. 11. Zum bäuerlichen Motiv im Populismus: Borbándi: Populismus, S. 118–125. Vgl. darüber hinaus den literarischen Kulturpessimismus beim führenden populistischen Schriftsteller während des Sozialismus: Gyula Illyés: Die Puszta. Nachricht von einer verschwundenen Welt, Nördlingen 1985. 200 Csurka: Neue Ungarische Selbstgestaltung, S. 13.

104  Aufbrüche mit der Nation dieser Erneuerung waren Csurka zufolge jedoch weniger Mütter und Väter geeignet als ein „winziger Kern“ der ungarischen Intelligenz, der seine Treue zum Ungarntum bei aller Kooperation mit der Macht nicht verraten habe.201 Csurka, der selbst seit 1957 als Schriftsteller und Dramaturg tätig war, differenzierte hier pointiert zwischen in den Staat durchgängig inkorporierten, aber national Zuverlässigen einerseits und ehemals überzeugten Sozialisten andererseits, die eine Läuterung zu Postrevisionisten oder sogar Liberalen erfahren hatten. Während die Populisten die Nation zu retten vermöchten, gehörten Urbanisten offenkundig nicht zu dieser kleinen Elite. An dieser Betonung des Konformismus orientierten sich auch seine konkreten Vorschläge, Ungarn durch ein Programm der politischen Enthaltung zu erneuern. War ein Konflikt mit der Staatsmacht nicht zu leisten und der einfache Bürger nicht in einen bedrohlichen Konflikt zu ziehen, müsse eine kulturelle Programmatik jenseits der Politik wieder Möglichkeiten zur „Selbstgestaltung“ des Lebens der Nation bieten.202 Leitmotiv dieses neuen Programmes müsse, so Csurka unter Rekurs auf den Philosophen Ivan Illich, die „Nächstenliebe“ sein. Mit seiner im Allgemeinen belassenen Argumentation erinnert Csurkas Selbstgestaltung an Havels Leben in der Wahrheit und andere moralistische Konzepte einer Abgrenzung vom real existierenden Sozialismus, die Csurka jedoch in der praktischen Anwendung durch sein Plädoyer für eine pragmatische Kooperation mit der Staatsmacht konterkarierte. Durch seinen antimodernen Kulturpessimismus erhielt seine Kritik eine Stoßrichtung, die über das konkrete Beispiel der ungarischen Gesellschaft hinausreichen konnte und ins Universelle griff. Indem der populistische Schriftsteller als Ziel „eine Gesellschaft der neuen demokratischen ungarischen Nobilität“203 ausrief, projizierte er sein elitär zugespitztes Errettungsnarrativ auf die gesamte Nation. Nicht nur sein Kernbegriff der Nächstenliebe blieb dabei offen, sondern auch die Bezugsgrößen der Nation fehlten. Csurkas Erneuerung erklärte sich nur aus sich selbst heraus und nicht in Auseinandersetzung mit, Abgrenzung von oder Anlehnung an andere Konzeptionen politischer Gemeinschaft. Selbst die Staatsmacht, die den Niedergang der Nation zu verantworten habe, diente ihm nicht als klare Kontrastfolie. Die Nation stellte folglich eine essentielle Existenzform dar, die in Csurkas Argumentation Absolutheitsanspruch besaß und sich einer Debatte entzog.204 Die

 201 Ebd., S. 17. 202 Ebd., S. 17f.; Zitat S. 18. 203 Ebd., S. 18. 204 Vgl. Ervin Csizmadia: A magyar demokratikus ellenzék (1968–1988). Monográfia, Budapest 1995, S. 315.

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Selbstgestaltung blieb so eine Gestaltung aus sich selbst heraus, die die ungarische Nation aus dem Ungartum und seiner moralischen Prägung zu erklären wusste. Mit einem Referat über ungarische Minderheiten in der Tschechoslowakei, Rumänien und der Sowjetunion vertiefte der populistische Schriftsteller Sándor Csoóri dieses immer wieder aufflackernde Thema für die allgemeine Debatte in Monór. Seine Ausführungen zur Geschichte der Beziehungen zwischen Ungarn und nationalen Gruppen ließen ein ebenso ethnisches Nationskonzept erkennen, das sich vor allem über Konkurrenz und Konflikt ausdrückte.205 Auch Csoóri propagierte dabei eine kritische Kooperation mit der Staatsmacht, denn durch gesellschaftlichen Druck könne das Regime zum Handeln auf internationaler Ebene gezwungen werden. In der sich anschließenden Debatte gab es nur verhaltene Zustimmung zu Csurkas Einschätzung.206 In seinem Ko-Referat näherte sich Miklos Szabó mit seinen Überlegungen zur innergesellschaftlichen „Solidarität“, die Ungarn „verlorene Würde“ wiedergeben sollte207, an Csurka an. Er wollte Solidarität aber nicht als beständigen Widerstand, sondern als persönliche Grundhaltung gegen Ungerechtigkeit und für Rechtsstaats- und gesellschaftliches Selbstbewusstsein verstanden wissen. Auch der Hauptredner der Urbanisten in Monór, János Kis, forderte wie bereits drei Jahre zuvor im Beszélő eine programmatische Erneuerung, die die Fragmentierung auch der ungarischen Intellektuellen überwinden könne.208 Dass er dabei eine Selbstbeschränkung der Opposition ganz nach Michnik’schem Vorbild ausbreitete209, ist als Entgegenkommen gegenüber den populistischen Teilnehmern des Treffens in Monór zu verstehen. Wie schon in der Programmdebatte des Beszélő machte oppositionelle Taktik einen Großteil der Debatte aus, und mit ihr die Stellung von Opposition oder Nonkonformismus zur Staatsmacht. Ungarn und die ungarische Nation wurden als Ausgangspunkt der Überlegungen nicht weiter vertieft; sie erschienen offensichtlich. Für Csurka und auch für Csoóri blieb die essentiell verstandene Nation das Leitmotiv einer politischen Strukturierung, wogegen Kis sich deutlicher von der Staatsmacht abzugrenzen suchte. Dass beide konkurrierenden und sich

 205 Vgl. Koppany: Hungarian Opposition, Bl. 7–10. 206 Csizmadia: A Magyar demokratikus ellenzék, S. 316f. 207 Szabo: Noch einige Worte, S. 27. 208 Koppany: Hungarian Opposition, Bl. 11f. 209 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 286. Michniks Neuer Evolutionismus war bereits 1978 in ungarischer Übersetzung erschienen: Adam Michnik: Az új demokratikus ellenzék Lengyelországban, in: Magyar Füzetek, 1/1 (1978), S. 118–133.

106  Aufbrüche mit der Nation ausschließenden Ansätze auf einem Plenum vorgetragen wurden, illustrierte die Bandbreite von Opposition und Staatsferne in Ungarn, ergab aber noch keine oppositionelle Sammlungsbewegung nach polnischem oder tschechoslowakischem Vorbild. Zu einer Zusammenarbeit waren die unterschiedlichen Akteure offensichtlich nicht bereit.210 War der Zustand der politischen Gemeinschaft in Ungarn ursprünglich ein einseitig, also nur von Populisten und Nationalisten besetztes Thema, griff Kis dieses als einer der wenigen Vertreter des liberalen Samizdat auf. Dabei vermittelte er zwischen seinen Überlegungen zur Zivilgesellschaft als notwendige Bedingung ungarischer Demokratie und der Beschäftigung mit ungarischen Minderheiten, vor allem in Rumänien. Damit konnte Kis einerseits seine zivilgesellschaftlichen Ansätze für die populistische Proto-Opposition anschlussfähig machen und andererseits deren ethnonationale Verengung der Minderheitenthematik angehen.211 Dies ging einher mit einer eigenen, liberalen Auslegung der Minderheitenfrage, die bei Kis nicht als historisch gewachsenes Problem, sondern als gegenwärtige Frage der Durchsetzbarkeit von Menschenrechten erschien. Ungarn und seine Minderheiten waren für Kis eine Kulturgemeinschaft, nicht aber eine rassisch oder ethnisch konstituierte Gemeinschaft, wie dies populistische Akteure in der Minderheitenfrage nahelegten.212 Konsequenterweise nahm diese Menschenrechtsperspektive auch Minderheiten im eigenen Land in den Blick, also Roma und Juden, was im folgenden, vierten Kapitel dieser Arbeit zu behandeln sein wird. Wenn Kis in seinen „Aktionsprogramm“ die Minderheitenfrage durch die explizite Anerkennung multipler Identitäten zu lösen versuchte und den wunden Punkt der Loyalität auf eine universalistische Demokratisierungshoffnung beschränkte213, hatte dies auch eine Signalwirkung für seine Vorstellung einer politischen Gemeinschaft. Kis löste historisch tradierte Konfliktstellungen durch eine positive Zukunftsvorstellung auf und ließ die Nation zu einer möglichen Ausdrucksform solcher Gemeinschaft werden, nicht aber zur ausschließlich wirkmächtigen. Damit negierte er letzten Endes Kerngedanken des Populismus, nämlich die Förderung der „Ursprünglichkeit und […] Besonderheiten des ungarischen Volkes“214, ohne daraus einen Bruch

 210 Pierre [Peter] Kende: Leistungen und Ansichten der demokratischen Opposition in Ungarn, in: Ders./Aleksandr Smolar, Die Rolle oppositioneller Gruppen am Vorabend der Demokratisierung in Polen und Ungarn (1987–1989), Köln 1989, S. 64–93, hier S. 67. 211 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 284. 212 Ebd. 213 János Kis: Politics in Hungary. For a Democratic Alternative, Boulder 1989, S. 220. 214 Borbándi: Populismus, S. 306.

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zwischen den unterschiedlichen Spektren herbeiführen zu wollen. Diese dilatorische Praxis ordnete den inhaltlichen Ausgleich der Schaffung einer Sammlungsbewegung unter. Solche konkret handlungsorientierten Überlegungen stellten auch in den folgenden Jahren immer wieder einen Fluchtpunkt in den Debatten der Samizdat-Journale dar.215 Höhepunkt und Konsequenz eines um sich greifenden „radikalen Reformismus“216 war der Neue Gesellschaftsvertrag, der 1987 wiederum von den Herausgebern des Beszélő eingebracht wurde. Schon in seiner Betitelung lehnte er sich an Kádárs Formel des „Gesellschaftsvertrags“ an, der die pragmatischen Zugeständnisse der Staatsführung nach der Niederschlagung des Volksaufstands von 1956 umschrieb. Nach erneuten Reformen schien auch eine personelle Veränderung an der Spitze der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei und die Ablösung des greisen Parteichefs János Kádár möglich, so dass der Neue Gesellschaftsvertrag, wie schon andere oppositionelle Konzepte zuvor, seine Bereitschaft zur Kooperation mit der Staatsmacht demonstrierte. In einer Synthese oppositioneller Konzepte zwischen Michnik’schen Evolutionismus und Kuroń’schen Parallelorganisationen präsentierte die Redaktion des Beszélő den Gedanken einer Staatsreform, die die Partei einer gesetzlichen Regelung ihrer Kompetenzen unterordnete und ihr soziale Gruppierungen entgegenstellte.217 Eine solche Abgrenzung von außenpolitischen und innenpolitischen Kompetenzen zielte auf eine rechtsstaatliche Grundlage für die freie Entfaltung einer Zivilgesellschaft. Dezidiert verwahrte sich das Konzept gegen nationalistische Tendenzen in der verfassungsrechtlichen Neuordnung Ungarns, die zwar Legitimation durch Radikalisierung erreichen könnten, aber einer zivilgesellschaftlichen Basis widersprächen.218 Der Neue Gesellschaftsvertrag provozierte schon bald Gegenstimmen. Besonders in der SamizdatZeitschrift Demokrata wurde die Umsetzbarkeit des Konzepts in Frage gestellt, solange sowjetische Truppen im Land stationiert seien, wobei diese Kritik die angedachte Sphärenteilung zwischen Staatsmacht und Zivilgesellschaft nicht ausreichend erfasste.219  215 A Programme of Democratic Renewal. Draft Proposals [zuerst erschienen in: Demokrata [Samizdat], 1/3 (1986)], in: East European Reporter, 2/1 (1986), S. 6–10; Redaktion Beszélő: Is Dialogue Possible. The Case for a Pro-government Opposition [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 5/17 (1986)], in: East European Reporter, 2/2 (1986), S. 8–10. 216 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 276. 217 A Social Contract. Conditions for a Political Renewal [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 6/18 (1987)], in: East European Reporter, 3/1 (1987), S. 54–58. 218 Ebd., S. 56. 219 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 280.

108  Aufbrüche mit der Nation Letztlich war der Neue Gesellschaftsvertrag zwar richtungsweisend für die ungarischen Gespräche am Runden Tisch, eine Überbrückung inner-oppositioneller Gegensätze vermochte er jedoch nicht zu erreichen. Fragen nationalen Selbstverständnisses oder Identität spielten in der Aushandlung der Systemtransformation zudem keine primäre Rolle mehr, sondern blieben auf begleitende Proteste beschränkt.220 Dagegen gewann konkretes politisches Handeln an Bedeutung. Als Reaktion auf ihre Nichtbeteiligung an der Ausarbeitung des Neuen Gesellschaftsvertrags suchten populistische Schriftsteller daher den Austausch mit randständigen Parteikadern und folgten damit derselben grundsätzlichen Überlegung, nämlich einer Kooperation von Gesellschaft und Staatsmacht. Das daraus entstandene Ungarische Demokratische Forum (Magyar Demokrata Fórum) wurde in der Folge zur ersten parteiähnlichen Gruppierung eines neuen Parteienpluralismus in Ungarn.221 Die Nation und ihre Inhalte waren für keine der oppositionellen Gruppierungen im spätsozialistischen Ungarn ein Kernthema, dennoch lassen sich in den Debatten des Samizdat nationale Sinnzusammenhänge erkennen. In einer durchgängig zwischen Urbanisten und Populisten unterteilten oppositionellen Debatte funktionierte die Nation zu keiner Zeit als Brücke. Urbanisten wie János Kis legten sie, ähnlich wie postrevisionistische und links-liberale Oppositionelle in Polen und der Tschechoslowakei, als kulturelles Phänomen aus, das aber für die eigene Handlungsperspektive nur wenig und dann bloß indirekte Relevanz entfaltete.222 Dagegen erübrigte sich für Populisten, zumindest im Zusammenspiel mit anderen Oppositionellen, eine genauere Differenzierung des Nationsbegriffs. Diese Unterschiede lassen sich besonders an der Einbindung des für beide intellektuellen Spektren prägenden Ereignisses, des niedergeschlagenen Volksaufstands von 1956, in die eigene Sinnstiftung erkennen. Die in den Betrachtungen der gegenwärtigen Lage immer wieder bemühte Chiffre 1956 war bis in die 1980er Jahre hinein ein tabuisiertes Kapitel ungarischer Geschichte und in öffentlichen Räumen nicht zu thematisieren.223 Während Urbanisten oder postrevisionistische Intellektuelle die Erfahrung des Aufstandes gegen innerungari-

 220 Bozóki: A magyar demokratikus ellenzék, S. 33f. 221 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 138f. 222 Bozóki: A magyar demokratikus ellenzék, S. 24f. 223 Heino Nyssönen: Remembrance and Oblivion. 1956 and the Politics of Memory in Hungary, in: Rittersporn/Rolf/Behrends (Hrsg.): Sphären von Öffentlichkeit, S. 335–355, hier S. 354f.; Lechowska: Węgrzy patrzą, S. 131–149.

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schen Stalinismus und sowjetische Dominanz in ihr elitäres Selbstverständnis224 einbanden, um die Reformkonzepte des Jahrs 1956 als Inspiration zu nutzen225, blieb 1956 für István Csurka der Ausgangspunkt einer umfassenden Krise Ungarns und des Ungartums.226 Weder in der Krisenbetrachtung noch in der Lösungsstrategie fand dagegen eine Auseinandersetzung darüber statt, was die Nation sein könne. In einer durch staatliche Zugeständnisse und wiederholte wirtschaftliche Liberalisierung beeinflussten Szene von Andersdenkenden stand das handlungsleitende Räsonnement im Vordergrund. Vor einem Erwartungshorizont mitzugestaltender Reformen blieb die abstrakte, weil intellektuelle und nicht performative Identitätsfindung dahinter zurück.

2.4 Der nationale „Karneval“ der Solidarność Als die Regierung der Volksrepublik Polen am 1. Juli 1980, mitten in den Sommerferien, eine sofortige Erhöhung der Fleischpreise um bis zu 100 Prozent umsetzte, kam es im ganzen Land zu Arbeiterprotesten. Schon 1970 und 1976 hatten die Fleischpreise die Gemüter so erregt, dass aus den Protesten und Streiks ernsthafte Krisen der Staatsmacht erwachsen waren.227 Dieses Mal aber verliefen die Proteste grundlegend anders als zuvor. Trotz der zunächst nur lokalen Zentren der Streikbewegung flackerten im Sommer 1980 Streiks im ganzen Land und über mehrere Wochen verteilt immer wieder von Neuem auf. Die Arbeiter gaben sich nicht mehr mit der örtlichen Erfüllung wirtschaftlicher Forderungen zufrieden, sondern standen für grundsätzlichere Anliegen ein. Politische Forderungen tauchten auf und die Streikenden der verschiedenen Betriebe verständigten sich untereinander über ihr Vorgehen. Aus vielen Streiks in vielen Betrieben des Landes wurde eine landesweite Streikbewegung, und aus überbe-

 224 Bill Lomax betont in seinen Überlegungen zu ungarischen Intellektuellen besonders deren diskursiven Exklusivismus über grundsätzliche Trennlinien hinweg. Vgl. Ders.: The Inegalitarian Nature of Hungary’s Intellectual Political Culture, in: András Bozóki (Hrsg.): Intellectuals and Politics in Central Europe, Budapest 1999, S. 167–183, hier S. 174f. 225 Vgl. A Programme of Democratic Renewal; A Social Contract. 226 Csurka: Neue Ungarische Selbstgestaltung. 227 Die in der Forschung wiederholt angenommene Kausalität zwischen der Verfügbarkeit von Fleischwaren und politischen Krisen ist dennoch empirisch kaum belastbar. Vgl. Jerzy Kochanowski: „Wir sind es schon gewohnt“. Einführung in die gesellschaftlich-modernisierenden Hintergründe des „Fleischproblems“ in der Volksrepublik Polen, in: Jahrbuch für Historische Kommunismus-Forschung, 15 (2007), S. 337–356, hier S. 338.

110  Aufbrüche mit der Nation trieblichen Streikkomitees wurde die Keimzelle der ersten unabhängigen Gewerkschaft im Sozialismus. Die Unabhängige Selbstverwaltete Gewerkschaft Solidarność nimmt ohne Frage in der Geschichte von Dissidenz und Opposition in Ostmitteleuropa eine Sonderstellung ein. Allein ihre schiere Größe von bis zu zehn Millionen Mitgliedern unterscheidet sie deutlich von anderen in dieser Arbeit besprochenen Akteuren und Gruppierungen, die aus der oppositionellen Nische nur selten heraustreten konnten und eher geringe gesellschaftliche Wahrnehmung erfuhren. Darüber hinaus wurde die Solidarność am 10. November 1980 offiziell registriert, agierte also nicht nur öffentlich, sondern auch legal. Dass sie dafür die führende Rolle der Partei akzeptieren musste, stellte kaum eine Beeinträchtigung dar; der entsprechende Passus fand sich nach zähen Verhandlungen erst in einem Anhang zu ihrem Statut und spielte in ihrem Selbstverständnis eine untergeordnete Rolle.228 Die Solidarność wurde nichts weniger als ein Paradoxon des real existierenden Sozialismus, schlossen sich doch hier Arbeiter gegen die vermeintliche Diktatur des Proletariats zusammen und wurden vom Regime in diesem Bemühen anerkannt. Wie ein roter Faden zog sich die Spannung zwischen notwendigem Dialog und selbstbewusster Abgrenzung zur Staatsmacht durch die 16 Monate der legalen Existenz der Solidarność. War eine Kooperation mit dem Staat an sich untypisch für die neue, an die Gesellschaft gerichtete Opposition, stellte die Solidarność dennoch den konsequentesten und radikalsten Versuch eines Lebens in der Wahrheit dar.229 Schon sehr bald und ausgesprochen konkret veränderte die Solidarność Polen und „den real existierenden Sozialismus bis zur Unkenntlichkeit“.230 Sie schuf Räume und Freiheiten politischen Denkens und Handelns, die die Möglichkeiten, aber auch Ansprüche der verschiedenen oppositionellen Bewegungen seit 1976 bei weitem übertrafen. Haftete der neuen Opposition stets das Attribut des Intellektuellen und Elitären und viel stärker noch der zahlenmäßigen Beschränktheit an, war die Solidarność eine tatsächliche Massenbewegung. Damals wie heute ist die Diskussion, was denn die Solidarność nun tatsächlich gewesen sei, lebhaft und kontrovers. Ihrer verfassten Form nach war sie eine Gewerkschaft. Die Handelnden selbst, beobachtende Journalisten und

 228 Hartmut Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność. Die politische Geschichte Polens 1980– 1990, Berlin 1999, S. 94–97. 229 Elżbieta Ciżewska: Filozofia publiczna Solidarności. 1980–1981 z perspektywy republikańskiej tradycji politycznej, Warschau 2010, S. 309. 230 Borodziej: Geschichte Polens, S. 367.

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Politikwissenschaftler aus dem Westen oder auch die Akteure postsozialistischer Erinnerung und Historiker sahen dagegen sehr unterschiedliche Phänomene in dieser Bewegung verwirklicht. Die Bandbreite der Interpretation reicht dabei von klassischen Erzählmustern der polnischen Geschichte wie dem Nationalaufstand, der frühneuzeitlichen Konföderation oder der Adelsdemokratie231 über für ihren Entstehungszeitraum typische Interpretationen im Sinne einer (neuen) sozialen Bewegung232 oder der Zivilgesellschaft233 bis hin zur Betrachtung als Revolution.234 Der allgemeine moralische Anspruch und der heterogene Charakter der Solidarność ließen sie zu einer Projektionsfläche solch unterschiedlicher Deutungen werden235, die sie als dynamische und heterogene Sammlungsbewegung aber nur unvollständig erklären können. In der politikwissenschaftlichen und soziologischen Forschung war zudem umstritten, ob die Solidarność als eine Auswirkung und Fortsetzung der intellektuellen Opposition zu verstehen sei, oder ob sie einer anderen Quelle, nämlich aus dem Handeln nonkonformer und radikalisierter Arbeiter, entspringe.236 Waren einerseits streikende Arbeiter die treibende Kraft des Sommers 1980, erhielten sie andererseits unmittelbar Unterstützung von Vertretern der verschiedenen oppositionellen Gruppierungen und des katholischen nonkonformen Spektrums um die Klubs der katholischen Intelligenz, die als Berater und Experten agierten.237 Die Solidarność basierte also in ihrer Grundkonstellation auf dem Ausgleichs- und

 231 Timothy Garton Ash: The Polish Revolution. Solidarity, New Haven/London 3. Aufl. 2002, S. 82. 232 Helmut Fehr: Solidarnosc [sic!] als soziale Bewegung, in: Sozialwissenschaftliche Informationen, 16/3 (1987), S. 165–170; Ders.: Unabhängige Öffentlichkeit. Ähnlich auch: Tatur: Solidarność. 233 Michael H. Bernhard: The Origins of Democratization in Poland. Workers, Intellectuals, and Oppositional Politics, 1976–1980, New York 1993. 234 Garton Ash: The Polish Revolution; Abraham Brumberg (Hrsg.): Poland, Genesis of a Revolution, New York 1983; Jadwiga Staniszkis: Poland’s Self-Limiting Revolution, Princeton 1984. Zuletzt: Friszke: Rewolucja „Solidarności“. 235 Ciżewska: Filozofia publiczna Solidarności, S. 23. 236 Die These einer Dominanz der Arbeiter über die Intellektuellen machten Lawrence Goodwyn und Roman Laba kurz nach der Systemtransformation stark und kritisierten die ansonsten dominierende Fokussierung auf Intellektuelle als Berater der Solidarność. Vgl. Lawrence Goodwyn: Breaking the Barrier. The Rise of Solidarity in Poland, New York 1991; Roman Laba: The Roots of Solidarity. A Political Sociology of Poland’s Working-Class Democratization, Princeton/London 1991. Zusammenfassend für die Debatte: Jan Kubik: Who Done It. Workers, Intellectuals, or Someone Else? Controversy over Solidarity’s Origins and Social Composition, in: Theory and Society, 23/3 (1994), S. 441–466. 237 Paczkowski: Pół wieku dziejów Polski, S. 317.

112  Aufbrüche mit der Nation Sammlungsgedanken, der schon bei der Gründung des KOR prägend für eine neue Opposition gewesen war, der Verständigung zwischen Intelligenz und Arbeitern. Bis zum Ende ihres öffentlichen Wirkens durch die Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 blieb dieser doppelte Ursprung der Solidarność ein schwelender Konfliktherd innerhalb der Gewerkschaft. Schon zeitgenössisch wurde die Aufbruchstimmung, die die Solidarność hervorrief, als Karneval bezeichnet, ein Deutungsmuster das bis heute immer wieder angeführt wird, ohne es jedoch genauer zu reflektieren.238 Michail M. Bachtin hat in seinen literaturwissenschaftlichen Studien den Karneval als Begriff für einen gesellschaftlichen Ausnahmezustand nutzbar gemacht, in dem Hierarchien und Sozialstrukturen für einen begrenzten Zeitraum außer Kraft gesetzt sind.239 Wenn es im Folgenden um das politische Denken der Solidarność zur Nation gehen wird, wird dieses Selbstverständnis einer deutlichen Überschreitung vermeintlich fester Grenzen ein entscheidender Ansatzpunkt sein. Untersucht diese Arbeit politisches Denken oppositioneller Akteure und Gruppierungen anhand des Kommunikationsraums Samizdat, so lässt sich dies nicht auf die Gewerkschaft Solidarność anwenden. Zum einen ist der Gedankenaustausch in ihrem Umfeld nur unvollständig über die Abfolge von Texten zu fassen und fand seinen Raum vielmehr in Streiks und öffentlichen Debatten, Massenkundgebungen und Aufrufen. Auch verfügte die Solidarność nicht im eigentlichen Sinne über einen Samizdat, denn ihre Bulletins und Zeitungen waren entweder staatlich lizensiert oder in größerem Maße als bisher geduldet, erschienen als Tages- oder Wochenpresse und oftmals mit fünfstelligen Auflagen.240 Zum anderen veränderte die Gründung einer freien Gewerkschaft die politische Landschaft Polens nachhaltig. Oppositionelle Denker, nun Experten oder Berater genannt, waren wie die Gewerkschaftsvertreter selbst stärker vom Tagesgeschäft, von kleinen und großen Krisen im Verhältnis der Gewerkschaft zur Staatsmacht und den wirtschaftlichen Nöten des Landes vereinnahmt, als dass sich die Gelegenheit für ein philosophisches Räsonnement bot, wie es den Zweiten Umlauf vor dem August 1980 ausmachte. So erschienen die bisher bekannten Zeitschriften des polnischen Samizdat seltener und ihre abstrakten und

 238 So äußerte schon am fünften Tag des Streiks auf der Lenin-Werft ein österreichischer Journalist die Meinung, es herrsche dort „Karnivalstimmung [sic!]“. Garton Ash: The Polish Revolution, S. xii. 239 Vgl. besonders: Michail M. Bachtin: Tvorčestvo Fransua Rable i narodnaja kul’tura srednevekov’ja i renessansa, Moskau 1965, S. 3–16. 240 Vgl. Krzysztof Łabędź: Koncepcje polityczne w prasie NSZZ „Solidarność“ w latach 1980– 1981, Thorn 2004, S. 36–45.

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räsonierenden Beiträge verloren im tagespolitischen Geschäft an Attraktivität.241 Dennoch entwickelte und repräsentierte die Gewerkschaftsbewegung eigene Positionen und Inhalte zum und mit dem Deutungsmuster Nation, die nicht nur in den 16 Monaten ihres Bestehens, sondern auch für die folgenden Jahre von größter Relevanz waren.242 Das politische Denken der Solidarność zur Nation soll hier anhand ihrer Symbolik und ihren Praktiken sowie der Aushandlung von Grundsatz- und Programmdiskussionen untersucht werden. So soll die Solidarność in Anlehnung an Sergiusz Kowalski und Elżbieta Ciżewska als angewandte politische Philosophie verstanden werden.243 Im Folgenden werden entsprechend dieser zwei Zugangswege zum politischen Denken der Solidarność zwei Ereignisse exemplarisch betrachtet: die Entstehung des Gewerkschaftsgedankens während des Okkupationsstreiks auf der Danziger Lenin-Werft im August 1980 und die Aushandlung eines Gewerkschaftsprogramms, die ihren Höhepunkt auf dem Gewerkschaftstag der Solidarność im September und Oktober 1981 fand.

2.4.1 Der Streik auf der Lenin-Werft Als in der Streikwelle des Sommers 1980 immer wieder Proteste und Arbeitsniederlegungen an einzelnen Orten aufflackerten, antwortete die Staatsmacht regional und mit nachgeordneten Repräsentanten. Statt eine koordinierte Strategie zu entwickeln, handelten die Behörden unabhängig voneinander und waren durch innere Verwerfungen und Tatenlosigkeit gelähmt.244 Auf der Danziger Lenin-Werft wurde auch, nachdem erste Forderungen erfüllt wurden,

 241 So erschien beispielsweise die Zeitschrift Krytyka in diesen 16 Monaten zwar drei Mal (Ausgaben 7–9), davon war aber eine Ausgabe vor dem Streik erstellt worden und eine weitere eine lange geplante Sammlung ungarischer Texte. 242 Vgl. Grzegorz Bakuniak/Krzysztof Nowak: The Creation of a Collective Identity in a Social Movement. The Case of „Solidarność“ in Poland, in: Theory and Society, 16/3 (1987), S. 401– 429, hier S. 427. 243 Sergiusz Kowalski: Krytyka solidarnościowego rozumu. Studium z socjologii myślenia potocznego, Warschau 2009, S. 28; Ciżewska: Filozofia publiczna Solidarności, S. 17. 244 Holzer: „Solidarität“, S. 110–113. Jerzy Holzers Buch Solidarität ist sicherlich eines der bemerkenswertesten Werke der polnischen Zeitgeschichte und Zeitgeschichtsforschung. Unter den Bedingungen des Kriegsrechts und folglich ohne Zugang zu Quellen oder Zeitzeugen entstanden, ist die Darstellung der Ereignisse keineswegs unproblematisch. Dennoch bietet er in weiten Teilen eine anregende Analyse der Solidarność, gerade weil diese sich der Grenzen ihrer Erklärungsreichweite bewusst ist.

114  Aufbrüche mit der Nation weitergestreikt. Unter der Führung des arbeitslosen Elektrikers Lech Wałęsa schlossen sich 156 Betriebe aus der Region zu einem überbetrieblichen Streikkomitee zusammen245, das nun aus Solidarität mit anderen Betrieben den Arbeitsausstand organisierte und erstmals politische Forderungen aufstellte. Zu den Lohnforderungen kamen die Forderungen nach Wiedereinstellung der Streikführer, unter anderen Wałęsas.246 Aus der Vereinzelung der verschiedenen Betriebe war der Gedanke einer gemeinsamen Bewegung geworden, die sich bald unter dem Namen Solidarität gruppierte. Die Ostseeküste war kein zufälliger Ort für einen solch nachhaltigen Protest. Schon im Dezember 1970 hatte es hier umfangreiche Proteste gegeben, die blutig von der Armee niedergeschlagen worden waren. 45 Menschen hatten ihr Leben verloren, 11 000 waren verletzt und mehr als 3000 verhaftet worden.247 Die Streikenden des Sommer 1980 verhandelten bis zum 31. August unterstützt von Warschauer Intellektuellen mit Vertretern verschiedener Regierungs- und Parteiebenen, bis ihre heterogenen Forderungen schließlich erfüllt wurden. Der Okkupationsstreik – eigentlich eine Lehre aus der gewaltsamen Niederschlagung im Dezember 1970 – wurde durch seine Konzentration auf einen überschaubaren Raum des Werksgeländes und seine thematische Dichte zu einem Biotop der entstehenden Gewerkschaft und eines neuen Abschnitts oppositionellen Handelns. Für die handelnden Akteure war ganz offensichtlich der Streik mit den Streikenden identisch. Wer „wir“ waren, bedurfte keiner weiteren Erläuterung. Im Sinne dieser Arbeit muss aber gefragt werden, worauf sich diese Gemeinschaft berief und wie sie sich ausdrückte. Der Streik im August 1980 war nicht nur von überall präsenten Symbolen sowie häufig wiederholten Ritualen geprägt, sondern lässt sich dank eines ausgesprochen großen Medieninteresses gut auf diese Handlungen hin untersuchen. So fällt bei der Analyse von Photographien aus der bestreikten Werft, von dort verfassten und verlesenen Parolen, Gedichten, Parolen und ritualisierten Handlungen die hohe religiöse Prägung des Okkupationsstreiks auf der LeninWerft auf, wie dies Barbara Törnquist Plewa und Jan Kubik in ihren Untersuchungen herausgearbeitet haben.248 Heilige Messen und regelmäßige Gebete

 245 Andrzej Leon Sowa: Historia polityczna Polski. 1944–1991, Krakau 2011, S. 443. 246 Holzer: „Solidarität“, S. 114f. Vgl. die 21 Forderungen vom 17. August 1981 bei: Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 30f. 247 Friszke: Polska, S. 308. 248 Barbara Törnquist Plewa: The Wheel of Polish Fortune. Myths in Polish Collective Consciousness during the First Years of Solidarity, Lund 1992; Jan Kubik: The Power of Symbols against the Symbols of Power. The Rise of Solidarity and the Fall of State Socialism in Poland,

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strukturierten den Alltag des Okkupationsstreiks, der sich zwischen erhitzter Debatte und lähmendem Warten bewegte. Die religiöse Praxis beruhigte so immer wieder die Gemüter und war gleichzeitig mit Ansprachen, besonders des Streikführers Lech Wałęsa, verbunden249, so dass Gottesdienst und politische Rede, Katechese und Mobilisierung ineinander übergingen. Allein die religiöse Überformung der Werft kam einer Provokation der Staatsmacht gleich. Die Werft, nach Vladimir I. Lenin benannt, war ein Prestigeprojekt der sozialistischen Industrie, das durch die Werktätigen nun im Streik mit einem gänzlich anderen Sinn aufgeladen wurde.250 Gut sichtbar für die Streikteilnehmer, aber auch für die Außenwelt, waren religiöse Bilder und Parolen an den Werfttoren, Mauern oder anderen neuralgischen Punkten angebracht. In Danzig „streikte die Madonna“ nun mit der Werft, wie eine an eine Wand gemalte Parole verkündete.251 Neben Marien-Darstellungen waren vor allem Porträts des 1978 gewählten polnischen Papstes, Johannes Paul II., zu sehen und in selteneren Fällen Jesus-Darstellungen.252 Die Verbindung von Marien-Darstellungen und Papst stellte sich reflexiv dar, war doch einerseits Johannes Paul II. trotz seiner innerhalb der katholischen Kirche Polens eher als liberal einzuschätzenden Haltung als Anhänger und Förderer einer marianisch geprägten Frömmigkeit bekannt und galt andererseits diese Frömmigkeitsform im Bewusstsein polnischer Katholiken als besonders polnisch.253 Gerade die Muttergottes von Tschenstochau wurde im Streik immer wieder als Repräsentantin und Beschützerin der katholischen Nation angeführt254, wie dies schon in den verschiedenen Auseinander-

 University Park 1994. Für eine Auswahl von Photographien des Okkupationsstreiks siehe: Erazm Ciołek: Polska. Sierpień 1980–sierpień 1989, Warschau 1990, S. 15–36. 249 Garton Ash: The Polish Revolution, S. 51f. 250 Berenika Szymanski: Theatraler Protest und der Weg Polens zu 1989. Zum Aushandeln von Öffentlichkeit im Jahrzehnt der Solidarność, Bielefeld 2012, S. 117f. 251 Törnquist Plewa: The Wheel of Polish Fortune, S. 68. 252 Vgl. Katarzyna Madoń-Mitzner: Dni Solidarności, in: Karta, 10/30 (2000), S. 4–103, hier S. 86f. 253 Albert S. Kotowski: Polen in Deutschland. Religiöse Symbolik als Mittel der nationalen Selbstbehauptung (1870–1918), in: Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hrsg.): Nation und Religion in Europa. Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main/New York 2004, S. 253–279, hier S. 275. 254 Vgl. die ikonographische Repäsentation des Marien-Motivs auf dem Werftgelände: Longina Jakubowska: Political Drama in Poland. The Use of National Symbols, in: Anthropology Today, 6/4 (1990), S. 10–13; Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 27; Ciżewska: Filozofia publiczna Solidarności, S. 192c-d; Madoń-Mitzner: Dni Solidarności, S. 54. Dieses MarienNarrativ geht zurück auf die Anfänge der Marienverehrung in der polnisch-litauischen Adelsrepublik und die Metapher von Maria als Königin Polens. Vgl. Agnieszka Gąsior: Die Gottesmut-

116  Aufbrüche mit der Nation setzungen zwischen Staat und Kirche in der Volksrepublik der Fall gewesen war.255 Mit diesen religiösen Bezügen gaben die Streikenden nicht nur ihrer Frömmigkeit Ausdruck, sondern knüpften auch an die Wundersemantik im polnischen Geschichtsdenken an, mit der zum Beispiel die Muttergottes von Tschenstochau immanent verbunden war.256 Pointiert wurde diese Verbindung von zeitgenössischer Spiritualität und geschichtspolitischer Aufladung in der Person Wałęsas, eines einfachen Elektrikers und praktizierenden Katholiken, der nach längerer Tätigkeit in den oppositionellen Freien Gewerkschaften an seiner ehemaligen Arbeitsstätte den Streik lenkte. Von den streikenden Arbeitern wurde er plakativ als ‚Leszek‘ bejubelt, also mit dem Diminutiv seines Vornamens, was Bodenständigkeit und eine freundschaftliche Verbundenheit zwischen Streikenden und Streikführer vermittelte.257 Wałęsa trug während dieser Zeit, wie auch häufig in seiner späteren Funktion als Staatspräsident, ein großes Bild der Mutter Gottes von Tschenstochau am Revers.258 Die Danziger Vereinbarungen mit der Staatsmacht unterzeichnete er ähnlich plakativ mit einem überdimensionierten Kugelschreiber mit dem Porträt Johannes Pauls II.259 So stellte er sich für seine Zeitgenossen erkennbar in vertraute, religiös-nationale Traditionen und nutzte seine öffentlichen Auftritte als Bühne einer nonkonformen Gegenöffentlichkeit.260 Religiöse Symbole ersetzten oftmals die als fremd emp-

 ter. Marias Stellung in der religiösen und politischen Kultur Polens, in: Stefan Samerski (Hrsg.): Die Renaissance der Nationalpatrone. Erinnerungskulturen in Ostmitteleuropa im 20./21. Jahrhundert, Köln 2007, S. 77–98; Damien Tricoire: Gottesmutter Königin von Polen. Die Sakralisierung der polnischen Monarchie im Vergleich mit Frankreich und Bayern (1630er– 1650er Jahre), in: Agnieszka Gąsior (Hrsg.): Maria in der Krise. Kultpraxis zwischen Konfession und Politik in Ostmitteleuropa, Köln 2014, S. 93–116. 255 Vgl. Antoni Dudek/Ryszard Gryz: Komuniści i kościół w Polsce. 1945–1989, Krakau 2003, S. 217–276. 256 Törnquist Plewa: The Wheel of Polish Fortune, S. 31–63. Ähnlich markant war Wałęsas Schnauzbart, der seine Zeitgenossen an Marschall Józef Piłsudski erinnerte. Zum PiłsudskiMotiv bei Wałęsa: Carole Nagengast: Reluctant Socialists, Rural Entrepreneurs. Class, Culture, and the Polish State, Boulder 1991, S. 24; Wolfgang Schlott: Piłsudski-Kult. Die Wiedergeburt einer charismatischen Persönlichkeit in der Solidarność-Ära (1980 bis 1989), Bremen 2003, S. 17 und 28. 257 Szymanski: Theatraler Protest, S. 89. 258 Vgl. Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 43. 259 Reinhold Vetter: Polens eigensinniger Held. Wie Lech Wałe̜sa die Kommunisten überlistete, Berlin 2010, S. 69. 260 Törnquist Plewa: The Wheel of Polish Fortune, S. 68f.; Szymanski: Theatraler Protest, S. 69f.

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fundenen Repräsentationen der Staatsmacht und konnten eine bewusste Abgrenzung vermitteln.261 Ein sprechendes Beispiel dafür waren die zahlreichen Kruzifixe, die in Sitzungssälen aufgehängt wurden, in denen die Streikenden mit den Behörden und der Regierung verhandelten.262 Darüber hinaus vermittelten gemeinsam gesungene Lieder wie „Boże, coś Polskę“ („Gott, der du Polen...“) oder auch Gedichte ein Gefühl von Gemeinschaft zwischen den Streikenden.263 Bewusst wurde die Werft zu einem Ort für künstlerisches Schaffen oder für Aufführungen, der von Kulturschaffenden gezielt aufgesucht wurde. So verstand sich der Direktor des Danziger Theaters der Küste, Maciej Prus, durchaus im Auftrag der Streikenden, wie er in einem Interview sagte: „I talked to the workers and realized that they really needed great literature and great poetry.“ 264 Aufführungen und Lesungen, aber auch Wandzeitungen positionierten religiös und national aufgeladene Dichtung, ob polnische Klassiker oder Neudichtungen, im öffentlichen Raum der Werft. Ein Hauptthema der spontanen und oft stilistisch eher einfachen Streitlyrik war die Freiheit und ihre Verwurzelung nicht nur in der Geschichte der Arbeiterproteste an der Küste265, sondern in der polnischen Geschichte überhaupt.266 Freiheit verschränkte so Vergangenheit und Zukunft, oder unter Rekurs auf Reinhart Koselleck Erfahrungsraum und Erwartungshorizont267, ineinander, indem Freiheit Erbe und Hoffnung zugleich wurde. So oszillierte der Begriff zwischen traditionalisierender und prophetischer Legitimation der Streikbewegung. Betrachtet man den Streik mit Berenika Szymanski als theatrale Inszenierung, so wurden die Streikenden dadurch mehr als nur Beobachter der Ge-

 261 Norbert Boratyn: Czynniki określające dynamikę ruchu „Solidarność“ w latach 1980–1981, in: Marcin Kula (Hrsg.): Solidarność w ruchu 1980–1981, Warschau 2000, S. 7–150, hier S. 71. 262 Erazm Ciołek: Solidarność. Sierpień 1980–sierpień 1989, Warschau 2010, S. 73 und 75. 263 Törnquist Plewa: The Wheel of Polish Fortune, S. 75. Das Lied gehörte seit 1797 nicht nur bei den verschiedenen Aufständen zum Repertoire des polnischen Patriotismus. Auch in der Volksrepublik prägte es nationale Protestbewegungen, wie beispielsweise den Posener Juni 1956, als Arbeiter für Brot und Freiheit und gegen die sowjetische Dominanz protestierten. Vgl. Paweł Machcewicz: Polski rok 1956, Warschau 1993, S. 88. 264 Zitiert nach: Kubik: The Power of Symbols, S. 191. 265 Dabei wurden diese Arbeiterstreiks auch in der Gewerkschaftspresse als Erbe dargestellt, aus denen Lehren für das Jahr 1980 gezogen werden konnten. Vgl. Łabędź: Koncepcje polityczne, S. 104f. 266 Törnquist Plewa: The Wheel of Polish Fortune, S. 177f. 267 Reinhart Koselleck: ‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien, in: Ders.: Vergangene Zukunft, Frankfurt am Main 3. Aufl. 1995, S. 349–375, hier S. 354– 359.

118  Aufbrüche mit der Nation schehnisse, sie wurden „emanzipierte Zuschauer“268, die selbst aktiv in diese Geschehnisse und ihre Deutung eingreifen konnten, deren Hoffnungen sich aber zugleich radikalisierten. So versahen Arbeiter das provisorische Denkmal für die Opfer des Dezembers 1970 mit paraphrasierten Zeilen aus Lord Byrons The Giaour in der Übersetzung von Adam Mickiewicz.269 Dabei ließ die spontan niedergeschriebene Fassung auf der Danziger Lenin-Werft die Blut-Anspielung des Originals aus, um nicht den friedlichen Charakter des Okkupationsstreiks in Frage zu stellen.270 Kehrte mit diesem Freiheitsnarrativ der Mythos der polnischen Aufstände zurück271, schwächten die Streikenden diesen historischen Rückgriff mit der für die Solidarność prägenden Selbstbeschränkung wiederum ab. Besonders die Texte des immer wieder rezitierten Nationaldichters Adam Mickiewicz trugen ein weiteres Kernnarrativ polnischer Geschichtsphilosophie in die Sinnwelt des Okkupationsstreiks. Hatte er in seiner Ahnenfeier272, aber auch in anderen Werken, einen polnischen Messianismus beschworen, also das Wirken Polens als Christus unter den Völkern zur Errettung der Welt, boten sich dort für die Streikenden in ihrer akuten Freiheitserfahrung vielfältige Anknüpfungspunkte. Trotz seiner religiösen Metaphorik wohnt dem polnischen Messianismus eine politische, gar revolutionäre Tendenz inne. In den Warschauer Märzereignissen des Jahres 1968 hatte zum Beispiel der Streit über die Absetzung der Ahnenfeier das mobilisierende Potential des Stücks bis ins 20. Jahrhundert demonstriert, auch wenn die Studentenproteste eher sozialistisch als national geprägt waren.273 Das Danziger „romantic revival“274 übertrug nun den Messianismus des 19. Jahrhunderts, der abstrahiert in der Verbindung

 268 Szymanski: Theatraler Protest, S. 77. Eine ähnliche Theatermetapher für die Solidarność als Gesamtphänomen schlägt vor: Elżbieta Matynia: Performative Democracy, Boulder 2009. 269 „Walka o wolność / gdy raz się zaczyna / dziedzictwem z ojca / Przechodzi na syna / sto razy wrogów / złamana potęgą / Skończy zwycięstwem“. Im Original: „For Freedom’s battle once begun / Bequeath’d by bleeding Sire to Son, / Though baffled oft is ever won.“ Vgl. Törnquist Plewa: The Wheel of Polish Fortune, S. 181; Byron: The Giaour, in: The Works of Lord Byron, Bd. 3, London 1821, S. 7–61, hier S. 12. 270 Norman Davies: Heart of Europe. A Short History of Poland, Oxford/New York 1986, S. 382f. Die Übersetzung wurde zudem fälschlicherweise Zygmunt Krasiński zugeschrieben 271 Törnquist Plewa: The Wheel of Polish Fortune, S. 175–184. 272 Adam Mickiewicz: Die Ahnenfeier. Dziady. Ein Poem. Zweisprachige Ausgabe, hrsg. und übers. v. Walter Schamschula, Köln/Wien 1991. 273 Vgl. Eisler: Polski rok 1968, S. 164–175. 274 Kubik: The Power of Symbols, S. 194.

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von Utopie und Mission bestand275, auf die konkrete Situation der Streikenden. Der religiösen und utopischen Symbolsprache des Streiks und ihren Ausdrucksformen war die erkennbare Hoffnung auf eine Gestaltung der Zukunft durch die Arbeiter und durch die entstehende Gewerkschaft gemeinsam.276 Die Vorstellung, dabei von transzendenten Mächten – je nach Textbeispiel eine christliche Gottesvorstellung oder ein eher allgemeines Schicksal – beeinflusst und angeleitet zu sein, integrierte die Streikgemeinschaft zudem. Dabei entfiel der konkrete Kontext des Streiks oder die Werft als sein Ort, die kaum noch thematisch aufgegriffen wurden. Der Streik war über die Werft hinausgewachsen. In den oben besprochenen Symbolen der Streikbewegung verwischte die Grenze zwischen religiösen und politischen, aber auch nationalen Motiven. Nationale Primärsymbole wie die polnische Flagge, der polnische Weiße Adler – oft mit Krone, also in seiner nicht-kommunistischen Ausführung277 – oder auch die polnische Hymne Noch ist Polen nicht verloren waren ebenso allgegenwärtig wie religiöse Symbole. Die Hymne entfaltete gar kathartische Wirkung, wenn Wałęsa sie in Konfliktsituationen intuitiv anstimmte und die übrigen Anwesenden daraufhin in seinen Gesang einstimmten.278 Kein Streikender, aber auch kein Regierungsvertreter, der zu Verhandlungen die Werft besuchte, konnte sich dem Gesang entziehen, so dass die Hymne ein performatives Bewusstsein der Zusammengehörigkeit schuf, auch über Gegensätze hinweg. Auch das Symbol der Gewerkschaft selbst, der vom jungen Danziger Grafiker Jerzy Janiszewski entworfene Schriftzug Solidarność279, griff in seiner roten Schrift auf weißem Grund und der integrierten polnischen Flagge den nationalen Sinn des Streiks und der noch zu gründenden Gewerkschaft auf. Das wohl beliebteste nichtreligiöse Lied des Streiks brachte die patriotischen Gefühle der Streikenden noch anschaulicher auf einen Punkt, lautete sein Refrain doch schlicht „dass Polen, dass Polen, dass Polen Polen [beziehungsweise in einer zensierten Textfassung ‚polnisch‘] sei“.280 Solidarität repräsentierte dabei eine Form von Ge-

 275 Andrzej Walicki: Filozofia a mesjanizm. Studia z dziejów filozofii i myśli społecznoreligijnej romantyzmu polskiego, Warschau 1970, S. 17f. 276 Kubik: The Power of Symbols, S. 190. 277 Ebd., S. 195. Um unnötige Konflikte mit den Behörden zu vermeiden, entfernte die Streikführung Darstellungen des Weißen Adlers mit Krone aber von besonders prominenten Orten. 278 Garton Ash: The Polish Revolution, S. 69. 279 Kubik: The Power of Symbols, S. 195. 280 Boratyn: Czynniki określające, S. 71. Die Zensur griff hier ein, um die nur orthographisch und nicht phonetisch wiederzugebende Bedeutungsdifferenz, ob Polen „Polen“ oder „polnisch“ sein solle, zu klären. Die durch Groß- oder Kleinschreibung modifizierte Aussage wurde

120  Aufbrüche mit der Nation meinschaft, die sich in überlappenden Betrachtungen als Volk und Nation und ebenso als deren Repräsentant verstand. Für die Streikenden war der Streik Emanzipation und Repräsentation zugleich. Mit der Besetzung der Werft und der spontanen Selbstorganisation emanzipierten sich die in Danzig versammelten Arbeiter nicht nur von ihrer Betriebsleitung, sondern figurativ auch von der Bevormundung durch die sozialistische Staatlichkeit. Plötzlich waren Arbeiter, die zuvor nur wenig Selbstständigkeit gezeigt hatten, in der Lage zu organisieren, Neuigkeiten zu verbreiten und ihren Willen zu artikulieren.281 Zugleich repräsentierten die streikenden Arbeiter aber auch in ihrem Selbstverständnis die polnische Nation, wenn sie mit Plakaten zum Beispiel „Gerechtigkeit und Gleichheit für die ganze Nation“282 forderten. Eben diese Nation nahm im konkreten Sinn am Streik teil, indem sie Geld und Lebensmittel für den Streik spendete und zahlreiche Bewohner der Dreistadt Danzig-Zoppot-Gdingen zu den regelmäßigen Gottesdiensten an die Werkstore strömten, um gleichsam ihre „Bürgerpflicht“283 zu erfüllen. Nationale Gemeinschaft wurde so im Streik selbst und in seiner Wirkung auf Danzig und das ganze Land erfahrbar.

2.4.2 Suche nach einem Programm In Anbetracht des rasanten Wachstums der Solidarność und der notwendigen Umgestaltung spontan entstandener Streikkomitees in dauerhafte Gewerkschaftsstrukturen hatten ein formelles Programm oder ausformulierte Leitlinien für die Solidarność zunächst keine Priorität.284 Das am 10. November 1980 registrierte Gewerkschaftsstatut benannte die Aufgabe der Gewerkschaft mit dem „Schutz der Rechte, der Würde und der Interessen der Arbeitnehmer“.285 An eine

 als Angriff auf die Legitimität der Volksrepublik Polen als polnischer Staat verstanden. Vgl. Marcin Kula: Narodowe i rewolucyjne, London/Warschau 1991, S. 274. 281 Vgl. die Aussage des Streikführers Włodzimierz Mękarski: „I really don’t know where this excellent organisation came from. After all, we had had no experience. Nobody had shown us how.“ Madoń-Mitzner: Dni Solidarności, S. 78. 282 Vgl. die Abbildung von Streikenden und einer mit Plakaten, Marienbild und polnischer Flagge geschmückten Mauer bei: Szymanski: Theatraler Protest, S. 73. 283 Ebd., S. 85. 284 Holzer: „Solidarität“, S. 329. 285 Statut NSZZ „Solidarność“, in: Bronisław Pasierb (Hrsg.): NSZZ „Solidarność“ 1980–1981. Podstawowe dokumenty – Kronika działalności – Bibliografia, Breslau 1990, S. 48–66, hier S. 49.

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Gemeinschaft appellierte sie so also nicht, sondern nur an die Gesamtheit der Arbeitenden. Erst im Februar 1981 begann die Landesverständigungskommission (Komisja Krajowa Porozumiewawcza) mit der Diskussion eines ersten Programmentwurfs, den ein Expertenkreis unter dem irreführenden Titel Handlungsrichtungen der Gewerkschaft in der gegenwärtigen Situation des Landes erstellt hatte. In der Zwischenzeit hatte der Übergang von der sich selbst beschränkenden Streikbewegung zu einer breiten gesellschaftlichen Bewegung die Solidarność vor grundlegende Fragen ihrer Identität gestellt286, so dass ein Programm nun Stabilität verleihen sollte.287 Schon in dieser Phase wurde aber deutlich, dass es eine Solidarność nicht geben konnte, dass regionale und programmatische Unterschiede zwischen den einzelnen Machtzentren zu groß waren. Der an sich handlungs- und wirtschaftsorientierte Entwurf, allgemein nur Richtungen genannt, legte in seinem ersten Abschnitt „grundlegende Werte“ der Gewerkschaft dar. In sinnweltlicher Anlehnung, aber semantischer Distanzierung zum Marxismus war nun von „Rechten, Würde und Interessen der ganzen Arbeitswelt“288 die Rede, die es zu schützen gelte. Die Autoren bezogen sich also auf ein Abstraktum, dessen Begrifflichkeit wohl dem Proletariat in marxistischer Diktion entsprach, ohne diesen Begriff jedoch aufzugreifen289, und nicht auf das Individuum wie noch im Statut. Als ideologische Grundlagen der Gewerkschaft benannten die Autoren „[d]ie besten Traditionen der Nation, die ethischen Grundsätze des Christentums, die politische Aufforderung der Demokratie und den sozialistischen Sozialgedanken – das sind unsere vier Hauptinspirationsquellen.“290 In ihrer Breite stellte diese Aufzählung von konkurrierenden Ordnungsvorstellungen einen Kompromissvorschlag für die ausgesprochen heterogene Mitgliederschaft dar. Dabei fokussierte der Text auf das katholische Erbe Polens, fügte aber weitere Bekenntnisse und Weltanschauungen kommentarlos hinzu. Aus dem polnischen Freiheitskampf leiteten die Autoren die Werte Toleranz, Brüderlichkeit und Gleichheit vor dem Recht sowie „bürgerliche Verantwortung für die Republik“ ab und postulierten so mit leichter sprachlicher  286 Staniszkis: Poland’s Self-Limiting Revolution, S. 132. Jadwiga Staniszkis popularisierte Jacek Kurońs Diktum von der sich „selbstbeschränkenden Revolution“. Vgl. beispielsweise: Jacek Kuroń: O sytuacji w kraju i Związku. Głos w dyskusji na posiedzeniu krajowej Komisji Porozumiewawczej (24–26 lipca 1981 roku), in: Ders.: Opozycja, S. 269–273, hier S. 272. 287 Paczkowski: Pół wieku dziejów Polski, S. 324. 288 Kierunki działania związku w obecnej sytuacji w kraju. Tezy do dyskusji, in: Pasierb (Hrsg.): NSZZ „Solidarność“, S. 66–96, hier S. 66. 289 Vgl. Kowalski: Krytyka solidarnościowego rozumu, S. 58f. 290 Kierunki działania, S. 66f.

122  Aufbrüche mit der Nation Anpassung die mit der Französischen Revolution identifizierte Parole der Französischen Republik.291 Aus diesem ideologischen Synkretismus folgerten sie: „Deshalb ist unter uns Platz für Alle, unabhängig von ihrer Weltanschauung, ihrer Nationalität und ihren politischen Überzeugungen.“292 Die weitgefasste Gruppe der Solidarność-Anhänger sollte das Bekenntnis zur Würde des Einzelnen und zur solidarischen Gemeinschaft zwischen den Menschen der Arbeit zusammenführen, die auf die Vision eines neuen gesellschaftlichen Zusammenlebens ausgerichtet wurden.293 Eben diese Reduktion weltanschaulicher Fragen auf das Verhältnis zwischen Mensch und Gemeinschaft und den namensgebenden Grundsatz der Gewerkschaft machte die amorphe „Aideoligität“294 des Phänomens Solidarność aus. Statt also eine ideologische Position zu formulieren, argumentierte die Gewerkschaftsbewegung nur mit universellen und existentiellen Vorstellungen und bezog sich auf nahezu sämtliche ideologische Richtungen. Dieses Fehlen klarer und differenzierbarer Inhalte wurde weniger durch die Abgrenzung von der Staatsmacht, denn durch eine Integration der Anhänger und Mitglieder in eine vorgestellte und kaum hierarchisch gegliederte Gemeinschaft ermöglicht. Auf diese Weise stand die Solidarność vermeintlich über den Ideologien. Sie ließ sich so nur auf moralische Grundsätze und eine spezifische Form des Handelns festlegen, nicht aber auf eine konkrete Programmatik.295 Auf der Danziger Werft und dem Gewerkschaftstag verschwammen die Rollen von Experten, Mitgliedern und Anwesenden immer weiter, und über die Gemeinschaft der Anwesenden hinaus schien man mit der Arbeiterschaft und der Nation verbunden.296 Nicht das ideologisch  291 Vgl.: Mona Ozouf: Liberté, égalité, fraternité, in: Pierre Nora (Hrsg.): Lieux de Mémoire, Bd. III. Les France. L’archive à l’emblème, Paris 1997, S. 4353–4389. 292 Kierunki działania, S. 67. 293 Ebd. 294 Ciżewska: Filozofia publiczna Solidarności, S. 324–334; Paweł Rojek: Semiotyka Solidarności. Analiza dyskursów PZPR i NSZZ Solidarność w 1981 roku, Krakau 2009, S 133-166; Krzysztof Mazur: Aideologia Solidarności, in: Pressje, 9/21 (2010), S. 26–35. Hier liegt auch der Grund, warum sich die Solidarność als Projektionsfläche politischer Wünsche und Hoffnung in Polen wie auch im westlichen Ausland so eignete und für eine Vielzahl politischer oder religiöser Anschauungen die Umsetzung ihrer Forderungen bedeuten konnte. 295 Rojek: Semiotyka Solidarności, S. 137. Grzegorz Bakuniak spricht weniger pejorativ vom „zentralen Mythos“ der Solidarność. Ders./Stefan Nowak: My „Solidarność“. Nowy związek w własnych oczach, in: Ireniusz Krzemiński (Hrsg.): Polacy – jesień 80, Warschau 2005, S. 185– 212, hier S. 189f. 296 Diese Nivellierung stellt ein typisches Kennzeichen von Bachtins Karneval dar und entspricht ebenso Andersons Vorstellung der imagined community. Bachtin: Tvorčestvo, S. 9; Anderson: Imagined Communities, S. 49f.

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geprägte und inhaltlich informierte Streitgespräch der Opposition vor dem August 1980 prägte die Vorstellungen von Gemeinschaft, sondern die Tatsache des gemeinsamen Seins. Vor dem Hintergrund der Massenbewegung gab also nicht mehr die Idee, sondern die Aktion die Struktur der Gemeinschaft vor. Folgt man Sergiusz Kowalski und seiner breiteren Untersuchung des politischen Denkens der Solidarność, war selbst der Begriff der Würde uneindeutig und variierte in seiner Herleitung zwischen Individuum und sozialer Gruppe, zwischen erreichbarem Zustand und unveräußerlicher Eigenschaft.297 Auch die Quellen des Begriffs waren heterogen: War die Würde des Menschen Grundgedanke christlicher Ethik, betonte auch die staatssozialistische Propaganda die Würde des Arbeiters.298 Auch die ausführlichere Herleitung der Postulate Gleichheit, persönliche Freiheit und Demokratie entzog sich einer Abstufung einzelner Aspekte. Die Autoren der Richtungen leiteten sie aus der Betrachtung menschlicher Arbeit und gesellschaftlicher Gerechtigkeit ab, was sie jeweils auf das Individuum ausrichteten.299 Eine auffällig unterschiedliche Funktion nahmen dagegen die „Werte der Nation“ ein, die als „wertvoller und lebendiger Teil unseres kollektiven Bewusstseins […] das grundlegende Band unserer Gesellschaft in der gegenwärtigen Welt“300 bildeten. Waren persönliche Freiheit und Demokratie Mechanismen des Zusammenlebens, kam der Nation nur eine legitimierende und damit pragmatische Funktion zu. Zwischen den oben ausgeführten ideologischen Wurzeln der Gewerkschaft sollte sie im Programmentwurf als verbindende und umfassende Klammer fungieren. Mit ihren Postulaten löste dieser Programmentwurf eine breite und angeregte Debatte in den Medien der Solidarność aus, die sich jedoch kaum auf die geschilderten Werte der Gewerkschaft oder ihre Gemeinschaftskonzeptionen konzentrierte.301 Stärker standen die hier nicht weiter besprochenen Wirtschaftsfragen und allgemein gehaltene Kontroversen über die Strategie der Gewerkschaft im Vordergrund der Debatte. Nur ein Diskussionsbeitrag des Philosophen und unabhängigen Publizisten Marcin Król kritisierte die offensichtliche Unentschlossenheit der geistigen Grundlagen und den dennoch moralisierenden Ton des Schriftstücks. Król selbst stellte dem mit der Freiheit einen

 297 Kowalski: Krytyka solidarnościowego rozumu, S. 103–111. 298 Rojek: Semiotyka Solidarności, S. 135. 299 Kierunki działania, S. 68f. 300 Ebd., S. 69. 301 Vgl. Krzysztof Brzechczyn: Program i myśl polityczna NSZZ „Solidarność“, in: Łukasz Kamiński/Grzegorz Waligóra (Hrsg.): NSZZ „Solidarność” 1980–1989. Bd. 2, Ruch Społeczny, Warschau 2010, S. 13–74, hier S. 28–31.

124  Aufbrüche mit der Nation Begriff entgegen, der zwar zum semantischen Kanon der Solidarność gehörte, aber ebenso nur wenig spezifische Handlungsanweisungen zu skizzieren vermochte.302 Zwischen diesen sich widersprechenden Aspekten war nur deutlich, dass die polnische Nation seit Sommer 1980 eine besondere Dynamik erfahren hatte, als Wiedergeburt oder als Neuschöpfung. Der Programmentwurf blieb folglich unspezifisch in seiner Geschichts- und Gegenwartsdeutung, aber auch in der Frage, worauf sich die Gewerkschaft denn ideologisch beziehe. In der beispielhaften Form eines dilatorischen Formelkompromisses verbanden die Autoren Religiosität, Nation und Laizität, ohne das Verhältnis dieser Bezüge zu definieren: Das Kreuz neben dem Adler, wie es in vielen Gewerkschaftsbüros hängt, erinnert unsere Mitglieder an ihre moralische Herkunft und vertieft ihren Glauben an die Rechtmäßigkeit unserer Sache. Wir werden diese Strömung der Inspiration aufrechterhalten, verzichten aber nicht im Geringsten auf den weltlichen Charakter unserer Organisation.303

Im Herbst 1981 fand der erste Landesdelegiertenkongress der Gewerkschaft vor dem Hintergrund einer angespannten Lage statt. In zunehmend regelmäßigen Konfliktsituationen304 mit der Staatsmacht zeigte das mehrfach wiederholte Handlungsmuster aus Streik, Gesprächen und Zugeständnissen erste Abnutzungserscheinungen, die auf die Gewerkschaftsbewegung als solche übergriffen. Die allgemeine wirtschaftliche Situation und besonders die Versorgungslage wurden immer prekärer, während zeitgleich die Rote Armee an der polnischen Ostgrenze Manöver abhielt.305 Der Kongress stand vor der Aufgabe, ein neues Statut und ein richtungsweisendes Programms zu beschließen sowie eine neue Führung zu bestimmen. Überlegungen zu Inhalten und Positionen spitzten sich hier noch einmal zu, kamen doch rund 900 Delegierte aus dem ganzen Land zu zwei Sitzungsperioden im September und Oktober 1981 nach Danzig. Dass der Kongress in beiden Phasen länger als geplant dauerte, unterstrich nicht nur die Dringlichkeit der verhandelten Themen, sondern auch den eigentümlichen Charakter der Zusammenkunft. Die meisten Delegierten waren völlig unerfahren, was demokratische und organisatorische Prozesse anging.306 Spon-

 302 Marcin Król: O „Tezach“ kilka uwag krytycznych, in: Tygodnik Solidarności [Samizdat], 12.06.1981, S. 6. 303 Kierunki działania, S. 69. 304 Jan Ryszard Sielezin: Płaszczyzna konfrontacji politycznej między „Solidarnością“ a władzą w latach 1980–1981, Breslau 2005, S. 248–250. 305 Borodziej: Geschichte Polens, S. 365–367; Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 197. 306 Holzer: „Solidarität“, S. 316.

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tanität war das Wort der Stunde, so dass Entscheidungen inkonsistent oder gar widersprüchlich ausfallen konnten. Am vierten Sitzungstag verabschiedete der Gewerkschaftskongress mit einer einzigen Gegenstimme und einer Enthaltung eine Resolution zu einem geplanten Selbstverwaltungsgesetz, mit dem der Staat die lokale Verwaltung wohl unter Einfluss der ungarischen Reformen zu erneuern suchte.307 Selbstverwaltung war auch in Gewerkschaftskreisen seit der Jahreswende 1980/81 eine zunehmend diskutierte Formel, die schon in früheren Überlegungen der polnischen Opposition in verschiedener Gestalt eine Rolle gespielt hatte, wie zum Beispiel bei Jacek Kuroń oder Leszek Moczulski.308 Zunehmend radikalisiert, forderte die Danziger Resolution ein landesweites Referendum und drohte, die Solidarność könne eine Abstimmung unter den Bürgern der Volksrepublik Polen auch unabhängig vom Staat durchführen.309 Zwischen den beiden Sitzungsperioden des Gewerkschaftstages verhandelte dann eine Delegation des Präsidiums der Solidarność mit dem Sejm über das neue Gesetz. Die dort getroffene Vereinbarung widersprach jedoch der Resolution und verstärkte so nur noch die Kontroversen über Entscheidungsprozesse innerhalb der Solidarność.310 Auch die Staatsmacht heizte die Lage mit provozierenden Äußerungen an und schien eine Radikalisierung der Gewerkschaft bewusst fördern zu wollen.311 Nach ausufernden und kontroversen Diskussionen verabschiedete der Gewerkschaftstag am 7. Oktober 1981 ein Programm, das in einigen entscheidenden Punkten vom Entwurf der Richtungen aus dem Februar 1981 abwich. In seiner Einleitung legte diese „Mischung aus dringenden Tagesforderungen und damals noch visionär-utopischen Zielen“312 die Legitimation der Gewerkschaft aus verschiedenen Perspektiven dar. Wirtschaftliche Zwänge erhielten hier eine völlig neue Gewichtung in der Programmatik der Solidarność, indem der Programmtext nun offen auf die Versorgungslage als Faktor seines Entstehens zu sprechen kam: „Es ging uns auch um Gerechtigkeit, um Demokratie, um Wahrheit, um Rechtsstaatlichkeit, um Menschenwürde, um Meinungsfreiheit, um die

 307 Colin Barker: Festival of the Oppressed. Solidarity, Reform and Revolution in Poland 1980–1981, London 1986, S. 99. 308 Jacek Kuroń: Notatki o samorządzie [zuerst erschienen in: Glos [Samizdat], 1/1 (1977)], in: Ders.: Opozycja, S. 96–98; Moczulski: Rewolucja bez rewolucji. 309 Holzer: „Solidarität“, S. 317. 310 Barker: Festival of the Oppressed, S. 113f. 311 Holzer: „Solidarität“, S. 319. 312 Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 221.

126  Aufbrüche mit der Nation Ausbesserung der Republik, nicht nur um Brot, Butter und Wurst.“313 Diese Verteidigungshaltung lässt sich nicht mehr nur mit der zunehmend prekären Versorgung mit Nahrungsmitteln erklären314, mit der sich die Solidarność zu beschäftigen hatte, sondern spiegelte auch Rechtfertigungsprobleme einer Massenbewegung wider, die an gesellschaftlichem Rückhalt verlor.315 Das affirmative Bekenntnis zur heterogenen Basis der Gewerkschaftsbewegung und zum Pluralismus blieb inhaltlich praktisch unverändert.316 An anderer Stelle zählte der Text wieder „elementare Werte“ der Gewerkschaft auf, ließ aber diesmal den Rekurs auf eine sozialistische Inspiration aus, so dass sich die Grundlage des Programms „aus den Werten der christlichen Ethik, der nationalen Tradition und den Arbeiter- und Demokratietraditionen der Arbeitswelt“317 ableitete. Gewissermaßen als Ersatz für sozialistische Einflüsse rekurrierte das Programm nun auf die im September 1981 veröffentlichte Enzyklika Johannes Pauls II. Laborem exercens318, in der der polnische Papst den arbeitenden Menschen als Ausgangspunkt und Maßstab katholischer Soziallehre betonte. Dabei handelt es sich offensichtlich stärker um eine begriffliche denn um eine inhaltliche Einschränkung. Waren viele Mitglieder der Solidarność gegenüber den Begriffen des real existierenden Sozialismus stark sensibilisiert, wirkten sich dessen grundlegende Sinnwelten deutlich nachhaltiger aus.319 Eine solche Entwicklung kritischer Überlegungen aus dem ideologischen Fundus des Regimes, das es zu überwinden gilt, ist keineswegs widersprüchlich.320 Sie illustriert vielmehr die Durchdringung und Persistenz des Sozialismus in der polnischen Gesellschaft.  313 Program NSZZ „Solidarność“. Uchwalony przez I Krajowy Zjazd Delegatów, in: Pasierb (Hrsg.): NSZZ „Solidarność“, S. 99–145, hier S. 99. 314 Paczkowski: Pół wieku dziejów Polski, S. 337f. 315 Ebd., S. 339. 316 Program NSZZ „Solidarność“, S. 100. 317 Ebd., S. 101. 318 Ebd. 319 Die Reflexionsthese geht auf Jadwiga Staniszkis zurück. Dies.: Poland’s Self-Limiting Revolution. Siehe weiter: Łabędź: Koncepcje polityczne, S. 58f.; Kowalski: Krytyka solidarnościowego rozumu, S. 58f.; Rojek: Semiotyka Solidarności, S. 76–78. 320 Ähnliche Mechanismen hat auch Partha Chatterjee für den indischen Nationalismus der Unabhängigkeitsbewegung herausarbeiten können. Dies.: Nationalist Thought and the Colonial World. A Derivative Discourse, Minneapolis 1993, S. 21–23. Weitere Vergleichsperspektiven zeigt: Jakub Stępień: Comparative Analysis of the Thought of „Solidarność“ and the Indian National Congress, in: Ders./Stanisław Tokarski/Tomasz Latos/Katarzyna Jarecka-Stępień (Hrsg.): Towards Freedom. Ideas of „Solidarity“ in Comparison with the Thoughts of the Indian National Congress, Krakau 2011, S. 159–170.

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In der Konsequenz zielte das Programm auf eine breite Inklusion verschiedener Gewerkschaftsflügel und Positionen. Zudem grenzte sich die Gewerkschaft über ein Postulat der „Volksherrschaft“321 von der Staatsmacht ab und externalisierte so die Verantwortung für den Zustand des Landes. Wenn es weiter hieß, „dass unsere nationale Identität vollständig respektiert werden muss“322, vertiefte dies den Gegensatz nur weiter, implizierte die Formulierung doch einen Widerspruch zwischen Staatsmacht und „unserer nationalen Identität“. Dabei verstand sich die Solidarność selbst als Weg aus dieser moralischen und spirituellen Krise der politischen Gemeinschaft. Pathetische und aus historischen Vorbildern vertraute Formulierungen über eine „Ausbesserung der Republik“323, „Grundlagen für eine nationale Wiedergeburt“324 und die Selbstbeschreibung als „Bewegung zur moralischen Wiedergeburt der Nation“325 unterstrichen dies nur noch. Die Nation wurde in der Argumentation des Programmes zunächst aus zwei Quellen definiert: aus einer Tradition, die es zu beachten und wieder zu erschaffen gelte, und aus einer Neuschöpfung, die zu entwickeln sei. War die Arbeiterselbstverwaltung eine der kurzlebigen Errungenschaften des polnischen Oktobers 1956, so spielte sie in den Streiks des August 1980 und der frühen Solidarność keine entscheidende Rolle.326 Hier ging es vielmehr um eine Herauslösung betrieblicher Entscheidungsprozesse aus der staatlichen Kontrolle oder um die Einführung einer kommunalen Selbstverwaltung.327 Das Programm der Solidarność vom Oktober 1981 postulierte jedoch ein Prinzip der subsidiären Entscheidungsfindung in nahezu allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebensbereichen als Ordnungsprinzip eines zukünftigen Polens. Ausgangspunkt sollte die Selbstverwaltung des Arbeitsplatzes und auf lokaler Ebene sein, die Schutz gegen staatliche Einmischungen biete.328 Auch Kultur, Bildung, Wissenschaft und Presse sollten durch Eigenver-

 321 Program NSZZ „Solidarność“, S. 101. 322 Ebd. 323 Ebd., S. 99. Dieses Schlagwort war bereits im Reformstreben der polnischen Adelsrepublik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geläufig. Vgl. Michael G. Müller: Die Teilungen Polens 1772, 1793, 1795, München 1984, S. 22. 324 Program NSZZ „Solidarność“, S. 100. 325 Ebd., S. 101. 326 Barker: Festival of the Oppressed, S. 94f. Für eine detaillierte Darstellung der vorherigen Debatten zur Arbeiter- und Territorialselbstverwaltung siehe: Łabędź: Koncepcje polityczne, S. 193–220. 327 Ryszard Kozioł: Debata Samorządowa w czasach pierwszej Solidarności, Krakau 2004, S. 162–187. 328 Program NSZZ „Solidarność“, S. 124f.

128  Aufbrüche mit der Nation antwortlichkeit aus der staatlichen Kontrolle herausgelöst werden. Diese Abgrenzung vom Staat und seinen Funktionsmechanismen, wie Nomenklatur und zentraler Steuerung, verlieh den Gewerkschaftsforderungen eine neue Dimension. Sie zielte zwar auf einen Kompetenzentransfer ab, trennte aber die Sphären der Selbstverwaltung und der Staatlichkeit voneinander. Im Gegensatz dazu führte die Forderung nach der Repräsentation der Selbstverwaltungsorgane auf höchster Ebene zu einer Vermischung dieser Sphären. So sollte ein frei gewählter Sejm die „höchste Macht im Staate“ ausüben, ohne dass zwischen Exekutive und Legislative unterschieden wurde. Zusätzlich forderte das Programm die Einführung einer zweiten Parlamentskammer aus Selbstverwaltungsorganen.329 Damit stand die selbstverwaltete Gesellschaft sowohl neben als auch innerhalb staatlicher Strukturen, die Solidarność verfolgte folglich eine doppelte Strategie der Ergänzung und Konfrontation mit den bestehenden Instanzen sozialistischer Staatlichkeit. Mit ihrer vermischenden Parallelisierung von Selbstverwaltungsstrukturen und staatlichen Instanzen folgte das Konzept der Selbstverwaltung zwar einerseits dem oppositionellen Grundsatz, den Status quo und die Macht des Regimes anzuerkennen, führte ihn aber durch dessen strukturelle Aushebelung ad absurdum. Selbstverwaltung bedeutet in diesem Verständnis eine perpetuierte Form der Doppelherrschaft.330 Als Zeitzeuge und erster Historiker der Solidarność bezeichnete Jerzy Holzer diese selbstverwaltete Gesellschaft als eine „Utopie, die in die lange Reihe der freiheitlichen, sozialistischen Utopien gehört“331, der es aber letztlich an einer Begründung mangelte.332 Holzers Einschätzung verdeutlicht nur, was schon auf dem Gewerkschaftstag der Solidarność offensichtlich war. Die selbstverwaltete Republik war in ihrer Gestalt ein umfassender Kompromiss zwischen verschiedenen Flügeln der Gewerkschaft und setzte die additive Deutungsvermehrung vorheriger Programmtexte fort.333 In der zunehmend aggressiven Konfrontation zwischen Gewerkschaft und Staatsmacht hatte sie im Herbst 1981 kaum mehr realistische Chancen auf eine Umsetzung334 und erfüllte so bloß eine interne und abstrakte, keineswegs aber eine realpolitische Funktion. Innerhalb dieses Kompromisses lassen sich zwei Hauptlinien erkennen. Zum einen argumentier 329 Ebd., S. 126. 330 Jonathan Schell: The Unconquerable World. Power, Nonviolence, and the Will of the People, New York 2003, S. 200. 331 Holzer: „Solidarität“, S. 343. 332 Ebd., S. 344. 333 George Sanford (Hrsg.): The Solidarity Congress, 1981. The Great Debate, Houndmills 1990, S. 209. 334 Sielezin: Płaszczyzna konfrontacji, S. 331.

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te das Programm mit einem weit verstandenen Pluralismus, verbunden mit Subsidiaritätsvorstellungen aus der Gleichheit aller Menschen, unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit. Auch das Freiheitsverständnis des Programms, also namentlich die Bürger- und Menschenrechte, bezog sich auf einen negativen Freiheitsbegriff.335 Zum anderen betonten die im Programm enthaltenen Elemente des Solidarismus, wie Generationenverantwortung336, Familienpolitik337 und der Schutz von Alten und Behinderten338, eine spezifische Gemeinschaftsvorstellung der Solidarität. Dieser Willen zur Gestaltung der Lebensbedingungen und zur politischen Partizipation lässt sich im Sinne des Republikanismus als positive Auslegung des Freiheitsbegriffs verstehen.339 So stellte das Programm zwei grundverschiedene Argumentationsstränge nebeneinander, in denen sich die unterschiedlichen philosophischen und weltanschaulichen Quellen der Solidarność widerspiegelten. Damit bildete das Programm Strukturen und Prozesse der Meinungsbildung innerhalb der Gewerkschaft selbst ab. Überhaupt sind die Parallelen zwischen der selbstverwalteten Gesellschaft und der Solidarność als Bewegung auffällig, überlappen sie sich stilistisch doch in der Aneinanderreihung von Forderungen und Argumenten sowie inhaltlich in den Grundsätzen individueller Freiheit und gesellschaftlicher Solidarität. Es nimmt so kaum wunder, dass dies sowohl in der zeitgenössischen Begleitung als auch in der wissenschaftlichen Betrachtung mit dem politischen Denken der polnisch-litauischen Adelsrepublik und der Vorstellung der für diese Republik so prägenden goldenen Freiheit in Verbindung gebracht worden ist.340 Dabei wurde die Geschichte Polens eben nicht ins Feld geführt, um das Gewerkschaftsprogramm an sich oder die selbstverwaltete Gesellschaft im Besonderen herzuleiten.341 Ebenso kommt das Programm in weiten Teilen ohne die Appellation der Nation aus, auch wenn nicht strikt zwischen Nation, Gesellschaft und Polen unterschieden wurde. Der abschließende Aufruf zu einer Verständigung – „über das, was national, demokratisch und menschlich ist.

 335 Program NSZZ „Solidarność“, S. 126f. 336 Ebd., S. 130. 337 Ebd., S. 116f. 338 Ebd., S. 117f. 339 Magdalena Zolkos: Human Rights and Polish Dissident Traditions. The Civic Republican Perspective, in: Studies in Social and Political Thought, 10 (2004), S. 57–78, hier S. 62f.; Ciżewska: Filozofia publiczna Solidarności, S. 122–125. 340 Garton Ash: The Polish Revolution, S. 230. 341 Auch die vorherige Debatte über Selbstverwaltung zog diese Analogie nicht heran. Vgl. Kozioł: Debata Samorządowa, S. 197–201.

130  Aufbrüche mit der Nation Über das, was uns nicht trennen soll.“342 – verdeutlichte noch einmal den Grundimpetus der Solidarność, nämlich die „Bewegung zur Gemeinschaft hin“343, unabhängig von ihrer konkreten Gestalt.

2.4.3 Eine solidarische Nation Der eingangs für die Beschreibung der Solidarność herangezogene Michail Bachtin hat den Karneval als eine „umgestülpte Welt“344 bezeichnet, so dass sich dieser spezielle polnische Karneval der Solidarność als umgestülpte Nation denken lässt. Denn eines der Hauptkennzeichen des Karnevals besteht im Vorrang praktischen Handelns vor der intellektuellen Abstraktion. Wie sich die Gewerkschaftsbewegung zur Nation verhielt, war also in nicht geringem Maße von der einzelnen Person und ihrem Handeln im konkreten Kontext abhängig. In den Streiks und Kundgebungen der Gewerkschaftsbewegung ließ sich der private Raum, beispielweise der Familie, überscheiten, in dem diese Einzelpersonen mutmaßlich schon zuvor Vorstellungen der Nation ausgesprochen hatten. Eine solche „Wiederaneignung kultureller Symbole“ wurde im Karneval der Solidarność zum Hauptinstrument, um das Vertrauen der Gesellschaft zu gewinnen.345 Dies an sich war noch kein Unterschied zur Aushandlung der Nation in den Zeitschriften des Samizdat, überschritt aber die bis dahin wirksame oppositionelle Beschränkung auf Intellektuelle und öffnete die Debatte für eine breitere Masse. Innerhalb der Gewerkschaftsbewegung konnte die offizielle Programmatik der Leitungsgremien und der intellektuellen Berater nur wenig Gestaltungskraft entwickeln, sondern diente stärker der affirmativen Unterstützung von Massenprozessen und einer „Mobilisierung der Gefühle“346, die auf emotionaler Ebene eine Verbundenheit der Beteiligten schuf. Zudem hatte Polen durch die Solidarność in den Jahren 1980 und 1981 eine Form politischer Öffentlichkeit erhalten, wie sie zuvor und auch danach in Gesellschaften sowjetischen Typs

 342 Program NSZZ „Solidarność“, S. 145. 343 Bakuniak: My „Solidarność“, S. 193. 344 Michail M. Bachtin: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, Frankfurt am Main 1990, S. 48. 345 Fehr: Unabhängige Öffentlichkeit, S. 104. 346 Natali Stegmann: „Für Brot und Freiheit“. Zum Verhältnis von materiellen und ideellen Erwartungen im „Langen Sommer der Solidarność“, in: Osterkamp/Puttkamer (Hrsg.): Sozialistische Staatlichkeit, S. 161–174, hier S. 162.

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undenkbar gewesen wäre.347 Auch kam es zu ganz grundlegenden Überschneidungen zwischen oppositionellen und staatlichen oder innerparteilichen Prozessen, wie das Beispiel der Selbstverwaltungsdebatte gezeigt hat. Die Bewegung der „horizontalen Strukturen“ innerhalb der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, die sich für eine innerparteiliche Demokratisierung einsetzte, wäre ein weiteres Beispiel für eine solche Wirkung der Solidarność über die Grenzen ihrer eigenen Organisation hinaus.348 Wie sich die einzelnen Akteure nun also zur Nation oder auch zu anderen Themen positionierten, war stärker als zuvor performativ und pragmatisch bedingt. Die Nation und ihre Geschichte boten dabei am ehesten den Subtext und die Ausdrucksmöglichkeiten eines solchen Diskurses. Mit anderen Worten erschien der Rekurs auf die Nation auch in nonkonformen Formen so allgegenwärtig, dass die Nation einer weiteren Aushandlung nicht bedurfte und sie vielmehr zur Projektionsfläche utopischer Konzepte wurde. Diese immer wiederkehrenden Utopien verwiesen auf den revolutionären Charakter der Solidarność, deren Entstehen und Verlauf den Erwartungshorizont der Akteure durchbrach. Dies darf nicht über die Persistenz sozialistischer Deutungsmuster hinwegtäuschen, die sich in Äußerungen und Forderungen der Gewerkschaftler wiederfanden und diese Utopien entscheidend mitprägten. Mit den Begriffen Menschen der Arbeit oder auch Gesellschaft standen der Nation konkurrierende, aber nicht zwingend dichotome Begriffe gegenüber, die jedoch keine vergleichbare Reichweite entwickeln konnten. Trotz dieses deutungsoffenen Integrationsangebots der Nation radikalisierte sich die Gewerkschaftsbewegung auch bei zwischenzeitlichen Stabilisierungsbemühungen zusehends, auch wenn und gerade weil sie sich inhaltlich nicht auf konkrete Leitlinien zu verständigen vermochte. Dieses Zusammenspiel von Radikalität und Mäßigung stellte den prägenden Strukturkonflikt der Massenbewegung dar, der sich nach der Verhängung des Kriegsrechts im Untergrund nur weiter potenzierte. Die Fallbeispiele des Streiks auf der Danziger Lenin-Werft und der Ausarbeitung eines Gewerkschaftsprogramms haben gezeigt, dass die Vorstellung der Nation, ob nun als Begriff oder in ihren Darstellungsformen, eine Appellationsinstanz und Klammern für die Gewerkschaftsbewegung darstellte. Neben dem namensgebenden Gedanken der Solidarität zwischen Bürgern waren es gerade religiöse oder national-religiöse Inhalte, die dabei immer wieder Gemeinschaft  347 Gábor T. Rittersporn/Malte Rolf/Jan C. Behrends: Von Schichten, Räumen und Sphären. Gibt es eine sowjetische Ordnung von Öffentlichkeiten? Einige Überlegungen in komparativer Perspektive, in: Dies. (Hrsg.): Sphären von Öffentlichkeit, S. 389–421. 348 Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 91–93.

132  Aufbrüche mit der Nation stiften konnten. Die Nation stand, wie es im Schlusswort des Gewerkschaftsprogramms benannt wurde, für den Willen zur Gemeinschaft unabhängig von deren genauerem Inhalt.

2.5 Schlussbetrachtung: Die Nation als oppositionelle Strukturkategorie Oppositionelle und Dissidenten in Ostmitteleuropa waren Menschenrechtsaktivisten und politische Denker zugleich. In der wissenschaftlichen Betrachtung dieser Bewegungen stand lange Zeit jedoch ihr praktisches Handeln im Vordergrund. Einige wenige „Philosophenkönige“ wie Václav Havel, Adam Michnik oder György Konrád wurden auch breiter als politische Theoretiker rezipiert, vor allem über ihren Beitrag zur Zivilgesellschaft. Anders verhielt es sich dagegen mit der Nation, die als Quellenbegriff und diskursive Realität den Samizdat prägte. Sie blieb jedoch in der Forschung bislang weitestgehend unbeachtet, wohl auch weil diese Ausdrucksform politischer Gemeinschaft der liberalen und zivilgesellschaftlichen Deutung von Opposition in Ostmitteleuropa zu widersprechen schien. In den hier untersuchten Debatten machten Oppositionelle die Ordnungsvorstellung Nation auf sehr unterschiedliche und pragmatische Weise für ihr eigenes Handeln nutzbar. Sie rekurrierten nicht nur auf bestehende Traditionen nationalen Denkens, sondern entwickelten diese auf der Grundlage ihrer eigenen Konzepte weiter. Mit anderen Worten schlossen sich Zivilgesellschaft und Nation nicht aus, sondern erschienen parallel zueinander als Ausdrucksform einer oppositionellen Suche nach politischer Gemeinschaft. Im Folgenden sollen die vier Fallstudien dieses Kapitels in einer vergleichenden Perspektive betrachtet werden. Dabei ist es kein Zufall, dass diese Texte aus der formativen Aufbruchsphase der öffentlichen Opposition stammen, in der der Zusammenhang von oppositioneller Struktur und oppositionellem Inhalt ausgehandelt wurde. Mit der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte im August 1975 erkannten die staatssozialistischen Regime in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn die allgemeinen Menschenrechte auch in ihren Ländern an und schufen zwangläufig neue Rahmenbedingungen nonkonformen Handelns. Seit dem Sommer 1976 entstanden erste oppositionelle Gruppierungen eines neuen Typs, die öffentlich agierten und eben diese Menschenrechtsthematik aufgriffen. Dabei prangerten sie die Verletzung von Persönlichkeits- und Freiheitsrechten an,

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verstanden aber die Menschenrechte zunächst nicht als Ordnungsprinzip sozialer Gruppen.349 Gleichzeitig suchte diese neue Opposition in ihrer formativen Phase nach übergreifenden Begriffen und Vorstellungen, die einerseits die zahlenmäßig kleine Oppositionsbewegung integrierte und andererseits auch für breite gesellschaftliche Kreise oppositionelles Denken anschlussfähig machte. Die Nation erfüllte als bekannte und anerkannte Vorstellung politischer Gemeinschaft eine solche Rolle und funktioniert als Kommunikationsbegriff. Trotz teils deutlich differierender Positionen konnten sich im Samizdat, besonders in Polen und der Tschechoslowakei, oppositionelle Debatten über Lagergrenzen hinweg entwickeln, die die Nation als positive Ordnungsvorstellung nutzten.350 Anders als bei den Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts, die auf Abgrenzung nach außen und Integration nach innen basierten, handelte es sich bei den hier untersuchten oppositionellen Debatten um formative Ausgleichsbestrebungen. Die Nation als Ordnungsvorstellung zu nutzen versprach also, zwischen den heterogenen Oppositionsakteuren im jeweiligen Land zu vermitteln und gemeinsame Ziele zu benennen. Dabei bedingten sich Nations-Diskurs und Richtungsstreit der Opposition immer wieder gegenseitig und verschränkten sich ineinander. So sind die Auseinandersetzung über den katholischen Beitrag zur polnischen Nation zwischen Aleksander Hall, Jacek Kuroń und anderen und die Anknüpfungen tschechoslowakischer Oppositioneller an den Streit über den Sinn der tschechischen Geschichte auch als Versuch einer Binnenstrukturierung der Opposition zu verstehen. Neben der vordergründigen Frage, was Nation sein könne und wer zu dieser gehöre, wurde innerhalb der Opposition ausgehandelt, unter welchen Voraussetzungen Andersdenkende Teil der Opposition seien. Prüfstein für die oppositionelle Zusammengehörigkeit war in diesen Prozessen von Dialog und Abgrenzung die Frage, ob man den Gegenspieler in der Debatte des Samizdat auf der eigenen Seite oder auf der Seite des Regimes sah. So verlief die Aushandlung des Nationsbegriffes in der frühen Phase der polnischen Opposition  349 Zur sozialen Dimension der Menschenrechte vgl. Charles R. Beitz: The Idea of Human Rights, Oxford/New York 2009, S. 183–186. 350 Für den polnischen Fall stehen hier paradigmatisch die national-konservative Zeitschrift Bratniak und die links-liberale Krytyka, in der jeweils dialogisch Vertreter der unterschiedlichen ideologischen Spektren publizierten. Im tschechoslowakischen Samizdat, der in dieser formativen Phase noch stärker aus einzelnen Skripten bestand, erfüllten Sammelbände eine solche Funktion. Diese gaben auch den Verlauf von Diskussionsrunden wieder. Vgl. Pokus o vlast. Diskuse; Milan Hübl (Hrsg.): Hlasy k českým dějinám, Prag 1984–1985 [Samizdat]; Ders. (Hrsg.): Hlasy k českým dějinám II. Pokračování diskuse, Prag 1985 [Samizdat].

