Auf dem Weg zur theologischen und existentiellen Erneuerung: Krise und vertiefte Grundlegung des Priesterbildes bei Joseph Ratzinger 3791733664, 9783791733661

Es ist schon ein Gemeinplatz, dass das Priesteramt der katholischen Kirche in einer tiefen Krise steckt, und das nicht e

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German Pages 405 [408] Year 2022

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Widmung
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
1. Die Konzeption des Priestertums in der neuscholastischen Theologie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil
1.1 Ludwig Ott – klassische neuthomistische Schultheologie
1.1.1 Zum Werk
1.1.2 Die Perspektive
1.1.3 Weihe als Sakrament
1.1.4 Weihestufen
1.1.5 Sakramentales Zeichen: Materie und Form
1.1.6 Wirkungen des Sakramentes
1.1.7 Weihespender und Weiheempfänger
1.2 Michael Schmaus – Neuscholastik mit Erneuerungsimpulsen
1.2.1 Zum Werk
1.2.2 Ratzinger und Schmaus – biografisch
1.2.3 Schmaus’ Neuansatz
1.2.4 Definition und Sakramentalität
1.2.5 Weihestufen und sakramentales Zeichen
1.2.6 Weihespender und Weiheempfänger
1.2.6.1 Die Frage der weiblichen Diakone
1.2.6.2 Zölibat
1.2.7 Wirkungen des Weihesakramentes
1.3 Kritische Würdigung der neuscholastischen Theologie
1.3.1 Systematik
1.3.2 Nicht konkret, sondern abstrakt und somit steril
1.3.3 Das Problem der Ungeschichtlichkeit
1.3.4 Die verlorene Fähigkeit der Auseinandersetzung
1.3.5 Umgang mit den Quellen
1.3.6 Das Problem der Methode
1.4 Das Priesterbild in der neuscholastischen Theologie
1.4.1 Die Grundlagen
1.4.2 Begründungsfiguren
1.4.3 Perspektive und konkrete Themen
1.4.4 Priestertum für Kult und Ordnung
1.4.5 Abstraktes Priesterbild
1.4.6 Fazit: Klare Struktur, aber keine Antwort auf Unsicherheiten
2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils
2.1 Geschichtliche Zusammenhänge
2.1.1 Theologische Innenperspektive: Entwicklung des Amtsverständnisses nach dem Trienter Konzil
2.1.2 Außenperspektive: geistesgeschichtliche Zusammenhänge
2.1.3 Ergebnis und Ausdruck der Entwicklungen: Ermahnungen der Päpste zur Heiligkeit des Priesterlebens
2.2 Das Thema Priestertum auf dem Zweiten Vatikanum
2.2.1 Stellenwert des Themas in Bezug auf das Konzil
2.2.2 Die Thematik des Priestertums in den Texten des Konzils
2.2.2.1 Liturgiekonstitution
2.2.2.2 Kirchenkonstitution
2.3 Das Priesterbild des Konzils: Presbyterorum ordinis
2.3.1 Bewährte Ansätze in Presbyterorum ordinis: Ermahnungen zur Vollkommenheit
2.3.2 Neue Ansätze in Presbyterorum ordinis: Priesteramt als Dienst im Geheimnis der Kirche
2.3.2.1 Das „Heute“
2.3.2.2 Einbettung in der Sendung der ganzen Kirche
2.3.2.3 Dienstcharakter des Priestertums und Priorität des Wortauftrages
2.3.2.4 Dynamisches Vollzugsdenken statt statischem Standesdenken
2.4 Fazit: Das Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils
2.4.1 Was vorangebracht wurde
2.4.2 Wo Erneuerung ausblieb
3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk
3.1 Biografische Anmerkungen zu Joseph Ratzinger und Priestertum
3.1.1 Glaube und Berufung als Ernstfall
3.1.2 Liturgische Sensibilität
3.1.3 Intellektualität und Priesteridentität
3.1.4 Prägende Priestergestalten
3.1.5 Priestertum als eigene Berufung
3.2 Zum Umgang mit den Texten: Verschiedenheit der Aufgaben des Autors
3.2.1 Professor und Konzilsperitus
3.2.2 Bischof
3.2.3 Präfekt der Glaubenskongregation
3.2.4 Papst
3.2.5 Der zurückgetretene Papst
Exkurs: Die These vom enttäuschten Progressiven, der konservativ wurde
3.3 Zum Umgang mit den Quellen – die Verschiedenheit der Texte
3.3.1 Einordnung der Thematik im Opus von Joseph Ratzinger
3.3.2 Verschiedene literarische Gattungen der Texte
3.3.2.1 Systematisch-theologische Texte
3.3.2.2 Spirituelle Texte
3.3.2.3 Predigten
3.3.2.4 Andere Texte
4. Ratzingers Ausgangspunkt: die Realität der priesterlichen Existenz heute
4.1 Einleitende Anmerkungen
4.1.1 Ratzingers Motivation
4.1.2 Die Krisenthese
4.1.3 Entwicklung in der Beobachtungsanalyse
4.2 Gesellschaftliche Veränderungen und ihre Auswirkungen
4.2.1 Priester als Fremder in einer veränderten Welt
4.2.2 Veränderungen im Selbstbewusstsein des Priesters als Folge der gesellschaftlichen Veränderungen
4.2.3 Begrenztheit der modernen Gesellschaftsentwürfe
4.3 Erosion der ekklesiologischen Grundlagen
4.3.1 Verlorene Plausibilität innerhalb der Kirche: Veränderte Kirche bedeutet verändertes Amt
4.3.2 Entwurzelung der Kirche
4.3.3 Sakramentale vs. funktionale Konzeption des Amtes
4.3.4 Vertiefungen der Diagnose: Ekklesiologische Krise ist christologische Krise, ist Gotteskrise
4.4 Erosion der biblischen und theologischen Fundamente
4.4.1 These vom Christentum als Entsakralisierung der Welt
4.4.2 Keine Kontinuität mit dem alttestamentlichen Priestertum
4.4.3 Problematisierung des Zusammenhangs zwischen Priestertum und Opfer
4.5 Unzulänglichkeit der bisherigen theologischen Konzepte
5. Wege der Grundlegung
5.1 Vorbemerkung: eine Kontextsetzung und somit Relativierung der Anfragen
5.1.1 Die Schärfe der Anfragen als Ergebnis hermeneutischer Vorentscheide
5.1.2 Innerprotestantische Relativierung der reinen Funktionalität des Amtes
5.2 Bibeltheologische Grundlinien
5.2.1 Die Frage der Kontinuität/Diskontinuität mit dem alttestamentlichen Priestertum
5.2.2 Die Komplexität des Mittlerbegriffs auf dem Weg zur Begründung des Priestertums
5.2.3 Terminologische Beobachtungen
5.3 Christologische Grundlegung – der Schlüssel
5.3.1 Die Sendung Christi
5.3.2 Die Sendung der Apostel
5.3.3 Die Sendung der Presbyter
5.3.4 Sakramentalität des Priesteramtes
5.3.5 Selbstenteignung Christi, die in der Selbstenteignung seines Priesters gelebt wird
5.4 Ekklesiologische Einbettung
5.4.1 Was ist Kirche?
5.4.2 Das Amt in der Kirche
5.4.3 Kirche als Demokratie?
5.4.4 Eucharistische Communio-Ekklesiologie
5.4.5 Priester im Dienst des Wortes
6. Brennende Fragen der Zeit
6.1 Priestertum nur für Männer? Zu einer (nicht) beendeten Diskussion
6.2 Priester und Zölibat
6.3 Der Skandal des Missbrauchs
7. Zusammenführung: Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums
7.1 Ratzingers Ansatz
7.2 Ratzingers Priesterbild: die Wichtigkeit solider Theologie (theologische Perspektive)
7.3 Ratzingers Priesterbild: ein selbstenteigneter Diener (existentielle Perspektive)
7.4 Ratzingers Priesterbild und aktuelle Diskussionen
7.5 Epilog
8. Literaturverzeichnis
8.1 Primärliteratur
8.1.1 Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften (JRGS)
8.1.2 Monografien und Aufsätze
8.1.3 Ansprachen und Interviews
8.1.4 Predigten und Meditationen
8.2 Sekundärliteratur
8.3 Dokumente der Kirche
Weitere Veröffentlichungen
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Auf dem Weg zur theologischen und existentiellen Erneuerung: Krise und vertiefte Grundlegung des Priesterbildes bei Joseph Ratzinger
 3791733664, 9783791733661

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Auf dem Weg zur theologischen und existentiellen Erneuerung Krise und vertiefte Grundlegung des Priesterbildes bei Joseph Ratzinger

Ratzinger-Studien Band 21

Herausgegeben im Auftrag des Institut Papst Benedikt XVI. Regensburg

Ladislav Kucˇkovský

Auf dem Weg zur theologischen und existentiellen Erneuerung Krise und vertiefte Grundlegung des Priesterbildes bei Joseph Ratzinger

Verlag Friedrich Pustet Regensburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2022 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg Tel. 0941/920220 | [email protected] ISBN 978-3-7917-3366-1 Reihen-/Einbandgestaltung: www.martinveicht.de Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany 2022 eISBN 978-3-7917-7413-8 (pdf) Unser gesamtes Programm finden Sie unter www.verlag-pustet.de

Gewidmet meiner Pfarrhausfrau Gabriela Martincˇeková, die durch ihre stille Treue die Voraussetzungen schuf, welche die Arbeit erst ermöglicht haben.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Die Konzeption des Priestertums in der neuscholastischen Theologie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil . . . . . . . 18 1.1

Ludwig Ott – klassische neuthomistische Schultheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.1.1 Zum Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.1.2 Die Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.1.3 Weihe als Sakrament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.1.4 Weihestufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1.1.5 Sakramentales Zeichen: Materie und Form . . . . . 29 1.1.6 Wirkungen des Sakramentes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.1.7 Weihespender und Weiheempfänger . . . . . . . . . . . 32

1.2 Michael Schmaus – Neuscholastik mit Erneuerungs impulsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1.2.1 Zum Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.2.2 Ratzinger und Schmaus – biografisch . . . . . . . . . . 38 1.2.3 Schmaus’ Neuansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.2.4 Definition und Sakramentalität . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1.2.5 Weihestufen und sakramentales Zeichen . . . . . . . 45 1.2.6 Weihespender und Weiheempfänger . . . . . . . . . . . 47 1.2.6.1 Die Frage der weiblichen Diakone . . . . . . . 49 1.2.6.2 Zölibat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1.2.7 Wirkungen des Weihesakramentes . . . . . . . . . . . . 52 1.3 Kritische Würdigung der neuscholastischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1.3.1 Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1.3.2 Nicht konkret, sondern abstrakt und somit steril . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

8 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6

Inhaltsverzeichnis

Das Problem der Ungeschichtlichkeit . . . . . . . . . . . 59 Die verlorene Fähigkeit der Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Umgang mit den Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Das Problem der Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

1.4 Das Priesterbild in der neuscholastischen Theologie . . . 69 1.4.1 Die Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1.4.2 Begründungsfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1.4.3 Perspektive und konkrete Themen . . . . . . . . . . . . . 71 1.4.4 Priestertum für Kult und Ordnung . . . . . . . . . . . . . 72 1.4.5 Abstraktes Priesterbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1.4.6 Fazit: Klare Struktur, aber keine Antwort auf Unsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

76

2.1 Geschichtliche Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2.1.1 Theologische Innenperspektive: Entwicklung des Amtsverständnisses nach dem Trienter Konzil . . 77 2.1.2 Außenperspektive: geistesgeschichtliche Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2.1.3 Ergebnis und Ausdruck der Entwicklungen: Ermahnungen der Päpste zur Heiligkeit des Priesterlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2.2 Das Thema Priestertum auf dem Zweiten Vatikanum . 93 2.2.1 Stellenwert des Themas in Bezug auf das Konzil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2.2.2 Die Thematik des Priestertums in den Texten des Konzils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2.2.2.1 Liturgiekonstitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2.2.2.2 Kirchenkonstitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2.3 Das Priesterbild des Konzils: Presbyterorum ordinis . . . . 103 2.3.1 Bewährte Ansätze in Presbyterorum ordinis: Ermahnungen zur Vollkommenheit . . . . . . . . . . . 105 2.3.2 Neue Ansätze in Presbyterorum ordinis: Priester amt als Dienst im Geheimnis der Kirche . . . . . . . 108 2.3.2.1 Das „Heute“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

Inhaltsverzeichnis

9

2.3.2.2 Einbettung in der Sendung der ganzen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2.3.2.3 Dienstcharakter des Priestertums und Priorität des Wortauftrages . . . . . . . . . . . . 116 2.3.2.4 Dynamisches Vollzugsdenken statt statischem Standesdenken . . . . . . . . . . . . . 120 2.4 Fazit: Das Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2.4.1 Was vorangebracht wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2.4.2 Wo Erneuerung ausblieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk 3.1

. . . . . . 130

Biografische Anmerkungen zu Joseph Ratzinger und Priestertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.1.1 Glaube und Berufung als Ernstfall . . . . . . . . . . . . 131 3.1.2 Liturgische Sensibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3.1.3 Intellektualität und Priesteridentität . . . . . . . . . . . 136 3.1.4 Prägende Priestergestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3.1.5 Priestertum als eigene Berufung . . . . . . . . . . . . . . 143

3.2 Zum Umgang mit den Texten: Verschiedenheit der Aufgaben des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3.2.1 Professor und Konzilsperitus . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3.2.2 Bischof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3.2.3 Präfekt der Glaubenskongregation . . . . . . . . . . . . 158 3.2.4 Papst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3.2.5 Der zurückgetretene Papst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

Exkurs: Die These vom enttäuschten Progressiven, der konservativ wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . 167

3.3 Zum Umgang mit den Quellen – die Verschiedenheit der Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3.3.1 Einordnung der Thematik im Opus von Joseph Ratzinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3.3.2 Verschiedene literarische Gattungen der Texte 178 3.3.2.1 Systematisch-theologische Texte . . . . . . . 178 3.3.2.2 Spirituelle Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3.3.2.3 Predigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3.3.2.4 Andere Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

10

Inhaltsverzeichnis

4. Ratzingers Ausgangspunkt: die Realität der priesterlichen Existenz heute . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . 182

4.1 Einleitende Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 4.1.1 Ratzingers Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4.1.2 Die Krisenthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4.1.3 Entwicklung in der Beobachtungsanalyse . . . . . . 187 4.2 Gesellschaftliche Veränderungen und ihre Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 4.2.1 Priester als Fremder in einer veränderten Welt 190 4.2.2 Veränderungen im Selbstbewusstsein des Priesters als Folge der gesellschaftlichen Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 4.2.3 Begrenztheit der modernen Gesellschafts entwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 4.3 Erosion der ekklesiologischen Grundlagen . . . . . . . . . . 200 4.3.1 Verlorene Plausibilität innerhalb der Kirche: Veränderte Kirche bedeutet verändertes Amt . . . 200 4.3.2 Entwurzelung der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 4.3.3 Sakramentale vs. funktionale Konzeption des Amtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 4.3.4 Vertiefungen der Diagnose: Ekklesiologische Krise ist christologische Krise, ist Gotteskrise . . 214 4.4 Erosion der biblischen und theologischen Fundamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 4.4.1 These vom Christentum als Entsakralisierung der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 4.4.2 Keine Kontinuität mit dem alttestamentlichen Priestertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 4.4.3 Problematisierung des Zusammenhangs zwischen Priestertum und Opfer . . . . . . . . . . . . . . 226 4.5 Unzulänglichkeit der bisherigen theologischen Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

5. Wege der Grundlegung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

5.1 Vorbemerkung: eine Kontextsetzung und somit Relativierung der Anfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

11

Inhaltsverzeichnis

5.1.1 5.1.2

Die Schärfe der Anfragen als Ergebnis hermeneutischer Vorentscheide . . . . . . . . . . . . . . . 236 Innerprotestantische Relativierung der reinen Funktionalität des Amtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

5.2 Bibeltheologische Grundlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 5.2.1 Die Frage der Kontinuität/Diskontinuität mit dem alttestamentlichen Priestertum . . . . . . . . . . . 241 5.2.2 Die Komplexität des Mittlerbegriffs auf dem Weg zur Begründung des Priestertums . . . . . . . . 250 5.2.3 Terminologische Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . 255 5.3 Christologische Grundlegung – der Schlüssel . . . . . . . . 261 5.3.1 Die Sendung Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 5.3.2 Die Sendung der Apostel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 5.3.3 Die Sendung der Presbyter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 5.3.4 Sakramentalität des Priesteramtes . . . . . . . . . . . . . 287 5.3.5 Selbstenteignung Christi, die in der Selbst enteignung seines Priesters gelebt wird . . . . . . . . 300 5.4

Ekklesiologische Einbettung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 5.4.1 Was ist Kirche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 5.4.2 Das Amt in der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 5.4.3 Kirche als Demokratie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 5.4.4 Eucharistische Communio-Ekklesiologie . . . . . . 327 5.4.5 Priester im Dienst des Wortes . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

6. Brennende Fragen der Zeit

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

6.1 Priestertum nur für Männer? Zu einer (nicht) beendeten Diskussion

6.2 Priester und Zölibat



6.3 Der Skandal des Missbrauchs

. . . . . . . . . . . . . . 338

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

7. Zusammenführung: Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums . . . . . . . . . . . . . . . .

7.1 Ratzingers Ansatz

. . . . . . . . . . . 369

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

12

Inhaltsverzeichnis

7.2 Ratzingers Priesterbild: die Wichtigkeit solider Theologie (theologische Perspektive) . . . . . . . . .

. . . . . . . 376

7.3 Ratzingers Priesterbild: ein selbstenteigneter Diener (existentielle Perspektive) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379

7.4 Ratzingers Priesterbild und aktuelle Diskussionen



7.5 Epilog

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391

8. Literaturverzeichnis 8.1

. . . 385

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 8.1.1 Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften (JRGS) 393 8.1.2 Monografien und Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 8.1.3 Ansprachen und Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 8.1.4 Predigten und Meditationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398



8.2 Sekundärliteratur



8.3 Dokumente der Kirche

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Vorwort

Während meines theologischen Grundstudiums in der Slowakei waren es vor allem zwei Fachrichtungen, die mein Interesse weckten. Zum einen war es die Liturgiewissenschaft, die uns die Quellen unseres liturgischen Lebens erschloss und so das tiefere Verständnis für die lex orandi schuf. Es entsprach meinem Interesse am Reichtum des liturgischen Ausdrucks. Es lag aber ganz sicher auch an unserem damaligen Professor, der es verstanden hat, uns zu den Quellen wie auch in die Tiefen der geschichtlichen Entwicklungen zu führen. So wurden wir auf eine wahrhaft mystagogische Weise in das gefeierte Geheimnis eingeführt. Das andere Fach, das meine Aufmerksamkeit fesselte, war zweifelsohne die Dogmatik und mit ihr verbunden die Fundamentaltheologie. Es war faszinierend, die Zusammenhänge des christ­ lichen Dogmas zu entdecken, die feinen Fäden aufzuspüren, aus denen das Gebäude der katholischen Glaubenslehre gebaut ist, und dabei zugleich auf neue Fragestellungen zu stoßen. Doch ganz anders als in der Liturgiewissenschaft war diese Dogmatik noch ganz rigid und ausschließlich neuscholastisch geprägt. So blieben meine Fragen meist unbeantwortet, wurden manchmal sogar als unpassend abgetan. Das Anliegen, die lex credendi tiefer zu verstehen und Antworten zu finden, die den heutigen Fragestellungen gewachsen sind, hat dies erfreulicherweise nicht gelähmt. Im Sommer 2003, kurz vor meiner Priesterweihe, hatte ich das Glück – da ich den damaligen Pfarrer schon aus der Zeit als Seminarist gut kannte –, eine Woche lang im Pfarrhof in Bad Hofgastein zu verbringen. Zur gleichen Zeit war Joseph Kardinal Ratzinger mit seinem Bruder Georg im Pfarrhof, um dort die Urlaubsruhe und die gute Bergluft zu genießen. So durfte ich eine ganze Woche lang bei allen Mahlzeiten den großen Theologen und seine anregenden Gespräche miterleben. Ich habe sogar den ganzen Mut ­eines jungen Theologen zusammengerafft und ihn um ein persön­ liches Gespräch gebeten. Eine Stunde lang durfte ich dann die

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Vorwort

brennendsten meiner unbeantworteten Fragen aus dem Dogmatikstudium vorlegen. Der Kardinal hat mit Geduld und Interesse meine Fragen beantwortet, so dass ich das Gefühl hatte, das, was mir bei meinem Studium so sehr fehlte, endlich zu finden. Auch hatte er mir sehr persönliche und ermutigende Worte auf meinen Priesterweg mitgegeben. Schon vorher hatte ich einige Texte Ratzingers gelesen. Seit dieser Begegnung aber las ich mit Freude ­alles, was von ihm kam, wie auch alles, was über ihn geschrieben wurde – vieles davon durchaus kritisch. Im Jahr 2006 wurde ich von meinem Bischof nach Salzburg geschickt, um hier priesterlich zu wirken. Als sich dann nach einigen Jahren die Möglichkeit eines Weiterstudiums eröffnete und ein Dissertationsthema festgelegt werden sollte, war für mich die Richtung schnell klar. Da ich mich im Werk Joseph Ratzingers schon einigermaßen orientierte, war es für mich naheliegend, ein Thema in Zusammenhang mit seinem Werk zu wählen. Durch Empfehlungen bin ich auf das Institut für Dogmatik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz aufmerksam geworden. Das Gespräch mit Prof. Dr. Bernhard Körner verlief äußerst positiv. Er war es, der mein Interesse an Ratzingers Werk in Richtung der Priesteramtstheologie lenkte und der bereit war, mein Doktorvater zu werden. Erst im Nach­ hinein wurde mir bewusst, dass dieses Thema eigentlich ganz meiner Begegnung mit Joseph Ratzinger entspricht. Prof. Körner bin ich zu tiefem Dank verpflichtet, da er mich seit der Geburtsstunde meines Dissertationsprojektes mit viel Geduld und Fachwissen begleitete. Seine ausführlichen Rückmeldungen sowie konstruktiven Anfragen zum Text haben wesentlich zum Gelingen meiner Dissertation beigetragen. In ihm durfte ich einen Doktorvater gewinnen, dessen Denken durch tiefe Menschlichkeit für das Heute und seine Fragestellungen offen ist, der zugleich aber durch authentische Gläubigkeit der Weisheit der Kirche und ihrer Tradition treu bleibt. Besondere Dankbarkeit erfüllt mich ­gegenüber Prof. DDDr. Clemens Sedmak, denn ohne sein Zutun wäre mein Dogmatikstudium erst gar nicht möglich gewesen, und Erzbischof Dr. Alois Kothgasser, der die Entstehung dieser Arbeit mit seinem väterlichen Interesse stets gefördert hat. Mein großer Dank gilt an dieser Stelle meiner Hausgemeinschaft: meiner Pfarrhausfrau Gabriela Martincˇeková und ihrem Großneffen Nikodém Bartošík, die durch ihre Nähe und Treue

Vorwort

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diese Arbeit überhaupt ermöglichten. Auch meiner Schwester und meinem Bruder danke ich für ihr ungebrochenes und bestärkendes Interesse an meiner Dissertation. Meinen Pfarrangehörigen und den vielen Mitarbeitern in der Pfarre Seeham danke ich für das Verständnis, das sie meinen Mehrfachverpflichtungen stets entgegenbrachten, ebenso dafür, dass sie mich immer haben spüren lassen, ich dürfe mir durchaus Zeit lassen und dadurch länger bei ihnen bleiben. Das ist auch wahr geworden, haben wir in dieser Zeit gemeinsam in der Pfarre doch einige große Projekte umgesetzt. Hofrat Mag. Matthias Hemetsberger danke ich sehr herzlich für seine großartige Hilfe bei sprachlichen Korrekturen meines Textes. Meinem jetzigen Heimatbischof Dr. Tomáš Galis bin ich in aufrichtigem Dank verbunden, weil er die Arbeit stets mit väter­ licher Geduld und tiefmenschlicher Ermutigung begleitete. 

Ladislav Kucˇkovský

Einleitung

Das Thema Priestertum wird in der katholischen Kirche in den letzten Jahrzehnten immer wieder heiß diskutiert. Einerseits gehört es zur Grundgestalt der Kirche, wie sie sich selber versteht und wie sie das eigene Wesen zuletzt auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil zum Ausdruck gebracht hat. Andererseits ist in den Jahren und Jahrzehnten gerade nach diesem Konzil immer wieder von einer Krise des Priestertums die Rede. In der Tat sieht sich der heutige Priester mit großen und zum Teil völlig neuen Herausforderungen konfrontiert. Zugleich wird vieles rund um das katholische Priestertum infrage gestellt – angefangen vom Zölibat bis hin zu praktischen Fragen der priesterlichen Spiritualität u. Ä. Hinzu kommt das Problem des Priestermangels, das den Diözesen vor allem in der westlichen Hemisphäre zu schaffen macht. Der schmerzliche Skandal des Missbrauchs von Minderjährigen durch Kleriker und andere kirchliche Mitarbeiter hat auf eigene Weise die Wichtigkeit einer Vertiefung des Themas in Erinnerung gerufen. Das Thema Priestertum erschöpft sich freilich nicht in praktischen Fragen. Es muss nach Grundlagen des katholischen Priestertums gefragt werden. Erst wenn die Frage nach dem Sein des Priesters, nach dem Fundament, auf dem er steht, geklärt ist, ist es möglich, über praktische Fragen zu diskutieren und um richtige Antworten zu ringen. Zu Joseph Ratzinger muss wohl nicht eigens etwas gesagt werden. Er gehört zweifelsohne zu den größten Gestalten der Theologie in den letzten Jahrzehnten – zusammen mit vielen anderen großen Namen. Sein Werk wird nach wie vor viel gelesen und rezipiert, und das nicht erst, seit er in den Jahren 2005 bis 2013 Papst war. Dieses Werk ist vielschichtig und breit angelegt und befasst sich mit verschiedenen theologischen Themen. Es kommt freilich auch ein persönliches Interesse am Thema hinzu. Als geweihter und aktiver Priester werde ich auch unmit-

Einleitung

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telbar und immer wieder mit den Debatten und Schwierigkeiten rund um das Priestertum konfrontiert. So betrifft mich das Thema natürlich nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse, sondern auch ganz persönlich. Dieser Band fragt nach dem Beitrag des Theologen und Bischofs1 Joseph Ratzinger zum Thema Priestertum und sucht nach der Besonderheit seiner Perspektive. Stets wird dabei im Hintergrund die Frage mitgeführt, ob und inwieweit seine Theologie und sein Denken zur Überwindung der gegenwärtigen Priesterkrise in ­ihren verschiedensten Facetten beitragen können.

1 Das Interesse wurde bewusst auf den Beitrag des Theologen und Bischofs Joseph Ratzinger beschränkt, da in seinen anderen Funktionen (vor allem als Präfekt der Glaubenskongregation und als Papst) viel mehr das Amt und dessen Ansprüche als das persönliche Denken des Theologen im Vordergrund stehen. Mehr zu dieser hermeneutischen Festlegung und ihren Gründen wird an entsprechender Stelle gesagt. Siehe unten S. 152 f.

1. Die Konzeption des Priestertums in der neuscholastischen Theologie vor dem Zweiten ­Vatikanischen Konzil

Um den Beitrag Joseph Ratzingers zum Thema Priester im Kontext sehen und gebührend würdigen zu können, scheint es angebracht zu sein, sich in einem ersten Schritt mit den Konzepten der neuthomistischen Schultheologie1 und ihren Zugängen, Themen, Konzepten und Aussagen zum Thema Priester und Priestertum in der Zeit vor allem vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu befassen. Zum einen wird dadurch das Klima in der Theologie der Zeit abgetastet, in der Joseph Ratzinger selbst diesem Thema theologisch und existentiell-persönlich begegnet ist und es von da aus in seinem Denken reflektiert und entwickelt hat, zum anderen ermöglicht dieser Zugang, das Denken Joseph Ratzingers und das Spezifische seiner Theologie deutlicher und plastischer zu sehen. Bei diesem ersten Schritt werden zwei Theologen unsere Auskunftsgeber sein: Ludwig Ott mit seinem viel gelesenen Buch Grundriss der katholischen Dogmatik2 und Michael Schmaus mit 1 In der Literatur wird entweder von „Neuthomismus“ oder von „Neuscholastik“ gesprochen. Zur Definition vgl. vor allem Emerich Coreth, Schulrichtungen neuscholastischer Philosophie, in: Ders. (Hg.), Christliche Philosophie im katho­l ischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts. Bd. 2: Rückgriff auf scholastisches Erbe, Graz 1988, 398 ff. Zu Begrifflichkeit, geschichtlicher Ortsbestimmung und kurzer Skizze wesentlicher Thesen der Neuscholastik vgl. Eduard H absburg-Lothringen, Das Ende des Neuthomismus. Die 68er, das Konzil und die Dominikaner, Bonn 2007, 21 ff.; zur Begriffsgeschichte von „Scholastik“ vgl. Ulrich Gottfried Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie, Paderborn/München/Wien/Zürich 1995, 1–9. 2 Ludwig Ott, Grundriss der katholischen Dogmatik, Freiburg i. Br. 11952. Wir arbeiten mit dem Text der zweiten Auflage aus dem Jahr 1954. Für das Thema Priestertum sind vor allem S. 515–525 und zum Teil S. 320–374 von Bedeutung.

1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

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s­ einem viel geachteten Werk Katholische Dogmatik3. Die Frage, warum die Aufmerksamkeit gerade diesen zwei Autoren und nur ihnen gewidmet ist, lässt sich argumentativ auf drei Ebenen beantworten. Zum einen: Es gehört nicht zum Ziel dieser Untersuchung, sich besonders ausführlich mit der neuscholastischen Denkweise über das Priestertum zu befassen, sondern lediglich ihr Konzept vorzustellen,4 um die dominierende Theologie jener Zeit zu vergegenwärtigen, die das theologische Schaffen Joseph Ratzingers in seinen jungen Jahren als Student und Zeitgenosse geprägt hat, und um so eine Art ‚Folie‘ zu erhalten, durch die der eigentliche Beitrag Ratzingers klarer zutage treten kann. Deswegen musste man den Umfang dieser ersten Phase der Untersuchung bewusst auf zwei in ihrer Zeit angesehene und gelesene Autoren begrenzen. Zum anderen: Bei diesen zwei Theologen haben wir es mit einer gewissen, durchaus bedeutenden Spannung zu tun, da Joseph Ratzinger selbst – wenn wir seine Autobiografie5 betrachten – mit einem von ihnen, nämlich Ludwig Ott, in keinem persönlichen Kontakt stand (zumindest wird es von ihm nicht erwähnt), wenn auch dessen Arbeit in dieser Zeit wohlbekannt war; mit dem anderen aber, Michael Schmaus, verbindet ihn auch viel Persönliches, da Schmaus Professor an der Universität München war,6 an der Ratzinger studierte. Auch die bekannte Habilitationsgeschichte Ratzingers, die eine nicht geringe Rolle in der Entwicklung seiner persönlichen akademischen Laufbahn spielen sollte, ist mit dem Namen Michael Schmaus verbunden.7 Auf dieses Thema kommen wir später zu sprechen.

3 M ichael Schmaus, Katholische Dogmatik, 3 Bände in 4 Teilbänden, Münster 11938– 1941. Wir arbeiten mit dem Text der dritten/vierten Auflage aus dem Jahr 1952. Für unser Thema ist vor allem Bd. IV/I von Bedeutung, zum Teil aber auch die Ekklesiologie in Bd. III/I. 4 Für eine Übersicht über das neuscholastische Konzept des Priestertums und seine Entwicklungen siehe Judith Müller , In der Kirche Priester sein. Das Priesterbild in der deutschsprachigen katholischen Dogmatik des 20. Jahrhunderts, Würzburg 2001, vor allem 17–128. Hier findet man auch reichlich Literaturhinweise. 5 Aus meinem Leben. Erinnerungen 1927–1977, München 11998, hier 62006. Ratzingers Werke sowie seine Publikationen als Benedikt XVI. werden in Kursivschrift ohne Nennung des Autors angegeben. 6 Aus meinem Leben, 54 f. 7 Ebd., 77 f.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

Schließlich können Ott und Schmaus als zwei Beispiele für die Entwicklung innerhalb der Theologie dieser Zeit gelten. So ermöglichen sie, diese breiter und differenzierter zu sehen. Wie bereits angedeutet, folgt Ludwig Ott in seiner Arbeit, konkret in i­ hrer Struktur, Methodik wie auch in seinen Ergebnissen ganz und gar dem klassischen neuthomistischen Modell, das in vielen anderen Publikationen dieser Zeit zu finden ist.8 Michael Schmaus dagegen versucht bewusst einige Impulse der Erneuerungsbewegungen der Zwischenkriegszeit, wie z. B. der Liturgiebewegung, zu rezipieren und verschließt sich neueren Fragestellungen nicht,9 wenn er auch in der Themenauswahl und den Ergebnissen sowie zu einem großen Teil auch in der Methode ein Neuscholastiker bleibt.10 So stehen diese zwei Autoren für zwei unterschiedliche Tendenzen innerhalb der neuscholastischen Theologie. In einem ersten Teil dieses Kapitels wird anhand des Werkes von Ludwig Ott wohlwollend, aber kritisch das neuscholastische theologische Konzept des Sakraments der Weihe vorgestellt, da dieser Text als typisches Beispiel für die in dieser Zeit überwiegende neuscholastische Denkart betrachtet werden kann. Im zweiten Teil wird die Aufmerksamkeit dem Werk von Michael Schmaus gewidmet, bei dem einige Neuansätze sichtbar sind und der dennoch ganz in der theologischen Tradition seiner Zeit verankert bleibt. Im dritten Teil wird der Versuch einer kritischen Würdigung dieser Konzeption unternommen, wobei auf Stärken und Schwächen dieser Theologie hingewiesen wird. Der vierte Teil schließlich nimmt speziell das Priesterbild der neuscholastischen Theologie in den Blick. Es geht also um eine Art Bestandsaufnahme der theologischen Situation der damaligen Zeit in Bezug auf unser Thema. Es sei noch angemerkt, dass die Aufmerksamkeit den Texten aus der Sakramententheologie gilt, da sich die Autoren in diesem Teil ihres Werkes mit unserem Thema vertieft beschäftigen. In ande8 Als weitere Vertreter dieses neuscholastischen Zugangs seien erwähnt: Joseph Bautz , Grundzüge der Katholischen Dogmatik, Mainz 21899–1903; Bernhard Bartmann, Lehrbuch der Dogmatik, Freiburg i. Br. 21911; von den älteren M atthias Joseph Scheeben, Handbuch der katholischen Dogmatik (geplant als fünfbändiges Werk, das allerdings unvollendet blieb), Freiburg i. Br. 1873–1887. 9 Vgl. M ichael Seybold, Schmaus Michael, in: LThK 3 9, 173. 10 Zur genaueren Klärung der Frage, inwiefern Schmaus zur Neuscholastik gezählt werden kann, siehe unten.

1.1 Ludwig Ott – klassische neuthomistische Schultheologie

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ren Teilen ihres Werkes, wie z. B. in der Ekklesiologie, ist zu diesem Thema wenig zu finden.

1.1 Ludwig Ott – klassische neuthomistische Schultheologie Ludwig Ott (geb. 1906 in Neumarkt in Oberpfalz, gest. 1985 in Eichstätt) 11 wurde 1930 zum Priester geweiht. Von 1931 bis 1936 absolvierte er sein Promotionsstudium bei Martin Grabmann12 in München, bei dem er die Entwicklung der mittelalterlichen Theologie erforschte. Seit 1936 war er außerordentlicher und seit 1941 ordentlicher Professor für Dogmatik an der bischöflichen Philosophisch-Theologischen Hochschule in Eichstätt und 1960 bis 1962 deren Rektor.13

1.1.1 Zum Werk Sein Werk, das die meiste Beachtung gefunden hat, ist der neuscholastische Grundriss der katholischen Dogmatik, Freiburg 11952. Wie er selber im Vorwort zur zweiten Auflage schreibt, war die erste Auflage „in überraschend kurzer Zeit vergriffen“, was er damit begründet, dass sein Werk offensichtlich „einem wirklichen Bedürfnis entgegenkam“.14 Wir haben es hier also mit einem Werk zu tun, mit einem Kompendium, das in seiner Zeit wirklich gelesen – der Autor selbst spricht von „weltweit verbreitet“15 – und ­rezipiert wurde. Und so kam bereits nach zwei Jahren eine Neuauflage heraus, die sich „nicht wesentlich von der ersten unterscheidet“.16 Es handelte sich lediglich um eine leichte Erweiterung des Textes, besonders im Teil der Mariologie. Vor allem wurde 11 Vgl. LThK 3 7, 1217. 12 Der Name Prof. Dr. Martin Grabmann verbindet Ludwig Ott mit Michael Schmaus, da beide bei diesem Erforscher der mittelalterlichen Philosophie und Theologie ihre Dissertation schrieben. Grabmann, der Professor in München war, steht für gründliche historische neuscholastische Forschung in München. Vgl. Friedrich Wilhelm Bautz , Grabmann Martin, in: BBKL 2, 280 f. 13 Erich Naab, Ott Ludwig, in: BBKL 6, 1343. 14 Ott, Grundriss, VI. 15 BBKL 6, 1343. 16 Ott, Grundriss, VI.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

neuere Literatur hinzugefügt. Wir stützen uns auf diesen Text der Zweitauflage aus dem Jahr 1954. Sein Werk, das als prominenter Vertreter der „Eichstätter thomistischen Tradition“ bezeichnet werden kann, „zeichnet sich durch nüchterne Präzision“ aus, ist gut gegliedert, biblisch solide fundiert und „an der Geschichte der Theologie ausgerichtet“.17 Es fällt auch die „meisterhafte Kürze zur Aneignung“ auf, die für ein Kompendium von besonderer Bedeutung ist. Der Grundriss wurde zwischen 1952 und 1981 zehn Mal auf Deutsch aufgelegt, außerdem erschien das Werk auf Französisch 31960, Englisch 61963, Italienisch 41969, Spanisch 71986 und sogar auf Arabisch 1967 und Chinesisch 1967/68.18 Der Textteil, der dem Thema Priester gewidmet ist, ist mit dem Titel Das Sakrament der Weihe (Ordo) überschrieben und in sechs Paragrafen gegliedert: 1. Begriff und Sakramentalität der Weihe, 2. Die einzelnen Weihestufen, 3. Das äußere Zeichen des Weihe­ sakramentes, 4. Die Wirkungen des Weihesakramentes, 5. Der Spender des Weihesakramentes und 6. Der Empfänger des Weihesakramentes.19 Dieser Abschnitt gehört zum vierten Hauptstück 20 seines Grundrisses, der unter dem Titel Die Lehre von Gott dem Heiligmacher steht und in drei Teile unterteilt wird: 1. Die Lehre von der Gnade21, 2. Die Lehre von der Kirche22 und 3. Die Lehre von den Sakramenten23. Ludwig Ott hat später im Rahmen des Handbuchs der Dogmengeschichte (Band IV/5) noch ein anderes Werk verfasst, das dem Thema Priestertum gewidmet ist. Dieses 1969 in Freiburg unter dem Titel Das Weihesakrament erschienene Werk unterscheidet

17 BBKL 6, 1343. 18 Vgl. ebd., 1344. 19 Vgl. Ott, Grundriss, 515–525. 20 Das Konzept der Dogmatik von Ott besteht aus fünf ‚Hauptstücken‘, die mit den klassischen dogmatischen Traktaten, wie sie von der scholastischen Theologie entwickelt bzw. systematisiert wurden, übereinstimmen: 1. Die Lehre von Gott dem Einen und Dreipersönlichen (Trinitologie), 2. Die Lehre von Gott dem Schöpfer (Kreatologie), 3. Die Lehre von Gott dem Erlöser (Soteriologie), 4. Die Lehre von Gott dem Heiligmacher (Gratiologie) und 5. Die Lehre von Gott dem Vollender (Eschatologie). 21 Ott, Grundriss, 253–311. 22 Ebd., 312–374. 23 Ebd., 375–537.

1.1 Ludwig Ott – klassische neuthomistische Schultheologie

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sich nicht wesentlich von seinen Ausführungen im Grundriss, vieles ist allerdings präziser und natürlich auch viel ausführlicher dargestellt. Besonders fällt im Vergleich dieser zwei Werke die viel größere Zitatenmenge in seinem späteren Opus auf. Aus systematischer Sicht ist das zweite Werk, wie es der Intention des ganzen Handbuchs der Dogmengeschichte entspricht, viel stärker unter der Berücksichtigung der dogmengeschichtlichen Entwicklungen verfasst. Der Autor arbeitet im Unterschied zum Grundriss strukturell und bewusst mit den verschiedenen Phasen der Entwicklung der Lehre über den Ordo. Das zeigt auch schon ein einfacher Blick auf das Inhaltsverzeichnis. 24 Dieser Text ist für unsere Untersuchung allerdings nicht relevant, da er erst nach dem Konzil erschienen ist, also zu einer Zeit, in der Joseph Ratzinger selbst schon auf der theologischen Bühne präsent war. Insgesamt ist im Ott-Text die klassische neuscholastische dogmatische Struktur gut sichtbar, die als ‚Dreischritt‘ bezeichnet wird: Zuallererst werden die Äußerungen des Lehramtes zum Thema festgehalten, was unter der Überschrift ‚Dogma‘ passiert, dann werden Stellen aus der Heiligen Schrift zitiert, die zum Thema jeweils relevant zu sein scheinen, und auch bedeutsame Zitate der Kirchenväter angeführt, was mit Begriffen ‚Schrift­ beweis‘ und ‚Traditionsbeweis‘ überschrieben wird, und schließlich wird auch eine spekulative Durchdringung des Themas realisiert. 25 Dieser Dreischritt, der bisweilen als die dogmatische Methode schlechthin betrachtet wurde, wurde in der dogmatischen Methodik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fast selbst­ verständlich akzeptiert, wenngleich es sich um ein relativ spätes ­Ergebnis der Theologiegeschichte handelt. Laut Walter Kasper sei diese Methode „jedenfalls nicht vor dem 18. Jahrhundert anzu­ setzen“. 26 Mehr zur Frage der Methode des Dreischritts findet sich in Abschnitt 1.3 dieser Untersuchung.

24 Das Handbuch ist in folgende Kapitel gegliedert: I. Heilige Schrift (§ 1), II. Die vornizäische Patristik (§§ 2–4), III. Die nachnizäische Patristik (§§ 5–7), IV. Die Vorscholastik und die Frühscholastik (§§ 8–13), V. Die Hochscholastik und die Spätscholastik (§§ 14–20, VI. Die Reformation und das Konzil von Trient (§§ 21 f.), VII. Die nachtridentinische Theologie (§§ 23–27). 25 Vgl. dazu u. a. Walter K asper , Die Methoden der Dogmatik. Einheit und Vielheit, München 1967, 21. 26 Ebd.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

1.1.2 Die Perspektive Ott beginnt seine Überlegungen systematisch mit der begrifflichen Klärung, die allerdings ziemlich knapp ausfällt und einiges von dem vorwegnimmt, was von ihm später genauer behandelt wird: „Die Weihe (ordo, ordinatio) ist jenes Sakrament, in welchem dem Gläubigen durch Handauflegung und Gebet des Bischofs eine geistliche Gewalt übertragen und Gnade zur gottwohlgefälligen Ausübung derselben verliehen wird.“27 Mit dieser Definition ist deutlich die Perspektive begründet, in der von ihm das Weihepriestertum gesehen wird: Es ist die Per­ spektive der geistlichen Gewalten innerhalb der Kirchengemeinschaft, die bei der Weihe übertragen werden, und die Perspektive der sakramentalen Gnade, wobei besonders der Aspekt der ‚Gottgefälligkeit‘ betont wird, nicht so sehr aber der der inneren Befähigung zum Dienst. Die Gnade wird bei Ott, im Sinne seiner früheren Ausführungen, als „eine von seiten Gottes ungeschuldete, von seiten des Menschen unverdiente Gabe“, die „übernatürlichen Charakter“ hat, verstanden. 28 Die im Sakrament enthaltene Gnade, „die zur gottgefälligen Ausübung des Dienstes disponiert“, gehöre zur objektiven Wirksamkeit des Sakramentes (ex opere operato), wobei der Glaube beim Empfänger des Sakramentes eine „unerlässliche Vorbedingung (conditio sine qua non)“ sei. 29 Im Folgenden sollen seine Ausführungen in gebotener Kürze dargestellt werden.

1.1.3 Weihe als Sakrament Die Sakramentalität der Weihe wird mit der dogmatischen Definition des Trienter Konzils festgehalten, welche die Weihe als „ein wahres und eigentliches, von Christus eingesetztes Sakrament“30 gegen reformatorische Lehren erklärt hat. Das Priestertum wird als „sichtbares und äußeres Priestertum“31 und die kirchliche

27 Ott, Grundriss, 515. 28 Vgl. ebd., 254. 29 Vgl. ebd., 379–381. 30 „Si quis dixerit, ordinem sive sacram ordinationem non esse vere et proprie sacramentum a Christo Domino institutum […] anathema sit“; vgl. DH 1773. 31 „sacerdotium visibile et externum“; vgl. DH 1764 und 1771.

1.1 Ludwig Ott – klassische neuthomistische Schultheologie

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­ ierarchie als „dem göttlichen Willen entsprechend“ definiert. Das H bedeutet folglich, dass ein „besonderes Priestertum“ und ein „besonderer Priesterstand (ordo in esse)“, der vom Laienstand „wesentlich verschieden ist“, gottgewollt sei. 32 Der Autor präzisiert weiterhin, dass das Trienter Konzil die Sakramentalität des Ordo im Allgemeinen, nicht aber der einzelnen Weihestufen behaupte. Ott führt auch die Argumente der Schrift an, welche nach Auffassung der Neuscholastik die Sakramentalität des Priestertums begründen und in dogmatischen Publikationen immer wieder ­angegeben werden. Er spricht allerdings von den „Berichten der Hl. Schrift über die Aufnahme in die kirchliche Hierarchie“. 33 Das ist freilich eine merkwürdige Optik bzw. eine merkwürdige Begrifflichkeit, die ganz und gar im kirchlich-juridischen Denken verhaftet ist, dem biblischen Text aber nicht gerecht wird. Die Perspektive, die Weihe im Kontext von „sakramentalen Gewalten“ zu betrachten, wird auch in diesem Punkt sichtbar, wenn er schreibt: „Diese biblischen Texte bezeugen, dass die geistliche Gewalt durch die Handauflegung weitergegeben wurde.“34 Ott sucht in diesen Texten nach „einzelnen Momenten des Sakramentsbegriffs“35, die darin deutlich hervortreten. Konkret werden die Texte Apg 6,6 (Einsetzung der Diakone), Apg 14,22 („Einsetzung der Presbyter“, wie er es nennt), 2 Tim 1,6 (die durch die Handauflegung empfangene Gnadengabe) wie auch 1 Tim 4,14 und 5,22 angeführt. Gerade die in der Bibel belegte Art der Weitergabe des Ordo durch die Handauflegung bezeuge für ihn die Sakramentalität der Weihe. Die Aufnahme in die Hierarchie „erfolgte durch einen sinnenfälligen Vorgang – aus Handauflegung und Gebet“. Gerade dieser äußere, sinnenfällige Vorgang ist „Ausdruck der Sakramentalität“, da dabei durch einen äußeren Ritus „eine geistliche Amtsbefugnis übertragen und innere Gnade mitgeteilt wird“. 36 Dieser Vorgang gehe direkt auf Christus zurück, da „nur Gott – bzw. Gottmensch Jesus Christus – an einen äußeren Ritus die Mitteilung innerer Gnade kausal knüpfen kann“. 37 Diese Argumenta-

32 Vgl. Ott, Grundriss, 515. 33 Ebd., 515 f. 34 Ebd., 516. 35 Ebd., 515. 36 Ebd., 516. 37 Ebd.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

tion entspricht dem sakramentalen Konzept, das im gleichen Werk zu finden ist. 38 Wie Ott erwähnt, beweise auch die Tradition die Sakramentalität der Weihe, konkret „die göttliche Einsetzung der Hierarchie“, wie auch die Übertragung der priesterlichen Gewalten durch die Handauflegung und das Gebet und die „damit verbundene innere Gnadenmitteilung“. 39

1.1.4 Weihestufen Die Frage der einzelnen Weihestufen und ihrer genaueren Unterscheidung gehört zu den Standardthemen der neuscholastischen Dogmatik. Gewöhnlich wird laut Ott von sieben Weihestufen gesprochen: Dazu gehören vier niedere Stufen (Ostiariat, Lektorat, Exorzistat und Akolythat) und drei höhere Stufen (Subdiakonat, Diakonat, Sacerdotium – das Presbyterat und Episkopat umfasst).40 Hier ist eine deutliche Differenz erkennbar zu dem, wie das Zweite Vatikanum das Thema des Ordo ansehen wird. Es fällt besonders auf, dass Presbyterat und Episkopat als eine Stufe des Ordo betrachtet werden und dass auch der Subdiakonat als eine eigene Stufe der drei höheren Weihen des Ordo gezählt wird. Die drei höheren Weihen bezeichnet Ott auch als „sakramentale Weihestufen“, wobei die Einheit des Sakramentes gewahrt bleibt: „es sind drei, jedoch gemeinsam ein Sakrament des Ordo“.41 Niedere Weihen plus Subdiakonat werden dagegen nicht für sakramentale Weihestufen gehalten – er spricht immer wieder von „nichtsakramentalen Weihestufen“.42 Es seien nur Sakramentalien. Der Unterschied ist, dass die Sakramentalien nicht göttlicher Einsetzung seien, sondern nur aufgrund besonderer Bedürfnisse

38 „Danach gehören drei Momente zum Begriff des Sakramentes: a) äußeres, d. h. sinnlich wahrnehmbares Zeichen der heiligmachenden Gnade; b) die Bewirkung der heiligmachenden Gnade; c) die Einsetzung durch Gott, näherhin den Gottmenschen Jesus Christus.“ Ott, Grundriss, 376 f. 39 Ott, Grundriss, 516. Die hierarchischen Gewalten umfassen laut Ott: Lehrgewalt, Hirtengewalt, priesterliche Gewalt – was dem dreifachen Amt Christi als Mensch entspricht: Lehrer/Prophet, Hirte/König, Priester. Dieses ‚dreifache Amt‘ wurde von Christus „mit entsprechenden Gewalten“ an die Apostel übertragen. Vgl. ebd., 320. 40 Vgl. ebd., 517. 41 Ebd., 519. 42 So z. B. wenn er auf den Weihespender zu sprechen kommt. Vgl. ebd., 522.

1.1 Ludwig Ott – klassische neuthomistische Schultheologie

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von der Kirche eingeführt wurden. Wie der Autor bemerkt: Das Decretum pro Armenis (DH 1310–1328), das die Lehre der meisten Scholastiker wiedergebe, sei „kein Gegenbeweis“, da es keine unfehlbare Lehrentscheidung darstelle. Das Konzil von Trient habe dagegen zu diesem Thema nicht eindeutig Stellung bezogen. Die Apostolische Konstitution Pius’ XII. Sacramentum ordinis aus dem Jahr 1947 halte lediglich Diakonat, Presbyterat und Episkopat für sakramentale Weihestufen.43 Nach dieser Klärung der Sakramentalität der einzelnen Weihen wendet Ludwig Ott seine Aufmerksamkeit den jeweiligen Weihestufen zu. Interessant ist die Abfolge seiner Ausführungen. So widmet er sich zuerst dem Presbyterat, an zweiter Stelle dem Episkopat und erst dann dem Diakonat. Diese aus heutiger Sicht ­unverständliche Reihenfolge könnte sich vermutlich aus der zu seiner Zeit immer noch zumindest in Ansätzen vorhandenen Unklarheit bezüglich der Sakramentalität des Episkopats und der vorkonziliaren Sicht des Diakonats, das lediglich als Durchgangsstufe auf dem Weg zur Priesterweihe betrachtet wurde, ergeben. Vor allem aber fällt auf, dass bei Ott das Priestertum vom Presbyterat her konstruiert wird und Episkopat lediglich als eine erweiterte Form desselben betrachtet wird. Dass die Weihe des Presbyterats ein Sakrament sei, wurde nie bestritten. Es ist vielmehr eine Lehre de fide. „Implicite“ – wie Ott schreibt – werde es in der Trienter Definition ausgedrückt: „Ordo ist ein wahres und eigentliches Sakrament.“44 Zur Zeit des Trienter Konzils bestand allerdings keine Einigkeit über die Sakramenta­ lität der Diakonats- und der Bischofsweihe. Erst Pius XII. legte eindeutig fest, dass beide Weihestufen sakramental sind, und bestimmte näher die Materie und Form beider Weihen.45 Für die Sakramentalität des Presbyterats wie auch der übrigen zwei Weihestufen spreche laut Ott aber vor allem der Ritus: Handauf­legung und Gebet, in denen die Gnade des Heiligen Geistes für die zu Weihenden herabgefleht wird.46 Dass die Weihe des Episkopats ein Sakrament ist, sei nach Meinung des Autors lediglich eine sententio certa – im Vergleich zur 43 Vgl. ebd., 517. 44 Ebd.; vgl. DH 1773. 45 Vgl. die oben erwähnte Apostolische Konstitution Sacramentum ordinis. 46 Vgl. Ott, Grundriss, 517 f.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

Sakramentalität des Presbyterats, die als de fide klassifiziert wird. Dafür spricht die auf dem Trienter Konzil festgehaltene Glaubensüberzeugung, dass Bischöfe als Nachfolger der Apostel mit Vorzug (praecipue) zum hierarchischen Stand gehören. So spreche der Bischof bei der Weihe die Worte „Accipe Spiritum Sanctum“ nicht vergeblich. Gerade Pius XII. setzte die Sakramentalität der Bischofsweihe voraus, obwohl sie von den meisten Scholastikern mit dem Argument verneint wurde, dass sie keine neue Gewalt über das Corpus Christi reale verleihe. Diese Sicht wurde durch das Argument entschärft, dass die Bischofsweihe jedoch die Vollmacht verleiht, die Konsekrationsgewalt anderen zu übertragen. Von der Mehrzahl nachtridentinischer Theologen wurde die Sakramentalität der Bischofsweihe bejaht.47 Mit Berufung auf 2 Tim 1,6 und 1 Tim 4,14, die sich unmittelbar auf den Episkopat beziehen, betont Ott erneut die Form der Spendung der Bischofsweihe durch die Handauflegung und das Weihegebet als das unmissverständliche Zeichen deren Sakramentalität. In diesem Zusammenhang wird auch das Thema des Vorrangs der Bischöfe innerhalb der von der Weihe begründeten Hierarchie thematisiert. Die Bischöfe seien „den Presbytern übergeordnet“ (de fide). Bestritten hätten diese Lehre Aerius von Sebaste (Altertum) und Marsilius von Padua (Mittelalter), Wyclif und Hus wie auch andere Reformatoren. Dagegen definiere das Konzil von ­Trient diesen bischöflichen Vorrang eindeutig. Er bezieht sich auf ­Jurisdiktions- und Weihegewalt, weil nur die Bischöfe ordentliche Spender der Firmung seien und weil nur sie andere ordinieren können. Gerade weil sie das „Priestertum fortpflanzen“ könnten, sei ihre Gewalt eine höhere Anteilnahme am Priestertum Christi und die Fülle der priesterlichen Gewalt.48 Schließlich kommt Ludwig Ott auch auf die Weihe des Diakons zu sprechen. Dass die Diakonatsweihe ein Sakrament ist, sei, ähnlich wie im Falle der Bischofsweihe, eine sententio certa. Wie aber das Trienter Konzil betont, werde bei ihrer Spendung nicht vergebens „Accipe Spiritum“ gesprochen. Pius XII. setze die Sakramentalität der Diakonatsweihe jedoch klar voraus, und die Tradition sieht die Einsetzung in Apg 6,6 (die Berufung der ersten Diakone).

47 Vgl. ebd., 518. 48 Vgl. ebd., 518 f.

1.1 Ludwig Ott – klassische neuthomistische Schultheologie

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Auch im Ritus der Spendung wird die sakramentale Struktur sichtbar: Handauflegung und Gebet um die Gnade des Heiligen Geistes.49 Ott spricht in Bezug auf das Diakonat auch von der „niedrigsten Stufe der Teilnahme an der priesterlichen Gewalt im Diakonat“. Die heutige Theologie spricht eindeutig von der Einheit der drei Stufen des Ordo, beim Diakonat allerdings auch darüber, dass es nicht um Priestertum geht und der Diakon nicht in persona Christi Capitis handelt. 50 Es kann also festgehalten werden, dass bei der Frage der Sakramentalität der Weihestufen immer im Wesentlichen wie folgt argumentiert wird: Als wichtigstes Argument wird nicht ein biblisches oder gar ein historisches Argument, sondern das des Ritus angeführt – nämlich die Handauflegung und das Gebet um die Gnade des Heiligen Geistes, in dem nicht vergeblich „Accipe Spiritum Sanctum“ gesprochen werde. Dies geschieht allerdings ohne auf die geschichtliche Entwicklung der Weiheliturgie und des Textes der Weihegebete Rücksicht zu nehmen.

1.1.5 Sakramentales Zeichen: Materie und Form Viel Raum wird der Klärung der typisch scholastischen Fragestellungen rund um das Weihesakrament gewidmet, die in manchem Detail akribisch bis übertrieben wirken. So behandelt Ott das Thema der äußeren Zeichen: Materie und Form der Weihe. Speziell wird dann, wie in fast allen anderen neuscholastischen Büchern dieser Zeit zu gegebenem Thema, die Frage der (Un-)Gültigkeit der anglikanischen Weihen erörtert. Dahinter steht eine Entscheidung von Papst Leo XIII. Er hat mit dem Apostolischen Schreiben Apostolicae curae 1896 die Ungültigkeit der Weihen, die innerhalb der anglikanischen Kirche gespendet wurden, erklärt und sie mit drei Argumenten begründet: defectus formae – da das Weiheformular Eduards VI. (1549) die als Form angesehenen

49 Vgl. ebd., 519. 50 Vgl. dazu die Reform des Codex Iuris Canonici durch Papst Benedikt XVI. in seinem Motuproprio Omnium in mentem vom 26. Oktober 2009. Diese Reform gründet auf den Darlegungen der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium, vor allem Nr. 29, welche das Thema Diakonat behandelt und die Apostolischen Konstitutionen sowie die Didaskalia zitiert, dass dem Diakon die Hände „nicht zum Priestertum, sondern zur Dienstleistung“ aufgelegt werden. Vgl. dazu auch KKK 875 f. und 1569 f.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

Worte „Accipe Spiritum Sanctum“ weder die Weihestufe noch die Gewalten der Weihestufe eindeutig bezeichne; defectus intentionis – es fehle die Intention, „die für das Priestertum wesentlichen Gewalten der Darbringung des Messopfers und der Sündenvergebung“ mitzuteilen; außerdem werde die Weihe von Erzbischof Mattäus Parker, von der die successio apostolica der anglikanischen Weihen abhängt, als unsicher betrachtet. 51 Ausführlich werden ausgesprochene Detailfragen behandelt. Zur Frage der Materie führt Ludwig Ott aus, dass für alle drei Weihestufen allein die Handauflegung die forma sacramentaria sei (de fide). Diese müsse „durch physische Berührung des Hauptes des Ordinanden geschehen“, ad validitatem genüge jedoch die Handausstreckung, also die moralische Berührung. 52 Für die Handauflegung als Materie des Sakramentes spreche die Schrift wie auch die Tradition. Eine Übergabe der Geräte (traditio instrumentorum), die während der Weihe vollzogen wird, sei nicht ad validitatem notwendig (de fide), obwohl die Mehrzahl der Scholastiker sie zur Materie zählte, da sie den Dienst jeweils versinnbildlichen. 53 Die Form (forma sacramentaria) bestehe allein in den Worten, welche die Handauflegung näher bestimmen (de fide). Damit ist die sogenannte Weihepräfation gemeint, in der „durch den Hinweis auf die Wirkungen des Sakramentes die Weihegewalt und die Gnade“ näher bestimmt werden. 54 Ott zählt genau auf, welche die wesentlichen sakramentalen Worte der jeweiligen Weihestufe sind: „Emitte in eum“ bis „roboretur“ (für Diakonat), „Da, quaesumus, omnipotens Pater“ bis „insinuet“ (für Presbyterat) und „Comple in Sacerdote tuo“ bis „sanctifica“ (für Episkopat). 55

1.1.6 Wirkungen des Sakramentes In Anlehnung an die Definition des Weihesakramentes beschäftigt sich Ludwig Ott mit den Wirkungen des Sakramentes und ­erläutert Fragen der Weihegnade, des Weihecharakters und der Weihegewalt. Dies alles geschieht selbstverständlich in den Be-

51 Vgl. Ott, Grundriss, 521. 52 Vgl. ebd., 519. 53 Vgl. ebd., 520. 54 Vgl. ebd. 55 Vgl. ebd.

1.1 Ludwig Ott – klassische neuthomistische Schultheologie

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griffen, der Systematik und der Denkweise der neuscholastischen Dogmatik. Der Ordo verleihe dem Empfänger die heiligmachende Gnade (de fide), die den Empfänger „zu würdiger Ausübung der Funktionen und entsprechendem Lebenswandel befähigt“. 56 „Mit der Vervollkommnung des Gnadenstandes empfängt der Ordinand das Anrecht auf aktuelle Gnaden, die künftighin zur Erreichung des Zweckes des Sakramentes notwendig sind.“57 Es sind hier z. B. die Konsekrations- oder Absolutionsgewalt beim Presbyter oder die Weihegewalt beim Episcopus gemeint. Das Weihesakrament prägt dem Ordinanden ein unauslöschliches Signum – Charakter („characterem indelebilem imposuit“, de fide) – ein. In diesem sakramentalen Charakter werden die Unwiederholbarkeit und die Unmöglichkeit einer Rückkehr in den Laienstand begründet. Zugleich befähige dieser Charakter zur aktiven Teilnahme am Kult, verähnliche den Geweihten mit Christus (signum configurativum), unterscheide ihn von den Laien (signum distinctivum), berechtige zur Ausübung der hierarchischen Gewalten (signum dispositivum) und „verpflichtet zur Ausspendung der Heilsgüter Christi und zum sittenreichen Lebenswandel“ (signum obligativum). 58 Bei den drei Weihestufen handle es sich um drei „verschiedene Signa, die jeweils den Taufcharakter überragen“, weil sie die aktive Teilnahme am Priestertum Christi bedeuten. 59 Durch die Weihe werde nicht nur eine Gnade, sondern auch eine dauerhafte geistliche Gewalt verliehen (de fide). Diese ist je nach Weihestufe unterschiedlich: Dem Diakon werde die Gewalt übertragen, Bischof und Priester bei der Eucharistie unmittelbar zu dienen und die Eucharistie zu spenden, dem Presbyter die Konsekrations- und Absolutionsgewalt und dem Episcopus die Ordinationsgewalt.60 Wiederum bleibt dem Episkopat lediglich die besondere Aufgabe der „Fortpflanzung des Ordo“. In allen anderen Angelegenheiten ist es dem Presbyterat gleich.

56 Ebd., 521. 57 Ebd., 521 f. 58 Vgl. ebd., 522. 59 Vgl. ebd. 60 Vgl. ebd.

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1.1.7 Weihespender und Weiheempfänger Als letzter Themenkomplex wird die Frage der Personen – des Weihespenders und des zu Weihenden – behandelt. Dabei wird, im Unterschied zu den heutzutage bekannten Diskursen, auffallend mehr Raum und Aufmerksamkeit der Frage des Sakramentenspenders gewidmet als der des Weiheempfängers. Es wird – wie in den neuscholastischen Dogmatiken üblich – ziemlich genau auf die geschichtlichen Details eines möglichen außerordentlichen Spenders der Weihe eingegangen. Das deutet darauf hin, dass die Frage nach den sogenannten Zulassungsbedingungen zum Weiheamt nicht als Problem im Raum stand und dass die Lehre, die Weihe könne nur ein getaufter Mann gültig empfangen, als unumstritten galt. Ott spricht – ähnlich wie z. B. bei den Sakramenten der Firmung61 und der Eucharistie62 – vom ordentlichen und außerordentlichen Spender des Weihesakramentes. In Übereinstimmung mit der Tradition und den Aussagen des Trienter Konzils schreibt Ott: Der ordentliche Spender der Weihe sei allein der gültig geweihte Bischof (de fide).63 Er führt für diese Lehre auch Argumente aus der Tradition an, indem er Hippolyt von Rom und die Apostolischen Konstitutionen mit den Worten zitiert, dass die Weihe dem Bischof vorbehalten sei und der Kleriker nicht weihe: „Der Priester legt zwar die Hände auf, aber nicht zur Weihe.“64 Auch ein häretischer, schismatischer, simonistischer oder exkommunizierter Bischof weihe gültig. Entscheidend dafür sei, dass er selbst gültig geweiht sei, die erforderliche Intention habe und den wesent­lichen äußeren Ritus einhalte.65 Der Autor beschäftigt sich auch mit kirchenrechtlichen Aspekten, die nicht als genuin dogmatisch betrachtet werden müssen. So

61 Vgl. ebd., 424 f. 62 Bei der Eucharistie unterscheidet Ott begrifflich zwischen dem ‚Vollzieher‘ und dem ‚Ausspender‘ der Eucharistie. Der Letztere wiederum kann ein ‚ordentlicher Ausspender‘ (Priester) oder ein ‚außerordentlicher Ausspender‘ (damals der Diakon) sein. Vgl. Ott, Grundriss, 456–467. 63 Vgl. Ott, Grundriss, 522: „Der ordentliche Spender aller Weihestufen, sowohl der sakramentalen als auch der nichtsakramentalen, ist allein der gültig geweihte Bischof. De fide.“ 64 Ott, Grundriss, 523. 65 Vgl. ebd.

1.1 Ludwig Ott – klassische neuthomistische Schultheologie

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schreibt er, dass zur Erlaubtheit der Weihen erforderlich sei, dass sie vom episcopus proprius gespendet werden oder von einem anderen Bischof mit dessen Genehmigung. Ähnlich erwähnt er mit einem eher juristischen Duktus, dass bei der Bischofsweihe drei Konsekratoren anwesend sein sollten (ad liceitatem), jedoch auch ein einziger gültig geweihter Bischof reiche (ad validitatem). Dabei wird das Wort Pius’ XII. zitiert, dass die zwei Mitkonsekratoren „nicht bloß Zeugen, sondern Mitvollzieher“ seien.66 Interessanterweise beschäftigt sich Ludwig Ott mit der Frage ­eines möglichen außerordentlichen Spenders mehr als mit der ­gerade geklärten Frage des ordentlichen Spenders. Der Autor ist Verfechter der Theorie, wonach auch ein einfacher Priester eine Weihegewalt als potestas ligata67 besitze. Aufgrund der Geschichte sieht er durchaus Parallelen zur Firmung.68 So hält Ott die Aussage, dass der Priester für die vier niederen Weihen und die Subdiakonatsweihe der außerordentliche Spender ist, für sententio certa. Er kann dazu ermächtigt werden, da es sich nur um eine kirchliche und keine göttliche Einsetzung handle. Bei den sakramentalen Weihestufen gab es in der Geschichte verschiedene Diskussionen. Die Mehrzahl der Theologen sei jedoch mit Thomas und Duns Scotus der Meinung, dass die Weihestufen Diakonat und Presbyterat „der einfache Priester auch nicht mit päpstlicher Bevollmächtigung gültig spenden kann“.69 Geschichtlich gebe es jedoch auch andere Ansichten – Ott spricht von Schwierigkeiten. Er erwähnt folgende drei Beispiele: Papst Bonifaz IX. verlieh im Jahr 1400, im Einklang mit der Überzeugung vieler mittelalterlicher Theologen, dem Abt des Augustinerklosters in Essex und seinen Nachfolgern „das Privileg, ihren Untergebenen sowohl die niederen Weihen als auch die Subdiakonats-, Diakonats- und Priesterweihe zu spenden“.70 Das Privileg wurde allerdings schon 1403 wieder zurückgenommen, die ge66 Vgl. ebd., 523 f. 67 Diese Theorie besagt, dass jedem Priester bei seiner Weihe mit der Priestergewalt auch die Konsekrationsgewalt verliehen wurde, die er aber nicht ausüben kann. Sie sei im Priester also als reale, jedoch gebundene Gewalt gegenwärtig. Das heutige Kirchenrecht kennt diesen Begriff wie auch den des außerordentlichen Spenders der Weihe nicht. Auch der dogmatischen Theologie ist dieser Begriff fremd. 68 Vgl. Ott, Grundriss, 524. 69 Ebd. 70 Ebd.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

spendeten Weihen jedoch weder wiederholt noch für ungültig erklärt. Papst Martin V. verlieh im Jahr 1427 auf die Dauer von fünf Jahren dem Abt des Zisterzienserklosters Altzelle das Privileg, seinen Mönchen alle Weihen, d. h. auch die höheren, zu erteilen. Papst Innozenz VIII. verlieh im Jahr 1489 dem Generalabt und den Protoäbten des Zisterzienserordens und ihren Nachfolgern das Privileg, die Subdiakonats- und Diakonatsweihe zu erteilen. Wie er erwähnt, machten die Zisterzienseräbte noch im 17. Jahrhundert ungehindert davon Gebrauch.71 So schließt Ludwig Ott dieses Thema mit folgender Überlegung, in der er die Theorie des Priesters als außerordentlicher Spender des Weihesakramentes auf diesem geschichtlichen Hintergrund begründet: Wenn diese Päpste nicht einem theologischen Irrtum ihrer Zeit zum Opfer fielen – womit aber die päpstliche Unfehlbarkeit nicht betroffen gewesen wäre –, heiße dies, dass auch der einfache Priester in analoger Weise außerordentlicher Spender der Diakonats- und Priesterweihe sei, ähnlich wie es bei der Firmung der Fall sei. So müsse, diesem Denken folgend, die Weihegewalt in der priesterlichen Weihegewalt als potestas ligata enthalten sein. Zur Gültigkeit einer solchen Weihe sei allerdings eine besondere päpstliche Bevollmächtigung notwendig – und zwar kraft positiver göttlicher Anordnung.72 Wie bereits gesagt, viel weniger Raum als diesem Thema – lediglich eine gute halbe Seite – wird der Frage des Empfängers eingeräumt. Heute ist es dagegen ein viel wichtigeres und spannungsreicheres Thema. Die Frage nach dem Spender wird in unserer Zeit kaum gestellt. Die Aussage, dass die Weihe nur von einem Getauften männlichen Geschlechts gültig empfangen werden kann, bezeichnet Ott erneut als sententio certa. Diese Lehre wird mit dem Verweis auf den CIC 1917, can. 986 § 1 begründet. Dies ist freilich keine dogmatische Quelle, sondern eine Rechtsnorm. Man könnte vielleicht diskutieren, ob es naturrechtlicher oder positivrechtlicher Grundsatz ist. Als Begründung einer Lehraussage scheint dieser Verweis gänzlich unzulänglich und methodologisch sogar falsch zu sein. Wie Ott weiter schreibt, beruhe diese Überzeugung „auf positivem göttlichem Recht“, Christus habe nur

71 Vgl. ebd. 72 Vgl. ebd.

1.2 Michael Schmaus – Neuscholastik mit Erneuerungsimpulsen

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Männer zum Apostolat berufen. Zeugnis der Schrift und beständige Praxis der Kirche seien eindeutig im Zeugnis für die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe.73 Kurz wird auch die Frage der Diakonissen angesprochen. Diese bildeten in der altchristlichen Kirche laut Ott einen besonderen Stand, der dem Klerus nahestand oder sogar dem Klerus zugerechnet wurde.74 Die Aufnahme erfolgte in einem eigenen Ritus: Handauflegung und Gebet. Es wurden ihnen aber keine priesterlichen Funktionen zuerkannt. Ihre Hauptaufgaben seien die Hilfe bei der Frauentaufe und die Pflege der Armen und Kranken gewesen. Wie spekulativ die neuscholastische Theologie ist, zeigt sich auch darin, dass Ott sogar die hypothetische Frage der Weihe eines getauften Unmündigen stellt. Diese wäre nach Ott gültig, aber nicht erlaubt. Ein Erwachsener müsse eine Intention haben, die Weihe empfangen zu wollen. Zur Erlaubtheit der Weihespendung gehöre die genaue Einhaltung der vorgeschriebenen Bedingungen. Zum würdigen Empfang wiederum sei der Gnadenstand notwendig.75

1.2 Michael Schmaus – Neuscholastik mit Erneuerungsimpulsen Michael Schmaus (geb. 1897 in Oberbaar bei Donauwörth, gest. 1993 in Gauting bei München), Priester der Erzdiözese München und Freising, studierte katholische Theologie in München und wurde am 29. Juni 1922 in Freising zum Priester geweiht. Im Jahr 1924 promovierte er bei Martin Grabmann in München mit der Arbeit Die psychologische Trinitätslehre des hl. Augustinus76 und hatte anschließend bis 1929 einen Lehrauftrag an der PhilosophischTheologischen Hochschule in Freising inne. Nach einem Studium in Rom im Jahr 1926 habilitierte er sich 1928 mit einer Arbeit zu Thomas von Aquin und Duns Scotus. Nach seiner Habilitierung

73 Vgl. ebd., 525. 74 Vgl. z. B. Apostolische Konstitutionen VIII 19 f. 75 Vgl. Ott, Grundriss, 525. 76 Erschienen in München 1927, 21967.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

war er Privatdozent in München, 1929 bis 1933 außerordentlicher Professor für Dogmatik an der Deutschen Universität in Prag und 1933 bis 1946 ordentlicher Professor in Münster. Seit 1946 war er lange Jahre Professor für Dogmatik in München, wo er Wesent­ liches zum Wiederaufbau der von den Nazis geschlossenen Fakultät beitrug. Er war mehrmals Dekan der theologischen Fakultät und 1951 bis 1952 sogar Rektor der Universität München. 1965 emeritierte Schmaus als Professor, blieb jedoch aktiv und nahm z. B. eine dreisemestrige Gastprofessur in Chicago wahr.77

1.2.1 Zum Werk Schmaus wird von manchen als Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils betrachtet, an dem er u. a. als Peritus für systematische und mittelalterliche Theologie teilnahm78 und laut manchen Autoren einen großen Einfluss ausübte.79 Wenngleich seine Dogmatik ganz in der neuscholastischen Weise des Denkens verankert ist, ist er mehr als andere Dogmatiker seiner Zeit bemüht, die Glaubenswissenschaft nicht als eine vollkommene, jedoch von der Konkretheit des Lebens isolierte Lehre zu betrachten.80 Das Neue seines Denkens ist also, dass er sich den Fragestellungen des modernen Menschen nicht verschließt. Er ist einer der wenigen Wissenschaftler der damaligen Zeit, der die Anregungen und Fragestellungen Romano Guardinis aufnahm und ihn immer wieder zitierte.81 Ein Markenzeichen ist auch die für ihn typische Reflexion der historischen Dimension der Theologie, worauf seine vielen Beiträge zu historischen Themen hindeuten wie auch Arbeiten seiner Dissertanten und Habilitanden, die fast ausschließlich den Themen der Patristik und des Mittelalters gewidmet sind.82 Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass er auch Impulse der Jugendund Bibelbewegung sowie der Liturgischen Bewegung in sein Werk einfließen ließ.

77 M anfred Eder , Schmaus Michael, in: BBKL 9, 322 f. und 325. 78 Vgl. LThK 3 9, 173. 79 Vgl. BBKL 9, 325. 80 So schreibt er selbst: „Dogmatik muss so sein, dass der Mensch auch spürt: hier geht es um sein Heil.“ Christ in der Welt vom 26. August 1983, 24. 81 Vgl. BBKL 9, 324. 82 Vgl. ebd., 323.

1.2 Michael Schmaus – Neuscholastik mit Erneuerungsimpulsen

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So wird seine Art, Dogmatik zu entfalten, als streng christologisch, eschatologisch ausgerichtet und mit einer ökumenischen Grundeinstellung und Betonung der Hierarchie der Wahrheiten charakterisiert. Sie zeichnet sich durch universelle theologische Weite aus, die auch den nichtchristlichen religiösen Überzeugungen eine Heilsbedeutung zumisst. 83 Sein berühmtestes Werk ist die fünfbändige Katholische Dogmatik84, die in seiner Münsteraner Zeit entstand und zum ersten Mal 1938 und später immer wieder, insgesamt in sechs Auflagen, erschien. 1969 wurde das Werk nochmals in einer völlig über­ arbeiteten Gestalt unter dem Titel Der Glaube der Kirche neu aufgelegt.85 Richard Weizmann schrieb, dass dieses Werk einen „theologischen Durchbruch und Umbruch von geradezu epochaler Bedeutung“ darstellte.86 Es war das erste dogmatische Lehrbuch, das nicht in einer für Laien unverständlichen Mischung aus Latein und Deutsch geschrieben war, sondern „streng an der Hl. Schrift und der Vätertradition orientiert die neuscholastische Theologie dieser Epoche in eine neue Sprache und Denkweise übersetzte, die die Adressaten wirklich erreichte und Theologie mit Verkündigung zu verknüpfen verstand“.87 Heribert Mühlen betont, es sei geschichtlich der erste Versuch, die Theologie in ihrer Gesamtheit „von der Ich-Du-Beziehung her“ neu zu durchdenken.88 Es gab aber auch deutlich kritischere Stimmen zu seiner Katholischen Dogmatik, die vom Standpunkt der Neuscholastik aus vor allem die Neuartigkeit des Ansatzes, der Sprache und auch der Methode kritisierten. Der erste Band wäre unter Pius XII. fast auf dem Index gelandet, wenn nicht sein Lehrer Grabmann ein mächtiges Wort für ihn eingelegt hätte.89

83 Vgl. ebd., 327. 84 Drei Bände in vier Teilbänden 1938–1941 ( 61960–1965 – hier fünf Bände in acht Teilbänden). 85 Vgl. BBKL 9, 322 f. 86 Zitiert in: ebd., 323. 87 Ebd. 88 Zitiert in: ebd., 324. 89 Vgl. ebd.

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1.2.2 Ratzinger und Schmaus – biografisch Joseph Ratzinger ist Michael Schmaus schon relativ früh begegnet – und das nicht nur durch sein Werk, sondern auch unmittelbar persönlich. In seinen autobiografischen Erinnerungen erwähnt er Schmaus bei der Aufzählung des Lehrkörpers an der theologischen Fakultät in München und betont, dass er „durch sein neu­ artiges Lehrbuch der Dogmatik weit über Deutschland hinaus ­bekannt geworden war“.90 Damit ist eben das Werk gemeint, dem in dieser Untersuchung auch unsere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Weiters schreibt Ratzinger, dass Schmaus „das neuscholastische Schema verabschiedet und eine lebendige Darstellung der katholischen Glaubenslehre aus dem Geist der Liturgischen Bewegung und der neuen Zuwendung zu Schrift und Vätern heraus geschrieben“ hatte.91 Das mag aufs Erste nicht damit übereinstimmen, dass Michael Schmaus in diesem Band zu den Vertretern der neuscholastischen Theologie gerechnet wird, doch ordnen ihn die meisten Autoren in diese theologische Schule ein. Wenn auch seine Sprache eine frischere und offenere als die von Ott ist und die Struktur seiner Untersuchung nicht mehr ganz im Schema des Dreischritts erstarrt ist, so bleibt die neuscholastische Art des Denkens bestimmend für seine Arbeit, und die dogmatische Dreischrittmethode wird zwischen den Zeilen immer klar sichtbar. Weiters gleicht auch seine Auswahl der zu behandelnden Themen bis auf kleine Details der Ludwig Otts. Alle diese Themen werden in Bezug auf das Priestertum nahezu in allen dogmatischen ­Büchern dieser Zeit behandelt.

1.2.3 Schmaus’ Neuansatz Bei unserer Untersuchung werden die Arbeiten von Schmaus und Ott in Beziehung gesetzt, damit sich dadurch ein Bild der Theologie vor dem Konzil ergibt. Da im ersten Teil die Konzeption Otts vorgestellt wurde, wird nun die Aufmerksamkeit nicht so sehr dem gewidmet, was bei Schmaus ähnlich oder sogar gleich ist, sondern vor allem dem, was diese Autoren unterscheidet und wo 90 Vgl. Aus meinem Leben, 54. 91 Ebd., 54 f.

1.2 Michael Schmaus – Neuscholastik mit Erneuerungsimpulsen

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man die entscheidenden Neuerungen in Schmaus’ Schaffen feststellen kann. Als erster Unterschied zu Ott fällt gleich der Beginn seiner Betrachtungen über das Priestertum und die Herangehensweise von Schmaus auf. Er beginnt sein Kapitel über das Sakrament der Priesterweihe mit einer langen Begründung, warum die Kirche überhaupt eines besonderen Priestertums bedürfe, die er unter den Titel stellt: Die Ordnung in der priesterlichen Gemeinschaft der Kirche als Grund und Voraussetzung eines besonderen Priestertums.92 Dass dem Kapitel eine solche Begründung vorangestellt wurde, ergab sich wohl aus den neueren Fragestellungen, die durch die Erneuerungsbewegungen entstanden sind und in Bezug auf die Ekklesiologie das Weihepriestertum nicht mehr eigenständig-isoliert inmitten der Kirche sahen, sondern viel stärker die Rolle der Laien und des allgemeinen Priestertums betonten.93 In den Arbeiten der klassischen Neuscholastik findet man diese Fragestellung nicht. Es wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass es ein Priestertum in der Kirche gibt. Es wird nur darüber nachgedacht, wo die Wurzeln dieses Priestertums zu finden sind, was sein Zweck in der Kirche ist, wie es sakramental erfasst werden kann u. Ä. Diese Begründungsfigur, mit der Michael Schmaus seine Betrachtungen zum Thema Priestertum eröffnet, scheint also neu und auch wichtig zu sein. Aus diesem Grund wird ihr hier gebührend Platz eingeräumt. Begrifflich spricht Schmaus immer wieder vom ‚besonderen Priestertum‘94 oder vom ‚Sakrament der Weihe‘95 und vermeidet Worte wie ‚Amtspriestertum‘ oder ‚Weihepriestertum‘. Damit wird der Zusammenhang mit dem ‚allgemeinen Priestertum‘ unterstrichen, wobei er auch diesen Begriff eher meidet. In diesem Sinne betont er in einem ersten Schritt den priester­ lichen Charakter des ganzen Volkes Gottes – also das allgemeine

92 Schmaus, Katholische Dogmatik IV/I, 571 f. 93 Dazu mehr bei Müller , In der Kirche Priester sein, vor allem 35–40 und 49 f. Diese Untersuchung scheint im Gegensatz zu ihrem Titel zwar etwas zu einseitig auf die Stellung der Laien in der Kirche und ihr Verhältnis zum geweihten Priester konzentriert zu sein, bietet jedoch eine gute Übersicht über die Entwicklungen der deutschsprachigen Theologie des 20. Jahrhunderts in Bezug auf dieses Thema. 94 Z. B. Schmaus, Katholische Dogmatik IV/I, 573. 95 Vgl. ebd., 590 f.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

Priestertum aller Getauften96 –, der eine Teilnahme „am priesterlichen Charakter Christi“ bedeute.97 Dabei sei und bleibe Christus der einzige Priester, der sein Priestertum in einem „vollkommenen und ein für allemal dargebrachten Opfer verwirklicht“. So sei in ihm das vorausgehende Priestertum des Alten Bundes „erfüllt und beendet“.98 Das Wesentlichste der priesterlichen Existenz sei die Darbringung des Opfers, da Christus selbst in seinem Kreuzesopfer „in das Allerheiligste, in das Gott vorbehaltene Geheimnis der Herrlichkeit des Vaters eingegangen ist“.99 So bestehe auch das allgemeine Priestertum aller Getauften darin, „geistliche, vom Hei­ ligen Geist geheiligte Opfer darzubringen“.100 Jedes Glied der Kirche sei also „zu priesterlichen Aufgaben befähigt und verpflichtet“.101 Dadurch treten die Gläubigen mit Christus und durch ihn „in das Allerheiligste, in das Mysterium des göttlichen Herrlichkeitslebens ein“.102 Wenn vom Priestertum in der Kirche die Rede ist, wie Schmaus in Anlehnung an die Tradition der Kirche betont, sei damit nicht ein Priestertum „neben dem Priestertum Christi“ gemeint, sondern „die Teilnahme an dem einzigen Priestertum des einzigen Priesters“ Jesus Christus.103 Allerdings ist die Kirche „das Werkzeug für das priesterliche Tun des Herrn“104, in ihr wirkt sich das einzige Priestertum Christi aus. Diese priesterliche Gemeinschaft der Kirche kann aber nicht ohne Ordnung leben. So lautet der zweite Schritt der Begründung der Notwendigkeit des besonderen Priestertums von Michael Schmaus. Dieser Bedarf an Ordnung wird einerseits begrifflich erfasst, wenn die Kirche als Volk, Leib, Tempel oder Haus bezeichnet wird und von den je eigenen Aufgaben eines jeden Gliedes gesprochen wird.105 Wörtlich schreibt er: „Christus hat um der Ord-

96 Vgl. dazu auch §§ 174 und 238 seiner Dogmatik. 97 Vgl. ebd., 571. 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Ebd., 572. 101 Ebd., 571. 102 Ebd., 572. 103 Vgl. ebd., 571. 104 Ebd. 105 Vgl. ebd., 572.

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nung willen, welche in der priesterlichen Gemeinschaft der Kirche, seines Leibes, herrschen soll, verschiedene Ämter gestiftet.“106 Schmaus legt anhand des Epheserbriefes das Bild des Hauses, das in Eph 4,11 f. auf die Kirche bezogen wird, allegorisch aus. Er spricht vom „tragenden Gerüst“ und von den „ausfüllenden Teilen“. Apostel und Propheten werden als der von Christus gelegte Grund, die Gläubigen als lebendige Steine bezeichnet.107 Das besondere Priestertum stellt er dann als ebendieses Gerüst der Kirche dar, das „der Ordnung im Ganzen“ dient, indem es besondere, für den Bestand der Gemeinschaft nötige und „ihm allein vorbehaltene“ Dienste leistet.108 So steht das besondere Priestertum nicht dem ganzen Organismus Kirche „gegenüber“, sondern vielmehr ist es selbst „ein Stück des geordneten Ganzen“.109 In diesem Sinne spricht er in Bezug auf das Priestertum vom „Sakrament der Ordnung und des Dienstes“.110 Im dritten Schritt seiner Begründung wird auf das Zeugnis der Schrift und der Überlieferung wie auch der kirchlichen Lehre hingewiesen, welche die „Verschiedenheit der Dienste kennen“, und der Frage nach dem Ursprung der Weihestufen nachgegangen. Dabei wird die Dauerhaftigkeit der Befähigung für den besonderen Dienst betont und auf die Stiftung der kirchlichen Ämter durch Christus hingewiesen.111 In diesem Moment spricht er zum ersten Mal in diesem Kapitel von ‚Ämtern‘, die „für den Bestand des Ganzen besonders bedeutungsvolle Dienste“ sichern.112 Er erwähnt auch die „verlorengegangenen Ämter“, die – da sie untergegangen sind – situationsbedingt waren. Es geht um die in den Paulusbriefen (z. B. 1 Kor 12,28 oder Röm 12,7 f.) als Sonderämter erwähnten Propheten, Lehrer, Evangelisten oder Hirten. Ihnen stünden die in der Schrift gut bezeugten und gebliebenen Ämter des Diakons und Presbyters (des Ältesten) bzw. des Episkopos gegenüber. Schmaus unterscheidet nicht die Entwicklungs­ geschichte dieser Begriffe und ihre unterschiedliche Herkunft,

106 Ebd., 575. 107 Vgl. ebd., 572. 108 Vgl. ebd. 109 Ebd., 573. 110 Ebd., 575. 111 Vgl. ebd., 573. 112 Ebd.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

obschon er erwähnt, dass die neutestamentlichen Ausdrücke presbyteroi und episkopoi noch nicht, wie die auf sie zurückgehenden heutigen Worte ‚Priester‘ und ‚Bischof‘, verschiedene Weihestufen bezeichnen.113 Er zitiert Ignatius von Antiochien, bei dem zum ersten Mal die Dreiteilung der Weihestufen (Diakon – Priester – Bischof) bezeugt ist.114 Geschichtlich begründet er die Entwicklung hin zur Zweiteilung Presbyter – Episkopos mit der Verbreitung des Glaubens von den Städten in kleinere umliegende Orte. Diesen ‚Tochtergemeinden‘, die abhängig von der Muttergemeinde blieben, wurden Presbyter geschickt, die ebenso vom Episkopos der Hauptgemeinde abhängig waren, aber doch in seinem Namen Eucharistie feiern konnten. „Was ihm sonst noch an Befugnissen übertragen wurde, hing von dem Willen des Episkopos der Muttergemeinde ab.“115 So wurde dem Presbyter in der Tochtergemeinde „nicht die Fülle des von Christus gestifteten Amtes übertragen“, sondern „nur ein Stück“.116 Dabei verstand sich die Kirche als „Vollstreckerin des Willens Christi und als Werkzeug des Heiligen Geistes“. So sieht Schmaus die Verselbstständigung des Presbyterats als eine „Aufgliederung nach unten“, und zwar durch „Einengung und Einschränkung aus dem ursprünglich gemeinsamen Episkopat“.117 Im letzten, vierten Schritt seiner Begründung klärt Schmaus die Frage der Gewalten, mit denen das Priestertum verbunden ist. Er unterscheidet zwischen der ‚Weihegewalt‘ und der ‚Leitungsgewalt‘, die er auch ‚Jurisdiktionsgewalt‘, ‚Regierungsgewalt‘ oder ‚Hirtengewalt‘ nennt. Diese Leitungsgewalt wird seiner Meinung nach „nicht durch die Weihe erteilt“, obwohl die Weihegewalt „in der Regel“ als Voraussetzung für die Teilnahme an der Kirchenleitung gilt. Doch bedarf es außer der Weihe noch einer „Bestellung für ein Amt der Leitungsgewalt“.118 Weiter unterscheidet er zwischen oberster (päpstlicher) und niedrigerer (bischöflicher) Hirtengewalt. Diese Schilderung geschieht in der Perspektive der Gewalten bzw. Amtsvollmachten, welche die Nachfolger der Apostel

113 Vgl. ebd., 574. 114 Vgl. ebd. 115 Ebd. 116 Ebd. 117 Ebd. 118 Ebd., 575.

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„nicht alle“ besaßen, wie z. B. „Unfehlbarkeit, Vollmacht über alle Gemeinden“, die aber bei der Weihe bis heute übertragen werden.119

1.2.4 Definition und Sakramentalität Michael Schmaus ist um eine Definition des Weihesakramentes bemüht, die wiederum die Perspektive der Gewaltenübergabe zum Weihe- und Segensdienst betont sowie die bleibende Befähigung zu diesem Dienst und die persönliche Repräsentierung Christi (er spricht von „symbolisieren“) in den Vordergrund stellt. Wörtlich schreibt er: „Die Weihe ist daher das Sakrament, durch welches einzelne Glieder in der kirchlichen Gemeinschaft zu besonderen, ihnen allein vorbehaltenen Diensten des Weihens und Segnens bleibend befähigt und verpflichtet werden, und zwar dadurch, dass ihnen eine besondere Ähnlichkeit mit Christus eingeprägt wird und sie daher in den Stand gesetzt werden, Christus in besonderer Weise zu symbolisieren.“120

Hiermit wird auch der Unterschied zwischen Klerikern und Laien begründet, der „die Kirchenverfassung beherrscht“.121 Mit dieser Feststellung schließt seine Begründung der Notwendigkeit eines besonderen Priestertums in der Kirche ab. Es kann festgehalten werden, dass die Frage der Verortung des Weihepriestertums im Ganzen der Kirche und seines Verhältnisses zu den nichtordinierten Kirchengliedern im Hintergrund dieser Ausführungen spürbar ist. Das wiederum ist eine Frucht der neuen Anfragen an das geweihte Amt, die durch die Erneuerungsbewegungen vor allem im Bild der Kirche entstanden sind und die durch die theologischspirituelle Situation in der Kirche am Vorabend des Konzils immer deutlicher werden. Seine weiteren Ausführungen werden in sechs Themenabschnitte gegliedert, die mehr oder minder gleich sind mit den Themenbereichen bei Ludwig Ott, freilich mit eigenen Akzenten und unterschiedlichem Umfang.122 So nennt Schmaus seine Kapitel wie folgt: 119 Vgl. ebd. 120 Ebd. 121 Vgl. ebd. 122 So behandelt Schmaus in seinen Ausführungen zuerst die Frage der Personen (Spender und Empfänger des Weihesakramentes) und dann als letztes Thema die Wirkungen des Sakramentes. Ludwig Ott geht umgekehrt vor.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

1. Die Existenz des Sakramentes der Weihe (§ 279), 2. Die verschiedenen Weihestufen (§ 280), 3. Das äußere Zeichen (§ 281), 4. Der Spender des Weihesakramentes (§ 282), 5. Der Empfänger der Weihe (§ 283), 6. Die Wirkungen des Weihesakramentes (§ 284).123 Im Abschnitt Die Existenz des Sakramentes der Weihe geht es um die Sakramentalität des Weihesakramentes und seine Verankerung in Schrift und Tradition. Dabei unterstreicht Schmaus deutlicher und umfangreicher als Ott die Tatsache, dass auf dem Konzil von Trient diese Lehre ausdrücklich gegen die reformatorischen Lehren definiert wurde, konkret gegen die Überzeugung von Calvin, dass die Weihe „nur eine Übertragung von Lehrbefugnissen durch das Volk“ darstelle, und die Lehre von Luther, dass sie „eine feierliche Einführung in das Predigtamt“ sei.124 Dagegen berufe sich das Tridentinum „mit Recht“ auf die Schrift, dass Christus „den Aposteln und ihren Nachfolgern priesterliche Gewalten“ übertragen habe, die vor allem „die Vollmacht, das Gedächtnis seines Leidens zu begehen und die Sünden nachzulassen“, umfassten. Im Gegensatz zu Ott betont Schmaus, dass diese Übertragung der Gewalten seitens des Herrn „ohne sakramentales Zeichen“ geschah, dieses werde jedoch gleich bei der Übertragung der Gewalten seitens der Apostel sichtbar.125 Er sieht, ähnlich wie Ott, das Weihesakrament als sicher in den paulinischen Briefen (vor allem in 1 Tim 4,14; 5,22 und 2 Tim 1,6) bezeugt.126 Das sakramentale Zeichen bestand in Handauflegung und Gebet.127 In der patristischen Tradition werde „sowohl die Existenz des kirchlichen Amtes als auch sein Zustandekommen durch einen sakramentalen Ritus bezeugt“.128 Die Väter werden zitiert, unter ihnen auch Gregor von Nyssa mit seiner Parallele zwischen Eucharistie/Altar und Weihe, in der die Absonderung des Priesters betont wird. Die Zitate sind bei Schmaus jedoch länger und werden mehr im Kontext ausgeführt.

123 Vgl. dazu die Gliederung bei Ott oben S. 22. 124 Vgl. Schmaus, Katholische Dogmatik IV/I, 577. 125 Dazu führt er das Beispiel der Erwählung der Diakone Apg 6 sowie den Text Apg 13 an, der aber auch laut Schmaus nur schwerlich als „Weihetext“ bezeichnet werden kann. Vgl. Katholische Dogmatik IV/I, 575. 126 Vgl. ebd., 578. 127 Vgl. ebd., 577. 128 Ebd., 578.

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1.2.5 Weihestufen und sakramentales Zeichen Viel Raum wird auch hier der Frage der verschiedenen Weihestufen gewidmet. Schmaus stellt fest: „Das Weihesakrament ist nur eines. Aber es hat verschiedene Stufen.“129 Ein ‚Mehr oder Weniger‘ sei bei anderen Sakramenten nicht möglich, die Stufung bei der Weihe jedoch sei von Christus selbst vorgesehen und bereits in der Apostelzeit sichtbar. In diesem Zusammenhang bietet Schmaus eine interessante Begründung des Weihesakramentes, die sich an der Eucharistie orientiert: „Über die Art und Weise, in welcher die einzelnen Weihestufen an dem einen Weihesakrament teilnehmen, entscheidet ihre Beziehung zur Eucharistie“130, die selber die Mitte des kirchlichen Lebens sei.131 Demnach ist die Realität des Priestertums als selbstständiges Sakrament in der Zentralität der Eucharistie für die Kirche zu suchen. Die Eucharistie wird hier verstärkt als Feier der Gemeinschaft der ganzen Kirche und nicht nur als „fertiges“ Sakrament der realen Gegenwart Jesu oder als Opfer gesehen. Sie ist auch keine reine Priestersache mehr, sondern die Feier der ganzen Kirche: Priester und Laien nehmen an der Feier teil, wobei die genaue Bestimmung der Unterschiedlichkeit dieser Teilnahme eher ausbleibt, worauf die Verwendung des Wortes „irgendwie“ hindeutet: „Irgendwie nehmen alle Getauften und Gefirmten an der Begehung des Herrenleidens teil.“132 Der Unterschied der Teilnahme bestehe in der „Mächtigkeit“, in der die einzelnen Kirchenglieder als „Werkzeuge“ von Christus verwendet werden. Am Ende der Begründung kommt Schmaus jedoch wieder auf die Ordnung des kirchlichen Lebens zu sprechen. Von den höheren Weihen sei die Priesterweihe „als die Mitte, als das Herzstück des einen Weihesakramentes“ zu betrachten, wobei die Vorrangigkeit (er spricht auch von „Erhabenheit“) der Bischöfe vor den Priestern vielleicht noch stärker als bei Ott unterstrichen wird.133 129 Ebd., 579. 130 Ebd. 131 Vgl. ebd., 580. Man kann hier auch eine gewisse Vorwegnahme der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils sehen, das die Zentralität der Eucharistie betont und sie „culmen et fons totius vitae christianae“ (LG 11) nennt; vgl. dazu auch SC 7. 132 Schmaus, Katholische Dogmatik IV/I, 580. 133 Vgl. ebd., 581.

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Die Bischofsweihe verleihe die Fülle der priesterlichen Gewalten, wobei die Befähigung zur Weitergabe dieser Vollmachten die wichtigste sei. Als „umstritten“ bezeichnet er die auch bei Ott erwähnte Frage, ob die Bischofsweihe „im vollen Sinne ein Sakrament“ sei, da sie in Bezug auf die Eucharistie keine höhere Macht mehr verleihe.134 Schmaus vermeidet es, in dieser Frage klar Stellung zu beziehen, und erwähnt, dass sich bei den neueren Theologen eher die Einsicht durchgesetzt habe, dass die Bischofsweihe „nicht nur in der Weise eines Sakramentales, sondern in jener eines Sakramentes an dem Weihesakrament teilnimmt“.135 Die Diakonatsweihe ist für ihn lediglich „die Vorstufe zur Priesterweihe“, da sie vor der Wiederbelebung des ständigen Diakonats durch das Zweite Vatikanum nicht als selbstständige Weihestufe wahrgenommen wurde. Den Diakon nennt er „außerordentlicher Spender der feierlichen Taufe und der Spender der Kommunion“136, wobei gilt, dass der Diakon heute als ordentlicher Spender dieser Sakramente bezeichnet wird. Vom 3. Jahrhundert an kamen zu den höheren Weihestufen noch fünf weitere, niedere Stufen dazu: „der [sic!] Subdiakonat, der Akolythat, der Exorzistat, der Ostiariat, der Lektorat“. Er begründet diese Entwicklung wiederum mit der Ordnung der gottesdienstlichen Feier.137 Die höheren und die niederen Weihen werden also in diesem Kontext der Ordnung der Kirche als societas perfecta und als Leib Christi gesehen. Konkreter sei ihre Existenzbegründung in der Ordnung des Gottesdienstes zu finden. Es kann allerdings festgehalten werden, dass es nicht wirklich überzeugend und auch ausreichend wirkt, wenn die auf Christus zurückgehenden Ämter (Episkopat, Presbyterat und Diakonat) und die von der Kirche eingeführten Ämter mit den gleichen Argumenten begründet werden. In § 281 erläutert Michael Schmaus im Sinne des scholastischen Ansatzes das Thema des äußeren Zeichens, wobei seine Ausführungen in keiner Weise über das von Ott bereits Gesagte hinausgehen. Er stellt fest, dass bis zur Regelung Pius’ XII. vom 30. No-

134 Vgl. ebd. 135 Ebd., 582 f. 136 Ebd., 583. 137 Vgl. ebd., 583 f.

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vember 1947138 keine Klarheit bezüglich der Frage herrschte, ob zum sakramentalen Zeichen nur die Handauflegung (und welche der Handauflegungen) und das Weihegebet gehören oder auch die traditio instrumentorum bzw. die Salbung der Hände. Er weist auf den Ablauf des Weiheritus hin und betont, dass der heutige Ritus139 ein Ergebnis der „Verschmelzung des altrömischen und des gallikanischen Brauchs“ sei.140 Die Mehrzahl der Theologen vertrete jedoch in Übereinstimmung mit der Schrift, in der nur von der Handauflegung die Rede ist, die Meinung, „dass die Handauflegung, und zwar die erste, das wesenhafte und unentbehrliche Tun ist“, durch das das Sakrament zustande komme.141 Es wird aber auch das Decretum pro Armenis erwähnt, in dem die Überreichung der heiligen Geräte vorkommt, und die Praxis der Ostkirchen, in denen „die Weihe im Allgemeinen nur durch Handauflegung“ gespendet werde.142 Die anderen Gebete und Handlungen innerhalb des Weiheritus seien „gnadenvermittelnde Ausdeutungen dessen, was die Handauflegung bewirkt“ habe.143 Als Form werde schon in der Schrift ein Gebet genannt, „ohne dass sein Wortlaut näher mitgeteilt wird“, das später mit dem Konsekrationsgebet verbunden wurde. Mit der Entscheidung Pius’ XII. sieht Schmaus „die alte Streitfrage entschieden“, ob nicht auch die traditio instrumentorum zum Wesen der Weihe gehöre. Grundlage für diese Entscheidung sei die der Kirche „bezüglich der Sakramente eignende hoheitliche Gewalt“.144

1.2.6 Weihespender und Weiheempfänger Wie oben erwähnt, widmet Michael Schmaus, bevor er auf die Wirkungen des Weihesakramentes zu sprechen kommt, seine Aufmerksamkeit den Personen, also dem Spender und dem Emp-

138 Gemeint ist hier die Apostolische Konstitution Sacramentum ordinis von Papst Pius XII. Vgl. AAS 40 (1948) 5–7. 139 Gemeint ist selbstverständlich der Weiheritus vor der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil von Paul VI. durchgeführten Reform des Pontificale Romanum von 1962. 140 Vgl. Schmaus, Katholische Dogmatik IV/I, 587. 141 Vgl. ebd. 142 Vgl. ebd. 143 Vgl. ebd., 588. 144 Vgl. ebd.

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fänger der Weihe. Auch bei ihm findet man als erste Feststellung das Dogma des Trienter Konzils, dass der konsekrierte Bischof der ordentliche Spender der Weihe in allen ihren Abstufungen sei.145 Ganz kurz erwähnt er als Tatsache, dass der außerordentliche Spender „für bestimmte, besonders für die niederen Weihen“ mit besonderer Ermächtigung des Apostolischen Stuhls ein einfacher Priester sein könne.146 Diese Formulierung weist darauf hin, dass auch er zur Theorie der potestas ligata neigt, dass die Weihegewalt bereits in der Priesterweihe, jedoch als gebundene Gewalt, enthalten ist. Argumente dagegen findet er in der Schrift, in der bei der Weitergabe des Amtes „die Handauflegung des Apostels entscheidend [ist], während jene des Presbyteriums nur begleitende Bedeutung gehabt zu haben scheint“147, und bei den Kirchenvätern und den altchristlichen Liturgien, dass es der Bischof sei, der die Weihe vornimmt. Auch er bringt das gleiche Zitat aus den Apostolischen Konstitutionen wie Ott, wenn auch in einer längeren Form. Für die Theorie sprächen wiederum Huguccio und andere mittelalterliche Theologen wie auch die bereits bei Ott genannten Beispiele der päpstlichen Bevollmächtigung der Äbte zur Spendung der Weihen.148 Die päpstliche Ermächtigung entbinde also das, was in der Priesterweihe „im gebundenen Zustand vermittelt wird“. Diese Erklärung sei allerdings im biblischen Kontext der Entstehung des Priesteramtes zu sehen. Schmaus hielte sie nämlich dann für nicht unmöglich, „wenn die Geschichte des Priestertums sich als eine Ausgliederung aus dem in der apostolischen Zeit bezeugten Kirchenamt erwiese“.149 So sei die Handauflegung der Priester bei der Priesterweihe, die schon bald bezeugt wird, eine wirksame Begleitung des bischöflichen Tuns, das aber allein konstitutiv sei. Interessanterweise untermauert er diesen Gedankenschluss mit dem Beispiel des Wirkens des Papstes und des

145 Vgl. DH 1768 und 1777. Im Vergleich zu Ludwig Ott vermeidet Schmaus hier das Wort „nur“ – „nur der konsekrierte Bischof“ (vgl. oben S. 32) – und wählt eine offenere Formulierung: „Der ordentliche Spender der Weihe […] ist der konsekrierte Bischof.“ 146 Vgl. Schmaus, Katholische Dogmatik IV/I, 588. 147 Ebd., 590. Als relevante Bibelstellen führt er folgende Stellen aus den paulinischen Briefen an: 1 Tim 3,1–13; 4,14; 5,22; 2 Tim 1,6; Tit 1,5–9. 148 Von allen geschichtlichen Beispielen führt Schmaus lediglich den Fall des Papstes Bonifatius IX. aus dem Jahr 1400 an. 149 Schmaus, Katholische Dogmatik IV/I, 591.

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Konzils, das freilich nicht ganz unproblematisch zu sein scheint: „Der Papst vermag ohne Konzil eine unfehlbare Lehrentscheidung zu treffen. Das allgemeine Konzil hingegen ist ohne Papst zu einer solchen nicht fähig.“150 Ganz kurz wird auch die Frage der Gültigkeit der anglikanischen Weihen erwähnt. Viel ausführlicher als Ludwig Ott beschäftigt sich Michael Schmaus mit dem Empfänger der Weihe, was darauf hindeuten könnte, dass diese Fragestellung langsam an Brisanz gewonnen hat. Dass die Weihe Getauften männlichen Geschlechts vorbehalten wird, belegt er mit einem Verweis auf den CIC (1917) und auf die Schrift, die Überlieferung und den „beständigen kirchlichen Brauch“. Der letzte Punkt weist darauf hin, dass man diese Frage nicht durch punktuelle Sicht klären kann, sondern die lebendige Tradition der Kirche vor Augen haben muss.151 Dieser Gedanke war bei Ott so nicht zu finden. 1.2.6.1 Die Frage der weiblichen Diakone Ausführlich setzt Schmaus sich auch mit der Frage auseinander, ob es „im christlichen Altertum und im frühen Mittelalter auch weibliche Kleriker gab“, also mit der Frage der Diakonissen, der er mit großer Offenheit und Genauigkeit nachgeht.152 Wie er schreibt, erwähnt Röm 16,1 ausdrücklich eine Diakonisse (Phöbe von Kenchreä) und 1 Tim 3,11 andere unter den Diakonen genannte Frauen. Dabei betont Schmaus, dass diese Gruppe mit der Kategorie der Witwen zusammenfalle. Viel Raum wird in seiner Untersuchung der altchristlichen Literatur gewidmet. So schreibt er: Im 3. Jahrhundert wurde das Amt kirchenrechtlich gefestigt, und seine Aufgaben wurden vor allem im liturgischen Dienst (Salbung der Frauen bei der Taufe, Türdienst u. Ä.) erweitert. Trotzdem betrachtete man weibliche Diakone bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts nicht als Kleriker, wie das Konzil von Nizäa beweist, das besagt, dass die Diakonissen „überhaupt keine Weihe besitzen, so dass sie ganz und gar den Laien zuzuzählen sind“.153 Seit dem Ende des 4. Jahrhunderts werde den Diakonissen jedoch eine bestimmte Weihe erteilt, was 150 Ebd. 151 Vgl. ebd., 592. 152 Vgl. ebd., 592 f. 153 Vgl. Kanon 19 des Konzils von Nizäa, zitiert in: ebd., 592.

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die Didaskalia in Kapitel 16 bezeuge. Der Diakon sei Abbild Christi, die Diakonissin dagegen Abbild des Heiligen Geistes. Die Weihetexte im achten Buch der Apostolischen Konstitutionen scheinen das gleiche äußere Zeichen für die Diakone wie auch für die Diakonissen zu bezeugen, so dass „man entweder beide Weihen als Sakramente bezeichnen muss oder keine als Sakrament ansehen kann“.154 Im gleichen Buch findet Schmaus allerdings auch Argumente, warum man die Diakonissen nicht dem „durch die sakramentale Weihe begründeten, in den drei Stufen […] aufsteigenden Priesterstande beizählen“ könne: Die Diakonissen werden nämlich von den dem Diakon zustehenden Dienstleistungen ausgeschlossen.155 In den Apostolischen Konstitutionen heißt es: „Der Diakon weiht nicht und erteilt nicht den Segen, aber er empfängt ihn vom Bischof und Priester, er tauft nicht und opfert nicht, aber vom Opfer des Bischofs oder Priesters teilt er dem Volke mit, nicht als Priester, sondern im Dienste der Priester. […] Die Diakonissin segnet nicht und tut überhaupt nichts von demjenigen, was die Priester und Diakone tun, sondern hat die Kirchentüren zu bewachen oder des Anstandes wegen den Priestern bei der Taufe der Frauen zu dienen.“156

Weiters werde die Aufsicht über die Frauen während der Liturgie nicht von den Diakonissen, sondern von den Diakonen und Sub­ diakonen ausgeübt. So schließt er, dass die Diakonissen wohl den niederen Weihen zuzuordnen sind, die nicht einen sakramentalen Charakter haben, wohl aber als Sakramentalie zu betrachten seien. „Als die Kirche aus dem Missionsstadium herauswuchs, als vor ­allem die Erwachsenentaufe aufhörte, starb das Diakonissenamt allmählich ab.“157 Schmaus bleibt aber nicht bei der historischen Argumentation stehen, sondern ist bemüht, einen inneren Grund zu nennen, warum die Weihe nur Männern vorbehalten ist. Diese Argumenta­ tionslinie fällt jedoch eher weniger überzeugend aus. Er schreibt zwar, dass der Grund „nicht in der natürlichen Unfähigkeit der Frau für den priesterlichen Beruf zu sehen“ sei, dann aber fügt er hinzu, dass es eher „dem Wesen des Mannes entsprechende 154 Ebd., 593. 155 Vgl. ebd. 156 Apostolische Konstitutionen VIII, zitiert in: ebd., 593 f. 157 Ebd., 594.