134  Aufbrüche mit der Nation parallel mit organisatorischen und konzeptionellen Konflikten, die wie im Beispiel des polnischen ROPCiO bis hin zur Spaltung führen konnte.351 Die Kontroverse um das Auseinanderbrechen dieser Gruppierung stellte jedoch den seltenen Fall einer weitgehenden Missachtung des Anderen im oppositionellen Diskurs dar. Ungarn blieb in diesem ostmitteleuropäischen Rahmen eine Ausnahme, denn hier verliefen nonkonforme Proteste zunächst eher folgenlos. Im vergleichsweise wenig repressiven Kádárismus boten staatlich kontrollierte Medien durchaus die Möglichkeit einer kritischen Debatte, so dass für viele spätere Oppositionelle die Veröffentlichung im Untergrund keine Notwendigkeit darstellte oder gar ein überflüssiges Risiko bedeutete.352 Erst die Gründung des Samizdat-Journals Beszélő im Jahr 1982 schuf eine dialog-basierte Gegenöffentlichkeit, die solche Debatten ermöglichte. Zwar blieb die Kooperation zwischen verschiedenen nonkonformen und oppositionellen Spektren im Vergleich zu Polen und der Tschechoslowakei beschränkt, dennoch war das Bestreben so unterschiedlicher ungarischer Oppositioneller wie István Csurka und János Kis erkennbar, über die Behandlung nationaler Themen eine Kooperationsgrundlage zu erreichen. In den hier analysierten Fallbeispielen lassen sich zwei Grundmuster eines oppositionellen Nationsverständnisses feststellen. Ein erstes, an traditionellen Nationalismen orientiertes Muster betonte die Faktizität und Essentialität der Nation, also die Annahme, die Nation existiere und ihre Beschreibung bilde Wahrheit ab. Nicht nur konservative oder katholische Oppositionelle wie Aleksander Hall in Polen trugen solche reproduzierenden und oft defensiv präsentierten Konzepte vor. Die Nation war darin idealtypisch eine historisch überlieferte Gemeinschaft, die auf religiöser oder ethnischer Zusammengehörigkeit basierte und vor den Bedrohungen des sozialistischen Staates und der Moderne zu schützen sei. Dagegen leitet sich ein zweites, liberales Konzept aus der oppositionellen Theoriebildung ab und machte den allgemeinverständlichen und konsensualen Begriff der Nation für dieses politische Denken nutzbar. Aus einem zumeist revisionistisch-sozialistischen Hintergrund entwickelten beispielsweise der liberale Sozialist Jan Józef Lipski oder der Konservative Petr Pithart gesellschaftliche Utopien, deren soziale Beziehungen auf einem breiten, jedoch zumeist negativ gedachten Freiheitsbegriff und einem voluntaristischen  351 Vgl. Friszke: Opozycja polityczna, S. 486f.; Waligóra: ROPCiO, S. 190–192. 352 So stellte sich nach György Dalos konkret die Frage, ob der vermeintliche Gewinn an Freiheit durch den Samizdat im Verhältnis zu seinem Risiko stünde. Ders.: Archipel Gulasch, S. 48.

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Prinzip basierten. Sie übertrugen in ihren kritischen Reflexionen der Nation also die Postulate der Menschenrechtsopposition auf politische Gemeinschaften und erhoben die Freiheit und die Rechte des Einzelnen zum Grundsatz einer freien Nation.353 Diese Doppelstruktur ähnelt der klassischen Unterscheidung zwischen politischer und kultureller Nation, wie sie seit den Anfängen moderner Nationalbewegungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts bekannt war und bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert in der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung Niederschlag fand.354 Oppositionelle Diskutanten reflektierten in ihren Diskussionsbeiträgen diese Muster politischer Gemeinschaft implizit und explizit und ordneten diesen die von ihnen angesprochen Traditionsstränge nationaler Sinnstiftung zu. Diese Reflexion ging jedoch nicht mit der Distanzierung von der jeweils verhandelten politischen Gemeinschaftskonzeption einher, die für die jeweiligen Akteure als Ordnungsvorstellung weiterhin über Verbindlichkeit verfügte. Wenn zum Beispiel die Polnische Unabhängigkeitsverständigung auf den voluntaristischen Charakter der Nation hinwies – Polen existiere, weil „die Polen wollen, dass es besteht“355 – betonte sie eher den bekenntnishaften Charakter der Nation als ihre gesellschaftliche Konstruktion. Wo eine solche dekonstuktivistische Distanzierung von der Nation hingegen zu erkennen ist – beispielsweise bei postrevisionistischen Oppositionellen wie Jacek Kuroń –, lässt sich eine Substitution des Leitbegriffs der Nation durch Gesellschaft erkennen. Damit standen sich zwei argumentativ unvereinbare Konzepte der Nation gegenüber, die sich dennoch mit ihrer Betonung von Menschenrechten, Freiheit und religiösen Werten in Teilbereichen überlappten. Es ist der dialogischen Grundhaltung der frühen Oppositionsbewegungen gegenüber anderen Oppositionellen und der Suche nach Konsens geschuldet, wenn gerade diese Überlappungen ein Gefühl oppositioneller Gemeinschaft stifteten. In einem ersten Ver-

 353 Vgl. Kopeček: Human Rights. 354 Schon in der essentiellen Bestimmung der deutschen Nation durch Johann Gottlieb Fichte dient ein voluntaristisches Nationsverständnis, d.h. Frankreich und die Vorstellung einer Staatsnation, als Abgrenzungsfall. Vgl. Ders.: Reden an die deutsche Nation, Berlin 1808. Seit der Wiederentdeckung der Schriften Ferdinand Tönniesʼ oder den Arbeiten Hans Kohns ist zudem die Unterscheidung zwischen essentiellen und voluntaristischen Gemeinschaftskonzeptionen in die Sozialwissenschaften eingeführt. Vgl. Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Darmstadt 4. Aufl. 2005; Hans Kohn: The Ideas of Nationalism. A Study in its Origins and Background, New York 1961 [Erstausgabe 1944]. Vgl. dazu Koselleck/Gschnitzer/Werner: Volk, Nation, S. 382–389. 355 Zespół Programowe Polskiego Porozumienia Niepodległościowego: Tradycja niepodległościowa, S. 26.

136  Aufbrüche mit der Nation such Opposition und Dissidenz als Gesamtphänomen zu beschreiben bezeichnete Tony Judt die Frage von Kompromiss oder Isolation als das grundlegende Dilemma oppositioneller Intellektueller.356 Auch wenn Judt damit die Beziehung der Oppositionellen zum Regime charakterisierte, beschrieb er ein Kernproblem innerer oppositioneller Befindlichkeiten, nämlich die Schwierigkeit einer zahlenmäßig überschaubaren Gruppe nonkonformistischer Intellektueller, ihre Meinungsverschiedenheiten in Strategie- und Weltanschauungsfragen auszutragen und dennoch weiterhin in einer Oppositionsbewegung als „Verstehensgemeinschaft“357 existieren zu können. Dabei war ebenso entscheidend, dass in diesen Nationsvorstellungen nicht nur variabel motivierbare Werte wie Menschenrechte und Freiheit die Akteure miteinander verbanden, sondern die Akklamation einer autonomen Instanz hinzukam. Während konservative Advokaten einer essentiellen Nation auf religiöse Vorstellungen rekurrierten oder der Nation selbst transzendente Züge verliehen, bewegte sich auch die moralistische Appellation vieler nicht-religiöser Oppositioneller auf der Ebene eines rationalistischen Glaubens aus den moralischen Traditionen der Aufklärung358, der sich in der Betonung von Menschenrechten und individueller Freiheit ausdrückte. So wird beispielsweise im Fall von Jan Patočkas Überführung des phänomenologisch-philosophischen Wahrheitsbegriffs in die politische Gemeinschaft die Nation zu einer Frage persönlicher und sozialer Authentizität. Dieser allgemeine und dennoch höchst unterschiedliche Sinn für Transzendenz innerhalb der Opposition beantwortete zugleich die mannigfaltige Wahrnehmung einer grundlegenden Krise der eigenen nationalen Existenz.359 Der Glaube an die schiere, weil transzendente Existenz einer politischen Gemeinschaft, in der Oppositionelle und Gesellschaft vereint seien, überdeckte folglich Fragen nach ethnischer, religiöser oder aufgeklärt rationaler Motivation dieser Vorstellungen. Somit wurde die Nation zu einer inhaltlich überfüllten und letztlich entleerten diskursiven Klammer oppositioneller Denker, die aus der bloßen Addition unterschiedlicher Konzepte und Personengruppen bestand. Im oppositionellen politischen Denken stiftete Nation also nicht nur in direkter Form Sinn, sondern sammelte unterschiedliche  356 Judt: The Dilemmas of Dissidence, S. 225. 357 Robert Brier: From Civil Society to Neoliberalism and Armed Intervention? Human Rights and the Legacies of „1989“, in: Remembrance and Solidarity. Studies in 20th Century European History, 3 (2014), S. 157–188, hier S. 173. Brier bezeichnet damit den transnationalen Zusammenhang von Opposition in Ostmitteleuropa. 358 Judt: The Dilemmas of Dissidence, S. 235f. 359 Vgl. Helmut König: Lob der Dissidenz. Größe und Grenzen, in: Merkur, 67 (2013), S. 216– 228, hier S. 222–224.

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Sinnstiftungen und gab ihnen eine gemeinsame äußere Form. Hierfür bildet die Gewerkschaftsbewegung Solidarność das wohl anschaulichste Beispiel, waren ihre im Programm aufgezählten „Hauptinspirationsquellen“ doch die „besten Traditionen der Nation, die ethischen Grundsätze des Christentums, die politische Aufforderung der Demokratie und der sozialistische Sozialgedanke“.360 Was die Solidarność hier aus der Notwendigkeit eines dilatorischen Kompromisses betrieb, wurde als Pluralismus361 von anderen Akteuren des Samizdat zum oppositionellen Prinzip erhoben. War also die Nation als maßgebliche Vorstellung politischer Gemeinschaft eine Antwort auf die Erfahrung von Heterogenität und weltanschaulicher Differenz, folgte sie einer nach innen gewendeten Integrationslogik. Gegenüber dieser integrierenden Funktion der Nation kam in den hier untersuchten Debatten den exkludierenden Mechanismen sozialer Ordnung nur eine geringe Bedeutung zu. Dies wurde besonders deutlich daran, dass die sozialistischen Regime nur in konkret umrissenen Fragestellungen als Abgrenzungspunkt für die oppositionelle Konstruktion politischer Gemeinschaft herangezogen wurden. Zum dialogischen Aushandlungsprozess und der oppositionellen Integration, wie sie im Samizdat praktiziert wurden, gehörte die weitgehende Einhegung einer abgrenzenden Diskurspraxis und folglich auch exkludierender Deutungsmuster. Abgrenzung und Polarisierung bestimmten dagegen den zweiten, aber in seiner Wirkung deutlich fokussierteren, Klammerbegriff oppositionellen Denkens, nämlich den Totalitarismus beziehungsweise Kommunismus, der zumeist in seiner Negation362, also als antitotalitären und antikommunistisch Selbstverortung, vorgetragen wurde. Nur in dieser Zuspitzung konnten Staat und Regime als einigendes Feindbild dienen, dessen Gewalt und Willkür ja oppositionelles Handeln erst erzwungen hatte. Die Abstraktion des Regimes als totalitär zeigt zudem, das oppositionelles politisches

 360 Kierunki działania, S. 66f. 361 Es ist anderer Stelle bereits darauf hingewiesen worden, dass dieser oppositionelle Pluralismusbegriff ebenso bedeutungsoffen blieb, da er ja nach Sprecher und Zusammenhang für grundlegend unterschiedliche Bewältigungsstrategien von Differenz stand. 362 Antitotalitarismus war nicht nur in den Oppositionsbewegungen Ostmitteleuropas, sondern auch unter westlichen Denkern, zum Beispiel französischen Linksintellektuellen seit Mitte der 1970er Jahre, ein zentrales Theorem. Der Begriff war dabei losgelöst von den theoretischen Grundlagen des Konzeptes, wie sie Hannah Arendt, Carl Friedrich und Zbigniew Brzeziński gelegt hatten. Jacques Rupnik: Totalitarianism Revisited, in: John Keane (Hrsg.): Civil Society and the State. New European Perspectives, London/New York 1988, S. 263–289; Jan-Werner Müller: Contesting Democracy. Political Thought in Twentieth-Century Europe, New Haven 2011, S. 230.

138  Aufbrüche mit der Nation Denken sich nicht zwingend konfrontativ vom Staat, sondern von dessen Herrschaftsausübung abgrenzte. Diese doppelte Prägung aus Menschenrechten und Antitotalitarismus blieb jedoch grundlegend widersprüchlich. Michal Kopeček hat herausgearbeitet, dass eine solche Abgrenzung vom Totalitarismus zu den Kennzeichen essentialistischer und ethno-nationaler Nationskonzepte gehörte.363 So versteht die konservative Krisennarration eines Bronisław Sroka die Nation als Bollwerk gegen das totalitäre Regime. Dem entgegen überwanden liberale und pluralistische Vorstellungen der Nation wie der Versuch über das Vaterland oder die Heimat oder auch die pragmatisch ausgedrückten Nationskonzepte der Solidarność diese Dichotomisierung und schlossen explizit das Regime in die zu schaffende politische Gemeinschaft ein. Eine solche Gegenüberstellung von essentiellen und pluralistischen Vorstellungen der Nation und exkludierenden und integrierenden Diskursmechanismen ihrer Aushandlung ist notwendigerweise eine Unterscheidung von Idealtypen, also mit Max Weber die „einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte“.364 Dass sie in dieser Form in der Frühphase des Samizdat kaum artikuliert wurden, ist auf die pragmatische Unmöglichkeit einer solchen dichotomen Konfliktstellung zurückzuführen. Nicht nur innerhalb der klar erkennbaren oppositionellen Gruppierungen gab es also eine immanente Zusammengehörigkeit365, sondern auch darüber hinaus einen oppositionellen Willen zum Konsens. In der fortgesetzten Aushandlung des Nationsbegriffs im Schema von Rede und Gegenrede führte dieser Konsenswille zu einer rhetorischen Angleichung der Konzepte. Wenn Bronisław Sroka die ihm durchaus zu Recht vorgeworfene ethno-religiöse Verengung der Nation bestritt366, war dies ein Versuch sich wieder in die heterogene und pluralistische MenschenrechtsOpposition einzuschreiben. Umgekehrt, aber ebenso als Annäherungsversuch, ist die von Jan Józef Lipski formulierte Wertschätzung für nationale Traditionen zu verstehen367, die mit den Maßstäben dieser Opposition vereinbar seien. Auf einer konzeptionellen Ebene fand im Prozess der Aushandlung so eine gegenseitige Überformung solcher idealtypischer Nationsbegriffe statt, die in der Frühphase in Polen, aber auch in der Tschechoslowakei, zu einem performati 363 Kopeček: Citizen and Patriot. 364 Max Weber: Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitscher Erkenntnis, in: Ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 7. Aufl. 1988, S. 146–214, hier S. 191. 365 Zum Beispiel des KOR: Dietz: Opposition. 366 Vgl. seine von Jan Józef Lipski wiedergegebene Aussage, es sei ihm nur um den drohenden Identitätsverlust Polens gegangen. Ders.: Dwie ojczyzny, S. 25. 367 Ebd., S. 3–5.

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ven Konsens führte. Das gemeinsame Reden über die Nation und die Akzeptanz von Heterogenität ersetzte so gemeinsame Vorstellung und stiftete dennoch politische Gemeinschaft.

3 Eine neue Vergangenheit der Nation Es gehört zu den offensichtlichen Eigenschaften von Nationen, dass sie über Geschichte verfügen, ja sie erscheinen ihren Apologeten sogar dauerhaft und ewig. Dies gilt im besonderen Maße für Ostmitteleuropa und seine im 19. Jahrhundert „wiedergeborenen“ Nationen. In den Nationsbildungsprozessen dieses Jahrhunderts war es ein entscheidender Schritt eine Geschichte der Nation zu schreiben und zu popularisieren, die Nation zu erfinden und zu imaginieren.1 František Palackýs fünfbändige Geschichte von Böhmen, ein typisches Beispiel dieser positivistischen Nationalgeschichtsschreibung, entwarf das Selbstbild einer demokratischen und friedlichen tschechischen Nation, das auch in der longue durée tschechische Selbstbilder prägte. Seine Art der Geschichtsschreibung war, genau wie die eines Joachim Lelewel oder Mihály Horváth, kein auf Ostmitteleuropa beschränktes Phänomen, sondern prägte allgemein die Entstehung moderner Nationen in Europa und wirkte bis in das 20. Jahrhundert nach.2 Im Sozialismus konnte eine solche Geschichtsschreibung zur Nation aus partei-staatlicher Perspektive keinen Sinn mehr stiften und wurde von einer nicht weniger nationalen, nun aber marxistischen und am sowjetischen Vorbild orientierten Geschichtsbetrachtung abgelöst.3 Für die Oppositionellen der 1970er und 1980er Jahre bedingte dies eine grundlegende Spannung in der Geschichte der Nation, aus konkurrierenden und ideologisierten historischen Narrativen. Gerade aus dieser Spannung konnte die nationale Geschichte zu einer entscheidenden Quelle des Selbstverständnisses und der oppositionellen Reflexion avancieren und die Suche nach einer gegenwärtigen politischen Gemeinschaft befördern. Dabei reihen sich die Autoren des Samizdat in ein seit den 1970er und 1980er Jahren erneuertes Interesse an Geschichte und Erinnerung ein. Diese deutende Aneignung von Vergangenheit, die zum Beispiel in Westeuropa mit Pierre Noras Konzept der Lieux de mémoire und zahlreichen daran anknüpfenden Forschungsarbeiten zur Erinnerung verbunden ist4, muss für diese Arbeit von der oppositionellen Historiogra 1 Vgl. klassisch: Hobsbawm/Ranger (Hrsg.): Invention of Tradition. 2 Monika Baár: Historians and Nationalism. East-Central Europe in the Nineteenth Century, Oxford 2010. 3 Górny: Przede wszystkim. 4 Pierre Nora: Entre Mémoire et Histoire. La problematique des lieux, in: Ders. (Hrsg.): Les lieux de mémoire I. La république, Paris 1984, S. xvii–xlii.

142  Eine neue Vergangenheit der Nation phie in ihrer Breite abgegrenzt werden. Eine solche oppositionelle Geschichtsschreibung – zwischen populärer Wissensvermittlung und ambitionierter Wissenschaft – konzentrierte sich vor allem auf konkrete Ereignisse und zumeist auf solche, die im offiziellen Geschichtsbild tabuisiert wurden, wie beispielsweise die Geschichte des Zweiten Weltkriegs.5 Für die oppositionelle Selbstreflexion und Sinnsuche waren solche kleinteiligen Darstellungen weniger von Bedeutung als die Meistererzählungen nationaler Geschichte, in denen sich die Traditionen ostmitteleuropäischen Geschichtsdenkens vergegenwärtigten und sich die Opposition in Diskurse einband, die über den Sozialismus hinausgingen. Spätere Kontroversen über die Frage, welchen Weg Polen nach der Verhängung des Kriegsrechts einschlagen werde oder das Erbe der tschechischen Geschichte, zeugen von einer Aushandlung der Nation entlang ihrer klassischen und nun reaktualisierten Streitfragen. So knüpften tschechische und polnische Oppositionelle an die Vorstellung eines nationalen Messianismus an. Das letzte Fallbeispiel dieses Kapitels, eine Darstellung der tschechischen Geschichte in der Neuzeit des Autorenkollektivs Podiven, überschritt in ihrer Wirkung zudem die vermeintliche Zäsur des Jahres 1989. Entstand dieser Text nämlich unter den Bedingungen des Samizdat und wurden erste Teile dieser Monographie auch im Samizdat publiziert, konnte eine Gesamtausgabe erst nach dem Zusammenbruch des Regimes erscheinen. Oppositionelle Selbstreflexionen konnten so in die Transformation hineinwirken und verdeutlichten die Aussagekraft oppositionellen politischen Denkens über seine eigene gesellschaftliche Wirklichkeit hinaus.

3.1 Die polnische Nation im Kriegsrecht Bürgerinnen und Bürger der Volksrepublik Polen! Ich wende mich an Sie als Soldat und Chef der polnischen Regierung. Ich wende mich an Sie in einer Sache von höchster Wichtigkeit. Unser Vaterland befand sich am Abgrund. […] In dieser Situation wäre Tatenlosigkeit ein Verbrechen gegen die Nation. Nun muss man sagen: Es ist genug! Groß ist die Bürde der Verantwortung, die in diesem dramatischen Moment der polnischen Geschichte auf mir lastet. Meine Pflicht ist nach wie vor die Verantwortung – es

 5 Vgl. Florian Peters: „Das große Abenteuer ihres Lebens“. Geschichtsbilder und Symbolik der Armia Krajowa und des Warschauer Aufstandes im polnischen „Zweiten Umlauf“, Bremen 2009; Ders. Revolution der Erinnerung. Der Zweite Weltkrieg in der Geschichtskultur des spätsozialistischen Polen 1976–1989, Berlin [im Druck].

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geht um die Zukunft Polens, für die meine Generation an allen Kriegsfronten gekämpft und die besten Jahre ihres Lebens geopfert hat. Ich verkünde, dass sich am heutigen Tag der Militärrat zur nationalen Errettung konstituiert hat. Der Staatsrat hat heute um Mitternacht, in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Verfassung, den Kriegszustand auf dem Gebiet des ganzen Landes verhängt. […] Vor der ganzen polnischen Nation und vor der ganzen Welt möchte ich diese unsterblichen Worte wiederholen: Noch ist Polen nicht verloren, solange wir leben.6

Mit diesen Worten verlautbarte General Wojciech Jaruzelski – seit Februar 1981 zusätzlich zu seinem Amt als Verteidigungsminister auch Premierminister der Volksrepublik Polen und seit Oktober desselben Jahres zugleich Erster Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei – den Kriegszustand auf dem Gebiet der Volksrepublik Polen. Noch bevor seine Rede am Morgen des 13. Dezembers 1981 im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde, waren Sicherheitsdienst und Miliz gegen die Solidarność vorgegangen. Bereits vor Mitternacht wurden im ganzen Land tausende Funktionäre und Berater der unabhängigen Gewerkschaft ebenso wie reform-orientierte Parteimitglieder verhaftet, Telefonverbindungen gekappt und Grenzen abgeriegelt.7 Proteste und Streiks, die als Reaktion auf diesen überraschenden Schlag der Regierung im Land ausbrachen, beendete die neue Militärregierung bis Ende Dezember 1981 gewaltsam.8 Die Gewerkschaftsbewegung traf der Militärcoup weitestgehend unvorbereitet. Ihre bisher existierenden Strukturen wurden zerschlagen. Schon während der Streiks im Sommer 1980 hatte General Jaruzelski darauf hingewiesen, dass die Verfassung der Volksrepublik nur den Kriegszustand kenne, nicht aber einen Ausnahmezustand oder andere Möglichkeiten eines gewaltsamen Eingreifens gegen Streiks und Aufruhr.9 Das so nur fadenscheinig legitimierte und wegen seiner neugeschaffenen Institutionen verfassungsrechtlich höchst problematische Kriegsrecht dauerte offiziell bis zum 22. Juli 1983, dem sozialistischen Nationalfeiertag, an, aber auch danach waren die Grundlagen für oppositionelles Handeln in Polen andere als seit Sommer 1976 oder gar seit August 1980. Bereits in den ersten Tagen und Wochen entstanden Unter 6 Wojciech Jaruzelski: Przemówienie gen. armii W. Jaruzelskiego, in: Trybuna Ludu, 14.12.1981, S. 1. 7 Dariusz Iwaneczko: Opór społeczny a władza w Polsce południowo-wschodniej 1980–1981, Warschau 2005, S. 179f. 8 Ekiert: The State, S. 261–263. Als Beispiel: Jarosław Neja/Andrzej Sznajder (Hrsg.): 14 dni pod ziemią. KWK „Piast“ w Bieruniu. 14–28 grudnia 1981 roku, Kattowitz 2006. 9 Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 79f.

144  Eine neue Vergangenheit der Nation grundstrukturen einer neuen Opposition. Trotz massiver Polizeigewalt demonstrierten Anhänger der verbotenen Gewerkschaft in den folgenden Jahren immer wieder, gerade am 13. eines Monats. Gleichzeitig löste die Militärregierung sukzessive bestehende sozialistische Verbände und Organisationen auf, suspendierte die meisten Tages- und Wochenzeitungen und demontierte so neben der oppositionellen Öffentlichkeit auch die vom Regime selbst gestaltete „Verbandsöffentlichkeit“.10 Die einzig unabhängige gesellschaftliche Institution blieb in dieser Lage die katholische Kirche, die in Polen seit Beginn des Sozialismus öffentliche und geschützte Räume gegen das Regime hatte schaffen können. Nun bot die Kirche wiederum den sich im Untergrund formierenden Zirkeln Entfaltungsmöglichkeiten und Schutzräume; organisierte so beispielsweise Unterstützung für Internierte und die Verteilung von Hilfsgütern aus dem Westen, stellte in Kirchengebäuden aber auch zeitgenössische, kritische Kunst aus.11 Heilige Messen für das Vaterland, wie sie beispielsweise vom 1984 ermordeten Priester Jerzy Popiełuszko initiiert wurden, bildeten in der demobilisierten Öffentlichkeit des Kriegsrechts eine Form des möglichen Protestes. Oppositionelles und Kirchliches flossen hier ähnlich wie in den Streikbewegungen seit dem August 1980 ineinander, so dass einerseits der katholische Charakter der polnischen Nation unterstrichen wurde12, andererseits die katholische Kirche aber auch für Nicht-Gläubige zum Raum und zur Institution der nationalen Selbstvergewisserung wurde. Bis 1989 veränderte sich die Struktur der Opposition immer wieder in Abhängigkeit von den politischen Handlungsspielräumen, aber auch von ihrer inhaltlichen Ausrichtung. Zudem gingen mit ihrer erzwungenen Neustrukturierung nach der Verhängung des Kriegsrechts ein Generationenwechsel und eine programmatische Radikalisierung einher. Die massive Enttäuschung des Kriegszustands katalysierte schon zuvor bestehende Spannungen innerhalb der Opposition und führte zu einer Zersplitterung des bestehenden Spektrums.13 Gerade für die Debatten des Samizdat bedeutete das Kriegsrecht entscheidende Veränderungen. Die Razzien der ersten Tage betrafen auch UntergrundDruckereien, so dass neben den inhaftierten Akteuren des Samizdat große Teile

 10 Nach Gábor T. Rittersporn, Malte Rolf und Jan C. Behrends steht eine solche Verbandsöffentlichkeit im Gegensatz zur Versammlungsöffentlichkeit und ist kennzeichnend für Gesellschaften sowjetischen Typs. Dies.: Von Schichten, Räumen und Sphären, S. 411. 11 Ekiert: The State, S. 267–274; Dudek/Gryz: Komuniści i kościół, S. 373–430. 12 Szymanski: Theatraler Protest, S. 180f. 13 Paczkowski: Pół wieku dziejów Polski, S. 355.

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der Infrastruktur des Zweiten Umlaufs nicht mehr zur Verfügung standen.14 Zugleich wurden auch offizielle Medien massiv beschränkt. Es erschienen nur noch wenige Tageszeitungen und das Fernsehen wurde militarisiert. Außer Propaganda und Belanglosigkeiten war nun während des Kriegszustands wenig zu erfahren und der gemeinsame Spaziergang während der Hauptnachrichten im Fernsehen wurde zu einem allgemein wahrnehmbaren Symbol des Protestes.15 Kritische und unabhängige Informationen gewannen unter diesen Bedingungen eine erneut gesteigerte Bedeutung.16 Neue Autoren und Drucker fanden sich, die während des sechszehnmonatigen Karnevals der Freiheit das Drucken mit einfachsten Mitteln gelernt hatten17 und aufgrund ihrer zuvor nur wenig exponierten Stellung nicht von der Verhaftungswelle des Dezember 1981 betroffen gewesen waren. Gleichzeitig diskutierten die Philosophenkönige der Opposition gerade in den Internierungslagern in einer Mischung von Katharsis, Sammlung und Abgeschiedenheit, so dass immer weiter theoretische und allgemeine Abhandlungen zur Lage des Landes entstanden. Ihre Texte wurden in Kassibern aus den Lagern geschmuggelt und erschienen im Samizdat, im Exil und in der westlichen Presse. Diese zweite Welle des polnischen Samizdat erlangte unter prekären Umständen eine ausgesprochen große Massenbasis, so dass der Umfang und die Vielfalt des neuen Samizdat das bekannte Ausmaß aus Zeiten vor der Solidarność überschritt. Das Kriegsrecht konnte zwar oppositionelle Strukturen brechen, nicht aber den Diskursraum der Opposition aushebeln.

3.1.1 Eine neue Qualität des Konflikts: „Krähe“ gegen „Adler“ In seiner Rede an die Bevölkerung Polens stellte General Jaruzelski die Verhängung des Kriegszustands als patriotische Pflichterfüllung dar. Vor einem sorgfältig inszenierten Hintergrund mit dem polnischen Staatswappen zeichnete Jaruzelski „ohne jeglichen [emotionalen] Ausdruck“18 das Bild eines von wirt 14 Justyna Błażejowska: „Chciałem mieć w ręku broń“ zadrukowane kartki papieru. Pisma pozacenzuralne 1980–1989, in: Kamiński/Waligóra (Hrsg.): NSZZ „Solidarność“. Bd. 2, S. 189– 247, hier S. 217. 15 Vgl. Jolanta Muszyńska/Dorota Wojtera/Aneta Osiak (Hrsg.): Obraz codzienności w prasie stanu wojennego. Gdańsk, Kraków, Warszawa, Warschau 2006; Sebastian Ligarski/Grzegorz Majchrzak: Polskie Radio i Telewizja w stanie wojennym, Warschau 2011. 16 Ekiert: The State, S. 270f. 17 Mack: Schreibmaschine und Kohlepapier, S. 113f. 18 Szymanski: Theatraler Protest, S. 170.

146  Eine neue Vergangenheit der Nation schaftlichem Niedergang und wachsender Gewalt bedrohten Landes, für das er nun Verantwortung übernehmen müsse, um es vor dem Untergang zu retten. Seine Diffamierung der Solidarność als Gefahrenherd bildete das Grundgerüst der propagierten „Errettung der Nation“. In der nicht ausgesprochenen, aber stets mitschwingenden Anspielung auf eine vermeintlich drohende sowjetische Intervention19 fand die Gefahr aus dem Inneren eine noch stärkere und narrativ wirkmächtige Entsprechung in einer Gefahr von außen.20 Der Terror des Kriegszustands konnte so als das kleinere Übel in einer ausweglosen Situation erscheinen. Rhetorisch grenzte dies die Solidarność und ihre Anhänger aus der Nation aus und war so ein Versuch die signifikante Wertschätzung, die das Militär auch noch 1981 unter der polnischen Bevölkerung genoss, für die neue Militärregierung nutzbar zu machen. Jaruzelski stellte sich zudem mit Anspielungen auf den Zweiten Weltkrieg und nationale Symbole in eine Tradition polnischer Patrioten. Immer wieder sprach er affirmativ die Bevölkerung direkt an und verwies auf die vermeintliche Unterstützung von Millionen von Polen für seine Maßnahmen, um eine virtuelle Masse von Anhängern und Bewunderern entstehen zu lassen. In seiner Ansprache fehlten dagegen weitestgehend Verweise auf den Sozialismus oder die Partei als führende Institution. Diese Vernachlässigung der ideologischen Grundlagen der Volksrepublik ging über einen semantischen Paradigmenwechsel hinaus. Auch die Bezeichnung Militärrat zur nationalen Errettung

 19 Seit der Öffnung der Archive in Warschau und Moskau ist klar, dass im Dezember 1981 keine sowjetische Intervention zur Diskussion stand. Vgl. Andrzej Paczkowski/Andrzej Werblan: „On the Decision to Introduce Martial Law in Poland in 1981“. Two Historians Report to the Commission on Constitutional Oversight of the Sejm of the Republic of Poland. Cold War International History Project, Working Paper No. 21 (1997), http://www.wilsoncenter.org/sites/default/files/WP21.pdf (letzter Aufruf 29.04.2015); Vojtech Mastny: The Soviet Non-Invasion of Poland in 1980/81 and the End of the Cold War, in: Europe-Asia Studies, 51 (1999), S. 189–211; Mark Kramer: Soviet Deliberations during the Polish Crisis, 1980-1981. Cold War International History Project, Special Working Paper No. 1 (1999). http://www.wilsoncenter.org/sites/default/files/ACF56F.PDF (letzter Aufruf 29.04.2015); Matthew J. Ouimet: National Interest and the Question of Soviet Intervention in Poland, 1980–1981. Interpreting the Collapse of the ‚Brezhnev Doctrine‘, in: Slavonic and East European Review, 78 (2000), S. 710–734; Antoni Dudek: „Bez pomocy nie damy rady“, in: Biuletyn Instytutu Pamięci Narodowej, 8/12 (2009), S. 92–100. 20 Klaus Bachmann konnte zeigen, dass die Gefahr einer sowjetischen Intervention von der polnischen Bevölkerung als ausgesprochen real eingeschätzt wurde. Ders.: Repression, Protest, Toleranz. Wertewandel und Vergangenheitsbewältigung in Polen nach 1956, Dresden/Breslau 2010, S. 115f. Das Narrativ ist bis heute wirkmächtig. Barbara Szacka: Solidarity and Martial Law in the Collective Memory of Polish History, in: Polish Sociological Review, 153 (2006), S. 75–89.

Die polnische Nation im Kriegsrecht  147

(Wojskowa Rada Ocalenia Narodowego, WRON) illustriert einen Wandel von einer sozialistischen zu einer nationalistischen Repräsentation staatlicher Herrschaft; eine Recodierung, die sich während der gesamten 1980er Jahre in Polen beobachten lässt.21 Die omnipräsente Betonung des Militärs, einer vermeintlich nationalen Institution, sollte den Anspruch der Solidarność, als Einzige die Nation zu vertreten, unterlaufen.22 Auch am Sitz des Zentralkomitees der PZPR wehte aus diesem Grund nach dem 13. Dezember 1981 neben der traditionell dort aufgezogenen roten Fahne die weiß-rote Flagge Polens, die zuvor das Erscheinungsbild der Solidarność geprägt hatte. Mit der omnipräsenten Beschwörung einer „nationalen Verständigung“ hatte die staatliche Propaganda schon seit Mitte des Jahres 1981 die Konfrontationsstrategie der Regierung begleitet. Im Kriegszustand fand diese schon aus den 1950er bis 1970er Jahren bekannte Legitimationsstrategie, den ideologischen Gegner als anti-national zu brandmarken, einen neuen Höhepunkt.23 Zu dieser diffamierenden Abgrenzung gehörte ebenso, die Verwendung nationaler Symbole durch die Solidarność oder Protestierende allgemein zu verhindern. Im Dezember 1981 hatten oberschlesische Bergleute als Protest gegen das Kriegsrecht die Zeche Wujek in Kattowitz besetzt und dort religiöse Bilder und polnische Fahnen angebracht, ähnlich wie ein Jahr zuvor an den Mauern und Werkzäunen der Danziger Lenin-Werft. Als Sicherheitskräfte den Streik blutig niederschlugen, gehörte die Zerstörung dieses symbolisch funktionierenden „Schutzwall[s]“ zu ihren ersten Maßnahmen.24 Auf diese Weise monopolisierte die Staatsmacht die Symbole der Nation. Soziologische Meinungsumfragen aus dieser Zeit, die der Politikwissenschaftler Klaus Bachmann untersuchte25, zeigen, dass diese Strategie ausgesprochen erfolgreich war. Sowohl die Ausgrenzung der Solidarność als auch die Inszenierung des Militärs als von der Partei unabhängiger Retter der Nation stieß in der Bevölkerung auf überraschend breite Zustimmung. Das Militär genoss auch nach

 21 Vgl. Przemysław Gasztold-Seń: Koncesjonowany nacjonalizm. Zjednoczenie Patriotyczne „Grunwald“ 1980–1990, Warschau 2012. 22 Zbigniew Pelczynski: Solidarity and the „Rebirth of Civil Society“ in Poland 1976–1981, in: Keane (Hrsg.): Civil Society and the State, S. 361–380, hier S. 371. 23 Zaremba: Komunizm, legitymizacja, nacjonalizm, S. 386–392. 24 Szymanski: Theatraler Protest, S. 161f., Zitat S. 161. Bei der Niederschlagung des Streiks starben nach offiziellen Angaben sieben Bergleute. Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 285. 25 Problematisch ist, wie zuverlässig die Ergebnisse der Umfragen waren. Bachmann geht davon aus, dass die nicht zur Veröffentlichung gedachten Studien von der Partei aus einem tatsächlichen Erkenntnisinteresse in Auftrag gegeben und nicht verfälscht wurden. Bachmann: Repression, Protest, Toleranz, S. 23–26.

148  Eine neue Vergangenheit der Nation der Verhängung des Kriegsrechts ein stabiles Vertrauen von gut 80 Prozent der Befragten und hatte damit gegenüber der Zeit der Doppelherrschaft mit der Solidarność nur geringfügig Vertrauen eingebüßt.26 Wie hoch das Vertrauen in die Solidarność war, wurde nach dem 13. Dezember 1981 nicht erhoben. Ganz offensichtlich unterschieden die Polen zwischen dem Staat in seiner bekannten Form und der Partei einerseits und den Streitkräften als den neuen Trägern der Staatlichkeit andererseits. Die Reformen des Kriegszustands lassen sich nach Grzegorz Ekiert als Transition eines auf die Partei ausgerichteten Systems verstehen, in der Kompetenzen und Entscheidungen massiv auf eine staatliche Ebene verlagert wurden.27 Der Militärrat installierte im Juli 1982 Patriotische Räte zur Errettung der Nation, die eine gesellschaftliche Teilhabe an den Reformbemühungen suggerieren sollten, aber letztlich nur auf Parteimitglieder gestützt waren.28 In einer Gesellschaft, die ihrer konformen wie nonkonformen öffentlichen Räume beraubt war, konnte dies die weiter zunehmende Desintegration gesellschaftlicher Strukturen und so auch die schwindende Bindung zwischen Bevölkerung und Regime jedoch nicht aufhalten.29 Ein geläufiges Sprichwort der Zeit spielte ganz in diesem Sinne auf das Akronym des Militärrats WRON an, das an das polnische Wort ‚wrona‘ erinnert, was Krähe bedeutet: „Die Krähe wird den [polnischen] Adler nicht besiegen.“ Der Ausspruch hob auf das Wappentier Polens ab, vor dessen Abbildung Jaruzelski seine Ansprache hielt, dessen Vereinnahmung ihm aber in den Augen der Opposition nicht gelingen konnte.30 Für die ersten oppositionellen Kommentatoren dieser Ereignisse lag auf der Hand, dass mit dem Kriegszustand „die Junta der Generäle der Nation den Krieg erklärt hat“.31 Allein semantisch war diese Zuspitzung kaum verwunderlich,

 26 Ebd., S. 113–116. Umfragen mit der Frage nach dem Vertrauen in das Militär wurden erst seit Anfang 1981 durchgeführt, jedoch lassen andere Umfrageergebnisse seit 1956 auf eine konstant hohe Akzeptanz der Streitkräfte schließen. 27 Ekiert: The State, S. 273f. 28 Dieter Bingen: Polen 1982–1984. Verschärfung der Krise oder Stabilisierung?, in: Ders. (Hrsg.): Polen 1980–1984. Dauerkrise oder Stabilisierung? Strukturen und Ereignisse in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, Baden-Baden 1985, S. 345–395, hier S. 360–366. 29 Ekiert: The State, S. 278. 30 Andere Aussprüche, die häufig auf Wände gemalt wurden, waren „WRON raus, hinter den Don“ oder „Euer Winter, unser Frühling“. Vgl. Zaremba: Komunizm, legitymizacja, nacjonalizm, S. 383; Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 296. 31 NOWA: Polska w rocznicę grudnia, 17.12.1981, Karta AO IV/187.6 I, Bl. 14. Das Flugblatt war ursprünglich wohl zum 11. Jahrestag der Streiks von 1970 an der Ostseeküste geplant, wurde dann aber dem aktuellen Anlass angepasst.

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sprach das Regime doch selbst von Krieg. Jacek Kuroń rief in seinen Thesen über den Ausweg aus einer ausweglosen Situation zu einer gemeinschaftlichen Erhebung gegen die „Besatzung“ durch das Militär auf und sah im gewaltsamen Vorgehen einer großen Masse letztlich „das kleinste Übel“ in dieser Lage.32 Unter dem Pseudonym Dawid Warszawski (Warschauer David) radikalisierte Konstanty Gebert diese Annahme noch weiter und entwarf den Plan eines Untergrundstaates, der wie im Zweiten Weltkrieg mit einer eigenen Gerichtsbarkeit gegen die Vertreter des Regimes vorgehen solle.33 Gegen einen Untergrundstaat sprach aus Sicht Adam Michniks jedoch, dass er sich unter den gegebenen Bedingungen nicht demokratisch legitimieren ließ und so die Nation nicht repräsentieren konnte.34 Diese Kontroverse zwischen Radikalität und Mäßigung hatte bereits Mitte der 1970er Jahre am Beginn der öffentlichen Opposition in Polen die Strategiedebatte dominiert und erlebte nun durch das Kriegsrecht eine Erneuerung. Unabhängig davon, wie sich die einzelnen Konzepte – diese drei sind nur eine repräsentative Auswahl – zum Einsatz von Gewalt oder quasistaatlicher Struktur verhielten, war ihnen gemeinsam, dass sie von einer nationalen oder gesellschaftlichen Verständigung ausgingen, aus der Weiteres erst entstehen könne. Primärer Anknüpfungspunkt einer solchen Integration war die Solidarność; denn, wie es wiederum Kuroń ausdrückte: „[n]ach dem August 1980 stand die polnische Nation so geeint zusammen wie nie zuvor.“35 Im Versuch, diese Einheit zu erneuern, wurde die Nation zu einem funktionalen Gegenbegriff zum Regime, von dem sich die Gesellschaft distanzieren und entfernen müsse. In dieser ostentativen Beschwörung der Nation oder auch der Gesellschaft schien eine Definition überflüssig. Dabei zeigte sich ein immer wiederkehrender Mechanismus, der nicht nur die oppositionellen Debatten betraf: die einhellige Verwendung synonymer Begrifflichkeiten mit höchst variablen Inhalten. So dienten die Begriffe Selbstbestimmung und Menschenrechte als appellative Chiffren, denn das Unrecht des Kriegszustands bedurfte keiner ausführlicheren Darlegung. Freiheit, Demokratie und Staat waren als Zielvorstellungen ebenso allgegenwärtige Stichwörter, ohne dass eine klare begriffliche Aushandlung stattgefunden hätte.36 Mit der voranschreitenden Ausdifferen-

 32 Jacek Kuroń: Tezy o wyjściu z sytuacji bez wyjścia, in: Tygodnik Mazowszy [Samizdat], 31.03.1982, Beilage. 33 D. W. [Konstanty Gebert]: Państwo i my, in: KOS [Samizdat], 1/7 (1982), S. 9–12. 34 Adam Michnik: O Oporze, in: Krytyka [Samizdat], 6/13–14 (1983), S. 3–15, hier S. 9. 35 Kuroń: Tezy o wyjściu. 36 Krzysztof Łabędź: Spory wokół zagadnień programowych w publikacjach opozycji politycznej w Polsce w latach 1981–1989, Krakau 1997, S. 59.

150  Eine neue Vergangenheit der Nation zierung der politischen Positionen innerhalb der Opposition traten auch liberale und konservative Akteure in Erscheinung, die bis 1981 kaum oder nur wenig Relevanz besessen hatten. Waren wirtschaftliche Konzepte vor dem Kriegsrecht bis auf wenige Ausnahmen sozialistisch geprägt, gewannen marktliberale Ansätze in den folgenden Jahren mehr und mehr Anhänger.37 In der allgemeinen Ablehnung des Kriegsrechts und der Militärregierung ergaben sich programmatische Unterschiede in der Opposition vor allem daraus, welche Aspekte des Regimes Ansatzpunkt der Konzepte wurden. Eine der Nachfolgeorganisationen der Solidarność beispielsweise, die Kämpfende Solidarność (Solidarność Walcząca), ließ in ihren programmatischen Schriften einen radikalen Antikommunismus erkennen, den sie immer wieder auf das Regime projizierte, unabhängig von dessen nationalen Legitimationsversuchen.38 Konservative Oppositionelle hatten schon zuvor bezweifelt, dass das Regime polnisch sei, und übertrugen diese Annahme nun auch auf die Armee, die in den Jahren zuvor als Institution der Nation gegolten hatte. Eine Ausnahme war das nach dem 13. Dezember 1981 neu entstandene Komitee für gesellschaftlichen Widerstand, das in einer ungewöhnlichen Differenzierung und trotz seiner radikalen Grundausrichtung das Regime mit in die Nation einbezog. Ziel könne es nicht sein, sich an den Funktionären des Kriegsrechts zu rächen, vielmehr schließe eine Befreiung der Nation eben auch diese Funktionäre mit ein.39

3.1.2 Eine Renaissance der Nationaldemokratie? Nach dem Schock der Verhängung des Kriegszustands und seiner gewaltsamen Durchsetzung war ein Kompromiss mit den Herrschenden für viele Akteure der Solidarność undenkbar. Als einer der ersten Oppositionellen der frühen Generation war es Adam Michnik, der diesen allgemein angenommenen Antagonismus zu Staat und Partei in Frage stellte. In Anlehnung an sein 1976 formuliertes Axiom, dass ein pragmatischer Flügel der Partei „zwar Partner [der demokratischen Opposition sein kann], mit dem man einen politischen Kompromiss abschließen kann, aber niemals politischer Verbündeter“40 werden könne, sah er

 37 Ebd., S. 236; Krzysztof Brzechczyn: O ewolucji solidarnościowej w myśli społecznopolitycznej w latach 1980 –1981. Studium z filosofii społecznej, Posen 2013, S. 172. 38 Łukasz Kamiński/Grzegorz Waligóra: Solidarność Walcząca, in: Dies. (Hrsg.): NSZZ „Solidarność” 1980–1989. Bd. 2, S. 453–503, hier S. 472f. 39 Komitet Oporu Społecznego: Program, Warschau 1982 [Samizdat], S. 7. 40 Michnik: Nowy ewolucjonizm (2009), S. 114.

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auch im Kriegsrecht Möglichkeiten für einen Kompromiss zwischen Gesellschaft und Regime.41 Dabei sei aber notwendig, dass die Opposition als gleichberechtigter Akteur anerkannt werde und einen Kompromiss auf Augenhöhe aushandeln könne.42 Auch eine Diskussionsgruppe der Zeitschrift Głos (Stimme) um Antoni Macierewicz schlug zur Erneuerung der polnischen Staatlichkeit eine nationale Verständigung bestehender Akteure vor, das heißt neben der Solidarność und der katholischen Kirche sollte das Militär als eigenständiger politischer Akteur einen zukünftigen Staat mittragen.43 Der Vorschlag aber, das Militär einzubeziehen, also die Verständigung des August 1980 mit einem anderen Partner zu wiederholen, blieb heftig umstritten.44 Die Zäsur des Kriegsrechts bedeutete aber auch, dass oppositionelle Akteure nach zusätzlichen Anknüpfungspunkten ihres Denkens zur Nation suchten. So waren die Predigten des polnischen Papstes bei seiner Pilgerreise im Sommer 1983 eine Quelle und ein Vorbild vieler oppositioneller Akteure.45 Stärker noch schien aber die Anziehungskraft der Nationaldemokratie und ihres bedeutendsten Vertreters Roman Dmowski, die schon seit 1976 in konservativen Kreisen große Bewunderung gefunden hatte. Nach der offiziellen Aufhebung des Kriegszustands entwarf der Kreis der organisatorisch nicht mehr bestehenden Bewegung Junges Polen ein realpolitisch orientiertes Programm Zwischen dem Polen unserer Wünsche und dem Polen unserer Möglichkeiten, das 1984 in der neuen Zeitschrift der Bewegung, Polityka Polska (Polnische Politik), veröffentlicht wurde.46 Aus einer Reflexion der Mobilisierung der Opposition seit 1976 und der Fehler der Solidarność plädierte das Autorenkollektiv für die „handelnde Verteidigung“47 einer Nation, die sich aus katholischem Glauben und Unabhängigkeitskampf speisen sollte.48 Eine „moralische Erneuerung der Nation“49  41 Kucharczyk: Polska myśl polityczna, S. 137. 42 Michnik: O Oporze, S. 11. 43 Zespół „Głosu“: Odbudowa państwa, in: Głos [Samizdat], 7/43 (1983), S. 8–24. 44 Łabędź: Spory wokół, S. 78–82. 45 Vgl. bspw. die Darstellung eines anonymen Autors, der bei Johannes Paul II. Anstöße zur Überwindung eines „nihilistischen Totalitarismus“ fand und vor der Gefahr eines wie auch immer gearteten Kosmopolitismus warnte. Program Jana Pawła II dla narodu polskiego, in: Biuletyn Dolnosląski [Samizdat], 60 (1985), S. 8–12. 46 Vgl. Ruch Młodej Polski, in: Dariusz Cecuda (Hrsg.): Leksykon opozycji politycznej 1976– 1989, Warschau 1989, S. 96–98. Der Text bestand über längere Passagen aus einer Collage vorheriger Artikel der Autoren um Aleksander Hall. Zaremba: Młodopolacy, S. 298f. 47 Kucharczyk: Polska myśl polityczna, S. 147. 48 Zespół „Polityki Polskiej“: Między Polską naszych pragnień, a Polską naszych możliwości. Szkic do programu, in: Polityka Polska [Samizdat], 3/4 (1984), S. 7–16, hier S. 8. 49 Ebd., S. 13.

152  Eine neue Vergangenheit der Nation sollte die Bekämpfung des Alkoholismus und eine patriotische Schulbildung, aber auch die Schaffung einer neuen politischen Elite und wirtschaftliche Unabhängigkeit beinhalten.50 Ziel und gleichsam Notwendigkeit dieser Anstrengungen war ein souveräner Staat. Die Solidarność habe bereits die Umgestaltung Polens von einem Parteistaat in einen Nationalstaat begonnen, was es nun fortzusetzen gelte.51 Das Autorenkollektiv knüpfte damit an vorherige Programmtexte an, die den Staat als zwangsläufige Ausdrucksform der Nation herausstellten.52 Auch Mittel und Wege der vorgestellten Erneuerungen bewegten sich im bekannten Rahmen früherer Programmtexte. Der Kreis der Zeitschrift Polityka Polska betrachtete den Kriegszustand so als bloße Fortsetzung der Parteiherrschaft, nicht aber als veränderte Situation. Die in den 1970er Jahren geführte Kontroverse, ob eine „Finnlandisierung“ Polens – also die Schaffung eines blockfreien Status mit bevorzugten Beziehungen zur Sowjetunion – als Ziel der Opposition ausreiche oder ob nur die vollständige Souveränität Polens eine Lösung der bestehenden Probleme bieten könne, erlebte mit dem Kriegsrecht eine erneute Aktualität. Marian Piłka diskutierte beispielsweise in der Polityka Polska, ob die Volksrepublik überhaupt ein polnischer Staat sei. Dabei bezog er ungewöhnlich deutlich Position auch gegen linke Oppositionelle: Jede Beschreibung der Nation „ohne Staat ist im Grunde der Dinge der Versuch einer Reduktion der Nation auf eine Gesellschaft“.53 Weitere Beiträge in dieser Zeitschrift setzten die Nation, ganz im Sinne der programmatischen Ausrichtung der Bewegung Junges Polen, in Korrelation mit traditionellem Katholizismus, Staatlichkeit und Unabhängigkeit. Die evolutionären Überlegungen beruhten auf einer scharfen Abgrenzung vom Regime, aber ebenso von linken Oppositionellen und dem kritisch-katholischen Spektrum um die Zeitschriften Tygodnik Powszechny und Więź.54 War die Solidarność immer wieder affirmativer Referenzpunkt konservativer Oppositioneller55, knüpften

 50 Ebd., S. 13–16. 51 Ebd., S. 9. 52 Kucharczyk: Polska myśl polityczna, S. 147. 53 M. P. [Marian Piłka]: Czy PRL jest państwem?, in: Polityka Polska [Samizdat], 2/2–3 (1983), S. 23–32, hier S. 24. 54 A. H.: Dziedzictwo Narodowej Demokracji, in: Polityka Polska [Samizdat], 3/4 (1984), S. 28– 37, hier S. 30. Vgl. auch Natus: Rzecz o Narodzie, in: Polityka Polska [Samizdat], 3/4 (1984), S. 37–38. 55 Vgl. Józef Wierny: „Solidarność“ – nasza mała niepodległość, in: Polityka Polska [Samizdat], 2/2–3 (1983), S. 33–35; Zespół „Polityki Polskiej“: Między Polską, S. 8; Redakcja „Polityki Polskiej“: Poważna propozycja i poważne wątpliwości, in: Polityka Polska

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diese nicht an den programmatischen und pragmatischen Pluralismus der Gewerkschaftsbewegung an. Das Verhältnis zu den ehemaligen Mitgliedern des auf dem Gewerkschaftstag der Solidarność 1981 aufgelösten KOR hatte sich nicht nur abgekühlt, es bestand nicht mehr. Stattdessen rückte Aleksander Hall das Erbe der polnischen Nationaldemokratie erneut in den Blickpunkt seiner Leser.56 Wie schon in den 1970er Jahren bemühte er sich, Dmowskis Nationalismus vom Vorwurf des Chauvinismus reinzuwaschen und Dmowski so gegen linke unpatriotische Opponenten ins Feld zu führen. Eben diese linken Oppositionellen waren aber ebenso an Roman Dmowski als politischem Denker interessiert und fanden einen Zugang zu Schriften, die sie selbst einige Jahre zuvor noch verdammt hatten. Adam Michnik hatte schon 1979 angeregt, eine Anthologie zur Nationaldemokratie herauszugeben. In einer Werbebroschüre des Samizdat-Verlags NOW-a nannte er mit anderen Verlagsvertretern Gründe dafür: „Wir suchen unsere eigenen Wurzeln. Wir entdecken unsere geistigen Vorväter.“ Dies schließe aber keine Wiederbelebung der Nationaldemokratie ein; diese sei Geschichte.57 Um aber diese Geschichte und mit ihr die Grundlagen des heutigen Polens zu kennen, sei es wichtig, eine solche Textsammlung zu erstellen und zu veröffentlichen, da sie bislang fehle. Die Herausgeberin des 1981 erschienenen Bandes, Barbara Toruńczyk, plädierte in ihrer Einleitung dafür, die programmatischen Texte der Endecja zu historisieren und als Prozess zu verstehen.58 Was auch für Zeitgenossen in der Beschäftigung mit historischen Texten selbstverständlich erschien, war gleichzeitig ein deutlicher Seitenhieb auf die oben beschriebene Endecja-Rezeption konservativer Oppositioneller. Michnik ging in seinem Essay Gespräch in der Zitadelle, den er im Juli 1982 im Internierungslager Białołęka bei Warschau verfasste, noch weiter und reflektierte Dmowskis Schriften und ihren Wert für das politische Denken in der Internierung. Dabei stellte schon seine Grundthese, dass die beiden maßgeblichen ideologischen Traditionen der polnischen Gegenwart – die Nationaldemokratie und der nach Unabhängigkeit strebende Sozialismus im Polen der Jahrhun-

 [Samizdat], 3/4 (1984), S. 16–20, hier S. 17; Tomasz Wołek: Polski interes narodowy a racja stanu, in: Polityka Polska [Samizdat], 7/11 (1988), S. 9–15, hier S. 15. 56 A. H.: Dziedictwo Narodowej Demokracji. 57 NOWA, Narodowa Demokracja, 1981, Karta, AO IV/187.6 I, Bl. 11. 58 Barbara Toruńczyk: Myśl polityczna i ideologia Narodowej Demokracji, in: Dies. (Hrsg.): Narodowa Demokracja. Antologia Myśli politycznej 1895–1905, Warschau 1981 [Samizdat], S. I–XXIV.

154  Eine neue Vergangenheit der Nation dertwende – gleichzeitig gesellschaftliche Subjekthaftigkeit angestrebt hätten59, die immanente Gegnerschaft der beiden historischen Lager und folglich die ihrer politischen Nachfolger in Frage. Subjekthaftigkeit war nicht nur im Denken Michniks, sondern auch anderer polnischer Oppositioneller ein Schlüsselbegriff für die Entwicklung der Opposition. Der katholische Publizist und Berater der Solidarność, Tadeusz Mazowiecki, hatte den Begriff, der allgemein „im Sinne der Souveränität und Entscheidungsfähigkeit sowie -freiheit“60 verwendet wurde, in Anlehnung an den französischen Philosophen und Begründers des katholischen Personalismus Emmanuel Mounier61, der auch den national affirmativen Bronisław Sroka beeinflusste, geprägt. Aus anderen philosophischen Wurzeln leiteten auch Václav Havel und György Konrád in der Tschechoslowakei beziehungsweise in Ungarn eine solche selbstbestimmte Rolle der Gesellschaft her.62 Subjekthaftigkeit bedeutete in der Situation Polens um das Jahr 1900, wie auch im Jahr 1982, dass die Gesellschaft zum Akteur würde und Handlungsfähigkeit erlangte. Michniks Betrachtung war so nur vordergründig eine historische Erörterung und vielmehr eine gegenwartsbezogene Wiederaneignung politischer Klassiker. Hatten die nationalkonservativen Oppositionsgruppen zu einer „handelnden Verteidigung“ aufgerufen, so umriss Michnik eine „handelnde Politik“ als Grundsatz Dmowskis. Dies bedeute nichts anderes als die „Selbstorganisation“ der Gesellschaft, also die Herausbildung eigener Organisationen und Strukturen.63 Im politischen Denken des frühen polnischen Sozialismus und besonders bei Edward Abramowski sah Michnik ganz ähnliche Mechanismen gesellschaftlicher Organisation. Unterschiede bestünden nur in der Motivation dieser Ansätze, also in den ihnen zu Grunde liegenden Werten.64 Entscheidend sei hierbei die Betonung der Gesellschaft als kollektiver Akteur im Gegensatz zur antiegalitären und auf politische Eliten fixierten nationalkonservativen Opposition um Aleksander Hall. Anders betrachtet, projizierte Michniks Darstellung der Gemeinsamkeiten von Nationaldemokratie und Sozialismus die Grundlagen des axiologischen Kompromisses der Solidarność in die Geschichte des politischen Denkens in Polen. Damit wird nicht nur die Solidarność die späte Konsequenz  59 Adam Michnik: Rozmowa w cytadeli, in: Ders.: Szanse polskiej demokracji, S. 263–309, hier S. 267. 60 Arndt: Intellektuelle in der Opposition, S. 69. 61 Ebd., S. 69–72. Zum Einfluss des französischen Personalismus auf kritische Katholiken in Polen vgl.: Kosicki: Lʼavènement des intellectuels catholiques. 62 Vgl.: Schell: The Unconquerable World, S. 197f. 63 Michnik: Rozmowa w cytadeli, S. 272. 64 Ebd., S. 288.

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einer frühen, aber unbewussten Übereinstimmung der verfeindeten politischen Lager, sondern auch der Richtungsstreit der internierten und nicht-internierten polnischen Opposition während des Kriegsrechts zu einer unnötigen Ablenkung. Einzig der „totalitäre Bazillus“65 schränkte in Michniks Argumentation die Anschlussfähigkeit der beiden Denktraditionen ein. Statt einer Verengung und Verabsolutierung einzelner Positionen müsse die Wertschätzung für Meinungsvielfalt das Denken bestimmen.66 Michnik postulierte in seinem Gespräch in der Zitadelle keine Nationsvorstellung, sondern lediglich den Rahmen eines Zusammenlebens in Polen, den er an sechs Begriffen festmachte.67 Waren „Subjekthaftigkeit“ und „handelnde Politik“ die von ihm ausgebreiteten Mechanismen einer gesellschaftlichen Erneuerung, ergänzte die „katholische Kirche“ Michniks kritische Reaktualisierung polnischer Denktraditionen als „Lehrerin moralischer Werte, Verteidigung menschlicher und nationaler Würde“.68 Seine Einschränkung, dass diese Kirche nicht Repräsentant, sondern Entfaltungsraum der Nation sein könne, lässt erkennen, dass Nation auch in Michniks Denken als transzendente Größe figurierte. Seine allgemeinsprachliche Verwendung des Begriffs ‚naród‘ (Nation) und dessen Vermischung mit ‚społeczeństwo‘ (Gesellschaft) war für linke Oppositionskreise in Polen durchaus typisch. Entscheidend aber war, dass sich eine Gemeinschaft, die auch, nicht jedoch ausschließlich, als Nation zu bezeichnen war, in verschiedenen Denktraditionen und sozialen Räumen Polens manifestierte. Bereits in den 1970er Jahren hatte Michnik als Postrevisionist und kritischer Sozialist mit seiner Studie Kirche – Linke – Dialog, die 1976 erst im Exil und dann auch im Samizdat erschien69, einen Ausgleich zwischen laizistischer Intelligenz und katholischer Kirche angeregt. Zugleich war er unter den geläuterten Sozialisten derjenige, der am stärksten an der Nation als Ordnungsvorstellung und -ressource interessiert war.70 Auf diesem Ausgleichsgedanken fußte auch sein Neuer Evolutionismus, der zum einen eine Verständigung zwischen Intelligenz und Arbeiterschaft und zum anderen zwischen der politischen Linken und  65 Ebd., S. 279. Michniks Gebrauch des Totalitarismusbegriffs folgt der in der Opposition gängigen Praxis und lässt sich auch als Kommunikationsstrategie im oppositionellen Raum und mit möglichen westlichen Unterstützern verstehen. Brier: Michnik’s Understanding of Totalitarianism. 66 Michnik: Rozmowa w cytadeli, S. 307. 67 Ebd., S. 307–309. 68 Ebd., S. 308. 69 Michnik: Kościół, lewica, dialog. 70 Arndt: Rote Bürger, S. 143.

156  Eine neue Vergangenheit der Nation der katholischen Kirche als Ausgangspunkt politischer Opposition vorzeichnete. Diesen bereits dort angewandten Brückenschlag, bestehend aus Abstraktion, Vergleich und Projektion auf Konkretes, wandte Michnik auch „in der Zitadelle“ des Internierungslagers Białołęka an. Seine Thematisierung der polnischen Nationaldemokratie war auch als Erweiterung dieses gesellschaftlichen Ausgleichs zu verstehen. Hatte Michnik in ersterem Fall eine Kongruenz von Werten und Mechanismen angenommen, beschränkte er sich im Fall der Nationaldemokratie deutlicher und widersprach Dmowskis normativen Herleitungen immer wieder. Seine drei handlungsleitenden Postulate, „nationale Solidarität“, „Sozialismus“ und „Freiheit“, unterstrichen diesen Sammlungsgedanken noch einmal. Betrachtet man Michniks immanentes Pluralismusgebot und seine umgreifende Argumentation, kann nicht angenommen werden, dass sie von der Nation inspiriert war. „Es gibt keine nationale Solidarität ohne Toleranz und Pluralismus, ohne die Überzeugung, dass gerade der Pluralismus Zeugnis vom Reichtum der nationalen Kultur ist.“71 Vielmehr war eine mit Michniks Grundannahmen vereinbare Nationskonzeption ein Element einer umfassenderen gesellschaftlichen Konstruktion. Auch den im polnischen oppositionellen Diskurs höchst sensiblen Begriff des Sozialismus interpretierte Michnik unter Bezug auf Leszek Kołakowski nur recht allgemein als „die traditionellen Werte der gesellschaftlichen Gerechtigkeit und Freiheit“.72 Freiheit wiederum bedürfe auch erst eines Lernprozesses.73 Michnik entideologisierte so Kernbegriffe des politischen Denkens seiner Zeit und versuchte sie allgemein anschlussfähig zu formulieren. Damit entleerte er sie aber zugleich und lief Gefahr, sie zum „Ausdruck veränderlicher persönlicher Vorlieben, nicht aber dauerhafter moralischer Überzeugungen“74 werden zu lassen. Letztlich bleibt offen, auf welche Vorstellung politischer Gemeinschaft diese Reflexionen abzielten. Michniks Überlegungen sind beispielsweise als Beiträge zur Zivilgesellschaft gedeutet worden, auch wenn der Begriff und die dahinter liegende Vorstellung vor dem Zusammenbruch des Kommunismus bei ihm selbst keine Rolle spielten.75 Michnik orientierte sich an einer konkreten Situation, formulierte sein politisches Programm jedoch mit unscharfen Begriffen, so dass die Vergangenheit letztlich  71 Michnik: Rozmowa w cytadeli, S. 308. 72 Ebd. 73 Ebd., S. 309. 74 Paweł Śpiewak: Polnische Erfahrungen mit dem Totalitarismus, in: Ders. (Hrsg.): AntiTotalitarismus, S. 15–67, hier S. 36. 75 Andrew Arato/Jean L. Cohen: Civil Society and Political Theory, Cambridge, Mass. 1992, S. 31. Zu Michnik und dem Begriff der Zivilgesellschaft: Arndt: Intellektuelle in der Opposition, S. 109f.

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„konturlos“76 erscheinen musste. Das Gespräch in der Zitadelle war als Versuch einer kritischen Revision polnischer Denktraditionen stärker vom Versuch pragmatischer Integration oppositioneller Spektren als vom intellektuellen Räsonnement geprägt. Trotz solcher evolutionären Konzepte hielt das Militärregime Michnik für einen der gefährlichsten Vertreter der Opposition.77 Er wurde folglich immer wieder interniert und verbrachte von den acht Jahren bis zum Zusammenbruch des Regimes gut drei Jahre in Internierung und Haft. Sein Einfluss auf den oppositionellen Diskurs war somit begrenzt und auf seine aus der Haft geschmuggelten Schriften beschränkt. Dennoch bedarf es einer anderen Erklärung, dass Michniks Reflexionen über die Nationaldemokratie kaum Reaktionen provozierten und wenig diskutiert blieb. Auf linke Oppositionelle wirkten einige Aspekte in Michniks Ausführungen seltsam und sogar suspekt, schließlich ging Michnik mit den eigenen politischen Denktraditionen hart ins Gericht und brachte dem traditionellen politischen Gegner gegenüber vergleichsweise viel Wohlwollen auf.78 Konservative und rechte Oppositionelle streiften Michniks Text ebenso nur am Rande. In einem kontroversen Beitrag über den Sinn und die mögliche Gestalt der politischen Rechten in Polen tat Józef Wierny in der Polityka Polska das Gespräch in der Zitadelle als eine Mäßigung des belehrenden Tons der Linken gegenüber seinem eigenen Lager ab, überging aber in Michnik Versuch, eine gemeinsame Basis zu schaffen.79 Wierny sprach Michnik und anderen postrevisionistischen Oppositionellen zwar nicht die Legitimität ihres Patriotismus ab, sah aber keine Notwendigkeit der Verständigung mit ihnen. Vielmehr müsse das rechte politische Lager in sich einen Weg zum Dialog finden und seine vielfältige Spaltung überwinden. In direkter Anknüpfung an Wiernys Artikel gingen andere Autoren aus dem Spektrum der Polityka Polska dem Zustand der Rechten innerhalb der polnischen Opposition nach. Es bestand keine Auseinandersetzung darüber, dass man sich zu einer ethnischen Gemeinschaft als Grundlage der Nation bekenne. Marek Jurek definierte die politische Rechte aus ihrem Nationsverständnis heraus. Die Aussage: „Die Nation existiert, sie ist nicht nur  76 Śpiewak: Polnische Erfahrungen, S. 36. 77 Andrzej Paczkowski: Adam Michnik, czyli cudowne dziecko Kuronia i Kołakowskiego. Szkic do portretu z czasów komunizmu, in: Zeszyty Historyczne, 45/155 (2006), S. 110–122, hier S. 120. 78 Vgl. die Zusammenfassung erster Reaktionen einiger Mitgefangener, die Michnik als Nachwort seinem Text folgen ließ. Adam Michnik: Posłowie [zuerst erschienen in: Krytyka 5/13–14 (1982)], in: Ders.: Szanse polskiej demokracji, S. 311–314. 79 Józef Wierny: Jaka prawica jest Polsce potrzebna, in: Polityka Polska [Samizdat], 6 (1985), S. 3–15, hier S. 9.

158  Eine neue Vergangenheit der Nation Ergebnis eines Gesellschaftsvertrags“80, war demnach nurmehr ein Abgrenzungsmerkmal nach außen. Dass diese Wiederholung und Bekräftigung eines schon zuvor mehrfach angeführten und letztlich unstrittigen Denkmusters hier zur inneren Integration der verschiedenen zerrütteten konservativen Gruppierungen herangezogen wurde81, stellt den Zustand dieser Gruppen Mitte der 1980er Jahre anschaulich dar. In der Frühphase der öffentlichen Opposition in Polen war bei aller Heterogenität und Gegensätzlichkeit der intellektuelle Austausch zwischen den verschiedenen Lagern unstrittig und an der Tagesordnung. Aus einem dialogischen Pluralismus hatte sich ein kompliziertes Geflecht radikaler oppositioneller Gruppierungen und Kreise entwickelt, deren Debatten sich nicht auf die Opposition als Ganzes bezogen.82 Nun blickten die Nationalkonservativen in einer Nabelschau auf die Zerstrittenheit eines Flügels der Opposition und waren bemüht, sich ihrer Existenzberechtigung zu vergewissern.

 80 Marek Jurek: Prawica rodowód i perspektywy, in: Polityka Polska [Samizdat], 4/6 (1985), S. 17–20, hier S. 19. 81 Vgl. auch: Henryk Korwin: Sens ideowy pojęcia prawica, in: Ebd., S. 15–17; Aleksander Hall: Refleksje o polskiej prawicy, in: Ebd., S. 20–22. 82 Andrzej Paczkowski: Die polnische Opposition 1986–1989 und der Sturz des kommunistischen Systems, in: Detlef Pollack/Jan Wielgohs (Hrsg.): Akteure oder Profiteure? Die demokratische Opposition in den ostmitteleuropäischen Regimeumbrüchen 1989, Wiesbaden 2010, S. 203–229, hier S. 207f.

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3.2 Ein „Recht auf Geschichte“ in der Tschechoslowakei Die als Antwort auf den Prager Frühling eingeleitete „Normalisierung“ der Verhältnisse in der Tschechoslowakei war nicht nur eine Rückkehr zum Status quo ante, sondern ging weit darüber hinaus. Die Niederschlagung der Reformbewegung und die weitgehende Säuberung praktisch aller Institutionen und Bereiche des öffentlichen Lebens demobilisierte faktisch die Gesellschaft und zerschlug Protest oder oppositionelle Tendenzen.83 Verbunden war die Normalisierung auch mit einer deutlicher ideologischen Ausrichtung der Geschichtswissenschaft, die nun wieder verstärkt legitimatorische Aufgaben zu erfüllen hatte. So stand das kategorische Schweigen über den August 1968 einer Funktionalisierung von Geschichte und ihrer öffentlichen Repräsentation gegenüber. Zeitgenössische oppositionelle Beobachter waren sich in der Betrachtung der Folgen einig und beklagten, ihre Landsleute ließen Überdrüssigkeit oder Vergessenheit in Bezug auf die Vergangenheit erkennen.84 Jedoch beobachtete man ähnliche Phänomene zur gleichen Zeit und auch unter den Vorzeichen eines massiven, wenn auch völlig anders gelagerten Euphorieverlustes im Westen Europas, so dass hier zu fragen bleibt, ob spätsozialistische Desillusionierung und Resignation nur aus spezifisch endogenen Faktoren heraus erklärt werden können.85 In den Säuberungen der Normalisierung wurden gut 145 Universitätshistoriker entlassen, viele von ihnen thematische und methodische Reformer. Schon während des Prager Frühlings hatte sich eine offiziell eingesetzte Historikerkommission mit den Schauprozessen des tschechoslowakischen Stalinismus auseinandergesetzt und viele der reformkommunistischen Historiker, die daran beteiligt waren, in ihren Überzeugungen ernüchtert.86 Daraus entstand im Un-

 83 Ekiert: The State, S. 196f.; Oldrich Tůma: Czechoslovakia, in: Pollack/Wielgohs (Hrsg.): Dissent and Opposition, S. 29–49, hier S. 36f. 84 Chad Bryant: Whose Nation? Czech Dissidents and History Writing from a Post-1989 Perspective, in: History and Memory, 12/1 (2000), S. 30–64, hier S. 36f. Zur tschechoslowakischen Historiographie der Zeit vgl.: Kořalka: Czechoslovakia; Josef Hanzal: Cesty české historiografie. 1945–1989, Prag 1999; Górny: Między Marksem a Palackým. 85 Vgl. die Debatte zu Geschichtsverlust und Identität in der Bundesrepublik sowie Pierre Noras kulturpessimistischen Befund über „la rupture de la passé“, die ihn zum Projekt Lieux de mémoire bewog. Nora: Entre Mémoire, S. xvii; Edgar Wolfrum: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Darmstadt 1999, S. 222–227 und 303–315; Helmut König: Politik und Gedächtnis, Weilerswist 2008, S. 537–540. 86 Berthold Unfried: Unabhängige Historiographie und kollektives Gedächtnis in der Tschechoslowakei, in: Groniek, 107 (1990), S. 125–150, hier S. 134–139.

160  Eine neue Vergangenheit der Nation tergrund eine ernst zu nehmende und umfangreiche oppositionelle Historiographie, in der sich trotz vielfältiger Probleme und Einschränkungen gegen Ende der 1980er Jahre rund 90 Historiker in den verschiedenen Publikationen des Samizdat engagierten.87 Die Beschäftigung mit Leitfragen der tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Geschichte knüpfte dabei an jahrzehntelange Debatten an, wie die bereits angesprochene Frage nach dem Sinn der tschechischen Geschichte, oder berührte die unmittelbare Nachkriegszeit und die Etablierung der kommunistischen Herrschaft. Die zeitgenössischen Geschichtsdeutungen des Regimes spielten dabei kaum eine Rolle.88 Gleich mehrere Debatten löste ein Dokument der Charta 77 unter dem Titel Recht auf Geschichte aus, das 1984 ohne die sonst übliche Zustimmung der Sprecher der Charta veröffentlicht worden war.89 Die im Text nicht genannten und auch später im Samizdat namentlich nicht bekannten Autoren Rudolf Kučera und J. P. Kučera formulierten ihr Anliegen als Brief an die Tschechoslowakische Akademie der Wissenschaften und beklagten die Zensurpraxis des Regimes, Geschichtsfälschungen und den regimetreuen Nihilismus der akademischen Geschichtswissenschaft.90 Dass sie dabei als Nicht-Historiker das Archivwesen und die Methoden der Geschichtswissenschaft oft simplifizierend attackierten, löste eine längere Debatte über den Zustand der Wissenschaft in der Tschechoslowakei sowie die Geschichtswissenschaft an sich aus, die hier aber nicht im Kern der Untersuchung stehen soll.91 Für diese Arbeit bedeutend war dagegen die Klage der Autoren, das historische Gedächtnis Tschechiens sei durch staatliche Manipulation in seinen Inhalten und von einer allgemeinen Distanzierung gegenüber der Geschichte bedroht: Unser Volk wird bereits jahrzehntelang systematisch seiner historischen Erfahrung beraubt, und zwar einerseits dadurch, daß die Staatsmacht die Publikation nur solcher Arbeiten auf dem Gebiet der Geschichte zuläßt, die mit der aktuellen offiziellen politischen  87 Vgl. Eva Schmidt-Hartmann: Forty Years of Historiography under Socialism in Czechoslovakia. Continuity and Change in Patterns of Thought, in: Bohemia, 29/2 (1988), S. 300–324, hier S. 317–322; Independent Historiography in Czechoslovakia. 2 Bde., Berlin 1985. 88 Judt: Dilemmas of Dissidence, S. 218–222. 89 Kopeček: Citizen and Patriot. 90 Charta 77: D[okument] 280. 1984. 20. květen, Praha. Analýza současného stavu československého oficiálního dějepisectví nazvana Právo na dějiny, zaslaná prezidiu Čs. akademie věd (Dokument č. 11/84), in: Vilém Prečan/Blanka Císařovská (Hrsg.): Charta 77. Dokumenty 1977–1989: Bd. 2: 1984–1989, S. 625–633, hier S. 625–631. 91 Kopeček: Citizen and Patriot. Für einen Überblick über diese Debatten siehe: Charta 77: Dokument 280. Právo na dějiny, S. 631–633.

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Ideologie übereinstimmen, andererseits dadurch, daß grundlegende historische Erfahrungen und Traditionen aktiv manipuliert werden.92

Die Slowakei klammerte das Dokument derweil explizit aus, da es den Autoren zur slowakischen Historiographie an weiterem Wissen fehle.93 Für die Autoren des Dokuments war offensichtlich nur die Nation als erinnernde Gruppe von Belang. Gerade die immanente Bedeutung des Gedächtnisses für den zeitgenössischen Zustand der Nation wurde betont. In ihrer Vorstellung sozialer Vergegenwärtigung von Vergangenheit verwiesen die Autoren mehrfach, wie bereits zitiert, auf die „historischen Erfahrungen“, die sie fest mit historischen Ereignissen verbanden.94 Erinnerung wurde so zu einem ununterbrochenen Band durch die Zeit, das frühere Generation mit der Gegenwart verknüpft. Historische Ereignisse „schreiben sich in das historische Gedächtnis des Volkes ein und stellen […] das Fundament dar, auf dem Geschichtsphilosophien von Völkern und Staaten, Staatsdoktrinen […] aufgebaut werden.“95 Für ein im Jahr 1984 bedrohtes tschechisches Gedächtnis hatte dies im Denken eines Rechts auf Geschichte zwei Konsequenzen. Zum einen war das Gedächtnis eine Zugriffsmöglichkeit auf tatsächliche Geschehnisse. Eine Beeinflussung des Gedächtnisses durch staatliche Stellen konnte dagegen nur eine Form der Manipulation aus politischen Interessen darstellen. Zum zweiten bedeutete dies, dass auch die damit verbundene Erinnerungsgemeinschaft, also die Nation, nur eine natürliche historische Gemeinschaft sein konnte, die der Wahrheit wegen erhalten werden musste.96 Eine solche essentialistische Auffassung des Gedächtnisses war zeitgenössisch auch in der westeuropäischen Forschung verbreitet, so dass die theoretische Betrachtung des Argumentationsansatzes weitere Einblicke in das Nationsverständnis des Rechts auf Geschichte erlaubt. Kučera und Kučera legten eine feststellbare und organische Nation als Maßstab ihrer Forderungen an, verstanden also Nation in der longue durée als Erfahrungs- und konsequenterweise als Abstammungsgemeinschaft, da nur so die Tradierung des historischen Gedächtnisses vorstellbar schien.

 92 Ebd., S. 625f. Die Übersetzung folgt: Das „große Vergessen“ und die Rolle der Historiographie, in: Osteuropa, 36 (1986), S. A 371–A 374, hier S. A 372. 93 Charta 77: Dokument 280. Právo na dějiny, S. 627. 94 Ebd., S. 625. 95 Ebd. Die Übersetzung folgt: Das „große Vergessen“, S. A 371. 96 Zur Einschränkung aus Sicht der memory studies siehe: Gregor Feindt/Félix Krawatzek/Daniela Mehler/Friedemann Pestel/Rieke Trimçev: Entangled Memory. Towards a Third Wave in Memory Studies, in: History and Theory, 53 (2014), S. 22–44.

162  Eine neue Vergangenheit der Nation Aus der Wahrnehmung einer Gefahrenlage riefen die Autoren zu einer Erneuerung dieses historischen Gedächtnisses auf und verwiesen auf das Engagement der Charta 77 für Menschen- und Bürgerrechte, die eben eine solche Rekonstruktion anmahne. Historischer Ausgangspunkt einer solchen Erneuerung bildete für die Autoren ein allgemeines „christliches Erbe“97, das die Welt kulturell geprägt habe. Dem Befund, dass das kommunistische Regime einerseits die Geschichte verfälsche und die tschechoslowakische Geschichtswissenschaft andererseits auch keine ganzheitliche Erzählung biete, setzten die Autoren zwei kontroverse Themen entgegen, die sie in einer authentischen Betrachtung der tschechischen Geschichte integriert wissen wollten. Zum einen könne die katholische Kirche, „die in der tschechischen Geschichte eine fundamentale Bedeutung bis zur Neuzeit, das heißt nach dem 18. Jahrhundert, hatte“ nicht nur auf eine antimoderne Rolle reduziert werden, wogegen in das Hussitentum protonationale und demokratische Aspekte hineingedeutet würden.98 Zum anderen lasse sich das Haus Habsburg genauso wenig als „immer negativ, immer reaktionär“ charakterisieren und als Unterbrechung der tschechischen Geschichte verstehen.99 Wenn das Recht auf Geschichte schlussfolgerte, man müsse solchen Verfälschungen widerstehen und ein authentisches Geschichtsbild entwickeln100, knüpfte es wiederum an das Leben in der Wahrheit an, wie es Jan Patočka und Václav Havel philosophisch ausbreiteten. Für beide Philosophen stand dabei aber weniger die Versachlichung von Wahrheit als bloß wahrgenommenes Objekt im Zentrum ihres Anliegens als vielmehr die Authentizität oder Loslösung vom politischen Kontext in einer dynamischen menschlichen Handlung.101 Auf Havels berühmt gewordenene Metapher des Gemüsehändlers102 übertragen, heißt in der Wahrheit zu leben, das sozialistische Spruchband nicht ins Schaufenster zu hängen. Havel entwickelte seine Argumentation vom Individuum her und postulierte das Leben in der Wahrheit als alltägliche Aufgabe des Einzel 97 Charta 77: Dokument 280. Právo na dějiny, S. 625. 98 Vgl. zur Deutungsgeschichte Jan Hus’ und seiner vielfältige Politisierung: Martin Schulze Wessel: Die Konfessionalisierung der tschechischen Nation, in: Haupt/Langewiesche (Hrsg.): Nation und Religion, S. 135–150. 99 Charta 77: Dokument 280. Právo na dějiny, S. 630. 100 Ebd., S. 626. 101 Vgl. Tucker: Philosophy and Politics, S. 35 und 116f.. 102 In Havels Macht der Ohnmächtigen vergisst ein tschechoslowakischer Gemüsehändler bereits nach kurzer Zeit, welche sozialistische Parole er in seiner Auslage zwischen Möhren und Zwiebeln drapiert hat. Das Bild umschreibt die sinnentlernte und floskelhaften sozialistische Semantik und wie graue Bürger sie dennoch mittragen. Havel: Versuch, S. 14f.

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nen.103 Demgegenüber argumentierten die Autoren des Rechts auf Geschichte aus kollektiven Positionen heraus und verwiesen auf die „Nation“104, deren Gedächtnis manipuliert werde, oder auf „die Zukunft unserer nationalen Gesellschaft“105. Für ihren Wahrheitsbegriff griffen sie auch nicht auf eine Handlung im Gegensatz zum Regime zurück, sondern definierten ihn über Inhalte, also mit anderen Worten über „wahre“ Geschichte. Aus philosophischer Perspektive bedeutete dies eine starre rezeptive Wahrheitsvorstellung an Stelle der von Havel angeregten performativen und akteursabhängigen Wahrheitsannäherung. Zwar argumentierte das Dokument als konservativer und bewahrender Versuch gegen die Deutungen des Regimes, inhaltlich kritisierte es aber mehr als nur den Opportunismus der marxistischen Historiographie. In einem weiteren Sinne postulierten die Autoren mit ihrer Betonung des katholischen Moments in der tschechischen Geschichte und ihrer dabei durchscheinenden Sympathie für die Habsburgermonarchie eine Gegenposition zur protestantisch geprägten Hauptströmung des tschechischen politischen Denkens106; sie knüpften so an den Streit über den Sinn der tschechischen Geschichte an.107 Das ChartaDokument kritisierte zwei Ebenen tschechoslowakischer Staatlichkeit in jeweils unterschiedlichen Aspekten, zum einen die zeitgenössische sozialistische Form der Tschechoslowakei und zum anderen die 1918 geschaffene Staatlichkeit mit zwei Titularnationen und verschiedenen Minderheiten an sich. Die Wiederherstellung einer authentischen tschechischen Geschichte konnte sich demnach nicht nur auf eine bloße Überwindung der marxistischen und staatssozialitischen Geschichtsdeutung seit 1948 beschränken, sondern musste auch das Geschichtsbild der Ersten Tschechoslowakischen Republik in Frage stellen. Kučera und Kučera erhielten schnell Widerspruch von unabhängigen, akademischen Historikern, die durchaus mit dem Zustand der tschechoslowakischen Historiographie unzufrieden waren, den Autoren aber sachliche Fehler und partielle Unkenntnis nachwiesen, ohne sich eingehender zum Recht auf Geschichte zu äußern.108 Überhaupt gehörte die Kritik an der Analyse des For 103 Ebd.; Tucker: Philosophy and Politics, S. 116. 104 Charta 77: Dokument 280. Právo na dějiny, S. 265. 105 Ebd., S. 631. 106 Kopeček: Citizen and Patriot. 107 Vgl. Havelka: Debatten, S. 47. 108 Miloš Hájek/Hana Mejdová/Jaroslav Opat/Milan Otáhal: Mluvčím Charty 77 dr. Václava Bendovi, Jiřím Rumlovi a Janě Šternové, in: Hübl (Hrsg.): Hlasy k českým dějinám, S. 45–51. Vgl. ganz ähnlich in seiner Kritik: Ján Mlynárik: Charta 77 a diskuzia o, in: Střední Evropa [Samizdat], 2 (1985), S. 80–85.

164  Eine neue Vergangenheit der Nation schungsstands und der Fachkenntnisse, mit denen das Dokument erstellt wurde, zur allgemeinen Einleitung verschiedenster Beiträge. Es stand so also in Frage mit welchem Recht und welchem Anspruch die Charta 77 ein solches Dokument veröffentliche. Die Sprecher der Charta verteidigten die Legitimität des Textes, der eben als Diskussionsvorlage konzipiert worden sei. Das Recht auf Geschichte behandele nur vordergründig eine wissenschaftliche Frage, und vielmehr eine Frage gesamtgesellschaftlichen Ausmaßes, die nicht nur Fachleuten und Politikern überlassen werden könne.109 Sein Recht auf Geschichte wahrzunehmen, bedeutete also tschechische Geschichte zu deuten und implizit zu formulieren, was die tschechische Nation ausmachte. Dabei lassen sich zwei miteinander verwobene Stränge der Diskussion erkennen, die Rolle der Religion für das Selbstverständnis der Nation und die Relevanz historischer Vorbilder. Dass die Frage um die Legitimität der Veröffentlichung von Recht auf Geschichte als Dokument der Charta 77 so polemisch diskutiert wurde, lässt sich nur aus der Entstehungsgeschichte und der Struktur der Charta erklären. War die Charta 1977 als Menschenrechtsappell entstanden, kannte sie nur Unterzeichner eben dieses ersten Dokuments und im jährlichen Rhythmus gewählte Sprecher. So definierte sich das Spektrum der anfangs 243 und später an die 2000 Unterzeichner weder über grundsätzliche inhaltliche Positionen oder politische Traditionen noch zwingend über die Ablehnung der sozialistischen Staatlichkeit, sondern über eine gemeinsame Menschenrechts-Thematik. Dennoch konnte man unter den Chartisten zwei maßgebliche Gruppen identifizieren, die sich inhaltlich gegenüberstanden: eine ehemals marxistische und nun zumeist postrevisionistische sowie eine religiös, oft katholisch geprägte Gruppe.110 Konnte man zuvor diese Unterschiede zumeist in der gemeinsamen Arbeit zurückstellen, traten sie hier offen zum Vorschein, eben auch weil die Vorbereitung des Dokuments vom üblichen Prozedere abwich. Anonyme Autoren waren keineswegs ungewöhnlich für die Dokumente der Charta 77, die stets von den jeweiligen Sprechern der Charta unterzeichnet wurden. Solchen Veröffentlichungen ging jedoch in aller Regel ein ausführlicherer Diskussionsprozess voraus, der eine gewisse „collective position of the Charter“111 sicherte. Dass bei einem kontroversen Thema gar auf die Autorisierung durch die Sprecher ver-

 109 Charta 77: D[okument] 286. 26. září 1984, Praha. Sdělení o diskusi k dokumentu Charty 77 č. 11/84 Pravo na dejiny a zveřejnění prvního polemického příspěvku čtyř historiků-signatárů (Dokument č. 16/84), in: Prečan/Císařovská (Hrsg.): Charta 77. Bd. 2, S. 659–661, hier S. 659. 110 Vgl. Skilling: Charter 77, S. 43–51; Otáhal: Opozice, moc, S. 38f; Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 89–92. 111 Ebd., S. 90.

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zichtet wurde, stellte den fragilen Grundkonsens des oppositionellen und nonkonformen Spektrums in der Tschechoslowakei in Frage. Bezieht man in diese Debatte die historischen Anklänge der verschiedenen Beiträge mit ein, wird eine weitere Schicht der Aushandlung tschechischer Identitäten deutlich, und zwar die Bedeutung des Hauses Habsburg und Österreichs im weiteren Sinne. Galt seit Palackýs Geschichte von Böhmen die tschechische Geschichte als eine Konfliktgeschichte mit den Deutschen112, wurde der narrative Rahmen dieser Teleologie tschechischen Selbstverständnisses hier konkret ausgedeutet. Luboš Kohout beispielsweise polemisierte heftig gegen eine vermeintliche „historische ‚Rehabilitierung‘ der österreichischungarischen Habsburger“ und betonte mit Verweisen auf das politische und historische Denken Masaryks, Benešs und anderer die Aufspaltung Österreichs als Daseinsgrundlage der tschechischen Nation.113 Hauptansatzpunkt der Österreich-Frage im tschechischen historischen Denken blieb die Schlacht am Weißen Berg 1620, also die Niederlage der böhmischen Stände gegen das habsburgische Heer und die darauffolgende Rekatholisierung Böhmens. Wiederholte Kohout weitgehend die bekannten Deutungen der tschechischen Historiographie seit Palacký, versteifte sich Ladislav Jehlička auf eine „radikale Umwertung der tschechischen Geschichte“, die von praktisch allen Vorbildern auch die konservativen Positionen eines Josef Pekař verwarf.114 Auch wenn Kohout die Standortbindung jeglicher historischer Betrachtung einräumte115, war die Schärfe seiner Argumentation eindeutig. Hatte er schon zuvor das Narrativ des emanzipationsfeindlichen, antislawischen und antitschechischen Katholizismus übernommen, konnte dies in der Zusammenschau mit seiner Habsburgkritik nur einen fundamentalen Widerspruch zwischen tschechischer Nation und katholischer Konfession bedeuten. Offensichtlich hatte Recht auf Geschichte mit seinem Plädoyer für eine Integration katholischer Elemente in die tschechische Geschichte ein Tabu berührt. Die folgende Kritik beschränkte sich dabei nur zu einem Teil auf deren Auslassungen und folgte stattdessen wie bei Milan Hübl oder Luboš Kohout auch einem dezidiert antikatholischen und kirchenfeindlichen Duktus, der sich  112 Vgl. dazu beispielsweise: Baár: Historians and Nationalism, S. 263. 113 Luboš Kohout: Odpovědnost historika vuči dějinám budoucnosti národu Československa. „Historia magistra“ contra „historia – ancillia theologiae et politicae“, in: Informace o Chartě 77 [Samizdat], 7/9 (1984), S. 9–13, hier S. 10. 114 Martin Schulze Wessel: Die Mitte liegt westwärts. Mitteleuropa in tschechischer Diskussion, in: Bohemia, 29 (1988), S. 325–344, hier S. 331–333, Zitat S. 332; Ladislav Jehlička: Ještě k polemice o Právo na dějiny – trochu jinak, in: Svědectví, 21/75 (1985), S. 595–609. 115 Kohout: Odpovědnost historika, S. 12.