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Aufgaben des Priestertums“ seien, die entscheiden. Anschließend argumentiert er mit dem Werkzeug-Sein Christi, zu dem die Weihe befähigt, und betont, dass jener, „der Christus in einer besonderen Weise als Werkzeug dient, auch an seiner natürlichen Eigenart teilnehmen“ solle.158 Dieser habe aber die menschliche Natur als Mann angenommen, wenn auch Gott jenseits aller geschlecht­lichen Verschiedenheiten stehe. Schließlich bringt er zwei eher spärliche Argumente: erstens, dass der Priesterdienst in der Öffentlichkeit ausgeübt werde, die aber „der Wirkraum des Mannes“ sei, während die Frau „im Verborgenen“ wirke; zweitens, dass das männliche Element mehr dem Charakter der Sendung Christi entspreche, der Welt das verlorene Leben wiederzubringen, wobei „Leben zu zeugen Mannessache“ sei. Sache der Frau sei es vielmehr, „das Leben aufzunehmen und zu hegen“.159 Er vergisst auch nicht zu betonen, dass die Beschränkung der Weihe auf den Mann nichts mit der „Herrschaft des Mannes“ zu tun habe und „keine Zurücksetzung oder Minderberechtigung der Frau in der Kirche“ und „keine Rangverschiedenheit im Reich Gottes“ bedeute, sondern „nur Ausdruck für die Verschiedenheit“ zwischen Mann und Frau und ihren Aufgaben sei.160 Schließlich muss Schmaus dennoch zugeben, dass das „Vorbehaltensein dieses Dienstes für den Mann wie jedes Geheimnis des Gottesreiches nur im Glauben recht gewürdigt werden“ könne.161 Dabei hält er fest, dass „nicht die amtliche Gewalt über die Innigkeit der Gottesgemeinschaft entscheidet, sondern ausschließlich die Kraft der opferbereiten Liebe“.162 1.2.6.2 Zölibat Michael Schmaus kommt im Kontext des Weiheempfängers im Gegensatz zu Ludwig Ott auch auf die Frage des Zölibats zu sprechen. Dieser sei für den Priester zwar nicht notwendig, sehr wohl aber angemessen, weil er der Lebensweise Christi entspreche. Der Priester, der „amtliches Werkzeug Christi“ sei, habe „keinen anderen Daseinssinn als den, Christus als Werkzeug zu dienen“, und 158 Ebd. 159 Ebd., 594 f. 160 Vgl. ebd., 595. 161 Vgl. ebd., 594. 162 Ebd., 595.

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so sei es angemessen, dass der Priester in seiner Gesinnung in seinen Daseinssinn „ganz eingeht“.163 Außerdem erinnere der ­ Priester durch seine Lebensweise, die durchaus mit Lebensopfer zu tun habe, dass er „göttliches, vom irdischen Leben verschiedenes“ Leben zu vermitteln habe. So trage die zölibatäre Lebensform auch eschatologische Züge in sich. Dieser Verzicht geschehe richtig aber nur „um der Liebe zu Christus und zur kirchlichen Gemeinschaft willen“. Der Zölibat könne auch „nur im Glauben an Christus und das von ihm gebrachte Leben“ gewürdigt werden.164

1.2.7 Wirkungen des Weihesakramentes Die Wirkung des Weihesakramentes ist das letzte Thema, das von Michael Schmaus in diesem Zusammenhang behandelt wird. Dieser Teil zeigt am stärksten den neuen Zugang des Autors. Die Wirkungen des Weihesakramentes werden verstärkt in der existen­ tiellen Perspektive der persönlichen Gottesbeziehung des zu Weihenden und nicht wie bei Ott in den unpersönlichen Kategorien der eher kalten theologischen Spekulation gesehen.165 Die Wirksamkeit des Weihesakramentes sei nach Schmaus schon im sakramentalen Zeichen der Handauflegung sichtbar: die Mitteilung des Heiligen Geistes und seiner Gnade, die Befähigung zum Versöhnungsdienst und zur Darbringung des Messopfers und die Besitzergreifung der ganzen Person durch Christus und die Kirche, die den Geweihten für immer zum Werkzeug Christi im Dienst des Hauptes und seiner Glieder befähige.166 Dies alles geschehe in der Weihe in einer besonderen Weise der Christus­ begegnung, welche die Christusbildlichkeit und die Christusverbundenheit des Priesters begründe. Christusbildlichkeit (auch Christusähnlichkeit) bedeute, dass er „die Fähigkeit gewinnt, die Rolle Christi zu spielen“, und da sich in Christus der Vater zeige, auch „die Rolle des Vaters“.167 Die Weihe drücke wie Taufe und Firmung dem Empfänger ein besonderes Christussiegel auf. Damit ist der sakramentale Charakter ge-

163 Ebd. 164 Ebd., 596. 165 Vgl. oben S. 31. 166 Vgl. Schmaus, Katholische Dogmatik IV/I, 596. 167 Ebd., 597.

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meint.168 Durch die Weihe werde die bereits in der Taufe vermittelte Christusähnlichkeit „weiter entfaltet und mit neuen Zügen ausgestattet“. So sei die Taufe die Grundlage der Weihe, und das in ihr verliehene allgemeine Priestertum werde in der Weihe „fortgeführt und vollendet zum Amtspriestertum“.169 Die Christusähnlichkeit, die unverlierbar sei, bestehe auch darin, dass „der Geweihte Christus gleichgestaltet“ werde. Der Geweihte sei also „nicht nur in stärkerer, sondern vor allem in andersartiger Weise Bild Christi als der nicht Geweihte“, denn in ihm „stellt sich Christus selbst dar“.170 „Die Weihe ist daher eine Offenbarung Christi in der Kirche.“171 Diese Andersheit der Gleichgestaltung des Geweihten bewirke auch, dass er „anders als ein Getaufter in der kirchlichen Gemeinschaft“ stehe, nämlich sie repräsentiere: „Weil die Kirche aus dem priesterlichen Opfer ihres Hauptes lebt und sich täglich daraus erneuert, wird in dem, welcher der ganzen Gemeinschaft als Werkzeug für die Darbringung des Opfers dient, die ganze Gemeinschaft zusammengefasst.“172 Der Priester stelle also auch die Kirche dar und könne „sowohl in der Person Christi als auch in der Person der Kirche handeln“.173 So sei er als Werkzeug Christi dazu befähigt und verpflichtet, sich von Christus als Werkzeug gebrauchen zu lassen. In dieser „Ermächtigung und Verpflichtung zu besonderen Diensten“ sieht Michael Schmaus auch die Hauptwirkung des Weihesakramentes.174 Wenn er über die Christusverbundenheit spricht, ist wiederum verstärkt der neuscholastische Dogmatiker, der in Schemata denkt, spürbar. So liest man: Die Christusverbundenheit, die durch das Weihesakrament verstärkt werde, bedeute „eine verstärkte Teilnahme am dreipersönlichen göttlichen Leben und eine Steigerung des den begnadeten Menschen durchstrahlenden Glanzes der göttlichen Herrlichkeit“.175

168 Vgl. oben S. 31. 169 Schmaus, Katholische Dogmatik IV/I, 597. 170 Ebd., 597 f. 171 Ebd., 598. 172 Ebd. 173 Ebd. 174 Vgl. ebd., 599. 175 Ebd.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

Anders wirkt seine Sprache allerdings, wenn er weiters das Thema der Befähigung zum priesterlichen Dienst erläutert, die ebenfalls zu den Wirkungen des Weihesakramentes zählt. Dieser Dienst sei ein besonderer, da er „eine Teilnahme an jenem Dienst ist, den Christus in seinem Leben vollzog“.176 Dieser aber bestand in der Hingabe seines eigenen Lebens „als Lösegeld für die vielen“ (vgl. Mk 10,41–45). Die priesterliche Würde bestehe darin, dass er „zum Dienst am Herrlichkeitsleben Christi“ berufen sei: „Eine ­andere Gewalt oder Würde gibt es für ihn nicht.“177 In dieser Per­ spektive sei der Priester aus der eigenen Weihe heraus ein selbst­ loser Diener anderer, nicht seines eigenen Seelenheiles, wie schon Thomas betonte.178 Er dürfe sich also nicht als Herr der ihm anvertrauten Heilsgeheimnisse begreifen, denn ihr einziger Herr sei Christus, der selbst im Dienst des Priesters wirke. Er sei nicht dazu qualifiziert, „übernatürliche, dem nicht Geweihten nicht mögliche Wirkungen“ hervorzubringen. Vielmehr sei es Christus selbst, der diese besitze.179 Schmaus betont, dass genau diese Tatsache eine scharfe Trennungslinie „zwischen dem Priester und dem Zauberer in den Naturreligionen“ ziehe und dem Priester in der Weihe „keine geheimen, unbekannten, magischen Kräfte“, die nur er besitze, vermittelt würden.180 Immer wieder wird diese Christuszentralität betont und hervorgehoben. Der Dienst des Priesters sei ein Dienst am Leben, „und zwar am übernatürlichen Leben“. Das sei auch der Grund, warum das Verständnis des priesterlichen Dienstes „dem rein innerweltlichen Denken vollständig verschlossen bleiben“ müsse.181 Schmaus wird nicht müde zu akzentuieren, dass es letztlich Christus sei, der im Tun des Priesters das Heil wirke, und so könne „ein schlechter Diener die Heilswirksamkeit seines Dienstes nicht hindern“.182 Diese Aussage, die mit einem Zitat des Augustinus begleitet wird, könnte auch im Kontext der Wirksamkeit der Sakramente ex opere

176 Ebd. 177 Ebd., 600. 178 Vgl. ebd., 599 f. 179 Vgl. ebd., 600. 180 Vgl. ebd., 601. 181 Vgl. ebd., 602. 182 Ebd., 601.

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operato verstanden werden, obwohl es vom Autor nicht ausdrücklich erwähnt wird. Inhaltlich bestehe der priesterliche Dienst in der Spendung der Sakramente und der Verkündigung des Wortes Gottes. Diese gehörten zueinander und seien einander zugeordnet, wobei Christus selber das Urwort und das Ursakrament sei. Da er sein Wirken durch die Kirche vollzieht, plädiert Schmaus dafür, auch sie als Urwort und Ursakrament zu bezeichnen.183 Der Priester sei in seinem Dienst sowohl „Verwalter der Sakramente“ als auch „Diener des Wortes“, wobei die Reihenfolge, wie wir sie bei Schmaus vorfinden, den Vorrang der Sakramente, allen voran des eucharistischen Opfers, betont. Dieses sei das Ziel aller priesterlichen Aufgaben: „Eine Tätigkeit, die keinerlei Beziehung zum Altar hat, kann nicht als priesterlich bezeichnet werden.“184 Der Dienst des Wortes, auch wenn er einen größeren Raum des Wirkens des Priesters ausmachen möge und nicht fehlen dürfe, stehe „an wesenhafter Bedeutung“ hinter dem Opfer zurück.185 Trotzdem müsse der Priester seine ganze Sorge der Verkündigung zuwenden, weil der Glaube vom Hören kommt. Bei der Verkündigung bleibe der Gehorsam Gott gegenüber entscheidend, da der Inhalt der Verkündigung „von Gott vorgegeben wurde“.186 Auch die Verwaltung der anderen Sakramente stehe mit dem eucharistischen Opfer in engstem Zusammenhang. Von besonderer Bedeutung für den Priester seien der Dienst der Versöhnung, der im Bußsakrament vollzogen wird, und das Sakrament der Krankensalbung, das von Schmaus im Duktus, der vor der Konzils­

183 Mit dem Wort ‚Ursakrament‘ wird seit der Neubelebung des patristischen Erbes im 19. Jahrhundert in der Tat Christus bzw. die Kirche im Hinblick auf die in der Sichtbarkeit der Menschennatur des göttlichen Logos bzw. der Institution Kirche mit ihren Sakramenten sich vollziehende Vermittlung des göttlichen Heils in der Welt bezeichnet. Später kam es zu einer genaueren begrifflichen Differenzierung, so dass nur Jesus Christus, nicht der Kirche, die Bedeutung eines Ursakramentes zukommt. Sie wird dann eher ‚Wurzel-‘ oder ‚Grundsakrament‘ genannt. Ähnliches ließe sich auch vom Begriff ‚Urwort‘ sagen. Das Zweite Vatikanum spricht in LG 1 und 48 von der Kirche als einem „universalen Heilssakrament“. Mehr dazu P eter Walter , Ursakrament, in: LThK 3 10, 481 f. 184 Schmaus, Katholische Dogmatik IV/I, 602. 185 Hinter dieser Aussage steht die Überzeugung, dass uns Christus zwar auch durch das Wort erlöst hat, jedoch diese erlösende Tat vor allem in seinem Opfertod vollzogen hat. Vgl. ebd., 603. 186 Vgl. ebd., 604.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

erneuerung üblich war, ‚Letzte Ölung‘ genannt wird. Die Begründung für die besondere Beziehung dieser Sakramente zum priesterlichen Dienst sei, dass die Taufe, so grundlegend sie auch sein mag, ebenso von Nichtgeweihten gespendet werden könne, die Ehe werde von den Eheleuten selbst gespendet, und die Firmung sei dem Bischof vorbehalten. So sind es dieser Logik nach gerade die Sakramente der Eucharistie, der Buße und der Kranken­ salbung, die einen besonderen Bezug zum priesterlichen Dienst haben.187 Schließlich kommt Michael Schmaus auch auf die „Auswirkungen des Weihesakramentes“ zu sprechen, also auf die Frage, welche Gnaden für den rechten Vollzug des Dienstes und „für die Bewältigung der mit ihm verbundenen Gefahren und Versuchungen“ notwendig seien.188 Schmaus betont, dass der Priester als Mensch und als Diener Christi eine große Spannung aushalten müsse: „Die Vollmacht und die Ohnmacht verbinden sich zu einem selt­ samen Bunde.“189 In diesem Punkt wird er ganz praktisch und spirituell und fragt, ob das menschliche Bewusstsein, „das solche Spannungen aushalten muss, nicht daran zerbricht“.190 Er nennt ganz konkrete pastoral-spirituelle Gefahren, die dem Priester begegnen können: Stolz und Überheblichkeit, die ihm „den Weg zu Gott versperren“.191 Die Wirksamkeit des Weihesakramentes sieht er auch darin, dass es die Gnade verleihe, welche die „Widerstandskraft gegen Versuchung“ bedeute. Er spricht von „Abwehrkräften gegen die Versuchung“.192 Es ist ihm klar, dass der Priester immer nur in Verbundenheit mit der Welt existiere und in ihren Ordnungen lebe. Interessant ist sein Hinweis, dass zu den Versuchungen auch eine gewisse Überheblichkeit gehöre, die „Unterschätzung der welt­ lichen Ordnungen“ heiße und die sich darin äußere, „dass man die Bedenken und Schwierigkeiten, die das menschliche Herz gegen die Kunde von der Liebe Gottes erhebt, nicht hört und nicht ernst nimmt oder entrüstet zurückweist“.193 So müsse sich der 187 Vgl. ebd., 603. 188 Vgl. ebd. 189 Ebd. 190 Ebd., 604. 191 Ebd. 192 Ebd., 605. 193 Ebd.

1.3 Kritische Würdigung der neuscholastischen Theologie

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Priester selbst immer mehr seines eigenen „von Sünde immer bedrohten Pilgerstandes“ bewusst sein und dürfe nicht in mechanische Betriebsmäßigkeit in der Verrichtung seiner priesterlichen Aufgaben abgleiten.194 Sein Lösungsansatz ist derjenige, der früher bei anderen Fragestellungen genannt wurde: „Nur im Glauben an Christus lässt sich die Spannung ertragen.“195 Mit diesem Lösungsansatz kommt er auch den Überlegungen von Joseph Ratzinger nahe.

1.3 Kritische Würdigung der neuscholastischen Theologie Nach der sachlichen Darstellung des neuscholastischen Konzeptes in seinen zwei für das 20. Jahrhundert relevanten Ausprägungen scheint es angebracht zu sein, einen kurzen systematischen Blick auf die Ergebnisse zu werfen und nach Stärken und Schwächen dieser in der Zeit vor dem Zweiten Vatikanum vorherrschenden Theologie zu fragen. Denn diese Art der theologischen Reflexion war es auch, der Joseph Ratzinger in seinem Studium und bei der Vorbereitung auf die eigene Priesterberufung begegnet ist. Man kann die gesamte Schultheologie gewiss nicht als Humbug abstempeln, wie es wegen ihrer evidenten Mängel manchmal unüberlegterweise in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanum geschah und teilweise auch heute noch geschieht. Sehr wohl aber soll dieser theologische Zugang einer kritischen Würdigung unterzogen werden.196 194 Vgl. ebd., 605 f. 195 Ebd., 604. 196 Bereits die ursprüngliche Scholastik wurde immer wieder einer harschen Kritik unterzogen. So nennt François Vavasseur im 17. Jahrhundert als Vorzüge der scholastischen Methode „ihre Ordnung, Kürze und Durchsichtigkeit, die kirchliche Zuverlässigkeit und Sicherheit ihrer Meinungen und Sentenzen sowie die Durchschlagskraft ihrer Argumente“. Die Liste der Nachteile ist allerdings noch länger und verheerend: „Abstoßende, künstliche Terminologie […], unnötige Streitereien um bloße Worte […], Vermehrung nutzloser Fragen, hypertropher Vernunftgebrauch bei Vernachlässigung des Quellenstudiums, zu viel Philosophie und Logik bei Vernachlässigung der Hilfswissenschaften, vor allem aber das bloße Insistieren auf dem diktierten Text des Lehrers.“ Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie, 338. Viele dieser Punkte lassen sich zweifellos auch bei der Neuscholastik anführen.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

1.3.1 Systematik Angesichts der offensichtlichen Unzulänglichkeiten der Schultheologie, die vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg immer offensichtlicher wurden, darf man auch ihre Stärken nicht völlig ausblenden. Es tritt vor allem eine eindeutige Mühe um seriöse Systematik zutage. Diese Theologie ist von Ordnung, Kürze und Klarheit geprägt, Argumente werden genau und eindeutig formuliert. Man muss einräumen, dass dieses Konzept innerhalb des eigenen Denksystems ausgereift und wohlstrukturiert wirkt. Joseph Ratzinger selbst spricht in diesem Zusammenhang allerdings von „Systematisierungsdrang der Scholastik“.197 In seiner Autobiografie erwähnt er am Rande, dass er nach dem Krieg im Priesterseminar einen „rigiden neuscholastischen Thomismus“ vorfand, und schreibt: „Ich hatte […] eher Schwierigkeiten, den Zugang zu Thomas von Aquin zu finden, dessen kristallene Logik mir gar zu fest in sich geschlossen, zu unpersönlich und zu fertig erschien.“198 An einer anderen Stelle wird er sogar sehr harte Worte von der Aufgabe, „aus dem Gefängnis des römischen Schultypus herauszukommen“199, verwenden. Von seinem Philosophieprofessor Arnold Wilmsen, einem bekannten Neuscholastiker, schreibt er: „Seine Begeisterung und seine tiefe Überzeugung beeindruckten, aber nun schien er selbst kein Fragender mehr zu sein, sondern nur noch mit Leidenschaft das Gefundene gegen alle Fragen zu verteidigen.“200 Die Systematik hatte sich so zu einem System 201 entwickelt, das nicht Fragen, Suchen und eigenständiges Nachdenken im Zentrum hatte, sondern vielmehr vorgefertigte Antworten auf einst gestellte Fragen systematisch aneinanderreihte.

197 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 368. Um eine bessere Übersichtlichkeit zu gewährleisten, wird bei Texten aus den Gesammelten Schriften jeweils auch das ursprüngliche Erscheinungsjahr angegeben. 198 Aus meinem Leben, 49. 199 Widersprüche im Buch von Hans Küng, in: K arl R ahner (Hg.), Zum Problem Unfehlbarkeit. Antworten auf die Anfrage von Hans Küng, Freiburg/Basel/Wien 1971, 105. 200 Aus meinem Leben, 50. 201 Vgl. dazu in Abschnitt 1.3.3 die Ausführungen zur Theologie, die zum „System“ geworden ist und damit sich selbst verloren hat, bei Yves Congar.

1.3 Kritische Würdigung der neuscholastischen Theologie

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1.3.2 Nicht konkret, sondern abstrakt und somit steril In den zwei oben erwähnten Zitaten sind ziemlich präzise die eigentlichen Schwächen der bis zum Zweiten Vatikanum allgemein dominierenden Schultheologie beschrieben. Die Neuscholastik hatte stets die Ambition, eine theologia perennis zu betreiben – eine Theologie, die, um von der Zeit unabhängig ihre Gültigkeit zu behalten, gewissermaßen über der Zeit stehen will. Diese Zielsetzung hat allerdings zwei Seiten: Einerseits ist es tatsächlich gelungen, in vielem einen bleibenden Beitrag zu leisten (freilich nicht in allen Einzelheiten), andererseits ist aber diese Art der Theologie vom praktischen und konkreten Leben so weit entfernt, dass früher oder später ihre Sterilität und Unfähigkeit, sich weiterzuentwickeln und auf neuere, früher nicht gekannte Fragestellungen Antworten zu liefern, wahrgenommen wird. Diese Theologie hat nicht konkrete Menschen vor Augen – das schließt bereits ihr Ansatz aus –, welche in einer konkreten, geschichtlichen Stunde leben und glauben und spezifische Herausforderungen zu meistern haben. Genau das mag Ratzinger mit seiner Bemerkung der „in sich geschlossenen, zu unpersönlichen und zu fertigen“ Logik gemeint haben. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Abstraktion, die gerade so zu einer gewissen Sterilität und Unfruchtbarkeit von Antworten führt. Walter Kasper nennt den neuthomistischen Ansatz „Wesensdenken“202 und verwendet in diesem Zusammenhang den durchaus negativ gemeinten Begriff „Weltlosigkeit der bisherigen Theologie“, wenn er auch vor dem anderen möglichen Extrem der Theologie nach dem Konzil als einer „traditionslosen weltlichen Theologie“ warnt. 203 Die „Weltlosigkeit“ und die daraus sich ergebende Sterilität der neuscholastischen Theologie wurden von der Konzilsgeneration durchaus als ihr großes Problem empfunden.

1.3.3 Das Problem der Ungeschichtlichkeit Die Ambition, eine zeitlose Theologie hervorzubringen, hat außer dieser praktischen Schwierigkeit auch noch mehrere systemati202 Vgl. K asper , Die Methoden der Dogmatik, 28. Kasper macht auf das Grundproblem aufmerksam: „Das Verhältnis von geschichtlicher Wahrheit und allgemeingültigem Wesensdenken.“ Ebd. 203 Vgl. ebd., 11.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

sche und methodologische wunde Punkte. Der größte davon ist, dass hier geschichtliche Zusammenhänge und Entwicklungen mehr oder minder außer Acht gelassen werden. Ulrich Leinsle spricht von der „wesentlich ahistorisch und metaphysisch orientierten Theologie“. 204 Damit ist das vielleicht größte Problem der neuscholastischen Theologie gemeint, das der Ungeschichtlichkeit eines solchen theologischen Denkens, das hier nur kurz angedeutet werden kann. Gottlieb Söhngen, der Doktorvater von Joseph Ratzinger, spricht in LThK 2 buchstäblich von „ungeschichtlichem Verhältnis zur ­Geschichte“: „Das doch sehr bewegte und recht gegensätzliche Denken der mittelalterlichen Schulen und Schulmeister wurde [in der Neuscholastik] zu einem einförmigen Norm- und Schulbegriff von Scholastik und Thomismus ausgezogen, sozusagen zu einer Schulphilosophie in Potenz.“205 Ausdruck dieses Defektes war nach Söhngen das „Aschenbrödeldasein der Geschichte der Philosophie“ in den Studienordnungen der Ordenshochschulen. 206 In einer Theologie, die selbst eine theologia perennis sein wollte, ist es nicht um historischen Kontext, aktualisiertes Verständnis oder gar um konkrete Vermittlung, sondern vielmehr um Formulierung der konkreten Zeit gänzlich entrückter und somit ewig gültiger Wahrheiten gegangen. Es waren große Gestalten der Theologie, die diesen Mangel bereits im 19. Jahrhundert verspürten und artikulierten. Hier seien nur zwei von ihnen genannt: John Henry Newman war der erste Theologe, der die Geschichtlichkeit der Kirche in Betracht zog. In seinem Essay on the Development of Christian Doctrine schreibt er, dass „das Kennzeichen des Katholizismus seine Geschichtlichkeit ist. Er ist eine wirklichkeitsbezogene und geschichtliche Religion, keine Theorie und kein System. Er [der Katholizismus] ist in der Welt beheimatet; um ihn zu verstehen, müssen wir ihn in der Welt suchen und auf das hören, was die Welt über ihn sagt.“207 Später sehen wir bei Yves Congar ein großes Ringen mit dem, was er – im Sinne Newmans – „das System“ nennt, und seine

204 Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie, 336. 205 Gottlieb Söhngen, Neuscholastik, in: LThK 2 7, 924 f. 206 Vgl. ebd., 924. 207 Zitiert in: Frere Emile, Treue zur Zukunft. Lernen von Yves Congar, Freiburg i. Br. 2014, 40.

1.3 Kritische Würdigung der neuscholastischen Theologie

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Mühe um das „Subjekt“. Mit System meint Congar eine Tendenz, „der inneren Stimmigkeit und der Eingliederung in ein System den Vorrang zu geben, ohne die Wirklichkeit angemessen zu erfassen“. 208 Er war zwar für seine Ausbildung im neuscholastischen Denken sein Leben lang dankbar, da es ihm „eine gewisse Ordnung“ und „eine genaue Begrifflichkeit“209 vermittelte, zugleich war ihm das zu wenig. Plastisch wird dieses Ungenügen des festen neuscholastischen Systems an seiner Beziehung zu Daniel Lallement sichtbar: 210 Congar war fasziniert und ab­ gestoßen zugleich, nennt ihn einen „heiligen Priester“211, doch störten ihn die starken Gegensätze: Welt und Natur – die abgelehnt werden – gegen geistliches Leben, das erst im Überwinden der Natur, d. h. im Überwinden der Welt beginnen kann. Diese Gegensätzlichkeit war sehr typisch für das neuscholastische Denken. Hinzu kam für Congar das Problem, dass die Geschichte außer Acht gelassen wird und das Subjekt nicht gesehen wird, sondern in einem gewissen Systematisierungsdrang untergeht. 212 Darin kann man eine ziemlich genaue Charakterisierung des neuscholastischen Denkens und seiner Unzulänglichkeiten sehen. Yves Congar erkannte in der Ungeschichtlichkeit des ­neuscholastischen Denkens ein Problem auch in Bezug auf die Priesterausbildung: „Einer der gravierendsten Mängel der Priesterausbildung im 19. Jahrhundert war die Ausblendung einer historischen Dimension.“213 Die großen Theologen, die das Problem der Ungeschichtlichkeit in der Theologie benannten, waren sich freilich auch der Probleme der Geschichte und ihrer Geltung in den theologischen Aussagen bewusst. Jean Daniélou schreibt 1946 in einem Artikel in der französischen Zeitschrift Études, dass Geschichtlichkeit und Subjektivität die moderne Welt charakterisieren, allerdings bedeute es für die Theologie nicht, dass sie einfach subjektiv werden sollte, son-

208 Ebd., 168, Anm. 1. 209 Ebd., 23. 210 Vgl. ebd., 35 f. 211 Vgl. ebd., 36. 212 Vgl. ebd., 37. 213 Yves Congar , Le Concile au jour le jour. Quatrieme session, Paris 1966, 172, zitiert nach: Emile, Treue zur Zukunft, 173, Anm. 25.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

dern „diese beiden Abgründe zwingen das theologische Denken dazu, sich zu weiten“. 214 Zusammenfassend kann man sagen: Vor allem die Unfähigkeit, der Geschichtlichkeit allen theologischen Denkens und Redens Rechnung zu tragen, was gerade in der Moderne so wichtig geworden ist, hat die Schultheologie in Isolierung und Sterilität gebracht. Walter Kasper spricht in diesem Zusammenhang von „Ghettomentalität“ und „Lehramtspositivismus“215, die man durchaus als typisch für diese Art der Theologie bezeichnen könne, und weist darauf hin, dass sich die Theologie durch das starre Festhalten an der scholastischen Methode (dem bereits erwähnten „Dreischritt“) in Methode und Begrifflichkeit immer mehr dem Strom der geistigen Entwicklung entfremdete. 216 So steht die meistverbreitete Art, Theologie zu treiben, am Vorabend des Konzils den vielen großen Herausforderungen von innen und außen unfähig gegenüber.

1.3.4 Die verlorene Fähigkeit der Auseinandersetzung Dabei bleibt anzumerken, dass schon bei der ursprünglichen Scholastik (Thomas, Bonaventura etc.) Ansätze eines geschicht­ lichen Denkens vorzufinden sind und diese sich der Grenzen der eigenen Aussagen bewusst war. 217 Auch die ursprüngliche Neuscholastik des 19. Jahrhunderts reagierte zuerst auf ganz konkrete Herausforderungen ihrer Zeit. Heinrich Schmidinger spricht von der Bemühung, „mit der Neuzeit in eine ernsthafte Auseinandersetzung zu treten“. 218 Bei der Vorbereitung des Ersten Vatikani214 Zitiert nach: Jean-Claude P etit, La compréhension de la théologie dans la théologie française au XXe siècle. Pour une théologie qui réponde à nos nécessités: la nouvelle théologie, in: Laval théologique et philosophique 48 (1992), Nr. 3, 415– 431, hier 418. Hier zitiert in Emile, Treue zur Zukunft, 174, Anm. 30. 215 K asper , Die Methoden der Dogmatik, 29. 216 Ebd., 28. 217 Hier sei auf die Habilitation von Joseph Ratzinger zum Offenbarungsbegriff bei Bonaventura hingewiesen und die auf dieser Grundlage beim Konzil vertretene Konzeption der Offenbarung. Mehr dazu bei H ansjürgen Verweyen, Ein unbekannter Ratzinger. Die Habilitationsschrift von 1955 als Schlüssel zu seiner Theologie, Regensburg 2010, vor allem 35–44. Weiters siehe Ratzingers Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Philosophie und Theologie bei H ansjürgen Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. Die Entwicklung seines Denkens, Darmstadt 2007, vor allem 105–113. 218 Heinrich Schmidinger , Neuscholastik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Basel/Stuttgart 1984, 769–774, hier 771.

1.3 Kritische Würdigung der neuscholastischen Theologie

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schen Konzils kann man sehen, dass es um eine ernsthafte Ausein­ andersetzung mit den vielen Ideologien der damaligen Zeit gegangen ist. Auch die Konzilskonstitution Dei Filius war in vielem eine Reaktion auf geistesgeschichtliche Entwicklungen der damaligen Zeit. 219 Diese Fähigkeit der Auseinandersetzung hat die Neuscholastik aber verhältnismäßig rasch verloren. Wahrscheinlich waren hier auch die Empfehlungen des Lehramts, ganz besonders von Leo XIII. 220 und Pius X. 221, die in ihr „das Maß gesunder Theologie“ erblickten, eher kontraproduktiv. 222 Man kann sagen, dass die Neuscholastik in ihrer ungeschichtlichen Systematik ‚erfroren ist‘ und durch die überhöhte und ausschließliche Beanspruchung durch das Lehramt überfordert war. 223 Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts hat sich immer stärker gezeigt, dass das schematisierte Denken, das folglich nur schematisierte Antworten zu bieten vermag, gegenüber den vielen neuen Herausforderungen und Infragestellungen nicht genügt. Das Verschwinden der Neuscholastik aus der Denkwelt der Kirche wird häufig darauf zurückgeführt, dass „ihre Strukturen und Inhalte

219 Vgl. dazu Walter K asper , Die Lehre von der Tradition in der Römischen Schule, Freiburg i. Br. 1962. 220 Besonders die Enzyklika Aeterni Patris vom 4. August 1879 „über die Erneuerung der Wissenschaft auf der Grundlage der philosophischen Prinzipien des heiligen Thomas von Aquin“ (DH 3135–3140). 221 Vgl. vor allem seinen Kampf gegen den sogenannten Modernismus und die Enzyklika Pascendi Dominici gregis vom 8. September 1907 (DH 3475–3500), ferner das Motuproprio Doctoris Angelici vom 29. Juni 1914 (AAS 6 [1914] 336–341). In seinem Pontifikat wurde auch das Dekret der Studienkongregation vom 27. Juli 1914 über den Thomismus veröffentlicht (DH 3601–3624), in dem 24 von der Neuscholastik vertretene „Thesen“ aus der Metaphysik approbiert wurden. 222 Hier könnten auch die Enzykliken von Pius XI. Officiorum omnium vom 1. August 1922 (AAS 14 [1922] 449–458) und Studiorum ducem vom 29. Juni 1923 (AAS 15 [1923] 309–326) Erwähnung finden, in denen die Theologie aufgrund der Lehren des hl. Thomas sehr empfohlen wird. Man darf auch nicht vergessen, dass im Codex Iuris Canonici von 1917 (can. 1366 § 2) vorgeschrieben wurde, dass „die Professoren die Studien der Philosophie und der Theologie sowie den Unterricht der Schüler in diesen Lehrfächern ganz und gar nach der Methode, der Lehre und den Grundsätzen des engelgleichen Lehrers gestalten und diese heilighalten sollen“. („Philosophiae rationalis ac theologiae studia et alumnorum in his disciplinis institutionem professores omnino pertractent ad Angelici Doctoris rationem, doctrinam et principia, eaque sancte teneant.“) 223 Mehr zur Institutionalisierung innerhalb der Kirche bei H absburg-Lothringen, Das Ende des Neuthomismus, 34 f.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

[sogar] in der Erfahrung der Thomisten nicht mehr zu genügen schienen, um auf die Fragen und Probleme des modernen Menschen zu antworten“. 224 Die Erneuerungsbewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Liturgische Bewegung, Biblische Bewegung etc.) haben genau hier ihren Ansatzpunkt gefunden. Sie verspürten, wie unzureichend die schultheologischen Thesen gegenüber den neuen Herausforderungen waren, und wussten zugleich, dass der eigentliche Kern der christlichen Botschaft lebendig ist und neu entdeckt werden muss. 225 Diese Bewegungen haben den Weg für die entscheidende theologische Weiterentwicklung des Zweiten Vatikanischen Konzils bereitet. Aus heutiger Sicht und mit zeitlichem Abstand ist das Problem der Schultheologie noch klarer sichtbar. Da jegliche Weiterentwicklung nur systemimmanent geschah, ist es zu der oben erwähnten Sterilität und Unzulänglichkeit gekommen. Der mangelnde Kontakt mit modernem Denken und seinen neuen Fragestellungen hat die Unfähigkeit der Auseinandersetzung dieses theologischen Ansatzes definitiv entblößt. 226 Demgegenüber stellt Kasper fest, dass das Ganze der Dogmatik im Sinne des Konzils „dynamischer, welt- und zukunftsgerichteter, katholischer, aber in vielem auch ungesicherter als zuvor227 erscheint“. 228 Die von Kasper skizzierte Veränderung rund um das Konzil und vorher schon bei Erneuerungsbewegungen hat sich als ein „grundsätzlicher Wechsel von der bisherigen vorherrschenden systematischen Orientierung zur genetisch-historischen Methode“229 bemerkbar gemacht. Im Unterschied zur Neuscholastik wollte man nach dem Konzil also nicht mehr zuallererst die dogmatische Aussage postulieren, die dann nachträglich mit der Schrift untermauert werden muss, sondern zuerst sollten die biblischen Aussagen vorgelegt werden. 230

224 Ebd., 46. 225 Vgl. Müller , In der Kirche Priester sein, vor allem Kapitel 2: Die Impulse der Bewegungen der Zwischenkriegszeit und ihre Folgen für das theologische Priesterbild, 35 f. 226 Vgl. Schmidinger , Neuscholastik, 769–774. 227 Gemeint ist eben die neuscholastische Thesentheologie. 228 K asper , Die Methoden der Dogmatik, 11. 229 Josef Neuner , Einleitung und Kommentar zu Optatam totius, in: LThK 2 13, 314–355, hier 343. 230 Vgl. dazu auch Bernhard Körner , Die Bibel als Wort Gottes auslegen. Historischkritische Exegese und Dogmatik, Würzburg 2011, 159 f.

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1.3.5 Umgang mit den Quellen Die Anerkennung der Normativität der biblischen Quellen und der Quellen der Tradition ist für die Neuscholastik über jeden Zweifel erhaben. Der konkrete Umgang mit diesen Quellen aber, wie es für diese Theologie typisch ist und gelegentlich als ‚Steinbruchexegese‘231 bezeichnet wird, bei der man sich ohne Rücksicht auf Kontext und auf die Entwicklung der Bibelwissenschaft im biblischen Text mit opportun erscheinenden Zitaten bedient, stellt ein besonderes Problemfeld dar. Für die neuscholastischen Lehrund Handbücher ist es typisch, konkrete, eher kürzere Zitate aus der Bibel und der Tradition aneinanderzureihen, oft ohne den jeweiligen Kontext zu beachten, um somit die jeweiligen dogmatischen Aussagen des Lehramts zu begründen. 232 Dieser Umgang mit den wichtigsten Quellen ist durch die Rezeption der historisch-kritischen Methode in den Bibelwissenschaften in eine tiefe Krise geraten. Eine vertiefende Reflexion dessen, was die neuen Entwicklungen in den Bibelwissenschaften für konkrete theologische Aussagen bedeuten, fehlt in der Schultheologie zur Gänze. Den für das 19. und 20. Jahrhundert typischen Infragestellungen vieler dogmatischer Inhalte durch historische Kritik 233 wird zuweilen durch Apologetik und barsche Polemik oder aber mit Hinweis auf formale Autorität der Tradition und des Lehramts begegnet. Darüber hinaus beraubt die oben skizzierte, nicht organische Art des Umgangs mit der Schrift in der Neuscholastik die Bibel ihrer Korrektivfunktion und ihrer höchsten Autorität als Gottes Wort gegenüber allen positiv formulierten Glaubensaussagen, die

231 Gemeint ist ein Herausnehmen und zuweilen auch Zusammenstellen bestimmter biblischer Verse zur Untermauerung zuvor getroffener theologischer Aussagen, ohne den biblischen Kontext zu beachten. Auf diese Weise wird die Bibel zu einer Art Selbstbedienungsladen reduziert. 232 Vgl. K asper , Die Methoden der Dogmatik, 21 f. 233 Für alle anderen sei hier Rudolf Bultmann und die im Protestantismus sehr verbreitete sogenannte liberale Exegese angeführt, welche die Frage nach dem historischen Jesus mit einer solchen Dringlichkeit gestellt hat, dass alles in Bewegung zu geraten schien. Innerhalb des Protestantismus wurde diese Auseinandersetzung zum Teil sehr heftig ausgetragen und von manchem großen Theologen wie z. B. Karl Barth mit der Zurückweisung dieser Tendenzen beantwortet. Katholischerseits gilt Hans Urs von Balthasar als einer, der in seiner Theologie der historischen Kritik kaum Raum lässt.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

vor ihnen und nicht erst in ihrem Rahmen ihre Geltung behält. Der Umgang mit der Schrift, der sie zur bloßen Begründung und Verteidigung der von traditioneller Theologie aufgestellten Thesen verkommen lässt, versperrt folglich auch den Zugang zum Lebendigen und Bewegenden des Wortes Gottes, zu seinem ­ ‚Heute‘234, und verwandelt biblische Texte in rein historische Manuskripte. Dadurch geht auch der entscheidende Blick aufs Ganze zugunsten der Sicherheit der Thesen verloren.

1.3.6 Das Problem der Methode Ein wesentlicher Kritikpunkt bezieht sich direkt auf die sogenannte neuscholastische Methode. Die Neuscholastik, wie wir sie in ihrer klassischen Ausprägung bei Ludwig Ott vorfinden, versteht unter der ‚Methode der Dogmatik‘ eine positive und eine spekulative Methode, wobei diese zwei nicht voneinander getrennt werden dürfen. Die positive Dogmatik ist mit dem Nachweisen beschäftigt, dass eine theologische Lehre in den Quellen der Offenbarung – also in Schrift und Tradition – enthalten ist und dass das kirchliche Lehramt sie zu glauben vorlegt. Hinzu kommt das spekulative Moment, das für die Theologie der scholastischen Prägung typisch sei und „durch Anwendung der menschlichen Vernunft auf den Offenbarungsinhalt soweit als möglich eine Einsicht in die Glaubenswahrheiten“ erreichen wolle. 235 Im Zusammenspiel dieser doppelten Hermeneutik (der spekulativen und der positiven) kann man von der Methode sprechen, die für die Theologie bis zum Zweiten Vatikanum typisch ist und die auch als scholastischer Dreischritt bezeichnet wird. Der Ursprung dieser Methode ist bei Melchior Cano und seinem Konzept der loci theologici zu suchen, worauf schon Albert Lang in seinem Buch Die Loci theologici des Melchior Cano und die Methode des dogmatischen ­Beweises aus dem Jahr 1925 hingewiesen hat. 236 Walter Kasper fasst das Wesentliche dieser Methode in drei Schritten zusammen: Darlegung der Lehre der Kirche, Beweis aus Schrift und Tradition und

234 Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Problem findet man bei Körner , Die Bibel als Wort Gottes auslegen, besonders 3. Kapitel, 144 f. 235 Vgl. Ott, Grundriss, 4. 236 Mehr dazu vgl. Bernhard Körner , Melchior Cano. De locis theologicis. Ein Beitrag zur Theologischen Erkenntnislehre, Graz 1994, hier vor allem 31 f.

1.3 Kritische Würdigung der neuscholastischen Theologie

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spekulative Durchdringung. 237 Kasper hält auch fest: „Sie umfasst damit mindestens zwei, wenn nicht gar drei verschiedene Methoden.“238 Wenn auch diese Methode für die meisten Theologen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unumstritten war und als die dogmatische Methode schlechthin betrachtet wurde, erweist sie sich bei näherem Hinsehen als problematisch. Walter Kasper, der sich in seiner Doktorarbeit 239 mit dem Thema der Römischen Schule240 befasst hat, übt grundsätzliche Kritik an dieser Methode. In seinem Aufsatz Die Methoden der Dogmatik. Einheit und Vielfalt 241 sieht er in der „Methodenbesinnung“ eine der vordringlichsten Aufgaben für eine erneuerte Theologie im Sinne des Konzils und weist auch auf die Schwierigkeit hin, dass das moderne wissenschaftliche Methodenverständnis auf die Theologie nicht einfach unreflektiert übertragbar sei, da „der eigentliche Gegenstand ihrer [theologischen] Erfahrung nicht ­ einfach feststellbar und wiederholbar“ sei. 242 Das heißt, bei der Erneuerung der dogmatischen Methode geht es nicht um eine einfache Übernahme der modernen, weltlichen Wissenschaftlichkeitskriterien, sondern vielmehr um eine Erneuerung, welche sich an „Strenge, Ernst, Konsequenz und Genauigkeit des Hin­ hörens und des Fragens“ der modernen Wissenschaftlichkeit orientiert, dabei aber eigene Selbständigkeit und Besonderheit nicht aus dem Auge verliert. 243

237 Vgl. K asper , Die Methoden der Dogmatik, 21. 238 Ebd. 239 Walter K asper , Die Lehre von der Tradition in der Römischen Schule, Freiburg i. Br. 1962. 240 Mit dem Terminus Römische Schule wird eine Gruppe von Theologen bezeichnet, die im 19. Jahrhundert am römischen Kolleg der Jesuiten (Gregoriana) unterrichtet haben (z. B. Perrone, Passaglia, Schrader, Franzelin); sie umfasst auch deren Schüler (z. B. Denzinger und Scheeben). Die Römische Schule betrieb die Dogmatik etwas anders als die gängige ungeschichtlich vorgehende Neuscholastik, weil sie mehr geschichtlich ausgerichtet war, ohne die spekulative Seite zu vernachlässigen. 1879 wurde diese Bestrebung von Leo XIII. durch die Ablösung der nicht thomistisch ausgerichteten Theologen an der Gregoriana beendet. Vgl. P eter ­Walter , Römische Schule, in: LThK 3 8, 1292. 241 K asper , Die Methoden der Dogmatik, 12. 242 Ebd., 12 f. 243 Vgl. ebd., 13 f. Diese Eigenständigkeit und Besonderheit bezieht sich auf das Objekt der theologischen Forschung sowie auch auf die besonderen Quellen, von denen her die Theologie denkt, z. B. Schrift und Tradition, die ihre eigene norma-

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

Kasper betont die Entwicklung von den zwei Elementen fides et ratio bzw. auctoritas et ratio, die bis ins hohe Mittelalter eine Einheit bildeten. Durch die Begegnung mit dem aristotelischen Wissenschaftsbegriff kam es zur Herausbildung des klassischen, oben erwähnten scholastischen Dreischritts. Auctoritas und ratio wurden nämlich immer mehr auseinandergehalten und verschiedenen Bereichen zugeordnet. 244 Die Neuzeit wurde sodann durch zwei Entwicklungen geprägt: Humanismus und Reformation, die den Widerspruch zwischen auctoritas und ratio einerseits mit „einem neuen geschichtlichen Verständnis der Wahrheit“ und andererseits mit einer „neuen Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft“ und einer direkten Berufung auf die Schrift allein (sola scriptura) begründeten. 245 Hinzu kam der spezifisch dogmatisch-kirchliche Charakter der Dogmatik, der in den Augen der Humanisten ihren Wissenschaftscharakter durch das ungelöste Problem der Geschichtlichkeit der Wahrheit und in den Augen der Reformatoren ihre Fähigkeit, der Autorität der Schrift Rechnung zu tragen, infrage stellte. In diesen Spannungen sei im 18. Jahrhundert „aus der frühscholastischen Lectio der Schrift, der hochmittelalterlichen Quaestio, die zunächst in die fortlaufende Lectio eingefügt wurde, und der barockscholastischen Disputatio die neuscholastische These“ geworden,246 die für diese Art der Theologie typische Dreischritt­ methode, die mit der Zeit nicht imstande war, in den Auseinandersetzungen zu positiven Ergebnissen zu führen. Das Problem wurde also zum ersten Mal in dem Moment sichtbar, als die Theologie in den Zwiespalt zwischen dem historischen Denken und dem scholastischen Wesensdenken kam. Diese Spannung wurde durch die moderne Fortentwicklung der Wissenschaften mit der Zeit nicht geringer, sondern sogar noch größer und lässt die neuscholastische Methode trotz Genauigkeit wegen ihrer Verschlossenheit und mangelnder Geschichtlichkeit in ihrer Ausschließlichkeit als unzulänglich erscheinen. In diesen Punkten scheinen die wesentlichen Problemstellen der neuscholastischen Theologie benannt zu sein, die wahrhaft große



tive Kraft gegenüber der bloß historisch-kritischen Fragestellung besitzen. Vgl. ebd., 85 f. 244 Vgl. ebd., 23. 245 Vgl. ebd., 25. 246 Vgl. ebd., 21.

1.4 Das Priesterbild in der neuscholastischen Theologie

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Auswirkungen auf die Theologie und ihren Beitrag in der Neuzeit hatten und auch für objektiv feststellbare Verengungen und Fehlentwicklungen im konkreten kirchlichen Leben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verantwortlich gemacht werden müssen.

1.4 Das Priesterbild in der neuscholastischen Theologie Aus dem oben über Ott und Schmaus Gesagten ergibt sich das neuscholastische Priesterbild, das typisch ist für Theologie und Praxis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es soll an dieser Stelle in einigen Punkten zusammenfassend gezeichnet werden. Dabei wird der kritische Blick, der in Abschnitt 1.3 auf die neuscholastische Theologie im Allgemeinen gerichtet wurde, hier auf das Priesteramt im Konkreten übertragen.

1.4.1 Die Grundlagen Katholische Theologie dieser Zeit geht selbstverständlich von der Existenz des besonderen Priestertums in der Kirche aus. Das sakramentale Priesteramt wird nicht als etwas angesehen, dessen Existenzberechtigung zuerst begründet werden müsste. Es gehöre vielmehr selbstverständlich zum Sein der Kirche. Deswegen kann als Ausgangspunkt der Ausführungen zum Thema bei Ludwig Ott ohne größere Schwierigkeiten die Definition des Ordo als ein ­Sakrament gewählt werden, welche die Frage der geistlichen Gewalt in den Mittelpunkt stellt. Bei Michael Schmaus sieht man dann allerdings erste Versuche, die Existenz des Priestertums in der Kirche überhaupt zu begründen. Dieser Schritt deutet auf die Entwicklung hin, dass das sakramentale Priestertum per se zunehmend infrage gestellt wurde und seine Fundamente als unsicher zu gelten begannen. Diese Unsicherheit hat vor allem mit der Rezeption der Forschungsergebnisse der modernen Bibelwissenschaften, insbesondere protestantischer Prägung, zu tun. Diese haben dazu geführt, dass Defizite in der Begründung des Amtes auch auf katholischer Seite zunehmend sichtbar wurden. Die Realität der Infragestellung des priesterlichen Amtes ließ sich nicht einfach mit gängigen neuscholastischen Figuren beantworten, die innerhalb des eigenen Systems verschlossen blieben.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

Die Begründungsmängel der Existenz des Priesteramtes haben in weiterer Folge mit ekklesiologischen Grundlagen zu tun. Besonders seit der Aufklärung hat die katholische Theologie in defensiver Haltung auf die Eigenständigkeit der Kirche gepocht, da diese sich nach dem Verlust ihrer weltlichen Macht immer wieder mit starken Ingerenzen vonseiten des modernen Staates in innerkirchliche Angelegenheiten und zum Teil mit heftigen Auseinandersetzungen um ihre biblisch fundierten Grundprinzipien konfrontiert sah. 247 Das in dieser Zeit erstarkte Bild der Kirche als societas perfecta führte zu juridisch festem, aber unbeweglich-statischem Kirchenbegriff. Die Kirche wurde vor allem als ‚Heilsanstalt‘ angesehen. 248 Sie habe Gnaden des Heilswerkes Christi zu verwalten und zu verteilen. Der Priester wurde somit zum ausführenden Beamten und zum Gnadenverwalter, der standesgemäß seine Pflichten zu erfüllen und ein entsprechend beispielhaftes Leben zu führen hat. Als Verwalter und Ausspender der Gnaden könne er sich auch keine Unsicherheiten leisten und müsse sein eigenes Glaubensleben zurückstellen. Im theologischen Kontext betrachtet, hat diese Entwicklung auch mit dem sogenannten Stockwerkdenken zu tun, mit der Ansicht also, dass Natur und Gnade zwei gänzlich getrennte Größen darstellen und dass erst in der Überwindung der Natur der ­Zugang zur Gnade eröffnet wird. Dass auch die Natur schon ein Gnadengeschenk ist, wurde nicht wahrgenommen. Diese Perspektive hat selbstverständlich auch zu einer Verengung der Sicht auf das Priesteramt geführt.

1.4.2 Begründungsfiguren Man kann feststellen, dass in der neuscholastischen Theologie im Allgemeinen zwei Begründungsfiguren für das neutestamentliche Priestertum zu finden sind. Die erste hat einen biblisch-dogmatischen Charakter. Es wird betont, dass es sich beim Priestertum des Neuen Bundes um ein wahres Sakrament handelt, weil es von

247 Als Paradebeispiel für diese Konfrontation kann hier der sogenannte Kulturkampf des deutschen Kanzlers Otto von Bismarck gelten. Mehr dazu bei M anuel Borutta, Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe, Göttingen ²2011, vor allem 289–326. 248 Mehr dazu übersichtlich bei Müller , In der Kirche Priester sein, 23–29.

1.4 Das Priesterbild in der neuscholastischen Theologie

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Christus als solches eingesetzt wurde. Hierzu werden, wie oben angeführt, die klassischen und immer gleichen Texte aus dem Neuen Testament angeführt. Die Sakramentalität des Priestertums besteht demnach darin, dass es auf Christus zurückgeführt wird, da nur er als Gottmensch ein nach außen sichtbares und im Inneren wirksames Zeichen habe einsetzen können. Die zweite Begründungsfigur hat ekklesiologischen Charakter. Hier wird die ekklesiologische Plausibilität und Notwendigkeit des Priesteramtes im Organismus der kirchlichen Gemeinschaft ins Feld geführt. Jede religiöse Gemeinschaft bedürfe einer Ordnung und einer professionellen Dienstleitung, so auch die Kirche. Hiermit sei die Selbstverständlichkeit des Priestertums gegeben, da dieses das ordnende Prinzip des kirchlichen Lebens darstellt. Schmaus sieht ausdrücklich einen Bedarf an Ordnung in der kirchlichen Gemeinschaft und nennt das Sakrament sogar „Sakrament der Ordnung und des Dienstes“. 249 Bei dieser ekklesiologischen Perspektive steht die ordnende Aufgabe und somit die reine Funktionalität des Priesteramtes innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft im Vordergrund. Diese verengte Sicht hängt, wie bereits ausgeführt, mit einer defizitären Ekklesiologie zusammen, denn das Kirchenbild, das sich hinter dieser Denk- und Begründungsweise verbirgt, ist das der ­societas perfecta, welche, um als solche gelten und unabhängig von allen gesellschaftlichen Organisationsformen existieren zu können, alle Funktionen einer gesellschaftlichen Struktur beinhalten muss.

1.4.3 Perspektive und konkrete Themen Daraus ergibt sich die neuscholastische Perspektive, welche im Hinblick auf das Priestertum zum Tragen kommt. Das sakramentale Priestertum wird unter der Perspektive geistlicher Gewalten innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft gesehen, dessen Sakramentalität durch den Vorgang der Weitergabe (Handauflegung und Gebet) sichtbar wird. In diesem Sinne handle es sich um ein sichtbares und äußeres Priestertum. Dieser Vorgang mache auch die streng hierarchisch konzipierte Verfasstheit innerhalb des Ordo, also den Vorrang der Bischöfe vor Priestern und Diakonen, deutlich.

249 Vgl. oben S. 41.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

In dieser Perspektive müssen dann Weihegnade, Weihecharakter und Weihegewalt zum Thema gemacht werden. Es wird zwischen der Leitungsgewalt, die nicht direkt aus der Weihe hervorgeht, sondern einer gesonderten Beauftragung vonseiten der rechtmäßigen Hierarchie bedarf, und der Weihegewalt selbst, welche der eigentliche Inhalt der sakramentalen Übertragung durch die Weihe ist, unterschieden. Dass das neutestamentliche Priestertum keine selbstständige Größe ist, sondern reine Partizipation an dem einen und einzigen Priestertum Christi bedeutet, wird bei dieser Perspektive weithin übersehen und auch nicht besonders betont, 250 da hier die ekklesiologisch-strukturelle Notwendigkeit eines Leitungsamtes im Vordergrund steht. Dem entspricht die Tatsache, dass hier auch zahlreiche kirchenrechtliche Aspekte rund um das Priestertum, also nicht genuin dogmatische Fragen, erörtert werden.

1.4.4 Priestertum für Kult und Ordnung Den Sinn des priesterlichen Amtes sieht die neuscholastische Theologie im Wesentlichen in zwei Punkten: Zum einen ist der Priesterdienst für den öffentlichen Kult notwendig, zum anderen gehört die Gruppe derer, die letztlich professionell für die Kirche arbeiten, zweifelsohne zum Dasein der Kirche, da sie als eine societas perfecta diesen eigenen Stand braucht, durchaus in Parallele zum im Staat existierenden Beamtentum. Aus diesem Grund wird ganz selbstverständlich die ekklesiologische Notwendigkeit des Presbyterats in der Ordnung und Struktur der Gemeinschaft der Kirche postuliert. Mehr dazu wurde bereits im vorangegangenen Abschnitt gesagt. Höhere Priorität als die ordnende Funktion des Presbyterats hat aber seine Unverzichtbarkeit hinsichtlich des Kultes. Das Besondere der priesterlichen Existenz sieht die neuscholastische Theologie, wie bereits bemerkt, im kultisch-juridischen Bereich: An erster Stelle steht das „Darbringen des Opfers“, der Dienst des Wortes ist

250 In Ansätzen finden wir diese Einsicht bereits besonders bei Schmaus; sie wird aber nicht sehr offen formuliert. Siehe oben S. 40, wo Schmaus betont, dass es kein Priestertum „neben dem Priestertum Christi“ gebe, sondern nur als Partizipation an seinem Priestertum.

1.4 Das Priesterbild in der neuscholastischen Theologie

73

zweitrangig. Zu dieser einseitigen Betonung des Kultes hat das nachreformatorische Bemühen um klare katholische Positionen gegen die Einseitigkeiten der Reformation geführt. 251 Die Definitionen und vor allem Dekrete des Trienter Konzils, welche nicht eine organische Theologie des Priesteramtes und der Sakramente im Allgemeinen darstellten, sondern ausdrücklich auf Grenzen und praktische Reformumsetzungen zielten, 252 wurden fälschlich als die Summe der katholischen Sakramentstheologie interpretiert. Existentiell-christologische Aspekte des Priesteramtes fehlen in der neuscholastischen Priestertheologie zur Gänze. Außer dem oben genannten theologisch-geschichtlichen Grund hängt auch diese Tatsache mit der ekklesiologischen Perspektive der Kirche als Heilsanstalt zur Vermittlung der Gnadenmittel zusammen. Dies ist eine Engführung, die unter anderem darin sichtbar wird, dass bereits Schmaus einen Versuch unternommen hat, die ekklesiologische Begründungsfigur zu vertiefen und zumindest ansatzweise durch eine christologische Perspektive des Hebräerbriefes zu bereichern: dass nämlich Christus durch das Opfer seines eigenen Lebens in das Allerheiligste Gottes eingetreten sei und gerade so den Zugang zu den Gnadengaben eröffnet habe. 253 Die naheliegende Frage des existentiellen Bezugs des Dienstes für die Person des Priesters selbst wird allerdings nicht erörtert.

1.4.5 Abstraktes Priesterbild Die oben erwähnte Sterilität der Neuscholastik, welche nicht den konkreten Menschen und seine Fragen, sondern die abstrakten, scheinbar immer gültigen Thesen im Zentrum ihres Interesses hat, führt auch im Hinblick auf das Priestertum zur Abstraktion und Sterilität. Der Priester erscheint hier immer weniger als ein Mann aus Fleisch und Blut, der durch persönliche Berufung von Gott in einen Dienst an dem Volk Gottes berufen wurde, sondern als ein Teil des Systems, der societas, der vor allem seine Funktionen zu erfüllen hat. Der Priester soll ein „Fertiger“ sein, der die

251 Z. B. im Hinblick auf die Eucharistielehre. 252 Es sei hier nur beispielhaft auf die expressis verbis geforderte Residenzpflicht der Bischöfe und der Pfarrer im eigenen Jurisdiktionsbezirk verwiesen, die nicht eine theologische, sondern eine disziplinäre Maßnahme darstellt. 253 Vgl. Schmaus, Katholische Dogmatik IV/I, 571.

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1. Die Konzeption des Priestertums in der Neuscholastik

Klarheit des Systems verkörpert und durch seine Lebensführung bestätigt. Daraus ergibt sich dann auch die vorrangige Bemühung des Priesters um ein moralisch vortreffliches Leben, die im Zen­ trum aller Überlegungen steht und als ‚Standesfrömmigkeit‘ bezeichnet werden kann. Als Beleg für die gänzlich ungenügende Abstraktion, die für diese Zeit typisch war, mag hier die Debatte um das Priesterdekret auf dem Konzil vorweggenommen werden. Wie Paul Josef Cordes dokumentiert, wurde von den Bischöfen genau dieser abstrakte, sehr allgemein gehaltene und deswegen farblose Charakter der ersten Entwürfe für das Priesterdokument moniert. 254 Die Entwürfe ließen „alles Lebendige und Aktuelle“ vermissen, und man musste sich fragen, „ob das Konzil etwas so Allgemeines, das bei allen schon gut bekannt ist, herausgeben soll“. 255 Es war sogar von „fast einer Beleidigung der Priester“256 die Rede, und es wurde beanstandet, dass die Rede von der viel erwähnten Heiligkeit, die der Priester „durch jede Tätigkeit seines Alltags suchen kann“, sehr abstrakt geblieben war. 257

1.4.6 Fazit: Klare Struktur, aber keine Antwort auf Unsicherheiten Die klar umrissene Einbettung innerhalb der Strukturen der Kirche sowie genau ausgeführte Themen der Weihegnade und Weihevollmacht führen nur auf den ersten Blick zur Sicherheit und Klarheit des Amtes. Diese werden bei genauerem Hinsehen allerdings wackelig. Da ist zuerst eine überbetonte kultisch-juridische Sicht der Person des Priesters zu erwähnen, die nicht den Dienstcharakter seines Daseins in den Vordergrund stellt, sondern die

254 Es ist hier nicht möglich, die Kompliziertheit der Entstehungsgeschichte des Priesterdekrets Presbyterorum ordinis zu rekonstruieren. Das Wesentliche wird in Abschnitt 2.1 gesagt. Hier sei nur auf allgemeine Vorbehalte der Konzilsväter hingewiesen, die genau den abstrakten und entrückten Charakter der zur Beratung vorgelegten Texte kritisierten. 255 Vgl. Paul Josef Cordes, Sendung zum Dienst. Exegetisch-historische und systematische Studien zum Konzilsdekret „Vom Dienst und Leben der Priester“, Frankfurt am Main 1972, 12 f. 256 Vgl. die Wortmeldung des Erzbischofs Gomez dos Santos aus Goiana in Brasilien, zitiert in: ebd., 19. 257 Vgl. ebd., 20. Zu dieser Diskussion vgl. vor allem 17–21.

1.4 Das Priesterbild in der neuscholastischen Theologie

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Stellung des Amtsträgers innerhalb der Gemeinde durch die starke Betonung der Unterschiede zu anderen Gemeindemitgliedern. In der Konfrontation mit dem modernen, autonomen Selbstverständnis der Nichtgeweihten in der Kirche führte diese Sicht in ihrer Unreflektiertheit zu großen Spannungen. Aus der überhöhten kultisch-juridischen Sicht des Amtes ergibt sich dann eine etwas romantisierende Vorstellung der sakramentalen Priestervollmachten, die im berühmten Wort des Pfarrers von Ars ihren Ausdruck findet: „Oh, wie groß ist der Priester! […] Wenn er sich selbst verstünde, würde er sterben […] Gott gehorcht ihm: Er spricht zwei Sätze aus, und auf sein Wort hin steigt der Herr vom Himmel herab und schließt sich in eine kleine Hostie ein.“258 Die vor allem kultisch-juridisch begründete Priesteridentität kann in der Praxis zu einem falschen, dem eigentlichen Charakter des Priestertums völlig unangemessenen ‚Hochwürdigkeitsdenken‘ führen. Dieses Denken mag zuerst über die eigentliche Unsicherheit, die im 20. Jahrhundert deutlich wurde, hinwegtäuschen, nämlich über die grundsätzliche Infragestellung des Priesteramtes innerhalb der Kirche. Unter dem Einfluss der modernen protestantischen Exegese wurden im Laufe des vorigen Jahrhunderts immer häufiger Zweifel an der Existenzberechtigung sowie grundsätzliche Anfragen an das Priesteramt als solches geäußert. Es wurde gar gefragt, ob das sakramentale Priestertum, wie es in der katholischen Kirche vorhanden ist, nicht ein heidnisches Relikt vorchristlicher Zeiten sei. 259 Die neuscholastische Theologie war nicht in der Lage, diese Anfragen zu reflektieren und schon gar nicht eine klärende und tragfähige Antwort auf diese zu liefern. Praktisch und in nicht erwarteter Heftigkeit hat sich das nach dem Konzil besonders in der großen Welle der Amtsniederlegungen gezeigt.

258 Vgl. Le curé d’Ars. Sa pensée – Son cœur, zitiert bei Benedikt XVI., Schreiben zum Beginn des Priesterjahres anlässlich des 150. Jahrestages des „dies natalis“ von Johannes Maria Vianney, 16. Juni 2009, http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/ de/letters/2009/documents/hf_ben-xvi_let_20090616_anno-sacerdotale.html#_ ftnref2 (17.8.2015). 259 Konkreter zu diesen Infragestellungen und zur modernen Krise des Priesteramtes siehe Kapitel 4: Ratzingers Ausgangspunkt: die Realität der priesterlichen Existenz heute.

2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

Das soeben skizzierte neuscholastische Priesterbild kann als typisch für Theologie und kirchliche Praxis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrachtet werden. Für den Blick auf das Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils scheint es angemessen zu sein, dieses für diese Zeit typische Bild in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Dadurch werden auch der Stellenwert des Themas beim Konzil und die Weiterentwicklung in der Zeit danach und somit auch der Beitrag Ratzingers im Zusammenhang mit ihrer konkreten historischen Situation verständlicher.

2.1 Geschichtliche Zusammenhänge Bevor also das theologische Priesterbild, wie es das Zweite Vatikanum entworfen hat, zum eigentlichen Thema wird, scheint es notwendig zu sein, einen kurzen Blick auf die geschichtlichen Zusammenhänge zu werfen, welche die theologischen Entwicklungen hervorgebracht und beeinflusst haben, um diese aus dem Kontext besser verstehen zu können. Damit sind vor allem Entwicklungen der letzten Jahrhunderte gemeint, welche die Ausgestaltung, aber auch die Spiritualität des Priesteramtes direkt beeinflusst und im Wesentlichen manche oben skizzierte Engführungen mit sich gebracht haben.1

1 Zur Entwicklung des kirchlichen Amtes in den ersten Jahrhunderten vgl. die knappe Zusammenfassung bei Gisbert Greshake, Priester sein in dieser Zeit. Theologie, pastorale Praxis, Spiritualität, Regensburg 32010, 26–33. Zur Frage des Mit­ einanders von Klerus und Laien vgl. P eter Neuner , Der Laie und das Gottesvolk,

2.1 Geschichtliche Zusammenhänge

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In diesem Teil sollen einerseits die wichtigsten für unser Thema relevanten theologischen Entwicklungen der Zeit nach dem Trienter Konzil im Blick bleiben, welche die Thesen der neuscholastischen Theologie in Bezug auf das Priestertum haben entstehen lassen, andererseits sollen die geistesgeschichtlichen Vorgänge der letzten Jahrhunderte bis kurz vor dem Konzil angeführt werden, um damit den sozial-geschichtlichen Hintergrund, in dem Konzilsaussagen gemacht wurden, zu reflektieren. Dieser Teil bietet keine systematische Untersuchung der theologischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen in der Zeit zwischen dem Trienter und dem Zweiten Vatikanischen Konzil, was die Möglichkeiten unserer Arbeit bei weitem überfordern würde, sondern versucht lediglich die bedeutsamsten Stränge der Entwicklung ins Bewusstsein zu rufen, die bei der Entstehung des Priesterbildes, wie wir es in Theologie und Praxis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorfinden, eine Rolle gespielt haben.

2.1.1 Theologische Innenperspektive: Entwicklung des Amtsverständnisses nach dem Trienter Konzil Die tiefe Krise, welche durch die Vorgänge der Reformation die Theologie und Kirche erfasst hat,2 wurde im Besonderen auf den Gebieten der Ekklesiologie und der Sakramentenlehre, vor allem was die Amtsfrage und damit zusammenhängend die Frage der Verfassung der Kirche, die Zahl und Deutung der Sakramente angeht, spürbar. 3



Frankfurt 1988, vor allem 26–56; Georg Schöllgen, Die Anfänge der Professionalisierung des Klerus und das kirchliche Amt in der Syrischen Didaskalie, Münster 1998. 2 Gerade in Bezug auf das Priestertum muss allerdings gesagt werden, dass nicht wenige Fehlentwicklungen nicht aus der Krise durch die Reformation resultierten, sondern vielmehr diese in gewissem Sinne mitverursacht haben. Hubert Jedin bringt es auf den Punkt, wenn er darauf hinweist, dass zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Priesterweihe „viel weniger Amt und Würde als Mittel zum Zweck, der Erlangung eines Benefiziums“ war, denn „es gab keine Verbindung zwischen Priestertum und pastoraler Verpflichtung“. Hubert Jedin, Das Leitbild des Priesters nach dem Tridentinum und dem Vaticanum II, in: Theologie und Glaube 60 (1970) 102–124, hier 104 f. Diese Missstände gehören auch mit zu den Gründen für die Reformmaßnahmen des Trienter Konzils und nicht nur die Infragestellungen durch den Protestantismus. 3 Martin Luther lässt in seinem Katechismus (1529) nur zwei Sakramente als „Sakramente, die Christus selbst eingesetzt hat“, ergo als „eigentliche Sakramente“ gel-

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

Mit dem Trienter Konzil (1545–1563) 4 versuchte die katholische Kirche eine tragfähige Antwort auf die reformatorischen Infragestellungen5 zu geben und einen entscheidenden Schritt aus der Krise zu wagen.6

ten: Taufe und Abendmahl (vgl. Vorrede). Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses (1531) definiert auch noch die Beichte als Sakrament im strikten Sinne: „Vere igitur sunt sacramenta baptismus, coena Domini, absolutio quae est sacramentum poenitentiae“ (Artikel 13). Das Weihesakrament kann nur als Sakrament im weiteren Sinne gelten: „Si autem ordo de ministerio verbi intelligatur, non gravatim vocaverimus ordinem sacramentum. Nam ministerium verbi habet mandatum Dei et habet magnificas promissiones“ (ebd.); vgl. I rene Dingel (Hg.), Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, Göttingen 2014, 292 f. Diese haben folglich massive Auswirkungen auf die Kirchenverfassung und das Amt. – Zum zentralen Streitthema der Reformation vgl. vor allem: Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche, 1999, http://www.vatican.va/roman_curia/pontifi cal_councils/chrstuni/documents/rc_pc_chrstuni_doc_31101999_cath-luth-jointdeclaration_ge.html (15.3.2016); weiter aus der Sicht der evangelischen Kirche mit einigen Aktualisierungsmomenten: Rechtfertigung und Freiheit. 500 Jahre Reformation 2017. Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2014. 4 Zum Verlauf des Konzils vgl. das vierbändige Werk von Hubert Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, Freiburg/Basel/Wien 1949–1975. 5 Um der Vollständigkeit des Bildes willen muss gesagt werden, dass die Reformation selbst eine Reaktion auf eine tiefe Krise des kirchlichen Lebens war. Luther reagierte mit seiner Kritik vor allem auf moralische und theologische Missstände seiner Zeit. Die Ablassfrage stellt dabei das berühmteste Beispiel dar. Vgl. dazu: Alle unter einem Christus. Stellungnahme der Gemeinsamen Römisch-katholischen/Evangelisch-lutherischen Kommission zum Augsburgischen Bekenntnis 1980, in: H arding Meyer / Damaskinos Papandreou / H ans Jörg Urban / Lukas Vischer (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung I, Paderborn 21991, 323–328, vor allem Nr. 19. Vgl. dazu auch Otto Hermann P esch, Hinführung zu Luther, Mainz 32004, 231–233. Gerade was die konkrete Lebensrealität des kirchlichen Amtes betrifft, schien Luther in seiner Zeit zu Recht sehr viel im Argen zu liegen. Thomas Ochs schreibt: „Die Ordination geriet in Gefahr, als eine persönliche Auszeichnung und Machtstellung der Person ohne Bezug zur Funktion des Dienstes an den Menschen und der bleibenden Verwiesenheit und Abhängigkeit von Christus gesehen zu werden. Viele Bischöfe und Priester vernachlässigten z. B. die Predigt und kamen nicht oder nur in defizitärer bzw. missbräuchlicher Form ihren eigentlichen Aufgaben der Seelsorge und des Heiligungsdienstes nach. Die spätmittelalterliche Sakramentenpraxis wurde durch die Verquickung mit Finanzgeschäften entstellt, außerdem war sie durch Ritualisierung und infolge vernachlässigter Wortverkündigung kaum noch als Glaubensgeschehen erkennbar.“ Thomas Ochs, Funktionär oder privilegierter Heiliger? Biblisch-theologische Untersuchungen zum Verhältnis von Person und Funktion des sakramental ordinierten Amtsträgers, Würzburg 2008, 117. 6 Die Bemühung des Trienter Konzils um Überwindung der offensichtlichen Krise durch eine Reform der Kirche ist eindeutig festzustellen: „Die Historiker stellen

2.1 Geschichtliche Zusammenhänge

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Das Konzil von Trient unterstreicht die Eigenständigkeit und Sakramentalität des ordinierten Amtes gegen die „von der Reformation ausgelöste tatsächliche (oder vermeintliche) Einebnung des Amtes in das ‚allgemeine Priestertum‘ und gegen die Ablösung der priesterlichen Funktion und Vollmacht durch die des Predigtdienstes“.7 Dabei bleibt die Verteidigung des tatsächlich in der Kirche ausgeübten Priestertums im Vordergrund. Das Konzil erarbeitete also negativ formulierte Grenzen, hinter denen von einer katholischen Lehre nicht mehr die Rede sein kann. Die Aus­ sagen des Konzils haben einen unmissverständlich apologetischen Charakter und wollen gegenüber der generellen Infragestellung des hierarchischen Prinzips durch die Reformation eben diesen, im Wesen des apostolischen Amtes selbst gegenwärtigen Grundsatz besonders hervorheben. 8 Der Ablehnung des priesterlichen Charakters wird mit der Betonung der „Verbindung von sicht­ barem Opfer (Messe) und kultisch-priesterlicher Vollmacht“9 des Priesters begegnet.10 Dadurch wird der vornehmlich kultisch-sakramentale Charakter des Priesteramtes betont. Josef Freitag zeigt auf, dass gerade die Begründung des sakramentalen Amtes allein vom eucharistischen Opfer her an der Unmöglichkeit auf diesem Weg, die „vorrangige Stellung der Bischöfe in der Kirche begründen zu können“, die dadurch einen rein jurisdiktionellen Charakter hätte,11 der sich nicht direkt von der Weihe her, sondern vom päpstlichen Mandat her ableiten ließe, schei-



übereinstimmend heraus, dass das ganze Konzil in Vorgeschichte, Verlauf und Wirkungsgeschichte im Horizont der Kirchenreform steht, vom Ringen um sie geprägt und bis in einzelne Züge hinein nur von ihr her verständlich wird. Das gilt in eminenter Weise von der Ordo-Frage. […] Von Anfang an zeigt sich, dass der Ordo nicht ohne ekklesiologische, und das heißt in Trient: kirchenreformerische Rück- und Einbindung zu verdeutlichen ist.“ Josef Freitag, Sacramentum ordinis auf dem Konzil von Trient. Ausgeblendeter Dissens und erreichter Konsens, Innsbruck/Wien 1991, 34 f. Bei Freitag findet man eine genaue und vielschichtige Behandlung der Geschichte und auch der Hintergründe der Entwicklung der Amtsfrage auf dem Konzil von Trient. Für eine genauere Untersuchung des endgültigen Ordo-Dekrets des Trienter Konzils vgl. vor allem S. 12–22 in Freitags Werk. 7 Vgl. Greshake, Priester sein in dieser Zeit, 33. 8 Vgl. DH 1767–1770. 9 Greshake, Priester sein in dieser Zeit, 33. 10 Vgl. DH 1764. 11 Vgl. Freitag, Sacramentum ordinis auf dem Konzil von Trient, 17.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

terte. Doch vor allem in den konkreten Reformdekreten wenden sich die Konzilsväter energisch gegen solche Reduktion des Bischofsamtes12 und betonen, dass der Bischof „der eigentliche Bezugspunkt des Amtsverständnisses“ und „seinem Wesen nach nicht nur Priester, sondern Hirt und Lehrer der ihm anvertrauten Ortskirche“ sei.13 Gisbert Greshake sieht gerade darin die Überwindung des „rein sazerdotalen Verständnisses“ des kirchlichen Amtes und der „Verengung auf das isoliert ‚Priesterliche‘“14, womit wohl genau die kultisch-sakramentale Verkürzung des kirchlichen Amtes gemeint ist. Es wurde bereits gesagt, dass das Konzil von Trient eine Antwort auf die Krise der Reformation ist und die katholische Lehre gegen ihre Infragestellungen absichert und somit defensiv ausgerichtet ist. Was das Konzil allerdings nicht leistet und in der konkreten geschichtlichen Situation auch nicht leisten will, ist eine positive und organische Darstellung der katholischen Lehre vom Priestertum.15 Man kann also sagen, dass die Lehre und die Kano-

12 Vgl. DH 1777 und 1768. 13 Vgl. Greshake, Priester sein in dieser Zeit, 34. Die hinter diesem Ringen zu klärende theologische Frage war die nach dem Verhältnis zwischen der potestas ordinis, welche als Vollmacht über den sakramentalen eucharistischen Leib Christi verstanden wurde, und der potestas iurisdictionis, welche als konkrete jurisdiktionale Vollmacht über den mystischen Leib Christi, die Kirche, verstanden wurde. Manche äußerten beim Konzil gar die Meinung, dass die potestas ordinis bei der Weihe direkt von Gott vermittelt werde, die potestas iurisdictionis dagegen auch den Bischöfen vom Papst her zukomme, da dieser als Einziger unumstrittene juridische Macht in der Kirche habe. Demgegenüber betonten die Konzilsväter die besondere Stellung des Bischofs, da in ihm die Fülle des ordinierten Amtes zugegen sei und er alleine Priester weihen könne. Vgl. dazu Freitag, Sacramentum ordinis auf dem Konzil von Trient, 364–366; Ochs, Funktionär oder privilegierter Heiliger?, 147–151. 14 Vgl. Greshake, Priester sein in dieser Zeit, 34. Greshake verweist allerdings auch darauf, dass wegen eines innerkonziliaren Streits diese Sicht nicht ganz zum Tragen kam, da die römisch-kuriale Seite nicht bereit war, den Bischöfen eine selbstständige, also allein von der Weihe hergeleitete jurisdiktionelle Aufgabe der Leitung zuzugestehen, und die Delegiertheit ihrer Vollmachten vom Papst her betonte. Auch deswegen sei die Lehre des Trienter Konzils über das kirchliche Amt nicht ein Ganzes, sondern vielmehr ein „Minimalkonsens, ein konsensfähiger Torso, der ausschließlich die sazerdotalen Dimensionen des Amtes betraf und ausformulierte“. Ebd. 15 Der Behandlung des Sakraments der Weihe wird folgender Satz vorangestellt: „Vera et catholica doctrina de sacramento ordinis ad condemnandos errores nostri

2.1 Geschichtliche Zusammenhänge

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nes des Trienter Konzils nur ein Teil des Ganzen sind, ein sehr wichtiger Teil, da er die Grenzen absichert, aber eben nur ein Teil und nicht das Ganze. Die hermeneutische Nichtbeachtung dieses wichtigen Umstandes wird in der Perzeption des Konzils und in den folgenden Entwicklungen der Theologie bis hinein in die Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine entscheidende Rolle spielen. „Indem man nun in der nachtridentinischen Theologie den Teil für das Ganze hielt und den Teil überdies antireformatorisch akzentuierte, wurden die sazerdotal-sakramentalen Aufgaben noch einmal mehr vom Ganzen des kirchlichen Amtes isoliert und dieses vornehmlich unter der Frage ‚Was kann der Priester ›mehr‹ als der Laie?‘ reflektiert.“16

Die Absicherungen der Lehre, die das Trienter Konzil vorgenommen hat, sind durch die vom Konzil selbst vorgeschriebenen und danach in großer Zahl entstandenen Priesterseminare tatsächlich zum Tragen gekommen. Doch gerade dadurch wurde auch die eben festgestellte Engführung17 in der Wahrnehmung der Amtstheologie des Konzils überall präsent. So begegnet uns in der ­neuscholastischen Theologie ein auf die gegenreformatorischen Absicherungen eingeengtes Priesterbild, in dem sazerdotale Aufgaben im Mittelpunkt stehen, denen die dementsprechende Lebens­ f ührung als praktisches Pendant hinzugefügt wird, das aber eine gesamtekklesiologische und pastorale Dimension des Amtes als Dienst an konkreten Menschen in konkreten geschichtlichen Umständen bisweilen völlig außer Acht lässt. Diese Verkürzungen in der Amtstheologie wurden auch durch außerkirchliche Entwicklungen, welche wiederum immer auch in die Kirche zurückstrahlen, begünstigt.



temporis, a sancta Synodo Tridentina decreta et publicata sessione [sub Pio IV] septima.“ DH 1763. Es wird also betont, dass es sich um eine Darstellung der Lehre gegen die Irrtümer der konkreten Zeit handle und nicht um eine ganzheitliche Behandlung dieser Lehre. 16 Greshake, Priester sein in dieser Zeit, 34. 17 Auch Joseph Ratzinger sieht diese Engführungen in der Wahrnehmung der Amtstheologie des Trienter Konzils, wie in Abschnitt 4.5 ausgeführt wird.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

2.1.2 Außenperspektive: geistesgeschichtliche Zusammenhänge Die Entwicklungen der Neuzeit,18 die eng mit der Reformation und ihren gesellschaftlich-politischen Auswirkungen zusammenhingen, haben – wie im Rückblick mit genügend historischem Abstand festgestellt werden kann – sehr viel zur konkreten Ausgestaltung des Priesteramtes in modernen Gesellschaften beigetragen. Aus der Reihe der historischen Ereignisse der Neuzeit sticht die Französische Revolution (ab 1789) hervor, die auf gedanklicher Ebene bis in die heutige Zeit hinein große Auswirkungen auf den Begriff der Moderne und auf die Identität des modernen Menschen überhaupt hat. Sie verursachte aber auch gewaltige Verunsicherungen in der Kirche. Die Reichskirche und überhaupt die gewachsene Verflechtung von Kirche und Feudalgesellschaft sind zur Geschichte geworden.19 Die Entwicklung führt zu einer „weitgehenden Eingliederung der Kirche in die modernen staatlichen Strukturen“. 20 Im habsburgischen Reich entsteht in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch den Josephinismus eine spezifische Form des Staatskirchentums, das eine völlige Integration der Kirche in den Staat anstrebte und dessen Ziel die „Umwandlung ständisch strukturierter Länder zu einem Gesamtstaat unter zentralistischer Verwaltung“ war. 21 Demzufolge sollten auch die Priester zu Beamten werden, was durch eine „staatlich verordnete Modernisierung des Klerus“ erreicht werden sollte, „indem die Presbyter zu einer Art geistlich-moralischer Beamtenschaft des Staates werden“. 22

18 Nach Übereinkunft der heutigen Geisteswissenschaften beginnt um 1500 eine neue Epoche, deren Beginn durch die Erfindung des Buchdrucks (um 1450), die Entdeckung Amerikas (1492), die Reformation (1517) und die darauf folgende Konfessionalisierung, die zur Entstehung des modernen Staates durch Differenzierung und Herausbildung der politischen Öffentlichkeit wesentlich beigetragen hat, gekennzeichnet wird. Vgl. Johannes Burkhardt / H ans-Joachim Höhn, Neuzeit, in: LThK 3 7, 789–791. 19 Vgl. P eter Hünermann, Einleitung zu Presbyterorum ordinis, in: Herders theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 4, Freiburg i. Br. 22009, 342–410, hier 343. 20 Ebd., 345. 21 Vgl. Rudolf Zinnhobler , Josef II., in: LThK 3 5, 1008 f. 22 Hünermann, Einleitung, 345.

2.1 Geschichtliche Zusammenhänge

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Der moderne Staat ist sich seiner neuen Stärke der Kirche gegenüber bewusst und spricht bei den kirchlichen Angelegenheiten mit: von der Ernennung der Bischöfe bis hin zur staatlichen Besoldung der Priester, die nach der Säkularisierung der Kirchengüter neue Formen finden musste. Gerade diese letzte Entwicklung, die nach den napoleonischen Kriegen überall in Europa eingesetzt hat, lässt die staatliche Kirchenaufsicht und das Bemühen um entsprechende Umformung des Klerus verstärkt aufkommen, was einerseits zu akuten Kulturkämpfen, andererseits zu einer Emanzipation des päpstlichen Führungsanspruches gegen die staatliche Bevormundung führt. Dieser wurde „in der Vergangenheit zwar theoretisch erhoben, praktisch aber nie in dieser Form durchgesetzt“. 23 Durch die Definition des Primats und der Unfehlbarkeit des Magisteriums beim Ersten Vatikanischen Konzil 24 sowie durch die vorherige Inanspruchnahme dieser Unfehlbarkeit bei der Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis25 wurde der „Unabhängigkeitsanspruch der Kirche im neuen Kontext souveräner Nationalstaaten“ formal bekräftigt. 26 Durch die Dogmatische Konstitution Dei Filius des genannten Konzils, die zwar in natürlicher Vernunft eine eigenständige Quelle menschlicher Erkenntnis, sogar der Gotteserkenntnis, sieht, aber die Absicherung gegen ihre durch die Sünde grundsätzlich immer drohende Verzerrung in der thomistischen überzeitlichen 27 Synthese von Glaube und Vernunft ausmacht, erhebt die Kirche auch einen kulturellen Leitanspruch gegenüber einer „sich unbedingt setzenden modernen Wissenschaft“. 28 Diese Entwicklungen erreichen gewissermaßen ihren Höhepunkt im Syllabus errorum29 und in der

23 Ebd. 24 Vgl. Dogmatische Konstitution des Ersten Vatikanischen Konzils Pastor aeternus vom 18. Juli 1870 (DH 3050–3075). Siehe auch die politischen Auswirkungen dieser Definition im deutschen Kulturkampf, die u. a. in DH 3112–3117 (Antworten auf die Circular-Depesche des Reichskanzlers Bismarck über die Auslegung der Konstitution Pastor aeternus des 1. Vatikanischen Konzils) ihren Niederschlag fand. 25 Von Pius IX. in der Bulle Ineffabilis Deus vom 8. Dezember 1854 verkündet (vgl. DH 2800–2804). 26 Vgl. Hünermann, Einleitung, 346. 27 Siehe das Problem der Ungeschichtlichkeit im Neuthomismus in Abschnitt 1.3.3. 28 Vgl. Hünermann, Einleitung, 346. 29 Nach mehreren Dokumenten, welche die konkreten Irrtümer der modernen Ideologien zurückgewiesen hatten (siehe z. B. DH 2841–2847 gegen Ontologismus, DH

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

ganzen antimodernistischen Bewegung von Pius X. 30 Diese Entscheidungen werden in ihren Folgen auf die spätere Krise des Priestertums nicht zu unterschätzende Auswirkungen haben. 31 Entsprechend den oben erwähnten Festlegungen gegenüber dem modernen Staat wandeln sich auch das Amtsverständnis und die Ausbildung der Priester. Die neue politische Lage der Zeit führt zu neuen Modellen der Kirchenfinanzierung. Das traditionelle Modell der Benefizien wird durch Formen abgelöst, bei denen die Kirchengüter in größeren Einheiten, meist auf Diözesan­ ebene, organisiert und verwaltet werden. Diese Entwicklung wird auch vom Heiligen Stuhl durch völkerrechtliche Verträge vorangetrieben32 und findet eine Entsprechung in der Ausbildung und Formung des Klerus, der immer mehr zu einer Art „Beamtenschaft der Kirche“ wird. Auf den modernen, selbstbewussten Nationalstaat mit all seinen Verwaltungsstrukturen, die seine Macht repräsentieren und verwirklichen, reagiert die Kirche also mit einem Priestertum, das in ihr eine eigene Beamtenschaft darstellt, ergo eine eigene, herausgehobene Schicht bildet, welche eine relativ gute Ausbildung genießt und die Geschäfte in den Händen hält. Auf die Professionalität des Staates antwortet die Kirche mit der Professionalität des Klerus. Im Vordergrund stehen seine Kompetenzen des wahren Kultes, der Verwaltung der Sakramente und der Leitung der Gemeinden. „Dem souveränen modernen Nationalstaat, der für sich das irdische Gewaltmonopol und die oberste Autorität beansprucht, diesen



2865–2867 gegen Indifferentismus u. a.), veröffentlichte Pius IX. am 8. Dezember 1864 im Anschluss an die Enzyklika Quanta cura (DH 2890–2896) eine Sammlung von Irrtümern, die in verschiedenen früheren Verlautbarungen geächtet wurden, unter dem Namen Syllabus errorum (DH 2901–2980). 30 Unter Pius X. sind vor allem das Dekret Lamentabili vom 3. Juli 1907 (DH 3401–3466) und die Enzyklika Pascendi Dominici gregis vom 8. September 1907 (DH 3475–3500) zu nennen. Mit dem Motuproprio Sacrorum antistitum vom 1. September 1910 (DH 3537–3550) führte der Papst den sogenannten Antimodernisteneid ein, den jeder Kleriker ab dem Subdiakonat vor der Weihe abzulegen hatte. Diese Anordnung blieb bis zum Pontifikat Pauls VI. in Kraft, der den Eid 1967 durch das Glaubens­ bekenntnis ersetzte. 31 Vgl. unten S. 230 f. 32 Vgl. vor allem die Konkordate des Heiligen Stuhls mit Frankreich (1801 und 1813; Papst Pius VII.) und mit Österreich (1855; Papst Pius IX.). Einen generellen Überblick über die Konkordate bietet http://www.iuscangreg.it/accordi_santa_sede. php (28.8.2016).

2.1 Geschichtliche Zusammenhänge

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­ nspruch durch seine Beamtenschaft repräsentiert und die dafür A notwendigen Leistungen erbringt, steht hier eine kirchliche Institution gegenüber, die in ihrer Autonomie und Unabhängigkeit, gegründet auf die Offenbarung Gottes, ihre eigene Struktur entwickelt.“33

Man kann in dieser Entwicklung einen späten Ausdruck des Kirchenbildes als societas perfecta sehen. Die Passivität der Laien, die zunehmend lediglich zu Weisungsgebundenen des Klerus werden, ist ein logisches Ergebnis. Die Folgen für das Priesterbild sind nicht überraschend: Kult und Professionalität in der Verwaltung werden als die wichtigsten Elemente des Priesterwirkens angesehen, das Bild des Priesters als Hirten wird in den Hintergrund gedrängt. 34 Die Tatsache, dass der Ordo vor allem als Dienstamt für die Kirche existiert, wird nicht besonders betont, sondern viel mehr auf persönliche Gnaden­ vermehrung durch die Weihe und ihrer Würde entsprechende Lebensführung hingewiesen. Spirituelle Entsprechung findet der Beamtenschaftscharakter des Klerus im persönlichen Streben nach Vollkommenheit und Heiligkeit – sanctificatio, zu der stets ermahnt wird. 35 Die Person des Priesters wurde aufgrund der Sakralität seines Amtes in übermenschliche Erhabenheit erhöht. Da er „durch die Ordination unmittelbares Instrument des gnadenhaften Wirkens Gottes ist“36, ist er gehalten, sein Leben zu heiligen. 37 Darin besteht der eigentliche Unterschied zum anderen Beamtentum. Das Natürliche und Menschliche wird geradezu vergessen. In der École française wird der Priester gar zu einer „Verlängerung des historischen Jesus“; eine unzulässige Unmittelbarkeit, welche die natürliche Distanz zu Jesus Christus verwischt und zugleich die Distanz zu den Laien automatisch wachsen lässt. 38 Cordes bringt in seiner Untersuchung einige Zitate39 dieser einfluss-

33 Hünermann, Einleitung, 348. 34 Die Abgeschiedenheit des Pfarrhauses und die gute Verwaltung der Pfarrei werden als besonders wichtig betrachtet. Vgl. A ndreas Wollbold, Als Priester leben. Ein Leitfaden, Regensburg 2010, 55. 35 Mehr dazu siehe Abschnitt 2.1.3. 36 Vgl. Hünermann, Einleitung, 354. 37 Vgl. Müller , In der Kirche Priester sein, 30 f. 38 Vgl. Hünermann, Einleitung, 354 f., vor allem Anm. 51. 39 Zur Illustration folgendes Zitat: „O unvergleichliche Erhabenheit des Priesters, der wie ein auferstandener Jesus Christus alles mit höchster Autorität in der Kirche wirkt. […] Der hl. Johannes sagt von dem Wort, dass alles durch es geschaffen ist

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

reichen40 Richtung aufs Tableau, die eine absolute Identifizierung des Priesters mit Christus postulieren, und weist darauf hin, dass es sich nicht um theologisch-systematische Studien handle, sondern um eine Art Motivationstexte, um nach der priesterlichen Vollkommenheit zu streben. Es kann nicht bestritten werden, dass die École française einerseits positive Wirkungen auf die Priester hatte, aber mindestens genauso äußerst problematische Folgen in der völligen Individualisierung des Priesters: Die Ausbildung sollte Einzelkämpfer hervorbringen, wobei die Einbettung in das Presbyterium und die Verbindung mit dem Bischof gänzlich außer Acht gelassen wurden. Die starke Betonung der Gegenüberstellung zur Gemeinde hatte eine völlige Isolierung von dieser zur Folge, da der Priester „das Ewige repräsentiert“. Solch hohe Ansprüche konnten im konkreten Leben der Priester allerdings kaum erfüllt werden.41 Es liegt auf der Hand, dass diese Entwicklung ein enormes Krisenpotential in sich birgt, wie es nur wenig später die Geschichte unmissverständlich unter Beweis stellen wird. Unmittelbar vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil erwecken alle diese Maßnahmen des 19. und 20. Jahrhunderts aber vielmehr den Eindruck der sichtbaren Stabilisierung der Kirche und des Priesteramtes. Das ist auch darin sichtbar, dass das Thema des Priesters am Vorabend des Konzils im Bewusstsein der Konzilsväter nicht mit dringend zu lösenden Problemstellungen verbunden ist.

2.1.3 Ergebnis und Ausdruck der Entwicklungen: Ermahnungen der Päpste zur Heiligkeit des Priesterlebens Nach dem Ersten Vatikanum findet man eine ganze Reihe von kirchlichen Dokumenten, die das Priestertum behandeln und sich



und dass nichts ohne es geschaffen ist. Könnte man nicht ebensoviel von dem Priester sagen für die Dinge, die sich in der Kirche tun? Denn er ist der Ursprung von allem Guten, das dort geschieht, und ohne ihn wird keine Gnade den Menschen mitgeteilt.“ Jean-Jacques Olier, zitiert bei Paul Josef Cordes, Warum Priester? Fällige Antworten mit Benedikt XVI., Augsburg 2009, 140 f. 40 Die Gemeinschaft von Saint-Sulpice, die sich die Gedanken der École française zu eigen machte, hat in vielen Ländern über 300 Jahre lang die verantwortlichen Leiter der Priesterseminare gestellt. Vgl. Cordes, Warum Priester?, 140. 41 Vgl. ebd., 140 f.

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an die Priester richten. Das Thema ist den Päpsten von Pius IX. bis Johannes XXIII. ein großes Anliegen.42 Pius IX. veröffentlichte am 3. Mai 1858 die Enzyklika Amantissimi redemptoris über die Priester und die Sorge für die Seelen, in der er die „große innere Gabe und Ehre“ preist, die den Priestern mit der Feier des Messopfers anvertraut worden ist.43 Leo XIII. hat kein allgemein gehaltenes Dokument zum Thema Priestertum verfasst, sehr wohl aber die Unabhängigkeit der Kirche in der Ausbildung des Klerus in konkreten Ländern betont.44 In seinem Pontifikat wurde mit der Enzyklika Apostolicae curae aber auch die Frage der Gültigkeit der Weihen der anglikanischen Kirche entschieden.45

42 Eine Sammlung der entsprechenden Dokumente über das Priestertum von Pius X. bis Johannes XXIII. in deutscher Fassung hat Anton Rohrbasser herausgegeben. Vgl. A nton Rohrbasser (Hg.), Sacerdotis imago. Päpstliche Dokumente über das Priestertum von Pius X. bis Johannes XXIII., Freiburg/Schweiz 1962. 43 Der Text der Enzyklika ist auf Italienisch abrufbar unter: http://w2.vatican.va/con tent/pius-ix/it/documents/enciclica-amantissimi-redemptoris-3-maggio-1858. html (20.8.2016). Pius IX. verfasste darüber hinaus mehrere Schreiben, die den Priestern in konkreten Ländern gewidmet sind: Nemo certe ignorat (1852) – Irland; Probe noscitis venerabiles (1852) – Spanien; Cum nuper (1858) – Sizilien; Meriodinali Americae (1865) – Südamerika; in Etsi multa luctuosa (1873) und vor allem in Quod numquam (1875) wird unter anderem die Unterdrückung der Priester und die Einmischung des Staates in ihre Angelegenheiten in Zeiten des Kulturkampfes in Deutschland beklagt und der Widerstand des Klerus gelobt; in Vix dum a vobis (1874) wird besonders die Ablehnung der liberalen Gesetzgebung in Österreich durch den Klerus gefordert. 44 So finden sich dementsprechende Verweise in seinen Enzykliken zur Situation in einzelnen Ländern, besonders nach dem Ende des Kulturkampfes, wie z. B. Iampridem (1886) – Deutschland; Constanti Hungarorum (1893) – Ungarn; Caritatis (1894) – Polen; Litteras a vobis (1894) – Brasilien, eigens wird hier die Wichtigkeit der Priesterausbildung und die Verantwortung der Priester betont; Inter grave (1894) – Peru; Caritatis studium (1898) – Schottland; Depuis le jour (1899) – Priesterausbildung in Frankreich; Paternae (1899) – Brasilien; Fin dal Principio (1902) – Priesterausbildung in Italien; und andere. Eine besondere Erwähnung verdient die Enzyklika Immortale Dei vom 1. November 1885 (ASS 18 [1885] 161–180) über die wahre christliche Staatsverfassung, in der im Rahmen der Freiheit der Kirche die Priesterausbildung und das Wirken der Priester thematisiert werden. 45 Das bereits öfter zitierte Apostolische Schreiben Apostolicae curae vom 13. September 1896 (ASS 29 [1896/97] 193–203), lateinisch abrufbar unter: http://w2.vatican. va/content/leo-xiii/la/apost_letters/documents/litterae-apostolicae-apostolicaecurae-13-septembris-1896.html#fonte (20.8.2016). Die anglikanischen Weihen wurden für ungültig erklärt.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

Pius X. setzt in seinen Dokumenten die Linie der Behandlung des Themas in Bezug auf Umstände in konkreten Staaten fort.46 Der Papst veröffentlichte am 4. August 1908 anlässlich seines 50. Priesterjubiläums das Apostolische Mahnwort an den katholischen Klerus Haerent animo,47 in dessen Mittelpunkt die „Sorge um die Heiligkeit des Priesterlebens“ und die „Aufforderung des Klerus zum Streben nach Heiligkeit“ stehen.48 Die Argumentation verläuft im Wesentlichen entlang der oben skizzierten Linie und illustriert den Duktus anderer Dokumente, die in diesem Unter­ kapitel Erwähnung finden. Deswegen soll sie als pars pro toto kurz vorgestellt werden. Die Sendung von Christus ist heilig und erfordert deswegen heilige Diener, die immer gleichförmiger mit Christus werden und in deren Lebensführung die Übereinstimmung zwischen Lehre und Leben verwirklicht ist (Nr. 3 f.). Der Papst behandelt ausführlich auch die Mittel zur Selbstheiligung des Priesters: von der Bildung (6) über Demut, Gehorsam, Selbstverleugnung bis zu Hingabe und Bewusstsein über den Dienstcharakter des Amtes (7–11). Großer Raum wird auch dem Thema ‚Gebet‘ gewidmet, dessen Notwendigkeit wiederum mit der Heiligkeit des Amtes begründet wird, und es werden sogar konkrete Formen des Gebetes empfohlen (15–28).49 Im letzten Kapitel werden Keuschheit, Gehorsam und Selbstzucht als dringende Erfordernisse der heutigen Zeit skizziert (31–33) sowie die praktischen Aspekte wie Exerzitien und Priestervereine angesprochen (34–36). Es sei kurz in Erinnerung gerufen, dass es Pius X. war, der den Antimodernisteneid, den alle Kleriker vor ihrer Weihe abzulegen haben, eingeführt hat. 50 46 So behandelt er die bereits bei seinen Vorgängern erwähnten Aspekte z. B. in seinen Enzykliken Vehementer nos (1906) – Reaktion auf die Trennung von Kirche und Staat in Frankreich; Pieni l’animo (1906) – Reaktion auf Unabhängigkeitsbestrebungen und Ungehorsam, die sich im italienischen Klerus im Zuge der nationalen Unabhängigkeitsbewegung breitmachten, in der der Papst größte Vorsicht bei Kandidatenzulassung für die Weihen fordert; Iamdudum (1911) – Portugal. 47 ASS 41 (1908) 555–577; auf Italienisch abrufbar unter: http://w2.vatican.va/con tent/pius-x/it/apost_exhortations/documents/hf_p-x_exh_19080804_haerentanimo.html (21.8.2016); auf Deutsch unter: http://www.kathpedia.com/index.php/ Haerent_animo_(Wortlaut) (1.9.2016). 48 Vgl. P ius X., Haerent animo, Nr. 1–2. 49 Tägliche Betrachtung, geistliche Lesung und tägliche Gewissenserforschung werden empfohlen. 50 Vgl. oben S. 83.

2.1 Geschichtliche Zusammenhänge

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Benedikt XV. veröffentlichte am 15. Juni 1917 seine Enzyklika Humani generis redemptionem, die dem Wort Gottes und seiner Verkündigung in der Predigt gewidmet ist. 51 Es ist darin von „versagender Verkündigung“ die Rede (Nr. 3 f.), von „unberufenen und unbefugten Priestern“ (5), aber es werden auch die richtige Absicht des Predigers sowie das Ziel und die Methode der Predigt (9–12) behandelt, wobei der Apostel Paulus als Vorbild für die Prediger vorgestellt wird (13 f.) und zur „asketischen Herzensbildung“ (15) und großmütigen Opferbereitschaft (16) aufgerufen wird. Es sind Motive, die in das oben skizzierte Bild passen. Bei Pius XI. ist vor allem die zum fünfzigjährigen Priesterjubiläum des Papstes am 20. Dezember 1935 veröffentlichte Enzyklika Ad catholici sacerdotii über das katholische Priestertum für unser Thema von Bedeutung. 52 Im Wesentlichen wird hier die Linie seiner Vorgänger fortgesetzt. Überraschend und theologisch eher unbedacht wirkt dagegen die Erwähnung des Priestertums in ­ heidnischen Religionen (Nr. 10), 53 das in eine Reihe mit dem alt-

51 AAS 9 (1917) 305–317; auf Italienisch abrufbar unter: http://w2.vatican.va/content/ benedict-xv/it/encyclicals/documents/hf_ben-xv_enc_15061917_humani-generisredemptionem.html (20.8.2016); auf Deutsch unter: http://www.kathpedia.com/ index.php/Humani_generis_redemptionem_(Wortlaut) (20.8.2016). 52 AAS 28 (1936) 5–53; auf Italienisch abrufbar unter: http://w2.vatican.va/content/ pius-xi/it/encyclicals/documents/hf_p-xi_enc_19351220_ad-catholici-sacerdotii. html (20.8.2016); auf Deutsch unter: http://www.kathpedia.com/index.php?title= Ad_catholici_sacerdotii_(Wortlaut) (20.8.2016). Pius XI. verfasste am 23. Dezember 1929 Quinquagesimo ante anno, eine andere Enzyklika (AAS 21 [1929] 707–722), für die das eigene goldene Priesterjubiläum der äußere Anlass war, die aber thematisch die Höhepunkte seines Pontifikates behandelt, wie z. B. den Abschluss der Lateranverträge und verschiedener Konkordate, aber auch die Erweiterung des römischen Priesterseminars. Trotz des Anlasses ist dieses Dokument aber für das Thema Priestertum unbedeutend. 53 Es wird auf das menschliche Bedürfnis nach amtlichen Mittlern zwischen Gott und den Menschen, die öffentliche Gebete und Opfer für die ganze Gesellschaft an Gott richten und diesen Auftrag als Lebensaufgabe haben, rekurriert. Hier der Paragraf im Wortlaut: „Immer hat die Menschheit das Bedürfnis nach Priestern empfunden, d. h. nach Menschen, die durch ihre amtliche Sendung Mittler zwischen Gott und den Menschen sind und aus der gänzlichen Hingabe an ihre Mittlerschaft ihre Lebensaufgabe machen. Sie sind beauftragt, Gott öffentliche Gebete und Opfer im Namen der Gesellschaft darzubringen; denn diese hat auch als solche die Pflicht, Gott durch einen öffentlichen und sozialen Kult zu verehren, ihn als ihren höchsten Herrn und ersten Ursprung anzuerkennen, zu ihm als dem letzten Ziele zu streben, ihm unaufhörlich zu danken und ihn zu versöhnen. In der Tat, bei allen Völkern, deren Gebräuche wir kennen, finden sich, wenn sie nicht durch

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

testamentlichen Priestertum gestellt wird und als Vorbild des „Priestertums des neuen und ewigen Bundes“, das in der gottmenschlichen Natur Christi und seinem Erlösungswerk begründet ist, gilt. Es wird also eine Reihe konstruiert, in der das heidnische, das alttestamentliche und das neutestamentliche Priestertum nebeneinander- oder vielleicht hintereinanderstehen. 54 Joseph Ratzinger wird diesen Aspekt deutlich anders betrachten. 55 Bei den Vollmachten des Priesters wird zwischen den „Vollmachten über den wirklichen Leib Christi“ (Nr. 17–20), also über die Eucharistie, und „Vollmachten über den mystischen Leib Christi“ (21–25), über die Kirche, differenziert. 56 Wiederum werden die „erhabene Würde des Priestertums“ (36–38) und die daraus folgende Notwendigkeit der Heiligkeit (40 f.), die konkret in der Einübung in die „Standestugenden“ (44 f.) der Frömmigkeit, Keuschheit, Selbstlosigkeit, im Seeleneifer und Gehorsam und in der Bildung realisiert wird, groß behandelt. Entsprechend wird auch die Frage der Heranbildung des Priesternachwuchses ausgeführt, wobei die Lehre des hl. Thomas als philosophia perennis gepriesen und etwas paradox als der beste Weg zu einem „zeitgemäßen Wissen“ sehr empfohlen wird (68). Das Dokument gipfelt in einem Aufruf an die Priester, heilige Priester nach dem Beispiel des hl. Johannes Maria Vianney und des hl. Joseph von Copertino zu werden (84 f.). Pius XII. hat die theologisch bedeutende Apostolische Konstitution über das Sakrament der Weihe Sacramentum ordinis vom 30. November 1947 verfasst, 57 in der die Frage der Materie und Form des Weihesakramentes behandelt und nach Jahrhunderten theologischer Unklarheiten festgelegt wird, dass Handauflegung und Weihepräfation und nicht die traditio instrumentorum wesent-



Gewalt zur Verleugnung der heiligsten Gesetze der menschlichen Natur gezwungen wurden, Priester, wenn auch oft im Dienste falscher Gottheiten. Wo immer sich Religion zeigt, wo immer man Altäre errichtet, dort gibt es auch ein Priestertum, das mit besonderen Erweisen der Achtung und Verehrung umgeben ist.“ 54 Vgl. auch Hünermann, Einleitung, 349. 55 Vgl. Abschnitt 5.2.1. 56 Vgl. oben S. 28. 57 AAS 40 (1948) 5–7; auf Latein abrufbar unter: http://w2.vatican.va/content/piusxii/la/apost_constitutions/documents/hf_p-xii_apc_19471130_sacramentumordinis.html (20.8.2016); fast gänzlich auf Deutsch in DH 3857–3861.

2.1 Geschichtliche Zusammenhänge

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lich sind. 58 Am 25. März 1954 veröffentlichte Pius XII. die Enzyklika Sacra virginitas59 über die Jungfräulichkeit, deren Ausdruck im Priestertum der Zölibat ist, der in den Zusammenhang mit der anzustrebenden Heiligkeit gestellt wird, zu der wegen der Größe ihrer Berufung die Priester auserwählt sind. Es seien hier auch seine Enzykliken Mystici corporis60 vom 29. Juni 1943 über die Kirche und Mediator Dei61 vom 20. November 1947 über die Liturgie erwähnt. Sie alle berühren indirekt und in Teilaspekten auch das Thema Priestertum. Am 23. September 1950 veröffentlichte Pius XII. die Apostolische Exhortation Menti Nostrae über die Heiligkeit des Priesterlebens.62 Im Wesentlichen bleibt der Papst auf der Linie seiner Vorgänger und ermahnt die Priester, wie bereits die Überschrift zeigt, zum heiligen Leben, da ihr Dienst heilig ist. Es ist von der „Notwendigkeit der Gnade für die Nachfolge Christi“ (Nr. 28 f.) und von der „Notwendigkeit des Gebetes“ im Stundengebet, in der täglichen Betrachtung und im privaten Gebet des Priesters (38–52) die Rede. Die Wichtigkeit der Beichte und der geistlichen Führung wird angemahnt (53 f.). Die Notwendigkeit der persönlichen Heiligkeit für den Priester wird wiederum mit der Erhabenheit seines Dienstes begründet. Die Priester sollen in ihrem Leben, das „mehr als das der Christen aus dem Laienstande mit Christus in Gott verborgen“ sei, „frei von allen Sünden […] mit überragenden Tugenden geschmückt von dem Gipfel der Heiligkeit aus […] allen Menschen durch unser priesterliches Amt Gottes überirdisches Licht und Leben spenden“.63 Man kann den Priester kaum noch höher heben, und die Latte für sein moralisches Leben kann wohl auch nicht höher sein. Das alles, weil in dieser Theologie der Priester alter Christus ist und Christus unmittelbar repräsentiert. 58 Siehe Abschnitt 1.1.5. 59 AAS 46 (1954) 161–191; auf Deutsch abrufbar unter: http://www.kathpedia.com/ index.php/Sacra_virginitas_(Wortlaut)#h.29_Glanz_der_Heiligkeit (20.8.2016). 60 AAS 35 (1943) 193–248; auf Deutsch abrufbar unter: https://w2.vatican.va/content/ pius-xii/de/encyclicals/documents/hf_p-xii_enc_29061943_mystici-corporischristi.html (20.8.2016). 61 AAS 39 (1947) 521–595; auf Deutsch abrufbar unter: http://www.kathpedia.com/ index.php?title=Mediator_Dei_(Wortlaut) (20.8.2016). 62 AAS 42 (1950) 657–702; auf Deutsch abrufbar unter: http://w2.vatican.va/content/ pius-xii/de/apost_exhortations/documents/hf_p-xii_exh_19500923_menti-nost rae.html (20.8.2016). 63 P ius XII., Menti Nostrae, Kap. II.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

Gerade am Beispiel von Pius XII. hat Paul Josef Cordes gezeigt,64 dass der Umgang mit der These sacerdos alter Christus, wie man sie in der Neuscholastik und bei den eben behandelten Papstdokumenten findet, äußerst problematisch ist. Denn hier wird die Gegenwart Christi in der Person des Priesters statisch-objektivistisch als permanente Wirklichkeit angesehen. Dabei handelt es sich um eine Verwechslung der Ebenen. Die unbestreitbare aktive Repräsentation Christi durch den Priester im Handlungsakt der Opferdarbringung wird unmittelbar auf die Seinsebene der Person des Priesters überhaupt als kontinuierliche Wirklichkeit übertragen. In Mediator Dei beruft sich Pius XII. auf Robert Bellarmin, der im Zusammenhang mit dem eucharistischen Opfer die handelnden Subjekte beschreibt, nicht aber „das diesem Vollzug even­ tuell vorgegebene Sein“.65 Bellarmin versäumt im Unterschied zu Pius XII. nicht, „die Bestimmung des theologischen Ortes des Amtsträgers doppelt einzuschränken“.66 In der Originalpassage bei Bellarmin heißt es: „Der Priester ist nämlich, insofern er ein solcher (sc. Opfernder) ist, höher als das Volk und er ist gerade mit Bezug auf die zur Debatte stehende Angelegenheit nicht Diener der Kirche, sondern Diener Christi, des ursprünglichen Mittlers.“67 Die Einschränkung des Repräsentationsgedankens auf die liturgische Handlung, die bei Bellarmin nicht fehlt (insofern er ein Opfernder ist), tritt bei Pius XII. ganz in den Hintergrund. Diese unmittelbare Verbindung der Handlungs- und der Seins­ ebene in der Person des Priesters hat direkt zu der hier skizzierten Überhöhung des Priesteramtes und den daher notwendig erscheinenden und völlig aus dem Zusammenhang des ganzen Organismus der Kirche herausgerissenen Heiligkeitsermahnungen geführt. Beim Zweiten Vatikanum, wie wir sehen werden, wird dieses statisch-objektivistische Denken in Bezug auf die Repräsentationsaufgabe des Priesters zugunsten des dynamischen Vollzugsdenkens und somit auch die ungesunde und eigentlich absurde Überhöhung des Priesters überwunden.68

64 Vgl. Cordes, Warum Priester?, 141–143. 65 Vgl. ebd., 142. 66 Ebd., 142 f. 67 Robert Bellarmin, Controversiarum de sacramento Eucharistiae, zitiert in: ebd., 142 f. 68 Vgl. Abschnitt 2.3.2.4. Dort auch mehr zu diesem Thema.