166  Eine neue Vergangenheit der Nation wiederholt mit persönlichen Anfeindungen vermischte.116 Damit perpetuierte die Diskussion vor allem den Streit um den Sinn der tschechischen Geschichte zwischen einer „‚protestantisch-fortschrittlichen‘ Richtung“ und einer „‚katholischkonservativen‘“117 und führte kaum neue Gedanken in den jahrzehntelangen Konflikt ein. Dessen Konfliktparteien überlappten sich in ihrer Zusammensetzung wenig überraschend mit den revisionistisch beziehungsweise religiös geprägten Spektren der Charta 77. Gerade in der Argumentation Luboš Kohouts ist deutlich zu erkennen, welche Nähe revisionistische Chartisten zu den Interpretationen der sozialistischen Tschechoslowakei behielten, die die protestantisch-fortschrittliche Interpretation tschechischer Geschichte marxistisch überformt hatten. So wurden zwar konfessionell geprägte Argumente wiederholt, die Auseinandersetzung wurde aber letztlich aus „cultural sensibilities“118 heraus geführt. In einem ausführlichen Artikel unter dem Titel Geschichte und Geschichtsschreibung als kulturelle Phänomene ergriffen Kučera und Kučera erneut das Wort und antworteten ihren Kritikern. Dabei entgegneten sie ihnen ähnlich kleinteilig und faktographisch, wiederum ohne ihre Namen zu nennen, was ihnen spürbar Unmut einbrachte.119 Von den Kritikern, die meinten, Recht auf Geschichte sei ein katholisches Papier, fühlten sich die Autoren grundsätzlich missverstanden. Man habe ganz grundsätzlich die Verfälschung von historischen Traditionen unabhängig von deren politischer oder konfessioneller Fundierung kritisieren wollen. Ihr eigentliches Ansinnen, das historische Wissen und die historischen Erfahrungen der Tschechen genauer auszuleuchten, sei dagegen zu wenig diskutiert worden.120 Tschechische Geschichte solle nicht bloß als Produkt politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen verstanden werden, sondern Kultur und auch Religion seien als kulturelles Phänomen in eine solche Betrachtung mit einzubeziehen.121 In der konkreten Anwendung dieser präzisierten Überlegungen auf die Nation blieben sie aber wiederum zurückhaltend. Dagegen rekurrierten sie erneut auf ihre geschichtsphilosophischen Aussagen und plädierten für eine Geschichte, die als Rekonstruktion authentischer Erfahrungen im zeitgenössischen Kontext „vielleicht auch schär 116 Schmidt-Hartmann: Forty Years, S. 320. 117 Ebd., S. 322. 118 Kopeček: Citizen and Patriot. 119 Petr Uhl: O třech nepoctivostech autorů práva na dějiny, in: Hübl (Hrsg.): Hlasy k českým dějinám II, S. 138–155, hier S. 150–152. 120 Autoři dokumentu Charty 77 Právo na dějiny: Dějiny a dějepisectví jako kulturní fenomeny, in: Střední Evropa [Samizdat], 2 (1985), S. 100–113, hier S. 100f. 121 Ebd., S. 110–112.

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fer, aber keineswegs wahrheitsgetreuer“122 sein könne. Auch räumten sie die Standortgebundenheit des Historikers ein, gingen aber weiter von einem Verlust historischer Wahrheit in Folge der kommunistischen Herrschaft seit 1948 aus, die als Bruch mit sämtlichen Traditionen der Nation zu verstehen sei.123 So lässt sich Geschichte und Geschichtsschreibung weniger als inhaltliches denn als strategisches und pragmatisches Entgegenkommen der Autoren des Rechts auf Geschichte verstehen. Die Diskussion hatte in der tschechischen Untergrundliteratur einen solchen Widerhall gefunden, dass 1985 zwei Sammelbände unter dem Titel Stimmen zur tschechischen Geschichte erschienen, die bereits veröffentlichte Beiträge, aber auch neue Stimmen präsentierten.124 Der Herausgeber Milan Hübl setzte seine stark polemischen und antikatholischen Äußerungen im Vorwort des ersten Bandes fort und druckte unter anderem einen Beitrag zum katholischen Integralismus im 19. Jahrhundert125 ab. Auch so ließ sich die übertriebene Behauptung, Recht auf Geschichte vertrete radikal-katholische Positionen, stärken. Petr Pithart dagegen äußerte sich hoffnungsvoll über die katholische Historiographie, die von allen Denkschulen zur tschechischen Geschichte am deutlichsten Kontinuitäten schaffe und so alle Tschechen und alle gesellschaftlichen Gruppen in ihre Erzählung integrieren könne.126 Ganz im Sinne seines Versuchs über das Vaterland oder die Heimat argumentierte Pithart für eine ganzheitliche und inklusivistische Konzeption der tschechischen Nation und sah in der durch Recht auf Geschichte angestoßenen Diskussion einen Grundstein dafür. Seine Kritik der Gegenstimmen war folglich sowohl inhaltlicher als auch methodischer Natur, und Pithart fragte letztlich, warum die Charta 77 keine kontroversen Standpunkte formulieren dürfe.127 Er wendete die hier diskutierte Auseinandersetzung also in ihrer Konsequenz und deutete Differenz zum Ausgangspunkt einer Einigung um. Als einziger Diskutant fragte er daher explizit, was denn mit dem Recht auf Geschichte gemeint sein und wie das Streben nach einem authentischen Geschichtsbild als Recht formuliert werden könne.128  122 Ebd., S. 103. 123 Ebd. 124 Hübl (Hrsg.): Hlasy k českým dějinám; Ders. (Hrsg.): Hlasy k českým dějinám II. 125 Vgl. Ders.: Hlasy k českým dějinam aneb diskuse nad Durychovem pojetím a snahami o jeho oživení, in: Ders. (Hrsg.): Hlasy k českým dějinám, S. 1–18, hier S. 2–6 und 16f.; František Šamalík: O integrálním katolicismu a Durychově pojeti českých dějin, in: Ebd., S. 144–157. 126 Petr Pithart: Smlčeti zlato, in: Hübl (Hrsg.): Hlasy k českým dějinám II, S. 194–216, hier S. 194f. 127 Ebd., S. 198–200. 128 Ebd., S. 212f.

168  Eine neue Vergangenheit der Nation In diesem Sinne intervenierte der reformkommunistische Dissident Jaroslav Šabata in einem Beitrag in den Informace o Chartě 77 und rief dazu auf, eine „neue philosophische Orientierung zu finden, die die CH [Charta] 77 in unser öffentliches Leben stellt.“129 Sei eine inhaltliche Einigung der verschiedenen politischen Tendenzen innerhalb der Menschenrechtsbewegung aussichtlos und künstlich, müsse man eine Haltung der „Solidarität“ finden, die eine feste realpolitische Orientierung geben könne, um überkommene Konflikte zu historisieren. Auf diesen Konflikt gemünzt, hieß das für Šabata anzuerkennen, dass das Recht auf Geschichte ein legitimer Protest gegen die Verfälschung des Geschichtsbewusstseins sei und so die Solidarität der Opposition verdient habe. In ihrer Zuspitzung auf eine einzige politische und geschichtsdeutende Option gefährde sie aber den integrativen Ansatz der Solidarität ähnlich wie zahlreiche Kritiker aus dem linken Lager.130 Pithart unterstützte diesen Ansatz, als er 1986 in der Zeitschrift Obsah „Selbstreflexion“ statt „Komplex und Groll“ forderte. Vor dem Hintergrund der Debatte, aber noch konkreter durch einen Beitrag von Božena Komárková bedingt, bezweifelte Pithart grundsätzlich, dass in Tschechien die umkämpfte Vorstellung Nation eine übergreifende Wirkung entfalten könne. Die Dopplung politischer Konzepte in Tradition und Gegentradition bewirke in Böhmen, anders als selbst in Mähren und der Slowakei, eine Uneindeutigkeit oder gar Widersprüchlichkeit der Nation.131 Selbstzweifel und ein Denken „gegen den Strom“ mache Tschechien als Land und Nation eigentlich aus.132 Im Kontrast zwischen kleinen und großen Nationen wendete Pithart vermeintliche Schwächen der tschechischen Nation in ausbaufähiges Potential, ohne dabei konkret zu werden. Dies bedeutete die Ablehnung spezifischer Traditionen, nicht aber des Traditionsbegriffes an sich. Hatte er zuvor die argumentative Funktionalisierung von Geschichte kritisiert133, verfuhr er selbst hier kaum anders. In einem Beitrag für die Exilzeitschrift Svědectví entwickelte er diesen Gedanken weiter und plädierte für eine „‚inklusive‘ Tradition oder Konzeption

 129 Jaroslav Šabata: Dodatečná poznámka k diskusi o dokumentu Charty 77 „Právo na dějiny“, in: Informace o Chartě 77 [Samizdat], 8/2 (1985), S. 8–10, hier S. 9. Hervorhebung im Original. 130 Ebd., S. 10. So hatte Kohout zwar die grundsätzliche Konflikthaftigkeit historischer Deutungen anerkannt, daraus aber keine Akzeptanz für das „Recht auf Geschichte“ entwickelt. Vgl. Ders.: Odpovědnost historika, S. 12f. 131 Petr Pithart: Dějiny, kampaně a národné sebevědomí, in: Obsah [Samizdat], 6/1 (1986), einzeln paginiert, hier S. 2. 132 Ebd., S. 9. 133 Ebd., S. 1.

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der Geschichte“134 Tschechiens, die historische Abläufe eben nicht nur durch eine einseitige protestantische oder katholische Interpretation verfälsche, sondern Kontinuität und Zusammengehörigkeit über Konfliktlinien hinaus annahm. Nur dies könne den jahrhundertealten „geistigen Bürgerkrieg“135 überwinden, der immer wieder Konflikte zur nationalen Identität hervorrief. Betrachtet man die Auswirkungen der Debatte um das Recht auf Geschichte, konzentrierte diese sich auf die traditionellen Gegensätze tschechischer Geschichtsdeutung, vernachlässigte aber, welche Rolle das kommunistische Regime in der Auseinandersetzung spielte. Dabei waren die verschiedenen Autoren sich in ihrer grundsätzlichen Ablehnung kommunistischer und das Regime legitimierender Geschichtsbilder durchaus einig, strittig war dagegen, wie sehr und zu welchem Zeitpunkt diese tatsächlich in der staatlich sanktionierten, also offiziellen Geschichtsschreibung vertreten waren. Neuere Entwicklungen dieser offiziellen Historiographie, die die Epoche der sogenannten nationalen Wiedergeburt weniger von den Habsburgern abgrenzten136, wurden nicht weiter beachtet. Die Autoren des Charta-Dokuments hatten eine in ihrem Verständnis unverfälschte Geschichte als Mittel in der Auseinandersetzung mit dem Regime nutzbar machen wollen, worauf ihre Kritiker kaum eingingen. Sieht man von Petr Pithart und seinem Narrativ der tschechischen Geschichte als einer Geschichte zweifelnder Denker und von Luboš Kohouts Auslassungen zum Lernen aus der Geschichte ab, entwarf die Debatte keine Handlungsoptionen für die tschechische Opposition im Allgemeinen oder im Besonderen gegen das sozialistische Regime. Wichtiger war es den Kritikern zu zeigen, dass das Recht auf Geschichte von einem irrigen Bild tschechischer Geschichte und Nation ausging, das man selbst mit einem eigenen Entwurf zurechtzurücken suchte. Wenn Radomir Malý also darauf hinwies, dass Kučera und Kučera mit dem Narrativ des tschechischen Demokratismus auch ein wirksames antikommunistisches Argument als einseitig abgetan hätten137, legte er eine Blindstelle der Debatte offen, die sich nicht in Konkurrenz mit dem Regime wähnte. Auf diese Weise kreiste die Debatte über das Recht auf Geschichte in einem doppelten Sinne um sich selbst. Sie führte inhaltlich einen Jahrzehnte alten und andauernden Kon-

 134 Petr Pithart: Šetřme své dějiny, in: Svědectví, 75 (1985), S. 623–640, hier S. 636. 135 Ebd., S. 635. 136 Kořalka: Czechoslovakia, S. 1031. 137 Radomír Malý: K diskusi o dokumentu Charty č. 11/84, in: Informace o Chartě 77 [Samizdat], 8/1 (1985), S. 18–20, hier S. 19.

170  Eine neue Vergangenheit der Nation flikt fort138 und verlor den konkreten Bezug zur tschechoslowakischen Gegenwart der 1980er Jahre aus den Augen. Strittig war zwischen den verschiedenen Lagern auch das eigentliche Anliegen einer Geschichtsbetrachtung. Für die Autoren des Dokuments Recht auf Geschichte figurierte Geschichte als eine feststellbare Größe. Der Sinn einer solchen Betrachtung war teleologisch auf die historische Gemeinschaft, die Nation, ausgerichtet. Dem hielt zum Beispiel Kohout die reflektiert abgeschwächte Vorstellung entgegen, dass man aus der Geschichte lernen müsse.139 Auch in anderen Aspekten lassen sich Unterschiede in der Geschichtsauffassung erkennen. Dass Geschichtsbilder Perspektiven und Wahrnehmungen unterliegen, also per se subjektiver Natur sein müssen, bestätigten Kučera und Kučera in einer Antwort auf ihre Kritiker140, obwohl es ihrer ursprünglichen Argumentation widersprach. Demgegenüber erkannten die beiden Autoren die Narrativität von Geschichte weitestgehend an, so dass Geschichtspositivismus und Geschichtskonstruktivismus sich hier nicht diametral gegenüberstanden, sondern eher situativ angewandte und changierende Konzepte waren. Eva Hahns Postulat, auch die unabhängige tschechoslowakische Historiographie sei methodisch konventionell und überholt gewesen, ist zwar in der Sache zutreffend, hier aber überspitzt.141 Die tschechische Geschichtsdeutung, oder konzeptionell anders betrachtet, die Möglichkeitsräume tschechischer Erinnerung, verknüpften die Diskutanten ähnlich wie das Dokument selbst auffällig stark mit den Geschichtswissenschaften, unabhängig davon, wie sie deren Zustand und Einbindung in den Sozialismus beurteilten. Sicherlich entsprach dies der Bedeutung der Historiographie für die Nationsbildungsprozesse in den Ländern der tschechischen Krone, wie sie beispielsweise Monika Baár und Pavel Kolář herausgearbeitet haben.142 Es gibt aber auch die bereits angesprochene Prägung des tschechischen Samizdat durch Historiker und deren Arbeiten wieder und zeigt so eine disziplinäre Prägung des politischen Denkens im tschechischen Samizdat zur Mitte der 1980er Jahre. Die latente Vermischung von Geschichtswissenschaft und Erinnerung als Betrachtungsweisen der Vergangenheit generierte eine Abwehrhaltung auch

 138 Jan Křen: K „právu na dějiny“, in: Informace o Chartě 77 [Samizdat], 7/10 (1984), S. 11–13, hier S. 12. 139 Kohout: Odpovědnost historika, S. 13. 140 Autoři dokumentu Charty 77 Právo na dějiny: Dějiny a dějepisectví, S. 102. 141 Vgl. Schmidt-Hartmann: Forty Years, S. 320. 142 Baár: Historians and Nationalism; Pavel Kolář: Geschichtswissenschaft in Zentraleuropa. Die Universitäten Prag, Wien und Berlin um 1900, 2 Bde., Leipzig 2008.

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oppositioneller und nonkonformer Historiker gegenüber den Angriffen auf die Fachwelt, die sich der Argumente und Denkmuster des wissenschaftlichen Diskurses bedienten. Mit anderen Worten warf man den Autoren des Dokuments Recht auf Geschichte fachliche Unkenntnis, sachliche Fehler und abwegige Interpretationen vor und griff damit die ausführlichen Einlassungen des Dokuments an. Jedoch ging es den Autoren, wie ihr 1985 veröffentlichter Beitrag über Geschichte und Geschichtsschreibung als Kulturphänomen zeigt, ebenso um die gesellschaftliche Verwendung von Geschichte, um das „historische Wissen der Nation“.143 Trotz verschiedener Anklänge spielte dabei eine tschechische oder tschechoslowakische „Gebrauchsgeschichte“144, also der gesellschaftliche Widerhall historischer Deutung, oder ein irgendwie ausformuliertes Recht auf Geschichte keine nennenswerte Rolle in der Debatte.145 Darüber hinaus wurde deutlich, wie sehr diese Kontroverse auf den tschechischen Landesteil begrenzt blieb. Als tschechoslowakische Debatte wurde sie kaum geführt, auch wenn dies von den Beteiligten nur eher beiläufig angemerkt wurde.146 Vielmehr riss die Debatte immer wieder fragile Aspekte der staatlichen Einheit der Tschechoslowakei an, seien sie konfessioneller, ethnischer oder politischer Natur. So fragte einer der Autoren des Charta-Dokuments Recht auf Geschichte, J. P. Kučera, unter dem Pseudonym Slawkenbergius147, auf wen sich denn eine Fortführung des Streits über den Sinn der tschechischen Geschichte überhaupt beziehen könne, sei doch der Platz der Slowakei in dieser tschechischen Frage offen, genauso wie die Rolle Mährens oder der Deutschen.148 Fand die Debatte vor allem in den Informacě o Charte 77 und der 1985 neu gegründeten Zeitschrift Střední Evropa (Mitteleuropa) statt, verschob sich auch der Raum des oppositionellen Diskurses aus seinem Zentrum Prag. Střední Evropa bot

 143 Autoři dokumentu Charty 77 Právo na dějiny: Dějiny a dějepisectví, S. 113. 144 Vgl. Guy P. Marchal: Schweizer Gebrauchsgeschichte. Geschichtsbilder, Mythenbildung und nationale Identität, Basel 2006. Marchals Arbeiten zur Rolle des Mittelalters in der nichtwissenschaftlichen Schweizer Geschichtswahrnehmung sind gerade wegen ihres epochalen Bezugs für den tschechischen Fall interessant. 145 Zu einem ähnlichen Schluss kommt Eva Hahn. Vgl. Schmidt-Hartmann: Forty Years, S. 320. 146 Vgl. mit Bezug auf den Ort der Slowakei in der Debatte: Charta 77: Dokument 280. Právo na dějiny, S. 267; Pithart: Dějiny, kampaně a národné sebevědomí, S. 2. 147 Miloš Havelka (Hrsg.): Spor o smyl českých dějině. 1938–1989, Prag 2006, S. 718. Hafen Slawkenbergius ist die fiktive Figur eines deutschen Gelehrten in Laurence Sterns Tristram Shandy. 148 Slawkenbergius: A zase Zdeněk Nejedlý aneb o „jednotě plné života“, in: Střední Evropa [Samizdat], 2/5 (1986), S. 62–73, hier S. 63.

172  Eine neue Vergangenheit der Nation nicht nur Autoren aus dem mährischen Brünn, wie beispielsweise Radomir Malý oder Jaroslav Mezník, eine Publikationsmöglichkeit, sondern war auch spürbar katholisch geprägt.149 Zudem repräsentierte die Zeitschrift eine neue Generation tschechischer Oppositioneller, die, zumeist zwischen 35- und 40jährig, von den Säuberungen der Normalisierung nicht betroffen gewesen waren, oft in staatlichen Einrichtungen arbeiteten und im Samizdat folglich unter Pseudonym veröffentlichten.150 Über die skizzierten Verwerfungen tschechischer Geschichtsphilosophie und chartistischer Spektren hinweg reichte der Wunsch nach einer Versachlichung der Debatte, bis hin zur Forderung nach einer Synthetisierung der konkurrierenden und sich ausschließenden Konzepte tschechischer Geschichte, wie sie Petr Pithart, Radomir Malý und Jaroslav Šabata vortrugen.151 Auch wenn die inhaltliche Seite dieser Synthesen kaum ausgeführt wurde, richtete sie sich vor allem an die Gesellschaft und ignorierte den Staat praktisch. Damit einher ging auch eine langsame Abkehr von der teleologischen Auslegung des Streits um den Sinn tschechischer Geschichte, wie sie prägnant von Jan Křen in seiner 1986 im Samizdat erschienenen Arbeit zur Konfliktgemeinschaft zwischen Tschechen und Deutschen forciert wurde152, was aber an anderer Stelle detailliert zu besprechen sein wird.

3.3 Die „Tschechen in der Neuzeit“ Im Jahr 1976, also noch vor der Gründung der Charta 77 und vor einer öffentlichen Opposition in der Tschechoslowakei, begannen drei sehr unterschiedliche tschechische Dissidenten mit der Arbeit an einer Gesamtschau der tschechischen Geschichte. Der bereits mehrfach diskutierte Petr Pithart ging zusammen mit Petr Příhoda und Milan Otáhal eine Geschichte der Tschechen in der Neuzeit

 149 Schulze Wessel: Die Mitte liegt westwärts, S. 333f. Dazu kam, dass Střední Evropa eine Brünner Ausgabe (Střední Evropa. Brněnská verse) mit einigen Nummern herausbrachte. Eva Hahns Beobachtung, die Diskussion habe ausschließlich in Prag und im Exil stattgefunden, ist dagegen nicht zutreffend. Vgl. Schmidt-Hartmann: Forty Years, S. 319. 150 Schulze Wessel: Die Mitte liegt westwärts, S. 333. 151 Vgl. Šabata: Dodatečná poznámka; Pithart: Šetřme své dějiny; Ders.: Dějiny, kampaně a národné sebevědomí; Radomír Malý: Má „smysl českých dějin“ ještě nějaký smysl?, in: Střední Evropa [Samizdat], 2/5 (1986), S. 29–49. 152 Jan Křen: Konfliktní společenství. Češi a Němci 1780–1918, Prag 1986 [Samizdat]; Ders.: Die Konfliktgemeinschaft. Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996.

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an, die in drei Teilen – die Geschichte bis 1918, die Geschichte des Ersten Tschechoslowakischen Staates und die Geschichte der sozialistischen Tschechoslowakei – nicht nur in zeitlicher Hinsicht einen Bogen spannen sollte, sondern auch zwischen den verschiedenen Deutungen tschechischer Geschichte zu vermitteln suchte. Nachdem Auszüge bereits zuvor veröffentlicht worden waren153, erschien der Text nach langer Entstehungszeit erst 1988 im Samizdat und wurde nicht in seiner geplanten Form fertiggestellt.154 Während die Verfasser zu diesem Zeitpunkt mit dem Londoner Exilverlag Rozmluvy über eine Veröffentlichung verhandelten und der dritte Teil konzipiert war, verhinderten die tiefgreifenden Veränderungen des Jahres 1989 eine Fertigstellung.155 Nach der Transformation erschien Die Tschechen in der Neuzeit. Versuch einer Selbstreflexion im Dezember 1991 zum zweiten Mal in Prag, nun aber in einer offiziell lizensierten Ausgabe. Zu diesem Zeitpunkt waren die Autoren jedoch keine marginalisierten Dissidenten mehr, sondern politisch überaus prominent. Petr Pithart war seit 1990 Premierminister der Tschechischen Teilrepublik der Tschechoslowakei und Petr Příhoda sein Sprecher. Milan Otáhal wiederum erhielt als zuvor auf den Untergrund beschränkter Historiker eine Stelle am neugegründeten Institut für Zeitgeschichte der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften. Ihr Band löste nach seiner zweiten Veröffentlichung eine kurze, aber kontroverse Debatte aus, die in einem neuen Kontext die Zukunft der gerade gewonnenen Freiheit betraf. Damit steht Podiven, wie sich die Autoren in Anlehnung an einen Diener des heiligen Wenzel (tschech. Václav) nannten, mit seinen Gedanken zur tschechischen Nation und der darauf folgenden Debatte zwischen der Opposition während des Sozialismus und der neuen politischen Wirklichkeit der Transformation. Von den drei Autoren war nur Otáhal Historiker. Pithart war Jurist und Politologe und Příhoda Psychologe und Psychoanalytiker. Gemeinsam war den Autoren aber ihre prekäre, für Oppositionelle keineswegs unübliche Lebenssituation in Folge der sogenannten Normalisierung. Pithart und Otáhal hatten  153 So wurde ein Kapitel 1987 in der Pariser Exilzeitschrift Svědectví veröffentlicht und ein weiteres 1990 in der ehemaligen Samizdat-Zeitschrift Střední Evropa. XYZ: Jak jsme bourali Rakousko, in: Svědectví, 32/80 (1987), S. 783–828; Podiven: Národ československý, in: Střední Evropa, 6/17 (1990), S. 82–97. 154 Dies.: Češí v dějinách nové doby. Pokus o zrcadlo. Bd. 1: Teile I–II, Prag 1989. Vgl. dazu Kopeček: Citizen and Patriot. 155 Petr Pithart/Petr Příhoda/Milan Otáhal: Vorwort zur deutschen Ausgabe, in: Dies., Wo ist unsere Heimat? Geschichte und Schicksal in den Ländern der böhmischen Krone, München 2003, S. 16–18. Die hier verwendeten Übersetzungen folgen, soweit es möglich ist, dieser gekürzten deutschsprachigen Ausgabe des Textes.

174  Eine neue Vergangenheit der Nation beide nach 1968 ihre Stellungen als Professor beziehungsweise als Assistent an der Prager Karlsuniversität verloren, und nur Příhoda konnte seinen Beruf ausüben.156 Eine historische Darstellung, wie es „gewesen sei“, war nicht das Ziel der Autoren, vielmehr versuchten sie, eine Betrachtung tschechischer Geschichte von einem „vorwissenschaftlichen Standpunkt“157 aus zu leisten, wie sie die professionelle und faktographisch orientierte Geschichtswissenschaft eben nicht präsentierte. Mit der Methode einer wiederholten rhetorischen Verfremdung dekonstruierten Pithart, Příhoda und Otáhal tradierte Narrative tschechischer Geschichte und verbanden sie mit einer erklärenden und als faktisch verstandenen Sachgeschichte. Dass sich die Autoren in ihren unterschiedlichen Grundhaltungen als Sozialist, als liberaler Konservativer und als Katholik offen zu erkennen gaben, relativierte die eigene Position und bekannte Ansichten nachhaltig und ließ ihre Selbstbeschreibung als kritische Vertreter ihrer jeweiligen Denktradition fruchtbar werden. Dieser „Versuch der Sinnauslegung“158 und die ständigen Perspektivwechsel zwischen den verschiedenen Denktraditionen tschechischer Geschichte wollten aus der Anschauung der Vergangenheit die tschechische Gegenwart verstehen und erklären.159 Auch für Podiven war die Erfahrung einer sich wiederholenden Krise Anlass und Motivation, sich mit der tschechischen Geschichte zu beschäftigen. In der staatlichen Gängelung der Geschichtswissenschaft erkannten die Autoren eine „Verstümmelung“ und „eine Auslöschung [des] historischen Gedächtnisses [der Nation]“ und folglich eine Bedrohung der nationalen Identität.160 Podiven verstand die Nation ganz grundlegend als das einfache „Wir“, also „wir alle in diesem Land“.161 Bei allen Schwierigkeiten und Defiziten dieser Gemeinschaft habe in der Vergangenheit zumindest ein Zusammengehörigkeitsgefühl immer bestanden, das nun im Spätsozialismus jedoch in Frage gestellt werde. Ihr Versuch, eine Geschichte der Tschechen zu schreiben, orientierte sich an dieser offenen und knappen Definition, die alle historischen Vorgänger in den Versuch einschloss, sich selbst zu verstehen, um die Gegenwart zu verstehen. Weniger eine faktische Zusammengehörigkeit als die wirkmächtige Herstellung eines Zusammenhangs, mit anderen Worten also Erinnerung und Identität, stellten das Verbindende der Nation dar. In diesem Denken war die Nation ein „single

 156 Bryant: Whose Nation?, S. 35. 157 Podiven: Češí v dějinách nové doby. Pokus o zrcadlo, Prag 1991, S. 6. 158 Erazim Kohák: Služebník knížete Václava, in: Listy, 22/2 (1992), S. 42–46, hier S. 43. 159 Podiven: Češí v dějinách, S. 107. 160 Ebd., S. 6. 161 Ebd., S. 5.

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organism with a single mentality“162, deren Entstehung beleuchtet werden sollte. Brüche und Diskontinuitäten, besonders der Übergang zwischen vormoderner und moderner Nation, gehörten ausdrücklich zu dieser Geschichte der tschechischen Nation, wenn Podiven auch diese Brüche anders als bekannt deutete. Das Entstehen der modernen Tschechen setzten die Autoren für das 17. Jahrhundert an; sie akzentuierten die Zeit der sogenannten „Finsternis“163, also eine Phase von Fremdherrschaft und Niedergang, die in der tradierten Geschichtsdeutung zwischen den Phasen nationalen Erwachens lag. Die erste dieser Phasen nationalen Erwachens eines traditionellen Geschichtsverständnisses, das Hussitentum, übergingen sie und grenzten sich, auch für den nichtakademischen Leser erkennbar, von den Deutungsmustern Palackýs und Masaryks ab. Dass in dieser „Finsternis“ die tschechische Nation in moderner Form geprägt worden sei, zeichnete ein Bild widersprüchlicher Wurzeln, das den bekannten Narrativen entgegenstand. Mit der Integration der katholischen Gegenreformation in die nationale Kultur, dem Sichtbarmachen wiederholter deutscher und habsburgischer Einflüsse, aber auch der Kontextualisierung Tschechiens in Europa widersprach Podiven besonders der dominanten tschechisch-deutschen Konfliktgeschichte.164 Dass neben diesem Konflikt auch „Steine unseres Anstoßes“ mit allen anderen Nachbarvölkern thematisiert wurden165, relativierte dieses Kernnarrativ tschechischer Geschichte nur weiter. Als Strukturmerkmale der tschechischen Nation kamen Defizite und Brüche hinzu, die Podiven in Anlehnung an Jan Patočka aus der Reduktion einer sich selbst nur wenig bewussten Vielfalt auf einen sprachlich und damit auch sozial basierten Kern herleitete. Patočka hatte auf diesen Gedanken seine Überlegungen zur Kleinheit der tschechischen Nation166 gegründet und diese für zwangsläufig erklärt. Die eigentliche „Armut des tschechischen Nationalismus“167 bestand in Podivens Augen aber vielmehr im permanenten „Selbstbetrug“168 der tschechischen Geschichtsdeutung. Identitätskrise und der Verlust eines historischen Gedächtnisses wurden so zu einem Problem, das über den Sozialismus hinausging.  162 Bryant: Whose Nation?, S. 33. 163 Podiven: Češí v dějinách, S. 13. 164 Vgl. die Kapitel „Die seltsame Vergangenheit des neuzeitlichen Böhmens“ und „Inmitten der Strömungen des 19. Jahrhunderts“ in: Ebd., S. 11–31 und 32–63. 165 Ebd., S. 161–179. 166 Vgl. Kapitel 2.2. 167 Podiven: Češí v dějinách, S. 76. 168 Vgl. bspw. ebd., S. 69–72.

176  Eine neue Vergangenheit der Nation Reduktion und Überbetonung oder Konstruktion vermeintlicher positiver Traditionen waren demnach Zeichen eines solchen Selbstbetrugs. Als Beispiele führte Podiven den gerade bei Masaryk immer wieder bemühten ursprünglichen Demokratismus der Tschechen seit Jan Hus an, der distanziert betrachtet nichts anderes als „Volkstümlichkeit“169 sei. Auch idyllische Vorstellungen eines ursprünglichen und erst von den Deutschen verfälschten Lebens in den böhmischen Ländern seien eine solche Form der Geschichtsklitterung, wie sie mit Palackýs Geschichte Böhmens lange wirkmächtig wurden.170 Diese Kritik am tradierten tschechischen Geschichtsbild fand ihren Höhepunkt am Beispiel der Ersten Republik, die für Podiven eine besondere Herausforderung darstellte. Die idealisierte Demokratie unter Präsident Masaryk stand in ihren Augen nicht nur zeitlich am Beginn des tragischen Scheiterns der Jahre 1938, 1948 und 1968. Wenn sie also die Nation und ihre Mentalität auf die Couch des Psychiaters legten, wie es Chad Bryant sinnbildlich fasste171, dann lag in den Jahren zwischen den Weltkriegen der Schlüssel für die Frage, wer die Tschechen denn nun seien oder sein wollten. Die nach dem Ersten Weltkrieg gegründete Tschechoslowakische Republik war zunächst die „Erfüllung eines heiß ersehnten Wunsches der tschechischen Kulturnation“.172 Mit der unabhängigen Staatlichkeit hatte der Sinn der tschechischen Geschichte eine Vollendung gefunden und stand gleichzeitig vor ungeahnten Herausforderungen. Pithart, Příhoda und Otáhal schilderten diese Suche nach einem neuen Inhalt der Nation mitleidslos und mit einem teleologischen Blick auf das Scheitern der Republik am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. War die Überführung der Kulturnation in eine Staatsnation also die grundlegende Herausforderung der Ersten Republik, sahen die Autoren nun im vielfach verehrten Staatspräsidenten Masaryk einen Exponenten dieser Staatsnation, der versuchte den „Nationalismus zu veredeln, zu rationalisieren“.173 Masaryk selbst stellt im Podiven-Band das vielleicht anschaulichste Beispiel einer multiperspektivischen Betrachtung und so durchaus widersprüchlich erscheinender Einschätzungen dar. So gehörte, mit Parallelen zu Jan Patočka, die Kritik an Masaryks Geschichtsphilosophie zur Ausgangsposition der drei Autoren. In der Beschreibung seines politischen Wirkens für eine liberale Nati-

 169 Ebd., S. 77. 170 Ebd., S. 238. 171 Bryant: Whose Nation?, S. 33. 172 Podiven: Češí v dějinách, S. 362. Die Übersetzung folgt: Pithart/Příhoda/Otáhal: Wo ist unsere Heimat?, S. 220. 173 Podiven: Češí v dějinách, S. 373; Pithart/Příhoda/Otáhal: Wo ist unsere Heimat?, S. 227.

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onalbewegung lässt sich aber ebenso eine deutliche Anerkennung und Anschlussfähigkeit seines Werks erkennen. Andere Entwürfe der Nation in der Ersten Republik seien dagegen auch inhaltlich sämtlich gescheitert. Aus dem Nationalismus einer Minderheit wurde so das Programm einer Mehrheit, die die zahlreichen Minderheiten des Landes nur zu marginalisieren versuchte, also in der Haltung ein nach innen gerichteter „Verteidigungsnationalismus“ blieb.174 All das habe nicht nur zu einem schwachen Staat voller Widersprüche und Brüche geführt175, sondern auch zum Verlust an ideologischer Zielsetzung, an nationaler Identität, und letztlich eine „Zersetzung des tschechischen Geisteslebens“ zur Folge gehabt.176 In der Darstellung der Tschechen in der Neuzeit erscheint also die Vollendung des nationalen Ziels zugleich als Ende der Nation. Mit dem Erreichen der Staatlichkeit, die den Tschechen von außen gewährt wurde, sei der innere Zusammenhalt und der Glaube an die Nation auf einmal überflüssig geworden.177 Diese fundamentale Kritik an tschechischen Nationsvorstellungen und politischer Sinnstiftung an sich stellte auch den Wert der tschechischen Nation überhaupt in Frage. Zentral in dieser Leichenschau ist der Weg zum Ende des ersten tschechoslowakischen Staates in den Jahren 1938 und 1939. In ihrer ausführlichen Schilderung des Weges zum Münchener Abkommen und zur nationalsozialistischen Besetzung war es weniger die Niederlage selbst, die sie so drastisch darstellten, als ihr Zustandekommen. So wie der Staat in der Darstellung Podivens ohne Zutun der Tschechen entstand, „löste [er] sich auf, ohne dass die Nation das Risiko zu seiner Verteidigung auf sich genommen hätte.“178 Aus dieser tschechischen Tragödie, die gleichsam eine Bewertung der Ersten Republik an sich anleitete, zogen sie die Lehren, dass sich ein Kampf immer lohne, sei die Lage noch so aussichtlos, und dass in der Niederlage nicht der Schuldige, sondern ein Ausweg zu suchen sei.179 Gerade dieses Plädoyer für den Kampf auch in aussichtloser Lage verwundert ob der teils harschen Kritik an der Ersten Tschechoslowakischen Republik und ihren Nationsvorstellungen. Es verweist aber auf eine entscheidende Annahme Podivens, nach der der „Münchener Komplex“ keineswegs überwunden worden war, sondern sich in einer weiterhin tragischen tschechischen Ge-

 174 Podiven: Češí v dějinách, S. 474. 175 Ebd., S. 426–436. 176 Ebd., S. 475. 177 Ebd., S. 473. 178 Ebd., S. 678; Pithart/Příhoda/Otáhal: Wo ist unsere Heimat?, S. 335. 179 Podiven: Češí v dějinách, S. 667.

178  Eine neue Vergangenheit der Nation schichte perpetuierte.180 Der Februarumsturz des Jahres 1948 und die Passivität angesichts des Einmarschs der Truppen des Warschauer Pakts 1968 waren nur die fortgesetzten Auswirkungen einer demoralisierten und destabilisierten Nation, so dass die Autoren in ihrer abschließenden Betrachtung immer wieder die Zeitebenen dieser drei traumatischen Ereignisse kreuzten. Wenn Podiven einen Ausweg aus der Tragödie von München anmahnte, suchten sie eigentlich einen Ausweg aus der auch zum Zeitpunkt der zweiten Veröffentlichung ihres Textes noch aktuellen Tragödie der tschechischen Geschichte in der Neuzeit. In der Darstellung Podivens konnte nur eine tschechische Selbstreflexion einen solchen Ausweg vorbereiten, denn München und seine Fortsetzungen erschienen hier nur als innertschechische Tragödien. In dieser Argumentation war es kein äußerer Einfluss, sondern nur die innere Verfasstheit der tschechischen Nation, die das scheinbar unabwendbare Scheitern bedingte. Durch die exponierte öffentliche Stellung der drei Autoren im Dezember 1991 wurde diese deterministische Betrachtung der tschechischen Geschichte auch einem gesamtgesellschaftlichen Publikum zugänglich, das während des Kommunismus im Samizdat zwar sicherlich angestrebt, aber kaum erreichbar gewesen war. Diesen Mahnungen zum Trotz formulierten die Autoren in ihrer Darstellung der tschechischen Geschichte keinen Entwurf eines erstrebenswerten tschechischen Nationalismus, was auch dem Fehlen des ursprünglich geplanten, aber nie fertiggestellten dritten Teils über die Zeit des Sozialismus geschuldet sein mag. Jedoch lassen sich aus ihrer Betrachtung des gescheiterten Versuchs, die tschechische Kulturnation während der Ersten Republik in eine Staatsnation zu überführen, geradezu paradigmatisch Postulate für eine in ihren Augen tragfähige tschechische Nation erkennen. In der Sympathie für den Historiker Josef Pekař und sein „konsequent“181 auf dem Landesgedanken basierendes Nationskonzept sowie der impliziten Forderung nach der Integration von Minderheiten in die Staatsnation182 umriss der Podiven-Text eine politische tschechische Nation, die in vielem an Petr Pitharts Versuch über das Vaterland oder die Heimat und die daraus resultierende Bürgernation erinnerte. Dieser Vorstellung fehlte jedoch ein integrierender Kern, und die Autoren machten in ihren Ausführungen nur zu deutlich, dass sie „jede Form von Totalität“183 ablehnten. Stattdessen wurden Pluralismus und Gemeinschaftssinn zu abstrakten Leitlinien ihrer Nation.  180 Ebd., S. 677–679. 181 Ebd., S. 369. 182 Ebd., S. 372. 183 Kohák: Služebník knížete Václava, S. 43.

Die „Tschechen in der Neuzeit“  179

Allein schon der essayistische Ansatz des Werks wurde von professionellen Historikern heftig kritisiert, gerade auch von unabhängigen Vertretern des Fachs, die vor 1989 nur im Samizdat und Exil hatten publizieren können.184 Immer wieder wurde den Autoren eine mangelnde Kenntnis der Sachlage vorgeworfen185, was aber die Intention der Betrachtung weitestgehend ignorierte. Auch deren eigentliches Ziel, die tschechische Gegenwart durch eine Neuinterpretation der Vergangenheit besser zu erfassen, stieß auf Ablehnung. Dabei lässt sich die Debatte in eine innere und eine äußere Kritik der Tschechen in der Neuzeit unterteilen.186 In einer Kritik des grundlegenden Narrativs warf der Literaturwissenschafter Aleš Haman Podiven vor, statt einer Kritik bestehender Deutungsmuster bloß eine katholische Deutung tschechischer Geschichte etablieren zu wollen.187 Der Prager Historiker Jiří Rak sah den Band gar als Versuch, einen negativen und auf das Scheitern der Tschechen fokussierten „Antimythos“ zu formen188, woraufhin die Autoren gerade diese Pluralität von Denkanstößen verteidigten.189 An dieser Stelle lässt sich nicht nur in methodischer Sicht eine Kontroverse um die Historiographie in der Tschechoslowakei erkennen, es stellt sich vielmehr die Frage, welche Rolle Geschichtsschreibung in einem demokratischen Staatswesen erfüllen kann. War der faktenlastige Positivismus im Sozialismus und besonders während der sogenannten Normalisierung auch eine Strategie politischer Absicherung oder gar des Nonkonformismus gewesen, wollten Pithart, Příhoda und Otáhal mit oppositionellem und so auch politischem Selbstverständnis Sinn stiften. Auch andere oppositionelle Historiker, wie Jan Křen, plädierten für eine pluralistische Geschichtswissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft190, ohne sich zwingend durchsetzen zu können.191

 184 Bryant: Whose Nation?, S. 41. 185 Karel Kučera: Historie & historici, Prag 1992, S. 225. Kučera bezieht sich hier auf den eingangs zitierten 1987 im Pariser Exilblatt Svědectví erschienenen Artikel. Vgl. auch: Aleš Haman: Provokativní kniha, in: Literarní noviny, 12.03.1992, S. 4. 186 Vgl. Bryant: Whose Nation?, S. 42. 187 Haman: Provokativní kniha. 188 Jiří Rak: V zajetí mýtů, in: Tvar, 07.04.1992, S. 1 und 4, hier S. 4. 189 Milan Otáhal: Vergangenheitsbewältigung und Reinterpretation der tschechischen Geschichte, in: Bohemia, 34 (1993), S. 333–341, hier S. 341. 190 Jan Křen: Czech Historiography at a Turning-point, in: East European Politics and Societies, 6/2 (1992), S. 152–169. 191 Christiane Brenner/K. Erik Franzen/Robert Luft: Geschichtswissenschaft zu den böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert. Zur Einführung, in: Brenner/Franzen/Haslinger/Luft (Hrsg.): Geschichtsschreibung zu den böhmischen Ländern, S. 1–23, hier S. 18f.; Havelka: Debatten, S. 60.

180  Eine neue Vergangenheit der Nation Es war nicht zuallererst der Versuch einer Sinnstiftung, der Kontroversen nach sich zog. Schließlich war in den 1990er Jahren auch ein „new Czech historicism“ zu beobachten, der eine neue und vereinfachende Kontinuität tschechischer Geschichte bemühte, die nun auch Patočka und Havel zu Hus, Palacký und Masaryk stellte.192 Stein des Anstoßes war die Bemühung Podivens zur Selbstreflexion und wie diese Selbstreflexion argumentierte. Der Unterton dieser Suche nach Selbsterkenntnis war oft negativ und spiegelte überdeutlich die Krisenerfahrung der Autoren wider. Petr Příhoda beispielsweise ging so weit anzunehmen, dass die tschechische Nation bei allen Konflikten und Brüchen aufgehört habe zu existieren. Nur ein „Konglomerat an Bewohnern“ sei noch übrig geblieben.193 Dem standen Kritiker gegenüber, die die Nation zwar auch in schwierigen Zeiten sahen, aber die pessimistische Kritik Podivens nicht als Beschreibung, sondern als Gefahr wahrnahmen. Die Tschechen benötigten in ihrer Lage vielmehr Aufmunterung und Zuspruch, schrieb beispielsweise der Historiker Jaroslav Valenta.194 Dies ging einher mit dem unterschwelligen Vorwurf, Intellektuelle und insbesondere Dissidenten hätten den Zugang zur Realität verloren und seien nicht mehr im Stande, auf die Bedürfnisse der Gesellschaft zu reagieren.195 Betrachtet man die offensichtlichen Probleme ehemaliger Oppositioneller, ihr moralisches Denken in die Tagespolitik der Transformationszeit zu überführen, ist dies nicht gänzlich von der Hand zu weisen. In ihren Überlegungen blieben Pithart, Příhoda und Otáhal keineswegs ohne Widersprüche. So hatten sie beispielsweise eingangs erklärt, dass die Slowaken eine eigene Nation darstellten, die in ihrer Darstellung der Tschechen in der Neuzeit nicht vorkomme. Die Staatsideologie der Ersten Republik, den „Tschechoslowakismus“, kritisierten die Autoren dementsprechend deutlich und verstanden diese Lehre von einer Staatsnation mit zwei Stämmen196 als eine „geistige Annexion der Slowakei“ und eine „Leugnung der slowakischen Identität“.197 Dass diese Form der Vereinnahmung die Erste Republik und ihren inneren Zusammenhalt nur weiter schwächte, passte zur fokussierten Kritik an der tschechoslowakischen Staatlichkeit. Dabei war diese Kritik der Vergangenheit auch aus der Perspektive des Samizdat der 1980er Jahre oder der des Jahres 1991

 192 Tucker: Shipwrecked, S. 215. 193 Otáhal: Vergangenheitsbewältigung, S. 340. 194 Vgl. Jaroslav Valenta: My a naši sousedé v Podivenovi, in: Dějiny a součanost, 14/3 (1992), S. 56–58. 195 Bryant: Whose Nation?, S. 43. 196 Bakke: The Making of Czechoslovakism. 197 Podiven: Češí v dějinách, S. 349.

Die „Tschechen in der Neuzeit“  181

weiterhin hoch aktuell. Schließlich war die Föderalisierung der Tschechoslowakei die wohl einzige weiterwirkende Reform des Prager Frühlings; das Zusammenleben von Tschechen und Slowaken in einem Staat blieb dennoch fragil. Im politischen Denken der Opposition war es unstrittig, dass es sich um zwei Nationen handelte, und so brachte man der oppositionell weniger aktiven Slowakei zumeist nur Desinteresse entgegen. Eine solche Kritik des Tschechoslowakismus in einer Geschichtsdarstellung, die im Dezember 1991 unter anderem vom Premierminister der tschechischen Teilrepublik veröffentlicht wurde, ging jedoch weit darüber hinaus. Sie war auch eine politische Aussage. Zudem erinnern die pluralistischen Vorstellungen einer Nation bei Podiven überraschend deutlich an den bewunderten und ebenso gescholtenen Tomáš G. Masaryk, dessen Nationsvorstellung die Autoren zwar schätzten, aber für letztlich wirkungslos hielten. Hier lag das Kernproblem des Versuchs, liberale Ordnungsvorstellungen mit der Nation in Einklang zu bringen. Die schon in der Komposition des Autorentrios angelegte Multiperspektivität hob das Identifikationspotential einer solchen Nation auf vergleichsweise abstrakte Grundlagen. Vor allem widersprachen diese vielfältige Multiperspektivität und das konsequente Bekenntnis zum Pluralismus der von Podiven selbst angenommenen Essentialität der Nation.198 Betrachtet man die Tschechen in der Neuzeit in einer Gesamtperspektive, war Podiven keineswegs so konsequent und eindeutig, wie es Kritiker immer wieder suggerierten. Einzelne Passagen lassen Anleihen an ein „romantic narrative of the one and eternal Czech nation“199 erkennen, während nationale Narrative gleichsam dekonstruiert wurden. Diese Multiperspektivität und ihre Verweigerung, einzelne Identifikationsmarker über Gebühr zu akzentuieren, hat Erazim Kohák als rechtsdemokratischen oder konservativen Versuch einer Neuausrichtung des tschechischen politischen Denkens interpretiert, was für die Betonung sozialer Verantwortung innerhalb politischer Gemeinschaften durchaus treffend ist.200 Dagegen betonte Milan Nakonečný in seiner positiven Besprechung, wie viele „linke“ Denkanstöße sich in den Tschechen in der Neuzeit wiederfänden.201 Offensichtlich entzog sich Podiven durch den vielfachen Perspektivwechsel eines klaren Urteils. Liberale Pluralismusvorstellungen verbanden sich hier wie schon in Pitharts Versuch über das Vaterland oder die Heimat mit der postulierten Notwendigkeit, eine soziale Gruppe auf das Gemeinwohl auszurichten. Bedenkt man, dass  198 Bryant: Whose Nation?, S. 46. 199 Ebd., S. 50. 200 Kohák: Služebník knížete Václava, S. 43–45. 201 Milan Nakonečný: O pořádek v dějinách, in: Literarní noviny, 12.03.1992, S. 3.

182  Eine neue Vergangenheit der Nation Podiven sich dabei vom böhmischen Landespatriotismus, wie er zum Beispiel im frühen 19. Jahrhundert von Bernard Bolzano vertreten wurde, beeinflussen ließ, gewinnt auch der Vorwurf einer generellen Kritik der Moderne an Gewicht.202 Die Debatte des Jahres 1992 konzentrierte sich auf Details der Darstellung, vor allem auf die überkritische Darstellung der Beziehungen zu den Nachbarvölkern. Dabei wurde aber nicht herausgearbeitet, wie sehr diese Konzentration auf moralischen und universellen Vorstellungen und den rigiden Anspruch, authentisch zu handeln, aufbauten und somit aus dem politischen und philosophischen Denken der antikommunistischen Opposition stammten. Zwar wurde im Geschichtsdenken immer wieder der richtige Verweis auf die Schriften Jan Patočkas hergestellt, nur selten dagegen wurde die Konsequenz des phänomenologischen und moralistischen Lebens in der Wahrheit für Gemeinschaftskonzeptionen in Rechnung gestellt.203 War diese Wahrheit auf die Authentizität der einzelnen Handlung reduziert und diente als Verständigungsstrategie einer heterogenen Opposition, war auch die Nation folglich auf ihre funktionale Wirkung beschränkt. Es war weniger der Inhalt des Bandes als die Logik und Umsetzung seines Ansatzes, mit dem Podiven auf den tschechischen Diskurs wirkte und auch über längere Zeit hinweg noch Spannungspotential behielt.204 Dabei spiegelte der multiperspektivische Ansatz in der Geschichtsbetrachtung und Identitätserforschung die Schwierigkeiten einer nationalen Identität wider, zunächst für eine in der Wahrheit lebende Opposition und dann für eine Gesellschaft in der politischen Transformation und der staatsrechtlichen Sezession. Die Frage Podivens lautete nur vordergründig, wie es zu den Katastrophen der jüngeren tschechischen Geschichte hatte kommen können. Im Zentrum der Debatten stand vielmehr, wie viel Heterogenität eine Nation als Gemeinschaft ertragen könne.

 202 Vgl. Otto Urban: „Předvědecké“ rozpomínání se na to, jací jsme, in: Přítomnost, 4 (1992), S. 27. 203 Diesen philosophischen Bezug stellte nur Karel Kučera in seiner Historiographiegeschichte her. Ders.: Historie & historici, S. 225f. 204 Bryant: Whose Nation?, S. 54f.

Geschichtsdenken als oppositionelle Sinnstiftung der Nation  183

3.4 Schlussbetrachtung: Geschichtsdenken als oppositionelle Sinnstiftung der Nation Anders als die im zweiten Kapitel analysierten Debatten über eine oppositionelle Programmatik, entstammen die hier zusammengestellten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Nation nicht der formativen Phase oppositionellen Handelns und oppositioneller Öffentlichkeit. Sie zeugen dagegen vom oppositionellen Räsonnement der 1980er Jahre, also einer Zeit, in der trotz der Reformbestrebungen in der Sowjetunion unter Michail S. Gorbačev die Erfahrung von Stagnation und des Fehlens kurzfristiger Chancen auf Veränderungen das politische Denken der Opposition prägten. Obwohl Geschichte eine Grundkonstante nationaler Selbstvergewisserung darstellte, war sie für die Andersdenkenden Ostmitteleuropas offensichtlich kein Thema, das ein Handeln evozierte. Die Beschäftigung mit der Geschichte der jeweiligen Nation vertiefte dagegen oppositionelles Denken und Handeln und markierte so einen Entwicklungsschritt des Samizdat und seiner Debatten. Im Verlauf der 1980er Jahre stabilisierte sich die oppositionelle Suche nach politischer Gemeinschaft in Polen und der Tschechoslowakei auf sehr unterschiedliche Weise. Während sich in Polen nach der Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 die Opposition neu formierte und in kleinteiligen Strukturen aufging, verfiel die tschechoslowakische Opposition um die Charta 77 mit zeitlicher Verzögerung ab Mitte der 1980er Jahre in eine Starre.205 Damit ging in beiden Ländern eine Veränderung der Diskussionskultur innerhalb des Samizdat einher. Notwendige Grundsatzdebatten waren geführt, ohne dass sich neue Perspektiven oder Impulse für ein oppositionelles Handeln ergaben. Eine solche Aushandlung oppositioneller Ordnungsvorstellungen im Samizdat, im Wechselspiel von Rede und Gegenrede, fand – zumindest auf die Nation als Thema bezogen – nicht mehr statt. Dies war weniger einem Desinteresse an der Nation als einer pragmatischen Hinwendung zu tagesaktuellen, konkreten Fragestellungen geschuldet, die das abstrakte oppositionelle Räsonnement ablöste. Neue Gruppierungen wie Freiheit und Frieden (Wolność i Pokój) in Polen oder der Donau-Kreis (Duna Kör) in Ungarn setzten mit ihren pazifistischen und auf den Umweltschutz bezogenen Forderungen neue Akzente und bildeten eine zweite Welle der Opposition. Diese „konkretny generation“206 widmete sich nicht mehr kontroversen Themen wie der Nation, in der es dann einen oppositionellen Konsens zu schaffen gab, sondern ging über vermeintlich konsensfähi 205 Otáhal: Opoziční proudy, S. 274. 206 Kenney: Carnival of Revolution, S. 13.

184  Eine neue Vergangenheit der Nation ge – konkrete – Themen wie Atomkraft, Naturschutz und Folklore das Regime deutlich direkter an, als es zuvor im oppositionellen Diskurs üblich gewesen war.207 Mit dieser nun oft grenzüberschreitenden thematischen Ausrichtung intensivierten sich auch die transnationalen Verflechtungen zwischen oppositionellen Akteuren in Ostmitteleuropa selbst. Für Ungarn und seinen nur in Teilen im publizistischen Untergrund agierende Nonkonformismus ist diese oppositionelle Periodisierung kaum übertragbar, denn hier überschnitten sich die unterschiedlichen Ausdrucksformen oppositionellen Handelns zeitlich und personell stärker. Auch das Nachdenken über nationale Geschichte war dort kein primäres Thema des Samizdat, sieht man von 1956 und dem Trauma des Volkaufstands ab, so dass Ungarn in diesem Kapitel nicht mit einer Fallstudie vertreten ist. In einem verdichteten Zeitraum von nur fünf Jahren, der zwischen der Etablierung eines gegenöffentlichen Samizdat und ersten Gesprächen zwischen Oppositionellen und dem Regime lag208, blieb die Kooperation Oppositioneller aus unterschiedlichen Lagern durchweg problematisch. Eine taktische Allianz zwischen unterschiedlichen weltanschaulich basierten Gruppen kam bereits grundlegend nicht zustande. Wo also in Polen und der Tschechoslowakei Kooperation der Ausgangspunkt dieser neuen Opposition wurde, kam die ungarische Opposition nicht über das weitestgehend unverbundene Nebeneinander oppositioneller Akteure hinaus, die über die gleichen Themen, aber eben nicht miteinander sprachen. Stellte die Nation für die „konkretny generation“ keinen Interessensschwerpunkt dar, positionierten sich im Samizdat weiterhin Oppositionelle der ersten Generation, wenn auch in veränderter Form, mit Beiträgen über die Nation und deren Bedeutung für die oppositionelle Gegenwart. Dafür hatte sich jedoch die Ausgangslage dieser Beiträge und ihrer Rezeption entscheidend verändert. Den polnischen Nationalkonservativen der Bewegung Junges Polen um Aleksander Hall, um ein Beispiel heranzuziehen, fehlte in einer veränderten Landschaft des Samizdat schlicht die Gegenrede. Ihre Beiträge erschienen in der von der Bewegung selbst herausgegebenen Zeitschrift Polityka Polska, dem Nachfolgeblatt des Bratniak, in der nicht an die meinungspluralistischen An-

 207 Ebd., S. 14. Dass diese „konkretny“ Themen oft nicht minder kontrovers sein konnten, zeigt sich am Beispiel der Kriegsdienstverweigerer in Ungarn und Polen, die Kenney ebenfalls behandelt. 208 Ervin Csizmadia unterscheidet in seinem Standardwerk zur Opposition in Ungarn zwischen einer linken Opposition vor dem Treffen von Monór, also zwischen 1982 und 1985, und einer Übergangsphase des Dialogs von Opposition und Regime, der bis zur staatsrechtlichen Transformation 1988 reicht. Ders.: A magyar demokratikus ellenzék.

Geschichtsdenken als oppositionelle Sinnstiftung der Nation  185

fänge der Opposition angeknüpft werden konnte. Die konservativen und essentialistischen Aussagen der Gruppe zur polnischen Nation wurden auf diese Weise zu einer affirmativen Selbstvergewisserung, die, soweit es sich rekonstruieren lässt, nur noch von einer geneigten und zumeist nur konsumierenden Leserschaft rezipiert wurde. Vergleichbare Beiträge hatte Aleksander Hall bereits 1977 verfasst und dabei das Erbe der polnischen Nationaldemokratie für sich in Anspruch genommen. Hatte er in dieser frühen Phase nach den zahlreichen Interventionen links-liberaler Oppositioneller seine Aussagen im Verlauf der Debatte relativiert, blieb dieses Korrektiv im nun weitverzweigten und versäulten Samizdat nach dem Kriegsrecht aus und führte zu einer programmatischen Stagnation. Der oppositionelle Wille zum Konsens war nun als handlungsleitende Vorstellung nicht mehr zu erkennen. Überraschender als eine solche Beschäftigung mit dem eigenen ideologischen Erbe war das Interesse von Grenzgängern zwischen den politischen Lagern. Sowohl der polnische Oppositionelle Adam Michnik als auch das tschechische Autorenkollektiv Podiven diskutierten Fragen der Geschichte und des Geschichtsdenkens ihrer jeweiligen Nation, ohne dabei einen Platz im oppositionellen Diskurs einzunehmen. Michnik war während dieser Jahre immer wieder interniert und inhaftiert, befand sich aber nach eigener Auffassung in einer „Oase der Freiheit“209, die ihm intellektuelle Ruhe gewährte. Dass er sich dabei dem politischen Denken der polnischen Nationaldemokratie zuwandte und dieses kritisch, aber konstruktiv auf seinen Nutzen für die Gegenwart wendete, ist trotz seines klar sozialistisch-revisionistischen Hintergrundes schlüssig. Schon zu Beginn der neuen Opposition war es gerade Michnik gewesen, der mit seinem Konzept des Neuen Evolutionismus und dem Band Kirche – Linke – Dialog Brücken zwischen postrevisionistischen, katholischen und auch konservativen Andersdenkenden baute, wo keine Annäherung möglich schien. Anders als zuvor wurden seine Texte aus der Internierung jedoch nur in engen Kreisen rezipiert. Sie erschienen in der Zeitschrift Krytyka, deren Redakteur er trotz Internierung blieb, vor allem aber auch im Westen. Michnik war, wie auch der Ungar György Konrád oder der Tscheche Václav Havel, zu einem Autor in zwei Welten geworden, der im eigenen Land nur noch eine Stimme unter vielen war. Auch Petr Pithart, Petr Příhoda und Milan Otáhal suchten bewusst eine solche intellektuelle Abgeschiedenheit, auch wenn sie Michniks Internierungserfahrung nicht teilten. Ihre Reflexionen über die tschechische Geschichte publizierten sie erst nach gut zehn Jahren gemeinsamer Arbeit, zunächst in  209 Cyril Bouyeure: Adam Michnik – Biografia. Wymyślić to, co polityczne, Krakau 2009, S. 255.

186  Eine neue Vergangenheit der Nation Abschnitten und unter Pseudonym. Nach dem Fall des Regimes traten sie damit erneut an die Öffentlichkeit. Schon in der Zusammensetzung dieses Autorenkollektivs Podiven – Pithart war ein liberaler Konservativer, Příhoda katholisch geprägt und Otáhal Sozialist – zeigte sich die Überschreitung ideologischer Verwerfungen. Ihre Argumentation aus verschiedenen Blickwinkeln wurde also nicht ohne Grund von der literarischen und geschichtswissenschaftlichen Kritik völlig unterschiedlichen politischen Orientierungen zugeordnet.210 Auch hier fehlte der Bezug zum Alltagsgeschehen, der während der Transformationszeit, die in der Tschechoslowakei mit der Staatsteilung einherging, als nachträglicher Kontext dem Buch einige Relevanz zukommen ließ. Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Kriterien eines nationalen Selbstverständnisses sind die zeitlichen Bezugspunkte dieser sich selbst hinterfragenden Vergewisserung bemerkenswert. Auch wenn Nationen in der hier verhandelten Form ein Phänomen der Neuzeit und genauer gesagt einer politischen Bewegung seit dem 19. Jahrhundert sind, beziehen sie sich auf die Traditionen frühneuzeitlicher nationes und erheben, zumindest in ihrer affirmativ essentialistischen Ausgestaltung, den Anspruch einer überzeitlichen Repräsentation der eigenen Gemeinschaft und zumeist des eigenen Territoriums. So ist es überraschend, dass die hier behandelten polnischen Debattenzusammenhänge sich weitestgehend auf die Neuzeit beziehen. Auch die historischen Konzepte einer politischen Nation, wie sie beispielsweise aus der Geschichte der polnischlitauischen Adelsrepublik mit ihrem als Nation verstandenen politischteilhabenden Adel entstanden sind, sind nicht nennenswert in Erscheinung getreten. Wo es der polnische Debatte an einer historischen Tiefenschicht fehlte, bemühten tschechische Oppositionelle nicht nur Vorbilder der nationalen Vergangenheit, sondern diskutierten auch das Wesen der tschechischen Nation anhand ihrer Geschichte. So war der seit 1895 virulente und in unterschiedlichen Intensitäten geführte Streit um den Sinn der tschechischen Geschichte offenkundiger Bezugsrahmen der nationalen Selbstreflexion, konnte aber wie im Falle des Rechts auf Geschichte bis in die frühneuzeitliche Geschichte und das böhmisch-habsburgische Konfliktverhältnis zurückgeführt werden. Die Debatte verlief in den bekannten Bahnen der Aushandlung durch Rede und Gegenrede und war von einem latenten Widerspruch und Konflikt geprägt, so

 210 Zu dieser Unklarheit trug auch bei, dass die Autoren sich einer positiven Anknüpfung an historische Vorbilder verweigerten. Obwohl sie einige Gedanken des Staatspräsidenten der Ersten Tschechoslowakischen Republik, Tomáš G. Masaryk, fortführten, griffen sie ihn persönlich deutlich an.

Geschichtsdenken als oppositionelle Sinnstiftung der Nation  187

dass sie argumentationslogisch der formativen Phase der tschechoslowakischen Opposition beziehungswiese einer Erweiterung der Opposition zuzurechnen ist. Dagegen zeichneten sich die übrigen Versuche kritisch und reflektiert mit der Geschichte seines Landes umzugehen und mit dieser Geschichte in der longue durée Sinn zu stiften durch eine strikte Orientierung an einem multiperspektivischen Verfahren aus. Michnik und Podiven nahmen auf durchaus unterschiedliche Weise die Position der Gegenrede vorweg und ließen sie in den eigenen Text einfließen. Damit überschritten sie den Pluralismus-Anspruch früher oppositioneller Debatten und internalisierten die Position des Anderen. Eine solche multiperspektivisch betrachtete Nation wurde notwendigerweise zu einer voluntaristischen politischen Gemeinschaft, die durch die Bejahung von Wahrheit und Menschenrechten zusammengehalten wurde. Mit anderen Worten deuteten Michnik und Podiven die Nation aus oppositioneller Perspektive neu und ließen sie zu einem Spiegelbild ihrer oppositionellen Konzepte und dissidentischen Theorie werden. Der tagespolitische Kontext und ein konkretes oppositionelles Handeln waren bei diesem Räsonnement nicht weiter von Relevanz. Von ihrer oppositionellen Umwelt unterschieden sich diese Autoren aber nicht nur durch ihre Ideen oder ihre unkonkrete Abstraktion, sondern auch durch den in diesen Ideen immanenten Anspruch, eine möglichst breite Beschreibung der historischen und gegenwärtigen politischen Gemeinschaft Nation zu liefern. Durch die unterschiedlichen Entwicklungsphasen der Opposition und über die verschiedenen politischen Grundausrichtungen blieb die Zusammenführung von Individuum und politischer Gemeinschaft eine zentrale Herausforderung. Während Anhänger einer essentiellen Nation das Individuum in die Nation einführten, entwickelten liberale Oppositionelle die Nation aus den individuellen Persönlichkeits- und Freiheitsrechten. Auch blieb ihr Denken keineswegs frei von Widersprüchen, wie sich exemplarisch an der immer wieder konzeptionell eingeforderten Missachtung des sozialistischen Regimes211 und den ausformulierten Utopien eines „aufgeklärten Patriotismus“212 zeigt. Diese hier kontrastierten Vorstellungen bildeten den Rahmen, in dem oppositionelle Nationsvorstellungen formuliert werden konnten. Diese verbindliche Rahmung bedeutete jedoch nicht, dass ein verbindlicher oppositioneller Begriff von Nati-

 211 Die Abgrenzung vom Staat und alleinige Hinwendung zu Gesellschaft ist Grundbestandteil früher Konzepte des Neuen Evolutionismus nach Adam Michnik, der Macht der Ohnmächtigen Václav Havels und besonders der in den 1980er Jahren entwickelten Antipolitik György Konráds und Havels. 212 Behrends: Lipskis europäischer Traum, S. 2.

188  Eine neue Vergangenheit der Nation on entwickelt wurde. Zentral und gemeinsam war ihnen jedoch, bis auf wenige hier behandelte Ausnahmen, dass sie die Heterogenität innerhalb der politischen Gemeinschaft Nation anerkannten. Dieses Bekenntnis zur Vielgestaltigkeit und Kooperation über Unterschiede hinweg entwickelte sich aus dem Streben nach „a lifeworld of undamaged interpersonal relations – even under totalitarism“213, also nach einem dialogischen und konsensualen Zusammenleben und der Ablehnung von Abgrenzung. Was für liberale Oppositionelle durchweg prägend war, konnte bei konservativen Akteuren nur einen kurzen und strategischen Anklang finden. Sie übertrugen damit eine für die Opposition selbst überlebensnotwendige Haltung auf den größten zusammenhängenden Erfahrungsraum ihrer Zeit, die Nation.

 213 Jan-Werner Müller sieht oppositionelle Denker darin in einem direkten Zusammenhang mit westlichen Intellektuellen, wie zum Beispiel Jürgen Habermas. Ders: Contesting Democracy, S. 230f.

4 Eine Nation unter anderen Neben der inneren Selbstreflexion der Nation, die im zweiten und dritten Kapitel dieser Arbeit besprochen wurde, lässt sich im oppositionellen Denken zur Nation eine zweite, nach außen gerichtete Perspektive erkennen. Es gehört zu den offensichtlichen Voraussetzungen einer Nation, dass sie stets nur eine Nation unter anderen sein kann. Solche Alteritätsvorstellungen und Beziehungen zu Nachbarstaaten oder anderen politischen Gemeinschaften traten wiederholt in den Fokus des Samizdat. Das Verhältnis der jeweiligen polnischen, tschechischen beziehungsweise slowakischen oder ungarischen Nation zu anderen politischen Gemeinschaften war also eine notwendige Konsequenz der inneren nationalen Selbstreflexion, wie dies der bereits angeführte polnische Oppositionelle Jan Józef Lipski in seinem Essay Zwei Vaterländer – zwei Patriotismen ausführte.1 Mit dieser Zusammenführung der beiden Dimensionen des Nationsbegriffs blieb Lipski jedoch eine Ausnahme des oppositionellen Denkens. Es waren hingegen klar umrissene Einzelfallfragen, in denen sich oppositionelle Akteure zum Fremden äußerten und einen eigenen Standpunkt entwickelten. Ostmitteleuropa wurde als Geschichtsregion besonders von vielfachen ethnischen und nationalen Heterogenitäten geprägt, die seit dem 19. Jahrhundert die nationalen Wiedergeburten prägten und so die Vorstellung der Nation bedingten. In den multinationalen Imperien der Region standen die hier untersuchten Nationen in einer ausdrücklichen Rivalität zu den jeweiligen Staatsvölkern und zu anderen, konkurrierenden Nationsprojekten. Grenzte sich die polnische Nationalbewegung beispielsweise von den Teilungsmächten Preußen, Russland und der Habsburgermonarchie ab, sah sie sich besonders in Galizien der ruthenischen, das heißt ukrainischen Nationalbewegung gegenüber. In dieser sprachlich und religiös markierten Differenz konkurrierten beide Nationalbewegungen nicht nur um politischen Einfluss unter habsburgischer Herrschaft, sondern auch um die Gefolgschaft der national nur bedingt festgelegten Bevölkerung Galiziens.2 Ähnliche Konstellationen lassen sich für die  1 Vgl. Lipski: Dwie ojczyzny. 2 Vgl. Brian Porter: When Nationalism Began to Hate. Imagining Modern Politics in Nineteenth-Century Poland, Oxford/New York 2002; Keely Stauter-Halsted: The Nation in the Village. The Genesis of Peasant National Identity in Austrian Poland, 1848–1914, Ithaca 2004; Larry Wolff: The Idea of Galicia. History and Fantasy in Habsburg Political Culture, Stanford 2010.

190  Eine Nation unter anderen böhmischen Länder oder das ungarische Beispiel ausführen und sind in der Forschung einschlägig beschrieben worden.3 Es waren aber weniger diese historischen Hintergründe der Nationsbildungsprozesse, die eine oppositionelle Beschäftigung mit diesen Fragen bedienten, sondern zeitgenössische Alteritätsbilder. Gerade in den ersten Jahrzehnten des Staatssozialismus hatte die Propraganda Abgrenzungsnarrative zur Legitimation der neuen politischen Verhältnisse genutzt und beispielweise im polnischen und tschechoslowakischen Fall die Gefahr eines (west-)deutschen Revisionismus beschworen. Andere historische Konfliktstellungen konnten aus Gründen sozialistischer Staatsräson nicht thematisiert werden und blieben tabuisiert. So ging die polnische Staatsmacht in der Aktion Weichsel zwar gegen die verbliebene ukrainische Minderheit im Lande vor und zersiedelte diese, ohne dies jedoch öffentlich ausbreiten zu wollen. Angesichts der Rhetorik sozialistischer Völkerfreundschaft konnte auch die ungarische Staats- und Parteiführung slowakisch-ungarische Konflikte und Bevölkerungstransfers nicht zur Legitimationsgewinnung durch Abgrenzung nutzbar machen. Erst im Spätsozialismus und in spezifischen Situationen konnte zum Beispiel die Lage der ungarischen Minderheit in Rumänien öffentlich Erwähnung finden und zur Lenkung nationaler Stimmung auch einen dezidierten Platz im politischen Diskurs einnehmen.4 Einen Sonderfall stellte sicherlich die jüdische Bevölkerung der drei untersuchten Länder dar, die kaum in die Nationsbildungsprozesse integriert war und eine Sondergruppe blieb.5 Oppositionelle Autoren des Samizdat revidierten diese Alteritätsvorstellungen und banden Kerninhalte ihres oppositionellen Handelns darin ein. Stand nämlich in den oben skizzierten Diskursen die Fremdheit des national Anderen im Vordergrund, strebten die hier zu behandelnden Debatten des Samizdat eine dialogische Aufarbeitung solcher Verhältnisse an. Im Folgenden soll dies zunächst anhand von zwei Beispielen einer Beschäftigung mit Deutschland und den Deutschen ausgeführt werden. Die polnische Opposition diskutierte in den ausgehenden 1970er Jahren über eine mögliche deutsche Wiedervereinigung, als ein solches Szenario in der Bundesrepublik selbst unrealistisch erscheinen  3 Vgl. als Auswahl: Joachim von Puttkamer: Schulalltag und nationale Integration in Ungarn. Slowaken, Rumänen und Siebenbürger Sachsen in der Auseinandersetzung mit der ungarischen Staatsidee 1867–1914, München 2003; Jeremy King: Budweisers into Czechs and Germans. A Local History of Bohemian Politics, 1848–1948, Princeton 2005. 4 Katalin Miklóssy: Manoeuvres of National Interest. Internationalism and Nationalism in the Emerging Kádárist Criticism of Romania, 1968–1972, Helsinki 2003. 5 Zu Versuchen eine jüdische Nation zu konstruieren siehe: Anke Hilbrenner: DiasporaNationalismus. Zur Geschichtskonstruktion Simon Dubnows, Göttingen 2007.

Die „deutsche Frage“ und polnische Hoffnungen  191

musste. Etwa zeitgleich entwickelte sich im tschechoslowakischen Samizdat aus dem Impuls des slowakischen Historikers Ján Mlynárik eine Debatte über den Abschub, das heißt die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Im ungarischen Samizdat waren es nationale Minderheiten im In- und Ausland, die den Blick auf Alteritäten eröffneten, jedoch nur im begrenzten Umfang auch zusammenhängende Debatten anregten. Damit steht auch die ungarische Behandlung des Antisemitismus paradigmatisch für den ostmitteleuropäischen Samizdat. So wurde die latente Ausgrenzung von Juden zwar immer wieder in einzelnen Wortmeldungen thematisiert, provozierte aber kaum übergreifende Debatten und entzieht sich daher einer konkreten Untersuchung. Für die polnische Opposition stellten Russland beziehungsweise die Sowjetunion und die östlichen Nachbarvölker ein Komplement zur deutschen Frage dar, denn auch hier verbanden sich geopolitische Überlegungen mit einer Revision historischer Stereotype. Hinterfragten diese Beispiele Abgrenzung zu anderen Partikularismen, so führten die vom tschechischen Schriftsteller Milan Kundera angestoßene Mitteleuropa-Debatte und einzelne Beiträge zu Europa eine Ordnungskategorie in die Debatten des Samizdat ein, die über und nicht bloß neben der jeweiligen Nation stand. Neben westeuropäischen Intellektuellen fragten hier oppositionelle Autoren nach dem Verhältnis der durch den Kalten Krieg voneinander getrennten Teile Europas zueinander. Während der Zusammenhang oppositioneller Debatten über Grenzen hinweg in den übrigen Fallstudien dieses Kapitel nur partiell betrachtet werden kann, tritt er am Beispiel Mitteleuropa deutlich zu Tage.

4.1 Die „deutsche Frage“ und polnische Hoffnungen Als der polnische Oppositionelle Adam Wojciechowski im Dezember 1977 feststellte: „Es ist Zeit geworden, dass die Polen im Rahmen der unabhängigen Presse im Land eine sachliche Debatte über das deutsche Problem beginnen“6, sprach er ein Thema an, das nur wenig Aktualität besaß. Eine „kurze, aber heftige ‚Revisionismuskampagne‘ gegen die Bundesrepublik“7 im Frühjahr 1977

 6 Adam Wojciechowski: Podzielone – nie, rozbrojone – tak. Zjednoczenie Niemiec – a Polska, in: Opinia [Samizdat], 2/8 (1977), S. 13–15, hier S. 14. 7 Stefan Garsztecki: Das Deutschlandbild in der offiziellen, der katholischen und der oppositionellen Publizistik Polens 1970–1989. Feindbild kontra Annäherung, Marburg 1997, S. 246.

192  Eine Nation unter anderen gab Wojciechowski dennoch Anlass genug für eine weiterführende Betrachtung des „deutschen Problems“, also der Frage nach dem Status der beiden deutschen Staaten und einer möglichen deutschen Einheit. Damit führte Wojciechowski, der politisch dem Unabhängigkeitslager zuzurechnen war und in der ersten formativen Phase der Opposition zwischen den Spektren des KOR und des ROPCiO stand8, ein Thema in die Debatte ein, das in zweierlei Hinsicht aus dem Rahmen oppositionellen Denkens zu Beginn der öffentlichen Opposition in Polen fiel. Zum einen war Deutschland ein außenpolitischer Gegenstand, widersprach also der allgemein angenommenen Selbstbeschränkung der polnischen Opposition und ihrer grundsätzlichen Anerkennung des Bündnisses mit der Sowjetunion.9 Zum anderen war die „deutsche Frage“ auch in der Bundesrepublik zum politischen Allgemeinplatz geworden und keineswegs im Fokus eines breiteren Interesses. Waren so zunächst kaum neue Impulse aus einer solchen Diskussion zu erwarten, zeigte die lebendige Debatte der folgenden Monate und Jahre, dass Wojciechowski mit seinem Appell einen Nerv seiner oppositionellen Zeitgenossen traf. Für die Volksrepublik Polen stellte sich eine solche deutsche Frage gar nicht erst, schließlich war die Teilung Deutschlands mit der Existenz eines sozialistischen Bruderstaates, der DDR, die definitive Lösung des „deutschen Problems“.10 Die Sorge vor einem westdeutschen Revisionismus bildete eines der Kernnarrative nationalistischer Propaganda in der Volksrepublik, die mit einem deutschen Feindbild innenpolitisch und besonders in Krisen Legitimation zu schaffen suchte.11 In einer Mischung aus antideutscher Aversion, die nach den verheerenden Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs in Polen nur allzu leicht geweckt werden konnte, und dem Verweis auf einen vermeintlichen deutschen „Drang nach Osten“ konnte das Regime durchaus politische Erfolge erzielen.12

 8 Adam Pleśnar: Adam Wojciechowski, in: Dudek/Skórzyński/Sowiński/Strasz (Hrsg.): Opozycja w PRL. Bd. 1, S. 378–380. 9 Vgl. Friszke: Opozycja polityczna, S. 365f. und 372. 10 Bogdan Koszel: Między dogmatyzm i pragmatyzem (1971–1989), in: : Anna Wolff-Powęska (Hrsg.): Polacy wobec Niemców. Z dziejów kultury politycznej Polski 1945–1989, Posen 1993, S. 94–141, hier S. 122. 11 Garsztecki: Deutschlandbild, S. 245. Vgl. auch: Jan Józef Lipski: Die antideutsche Karte des polnischen Regimes, in: Kontinent. Ost-West-Forum, 11/2 (1985), S. 57–61. 12 Vgl. Zaremba: Komunizm, legitymizacja, nacjonalizm, S. 309–311. Besonders deutlich wurde das legitimatorische Potential dieser Propaganda in der medialen Inszenierung der schon zuvor in der polnischen Nationalbewegung angeführten Schlacht von Tannenberg, die seit Beginn der Volksrepublik in den Zusammenhang des Sieges über das nationalsozialistische Deutschland gestellt und sozialistisch überformt wurde. Zum 550. Jahrestag 1960 rückte

Die „deutsche Frage“ und polnische Hoffnungen  193

Als Staat und Partei in Reaktion auf den Versöhnungsbrief der polnischen katholischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder 1965 eine antikirchliche Kampagne inszenierten, konnten sie mit einer solchen antideutschen Stoßrichtung das einzige Mal in der Geschichte der Volksrepublik tatsächlichen Unmut gegenüber der katholischen Kirche schüren.13 Sinnweltlicher Gegenpol war in dieser Propaganda die Oder-Neiße-Grenze, die „Friedens- und Freundschaftsgrenze“ mit der DDR. Der sozialistische deutsche Staat hatte schon 1950 im Görlitzer Vertrag die neue Grenze anerkannt, aber auch für das offizielle Warschau war es offenkundig, dass es sich dabei nur um den symbolischen Akt einer „zwangsverordnete Freundschaft“14 handeln konnte. Die Grenze an Oder und Görlitzer Neiße stand nach wie vor unter dem Vorbehalt einer friedensvertraglichen Regelung unter Einbeziehung der Siegermächte und so garantierte aus Sicht der polnischen Staatsspitze nur die Sowjetunion die Westgrenze des polnischen Staates. Die daraus resultierende Sorge wurde nicht nur als politisches Druckmittel gegenüber der Bevölkerung, gerade in den ehemals deutschen Ostgebieten nutzbar gemacht15, sondern fand auch in den Spitzen von Staat und Partei tatsächlichen Widerhall.16 Władysław Gomułka strebte eine weitere Bestätigung der Grenze seitens Moskau an, die er 1965 in einem bilateralen Vertrag erhalten konnte17 – ein Vertrag allerdings, dessen Inhalt der breiteren polnischen Öffentlichkeit nicht bekannt wurde. Darüber hinaus erreichte die polnische Diplomatie im Dezember 1970 wenigstens teilweise auch die jahrelang angestrebte Anerkennung der Grenze durch

 der aufwändige Historienfilm Grunwald, so die polnische Bezeichnung, von Aleksander Ford die Schlacht wirkungsvoll in das sinnweltliche Bewusstsein dieser Jahre. Siehe auch: Frithjof Benjamin Schenk: Tannenberg/Grunwald, in: Étienne François/Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte. Bd. 1, München 2001, S. 438–454, hier S. 452f. 13 Mariusz Mazur: Polityczne kampanie prasowe w okresie rządów Władysława Gomułki, Lublin 2004, S. 94–96. Zum Konflikt über die Versöhnungsformel „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung“ siehe u.a.: Dudek/Gryz: Komuniści i kościół, S. 217–276; Robert Żurek/Basil Kerski: Der Briefwechsel zwischen den polnischen und deutschen Bischöfen von 1965. Entstehungsgeschichte, historischer Kontext und unmittelbare Wirkung, in: Basil Kerski/Thomas Kycia/Robert Żurek (Hrsg.): „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Der Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe 1965 und seine Wirkung, Osnabrück 2006, S. 7–53. 14 Basil Kerski/Andrzej Kotula/Kazimierz Wóycicki: Zwangsverordnete Freundschaft? Die Beziehungen zwischen der DDR und Polen, 1949–1990, Osnabrück 2003. 15 Katarzyna Stoklosa: Polen und die deutsche Ostpolitik 1945–1990, Göttingen 2011, S. 77f. 16 Sowa: Historia polityczna, S. 264f. 17 Euzebiusz Basiński/Tadeusz Walichnowski: Stosunki polsko-radzieckie w latach 1945–1972, Warschau 1974, S. 502; Sowa: Historia polityczna, S. 329.

194  Eine Nation unter anderen die Bundesrepublik. Mit der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags betonte auch die Bundesrepublik die Unverletzbarkeit der polnischen Westgrenze, wogegen eine Bundestags-Resolution vor der Ratifizierung des Vertrags im Mai 1972 und ein darauf folgendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Eindeutigkeit dieser Anerkennung in Zweifel zogen.18 In Folge kirchlicher Versöhnungsbemühungen und der deutsch-polnischen Annäherung nach dem Warschauer Vertrag ging die katholische, also regimeunabhängige offizielle Publizistik in den frühen 1970er Jahren immer wieder auf Deutschland ein, und besonders Autoren des Krakauer Tygodnik Powszechny porträtierten eine zunehmende Normalisierung Deutschlands.19 Wenig überraschend verwahrte sich die parteitreue Presse heftig gegen dieses langsam in Bewegung geratende Deutschlandbild und verteidigte das Kernnarrativ sozialistischer Machterhaltung.20 Vor diesem Hintergrund waren Deutschland und die Frage der deutsch-polnischen Grenze ein in mehrfacher Hinsicht wunder Punkt polnischer Souveränitätsvorstellungen.

4.1.1 Neue Gedanken zu Deutschland Adam Wojciechowskis Aufruf zu einer Debatte über eine mögliche oppositionelle Deutschlandpolitik erschien im Dezember 1977 in der Warschauer ROPCiOZeitschrift Opinia als Teil einer „Diskussion über das deutsche Problem“. Hier bat zunächst ein anonymer DDR-Bürger um die Unterstützung der polnischen Opposition, bevor zwei polnische Oppositionelle die deutsche Einheit erörterten. Hellmuth N. distanzierte sich vom Ziel der Einheit, denn in der DDR habe

 18 Die Bundesrepublik konnte eine Aussage zur Grenzziehung nur vorbehaltlich der Rechte der vier Mächte äußern und zudem blieb eine Wiedervereinigung Verfassungsziel. So unterstrich die Erklärung des Bundestags den provisorischen Charakter des Warschauer Vertrags und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigte grundsätzlich die „Zugehörigkeit“ der Oder-Neiße-Gebiete zu Deutschland. Folglich waren die Vertragsauslegungen beider Vertragsparteien im Kern unterschiedlich und widersprachen sich. Dieter Blumenwitz: Oder-NeißeLinie, in: Werner Weidenfeld/Karl-Rudolf Korte (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Einheit 1949 – 1989 – 1999, Bonn 1999, S. 586–595, hier S. 590; Werner Link: Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt 1969–1974, in: Karl Dietrich Bracher/Jäger Wolfgang/Werner Link (Hrsg.): Republik im Wandel. 1969–1974. Die Ära Brandt, Stuttgart 1986, S. 163–283, hier S. 206–213. 19 Garsztecki: Deutschlandbild, S. 130–132. 20 Leonid Luks: Die Deutsche Frage im Spiegel der nichtoffiziellen polnischen Publizistik der 1970er Jahre, in: Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte, 14/1 (2010), S. 57–68, hier S. 59–61.

Die „deutsche Frage“ und polnische Hoffnungen  195

man sich mit der Teilung abgefunden.21 Leszek Moczulski, Mitgründer des ROPCiO, griff den Appell N.s auf und erklärte den Kampf für Menschenrechte in der DDR als gangbaren Weg, unabhängig von der langwierigen und im OstWest-Konflikt geopolitisch aufgeladenen Frage der deutschen Wiedervereinigung.22 Wenige Monate später, im Mai 1978, veröffentlichte die anonym agierende Polnische Unabhängigkeits-Verständigung ein erstes Dokument zu Polen und Deutschland, für dessen Inhalt der Literaturhistoriker Zdzisław Najder verantwortlich war.23 Ausgangspunkt der hier und in weiteren Texten vor allem konservativer Autoren entwickelten Konzepte war die geopolitische, das heißt bündnis- und machtpolitische, Situation Polens. In den gegen-hegemonialen Diskursen der Volksrepublik war Jalta – die Konferenz auf der die westlichen Alliierten 1945 die Vorherrschaft der Sowjetunion über Ostmitteleuropa anerkannt hatten – seit den 1950er Jahren eine wirkmächtige Chiffre für die europäische Nachkriegsordnung und ließ sich als Brennpunkt polnischer Ängste und Schrecken lesen.24 Jalta stand einerseits für „den Verrat des Westens wie für die Aussichtslosigkeit der eigenen geopolitischen Lage“25 und konnte andererseits variabel mit Inhalt gefühlt werden.26 Betonte dies fehlende Gestaltungsspielräume polnischer Außenpolitik, war Jalta auch Ausdruck eines spezifischen Fatalismus, der ebenso in der entstehenden Opposition der späten 1970er Jahre zu finden war. Erste Anregung für die Infragestellung dieser Deutungen Jaltas gaben die im Zweiten Umlauf nachgedruckten Schriften des 1976 verstorbenen Exilpublizisten Juliusz Mieroszewski27,

 21 Hellmuth N.: „Prosimy Was o pomoc“. Głos Niemca z NRD, in: Opinia [Samizdat], 1/8 (1977), S. 10–12, hier S. 12. 22 Leszek Moczulski: W poszukiwania dróg wyjścia. Jedność i podział Niemiec, in: Ebd., S. 15f. 23 Zdzisław Najder: Przedmowa, in: Polskie Porozumienie Niepodległościowe, S. If., hier S. II. 24 Timothy Garton Ash bemerkte dazu: „When I first came to Poland I kept hearing a very strange word. ,Yowta‘, my new aquantances sighed, ,yowta!‘ and conversation ebbed into melancholy silence. Did ,yowta‘ mean fate, I wondered, was it an expression like ,that’s life‘?“ Garton Ash: The Polish Revolution, S. 3. Garton Ashs „yowta“ ist nichts anderes als die phonetische Wiedergabe des polnischen ‚Jałta‘. 25 Włodzimierz Borodziej: Versailles und Jalta und Potsdam. Wie Deutsch-Polnisches zur Weltgeschichte wurde, in: Hans-Henning Hahn/Robert Traba (Hrsg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Bd. 3: Parallelen, Paderborn 2012, S. 360–380, hier S. 369. 26 Jakub Karpiński: Polska, komunizm, opozycja. Słownik, London 1985, S. 103. 27 Vgl. bspw. Juliusz Mieroszewski: O federacjach i programie wschodnim, o.O. 1984 [Samizdat]. Krystyna Rogaszewska betont Mierowskis Bedeutung für den oppositionellen Diskurs im Land, ohne aber auf die verzögerte Rezeption seiner Schriften weiter einzugehen. Dies.: Niemcy w myśli polskiej opozycji w latach 1976–1989, Breslau 1998, S. 71.

196  Eine Nation unter anderen der 1974 in der Pariser Kultura eine bündnispolitische Revision Ostmitteleuropas unter Einbeziehung von Belarus, der Ukraine und Litauens skizziert hatte.28 Für die oppositionellen Diskutanten der deutschen Frage, die von einem festen und nur mittelfristig zu überwindenden Status quo ausgingen, stellte sich die Frage, an welchem Ort die geopolitischen Verhältnisse in Bewegung geraten könnten. Seit den Teilungen Polens bewegten sich bündnispolitische Strategien und Konfliktszenarien im polnischen politischen Denken stets in der Spannung zwischen den beiden Großmächten Deutschland und Russland. Je nach regionalem, politischem und zeitlichem Kontext war eine der beiden Großmächte dabei stärker Kontrastfolie polnischen Sendungsbewusstseins als die andere.29 Der für die polnische Opposition wohl wirkmächtigste Disput über die Orientierung im Spiel der Großmächte bestand seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zwischen dem auf einen Konflikt mit Deutschland fixierten Nationaldemokraten Roman Dmowski und dem auf Russland konzentrierten späteren Staatschef Józef Piłsudski.30 Für die Diskussion des Jahres 1977 musste diese doppelte Konfliktlage jedoch auf ein Europa der Blockkonfrontation übertragen werden. Hier verstand der unter dem Pseudonym Timur schreibende Krzysztof Wolicki, ehemaliges Parteimitglied und umtriebiger Samizdat-Autor31, beide Bedrohungen als sich überlappend und nicht voneinander zu trennen: „Geschützt vor dem deutschen Hai sind wir nur dank dessen, dass wir schon im Bauch des russischen Walfi-

 28 Krzysztof Grygajtis: Polskie idee federacyjne i ich realizacja w XIX i XX wieku, Tschenstochau 2001, S. 517–519. 29 Vgl. Alix Landgrebe: „Wenn es Polen nicht gäbe, dann müsste es erfunden werden“. Die Entwicklung des polnischen Nationalbewusstseins im europäischen Kontext von 1830 bis in die 1880er Jahre, Wiesbaden 2003, S. 213f.; Krzysztof Kawalec: Spadkobiercy niepokornych. Dzieje polskiej myśli politycznej 1918–39, Breslau 2000, S. 26–28. 30 Timothy Snyder: The Reconstruction of Nations. Poland, Ukraine, Lithuania, Belarus, 1569–1999, New Haven 2003, S. 58f. Dieser Gegensatz hatte folglich auch Auswirkungen auf die Nations- und Territorialkonzeption des zu gründenden polnischen Staates. Vgl. Roland Gehrke: Der polnische Westgedanke bis zur Wiedererrichtung des polnischen Staates nach Ende des Ersten Weltkrieges. Genese und Begründung polnischer Gebietsansprüche gegenüber Deutschland im Zeitalter des europäischen Nationalismus, Marburg 2001; Stefan Troebst: ‚Intermarium‘ and ‚Wedding to the Sea‘. Politics of History and Mental Mapping in East Central Europe, in: European Review of History, 10/2 (2003), S. 293–321. 31 Krzysztof Biernacki: Krzysztof Wolicki, in: Encyklopedia Solidarności (online), http://www.encyklopedia-solidarnosci.pl/wiki/index.php?title=Krzysztof_Wolicki (letzter Aufruf 28.04.2015).

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sches sitzen.“32 Stärker zugespitzt hoben Adam Wojciechowski und die Autoren der Opinia eine Schlüsselstellung Deutschlands hervor, wonach der „Frieden in Europa solange unbeständig sein wird, solange Deutschland geteilt ist.“33 Die Sowjetunion, unter Leonid I. Brežnev in einer Phase der Stagnation, erschien ihnen als zu statisch, als dass sie den Spielraum polnischer Außenpolitik erweitern könne. Im Positionspapier Polen und Deutschland kehrte PPN diese fatalistische Perspektive eines Polen zwischen den Großmächten um und zeigte mögliche innenpolitische Verschiebungen in Polen als Schlüssel der Lage in der Region auf.34 Solche unterschiedlichen Betrachtungen der Problemstellung waren symptomatisch für die folgende oppositionelle Debatte und wurden vielfältig wiederholt, ohne inhaltlich weiterzuführen.35 Unabhängig davon, ob ein möglicher Wandel nun in Deutschland oder Polen beginnen würde, schien den Diskutanten offenkundig, dass in der geopolitischen Ordnung Europas zwischen beiden Ländern ein entscheidender Zusammenhang bestand. Wunder Punkt dieses Zusammenhangs aus deutscher Frage und polnischer Westgrenze waren die polnischen West- und Nordgebiete, deren wirtschaftliche und auch legitimatorische Bedeutung innerhalb der polnischen Opposition unbestritten waren.36 Bis zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrags 1970 gehörte die Rede von den „wiedergewonnenen Gebieten“ zum Kanon sozialistischer Propaganda37, aber auch danach blieb die Rede vom deutschen „Drang nach Osten“ Bestandteil staatlicher Geschichtsdeutung.38 Diese stereotypisierte Konflikterzählung hatte durchaus Erfolg, denn „[b]einahe jeder Pole (selbst ein Gebildeter!) glaubt heute daran, dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg auf Gebiete zurückgekehrt sind, die uns von den Deutschen gestohlen worden waren“39, wie es Jan Józef Lipski ausformulierte.

 32 Timur [Krzysztof Wolicki]: Niemcy [Deutschland], in: Krytyka [Samizdat], 2/5 (1979), S. 59– 68, hier S. 65. 33 Wojciechowski: Podzielone – nie, S. 12. 34 Zespół Problemowy Polskiego Porozumienia Niepodległościowego: Polska a Niemcy, in: Polskie Porozumienie Niepodległościowe, S. 117–122, hier S. 117. 35 Garsztecki: Deutschlandbild, S. 147. 36 Rogaszewska: Niemcy w myśli polskiej opozycji, S. 90; Łukasz Jasiński: Kwestie międzynarodowe w myśli opozycji demokratycznej w PRL 1976–1980, Danzig 2009, S. 126. 37 Der Mythos der „wiedergewonnen Gebiete“ griff in seiner Argumentation in Teilen auf den polnischen Westgedanken seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zurück. Vgl. Gehrke: Der polnische Westgedanke; Markus Krzoska: Für ein Polen an Oder und Ostsee. Zygmunt Wojciechowski (1900–1955) als Historiker und Publizist, Osnabrück 2003. 38 Garsztecki: Deutschlandbild, S. 234f. 39 Lipski: Dwie ojczyzny, S. 9.

198  Eine Nation unter anderen Diesen ideologischen Überbau hinterfragten die verschiedenen Beiträge der Debatte. Für PPN war die Sowjetunion nämlich nicht „Garant unserer Grenze, sondern Garant des […] aufgezwungenen politischen Systems“40, so dass die strittigen Gebiete letztlich kaum mehr als eine sowjetische „Besatzungszone“41 seien. Für diesen zweifelhaften Gewinn habe Polen vielmehr auch noch mit „den daraus resultierenden moralischen Lasten“ der Vertreibung bezahlen müssen.42 PPN-Autor Kijowski verkehrte so die bekannte Deutung der deutschen Teilung und machte sie für die gewaltsame Bindung Polens an die Sowjetunion verantwortlich.43 Dass er in diesem Beitrag die deutsch-polnischen Beziehungen seit dem 19. Jahrhundert und polnische Stereotype gegenüber Deutschland einer Relektüre unterzog, vervollständigte seinen Paradigmenwechsel.44 Mit dieser Revision eines kommunistisch geprägten Geschichtsbildes waren Lipski und Kijowski keineswegs Ausnahmen des Zweiten Umlaufs, vielmehr war Geschichte eines der Kernthemen oppositionellen Denkens und Schreibens.45 Anders als die verbreiteten Themen dieser Gegen-Historiographie, wie nationale Aufstände und der Zweite Weltkrieg46, folgte die Umdeutung der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte stärker einem Verständigungsgedanken und umfasste in Teilen auch die Vertreibung der Deutschen aus den Oder-Neiße-Gebieten. Eine solche Wendung polnischer Vorurteile erschien Oppositionellen geradezu als Pflicht, da bestehende Vorurteile einen Dialog verhinderten und folglich politische Handlungsspielräume einschränkten.47 In diesen Überlegungen spielte die DDR nur eine untergeordnete Rolle; Deutschland war in polnischen, und keineswegs nur oppositionellen, Augen vor allem die Bundesrepublik. Der zweite, sozialistische deutsche Staat blieb in dieser Wahrnehmung auch gut dreißig Jahre nach der doppelten Staatsgründung nur ein Gebilde von Moskaus Gnaden48, dessen Führung immer wieder

 40 Zespół Problemowy Polskiego Porozumienia Niepodległościowego: Polska a Niemcy, S. 118. 41 Czwórka: Niemcy, Polacy i inni, in: Polskie Porozumienie Niepodległościowe, S. 123–140, hier S. 126. Vgl. ähnlich in seiner Skepsis: Wojciechowski: Podzielone – nie. 42 Czwórka: Niemcy, Polacy i inni, S. 126. 43 Ebd., S. 126f. 44 Ebd., S. 130–138. 45 Piotr S. Wandycz: Poland, in: The American Historical Review, 97 (1992), S. 1011–1025, hier S. 1023. 46 Vgl. Peters: „Das große Abenteuer ihres Lebens“. 47 Jan Korab: Nasz problem niemiecki, in: Polityka Polska [Samizdat], 2/2–3 (1983), S. 79–81. 48 Vgl. Timur: Niemcy, S. 60.

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eine Revision der Grenze mit Polen ins Gespräch bringe.49 Die DDR erschien geradezu als gefährlicher Musterschüler des sowjetischen Blocks, dem nicht zu trauen war und der nicht als Diskussionspartner dienen konnte.50 Auch die Bundesrepublik verstanden die Diskutanten in unterschiedlichen Abstufungen nicht als souveränes Gebilde, was jedoch eine andere Stoßrichtung hatte. PPN und der hier verantwortliche Autor Zdzisław Najder sahen Polen eher „zwischen der imperialen UdSSR und dem sich integrierenden Europa, deren Bestandteil die BRD ist.“51 Die Europäisierung der Bundesrepublik und besonders Franz Josef Strauß’ Überlegungen zu einer möglichen deutschen Wiedervereinigung als letztem Schritt europäischer Integration52 stießen zum Beispiel bei Leszek Moczulski auf große Sympathien53, auch wenn diese Thesen seit den 1960er Jahren in der bundesrepublikanischen Deutschlandpolitik keine nennenswerte Rolle mehr spielten. Ein europäisiertes Deutschland war dabei nicht nur eine Sicherheit schaffende Vorstellung, es umfasste mit Westeuropa auch den Hoffnungsraum polnischen Souveränitätsdenkens. Ähnlich argumentierte Kijowski, der trotz seines Fokus auf die deutsch-polnischen Beziehungen die Abhängigkeit Polens von der Sowjetunion als Symptom einer gesamt-europäischen Krise verstand.54 Mit der Dekonstruktion des sozialistischen Diktums von der Sowjetunion als Garant der Grenze und der Auflösung des historisch tradierten Einkreisungsmotivs entstand ein neuer Freiraum politischen Denkens, aus dem zwar keine realpolitischen, aber zumindest perspektivische Konzepte erwuchsen.

 49 Zespół Problemowy Polskiego Porozumienia Niepodległościowego: Polska a Niemcy, S. 119; Czwórka: Niemcy, Polacy i inni, S. 124. Ganz grundsätzlich war die polnische Haltung gegenüber der DDR reserviert. Vgl. Burkhard Olschowsky: Einvernehmen und Konflikt. Das Verhältnis zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen 1980–1989, Osnabrück 2005. 50 Klaus Ziemer: Die „Ostpolitik“ der Bundesrepublik Deutschland im Urteil der polnischen Oppositionsbewegung der siebziger und achtziger Jahre, in: Deutsch-polnisches Jahrbuch, 13 (2005), S. 169–192, hier S. 184–187. 51 Zespół Problemowy Polskiego Porozumienia Niepodległościowego: Polska a Niemcy, S. 119. 52 Franz Josef Strauß: Entwurf für Europa, Stuttgart 1966. 53 Moczulski: W poszukiwania. Vgl. ähnlich: Andrzej T. Jarmakowski: Polska a Niemcy, in: Bratniak [Samizdat], 3/19 (1979), S. 8–11. 54 Czwórka: Niemcy, Polacy i inni, S. 139.

200  Eine Nation unter anderen 4.1.2 Deutsche Wiedervereinigung und polnische Souveränität Indem Wojciechowski, PPN und Wolicki die Kausalität von deutscher Frage und polnischer Westgrenze umgekehrt hatten, wurde jede Veränderung des Status quo aus oppositioneller Sicht verheißungsvoll. In der Annahme, dass eine deutsche Wiedervereinigung tatsächlich möglich sei, entwarfen oppositionelle Akteure zwei grundsätzliche Szenarien einer solchen Lösung der deutschen Frage. Im Programmpapier Polen und Deutschland des PPN sah Zdzisław Najder die polnische Unabhängigkeit als Ausgangspunkt einer deutschen Wiedervereinigung55, was Andrzej Kijowski im Papier Polen, Deutsche und andere weiter ausführte: „Entweder die Deutschen bleiben für immer geteilt und die Polen für immer unter sowjetischer Dominanz, oder die Deutschen werden wiedervereinigt und die Polen…“.56 Krzysztof Wolicki bezweifelte jedoch in einem Beitrag für die links-liberale Krytyka, dass Polen Einfluss auf solche Geschehnisse haben könne. Umso wichtiger sei, im entscheidenden Moment ein eigenes Konzept vortragen zu können, das eine deutsche Wiedervereinigung zu Gunsten Polens beeinflusse. Polen dürfe also nicht als „Feind des deutschen Strebens zur nationalen Einheit“ auftreten, sondern müsse sich für eine deutsche Wiedervereinigung im vereinten Europa stark machen.57 In seinem dritten Programmtext Noch einmal über die Beziehungen zu Deutschland ging 1980 auch PPN auf diese Europäisierungsthese genauer ein und blickte „nicht ohne Sympathie auf die Unnachgiebigkeit der Unionsparteien in der BRD“.58 Die Verbindung von Wiedervereinigungsgebot und Europäischer Integration sei für Polen Garant der Sicherheit und des gleichzeitigen Drucks auf die Sowjetunion und das sozialistische Regime in Polen.59 Gerade konservative Intellektuelle wie Stefan Kisielewski, einer der wenigen publizistischen Grenzgänger zwischen legaler Presse, Samizdat und Exilpresse, widersprachen diesen Überlegungen. Kisielewski erschien eine deutsche

 55 Zespół Problemowy Polskiego Porozumienia Niepodległościowego: Polska a Niemcy, S. 117. Diese Gedankenfigur war gerade unter Oppositionellen aus dem Umfeld des KOR sehr verbreitet. Jasiński: Kwestie międzynarodowe, S. 103. 56 Czwórka: Niemcy, Polacy i inni, S. 140. 57 Timur: Niemcy, S. 66. 58 O stosunkach z Niemcami raz jeszcze, in: Polskie Porozumienie Niepodległościowe, S. 277– 282, hier S. 280. 59 Ebd., S. 280f.

Die „deutsche Frage“ und polnische Hoffnungen  201

Wiedervereinigung schlichtweg unrealistisch.60 Unter dem Pseudonym Bronisław Kotowicz ging der Schriftsteller Andrzej Szczypiorski weiter und stellte in einer Replik auf Krzysztof Wolicki den Willen der Deutschen zur Wiedervereinigung, der eine Grundannahme der gesamten Debatte war, in Abrede. Die Einheit Deutschlands sei vielmehr nur die historische Ausnahme und widerspreche sowohl dem traditionellen Regionalismus als auch einem aufkommenden „DDR-Chauvinismus“61. Darüber hinaus bestehe mit Österreich ein dritter deutscher Staat, der in dieser Frage nicht ignoriert werden könne.62 In dieser aggressiv geführten Kontroverse wurden immer wieder westliche Fachliteratur und die persönliche Kenntnis Deutschlands ins Feld geführt, da offiziell erhältliche Informationen zu Deutschland nicht als vertrauenswürdig gelten konnten.63 Deutsch-polnische Kontakte im Kleinen, die in den 1970er Jahren zunahmen, und ein durchgängiges Misstrauen gegenüber offiziell verfügbaren Informationen hatten Deutschland zu einem Thema individuellen Expertentums gemacht, das in dieser Debatte dennoch am Puls der Fragestellung vorbeiging. Denn eine tiefer gehende oder pragmatische Einschätzung der deutschen Haltung zur Wiedervereinigung blieb die Ausnahme. Dem gegenüber stand ein zweites, sowjetisch dominiertes Szenario einer möglichen deutschen Wiedervereinigung, das den amerikanisch-sowjetischen Blockgegensatz und auch die Kontinuitäten im Kalten Krieg stärker betonte. Ein solches Misstrauen gegenüber der Entspannungspolitik der 1970er Jahre fand sich ähnlich in polnischen Exilkreisen.64 Hinzu kam ein weiteres negatives Szenario eines neutralen wiedervereinten Deutschlands, das sich nur gering von der sowjetischen Dominanz unterschied. Diente es zum Beispiel Wolicki nur als negative Schablone des eigenen Argumentationsgangs, war es für andere Oppositionelle das wahrscheinlichste Modell, so dass die skizzierten Überlegungen gar als „pro-deutsche“ Parteinahme polnischer Oppositioneller angegriffen

 60 Stefan Kisielewski: Czy geopolitika straciła znaczenie?, in: Res Publica [Samizdat], 1/1 (1979), S. 77–106. 61 Bronisław Kotowicz: Niemcy? Jacy Niemcy?, in: Krytyka [Samizdat], 3/7 (1980), S. 159–163, hier S. 161. Krzysztof Wolicki antwortete auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in derselben Ausgabe der Krytyka. Timur [Krzysztof Wolicki]: Replika, in: Krytyka [Samizdat], 3/7 (1980), S. 164f. 62 Kotowicz: Niemcy?, S. 163. 63 Andrzej Jarmakowski beklagte gerade das Unwissen der polnischen Öffentlichkeit im Bezug zu Deutschland. Ders.: Polska a Niemcy, S. 8. 64 Co myślimy o Niemczech?, in: Aspekt, 1/2–3 (1979), S. 54–82. Stefan Kisielweski bezog sich ebenso explizit auf die Debatten im Exil. Ders.: Czy geopolitika straciła znaczenie?, S. 94f.

202  Eine Nation unter anderen wurden.65 Die Bedrohung eines „deutsch-sowjetischen ‚Kuhhandel[s]‘“66 manifestierte sich für Timur wie auch für PPN in der SPD und ihrer deténte gegenüber Moskau.67 Westliche Entspannungspolitik bedeutete für polnische Oppositionelle immer auch die Gefahr, selbst in Vergessenheit zu geraten.

4.1.3 Impulse aus Deutschland? Trotz der Ratifizierungskontroverse der frühen 1970er Jahre war die deutsche Frage im politischen Diskurs der Bundesrepublik immer mehr zur rhetorischen Floskel erstarrt. Zwar blieb das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes unangetastet, seine Anwendbarkeit auf die ehemals deutschen Ostgebiete musste jedoch zunehmend unrealistischer erscheinen. Sinnweltlich greifbar wurde dieser pragmatische Wandel beispielsweise, als die Bundesbahn mit dem Fahrplanwechsel 1975/1976 ein polnisches ‚Wrocław‘ statt des vermeintlich deutschen ‚Breslau‘ anfuhr.68 Eine Kontroverse um Schulatlanten zeigte wenige Jahre später jedoch, dass die polnischen West- und Nordgebiete weiterhin ein sensibles Politikum deutsch-polnischer Befindlichkeiten bleiben konnten.69 Auch im „Abschied vom Provisorium“ erhielt sich die seit den Ostverträgen gewachsene Spannung zwischen pragmatischer und realpolitischer Anerkennung des Status quo und rechtspositivistischer Offenheit der deutschen Frage, auch wenn die Regierung Kohl in symbolischer Hinsicht eine Wende in ihrer deutschlandpolitischen Haltung andeutete.70 Dass das Thema aus innen- und parteipolitischen Gründen71, ab 1987/1988 auch auf Grund neuer konzeptionel 65 O stosunkach, S. 277. 66 Garsztecki: Deutschlandbild, S. 174. 67 Dies beklagt zum Beispiel: O stosunkach. 68 Vgl. Manfred Kittel: Vertreibung der Vertriebenen? Der historische deutsche Osten in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik (1961–1982), München 2007, S. 117f. 69 Im Juni 1980 sagte eine Delegation der unabhängigen polnischen katholischen Laienbewegung Znak ihre Teilnahme am Deutschen Katholikentag ab, da sich der Präsident des Zentralkomitees deutscher Katholiken, der bayrische Kultusminister Hans Maier, für die weitere Darstellung der Grenzen von 1937 in bundesdeutschen Schulatlanten einsetzte. Vgl. Basil Kerski/Thomas Kycia/Robert Żurek (Hrsg.): „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Der Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe 1965 und seine Wirkung, Osnabrück 2006, S. 231. 70 Andreas Wirsching: Abschied vom Provisorium. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982–1990, München 2006, S. 591–594. 71 Karl-Rudolf Korte: Deutschlandpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft. Regierungsstil und Entscheidungen 1982–1989, Stuttgart 1998, S. 250 und 262–264.

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ler Anregungen72, in der Bundesrepublik wieder zur Sprache kam, blieb für den polnischen Beobachter, auch wegen der erschwerten Informationslage73, schwer zu deuten. Mit dem Entstehen der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność und der Dringlichkeit tagesaktueller Themen verlor die deutsche Frage für diese Oppositionellen zwar nicht an Relevanz, aber doch an kurzfristigem Gesprächsbedarf. Die Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981, die die öffentliche Tätigkeit der Solidarność faktisch beendete, und der Regierungsantritt Helmut Kohls im September 1982 veränderten die Ausgangslage für eine polnische Debatte maßgeblich. Schon der Bundestagswahlkampf 1980 war im Zweiten Umlauf informiert wahrgenommen worden74, und so referierten verschiedene Beiträge die deutschlandpolitische Neuausrichtung in der Bundesrepublik.75 Die offizielle Presse nahm diese vor allem rhetorische Veränderung in der Bundesrepublik, die westdeutsche Suche nach einer nationalen Identität, die über das Provisorium der frühen Bundesrepublik hinausging, oder den Historikerstreit zum Anlass für eine erneute Welle von Revisionismusvorwürfen.76 Im Zweiten Umlauf fand diese Kontroverse dagegen kaum sorgenvolle Rezeption.77 Die beispiellosen deutschen, gerade zivilgesellschaftlich organisierten Hilfsleistungen nach der Verhängung des Kriegsrechts brachen offensichtlich Stereotype und Vorbehalte auf und verstärkten eine breitere Rezeption kirchlicher Versöhnungsbemühungen. So kommentierte die polnische Opposition nach der Verhängung des Kriegsrechts in den 1980er Jahren die bundesdeutsche Politik zumeist nur nüchtern und wiederholte bloß Kernaussagen der vorherigen Debattenbeiträge.78 Die Erneuerung deutschlandpolitischer Debatten in der Bundesrepublik bemaß sich für die polnische Opposition weiterhin an ihrer Haltung zu Moskau. Besonders die Haltung der Unionsparteien, die vor allem Rechtspositionen referierten und die Einheit Deutschlands betonten, erfuhr in den vereinzelten Beiträgen des polnischen Zweiten Umlaufs nach der Verhängung des Kriegs 72 Wirsching: Abschied vom Provisorium, S. 621–624. 73 Wacław Miziniak: Polityka informacyjna, in: Wolff-Powęska (Hrsg.): Polacy wobec Niemców, S. 142–160. 74 Timur: Niemcy, S. 63. 75 Vgl. zum Beispiel: Korab: Nasz problem niemiecki; Stan.: Kwestia niemiecka, in: Tygodnik Mazowszy [Samizdat], 09.08.1984, S. 4. 76 Garsztecki: Deutschlandbild, S. 142f. 77 Ebd., S. 179f. 78 Vgl. Zey: Niemcy, in: Krytyka [Samizdat], 8/19–20 (1985), S. 336–343; Jacek Maziarksi: My i Niemcy, in: Redakcja Obozu (Hrsg.): Myśli o naszej Europie, o.O. 1986 [Samizdat], S. 34–44.

204  Eine Nation unter anderen rechts Anerkennung. Der dabei immer wieder durchscheinende Antikommunismus, zum Beispiel beim bayrischen Ministerpräsidenten Strauß, sprach gerade die konservativen und radikaleren Kreise der Opposition an.79 Auch die deutlichere Verurteilung des Kriegsrechts durch die Regierung Kohl und erste vorsichtige Gespräche mit Solidarność-Vertretern gewannen eine gewisse Sympathie, vor allem im Vergleich zur vorsichtigen Haltung der Regierung Schmidt.80 Entspannungspolitische Initiativen im Ost-West-Konflikt hingegen, zum Beispiel aus der SPD oder der Friedensbewegung, trafen in oppositionellen Kreisen auf Unverständnis und wurden gar als Desinteresse an Polen gedeutet.81 Verstärkt wurde diese negative Einschätzung der deutschen Sozialdemokratie durch deren Dialogbestrebung mit dem Regime. Als offizielle Delegationen der SPD, wie beispielsweise 1985 unter Beteiligung von Willy Brandt und HansJoachim Vogel, bei Reisen nach Polen nicht das Gespräch mit der Opposition, sondern mit den Generälen suchten82, sah sich Janusz Onyszkiewicz an die Rapallo-Politik der Weimarer Republik erinnert.83 In der Zusammenschau der verschiedenen Beiträge zur deutschen Frage im polnischen Samizdat wird deutlich, dass es nur vor 1980 zu einer zusammenhängenden Debatte kam. Bei allen Kontroversen über die denkbaren Szenarien einer deutschen Wiedervereinigung überwogen letztlich gemeinsame Grundannahmen in der Behandlung des Themas. Die in anderen Fallstudien dieser Arbeit herausgearbeiteten Mechanismen von Impuls und Reaktion, bis hin zur mehrfachen polemischen Erwiderung, griffen hier aus zweierlei Gründen nur begrenzt. Zum einen war die deutsche Frage in ihrem Ausgangspunkt ein exogenes Thema; eine Lösung oder ein Konsens in dieser Frage konnte nur durch eine Stabilisierung des Diskurses erreicht werden. Dies aber hoben – vermeintliche oder tatsächliche – Impulse aus der Bundesrepublik auf, die in der polnischen Opposition sehr genau wahrgenommen wurden. Zum anderen wirkte die

 79 Władysław Dąbrowski: Strauss a sprawa polska, in: Polityka Polska [Samizdat], 2/2 1983, S. 164–167. 80 Dieter Bingen: Die Polenpolitik der Bonner Republik von Adenauer bis Kohl, 1949–1991, Baden-Baden 1998, S. 223–226. 81 Ziemer: „Ostpolitik“, S. 180f. 82 Ebd., S. 182. Im selben Jahr sagten die Grünen eine Delegationsreise nach Polen ab, da ihnen der Kontakt zur Opposition untersagt worden war. Bingen: Polenpolitik, S. 223. 83 Janusz Białołęcki [Janusz Onyszkiewicz]: Czy potrzebna jest nowa Ostpolitik? Polemika z artykulem K. Grodkowskiego „Polska a Niemcy” (TM nr 156)], in: Tygodnik Mazowszy [Samizdat], 10.04.1986, S. 1f., hier S. 1. Dass der SPD-nahe Deutsche Gewerkschaftsbund die neuen staatstreuen Gewerkschaften trotz der Existenz einer Solidarność im Untergrund anerkannte, führte ebenso zum Unmut der Opposition.

Die „deutsche Frage“ und polnische Hoffnungen  205

große Schnittmenge des Themas mit anderen grundsätzlichen Fragen des polnischen politischen Denkens, wie Jalta oder dem Verhältnis zur Sowjetunion, als zusätzliche endogene Anregung. Gerade in der Fragmentierung der polnischen Opposition nach der Verhängung des Kriegsrechts wird deutlich, dass sich die deutsche Frage seit der zweiten Gründungsphase der polnischen Opposition immer wieder und an höchst unterschiedlichen Ansatzpunkten aufgreifen ließ.84 So waren Deutschland und die deutsche Frage seit dem Sommer 1980 wiederholt Thema oppositionellen Interesses, nicht aber einer Debatte. Veränderten polnische Oppositionelle ihre Haltung zur deutschen Wiedervereinigung, fällt auf, wie sehr diese Revision strategisch motiviert war. Sie entsprang abstrakten geopolitischen Szenarien und folgte einer Abwägung zwischen deutscher und sowjetischer Bedrohung. Dabei lassen sich zwar Verweise auf die deutsch-polnische Aussöhnung und den kirchlichen Versöhnungsdiskurs feststellen, die jedoch nicht den Impuls der Debatte ausmachten. Die deutsch-polnische Versöhnung bildete ähnlich wie die Europäisierung der Bundesrepublik einen Hintergrund für zukünftige Überlegungen und trug zum neuen Bild eines Deutschlands bei, das Polen nicht zwingend feindlich gesinnt war. Anspruch dieser Debatte war folglich, eine Verhandlungsposition mit deutschen Vertretern vorzubereiten. Inhaltlich kann diese auf Grund ihrer zumeist ausgewogenen und dialogorientierten Argumentation durchaus als realistisch eingeschätzt werden85, nur gab es aus der Bundesrepublik bis auf eine Äußerung des Jugendverbands der F.D.P. kaum Reaktionen auf diese polnischen Gedankenspiele.86 Auch in Fachzeitschriften war das Interesse an polnischen Antworten auf die deutsche Frage sehr gering, sieht man von zwei Dossiers in Osteuropa und einigen wenigen Artikeln ab.87 Diese deutsche Zurückhaltung ist sicherlich mit der Schwierigkeit deutsch-polnischer Kontakte über die Grenze hinweg zu erklären, erst recht während des Kriegsrechts. Das Regime war zudem stets bemüht, ausländische Kontakte zur Opposition zu verhindern, besonders wenn es sich um politische Vertreter handelte.  84 Vgl. die höchst ambivalenten und letztlich unzusammenhängenden Beispiele bei: Rogaszewska: Niemcy w myśli polskiej opozycji, S. 72–88. 85 Garsztecki: Deutschlandbild, S. 195. 86 O stosunkach, S. 278. 87 Polen und Deutschland. Gedanken polnischer Oppositioneller zur deutschen Wiedervereinigung, in: Osteuropa, 29 (1979), S. A 101–A 105; Helga Hirsch: Das Deutschlandbild in der unabhängigen Presse Polens, in: Osteuropa, 37 (1987), S. A 475–A 491; Xaver Mooshütter: Polens Nachbar im Westen: Deutschland, in: Osteuropa, 29 (1979), S. 137–146; Helga Hirsch: Die Deutsche Frage in der unabhängigen Presse Polens, in: Sozialwissenschaftliche Informationen, 16/3 (1987), S. 191–197.

206  Eine Nation unter anderen Als im Sommer 1989 die Macht der Kommunisten in Polen bröckelte und kurze Zeit später auch die deutsche Frage in Bewegung geriet, bewahrheiteten sich einige Annahmen der polnischen Debatte, wie sie bereits 1977 formuliert worden waren. Helmut Kohl besuchte im November 1989 Polen und traf dort bereits auf Tadeusz Mazowiecki, den ersten nicht-kommunistischen Premierminister Polens nach dem Krieg, der innerhalb weniger Monate vom Oppositionellen zum Staatsmann geworden war. Durch die Öffnung der Berliner Mauer – gleich am ersten Tag des Staatsbesuches – erhielt die deutsche Frage eine plötzliche Aktualität, die in polnischen Regierungskreisen auch wegen Kohls abwartender Haltung für Beunruhigung sorgte.88 Realpolitische Verhandlungstaktik, völkerrechtliches Prozedere und neue Nachbarschaftspolitik standen sich in dieser formativen Phase der deutsch-polnischen Beziehungen gegenüber und widersprachen sich immer wieder.89 So vermischte sich in den folgenden innerpolnischen Debatten Unsicherheit und Sorge mit den drängenden Fragen der vielschichtigen Transformation Polens nach dem Kommunismus. Mazowiecki drängte auf ein eindeutiges Bekenntnis der Bundesrepublik in der Grenzfrage, auch um die lebhafte Debatte zum Thema zu beruhigen.90 Auf die Überlegungen der Opposition griff er dabei jedoch nicht zurück.

4.2 Der „Abschub“ der Deutschen aus der Tschechoslowakei Als der slowakische Historiker und Erstunterzeichner der Charta 77 Ján Mlynárik im Dezember 1978 in der Pariser Exil-Zeitschrift Svědectví seine Thesen zur Aussiedlung der tschechoslowakischen Deutschen vorstellte, berührte er das wohl bedeutendste Tabu der tschechoslowakischen Zeitgeschichte und Erinnerung im „normalisierten“ Sozialismus. Unter dem Pseudonym Danubius attackierte der in Prag lebende Autor die weit verbreitete Meinung, der „Abschub“91 der Sudetendeutschen sei eine unausweichliche und notwendige Folge des Zweiten

 88 Stoklosa: Polen und die deutsche Ostpolitik, S. 515. 89 Andreas Rödder: Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wiedervereinigung, München 2. Aufl. 2009, S. 237. 90 Stoklosa: Polen und die deutsche Ostpolitik, S. 520f. 91 Der tschechische Ausdruck ‚odsun‘ kann mit ‚Abschub‘ oder ‚Transfer‘ übersetzt werden und lehnt sich rechtshistorisch an das Potsdamer Abkommen an. Er steht damit in fundamentalem Widerspruch zur deutschen Rechtsterminologie, die ‚Vertreibung‘ bzw. ‚Flucht und Vertreibung‘ zur Beschreibung dieser Ereignisse verwendet. Solange in diesem Kontext die sachgeschichtlichen Grundlagen und nicht die deutungsgeschichtliche Auslegung derselben behandelt werden, bevorzuge ich den Begriff Zwangsmigration.

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Weltkriegs gewesen, und legte ihn als sowjetisch inspiriertes Versagen tschechoslowakischer Staatlichkeit aus. Während seiner Durchführung in den Jahren 1945 und 1946 blieb eine Debatte über die zunächst spontane, dann staatlich sanktionierte Zwangsmigration der Deutschen aus der Tschechoslowakei aus. Nur einzelne Stimmen erhoben sich gegen die allgemeine Gewalt an den Deutschen, waren die Besatzungszeit und die Brutalität der Nationalsozialisten doch noch zu präsent.92 Die Vergeltung für das selbst erlittene Leid orientierte sich an ethnischen und sprachlichen Unterscheidungskriterien, auch wenn sie von Politikern mit sozialrevolutionären Deutungen verschiedentlich überformt wurde.93 In dieser Polarisierung waren Deutschsprachige entgegen anderslautender Bekenntnisse tschechoslowakischer Politiker Kollaborateure mit dem Nationalsozialismus und Herrscher der Besatzung. Ihr Abschub erschien so, gerade nach dem Februarumsturz 1948, als historische Gerechtigkeit, als Grundlage des neuen Staates der Tschechen und Slowaken und des Weltfriedens.94 Die Zwangsmigration der Sudetendeutschen ist nur ein Beispiel für die umfassenden Bevölkerungstransfers seit Beginn des Zweiten Weltkriegs, bei denen Deutsche, aber auch Polen, Ukrainer, Ungarn, Slowaken und andere Volksgruppen unter sehr unterschiedlichen, zumeist gewaltsamen und ungeordneten, Umständen ihre Heimat verlassen mussten. Erst diese erzwungenen Migrationen führten in Ostmitteleuropa zu ethnisch homogenen Nationalstaaten, die nur noch vergleichsweise kleine Minderheiten kannten.95 Begründeten sie somit eine neue Gestalt von Staatlichkeit in Ostmitteleuropa, konnte die Zwangsmigration nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst nur affirmativ bestätigt werden. Mit seinen Thesen schloss Mlynárik an eine bereits in den 1960er Jahren aufgekommene Debatte an. Während dieser „verspäteten Krise des Stalinismus“96 hatten tschechoslowakische Historiker und Kulturschaffende im Rahmen ihrer

 92 Milan Drápala: Glosse am Rande eines großen Themas. Die Aussiedlung der Deutschen und Deutschland in der tschechischen nichtsozialistischen Presse 1945–1948, in: Christoph Cornelißen/Roman Holec/Jiří Pešek (Hrsg.): Diktatur, Krieg, Vertreibung. Erinnerungskulturen in Tschechien, der Slowakei und Deutschland seit 1945, Essen 2005, S. 355–367. 93 Claudia Kraft: Recollecting Expulsion. Locating German Refugees in Polish and Czech Memories, in: Dan Diner/Gotthart Wunberg (Hrsg.): Restitution and Memory. Material Restoration in Europe, New York 2007, S. 273–300, hier S. 275. 94 Tomáš Staněk: Odsun Němců z Československa 1945–1947, Prag 1991, S. 19. 95 Dieser Zusammenhang wurde in den letzten Jahren besonders durch Beiträge zur Gewaltgeschichte Mittel- und Osteuropas zwischen 1938 und 1948 herausgestellt. Vgl. Norman M. Naimark: Fires of Hatred. Ethnic Cleansing in Twentieth-Century Europe, Cambridge, Mass. 2002, S. 112–114; Snyder: Bloodlands, S. 298. 96 Ekiert: The State, S. 130.

208  Eine Nation unter anderen begrenzten Möglichkeiten begonnen, den „Abschub“ als moralisches Problem zu behandeln. Seit den frühen 1950er Jahren war die Geschichte der Zwangsmigration in der Bundesrepublik und auch im tschechoslowakischen Exil unter verschiedenen Vorzeichen erforscht worden97, wobei die tschechoslowakische Historiographie diese Ergebnisse nur in einem kurzen Zeitfenster vor dem Prager Frühling rezipierte.98 Sie stellte zwar nicht die Notwendigkeit der Zwangsmigration in Frage, zeigte aber deutsch-tschechische Gegensätze aus der Vorkriegszeit auf, die sich in den Ereignissen im Grenzland entluden.99 War es im Zuge der „Normalisierung“ der Tschechoslowakei nicht möglich, zur Zwangsmigration der Sudetendeutschen zu forschen, handelte es sich dabei für die tschechoslowakische Opposition und die zahlreichen im Samizdat tätigen unabhängigen Historiker um ein offensichtliches und anschlussfähiges Thema. Kurz nach ihrer Veröffentlichung wurde heftig darüber gestritten, ob Mlynáriks Thesen ursprünglich als Dokument der Charta 77 vorgesehen waren. Kritiker behaupteten zum Beispiel, der Text sei von den Sprechern der Charta diskutiert worden, diese hätten sich aber nicht auf eine Veröffentlichung als Diskussionsanregung der Menschenrechtsbewegung einigen können.100 Ladislav Hejdánek, einer der Sprecher der Charta 77 in dieser Zeit, dementierte ein solches Vorhaben umgehend101, wogegen Mlynárik Jahre später detailliert über Kontakte zu den Sprechern der Charta 77 berichtete, aus denen letztlich doch

 97 Mathias Beer: „Flucht und Vertreibung“. Eine deutsche Streitgeschichte, in: Peter Haslinger/K. Erik Franzen/Martin Schulze Wessel (Hrsg.): Diskurse über Zwangsmigrationen in Zentraleuropa. Geschichtspolitik, Fachdebatten, literarisches und lokales Erinnern seit 1989, München 2008, S. 261–277, hier S. 264–268; Staněk: Odsun Němců, S. 20f. 98 Ein auch von Mlynárik angeführtes Beispiel war eine in der Zeitschrift Host nachgedruckt Debatte aus dem Jahr 1967. Vgl. Trialog o roce 1945 (Diskuse historika Milana Hübla, spisovatele Jana Procházky a redaktora časopisu Host do domu Vladimíra Blažka), in: Bohumil Černý/Jan Křen/Václav Kural/Milan Otáhal (Hrsg.): Češi, Němci, odsun. Diskuse nezávislých historiků, Prag 1990, S. 33–43. 99 Bradley F. Abrams: Morality, Wisdom and Revision. The Czech Opposition of the 1970s and the Expulsion of the Sudeten Germans, in: East European Politics and Societies, 9 (1995), S. 234–255, hier S. 236. 100 Vgl. Milan Hübl: Glosy k Danubiovým tézím o vysídlení Němců, 5.2.1979, o.O. 1979 [Samizdat], S. 1. Hübl, der wie Mlynárik zu den ersten Unterzeichnern der Charta 77 gehörte, habe sich persönlich gegen eine solche Veröffentlichung des Textes ausgesprochen. 101 Ladislav Hejdánek: Dopis příteli. 3. řada 1979, dopis č. 4/44, in: Černý/Křen/Kural/Otáhal (Hrsg.): Češi, Němci, odsun, S. 144–158, hier S. 145–149; Petr Uhl: Spor historiků o vysídlení německého obyvatelstva z Československa po druhé světové válce. /Milan Hübl a Luboš Kohout versus Danubius , in: Informace o Chartě 77 [Samizdat], 2/4 (1979), S. 12.

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keine Publikation entstanden sei.102 Ähnlich distanziert war die Aufnahme der Thesen im tschechoslowakischen Exil. Nachdem Svědectví schon zuvor einen Beitrag von Petr Příhoda zur Zwangsmigration abgedruckt hatte103, nahm der Chefredakteur der Zeitschrift, Pavel Tigrid, die Thesen im Alleingang in die Publikation auf, woraufhin sich die Redaktion vom Inhalt des Textes distanzierte und geschlossen zurücktrat.104 Mlynárik beschäftigten weniger die Geschehnisse der Zwangsmigration als ihr Platz in der tschechoslowakischen Geschichte und ihre Bewertung in Gesellschaft und Wissenschaft. Tschechoslowakische Historiker hatten aus seiner Sicht zur staatlich verordneten Tabuisierung des Abschubs beigetragen und nahmen sie geradezu als „Selbstverständlichkeit“105 hin. Einen ähnlichen Vorwurf richtete Mlynárik an die unabhängige Historiographie, die sich in den späten 1970er Jahren erst entwickelte und in späteren Jahren immer wieder staatliche Deutungsmuster in Frage stellte. Auch diese unabhängige Geschichtsschreibung habe das Thema Zwangsmigration bislang aus Sorge vor Repressalien und wegen fehlenden Quellenmaterials vermieden, so dass es nur den bedingt objektiven Forschern im Exil oder der Bundesrepublik überlassen worden sei, das Thema zu bearbeiten. Die Gesellschaftswissenschaften hätten aber, das machte der anonyme Danubius deutlich, in dieser Situation eine Verantwortung, sich des Themas anzunehmen und so die Schuld der Nation anzunehmen.106 Wissenschaft stellte sich so für Mlynárik als Korrektiv gesellschaftlicher Fehlentwicklungen dar, als eine treibende und moralisch verpflichtete Institution. Im Vergleich zu den zahlreichen Bevölkerungstransfers im 20. Jahrhundert übertraf, so Mlynárik, die Zwangsmigration der Deutschen aus der Tschechoslowakei und aus Ostmitteleuropa das zuvor Bekannte. Was ihre Masse, den Umfang und die Brutalität betreffe, unterschied Mlynárik die Geschehnisse der Jahre 1945 und 1946 auch von den sowjetischen Vorbildern, an die sie angelehnt seien. Gerade aber das „Prinzip der ‚Kollektivschuld‘“ aller Deutschen stelle die ostmitteleuropäische Praxis auf ideologischer Ebene heraus.107 Ent 102 Ján Mlynárik: Causa Danubius, Prag 2000, S. 352. 103 Jan Příbram: Příběh s nedobrým koncem (výňatky), in: Svědectví, 14/55 (1978), S. 371–395. 104 Petr Pithart/Petr Příhoda: Die verdrängte, abgeschobene Geschichte, in: Dies. (Hrsg.): Die abgeschobene Geschichte. Ein politisch-historisches Lesebuch, München 1999, S. 23–45, hier S. 38. 105 Danubius [Ján Mlynárik]: Tézy o vysídlení československých Nemcov, in: Svědectví, 15/57 (1978), S. 105–122, hier S. 106. 106 Ebd., S. 106f. 107 Ebd., S. 105f., Zitat: S. 106.

210  Eine Nation unter anderen scheidend in dieser Betrachtung der Zwangsmigration war, dass Mlynárik die Rolle der Sudetendeutschen aus tschechoslowakischer Perspektive veränderte, sie von Akteuren zu Objekten der Handlung werden ließ. Deutsche Taten während der Besatzung oder die Zwangsmigration von Tschechen aus den 1938 an das Reich angeschlossenen Gebieten erwähnte er zwar; sie waren aber für seine Argumentation nebensächlich.108 In Mlynáriks Gedankengang waren die Opfer der Zwangsmigration „tschechoslowakische Bürger deutscher Nationalität“109 und zuallererst Individuen. Anders als die Kollektivschuldthese, nach der die Deutschen in der Tschechoslowakei in ihrer Gänze Anhänger der Sudetendeutschen Partei Konrad Henleins und des Nationalsozialismus gewesen waren, differenzierte er zwischen Tätern und Unschuldigen. Nur die juristische Verfolgung der individuellen Täter stellte so eine moralisch vertretbare Alternative zur verallgemeinernden Praxis des Abschubs dar.110 Die Deutschen in den böhmischen Ländern verstand Mlynárik als „Zivilisation“ oder „Kulturgemeinschaft“111, die seit dem 13. Jahrhundert in diesen Gebieten heimisch war und zu deren Entwicklung einen wichtigen Beitrag geleistet habe. Mit diesen Anleihen an ein traditionelles Verständnis deutscher Ostsiedlung und dem Verweis auf das „Heimatrecht“112 der Sudetendeutschen rückte Mlynárik sich selbst in die Nähe der bundesdeutschen Vertriebenenverbände113, auch wenn er Heimat auf die allgemeinen Menschenrechte zurückführte. Diese Argumentation folgte so oppositionellen Kerninhalten und einer sinnweltlichen Eigenlogik, mit der die Zwangsmigration der Deutschen aus der Tschechoslowakei zu einem greifbaren, relevanten Problem wurde, vor dem die Staatsräson zurücktreten musste. In dieser Einordnung der Deutschen in den böhmischen Ländern erschien in der Perspektive einer langen Dauer nicht nur die nationalsozialistische Besatzung, sondern auch die direkte Nachkriegszeit als Kontinui-

 108 Vgl. ebd., S. 110. 109 Ebd., S. 108. 110 Ebd., S. 110. 111 Ebd., S. 108. 112 Im Original: „práv[o] na domov, práv[o] na vlast“ [„Recht auf eine Heimstätte, Recht auf eine Heimat/ein Vaterland“] Ebd., S. 122. 113 Das „Recht auf Heimat“ war eine moralisch aufgeladene Rechtsposition, die besonders von den Vertriebenenverbänden seit den 1950er Jahren angeführt wurde. Die Verbände bemühten sich erfolglos dieser Rechtsvorstellung internationale Anerkennung zu verschaffen, so dass sie als ideologisch belastete und populistisch verwendete Vorstellung im deutschostmitteleuropäischen Verhältnis für Belastungen sorgte. Vgl. Andrew Demshuk: The Lost German East. Forced Migration and the Politicis of Memory, 1945–1970, Cambridge 2012, S. 63– 95.

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tätsbruch und als Anomalie in einer Geschichte, die von Integrationswillen und Loyalität geprägt war.114 Ohne es klar zu benennen und eher beiläufig formulierte Mlynárik dabei ein Bild der tschechoslowakischen Nation, das auf territorialer Zusammengehörigkeit und staatsbürgerlicher Loyalität beruhte. Historisch warf dies die Frage nach der Nationalitätenpolitik der Ersten Tschechoslowakischen Republik auf, die auch in anderen Debatten über Geschichte und Nation im oppositionellen Diskurs immer wieder thematisiert wurde. Mlynáriks indirektes Sichtbarmachen von Widersprüchen zwischen den verfassungsrechtlichen Normen einer politischen Nation und der staatlichen Praxis eines ethno-linguistischen Nationsbegriffes wurde im tschechischen Samizdat bereits von Jan Patočka aufgeworfen und ist ähnlich in der neueren Forschung thematisiert worden.115 Mlynárik verwies ebenso auf die Diskriminierung der deutschen Minderheit nach 1945116, ein öffentlich tabuisiertes Thema. Beobachtungen zur Minderheitenpolitik der Ersten Republik und der ersten Nachkriegsjahre erhielten so auch Aussagekraft für die Verhältnisse in der zeitgenössischen Tschechoslowakei. Diesen Perspektivwechsel von einer monolithischen zu einer differenzierteren, teils gar individualisierten Betrachtung der Sudetendeutschen setzte Mlynárik nicht in gleicher Weise für die Urheber der Zwangsmigration nach Kriegsende fort. Er benannte immer wieder Repräsentanten der tschechoslowakischen Nachkriegsordnung, wie Staatspräsident Edvard Beneš, als Verantwortliche für die Art und Weise der Zwangsmigration117, differenzierte aber bei der Ausübung von Gewalt nicht durchgängig und wurde auch wegen des pointierten Stils seines Beitrags nur wenig konkret. Seine Schlussworte – „Unsere Schuld müssen wir mit voller Haftbarkeit selbst aufarbeiten, wenn wir keine weitere Wiederholung der Ereignisse dieser Tragödie erleben wollen.“118 – verweisen auf eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die Zwangsmigration, wogegen Mlynárik die Formulierung einer tschechoslowakischen Kollektivschuld explizit ablehnte.119 In dieser Argumentation sind die Parallelen zum bundesdeutschen Holocaust-Diskurs kaum zu übersehen, auch wenn ein kon 114 Vgl. Danubius: Tézy o vysídlení, S. 108f. 115 Vgl. zu Patočka Kapitel 2.2 und zur neueren Forschung: Jaroslav Kučera: Politický či přirozený národ? Pojetí národa v československém právním řádu meziválečného období, in: Český časopis historický, 99 (2001), S. 548–568; Peter Haslinger: Nation und Territorium im tschechischen politischen Diskurs. 1880–1938, München 2010. 116 Danubius: Tézy o vysídlení, S. 113. 117 Ebd., S. 114. 118 Ebd., S. 122. 119 Ebd., S. 118.

212  Eine Nation unter anderen kreter Verweis ausblieb und ein Transfer von Diskursmustern nicht explizit erfolgte. Dass Mlynárik, wie viele andere tschechoslowakische Historiker auch, den Forschungsstand der westdeutschen Geschichtswissenschaft kannte, ist jedoch aus seinem Text ersichtlich. Der 1933 geborene und dadurch generationell von den Akteuren der unmittelbaren Nachkriegszeit abgegrenzte Mlynárik plädierte für eine Revision der diskursiv wirkmächtigen Geschichtsinterpretationen der unmittelbaren Nachkriegszeit und eine gesellschaftliche Selbstreflexion mit Konfliktpotential. Ein solcher Revisionismus durch die direkt nachfolgende Generation wirkte als politisches Argument. Für die historische Deutung des Holocaust in der Bundesrepublik haben Daniel Levy und Natan Sznaider besonders auf den Einfluss neuer sozialer Bewegungen hingewiesen, die die sinnweltliche Zukunfts- und Fortschrittseuphorie ihrer Zeit aufbrachen und so Perspektiven einer veränderten Geschichtsbetrachtung eröffneten.120 Auch wenn der Vergleich der öffentlichen Opposition in der Tschechoslowakei oder Ostmitteleuropa im Allgemeinen mit diesen neuen sozialen Bewegungen hier nicht weiter vertieft werden kann121, ist die Dekonstruktion hegemonialer Zukunftsrhetorik durch einen selbstreflexiven Geschichtsdiskurs eine in der Forschung bislang vernachlässigte Parallele. Inhaltliche Revision und dynamische Handlung fallen dabei zusammen. So erkannte Mlynárik in der Zwangsmigration der Deutschen die Hintergründe einer tschechoslowakischen Katastrophe, die bis in die eigene Gegenwart reiche. Die Zwangsmigration sei Ursprung einer Brutalisierung und Entmenschlichung der tschechoslowakischen Gesellschaft im Sozialismus und habe moralisch und materiell die Grundlagen des Staates zerstört.122 Zudem festigte der Abschub der Deutschen die Zugehörigkeit der Tschechoslowakei zum sowjetischen Einflussbereich, was letztlich nur einer zweiten, auf die Protektoratszeit folgenden Besatzung gleichkomme.123 Seine Schlussfolgerung lautete dementsprechend: „Die Aussiedlung der tschechoslowakischen Deutschen ist nicht nur eine deutsche Tragödie, sondern auch unsere Tragödie.“124 Der Abschub und seine anhaltende Rechtfertigung waren somit ein Verrat der  120 Daniel Levy/Natan Sznaider: Erinnerung im globalen Zeitalter. Der Holocaust, Frankfurt am Main 2. Aufl. 2007, S. 116–118. 121 Darüber hinaus wurde er gerade von der politikwissenschaftlichen Forschung der 1980er und 1990er Jahre ausführlich untersucht. Vgl. Hubertus Knabe: Neue soziale Bewegungen im Sozialismus, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 40 (1988), S. 551–569; Fehr: Unabhängige Öffentlichkeit. 122 Danubius: Tézy o vysídlení, S. 120–122. 123 Ebd., S. 119. 124 Ebd., S. 122.

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politischen, tschechoslowakischen Nation an sich selbst und der Ursprung einer als totalitär wahrgenommenen tschechoslowakischen Gegenwart. Wie brisant Mlynáriks Thesen waren, zeigt sich an den vielfältigen und zeitnahen Reaktionen auf seinen Text in der Tschechoslowakei, auch wenn dieser im Exil veröffentlicht wurde. Am 7. Februar 1979 verhörte die Staatssicherheit in Prag Aktivisten der Charta 77 und versuchte sie zu verunsichern. In einem Bericht in den Informace o Chartě 77 legte Petr Uhl diese Verhöre als Versuch aus, die Unterzeichner der Charta zu entzweien und über dieses Thema Misstrauen zu schüren.125 Gut zwei Wochen später stellte die Parteizeitung Rudé Právo Danubius in die Nähe bundesdeutscher Vertriebenenorganisationen und deren aus der staatlichen Propaganda wohl bekannten revanchistischen Umtriebe. Dass dieser unbekannte Historiker, der dazu auch noch im Westen publizierte, zugleich Unterzeichner der Charta 77 war, zeige nur „wem sich diese Anhänger der Menschenrechte schon heute andienen“.126 Das Regime hatte erkannt, dass die Danubius-Thesen Potential boten, die tschechoslowakische Opposition mit Hilfe nationalistischer Grundannahmen zu diskreditieren, so dass sich die Charta 77 genötigt sah, jeden Zusammenhang zu dementieren.127 Kurze Zeit später, am 22. Februar, strahlte der amerikanische Radiosender Voice of America Teile des Textes in seinem tschechischen Programm aus128, um so die Informations- und Deutungshoheit der offiziellen Medien zu brechen. Die Debatte um die Thesen zur Aussiedlung der tschechoslowakischen Deutschen entwickelte in den folgenden Wochen ihre eigene Dynamik. Eine solche Kritik an Mlynáriks Überlegungen aus einer betont nationalen Perspektive heraus war nicht bloß auf offizielle Publikationen beschränkt. In der wohl ersten oppositionellen Stellungnahme zum Text ging der reformkommunistische Historiker Milan Hübl, den Mlynárik selbst noch als Vordenker seiner Thesen benannt hatte129, Danubius und dessen „moralische Aburteilung der tschechischen Nation“130 an. Hübl verfasste im Februar und März 1979, also wenige Wochen nach deren Erscheinen, insgesamt drei Glossen über die Danubius-Thesen, die zunächst als Skripte in loser Form in Prager Dissidentenkreisen kursierten und teils später im Exil nachgedruckt wurden. Mlynáriks Text selbst wurde rasch als Typoskript oder von Hand abgeschrieben

 125 Uhl: Spor historiků. 126 Karel Douděra: Pozoruhodná souhra, in: Rudé Právo, 19.02.1979. 127 Uhl: Spor historiků. 128 Hejdánek: Dopis příteli, S. 145. 129 Danubius: Tézy o vysídlení, S. 107. 130 Hübl: Glosy k Danubiovým tézím, S. 1.

214  Eine Nation unter anderen verbreitet und provozierte unmittelbare, aufeinander folgende Reaktionen, wie die zumeist datierten Beiträge anderer Oppositioneller zeigen. Im Disput tschechoslowakischer Intellektueller hatten Block- und Landesgrenzen offensichtlich keine einschränkende, sondern höchstens eine verzögernde Wirkung. War das Regime in den 1970er Jahren sehr bemüht, den Einfluss des literarischen Exils durch „Stellvertreterproze[sse]“131 gegen heimische Autoren, die Kontakte zum Exil unterhielten, zu begrenzen, steht die Danubius-Debatte für einen strukturellen Wandel des nonkonformen Publikationswesens. Samizdat und Exil griffen hier ineinander132 und ermöglichten einen Einfluss im jeweils anderen Zusammenhang. Für die Opposition bot das Exil darüber hinaus auch einen Zugang zu westlichen Debatten, deren Erkenntnisse und Tendenzen einerseits rezipiert wurden und andererseits selbst beeinflusst werden konnten.133 Hübls Glossen zeugten von einer ausgesprochen engagierten und persönlichen Behandlung des Themas Zwangsmigration und glitten immer wieder in persönliche Anfeindungen unter gut miteinander bekannten Historikern ab. Folgt man Ján Mlynáriks Darstellung aus dem Jahr 2000, ging dem schriftlichen Konflikt ein mündlicher in Mlynáriks Prager Wohnung voraus, bei der Hübl explizit nach dem Urheber der Thesen fragte und seinen Kollegen Mlynárik verdächtigte.134 In einer „persönlichen Glosse“ wird dieser aggressive Ton besonders deutlich, als Hübl gegen Danubius’ slowakische Perspektive und dessen Schweigen über die Zwangsmigration der slowakischen Karpatendeutschen polemisierte.135 Die Schärfe dieser Bemerkungen lässt sich nicht ausschließlich mit Mlynáriks revisionistischen Thesen erklären, sondern bezieht sich auf die nationale Spannung innerhalb der Debatte. Für den Tschechen Hübl war es eine Provokation, dass der Slowake Danubius auf Slowakisch den Tschechen in ihrer Gesamtheit moralische Vorhaltungen über den Abschub machte. Diese Ein-

 131 Kliems: Der Dissens und seine Literatur, S. 238. 132 Zu den Kommunikationskanälen zwischen beiden Räumen: Spiritova: Hexenjagd, S. 294– 314. 133 Mlynáriks Thesen und Hübls erste Glossen wurden beispielsweise 1979 im Deutschland Archiv nachgedruckt, wobei die Veröffentlichung in Svědectví als Vorlage diente. Eine Einleitung und vermutlich auch die Übersetzung der Texte besorgte der 1968 aus der Tschechoslowakei emigrierte Politikwissenschaftler Adolf Müller. Vgl. Ders.: Die Vertreibung der Deutschen. Ein Diskussionsthema der tschechoslowakischen Opposition, in: Deutschland Archiv, 12 (1979), S. 711. 134 Mlynárik: Causa Danubius, S. 348–350. Mlynárik führt die Umstände des Treffens in einiger Ausführlichkeit aus; Hübl habe herumgeschrien und den Staatspräsidenten Gustav Husák hoch gelobt. 135 Hübl: Glosy k Danubiovým tézím, S. 1.

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schätzung erwuchs nur zu einem Teil aus den eigentlichen Thesen, sondern bezog sich vielmehr auf einen vorherigen Leserbrief Danubius’ an die Redaktion von Svědectví, in der dieser eine Unterdrückung der Slowaken durch die tschechische Mehrheit als Folge des Tschechoslowakismus anprangerte. Dabei entwickelte Mlynárik seine Verurteilung des Abschubs nicht aus einer deutschtschechischen, sondern einer tschechisch-slowakischen Beziehungsperspektive. Wenn die Tschechen sich mit diesem Verbrechen der Sowjetunion angedient hätten, müssten sie nun auch alleine die möglichen Folgen einer Revision des Status quo tragen.136 Solche tschechisch-slowakischen Spannungen zogen sich quer durch die folgende Debatte. Mlynárik warf Hübl kurz nach der Veröffentlichung der Glossen selbst tschechischen Nationalismus vor, ohne sich aber als Autor der Thesen zu erkennen zu geben137, ein Versteckspiel, das er mindestens ein weiteres Mal wiederholte.138 Die Form, sich unter Klarnamen und auf Tschechisch zu Wort zu melden, also in seinem Einspruch zu Hübl sein Pseudonym Danubius als andere Person erscheinen zu lassen und Hübl gleichzeitig vorzuwerfen, er kenne den tatsächlichen Autor der Thesen durchaus persönlich, ist nur eine weitere Groteske dieser polemisch geführten Debatte.139 Milan Hübl wiederum sprach dem zu diesem Zeitpunkt noch anonymen Danubius die Wissenschaftlichkeit seiner Thesen ab und kritisierte das methodische Vorgehen dieses „politischen Pamphlets“.140 Unterstützung erhielt seine Kritik von verschiedenen Historikern und Dissidenten, wobei sich nicht alle des gleichen konfrontativen Tons bedienten. Trotz aller Bekundungen waren dabei weniger hermeneutische Prinzipien oder die wissenschaftliche Arbeitsweise Stein des Anstoßes als die „aus der Position eines moralischen Absolutismus und des Puritanismus“141 vorgetragene Argumentation Mlynáriks. So wider 136 Danubius [Ján Mlynárik]: Milá redakcia! (část dopisu), in: Svědectví, 13/54 (1977), S. 325– 327. Hübl nimmt hierauf explizit Bezug: „Es war wohl ein Fehler, dass diese primitive Auffassung über die tschechisch-deutschen Beziehungen letztlich ohne Antwort blieb, so dass sie sich jetzt letztlich zu Thesen ausgewachsen hat.“ Hübl: Glosy k Danubiovým tézím, S. 1. 137 Ján Mlynárik: Sine ira et studio. K Hüblovým glosám [08.04.1979], in: Černý/Křen/Kural/Otáhal (Hrsg.): Češi, Němci, odsun, S. 126–133, hier S. 127. 138 In einem zweiten Text gab sich Mlynárik konzilianter. Er verwies sogar auf kleinere sachliche Fehler in den Danubius-Thesen. Vgl. Ján Mlynárik: Téma pro pana Vaculíka. Například vdovci [01.04.1979], in: Černý/Křen/Kural/Otáhal (Hrsg.): Češi, Němci, odsun, S. 155–158. 139 In seinem 2000 erschienenen Band Causa Danubius geht Mlynárik nicht weiter auf diese Frage ein und bezeichnet die Kommentare seiner eigenen Texte als Rückblick. Ders.: Causa Danubius, S. 370. 140 Hübl: Glosy k Danubiovým tézím, S. 1f. 141 Luboš Kohout: Kritické poznámky k tezím Danubia, in: Černý/Křen/Kural/Otáhal (Hrsg.): Češi, Němci, odsun, S. 134–143, hier S. 136.

216  Eine Nation unter anderen sprach Hübl vehement Mlynáriks Bewertung der historischen deutschen Minderheit, die gegenüber der Ersten Tschechoslowakischen Republik nicht loyal gewesen sei und deren Teilhabe am Nationalsozialismus keinen Kontinuitätsbruch darstelle. Dazu führte er neuere westdeutsche Forschungsbeiträge an.142 Er vermied jedoch eine klare Aussage zur Kollektivschuldthese, was nicht nur Ján Mlynárik als Billigung der These auslegte.143 Hübl unterlegte seinen Widerspruch gegen eine abstrakt-moralische Betrachtung der Ereignisse in den tschechoslowakisch-deutschen Grenzgebieten auch mit persönlichen Schilderungen der deutschen Besatzung. Nur durch die Vorgeschichte deutscher Brutalität könne man die Dynamik der wilden Vertreibungen erklären.144 Mit seiner Einschätzung, der Abschub der Deutschen sei schlicht notwendig gewesen, orientierte sich der ehemalige Leiter der Parteihochschule Hübl offenkundig am staatlichen Narrativ des Abschubs und an den ihn entschuldigenden Deutungen.145 Ähnliche Gegensätze bestanden hinsichtlich der Staatsbürgerschaft der vertriebenen Sudetendeutschen. Hübl bestritt die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft der Sudetendeutschen unter Verweis auf das Münchener Abkommen vehement und sah so einen der Gedankengänge der Thesen ausgehebelt.146 So wurden Besatzer abgeschoben und nicht Nachbarn. In der Debatte erhielt Hübl kaum Zuspruch für diese Auslegung.147 Jan Sýkora wies in einem SamizdatBeitrag aus dem Jahr 1982 darauf hin, dass diese Unterscheidung keine bloß legalistische sein könne, sondern das „Prinzip der ‚politischen Nation‘“ ablehne.148 Die Frage, welcher Status Sudetendeutschen als Gesamtgruppe sowohl in der Ersten Republik als auch während ihrer Zwangsmigration eigentlich zukam, wurde zu einem nationalen und konzeptionellen Bekenntnis. Sýkora verband die Dichotomie zwischen politischer und ethnischer Nation mit Ausführungen über „totalitäre Tendenzen“ innerhalb der Charta 77. Ähnlich wie in der Debatte über Petr Pitharts Versuch über die Heimat oder das Vaterland oder vergleichbaren Debatten in den anderen untersuchten Ländern vermischte sich hier die Anschauung des Gegenstands mit der Strukturierung der daraus resultierenden  142 Hübl: Glosy k Danubiovým tézím, S. 1–3. Hübl führte dazu eine Arbeit des Kölner Politikwissenschaftlers Karl J. Newman an. 143 Mlynárik: Sine ira et studio, S. 129f. Vgl. Hejdánek: Dopis příteli, S. 147. 144 Milan Hübl: Glosy k vysídlení československýcch Němců [25.04.1979], in: Černý/Křen/Kural/Otáhal (Hrsg.): Češi, Němci, odsun, S. 91–133, hier S. 104–106. 145 Beata Blehova: Der Fall des Kommunismus in der Tschechoslowakei, Wien 2006, S. 57f. 146 Hübl: Glosy k, S. 120. 147 Der Widerspruch hingegen war vielfältig: Hejdánek: Dopis příteli, S. 147. 148 Sýkora: Pithartův „Pokus o vlast“, S. 83.

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Auseinandersetzung. Die Ablehnung einer heterogenen politischen Gemeinschaft in der Vergangenheit zog folglich die Ablehnung einer solchen Konstellation in der oppositionellen Gegenwart nach sich. Eine Unterscheidung zwischen einer fachhistorischen und einer intellektuellen Debatte ist in Anbetracht der unterschiedlichen Diskutanten durchaus nahe liegend149, geht aber an der eigentlichen Argumentation vorbei. Beide Ebenen der Debatte überlappten sich, wobei die Vergangenheitsdeutung und ihre Implikationen für die Gegenwart im Vordergrund standen. Gegen solche essentiellen Nationsvorstellungen legte ein Autorenkollektiv unter dem Pseudonym „Bohemus“ eine eigenständige Weiterentwicklung der Danubius-Thesen vor, die Anfang 1980 in der Züricher Exilzeitschrift Právo lidu (Recht des Volkes) erschien und daraufhin in Abschrift in der Tschechoslowakei kursierte. Toman Brod, Jiří Doležal, Milan Otáhal, Petr Pithart, Miloš Pojar und Petr Příhoda arbeiteten sich nicht im Detail an der bisherigen Debatte ab, sondern verteidigten Mlynáriks Thesen und deren moralischen Impetus als solchen. Darin eingebettet legten die Autoren eine eigene Darstellung der tschechisch-deutschen Geschichte vor. Diese hob sich von der Mehrheitsdarstellung tschechischer Nationalgeschichte durch die Gegenüberstellung des Leids beider Volksgruppen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und einer Kritik der sprachbasierten Nationszuschreibung ab.150 Statt einer Kollektivschuld erkannten auch sie im Abschub einen ethischen, rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Verlust, der den real existierenden Sozialismus in der Tschechoslowakei erst in seiner bekannten Form ermöglichte.151 Bohemus nahm als Autorenkollektiv vieles an kritischer Reflexion des tschechischen Nationalismus vorweg, was Otáhal, Pithart und Příhoda ab 1988 zur Geschichte der Tschechen in der Neuzeit im Samizdat veröffentlicht sollten, wie im dritten Kapitel bereits aufgezeigt wurde. Auch wenn sich das Autorenkollektiv moralischer Kategorien enthielt, zielte seine Geschichtsbetrachtung auf die tschechoslowakische Demokratie.152 Ähnlich wie bei Mlynárik war Geschichte so kein rein wissenschaftlicher Forschungsgegenstand, sondern zugleich die Projektionsfläche oppositioneller Fragestellungen der Gegenwart.

 149 Vgl. Kraft: Recollecting Expulsion, S. 279f. 150 Bohemus [Toman Brod/Jiří Doležal/Milan Otáhal/Petr Pithart/Miloš Pojar/Petr Příhoda]: Stanovisku k odsunu Němců z Československa, in: Černý/Křen/Kural/Otáhal (Hrsg.): Češi, Němci, odsun, S. 179–202, hier S. 184 und 190. 151 Ebd., S. 191 und 197–200. 152 Ebd., S. 202.

218  Eine Nation unter anderen Anders als Danubius argumentierte Bohemus aus einer dezidiert tschechischen Perspektive, benannte die „tschechische Nation“153 als Handelnden und beschränkte die Verwendung des Tschechoslowakischen auf die Staatsbezeichnung. Milan Hübl hatte diese Fokussierung als Provokation empfunden, wogegen das Autorenkollektiv in seiner kritischen Betrachtung der eigenen, nationalen Geschichte das Tschechische als Ausgangspunkt nahm. Eine solche Gewissenserforschung gehen die Autoren hinter Bohemus, der sich schon durch seinen Namen und den Bezug auf den mythischen Ahnvater Čech154 vom Slowaken und Donau-Anrainer Danubius155 abgrenzt, als Tschechen an. Performativ zeigen sie damit die Grenzen einer tschechoslowakischen Nationsvorstellung auf, auch wenn Mlynárik genau diese vertrat. In der zu dieser Zeit auf die tschechischen Landesteile und besonders auf Prag konzentrierten Opposition war dieser Widerspruch zur Gesamtstaatlichkeit wenig kontrovers. Die Konfliktlinien der Debatte, besonders die Nähe der Argumentation Milan Hübls zu staatstragenden Deutungen der Zwangsmigration und sein gleichzeitiges Eintreten für eine nicht weiter ausgeführte Form des Tschechoslowakismus, lassen zudem die Heterogenität der Opposition erkennen. So lässt sich die Unterzeichnung der Charta 77 nicht mit einer radikalen Ablehnung der sozialistischen und tschechoslowakischen Staatlichkeit gleichsetzen. Bohemus und Danubius verbanden beide einen erinnerungskulturellen Revisionismus mit den politischen Implikationen oppositionellen Denkens. Hierin kreuzten sich die Ebenen tschech(oslowak)isch-deutscher Beziehungen, des tschechischen Nationsverständnisses und der oppositionellen Infragestellung des Regimes. Die Gegenwart der normalisierten Tschechoslowakei war so ein zweiter, indirekter Gegenstand der historischen Reflexionen, ohne den die unterschiedlichen Konfliktpunkte nicht zu verstehen waren.156 Mlynáriks Thesen suchten letztlich nach Erklärungen, warum sich in der Tschechoslowakei ein

 153 Ebd., S. 195. So sprechen die Autoren auch von der „tschechischen Gesellschaft“ und den „tschechischen Deutschen“. 154 Die Figur des Čech ist Teil der Sage von den drei Brüder Čech, Lech und Rus, die die Urahnen der slawischen Völker seien. Bohemus ist entsprechend die latinisierte Fassung des Namens, kann aber auch ‚Böhme‘ oder ‚Tscheche‘ bedeuten. Vgl. Die Sage vom Urvater Tschech, in: Alois Jirásek, Böhmens alte Sagen. Prag 1963, S. 17–26. 155 Mlynáriks Pseudonym spielt auf die Donau als slowakischen Grenzfluss an, der nicht durch Tschechien fließt. 156 Taku Shinohara: Historical Consciousness and Civil Ethics. Debating the „Painful Past“ and Reviving „Central Europe“ among Dissident Circles in the 1980s, in: Tadayuki Hayashi (Hrsg.): Regions in Central and Eastern Europe. Past and Present, Sapporo 2007, S. 231–253, hier S. 237.

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diktatorisches, kommunistisches Regime durchsetzen konnte, und fanden sie in der Zwangsmigration der Deutschen. Dass er dabei eine Kontinuität zwischen antideutscher Politik, die sich seit dem Münchener Abkommen anbahnte, und der Nachkriegszeit feststellte, widersprach zum einen den allgemein angenommenen Zäsuren der neuesten tschechischen Geschichte und zum anderen der in den 1950er Jahren von Zdeněk Nejedlý entwickelten Denkfigur einer Kontinuität positiver tschechischer Eigenschaften in der kommunistischen Bewegung.157 Die Debatte über die Thesen Danubius’ erregten nicht nur oppositionelle Gemüter ausgesprochen stark. Ihre Kernbeiträge lassen sich in einem lebendigen Wechselspiel zwischen den einzelnen Kontrahenten in der ersten Jahreshälfte 1979 feststellen, in der Texte oftmals mit Datum versehen wurden und der Verweis darauf, welche Kommentare bereits bekannt seien und von welchen man nur gehört haben könne, zur Selbstverortung der Diskutanten gehörte.158 Eine solche Dynamik ist dabei nur durch die räumliche Konzentration auf die oppositionelle Metropole Prag zu erklären, die auch über die schriftlich überlieferten Diskussionsbeiträge hinaus Raum für das Thema bot. So wurde auch dieser oppositionelle Raum und seine Diskussionskultur zum Gegenstand der Danubius-Debatte, als Jan Sýkora gerade Milan Hübl und Luboš Kohout als Beispiele totalitärer Tendenzen innerhalb der Charta anführte.159 Mlynárik selbst bezichtigte seine Kritiker in seiner mit Klarnamen gezeichneten Verteidigungsrede für sein Pseudonym Danubius marxistisch-leninistischer Diskursmechanismen und implizierte damit ebenso einen Totalitarismusvorwurf.160 Kohout und Hübl, beide im Normalisierungs-Regime drangsalierte, ihrer Ämter enthobene Reformkommunisten und Unterzeichner der Charta, argumentierten inhaltlich auf einer Linie mit dem Parteiblatt Rudé Právo. Sie wiederholten vor allem Altbekanntes und zielten auf tradierte tschechisch-deutsche Konfliktnarrative ab, wenn sie vor einem möglichen deutschen Revisionismus warnten. Indem sie jede Diskussion über die Zwangsmigration der Deutschen aus der Tschechoslowakei für unmöglich erklärten, stellten sie sich außerhalb der sachlichen Auseinandersetzung.161 So evozierten sie zwar heftigen Widerspruch, nicht aber eine argumentative Auseinandersetzung mit ihren Beiträgen. Auch innerhalb des Samizdat selbst wurden die Formen der Auseinandersetzung als

 157 Abrams: Morality, Wisdom and Revision, S. 255. 158 Hejdánek: Dopis příteli, S. 146. 159 Sýkora: Pithartův „Pokus o vlast“, S. 82f. 160 Mlynárik: Sine ira et studio, S. 126. Zur Wiederholung des Vorwurfs: Mlynárik: Causa Danubius, S. 361. 161 Blehova: Fall des Kommunismus, S. 58.

220  Eine Nation unter anderen aggressiv und ausgrenzend wahrgenommen. Dem hängt, wie auch schon bei anderen Fallstudien innerhalb dieser Arbeit zu erkennen war, die Vorstellung eines oppositionellen Zusammenhalts und eines daraus abgeleiteten dialogischen Umgangs miteinander an. Dabei stehen sich in der Danubius-Debatte die persönlich gefärbten Auseinandersetzungen zwischen Mlynárik und Hübl und eine ruhige oppositionelle Gesprächskultur gegenüber.162 Nicht zu übersehen ist der Gegensatz zwischen dem breiten Menschenrechts-Konsens und dem klar eingegrenzten gemeinsamen Handlungsspielraum der Charta 77, die dennoch vom Regime und in der öffentlichen Wahrnehmung des Westens als einheitliche Gruppierung wahrgenommen wurde. In den frühen 1980er Jahren fand die Debatte um Mlynáriks Thesen und die Zwangsmigration der tschechoslowakischen Deutschen kein erkennbares Ende und kein Ergebnis. Nachdem Danubius im Februar 1979 in einer Debatte in der Frankfurter Rundschau, und im November 1979 auch in der Tschechoslowakei öffentlich als Ján Mlynárik enttarnt worden war, verhaftete ihn die Staatssicherheit im Mai 1981. Nach 13 Monaten Haft konnte Mlynárik das Land verlassen und ließ sich mit seiner Familie im oberbayrischen Waldkraiburg nieder.163 In den folgenden Jahren erschienenen einzelne Beiträge im Exil und im Samizdat, aber der dynamische Zusammenhang des Themas verlief sich. Die Frage nach der Zwangsmigration der Deutschen kam inmitten der politischen Transformation im Dezember 1989 erneut auf die Tagesordnung, als Václav Havel, wenige Monate zuvor noch inhaftierter Dissident und nun als führender Kopf des Bürgerforums Kandidat für das Präsidentenamt, im tschechoslowakischen Fernsehen den Tschechen und Slowaken eine Entschuldigung bei den abgeschobenen Deutschen nahe legte.164 Verbanden Oppositionelle wie Havel nun wiederum Weisheit und Moral im politischen Denken165, konnte ihnen das in der Transformation „zugleich zum Vorteil und zum Nachteil“166 gereichen: Sie erweckten leicht den Eindruck der Naivität oder des fehlenden Realitätsbezugs.

 162 Vgl. den Briefwechsel zwischen Ladislav Hejdánek und Radomír Luža: Hejdánek: Dopis příteli; Dopis Radomíra Luži Ladislavu Hejdánkovi, in: Černý/Křen/Kural/Otáhal (Hrsg.): Češi, Němci, odsun, S. 161–166. 163 Blehova: Fall des Kommunismus, S. 60. 164 Vgl. Petr Příhoda: Die Wiederkehr einer verdrängten Thematik, in: Pithart/Příhoda (Hrsg.): Die abgeschobene Geschichte, S. 65–89, hier S. 67. 165 Abrams: Morality, Wisdom and Revision. 166 Jan Křen: Die Entfremdung bei Tschechen und Sudetendeutschen, in: Bohemia, 34 (1993), S. 381–389, hier S. 387.

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Dabei war die Auseinandersetzung um eine Kollektivschuld der Sudetendeutschen und die nationale Gewissenserforschung der Tschechen beziehungsweise der Tschechoslowaken nicht nur inhaltlich miteinander verbunden, sondern stand auch in einer konzeptionellen Spannung. So verliefen in einzelnen Texten die konstitutiven Kriterien politischer Gemeinschaft quer zueinander, wenn zum Beispiel Ján Mlynárik die Kollektivschuld der Deutschen ablehnte, aber für die Tschechoslowaken eine Kollektivverantwortung annahm. Mlynárik implizierte wie das Autorenkollektiv Bohemus eine kohärente Definition der Tschechen, die sich über das Politische und die Unteilbarkeit der Demokratie herleitete. Die moralische Auslegung der Nation rekurrierte auch ohne es zu nennen auf das Deutungsmuster des demokratischen Messianismus der Tschechoslowakei, bedeutete zudem aber eine Erneuerung der nationalen Selbstkonstruktion aus einer gesellschaftlichen Gewissenserforschung heraus. Zugleich bedeutete eine Differenzierung von Opfer- und Täterkollektiven die Historisierung der Zwangsmigration. Statt die Tat selbst zu betrachten, stritten tschechische und slowakische Oppositionelle um die Einreihung des Abschubs in die Tradition tschechoslowakischer Staatlichkeit. Im Sinne des Lebens in der Wahrheit, also die moralische Authentizität des eigenen Handelns, konnte dies als individuelle Richtschnur nur schwer eine konkrete politische Auseinandersetzung beeinflussen. Vielmehr eröffnete die Debatte um den Abschub der Sudetendeutschen dem tschechoslowakischen Samizdat anschaulich seine Heterogenität in konzeptioneller wie struktureller Hinsicht.167

4.3 Irredenta und nationale „Sündenböcke“ in Ungarn Auch Ungarns Grenzen und seine Bevölkerung waren im 20. Jahrhundert von zahlreichen Revisionen und Bevölkerungstransfer geprägt. Nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 war in der transleithanischen Reichshälfte zwar ein autonomer und im Inneren zentralistisch organisierter ungarischer Nationalstaat entstanden, dieser war aber keineswegs mehrheitlich von Magyaren, also sprachlichen oder ethnischen Ungarn, bewohnt. Seit dem beginnenden 19. Jahrhundert dominierte in der Abgrenzung von Wien eine sprachlich-kulturelle Begründung der ungarischen Nation, der in der Auseinandersetzung in den Ländern der Stephanskrone die Vorstellung einer histori-

 167 Manfred Alexander: Die tschechische Diskussion über die Vertreibung der Deutschen und deren Folgen, in: Bohemia, 34 (1993), S. 390–409, hier S. 408.

222  Eine Nation unter anderen schen Staatsnation entgegenstand.168 Dieser Doppelcharakter ungarischer Nationsvorstellung ermöglichte einerseits auf der Grundlage einer historischen Personalunion den 1868 geschlossenen Ausgleich mit Kroatien und eine gewisse Autonomie dieses Landesteiles. Andererseits waren die übrigen Volksgruppen im Königreich, also vor allem Rumänen, Slowaken, Deutsche und die nicht als Sprachgruppe verstandenen Juden einer Magyarisierungspolitik ausgesetzt, die zwischen „toleranter Assimilation“169 und gewaltsamen Maßnahmen Anpassungsdruck erzeugte. Im Gegensatz zur zisleithanischen Reichshälfte, in deren Kronländern unterschiedliche, oft kleinteilige Kompromisse zwischen den Sprachgruppen ausgehandelt wurden, dominierte in Ungarn klar die Titularnation. Zwar bedeutete dies keineswegs Einigkeit über das Wesen der Nation, diese Sprachpolitik verdoppelte aber zwischen 1850 und 1910 die Anzahl der ungarischsprachigen Bewohner des Königreichs von 4,6 auf 10 Millionen, was einem Bevölkerungsanteil von 41,6 beziehungsweise 54,5 Prozent entsprach.170 Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Vertrag von Trianon fand dieser Zustand eines Nationalstaates mit zahlreichen Minderheiten ein Ende. Ungarn verlor mehr als zwei Drittel seines Territoriums und beinahe ebenso viel seiner Bevölkerung. Das neue, sprichwörtlich „amputierte“ Ungarn war hingegen ethnisch stark homogen. Im Zensus von 1920 bezeichneten sich nur noch 10,4 Prozent als Deutsche, Slowaken oder Juden. Zugleich lebten mehr als drei Millionen sprachliche und ethnische Ungarn außerhalb der Grenzen Ungarns in der Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien.171 Während der gesamten Zwischenkriegsphase bestimmte das Streben nach einer Revision dieser Verhältnisse und der Rückgewinnung der Irredenta die ungarische Außenpolitik.172 Trotz der ethnischen Homogenisierung beförderte dieser Revisionismus auch im Inneren nationalistische Tendenzen und einen rassistisch ausgeprägten Diskurs über das Ungarntum. Neben der Deutschenfeindlichkeit drückte sich dies unter dem Regime des Reichsverwesers Miklós Horthy besonders in einem sozial aufgeladenen und weitgreifenden Antisemitismus aus, der beispielsweise schon

 168 Anikó Kovács-Bertrand: Der ungarische Revisionismus nach dem Ersten Weltkrieg. Der publizistische Kampf gegen den Friedensvertrag von Trianon (1918–1931), München 1997, S. 21. 169 Puttkamer: Schulalltag und nationale Integration, S. 449. 170 Klimó: Ungarn, S. 169f. Dieser Zuwachs setzte sich aus rund 3,2 Millionen Ungarn durch demographisches Wachstum und zwei Millionen Ungarn durch kulturelle Assimilation zusammen. 171 Jörg K. Hoensch: Geschichte Ungarns 1867–1983, Stuttgart 1984, S. 103f. 172 Vgl. Kovács-Bertrand: Der ungarische Revisionismus.

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1920 mit einem Numerus clausus den Zugang jüdischer Studierender zu den Universitäten massiv eingrenzte.173 Neben der Ermordung von ungefähr 565 000 jüdischen Ungarn im Holocaust trugen die Zwangsmigration der deutschsprachigen Bevölkerung und der angeordnete Bevölkerungsaustausch zwischen der Tschechoslowakei und Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer weiteren Konzentration ethnisch ungarischer Bevölkerung in den Grenzen des nun staatssozialistischen Ungarns bei.174 Darüber hinaus erzeugten der soziale Wandel und die sozialistischen Sinnwelten des Staatssozialismus, stärker noch als seine Nationalitätenpolitik, Homogenisierungsdruck. Während sich die Minderheiten so einerseits nicht als gesellschaftliche Gruppe organisieren konnten, legte der Staat ein auf Abstammung beruhendes Verständnis von Minderheiten an, das sich kaum von dem der Zwischenkriegszeit unterschied. Erst nach dem gewaltsam niedergeschlagenen Volksaufstand von 1956 und in der pragmatisch auf Machterhalt ausgerichteten Politik János Kádárs kam es zur langsamen Liberalisierung in der inneren Minderheitenpolitik.175 Hingegen stellten ungarische Minderheiten im Ausland für den national affirmativen Kádárismus ein schwerwiegendes Problem dar, lebten diese doch in sozialistischen Bruderstaaten, deren Minderheitenpolitik folglich nicht kritisiert werden konnte. Erst seit den späten 1960er Jahren verschafften Schriftsteller wie Gyula Ilyés diesem Thema vorsichtig Gehör.176

 173 Tamás Hofer: The „Hungarian Soul“ and the „Historic Layers of National Heritage“. Conceptualizations of the Hungarian Folk Culture 1880–1944, in: Ivo Banac/Katherine Verdery (Hrsg.): National Character and National Ideology in Interwar Eastern Europe, New Haven 1995, S. 65–81, hier S. 72–76; Krisztián Ungváry: Die „Judenfrage“ in der Sozial- und Siedlungspolitik. Zur Genese antisemitischer Politik und Ungarn, in: Dittmar Dahlmann/Anke Hilbrenner (Hrsg.): Zwischen großen Erwartungen und bösem Erwachen. Juden, Politik und Antisemitismus in Ost- und Südosteuropa 1918–1945, Paderborn 2007, S. 287–304, hier S. 289– 292. 174 Vgl. Mathias Beer: Umsiedlung, Vernichtung, Vertreibung. Nationale Purifizierung in Europa während und am Ende des Zweiten Weltkriegs, in: Ders. (Hrsg.): Auf dem Weg zum ethnisch reinen Nationalstaat? Europa in Geschichte und Gegenwart, Tübingen 2. Aufl. 2007, S. 119–144. 175 Gerhard Seewann: Minderheiten in der ungarischen Innenpolitik 1949–1989/90, in: Valeria Heuberger/Othmar Kolar/Arnold Suppan/Elisabeth Vyslonzil (Hrsg.): Nationen, Nationalitäten, Minderheiten. Probleme des Nationalismus in Jugoslawien, Ungarn, der Tschechoslowakei, Bulgarien, Polen, der Ukraine, Italien und Österreich, 1945–1990, Wien/München 1994, S. 105–114, hier S. 106f. 176 Schöpflin: Opposition, S. 177.

224  Eine Nation unter anderen Auch für die Betrachtung ungarischer Minderheiten im Inneren wie im Äußeren bedeutete die Spaltung des ungarischen Geisteslebens zwischen ethnisch denkenden Populisten und den postrevisionistischen und kosmopolitischen Urbanisten eine Positionierung.177 Dies bedeutete nicht, dass die im Samizdat aktiven urbanistischen Oppositionellen die unterschiedlichen Minderheitenfragen ausgeklammert hätten. Sie waren vielmehr, wie das Interview eines Mitglieds der karitativen Oppositionsgruppe SzETA im polnischen Zweiten Umlauf zeigt, von einer Sorge um die politische Instrumentalisierbarkeit der Minderheiten geprägt.178 So griff das Samizdat-Blatt Hirmondó in seiner ersten Ausgabe 1983 das Thema ungarischer Minderheiten nur im weiteren Kontext der Region Ostmitteleuropa auf und bezog auch Minderheiten innerhalb Ungarns in diese Fragestellung ein. Für diese Betrachtung waren alle Sprecher des Ungarischen selbstverständliche Mitglieder der ungarischen Nation.179 Besonders Siebenbürgen, in dem es beinahe geschlossen ungarische Siedlungsgebiete gab, spielte im ungarischen Bewusstsein und so auch für den ungarischen Samizdat eine besondere Rolle, so dass in oppositionellen Kreisen eine Minderheitenschutzbewegung entstand.180 Siebenbürgen stand hier als Region prototypisch für die ungarische Irredenta und das Schicksal der Minderheiten im Ausland. Besonders der aus Siebenbürgen stammende Philosoph Gáspár Miklós Tamás, der 1978 nach Budapest übergesiedelt war, berichtete im Beszélő immer wieder über „Hunger und Terror in Rumänien“.181 Die Betrachtung der Lebensverhältnisse in Rumänien beschrieb ein Land im wirtschaftlichen Verfall, in dem die Lage der Ungarn eine zusätzliche Ungerechtigkeit darstellte. In einer ständigen Rubrik „Kontrapunkt Siebenbürgen“ berichteten Autoren von beiden Seiten der Grenze über die kulturellen und politischen Repressionen des

 177 Csizmadia: A Magyar demokratikus ellenzék, S. 284f. 178 Problemy opozycji węgierskiej. Wywiad z członkiem SETA, in: Obóz [Samizdat], 2/4 (1982), S. 30–33. 179 Beköszöntó, in: A Hírmondó [Samizdat], 1/1 (1983), S. 1. Auch Beszélő druckte in seinen ersten Ausgaben eine Chronik der Geschichte der ungarischen Minderheit in der Slowakei seit 1944. Tibor Fényi: A csehszlovákiai magyar kisebbség történetének kronológiája, 1944–1981 [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 1/1 (1981)], in: Balázs/Zádori (Hrsg.): A Beszélő 25 éve; Tibor Fényi: A csehszlovákiai magyar kisebbség történetének kronológiája. Második rész, 1965–1981 [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 2/2 (1982)], in: Ebd. 180 Peter Kende: Mniejszości narodowe i węgierskie poczucie krzywdy [zuerst erschienen in: Hirmondo [Samizdat] 2/8 (1984)], in: Kadaryzm bez maski. Wybór z niezależnej publicystiki węgierskiej, Warschau 1987 [Samizdat], S. 65–78, hier S. 75f. 181 Kálmán Garzó [Tamás Gáspár Miklós]: Éhség és terror Romániában [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 2/3 (1982)], in: Balázs/Zádori (Hrsg.): A Beszélő 25 éve.

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Ceauşescu-Regimes und übten damit auch Druck auf die ungarische Staatsführung aus, sich stärker um die Belange der ungarischen Minderheiten zu kümmern.182 Zudem griff der ungarische Samizdat auch auf westliche Berichte wie den Minderheiten-Bericht des ungarisch-stämmigen britischen Forscher George Schöpflin zurück, um sich ein Bild von der Lage ungarischer Minderheiten zu machen.183 Dabei schien es für den Samizdat nicht notwendig, die Zugehörigkeit zur Minderheit genauer zu definieren. Allein die Muttersprache diente als Identitätsmarker und folgte dabei nicht nur der landläufigen und historisch tradierten Definition ungarischer Nationalität, sondern auch dem wichtigsten Streitpunkt in den jeweiligen Minderheitenkonstellationen, nämlich der Verwendung der Staats- oder Minderheitensprache. Zweisprachigkeit oder mehrdeutige Identitäten, beispielsweise von Kindern aus gemischt-nationalen Ehen, wurden hingegen kaum diskutiert. Für das Bemühen, die verschiedenen nonkonformen Lager innerhalb der ungarischen Gesellschaft zusammenzuführen, versprach die staatlich weitestgehend tabuisierte Minderheitenfrage einen gemeinsamen Anknüpfungspunkt.184 Als im Juni 1985 in Monór bei Budapest die unterschiedlichen Lager des ungarischen Nonkonformismus zu einer Konferenz zusammenkamen, fanden Populisten wie István Csurka und Sándor Csoóri, die zuvor kaum eine Rolle in der oppositionellen Untergrundpresse gespielt hatten, einen Zugang zur Opposition.185 Auch mit diesem inner-ungarischen Motiv wandten sich im Januar 1987 die Urbanisten György Bence, János Kis und János Kenedi im Namen eines Komitees für die Verteidigung der Rechte der ungarischen Minderheit in der Tschechoslowakei an die Sprecher der Charta 77. Das Komitee gratulierte zum zehnjährigen Jubiläum der Charta, verband aber damit eine kritische Bestandsaufnahme einer in der tschechoslowakischen Gesellschaft isolierten Opposition. Statt weiterhin individuelle Menschenrechte einzufordern, solle die Charta in Zukunft die sozialen und politischen Rechte von Kollektiven, wie eben der ungarischen Minderheit, einfordern.186 Die Charta schloss sich diesem Wunsch an und erklärte ihre Bereitschaft, gemeinsam für den „Sieg der Vernunft über die Eskalation von Lei 182 Vgl. G. T. [Fényi Tibor]: Ellenpontok Erdélyben [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat] 2/4 (1982)], in: Ebd.; Mihály Hamburger: Erdélyi utazás, in: Beszélő [Samizdat] 3/7 (1983), in: Ebd. 183 George Schöpflin: A magyarok helyezete Romániaban, o.O. o.J. [Samizdat]. 184 Dalos: Archipel Gulasch, S. 56. 185 Vgl. Kapitel 2.3. 186 Letter of the Committee to Defend the Rights of the Hungarian Ethnic Minority in Czechoslovakia, on the 10th Anniversary of the Civil Rights Declaration, Charter 77, in: Roundtable. Digest of The Independent Hungarian Press [Samizdat] 1/1–2 (1987), S. 65–66.