2.2 Das Thema Priestertum auf dem Zweiten Vatikanum

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Papst Johannes XXIII., der das Zweite Vatikanische Konzil einberufen hatte, veröffentlichte am 1. August 1959 anlässlich des 100. Todestages des hl. Pfarrers von Ars die Enzyklika Sacerdotii Nostri primordia, in der er den Heiligen als Vorbild der Priester vorstellt.69 Im Zentrum des Schreibens steht der priesterliche Lebensstil, der nach dem Vorbild des hl. Johannes von Ars durch priesterliche Askese, in der die evangelischen Räte Armut, Keuschheit und Gehorsam verwirklicht werden (Nr. 10 f.), durch priesterliche Frömmigkeit, für die das Gebet und die eucharistische Frömmigkeit zentral sein müssen (45 f.), und durch den priesterlichen Seeleneifer, der in der Nähe zum anvertrauten Volk, in eifrigem Predigtdienst und in unermüdlichem Beichtdienst konkretisiert wird (60 f.), gekennzeichnet sein soll. Wiederum gipfelt das Dokument in einer Reihe von Ermahnungen und Ermutigungen zur Selbstheiligung, also zu einem solchen heiligen Leben, das der Größe des Amtes entspricht, das dem Priester übertragen wurde. Die Seelsorge, die ­Johannes XXIII. sehr am Herzen liegt, wird gar als „Frucht der Selbstheiligung“ (60) des Priesters dargestellt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Tenor der päpstlichen Schreiben zum Thema Priestertum, abgesehen vom knappen Dokument Sacramentum ordinis Pius’ XII., die Ermahnung zur Heiligkeit des Priesterlebens ist. Der Priester ist dazu aufgefordert, sich zu heiligen, da das Amt, zu dem er berufen wurde, eine übermenschliche Würde und Erhabenheit besitzt, die aus dem Sakrament und der Erhöhung kommen. Die Fragen nach der Begründung des sakramentalen Amtes werden nicht gestellt, seine Existenz wird postuliert und die durch die Reformation und die moderne Theologie aufgetretenen Infragestellungen werden nicht wahrgenommen.

2.2 Das Thema Priestertum auf dem Zweiten Vatikanum Mit dem hl. Johannes XXIII. sind wir in der Zeit des Konzils angekommen, das theologisch und kirchlich betrachtet wohl das wichtigste Ereignis des 20. Jahrhunderts darstellt.

69 AAS 51 (1959) 545–579; auf Deutsch abrufbar unter: http://www.kathpedia.com/ index.php?title=Sacerdotii_nostri_primordia_(Wortlaut) (20.8.2016).

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

2.2.1 Stellenwert des Themas in Bezug auf das Konzil Allerdings wurde das Thema Priestertum zur Zeit des Konzils überhaupt nicht als problembeladen wahrgenommen. Für das Konzil war es in keiner Hinsicht ein Schlüsselthema. In den Ante­ praeparatoria, den Voten der Konzilsväter in der Vorbereitungsphase, hat nur eine kleine Minderheit der Bischöfe die Notwendigkeit gesehen, das Themenfeld rund um das Priestertum anzusprechen. Die Stellung der Bischöfe und der Laien solle dringend behandelt werden, bei den Priestern solle der Status quo, der als gesichert erscheint, lediglich im Einzelnen verbessert werden.70 Man sieht einen großen Kontrast zwischen dieser Wahrnehmung des Themas vor und auf dem Konzil, wo ein Krisenpotential nicht beobachtet wurde, und der Entwicklung in der Zeit unmittelbar nach dem Konzilsabschluss, die von vielfältigen Krisenphänomenen gerade in Bezug auf das Priestertum gekennzeichnet sein wird.71 Wichtigste Themen, bei denen man eine entscheidende Weiterentwicklung durch das Konzil erwartete und die letzteres auch leistete,72 waren einerseits die Beziehungen der Kirche nach au70 Vgl. Hünermann, Einleitung, 344 f. 71 Mehr dazu in Abschnitt 4.1.2. 72 Johannes XXIII. hat dem Konzil keine präzise Programmatik gegeben und seine Einberufung auf „eine unerwartete Anregung, ein Strahl überirdischen Lichts“, die er am 25. Januar 1959 bei der ersten Ankündigung des Konzils in der Basilika St. Paul vor den Mauern empfangen habe, zurückgeführt, wie er selbst in der Konzilseröffnungsansprache am 11. Oktober 1962 ausführte. Bei diesem Anlass hat er nur allgemein von der Aufgabe gesprochen, „das heilige Erbe der christlichen Lehre zu bewahren und in wirksamer Weise zu verkünden“, und davon, dass die „wahre Lehre […] im Licht der modernen Forschungen und der Sprache des heutigen Denkens dargelegt und erforscht werden [muss]“. Diese Darlegung der Lehre vonseiten des Konzils solle „vorwiegend pastoralen Charakters“ sein und „lieber vom Heilmittel der Barmherzigkeit als von der Strenge“ Gebrauch machen, also vielmehr „den Nöten der gegenwärtigen Welt entgegenkommen“ als Verdammungen aussprechen. Die Anliegen der Einheit der Kirchen wie auch der Einheit „der ganzen Menschheitsfamilie“ und das Anliegen der Verkündigung des Evangeliums werden ebenso angesprochen. Weder bei der Ankündigung noch bei der Eröffnung des Zweiten Vatikanums findet man klar benannte Themen, denen das Konzil gewidmet sein sollte, sondern vielmehr methodische Festlegungen für das Ereignis des Konzils, das klar im Mittelpunkt steht. Die ganze Eröffnungsansprache von Johannes XXIII. auf Deutsch in: Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 5, Freiburg i. Br. 2006, 482–490. – Paul VI. dagegen nennt in seiner Ansprache am 29. September 1963 zur Eröffnung der zweiten Sitzungsperiode des Konzils folgende vier genauere Punkte als „Hauptziele des Konzils“: „Der Begriff, oder wenn man lieber will, das Selbstverständnis der

2.2 Das Thema Priestertum auf dem Zweiten Vatikanum

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ßen: interreligiöse Beziehungen mit dem Judentum und anderen Religionen, Fragen der Gewissensfreiheit,73 die Frage der Ökumene mit anderen christlichen Kirchen74 und vor allem die Frage der Beziehungen der Kirche zur modernen Welt.75 Die spätestens seit der Französischen Revolution und der Aufklärung verbreitete Position der kirchlichen Abschottungsmentalität wurde zugunsten einer offen kommunizierenden Kirche, die mit der Welt in einen Dialog tritt, überwunden.76 Andererseits wurden nach innen die Themenfelder als wichtig erachtet, welche die ekklesiologische Neubesinnung, von Paul VI. ausdrücklich gewünscht und entscheidend betrieben,77 anstrebten, weiters die Stellung der Bischöfe und der Laien im Organismus der Kirche und die Erneuerung der Liturgie. Nirgendwo findet sich in den entscheidenden Texten Anfang der 1960er-Jahre eine Notwendigkeit, ein besonderes Augenmerk auf das Thema Priestertum zu legen. Um diese Situation nachvollziehen zu können, seien zwei Punkte in Erinnerung gerufen. Einerseits begegnet uns in der Realität der Kirche zur damaligen Zeit die Selbstverständlichkeit des oben beschriebenen neuscholastischen Priesterbildes, das in Seminaren gelehrt und in der Realität der Diözesen gelebt wurde. Das Pries

Kirche, ihre Erneuerung, die Wiederherstellung der Einheit zwischen allen Christen und das Gespräch der Kirche mit den Menschen unserer Zeit.“ Die Rede ist auf Deutsch zu finden in: Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 5, 500–514, hier 505. 73 Vgl. besonders Dignitatis humanae und Nostra aetate. 74 Vgl. besonders Unitatis redintegratio, Orientalium Ecclesiarum, aber auch Lumen g­ entium. 75 Vgl. besonders Gaudium et spes. 76 Paul VI. hat durch seine Antrittsenzyklika Ecclesiam suam vom 6. August 1964 den Dialog als den Normalzustand der Beziehungen der Kirche mit der heutigen Welt beschrieben und diese Einstellung von allen in der Kirche verlangt. Es sollen also nicht mehr Abschottung und Kritik, sondern Offenheit, Kontakt und Austausch die Beziehung der Kirche zum Heute charakterisieren. Dies ist ein großer Unterschied z. B. zum Geist der antimodernistischen Epoche. 77 Vgl. Eröffnungsrede Pauls VI. zur zweiten Periode des Konzils: „Zweifellos ist es zunächst einmal Wunsch, ja Bedürfnis und Pflicht der Kirche, endlich eine ansprechende Begriffsbestimmung von sich selbst zu geben. […] Uns scheint jetzt auf jeden Fall die Zeit gekommen sein, wo die Wahrheit über die Kirche Christi besser erforscht, erörtert und verdeutlicht werden muss, wohl nicht durch […] feierliche Erklärungen, die man dogmatische Definitionen nennt, sondern eher durch Erklärungen, durch die die Kirche sich selbst durch eine besonders ausdrückliche lehramtliche Kundgebung vergegenwärtigt, was sie über sich selbst denkt.“ Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 5, 505 f.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

tertum wurde selbst als gefestigt und in Bezug auf andere Schwierigkeiten, mit denen die Kirche konfrontiert war, eher als Stabilisierungsfaktor wahrgenommen. Durch das Konzil von Trient und nach den Festlegungen Pius’ XII. zu Materie und Form der Weihe schienen alle wesentlichen Fragen geklärt zu sein. Die päpstlichen Dokumente, die, wie bereits rekonstruiert, in einer langen Reihe den gleichen Grundtenor bewahrt haben, verstärkten diesen Eindruck und sind zugleich eine Illustration desselben Phänomens. Andererseits entstehen in der Zeit vor dem Konzil ungefähr seit den 30er-Jahren verschiedene Erneuerungsbewegungen (Liturgische Bewegung, Biblische Bewegung etc.), welche die Unzulänglichkeit der schultheologischen Thesen gegenüber den neuen Herausforderungen durchaus wahrgenommen haben. Zugleich ­ wussten sie um die Lebendigkeit und Gültigkeit des eigentlichen Kerns der christlichen Botschaft. Deswegen war ihre Mühe darauf gerichtet, diesen Kern, besonders durch einen neuen Zugang zu den Quellen der Väter, wiederzuentdecken und im veränderten Kontext der modernen Welt neu zur Sprache zu bringen. Die Erneuerungsbewegungen befassen sich wohl mit anderen Themenfeldern, die allerdings einen direkten oder indirekten Einfluss auf unsere Problematik haben. Diese Bewegungen haben den Weg für den theologischen Fortschritt, den das Zweite Vatikanische Konzil leistete, entscheidend bereitet.78

2.2.2 Die Thematik des Priestertums in den Texten des Konzils Das Zweite Vatikanum hat dem Priestertum ein eigenes Dokument gewidmet, das Dekret Presbyterorum ordinis, das kurz vor dem Ende des Konzils am 7. Dezember 1965 verabschiedet und vom Papst approbiert wurde. Wenn das Dokument auch die Hauptquelle sein muss, um das Priesterbild des Konzils zu zeichnen, so finden sich unser Thema tangierende Aussagen auch in anderen Dokumenten, von denen manche wohl von entscheidender Bedeutung sind. So soll, bevor auf das Priesterdekret genauer 78 Das sieht man unter anderem an der Tatsache, dass die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium ohne größere Schwierigkeiten bei der zweiten Sessio verabschiedet werden konnte. Die Vorarbeit, die von der Liturgischen Bewegung geleistet wurde, war also so ausgereift, dass das in diesem Sinne vorbereitete Schema leicht eine Mehrheit der Väter fand.

2.2 Das Thema Priestertum auf dem Zweiten Vatikanum

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eingegangen wird, auf diese ein eher kurzer zusammenfassender Blick geworfen werden. 2.2.2.1 Liturgiekonstitution Liturgie wird vom Konzil in der ersten Konstitution Sacrosanctum Concilium als Werk der ganzen Kirche angesehen, in dem „Gott vollkommen verherrlicht und die Menschheit geheiligt werden“, und gilt mit Recht als „Vollzug des Priesteramtes Jesu Christi“ (SC 7). Diese Feststellung wird sakramental expliziert: „Durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr die Heiligung des Menschen bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt und vom mystischen Leib Jesu Christi, d. h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult vollzogen“ (SC 7). In diesem Sinne ist die Liturgie der höchste Ausdruck der Kirche, denn jede liturgische Feier sei „als Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige Handlung, deren Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht“ (SC 7). Christus ist in der Liturgie, vor allem in der Feier der Messe, gegenwärtig, in besonderer Weise „in der Person dessen, der den priesterlichen Dienst vollzieht, denn ‚derselbe bringt das Opfer jetzt dar durch den Dienst der Priester, der sich einst am Kreuz selbst dargebracht hat‘“ (SC 7). Die Identifikation des Priesterdienstes mit der Gegenwart Christi kann kaum deutlicher ausgedrückt werden: In den liturgischen Handlungen des Priesters sei eigentlich Christus der Handelnde (vgl. SC 7). Das Prinzip der participatio actuosa wird an mehreren Stellen betont (SC 11; 14; 48) und als vom „Wesen der Liturgie selbst verlangt“ skizziert, da sie ein Ausdruck der von der Taufe kommenden Würde des Volkes Gottes sei (SC 14). Deswegen sei „die ganze Sorge der Kirche“ darauf ausgerichtet, dass die Gläubigen „[dem] Geheimnis des Glaubens nicht wie Außenstehende und stumme Zuschauer beiwohnen, [sondern] vielmehr durch die Riten und Gebete dieses Mysterium wohl verstehen lernen und so die heilige Handlung bewusst, fromm und tätig mitfeiern […] und die unbefleckte Opfergabe darbringen nicht nur durch die Hände des Priesters, sondern auch gemeinsam mit ihm und dadurch sich selber darbringen lernen“ (SC 48). Darin wird die für das Konzil selbstverständliche Besonderheit des priesterlichen Dienstes mit der wahren Partizipation aller Glieder des Volkes Gottes verbunden. Denn die Liturgie als Lebensvollzug der ganzen Kirche bleibt

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

hierarchisch geordnet, was in liturgischer Ordnung und in Verschiedenheit der Funktionen und Dienstämter zum Ausdruck kommt, denn „jeder, sei er Liturge oder Gläubiger, [soll] in der Ausübung seiner Aufgabe nur das und all das tun, was ihm aus der Natur der Sache und gemäß den liturgischen Regeln zukommt“ (SC 28). Niemand außer der rechtmäßigen Autorität, „selbst wenn er Priester wäre“, darf „nach eigenem Gutdünken in der Liturgie etwas hinzufügen, wegnehmen oder ändern“ (SC 22). In der Konstitution ist keine partikulare Betonung der Besonderheit des priesterlichen Dienstes im Rahmen der liturgischen Handlungen zu beobachten, da diese wohl als selbstverständlich betrachtet wurde, und der Gedanke ihrer wie auch immer gearteten Auflösung stand nicht im Raum.79 In SC 33 wird der Priester, der die Präsidialgebete vorträgt, „in der Rolle Christi an der Spitze der Gemeinde stehend“ gesehen. Der Gemeinschaftscharakter der Liturgie, vor allem der Feier der Messe, wird nachdrücklich betont, und es wird festgelegt, dass „ihre Feier in Gemeinschaft – im Rahmen des Möglichen – der vom Einzelnen gleichsam privat vollzogenen vorzuziehen ist“ (SC 27).80 Der in der nachtridentinischen Priesterspiritualität so hervorgehobene Aspekt der priesterlichen Selbstheiligung, der in privaten Messzelebrationen einen besonderen Ausdruck fand, wird wohl auch dadurch etwas abgeschwächt, dass die Möglichkeiten der Konzelebration ausgedehnt werden (SC 57), nicht in dem Sinne, dass die Priester weniger zum heiligmäßigen Leben angehalten würden, sondern in dem Sinne, dass die Liturgie

79 Hier wagt z. B. Judith Müller, soweit man es sehen kann, eine vom Dokument nicht gedeckte These aufzustellen, dass nämlich das Fehlen der Betonung der Besonderheit des priesterlichen Dienstes bei der Liturgie in der Liturgiekonstitution die Rolle des Priesters als Spender der Sakramente und überhaupt „das Spender-Empfänger-Schema bei den Sakramenten“ als „nicht mehr aufrechtzuerhalten“ erscheinen lasse. Vgl. Müller , In der Kirche Priester sein, 136 f. – Der von den Konzilsvätern als selbstverständlich vorausgesetzte Rahmen der Sakramententheologie des Trienter Konzils wird bei dieser These wohl völlig außer Acht gelassen. Ratzinger wird sich entschieden gegen diese These wenden. 80 Der Vollständigkeit halber muss hinzugefügt werden, dass jedem Priester in SC 57,2 die Freiheit zugestanden wird, „einzeln zu zelebrieren“, diese jedoch klar in einen Rahmen gesetzt wird, nämlich, dass dies „jedoch nicht zur selben Zeit in derselben Kirche während einer Konzelebration“ und „nicht am Gründonnerstag“ zu geschehen hat.

2.2 Das Thema Priestertum auf dem Zweiten Vatikanum

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­ iemals den öffentlichen Charakter, der die Ganzheit der Volkes n Gottes tangiert, verliert. 2.2.2.2 Kirchenkonstitution Wie bereits dargelegt, waren der Blick der Kirche auf das eigene Geheimnis und dessen zeitgemäßer Ausdruck das Hauptanliegen, das Paul VI. dem Konzil mit auf den Weg gegeben hat. In diesem Sinne hält z. B. Alois Grillmeier Lumen gentium für das „Haupt­ dokument“ bzw. „das zentrale Dokument des Vaticanum II“.81 Er ist überhaupt der Auffassung, dass alle anderen Dokumente des Konzils um die Kirchenkonstitution „mehr und mehr konzentrisch darum herum“82 aufgebaut seien und dass es „in allen Schemata oder Dokumenten des Vaticanum II um die Bereinigung der Struktur der Kirche als solcher“ gehe.83 Paul Josef Cordes ist der Meinung, dass man auch den „theologischen Hintergrund“ des Priesterdekrets besser erschließen könne, wenn man „zunächst den Entstehungsprozess der Kirchenkonstitution ins Auge fasst, auf die sich das Priesterdekret ja später stützt“.84 Es kann festgehalten werden, dass das Schema, aus dem das endgültige Dokument Lumen gentium gewachsen ist, sich von einem klassischen, juridisch-institutionellen Konzept, bei dem am Anfang die Hierarchie und dann die Laienschaft behandelt werden sollte, hin zu dem, was heute als „Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums“ bezeichnet werden kann und mit anderen Kategorien arbeitet, entwickelte.85 So steht am Anfang des verabschiedeten Dokuments nicht die Behandlung der hierarchischen Struktur, sondern die Betrachtung der Berufung des gesamten Volkes Gottes. Erst danach werden die hierarchische Verfassung und die

81 Alois Grillmeier , Geist, Grundeinstellung und Eigenart der Konstitution „Licht der Völker“, in: Guilherme Barauna, De Ecclesia. Beiträge zur Konstitution „Über die Kirche“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, Bd. 1, Freiburg/Basel/Wien 1966, 140– 154, hier 140 resp. 141. 82 Vgl. ebd., 141. 83 Vgl. ebd., 149. 84 Cordes, Warum Priester?, 27. 85 Für einen ganzheitlichen Blick auf die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils vgl. M aximilian Heinrich Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz und existentielle Theologie. Ekklesiologische Grundlinien unter dem Anspruch von Lumen gentium, Frankfurt am Main 22005, vor allem Teil I: Das Selbstverständnis der Kirche nach Lumen gentium, 33–142.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

­ erschiedenen Aufgaben der Glieder der Kirche behandelt, wobei v die allgemeine Berufung zur Heiligkeit für alle im Volk Gottes betont wird. Der Blick auf das Ganze des Geheimnisses der Kirche hat die juridisch-institutionellen Kategorien und Strukturen des klassischen neuscholastischen Konzeptes gegenüber dem neu gewachsenen ekklesiologischen Selbstverständnis als ungenügend erscheinen lassen.86 Um das Geheimnis der Kirche auszudrücken, verwendet Lumen gentium biblische Bilder, vor allem: Volk Gottes, mystischer Leib Christi und Tempel des Heiligen Geistes, 87 die aber immer sozusagen in der Einheit eines „symphonischen Ausdrucks“ betrachtet werden müssen, da bei einer isolierenden Betonung eines einzigen Bildes unzulässige Einseitigkeiten entstehen würden, wie die Geschichte nach dem Konzil gezeigt hat. Theologisch komprimiert wird dieser ‚symphonische Blick‘ auf das Geheimnis der Kirche bereits im ersten Kapitel in den Begriffen „veluti sacramentum“88 (Quasi-Sakrament) und „una realitas complexa“ auf den Punkt gebracht. Leo Scheffczyk hält den Ter­ minus „Sakrament“ für den „signifikanteste[n] und ausdruck­ vollste[n] Begriff des ‚Mysteriencharakters‘ der Kirche“89, für Pesch wiederum ist dieser Begriff die „Generalthese über das Wesen der Kirche“.90 Den Begriff des Sakraments hat allerdings schon Matthias Joseph Scheeben auf die Kirche bezogen,91 der eine wichtige Rolle beim Ersten Vatikanum spielte und mit Johann Adam Möhler als einer der frühen Bereiter der vertieften Sicht auf das Geheimnis der Kirche gelten kann, die auf dem Zweiten Vatikanum voll zum Tragen kam.92 Die Verwendung des Sakramentsbegriffes auf die Kirche hat zu vielen Nachfragen und in der Perzeptionsphase zu einer lebhaften 86 Vgl. Müller , In der Kirche Priester sein, 138. 87 Siehe Kapitel 2 der Konstitution. 88 Näheres zur Problematik der Kirche als Sakrament bei Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 63–65. Vgl. auch P iet Smulders, Die Kirche als Sakrament des Heils, in: Barauna, De Ecclesia, Bd. 1, 289–312; Jan L. Witte, Die Kirche, „Sacramentum unitatis“ für die ganze Welt, in: ebd., 420–452. 89 Vgl. Leo Scheffczyk , Aspekte der Kirche in der Krise. Um die Entscheidung für das authentische Konzil (Quaestiones non disputatae I), Siegburg 1993, 24. 90 Vgl. Otto Hermann P esch, Das Zweite Vatikanische Konzil. Vorgeschichte – Verlauf – Ergebnisse – Wirkungsgeschichte, Kevelaer 4 2012, 171. 91 Vgl. M atthias Joseph Scheeben, Die Mysterien des Christentums, Freiburg i. Br. 1941, 461. Scheeben spricht von der Kirche als „einem großen Sakrament“. 92 Vgl. Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 66.

2.2 Das Thema Priestertum auf dem Zweiten Vatikanum

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Diskussion geführt.93 Der Punkt, um den es hier geht, ist die sichtbare Gestalt der Kirche, wobei letztere aber niemals ein Selbstzweck ist, sondern nach dem Willen ihres Gründers im Dienste der unsichtbaren Realität des Reiches Gottes steht. So wird der Begriff veluti sacramentum in Bezug auf die Kirche nicht im engen Sinne, so wie es für die sieben Sakramente der Fall ist, verwendet, worauf auch schon der Zusatz „gleichsam“ (veluti) hindeutet, sehr wohl aber, um eine komplexere sichtbar-unsichtbare Realität zum Ausdruck zu bringen. Walter Kasper sieht im Ausdruck veluti sacramentum gar ein „begriffliches Mittel neben anderen, um den ekklesiologischen Triumphalismus, Klerikalismus und Juridismus zu überwinden und das in der sichtbaren Gestalt verborgene und nur im Glauben fassbare Geheimnis der Kirche herauszustellen, um auszudrücken und anzudeuten, dass die Kirche einerseits ganz von Christus herkommt und bleibend auf ihn bezogen ist, dass sie andererseits als Zeichen und Werkzeug aber auch ganz für den Dienst an den Menschen und an der Welt da ist. Der Begriff eignet sich vor allem für eine differenzierende Zuordnung und Unterscheidung der sichtbaren Struktur und des geistlichen Wesens der Kirche.“94

In LG 8 wählt das Konzil den Begriff una realitas complexa, um den notwendigen Differenzierungen des sichtbar-unsichtbaren Geheimnisses der Kirche Rechnung zu tragen: „Zur Deutung dieses Mysteriums wird auf die Parallele Inkarnation – Kirche verwiesen, freilich mit der wichtigen Präzisierung, dass diese in analoger Weise zu verstehen ist, in einer – wie es in LG 8 wörtlich heißt – ‚nicht unbedeutenden Analogie‘.“95 Mit der Begrifflichkeit des veluti sacramentum und der una realitas complexa vertieft und erneuert das Konzil das Bewusstsein für das Geheimnis der Kirche. Wie Maximilian Heim anmerkt, ist durch das Zweite Vatikanum „gleichwohl eine gewisse Fixierung […] überwunden worden“, die „Göttliches und Menschliches in (und an) der Kirche zu schnell

93 Diese Diskussion wird in Kürze bei Maximilian Heim skizziert. Es werden sowohl die Anfragen wie auch die Antwortversuche angeführt. Vgl. Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 63–65. 94 Walter K asper , Die Kirche als universales Sakrament des Heils, in: Eduard K linger / K laus Wittstadt (Hg.), Glaube im Prozess. Christsein nach dem II. Vatikanum. Festschrift für Karl Rahner, Freiburg i. Br. 1984, 221–239, hier 228. 95 Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 66.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

und undifferenziert in eins“ setzte und „allzumenschliche Machtansprüche und Traditionsbildungen“ sakralisierte.96 Dieselbe Differenzierung und Überwindung einer zu unreflektierten und objektivistisch-statischen Identität zwischen Christus und Priester wird sich beim Konzil auch im Hinblick auf das sakramentale Amt durchsetzen.97 Die eben gesehene Mühe um einen vertieften, organischen und zugleich wohldifferenzierten Zugang zum Mysterium der Kirche lässt das Besondere der Erneuerung der Ekklesiologie durch das Zweite Vatikanische Konzil darin erkennen, „dass sich die Neuformulierung des Selbstverständnisses der Kirche nicht in der Form der Abgrenzung oder in der Akzentuierung einer bestimmten geschichtlichen Epoche der Ekklesiologie ereignet, sondern im Versuch der Integration der im Lauf der Zeit vergessenen Momente ihrer Tradition“.98 Inhaltlich sind bei der Konstitution Lumen gentium für unser Thema von besonderer Bedeutung: die Konstruierung des geweihten Amtes vom Bischofsamt her (LG 20 f.), die Betonung des Dienstcharakters aller Ämter in der Kirche und ihre Bezogenheit auf das Ganze (LG 28), die Neuentdeckung des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen (LG 10) und die Wiedereinführung des Diakonats als einer selbstständigen Weihestufe (LG 28). Das Bischofsamt wird im Besonderen behandelt und die episkopale Grundgestalt des Amtes hervorgehoben. Das Amt wird also nicht mehr aus der Vollmacht über die Eucharistie – ergo aus dem Priestertum als der eigentlichen Mitte des Amtes – hergeleitet, sondern aus der ganzheitlichen Sicht des Episkopates, der die Fülle des Priestertums darstellt (LG 18 f.) und in der Sendung der Apostel durch Christus gründet. Wenn auch der Dienstcharakter des Ordo in der Geschichte nicht immer deutlich genug zum Tragen kam, ist das Konzil in der Betonung des Dienstcharakters ­jedes geweihten Amtes in der Kirche unmissverständlich eindeutig, wenn es vom „ministerium ecclesiasticum“ spricht, „das aus göttlicher Einsetzung (divinitus institutum) kommt und von

96 Vgl. ebd., 67. 97 Vgl. Cordes, Sendung zum Dienst, 194–208. Vgl. auch unten Abschnitt 2.3.2.4. 98 Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 43.

2.3 Das Priesterbild des Konzils: Presbyterorum ordinis

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­lters her (ab antiquo) […] ausgeübt wird“.99 Das allgemeine a Priestertum aller Gläubigen hat durch Lumen gentium – nach jahr­ hundertelanger Abwehrposition, die aus der Furcht vor der pro­testantischen, mit dem Ansatz des allgemeinen Priestertums einhergehenden Relativierung des besonderen geweihten Amtes resultierte – einen neuen Eingang in die katholische Lehre gefunden und gilt seit dem Konzil als unbestrittener Ausgangspunkt für jedes aktive Engagement aller Nichtgeweihten in der Kirche. Durch die Wiedereinführung des ständigen Diakonats, das im Laufe der Geschichte zur Vorstufe des Priestertums verkürzt wurde, wurde die erste Stufe des Sakramentes des Ordo in seiner Selbstständigkeit und Ursprünglichkeit aufgewertet und hat wiederum den Dienstcharakter des Amtes unterstrichen. Abschließend lässt sich zur Kirchenkonstitution festhalten: Die Tiefe und Differenzierung der ekklesiologischen Selbsterkenntnis, die eine Neubesinnung in Bezug auf das Bischofsamt und auf die Laien miteinschließt, und die daraus resultierende Erneuerung gehören neben dem vertieften Offenbarungsbegriff in Dei Verbum wohl zu den bedeutendsten theologischen Fortschritten des Konzils.

2.3 Das Priesterbild des Konzils: Presbyterorum ordinis Nach der Rekonstruktion der für unser Thema relevanten großen Linien des Zweiten Vatikanischen Konzils sollen nun im Blick auf das Priesterdekret Presbyterorum ordinis die Elemente des Priesterbildes des Zweiten Vatikanums verdeutlicht werden.100 Das speziell dem Thema Priestertum gewidmete Dokument, das erst am vorletzten Tag des Konzils, dem 7. Dezember 1965, verabschiedet wurde, hat einen langen Weg durch drei Sitzungsperio-

99 Helmut Hoping, „Diakone Gottes sind wir“ (2 Kor 6,4). Die Heilsdiakonie Christi und das priesterliche Dienstamt, in: George Augustin / Kurt Koch (Hg.), Priestertum Christi und priesterlicher Dienst, Freiburg i. Br. 2013, 113–128, hier 114. 100 Auf das Dekret Optatam totius über die Ausbildung der Priester, approbiert am 28. Oktober 1965, wird hier nicht eigens eingegangen, da es das Priesterbild des Konzils, wie es in Presbyterorum ordinis zu finden ist, lediglich in den Kontext der Ausbildung und Formation der Priesteramtskandidaten stellt und somit keine eigene, für unser Thema relevante Leistung erbringt.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

den hindurch erlebt. Es hat zwar nicht die Dramatik der Entstehungsgeschichte von Gaudium et spes oder gar Dignitatis humanae, doch ist auch die Entstehung der Endversion des Priesterdekrets nicht frei von Spannungen. Die Antepraeparatoria der Vorbereitungskommission für das Priesterdekret wurde im Ganzen siebenmal umgearbeitet.101 Es würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, wollte man an dieser Stelle den ganzen, sehr abwechslungsreichen Entstehungsweg des Dekrets rekonstruieren. Dazu wurde bereits Entscheidendes geleistet: Cordes, Fuchs mit Hünermann und andere Autoren haben Arbeiten vorgelegt, die sehr akribisch diese Entwicklungen nachzeichnen.102 Hier sei nur das für Verständnis und Kontextualisierung Notwendige wiedergegeben. Ottmar Fuchs bringt gleich am Anfang seines Kommentars eine für das Verständnis des Priesterdekrets entscheidende „hermeneutische Brille“ zur Sprache, dass Presbyterorum ordinis nämlich „ein praxisorientiertes Dekret ist und darin [eine] […] nachgeschobene, implizite ‚dogmatische Konstitution‘ zum presbyteralen Amt“.103 Diese Ellipse sollte man stets vor Augen haben, wenn man Presbyterorum ordinis und seine Aussagen richtig einordnen will. Eine weitere Besonderheit der Perspektive des Dekrets ergibt sich aus der Tatsache, dass am Anfang seines Entstehungsprozesses eine weltweite Befragung der Bischöfe über das Leben der Priester stand. Das heißt, dass zum ersten Mal bei einem solchen Thema ‚empirische Tatsachen‘ im breiten Sinne, also eine direkte Verbindung mit der Praxis und nicht nur theologische Konzepte in Betracht gezogen wurden. Folglich ist die im Dokument spürbare Optik die der Bischöfe: Fürsorge für die Priester auf der einen,

101 Vgl. Cordes, Warum Priester?, 139. 102 Für eine Übersicht seien angeführt: Paul Josef Cordes, Sendung zum Dienst. Exegetisch-historische und systematische Studien zum Konzilsdekret „Vom Dienst und Leben der Priester“, Frankfurt am Main 1972 – ein Werk, das Hünermann berechtigterweise als „die erste exegetisch-historische und systematische Studie im deutschen Sprachraum“ betrachtet; Ottmar Fuchs / P eter Hünermann, Theologischer Kommentar zum Dekret über den Dienst und das Leben der Presbyter Presbyterorum ordinis, in: Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 4, Freiburg i. Br. 22009, 337–580. Hingewiesen sei auch auf den ersten theologischen Kommentar in LThK 2 14, 127–239, besonders auf die Einleitung von Joseph Lécuyer (128–140), die die Entstehungsgeschichte rekonstruiert. 103 Fuchs / Hünermann, Theologischer Kommentar, 412.

2.3 Das Priesterbild des Konzils: Presbyterorum ordinis

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­ etonung der Pflichten der Priester auf der anderen Seite.104 Dies B spielt freilich auch eine einschränkende Rolle. An dieser Stelle ist eine kurze Erläuterung zur Terminologie notwendig. Am Anfang des Dekrets und auch in seinem Namen steht das Wort „Presbyter“, das zum Hauptbegriff des ganzen Dokuments wird. Die Entstehungsgeschichte des Dekrets zeigt, dass diesbezüglich eine gewisse Unklarheit herrschte. Zuerst wurde das Wort „Kleriker“ in Betracht gezogen, das den Gegensatz zu Laien und in der klassischen Perspektive das Besondere, das dem Priester aufgrund seiner durch die Weihe empfangenen Vollmacht in der Kirche reserviert ist, unterstreichen würde, dann das Wort „Sacerdos“, das einerseits, wiederum gut in der nachtridentinischen Tradition verankert, den kultisch-sakramentalen Charakter des Priestertums und andererseits die Verbindung im gemeinsamen Priestertum mit den Bischöfen und den Bezug zur Eucharistie betonen würde, um schließlich den Begriff „Presbyter“ (Ältester) zu wählen, was wiederum besonders die Verbindung mit den Gemeinden und die Vorsteherfunktion betont.105 Diese Entscheidung könnte man vielleicht etwa so interpretieren: Die grundsätzliche Kontinuität mit dem traditionellen kultisch-sazerdotalen Priesterbegriff ist gegeben, die Eucharistie wird eindeutig als Zentrum, Quelle und Vollendung des gesamten Dienstes der Presbyter angesehen.106 Diese Perspektive wird aber um die Gesamtsicht des Ministeriums bereichert, vor allem um den Aspekt des Apostolates. Diese Bereicherung wird gerade in dem durch das Dekret durchgängig verwendeten Begriff „Presbyter – Presbyterium“ festgehalten.107

2.3.1 Bewährte Ansätze in Presbyterorum ordinis: Ermahnungen zur Vollkommenheit Bei der Entstehung des Dokuments lassen sich zwei Grundtendenzen beobachten: Die eine plädiert für die Fortführung der traditio-

104 Vgl. ebd., 411. 105 Vgl. P eter Henrici, Hat das Konzil die Priester, haben die Priester das Konzil vergessen?, in: Communio 41 (2012) 634–640, hier 635. 106 „Darauf [auf die Feier der Eucharistie] zielt das Dienstamt der Priester und darin findet es seine Vollendung“ (PO 2). „[Das eucharistische Opfer] ist Mitte und Wurzel des ganzen priesterlichen Lebens“ (PO 14). 107 Vgl. Hünermann, Einleitung, 398.

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nellen Linie, wie man ihr in den Enzykliken der Pius-Päpste begegnet, die andere sucht im Kontext der Konzilsbewegung und des „Heute“ Impulse für Erneuerung zu setzen. Die erste Tendenz erklärt sich aus der bereits angeführten Tatsache, dass in der Wahrnehmung der Väter das Priesterthema nicht mit Problemen in Verbindung gebracht, sondern vielmehr als eine Art Stabilisierungsfaktor angesehen wurde, bei dem es keinen besonderen Klärungsbedarf gibt. Diese Tendenz hat auch die Tatsache begünstigt, dass nahezu alle Konzilsväter von der Selbstverständlichkeit des traditionellen Priesterbildes geprägt waren. Diese Tendenz, die im Wesentlichen nicht auf eine vertiefte Theologie des Amtes, sondern auf die Disziplin des Klerus zielte,108 fand ihren Ausdruck vor allem in der Absicht, die Linie der Ermahnungen der Pius-Päpste fortzuführen und zum heiligen Leben aufzurufen.109 Am Anfang der Arbeiten galt es auch überhaupt nicht als klar, dass dem Thema ein eigenes Dokument gewidmet werden solle.110 Als einen Höhepunkt dieser Tendenz kann man den Vorschlag anführen, den die zentrale Kommission für die Koordination bei der dritten Sitzungsperiode machte, nämlich das Schema De sacerdotibus in Form von einigen Leitsätzen auf seinen wesentlichen Gehalt zurückzuführen, aus dem ein kurzer Dokumentvorschlag mit zwölf Leitsätzen De vita et ministerio sacerdotali entstanden ist. Die Reduzierung des Schemas auf einige Leitsätze wurde von vielen Konzilsvätern dann doch als ungenügend und die Priester vernachlässigend empfunden, und so hat die Diskussion in der Konzilsaula den auf zwölf Leitsätze gekürzten Text wieder zum Schema wachsen und ein vollwertiges Dokument entstehen lassen.111 108 So wurde in der ersten Phase dem Wunsch vieler Konzilsväter, dass als Einleitung im ersten Kapitel eine theologische Abhandlung über das Wesen des Priestertums anzuführen wäre, nicht stattgegeben. Die Unterkommission für Kapitel 1 verwarf diesen Vorschlag, da das Dekret in seinen vier Kapiteln vom Ausgangspunkt De vitae sacerdotalis perfectione (Kapitel 1) konstruiert wurde. Vgl. Joseph Lécuyer , Die Geschichte des Dekrets Presbyterorum ordinis, in: LThK 2 14, 128–140, hier 128–130. Diese Entwicklung ist ein starker Beleg für die erste, klassische Tendenz, denn wenn man im ersten Kapitel gleich die Disziplin (Perfektion, Heiligkeit) des Priesterlebens behandeln will, bewegt man sich genau auf der Ebene der Ermahnungen der Pius-Päpste. 109 Vgl. Cordes, Sendung zum Dienst, 13–17. 110 So wurde erstmals während der dritten Konzilsperiode am 13. Oktober 1964 das speziell die Priester betreffende Dokument diskutiert. Vgl. Cordes, Sendung zum Dienst, 12. 111 Vgl. Lécuyer , Die Geschichte des Dekrets, in: LThK 2 14, 131–133.

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In dem schließlich approbierten Dokument wird den traditionellen Themen, Konzepten und Ermahnungen relativ viel Raum gegeben. Vor allem das dritte Kapitel (Presbyterorum vita) behandelt verschiedene, das priesterliche Leben tangierende Themen in einer Weise, die sehr an die Texte der vergangenen Päpste erinnert. Die „Berufung zur Vollkommenheit“ und das Streben danach werden als Amtspflicht angesehen (vgl. PO 12), die den Weg zur Heiligkeit in der „aufrichtige[n] und unermüdliche[n] Ausübung [der] Ämter im Geist Christi“ darstellen (PO 13). Die Vollkommenheit der priesterlichen Lebensführung, an manchen Stellen anders bezeichnet, wird des Öfteren in Erinnerung gerufen: „vorbildliche Lebensführung“ (PO 4), „Heiligkeit der Priester in der Ausübung ihres Dienstes“ (PO 8), „rechte Lebensführung“ (PO 17). Nachdrücklich wird von Priestern die Einheit des inneren Lebens und der äußeren Tätigkeit gefordert, welche „in der Betätigung der Hirtenliebe“ „das Band der priesterlichen Vollkommenheit“ finden lässt (PO 14). In den evangelischen Räten, die in drei langen Paragrafen behandelt werden, werden „besondere Erfordernisse für das geistliche Leben der Priester“ ausgemacht (vgl. PO 15 f.), die im Zölibat, der zwar „nicht vom Wesen des Priestertums selbst gefordert“, dennoch „dem Priestertum angemessen“ sei (PO 16), sowie in der „Freiheit von irdischen Gütern“ (PO 17) konkret verwirklicht werden. Wenn dann zum Abschluss des ­dritten Kapitels ausführlich von den „Hilfen für das priesterliche Leben“ die Rede ist, zu denen das tägliche Gebet (vgl. PO 18), das vertiefende allgemeine und theologische Studium (vgl. PO 19) sowie ein „Anspruch auf eine gerechte Entlohnung“ (vgl. PO 20 f.) gezählt werden, gehören diese Absätze der Sprache sowie dem Duktus der Ermahnung nach diesem klassischen, bewahrenden Ansatz an. Die Anwendung der Weihevollmacht wird in den von der klassischen Schultheologie wohlbekannten Punkten skizziert: Darbringung des Opfers, Vergebung der Sünden und öffentliche Verwaltung des priesterlichen Amtes in Christi Namen (vgl. PO 2). Die Darbringung des Opfers wird hier klassisch an die erste Stelle gesetzt und als erste Verwirklichung des besonderen Priestertums im mystischen Leib betrachtet, während vorher festgehalten wurde, dass „alle Gläubigen [in] der heiligen und königlichen Priesterschaft […] geistige Opfer durch Jesus Christus Gott darbringen“ (PO 2). Der Dienst der Priester also „vollendet [dieses]

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geistige Opfer der Gläubigen in Einheit mit dem Opfer des einzigen Mittlers Christus“ (PO 2). Somit ist klar gesagt, was auch das frühere Lehramt oft wiederholte: Das ordinierte Dienstamt in der Kirche zielt auf die Eucharistie, findet in ihr zugleich seine Vollendung und schöpft „seine ganze Kraft aus dem Opfer Christi“ (PO 2). Das Priesteramt wird in Presbyterorum ordinis eucharistiezentriert gesehen: Das Ziel des Amtes wie auch das erste Ziel der Eucharistiefeier ist „die Verherrlichung Gottes“ (PO 2). Fürs Erste kann man festhalten, dass das Priesterdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils auf dem Fundament der traditionellen Priesteramtslehre steht, wie sie vom Trienter Konzil definiert und in der bis in die Konzilszeit hinein als Standard geltenden Neuscholastik geprägt wurde. Vieles von dem, was bereits vom Lehramt der letzten Jahrzehnte vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil bekannt war, wird wiederholt und von neuem betont. Der „ermahnende Tonfall“ des Dokuments „mit den immer neuen Forderungen“ an den Priester sowie die stete Rückkopplung der Priester an die Bischöfe stehen in bewusster wie eindeutiger Kontinuität mit den Texten der vorkonziliaren Zeit.112

2.3.2 Neue Ansätze in Presbyterorum ordinis: Priesteramt als Dienst im Geheimnis der Kirche Presbyterorum ordinis wiederholt aber nicht nur das bereits Gesagte. Im Text ist auch ein zweiter Ansatz zu erkennen, der um Erneuerung und Weiterentwicklung des Priesterbildes bemüht ist. Dieser zweite Ansatz soll hier etwas breiter dargestellt werden, da in ihm die eigentliche Leistung des Zweiten Vatikanums für unser Thema auszumachen ist und er das vertiefte Priesterbild des Konzils zum Vorschein bringt. Der Ansatz der Erneuerung ist im Prozess der Dekretentstehung bei den Vätern zuallererst als ein eher unbewusstes Erkennen zu beobachten, dass die Erneuerung der Ekklesiologie, die für das Bischofsamt und für die Laien expliziert wurde, nicht vor den Priestern Halt machen darf. Es äußerste sich in dem Unbehagen, dass nach den großen, theologisch sehr reichen Worten über das Bi-

112 Vgl. Henrici, Hat das Konzil die Priester, haben die Priester das Konzil vergessen?, 636. Henrici hält diesen Tonfall gar für „eher irritieren[d] als erbauen[d]“.

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schofsamt und die Laien eine vor allem die Disziplin betonende und bereits Bekanntes wiederholende Fastenspeise ausgerechnet für die Priester nicht ausreichen kann, weil so die Priester „in gewisser Weise erdrückt würde[n] zwischen Episkopat und Laikat, die man auf dem Vaticanum II restauriert hatte“.113 Die am Anfang vorgelegten, von der Vorbereitungskommission ausgearbeiteten Texte wurden zwar als systematisch in Ordnung und wohlstrukturiert wahrgenommen, doch ihre Unzulänglichkeit gerade in Bezug auf Priester aus Fleisch und Blut, also Menschen in konkreter geschichtlicher Stunde, wurde bemängelt. Manche Väter haben betont, dass es eben die Priester seien, die die Last der täglichen ­A rbeit trügen. Außerdem wurde eine neuscholastische, von der Konkretion des Lebens völlig entrückte Weise, Theologie und Spiritualität zu begründen, immer mehr als unzulänglich empfunden. Der Vorwurf wurde laut, dass der ursprüngliche Entwurf des Dekrets am konkreten Leben der Priester vorbeigehe. So müsse eines der wichtigsten Ziele sein, ein Dokument vorzulegen, das praktisch und konkret den Dienst und das Leben der Priester von heute vor Augen habe und sie mitten in ihrem Leben anspreche.114 Am Ende dieses Kapitels wird man versuchen, die Frage, inwieweit dieses Ziel im Dekret verwirklicht wurde, zumindest ansatzweise zu beantworten. 2.3.2.1 Das „Heute“ Der fertige Text ist bemüht, den Blick gerade auf den Priester in moderner Zeit zu lenken. Gleich in Paragraf 1, der das ganze ­Dokument einleitet, wird das „Heute“ mit seinen vielschichtigen Problemen und Veränderungen ins Auge gefasst. Es wird gar als der Grund der Entstehung des Dokuments angeführt: „Um ihr Amt in seelsorglich und menschlich vielfach so tiefgreifend veränderten Verhältnissen wirksamer zu unterstützen und ihrem Leben besser Sorge zu tragen, erklärt und bestimmt darum diese Heilige Synode das Folgende“ (PO 1). Diese Haltung, im vielschichtigen

113 René Laurentin, zitiert bei Cordes, Sendung zum Dienst, 12. Laurentin unterstreicht diese Gefahr mit dem Hinweis: „genauso wie es seiner Zeit zwischen der Beförderung der Pfarrer, die in Trient inamovibel geworden waren, und dem päpstlichen Primat, der auf dem Vat. I definiert wurde, den Bischöfen ergangen war“. 114 Vgl. Cordes, Sendung zum Dienst, 28–33.

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Begriff des Aggiornamento in Kürze ausgedrückt, kann man als typisch für das gesamte Konzil bezeichnen.115 Diese Worte machen aber auch klar, dass es hier nicht um Grundsätzliches116 wie in manch anderen Konzilsdokumenten gehen wird. Die Begründung der Intention liegt auf der „Unterstützung“ des priesterlichen Lebens „in veränderten Verhältnissen“. So ist an mehreren Stellen des Dokuments die Mühe um die Verankerung in der modernen Welt mit ihren Widersprüchen und Herausforderungen sichtbar. Dieses „Im-Heute-Stehen“, in die Probleme der heutigen Zeit eingetaucht zu sein, macht den priesterlichen Dienst erst möglich: „Sie könnten nicht Christi Diener sein, wenn sie nicht Zeugen und Ausspender eines anderen als des irdischen Lebens wären; sie vermöchten aber auch nicht den Menschen zu dienen, wenn diese und ihre Lebensverhältnisse ihnen fremd blieben“ (PO 3). PO 16 weist wiederum im Zusammenhang mit dem Zölibat auf das wachsende Unverständnis „der heutigen Welt“ für dieses Charisma hin. Bei der Behandlung des priesterlichen Verkündi-

115 Aggiornamento, dieser von Johannes XXIII. geprägte Begriff, in dessen Mitte das „Heute“ steht, ist mittlerweile zum Kürzel des wichtigsten Konzilsanliegens geworden: die ewiggültige Botschaft des Evangeliums im Kontext des gegenwärtigen Lebens mit seinen Spezifika fruchtbar zu machen. Vgl. Johannes XXIII., Eröffnungsansprache des Konzils (siehe oben Anm. 72). Dort spricht der Papst von seinem doppelten Anliegen, „das heilige Erbe der christlichen Lehre zu bewahren und in wirksamer Weise zu verkünden“. Das wird möglich sein, wenn die „wahre Lehre […] im Licht der modernen Forschungen und der Sprache des heutigen Denkens dargelegt und erforscht“ werde. Der Papst hat noch als Patriarch von Venedig bei der Eröffnung einer Diözesansynode 1957 das Wort in dieser Perspektive gebraucht. Als Papst benannte er am 28. Juni 1961 als Hauptaufgabe des Konzils „das Aggiornamento der Kirche nach 20 Jahrhunderten“. Vgl. Giovanni XXIII., Discorsi, messaggi, colloqui, Bd. 3 [28.10.1960–27.10.1961], Rom 1962, 574. Zum Begriff vgl. auch den Artikel von Rudolf Henseler in LThK 3 1, 231 f. Karl Lehmann betont in einem Vortrag anlässlich des 50. Todestages von Johannes XXIII. genau dieses Grundanliegen des Papstes: „Papst Johannes XXIII. wollte […] bewusst die Aufgabe des Konzils im Rahmen und im Horizont der Zeit und der Gegenwart verstanden wissen.“ http://dcms.bistummainz.de/bm/dcms/sites/isi web_inhalte/kardinal_dcms/texte/texte_2013/johannes_xxiii.html (13.1.2017). 116 Der Grundduktus des Dekrets ist nicht, eine allgemeine theologische Behandlung des Priestertums zu bieten, sondern vielmehr dieses wegen seiner Bedeutung im Kontext der Hauptaufgabe des Konzils, nämlich die Kirche zu erneuern, fruchtbar zu machen: „Da diesem Stand jedoch bei der Erneuerung der Kirche Christi höchst bedeutsame und unstreitig immer schwierigere Aufgaben zukommen …“ (PO 1). Vgl. Fuchs / Hünermann, Theologischer Kommentar, 413.

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gungsdienstes kommen Aufgaben und Schwierigkeiten in Bezug auf die gegenwärtige geschichtliche Stunde zur Sprache, da die Verkündigung „in den gegenwärtigen Zeitumständen nicht selten außerordentlich schwer“ (PO 4) sei. Priester sollen in ihrer Verkündigung unter anderem „aktuelle Fragen im Licht Christi zu beantworten suchen“ und vor allem „die ewige Wahrheit […] auf die konkreten Lebensverhältnisse anwenden“ (PO 4). Auch werden Differenzierungen je nach geografisch-religiöser Situation angeführt (vgl. PO 4). Alles in allem ist im Dokument die Mühe um Nähe zur konkreten Zeit mit ihren eigenen Herausforderungen klar erkennbar. 2.3.2.2 Einbettung in der Sendung der ganzen Kirche Entscheidende theologische Neubesinnung wurde in Bezug auf das Priesteramt vor allem in seiner besseren Einbettung in die Sendung der ganzen Kirche erreicht.117 Das erste Kapitel wird mit den Worten Presbyteratus in missione Ecclesiae überschrieben. Aus dem Ort des Priestertums in der Sendung der Kirche ergibt sich dann das zweite Kapitel Presbyterorum ministerium und schließlich das dritte Presbyterorum vita.118 Im ersten Kapitel entfaltet das Konzil seine theologischen Aussagen über das Wesen des Priesteramtes vom Begriff der Sendung her, die allen Gliedern der Kirche gleich ist, das heißt auch vom allgemeinen Priestertum her. Das bedeutet auch, dass das Priestertum hier nicht mehr einfach als selbstverständlich postuliert wird, sondern in das größere Ganze der Realität der Kirche integriert wird, um von dorther entwickelt zu werden: „Jesus der Herr, ‚den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat‘ (Joh 10,36), gibt seinem ganzen mystischen Leib Anteil an der Geistsalbung, mit der er gesalbt worden ist. In ihm werden nämlich alle Gläubigen zu einer heiligen und königlichen Priesterschaft, bringen geistige Opfer durch Jesus Christus Gott dar und verkünden die Machttaten dessen, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat. Es gibt darum kein Glied, das nicht

117 Insgesamt wird in den ersten Paragrafen des Dekrets das Priesteramt in drei entscheidende Kontexte gestellt, in denen es seine Bedeutung findet: im Auftrag der Kirche, im Vollzug der Liturgie und in der Zuordnung zum Bischofsamt. Vgl. Fuchs / Hünermann, Theologischer Kommentar, 412. 118 Mehr zu dieser Gliederung siehe Hünermann, Einleitung, 397–399.

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­ nteil an der Sendung des ganzen Leibes hätte; jedes muss vielA mehr Jesus in seinem Herzen heilighalten und durch den Geist der Verkündigung Zeugnis von Jesus ablegen“ (PO 2).

Diesem einen und gemeinsamen Sendungsziel, das allen Gliedern der Kirche gemein ist und wesentlich bereits auf der Seinsebene verwirklicht wird, also im Zusammenwachsen zu einem einzigen Leib, dient im Besonderen, wie das Konzil weiter ausführt, das geweihte Amt: „Damit die Gläubigen zu einem Leib, in dem ‚nicht alle Glieder denselben Dienst verrichten‘ (Röm 12,4), zusammenwachsen, hat der gleiche Herr einige von ihnen zu amtlichen Dienern eingesetzt. Sie sollten in der Gemeinde der Gläubigen heilige Weihevollmacht besitzen zur Darbringung des Opfers und zur Nachlassung der Sünden und das priesterliche Amt öffentlich vor den Menschen in Christi Namen verwalten“ (PO 2).

Bezugnehmend auf Congar betont Cordes, dass „diese Sendung/ Missio“, die in Lumen gentium und Presbyterorum ordinis eine so große Rolle spielt, „aus den göttlichen Sendungen entspringt“.119 Die Sendung des Priesters ist schließlich ein Ausfluss der Sendung Christi, den der Vater gesandt hat und der selbst die Apostel sandte (vgl. Joh 17,18; 20,21). In der Weihe wird Anteil an dieser Sendungsbewegung von Christus her verliehen. Es ist jedoch von größter Wichtigkeit zu betonen, dass die Kategorie der Sendung nicht den Geweihten vorbehalten ist.120 Vielmehr gilt, wenn der Begriff der Sendung in seiner ursprünglichen, neutestamentlichen Inhaltsbreite verstanden wird, dass sie der gesamten Kirche als „Weitergabe und Bezeugung der Wahrheit des Evangeliums“121 anvertraut ist, und „man muss innerhalb dieser Sendung der ganzen Kirche 119 Cordes, Warum Priester?, 26. 120 „Gesandt zu sein kann […] als solches nicht eine Sonderstellung des Apostelamtes ausmachen. Gerade die neutestamentliche Grundlegung des Glaubens muss anerkennen, dass trotz aller möglichen unterschiedlichen Verantwortung die in der Kirche versammelte Gemeinschaft des Volkes Gottes als ganze zur Sendung erwählt und verpflichtet wurde. Darum muss man die dauernde Gefährdung im Auge behalten, dass der Kirchen- und Sendungsbegriff durch das Amt total okkupiert wird. Immer wieder obsiegte ja durch die Jahrhunderte der Irrtum, die von Christus gegründete Kirche mit dem Kreis der Amtsträger zu identifizieren – seitens der Amtsträger (Privilegien), seitens ihrer Kritiker (,Amtskirche‘).“ Cordes, Warum Priester?, 28. 121 Vgl. ebd., 30.

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den Ort für die Rolle der Hierarchie angeben, und man darf nicht die Sendung (der Kirche) von dieser Rolle her definieren“.122 Der Begriff des gemeinsamen Priestertums aller Getauften, der auch vom Konzil verwendet wird, bringt den an alle Getauften ergehenden Ruf Christi, der die ἐκκλησία konstituiert, zum Ausdruck. Wie Greshake klar macht, meint der Begriff „allgemeines Priestertum“ nicht ein „so oder anders geartetes Amt“, sondern ist vielmehr ein auf die Kirche übertragener Ehrentitel Israels, der sie aufruft, „wie Israel als ein für Gott geheiligtes Volk zu leben“. Das allgemeine Priestertum stellt „eine unmittelbare, spezifische Teilnahme am Priestertum Christi“ dar, ist jedoch „strikt kollektiv zu verstehen“: Es bezieht sich „primär auf das Volk Gottes im Ganzen (auf den Einzelnen nur, insofern er zu diesem gehört)“.123 Das Konzil selbst vollzieht diese Differenzierung, indem es in LG 10 davon spricht, dass das „gemeinsame Priestertum der Gläubigen und das Priestertum des Dienstes“ sich „dem Wesen nach und nicht bloß dem Grade nach“ unterscheiden. Sie sind jedoch „einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil“ (LG 10). „Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“ (LG 10).

Die Einbettung des sakramentalen Priestertums im Ganzen der Wirklichkeit der Kirche mindert freilich nicht die besondere, ja essentielle Rolle der Geweihten, die für das Konzil selbstverständlich ist. Vielmehr zeigt sie die wahre Ausrichtung ihrer spezifischen Sendung: Das sakramentale Priestertum steht im Dienst des allgemeinen Priestertums aller Getauften. Das Konzil bringt diese Zielsetzung des Amtes klar zum Ausdruck, wenn es sagt: „Der Herr hat […], damit sie [alle Getauften] zu einem Leib zusammenwachsen (ut in unum coalescerent corpus) […], Diener eingesetzt 122 Yves Congar , La Pentecôte, Paris 1956, 117, zitiert bei Cordes, Warum Priester?, 30. 123 Greshake, Priestersein in dieser Zeit, 82 f.

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(­ instituit ministros)“ (PO 2). „Die Tatsache, dass der Herr einige von den Gliedern des Leibes zu amtlichen Dienern eingesetzt hat, findet seine Finalität darin, dass die Gläubigen zu einem Leib zusammenwachsen.“124 Der priesterliche Charakter des ganzen Gottesvolkes „schließt nicht aus, sondern ein, dass dieses selbst in seinem innersten Wesen und Lebensvollzug sakramental differenziert ist“125, was eben im sakramentalen Amt zum Ausdruck kommt. Das Amt hat in der Kirche also nicht nur eine ordnende Funktion, sondern eine essentielle theologische Zielsetzung: Es hat seine Würde nicht einfach in sich, sondern es steht im Dienst der Kirche, damit diese sie selbst werden kann. Der Angel- und Kon­ struktionspunkt der Kirche ist demnach nicht zuerst das Amt, sondern die lebendig in ihr gegenwärtige Sendung Christi, die aus der innertrinitarischen Sendung hervorwächst und die allen Gliedern der Kirche gemeinsam ist. Das Amt steht voll und ganz im Dienst dieser Missio. Deswegen ist die Logik der Kirchenkonstitution, die auch die Logik des Priesterdekrets wurde, konsequent, dass – anders als in früheren Zeiten – zuerst die allgemeine, gemeinsame Sendung der ganzen Kirche behandelt und betont wird, um dann darauf aufbauend von der besonderen Aufgabe der Hierarchie zu sprechen.126 In Bezug auf die Sendung des Priesteramtes ist noch eine Differenzierung von Bedeutung, welche das Dekret nicht expressis verbis anspricht, die sich allerdings aus dem Gesagten ergibt und im Kontext der vertieften Sicht des Bischofsamtes als „Fülle des Weihesakramentes“ (LG 21; 26; CD 15) zu betrachten ist:127 Es ist „die Differenz zwischen direkter Christusbezogenheit in der Sendung und dem Auftrag, Mitarbeiter des Bischofs zu sein“.128 Es geht darum, dass die Berufung und Sendung des Priesters einerseits direkt eine Sendung von Christus her ist, andererseits wird diese nur in der Zuweisung des presbyteralen Dienstes zum bischöf­ lichen Dienst und somit zum Ganzen der Kirche möglich.129 Diese 124 Fuchs / Hünermann, Theologischer Kommentar, 422. 125 Greshake, Priestersein in dieser Zeit, 83. 126 Vgl. auch Cordes, Warum Priester?, 27. 127 Vgl. die oben angesprochene Debatte um die Sakramentalität des Bischofsamtes. 128 Fuchs / Hünermann, Theologischer Kommentar, 425. 129 Für die wesentliche Zuweisung des Priesteramtes zum Bischofsamt ist LG 28 von Bedeutung, wo die Abstufung der „Weihe und Sendung“ der Bischöfe als Nach­ folger der Apostel thematisiert und die Abhängigkeit des Priesteramtes vom

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„Missio“ ist kein von der Weihe getrennter juridischer Akt, sondern vielmehr wesentlich mit dieser verbunden. Fuchs bringt diese Differenzierung folgendermaßen zum Ausdruck: „Die priesterliche Berufung ist zuerst eine Sendung durch Christus selbst, die durch die Sendung der Bischöfe bestätigt wird. Die Sendung durch die Bischöfe ist gewissermaßen das ‚Medium‘, in dem Chris

Bischofsamt betont wird: „So wird das aus göttlicher Einsetzung kommende kirchliche Dienstamt in verschiedenen Ordnungen ausgeübt von jenen, die schon seit alters Bischöfe, Priester, Diakone heißen. Die Priester haben zwar nicht die höchste Stufe der priesterlichen Weihe und hängen in der Ausübung ihrer Gewalt von den Bischöfen ab; dennoch sind sie mit ihnen in der priesterlichen Würde verbunden und kraft des Weihesakramentes nach dem Bilde Christi, des höchsten und ewigen Priesters (Hebr 5,1–10; 7,24; 9,11–28), zur Verkündigung der Frohbotschaft, zum Hirtendienst an den Gläubigen und zur Feier des Gottesdienstes geweiht und so wirkliche Priester des Neuen Bundes. Auf der Stufe ihres Dienstamtes haben sie Anteil am Amt des einzigen Mittlers Christus (1 Tim 2,5) und verkünden allen das Wort Gottes. Am meisten üben sie ihr heiliges Amt in der eucharistischen Feier oder Versammlung aus, wobei sie in der Person Christi handeln und sein Mysterium verkünden, die Gebete der Gläubigen mit dem Opfer ihres Hauptes vereinigen und das einzige Opfer des Neuen Bundes, das Opfer Christi nämlich, der sich ein für alle Mal dem Vater als unbefleckte Gabe dargebracht hat (vgl. Hebr 9,11–28), im Messopfer bis zur Wiederkunft des Herrn (vgl. 1 Kor 11,26) vergegenwärtigen und zuwenden. Für die büßenden oder von Krankheit heimgesuchten Gläubigen walten sie vollmächtig des Amtes der Versöhnung und der Wiederaufrichtung; die Nöte und Bitten der Gläubigen tragen sie zu Gott dem Vater hin (vgl. Hebr 5,1–4). Das Amt Christi des Hirten und Hauptes üben sie entsprechend dem Anteil ihrer Vollmacht aus, sie sammeln die Familie Gottes als von einem Geist durchdrungene Gemeinde von Brüdern und führen sie durch Christus im Geist zu Gott dem Vater. Inmitten der Herde beten sie ihn im Geist und in der Wahrheit an (vgl. Joh 4,24). Endlich mühen sie sich im Wort und in der Lehre (vgl. 1 Tim 5,17), sie glauben, was sie im Gesetz des Herrn meditierend gelesen haben, lehren, was sie glauben, verwirklichen, was sie lehren. Als sorgsame Mitarbeiter, als Hilfe und Organ der Ordnung der Bischöfe bilden die Priester, die zum Dienst am Volke Gottes gerufen sind, in Einheit mit ihrem Bischof ein einziges Presbyterium, das freilich mit unterschiedlichen Aufgaben betraut ist. In den einzelnen örtlichen Gemeinden der Gläubigen machen sie den Bischof, mit dem sie in vertrauensvoller und großzügiger Gesinnung verbunden sind, gewissermaßen gegenwärtig; sie übernehmen zu ihrem Teil seine Amtsaufgaben und seine Sorge und stellen sich täglich in ihren Dienst. Unter der Autorität des Bischofs heiligen und leiten sie den ihnen zugewiesenen Anteil der Herde des Herrn, machen die Gesamtkirche an ihrem Orte sichtbar und leisten einen wirksamen Beitrag zur Erbauung des gesamten Leibes Christi (vgl. Eph 4,12). Auf das Wohl der Kinder Gottes allzeit bedacht, sollen sie darüber hinaus bestrebt sein, ihren Anteil beizutragen zur Hirtenarbeit an der ganzen Diözese, ja an der ganzen Kirche. Um dieser Teilhabe an Priestertum und Sendung willen sollen die Priester den Bischof wahrhaft als ihren Vater anerkennen und ihm ehrfürchtig gehorchen. Der Bischof hinwiederum soll seine priesterlichen Mitarbeiter als Söhne und

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tus die Presbyter in sakramentaler Weise zu diesem Dienst befähigt und sendet.“130 2.3.2.3 Dienstcharakter des Priestertums und Priorität des Wortauftrages Vor allem das zweite Kapitel (Presbyterorum ministerium) betont den Dienstcharakter des Priestertums. Schon die Kirchenkonstitution sieht das kirchliche Amt vorrangig als Dienst: „Jenes Amt aber, das der Herr den Hirten seines Volkes übertragen hat, ist ein wahres Dienen, weshalb es in der Heiligen Schrift bezeichnenderweise mit dem Wort ‚Diakonia‘, d. h. Dienst, benannt wird“ (LG 24). Denn „das Erste am neutestamentlichen Amt ist seine religiöse und heilsbezogene Dienstfunktion, und zwar gegenüber einer Gemeinschaft, die nicht rein innerweltlich, sondern in Einheit von ‚natürlich-übernatürlich‘ oder von ‚sichtbar-unsichtbar‘ zu sehen ist“.131 Der Dienstcharakter des Ordo wird im Konzil auch dadurch betont, dass es statt des einfachen Begriffs „Hierarchie“ immer wieder die Rede von der „hierarchischen Verfassung der Kirche“ bevorzugt. Dementsprechend wird bei den Ämtern von „ministeria“ gesprochen (vgl. z. B. LG 18; 26; 28 etc.; PO 2; 4; 5; 11; 15 etc.), die als „wahres Dienen – verum servitium“ (LG 24) charakterisiert werden.132 Der lateinische Begriff Presbyterorum ministerium wird im Deutschen meist mit „Dienstamt der Priester“ wiedergegeben. Die Perspektive des Dienstes, in die das Dekret das Priesteramt stellt, kann als die Grundperspektive des geweihten Amtes am Konzil betrachtet werden, denn „das Priesteramt ist Dienst der Kirche für den Dienst Christi selbst an seiner Kirche“.133 Nicht die Vollmacht oder gar Privilegien, welche die Geweihten von den Ungeweihten unterscheiden, stehen im Vordergrund, sondern der Dienst und seine konkrete Entfaltung. Es ist das Vorbild Christi

Freunde ansehen, gleichwie Christus seine Jünger nicht mehr Knechte, sondern Freunde nennt (vgl. Joh 15,15). Diözesan- wie Ordenspriester sind also alle zusammen aufgrund ihrer Weihe und ihres Dienstamtes dem Kollegium der Bischöfe zugeordnet und wirken vermöge ihrer Berufung und der ihnen verliehenen Gnade zum Wohl der gesamten Kirche.“ 130 Fuchs / Hünermann, Theologischer Kommentar, 417 f. 131 Grillmeier , Geist, Grundeinstellung und Eigenart der Konstitution „Licht der Völker“, 151. 132 Vgl. Müller , In der Kirche Priester sein, 141. 133 Kurt Koch, Priester in priesterarmer Zeit, https://www.uibk.ac.at/theol/lese raum/texte/867.html (4.1.2017).

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selbst, das den priesterlichen Dienst „als uneingeschränkte Verfügbarkeit gegenüber den Menschen“ bestimmt.134 Das Amt ist nicht einfach für sich da, mit einer besonderen Würde ausgestattet, welche die Amtsträger zu anderen oder gar besseren Christen machen würde, sondern steht immer in Relation zu allen Gliedern der Kirche, und zwar im Dienst an der Kirche. Deswegen wird vom Konzil niemals das „Priestertum an sich“ behandelt, sondern immer in den vielen Relationen, in denen es in der Kirche real existiert, und das immer als ministerium. Das zweite Unterkapitel des zweiten Kapitels im Priesterdekret nimmt gerade diese Rela­ tionalität des Priesteramtes in den Blick und spricht von „Presby­ terorum habitudo ad alios“, der Beziehung der Priester zu anderen: zu den Bischöfen (PO 7), zueinander im Presbyterium (PO 8) und zu allen anderen Gliedern des Gottesvolkes (PO 9), dem sie zu dienen haben. Dienstcharakter ist für das Konzil also das eigent­ liche Charakteristikum des Priesteramtes. Der priesterliche Dienst wird davor noch in konkreten Gestalten behandelt unter dem Titel Presbyterorum munera – Die priester­ lichen Ämter (PO 4–6): der Dienst des Lehrens (4), der Dienst der wahren Liturgie oder der Heiligung (5) und schließlich der Dienst der Leitung (6). Die Entfaltung des zweiten Dienstes (Liturgie/ Heiligung) im Dekret liegt am stärksten im Einklang mit dem traditionellen Priesterbild. Die Zentralität der Eucharistiefeier wie auch der hohe Stellenwert der anderen Sakramente wird hervorgehoben. Die Aufgaben der Priester in Bezug auf die Liturgie werden kurz skizziert: Sie sollen zum Gotteslob und zur Lebenshingabe anleiten, zur Buße hinführen, echtes Gebet in der Liturgie lehren, zu Standespflichten anhalten und zur Befolgung der evangelischen Räte einladen. Das alles bewegt sich in der Sprache wie auch im Inhalt sehr im traditionellen Bereich, wie wir ihn von der Neuscholastik kennen, ergänzt durch eine starke Betonung des Dienstcharakters jedweden priesterlichen Tuns in der Liturgie. Nicht unähnlich verhält es sich mit dem dritten Amt, dem Amt des Leitens (vor allem PO 6). Viel stärker aber, als wir es aus den vorkonziliaren Texten kennen, ist die klare pastorale Ausrichtung dieses Paragrafen ausgefallen: dass nämlich der priesterliche Leitungsdienst nicht bedeutet, den Gläubigen gegenüber als religiöse

134 Vgl. Cordes, Warum Priester?, 153.

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Profis und von ihnen abgesonderte Beamtenklasse zu stehen, sondern die Priester werden vielmehr angehalten, „mit echter Menschlichkeit“ und „ihrem Anteil an der Vollmacht Christi des Hauptes und Hirten“ entsprechend Jesus Christus „ähnlich zu werden“ (vgl. PO 17) und die Gläubigen als „Erzieher im Glauben“ (vgl. PO 6; 13) zur „Entfaltung persönlicher Berufung“ und „zur christlichen Reife“ (vgl. PO 6) zu führen. Der Priester steht in seiner Leitungsfunktion also nicht einfach den Gläubigen gegenüber, sondern als einer, der die Taufsendung mit ihnen teilt, die durch die sakramentale Weihe einen spezifischen Dienstcharakter bekommen hat, begleitet er sie zur christlichen Reife. Die Kirche wird dabei nicht als societas perfecta, sondern vielmehr als „Familie Gottes, die als Gemeinschaft von Brüdern nach Einheit verlangt“ (PO 6), gesehen. Die Priester haben also mitten im pilgernden Gottes Volk zu stehen und es auf dem Weg „aufzuerbauen“. Das Konzil warnt auch noch davor, dass die Priester „irgendeiner Ideologie“ oder „einer menschlichen Parteiung“ zu Diensten stünden, sie haben vielmehr immer das Evangelium zu verkünden (vgl. PO 6). Das von Presbyterorum ordinis an erste Stelle aller priesterlichen Dienste gestellte Amt, der Dienst am Wort (Dienst des Lehrens), soll hier etwas näher beleuchtet werden. Das Konzil besagt: „Das Volk Gottes wird an erster Stelle geeint durch das Wort des lebendigen Gottes, das man mit Recht vom Priester abverlangt. […] Da niemand ohne Glauben gerettet werden kann, ist die erste Aufgabe der Priester als Mitarbeiter der Bischöfe, allen die frohe Botschaft Gottes zu verkünden“ (PO 4). Die Priorität des priesterlichen Dienstes am Wort erklärt sich damit, dass die Kirche durch das Wort Gottes zusammengerufen und überhaupt begründet wird. Ohne das Wort kann es keine Kirche geben, deswegen spricht das Konzil davon, dass die Priester „allen schulden, Anteil zu geben an der Wahrheit des Evangeliums“ (PO 4). Die starke Betonung des Verkündigungsdienstes „entspricht auch der Hochschätzung des Wortes, wie sie alle Texte des Zweiten Vatikanums durchzieht“.135 An erster Stelle unter den priesterlichen Aufgaben nennt die „Verkündigung des Wortes“ auch Lumen gentium (LG 28). Im Priesterdekret wird weiters betont, dass Priester in diesem Dienst „niemals ihre eigenen Gedanken vortragen, sondern im-

135 Fuchs / Hünermann, Theologischer Kommentar, 443.

2.3 Das Priesterbild des Konzils: Presbyterorum ordinis

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mer Gottes Wort lehren“. „Der Verkündigungsauftrag setzt [also] beim Priester eine existenzielle Selbstenteignung voraus, in der er sich dessen bewusst ist, dass er stets hinter dem zurück bleibt, den er verkündet“136, und dass das Wort, das er zu verkünden hat, immer größer ist als seine eigenen Gedanken. Aber gerade deswegen ist dieses Wort in der Lage, „die Kirche aufzuerbauen“. Es darf nicht vergessen werden, dass in der Perspektive des Konzils der Dienst am Wort ein sakramentales Geschehen ist. „Denn das Wort, das der Priester zu verkünden hat, ist ein sakramentales Wort. Wie der Logos selbst Fleisch geworden ist, so will auch Gottes Wort sinnlich erfahren werden in den Sakramenten, zuhöchst in der Feier der Eucharistie, die die Mitte des priester­ lichen Dienstes ist. Auch und gerade im sakramentalen Dienst ist der Priester Verkünder des Wortes Gottes, freilich eines wirksamen Wortes, das genau das bewirkt, was es besagt.“137

Eine so starke Priorisierung des Wortdienstes beim Priestertum ist ein Novum. Sie markiert eine eindeutige Öffnung einer kultischen Engführung des Priesterbegriffs, wie wir es beim Trienter Konzil und vor allem in der Zeit danach beobachten konnten. Vielmehr wird der kultische Auftrag, der dem Priesteramt zweifelsohne auch innewohnt, vom Konzil in den Wort- und Leitungsdienst eingegliedert. Denn „erst wenn sie sich gegenseitig durchdringen, gewinnen alle drei Funktionsmomente Eindeutigkeit“.138 Das Zweite Vatikanische Konzil hat das Priesteramt „in erster Linie von seinem Dienst am Wort Gottes und nicht von seinem sakramentalen Dienst her definiert. Dieser ergibt sich aber aus dem ersten von selbst. Denn das Wort, das der Priester verkündet, ist ein Wort, das Fleisch geworden ist und in den Sakramenten sinnlich erfahren werden will.“139 Dabei darf der Wortauftrag, der vom Konzil an erster Stelle genannt wird, als die „alle drei Dienste verbindende Grundlinie“140 angesehen werden, wie Cordes bezugnehmend auf Ratzinger betont. Wir werden sehen, dass diese

136 Koch, Priester in priesterarmer Zeit. 137 Kurt Koch, Priesterlicher Dienst am Wort Gottes und an der Eucharistie, Salzburg 2016, 11. 138 Cordes, Warum Priester?, 136. 139 Koch, Priester in priesterarmer Zeit. 140 Vgl. Cordes, Warum Priester?, 136.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

Priorität des Verkündigungsauftrages im Priesterauftrag für Ratzinger ganz wesentlich ist.141 2.3.2.4 Dynamisches Vollzugsdenken statt statischem Standesdenken Es war bereits davon die Rede, dass für die nachtridentinische Theologie die These der Repräsentation Christi durch die Person des geweihten Priesters (Priester als alter Christus), wie wir sie unzählige Male in den neuscholastischen Texten und lehramtlichen Dokumenten vorfinden, zum Standard geworden war.142 Die Ebenen werden undifferenziert verwechselt: Die aktive Repräsentation Christi durch den Priester im Handlungsakt der Opferdarbringung oder allgemein der Sakramentenspendung wird unmittelbar auf die Seinsebene der Person des Priesters überhaupt als kontinuierliche Wirklichkeit übertragen. Wir haben auch schon auf die Beobachtung von Cordes hingewiesen, dass dieses statisch-kontinuierliche Konzept der Repräsentation Christi höchst problematisch und eigentlich absurd ist, das Standesdenken und die Vorstellung der Priesterschaft als Beamtenschaft begünstigt.143 Nun war gerade dieses Denken en vogue, sogar in päpstlichen Dokumenten. So schreibt Pius XI. in seiner Enzyklika Ad catholici sacerdotii144 über den Priester: „Ja, er ist sogar, was wir mit Fug und Recht ­feierlich sagen können, ‚der zweite Christus‘, da er seine Person vertritt.“145 Das Zweite Vatikanum zeigt dagegen, dass die Christuspräsenz „nicht eine Qualifikation [ist], die dem Priester allein zukäme und die den übrigen Gliedern der Kirche vorenthalten wäre“.146 Im Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem ist von der „lebendigen Vereinigung mit Christus“, die alle Getauften angeht, die Rede (vgl. AA 4). Das Konzil spricht davon, dass alle durch die Taufe in den einen Leib Christi Aufgenommenen in je eigener Weise „am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi“ teilhaben (LG 31). Im Priesterdekret wird betont, wie

141 Vgl. Abschnitt 5.4.5. 142 Siehe oben S. 91. 143 Vgl. Cordes, Warum Priester?, 142. Vgl. auch oben S. 92 die Kritik der neuscholastischen These Sacerdos alter Christus. 144 Siehe oben S. 89. 145 P ius XI., Ad catholici sacerdotii, Kap. I (DH 3755). 146 Cordes, Warum Priester?, 149.

2.3 Das Priesterbild des Konzils: Presbyterorum ordinis

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wir es auch hier zeigen konnten, dass es „kein Glied [gibt], das nicht Anteil an der Sendung des ganzen Leibes hätte; jedes muss vielmehr Jesus in seinem Herzen heilighalten und durch den Geist der Verkündigung Zeugnis von Jesus ablegen“ (PO 2). Deswegen ist die Überhöhung des Priesters, wie es in der Neuscholastik und besonders in der École française postuliert wurde, ein Unfug und entspricht der wahren Repräsentation Christi durch den Priester, wie sie auch das Zweite Vatikanum zweifellos kennt, nicht. Denn die Repräsentationsthese, die eine statisch-kontinuier­ liche Quasi-Identität zwischen Christus und der Person des Priesters konstruiert und dem Menschen eine unangebrachte, direkt von Christus hergeleitete Würde zuspricht – wie sie in den Ermahnungen der Päpste in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erklingt –, „missachtet […] den Dienstcharakter des Amtes“, wie wir es oben als das eigentliche Charakteristikum des Amtes in der Betrachtung durch das Konzil entdeckt haben, und „harmoniert auch nicht mit dem apostolisch ausgreifenden Zug, den das Vaticanum II als Kirchenbild wieder verdeutlichte“.147 Die klassisch-objektivistische Repräsentationsthese lässt sich beim letzten Konzil nicht mehr finden.148 In der Endredaktion begegnet der Ausdruck repraesentare nicht mehr in dem oben genannten neuscholastischen Sinn als „dauerhaftes Vorhandensein“. „In der für die Systematik entscheidenden Passage […] spricht [das Dekret] gar nicht mehr von einer irrtümlich als Auszeichnung zu deutenden Gegenwart Christi im Presbyter, sondern davon, dass der Amtsträger befähigt ist, ‚in der Person Christi des Hauptes zu handeln‘.“149 Das Konzil sieht die Gegenwart Christi im Priester also nicht als ein kontinuierliches Faktum, das durch die Weihe ein für alle Mal Wirklichkeit ist, also als Gegenwart in der geweihten Person als solcher, sondern viel differenzierter in den Amtshandlungen des Priesters, bei denen er in persona Christi Capitis agiert, bei denen sich dieser also seiner bedient. Der Ausdruck „in persona Christi Capitis agere – in der Person Christi des Hauptes handeln“ (PO 2) 147 Ebd., 151. 148 Cordes gibt allerdings auch zu, dass der Abschied von der statisch-kontinuier­ lichen Repräsentationsthese leider nicht in allen Aussagen des Priesterdekrets eindeutig zu erkennen ist. Vgl. ebd. 149 Ebd.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

zielt direkt auf das Handeln, die Tätigkeit (agere) des Priesters ab, nicht zuerst auf sein „Sein“. Nicht einfach die Person des Priesters (statisch), sondern das amtliche Handeln des Priesters (dynamisch) wird zum Heilszeichen – es vermittelt sakramental das Heilshandeln Christi, das dadurch an einem konkreten Ort, zu einer konkreten Zeit und für eine konkrete Person aktuelle Greifbarkeit erhält. „Es ist Christus, der dem Tun des Presbyters Wirksamkeit gibt; in Christus liegt die unersetzbare, einzige Kompetenz des Presbyters.“150 Der handelnde Priester ist also in allem und umfassend auf Christus verwiesen und an ihn gebunden, der der allein Wirksame ist. Im Ganzen geht es also um „die konkrete Amtsgestalt, in der der Presbyter seinen Dienst (ministerium) tut“, auch wenn dieser selbstverständlich „bestimmte ‚Qualitäten‘151 im Sein des Presbyters“ voraussetzt.152 Mit dem Schwerpunkt auf den Dienstcharakter des Priestertums und auf das Handeln des Priesters, bei dem Christus sich in konkreten Handlungen des Priesters als Instrument bedient, das vom durch die Weihe geprägten Sein ermöglicht und vom heiligmäßig geführten und pastoral bestimmten Lebensstil begleitet wird, überwindet das Konzil eine statisch-objektivistische Sicht der Gegenwart Christi in der Person des Priesters, die das Standesdenken begünstigte, zugunsten eines dynamischen Vollzugsdenkens, das die Gegenwart Christi im Priester während der sakramentalen Handlungen erkennt und den eigentlichen Ort des Priesters innerhalb des Mysteriums der ganzen Kirche sieht, die sich ihrer eigenen Sendung, die alle Glieder angeht, erneut bewusst wurde.

150 Ebd., 152. 151 Hier ist vor allem an den character indelebilis zu denken, wie ihn das Konzil von Trient (vgl. DH 1609, 1767, 1774) definiert und die nachtridentinische Theologie vertieft hat (siehe auch oben S. 30 f.); es geht aber auch um andere Wirkungen des Ordosakramentes, die den Geweihten befähigen, seinen sakramentalen Dienst zu versehen. 152 Vgl. Cordes, Warum Priester?, 152. In Sendung zum Dienst fasst Cordes die Auffassung des Konzils über die spezielle Gegenwart Christi im Amtsträger in sechs Punkten zusammen. Vgl. Cordes, Sendung zum Dienst, 207 f.

2.4 Fazit: Das Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

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2.4 Fazit: Das Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils Das Priesterbild, wie es das Zweite Vatikanische Konzil zeichnet, steht klar auf der Grundlage der Lehre des Trienter Konzils, wie sie im nachfolgenden Lehramt, aber auch in den Ausführungen der klassischen Schultheologie weitergetragen wurde. Nichts von alldem wird hier zurückgenommen oder auch nur infrage gestellt. Vielmehr wird dieses klassische Priesterbild vertieft und auf der Grundlage der Konzilsbemühungen neu kontextualisiert und dadurch erneuert.

2.4.1 Was vorangebracht wurde Die neuen Ansätze des Konzils sieht man in der eindeutigen Mühe um die theologische wie praktische Relevanz des „Heute“ in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung des Priesteramtes wie auch im Nachdenken darüber von der Erfahrung der Weltkirche aus, die bei diesem Konzil in einer noch nie dagewesenen Weise erfahrbar wurde.153 Dort sind auch die Überlegungen über die Verteilung der Priester (3. Teil des 2. Kapitels: PO 10 f.) und der Kirchengüter (PO 17) innerhalb einer solidarischen kirchlichen Weltgemeinschaft einzuordnen. Beide Perspektiven (Relevanz des geschicht­ lichen Augenblicks und weltkirchliche Optik) sind vom heutigen Nachdenken über das Priestertum nicht mehr wegzudenken. Weiters sieht man dem Text an, dass die Väter bemüht waren, sich weniger juridisch auszudrücken, was in den ersten Entwürfen durchaus präsent war, und mehr theologisch und pastoral zu wirken, was im Vergleich zu früheren Texten zweifelsohne gelungen ist.154

153 Man kann wohl sagen, dass das Zweite Vatikanum wie keines der Konzilien davor ein Konzil der Weltkirche war. Nicht nur die konkurrenzlose Größe der Versammlung (zum Zeitpunkt der Ankündigung des Konzils gab es 2750 stimmberechtigte Konzilsväter, beim Vatikanum I waren es insgesamt 800; vgl. P esch, Das Zweite Vatikanische Konzil, 65) und die bunte Verschiedenheit der Kulturen, welche die Konzilsväter selbst repräsentierten, sondern auch der wahrhaft weltumspannende Charakter der Versammlung, der nicht zuletzt durch moderne Kommunikationswege ermöglicht wurde, lässt den Gedanken aufkommen, dass diese Versammlung eine vorher nie dagewesene Erfahrung der Weltkirchlichkeit sein musste. 154 Vgl. Fuchs / Hünermann, Theologischer Kommentar, 411.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

Eine nicht hoch genug zu schätzende Leistung des Zweiten Vatikanums in Bezug auf unser Thema ist die Vertiefung des Priesterbegriffs durch das Aufbrechen aus der Engführung der triden­ tinischen Konzeption, die im Abwehrmodus entstanden ist. Der Formulierungsprozess und die Ergebnisse zeigen, dass das Konzil in der Betrachtung des Priesters und seiner Aufgaben „die einseitigen, weil antilutherischen Formulierungen des Tridentinums“ bewusst durch „wesentliche Ergänzungen“ vervollständigen wollte.155 In zwei Punkten ist dieses Ausbrechen aus der von der Geschichte her zwar nachvollziehbaren, aber dennoch problematischen antilutherischen Engführung besonders sichtbar: (1) Zum einen geht es um die Rede vom „allgemeinen Priestertum aller Gläubigen“, die in der katholischen Theologie seit der Reformation vereinfachend mit lutherischen Thesen verbunden wurde, die für ein spezifisches, sakramental begründetes, durch die Weihe für das ganze Leben übertragene Amt keinen Platz ließen. Das Konzil wagt diese Rede ohne Scheu und verwendet sie, wie wir sehen konnten, um das geweihte Amt in die entscheidende Perspektive der Sendung der ganzen Kirche zu stellen und somit ekklesiologisch tiefer zu verankern. Das Konzil zeigte, dass, wenn der Sendungsbegriff biblisch richtig grundiert wird, Engführungen überwunden werden und eine neue Lebendigkeit zutage tritt. So steht das sakramentale Priestertum im Dienst an allen Gliedern im mystischen Leib Christi und ist somit ein relativer Wert – es steht in Dienstrelation zu allen Gliedern der Kirche. (2) Ein zweiter Punkt, in dem die Überwindung der antilutherischen Engführung zu sehen ist, ist die starke Priorisierung des priesterlichen Verkündigungsdienstes. Luther sah im Priester vor allem einen amtlichen Prediger des Wortes Gottes, wogegen das Trienter Konzil die Sakramentalität des Ordo und die sazerdotalen und liturgischen Aufgaben des Priestertums hervorhob. Das Zweite Vatikanum spricht nicht mehr aus einer Verteidigung der infrage gestellten Sakramentalität und Sazerdotalität des Priestertums heraus, sondern versucht ein organischeres Konzept der priesterlichen Dienste zu zeichnen, in dem der Dienst der Verkündigung, der Dienst der Heiligung sowie der Dienst der Leitung eine Einheit bilden. Dennoch steht der Dienst am Wort für Presby-

155 Vgl. Cordes, Warum Priester?, 128.

2.4 Fazit: Das Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

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terorum ordinis an erster Stelle aller priesterlichen munera, da das „Wort des lebendigen Gottes“ die Kirche überhaupt konstituiert und verbindendes Element aller drei Ämter ist. Man kann festhalten: Das Konzil hat den außer Frage stehenden sazerdotalen Auftrag des Priesters in den Wort- und Leitungsdienst eingegliedert und die Einheit der sich gegenseitig durchdringenden Dienste unterstrichen. „Während des Vaticanum II konnten nun nach langen Diskussionen die tridentinische Sicht des Priesters ergänzt und seine bibelnahen Konturen zu Papier gebracht werden.“156 Eine weitere Neuerung stellt die Überwindung der Trennung zwischen der Weihe- und der Jurisdiktionsvollmacht dar, die nach älteren Auffassungen in zwei selbstständigen Akten verliehen wurden. Cordes spricht in diesem Zusammenhang direkt von einer „neuen Weichenstellung“157, dass nämlich die Sendung des Amtsträgers wesentlich in der Ordination selbst geschieht und der anschließende Rechtsakt einer juridischen missio canonica „lediglich als Zuweisung des Seelsorgsbereiches aufzufassen“ sei.158 Und schließlich kann man im vertieften dynamischen und handlungsbezogenen Verständnis der Repräsentation Christi durch den Priester eine Erneuerung sehen, die das Standesdenken, welches eine schädliche und sachlich unangemessene Überhöhung der geweihten Person und de facto eine Isolierung der Priester innerhalb der Kirche zur Folge hatte, überwand. Wenn diese Erneuerung durch die Neuartikulierung der Priesteridentität, die vielen wohl als zu unklar und unsicher vorkam, unmittelbar nach dem Konzil auch zu einer beispiellosen Priesterkrise beigetragen haben mag, ist es – mit genügend Abstand betrachtet – eine Grundlage für wahre Erneuerung der Theologie des priesterlichen Amtes sowie für ein neues Miteinander zwischen Priestern und Laien, das die kirchliche Zukunft unweigerlich prägen wird.

2.4.2 Wo Erneuerung ausblieb Wie oben ausgeführt, wurden wesentliche Fortschritte durch das Konzil vor allem im Offenbarungsbegriff, in den Bereichen der Ekklesiologie, der Liturgie, der Ökumene und in den Beziehungen 156 Ebd., 136. 157 Vgl. ebd., 128. 158 Vgl. ebd.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

zu nichtchristlichen Religionen sowie zur modernen Welt erzielt. Dass Fortschritt erreicht wurde, bedeutet freilich nicht, dass das Konzil etwas „Neues aus dem Nichts“ entwickelt hätte, wie es in der nachkonziliaren Diskussion immer wieder angenommen wurde,159 sondern dass das Konzil die Erneuerung der Theologie und Lehre aus einem neuen Zugang zu den Quellen und vor allem aus einem vertieften Bewusstsein der Vätertradition in Bewegung gesetzt hat – in Kontinuität mit der gesamten Tradition der Kirche. Es wurden aber ganz klar neue Akzente gesetzt – und das hat Folgen im Leben und in der Theologie, die freilich teilweise auch Momente der Diskontinuität in sich integrieren. Einschränkend zu dem, was hier über die Erneuerung des Priesteramtes gesagt wurde, muss man noch anfügen: Die ekklesiologischen Weichenstellungen in Lumen gentium, die – wie oben gesehen – das rein juridische Kirchenkonzept zugunsten einer organischen Sicht hinter sich lassen, bei der das Ganze und Größere des Geheimnisses nicht vergessen wird, werden in der Konstitution und auch vom Konzil allgemein nicht bis in die letzten Konsequenzen durchbuchstabiert. Allein dadurch aber, dass dem Kapitel über den hierarchischen Aufbau der Kirche die zwei Kapitel über das Mysterium der Kirche und über das Volk Gottes als solches vorangestellt werden und dass eine ähnliche Methodik auch beim Priesterdekret angewandt wurde, wird die ganze Thematik des Amtes und seines Ortes in der Kirche neu strukturiert und in die große Perspektive der Kirche als una realitas complexa als von Gott kommendes Mysterium der Verbindung des MenschlichGöttlichen eingebettet und somit dynamisiert. Das Konzil hat also Grundentscheidungen getroffen, die nichts weniger als entscheidende Weiterentwicklungen bei wesentlichen Themen bedeuteten. Die Explikationen dieser Grundentscheidungen auf das Priesteramt wurden vom Konzil selbst letztendlich 159 Vgl. die Diskussionen über die richtige Hermeneutik des Konzils. Im Großen stehen sich hier zwei Hermeneutiken teilweise unversöhnlich gegenüber: eine „Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches“, die im Konzil einen Bruch mit den meisten theologischen Entwicklungen seit der sogenannten konstantinischen Wende, ganz besonders aber seit dem Trienter Konzil sieht (die sogenannte Schule von Bologna sei als berühmtester Verfechter dieser Hermeneutik angeführt), und eine „Hermeneutik der Reform, der Erneuerung des einen Subjektes der Kirche […] unter Wahrung der Kontinuität“, wie es Papst Benedikt XVI. in seiner Weihnachtsansprache an die römische Kurie am 22. Dezember 2005 genannt hat.

2.4 Fazit: Das Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

127

aber nicht geleistet, sondern höchstens angedeutet. Die Konzils­ väter in ihrer Gesamtheit waren, wie bereits erwähnt, zu selbstverständlich vom klassischen neuscholastischen Priesterbild geprägt:160 Ihr Denken über das Priestertum und ihre priesterliche Spiritualität entsprachen dem, was wir in den Dokumenten der Pius-Päpste vorgefunden haben. Deswegen und wohl auch aufgrund der Dynamik der Konzilsereignisse sowie der Tatsache, dass die Väter mit anderen Themen voll ausgelastet waren, konnte das konsequente Konkretwerden der Grundentscheidungen des Konzils für das Priesteramt nicht vom Konzil selbst geleistet werden und wurde zwangsläufig der Zeit danach überlassen. Die Konsequenzen der vom Konzil getroffenen Entscheidungen waren dennoch allgemein groß und haben sich innerhalb sehr kurzer Zeit vollzogen: Nur dreißig Jahre nach der Priesterenzyklika Pius’ XII. Menti Nostrae161 schien kurze Zeit nach dem Konzil ihre Lehre und ihr ganzer Habitus fast fremd zu sein.162 Das noch kurz vor dem Konzil festgestellte und auf dem Konzil selbst zu ­beobachtende Selbstverständnis hat sich sehr rasch in ein Be­ fremden verwandelt. Die ekklesiologischen Weiterentwicklungen durch das Konzil wie auch äußere Umstände der geistesgeschichtlichen Entwicklungen der späten 1960er-Jahre haben hier wohl eine entscheidende Rolle gespielt. Im Konzil wurden des Weiteren viele für das Thema relevante Fragestellungen nicht behandelt, teilweise, weil ihre Brisanz Anfang der 60er-Jahre noch nicht absehbar war oder vom Standpunkt des neuscholastischen Priesteramtskonzeptes nicht gesehen werden konnte, teilweise, weil andere Themen im Vordergrund standen. Es muss freilich immer mitbedacht werden, dass das Priestertum nicht das zentrale Thema des Konzils war, sondern ein eher untergeordnetes. Viel mehr Aufmerksamkeit wurde dem Bischofs­ amt geschenkt – einerseits, weil nach dem abrupt abgebrochenen Ersten Vatikanum viele Fragen offenblieben und einer Klärung bedurften, z. B. das Verhältnis zwischen päpstlichem Primat und dem Bischofskollegium. Darüber hinaus gab es noch einige „alte“,

160 Vgl. Müller , In der Kirche Priester sein, 131 f. 161 Siehe oben S. 91. 162 Für diese Beobachtung siehe Heribert Mühlen, Besonderheit des kirchlichen Leitungsamtes, in: Ferdinand H ahn / Wilfried Joest / Bernhard Kötting / Heribert Mühlen, Dienst und Amt. Überlebensfrage der Kirche, Regensburg 1973, 82.

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2. Auf dem Weg zum Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

im ersten Kapitel hier bereits angedeutete offene Fragen, die zum Teil bis ins Mittelalter zurückreichten, wie die der Sakramentalität des Bischofsamtes, der Kollegialität des Bischofskollegiums u. a. Dagegen schien es Anfang der 1960er-Jahre beim Thema Priester keine großen offenen Fragen zu geben. Die alten Fragen waren geklärt und/oder nicht mehr aktuell, die neuen Fragen dagegen waren noch nicht wirklich ins Bewusstsein gelangt oder vielleicht noch nicht ausgereift: Priestermangel, die Frage des Weiheempfängers, die Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche etc.163 Auch sucht man in den Konzilstexten vergeblich nach einer besonderen Mühe in der Begründung, warum es in der Kirche eines besonderen Priestertums überhaupt bedarf. Das Weihepriestertum wird zwar in die Perspektive der vertieften Ekklesiologie integriert, nicht aber wird die Frage nach seiner Existenzberechtigung überhaupt gestellt. Das heißt, dass die Fragen der modernen, von der protestantischen Exegese geprägten Theologie im Konzil nicht wahrgenommen wurden. Somit konnte das Konzil auch nicht direkt zu einer vertieften Reflexion dieser äußerst wichtigen, bald danach brennenden Themenkomplexe beitragen. Man kann feststellen, dass neben den entscheidenden und nicht infrage zu ­stellenden Vertiefungen des Priesterbildes das Konzil die unter der Oberfläche bereits schlummernde Identitätskrise des Priester­ amtes, die kurz nach dem Konzilsabschluss explosionsartig sichtbar wurde, nicht wirklich wahrnahm und deswegen auch keine Antworten auf Verunsicherungen lieferte. Vielleicht hat dieser Umstand manche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil dazu geführt, von den Priestern als von den „großen Vergessenen des Konzils“ zu sprechen: „Man hat gesagt, dass die Priester die großen Vergessenen des Konzils gewesen wären. Es ist wahr, dass eben die Absicht des Zweiten Vatikanums und sein erkennbares Gefüge den Priester ein wenig im Schatten gelassen haben.“164 Peter Henrici fasst dieses Gefühl, das bei nicht wenigen Priestern nach dem Konzil aufgekommen zu sein scheint, kurz zusammen: 163 Das Lehramt musste nach dem Konzil schließlich mehrmals reagieren: Sacerdotalis coelibatus (Paul VI., 1967), Inter insigniores (Glaubenskongregation, 1976), Ordinatio sacerdotalis (Johannes Paul II., 1994). 164 A ntoine Wenger , Vatican II. Chronique de la troisième session, Paris 1965, 181, zitiert in Cordes, Sendung zum Dienst, 11. Siehe dazu auch Fuchs / Hünermann, Theologischer Kommentar, 411 f.

2.4 Fazit: Das Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils

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„[Das Konzil] hat den verheirateten Diakonat als eigenständige Weihestufe in der lateinischen Kirche wieder neu eingeführt; die Bischöfe haben viel über sich selbst, über ihren Dienst und über das Bischofskollegium gesprochen; die Rolle der Laien als aktive und priesterliche Mitglieder des Volkes Gottes wurde wiederholt unterstrichen, aber über die Priester schien das Konzil sich auszuschweigen. So konnten die Priester sich gegen Ende des Konzils als ‚quantité négligeable‘ in der Kirche fühlen.“165

Auch die hier versuchte Analyse des Priesterbildes des Zweiten Vatikanums zeigt, dass dies, wie Henrici sofort einschränkend einfügt, nicht stimme. Das Konzil hat nach langem Ringen den Priestern ein eigenes Dokument gewidmet, ein zweites noch ihrer Ausbildung. Dennoch, wie eben gerade ausgeführt, bleibt der Eindruck einer gewissen Mangelhaftigkeit der erzielten Ergebnisse. Es wäre aber ungerecht, die Mühe der Konzilsväter zu verachten, welche sie den Priestern gewidmet haben. Wie die Entwicklung gezeigt hat, hat das Konzil nicht das letzte und entscheidende Wort für die Identitätskrise des Priestertums ausgesprochen. Das Thema, das kurz nach dem feierlichen Abschluss der Versammlung sehr brisant wurde, bleibt eine noch lange unvollendete Baustelle und wird vom späteren Lehramt166 sowie von der nachkonziliaren Theologie weiterhin reflektiert und in den Zusammenhängen moderner theologischer wie gesellschaftlicher Entwicklungen vertieft. Die Grundentscheidungen, die das Konzil in Bezug auf das Priestertum direkt oder indirekt getroffen hat, sind dabei bleibende Orientierungspunkte für diese vertiefende Reflexion.

165 Henrici, Hat das Konzil die Priester, haben die Priester das Konzil vergessen?, 634. 166 Die römische Bischofssynode, nach dem Konzil als neue Struktur der Kollegialität der Bischöfe und der Beratung des Papstes etabliert, befasste sich seither mehrmals direkt oder indirekt mit dem Thema des Priesters. Zu nennen sind vor allem: 1. Ordentliche Versammlung 1967 zum Thema „Die Bewahrung und Stärkung des katholischen Glaubens: seine Integrität, seine Kraft, seine Entwicklung, seine doktrinäre und geschichtliche Kohärenz“, 2. Ordentliche Versammlung 1971 zum Thema „Der priesterliche Dienst und die Gerechtigkeit in der Welt“ (Erklärung Ultimis temporibus vom 30. November 1971 über das Priestertum), 3. Ordentliche Versammlung 1974 zum Thema „Die Evangelisierung in der Welt von heute“ (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi Pauls VI. vom 18. Dezember 1975 über die Evangelisierung), 8. Ordentliche Versammlung 1990 zum Thema „Die Priesterbildung im Kontext der Gegenwart“ (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Johannes Pauls II. Pastores dabo vobis vom 25. März 1992 über die Priesterausbildung).

3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

Bevor im eigentlichen Sinne das Thema dieser Arbeit behandelt wird, scheint es angebracht, ja vielmehr notwendig zu sein, drei Vorbemerkungen vorauszuschicken. Die erste betrifft die persönliche und biografische Nähe des Themas zu dem Autor, die zweite die Verschiedenheit der Aufgaben von Joseph Ratzinger und ihre Auswirkung auf den Umgang mit den Texten, und die letzte schließlich beinhaltet einen unumgänglichen Präzisierungsblick hinsichtlich der Vielfalt der vorhandenen Quellen. Diese drei Vorbemerkungen sollte man stets im Auge behalten, um das Vorgehen und das Ziel dieser Arbeit zu verstehen. Zugleich sind sie mehr als bloße Vorbemerkungen, weil sie neben den Prägungen und wichtigen Unterscheidungen in vielem schon die Denkweise von Joseph Ratzinger zeigen.

3.1 Biografische Anmerkungen zu Joseph Ratzinger und Priestertum In vielen Arbeiten zu Ratzingers Theologie wird auf das Verhältnis zwischen Ratzingers Biografie und seiner Theologie Bezug genommen.1 Diese Querverweise scheinen an manchen Stellen wichtig zu sein, wenn sie auch nicht überbewertet werden sollen. Es gibt in der Tat viele Verflechtungen in der persönlichen Biografie von Joseph Ratzinger, die mit unserem Thema zu tun haben. 1 Aus der Fülle der vorhandenen Arbeiten seien nur zwei genannt: H ansjürgen Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. Die Entwicklung seines Denkens, Darmstadt 2007, besonders Teil I, 12–78; M aximilian Heinrich Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz und existentielle Theologie. Ekklesiologische Grundlinien unter dem Anspruch von Lumen gentium, Frankfurt am Main 22005, hier vor allem Teil II, besonders 151–217.

3.1 Biografische Anmerkungen zu Joseph Ratzinger und Priestertum

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Hier seien nur einige notwendig erscheinende Anmerkungen gemacht. Der wichtigste Punkt, den es hier zu nennen gilt, ist das Selbstverständnis Ratzingers. Er betrachtet sich selbst in aller theologischen Arbeit stets als Priester. Das sei seine erste Berufung, und selbst seine Tätigkeit als theologischer Lehrer sei eine Ausgestaltung ebendieser Berufung. 2 Dazu sollten wir am Ende dieses Abschnittes mehr zu sagen wissen.

3.1.1 Glaube und Berufung als Ernstfall Im intellektuellen wie existentiellen Werden Ratzingers hat – wie es typisch für seine ganze Generation war – die Erfahrung des Nationalsozialismus und des Krieges eine erhebliche Rolle gespielt. Diese Erfahrung hat er in jungen Jahren, also in einer Lebenszeit machen müssen, die für die spätere Lebenseinstellung von großer Bedeutung ist. Das Haus des Gendarmeriemeisters Joseph Ratzinger d. Ä. war von Anfang an gegen die nationalsozialistische Ideologie eingestellt. Ratzinger nennt sogar als Hintergrund der Versetzung seines Vaters von Tittmoning nach Aschau am Inn, dass er „sich in Tittmoning wohl zu sehr gegen die Braunen exponiert“ hatte. 3 Der kleine Joseph musste erleben, wie sich nach der Machtübernahme durch Hitler selbst in dem kleinen Dorf die ‚Naziideologie‘ bemerkbar machte. Er erwähnt Vaters „dezidierte Gegnerschaft gegenüber dem Regime“4 und schreibt: „Mein Vater litt darunter, dass er nun einer Staatsgewalt dienen musste, deren Träger er als Verbrecher ansah.“5 Und anderswo: „Es ging ihm [dem Vater] ja das Dritte Reich furchtbar gegen den Strich.“6 Die stärkste Auswirkung auf das Dorfleben erblickte Ratzinger allerdings in der „Bespitzelung von Priestern […], die sich ‚reichsfeindlich‘ verhielten“.7 Und er fügt hinzu: „Es versteht sich von selbst, dass mein Vater daran nicht teilnahm, sondern im Gegenteil Pries-

2 Vgl. Georg R atzinger , Mein Bruder, der Papst, München 2011, 265. 3 Vgl. Aus meinem Leben, 16. 4 Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche an der Jahrtausendwende. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Stuttgart 1996, in: JRGS 13/1, 255. 5 Aus meinem Leben, 17. 6 Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 255. 7 Aus meinem Leben, 17.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

ter warnte und unterstützte, wenn er wusste, dass ihnen Gefahr drohte.“8 Der junge Joseph besuchte das humanistische Gymnasium in Traunstein und folgte seinem Bruder Georg zu Ostern 1939 in das Erzbischöfliche Knabenseminar in Traunstein. Die Schatten des bald darauf ausgebrochenen Krieges hatten sich erst langsam über die Welt des Schülers gelegt. Nach dem Überfall Russlands 1941 wurden durch die Transporte der verwundeten Soldaten und vor allem im Sommer 1942 durch das Einrücken des älteren Bruders die Folgen des Krieges in der heilen Welt des jungen Joseph definitiv spürbar. Im Alter von 16 Jahren musste auch er als Flakhelfer der Flugabwehr in München Kriegsdienst leisten, wobei noch ­immer eine reduzierte Form des Gymnasialunterrichts stattfand. So durfte Ratzinger selbst dort seine intellektuelle Begabung ent­ falten.9 Später, ins militärische Alter gekommen, wurde er zum Reichsarbeitsdienst ins Burgenland einberufen, wo er selbst eine Art militärische Tyrannisierung durch fanatische Nazioffiziere erleben musste. Kurz vor dem Ende des Krieges fand er sich zu Hause, wohin er als Fahnenflüchtiger zurückgekehrt war,10 und musste als Soldat schließlich noch in die amerikanische Gefangenschaft, bis er am 19. Juni 1945 überglücklich aus dieser entlassen wurde. Ratzinger hegt bereits in dieser Zeit den klaren Wunsch, Priester zu werden. Es wurde ihm auch schnell bewusst, dass dieses Vorhaben nicht überall auf Begeisterung stößt und dass er bereit sein muss, dafür den Preis des Unverständnisses oder gar einer Schikane zu zahlen. Als er und seine Kameraden beim Reichsarbeitsdienst zum ‚freiwilligen‘ Eintritt in die Waffen-SS gedrängt wurden, hat er zur Begründung seiner Ablehnung diesen seinen Wunsch geäußert. Die Reaktion: „Wir wurden mit Verhöhnungen und Beschimpfungen hinausgeschickt.“11 Dieses Bewusstsein, dass die Entscheidung für das Priestertum nicht vor allem ein Prestigeamt oder gar eine klerikale Erhabenheit verheißt, sondern

8 Ebd. 9 Er erwähnt sogar ein „primitives Einzelzimmer“, in dem er außerhalb von Dienstzeiten seinen intellektuellen Vorlieben nachgehen konnte. Vgl. Aus meinem Leben, 34–36. 10 Vgl. ebd., 40 f. 11 Ebd., 37.

3.1 Biografische Anmerkungen zu Joseph Ratzinger und Priestertum

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in letzter Konsequenz durchaus auch mit Entbehrungen zu tun hat, hat sich ihm in dieser Zeit eingeprägt. Die großen Priester­ gestalten, denen er in seiner Studien-, Seminar- und Kaplanszeit begegnen wird, haben diese Überzeugung verfestigt.12 Ratzinger reflektiert die Erlebnisse dieser Jahre und sieht, wie sehr der Krieg seine Generation beeinflusste. Er macht sich aber auch Gedanken, wie hohl und pervers die nationalsozialistische Ideologie war, die samt ihren heidnischen Ritualen und öffentlich zelebrierter, angeblicher Stärke schließlich in sich zusammenbrach: „Eine ganze Liturgie und die hinter ihr stehende Welt erwies sich als Lüge.“13 Diese Erfahrung hat Ratzinger für sein Leben lang kritisch gegenüber großen Ideologien und skeptisch gegenüber ihren enormen Verheißungen gemacht. Er hat begriffen, dass jede angebliche Stärke, wenn sie nicht auf Wahrheit aufbaut, früher oder später in sich zusammenbricht.