226  Eine Nation unter anderen denschaft“ einzutreten.187 Der kurze Briefwechsel folgte auf eine längere Auseinandersetzung, die sich an einem 1984 in New York erschienenen Band über die Lage ungarischer Schulen in der Slowakei entzündet hatte und in der ungarische und tschechische Oppositionelle darüber stritten, ob die ungarische Minderheit in der Tschechoslowakei diskriminiert werde. Die Notwendigkeit von Zweisprachigkeit und die Frage eigener Schulen zeigten, dass zwischen den Vorstellungen einer Integration in das slowakischsprachige Leben vor Ort und einer maximalen Toleranz für eine ethnische Minderheit Welten lagen.188 Neben diesen Sachfragen spielten auch oppositionelle Fragen in diese Auseinandersetzung hinein. Mit Miklós Duray hatte ein Signatar der Charta 77 aus der ungarischen Minderheit in der Slowakei seit 1980 im ungarischen Samizdat über die Lage der Minderheit berichtet und war 1982 inhaftiert worden. Der Appell mehrerer tschechischer und slowakischer Oppositioneller für Durays Freilassung bildete eine Gesprächsgrundlage, die dennoch grundlegende Schwierigkeiten nicht überdecken konnte.189 Dabei blieb zwischen beiden Seiten unklar, ob es sich in der Minderheitenfrage um ein Problem eo ipso handele oder nicht die Lage einzelner Volksgruppen Abbild eines allgemeinen Zustands innerhalb der Diktatur sei. Der slowakische Oppositionelle Miroslav Kusý sah beispielsweise nur in der Demokratisierung der jeweiligen Staaten eine Möglichkeit, die bestehenden Probleme zu lösen, und war damit auch in den Krei-

 187 Charta 77: D[okument] 382. 30. březen 1987, Praha . Dopis Výboru na obranu mad’arské menšiny s poděkováním za dopis k 10. výročí Charty a s vyjádřením podpory jeho protestu proti kulturní diskriminaci mad’arské menšiny (Dokument č. 24/87), in: Prečan/Císařovská (Hrsg.): Charta 77. Bd. 2, S. 868–869, hier S. 868. 188 A szlovákiai magyar iskolák védelmében. Dokumentumok a csehszlovákiai magyar kisebbség önvédelmi harcáról 1983. november – 1984 augusztus, New York 1984. Vgl. zur Diskussion: Milan Hübl: Die Position und die Probleme der ungarischen Minderheit in der Slowakei. Eine Kritik des sogenannten Weißbuches, in: Gegenstimmen, 7/25 (1986), S. 24–31; Gyula Dénes: The Status of the Hungarian Minority in Slovakia and its Problems. A Reply to Milan Hübl, Czech Historian [zuerst erschienen in: Hirmondo [Samizdat], 3/5 1985], in: East European Reporter, 1/4 (1985), S. 5–7. Hübl beklagte sich später über das fehlende „[f]air play in debate“, also eine selektive Wiedergabe seiner Äußerungen bei Dénes. Ders.: An Odd Style of Debate, in: East European Reporter, 2/2 (1986), S. 51. 189 Im Beszélő wurden sowohl die Protestbriefe als auch eine ungarische Antwort abgedruckt. Ján Čarnogursky/Milan Šimečka/Miroslav Kut: Szlovákiai levelek Duray Miklós védelmében, in: Beszélő [Samizdat], 4/12 (1984), in: Balázs/Zádori (Hrsg.): A Beszélő 25 éve; A Szlovákiai Magyar Iskolák Védelmi Csoportjának levele Ján Carnogurskyhoz [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat] 4/13–14 (1985)], in: Ebd..

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sen ungarischer Oppositioneller anschlussfähig.190 Dennoch wirkte sich die ungarische Strategiedebatte über oppositionelle Kooperation und Abgrenzung vom Staat auch auf die Minderheitenfrage aus, wenn zum Beispiel das Umfeld der Zeitschrift Demokrata und die Populisten immer wieder auf ein staatliches Einschreiten in der Minderheitenfrage hofften.191 An der Minderheitenfrage zeigt sich konkret wie bei kaum einem anderen Thema von oppositionellem Interesse eine Kooperation über verschiedene Grenzen hinweg. Gegenseitige Unterstützungsappelle, nicht nur in Bezug auf die Minderheitenfrage, waren in dieser Form bekannt und durchaus üblich.192 Auch polnische Samizdat-Publikationen, die wie Obóz (Lager) Informationen über Ostmitteleuropa zusammenstellten, berichteten immer wieder über ungarische Minderheiten in der Tschechoslowakei und Rumänien und druckten übersetzte Artikel nach. Zum einen war es allein schon der Thematik geschuldet, dass sich eine Kooperation über Grenzen anbot, schließlich waren die Länder über ihre jeweilige Irredenta miteinander verwoben. Zum anderen beschäftigte das Thema auch andere Gruppen oppositioneller Akteure, nämlich solche, die deutlich enger mit ihrem Wirkungsgebiet, also der Grenzregion, verbunden waren, als es die zumeist hauptstädtische Opposition sein konnte. In diesen Grenzregionen hatte der Grenzübertritt über sprichwörtliche und tatsächliche „Schleichwege“ zudem eine andere Alltäglichkeit, die auch der Minderheitenproblematik eine größere Relevanz und stärkere Pragmatik ermöglichte.193 Am Beispiel der Opposition in der Slowakei lässt sich so zeigen, dass es sich um zuvor kaum exponierte Oppositionelle handelte, die entsprechend in den etablierten Kreisen wenig Beachtung und zu deren oft abstraktem Räsonnement keinen Zugang fanden. Schon 1979 hatte sich das bereits erwähnte Komitee zum Schutz der Rechte der ungarische Minderheit in der Tschechoslowakei mit zwei Appellen an die vornehmlich tschechische Samizdat-Öffentlichkeit gewendet, die jedoch ohne Folgen blieben. In ihrer Gründung verstand es sich selbst als „ein neuer Sproß der tschechoslowakischen Bürgerrechtsbewegung“, präsentierte sich aber in der Folge, wie beim 1987 verfassten Brief an die Charta, als  190 Miroslav Kusý: Ucisk narodowościowy we współczesnej Czechoslowacji, in: Obóz [Samizdat], 8/13 (1988), S. 5–19. So plädierte die Zeitschrift Hirmondó wiederholte für eine solche oppositionelle Strategie. Bozóki: A magyar demokratikus ellenzék, S. 11f. 191 Ebd., S. 12f. 192 Solidaritätserklärungen ungarischer Intellektueller. 193 Stefano Bottoni: Komárom/Komárno. Offizielle und inoffizielle Beziehungen in einer ungarisch-slowakischen Zwillingsstadt (1960–1985), in: Włodzimierz Borodziej/Jerzy Kochanowski/Joachim von Puttkamer (Hrsg.): „Schleichwege“. Inoffizielle Begegnungen sozialistischer Staatsbürger zwischen 1956 und 1989, Köln 2010, S. 67–89.

228  Eine Nation unter anderen Gruppierung aus Ungarn.194 Während die Slowakei ganz allgemein innerhalb der von Prag dominierten tschechoslowakischen Opposition randständig blieb, war eine oppositionelle Gruppierung der ungarischen Minderheit in der Slowakei ebenso isoliert und suchte Anschluss innerhalb der liberalen ungarischen Opposition.195 Es ist also wenig überraschend, dass konkretere Themenzusammenhänge, wie der Protest gegen das Staudammprojekt Gabčikovo-Nagymáros, ein Beispiel dieser neuen und „konkreten“ Generation von Oppositionellen wurde.196 In diesem stärker aktionistischen Ansatz blieb die Nation jedoch ein vernachlässigtes Thema. Neben diesen Minderheiten außerhalb Ungarns gab es auch im sozialistischen Ungarn weiterhin Minderheiten im Inneren, vor allem Juden und Roma. Im Frühjahr 1984 veröffentlichte eine unabhängige Friedensgruppe ungarischer Juden, Salom197, offene Briefe, in denen sie den alltäglichen und wieder erstarkten Antisemitismus in Ungarn beklagte. Gerade in der wirtschaftlichen Krise des Landes werde Judenfeindlichkeit 40 Jahre nach der Deportation der ersten ungarischen Juden in die Vernichtungslager wieder deutlich spürbar. Salom forderte so als Grundlage einer Aussöhnung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Ungarn eine Anerkennung der Juden in der historischen Erinnerung und Teilhabe an der kulturellen Gegenwart Ungarns, wie zum Beispiel durch das geplante Denkmal für Raoul Wallenberg in Budapest.198 Als Antwort auf die verbreitete Annahme, die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei sei besonders von jüdisch-stämmigen Funktionären geprägt, erklärte Salom seine Loyalität gegenüber „dem souveränen ungarischen Staat und der Nation“199 und positio 194 Zitat: CSMKJB: Bericht über die Lage der ungarischen Minderheit in der Tschechoslowakei, in: Gegenstimmen, 1/2 (1980), S. 27f., hier S. 28. Siehe ähnlich: Dass.: Minderheiten in der Slowakei, in: Ebd., S. 26. 195 Juraj Marušiak/Norbert Kmeť: Słowacja. Wprowadzenie, in: Daniel/Gluza (Hrsg.): Słownik dysydentów. Bd. 1, S. 200–208, hier S. 204f. 196 Zur Definition der „konkreten“ Generation, die anders als die intellektuellen Gründungsakteure das konkrete Handeln suchten: Kenney: Carnival of Freedom, S. 13. Zu den Protesten gegen das Staudammprojekt Gabčikovo-Nagymáros: Ebd., S. 241–244. 197 Salom ist die ungarische Wiedergabe des hebräischen Begriffs ‚Schalom‘ (deutsch ‚Frieden‘). 198 SALOM: List otwarty do węgierskiej społeczeństwa i węgierskich Żydów, in: Kadaryzm bez maski, S. 143–159, hier S. 143; Declaration of the Shalom Independent Jewish Peace Group. Against anti-Semitism, for a Democratic Renewal [zuerst erschienen in: A Demokrata [Samizdat], 2/5 (1987)], in: Roundtable. Digest of The Independent Hungarian Press [Samizdat], 1/1–2 (1987), S. 82–86, hier S. 82f. Der schwedische Diplomat Raoul Wallenberg hatte sich 1944 und 1945 im besetzten Budapest für verfolgte Juden eingesetzt. 199 SALOM: List otwarty, S. 149.

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nierte sich in der Debatte über eine mögliche Kooperation mit den Behörden auf der Seite der oppositionellen Urbanisten. Für die Gruppe selbst, aber auch für ihre Darstellung in der oppositionellen Öffentlichkeit, war diese Loyalitätsbekundung richtungsweisend. Salom definierte die ungarischen Juden als religiöse und kulturelle, nicht aber als ethnische Minderheit und erklärte ausführlich, worauf ihre zwangsläufige Verbundenheit mit Israel beruhte.200 Damit gingen die offenen Briefe direkt auf bekannte antisemitische Stereotype ein, deren Widerlegung vor allem die eigene Zugehörigkeit zu Ungarn und zur ungarischen Nation betonte. Mit dem provokativen Vergleich von „Palästinensern und Széklern“201 kritisierte Salom die Instrumentalisierung der Palästinenserfrage in der ungarischen Propraganda, deren Schüren von Antisemitismus auch auf die ungarischen Juden wirke. Die Lage von Minderheiten, wie der ungarischen Székler in Rumänien oder eben der Juden in Ungarn, müsse aber unter Menschenrechtsaspekten betrachtet werden, woraus Salom die Forderung nach Solidarität mit allen Unterdrückten ableitete.202 Ihr Brief war so auch eine Vorlage für ungarische Minderheiten im Ausland, wie die Antwort eines slowakischen Ungarn in der Zeitschrift Beszélő zeigte, die ausführlich beschrieb, wie ethnische Gruppen aus politischem Kalkül und zur nationalistischen Legitimation des Regimes gegeneinander ausgespielt würden.203 Darüber hinaus waren die offenen Briefe von Salom auch ein Plädoyer einer jungen Generation ungarischer Juden, die ihre Religion bewusst leben wollten, für ein selbstbewusstes Judentum im zeitgenössischen Ungarn. Damit berührten sie aber einen wunden Punkt vieler urbanistischer Intellektueller, was in der deutlich persönlich gefärbten Antwort des bekannten Dissidenten János Kis zum Ausdruck kam. Kis stammte, wie viele Urbanisten, aus dem jüdischungarischen Bürgertum, das sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert weitestgehend magyarisiert hatte. Er selbst verstand sich als nicht-religiöser Mensch, so dass ihm nur durch die Ablehnung anderer ein Jüdisch-Sein erfahrbar wurde.204 Mit einigen Differenzierungen stimmte Kis dem Anliegen der Frie-

 200 Ebd., S. 144 und 153f. 201 Ebd., S. 157. 202 Declaration of Shalom, S. 86. 203 Sándor Balázs [Öllős László]: A Salom Nyílt Levele. Egy kisebbségi magyar szemével [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 5/16 (1986)], in: Balázs/Zádori (Hrsg.): A Beszélő 25 éve. 204 Vgl. János Kis: Reflections on the Jewish Question in Hungary [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 3/11 (1984)], in: East European Reporter, 1/3 (1985), S. 29–31, hier S. 28. In seinem biographischen Porträt im Słownik dysydentów beispielsweise fehlt der Hinweis auf

230  Eine Nation unter anderen densbewegung Salom zu, konfrontierte ihr Streben nach einem affirmativen jüdischen Selbstbewusstsein aber mit seinen Auffassungen einer pluralistischen Gesellschaft. Nicht nur das von Salom propagierte Bekenntnis zum Judentum in Ungarn, sondern auch das Ungarisch-Sein eines Jüdischstämmigen könne dem weiterhin grassierenden Antisemitismus beikommen.205 Anders gewendet, verteidigte Kis seinen eigenen säkularen Lebensentwurf gegen die Forderungen nach einer jüdischen Erneuerung. János Kis’ Vorstellung eines gleichberechtigten Nebeneinanders verschiedener kultureller Gruppierungen innerhalb der ungarischen Gesellschaft und auch verschiedener religiöser und säkularer Lebensentwürfe unter jüdischstämmigen Ungarn umriss das Projekt einer pluralistischen Gesellschaft, die nur einer universellen Moral verpflichtet sein könne. So hielt Kis Salom vor, dass sie ihre Unterstützung von Israel einerseits über den Holocaust moralisch argumentierte, andererseits diese Maßstäbe aber nicht bis zuletzt konsequent, das heißt auch gegen Israel, umsetzte. Zugleich müssten sich die ungarischen Juden tatsächlich auch der Frage nach ihrem Anteil am Stalinismus stellen.206 Kis’ vorbehaltlose Betrachtung von Verantwortungen knüpfte auf diese Weise an das politische Denken István Bibós und dessen Überlegungen Zur Judenfrage an. Bibó hatte bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Beteiligung Ungarns am Holocaust weniger zu bewerten als zu erklären versucht.207 Kis führte diese bei Bibó angelegte radikale Toleranz und Anerkennung des Anderen weiter und zog sie auch in der aufgeladenen Problemkonstellation von zeitgenössischem und historischem Antisemitismus als Maßstab heran.208 Konsequenterweise relativierte das nicht nur die Kategorien des Ungarischen und des Jüdischen, sondern sämtliche Identitätskonstrukte. Kis’ Ungarn wurde folglich zu einer Gesellschaft, die durch ihr faktisches Zusammenleben einen Weg zur Gemeinschaft finden musste. Ein Bekenntnis zur Nation oder zu einer homogenen Gemeinschaft konnten diese Überlegungen nicht einschließen. Anders als die Juden waren die Roma in Ungarn eine Minderheit, die nur wenig Aufmerksamkeit oder gar Fürsprache erfuhr. Auch eine eigene Interessenvertretung der Roma innerhalb der zumeist intellektuellen und auf Budapest fokussierten ungarischen Opposition gab es nicht. Dabei waren die Parallelen in

 seinen jüdischen Hintergrund. Sándor Szilágyi: János Kis, in: Daniel/Gluza (Hrsg.): Słownik dysydentów. Bd. 1, S. 819–821. 205 Kis: Reflections on the Jewish Question, S. 29. 206 Ebd., S. 30f. 207 István Bibó: Zur Judenfrage. Am Beispiel Ungarns nach 1944, Frankfurt am Main 1990. 208 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 265f.

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der gesellschaftlichen Rolle dieser beiden Minderheiten trotz grundsätzlicher Unterschiede offenkundig. Aus der Mehrheitsgesellschaft waren Roma ausgegrenzt und auch im Staatssozialismus hatte die offizielle Politik ihnen gegenüber einen rassistischen und zivilisatorischen Hintergrund. Neben dieser Diskriminierung stand aber auch ein staatliches Desinteresse gegenüber den konkreten sozialen Problemen dieser Bevölkerungsgruppe, die in die normierte sozialistische Gesellschaft assimiliert werden sollte.209 Genau wie in staatlichen Zwangsmaßnahmen blieb auch innerhalb dieser Gesellschaft der tradierte Antiziganismus virulent. In einem Beitrag für den East European Reporter fragte so der ungarische Dissident János Kenedi „warum der Zigeuner, und nicht der Jude, [in Ungarn] der Sündenbock ist?“ Der Artikel erschien allerdings erst während der Transformation auch in ungarischer Sprache.210 Zuvor hatte der ungarische Samizdat die Lage der Roma nur selten thematisiert, ähnlich wie die tschechoslowakische Opposition, die aufgrund einer ebenso großen Volksgruppe der Roma das Thema ebenfalls hätte aufgreifen können.211 So beinhaltet das praktisch voroppositionelle Bibó-Gedenkbuch zwar einen Beitrag über die „Zigeunerfrage“, der sich jedoch hauptsächlich mit der sozialen und wirtschaftlichen Benachteiligung der Roma und weniger deren gesellschaftlichen Ursache und Funktion beschäftigte.212 Otilia Solt hingegen diskutierte, was das „Zigeunertum“ überhaupt ausmache. Während die Roma politisch über lange Zeit nicht als eigene Gruppe wahrgenommen wurden, plädierte Solt für die Anerkennung der Roma als Nationalität, also als ethnische Minderheit, die innerhalb einer politischen ungarischen Nation steht. Ihre Integration in die Gesellschaft wurde so die Fra 209 William O. McCagg: Gypsy Policy in Socialist Hungary and Czechoslovakia, 1945–1989, in: Nationalities Papers, 19/3 (1991), S. 313–336, hier S. 315; Máté Szabó: Die Rolle von sozialen Bewegungen im Systemwandel in Osteuropa. Ein Vergleich zwischen Ungarn, Polen und der DDR, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 20/3 (1991), S. 275–289, hier S. 93– 95. 210 János Kenedi: Why is the Gypsy the Scapegoat and not the Jew?, in: East European Reporter, 2/1 (1986), S. 11–14. Vgl. die ungarische Publikation: Ders.: Miért a cigány és nem a zsidó a bűnbak?, in: Magyar Hírlap, 03. und 10.06.1989. Darüber hinaus erschien der Text auch auf Tschechisch im Kritický Sborník: Ders.: Proč je obětním beránkem cikán a ne žid?, in: Kritický Sborník [Samizdat], 7/3 (1987), S. 36–47. 211 Vgl. als eine frühe tschechoslowakische Aussage zur wirtschaftlichen Ausgrenzung der Roma, in dem ähnlich wie bei János Kenedi der Vergleich zur Rolle der Juden gezogen wird: Charta 77: D[okument] 85. 1978, 14. prosinec, Praha. Dokument postavení romských spoluobčanů předložený jako poklad k veřejné diskusi, in: Prečan/Císařovská (Hrsg.): Charta 77. Bd. 1, S. 198–206. 212 Csalog: A cigánykérdés.

232  Eine Nation unter anderen ge einer Demokratisierung, die eine politisch gelebte Nation erst möglich mache.213 Kenedi wiederum ging von einer Alltagsbetrachtung der ungarischen Gesellschaft aus und hörte sprichwörtlich seinen Mitbürgern auf der Straße zu, wie sie über das Leben und die Welt klagten. Während solche Populärdiskurse lange vom Antisemitismus geprägt waren, sei es nun „der Zigeuner“, der an allem Schuld zu haben schien. Dabei argumentierte Kenedi, dass ein solcher Antiziganismus ein spezifisches Phänomen des Kádárismus sei. Erst die Verbindung von wirtschaftlicher Krise und perspektivischer Hoffnungslosigkeit habe die Aggression auf die sozial am niedrigsten gestellte Gruppe der Roma gelenkt. Eine Gesellschaft die durch die Zwänge des Spätsozialismus aller Ausdrucksmöglichkeiten beraubt sei, artikuliere sich in der Abscheu gegenüber „Zigeunern“, die selbst der Staat anders und schärfer drangsaliert habe als die Mehrheitsbevölkerung.214 Kenedi analysierte dabei einen über lange Dauer negativen und selbstmitleidigen ungarischen Nationalismus, der nach dem Trauma von Trianon Selbstachtung nur noch aus der Betrachtung von Elend gewinnen konnte. Ob nun also Rumänen „stinken“ oder Slowaken ärmliche Bauern seien – wie die Stereotype der Horthy-Zeit nahe legten – oder Polen und Rumänen verhungern – wie die Erfahrung des Kádár’schen Gulaschkommunismus lautete – war letztlich nebensächlich, solange diese Betrachtungen die Überlegenheit Ungarns betonten.215 Ihre Fortsetzung fand diese stereotypische Stigmatisierung in der semantischen Amalgamierung des „Zigeuners“ mit dem „Kriminellen“.216 Kenedi dekonstruierte auf diese Weise den ungarischen Antiziganismus als eine Form nationaler Selbstvergewisserung ex negativo und zeigte über diese sozialpsychologische Erklärung die Konsequenzen eines solchen Zustands auf. Ganz im Sinne oppositioneller Kernthemen stand der Ausschluss von Bevölkerungsminderheiten von der politischen Teilhabe in Kenedis Analyse nämlich für das Fehlen von politischer Teilhabe und Demokratie im Allgemeinen. Der Antiziganismus stabilisierte so in letzter Konsequenz nur das staatssozialistische Regime und behinderte gleichzeitig eine Demokratisierung Ungarns. Während also weder eine Eskalation noch eine Lösung der „Zigeunerfrage“ zu erwarten stand, war es die Lösung der demokratischen Frage, die die Lage der ungarischen Roma verändern könnte.

 213 Ottilia Solt: A „cigánykérdésről“, in: Hírmondó [Samizdat], 2/6 (1984), S. 39–42. 214 Kenedi: Why is the Gypsy the Scapegoat and not the Jew?, S. 11. 215 Ebd., S. 12f. 216 Ebd., S. 14.

Irredenta und nationale „Sündenböcke“ in Ungarn  233

Mit dieser analytischen Kreuzung von Minderheitendiskurs und Oppositionsphilosophie umriss János Kenedi den größeren Kontext der Aushandlung des Nationsbegriffs am Beispiel der ungarischen Minderheiten im Inneren und Äußeren. Trotz der wiederholten appellativen Vergleiche der ungarischen Minderheiten im Ausland und des ungarischen Antisemitismus und Antiziganismus blieben die jeweiligen Diskurse weitgehend eigenständig. Die Betrachtung der Lage in der Tschechoslowakei und Rumänien war nämlich zumeist von einer kollektiven Wahrnehmung der Minderheit geprägt, so dass Minderheitenrechte eingefordert werden mussten. Dies legte die Verantwortlichkeit in den Bereich des Internationalen, so dass einerseits das staatssozialistische Regime zum Eingreifen aufgefordert werden konnte und andererseits der Dialog mit Oppositionellen jenseits der jeweiligen Staatsgrenze erstrebenswert wurde. Anders jedoch oszillierte die Auseinandersetzung mit den Minderheiten in Ungarn zwischen einer solchen kollektiven Wahrnehmung und der Individualisierung der Betroffenen, was eine Argumentation über die für die Opposition so richtungsweisenden Allgemeinen Menschenrechte ermöglichte. In der Brechung von tradierten Vorurteilen gegenüber Juden und Roma war die Anerkennung dieser Gruppen ein erster argumentativer Schritt hin zu einem inneren Minderheitendiskurs.217 Diese Anerkennung bedingte primär die Integration der inneren Minderheiten Ungarns in das oppositionelle Streben nach Demokratisierung. Ein solch fundamentaler Wandel der Herrschaftsausübung bildete den Erwartungshorizont oppositioneller Denker, wie János Kis, Otilia Solt oder auch der slowakische Samizdatautor Miroslav Kusý, in einer Überwindung der Diskriminierung von Juden und Roma. Dabei wurde nur am Rande angesprochen, welche Auswirkungen dies auf das Verständnis der ungarischen Nation haben würde. Für den Postrevisionisten Kis und die urbanistische Opposition im Allgemeinen war die Vorstellung einer pluralistischen Gesellschaft, die Minderheiten und divergierende politische Positionen affirmativ anerkannte, handlungsleitend. Während also die Nation selbst keinen intrinsischen Wert für diese Argumentation bilden konnte, war sie als Container denkbar. Eine so verstandene, politische Nation konnte218, wie Otilia Solt am Beispiel der Roma zeigte, eben auch Minderheiten integrieren.

 217 Vgl. dazu jeweils Sandor Szilagyi: Polityczna publicystyka i eseistyka pisma Hirmondo [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 4/10 (1984)], in: Kadaryzm bez maski, S. 7–17, hier S. 11; Solt: A „cigánykérdésről“, S. 41f. 218 Ferenc Laczó: Leitidee Liberalismus. Glanz und Elend der ungarischen Intellektuellen, in: Osteuropa, 63/4 (2013), S. 29–40, hier S. 38–40.

234  Eine Nation unter anderen Es gehörte zu den Dilemmata oppositionellen Denkens in Ungarn, dass diese Nationsdefinition der sprachlichen und ethnischen Argumentation der Populisten widersprach. Auch das Engagement für ungarische Minderheiten im Ausland fand seine Begründung in zwei divergierenden Strängen politischen Denkens, der Betonung einer allgemeinen Verbundenheit innerhalb einer essentiellen Nation und der Menschenrechtsargumentation. Sowohl für Urbanisten als auch für Populisten waren Minderheiten im Inneren und im Äußeren eine Möglichkeit, staatliche Legitimationsnarrative zu unterlaufen, denn weder der nationale noch der egalitäre Anspruch der sozialistischen Gemeinschaftsdeutung hielt ihrer näheren Betrachtung stand. Dennoch waren ihre Ansätze nicht miteinander zu verbinden, da es den Akteuren nicht gelang über ihre unterschiedlichen Ausgangspunkte hinweg eine oppositionelle Kooperation zu vereinbaren.

4.4 Die polnische Nation und ihr Osten Polen liegt „im Herzen Europas“, zwischen Ost und West, wie der walisische Historiker Norman Davies eines seiner Werke zur polnischen Geschichte betitelte.219 Nicht erst seit den Teilungen Polens zwischen 1772 und 1795 bildet diese Mittellage den Möglichkeitsrahmen politischen Denkens für jede Form von gegenwärtiger oder zukünftiger polnischer Staatlichkeit und Nation. Solche Konzepte bezogen bis zur Erlangung erneuerter staatlicher Eigenständigkeit nach dem Ersten Weltkrieg zwangsläufig die Teilungsmächte mit ein, besonders Preußen beziehungsweise Deutschland und Russland, und setzten auf der einen oder der anderen Seite eine Bereitschaft voraus, die polnischen Fragen offen zu gestalten. Die vorangegangenen Ausführungen zur deutschen Wiedervereinigung zeigten bereits, wie eine Neubewertung dieser Beziehung ein konzeptionelles Denken der polnischen Opposition beförderte. Auch die oppositionelle Beschäftigung mit Russland und den Ländern östlich von Polen trug zu einer solchen inneren Reflexion bei. Dabei stand der Osten für ältere Sinnzuschreibungen, die in einer abgrenzenden Selbstvergewisserung all das symbolisierten, was Polen vermeintlich nicht sei. Seit den Hochzeiten der polnischen Adelsrepublik galt Russland dem polnischen politischen Denken als Gegenentwurf zur „goldenen Freiheit“ des

 219 Davies: Heart of Europe.

Die polnische Nation und ihr Osten  235

polnischen Adels.220 Hinzu kam ein zweites historisches Deutungsmuster, die bereits seit dem Mittelalter virulente Vorstellung Polens als Bollwerk des lateinischen Westens. Dieser ursprüngliche Topos der antemurale Christianitatis fand für das vornationale Selbstverständnis des katholischen Polens eine Pointierung an der Grenze zum Osmanischen Reich und wurde Teil eines spezifischen polnischen Messianismus.221 Eine solche, stark schematisierte Abgrenzung diente der neuzeitlichen Nationalbewegung zur Popularisierung und sozialen Ausdehnung eines modernen Nationalgefühls. War das Eingreifen Johann III. Sobieskis 1683 gegen die Türken vor Wien der historische Höhepunkt des Antagonismus mit den Osmanen, konnte er in der Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts, zum Beispiel anlässlich der 200-Jahr-Feier des Ereignisses, nutzbar gemacht werden. Die Rettung des Abendlandes und der Christenheit vor der heidnischen Bedrohung überwand nämlich narrativ soziale Differenzierungen, die für die vormoderne polnische Kulturnation und ihre adelige Mitbestimmung entscheidend war. Stand beispielsweise ein Bauer im Gegensatz zu seinem polnischen Lehnsherrn, konnte er über den Sobieski-Topos und seine religiöse Aufladung an der polnischen, nun katholischen und nicht mehr adeligen Nation Anteil haben.222 Das Narrativ der antemurale Christianitatis wurde wiederum auch im 20. Jahrhundert zur Deutung einer neuen Bedrohung, diesmal des revolutionären Russlands beziehungsweise der Bol’ševiki nutzbar ge 220 Maria Janion: Polen in Europa, in: Claudia Kraft/Katrin Steffen (Hrsg.): Europas Platz in Polen. Polnische Europa-Konzeptionen vom Mittelalter bis zum EU-Beitritt. Osnabrück 2007, S. 31–66, hier S. 51–53. 221 Andreas Lawaty: Polen und Europa in der Aufklärung, in: Ebd., S. 107–130, hier S. 107. Die antemuralis Christianitatis war auch für andere katholische Herrschaftsgebiete an der Grenze zum Osmanischen Reich wie Kroatien und Ungarn von Bedeutung und wirkt bis in die Gegenwart. Vgl. Anne Cornelia Kenneweg: Antemurale Christianitatis, in: Pim den Boer/Heinz Duchhardt/Georg Kreis/Wolfgang Schmale (Hrsg.): Europäische Erinnerungsorte. Bd 2: Das Haus Europa, München 2012, S. 73–81; Simon Hadler: Zugehörigkeit durch Abgrenzung – Der Türke als der Andere Europas, in: Gregor Feindt/Félix Krawatzek/Daniela Mehler/Friedemann Pestel/Rieke Trimçev (Hrsg.): Europäische Erinnerung als verflochtene Erinnerung. Vielstimmige und vielschichtige Vergangenheitsdeutungen jenseits der Nation, Göttingen 2014, S. 93– 118. Dass diese Vormauer keineswegs eine hermetische Grenze war und vielmehr der kulturelle Austausch und Transfer zwischen der polnischen Adelsrepublik und dem Osmanischen Reich ausgesprochen rege war, widersprach diesem Autostereotyp nicht nachhaltig. Janusz Tazbir: Polska przedmurzem chrześciańśkiej Europy. Mity a rzeczywistość historyczna, Warschau 1987. 222 Patrice M. Dabrowski: Commemorations and the Shaping of Modern Poland, Bloomington 2004, S. 61; Martina Thomsen: Prinz Eugen & Jan Sobieski. Der Ruhm des Siegers. Um den Vorrang im nationalen und europäischen Heldenpantheon, in: Hahn/Traba (Hrsg.): DeutschPolnische Erinnerungsorte. Bd. 3, S. 182–202, hier S. 198f.

236  Eine Nation unter anderen macht. In den Worten des Nationaldemokraten Jędrzej Giertych hatten sich mit dem polnisch-sowjetischen Krieg die „Details verändert – der Halbmond ist zu einem roten Stern geworden – aber der Kern der Dinge ist derselbe geblieben.“223 Für die polnische Nationalbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte die Haltung gegenüber Russland eine ambivalente Frage dar, konnte die geschwächte Großmacht Russland doch einerseits Garant einer partiellen, aber realistischen Unabhängigkeit sein und andererseits als propagandistisches Zerrbild dienen. Zudem griffen in den Sinnwelten der zweiten polnischen Republik historisch tradierte antirussische Vorbehalte, wie das Deutungsmuster der Autokratie, mit einem zeitgenössisch auch außerhalb Polens verbreiteten Antikommunismus ineinander.224 Die Abgrenzung zu Russland und der Sowjetunion bestätigte so eine polnische Selbstwahrnehmung als westliche Nation, ja als Großmacht zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion.225 Nachdem mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der kommunistischen Machtübernahme bis 1948 Polen selbst ein Satellitenstaat der Sowjetunion geworden war, wurden gerade im konservativen und nationalen Nonkonformismus solche antirussischen und antisowjetischen Ressentiments zu einer verbreiteten Deutung der polnischen Gegenwart und fanden nach 1976 in Gruppierungen wie ROPCiO und KPN eine oppositionelle Fortsetzung. Dabei war eine Unterscheidung zwischen diesen Objekten der Kritik, also zwischen national und ideologisch argumentierender Benennung der Sowjetunion, problematisch, liefen doch bereits im offiziellen, pro-sowjetischen Diskurs die Begrifflichkeiten ineinander über.226  223 Jędrzej Giertych: O program polityki kresowej, Warschau 1932, S. 42. 224 Jacek Kłoczkowski/Filip Musiał: Antykomunizm – Racja Stanu II RP, in: Dies. (Hrsg.): W obronie niepodległości. Antykomunizm w II Rzeczypospolitej, Krakau 2009, S. 9–14. 225 Roman Wapiński: Historia Polskiej myśli politycznej XIX i XX wieku, Danzig 1997, S. 225 und 248. Dazu gehörte das Konzept eines „dritten Europas“ oder „Intermariums“, also eines Blocks unabhängiger Staaten zwischen den Großmächten unter polnischer Führung. Vgl. Hans Roos: Polen und Europa. Studien zur polnischen Außenpolitik 1931–1939, Tübingen 1957; Piotr Okulewicz: Koncepcja „międzymorza“ w myśli i praktyce politycznej obozu Józefa Piłsudskiego w latach 1918–1926, Posen 2001; Troebst: ‚Intermarium‘. 226 Die Lexeme ‚russisch‘ und ‚sowjetisch‘ waren im allgemeinen polnischen Sprachgebrauch annähernd bedeutungsäquivalent. Marek Golińczak: Związek Radziecki w myśli politycznej polskiej opozycji 1976–1989, Krakau 2009, S. 208. Hinzu kam, dass für die Übersetzung aller vom russischen ‚sovet‘ abgeleiteten Begriffe im Polnischen zwei Formen, nämlich eine direkte Ableitung aus dem Russischen (‚sowiet‘) und eine wörtliche Übersetzung (‚rada‘), zur Auswahl standen. Die Benennung der Sowjetunion als ‚Związek Sowiecki‘ konnte pejorativen Charakter haben, wogegen die Bezeichnung ‚Związek Radziecki‘ offiziell gebräuchlich war.

Die polnische Nation und ihr Osten  237

Unabhängig von der jeweiligen Semantik und entgegen der offiziellen Propaganda der „Völkerfreundschaft“ waren die Sowjetunion und Russland weitverbreitete Feindbilder in der Volksrepublik Polen, die bei Arbeiterstreiks wie im Posener Juni 1956 und auch im Alltag immer wieder zum Tragen kamen.227 In einem Beitrag für den Bratniak fasste Aleksander Hall 1979 zusammen: Mehr oder weniger gleichförmig ist auch die emotionale Haltung der polnischen Gesellschaft zu den Russen. Es gibt hier nichts zwischen der breiten Masse der Polen oder den Mitglieder der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, des Verbandes des sozialistischen Jugend oder der Gesellschaft für polnisch-sowjetische Freundschaft zu unterscheiden. Die Russen mag man nicht, man hasst sie sogar.228

Hall, der sich in der Tradition des russophilen Nationaldemokraten Roman Dmowski sah, ging schonungslos die Grenzen und Vorurteile des polnischen Russlandbildes an, stellte sie aber entlang der nationaldemokratischen Tradition in den Zusammenhang seines eigentlichen Anliegens. Die weitverbreitete Unkenntnis Russlands und das Gefühl kultureller Überlegenheit standen aus seiner Sicht dem Streben nach einer baldigen Unabhängigkeit Polens entgegen und ließen sich darüber hinaus mit den moralischen Ansprüchen der Oppositionellen oder einer Erneuerung der Nation nicht vereinbaren. Nur die Überwindung dieser Stereotype und die Normalisierung der polnisch-russischen Beziehungen könnten die vollständige Souveränität vorbereiten.229 Dabei unterschied Hall sehr deutlich zwischen der großrussischen oder russländischen Sowjetunion und der russischen Nation als einzelnem Bestandteil dieser Sowjetunion. Den in der Opposition verbreiteten geopolitischen Gedankenspielen fügte er hier ein Modell hinzu, das sich auf unabhängig agierende politische Gemeinschaften bezog, also eine gesellschaftliche Eigenständigkeit voraussetzte. Zur bekannten strategischen und rationalen Betrachtung internationaler Beziehun-

 227 Zur „erfundenen“ Völkerfreundschaft: Jan C. Behrends: Die erfundene Freundschaft. Propaganda für die Sowjetunion in Polen und in der DDR, Köln 2006. Gerade bei Arbeiterprotesten, aber auch bei Sportveranstaltungen unter Beteiligung sowjetischer Sportler, kam es immer wieder zu antirussischen und antisowjetischen Äußerungen. Machcewicz: Polski rok, S. 88; Piotr Godlewski: Sport w Polsce na tle politycznej rzeczywistości lat 1944–1956, Posen 2006, S. 344–347; Gregor Feindt: Völkerfreundschaft auf dem Rasen? Die Fußball-Länderspiele gegen die Sowjetunion 1957 im Spiegel der polnischen Presse, in: Dittmar Dahlmann/Anke Hilbrenner/Britta Lenz (Hrsg.): Überall ist der Ball rund – Nachspielzeit. Zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs in Ost- und Südosteuropa, Essen 2011, S. 123–138. 228 Aleksander Hall: Polacy wobec Rosji, in: Bratniak [Samizdat], 3/19 (1979), S. 12–18, hier S. 13. 229 Ebd., S. 15f.

238  Eine Nation unter anderen gen kam bei Hall eine moralische Argumentation, die auf Johannes Paul II. verwies und eine „Brüderschaft und Zusammenarbeit slawischer Völker“ postulierte.230 Mögliche Ansprechpartner sah er in der sowjetischen Dissidentenbewegung231, deren moralistische Strategie Hall affirmativ bestätigen konnte232, da sie dem Weltbild seiner Bewegung Junges Polen ähnelte. Wie Hall plädierte auch die Polnische Unabhängigkeitsverständigung dafür, die Ukraine, Belarus und Litauen als eigenständige politische Entitäten in die Überlegungen über eine zu erreichende polnische Unabhängigkeit einzubeziehen. Nachdem schon das Programm dieser seit Mai 1976 im Untergrund und nur durch Denkschriften agierenden Gruppe die Unterdrückung in den westlichen Sowjetrepubliken angeprangert hatte233, ging sie in ihrem letzten erschienenen Text vom November 1981 auf die Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine ein. Der Wirtschaftswissenschaftler und Historiker Wojciech Roszkowski, der 1982 mit seiner zunächst im Samizdat erschienenen Neuesten Geschichte Polens ein Standardwerk vorlegen sollte234, widmete sich den polnisch-ukrainischen Konflikten seit 1918, ohne eine der beiden Seiten von Kriegsverbrechen oder anderen Grausamkeiten freizusprechen. Roszkowski machte aber ebenso deutlich, worum es in einer polnisch-ukrainischen Annäherung aus der Perspektive des Jahres 1981 gehen müsse: „Die Sorge um die Zukunft Polens gebietet uns […] eine nüchterne Betrachtung der ukrainischen Frage und in Zukunft nicht nur einen modus vivendi mit den Ukrainern zu finden, sondern freundschaftliche Beziehungen mit ihnen.“235 Nur eine „Veränderung der Mentalität und des politischen Bewusstseins beider Nationen“236, also eine Überwindung des aggressiven Nationalismus, könne Polen und in der Folge auch der Ukraine die Unabhängigkeit ermöglichen. Folglich waren es klare Eigeninteressen, die die Thematik für PPN anleiteten, ohne dass die histo-

 230 Ders.: Czy zagraża nam nacjonalizm?, in: Bratniak [Samizdat], 3/18 (1979), S. 25–29, hier S. 28. Łukasz Jasiński erkennt hier einen argumentativen Bruch zu vorherigen Ausführungen Halls. Ders.: Kwestie międzynarodowe, S. 85f. 231 Golińczak: Związek Radziecki, S. 94–104. 232 Hall: Polacy wobec Rosji, S. 13. 233 Paweł Kowal: Za wolność naszą i waszą. Ukraina, Litwa i Białoruś w myśli polskich środowisk opozycyjnych, in: Arkady Rzegocki (Hrsg.): Narody i historia, Krakau 2000, S. 239– 293, hier S. 275. 234 Letzte, erweiterte Ausgabe: Wojciech Roszkowski: Najnowsza historia Polski 1914–2011. 7 Bde., Warschau erw. Aufl. 2011. 235 Polskie Porzumienie Niepodległościowe: Polska – Ukraina, in:Polskie Porozumienie Niepodległościowe, S. 389–400, hier S. 390. Hervorhebung im Original. 236 Ebd., S. 400.

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rische Betrachtung rein funktional war. Die Argumentation folgte vielmehr der Eigenlogik der Organisation, die Veränderungen in Polen durch Polen selbst herbeiführen wollte und so auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte nicht scheute.237 Auch linke Oppositionelle aus den Reihen des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter betonten in einer kurzen Erklärung zu den polnisch-russischen Angelegenheiten, dass sich zwischen Polen und Russland Nationen mit dem Recht auf Souveränität, Unabhängigkeit und Demokratie befänden. Antoni Macierewicz, Jacek Kuroń und Adam Michnik verstanden dabei die Lage der Ukraine, Belarus’ und Litauens primär als Problem des Imperialismus. Ihre antiimperialistische Solidarität war aber zugleich eine Abkehr von polnischen Traditionen einer kulturellen Dominanz im Osten.238 So lenkte der polnische Zweite Umlauf den Blick auf einen Osten zwischen Polen und Russland, der im politischen Denken Polens lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. Aus der Sozialstruktur der polnisch-litauischen Adelsrepublik mit ihren religiös und sprachlich aufgeladenen Unterscheidungen zwischen gutsbesitzendem und kulturell polnischem Adel239 und ruthenischen oder litauischen Bauern, zu denen gerade in den Städten Deutsche und Juden kamen, waren im 19. Jahrhundert konkurrierende Nationalbewegungen entstanden, die jeweils das gleiche Gebiet und besonders die städtischen Metropolen für sich beanspruchten. Für die polnische Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts standen die ehemaligen polnischen Grenzländer nahezu mythisch für die einstmalige Größe der Adelsrepublik und die Möglichkeiten eines zukünftigen, weitausgreifenden Staates.240 Die Betonung der Vielfalt des polnisch-litauischen Großrei 237 Friszke: Opozycja polityczna, S. 491f. 238 Antoni Macierewicz/Jacek Kuroń/Adam Michnik: Sprawa polska – sprawa rosyjska, in: Głos [Samizdat], 1/1 (1977), S. 11–14. In anderen Publikationen stellte Macierewicz den Bezug Ostmitteleuropas zur afrikanischen oder lateinamerikanischen Dekolonisierung noch deutlicher her. Vgl. Kowal: Za wolność, S. 259. 239 Für den Adel im Großfürstentum Litauen waren Mehrfachidentitäten üblich, zum Beispiel unter dem Schlagwort „Natione Polonus, gente Ruthenus“. Vgl. Norman Davies: God’s playground. Bd. 2: 1795 to the Present, Oxford 1981, S. 12. 240 Roman Wapiński: Mit dawnej rzeczypospolitej w epoce porozbiorowej, in: Zofia Smyk (Hrsg.): Polskie mity polityczne XIX i XX wieku , Breslau 1994, S. 77–92; Daniel Beauvois: Mit „kresów wschodnich“, czyli jak mu położyć kres, in: ebd., S. 93–105; Hans-Jürgen Bömelburg: Altes Reich und Rzeczpospolita (Polnisch-Litauische Adelsrepublik). Hymne auf die Vielfalt und Geschichte eines Niedergangs, in: Hahn/Traba (Hrsg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Bd. 3, S. 21–36. Timothy Snyder hat in seiner Reconstruction of Nations diese mehrfach verwobenen Schichten von Identitätsstiftung und Nationalitätenkonflikten in den polnischen Ostgebieten anschaulich analysiert. Ders.: Reconstruction of Nations.

240  Eine Nation unter anderen ches war dabei so integrativ wie bedeutungsoffen. Auch der Verweis Macierewicz’, Kurońs und Michniks auf den Wahlspruch des Januaraufstands – „Für unsere und eure Freiheit“ – appellierte zwar emotional an eine Solidarität der Unterdrückten, für die jedoch keinerlei konkrete Aussicht bestand.241 In der erschwerten Staatsgründung des Jahres 1918, unter zunächst unklaren und umkämpften Grenzen und völlig heterogenen staatlichen Strukturen, konkurrierten ethnische und föderalistische Konzepte eines zukünftigen Staates miteinander.242 Auch wenn der polnische Staat letztlich ein „jagiellonisches“243 Territorium, das heißt ein Gebiet unter Einschluss von Millionen Ukrainern, Belarussen, Juden, Deutschen und anderen Minderheiten244, umfasste, setzte sich in den 1930er Jahren ein „inkorporierendes“, also ethnisches Konzept polnischer Nationalität und mit ihm eine Politik der Polonisierung durch.245 Machten die Minderheiten im gesamten Staatsverbund ein Drittel der Bevölkerung aus, stellte sich die Lage im Osten der Zweiten Republik umgekehrt dar, wo ethnische Polen zumeist in der Minderheitenrolle waren und in einzelnen Wojewodschaften kaum ein Sechstel der Bevölkerung ausmachten.246 Besonders in den von Ukrainern bewohnten Gebieten hatten die Auseinandersetzungen schon während der Zweiten Republik bürgerkriegsartige Züge angenommen; im Zweiten Weltkrieg und seiner Folge wurde die Gewalt in diesen „bloodlands“ jedoch weit über jedes Maß hinaus radikalisiert.247 Mit der staatlich angeordne 241 Kowal: Za wolność, S. 277. 242 Wapiński: Historia Polskiej, S. 112. Zum Imperialismus der Nationaldemokratie, der auf ein ethnisch strukturiertes Ordnungsmodell zurückging: Porter: When Nationalism Began to Hate, S. 183. 243 Die Bezeichnung eines multinationalen Polens verweist auf die Dynastie der Jagiellonen, die durch die Union des Großfürstentums Litauen mit der polnischen Krone für eine östliche territoriale Orientierung Polens – vergleichbar den Grenzen der Zweiten Republik – steht. Im Gegensatz dazu steht die piastische Form Polens, wiederum mit Bezug auf das vorherige Herrschergeschlecht der Piasten, auf ein westlich gelegeneres Territorium, wie die Grenzen Polens nach 1945. 244 Jeweils bezogen auf Selbstaussagen zur Muttersprache bzw. Religionszugehörigkeit in Volkszählungen und spätere Schätzungen durch geschichtswissenschaftliche Untersuchungen, da die offiziellen Angaben der Volkszählungen offensichtlich verfälscht wurden. Vgl. Czesław Brzoza/Andrzej Leon Sowa: Historia Polski 1918–1945, Krakau 2006, S. 118–122. 245 Jerzy Tomaszewski: Ojczyzna nie tylko Polaków. Mniejszości narodowe w Polsce w latach 1918–1939, Warschau 1985; Albert S. Kotowski: Polens Politik gegenüber seiner deutschen Minderheit 1919–1939, Wiesbaden 1998; Stephanie Zloch: Polnischer Nationalismus. Politik und Gesellschaft zwischen den beiden Weltkriegen, Köln 2010. 246 Vgl. Brzoza/Sowa: Historia Polski, S. 122. 247 Snyder beschreibt dabei eine sukzessive Radikalisierung eines Konflikts, der vom umgebenden Kriegsgeschehen zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjet-

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ten Zersiedelung der in Polen verbliebenen Ukrainer nach dem Zweiten Weltkrieg war dieser Konflikt nicht gelöst, sondern verdrängt worden.248 Vor diesem Hintergrund war Aleksander Halls schon beinahe beiläufig formulierte Anerkennung der Nationen zwischen Polen und Russland, die zudem noch mit dem nationalen Eigennutz der polnischen Unabhängigkeit verbunden war, bemerkenswert. In diesen Gründungsjahren des Samizdat war für die polnische Opposition neben der Lage im eigenen Land der Westen und die eigene Zugehörigkeit zur europäischen Kultur ein primäres Anliegen.249 Daneben waren die oppositionellen Bewegungen in der Tschechoslowakei und später auch in Ungarn im Blick polnischer Oppositioneller, wogegen der Kontakt zu Dissidenten in der Sowjetunion ungleich schwieriger war. Auch wenn solche Plädoyers für eine Einbeziehung der Ukraine und der Sowjetunion in oppositionellen Konzeptionen im Zweiten Umlauf bereits früh bekannt waren250, blieben sie Einzelfälle. Einzelne Überlegungen knüpften an die oben beschriebenen Traditionen der Adelsrepublik oder vielmehr deren populäre Wahrnehmung an und sahen in einer polnisch-ukrainischen Verständigung, die analog zur deutschfranzösischen Aussöhnung verlaufen könnte, den Schlüssel für ein neues Ostmitteleuropa.251 Für Hall, der im Bratniak nun regelmäßig über Russland schrieb, konnte bei aller Wertschätzung auch die demokratische Opposition in den einzelnen Sowjetrepubliken letztlich keinen realistischen Partner darstellen.252 Oppositionelles Denken in Bezug auf Russland war, ähnlich wie in Bezug auf Deutschland, allzu oft von pauschalisierenden geopolitischen Gedankenspielen geprägt, die mit einer historisch vergleichenden Betrachtung ihrer Lage mit dem 19. Jahrhundert den Rahmen polnischer Handlungsoptionen absteckten. Dieser Erwartungshorizont wurde durch die doppelte Zäsur der Jahre 1980 und 1981, also die Gründung der Solidarność und ihre Unterdrückung durch das

 union und dem Zivilisationsbruch des Holocaust zusätzlich inspiriert wurde. Ders.: Bloodlands. 248 Marek Jasiak: Overcoming Ukrainian Resistance. The Deportation of Ukrainians within Poland in 1947, in: Philipp Ther/Ana Siljak (Hrsg.): Redrawing Nations. Ethnic Cleansing in East-Central Europe, 1944–1948, Lanham 2001, S. 173–194. 249 Vgl. die Ausführung zu Europa und Mitteleuropa im Kapitel 4.5. 250 Marek Beylin/Konrad Bieliński/Adam Michnik: Polska leży w Europie, in: Krytyka [Samizdat], 2/5 (1979), S. 2f.; Kisielewski: Czy geopolitika straciła znaczenie? 251 W.J.: Jaka Europa?, in: Bratniak [Samizdat], 4/17 (1980), S. 26f. Ein anderer anonymer Autor hielt diese Überlegungen für realitätsfern, das polnisch-ukrainische Verhältnis habe eine moralische, nicht aber eine realpolitische Dimension. Światowid: Polska w Europie, ale jakiej?, in: Biuletyn Dolnosląski [Samizdat], 2/19 (1980), S. 4–6. 252 Aleksander Hall: Wobec Rosji, in: Bratniak [Samizdat], 4/29 (1981), S. 12–27.

242  Eine Nation unter anderen Kriegsrecht, grundsätzlich ausgedehnt, da beide Ereignisse zeitgenössisch nicht als sowjetische Einmischung, sondern als Zeichen einer zunehmenden Zurückhaltung des Kremls gegenüber seinen Satellitenstaaten verstanden wurden.253 Der Gewerkschaftstag der Solidarność im Herbst 1981 wandte sich in zwei Erklärungen direkt an den europäischen Osten. Eine erste Erklärung „an die belarussischen, litauischen und ukrainischen Brüder in Polen“ beließ es bei einem „Zeichen guten Willens“ in der Frage der tabuisierten Nationalitäten in der Volksrepublik, verwirrte aber mit einigen missverständlichen Formulierungen und einer Vermischung historischer, religiöser und migrationsbedingter Minderheiten.254 Deutlicher war dagegen die vielbeachtete Botschaft an die Menschen der Arbeit Osteuropas, die den Werktätigen in den Ländern des Warschauer Paktes und den einzelnen Sowjetrepubliken die Solidarität der polnischen Gewerkschaftsbewegung zusicherte.255 Beide Dokumente waren letztlich folgenlos, da eine Antwort oder eine tatsächliche Kooperation am kurze Zeit später verhängten Kriegsrecht scheiterten. Sie spiegelten den zunehmenden Konfrontationskurs der Gewerkschaftsbewegung wider, deren Delegierte ohne intensivere Sachkenntnis im Inneren wie im Äußeren nach Repräsentanten der verschiedenen Volksgruppen und Gewerkschaftsbewegungen suchten.256 Dabei übertrug die Solidarność ihr intrinsisches Gemeinschaftsstreben auf die Beziehung zu möglichen anderen Massenbewegungen, die es in dieser Form jedoch nicht gab und die sich letztlich auch nicht formieren konnten. Mit dem Kriegsrecht veränderten sich jedoch die Grundlagen oppositioneller Diskussion nachhaltig. In der folgenden Zersplitterung des Samizdat wurde auch die abstrakte und auf das Innerpolnische beschränkte Auseinandersetzung mit der Sowjetunion und Russland fortgeführt, wobei mit einem verstärkten Interesse an Geschichte und gesellschaftlichen Tabus auch die Beziehungen der Polen zu den östlichen Nachbarn in einen veränderten Fokus der Opposition rückten.

 253 Golińczak: Związek Radziecki, S. 125 und 141. 254 So bezog die Erklärung auch die in den 1940er Jahren aus politischen Gründen nach Polen geflüchteten Griechen in die Gruppe der Minderheiten ein und sprach von Polen unterschiedlicher Nationalität, was von der ukrainischen Minderheit als Versuch der Polonisierung verstanden wurde. Uchwała w sprawie mniejszości narodowych, in: Tygodnik Solidarności [Samizdat], 23.10.1981, S. 1; Tomasz Szczepański: Mniejszości narodowej w myśli politycznej opozycji polskiej w latach 1980–1989, Thorn 2008, S. 31. 255 Die Botschaft an die Arbeiter Osteuropas, in: Barbara Büscher/Ruth-Ursel Henning/Gerd Koenen/Dorota Leszczyńska/Christian Semler/Reinhold Vetter (Hrsg.): „Solidarność“. Die polnische Gewerkschaft „Solidarität“ in Dokumenten, Diskussionen und Beiträge 1980–1982, Köln 1983, S. 274. 256 Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 201; Szczepański: Mniejszości narodowej, S. 32f.

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4.4.1 Brüder im Osten? Mit seiner Westverschiebung nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der polnische Staat große und bedeutende Gebiete im Osten verloren. Diese kresy und besonders die Städte Lemberg und Wilna waren für das polnische Selbstverständnis konstitutive Bestandteile, die in der sozialistischen Wirklichkeit der Volksrepublik weitestgehend tabuisiert wurden.257 Dagegen blieb die Erinnerung an den polnischen Osten im westlichen Exil ausgesprochen lebendig. Die polnische Exilregierung hielt bis 1989 den Anspruch auf die staatliche Integrität in den Grenzen von 1939 aufrecht und die Pariser Zeitschrift Kultura beschäftigte sich wiederholt mit den Beziehungen zur Ukraine, zu Belarus und zu Litauen. Sicherlich war dies auch der Herkunft der jeweiligen Exil-Akteure geschuldet, die oftmals aus den ehemals polnischen Ostgebieten stammten. Dennoch verstand sich gerade die Kultura auch als Avantgarde des politischen Denkens für ein neues Polen und war seit den 1940er Jahren Forum für verschiedenste Ordnungsvorstellungen für den ostmitteleuropäischen Raum.258 Im polnischen Samizdat erschienen die alten Ostgebiete Polens und die Nachbarvölker im Osten zunächst als thematischer Aspekt der Beschäftigung mit Russland, wie oben anhand der Beiträge von Aleksander Hall, Antoni Macierewicz, Jacek Kuroń und Adam Michnik dargestellt wurde. Vereinzelt gerieten auch die Gebiete selbst in den Blick des publizistischen Untergrunds. Gerade Lemberg, die ehemalige Hauptstadt Galiziens, wurde zum Gegenstand einer sowohl wehmütigen als auch versöhnlichen Nostalgie, wie ein Reiseführer durch das alte Lemberg zeigte.259 Andere Oppositionelle hatten eher die gegenwärtige Bedeutung der Stadt im Sinn, etwa der Anführer der Konföderation für ein unabhängiges Polen Leszek Moczulski, der die polnischen und ukrainischen Ansprüche auf Lemberg bestätigte, das nun von Russen bevölkert sei.260 Diese

 257 Christoph Kleßmann/Robert Traba: Kresy und Deutscher Osten. Vom Glauben an die historische Mission – oder Wo liegt Arkadien?, in: Hahn/Traba (Hrsg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Bd. 3, S. 37–70, hier S. 47 und 51f. 258 Marian Stanisław Wolański: Europa Środkowo-Wschodnia w myśli politycznej emigracji polskiej. 1945–1975, Breslau 1996, S. 192–197; Paulina Gulińska-Jurgiel: Geopolitik in der Emigration. Die Denkaufgabe ‚Europa‘ in der Publizistik von Juliusz Mieroszewski, in: José M. Faraldo/Paulina Gulińska-Jurgiel/Christian Domnitz (Hrsg.): Europa im Ostblock. Vorstellungen und Diskurse (1945–1991), Köln 2008, S. 341–359; Janusz Korek: Paradoksy paryskiej „Kultury“. Styl i tradycje myślenie politycznego, Kattowitz 3. Aufl. 2008. 259 Przedmowa, in: Jacek Lwowczyk: Polski Lwów, Warschau o.J., S. 1. 260 Kowal: Za wolność, S. 263.

244  Eine Nation unter anderen höchst unterschiedlichen Beiträge betonten aber lediglich die Bedeutung des Ostens für Polen und präsentierten keine programmatischen Überlegungen.261 Das polnische Verhältnis zu den Nachbarn im Osten blieb dennoch im Bereich innerpolnischer Debatten. In Zwei Vaterländer – zwei Patriotismen beschäftigte sich auch Jan Józef Lipski mit dieser Frage. Lipski, eine der prägenden Figuren des nonkonformen Warschaus seit den späten 1950er Jahren, suchte einen Ausweg aus dem polarisierenden Patriotismus traditioneller Prägung, der nationale Selbstvergewisserung auf der Geringschätzung anderer Nationen und der Überhöhung der eigenen gründete. Dazu gehörte die historische Betrachtung von positiven wie negativen Traditionen der polnischen Nation und deren Überführung in die Gegenwart. Eine Verbesserung der Beziehungen zu den Ukrainern, Belarussen und Litauern musste so mit einem ausführlichen Schuldbekenntnis beginnen, in der Hoffnung, dass sich auch die andere Seite an dieser Aussprache beteilige.262 Lipski übertrug hier die Vorstellung der Versöhnung aus dem interpersonellen Dialog in die Beziehungen zwischen Völkern und folgte damit dem Muster des Briefs der polnischen Bischöfe an ihrer deutschen Amtsbrüder aus dem Jahr 1965.263 Dabei stellte sich Lipski, der zwar engen Kontakt mit katholischen Intellektuellen unterhielt, aber selbst nicht zum unabhängigen polnischen Katholizismus gehörte, ausdrücklich in die Tradition der katholisch geprägten deutsch-polnischen Aussöhnung, die in den 1970er Jahren nur einen überschaubaren Personenkreis umfasste.264 Problematisch, weil im Letzten inkonsequent, blieb dagegen seine Unterscheidung von Kollektivschuld und Kollektivverantwortung, die er einerseits deklamierte, andererseits aber in seiner Argumentation nicht durchgängig anlegte.265 Reue bezog sich auf die Taten anderer im Namen der eigenen Nation. Nur durch diese Weiterung konnte Lipski die kollektive Wahrnehmung und sozial verbindliche

 261 Ebd., S. 277. 262 Lipski: Dwie ojczyzny, S. 14f. 263 Vgl. Karolina Wigura: Wina narodów. Przebaczenie jako strategia prowadzenia polityki, Danzig 2011, S. 77; Piotr H. Kosicki: Caritas across the Iron Curtain? Polish-German Reconciliation and the Bishops’ Letter of 1965, in: East European Politics and Societies, 23 (2009), S. 213– 243, hier S. 219–221. 264 Lipski: Dwie ojczyzny, S. 8. Verbindendes Element zum politischen Katholizismus, zum Beispiel der Znak-Bewegung, die im polnischen Sejm vertreten war, war der Neopositivismus, also die Bereitschaft, in staatlichen Strukturen für nonkonforme Zwecke zu wirken. Andrzej Friszke: Jan Józef Lipski, in: Antoni Dudek/Jan Skórzyński/Paweł Sowiński/Małgorzata Strasz (Hrsg.): Opozycja w PRL. Słownik biograficzny 1956–1989, Bd. 2, Warschau 2002, S. 200–205, hier S. 201. 265 Lipski: Dwie ojczyzny, S. 9.

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Erinnerung an Massengewalt bearbeiten. Lipski rief in seinem Essay zu einem radikalen Perspektivwechsel im polnischen Geschichtsverständnis auf und brach mit der Binnenperspektive des polnischen Patriotismus und seiner auf wiederholtes Opfer und messianische Aufgabe gründenden Vorstellungen der Nation. Jan C. Behrends wies treffend auf die europäische Dimension dieser Perspektiverweiterung Lipskis hin, die eben die betroffenen Nachbarländer mit einbeziehen wollte.266 Lipski argumentierte aber über das Europäische hinaus auch mit einem universalisierten Anspruch, den er aus der christlichen Ethik herleitete.267 Einer solchen Verbindung von moralischer Selbstreflexion und Anerkennung des Anderen folgten auch andere Oppositionelle. Adam Michnik beschäftigte sich während seiner Internierung und Inhaftierung in den 1980er Jahren immer wieder mit den Nachbarn Polens im Osten. Angeregt von der Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts und literarischen Klassikern analysierte Michnik die polnische Russland-Rezeption und Grundfragen des polnischen politischen Denkens. Wenn er beispielsweise den gescheiterten Novemberaufstand von 1863 als Wegscheide zwischen Freiheit und Nation im politischen Denken herausstellte, war dies auch für das Jahr 1986 und seine persönliche Situation im Gefängnis von Barczewa richtungsweisend, denn auch Michnik und viele seiner Mitgefangenen waren in der Internierung mit dem Scheitern ihrer bisherigen Strategien konfrontiert. Michnik erklärte in dieser intellektuellen Spannung, wie das polnische Freiheitsbestreben mit antirussischen Vorbehalten aufgeladen wurde, die zwischen russländischer Staatlichkeit, russischer Gesellschaft und russischer Kultur nicht zu unterscheiden wusste. Daraus resultierte ein nur selten reflektiertes Handeln, das sich mit internationaler Politik beschäftigte, ohne zu realisieren, dass es nationale Identität verhandelte.268 Die Stilisierung Russlands zum „asiatischen und barbarischen Gendarmen Europas […], zum Unterdrücker weiterer Völkerfrühlinge“ und dessen Übertragung auf das ebenso „barbarische und asiatische, bolschewikische Russland“269 war jedoch die Grundlage für einen national und weltanschaulich überformten BollwerkMythos der Zwischenkriegszeit. Auf diese Weise konnte der polnische Messianismus der Romantik in die wiedergewonnen Staatlichkeit überführt werden und zum Identitätsmarker werden.

 266 Behrends: Lipskis europäischer Traum. 267 Lipski: Dwie ojczyzny, S. 4. 268 Adam Michnik: Czerwona nić. Adam Mickiewicz – my wszyscy z niego, in: Ders., Polskie pytania, Warschau 2009 [Erstausgabe Paris 1987], S. 237–259, hier S. 244f. 269 Ebd., S. 245.

246  Eine Nation unter anderen Solchen Argumentationen erkennbar abgeneigt, beschrieb Michnik ihre politische Wirkung und unterschied in seiner Kritik der antirussischen Strömung im polnischen Geistesleben strikt zwischen politischem Kalkül und intellektueller Verantwortung. [D]er Intellektuelle muss mit Füßen getretene Werte im Namen ihrer selbst verteidigen. […] Es ist tatsächlich möglich – die Idee der polnisch-russischen Versöhnung, von Freien mit Freien, Gleichen mit Gleichen, ist einer der Wunschträume des naiven polnischen Idealismus. Gleichwohl sollte der Intellektuelle diesen [Traum] verteidigen – auch gegen die Wirklichkeit, auch um den Preis der Vereinsamung und des Verlusts an Popularität. Auch um den Preis des Erleidens von Verfolgung. Nicht aber um den Preis der Wahrheit.270

Michnik formulierte hier ein Postulat dissidentischen Ethos, das an Václav Havels Leben in der Wahrheit anschlussfähig war.271 Anders als in seinem 1976 veröffentlichten Konzept des Neuen Evolutionismus, das auf dem pragmatischen Handeln und dem Erreichen einer Massenbasis aufbaute272, ist dissidentisches Handeln hier auf den einzelnen Intellektuellen beschränkt. Spiegelt sich hier also die Erfahrung der gescheiterten Solidarność wider, auf die eine Zersplitterung der Opposition folgte, zeugt dies auch von einer resignierten Selbstbeschränkung. Besonders internierte Oppositionelle wie Michnik waren zunehmend losgelöst von der oppositionellen Aktivität und wieder auf das abstrakte Räsonnement verwiesen, das die Frühphase des polnischen Zweiten Umlaufs geprägt hatte. Michnik hielt so ein abstraktes Ideal des Dialogs und der freiheitlichen Völkerfreundschaft zum Abbau des „antirussischen Komplexes“ hoch und warnte vor den Gefahren des Nationalismus, konnte aber nicht an seine pragmatischen und breit rezipierten Überlegungen vorheriger Jahre anknüpfen.273 Michniks Abwägen zwischen Moral und Realpolitik zog sich durch seine im Gefängnis entstandenen Texte und wurde zum Leitmotiv eines erneuerten Kompromiss-Modells, das auch die Partei mit einschließen würde.274 Andere politische Gemeinschaften und Nationen dienten hier der polnischen Selbstreflexion und einer breiteren Diskussion moralischer und ethischer Vorstellungen, die zu Reformen in Polen führen könnten. In der aggressiven Abgrenzung von anderen Völkern zur inneren Integration, wie sie historisch die National 270 Ebd., S. 258. 271 Timothy Garton Ash: Gibt es Mitteleuropa wirklich?, in: Kontinent. Ost-West-Forum, 14/2 (1988), S. 26–41, hier S. 36. 272 Michnik: Nowy ewolucjonizm (2009). 273 Michnik: Czerwona nić, S. 259. 274 Ders.: Takie czasy …, in: Ders.: Takie czasy …, Warschau 2009, S. 55–185; Bouyeure: Adam Michnik, S. 281–284.

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demokratie praktiziert hatte und an die er national-konservative Oppositionelle anknüpfen sah, vermutete Michnik sogar etwas „Unpolnisches“: „Die Verteidiger der ‚nationalen Substanz‘ schützten die polnische Form, aber verloren ihren spezifischen Inhalt. Heute würden wir sagen, dass sie national in der Form und russisch im Inhalt waren.“275 Ein positiv verstandenes Polen konnte für Michnik nur auf den dissidentischen Ansätzen der Moral und Anerkennung fußen. Anders als in den Anfangsjahren polnischer Untergrundpublizistik waren es während des Kriegsrechts nicht mehr nur die bekannten und immer wieder zu Wort kommenden Autoren, die das politische Denken zur Nation bestimmten, sondern zahlreiche neue Stimmen und eine neue Generation oppositioneller Akteure. Von einem zusammenhängenden Forum mit unterschiedlichen Journalen entwickelte sich die Untergrund-Publizistik zunehmend zu einem polyzentrischen und heterogenen Kommunikationsgeflecht. Die Vorstellung einer pluralistischen Opposition war nun vollends dem Zustand unterschiedlicher oppositioneller Spektren und Gruppen gewichen. Neue Zeitschriften wie Obóz oder ABC (Adria – Baltikum – Schwarzes Meer) beschäftigten sich seit Mitte der 1980er Jahre verstärkt mit Ostmitteleuropa als geographischem Raum, der durch die Reformpolitik Michail S. Gorbačevs in der Sowjetunion eine neue Dynamik gewonnen hatte. Dabei knüpften diese Zeitschriften an föderalistische Konzepte aus dem Umfeld der Pariser Kultura an, die seit langem für polnische Konzeptionen in einem größeren Raumverständnis plädierte.276 Vereinzelt kamen kaschubisch- und ukrainischsprachige Periodika im polnischen Samizdat hinzu, die eine sonst selten eingebrachte Perspektive der Minderheiten selbst darstellten.277 Darüber hinaus spielten individuelle und nicht in Organisationen eingebundene Akteure zunehmend eine Rolle im polnischen Samizdat, wie der Publizist Bohdan Skaradziński, der unter dem Pseudonym Kazimierz Podlaski 1984 eine Studie über das Verhältnis der Polen zu den Minderheiten im Osten Polens veröffentlichte. Skaradziński blieb mit seinen Überlegungen ein oppositioneller  275 Adam Michnik: Gdy myślę Polskę, Warschau 1984 [Samizdat], S. 3. 276 Jasiński: Kwestie międzynarodowe, S. 80; Szczepański: Mniejszości narodowej, S. 208. Zur Einschätzung von perestrojka und glasnost’ im polnischen Samizdat: Golińczak: Związek Radziecki, S. 128–139. 277 Wolfgang Schlott: Polen, in: Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen (Hrsg.): „Das Andere Osteuropa“, S. 40–55, hier S. 47. Auch die Haltung der verschiedenen nationalen Minderheiten zur Solidarność ist nur schwer und keineswegs eindeutig zu beschreiben. Joanna Hytrek-Hrciuk/Jarosław Syrnyk: Mniejszości narodowe w Polsce wobec fenomenu „Solidarności“, in: Łukasz Kamiński/Grzegorz Waligóra (Hrsg.): NSZZ „Solidarność” 1980–1989. Bd. 7, Wokół „Solidarności”, Warschau 2010, S. 461–509, hier S. 509.

248  Eine Nation unter anderen Einzelgänger, denn eine Debatte löste das Buch trotz des immensen Interesses, das sich an den zahlreichen Auflagen im Samizdat zeigt278, nicht aus. Unter der Frage „Unsere Feinde oder Brüder?“ ging Skaradziński Wissenslücken und gesellschaftliche Tabus an. Während der durchschnittliche polnische Bürger über fremdsprachige Menschen verwundert sein könne, die auch in den 1980er Jahren noch in ostpolnischen Dörfern lebten, hinterfragte Skaradziński offensiv das ausgeprägte Geschichtsbewusstsein Polens: Wir Polen haben eine blanke Obsession mit der Geschichte. Eine Tausendjährige. Das ist nicht verwunderlich, da die Gegenwart sich uns kräftig einprägt und die Vergangenheit farbenfroh und kreativ erscheint. Haben wir aber ein Bewusstsein dafür, dass wir eine gute Hälfte dieses Jahrtausends mit den Vor- und Urgroßvätern der heutigen Belarussen, Litauer und Ukrainer zusammengelebt haben?279

Die Antwort auf seine rhetorische Frage war wenig überraschend, denn ein solches Verständnis fehlte schlichtweg. Dennoch war bereits die Bezeichnung der jeweiligen Bevölkerungsgruppen mit den Namen zeitgenössischer Nationen problematisch, ja ahistorisch. Skaradziński orientierte sich dabei an Sprache und Konfession und projizierte so das organische Nationsverständnis seiner ansonsten kritisierten Zeitgenossen in die Frühe Neuzeit. Die Argumentation Unserer Feinde oder Brüder? richtete sich an einen aufgeschlossenen, aber in den Vorstellungen seiner Zeit verhafteten Leser, dessen Präsentismus Skaradziński eben nur in Teilen hinterfragte. In ausführlichen Porträts der Beziehungen Polens zu den Ukrainern, Belarussen und Litauern kritisierte Skaradziński die polnische Haltung gegenüber den Nachbarn im Osten. Seine Aussagen – wie zum Beispiel: „Die Ukraine als kulturelle Formation existiert im polnischen Bewusstsein überhaupt nicht“280 und „Wir waren als Nation in den westlichen Gebieten Belarusʼ die Herren der

 278 Szczepański: Mniejszości narodowej, S. 226f. Allein der Katalog der Warschauer Nationalbibliothek weist fünf Samizdatauflagen zwischen 1984 und 1987 aus sowie einen Nachdruck im Jahr 1990. Der Titel der hier verwendeten Auflage weicht leicht von den übrigen Ausgaben ab, die mit „Belarussen, Litauer, Ukrainer. Unsere Feinde oder Brüder?“ betitelt sind. Bereits das Pseudonym Podlaski, das sich von der ostpolnischen Region Podlachien ableitet, aus der Skaradziński stammt, richtet den Blick auf die Uneindeutigkeit von Identitätszuschreibungen. Bei der Volkszählung von 1931 gaben 64,1 % der Bewohner dieser Wojewodschaft eine „hiesige“ Muttersprache an und meinten damit wohl vor allem einen belarussischen Dialekt. Brzoza/Sowa: Historia Polski, S. 122–124. 279 Kazimierz Podlaski [Bohdan Skaradziński]: Bracia nasi? Rzecz o Białorusinach, Litwinach i Ukraińcach, Warschau 1984 [Samizdat], S. 7. 280 Ebd., S. 61.

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Lage […] und wir haben dort überhaupt nichts Gutes getan!“281 – gingen weit über eine Selbstreflexion hinaus, wie sie im Samizdat durchaus üblich war. Sie waren eine Fundamentalkritik polnischer Selbstwahrnehmung und dekonstruierten die polnische Selbsteinschätzung als Streiter für „unsere und eure Freiheit“. Stattdessen argumentierte Skaradziński in einem doppelten Sinne quasi-dekolonisierend und verneinte einerseits jede kulturelle Überlegenheit der Polen gegenüber Ukrainern, Belarussen und Litauern. Jedoch bewunderte er beispielweise den nationalen „Widerstand“ der Litauer gegenüber der Sowjetunion282 und plädierte für eine Solidarität mit diesen Nachbarn gegen die übermächtige Sowjetunion. Die besonders belasteten polnisch-ukrainischen Beziehungen, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg in bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in den Grenzgebieten massenweise Opfer forderten, stellte Skaradziński unter die Frage der gegenseitigen Vergebung.283 Anders als der sonst im Samizdat übliche anerkennende und stark affirmative Bezug auf die polnischen Bischöfe und die deutsch-polnische Versöhnung, polemisierte er auch mit der Bischofskonferenz, die im August 1983 in einer Erklärung verlautbart hatte: „Polen ist das Vaterland aller Polen, ohne jede Diskriminierung.“284 Die Aussage der Bischöfe wurde dem 1981 ins Amt gekommenen Primas Józef Kardinal Glemp zugeschrieben, der sie auf die offiziell nicht existierende deutsche Minderheit gemünzt hatte, die zu Beginn der 1980er Jahre Schätzungen zufolge gut eine Million Angehörige zählte.285 Skaradziński sah hier jedoch eine grundsätzliche Gefahr, die für das Verhältnis Polens zu seinen Nachbarvölkern und nationalen Minderheiten bestehen könne, nämlich die völlige Leugnung dieser Frage. Diese heftige Kritik an kirchlichen Autoritäten, die in moralischen Fragen innerhalb der verschiedenen Oppositionskreisen weitestgehend unangefochten blieben und Ende der 1980er Jahre enormen gesellschaftlichen Einfluss besaßen, war ein Tabubruch, er ging aber einher mit der Form kirchlicher Versöhnungsbemühungen. Denn Skaradzińskis Darstellung der polnisch-ukrainischen Beziehungen erinnerte in Herleitung und Aufbau erkennbar an den Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder und folgte deren Grundgedanken. Er plädierte für eine „authentische polnische Gesellschaft“, die Ver-

 281 Ebd., S. 34. 282 Ebd., S. 47f. 283 Ebd., S. 60. 284 Zitiert nach: Ebd., S. 111. 285 Thomas Urban: Deutsche in Polen. Geschichte und Gegenwart einer Minderheit, München 4. Aufl. 2000, S. 204f.

250  Eine Nation unter anderen antwortung für ihre Geschichte übernehmen könne und so den Ausgleich mit den Nachbarn suche.286 Dabei ließen sich innere Minderheit und Nachbarn innerhalb der Sowjetunion nicht voneinander trennen. Der Opposition kam in diesem Streben nach Authentizität eine besondere Verantwortung zu, als authentische Elite einer zu sich findenden politischen Gemeinschaft. Von den Ukrainern, Belarussen und Litauern erhoffte Skaradziński sich die Bereitschaft, auf die neuen Verhältnisse in Polen einzugehen, ohne Konkretes zu benennen.287 Die Suche nach „unseren Brüdern“ blieb so eine innere Betrachtung der eigenen Umgebung und der vielfältigen Konflikte, die in ihrer Argumentation immer wieder erkennen ließ, dass sie auf den Schultern der Pariser Zeitschrift Kultura stand.288 Dabei war letztlich unerheblich, welchen Wert und welche Auswirkungen die daraus entstandenen Erklärungen hatten. Es fehlte schlicht an Ansprechpartnern für eine praktizierte Annäherung, so dass die nationale Selbstreflexion im Vordergrund dieser Minderheiten-Diskurse blieb.

4.4.2 Ein anderer Blick gen Osten Diese verschiedenen, voneinander isolierten Versuche polnischer Oppositioneller haben gemeinsam, dass sie das Verhältnis zu ethnischen Minderheiten und Nachbarschaftsbeziehungen als zusammengehörige Fragestellung betrachten. Quer durch die unterschiedlichen politischen Spektren der Opposition war die Anerkennung der Ukraine, Belarusʼ und Litauens und der entsprechenden Minderheiten innerhalb Polens als eigenständige politische Gemeinschaft unstrittig, musste aber als Tabubruch im Spätsozialismus mehrfach wiederholt werden. Die drei Sowjetrepubliken an der Ostgrenze Polens verschmolzen in den Reflexionen der polnischen Opposition zu einer Raumeinheit, mit geteilter Geschichte und Gegenwart und mit nur situativer Differenzierung.289 Aus polnischer Perspektive dominierte so auch in der Annäherung an diese Nationen die zu überwindende Konfliktsituation, die sich aus der Geschichte der polnischlitauischen Adelsrepublik herleitete. Die Anerkennung ihrer nationalen Existenz und Gleichwertigkeit basierte auf dem Anspruch, dass moralisches Handeln universell werden müsse, um oppositionelle Ziele zu erreichen, und leitete  286 Podlaski: Bracia nasi?, S. 114. 287 Ebd., S. 116. 288 Grygajtis: Polskie idee, S. 527. 289 Kowal: Za wolność, S. 246f.

Die polnische Nation und ihr Osten  251

sich mittelbarer aus der für die neuen oppositionellen Bewegungen fundamentalen Menschenrechtsthematik ab. Dabei sollte ein Gegensatz zwischen Völkern und Nationen aufgehoben werden, der seit den Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts konstitutiv für das jeweils eigene Selbstverständnis gewesen war. Für die postrevisionistische, linke Opposition, deren Verhältnis zum Begriff der Nation distanziert war, handelte es sich hier nur um die bloße Übertragung eingeübter oppositioneller Grundhaltungen wie des Lebens in der Wahrheit aus dem interpersonalen Bereich in die Sphäre politischer Gemeinschaften. Eine solche Übertragung von Versöhnung und Vergebung als Konzepte christlicher Ethik in die Sphäre des Politischen findet sich ebenso auffällig bei säkularen und teils auch postrevisionistischen Oppositionellen wie Jan Józef Lipski und Adam Michnik, die hier den Mitte der 1970er begonnenen Ausgleich zwischen säkularer Intelligenz und katholischer Kirche auch in den internationalen Bereich übertrugen. Anknüpfungspunkt dieses vertieften Austausches war das berühmte polnische Bischofswort „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung“ an ihre deutschen Amtsbrüder aus dem Jahr 1965, das bis in die 1980er Jahre im offiziellen polnischen Diskurs tabuisiert blieb.290 Diese Übersetzungs- und Verallgemeinerungsleistungen Lipskis, die den religiösen Zusammenhang der Ursprungsintention überwanden, stellte Jonathan Schell als Charakteristikum der oppositionellen Bewegungen in Ostmitteleuropa im Allgemeinen heraus.291 Um diesen Gedankengang auch auf die Weltmacht Sowjetunion zu übertragen, bedurfte es einer Revision der pauschalen Gleichsetzung der russischen Nation oder Gesellschaft und der staatlichen Form der Sowjetunion, wie sie sich nicht nur im polnischen politischen Denken eingebürgert hatte. Vielmehr seien auch die Russen, also die Mehrheitsbevölkerung und die politisch dominante Nationalität der Sowjetunion, in der Sowjetunion und ihren autoritären Strukturen gefangen. Während also nicht Russland abgelehnt wurde, schärfte diese Debatte den wirkmächtigen, aber bedeutungsoffenen Begriff des Totalitarismus, der „eine Kurzform für die Erfahrungen [während des autoritären Regimes darstellte], die er nicht nur nicht erschöpfend beschrieb, sondern zudem auch kaum differenzierte“292. Als Feindbild oppositionellen Denkens erreichte der Begriff dennoch über alle politischen Spektren hinaus

 290 Anders als oft behauptet, zeigte die Kernaussage des Briefes durch den oppositionellen Diskurs auch in der Volksrepublik Polen deutliche Wirkung. Vgl. Corinna Felsch/Magdalena Latkowska: Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy Brandts Kniefall. Verfrühte Helden?, in: Hahn/Traba (Hrsg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Bd. 3, S. 396–414, hier S. 400. 291 Schell: The Unconquerable World, S. 201f. 292 Śpiewak: Polnische Erfahrungen, S. 22.

252  Eine Nation unter anderen Verbreitung und prägte die oppositionelle wie auch die postsozialistische Erinnerungskultur Polens. In der Betrachtung der östlichen Nachbarn Polens erhielt er zudem eine dekolonisatorische Wendung, die bereits in der Beschäftigung mit der deutschen Wiedervereinigung erkennbar war, wenn die Sowjetunion als Besatzungsmacht verstanden wurde. Für national-konservative Oppositionelle, deren patriotische Geschichtsbetrachtungen immer wieder auf die Auseinandersetzung mit den Nachbarvölkern und besonders Russland verwiesen, blieb die Anerkennung Russlands als gleichberechtigte und ebenso durch den sowjetischen Totalitarismus unterdrückte Nation nicht unproblematisch, auch wenn Aleksander Halls Beiträge eine gewisse Sympathie für Russland erkennen ließen. Die unterschiedliche Wahrnehmung der Sowjetunion als nationales oder ideologisches Imperium, also als Russland oder Sowjetunion, war nicht nur der Ausgangspunkt einer solchen Betrachtung, sondern stellte auch sein Ergebnis dar.293 Mit dem Amtsantritt Michail S. Gorbačevs als Generalsekretär der KPdSU im März 1985 und seinen einige Monate später erkennbaren Reformbemühungen verlor diese klare Abgrenzung an Eindeutigkeit. Oppositionelle Akteure unterschiedlicher ideologischer Strömungen erkannten nun in der Sowjetunion einen zukünftigen Faktor in ihren realpolitischen Überlegungen.294 Wenn also die nationalkonservative Bewegung Junges Polen um Aleksander Hall und der linke Oppositionelle Adam Michnik während der Perestrojka die Ereignisse in der Sowjetunion aufmerksam verfolgten und ihre möglichen Auswirkungen auf Polen reflektierten, zeigt sich, dass die jeweilige Motivation für die Anerkennung anderer Nationen kontingent war. Religiöse, allgemein ethische und eben auch realpolitische Argumentationen standen hier nebeneinander und griffen ineinander über.295 Dabei darf die Thematik des polnischen Ostens zwischen Minderheiten in Polen, Nachbarn und dem traditionellen östlichen Hegemon Russland nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich in dieser Frage primär um die Aushandlung eines polnischen nationalen Selbstverständnisses handelte. Einen tatsächlichen Kontakt zu Dissidenten in den verschiedenen Sowjetrepubliken unterhielt die polnische Opposition nämlich nur vereinzelt und eben nicht im Rahmen dieser Debatte. Der historische Bezug auf die polnisch-litauische Adelsrepublik wurde in der Betrachtung der Völker an der polnischen Ostgrenze immer wieder hergestellt, aber nicht zur Klärung des Nationsbegriffs herangezo 293 Golińczak: Związek Radziecki, S. 208. 294 Ebd., S. 128. 295 Schell: The Unconquerable World, S. 204.

Die polnische Nation und ihr Osten  253

gen. Solche historischen Bezüge spielten für die Debatte über das zukünftige Selbstverständnis der polnischen Nation aber keine Rolle. Die Überwindung der „Megalomanie“, wie es Jan Józef Lipski ausdrückte, war das oberste Ziel und Grundvoraussetzung für einen „aufgeklärten Patriotismus“296, der keine negative Abgrenzung von anderen politischen Gemeinschaften anstrebte. Der oppositionelle Diskurs gründete seine Nationsvorstellung so auf die moralische Durchdringung und Revision nationaler Traditionen aus einer christlich inspirierten, aber nur unspezifischen Ethik der Anerkennung. Für die polnische Haltung zum Osten hatten die allgemeine Anerkennung einerseits und die Solidaritätsbekundungen an die Nachbarvölker zwischen Polen und Russland andererseits nachhaltige Auswirkungen. Nach der Bildung einer neuen, bis auf vier Minister nicht-kommunistischen Regierung im August 1989 stand das polnische Außenministerium unter der Leitung des unabhängigen Völkerrechtlers Krzysztof Skubiszewski. Ehemalige Oppositionelle gestalteten nun als Diplomaten die Beziehungen Polens zu den östlichen Nachbarn und setzten damit die Erwartungen und utopischen Konzepte der SamizdatDebatten in konkretes Handeln um. Wenn Jacek Kuroń oder Adam Michnik nach Vilnius, Minsk oder Kiew reisten und die dortigen UnabhängigkeitsBestrebungen unterstützten, bauten sie nicht nur Vertrauen zwischen Polen und seinen Nachbarn auf, sondern vertraten eben auch polnische Interessen.297 Skubiszewskis Nachbarschaftspolitik gründete vermutlich auf dem Ostprogramm der Pariser Zeitschrift Kultura, das Unabhängigkeit durch Kooperation zu erreichen suchte.298 Dem widersprechen die inhaltlichen wie personalen Einflüsse des unabhängigen Denkens im Land selbst, also die Wirkung der Opposition auf Skubiszewski und sein neues diplomatisches Korps, in keiner Weise. Sie rücken jedoch den intellektuellen Austausch politischer Ideen zwischen Exil und Heimat in den Blick, der auch in Skubiszewskis eigenen Beiträgen zur Ostpolitik des unabhängigen Polens zu erkennen ist. Sein Streben nach einer institutionellen Europäisierung nicht nur Polens, sondern auch der europäischen Sowjetrepubliken, war von den Denkern der Pariser Kultura, von Jerzy Giedroyc und Juliusz Mieroszewski, vernachlässigt worden.299 Europa aber, in einem breiten Sinne, war ein Kernthema oppositionellen politischen Denkens nicht nur in Polen, was im Folgenden besprochen werden wird.

 296 Behrends: Lipskis europäischer Traum, S. 2. 297 Snyder: Reconstruction of Nations, S. 241–255. 298 Ebd., S. 238f. 299 Ebd., S. 239.

254  Eine Nation unter anderen

4.5 Mitteleuropäische Reflexionen gegenüber der Nation Mitteleuropa ist mehr als eine geographische Beschreibung. Trotz und gerade wegen seiner vermeintlich alltäglichen Dimension funktioniert der Begriff als politisches Konzept, das über eine bloße Raumbeschreibung hinausgeht, und als Chiffre einer ambivalenten Selbstwahrnehmung. So liegt Mitteleuropa aus der Perspektive des Jahres 1983 „geographisch im Zentrum, kulturell im Westen und politisch im Osten“.300 Folgt man dem tschechoslowakischen Schriftsteller Milan Kundera, aus dessen Feder die obige Beschreibung stammt, so steht diese Mitte des Kontinents auf tragische Weise – als „ein kleines ‚erzeuropäisches‘ Europa“301 – für den Kontinent als solchen und paradigmatisch für seine kulturellen Werte. In einem im November 1983 veröffentlichten Essay beleuchtete der im französischen Exil lebende Schriftsteller in der französischen Zeitschrift Le Débat, was diese Region und ihre Tragik ausmache. Seine Überlegungen zwischen Selbstvergewisserung und Anklage fanden innerhalb kurzer Zeit große Beachtung im Westen, wo ihn zum Beispiel die New York Review of Books und die deutsche Kommune in Übersetzung nachdruckten.302 Kunderas Hilferuf eines vergessenen Europas gilt weithin als Ausgangspunkt einer zusammenhängenden und Blockgrenzen überschreitenden Debatte, die Mitte der 1980er Jahre Europa zugleich seine Zusammengehörigkeit und seine Teilung vor Augen führte. Dennoch wurde diese Debatte bislang vor allem aus der Perspektive westeuropäischer Publizistik her betrachtet, was dort erschienene Beiträge ostmitteleuropäischer Autoren aus Exil und Opposition durchaus einschloss.303 Kunderas Un occident kidnappé stiftete weder einen neuen Begriff noch ein neues Thema. Vielmehr war die Vorstellung Mitteleuropa, oder Zentraleuropa, wie es in der deutschen Übersetzung auf abstrakter Ebene heißt, als Begriff schon seit Jahrzehnten verbreitet und mit unterschiedlichen Vorstellungen verbunden. Friedrich Naumanns Ausführungen über einen deutsch kontrollierten Raum östlich des Deutschen Reiches prägten den Begriff genauso wie die Raumkonzeption des polnischen Exil-Historikers Oskar Halecki, der zu Beginn  300 Milan Kundera: Un occident kidnappé oder Die Tragödie Zentraleuropas, in: Kommune, 2/7 (1984), S. 43–52, hier S. 44. 301 Ebd., S. 45. 302 Vgl. Ders.: Un Occident kidnappé ou la tragédie de l’Europe centrale, in: Le Débat, 4/27 (1983), S. 3–23; Ders.: The Tragedy of Central Europe, in: New York Review of Books, 26.04.1984, S. 33–38. 303 Vgl. die Kritik an dieser Fokussierung bei: Maciej Janowski/Constantin Iordachi/Balázs Trencsényi: Why Bother about Historical Regions? Debates over Central Europe in Hungary, Poland and Romania, in: East Central Europe, 35/1–2 (2005), S. 5–58, hier S. 7.

Mitteleuropäische Reflexionen gegenüber der Nation  255

des Kalten Krieges die Europäizität der sowjetisierten Länder zu betonen suchte.304 Dennoch musste der Begriff mit Kunderas engagiertem Essay aus einer westlichen Perspektive erst wiederentdeckt werden, was selbst und besonders in intellektuellen Kreisen eine auffällig präsentische, nur auf den zweiten Kalten Krieg bezogene Interpretation des Begriffs zu Tage brachte.305 Es ist kein Zufall, dass diese engagierte Publizistik sich in bestimmten Aspekten mit einem Wissenschaftsdiskurs überschneidet, der zum Beispiel das in dieser Arbeit untersuchte Ostmitteleuropa sowohl als „mental map“306 aus den Sinnwelten seiner Quellen als auch als analytische Raumbeschreibung rezipiert.307 Unabhängig davon gelang es Kundera mit seinen Überlegungen eine vergessene oder zumindest marginalisierte Raumbeschreibung in einen öffentlichen und breiten Zusammenhang zu stellen, der ihr eine neue, diskursive Faktizität verlieh. Die Mitteleuropa-Debatte lebte Mitte der 1980er Jahre aus dem Verständnis heraus, eine europäische Diskussion zu führen. So war sie keineswegs nur auf westeuropäische Feuilletons, Monatsschriften oder gar akademische Fachzeitschriften – wie zum Beispiel die modischer Themen unverdächtige Historische Zeitschrift308 – beschränkt, sondern überschritt tatsächlich den sprichwörtlichen Eisernen Vorhang. Unter dem Schlagwort Mitteleuropa machte diese abstrakte Debatte unterschiedliche und oft national kontextualisierte Diskurse füreinander anschlussfähig und sensibilisierte nationale Perspektiven für andere Betrachtungen. Im Folgenden wird der Frage nachzugehen sein, wie diese Betrachtung einer größeren räumlichen Einheit in der Mitte Europas das jeweilige oppositionelle Verständnis der eigenen Nation beeinflusste und wie sich der Transfer von Ideen auf das politische Denken im Samizdat auswirkte.

 304 Vgl. Friedrich Naumann: Mitteleuropa, Berlin 1915; Oskar Halecki: Europa. Grenzen und Gliederung seiner Geschichte, Darmstadt 1957; Ders.: Grenzraum des Abendlandes. Eine Geschichte Ostmitteleuropas, Salzburg 1957. 305 Vgl. dazu Tony Judts Kritik der akademischen Debatte: Ders.: The Rediscovery of Central Europe, in: Daedalus, 119/1 (1990), S. 23–54, hier S. 27. 306 In Anwendung auf Ostmitteleuropa vgl. Troebst: ‚Intermarium‘. 307 Vgl. pointiert für eine unterschiedliche Nutzbarmachung der Begrifflichkeit: Jaques Le Rider: Mitteleuropa, Zentraleuropa, Mittelosteuropa. A Mental Map of Central Europe, in: European Journal of Social Theory, 11/2 (2008), S. 155–169; Joachim von Puttkamer: Strukturelle und kulturelle Grundlagen des Politischen in Ostmitteleuropa im 20. Jahrhundert, in: Comparativ, 12/2 (2008), S. 87–99. 308 Rudolf Jaworski: Die aktuelle Mitteleuropadiskussion in historischer Perspektive, in: Historische Zeitschrift, 247 (1988), S. 529–550.

256  Eine Nation unter anderen 4.5.1 Die Entführung des Abendlands Mit seinem Impuls wandte sich Milan Kundera an Europa und den Westen, nicht aber direkt an die Mitteleuropäer. Geboren im mährischen Brünn, hatte er Film studiert und später an der Prager Karlsuniversität gelehrt. Seit den 1950er Jahren veröffentlichte Kundera Gedichte und Romane, aber erst mit den Impulsen des Prager Frühlings prägte die Kritik an der Staatsmacht sein Werk zunehmend. Wie zahlreiche andere Hochschul-Dozenten wurde auch Kundera nach der Niederschlagung des Prager Frühlings zunächst aus der Partei ausgeschlossen und dann der Universität verwiesen. Nach fünf Jahren praktischen Berufsverbots emigrierte er 1975 nach Frankreich, wo sein literarisches Hauptwerk entstand, das sich immer wieder kritisch mit dem Kommunismus auseinandersetzte. „[E]s war die existenzielle Erfahrung eines Mitteleuropäers mit Nachkriegsgeschichte“309 und des sowjetischen Einmarsches vom August 1968, die seine literarischen Arbeiten wie auch Un occident kidnappé prägte. Auch sein bekanntester Roman Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, der nur wenige Monate nach diesem Essay erschien und beim Publikum wie auch Kritikern weltweit Anklang fand, unterstreicht, dass der „verlorene Sinn der Revolution“ nach dem Einmarsch des Warschauer Pakts in Prag unauffindbar blieb.310 Für Kundera symbolisierte der Prager Frühling als Sinnstiftung durch gesellschaftliche Massen, wie auch der Ungarische Volksaufstand des Jahres 1956 und die verschiedenen polnischen Arbeiterproteste, den Kern Mitteleuropas. „[J]enes Europa das ich zentral nenne“, zeichnete sich durch die Bereitschaft aus, „für sein Vaterland und für Europa [zu] sterben“.311 Mitteleuropa wird also erst in der existenziellen Gefährdung und durch seinen heroischen Kampf für die Werte Europas als eigene Einheit sichtbar. In Kunderas Schilderung einer verletzten Ordnung definiert sich Mitteleuropa also weniger über das kulturelle Selbstverständnis des europäischen Westens als durch die Beschreibung einer russischen Bedrohung. Dabei unterscheidet Kundera deklamatorisch zwischen der Sowjetunion und dem russischen Volk als dem „ersten Opfer“312 des Kommunismus, bindet aber „den slawischen Geist“ Russlands und den „russischen

 309 Květoslav Chvatík: Die Fallen der Welt. Der Romancier Milan Kundera, München 1994, S. 17. 310 Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, München 1984, S. 52. Vgl. Chvatík: Die Fallen der Welt, S. 141. 311 Kundera: Die Tragödie Zentraleuropas, S. 44. 312 Ebd., S. 45.

Mitteleuropäische Reflexionen gegenüber der Nation  257

Totalitarismus“ in seine Bedrohungsbeschreibung ein.313 Mit anderen Worten macht Mitteleuropa aus, dass es nicht Russland ist. Diese kulturalistisch motivierte Abgrenzung vom östlichen Hegemon war geradezu paradigmatisch für die Einschätzung Russlands in konservativen Samizdat-Publikationen. Auch wenn Kundera durch seine Emigration nicht dezidierter Teil der ostmitteleuropäischen Opposition und ihrer Publizistik sein konnte, ist er mit seinen Ausführungen hier einzuordnen. Vergleicht man sie beispielsweise mit den in diesem Kapitel analysierten Beiträgen Aleksander Halls zu Russland314, lässt sich ein gemeinsames Fundament erkennen, das auch die Eigenwahrnehmung dessen umfasst, was Kundera Mitteleuropa nennt. Betrachtet man Kunderas kommunistische Vergangenheit, in der er zweimal von 1948 bis 1950 und von 1967 bis 1970 Mitglied der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei war und jeweils aus dieser ausgeschlossen wurde, überrascht diese traditionelle antirussische Argumentation. Als Wandlung postrevisionistischer, das heißt kritischer und letztlich enttäuschter Sozialisten, zu konservativen Dissidenten war sie jedoch kein Einzelfall, wie die Diskussionsbeiträge von Petr Uhl und Milan Hübl zum Recht auf Geschichte und zur Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei bereits zeigten. Kundera spielte aber mit seiner Argumentation darüber hinaus auf die klassische Frage nach dem Verhältnis von Russland und Europa an, die in der russischen Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts den grundlegenden Gegensatz zwischen Westlern und Slawophilen ausgemacht hatte und auch von Tomáš G. Masaryk behandelt worden war.315 In den 1980er Jahren gewann sie unter dem Eindruck von Glasnost’ und Perestrojka an neuer Aktualität.316 Kundera verhandelte aber nicht aus russischer Perspektive, ob Russland zu Europa gehöre, sondern knüpfte an einen dezidierten Europa-Diskurs an, der seit der Aufklärung seine Selbstwahrnehmung auch in der Positionierung zu Russland ausgedrückt hatte. Im Euro-

 313 Ebd., S. 47 und 52. 314 Vgl. Kapitel 4.4. 315 Zur dieser Dichotomie vgl. Dieter Groh: Rußland im Blick Europas. 300 Jahre historische Perspektiven, Frankfurt am Main 1988; Wolff: Inventing Eastern Europe. Vgl. zu Masaryk: Ders.: Russland und Europa. Studien über die geistigen Strömungen in Russland, 2 Bde., Jena 1913. 316 Zur erneuten Debatte über Russland und Europa: Brigitte Schultze: Schlüsselkonzepte, Topoi, Kulturthemen und andere klassifikatorische Ordnungen in der Rußland-Debatte seit den achtziger Jahren, in: Eva Behring/Ludwig Richter/Wolfgang Friedrich Schwarz (Hrsg.): Geschichtliche Mythen in den Literaturen und Kulturen Ostmittel- und Südosteuropas, Stuttgart 1999, S. 33–52; Hans-Henning Schröder: „Tiefste Barbarei“, „höchste Civilisation“. Stereotypen im deutschen Russlandbild, in: Osteuropa, 60/10 (2010), S. 83–100, hier S. 98–100.

258  Eine Nation unter anderen pa-Gedanken der Nachkriegszeit fand diese Abgrenzung eine Reaktualisierung, die sich mit dem Antikommunismus dieser Zeit vermischte. Gerade in der Bundesrepublik firmierte eine solche ideologische Konfliktstellung unter dem Begriff des Abendlandes. Als säkularisiertes Substrat dieses christlich ausgestalteten Abendland-Diskurses wurde Europa Ausdruck eines Integrationsprozesses317, der zunächst aus der Bedrohungsanschauung und dann aus ideeller Überzeugung den Westen des Kontinents zusammenführte. In der Betrachtung Mitteleuropas und seiner Geschichte bildet für Kundera das Jahr 1945 folgerichtig „die Infragestellung seiner Zivilisation“, denn mit dem Vorrücken der Roten Armee und der zunächst noch eingeschränkten Kontrolle der Sowjetunion über die Länder des östlichen Europas begann die „Verteidigung seiner [d.h. Mitteleuropas] ‚Westlichkeit‘“318. Anders als die bekannte oppositionelle Russland-Kritik erweitert Kundera die Infragestellung der Kultur und Zivilisation Mitteleuropas aber um den Holocaust. Mit der Vernichtung der europäischen Juden verlor Mitteleuropa „das wesentliche kosmopolitische und integrative Element […], sein[en] intellekuelle[n] Kitt“.319 Waren die Juden also die symbolische Zuspitzung Mitteleuropas und seine Triebfeder, wurde aus seiner pessimistischen, aber kämpferischen Bestandsaufnahme die Beschreibung eines irreversiblen Verlusts. Diese Tragödie Mitteleuropas ging weit über die Argumentation dissidentischen Räsonnements hinaus, denn trotz aller offenen Kritik am Kommunismus und der Sowjetunion als Besatzer Mitteleuropas erkannte der Exilant Kundera den europäischen Westen als eigentlichen Schuldigen am Zustand seiner Heimat. Der Westen habe die Länder Mitteleuropas schlichtweg verdrängt und vergessen: „Aber wenn leben heißt, in den Augen derer, die man liebt, da zu sein, dann gibt es dies Zentraleuropa nicht mehr. Genauer: In den Augen seines geliebten Europa ist es nichts als ein Teil des sowjetischen Imperiums, nichts als das nichts mehr als das.“320 Hieraus ist die Verstörtheit Kunderas angesichts der détente und der offen zur Schau getragenen Akzeptanz für den Kommunismus zu erkennen, wie sie nicht nur in seiner Wahlheimat Frankreich verbreitet war.321 Auch das mit dem Helsinki-Prozess begonnene westliche Engagement für  317 Axel Schildt: Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre, München 1999, S. 21. 318 Kundera: Die Tragödie Zentraleuropas, S. 46. 319 Ebd., S. 49. 320 Ebd., S. 52. 321 Philipp Ther: Milan Kundera und die Renaissance Zentraleuropas, in: Themenportal Europäische Geschichte, 12.04.2005. http://www.europa.clio-online.de/Portals/_Europa/documents/ fska/E_2005_FS3-08.pdf (letzter Aufruf 29.04.2015), S. 1.

Mitteleuropäische Reflexionen gegenüber der Nation  259

Menschenrechte in den sozialistischen Ländern konnte diese Entfremdung nicht überbrücken. Kundera führte zudem mit dem Begriff des Abendlandes und der Vorstellung eines lateinischen Europas selbst Vorstellungen an, die in der westeuropäischen Praxis der 1950er und 1960er Jahre zu einer weitergehenden Entfremdung oder einem Vergessen des Europas jenseits des sogenannten Eisernen Vorhangs führte. So bleibt der Begriff des gekidnappten Abendlands vieldeutig und seine Problembeschreibung widersprüchlich. Ohne Zweifel steckte Kundera mit seinem Essay einen Rahmen für die weitere Debatte ab.322 Gerade im ungarischen Samizdat stießen seine Gedanken auf ein breites Interesse. So hatte die Samizdat-Zeitschrift Hírmondó bereits 1983 ein Interview mit dem Schriftsteller über Mitteleuropa veröffentlicht und druckte im Mai 1984 auch seinen Essay in Übersetzung nach.323 Damit war Kundera praktisch zeitgleich mit der deutschen und amerikanischen Wahrnehmung auch in der unabhängigen ungarischen Publizistik zu lesen. In derselben Zeitschrift knüpfte der Schriftsteller György Konrád wenig später mit eigenen Gedanken zu Mitteleuropa an Kundera an. Auch Konrád verstand Mitteleuropa als Raum, der mehr sei als eine geographische Zuschreibung, nämlich eine Vision möglicher Gesellschaftsordnung. Er hob ebenso die Vielfalt Mitteleuropas hervor, die einem sowjetischen Streben nach Einheit und Homogenität entgegenstünde.324 Dennoch unterschied sich Konráds Mitteleuropa deutlich von dem Kunderas. Für den ungarischen Schriftsteller war nämlich nicht die scharfe Abgrenzung von Russland oder der Sowjetunion ausschlaggebend, sondern die Ablehnung herkömmlicher nationalstaatlicher Ordnungsvorstellung. Die Übertragung homogener Konzepte der Nation könne Mitteleuropa nicht gerecht werden, sondern verdecke dessen heterogenes und vielschichtiges Wesen.325 Was Konrád dabei als positive Definition anbrachte – „Kakaniens größte Energie verbarg sich in seinem Gemischtsein.“326 –, war zugleich eine Abgren-

 322 Ebd., S. 2. 323 Das Interview erschien zunächst in der Pariser Exil-Zeitschrift Magyar Füzetek und wurde auch im Druckbild aus dieser Zeitschrift übernommen. Milan Kundera: Mi az, hogy KeletEurópa?, in: Hírmondó [Samizdat], 1/1 (1983), S. 31; Ders.: A megrabelt Nyugat avagy KözépEurópa tragédiája, in: Hírmondó [Samizdat], 2/6–7 (1984), S. 4–17. 324 György Konrád: Van-e még álem Közep-Európáról, in: Hírmondó [Samizdat], 2/8 (1984), S. 24–34, hier S. 25. Ich folge im Weiteren der deutschen Übersetzung: Ders.: Mein Traum von Europa, in: Kursbuch, 21/81 (1985), S. 175–193, hier S. 186. 325 Ebd. 326 Ebd., S. 185. Der Begriff ‚Kakanien‘, der auch im ungarischen Original verwendet wird, geht auf den österreichischen Schriftsteller Robert Musil zurück, der im Mann ohne Eigenschaf-

260  Eine Nation unter anderen zung von der politischen Ordnung des Spätsozialismus. Wo Kundera die mental maps des Westens kritisierte, suchte Konrád eine solche sinnweltliche Strukturierung des Kontinents an sich zu überwinden. Statt die kritisierten mental maps durch eigene zu ersetzen, verweigerte er sich daher einer räumlichen Definition Mitteleuropas völlig.327 Konrád entwarf mit der „Subjekt“-Werdung der Gesellschaft328 eine Vorstellung von Mitteleuropa, die klassischen oppositionellen Entwürfen des Politischen entsprach. Sein Mitteleuropa war bestimmt von romantisch denkenden Intellektuellen, die über Grenzen und Partikularismen hinweg eine Utopie für freie Bürger in souveränen Staaten erträumten. Anders als Kundera argumentierte Konrád auch nicht mit der Masse der Bevölkerung als Träger der Idee Mitteleuropas, sondern war sich seiner elitären, dissidentischen Begriffsentwicklung bewusst.329 Die Nation wurde mit dieser Programmatik zwar nicht hinfällig, aber doch durch eine übernationale Ordnungskategorie überformt. Dabei fasste Konrád in seinem Traum von Mitteleuropa ein politisches Konzept zusammen, das er in einem ebenso 1984 erschienenen Band als „Antipolitik“ bezeichnete. Antipolitik, die als Begriff auch von Václav Havel angeführt wurde, basierte auf einer strikten Unterscheidung zwischen Gesellschaft einerseits und Staat und Politik andererseits und forderte die Zurückdrängung des Staates aus (zivil-)gesellschaftlichen Prozessen in ganz Mitteleuropa.330 Dabei handelte es sich aber nicht um ein Konzept, die Macht selbst zu erlangen, sondern vielmehr um eine Begleitung der Machtausübung, die bereits zum Zeitpunkt ihrer Formulierung „aufgrund ihres moralisch-kulturellen Gewichts“331 wirke. Mitteleuropa und Antipolitik waren in dieser Konzeption miteinander verwoben. Dies lag zum einen an der oppositionellen Prägung beider Begriffe, die von grundlegenden Argumenten der Oppositionsbewegung inspiriert waren und diese weiterentwickelten. Zum anderen überlappten sich beide Vorstellungen in ihrer Betonung der Mitte als Ausweg aus der Krise des Kalten Krieges. Konrád grenzte Mitteleuropa von Ost und West, oder anders formuliert von beiden Flügelmächten, ab.332 Zugleich hob er die Bedeutung des gegenseitigen  ten die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie abgeleitet von „kaiserlich und königlich“ als Kakanien bezeichnet. 327 Ebd., S. 191. Vgl. dazu: Behrends/Kind: Vom Untergrund in den Westen, S. 441. 328 Konrád: Mein Traum von Europa, S. 190. 329 Vgl. dazu ebd., S. 188f.; Kundera: Die Tragödie Zentraleuropas, S. 44. 330 Konrád: Antipolitik, S. 190. Vgl. die später erschienene Ausgabe im ungarischen Samizdat: Ders.: Antipolitika, Budapest 1986 [Samizdat]. 331 Ders.: Antipolitik, S. 213. 332 Ders.: Mein Traum von Europa, S. 184.

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Wissens in Mitteleuropa über die Vielfalt der unterschiedlichen Nationen und innerhalb dieser Nationen hervor.333 Indem er diesen unterschiedlichen Bestandteilen eine Gleichberechtigung zuschrieb, die das Verständnis von Minderheit und Mehrheit überwand, suchte er eine „Mitte zwischen Individualismus und Kollektivismus“334. Dieser moralisch argumentierte Ausgleich zwischen divergierenden Interessen auf geopolitischer und regionaler, auf politischer und gesellschaftlicher Ebene ist der eigentliche Kern Mitteleuropas und eine Form der Verschränkung verschiedener Mitten. Mit dieser Mischung aus dissidentischer Theorie und mitteleuropäischer Selbstvergewisserung335 trug Konrád nicht nur zum Verständnis von politischer Ordnung in Ostmitteleuropa bei, sondern erreichte auch ähnlich wie Kundera eine europäische, eine westliche Leserschaft. In der europäischen Linken hatte der schleichende Vertrauensverlust in den Marxismus und der Niedergang des Eurokommunismus ein Interesse an alternativen Ideen befördert, das nun mit Konráds Beiträgen Nahrung erhielt.336 Mitte der 1980er Jahre entstand so in linken westlichen Kreisen geradezu eine Mode, ostmitteleuropäische Intellektuelle zu lesen, die von Zeitschriften wie La Nouvelle Alternative, Gegenstimmen, Cross-Currents oder anderen abgedruckt wurden. Zwar bestanden einige dieser Blätter schon seit Beginn des Jahrzehnts, sie erhielten aber erst mit der aufkommenden Mitteleuropa-Debatte einen deutlichen Anschub. Prominente Dissidenten wie der inhaftierte Adam Michnik wurden nun im Westen parallel zum Samizdat gedruckt und erreichten beachtliche Auflagen.337 Diese MitteleuropaMode war nicht allein auf einzelne Artikel und Konzepte zurückführen, sondern bestand aus verschiedenen, ineinandergreifenden Mechanismen. Für das Untersuchungsinteresse dieser Arbeit ist dabei wichtig, dass sie nicht nur ein „Pantheon“ einiger weniger Autoren und Denker aus dieser Region für den westlichen Leser verfügbar machte, die für diesen in der Folge pars pro toto für die Region standen338, sondern auch diese Autoren selbst in ihren Erwartungshorizonten und ihrem konkreten Denken beeinflusste. Als Beispiel für diese westliche Rezeption kann eine Ausgabe des Kursbuchs, einer der zentralen Zeitschriften in der Tradition der 68er-Bewegung in

 333 Ebd., S. 184–186. 334 Rainer Schmidt: Die Wiedergeburt der Mitte Europas. Politisches Denken jenseits von Ost und West, Berlin 2001, S. 136. 335 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 307–309. 336 Judt: The Rediscovery of Central Europe, S. 34. 337 Ebd., S. 32. 338 Bolton: Worlds of Dissent, S. 3.

262  Eine Nation unter anderen der Bundesrepublik, gelten, die 1985 unter dem Titel Die andere Hälfte Europas erschien. Der Band bündelte einen länger andauernden Austausch zwischen deutschen und ungarischen Intellektuellen und legte bei einer breiten Auswahl von Autoren aus Deutschland, Großbritannien, Polen und der Tschechoslowakei einen Schwerpunkt auf Ungarn. Seit den frühen 1970er Jahren konnten ungarische Intellektuelle wie György Dalos oder eben Konrád mit Stipendien des DAAD in die Bundesrepublik, besonders aber nach West-Berlin reisen. Vor allem der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der als akkreditierter Journalist nach Budapest gereist war und dort erste Bekanntschaften im nonkonformen Milieu gemacht hatte, wurde zu einem intellektuellen Ansprechpartner für ungarische Intellektuelle in Deutschland und zugleich zu deren Protegé im deutschen Zeitungs- und Verlagswesen.339 Enzensberger nutzte seine Kontakte zu den postrevisionistischen und liberalen Urbanisten, die er selbst „Mitteleuropäer“340 nannte, und brachte prominente Vertreter dieser Gruppe wie Konrád, Dalos, János Kis und Miklós Haraszti in einem sehr heterogenen Band in die deutsche Öffentlichkeit.341 In dieser deutschen Betrachtung der Mitteleuropa-Debatte erschienen die Stimmen der Dissidenten als einzig authentische Beiträge, die aus Mitteleuropa verfügbar seien.342 Dagegen war eine solche ostmitteleuropäische Authentizität schon bei Konráds Traum von Mitteleuropa keineswegs mehr eindeutig. Der Hauptteil seines Kursbuch-Artikels unter der Zwischenüberschrift „Gibt es noch einen Traum von Mitteleuropa“ war die Übersetzung eines seiner Beiträge im ungarischen Samizdat-Journal Hírmondó, der wiederum auf einem Vortrag in Wien beruhte.343 Für die deutsche Ausgabe stellte Konrád dem Text Überlegungen über einen demokratischen Sozialismus voran, die in ungarischen Samizdat-Blättern in dieser Form nur wenig Anklang gefunden hätten und auch aus dem argumentativen Rahmen seiner Antipolitik fielen. György Dalos’ Bei-

 339 Victoria Harms: Living Mitteleuropa in the 1980s. A Network of Hungarian and West German Intellectuals, in: European Review of History, 19 (2012), S. 669–692, hier S. 675. 340 Hans Magnus Enzensberger: Ach Europa! Wahrnehmungen aus sieben Ländern, Frankfurt am Main 1987, S. 132. Darüber hinaus schildert er durchaus kenntnisreich das Innenleben der Opposition und beschreibt die Diskussionsabende in Budapester Wohnungen. 341 Er verzichtete dabei jedoch auf eine Einleitung, die den Band aus seiner Zusammenstellung heraus erklärt hätte. 342 Harms: Living Mitteleuropa, S. 678. 343 Konrád: Van-e még álem Közep-Európáról, S. 24. In der deutschen Fassung: Ders.: Mein Traum von Europa, S. 184–193.

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trag im Kursbuch war gleich auf Deutsch verfasst worden.344 Aus dieser Textgeschichte zwischen Ost und West ergibt sich die Frage, für welche Adressaten diese Texte eigentlich entstanden. Bei näherer Betrachtung dieses und verschiedener anderer Beiträge in der Mitteleuropa-Debatte handelte es sich nur um ein beschränktes Meinungsspektrum des Samizdat, das letztlich durch eine personelle Verschränkung von wenigen einzelnen Akteuren im Westen besondere Verbreitung fand. Eine solche Verflechtung der ostmitteleuropäischen Opposition und der westlichen Linken lässt sich seit dem Beginn der Neuen Opposition Mitte der 1970er Jahre erkennen und ist bereits in der Einleitung dieser Arbeit ausgeführt wurden. Sie soll aber in einer Gesamtschau oppositionellen politischen Denkens im folgenden Kapitel ausführlicher betrachtet werden.345 Bereits die beiden Kerntexte der Mitteleuropa-Debatte zeigen, dass Ideen und Konzepte in der Kommunikation über die Blockgrenzen hinweg vermittelt und kulturell übersetzt werden mussten.346 So dienten zum Beispiel Konráds Bemerkungen zum demokratischen Sozialismus dazu, die unterschiedlichen Ausgangspositionen von Autoren und Lesern zusammenzuführen und das inhaltlich Neue, nämlich Mitteleuropa, im Bekannten, einem alternativen Sozialismus, zu verorten. Dabei war es weniger das wiederentdeckte Mitteleuropa, das zu vermitteln war, als seine Bezugsrahmen wie Gesellschaft und Staat, Sozialismus und Demokratie oder Block und Europa. Dass dieser Diskurs zunächst auf den Westen des Kontinents ausgerichtet war, liegt in seiner Entstehung begründet, wogegen im Folgenden seine Auswirkungen im Samizdat und darüber hinaus in Ostmitteleuropa behandelt werden sollen.

 344 György Dalos: Die Befreiung der Sowjetunion von ihren Satelliten. Entwurf einer mitteleuropäischen Konföderation, in: Kursbuch, 21/81 (1985), S. 1–11. Vgl. die Angabe ebd., S. 196. Der Beitrag von János Kis war allerdings eine Übersetzung aus Hírmondó. Ders.: Das Jalta-Dilemma in den achtziger Jahren, in: Kursbuch, 21/81 (1985), S. 153–164. 345 Vgl. Behrends/Kind: Vom Untergrund in den Westen, S. 431f. 346 Die Übersetzungsthematik ist für die Ost-West-Kontakte der 1980er Jahre bislang noch nicht entsprechend bearbeitet worden. Vgl. allgemeiner: Simone Lässig: Übersetzungen in der Geschichte – Geschichte als Übersetzung? Überlegungen zu einem analytischen Konzept und Forschungsgegenstand für die Geschichtswissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft, 38 (2012), S. 189–216.

264  Eine Nation unter anderen 4.5.2 Mitteleuropa in Ostmitteleuropa Betrachtet man dabei zunächst Ungarn, lässt sich im Samizdat trotz der erwähnten Einzelbeiträge keine nachhaltige Debatte feststellen. Zwar bezogen ungarische Oppositionelle wiederholt Kernfragen von György Konráds Antipolitik in ihre Überlegungen zur ungarischen Wirklichkeit ein, dies war aber weniger der Mitteleuropa-Thematik geschuldet. Ihren Erfolg im Westen konnten die oben besprochenen Beiträge in Ungarn nicht wiederholen347, es blieb ein Erfolg in der Fremde. Anders verhielt es sich dagegen mit Debatten im offiziellen Diskurs, die beispielsweise in den Geisteswissenschaften eine Rolle spielten. Angefangen mit dem 1979 in der Samizdat-Festschrift für István Bibó und 1981 auch auf dem offiziellen Buchmarkt erschienenen Essay Die drei historischen Regionen Europas stieß Jenő Szűcs eine Debatte an, die geschichtswissenschaftliche Regionen als Struktur- und Vergleichskategorie nutzbar machte.348 Dabei akzeptierte er strukturelle Unterschiede zwischen Ungarn und seinen Nachbarländer und dem, was gemeinhin als Westen Europas bezeichnet wird, hinterfragte sie in der longue durée und erklärte die Besonderheit Ostmitteleuropas aus einer struktur- und gesellschaftsgeschichtlichen Perspektive, wozu ihm Ungarn als Musterbeispiel diente.349 Solche Gedankengänge waren in der Geschichtswissenschaft seiner Zeit keine alleinstehende Argumentation, evozierten aber anders als beispielsweise die Überlegungen Klaus Zernacks in Deutschland350 eine breitere Debatte in der ungarischen Wissenschaft, die das Land kulturell tendenziell weiter im Westen verortete, als seine politische Wirklichkeit es nahe legte.351 Szűcs argumentierte nicht bloß aus der Perspektive eines Mediävisten, sondern projizierte seine Erkenntnisse auch auf seine eigene Gegenwart und deutete versteckt in Zitaten István Bibós an, dass Ungarn über die strukturellen Grundlagen verfüge, eine Demokratie zu werden.352 So wurde Ostmitteleuropa, wie Szűcs’ Geschichtsregion hieß, zur identitätsstiftenden Selbstaussage über das eigene Land mit Blick auf seine politische Zukunft. Die tschechoslowakische Opposition war in besonderer Weise empfänglich für Mitteleuropa, denn die Vorstellung, in der Mitte des Kontinents zu liegen,  347 Harms: Living Mitteleuropa, S. 681. 348 Szűcs: Vázlat Európa; Ders.: Vázlat Európa három történeti régiójáról, Budapest 1981. Bereits 1983 und 1985 wurde der Band in Auszügen ins Englische und Französische übertragen, später auch ins Deutsche. 349 Szűcs: Die drei historischen Regionen Europas, S. 91. 350 Zernack: Osteuropa. 351 Janowski/Iordachi/Trencsényi: Why Bother about Historical Regions?, S. 14–16. 352 Maria Todorova: Imagining the Balkans, New York 2. Aufl. 2009, S. 143.

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hatte seit František Palacký das tschechische Geschichtsdenken geprägt. Martin Schulze Wessel bezeichnete diese paradigmatische Suche nach dem eigenen Raum zwischen den verschiedenen Positionen als „tschechische Ideologie der Mitte“353, die sich auch in der Suche des Prager Frühlings nach einem „Dritten Weg“ widerspiegelte. Hinzu kam, dass die Tschechoslowakei verblüffend genau auf die Beschreibungen Mitteleuropas passte, denn sowohl Kundera als auch Konrád hatten in ihren Beiträgen das Bild der kleinen Nationen bemüht, das für das tschechoslowakische Selbstverständnis richtungsweisend war. Bereits der Staatsgründer Masaryk hatte eine solche tschechische Kleinheit mit zugleich messianischem Anspruch proklamiert, die der philosophische Doyen der tschechischen Opposition, Jan Patočka, in den 1970er Jahren kritisch weiterentwickelte. Schon hier prägte die Lage dieser kleinen Nation in der Mitte Europas und zwischen den Großmächten das tschechische und tschechoslowakische Selbstverständnis.354 Der tschechische Samizdat knüpfte an solche traditionellen Debatten an und verhandelte dabei eben auch den Begriff Mitteleuropa, ohne ihn selbst zu einem Konzept zu erheben. Der Historiker Jan Křen diskutierte zum Beispiel Palackýs Mitteleuropa-Verständnis und legte den Begriff dabei strukturanalytisch für die Region aus.355 Hinzu kam, dass Křen „střední Evropa“ durchgängig klein schrieb, so dass es sich eher um eine geographische Angabe, also das „mittlere Europa“, handelte.356 Dennoch behandelte die tschechische Opposition auch vor Kunderas Einführung des Begriffs Kernfragen dessen, was später Mitteleuropa ausmachen sollte. Anders als die Oppositionsbewegungen in Polen und Ungarn hatte sich der tschechische Samizdat nämlich schon in seiner Anfangsphase, also deutlich vor Kundera, mit den historischen Beziehungen der Tschechen und Slowaken zu ihren Nachbarvölkern beschäftigt, wie die hier besprochene DanubiusDebatte zeigte. Dabei war die Abgrenzung zu Russland und der Sowjetunion weniger im Fokus der Autoren als das historische Verhältnis zu den Deutschen  353 Schulze Wessel: Die Mitte liegt westwärts, S. 327. Schulze Wessels Aufsatz selbst kann trotz seiner wissenschaftlichen Perspektive auch als deutscher Beitrag zur MitteleuropaDebatte gelesen werden und paraphrasiert gleichsam im Titel Karl Schlögels Die Mitte liegt ostwärts. 354 Zum Gebrauch von Mitteleuropa bei Masaryk: Tadayuki Hayashi: Masaryk’s ‚Zone of Small Nations‘ in His Discourse during World War I, in: Ders. (Hrsg.): Regions in Central and Eastern Europe, S. 3–20, hier S. 12f.; Peter Bugge: The Use of the Middle. Mitteleuropa vs. Střední Evropa, in: European Review of History, 6 (1999), S. 15–35, hier S. 21f. 355 Jan Křen: Palackého představy střední Evropy (1848–1849), in: Historické Studie [Samizdat], 2/3 (1979), S. 119–129. 356 Vgl. Schulze Wessel: Die Mitte liegt westwärts, S. 326.

266  Eine Nation unter anderen oder auch zur Habsburger-Monarchie. Folgerichtig muss die vom slowakischen Historiker Ján Mlynárik angestoßene Debatte um die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei und die Auseinandersetzung über das ChartaDokument Recht auf Geschichte auch als Hintergrund und Teilaspekt einer oppositionellen tschechischen Suche nach der Mitte Europas verstanden werden.357 Zudem entstand mit dem Samizdat-Journal Střední Evropa ein Blatt, das Mitteleuropa im Namen führte und den Anspruch, zum Westen zu gehören, in seinen Beiträgen nachhaltig propagierte.358 In der Folge waren es auch über das Recht auf Geschichte hinaus vor allem historische Themen, die die böhmischen Länder und die Tschechoslowakei mit anderen kleinen Völkern in der Mitte des Kontinents verorteten. Damit setzten oppositionelle Historiker an einem Forschungsgegenstand an, der bereits in der offiziellen Historiographie der Normalisierungsphase einige Beachtung gefunden hatte.359 So waren es zum einen kleinere Beiträge in Střední Evropa und im unabhängigen Geschichts-Journal Historické Studie, die dezidiert Mitteleuropa als Thema und Ostmitteleuropa als Region in den Blick nahmen. In dieser Perspektive wurde Mitteleuropa zu einer Frage der tschechisch-deutschen Beziehungen, die Jan Křen in seiner schon klassischen Schrift zur Konfliktgemeinschaft von Deutschen und Tschechen in den Blick nahm.360 Dabei schilderte Křen eine multiperspektivische Geschichte der Region und ihrer unterschiedlichen Völker, die sich einer nationalistischen Teleologie verweigerten.361 Dazu gehörte auch die analytische Unterscheidung zwischen Mitteleuropa als ordnungspolitischem Konzept und als geographische Beschreibung, wozu im Tschechischen der deutsche Begriff für Ersteres stand.362 Ähnlich wie die bereits besprochene Darstellung der neueren tschechischen Geschichte durch das Autorenkollektiv Podiven bezog sich auch Křen auf historiographische Klassiker, die er nicht widerlegte, sondern neu deutete und so für

 357 Diesen Zusammenhang stellt auch Schulze Wessel her: Ebd., S. 327f. Vgl. zusätzlich Kapitel 2.2 und 3.1. 358 Christian Domnitz: Overcoming Bloc Division from Below. Jiří Hájek and the CSCE Appeal of Charter 77, in: Frédéric Bozo/Marie-Pierre Rey/N. Piers Ludlow/Bernd Rother (Hrsg.): Visions of the End of the Cold War in Europe, 1945–1990, New York 2012, S. 177–190, hier S. 186. 359 Schulze Wessel: Die Mitte liegt westwärts, S. 336. 360 Křen: Konfliktní společenství. Der Band erschien erst 1992 offiziell in der Tschechoslowakei und wurde 1996 in deutscher Übersetzung herausgegeben. Vgl. ders.: Die Konfliktgemeinschaft. 361 In dieser Methode erkannte Martin Schulze Wessel bereits 1988 den Versuch einer „transnationalen [sic!], mitteleuropäischen Kompromißsuche“. Ders.: Die Mitte liegt westwärts, S. 338. 362 Vgl. zum Beispiel: Křen: Konfliktní společenství, S. 10f.

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die Mitteleuropa-Debatte der 1980er Jahre anschlussfähig machte.363 Diese kritische Relektüre nationalen Selbstverständnisses kontextualisierte die Nation in Zeit und Raum Mitteleuropas und nahm ihr so ihre Ausnahmestellung. Die Kernfragen der Mitteleuropa-Debatte, nämlich die Abgrenzung gegen Osten und die Teilhabe am Westen, beantworteten diese historischen Selbstreflexionen jedoch nicht. Vielmehr stabilisierten sie die Deutungsreichweite Mitteleuropas als Geschichtsregion und übertrugen diese auf die Gegenwart. Neben dieser inneren, tschechischen Perspektive auf Mitteleuropa erschlossen Zeitschriften wie Střední Evropa dem tschechischen Samizdat-Leser auch die Beiträge der internationalen Debatte, druckten Übersetzungen beispielsweise von Karl Schlögels Die Mitte liegt ostwärts.364 In dieser äußeren Debatte war der Schriftsteller und Dramaturg Václav Havel zweifelsohne der bekannteste Exponent der tschechoslowakischen Opposition im Ausland. Seine Macht der Ohnmächtigen war als Postulat der neuen Opposition bereits Ende der 1970er Jahre im Westen erschienen. Havel hatte mit seiner Philosophie eines Lebens in der Wahrheit ähnliche Überlegungen wie György Konrád präsentiert und auch den Begriff der Antipolitik als sein Verständnis oppositionellen Handelns vorgestellt. So war es offensichtlich, dass Havel einerseits auf Kundera und auf Konrád reagierte und andererseits in deren Kontext gestellt wurde. Havels Kritik an Kunderas Mitteleuropa-Essay war jedoch grundsätzlicherer Natur als viele andere Stimmen, die nur eine andere Auffassung von Mitteleuropa skizzierten. Havel widersprach nämlich Kunderas Skeptizismus, der Mitteleuropa zu einem verlorenen Ort werden lasse, in dem jede Bemühung sinnlos sei. Havel forderte selbst im Sinne seines Lebens in der Wahrheit ein aktives und kritisches Handeln ein.365 Eine bildliche Entsprechung dieses Gegensatzes schuf Kundera selbst in der Unerträglichen Leichtigkeit des Seins, als sein Protagonist Tomáš eine Petition für politische Gefangene für bedeutungslos erklärt, was Havel als Seitenhieb auf die Charta 77 verstand.366 Diese Fundamentalkritik knüpfte an einen alten Konflikt der beiden Schriftsteller über die Bedeutung des Prager Frühlings in der

 363 Vgl. dazu Schulze Wessels Diskussion der Palacký-Rezeption bei Křen. Schulze Wessel: Die Mitte liegt westwärts, S. 338f. 364 Karl Schlögel: Střed leží na Východě, in: Střední Evropa [Samizdat], 3/6 (1986), S. 34–40. 365 Jiří Holý: Mitteleuropa in der Auffassung von Milan Kundera und Václav Havel, in: Wiener Slavistisches Jahrbuch, 37 (1991), S. 27–36, hier S. 33. 366 Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit, S. 206f. Der Literaturwissenschaftler Jiří Holý warnt jedoch davor, an dieser Stelle Autor und Erzähler gleichzusetzen. Holý: Mitteleuropa, S. 33f.

268  Eine Nation unter anderen Weltgeschichte und den tschechischen Anteil an seinem Scheitern an.367 Dabei zeigte sich, dass Mitteleuropa wiederum eine Verarbeitungsstrategie des Traumas von 1968 war, denn Kundera hatte in seinen literarischen Werken seit 1968 distanziert und verbittert vorgezeichnet, was er später Mitteleuropa nennen sollte, nur ohne das „‚magic‘ label“ selbst zu verwenden.368 Kunderas eigentliche Gedankenfigur des „gekidnappten Abendlandes“ konnte in der tschechischen Opposition keinen Anklang finden. Zu sehr nahm sie nämlich den Akteuren im Land den selbstbewussten Handlungsspielraum, den die oppositionelle Theorie immer wieder einforderte. Grundlegend anders gestaltete sich die Rezeption des MitteleuropaGedankens im polnischen Samizdat, wo sich nur einzelne und zudem meist unbedeutende Autoren mit Kunderas Thesen beschäftigten. Kunderas Warnung vor einem russischen und sowjetischen Einfluss auf die Länder des östlichen Blocks konnten sie vieles abgewinnen, denn ähnliche Töne waren in der unabhängigen polnischen Presse seit den späten 1970er Jahre weit verbreitet. Trotz aller Zustimmung und auch detaillierter Kenntnis der internationalen Debatte schien aber Mitteleuropa selbst diesen Autoren keine beachtenswerte Ordnungskategorie zu sein, vielmehr handele es sich nur um das „künstliche Werk von Intellektuellen“369, wie Aleksander Romert es abfällig in der Zeitschrift Obóz zusammenfasste. Eine solche Aussage in einem Themenheft der Zeitschrift, das gerade die Kerntexte der Debatte nachdruckte, führte zu einer vermeintlichen polnischen Außenperspektive auf die Debatte und zur Vermutung, es sei die demokratische Opposition in den Ländern Ostmitteleuropas selbst gewesen, die Mitteleuropa geschaffen habe.370 Noch deutlicher distanzierten sich die etablierten, das heißt seit den ersten Jahren der neuen Oppositionsbewegung erscheinenden Samizdat-Journale vom Begriff Mitteleuropa, da sie keine kulturelle Entfremdung von Westeuropa wahrnahmen, wie der polnische Publizist Kazi-

 367 Die Exilzeitschrift Svědectví druckte die beiden Beiträge 1985 aufgrund ihrer erneuten Aktualität nach: Milan Kundera: Český uděl, in: Svědectví, 21/75 (1985), S. 333–338; Václav Havel: Český uděl?, in: Ebd., S. 338–343. 368 Bugge: The Use of the Middle, S. 27. 369 Aleksander Romert: Europa Środkowa w Europie Środkowej dziś – mit i postulat, in: Obóz [Samizdat], 15 (1988), S. 133–135, hier S. 133. Eine ähnliche Einschätzung, es handele sich um einen „Mythos“, bei: Niehaszek: Mit Europy Środkowej czyli niezgoda na kicz, in: Obecność [Samizdat], 3/10 (1985), S. 105–109. 370 Wstęp, in: Obóz [Samizdat], 7/11 (1987), S. 4. Dazu wurden Texte von Milan Kundera und István Bibó abgedruckt. Ohne eine solche Einschränkung druckte nur die wenig bedeutende Zeitschrift Europa Kerntexte der Debatte nach. Vgl. Europa 1/2 (1987).

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mierz Wóycicki meinte.371 Tony Judt verwies in einer ähnlichen Argumentation auf „dringlichere Prioritäten“372 der polnischen Opposition, also konkretere Handlungsräume, die ein abstraktes Räsonnieren oder ein Beklagen der Gleichgültigkeit des Westens gegenüber dem eigenen Schicksal in den 1980er Jahren unangebracht erscheinen ließ. Löst man die Debatte jedoch von ihrem prägenden Terminus und folgt onomasiologisch ihren Inhalten, ergibt sich ein anderes Bild polnischen Denkens über Mitteleuropa. Bereits eine Reihe neuer Samizdat-Journale wie der bereits erwähnte und seit 1981 erscheinende Obóz, ABC (seit 1984), Nowa Koalicja (Neue Koalition, 1985) oder Europa (1987), zeigen ein durchaus vorhandenes polnisches Interesse an der geographischen Großregion und an Texten ostmitteleuropäischer Autoren.373 Dabei definierte sich Mitteleuropa weniger durch seine Mittellage zwischen Ost und West als durch seine geteilte Geschichte, das heißt vor allem die Geschichte der polnisch-litauischen Adelsrepublik.374 Während die bereits an anderer Stelle besprochenen Beziehungen zu den östlichen Nachbarvölkern eine besondere Rolle in diesen Journalen spielten, wurde vor allem die tradierte Vorstellung eines übernationalen Zusammenschlusses reaktualisiert. Die so beispielsweise in ABC vorgetragene „jagiellonische Idee“, Intermarium und Föderalismus-Konzepte hatten gemeinsam375, dass sie Polen ins Zentrum eines Blocks souveräner Nationen zwischen Deutschland und Russland stellten und somit diese Unabhängigkeit weiter festigen wollten. Damit knüpften sie an Konzepte aus der Zwischenkriegszeit oder aus dem Umfeld der

 371 Kazimierz Wóycicki: Die Mitteleuropa-Debatte in Polen, in: Heino Berg/Peter Burmeister (Hrsg.): Mitteleuropa und die deutsche Frage, Bremen 1990, S. 111–116. Vgl. als Beispiele dieser ablehnenden Haltung in der Zeitschrift Krytyka: Niehaszek: Mit Europy; Kazimierz Wóycicki: Centrum i środek Europy. Dyskusje niemieckie o Europie Środkowej, in: Krytyka, 13/32–33 (1990), S. 224–230. 372 Judt: Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg, S. 657. Eine solche polnische Skepsis hebt auch eine deutsche Textsammlung hervor: Peter Burmeister/Frank Boldt/György Mészáros: Vorwort, in: Dies. (Hrsg.): Mitteleuropa. Traum oder Trauma, Bremen 1988, S. 7–10, hier S. 9f. 373 José M. Faraldo/Paulina Gulińska-Jurgiel/Christian Domnitz: Europas Platz im sozialistischen Polen, in: Kraft/Steffen (Hrsg.): Europas Platz in Polen, S. 197–223, hier S. 219. 374 Vgl. Włodzimierz Domagalski: ABC. Adritatyk, Bałtyk, Morze Czarne, in: Encyklopedia Solidarności. Opozycja w PRL 1976–1989, Bd. 1, Warschau 2010, S. 15; Włodzimierz Domagalski: Obóz, in: Ebd., S. 321f. 375 Als Auswahl: Władysław Bukowiński: Idea jagiellońska, in: ABC [Samizdat], 4/5 (1987), S. 24–29; Jerzy Łojek: Idea federacyjna Józefa Piłsudskiego, in: Ebd., S. 13–23; vgl. Grygajtis: Polskie idee, S. 525–527; Stephanie Zloch: Polnische Europa-Pläne zwischen den beiden Weltkriegen, in: Kraft/Steffen (Hrsg.): Europas Platz in Polen, S. 156–180, hier S. 175–177.

270  Eine Nation unter anderen Pariser Exilzeitschrift Kultura an und verblieben dennoch im Unkonkreten und Spekulativen, ohne den polnischen Samizdat oder die Ideenwelt des Spätsozialismus in ihrer Gesamtheit zu erreichen.

4.5.3 Mitteleuropa oder Europa? Neben Mitteleuropa als regionaler Chiffre für einen gesamteuropäischen und universellen Zusammengang wurde auch Europa zum Gegenstand von Auseinandersetzungen im Samizdat.376 Dabei kann der Begriff selbst hier weder in seiner Gänze noch durch die Breite des Samizdat nachverfolgt werden, sondern soll in Ergänzung und Pointierung zu Mitteleuropa die Relation der Nation zu räumlich übergreifenden Ordnungsvorstellungen herstellen. Als Beispiel wird dafür Polen angeführt, das vermeintlich distanziert zu Mitteleuropa stand. Bereits 1979 setzte sich der Ideenhistoriker Marcin Król mit der widersprüchlichen polnischen Haltung zu Europa auseinander, die zwischen dem Anspruch auf Teilhabe und der Erfahrung, verraten worden zu sein, nicht wisse, was Europa denn für Polen tatsächlich sei. Król unterschied zwischen drei Ausdrucksformen Europas in Politik, Kultur und Normen, die alle einer lateinisch-christlichen Vorstellung von Europa entspringen.377 Entscheidend und handlungsleitend war für ihn die Erkenntnis, dass sich Europa und die Nation wechselseitig bedingten, also Polen keine eigene Politik, Kultur oder Normen ohne den lebendigen Bezug zu Europa entwickeln könne und zugleich Europa ohne Polen ebenso wenig vollständig sei.378 Ähnlich wie für den PPN-Autor Zdzisław Najder war es für Król an Polen, durch eine „Europäisierung unseres Denkens“379 einen ersten Schritt zur Teilhabe an Europa zu gehen. Europa war so praktisch gleichbedeutend mit dem politisch-wirtschaftlichen Projekt der westeuropäischen Integration. Dabei sparten beide Autoren keineswegs mit Kritik an der Wirtschaft als Triebkraft dieses Zusammenwachsens, in der „europäische Politik nach dem

 376 Krystyna Rogaszewska: Europa środkowo-wschodnia w myśli politycznej polskiej opozycji w latach siedemdziesiątych XX wieku, in: Mirosław Dymarski/Jerzy Juchnowskiego (Hrsg.): Europa Środkowo-Wschodnia w polskiej myśli politycznej, Breslau 2004, S. 179–197, hier S. 181. 377 Marcin Król: Europa und Wir [zuerst erschienen in: Res Publica [Samizdat], 1/1 (1979), S. 12–19], in: Peter Oliver Loew (Hrsg.): Polen denkt Europa. Politische Texte aus zwei Jahrhunderten, Frankfurt am Main 2004, S. 260–271, hier S. 260. 378 Ebd., S. 270f. 379 Ebd., S. 271.

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Betrieb eines Notfalldienstes betrieben wird.“380 Dennoch hatte Europa und die Europäische Gemeinschaft als „Vaterland der internationalen Verständigung“381 einen besonderen Reiz für diese oppositionellen Denker. Die europäische Integration wurde auf diese Weise bereits zu Beginn der polnischen Oppositionsbewegung zum Erwartungshorizont eines zukünftig souveränen Polens. Aleksander Hall, führender Kopf der national-konservativen Bewegung Junges Polen, fragte nur ein Jahr später in der Zeitschrift Bratniak: Europa, aber welches?382 Angesichts des Blockgegensatzes kam er zu der ernüchternden Erkenntnis, dass Europa im 20. Jahrhundert an Bedeutung und Einfluss verloren habe. Die Europäisierung des Westens verstand Hall als gefährliche Schwäche, die eine neue unnatürliche Institution über die Nation stülpe, aber daran scheitere, eine Wertegemeinschaft zu formieren. Halls Hoffnungen auf ein christliches Europa erregten bald Widerspruch und in der Person Jan Józef Lipskis antwortet ihm einer der bekanntesten links-liberalen Denker der polnischen Opposition. Dieser forderte wiederum paradigmatisch eine ideengeschichtlich breitere Grundlage für Europa, die auch nicht-christliche Traditionen aufnehme. „Trotz aller eindeutiger Bekundungen Halls für unser größeres Vaterland, Europa, verengt sein Ethnozentrismus ihm den Horizont.“383 Dabei wiederholten sich sowohl die Inhalte als auch die diskursiven Mechanismen der Kontroverse um den Geist, der belebt und die Frage nach dem katholischen Anteil an der polnischen Nation, nun auf das christliche Europa geweitet.384 Wiederum stritten Hall und seine links-liberalen Kritiker über eine heterogene Wertegemeinschaft, denn als solche wollten beide Europa und die Nation verstanden wissen. In seiner Entgegnung umriss Lipski mit dem Verweis auf das „größere Vaterland“ bereits seinen ein Jahr später veröffentlichten Essay Zwei Vaterländer – zwei Patriotismen, in dem er die Anerkennung des Anderen als Grundlage eines aufgeklärten Patriotismus einführte. Anders als Hall wollte Lipski eben nicht die Sinnwelt des Nationalstaates bewahren, sondern machte Europa als Erwar-

 380 Ebd., S. 269; ähnlich: Zespół Problemowy Polskiego Porozumienia Niepodległościowego: Polska i Europa, in: Polskie Porozumienie Niepodległościowe, S. 268–276, hier S. 272. Najder bezeichnete sich selbst als maßgeblichen Autor des Textes. Vgl. Loew (Hrsg.): Polen denkt Europa, S. 401. 381 Zespół Problemowy Polskiego Porozumienia Niepodległościowego: Polska i Europa, S. 270. 382 Aleksander Hall: Europa, ale jaka?, in: Bratniak [Samizdat], 3/19 (1979), S. 5–7. 383 Jan Józef Lipski: Europa, ale jaka?, in: Bratniak [Samizdat], 4/21 (1980), S. 43–46, hier S. 45. 384 Vgl. Kapitel 2.1.

272  Eine Nation unter anderen tungshorizont einer polnischen Zukunft aus.385 Hall dagegen verteidigte seine Einschätzung und präzisierte sein Bild vom lateinisch-christlichen Europa, das von totalitärem Kommunismus und individualistischem Liberalismus gleichermaßen bedroht werde.386 Hall nahm hier inhaltlich vorweg, was Milan Kundera und György Konrád wenige Jahre später als moralische Krise Mitteleuropas ausmachten. Dabei ließ er auch eine antirussische Argumentation erkennen – ähnlich wie sie Kundera später präsentierte – und behauptete, Russland unterscheide sich nicht nur vom lateinischen Westen und seiner Zivilisation, sondern sei zu diesen „gegensätzlich“.387 Vergleicht man Halls ungefähr zur selben Zeit erschienene Beiträge zu Russland und der Sowjetunion, in denen er seine Wertschätzung für Land und Leute ausdrückte388, mit diesem Europa-Bild, ergibt sich ein Widerspruch, dessen nähere Betrachtung Halls Nationsverständnis erhellt. Einerseits postulierte Hall das Selbstbestimmungsrecht der Völker so grundsätzlich, dass er Russland und auch slawophile Tendenzen innerhalb der sowjetischen Dissidenz mit Interesse und Wohlwollen betrachtete.389 Andererseits verzichtete er auf eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Russland und der Sowjetunion; Russland konnte in dieser Logik jedoch nicht Teil Europas sein, wobei Europa als Ordnungsvorstellung ihren Wert für Hall auch nur in der Unterstützung der polnischen Nation hatte. Dieses spezifische Russland-Bild zwischen Annäherung und Abgrenzung stabilisierte Halls Vorstellung der polnischen Nation, denn die Andersartigkeit von Ordnung tolerierte er nur außerhalb der eigenen Nation. Hier liegt auch der letztlich unüberbrückbare und erneut aufbrechende Gegensatz zu Jan Józef Lipski, der die Nation als tolerant und vor allem als Konzept formulierte. Während das christliche Europa für Hall die katholische Nation bestätigte, war für Lipski eine aufgeklärte Nation, die ihre christliche Prägung als ethische Verantwortung aufgreift, der Weg in ein gemeinsames Europa. Diese Verquickung von Nation, Europa und Christentum war kennzeichnend für eine polnische Debatte, die in der Person Johannes Paul II. und vermittelt durch seine in Polen intensiv rezipierten Reden einen einflussreichen Fürsprecher eines christlichen Europas gewonnen hatte. So war die Argumentation mit Zitaten des polnischen Papstes nicht nur bei Aleksander Hall und der Redaktion der

 385 Lipski: Dwie ojczyzny, S. 8. 386 Aleksander Hall: Jeszcze o Europie. Polemika, in: Bratniak [Samizdat], 4/22 (1980), S. 39– 42, hier S. 39f. 387 Ebd., S. 42. 388 Ders.: Wobec Rosji; Ders.: Polacy wobec Rosji. 389 Ders.: Wobec Rosji, S. 21.

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national-konservativen Polityka Polska, sondern auch bei Autoren der linksliberalen Krytyka ein gängiges Mittel, um ihrer jeweiligen Betrachtung des neuzeitlichen Europas Gewicht zu verleihen.390 Europa blieb aber keineswegs ein exklusives Thema des publizistischen Untergrunds, sondern fand auch in der offiziellen Presse und staatlichen Zusammenhängen Verwendung. Verlief die Semantik des Europäischen in Ostmitteleuropa bis Mitte der 1970er Jahre in traditionellen Mustern391, verschob sich in der Folge der Europa-Diskurs zu einer positiven Vorstellung, die nun auch durch Auslandsreisen in beschränktem Ausmaß erfahrbar wurde.392 Europa und – mit einiger Verzögerung – auch Mitteleuropa waren somit nicht nur Begriffe oppositioneller Sinnwelten und programmatischer Mobilisierung, sondern wurden von offizieller Seite appellativ eingesetzt, oft sogar unter Verweis auf westeuropäische Vorbilder und Diskurse.393 So forschten auch polnische Wissenschaftler, teils sogar im Auftrag des Außenministeriums, über die Identität Europas und die wechselseitigen Kulturbeziehungen zwischen Polen und Europa.394 Anlässlich des dritten Besuchs Johannes Paul II. in seiner Heimat 1987 rekurrierte sogar der Staatsratsvorsitzende Wojciech Jaruzelski in einer Rede auf diesen „mobilisierenden Dreiklang aus Nation, Europa und Religion“.395 Vor dem Zeichen des Ost-West-Dialoges gegen Ende der 1980er Jahre und Gorbačevs Wendung vom „gemeinsamen Europäischen Haus“ hatte Europa in den sozialistischen Ländern Osteuropas eine gewisse Alltäglichkeit erhalten, die jedoch noch nicht mit einer ideologischen Wende einhergehen musste.396

 390 Ders.: Europa, ale jaka?, S. 7; Redakcja „Polityki Polskiej“: Poważna propozycja, S. 16; Beylin/Bieliński/Michnik: Polska leży. 391 Paulina Gulińska-Jurgiel: Die Presse des Sozialismus ist schlimmer als der Sozialismus. Europa in der Publizistik der Volksrepublik Polen, der ČSSR und der DDR, Bochum 2010, S. 268. 392 Gregor Thum: „Europa“ im Ostblock. Weiße Flecken in der Geschichte der europäischen Integration, in: Zeithistorische Forschungen (Online-Ausgabe), 1/3 (2004). http://www.zeithistorischeforschungen.de/16126041-Thum-3-2004 (letzter Aufruf 29.04.2015), S. 9. 393 Christian Domnitz: Europäische Vorstellungswelten im Ostblock. Eine Topologie von Europanarrationen im Staatssozialismus, in: Faraldo/Gulińska-Jurgiel/Domnitz (Hrsg.): Europa im Ostblock, S. 61–82, hier S. 80. 394 Faraldo/Gulińska-Jurgiel/Domnitz: Europas Platz, S. 216. Dieser Beitrag geht – wie zahlreiche weitere Publikationen zum Europabegriff im Sozialismus – auf das Forschungsprojekt „Europa im Ostblock“ am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam zurück. Vgl. José M. Faraldo: Europavorstellungen im Ostblock. Zwischen Aneignung und Ablehnung, in: Ders./Gulińska-Jurgiel/Domnitz (Hrsg.): Europa im Ostblock, S. 11–22, hier S. 12f. 395 Domnitz: Europäische Vorstellungswelten, S. 76. 396 Ebd., S. 78f.

274  Eine Nation unter anderen 4.5.4 Mitteleuropa, Europa und die oppositionelle Nation In der Zusammenschau dieser sehr unterschiedlichen Diskussionszusammenhänge und Diskursstränge wird der grundlegende, aber ambivalente Zusammenhang zwischen Mitteleuropa und Europa und der Nation beziehungsweise den Nationen deutlich. Mitteleuropa bestand einerseits aus kleinen Nationen und wurde paradigmatisch durch diese verkörpert, andererseits stand die Chiffre Mitteleuropa – wobei Europa als teilidentisches Konzept im Folgenden mitgedacht sein soll – auch als Bedrohung für die Nation in ihrem tradierten Verständnis. Daraus lassen sich zwei grundlegende Mechanismen des Mitteleuropa-Diskurses erkennen: die Stabilisierung der Nation und ihre Erweiterung. Mitteleuropa definierte sich einerseits über die Eigenheiten des Anderen, über all das, was es nicht war. Besonders im Kundera’schen Strang der Mitteleuropa-Debatte fungierten Russland und die Sowjetunion als Abgrenzungsgrößen, die eine innere Konsolidierung erst möglich machten. Kundera, der der Opposition im Spätsozialismus gegenüber skeptisch blieb, reaktualisierte damit nachhaltig kulturalistische Debatten über Russland und seine Europäizität397, womit er unter national gesinnten Oppositionellen Zustimmung fand. Abgrenzung war auch für links-liberale Intellektuelle ein erfolgversprechendes Argument, denn, wie Stefan Troebst es kürzlich formulierte: „Osten sind immer die Anderen“, und Mitteleuropa blieb auch hier ein „exklusionistisches Konzept“.398 Kundera, aber auch Aleksander Hall, antworteten mit Mitteleuropa auf nationale Traumata, das heißt auf Gewalterfahrungen und den Verlust nationaler Souveränität. An diesem Punkt setzte Mitteleuropa also bekannte – und in dieser Arbeit bereits behandelte – Auseinandersetzungen über die Nation fort und führte sie auf einer supranationalen Ebene weiter399, ohne tatsächlich eine supranationale Identität zu evozieren. Auf diese Weise griffen Mitteleuropa und die Nation ineinander. Sie widersprachen sich nicht, sondern verstärkten sich gegenseitig.400 Abstrakt gewendet bedeutete dies, dass Mitteleuropa die Nation als Rahmen oppositionellen Denkens so lange stabilisierte, wie die Debatte nicht über einen bereits vorhandenen oppositionellen Konsens hinausging. So kriti 397 Steffi Franke: György Konráds „Mein Traum von Europa“. Die Mitteleuropadiskussion der 1980er Jahre, in: Themenportal Europäische Geschichte, 06.11.2008. http://www.europa.clioonline.de/Portals/_Europa/documents/B2008/E_Franke_Mitteleuropa.pdf (letzter Aufruf 29.04. 2015), S. 3. 398 Stefan Troebst: „Osten sind immer die Anderen!“. „Mitteleuropa“ als exklusionistisches Konzept, in: Deutschland Archiv, 45/2 (2012), S. 326–331. 399 Judt: Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg, S. 657. 400 Domnitz: Europäische Vorstellungswelten, S. 76.

Mitteleuropäische Reflexionen gegenüber der Nation  275

sierte Hall Mitteleuropa beziehungsweise Europa erst, als diese kontingente Vorstellung die Eindeutigkeit und Homogenität von Ordnungsvorstellungen an sich in Frage stellte. Jan Józef Lipski und György Konrád wiederum überführten Mitteleuropa andererseits in oppositionelle Sinnwelten. Ihr aufgeklärtes oder antipolitisches Mitteleuropa definierte sich über zivilgesellschaftliche Selbstbestimmung und Freiheit und öffnete die Ordnungsvorstellung Mitteleuropa für eine Vielzahl weltanschaulicher Motivationen. Damit funktionierte Mitteleuropa ähnlich wie die Nation im oppositionellen Diskurs als universeller Klammerbegriff und Projektionsfläche oppositionellen Denkens. Zugleich war Mitteleuropa ein Schaufenster oppositionellen Denkens für westliche Betrachter, das eine begrenzte und bis zu einem gewissen Grade selbstreferenzielle Gruppe ostmitteleuropäischer Dissidenten hervorhob. Adressat einer solchen affirmativen nationalen Selbstvergewisserung waren sowohl der Westen als auch Mitteleuropa und seine Nationen selbst. Dabei strebte diese Debatte nicht nur eine Überwindung der als Krise empfundenen Teilung des Kontinents an, sondern behauptete auch immer wieder, diese Teilung in ihrer grenzüberschreitenden Debatte überwunden zu haben. Zweifelsohne war die Publikation von ostmitteleuropäischen Autoren im Westen für diese eine wichtige Form der Anerkennung und eröffnete neue Möglichkeiten. „Akteure, die ursprünglich nur in privaten Zirkeln Warschaus, Prags oder Budapests konspirativ agiert hatten, wurden […] zu Protagonisten auf der Weltbühne des Kalten Kriegs.“401 Fraglich muss aber bleiben, ob diese Texte und letztlich auch ihre Autoren im ostmitteleuropäischen Samizdat überhaupt noch eine solche hervorgehobene Rolle hatten, wie vielfach angenommen wurde. So wurden zwar Kerntexte vielfach übersetzt und in einem kurzen Zeitraum sowohl im Westen als auch im Samizdat gedruckt und gelesen, aber ihre Rezeption blieb zumindest im Samizdat ein abgeschlossener, das heißt vor allem nationaler Prozess. Diese mehrfach verschachtelte Debatte über die Blockgrenzen war nämlich keine zusammenhängende Auseinandersetzung mit der eigenen Situation, Mitteleuropa und dem Kalten Krieg, sondern je nach Perspektive höchst ambivalent.

 401 Behrends/Kind: Vom Untergrund in den Westen, S. 428.

276  Eine Nation unter anderen

4.6 Schlussbetrachtung: Eine Nation der inneren und äußeren Anerkennung Die Ausgangsannahme dieses Kapitels war, dass die Nation auch dort verhandelt wird, wo sie nicht primäres Interesse der Diskussion ist, sondern Beziehungen zu anderen politischen Gemeinschaften im Vordergrund stehen. Eine solche relationale Selbstwahrnehmung ist auch im zweiten und dritten Kapitel dieser Arbeit zur Nation in der oppositionellen Selbstvergewisserung und in der historischen Reflexion bereits angeklungen, wenn zum Beispiel die tschechische Kleinheit aus der tschechisch-deutschen Konfliktstellung heraus erklärt wurde. In den in diesem Kapitel betrachteten Debatten und Themenzusammenhängen stand ausnahmslos ein dialogisches Verhältnis zwischen politischen Gemeinschaften im Vordergrund der Debatten, was in Anbetracht oppositioneller Theorie und dem moralischen Grundimpetus der hier behandelten oppositionellen Bewegungen nur folgerichtig ist. Die hier behandelten Samizdat-Autoren gingen aber zumeist einen Schritt weiter, denn sie leiteten aus ihren Betrachtungen des gegenwärtigen Verhältnisses zu Minderheiten oder Nachbarn Handlungsimplikationen ab, die ein zukünftiges und besseres Verhältnis zu diesem Anderen ermöglichen sollten. Dabei hatte die oppositionelle Beschäftigung mit Geschichte und Gegenwart solcher Beziehungen zunächst den Charakter einer Aufarbeitung oder einer alternativen Narration von Geschichte, die notwendigerweise mit verbreiteten Annahmen oder gar Tabus brechen musste. Dies war schon bei der nationalen Selbstreflexion, die im dritten Kapitel behandelt wurde, zu erkennen, erhielt hier aber durch die Aufarbeitung von Konflikten eine zusätzliche Dimension der Aussöhnung. Hier lassen sich drei Themenzusammenhänge herausstellen, die eine solche Aufarbeitung dringlich und nützlich erscheinen ließen. Gerade zu Beginn des oppositionellen Handelns waren es staatstragende Deutungsmuster, die in den Blick des Samizdat fielen. Deutschland war der historische Antagonist ostmitteleuropäischer Nationsvorstellungen und wurde besonders im Staatssozialismus immer wieder als Gefahr für die Existenz der Volksdemokratien bemüht. So war es in der Tschechoslowakei die Auseinandersetzung mit den Thesen des slowakischen Historikers Ján Mlynárik zur Zwangsmigration der Deutschen aus der Tschechoslowakei, die nicht nur eine heftige Kontroverse unter Oppositionellen auslöste, sondern die Legitimation sozialistischer Staatlichkeit in der Tschechoslowakei in Frage stellte. Ohne eine sudetendeutsche Kollektivschuld basierte nämlich die im Stalinismus beschworene „national-

Eine Nation der inneren und äußeren Anerkennung  277

konsensuale Wiederbegründung der Staatlichkeit“402 wenigstens in einem entscheidenden Teil auf Unrecht. In der zeitlich parallel dazu geführten polnischen Debatte über das Verhältnis zu Deutschland ging es zunächst nicht um die gemeinsame Vergangenheit, sondern um die deutsche Zukunft. Die schrittweise Erkenntnis, dass eine deutsche Wiedervereinigung nicht im Widerspruch mit einer wiederzuerlangenden polnischen Souveränität stehe, sondern deren Bedingung sein könne, dekonstruierte ebenso deutlich die kommunistische Begründung des Bündnisses zur Sowjetunion. Hatte die Staats- und Parteiführung nachhaltig die eigene Bevölkerung mit der Furcht vor einem westdeutschen Revisionismus eingeschüchtert, kehrten Andersdenkende aus verschiedenen politischen Hintergründen diese Argumentation um: „Geschützt vor dem deutschen Hai sind wir nur dank dessen, dass wir schon im Bauch des russischen Walfischs sitzen.“403 Indem Oppositionelle in der Tschechoslowakei und Polen so die Axiome staatssozialistischer Legitimation dekonstruierten, gewannen sie intellektuellen Handlungsspielraum im Samizdat und perspektivisch auch politischen Handlungsspielraum im Systemumbruch. In einer zweiten Phase folgte Mitte der 1980er Jahre auf diese Dekonstruktion sozialistischer Legitimation eine Aufarbeitung historischer Belastungen der Beziehungen zu Nachbarvölkern und zu Minderheiten im Inneren und Äußeren. In Ostmitteleuropa hatten sich Nationen auf der Grundlage ständischer, sozialer und sprachlicher Differenzen herausgebildet, so dass ethnisch gemischte Gebiete in der Region eher die Regel als eine Ausnahme waren. Der Zweite Weltkrieg und die vielfältigen und wiederholten Zwangsmigrationen im Jahrzehnt von 1938 bis 1948 beendeten diese belastete Vielschichtigkeit durch zusätzliche Gewaltexzesse, trennten also räumlich und eskalierten Spannungen. Wenn polnische Samizdat-Autoren wie Bohdan Skaradziński die Beziehungen zu den Ukrainern, Belarussen und Litauern aufarbeiteten, trugen sie mehrere Schichten von Konflikten, aber vor allem von Unverständnis und Tabuisierung ab und hinterfragten die Ab- und Ausgrenzungsmechanismen der historischen Nationsbildung.404 Diese setzte bei der schieren Unkenntnis vieler Polen, dass es

 402 Behrends: „Heben wir einen neuen Staat“, S. 59. 403 Timur: Niemcy, S. 65. 404 Diese Polarisierungsfunktion des Nationalismus ist in der Forschung immer wieder beschrieben worden. Vgl. dazu klassisch Benedict Andersons Ausführungen zu „Official Nationalism and Imperialism“: Ders.: Imagined Communities, S. 83–111. Für den böhmischen Fall ist diese Verhandlung einer zuvor sozial und ständisch strukturierten Gesellschaft anschaulich von Jeremy King dargestellt worden. Ders: Budweisers into Czechs and Germans.

278  Eine Nation unter anderen eine gemeinsame Vergangenheit mit den östlichen Nachbarvölkern gab, an und endete bei den Umsiedlungen der sogenannten Aktion Weichsel 1948. Dagegen war drittens die ungarische Beschäftigung mit nationalen Minderheiten Mitte der 1980er Jahre stärker präsentisch geprägt, so dass sie sich weniger mit Aufarbeitung als mit gegenwärtig bedrohten Minderheiten befasste. So berichtete der ungarische Samizdat, angeregt durch die konservativen Volkstümler, intensiv über ungarische Minderheiten in Rumänien und der Slowakei, aber ebenso über Minderheiten in Ungarn selbst. Liberale Oppositionelle wie János Kis oder János Kenedi verbanden das nationalistisch verwendbare Engagement für die Ungarn im Ausland moralisch mit dem Schicksal von Juden und Roma im eigenen Land. So wurde ein aus ihrer Sicht gefährliches Thema durch diese inhaltliche Kopplung entschärft. Ähnlich wie in oppositionellen Debatten zum Wesen der eigenen Nation leiteten sie aus einem allgemeinen Rechtsverständnis – hier Minderheitenrechte anstelle von Menschenrechten – Handlungsimplikationen für die Opposition und einen allgemeinen moralischen Anspruch ab und entwickelten so ein reziprokes Rechtsverständnis. Zielte dies auf die im Samizdat nur wenig vertretenen Volkstümler, die sich mit schrillen Tönen für ungarische Minderheiten einsetzen, kreuzten sich wiederum Diskurse über Nation und Opposition, denn mit der Anerkennung der Gleichwertigkeit aller Ansprüche von Minderheiten und Randgruppen war eine rassistische Definition der ungarischen Nation nicht zu verbinden. Oppositionelle Zusammengehörigkeit ließ sich hiermit jedoch kaum erzeugen. Diese drei unterschiedlichen Zusammenhänge einer Aufarbeitung nationaler Beziehungen dekonstruierten Argumentationsgänge nationaler Selbstbestätigung aus der Abgrenzung oder Geringschätzung anderer sozialer Gruppen. Stattdessen übertrugen oppositionelle Denker das Rechtsdenken der allgemeinen Menschenrechte und des internationalen Minderheitenschutzrechts auf ihre Fragestellungen und universalisierten es. Exemplarisch postulierte so der ungarische Oppositionelle János Kis: „We have to realize that the minority’s special deprivation of civil rights is inseparable from the overall disregard for human rights of every citizen.“405 Diese allgemeine Geltungskraft von Rechten musste sich folglich auch auf das oppositionelle Verständnis der Nation auswirken. Als gegenwärtige politische Gemeinschaft musste sie diesen Minderheiten einen Platz in Geschichte und Gegenwart der eigenen Gemeinschaft einräumen, sie als gleichberechtigt anerkennen. Nationale Zugehörigkeit verlor damit ihre Eindeutigkeit, denn „multiple identities, which may be ascriptive or  405 János Kis: Hungarian Society and Hungarian Minorities Abroad, in: Ders.: Politics in Hungary. For a Democratic Alternative. Boulder 1989, S. 199–207, hier S. 201.

Eine Nation der inneren und äußeren Anerkennung  279

chosen, national or civic, overlapping yet necessarily contradictory“406, wurden für Kis und mit ihm für viele andere Denker des Samizdat zur einzig erstrebenswerten Ordnung eines Gemeinwesens. Ähnlich wie die im vorherigen Kapitel betrachtete Bewältigung von oppositioneller Heterogenität durch die Etablierung eines politischen Pluralismus innerhalb der Nation bedeutete diese gleichberechtigte Anerkennung von Minderheiten eine Öffnung der politischen Gemeinschaft für Angehörige anderer ethnischer Gruppen oder Nationen. Diese Öffnung reduzierte in ihrer universalistischen Moral die Nation zu einem Bekenntnis zur politischen Teilhabe und damit zu einer voluntaristischen Gemeinschaft, die durch die Staatsgrenzen vorgegeben wurde. Betrachtet man diese Beispiele einer Aufarbeitung des eigenen Verhältnisses mit Nachbarvölkern und Minderheiten, so fällt ein inhaltliches wie diskursives Ungleichgewicht zwischen Diskutierenden und dem Thema ihres Interesses selbst auf. Dabei handelt es sich um eine grundsätzliche Asymmetrie der historischen und zeitgenössischen Machtverhältnisse zwischen den unterschiedlichen Parteien dieser Beziehungsgeschichte. Sowohl die Beziehung von Polen und Tschechen zu den Deutschen als auch die Beziehung der Polen zu ihren östlichen Nachbarn weisen ein deutliches Machtgefälle auf, das die Diskussion prägte. So wirkte die kritische Betrachtung der eigenen quasi-kolonialen Vergangenheit, wie sie im polnischen Fall von Jan Józef Lipski und Bohdan Skaradziński vorangetrieben wurde, kontrovers und desillusionierend, war aber moralisch kaum anfechtbar. Ostmitteleuropäische Dissidenten folgten mit der Dekonstruktion des Anderen und einer daraus abgeleiteten kritischen Selbstvergewisserung der Logik postkolonialer Diskurse, die die Verflechtung von polnischer Metropole und ruthenisch-litauischer Peripherie sichtbar macht und so das Subalterne in die eigene Geschichte einfügte.407 In oppositionellen Bewegungen, die ihre Motivation auf Moral und Wahrheit gründeten, mussten diese Vorstellungen auch den Maßstab eigenen Handelns und seiner Konsequenz bilden. Lipski und Skaradziński bezogen ihren Revisionismus daher auch auf das christliche Gebot von Buße und Versöhnung,  406 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 285. 407 Beziehen sich die post-colonial studies klassisch auf außereuropäische Kolonialismen, sind sie zuletzt auch auf die kontinentaleuropäischen Imperien übertragen worden und arbeiten so zum Beispiel ein deutsch-polnisches Kolonialverhältnis heraus. Philipp Ther: Deutsche Geschichte als imperiale Geschichte. Polen, slawophone Minderheiten und das Kaiserreich als kontinentales Empire, in: Sebastian Conrad/Jürgen Osterhammel (Hrsg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2004, S. 129–148; Robert L. Nelson (Hrsg.): Germans, Poland, and Colonial Expansion to the East. 1850 through the Present, New York 2009.

280  Eine Nation unter anderen das im polnischen Fall mit dem Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder 1965 ein wirkmächtiges Vorbild hatte. Sie wiederholen aber nicht die theologische Begründung dieser Versöhnungsgeste, sondern lediglich ihre Übertragung einer interpersonellen Handlung auf eine soziale Gruppe.408 Diese Übertragung intersubjektiver moralischer Axiome auf soziale Strukturen gehört zu den Grundmustern oppositioneller Theoriebildung und oppositionellen Handelns. Für die Vorstellung der Nation als politische Gemeinschaft war diese Übertragung jedoch nicht immer nutzbar zu machen, wie zum Beispiel der begrenzte Einfluss von Václav Havels Wahrheitsbegriff auf den nationalen Diskurs zeigt. Anders verlief dagegen die tschechische Debatte über die Zwangsmigration der Deutschen aus der Tschechoslowakei. Auch hier wurde eine, wenn auch erst später in die Debatte eingeführte, moralische Auseinandersetzung über Recht und Unrecht geführt.409 Der entscheidende Unterschied zwischen den oben skizzierten Fällen liegt jedoch in der asymmetrischen Beziehung zwischen Tschechen und Deutschen. Waren Ukrainer, Belarussen und Litauer für Polen beziehungsweise Juden und Roma für Ungarn Beherrschte, denen nun eine lange verwehrte Anerkennung zukam, waren die Tschechen in ihrem Selbstverständnis Unterdrückte, deren moralische Legitimation mit einer solchen Aufarbeitung gefährdet wurde. Die teils aggressive Polemik gegen Mlynáriks Thesen im tschechoslowakischen Samizdat wurde zusätzlich dadurch aufgeladen, dass dieser selbst Slowake war und schon zuvor gegen die Benachteiligung der Slowaken in der Tschechoslowakei polemisiert hatte.410 Damit stellte diese Debatte die Selbstviktimisierung der „kleinen“ tschechischen Nation in Frage. Parallel zu dieser Dekonstruktion von eigenen Opferidentitäten lässt sich in der Auseinandersetzung mit Gewalterfahrung eine Universalisierung von Opferschaft erkennen, die nicht nur im Fall von Zwangsmigrationen, sondern auch bei der Erinnerung anderer ethnisch motivierter Konflikte, zum Beispiel zwischen Polen und Ukrainern oder Ungarn und Roma, angelegt wurde. Gewalt wurde also zu einem Verbrechen gegen eine allgemeine Rechtsvorstellung und gegen die Menschlichkeit. Bei der Selbstreflexion einer solchen Erinnerung handelte es sich offensichtlich um eine Auswirkung des Menschenrechtsdiskurses und die

 408 Wigura: Wina narodów, S. 77. 409 Abrams: Morality, Wisdom and Revision. 410 Mlynáriks Text erschien unter dem Pseudonym Danubius, war aber auf Slowakisch verfasst und enthielt einen entsprechenden Vermerk. Vgl. Hübl: Glosy k Danubiovým tézím, S. 1; Danubius: Milá redakcia!

Eine Nation der inneren und äußeren Anerkennung  281

Analogien zur Holocausterinnerung sind klar erkennbar.411 So bereiteten die liberalen Vordenker einer solchen Anerkennung, allen voran Jan Józef Lipski, universelle also enträumlichte Erinnerungsmechanismen vor, die nach Ende des Staatssozialismus auch in einem breiteren Sinne zur Wirkung kommen sollten. Während in dieser Argumentation die Opferschaft von Individuen nicht mit kollektiven Vorwürfen, wie einer Kollektivschuld, gerechtfertigt werden konnte, galt dennoch für die Nation der Täter eine kollektive Verantwortung für die Taten Einzelner. Während die Konzentration auf Opfer folglich die Deutungsrahmen oppositionellen Denkens entnationalisieren konnte, bekräftigte das Annehmen historischer Verantwortung den Rahmen der Nation und reflektierte die Nation selbst kritisch. Gerade dieser Vergleich zwischen polnischen und tschechischen Reflexionen der Nation unterstreicht die Unterscheidung zwischen „großen“ und „kleinen“ Nationen. Wurde diese Unterscheidung klassisch entlang einer Ost-WestAchse und damit entlang einer vermeintlichen nachholenden Ausbildung von Nationen vorgenommen, ist diese Eindeutigkeit gerade auch mit Bezug auf das östliche Mitteleuropa hinterfragt worden.412 Demnach bietet sich hier keine verlaufsgeschichtliche Unterscheidung von Kleinheit oder Größe an, sondern ein deutungsgeschichtliches Begriffsverständnis. Die historische Selbstverortung zwischen Herrscher und Beherrschtem bestimmt dabei die Herausforderung einer Selbstreflexion der eigenen Haltung zu den jeweiligen Nachbarvölkern. Wie ambivalent dies sein kann, zeigt wiederum das polnische Beispiel. Kontrastiert man nämlich das polnische Verhältnis zur deutschen Wiedervereinigung und zu den östlichen Nachbarn, werden beide Formen nationaler Selbstwahrnehmung sichtbar. In der Reflexion des polnischen Samizdat war die Nation sowohl groß, als auch klein. Eine zweite Asymmetrie bestand darin, dass es sich in den hier untersuchten Fallbeispielen nicht um einen Dialog zwischen Nachbarvölkern oder Mehrheit und Minderheit handelte, sondern um Dialoge innerhalb einer Nation über andere. Ein Austausch über die Grenze der eigenen Nation hinaus fand in den untersuchten Fallbeispielen nicht statt, obwohl der Austausch zwischen Oppositionellen in unterschiedlichen Ländern Ostmitteleuropas durchaus möglich und üblich war und in der Forschung immer wieder hervorgehoben wurde. 413 Offensichtlich erfassten Transfer und Verflechtung oppositioneller Akteure und Bewegungen in Ostmitteleuropa nicht die Revision von Alteritätsbildern und die  411 Levy/Sznaider: Erinnerung im globalen Zeitalter, S. 45; Moyn: Last Utopia, S. 65. 412 Vgl. Hirschhausen/Leonhard: Europäische Nationalismen, S. 42f. 413 Vgl. Judt: The Dilemmas of Dissidence; Fehr: Dissidenz zur Gegen-Elite.

282  Eine Nation unter anderen unterschiedlichen Minderheiten-Diskurse. Gerade die vermeintliche Ausnahme von diesen einseitigen Debatten kann aufzeigen, welchen Schwierigkeiten ein solcher Dialog zur Nation über Grenzen hinweg gegenüberstand. Ungarische, tschechische und slowakische Oppositionelle tauschten sich wiederholt über die Lage der ungarischen Minderheit in der Slowakei aus. Dabei wechselten sich Appelle und Zeichen von Kooperationsbereitschaft unter sich verbunden fühlenden Oppositionellen in Budapest und Prag mit Polemiken über das ungarische Schulwesen in der Slowakei ab. Besonders Milan Hübl, ein ehemals sozialistischer Autor des tschechoslowakischen Samizdat, der bereits in inner-tschechischen Debatten mit einer nationalistischen und aggressiven Rhetorik hervorgetreten war, reagierte heftig auf den Vorwurf der Assimilation durch Schulunterricht, den eine in New York erschienene ungarische Publikation erhob. Dabei ging er vor allem ungarische Oppositionelle und slowakische Dissidenten aus der ungarischen Minderheit an.414 In der Konsequenz verfestigte diese Auseinandersetzung den national gerahmten Dialog ohne Dialogpartner nur weiter. Dieses Beispiel zeigt, dass Themen von Minderheitenrechten und Diskriminierung ausgesprochen sensibel waren, denn sie hinterfragten nicht nur das eigene nationale Selbstbild, sondern räumten im Dialog anderen eine Beteiligung an diesem Selbstfindungsprozess ein. Darüber hinaus waren auch die Mechanismen eines solchen Kontaktes, die bislang in der Forschung eher angenommen denn konkret analysiert worden sind, situativer und eingeschränkter, als eine dauerhafte Debatte dies voraussetzen würde. Als entscheidende Transfermechanismen sind zum Beispiel in der Debatte über Mitteleuropa westliche Akteure, das heißt Intellektuelle wie Hans Magnus Enzensberger oder Zeitschriften wie die New York Review of Books, zu erkennen, die zum einen die Verbreitung der Texte beförderten und zum anderen den Transfer auch medial transportierten, so dass dieser überhaupt diskursive Realität wurde. Selbst in diesem Zusammenhang handelte es sich nicht um eine gemeinsame, blockübergreifende Debatte. Auch in Ostmitteleuropa selbst waren konzeptionelle und intellektuelle Berührungspunkte nicht gleichbedeutend mit einer gemeinsamen Aushandlung von Ordnung. Ohne Zweifel durchbrach diese Beschäftigung mit Nachbarvölkern und Minderheiten zahlreiche gesellschaftliche Tabus und öffnete Möglichkeiten für partnerschaftliche Beziehungen. Die Autoren des Samizdat konnten diese Prozesse nur vordenken und anreißen, aber unter den Bedingungen von geduldeter, aber dennoch drangsalierter Untergrundpublizistik keine aktiven Schritte  414 A szlovákiai magyar iskolák védelmében. Hübl: Position und Probleme; Dénes: Status of the Hungarian Minority.

Eine Nation der inneren und äußeren Anerkennung  283

zu ihrer Umsetzung unternehmen. Betrachtet man dabei den Beitrag zum politischen Denken über die Nation, den diese Debatten leisteten, muss das Urteil ähnlich zurückhaltend ausfallen. Neue Gedanken führten Oppositionelle hier nicht ein, vielmehr wendeten sie oppositionelle Grundüberzeugungen in einem belasteten und dadurch sensiblen Bereich konsequent an. Bereits aus den beiden vorhergehenden Kapiteln zur Nation in Geschichte und Gegenwart ließ sich schlussfolgern, dass der oppositionelle Beitrag zur Idee der Nation in der Verarbeitung von Heterogenität lag. Oppositionelle und Dissidenten führten ihre Postulate eines Lebens in der Wahrheit und der Menschenrechte in die Nation als politische Gemeinschaft ein. Diese Postulate leiteten auch ihr Verhältnis zu anderen Nationen und Minderheiten. Wahrheit und Freiheit, Moral und die gleichberechtigte Anerkennung des Anderen überführten nationale Konflikte in ein Nebeneinander von gleichberechtigten Nationen, die gemeinsam vor der Herausforderung des Totalitarismus standen. Das Konzept einer oppositionellen Nation wurde so, zumindest im politischen Diskurs des Samizdat, zu einem möglichen Exportprodukt, das man auch für andere Nationen im Osten Europa – hier konkret die Ukraine, Belarus und Litauen – für anwendbar hielt. Dies alles hinterfragte aber tradierte und mit dem oppositionellen Denken inkompatible Konzepte der Nation, deren Abgrenzung von anderen und deren ethnischen Essentialismus die Opposition nicht mehr formulieren konnte. Die oppositionelle Nation selbst hingegen bestätigte und stabilisierte diese fortgesetzte Anwendung oppositionellen Denkens nur. Wie bereits zuvor festgestellt wurde, ist auch eine solche oppositionelle Revision nationaler Alteritätsvorstellung nicht als Konsens, sondern als Einengung konzeptioneller Möglichkeiten zu begreifen. Anerkennung von Alterität und Heterogenität wurde so nur bei einigen wenigen Oppositionellen wie Lipski oder Kis zu deutlichen Selbstaussagen, gegen die Fundamentalkritik nicht sagbar war. Dies bestätigt auch die in diesem Kapitel ebenso behandelte Stellung von Mitteleuropa und Europa im politischen Denken der Opposition. Europa konnte die Nation nicht in Frage stellen, denn mit ihm wurden die oppositionellen Werte verbunden, die auch die oppositionelle Nation ausmachten. So zeigt dieses Kapitel, dass der grundsätzliche Mechanismus der Integration einer politischen Gemeinschaft durch die Anschauung anderer solcher Gemeinschaften intensiviert werden kann. Unabhängig von ihren spezifischen Postulaten vertieften die in diesem Kapitel vorgestellten Debatten im Samizdat die Übertragungen oppositionellen Denkens auf die Vorstellungen der eigenen politischen Gemeinschaft.

5 Oppositionelle politische Gemeinschaft Oppositionelle Bewegungen prägten mit ihren intellektuellen Reflexionen ein neues Denken über die Nation in Ostmitteleuropa. Sie entwickelten das wirkmächtige Konzept Nation – die auch im Spätsozialismus entscheidende Verkörperung politischer Gemeinschaft in Ostmitteleuropa – weiter und banden die Nation in ihr Streben nach individueller und kollektiver Freiheit, nach Menschenrechten und staatlicher Souveränität ein. Die zwölf Fallstudien der vorangegangenen drei Kapitel haben gezeigt, dass diese Suche nach einer politischen Gemeinschaft kein verbindliches Ergebnis für alle oppositionellen Akteure zu Tage förderte, sondern stets ein Prozess der Annäherung und Abgrenzung zwischen Autoren des Samizdat und ihrer Lebenswirklichkeit war. Diese Aushandlungen führten nicht nur Oppositionelle unterschiedlicher Lager und politischer Grundüberzeugungen zusammen, sondern reflektierten auch historische Vorbilder nationalen Denkens und staatssozialistische Legitimationsbestrebungen. Durch die verschiedenen Themen, die unterschiedlichen Phasen oppositioneller Entwicklung und die drei untersuchten Länder hindurch kann kein eindeutiger Gehalt dessen gefunden werden, was Nation im oppositionellen Sinn war. Hingegen eröffnen diese in der Forschung bislang vernachlässigten Debatten ein Spektrum oppositionellen politischen Denkens und liefern weiterführend vertiefte Erkenntnisse über diese oppositionellen Bewegungen selbst. Denn die intellektuelle Aushandlung im Samizdat war nie bloßer Selbstzweck autonomen Räsonnements, sondern spiegelte den programmatischen und strukturellen Zustand oppositioneller Bewegungen in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn wider. In diesem letzten Schritt der Untersuchung soll erstens der Aushandlungsprozess der Nation systematisch gewendet werden. Dabei werden die in den Fallbeispielen gewonnenen Erkenntnisse über einen oppositionellen Beitrag zur Nation zusammengeführt. Zweitens wird der grenzüberschreitende Charakter dieser Opposition betrachtet, der einen konstanten Hintergrund dieser Untersuchung bildete, jedoch nur in einzelnen der untersuchten Fälle offen hervortritt. Dazu wird diese oppositionelle Nation drittens in die Forschungsdebatte über den oppositionellen Beitrag zur Zivilgesellschaft eingeführt, die seit den frühen 1980er Jahren den Leitbegriff für eine sozialtheoretische und immer wieder auch ideengeschichtliche Betrachtung oppositioneller Bewegungen darstellt. Ein Ausblick wird diesen oppositionellen Beitrag zur Nation über die vermeintliche Epochengrenze des Jahres 1989 hinaus nachverfolgen und beleuchten, wie

286  Oppositionelle politische Gemeinschaft Oppositionelle sich und ihre Konzepte in die Transformation und die neue Wirklichkeit des postsozialistischen Ostmitteleuropas einbringen konnten.

5.1 Oppositionelle Nation Das hier behandelte oppositionelle Denken stand vor der grundlegenden Aufgabe, soziale Ordnung zu schaffen: eine Herausforderung, die sich im spätsozialistischen Ostmitteleuropa in zweifacher Hinsicht verschärfte. Zum einen prägte die Erfahrung einer fundamentalen Krise sozialer Beziehungen den Blick von Dissidenten und Oppositionellen auf ihre Gesellschaften. Nach über 30 Jahren sozialistischer Herrschaft fehlten ihrer Ansicht nach grundlegende Verbindungen zwischen Menschen außerhalb staatlich kontrollierter Bereiche.1 Diese Atomisierungserfahrung des Spätsozialismus bildete für Adam Michnik, Václav Havel, György Konrád und zahlreiche andere den Ausgangspunkt einer oppositionellen Strategie zwischen Neuem Evolutionismus, Leben in der Wahrheit und Antipolitik, die den Versuch einer neuen sozialen Ordnung jenseits der sozialistischen Staatlichkeit darstellte. Zum anderen standen Oppositionelle aber auch in ihrem konkreten Umfeld vor der Herausforderung, die heterogenen Gruppen von Regimekritikern aus unterschiedlichen politischen Traditionen und mit unterschiedlichen Zielen zu integrieren. Nur eine gemeinsame Opposition konnte diesen Kleingruppen und Einzelakteuren die notwendige Aufmerksamkeit verleihen, die einen gewissen Schutz vor staatlichen Eingriffen gewährte. Nur das gemeinsame Handeln ließ letztlich einen gewissen Erfolg und eine gewisse Relevanz erwarten. Durch diese doppelte Herausforderung sozialer Ordnung sind Opposition und Nation folglich ineinander verschränkt, sowohl auf der Ebene der Handlung als auch auf der Ebene konzeptionellen Denkens. Anlass zur Erneuerung der vorhandenen Systemkritik in den Ländern Ostmitteleuropas und inhaltlicher Ausgangspunkt der neuen Opposition waren die Menschen- und Bürgerrechte, zu deren Wahrung sich die Staaten des Ostblocks 1975 mit der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte verpflichtet hatten.2 Für Gruppierungen und Appelle wie KOR, ROPCiO, Charta 77 oder SzETA war Vor 1 Vgl. Václav Benda: Parellel Polis, or An Independent Society in Central and Eastern Europa. An Inquiry, in: Social Research, 55/1–2 (1988), S. 211–246, hier S. 218; Michnik: Nowy ewolucjonizm; Havel: Versuch, S. 28. Die Atomisierungshypothese wird auch von der politikund geschichtswissenschaftlichen Forschung zum spätsozialistischen Ostmitteleuropa aufgegriffen: Vgl. Ekiert: The State. Kritisch dagegen: Fehr: Unabhängige Öffentlichkeit. 2 Thomas: Helsinki Effect, S. 103–119; Wolfgang Eichwede: „Entspannung mit menschlichem Antlitz“. KSZE, Menschenrecht, Samizdat, in: Osteuropa, 60/11 (2010), S. 59–84.