3.1.2 Liturgische Sensibilität Schon das oben angeführte Zitat lässt, wenn auch in unterschiedlichem Kontext, die Sensibilität des jungen Ratzinger für die Liturgie erahnen. Sehr früh wird in seinem Leben eine starke liturgische Affinität sichtbar. 1934 schrieb der siebenjährige Joseph Ratzinger dem Christkind seine Wünsche. Auf dem Wunschzettel ist zu lesen: „Ich wünsche mir den Volks-Schott, ein grünes Messkleid und ein Herz Jesu.“14 Dieses etwas kuriose Detail illustriert das sehr frühe Interesse von Joseph Ratzinger an der Liturgie. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er, wie sehr das Kirchenjahr seine Welt prägte – von der Adventszeit über Weihnachten bis hin zur Osternacht.15 Die Faszi12 Dazu mehr und Konkreteres in Abschnitt 3.1.4. 13 Aus meinem Leben, 38. 14 Zitiert auf der Webseite des Bistums Passau, http://www.bistum-passau.de/aktu elle-meldungen/12/12/2012/was-sich-joseph-ratzinger-einst-vom-christkindlwuenschte (20.5.2016). 15 Ratzingers liturgische Sensibilität, die eigentlich aus der liturgischen Sensibilität der ganzen Familie hervorkam, sieht man auch in seiner Art der Betrachtung seiner eigenen Geburt und Taufe: „Dass der Geburtstag der letzte Tag der Karwoche und der Vorabend von Ostern war, wurde in der Familiengeschichte immer vermerkt, denn damit hing es zusammen, dass ich gleich am Morgen meines Geburtstages mit dem eben geweihten Wasser in der zu jener Zeit am Vormittag gefeierten ‚Osternacht‘ getauft worden bin: Der erste Täufling des neuen Wassers zu sein,

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

nation, welche die Liturgie auf ihn ausübte, war sehr groß.16 Eine besondere Aufmerksamkeit verdient das Schott-Messbuch, das zum ersten Mal Ende des 19. Jahrhunderts vom Beuroner Benediktiner Anselm Schott ins Deutsche übertragene Messbuch.17 Dank Schott konnte man der Liturgie sehr gut folgen, und Ratzinger freute sich sehr über diese „Kostbarkeit“, die es ihm ermöglichte, nach und nach „in die geheimnisvolle Welt der Liturgie einzudringen“.18 Später kam seine sprachliche Kompetenz hinzu, so dass wir Joseph am Ende seiner Gymnasialzeit damit beschäftigt finden, die lateinischen liturgischen Texte ins Deutsche zu übertragen.19 Sein Hineinwachsen in die Welt der Liturgie beschreibt er folgendermaßen: „Mein Weg mit der Liturgie war […] ein kontinuierlicher Prozess eines Hineinwachsens in eine alle Individualitäten und Generationen übersteigende große Realität, die mir zu immer neuem Staunen und Entdecken Anlass wurde.“20 Sein Liturgieverständnis – und damit hängt auch sein Priesterverständnis zusammen – unterschied sich stark von einer in dieser Zeit doch recht verbreiteten Vorstellung der Liturgie als eines weit entrückten Geschehens, bei dem sich der Opferpriester allein ins heilige Mysterium versenkt. Genauso fremd war ihm aber auch das verflachte Verständnis der Liturgie, bei der der „Liturge“ inmitten einer zum Mahl versammelten Gemeinde die Messe „gestaltet“. 21 Es scheint, dass seinem theologischen Denken von Anfang an eine organischere Sicht der Liturgie nahe war. Sein Verhältnis zur Liturgischen Bewegung ist differenziert. Auf der einen Seite schätze er die großen Errungenschaften dieser Bewegung sehr, wie eben den Schott, der auch ihm den Zugang zur

wurde als eine bedeutsame Fügung angesehen.“ Aus meinem Leben, 8. Nicht vergessen werden darf, dass bereits Ratzingers Eltern den Schott‚ den sie von einem „fortschrittlichen Pfarrer“ zum Hochzeitstag 1920 geschenkt bekamen, als etwas Kostbares ansahen und verwendeten. Vgl. Aus meinem Leben, 22. 16 Vgl. Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 253. 17 1884 brachte P. Anselm Schott das erste ,Meßbuch der heiligen Kirche‘ heraus. Sein großes Verdienst bestand darin, die liturgischen Texte – damals ausschließlich in Latein – durch deutsche Übersetzungen verständlich zu machen und dadurch eine vertiefte Sicht der Liturgie zu fördern. Vgl. Vorwort in: Der große Sonntags-Schott für die Lesejahre A-B-C, Freiburg/Basel/Wien 1975, 5* f. 18 Aus meinem Leben, 23. 19 Vgl. ebd., 32. 20 Ebd., 23. 21 Vgl. Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 19.

3.1 Biografische Anmerkungen zu Joseph Ratzinger und Priestertum

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Frische der Liturgie und „ihrer wesensgemäßeren Form“ eröffnete. 22 Dank seines Lehrers Joseph Pascher, bei dem er die Liturgie „von ihrer Wesensgestalt her“ verstehen und feiern lernte, durfte er sie als den „Lebensgrund aller Theologie“ erfassen. 23 Auf der anderen Seite störte ihn eine, wie er schreibt, „gewisse Engherzigkeit“ und ein „gewisser Rationalismus und Historismus“, die er bei manchen Vertretern der Liturgischen Bewegung auszumachen glaubte, die „allzusehr auf die Form und auf die historische Ursprünglichkeit bedacht“ war und „den Werten des Gemüts gegenüber, die uns Kirche als das Daheimsein der Seele erfahren lassen, eine merkwürdige Kälte spüren ließ“. 24 So hört man in seinen ­Texten zunehmend auch kritischere Töne, welche die „negativen Seiten der Liturgischen Bewegung“ sehen, die „bis zur Selbstzerstörung der Liturgie hindrängen“. 25 Romano Guardinis berühmtes Werk Vom Geist der Liturgie aus dem Jahr 1918, das er gleich zu Beginn seines Theologiestudiums 1946 las, hat seine natürliche Affinität zur Liturgie und seine Beschäftigung mit den Texten wohl in eine neue Tiefe des Liturgieverständnisses geführt. 26 Er strebt von daher das Ziel an, die ­Liturgie „wesentlicher“ zu feiern und sie „von ihrem inneren Anspruch und von ihrer inneren Gestalt her“ zu verstehen, als das „vom Heiligen Geist selbst gewirkte und gelenkte Beten der Kirche, in dem Christus immerfort neu gleichzeitig wird mit uns, in unsere Leben hereintritt“. 27 Die Liturgie ist für ihn niemals etwas, das „irgendjemand erdacht hatte, […] weder eine Behörde noch ein großer einzelner“ habe sie geschaffen. 28 Vielmehr sei sie ein

22 Vgl. Aus meinem Leben, 63. 23 Vgl. ebd., 64. 24 Ebd., 63. 25 Ebd., 64. Einen gewissen Höhepunkt seiner Kritik stellt das Buch Der Geist der Liturgie dar, das die negativen Seiten der Liturgiereform, welche aus den Prinzipien der Liturgischen Bewegung erwachsen ist, thematisiert, für eine organische Sicht des Geheimnisses der Liturgie plädiert und auch manche konkrete Verbesserungsvorschläge beinhaltet, wie z. B. durch das in der Mitte des Altares platzierte Kreuz der liturgischen Versammlung die innere Mitte zurückzugeben, welche weder die Versammlung selbst noch der Zelebrant sein könne, sondern immer nur der gekreuzigte Christus. Vgl. Der Geist der Liturgie, 65–73. 26 Vgl. Der Geist der Liturgie, 7. 27 Ebd. 28 Vgl. Aus meinem Leben, 23.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

„geheimnisvolles Gewebe von Text und Handlungen“, das „in Jahrhunderten aus dem Glauben der Kirche gewachsen“ sei. 29 Die Theologie der Liturgie will Joseph Ratzinger auch heute noch als den Schlüssel für sein Gesamtwerk verstanden wissen. So hat er gewünscht, dass die Reihe seiner Gesammelten Schriften mit dem Band 11 eröffnet wird, der zur Gänze seinen Texten zu und über Liturgie gewidmet ist. Er selbst schreibt dazu im Vorwort: „Die Liturgie der Kirche war für mich seit meiner Kindheit zentrale Wirklichkeit meines Lebens und ist in der theologischen Schule von Lehrern wie Schmaus, Söhngen, Pascher, Guardini auch Zentrum meines theologischen Mühens geworden.“30 Ohne die organische Sicht der Liturgie und seine Schlüsselstellung in der Theologie Ratzingers ist es nicht möglich, seine Theologie des Priesteramtes zu verstehen.

3.1.3 Intellektualität und Priesteridentität Professor Alfred Läpple, gleich nach dem Krieg Studienpräfekt der jungen Seminaristen in Freising und später Freund Joseph Ratzingers, erinnert sich an den jungen Priesteranwärter, der später selbst Theologieprofessor werden sollte: „Seine wissenschaftliche Neugier war grenzenlos. Wenn er etwas Neues hörte, sich korrigieren oder weiterbilden konnte, machte ihn das über alle Maßen glücklich.“31 Ratzingers Interesse an der wissenschaftlichen Theologie wurde also sehr früh sichtbar. Seine Dissertation zum Thema Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche32 bei Gottlieb Söhngen verfasste Ratzinger in nur neun Monaten33 im Rahmen einer ausgeschriebenen Preisaufgabe und gewann mit 23 Jahren den ersten Preis. 34 Somit war sein Weg als akademischer Lehrer

29 Vgl. ebd. 30 Zum Eröffnungsband meiner Schriften, in: JRGS 11, 6. 31 Alfred Läpple im Interview mit 30Giorni (1/2006), zitiert in: R atzinger , Mein Bruder, der Papst, 151 f. Das ganze Interview ist abrufbar unter http://www.30giorni. it/articoli_id_10217_l5.htm?id=10217 (20.5.2016). 32 Der gesamte Text der Dissertation ist in Band 1 der Gesammelten Schriften erschienen: Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche. Die Dissertation und weitere Studien zu Augustinus und zur Theologie der Kirchenväter (JRGS 1), Freiburg i. Br. 2011, 43–418. 33 Juli 1950 bis März 1951. Vgl. JRGS 1, 5. 34 Vgl. Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 23 f.

3.1 Biografische Anmerkungen zu Joseph Ratzinger und Priestertum

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vorgezeichnet – dies umso mehr, als das Lehren, das Weitergeben von Erkanntem und auch das Schreiben ihm bereits sehr früh besonders zusagten. 35 Selbst als er am Ende des Krieges in Gefangenschaft genommen wird, gelingt es ihm, einen Bleistift und ein leeres Heft mitzunehmen, das ihm „zu einem wunderbaren Begleiter“ geworden war, da er jeden Tag seine Gedanken festhalten konnte; er versuchte sich „sogar in griechischen Hexametern“. 36 Ratzingers so stark ausgeprägte Intellektualität steht dennoch niemals im Gegensatz zu seinem Priestersein, das doch als seine ‚erste Identität‘ bezeichnet werden kann. Er erwähnt aber auch, dass die Anziehungskraft der wissenschaftlichen Theologie für ihn so stark war, dass er in seiner Seminarzeit sogar mit der Frage ringen musste, ob er wirklich bereit sei, auch die ganz einfachen Aufgaben des Priesterdienstes zu übernehmen. Sein „stiller Wunsch“ war immer schon klar: Professor zu werden. So musste er während der Seminarzeit allmählich begreifen, dass „zum Priesterberuf mehr gehört als die Freude an der Theologie“. 37 Die Erinnerungen an seine, wenn auch nur kurze Kaplanszeit bezeugen dann doch die Freude und Begeisterung, mit denen er diesen einfachen priesterlichen Aufgaben nachging: vom Religionsunterricht angefangen über die Arbeit mit der katholischen Jugend und Kinderpredigten bis hin zu wöchentlichen Taufen und den vielen Beerdigungen in der Münchner Pfarrei Hl. Blut. 38 Hansjürgen Verweyen sieht in der Kombination von wissenschaftlicher Theologie und klarem Bewusstsein der eigenen priesterlichen, später bischöflichen Verantwortung sogar das Spezifikum seiner Theologie: 39 „Bei Joseph Ratzinger haben sich von Anfang an ein intensives Mühen um wissenschaftliche Exaktheit

35 Vgl. Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 257. 36 Vgl. Aus meinem Leben, 42. 37 Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 259. 38 Vgl. Aus meinem Leben, 74 f. Auch als Papst erinnert sich Benedikt XVI. in seinem Gespräch mit Peter Seewald an seine Kaplanszeit: „Wenn ich an meine Kaplanszeit denke, war zwar schon das Aufbrechen der säkularen Welt in den Familien spürbar, aber trotzdem gab es so viel Freude im gemeinsamen Glauben, in der Schule, mit den Kindern, mit der Jugend, dass ich richtiggehend von dieser Freude getragen wurde.“ Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Freiburg/Basel/Wien 2010, 25. 39 Vgl. Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 80.

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Kolumnentitel 3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

und das Ringen um eine glaubwürdige priesterliche Existenz so eng miteinander verschränkt, wie man es sonst selten findet.“40

3.1.4 Prägende Priestergestalten Zu jeder Priesterberufung gehören Begegnungen mit Priester­ gestalten, die den Gedanken an eine mögliche eigene Berufung erst entstehen lassen und dann die Vorstellung des eigenen Priesterweges prägen. So war es auch im Leben Ratzingers. Da müssten zuerst die vielen Priester Erwähnung finden, die er selber in seinen Lebenserinnerungen anführt. Es sind viele große Namen, denen er entweder direkt oder über ihr Werk begegnet ist. Für diesen Punkt unserer Arbeit sind aber nicht an erster Stelle die theologischen Größen von Bedeutung,41 von denen zwar auch viele Priester waren, die den Autor aber vor allem durch ihre intellektuellen Leistungen und in seiner theologischen Arbeit beeinflusst haben. Viele dieser Namen sind es, die vor allem in seinen Lebenserinnerungen zahlreich Erwähnung finden.42 Hierher gehören vielmehr Persönlichkeiten, die Ratzinger in ihrer priesterlichen Existenz beeindruckt und als solche einen bestimmten Einfluss auf sein ei40 Ebd., 22. 41 Wie z. B. Gottlieb Söhngen, sein Doktorvater, von dem er ausdrücklich schreibt, dass er für ihn „am meisten prägend war“. Aus den Zeilen, die er seinem hochverehrten Lehrer widmet, ist klar, dass diese Prägung intellektueller Art war und seine ganze eigene Theologie beeinflusste. Seine priesterliche Tätigkeit dagegen erwähnt er nicht. Vgl. Aus meinem Leben, 61–63. – Von den vielen, in seinen Lebenserinnerungen erwähnten Theologen, die Ratzinger geprägt haben, seien hier nur zwei Namen genannt: Hans Urs von Balthasar und Henri de Lubac, von denen er selber schreibt: „[Ich] kann gar nicht sagen, wieviel ich der Begegnung mit ihnen verdanke“, und bemerkt, „nie wieder Menschen mit einer so umfassenden theologie- und geistesgeschichtlichen Bildung gefunden [zu haben]“ (Aus meinem Leben, 156). De Lubacs ‚Katholizismus‘ in der Übersetzung von Balthasars nennt er gar die „Schlüssellektüre“, durch die er „nicht nur ein tieferes Verhältnis zum Denken der Väter, sondern auch einen neuen Blick auf die Theologie und den Glauben insgesamt“ gewonnen habe (Aus meinem Leben, 69). Freilich erwähnt er auch noch Yves Congar, den er einen Mann „ungeheuren Fleißes“ nennt (Aus meinem Leben, 157), und Karl Rahner, von dem er schreibt, dass sie sich bereits bei der ersten Begegnung zu Ostern 1956 „einander menschlich recht nahe gekommen“ seien (Aus meinem Leben, 82), dem er allerdings vorhält, er habe sich später „weitgehend auf die progressiven Parolen einschwören […] und […] sich auch in abenteuerliche politische Positionen hineindrängen [lassen], die eigentlich mit seiner Transzendental-Philosophie schwer vereinbar waren“ (Aus meinem Leben, 157). 42 Vgl. Aus meinem Leben, besonders 46 ff.

3.1 Biografische Anmerkungen zu Joseph Ratzinger und Priestertum

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genes Denken über unser Thema ausgeübt haben. Diese Gestalten lassen sich in zwei Gruppen einteilen: die Priester, deren glaubwürdige Weise, die Priesterberufung zu leben, sich gegenüber dem Ernstfall des Naziregimes bewährt hat, und Priester, die er als wahre Hirten in der Seelsorge wahrgenommen hat. Es wurde bereits erwähnt, wie prägend die Erfahrung der Nazizeit für seine ganze Generation war. Selbst die konkreten Verfolgungen der Regimegegner nahm der Schüler Joseph in seinem unmittelbaren Umfeld zuallererst in Form der Bespitzelung von Priestern wahr.43 Ebenso sei hier in Erinnerung gerufen, dass bei aller liturgischen Faszination er nie ein Priesterbild teilte, das den Priester in erhabenen liturgischen Höhen verschwinden ließ.44 Soweit sich das rekonstruieren lässt, blieb Ratzinger in seiner Wahrnehmung des Priesters stets auf dem Boden der konkreten Wirklichkeit. Verweyen sieht vielmehr die besondere Kombination der liturgischen Sensibilität – ausgedrückt in der intensiven Beschäftigung mit den liturgischen Texten – mit „einem Bild vom Priestertum, das aus dem spezifischen Kontext der Kriegszeit erwuchs“: „Jeder Seelsorger wurde damals daran gemessen, wie er sich im ‚Ernstfall‘ verhielt bzw. verhalten würde.“45 Vielen Priestern oder reiferen Priesteramtskandidaten dieser Art begegnete Joseph Ratzinger nach dem Krieg bei seinem Eintritt ins Freisinger Priesterseminar. Ihnen allen war gemeinsam, „durch Schrecknisse und Prüfungen hindurchgegangen“ zu sein, „die ihr Leben zutiefst geprägt hatten“.46 Er erwähnt auch, dass manche von ihnen auf junge Kandidaten wie ihn „wie auf unreife Kinder herunterschauten, denen die zum priesterlichen Dienst nötigen Leiden fehlten und die nicht jene dunklen Nächte durchschritten hatten, in denen erst das Ja zum Priestertum seine volle Gestalt finden kann“.47 Aus den

43 Vgl. oben S. 131. 44 Vgl. oben S. 134. 45 Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 19. Verweyen erklärt weiter: „Zumindest die meisten Priester, denen ich in dieser Zeit begegnet bin, legten an sich selbst diesen Maßstab an. Wenn sie die Worte Jesu nachsprachen: ,Das ist mein Leib‘, d. h.: das bin ich in meiner vorbehaltlosen Hingabe für euch und die Vielen, sprangen diese Worte gleichsam auf sie zurück als unabweisbare Forderung, sich selbst ,kon-sekrieren‘, sich in diesen ,Leib-für-euch‘ (1 Kor 11,24) einschmelzen zu lassen.“ 46 Aus meinem Leben, 46. 47 Ebd.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

Worten Ratzingers geht aber hervor, dass er trotz dieser mensch­ lichen Unstimmigkeiten Bewunderung für sie empfand. Als konkrete, in diesem Sinne geformte Gestalt sei hier der Regens des Priesterseminars in Freising, Michael Höck,48 erwähnt, der nach heftigen Auseinandersetzungen mit der Gestapo lange Zeit des Krieges in Konzentrationslagern verbracht hat. Georg Ratzinger, der Bruder von Joseph, erwähnt die Bewunderung, welche die jungen Seminaristen für den leidgeprüften Regens empfanden: „Der Regens des Priesterseminars, der die Einführungsworte an uns richtete, beeindruckte uns. Dr. Michael Höck hatte viele Jahre im KZ Dachau verbracht. […] Er war ein sehr gütiger, stets um uns besorgter Mann, den wir alle sehr schätzten. Er war deshalb am Seminar bei allen als ‚Vater Höck‘ bekannt.“49 Auch der eben schon zitierte Alfred Läpple, 50 der Studienpräfekt und spätere persönliche Freund Ratzingers, der 1939, wenige Monate vor dem Abschluss seines Studiums an der Universität München, wo er bereits an seiner Dissertation arbeitete, zur Wehrmacht eingezogen wurde und bei der Luftwaffe im Baltikum und in Russland diente, bis er in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet und in Frankreich als Dolmetscher der Alliierten arbeitete, soll hier erwähnt werden. Georg Ratzinger erzählt, dass Läpple ihnen „auf Anhieb sympathisch war“. 51 Man kann sich wohl vorstellen, dass solchen Priestergestalten gegenüber der junge Seminarist wegen ihrer Standhaftigkeit in der Nazizeit große Bewunderung empfand. Das lässt sich auch aus den Worten von Alfred Läpple erahnen, wenn er sich an die erste

48 Michael Höck (1903–1996) war von 1945 bis 1958 Regens des Priesterseminars in Freising. Höck studierte am Germanicum in Rom und wurde 1930 zum Priester geweiht. Während des Dritten Reiches war er von 1941 bis 1945 als Schriftleiter der Münchner Katholischen Kirchenzeitung wegen seiner kritischen Haltung in den Konzentrationslagern Dachau und Sachsenhausen interniert. Kardinal Faulhaber machte ihn gleich nach dem Krieg zum Regens des Priesterseminars. Vgl. Lebendige Kirche – lebendige Heimat. Joseph Ratzinger und das Erzbistum München und Freising, München 2008, 15. 49 R atzinger , Mein Bruder, der Papst, 152. 50 Alfred Läpple (1915–2013) war seit 1945 Studienpräfekt im Priesterseminar in Freising, später Professor für Religionspädagogik in Salzburg. Vgl. R atzinger , Mein Bruder, der Papst, 150 f. In seiner Autobiografie würdigt Joseph Ratzinger seinen ersten theologischen Lehrer als „fruchtbarsten religiösen Schriftsteller unserer Zeit“. Aus meinem Leben, 48. 51 Vgl. R atzinger , Mein Bruder, der Papst, 152.

3.1 Biografische Anmerkungen zu Joseph Ratzinger und Priestertum

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Frage des jungen Ratzinger erinnert: „Er hat mich gefragt: Wie hast Du in dem ganzen Krieg Deinen Glauben erhalten können?“ Läpples Antwort war: „Ich sagte: durch das Gebet meiner Mutter – die er später übrigens auch kennengelernt hat. Und weil ich weiß: Christus liebt mich, Christus braucht mich, und wenn ich gerettet bin, dann wird mich Christus auch verbrauchen.“52 Diese Sicht des Priesters als einen Mann des Glaubens und der Tapferkeit prägte Joseph Ratzinger schon in jungen Jahren. 53 Für das Thema der priesterlichen Standhaftigkeit, wenn auch in einem ganz anderen Kontext, der jedoch für Ratzinger als Theologieprofessor entscheidend sein wird, sei noch Friedrich Wilhelm Maier 54 genannt. Dieser von Ratzinger sehr geschätzte Professor für neutestamentliche Exegese wurde im Zuge des Modernismusstreits mehrmals mit harten lehramtlichen Maßnahmen belegt55 und empfand deswegen Rom gegenüber eine gewisse Bitterkeit. Dennoch attestiert ihm Ratzinger mit hohen Worten, „ein tiefgläubiger Mann und ein Priester, der sich Sorge machte um die priesterliche Gesinnung der jungen Menschen, die ihm anvertraut waren“, zu sein. 56 Ähnlich hat ihn auch das Beispiel seines Doktorvaters Gottlieb Söhngen geprägt, der als Theologe die Dogmatisierung der leib­

52 Alfred Läpple im Interview mit 30Giorni (1/2006), http://www.30giorni.it/articoli_ id_10217_l5.htm?id=10217 (20.5.2016); vgl. auch oben Anm. 31. 53 Hier sei noch ein Wort zum Thema des Kampfgeistes und der Gegnerschaft zu gesellschaftlichen Entwicklungen gesagt, das bereits in Abschnitt 3.1.1 angedeutet wurde. Schon als junger Student nahm Ratzinger den scharfen Kampf der Bischöfe gegen die Nazis um die Bekenntnisschule und um die Einhaltung des Konkordats wahr. Die entsprechenden Hirtenbiefe prägten sich ihm ein. Allerdings ahnte er bereits, dass die Bischöfe mit dem vorrangigen Kampf um die Institutionen „die Realität zum Teil verkannten“. „Denn die bloße institutionelle Garantie nützt nichts, wenn nicht die Menschen da sind, die sie aus innerer Überzeugung heraus tragen.“ Aus meinem Leben, 18. Bereits da wird sichtbar, dass Ratzinger in bestimmten Situationen die Notwendigkeit des Kampfes vonseiten der Hierarchie für geboten hielt, allerdings nie aus einem bloßen ‚Dagegensein‘ oder gar billigen Gegensatz zur Welt heraus, sondern immer intellektuell wohl reflektiert. 54 Friedrich Wilhelm Maier (1883–1957), Professor für Neutestamentliche Exegese in Breslau und München. Mehr bei I ngo Broer , Friedrich Wilhelm Maier, in: BBKL 31, 824–826. 55 Z. B. musste er mehrmals auf einen Lehrstuhl verzichten (‚Recedat a cathedra‘). Es ging vor allem um den Streit bezüglich der Glaubwürdigkeit der Evangelien und der Zwei-Quellen-Theorie. Vgl. Aus meinem Leben, 56. 56 Aus meinem Leben, 57.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

lichen Aufnahme Mariens persönlich streng ablehnte, was Ratzinger als logische Schlussfolgerung eines „historistischen Denkansatzes“57 bewertet, der für die deutsche Theologie der damaligen Zeit typisch war. Alle seine damaligen Lehrer hätten bei der Befragung der theologischen Fakultäten vor der Verkündigung des Dogmas negativ geantwortet. Das führt Ratzinger darauf zurück, dass in der deutschen Theologie dieser Zeit die Tradition etwas enggeführt und einfach „mit dem in den Texten Belegbaren identifiziert“ wurde. 58 So hat auch Söhngen 1949 eine Position gegen die Möglichkeit des Dogmas bezogen. Von einem evangelischen Kollegen gefragt, ob er dann, wenn das Dogma doch kommen sollte, die katholische Kirche verlassen wird, antwortete er: „Wenn das Dogma kommt, dann werde ich mich daran erinnern, dass die Kirche weiser ist als ich, und ihr mehr vertrauen als meiner eigenen Gelehrtheit.“59 Eine reflektierte Treue zur Kirche, und das sogar in möglichen unangenehmen Auseinandersetzungen mit der kirchlichen Autorität, die Standfestigkeit und die Sorge um die wahre priesterliche Gesinnung sind also weitere Mosaiksteine, denen Joseph Ratzinger auf seinem Lebensweg in Bezug auf das Priesterbild begegnete und die ihn formten. Schließlich soll als letztes Modellbeispiel einer prägenden Priestergestalt der erste Pfarrer des jungen Kaplans Ratzinger in München-Hl. Blut, Max Blumschein, Erwähnung finden: ein für die Seelsorge glühender Hirte. Es wurde bereits angeführt, dass der neugeweihte Priester 1951 mit einer gewissen Bedächtigkeit die einfachen Pflichten des Priesterlebens anging. Da war es sehr entscheidend, wer sein erster Pfarrer sein wird. Ratzinger findet für ihn, den er den „guten Pfarrer Blumschein“ nennt, lobende Worte: Er sagte nicht nur zu anderen, „ein Priester müsse ‚glühen‘, sondern [er war] wirklich ein innerlich glühender Mensch“. Und weiter: „Bis zu seinem letzten Atemzug hat er mit allen Fasern seiner Existenz priesterlich dienen wollen: Er starb auf einem Versehgang. Seine Güte und seine innere Leidenschaft für den Auftrag gaben diesem Pfarrhof seine Prägung.“60

57 So Ratzinger selbst, der hier zwischen „historisch“ und „historistisch“ unterscheidet. Vgl. ebd., 65. 58 Vgl. ebd. 59 Ebd., 66. 60 Ebd., 72–74.

3.1 Biografische Anmerkungen zu Joseph Ratzinger und Priestertum

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Man kann in der Biografie Ratzingers also drei Priestertypen ausmachen, die ihn zu Beginn seiner Laufbahn prägten: der standhafte Priester, der allen Widrigkeiten der Zeit widersteht, der bereit ist, für seine Überzeugung und um seines Dienstes willen zu leiden, und dessen Glaube sich in Verfolgung bewährt; der allen Schwierigkeiten mit der kirchlichen Autorität zum Trotz treue Priester, dessen Theologie „kritisch und gläubig“61 zugleich ist und der seine priesterliche Gesinnung nie aufgibt; und schließlich der Priester als glühender Hirte, der von innerer Leidenschaft und Güte beseelt ist. Alle drei Typen werden sich später in Ratzingers Theologie des Priesteramtes wiederfinden. Diese Arbeit will wesentlich auch einen Beitrag zur Frage nach Ratzingers eigenem Priesterbild leisten.

3.1.5 Priestertum als eigene Berufung Aus dem Gesagten geht die Auffassung Ratzingers in Bezug auf die eigene Priesterberufung wohl plastisch hervor. Er fühlt sich von Gott persönlich angesprochen und zum Priestertum berufen, wenn auch nicht im Sinne eines mystischen Erlebnisses.62 Er könne seine Entscheidung für den Priesterberuf nicht genau datieren und sagt: „Da gab es keinen blitzartigen Erleuchtungsaugenblick, in dem ich nun erkannt hätte, dass ich Priester werden soll.“63 Die Idee der eigenen Priesterberufung ist vielmehr langsam in ihm gewachsen und „musste auch immer wieder neu bedacht und neu erworben werden“.64 Jedoch ist ihm der Weg der eigenen Berufung zum Priestersein, den er im Kontext der Berufung eines jeden Menschen durch Gott, einer Idee Gottes mit jedem Menschen, sieht, über alle Schwierigkeiten hinweg deutlich: „Das Gefühl, dass Gott mit jedem Menschen etwas vorhat, auch mit mir, das ist früh in mir deutlich geworden, dass eine Idee Gottes mit mir da ist, und allmählich ist mir klar geworden, dass das, was er vorhat, mit dem Priestertum zu tun hat.“65 Sein Weg zur Priesterweihe 61 So Ratzinger selbst. Vgl. ebd., 66. 62 Ratzinger nennt sich selbst einen „ganz normalen Christenmenschen“, der keine „Erleuchtung im klassischen Sinne“ erlebte und doch den Glauben als Licht erleben durfte. Vgl. Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 258. 63 Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 257. 64 Ebd., 258. 65 Ebd.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

war nicht immer einfach gewesen, da „es an Krisen nicht gefehlt“ habe, auch er musste sich den Fragen nach dem Zölibat und dem „Pfarrer sein“ stellen und mit ihnen fertig werden, aber die Grundrichtung „hatte ich immer vor mir“.66 Dementsprechend nennt er den Tag der eigenen Priesterweihe den „Höhepunkt des Lebens“, der „unvergesslich bleibt“ und an dem er einen „Zuspruch von oben“, also eine Bestätigung seines Weges von Gott, in besonderer Weise erfahren zu haben glaubt.67 Die Schilderungen der Erfahrungen der ersten Tage nach der Priesterweihe lassen auch das eigene theologische Verständnis des Priesteramtes durchschimmern: „In der Herzlichkeit, mit der ich von den Menschen als Neugeweihter aufgenommen wurde und die ich mir bisher nicht hatte vorstellen können, […] habe ich ganz unmittelbar erfahren, wie sehr Menschen auf den Priester warten, wie sehr sie auf den Segen warten, der aus der Kraft des Sakramentes kommt. Da ging es nicht um meine Person […]: Was hätten wir jungen Leute aus unserem Eigenen heraus schon den vielen bedeuten können, denen wir nun begegneten? Sie sahen in uns Menschen, die vom Auftrag Christi berührt waren und seine Nähe zu den Menschen tragen durften; so entstand, gerade weil es nicht um uns selber ging, auch ganz schnell eine freundliche menschliche Beziehung.“68

Das Priestersein hat sein Menschsein auf neue Weise zur Geltung gebracht. Seither denkt und arbeitet er immer als Priester. Auch in seiner Eigenschaft als Professor und Theologe lässt er sein eigenes Priestertum immer „mitspielen“. Man kann sagen, dass zwischen den Zeilen immer herauszulesen ist, dass dieser Theologe selbst ein Priester ist und als solcher im Bewusstsein seines Hirtenauftrages handelt. Verweyen, selbst ein Schüler Ratzingers, illustriert es an einem seiner Meinung nach besonderen Umstand, den er bei seinem Lehrer beobachtete:

66 Vgl. ebd., 258 f. 67 Ratzinger nennt den Umstand, der sich ihm eingeprägt hat, dass „in dem Augenblick, in dem der greise Erzbischof mir die Hände auflegte, ein Vöglein – vielleicht eine Lerche – vom Hochaltar in den Dom aufstieg und ein kleines Jubellied trällerte, war es mir doch wie ein Zuspruch von oben: Es ist gut so, du bist auf dem rechten Weg.“ Aus meinem Leben, 71. 68 Ebd., 72.

3.2 Verschiedenheit der Aufgaben des Autors

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„Im Unterschied zu manch anderem theologischen Zeitgenossen machte er sich schon vom Beginn seiner Lehrtätigkeit an den Grundsatz zu eigen, nichts an die Öffentlichkeit zu bringen, was zur Verwirrung über die von der katholischen Kirche als allgemein verpflichtend verkündete Lehre beitragen könnte. Er hat sich durch seine Leidenschaft für das wissenschaftliche Hinterfragen von geltenden Lehrmeinungen nicht dazu verführen lassen, sein Hirtenamt zu vernachlässigen, in das er sich bereits durch die Weihe zum ,einfachen Priester‘ gestellt sah.“69

Zum Priesteramt gehörte für Ratzinger also von Anfang an die Verantwortung für den Glauben der einfachen Gläubigen, die er nicht verwirren, sondern schützen möchte. Verweyen sah diese Haltung Ratzingers äußerst kritisch: „Ich habe mich oft genug an dieser prinzipiellen Haltung gestoßen, die mir zuweilen positivistisch vorkam.“70 Erst nach Jahren habe Verweyen begriffen, dass es sich bei Ratzinger nicht um einen letztendlich billigen Positivismus handelt, der der Konfrontation um Lehrinhalte aus dem Weg geht, sondern dass es zu seinem theologischen Eigenverständnis als Priester und Theologe dazugehört: „Ich selbst habe inzwischen […] gelernt, das, was ich früher allzu global als ‚positivistisch‘ einschätzte, differenzierter zu sehen.“71 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Ratzingers erste Identität die des Priesters ist. In ihr verwirklicht sich auch die Identität des christlichen Denkers und Intellektuellen, für den das nachdenkliche Ergründen des eigenen Glaubens, der immer auch der Glaube der Kirche ist, unverzichtbar ist. Die unbestritten gründ­ liche Intellektualität schließt die Priesteridentität nicht aus, sondern wird zu ihrem wichtigen Element. Die Priesteridentität wird wiederum nicht im Seelsorglich-Praktischen ausgeschöpft, sondern durch Intellektualität begründet und bereichert.

3.2 Zum Umgang mit den Texten: Verschiedenheit der Aufgaben des Autors In dieser zweiten Vorbemerkung geht es um die Verschiedenheit der Aufgaben, die Joseph Ratzinger im Laufe seines Lebens anver69 Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 82. 70 Ebd. 71 Ebd., 83.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

traut wurden und die auch seine theologische Arbeit prägten. Wir haben bereits gesehen, wie Verweyen die Mühe Ratzingers schildert, mit seiner Theologie dem Glauben der einfachen Gläubigen zu dienen. Sein ganzes Werk steht in diesem Dienst. Dabei lassen sich einige wichtige Perioden ausmachen, die hier in Bezug auf seine theologische Arbeit kurz skizziert werden sollen.

3.2.1 Professor und Konzilsperitus Mit seiner frühen Dissertation (1953) und nach dem Bestehen des Dramas um seine Habilitation (1957) 72 war Ratzingers Weg in die wissenschaftliche Theologie wohl vorgezeichnet. 1958 wurde Joseph Ratzinger 31-jährig Professor für Dogmatik und Fundamen72 Es ging vor allem um die Auseinandersetzung mit Michael Schmaus, der als Ko­referent seiner Habilitationsarbeit über den Offenbarungsbegriff des Bonaventura diese aus verschiedenen, wohl vor allem allzu menschlichen Gründen ablehnte. Für Ratzinger drohte seine ganze Lebensplanung, die ganz auf das theologische Lehramt ausgerichtet war, zu zerplatzen. Seine Lösung bestand darin, den Teil, der von Schmaus am schärfsten kritisiert wurde, herauszunehmen und die Arbeit – immer noch umfangreich genug – so vorzulegen. Erst in seinen Gesammelten Schriften ist die ursprüngliche Arbeit zur Gänze erschienen: Offenbarungsverständnis und Geschichtstheologie Bonaventuras. Habilitationsschrift und Bonaventura-Studien (JRGS 2), Freiburg i. Br. 2009, 53–659. In der Sache ging es darum, dass Ratzinger den allzu starren Offenbarungsbegriff der Schultheologie, der in den geoffenbarten Inhalten das Ganze der Offenbarung sah, unter Berufung auf Bonaventuras Theologie, in der sich ein solch starrer Begriff nicht finden lässt, infrage stellte. Wie Ratzinger aufweisen konnte, verstand die Theologie des hohen Mittelalters den Begriff vor allem als „Aktbegriff“: „Das Wort bezeichnet den Akt, in dem Gott sich zeigt, nicht das objektivierte Ergebnis dieses Aktes. Und weil es so ist, gehört zum Begriff ‚Offenbarung‘ immer auch das empfangende Subjekt. Wo niemand ‚Offenbarung‘ wahrnimmt, da ist eben keine Offenbarung geschehen, denn da ist nichts offen geworden. Zur Offenbarung gehört vom Begriff selbst her ein Jemand, der ihrer inne wird.“ Aus meinem Leben, 84. Diese Arbeit wurde für Ratzinger zur besten Vorbereitung für seine Beratertätigkeit beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Zum ganzen Habilitationsdrama vgl. Aus meinem Leben, 82–89. Weitere Erläuterungen zu diesem Konflikt liefert auch Alfred Läpple in seinem Gespräch über Ratzinger mit Thomas Forstner, der Zeitzeugenberichte zu Ratzingers frühen Jahren als Seminarist und Dozent in Freising gesammelt hat. Vgl. P eter P fister (Hg.), Joseph Ratzinger und das Erzbistum München und Freising, Regensburg 2006, 115–127, hier 122 f. Zur Bedeutung der Habilitationsschrift siehe H ansjürgen Verweyen, Ein unbekannter Ratzinger. Die Habilitationsschrift von 1955 als Schlüssel zu seiner Theologie, Regensburg 2010. Zur ekklesiologischen Tragweite von Ratzingers Offenbarungsbegriff vgl. Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 156–159.

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taltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Frei­sing, 1959 übernahm er den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie in Bonn, 1963 den Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte in Münster. 1966 wurde er auf den Lehrstuhl für Dog­ matik in Tübingen73 berufen, um schließlich 1969 den Ruf nach Regensburg anzunehmen, wo er seine längste Zeit als Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte verbrachte, die bis zu seiner Ernennung zum Erzbischof von München und Freising am 24. März 1977 dauern sollte.74 Die Jahre, die Ratzinger als Theologe und Professor verbrachte, waren von ergiebigem Forschen und Schreiben erfüllt; vor allem die Zeit in Regensburg nennt er „eine Zeit fruchtbarer theologischer Arbeit“.75 Besonders dankbar zeigte er sich, dass es ihm gelang, für eine geplante Dogmatik-Reihe die Eschatologie zu schreiben, die er „immerhin […] mein am meisten durchgearbeitetes Werk“ nennt.76 In Regensburg erfuhr er „das Gefühl, immer deutlicher eine eigene theologische Sicht zu gewinnen“, und er hatte geplant, „aus den vielfältigen Erfahrungen und Erkenntnissen“ heraus „etwas Eigenes, Neues und doch ganz im Glauben der Kirche Gewachsenes sagen zu dürfen“.77 Dies sei ihm nach eigener Überzeugung wegen der anderen Aufgaben, die ihm übertragen wurden, allerdings weitgehend versagt geblieben.78 Das Zweite Vatikanische Konzil wurde in diesen Jahren auch für den jungen Professor aus Deutschland zum prägenden Erlebnis. Der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings, der auch Mitglied der Zentralen Vorbereitungskommission des Konzils war, hat den jungen Bonner Dogmatikprofessor bereits vor dem Konzil zu seinem theologischen Berater gemacht. Er bat Ratzinger um Kritik und Verbesserungsvorschläge der Schemata, die den Vätern vor-

73 In dieser Zeit ist sein berühmtes Werk Einführung in das Christentum entstanden, das aus den Vorlesungen hervorgegangen ist, die er im Sommersemester 1967 für Hörer aller Fakultäten in Tübingen gehalten hat, und das 1968 erstmals als Buch veröffentlicht wurde: Einführung in das Christentum, München 92007; jetzt in: JRGS  4, 29–322. 74 In den Lebenserinnerungen beschreibt Ratzinger die Stationen seiner universitären Laufbahn ausführlich. Vgl. Aus meinem Leben, 88 ff. 75 Vgl. Aus meinem Leben, 174. 76 Vgl. ebd., 175 f. 77 Ebd., 176. 78 Vgl. ebd.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

gelegt werden sollten.79 1959 hatte Ratzinger für Kardinal Frings einen Entwurf für seine Rede zum Thema Das Konzil und die Welt des modernen Denkens vorbereitet, die der Kardinal in Genua vortrug. Die Rede fand große Zustimmung bei Papst Johannes XXIII.80 Und so lud Frings Ratzinger ein, ihn als theologischer Berater zum Konzil nach Rom zu begleiten, und erwirkte, dass dieser gegen Ende der ersten Sitzungsperiode zum offiziellen Konzilstheologen (Peritus) ernannt wurde.81 Beim Konzil konnte Ratzinger besonders für die Offenbarungskonstitution Dei Verbum einen wichtigen Beitrag zum Begriff der Offenbarung leisten. Heim charakterisiert die Konzilsphase in Vita und Opus Ratzingers zu Recht mit den Worten „von der Euphorie zur nüchternen Skepsis“: „Hatte Ratzinger am Vorabend des Konzils die Euphorie des Anfangs geteilt, die vor allem auch durch den Optimismus ­Johannes’ XXIII. genährt wurde, so wurden seine Kommentare bald verhaltener, ja seine Bilanz zur Nachkonzilszeit begann bereits 1966 skeptische Züge anzunehmen.“82 Diese Entwicklung lässt sich wohl auch in seinen vier Berichten ausmachen, die er jeweils nach jeder Sitzungsperiode verfasst hat.83 „Schon während des Konzils bereitete Ratzinger die Arbeit als Berater zugleich

79 Vgl. ebd., 100 f. 80 Bei seiner letzten Begegnung mit dem römischen Klerus am 14. Februar 2013, kurz vor seinem Rücktritt, erzählte Papst Benedikt in freier Rede von dieser, wie er sie nennt, „Anekdote“ aus der Vorkonzilszeit: „Der Kardinal hat mich – den jüngsten der Professoren – aufgefordert, ihm einen Entwurf zu schreiben; der Entwurf gefiel ihm, und er hat in Genua den Leuten den Text so vorgetragen, wie ich ihn geschrieben hatte. Kurz darauf fordert Papst Johannes ihn auf, zu ihm zu kommen, und der Kardinal befürchtete sehr, vielleicht etwas Inkorrektes, Falsches gesagt zu haben und für einen Tadel nach Rom zitiert zu werden, vielleicht auch, um ihm die Kardinalswürde abzuerkennen. Ja, als sein Sekretär ihn für die Audienz ankleidete, sagte der Kardinal: ‚Vielleicht trage ich dieses Gewand jetzt zum letzten Mal.‘ Dann trat er ein, Papst Johannes geht ihm entgegen, umarmt ihn und sagt: ‚Danke, Eminenz, Sie haben das gesagt, was ich sagen wollte, aber ich habe nicht die Worte gefunden‘.“ http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/speeches/2013/february/ documents/hf_ben-xvi_spe_20130214_clero-roma.html (31.5.2016). 81 Vgl. Aus meinem Leben, 101. 82 Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 162 f. 83 Die erste Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ein Rückblick, Köln 1963; jetzt in: JRGS 2, 296–322; Das Konzil auf dem Weg. Rückblick auf die zweite Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils, Köln 1964; jetzt in: JRGS 2, 359–410; Ergebnisse und Probleme der dritten Konzilsperiode, Köln 1965; jetzt in: JRGS 2, 417–472; Die letzte Sitzungsperiode des Konzils, Köln 1966; jetzt in: JRGS 2, 527–575.

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Freude und Sorge.“84 Nach dem Konzil, wo er sich mit den verschiedenen Unruhen, Auseinandersetzungen und Zusammenbrüchen konfrontiert sah, wurden diese Züge in seinem Denken immer deut­licher. Der erfahrene Konzilstheologe beginnt auf die Differenzierung zwischen einer wahren und einer falschen Erneuerung zu pochen und zeigt die Gefahren auf, die „der neue Triumphalismus des Neuen über das Alte“ mit sich bringt.85 Hansjürgen Verweyen meint, Ratzinger sei „einer der wenigen Vertreter der ‚Avantgarde‘, die versuchten, in der erschwerten Situation einen klaren Kopf für die Realität zu behalten, statt einem ‚Mythos der großen Wende‘ [gemeint ist wohl das Konzil als die große Wende] anzuhängen, der in Utopien umzuschlagen drohte“.86 Nach dem Konzil hat Ratzinger bedeutende Kommentare zu folgenden Konzilsdokumenten verfasst und einige von ihnen in den Ergänzungsbänden der zweiten Auflage des Lexikons für Theologie und Kirche veröffentlicht: zur Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium,87 zur Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,88 zur Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes89 und zur Frage der Mission.90 Später kommentierte er auch das Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis.91 Er meldete sich oft zu Wort in Fragen der angemessenen Konzilsrezep-

84 Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 163. 85 Vgl. ebd. 86 Verweyen, Ein unbekannter Ratzinger, 12. 87 Es handelt sich um einen Kurzkommentar der ganzen Konstitution, der zuerst im Rahmen der von der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebenen Übersetzung der Konzilstexte erschienen ist. Jetzt in: Zur Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils. Formulierung – Vermittlung – Deutung (JRGS 7/2), Freiburg i. Br. 2012, 645–711. Für LThK 2 kommentierte Ratzinger die dem eigentlichen Konstitutionstext vorausgeschickten Interpretationsrichtlinien des Generalsekretärs des Konzils (LThK 2 12, 348–359). 88 Ratzinger kommentierte in LThK 2 die ersten zwei Kapitel von Dei Verbum und lieferte eine Einleitung zum Dokument (LThK 2 13, 497–528; jetzt in: JRGS 7/2, 715– 791). 89 Ratzinger kommentierte in LThK 2 das erste Kapitel (LThK 2 14, 313–354; jetzt in: JRGS 7/2, 795–893). 90 Es handelt sich um einen Text, der zuerst 1967 erschienen ist; jetzt in: JRGS 7/2, 919–951. 91 Ratzinger kommentierte Presbyterorum ordinis erst aus Anlass des 30. Jahrestages der Verabschiedung des Dekrets; jetzt in: JRGS 7/2, 897–915.

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tion,92 sah sich mit den Schwierigkeiten, die mit der Studenten­ revolution 1968 aufkamen, konfrontiert und nahm mit den großen Theologen der Nouvelle théologie wie Hans Urs von Balthasar und Henri de Lubac Entwicklungen wahr, welche die Theologie ihrem Eigentlichen entfremdeten und in die Sackgassen des schlussendlich atheistischen Marxismus führten.93 Verweyen moniert immerhin, dass Ratzinger sich in diesen Jahren „in zunehmendem Maße von jenem Prozess innerkirchlicher Polarisierung in Anspruch nehmen“ ließ,94 der diese Jahre zu einer Epoche der Entfremdung zwischen der Kirche und der modernen Welt habe werden lassen.95 Die Frage bleibt freilich offen, ob es einen anderen Weg als eine direkte Konfrontation gegeben hätte, um aus den Verwirrungen und Infragestellungen der nachkonzi­ liaren Zeit herauszukommen. Ratzinger selbst sind in dieser Zeit noch drei andere Punkte wichtig. Als Erstes ist es seine Mitarbeit in der Internationalen Päpstlichen Theologenkommission, in die der Regensburger Professor von Paul VI. berufen wurde und wo er die Spannungen der Nachkonzilszeit in der theologischen Welt hautnah miterleben konnte.96

92 Berühmt und viel rezipiert ist seine Rede zur Hermeneutik der Konzilsauslegung geworden, die er allerdings erst als Papst beim Weihnachtsempfang der römischen Kurie am 22. Dezember 2005 gehalten hat. Es handelt sich um ein theologisches Anliegen, das er schon vor seiner Papstwahl verfolgt hat. Dabei unterscheidet er zwischen einer für ihn unangemessenen „Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches“, die eine ‚vorkonziliare‘ und eine ‚nachkonziliare‘ Kirche kon­ struiert, und einer seiner Ansicht nach richtigen „Hermeneutik der Reform, der Erneuerung des einen Subjekts Kirche […] unter Wahrung der Kontinuität“. Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie beim Weihnachtsempfang 2005, http://w2.vatican.va/content/ benedict-xvi/de/speeches/2005/december/documents/hf_ben_xvi_spe_2005 1222_roman-curia.html (31.5.2016). 93 Hier seien Theodor W. Adorno und Ernst Bloch genannt, die mit ihren doch unverkennbar atheistischen Konzepten viele Theologen dieser Jahre in ihren Bann zogen. Vgl. dazu Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 58–61. Siehe auch unten Anm. 164. 94 Vgl. Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 62. 95 Merkwürdigerweise verengt Verweyen dieses doch breite Problem auf die Frage des Ansehens der Kirche vor der Weltöffentlichkeit, nämlich dass „die Kirche innerhalb weniger Jahrzehnte das Ansehen verlor, das sie mühsam auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gewonnen hatte“. Ebd. 96 Vgl. Aus meinem Leben, 155.

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Als Zweites erwähnt Ratzinger die Internationale Katholische Zeitschrift Communio, die als ein gewisses Gegengewicht zur fortschrittlichen Zeitschrift Concilium Hans Küngs von bedeutenden Denkern wie Hans Urs von Balthasar, Albert Görres, Franz Greiner und eben Joseph Ratzinger ins Leben gerufen wurde und welche „die Theologie aus der Parteienbildung herausführen“ wollte, um wieder von ihren Quellen und Methoden her zu arbeiten.97 Ratzinger selbst bemerkt allerdings, dass, obwohl Communio zu einem „wichtigen Instrument des theologischen und kulturellen Disputs“ geworden sei, die Zeitschrift „noch immer nicht ganz das verwirklicht, was uns vorschwebte. [Denn] sie ist jedenfalls lange Zeit zu akademisch geblieben.“98 Als drittes ihm wichtiges Ereignis nennt Ratzinger die Gründung der jährlichen Ferienbegegnungen am Bodensee, die er mit seinem Schüler Lehmann-Dronke und der Baronesse von Stockhausen gegründet und vor allem mit dem Exegeten und Freund Heinrich Schlier veranstaltet hat. Dahinter stand die Idee, dass man nicht allein von der Universität aus eine breite Wirkung wie z. B. seinerzeit Romano Guardini entfalten kann, der eine Gemeinschaft von jungen Menschen und ein geistiges Zentrum auf der Burg Rothenfels geschaffen hat.99 Auch diese drei Punkte zeigen, wie wichtig Ratzinger in seinem Schaffen die Universalität, die Weltkirchlichkeit der Theologie und ihre Relevanz im konkreten Leben des Menschen von heute waren. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Ratzingers Zeit als Theologieprofessor und Konzilstheologe eine Zeit großer Freiheit ist, nicht nur in Bezug auf Begeisterung und Neuaufbruch durch das Konzil, sondern auch in Bezug auf seine immer häufiger auftretenden kritischen und warnenden Texte, welche Grenzen der Öffnungen aufzeigen und dem Eigentlichen gewidmet sind: der Freilegung des Glaubenskerns. Ratzinger bringt es selber auf den Punkt, wenn er sagt: „Auch wenn durch die Konstellationen, in denen ich gestanden bin – und natürlich auch durch die Lebensalter und ihre verschiedenen Haltungen –, sich Akzente meines Denkens verwandelt und 97 Vgl. ebd., 157. 98 Ebd., 158. 99 Vgl. ebd., 159.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

entwickelt haben, so war mein Grundimpuls, gerade im Konzil, immer der, unter den Verkrustungen den eigentlichen Glaubenskern freizulegen und diesem Kern Kraft und Dynamik zu geben. Dieser Impuls ist die Konstante meines Lebens.“100

In diesem Sinne schwebt bei seiner Theologieentfaltung selbstverständlich auch seine priesterliche Verantwortung immer mit,101 was aber seine Freiheit theologischen Forschens und Publizierens in keiner Weise einschränkt. Aus diesem Grund sind die Texte aus dieser Zeit für unser Thema besonders wertvoll.

3.2.2 Bischof Durch die für Ratzinger selbst überraschend102 gekommene und nicht ohne Zögern angenommene103 Ernennung zum Erzbischof 100 Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 279 f. Oft wird Ratzinger von seinen Kritikern eine gewisse Unausgewogenheit im Urteilen vorgeworfen, nämlich dass er nur die Gefahren und Probleme der progressiven Seite sehe. Vgl. z. B. Hermann H äring, Theologie und Ideologie bei Joseph Ratzinger, Düsseldorf 2001, vor allem 40 f.; ders., Eine katholische Theologie? J. Ratzinger, das Trauma von Hans im Glück, in: Norbert Greinacher / H ans Küng (Hg.), Katholische Kirche – wohin? Wider den Verrat am Konzil, München 1986, vor allem 241–258. In Ratzingers eigenen Texten sieht man allerdings immer wieder die Mühe der Differenzierung. Bereits in der ursprünglichen Einleitung zu Einführung in das Christentum, wo er eben die Geschichte von ‚Hans im Glück‘ als Bild für verbreitete Tendenzen der Theologie nach dem Konzil bringt, schreibt er: „Man kann nun einmal rechtmäßigerweise nicht behaupten, ‚die moderne Theologie‘ überhaupt sei einen solchen Weg [die wertvollen Goldklumpen sukzessive für wertlose Schleifsteine zu tauschen] gegangen. Ebenso wenig aber wird man leugnen dürfen, dass eine weit verbreitete Stimmung einen Trend unterstützt, der in der Tat vom Gold zum Schleifstein führt. Ihm kann man freilich nicht entgegenwirken durch ein bloßes Beharren auf dem Edelmetall fester Formeln der Vergangenheit, das dann doch auch nur ein Metallklumpen bleibt: eine Last, statt kraft seines Wertes die Möglichkeit wahrer Freiheit zu gewähren.“ Einführung in das Christentum, in: JRGS 4, 32. 101 Vgl. Abschnitt 3.1.3 Intellektualität und Priesteridentität; vgl. auch oben S. 145. 102 Siehe unten S. 170. 103 Die Annahme der Ernennung nennt er „ein[en] unendlich schwierige[n] Entscheid“ und sagt, er habe erwartet, dass sein Beichtvater ihm davon „abraten würde“. Doch „zu meiner großen Überraschung sagte er ohne großes Überlegen: Das musst Du annehmen. So schrieb ich zögernd, nachdem ich dem Nuntius noch einmal meine Bedenken vorgetragen hatte, unter seinen Augen auf das Briefpapier des Hotels, in dem er Wohnung genommen hatte, die Erklärung meiner Zustimmung.“ Aus meinem Leben, 176. Als Grund seines Zögerns nennt er auch „wenig Seelsorgeerfahrung“, spricht sogar von „großen Zweifeln“, die er zunächst hatte, und weist auf seine „brüchige Gesundheit“ hin, die angesichts des großen

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von München und Freising104 beginnt eine neue Zeit im Leben des Regensburger Dogmatikprofessors, die er selber „Gegenwart“ nennt und über die er deswegen keine Erinnerungen mehr verfassen wollte.105 An erster Stelle steht in dieser Zeit selbstverständlich die viele Kräfte fordernde Arbeit des Diözesanbischofs einer großen Diözese mit vielen Leitungs-, Verwaltungs- und Seelsorge­ aufgaben, zu denen durch die rasche Kardinalskreierung106 sehr schnell weltkirchliche Verantwortung hinzugekommen ist. Der Professor sollte nun möglichst rasch zum Seelsorger werden. Als sein bischöfliches Motto wählte er ein Wort aus dem Dritten ­Johannesbrief: „Cooperatores veritatis“ (3 Joh 8), weil es ihm „die vereinigende Klammer zwischen [der] bisherigen Aufgabe und dem neuen Auftrag zu sein schien“, da es bei allen Unterschieden doch um das Gleiche ging: „der Wahrheit nachzugehen, ihr zu Diensten zu sein“.107 Bei der im Ritus selbst vorgesehenen Ansprache am Ende der eigenen Bischofsweihe skizzierte der frisch Geweihte den Dienst

physischen Anspruchs des Amtes problematisch zu sein schien. Vgl. Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 281. 104 Joseph Ratzinger wurde nach dem unerwarteten Tod von Kardinal Julius Döpfner am 24. März 1977 von Papst Paul VI. zum Erzbischof von München und Freising ernannt und am Pfingstsamstag, 28. Mai 1977, im Münchner Liebfrauendom zum Bischof geweiht. Als Hauptkonsekrator fungierte der Bischof von Würzburg, Josef Stangl, Mitkonsekratoren waren der Regensburger Bischof Rudolf Graber und der Münchner Weihbischof Ernst Tewes. 105 Vgl. Aus meinem Leben, 178. 106 Papst Paul VI. kündigte am 3. Juni 1977 ein Konsistorium an, bei dem er am 27. Juni 1977 Ratzinger – mit nur drei weiteren Bischöfen: Giovanni Benelli, Bernardin Gantin und Mario Luigi Ciappi – zum Kardinalpresbyter von Santa Maria Consolatrice al Tiburtino kreierte. Ratzinger selbst kommentierte diese Ernennung 1978: „Ich hatte an demselben Morgen noch zu Freunden gesagt, dass ich hoffe, es möge nun die Kardinalswürde möglichst lang ausbleiben, damit ich an die Alltagsarbeit herangehen könne …“ https://www.youtube.com/watch?v=nDlAxhojZ9I (10.6.2016). Ähnlich äußerte er sich in einem Interview mit Radio Vatikan kurz nach seiner Kardinalskreierung: Er sei über diese Erhebung „ein wenig erschrocken“ gewesen, denn er wollte sich „mit allen Kräften dieser mir anvertrauten Ortskirche […] widmen und für überregionale Aufgaben nicht mehr an Energie abzweigen […] müssen als aus der inneren Zugehörigkeit unseres Bistums zur Gesamtkirche und zum Ganzen der Welt von heute folgt“. Ein Bischof muss auch Theologe sein, 1977, in: JRGS 12, 271–273, hier 271. 107 Aus meinem Leben, 178 f. Als zweiten Grund für diese Wahl nennt er den Umstand, dass „in der heutigen Welt das Thema der Wahrheit fast ganz verschwunden ist, weil sie als für den Menschen zu groß erscheint und doch alles verfällt, wenn es keine Wahrheit gibt“. Ebd., 179.

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des Bischofs, den er nun tun sollte, mit einem Blick auf die Geste des über dem Kopf des Geweihten ausgelegten Evangeliars. Das Buch verdecke geradezu das Gesicht des Geweihten. Die Privatperson des Bischofs sollte also hinter seinem Auftrag geradezu verschwinden: „Der Bischof handelt nicht im eigenen Namen, sondern er ist Treuhänder eines Anderen, Jesu Christi und seiner Kirche. Er ist nicht ein Manager, ein Chef von eigenen Gnaden, sondern der Beauftragte des Anderen, für den er einsteht. Er kann daher auch nicht beliebig seine Meinungen wechseln und einmal für dies, einmal für jenes eintreten, je nachdem, wie es günstig erscheint. Er ist nicht da, seine Privatideen auszubreiten, sondern er ist ein Gesandter, der eine Botschaft zu überbringen hat, die größer ist als er. An dieser Treue wird er gemessen, sie ist sein Auftrag.“108

Mit diesen energischen Worten werden beim ersten Hinsehen seine eigene theologische Arbeit und seine Texte, die seit der Bischofsweihe publiziert wurden, kräftig relativiert. Es entsteht die große Frage, die uns seither begleiten wird: Welche Texte sind nun der Person, dem Theologen Joseph Ratzinger als solchem zuzuschreiben, bringen also seine eigenen Gedanken und Standpunkte zum Ausdruck? Und welche Texte sind einfach seiner kirchlichen Aufgabe geschuldet und müssen mit dieser Brille des Amtes gelesen werden? Doch es scheint, dass Ratzinger selbst dieses Problem nicht so scharf sieht. Denn selbst zum Bischof geweiht, hat er nicht aufgehört, als Theologe zu arbeiten und zu publizieren. Vielmehr erleben wir ihn auch in dieser Zeit als einen streitbaren Theologen, der an Schärfe seiner Gedanken und theologischen Urteile nichts fehlen lässt. In einem Interview mit Radio Vatikan äußert sich der bekannte Theologe kurz nach der eigenen Bischofsweihe auch zur Beziehung zwischen der bischöflichen Lehrverkündigung und der Rolle des Theologen. Zuerst weist er auf die klare Unterscheidung zwischen der „theologischen Wissenschaft“ und der „verbind­ lichen Glaubensverkündigung durch die Bischöfe“ hin, die „man nicht verwischen darf“, aber auch „nicht beziehungslos nebenein-

108 Der Bischof ist ein Christusträger. Ansprache bei der eigenen Bischofsweihe, 1977, in: JRGS 12, 267–270, hier 267 f.

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anderstellen kann“.109 Die Wissenschaft wende sich nicht „direkt an die Allgemeinheit überhaupt“, da sie „Spielraum für neue Vorstöße“ brauche und Hypothesen formuliere, „die richtig, aber auch falsch sein können“. Das wissenschaftliche Gespräch vollziehe sich also in einem bestimmten Kreis.110 „Die bischöfliche Lehrverkündigung […] zielt demgegenüber auf die Gemeinschaft der Gläubigen und will ihnen die Substanz des christlichen Glaubens vermitteln, als jene Grundüberzeugungen, für die man leben und sterben kann, weil die Autorität Jesu Christi und die von seiner Vollmacht getragene Kirche aller Orte und Zeiten ihnen eine Gewissheit geben, die höher steht als alles, was Menschen sich ausdenken können.“111

Das Verbindende dieser „beiden Formen der Lehre“ ist der „ein­ fache Glaubenskern“, der die Substanz auch für die wissenschaft­ liche Theologie bietet, die umgekehrt „dessen geschichtliche und geistige Voraussetzungen und Folgen untersucht“. Die Glaubensverkündigung der Bischöfe müsse „auf diese Einsichten hinblicken […], um überhaupt den Glauben verständlich aussagen zu können“. Bischöfliche Lehrverkündigung brauche also „die positive und kritische Hilfe der Theologie“, und umgekehrt müsse die Theologie vom bischöflichen Lehramt „an ihre eigenen Grund­ lagen“ erinnert werden.112 Deswegen könne man diese zwei Formen der Lehre nicht verwischen, und Theologen dürfen ihre Hypothesen „nicht für den Glauben selbst ausgeben“ und die Bischöfe mit ihrer Autorität Thesen „decken, die in bestreitbare, wissenschaftliche Details eintreten“. Jedoch gelte, dass ein Bischof „mindestens bis zu einem gewissen Grad ein Theologe sein“ müsse.113 Er meint auch, dass in der heutigen „außergewöhnlichen Situation der Kirche“, in der „das Problem der Kirche mit der Theologie engstens verknüpft“ ist, sich „auch Theologen als Bischöfe zur Verfügung halten müssen“.114 Als Bischof habe er sich mit seiner ganzen theologischen Kompetenz der Aufgabe zu stellen versucht, „die Laster und Gefährdungen einer Zeit“ anzusprechen, „den 109 Ein Bischof muss auch Theologe sein, 1977, in: JRGS 12, 272. 110 Vgl. ebd. 111 Ebd. 112 Vgl. ebd. 113 Vgl. ebd., 272 f. 114 Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 281 f.

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Mächtigen ins Gewissen“ zu reden, „aber auch Intellektuellen, denen auch, die banausisch und gemütlich an den Nöten einer Zeit vorbei leben wollen und so fort“.115 Er denke stets an die schroffen Worte der Bibel und der Kirchenväter, „die die Hirten mit großer Schärfe verurteilen, die wie stumme Hunde sind und, um Konflikte zu vermeiden, das Gift sich ausbreiten lassen“. Und er fügt hinzu: „Ruhe ist nicht die erste Bürgerpflicht, und ein Bischof, dem es nur darauf ankäme, keinen Ärger zu haben und möglichst alle Konflikte zu übertünchen, ist für mich eine abschreckende Vision.“116 „Tatsächlich“, sagt er auch, „bin ich heute noch froh, dass ich in München den Konflikten nicht aus dem Weg gegangen bin, denn das Treibenlassen ist […] die schlechteste Amtsführung, die ich mir denken kann.“117 In der Tat ist Ratzingers Bischofszeit auch eine Zeit, in der er auf theologische Auseinandersetzungen nicht verzichtete und auch seine Arbeit als Theologe – so weit wie im Amt möglich – weiterführte. Dabei gilt die Feststellung von Verweyen, dass ab der Bischofsweihe bei Ratzinger „als Verwalter des Apostelamtes“ ­Momente ins Spiel kommen, „die nicht ohne weiteres seinem persönlichen Denken zuzuschreiben sind“.118 Die Verantwortung für das Ganze der Kirche und den Glauben der einfachen Gläubigen und somit die Verantwortung für die Überzeugungen, „für die man leben und sterben kann“119, nimmt zu. Das Moment der Differenzierung wird also eine größere Rolle spielen müssen, wenn auch die Einheit der Person Ratzingers als Bischof und Theologe eine klare Trennung unmöglich macht. Noch einmal Verweyen: „Joseph Ratzinger hat als Apostelnachfolger sein Engagement in der akademischen Forschung und Lehre ebensowenig aufgegeben, wie er als aktiver Universitätsprofessor davon Abstand genommen hatte, für alle Kirchenbesucher verständliche Predigten zu halten. Die Leidenschaft, mit der er auch im bischöflichen Amt als Wissenschaftler an die Öffentlichkeit getreten ist, macht geradezu ein Spezifikum seiner Theologie aus, erklärt zum Teil aber auch die erhöhte

115 Ebd., 282. 116 Ebd., 282 f. 117 Ebd., 283. 118 Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 62. 119 Vgl. Ein Bischof muss auch Theologe sein, 1977, in: JRGS 12, 272.

3.2 Verschiedenheit der Aufgaben des Autors

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Spannung zur ‚akademischen Szene‘, der sich Ratzinger in München und erst recht in Rom ausgesetzt sah.“120

Kurz erwähnt sei hier auch noch die aus seiner neuen Aufgabe resultierende Verantwortung für Priester sowie die Notwendigkeit, als Träger der apostolischen Autorität, dem die Priester bei ihrer Weihe Gehorsam und Ehrfurcht versprechen, eine Art der Beziehung zu ihnen zu finden. Dabei setzt Ratzinger auf seine Stärken als Theologe, der den Glauben und seine Zusammenhänge besonders gut begründen und auslegen kann,121 und auf seine Menschlichkeit und Offenheit. Einem Priester, der ihm geschrieben hat, er möge ihn als Menschen, aber mit seiner Theologie sei er „nicht immer einverstanden“, antwortet er, man müsse mit dem Bischof nicht in allem übereinstimmen, aber man müsse sich damit aus­ einandersetzen.122 Dieser Aspekt der bischöflichen Verantwortung für die Priester ist bei vielen seiner Texte zu diesem Thema erkennbar, besonders bei spirituellen Texten. Man kann in Kürze festhalten, dass im persönlichen Umgang seine Beziehung als Bischof zu Priestern von Freiheit und Verantwortung geprägt ist. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Berufung zum Bischof für Ratzinger eine neue und ermutigende Erfahrung der Kirche und des Sakramentes war, da er erleben durfte, dass Menschen im Bischof „den Träger des Geheimnisses Christi“ sahen. Seine neue Rolle brachte ihm eine gewisse Verantwortung für die Pries-

120 Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 80. 121 Die Priester von München erinnern sich, dass z. B. seine Impulse zu Beginn der Priesterratssitzungen eher an eine akademische Vorlesung erinnerten, was aber keineswegs negativ empfunden wurde. In die praktischen Aspekte der Diözesanleitung habe er langsam hineinwachsen müssen. Vgl. Quelle: Der Erzbischof von München und Freising. Regie: Andrea Kammhuber, Bayerischer Rundfunk 2007, https://www.youtube.com/watch?v=nDlAxhojZ9I (12.1.2015). 122 Klaus Günther Stahlschmidt, ein von Ratzinger geweihter Priester des Erzbistums München und Freising, erzählt, wie er dem Kardinal ein Jahr nach seiner Weihe aus dem Urlaub eine Karte schrieb. „Damals habe ich ihm ein Marienbild geschickt, und unter anderem habe ich ihm geschrieben: ‚Mit Ihrer Theologie bin ich nicht immer einverstanden, aber ich setze mich damit auseinander. Als Mensch mag ich Sie, wenn man es einem Bischof sagen darf.‘ Da habe ich die Karte abgeschickt und habe mit Donnerwetter gerechnet oder einem eisigen Schweigen. Acht Tage später bekam ich von ihm einen ganz eng beschriebenen Gruß, eine ganze Seite, und unter anderem ging er auch auf diese beiden Punkte ein. Er sagte: ‚Man muss nicht mit dem Bischof in allem übereinstimmen, man muss sich aber damit auseinandersetzen. Und das tun Sie.‘“ Quelle: ebd.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

ter und den Priesternachwuchs.123 Zu erwähnen ist darüber hinaus seine spezifische Art, sich auch noch im Bischofsamt als Theologe zu Wort zu melden. Das alles macht die Texte zu unserem Thema aus dieser Zeit zu einer wichtigen Quelle.

3.2.3 Präfekt der Glaubenskongregation Am 25. November 1981 ernannte Papst Johannes Paul II. den Münchner Erzbischof zum Präfekten der Glaubenskongregation. Es geschah nach einigem Zögern seinerseits, denn der Papst wollte ihn schon früher an seiner Seite haben. Erst als emeritierter Papst erzählt Benedikt XVI., dass Papst Wojtyła ihn bereits 1979 zum Präfekten der Kongregation für das Katholische Bildungswesen ernennen wollte,124 was er aber so früh, erst zwei Jahre nach seiner Konsekration in München, wegen des in der Weihe selbst gewissermaßen gegebenen Treueversprechens zu der Diözese nicht wollte; daher bat er den Papst, die Ernennung aufzuschieben.125 Der Papst ist aber später erneut an ihn herangetreten, um seine Absicht zu wiederholen. Ratzinger wiederholt das Argument der Verbundenheit mit der Diözese, die sich aus der Weihe ergibt, und stellt zusätzlich eine – aus unserer Sicht entscheidende – Bedingung, von der er wohl meinte, sie werde den Papst definitiv davon überzeugen, ihn in München zu belassen: Er wolle weiterhin theologisch tätig sein können. In seinen eigenen Worten ausgedrückt:

123 Siehe das auf S. 155 erwähnte Interview aus dem Jahr 1977, bei dem er als seine vorrangige Aufgabe „den Priesternachwuchs“ und die „religiöse Unterweisung“, also die religiöse Bildung der jungen Generation nennt. 124 Bereits in Salz der Erde erwähnt der damalige Präfekt der Glaubenskongregation die frühere Absicht von Johannes Paul II., ihn nach Rom zu berufen, jedoch ohne konkreter zu nennen, worum es bei diesem Gespräch mit dem Papst ging. Vgl. Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 285. 125 Der emeritierte Papst erzählt diese Umstände im Buch Accanto a Giovanni Paolo II. Gli amici e i collaboratori raccontano, das im März 2014 zur Heiligsprechung des polnischen Papstes erschienen ist. Vgl. dazu auch http://it.radiovaticana.va/ ­ news/2014/03/07/benedetto_xvi:_vi_racconto_la_santit%C3%A0_di_giovanni_ paolo_ii,_papa_e/it1-779398 (31.3.2014). Auf Deutsch wurde das Buch aufgelegt: Wlodzimierz R edzioch (Hg.), Johannes Paul II. Begegnungen mit einem Heiligen. Freunde und Weggefährten erzählen, Stuttgart 2014, hier 16 f.; auf Englisch ver­ öffentlicht unter: http://insidethevatican.com/magazine/people/interview/recoll ections-pope-benedict (14.6.2016).

3.2 Verschiedenheit der Aufgaben des Autors

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„Es war dann wohl im Laufe des Jahres 1980, dass er mir sagte, er wolle mich Ende 1981 als Nachfolger von Kardinal Šeper zum Präfekten der Glaubenskongregation ernennen. Da ich mich nach wie vor meiner Heimatdiözese verpflichtet fühlte, habe ich mir erlaubt, eine Bedingung für die Annahme der Ernennung zu stellen, die ich für unerfüllbar hielt. Ich habe gesagt, ich spüre die Verpflichtung, auch weiterhin theologische Arbeiten zu veröffentlichen. Nur wenn dies mit dem Amt des Präfekten vereinbar sei, könne ich Ja dazu sagen. Der Papst, der immer gütig und nachsichtig mit mir war, hat mir erklärt, er werde sich über diese Frage informieren und eine Meinung bilden. Bei meinem nächsten Besuch erklärte er, dass theologische Veröffentlichungen mit dem Amt des Präfekten vereinbar seien. Auch Kardinal Garrone habe als Präfekt der Bildungskongregation theologische Werke veröffentlicht. So habe ich dann den Auftrag angenommen, im Wissen um die Schwere der Aufgabe, aber auch in dem Bewusstsein, dass nun der Gehorsam gegenüber dem Papst jetzt ein Ja von mir verlangt.“126

Ratzinger machte also die Freiheit, weiterhin theologische Texte zu publizieren, zur Bedingung für die Annahme der Aufgabe als Präfekt der Glaubenskongregation. Diese wurde ihm vom Papst ausdrücklich gewährt und von ihm während des ganzen Mandats wohl in Anspruch genommen. Die Begründung, dass es keine Schwierigkeit darstelle, weil es bereits davor einen Präfekten einer anderen Kongregation gegeben habe, der theologisch publiziert habe, verkennt wohl ein wenig die Komplexität der Materie und der besonderen Funktion des Glaubenspräfekten, die gerade in seiner Aufgabe, über die Rechtgläubigkeit der Texte anderer Theologen zu urteilen, sehr heikel ist. Für unser Vorhaben aber ist wichtig, dass sich also von der Absicht des Autors her auch in dieser Phase Texte finden lassen, welche seine eigene theologische Meinung und nicht automatisch die seiner Behörde abbilden. Aus diesem Grund werden uns nur Texte interessieren, die Ratzinger in der oben erklärten Absicht als Theologe publiziert hat. Alle Dokumente der Glaubenskongregation, unter denen zwar seine Unterschrift steht, in denen es aber um die Erfüllung seiner Aufgaben als Mitarbeiter des Papstes geht, werden in dieser Arbeit nicht als seine eigenen Texte angesehen und daher nicht berücksichtigt.

126 R edzioch (Hg.), Johannes Paul II., 17.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

Die bereits oben erwähnten Schwierigkeiten der Stellung seiner Stimme unter den Stimmen der anderen Theologen, die mit seiner Aufgabe als Verwalter des Apostelamtes einhergehen, werden, wie wir gesehen haben, in dieser Phase noch stärker. Denn nun ist zum Bischofsamt auch noch dezidiert die Verantwortung für die Bewahrung des unverfälschten Glaubens hinzugekommen und damit Spannungen und Konflikte, die mit diesem besonderen Amt fast automatisch verbunden sind. Ratzinger war sich von Anfang an bewusst, dass die römische Aufgabe auch damit verknüpft sein wird. So schreibt er im Abschiedsbrief an die Priester, Diakone und Mitarbeiter in der Seelsorge des Erzbistums: „Das Amt, das mir übertragen wurde, hat ja in Deutschland keinen guten Ruf. Das Stichwort ‚Inquisition‘ ist nahe bei der Hand; man spricht von Ketzerjäger, und einige haben mir das Wort vom ‚Wachhund‘ unterschoben.“127 Die Absicht, weiterhin theologisch tätig zu sein, mag wohl mit seiner eher positiven und konstruktiven Auffassung des ihm anvertrauten Amtes zusammenhängen. Im selben Brief erklärt er: „Wenn ich meinen Auftrag recht verstehe, geht es einfach darum, dem Petrusamt zu dienen, das im Neuen Testament mit verschiedenen Stichworten, wie ‚Binden und Lösen‘, ‚Schlüsselgewalt‘, ‚Weiden‘, umschrieben wird. Der Aspekt, in dem ich mit meinem Teil Hilfe leisten soll, scheint mir am ehesten anzuklingen in dem lukanischen Herrenwort an Petrus ‚Stärke deine Brüder‘ (Lk 22,32). Dem Petrusnachfolger ist damit aufgetragen, das Wort des Glaubens immer neu in diese Welt hineinzusprechen und den Maßstab des Evangeliums aufzurichten.“128

Seine eigene theologische Tätigkeit während der Amtszeit als Präfekt der Glaubenskongregation, zu dessen Aufgaben zweifelsohne auch das Aufzeigen der Grenzen des Katholischen und die Disziplinierung von übertriebenen Meinungen gehören, will von ihm also als sein persönlicher theologischer Beitrag zum positiven Aspekt des Petrusdienstes, im Glauben zu stärken, verstanden werden.

127 Winfried Röhmel (Red.) / P ressereferat der Erzdiözese München und Freising, Wir leben vom Ja. Dokumentation der Verabschiedung von Joseph Kardinal Ratzinger, München 1982, 114. 128 Ebd.

3.2 Verschiedenheit der Aufgaben des Autors

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Die Frage freilich bleibt: Kann der Schiedsrichter zugleich ein Spieler auf dem Feld sein? Wenn in der Konstitution Pastor bonus die Aufgabe der Glaubenskongregation und somit auch ihres Präfekten mit den Worten beschrieben wird, „die Lehre über Glaube und Sitten auf dem ganzen katholischen Erdkreis zu fördern und zu schützen“129, mit einem Wort, wenn auch Schutzmaßnahmen zu treffen und gelegentlich Maßregelungen gegenüber anderen Theologen im Namen der höchsten kirchlichen Autorität auszusprechen zu Ratzingers Aufgaben gehörten, bleibt seine Entscheidung, selbst als Glaubenspräfekt theologisch zu publizieren, nicht unumstritten. Vielmehr lassen sich aus diesem besonderen Umstand manche Spannungen und Schwierigkeiten zumindest teilweise erklären, welche in dieser Zeit um seine Person und sein Werk entstanden sind. Auf der anderen Seite ist durch seine oben erwähnte vor der Annahme des Amtes gestellte Bedingung klar, dass er weiterhin theologisch arbeiten und auch auf diese Art und Weise zur Erneuerung der Kirche beitragen wollte. Nur deswegen ist es möglich, in unserer Arbeit auch Texte aus dieser Zeit zu berücksichtigen. Wichtig aber bleibt die Unterscheidung, wann Joseph Ratzinger in seinem Namen spricht und seine theologische Überzeugung äußert und wo seine Unterschrift als Präfekt sein Amt und nicht sein Denken widerspiegelt.

3.2.4 Papst Mit der Wahl des Dekans des Kardinalskollegiums am 19. April 2005 zum Nachfolger Petri werden all die oben erwähnten Schwierigkeiten einerseits noch größer, andererseits jedoch übersicht­ licher. Denn ein Papst hat fast keine Möglichkeiten mehr, über 129 Vgl. Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Pastor bonus, Art. 48. In Art. 51, Nr. 2 ist die Schiedsrichteraufgabe der Kongregation gegenüber theologischen Meinungen so ausgedrückt: „[Die Kongregation] prüft Schriften und Lehrmeinungen, die als dem rechten Glauben entgegengesetzt und gefährlich erscheinen, und, wenn feststeht, dass sie der Lehre der Kirche entgegen[stehen], weist sie diese rechtzeitig zurück, nachdem sie ihrem Urheber die Gelegenheit gegeben hat, seine Auffassung umfassend darzulegen, und nachdem sie den Ordinarius, in dessen Zuständigkeitsbereich das fällt, vorher benachrichtigt hat, und, wenn es denn gelegen sein sollte, sorgt sie für geeignete Abhilfe.“ Die ‚Ratio agendi‘, also die interne Ordnung der Kongregation für die Lehrprüfung, lässt sich unter http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_ cfaith_doc_19970629_ratio-agendi_ge.html (11.5.2016) nachlesen.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

s­ einen Auftrag hinaus oder irgendwie an diesem vorbei zu publizieren.130 Vielmehr muss er mit seiner Aufgabe ident sein und seine eigenen Vorstellungen und Wünsche hintanstellen. Doch wie wir sahen, geht es auf seinem Lebensweg bei den verschiedenen Aufgaben um einen Prozess der wachsenden Verantwortung für das Ganze, der bereits bei seiner Priesterweihe begann.131 Da für den Theologen Ratzinger der Glaube der Kirche immer ein klarer und benannter Bezugspunkt seiner Theologie war, und das vor allen hierarchischen Ämtern, muss seine Aufgabe als Papst mit seiner Theologie nicht unbedingt kollidieren, wenn auch die große Verantwortung die Freiheit und überhaupt die Möglichkeiten der Äußerung von eigenen theologischen Meinungen sehr beschränkt. Trotz allem kann man bei Ratzinger eine wesentliche Einheit von Amt und Person, von Theologie und dem Glauben der Kirche feststellen. Da sich aber die Differenzierungslinien nicht mehr sicher ziehen lassen, bleiben seine Texte als Papst – da hier alles mehr oder weniger offiziell ist – in unserer Arbeit unberücksichtigt. Was die Klarheit der Unterscheidungslinien betrifft, scheint es im Pontifikat von Benedikt XVI. einige wenige Ausnahmen zu 130 Wie das Pontifikat Benedikts XVI. und noch mehr das seines Nachfolgers Papst Franziskus gezeigt haben, ist es in moderner Zeit nicht zuletzt durch Technologien durchaus möglich, dass der Petrusdienst viel subjektiver, wenn man will, menschlicher ausgeübt werden kann, dass also der Papst viel mehr seine eigenen privaten Meinungen vertreten und öffentlich äußern kann. Freilich kann er für sie nicht den Status seines Amtes reklamieren, was im Praktischen der öffentlichen Wahrnehmung, wie sich zeigte, nur schwer realisierbar ist. Da das Wort des Papstes immer als solches wahrgenommen wird, ist diese Entwicklung nicht unumstritten. Das Paradebeispiel aus der Amtszeit Benedikts XVI. ist die Regensburger Rede 2006, bei der Joseph Ratzinger an seiner alten Universität wieder als Professor einfach akademisch reden wollte und dann über die Reaktionen auf das von ihm verwendete antike Zitat überrascht war, da diese Worte in der öffentlichen Wahrnehmung nicht als akademische Ausführungen, sondern nicht zuletzt durch Ungeschicktheit der Kommunikation als Äußerung des höchsten christlichen religiösen Führers selbst verstanden wurden. Benedikt XVI. selbst hat eine gewisse Fehleinschätzung zugegeben: „Ich habe die Rede als streng akademische Rede konzipiert und gehalten, ohne mir bewusst zu sein, dass man eine Papstrede nicht akademisch, sondern politisch liest. Durch die politische Betrachtung wurde nicht mehr das Feingewebe beachtet, sondern ein Text herausgerissen und zum Politikum, was er in sich nicht war.“ Licht der Welt, 123. – Dass diese Entwicklung auch eine gewisse Heftigkeit in der Diskussion um die Privatmeinungen und -äußerungen des jeweiligen Papstes zur Folge hat, muss hier nicht eigens betont werden. 131 Vgl. dazu Abschnitt 3.1.5 Priestertum als eigene Berufung.

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­ eben. Es geht einerseits um ein Moment, bei dem er ausdrücklich g auf die private und persönliche Art seiner Ausführungen hinweist und eine klare Trennlinie zu seinem Auftrag als Papst zieht. Das ist bei den Jesus-Büchern von Papst Benedikt XVI.132 der Fall. Er will diese Bücher eigens nicht als Ausdruck seines petrinischen Auftrags verstanden wissen.133 Weiters geht es um sein Interviewbuch mit Peter Seewald Licht der Welt,134 das in Tradition zu den vorhergehenden zwei Bänden Salz der Erde135 und Gott und die Welt 136 steht, die Gespräche von Seewald und Kardinal Ratzinger beinhalten.137 Dann wären hier noch die meist in den Ferien stattgefundenen Begegnungen des Papstes mit den Priestern anzu­ führen, bei denen Benedikt XVI. in freier Rede über Auftrag und 132 Es handelt sich um folgende drei Bände, an denen Joseph Ratzinger bereits vor seiner Papstwahl zu arbeiten begann: Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung, Freiburg i. Br. 2007; Jesus von Nazareth. Zweiter Teil: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Freiburg i. Br. 2011; Jesus von Nazareth. Dritter Teil: Prolog – Die Kindheitsgeschichten, Freiburg i. Br. 2012. 133 Über seine Jesus-Bücher sagt Benedikt XVI. in Licht der Welt: „Das ist eben kein Buch des Lehramts, kein Buch, das ich in meiner päpstlichen Vollmacht geschrieben habe, sondern ein Buch, das ich mir als letztes großes Opus lange vorgenommen und mit dem ich bereits vor meiner Wahl zum Papst begonnen hatte. Ich wollte damit ganz bewusst nicht einen lehramtlichen Akt setzen, sondern in die theologischen Auseinandersetzungen mit eintreten und versuchen, eine Exegese vorzulegen, eine Auslegung der Schrift, die nicht einem positivistischen Historismus folgt, sondern den Glauben als Element der Auslegung mit einbezieht.“ Licht der Welt, 198. Im Vorwort des ersten Bandes seiner Jesus-Bücher schreibt Benedikt XVI. ausdrücklich: „Gewiss brauche ich nicht eigens zu sagen, dass dieses Buch in keiner Weise ein lehramtlicher Akt ist, sondern einzig Ausdruck meines persönlichen Suchens ‚nach dem Angesicht des Herrn‘ (vgl. Ps 27,8). Es steht daher jedermann frei, mir zu widersprechen. Ich bitte die Leserinnen und Leser nur um jenen Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein Verstehen gibt.“ Jesus von Nazareth, Bd. 1, 22. 134 Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Freiburg i. Br. 2010. 135 Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche an der Jahrtausendwende. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Stuttgart 1996. 136 Gott und die Welt. Die Geheimnisse des christlichen Glaubens. Ein Gespräch mit Peter Seewald, München 2000. 137 In seinem Gespräch mit Peter Seewald weist Papst Benedikt XVI. auf die Unterscheidung hin zwischen dem „Wir“ – wenn der Papst „aus der Gemeinschaftlichkeit der Kirche heraus“ redet, gewissermaßen „im inneren Miteinander mit den Mitglaubenden“ – und dem „Ich“, wo das Persönliche des Joseph Ratzinger vorkommt: „Wo man aber als ,Ich‘ etwas Persönliches sagt, muss dann auch das ,Ich‘ auftreten.“ Licht der Welt, 107. Es bleibt allerdings immer klar, dass das „Ich“ sich gegenüber dem „Wir“ stark zurückhält.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

Leben der Priester gesprochen hat.138 Hinzu kommen noch einige Texte, deren Kontext klar zeigt, dass er seine ganz eigenen Gedanken äußert und nicht die Autorität des Papstamtes in Anspruch nimmt, wie z. B. seine letzte Begegnung mit dem Klerus der Diözese Rom kurz vor seinem Amtsverzicht.139 All diese Texte würden also für unsere Arbeit eventuell infrage kommen. Doch ändert die Spontaneität bzw. der Hinweis, dass es sich nicht um lehramtliche Äußerungen handelt, nichts an der Tatsache, dass die Papstwahl von Joseph Ratzinger eine klare Linie markiert, nach der die notwendige Differenzierung nicht mehr möglich ist, so dass nur die Texte bis zu diesem Tag von Bedeutung für diese Untersuchung sein werden. Denn auch bei den oben erwähnten Texten aus der Zeit des Pontifikats gilt, dass Benedikt XVI. natürlich Papst bleibt. Wenn er da spricht, ist er sich vor allem dieser Tatsache bewusst, wenn er auch seine Autorität nicht in Anspruch nimmt. Seine Aufgabe als Universalhirte der Kirche steht während des Pontifikats stets im Vordergrund. Wenn sich auch bei deren Erfüllung eindeutige Spuren seiner eigenen Theologie immer wieder finden lassen, ist diese stets dem Ganzen seines Amtes untergeordnet.

3.2.5 Der zurückgetretene Papst In der Vita Joseph Ratzingers ist unerwartet noch eine weitere Phase aufgetreten, die es in dieser Form noch nie gegeben hat, 138 Vor allem in den ersten Jahren des Pontifikats – bis 2008 – hat Papst Benedikt XVI. anlässlich seines Urlaubs in Norditalien Begegnungen mit den Priestern der jeweiligen Diözese abgehalten, bei denen er in freier Rede über den Auftrag und das Leben des Priesters sprach, aber vor allem Fragen der Priester beantwortete. Es war eine Art „Sommergespräche“ des Papstes mit Priestern. So war es am 25. Juli 2005 in der Pfarrkirche von Introd: http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/ de/speeches/2005/july/documents/hf_ben-xvi_spe_20050725_diocesi-aosta.html (8.5.2018); am 24. Juli 2007 in der Kirche in Auronzo di Cadore: http://w2.vatican. va/content/benedict-xvi/de/speeches/2007/july/documents/hf_ben-xvi_spe_200 70724_clero-cadore.html (8.5.2018); am 6. August 2008 in Brixen: http://w2.vati can.va/content/benedict-xvi/de/speeches/2008/august/documents/hf_ben-xvi_ spe_20080806_clero-bressanone.html (8.5.2018). Am 31. August 2006 traf er in seiner Sommerresidenz Priester der Diözese Albano: http://w2.vatican.va/con tent/benedict-xvi/de/speeches/2006/august/documents/hf_ben-xvi_spe_2006 0831_sacerdoti-albano.html (8.5.2018). 139 Der Kontext drei Tage nach der Bekanntgabe seines geplanten Rücktritts wie auch der Wortlaut der Ansprache lassen diesen Text als authentischen Ratzinger-Text gelten. http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/speeches/2013/february/docu ments/hf_ben-xvi_spe_20130214_clero-roma.html (3.4.2018).

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nämlich die des zurückgetretenen Papstes. Diese Situation stellt in der Kirchengeschichte etwas völlig Neues dar, dessen Tatsache und Folgen auch theologisch noch nicht ausreichend reflektiert wurden. Deswegen muss man sich hier auf einige wenige Zeilen beschränken. Als Grund für den Rücktritt nennt Papst Benedikt XVI. in seiner Declaratio,140 mit der er am 11. Februar 2013 den zum Konsistorium versammelten Kardinälen seinen Entschluss mitteilte, „dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben […] dass ich mein Unvermögen erkennen muss, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen“. Dieser einschneidenden Entscheidung sei eine lange Zeit des Gebetes und der Gewissensprüfung vorangegangen.141 Nachdem er festgestellt habe, dass seine Kräfte nachlassen, habe er nach einer Entscheidung gesucht, „welche nicht für mein eigenes Wohl, sondern für das Wohl der Kirche die richtigste ist“.142 Denn „die Kirche zu lieben bedeutet auch, den Mut zu haben, schwierige, durchlittene Entscheidungen zu treffen und dabei immer das Wohl der Kirche und nicht sich selbst im Auge zu haben“.143 In den darauffolgenden Tagen hat der Papst die Bedeutung seiner Entscheidung vertieft und auch die Konturen seiner neuen Existenz als emeritierter Papst skizziert. Daraus ergibt sich durchaus das Bild eines Mönches, der völlig zurückgezogen in Gebet und Betrachtung lebt. Beim letzten Angelusgebet am 24. Februar 2013 sagte er: „Der Herr ruft mich, den ‚Berg hinaufzusteigen‘, mich noch mehr dem Gebet und der Betrachtung zu widmen. Doch dies bedeutet nicht, dass ich die Kirche im Stich lasse, im Gegenteil. Wenn Gott

140 Der lateinische Originaltext ist unter http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/ la/speeches/2013/february/documents/hf_ben-xvi_spe_20130211_declaratio. html (10.5.2018) abrufbar. Die offizielle deutsche Übersetzung findet man unter http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/speeches/2013/february/docu ments/hf_ben-xvi_spe_20130211_declaratio.html (10.5.2018). 141 Vgl. Generalaudienz am 13. Februar 2013, http://w2.vatican.va/content/benedictxvi/de/audiences/2013/documents/hf_ben-xvi_aud_20130213.html (10.5.2018). 142 Vgl. die letzte Generalaudienz am 27. Februar 2013, http://w2.vatican.va/content/ benedict-xvi/de/audiences/2013/documents/hf_ben-xvi_aud_20130227.html (9.5.2018). 143 Ebd.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

dies von mir fordert, so gerade deshalb, damit ich fortfahren kann, ihr zu dienen, mit derselben Hingabe und mit derselben Liebe, wie ich es bislang versucht habe, doch auf eine Weise, die meinem Alter und meinen Kräften angemessener ist.“144

Der emeritierte Papst sieht sich selbst also als „schweigenden Mönch“, als „einfachen Pilger“, der mit dem Rücktritt „die letzte Etappe seines Weges auf dieser Erde antritt“.145 Benedikt XVI. war sich auch dessen bewusst, dass seine Entscheidung zurückzutreten in einer gewissen Spannung zum Anspruch steht, den er bei seiner Papstwahl am 19. April 2005 auf sich genommen hat, denn das Ja zur Papstwahl gelte für immer: „Das Schwere der Entscheidung lag gerade auch darin, dass ich nun [seit der Wahl zum Papst] vom Herrn immer und für immer beansprucht war. Immer – wer das Petrusamt annimmt, hat kein Privatleben mehr. Er gehört immer und ganz allen, der ganzen Kirche. Sein Leben wird sozusagen ganz entprivatisiert.“146 Der Papst könne sein Leben also nicht mehr frei gestalten, weil es nicht mehr ihm gehöre. Deswegen bedeute auch der Rücktritt nicht einen Rückzug in die private Existenz: „Das ‚immer‘ ist auch ein ‚für immer‘ – es gibt keine Rückkehr ins Private. Meine Entscheidung, auf die aktive Ausführung des Amtes zu verzichten, nimmt dies nicht zurück. Ich kehre nicht ins private Leben zurück – in ein Leben mit Reisen, Begegnungen, Empfängen, Vorträgen usw. Ich gehe nicht vom Kreuz weg, sondern bleibe auf neue Weise beim gekreuzigten Herrn.“147

Diese Worte belegen, dass diese Phase im Leben des Theologen und nunmehr emeritierten Papstes für unsere Arbeit keine wirk­ liche Rolle mehr spielen kann. Bis auf private Korrespondenz, die er pflegt, und bis auf die wenigen für unser Thema irrelevanten öffentlichen Äußerungen148 bleibt der Papst emeritus seiner Ent144 Angelus am 2. Fastensonntag, dem 24. Februar 2016, http://w2.vatican.va/content/ benedict-xvi/de/angelus/2013/documents/hf_ben-xvi_ang _ 20130224.html (11.5.2018). 145 Vgl. kurze Grußworte an die Gläubigen der Diözese Albano in Castel Gandolfo am 28. Februar 2013, http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/speeches/2013/ february/documents/hf_ben-xvi_spe_20130228_fedeli-albano.html (11.5.2018). 146 Letzte Generalaudienz am 27. Februar 2013. 147 Ebd. 148 Im Wesentlichen geht es um diese Äußerungen: Interview mit Wlodzimierz Redzioch 2014 aus Anlass der Heiligsprechung von Johannes Paul II., veröffentlicht in:

Die These vom enttäuschten Progressiven, der konservativ wurde

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scheidung, ein schweigender Mönch zu sein, treu. Seine Äußerung zur Missbrauchskrise und zu ihren Ursachen, die für unser Thema interessant ist, findet im entsprechenden Abschnitt Erwähnung.149

Exkurs: Die These vom enttäuschten Progressiven, der konservativ wurde An dieser Stelle scheint es wichtig zu sein, einen Exkurs einzuschieben und das Thema der sogenannten konservativen Wende Ratzingers kurz anzusprechen. Die öffentliche Wahrnehmung Ratzingers wird nämlich nach wie vor stark von der These des einstigen progressiven Konzilstheologen bestimmt, der wegen der Schockerfahrung der Studentenrevolte 1968 in Tübingen, in späteren Jahren in Regensburg und vor allem als Bischof zunehmend konservativer wurde. Mit dieser These meinen nicht wenige viele Positionen in Ratzingers Werk verständlich zu machen, in Wirklichkeit aber werden diese eher relativiert und sogar neutralisiert. Deswegen verdient sie es, hier kurz behandelt zu werden.

R edzioch (Hg.), Johannes Paul II., 15–26; Vorlesung über die Kirchenmusik bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Päpstlichen Universität Johannes Paul II. Krakau und der Musikakademie Krakau, http://www.fondazioneratzinger.va/con tent/fondazioneratzinger/it/news/notizie/rimandi-news/verleihung-der-ehren doktor-wuerde-an-benedikt-xvi-.html (20.6.2018); Interview mit dem Jesuitentheologen Jacques Servais über die Frage „Was ist der Glaube, und wie kommt man zum Glauben?“, http://de.radiovaticana.va/news/2016/03/19/im_wortlaut_inter view_mit_benedikt_xvi/1216537 (20.3.2018). Zu der wohl lebendigsten Auseinandersetzung führte sein Aufsatz Gnade und Berufung ohne Reue. Anmerkungen zum Traktat ‚De Iudaeis‘ in der Zeitschrift Communio (47 [2018] 387–406). Der Text ist auch online unter https://www.communio.de/pdf/vorabveroeffentlichung/CommunioBenedikt_XVI-2018.pdf (20.10.2018) abrufbar. – Eine spezielle Kategorie der „öffentlichen Äußerung“ stellt Benedikts Entscheidung dar, die Schlussfolgerung seines Aufsatzes aus dem Jahr 1972 Zur Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe über die mögliche Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene in Band 4 der Gesammelten Schriften, der 2014 erschien, zu verändern, um nicht in der gerade stattfindenden Debatte instrumentalisiert zu werden. Vgl. Zur Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe, in: JRGS 4, 600–621. Der ursprüngliche Artikel: Zur Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe. Bemerkungen zum dogmengeschichtlichen Befund und zu seiner gegenwärtigen Bedeutung, in: Franz H enrich / Volker E id (Hg.), Ehe und Ehescheidung. Diskussion unter Christen, München 1972, 35–56. Zur Diskussion siehe auch Eberhard Scho ckenhoff, Die zwei Seiten eines Textes, in: Herder Korrespondenz 68 (2014), Heft 12, 605–609. Im gleichen Heft sind auch beide Textvarianten abgedruckt (609–612). 149 Vgl. Abschnitt 6.3.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

Die 68er-Bewegung hat die Grundfesten der westlichen Welt zweifelsohne erschüttert. Ausgehend von einer notwendigen, aber ausständigen Auseinandersetzung mit der Schuldfrage der Eltern rund um den Zweiten Weltkrieg und vielen akuten Problemen ­(Vietnamkrieg u. a.) haben junge Menschen, vor allem Universitätsstudenten, inspiriert vom Marxismus, eine Bewegung in Gang gesetzt, die viele bisher feststehend erscheinende gesellschaftliche Konstanten in den Abgrund riss. Aus heutiger Sicht lässt sich wohl feststellen: Die Notwendigkeit, damals Bewegung in manche Fragen zu bringen (z. B. die Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter, das Ende der Rassentrennung oder eben die Auseinandersetzung mit der Schuldfrage im Krieg u. a.), ist unbestritten. Allerdings wurden aufgrund des marxistischen Gedankenguts, das in der Bewegung bestimmend war, viele wichtige Werte infrage gestellt oder gar beschädigt, vor allem Treue, Beständigkeit, Ehe und natürliche Familie. Um das zu sehen, reicht ein Blick auf die Entwicklungen in den ehemaligen kommunistischen Ländern, die den Marxismus als herrschende Ideologie einführten.150 In Bezug auf Ratzinger wird das Ausbrechen dieser Bewegung also als Anlass für seine eigene theologisch-ideologische Wende reklamiert. Diese These wird einerseits auf persönlicher, durchaus ehrloser Ebene aufgestellt. Ratzingers früherer Weggefährte aus Tübingen und lautstarker Vertreter dieser These, Hans Küng, verbindet sie oft mit der unhaltbaren, weil unbelegbaren Unterstellung, Ratzinger sei an einer kirchlichen Karriere interessiert und habe sein Gewissen als moderner Theologe verraten. Er selbst dagegen, Küng, wollte nie gegen sein Gewissen handeln, und so sei er, dem eine steile Karriere bevorstand, habe doch Papst Paul VI. in diesem Sinne mit ihm gesprochen, im Unterschied zu Ratzinger Kirchenkritiker geworden.151 Ratzinger hält dem entgegen: „Davon [Paul VI. habe einige kritische Kräfte angehalten, sich für leitende Positionen bereitzustellen, wie von Küng behauptet] weiß ich nichts. Mit mir hat jedenfalls Paul VI. kein derartiges Gespräch geführt; ich bin ihm persönlich erstmals im Juni 1977, nach meiner

150 Mehr zu den Hintergründen der Bewegung und zu ihren Auswirkungen auf die Priester- und Ordensberufungen am Bespiel des Dominikanerordens vgl. H absburg-L othringen, Das Ende des Neuthomismus, vor allem 105 f. 151 Vgl. dazu z. B. H ans Küng, Umstrittene Wahrheit. Erinnerungen, München 2007, 171 f.; H äring, Theologie und Ideologie bei Joseph Ratzinger, vor allem 22–30.

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Bischofsweihe, begegnet. Dass ich 1977 zum Erzbischof von München und Freising ernannt wurde, war für mich eine Überraschung, ja, ein Schock – jedenfalls nicht eine Gegenleistung für opportunistische Zugeständnisse.“152

Diese These wird aber noch stärker auf der Ebene der Ideen und Konzepte geäußert. Darin erscheint Ratzinger als derjenige, der wegen einer extremen, negativen, durchaus auch traumatisierenden Erfahrung seine Art des Denkens völlig verändert hat. Erst vor kurzem hat Wolfgang Beinert im Zusammenhang mit der Neuausgabe eines Aufsatzes aus dem Jahr 1972 im Rahmen der Gesammelten Schriften, wo der mittlerweile emeritierte Papst andere Schlussfolgerungen in Bezug auf wiederverheiratete Geschiedene ziehen wollte als im ursprünglichen Text,153 dieses Erklärungsmodell bemüht.154 Es ist unumstritten, und Ratzinger selbst gibt es offen zu, dass die Ereignisse des Jahres 1968 ihn erschüttert haben. Die großen Unruhen der „marxistischen Revolte“, die sich vor allem in der universitären Welt wie ein Lauffeuer ausbreitete, waren für ihn tatsächlich ein Schock. Verweyen meint sogar, dass Ratzinger sich „angesichts des radikalen Vorgehens von Studierenden“ und ihrer laut vorgetragenen Überzeugung, „dass die parlamentarische Demokratie versagt hatte“155, daran erinnert habe, „welche Mühe sein Vater als Gendarm Anfang der dreißiger Jahre hatte, der von

152 Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 279. Dort spricht er auch von den „ärgerlichen Gerüchten über die Modernität meiner Theologie“. 153 Im Unterschied zum ursprünglichen Text aus dem Jahr 1972 wollte Ratzinger als Schlussfolgerung seiner Gedanken nun nicht einfach von der Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten reden, sondern den Ausbau des Ehenichtigkeitsverfahrens betonen, womit nach seiner jetzigen Auffassung die katholische Kirche dem Grundsatz der Oikonomia Rechnung trage. 154 Beinert erklärt in einem Interview mit dem Kölner Domradio die veränderten Schlussfolgerungen in der Herausgabe der Gesammelten Schriften durch Ratzinger mit der bekannten These der „konservativen Wende“ Ratzingers nach 1968, die aus den „dramatischen Erlebnissen in Tübingen“ erwächst. Vgl. https://www. domradio.de/themen/benedikt-xvi/2014-11-18/professor-beinert-zur-debatteum-vermeintliche-einmischung-ratzingers (3.9.2017). 155 Dies ist freilich im Zusammenhang mit der Entwicklung des ganzen Jahres 1968 zu sehen. Hier seien nur einige Stichworte genannt: Außerparlamentarische Opposition, Rudi Dutschke und seine lebensgefährliche Verletzung durch das Attentat sowie die als Reaktion auf die Protestkundgebungen beschlossenen Notstandsgesetze wie auch die äußerst heftig ausgefallene Reaktion darauf.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

Nazis ausgeübten Gewalttätigkeiten Herr zu werden“.156 Viele hatten nämlich das Gefühl, dass hier „die totale Anarchie“ auf die Gesellschaft zukomme.157 Hinzu kommt noch Ratzingers eigene grundsätzliche Skepsis gegenüber großen Ideologien und ihren enormen Versprechen und Utopien, die er durch die Kriegserfahrung entwickelt hat und von der bereits die Rede war.158 Seine Haltung ist keinesfalls einfach auf einer traumatisierten Wahrnehmungsebene von gesellschaftlichen Phänomenen einzuordnen, sondern vielmehr auf der Ebene der Ideen. Hansjürgen Verweyen ist gerade hier um ein differenzierteres Bild der Geschehnisse und Entwicklungen bemüht. Die 68er-Bewegung hat freilich viele und verschiedene Komponenten. Sie steht eindeutig im Zusammenhang mit dem Aufbau einer neuen Gesellschaft nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs sowie mit großen Verheißungen der marxistischen Theorie, wie sie in dieser Phase zur Popularität gelangt sind. Verweyen betont auch das spezifisch Deutsche an dieser Bewegung darin, dass in ihr „die Schuld des ganzen, nicht nur von bestimmten Teilen des deutschen Volkes am Holocaust ins Zentrum der öffentlichen Diskussion trat“, was zur raschen Verbreitung der Theologie der Hoffnung und der Politischen Theologie als Antworten auf diese großen Fragen beitrug.159 Auf der anderen Seite betrachtet er Ratzingers Denken in dieser Zeit nach dem Konzil als „unzeitgemäß“ in dem Sinne, dass er gemeinsam mit anderen großen Gestalten bemüht war, die Wunden aus dem Modernistenstreit zu heilen und die Thesentheologie der Neuscholastik zu überwinden, dabei aber gerade „das Ausmaß der Verpflichtung“ übersah, die im Moment dieser brennenden Fragestellungen „nicht zuletzt an die christliche Theologie erging“.160 Die modernen, soeben erwähnten theologischen Ent-

156 Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 60. 157 Vgl. ebd., 61. 158 Vgl. oben S. 133. Selbst im neuen Vorwort zu Einführung in das Christentum aus dem Jahr 2000 ist diese Skepsis Ratzingers zu spüren, die freilich nicht nur der marxistischen Ideologie gilt, welche die 68er-Bewegung beherrschte, sondern allen „großen Ideologien“. Er beobachtet, dass nach dem Zusammenbruch des auf marxistischen Ideen gebauten kommunistischen Systems von 1989 eine „Enttäuschung“ und „eine tiefe Ratlosigkeit“ geblieben seien. Vgl. Einführung in das Christentum, Vorwort 2000, in: JRGS 4, 38 f. und 44 f. 159 Vgl. Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 59. 160 Ebd., 58.

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würfe wiesen große Mängel an Präzision auf, was nach Verweyens Überzeugung zu der geringen Wahrnehmung ihrer Anliegen und ihrer Dringlichkeit auch vonseiten Ratzingers beigetragen habe.161 Aber die großen Versprechen, die sie formulierten, faszinierten die jungen Menschen der Nachkriegsgeneration. Was Ratzinger selbst an diesen Konzepten wirklich störte, war der unverkennbare Atheismus, der vor allem auf Ernst Bloch zurückging, der aber einen stark religiös anmutenden Impetus in sich trug. Er spricht von einem fast schlagartig veränderten „weltanschauliche[n] Paradigma“ und schildert diese Erfahrung mit dramatischen Worten: „Hatten bisher Bultmanns Theologie und Heideggers Philosophie den Rahmen des Denkens bestimmt, so brach das existentialistische Schema fast über Nacht zusammen und wurde durch das marxistische ersetzt. Ernst Bloch lehrte nun in Tübingen und machte Heidegger als einen kleinen Bourgeois verächtlich. […] Der Existenzialismus zerfiel und die marxistische Revolution zündete in der ganzen Universität, erschütterte sie in ihren Grundfesten.“162

Darin sah Ratzinger „die Zerstörung der Theologie“, die „durch ihre Politisierung im Sinn des marxistischen Messianismus“ radikal war, „gerade weil sie auf der biblischen Hoffnung basierte und sie nun dadurch verkehrte, dass die religiöse Inbrunst beibehalten, aber Gott ausgeschaltet und durch das politische Handeln des Menschen ersetzt wurde“.163 Es ist wie eine atheistische Religion, eine Religion, die eine radikale, weil absolute Bestimmung kennt, aber keinen Gott: „Die Hoffnung bleibt, aber an die Stelle Gottes tritt die Partei und damit ein Totalitarismus einer atheistischen Anbetung, die ihrem falschen Gott alle Menschlichkeit zu opfern bereit ist.“164 Hiermit dürfte sichtbar sein, dass Ratzingers Kritik an der Übernahme der radikal marxistischen Thesen der 68er-

161 Vgl. ebd., 59. 162 Aus meinem Leben, 139. 163 Ebd., 150; vgl. den ganzen Gedankengang ebd., 139–150. Eine ausführliche Analyse zu Konsistenz oder Veränderung in Ratzingers Denken liefert Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 178–197. Vgl. Zur Lage des Glaubens. Ein Gespräch mit Vittorio Messori, München/Zürich/Wien 22006, 18 f.; jetzt in: JRGS 13/1, 40 f. 164 Aus meinem Leben, 150. Eine ausführliche Analyse zu Konsistenz oder Veränderung in Ratzingers Denken liefert Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 178–197.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

Bewegung in die Theologie und Kirche grundsätzlich und fundiert ist und weit über ein wie auch immer geartetes Traumaerlebnis hinausreicht. Auch Joseph Ratzingers Bruder Georg wendet sich gegen die These der großen Kehrtwende im Denken des Theologen und schildert seine Sicht der Dinge: „Tübingen war keineswegs eine Wende im Denken meines Bruders, sondern eher eine Zeit, in der sich manches in seinem theologischen Forschen geklärt hat und systematisiert wurde.“165 Vor allem sieht er eine Veränderung im Umfeld gegeben: „Radikal geändert aber hatte sich das Umfeld, in dem er wirkte. 1968 war wie ein Fieberanfall, der über Deutschland und die Welt hinwegbrauste.“166 Verweyen meint, dass „die Fronten, die sich damals bildeten“, vor allem „in der katholischen Theologie wirksam“ blieben und „durch innerkirchliche Polarisierungen“ verstärkt wurden.167 Das wurde in der Konzilsrezeption und im weiteren theologischen Diskurs spürbar. Ratzinger sagt gerade in Bezug auf die Entwicklungen nach dem Konzil und die Unterstellung, er habe sich vom liberalen Theologen zum verschlossenen Konservativen verwandelt, im Zusammenhang mit der von ihm aufgegebenen Zusammenarbeit in der Fachzeitschrift Concilium im Gespräch mit Vittorio Messori: „Nicht ich habe mich geändert, sondern die anderen. Schon bei unseren ersten Zusammenkünften wies ich meine Kollegen auf zwei Erfordernisse hin. Zum einen: Unsere Gruppe dürfe in keinerlei Sektierertum und Arroganz verfallen, als ob wir die neue, wahre Kirche, ein alternatives Lehramt seien, das die Wahrheit über das Christentum gepachtet hätte. Zum zweiten: Es bedürfe der Auseinandersetzung ohne einzelgängerische Fluchten nach vorne mit der Wirklichkeit des II. Vatikanums, mit dem echten Buchstaben und dem echten Geist des Konzils, nicht mit einem imaginären III. Vatikanum. Diese Erfordernisse sind in der Folgezeit immer weniger beachtet worden bis hin zu einem Wendepunkt, der um 1973 anzusetzen ist, als jemand anfing zu sagen, dass die Texte des II. Vatikanums nicht mehr der Bezugspunkt für die katholische Theologie seien.“168 165 R atzinger , Mein Bruder, der Papst, 215. 166 Ebd. 167 Vgl. Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 61. 168 Zur Lage des Glaubens, 1985, in: JRGS 13/1, 40 f.