Oppositionelle Nation  287

stellung allgemeiner und unveräußerlicher Rechte des Menschen nicht nur eine konkrete und einklagbare Forderung gegenüber dem sozialistischen Staat, sondern auch eine übergreifende Inspiration ihres Handelns. Denn die moralische Ermächtigung dieser Menschenrechte bot Oppositionellen die Möglichkeit, ihre Kritik in moderner, universeller und vermeintlich unpolitischer Form vorzutragen und sie zudem an die jeweiligen nationalstaatlichen Gegenbenheiten anzupassen.3 Diese „letzte Utopie“, wie der Historiker Samuel Moyn die Menschenrechte nach dem Zusammenbruch aller großen Utopien im 20. Jahrhundert bewertete, schloss nämlich weder eine explizite Vorstellung von sozialer Ordnung ein, noch rekurrierte sie auf eine konkrete moralphilosophische Tradition.4 Zu allererst waren die allgemeinen Menschenrechte Persönlichkeits- und Freiheitsrechte, deren soziale Wirkungsmacht auf ihre Universalität beschränkt bleibt, also auf die Anerkennung eines jeden Individuums als Träger dieser Rechte. In ihrer inhaltlichen Ausgestaltung blieben sie dagegen bedeutungsoffen und variabel. Damit konnte die Argumentation mit Menschenrechten beispielsweise für die desillusionierte linke Dissidenz der 1970er Jahre ein Synonym für die normativen Restbestände emanzipatorischer politischer Überzeugungen darstellen.5 Folglich waren die Menschenrechte für die im Laufe der 1970er und 1980er Jahre entwickelten oppositionellen Konzepte des Lebens in der Wahrheit und der Antipolitik und deren universellen moralischen Anspruch anschlussfähig und nutzbar. Auch diese oppositionellen Konzepte formulierten zunächst keine expliziten Vorstellungen politischer Gemeinschaft, auch wenn diese ein übergreifendes Kernthema oppositioneller Sinnsuche darstellten. Dagegen nutzten Oppositionelle bei ihrer Suche nach politischer Gemeinschaft aus unterschiedlichen Motivationen die alltäglichste Vorstellung von sozialer Wirklichkeit, nämlich die Nation. Mit dieser wirkmächtigen Ordnungsvorstellung konnte sie die doppelte Krisenerfahrung ihrer Zeit, also gesellschaftliche und oppositionelle Heterogenität, bewältigen. Unabhängig davon, ob sie an die Faktizität der Nation glaubten oder sich von ihr eine Allgemeinverständlichkeit ihrer Thesen erhofften, füllten Oppositionelle die Chiffre dieser Vorstellung mit ihren Inhalten. Wie in den empirischen Kapiteln dieser Arbeit gezeigt wurde, traten dabei zwei Idealtypen oppositionellen Denkens zur Nation hervor. Während essentialisierende Vorstellungen einer ethnisch verfassten Nation an Traditionen des Nationalismus anknüpften, bestand der für Ostmitteleuropa innovative Ansatz  3 Kopeček: Human Rights, S. 574. 4 Moyn: Last Utopia, S. 17. 5 Arndt: Rote Bürger, S. 162.

288  Oppositionelle politische Gemeinschaft in der Zusammenführung der vermeintlich gegensätzlichen Denkmodelle von Individuum und politischer Gemeinschaft, von Menschenrechten und Nation. Statt also eine ethnische Nation durch Affirmation zu konstruieren, betonten postrevisionistische Oppositionelle den voluntaristischen, auf das Individuum zurückgehenden Charakter der Nation als politischer Zusammenschluss. Der spezifisch oppositionelle Beitrag zum jeweiligen nationalen Denken liegt folglich in der Übersetzung oppositioneller Theorie in das Ordnungsdenken der Nation. So versöhnten oppositionelle Denker in ihren Überlegungen zur politischen Gemeinschaft die Nation mit dem politischen Liberalismus und seinem Freiheitsverständnis6 und ließen die Nation zu einem Strukturelement der Opposition werden. Folgt man den Überlegungen der israelischen Philosophin Yael Tamir, war eine solche an oppositionellen Vorstellungen orientierte Nation die theoretische und angewandte Ausprägung eines „liberal nationalism“. Tamir entwickelte ihr Konzept in den 1970er und 1980er Jahren, also zeitlich parallel zu den hier behandelten ostmitteuropäischen Oppositionellen und Dissidenten, ohne jedoch die Anschauung dieser Bewegungen für ihre Theoriebildung oder Argumentation aufzugreifen. Zur Vereinbarkeit von Nationalismus7 und Liberalismus gehört nach Tamir die Erkenntnis, dass Heterogenität und Differenz Gemeinschaft nicht ausschließe.8 Ihre Argumentation mit einer Anerkennung der Freiheit des Einzelnen, seines Rechts auf soziale Einbettung und der daraus legitimierten sozialen Entität9 folgt, wie das Denken vieler Oppositioneller, einem personalistischen Ansatz, also der Betonung des Einzelnen zur Herleitung des Sozialen. Michal Kopeček stellte diesen oppositionellen Beitrag zur Nation konkret heraus, der sich von postnationalen Ansätzen westlicher Denker der Zeit unterschied, aber von diesen kaum wahrgenommen wurde.10 Liberal nationalism bedeute aber mehr als eine bloße Übereinstimmung moralischer und liberaler Wertvorstellungen. Vielmehr greife, so Tamir, die liberale Revision kulturelle Fundamente der Nation auf, um die weltanschauliche Heterogenität ihrer Mitglieder zu überbrücken und Minderheiten in die Nation zu integrieren.11 Diese Konzeption ist für den ostmitteleuropäischen Samizdat  6 Auf diesen Aspekt hat bereits Michal Kopeček verwiesen: Kopeček: Citizen and Patriot. 7 Hier explizit im Sinne des englischen Sprachgebrauchs nicht pejorativ verwendet, sondern zur neutralen Beschreibung einer Nationalbewegung. Vgl. Gellner: Nations and Nationalism, S. 1. 8 Yael Tamir: Liberal Nationalism, Princeton 1993, S. 143–145. 9 Vgl. Tamirs Ausführungen zur „idea of the person“: Ebd., S. 16. 10 Kopeček: Human Rights, S. 576. 11 Tamir: Liberal Nationalism, S. 163.

Oppositionelle Nation  289

keine grundsätzlich neue Beschreibung der Nation, war ihr eine solche Pluralität durch die Integration linker und rechter Denker doch bereits strukturell inhärent. Über diese performative Zusammenführung von Heterogenität hinaus erschließt sich auch aus begriffs- und ideengeschichtlicher Perspektive „[d]as Deutungsmuster Nation […] daher nur in seiner Pluralität“.12 Die oppositionelle Weiterentwicklung eines solchen liberal nationalism lag also weniger in einer auch zuvor bekannten und wirkmächtigen Integrationsleistung, sondern im Postulat, diese pluralistische Integration zum Prinzip nationaler Ordnung zu erheben. Überträgt man dies auf die Suche nach politischer Gemeinschaft im Samizdat, so liegt es nahe, den gemeinsamen Verweis auf die Nation als einen solchen Integrationsfaktor zu erkennen, denn weder linke und liberale Oppositionelle noch ihre national-konservativen Gegenspieler stellten die gemeinsame Zugehörigkeit zur Nation ernsthaft in Frage. Auch historische Traditionen waren weniger an sich als denn in ihrer Deutung und Übertragung in die Gegenwart umstritten. Grundbedingung dieser dialogorientierten Toleranz war für die oppositionellen Autoren des Samizdat ein spezifisch oppositionelles Ethos, das über den Willen zur Anerkennung des Anderen in der Opposition und den Willen zum Konsens im Samizdat hinausging. Oppositionelles Handeln war nur in der Gemeinschaft möglich und oppositionelles Denken konnte sich nur in der Gegenöffentlichkeit des Samizdat entfalten. Hing also die Zugehörigkeit zu einer solchen politischen Gemeinschaft von der Fähigkeit des Einzelnen ab, sich mit dieser Gruppe zur identifizieren13, so verstärkten sich die Mechanismen von oppositioneller Öffentlichkeit und der Zusammengehörigkeit der unterschiedlichen oppositionellen Akteure im Samizdat reflexiv. Mit anderen Worten war die Opposition in Ostmitteleuropa also durch einen grundlegenden Willen zur Gemeinschaft geprägt, der durch die gemeinsame Debatte gestärkt wurde und auch die genuin oppositionelle Vorstellung der Nation motivierte. Der liberal nationalism oppositioneller Ausprägung bedeutete für die Nation in Ostmitteleuropa eine grundsätzliche Weiterentwicklung des neuzeitlichen „organisierten und institutionalisierten Massennationalismus“14, der mit den Staatssozialismen nach dem Zweiten Weltkrieg eine erneute Dynamik erhalten hatte. In seiner liberalen Neuausrichtung der Nation durchaus mit dem Verfassungspatriotismus bundesdeutscher Prägung vergleichbar15, betonte dieser  12 Hirschhausen/Leonhard: Europäische Nationalismen, S. 30. 13 Tamir: Liberal Nationalism, S. 163. 14 Hirschhausen/Leonhard: Europäische Nationalismen, S. 23. 15 Vgl. als Synthese der Debatte: Jan-Werner Müller: Verfassungspatriotismus, Berlin 2010.

290  Oppositionelle politische Gemeinschaft oppositionelle Beitrag zur Nation auch die intellektuelle Dimension der Nation und ließ diese wieder zu einem elitären Projekt werden. Denn die konsequente Umsetzung oppositioneller Theorie blieb eine marginale und nur von wenigen linken und liberalen Oppositionellen wie Jan Józef Lipski, Petr Pithart oder János Kis vertretene Vorstellung. Wie die verschiedenen Fallbeispiele dieser Arbeit aufzeigen konnten, erfuhr ihre idealtypische Radikalität in konzeptioneller Form nur wenig Zuspruch und konnte die dominierenden Ethnonationalismen nicht verdrängen.16 Dennoch prägten sie mit ihrer Kritik an bekannten nationalen Denkmustern und oppositionellen Grundwerten nachhaltig die Möglichkeitsrahmen oppositioneller Nationsvorstellungen. Sie stellten also verbindliche Postulate dar, die eine oppositionelle Nation zu integrieren hatte. Indem diese liberalen Oppositionellen Anerkennung, Freiheit und Moral als oppositionelle Werte pragmatisch innerhalb der Opposition durchsetzten, gelang es, diese Postulate konzeptionell auch auf die Nation als Abstraktum zu übertragen. Für die oppositionelle Suche nach politischer Gemeinschaft war die Integration unterschiedlicher weltanschaulicher Auffassungen und Ausrichtungen eine notwendige Bedingung, die aus der Logik der Anerkennung und aus den Zwängen einer um Relevanz bemühten Opposition resultierte. So formulierte beispielsweise Petr Pithart in seinem Essay Versuch über das Vaterland oder die Heimat das Bild einer Nation der Bürger, die alle zusammenführen solle: Sie [die Bürgernation] kommt aus mit Tschechen, mit Katholiken, Kommunisten, Dissidenten und bewältigt gleichgültig welchen Tschechen, Katholiken, Kommunisten, Dissidenten oder auch Ignoranten. Sie wird aber auch mit Slowaken und den Angehörigen anderer Nationalitäten, mit Atheisten und Protestanten, mit Nichtkommunisten und Antikommunisten und mit den Menschen des Regimes auskommen – das ist die wirkliche Bürger-Tugend, das ist die reife Äußerung des Patriotismus, wie ich ihn hier verstehe.17

Eine solche politische Gemeinschaft war antipolitisch, denn ihr fehlten Vorstellung und Ziel einer institutionellen Form von Ordnung, die über den Willen zur Gemeinschaft hinausging.18 Einzige Bedingung dieser liberalen Nation war die Anerkennung des jeweils anderen und das Bekenntnis zu den oppositionellen Werten.

 16 Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt: Kopeček: Human Rights, S. 577. 17 Pithart: Pokus o vlast, S. 463. 18 Alan Renwick: Anti-Political or Just Anti-Communist? Varieties of Dissidence in EastCentral Europe and Their Implications for the Development of Political Society, in: East European Politics and Societies, 20 (2006), S. 286–318, hier S. 304.

Oppositionelle Nation  291

Während also die Motivation der einzelnen Oppositionellen zum Handeln vielfältig blieb und widersprüchlich sein konnte, wurde das gemeinsame Streben nach Freiheit und Menschenrechten zur verbindenden Vorstellung politischer Gemeinschaft. Zudem übertrugen Oppositionelle die Idee der Anerkennung von politischer, religiöser und ethnischer Differenz auch auf andere ethnische Gruppen und ließen ihre Nation so zu einer Nation unter gleichberechtigten Nationen werden. Eine solche innere und äußere Anerkennung konterkarierte ganz offensichtlich tradierte, aber im Samizdat verbreitete Vorstellungen der Nation, die an die in Ostmitteleuropa dominierenden ethnonationalen Konzepte der Nation und deren Alteritätsmechanismen nationaler Selbstvergewisserung anknüpften. Im Prozess der Nationsaushandlung im Samizdat wurden sie jedoch von dem genuin oppositionellen Postulat der Anerkennung und der Menschenrechte eingehegt und überformt. Diese liberale Nation einiger Oppositioneller ist folglich nicht mit einem konsensfähigen und anerkannten Konzept oder einer performativen Praxis von politischer Gemeinschaft gleichzusetzen, wie es im Samizdat ausgehandelt wurde. Oppositionelle Nation dagegen, die hier als Begriff einer solchen konsensualen Vorstellung eingeführt werden soll, oszillierte zwischen den Polen liberaler Nation und liberal eingehegter essentieller Nationsvorstellungen. Die oppositionelle Nation ist also der Möglichkeitsrahmen, in dem Nationsvorstellungen formuliert werden und zugleich als oppositionell gelten konnten. Versteht man also den Gegensatz zwischen liberaler und essentieller Nation als Bandbreite von im Samizdat vorgetragenen Nationsvorstellungen, so umfasst oppositionelle Nation die konsensualen Konzepte nationaler Gemeinschaft. Sie schloss also auch die liberal überformten Ansätze polnischer und tschechoslowakischer National-Konservativer, in Ansätzen sogar die Ausführungen ungarischer Volkstümler mit ein. Dabei funktionierte oppositionelle Nation nicht nur auf gesamtgesellschaftlicher Ebene als Ordnungsvorstellung, sondern auch in einem konkreten und pragmatischen Sinne auf der Ebene der Opposition selbst. Das Aushandeln der Nation entlang oppositioneller Grundkonzepte integrierte und strukturierte auf diese Weise den oppositionellen Raum und stiftete oppositionelle Gemeinschaft. Diese pragmatische wie konzeptionelle Integration war so in der Lage die doppelte Differenzerfahrung in Gesellschaft und Opposition zu überwinden und durch die Anerkennung weltanschaulicher Heterogenität zu integrieren. Oppositionelle Nation und oppositionelle Gemeinschaft sind dabei als konzeptionell vergleichbare Ausformungen einer solchen Heterogenitätsbewältigung auf zwei unterschiedlichen sozialen Ebenen zu verstehen. Heterogenität zu integrieren bedeutete für das Konzept der oppositionellen Nation auch das Zusammenspiel des sich Widersprechenden, des Universellen

292  Oppositionelle politische Gemeinschaft und des Partikularen zu ermöglichen. Anschaulich zeigen sich diese Mechanismen der gegenseitigen Überformung und des dilatorischen Kompromisses anhand der polnische Debatte über einen Geist, der belebt, in der nationalkonservative Oppositionelle sukzessive auf ihre postrevisionistischen und liberalen Antagonisten und Mitstreiter zugingen. Aleksander Hall beispielsweise behielt seine essentialistische Annahme einer faktisch existenten und feststellbaren polnischen Nation bei, stellte jedoch heraus, dass jedes nationale Programm nur auf der „Achtung der Würde und angeborenen Rechte eines jeden Menschen und der nationalen Gemeinschaft“19 aufbauen könne. In dieser Logik war die Verteidigung der bedrohten Nation eine Zwangsläufigkeit des oppositionellen Handelns gegen den Staat und jenseits des Staates. Aber auch linke und liberale Dissidenten gingen mehr als nur symbolisch auf ihre inneroppositionellen Gegenspieler zu, indem sie den ihnen fremden, ja verpönten Begriff Nation für ihr Denken zur politischen Gemeinschaft annahmen. Jacek Kurońs dialektische Differenzierung, der zufolge er gegen den Nationalismus sei, da dieser in letzter Konsequenz eine Nation als „geistige und materielle Kulturgemeinschaft“20 einschränken müsse und so antinational sei, war nicht nur an Hall gerichtet. Sie zeigte vor allem, dass in dieser Entstehungsphase der neuen Opposition in Ostmitteleuropa über den Willen zur Anerkennung und zur politischen Gemeinschaft hinaus ein Wille zur Kooperation die verschiedenen Lager verband. Dieser dilatorische Kompromiss funktionierte nicht durch eine Reduktion von Komplexität oder eine schiere Oberflächlichkeit politischer Argumentation im Samizdat, sondern erkannte die komplexe Heterogenität der in der Opposition versammelten Personen und ihrer Argumente explizit an. In der Sprache der Opposition handelte es sich bei dieser Anerkennung um Pluralismus. Jacek Kuroń appellierte daran, dass „[d]er Pluralismus für uns nicht nur eine Organisationsform sozialer Zusammenarbeit ist, sondern die einzige Form, die nationale Identität zu bewahren.“21 Kuroń und seine Kontrahenten folgten diesem Ideal über lange Zeit und auch in der Tschechoslowakei und Ungarn bildete der ständige Widerspruch, das heißt die perpetuierte Folge von Rede und Gegenrede, die Grundlage des Samizdat und damit oppositioneller Öffentlichkeit. Dieser Mechanismus hob den Samizdat signifikant vom offiziellen Umlauf und seiner eingeschränkten Meinungsäußerung und seinen gelenkten, ja ritualisierten Diskussionsformen ab.  19 Hall: Czy zagraża nam nacjonalizm?, S. 28. 20 Kuroń: List otwarty, S. 21. 21 Ebd., S. 28.

Oppositionelle Nation  293

Gründete diese pluralistische oppositionelle Gemeinschaft auf Anerkennung und Konsens und oppositionellen Kernthemen wie den Menschenrechten, benötigte sie dennoch auch über die Nation hinaus integrierende Vorstellungen. Beruhte diese aus oppositionellen Postulaten entwickelte Nation auf der allgemeinen Anerkennung des Anderen, konnte nur der Verstoß gegen Menschenrechte und die Freiheit des Individuums noch eine legitime Grundlage für eine eindeutige Abgrenzung sein. Diese Abgrenzung firmierte in der Sinnwelt des Samizdat unter einem weiten, ideologisch amorphen und bedeutungsoffenen Totalitarismusbegriff. Gerade linke Oppositionelle wie Adam Michnik und Jacek Kuroń knüpften an den Antitotalitarismus im Bewusstsein an, dass der sogenannte real existierende Sozialismus auch nach dem Tode Stalins und der folgenden Entstalinisierung totalitär und somit unreformierbar sei.22 Dabei entwickelten sie kein stringentes politisches Konzept und konnten inhaltlich nicht an Vorbilder aus der angelsächsischen Politikwissenschaft der 1950er Jahre anknüpften23, sondern nutzten den Antitotalitarismus als einen kommunikativen Begriff, der oppositionelles Handeln in Ostmitteleuropa für den Westen übersetzen konnte.24 Totalitarismus stellte im Diskurs des Samizdat ähnlich wie die Nation einen Kommunikationsbegriff dar, denn als simple Negation oppositioneller Werte verwies seine entschiedene Ablehnung auf den oppositionellen Willen zur Moral. In den rekapitulierten Debatten zeigte sich beispielweise, dass sich sowohl bei Hall als auch bei Kuroń die Nation mit dem Gedanken des Antitotalitarismus verband. Kopeček hat schlüssig darauf verwiesen, dass ein solcher abgrenzender Antitotalitarismus oppositioneller Akteure in einer konzeptionellen oder philosophischen Spannung zu ihrem liberal nationalism steht25, die jedoch in ihrem politischen Handeln keine Auswirkungen hatte. Im dilatorischen Kompromiss der oppositionellen Nation werden oppositionelle Grundwerte erkennbar, die nicht nur bereits in der moralischen Mobili-

 22 Fehr: Dissidenz zur Gegen-Elite, S. 326f.; Kacper Szulecki: Neophyten, Häretiker, Dissidenten. Polnische Linksintellektuelle und der (Anti-)Kommunismus, in: Jahrbuch für Historische Kommunismus-Forschung, 19 (2011), S. 61–88, hier S. 80. Andrew Arato verweist auf die Bedeutung des Totalitarismusbegriffes in der Entfremdung des sozialistischen Revisionismus von Staat und Partei. Ders.: Civil Society, S. 29. 23 Matt Killingsworth schlägt zwar vor, den oppositionellen Gebrauch des Begriffs als „qualified totalitarism“ zu verstehen, zeigt dabei aber vor allem die unterschiedliche Erklärungsreichweite im Vergleich zu Hannah Arendt sowie Carl Friedrich und Zbigniew Brzeziński auf. Ders.: Civil Society in Communist Eastern Europe. Opposition and Dissent in Totalitarian Regimes, Colchester 2012, S. 32–48, Zitat S. 47. Hervorhebung im Original. 24 Brier: Michnik’s Understanding of Totalitarianism. 25 Kopeček: Citizen and Patriot.

294  Oppositionelle politische Gemeinschaft sierung der neuen Oppositionsbewegungen in Ostmitteleuropa prominent waren, sondern auch ihre Diskursethik bestimmten.26 Grundlage für diesen pragmatischen Kompromiss waren der oppositionelle Wille zur Anerkennung, der Wille zum Konsens und der Wille zur Gemeinschaft, die zum einen aus den Zwängen einer beschränkten und randständigen Protestbewegung, zum anderen aber aus der moralischen Ermächtigung dieser Akteure durch den Menschenrechtsdiskurs und aus dem Leben in der Wahrheit entsprangen. In dieser Aushandlung ist zudem ein Wille zur Wahrheit zu erkennen, der entlang eines eigenen oppositionellen Wahrheitsbegriffes zwischen authentischem Handeln und Anpassung an das Regime unterscheidet. Damit hob er sich von objektspezifischen Essentialismen ab, zum Beispiel im Foucault’schen Sinne27, bei denen die Unterscheidung zwischen wahr und falsch entlang sozialer Gesetzmäßigkeit verläuft und so objektiv feststellbar wird. Wahrheit im oppositionellen Verständnis ist persönliche Authentizität und somit legitimerweise heterogen. Dies zeigt sich auch in der moralischen Dimension oppositionellen politischen Denkens, die sich auf vielfältige religiöse und weltanschauliche Überzeugungen und deren universelle Abstraktion zurückführen lässt. Für oppositionelle Denker war Wahrheit eine transzendente Vorstellung, die oppositionelles Handeln erst ermöglichte. Dieser immanente Zusammenhang von Opposition und Transzendenz28 bildete damit die Grundlage für die oppositionelle Gemeinschaft und ihre nationale Weitung. Oppositionelle Nation beruhte folglich auf dem Streben nach Anerkennung des Individuums, inhaltlichem Konsens und politischer Gemeinschaft. Ihr Kern besteht jedoch in der Überführung der personalistischen Wahrheit in soziale Ordnungsvorstellungen. Die Nation als diskursive und symbolische Klammer zwischen der – mit Ausnahme der polnischen Solidarność – stets kleinen Opposition und der übrigen Bevölkerung gab dem Willen zur Gemeinschaft und zum Konsens eine äußere Form. In dieser Brückenfunktion war es unabdinglich, dass die Nation ein offener, ein unkonkreter Begriff blieb, in den je nach Perspektive vieles über den genuinen oppositionellen Kern der Anerkennung von Menschenrechten hineingeschrieben und herausgelesen werden konnte. Unzweifelhaft kann eine solche angewandte oppositionelle Nation nicht für den gesamten Untersuchungszeitraum von Mitte der 1970er Jahre bis zum Zusammenbruch der staatssozialistischen Regime in den Jahren 1988 und 1989 oder für den gesamten  26 Fehr: Dissidenz zur Gegen-Elite, S. 330f. 27 Nach Foucault ist die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Aussage das zentrale Motiv einer Sinnverknappung im Diskurs. Foucault: Ordnung, S. 13. 28 König: Lob der Dissidenz, S. 222–224.

Opposition über Grenzen  295

Untersuchungsraum Ostmitteleuropa festgestellt werden. Bereits die Auswahl der Beispiele in dieser Argumentation legte nahe, dass gerade die Frühphase oppositionellen Handelns in Polen und der Tschechoslowakei herausstechen, in der sich eine oppositionelle politische Gemeinschaft nicht nur konzeptionell auf Strategiedebatten auswirkte, sondern oppositionelle Gemeinschaft auch mit Leben gefüllt wurde. Dabei korrelieren die intensiven Phasen oppositioneller Nationsdiskurse folglich mit Phasen oppositioneller Strategiedebatten.29 Während die oppositionelle Nation mit der Solidarność eine idealtypische Umsetzung erfuhr, bröckelten der oppositionelle Konsens und sogar der Wille zum Konsens in Polen während des Kriegsrechts zunehmend. War sie dagegen in der tschechoslowakischen Opposition nie in einer solch deutlichen oder massenhaften Art zu erkennen, gestaltete sich auch ihre Destabilisierung langsamer. In Ungarn hingegen waren konzeptionelle Ansätze einer solchen oppositionellen Nation gerade in den Schriften János Kis’ zu erkennen. Dort scheiterte sie jedoch nicht nur auf gesamtnationaler Ebene, sondern auch im begrenzten Rahmen der randständigen Opposition, die bis zum Zusammenbruch des Sozialismus keine andauernde Koalition über die verschiedenen weltanschaulichen Lager hinweg bilden konnte.

5.2 Opposition über Grenzen Es gehört zu den grundlegenden Annahmen der wissenschaftlichen wie nichtwissenschaftlichen Beschäftigung mit oppositionellen Bewegungen und Dissidenten in Ostmitteleuropa, dass diese ein zusammenhängendes Phänomen darstellten.30 So erklärte zum einen der angenommene „Helsinki effect“31 den Schritt zu einer neuen Menschenrechts-Opposition und zum anderen erschien die dissidentische Übersetzung dieses Menschenrechtsdiskurses in den Spätsozialismus als ein Phänomen des gesamten Ostblocks. Diese Perspektive einer strukturell geteilten Geschichte der Opposition ist in der Forschung in Form von generalisierenden Vergleichsanalysen und Typologiebildungen verschiedentlich vorgestellt worden32 und überzeugt vor allem für die defensiv ausgerichtete Anfangsphase oppositionellen Handelns. Auch in der überschaubaren ideengeschichtlichen Betrachtung der Opposition ist auf einen solchen geteilten Wis-

 29 Renwick: Anti-Political or Just Anti-Communist?, S. 288. 30 Vgl. Pollack/Wielgohs: Introduction. 31 Thomas: Helsinki Effect. 32 Vgl. Judt: The Dilemmas of Dissidence; Fehr: Dissidenz zur Gegen-Elite.

296  Oppositionelle politische Gemeinschaft sens- und Theoriebestand innerhalb des ostmitteleuropäischen Samizdat verwiesen worden.33 Während diese struktur- und ideengeschichtlichen Arbeiten aus nachvollziehbaren Gründen einen breiten Untersuchungsfokus gewählt haben, kann die hier vorliegende Untersuchung zu oppositionellen Nationsvorstellungen in Ostmitteleuropa mit ihrer transnationalen Perspektive eine solche Betrachtung differenzieren. Im Folgenden sollen also die Ergebnisse dieser Studie auf ihren Untersuchungsgegenstand Opposition und Samizdat zurückgespiegelt werden. Vergleicht man das hier untersuchte politische Denken zur Nation, so lassen sich zwar typologische Muster erkennen, die in allen drei Ländern zu Tage treten, jedoch keine Verflechtungen zwischen diesem Denken. Die Nation als Thema beschränkte dabei ohne Frage die Anschlussfähigkeit von Diskursen, da diese bei allen nationalen Selbstreflexionen und allem nationalen Revisionismus dem Möglichkeitsrahmen der eigenen Nation verhaftet bleiben mussten. Verfolgt man darüber hinaus den Einfluss oppositioneller Theorie auf Nationsvorstellungen, also eine der Haupterkenntnisse dieser Arbeit, so ist auch hier keine Verflechtung zwischen Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei festzustellen. Dies gilt nicht nur für die verschiedenen Beispiele nationaler Selbstreflexion, wie sie im zweiten und dritten Kapitel behandelt wurden, sondern auch für die im vierten Kapitel untersuchte Reflexion von Alteritätsbildern und dem Verhältnis zu anderen politischen Gemeinschaften, in der sie aufgrund nahe liegender Kooperationsmöglichkeiten über Grenzen anzunehmen gewesen wären. In der Frage ungarischer Minderheiten in der Slowakei wurde zum Beispiel eine solche oppositionelle Kooperation angestrebt, blieb aber – im Rahmen dessen, was sich anhand des Samizdat nachvollziehen lässt – rudimentär und zumeist floskelhaft. Auch das Beispiel der Debatten um Mitteleuropa beziehungsweise Europa hat gezeigt, dass ordnungspolitisches Denken im Samizdat vor allem national gerahmt war. Beschreibt dies die Aushandlung der Nation im Besonderen, muss im Ergebnis dieser Untersuchung aber im Allgemeinen ebenso bezweifelt werden, dass der gemeinsame Hintergrund oppositionellen politischen Denkens zur Nation durch einen impliziten Transfer und intellektuellen Austausch über Grenzen hinweg zustande kam. Während nämlich oppositionelle Zeitschriften und Verlage wiederholt und regelmäßig theoretische Texte aus der Feder ausländischer Oppositioneller in Übersetzung abdruckten und dafür teils eigene Sondernummern auflegten, wirkte sich dies in den hier untersuchten Debatte

 33 Vgl. Falk: Dilemmas of Dissidence.

Opposition über Grenzen  297

nicht feststellbar aus. Auch wenn die Aushandlung der Nation zwangsläufig zunächst in national gerahmten Kommunikationszusammenhängen verlief, widersprechen die Ergebnisse dieser Studie folglich allgemeinen Annahmen der Forschung zu oppositionellen Bewegungen in Ostmitteleuropa.34 Auch oppositionelle Kerntexte, die zusammengenommen als eine gemeinsame und kohärente oppositionelle Ideenwelt beschrieben worden sind35, blieben in ihrer Wirkung auf nationale Kontexte beschränkt. Václav Havels Macht der Ohnmächtigen wurde beispielsweise im polnischen Zweiten Umlauf nachgedruckt36, aber kaum in die verschiedenen polnischen Debatten zur oppositionellen Strategie einbezogen. Auch andere Nachdrucke wie zum Beispiel eine ungarische Übersetzung von Jan Józef Lipskis richtungsweisendem Essay Zwei Vaterländer – Zwei Patriotismen lassen vermuten37, dass es sich bei der vermeintlichen Überschreitung von Grenzen eher um einen symbolischen Akt der Verbundenheit und Wertschätzung handelte als um eine tatsächliche Verschränkung. Eine transnationale oppositionelle Öffentlichkeit in Ostmitteleuropa konnte der Samizdat trotz unterschiedlicher Kooperationen zwischen Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn also nicht herstellen, genauso wie eine transnationale offizielle Öffentlichkeit im spätsozialistischen Ostmitteleuropa unmöglich blieb.38 In Anknüpfung an Robert Briers Argument, dass Opposition eine transnationale „Verstehensgemeinschaft“ darstelle, muss also die Zusammengehörigkeit durch Verstehen von einem gemeinsamen Denken und Handeln unterschieden werden.39 Konkreter auf die Nation als Thema bezogen, ließ sich ein Text wie Lipskis zwar sprachlich ins Ungarische übersetzen, seine in der polnischen Debatte wirkmächtige Intention einer nationalen Selbstreflexion dagegen scheiterte an den kulturellen Grenzen einer solchen Übertragung. Obwohl sich der ungarische Samizdat zu dieser Zeit mit Fragen der Nation und nationaler Minderheiten befasste, fanden die polnischen Anregungen keine

 34 Vgl. Kenney: Opposition Networks, S. 209. 35 Falk: Dilemmas of Dissidence. 36 Václav Havel: Siła bezsilnych, in: Krytyka [Samizdat], 2/5 (1979), S. 3–40. Der Text war ursprünglich sogar für einen tschechoslowakisch-polnischen Sammelband vorgesehen, der letztlich nicht verwirklicht werden konnte. Beylin/Bieliński/Michnik: Polska leży, S. 2. 37 Lipski: Két haza. 38 Peter Niedermüller: Kultur, Transfer und Politik im ostmitteleuropäischem Sozialismus, in: Hartmut Kaelble/Martin Kirsch/Alexander Schmidt-Gernig (Hrsg.): Transnationale Öffentlichkeiten und Identitäten im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2002, S. 159–175, hier S. 165f. 39 Brier, From Civil Society to Neoliberalism, S. 173.

298  Oppositionelle politische Gemeinschaft Rezeption.40 Lipski betrachtete spezifisch polnische Fragen, die an den ungarischen Kontext nicht angeschlossen werden konnten. In einer konzeptionellen Betrachtung bietet gerade ein solches Scheitern beziehungsweise das Fehlen von Transferprozessen Erkenntnisse zur oppositionellen Nation. Integrierte die oppositionelle Nation nämlich auf einer inhaltlichen Ebene die Heterogenität der polnischen, tschechoslowakischen oder ungarischen Opposition und der in ihr relevanten oppositionellen Konzepte, so war dies auf pragmatischer Ebene nur durch den kommunikativen Zusammenhang dieser Akteure möglich. Mit anderen Worten konnte diese Bewältigung von Heterogenität und Differenz nur zur Integration eines zusammenhängenden Raums dienen und darf nicht als universalistische oder kosmopolitische Integration verstanden werden. Der feststellbaren oppositionellen Integration im nationalen Rahmen und der symbolisch angestrebten oppositionellen Integration im übernationalen Rahmen wohnte also jeweils der oppositionelle Wille zur Gemeinschaft inne. Wirkung entfalten konnte er dagegen nur dort, wo inhaltliche Gemeinsamkeiten, also die gemeinsamen Kontroversen einer nationalen Selbstreflexion, und ein regelmäßiger kommunikativer Austausch zusammenkamen. Handlungsleitende Transferprozesse und Verflechtungen, die signifikant über die gelegentlichen Treffen zum Beispiel zwischen tschechoslowakischen und polnischen Oppositionellen in den 1970er Jahren hinausgingen, können erst ab Mitte der 1980er Jahre festgestellt werden. Die von Padraic Kenney sogenannte „konkretny generation“, also eine neue Welle von oppositionellen Umwelt- und Friedensbewegungen, intensivierte so die grenzüberschreitenden Aktivitäten deutlich.41 Aufgrund ihres thematischen Zuschnitts in der Friedensund Umweltarbeit entziehen sich diese Beispiele transnationaler Verflechtung jedoch dem Untersuchungsfeld dieser Arbeit. Allerdings lassen einzelne Texte solcher Organisationen wie der Polnisch-ungarischen Solidarität vermuten, dass ihre Haltung zum Nationsbegriff in einem traditionellen Sinne affirmativ war.42 Die Solidarisierung mit Oppositionellen anderer Länder bestätigte folglich eher das eigene oppositionelle und nationale Selbstverständnis, als eine nationale Sinnsuche zu provozieren.

 40 Vgl. zur Übersetzung als Herausforderung einer Kontextualisierung von Ideen: Lässig: Übersetzungen, S. 211f. 41 Padraic Kenney: Borders Breached. The Transnational in Eastern Europe since Solidarity, in: Journal of Modern European History, 8/2 (2010), S. 179–195; Kenney: Carnival of Revolution. 42 Vgl. Deklaracja Założycielska Solidarności Polsko-Węgierskiej, in: Biuletyn Węgierski, 1/1 (1989), S. 1; Węgrzy!/Magyarok, o.D. Karta, AO IV/155 Bl. 4.

Opposition über Grenzen  299

Stärker hingegen waren oppositionelle Aushandlungsprozesse mit Debatten innerhalb der jeweiligen politischen Exilgruppen in Westeuropa verflochten. Gerade für die tschechoslowakische Opposition spielte die Pariser Zeitschrift Svědectví eine besondere Rolle, in der immer wieder Kerntexte der hier behandelten Debatten erschienen oder zumindest nachgedruckt wurden. Mit großer Selbstverständlichkeit war die Zeitschrift Teil einer gesamt-tschechoslowakischen Debatte, in der Autoren aus dem Land selbst und seltener aus dem Exil publizierten. Dort erschienene Texte wurden nicht zwangsläufig im Samizdat nachgedruckt, denn offensichtlich waren sie auch so zugänglich. Sowohl Petr Pitharts Versuch über das Vaterland oder die Heimat als auch Ján Mlynáriks Thesen über die Aussiedlung der tschechoslowakischen Deutschen evozierten zum Beispiel eine sofortige Debatte in Prager oppositionellen Kreisen, so dass innerhalb weniger Wochen schriftliche Reaktionen auf einen in Paris erschienenen Text im Samizdat folgten. Für die polnische Opposition war das politische Exil, gerade die intellektuell einflussreiche Pariser Zeitschrift Kultura, eine nachhaltige Inspirationsquelle. Besonders die dort seit den 1950er Jahren geführten Debatten über Polens Verhältnis zu seinen Nachbarstaaten und zu Europa waren immer Ausgangspunkt für eine Debatte im Land selbst.43 War die Kultura bis Mitte der 1970er Jahre, also vor der Entstehung einer öffentlichen Opposition in Polen, auch für in Polen lebende Autoren ein wichtiges Forum für unabhängiges Denken gewesen44, verlor sie diese Rolle mit der Entstehung einer unabhängigen Publizistik im Land. Mit der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung Solidarność und nach der Verhängung des Kriegsrechts kehrte sich das Verhältnis um und die Kultura berichtete für das Exil über die Geschehnisse in Polen. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse müssen die abwesenden Verflechtungen und Transferprozesse zwischen oppositionellen Bewegungen in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn um eine Verflechtungsdimension über die Grenzen der geopolitischen Blöcke hinweg erweitert werden. Dabei beschränkte sich der Austausch ostmitteleuropäischer Oppositioneller mit dem Westen nicht auf Exilanten aus ihren Ländern, sondern schloss westliche Intellektuelle als Gesprächspartner und die westliche Öffentlichkeit als Appellationsinstanz mit ein. Dies war bereits in der Entstehungsphase der neuen Opposition

 43 Iwona Hofman: Szkice o paryjskiej Kuturze, Thorn 2004, S. 228. 44 Vgl. zwei Beiträge später führender Köpfe der Opposition im Land, die ursprünglich in der Kultura erschienen: Kuroń: Polityczna opozycja; Adam Michnik: Cienie zapomnianych przodków [zuerst erschienen in: Kultura, 29/332 (1975)], in: Ders.: Szanse polskiej demokracji, S. 145–164.

300  Oppositionelle politische Gemeinschaft angelegt, als Václav Havel oder Jacek Kuroń sich in offenen Briefen beispielsweise an Heinrich Böll und Enrico Berlinguer wandten oder Adam Michnik auf Einladung Jean-Paul Sartres in Paris als faktischer Botschafter der polnischen Dissidenz fungierte. Michnik präsentierte 1976 Kernelemente oppositionellen Denkens im Westen und knüpfte daran auch im späteren Austausch mit französischen Linksintellektuellen an. Robert Brier konnte am Beispiel des Totalitarismusbegriffs aufzeigen, wie sich Michniks politisches Denken in einem transnationalen Austausch zwischen Warschau und Paris entwickelte. Ähnlich wie der Begriff in Ostmitteleuropa als diskursive Klammer Oppositionelle unterschiedlicher Ausrichtungen zusammenführte, konnte er auch zwischen Ost und West als Brücke funktionieren.45 Einschränkend dazu zeigte das Beispiel der Mitteleuropa-Debatte, dass eine solche Ost-West-Verflechtung nicht mit einer grundsätzlichen Überschneidung der Diskursräume gleichzusetzen ist, sondern nur deren partielle Überlappung in Person einiger im Westen bekannter und renommierter Oppositioneller bedeutete. Was Václav Havel oder György Konrád über Mitteleuropa im Westen publizierten, war in der Region nicht immer anschlussfähig. Der grenzüberschreitende Transfer muss hier vielmehr als „bilateral transnationalism“46 begriffen werden, also als Verkettung einzelner ostmitteleuropäischer und westlicher Akteure und Kontexte miteinander, die zusammengenommen einen transnationalen Horizont des Phänomens Opposition ergeben.47 Diese globalhistorische Perspektive kann im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter herausgearbeitet werden, da die begriffs- und ideengeschichtliche Analyse von Samizdat-Texten eine Netzwerk- oder Milieu-Analyse oppositioneller Bewegungen48 nur in Ansätzen ermöglicht. Die so gewonnenen Erkenntnisse geben darüber hinaus Grund zu der Annahme, dass sich der intellektuelle Zusammenhang zwischen ostmitteleuropäischen Oppositionellen und westlichen Akteuren keineswegs auf einen einseitigen west-östlichen Transfer beschränkten, wie dies zum Beispiel Peter Niedermüller annimmt und zahlreiche weitere Beiträge präjudizierten.49 Im Gegensatz dazu hat bereits Barbara J. Falk gezeigt,  45 Brier: Michnik’s Understanding of Totalitarianism. 46 Idesbald Goddeeris: The Transnational Scope of Western Labour’s Solidarity with Solidarność, in: Labour History Review, 75/1 (2010), S. 60–75, hier S. 64. 47 So hat zum Beispiel Julia Metger am sowjetischen Beispiel gezeigt, wie westliche Auslandskorrespondenten nicht nur die westliche Wahrnehmung von Dissidenten prägten, sondern auch dissidentisches Selbstverständnis mitgestalteten. Dies: Writing the Papers. 48 Als Beispiel für eine solche Analyse: Arndt: Rote Bürger; Kind-Kovács, Written Here, Published There. 49 Niedermüller: Kultur, Transfer und Politik, S. 161.

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dass ostmitteleuropäische oppositionelle Denker einen genuinen Beitrag zur politischen Theorie der Zivilgesellschaft leisten konnten.50 Die folgenden Ausführungen zum Beispiel Zivilgesellschaft werden zeigen, dass sich die Ideengeschichte der Hochmoderne und des zweiten Kalten Kriegs erst in einer blockübergreifenden Perspektive erschließt.51

5.3 Oppositionelle Zivilgesellschaft Die Anerkennung des Individuums und die Integration von sozialer und weltanschaulicher Heterogenität sind in der Forschung zu oppositionellen Bewegungen in Ostmitteleuropa bislang nicht mit dem Begriff der Nation in Verbindung gebracht worden. Diese und ähnliche Aspekte sozialer Ordnung wurden dagegen zumeist mit der Analysekategorie der Zivilgesellschaft beziehungsweise der civil society52 gefasst, die in der Behandlung oppositioneller Bewegungen und ihres Denkens seit den 1970er Jahren eine besondere Relevanz einnimmt. Im Folgenden soll der oben ausgeführte oppositionelle Nationsbegriff in die Beschreibung von Opposition als Zivilgesellschaft eingeführt werden, um so die Erkenntnisse dieser Arbeit zum einen in der bisherigen Forschung zu kontextualisieren und zum anderen die oppositionelle Nation in diesem Paradigma sozialwissenschaftlicher Forschung zu verorten. Diese kritische Relektüre der Zivilgesellschaft steht dabei stellvertretend für eine allgemeine Historisierung der frühen Forschung zu Opposition und Dissidenz in Ostmitteleuropa. Auch Forschungsparadigmen wie Öffentlichkeit beziehungsweise Gegenöffentlichkeit oder Neue Soziale Bewegungen lassen in der Anwendung auf Ostmitteleuropa ihren Entstehungskontext erkennen und zeugen von einer engen Wechselbeziehung von empirischer Analyse und Modellbildung.53

 50 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 335–348. 51 Müller: Contesting Democracy. 52 Auch wenn beide Begriffe keineswegs bedeutungsgleich oder funktionsäquivalent für die wissenschaftliche Debatte sind, handelt es sich bei diesem Forschungsfeld um eine zusammenhängende und internationale Debatte. Sowohl in der englischsprachigen als auch der deutschsprachigen Forschung sind civil society und Zivilgesellschaft auf Opposition und Dissidenz in Ostmitteleuropa angewendet worden. Auf eine weitere Differenzierung sei daher an dieser Stelle verzichtet. 53 Vgl. Karl Christian Führer/Knut Hickethier/Axel Schildt: Öffentlichkeit – Medien – Geschichte. Konzepte der modernen Öffentlichkeit und Zugänge zu ihrer Erforschung, in: Archiv für Sozialgeschichte, 41 (2001), S. 1–38, hier S. 4f.

302  Oppositionelle politische Gemeinschaft Seit dem Entstehen der neuen, öffentlichen Opposition in Ostmitteleuropa wurden ihr Handeln und ihre Vorstellungen in der westlichen Öffentlichkeit wahrgenommen. Suchten ostmitteleuropäische Dissidenten diese Aufmerksamkeit gezielt, fanden sie sehr bald Unterstützer und ein interessiertes Publikum, das nicht nur die Ereignisse in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn wahrnahm, sondern auch Texte oppositioneller Autoren rezipierte. Autoren wie Havel, Michnik und Konrád wurden in westlichen Verlagen nachgedruckt. Zeitschriften wie Gegenstimmen, Index on Censorship oder La Nouvelle Alternative verbreiteten einzelne Texte des Samizdat, die auch die westliche Politik- und Sozialwissenschaft beeinflussten. In einem der ersten wissenschaftlichen Beiträge zu diesen oppositionellen Bewegungen erkannte der französische Politikwissenschaftler Jacques Rupnik im Konzept gesellschaftlicher Selbstorganisation eine „rebirth of Civil Society“, ohne seine Begriffsverwendung genauer zu erläutern.54 Andrew Arato, ein aus Ungarn stammender amerikanischer Politikwissenschaftler, verstand das Wiedererstarken einer im Sozialismus unterdrückten Zivilgesellschaft als Grundbedingung des oppositionellen Aufbruchs. Am polnischen Beispiel und mit Bezug auf weitere sozialistische Staaten führte er aus, wie Zivilgesellschaft den Rahmen einer Auseinandersetzung zwischen Opposition und Regime darstelle und die unterschiedlichen oppositionellen Strategien sich auf die Funktionsweise der Zivilgesellschaft auswirken.55 Damit stand Arato stellvertretend für ein wachsendes Forschungsfeld, das seit den späten 1970er Jahren Zivilgesellschaft in Klassikern der politischen Theorie wiederentdeckte und auf dieser Grundlage zu einem empirischen Analysebegriff der Politik- und Sozialwissenschaften entwickelte. In diesem Forschungsparadigma entfaltete sich ein breites Spektrum von deskriptiven und normativen Ansätzen, die in einem Minimalkonsens Zivilgesellschaft als Raum politischen Handelns jenseits von Staat, Wirtschaft oder Privatsphäre betrachten. Nachdem der Begriff zunehmend Eingang in den öffentlichen politischen Diskurs gefunden hatte, übernahm ihn etwa seit dem 1990er Jahren auch die Geschichtswissenschaft und beschrieb mit ihm in Anknüpfung an die Bürgertumsforschung das Entstehen moderner Gesellschaften.56

 54 Jacques Rupnik: Dissent in Poland. 1968–78. The End of Revisionism and the Rebirth of Civil Society, in: Tőkés (Hrsg.): Opposition, S. 60–112. 55 Arato: Civil Society. 56 Vgl. als Beispiel dieser Kontinuität: Jürgen Kocka: Zivilgesellschaft als historisches Problem und Versprechen, in: Manfred Hildermeier/Jürgen Kocka/Christoph Conrad (Hrsg.): Europäische Zivilgesellschaft in Ost und West. Begriff, Geschichte, Chancen, Frankfurt am Main/New York 2000, S. 13–39; Ralph Jessen/Sven Reichardt: Einleitung, in: Dies./Ansgar

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In dieser doppelten Begriffsprägung zwischen der Anschauung ostmitteleuropäischer Akteure und westlicher Klassiker wurde Zivilgesellschaft jedoch nicht nur als Analysebegriff zur Beschreibung Ostmitteleuropas angewendet, sondern auch in den jeweiligen Quellen verortet.57 Betrachtet man die Ergebnisse dieser Arbeit, die sich mit den Vorstellungen politischer Gemeinschaft beschäftigt, war in den hier verhandelten Debatten der Begriff Zivilgesellschaft dagegen unbekannt, wogegen sich die Annahme seiner Verwendung in Ostmitteleuropa auf einen Beitrag Aleksander Smolars, also eines seit 1971 im Pariser Exil lebenden polnischen Dissidenten, zurückführen lässt.58 Agnes Arndt konnte in einer Studie zur polnischen Opposition aufzeigen, dass Zivilgesellschaft bis zum Ende der 1980er Jahre in der polnischen Debatte lediglich die Aneignung einer Fremdzuschreibung darstellte.59 So verwendete beispielsweise Adam Michnik in der ersten Nennung des Begriffes im polnischen Samizdat „bürgerliche Gesellschaft“ in Anführungszeichen und offensichtlich ohne genauere Vorstellungen von Zivilgesellschaft.60 Sich in einem intellektuellen Austausch über die Blockgrenzen auf diesen Begriff zu beziehen, ohne eine gemeinsame Vorstellung von seinen Inhalten zu entwickeln, war jedoch kaum mehr als „Schlagwort-Kommunikation“.61 In den hier behandelten Debatten des Samizdat wurde soziale Ordnung anhand des vorhandenen, gesellschaftlich realen Begriffs einer solchen Ordnung konzipiert und umgesetzt, nämlich der Nation.

 Klein (Hrsg.): Zivilgesellschaft als Geschichte. Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, Wiesbaden 2004, S. 7–27. 57 Vgl. Arato: Civil Society, S. 23; Pelczynski: Solidarity, S. 361. 58 Aleksander Smolar: Préface, in: Zinaïda Erard/Georges M. Zygier (Hrsg.): La Pologne, une société en dissidence, Paris 1978, S. 7–16. Arato verweist explizit auf Smolar. 59 Arndt: Intellektuelle in der Opposition. Arndt argumentiert zwar mit einer normativen Definition von Zivilgesellschaft, untersucht aber eigentlich die semantische Verwendung des Begriffs im polnischen Zweiten Umlauf. Vgl. S. 27–29, 137 und 142f. Vgl. ebenso: Arndt: Rote Bürger, S. 159–166; Aleksander Smolar: Przygody społeczeństwa obywatelskiego, in: Ewa Nowicka/Mirosław Chałubiński (Hrsg.): Idee a urządzanie świata społecznego, Warschau 1999, S. 386–396. 60 Adam Michnik: Minął rok [zuerst erschienen in: Niezależność, 19.8.1981], in: Ders.: Szanse polskiej demokracji, S. 93–99, hier S. 93. Eine vorherige Nennung des Begriffs im ungarischen Samizdat ist ebenso irreführend wie der Verweis auf Smolar, da der Philosoph Mihály Vajda, der in der Festschrift für István Bibó einen Beitrag zu Zivilgesellschaft und Demokratie veröffentlichte, bereits seit 1977 im westlichen Ausland lebte. Vgl. Ders.: Civiltársadalom és demokrácia, in: Bibó emlékkönyv, S. 682–694. 61 Lisa Bonn: Begriffskonjunktur Zivilgesellschaft. Zur missverständlichen Interpretation dissidentischer Bewegungen in Osteuropa, in: Lino Klevesath/Holger Zapf (Hrsg.): Demokratie – Kultur – Moderne, München 2011, S. 121–131, hier S. 121.

304  Oppositionelle politische Gemeinschaft In den Sprachgebrauch ostmitteleuropäischer Dissidenten hielt der Begriff Zivilgesellschaft erst durch die Rezeption der westlichen Politikwissenschaft Einzug. Eine solche Beschreibung der Opposition und ihres politischen Denkens als Zivilgesellschaft konnte zwar einzelne Aspekte näher benennen, nicht aber Opposition als Gesamtphänomen erklären. Entwickelten nämlich beispielsweise Andrew Arato und Jean L. Cohen in ihrer richtungsweisenden Arbeit zu Civil Society and Political Theory ihre Theoriebildung auch aus konzeptionellen Beiträgen ostmitteleuropäischer Oppositionellen62, wurde ihre analytische Erkenntnis einer Zivilgesellschaft in Ostmitteleuropa zum hermeneutischen Zirkelschluss. Sie folgten vielmehr einer selektiven und normativ eingehegten Wahrnehmung von Opposition und Dissidenz in Ostmitteleuropa63, die die Forschung zu diesem Thema allgemein kennzeichnet. In der westlichen Wahrnehmung oppositioneller Bewegungen stachen vor allem postrevisionistische und liberale Intellektuelle hervor. Ein kleines oppositionelles „Pantheon“64 oppositioneller Größen wie Václav Havel, György Konrád und Adam Michnik wurde in westlichen Verlagen oder Zeitschriften in oft hohen Auflagen verlegt und war auf diese Weise in westlichen Sprachen zugänglich, was letztlich eine Grundvoraussetzung für ihre inhaltliche Rezeption war. Zugleich beeinflusste dieser Austausch aber auch ostmitteleuropäische Autoren selbst, denn über die bloße Verwendung des Begriffs Zivilgesellschaft hinaus scheint offen, für welche Leserschaft diese kleine Gruppe ostmitteleuropäischer Intellektueller als Teil einer „transnational ‚republic of letters‘“65 ab Mitte der 1980er Jahre noch schrieb. Die Mitteleuropa-Debatte suggerierte beispielsweise vordergründig die Einheit von ostmitteleuropäischer und westlicher Debatte und konnte diese Annahme durch einige grenzüberschreitende Akteure unterlegen. Sie bezog sich dabei jedoch auf Texte ostmitteleuropäischer Autoren, die in Ostmitteleuropa kaum Verbreitung fanden und illustriert so wiederum eine nur eine partielle Verflechtung. Begrenzt man Opposition jedoch auf diesen Elitendiskurs, entsteht ein im dreifachen Sinne verzerrtes Bild oppositionellen politischen Denkens. So stellten erstens besonders politische Theoretiker oppositionelles Denken in den Zusammenhang einer grundsätzlichen Debatte über die Zivilgesellschaft, die von der antiken Philosophie über die schottische Aufklärung bis zur marxisti-

 62 Vgl. Arato/Cohen: Civil Society, S. 31–36 und 58–69. 63 Killingsworth: Civil Society, S. 3. 64 Bolton: Worlds of Dissent, S. 3. 65 Falk: Resistance, S. 339. Timothy Garton Ash sprach sogar in Anlehnung an Thomas Mann von „Zivilisationsliteraten“. Garton Ash: Gibt es Mitteleuropa wirklich, S. 37.

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schen Theorie reiche. Wenn beispielsweise Barbara J. Falk in den Schriften ostmitteleuropäischer Oppositioneller einen „purposive and deliberate attempt“ erkennt, an diese letztlich ahistorische, konstruierte Debatte anzuknüpfen und so den verloren gegangenen Anschluss an Europa wiederherzustellen66, verkennt dies das pragmatische Augenmerk der Opposition. Oppositionelle Theorie, das ist eine Grunderkenntnis dieser Arbeit, war nämlich weniger philosophisches Abstraktum als handlungsleitende Strategie. Sie blieb nicht auf die nonkonforme Gelehrsamkeit des Samizdat beschränkt, sondern prägte konkret oppositionelles Handeln. Ihr Bezugspunkt waren nicht die Klassiker der politischen Theorie, sondern der Dialog mit anderen Nonkonformen. Die hier untersuchten Texte und Debatten zur Nation waren nicht auf den intellektuellen Austausch über politische Gemeinschaft beschränkt, sondern stifteten selbst politische Gemeinschaft. In diesen wie in anderen Punkten beschränkt sich diese westliche Rezeption zweitens allzu oft auf übersetzte Texte oppositioneller Akteure.67 So stand die frühe Zivilgesellschaftsforschung nicht auf der Grundlage des Samizdat, der in seinen verschiedenen Debatten durchaus Aspekte der Zivilgesellschaft streifte, sondern auf einer Auswahl zumeist liberaler beziehungsweise proto-liberaler Oppositioneller, deren Beiträge potentiell im Westen mehr Aufmerksamkeit erzielten als im Samizdat. Im Gefängnis entstandene Texte von Václav Havel oder Adam Michnik können so zwar zur Vorstellung der Zivilgesellschaft beitragen, sie sind dagegen nicht zwangsläufig repräsentativ für die Opposition in Ostmitteleuropa. Hingegen wurden beispielsweise die Beiträge des tschechischen Oppositionellen Petr Pithart in der Zivilgesellschaftsforschung nicht rezipiert, da seine Texte lediglich auf Tschechisch veröffentlicht wurden. Der in dieser Arbeit behandelte Versuch über das Vaterland oder die Heimat stellt nicht nur einen kontroversen und innovativen Denkanstoß zur Nation dar, sondern fügt sich auch nahtlos in das Muster der oben genannten liberalen Denker in der Opposition und ihres liberal nationalism ein und wäre so für westliche Forscher anschlussfähig gewesen. Drittens bedeutet diese Fokussierung der westlichen Forschung auf liberale und sprachlich zugängliche Oppositionelle eine Missachtung konservativer, national orientierter oder gar autoritärer Spielarten des ostmitteleuropäischen Nonkonformismus. Für die teleologische Fokussierung der westlichen Forschung auf gesellschaftliche Demokratisierung waren solche Gruppierungen  66 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 314. 67 Neben Falk vgl. beispielsweise: Marlies Glasius: Dissident Writings as Political Theory on Civil Society and Democracy, in: Review of International Studies, 38 (2012), S. 343–364.

306  Oppositionelle politische Gemeinschaft schlicht nicht nutzbar. Hingegen hat die neuere Zivilgesellschaftsforschung solche Gruppierungen unter dem Leitbegriff der uncivil society aufgegriffen und die Zivilgesellschaft damit aus ihrer liberalen Teleologie gelöst.68 So konnte beispielsweise Florian Bieber anhand des serbischen Nationalismus der 1990er Jahre zeigen, wie sich die gewaltsame Dynamik ethnischer Nationsvorstellungen mit Mechanismen der Zivilgesellschaft erklären lässt.69 Wie die vorliegende Arbeit herausgestellt hat, sind solche ethnisch-essentialisierenden und voluntaristisch-liberalen Konzepte politischer Gemeinschaft nicht voneinander zu trennen, sondern nur in ihren gegenseitigen Überformungen zu analysieren. Wurden diese nationalistischen oder unzivilen Gruppierungen aber in der frühen Zivilgesellschaftsforschung nicht behandelt, sind sie auch in der neueren Forschung zu oppositionellen Bewegungen nur unzureichend aufgegriffen worden und werden nur rein faktographisch behandelt.70 Eine solche Reduzierung oppositionellen Denkens auf wenige elitäre, in westliche Sprachen übersetzte und zumeist liberale Stimmen reduziert und abstrahiert den Samizdat nicht nur auf einen Beitrag zur politischen Theorie, sondern entzieht ihm seinen historischen Entstehungskontext. Dies kann am Beispiel der oppositionellen Rezeption der Freiheit des Individuums verdeutlich werden, die im oppositionellen politischen Denken immanent mit der Konzeption politischer Gemeinschaft verbunden waren. Die Argumentation vom Individuum her wird in einer auf die Zivilgesellschaft ausgerichteten Betrachtung der Opposition beispielsweise bei Barbara J. Falk als deren offenkundige Anknüpfung an Locke und Hegel oder allgemeiner die Aufklärung gedeutet.71 Während andere Beschreibungen noch den transnationalen Menschenrechtsdiskurs seit den 1970er Jahre in die Herleitung der Anerkennung des Individuums im oppo-

 68 Petr Kopecký: Civil Society, Uncivil Society and Contentious Politics in Post-Communist Europe, in: Ders./Cas Mudde (Hrsg.): Uncivil Society? Contentious Politics in Post-Communist Europe. London, New York 2003, S. 1–17, hier S. 7f. Allgemeiner: Stephen Kotkin/Jan Tomasz Gross: Uncivil Society. 1989 and the Implosion of the Communist Establishment, New York 2009. 69 Florian Bieber: The Other Civil Society in Serbia. Non-Governmental Nationalism – The Case of the Serbian Resistance Movement, in: Kopecký/Mudde (Hrsg.): Uncivil Society?, S. 18– 34, hier S. 30f. 70 Vgl. zu Ansätzen eine solchen Behandlung: Grzegorz Piotrowski: Civil and Un-Civil Society and the Social Movements, in: Interface. A Journal for and about Social Movements, 1/2 (2009), S. 166–189, hier S. 180f. 71 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 324.

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sitionellen Denken einbinden72, sind wichtige Quellen und Einflüsse wie Wahrheit und Personalismus bislang nicht herausgearbeitet worden. In der stark philosophisch geprägten tschechoslowakischen Opposition entwickelten Jan Patočka, und in Anknüpfung an ihn Václav Havel, Wahrheit als Grundgedanken oppositioneller Theorie aus der persönlichen Gewissensentscheidung heraus und beließen ihn trotz aller sozialen Implikation grundsätzlich in der Sphäre des Individuums. Wahrheit und das in der Folge von Havel und Konrád entwickelte Konzept der Antipolitik beruhten so auf persönlicher Authentizität.73 Auch der in der polnischen Opposition einflussreiche Personalismus betonte die Subjekthaftigkeit des Menschen, leitete sie aber aus einem katholischen Verständnis der Würde des Individuums ab. Ursprünglich auf den französischen Philosophen Emmanuel Mounier zurückgehend74, wurde er in Polen besonders von der regulär erscheinenden katholischen Monatsschrift Więź und dem bis zu seiner Wahl zum Papst 1978 an der Katholischen Universität Lublin lehrenden Karol Wojtyła popularisiert.75 Im politischen Denken des Samizdat beeinflusste er nicht nur katholische Autoren wie Bronisław Sroka oder Tadeusz Mazowiecki, sondern fügte sich auch darüber hinaus in die Leitlinien oppositionellen Handelns ein.76 Das Verhältnis der unabhängigen und öffentlichen Opposition in Ostmitteleuropa zur sozialistischen Staatlichkeit gehört zu den umstrittensten Aspekten ihrer wissenschaftlichen wie allgemeinen Betrachtung, da sich mit der Beschreibung eines Handeln gegen den, neben dem oder in Kooperation mit dem Staat eine normative Bewertung oppositioneller Akteure verbindet. Sowohl in ihrer Eigenwahrnehmung als auch in der Forschung zu diesen Bewegungen diente gerade die Dichotomie zwischen Staat und Opposition als Definitionskriterium oppositionellen Handelns. Auch in der Anwendung des Zivilgesellschafts-Paradigmas auf die Opposition in Ostmitteleuropa beziehungsweise deren Kritik ist diese Definition angewendet worden.77 Im Unterschied dazu ist  72 Vgl. z.B. Moyn: Last Utopia, S. 165. 73 Tucker: Philosophy and Politics, S. 58. Vgl. Havels Beispiel, was der sinnbildliche Gemüsehändler an konstruktiver Arbeit an der Wahrheit leisten könne. Havel: Versuch, S. 55. 74 Emmanuel Mounier: Manifeste au service du personnalisme, Paris 1936. Zum Hintergrund: John Hellman: Emmanuel Mounier and the New Catholic Left 1930–1950, Toronto 1981. 75 Kosicki: L’avènement des intellectuels catholiques. Thomas D. Williams/Jan Olof Bengtsson: Personalism, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2010), http://plato.stanford.edu/archives/win2010/entries/personalism/ (letzter Aufruf 29.04.2015). 76 Vgl. Sikorski: Personalizm narodowy. 77 Vgl. grundlegend: Arato: Civil Society. In der Kritik einer zu starken Abgrenzung der Zivilgesellschaft vom Staat wurde dagegen gefolgert, oppositionelle Bewegungen seien kein Aus-

308  Oppositionelle politische Gemeinschaft in dieser Arbeit Opposition als ein Diskursraum betrachtet worden, der sich im Samizdat zusammenfindet und damit zunächst keine Aussage zum Verhältnis zwischen Staat und Opposition trifft. Auch wenn der Samizdat von staatlichen Stellen als illegal eingestuft wurde, war er seinem Selbstverständnis nach eine legale Publikationsform, die nur von den üblichen Produktions- und Vertriebsmöglichkeiten ausgeschlossen war.78 In den verschiedenen Fallbeispielen dieser Arbeit ist zudem deutlich geworden, dass Staat und Regime nur in bestimmten Konstellationen einen expliziten Bezugspunkt oppositionellen Denkens darstellten. Betrachtet man zudem die dabei entwickelte oppositionelle Strategie und das konkrete Handeln dieser Akteure genauer, lässt sich eine solche vereinfachte Dichotomisierung nicht aufrechterhalten, vielmehr bleibt der Staat ein ambivalent bewerteter Hintergrund oppositionellen Denkens, das sich an die Gesellschaft wendete.79 Auch das praktische Handeln der Opposition ist weniger von einer fundamentalen Ablehnung des Staates als einer legalistischen und taktischen Anerkennung der kritisierten und in ihrer Herrschaftsausübung abgelehnten Staatlichkeit geprägt, wovon diverse Petitionen an Staatsführungen und Parlamente zeugen.80 Während sich der tschechoslowakischen Opposition aufgrund vergleichsweise repressiver Reaktionen des Regimes kaum Kooperationsmöglichkeiten boten, blieben solche Versuche, reformorientierte Kompromisse zu entwickeln, zunächst vor allem auf Polen beschränkt.81 Während der 16 Monate der Solidarność und der faktischen Doppelherrschaft war eine solche Suche nach Kooperation allein ob der Massenbasis der Gewerkschaftsbewegung notwendig geworden, aber letztlich gescheitert. Ab Mitte der 1980er Jahre suchten liberale polnische Oppositionelle erneut nach Möglichkeiten mit dem Regime Reformperspektiven zu entwickeln.82 Dagegen kooperierten in Ungarn gerade Vertreter

 druck von Zivilgesellschaft. Vgl. Killingsworth: Civil Society, S. 15–19; Dorota Pietrzyk-Reeves: Idea społeczeństwa obywatelskiego. Współczesna debata i jej źródła, Breslau 2004, S. 179. 78 Vgl. dazu die programmatische Einleitung der polnischen Zeitschrift Opinia: Od redakcji (Opinia). 79 Glasius: Dissident Writings, S. 346–349. 80 Vgl. Wniosek KOR do Sejmu PRL o powołaniu komisji poselskiej dla zbadania i publicznego ujawnienia represji stosowanych wobec uczestników czerwcowego protestu, 15.11.1976, in: Zygmunt Hemmerling/Marek Nadolski (Hrsg.): Opozycja Demokratyczna w Polsce 1976–1980, Warschau 1994, S. 115–118; Václav Havel: Dopis Gustávu Husákovi, in: Ders: Spisy, Bd. IV, S. 67–108. 81 Kopeček: Human Rights, S. 594. 82 Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 387; Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 138. Dabei beschränken sich diese Kooperationen stets auf einzelne Spektren der Opposition. Die Kämp-

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der national-konservativen Volkstümler mit Staat und Partei, zunächst im Kulturbereich und späterhin zur Vorbereitung des Runden Tisches auch im wirtschaftlichen Bereich. Aus dieser Erkenntnis, dass Reformen nur mit dem Regime zu erreichen sind, wurde an den Runden Tischen des Jahres 1989 der Zusammenbruch des Staatssozialismus in Ostmitteleuropa moderiert. Weder in ihrer theoretischen Ausgestaltung noch in ihrer Umsetzung lässt sich die Opposition als Gegenentwurf zu Regime oder Staatlichkeit verstehen. Der Mechanismus der Ablehnung fokussierte sich eher auf einen abstrakten und theoretisierten Totalitarismus, dessen Definition aus der Verneinung der Opposition entstand. Stattdessen wurde das Verhältnis der Opposition zum Staat Gegenstand strategischer Überlegungen, die sich in den hier untersuchten Ländern deutlich unterschieden und situativ wandelten. Auch die oppositionelle Nation, die, wie ausgeführt, als Erweiterung oppositioneller Gemeinschaft auf einen gesamtnationalen Zusammenhang zu verstehen ist, konnte folglich nur aus der Ablehnung des Totalitarismus, nicht aber aus einer Dichotomie zum Staat entwickelt werden. Oppositionelle Nation negierte vielmehr die Relevanz staatlicher Strukturen für die Nation und folgte damit dem polnischen und tschechischen Vorbild einer gesellschaftlich emanzipatorischen Nationalbewegung, wie sie sich im ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelt hatte. In unterschiedlichen Strategien zielte oppositionelle Theorie darauf, diese Gesamtbevölkerung in ihr Handeln miteinzubeziehen. Unter dem Stichwort einer „Subjektivierung“ der Gesellschaft ist dies gerade vom polnischen Oppositionellen Tadeusz Mazowiecki ausformuliert worden. Mazowiecki entwickelte aus einem katholischen Personalismus und den Menschenrechten einen positiven Freiheitsbegriff, eine Freiheit zum „freien und bewussten Engagement“83 für andere und die Gesellschaft. In Polen blieb er mit diesen Überlegungen keineswegs alleine, denn auch andere polnische Oppositionelle wie Adam Michnik und Bronisław Geremek formulierten Ansätze der Subjektivierung und Subjekthaftigkeit von Gesellschaft.84 In einem breiteren Sinne als gesellschaftliche Mobilisierung verstanden, können solche Ansätze in vergleichender Perspektive auch in der Tschechoslowakei und Ungarn festgestellt werden.85 Diese Mobilisierungsversuche waren der eigentliche Fokus der Zivilgesellschaftsforschung

 fende Solidarnosc beispielsweise lehnte jede Annäherung an das Regime vehement ab. Kamiński/Waligóra: Solidarność Walcząca, S. 472. 83 Tadeusz Mazowiecki: Chrześcijaństwo a prawa człowieka, in: Więź, 21/2 (1978), S. 5–15, hier S. 12. 84 Arndt: Intellektuelle in der Opposition, S. 69f.; Matynia, Perfomative Democracy, S. 57. 85 Fehr: Dissidenz zur Gegen-Elite, S. 295f.

310  Oppositionelle politische Gemeinschaft in der Betrachtung der ostmitteleuropäischen Opposition und beeinflussten folglich auch die politikwissenschaftliche Theoriebildung grundlegend. Sie umschrieben den oppositionellen Schritt in die Öffentlichkeit, schlossen jedoch aus dem Entstehen oppositioneller Strukturen auf eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung.86 Sieht man jedoch vom Beispiel der Solidarność ab, konnte eine solche Entwicklung zu keinem Zeitpunkt eine Massenbasis erreichen. So kann die öffentlich wirkende Opposition im ostmitteleuropäischen Spätsozialismus nicht per se als Ausdruck von Zivilgesellschaft betrachtet werden, jedoch durchaus als Labor zivilgesellschaftlicher Mechanismen und Prozesse. Entwickelt und verbreitet wurden diese Mechanismen dagegen nicht entlang eines Gesellschafts- oder Zivilgesellschaftsbegriffs, sondern anhand der Nation. Folglich kann das politische Denken oppositioneller Akteure auch nur unter Einbeziehung und Ausnutzung der Nation schlüssig erklärt werden. In diesem Laboratorium oppositioneller Öffentlichkeit fielen ein solches Denken zur gesellschaftlichen Aktion und seine konkrete Erfahrung ineinander, so dass Erwartungshorizonte und Erfahrungsräume miteinander verschmolzen.87 In seiner abstrakten Form verfolgten Konzepte wie die Bürgernation Petr Pitharts, der aufgeklärte Patriotismus Jan Józef Lipskis oder die staatsbürgerliche Nation János Kis’ aber den utopischen Anspruch des Universellen. Diese Utopien politischer Gemeinschaft ersetzten die vermeintlich notwendige politische Homogenität einer Nation durch die Anerkennung von Differenz. Ihre begrenzte Wirkung ist wiederum strategisch zu erklären, denn der Weg eines sich selbst beschränkenden Evolutionismus war integraler Bestandteil oppositioneller Theorie. Auch die oppositionelle Nation war eine Utopie, die letztlich keine Umsetzung finden und nur die unterschiedlichen Dissidenten und Systemkritiker als oppositionelle Gemeinschaft integrieren konnte. Dort aber konnten die Postulate oppositioneller Ethik, nämlich der Wille zum Konsens, der Wille zur Anerkennung und der Wille zur Gemeinschaft, als transzendenter Hintergrund oppositionellen Handelns88 Oppositionelle unterschiedlicher politischer Überzeugungen integrieren und mobilisieren.

 86 Agnes Arndt: Premisses and Paradoxes in the Development of the Civil Society, in: Dies./Gawin (Hrsg.): Discourses on Civil Society in Poland, S. 1–30, hier S. 18; Bonn: Begriffskonjunktur Zivilgesellschaft, S. 125f. 87 Diesen Verweis auf Reinhart Koselleck zeigte bereits Agnes Arndt auf. Dies.: Intellektuelle in der Opposition, S. 70. 88 Soziale Utopien benötigen, folgt man Arato und Cohen, neben immanenter auch transzendente Sozialkritik. Dies.: Civil Society, S. 457.

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Besonders nach dem Zusammenbruch des Sozialismus neigten die ersten Betrachter oppositioneller Bewegungen in Ostmitteleuropa dazu, diesen oppositionellen Beitrag zur politischen Theorie und zum politischen Denken gering zu schätzen. So konnten beispielsweise Ralf Dahrendorf und sein Schüler Timothy Garton Ash in den Schriften liberaler Oppositioneller, die hier als Vordenker eines liberal nationalism herausgestellt worden sind, keinen genuinen Beitrag zu Demokratie und Liberalismus erkennen.89 Wie viele westliche Beobachter erlagen sie einer Teleologie von Demokratie und Zivilgesellschaft, die mit der sogenannten Revolution des Jahres 1989 kulminierte. Dieser politische Umbruch schien die Deutung der Opposition als Zivilgesellschaft nur noch weiter zu verstärken90, denn frühere Interpretationen, denen zufolge es sich bei dieser oppositionellen Mobilisierung um eine Form von Reform-Sozialismus gehandelt habe, verloren nun an Überzeugungskraft.91 Dieses Deutungsmuster einer liberalen Überlegenheit perpetuierte unter Vorzeichen westlicher Demokratie und gesellschaftlicher Modernisierung das Rückständigkeitsparadigma, das für die Konstitution Osteuropas und auch Ostmitteleuropas als imaginierte Raumeinheit grundlegend war. Die implizite Annahme, Ostmitteleuropa sei zurückgekehrt nach Europa und habe eine Zivilgesellschaft wiederentwickelt, ist also Ausdruck einer „kolonialen Attitüde“92, die keine Eigenständigkeit Ostmitteleuropas erkennen kann, weil sie diese nur in westlichen Konzepten aufgehen lässt. Aus einer westlichen, gerade einer liberalen Perspektive heraus verwirrt vor allem das transzendente Denken in der Dissidenz, also der Moralismus und die Betonung von Wahrheit und Solidarität.93 Im ostmitteleuropäischen Kontext standen diese Postulate jedoch nicht für sich, sondern begründeten einen Gegenentwurf zur gesellschaftlichen Exklusion, die sich sowohl im repressiven lebensweltlichen Alltag als auch in Fremdenfeindlichkeit, ethnischem Nationalismus und Antisemitismus bemerkbar machte.94 Diese politische Transzendenz – oppositionelle Gemeinschaft als pragmatischer Zusammenschluss der Opposi 89 Vgl. Ralf Dahrendorf: Betrachtungen über die Revolution in Europa in einem Brief, der an einen Herrn in Warschau gerichtet ist, Stuttgart 1990, S. 26f.; Timothy Garton Ash: Ein Jahrhundert wird abgewählt. Aus den Zentren Mitteleuropas 1980–1990, München 1990, S. 262. 90 Killingsworth: Civil Society, S. 141. 91 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 337. 92 Moritz Csáky plädiert aus diesem Grund dafür den Raum neutral als Zentraleuropa zu bezeichnen. Ders.: Das Gedächtnis der Städte. Kulturelle Verflechtungen: Wien und die urbanen Milieus in Zentraleuropa, Wien 2010, S. 61. 93 König: Lob der Dissidenz, S. 223f. 94 Falk: Dilemmas of Dissidence, S. 340f.

312  Oppositionelle politische Gemeinschaft tion und die oppositionelle Nation als abstraktes Äquivalent dieser Gemeinschaft auf gesamtnationaler Ebene – ist jedoch durch ihren Entstehungskontext bedingt. Der oppositionelle Wille zum Konsens, der Wille zur Anerkennung und der Wille zur Gemeinschaft konnten sich nur in der spezifischen Lage einer randständigen und repressiv eingeengten Opposition im Spätsozialismus entwickeln. Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus im Jahr 1989 verlor diese oppositionelle Nation, wie oppositionelles politisches Denken an sich, ihre Grundlage. In einem Ausblick soll daher aufgezeigt werden, wie oppositionelle Akteure ihre Konzepte und Vorstellungen in die Transformation einbrachten und welche Bedeutung die Nation in dieser neuen, nun unter demokratischen Vorzeichen ablaufenden Suche nach politischer Gemeinschaft spielte.

5.4 Ausblick: Oppositionelle Nation in der gesellschaftlichen Transformation Die Ereignisse des Jahres 1989 gehören zu den nach wie vor offenen Themenkomplexen der Zeitgeschichtsforschung, und ihre Beurteilung ist immer noch geprägt von der Erfahrung des Umbruchs, also der „deutenden Aneignung erlebter Wirklichkeit“95 eines annus mirabilis. Zu einer solchen Deutung des Jahres 1989 gehörte es, die zahlreichen Demonstrationen und Massenproteste, die im Westen durch Fernsehbilder unmittelbar erfahrbar wurden, als Revolutionen zu beschreiben. So wurden die Ereignisse in der Tschechoslowakei zur „samtenen“ Revolution, in Litauen zur „singenden“ Revolution, in der DDR zur „friedlichen“ Revolution oder ganz allgemein zu „demokratischen“, „liberalen“ oder gar „nachholenden“ Revolutionen, die wiederum den wissenschaftlichen Revolutionsbegriff durch ihre Selbstbeschränkung fragwürdig erscheinen ließen.96 Diese überbordende Revolutionssemantik verstellt jedoch den Blick auf eine zweite Seite von 1989, nämlich die sogenannten Runden Tische, an denen, angefangen mit Polen und dann in der gesamten Region fortgesetzt, Oppositio 95 Jörn Leonhard: Europäisches Deutungswissen in komparativer Absicht. Zugänge, Methoden und Potentiale, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften, 4/3 (2006), S. 341– 363, hier S. 348. 96 Die Fülle an Literatur zu dieser Frage ist kaum mehr zu überschauen und oszilliert zwischen reportagehafter Beschreibung und eingehender Analyse. Verwiesen sei daher nur auf: Philipp Ther: 1989 – eine verhandelte Revolution, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.02.2010, http://docupedia.de/zg/1989 (letzter Aufruf 29.04.2015); Vladimir Tismaneanu: Rethinking 1989, in: Ders./Bogdan C. Iacob (Hrsg.): The End and the Beginning. The Revolutions of 1989 and the Resurgence of History, Budapest 2012, S. 15–32.

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nelle und Dissidenten mit Vertretern von Staat und Partei das Ende des Sozialismus verhandelten. Führt man dieses Wechselspiel von massenhafter Mobilisierung von unten und institutionalisiertem Kompromiss von oben zusammen, das Timothy Garton Ash als einer der ersten Betrachter der Ereignisse mit einem Wortspiel aus Reform und Revolution als „Refolution“ bezeichnete97, ergibt sich eine widersprüchliche Ausganglage der neuen politischen Systeme. Der Postsozialismus begann folglich mit der Erfahrung eines klaren Umbruchs und der Realität eines langsamen Übergangs. Diese Widersprüche bildeten den Erwartungshorizont eines neuen politischen Systems, das erst in den folgenden Jahren ausgehandelt werden konnte. In den Massenprotesten und Demonstrationen dieses Umbruchs formte sich die Erfahrung konkreter politischer Gemeinschaft und eines neuen Gefühls von Zusammengehörigkeit. Die Protestierenden rekurrierten auf nationale Traditionen, verwendeten Symbole des Nationalstaats und schufen eine zunächst nur auf der Ablehnung des sozialistischen Staates basierende Identität. In der kollektiven Sinnstiftung auf den Straßen Prags, Budapests oder Warschaus verband sich die Nation mit der auch schon in der Opposition prominenten Vorstellung der Freiheit, die zum Kernbegriff von 1989 werden sollte. Zwangsläufig blieb Freiheit in dieser schlagwortartigen Verwendung begrifflich kontingent.98 Sinnbildlich für die Befreiung der Nation vom Regime können die Nationalflaggen mit Loch – wie in Rumänien oder auch der DDR – stehen, aus denen das Wappen des sozialistischen Staates herausgeschnitten worden war, um so in den Augen der Demonstrierenden die Nation vollständiger zu repräsentieren.99 Zumindest situativ vermochte der Aufbruch des Jahres 1989 die gesellschaftliche Atomisierung des Spätsozialismus zu überwinden und so eine geeinte polnische, tschechoslowakische beziehungsweise tschechische und slowaki-

 97 Timothy Garton Ash: Im Namen Europas. Deutschland und der geteilte Kontinent, München 1993, S. 503f. 98 Ladislav Holy: The Little Czech and the Great Czech Nation. National Identity and the PostCommunist Transformation of Society, Cambridge 1996, S. 55–59. 99 In den hier untersuchten Ländern wurden zwar zahllose Fahnen von den Demonstranten mitgeführt, da auf ihnen aber kein sozialistisches Wappen angebracht war, erübrigte sich die symbolische Tilgung des Wappens. Im ungarischen Fall stand eine solche Fahne mit Loch für die Revolution von 1956 und wurde daher wiederum auch 1989 verwendet. Die rumänische Trikolore hatte ebenso wenig ein sozialistisches Wappen in ihrer Mitte, dennoch wurde hier das angenommene Wappen herausgeschnitten. Vgl. Andreas Pribersky: Das Loch in der Fahne oder: Thesen zur symbolischen Politik in Zentraleuropa nach 1989, in: Heinz Fassmann/Wolfgang Müller-Funk/Heidemarie Uhl (Hrsg.): Kulturen der Differenz – Transformationsprozesse in Zentraleuropa nach 1989, Göttingen 2009, S. 125–136, hier S. 134f.

314  Oppositionelle politische Gemeinschaft sche oder ungarische Nation zu vermitteln. Wie Ladislav Holy am tschechoslowakischen Beispiel aufzeigen konnte, leistete dieses mehrdeutige „Wir“ auch eine Übersetzung zwischen der zumeist individualistisch inspirierten Freiheitsforderung und dem nationalen Kollektivismus der Massenproteste.100 Diese performative und emotionale Zusammenführung zweier konkurrierender Konzepte erreichte in einer Ausnahmesituation auf Massenbasis, was die oppositionelle Nation durch dialogische Aushandlung und Anerkennung auf einer abstrakten Ebene zu bewältigen suchte. So ähneln sich die Opposition des Samizdat und die Massenbewegungen des Jahres 1989 in ihrem Symbolhaushalt, ihren Kernbegriffen und auch Integrationsmechanismen. Dennoch lassen sich die Proteste „grauer“, das heißt zuvor schweigend unzufriedener und nicht in der Opposition aktiver Bürger101 nicht als bloße Fortsetzung oppositionellen Handelns verstehen. Oppositionelle waren keineswegs die einzigen Akteure, die zum Gelingen der demokratischen Revolutionen beitrugen, und dennoch die offensichtlichen Repräsentanten und Leitfiguren der neuen performativ umgesetzten Freiheit.102 Besonders deutlich wird dies am Beispiel Václav Havels, der noch im Februar 1989 zu einer Haftstrafe verurteilt worden war und der tschechoslowakischen Öffentlichkeit vor allem durch staatliche Diffamierungskampagnen bekannt war. Im Dezember 1989 wünschten sich die Demonstranten ihn „auf die Burg“, also in das Amt des Staatspräsidenten.103 Welche Auswirkungen hatte 1989 dagegen für das in dieser Arbeit behandelte politische Denken oppositioneller Akteure und ihre Nationsvorstellungen? Sieht man zu einem gewissen Maß von der Tschechoslowakei ab, in der Václav Havel auch über 1989 hinaus eine „nicht-politische Politik“ verfolgte, machten oppositionelle Akteure in Polen und Ungarn bereits in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre eine Wandlung von dissidentischen Theoretikern zu politischen Pragmatikern durch.104 Einen deutlichen Einschnitt bedeutete 1989 vor allem für den Gegenstand dieser Arbeit. Mit dem Ende des Sozialismus und der Zensur war auch für die unabhängige Publizistik des Samizdat ein Ende gekommen, denn anstelle des Selbstverlags standen seinen Autoren nun offizielle Verlage und Journale zur Verfügung. Einige Organe des Samizdat schafften den Über-

 100 Holy: The Little Czech and the Great Czech Nation, S. 62. 101 Vgl. dazu paradigmatisch: Jiřina Šiklová: The „Gray Zone“ and the Future of Dissent in Czechoslovakia, in: Social Research, 57/2 (1990), S. 347–363. 102 Wolfgang Eichwede: Don Quichotes Sieg. Bürgerrechtler und die Revolutionen von 1989, in: Osteuropa, 59/2–3 (2009), S. 61–84, hier S. 83f. 103 Garton Ash: Ein Jahrhundert wird abgewählt, S. 439. 104 Tucker: Philosophy and Politics, S. 185.

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gang in die neue Wirklichkeit, wie zum Beispiel die bereits 1987 legalisierte polnische Zeitschrift Res Publica oder der ungarischen Beszélő. Dennoch verlor sich spätestens mit dem Jahr 1989 die spezifische Kommunikationssituation des Samizdat, in dem Rede und Gegenrede trotz aller Kontroverse in einem Heft erscheinen konnten und der Widerspruch als intellektuelles Potential verstanden wurde. Für oppositionelle Akteure in Ostmitteleuropa, Denker wie Pragmatiker, konnte 1989 keinen Fluchtpunkt darstellen, denn trotz aller vorherigen Konzepte für eine Wirklichkeit nach dem Sozialismus passte die neue tagespolitische Situation nicht zu den alten Überlegungen. Vielmehr standen oppositionelle Akteure nun vor der Herausforderung, ihre Konzepte in die postsozialistische Wirklichkeit zu überführen. In den „Flitterwochen“ der Transformation brachte die Bevölkerung den neuentstandenen Wahlbündnissen und Parteien aus dem Umfeld der ehemaligen Opposition enormes Vertrauen entgegen, allein weil sie gegen das bekannte und verhasste Regime standen.105 Die Euphorie und performative politische Gemeinschaft der Revolution musste sich jedoch an den dringenden politischen Sachfragen des Systemumbaus messen lassen, allen voran der schmerzhaften Umstellung der Planwirtschaft auf marktwirtschaftliche Grundsätze. Hatte 1989 auch die unterschiedlichen Brüche und Verwerfungen innerhalb des oppositionellen Spektrums in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarns zumindest kurzzeitig überbrücken können, zerbrach der oppositionelle Konsens nun in den politischen Auseinandersetzungen der Transformation endgültig. Nachdem nationale Sinnwelten die Revolutionen geprägt hatten, bildeten sie auch den Rahmen der ersten Jahre des demokratischen Übergangs. In der westlichen Wahrnehmung ist dieses Erstarken der Nation und des Nationalismus oft mit Enttäuschung oder gar Entsetzen wahrgenommen worden, wenn beispielsweise Tony Judt von einer „bizarre[n] Wiederauferstehung der Gespenster des Partikularismus“106 sprach, die man nun in Osteuropa beobachten könne. Zu einem vermeintlichen und von Francis Fukuyama als solchem auch postuliertem „Ende der Geschichte“107 gehörte für viele Betrachter eben auch das Ende ihrer bösen Gespenster. Jedes Auftreten von Nationalismus musste so eine Wiederkehr oder eine Renais-

 105 Padraic Kenney: The Burdens of Freedom. Eastern Europe since 1989, Black Point 2006, S. 101–104. 106 Tony Judt: Der neue alte Nationalismus, in: Merkur, 48 (1994), S. 1047–1064, hier S. 1048. 107 Francis Fukuyama: The End of History and the Last Man, New York 1992. Auch Samuel P. Huntington erkannte ein vermeintliches Ende des Nationalismus und postulierte dagegen einen Clash of Civilizations. Ders.: The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, New York 1996.

316  Oppositionelle politische Gemeinschaft sance darstellen, beruhte also auf alten, überkommenen Mechanismen des Politischen.108 Dabei zeigten sich aber in dieser erneuten Prägnanz der Nation auch spezifische Merkmale, die sich nur mit der gesellschaftlichen Transformation Ostmitteleuropas erklären lassen und die auf einen neuartigen Nationalismus hinwiesen. Mitte der 1990er Jahre konstatierten beispielsweise soziologische Untersuchungen, dass Patriotismus und Nationalismus in Ostmitteleuropa sowohl mit der Bejahung von Bürgerrechten als auch mit ethnischer Intoleranz korrelierten. Freiheit als Leitmotiv der verhandelten Revolution und der neuen Demokratie verband sich nicht nur in Polen, sondern auch in Tschechien, der Slowakei und Ungarn besonders deutlich mit einem populistischen Nationalismus, der auf Exklusion und ethnischer Distinktion beruhte.109 Dies kann als Fortsetzung oder Parallele zur national-konservativen Ausprägung des oppositionellen Nationsbegriffs verstanden werden, bei dem oppositionelle Inhalte eine essentielle und exkludierende Nation nur überformten, ohne diese in ihrem Kern zu beeinflussen. Zugleich kann der liberal nationalism oppositioneller Prägung nur bedingt in solchen soziologischen Untersuchungen nachgezeichnet werden und stellte kaum mehr als eine Minderheitenmeinung dar. Ethnische Toleranz schlug sich nunmehr stärker in einer distanzierten Betrachtung des eigenen Landes und der eigenen Nation nieder110, so dass sie nun nicht mehr mit Patriotismus oder Nationalismus assoziiert wurde. Die Untersuchung erklärte solche vermeintlichen Widersprüche mit einer starken Verwurzelung des ostmitteleuropäischen nationalen Denkens im Gegensatz von Staat und Nation111, also einer Annahme, die für das in dieser Arbeit untersuchte Denken zur Nation nur eine geringe Bedeutung hatte. Betrachtet man die drei untersuchten Länder nun exemplarisch, so zeigt sich eine sehr unterschiedliche Überführung oppositioneller Nationsvorstellungen in die Transformationszeit, die auch mit der Integration oppositioneller Akteure in Politik und Regierungsapparate zusammenhing. In der Tschechoslowakei verlief dieser Übergang nahezu unmittelbar; zwischen der gewaltsam aufgelösten Studenten-Demonstration vom 17. November 1989 und der Wahl  108 Vgl. als Beispiel: Jacques Rupnik: Eisschrank oder Fegefeuer. Das Ende des Kommunismus und das Wiedererwachen der Nationalismen in Osteuropa, in: Transit, 1/1 (1990), S. 132– 141. 109 Hilde Weiss/Christoph Reinprecht: Demokratischer Patriotismus oder ethnischer Nationalismus in Ost-Mitteleuropa? Empirische Analysen zur nationalen Identität in Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen, Wien/Köln/Weimar 1998, S. 78f. 110 Ebd., S. 194–196. 111 Ebd., S. 76.