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Hierzu sei gesagt, dass Ratzingers eigene Theologie, wie Verweyen betont, „spätestens seit der zweiten Phase des Konzils eine neue Prägung“ erfuhr: „Er wusste sich nun mitverantwortlich für die Wege Roms, die sich bald nach dem Tode Papst Johannes XXIII. abzeichneten.“169 Schon da beginnt seine kritische Sicht, also sehr früh und lange vor den Ereignissen von 1968. Mit seiner kritischen Sicht der nachkonziliaren Entwicklungen und Ereignisse ist Ratzinger nicht alleine. Es sind vielmehr andere große Theologen, vor allem Hans Urs von Balthasar und Henri de Lubac, die wesentlich die Erneuerungen des Konzils vorbereitet haben und sich wenige Jahre nach dessen Abschluss mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert sahen.170 Extra erwähnt sei hier auch Papst Paul VI., der, wenn 169 Verweyen, Ein unbekannter Ratzinger, 12. 170 Von Balthasar schreibt 1965: „Mit Öffnung zur Welt, aggiornamento, Weitung des Horizonts, Übersetzung des Christlichen in eine der heutigen Welt verständliche Denksprache ist nur die Hälfte getan. Die andere ist mindestens ebenso wichtig. Einzig die Besinnung auf das Christliche selbst, das Läutern, Vertiefen, Zentrieren seiner Idee macht uns fähig, es dann auch glaubwürdig zu vertreten, auszustrahlen, zu übersetzen.“ H ans Urs von Balthasar , Rechenschaft 1965, Einsiedeln 1965, 7. Noch berühmter in dieser Hinsicht ist wohl sein Büchlein Cordula oder der Ernstfall aus dem Jahr 1966. Auf unnachahmbare Weise erhebt Balthasar in Form eines Gesprächs zwischen einem „wohlgesinnten Kommissar“ und einem Christen seine Anklage gegen das Christentum, das „Salz [zu sein scheint], das dumm geworden ist“. In dem Gespräch fallen fast alle Codeworte des modernen, „nachkonziliaren“ Christentums. Der Christ versucht die „Daseinsberechtigung der Christen“, „ihren Auftrag“ zu erklären. Unter anderem sagt er: „Wir sind nämlich seit neuestem ‚weltoffen‘, einzelne von uns haben sich sogar ernsthaft ‚zur Welt bekehrt‘ […] wir sind heute mündige Christen.“ Er unterscheidet zwischen dem „historischen Jesus“ und dem „Christus des Kerygmas“ und fügt hinzu: „Es kommt darauf an, wie man von ihr [der Botschaft] betroffen wird. Sie kann einem die Vergebung der Sünden zusprechen. Das war jedenfalls die Erfahrung der Urgemeinde. Sie muss dazu angeregt worden sein durch die Ereignisse um den historischen Jesus, von dem wir freilich nicht genug wissen, um sicher zu sein, dass er …“ Daraufhin antwortet der Kommissar: „Und das nennt ihr Konversion zur Welt. Ihr seid ja die gleichen Dunkelmänner wie eh und je. Und mit solch diffusem Geschwätz wollt ihr am Aufbau der Welt mitarbeiten!“ Den Höhepunkt erreicht Balthasars Abrechnung mit dem „nachkonziliaren Christentum“, als der Christ dem Kommissar bescheinigt, ein „anonymer Christ“ zu sein, ein Stichwort Karl Rahners. Daraufhin reagiert dieser: „Nicht frech werden, Junge. […] Ihr habt euch selber liquidiert und erspart uns damit die Verfolgung. Abtreten.“ H ans Urs von Balthasar , Cordula oder der Ernstfall, Einsiedeln 1966, 110–112. Das ganze Buch ist eine unüberhörbare Kritik der nachkonziliaren Entwicklungen. Nicht zuletzt die Gründung der theologischen Zeitschrift Communio, bei der die oben Genannten wie auch Ratzinger eine Schlüsselrolle gespielt haben, belegt diese Wirklichkeit. Vgl. dazu auch Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 171–177.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

auch in einem anderen Kontext, sich ähnlichen Vorwürfen gegenübersah.171 Man kann bei Ratzinger zwar eine gewisse, für die Zeit wohl typische ‚Euphorie des Anfangs‘ am Vorabend des Konzils sehen, bereits 1966 werden aber „seine Kommentare verhaltener, ja seine Bilanz zur Nachkonzilszeit“ beginnt „bereits 1966 skeptische Züge anzunehmen“.172 Er wurde demnach sehr schnell zum kritischen Beobachter der nachkonziliaren Entwicklungen.173 In mehreren Texten, die er in den 1970er-Jahren zehn Jahre nach dem Konzil verfasst hat, ist diese kritische Note nicht zu übersehen. So schreibt er z. B. 1976: „Es ist unbestreitbar, dass die letzten zehn Jahre für die katholische Kirche äußerst negativ verlaufen sind. Statt der erhofften Erneuerung haben sie einen fortschreitenden Prozess des Verfalls mit sich gebracht.“174 Mit der Zeit aber werden seine Beschreibungen der nachkonziliaren Entwicklungen ausgewogener, wenn er immer mehr auch positive Entwicklungen zu würdigen weiß.175 Obwohl Ratzingers von manchen immer wieder diagnostizierter ‚Rückfall eines enttäuschten Progressiven ins Konservative‘ zur Legende wurde, darf er mit Verweyen als „Mythos der großen Wende“176 bezeichnet werden. Freilich, Ratzingers Erfahrung mit der Studentenrevolte war eine starke, ihn tatsächlich beeinflussende Erfahrung, dennoch ist die These, dass sie eine radikale Veränderung seines Denkens verursacht hat, eine Überinterpretation des Geschehenen. Das alles bedeutet freilich nicht, dass Ratzingers Denken sich nicht entwickelt hätte. Er selbst sagt dazu: „Ich bestreite nicht, dass es in meinem Leben Entwicklung und Wandel gibt, aber ich halte fest, dass es Entwicklung und Wandel in einer grundlegen-

171 Vgl. dazu Jörg Ernesti, Paul VI. Der vergessene Papst, Freiburg i. Br. 2012, 226 f. und vor allem 233 f. 172 Vgl. Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 162 f. 173 Vgl. zu diesem Thema auch Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 58 f. 174 Vgl. Thesen zum Thema „Zehn Jahre Vaticanum II“, 1976, in: JRGS 7/2, 1061. 175 Diese Entwicklung ist in den späteren Texten gut sichtbar, z. B. in den Interviewbänden Salz der Erde (1996), Gott und die Welt (2000) und Licht der Welt (2010 – bereits als Papst) wie auch in der Sammlung der späteren Texte in Weggemeinschaft des Glaubens (2002). Besonders Ratzingers Blick auf die neuen kirchlichen Bewegungen kann wohl als hoffnungsvoll bezeichnet werden. Vgl. z. B. Weggemeinschaft des Glaubens, 151–153. 176 Vgl. Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 39 f.

3.3 Zum Umgang mit den Quellen – die Verschiedenheit der Texte

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den Identität ist und dass ich, gerade mich wandelnd, dem, worum es mir immer gegangen ist, treu zu bleiben versucht habe.“177 Maximilian Heinrich Heim bietet in seiner Doktorarbeit eine ausführliche Analyse zu Konsistenz bzw. Veränderung in Ratzingers theologischem Denken.178 Er vertritt die Meinung, dass Ratzinger sich und seinem Denken treu geblieben sei, wenn sich auch mit der Zeit die Perspektive seiner Gedanken geändert habe. Mit Dorothee Kaes kann man diese Veränderung der Perspektive mit den Worten zusammenfassen, dass Ratzingers Theologie sich von einem Primat der heilsgeschichtlichen hin „zu einer stärkeren Betonung der metaphysischen Ebene“ entwickelt habe.179

3.3 Zum Umgang mit den Quellen – die Verschiedenheit der Texte Diese dritte Vorbemerkung darf kurz ausfallen, denn vieles, was es zu diesem Punkt zu sagen gilt, wurde bereits in den vorhergehenden zwei Unterkapiteln vorweggenommen. Dennoch scheint es angebracht zu sein, einen differenzierteren Blick auf die Verschiedenheit der zur Verfügung stehenden Texte Joseph Ratzingers zum Thema Priestertum zu werfen. Denn gerade was die literarischen Gattungen von Texten zum Thema anbelangt, stehen wir einer großen Bandbreite gegenüber: von systematisch-theologischen Texten angefangen, über spirituelle Texte bis hin zu Gelegenheitspredigten. Allen gemeinsam sind eine solide theologische Grundierung und ein unverkennbar theologisches Denken des Autors. Dennoch sind sie unterschiedlicher Art und müssen deswegen auch unterschiedlich ins Gewicht fallen.

3.3.1 Einordnung der Thematik im Opus von Joseph Ratzinger Gleich am Anfang muss festgehalten werden, dass das Thema Priestertum nicht zu den großen Themen im Opus des Theologen Joseph Ratzinger gehört. Im Mittelpunkt seines Denkens stehen 177 Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 312. 178 Vgl. Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 178–197. 179 Vgl. Dorothee K aes, Theologie im Anspruch von Geschichte und Wahrheit. Zur Hermeneutik Joseph Ratzingers, St. Ottilien 1997, 97.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

vielmehr: die Gottesfrage selbst,180 der Offenbarungsbegriff,181 die Christologie,182 der ganze Themenkomplex rund um die Ekklesiologie und Ökumene,183 die Theologie der Liturgie,184 der Ort des Christlichen in der heutigen Welt und im Religionsdiskurs185 und die Eschatologie.186 Diese kurze Übersicht erhebt keineswegs einen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie will lediglich eine Orientierung in Joseph Ratzingers Opus ermöglichen, so dass der Platz der gegebenen Thematik umrissen werden kann. Das Priestertum ist demnach nicht ein Schwerpunktthema für Ratzinger, sehr wohl aber geht es quer durch viele von ihm behandelte Themenfelder: von der Christologie angefangen über Ekklesiologie und Liturgie 180 Vgl. Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis, München 92007 (11968); Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie, Donauwörth 22005 (München 11982); Dogma und Verkündigung, Augsburg 11973; u. a. 181 Schon die Habilitationsschrift hatte die Offenbarung zum Thema. Die vielen Aufsätze Ratzingers zum Themenfeld ‚Offenbarung‘ findet man nun vor allem in JRGS 2. Hansjürgen Verweyen hält Ratzingers Arbeiten zu diesem Thema, vor allem seine Habilitationsschrift, gar für die „Basis für die Arbeit auf dem Konzil“. Vgl. Verweyen, Ein unbekannter Ratzinger, 35 f. Die wichtigste Frucht der Arbeit Ratzingers, die beim Konzil in der Konstitution Dei Verbum tatsächlich zum Tragen kam, war „insbesondere die Einsicht, dass Offenbarung als ein personal-dialogisches Geschehen der Schrift vorausliegt und in der Schrift bezeugt wird, jedoch nicht mit der Schrift identisch ist“. Vgl. Rudolf Voderholzer , Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. und die Exegese, in: P eter Hofmann (Hg.), Joseph Ratzinger. Ein theologisches Profil, Paderborn 2008, 99–121, hier 102 f. Dort werden auch viele andere Aspekte dieses wichtigen Themas besprochen. Auch Kurt Koch arbeitet die Zentralität des personalen Offenbarungsbegriffs bei Joseph Ratzinger heraus und zeigt seine christologischen und ekklesiologischen Bezüge. Siehe Kurt Koch, Bund zwischen Liebe und Vernunft. Das theologische Erbe von Papst Benedikt XVI., Freiburg i. Br. 2016, vor allem 18–40. 182 Vgl. Einführung in das Christentum, siehe oben; Schauen auf den Durchbohrten. Versuche zu einer spirituellen Christologie, Einsiedeln 32007 (11984); Dogma und Verkündigung, siehe oben; Ein neues Lied für den Herrn, Freiburg i. Br. 11995; u. a. 183 Vgl. Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche, Dissertation, München 1951; Das neue Volk Gottes. Entwürfe zur Ekklesiologie, Düsseldorf 11969; Kirche, Ökumene und Politik. Neue Versuche zur Ekklesiologie, Einsiedeln 11987; Zur Gemeinschaft gerufen. Kirche heute verstehen, Freiburg i. Br. 11991; u. a. 184 Vgl. Der Geist der Liturgie. Eine Einführung, Freiburg i. Br. 12000; Das Fest des Glaubens. Versuche zur Theologie des Gottesdienstes, Einsiedeln 11981; Ein neues Lied für den Herrn, siehe oben; u. a. 185 Vgl. Wahrheit, Werte, Macht. Prüfsteine der pluralistischen Gesellschaft, Freiburg i. Br. 1 1993; Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg i. Br. 12003; u. a. 186 Vgl. Eschatologie – Tod und ewiges Leben, Regensburg 11977; u. a.

3.3 Zum Umgang mit den Quellen – die Verschiedenheit der Texte

177

bis hin zur Frage des spezifisch Christlichen in der heutigen Welt. Überall dort lassen sich Zusammenhänge und Querverweise zu unserem Thema finden. Weiters muss gesehen werden, dass Ratzinger sich nicht allzu systematisch-theologisch mit dem Thema Priestertum beschäftigt. Die Quellen, denen man gegenübersteht, sind eher originelle Annäherungen an das Thema, die bei bestimmten Anlässen, wie z. B. Vorträgen bei Begegnungen mit den Verantwortlichen für Priesterseminare, Exerzitien etc., zustande gekommen sind. Und doch bilden die verschiedenen und sehr unterschiedlichen Beiträge ein sinnvolles Ganzes, das auch vom Umfang her interessant zu sein scheint.187 So stehen wir im Werk Joseph Ratzingers keineswegs vor einer systematischen Durchsuchung des Themas Priestertum.188 In die Diskussionen über den Priester, sein Amt und seinen Dienst in der Kirche von heute und über seine Lebensweise tritt Joseph Ratzinger Ende der 1960er-Jahre ein. Es ist eine Zeit, in der die Krise der Priester in der Nachkonzilszeit in ihrer ganzen Heftigkeit offensichtlich geworden ist. Abgesehen von den Predigten, die zum Teil älter sind, stammt sein erster Beitrag zu diesem Thema aus der Zeit unmittelbar nach dem Konzil.189 In der folgenden Zeit findet man immer wieder Texte, die er zu dieser Problematik veröffentlicht. Wie im vorigen Unterkapitel ausgeführt und begründet, erstreckt sich das Interesse dieser Untersuchung auf die Arbeit des Theologen und Bischofs Joseph Ratzinger zu diesem Thema bis zu seiner Papstwahl, denn mit der Wahl 2005 beginnt eine andere, in 187 Die Editoren der Gesammelten Schriften haben seine Texte zu diesem Thema im Band 12 Künder des Wortes und Diener eurer Freude zusammengestellt, der im November 2010 erschien. Es gibt aber auch in seinen anderen Texten viele Stellen, die für das Thema von Interesse sind. 188 In seiner Autobiografie Aus meinem Leben erwähnt er, dass er persönlich (nur) seine Eschatologie für ein wirklich systematisch durchdachtes Werk hält. Er hätte vorgehabt, auch andere Themen in dieser Weise zu bearbeiten. Durch seine Aufgaben als Münchner Erzbischof und als Präfekt der Glaubenskongregation und dann schließlich durch seine Wahl zum römischen Bischof ist das aber nicht möglich gewesen. Diese seine etwas zu strenge Wahrnehmung eigener Werke ändert nichts daran, dass auch die anderen Werke Interesse verdienen. 189 Es geht um den Bericht, den Ratzinger nach der letzten Sitzungsperiode des Konzils verfasste und bei dem er auch über Presbyterorum ordinis schreibt: Die letzte Sitzungsperiode des Konzils, Köln 1966; jetzt in: JRGS 2, 527–575; vgl. oben Anm. 83.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

vielem noch offene Zeit,190 die trotz der Emeritierung erst mit Abstand gewürdigt werden kann.

3.3.2 Verschiedene literarische Gattungen der Texte Bei einem Überblick über die Quellen fällt die Verschiedenheit der zur Verfügung stehenden Texte auf. Da das Thema Priestertum eine ganz konkrete Wirklichkeit im Leben der Kirche ist, wird es in vielen und verschiedenen Hinsichten bedeutend und wird dementsprechend auf verschiedene Weise behandelt: einmal grundsätzlich theologisch von den organischen Zusammenhängen der biblischen Botschaft, der kirchlichen Überlieferung und der Geschichte her, ein anderes Mal eher spirituell-praktisch, auf den Priester als Person fokussiert, wieder ein anderes Mal eher anlassbezogen – wie bei Weihe-, Primiz- oder Jubiläumspredigten oder in Zusammenhängen mit in der jeweiligen Zeit relevanten sozialen Phänomenen und Fragestellungen. 3.3.2.1 Systematisch-theologische Texte In Ratzingers theologischem Werk findet man immer wieder Abschnitte, die für unser Thema von Bedeutung sind. Sie fallen bei unserer Arbeit naturgemäß am stärksten ins Gewicht. Von größter Relevanz sind hier seine Ausführungen zu ekklesiologischen und christologischen Themenfeldern. Zur Illustration seien einige systematische Texte dieser Art angeführt. An erster Stelle sollen Teile der fundamentaltheologischen Untersuchung Theologische Prinzipienlehre (1982) genannt werden,191 in denen Ratzinger eine systematische Verortung des ordinierten Priestertums im Organismus der Kirche, ihrer Sakramentalität und Tradition und besonders im Licht des neutestamentlichen Befundes vollzieht sowie das Verhandelbare und Unverhandelbare in der Kirche und die Frage nach der Mittlerschaft des Priesteramtes behandelt. Zu den systematischen Texten gehören zweifelsohne auch Ratzingers Vorträge bei Bischofssynoden – 190 Man kann hier sicher seine eigenen Worte über die Zeit seit seiner Bischofsweihe geltend machen, die er „Gegenwart“ nennt, über die „ich keine Erinnerungen schreiben kann, sondern eben nur versuchen, dieses Jetzt recht auszufüllen“. Vgl. Aus meinem Leben, 178. 191 Vgl. oben Anm. 180.

3.3 Zum Umgang mit den Quellen – die Verschiedenheit der Texte

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ganz besonders das Grundsatzreferat Vom Wesen des Priestertums aus dem Jahr 1990, das 1991 in der ekklesiologischen Abhandlung Zur Gemeinschaft gerufen. Kirche heute verstehen192 um einige systematische Vertiefungen bereichert veröffentlicht wurde – oder z. B. Referate bei Begegnungen mit Seminarverantwortlichen. Bei seinen systematischen Texten beeindruckt vor allem die Direktheit, mit der er sich den Fragestellungen und zuweilen auch Infragestellungen aussetzt und nach Lösungen sucht, die im Einklang mit der biblischen Offenbarung sowie der Tradition und dem lebendigen Glauben der Kirche stehen. 3.3.2.2 Spirituelle Texte Ratzinger wurde im Laufe der Jahre als Professor und vor allem später als Bischof und Präfekt der Glaubenskongregation immer wieder eingeladen, Geistliches zu den Priestern zu sagen. Dabei bleiben seine Texte nicht auf der Ebene der traditionellen Floskeln oder moralischer Appelle stehen, die oft in dieser spezifischen Art von Literatur begegnen, sondern bieten einen theologischen Tiefgang, der einen Beitrag zur Erneuerung des sakramentalen Priestertums leisten will. In seinen spirituellen Texten und Meditationen zeigt Ratzinger einen eindrucksvollen Realismus, der mit einer tiefen Verankerung in Bibel und in der Überlieferung einhergeht. Als besonderes Merkmal dieser Texte kann die Originalität der ausgelegten biblischen Texte gesehen werden, die Ratzinger eher als vom Anlass her vorgegeben an sich heranlässt und versucht, dort Spuren, die für priesterliche Spiritualität fruchtbar sein könnten, aufzuzeigen. Ganz konkret sind hier die Meditationen über die priesterliche Spiritualität Diener eurer Freude193 und „Auf Dein Wort hin“ 194 von Bedeutung.

192 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, ein am 1. Oktober 1990 in lateinischer Sprache gehaltener Vortrag zur Eröffnung der 8. Vollversammlung der Bischofssynode über das Priestertum; veröffentlicht in: Zur Gemeinschaft gerufen, 101–128; jetzt in: JRGS 12, 33–50. 193 Diener eurer Freude. Meditationen über die priesterliche Spiritualität, Freiburg/Basel/ Wien 1988. 194 „Auf Dein Wort hin“. Eine Meditation zur priesterlichen Spiritualität, in: Joseph R atzinger / Hermann Volk / Bernard Henrichs, „Auf Dein Wort hin“ (Kölner Beiträge, Neue Folge 9), Köln 1983, 15–36.

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3. Drei Vorbemerkungen zu Thema, Person und Werk

Selbstverständlich muss bei ihrer Berücksichtigung dem spezifisch spirituellen Charakter dieser Texte Rechnung getragen werden, ohne dass ihre wohl immer soliden theologischen Fundamente verkannt wären. Man kann sagen, dass in den spirituellen Texten zum Thema die in der Systematik erarbeiteten Ergebnisse spirituell und ganz konkret fruchtbar gemacht werden. 3.3.2.3 Predigten Zu dem langen priesterlichen Wirken Joseph Ratzingers gehört selbstverständlich auch die Predigttätigkeit. Von Relevanz für unser Thema sind vor allem Predigten bei der Spendung von Weihen, weiters Primizpredigten und Predigten bei priesterlichen und bischöflichen Jubiläen sowie Predigten bei der Ölweihmesse. Auch hier steht stets der Anlass im Vordergrund, es werden sehr oft liturgische Texte, Symbole oder Handlungen beobachtet und ausgelegt, was immer Hand in Hand mit einer soliden theologischen Grundlegung geht. Die homiletischen Texte Ratzingers fallen im Vergleich zu den systematischen verhältnismäßig weniger stark ins Gewicht, da es im Rahmen einer Predigt nicht möglich ist, eine systematische theologische Abhandlung eines Themas zu leisten, sondern vielmehr nur einige Streiflichter präsentiert werden können. Dennoch bleiben die relevanten Predigten eine gute Illustration für Ratzingers Denken über das Priestertum und stellen einen Versuch dar, das Priesterbild und die priesterliche Spiritualität auch dem gläubigen Volk zugänglich zu machen.195 Aus Anlass des 65. Priesterjubiläums des inzwischen emeritierten Papstes ist im Juni 2016 bei Herder ein Band mit seinen Priesterpredigten Die Liebe Gottes lehren und lernen196 erschienen, der als Ergänzung der bereits in JRGS 12197 veröffentlichten Predigten dienen wird.

195 Hier sei die These Verweyens in Erinnerung gerufen, dass „Joseph Ratzinger […] als Apostelnachfolger sein Engagement in der akademischen Forschung und Lehre ebensowenig aufgegeben [hat], wie er als aktiver Universitätsprofessor [nicht] davon Abstand genommen hatte, für alle Kirchenbesucher verständliche Predigten zu halten“. Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 80. 196 Die Liebe Gottes lehren und lernen. Priestersein heute, hg. von Pierluca Azzaro / Carlos Granados, Freiburg i. Br. 2016. 197 Vgl. JRGS 12, 535–797.

3.3 Zum Umgang mit den Quellen – die Verschiedenheit der Texte

181

3.3.2.4 Andere Texte Hier sind vor allem journalistische Texte wie Interviews oder kurze Beiträge für Zeitschriften gemeint, in denen immer wieder auch Fragen behandelt werden, die das Themenfeld des Amtes tangieren. Nicht irgendeine große Systematik, sondern vielmehr die Reaktion auf konkrete Fragen und ihre allgemein verständliche Klärung seitens des Autors machen die Relevanz dieser Texte aus. Sie dienen eher der Illustration.

4. Ratzingers Ausgangspunkt: die Realität der priesterlichen Existenz heute

Die Gedanken Ratzingers zu unserem Thema findet man, wie soeben ausgeführt, in vielen und relativ unterschiedlichen Texten, auch was ihre literarische Gattung angeht. Dabei lässt sich beobachten, dass in Ratzingers Texten zu unserem Thema das Heute, also die konkrete geschichtliche Situation eine wesentliche Rolle spielt. Die Verschiedenheit von Ratzingers Texten und die starke Verwurzelung im Heute lassen es angemessen erscheinen, den weiteren Ausführungen hier einige einleitende Anmerkungen vor­anzustellen.

4.1 Einleitende Anmerkungen Es wurde bereits gesagt, dass das Thema des sakramentalen Priestertums nicht zu den großen Themen Ratzingers gehört. Dementsprechend beschäftigt sich Ratzinger mit dem Thema nicht strikt theologisch-systematisch, es sind vielmehr verschiedene Anlässe, die größere oder kleinere Texte zum Thema entstehen lassen, wenn auch in seinen Überlegungen systematische Elemente nie gänzlich fehlen.1 Es sind immer wieder konkrete Anlässe, wie z. B.

1 Eine Ausnahme, wenn auch eine wichtige, könnten hier die für unsere Problematik relevanten Texte darstellen, die 1982 im Buch Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie erschienen sind. Dieses Buch will wohl eine systematische Arbeit sein, auch wenn der Autor selbst sie eher für „Entwurfskizzen“ und „Anläufe“ hält und im Zusammenhang mit dieser systematisch geordneten Sammlung seiner „im letzten Jahrzehnt gewachsene[n] Arbeiten“ von „Vielfalt der äußeren Anlässe“ spricht. Das scheint wiederum unsere Grundbeobachtung zu bestätigen, dass seine das Priestertum behandelnden Texte aus Anlässen und nicht aus

4.1 Einleitende Anmerkungen

183

ein Vortrag bei einem Treffen mit Regenten, ein Besuch im Priesterseminar mit Vorlesung u. a., die ihm vorgeben, über unser Thema nachzudenken.

4.1.1 Ratzingers Motivation In allen relevanten Texten Ratzingers fällt auf, dass vor aller Systematik die konkrete Realität des Priesterseins im Kontext der heutigen Zeit gesehen und reflektiert wird. Auch wenn der Autor es nirgends expressis verbis erwähnt, geht aus seinen Ausführungen hervor, dass er sich durch die von ihm wahrgenommene Krise des Priestertums veranlasst sieht, über dieses Thema nachzudenken und Texte zu schreiben. Man kann sogar behaupten, dass Ratzingers Beweggründe, sich mit dem Thema Priestertum theologisch zu beschäftigen, aus seiner Bemühung erwachsen, einen eigenen Beitrag zur Überwindung der modernen Krise des Priestertums zu leisten. Dies kann als seine Motivation zum Thema bezeichnet werden. Der soeben geschilderte Umstand führt zu einer ersten Beobachtung: Ratzinger entwickelt seine Gedanken zum Priestertum nicht aus der Darlegung der Lehre, sondern aus dem Blick auf den konkreten Menschen, den Priester von heute. Im Zentrum seiner Überlegungen steht nicht die abstrakte Größe „Priester“ mit den verschiedenen Anforderungen und Aufgaben seines Amtes, wie sie treffend von der Ekklesiologie oder allgemeiner von der Dogmatik zusammengefasst werden könnten, also das, was ‚Priester als Funktion‘ genannt werden könnte, sondern vielmehr der konkrete Mensch-Priester, der im Kontext von heute um seinen Glauben und seinen Auftrag ringt. Ratzingers Absicht ist also nicht, die Lehre zu erörtern oder diese irgendwie weiterzuentwickeln, sondern den Priester von heute in seiner Identität und in seinem Auftrag zu stärken. Jede Darlegung und Vertiefung der Lehre dient diesem Ziel. So findet man in den meisten Texten Ratzingers zu unserem Thema eine kürzere oder längere Analyse der gegenwärtigen Lage, in der über das Priestertum nachgedacht und vor allem in der das Priestertum heute gelebt wird. Als erfahrener Diagnosti

systematischem Interesse entstanden sind. Vgl. Theologische Prinzipienlehre, 1982, Vorwort, in: JRGS 9/1, 41.

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4. Die Realität der priesterlichen Existenz heute

ker sieht Ratzinger vor allem die Probleme, Verunsicherungen und Unklarheiten, so dass eine Krise des Priestertums, die in vielerlei Weise in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sichtbar geworden ist, als Ausgangspunkt und Betrachtungsrahmen seiner Beiträge zum Thema angesehen werden kann. Es sei festgehalten, dass, obwohl die Vertiefungen durch das Zweite Vatikanum durchaus gesehen und gewürdigt werden, 2 positive Entwicklungen und konkrete Erneuerungen des Priesterbildes in der Zeit danach so gut wie nicht zur Sprache kommen. 3 Sein Fokus liegt auf der Krise und den möglichen Auswegen aus ihr. Für eine gewisse Präzisierung sei noch gesagt, dass, wie es sich aus dem konkreten und zeitgebundenen Ansatz des Autors ergibt, Ratzinger in seinen Texten die Priester in der Realität von Welt und Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor Augen hat – also seit den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts bis in die ersten Jahre nach der Jahrtausendwende. Der Priester in dieser Zeit ist in dieser Untersuchung gemeint, wenn anhand von Ratzingers Texten vom „Priester von heute“ die Rede ist.

4.1.2 Die Krisenthese Für Ratzinger ist die gegenwärtige Krise des Priestertums mehr Realität als These, mehr objektives Faktum als theoretische Fragestellung. So sieht er wohl keinen Grund, seine ‚Krisenthese‘ eigens zu begründen. Die Rede von der Krise ist für ihn durch vielerlei gerechtfertigt, was hier im Folgenden dargelegt werden soll. Es reichen aber schon die objektiv feststellbaren Phänomene, welche für die von ihm bedachte Zeit signifikant sind, um die ‚Krisenthese‘ aufrechtzuerhalten: „die große Zahl derer, die das Priestertum aufgegeben haben“, sowie „der dramatische Rückgang des Priesternachwuchses in vielen Ländern“.4 Bei einer Predigt 1973 spricht er in diesem Zusammenhang von einem „dunklen Hintergrund“, der hinter der Freude über das Priestertum, in diesem Fall an einem Primiztag, stehe:

2 Vgl. z. B. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 33 f. 3 Abgesehen von den kurzen Andeutungen in manchen Texten, wie z. B. die Erwähnung der an Charles de Foucauld oder an Paul Gauthier anschließenden Gemeinschaften in Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 400. 4 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 33.

4.1 Einleitende Anmerkungen

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„Unsere Priesterseminare, die man noch vor Kurzem ausgebaut und erweitert hat, stehen fast leer; immer weniger sind es, die den letzten Schritt zum Altar wagen, und immer mehr, die nachher in Zweifel über den Sinn ihres Berufes geraten und nach einem anderen Weg Ausschau halten. Die Schatten werden länger, die Einsamkeit tiefer und das Fragen der Verbleibenden schwerer, welcher Zukunft sie wohl entgegengehen.“5

Rückblickend bezeichnet er seine Anfangszeit als Erzbischof von München und Freising auch gerade im Hinblick auf die Situation der Priesterberufungen als eine Krisenzeit: „Als ich 1977 zum Erzbischof von München und Freising ernannt wurde, sah ich mich mitten in die Situation der Krise und Gärung hineingeworfen. Die Zahl der Priesterkandidaten war im Erzbistum klein geworden.“6 In einem späteren Text (1995) fasst Ratzinger die Gründe, die aus seiner Sicht zur Krise des Priestertums geführt haben, eher nüchtern und sachlich zusammen. Beim Rückblick auf die Entwicklung nach dem Konzil stellt er fest: „Der katholische Begriff des Priestertums […] hatte seine selbstverständliche Geltung auch im Inneren des kirchlichen Bewusstseins eingebüßt.“7 Die „Krise dieses Begriffes“, wie Ratzinger sie nennt, wurde „nach dem Konzil schnell sichtbar“ und führte unmittelbar „zur Krise der priesterlichen Existenz und der priesterlichen Berufungen“.8 In diesem Zusammenhang verweist er auf die Vielschichtigkeit der Ursachen, die zur Krise geführt haben: Auf der einen Seite steht das „veränderte Lebensgefühl, in dem das Sakrale immer weniger verstanden wurde und das Funktionale zur allein bestimmenden Kategorie aufstieg“, auf der anderen Seite hatte die Krise „durchaus theologische Wurzeln, die von der veränderten sozialen Situation her nun eine unerwartete Lebenskraft entfalteten“.9 Die veränderte geistesgeschichtliche Situation – er nennt sie hier „Lebensgefühl“ – hat demnach die Krise der Grundlagen verschärft und ans Licht treten lassen. Damit hat Ratzinger das Terrain abgesteckt, in dem er die Krise des Priestertums begründet sieht: eine völlig veränderte Kultur, in der der Priester lebt und wirkt, und 5 Betrachtung am Primiztag, 1973, in: JRGS 12, 678. 6 Bereitung zum priesterlichen Dienst, 1989, in: JRGS 12, 433. 7 Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 897. 8 Ebd. 9 Ebd., 897 f.

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4. Die Realität der priesterlichen Existenz heute

eine Erosion der grundlegenden biblischen und folglich theologischen Grundlagen, auf denen die katholische Lehre vom Priestertum fußt. Dieses Terrain soll in diesem Kapitel genauer betrachtet werden. Da Ratzingers Krisendiagnostik, auch wenn sie ihm zuweilen zum Vorwurf gemacht wird, den Ausgangspunkt und den Denk­ rahmen seiner Überlegungen zu unserem Thema darstellt, ist es angebracht, auf sie im Folgenden näher einzugehen. Es werden zwei bereits angedeutete Themenkreise unterschiedlicher, von Ratzinger reflektierter Krisenphänomene ausgemacht und systematisch geordnet, die seiner Meinung nach zur gegenwärtigen Krise des Priestertums wesentlich beigetragen haben: gesellschaftlicher Wandel und das Zerbröckeln der theologischen Fundamente, das Veränderungen in der Kirche nach sich zog. Dieses zweite Phänomen hängt für Ratzinger wesentlich wohl auch mit der Unfähigkeit der klassischen Schultheologie, tragfähige Antworten auf moderne Anfragen zu liefern, zusammen. Dabei muss gewürdigt werden, dass Ratzinger bei seinen Analysen um einen breiten und vielschichtigen Blick auf die Krise und ihre Ursachen bemüht ist und das Zusammenwirken vieler theologischer und gesellschaftlicher Phänomene anspricht. Ein Zitat möge das an dieser Stelle belegen: „Die Krise des priesterlichen Bewusstseins, vor der wir heute stehen, hat viele Wurzeln, soziologische, geistesgeschichtliche, besonders auch innertheologische. Sie alle bilden zusammen ein schwer entwirrbares Geflecht, so dass nie eins ganz ohne das andere begriffen werden kann. Es wäre daher ebenso falsch, in einer theologischen Engführung bloß die theologischen Gründe sehen zu wollen, wie es auch umgekehrt verfehlt wäre, das Ganze nur auf den Materialismus unserer Periode und auf den sinkenden Idealismus des jungen Menschen von heute zurückzuführen.“10

Ratzingers Diagnostikfähigkeit von Problemen ist, wie bereits gesagt, zweifelsohne seine große Stärke, die ihm ermöglicht, seine Gedanken auf dem Boden der konkreten Realität zu entwickeln. Sie birgt allerdings auch eine eigentümliche Schwäche in sich, nämlich dann, wenn er in seinen Schilderungen der problematischen Positionen, die er immer wieder bietet, nicht alle Zusam10 Vortrag auf der Tagung der deutschsprachigen Regenten, Brixen 1967, in: JRGS 12, 350.

4.1 Einleitende Anmerkungen

187

menhänge bespricht oder diese nur skizzenhaft darstellt, so dass ihre Protagonisten ihre als Problem gesehenen Positionen nicht angemessen dargestellt zu finden meinen. Freilich gilt auch, dass die Angemessenheit einer Darstellung prinzipiell verschiedene Meinungen nach sich zieht. Diese potentielle Schwäche, besonders was den Umgang Ratzingers mit moderner Philosophie angeht, thematisiert in seiner Analyse auch Verweyen.11 Mir scheint, dass diese Schwäche sich in Ratzingers Texten in Grenzen hält und dass seine Fähigkeit, die Probleme und problematische Positionen zusammenfassend darzustellen, hilft, das Heute seiner Texte zu erkennen.

4.1.3 Entwicklung in der Beobachtungsanalyse Ratzingers Denken weist freilich auch einige Entwicklungen auf. Zum Beispiel findet seine Beobachtungsfähigkeit, die in diesem Kapitel eine besonders wichtige Rolle spielt, in den 1950er-Jahren noch einen anderen Ausdruck, wie man u. a. bei seinen Predigten aus dieser Zeit sehen kann, als es später für ihn wohl eher typisch sein wird. Es spielt wohl eine Rolle, dass die gesellschaftlichen Veränderungen noch nicht so sichtbar waren wie in dem Jahrzehnt danach. Auch die Krise des Priestertums war noch nicht so wahrnehmbar, stand im Vordergrund doch der Aufbruch der Nachkriegszeit, eine Aufbauphase, die auf vielen Feldern auch in der Kirche hoffnungsvoll stimmte. So kommt auch der Autor bei seinen Texten der 50er-Jahre nicht über die wohl gängigen, etwas dürftigen und holzschnittartigen Skizzierungen der „Welt“ hinweg.12 Es fehlen aber seine in der späteren Zeit wohl typische, ganzheitliche Perspektive und sein vertieftes Bewusstsein für den großen Kontext der veränderten Plausibilitäten, die wir in seinen Texten der Folgejahre vorfinden.

11 Vgl. Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., 52 und 124. 12 Z. B. sagt Ratzinger in der ältesten auffindbaren Primizpredigt von ihm aus dem Jahr 1954, in der er aufgrund der in der damaligen Liturgie der Priesterweihe gehaltenen Monitio des Bischofs, dass der Priester „opfern, segnen, verstehen, predigen und taufen muss“, seine Gedanken entwickelt: „Indem die Kirche es wagt, immer noch, in einer Welt, in der Lüge, Verstellung und Sensation Trumpf geworden sind, unbeirrbar Gottes Wort zu sagen, schafft sie Gott Platz inmitten dieser Welt.“ Menschenfischer, 1954, in: JRGS 12, 666.

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4. Die Realität der priesterlichen Existenz heute

Für unsere Arbeit sind seine wenigen Texte aus den 50er-Jahren also von eher geringerer Bedeutung. Die wirklich relevanten Texte, die sein ausgereiftes Denken zum gegebenen Thema zum Ausdruck bringen, setzen Anfang der 60er-Jahre ein. In den 60er- und 70er-Jahren sind auch die Farben, mit denen er die Krisenphänomene darstellt, die aus seiner Sicht die Fundamente, auf denen das katholische Priestertum steht, zu zerstören drohen, wohl am kräftigsten. In manchen Texten der 80er-Jahre und später sieht man wiederum, dass aus seiner Sicht die Fundamente nicht mehr so brennend bedroht seien und die heiße Phase der Krise somit langsam überwunden werden könne. Nicht weil es an Krisenphänomenen wie der hohen Zahl der Priester, welche ihr Amt nieder­ legen, oder der besonders geringen Zahl von neuen Berufungen mangeln würde, sondern weil die infrage gestellten und zerbröckelnden Fundamente durch eine erneuerte und vertiefte theologische Sicht gefestigt werden konnten. Dass man im kirchlichen Bewusstsein mit einigen Entwicklungsphänomenen wohl gelassener umgeht und bei dem einen oder anderen Punkt sich sogar der Zeit entsprechend weiterentwickelt hat, wird ebenso zu einer gewissen Entschärfung beigetragen haben.13 So kann Ratzinger im Jahr 1983 formulieren:

13 Als Beispiel kann hier die Frage der Klerikerkleidung dienen, wo die Autorität der Kirche nicht mehr einfach darauf besteht, dass die Priester immer einen Talar tragen, sondern offiziell auch die Möglichkeit des zivileren, wenn auch die priesterliche Identität klar erkennbar machenden „Clergyman“ vorsieht. Man kann auch die Normen bezüglich des Gasthausbesuches von Klerikern im Codex 1917 gegenüber den heute nicht mehr existenten Normen zu diesem Thema anführen. Der CIC 1917 hatte in can. 138 zum Thema der Klerikerpflichten (obligationis clericorum) festgehalten: „Clerici ab iis omnibus quae statum suum dedecent, prorsus abstineant: indecoras artes ne exerceant; aleatoriis ludis, pecunia exposita, ne vacent; arma ne gestent, nisi quando iusta timendi causa subsit; venationi ne indulgeant, clamorosant antem nunquam exerceant; tabernas aliaque similia loca sine necessitate aut alia iusta causa ab Ordinario loci probata ne ingrediantur.“ Neben bis heute nachvollziehbaren Punkten, wie z. B., dass Kleriker sich der Hasardspiele enthalten sollen, besagt der Kanon, dass die Kleriker Gasthäuser (tabernas) und Ähnliches nicht betreten sollten ohne Notwendigkeit oder einen anderen passenden, vom Ordinarius approbierten Grund. In Kanonistenkreisen wird in diesem Zusammenhang der Fall eines Priesters diskutiert, dessen Eltern Wirtsleute sind, und gefragt, ob er das eigene Zuhause meiden müsse. Aus heutiger Sicht würden solche Normen als nicht nachvollziehbar erscheinen. Der entsprechende Kanon im CIC 1983 spricht zwar auch darüber, dass sich die Kleriker „von allem, was sich für ihren Stand nicht geziemt, völlig fernzuhalten [haben]“, Ähnliches wie im CIC 1917 über die Gast-

4.2 Gesellschaftliche Veränderungen und ihre Auswirkungen

189

„Über das Priestertum ist [seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil] sehr viel nachgedacht und auch sehr viel gestritten worden. Es hat sich in alledem lebenskräftiger erwiesen als viele voreilige Argumente, mit denen man es als ein sakrales Missverständnis hinter sich lassen und durch bloß funktionale Dienste auf Zeit ersetzen wollte. Allmählich wurden die Voraussetzungen durchsichtig, die solche Argumentationen zunächst fast unwiderleglich erscheinen ließen. Das Überwinden der Vorurteile macht auch wieder ein tieferes Verstehen des biblischen Zeugnisses in seiner inneren Einheit von Altem und Neuem Bund, von Bibel und Kirche möglich, so dass wir nicht mehr auf das Zisternenwasser angewiesen sind, das im Streit der Hypothesen bald versickert, bald wieder sich in dürftigen kleinen Beständen sammelt, sondern den Zugang zum lebendigen Quell des Glaubens der Kirche aller Zeiten finden.“14

Die Mühe dieser Festigung und Erneuerung, welche in seinen Texten sichtbar ist, macht Ratzingers Werk zu unserem Thema bis heute brauchbar. Es ist also äußerst spannend, einerseits seine Krisendiagnostik wahrzunehmen, da er die Infragestellungen bis auf ihre Wurzeln zu verfolgen weiß, andererseits aber auch die Mühe der erneuerten Festigung und der neuen Lebendigkeit zu entdecken, um die Ratzinger in seinem Werk ringt. Das soll in den folgenden Kapiteln dieser Arbeit geleistet werden.

4.2 Gesellschaftliche Veränderungen und ihre Auswirkungen Als erste Gruppe von Phänomenen, welche die gegenwärtige Krise des Priestertums ausmachen, werden in Ratzingers Texten gesellschaftliche Veränderungen angeführt, die zu Verunsicherungen in Bezug auf die Identität und den Auftrag des priesterlichen Lebens führen. Beim Blick auf diese Veränderungen geht es vonseiten Ratzingers eher um Feststellungen denn um Kritik der Entwicklung. Es geht um einen nüchternen Blick auf die Realität. Die ­gesellschaftlichen Veränderungen, die von Ratzinger beobachtet werden, müssen freilich im Kontext seiner anderen Arbeiten gele

häuser findet man freilich nicht mehr. Es ließen sich wohl noch viele andere Beispiele für unsere These anführen, dass auch die Kirche einiges von den modernen Entwicklungen übernommen hat. 14 Zur priesterlichen Spiritualität. „Auf dein Wort hin“ (Lk 5,1–11), 1983, in: JRGS 12, 514.

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4. Die Realität der priesterlichen Existenz heute

sen werden, in denen er sich ausführlich und auch äußerst kritisch mit vielen von ihnen auseinandersetzt.15 In seinen Texten zum Priestertum aber stehen sie vielmehr als Phänomene, die den Rahmen für die priesterliche Existenz definieren, ohne eine allzu kritische Note.

4.2.1 Priester als Fremder in einer veränderten Welt Ratzinger nimmt die großen gesellschaftlichen Umwälzungen, die vor den Priestern nicht Halt machen, wahr und benennt sie auch. Der Dienst und auch die Lebensform des Priesters wirkten in der veränderten Welt fremd. Es scheint, als sei die Welt, in der die Existenz und der Auftrag des katholischen Priesters als plausibel gelten, verschwunden. So ist der Priester zu einem gefühlten Fremdkörper in einer modernen, technizistisch geordneten Welt geworden. Es scheint, als würden die Fragen des heutigen Menschen ganz anders lauten als die Fragen, für die der Priester da ist. Als Beleg, geradezu als Paradebeispiel seiner Beobachtung von veränderten gesellschaftlichen Phänomenen sei hier ein Zitat angeführt, mit dem Joseph Ratzinger seine Gedanken über den ‚Priester im Umbruch der Zeit‘ schon im Jahr 1969 einleitet: „Wie lange scheinen uns die Zeiten vergangen, obgleich es doch eigentlich erst ein paar Jahre sind, seitdem man auf sein Primizbild schrieb: Ein Priester muss sein ganz groß und ganz klein, / vornehmen Sinns wie aus Königsgeschlecht, / einfach und schlicht wie ein Bauernknecht, / ein Held, der sich selbst bezwungen, / ein Mensch, der mit Gott gerungen, / ein Quell von heiligem Leben, / ein Sünder, dem Gott vergeben …“16

Ratzinger ergänzt: „Die Gewissheit unseres eigenen Auftrags, seiner Größe und seiner Last, die uns die Paradoxie von ‚ganz klein und ganz groß‘ umspannen und tragen ließ, scheint zerbrochen 15 Vgl. vor allem Zur Lage des Glaubens (1985), Salz der Erde (1996), Gott und die Welt (2000), Aus meinem Leben (1997), Werte in Zeiten des Umbruchs (2005), Vorwort zur Neuausgabe der Einführung in das Christentum (2000). 16 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 387. Den zitierten Text erwähnt Ratzinger schon 1955 bei einer Primizpredigt, damals wohl nur kurz und fragmentarisch und ohne auf die veränderte Wahrnehmung einzugehen, sondern vielmehr zustimmend, nur um zu illustrieren, dass die Aufgabe, die dem Priester anvertraut wurde, ihn weit übersteigt und er des Gebetes der Gläubigen bedarf. Vgl. Der Priester – ein segnender Mensch, 1955, in: JRGS 12, 675.

4.2 Gesellschaftliche Veränderungen und ihre Auswirkungen

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vor all den Fragen, die sich jählings, wie nach einer langen Stauung losgelassen, auf uns zudrängen.“17 Immer wieder – vor allem dann, wenn es der Anlass gebietet – stellt Ratzinger das Bild der modernen Krise des Priestertums in den größeren Rahmen der gesellschaftlichen Entwicklungen seit dem Zweiten Weltkrieg.18 Diese skizziert er etwa wie folgt: Nach der großen Zerstörung des Krieges folgte die Zeit des Aufatmens und des Aufbruchs – in der Kirche vor allem die Zeit des Konzils –, die allerdings von der grundsätzlichen Krise mit ihren bereits oben erwähnten Phänomenen abgelöst wurde. Hier ein Beispiel: „Nach den Nöten des Krieges: der große seelische Aufbruch, der damals kam, das Verlangen, wieder ein gefülltes Christentum zu leben, das aus den reinsten Wassern des Glaubens seine Wurzeln nährt; der Aufbruch in ein Christentum hinein, das für immer Bollwerk gegen solche Vorgänge sein sollte, wie wir sie erlebt hatten; die Freude der neuen Lebendigkeit, der Weite und Größe der Ursprünge des Glaubens, die dann in die Jahre des Konzils hineinführten. […] Und wahrhaftig ging es dabei [bei den Erneuerungen des Konzils – Anm. des Verfassers] nicht darum, wie es jetzt manchen scheint, den Glauben billig zu machen, ihn zu verwässern, sondern ihm das reine Wasser des Ursprungs in Fülle zu geben.“19

Anschließend spricht er von der notwendigen „Scheidelinie zwischen Geist und Ungeist, zwischen wahrer und falscher Erneuerung“ – kritische Töne für die Zeit nach dem großen Aufbruch. Bei einer anderen Gelegenheit zeichnet Ratzinger diese Entwicklung etwa wie folgt nach: „Dann die neue Hoffnung in diesem Aufbruch zum Glauben hin, der dem Zusammenbruch des antichristlichen Regimes folgte, und dann wieder immer schwieriger werdende Zeiten, in denen sich wohl so oft für jeden von Euch diese

17 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 387. 18 Es wurde schon gezeigt, dass die Kriegszeit Ratzinger geprägt hat. Man sieht es auch daran, dass er das hier erwähnte Erlebnis aus der Rekrutenzeit, als der Leutnant auf Ratzingers Vorhaben, katholischer Priester zu werden, antwortete, da werde er sich etwas anderes überlegen müssen, denn Priester werden in Zukunft nicht mehr gebraucht, des Öfteren erzählt. Vgl. u. a. Die Liebe Gottes lehren und lernen, 1994, in: JRGS 12, 768. Es kann nicht verwundern, dass Ratzinger, von solchen Eigenerfahrungen geprägt, die gesellschaftlichen Entwicklungen, die den priesterlichen Dienst für obsolet erklärten, wohl nicht anders denn als Zeichen der Krise betrachten konnte. 19 Wegweiser aus der Weisung Jesu Christi, 1978, in: JRGS 12, 698.

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4. Die Realität der priesterlichen Existenz heute

Lage des Petrus20 wiederholt hat […]: Wozu eigentlich?“21 Seine Wahrnehmung der Entwicklungen nach dem ‚großen Aufatmen‘ wird von immer dunkleren Tönen gekennzeichnet: „Wir haben doch die ganze Nacht gearbeitet, und es ist nichts, der Glaube nimmt ab, Kirche wird immer armseliger, immer zerrissener, immer fragwürdiger.“22 Ratzinger thematisiert also die enge Verflechtung der gesellschaftlichen Veränderungen mit der Situation und den Veränderungen innerhalb der Kirche. Diese seien zwei Seiten einer Medaille, wie auch später noch klarer dargelegt werden wird. Hier gehört auch das bereits eigens besprochene Phänomen der 1968er-Bewegung mit seinen bis heute beobachtbaren Auswirkungen. Wir haben gezeigt, dass dieses Phänomen auch in Ratzingers Biografie eine Rolle spielte, hatte sie wohl dazu beigetragen, dass er die Ruhe von Regensburg gesucht hat. 23 1968 ist zu einer Chiffre für eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung geworden. Es muss nicht eigens erwähnt werden, dass diese Bewegung auch innerhalb der Kirche zu Umwälzungen führte, auch und besonders was die Priester und ihre Selbstwahrnehmung des eigenen Auftrags anbelangt. Vor allem in Ratzingers Predigten zum Thema Priestertum – hier sind vor allem Primizpredigten und Predigten zu Weihejubiläen von Bedeutung – sieht man, dass er zunehmend Problematisierungen des Priesterbildes, die aus veränderten gesellschaftlichen Realitäten resultieren, wahrnimmt und zur Sprache bringt. Die westliche Welt entferne sich immer weiter von der christlichen Botschaft, und das bedeute auch, dass sie für den Dienst und die Lebensform des Priesters immer weniger Verständnis habe. Ratzinger spricht von „Umwälzungen im geistlichen Bereich“, von „geistiger Tempelzerstörung“, vom „Zerbröseln dessen, was seelisch Heimat gewesen war“, davon, dass „nichts mehr hält und 20 Ratzinger nimmt hier Bezug auf Lk 5,1–11, als Petrus trotz der großen Arbeitsmühe während der ganzen Nacht einen erfolglosen Fischfang erlebt und auf Jesu Aufforderung, die Netze zum Fang auszuwerfen, auf die von ihm wahrgenommene Vergeblichkeit der Mühe verweist: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen“ (Lk 5,5) – eben in Ratzingers grundsätzlicher Interpretation: „Wozu eigentlich?“ 21 Unterwegs zur Tiefe des Geheimnisses Christi, 1979, in: JRGS 12, 706. 22 Ebd. 23 Vgl. Aus meinem Leben, 93 f.

4.2 Gesellschaftliche Veränderungen und ihre Auswirkungen

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trägt“. 24 Das alles spürt der heutige Priester, es wirft Fragen nach dem Sinn seines ganzen Daseins auf: „Hat es noch einen Sinn, Priester zu werden in einer Welt, in der nur noch der technische und soziale Fortschritt gilt? Hat Glaube Zukunft? Lohnt es sich, sein ganzes Leben auf diese Karte zu setzen? Ist Priestertum nicht überholtes Relikt der Vergangenheit, das niemand mehr braucht, während alle Kräfte angespannt werden sollten, um Elend zu wenden und Fortschritt zu mehren?“25

Vor allem in den 70er-Jahren sind solche Beobachtungen bei ihm bestimmend. Die Welt werde unsicherer und atomisierter, der Priester habe ihr – ihrer Überzeugung nach – nichts zu bieten, weil er als Vertreter einer zu Ende gegangenen Welt erscheint. Bei einer anderen Gelegenheit in dieser Zeit bringt Ratzinger das Problem mit sehr plastischen Worten zum Ausdruck: „In dieser Welt, in der all das nicht mehr wahr sein soll, was ehedem die Menschen zusammenhielt, in der der Boden unter unseren Füßen wankt, da ist auch die Situation der Entwurzelung priesterlicher Berufe da, denn uns wird gesagt: ‚So etwas Mittel­alterliches und Überholtes brauchen wir heute nicht mehr‘. ‚Heute stehen wir vor ganz anderen Aufgaben und Verpflichtungen.‘ Tempel gibt es in der neuen Welt nicht.“26

Die Realität der modernen Welt stellt also den Sinn des Priesterseins infrage. Der Priester kann als Person schnell den Eindruck gewinnen, dass seine ganze Mühe vergeblich sei, dass es also gar nicht dafürstehe, das Leben im Priestertum mit all seinen Forderungen Christus zu weihen. Ein Text, der diese Gedankengänge Ratzingers illustriert, darf hier nicht unerwähnt bleiben, da er wohl der älteste von allen ist. 27 Es handelt sich um eine Primizpredigt aus dem Jahr 1962, bei der Ratzinger seine Gedanken ausgehend vom Gleichnis vom Sämann des Wortes entwickelt. Dabei verbindet er gekonnt gesellschaftliche Veränderungen und veränderte Plausibilitäten mit einer ganz persönlichen Sicht des Pries24 Damit das Wort Gottes bleibt, 1973, in: JRGS 12, 687. 25 Betrachtung am Primiztag, 1973, in: JRGS 12, 678. 26 Damit das Wort Gottes bleibt, 1973, in: JRGS 12, 687. 27 Es gibt freilich auch ältere Texte, in denen Ratzinger die Situation des Priesters im Heute betrachtet. Es fehlt in ihnen aber, wie bereits gesagt, die ganzheitliche und tiefe Perspektive für den großen Kontext der Veränderungen, welche hier durchaus vorhanden ist.

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4. Die Realität der priesterlichen Existenz heute

ters auf den Sinn seines eigenen Auftrags im Heute. Im Hinblick auf die Situation des Priesters in der modernen Welt verwendet er gar den Ausdruck „Anfechtung des Glaubens“: „Wir alle wissen, dass es auch heute noch, ja, gerade heute wieder, die Anfechtung des Glaubens gibt, die uns überfallen und übermächtigen will, so dass wir fragen: Ist nicht alles umsonst? Wie soll denn die armselige Macht des Glaubens zwischen den riesigen Mächten dieser Welt bestehen? Muss sie nicht einfach zerrieben werden zwischen den Weltmächten des Atheismus, muss sie nicht einfach die Segel streichen vor der Technik und vor der Naturwissenschaft und vor all ihren Möglichkeiten und Erkenntnissen? Muss sie nicht einfach kapitulieren vor dem Egoismus und der Begehrlichkeit, die übermächtig geworden sind und sich nicht mehr zurückhalten lassen? Und wir möchten fragen: Hat es denn heute noch einen Sinn, Priester zu werden, Sämann des Wortes? Gibt es denn da für einen jungen Mann nicht aussichtsreichere, einträglichere und erfolgreichere Berufe, in denen er seine Begabung besser entfalten kann? Ist denn das Ganze nicht eine heillos überholte Sache?“28

Der Glaube und der priesterliche Dienst mit ihrer auf den ersten Blick weltlich kaum relevanten Macht sehen sich durch das moderne Lebensgefühl, das auf äußeren und messbaren Erfolg zielt, also radikal infrage gestellt. Das sieht Ratzinger sehr deutlich und bringt es sehr plastisch zum Ausdruck.

4.2.2 Veränderungen im Selbstbewusstsein des Priesters als Folge der gesellschaftlichen Veränderungen Damit kommen wir zum Thema des veränderten Eigenbewusstseins des Priesters, das die gesellschaftlichen Veränderungen nach sich ziehen. Ratzinger spricht direkt von der „Krise des priesterlichen Bewusstseins“. 29 Er weiß, dass sich die gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur außen, in der Welt, ereignen, vielmehr sind die Priester ganz persönlich, im Inneren, als Kinder der jeweiligen Zeit von ihnen betroffen: „Der Umbruch der Zeit, von dem das Thema spricht, geht mitten durch uns hindurch. Er scheint in der Spannung der Generationen uns selbst auseinan-

28 Immer gibt es Körner, die zur Ernte reifen, 1962, in: JRGS 12, 468. 29 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 350 f.

4.2 Gesellschaftliche Veränderungen und ihre Auswirkungen

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derzubrechen.“30 In einem Text von 1972 spricht er gar von einer „Erschütterung der Existenz“, welche „im Kontext neuer Erfahrungen keine Möglichkeit mehr fand, das Hergekommene als sinnerfüllende Kraft auch für heute und morgen aufzunehmen“. 31 Viele dieser Probleme benennt Ratzinger erst mit dem Blick auf mögliche Lösungen – in einem Atemzug mit der Mühe also, die Lösungswege aufzuzeigen. Damit Ratzingers Argumentation treu wiedergegeben werden kann und auch erkennbar wird, warum er manches als Problem betrachtet, was von einigen als selbstverständliche Errungenschaft der modernen Zeit angesehen wird, wird in diesem Abschnitt in aller Kürze auch von den Lösungsansätzen und nicht nur von Problembenennungen die Rede sein. Ratzinger verwendet das Bespiel der Spannungen unter unterschiedlichen priesterlichen Generationen, um das in die Krise geratene priesterliche Selbstverständnis zu skizzieren. Die Krise ergebe sich aus der Spannung zwischen den ‚alten Vorgegebenheiten des Amtes‘ und der ‚Treue zum Heute‘, das gänzlich anders zu sein scheint: „Wo Pfarrer und Kapläne über ihr Eigentliches mitsammen zu sprechen versuchen, über die Botschaft, der sie dienen, vermögen sie kaum noch zu sehen, dass ihre Theologie Auslegung ein und desselben Glaubens, Artikulation ein und der gleichen Hoffnung ist. Es ist, als redeten sie in fremden Sprachen, als lebten sie in verschiedenen Welten.“32

Diese Spannung unter verschiedenen Lösungsansätzen kann bis zum Gegeneinander gesteigert werden und zum Ergebnis haben, „dass man sich zuerst gegenseitig fragwürdig und schließlich je sich selber in seinem Tun problematisch wird“. 33 Die Frage nach dem Sinn des Dienstes mitten in einer modernen Welt bleibt durchaus bestehen, besonders im Hinblick auf die Tatsache, dass der Priester sich zu ebendieser Welt gesandt weiß, und beeinflusst die Art, wie die Priester das eigene Amt und den eigenen Auftrag wahrnehmen. Die größer werdende Kluft zwischen der modernen Gesellschaft und dem tradierten Glauben, ja der priester­lichen 30 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 387 f. 31 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi im Licht der neutestamentlichen Botschaft, 1972, in: JRGS 12, 107. 32 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 388. 33 Ebd.

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Existenz im Besonderen, dieser für Einzelne schmerzlich empfundene Zustand, ruft nach einer Lösung, nach einem Modell, wie sich das Priestertum unter den neuen Bedingungen leben lässt. Das kann unter anderem zu manchen Reduzierungen und Verflachungen in Bezug auf das Selbstverständnis des Priesters führen, denn eine der Strategien, wie damit umzugehen ist, ist die der Anpassung und der Aufgabe der dem Priester eigenen Merkmale. Diese Strategie wird von Ratzinger freilich nicht befürwortet. Bei einer Gelegenheit fragt er die Priester kritisch: „Haben wir uns nicht allesamt ganz und gar an die Standards der westlichen Welt gewöhnt und setzen sie ganz selbstverständlich als die Anspruchsform auch unseres Lebens voraus?“34 Aus dem Kontext der Aussage lässt sich sagen, dass damit wohl nicht gemeint ist, dass die Priester auf die Errungenschaften der westlichen Welt z. B. im Bereich des Arbeitsrechts verzichten sollten, was ja schließlich auch gegen die geltenden Rechtsstandards wäre, sondern vielmehr, dass das Unterscheidende des Priesters bei aller Selbstverständlichkeit, mit der die modernen Lebensarten auf den Priester übertragen werden, nicht zu sehr aus dem Auge geraten darf. Bereits 1962 schreibt er im Hinblick auf jedwede Anpassungsstrategien kritisch: „Oder gehören wir […] vielleicht zu denen, die Jesus Windfahnen nennt, die nicht stehen können, sondern sich einfach vom Strom der Zeit dahintreiben lassen, die dem ‚man‘ ausgeliefert sind, der Masse; die immer nur fragen, was ‚man‘ tut, was ‚man‘ sagt und meint und die nie die Hoheit der Wahrheit erkannt haben, deretwegen es lohnt, gegen das ‚man‘ zu stehen?“35

An einer anderen Stelle verweist er auf die innere Widersprüchlichkeit mancher Diskussionen, welche das Priestertum als eigenständigen Beruf problematisieren und den Priester in eine reine Funktionalität innerhalb der Gemeinde verdrängen wollen, die neben einem bloß profan geführten Leben realisiert wird: „Da heißt es dann etwa: Priester sei eigentlich gar kein Beruf. Man müsse also, um Priester zu sein, einen Basis-Beruf haben, da dem Priester die eigentlichen Kennzeichen eines Berufes fehlten. Eng damit verbunden wird versichert, mit dem Priestertum als Stand sei 34 Im Atemraum seines Geistes „geistlich Geistliche“ werden, 1979, in: JRGS 12, 542. 35 Weizenkorn Gottes sein, 1962, in: JRGS 12, 470.

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es nun endgültig zu Ende. Wenn man dann allerdings, wie ich es manchmal getan habe, nachfragt, was Stand eigentlich bedeute und was folglich da nun genau zu Ende gegangen sei, erhält man nur selten und nur sehr dunkle Antworten. Auf der anderen Seite wird freilich mit gleicher Entschiedenheit versichert, Priestertum sei nur ein Beruf wie jeder andere auch. Eine Funktion, die man ausübt wie die des Lehrers, des Kaufmanns, des Politikers und die man auch ablegt wie eine davon, wenn die Entwicklung des Lebens eine andere Richtung nimmt.“36

Das Problem aller Anpassungsstrategien, die das Priestersein auf das Weltliche verflachen, sieht Ratzinger vor allem darin, dass durch die vollständige Anpassung, die den Priester unkenntlich macht, die große Sehnsucht der Menschen, die auch in der modernen Welt durchaus vorhanden ist, missachtet und enttäuscht wird, nämlich denjenigen zu finden, „der ihnen vor-glaubt, weil sie es auch schön fänden, wenn man wieder glauben könnte und wenn sie wieder wagen dürften zu glauben: Es ist wahr, es gibt einen Gott, es gibt einen Christus, der mich liebt bis in meine letzte Stunde hinein.“37 Seine Kritik kommt also überraschend von der Seite der Bedürfnisse des heutigen Menschen her. Jede Verflachung und Anpassung ist für Ratzinger so etwas wie ein Verlassen des heutigen Menschen und ein Verraten seiner authentischen Sehnsucht. Als zweiten Grund weist Ratzinger darauf hin, dass der der modernen Welt gänzlich angepasste Priester dann „nicht ganz [er] ist“. 38 Er zitiert Albert Camus mit seinem Wort: „‚Je n’aime pas les pretres anticlérical – ich liebe die antiklerikalen [gemeint wohl verweltlichten, gänzlich angepassten – Anm. des Verfassers] Priester nicht‘; er, der Antiklerikale.“39 In ihm sieht Ratzinger den modernen Menschen, der nicht denjenigen Menschen sucht, der das Eigene herunterspielt und den eigenen Auftrag nicht ernst nimmt, sondern den, der „ganz ist und der ‚er‘ selbst ist und der zu dem steht, was er ist“.40 Ratzinger sieht also im Mut zum Eigenen, in der Entschiedenheit, zum eigenen Auftrag und seiner Besonderheit zu

36 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 389. 37 Im Atemraum seines Geistes „geistlich Geistliche“ werden, 1979, in: JRGS 12, 542. 38 Vgl. ebd., 542 f. 39 Ebd., 542. 40 Ebd.

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stehen, eine Forderung des Heute, die allerdings sich völlig mit den Forderungen des Evangeliums deckt: „Dies ist die Forderung, die nicht nur das Evangelium, sondern die gerade diese Zeit, die nach Alternativen fragt, an uns stellt. Wir müssen wieder mehr den Mut haben, diese Koketterie niederzulegen. Wir haben doch alle ein bisschen mit diesem ‚pretre anticlérical‘, mit dem antiklerikalen Priester gespielt und kokettiert. Der Priester muss den Mut haben, ganz zu sein, zu der Alternative zu stehen, die er ist, sich zu dem zu bekennen.“41

Die Anpassungsstrategien, bei denen der Priester das Eigene, das unterscheidend Priesterliche verliert und somit auch das Ganze, betrachtet Ratzinger also als ein Symptom der Krise des priester­ lichen Bewusstseins. Er spricht auch noch eine spezielle Krise im Bewusstsein des Priesters an, die nicht unbedingt aus den gesellschaftlichen Veränderungen resultiert, aber doch große Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung des Priesters haben kann – auch und gerade mit den Ansprüchen, welche die moderne Welt an den Priester stellt. Im Inneren des Priesters erkennt Ratzinger noch eine andere Krise, die aus der Größe seines Auftrags, aus dem erschrockenen Bewusstsein seiner Winzigkeit gegenüber der Größe der Berufung erwächst. Dass der Priester in einer skeptischen, für Unzulänglichkeiten des Botschafters gegenüber der verkündeten Botschaft äußerst empfindsamen Welt den täglichen Umgang mit den „größten Worten menschlicher Sprache, die wir eigentlich nur scheu zu berühren wagen können: Gerechtigkeit, Wahrheit, Treue, Reinheit, Liebe, Selbstlosigkeit“, pflegt, führe oft dazu, „dass es heute so viele Priester gibt, die selbst dies einfach nicht mehr wahrhaben wollen, dieses Unheimliche zerreißen wollen und ihr Geschäft nur noch als einen Job ansehen wollen, als nichts anderes als was jeder andere irgendwo auch tut“.42 So können sich aus dem Bewusstsein der Größe des eigenen Auftrags Verflachung und Anpassung ergeben, die in diesem Fall wohl eine Art Flucht vor der Spannung zwischen der Größe des Auftrags und den durchaus hohen Erwartungen der Welt, was die Authentizität betrifft, darstellen. Alle diese hier skizzierten Reaktionen auf gesellschaftliche 41 Ebd. 42 Vgl. Damit das Wort Gottes bleibt, 1973, in: JRGS 12, 688 f.

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Veränderungen können als Symptome der modernen Krise des Priestertums bei Ratzinger gelten. Nirgends spricht Ratzinger allerdings ein Phänomen an, das mit dem Selbstbewusstsein des Priesters zusammenhängt und das in diesem Kontext anzusprechen wohl naheliegend wäre, nämlich den Klerikalismus, der in der Kirche durchaus Probleme verursacht – vor dem Konzil wie auch danach.43 Der Klerikalismus betrachtet die Kleriker als eigene, geschlossene, über andere Teile der Kirche erhabene Gesellschaft, welche die Macht und das Sagen in der Kirche hat, als das, was wir vor längerem ‚Beamtenschaft‘ genannt haben.44 Laienchristen werden dabei als eine Art Untergebene wahrgenommen. Papst Franziskus wird gegenwärtig nicht müde, auf die Gefahren des Klerikalismus hinzuweisen. Man kann wohl feststellen, dass Ratzinger dieses Problem nicht als akut betrachtet und eher anderes als problematisch erachtet. Seine Einstellung zu diesem Phänomen kann man nur indirekt rekonstruieren. Wenn er z. B. nüchtern und ohne jegliche Nostalgie feststellt, dass „das neue Verständnis der Schrift“ das vor allem in den Primizpredigten der frühen Nachkriegszeit wirksame „Hochwürdigkeitsdenken“ fragwürdig werden ließ,45 kann man darin Ratzingers Abneigung gegenüber jedem Klerikalismus, der den Priester über die Gläubigen erheben wollte, erkennen, der übrigens auch seinem eher nüchternen Charakter zuwiderlaufen würde.

4.2.3 Begrenztheit der modernen Gesellschaftsentwürfe Schließlich reflektiert Ratzinger auch die Begrenztheit moderner gesellschaftlicher Entwicklungen, die er kritisch sieht. Er weiß auch um scharfe Anfragen anderer wacher Beobachter seiner Zeit an eine ‚neue Welt‘, die aus dem Bewusstsein der Unzulänglichkeit einer in sich verschlossenen, wenn auch technisch hochentwickelten Welt geboren werden.46 43 Zum Thema Klerikalismus, vor allem was die Standesprivilegien und den politischen Einfluss betrifft, vgl. Erich Garhammer , Klerikalismus, in: LThK 3 6, 130 f. 44 Siehe oben S. 82. 45 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 351. 46 Ratzinger zitiert hier Antoine de Saint-Exupéry, der weiß, dass man „nicht mehr von Eisschränken, von Politik, von Bilanzen und Kreuzworträtseln [leben kann]“, sowie Alexander Solschenizyn, der ruft: „Wir brauchten wieder Dome in Russland und Menschen, deren reines Leben diese Dome lebendig, zum Raum der Seele

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„Wir alle fangen doch immer mehr an zu erkennen, dass das bloß Nützliche den Menschen nicht rettet, dass Städte, in denen der Mensch nur sich selber plant und denkt, unerträglich werden, dass sie den Atem des Ewigen brauchen, damit sie auch menschlich wohnlich sind. […] Wir brauchen nicht nur die Ingenieure neuer Maschinen, wir brauchen in diesem Zerbröckeln der Welt von ehedem vor allen Dingen die Diener des Menschlichen, die sich um den Menschen sorgen. Und nicht anders kann es geschehen, als von Gott her.“47

Das Bewusstsein um die Begrenztheit der modernen gesellschaftlichen Konzepte, die ohne Gott und ganz konkret ohne den Dienst des Priesters auszukommen scheinen, ändert nichts an der Grunderfahrung des Menschen, des Priesters, dass in ebendieser entwickelten, modernen, technizistisch organisierten Welt der Priester mit seinem 2000 Jahre alten Auftrag sich als Fremder vorkommt und so auch von außen als Fremder wahrgenommen wird. Mit diesem Satz kann die erste Gruppe der Umstände benannt werden, welche die gegenwärtige Krise des Priestertums bestimmen.

4.3 Erosion der ekklesiologischen Grundlagen Wir haben bereits gesehen, wie die geistesgeschichtlichen Veränderungen nach Ratzinger die Krise des Priestertums beeinflussten: Der Priester fühlt sich mit seinem Auftrag in den veränderten Plausibilitäten der modernen Welt infrage gestellt. Bei einem tieferen Blick erkennt man aber deutlich, dass die Plausibilität des Priestertums nicht nur in der modernen Welt, sondern auch innerhalb der Kirche fraglich geworden ist. Wie kam es dazu?

4.3.1 Verlorene Plausibilität innerhalb der Kirche: Veränderte Kirche bedeutet verändertes Amt Damit kommen wir zum zweiten Teil des Blickes von Ratzinger auf die Verunsicherung des Priesters von heute. Es stimmt zwar, dass

macht. In der Tat: Der Mensch lebt nicht nur von Kühlschränken und von Bilanzen. Je mehr er das zu tun versucht, desto verzweifelter wird er, desto leerer wird sein Leben. […] Wir brauchen Priester, je fremder sie in der Welt der Geschäfte und der Politik werden, nur um so mehr.“ Betrachtung am Primiztag, 1973, in: JRGS 12, 678 f. 47 Damit das Wort Gottes bleibt, 1973, in: JRGS 12, 687 f.

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die soeben besprochenen geistesgeschichtlichen Phänomene, die zur sichtbaren Verunsicherung für den Priester führten, für den Einzelnen sehr schmerzhaft sein können. Sie allein waren aber nicht in der Lage, das Priestertum als solches und vor allem das Priestertum innerhalb der Kirche infrage zu stellen. So müsse es wohl tiefere Ursachen für die große Krise geben. Ratzingers Analyse dringt tatsächlich in tiefere Dimensionen ein und thematisiert die Tatsache, dass die Grundlagen, auf denen das katholische Priestertum beruht, durch innerkirchliche und theologische Entwicklungen gewissermaßen weggeschwommen sind. In einem relativ späten Text (1995) fasst Ratzinger die Gründe, die aus seiner Sicht zur Krise des Priestertums geführt haben, eher nüchtern und sachlich zusammen. Bei der Rückschau auf die Entwicklung nach dem Konzil stellt er fest: „Der katholische Begriff des Priestertums […] hatte seine selbstverständliche Geltung auch im Inneren des kirchlichen Bewusstseins eingebüßt.“48 Man darf die feine Unterscheidung nicht übersehen: Ratzinger sagt nicht, dass der Begriff des Priestertums „in der Kirche“ als solcher umstritten geworden wäre, sondern dass er „im Inneren des kirchlichen Bewusstseins“, also auf der Ebene der innerkirchlichen Wahrnehmung und folglich des praktischen Lebens seine „selbstverständliche Geltung eingebüßt hat“. Schien das sakramentale Amt in früheren Zeiten als gesichert und notwendig, ja geradezu selbstverständlich, wurde es nun fraglich. Es handelt sich laut Ratzinger also zuallererst um eine Krise des Bewusstseins, eine Krise der innerkirchlichen Wahrnehmung des katholischen Priestertums, die freilich durch objektiv feststellbare Entwicklungen belegt werden kann, wie im Weiteren dargelegt wird. Ratzingers Denkkette sieht, wie bereits ausgeführt, folgendermaßen aus: Die ‚Krise des katholischen Priesterbegriffes‘, die „nach dem Konzil schnell sichtbar wurde“, führte dann unmittelbar „zur Krise der priesterlichen Existenz und der priesterlichen Berufungen“.49 Diese wiederum ergab sich „einerseits aus einem veränderten Lebensgefühl, in dem das Sakrale immer weniger verstanden wurde und das Funktionale zur allein bestimmenden Kategorie aufstieg“. 50 Gemeint ist hier wohl sowohl die oben be48 Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 897. 49 Ebd. 50 Ebd., 897 f.

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sprochene Fremdheit des Priesters in einer modernen, nach veränderten Plausibilitäten geordneten Welt als auch die noch später zu besprechende grundsätzliche Krise des sakramentalen Begriffs innerhalb der Kirche, die schon auf die zweite Gruppe der Ursachen hindeutet. Denn die Krise hatte laut Ratzinger „durchaus theologische Wurzeln, die von der veränderten sozialen Situation her nun eine unerwartete Lebenskraft entfalteten“. 51 Die veränderte geistesgeschichtliche Situation war also nicht der eigentliche Ursprung der Krise, sondern hat die Krise der Grundlagen, ergo eine theologische Krise lediglich verschärft und ans Licht treten lassen. Die eigentliche theologische Krise soll in einem dritten Schritt eigens besprochen werden. Was hat das priesterliche Amt aber in der Kirche selbst fraglich werden lassen? Ratzinger geht in seinen Texten nicht sehr ausführlich auf dieses Thema ein, sein Fokus liegt vielmehr auf der Krise der theologischen und biblischen Grundlagen. Dennoch lassen sich auch im Blick auf die Kirche, in einer gewissen Parallelität zur soeben besprochenen Gesellschaft, Krisenelemente in Bezug auf das Priestertum ausmachen, die in seinen Texten thematisiert werden. Wie allgemein bekannt, hat Ratzinger in seinem Werk viel und ausführlich über die Kirche geforscht und geschrieben. Auch in Bezug auf die Situation der Kirche scheut er das Wort ‚Krise‘ nicht, die er in verschiedenen Aspekten zu beschreiben versucht. 52 Hier können nur einige Aspekte von Ratzingers Kirchenkrisendiagnostik besprochen werden, die im Hinblick auf das Priestertum von besonderer Bedeutung zu sein scheinen. Da ist zum einen das Problem der Abkoppelung der Kirche von der Kontinuität mit ihren eigenen Wurzeln, 53 eine gewisse Entwurzelung also, aber auch 51 Vgl. ebd., 898. 52 Vgl. z. B. Theologische Prinzipienlehre, 1982, 400–411, wo er die „Euphorie des Aufbruchs“ nach dem Zweiten Vatikanum wie auch die „Ernüchterung und Krise“ ­t hematisiert, um zu einer „Standortbestimmung heute“ und einem „Ausblick“ zu kommen. Im Beitrag Was heißt Erneuerung der Kirche?, einem Vortrag aus dem Jahr 1965, der 1966 in Das neue Volk Gottes. Entwürfe zur Ekklesiologie aufgenommen wurde, fragt er auf dem Hintergrund der Kirchenkrise und der offensichtlichen Erneuerungsbedürftigkeit der Kirche nach der falschen und echten Erneuerung. In: JRGS 8/2, 1195–1202. 53 Ratzingers Überzeugung, dass die Kirche immer aus ihren Wurzeln erwächst und folglich eine Entwurzelung (in Bezug auf das Zweite Vatikanum vollzieht die verbreitete „Hermeneutik des Bruches“ eben eine solche Entwurzelung) der Wirk-

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ganz praktische Unsicherheiten in Bezug auf das Priestertum, ein Amt innerhalb der hierarchisch verfassten Kirche. Wenn sich also das Bild der Kirche in der modernen Gesellschaft verändert hat, muss diese Veränderung auch auf eine so entscheidende Größe wie das Priesteramt in der Kirche Auswirkungen haben. Wenden wir uns zuerst kurz dieser zweiten Problemstellung zu. Das Denken des modernen Menschen, und das heißt auch das des modernen Christen, spielt sich selbstverständlich in einem wesentlich demokratisch bestimmten Rahmen ab. Dieser besagt unter anderem, dass jedwede Macht in der Gemeinschaft aus ihr selbst, aus denen, die sie bilden, hergeleitet ist. Mit der Beseitigung alter Monarchien im 20. Jahrhundert, die ihre Legitimierung von Gott her bezogen haben (Gottesgnadentum), schien nun die Figur des Priesters, der seine Legitimation nicht aus dem Volk bezog, sondern sich auf eine Berufung und eine Beauftragung durch die Weihe berief, auch in der Kirche, die aus modern, selbst­ verständlich demokratisch denkenden Menschen besteht, sehr schnell problematisch. Es ist eine Situation, die sehr leicht zu thesenhaften Lösungen neigt, welche „eine Selbstverständlichkeit an sich [tragen], die keine Gründe braucht; es entsteht eine Stimmung, deren Woher niemand genau angeben kann, die aber schließlich zum eigentlich treibenden Faktor des Denkens und des Redens wird“. 54 Das bisher Selbstverständliche wird von mehreren, oft gegensätzlichen Seiten problematisiert. Es entsteht Unklarheit und Unsicherheit, der Diskurs wird inkonsequent, z. B. wenn gesagt wird, dass Priester „gar kein Beruf sei“ und natürlich auch kein „Stand“, obwohl nicht klar ist, was mit diesen Begriffen eigentlich gemeint ist. 55 Solche Inkonsequenzen, manchmal gar Widersprüchlichkei-



lichkeit der Kirche nicht gerecht wird, ist hinlänglich bekannt. Man kann keine Verbindung mit dem Ursprung haben, wenn die ganze Geschichte, die seither erwachsen ist, falsch wäre. Eine Wurzel verbindet organisch und kontinuierlich mit dem Ursprung, nicht außerhalb der Kontinuität. Im Text Warum ich noch in der Kirche bin macht er sich den Begriff von Henri de Lubac „sichtbare Kontinuität der Kirche“ zu eigen und sagt: „Ich bin in der Kirche, weil ich daran glaube, dass nach wie vor und unaufhebbar durch uns, hinter ‚unserer Kirche‘ ‚Seine Kirche‘ lebt […] weil ich trotz allem daran glaube, dass sie zutiefst nicht unsere, sondern eben ‚Seine‘ Kirche ist.“ Warum ich noch in der Kirche bin, 1971, in: JRGS 8/2, 1179. 54 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 389. 55 Vgl. hierfür ebd.

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ten des Diskurses dürfen aber nicht über die grundsätzliche Infragestellung des Priesteramtes in der Kirche hinwegtäuschen. Denn wenn schon die Existenz eines eigenen geistlichen Standes als überholt angesehen wird, wird das Priestertum als Sakrament selbst fraglich. 56 Die Elemente der Übertragung, des character indelebilis oder der Hirtenvollmacht, die beim durch die Weihe übertragenen sakramentalen Priestertum, wie es die katholische Dogmatik nicht erst seit dem Trienter Konzil definiert, eine wesentliche Rolle spielen, erscheinen als Relikte aus einer alten, unaufgeklärten Zeit, die es zu überwinden gilt. Ratzinger skizziert dieses Denken etwa wie folgt: „In der Kirche der Zukunft werde es einen Unterschied von Priestern und Laien nicht mehr geben. Sie werde vielmehr eine streng demokratische Gruppe sein, die durch Wahlen in die verschiedenen Funktionen beruft und aus ihnen abruft, ohne sakralen Rest.“57 Für den Priester bleiben in dieser ‚neuen Kirche‘ also bloß funktionale oder vielleicht organisatorische Aufgaben übrig. Eine sakramentale Dimension solle es nicht mehr ­geben. In einem anderen Text beschreibt Ratzinger diese von manchen angestrebte Entwicklung im Zusammenhang mit der ­ Forderung nach einer Liturgie, die „nur noch Konzentration des Alltags“ sei und die sich „im Wortgottesdienst als Diskussion, im Sakrament als normales brüderliches Mahl“ darstelle, mit folgenden Worten: „Damit verbindet sich die Forderung nach einem ‚funktionalen Amt‘ […]: Der Priester soll das Zusammensein zu Diskussion und Mahl koordinieren und normalerweise auch leiten, aber sein Beruf soll so weltlich sein wie jeder andere auch; wenn er nicht gerade eine Gemeinde leitet, ist er auch nicht Priester.“58 Diese Entwicklung ist freilich nicht allein mit dem ‚modernen, demokratischen Lebensgefühl‘ im Gegensatz zu einer hierarchisch verfassten Kirche zu erklären. Die Brisanz besteht darin, dass die moderne Dekonstruktion des Priesteramtes von den Erkenntnissen der modernen Bibelwissenschaft gedeckt zu sein scheint, worauf später noch eigens einzugehen sein wird. Hier sei

56 Das gilt freilich auch vice versa: Eine verschwundene Sakramentalität des Priesteramtes führt zur folgerichtigen Abschaffung des Priestertums als eigenen Stand. Hierbei handelt es sich nicht um ein einfaches Ursache-Folge-Verhältnis, sondern um ein vielschichtiges, sich gegenseitig beeinflussendes Geflecht von Phänomenen. 57 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 389. 58 Zehn Jahre nach Konzilsbeginn – wo stehen wir?, 1972, in: JRGS 7/2, 1038.

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nur aufgezeigt, dass die Infragestellung des Priesteramtes über die Veränderung des Kirchenbildes bis zu den biblischen Grundlagen reicht: „Und man sagt uns, dieses endgültige Zerbrechen des priester­ lichen Amtes in seinem bisherigen Sinn sei ein Postulat des Neuen Testamentes, das die Unterscheidung von Sakral und Profan aufgehoben und den Glauben ganz in die Profanität entlassen habe. Da ist kein Tempel mehr, sondern nur noch der offene Raum der durch die Liebe zu erfüllenden und zu wandelnden Welt. Da ist kein Kult mehr, sondern nur noch der Dienst am Menschen. Da ist folglich auch kein sakrales Amt mehr, sondern nur noch rein praktische Dienstleistungen – man nennt sie Älteste, Aufseher, Lehrer –, die im Übrigen alle der charismatischen Gesamtform des priesterlichen Volkes zugehören, in dem, wenn schon, alle Priester und alle Geistliche sind und je auf ihre Weise Hand anlegen können.“59

Eine veränderte Kirche zieht also ein verändertes Priestertum nach sich.

4.3.2 Entwurzelung der Kirche Ratzingers Blick auf das Problem bleibt hier freilich nicht stehen. Um diesen weiteren Strang der Priestertumskrise zu identifizieren, ist es notwendig, hier etwas tiefer in Ratzingers ekklesiologische Arbeiten einzutauchen, um dann den Zusammenhang mit unserem Thema sehen zu können. Sehr schnell nach dem Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils beobachtet Ratzinger problematische Tendenzen in der Umsetzung der Konzilsbeschlüsse. In zunehmendem Maße thematisiert er den Bruch in der geschichtlichen Selbstwahrnehmung der Kirche, als es nämlich zur Regel wurde, von einer „vorkonziliaren“ und einer „nachkonziliaren“ Kirche zu sprechen. Seine Sorge galt schon sehr früh der Frage, was „wahre Erneuerung“ und was bloß „Modernisierung“ ist, die dem Eigentlichen der Kirche schadet. Bereits 1965 spricht er von der „Verebbung“ der „freudigen Erregung, die der Gedanke des aggiornamento hervorrief“60, die nun in den „Mühseligkeiten des Alltags“ die notwendige Unterscheidung zwischen

59 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 389. 60 Was heißt Erneuerung der Kirche?, 1965, in: JRGS 8/2, 1186.

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der „bloßen Modernisierung“ und der „wahren Erneuerung“ leisten muss,61 welche wesentlich in der Wiederherstellung des Bewusstseins für die Kontinuität der Kirche heute mit der Gründung Jesu, und zwar durch die ganze Geschichte hindurch, besteht. Dieses Motiv findet sich bei Ratzinger explizit erst in späteren Texten, implizit ist es jedoch schon sehr früh vorhanden, im Besonderen in seinen theologischen Reflexionen der liturgischen Fragen.62 In seinem Gespräch mit Vittorio Messori 1985 sagt er: „Einem solchen Schematismus eines Vor und eines Nach in der ­Geschichte der Kirche, der überhaupt nicht gedeckt ist durch die Dokumente [des Konzils], die nichts anderes tun, als die Kontinui­ tät des Katholizismus bekräftigen, heißt es entschieden entgegenzutreten.“63 Die von den sogenannten „Erneuerern“ wie auch den „Traditionalisten“ mit unreflektierter Selbstverständlichkeit gebrauchte These von der „vorkonziliaren“ und der „nachkonziliaren“ Kirche enthüllt für Ratzinger ein grundlegendes Problem, da in dieser Logik die Verbindung der Kirche mit ihren Wurzeln gekappt ist. Die These des Bruches ist typisch für die traditionalistische Konzilskritik, welche im Konzil allem voran einen Bruch mit der Vergangenheit sieht. Die progressive Seite behauptet dasselbe, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Ratzinger dagegen macht sich stark für die Kontinuität der Kirche und des Glaubens. Eine Ansprache an die Bischöfe von Chile, die Ratzinger am 13. Juli 1988 hielt, mag das belegen.64 Er nimmt Stellung zu dem nur einige Tage davor vollzogenen Schisma durch Erzbischof Lefebvre, verbindet damit aber auch einige grundlegende Gedanken. Vor allem wendet er sich gegen den von Lefebvre verwendeten Begriff der „Konzilskirche“, in die dieser seine Gemeinschaft nicht „integrie-

61 Vgl. ebd., 1188. 62 Vgl. Helmut Hoping, Kult und Reflexion. Joseph Ratzinger als Liturgietheologe, in: Rudolf Voderholzer (Hg.), Der Logos-gemäße Gottesdienst. Theologie der Liturgie bei Joseph Ratzinger, Regensburg 2009, 13–25, vor allem 19–25. 63 Zur Lage des Glaubens, 1985, in: JRGS 13/1, 54 f. 64 Vgl. Ansprache an die Bischöfe von Chile, 13. Juli 1988. Ursprünglich ist die Rede in Chile erschienen in: La revista Católica, Nr. 1079 (1988) 224–228. Eine deutsche Übersetzung unter dem Titel Eine „Konzilskirche“ gibt es nicht erschien in: Vatican Magazin 3–4 (2013) 45–52. Vgl. http://www.vatican-magazin.de/index.php/maga zin/aktuelle-ausgabe/inhalt/14-magazin/aktuell/disputa/167-disputa-342013 (4.11.2018).

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ren“ wolle. Ratzinger hingegen sieht die Kirche nach dem Zweiten Vatikanum „einfach [als] die katholische Kirche mit der Ganzheit ihrer Überlieferung […], der auch das Zweite Vatikanum zugehört“. Mit einigen Sätzen schildert er die seiner Meinung nach problematische Konzilshermeneutik des Bruches: „Manche Darstellungen erwecken den Eindruck, als ob nach dem Zweiten Vatikanum alles anders geworden sei und alles Vorherige gar nicht mehr oder nur noch im Licht des Zweiten Vatikanum gelten könne. Das Zweite Vatikanum wird nicht als ein Teil der lebendigen Gesamttradition der Kirche behandelt, sondern geradezu als das Ende der Tradition und als ein völlig neuer Beginn.“ Ratzinger bringt das Problem einer solchen Konzilsinterpretation auf den Punkt: „All dies bringt Menschen zu der Frage, ob denn die Kirche von heute eigentlich noch dieselbe sei wie die Kirche von gestern oder ob man ihnen nicht, ohne sie zu fragen, eine andere untergeschoben habe. Wir können das Zweite Vatikanum nur dann wirklich glaubhaft machen, wenn wir es ganz deutlich als das darstellen, was es ist: ein Stück der ganzen und einen Tradition der Kirche und ihres Glaubens.“65 Helmut Hoping beschreibt den inneren Riss in der Selbstwahrnehmung der Kirche in seinen Reflexionen der liturgischen Theologie Ratzingers mit folgenden Worten: „Ein ‚Schisma‘ zwischen ‚vorkonziliarer‘ und ‚nachkonziliarer‘ Kirche und Liturgie betreiben nicht nur Mitglieder der Piusbruderschaft, sondern auch jene, die das Konzil als eine Art Paradigmenwechsel betrachten, mit dem sich die Kirche von der als Last empfundenen Tradition vor dem Konzil befreit habe, so als ob es Kontinuität nur im Bruch geben könne.“66 Wie kam es aber zu diesem Denken in der Kirche, wo es doch erst vor kurzem selbstverständlich war, die Kontinuität und die Reinheit der überlieferten Lehre zu betonen?67 Bei einem Rück65 Eine „Konzilskirche“ gibt es nicht, in: Vatican Magazin 3–4 (2013) 50. 66 Hoping, Kult und Reflexion, 21. 67 Dies ist im Besonderen in den Texten rund um die Eröffnung des Konzils sichtbar, u. a. in der berühmten Eröffnungsansprache des Papstes Johannes XXIII. Gaudet Mater Ecclesia von 1962, wo er unter anderem von „Erbe“ und „Schatz“ spricht und davon, dass das Konzil „die Glaubenslehre rein und unvermindert, ohne Abschwächung und Entstellung weitergeben [will], wie sie im Verlaufe von zwanzig Jahrhunderten nicht ohne Schwierigkeiten und Kontroversen zum gemeinsamen Erbe der Menschen wurde“. Die Hauptaufgabe des Konzils bestehe darin, „das unver-

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blick auf das Konzil im Jahr 1982 versucht Ratzinger diese verhängnisvolle Entwicklung in den zeitgeschichtlichen Kontext zu stellen und die durchaus verständlichen Motive zu identifizieren. So verweist er darauf, dass das Konzil sich als eine „große Gewissenserforschung der katholischen Kirche“ verstand, was sich „an den Schuldbekenntnissen, an der Leidenschaft der Selbstanklage“ zeige, „die sich nicht nur auf die großen neuralgischen Punkte wie Reformation und Galilei-Prozess bezog, sondern sich in der Vorstellung von der sündigen Kirche ins Allgemeine, ins Grundsätzliche steigerte und alles, was Freude an der Kirche, am Gewordenen und Gebliebenen schien, als Triumphalismus fürchtete“.68 Die Entwicklungen der Kirchengeschichte und der Theologie erschienen also sehr schnell als problematisch, als „unwirkliche Sache“, als „zweitausendjährige Sündenfallsgeschichte“.69 Das aber sei ein „quälerisches Zerpflügen des Eigenen“, das zu „Unsicherheit über die eigene Identität [führte], die rundum infrage stand, besonders aber zu einem tief gebrochenen Verhältnis gegenüber der eigenen Geschichte, die um und um besudelt schien, so dass ein radikaler Neubeginn als dringendes Gebot gelten musste“.70 Der radikale Neubeginn wurde also zu einer notwendigen Folge der neuen, selbstkritischen Besinnung der Kirche, die aber zu der Bruchthese in der geschichtlichen Selbstwahrnehmung der Kirche führte: „Gerade der Bruch im Geschichtsbewusstsein, der selbstquälerische Abschied vom Gewesenen, brachte die Vorstellung einer Stunde Null hervor, in der alles neu beginne und nun endlich alles das gutgemacht werde, was bisher falsch gemacht worden war.“71 Für Joseph Ratzinger selbst stand die Kontinuität des „einen Subjektes Kirche“72 in der Geschichte, und zwar auch mit allen

äußerliche Überlieferungsgut der christlichen Lehre wirksamer zu bewahren und zu lehren“. Die Selbstverständlichkeit der Kontinuität ist also klar sichtbar. Vgl. AAS 54 (1962) 786–796, hier 791. 68 Bilanz der Nachkonzilszeit – Misserfolge, Aufgaben, Hoffnungen, 1982, in: JRGS 7/2, 1064–1078, hier 1070. 69 Vgl. Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 396. 70 Bilanz der Nachkonzilszeit – Misserfolge, Aufgaben, Hoffnungen, 1982, in: JRGS 7/2, 1070. 71 Ebd., 1070 f. 72 Schon als Papst wird er bei seiner berühmten Weihnachtsansprache 2005 diesen Begriff gebrauchen, wenn er von der richtigen „Hermeneutik der Reform“ im Unterschied zu der falschen „Hermeneutik des Bruches“ sprechen wird. Es ist

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Lasten, die dabei angesammelt wurden, freilich nie infrage. Er kritisiert das Denken, nach dem „alles, was ‚neu‘ ist (oder angeblich neu ist: denn wie viele alte Häresien sind in diesen Jahren wieder aufgetaucht, die als Neuheit ausgegeben wurden!), immer und in jedem Fall besser [ist] als das, was gewesen ist oder was ist“; er nennt es einen „Ungeist, der die Geschichte erst mit dem II. Vatikanum als einer Art Nullpunkt beginnen lässt“.73 Einige Zeilen später bringt er seine Position pointiert auf den Punkt: „Es gibt keine ‚vor‘- oder ‚nach‘konziliare Kirche: Es gibt nur eine und eine einzige Kirche, die auf dem Weg zum Herrn hin unterwegs ist, indem sie den Schatz des Glaubens, den er selbst ihr anvertraut hat, beständig vertieft und immer besser versteht. In dieser Geschichte gibt es keine Sprünge, es gibt keine Brüche und es gibt keine Unterbrechung der Kontinuität. Das Konzil hatte keineswegs vor, eine Zweiteilung der Zeit der Kirche einzuführen.“74

Die weit verbreitete Bruchthese wirkte sich freilich auf die Wahrnehmung des Priesteramtes innerhalb der Kirche äußerst problematisierend aus. Im Jahr 1969 spricht Ratzinger diesen Aspekt im Hinblick auf das sakramentale Priestertum an, das, wie später noch zu zeigen sein wird, von vielen als Inbegriff des Rückfalls des Christentums ins Vorchristliche galt und deswegen auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche beiseitegeschoben werden müsse. Da stand auf der einen Seite das Neue Testament mit seinen Aussagen über die junge Kirche und die in ihr werdenden Ämter, die aber sehr wenig bis gar nichts mit der Ämterstruktur der katholischen Kirche, wie sie spätestens seit den Sicherungsarbeiten des Trienter Konzils vorhanden sind, zu tun zu haben schienen. All das, ja ­gerade das sakramentale Priestertum galt als Verfälschung des Ursprünglichen, des von Christus Gewollten, als Sündenfall der christlichen Geschichte. Die nachkonziliare Reform sollte also – der lutherischen Reform nicht unähnlich – zuallererst in Abbrucharbeiten bestehen, bei denen alles, was als Fremdes und Nichtchristliches sich in der Geschichte angesammelt hat, abgetragen

zwar eine seiner päpstlichen Ansprachen, die aber – im Unterschied zur obigen Einschränkung bezüglich der Texte als Papst – ruhig als sein eigener Text gelten kann, da er hier mit Herzblut ein wichtiges Anliegen seines theologischen Schaffens nennt. 73 Zur Lage des Glaubens, 1985, in: JRGS 13/1, 54. 74 Ebd., 55.

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wird und ein ‚Zurück an den Start‘, ein ‚Zurück zum Reinen, zum Biblischen‘ verwirklicht wird. Diese Optik wurde von den vielen unbestreitbaren Errungenschaften der historisch-kritischen Methode beim Studium der biblischen Texte beflügelt. Für das sakramentale Priestertum, wie es von der Schultheologie dargestellt und in der Kirche ganz konkret gelebt wurde, bedeutete dies allerdings eine radikale Infragestellung. Der offensichtlich populären Bruch- und Sündenfallsthese stellt Ratzinger das Prinzip der Kontinuität der Geschichte der Kirche gegenüber, die ihren Ursprung im Neuen Testament hat, in lebendiger Tradition aber weiterwächst: „Nun könnte man hier sofort und durchaus zu Recht sagen, dass es ein naives und durchaus unkritisches Vorgehen ist, eine Antwort allein davon abhängig zu machen, was im Augenblick mit historischer Methode aus dem Neuen Testament zu entnehmen ist. Denn ein Buch, das man aus dem Strom der Geschichte völlig isoliert, dem es zugehört, ist eine unwirkliche Sache. Und ein Denken, das zwischen sich und dem Neuen Testament das Nichts aufrichtet und einzig den gegenwärtigen Augenblick sowie den Buchstaben des Damaligen gelten lässt, versteht weder das Heute noch das Damalige. Dass das Neue Testament uns etwas bedeuten kann, liegt daran, dass es eine Geschichte gestiftet hat, die bis zur Stunde trägt. Wenn aber diese Geschichte nicht mehr trägt, wenn sie nichts ist, ein einziger Sündenfall, dann wird das daraus herausgeschnittene Buch ebenfalls unwirklich. Es hat keine Vollmacht mehr und es ist auch nicht mehr verstehbar. Entweder steht eine geschichtsbildende Vollmacht hinter diesem Buch oder es ist nur ein Dokument der Vergangenheit. So ist es innerlich absurd, nach einer zweitausendjährigen Sündenfallsgeschichte das Heute als Heilszeit zu proklamieren, alles Bisherige als Verirrung hinzustellen und die endliche Ankunft des wahren Christentums zu verkünden: Nun haben wir es, dank einiger aufgeklärter Geister, so herrlich weit gebracht, dass noch ­etwas Lohnendes daraus werden könnte …“75

Auch im Hinblick auf das sakramentale Amt stellt sich Ratzinger also gegen das Denken, dass die Geschichte der Kirche aus Brüchen besteht und ihr ganzer Verlauf nur ein einziger zweitausend-

75 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 395 f. Zu Ratzingers Kritik am „Biblizismus“ vgl. auch Die Situation der Kirche heute, 1970, in: JRGS 7/1, 589.

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jähriger Irrtum war, der heute von der aufgeklärten Generation endlich korrigiert werden müsse. Auf der Ebene der modernen Phänomene beobachtet Ratzinger eine „Spannung der Generationen“, die „uns selbst auseinanderzubrechen“ scheint, da die „Jahrhunderte überschreitende Einheit der Kirche“ nicht mehr wirksam zu sein scheint.76 Ratzinger sieht diese bedrohte, ja unwirksam gewordene Einheit der Kirche vor allem in der Kontinuität des Gebetes gegeben, die „alle über die Zeit hinweg zu Geschwistern machte“, da die Kirche „mit denselben Bitten wie auf den Gräbern in den Katakomben“ auch heute noch für ihre Toten bittet, „mit denselben Bitten in den Nöten der Zeit steht, mit denen schon Gregor der Große am Ende der Völkerwanderung Trost und Hilfe für sich und die Seinigen erfleht hatte“.77 Doch die Liturgie hat nun „nach einer tausendjährigen Ruhe ihren Rahmen gesprengt“, und diese Sprengung ist ernst, denn sie bedrohe sogar die Kontinuität der Heilsgeschichte, da sie „zuerst zögernd und vorsichtig“, jetzt aber „in immer kühneren Experimenten“ versuche, „selbst über die bis ins Beten Israels zurückgehende Grundschematik Richtung Neuland zu verlassen“.78 Die These von der gestörten Kontinuität gipfelt in dem Satz: „Nun sieht es vielmehr aus, als hielten alle alten Verklammerungen nicht mehr.“79 Das führe dann auch zu ganz konkreten Spannungen zwischen verschiedenen Generationen in der Kirche, besonders unter den Priestern: „Der Bruch mit dem Gewesenen zerbricht die Generationen in der Kirche selbst. Es scheint, als hätten Pfarrer und Kapläne nicht den gleichen Glauben und die gleiche Auslegung […], als wäre das Konzil nicht […] neues Pfingsten gewesen […], sondern ein babylonischer Turmbau, der die Sprachen verwirrt und das Verstehen endigt.“80 Priester alter Generationen meinen, „in allen Veränderungen werde die Substanz des Christlichen preisgegeben, der Glaube verraten“, junge dagegen befürchten, „in allem Herkömmlichen werde die Welt verraten“ und so „der Glaube

76 Vgl. Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 387. 77 Ebd., 387 f. 78 Ebd., 388. 79 Ebd. 80 Ebd.

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weltlos gemacht und somit ins Unmögliche abgedrängt und in alte Schemen gepresst und so selbst zum toten Schema“.81 Daraus ist zu entnehmen, dass in diesen Spannungen viele berechtigte Anliegen zum Vorschein kommen, welche die Kirche in der modernen Welt zu Recht bewegen. Dennoch ist das Denken, das zwischen dem neutestamentlichen Ursprung und dem Heute des sakramentalen Priestertums eine Sündenfallsgeschichte aufstellt, die es durch radikalen Bruch wohl zu überwinden gelte, problematisch und hat zur modernen Krise des Priestertums wesentlich beigetragen.

4.3.3 Sakramentale vs. funktionale Konzeption des Amtes Wie bereits oben angedeutet, macht Ratzinger des Öfteren auf die Situation aufmerksam, die sich aus der neuen Wahrnehmung der biblischen Grundlagen des sakramentalen Amtes ergibt, wie in Abschnitt 4.4 dargelegt werden soll. Hier sei nur die ekklesiologisch relevante Konsequenz dieser Entwicklung kurz skizziert, da diese mit der Krise des Priestertums innerhalb der Kirche zu tun hat. Ratzinger stellt fest, dass in der modernen Wahrnehmung der Schrift „die Neuheit des Christlichen sich […] geradezu in der Entsakralisierung der Ämter darzustellen“ schien, da „keine Kontinuität zwischen den sakralen Ämtern des Alten Testamentes und den neuen Diensten der werdenden Kirche zu sehen [war]“.82 Dies sei auch in der Begrifflichkeit der neutestamentlichen Dienste sichtbar: „Nicht Sacerdotes (hiereis) hießen die Diener der christlichen Gemeinden, sondern Presbyter – Älteste.“83 Einen aktuellen Ausdruck dieser Betrachtungsweise sieht Ratzinger in der zunehmenden Vermeidung des sakramental bestimmten Wortes ,Pries­ ter(tum)‘ und seiner Ersetzung durch das „neutral-funktionale

81 Ebd. – Es ist paradox, dass die hier von Ratzinger 1969 beschriebene Spannung zwischen den verschiedenen Generationen der Priester auch heute noch zu beobachten ist, wenngleich unter umgekehrten Vorzeichen: Junge Priester scheinen oft eher das Überlieferte zu betonen, ältere erfahrene Priester eher das vermeintlich ‚Neue‘, Reformistische der 1960er-Jahre. Diese Spannung ist in vielen Diözesen wohl nicht unwesentlich. 82 Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 898. 83 Ebd.

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Wort ‚Amt‘, das bis dahin in der katholischen Theologie kaum eine Rolle gespielt hatte“.84 Was ist nun die ekklesiologische Konsequenz dieser Entwicklung? Ratzinger sieht hier zwei Konzeptionen des priesterlichen Amtes einander gegenüberstehen: eine sozial-funktionale und eine sakramental-theologische. „So standen und stehen sich zwei Konzeptionen des priesterlichen Amtes gegenüber: auf der einen Seite eine sozial-funktionale Sicht, die das Wesen des Priestertums mit dem Begriff ‚Dienst‘ umschreibt – nämlich Dienst an der Gemeinde in der Ausführung einer Funktion am Sozialgebilde Kirche.“85 Diese sozial-funktionale Sicht lässt sich in der neuen geistesgeschichtlichen wie theologischen Situation wesentlich leichter plausibel machen, da ihre Funktionalität unumstritten ist. Jede Gemeinschaft braucht ordnende und funktionale Dienste, welche in ihrem praktischen Leben von großer Bedeutung sind. Auch die neuscholastische Amtstheologie hat, wie oben dargelegt, diese Begründungsfigur gekannt.86 Die andere Konzeption beschreibt Ratzinger wie folgt: „Auf der anderen Seite steht eine sakramental-ontologische Sicht, die den Dienstcharakter des Priestertums selbstverständlich nicht leugnet, ihn aber im Sein des Dienenden verankert sieht.“87 Diese Konzeption stellt also nicht ein ‚Weniger‘, sondern ein ‚Mehr‘ gegenüber der ersteren dar. Der Dienstcharakter innerhalb der Gemeinschaft wird nicht gemindert, sondern anders begründet, nämlich sakramental, im Sein des Dienenden: „Dieses Sein [wird] von einer Gabe her bestimmt […], die vom Herrn durch die Vermittlung der Kirche geschenkt wird und Sakrament heißt.“88 Wenn die Kirche also einen sakramentalen Charakter hat, hat auch das Priestertum in ihr einen sakramentalen Charakter. Ist sie aber ein vorrangig soziales Gebilde, ist auch das Amt in ihr nicht sakramental, sondern rein funktional und kann nach Bedarf auf Zeit besetzt oder ruhend gestellt oder bei veränderter Lebensplanung sogar aufgegeben werden. Wenn die Option des rein sozialfunktionalen Amtes als eine gültige katholische Möglichkeit für

84 Ebd. 85 Ebd. 86 Vgl. Abschnitt 1.2.3. 87 Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 898. 88 Ebd.

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das priesterliche Amt im Raum steht, ist es nur folgerichtig, dass die klassische Konzeption des sakramentalen, im Sein des Priesters durch ein unlöschbares Zeichen verankerten Priestertums als fraglich, womöglich als ‚zu viel‘, wenn nicht sogar als ‚vorchristlich‘ erscheinen mag. Dass das stark zur Verunsicherung der Priester und zu der hier besprochenen Krise beitragen kann, ist naheliegend.

4.3.4 Vertiefungen der Diagnose: Ekklesiologische Krise ist christologische Krise, ist Gotteskrise Ratzinger bleibt bei seiner Diagnostik freilich nicht auf der Ebene der Phänomene stehen. Seine Gedanken sind, wie es seinem Stil entspricht, vielmehr grundsätzlicher Art. Für unsere Problematik bedeutet dies: Alles hier über die Krise des Priestertums innerhalb der Kirche Gesagte gilt unter der Perspektive, dass Ratzinger die Wurzeln der gegenwärtigen Krise in der Kirche auf eine noch tiefere, nämlich eine christologische Krise, oder noch weiter, auf eine Gotteskrise zurückführt. 89 Bei der ersteren spielt u. a. die Frage des ‚historischen Jesus‘ „hinter dem Jesus der Evangelien, der nach den Maßstäben des sogenannten modernen Weltbildes und der von der Aufklärung inspirierten Form von Geschichtsschreibung aus den Quellen und gegen die Quellen destilliert wird“90, eine prominente Rolle. Maximilian Heim formuliert, wo er die Kirchenkrise aus Ratzingers Sicht bespricht, gar: „Das eigentliche Problem der Gegenwart ist nach Ratzinger eine christologische, nicht eine ekklesiologische Krise.“91

89 Kurt Koch bringt diese Einsicht auf den Punkt, wenn er schreibt, dass Joseph Ratzinger „den innersten Infekt der heutigen Krise des Christentums nicht in der heute viel beredeten Kirchenkrise“, sondern „in einer Krise des Christusglaubens“ wahrnimmt. Koch, Bund zwischen Liebe und Vernunft, 32. 90 Probleme von Glaubens- und Sittenlehre im europäischen Kontext, in: Erzbischöfliches Generalvikariat Paderborn (Hg.), Zu Grundfragen der Theologie heute, Paderborn 1992, 7–17, hier 9. 91 Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 247. Neben der Frage des ‚historischen Jesus‘ sieht Heim eine zweite Wurzel der christologischen Krise für Ratzinger „in der Umdeutung von Erlösung in Befreiung im neuzeitlichen Sinn, ‚die mehr psychologisch-individuell oder mehr politisch-kollektiv verstanden werden kann‘“, und eine dritte „im Deismus der Aufklärung, der sich ‚praktisch im allgemeinen Bewusstsein‘ durchgesetzt hat“. Ebd., 249.

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Schon die Schroffheit der Frage nach dem ‚historischen Jesus‘, die mitunter auf eine geradezu absolutistische Art gestellt wird, deckt das Problem der Entwurzelung der Kirche auf: Wenn schon die Kontinuität zwischen dem ‚historischen Jesus‘ und dem ‚Jesus der Evangelien‘ fraglich ist, um wie viel mehr ist dann die Kontinuität der heutigen Kirche, die den ganzen ‚dogmatischen Ballast‘ der Jahrhunderte mit sich schleppt, mit der ursprünglichen Gründung Christi infrage gestellt? Auf das Objekt unseres Forschungsinteresses übertragen heißt dies dann: Die Problematisierung der Existenz eines Amtes in der Kirche, das eben ihre Kontinuität mit der Gründung garantieren und die Vergegenwärtigung des Ursprungs leisten sollte, ist somit eine prominente Stelle, an der die ganze innerkirchliche Fraglichkeit bezüglich der eigenen Identität zutage tritt. Bei der zweiteren, der Gotteskrise, verweist Ratzinger auf den Glaubensakt, der im Letzten immer von der Gottesfrage abhängig ist: „Der Glaube ist Glaube an Gott oder er ist nicht. Er lässt sich letztlich auf das einfache Bekenntnis zu Gott, dem lebendigen Gott zurückführen, aus dem alles andere folgt.“92 Die heutige Kirchenkrise sei, so Ratzinger, „eine ekklesiologisch verschlüsselte Gotteskrise“.93 Mit dieser vertieften Perspektive ist wohl klar geworden, was hier alles auf dem Spiel steht. Die Verflachungen im Inneren der Kirche, die sich aus der rein funktionalen Auslegung des Neuen Testaments und wohl auch aus den Falschinterpretationen des Konzils ergeben haben, sind sehr ernst zu nehmen, weil sie die Kirche von dem eigentlichen heilsgeschichtlichen Strom, in dem sie steht, entfernen. Beim sakramentalen Priestertum geht es in Ratzingers Perspektive demzufolge nicht nur um funktionale Fragen innerhalb der Kirche, die so oder auch anders gelöst werden könnten, vielmehr steht die Krise des Priestertums in der Kirche in engem Zusammenhang mit der Krise der Fundamente des ­Gottesglaubens selbst. Genau dort wird allerdings auch der neue

92 Probleme von Glaubens- und Sittenlehre im europäischen Kontext, 15. 93 Joseph R atzinger / Johann Baptist Metz , Gott, die Schuld und das Leiden. Gespräch, in: Tiemo R. P eters / Claus Urban (Hg.), Ende der Zeit? Die Provokation der Rede von Gott. Dokumentation einer Tagung mit Joseph Ratzinger, Johann Baptist Metz, Jürgen Moltmann und Eveline Goodman-Thau in Ahaus, Mainz 1999, 50–55, hier 50 f.

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Ansatz Ratzingers zu finden sein, wenn er den Priester als den Mann des Glaubens betrachten wird, der in der modernen Welt existentiell um seinen Glauben ringt. Aber verlassen wir für diesen Augenblick diese Spur und versuchen wir mit Ratzinger weiterhin nach den Ursachen der Krise zu forschen.

4.4 Erosion der biblischen und theologischen Fundamente Wir haben bereits versucht, das Terrain abzustecken, in dem Ratzinger die Krise des Priestertums begründet sieht: eine völlig veränderte Kultur, in der der Priester lebt und wirkt, und radikal veränderte Plausibilitäten für das Amt selbst innerhalb der Kirche. Damit hängt schließlich eine von Ratzinger wahrgenommene dramatische Erosion der grundlegenden biblischen und folglich theologischen Grundlagen zusammen, auf denen die katholische Lehre vom Priestertum fußt. Was sind nun die theologischen Wurzeln der Krise der priesterlichen Existenz? Ratzinger nennt hier allem voran die Auslegung des Neuen Testaments, die „ganz nachdrücklich eine nicht-sakrale Sicht aller kirchlichen Dienste zu bestätigen [schien]“ und welche die völlige „Entsakralisierung des Ämter“ postulierte und damit die nachtridentinische katholische Amtstheologie als überholt erscheinen ließ.94 Ratzinger formuliert sehr deutlich: „Die Frage wurde brennend, ob nicht doch Luther gegen Trient recht hatte.“95 Gemeint ist wohl der Unterschied zwischen dem sakramental verfassten Priestertum als eigenem Sakrament, wie es vom Trienter Konzil mit Nachdruck bestätigt wurde und in der starken Zentrierung auf das Altarsakrament zum Ausdruck kommt, und der bloß funktionalen Sicht von bestimmten priesterlichen Aufgaben, welche eigentlich jede Glaubensgemeinschaft braucht und in der protestantischen Theologie in der Konzentration auf den Dienst des Wortes zum Ausdruck gebracht wird. Bevor wir uns den bibeltheologischen Fragen unseres Themas zuwenden, soll vorausgeschickt werden, dass Ratzinger die For-

94 Vgl. Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 898. 95 Ebd.

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schungsergebnisse der historisch-kritischen Exegese grundsätzlich aufmerksam zur Kenntnis nimmt, er „bindet [diese] aber immer an das Kriterium, ob sie mit dem lebendigen Gedächtnis der Kirche“, welche die Trägerin der Schrift ist, „im Einklang stehen“.96 In dieser Hinsicht betrachtet sich seine Theologie nicht als über die Anfragen der modernen Bibelwissenschaften erhoben.97 Voderholzer erinnert im Hinblick auf Ratzingers Haltung zur histo­ rischen Kritik daran, dass die „Legitimität, ja Notwendigkeit der historischen Erforschung der Schriften […] im Charakter der Schriften als geschichtliches Offenbarungszeugnis begründet [liegt]“.98 Ratzinger versteht die historische Kritik allerdings nicht als das letzte und oberste Kriterium für Theologie und Glaube: „Das archäologische Interesse der Historiker erscheint Ratzinger immer dann bedenklich, wenn es Christus auf die Dimension des Gestern fixiert und den Glauben einklammert, aus dem heraus die neutestamentlichen Zeugnisse verfasst wurden.“99 Ratzinger ist immer daran gelegen, dass der Glaube seine Lebendigkeit behält und dass er gegenüber den Ergebnissen der modernen theologischen Wissenschaften bestehen kann.100 Bereits die vorausgehenden Ausführungen haben Fragen nach den biblischen Fundamenten und der Auslegung der Bibel berührt. Die tiefste Ursache für die Krise des Priestertums erblickt Ratzinger tatsächlich in der Infragestellung der biblischen Grundlagen, auf denen das ganze Lehrgebäude des Amtes theologisch aufgebaut ist. Bereits 1967 sagt er: „Das neue Verständnis der Schrift, das unserer Generation zugefallen ist, hat das übliche Priesterbild der katholischen Dogmatik, mehr noch jenes der üblichen Form von Primizpredigt und des darin wirksamen Hochwür-

96 Helmut Hoping / Jan-Heiner Tück (Hg.), Die anstößige Wahrheit des Glaubens. Das theologische Profil Joseph Ratzingers, Freiburg i. Br. 2005, 12. 97 Es gibt freilich auch moderne theologische Ansätze, die auf eine Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Exegese gänzlich verzichten und dennoch bleibende Gültigkeit behalten. Ein hier zu nennendes Beispiel ist das große Werk Hans Urs von Balthasars. 98 Rudolf Voderholzer , Der Grundduktus innerhalb der Fundamentaltheologie von Joseph Ratzinger, in: M aximilian Heim / Justinus C. P ech (Hg.), Zur Mitte der Theologie im Werk von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Regensburg 2013, 40–57, hier 52. 99 Hoping / Tück , Die anstößige Wahrheit des Glaubens, 12. 100 Vgl. oben S. 210.

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digkeitsdenkens fragwürdig werden lassen.“101 Ratzinger übersieht auch nicht das Problem dieser bis dato typischen Art, über das katholische Priestertum zu denken und zu sprechen. Sie ist nämlich weit über das hinausgegangen, was von den biblischen Texten gedeckt ist: „Der Priester wurde dort [im üblichen Priesterbild – Anm. des Verfassers] als Mittler zwischen Gott und den Menschen geschildert und in eine geradezu unirdische Höhe erhoben (vor einem Engel müsse man ihn grüßen, hieß es); mit seinen Händen bringe er Gott das Opfer der Versöhnung dar, er wurde gepriesen als der Mensch, dem die Macht verliehen sei, mit den Wandlungsworten Gott geradezu auf den Altar herabzuzwingen.“102

An einer anderen Stelle skizziert er den neuen Blick auf die Schrift mit den Worten: „Die Sinne wurden [geschärft] für bislang Übersehenes, während die Frequenz des Alten zusehends ins Leere strahlte.“103 Ein neues Verständnis der Schrift habe also vieles, was im klassischen Priesterbild als typisch priesterlich galt, nicht nur fraglich, sondern obsolet gemacht. Ratzinger stellt nüchtern und ohne jegliche Nostalgie fest: „Dieses Bild ist unwiderruflich zerbrochen.“104 Bei welchen Steinen des biblischen Fundamentes des sakramentalen Priestertums, die in den letzten Jahrhunderten in der katholischen Kirche unumstritten waren, hat die moderne Kritik angesetzt, so dass sie unter der Schärfe ihrer Anfragen zu wackeln begannen?

4.4.1 These vom Christentum als Entsakralisierung der Welt Ratzinger verweist auf die These vom Christentum als einer radikalen Entsakralisierung der Welt, welche nach ihm „auf Barths und Bonhoeffers These vom Gegensatz zwischen Glaube und Religion, also vom areligiösen Charakter des Christentums“ beruhe.105 Das Schlagwort der Entsakralisierung stand seit Mitte des 20. Jahrhunderts für eine gewisse Abkehr der Kirche von der 101 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 351. 102 Ebd. 103 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi im Licht der neutestamentlichen Botschaft, 1972, in: JRGS 12, 107. 104 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 351. 105 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 34.

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„Konzentration auf den sakralen und klerikalen Bereich“, die mit der Forderung nach einer „Hinwendung zur profanen Welt“ einherging.106 Nicht wenige haben auch die vom Konzil gewollte ­Zuwendung der Kirche zur modernen Welt, wie sie vor allem in Gaudium et spes ihren Ausdruck findet, als eine einfache Übernahme dieses Gedankenguts verstanden, was freilich als eine unzulässige Verflachung eines wichtigen Konzilsanliegens betrachtet werden darf. Die Entsakralisierungsthese besagt, dass es im Christentum keinen Unterschied zwischen ,sakral‘ und ,profan‘ mehr gebe, ja dass dieser, sollte er dennoch irgendwo vorkommen, eigentlich einen Rückfall ins Vorchristliche darstelle. Diese Sicht würde folglich auch das sakramentale Priestertum obsolet machen: „Und man sagt uns, dieses endgültige Zerbrechen des priester­ lichen Amtes in seinem bisherigen Sinn sei ein Postulat des Neuen Testaments, das die Unterscheidung von Sakral und Profan aufgehoben und den Glauben ganz in die Profanität entlassen habe. Da ist kein Tempel mehr, sondern nur noch der offene Raum der durch die Liebe zu erfüllenden und zu wandelnden Welt. Da ist kein Kult mehr, sondern nur noch der Dienst am Menschen. Da ist folglich auch kein sakrales Amt mehr, sondern nur noch rein praktische Dienstleistungen – man nennt sie Älteste, Aufseher, Lehrer –, die im Übrigen alle der charismatischen Gesamtform des priesterlichen Volkes zugehören, in dem, wenn schon, alle Priester und alle Geistliche sind und je auf ihre Weise Hand anlegen können.“107

In Bezug auf das katholische Priestertum und noch genauer in Bezug auf die konkreten Priester in der modernen Welt fand die Entsakralisierungsthese ihre Entsprechung in dem veränderten Lebensgefühl der modernen Welt, die für das Sakrale keinen Sinn mehr zu haben scheint und nur das Funktionale und Profane versteht.108 An einer anderen Stelle nennt Ratzinger diese Entwicklung gar „Entmythisierung, die hier geschehen ist“.109 Bei einer Gelegenheit weist er darauf hin, dass die, wie er sie hier nennt, „exegetische Frage“ keine rein theoretische Frage ist, sondern dass

106 Vgl. Heribert Mühlen, Entsakralisierung, in: LThK 3 3, 685 f. 107 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 389. 108 Vgl. Abschnitt 4.2. 109 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 351.

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sie große Auswirkungen für die konkrete Gestalt des Priesterdienstes nach sich zieht: „In Deutschland wurde vor allem die exe­ getische Frage gestellt: Hat Christus eigentlich das priesterliche Amt gewollt? Sollte die hierarchische Verfassung nicht lieber von einer demokratischen abgelöst werden?“110 Diese exegetische Frage hat dann auch eine ganz praktische Seite: „So ging die exegetische Frage schnell in eine soziologische über: Soll Priestertum überhaupt ein eigener Beruf sein? Sollte es nicht besser auf Zeit oder nebenberuflich ausgeübt werden?“111 Auf welche biblischen Fundamente kann sich nun die These der Entsakralisierung stützen? Als Erstes ist hier die Theologie des Hebräerbriefes zu nennen. In Bezug auf das Priestertum ist von größter Bedeutung, dass der Hebräerbrief vom „ewigen Hohepriester Jesus Christus“ spricht, der als Einziger die Menschen vor Gott vertritt (vgl. Hebr 2,17; 4,15; 7,26). Ratzinger schreibt 1970: „Der Brief an die Hebräer spricht nachdrücklich von der Einzigkeit des Priestertums Jesu Christi, was jedes besondere Priestertum in der Kirche des Neuen Bundes definitiv auszuschließen scheint; schließlich werden an keiner Stelle des Neuen Testamentes die Amtsträger in der Kirche mit dem Ausdruck ‚Priester‘ bezeichnet.“112 Christus, der Gekreuzigte, der „den realen Tod stirbt“ und so „aus den Bildern herausbricht“ und „in das Allerheiligste hinein schreitet“, ist nach dem Hebräerbrief der einzige Vermittler zwischen Gott und dem Menschen.113 Aufgrund dessen stellt die moderne, von protestantischer Exegese geprägte Theologie die naheliegende Frage: Welche Aufgabe könnte da noch ein Priesteramt haben? Und widerspreche seine Existenz nicht vielmehr dieser so klar formulierten Theologie über den einzigen Mittler Christus? Weiters betont der Hebräerbrief, dass „Jesus außerhalb der Tore der Stadt gelitten habe“, und er fordert auf, zu ihm hinauszugehen (vgl. Hebr. 13,12 f.). Dieser Text wurde zum Symbol: „Das Kreuz hat den Tempelvorhang zerrissen, der neue Altar steht mitten in der Welt, das neue Opfer ist nicht ein kultisches Geschehen, son-

110 Unser priesterlicher Dienst, 1978, in: JRGS 12, 409. 111 Ebd. 112 Das priesterliche Amt, 1970, in: JRGS 12, 402. 113 Vgl. Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi im Licht der neutestamentlichen Botschaft, 1972, in: JRGS 12, 108 f.

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dern ein ganz profaner Tod.“114 Die durch das Kreuz bewirkte Öffnung des allerheiligsten, sakralen, ergo abgesonderten Be­ reichs wird hier als ein radikaler Schritt verstanden, nämlich als Überwindung jeden Unterschieds zwischen ,sakral‘ und ,profan‘: „Allein die tätige Liebe inmitten der Profanität der Welt sei der Gottesdienst, der diesem Ursprung entspreche.“115 Ratzinger versucht aufzuzeigen, dass die These vom Christentum als Entsakralisierung nicht einfach ein objektiver Befund der Bibelwissenschaft sei, sondern einerseits aus den „hermeneutischen Grundentscheiden“ der reformatorischen Theologie und andererseits aus „exegetischen Beobachtungen“ erwachse.116 Was ist damit gemeint? Mit „hermeneutischen Grundentscheiden“ ist eine „dialektische Entgegensetzung von Gesetz und Verheißung, von Priester und Prophet, von Kult und Verheißung“ gemeint, welche „die einander zugeordneten Kategorien Gesetz – Priester – Kult“ als den negativen Aspekt der Heilsgeschichte werte: „Das Gesetz bringe den Menschen zur Selbstgerechtigkeit; der Kult gehe von dem Irrtum aus, der Mensch stehe in einer Art von Gleichheitsverhältnis mit Gott und könne durch die Entrichtung bestimmter Gaben ein Rechtsverhältnis zwischen sich und Gott herstellen.“117 Das katholische Priestertum gehöre durch seine kultische Dimension und Aufgabe demnach zwangsläufig zu den negativen Aspekten der Heilsgeschichte, die von Christus eigentlich besiegt wurden, da das Evangelium wesentlich „die Überwindung dieses Gefüges der zerstörerischen Selbstgerechtigkeit des Menschen“ sei, denn in ihm gehe es um ein neues Gottesverhältnis, das „ganz auf Verheißung und Gnade“ beruhe.118 Die fatale Folge dieser Hermeneutik für das sakrale Priestertum, wie es von der katholischen Dogmatik definiert wird, liegt auf der Hand: „Das Priestertum ist […] sozusagen der institutionelle Ausdruck und das dauernde Instrument dieser Verkehrung des Gottesverhältnisses.“119 Es ist dann auch nicht die Figur des Priesters, sondern die ihm scharf entgegen­

114 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 34. 115 Ebd., 35. 116 Vgl. ebd. 117 Ebd. 118 Vgl. ebd. 119 Ebd.

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gesetzte Figur des Propheten, die für die wahre christliche Neuheit steht. Das sakramentale, kultische Priestertum erscheint als „Abfall vom Evangelium“, als „die freventliche Wiederherstellung von Kult, Opfer, Priestertum und Gesetz und so die Negation der Gnade“, mit einem Wort als „Zurückgehen hinter Christus zu Mose“, als wirklicher Rückschritt.120 Alles in allem: Der biblische Befund scheint aufs Erste die These vom Christentum als einer endgültigen „Entsakralisierung der Welt“ zu bestätigen, die vorgefundenen Ämter werden „rein funktional gesehen“ und „ganz nach Gesichtspunkten und Zweckmäßigkeit gehandhabt“.121 Diese Gedankengänge haben in der Zeit nach dem Konzil eine solche Plausibilität und Kraft entwickelt, dass klassische neuscholastische Begründungen nicht ausreichten, um die dadurch hervorgerufene Krise zu bändigen. Es schien, dass alle Grundlagen, auf denen das katholische Priestertum steht, ins Wanken geraten. Erneut sei hier die pointierte Zusammenfassung von Ratzinger angeführt: „Die Frage wurde brennend, ob nicht doch Luther gegen Trient recht hatte.“122

4.4.2 Keine Kontinuität mit dem alttestamentlichen Priestertum Dieser Strang der Infragestellungen des katholischen Priesterbildes wurde in der modernen Kritik wesentlich auch durch die postulierte vollkommene Diskontinuität zwischen dem alttestamentlichen und dem, was man als neutestamentliches Priestertum bezeichnen könnte, verstärkt. Der Tod Jesu wird als das Ende von Opfer, Sakrament und Priestertum gedeutet, was von Ratzinger 1972 als „ein ebenso einfaches wie einleuchtendes Schema“ bezeichnet wird, „das sich im öffentlichen Bewusstsein fast allgemein durchgesetzt hat“.123 Dieser Deutung gemäß „bedeutet das Neue Testament […] das Ende des Opferpriestertums wie der Opfer überhaupt“.124 Wenn also innerhalb der Glaubensgemeinschaft des Neuen Testaments ein wie auch immer verstandenes priester-

120 Vgl. ebd. 121 Vgl. ebd., 34. 122 Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 898. 123 Opfer, Sakrament und Priestertum in der Entwicklung der Kirche, 1972, in: JRGS 12, 85. 124 Ebd.

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liches Amt existieren sollte, kann dieses nichts mit dem Opferpriestertum zu tun haben. Welche Argumente aber kann es für diese These geben? Als Erstes muss natürlich der Umstand angeführt werden, den auch Ratzinger äußert, dass nämlich Christus, „juridisch gesehen, ein Laie“ war, obwohl er nach christlicher Überzeugung in Wirklichkeit „der einzig wahre Priester der Welt“ ist.125 Wenn es in der von ihm gegründeten Kirche ein Priestertum geben sollte, kann es keine Kontinuität mit dem Priestertum des Alten Bundes haben: ganz sicher nicht über die Person Christi, denn dieser hatte innerhalb der jüdischen Gemeinschaft keinerlei priesterliche oder kultische Aufgaben. Hinzu kommen noch weitere theologische Gründe. Wiederum gilt der Hebräerbrief als das wichtigste biblische Argument, in dem „jenes neue Bewusstsein reflektiert und entfaltet [wird], das der eigentümlichen Zurückhaltung zugrunde liegt, die überall im Neuen Testament hinsichtlich des kultischen Bereiches waltet“.126 Der Grund besteht darin, dass das Neue Testament „von einem tiefen Wissen um die radikale Beendigung der bisherigen Religionsgeschichte“ bestimmt sei,127 da der Tod Jesu als das Ende des alten Kults betrachtet werde. Ratzinger skizziert diese Position wie folgt: „Stellen wir uns ruhig dem Wortlaut des Neuen Testamentes. ­Gewiss, es bringt die Religionsgeschichte ans Ende. Beim Tod Jesu zerreißt der Vorhang des Tempels, das Allerheiligste ist leer und der Tempel hat seinen Sinn verloren. Es gibt keinen Tempel und keine Priester im Sinn des Tempels mehr. Der wahre Tempel ist der Gekreuzigte, der mit dem Ruf an den Vater und mit den für die Menschen geöffneten Händen, mit dem für sie durchbohrten Herzen stirbt.“128

Das Kreuz wird also als das Ende des Kultes verstanden bzw. als der Anfang einer völlig neuen Form von Gottesverehrung, die mit

125 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 352 und 354; vgl. dazu beinahe gleichlautend Einführung in das Christentum, 1968, in: JRGS 4, 262. 126 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 351 f. 127 Ebd., 353. 128 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 396.

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dem alten Kult nichts mehr zu tun haben soll. Mit anderen Worten: Der Tod Jesu, der, wie soeben angeführt, im Rahmen des alttestamentlichen Kultes keine priesterliche Funktion hatte, ist „geschichtlich gesehen keineswegs eine Kulthandlung, sondern ein profaner Vorgang – die Hinrichtung eines Mannes, der als politischer Verbrecher verurteilt worden war“.129 Die logische Folge dieser Gegebenheiten scheint für ein irgendwie dem Kult zugeordnetes Priestertum im Neuen Testament auf den ersten Blick fatal zu sein. Ratzingers Ausdruck „Es gibt keine Priester im Sinn des Tempels mehr“ verweist wohl genau auf die kultische Dimension des priesterlichen Auftrags, die nun, nach dem profanen Tod Jesu, als sinnlos, als der durch Jesu Tod entstandenen neuen Realität nicht mehr angemessen erscheint. Die Liturgie, die Gottesverehrung also, ist durch diesen Tod etwas anderes geworden, als es der Gottesdienst im Tempel zu Jerusalem war. Sie bestehe von nun an nämlich im „Gestus der alles gebenden Liebe, die nicht mehr und nicht weniger gibt als sich selber“.130 Und es ist gerade dieser Gestus, der „an die Stelle des Spiels der Vertretungen [womit der Kult des Alten Testaments gemeint ist – Anm. des Verfassers] die Wirklichkeit dessen“ treten lasse, „der durch den Todesvorhang hindurch vor das Angesicht Gottes kommt“.131 Beim Lebensopfer Jesu geht es demnach nicht mehr um klassische, vom Wesen her immer unzulänglich bleibende Stellvertretung der alttestamentlichen Opfer, ergo um ein ‚Spiel der Stellvertretungen‘, einen Schein also, sondern um die wahre und eigentliche Heilswirklichkeit, da hier der mensch­ gewordene Gottes Sohn sich selbst als Versöhnungsopfer darbringt, um von Gott her den Menschen mit Gott zu versöhnen.132

129 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 352. 130 Ebd., 353. 131 Ebd. 132 Ratzinger ist es in seinem Werk Einführung in das Christentum gelungen, diesen entscheidenden Punkt der Heilsgeschichte zu beleuchten: „Nicht der Mensch ist es, der zu Gott geht und ihm eine ausgleichende Gabe bringt, sondern Gott kommt zum Menschen, um ihm zu geben. Aus der Initiative seiner Liebesmacht heraus stellt er das gestörte Recht wieder her, indem er durch sein schöpferisches Erbarmen den ungerechten Menschen gerecht macht, den Toten lebendig. Seine Gerechtigkeit ist Gnade; sie ist aktive Gerechtigkeit, die den verkrümmten Menschen richtet, das heißt zurechtbiegt, richtig macht. Hier stehen wir vor der Wende, die das Christentum in die Religionsgeschichte getragen hat: Das Neue

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Das Leben und Sterben des Herrn ist der einmalige und endgültige Gottesdienst, ja „die wirkliche Liturgie der Welt, […] der kosmische Versöhnungstag“.133 Welche Aufgabe könnte hier noch ein in irgendeiner Weise in Verbindung mit dem Alten stehendes Priestertum haben? Im Jahr 1991 erwähnt Ratzinger die These, dass es „keinerlei Kontinuität“ zwischen dem „Priestertum des mosaischen Gesetzes“ und dem neutestamentlichen Amt gebe, im Zusammenhang mit der auch von ihm geteilten Beobachtung, dass die frühe Kirche für die Bezeichnung der in ihr entstandenen Ämter profanes Vokabular gewählt hat: „Die werdende Kirche hat die in ihr sich bildenden Ämter nicht mit sakralem, sondern mit profanem Vokabular benannt. Sie [die Kirche] lässt keinerlei Kontinuität dieser Ämter mit dem Priestertum des mosaischen Gesetzes erkennen.“134 In einem älteren Text (1967) spricht Ratzinger diese terminologische Beobachtung noch schonungsloser und direkter an: „Im wirklichen Leben der frühen Gemeinde, wie es uns hier [in der Briefliteratur des Neuen Testaments] vor Augen tritt, findet sich nichts von einer solchen [wohl gemeint kultischen – Anm. des Verfassers] Form des Priestertums. Eine kultische Vollmacht des Priesters wird zu unserem Erstaunen direkt jedenfalls nicht erwähnt.“135 Die neuen Ämter scheinen, so Ratzinger, in der Perspektive des Neuen Testaments aufs Erste etwas gänzlich Anderes, Neues zu sein, wofür auch der Umstand spricht, dass „diese Ämter lange Zeit hindurch wenig definiert, sehr vielfältig in den Bezeichnungen und Formen [sind], in denen sie uns begegnen“, denn eigentlich kristallisiere sich „erst gegen Ende des 1. Jahrhunderts eine



Testament sagt nicht, dass die Menschen Gott versöhnen, wie wir es eigentlich erwarten müssten, da ja sie gefehlt haben, nicht Gott. Es sagt vielmehr, dass ,Gott in Christus die Welt mit sich versöhnt hat‘ (2 Kor 5,19). Das ist etwas wahrhaft Unerhörtes, Neues – der Ausgangspunkt der christlichen Existenz und die Mitte neutestamentlicher Kreuzestheologie: Gott wartet nicht, bis die Schuldigen kommen und sich versöhnen, er geht ihnen zuerst entgegen und versöhnt sie. Darin zeigt sich die wahre Bewegungsrichtung der Menschwerdung, des Kreuzes.“ Einführung in das Christentum, 1968, in: JRGS 4, 258 f. 133 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 353. 134 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 34. 135 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 351.

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feste Gestalt heraus, die allerdings immer noch Schwankungen zulässt“.136 Das neue, spezifisch Christliche dieser Ämter schien der neu entdeckten Sicht auf die Bibel „gerade in [ihrer] Entsakralisierung“ zu liegen: „Nicht Sacerdotes (hiereis) hießen die Diener der christlichen Gemeinden, sondern Presbyter – Älteste.“137 Auf jeden Fall scheint gesichert zu sein, dass die Ämter der werdenden Kirche nichts mit dem Kult, dem Wesen des alttestamentlichen Priestertums, zu tun haben: „Vor allem ist ein kultischer Auftrag dieser Ämter nicht zu sehen: Nirgendwo werden sie ausdrücklich mit der Eucharistiefeier in Verbindung gebracht; als ihr Inhalt erscheint hauptsächlich die Verkündigung des Evangeliums, dann der Dienst der Liebe unter den Christen und gemeindliche Funktionen mehr praktischer Art.“138 Gleich anschließend setzt Ratzinger fort: „Das erweckt den Eindruck, dass die Ämter nicht sakral, sondern rein funktional gesehen, also ganz nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit gehandhabt wurden.“139 Aus dem Gesagten erschließt sich von selbst, welch fatale Folgen solche ‚Entdeckungen‘ in den biblischen Fundamenten des christlichen Priestertums für das Amt, wie es in der Kirche selbstverständlich gelebt und von der Theologie definiert wurde, haben musste. Wenn nach der klassischen Theologie der kultische Auftrag der Darbringung des eucharistischen Opfers und der Spendung der Sakramente das Wesen des Priestertums darstellt, ist dieses Priestertum von innen her fraglich, ja obsolet, denn gerade diese kultische Dimension scheint biblisch nicht gedeckt zu sein.

4.4.3 Problematisierung des Zusammenhangs zwischen ­Priestertum und Opfer Wie bereits erwähnt, kam die aus vielerlei Gründen angenommene Abwesenheit des sakramentalen Priestertums in den Apostolischen Briefen des Neuen Testaments auch unter den Katholiken in der Zeit nach dem Konzil zu allgemeinem Bewusstsein. 1967 gibt Ratzinger diese bereits angeführte These wieder: „Im wirklichen Leben der frühen Gemeinde […] findet sich nichts von einer sol136 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 34. 137 Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 898. 138 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 34. 139 Ebd.

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chen Form des Priestertums. Eine kultische Vollmacht des Priesters wird zu unserem Erstaunen direkt jedenfalls nicht erwähnt. Gerade das, was später nahezu allein das Bewusstsein ausfüllt [also der kultische Auftrag des Priesters – Anm. des Verfassers], kommt so überhaupt nicht zur Sprache.“140 Der Zusammenhang zwischen Priestertum und Opfer und der Sinn für eine wie auch immer geartete Vermittlerrolle des Priesters zwischen Gott und dem Menschen schienen gänzlich verschwunden zu sein. Die deutlichen, bereits erwähnten Aussagen des Hebräerbriefes in Bezug auf Kult und Priestertum spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie lassen sogar den Gedanken des Opfers, das Gott dargebracht wird, allgemein als problematisch erscheinen. In seinem grundlegenden Werk Einführung in das Christentum schreibt Ratzinger: „Alles Opferwesen der Menschheit, alle Versuche, durch Kult und Ritus Gott zu versöhnen, von denen die Welt voll ist, mussten hilfloses Menschenwerk bleiben, weil Gott nicht Stiere und Böcke sucht, oder was immer sonst ihm rituell dargeboten wird. Man kann ganze Hekatomben von Tieren Gott allenthalben auf der Welt opfern; er braucht sie nicht, weil alles das ohnedies ihm gehört und weil dem Herrn des Alls nichts gegeben wird, wenn man solches zu seiner Ehre verbrennt.“141

Das einzig Adäquate, mit dem der Mensch vor Gott treten kann, sei „das Eigene des Menschen, sein Ja zu Gott, sein Sich-Übergeben an Gott“, nur das könne „wahre Anbetung“ sein.142 Noch anders gesagt: „Es gibt nichts, womit er [der Mensch] sich aufwiegen könnte. Da aber der ganze vorchristliche Kult [einschließlich des alttestamentlichen] auf der Idee des Ersatzes, der Vertretung beruht, das zu ersetzen versucht, was unersetzbar ist, musste dieser Kult vergeblich bleiben.“143 Alle Opfer, welche Menschen Gott darzubringen versuchen, seien also „vergeblich“. Somit muss auch das Priestertum, das im Dienst des Opferns steht, „vergeblich“ sein.

140 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 351. 141 Einführung in das Christentum, 1968, in: JRGS 4, 261. 142 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 352. 143 Einführung in das Christentum, 1968, in: JRGS 4, 261 f. Dass auch der biblische alttestamentliche Kult hier gemeint ist, geht aus Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes (JRGS 12, 352) hervor.

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Der Hebräerbrief ziehe „im Lichte des Christusglaubens“ eine „vernichtende Bilanz der Religionsgeschichte“, ein „völliges Scheitern der Religionen“; dabei wisse der Verfasser gerade, „dass in Christus die Idee des Ersatzes, der Vertretung einen neuen Sinn bekommen“ habe.144 Erst in Christus also macht ein Sprechen vom Opfer einen wirklichen Sinn, denn, um einen bereits genannten Gedanken zu gebrauchen: „Er, der religionsgesetzlich gesehen ein Laie war, kein Amt im Kultdienst Israels innehatte, er war […] der einzige wahre Priester der Welt.“145 Weil Christus die Grenze zwischen ,profan‘ und ,sakral‘, mehr noch die Grenze zwischen Mensch und Gott überschritten hat, ist er der wahre Hohepriester. Freilich gilt das oben Zitierte, nämlich dass sein Tod „innergeschichtlich gesehen einen völlig profanen Vorgang darstellte, die Hinrichtung eines Mannes, der als politischer Verbrecher verurteilt war“.146 Dennoch sei gerade dieser Tod „in Wirklichkeit die einzige Liturgie der Weltgeschichte, kosmische Liturgie, in der nicht im abgegrenzten Bereich des liturgischen Spiels, im Tempel, sondern in der Öffentlichkeit der Welt Jesus durch den Vorhang des Todes hindurch in den wirklichen Tempel, das heißt vor das Angesicht Gottes selbst, hintrat, um nicht Dinge, Blut von Tieren oder was auch immer, sondern sich selbst darzubringen“.147 Christi Blut, das bei diesem Opfer dargebracht wurde, sei „nicht eine Sache neben anderen, sondern Ausdruck dafür, dass er keine Sachen, sondern eben sich selbst, die Totalität seiner Existenz mitbringt“.148 Somit ist Christi Opfer ganz anders als alle anderen Opfer, die auf dem Stellvertretungsgedanken beruhen, bei denen aber das grundlegende Problem, dass der Mensch Gott eigentlich sich selbst geben müsste, ungelöst bleibt. Wiederum Ratzinger selbst: „Achten wir auf diese grundlegende Umkehrung, die zum Kerngedanken des [Hebräer-]Briefes gehört: Was irdisch betrachtet ein profanes Geschehen war, ist der wahre Kult der Menschheit, denn der ihn vollzog, hat den Raum des liturgischen Spiels durchbrochen und Wahrheit gemacht: Er gab sich selbst. Er nahm den Menschen

144 Vgl. Einführung in das Christentum, 1968, in: JRGS 4, 262. 145 Ebd. 146 Ebd. 147 Ebd. 148 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 353.

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die Opfersachen aus der Hand und setzte an ihre Stelle die ge­ opferte Persönlichkeit, sein eigenes Ich.“149

Nicht mehr „das Spiel der Stellvertretung“, sondern „die Wirklichkeit dessen […], der durch den Todesvorhang hindurch vor das Angesicht Gottes kommt“, sei nun die „wirkliche Liturgie der Welt, […] der kosmische Versöhnungstag“.150 An dieser Stelle entfaltet die für das Thema entscheidende Aussage des Hebräerbriefes seine volle Bedeutung: „Einen anderen Kult als diesen – sagt der Hebräerbrief – gibt es nicht, und auch einen anderen ἱερεύς, einen anderen ‚Priester‘ nicht als den, der ihn vollzog, Jesus Christus.“151 Dieses Gesamtbild des Hebräerbriefes blieb dem katholischen theologischen Selbstbewusstsein der letzten Jahrhunderte wohl weitgehend fremd,152 weshalb seine Neuentdeckung, die mit dringenden Nachfragen durch die protestantische Exegese einherging, ein wahres Erdbeben nach sich zog. Ratzinger stellt 1972 ergänzend und aus unserer Sicht wohl auch konkretisierend fest, dass sich auch im öffentlichen Bewusstsein fast allgemein die Überzeugung durchsetze, das Neue Testament stelle allgemein „das Ende der sakralen Tabus“ und somit eindeutig auch das „Ende des Opferpriestertums wie der Opfer überhaupt“ dar.153 Allerdings seien „schon im Neuen Testament selbst Resakralisierungsbestrebungen zu erkennen“: Der Opferbegriff werde restauriert, „zunächst allegorisch umkleidet“, dennoch „anfanghaft bereits wiederhergestellt“.154 Selbst aufmerksame Vertreter der These vom Christentum als radikaler Entsakralisierung geben zu, dass in der wohl ältesten nachneutestamentlichen Schrift, dem Ersten Clemensbrief, durch „die Parallelisierung der neutestamentlichen Ämter mit alttestamentlichen Ordnungen“ dieser Prozess weitergehe, auch wenn er von ihnen eindeutig als „Rückfall ins Vorchristliche“ angesehen wird.155 Dieser „Rückfall“, so die 149 Einführung in das Christentum, 1968, in: JRGS 4, 262. 150 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 353. 151 Ebd. 152 Wie Ratzinger sagt, ist diese Fremdheit sogar noch beim Konzil zu beobachten (vgl. PO 3). Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 353, Anm. 2. 153 Vgl. Opfer, Sakrament und Priestertum in der Entwicklung der Kirche, 1972, in: JRGS 12, 85. 154 Ebd. 155 Ebd.

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Vertreter der Entsakralisierungsthese, wurde in der frühen nach­ biblischen Zeit „beinahe perfekt“ vollzogen, er habe sich weit ausgebreitet und „wurde in Trient zum Dogma erhoben“.156 Aus dieser Erkenntnis heraus ergebe sich für sie dann auch die Aufgabe für die moderne Theologie: „die Dogmatisierung des Irrtums entschlossen zu überwinden, die Entsakralisierung endlich zu vollstrecken, das sakramentale Amt durch ein funktionales zu ersetzen, den rundum magischen Rest – das Opfer – auszutilgen und, im Geiste Jesu, ein magiefreies, rational konstruiertes ‚effizientes‘ Amt zu bauen, das der Sache Jesu endlich zur Geltung verhelfe“.157 Abschließend sei hier noch eine Kurzbemerkung zum Begriff Mittler/Vermittlung angeführt, der zu dem gerade behandelten Bedeutungskreis Opfer/Priestertum gehört. Tatsächlich spielt in der klassischen Priesteramtstheologie neben dem Opferbegriff auch der Begriff des Mittlers bzw. der Vermittlung eine entscheidende Rolle: Der Priester wurde hier als derjenige gesehen, der vor Gott tritt, um im Namen des Volkes die Opfer der Gemeinschaft darzubringen.158 Sogar der Hebräerbrief wird in diesem Sinne interpretiert. Im Hinblick auf die richtig verstandene Theologie des Hebräerbriefes wurde aber von der modernen Theologie immer wieder darauf hingewiesen, dass das Neue Testament diesen Begriff ziemlich eindeutig und ausschließlich auf Christus bezieht. Bei einem kirchlichen Amt von Vermittlung zu sprechen, scheint von daher gänzlich unangebracht zu sein. So stellt auch Ratzinger fest: „Die neuere Debatte [hat] gerade den Begriff ‚Mittler‘ im Zusammenhang mit Priestertum besonders scharf kritisiert.“159

156 Vgl. ebd. 157 Ebd. 158 Es sei hier an die Enzyklika Pius’ XI. Ad catholici sacerdotii von 1935 erinnert: „Immer hat die Menschheit das Bedürfnis nach Priestern empfunden, d. h. nach Menschen, die durch ihre amtliche Sendung Mittler zwischen Gott und den Menschen sind und aus der gänzlichen Hingabe an ihre Mittlerschaft ihre Lebensaufgabe machen. Sie sind beauftragt, Gott öffentliche Gebete und Opfer im Namen der Gesellschaft darzubringen; denn diese hat auch als solche die Pflicht, Gott durch einen öffentlichen und sozialen Kult zu verehren, ihn als ihren höchsten Herrn und ersten Ursprung anzuerkennen, zu ihm als dem letzten Ziele zu streben, ihm unaufhörlich zu danken und ihn zu versöhnen.“ Ad catholici sacerdotii, 10. 159 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 109.

4.5 Unzulänglichkeit der bisherigen theologischen Konzepte

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4.5 Unzulänglichkeit der bisherigen theologischen Konzepte Viele grundsätzliche Infragestellungen des sakramentalen Priestertums waren nicht neu, sondern bestanden in der protestantischen Tradition und ihrer Exegese bereits seit langem. Schließlich haben die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation hervorgingen, das sakramentale Amt nicht bewahrt. So stellt sich die Frage, warum diese Argumente in der Zeit nach dem Konzil auch in der katholischen Wahrnehmung eine solche Resonanz und Plausibilität entwickelt haben, die imstande waren, die hinlänglich bekannten und dogmatisierten, durch Jahrhunderte als selbstverständlich geltenden Grundlagen des katholischen Priestertums in eine Krise zu stürzen. Hiermit berühren wir das Problem der Unzulänglichkeit der gängigen neuscholastischen theologischen Konzepte, die seit dem 19. Jahrhundert in einer gewissen Erstarrung den Anschluss an die modernen Wissenschaften verloren haben, insbesondere was die Entwicklung der biblischen Wissenschaften angeht. Wie wir bereits gesehen haben, bedürfen diese Entwicklungen kritischer Rückfragen, besonders vom katholischen Standpunkt her, der sich der Bedeutung der lebendigen Tradition der Kirche sehr wohl ­bewusst ist und den biblischen Befund nicht als archäologisches Material betrachtet, sondern ihn im Strom einer von Gott durch seine Selbstoffenbarung angestoßenen Bewegung eingebettet weiß. Immer wieder thematisiert Ratzinger diesen in der protestantischen Tradition wohl unterschätzten Aspekt, ohne dabei die Dringlichkeit der durch moderne Wissenschaften geäußerten Nachfragen zu verkennen. Ratzingers frühe Texte zu unserem Thema – gemeint sind hier vor allem seine Primizpredigten etwa Mitte der 50er-Jahre – sind noch ganz von der klassischen Theologie bestimmt: der Priester als Segnender, der Priester als Opferbringer etc. Die Sprache ist feierlich, die Begrifflichkeit klassisch.160 In den 60er- und 70er-Jahren werden die Beobachtungen kritischer. Er beobachtet nicht nur das Zerbröckeln der Fundamente für das sakramentale Priestertum, sondern auch die damit Hand in Hand gehende Unfähigkeit

160 Vgl. JRGS 12, 656 f., 664 f., 670 f.

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der klassischen Schultheologie, auf die Anfragen der modernen Wissenschaft tragfähige Antworten zu liefern – also neue Plausibilität unter veränderten Vorzeichen zu schaffen. 1967 verweist Ratzinger auf das „ungeheure Missverständnis des Versöhnungsbegriffes wie auch des Sakramentsgedankens“, welches oft un­ reflektiert mit dem klassischen Priesterbild verbunden war und das nun durch die neuen Erkenntnisse der Bibelwissenschaften „mit greller Deutlichkeit“ als Missverständnis erkannt wurde.161 Die in dieser Zeit gängige Schultheologie war also nicht in der Lage, die Engführungen zu erkennen und zu korrigieren und somit auf die berechtigten Nachfragen der modernen Exegese gebührend zu reagieren. Noch 1990 schreibt er zu diesem Thema: „Die […] philologischen Beobachtungen schienen dieses Katego­ riensystem [Antithese zwischen Kult und Evangeliumsverkündigung, zwischen Gesetz und Gnade, also zwischen Priester und Prophet – Anm. des Verfassers] zu bestätigen. So ist es zu begreifen, dass die katholischen Theologen, denen diese ganze Vorgeschichte mit der Problematik ihrer Entscheidungen unbekannt war, in der plötzlichen Konfrontation mit dem wissenschaftlichen Anspruch moderner Auslegung den Boden unter den Füßen verloren.“162

Am Ende dieses Kapitels sei zur Illustration nur eine Begebenheit erwähnt: Bereits nach der öffentlichen Ankündigung seines Rücktritts schildert Papst Benedikt XVI. in frei gehaltener Rede bei seiner letzten Begegnung mit dem Klerus der Diözese von Rom am 14. Februar 2013 die Begeisterung am Beginn des Konzils und zugleich das Problem, dass die Kirche „nicht vorankam“, sondern zurückging, „mehr eine Wirklichkeit der Vergangenheit als Trägerin der Zukunft zu sein schien“.163 Auch in diesen Worten kann 161 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 351. 162 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 35 f. 163 Vgl. Benedikt XVI., Begegnung mit dem Klerus der Diözese Rom, 14. Februar 2013, http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/speeches/2013/february/documents/ hf_ben-xvi_spe_20130214_clero-roma.html (3.4.2018). Hier der ganze uns interessierende Passus: „Wir sind damals nicht nur mit Freude, sondern mit Begeisterung zum Konzil gegangen. Es gab eine unglaubliche Erwartungshaltung. Wir hofften, dass alles erneuert werden würde, dass wirklich ein neues Pfingsten käme, eine neue Ära der Kirche, denn die Kirche war in jener Zeit noch recht kräftig, der sonntägliche Gottesdienstbesuch noch gut, die Berufungen zum Priestertum und zum Ordensleben waren schon etwas weniger geworden, aber immer noch ausreichend. Man spürte jedoch, dass die Kirche nicht vorankam, zurück-

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man Ratzingers Überzeugung von der Unzulänglichkeit der damals gängigen, eher rückwärtsgewandten Schultheologie erkennen.164 Manuel Schlögl meint sogar von „Ratzingers lebenslanger Abneigung gegen die Neuscholastik und den Thomismus als System“ sprechen zu können.165 Als wichtigste Anzeichen dieses Problems seien hier folgende, wohl unvollständig bleibende Stichworte genannt: eine gewisse Starrheit der Neuscholastik, Isolierung und Ghettomentalität, die in einer Dialogverweigerung gipfelte (die Mentalität des Syllabus errorum), ein sehr verengter, völlig statischer Offenbarungsbegriff, eine unzulängliche, eher steinbruch­ artig vorgehende Exegese und ihre damit verbundene Sprachlosigkeit gegenüber der protestantischen Exegese. Wegen alldem war die Neuscholastik nicht in der Lage, die Fundamente des katholischen Priesterbegriffs gegenüber modernen Nachfragen zu sichern. Mehr dazu wurde bereits in der kritischen Würdigung der Neuscholastik gesagt.166 Ratzingers Methode dagegen ist anders. Sie besteht darin, sich den Anfragen auszusetzen und bis auf Messers Schneide zu gehen, zu fragen also, ob die Vorwürfe, diese ‚Abrissarbeiten des Überlieferten‘, nicht doch zuträfen, nicht doch berechtigt seien. Davon ausgehend fragt er dann: Lassen sich die Grundlagen sichern? Lassen sie sich auch angesichts der neuen Erkenntnisse, angesichts der verschwundenen, jahrhundertelang tragenden Sicherheiten erneuern? Gibt es einen Weg zu neuen, unter veränderten Umständen geltenden Plausibilitäten? Dabei zeigt er auch die Grenzen der Infragestellungen und ihre inneren Widersprüchlichkeiten und Unzulänglichkeiten auf. Gerade so kann er bis zur

ging, mehr eine Wirklichkeit der Vergangenheit als Trägerin der Zukunft zu sein schien. Und in jenem Augenblick hofften wir, dass diese Beziehung sich erneuern, sich ändern werde; dass die Kirche wieder Kraft der Zukunft und Kraft des Heute sein werde.“ 164 Christian Schaller, der Leiter des Institut Papst Benedikt XVI. in Regensburg und Herausgeber der Gesammelten Schriften, interpretiert diese Stelle genau in diesem Sinne: „Da [bei dieser Begegnung] schilderte er [der Papst], wie begeistert er war von diesem Aufbruch und davon, die damals vorherrschende rückwärtsgewandte Schule der Neuscholastik aufzubrechen und zu einer geschichtlichen Theologie zu kommen.“ http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/rat zinger-ist-kein-nostalgiker (3.4.2018). 165 Vgl. M anuel Schlögl , Am Anfang eines großen Weges. Joseph Ratzinger in Bonn und Köln, Regensburg 2014, 92 f. 166 Siehe Abschnitt 1.3.

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4. Die Realität der priesterlichen Existenz heute

neuen Einsichtigkeit durchdringen und neue Plausibilität des Amtes konstruieren. Schon in seinen Texten ab den 80er-Jahren findet eine leichte Veränderung der Sprache statt, die in den 60er- und 70er-Jahren die Dringlichkeit der Krisensituation reflektiert. Die heiße Phase der Krise, auf welche die gängige Theologie keine tragfähigen Antworten geliefert hat, scheint nun vorbei zu sein, da neue Antworten auf diese Infragestellungen gegeben werden konnten: vom Magisterium seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wie auch von der katholischen Theologie. Zu diesen Antworten zählt wohl auch Ratzingers eigener Beitrag, den er in verschiedenen Texten geleistet hat, in denen er sich mit ebendiesen Infragestellungen der Fundamente des sakramentalen Priestertums auseinandersetzt. So schreibt er in einem bereits zitierten Text im Jahr 1983: „Über das Priestertum ist [seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil] sehr viel nachgedacht und auch sehr viel gestritten worden. Es hat sich in alledem lebenskräftiger erwiesen als viele voreilige Argumente, mit denen man es als ein sakrales Missverständnis hinter sich lassen und durch bloß funktionale Dienste auf Zeit ersetzen wollte. Allmählich werden die Voraussetzungen durchsichtig, die solche Argumentationen zunächst fast unwiderleglich erscheinen ließen. Das Überwinden der Vorurteile macht auch wieder ein tieferes Verstehen des biblischen Zeugnisses in seiner inneren Einheit von Altem und Neuem Bund, von Bibel und Kirche möglich, so dass wir nicht mehr auf das Zisternenwasser angewiesen sind, das im Streit der Hypothesen bald versickert, bald wieder sich in dürftigen kleinen Beständen sammelt, sondern den Zugang zum lebendigen Quell des Glaubens der Kirche aller Zeiten finden.“167

Die Krise ist aus seiner damaligen Sicht also nicht vorbei, aber sie tritt in eine andere Phase, da die Fundamente gesichert zu sein scheinen. Es geht darum, die Phase der Konsolidierung einzuleiten. Sie hat aber die Unzulänglichkeit der Schultheologie, die sich im Turm ihrer Denkweise verschloss und unfähig war, auf neue Anfragen zu reagieren, unter Beweis gestellt. Das kommende Kapitel ist den Sicherungsarbeiten gewidmet und versucht Ratzingers Wege zur Grundlegung des sakramentalen Priesteramtes aufzuzeigen.

167 Zur priesterlichen Spiritualität. „Auf dein Wort hin“ (Lk 5,1–11), 1983, in: JRGS 12, 514.

5. Wege der Grundlegung

Die soeben geschilderte Infragestellung der Grundlagen des sakramentalen Priestertums führt zur Frage, ob es, den protestantischen kirchlichen Gemeinschaften ähnlich, beseitigt werden muss, was auch bedeuten würde, dass die ganze mit unserem Thema zusammenhängende katholische Dogmengeschichte ein Fehlschlag gewesen wäre, oder ob es möglich ist, es unter veränderten Vorzeichen der Zeit, das heißt erneuert, herzustellen. Das Zweite Vatikanum hat sich, wie wir sahen, eine biblische und theologische Erneuerung der Kirche zum Ziel gesetzt. In Bezug auf das Priestertum aber schreibt Joseph Ratzinger unter anderem, dass die Konzilstexte zwar „biblische Motive weit über das Tridentinum hinaus in sich aufgenommen“, aber „doch den traditionellen Kontext nicht wesentlich überschritten“ hätten, so dass sie „nicht ausreichten, um eine neue Begründung und Wesenserhellung des Priestertums in der veränderten Lage zu geben“.1 Diesen Punkt führt Ratzinger bei seinem einleitenden Referat zur Bischofssynode 1990 an, als er versucht, den Kontext der Beratungen und darin vor allem die Probleme zu benennen. Das Konzil also, wie wir im entsprechenden Kapitel gezeigt haben, hat diese Arbeit aus verschiedenen dort angeführten, wohl nachvollziehbaren Gründen nicht geleistet und auch nicht leisten wollen. Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, dass die Hauptlinie der modernen, auf die protestantische Exegese zurückgehenden Infragestellung des Priestertums die Sakramentalität und den kultischen Charakter des katholischen Priestertums betrifft. Dort müssen also auch die Sicherungs- und Aufbauarbeiten der Erneuerung ansetzen. Für Ratzinger ist es aber nicht eine Frage von lediglich einem konkreten Punkt, wie z. B. dem der Sakramentalität. Vielmehr müssen viele Mosaiksteine zusammengetragen, von den Ablagerungen durch die Geschichte – das betrifft die klassische wie 1 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 33.

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5. Wege der Grundlegung

auch die moderne Theologie – freigelegt und in den organischen Kontext des geoffenbarten Glaubens gesetzt werden. Dadurch ­sollen eine neue Plausibilität, eine vertieft begründete und somit erneuerte Gestalt des sakramentalen Priestertums sowie seine eigentliche Wichtigkeit und Lebendigkeit zum Vorschein kommen. Bevor wir uns nun in drei Schritten den Wegen zur Grundlegung und zu einer neuen Wesensherstellung des sakramentalen Priestertums in Ratzingers theologischen Arbeiten zuwenden, erscheint es angebracht, diesen eine Vorbemerkung vorauszuschicken.

5.1 Vorbemerkung: eine Kontextsetzung und somit Relativierung der Anfragen Bevor Ratzinger die Mühe aufwendet, Wege zu einer neuen Plausibilität des Priestertums aufzuzeigen, rückt er die Anfragen, denen das Priesteramt in seinem Heute ausgesetzt ist, ins rechte Licht, versucht diese in einen breiteren Kontext zu setzen und zeigt dadurch wichtige Zusammenhänge, die beim Thema mit­ bedacht werden müssen. Somit leistet er gewissermaßen einen ‚Schritt null‘ oder einen ‚Schritt vor den eigentlichen Schritten‘, einen Schritt also, der noch vor die Mühe um eine vertiefte Grundlegung gesetzt werden soll.

5.1.1 Die Schärfe der Anfragen als Ergebnis hermeneutischer Vorentscheide Diese Relativierung der ursprünglich von der protestantischen Theologie kommenden Anfragen wurde bereits kurz erwähnt. 2 Ratzinger ist sich dessen bewusst, dass sich auf die Infragestellungen am gravierendsten jene philosophischen Vorentscheide auswirken, „die das Weltbild und die vermeintliche Geschlossenheit des modernen naturwissenschaftlichen Weltbildes betreffen, das mit dem vermeintlich mythischen Weltbild der Schrift in Konkurrenz tritt“. 3 Ratzinger zeigt auf, dass die These vom Christentum 2 Siehe oben S. 221. 3 Rudolf Voderholzer , Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. und die Exegese, in: P eter Hofmann (Hg.), Joseph Ratzinger. Ein theologisches Profil, Paderborn 2008, 99–121, hier 114.

5.1 Eine Kontextsetzung und somit Relativierung der Anfragen

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als Entsakralisierung mit all ihren Folgen nicht einfach ein objektiver Befund der modernen Bibelwissenschaft ist, sondern aus den „hermeneutischen Grundentscheiden“ der reformatorischen Theologie und aus „exegetischen Beobachtungen“ erwächst.4 Was ist damit gemeint? Unter „hermeneutischen Grundentscheiden“ versteht er die Tat­ sache, dass die für die protestantische Theologie typische „dialektische Entgegensetzung von Gesetz und Verheißung, von Priester und Prophet, von Kult und Verheißung“ und die folglich damit verbundene negative Wertung der „einander zugeordneten Kategorien Gesetz – Priester – Kult“ nicht objektiv ist, sondern aus den Axiomen des Protestantismus erwächst. 5 In dieselbe Richtung zielt die spätere liberale Exegese am Anfang des 20. Jahrhunderts, die gerade auf die aktuellen Infragestellungen des Amtes einen immensen Einfluss hatte. Diese hatte Jesus „nach dem Bild der liberalen Welt als den großen Individualisten“ interpretiert, der „die Religion von den kultischen Institutionen befreit und sie auf Ethik reduziert, die ihrerseits ganz auf die individuelle Verantwortung des Gewissens gegründet wird“.6 Die Konstruierung der im scharfen Gegensatz zueinander stehenden Begriffspaare ist eine logische, wenn auch in ihren Auswirkungen tragische Folge: Priester und Prophet, Kult und Prophetie, Institution und Charisma, Recht und Freiheit des Gestaltens. Die ersteren der hier genannten Begriffe stehen freilich unter negativen Vorzeichen. Die Aufstellung dieser Voraussetzungen, so Ratzinger, verkenne völlig den eigentlichen Kontext des Neuen wie des Alten Bundes und eigentlich auch den der werdenden Kirche, für die der Kult nicht einfach ein zu überwindender, da von Machtgefüge und falsch verstandener Selbstgerechtigkeit erfüllter Raum war,7 sondern vielmehr der innere Lebensraum des Glaubens des Volkes Israel, ein Raum also, in dem dieser Glaube gelebt wurde und einen selbstverständlichen Ausdruck fand.8

4 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 35. Vgl. dazu auch Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 898. 5 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 35. 6 Ursprung und Wesen der Kirche, 1990, in: JRGS 8/1, 221. 7 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 35. 8 Vgl. Ursprung und Wesen der Kirche, 1990, in: JRGS 8/1, 221 f.

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5. Wege der Grundlegung

Auf eine sehr direkte Art problematisiert Ratzinger die weit verbreitete Entsakralisierungsthese, die das überlieferte, sakramentale Priesteramt dekonstruiert, und verweist auf ihre Grenzen und ihre eigentliche Schwachstelle, denn „diese Vision [ist] nicht von den [biblischen] Texten her entworfen“, sondern „von den gegenwärtigen Zielen her“.9 Mit Verweis auf das „Denken von den Quellen her“ nimmt Ratzinger der Entsakralisierung also den Schein des Ursprünglichen, Reinen und Biblischen und rückt sie auf das rechte Maß zurecht. Sie sei auch ihrem Wesen nach „antihistorisch“, da „zu ihrer Begründung in der Retorte der aufklärerischen Vernunft ein Kanon im Kanon rekonstruiert“ werde, der „diese ihrem Wesen nach antihistorische Vision“ begründen solle.10 Das Antihistorische bestehe darin, dass ihr „wahres (oft ihr selbst kaum bewusstes) Ziel […] die Befreiung von der Last der Geschichte“ sei, die den Sinn habe, „nun endlich ohne ihr erdrückendes Erbe wie in der Stunde Null ganz neu beginnen zu können“.11 Dazu kann angemerkt werden: Wenn eine Vision sich als ‚Zurück zum Ursprung‘ ausgibt, dabei aber selbst innerlich wesentlich ­antihistorisch ist, wird sie selbst von innen her fraglich, und ihre Anfragen an das Amt werden stark relativiert. Die eigentliche und ausführliche Entgegnung Ratzingers auf diese These wird gerade dieses Kapitel darzustellen versuchen; hier sei nur auf diese erste, hermeneutische Relativierung hingewiesen. In einem anderen Kontext, als er nämlich die unreflektierte Projizierung des selbstverständlichen Lebensgefühls der modernen Demokratie auf die Kirche des Ursprungs aufzeigt, formuliert Ratzinger in Form von Fragen eine ernst zu nehmende Relativierung solcher Methodik, die seine Relativierung der modernen Axiome auch bei unserer Frage gut auf den Punkt bringt: Am Ende, so Ratzinger, erhebe sich die Frage, „ob alles, was uns da so siegesgewiss entgegentritt, nicht doch weithin die Spiegelung von Wünschen dieser unserer Stunde“ sei, aber „weder Ausdruck des ursprünglich Christlichen noch Darstellung des wahrhaft Humanen, der Wahrheit überhaupt“.12

9 Opfer, Sakrament und Priestertum in der Entwicklung der Kirche, 1972, in: JRGS 12, 85 f. 10 Vgl. ebd., 86. 11 Ebd. 12 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 393.

5.1 Eine Kontextsetzung und somit Relativierung der Anfragen

239

Der erweiterte Blick auf den hermeneutischen Kontext lässt also die modernen Infragestellungen des sakramentalen Amtes bei weitem nicht verschwinden, rückt deren Schärfe allerdings ins rechte Maß, ermöglicht so eine sachliche Auseinandersetzung und legt bisher verbaute Wege zu einer neuen Grundlegung frei.

5.1.2 Innerprotestantische Relativierung der reinen Funktionalität des Amtes Wurden das Priestertum und der Kult durch die Vorentscheide der protestantischen Theologie und Exegese in den negativen Kontext verbannt und so theologisch von innen her überflüssig ­gemacht, blieb die Notwendigkeit einer praktischen, ordnenden Funktion des Amtes innerhalb der Religionsgemeinschaft dennoch bestehen. Diese aber habe gegenläufige Tendenzen innerhalb des Luthertums und auch bei Luther selbst auftreten lassen. Wenn das Sakrament der Weihe mit seiner Beständigkeit auch verbannt wurde, hat sich die schlicht funktionale, jederzeit zurücknehmbare Ordination schnell selbst überholt: „Die Ordi­ nation wurde sehr bald doch keineswegs als jederzeit zurücknehmbare, rein funktionale Entscheidung verstanden, sondern zumindest in einer gewissen Analogie zum Sakrament gefasst.“13 Auch der vorher radikal beseitigte und von der einseitigen Betonung der Predigt abgelöste Zusammenhang von Wort und Sakrament tauchte in einer abgeschwächten Form wieder auf, da man doch relativ schnell gesehen hat, dass Eucharistie und Verkündigung nicht voneinander zu trennen sind.14 Außerdem müsse mitbedacht werden, dass die „Vorstellung von der radikalen Profanität des Christlichen“ und „vom nichtreligiösen Charakter des Glaubens“ ohnehin „erst einer Konstellation des 20. Jahrhunderts“ entstammten und für Luther selbst „noch durchaus unverständlich und unannehmbar gewesen wären“.15 Gerade in dem auf Luther zurückgehenden Strang des Protestantismus hat sich eine starke kultische Tradition entwickelt, die wohl eine nicht unwesentliche Nähe zum Katholischen aufweist, so dass Ratzinger anerkennend schreiben kann: „Der ‚katholische‘ 13 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 36. 14 Vgl. ebd. 15 Ebd.

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5. Wege der Grundlegung

Strang protestantischer Theologie hat somit am meisten geholfen, die Einseitigkeiten bestimmter moderner Bibelauslegungen zu überwinden.“16 Es muss nicht eigens betont werden, dass diese im Protestantismus selbst früh einsetzenden Gegentendenzen die Entsakralisierung des Amtes als Postulat des Neuen Testaments sehr stark relativieren. Solche Beobachtungen lassen nach Ratzinger neben all den „berechtigten Fragen der Reformation“ die Einseitigkeit und die wohl zu engen Grenzen der oben besprochenen Tendenzen und ihre Untauglichkeit im praktischen Leben erkennen.17

5.2 Bibeltheologische Grundlinien Schon der Blick auf die Relativierungen der Anfragen deutet darauf hin, dass all das, was im vorigen Kapitel als von Ratzinger diagnostizierte Krise des Priesteramtes besprochen wurde, gewiss nicht zur Aufgabe des sakramentalen Priestertums führen darf, sondern eher zu einer neuen Aufmerksamkeit gegenüber den Grundlagen, auf denen dieses aufgebaut ist. Dieser Aspekt fand in der neuscholastischen Amtstheologie, die das Thema des Amtes fast automatisiert behandelte, mit immer gleichen Bibeltexten arbeitete und für Anfragen der modernen Bibelwissenschaft blind geworden war, wohl wenig Beachtung. Ratzinger aber ist der Überzeugung, dass die scharfen Anfragen das Gebäude des Amtes nicht zum Einsturz bringen müssen, sondern die Krise vielmehr ein Impuls zur Erneuerung und Vertiefung der Theologie des Amtes sein kann, vor allem was die Grundlegung des Amtes betrifft: „Auf jeden Fall sollte die aktuelle Krise uns anspornen, mit neuer Wachsamkeit die Botschaft der Anfänge zu hören, um uns von ihr von Neuem befruchten und leiten zu lassen“, schreibt er 1970.18 Freilich muss dabei stets der bereits öfter erwähnte Umstand in Erinnerung behalten werden, dass Ratzingers Arbeiten zu unserem Thema nicht zu seinen theologischen Hauptarbeiten gehören, die irgendwie dem Anspruch der Vollständigkeit zu genügen ver16 Ebd. 17 Vgl. ebd. 18 Das priesterliche Amt, 1970, in: JRGS 12, 403.

5.2 Bibeltheologische Grundlinien

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suchen, sondern dass es vielmehr Fragmente sind, die aber ein sinnvolles Ganzes ergeben. Er selbst verweist immer wieder auf diese Grenze seiner Texte, im Besonderen derer, welche die bibeltheologischen Aspekte behandeln. So betont er, dass in diesen Texten „keinerlei irgendwie geartete Vollständigkeit angestrebt [wird]; was gesagt wird, gleicht eher den Momentaufnahmen eines Amateurs, die auf ihre Weise doch auch einige charakteristische Züge festzuhalten hoffen“.19 Das gilt allerdings nicht nur für seine Äußerungen zum „komplexen Bereich der biblischen Fragestellung“, sondern „in noch höherem Maße […] bezüglich der Konzilstexte“. 20 Diese wohl übermäßig bescheidenen Worte („Amateur“) über die eigene Leistung bedeuten letztendlich, dass man bei Ratzingers bibeltheologischen Erwägungen zu unserem Thema nicht den Maßstab der Vollständigkeit anwenden darf. Es ist ein Vorbehalt, der sich aus seinem Zugang zum gegebenen Thema ergibt und dennoch seine Gedanken ihrer Bedeutung nicht beraubt. Welche Aspekte der biblischen Fragestellungen bespricht nun Ratzinger in seinen Texten, die Wege zu einer neuen Grundlegung des Amtes aufzeigen können?

5.2.1 Die Frage der Kontinuität/Diskontinuität mit dem alttestamentlichen Priestertum Das Thema der Kontinuität bzw. Diskontinuität eines eventuellen neutestamentlichen Priestertums mit dem Priestertum des Alten Bundes ist wichtiger, als sie vielleicht aufs Erste erscheint, denn wie wir sehen werden, tangiert diese Frage bzw. die Antwort auf sie viele wesentliche Punkte. Eine erste Durchsicht der für die Frage der Kontinuität bzw. völligen Diskontinuität des neutestamentlichen Amtes mit dem alttestamentlichen Priestertum relevanten Texte ergibt, dass der Autor in den älteren Texten diese These sachlich darstellt, ohne eine eigene, argumentative Erwiderung zu präsentieren. Vor allem findet man keinen Versuch, irgendwelche Elemente der Kontinuität zwischen Sacerdoten des Alten und den Presbytern des Neuen Bundes herzustellen. Die neueren Texte dagegen bieten eine eigene, ausgereifte Auseinandersetzung mit der Diskontinuitäts19 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 350 f. 20 Ebd.

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5. Wege der Grundlegung

these, die in einer systematischen Entgegnung mündet und durchaus als Versuch, eine richtig verstandene Kontinuität herzustellen, interpretiert werden kann. Was kann dies bedeuten? Man kann die These aufstellen, dass in früheren Jahren Ratzinger diese Frage eher zweitrangig erschien. Er tastet sich an das Thema von anderen Zugängen heran. Im Laufe der Zeit hält er ein Priestertum, das recht verstandene Elemente des Sacerdotiums in sich birgt, von der Sache her für richtig. Wie kommt er dazu und welche Argumente kann er dafür vorweisen? Natürlich rüttelt Ratzinger nicht im Geringsten an der für das Neue Testament entscheidenden wie eindeutigen Überzeugung, dass das Christusereignis eine „radikale Beendigung der bisherigen Religionsgeschichte“ bedeutet. 21 Noch prägnanter formuliert Ratzinger diesen Tatbestand, wenn er auf die profane Terminologie der neutestamentlichen Ämter hinweist: „Gegenüber der bisherigen Idee des Sacerdoten finden wir also einen entscheidenden Bruch.“22 Somit kann eine einfache, direkte Kontinuität mit dem bisherigen Priestertum tatsächlich nicht behauptet werden. Diese mit Christus einsetzende radikale Neuheit berührt freilich auch den jüdischen Kult und das Priestertum des Tempels. Dort, wo das kirchliche Amt sich auf Christus bezieht, für das jüdische Gesetz ein Laie, kann es keine einfache und direkte Kontinuität mit dem alttestamentlichen, wesentlich durch Abstammung bestimmten Priestertum geben. An einer anderen Stelle sagt Ratzinger: „Aus dem Blickwinkel der Religionsgeschichte bedeutet das [Priestertum der Kirche] naturgemäß etwas völlig Neues: Es geht nicht aus dem Tempelpriestertum des Alten Bundes hervor und auch nicht aus der alttestamentlichen Vorstellung des ‚königlichen Priestertums‘.“23 Bedeutet all das aber, dass das Priestertum in der Kirche nichts Sakrales an sich hat, nichts mit dem Kult und nichts mit dem Opferbringen zu tun hat? Dass es dementsprechend rein funktional verstanden werden muss, auf die schlichte Verkündigung des Wortes zentriert, wie es im Protestantismus der Fall ist? Gerade da ist die Antwort Ratzingers ein Nein. Die ganze aus dem Neuen Testament klar hervorgehende Diskontinuität mit dem alten Priestertum muss nicht automatisch bedeuten, dass das 21 Vgl. ebd., 353. 22 Ebd., 355. 23 Das priesterliche Amt, 1970, in: JRGS 12, 406.

5.2 Bibeltheologische Grundlinien

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neutestamentliche Amt gänzlich außerhalb des Kultes und außerhalb der Opfer stünde. Ratzinger plädiert bei diesem komplizierten und vielschichtigen Thema dafür, „sich von verschiedenen Seiten her an die Sache heranzutasten, um ein möglichst komplexes Bild zu gewinnen und Einseitigkeiten auszuschließen, so gut es geht“. 24 Als Erstes stellt Ratzinger – für ihn wohl charakteristisch – die einfache Diskontinuitätsthese, die sie begründenden Argumente wie auch ihre Folgen in einen breiteren Kontext. Er stellt zuerst fest, dass „bloß terminologische Untersuchungen über die anfängliche Verschiedenheit und die später eintretende Verschmelzung der Begriffe Presbyter und Hiereus (Sacerdos) nicht ausreichen“, um die komplexe, von der liberalen Exegese gestellte Frage zu beantworten, ob die Kirche die große christliche Wende, die in der Entsakralisierung und somit auch in der Diskontinuität des neuen Amtes mit dem alttestamentlichen Priestertum einen besonderen Ausdruck fand, durch Sakralisierung wieder zurückgenommen hat. 25 Er sieht hier vielmehr „die ganze Problematik des Verhältnisses von Altem und Neuem Testament“ zur Debatte zu stehen, weswegen man tiefer gehen müsse. Die Frage lautet also: „Ist das Neue Testament wesentlich Bruch mit dem Alten oder wesentlich Erfüllung, in der alles verwandelnd aufgenommen und gerade im Erneuern bewahrt ist?“26 In diesen Worten findet wohl Ratzingers eigene heilsgeschichtliche Hermeneutik einen sehr präzisen Ausdruck. Denn nichts Geringeres als die organische Einheit der Heilsgeschichte wird für ihn hier tangiert: 27 ob also das Alte Testament lediglich ein an sich wegzudenkendes – da in einer gänzlich verschiedenen Tonart komponiert – Präludium des Neuen Testaments ist oder aber ob es eine innere Einheit zwischen den beiden gibt, die im Begriffspaar ‚Verheißung – Erfüllung‘ wesentlich ausgedrückt wird und in dem einen Gott, der sich und seiner Heils­ 24 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 356. 25 Vgl. Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 913. 26 Ebd. 27 Das Thema der inneren Einheit der Heilsgeschichte berührt auch die Beziehungen der Kirche mit den eigenen Wurzeln, also dem Glauben Israels, aber auch den Dialog der Religionen. Vgl. dazu Josef K reiml (Hg.), Christliche Antworten auf die Fragen der Gegenwart. Grundlinien der Theologie Papst Benedikts XVI., Regensburg 2010, 28 f.

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5. Wege der Grundlegung

absicht treu bleibt und kontinuierlich handelt, den eigentlichen Kristallisationspunkt hat. Ratzinger formuliert die Frage, die hier wohl auf dem Spiel steht, sehr grundsätzlich: „Steht Gnade gegen Gesetz, oder gibt es einen inneren Zusammenhang beider?“28 Da ist nicht nur der von Christus kommende und theologisch formulierte Neuanfang der Religionsgeschichte zu bedenken, sondern auch die historische Tatsache der Zerstörung des jüdischen Tempels und damit des ganzen Bereichs von Opfer und Priestertum, dem „Herzstück des ‚Gesetzes‘“, im Jahr 70 n. Chr. 29 Dieses Ende der Opfer wird vom Judentum eigentlich als eine Wunde gesehen, mit der auf zweifache Weise umgegangen wird: Einerseits werde das Verlorene aufzubewahren versucht, „indem die Heiligkeitsvorschriften des Tempels nun auf das Leben des Juden überhaupt“ übertragen werden, andererseits dadurch, dass es „in der Form der betenden Hoffnung auf die Wiederherstellung des Jerusalemer Kultes in seiner Spiritualität verankert“ werde. 30 Das Ende des Opferkultes wird also als eine offene und vorübergehende Wunde angesehen und im Praktischen der jüdischen Gemeinde als Gebet und als Hoffnung auf Wiederherstellung gegenwärtig. Der konkrete Ort dafür sei die Synagoge, die als „Ort der Versammlung zum Gebet, zum Verkündigen und Hören des Wortes“ nicht einen Ersatz für den Tempel darstelle, sondern die betende Hoffnung auf dessen Wiederaufbau repräsentiere und „ein Fragment, in Erwartung des Größeren“ sei. 31 Dieser Blick auf die Synagoge lässt wohl an die streng reformatorische Auslegung des geistlichen Amtes und des christlichen Kultes überhaupt denken, die das Christentum dementsprechend etwa „auf das Bild der Synagoge, auf Versammlung, Wort, Gebet“ reduziere. 32 Ratzinger spricht hier von einer „historistischen Auslegung der Einmaligkeit von Christi Opfer“, welche „Opfer und Kult in die Vergangenheit“ verbanne und „Priestertum in der Gegenwart“ ebenso ausschließe wie Opfer. 33 Was also im Judentum als Wunde gilt, wird so völlig umgedeutet und geradezu zu einer christologischen Errungen-

28 Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 913. 29 Vgl. ebd. 30 Vgl. ebd. 31 Vgl. ebd. 32 Vgl. ebd. 33 Vgl. ebd., 914.

5.2 Bibeltheologische Grundlinien

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schaft erhoben. Dabei stelle das eine Verkennung „der Größe und Tiefe des neutestamentlichen Geschehens“ dar, denn so wäre das Alte Testament gerade nicht erfüllt. 34 Ratzinger insistiert dagegen nicht auf einer formalen Neuheit, sondern verweist auf die Auferstehung des Sohnes als den eigent­ lichen Kristallisationspunkt der christlichen Neuheit: „In Christi Auferstehung aber ist der Tempel durch Gottes eigene Macht neu aufgebaut (Joh 2,19! [sic!]). Dieser lebendige Tempel – Christus – ist selbst das neue Opfer, das in Christi Leib, der Kirche, sein beständiges Heute hat. Von ihm her und auf es hin gibt es den wahrhaft priesterlichen Dienst des neuen Kultes, in dem alle ‚Figuren‘ erfüllt sind.“35 Aus christlicher Sicht gibt es also eine Antwort auf die Sehnsucht nach dem Tempel und nach dem Gott darzubringenden Opfer: Es ist der Auferstandene, der in seiner Kirche lebt und die Verheißungen, die dem ersten Volk Gottes gehören, andauernd erfüllt. Aus diesem Grund kann die These der völligen Diskontinuität auf keinen Fall angenommen werden: „Daher ist eine Konzeption abzuweisen, die in Sachen Kult und Priestertum den völligen Bruch mit der vorchristlichen Heilsgeschichte voraussetzt und jeden Zusammenhang zwischen alttestamentlichem und neutestamentlichem Priestertum leugnet.“36 Wiederum verweist Ratzinger darauf, dass es hier um das Wesentliche geht, nämlich um die innere Kontinuität der ganzen Heilsgeschichte: „So wäre das Neue Testament nicht Erfüllung, sondern Gegensatz zum Alten Bund; die innere Einheit der Heilsgeschichte wäre zerstört.“37 Der christliche Kult und das christliche Priestertum stehen nicht außerhalb des heilsgeschichtlichen Stromes, sondern führen diesen zum Eigentlichen, zur Erfüllung hin: „Durch das Opfer Christi und seine Annahme in der Auferstehung ist der Kirche das ganze kultische und sazerdotale Erbe des Alten Bundes übergeben worden.“38 Die Abwehr einer Verflachung des Christlichen, wie sie in der Diskontinuitätsthese ihren Ausdruck findet, ist somit ein Gebot der inneren Kohärenz der christlichen Botschaft. In den Worten Ratzingers: 34 Vgl. ebd. 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Ebd. 38 Ebd.

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5. Wege der Grundlegung

„Einer Reduktion der Kirche auf Synagoge gegenüber muss diese ganze Fülle des christlichen Ja herausgestellt werden; so erst erfasst man Weite und Tiefe des Amtes der apostolischen Nachfolge. In diesem Sinn müssen wir nicht verschämt und mit Entschuldigungen, sondern mit aller Entschiedenheit und Freude sagen: Ja, das Priestertum der Kirche ist Fortsetzung und Aufnahme des alttestamentlichen Priestertums, das gerade in der radikalen und verwandelnden Neuheit seine wahre Erfüllung findet.“39

Was aber bedeutet diese Neuheit Christi und die sich daraus ergebende Neuheit des Priestertums für unsere Fragestellung? Laut Ratzinger muss die radikale Neuheit Christi nicht eine völlige Diskontinuität mit dem bereits Vorhandenen bedeuten, ganz im Gegenteil, sie integriert den ihr vorausgehenden Heilsweg in sich: „Das apostolische Dienstamt der Kirche ist so neu, wie Christus neu ist; es nimmt an der Neuheit Christi teil und kommt aus ihr hervor.“40 Die radikale Neuheit Christi muss als Gipfel und Verwirklichung der ganzen Heilsgeschichte und ihrer Verheißungen verstanden werden: „So wie Christus alles neu macht, selbst Gottes neues Handeln ist und dennoch zugleich alle Verheißungen in sich aufnimmt, in denen die ganze Geschichte auf ihn zugegangen war, so trägt das neue Priestertum der Gesandten Jesu Christi auch den ganzen prophetischen Gehalt des Alten Bundes in sich.“41 Die Neuheit Christi steht demnach nicht in schroffem Gegensatz zu der ihr vorausgegangenen Heilsgeschichte, sondern diese gipfelt in ihrer Neuheit, in der Unmittelbarkeit Gottes, die in Christus und durch ihn für den Menschen erfahrbar wird. Dieselbe Logik gilt auch für das auf Christus zurückgehende Priestertum in der Kirche: Es ist nicht einfach eine Antithese zum Gewesenen, eine Negierung des Bisherigen, sondern vielmehr eine Erfüllung, welche die wesentlichen Elemente des auf Christus hin zugehenden heilsgeschichtlichen Weges in sich aufnimmt und im Zeichen der Einmaligkeit und der Neuheit Christi in sich weiterführt und verwirklicht: „Aber so wie Christus alles neu macht, selbst Gottes neues Handeln ist und dennoch zugleich alle Verheißungen in sich aufnimmt, in denen die ganze Geschichte auf ihn zugegangen war, so trägt das neue Priestertum der Gesandten Jesu Christi auch den 39 Ebd. 40 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 47. 41 Ebd.

5.2 Bibeltheologische Grundlinien

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ganzen prophetischen Gehalt des Alten Bundes in sich.“42 Das Problem der These von der vollkommenen Diskontinuität zwischen den Ämtern des Alten Bundes und den Ämtern der werdenden Kirche besteht demnach darin, dass sie bei aller berechtigten Aufmerksamkeit für das Neue des Christentums, das freilich auch Elemente der Diskontinuität mit einschließt, die notwendige Verbindung mit dem Vorherigen übersieht, denn eine Einheit der Heilsgeschichte vor Christus, in ihm und nach ihm muss auch Elemente der Kontinuität beinhalten. Man kann somit festhalten: Ratzinger ist um einen vielschichtigen Blick bemüht, der beiderlei Elemente, die der Diskontinuität wie auch die der recht verstandenen Kontinuität, zu sehen und zu würdigen weiß. Von hier aus wird auch die anfangs erwähnte Beobachtung ­genauer erhellt. Wir haben gesagt, dass Ratzinger in den älteren Texten (1967) sachlich, ohne weitere Vertiefung feststelle, dass „eine kultische Vollmacht des Priesters“ in der Briefliteratur des Neuen Testaments direkt nicht erwähnt werde,43 und dass er in den späteren Texten (1990, 1995) bei den neutestamentlichen Ämtern durchaus kultische Aufgaben erkenne. Hier sehen wir, dass die kultische Dimension der neutestamentlichen Ämter nicht formal oder schlicht religionsgeschichtlich begründet ist, sondern viel tiefer, nämlich christologisch: von der Einheit zwischen Wort und Zeichen, Wort und Opfer; vom Paschageheimnis und von der Sakramentalität der Verkündigung Jesu, die also mehr als nur bloßes Wort sei, sondern Gegenwart des fleischgewordenen Logos.44 So wie Jesu Wort und Auftrag die schlichte Dimension des Wortes übersteige, so gehe auch der Auftrag der auf ihn zurückgehenden Ämter weit über bloße Wortverkündigung hinaus und trage von Christus her Elemente des Sakramentalen in sich.45 Zusammenfassend kann man anführen: Ratzinger sagt eindeutig und im Einklang mit der Theologie des ganzen Neuen Testaments, dass die bisherige Religionsgeschichte mit dem nie genügenden Dienst ihrer Opferpriester in Christus tatsächlich ein Ende findet, also in einem dreifachen Sinn aufgehoben wird, um ein Wort von Rudolf Voderholzer zu gebrauchen: „Außer Kraft ge42 Ebd. 43 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 351. 44 Vgl. Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 902. 45 Vgl. ebd., 901 f.

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5. Wege der Grundlegung

setzt, erhöht und bewahrt“.46 Die Heilsgeschichte aber geht weiter, es ist dieselbe Geschichte von Anfang an, die in Christus einen Qualitätssprung und somit einen Neuanfang erreicht, so dass der Kult und somit auch das Priestertum neu werden, von Christus her und auf ihn hin. Ratzinger wendet sich somit klar gegen die These des totalen Bruchs, welche die neuen Ämter lediglich zu ‚Dienstleistungen‘ degradiert, da sie so „rein pragmatisch“ mit einem „berufsmäßigen Einsatz Einzelner für solche Dienste“ verbunden wären und eigentlich „von jedem Christen jederzeit […] getan werden [könnten]“, weil sie lediglich praktische Aufgaben darstellen, die jede funktionierende Gemeinschaft braucht.47 Eine problematische Tendenz, die er dabei wahrzunehmen meint, führt in Richtung einer gewissen Professionalisierung des Priestertums und seiner Abkopplung vom persönlichen Träger des Amtes: In dieser Logik sei „das Priestertum lediglich als eine Art Job zu betrachten, als ein ‚Amt‘, bei dem man sowohl im Dienst wie auch ‚außer Dienst‘ sein kann“.48 Am Ende ist eine existentielle Verbundenheit des Priesters mit seinem Meister, auf den sein Auftrag eigentlich zurückgeht, gar nicht mehr sichtbar: „Man tut, was vorgeschrieben ist, um hernach aber wieder Privatmann zu sein und nur sich selbst zu gehören.“49 Darin erkennt Ratzinger eine „Einebnung in die bürgerliche Existenz“ und sogar „das Erlöschen der eschatologischen Flamme der Unbedingtheit des Auftrages“. 50 Alles in allem: Von einem Priestertum, das durch die Diskontinuitätsthese jeder Sakralität beraubt wurde, bleibt eine rein funktionalistisch umschriebene, zum jederzeit ablegbaren Job verflachte Dienstleistung übrig. Dass Ratzinger sich gegen eine solche Tendenz wendet, bedeutet freilich nicht, dass er einfach und unreflektiert alles Alte mitsamt den Sackgassen der Religions- wie der Kirchengeschichte übernehmen wolle. Biblisch gesprochen bedeutet seine Ablehnung der schlichten Diskontinuitätsthese nicht, dass es sich bei den neuen 46 Voderholzer hat dieses Wort in einem ähnlichen Kontext gebraucht, als er über Inkulturation und den Wert außerchristlicher Kulte sprach. Quelle hier: https:// www.bistum-regensburg.de/news/wolfgangspredigt-2019-7073/ (1.11.2019). 47 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 355. 48 Ebd., 356. 49 Ebd. 50 Ebd.

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Ämtern lediglich um ‚neue Namen für alte Sachen‘ handle. Einfach Kontinuität oder eben einfach Diskontinuität zu behaupten, hält er für zwei Extreme, die „übrigens die ganze Theologiegeschichte hindurch sich immer wieder vordrängten“. 51 So sieht Ratzinger mit Bedauern auch die andere Gefahr, eine Tendenz der völligen Kontinuität nämlich, die er als „katholische Gefahr“ bezeichnet. 52 Er gibt sie mit folgenden Worten wieder: „Im Augenblick [des Christusereignisses – Anm. des Verfassers] habe man aus verschiedenen Gründen neu anfangen müssen. Das dürfe man aber nicht überschätzen. Im Grunde sei es dasselbe.“53 Die neuen Ämter würden demnach alte Inhalte transportieren. Diese Tendenz spiegelt sich seiner Meinung nach im Konkreten des kirch­ lichen Lebens. Er gibt zu, dass „die Entwicklung in der katholischen Kirche leider immer mehr in die Nähe einer solchen Auslegung tendierte“, und zwar bis in die sprachliche Ebene hinein, als man nämlich von „ἀρχιερεύς (Erz-Priester), Sacerdos und Leviten“ sprach. 54 Das Problem dieser These bestehe für ihn vor allem darin, dass mit ihr eine „Umschmelzung in pagane Vorstellungsschemata“ vollzogen werde, 55 wodurch die Neuheit Christi übersehen und somit wertlos gemacht zu werden drohe. Es kann also festgehalten werden, dass Ratzinger sich gegen die simple Diskontinuitätsthese stellt und für die recht verstandene Kontinuität plädiert, eindeutig aber die These der einfachen Kontinuität ablehnt. Das Zeugnis des Neuen Testaments, in dem das Priestertum der Kirche fest verankert sei, zeige die eigentliche Neuheit: „Aus dem Blickwinkel der Religionsgeschichte bedeutet [das Priestertum] naturgemäß etwas völlig Neues: Es geht nicht aus dem Tempelpriestertum des Alten Bundes hervor und auch nicht aus der alttestamentlichen Vorstellung des ‚königlichen Priestertums‘, die im Ersten Petrusbrief offensichtlich auf das ganze Volk angewandt wird.“56 Es findet in Christus und seiner Sendung seinen eigentlichen Ankerpunkt: „Es geht […] aus einem messianisch-apostolischen Zusammenhang hervor: Es ist Sen-

51 Ebd., 355. 52 Vgl. ebd. 53 Ebd. 54 Vgl. ebd. 55 Vgl. ebd., 356. 56 Das priesterliche Amt, 1970, in: JRGS 12, 406.

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dung in der Fortsetzung der Sendung Jesu Christi.“57 Die Ämter der werdenden Kirche, die auf Christus zurückgehen, sind demzufolge keine Fortsetzung des mosaischen Priestertums, das ist klar und eindeutig; dennoch stellen sie durch die im Licht des Christusereignisses verwandelnde Neuheit dessen Erfüllung dar. Die Person Christi ist die radikale Neuheit – und somit Diskontinuität mit dem Gewesenen. Sie ist aber zugleich auch die eigentliche Kontinuität, weil gerade sie die Identität und die Erfüllung der Heilsgeschichte gewährleistet. Ganz am Rande sei noch angemerkt, dass die neueste Forschung die These vom ‚kultlosen Urchristentum‘, das am Anfang sich gänzlich akultisch äußerte und sich auch so vom Alten Testament trennte, in der man auch das Fundament der protestantisch geprägten Ablehnung des Priestertums erkennen kann, als unsachlich und ideologisch enttarnt hat und somit die Grundannahmen Ratzingers zu bestätigen scheint. 58

5.2.2 Die Komplexität des Mittlerbegriffs auf dem Weg zur Begründung des Priestertums Bei den Infragestellungen des Priesteramtes war unter anderem von der Problematisierung des Zusammenhangs zwischen Priestertum und Opfer die Rede. In dieser Beziehung spielt der Begriff des Vermittlers, der Vermittlung eine große Rolle. Dieser Begriff ist auch in der klassischen neuscholastischen Amtstheologie wichtig und wurde in der neueren Debatte über das Priestertum nach dem Konzil besonders scharf kritisiert. 59 In einem Aufsatz, der sich in ausführlicher Weise mit dem neutestamentlichen Zeugnis in Bezug auf das Priestertum auseinandersetzt, wählt Ratzinger ebendiesen Begriff, um wichtige Differenzierungen vorzunehmen und Wege zu einem bibeltheologisch sauber begründeten Priesterbild aufzuzeigen.60 Zuerst aber relativiert er die Wichtigkeit des für Neuscholastik so bedeutenden Mittlerbegriffs mit zwei bibelwissenschaftlichen 57 Ebd. 58 Vgl. Stefan Heid, Altar und Kirche. Prinzipien christlicher Liturgie, Regensburg 2019, vor allem 10–15 und 42–46. 59 Als Beispiel dieser Kritik kann hier z. B. Hans Küng angeführt werden: H ans Küng, Wozu Priester? Eine Hilfe, Zürich/Einsiedeln/Köln 1971. 60 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 107–128.

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Beobachtungen. Erstens handle es sich nicht um einen zentralen theologischen Begriff, der eine besondere christologische Funktion habe. Ratzinger selbst nennt ihn „einen Begriff zweiter Ordnung“, der eigentlich der theologischen Reflexion zugehöre, „in der man versucht, die Kernaussagen des Glaubens dem Denken zugänglich zu machen“, nicht aber dem Bekenntnis selber, da er auch „nie in die Sprache des Bekenntnisses eingegangen“ sei.61 Auf eine sehr direkte Weise ausgedrückt: „Er ist nicht ein Teil des zentralen Überlieferungsgutes, sondern bereits Auslegung, wenn auch Auslegung innerhalb der biblischen Überlieferung selbst.“62 Insgesamt komme dieser Begriff im Neuen Testament nur sechsmal vor, ergo stehe er „am Rande“ und sei „nie zu einem Zentralgedanken seiner [des Neuen Testaments – Anm. des Verfassers] Deutung der christlichen Wirklichkeit geworden“ und auch „nie zu einem eigentlichen Christustitel aufgerückt“.63 Schon diese erste Beobachtung lässt die Frage aufkommen, wieso dieser Begriff in der neuscholastischen Amtstheologie eine so prominente Stelle erlangen konnte. Die zweite relativierende Beobachtung ist von noch größerer Bedeutung: Der Mittlerbegriff „wird innerhalb des Neuen Testamentes nicht einheitlich, sondern in gegensätzlichem Sinn gebraucht: Im Galaterbrief wird er negativ, im Hebräerbrief und im Ersten Timotheusbrief positiv verwendet.“64 Diese Ambivalenz ist eine wichtige Spur, die weiterverfolgt werden muss. Im Galaterbrief verwendet Paulus diesen Begriff als „Ausdruck der Unzulänglichkeit des Gesetzes“, da es „durch Engel verordnet wurde ‚in der Hand eines Mittlers. Wo aber nur einer ist, da braucht es keinen Mittler. Gott aber ist einer‘ (Gal 3,19 f.)“.65 Vermittlung ist hier für Paulus also nicht das, was Verbindung schafft, sondern das, was dazwischensteht, ja letztlich „gerade das Abgeschlossenbleiben vom Ziel, von Gott und seiner rettenden Macht“.66 Im Neuen Bund dagegen handelt Gott allein, er selbst erfüllt die Verheißung. Die logische Konsequenz: „Da hat ein Mittler keinen Platz.“67 Christus 61 Vgl. ebd., 110. 62 Ebd. 63 Ebd. 64 Ebd. 65 Ebd. 66 Ebd. 67 Ebd.

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also ist für Paulus „das Ereignis der Gottunmittelbarkeit, die wiederhergestellte Direktheit zu Gott und damit das Ende des scheinbar hilfreichen, in Wahrheit immer weiter vom Ziel wegführenden Mittlertums. Er ist nicht Mittler, sondern Unmittelbarkeit, die Anwesenheit von Gottes Handeln selbst.“68 So viel über die als negativ zu bezeichnende Bedeutung des Begriffs ‚Mittler‘ im Galaterbrief. Der Hebräerbrief dagegen entfaltet eine andersartige Konzeption. Da tritt der Sohn an die Stelle der Engel als der eigentliche Mittler, und gerade so wird „der Weg aus den Bildern heraus freigegeben […] in die Wirklichkeit hinein“.69 Das wiederum sei nichts anderes als eine „neue Direktheit zu Gott“, weswegen im Hebräerbrief der Mittlergedanke nicht abgelehnt, sondern diese neue Direktheit zu Gott „gerade in der Bezeichnung Jesu als des Mittlers“ ausgedrückt werde.70 Etwas Ähnliches begegnet uns wohl auch in 1 Tim 2,5. Ratzinger fasst in einigen Sätzen sehr prägnant den wesent­ lichen Gehalt, vor allem die Neuheit der Vermittlung in Jesus Christus im Sinne des Hebräerbriefes, zusammen: „Die gesamte alttestamentliche Kultordnung verblieb im Bereich der σάρξ, d. h. der innerweltlichen Wirklichkeit, sie erreichte nicht den eigentlich göttlichen Bereich, den Bereich des πνεῦμα. Sie blieb insofern in der Ordnung des Abbildlichen (Hebr 10,1) und kam nicht bis zur Realität selbst. Der ganze Kult vermochte gleichsam die Bilderwand nicht zu durchstoßen, er stellte dar, aber vollzog nicht. Nur Christus, der am Kreuz sich selber gibt, indem er den realen Tod eines hingerichteten Menschen stirbt, bricht aus den Bildern aus. Er durchschreitet nicht einen abbildlichen Schleier in ein abbildliches Allerheiligstes hinein, sondern er durchstößt den eigentlichen Vorhang, die σάρξ, die begrenzende Scheidewand unserer irdischen Existenz und geht durch sie hindurch in die andere Welt hinein vor die himmlische Herrlichkeit des lebendigen Gottes.“71

Das Kreuz sei demzufolge „die eigentliche Antwort auf den Schattenkult des Alten Bundes“ und somit – und das ist für unsere Fragestellung entscheidend – „reales Priestertum und reale Vermitt68 Ebd. 69 Ebd., 111. 70 Vgl. ebd. 71 Ebd., 111 f.

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lung zu Gott selbst hin“.72 Mittlertum hängt also unmittelbar mit dem Kreuz zusammen und dadurch auch Mittlertum und Priestertum. Damit sind wir bei dem eigentlich für uns entscheidenden Punkt angekommen: „Der Hebräerbrief versteht seine Theologie des Mittlertums Christi als Theologie des Priestertums Christi.“73 Christus ist der eigentliche Mittler, weil er den Vorhang des Schattens, des Kreatürlichen überschreitet und Gott selbst erreicht, also das vollzieht, was jedweder priesterliche Dienst darzustellen und zu verwirklichen versuchte, aber nie erreichen konnte. Christus ist der Mittler, weil er der Sohn ist und wie nur der Sohn Mittler sein kann: „Der Mensch Jesus kann nur Mittler der Menschen zu Gott hin werden, weil Gott in ihm sich schon zu den Menschen hin vermittelt hat.“74 Gerade das aber bedeutet zugleich, dass er „der eigentliche und einzig wirkliche Priester ist“, woraus Ratzinger die Schlussfolgerung zieht: „Die Begriffe Priester und Mittler fallen im Hebräerbrief letztlich ineinander.“75 Der Galaterbrief hatte eine Vermittlung abgelehnt, weil dadurch die neue Unmittelbarkeit zu Gott hin in Christus gestört schien: Vermittlung als Gegenteil der Unmittelbarkeit. Im Licht der soeben ausgeführten Gedanken zum Hebräerbrief darf man aber sagen, dass Christus eben den Bereich des Schattenspiels der Religionen überschreitet und in sich so etwas wie ‚vermittelte Unmittelbarkeit‘ verwirklicht: „Im Mittler Christus begegnen wir Gott unmittelbar, und eben darin erweist er sich als der wahre Mittler“, der „zur Unmittelbarkeit führt oder vielmehr: sie selber ist“.76 Somit kann man feststellen, dass in der Person Christi das eigentlich Priesterliche, die Erreichbarkeit Gottes für den Menschen, die wirkliche Gemeinschaft zwischen dem Geheimnisvollen, dem ganz Anderen und per definitionem Unerreichbaren und dem in seiner Begrenztheit von sich aus der Unmittelbarkeit Gottes nicht Fähigen verwirklicht ist. Dies gilt über Christus im Sinn der Inkarnation wie auch im Sinn des Kreuzes. Freilich, der Hebräerbrief insistiert sehr unmissverständlich auf der Einzigartigkeit Christi und seines Opfers, der neuen und wah-

72 Ebd., 112. 73 Ebd. 74 Ebd., 113. 75 Ebd., 112. 76 Ebd., 113.

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ren Liturgie. Mit der Klärung des Mittlerbegriffs auf Christus hin haben wir vielleicht das Priesterliche im Neuen Testament ‚gerettet‘, aber hat das auch mit den Priestern etwas zu tun? Lässt sich von da aus eine Brücke zu den neutestamentlichen Priestern bauen? Oder bleibt alles Gesagte in der Exklusivität und Einzigartigkeit der Person Christi, ja in der „Einmaligkeit und der Endgültigkeit jener Liturgie, als die man Leben und Sterben des Herrn“77 begreifen solle, verschlossen? Die Spur, welche Ratzinger bei der Suche nach Antworten auf die Frage der Gültigkeit des Gesagten für die neutestamentlichen Priester aufzeigt, ist zweifach. Zum einen verweist er auf die Verbindung Christi mit der Kirche, seinem mystischen Leib. In diesem Zusammenhang spricht er von „exklusiver Inklusivität“, dass nämlich „dieses Mittlertum [Christi] deshalb exklusiv“ sei, „weil es inklusiv“ sei.78 Damit ist gemeint, dass Jesu Vermittlung „nicht in einer Reihe mit einer Vielzahl möglicher anderer Vermittlungen“ stehe, sondern „die einzige wirkliche Vermittlung des Wesens Mensch zu Gott hin“ ist; und das bedeutet wesentlich auch, dass „er alle in sich einzuschließen vermag, weil seine Vermittlung Geltung hat für alle Orte und alle Zeiten“.79 Für die Kirche bedeutet es, dass sie an seinem Mittlertum teilhabe, „insofern sie mit Christus ‚ein Einziger ist‘“, womit eine Anspielung auf Gal 3,28 aufgegriffen wurde.80 Dabei gilt: Die Kirche ist „Vermittlung auf Gott hin, weil sie die Form ist, wie Christus der Geschichte gegenwärtig bleibt“.81 Wenn wir uns in Erinnerung rufen, was wir kurz vorhin gesagt haben, dass nämlich die Theologie des Mittlertums Christi Theologie des Priestertums ist, und jetzt gesehen haben, dass die Kirche teilhat am Mittlertum Christi, erkennen wir, dass hiermit das Priestertum in der Kirche in einem neuen Licht zu entstehen beginnt. Die zweite Spur, auf die Ratzinger uns hinführt, hat noch direkter und unmittelbarer mit der Person des Priesters zu tun. Es geht nämlich um die Spur des apostolischen Dienstes, der seinen Ursprung in der Sendung Christi hat und der in seiner Entfaltung

77 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 353. 78 Vgl. Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 114. 79 Ebd., 112. 80 Vgl. ebd., 114. 81 Ebd.

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das in der konkreten Realität der Kirche in der Geschichte verwirklicht, was wir als das eigentlich Priesterliche, das in Christus Wirklichkeit ist, erkannt haben. Somit werden wir wiederholt auf die Spur der Christologie gebracht, in der eigentlich das neutestamentliche Amt zu entstehen beginnt. Bevor wir aber auf dieser entscheidenden Spur weiterwandeln, ist es wichtig und notwendig, einige bibeltheologische terminologische Beobachtungen vorzuschalten.

5.2.3 Terminologische Beobachtungen Wenn gefragt wird, was über das Thema des Amtes im Neuen Testament zu finden ist, muss man sich zuallererst bewusst machen, dass man eine Antwort nur dann finden kann, „wenn man sorgsam die Einzeltatbestände zusammenträgt, die sich im Neuen Testament dazu finden“.82 Ein systematisches Bild des Amtes ist zuerst nicht zu erkennen. Sicher sei, dass das Neue Testament „nicht ‚das Amt‘, wohl aber eine Fülle von einzelnen ‚Ämtern‘ und Aufträgen“ kenne.83 Wir stehen also nicht vor dem einen, klar umrissenen Amt, sondern vielmehr vor einem ganzen Komplex an Bezeichnungen, Begriffen und Aufgaben. Wenn in diesem Abschnitt dennoch, sogar in Ratzingers Zitaten, von ,dem Amt‘ die Rede sein wird, ist damit das ‚apostolische Amt‘ im Allgemeinen gemeint, der Auftrag also, der unmittelbar von Jesus stammt, seine Sendung der Zwölf, die er selbst zu Aposteln machte. Die Schaffung der Zwölf und ihre Aussendung ist der Anfang. Von ihnen gilt: „Ihr Amt ist es, einfach die Zwölf zu sein. Nichts sonst.“84 Damit ist noch nicht ein konkretes Amt im genauen Sinne dieses Wortes gemeint, sondern der eigentliche Anfang jedweden Dienstes in der Kirche von Christus her, eine ‚Bewegung‘ also, die von Christus ausgeht und sich mit der Zeit in der Verschiedenheit der werdenden Ämter und ihrer Aufgaben entfaltet und konkretisiert. Am Ende ihrer Entfaltung stehen dann die Ämter des Diakons, Presbyters und Episkopos, die alle aus dieser einen ‚Bewegung‘ von Christus hervorgehen werden. In den vorausgehenden Ausführungen haben wir diese nicht zuletzt wohl begriffliche Kom82 Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 55. 83 Vgl. ebd. 84 Ebd., 56.

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plexität immer wieder tangiert, ohne dabei konkret auf die Unterscheidungen und Entfaltungen einzugehen. Heute kennt die Kirche ein dreistufiges sakramentales Amt, das im Diakonat, Presbyterat und Episkopat verwirklicht wird. Bei den letzteren zwei wird freilich vom Priestertum gesprochen, im ersteren vom Dienst. So lehrt das Zweite Vatikanum in Lumen gentium über das Diakonat, dass den Diakonen bei der Weihe die Hände „non ad sacerdotium, sed ad ministerium“ aufgelegt werden (LG 29). Diese Präzisierung ist auch im Katechismus der Katholischen Kirche (KKK 1569) enthalten und durch das Motuproprio Omnium in mentem Benedikts XVI. vom 26. Oktober 2009 nun auch im Kirchenrecht (can. 1009 § 3) verankert. In den Anfängen der Urkirche ist der Tatbestand freilich nicht so eindeutig und klar. Wiederholen wir: Es gibt noch nicht ein einziges, klar umschriebenes, dreistufiges Amt. Was wir vorfinden, ist eher ein Geflecht von Aufgaben und Diensten. Alles ist in anfänglicher Bewegung, im Werden. Ganz am Anfang steht gewiss das Apostelamt, die Sendung Jesu, die in der Sendung der Apostel ihre Fortsetzung findet. Diese Frage verdient freilich eine gründliche Auseinandersetzung, die hier später folgen soll. Für diesen Moment reicht es, an die Tatsache zu erinnern, dass im Fundament der neutestamentlichen Ämter die apostolische Sendung steht, dass also alle den „Sendungscharakter des apostolischen Dienstes“ in sich tragen.85 Wir haben schon gesagt, dass es laut Neuem Testament „in der Kirche Jesu Christi keine ἱερεῖς, keine ‚sacerdotes‘ mehr“ gebe, „nur einer ist ‚Erzsacerdot‘: Jesus“; erst in seiner Nachfolge gebe es dann das, was wir heute als ‚Ämter‘ bezeichnen, also „ἀπόστολοι, πρεσβύτεροι (Apostel, Presbyter, unser Wort ‚Priester‘), ἐπίσκοποι, διάκονοι (‚Episkopen‘, Diakone)“. 86 Diese Begriffe nennt Ratzinger „die wichtigsten sprachlichen Umschreibungen der neuen Dienste, die nun in Erscheinung treten“.87 Alles geht also von Christus, von seiner eigenen Sendung aus. Am Anfang steht die Nachfolge Jesu, das ‚Von-Christus-gesandtSein‘, das sich nach und nach in der Konkretheit der verschie­ denen Dienste verwirklicht. Ratzinger selbst thematisiert diese Komplexität, wenn er schreibt: „In den Anfängen [steht vor uns] 85 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 41. 86 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 354. 87 Ebd.

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nur das apostolische Amt selbst mit einer ganz klar umschriebenen Physiognomie“, wobei mitbedacht werden müsse, dass „die Einschränkung des Aposteltitels auf den Kreis der Zwölf erst in der lukanischen Theologie vollzogen wurde“.88 Für die Frage der Verschiedenheit der Ämter gilt, dass neben dem „apostolischen Amt selbst“, wie er es nennt, „Ämter verschiedener Art [stehen], die aber noch keine feste Gestalt und keine festen Namen haben und je nach örtlichen Situationen sicher auch sehr verschieden gewesen sind“.89 Dabei lassen sich zwei Grundtendenzen dessen beobachten, was er soeben als „wichtigste sprachliche Umschreibungen der neuen Dienste“ bezeichnete. In den judenchristlichen Gemeinden findet man, „wohl im Anschluss an die Verfassung der Synagoge“, das Amt vor, das mit dem Begriff ,Presbyter‘ bezeichnet wird. Im heidenchristlichen Raum dagegen treten Ämter auf, die mit den Begriffen ,Episkopoi‘ und ,Diakonoi‘ (vgl. Phil 1,1) benannt werden.90 Die Entwicklung der Konkretisierung des apostolischen Amtes ist also komplex und alles andere als linear, sondern lässt zwei in verschiedener Umgebung entstandene Typen erkennen: auf der einen Seite das Begriffspaar Episkopos/Diakonos, auf der anderen Presbyteros. Die theologische und somit auch inhaltliche Klärung dessen, was der genaue Auftrag des jeweiligen Amtes ist, „reift langsam, sie findet ihre wesentliche Gestalt in der Phase des Übergangs zur nachapostolischen Zeit“.91 Gegen Ende des 1. Jahrhunderts setzt der Prozess der Verschmelzung beider Typen ein und somit dann „die feste Amtsgestalt der frühkatholischen Kirche“, währenddessen die Ordination, der Akt der Amtsübertragung selbst, immer deutlicher hervortrete und das sehr Allgemeine des apostolischen Auftrags zugunsten einer „deutlichen Umgrenzung des dem Amt zukommenden Sonderauftrags“ zurücktreten lasse.92 Mit einem Wort: „Zu Beginn des 2. Jahrhunderts liegt […] die Struktur dieses Amtes fertig entfaltet vor.“93 Diese „fertig entfaltete Gestalt“ be88 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 43. 89 Ebd. 90 Vgl. Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 61 f.; vgl. auch Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 43 f. 91 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 43. 92 Vgl. Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 60. 93 Ebd., 64.

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schreibt Ratzinger mit folgenden Worten: „Die heidenchristliche Ämterzweiheit von Bischöfen und Diakonen ist mit dem judenchristlichen Amt der Presbyter zur Ämterdreiheit Bischof-Presbyter-Diakon verschmolzen.“94 Freilich ist dieser Klärungsprozess bereits im Neuen Testament vorgezeichnet. Ratzinger verweist auf einen biblischen Text, der diese Bewegung belegt. In Apg 20,28 berichtet der Evangelist Lukas von der Abschiedsrede des Apostels Paulus an die Presbyter zu Milet mit folgenden Worten: „Tragt nun Sorge für euch und für die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, die Kirche Gottes zu weiden, die er mit seinem eigenen Blut erworben hat.“ Ratzingers Kommentar dazu: „Hier werden die beiden Begriffe ‚Presbyter‘ und ‚Episkopen‘ identifiziert, judenchristliche und heidenchristliche Ämter gleichgesetzt und als ein einheitliches Amt der apostolischen Nachfolge umschrieben.“95 Bereits in der Bibel sieht man also eine Verschmelzung der von zwei verschiedenen Seiten kommenden Bezeichnungen und ihre inhaltliche Übereinstimmung, die dann letzten Endes zum dreistufigen Amt führen wird. „Aus dem Nebeneinander von missionarischer und lokaler, von juden- und heidenchristlicher Struktur“ kristallisierte sich „schließlich eine im großen Ganzen gesamtkirchlich rezipierte Grundform“ des Amtes heraus, die z. B. bei Ignatius von Antiochien in ihrer entwickelten Form vorliege: „Die Einzelgemeinde ist geleitet durch den Episkopos, der von zwei ‚Räten‘ umgeben ist: dem Rat der Presbyter und demjenigen der Diakone.“96 Für unser Thema ist schließlich noch eine begriffliche Klärung von besonderer Bedeutung. Der in dieser Studie am meisten verwendete Begriff ist der des Priesters. Den haben wir aber in der Konkretisierung der Ämter wohl nicht gefunden. In der dreifachen Ausgestaltung des apostolischen Amtes gibt es die Diakone, die Presbyter oder die Episkopen, die Bischöfe also. Wo ist hier aber der Begriff des Priesters? Es ist ein Begriff, der mit den zwei letzteren zu tun hat. Kehren wir noch einmal zu Ratzingers Interpretation von Apg 20,28 zurück, wo an die Presbyteroi Worte adressiert werden, in denen ihr Auftrag mit dem der Episkopoi gleichgesetzt 94 Ebd. 95 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 44. 96 Opfer, Sakrament und Priestertum in der Entwicklung der Kirche, 1972, in: JRGS 12, 88.