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Václav Havels zum Staatspräsidenten – durch eine nach wie vor größtenteils kommunistische Bundesversammlung – lagen kaum sechs Wochen. Besonders am Beispiel Havels zeigte sich die Persistenz oppositionellen Denkens in der neuen politischen Wirklichkeit. Bereits vor seiner Wahl äußerte sich Havel in einem Fernsehen-Interview zur Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei und regte eine Entschuldigung bei den nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschobenen oder vertriebenen Sudetendeutschen an.112 Havel wiederholte diesen Versuch die Logik der Schuld zu durchbrechen wenige Tage später in einem Brief an den deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und provozierte damit besonders polemische Entgegnungen aus dem kommunistischen Lager.113 Havel erneuerte nur Argumente der Danubius-Debatte, die in den Anfangsjahren der tschechoslowakischen Opposition zwar Kontroversen verursacht, aber längst an Brisanz verloren hatte.114 Eine solche moralische Selbstreflexion entlang oppositioneller Diskursregeln war für den öffentlichen Diskurs völlig unerwartet, zeichnete aber richtungsweisende Charakteristika von Havels Präsidentschaft vor. Sein Versprechen, „mit euch [das heißt seinen Mitbürger] wie einer von euch“115 zu reden, und seine Konzentration auf abstrakte und moralische Fragen distanzierten sich von einer Parteipolitik im üblichen Sinne und formulierten den Anspruch einer „nicht-politischen Politik“.116 Er mahnte wiederholt eine Aufarbeitung des Sozialismus, vor allem aber eine moralische Erneuerung der tschechoslowakischen Gesellschaft an. Damit setzte Havel sein dissidentisches Werk und sein Verständnis vom Leben in der Wahrheit fort, ohne jedoch diese Reflexionen zum Individuum und zur politischen Gemeinschaft in ein konkretes Identitätsangebot zu wenden. Seine radikale

 112 Vgl. einen Auszug des ansonsten nicht edierten Interviews: Pithart/Příhoda (Hrsg.): Die abgeschobene Geschichte, S. 67. 113 Vgl. Ladislav Adamec: Omluvit se za osdun? Ne!, in: Rudé Právo, 04.01.1990, S. 1; Čtenáři nám píší: Omlouvat se nebudeme, in: Rudé Právo, 05.01.1990, S. 1. Für einen Überblick der Debatte: Michaela Witte: Entfremdung – Sprachlosigkeit – Aussöhnung? Deutsch-tschechische Verständigungsprobleme in der Vertreibungsfrage (vyhnání a odsun) der Sudetendeutschen im Spiegel ausgewählter deutscher und tschechischer Presseorgane (1984–1997), Norderstedt 2002, S. 85–100. 114 Abrams: Morality, Wisdom and Revision, S. 234f. 115 Václav Havel: Projev v Československé televizi o politické situaci před volbou prezidenta republiky, in: Ders.: Spisy, Bd. IV, S. 1178–1186, hier S. 1185. 116 Tucker: Philosophy and Politics, S. 185–187.

318  Oppositionelle politische Gemeinschaft Kritik der Moderne argumentierte eher in die Richtung einer postnationalen Identität, als die Tschechoslowakei zu stützen.117 Dabei stand die Zukunft dieses Zwei-Nationen-Staates Tschechoslowakei sehr bald und grundsätzlich in Frage. In seiner ersten Parlamentsrede am 23. Januar 1990 forderte Präsident Havel, die Symbole des sozialistischen Staates zu tilgen. Der neue Staat solle sich wie in der Zwischenkriegszeit nur noch Tschechoslowakische Republik nennen und auf den ‚sozialistischen‘ Zusatz verzichten.118 Dieser zwangsläufige und nur formelle Schritt eines sich entwickelnden demokratischen Systems berührte aber auch das zutiefst fragile Verhältnis der zwei Titularnationen. So wurde das Tschechoslowakische zum Politikum und konnte einen tschechischen Zentralismus ausdrücken, so wie Gegenvorschläge wie Tschecho-Slowakisch oder Tschechisch und Slowakisch als Ausdruck eines slowakischen Separatismus gedeutet wurden. 119 Trotz aller Bemühungen um eine staatsrechtliche Reform der nun ‚Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik‘ zerbrach der gemeinsame Staat im Sommer 1992 am latenten Konflikt zwischen tschechischen und slowakischen Politikern.120 Mit der samtenen Teilung endete ein spannungsgeladenes Verhältnis, das in der sozialistischen Tschechoslowakei tabuisiert wurde und auch von der zumeist in Prag angesiedelten Opposition nicht weiter beachtet worden war. Zwar wurden Tschechen und Slowaken mit großer Selbstverständlichkeit unterschieden, eine Debatte erregte dieser Gegensatz aber höchstens unterschwellig, als zum Beispiel der offensichtlich slowakische Autor Danubius den Tschechen Vorhaltungen zum Abschub der Sudetendeutschen machte. Eher noch äußerte sich im Samizdat ein mährischer Regionalismus, als dass die Slowakei in den Blick tschechischer Oppositioneller geriet. Besonders in der nun eigenstaatlichen Tschechischen Republik stellte sich die Frage nach Kontinuität oder Unnatürlichkeit des neuen Staates. Hatten viele Tschechen keinen Widerspruch zwischen einem tschechoslowakischen Staat und der tschechischen Nation gesehen, entstand erst mit der Auflösung des  117 Miloš Havelka: „Nepolitická politika“. Kontexty a tradice, in: Sociologický časopis, 34 (1998), S. 455–466, hier S. 463f.; Martin J. Matuštik: Post-National Identity. Habermas, Kierkegaard and Havel, in: Thesis Eleven, 34/1 (1993), S. 89–103, hier S. 100. 118 Václav Havel: Federální shromářždění, in: Ders.: Spisy, Bd. VI. Projevy z let 1990–1992. Letní přemítaní , Prag 1999, S. 25–43, hier S. 36. 119 Maya Hertig: Die Auflösung der Tschechoslowakei, Basel/Fribourg 2001, S. 170–172. Ausführlich dazu: Milan Šútovec: Semioza ako politikum alebo „pomlčková vojna“, Bratislava 1999, S. 150–317. 120 Carol Skalnik Leff: The Czech and Slovak Republics. Nation versus State, Boulder 1997, S. 130f.

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gemeinsamen Staates eine Notwendigkeit der nationalen Selbstaussage.121 Obwohl sich diese Suche nach einer tschechischen Nation in den bekannten Streit über den Sinn der tschechischen Geschichte einreihte, lösten sich dessen Dichotomien zwischen kleiner und großer Nation zunehmend auf. Die neuen Oppositionen von Individualismus und Kollektivismus oder bürgerlichen Freiheiten und einer freien Marktwirtschaft gingen in der Selbstvergewisserung der nun eigenständigen Tschechischen Republik ineinander über, wie sich auch schon in den Demonstrationen der Jahres 1988 und 1989 die Beschwörung einer essentiellen Nation mit der Forderung nach Menschen- und Bürgerrechten vermischt hatte.122 So wie die Versuche ehemaliger Oppositioneller scheiterten, ihren Wahrheitsbegriff in demokratische Prozesse zu integrieren, so gelang es auch der Symbolfigur der samtenen Revolution Václav Havel nicht, den Begriff der tschechischen Nation nachhaltig zu prägen. Seine wiederholten Plädoyers für transzendente moralische Werte als Grundlage der neuen staatlichen Wirklichkeit, die an die oppositionelle Nation anknüpften, konnten im Verständnis politischer Gemeinschaft keinen nachhaltigen Einfluss entfalten.123 Anders als in der Tschechoslowakei fehlte der Aushandlung des Regimewandels in Polen jegliche revolutionäre Dynamik. Als im Februar 1989 Vertreter der immer noch verbotenen Gewerkschaftsbewegung Solidarność am Runden Tisch mit der Staatsmacht zusammenkamen, war dies zwar von Massenprotesten erzwungen, wurde aber sorgsam durch die Solidarność-Führung vorbereitet.124 Erst in den halb-freien Wahlen des Juni 1989 konnte die Solidarność wieder die Massen mobilisieren und in einem komplizierten Wahlverfahren den deutlichen Zuspruch der Bevölkerung erlangen. Stand die Sitzverteilung im neuen Sejm mit 35 Prozent für unabhängige Kandidaten und 65 Prozent für die Kandidaten der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei und ihre Blockorganisationen bereits im Vorfeld fest, konnte das oppositionelle Bürger-Komitee (Komitet Obywatelski) nahezu alle Kandidaten im ersten Wahlgang durchbringen, wogegen mehr als die Hälfte der Wähler „die gesamte Führungsspitze des Landes“ durchfallen ließ.125 Auf diese Weise fehlte dem am Runden Tisch vereinbarten  121 Holy: The Little Czech and the Great Czech Nation, S. 193–196. 122 Ebd., S. 200–202. 123 Stefan Auer: Liberal Nationalism in Central Europe, London 2004, S. 120f. 124 David Ost: The Defeat of Solidarity. Anger and Politics in Postcommunist Europe, Ithaca 2006, S. 43–49. 125 Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 447–457, Zitat S. 454. Vgl. auch den Augenzeugenbericht Garton Ashs: Ders.: Ein Jahrhundert wird abgewählt, S. 352f. Noch deutlicher war das Ergebnis im frei zu wählenden Senat, in dem die Opposition auf Anhieb 92 von 100 Sitzen erlangte und in der zweiten Wahlrunde weitere sieben gewann. Den einzigen Nicht-

320  Oppositionelle politische Gemeinschaft Sejm bereits mit seiner Wahl die notwendige Legitimation, um die Transformation zu gestalten. Adam Michnik schlug wenige Wochen später mit der Formel „euer Präsident, unser Premier“126 einen Übergang vor, in dem Tadeusz Mazowiecki im August 1989 zum ersten nicht-kommunistischen Premier im Warschauer Pakt gewählt wurde. Bereits in seiner Wahlrede bewegte sich Mazowiecki vorsichtig zwischen dem erreichten Kompromiss des Runden Tisches und einem grundsätzlichem „Wechsel der Staatsphilosophie“127, vermied aber jegliche Semantik eines Bruchs, einer Transformation oder gar einer Revolution.128 So stellte er seine Reformansätze nur abstrakt als eine Rückkehr dar und zog unter die Vergangenheit „einen dicken Strich“.129 Zeitgenössisch und später oftmals als Schlussstrich verstanden, zielte Mazowiecki wohl vor allem auf den Handlungsspielraum der zu bildenden Regierung, die zwar vielfältige Problem geerbt hatte, aber einen neuen Anfang bedeuten sollte. Auch in seinem wenige Wochen später vorgelegten Regierungsexposé setzte er diese auffällig neutrale Beschreibung der Staats- und Wirtschaftskrise fort und beschwor einen positiven Blick auf ein Polen in Europa.130 Wichtiger als die klare Abgrenzung von der sozialistischen Vergangenheit war es Mazowiecki, „sich an alle meine Landsleute“131 zu wenden und so eine nationale Versöhnung zwischen Solidarność und dem Regime vorzubereiten. Eine solche Überwindung der alten Gegensätze misslang jedoch. Verwiesen Politiker in den folgenden Jahren auf die Einheit der Nation – wie zum Beispiel Lech Wałęsa im Präsidentschaftswahlkampf im Sommer 1990132 –, grenzten sie diese Nation deutlich vom überwundenen Regime ab. Die Volksrepublik Polen war folglich nicht mehr als eine illegitime Episode polnischer Staatlichkeit.

 Solidarność-Sitz nahm ein Industrieller ein, der seinen Wahlkreis mit Werbegeschenken überzogen hatte. 126 Adam Michnik: Wasz prezydent/Nasz premier, in: Gazeta Wyborcza, 03.07.1989, S. 1. 127 Posiedzenie Sejmu w dniu 24 sierpnia 1989 – Powołanie na stanowisko Prezesa Rady Ministrów Tadeusza Mazowieckiego, abgedruckt bei: Cezar M. Ornatowski: Into the Breach. The Designation Speech and Expose of Tadeusz Mazowiecki and Poland’s Transition from Communism, in: Advances in the History of Rhetoric, 11 (208), S. 359–427, hier S. 376. 128 Ebd., S. 366. 129 Posiedzenie Sejmu w dniu 24 sierpnia 1989, S. 382. 130 Oswiadczenie Prezesa Rady Ministrów w sprawie proponowanego składu i programu prac Rządu, Prezes Rady Ministrow Tadeusz Mazowiecki, abgedruckt bei: Ornatowski: Into the Breach, S. 386. 131 Ebd. 132 Vetter: Polens eigensinniger Held, S. 344.

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Wałęsa hatte bei seiner Amtseinführung die Staatsinsignien vom letzten Präsidenten im Londoner Exil, Ryszard Kaczorowski, empfangen und so deutlich gemacht, dass die Volksrepublik Polen kein polnischer Staat war.133 Der neuen dritten Republik fehlte jedoch trotz eiliger Verfassungsnovelle, einer Änderung des Staatsnamens in Republik Polen und einer Rückkehr zum vorsozialistischen Staatswappen mit Krone ein Leitbild. Als Mitte der 1990er Jahre, nun bereits unter einer postkommunistischen Regierung, eine neue Verfassung entwickelt werden sollte, kam es zum Streit über ihre Präambel. In der Frage nach einer invocatio Dei als Ausgangspunkt des Verfassungstextes und dem Streit, ob nun die Bürger oder die Nation sich eine solche Konstitution geben sollten, brach ein Konflikt über das Wesen der polnischen Nation aus, der paradigmatisch für die Transformationszeit stehen kann. Kirchliche Vertreter und konservative Politiker betonten die Homogenität und das katholische Erbe der polnischen Nation, wogegen liberale Akteure das multikulturelle Erbe und universelle Vorstellungen politischer Gemeinschaft hervorhoben. Ihr Streit knüpfte nicht nur an bekannte Auseinandersetzungen beispielsweise um den Geist, der belebt an, sondern verlief auch weitestgehend entlang der aus der Opposition bekannten Lagergrenzen.134 Im linken und liberalen politischen Lager und gerade bei ehemaligen oppositionellen Denkern illustrierten die Debatten um eine neue Staatsphilosophie zudem eine semantische Neuausrichtung. Hatte zum Beispiel Adam Michnik im Samizdat immer wieder zur Nation Stellung bezogen, war es nun die Zivilgesellschaft, die zur Leitvokabel seines politischen Denkens wurde. Damit ging nicht zwingend eine inhaltliche Neuausrichtung einher, aber es verlor sich die symbolische Anknüpfungsebene zu konservativen Konzepten Polens. So brachen Fragen nach den liberalen Grundwerten auf, die auch schon die frühe polnische Opposition umgetrieben hatten. Anders als im polnischen Samizdat der späten 1970er Jahre fehlte in der postsozialistischen Sinnsuche aber der Wille, einen Konsens zu finden, aus dem dann eine pragmatische politische Gemeinschaft hätte entstehen können.

 133 Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność, S. 522. Die Verfassung der Zweiten Republik beinhaltete einen Passus, nachdem der Staatspräsident im Kriegsfall sein Amt per Ernennung übertragen konnte, worauf die Londoner Exilregierung ihre Legitimationsansprüche begründete. 134 Geneviève Zubrzycki: „We, the Polish Nation“. Ethnic and Civic Visions of Nationhood in Post-Communist Constitutional Debates, in: Theory and Society, 30 (2001), S. 629–668, hier S. 640.

322  Oppositionelle politische Gemeinschaft Stärker noch als in den anderen spätsozialistischen Regimen kennzeichnete die perpetuierte Liberalisierung den ungarischen Kádárismus. Nachdem bereits 1980 weitgehende wirtschaftliche Reformen angegangen worden waren, entwickelte sich auch innerhalb des Regimes ein Reformflügel, so dass 1988 erstmals im sozialistischen Block unabhängige Parteien zugelassen wurden. Hatte die ungarische Opposition im Spätsozialismus zu keinem Zeitpunkt einen Kompromiss über ihre ideologischen Gegensätze hinweg finden können, fanden sich die vielfältigen neuen politischen Kräfte im Frühjahr 1989 zu einem oppositionellen Runden Tisch zusammen, dem im Juni 1989 ein nationaler Runder Tisch unter Einschluss des Regimes folgte.135 In diesen doppelten Verhandlungen über eine Demokratisierung Ungarns wurde die Neubewertung der Ereignisse des Jahres 1956 zu einem symbolischen Ankerpunkt. Anstelle 1956 als „Konterrevolution“ zu tabuisieren oder die Ereignisse beschwichtigend als „nationale Tragödie“ zu beschreiben, sprach nun auch die Partei mit Bezug auf 1956 von einem „Volksaufstand“.136 So war die Aushandlung der politischen Transformation Ungarns grundsätzlich mit der Deutung seiner nationalen Geschichte verknüpft, wie bereits Demonstrationen zum 15. März 1989, dem Gedenktag der Revolution von 1848, deutlich zeigten. 1989 konnte dieser Gedenktag erstmals frei begangen werden, und es formierten sich zwei konkurrierende Demonstrationszüge, die nicht nur das Erbe von 1848 für sich beanspruchten, sondern auch die Deutungshoheit über 1956 und die Gegenwart.137 Deutlicher wurde dies aber am 16. Juni 1989, als anlässlich der Umbettung Imre Nagys mehrere Hunderttausend auf dem Budapester Heldenplatz einem privat organisierten Quasi-Staatsbegräbnis beiwohnten.138 Der Vorsitzende des Bunds der Jungen Demokraten, der Jurastundet Viktor Orbán, rief als letzter Redner des Tages dazu auf, den Kampf der Revolution von 1956 um „national independence and political liberty“139 fortzuführen, und schloss in unversöhnlichen Worten jeden Kompromiss mit den Machthabern  135 Andreas Schmidt-Schweizer: Politische Geschichte Ungarns von 1985 bis 2002, München 2007, S. 137 und 156f. 136 Ebd., S. 114–116. 137 Tamás Hofer: Symbolischer Kampf im Systemwechsel. Der 15. März 1989 in Budapest, in: Beate Binder/Wolfgang Kaschuba/Peter Niedermüller (Hrsg.): Inszenierungen des Nationalen. Geschichte, Kultur und die Politik der Identitäten am Ende des 20. Jahrhunderts, Köln 2001, S. 233–262. 138 Vgl. den Bericht bei: Garton Ash: Ein Jahrhundert wird abgewählt, S. 373–378. 139 Viktor Orbán: The Reburial of Imre Nagy, in: Diane Ravitch (Hrsg.): The Democracy Reader. Classic and Modern Speeches, Essays, Poems, Declarations, and Documents on Freedom and Human Rights Worldwide, Glasgow 1992, S. 248–250, hier S. 249.

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aus. Zugleich zeigte sich jedoch in der Ablehnung des Regimes auf dem Heldenplatz ein anderer symbolischer Kompromiss. Die über Jahrzehnte konkurrierenden Ausdrucksformen eines katholischen und eines protestantischrevolutionären Ungarns, die Symbole der Stephanskrone und der Märzrevolution standen hier einträchtig nebeneinander.140 Während aus der Transformation nur wenig Identitätsangebote entstehen konnten, blieben gerade historische Bezugspunkte für die ungarische Nation prägend.141 Die Revolution von 1956 wurde zum dominierenden Thema der Zeitgeschichtsschreibung wie auch der postsozialistischen Erinnerungskultur und reihte sich in eine nationale Meistererzählung von Aufständen ein. 1956 bot dabei die Möglichkeit, über Opfer des Regimes zu sprechen und zugleich den Kádárismus auszuklammern, so dass sich eine innere Integration durch Ausblendung der jüngeren Vergangenheit leisten ließ.142 Wiederum war es Viktor Orbán, der an die „ungarischen Werte“ des November 1956 anknüpfen wollte und seine Partei Fidesz in diese Kontinuitätslinien stellte.143 Bereits während seiner ersten Regierung von 1998 bis 2002 legte Orbán den Grundstein einer neuen antikommunistischen Geschichtspolitik, die ein zunehmend essentielles Bild der ungarischen Nation zu propagieren suchte und die Orbán nach 2010 immer radikaler fortsetzte. Fasst man diese kursorischen Betrachtungen zu Opposition und Nation in der postsozialistischen Transformation zusammen, so wird deutlich, dass die oppositionelle Nation den politischen Diskurs nach 1989 nur sehr begrenzt beeinflusste. Dies kann im Wesentlichen auf zwei Aspekte der Wege oppositioneller Akteure in die neue politische Gegenwart Ostmitteleuropas zurückgeführt werden, nämlich ihre strukturelle Integration in die Politik und die inhaltlichen Schwerpunkte des neuen politischen Diskurses. Zweifelsohne wurden ehemalige Oppositionelle ein wichtiger Teil der neuen politischen Elite Ostmitteleuropas, dennoch fanden gerade oppositionelle Denker, die für die Formierung einer oppositionellen Nation so prägend waren, nur schwer einen einflussreichen Platz in der postsozialistischen Parteipolitik. So erlangten beispielsweise Tadeusz Mazowiecki oder Petr Pithart bald politische Ämter, verblieben in die 140 Klimó: Nation, Konfession, Geschichte, S. 404. 141 Antal Örkény: Die Untertanen. Nationale Identität und Geschichtsbewusstsein, in: Osteuropa, 61/12 (2011), S. 249–254. 142 Árpád von Klimó: Ungarn – Zeitgeschichte als moderne Revolutionsgeschichte, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 29.08.2011, http://docupedia.de/images/e/ee/Ungarn__Zeitgeschichte_als_moderne_Revolutionsgeschichte.pdf (letzter Aufruf 29.04.2015), S. 21f. 143 Gábor Gyáni: Memory and Discourse on the 1956 Hungarian Revolution, in: Europe-Asia Studies, 58 (2006), S. 1199–1208, hier S. 1204.

324  Oppositionelle politische Gemeinschaft sen aber nur wenige Jahre. Das moralische und oft differenzierte Abwägen, das sie in Anknüpfung an ihr oppositionelles Denken an den Tag legten, konnte keine dauerhafte politische Mobilisierung gewährleisten.144 Dagegen waren es oppositionelle Pragmatiker und oftmals, gerade im tschechischen Fall, Akteure aus der zweiten oppositionellen Reihe oder aus der grauen Zone, die die ersten Transformationsjahre prägten. Zudem konnten postoppositionelle Politiker ihren enormen Vertrauensvorschuss angesichts der notwendigen, einschneidenden wirtschaftlichen Reformen auch nicht in längerfristige Wahlerfolge ummünzen. Nur Einzelpersonen, wie den Staatspräsidenten Havel in der Tschechoslowakei oder Árpád Göncz in Ungarn, gelang es, eine deutliche postoppositionelle Politik zu entwickeln und als moralische Autoritäten anerkannt zu werden. Darüber hinaus verschoben sich in der Transformation die inhaltlichen Schwerpunkte und auch die semantische Fokussierung oppositioneller Denker. Gingen viele Konzepte, die einem Zivilgesellschaftsdiskurs zugeordnet worden sind, ursprünglich von der Nation als wichtigster Form von politischer Gemeinschaft aus, änderte sich dies nach 1989. Die oppositionelle Entwicklung eines liberal nationalism war grundsätzlich der Verständlichkeit des Konzeptes Nation und seiner Klammerfunktion im oppositionellen Diskurs geschuldet. In der neuen politischen Wirklichkeit entwickelte sich dagegen die Zivilgesellschaft zum maßgeblichen Konzept für eine zu begründende demokratische Gesellschaft in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei. Wo ostmitteleuropäische Intellektuelle vor 1989 den Begriff nutzten, um für westliche Diskurse anschlussfähig zu sein, prägte er nun auch den Diskurs im eigenen Land. In dieser Akzentverschiebung handelte es sich weniger um eine konzeptionelle Wende als um eine semantische Neucodierung, die jedoch die Anschlussfähigkeit dieser liberalen Ideen im Land selbst beschränkte. Auch diese zweite Hinwendung zur Zivilgesellschaft ist wiederum nicht ohne den Einfluss westlicher Akteure, allen voran der verschiedenen westlichen Stiftungen zur Demokratieförderung und der Europäischen Union, zu verstehen, die mit ihren Fördergeldern und der Aussicht auf eine Teilhabe an der Europäischen Integration Ostmitteleuropa beeinflussten. Mit dem Paradigmenwechsel von einem liberal nationalism zu einem zivilgesellschaftlichen Liberalismus veränderten sich die Leitbegriffe des politischen Denkens zunächst einmal nur wenig. Weiterhin waren Freiheit und Bürgerrechte, zunehmend auch Marktwirtschaft Eckpunkte der Tagespolitik und ihrer theoretischen Unterfütterung.145 Auch diese Vorstellungen konnten, ge 144 Kopeček: Rise and Fall, S. 246. 145 Jerzy Szacki: Liberalizm po komunizmie, Krakau 1994.

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nauso wie die Zivilgesellschaft selbst, nur schwer Sinn stiften oder gar eine politische Gemeinschaft motivieren.146 Vor dem Hintergrund der teilweise problematischen Demokratisierung in Ostmitteleuropa ist das Erbe oppositioneller Theorie, allen voran der Antipolitik, von der Forschung als Hindernis für die Transformation beschrieben worden.147 Tatsächlich kann davon ausgegangen werden, dass nicht machtpolitische Interessen, sondern politische Überzeugungen Entscheidungen postoppositioneller Akteure in der frühen Transformationszeit prägten.148 Mit Bezug auf die Auswirkungen oppositionellen Denkens zur Nation auf den Nationsdiskurs der Transformationszeit greift dies jedoch zu kurz. Liberale oppositionelle Akteure und ihr liberal nationalism stellten nämlich bereits im Samizdat keine Mehrheitsposition dar, sondern begrenzten vielmehr mit der Anerkennung von Heterogenität und den voluntaristischen Prinzipien politischer Gemeinschaft die Möglichkeiten, wie Nation ausgeformt werden konnte. Ihr Scheitern, die oppositionelle Nation als Ergebnis dieses eingehegten Nationsdiskurses in die Transformation zu übersetzen, ist weniger in ihrer ambivalenten Stellung in der postsozialistischen Ordnung, sondern vielmehr in dieser Ordnung selbst zu suchen. War nämlich der oppositionelle Wille zur Gemeinschaft grundlegend dafür, dass eine oppositionelle Debatte zur Nation über oppositionelle Verwerfungen hinweg geführt wurde und so ein verbindliches Kontinuum oppositioneller Vorstellungen politischer Gemeinschaft zu erkennen war, konnte ein solcher Wille nach 1989 nicht mehr gefunden werden. Gerade anhand der tschechischen Oppositionellen Václav Havel und Petr Pithart lässt sich zeigen, wie sehr ihr politisches Handeln auch nach 1989 vom Ziel des Konsenses und des inhaltlichen Kompromisses geprägt war und so oppositionelle Mechanismen fortführte.149 Wie in dieser Arbeit ausgeführt wurde, waren die unterschiedlichen oppositionellen Bewegungen in Ostmitteleuropa zu keinem Zeitpunkt ein homogenes Phänomen. Sie fanden jedoch Wege, ihre weltanschaulichen und strategischen Differenzen einzuhegen, und entwickelten eine oppositionelle Gemeinschaft. Die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarność, die mit dem Leitbegriff der Solidarität dieses Prinzip im Na-

 146 Kopeček: Rise and Fall, S. 250f. 147 Vgl. Juan J. Linz/Alfred C. Stepan: Problems of Democratic Transition and Consolidation. Southern Europe, South America, and Post-Communist Europe, Baltimore 1996. Differenzierend dazu: Renwick: Anti-Political or Just Anti-Communist? 148 Ders.: The Role of Dissident Values in Institutional Choice. 1989 in Comparative Perspective, in: East European Politics and Societies, 25 (2011), S. 296–317. 149 Kopeček: Rise and Fall, S. 256.

326  Oppositionelle politische Gemeinschaft men trug, war der größte oppositionelle Zusammenschluss dieser Art und die einzige Massenorganisation innerhalb der ostmitteleuropäischen Opposition. Ihr Beispiel macht aber ebenso deutlich, wie sehr die praktische Umsetzung eines solchen oppositionellen Konsenses auf der spezifischen Situation der Opposition, also ihrer Gegnerschaft zum Staatssozialismus und dem Streben nach Reformen, beruhte.150 Als die Solidarność versuchte, Reformen gemeinsam zu konzipieren und umzusetzen, scheiterte ihr grundlegender Konsens. Der institutionalisierte Kompromiss ihres 16-monatigen Karnevals, der für den Runden Tisch und die ersten halb-freien Wahlen erneuert wurde, zerbrach an der Alltagspolitik und unterschiedlichen Auffassungen zu einer der grundlegenden Fragen oppositionellen Denkens, nämlich dem Streit um die Zukunft des eigenen Landes. Über diese personellen und inhaltlichen Verwerfungen hinweg blieb auch die Diskursethik oppositionellen Denkens unverträglich mit der neuen, oftmals populistisch geprägten Wirklichkeit der Transformation. Dies lässt sich am Umgang mit der staatssozialistischen Vergangenheit zeigen, in dem die Revolution von 1989 komplettiert oder abgeschlossen werden sollte. Nach 1989 boten sich dafür, von einem globalen Diskurs über die Aufarbeitung von Diktaturen begleitet, die strafrechtliche Kriminalisierung oder die dialogische Aussöhnung als gängige Konzepte an.151 Während die Kriminalisierung sich in gewissen Maße auf die – zeitlich völlig anders gelagerte – Aufarbeitung des Nationalsozialismus bezog, fand der Aussöhnungsgedanke ein Vorbild in den südafrikanischen „Wahrheits- und Versöhnungskommissionen“. In Tschechien und Polen begann man nach dem Vorbild der deutschen Behörde für die Stasi-Unterlagen mit der Durchleuchtung politischer Würdenträger auf ihre kommunistische Vergangenheit und erlag oftmals der „Versuchung, die Erinnerung an den Kommunismus durch dessen Umkehrung zu überwinden.“152 Mit anderen Worten sollte die scharfe Abgrenzung von der Vergangenheit des Staatssozialismus die Frage nach einer Beteiligung breiter Bevölkerungsgruppen an diesem Regime und der zumindest zeitweisen authentischen Begeisterung vieler Bürger unwirksam machen. Führt man sich Václav Havels Parabel vom Gemüsehändler

 150 Cezary Michalski: „Desolidaryzacja“, czyli wspólnota jako przedmiot roszczeń, in: Dariusz Gawin (Hrsg.): Lekcja sierpnia. Dziedzictwo „Solidarności“ po dwudziestu latach, Warschau 2002, S. 189–206. In allgemeinerer Perspektive auf das Leitmotiv der Solidarität: Gerald John Beyer: Recovering Solidarity. Lessons from Poland’s Unfinished Revolution, Notre Dame 2010. 151 James Mark: The Unfinished Revolution. Making Sense of the Communist Past in CentralEastern Europe, New Haven/London 2010, S. 28–32. 152 Judt: Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg, S. 958.

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vor Augen, der in einem bestimmten Moment daran zweifelt, PropagandaSpruchbänder in sein Schaufenster neben Zwiebeln und Möhren zu hängen153, wird deutlich, dass damit oppositionelles Handelns verallgemeinert wurde. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass gerade ehemalige liberale Oppositionelle zu den Mahnern gegen eine solche Kriminalisierung der sozialistischen Vergangenheit zählten. Václav Havel, der eine moralische Erneuerung der tschechoslowakischen Gesellschaft immer wieder einforderte, verstand die Beteiligung am staatssozialistischen Unrecht zum Beispiel als Entfremdungsprozess, zu dem der einzelne Täter sowohl beitrug als auch von ihm vereinnahmt wurde.154 Havel und andere liberale Kritiker der Lustration verwiesen daher nicht nur auf rechtsstaatliche Argumente, sondern auch auf Fragen einer zu etablierenden politischen Gemeinschaft. Hatte Petr Pithart einst gefordert, auch die Kommunisten in die Bürgernation zu integrieren, konnte er nun deren Ausschluss aus der politischen Nation nicht akzeptieren.155 Adam Michnik setzte eine solche Versöhnung mit Protagonisten des polnischen Regimes sogar konkret um. Die antipolitische Politik dieser liberalen Akteure veranschlagte die Integration von Heterogenität letztlich so hoch, dass sie eine klare Abgrenzung oder Ausgrenzung von ehemaligen Vertretern des Regimes nicht mittragen konnte und so auch eine deutliche Abgrenzung vom Sozialismus scheute.156 Über diese ethischen Aspekte hinaus war vielen Liberalen in Ostmitteleuropa die Treue zu den Vereinbarungen des Runden Tisches ein wichtigeres Anliegen als eine scharfe Abrechnung mit der Vergangenheit. Verstanden sie diesen mühsam ausgehandelten Übergang in die Demokratie als großen Erfolg einer sich selbst beschränkenden und friedlichen Revolution, scheiterten sie daran, daraus einen neuen Gründungsmythos der Demokratie in Ostmitteleuropa abzuleiten. Eine affirmative und symbolisch konkretisierte Sinnstiftung aus der Revolution hätte ihrem Verständnis antipolitischer Politik sogar widersprochen. In diesem Vakuum neuer Sinnstiftung waren es einzelne nationalistische Stimmen in der direkten Transformationszeit, gerade die auf die Postkommunisten folgenden national-konservativen Regierungen ab der Jahrtausendwende, die besonders in Polen und Ungarn eine aktive und oftmals eifernd antikommunistische Geschichtspolitik betrieben. Sie richteten die bestehenden Institutionen der Geschichtsaufarbeitung neu aus oder gründeten eigene und entwi-

 153 Havel: Versuch, S. 14–16. 154 Tucker: Philosophy and Politics, S. 198. 155 Ebd., S. 196f. 156 Vladimir Tismaneanu: Fantasies of Salvation. Democracy, Nationalism, and Myth in PostCommunist Europe, Princeton/Chichester 1998, S. 145; Kopeček: Rise and Fall, S. 246f.

328  Oppositionelle politische Gemeinschaft ckelten neue nationale Narrative, die auf einer scharfen Verurteilung der sozialistischen Vergangenheit basierten.157 Dies knüpfte argumentativ und oftmals auch personell an den oppositionellen Antikommunismus an, der in den Samizdat-Debatten über die Nation vielfach zu erkennen gewesen war. Anders als im oppositionellen Denken wurde er aber nicht als Antitotalitarismus liberal eingehegt, das heißt auf eine radikale Ablehnung von Unterdrückungsmechanismen beschränkt, sondern fokussierte auf konkrete Täter. Solche neuen Populismen fanden besonders unter den Verlierern der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformation Anklang158, auch wenn dies alleine nicht als Erklärung ausreicht, sondern vielmehr nur auf einen Aspekt einer mangelhaften politischen Inklusion verweist. Sowohl Viktor Orbán in Ungarn als auch Lech und Jarosław Kaczyński in Polen verbanden in ihren politischen Programmen innere und äußere Bedrohungsszenarien mit der Beschwörung eines neuen, nun tatsächlichen Umbruchs. Im Zentrum dieser neuen Nationskonzepte standen essentielle, oftmals religiös aufgeladene Konzepte der Nation, die bereits in den oppositionellen Diskursen des Samizdat auf der Grundlage nationaler Vorstellungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts entwickelt worden waren und in zeitgenössischen Krisenerfahrungen reaktualisiert wurden.159 Abschließend muss der oppositionelle Erfolg der verhandelten Revolutionen des Jahres 1989 also mit dem Scheitern oppositionellen politischen Denkens und besonders der oppositionellen Diskursethik in der Transformation kontrastiert werden.160 In einem breiteren öffentlichen Diskurs lässt sich darüber hinaus eine zunehmende Amalgamierung von gegensätzlichen und sich ausschließenden Vorstellungen von Nation und Zivilgesellschaft nach 1989 erkennen161, die sich bereits im Samizdat abzeichnete. Zwar blieb das konzeptio-

 157 Katrin Steffen: Ambivalenzen des affirmativen Patriotismus. Geschichtspolitik in Polen, in: Osteuropa, 56/11–12 (2006), S. 219–233; Kopeček: In Search of „National Memory“, S. 88–91; Kristina Chmelar: Nichts als die Wahrheit. Eine diskursanalytische Studie zur Geschichtspolitik der tschechischen Bürgerlich-Demokratischen Partei (ODS), Frankfurt am Main 2012, S. 65f. 158 Vgl. György Csepeli: National Identity in Contemporary Hungary, New York 1997, S. 244; Stuart Shields: From Socialist Solidarity to Neo-Populist Neoliberalisation? The Paradoxes of Poland’s Post-Communist Transition, in: Capital & Class, 31/3 (2007), S. 159–178, hier S. 171. 159 Dies wird zum Beispiel in den umgesetzten beziehungsweise vorgeschlagenen Verfassungstexten deutlich: Gott segne die Ungarn! Nationales Bekenntnis. Präambel des Grundgesetzes von Ungarn, in: Osteuropa, 61/12 (2011), S. 29f.; Konstytucja Rzeczypospolitej Polski. Projekt Prawa i Sprawiedliwości, Januar 2010, http://www.pis.org.pl/download.php?g=mmedia& f=konstytucja_2010.pdf (letzter Aufruf 14.07.2015), S. 3f. 160 Kopeček: Citizen and Patriot. 161 Holy: The Little Czech and the Great Czech Nation, S. 202.

Oppositionelle Nation in der gesellschaftlichen Transformation  329

nelle Spektrum politischer Gemeinschaft in Ostmitteleuropa zwischen essentieller, homogener und voluntaristischer, heterogener Gemeinschaft bestehen, ihre Bezeichnung veränderte sich dagegen. Waren diese unterschiedlichen Entwürfe politischer Gemeinschaft im Samizdat als Nation betitelt worden, verengte sich diese Semantik durch den Bedeutungsgewinn der Zivilgesellschaft entscheidend. Nation umschrieb in der Folge der Transformation in intellektuellen und abstrakten Debatten nahezu ausschließlich essentielle Konzepte.

Schlussbetrachtung: Eine Politische Gemeinschaft im Samizdat Diese Arbeit hat das politische Ordnungsdenken oppositioneller Akteure und Bewegungen im spätsozialistischen Ostmitteleuropa untersucht und sich dabei am Begriff der Nation orientiert. Im polnischen, tschechoslowakischen und ungarischen Spätsozialismus der 1970er und 1980er Jahre war die Nation die allgegenwärtige und akzeptierte Vorstellung politischer Gemeinschaft und wurde sowohl von der sozialistischen Staatsmacht als auch von Oppositionellen und Dissidenten als Legitimationsressource genutzt. Dabei entwickelten die unterschiedlichen und in ihren politischen Anschauungen heterogenen Autoren des Samizdat die Nation weiter, motivierten sie mit oppositionellen Inhalten und nutzten sie zu einer genuin oppositionellen Sinnstiftung. Ostmitteleuropäische Oppositionelle antworteten damit auf die spezifische Krisenerfahrung ihrer Zeit, in der die sozialistische Staatlichkeit ihre Legitimation nicht nur durch Entideologisierung und Konsum zu bewahren suchte, sondern auch eine gesellschaftliche Atomisierung bedingte. Vor diesem Hintergrund begannen Mitte der 1970er Jahre desillusionierte sozialistische Revisionisten und konservative Regimekritiker eine Kooperation, die den auf kleine Personenkreise und das Verborgene beschränkten Dissens zu einer öffentlich handelnden Opposition weiterentwickelte. Ihr Zusammenwirken hob sich vom vorherigen Protest durch ihre Hinwendung zur Gesellschaft und die Selbstbeschränkung ihrer politischen Ziele signifikant ab. Statt auf Reformanstöße aus dem Zentrum von Staat und Partei zu hoffen, handelten Oppositionelle in Ostmitteleuropa, „als ob“1 sie über das Recht auf freie Meinungsäußerung und politische Partizipationsmöglichkeiten verfügten. So entstanden aus Menschenrechtsappellen und Arbeiterschutzkomitees oppositionelle Sammlungsbewegungen, die mit der Untergrundpublizistik des Samizdat das Informationsmonopol des Regimes durchbrachen und eine eigene – wenn auch beschränkte – oppositionelle Öffentlichkeit schufen. In den ersten Jahren dieser neuen Opposition dominierten programmatische Grundüberlegungen das oppositionelle Denken und somit auch den Samizdat. So lassen sich im zweiten Kapitel dieser Arbeit zum oppositionellen Auf-

 1 Judt: The Dilemmas of Dissidence, S. 195.

332  Schlussbetrachtung: Eine Politische Gemeinschaft im Samizdat bruch immer wieder Überschneidungen zwischen der Suche nach oppositionellen Handlungsmöglichkeiten und der Reflexion eines nationalen Selbstbildes erkennen. In Polen beispielsweise diskutierten Oppositionelle über einen Geist, der belebt und damit den Stellenwert des Katholizismus für die polnische Nation. In der Tschechoslowakei ließ die vermeintliche Kleinheit der tschechischen Nation, also ihr Mangel an moralischen Leitlinien und einem handlungsleitenden Selbstbild, Oppositionelle nach dem Sinn der eigenen Geschichte fragen. Dabei umriss der oppositionelle Grundkompromiss zugleich auf einer pragmatischen Ebene die Möglichkeiten oppositionellen Ordnungsdenkens. So hinterfragten zum Beispiel polnische Oppositionelle die Vereinbarkeit einer essentiell katholischen Nation mit den Menschenrechten und tschechische Denker wie Jan Patočka entwickelten eine Vorstellung politischer Gemeinschaft aus dem oppositionellen Postulat des Lebens in der Wahrheit. Noch deutlicher wurde diese Verschränkung von Opposition und Nation im ungarischen Fall, wo der grundlegende Kompromiss des oppositionellen Aufbruchs ausblieb und frühe Programmdebatten der postrevisionistischen, in Ungarn als Urbanisten bezeichneten Oppositionellen bemüht waren, auch national-konservative oder populistische Dissidenten einzubeziehen. Während diese Brückenfunktion der Nation in Ungarn scheiterte, lässt sich in Polen und der Tschechoslowakei eine Diskursethik des frühen Samizdat feststellen, die Pluralismus nicht nur zum Postulat oppositionellen Handelns erhob, sondern diesen auch in den hier untersuchten Debatten umsetzte. Die jeweiligen Opponenten publizierten in denselben Medien – oft in direkter Folge aufeinander – und respektierten sich trotz aller inhaltlichen Kontroverse gegenseitig. Dieser oppositionelle Wille zur Gemeinschaft war nicht nur Grundüberzeugungen, sondern auch den Zwängen einer personell überschaubaren Opposition geschuldet, die organisatorisch oftmals auf den Freundes- und Bekanntenkreisen des voroppositionellen Dissens aufbaute. Dass sie darüber hinaus aber auch ihre inhaltlichen Standpunkte einander anglichen, sich gegenseitig überformten und so einen Kanon moralischer Ansprüche der Opposition etablierten, zeugte von einem Willen zum Konsens, der Opposition als Gemeinschaft auf der Grundlage von Freiheit, Menschenrechten und Anerkennung des Individuums begriff. Beschränkten sich diese frühen Debatten zumeist auf historische Vorbilder der Nation und deren Übertragung in die neue oppositionelle Wirklichkeit der 1970er Jahre, stechen zwei utopische Vorstellungen politischer Gemeinschaft heraus: Petr Pitharts Begriff der ‚vlast‘, also des Vaterlands oder der Heimat, und das Nationsverständnis der Solidarność. Während Pithart seinen konzisen Entwurf politischer Gemeinschaft aus den liberalen Traditionen des tschechi-

Schlussbetrachtung: Eine Politische Gemeinschaft im Samizdat  333

schen politischen Denkens entwickelte2, lassen sich die Gemeinschaftskonzeptionen der Gewerkschaftsbewegung Solidarność nur durch ihre Symbolwelten und programmatischen Aushandlungsprozesse, das heißt durch die Analyse ihrer Streiks und Gewerkschaftsprogramme, rekonstruieren. Pithart entwarf das Bild einer universellen politischen Gemeinschaft, die bewusst alle Bewohner der Tschechoslowakei ohne Ansehen ihrer Identität oder ihrer politischen Überzeugungen einbezog. Auch die Solidarność integrierte die Differenz ihrer Mitglieder und der Polen im Allgemeinen, jedoch aus einer anderen Motivation. Die dilatorische Sammlung unterschiedlicher religiöser, politischer, historischer Traditionen war dem Massencharakter der Bewegung und ihren unklaren, letztlich provisorischen Meinungsbildungsprozessen geschuldet, die im Ergebnis zur „Aideologität“3 der Solidarność führte. Das dritte Kapitel hat im Verlauf der 1980er Jahre signifikante Veränderungen der oppositionellen Öffentlichkeit erkennen lassen, die auch die Suche nach politischer Gemeinschaft beeinflusste und mit einem verstärkten Interesse an der Geschichte der Nation einhergingen. So verloren im Polen des Kriegsrechts die unterschiedlichen Reflexionen zur Nation zum einen ihren gesamtoppositionellen Zusammenhang und zum anderen ihre handlungsleitende Reichweite. Oppositionelles politisches Denken entzog sich nun der für den frühen Samizdat typischen Logik von dialogischer Rede und Gegenrede, so dass in einer versäulten Diskussion die Nation in ihren unterschiedlichen Ausprägungen nur noch der Selbstaffirmation der jeweiligen oppositionellen Spektren diente. Auch die Reflexionen des tschechischen Autorenkollektivs Podiven, die jedoch erst in der Transformationszeit nach 1989 eine weiterführende Debatte auslösten, verbanden Nation und Opposition nicht mehr handlungsleitend, sondern beschränkten sich auf eine kritische Neubewertung der tschechischen Geschichte. So zeigte sich in beiden Beispielen eine neue Aufgeschlossenheit linker und liberaler Oppositioneller für konservative Traditionen der Nation, aber zugleich der zunehmende Bedeutungsverlust dieser Akteure angesichts einer sich verändernden, „konkreter“4 handelnden und jüngeren Opposition in Polen und der Tschechoslowakei. Das vierte Kapitel dieser Arbeit untersuchte eine andere, indirekte Herangehensweise an die Nation, nämlich die Thematisierung von Ordnungskatego-

 2 Pithart: Pokus o vlast. 3 Ciżewska: Filozofia publiczna Solidarności, S. 324–334; Rojek: Semiotyka Solidarności, S. 133–166. 4 Padraic Kenney hat diese zweite Welle der Opposition in Ostmitteleuropa als „konkretny generation“ gekennzeichnet. Ders.: Carnival of Revolution, S. 13f.

334  Schlussbetrachtung: Eine Politische Gemeinschaft im Samizdat rien unterhalb, oberhalb und neben der Nation. Denn auch in der Beschäftigung mit Minderheiten, Nachbarländern und Mitteleuropa beziehungsweise Europa setzten sich Oppositionelle in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei mit ihrem nationalen Selbstbild auseinander und entwickelten die Nation weiter. So diskutierten polnische Oppositionelle seit 1979 eher abstrakte Szenarien einer deutschen Wiedervereinigung und deren Auswirkungen auf Polen. In dieser von geopolitischen Planspielen dominierten Auseinandersetzung zeigten sie nicht nur ein pragmatisch gewandeltes Verhältnis zu Deutschland, das im Staatssozialismus zumeist als Feindbild gedient hatte. Sie dekonstruierten durch diese Neubewertung auch Narrative staatssozialistischer Herrschaftslegitimation, wie das notwendige und unauflösliche Bündnis zur Sowjetunion. Zudem arbeiten diese Debatten oftmals ethnische Konflikte und eigene Schuld auf, wenn im Samizdat zum Beispiel die Zwangsmigration der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei, das polnische Verhältnis zu Ukrainern, Belarussen und Litauern oder die Lage von Juden und Roma in Ungarn kritisch hinterfragt wurden. Dabei übertrugen liberale Autoren des Samizdat mit der Anerkennung des Anderen ein Postulat oppositioneller Theorie, das sich zuvor auf das Individuum und eine Perspektive innerhalb der eigenen Nation bezogen hatte, auf das Verhältnis zwischen unterschiedlichen sozialen Ordnungseinheiten. Diese personalistische Argumentation, die bereits in der zuvor beschriebenen oppositionellen Neuinterpretation nationaler Selbstwahrnehmungen ein verbreitetes Muster darstellte, projizierte auch den universellen Anspruch der Menschenrechte auf das Verhältnis von ethnischer Mehrheit zur Minderheit. Mit anderen Worten erkannten zum Beispiel ungarische Oppositionelle, dass das Einfordern von Minderheitenrechten für ungarische Volksgruppen in der Slowakei und Rumänien aus oppositioneller Perspektive nicht von Minderheitenrechten im eigenen Land zu trennen war. Mit der von Milan Kundera angestoßenen Mitteleuropa-Debatte nahmen die Autoren des Samizdat eine Ordnungsvorstellung oberhalb der Nation in den Blick und formulierten ihre Postulate von Freiheit, Menschenrechten und Anerkennung im engen Austausch mit westeuropäischen Intellektuellen und oftmals auch für eine westeuropäische Leserschaft. Verortet man die unterschiedlichen Aussagen zur Zusammengehörigkeit Mitteleuropas oder im polnischen Samizdat Europas, so stellten diese die jeweilige Nation keineswegs in Frage. Mitteleuropa und Europa wurden vielmehr zu alternativen Bezugsgrößen, in die nationale Selbstbilder und Ordnungsvorstellungen hineingelesen wurden. Entgegen der allgemeinen Annahme einer gesamteuropäischen Debatte verlief dieser Prozess zunächst in klar erkennbaren nationalen Zusammenhängen und erschien nur aus der selektiven westlichen Gesamtschau als eine ostmitteleuropä-

Schlussbetrachtung: Eine Politische Gemeinschaft im Samizdat  335

ische Debatte. Ein auf diese Weise mit der Nation kongruentes Mitteleuropa stützte und bestätigte vielmehr die unterschiedlichen oppositionellen Nationsvorstellungen. Fasst man dieses oppositionelle politische Denken zusammen, so lassen sich zwei Idealtypen oppositioneller Nationsvorstellungen unterscheiden: eine liberale Nation, die aufbauend auf oppositionellen Grundpostulaten eine voluntaristische und universelle Gemeinschaft mit dem wirkmächtigen Attribut der Nation bezeichnete, und eine traditionellen Vorstellungen folgende essentielle Nation. Beide Vorstellungen überformten sich gegenseitig, griffen doch postrevisionistische und liberale Oppositionelle auf den Nationsbegriff zurück, um unter ihren konservativen und national affirmativen Kontrahenten Anschlussfähigkeit zu erzielen. Diese wiederum nahmen liberale Elemente in ihren essentiellen Nationsbegriff auf, integrierten also oppositionelle Kernanliegen. In der Verschränkung von oppositioneller Grundsatzdebatte und nationaler Sinnsuche wurde im polnischen und tschechoslowakischen Samizdat, weniger dagegen in der ungarischen Opposition, deutlich, dass eine oppositionelle Nation ein Mindestmaß an oppositionellen Werten einschließen müsse und so nur als positive Selbstaussage möglich war. Abgrenzung und Ablehnung konnte aus diesem Selbstverständnis heraus nur auf den als Totalitarismus bezeichneten Herrschaftsanspruch der sozialistischen Staatlichkeit bezogen werden. In den in dieser Arbeit analysierten Debatten des Samizdat wurden oppositionelles und nationales Selbstverständnis parallel ausgehandelt, so dass gleichzeitig mit der diskursiven Klammer einer oppositionellen Nation auch die praktische Umsetzung einer oppositionellen Gemeinschaft zu beobachten war. Oppositionelles politisches Denken ist folglich nur in der Doppelfunktion von intellektuellem Räsonnement und handlungsleitender Pragmatik zu begreifen, so dass sich die oppositionelle Nation nicht auf den Samizdat beschränkte, sondern auch eine konkrete Umsetzung fand. Oppositionelle unterschiedlicher politischer Lager bewältigten so auf zwei Ebenen, das heißt abstrakt und performativ, die soziale Differenz ihrer Lebenswelt und schufen ein pluralistisches Gemeinschaftsangebot. Diese doppelte Stiftung von politischer Gemeinschaft fand in der Gewerkschaftsbewegung Solidarność und ihrer breiten Integration ihren Höhepunkt, lässt sich aber in einem weiteren Sinne auch in der frühen polnischen und tschechoslowakischen Oppositionsbewegung erkennen. Diese oppositionelle Gemeinschaft destabilisierte sich im Verlauf der 1980er Jahre und wich einer zunehmend kleinteiligen und versäulten Opposition, die keinen gemeinsamen Diskussionsraum und keine gesamtoppositionelle Öffentlichkeit mehr herausbilden konnte. In der neuen politischen Wirklichkeit der Transformationszeit scheiterte auch der Wille zum Konsens und zur Gemeinschaft end-

336  Schlussbetrachtung: Eine Politische Gemeinschaft im Samizdat gültig, obwohl liberale, nun postoppositionelle Akteure versucht waren ihre dialogorientierte Diskursethik in der neuen parlamentarischen Demokratie fortzuführen.5 Diese vergleichende und transnationale Untersuchung oppositionellen politischen Denkens beleuchtet über ihre ideengeschichtlichen Fragestellungen hinaus auch die grenzüberschreitende Dimension des Phänomens Opposition. Anders als in der Forschung weitläufig angenommen konnten dabei keine inhaltlichen oder konzeptionellen Austauschprozesse festgestellt werden, die über technische oder organisatorische Aspekte von Samizdat und Opposition hinausgehen. So wurden oppositionelle Kerntexte und auch richtungsweisende Beiträge zur nationalen Selbstreflexion innerhalb des Samizdat übersetzt und in anderen Ländern verbreitet, konnten aber auch parallele und ähnlich gelagerte Fragestellungen nicht beeinflussen. Dabei gelang zwar die sprachliche Übersetzung und die performative Darstellung von oppositioneller Zusammengehörigkeit über Grenzen, nicht aber die kulturelle Übersetzung dieser Konzepte, die zu einer solchen Übertragung nationaler Selbstreflexion auf eine andere Nation notwendig gewesen wäre. Zudem gilt es zu betonen, dass neben den zumeist angeführten polnisch-tschechoslowakischen und vereinzelten polnischungarischen und tschechoslowakisch-ungarischen Kontakten auch der Austausch mit westlichen Intellektuellen auf einer stark symbolischen und weniger inhaltlichen Ebene funktionierte. Was Robert Brier dagegen treffend als „Verstehensgemeinschaft“6 über Länder- und Blockgrenzen beschrieb, war also nur eine Form konsumierenden Verstehens. Während also vereinzelter Austausch und situative Kontakte durchaus festzustellen sind, konnte eine intellektuelle und handlungsleitende Verflechtung oppositioneller Bewegungen in Ostmitteleuropa, also die Rückwirkung von Transferprozessen auf ihren Ausgangskontext, nicht nachgezeichnet werden. Dies zeigt sich besonders am Zivilgesellschaftsparadigma, das seit den 1980er Jahren in der westlichen Sozialwissenschaft vor allem aus der Anschauung oppositioneller Akteure in Ostmitteleuropa entwickelt wurde. Hier konnten zwar Kerninhalte oppositionellen Ordnungsdenkens beschrieben und konzeptionell weitergeführt werden, aber ohne ihren spezifischen Kontext der nationalen Selbstreflexion nicht abschließend erklärt werden. Dem entgegen hat diese Arbeit die Nation als zentralen Gegenstand oppositionellen politischen Denkens herausstellen können. Oppositionelle Denker in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn entwickelten den Nationsbegriff wei 5 Kopeček: Rise and Fall. 6 Brier: From Civil Society to Neoliberalism, S. 173.

Schlussbetrachtung: Eine Politische Gemeinschaft im Samizdat  337

ter, hegten die für Ostmitteleuropa kennzeichnenden, essentiellen und partikularen Nationsvorstellungen durch ihre Postulate der Freiheit, der Menschenrechte und der Anerkennung ein. Darüber hinaus führten sie mit dem liberal nationalism7 ein universelles Konzept politischer Gemeinschaft ein, das diese oppositionellen Postulate auf soziale Ordnung ausdehnte. Diese Konzepte ersetzten die vermeintlich notwendige politische Homogenität einer Nation durch die Anerkennung von Differenz und Gestaltung von Heterogenität, nutzten aber zugleich den semantischen und symbolischen Haushalt der tradierten Nation. Aus dieser intellektuellen Erneuerung und pragmatischen Adaption der Nation konnten Oppositionelle zugleich eine gesellschaftliche Mobilisierung erreichen, die die zahlenmäßig begrenzte Opposition über ihre Nische hinaus zu einem signifikanten Phänomen des Spätsozialismus werden ließ. Blieben die liberale Nation und als ihr Minimalkonsens die oppositionelle Nation letztlich eine Utopie ohne Umsetzung, so konnte sie nur in der spezifischen Situation des Spätsozialismus die unterschiedlichen Dissidenten und Systemkritiker als oppositionelle Gemeinschaft integrieren. In der neuen Wirklichkeit der Transformation führten postoppositionelle Politiker und Intellektuelle diese oppositionelle Neuformulierung des Nationsbegriffs fort und bezogen sich dabei aber affirmativ auf den Begriff der Zivilgesellschaft.

 7 Tamir: Liberal Nationalism.

Abkürzungsverzeichnis IPN

Institut des Nationalen Gedächtnisses (Instytut Pamięci Narodowej)

KIK

Klub der katholischen Intelligenz (Klub Inteligencji Katolickiej)

KOR

Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników)

KPdSU

Kommunistische Partei der Sowjetunion (Kommunističeskaja partija Sovetskogo Sojuza)

KPN

Konföderation für ein unabhängiges Polen (Konfederacja Polska Niepodległa)

MSzMP

Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei (Magyar Szocialista Munkáspárt)

PPN

Polnische Unabhängigkeitsverständigung (Polskie Porozumienie Niepodległościowe)

PZPR

Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza)

RMP

Bewegung Junges Polen (Ruch Młodej Polski)

ROPCiO

Bewegung zum Schutz der Menschen- und Bürgerrechte (Ruch Obrony Praw Człowieka i Obywatela)

SzETA

Fonds für die Unterstützung der Armen (Szegényeket Támogató Alap)

VONS

Komitee zum Schutz der zu Unrecht Verfolgten (Výbor na obranu nespravedlivě stíhaných)

WRON

Militärrat zur Errettung der Nation (Wojskowa Rada Ocalenia Narodowego)

Quellen- und Literaturverzeichnis Periodika des Samizdat1 Polen ABC [Adriatyk, Bałtyk, Morze Czarne; Adria – Baltikum – Schwarzes Meer] (1984–1989), FOE Bremen Gp 679 Biuletyn Dolnosląski [Niederschlesisches Bulletin ] (1979–1990), FOE Bremen Gp 34 Biuletyn Informacyjny KOR, ab 1977 Biuletyn Informacyjny KSS „KOR“ [Informationsbulletin des KOR bzw. des Komitees zur gesellschaftlichen Selbstverteidigung „KOR“] (1976– 1980), FOE Bremen Gp36 Bratniak [in etwa: brüderliche Hilfe] (1977–1981), FOE Bremen Gp 113 Droga [Der Weg] (1978–1989), FOE Bremen Gp 189 Europa (1987–1989), FOE Bremen Gp 1120 Gazeta Polska [Polnische Zeitung] (1979), FOE Bremen Gp 1109 Głos [Stimme] (1977–1980), FOE Bremen Gp 157 Kontakt (1982–1983), FOE Bremen Fa 0035 BB Krytyka [Kritik] (1978–1990), FOE Bremen Gp 259 Nowa Koalicja [Neue Koalition] (1985–1989), FOE Bremen Gp 799 Obecność [Gegenwart] (1983–1988), FOE Bremen Gp 358 Obóz [Lager] (1981–1990), FOE Bremen Gp 550 Opinia [Meinung] (1977–1980), FOE Bremen Gp 327 Polityka Polska [Polnische Politik] (1982–1989), FOE Bremen Gp 349 Przyszłość Polski [Die Zukunft Polens] (1983–1985), FOE Bremen Gp 830 Puls (1977–1981), FOE Bremen Gp 378 Res Publica (1979–1981), FOE Bremen Gp 387

 1 Die hier verzeichneten Zeitschriften, Monographien und Kleinschriften werden in der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen (FOE Bremen), dem Prager Archiv Libri Prohibiti (LB Prag; dort werden für Zeitschriften keine Signaturen vergeben) und den Open Society Archives an der Central European University Budapest (OSA Budapest) aufbewahrt. Zudem wurden einzelne Monographien in der Polnischen Nationalbibliothek (BN Warschau) eingesehen oder sind in meinem Privatbesitz (GF). Darüber hinaus wurden einzelne Bestände des Oppositionsarchivs der Stiftung Karta in Warschau (Karta), der Jagiellonen Bibliothek Krakau (BJ Krakau), des Herder-Instituts Marburg (HI Marburg) und der Universitätsbibliothek Konstanz (UB Konstanz) herangezogen. Viele Zeitschriften des polnischen und tschechoslowakischen Samizdat sind zudem online einzusehen unter: http://www.encyklopediasolidarnosci.pl beziehungsweise http://www.scriptum.cz. Da Samizdat-Zeitschriften oft in mehreren Arbeitsschritten, von unterschiedlichen Vorlagen und mit unterschiedlichen Geräten vervielfältigt wurden, kann die Seitenzählung variieren. Die in dieser Arbeit zitierten Seitenzahlen beziehen auf die im Literaturverzeichnis aufgeführte Überlieferung. Sie schließt aber eine andere Zählung in anderen Ausgaben nicht aus.

342  Quellen- und Literaturverzeichnis Robotnik [Der Arbeiter] (1977–1981), FOE Bremen Gp 392 Spotkania [Zusammenkunft] (1977–1987), FOE Bremen Gp 526 Tygodnik Mazowsze [Masowisches Wochenblatt] (1982–1989), FOE Bremen Gp563 Tygodnik Solidarności [Wochenblatt der Solidarność] (1981), FOE Bremen Gp 564 Zapis [Aufzeichnung] (1977–1981), FOE Bremen Gp 638

Tschechoslowakei Antagon (1983–1989), LB Prag Bratislavské listy [Bratislaver Blätter] (1988–1989), OSA Budapest 300-30-15: 6 Čtverec [Das Quadrat] (1979–1980), FOE Bremen Gc 38 Dialogy [Dialoge] (1978–1980), FOE Bremen Gc 21 Fragment K (1988–1989), FOE Bremen Gc 52 Historické Studie [Historische Studien] (1978–1989), FOE Bremen Gc 5 Host [Gast] (1985–1989), FOE Bremen Gc 62 Informace o Chartě 77 [Informationen über die Charta 77] (1978–1989), http://www.vons.cz/informace-o-charte-77 (letzter Aufruf 28.4.2015) Informační buletin československo-polské solidarity [Informationsbulletin der Tschechoslowakisch-Polnischen Solidarität] (1988), http://www.vons.cz/buletin (letzter Aufruf 28.04.2015) K (1987), FOE Bremen Gc42 Katolícky mesačník [Katholisches Monatsheft] (1987–1988), OSA Budapest 300-30-15 Kritický Sborník [Kritischer Sammelband] (1981–1989), FOE Bremen Gc 5 Lidové Noviny [Volkszeitung] (1988), FOE Bremen Gc 44 Náboženstvo i súčanosť [Religion und Gegenwart] (1982–1989), LB Prag Obsah [Inhalt] (1982–1989), FOE Bremen Gc 19 Prostor [Raum] (1982–1989), FOE Bremen Gc 10 Radost’ i Nadéj [Freude und Hoffnung] (1987–1989), LB Prag Reflex (1978), FOE Bremen Gc 21 Reflexe (1985), FOE Bremen Gc 202 Střední Evropa [Mitteleuropa] (1984–1989), FOE Bremen Gc 22 Střední Evropa. Brněnská verse [Mitteleuropa. Brünner Version] (1988), FOE Bremen Gc 66 Ze záskuvky i z bloku [Aus der Schublade und vom Block] (1982–1984), LB Prag

Ungarn Beszélő [Sprecher] (1981–1989), OSA Budapest 355-1-1 und CD-ROM-Veröffentlichung Demokrata [Demokrat] (1986–1990), OSA Budapest 302-0-2; 397-0-1 Égtájak között [Zwischen den Himmelsrichtungen] (1985–1988), OSA Budapest 355-1-1 Ellenpontok [Kontrapunkte] (1982), OSA Budapest 397-0-1 Hírmondó [Der Beobachter] (1983–1987), OSA Budapest 302-0-2 Magyar Figyelő [Der ungarische Beobachter] (1981), FOE Bremen Gu 5 Máshonnan Beszélő [Der Sprecher von anderswo her] (1985–1988), OSA Budapest 355-1-1, 302-0-2:2

Quellen- und Literaturverzeichnis  343

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352  Quellen- und Literaturverzeichnis Nachgedruckte und edierte Quellen A Programme of Democratic Renewal. Draft Proposals [zuerst erschienen in: Demokrata [Samizdat], 1/3 (1986)], in: East European Reporter, 2/1 (1986), S. 6–10 A Social Contract. Conditions for a Political Renewal [zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 7/20], in: East European Reporter, 3/1 (1987), S. 54–58 A Szlovákiai Magyar Iskolák Védelmi Csoportjának levele Ján Carnogurskyhoz [Brief des Verteidigungskomitees für ungarische Schulen in der Slowakei an Ján Čarnogurský, zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 4/13–14 (1985)], in: László Kristóf Balázs/Zsolt Zádori (Hrsg.): A Beszélő 25 éve, CD-ROM [25 Jahre Beszélő], Budapest 2006 Aufruf zur Unterstützung der Armen, in: Gegenstimmen, 1/2 (1980), S. 14 Balázs, László Kristóf/Zádori, Zsolt (Hrsg.): A Beszélő 25 éve, CD-ROM [25 Jahre Beszélő], Budapest 2006 Balázs, Sándor [Öllős László]: A Salom Nyílt Levele. Egy kisebbségi magyar szemével [Der offene Brief von Salom. Mit den Augen eines Ungarn in der Minderheit, zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 5/16 (1986)], in: László Kristóf Balázs/Zsolt Zádori (Hrsg.): A Beszélő 25 éve, CD-ROM [25 Jahre Beszélő], Budapest 2006 Benda, Václav: Parallel Polis, in: H. Gordon Skilling (Hrsg.): Civic Freedom in Central Europe. Voices from Czechoslovakia, Basingstoke 1991, S. 35–41 Ders.: Parallel Polis, or An Independent Society in Central and Eastern Europe. An Inquiry, in: Social Research, 55/1–2 (1988), S. 211–246 Bohemus [Toman Brod/Jiří Doležal/Milan Otáhal/Petr Pithart/Miloš Pojar/Petr Příhoda]: Stanovisku k odsunu Němců z Československa [Standpunkt zum Abschub der Deutschen aus der Tschechoslowakei], in: Bohumil Černý/Jan Křen/Václav Kural/Milan Otáhal (Hrsg.): Češi, Němci, odsun. Diskuse nezávislých historiků [Tschechen, Deutsche, Abschub. Diskussionen unabhängiger Historiker], Prag 1990, S. 179–202 Die Botschaft an die Arbeiter Osteuropas, in: Barbara Büscher/Ruth-Ursel Henning/Gerd Koenen/Dorota Leszczyńska/Christian Semler/Reinhold Vetter (Hrsg.): „Solidarność“. Die polnische Gewerkschaft „Solidarität“ in Dokumenten, Diskussionen und Beiträge 1980– 1982, Köln 1983, S. 274 Čarnogursky, Ján/Šimečka, Milan/Kut, Miroslav: Szlovákiai levelek Duray Miklós védelmében [Slowakische Briefe zur Verteidigung von Miklós Duray, zuerst erschienen in: Beszélő [Samizdat], 4/12 (1984), in: László Kristóf Balázs/Zsolt Zádori (Hrsg.): A Beszélő 25 éve, CD-ROM [25 Jahre Beszélő], Budapest 2006 Černý, Bohumil/Křen, Jan/Kural, Václav/Otáhal, Milan (Hrsg.): Češi, Němci, odsun. Diskuse nezávislých historiků [Tschechen, Deutsche, Abschub. Diskussionen unabhängiger Historiker], Prag 1990 Charta 77: D[okument] 1. 1977, 1. leden, Praha. Základní (konstitutivní) Prohlášení Charty 77 o příčinách vzniku, smyslu a cílech Charty a metodách jejího působení [Grundsatz- (Konstituierende) Erklärung der Charta 77 über den Anlass ihres Entstehens, des Denkens und der Ziele der Charta und der Methode ihrer Umsetzung], in: Vilém Prečan/Blanka Císařovská (Hrsg.): Charta 77. Dokumenty 1977–1989, Bd. 1: 1977–1983 [Charta 77. Dokumente 1977–1989], Prag 2007, S. 1–5 Dies.: D[okument] 85. 1978, 14. prosinec, Praha. Dokument postavení romských spoluobčanů předložený jako poklad k veřejné diskusi [Dokument zur Lage der Roma-Mitbürger, vorgelegt zur öffentlichen Debatte], in: Vilém Prečan/Blanka Císařovská (Hrsg.): Charta

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Personenregister Abramowski, Edward 154 Anderson, Benedict 122, 277 Arato, Andrew 293, 302–304, 311 Arendt, Hannah 35, 137, 293 Arndt, Agnes 12, 303 Baár, Monika 170 Bachmann, Klaus 146–147 Bachtin, Michail M. 112, 122, 130 Bartyzel, Jacek 70–71, 75 Behrends, Jan C. 80, 144, 245 Bence, György 225 Benda, Václav 90 Beneš, Edvard 86, 165, 211 Berger, Peter L. 4 Bergson, Henri 83 Berlinguer, Enrico 300 Bibó, István 54–55, 98–99, 102, 230, 264, 268, 303 Bieber, Florian 306 Błażejowska, Justyna 63 Bohemus (Toman Brod, Jiří Doležal, Milan Otáhal, Petr Pithart, Miloš Pojar, Petr Příhoda) 217–218, 221 Böll, Heinrich 43, 300 Bolzano, Bernard 88, 92, 94, 182 Brandt, Willy 204 Brežnev, Leonid I. 197 Brier, Robert 13, 297, 300, 336 Brod, Toman 217 Bryant, Chad 173, 176 Brzeziński, Zbigniew 137, 293 Bukovskij, Vladimir 48 Byron, George Gordon 118 Ceauşescu, Nicolae 225 Chatterjee, Partha 126 Chruščev, Nikita S. 29 Ciżewska, Elżbieta 113 Cohen, Jean L. 304, 311 Csáky, Moritz 311 Csoóri, Sándor 54, 105–106, 225 Csurka, István 102–106, 109, 134, 225 Cywiński, Bohdan 37, 38 Dahrendorf, Ralf 311 Dalos, György 56, 134, 262–263

Danubius → Mlynárik, Jan Davies, Norman 234 Démszky, Gabor 58 Dmowski, Roman 66, 68, 73, 81, 151, 153–154, 156, 196, 237 Dobrovský, Josef 93 Doležal, Jiří 217 Dubček, Alexander 32, 45 Duray, Miklós 226 Ekiert, Grzegorz 29, 148 Engels, Friedrich 30 Enzensberger, Hans Magnus 262, 282 Falk, Barbara J. 12–13, 83, 88, 301, 305, 306 Fehr, Helmut 13 Fichte, Johann Gottlieb 135 Ford, Aleksander 192 Foucault, Michel 19–20 Friedrich, Carl 137, 293 Friszke, Andrzej 6, 11, 71 Fukuyama, Francis 315 Garton Ash, Timothy 195, 304, 311, 313 Gawin, Dariusz 12 Gebert, Konstanty 149 Gellner, Ernest 87 Geremek, Bronisław 309 Giedroyc, Jerzy 253 Giertych, Jędrzej 236 Glazkov, Nikolaj I. 48 Glemp, Józef 249 Gomułka, Władysław 29, 32, 76, 193 Göncz, Árpád 324 Goodwyn, Lawrence 111 Gorbačev, Michail S. 183, 247, 252, 273 Habermas, Jürgen 188 Hahn, Eva 170, 172 Hájek, Jiří 45 Halecki, Oskar 254 Hall, Aleksander 66, 69–71, 73–77, 82, 133–134, 151, 153–154, 184–185, 237–238, 241, 243, 252, 257, 271– 272, 274–275, 292–293 Haman, Aleš 179 Haraszti, Miklós 54, 56–57, 262

396  Personenregister Havel, Václav 1, 5–6, 20, 35, 39, 43–46, 61, 88–90, 95, 104, 132, 154, 162– 163, 180, 185, 187, 220, 246, 260, 267, 280, 286, 297, 300, 302, 304– 305, 307, 314, 317–319, 324, 325, 327 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 307 Heidegger, Martin 38, 83 Hejdánek, Ladislav 208, 220 Henlein, Konrad 210 Herbert, Ulrich 47 Hirschhausen, Ulrike von 21 Hobsbawm, Eric 5 Holy, Ladislav 314 Holzer, Jerzy 128 Horthy, Miklós 222 Horváth, Mihály 141 Hübl, Milan 165, 167, 208, 213–216, 218–220, 226, 257, 282 Hus, Jan 176, 180 Husák, Gustav 214 Husserl, Edmund 83 Illich, Ivan 104 Ilyés, Gyula 223 Janiszewski, Jerzy 119 Jarmakowski, Andrzej 201 Jaruzelski, Wojciech 143, 145–146, 148, 273 Jehlička, Ladislav 165 Jirous, Ivan Martin 44 Johann III. Sobieski 235 Johannes Paul II. → Wojtyła, Karol Judt, Tony 7, 13, 32, 46, 136, 255, 269, 315 Jurek, Marek 76, 157 Kaczorowski, Ryszard 321 Kaczyński, Jarosław 328 Kaczyński, Lech 328 Kádár, János 29, 33, 107, 223 Kamusella, Tomasz 89 Karpiński, Wojciech 64 Kenedi, János 225, 231–233, 278 Kenney, Padraic 14, 184, 298, 333 Kijowski, Andrzej 198–200 Killingsworth, Matt 293 Kind-Kovács, Friederike 13 King, Jeremy 277

Kis, János 2, 56, 100–101, 105–106, 108, 134, 225, 229, 230, 233, 262–263, 278–279, 283, 290, 295, 310 Kisielewski, Stefan 200 Kohák, Erazim 181 Kohl, Helmut 202–204, 206 Kohn, Hans 135 Kohout, Luboš 165–66, 168–170, 219 Kołakowski, Leszek 36–37, 62, 156 Kolář, Pavel 170 Komárková, Božena 95–96, 168 Komenda, Václav Vendelin 44 Konrád, György 39, 61, 101, 132, 154, 185, 187, 259–265, 267, 272, 275, 286, 300, 302, 304, 307 Kopeček, Michal 13, 91, 138, 288, 293 Koselleck, Reinhart 15, 117, 310 Kotowicz, Bronisław Szczypiorski, Andrzej Kowalski, Sergiusz 113, 123 Krasiński, Zygmunt 118 Křen, Jan 172, 179, 265–267 Król, Marcin 123, 270 Kubik, Jan 114 Kučera, J. P. 160–161, 163, 166, 169–171 Kučera, Karel 179, 182 Kučera, Rudolf 160–161, 163, 166, 169– 170 Kundera, Milan 191, 254–261, 265, 267– 268, 272, 274, 334 Kuroń, Jacek 32, 37–38, 42, 46, 72–74, 81–82, 121, 125, 133, 135, 149, 239– 240, 243, 253, 292–293, 300 Kusý, Miroslav 226, 233 Laba, Roman 111 Lányi, András 102 Lelewel, Joachim 141 Lenin, Vladimir I. 30, 115 Leonhard, Jörn 20, 21 Levy, Daniel 212 Lipski, Jan Józef 1–2, 69, 78–81, 134, 138, 189, 197–198, 244–245, 251, 253, 271–272, 275, 279, 281, 283, 290, 297–298, 310 Lipski, Jan Tomasz 68, 70 Locke, John 307 Lomax, Bill 109

Personenregister  397

Luckmann, Thomas 4 Lukács, György 39, 98 Luža, Radomír 220 Macierewicz, Antoni 151, 239–240, 243 Maier, Hans 202 Malý, Radomir 169, 172 Mann, Thomas 304 Marchal, Guy P. 171 Marx, Karl 1, 29, 39 Masaryk, Tomáš Garrigue 84, 87, 94, 165, 175–176, 180–181, 186, 257, 265 Mazowiecki, Tadeusz 154, 206, 307, 309, 320, 324 Mękarski, Włodzimierz 120 Mezník, Jaroslav 93–94, 172 Michnik, Adam 37–38, 46, 61, 73, 92, 105, 132, 149–150, 153–157, 185, 187, 239–240, 243, 245–247, 251–253, 261, 286, 293, 300, 302–305, 309, 320–321, 327 Mickiewicz, Adam 33, 118 Mieroszewski, Juliusz 195, 253 Miłosz, Czesław 51 Mlynárik, Ján 191, 206–221, 266, 276, 280, 299, 318 Moczulski, Leszek 75, 78, 125, 195, 199, 243 Modzelewski, Karol 32, 37 Mounier, Emmanuel 67, 154, 307 Moyn, Samuel 287 Müller, Adolf 214 Müller, Jan-Werner 188 Musil, Robert 260 N., Hellmuth 194 Nagy, Imre 29, 54, 98, 322 Najder, Zdzisław 64, 195, 199, 200, 270–271 Nakonečný, Milan 181 Naumann, Friedrich 254 Neubert, Ehrhart 6 Niedermüller, Peter 300 Nora, Pierre 141, 159 Olszewski, Jan 64 Onyszkiewicz, Janusz 204 Orbán, Viktor 322–323, 328 Orosz, István 102 Orwell, George 51

Ostrowski, Wojciech 67–68, 70 Otáhal, Milan 11, 172–174, 176, 179–180, 185–186, 217 Palacký, František 141, 165, 175–176, 180, 265 Patočka, Jan 20, 38–39, 45, 55, 83–94, 96–97, 136, 162, 175–176, 180, 182, 211, 265, 307, 332 Pekař, Josef 165, 178 Piłka, Marian 152 Piłsudski, Józef 65, 73, 116, 196 Pithart, Petr 2, 51, 90–97, 134, 167–169, 172–174, 176, 178–181, 185–186, 216–217, 290, 299, 305, 310, 324– 325, 327, 332–333 Pojar, Miloš 217 Pocock, J. G. A. 18 Podiven (Milan Otáhal, Petr Pithart, Petr Příhoda) 142, 173–182, 185–187, 266, 333 Podlaski, Kazimierz → Skaradziński, Bohdan Polanský, Václav 94 Popiełuszko, Jerzy 144 Posset, Johanna 53 Příhoda, Petr 172–174, 176, 179 f., 185– 186, 209, 217 Prus, Maciej 117 Rádl, Emanuel 88, 91, 94 Rajk, Lászlo 57 Rak, Jiří 179 Reichardt, Rolf 17 Rittersporn, Gábor T. 144 Rolf, Malte 144 Romert, Aleksander 268 Roszkowski, Wojciech 238 Rupnik, Jacques 302 Rybicki, Arkadiusz 75 Šabata, Jaroslav 168, 172 Sartre, Jean-Paul 300 Schell, Jonathan 251 Schlögel, Karl 265, 267 Schmidt, Helmut 204 Schöpflin, George 99, 225 Schulze Wessel, Martin 265–267 Skaradziński, Bohdan 247–250, 277, 279

398  Personenregister Skinner, Quentin 17–18 Skubiszewski, Krzysztof 253 Slawkenbergius Kučera, J. P. Smolar, Aleksander 303 Snyder, Timothy 28, 239–240 Solt, Otilia 231, 233 Sperling, Walter 17 Sroka, Bronisław 65–69, 138, 154, 307 Stalin, Iosif V. 28, 30, 293 Stomma, Stanisław 43 Strauß, Franz Josef 199, 204 Sýkora, Jan 93–95, 216, 219 Szabó, Máté 54 Szabó, Miklos 103, 105 Szczypiorski, Andrzej 201 Szelényi, Iván 39 Sznaider, Natan 212 Szűcs, Jenő 55, 100, 264 Szymanski, Berenika 118 Tamás, Gáspár Miklós 224 Tamir, Yael 288 Tigrid, Pavel 209 Timur Wolicki, Krzysztof Tönnies, Ferdinand 135 Törnquist Plewa, Barbara 114 Toruńczyk, Barbara 153 Traczykowski, Julian 70 Troebst, Stefan 274

Tucker, Aviezer 90 Uhl, Petr 52–53, 213, 257 Ulbricht, Walter 32 Vaculík, Ludvík 43 Valenta, Jaroslav 180 Vogel, Hans-Joachim 204 Vohryzek, Josef 95 Wałęsa, Lech 10, 114–116, 119, 321 Wallenberg, Raoul 228 Warszawski, Dawid → Gebert, Konstanty Weber, Max 31, 138 Wehler, Hans-Ulrich 21 Weizsäcker, Richard von 317 Werner, Michael 22 Wierny, Józef 157 Wojciechowski, Adam 191–192, 194, 197, 200 Wojtyła, Karol 67, 81, 115–116, 126, 151, 238, 272–273, 307 Wolicki, Krzysztof 196, 200–201 Wóycicki, Kazimierz 269 Wyszyński, Stefan 38, 67 Zarański, Jan 64 Zaremba, Marcin 31 Zaremba, Piotr 76 Zernack, Klaus 264 Zimmermann, Bénédicte 22

Ordnungssysteme Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit Herausgegeben von Jörg Baberowski, Anselm Doering-Manteuel und Lutz Raphael Die Reihe Ordnungssysteme nimmt Impulse auf, die sich seit zwei Jahrzehnten aus der Revision politik- und sozialgeschichtlicher Forschungsansätze entwickelt haben. Als Forum einer methodisch erneuerten Ideengeschichte trägt sie der Wirksamkeit politisch-kultureller Traditionen Europas seit dem Zeitalter der Aufklärung Rechnung. Die besondere Aufmerksamkeit gilt dem konkreten Wechselspiel ideeller, politischer und sozialer Prozesse. Die Reihe Ordnungssysteme hat insbesondere das Ziel: ‒ vergleichende Studien zu den nationalen Eigenarten und unterschiedlichen Traditionen in der europäischen Ideengeschichte zu fördern, ‒ gemeineuropäische Dimensionen seit der Aufklärung zu untersuchen, ‒ den Weg von neuen Ideen zu ihrer breitenwirksamen Durchsetzung zu erforschen. Die Reihe Ordnungssysteme verfolgt einige Themen mit besonderem Interesse: ‒ den Ideenverkehr zwischen Europa und Nordamerika, ‒ die Beziehungen zwischen politischen und religiösen Weltbildern, ‒ die Umformung der politischen Leitideen von Liberalismus, Nationalismus und Sozialismus im 20. Jahrhundert, ‒ die Herausbildung traditionsstiftender, regionenbezogener Gegensatzpaare in der europäischen Ideenwelt, wie zum Beispiel den Ost-West-Gegensatz. Die Reihe Ordnungssysteme bemüht sich um eine methodische Erneuerung der Ideengeschichte: Sie verknüpft die Analyse von Werken und Ideen mit ihren sozialen, kulturellen und politischen Kontexten. ‒ Sie untersucht die Bedeutung von Wissenssystemen in der Entwicklung der europäischen Gesellschaften. ‒ Sie ersetzt die traditionelle Ideengeschichte der großen Werke und großen Autoren durch eine Ideengeschichte, die Soziabilität und Kommunikation als tragende Gestaltungskräfte kultureller Produktion besonders beachtet. ‒ Sie bezieht Institutionen und Medien der Kulturproduktion systematisch in die Untersuchung ein. ‒

Band 1: Michael Hochgeschwender Freiheit in der Oensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen 1998. 677 S. ISBN 978-3-486-56341-2

Band 2: Thomas Sauer Westorientierung im deutschen Protestantismus? Vorstellungen und Tätigkeit des Kronberger Kreises 1999. VII, 326 S. ISBN 978-3-486-56342-9

400  Ordnungssysteme Band 3: Gudrun Kruip Das „Welt“-„Bild“ des Axel Springer Verlags Journalismus zwischen westlichen Werten und deutschen Denktraditionen 1999. 311 S. ISBN 978-3-486-56343-6

Band 9: Thomas Etzemüller Sozialgeschichte als politische Geschichte Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 2001. VIII, 445 S. ISBN 978-3-486-56581-2

Band 4: Axel Schildt Zwischen Abendland und Amerika Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre 1999. VIII, 242 S. ISBN 978-3-486-56344-3

Band 10: Martina Winkler Karel Kramář (1860–1937) Selbstbild, Fremdwahrnehmungen und Modernisierungsverständnis eines tschechischen Politikers 2002. 414 S. ISBN 978-3-486-56620-8

Band 5: Rainer Lindner Historiker und Herrschaft Nationsbildung und Geschichtspolitik in Weißrußland im 19. und 20. Jahrhundert 1999. 536 S. ISBN 978-3-486-56455-6 Band 6: Jin-Sung Chun Das Bild der Moderne in der Nachkriegszeit Die westdeutsche „Strukturgeschichte“ im Spannungsfeld von Modernitätskritik und wissenschaftlicher Innovation 1948–1962 2000. 277 S. ISBN 978-3-486-56484-6 Band 7: Frank Becker Bilder von Krieg und Nation Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864–1913 2001. 601 S. und 32 S. Bildteil ISBN 978-3-486-56545-4 Band 8: Martin Sabrow Das Diktat des Konsenses Geschichtswissenschaft in der DDR 1949–1969 2001. 488 S. ISBN 978-3-486-56559-1

Band 11: Susanne Schattenberg Stalins Ingenieure Lebenswelten zwischen Technik und Terror in den 1930er Jahren 2002. 457 S. ISBN 978-3-486-56678-9 Band 12: Torsten Rüting Pavlov und der Neue Mensch Diskurse über Disziplinierung in Sowjetrussland 2002. 337 S. ISBN 978-3-486-56679-6 Band 13: Julia Angster Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie Die Westernisierung von SPD und DGB 2003. 538 S. ISBN 978-3-486-56676-5 Band 14: Christoph Weischer Das Unternehmen ‚Empirische Sozialforschung‘ Strukturen, Praktiken und Leitbilder der Sozialforschung in der Bundesrepublik Deutschland 2004. X, 508 S. ISBN 978-3-486-56814-1

Ordnungssysteme  401

Band 15: Frieder Günther Denken vom Staat her Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949–1970 2004. 364 S. ISBN 978-3-486-56818-9 Band 16: Ewald Grothe Zwischen Geschichte und Recht Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900–1970 2005. 486 S. ISBN 978-3-486-57784-6 Band 17: Anuschka Albertz Exemplarisches Heldentum Die Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen von der Antike bis zur Gegenwart 2006. 424 S., zahlreiche Abb. ISBN 978-3486-57985-7 Band 18: Volker Depkat Lebenswenden und Zeitenwenden Deutsche Politiker und die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts 2007. 573 S. ISBN 978-3-486-57970-3 Band 19: Lorenz Erren „Selbstkritik“ und Schuldbekenntnis Kommunikation und Herrschaft unter Stalin (1917–1953) 2008. 405 S. ISBN 978-3-486-57971-1 Band 20: Lutz Raphael, Heinz-Elmar Tenorth (Hrsg.) Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte 2006. 536 S. ISBN 978-3-486-57786-0

Band 21: Thomas Großbölting „Im Reich der Arbeit“ Die Repräsentation gesellschaftlicher Ordnung in den deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen 1790–1914 2007. 518 S., zahlreiche Abb. ISBN 978-3-486-58128-7 Band 22: Wolfgang Hardtwig (Hrsg.) Ordnungen in der Krise Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900–1933 2007. 566 S. ISBN 978-3-486-58177-5 Band 23: Marcus M. Payk Der Geist der Demokratie Intellektuelle Orientierungsversuche im Feuilleton der frühen Bundesrepublik: Karl Korn und Peter de Mendelssohn 2008. 415 S. ISBN 978-3-486-58580-3 Band 24: Rüdiger Graf Die Zukunft der Weimarer Republik Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918–1933 2008. 460 S. ISBN 978-3-486-58583-4 Band 25: Jörn Leonhard Bellizismus und Nation Kriegsdeutung und Nationsbestimmung in Europa und den Vereinigten Staaten 1750–1914 2008. XIX, 1019 S. ISBN 978-3-486-58516-2 Band 26: Ruth Rosenberger Experten für Humankapital Die Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland 2008. 482 S. ISBN 978-3-486-58620-6

402  Ordnungssysteme Band 27: Désirée Schauz Strafen als moralische Besserung Eine Geschichte der Straälligenfürsorge 1777–1933 2008. 432 S. ISBN 978-3-486-58704-3

Band 33: Silke Mende „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“ Eine Geschichte der Gründungsgrünen 2011. XII, 541 S., 6 Abb. ISBN 978-3-486-59811-7

Band 28: Morten Reitmayer Elite Sozialgeschichte einer politischgesellschaftlichen Idee in der frühen Bundesrepublik 2009. 628 S. ISBN 978-3-486-58828-6

Band 34: Wiebke Wiede Rasse im Buch Antisemitische und rassistische Publikationen in Verlagsprogrammen der Weimarer Republik 2011. VIII, 328 S., 7 Abb. ISBN 978-3-48659828-5

Band 29: Sandra Dahlke Individiuum und Herrschaft im Stalinismus Emel’jan Jaroslavskij (1878–1943) 2010. 484 S., 9 Abb. ISBN 978-3-486-58955-9 Band 30: Klaus Gestwa Die Stalinschen Großbauten des Kommunismus Sowjetische Technik- und Umweltgeschichte, 1948–1967 2010. 660 S., 18 Abb. ISBN 978-3-486-58963-4 Band 31: Susanne Stein Von der Konsumenten- zur Produktionsstadt Aufbauvisionen und Städtebau im Neuen China, 1949–1957 2010. VIII, 425 S., 107 Abb. ISBN 978-3-486-59809-4 Band 32: Fernando Esposito Mythische Moderne Aviatik, Faschismus und die Sehnsucht nach Ordnung in Deutschland und Italien 2011. 476 S., 17 Abb. ISBN 978-3-486-59810-0

Band 35: Rüdiger Bergien Die bellizistische Republik Wehrkonsens und „Wehrhaftmachung“ in Deutschland 1918–1933 2011. 448 S. ISBN 978-3-486-59181-1 Band 36: Claudia Kemper Das „Gewissen“ 1919–1925 Kommunikation und Vernetzung der Jungkonservativen 2011. 517 S. ISBN 978-3-486-70496-9 Band 37: Daniela Saxer Die Schärfung des Quellenblicks Forschungspraktiken in der Geschichtswissenschaft 1840–1914 2014. 459 S., 1 Abb. ISBN 978-3-486-70485-3 Band 38: Johannes Grützmacher Die Baikal-Amur-Magistrale Vom stalinistischen Lager zum Mobilisierungsprojekt unter Brežnev 2012. IX, 503 S., 9 Abb. ISBN 978-3-486-70494-5

Ordnungssysteme  403

Band 39: Stephanie Kleiner Staatsaktion im Wunderland Oper und Festspiel als Medien politischer Repräsentation (1890–1930) 2013. 588 S., 38 Abb. ISBN 978-3-486-70648-2

Band 43: Malte Rolf Imperiale Herrschaft im Weichselland Das Königreich Polen im Russischen Imperium (1864–1915) 2015. 537 S., 31 Abb. ISBN 978-3-486-78142-7

Band 40: Patricia Hertel Der erinnerte Halbmond Islam und Nationalismus auf der Iberischen Halbinsel im 19. und 20. Jahrhundert 2012. 256 S., 22 Abb. ISBN 978-3-486-71661-0

Band 44: Sabine Witt Nationalistische Intellektuelle in der Slowakei 1918–1945 Kulturelle Praxis zwischen Sakralisierung und Säkularisierung 2015. 412 S. ISBN 978-3-11-035930-5

Band 41: Till Kössler Kinder der Demokratie Religiöse Erziehung und urbane Moderne in Spanien, 1890–1936 2013. 544 S., 19 Abb. ISBN 978-3-486-71891-1

Band 45: Stefan Guth Geschichte als Politik Der deutsch-polnische Historikerdialog im 20. Jahrhundert 2015. VII, 520 S. ISBN 978-3-11-034611-4

Band 42: Daniel Menning Standesgemäße Ordnung in der Moderne Adlige Familienstrategien und Gesellschaftsentwürfe in Deutschland 1840–1945 2014. 470 S., 8 Abb. ISBN 978-3-486-78143-4

Band 47: Gregor Feindt Auf der Suche nach politischer Gemeinschaft Oppositionelles Denken zur Nation im ostmitteleuropäischen Samizdat 1976– 1992 2015. 418 S. ISBN 978-3-11-041977-1