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wird. An einer anderen, bereits zitierten Stelle schreibt Ratzinger 1967, dass es in der Kirche Jesu „keine ἱερεῖς, keine ‚sacerdotes‘ mehr“ gebe und dass „nur einer […] ‚Erzsacerdot‘“ sei, der Herr selbst. In seiner Nachfolge aber gebe es dann „ἀπόστολοι, πρεσβύτεροι (Apostel, Presbyter, unser Wort ‚Priester‘), ἐπίσκοποι, διάκονοι (‚Episkopen‘, Diakone)“.97 Ratzinger setzt hier in Klammer jeweils etwas, was wir ‚Verständigungshilfe‘ nennen könnten, wobei er erstens die Begriffe „ἀπόστολοι, πρεσβύτεροι“ zusammen nennt, um dann in Klammer eine gemeinsame ‚Verständigungshilfe‘ zu liefern, zweitens beim Wort ,Presbyter‘ schlicht ergänzt: „unser Wort ‚Priester‘“.98 Damit ist klar, wo wir uns mit unserem Begriff ,Priester‘, mit dem unser Thema definiert wird, befinden. Im engen Sinne ist freilich die zweite Stufe des dreistufigen Amtes gemeint, das Presbyterat also, im breiteren Sinne jedoch schlicht das Priesterliche, was hier im Vorausgehenden besprochen wurde und was eigentlich auch mit dem Episkopat eng zusammenhängt. Geschichtlich betrachtet darf mit Ratzinger daran erinnert werden, dass der Prozess von „Ausgleich und Abgrenzung zwischen ‚Bischof‘ und ,Presbyter‘ einige Zeit in Anspruch nahm“ und auch, dass er „nicht in allen Räumen des werdenden Christentums gleichmäßig vor sich ging“.99 Wie genau aber ist dieser Zusammenhang zu verstehen? Kehren wir nun zum dritten Mal zu Ratzingers Interpretation von Apg 20,28 aus dem Jahr 1990 zurück. Da nennt er folgende Punkte, die für die Interpretation des gegebenen Textes von Bedeutung sind: dass das Amt (des Presbyters bzw. Episkopos) „nicht Delegation der Gemeinde“ sei, die „aus Zweckmäßigkeitsgründen Einzelne mit den gemeindlichen Funktionen betraut“, sondern „Gabe vom Herrn her, der selbst gibt, was nur er geben kann“; und weiter, dass das Amt, da „pneumatisch verliehen“, ein „sakramentales Amt“ sei; und endlich, dass es „Fortführung des apostolischen Auftrags, die Herde Gottes zu weiden, also Aufnahme des Hirtendienstes Jesu Christi selbst“ sei.100 Gerade in der Erwähnung des Blutes, mit dem Christus „sich die Kirche erworben hat“, komme

97 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 354. 98 Vgl. ebd.; vgl. auch oben S. 256. 99 Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 64. 100 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 44.

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das „Hirtentum Christi, [das] im Kreuz gipfelt“, zum Ausdruck.101 So führe „die apostolische Struktur […] in die christologische Mitte zurück“ und zeige das für unsere Fragestellung Entscheidende: „Das Amt der Presbyter und Episkopen ist seinem geistlichen Wesen nach identisch mit dem der Apostel.“102 Ein zweiter, von Ratzinger selbst hier angeführter biblischer Text kann diesen Tatbestand noch genauer erhellen: 1 Petr 5,1–4,103 wo der Apostel sich bei der Ermahnung der Presbyter als „MitPresbyter“ bezeichnet und damit „apostolisches Amt und Presbyterat theologisch identifiziert“.104 Ratzinger sagt, dass dadurch „die ganze Theologie des Apostolats […] auf das Presbyterat übertragen“ werde und gerade in diesem Identifikationsvorgang „eine eigentlich neutestamentliche Theologie des Priestertums geschaffen“ sei.105 Damit ist das begründet, was die katholische Theologie selbstverständlich „sakramentales Priestertum“ nennt und das in den zwei höheren Weihestufen – im Presbyterat und Episkopat –, nicht aber im Diakonat zum Tragen kommt. Ratzinger vergisst nicht, hierzu auch noch eine inhaltliche Bemerkung zu machen, wenn er schreibt: „Der Inhalt des apostolischen und priesterlichen Auftrags [wird] in dem Wort: ‚Weidet‘ [zusammengefasst]“ und so „vom Bild des Hirten her bestimmt“.106 Schließlich darf nicht vergessen werden, dass im zweiten Kapitel seines Briefes derselbe Petrus mit dem Wort „Hirt und Bischof (Episkopos) eurer Seelen“ (1 Petr 2,25) Christus selbst bezeichnet, wodurch das „ehedem profane Wort ‚Episkopos‘“ mit dem Hirtenbild identifiziert und so „zu einer eigentlich theologischen Benennung“ werde, in der „die werdende Kirche ihre eigene und neue 101 Vgl. ebd. 102 Ebd. 103 Hier der Text 1 Petr 5,1–4 in der Einheitsübersetzung 1980, die freilich das aus unserer Sicht Entscheidende unterschlägt: „Eure Ältesten [Presbyter] ermahne ich, da ich ein Ältester [Mit-Presbyter] bin wie sie und ein Zeuge der Leiden Christi und auch an der Herrlichkeit teilhaben soll, die sich offenbaren wird: Sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde Gottes, nicht aus Zwang, sondern freiwillig, wie Gott es will; auch nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Neigung; seid nicht Beherrscher eurer Gemeinden, sondern Vorbilder für die Herde! Wenn dann der oberste Hirt erscheint, werdet ihr den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen.“ 104 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 45. 105 Vgl. ebd. 106 Ebd.

5.3 Christologische Grundlegung – der Schlüssel

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Sakralität“ entfalte.107 Ratzinger fasst die entscheidende Beobachtung zusammen: „Wenn Petrus über das Wort Mit-Presbyter den Priester mit dem Apostel verknüpft, so verbindet er ihn über das Wort Episkopos, Achthaber, Wächter mit dem Episkopos, dem Hirten Christus selbst, und schließt so alles in der Christologie zusammen.“108 Im nächsten Unterkapitel soll ebendiese christologische Mitte des neutestamentlichen Priestertums ausführlich behandelt werden. Für jetzt reicht die Feststellung Ratzingers, dass „am Ende des apostolischen Zeitalters im Neuen Testament eine ausgebildete Theologie des neutestamentlichen Priestertums vorliegt“, welche der Kirche „zu treuen Händen übergeben ist und die im Auf und Ab der Geschichte die unverlierbare Identität des Priesters begründet“.109 Wie wir bereits bei der Frage der Kontinuität mit dem alttestamentlichen Priestertum sowie hier bei den begrifflichen Entwicklungen gesehen haben, war der Weg zu dieser „ausgebildeten Priesteramtstheologie“ kein linearer, von Anfang an klar vorgezeichneter Weg, sondern vielmehr ein ‚symphonischer‘, vielschichtiger und fortschreitender Weg, der wie ein Fluss, der viele, aus mehreren Seiten kommende Zuflüsse in sich aufnimmt, vereint und umwandelt, vor unseren Augen steht.

5.3 Christologische Grundlegung – der Schlüssel Wenn wir jetzt zum nächsten Unterkapitel übergehen, verlassen wir nicht einfach die Ebene der bibeltheologischen Reflexion, wagen aber einen Schritt weiter und tiefer. Wir haben gesehen, dass das bibeltheologische Nachforschen rund um das neutestament­ liche Amt immer wieder zur Person Christi führt und nur von dieser her und allein auf sie hin recht verstanden werden kann. Dieser zweite Schritt auf dem Weg der Grundlegung wird also bibeltheologische Gedankengänge nicht gänzlich hinter sich lassen können, er wird aber ein entscheidend und ausdrücklich christologischer Schritt sein müssen, denn gerade die Christologie stellt den eigentlichen Schlüssel für unser Thema dar. 107 Vgl. ebd. 108 Ebd. 109 Ebd., 46.

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5. Wege der Grundlegung

Von der inneren Einheit der Heilsgeschichte haben wir bereits gesprochen und in diesem Zusammenhang auch von dem ‚eigentlich Neuen‘ des Neuen Testaments. Es ist die Person Jesu. Mit ­Ratzingers eigenen Worten ausgedrückt: „Wenn wir nach dem Zen­t rum des Neuen Testamentes fragen, stoßen wir auf Christus selbst. Das Neue darin sind nicht eigentlich neue Ideen – das Neue ist [die] Person: Gott, der Mensch wird und den Menschen zu sich heranzieht.“110 Wenn es also im Neuen Testament ein Amt gibt und wenn dieses dem Anspruch des Neuen in Christus und somit des Eigentlichen und Wesentlichen genügen soll, muss es seine Wurzel in der Christologie haben: „Der Ausgangspunkt unseres Fragens [muss] in der Christologie liegen“111, formuliert Ratzinger selbst. Anders ausgedrückt: Wenn ein Amt in der Kirche Jesu eine Berechtigung haben soll, dann kann dessen Begründung nicht im rein Praktischen oder wie auch immer gearteten Ekklesiologischen aufgehen, sondern muss bis zur christologischen Mitte vordringen: „Von [der] christologischen Mitte her muss das Wesent­ liche des christlichen Amtsbegriffs entfaltet werden.“112 Das geistliche Amt kann „seine eigentliche Achse“ nirgendwo anders haben, nur „in der Sendung Jesu Christi und im Mitgesandtsein mit ihm“.113 Außerhalb des Raumes der Sendung Jesu gibt es in der Kirche somit keinen anderen Raum, der irgendwelche priesterliche Aufgaben oder kultische Anliegen in sich tragen könnte. Ohne jede Umschweife gesagt: Nur wenn es eine solide christologische Fundierung des Priesteramtes gibt, kann dieses bestehen. Aus diesem Grund ist die Christologie, genauer die christologische Begründung des Amtes, der Schlüssel zu einer neuen Plausibilität des Priestertums nach den Infragestellungen durch die Moderne. Mit Ratzingers eigenen Worten: „Wir müssen den Ausgangspunkt bei Christus selbst nehmen, von dem allein sich christliches Amt, wenn es legitim sein soll, herleiten kann.“114 Freilich kann hier keine ausführliche Christologie Ratzingers geboten werden, wohl aber müssen ihre für unser Thema wichtigsten Punkte zur Sprache gebracht werden. Ratzinger selbst hält

110 Ebd., 37. 111 Ebd. 112 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 357. 113 Ebd. 114 Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 55.

5.3 Christologische Grundlegung – der Schlüssel

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in dieser Hinsicht einen Punkt für wesentlich: „Der für uns entscheidende Gesichtspunkt besteht darin, dass Jesus beansprucht, eine direkte Sendung von Gott her zu haben, also die Autorität Gottes in seiner Person zu konkretisieren.“115 Dass Jesus ‚der Gesandte Gottes‘ ist, ist für ihn also der bibeltheologische und christologische Ausgangspunkt, um über das Wesen des Priestertums reden zu können.

5.3.1 Die Sendung Christi Es wurde mehrmals wiederholt, dass Christus, juridisch gesehen, ein Laie war. Dieser Sachverhalt ist freilich nicht belanglos, er fällt ins Gewicht. Denn gerade diese Tatsache ist „der Ausgangspunkt des christlich Neuen, der als solcher nicht mehr aufgehoben wird“.116 Für immer also bleibt es als objektive Tatsache gültig, dass Christus, auf den das neutestamentliche Amt zurückgeht, kein Sacerdos des Tempels, sondern ein Laie, ein juridisch gesehen einfaches Mitglied des auserwählten Volkes war, ohne irgendwelche priesterlichen oder kultischen Aufgaben. Zu diesem Thema wurde im Abschnitt über die Kontinuität bzw. Diskontinuität des neutestamentlichen mit dem alttestamentlichen Amt bereits Entscheidendes gesagt. Damit aber ist nur die eine Seite ausgesagt. Die andere besagt, dass „Jesus nicht als Volkstribun zu verstehen ist“, als einer also, „der sich selbst ermächtigt und sich angesichts der Situation, die er vorfindet, entschließt, aus Eigenem etwas Neues in Gang zu bringen und es gegen die bestehende Ordnung durchzusetzen“.117 Das Bild Jesu als eines im Grunde modernen Menschen, eines ‚Revoluzzers‘, der vor allem einen wie auch immer ausgeprägten innerweltlichen Auftrag für sein Leben vor Augen hat, ist laut Ratzinger mit dem biblischen Zeugnis nicht kompatibel.118 Im Konkreten wendet er sich immer wieder gegen zwei moderne Missdeutungen der Person Jesu. Die erste, in der Ratzinger eine Spiegelung der Kategorien des 19. Jahrhunderts erkennt, deklariert Jesus als den „große[n] Leh115 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 37 f. 116 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 356. 117 Ebd. 118 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 37 f.

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rer der Sittlichkeit, der den Menschen aus kultischen und rituellen Zwängen befreit und ihn mit seinem persönlichen Gewissen direkt vor Gott stellt“, einen Jesus also, der „der ritualistischen Religion das reine Ethos“ entgegenstellt.119 Diese Interpretation Jesu würde freilich bedeuten, dass für ihn das eigentlich Religiöse kaum von Bedeutung war. Viele biblische Texte zeigen aber das genaue Gegenteil davon. Die zweite Missdeutung der Person Jesu ist eigentlich eine Steigerung der soeben angesprochenen ersteren. Sie erwächst nach Ratzinger im 20. Jahrhundert aus der Verbindung dieser Konzeption mit dem Marxismus. Da erscheint Jesus als „der Revolutionär der Liebe, der sich der versklavenden Macht der Institutionen entgegenstellt und im Kampf gegen die Institutionen (besonders gegen das Priestertum) stirbt“.120 Das Ziel seines Lebens wäre demnach „die neue Gesellschaft freier und gleicher Menschen“.121 Wenn auch der angestrebte Zielpunkt eines so interpretierten Jesus etwas anders ist als im ersten Fall, bleibt die völlige innerweltliche Verschlossenheit und auch die gänzliche Unwichtigkeit alles Religiösen bestehen. Was dabei vor allem auffällt, ist die völlig unterschiedliche Beantwortung der Frage nach dem Woher des Auftrags Jesu, also seiner Bevollmächtigung – oder noch grundsätzlicher: des Ursprungs von Jesu Sendung, wie es aus dem Wortlaut der Evangelien hervorgeht. Wie bereits gezeigt, hält Ratzinger diese Interpretationen der Person und des Auftrags Christi für eine ‚Selbstspiegelung von modernen Empfindungen‘, die auf Jesus projiziert werden, und somit für gänzlich unzulänglich. Er betont vielmehr im Verweis auf die Evangelien: Jesus sei „nicht jemand, den die Masse von unten her, aus eigener Übereinkunft an die Spitze gestellt hat“, sondern verstehe sich selber „vielmehr als jemand, der eine Sendung vollzieht; er hat sich weder selbst berufen (vgl. Hebr 5,4 f.), noch verdankt er einer demokratischen Wahl seine Bestellung“.122 Jesus verstand sich selbst nicht „als Dolmetsch menschlicher Wünsche und Hoffnungen, gleichsam als Mund des Volkes, als dessen geheimen oder offenen Beauftragten“.123 Vielmehr beanspruchte er,

119 Vgl. ebd., 37. 120 Ebd. 121 Ebd. 122 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 356. 123 Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 55.

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„eine direkte Sendung von Gott her zu haben, also die Autorität Gottes in seiner Person zu konkretisieren“.124 Christi Auftrag kommt demnach nicht von unten, sondern von oben, von Gott her, was Ratzinger in einer prägnanten Formulierung auf den Punkt bringt: „[Jesus] weiß sich unter einem göttlichen Muss (Mk 8,31 u. ö.), das gleichsam der innere Ort, ja der wahre Ursprung seiner ganzen Existenz ist.“125 An einer anderen Stelle spricht Ratzinger direkt von einem „,Muss‘ eines klar umrissenen göttlichen Auftrags“, der in „,Vollmacht‘ und ‚Sendung‘ von oben her“ realisiert werde.126 Alle Evangelien sind sich hier einig: Jesus sei der Träger einer von Gott kommenden Vollmacht: „Er verkündet eine Botschaft, die nicht von ihm selbst erdacht ist, er ist ‚gesandt‘ mit einem Auftrag, der ihm vom Vater her zukommt.“127 Christi Person und seine Sendung muss also, wenn man im Rahmen des biblischen Zeugnisses bleiben will, als eine organische, untrennbare Einheit betrachtet werden: „Er kommt nicht von sich selbst, sondern weiß sich als Gesandter; das gilt so total, dass nicht zum schon vorhandenen Sein nachträglich eine Sendung hinzutritt: Seine Existenz besteht nur als Sendung, Sein von einem anderen her und auf die Anderen hin.“128 Gerade das Johannesevangelium ist hier aus Ratzingers Sicht von entscheidender Bedeutung. In ihm werde „der Begriff der Sendung zu einem christologischen Schlüsselbegriff“: „Christus ist seinem Wesen nach der Gesandte des Vaters, der ganz darin aufgeht, Gesandter zu sein und so, als reiner Mittler, nichts neben dem Vater, sondern eben dessen uneingeschränkte repraesentatio unter den Menschen ist.“129 Christus ist nicht ein unvollkommener Vertreter, wie es die Priester des Alten Bundes waren, ein Statthalter, der in einer bestimmten, eingeschränkten Funktion Gott repräsentieren würde, sondern die vollkommene, uneingeschränkte repraesentatio, der, in dessen Antlitz das Antlitz des Vaters zu sehen ist (vgl. Joh 14,9). Auch der Inhalt der Verkündigung Jesu – das Kommen 124 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 37. 125 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 356. 126 Vgl. Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 55 f. 127 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 37. 128 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 356. Vgl. auch die Ausführungen in Einführung in das Christentum, in: JRGS 4, 190–196 und 202– 212: Die Person ist das Amt und das Amt ist die Person. 129 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 115.

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des Reiches Gottes – ist von seiner Person nicht zu trennen. Ratzinger: Reich und Person gehören zusammen, „das Reich komme in seiner Person“, was auch bedeutet, dass „die Entscheidung, die [Jesus] verlangt“, eine Entscheidung „über das Stehen zu ihm“ ist.130 Die Beziehung zur Person Jesu ist dementsprechend das eigentliche Kriterium der Nachfolge. Das kann aber nur gelten, weil Christus nicht ein Rabbi, ein Lehrer, sondern der menschgewordene, ewige Sohn ist. Ratzinger betont, dass sogar die Gleichnisse Jesu leer wären „ohne die Person des fleischgewordenen Sohnes […], der vom Vater ‚gesandt wurde‘ ([Joh] 12,6)“.131 Noch konkreter beleuchtet Ratzinger die untrennbare Einheit der Person Jesu und seiner Sendung mit einem Verweis auf johanneische Christologie. In Joh 7,16 sagt Jesus: „Meine Lehre ist nicht meine Lehre.“ Ratzinger bietet hier eine von Augustinus inspirierte Auslegung: „Jesus hat nichts Eigenes für sich, neben dem Vater. In seiner Lehre ist er selbst im Spiel, und so sagt dieses Wort, dass gerade auch das Eigenste – das Ich – das ganz und gar NichtEigene ist. Das Seinige ist das Nicht-Seinige, nichts steht neben dem Vater, sondern alles ist ganz aus ihm und zu ihm.“132 Dieser Aspekt, der von Ratzinger „Selbstenteignung“ genannt wird, wird noch eigens zu behandeln sein. Hier aber genügt die Gewissheit, dass Jesus, obwohl juridisch ein Laie und somit ein überhaupt nicht in der Kontinuität mit dem alttestamentlichen Amt Stehender, dennoch als direkter Gesandter des Vaters denkt und handelt, der nicht sich selbst und seine Ideen, sondern den bedingungs­ losen Heilswillen des Vaters verwirklicht und vermittelt und somit einen ‚sakramentalen Ort‘, eine ‚sakramentale Bewegung‘ begründen kann, die diese Heilswirklichkeit vergegenwärtigen wird können. Seine Person kann ein neuer Anfang sein, weil in ihm die einzigartige Sendung des Vaters Gegenwart ist. In einem nächsten Schritt wird die Aufgabe darin bestehen müssen, aufzuzeigen, wie diese ‚Bewegung‘ der Sendung Jesu vom Vater her auf die Apostel, seine Gesandten, übertragen wird und in ihnen und durch sie in der Kirche weiterhin lebt. Hier sei aber zusammenfassend festgehalten: Wenn einerseits der Laienstand Jesu ein unumstrittenes Faktum ist, muss im gleichen Atem130 Vgl. Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 902. 131 Ebd. 132 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 38.

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zug dieses Wesentliche seiner ganzen Existenz mitbedacht werden, was nicht minder klar und objektiv aus dem biblischen Befund hervorgeht: Jesus ist der Christus, der Gesandte des Vaters, dessen uneingeschränkte repraesentatio. Gerade hier ist auch Ratzingers Blick auf das, was ‚Hierarchie‘ genannt wird, anzusiedeln. Statt der Auslegung dieses Wortes als „heilige Herrschaft“ plädiert er für die Wiedergabe des eigent­ lichen Inhalts mit dem Begriff des „heiligen Ursprungs“, da das Amt nicht weniger als ein „Durchlass und Vergegenwärtigung eines Anfangs“ sein müsse.133 Durch das priesterliche Amt bleibt dieser Ursprung in Christus, ja seine eigene Sendung vom Vater her durch die ganze Geschichte hindurch gegenwärtig und wirksam, denn die Kraft, die in diesem Ursprung liegt, „ist nicht nur in der Kontinuität zu ihm begründet, d. h. durch die apostolische Sukzession der Bischöfe, sondern auch in der Anwesenheit dieses Ursprungs selbst, der sich als immer neu gegenwärtige Quelle im Sakrament mitteilt“.134 Schon in dieser Perspektive wird der völlige Dienstcharakter des priesterlichen Amtes deutlich, das nicht für sich da ist, sondern seine Existenzberechtigung darin findet, den Ursprung jedweder Sendung in der Kirche in der Sendung Christi zu vergegenwärtigen und sakramental wirksam zu machen. Von dem Woher der Sendung Jesu, das ihn als den Gesandten des Vaters, als seine unmittelbare Repräsentation ausweist, war bereits ausführlich die Rede. Es gibt aber auch ein Wozu seiner Sendung. Es ist gerade dieses Wozu, das uns begreifen lässt, dass wir es bei Christus mit einem sakramentalen Vorgang, mit einem Wort, das Wirklichkeit schafft, zu tun haben. Das ist gerade für eine erneute Grundlegung des Priestertums in der Linie Jesu von großer Bedeutung. Denn nur in Bezug auf ihn kann dieses Amt sakramental strukturiert sein, was ja eine wesentliche Eigenschaft des Priestertums ist. Hier Ratzingers Gedankengang: „Als das eigentliche Wozu seines Kommens bezeichnet Jesus die Verkündigung von Gottes Reich.“135 Doch von Anfang an ist diese Verkündigung mehr als bloße Worte, sondern „Rede und wirkmächtiges Tun zugleich“.136 133 Vgl. Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 380. 134 Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 407. 135 Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 901. 136 Ebd.

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Anders gesagt: „In Jesus sind Wort und Zeichen untrennbar.“137 Jesus akzeptiert nicht, wenn sein Wirken nur als Wundertaten, in der Kategorie von ‚Zeichen als bloße Wunder‘ ohne ihren Wortgehalt, betrachtet wird. Genauso lehnt er aber auch ab, wenn seine Verkündigung als leere Worte ohne wirkmächtiges Tun oder gar als „bloß intellektuelle Angelegenheit, als Materie für Diskussionen“ gesehen wird.138 Sein Wort erschallt nicht bloß, es wirkt und stellt vor die Entscheidung, es schafft Wirklichkeit und ist in ­diesem tiefen Sinn ‚inkarniertes‘, anders gesagt, ‚sakramentales‘ Wort: „Das Zueinander von Wort und Zeichen zeigt [die] ‚sakramentale‘ Struktur des ganzen Wirkens Jesu.“139 Die Inkarnation wird demzufolge sakramental erfahrbar. Neben der inkarnatorischen Dimension betont Ratzinger aber auch den paschalen Charakter des Wirkens Jesu: Seine ganze Verkündigung findet ihren Höhepunkt im Paschageheimnis, denn alle Worte und Gleichnisse wären leer ohne die Person des fleischgewordenen Sohnes, „ohne die Verifikation des Wortes in Kreuz und Auferstehung“.140 Das Paschageheimnis des Todes und der Auferstehung Christi ist wie ein Echtheitssiegel vom Vater her für sein ganzes Werk. Diese Dimension bedeutet nichts Geringeres, als dass Jesu Predigt in einem noch vertiefteren Sinn sakramental zu nennen ist: „Sein Wort trägt die Realität der Inkarnation und das Thema von Kreuz und Auferstehung in sich. Es ist Tat-Wort in diesem ganz tiefen Sinn.“141 Doch auch hier können wir laut Ratzinger noch nicht stehen bleiben, sondern müssen bis zur johanneischen Perspektive vordringen. Denn Jesus ist nicht nur der Messias, er ist auch und vor allem der menschgewordene Logos. Oder genauer: Er ist Messias, weil er der inkarnierte Logos ist. Deswegen, so Ratzinger, gehe es in der christlichen Verkündigung „nicht um Wörter, sondern um das Wort“.142 Es geht nie um bloße Lehre oder Weisheit, sondern um die Begegnung mit dem lebendigen Wort des Vaters, mit dem Sohn. Jesu Verkündigung unterscheide sich von der Unterweisung

137 Ebd. 138 Vgl. ebd. 139 Ebd. 140 Vgl. ebd., 902. 141 Ebd. 142 Vgl. ebd.

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der Rabbiner grundlegend durch das „Ich Jesu“, dadurch, dass „er selbst im Mittelpunkt seiner Botschaft“ stehe.143 Das darf uns aber niemals vergessen lassen, was hier bereits erwähnt wurde, dass nämlich Jesus selbst seine Verkündigung nicht als eine Verkündigung im eigenen Namen verstanden wissen will, sondern ganz und gar als die Verwirklichung der Sendung vom Vater her. Die Perspektive des Logos führt also bis hin zur innertrinitarischen Beziehung: „Sein Ich ist ganz offen auf das Du des Vaters hin, es steht nicht in sich selbst, sondern führt in die Dynamik der trinitarischen Beziehung hinein.“144 Wenn Ratzinger, wie wir mehrmals gesagt haben, in seinen späteren Texten (1990, 1995) bei den neutestamentlichen Ämtern durchaus kultische Aufgaben erkennt, was bei den älteren Texten keine allzu große Rolle zu spielen scheint, dann sieht er diese gerade in diesem Sinne christologisch begründet: von der Einheit zwischen Wort und Zeichen, von Wort und Opfer, vom Paschageheimnis und von der Sakramentalität der Verkündigung Jesu her, die nichts weniger als Gegenwart des fleischgewordenen Logos ist. Obwohl juridisch ein Laie ohne priesterliche Funktion im Kult des Alten Bundes, kann Christus ein neues Priestertum begründen, weil er der Logos ist, der vom Vater Gesandte, der nichts Eigenes, sondern nur das des Vaters vermittelt und dessen uneingeschränkte repraesentatio ist. Deswegen ist seine ganze Existenz und Verkündigung sakramental. Ein Priestertum in seiner Nachfolge ergibt nur dann einen Sinn, wenn es nicht das bloß Eigene zu geben vermag, sondern eben sakramental strukturiert ist. Ein solches Priestertum geht auf Christus zurück, wie wir im Weiteren sehen werden.

5.3.2 Die Sendung der Apostel Hier sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es gilt, die bereits kurz angedeutete Frage wieder aufzugreifen, ob und inwiefern die ‚Bewegung‘ der Sendung Jesu vom Vater her, sein sakramentales Handeln, auf die Apostel, seine Gesandten, übergegangen ist und in ihnen und durch sie in der Kirche weiterhin lebt. Im Jahr 1961 formuliert Ratzinger zur Frage der Fortexistenz der Sendung Jesu 143 Vgl. ebd., 903. 144 Ebd.

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in der Sendung der Apostel kurz und eindeutig: „[Die] gleiche Struktur des göttlichen Auftrags [Jesu], der auf Grund einer Sendung von oben her in Vollmacht vor den Menschen bezeugt werden muss, setzt sich über Jesus hinaus in den Jüngern fort, die er in seinen Auftrag, in sein ‚Muss‘ einbezieht.“145 Er verweist dabei auf Joh 20,21 und 17,18: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Diese Texte lassen für Ratzinger an Klarheit nichts übrig. Man kann sagen, dass die Frage, ob die Sendung Jesu in der Sendung der Apostel weiterlebt, von Ratzinger klar und positiv beantwortet wird und eigentlich auch nicht problematisiert oder im Vergleich mit der klassischen Dogmatik irgendwie neu begründet wird, wie es bei der vorhergehenden Frage der Sendung Jesu der Fall war. Nachdem also die übergeordnete Frage der Identität Jesu und seiner Sendung geklärt wurde, ist der biblische Befund in diesem Punkt aus seiner Sicht doch eindeutig. Dennoch kann man in manchen Texten Ratzingers die Mühe erkennen, hierfür eine Begründung zu liefern. Was freilich auf jeden Fall genauer geklärt werden muss, ist das genauere Wie des Fortlebens der Sendung Jesu in der Sendung der Apostel. Welche Wege werden also von Ratzinger selbst aufgezeigt? Der eine Weg wurde hier bereits öfter angesprochen: Jesus ist der Höhepunkt der Religionsgeschichte und bringt diese ans Ende, auch und gerade, was das Tempelpriestertum angeht: „Beim Tod Jesu zerreißt der Vorhang des Tempels, das Allerheiligste ist leer und der Tempel hat seinen Sinn verloren. Es gibt keinen Tempel und keine Priester im Sinn des Tempels mehr. Der wahre Tempel ist der Gekreuzigte, der mit dem Ruf an den Vater und mit den für die Menschen geöffneten Händen, mit dem für sie durchbohrten Herzen stirbt.“146

Doch bei diesem singulären Ereignis bleibt die Heilsgeschichte nicht einfach stehen, denn der Herr, der am Kreuz stirbt, ist zugleich auch der Beginn eines neuen Anfangs, da er der Auferstandene, der Lebendige ist. Im selben Atemzug öffnet Ratzinger somit schon hier die Tür zu einer Neuinterpretation des Priestertums: „Aber er [Christus] ist nicht tot, seine Sendung geht weiter durch seine Gesandten, durch seinen Geist, das Geschenk aus der geöff145 Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 56. 146 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 396.

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neten Seite. Es gibt keine Sacerdoten des Tempels mehr, aber es gibt ihn und seine Sendung, es gibt Apostel.“147 Das bedeutet einerseits, dass das Anliegen, das im alttestamentlichen Kult nur unvollkommen verwirklicht wurde – wobei unvollkommen nicht unberechtigt bedeutet –, mit der Einzigartigkeit des Todes Christi nicht einfach verschwand, sondern im Gegenteil gerade in ihm eine neue Qualität erhält und eigentlich erst das eigene Ziel erreicht. Es lebt in seiner Sendung weiter, die wiederum an die Apostel delegiert wurde. Für Ratzinger ist das Amt der Apostel nicht bloß eine sich lockerer oder enger an die Geschichte Jesu anschließende Fortsetzung einer ‚Bewegung‘, eines Gedankens, einer ‚Sache‘, die bestimmte Funktionen zu erfüllen hat, sondern ein Weiterleben seiner eigenen, singulären und existentiellen Sendung vom Vater her. Das Neue der Sendung Christi bleibt auf diese Weise – gerade durch das Amt – lebendig, gegenwärtig und wirksam. In diesem Zusammenhang muss freilich die Präzisionsfrage gestellt werden, die auch Ratzinger artikuliert: „In welcher Beziehung steht der Apostel zu Christus? Welche Art von Vollmacht wohnt seinem Amt inne?“148 Anders ausgedrückt: Welche Form hat dieses Fortleben der Sendung Christi im Amt des Apostels? Wiederum gilt: Wenn Jesus als der eigentliche Apostel des Vaters verstanden wird, dann ist auch das Amt des Apostels, den er selber beruft und aussendet, im Zentrum der Christologie verankert.149 Dabei macht Ratzinger beim Blick in das Neue Testament zwei Punkte für dieses Thema als wesentlich aus: Das Apostelamt werde einerseits durchgehend „auf eine spezifische Setzung des Herrn“ zurückgeführt, andererseits als „Ergebnis von Berufung“ charakterisiert.150 Es kommen darin also zwei Komponenten zum Tragen: der objektive Ursprung des Amtes als ein von Christus selbst eingesetztes Amt und die konkrete, persönliche Berufung, 147 Ebd. – In der offiziellen Fassung in JRGS 12 lautet der letzte Satz lediglich: „Es gibt keine Sacerdoten des Tempels mehr, aber es gibt Apostel.“ In einer Audioaufzeichnung des Vortrags aus dem Jahr 1969 lautet dieser Satz etwas präziser: „Es gibt keine Sacerdoten des Tempels mehr, aber es gibt ihn und seine Sendung, es gibt Apostel.“ Diese längere Version bringt den Gedankengang Ratzingers konzentrierter zum Ausdruck. 148 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 115. 149 Vgl. ebd. 150 Vgl. ebd.

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also ein interpersonales Geschehen zwischen dem Herrn, der ­beruft, und dem Apostel, der von ihm berufen wird. Beides – die Setzung des Amtes durch den Herrn wie auch das interpersonale Geschehen der Berufung – konstituiert das ‚Neue‘ des neutestamentlichen Amtes gegenüber den alttestamentlichen Ämtern und entspricht der Neuheit Christi selbst. Diese zwei Feststellungen bezüglich des Apostelamtes sind von großer Bedeutung, weil in ihnen die unmittelbare Verbundenheit der Person des Apostels und seines Auftrags mit dem Herrn sichtbar wird. Mit einem Wort Ratzingers selbst: „Apostolat [ist] Teilhabe am Sendungsauftrag Jesu Christi: Wie Christus verkündet der Apostel die Nähe des Reiches Gottes, und von Christus her hat er Vollmacht, die Ankunft des Reiches in Machtzeichen sichtbar zu machen.“151 Das Apostolat ist somit niemals außerhalb der Teilnahme an der Sendung des Herrn selbst zu denken, der Apostel hat keinen Auftrag, der von ihm selbst herkommen würde. Sein ganzer Auftrag kommt von außen, vom Herrn her. Seine ganze Existenz ergibt sich aus dem Hervorgehen aus der Sendung Jesu, wie es schließlich schon der Name Apostel (der Gesandte) in sich trägt. Ratzinger führt auch die biblische Grundlegung des engen Zusammenhangs zwischen dem Auftrag Christi und dem des Apo­ stels an. Bei den Synoptikern ist es die Formel: „Wer euch hört, hört mich, wer aber euch verwirft, verwirft mich, und wer mich verwirft, verwirft den, der mich gesandt hat“ (Lk 10,16; vgl. Mt 10,40). In der johanneischen Tradition wird dieser Aspekt noch präziser entfaltet. Den Höhepunkt bilden die Worte des Auferstandenen: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Mit Ratzinger ausgedrückt: „Der Herr gibt darin weiter, was Ursprung und Bewegungsmacht seines eigenen irdischen Daseins war.“152 So sei Apostolat „ein christologisch fundiertes Amt“.153 Diese entscheidend christologische Grundlegung verlängert auch das wichtige und oben besprochene Thema repraesentatio in Christus bis hin zum Amt des Apostels. Bibeltheologisch ist von Bedeutung, dass bei den Synoptikern wie bei Johannes „Christus selbst als der Apostel des Vaters ausgelegt wird, so dass diejeni151 Ebd. 152 Ebd., 115 f. 153 Ebd., 116.

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gen, die er als Apostel sendet, darstellen, was er selber ist“.154 Das Apostelamt ist für Ratzinger also wesentlich ein Repräsentationsamt Christi in einer Parallelität mit der einzigartigen Repräsentation des Vaters durch Christus. Gerade darin ist das Apostelamt auch ein Vermittlungsamt: „Wenn Sendung Repräsentation des Sendenden und insofern Vermittlung zum Sendenden hin bedeutet, dann ist dieses zentrale Amt der werdenden Kirche ohne Zweifel als Dienst der Vermittlung qualifiziert.“155 In diesem Sinne aber ist das apostolische Amt nichts anderes als eine Fortsetzung des Auftrags Christi: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 13,20; 17,18; 20,21). Es handelt sich um eine „Parallelisierung zwischen der Sendungsform Jesu und derjenigen der Apostel“.156 Jesus „verleiht den Aposteln seine Gewalt und setzt damit ihr Amt in strenge Parallelität zu seiner eigenen Sendung“.157 Ratzinger bezieht sich auf das Wort Jesu an die Zwölf, das sowohl bei den Synoptikern wie auch bei Johannes zu finden ist: „Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf“ (Mt 10,40; vgl. Lk 10,16; Joh 13,20). Somit haben wir die wesentlichen christologischen Punkte, von denen bei der Sendung Jesu die Rede war, wiederum bei der Sendung des Apostels vorgefunden und damit den engen Zusammenhang dieser zwei Sendungen, die Teil einer und derselben ‚Bewegung Gottes‘ auf den Menschen zu sind, grundgelegt: Der Ursprung der Sendung der Apostel liegt in der Sendung Jesu Christi selbst. Es bleibt noch der zweite Punkt, der Moment der persönlichen Berufung, der neben dem ersteren die Neuheit und Differenz zu den alttestamentlichen Ämtern begründet. An einer Stelle nennt Ratzinger in Bezug auf die Berufung der ersten Apostel in Mk 3 die persönliche Berufung den „Ausgangspunkt des neutestamentlichen Dienstes“, denn dieser sei „zunächst Antwort auf einen Ruf und Annehmen seines Willens“ und in diesem Sinne für das Amt „konstitutiv“.158 Mit einem Wort: „Sein [Christi] Wille steht in der Mitte und entscheidet.“159 Das alttestamentliche Amt ist wesent-

154 Ebd., 115. 155 Ebd., 116. 156 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 38. 157 Ebd. 158 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 357. 159 Ebd., 357 f.

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lich „durch sein Ererbtsein“ definiert, war es doch ein eigener Stamm inmitten der Stämme Israels, der für diese Aufgabe vorgesehen war. Deswegen stellt einen wesentlichen Unterschied zum neutestamentlichen Amt der Umstand dar, dass es „durch Gerufensein von Jesus und durch Gesandtsein für die Menschen“, ohne die Frage der Abstammung überhaupt zu stellen, definiert ist.160 Beim Apostolat geht es immer um eine Antwort auf einen persönlich ergangenen Ruf zur Nachfolge und somit, wie bereits gesagt, um ein interpersonales Geschehen zwischen Gott, dem Rufenden, und dem Menschen, dem Berufenen. Schon 1969 führt Ratzinger dieses Unterscheidungsmerkmal des Apostels, das beim Blick über den jüdischen Bereich hinaus noch stärker sichtbar wird, präzise aus, als er betont, dass der Apostel „etwas sehr anderes [ist] als der Brahmane der indischen Religion, als der Kohen des Spätjudentums: Beide werden durch Geburt ihrer Kaste, ihrem Stand eingefügt. Sie üben ihr Amt aus, indem sie bestimmte Riten vollziehen, zu denen allein sie auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu diesem privilegierten Stand berechtigt sind.“161 Im Unterschied dazu gilt für den Apostel: „Nicht Geburt, sondern Berufung ist der Ausgangspunkt seines Dienstes. Er ist Apostel, nicht weil er einer Sippe zugehört, sondern weil er, gerade er angerufen wird und sich senden lässt.“162 Die Wirklichkeit der persönlichen Berufung gehört also wesentlich zur Neuheit des auf Christus zurückgehenden Amtes in der Kirche. Mit dem bereits Gesagten dürfte der Ursprungsort des apostolischen Dienstes ausreichend beleuchtet worden sein. Ratzinger spricht freilich auch von der „inneren Struktur des Dienstes“, also von den inhaltlichen Vorgaben, die das Apostelamt in sich birgt. Schon in der Berufungsgeschichte bei Markus sieht er das Wesentliche ausgesagt: „Er machte Zwölf, damit sie mit ihm seien und damit er sie sende, zu verkündigen und Vollmacht zu haben …“ (Mk 3,14). In diesen Worten sind für Ratzinger „zwei Pole des priesterlichen Dienstamtes“ ausgesagt und darin die „oft fast zum Zerreißen führende Spannung“, die in diesem Amt liegt: „das Sein mit ihm und das Sein, um gesandt zu werden“.163 Ratzinger 160 Vgl. ebd., 360. 161 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 396. 162 Ebd. 163 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 359.

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verneint den vermeintlichen Gegensatz von zwei sich ausschließenden Auffassungen des Amtes, den manche darin zu sehen glauben, und nennt das hier auftretende Paradox vielmehr „die bedrängende Spannung dieses Berufes für alle Zeit“, die man heute mit den nur oberflächlich sich ausschließenden Begriffen ‚Innerlichkeit‘ und ‚Dienst‘ zum Ausdruck bringen könne.164 Er sieht eben in dieser unaufgebbaren Spannung das Wesentliche des priesterlichen Amtes: „Wenn der priesterliche Auftrag lautet, Jesus Christus vor den Menschen zu bezeugen, so ist die Voraussetzung dafür, ihn zuerst zu kennen, aus dem Sein-mit-Ihm zu leben, im Sein-bei-Ihm den wahren Ort der Existenz zu finden.“165 Diese Erkenntnis bringt freilich eine ganze Reihe von Folgen für das geistliche Leben des Priesters mit sich.166 Sie ist aber nur die eine Seite der Spannung. Denn all das bedeutet nicht, dass der Diener Jesu Christi sich „aus der gemeinsamen Welt des Alltags“ absondere.167 Ratzinger verweist hier auf die Parallele mit dem Pharisäertum und sagt, dass der von Christus in den Dienst Genommene nicht ein „Pharisäer“, also ein Abgesonderter sein dürfe, sondern vielmehr „die Antithese zum ‚Pharisäer‘“ darstellen müsse: „abgesondert lediglich, um gesandt sein zu können“.168 Das aber sei das Charakteristikum des neutestamentlichen Dienstes: „das Gesandtsein, um zu verkündigen […] und so Bote des Eschatons zu werden“.169 Gerade in diesem Gesendetsein sei auch das „Namensgebende und mit ihm auch das eigentlich Definierende und Konstitutive des christlichen Amtes“ sichtbar, denn das alles sei nichts Geringeres als ein Verweis auf „Selbstverständnis und Auftrag Jesu Christi“.170 Apostel sind demnach vom auferstandenen Herrn berufen, seine bevollmächtigten Zeugen zu sein, damit sie in seiner Autorität das Evangelium verkünden und sein Heilshandeln gegenwärtig machen. 164 Vgl. ebd. 165 Ebd. 166 Ratzinger sagt, dass es für den Priester nichts Wichtigeres gebe, als „sich in das Sein-mit-Ihm, in das Existieren in seiner Nähe, in das Hinter-Ihm-Hergehen einzuüben“. Ebd. 167 Vgl. ebd., 360. 168 Ebd., 359. 169 Ebd., 360. 170 Ebd., 359.

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Ratzinger greift in diesem Zusammenhang den paulinischen Begriff auf, mit dem er in Röm 15, wie er selber formuliert, „unübertrefflich schön und genau“ die Frage beantwortet, was ein Apostel ist. Er nennt ihn „Liturge des Evangeliums“.171 Damit ist neben dem soeben thematisierten Unterschied in der Frage der Abstammung auch der in der inhaltlichen Ausrichtung des Apostelamtes gegenüber dem alttestamentlichen Amt angesprochen. War bei letzterem der Vollzug von bestimmten Riten, wozu die Abstammung berechtigte, das Wesentliche, ist es bei ersterem ganz anders. Das Evangelium ist entscheidend: „Nicht Ritus, sondern Evangelium ist der Inhalt seines Berufes [des Apostels].“172 Ratzinger verbindet hiermit unmittelbar eine inhaltliche Fülle bei der Beschreibung des apostolischen Amtes, ohne diese allerdings biblisch zu grundieren. Es stellt sich die Frage, ob hier nicht unreflektiert und etwas voreilig auf die Ebene des Bezugs zum Heute des Priesters gewechselt wird, heißt der Beitrag doch Der Priester im Umbruch der Zeit: „Er ist gesandt, den Menschen Weisung von Gott her zu geben, für sie da zu sein, an ihnen den vielfältigen Dienst des Evangeliums im Alltag zu tun; vom tröstenden Wort für die Alten und Kranken, vom Erwecken des Gewissens in den Kindern und dem Dasein für die Erwachsenen bis zur Weisung zum Gebet und zur Ordnung des Lebens, bis zum Wort der Vergebung und dem gemeinsamen Dienst der Verherrlichung Gottes und der Brüderlichkeit der Menschen in der Eucharistie.“173

Damit sind in Ratzingers eigener Interpretation wesentliche Inhaltspunkte des neutestamentlichen Amtes angesprochen. Neben diesem inhaltlichen Umriss ist Ratzinger aber bemüht, auch einen bibelgeschichtlichen Hintergrund für diesen Ausdruck zu liefern. Im Begriff ,Liturge des Evangeliums‘ sieht er „jene unheilvolle Entzweiung“ aufgehoben, die sich im Spätjudentum „abweichend

171 Vgl. Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 396. Ratzinger übernimmt diesen Begriff direkt aus dem griechischen Urtext. In Röm 15,16 z. B. ist von λειτουργὸς Χριστοῦ Ἰησοῦ die Rede. Die Einheitsübersetzung 1980 gibt diese Stelle wie folgt wieder: „… damit ich als Diener Christi Jesu für die Heiden wirke und das Evangelium Gottes wie ein Priester verwalte; denn die Heiden sollen eine Opfergabe werden, die Gott gefällt, geheiligt im Heiligen Geist.“ 172 Ebd., 397. 173 Ebd.

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von der Urform alttestamentlichen Priestertums“ ergeben habe, nämlich die personale Trennung vom Dienst des Wortes und dem Dienst der Liturgie.174 Im Spätjudentum, so Ratzinger, „wandert das Wort [ab] zu den Rabbinern“, es wird somit „bloßes Wort, Theorie, abstrakte Gelehrsamkeit“, der Gottesdienst verkommt wiederum dazu, dass er „nur noch Liturgie, nur noch Ritus, nur noch Zeremonie“ sei.175 Ratzingers Fazit: „Die Zerspaltung der lebendigen Einheit von Gottesdienst und Wort in bloße Gelehrsamkeit und bloßen Ritus, die Trennung von Theologie und Liturgie ist das eigentliche Verhängnis des Spätjudentums, das Auseinandertreten von Rabbinat und Priestertum sein tiefes Ungenügen.“176 Die ursprüngliche Form des alttestamentlichen Priestertums habe allerdings eine Einheit dieser zwei Bereiche vorgesehen. Ist diese im Apostelamt, wie durch den Begriff ,Liturge des Evangeliums‘ passend ausgedrückt, gegeben, hat dieses Amt einen klaren christologischen und damit priesterlichen Charakter. Denn wenn der Apostel ein ,Liturge des Evangeliums‘ ist, bedeutet dies, dass er „in der ursprünglichen Einheit“ von Wort und Liturgie stehe.177 Diese komme in seinem Fall nicht vom alttestamentlichen Amt, sondern von Jesus, „der selbst das ‚Wort‘ und das ‚Opfer‘ in einem“ sei.178 Es sei genau diese Einheit von Wort und Opfer, „die in Jesus, dem gekreuzigten Logos, gesetzt ist“ und die ihn zum wahren Priester mache und somit auch Maßstab des Apostels bleibe.179 Hier ist freilich nicht nur eine äußere inhaltliche Bestimmung des apostolischen Amtes gemeint, sondern vielmehr die innere, christologisch bestimmte Struktur dieses Amtes selbst, die diese, so möchte man sagen, existentielle Einheit voraussetzt. Ratzinger verweist in diesem Zusammenhang auf den Apostel Paulus, der sein eigenes Martyrium in Phil 2,17 als ‚Liturgie‘ bezeichnet, was also bedeutet, dass es sich nicht um einen äußeren Vorgang handle, „den er durch erbauliche Erwägungen mit seinem Amt in Verbindung bringt, ohne dass er an sich etwas damit zu tun hätte“, sondern um einen wesentlichen, inneren Zusammenhang: Für Paulus

174 Vgl. ebd. 175 Vgl. ebd. 176 Ebd. 177 Vgl. ebd. 178 Vgl. ebd. 179 Vgl. ebd.

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gehöre „die Einbeziehung des Ich in die Liturgie“.180 Gerade so deutet sich die für Ratzinger wesentliche, existentielle Dimension des apostolischen Amtes und somit auch des Priestertums an. Die Existenz dessen, der von Gott durch Berufung und Sendung in den Dienst Christi selbst und somit voll in Anspruch genommen wurde, kann nur in diesem Sinne wirklich und glaubwürdig gelebt werden. In einem 1972 verfassten Text, der sich von der Fragestellung über den Mittlerbegriff im Neuen Testament her dem Thema des Priesters nähert, zeigt Ratzinger neben der wohl wichtigsten, soeben ausführlich besprochenen Spur der apostolischen Sendung, wie wir sie bei den Synoptikern und bei Johannes vorfinden und die wir vielleicht ‚linear‘ nennen könnten, noch zwei andere wichtige Begründungsspuren des Apostelamtes auf. Die erste nimmt Bezug auf den Zweiten Korintherbrief, in dem Paulus bemüht ist, das eigene, von einigen infrage gestellte Apostelsein zu begründen. In diesem Zusammenhang deutet Ratzinger die Gestalt des Apostels als die „pneumatische Steigerung und Überbietung der Gestalt des Mose“.181 Diese These ist wichtig, weil Ratzinger mit ihr aufzeigt, dass es neben der bereits besprochenen christologischen Auslegung des Apostelamtes, die auf die synoptische, von Johannes vertiefte Idee der Sendung gründet, noch eine weitere gibt, in der, wie Ratzinger sagt, „die Stellung der Christologie anders und komplizierter“ sei.182 Laut ihr setzt das neutestamentliche Apostelamt das Grundanliegen des Mose fort, allerdings auf der Ebene des Pneuma, also der „offenbar gewordenen, lebendigen göttlichen Wirklichkeit“, während der Dienst des Mose „innerhalb der Welt von Stein und Buchstabe“ verblieb.183 Das werde mit der Aufstellung der Antithesen „Todes- und Gerichtsamt“ vs. „pneumatisches Amt der Gerechtigkeit“ (vgl. 2 Kor 3,7–9) auf den Punkt gebracht. Da Christus „selbst das Pneuma“, also „die von Mose gemeinte Wirklichkeit“ sei, oder noch klarer ausgedrückt: Da Christus „Typos und Wirklichkeit“ in sich umfasst, vermittelt er das pneumatische Verständnis der Mosegestalt, was ja bedeutet, dass der Aposteldienst „als die von dem Herrn ermöglichte 180 Ebd. 181 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 116. 182 Vgl. ebd., 117. 183 Vgl. ebd., 116.

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pneumatische Antithese zum mosaischen Dienst“ verstanden werden könne.184 Hier sei angemerkt, dass die Gestalt des Mose in Christus nicht „vom Kultischen her“ konstruiert werde, sondern „von dem Bild des Moses, der als Bote des Wortes zwischen Gott und dem Volk“ stehe.185 Darin könnte man wohl den eigentlichen, eindeutig christologisch begründeten Schlüssel des apostolischen Amtes in dieser zweiten, pneumatischen Spur erkennen. All das hat eine unmittelbare Bedeutung für unsere Thematik. Zunächst wird hier angedeutet, dass die frühe Kirche „eine neue, eigene Ordnung neben derjenigen des Mose ist und daher auch eine neue Diakonie umfasst“, die folgerichtig einerseits „derjenigen des Mose entspricht und andererseits doch wieder zutiefst anders ist als diese“.186 Wir haben es hier also mit der pneumatischchristologischen Umdeutung des mosaischen Dienstes zu tun, welche das neutestamentliche Apostelamt als Antithese und Parallele zugleich betrachtet. Dieser hermeneutische Umgang ist somit symptomatisch, wie wir schon bei der Frage der Kontinuität bzw. Diskontinuität der neutestamentlichen Ämter gesehen haben. Die Grundanliegen, welche in den alttestamentlichen Diensten bereits gegenwärtig waren und in ihnen bewahrt wurden, finden sich in den neutestamentlichen Diensten wieder, allerdings nicht linear, sondern christologisch vertieft, gewandelt und in diesem Sinne doch gänzlich neu. In Anlehnung an den Römerbrief bringt Ratzinger dann in Bezug auf das Apostelamt auch noch den Aspekt der kosmischen Liturgie, welche freilich den Realismus des Kreuzes in sich trägt, ins Spiel. Terminologisch wie ideell ist dieser Gedankengang eng mit der im Hebräerbrief entwickelten Theologie des Priestertums, von der bereits ausführlich die Rede war, verwandt. Im Römerbrief bezeichnet Paulus sich selbst als „Liturgen Jesu Christi auf die Völker hin, der den sazerdotalen Dienst des Evangeliums tut, damit die Opfergabe der Heidenvölker wohlgefällig werde, geheiligt im Heiligen Geiste“ (vgl. Röm 15,16).187 Ratzinger spürt in diesem Text drei für unsere Fragestellung bedeutungsschwere Begriffe auf und versucht sie im Deutschen wiederzugeben: λειτουργὸς Χριστοῦ 184 Vgl. ebd., 117. 185 Vgl. ebd., 118. 186 Ebd., 117. 187 Ratzinger selbst übersetzt diese Stelle so wie angeführt. Vgl. ebd., 119.

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Ἰησοῦ, ἱερουργοῦντα τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ und προσφορὰ τῶν ἐθνῶν. Der ganze Duktus weise sprachlich auf einen kultischen Zusammenhang hin, denn „alle Grundbegriffe gehören dem Bereich des Tempels und seiner Opfer zu“, wenn auch „das Ganze auf eine neue Ebene transponiert“ werde: „Die Gabe, die fehlerfrei, kultgerecht, ‚heilig‘ gemacht werden soll, sind nicht irgendwelche Opfertiere, sondern die Völker der Erde; das Mittel, wodurch sie Gott übereignet und zur lebenden Hostie gemacht werden, ist die Botschaft des Evangeliums […], der priesterliche Dienst des Apostels [ist] mithin mit seinem Dienst als Missionar des Evangeliums identisch.“188

Man kann also sagen, dass hier das Priesterliche wohl nicht in eng verstandenen kultischen Handlungen gesehen wird, sondern im existentiell verstandenen Dienst der Verkündigung des Evange­ liums, die keine geringere als eine kosmische Dimension erreicht, ein Dienst, der den Apostel, der die Sendung Christi fortsetzt, zur Gänze beansprucht. Wir können zusammenfassen: „Die Selbstenteignung des Berufenen zugunsten des Berufenden“, von der Ratzinger hier spricht, ist nicht eine von außen kommende Bestimmung des Apostels, sondern bedeutet, „dass der Apostel dem Wort zu eigen ist, das Fleisch wurde, und drückt damit die Totalität des Anspruchs aus, dem er sich unterworfen hat“.189 Um es mit eigenen Worten auszusagen: Die Einheit von Logos und Martyria im Apostelamt ist die existentielle, in das Innere des Amtes eingeschriebene ‚Grundgrammatik‘ des apostolischen Dienstes. Gerade darin aber ist das neutestamentliche Amt christologisch begründet und strukturiert.

5.3.3 Die Sendung der Presbyter Auf den ersten Blick könnte der kommende Schritt im Hinblick auf die Notwendigkeit der Grundlegung als der entscheidendste überhaupt erscheinen, da er die Sendung der Priester thematisiert. ­A llerdings muss man bedenken, dass für Ratzinger das Wesent­ liche des soeben über den Aposteldienst Gesagten auch für die Sendung der Presbyter gilt, die zu den Diensten gehören, „die aus 188 Ebd. 189 Vgl. Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 397 f.

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der Arbeit der Missionare (Apostel) in den einzelnen Ortskirchen hervorwuchsen“.190 Die Übereinstimmung in den wesentlichen In­halten haben wir bereits darin sehen können, dass Ratzinger begrifflich und inhaltlich das Priesteramt dem Apostelamt ganz nahe rückt, ja sehr oft diese Begriffe geradezu synonym verwendet. Schon im letzten Schritt wurde darauf hingewiesen, dass er manchmal fließend von einem zum anderen übergeht.191 Als wichtigstes Argument, das für diese enge Verknüpfung zwischen dem Episkopat und dem Presbyterat spricht, muss aber angeführt werden, dass Ratzinger sich die Überzeugung der „Alten Kirche“, wie er sagt, die dann nach einigen mittelalterlichen Verschiebungen in Richtung Presbyter beim Zweiten Vatikanum ins theologische Bewusstsein zurückkehrte, zu eigen macht: nämlich, dass die Bischofsweihe als die „Vollgestalt des Weihesakramentes“ verstanden wird, das Weihesakrament also „grundsätzlich vom Bischofsamt her betrachtet“ werden müsse.192 Es geht hier um ein Zurückkehren zu einem organischen und ursprünglicheren Blick auf den Ordo, der nicht mehr die potestas, die in der Übertragung der liturgischen Geräte innerhalb der Weihe und in einer indikativen Sakramentsformel zum Vorschein kommt und „dem Vorgang der Investitur in ein weltliches Amt nachgebildet“ ist, sondern den Begriff munus bzw. ministerium in den Mittelpunkt stellt, der durch die Handauflegung in deprekatorischer Form erbeten und somit pneumatologisch bestimmt wird.193 Mit der Wiedergewinnung dieser Ursprünglichkeit tritt auch die mittelalter­ liche Unterscheidung der Vollmacht über das corpus Christi verum und das corpus Christi mysticum, die den Episkopat aus dem eigentlichen sakramentalen Zusammenhang riss, stärker in den Hintergrund.194 Ratzinger weist auf die ursprüngliche Sicht des Ordo hin, bei der „der Bischof als der Priester im eigentlichen Sinn“ galt, was im Mittelalter auch durch die Ausdehnung des ursprünglich für den Bischof reservierten Begriffs sacerdos auch auf den Presbyter abgeschwächt wurde, so dass Macht und Vollmacht (potestas)

190 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 114 f. 191 Vgl. oben S. 276. 192 Vgl. Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 73 f. 193 Vgl. ebd., 71–73. 194 Vgl. dazu Die pastoralen Implikationen der Lehre von der Kollegialität der Bischöfe, 1965, in: JRGS 12, 233–261, hier bes. 251–256.

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zum entscheidenden Gesichtspunkt wurden und das Priestertum „unmittelbar nur auf Wandlungsvollmacht“ bezogen wurde.195 Das bedeutete auch, dass das Presbyterat als das Zentrum des Ordo betrachtet wurde. Das Zweite Vatikanum dagegen – und Ratzinger ist hier derselben Meinung – zeichnet ein organischeres Bild des Weihesakramentes, nämlich als eines vom Ursprung in der Sendung der Apostel her gewachsenen Sakramentes. Die Grundbegriffe lauten also: Sendung der Apostel – Evangelium – Überlieferung – Leben der Kirche, und „der Ausgangspunkt liegt in der Sendung der Apostel, diese Sendung aber ist die Überlieferung des Evangeliums“.196 Ratzinger stellt fest: „Das Weihesakrament verwirklicht sich primär im Bischof“ und spricht gar von einer „episkopalen Konstruktion des Sakramentes“, welche die Katholizität und Apostolizität als „Grundcharakteristika des priesterlichen Amtes“ erscheinen lasse.197 Die Priesterweihe müsse also als „Aufnahme in die Sendung der Apostel durch die Einbeziehung in die Gemeinschaft der Zeugen hinein“ verstanden werden, was ja besonders darin zum Ausdruck komme, dass Bischofsein immer ein Sein innerhalb des bischöflichen Kollegiums bedeute und Priesterwerden Eintreten in das Presbyterium eines Bischofs heiße.198 Dieser enge, vom Ursprung her bestimmte Zusammenhang von Episkopat und Presbyterat erklärt auch den Umstand, warum die Grundlegung des priesterlichen Amtes nicht einfach per se geschehen kann, sondern vielmehr, wie es eben bei Ratzinger der Fall ist, in enger und organischer Einheit mit der Sendung der Apostel und somit der Bischöfe geschehen muss. Dennoch bleibt die Frage der Unterscheidung und der eigenen Identität des Presbyters und des Episkopos bestehen. Die Frage hier lautet also: Ist der Schritt vom Apostel zum Priester – Presbyter ohne weiteres möglich und berechtigt? Gilt alles, was über das Apostelamt gesagt wurde, einfach und uneingeschränkt auch für das Priesteramt? Ist somit die Differenzierung zwischen dem Priester- und dem Bischofsamt vielleicht erst eine spätere, womöglich willkürliche Entscheidung der Kirche? Oder aber ist das 195 Vgl. Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 74 f. 196 Vgl. LG 20. Vgl. Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 75. 197 Vgl. Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 76. 198 Vgl. ebd.

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­ esentliche des Amtes beiden Weihestufen eigen und die UnterW scheidung eher eine Art ‚Feinarbeit‘? Ratzinger selbst bringt diese Fragen etwa wie folgt zur Sprache: „Nun kann man gelegentlich die Meinung hören, solches möge ­alles vielleicht für den neutestamentlichen Apostel gelten, dürfe aber ganz und gar nicht auf den Presbyter übertragen werden, der ein schlichter Gemeindeleiter sei, nichts sonst.“199 Schon die Diktion dieses Zitats lässt erahnen, dass Ratzinger einer solchen Interpretation nichts abgewinnen kann. Er sieht freilich die reiche Entwicklung dieser Frage in der Alten Kirche. Zum einen steht hier noch einmal klar die Einheit des apostolischen Amtes: „Zunächst ist festzustellen, dass in den Anfängen nur das apostolische Amt selbst mit einer ganz klar umschriebenen Physiognomie vor uns steht.“200 Die Quelle ist also die eine und einzige: die Berufung und Sendung Jesu, die an die Apostel ergangen ist. Am Anfang kommt sie klar aus der eigentlichen und einen Quelle. Auf der praktischen Ebene in der jungen Kirche wird dies allerdings unterschiedlich gelebt, so dass wir „Ämter verschiedener Art“ vorfinden, „die aber noch keine feste Gestalt und keine festen Namen haben und je nach örtlichen Situationen sicher auch sehr verschieden“ sein können. 201 Es lässt sich auf alle Fälle ein großer terminologischer Reichtum im Neuen Testament bezüglich der Ämter, die in der jungen Kirche vorhanden sind, feststellen: Von ἡγουμένοι ist in Hebr die Rede, von προστάμενοι in 1 Thess und 1 Tim, wo es mit πρεσβύτεροι kombiniert wird, in Phil 1,1 schließlich finden sich die bekannten ἐπίσκοποι καὶ διάκονοι, von denen die ersteren in 1 Tim 3,2 und Tit 1,7 wieder auftauchen. In Apg 20,28 wird ἐπίσκοπος „als Funktionsbezeichnung auf die Presbyter angewandt“, in 1 Petr wiederum als „Würdetitel Christi“. 202 Man könne sehen, dass es da „überörtliche Dienste“ gibt, wie Propheten, Lehrer und andere,203 aber auch klar ortsbezogene, „lokalkirchliche Dienstämter“.204 Hinzu komme noch die bereits berührte Verschiedenheit dieser Entwicklung in

199 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 398. 200 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 43. 201 Vgl. ebd. 202 Vgl. Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 120. 203 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 43. 204 Vgl. Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 120.

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judenchristlichen und in heidenchristlichen Bereichen: In ersteren, „wohl im Anschluss an die Verfassung der Synagoge“, begegnet man dem Begriff ,Presbyteros‘, während in zweiteren – im Philipperbrief überhaupt zum ersten Mal – die Begriffe ,Episkopos‘ und ,Diakonos‘ auftauchen. 205 Obwohl alles wohl aus der einen Quelle kommt, wird es in der Unterschiedlichkeit der Umgebung und der diversen Bedürfnisse zu einer reichlich ausdifferenzierten Wirklichkeit. Dabei werden auch einschränkende Tendenzen sichtbar, wie z. B. die Beschränkung des Aposteltitels auf den Kreis der Zwölf, die in der lukanischen Theologie vollzogen wurde, was wiederum für Ratzinger belege, dass bereits im Neuen Testament ein Klärungsprozess dieser Fragen im Gange sei. 206 Dabei gilt: „Die theologische Klärung dessen, was hier vorliegt, reift langsam, sie findet ihre wesentliche Gestalt in der Phase des Übergangs zur nachapostolischen Zeit.“207 Ratzinger begegnet der Frage, ob der apostolische Auftrag nicht vielleicht „so einmalig und unwiederholbar [ist] wie das irdische Leben, Sterben und Auferstehen des Herrn war“208 und somit auf die Apostel selbst beschränkt geblieben sei und der später auftretende Presbyter doch nicht bloß eine rein praktische, schlichte Aufgabe der Gemeindeleitung ohne jegliche sazerdotalen Dimensionen sei, mit der Aussage, dass er eine solche Vorstellung für „durchaus antihistorisch“ halte, nämlich „als ob nach dem Apo­ stel die Kirche nicht weiterginge“. 209 Dies lässt an sein Argument bezüglich des Neues Testaments und der daraus resultierenden Entwicklung des Amtes denken, dass nämlich die ganze Dogmengeschichte in dieser Frage niemals als ein ‚Sündenfall‘, also als Fehlentwicklung, die im Gegensatz zum eigentlichen Anliegen Jesu stehe, betrachtet werden könne, sondern vielmehr als eben aus der Quelle des Neuen Testaments kommende und von dieser gestiftete Geschichte. 210 Die Ausdifferenzierungen des gemeinsamen Grundgehaltes stehen nicht im Gegensatz zum Ursprüng­ lichen, Neutestamentlichen, sondern sind vielmehr legitime Entfaltungen ebendieser gemeinsamen Basis. 205 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 43. 206 Vgl. ebd. 207 Ebd. 208 Ebd. 209 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 398. 210 Vgl. oben S. 209.

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Zu diesem hermeneutischen Argument tritt noch ein bibeltheologisches hinzu. Zum einen verweist Ratzinger auf 1 Petr 5,1, wo der Apostel als ‚Mitpresbyter‘ mit den anderen Presbytern bezeichnet werde, womit klar ist, dass hier zuallererst keine klare Grenze zwischen diesen zwei Begriffen aufgestellt werden kann. Zum anderen weist er auf Apg 20,28 hin, wo die beiden Begriffe ‚Presbyter‘ und ‚Episkopos‘ „identifiziert [werden], judenchrist­ liche und heidenchristliche Ämter gleichgesetzt und als ein einheitliches Amt der apostolischen Nachfolge umschrieben“ werden. 211 Ratzinger sieht darin ausdrücklich „die Verklammerung und Identifikation der beiden Ämter ihrem Grundgehalt nach“ vollzogen. 212 Dass der Presbyter ein schlichter Gemeindeleiter ohne apostolischen Auftrag – mit der schon bekannten Begrifflichkeit also kein ,Liturge des Evangeliums‘ – sein sollte, würde für Ratzinger zentral dem Grundprinzip widersprechen, dass die „Gemeindeleitung vom Evangeliumsdienst als dem übergeordneten Begriff her“ zu verstehen sei und nicht umgekehrt. 213 Die Identifizierung der Begriffe ,Presbyter‘ und ,Episkopos‘ in Apg 20,28 hat für Ratzinger eine Reihe bedeutungsvoller Konsequenzen zur Folge. So betont Ratzinger, dass das Amt des Presbyters ein „pneumatisch verliehenes Amt“ sei, 214 was ja auch nichts Geringeres bedeute als „sakramentales Amt“, da „der Heilige Geist in dieses Amt einsetzt“ und daraus eine „Fortführung des apostolischen Auftrags, die Herde Gottes zu weiden, also Aufnahme des Hirtendienstes Jesu Christi selbst“ mache. 215 So ist hier eine zweite wesentliche Identifikation festzustellen: „Das Amt der Presbyter und Episkopen ist seinem geistlichen Wesen nach identisch mit dem der Apostel.“216 Damit müsste klar geworden sein, dass das alles, was hier von der Sendung des Apostels gesagt wurde, sich analog auf die Sendung des Presbyters übertragen lässt. Das alles ist auch der Grund, warum Ratzinger Begriffe wie ‚apostolisches Amt‘ und ‚priesterlicher Auftrag‘ weitgehend wie 211 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 44. 212 Vgl. Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 398. 213 Vgl. ebd. 214 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 44. An einer anderen Stelle spricht er vom „pneumatischen Charakter des Amtes, der es von allem bloßen Funktionärs­ tum unterscheidet“. Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 398. 215 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 44. 216 Ebd.

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Synonyme verwendet. 217 Freilich bleibt dabei die sich schon im Neuen Testament abzeichnende Präzisierung und Differenzierung dieser zwei Ämter aufrecht. Auf jeden Fall bleibt auch hier ausdrücklich die Priorität der Sendung von Christus her bestehen, weil dieses Amt, da es einzig in der Dynamik des apostolischen Grundauftrags steht, niemals eine Selbstermächtigung sein kann. Das führt zu einigen inhalt­ lichen Aussagen, die Ratzinger im Hinblick auf den Presbyter macht. Im Blick auf die Identität Jesu, „dessen Existenz nur als Sendung besteht“, bei dem also das Sein und die Sendung vom Vater her eine untrennbare Einheit bilden, „wird schon die Grundstruktur der christlichen Dienste andeutungsweise klar: Auch sie beruhen nicht auf eigener Ermächtigung und nicht auf bloßer Zweckmäßigkeit oder Übereinkunft, sondern auf dem Hineingerufensein in den, der selbst der Ruf Gottes, ‚das Wort‘, ist. Von dieser christologischen Mitte her muss das Wesent­ liche des christlichen Amtsbegriffs entfaltet werden. Er hat in der Sendung Jesu Christi und im Mitgesandtsein mit ihm seine eigentliche Achse.“218

Mit dem Verweis auf die Pastoralbriefe und im besonderen Hinblick auf Timotheus bringt Ratzinger 1972 die Linie sehr konzen­ triert auf den Punkt: „Die Aufgabe des Timotheus aber bleibt dieselbe: Gesandter des Apostels zu sein, der seinerseits Gesandter Jesu ist, wie dieser Gesandter des Vaters war; als Gesandter hat er die Menschen zu erinnern an die apostolischen Wege als Wege in Christus.“219 Diese Linie, hier speziell auf den Apostelmitarbeiter Timotheus bezogen, gilt wohl auch direkt für den Presbyter im Allgemeinen. Das sieht Ratzinger auch als Ergebnis seiner Über­ legungen zu diesem Thema: „Das Neue Testament [hat] selbst den Bindestrich zwischen Apostelamt und Presbyteramt gesetzt, so dass die strukturellen Gegebenheiten des Einen auch diejenigen des Anderen sind.“220 Die zwei Ämter, die sich in der Urkirche erst nach und nach ausdifferenziert haben, sind bestimmt von dersel217 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 359. Da ist vom „Apostolatsbegriff“ die Rede und auch selbstverständlich wiederum vom „priesterlichen Auftrag“. 218 Ebd., 357. 219 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 123. 220 Ebd.

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ben Abstammung aus der einen Quelle – der Sendung Christi vom Vater her – und vom identischen Impetus des Dienstes, der Repräsentation Christi: „Der Presbyter ist in den Mittlerdienst Jesu Christi prinzipiell in derselben Weise einbezogen wie der Apostel; er ist Diener Jesu Christi wie dieser.“221 Zusammenfassend kann man sagen, dass gerade der Ursprung des Priesteramtes in der Sendung der Apostel – sozusagen als deren Ausfluss und Ausdifferenzierung –, die wiederum aus der Sendung Christi und aus dem Gesandtsein von ihm hervorwächst, die eigentliche Grundlegung des Priesteramtes in der Kirche ausmacht. Denn es bedeutet, dass das Priestertum nichts Fremdes und später das Eigentliche und Ursprüngliche Überlagerndes ­darstellt, sondern vielmehr aus dem Ursprung hervorwächst und ­diesen gegenwärtig macht. Um es mit den Worten Ratzingers zu sagen: „Das Weihesakrament ist so Ausdruck und zugleich Bürgnis für das gemeinsame Stehen in der Überlieferung vom Anfang her. Es verkörpert die Einheit und die Ursprünglichkeit der Kirche.“222

5.3.4 Sakramentalität des Priesteramtes In der neuscholastischen Amtstheologie wurde die Frage nach der Sakramentalität der Weihe vorrangig und an vorderster Stelle behandelt. Das hängt freilich mit der lutherischen Ablehnung des sakramentalen Priestertums und den darauf reagierenden Aussagen des Trienter Konzils zusammen. 223 Ratzinger weist darauf hin, was auch hier im entsprechenden Kapitel gesagt wurde, dass die einschlägigen Texte des Tridentinums nicht „als erschöpfende positive Darstellung über das katholische Verständnis des Priestertums“ zu verstehen seien, sondern „als eine polemische Aussage, die sich darauf beschränkt, die Antithesen zu Leitgedanken Luthers zu formulieren“. 224 Diese polemische und deswegen gewissermaßen einschränkende Art der Trienter Aussagen ist aus der theologischen Wahrnehmung allerdings verschwunden, und so wurden diese Texte von der Neuscholastik als ganzheitliche Darlegung der Theologie des Priestertums missverstanden und dadurch 221 Ebd., 123 f. 222 Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 76. 223 Vgl. oben S. 77 f. 224 Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 82.

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die Verankerung der Amtstheologie im Ganzen der Tradition und ihrer Entwicklung geschwächt. Das Zweite Vatikanum stellte den Versuch einer sachgemäßen Einbettung im Organismus der theologischen Tradition dar, auch wenn es gerade im Zusammenhang mit unserer Materie aus nachvollziehbaren Gründen eher beschränkt gelang. 225 Man kann feststellen, dass aus den oben genannten Gründen die Erklärungen zur Sakramentalität des Priestertums in der neuscholastischen Theologie eher formal und dürftig ausfielen. Der äußere, mit den Sinnen wahrnehmbare Vorgang der Weitergabe des Ordo durch Handauflegung und Gebet steht in dieser Denkweise für die Sakramentalität, da hier durch einen äußeren Ritus einerseits geistliche Amtsbefugnis und andererseits innere Gnade übertragen wird. 226 Viel mehr wird zu diesem Thema nicht gesagt. Anders bei Ratzinger. Man kann bei ihm zwei Erklärungsstränge zu dem Thema identifizieren. Der eine ist Ausfluss der christologischen Grundlegung des Amtes, der andere eher eine freiere, aber umso tiefer greifende theologische Reflexion des Themas. Wir haben bereits gezeigt, dass für Ratzinger die christologische Grundlegung des Priestertums den entscheidenden Schlüssel darstellt, um im Neuen Bund überhaupt vom Priestertum sprechen zu können. Gerade sie bedeutet für ihn aber die Sakramentalität des Priestertums. Das ist daran erkennbar, dass er diese zwei Begriffe gleichbedeutend nebeneinanderstellt, ohne eigene Präzisierung ihrer gegenseitigen Beziehung, wenn er vom „christologisch gebaute[n], also sakramental zu verstehende[n] Amt der ‚Diener des Neuen Bundes‘ (2 Kor 3,6)“227 spricht. ,Christologisch‘ und ,sakramental‘ hängen für Ratzinger also engstens zusammen, ja sind gar zwei Seiten einer Medaille. Man kann auch sagen, dass sich die Sakramentalität des Priestertums aus dessen christologischer Begründung ergibt, da das konkrete, also geschichtliche Heils­ ereignis in Jesus Christus für Ratzinger nur sakramental zugeeignet werden kann. 228 Der sakramentale Weg ist es also, der die Möglichkeit schafft, dass das geschichtlich einmalige, und das be­deutet aus unserer Sicht auch vergangene, heilsgeschichtlich 225 Vgl. oben S. 125 f. 226 Vgl. oben S. 24. 227 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 42. 228 Vgl. ebd.

5.3 Christologische Grundlegung – der Schlüssel

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aber ­wesentliche Ereignis Christi für hier und heute relevant, also für den Menschen erreichbar, erfahrbar und ‚zueigenbar‘ wird. An einer anderen Stelle nennt er dies einen „unmittelbare[n], pneumatologische[n] und damit sakramentale[n] Charakter“ der Weihe und sieht darin einen ganz konkreten Wirkmoment und Ausdruck des göttlichen Pneumas. 229 Anders gesagt: „Der pneumatische Ritus von Handauflegung und Gebet verweist mit dem sichtbaren Zeichen der Handauflegung auf den ununterbrochenen Zusammenhang der kirchlichen Überlieferung als Ort des Geistes.“230 Bei Paulus sei sichtbar, so Ratzinger, dass die neutestamentlichen Ämter nicht funktionale Betrauungen darstellen, die sich an den Bedürfnissen der Gemeinden orientieren, sondern dass es vielmehr der Heilige Geist sei, der in diese Ämter einsetzt, und nicht irgendeine Art von Delegation der Gemeinde. 231 So ist das Priestertum eine „Gabe vom Herrn her“, der selbst „gibt, was nur er geben kann“, was Ratzinger mit dem Satz zusammenfasst: „Als pneumatisch verliehenes Amt ist [Priestertum] ‚sakramentales‘ Amt.“232 Sakramental bedeutet hier also zuallererst „direkt vom Herrn her kommend“, von ihm selbst als Ursprung und Ausgangspunkt eingesetzt und ihn selbst „erfahrbar machend“. Das zeichnet das Sakrament aus: „dass es nicht um Selbsterfundenes geht, sondern um Empfangenes, das eben deshalb, weil es empfangen ist, sicherer Ort der Berührung mit der vom Herrn her kommenden Macht des Heiligen Geistes ist“. 233 Wurde im Mittelalter die Weihe mehr unter dem Gesichtspunkt der Übergabe einer Vollmacht (potestas) betrachtet und auch liturgisch dem weltlichen Investiturvorgang entsprechend die Betonung auf die Übertragung der heiligen Geräte gelegt, hat das Trienter Konzil und schließlich Pius XII. durch die Betonung der alleinigen Konstitutivität der Handauflegung, verbunden mit dem Konsekrationsgebet, den Begriff des ministerium bzw. munus in den

229 Vgl. Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 76 f. 230 Ebd., 76. 231 Vgl. Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 398 f. 232 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 44. 233 Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 73; vgl. auch Bemerkungen zur Frage der Apostolischen Sukzession, 1973, in: JRGS 8/2, 855; Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 384 f.

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Mittelpunkt gerückt. Das entspricht wiederum dem eigentlichen, da sakramentalen Charakter des priesterlichen Dienstes, weil gerade in dem konstitutiven Weihemoment sichtbar wird, dass die Kirche nicht einfach „kraft eigenen Rechts Vollmachten verleiht“, sondern gerade so ihrem Glauben Ausdruck verleihe, dass sie „Geschöpf des Heiligen Geistes ist“, von dessen Gabe sie immerfort lebt. 234 Anders gesagt: „Als ein nur vom Heiligen Geist auf das Beten der Kirche hin zu verleihender Dienst ist das Priestertum ein Sakrament.“235 Hiermit kommen wir zu Ratzingers zweitem Erklärungsstrang der Sakramentalität der Weihe, der in einer vertieften theologischen Reflexion des vorgefundenen biblischen Befundes besteht. Es war bereits davon die Rede, dass die Grundgrammatik der Menschwerdung in Christus in der „Entprivatisierung des eigenen Ich Christi“ und folglich der von ihm in den apostolischen Dienst Berufenen besteht. 1990 zeigt Ratzinger diese Ansicht im Zusammenhang mit dem, was er den „Inhalt des apostolischen Dienstes“ nennt, nämlich den „Dienst der Versöhnung“ (vgl. 2 Kor 5,18): „An Christi statt sind wir Gesandte, so dass durch uns gleichsam Gott mahnt. An Christi statt bitten wir: Lasst euch versöhnen mit Gott“ (2 Kor 5,20). Es ist der Sendungscharakter des apostolischen Dienstes, der seine Sakramentalität ausmacht, da er mit der Versöhnung eine „von Gott selbst kommende Vollmacht“, die aber gerade „aus der Enteignung des Ich, aus dem Nicht-imeigenen-Namen-Reden“ komme, wirksam macht. 236 Der christologische und somit auch klar sakramentale Charakter des Priesterdienstes ergibt sich aus der die Identität Christi selbst ausmachenden Tatsache, dass er das Nicht-Eigene bringt, da das Seinige eigentlich das Nicht-Seinige ist, sondern des Vaters. Im Johannesevangelium wird aber diese Grundgrammatik der Existenz Jesu unmittelbar auf die Apostel bezogen, wenn er im fünften Kapitel sagt: „Der Sohn kann von sich aus nichts tun“ (Joh 5,19.30), und im 15. Kapitel zu den Aposteln: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5). Ratzinger spricht hier gar von dem „,Nichts‘, das die Jünger mit Jesus teilen“, doch „gerade in diesem ‚Nichts‘ des Eigenen liegt ihre Gemeinschaft mit Jesus“, und es 234 Vgl. Bemerkungen zur Frage der Apostolischen Sukzession, 1973, in: JRGS 8/2, 855. 235 Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 73. 236 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 41.

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„zieht sie in die Sendungsgemeinschaft mit Christus hinein“. 237 Nichts von dem, was apostolisches Tun konstituiert, ist Produkt eigenen Vermögens oder Entfaltung eigener Kräfte und Begabungen. Vielmehr ist es Weitergabe dessen, was man von sich aus niemals geben kann. Dies bedeutet nichts Geringeres als sakramentale Wirklichkeit: „Sakrament heißt: Ich gebe, was ich selbst nicht geben kann; ich tue, was nicht aus mir kommt; ich stehe in einer Sendung und bin zum Träger dessen geworden, was der andere mir übergeben hat.“238 An einer anderen Stelle nennt Ratzinger die Priesterweihe schon 1978 ein „Hineintreten in das, was uns vorausgeht und uns immerfort übersteigt“ und „Vollmacht vom Herrn her“. 239 Die sakramentale Struktur ist eine Bindung an den Herrn, „die den Menschen tun lässt, was nicht er kann, sondern [was] der Herr tut“, und darin „Ausdruck der Neuheit Jesu Christi“, da sie „bis in den Kern der biblischen Botschaft zurückreicht“, aber einen völlig neuen Typus von Dienst, nicht aus dem Alten Testament ableitbar, darstellt und ein „Gegenwärtighalten [der Neuheit Christi] die Zeit der Geschichte hindurch“ ist. 240 Wiederum: Das Sakrament überwindet die menschlich unüberwindbare geschichtliche Entfernung zum Ereignis Christi und setzt dieses gegenwärtig. Das alles ist aber nur in der dem Priestertum eigenen Enteignung des eigenen Ich des Amtsträgers voll verwirklicht: „Wenn wir die Priesterweihe als Sakrament bezeichnen, ist genau dies gemeint: Hier […] ist nicht einer als Funktionär eingesetzt, weil er das besonders gut kann oder weil es ihm liegt oder einfach, weil er sich damit sein Brot verdienen möchte; hier geht es nicht um einen Job, in dem man mit seinem Können sich seinen Lebensunterhalt sichert, um dann vielleicht zu Besserem aufzusteigen.“241

Die Sakramentalität des Priestertums wird also nur im Leben der christusgemäßen Selbstenteignung des Priesters vollumfänglich gelebt und wahrgemacht. Ein weiterer Aspekt der Sakramentalität besteht darin, dass damit die Endgültigkeit und Unwiderruflichkeit des übernommenen Priestertums ausgedrückt wird. In manchen Diskussionen unse237 Ebd., 40. 238 Ebd., 39. 239 Unser priesterlicher Dienst, 1978, in: JRGS 12, 410. 240 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 40. 241 Ebd.

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rer Zeit wird die Frage aufgeworfen, ob es nicht einen Priester auf Zeit geben könnte, ja ob das sogar nicht ein Modell der Zukunft sei, in einer Zeit, in der die Menschen sich ungern beständig binden lassen und das Endgültige überhaupt unter dem Verdacht des Unmöglichen steht. Ratzinger kontextualisiert dieses moderne ­Lebensgefühl, indem er auf einige Entwicklungen rekurriert, die für ihn den Hintergrund dieses modernen Bewusstseins bilden. Der Evolutionsgedanke habe nach ihm „den Menschen selbst zum überholbaren Wesen“ gemacht, „zu einer Etappe in der Geschichte des Werdens, die grundsätzlich revidiert werden kann und soll“. 242 Die Geschichtswissenschaft habe „den immerwährenden Wandel alles Menschlichen aufgezeigt“ und die scheinbar endgültigen Einsichten „als Ausdruck vergänglicher und vergangener geschichtlicher Situationen enthüllt“. 243 Die Psychologie erkläre das Menschenleben „als einen Strom des Werdens und der sich ablösenden Entscheidungen“, die soziologische Situation wiederum führe dazu, „den Menschen vom Endgültigen abzuhalten“, da auch in der modernen Arbeitswelt nicht mehr die endgültige Wahl zähle, sondern die Flexibilität gegenüber den gewandelten Situa­ tionen. 244 Man kann also sagen, dass sich in der modernen Welt die Plausibilitäten verändert haben, da das Sich-Verwandelnde mehr im Vordergrund stehe als das Bleibende. Der Gedanke an einen Priester auf Zeit erscheint da nur konsequent, mitunter sogar durch die Forderung verschärft, auf die Ratzinger verweist, nämlich dass die Kirche die Religionsfreiheit nicht nur nach außen, sondern auch nach innen respektieren müsse, was wesentlich auch „die Möglichkeit der Revision der gefallenen Entscheidungen“ miteinschließe. 245 Ratzingers Entgegnung ist, wie für ihn typisch, grundsätzlicher Natur, da es sich für ihn nicht um eine pragmatische Frage handelt, sondern um ein Thema, das „die ganze Weise des Stehens zur Wirklichkeit“ tangiert: Der christliche Glaube sei der Überzeugung, „dass es im Werden das Endgültige gibt“ und dass der Mensch „das Wesen auf Endgültiges hin ist“, da er an die „Endgültigkeit der menschlichen Entscheidungen für die Ewigkeit“ glaube, 242 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 382. 243 Ebd. 244 Vgl. ebd. 245 Vgl. ebd., 383.

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vor allem aber an die „Endgültigkeit der Entscheidung Gottes für den Menschen in Christus“. 246 Diese Überzeugung schließe kon­ stitutiv mit ein, dass der Mensch „das Wesen ist, das zur end­­gül­tigen Entscheidung fähig und bestimmt ist“ und „nur in ihr wahrhaft zu sich selber kommt“. 247 Die Unwiderruflichkeit des priesterlichen Amtes ist für ihn also in der Grundstruktur des Christusglaubens verankert. Für den Priester bedeutet es, was Ratzinger mit einem einfachen Verweis auf die „Überzeugung der ganzen Überlieferung“ untermauert, dass „der menschliche Anspruch des Presbyteramtes“ von der Art sei, „dass es den Menschen unwiderruflich fordert und total betrifft“ und dass es „über seine ganze Existenz definitiv verfügt“; diese Entscheidung werde also überhaupt erst dann getroffen, „wenn definitiv die ganze Existenz ins Spiel gebracht wird“. 248 Hier sieht Ratzinger auch eine Parallele zur sakramentalen Ehe, die eine unwiderrufliche Entscheidung für einen Menschen verlange und ohne sie gar nicht zustande kommen könne, weswegen ‚Priester auf Zeit‘ in der katholischen Theologie genauso unmöglich sei wie eine ‚Ehe auf Probe‘. Auf beides bezogen sagt er: „Wo weniger gegeben wird, liegt etwas anderes – aber nicht dieses – vor“, und „beides kann man nur ganz oder gar nicht haben“. 249 Ratzinger bereichert die Begründung für seine Position schließlich ekklesiologisch. Die Vorstellung eines ‚Priesters auf Zeit‘ entspräche einem dem katholischen Glauben fremden Kirchenbild, in dem die Kirche grundsätzlich revidierbar und durch einen ganz neuen ‚Apparat‘ ersetzbar wäre, womit aber der Kirchenbegriff „der gesamten Überlieferung – einschließlich des Neuen Testamentes“ negiert wäre. 250 Das biblisch begründete Amt aber sowie die im Einklang mit der biblisch verankerten Überlieferung stehende Überzeugung von der „grundsätzlichen Unaufhebbarkeit der Kirche“ Christi erfordert „die Unwiderruflichkeit der Entscheidung“ für den priesterlichen Dienst. 251 Man kann also festhalten, dass derjenige, der sich für diesen Dienst entschieden hat,

246 Ebd. 247 Ebd. 248 Ebd. 249 Ebd. 250 Vgl. ebd., 383 f. 251 Vgl. ebd., 384.

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es nur ganzheitlich tun kann, was wiederum, wie bereits des Öfteren ausgeführt, beim Priester die Enteignung seiner selbst beinhaltet. Durch die Weihe gehört er nicht mehr sich selbst, so wie die christlichen Eheleute durch das Sakrament nicht einfach sich selbst gehören, sondern einander, was auch bedeutet, dass sie – wie auch der Priester – nicht mehr frei über sich selbst verfügen, sondern immer in der Relation, die durch die sakramentale Wirklichkeit entstanden ist. In diesen Gedanken, die sich aus der Sakramentalität des Priestertums ergeben, lässt sich wohl unschwer eine Anspielung auf den Inhalt erkennen, den die klassische Theologie mit dem Begriff character indelebilis zum Ausdruck bringt. Ratzinger erwähnt, dass in der Sprache der Antike das Wort „Character“ so viel bedeutet wie „Eigentumsstempel, der einem Ding, einem Tier oder eben auch einer Person eingeprägt wird und nicht mehr ausgetilgt werden kann“. 252 Es geht also um einen relationalen Begriff, der in den Bereich der Eigentumsfragen gehört. Ratzinger interpretiert ihn folgendermaßen: „Charakter bedeutet Zugehörigkeit, die der Existenz selber eingeprägt ist“, und in diesem Sinne bringt er das „Bezogensein, das Verwiesensein“ des Dieners auf seinen Herrn zum Ausdruck. 253 Dabei gilt, dass man über diese Zugehörigkeit nicht selbst verfügt, „die Initiative dazu kommt vom Eigentümer – von Christus her“, was im Konkreten bedeutet, dass man sich nicht einfach selbst als dem Herrn zugehörig deklarieren könne, „er muss zuerst mich als den Seinigen annehmen, dann kann ich in dieses Angenommensein hineintreten und es meinerseits annehmen, es zu leben versuchen“. 254 In diesem Sinne wird mit diesem Wort „der seinshafte Charakter des Christusdienstes, der im Priestertum liegt“, beschrieben. 255 Das aber heißt Sakrament, wie wir hier gezeigt haben: Nur der Knecht, derjenige also, der durch den unaustilgbaren Charakter ganz dem Herrn angehört, kann im heiligen Zeichen geben, was er aus seinem Eigenen nicht zu geben vermag. 256 So ist im Begriff des character indelebilis, den Ratzinger an einer anderen Stelle gar eine „vielleicht etwas zu objektivistisch 252 Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 905. 253 Vgl. ebd. 254 Ebd. 255 Vgl. ebd. 256 Vgl. ebd.

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erscheinende Chiffre“ nennt, „die Unwiderruflichkeit der großen Grundentscheidungen zwischen Gott und Menschen ausgedrückt“. 257 Im Zusammenhang mit der Sakramentalität des Priestertums bringt Ratzinger einen weiteren Aspekt zur Sprache: das Gegenüberstehen des Amtsträgers zur Kirche. Dies hat allerdings rein gar nichts mit irgendwelchen Machtansprüchen zu tun. Es sei ­v ielmehr ein in der sakramentalen Struktur der Kirche lebender Ausdruck des Glaubensvorgangs. Wie wir gesehen haben, ist der Apostel Träger einer von Christus kommenden Autorität, die im Gegenüber zur Gemeinde existiert. Darin aber „setzt sich das Gegenüber Christi zur Welt und zur Kirche fort“, nämlich „jene dialogische Struktur, die zum Wesen von Offenbarung gehört“. 258 Schon im urbiblischen Bild des Hirten und seiner Herde, das auf Christus und folglich die Kirche bezogen wird, sieht Ratzinger dieses Gegenüber zur Gemeinde konstituiert, die „eine weder umzukehrende noch aufzulösende Relation einschließt“, da die Gemeinde „nicht als Ganzes ‚Hirt‘ ist (was sinnlos wäre), sondern von dem Hirten geführt wird, den ihr das Pneuma gegeben hat“. 259 Dieses Gegenüber ist also der Natur der Kirche als Gemeinschaft sowie dem Vorgang der Aufnahme der Offenbarung durch den Glauben eingeschrieben. Er spricht gar von der „Unabhängigkeit der geistlichen Vollmacht von der Gemeinde, die mit dem Begriff ,Sakramentalität‘ wesentlich gemeint ist“. 260 Für Ratzinger hängt dieser Umstand gewissermaßen mit dem übernatürlichen Ursprung des Glaubens zusammen. „Glaube ist nicht etwas Selbstausgedachtes“, denn „nicht durch Reflexion oder sittliche Leistung“ wird man zum Christen, sondern „immer von außen her“, durch eine Gabe, die dem Menschen nur „vom anderen her“ zukommen könne, „durch das Du Christi, in dem ihm das Du Gottes begegnet“. 261 Wo dieses Gegenüber „als Ausdruck der Exteriorität der Gnade“ verschwindet, „ist die Wesensstruktur des Christentums zerstört“, da eine Gemeinde, die sich selbst zur Gemeinde machen würde, das dialogische Geheimnis der Offen­ 257 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 384. 258 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 42. 259 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 122. 260 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 385. 261 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 43.

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barung nicht mehr abbilden würde. 262 Die Handauflegung bei der Weihe sei primär ein Symbol dafür, „dass geistliche Vollmacht im Christlichen nicht von unten und von innen, sondern von oben und von außen kommt“, und folglich Symbol für das „der Gemeinde entzogene Handeln des Pneuma selbst“. 263 So ist das besagte Gegenüber Ausdruck der sakramentalen Struktur der Offenbarung und folglich der Kirche: „Zu jedem Sakrament gehört das Gegenüber von Gabe und Empfänger.“264 Genauso gehöre es aber auch zum Wort Gottes: „Der Glaube kommt nicht vom Lesen, sondern vom Hören; das Wort der Verkündigung, in dem ich vom anderen angeredet werde, gehört zur Struktur des Glaubensaktes.“265 Das ist für Ratzinger der eigentliche, tiefe Grund, warum das richtig verstandene Gegenüber zwischen den Geweihten und dem Volk Gottes in der Kirche bestehen bleiben soll – theologisch, aber auch liturgisch. Es hängt unmittelbar mit dem sakramentalen Charakter des priesterlichen Dienstes zusammen. Freilich darf dieses Gegenüber von Amt und Kirche nicht als Überhöhung des Priesters missverstanden werden. Für Ratzinger gilt vielmehr die Verschiedenheit der Aufträge und das gegenseitige Aufeinander-bezogen-Sein von Amt und Volk Gottes als entscheidend. Das Verhältnis zwischen Priester und Laien in der Kirche sieht er in der Perspektive des Grundsatzes ‚Jedem seine Aufgabe‘. Um das zu erklären, greift Ratzinger das berühmte Wort des Augustinus auf, das in der Kirchenkonstitution (LG 32) angeführt wird: „Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ. Jenes bezeichnet das Amt, dieses die Gnade, jenes die Gefahr, dieses das Heil.“266 Ratzinger sieht in diesem Wort „die Einheit des Christseins in der Verschiedenheit der Aufträge“ ausgedrückt, 267 wobei nach ihm hier Augustinus zur Klärung dieses Grundsatzes einen Gedanken seiner Trinitätslehre anklingen lässt, nämlich dass in Gott die drei göttlichen Personen „nur jeweils als Relation auf den Anderen hin sind“, während sie „absolut, d. h. bloß in sich

262 Vgl. ebd. 263 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 385. 264 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 43. 265 Ebd.; vgl. auch Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 385. 266 Augustinus, Sermo 340,1 (PL 38, 1483). 267 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 378.

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und für sich genommen, nicht Vater, Sohn oder Geist, sondern einfach Gott sind“. 268 So sind sie „[t]rinitarische ‚Person‘ […] je nur in der Wegwendung von sich auf den Anderen hin“, was also bedeutet, dass „Person- und Relationsein identisch sind: ‚Vater wird er nicht in bezug auf sich, sondern in bezug auf den Sohn genannt.‘“269 Dieselbe Denkstruktur erkennt Ratzinger im berühmten Wort Augustins bezüglich des Amtes und sagt: „Amt ist ein Relationsbegriff. Für sich gesehen ist jeder Christ nur Christ und kann nichts Höheres sein. Es gibt die Einheit und Unteilbarkeit des einzigen christlichen Rufes.“270 In diesem einen Ruf zum Christsein gründet also die Gleichheit und die Gleichwertigkeit aller in der Kirche: „‚Ad se‘ ist jeder nur Christ, und das ist seine Würde, […] die Identität des für alle einen Christseins (das ‚allgemeine Priestertum‘).“271 Diese fundamentale Gleichheit bedeutet gewiss nicht, dass es keine Verschiedenheit im Auftrag gäbe, denn „‚pro vobis‘, d. h. in der Relation auf die Anderen hin“, werde man Träger des Amtes. Allerdings tangiere diese „unumstößliche Relation“ den Betroffenen „in seinem ganzen Sein“272 , ist somit nichts, was man sich selbst aneignen bzw. bei Gelegenheit ablegen oder was man gar als Privilegierung missverstehen könnte. Für Ratzinger steht fest: „Amt und ­Relation sind identisch“, und „Amtsein und Relationsein fallen in­ einander“, das Amt ist somit „die Relation des ‚Für euch‘“, woraus wiederum folgt: „Bischof (und entsprechend Presbyter) ist man immer ‚für euch‘ oder man ist es nicht.“273 Diese starke In-RelationSetzung des Amtes zum Volk Gottes in der Kirche ist wichtig, weil sie verschiedene Formen des Missbrauchs, vor allem jedwede Überhöhung des Amtes, die einen Missbrauch begünstigen könnte, als inadäquat enttarnt. Es gibt keine Würde des Priesters, die nicht in Bezug auf und im Dienst an alle im Volke Gottes stehen würde. Eine Würde des Amtsträgers für sich, unabhängig von seinem Dienstauftrag innerhalb des Organismus Kirche, gibt es nicht. Am Ende dieses Abschnitts soll schließlich noch ein Thema angesprochen werden, das in engem Zusammenhang mit der Sakra-

268 Ebd., 379. 269 Ebd. 270 Ebd. 271 Ebd. 272 Vgl. ebd. 273 Ebd.

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mentalität des Priestertums steht, nämlich die Frage der apostolischen Sukzession. Denn Ratzinger hält sie gemeinsam mit der christologischen Grundlegung des Priestertums, die, wie wir soeben gesehen haben, die Sakramentalität erst ermöglicht, für einen tragenden Pfeiler der katholischen Priesteramtslehre. 274 Sie ist es auch, die den „kirchlichen Charakter“ des Weihesakramentes ausmacht, das wohl wesentlich zur Kirche gehöre und an ihrem Wesen teilnehme, denn „im geistlichen Amt der Kirche geht es um sie selbst, nicht um Organisation aufs bloß Äußere, Zweckmäßige hin“. 275 Die successio apostolica sei dabei keine rein formale Vollmacht, sondern wirkliche „Teilhabe an der Sendung für das Evangelium“. 276 Er spricht sogar von einer „Successio-Struktur“, welche „Ausdruck der Überlieferungsbindung und des Überlieferungsgedankens der katholischen Kirche“ sei. 277 Damit schließt sich der Kreis mit dem soeben besprochenen Begriff des ‚Gegenübers des Amtsträgers zur Gemeinde‘, welche wesentlich mit der sakramentalen Struktur und dem Glaubensvorgang verbunden ist. Die Kirche ist gebunden, wie mehrmals betont, an den Gründerwillen des Herrn; sie ist ‚Gebundene des ihr Geschenkten‘ und garantiert in ihrer „ungebrochenen Identität“ die „bruchlos fest­ gehaltene Überlieferung der Apostel“. 278 Da das Sakrament nicht aus dem Menschlichen kommt, sondern stets vom Herrn her geschenkt wird und da die Kirche nichts Eigenes zu geben hat, ist diese Kontinuität entscheidend. Ebendiese Bindung kommt konkret in den Begriffen der Tradition und der successio apostolica zum Tragen. Ratzinger betont, es sei unmöglich, eine Kirche Christi zu denken, die nicht mit seiner Menschwerdung und seiner ganzen geschichtlichen Wirkung in Verbindung stünde. 279 Er thematisiert die sogenannte hochkirchliche Bewegung, welche im 19. Jahrhundert in Teilen des Protestantismus wirkte und die genau aus der Erkenntnis erwuchs, dass der Dienst in der Kirche „nicht auf rein organisatorische Weise“ geregelt werden dürfe, sondern „nur auf geistliche, und das heißt:

274 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 37 und 40. 275 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 399. 276 Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 77. 277 Ebd. 278 Ebd., 79. 279 Vgl. ebd., 77 f.

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­sakramentale Art“. 280 Wenn die Kirche und der Dienst in ihr nicht einfach menschengemacht und somit zwingend dem eigenen Ursprung ungenügend sein soll, muss es via apostolische Sukzession eben aus diesem Ursprung erwachsen. Das führte bei manchen zur Suche nach einer Handauflegung, welche in irgendeinem ­Zusammenhang mit der in der katholischen Kirche lebenden Sukzession stehen und so die Gegenwart des Ursprungs sichern würde. Doch eine formale Legitimität der apostolischen Sukzession, welche ohne ekklesiale Konsequenz bleibt – Ratzinger nennt sie auch „apokryphe Sukzession“ –, verkenne im Tiefsten das Wesen der Weihe und sei wie eine „selbstwirksame Gewährleistung der Sakramentalität und der Apostolizität“. 281 Der sakramentale Ritus der Weihe ist aber, wie wir gezeigt haben, vielmehr Ausdruck der Kontinuität der Kirche und nicht eine Möglichkeit, sich von der Kirche isoliert gleichsam einen „privaten Kanal zu den Aposteln an der Gesamtkirche vorbei graben“ zu können. 282 Es gebe keine Trennbarkeit des materialen und des formalen Aspekts, sondern „ihre innere Einheit ist das Zeichen der Einheit der Kirche selbst“, denn „die Handauflegung findet in der Kirche statt und lebt von ihr“ und „sie ist nichtig ohne sie“. 283 Die sakramentale Struktur des Amtes gewährleistet gerade aufgrund der notwendigen Sukzession auch die diachronische Einheit mit der Kirche aller Zeiten, denn sie drückt „die Untrennbarkeit […] des Amtes von der Gemeinschaft des Glaubens an allen Orten und zu allen Zeiten aus“. 284 Es sei noch angemerkt, dass auch in diesem Punkt Ratzingers Blick von grundlegender Natur ist, denn er sieht in diesem ganzen Komplex neben dem Problem der Sakramentalität auch das Problem des Verständnisses von Schrift und Tradition tangiert. 285 An280 Ebd., 78. 281 Ratzinger spricht hier gar von „liturgischer Romantik“ und von „kanonistischem Tutiorismus“, welcher das Sakrament auf einen „liturgisch-rechtlichen Formalismus verengt“. Vgl. ebd. 282 Vgl. ebd., 79. 283 Ebd. 284 Bemerkungen zur Frage der Apostolischen Sukzession, 1973, in: JRGS 8/2, 856. 285 Er formuliert sogar die grundlegende Frage: „Kann das Eigentliche des Wortes und das Eigentliche der Kirche hervortreten im Bruch mit der konkreten Kontinuität der mit den Bischöfen Eucharistie feiernden Kirche? Kann das Evangelium im isolierten Vorstoß zur Schrift, im sola scriptura gefunden werden oder gilt: scriptura in communione traditionis?“ Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 79.

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dererseits folgert er: „Amtseinsetzung durch Handauflegung heißt präzise dies: Der Glaube des Christen ist nicht Privatglaube, den er sich selbst aus historischen Analysen rekonstruiert; er ist vielmehr Glaube der Gesamtkirche, synchron und diachron – glauben heißt Mitglauben mit ihr.“286 Die Sakramentalität der Weihe, die im Ritus ihrer Weitergabe zum Ausdruck kommt, steht also im Einklang mit dem grundlegenden Charakter des christ­ lichen Glaubens und dient ihm: Das Priestertum bedeute „Eintreten in den sakramentalen Zusammenhang des Glaubens der Gesamtkirche und Diener ihres Glaubens werden“. 287 Fassen wir zusammen: Der eindeutige christologische Charakter des Priesteramtes macht auch seine Sakramentalität aus, denn nur so kann der im apostolischen Dienst Stehende das Eigentliche seiner Sendung gewährleisten: das, was Gottes ist und was niemals aus ihm selbst kommen kann, als Diener und Vikar zu vermitteln. Deswegen ist die ganze Kirche, und mit und in ihr auch der Amtsträger, Gebundener der Überlieferung, welche besonders in der successio apostolica ihren formalen wie auch materialen Ausdruck findet. Successio bürgt zugleich für den kirchlichen Charakter des Priestertums, das ohne ihn nicht wirklich wäre. Schließlich sei gesagt, dass für Ratzinger Sakramentalität letztlich nichts anderes bedeutet als die „wesentliche Zugehörigkeit des Amtes zum einen ekklesialen und christologischen Sacramentum, zu dem einen Sacramentum der in Christus zusammengefassten Bundes­ geschichte Gottes mit den Menschen“. 288

5.3.5 Selbstenteignung Christi, die in der Selbstenteignung seines Priesters gelebt wird Die enge, existentielle Verbundenheit und Abhängigkeit des Priesters mit bzw. von Gottes Sohn, die in der Dimension des Apostolats, der Sendung der Apostel, die direkt aus der Sendung Christi hervorgeht, einen Schlüsselpunkt findet, wurde bereits aufgezeigt. Dieses Hervorgehen impliziert einen weiteren, wesentlichen Aspekt des Priestertums, in dem man wohl den Gipfel von Ratzin-

286 Bemerkungen zur Frage der Apostolischen Sukzession, 1973, in: JRGS 8/2, 861. 287 Ebd. 288 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 385 f.

5.3 Christologische Grundlegung – der Schlüssel

301

gers Gedanken zur christologischen Grundlegung des Priestertums erkennen kann. Es ist die Selbstlosigkeit des Gesandten, „der ganz zurücksteht hinter der Botschaft und hinter dem Sendenden, der nicht sich gibt, sondern den Anderen bringt“. 289 Ratzinger geht sogar so weit, dass er in dieser Hinsicht von der „Selbstenteignung des Menschen“ spricht. 290 Von der „Selbstenteignung Christi“ war bereits die Rede: Er habe nichts Eigenes, seine Lehre sei nicht seine Lehre. Seine Sendung sei eine Sendung vom Vater her. Rufen wir es hier kurz in Erinnerung: „Jesus hat nichts Eigenes für sich, neben dem Vater. In seiner Lehre ist er selbst im Spiel, und so sagt dieses Wort, dass gerade auch das Eigenste – das Ich – das ganz und gar Nicht-Eigene ist. Das Seinige ist das Nicht-Seinige, nichts steht neben dem Vater, sondern alles ist ganz aus ihm zu ihm.“291 Inhaltlich ausgedrückt bedeutet das: „Gerade so, weil [Christus] sich selbst enteignet ist, ist er ganz eins mit dem Vater.“292 Wenn Christus etwas gibt, dann gibt er nichts Eigenes, sondern das, was ihm vom Vater anvertraut wurde. Er hat schließlich auch nichts Eigenes, denn alles, was er hat und was er gibt, ist des Vaters. So ist „seine Selbstlosigkeit […] seine wahre Beglaubigung“, die ihm „die letzte Vollmacht“ gibt, „weil sie reine Transparenz und Vergegenwärtigung Gottes selber wird“. 293 Wenn das apostolische Amt nichts anderes ist als eine Fortsetzung des Auftrages Christi: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 13,20), dann muss es auch an diesem Aspekt der Selbstenteignung wesentlich erkennbar sein. So wie Christus nichts Eigenes zu geben hatte, so haben auch die Apostel und die von ihnen beauftragten Priester nichts, was sie von sich aus geben könnten. Ratzinger nennt das, wie wir gesehen haben, „dieses ‚Nichts‘, das die Jünger mit Jesus teilen“294, und beruft sich dabei auf zwei Zitate aus dem Johannesevangelium: „Der Sohn kann von sich aus nichts tun“ (Joh 5,19.30) und „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5). Damit man im apostolischen Dienst des Priesters

289 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 116. 290 Vgl. ebd. 291 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 38. 292 Ebd. 293 Ebd. 294 Ebd., 39.

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5. Wege der Grundlegung

stehen kann, muss man sich dessen bewusst werden: „Dieses ‚Nichts‘ […] drückt Macht und Ohnmacht des apostolischen Amtes zugleich aus.“295 Die Apostel können „von sich aus, aus den eigenen Kräften ihres Verstandes, ihrer Erkenntnis, ihres Wollens“ nichts tun, „was sie als Apostel tun sollen“. 296 Ratzinger pointiert und konkret: „Wie sollten sie sagen können: ‚Ich vergebe dir deine Sünden‘? Wie sollten sie sagen können ‚Dies ist mein Leib‘? Wie sollten sie die Hände auflegen und sagen können ‚Empfange den Heiligen Geist‘?“297 Darin ist für Ratzinger auch schon die sakramentale Struktur des Priestertums und des priesterlichen Tuns angedeutet, denn „nichts von dem, was apostolisches Tun konstituiert, ist Produkt eigenen Vermögens“: „Diesen Dienst, in dem wir ganz dem anderen übereignet sind, dieses Geben dessen, was nicht aus uns kommt, nennt die Sprache der Kirche Sakrament.“298 An einer anderen Stelle formuliert er 1994 die enge Verbindung des Sakramentsgedankens mit dem Inhalt der Selbstenteignung mit folgendem Satz: „Die Hineinnahme ins Sakrament ist Selbstenteignung für den Dienst Jesu Christi.“299 Die Selbstenteignung Christi wird also in der Selbstenteignung des Priesters fortgesetzt und gelebt. Sie ist es, die den Dienst in der Nachfolge Christi erst ermöglicht: „Dieses ‚Nichts‘ des Eigenen zieht sie [die Priester] in die Sendungsgemeinschaft mit Christus hinein“300 und ist die wahre Beglaubigung. Das, was für den Träger der Sendung, den Priester, entscheidend ist, ja eine „Grundbestimmung des geistlichen Amtes in der Kirche“ darstellt, ist der Wille des Sendenden, der Wille Christi: „Sein Wille steht in der Mitte und entscheidet.“301 In der Vermittlung zwischen Mensch und Gott, die der Priester im Dienst des Apostels, also im Dienst Christi, des einzigen Vermittlers, zu leisten hat, sei die Selbstenteignung eingeschlossen. Mit einem anderen Wort nennt Ratzinger sie auch eine „Durchlässigkeit für einen Anderen“ und begründet sie damit, dass sie „nicht auf dem eigenen Tun“ beruhe, sondern „auf der 295 Ebd. 296 Ebd. 297 Ebd. 298 Ebd. 299 Grenzen kirchlicher Vollmacht. Einführung zum Apostolischen Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“, 1994, in: JRGS 12, 151. 300 Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 39. 301 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 358.

5.3 Christologische Grundlegung – der Schlüssel

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Setzung des Anderen und auf der Verfügbarkeit für ihn, dem Zurücktreten vor ihm“. 302 Ratzinger vergisst auch nicht auf den Unterschied zu dem zu verweisen, was er das „Selbstbewusstsein von Sazerdoten“ des Alten Testaments nennt. Wiederum: Das neutestamentliche Priestertum, das von Christus her stammt, ist gänzlich anders strukturiert als das, was wir als das Priestertum des Alten Bundes oder gar als außerbiblisches Priestertum kennen. Die Selbstlosigkeit, ja die Selbstenteignung des Sendungsträgers ist ein wesentlicher Zug des Priestertums in der Kirche. Selbst die christliche Liturgie unterstreicht für Ratzinger diesen Aspekt. 303 Er wählt für diesen Sachverhalt den Begriff des Vikariats. Das neutestamentliche Amt ist nämlich „seiner Struktur nach Vikariat, Stehen für einen Anderen, nämlich für Jesus Christus“, was es wesentlich auch von den nichtchristlichen Sazerdoten unterscheide. 304 „Der christliche Priester […] ist nie selbstständiger Mittler“, wie es die Brahmanen oder Sazerdoten anderer Religionen seien, „er steht nie für sich, er bleibt immer Vikar […], nur Vertreter, der nicht für sich spricht und handelt, sondern für den, der uns alle vertreten hat und vertritt und der nun durch uns vertreten sein will“. 305 Dies sei zwar ein „Versetzen des Priesters auf einen vorletzten Platz“, was menschlich „etwas recht Mühsames“ in sich trägt, da der Priester nie die Chance hat, selbst Chef zu werden, und immer bloß Vikar eines Anderen bleibe. 306 Doch zugleich ist darin „etwas sehr Helfendes und Tröstendes“, denn es bedeutet ebenfalls, dass der Handelnde und wahrhaft Wirkende durch unsere Unzulänglichkeit hindurch Christus selbst ist und bleibt und am Ende „nicht wir das Heil der Welt wirken, sondern er“. 307 Die sich daraus ergebende spirituelle Ermutigung lautet für Ratzinger: Christus wolle, dass wir „angstlos und froh unseren Weg gehen“, dass wir „ohne umzuschauen und ohne zu rechnen, fraglos in Demut unsere Schwachheit und das, was wir vermögen, zur Verfügung stellen“, im Übrigen aber „der Anderen und unsere eigene Unzulänglichkeit gläubig und hoffend

302 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 116. 303 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 361 f. 304 Vgl. ebd., 363. 305 Ebd. 306 Vgl. ebd., 364. 307 Ebd.

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5. Wege der Grundlegung

ihm überlassen“, der allein uns schenken kann, den „rechten priesterlichen Dienst zu tun“. 308 Ratzinger bleibt aber nicht dabei, die Entprivatisierung auf lediglich eine Seite hin zu deuten: der Priester, der nicht mehr sich selbst gehört, weil er ganz Gott gehört und hinter den Auftrag zurücktritt. Die Selbstenteignung spannt den Priester vielmehr auf zwei Seiten hin aus: auf Gott und auf den Menschen hin. „Wer eine Sendung annimmt, gehört sich in einem doppelten Sinne nicht mehr selbst: Er ist sich enteignet zugunsten dessen, den er vertritt, und zugunsten derer, vor denen er ihn vertritt.“309 Ratzinger nennt es eine „Zerspannung der Existenz nach zwei Seiten hin“. 310 Es sei allerdings auch gesagt, dass er dabei klar die erste Seite – die Ausspannung auf Christus hin – unterstreicht, da er sie mit vielen Deutungsworten versieht, 311 während die andere Seite – die Ausspannung auf den Menschen hin – lediglich mit einem kurzen Satz gedeutet wird. 312 Das mag mit Ratzingers Überzeugung zusammenhängen, dass heute eben die erste Dimension viel mehr vom Verschwinden bedroht ist als die zweite, dass also der unsichtbare Gott und sein Auftrag leichter aus den Augen des Priesters verschwinden als die berechtigten Forderungen und Erwartungen des Menschen. Dennoch bleibt die Ausspannung auf beide Seiten hin und die daraus resultierende Selbstenteignung des Dieners ein Wesensmerkmal des auf Christus zurückgehenden Priestertums: „Die Geduld dessen, der das priesterliche Amt übernimmt, muss sich bewähren in dem Versuch, sich immer wieder wirklich nach beiden Seiten hin ausspannen zu lassen.“313 Unter dem Axiom, dass das Tun und das Sein beim Menschen untrennbar zusammenhängen, stellt Ratzinger fest, dass „der 308 Ebd., 365. 309 Ebd., 362. 310 Ebd. 311 Er sagt: „Es bedeutet, ganz vor dem zurückzutreten, der sendet; als Herold und Bote nicht sich selbst zu bringen, sondern sich aus dem Spiele zu lassen; nicht sich selbst zu verkündigen, sondern ohne Veruntreuung des übergebenen Wortes den Weg und den Blick freizugeben für den anderen; bereit sein, abzunehmen, damit er zunehme.“ Ebd., 362. 312 Über diesen Aspekt sagt er lediglich, dass er zu dem ersteren hinzukommt, den zu lernen „eine harte Übung fordert“ und „den ganzen Menschen umprägt“. Von dem zweiteren heißt es, dass der Priester „gleichzeitig immer bereit sein muss, für die Anderen dazusein, denen seine Botschaft gilt“. Vgl. ebd. 313 Ebd., 363.

5.3 Christologische Grundlegung – der Schlüssel

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Auftrag, Gesandter Jesu zu werden, vom Menschen nicht nur ein bestimmtes Tun [fordert], sondern sein Sein [tangiert]“. 314 Nicht einfach ein bestimmtes Tun, ein Wirken, oder wenn wir so wollen, ein Ritus bestimmen die Existenz des Priesters, sondern der von Christus kommende und vom Priester bei der Weihe übernommene Auftrag berührt sein Innerstes, sein eigenes Sein. Doch bei alledem ist diese Selbstenteignung nicht etwas, was einfach dem Priester von außen her abverlangt wird. Vielmehr ist sie schon in die Existenz Christi, des menschgewordenen Sohnes Gottes, eingeschrieben und somit auch dem Priester als Diener Christi eigen. Erinnern wir an das bereits gebrachte Zitat Ratzingers: „Christus ist seinem Wesen nach der Gesandte des Vaters, der ganz darin aufgeht, Gesandter zu sein und so, als reiner Mittler, nichts neben dem Vater, sondern eben dessen uneingeschränkte repraesentatio unter den Menschen ist.“315 Die Dynamik der Selbstenteignung wohnt also von sich aus dem Amt inne, das Christi Sendung fortsetzen und seine Gegenwart inmitten der Kirche gewährleisten soll. Dieses Amt trägt dieselbe ‚Grammatik der Selbstenteignung‘ in sich, welche schon die Existenz Christi in sich trägt. Ohne diesen Aspekt ist das neutestamentliche Priesteramt nicht denkbar. An dieser Stelle erhebt sich die Frage, ob eine solch radikale Selbstenteignung tatsächlich vom Priester gefordert werden kann, ob sie nicht etwas Unheimliches in sich hat, ja ob sie nicht die Würde des Menschen verletzt. Mit den Worten Ratzingers selbst: „Darf man eigentlich so sich selbst enteignen lassen?“316 Eine Antwort findet er wiederum in der Christologie. Im Priester sei asymptotisch verwirklicht, was in Christus ganz erfüllt sei: „Er war so sehr Gesandter, dass man seine Existenz als ‚relatio subsistens‘ beschreiben darf – sie ist nichts anderes als der Akt des Seins-vom-Vater und des Seins-für-uns. Aber weil er nichts Eigenes neben dem Vater sich vorbehält, weil er total relativ, bezogen ist, fällt seine Existenz ganz mit der des Vaters zusammen, ist er ganz eins mit ihm. Als der total Weggegebene ist er der total zu sich Gekommene: Sohn Gottes, wesenseins mit Gott.“317 314 Ebd., 362. 315 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 115. 316 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 362. 317 Ebd.

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5. Wege der Grundlegung

Das freilich ist ein sehr hoher Anspruch, der den Menschen schnell überfordern könnte. Deswegen formuliert Ratzinger, dass es sich hierbei um eine Verheißung handelt, „die über der Zumutung der Sendungsexistenz steht“. 318 Dennoch gehört für ihn zur christ­ lichen Existenz als solcher die Verwirklichung des Geheimnisses vom sterbenden Weizenkorn (Joh 12,25): „Nur wer sich verliert, kann sich überhaupt finden. Wer nie von sich weggeht, kommt nie zu sich.“319 Ratzingers Überzeugung ist es also, dass die doppelseitige Selbstenteignung des Priesters zum Anspruch des Christseins im Allgemeinen und des Priesterseins im Besonderen gehört und nicht vom Weg zu sich selbst, wie Gott es für den Menschen vorsah, weggedacht werden kann. Das hier über den Priester und die Sakramentalität seines Amtes Gesagte bedeutet freilich auf keinen Fall, dass seine Person von den anderen in der Kirche entkoppelt und in luftige Höhen einer klerikalistischen Selbstbezogenheit hinaufgehoben werden würde. Nichts würde die Gedanken Ratzingers mehr entstellen als ein solches Denken. Der Primat der Christologie, der hier gezeigt wurde, bedeutet für Ratzinger vielmehr eine „Objektivierung der kirchlichen Heilsvollzüge, die nicht von der subjektiven Würdigkeit des Dieners abhängig sind“, was nichts Geringeres zur Folge hat als eine Relativierung der Person des Amtsträgers: Die Objektivierung „relativiert die Bedeutung des geistlichen Amtsträgers, es macht seine sekundäre Stellung gegenüber dem absoluten Primat Christi deutlich“. 320 Freilich, es entlastet den Amtsträger auch in gewisser Weise, da es ihn relativiert, „weil er sich mit den Gläubigen gemeinsam der rettenden Fürbitte des Herrn anvertraut weiß, auch wenn es sein Auftrag ist, im sakramentalen Dienst seines Amtes den Hirten Jesus Christus darzustellen und seine Anwesenheit zu vermitteln“. 321 Dass hier zwischen den Zeilen wiederum der Gedanke der Selbstenteignung des Amtsträgers durchleuchtet, ist freilich kein Zufall, sondern Ausdruck der Übereinstimmung mit der christologischen Logik der Offenbarung. Schließen wir diesen Punkt deswegen mit Ratzingers Worten, die den Sachverhalt mit einem Überhang ins Spirituelle zusam318 Ebd., 363. 319 Ebd. 320 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 126. 321 Ebd.

5.4 Ekklesiologische Einbettung

307

menfassen: Das Priesteramt beruhe „auf der Wachheit des Hörens, das Seinem Ruf zur Verfügung“ stehe; es beruhe „auf der Gesinnung des Dieners, der seinen eigenen Willen zurückzustellen gelernt hat gegenüber dem Willen dessen, dem er gehört“. So gelte: „Es ist für den Träger dieses Amtes konstitutiv, einem anderen Willen zu Diensten zu sein.“322

5.4 Ekklesiologische Einbettung Wenn wir nun diesen dritten Begründungsschritt unternehmen und die ekklesiologischen Wurzeln des Priestertums, so wie Ratzinger sie sieht und freilegt, zu beleuchten versuchen, müssen wir bedenken, dass wir es hier mehr mit einer Einbettung des Priestertums innerhalb der Realität der Kirche zu tun haben denn mit einer Grundlegung im strengen Sinne des Wortes. Denn, wie bereits ausführlich dargelegt, für Ratzinger ist die christologische Grundlegung des Amtes die wichtigste und entscheidendste überhaupt. Alle ekklesiologischen Begründungen, die auf irgendeine praktische Notwendigkeit eines Amtes innerhalb der Gemeinschaft der Kirche hinauslaufen würden, wie wir es mitunter auch in der Neuscholastik gesehen haben, scheinen ihm entscheidend zu wenig zu sein. Entweder ist das Amt christologisch begründet und somit Ausfluss der Sendung Christi selbst und steht so im Dienst des Geheimnisses der Kirche – oder aber ist es nicht. Genau in diesem Sinn erscheint ihm auch jeder Funktionalismus erheblich zu kurz zu greifen und das Wesentliche des Amtes preiszugeben. Das alles bedeutet freilich nicht, dass das Priestertum nicht in der Kirche fest eingebettet wäre, ganz im Gegenteil. Wie wir sehen werden, arbeitet sich Ratzinger immer wieder am Begriff ,Kirche‘ (ἐκκλησία) ab – an seinem Ursprung und an der Tatsache, dass die Gemeinschaft der Jünger gerade diesen Begriff für sich gewählt hat. Damit, glauben wir, sind seine Ausführungen zu ekklesiologischen Aspekten des priesterlichen Amtes wesentlich im Geheimnis des Kircheseins selbst verankert. Es sei auch gesagt: Die nun folgende Abhandlung der ekklesiologischen Bezüge unseres Themas bleibt gezwungenermaßen

322 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 358.

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5. Wege der Grundlegung

bruchstückhaft. Die Ekklesiologie gehört nämlich zu den großen Themenbereichen im Werk von Joseph Ratzinger. Seine Ekklesiologie hier nur annähernd vollständig darstellen zu wollen, würde den Rahmen dieser Studie sprengen. Deswegen werden wir die relevanten ekklesiologischen Themen vor allem anhand seiner ­bekannten Schrift Zur Gemeinschaft gerufen. Kirche heute verstehen beleuchten, da hier die für unser Thema relevanten ekklesiologischen Bezüge in angemessener Ausführlichkeit vorkommen.

5.4.1 Was ist Kirche? Ratzinger folgt im Wesentlichen zwei Spuren, um die Frage nach der Kirche zu beleuchten. Die eine sieht auf das Verhältnis zwischen Jesus und der Kirche, das in neuerer Theologie durchaus infrage gestellt wurde; die andere beschäftigt sich mit der Selbstbezeichnung der aus dem Wirken Jesu und den österlich-pfingstlichen Gründungsakten hervorgehenden Gemeinschaft als ἐκκλησία und legt die daraus resultierenden Zusammenhänge dar. Von protestantisch geprägter Theologie wurde der Zusammenhang zwischen dem von Jesus verkündigten Reich Gottes und der Kirche radikal infrage gestellt, zuweilen sogar ganz negiert. Ratzinger erinnert an die populäre These Loisys: „Jesus verkündigte das Reich, gekommen ist die Kirche“323, welche eine krasse Entgegensetzung von Kirche und Reich konstruiert. Diese hält Ratzinger für ausgesprochen „unsachlich“ und versucht die Verbindung beider herauszuarbeiten, indem er darauf hinweist, dass Jesus selbst das von ihm verkündete Reich Gottes darstellt, weil er die Nähe Gottes ist: „Wo er ist, ist das Reich.“324 Jesus aber sei nicht allein, vielmehr sammle er das Zerstreute und somit das neue Volk. Denn, so Ratzinger, schon nach jüdischer Auffassung gehörte zum Reich Gottes „die Sammlung und Reinigung der Menschen für das Reich“. 325 Zum neuen Gottesvolk im Sinn Jesu gehöre also eine doppelte Bewegung: die horizontale Sammlung der Menschen und die vertikale, die Sammlung der Menschen um Gott und auf ihn hin. Beide sind im Geheimnis der Kirche un-

323 Zitiert in: Ursprung und Wesen der Kirche, 1990, in: JRGS 8/1, 225. 324 Ebd., 226. 325 Ebd., 225.

5.4 Ekklesiologische Einbettung

309

trennbar verbunden: Die Sammlung durch Christus um die in ihm gegenwärtige Mitte des lebendigen Gottes hat auch das gegenseitige Annähern der Menschen zur Folge. Ratzinger nennt es die „Dynamik des Einswerdens“, das „Zueinandergehen durch das Zugehen auf Gott“, wobei immer gelte, dass der „innere Sammelpunkt des neuen Volkes Christus“ sei, denn es werde erst durch seinen Ruf und auf seine Person hin überhaupt zu einem Volk. 326 Diese von Christus und um Christus gesammelte Gemeinschaft sei nicht eine amorphe Gruppe, sondern „in ihrer Mitte steht der festgefügte Kern der Zwölf“, der schon in dieser Zahl die Person Jesu als den Stammvater eines neuen Israel darstellt, als den Anfang eines neuen Volkes, das sich nicht durch physische Abstammung, sondern „durch das von den Zwölfen empfangene ‚Mitsein‘ mit Jesus“ bilde. 327 Die dazukommende Gruppe der Siebzig bzw. Zweiundsiebzig, welche an die Zahl der nichtjüdischen Weltvölker erinnert, zeige wiederum den universalen Charakter dieser Gemeinschaft und „den Anspruch Jesu auf die ganze Menschheit, die seine Jüngerschar werden“ solle. 328 Für unser Thema ist dieser Schritt entscheidend, da, wie wir gesehen haben, die Apostel die Träger der eigenen Sendung Jesu sind und das Priesteramt im Wesentlichen Partizipation an dieser Sendung darstellt. Das bringt uns zum nächsten Aspekt: die Eigenständigkeit der Gründung Jesu, welche sich nach und nach in der nachösterlichen Zeit herauskristallisiert. Man kann bis heute Thesen begegnen, dass Jesus keine eigenständige Gründung gewollt habe, sondern seine Intention einzig und allein darin bestand, seine jüdische religiöse Heimat zu erneuern und zu reformieren. Ratzinger verweist in diesem Zusammenhang auf die Gabe des eigenen Jüngergebetes – des Herrengebetes – und den „neuen Kult“, der sich in der nachösterlichen Gemeinschaft rasch durchsetzte. In dessen Mitte stehe nichts Geringeres als der Herrenleib, das heiße, Christus als der neue Tempel. Damit werde er aber als das eigentliche Einheitsband des neuen Volkes ausgewiesen. Alle diese Momente belegten für Ratzinger die Eigenständigkeit der Gründung Jesu. 329 326 Vgl. ebd., 226. 327 Vgl. ebd., 227 f. 328 Vgl. ebd., 228. 329 Vgl. ebd., 228 f.

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5. Wege der Grundlegung

Ratzinger formuliert seine eucharistisch zentrierte Sicht der Kirche mit folgenden Worten: „Das Volk des Neuen Bundes wird Volk vom Leib und Blut Christi her; einzig von dieser Mitte her ist es Volk.“330 Die eucharistische Leibesgemeinschaft mit Christus, die das Verhältnis zu Gott öffne, „das der Mensch nicht von sich aus herstellen“ könne, ist die Mitte dieses Volkes und ermögliche diesem Volk, sich überhaupt „Volk Gottes“ zu nennen. 331 Hier zeigt sich bereits, wie stark eucharistisch geprägt Ratzingers Ekklesiologie ist, wie wir auch später sehen werden. Die zweite von Ratzinger verfolgte Spur arbeitet die Selbstbezeichnung der Kirche als ἐκκλησία heraus. In diesem Wort erklingen wesentlich zwei Bezüge: Der erste entfalte die im Alten Testament reichlich entwickelte Kategorie des ,Volkes Gottes‘, der zweite werde mit dem paulinischen Begriff ,Leib Christi‘ zusammengefasst. Freilich gilt, dass die Bezeichnung ,Volk Gottes‘ im Neuen Testament fast ausnahmslos für das Volk Israel und nicht für die Kirche reserviert ist. Für sie werde eben die Vokabel ἐκκλησία verwendet. Ratzinger verweist auf die alttestamentliche Wurzel qāhāl, welche mit ‚Volksversammlung‘ wiedergegeben werden könne, wobei gelte, dass ‚Versammlung‘ hier „sozusagen das Aktiv zu dem Grundwort ‚Volk‘“ sei. 332 Die Kirche sei dementsprechend nicht einfach „ein neues Volk neben einem alten“, sondern sie bestehe „nur gleichsam als der beständige und nun freilich Israel überschreitende Vorgang der Sammlung und Reinigung des Volkes für das Reich“; deswegen heiße sie „nicht λαός, sondern ἐκκλησία“, nicht Volk, sondern Versammlung. 333 Mehr dazu werden wir im nächsten Unterkapitel sagen müssen, bei dem es in Bezug auf die Kirche um die Frage der Demokratie gehen wird. 334 Hier beschränken wir uns auf die Feststellung, dass dieser Begriff zum Verständnis des Volkes hinführt, das sich „als kultische und vom Kult her als rechtliche und politische Größe“ versammle. 335 Schon die alttestamentliche Wurzel sieht also klare vertikale Bezüge im religiösen Kult, die weit über jede horizontale Beschränktheit in Politik oder Soziologie hinausgehen. 330 Ebd., 230. 331 Vgl. ebd. 332 Vgl. Demokratisierung der Kirche?, 1970, in: JRGS 12, 172. 333 Vgl. ebd., 172 f. 334 Siehe Abschnitt 5.4.3. 335 Vgl. Ursprung und Wesen der Kirche, 1990, in: JRGS 8/1, 231.

5.4 Ekklesiologische Einbettung

311

In diesem Begriff, so Ratzinger, konzentriere sich aber nach und nach auch eine eschatologische Heilshoffnung. 336 Vor allem nach dem Exil und der immer wiederkehrenden Zerstreuung Israels tauche im Alten Testament das Motiv der Hoffnung auf eine von Gott selbst kommende qāhāl, eine Sammlung und Gründung des Volkes auf: „Das Gebet um diese Sammlung […] ist fester Bestandteil des spätjüdischen Betens.“337 Indem sich also die werdende Kirche mit diesem Wort bezeichnet, sage sie damit: „In uns ist diese Bitte erfüllt.“338 Durch die Selbstbezeichnung als ἐκκλησία definiere sich das neue, sich um Christus versammelnde Volk „in der heilsgeschichtlichen Kontinuität des Bundes, aber auch in der nach vorn hin offenen Neuheit des Geheimnisses Christi“. 339 Wiederum wird hier klar sichtbar, wie die völlige Neuheit einerseits und die bruchlose Kontinuität andererseits ineinanderwachsen. In der paulinischen Lehre von der Kirche als Leib Christi sieht Ratzinger eine christologische Bestätigung dieser soeben freigelegten Spur. So habe Paulus mit dieser Lehre „in der Sache gar nichts Neues geschaffen“, er biete „nur eine Kurzformel für das, was von Anfang an das Werden von Kirche prägte“. 340 Ratzinger verweist auf drei Ursprünge der paulinischen Idee: die semitische Vorstellung von der ‚Korporativpersönlichkeit‘: „Wir alle sind Adam, ein einziger Mensch im Großen“; 341 der eucharistische Ursprung mit der Realpräsenz Christi im Sakrament und der Verschmelzung zwischen Christus und denen, die seinen Leib und sein Blut empfangen und dadurch immer mehr zu ihm verwandelt und zugleich immer stärker zu gegenseitiger Einheit geführt werden; 342 und schließlich der Ursprung in der Idee der Brautschaft oder der biblischen Philosophie der Liebe. Hier geht es um den

336 Vgl. Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 53. 337 Ursprung und Wesen der Kirche, 1990, in: JRGS 8/1, 231. Ratzinger nennt diese Sammlung hier sogar direkt „das Hervortreten der Ecclesia“, wobei allerdings nicht klar ist, ob es sich um seine eigene Hinzufügung handelt oder ob er hier in seiner Paraphrase einen Gedanken von Olof Linton übernimmt. 338 Ebd., 232. 339 Ebd. 340 Ebd., 233. 341 Ebd., 234. Ratzinger verweist auch auf die Unverständlichkeit dieses Gedankens in der Moderne, die das Subjekt viel höher einschätzt, als es in der semitischen Denkweise der Fall war. 342 Vgl. ebd., 235 f.

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5. Wege der Grundlegung

Ausdruck „ein Fleisch werden“, der die geistig-leibliche Vereinigung zweier Menschen bezeichnet und hier auf das Geheimnis der Kirche und ihrer Einheit mit Christus bezogen wird, um die Tiefe der Einheit und zugleich die klare und bleibende Unterschiedlichkeit zwischen Christus und Kirche zu bezeichnen: „Die Kirche ist Leib Christi in der Weise, in der die Frau mit dem Mann ein Leib bzw. ein Fleisch ist“, also nicht „in unterschiedsloser Identität“, sondern „durch den pneumatisch-realen Akt der vermählenden Liebe“, also „in ihrer unlöslichen geistig-leiblichen Vereinigung“, aber dennoch „unvermischt und unvermengt“. 343 Anders ausgedrückt: „Die Kirche wird nicht einfach Christus, sie bleibt die Magd, die er liebend zur Braut erhebt und die sein Angesicht in dieser Endzeit sucht.“344 In Bezug auf die Apostelgeschichte betont Ratzinger das Bild der Kirche als „Versammlung der Apostel“, bei der „das Ineinander von eigenem Tun und Gehorsam gegenüber dem Ersthandelnden, Gott“, entscheidend sei. 345 In der Kirche muss also die Priorität des Handelns Gottes gelebt werden, die Suche nach Entscheidungen müsse immer eine Suche nach dem Willen Gottes sein. 346 Im Konkreten kommt dies in vier Begriffen zum Ausdruck: Festhalten an der Lehre der Apostel; Festhalten an der Gemeinschaft; Festhalten am Brotbrechen und schließlich Festhalten an den Gebeten. Bei dem in der Apostelgeschichte geschilderten Pfingstereignis erkennt Ratzinger, dass Kirche „nicht aus eigenem Entschluss“ hervorwachse, also „nicht ein Produkt menschlichen Wollens“ sei, sondern „Kreatur des Geistes Gottes“, der die Verwirrung von Babel überwinde. Gerade das aber begründet das „Ineinander von Vielheit und Einheit“ und das Zusammenspiel von Universal­ kirche und Ortskirche. 347 So ist die Kirche für Ratzinger immer das Geheimnis des Zusammenspiels zwischen der großen und

343 Ebd., 236 f. 344 Ebd. 345 Vgl. ebd., 238 f. 346 Konkreteres dazu in Abschnitt 5.4.3. 347 Vgl. dazu auch Hermann J. Pottmeyer , Primat und bischöfliche Kollegialität in der Eucharistischen Communio-Ekklesiologie Joseph Ratzingers, in: Frank MeierH amidi / Ferdinand Schumacher (Hg.), Der Theologe Joseph Ratzinger, Freiburg i. Br. 2007, 104 f. Es ist wohl bekannt, dass Ratzinger der Universalkirche eine „ontologische Priorität“ zubilligt, was wiederum zu seiner bekannten Auseinandersetzung mit Walter Kasper geführt hat.

5.4 Ekklesiologische Einbettung

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entscheidenden Vorgegebenheit von Christus in seinem Ruf an die Seinen und der menschlichen, freien Antwort auf dieses Zukommen Gottes auf die Menschen. Wie wir sehen werden, steht für Ratzinger das Amt allgemein, das Bischofsamt sowie das Priesteramt im Besonderen, im Dienst dessen, dass die Kirche wirklich Kirche in diesem hier beschriebenen Sinne sein kann. Wir können auch sagen, dass die Aufgabe des Amtes darin besteht, das Kirchesein zu garantieren, es von allen Zwängen des bloß Menschengemachten frei zu halten und die Kirche als Schöpfung des Geistes, als die von Christus um ihn Zusammengerufene, als eine durch sein lebendiges Wort und seine Leibesgemeinschaft in der Eucharistie werdende und wachsende Gemeinschaft, die in einer tiefen Einheit mit ihm steht, ja geradezu mit ihm verschmilzt und dennoch stets eine eigene Identität als seine Magd und als Menschengemeinschaft von Sündern bewahrt, entstehen zu lassen.

5.4.2 Das Amt in der Kirche Damit kommen wir zur konkreten Frage nach dem Amt und seiner Bestimmung in der Kirche. Wir haben schon gesehen, dass das Priestertum vom Bischofsamt her konstruiert wird, nicht umgekehrt. Ähnliches gilt ekklesiologisch, also für die Kirche: Das Amt steht für die Öffentlichkeit der Kirche und als Prinzip der Einheit, dafür also, „dass die Kirche eine ist für alle, weil Gott einer ist für alle“. 348 Es geht also zuallererst um den Dienst der Einheit, den das Amt innerhalb der Kirche auszuüben hat. Gerade im Zusammenspiel zwischen Ortskirche und Universalkirche, wofür das Stichwort ecclesia in ecclesiis steht, welches für die Urkirche so bezeichnend war, zeigt sich die Wichtigkeit des einenden Prinzips durch das Amt. Ratzinger spricht vom „Existenzort der Kirche“ oder vom „primären Ort der Kirche“, den er nicht in irgendeiner Bürokratie oder Aktivität einer Gruppe erkennt, sondern in der gottesdienstlichen Versammlung – also dort, wo sie voll das ist, als das sie sich selbst bezeichnet: ἐκκλησία. 349 Er sagt sogar, dass die Kir-

348 Gesamtkirche und Teilkirche – der Auftrag des Bischofs, 1990, in: JRGS 8/1, 521. 349 Vgl. Demokratisierung der Kirche?, 1970, in: JRGS 12, 172 und 181.

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5. Wege der Grundlegung

che „im Aktiv besteht“, „als Vorgang der Versammlung“, und sie „deshalb eigentlichst sie selbst je als Versammlung“ sei. 350 Grundlegend ist freilich auch der Inhalt dieser Versammlung, denn dieser sei „das Aufnehmen des Wortes Gottes, gipfelnd im Gedächtnis des Todes Jesu, […] das Gegenwart schafft und Sendung bedeutet“. 351 Überhaupt sei der ‚Inhalt von Kirche‘ „das Wort, das Fleisch wird und die Menschen zu sich ruft“352 , was nirgendwo so verwirklicht werde als eben in der Feier der eucharistischen Anamnese. Aus diesem Grund nennt Ratzinger die Versammlung, welche die Kirche ist, an einer Stelle auch „anamnetische Versammlung“, die eben nichts Geringeres darstelle als das „Verfassungsmodell“ der Kirche, das weit über den „wie auch immer gearteten“ Begriff des Volkes hinausreiche. 353 Die Kirche ist also Gottes Volk in dem Sinne, in dem sie eucharistische Versammlung, der eine und lebendige Leib Christi ist. Im Hinblick auf das Priestertum ist hier entscheidend, dass das Amt „nicht nur die Einheit der jeweiligen Gemeinde“ gewährleiste, sondern „auch die Einheit der Gemeinde mit der einen Kirche Gottes in der Welt“. 354 Schon bei Paulus erkennt Ratzinger diesen Aspekt des „Einssein[s] der Gemeinden“: „[Alle paulinischen Gemeinden] unterstehen der apostolischen Autorität, die ihre Einheit schafft und sichert.“355 Besonders die paulinischen Briefe dienten dieser ekklesiologischen Funktion des Apostelamtes. Konkreter komme es auch darin zum Vorschein, dass Paulus nicht nur die Einheit der heidenchristlichen Gemeinden vor Augen habe, für die er, so Ratzinger, eine Art ‚Primat‘ ausübe, sondern sie „durch die Bindung an die Paradosis der Altapostel […] in die größere Einheit der Gesamtkirche aus Juden und Heiden [einordne]“. 356 Die Gestalt des Petrus dagegen fungiere in beiden Räumen – judenchristlichen wie heidenchristlichen – „als die Klammer, die beides miteinander verbindet“. 357

350 Vgl. ebd., 172 f. 351 Opfer, Sakrament und Priestertum in der Entwicklung der Kirche, 1972, in: JRGS 12, 87. 352 Vgl. Demokratisierung der Kirche?, 1970, in: JRGS 12, 181. 353 Vgl. ebd., 173. 354 Opfer, Sakrament und Priestertum in der Entwicklung der Kirche, 1972, in: JRGS 12, 89. 355 Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 61. 356 Ebd. 357 Ebd., 62.

5.4 Ekklesiologische Einbettung

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Das alles gilt freilich auf einer noch tieferen, grundsätzlicheren Ebene. Die Verbindungsfunktion des Amtes für die Kirche ist zuerst nicht die, welcher jede Organisation ab einer bestimmten Größe bedarf, sondern hat einen sakramentalen Charakter vom Wort und von der Eucharistie her: „Die Kirche ist zunächst dadurch eins, dass sie im Wort und im Brot, d. h. im Leib und im Logos des Herrn, kommuniziert“358, was ja in jeder Gemeinde gegeben sein muss, die für sich in Anspruch nimmt, der ἐκκλησία anzugehören. Dabei erscheint das Amt, da es Teilhabe an der apostolischen Sendung bedeutet, die einer sich nicht selber geben kann, sondern die einem in der apostolischen Sukzession gewährt wird, als Garant der Treue zum Ursprung. Dieses „Netz von Kommunionen“ nämlich, das die Kirche bilde, habe „in den Bischöfen seine Fixpunkte“, denn ihnen, da sie die „nachapostolische Fortsetzung des Collegium apostolorum“ darstellten, obliege „die Verantwortung für die Reinheit des Wortes und für die Rechtheit der Kommunion“. 359 Die Integrationskraft der Kirche komme somit nicht aus ihr selbst, sondern liege „allein in der integrierenden Kraft des einen Glaubens“. 360 Der Dienst der Einheit werde also durch den Dienst der Treue zum Ursprung verwirklicht. Aus dem Gesagten ergeben sich drei Tatbestände, welche den Dienst der Einheit, den das Amt in der Kirche versieht, begründen und die Ratzinger zusammenfassend nennt: 1. „Das Wort ist nicht ohne das Amt; es ist gebunden an den Zeugen, an Vollmacht und Sendung. Ein hypostasiert für sich bestehendes Wort gibt es nicht.“ 361 Das Wort brauche einen Träger, ­einen Zeugen, der sich wiederum nicht selbst berufen könne, sondern durch das Sakrament in die Nachfolge in der Sendung hineingenommen wird. Bei der Trägerschaft der Botschaft gehe es um die Zeugenschaft und um die Vollmacht. Dabei gelte, dass es sich hier um eine reziproke Beziehung handelt: „Nicht nur ist das Wort an den Zeugen gebunden, sondern der Zeuge ist nur dadurch und dann Zeuge, dass er seinerseits sich gebunden weiß vom Wort.“ 362 Somit steht der Amtsträger in seinem Dienst immer unter dem 358 Ebd., 65. 359 Ebd. 360 Demokratisierung der Kirche?, 1970, in: JRGS 12, 179. 361 Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 63 f. 362 Ebd., 67.

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5. Wege der Grundlegung

Wort, er ist nicht ein ‚Freier‘, sondern ein ‚vom Wort Gebundener‘, doch gerade so und nur so kann er seinen Dienst an der Einheit erfüllen, weil die Kirche sich nicht selbst erfindet oder setzt, sondern sich vom Herrn her empfängt und selbst an die großen Vorgegebenheiten des Herrn gebunden ist. Das gilt gleichermaßen für das Amt wie für das Kirchesein, dem das Amt, wie wir gesehen haben, dient. Hier führt Ratzinger auch eine praktische Gefahr der konkreten, gelebten Ekklesiologie in der Kirche an. Er spricht gar von einem „Übergewicht des Amtes vor dem Wort in der spätmittelalterlichen Kirche“, als nämlich vergessen wurde, dass von den drei Komponenten „Sakrament-Wort-Amt“ die dritte den beiden ersten ungleichrangig sei, denn „die beiden ersten begründen die Einheit, die dritte bezeugt sie“. 363 Diese Gefahr bestehe auch heute noch, und es müsse als entscheidende Aufgabe in der katholischen Kirche gesehen werden, „auch den Instanzcharakter des Wortes selbst wieder deutlich zu sichern und nicht bloß den des Zeugen, d. h. des Amtes“. 364 Leider wird dieser Ansatz von Ratzinger nicht weiterverfolgt, denn hier wurde ein Problem berührt, das bis heute nicht genügend geklärt ist. Die Geschichte hat gezeigt, dass das Übergewicht des Amtes vor dem Wort eine reale und oft wiederholte Gefahr darstellt. Es wäre sicher interessant, Ratzingers Vorschläge für diese Klärung zu erfahren. 2. „Amt und Einheit hängen insofern aufs engste zusammen, als außerhalb des apostolischen Zusammenhanges keine Kirche existieren kann.“365 Kircheneinheit ist unmittelbar an die Einheit mit der apostolischen Vollmacht gebunden, weil in dieser die Vollmacht Christi selbst fortbestehe. Die Kirche und das Amt seien so wenig voneinander trennbar wie Kirche und Wort: „Kommuniongemeinschaft gibt es, ebenso wie Wortgemeinschaft nun einmal nicht anders als in der Einheit mit den Zeugen.“366 3. Petrus habe als Erstzeuge eine besondere Funktion innerhalb der Verschiedenheit der Ämter, da er Träger eines „auf eine Setzung des Herrn zurückgehenden Sonderauftrags“ sei. 367 Das frei363 Ebd., 68. 364 Ebd., 67 f. 365 Ebd., 64. 366 Ebd., 68. 367 Vgl. ebd., 64.

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lich bedeute nicht, wie Ratzinger nicht vergisst zu betonen, dass die Präsenz Christi und des Christlichen bei den getrennten Christen geleugnet werden könnte, weil sich „die Grenzen der Wirksamkeit des Heiligen Geistes“ nicht einfach „mit denjenigen der sichtbaren Kirche“ deckten. 368 Alles bisher Gesagte schließt auch mit ein, was Ratzinger „öffentliche Dimension des Kircheseins“ nennt und was am Anfang dieses Abschnitts bereits kurz erwähnt wurde: „Kirche ist ihrem Wesen nach öffentlich“, und das Bischofsamt stehe gerade für die Öffentlichkeit und die Einheit des Glaubens und der Eucharistie  – „gegen jedes Gruppenwesen, gegen die Spaltung in Rassen und Klassen“. 369 Dieser Aspekt trägt, menschlich gesprochen, einen hohen Anspruch in sich, nämlich, dass die Kirche immer mehr sein müsse als nur eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Sie könne nicht Kirche sein, so Ratzinger, „wenn sie nicht die zueinander bringt, die eigentlich – von ihrem Gefühl her – nicht zueinander passen und nicht zueinander mögen“. 370 Gerade diese Überwindung des vordergründig Trennenden zu einer tieferen oder höheren Einheit in Christus, zu seinem Leib hin, habe eine eucharistische Note, die vom Amt 371 her als „unwiderrufliche Wesensform der Kirche“ bleibend ermöglicht werde: „Die Eucharistie ist öffentlich, ist Eucharistie der ganzen Kirche, des einen Christus“, sie könne niemals eine private Angelegenheit sein. 372 Deswegen dürfe sich niemand ‚seine‘ Eucharistie heraussuchen, und das „Eucharistiesein der Kirche“ sei untrennbar mit dem Amt, besonders mit dem Bischofsamt, verbunden, das keinen geringeren Auftrag habe, als Dienst an der Einheit zu sein: „Eine eucharistisch verstandene Kirche ist eine bischöflich verfasste Kirche.“ 373 An dieser Stelle müssen wir die Frage stellen, wie das alles in Beziehung zum Priesteramt steht, denn das meiste, was wir über den Dienst des Amtes an der Einheit der Kirche gesagt haben, gilt 368 Vgl. ebd., 68 f. 369 Gesamtkirche und Teilkirche – der Auftrag des Bischofs, 1990, in: JRGS 8/1, 520 f. 370 Ebd., 521. 371 Ratzinger spricht an dieser Stelle konkret vom Bischofsamt. Im Sinne des hier oben besprochenen Verhältnisses zwischen dem Episkopat und dem Presbyterat kann dies als für beide geltend angesehen werden, wenn auch freilich in unterschiedlichen Verantwortungsintensitäten. 372 Vgl. Gesamtkirche und Teilkirche – der Auftrag des Bischofs, 1990, in: JRGS 8/1, 521. 373 Ebd.

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5. Wege der Grundlegung

im vollen Umfang für das Bischofsamt. Hier bringt Ratzinger die Zuordnung des Priesters zum Bischof und darin zu dem ,Wir der Kirche‘ ins Spiel, bei der wiederum die Kategorie des Gehorsams entscheidend ist. Der ekklesiale Charakter des Amtes, der von seiner christologischen Grundlage nicht getrennt werden kann, führe nicht zu einer Eigenständigkeit des Amtes, sondern zu dem ,Wir der Kirche‘ hin: „Gott ist so zu den Menschen gegangen, dass sie durch ihn und von ihm her zueinander finden“, denn Menschwerdung schließe Gemeinschaftlichkeit und Geschichtlichkeit des Glaubens mit ein. 374 Hier ist daran zu erinnern, dass für Ratzinger zum Priesteramt ganz wesentlich „sein Verweis auf das Bischofsamt“ gehört, der sogar so weit reiche, dass „der Presbyter derart über sich selbst hinaus“ verweise, dass er „durch sein Handeln den Bischof“ präsent mache, wie Ratzinger in seinem Kommentar zu Presbyterorum ordinis 1967 ausführt. 375 Er sieht auch die mögliche problematische Seite des so formulierten Sachverhalts, dennoch meint er in ihm einen rechten Kern zu erkennen. In so gezeichneter Perspektive des Priesteramtes gehe es freilich um eine Art Unselbstständigkeit oder Abhängigkeit vom Bischofsamt, die dem Priesteramt innewohne und die nicht von vornherein vor problematischen Verzerrungen geschützt sei. Doch gerade in ihr, wenn sie ohne Einseitigkeiten interpretiert wird, erkennt Ratzinger ein wesentliches Element im Dienst des Priesteramtes an der Einheit der Kirche. Denn ebendiese Unselbstständigkeit des Priesteramtes sprenge „die Autarkie der vom Presbyter geleiteten Ortskirche, der sogenannten Pfarrei“: Der Priester solle „deutlich machen, dass die ‚Gemeinde‘ nur dadurch Kirche bleiben“ könne, dass sie nicht autark sei, sondern sich ins Ganze einfüge und damit „jene Selbstlosigkeit auf sich nimmt, die ein solches Sich-Einfügen“ verlange. 376 Aus dieser Sicht gehört für Ratzinger zum konkreten Priesterdienst wesentlich zweierlei: der Dienst der Leitung – das Vorstehen – wie auch und gleichzeitig die Unselbstständigkeit, die „Zuordnung zur größeren Einheit der Episkopalkirche“. 377

374 Vgl. Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 907. 375 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 374. 376 Vgl. ebd., 375. 377 Ebd.

5.4 Ekklesiologische Einbettung

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Diesen Blick vertieft Ratzinger 1995 ins Grundsätzliche hinein. Das Kirchesein, also das wirkliche Miteinander in Christus, gebe es „nur in der Entschränkung des Ich ins Göttliche hinein, in der Vergöttlichung“, was im Konkreten nichts Geringeres bedeute, als dass der Glaube nie bloß „geistig-innerlich“, nie bloß „subjektive oder privat-persönliche Beziehung zu Christus“ sei, sondern immer „konkret-kirchlich“. 378 Das heißt, dass „der große christologische Gehorsam“, der den Ungehorsam Adams umkehrt, sich im kirchlichen Gehorsam konkretisiere, der für den Priester wiederum „ganz praktisch [der] Gehorsam gegenüber seinem Bischof“ sei. 379 Selbstverständlich darf das nichts Willkürliches oder Positivistisches an sich haben, so dass der Bischof über seine Priester einfach frei verfügen könnte, sondern es bedeutet zuallererst „den gemeinsamen Gehorsam aller gegenüber dem Wort Gottes und seiner Vorlage in der lebendigen Überlieferung der Kirche“. 380 Der Gehorsam ist also eine grundsätzlichere Kategorie, die weit über alle praktischen oder sonstigen Aspekte hinausgeht. Christus zu gehorchen bedeute nicht, „einem Jesus, den ich oder andere sich aus der Schrift erdenken“, und somit „meinen eigenen Lieblingsideen“ zu gehorchen, sondern „seinem Leibe, ihm in seinem Leib [zu] gehorchen“. 381 Das aber sei eine eindeutige Absage an die Selbstvergötzung und eine Überwindung eines Freiheitskonzeptes, das in der Emanzipation den eigentlichen Kern der Erlösung sehe und Freiheit als Recht betrachte, alles und nur das zu tun, was einer selber wolle. Denn es sei gerade dieses Konzept, „das die Unfähigkeit zum Miteinander“ schaffe. 382 Wenn im Kern des Priesterseins dagegen der Gehorsam steht, ist es gerade darin ein Dienst an der Einheit, ein Dienst am Miteinander der Kirche, ein Dienst am Kirche-Christi-Sein. Wiederum geht es um eine Bindung, wie wir bereits früher ­gesehen haben, doch „diese gemeinsame Bindung ist auch die gemeinsame Freiheit“, weil sie vor Willkür schütze und den „wahrhaft christologischen Charakter des kirchlichen Gehorsams“ ge-

378 Vgl. Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 908. 379 Vgl. ebd. 380 Ebd. 381 Ebd., 909. 382 Vgl. ebd.

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währleiste. 383 Das wiederum ist dann gegeben, wenn der konkrete Gehorsam „über den geschichtlichen Augenblick hinaus ins Ganze der Glaubensgeschichte“ verweise. 384 Darin zeigt sich also der kirchliche Charakter des Priestertums, das, wie wir gesehen haben, von seiner christologischen Grundlegung her auf die Selbstenteignung der Person des Priesters angelegt ist. Es bezeugt und verwirklicht den Gehorsam gegenüber den großen Vorgegebenheiten des Amtes und der Kirche, die wiederum das vermitteln, was von uns Menschen niemals machbar, was aber in Christus seiner Kirche geschenkt ist. Brechen wir diese Spur an dieser Stelle ab, um sie bald wieder aufzunehmen und bei der Frage nach der Freiheit aller im Volk Gottes zu vertiefen. Wir haben aber sehen können, wie sehr das Amt im Dienst an der Einheit und der Gegenwart des Ursprungs in der Kirche steht. Genau dies ist mehr als alle funktionalen oder praktischen Begründungen des Amtes in der Kirche.

5.4.3 Kirche als Demokratie? Schon bei der Problemverortung der gegenwärtigen Krise haben wir festgestellt, dass das Denken des modernen Menschen sich selbstverständlich in einem wesentlich demokratisch bestimmten Rahmen abspielt und er jedwede Macht nur dann als rechtens ansieht, wenn sie demokratisch legitimiert ist. 385 Was unseren Themenkomplex angeht, ist auch in Bezug auf die Bibel und das Zeugnis der Alten Kirche, besonders was die paulinischen Gemeinden betrifft, bei einigen Theologen, wie z. B. Adolf von Harnack, von „pneumatischer Demokratie“ die Rede. 386 Man scheut nicht ein-

383 Vgl. ebd., 908. 384 Vgl. ebd., 908 f. 385 Bernhard Körner analysiert das Spannungsfeld zwischen dem Demokratisierungsgedanken als Grundströmung der Gegenwart und der hierarchischen Gestalt des kirchlichen Amtes in seinem Beitrag im Rahmen der Reihe Synagoge und Kirche (Bd. 3) und deutet auch mögliche Lösungsansätze für das Amt, das mehr sein will als bloße Beauftragung, in einer selbstverständlich demokratisch denkenden Zeit an. Bernhard Körner , Amt und Ordination im Zeitalter der Demokratisierung. Umblick in einem Spannungsfeld, in: Konrad Huber / A ndreas Vonach (Hg.), Ordination – mehr als eine Beauftragung?, Wien 2010, 205–229, für die Lösungsansätze vor allem 222 f. 386 Vgl. Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 393.

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mal vor den Begriffen „pneumatische Anarchie“ oder „Pneumokratie“ zurück. 387 Damit, so Ratzinger, solle sozusagen der Erst­ zustand der Urkirche beschrieben werden, in der es keine hierarchischen Verhältnisse gegeben habe und die gerade so zum Modell einer wieder ganz demokratisch gewordenen Kirche der Zukunft erklärt werde, „die demnach die patriarchalische Ämterstruktur vergangener Zeiten abzutun und sich endlich wieder völlig zu demokratisieren habe“. 388 Das alles trage die große Verheißung in sich, dass gerade so die Kirche „ihrem Ursprung und dem Auftrag der Gegenwart zugleich gerecht werden“ müsse. 389 Es dürfte klar geworden sein, dass in diesem Konzept ein sakramentales Priestertum, wie wir es hier anhand von Ratzingers Texten grundzulegen versuchten, keinen Platz hat. Im Jahr 1970, mitten in lebhaften Diskussionen über die Demokratisierung der Kirche, verfasste Ratzinger einen Aufsatz, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Dabei setzt er sich auch mit der aus heutiger Sicht wohl naiv anmutenden Vorstellung einer „totalen Demokratie“ auseinander, die im damaligen Diskurs durchaus eine Rolle spielte und auch heute hie und da anzutreffen ist. 390 In solchen Gedankengängen sieht er Aspekte einer „Heilslehre“, welche die Demokratie nicht als eine Herrschaftsform, ­sondern als Herrschaftslosigkeit begreift: „Die vollständige Demokratie wäre also nicht mehr eine Herrschaftsform, sondern Herrschaftslosigkeit, An-archie allein wahre Demokratie.“391 Doch darin sieht er einen falschen Freiheitsbegriff sowie ein Missverständnis des Menschen, der als „absolut freier“ verstanden und somit „mit Gott verwechselt wird“. 392 Diese Vorstellung meint, so Ratzinger, der Mensch müsse sich von allen Zwängen befreien und ein herrschaftsfreies System schaffen, um die „völlige Unbeschränktheit des Ich“ zu verwirklichen. Ratzinger hält dem entgegen, dass „das prinzipielle Vorhandensein von ‚Herrschaft‘“ nicht

387 Vgl. Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 61. 388 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 390. 389 Vgl. ebd. 390 Ratzinger führt an, dass sogar Karl Rahner in einem Aufsatz über Freiheit und Manipulation in der Kirche einen solchen Begriff „erstaunlich undifferenziert übernommen hat“. Vgl. Demokratisierung der Kirche?, 1970, in: JRGS 12, 160. 391 Ebd., 161. 392 Vgl. ebd.

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einfach Manipulation, sondern vielmehr „Schöpfungsordnung“ sei. 393 Von einem solchen verabsolutierten Demokratiebegriff her, der als eine Art Heilslehre verstanden wird, könne man laut Ratzinger keine sinnvollen Aussagen über die Kirche erzielen. 394 Dennoch weist er den Begriff der Demokratie in Bezug auf die Kirche nicht völlig zurück. Vielmehr arbeitet er die Differenzierungen heraus, die in diesem Zusammenhang seiner Meinung nach erhellend sind. Ist im Falle des Staates allein das Volk selbst der Souveränitätsträger jedweder Macht, hat die Kirche „keine Souveränität aus sich selber“, sondern sei vielmehr „die Inanspruchnahme des Menschen“. 395 Ist der Staat im Grunde sein eigener Zweck, der im bonum commune vollendet wird, bestehe das Ziel der Kirche nicht darin, „die gemeinschaftliche Verwaltung eigener Werte und Güter“ zu gewährleisten, sondern vielmehr darin, die Wahrheit des Evangeliums Christi „als einer von außen zukommenden und die Menschen für sich enteignenden Größe“ zu garantieren. 396 Mit anderen Worten: Der Zweck der Kirche bestehe darin, „das nicht reduzierbare Wort Gottes als Anspruch an den Menschen und als Hoffnung für ihn präsent zu halten“. 397 Diese Grundunterschiede zum demokratischen Staat haben dann klare Implikationen für die Frage der Ämter in der Kirche. Diese seien nur so weit wichtig, soweit sie für das Wesentliche der Kirche die Vorbedingung bedeuten. Der Grundmaßstab, von dem her die Kirche und das Amt konstruiert werden müssen, heißt: „Jene Amtsform ist am besten und am meisten dem Evangelium gemäß, die am meisten dem Eigenanspruch des Evangeliums treu bleibt.“398 Wiederum zeigt sich, was wir bereits gesehen haben: Das Amt ist nicht für sich selbst da, sondern dazu, dass die Kirche sie selbst sein kann – durch das unverfälscht verkündete Wort Gottes und recht gefeierte Eucharistie. Deswegen kann es bei allen Aufgaben, die das Amt in der Kirche zu erfüllen hat, nichts rein Funktionales sein, sondern muss vielmehr die ständige Hör- und Horchgemeinschaft der ganzen Kirche gegenüber dem lebendigen

393 Vgl. ebd., 165. 394 Vgl. ebd., 163. 395 Ebd., 165. 396 Vgl. ebd. 397 Ebd., 166. 398 Ebd., 168.

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Wort Gottes gewährleisten und die christologisch begründete Dienstbereitschaft derer, die in die Sendung Jesu hineingestellt wurden, vergegenwärtigen. Kehren wir nun zu dem bereits erwähnten Begriff „pneumatische Demokratie“ als mögliches Modell der Kirche bei Paulus zurück. Ratzinger lehnt ihn nicht gänzlich ab, sondern stellt zunächst kritische Fragen und verweist auf Problempunkte dieser Konzeption. Einerseits weist er auf die Begrenztheit solcher Konzepte hin, die zwar vorgeben, dass am Ende alle über alles entscheiden, in Wirklichkeit aber immer den Sieg einer Mehrheit gegen eine Minderheit darstellen und damit keinen wirklichen Schutz vor der Willkür und vor Gruppierungstendenzen innerhalb der christ­ lichen Gemeinschaft bedeuten, sondern vielmehr eine Durchsetzung einer bestimmten Position, die oft im Bemühen um das Heute den Ursprung zu verlieren droht. 399 Andererseits zeigt er die innere Widersprüchlichkeit solcher Vorstellungen auf, die zwar vorgeben, die Stimme des Volkes und seines Willens zu sein, die aber, wenn jenes diese Vorstellungen nicht teile, zu einer „Diktatur des aufgeklärten Bewusstseins“ neigen, mit anderen Worten dazu, „das richtige Programm gegen das unaufgeklärte, reaktionäre ­Bewusstsein“ des der Neuheit noch nicht gewachsenen Volkes durchzusetzen.400 Ratzingers gewiss polemisch formulierte Frage lautet: „Also doch nicht Mehrheitsentscheid, sondern Sieg des richtigen, des fortschrittlichen Bewusstseins über das unaufgeklärte konservative Denken?“ 401 Ist ein solches Denken bzw. Vorgehen aber nicht eher eine Karikatur der Demokratie als deren Verwirklichung? Mit diesen Nachfragen dürfte die Begrenzung dieses radikalen Konzeptes sichtbar geworden sein. Im Blick auf die Gemeinde zu Korinth versucht Ratzinger den Begriff der „pneumatischen Demokratie“, mit dem seiner Ansicht nach das, was bei Paulus vorliege, vielleicht beschrieben werden könne,402 genauer zu beleuchten. Er besagt, dass gerade diese Demokratie – wie in Wirklichkeit jede Demokratie – „zunächst ihre unantastbare Verfassung, ihre Konstante“ habe, deren Aufhebung „den ‚Demos‘, das Volk selbst, 399 Vgl. Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 394 und 392. 400 Vgl. ebd., 392. 401 Ebd., 393. 402 Vgl. ebd.

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aufheben würde“.403 Diese Konstante erkennt Ratzinger in dem von Paulus nachdrücklich betonten Wort „Herr ist Jesus“ (1 Kor 12,3), denn nur ein solches Sprechen geschehe im Heiligen Geist, „in dem Pneuma, das uns Anteil gibt an der pneumatischen Herrschaft“.404 Genau dieses Wort stelle Paulus als Scheidezeichen der Anarchie in der Gemeinde entgegen und rufe sie damit „unter das unverfügbare, richtende und rettende Bekenntnis als die Verfassung des Glaubens“, ohne die es keine Kirche, kein Volk Gottes gebe.405 Er postuliert einen Grundsatz, ohne ihn näher zu erklären: „Das Credo wird nicht von der Kirche begründet, sondern es begründet die Kirche.“406 Man könnte darauf hinweisen, dass das Credo durchaus innerhalb der Kirche entsteht, von ihr formuliert und in ihr getragen wird, wenn auch durch das Wirken des Geistes. Das bedeutet freilich nicht, dass die Kirche nicht unter der Konstante des Wortes Gottes, des wahren Bekenntnisses stünde, ganz im Gegenteil. Gerade so scheint dieser Satz richtig verstanden zu werden. In diesem Sinne spricht Ratzinger in Bezug auf die paulinische Kirche, dass sie „zuallererst Christokratie“ sei, denn sie bekenne sich dazu, dass Christus der Herr sei und dass wir darüber „nicht noch einmal verfügen“, sondern uns vielmehr „zur Verfügung stellen für den, der sich uns zur Verfügung gegeben hat bis in das Kreuz hinein“.407 Das bedeutet, dass in der Kirche „niemand herrscht, auch nicht das Volk, sondern Jesus“.408 Gerade da fängt das wohl wichtigste Argument Ratzingers ans Licht zu treten an, als er nämlich sagt, dass gerade in der exklusiven Macht Christi in der Kirche die Freiheit aller in ihr bestehe und der Schutz gegen Willkür von Gruppierungen und Einzelinteressen gegeben sei: „Die Kirche des Neuen Testamentes hat ihre Sicherung gegen Willkür nicht darin gesehen, dass alle bestimmen […], [sondern darin], dass niemand bestimmt [und] alle empfangen, was er ­bestimmt hat und hier und heute bestimmt.“409 An einer anderen

403 Ebd. 404 Ebd. 405 Vgl. ebd., 393 f. 406 Ebd., 394. 407 Ebd. 408 Ebd. 409 Ebd.

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Stelle wird Ratzinger 1970 etwas konkreter, auch was die Konsequenz dieses Tatbestandes für die Amtsträger bedeutet: „Die Bindung an das Evangelium und an seine konkrete Form im Glauben der Kirche ist […] die Freiheit der Gläubigen: Das Credo der Kirche ist der Schutz vor der privaten Willkür des Pfarrers oder welcher Vorsteher auch immer.“ 410 Das ist wohl der grund­ legende Unterschied zwischen dem gängigen Begriff der Demokratie und dem, was Ratzinger in der paulinischen Kirche erkennt: Die Sicherung gegen Willkür in der Kirche bestehe nicht in der Ermächtigung, sondern in der Entmächtigung aller. Das bedeute, dass alle sich unter die Vorgegebenheiten der christologisch definierten Konstanten gestellt wissen und so nur Christus das Machtwort habe. Das sieht Ratzinger durchaus auch in der biblischen Selbst­ bezeichnung der Kirche als ἐκκλησία, von der hier immer wieder die Rede ist, gegeben, die aus der alttestamentlichen Wurzel qāhāl hervorgeht. Hier sei noch ein Aspekt hinzugefügt. Zu der Versammlung des Volkes Gottes im Alten Testament haben nämlich, im ­ Unterschied zur griechischen Volksversammlung, nicht nur stimmberechtigte Männer gehört, sondern das ganze Volk, also auch Frauen und Kinder, die in Griechenland nicht aktive Träger des Geschehens sein konnten.411 Darin kommt eine wesentliche Differenz zum Ausdruck: Während in Griechenland Männer durch ihre Entscheide bestimmen, was zu geschehen hat, trete „die Versammlung Israels zusammen, um die Kundgebung Gottes zu hören und dazu ja zu sagen“412 , das Volk Israel stimme nicht ab, „sondern erfragt, was Gottes Wille“ sei.413 Es ist dieser Wille, der einen konstitutionellen Charakter für das Volk hat, denn dieses sehe in ihm nichts Geringeres „als die Vorgegebenheit und Gründung seiner Gemeinschaft“, die das Recht nicht ‚mache‘, sondern es als das von Gott her Empfangene, also „zu Findende“, niemals aber als das „zu Er-findende“ betrachte.414 Der Wille Gottes also ist die große konstitutionelle Konstante der Gemeinschaft, die sich mit der Selbstbezeichnung als ἐκκλησία in diesen Zusammenhang stellt.

410 Demokratisierung der Kirche?, 1970, in: JRGS 12, 178 f. 411 Vgl. Ursprung und Wesen der Kirche, 1990, in: JRGS 8/1, 231. 412 Ebd. 413 Vgl. Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 394. 414 Vgl. ebd.

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5. Wege der Grundlegung

Freilich sieht Ratzinger auch, dass es in der Kirche von Anfang an demokratische Handlungen gibt, z. B. Abstimmungen bei Konzilien oder Bischofswahlen. Aber auch diese werden nach ihm so verstanden, dass es nicht um Sieg einer Mehrheit gehe, sondern „man tastet sich vielmehr, wie schwer es auch sei, zur Einmütigkeit durch“. Sie, „die menschlich Unmögliche“, werde „als Ausdruck des Pneuma verstanden“, das darin seinen Willen kundgebe.415 Das Ganze nennt er dann schließlich „Modus der Preisgabe der Selbstbestimmung“, den „Versuch, die Willkür menschlicher Parteien auszuschalten“.416 Wiederum zeigt sich, dass Ratzinger in der Kirche nicht einen Raum der möglichen Selbstbestimmung sieht, sondern einen Raum, in dem alle – auch und besonders die Amtsträger – sich der Eigenbestimmung entkleiden und bewusst unter die Bestimmung durch Gott stellen. Führt Selbstbestimmung innerhalb eines Gemeinschaftsorganismus unweigerlich zu Parteiungen und Trennungen, so führt die von Gott kommende und geschenkte Wahrheit, die von allen als Konstante anerkannt wird, zu Einheit und Freiheit aller aufgrund der gemeinsamen Würde. Wo das Amt sich selbst allzu positivistisch und ohne klare Rückbindung an die Vorgegebenheiten der Offenbarung als eine Entscheidungs- bzw. Bestimmungsinstanz betrachtet, verfehlt es die eigene Aufgabe und somit auch die eigene Existenzberechtigung in der Kirche. Worin konkret bestehen nun die großen Vorgegebenheiten in der Kirche, denen sich alle zu beugen haben? Ratzinger benennt sie in drei Begriffen: Bekenntnis, Sakrament, Schrift. Sie markieren den Rahmen, über den weder ein Einzelner noch eine Gemeinschaft entscheide, sondern an den alle gebunden seien.417 Er sieht hier also die ganze Kirche und im Besonderen das Amt in ihr als Gebundene an. Wenn wir die Aussage, dass gerade in der Entmächtigung aller die Sicherung gegen die Willkür besteht, positiv umdrehen, dann können wir sagen, dass darin die Gleichheit und Freiheit aller in der Kirche und auch die Freiheit der Kirche gegeben ist. Die so abgesteckte Freiheit ist aber nichts Starres oder bloß in der Vergangenheit Zementiertes, was alle Entwicklungen verunmöglichen würde. Diese Freiheit besteht für Ratzinger vielmehr 415 Vgl. ebd., 395. 416 Ebd. 417 Vgl. ebd.

5.4 Ekklesiologische Einbettung

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ausdrücklich auch darin, dass das, „worüber [Christus] nicht entscheidet oder entschieden hat“, auch „keiner gemeinkirchlichen Entscheidung“ unterliege, sondern eine Frage der Einzelnen oder Gruppen sei, „die aber dafür verantwortlich sind und sich nicht als die Kirche bezeichnen können“.418 Suche und Bewegung sind also nicht nur möglich, sondern grundsätzlich vorgesehen, solange sie im Rahmen der „großen Vorgegebenheiten“ von Christus her geschehen. Die recht verstandene „pneumatische Demokratie“ lässt also auch einen Raum für das Amt, nämlich gerade darin, dass es die „Selbstentzogenheit der Kirche“ gegen jede Selbstmächtigkeit darstellt und die großen Vorgegebenheiten vergegenwärtigt und in ihrem Dienst steht. Darin erkennen wir aber gerade das, was in der christologischen Grundlegung des Amtes sichtbar und herausgearbeitet wurde.

5.4.4 Eucharistische Communio-Ekklesiologie Schließlich ist es Ratzinger noch wichtig, auch einen eucharistischen Weg für die Grundlegung der Fortsetzung der Sendung Jesu in der Sendung des Priesters aufzuzeigen, denn, wie wir gesehen haben, es ist diese Verbindung, die das Amt schlussendlich unabdingbar macht. Er betrachtet die Kirche vor allem von der Eucharistie her, als „Communio“, als Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, die eine Gemeinschaft unter den Menschen stiftet, und hält die eucharistische Versammlung für den „Konstruktionspunkt der ältesten Ekklesiologie“.419 Die Eucharistie sei „der eigentliche und zentrale Ruf, der die Kirche versammelt“420, in ihr ist auch der eigentliche Gründungsakt der Kirche auszumachen.421 Die Kirche ist „nicht anders gegeben als in der Gemeinschaft derer, die mit­

418 Ebd. 419 Vgl. Opfer, Sakrament und Priestertum in der Entwicklung der Kirche, 1972, in: JRGS 12,  89. 420 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 361. 421 Freilich ist hier von Ratzinger nicht nur die Einsetzung der Eucharistie beim letzten Abendmahl als Gründungsakt der Kirche gemeint, sondern vielmehr die Einheit der Worte im Abendmahlssaal, des Todes am Kreuz und der Auferstehung, also eine Art Dreiheit, die „uns etwas ahnen lässt vom Geheimnis des dreieinigen Gottes“. Vgl. dazu Eucharistie – Mitte der Kirche, 1978, 22; Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz, 256–258.

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5. Wege der Grundlegung

einander im Leib und im Wort des Herrn kommunizieren – und Kommuniongemeinschaft gibt es, ebenso wie Wortgemeinschaft, nun einmal nicht anders als in der Einheit mit den Zeugen“.422 Das Amt freilich steht schon von seiner ganzen Verfasstheit her in ganzheitlichem Dienstverhältnis zu dieser Wirklichkeit: Es hat nichts für sich, sondern alles nur, um zu dienen. In eigenen Worten können wir diesen Punkt aus unserer Perspektive etwa so darstellen: Da das Amt die Eucharistie ermöglicht, ermöglicht es auch die Kirche. Wie es ohne Eucharistie keine Kirche gibt und ohne das Amt keine Eucharistie, so gibt es ohne das Amt auch keine Kirche.423 Damit ist viel mehr gemeint als rein praktische oder technische Notwendigkeit des Priestertums für die Eucharistie, ergo für die Kirche. Diese enge Verbundenheit liegt tiefer und ist grundsätzlicherer Natur. Bei einem Vortrag 1972 fragt Ratzinger, wo der „Sammelpunkt der Christologie“ zu finden sei.424 Die Antwort formuliert er in der Form von Fragen, um seinen Gedankengang fortsetzen zu können: „Das Kreuz? Und wenn, ist das Kreuz Opfer? Und welches ist seine Gegenwart in der Kirche? Wie überhaupt verhält sich die Kirche zu Christus?“425 Damit zeigt er das Grundlegende der Thematik, nämlich dass alle Konzepte, welche die ­Eucharistie auf rein Praktisches reduzieren, der entschiedenen Wichtigkeit ihrer Existenz für die Kirche, also der Wichtigkeit einer realen Gegenwart des Herrn in seiner Kirche, nicht gerecht werden. Im Folgenden soll der eigene Duktus des Autors wiedergegeben werden: „Ist sie [die Gegenwart Jesu in der Kirche] eine praktische Notwendigkeit, die sich den Jüngern nach Ostern ergab, ein pragmatisches Instrument, das sich die Jünger nach Ostern schufen, um die Sache Jesu weiterzuführen, ein äußerer Apparat, der allein nach seiner Zweckmäßigkeit zu beurteilen ist, oder kommt sie als solche vom Herrn her, in ihren Grundgegebenheiten eigener Manipulation entzogen, so dass sie gerade in ihrer Konkretheit dennoch mehr als bloße Organisation, nämlich ‚Leib‘ – Organismus des Christus wäre?“ 426

422 Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 68. 423 Es gilt freilich auch vice versa: Ohne Kirche gibt es kein Amt. 424 Vgl. Opfer, Sakrament und Priestertum in der Entwicklung der Kirche, 1972, in: JRGS 12, 86. 425 Ebd. 426 Ebd.

5.4 Ekklesiologische Einbettung

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Für die Alte Kirche, die für Ratzinger auch hier gültiger Maßstab bleibt, ist „der eigentliche Existenzort der Kirche“ nicht „irgendeine Bürokratie, auch nicht die Aktivität einer Gruppe, die sich zur ‚Basis‘ erklärt, sondern die ‚Versammlung‘“.427 Nur diese, wie wir gesehen haben, „ist Kirche im Aktiv“, wobei ihr Inhalt „das Aufnehmen des Wortes Gottes“ sei, „gipfelnd im Gedächtnis des Todes Jesu, in einem Gedächtnis, das Gegenwart schafft und Sendung bedeutet“.428 Das heißt, dass die Liturgie die „bevollmächtigte Verkündigung von Tod und Auferstehung des Herrn“ sei und „von solcher Vollmacht, dass in ihr jenes Geschehen selbst anwesend gemacht wird“.429 Dabei bleibt für Ratzinger wichtig, die Ganzheit jeder einzelnen eucharistischen Versammlung in jeder konkreten Gemeinde zu betonen – sie sei „ganz Kirche“ –, solange sie „im Ganzen, in der Einheit mit den anderen [Gemeinden] ist“, also nicht ausschließlich, sondern in der gegenseitigen Offenheit und grundsätzlichen Öffentlichkeit der eucharistischen Feier, wovon bereits ausführlich die Rede war.430 Gerade von diesem Grund­ gefüge sei „die Figur des Amtes bestimmt“: Von der Eucharistie aus „ist nicht nur eine ganz spezifische Struktur des Ineinander von Einheit und Vielheit gegeben“, sondern vielmehr „auch die Einheit von Christus und Kirche“.431 Das alles bedeutet für ihn eine „gottesdienstliche Konzentration des Kirchenbegriffs“, was aber auf keinen Fall eine ‚Verkultisierung des Kircheseins‘ beinhalten könne, denn: „Kirche ist Kirche im Gottesdienst, aber dieser Gottesdienst heißt Agape, Eirene, Koi­nonia und bedeutet damit umfassende menschliche Verantwortung.“ 432 Das Ganze zeigt dann schließlich etwas, was Ratzinger „die eucharistische Konzeption des Amtes“ nennt: „Wenn die Kirche Eucharistie ist, dann ist kirchliches Vorsteheramt wesentlich Verantwortung für die ‚Versammlung‘, die mit Kirche identisch ist – aber der Prozess des Versammelns umfasst das ganze Leben.“433 Man kann also sehen, dass für Ratzinger die eucharisti427 Ebd. 428 Ebd., 87. 429 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 361. 430 Vgl. Opfer, Sakrament und Priestertum in der Entwicklung der Kirche, 1972, in: JRGS 12, 87–89. 431 Ebd., 89. 432 Ebd. 433 Ebd.

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5. Wege der Grundlegung

schen Bezüge der Grundlegung des Amtes viel tiefer reichen als nur zu einer kultischen oder ekklesiologischen Funktionalisierung des Priestertums. Vielmehr werden hier schon existentielle, ergo das Ganze der christlichen Existenz umfassende Bezüge sichtbar. Der Priester ist so „nicht eigentlich und primär Kultdiener, der ein bestimmtes Ritual abwickelt“, sondern vielmehr ein „Gesandter, der die Sendung Christi auf die Menschen hin, sein καλεῖν (Rufen) zur ἐκ-κλησία (zur Gemeinde der Heraus-Gerufenen) fortsetzt“.434 Deswegen bleibt die Liturgie des Priesters Christi „letztlich die kosmische Liturgie: die Völkerwelt zur großen Hostie des anbetenden Alls zu versammeln“.435 Ratzinger vergisst nicht, auf die späteren, wohl problematischen Entwicklungen im Mittelalter zu verweisen, als die „legitime eucharistische Konzentration des Amtes“ einen völlig veränderten Sinn gewinnt, nämlich als die Stelle des Wortes „weithin leer“ bleibe und der reine Ritus in den Vordergrund trete,436 der Rechtsapparat als „Gefüge von Rechten, Ordnungen, Ansprüchen, wie sie grundsätzlich für jede Gesellschaft kennzeichnend sind“ – Stichwort societas perfecta –, überbetont wird.437 Das alles hat für ihn mit der Verwicklung der Kirche mit der „realen Macht“ zu tun, welche die Kirche und die Theologie „bis in ihr Innerstes hinein korrumpiert hat“ und die „Trennung von Amt als Recht und Amt als Ritus“ zur Folge hatte.438 Er bezeichnet diese Entwicklungen mit schroffen Worten: „Die Verbindung von kirchlichem Positivismus und metaphysischer Spekulation“ machte die spätmittelalterliche Theologie weithin zu einer „Ironie auf die geistliche Realität der Kirche, hinter der sich der Verlust ihres Sinnzusammenhangs kaum noch verbirgt“.439 Diese späteren unglücklichen Entwicklungen machen aber den Quell, den Ursprung des christlichen Priestertums nicht zunichte. Dieser hält auch der Infragestellung durch protestantisch geprägte Theologie stand. Schließlich muss noch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, was durch diese Ausführungen wohl sichtbar werden dürfte: 434 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 361. 435 Ebd. 436 Vgl. Opfer, Sakrament und Priestertum in der Entwicklung der Kirche, 1972, in: JRGS 12, 92. 437 Vgl. ebd., 91. 438 Vgl. ebd., 92. 439 Ebd.

5.4 Ekklesiologische Einbettung

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dass nämlich diese eucharistisch zentrierte Einbettung des Priesteramtes in der Communio-Ekklesiologie klar christologisch bestimmt ist. Im eucharistischen Geschehen, das in der Perspektive eines neuen Bundes und somit auch eines neuen Volkes steht, dessen Gründervater nach dem Vorbild Abrahams der Herr selbst ist, sieht Ratzinger mehr als eine kultische Handlung: „Durch das eucharistische Geschehen zieht Jesus die Jünger in sein Gottesverhältnis hinein und damit auch in seine Sendung, die auf ‚die vielen‘, auf die Menschheit aller Orte und aller Zeiten zielt.“440 Es ist also die Eucharistie, die dem neuen Volk Gottes und in ihm im Besonderen dem Amt anvertraut ist und durch die „Leibes- und Blutsgemeinschaft mit Jesus, die zugleich Gottesgemeinschaft ist“441, dieses neue Volk Gottes gründe, da sie die innigste Verbindung mit Gott ermöglicht und die Teilnahme an der Sendung Jesu verleiht. Die Partizipation an dieser Sendung, das Fortleben dieser Sendung ist, wie wir gesehen haben, für Ratzinger der wesentlichste Begründungspunkt für die Existenz eines sakramentalen Priestertums in der Kirche Jesu Christi.

5.4.5 Priester im Dienst des Wortes Die vorhergehenden Ausführungen über das enge Verhältnis von Priestertum und Eucharistie könnten den Eindruck erwecken, dass sich Ratzingers Blick auf den Auftrag des Priesters nur im klassischen Rahmen, in dem schon die Neuscholastik gedacht hat, erschöpft. Dieser Anschein trügt, denn in Ratzingers Blick auf den Priester spielt im Unterschied zur Neuscholastik Gottes Wort und seine Verkündigung eine außerordentlich wichtige Rolle. Man kann gar von der Priorität der Verkündigung auch und gerade in der Einordnung des priesterlichen Dienstes im Organismus der Kirche sprechen. Bereits bei der christologischen Grundlegung, die zentral für das Sein und den Dienst des Priesters ist, wurde dazu Wichtiges angesprochen. Wir haben gesehen, dass die Priorität des Lebens Jesu die Verkündigung des Reiches war, die aber nie ein bloßes Wort war, sondern als sakramentale Wirklichkeit erfahrbar wurde. Auch wurde schon oft gesagt, dass das Priestertum aus der Sen440 Ursprung und Wesen der Kirche, 1990, in: JRGS 8/1, 230. 441 Vgl. ebd.

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5. Wege der Grundlegung

dung des Herrn selbst erwächst, dass es Teilhabe an dieser Sendung ist, in der das Wort selbst sakramental ist.442 In diesem Zusammenhang weist Ratzinger darauf hin, dass das Priesterdekret des Konzils Presbyterorum ordinis neben der „klassischen“ Bestimmung des Priestertums auf die Eucharistie hin im ersten Kapitel (sacerdos – sacrificium) im zweiten Kapitel wie selbstverständlich den Primat des Wortes und der Verkündigung festschreibt, „der bisher als typisch protestantisch gegolten hatte“: 443 „Presbyteri […] primum habent officium Evangelium Dei omnibus evangelizandi“ (PO 4).444 Doch diese zwei Bestimmungen seien nicht als einander ausschließend zu betrachten, sondern vielmehr zusammen zu lesen, denn „eine vom Primat des Wortes her denkende Konzeption des Priestertums [muss] keineswegs unbedingt antisakramental sein“, so Ratzinger.445 Wie die Verkündigung Jesu in einem tiefen Sinne sakramental ist, also die Realität der Inkarnation, des Kreuzes und der Auferstehung in sich trägt, so ist auch jedes Wirken der Kirche von Christus her in diesem Sinne vorgezeichnet und auf das Zueinander von Verkündigung und „gelebtem, erlittenem Zeugnis“ angewiesen.446 Auf den Dienst des Priesters umgemünzt heißt dies nicht weniger, als dass in jeder sakramentalen Feier und in jedem Akt der Verkündigung das ­Leben des Priesters miteinbezogen sein muss, es muss Wort und Tat verbinden, Martyria sein. Gerade wegen des primären Auftrags des Priesters, das Wort Gottes zu verkündigen, ist es nicht möglich, diese existentielle Dimension zu vernachlässigen. Dazu wird gleich noch ein Wort zu sagen sein. Doch nicht erst in den 1990er-Jahren betont Ratzinger die Priorität des Wortes Gottes im Leben und Dienst des Priesters. Schon in den Texten aus den 60er-Jahren stellt er den Wert des Wortes Gottes in den Mittelpunkt seiner Bestimmung des priesterlichen

442 Siehe oben S. 267. 443 Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 898 f. 444 In ähnlicher Weise greift diese Priorisierung auch Friedrich Wulf in seinem Kommentar zu Presbyterorum ordinis auf: „So ist die Verkündigung tatsächlich der Anfang alles priesterlichen Wirkens, zugleich aber auch seine Mitte; denn im Kerygma der Kirche als der Gemeinschaft der Glaubenden ist der Herr selbst, der Gekreuzigte und Erhöhte, als der alle im Glauben Einende und Einheit Stiftende wirksam anwesend.“ Friedrich Wulf, Kommentar zu Artikel 1–6, in: LThK 2 14, 158. 445 Vgl. Dienst und Leben der Priester, 1995, in: JRGS 7/2, 899. 446 Vgl. ebd., 902.

5.4 Ekklesiologische Einbettung

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Dienstes auch und gerade in ekklesiologischer Hinsicht, weswegen dieses Thema hier besprochen wird. Gedanken dazu entwickelt er vom Amt und seiner Beziehungsbestimmung gegenüber dem Wort Gottes her, die nach ihm zentral ist für seine Aufgabe für die Einheit der Kirche.447 1961 schaut Ratzinger zuerst auf die protestantische Theologie, die im Sinne der Confessio Augustana zwei Elemente des Kircheseins ausmacht: Wort und Sakrament. Mit ihnen verbindet die Confessio die Frage der Reinheit (der Begriff pure in Bezug auf Wort) und der richtigen Verwaltung (der Begriff recte in Bezug auf Sakrament).448 Im katholischen Verständnis werde diesen zwei als Drittes das geistliche Amt an die Seite gestellt, und zwar „als das Kriterium dafür, wo das recte und das pure“ sei.449 Das katholische Verständnis kann also mit drei Begriffen auf den Punkt gebracht werden: confessio – communio – ob­ oedientia. Ratzinger bezeichnet das Streichen des dritten Elements durch Melanchthon als eine „Hypostasierung des Wortes, das nun als eine selbständig der Kirche gegenüberstehende, sich selbst zu erkennen gebende Größe aufgefasst wird und als der selbständig vorhandene Maßstab der Kirche erscheint“.450 Mit dem Fehlen des Amtes in der protestantischen Tradition ist aber auch der grundlegende Unterschied zur katholischen Lehre ausgedrückt: „Die evangelische Theologie definiert die Kirche ohne das Amt und fasst das Wort als selbständiges Korrektiv des Amtes auf“, während die katholische Theologie „das Amt als Kriterium des Wortes“ ansieht: „Sie kennt nicht ein der Kirche gegenüber selbstän­ diges, quasihypostatisches Wort, sondern das Wort lebt in der Kirche, wie die Kirche vom Wort lebt – eine Relation gegenseitiger Abhängigkeit und Beziehung.“451 Genaueres dazu wurde hier bereits gesagt.452 Das Wort und die Kirche sind somit nicht voneinander zu trennen, ihre Beziehung ist eng und gegenseitig. Das Amt steht nicht außerhalb dieses existentiellen Gravitationsfeldes, sondern vielmehr in dessen Mitte.

447 Vgl. Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 51. 448 Vgl. ebd. 449 Vgl. ebd., 52. 450 Ebd. 451 Ebd. 452 Siehe oben S. 315.

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5. Wege der Grundlegung

An einer anderen Stelle erklärt Ratzinger, ebenfalls in den 60erJahren, den Sachverhalt ähnlich, dass nämlich das Wort am Anfang der Existenz der Kirche als dessen Ursprung stehe und dementsprechend auch das Amt aus der ‚Bewegung des Wortes‘, aus dem die Kirche entsteht, erwachse. Die Kirche existiere gar nicht ohne das Wort, denn sie, die Zusammengerufene (εκκλησία), komme erst durch das καλεῖν zustande, den durch die ganze Geschichte hindurch weitergehenden Ruf des Logos.453 Somit sei die Verkündigung des Wortes nicht einer von mehreren Aufträgen des priesterlichen Dienstes, sondern der eigentliche Grundauftrag und Ausgangspunkt des Priestertums, eine Fortsetzung des Dienstes des Herrn selbst, die Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden und durch dieses Rufen die Kirche, seine Braut und seine Schöpfung, entstehen und sie selbst werden zu lassen. Ratzinger fasst im Hinblick auf Presbyterorum ordinis zusammen: „Die Idee der Evangelisierung ist der Konstruktionspunkt, von dem aus das Konzilsdekret das Priesteramt entwirft und versteht.“ 454 Das ist weit mehr als eine bloß theologische Überlegung, es ist eine grundsätzliche Bestimmung des Priestertums in der Kirche. Für Ratzinger ist es ein Ausgangspunkt, „der schwer zu überschätzen ist“, weil „mit der Bestimmung des Amtes vom Evangelium her […] ein Grundverständnis des Christlichen überhaupt gegeben ist“: Dieses sei „nicht Thora, nicht gesetzliche Form eines Lebens oder einer Gesellschaft, auch nicht Kultverein“, sondern „Glaube auf Evangelium hin“, es „hat seinen Ansatzpunkt darin, das Vernehmen und das Annehmen einer auf uns zukommenden Botschaft vom Heil Gottes zu sein“.455 Die Priorität des Wortdienstes des Priesters ist demgemäß Ausdruck der Grundgrammatik des Christlichen und hat diese zu bezeugen. In diesem Sinne ist der Priester „wesentlich Evangelist“, und „die Grundkategorie, von der her sein Dienst zu verstehen ist“, heiße Sendung.456 Wie das Gesagte zeigt, ist die starke Bestimmung des Priestertums vom Wort her und auf das Wort hin grundsätzlich. Wie für Ratzinger typisch, hat diese Grundsatzbestimmung aber auch existentielle Folgen für die konkrete Gestalt des priesterlichen 453 Vgl. Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 368. 454 Ebd., 368 f. 455 Ebd., 369. 456 Vgl. ebd.

5.4 Ekklesiologische Einbettung

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­ ebens und für die Spiritualität des Priesters: „Nicht KulthandL werker, sondern Wortbedenker hat der Priester zu sein“, freilich, ergänzt er für sein Denken charakteristisch, „nicht Wortbedenker in einem bloß akademischen Sinne (wiewohl auf der Höhe des Bewusstseins seiner Zeit)“.457 Für Ratzinger ist hier mehr im Spiel als theoretisches Bedenken des Wortes, als Erfüllung einer Berufsaufgabe. Bei der Zentralität des Wortes für das Amt geht es ans Eingemachte, das Wort trifft den Priester zutiefst existentiell, denn es bedeutet, dass der Priester „sein Leben vom Wort her lebt“, dass er von ihm „durchtränkt ist“ und „in ihm aus- und eingeht“, dass dieses Wort „sein Gebetsleben füllt“ und er es mehr und mehr „als Wort Gottes zu verstehen lernt“, dass es ihm „wirklich zum ‚Colloquium‘, zum Angesprochenwerden von ihm und zum Selbst-sprechen-Dürfen mit ihm wird“, zu dem „brennenden Dornbusch, aus dem die Stimme ergeht, die auch ihn und gerade ihn fordert“.458 Der Priester ist somit nicht ein professioneller Ausleger des Wortes, ein unberührter Überbringer einer Botschaft, sondern vielmehr der erste von seiner Botschaft Getroffene, dessen eigene Existenz gewissermaßen nur im Raum dieses Wortes möglich ist. Darin wird der Verkündiger selbst herausgefordert und kann gerade so seine Aufgabe erfüllen, das Wort ‚heutig‘, also für das Heute lebendig, zugänglich und aktuell werden lassen: „Die Aufgabe, das Wort Gottes unserer Zeit gleichzeitig zu machen, es zu ‚aggiornieren‘, kann nur gelingen, wenn wir, die Verkündiger, vorher unsererseits diesem Wort gleichzeitig geworden sind.“ 459 Der „Transformationspunkt des Damals ins Heute“ könne, so Ratzinger, „nur die Existenz des Verkündigers sein“: „Er öffnet dem Wort von damals sein Heute und entdeckt es in seiner Heutigkeit, insofern es in ihm selbst zu einem heutigen wird.“ 460 Die eigene Existenz des Priesters kann hier also keineswegs ausgespart bleiben, was freilich nicht bedeutet, dass er das eigene Ich in den Vordergrund stellen sollte. Ganz im Gegenteil, dieses Ich muss hinter das Eigentliche seines Dienstes zurücktreten. An einer anderen Stelle formuliert Ratzinger diesen Gehalt wie folgt: 457 Ebd. 458 Ebd. 459 Ebd., 372. 460 Ebd.

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5. Wege der Grundlegung

„Die Objektivität des Heils […] muss ihn [den Priester] gleichsam selbst objektiv machen. Er verkündigt nicht sich, sondern den Glauben der Kirche und in ihm den Herrn Jesus Christus. Dieser Vorgang der Objektivität, der Ausscheidung des Ich zugunsten des Anderen, für den man steht, ist die eigentliche asketische Formel, die aus der christologischen Bestimmtheit des sacerdotium in der Kirche folgt.“461

Darin scheint wiederum eine Grundkategorie der Amtstheologie von Joseph Ratzinger durch, die wir hier ausgemacht haben: die Selbstlosigkeit des Priesters, die Entprivatisierung seines eigenen Ich, die einerseits existentiell, andererseits aber auch und wesentlich kirchlich ist und im Gehorsam ihren eigentlichen Ausdruck findet. Dieser ist eine Sicherung gegen die Verführungen eines zeitgebundenen Konformismus, der die Botschaft durch die Entschärfung ihrer Forderungen verfälscht, wie auch gegen die Verführungen des in sich verschlossenen und selbstzufriedenen Traditionalismus, der in seiner Sterilität genauso der Größe der Botschaft nicht gerecht wird: „Wir haben die ganze Botschaft auszurichten – auch da, wo sie sich gegen uns kehrt, wo das Schwert des Gotteswortes sich in seiner notwendigen Zweischneidigkeit enthüllt. Selbstlosigkeit der Verkündigung heißt so, dass wir die Predigt auch uns selbst halten und uns von ihr scheiden lassen. Sie verlangt fernerhin, dass wir auch gegen den Zwang des Zeitgeistes das Wort als Nötigung zur christlichen Weise des Nonkonformismus gegenüber dieser Welt wagen – ebenso wie gegen einen selbstzufriedenen Traditionalismus.“462

Der Priester steht unter dem Anspruch des Wortes, das die Kirche zur Kirche macht und das er nur durch das ,Wir der Kirche‘ und in diesem empfangen und richtig verstehen kann. Somit ist sein ­Gehorsam Ausdruck der Selbstlosigkeit, die sein Amt ausmacht. Diesen Gehorsam versteht Ratzinger aber nicht als einen blinden, sozusagen positivistisch bestimmten Gehorsam dem kirchlichen Lehramt gegenüber, in dem Sinne, als sei der Priester dem Lehramt ausgeliefert. Vielmehr nennt er ein wichtiges Kriterium für den Gehorsam des Lehramtes, das den persönlichen Gehorsam des Priesters erst angemessen werden lässt: „Der Gehorsam der 461 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 127. 462 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 370 f.

5.4 Ekklesiologische Einbettung

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Kirche (des Lehramtes) ist die Voraussetzung des kirchlichen Gehorsams (der einzelnen Verkünder). Eins kann nur im anderen bestehen, und wo eins verletzt ist, kommt das Ganze in Gefahr.“463 Das Lehramt ist somit genauso dem Auftrag der Selbstlosigkeit verpflichtet wie der Priester und darf von ihm nur insofern einen Gehorsam verlangen, als es selbst dem Wort Gottes gehorsam ist. Es ist wohl sichtbar geworden, wie wesentlich für Ratzinger die Zentralität des Verkündigungsauftrages für das Priesteramt ist und wie existentiell eng er die Verknüpfung zwischen dem Diener des Wortes und der Botschaft sieht. Auch in diesem Punkt geht er weit über das hinaus, was die gängige neuscholastische Amtstheologie zu diesem Thema sagte, und entfaltet die Grundzüge, die vom Zweiten Vatikanum hier grundgelegt wurden. Zusammenfassend für dieses ganze Kapitel kann festgehalten werden, dass für Ratzinger ein neutestamentliches Priestertum ausschließlich christologisch strukturiert ist. Das heißt: Seine Grundlegung muss entscheidend christologisch erfolgen, was wir anhand von Ratzingers Texten herauszuarbeiten versucht haben; und dieses Priestertum bedeutet nichts Geringeres als eine „Einbeziehung des Menschen in die Sendung Jesu Christi“.464 Priestersein heißt in die Sendung Christi, die in der Sendung der Apostel weiterlebt und -gegeben wird, einbezogen zu werden. Darin ist es auch ein unabdingbarer Dienst am Kirchesein aller, die durch die Taufe in den einen Leib Christi berufen wurden. Darin ist es zentral eine Entprivatisierung des eigenen Ich des Priesters, eine Selbstlosigkeit, die das Priestertum Christi wesentlich ausmacht.

463 Ebd., 371. 464 Vgl. Vom Wesen des Priestertums, 1990, in: JRGS 12, 48.

6. Brennende Fragen der Zeit

Im vorigen Kapitel haben wir versucht, die großen Begründungs­ linien der Priesteramtstheologie zu skizzieren, welche gewissermaßen Ratzingers wichtigsten Beitrag zur Theologie des Priestertums und seiner Sicherung darstellen. Im gegenwärtigen Diskurs rund um das Priesteramt wird allerdings seit langer Zeit die überwiegende Aufmerksamkeit den kirchenpolitisch brisanten Fragen gewidmet. Nicht so bei Ratzinger. Seine Aufmerksamkeit geht tiefer, ihm geht es um die grundsätzliche Infragestellung des Priestertums und eine ebenso fundamentale Grundlegung des Amtes. Dennoch werden die Fragen der Zeit, welche unter den Theologen und in den interessierten Kreisen diskutiert werden, in seinen Arbeiten nicht ausgelassen, wenn auch nicht vorrangig besprochen. In diesem Kapitel sollen die eher kurz ausgefallenen Stellungnahmen Ratzingers zu diesen immer wieder diskutierten Fragen besprochen werden, die im Zusammenhang mit unserem Thema stehen und sehr oft gerade das sind, was vom Thema in der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommen wird. Man kann hier wohl eher von Diskussionsbeiträgen sprechen, denn Ratzinger begibt sich mit seinen Gedanken mehr in die Auseinandersetzungen des gegenwärtig andauernden Diskurses, als dass er selbst von sich aus etwas verfassen würde. Dieser Schritt soll den Blick auf Ratzingers Priesteramtstheologie abrunden.

6.1 Priestertum nur für Männer? Zu einer (nicht) beendeten Diskussion Bei der Analyse der klassischen Schultheologie haben wir gesehen, dass dort die Frage nach dem Empfänger der Weihe nicht als besonders brisant, geschweige denn unklar behandelt wurde. Es wurde einfach nur festgestellt, dass die Weihe nur ein getaufter Mann gültig empfängt. Unvergleichlich intensiver wurde über

6.1 Priestertum nur für Männer?

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Jahrhunderte diskutiert, ob es nicht Situationen geben könnte – und sogar gegeben hat –, in denen der Spender der Weihe jemand anderer als ein geweihter Bischof sein könnte.1 Freilich, die Situation war auch dadurch eine andere, dass damals auch die sogenannten niederen Weihen als zum Themenkomplex gehörig wahrgenommen wurden. Im 20. Jahrhundert kann man sagen, dass sich die Fragestellung verändert hat. Identifiziert man derzeit nirgendwo eine seriöse Diskussion über den Weihespender, ist die Frage des Weiheempfängers sehr virulent geworden. 2 Unter dem Begriff der „Zulassungsbedingungen zum Priestertum“ wird hier­ über eine lebhafte Auseinandersetzung geführt. Im Opus von Joseph Ratzinger findet man zwei große Stellungnahmen zu diesem Thema, in denen er sich für das nur Männern vorbehaltene Priestertum ausspricht und dies argumentativ zu begründen versucht. Wiederum fallen seine Gedanken grundsätzlich aus und versuchen, diese mit der Zeit unverständlich ge­ wordene Position des Lehramtes in einem größeren Kontext zu verorten. Beide Male ist der Anlass seiner Ausführungen eine Äußerung des Lehramtes. In seinem Text aus dem Jahr 1977 reagiert er auf das Dokument der Glaubenskongregation Inter insigniores, das ein Jahr zuvor mit der Autorität des Papstes veröffentlicht wurde. 3 Der zweite Text ist ein theologischer Kommentar des Präfekten der Glaubenskongregation zum Apostolischen Schreiben von Johannes Paul II. Ordinatio sacerdotalis. Ist der ältere Text eher Darstellung der eigenen Gedanken des Theologen, welche das Erscheinen des Dokuments Inter insigniores lediglich zum Anlass nimmt, ist der jüngere Text mehr ein Kommentar des Präfekten der Glaubenskongregation zum vom Papst erlassenen Apostolischen Schreiben Ordinatio sacerdotalis aus dem Jahr 1994 und so näher an seinen Anliegen und deren Erklärung als bei den

1 Vgl. oben S. 32 oder S. 47. 2 Die Diskussion mit den verschiedenen Stellungnahmen ist gut abgebildet in Gerhard Ludwig Müller , Der Empfänger des Weihesakramentes. Quellen zur Lehre und Praxis der Kirche, nur Männern das Weihesakrament zu spenden, Würzburg 1999. 3 Für den vollständigen Text der Erklärung Inter insigniores (Deutsch und Latein), für den Text von Ordinatio sacerdotalis sowie für verschiedene Kommentare zu dieser Materie siehe Gerhard Ludwig Müller , Von „Inter insigniores“ bis „Ordinatio sacerdotalis“. Dokumente und Studien der Glaubenskongregation, Würzburg 2006. Das Buch beinhaltet auch beide Stellungnahmen Ratzingers zum Thema.

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6. Brennende Fragen der Zeit

­ edanken des Theologen Joseph Ratzinger. Dennoch ist es ein G vollwertiger Ratzinger-Text. Im Text von 1977 erwähnt Ratzinger das wohl gewichtigste Argument in der Debatte, dass nämlich diese Frage von der ununterbrochenen Tradition über 2000 Jahre unmissverständlich und einheitlich beantwortet wurde, zuerst nur mit einem Nebensatz, dass es nämlich „Aussage der gesamtkirchlichen Tradition“ darstelle.4 Im Text von 1994 wird dieser Gehalt dann etwas näher erläutert. Ratzinger betont, dass die Kirche die Frage „in der Lebensgemeinschaft des Gottesvolkes aller Zeiten“ betrachte und der Papst mit seinem Schreiben keine neue Lehre verkünde, sondern nur öffentlich bekräftige, „was die ganze Kirche – Ost und West – im Glauben stets gewusst und gelebt hat“. 5 Auch erwähnt er „die ungebrochene Gemeinschaft mit den Kirchen des Ostens“ in dieser Frage.6 Gewiss, das objektive Faktum, dass die Priesterweihe nur Männern gespendet wurde, kann man nicht seriös infrage stellen: Nirgends in der Geschichte hat es im Osten oder Westen weibliche Priester und Bischöfe gegeben. Wohl auch deswegen wird zu diesem Thema nicht mehr gesagt. Die Sache mit den Diakoninnen wird unterschiedlich beurteilt und nach wie vor diskutiert. Über diese Detailfrage sagt Ratzinger in seinen Texten nichts.7 Im jüngeren Text widmet Ratzinger einen relativ großen Raum dem Thema der Autorität und der Verbindlichkeit des Textes und betont, dass der Papst „im Akt des authentischen ordentlichen Lehramtes“, den das Dokument unmissverständlich darstelle,

4 Vgl. Das Priestertum des Mannes – ein Verstoß gegen die Rechte der Frau?, 1977, in: JRGS 12, 129. 5 Grenzen kirchlicher Vollmacht, 1994, in: JRGS 12, 139 f. 6 Vgl. ebd., 153. 7 Die letzte Wortmeldung des emeritierten Papstes, sein Grußwort zum 50-jährigen Bestehen der Internationalen Theologischen Kommission, erwähnt kurz das Problem der weiblichen Diakone. Es ist allerdings lediglich eine Fußnote, die schwer interpretierbar ist. Er sagt: „Il documento [Der Diakonat: Entwicklung und Perspektiven, 2003], elaborato con grande cura, non giunse a un risultato univoco riguardo a un eventuale Diaconato alle donne. […] Così quest’ampio studio si concludeva con l’asserzione che la prospettiva puramente storica non consentiva di giungere ad alcuna certezza definitiva. In ultima analisi, la questione doveva essere decisa sul piano dottrinale.“ Es bleibt unklar, was die Formulierung „die Frage musste auf der doktrinalen Ebene entschieden werden“ bedeutet. Quelle: http://www.vatican.va/ roman_curia/congregations/cfaith/cti_documents/rc_cti_20191022_saluto-bxvi50ann-cti_it.html (2.12.2019).

6.1 Priestertum nur für Männer?

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„eine Gewissheit bekräftigt, die in der Kirche beständig gelebt und festgehalten wurde“ und die deswegen „endgültig und nicht revidierbar“ sei.8 Hiermit kehren wir auf eine andere Weise zu dem Punkt zurück, dass es sich hierbei um eine zweifellos bezeugte Lehre und vor allem eine immer eindeutig gelebte Praxis der Kirche handelt. Nur im Bewusstsein dieses Kontextes kann Ordinatio sacerdotalis richtig und in seinen Implikationen verstanden werden. Das Eigentliche der neuen lehramtlichen Äußerung „besteht also nicht in der Darlegung des Inhalts der vorgelegten Lehre“, denn der ist hinlänglich bekannt und bezeugt, sondern „betrifft nur die formelle und gnoseologische Struktur derselben in dem Sinn, dass mit der apostolischen Autorität des Papstes eine in der Kirche immer schon existierende, nun aber in Zweifel gezogene Gewissheit explizit formuliert wird“.9 Der Inhalt aber wurde immer in der lebendigen Überlieferung der Kirche vom ordentlichen und universalen Lehramt unmissverständlich klar vorgelegt. Da die Äußerung des Papstes nicht in feierlicher Form einer Definition erfolgt ist, wird ihr Endgültigkeitscharakter immer wieder infrage gestellt, worauf Ratzinger in seinem Kommentar antwortet: Wenn der Papst mit einer Definition ex cathedra hätte einschreiten müssen, „würde das implizit zu einer Minderung [des ordentlichen und universalen Lehramtes, das in dieser Frage immer eindeutig war] führen, und die Unfehlbarkeit würde ausschließlich Definitionen ex cathedra oder Definitionen eines Konzils vorbehalten sein“10, was mit Verweis auf das Erste und Zweite Vatikanum (LG 25) abgewiesen wird.11 Die aktuelle Lehre sei also „nicht erst unfehlbar vorgelegt […] seit der Veröffentlichung des Apostolischen Schreibens ‚Ordinatio sacerdotalis‘, sondern […] mit diesem Schreiben […] wird bekräftigt […], ‚quod semper, quod ubique, quod ab omnibus tenendum est, utpote ad fidei depositum pertinens‘“.12 Die Festlegung, welche in Ordinatio sacerdo-

8 Vgl. Grenzen kirchlicher Vollmacht, 1994, in: JRGS 12, 148. 9 Ebd. 10 Ebd., 150. 11 Mit Verweis auf LG 25 erklärt Ratzinger, dass das Lehramt eine Lehre in Glaubensund Sittenfragen als endgültig lehren kann: „entweder in einem endgültigen Akt (mit feierlicher Entscheidung) oder mit einem Akt, der nicht die Form einer Definition hat“ [wie es in diesem Fall geschehen ist]. Vgl. ebd., 149. 12 Ebd., 150.

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talis vorgenommen wird, ist somit nicht ein vom Papst gesetzter Unfehlbarkeitsakt, sondern seine Verbindlichkeit beruht auf der Kontinuität der Überlieferung. Diese Kontinuität des Ursprungs ist hier tatsächlich entscheidend. Ratzinger schärft die Wichtigkeit des Stiftungswillens Christi in dieser Frage als entscheidend ein. Die Gestalt der Zwölf ist maßgebend, da die Kirche sich in dieser Frage an die Einsetzung der Zwölf durch den Herrn gebunden wisse: „Dieser ihr vorangehende Wille, der Wille Christi, ist für sie in der Setzung der Zwölf ausgedrückt.“13 Darin sieht er den verbindlichen und unaufhebbaren Grund für die Lehre und Praxis der Kirche; er unterstreicht mit Nachdruck den normativen Charakter dieser Einsetzung auch und gerade gegenüber seiner Relativierung durch Hinweise auf andere Handlungen des Herrn im Evangelium,14 wenn er den Akt der Einsetzung der Zwölf einen „aus dem Zentrum von Jesu Sendungsbewusstsein motivierten Akt“ nennt15 und in ihm „den normativen Ursprung des Priestertums des Neuen Testaments“ erkennt.16 Dieser wurde in der Tradition stets als „verbindlicher Auftrag Christi verstanden und gelebt“, und das Lehramt mit seiner Äußerung stelle sich in den Dienst solcher Auslegung.17 Die Praxis des nur Männern vorbehaltenen Priestertums stehe demnach in einer bruchlosen und eindeutig bezeugten Tradition, die im zentralen Akt der Einsetzung der Zwölf ihren unaufhebbaren Ausgangspunkt findet. In diesen Gedanken erklingt erneut Ratzingers Überzeugung, dass das Amt in der Kirche der Bindung an den Ursprung zu dienen habe, und zwar nicht nur in seinem konkreten Dienst, sondern auch durch die eigene Existenz, die ebendiese Treue zum Ursprung, die nicht anders als in der Kontinuität der Geschichte in unsere Zeit hinübergetragen wurde, zum Ausdruck bringe. In seinem älteren Text geht Ratzinger der Fragestellung nach, ob die Tatsache, dass in der katholischen Kirche die Weihe nur ein

13 Ebd., 140. 14 Ratzinger erwähnt hier Überlegungen von Wolfgang Beinert, welche durch Aufzählung verschiedener Handlungen Jesu den normativen Charakter der Einsetzung der Zwölf zu relativieren scheinen. Vgl. ebd., 142. 15 Vgl. ebd. 16 Vgl. ebd., 147. 17 Vgl. ebd., 142.

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getaufter Mann empfangen kann, nicht ein Verstoß gegen die Grundrechte der Frau darstelle. Diese Behauptung wird in unserer Zeit öfter formuliert und darin ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gesehen. Wie geht Ratzinger mit diesem Vorwurf um? Zuallererst ist er bemüht, die Begriffe zu klären. Er sieht zwei Konzeptionen der Grundrechte vorliegend: Die erste, er nennt sie „die angelsächsische“, ist christlich geprägt und mit dem Gedanken der Schöpfung verbunden. Nach ihr bestehe das Wesen der Grundrechte darin, dass sie unabhängig vom gesellschaftlichen Konsens sind, weil sie sich aus der Tatsache der Schöpfung ergäben: „Nur die Schöpfung kann Ansprüche begründen, die jeder geschichtlichen Institution vorausliegen, […] Grundrechte sind Schöpfungsrechte.“ Eben daraus ergebe sich ihre „unbedingte Gleichheit“ und ihr „strikter Anspruchscharakter für alles, was Menschenantlitz trägt“.18 Die zweite Konzeption, die „Menschenrechte des neuen Typus“, tritt nach Ratzinger mit der Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution in Erscheinung. Sie fußt nach Ratzinger in der Überzeugung, dass der Mensch „vollständig über die Welt verfügt“ und ihm selbst „kein schöpferischer Wille vorausgeht“. Damit sei jedes Recht eine reine Setzung des Menschen und Aufgabe seiner Vernunft, wobei hier menschliche Rationalität der Autorität entgegentrete, „weil hier durch die Mehrheit fortwährend über alle entschieden“ werde.19 Diese zwei unterschiedlichen Menschenrechtskonzeptionen lassen sich für Ratzinger mit einem Satz zum Ausdruck bringen: Entweder folgt die Idee der Grundrechte aus dem Schöpfungsglauben oder „aus der Vorstellung von der Machbarkeit der Welt und ihrer Funktionalität“. 20 Obwohl er es nirgendwo expressis verbis sagt, hält er die zweite Konzeption für nicht genügend, um die Grundrechte wirklich zu begründen, da letztere auf diese Weise immer vom Spiel der Mehrheiten abhängig blieben und nie den Status der Unantastbarkeit erreichten, wobei genau diese beim Konzept der Grundrechte aber das Entscheidende sein müsste.

18 Das Priestertum des Mannes – ein Verstoß gegen die Rechte der Frau?, 1977, in: JRGS 12, 130. 19 Vgl. ebd. 20 Ebd.

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Entweder gehen Grundrechte jedem Konsens voraus und sind von diesem unabhängig, oder sie sind keine Grundrechte. Es kann nicht überraschen, dass Ratzinger das Priestertum nicht als „aus der Schöpfungsordnung als solcher unmittelbar“ folgend ansieht, so dass es „dem Menschen als Menschen unmittelbar zuteil werden“ müsste. 21 Deswegen könne der Ausschluss nicht in diesem Sinne gegen die Menschenrechte verstoßen. Er meint sogar, dass das Bemühen der Menschenrechte in Sachen Priestertum „ein Verflachen des Sinnes für das ‚Übernatürliche‘, für das Neue, Unableitbare und Besondere des Christlichen verrate“. 22 Ratzinger gibt andererseits zu, dass es beim Gleichheitsgrundsatz nicht darum gehe, das Priestertum als Schöpfungsordnung zu reklamieren, sondern um den Ausschluss von der Möglichkeit des Priesterwerdens um des Geschlechtes willen, und sagt: Wenn das Priestertum tatsächlich eine Berufschance, die die Kirche zu vergeben habe, wäre und sie diese Chance einem Teil ihrer Glieder nur aufgrund ihres Geschlechts verwehren würde, wäre es, da einer Chance ein Recht entspräche, ein klarer Fall von geschlecht­ licher Benachteiligung, ergo ungerechte Diskriminierung, die auch das Zweite Vatikanum ausdrücklich bekämpft. 23 Seiner Meinung nach aber verhält es sich mit dem Priestertum nicht so. Es sei keine Einrichtung der Kirche und keine von ihr zu vergebende Chance. Es gehöre auch nicht „zur institutionellen Manövriermasse der Kirche“, denn es sei ein Sakrament, das der Kirche „in einer eigentümlichen Entzogenheit und Vorgegebenheit“ entgegenstehe, es setze „ihrer Selbstverfügung [vielmehr] die Grenze, in der ihr grundlegender Auftrag die Treue zum Übergebenen sein“ müsse. 24 In seinem Kommentar von 1994 formuliert er sehr offen, dass das kirchliche Lehramt dadurch, dass es sich nicht die Vollmacht zuschreibt, Frauen die Priesterweihe zu spenden, sich „zum Primat des Gehorsams und zur Grenze kirchlicher Autorität“ bekenne. 25 In dieser Frage wird somit eine Grenze der kirchlichen Vollmacht gesehen: „Die Kirche erfindet nicht selbst, was sie tun soll, sondern sie findet im Hören auf den Herrn, was

21 Vgl. ebd., 131. 22 Ebd. 23 Vgl. ebd., 132. 24 Vgl. ebd., 132 f. 25 Vgl. Grenzen kirchlicher Vollmacht, 1994, in: JRGS 12, 140.

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sie tun und lassen muss.“26 Deswegen sei die normative Äußerung des Papstes in dieser Frage nicht eine Durchsetzung eigener Meinung, sondern ein Einstehen dafür, „dass die Kirche nicht tun kann, was sie will, und dass er, gerade er, es nicht kann“. 27 Es gehe um den Gehorsam dem Stiftungswillen gegenüber, von dem hier bereits des Öfteren die Rede war, um die Bindung an den Willen Christi, wobei der Papst „zum Garanten des Gehorsams“ werde. 28 Erneut wird sichtbar, dass Ratzinger die Kirche als Gebundene ansieht, die aber gerade so zum Instrument für den Herrn werden kann. Dasselbe gilt für das Amt. 29 Hier ist Ratzingers oben ausführlich besprochener Sakramentsbegriff erkennbar, der nicht eine Bemächtigung, sondern eine Entmächtigung bedeutet, aber gerade so – im Gehorsam dem Vorgegebenen gegenüber – das möglich macht, was keine menschliche Macht bewirken kann: die Sicherheit des heilbringenden Handelns Gottes. 30 Folgerichtig ist für ihn das Priestertum keine von der Kirche zu vergebende Chance, sondern Ausdruck dafür, dass die Kirche „gar nicht beliebig über sich selbst verfügt“, und eine Berufung, „auf die schlechthin niemand einen Rechtsanspruch hat“. 31 An einer anderen Stelle führt er aus, dass es „kein Recht auf das Priestertum“ gebe, denn man könne es sich nicht aussuchen, wie man sich einen Job aussuche, „man kann nur ausgesucht werden […] – von Ihm“, und er rufe diejenigen, die er will. 32 Neben den Menschenrechten, für welche die Kirche unbedingt einstehen müsse, gebe es also auch „ein Recht des Herrn – auf die, die Er will“. 33 In der andauernden Diskussion über diese Frage wird immer wieder gerade das Argument der Berufung bemüht, dass nämlich gewisse Frauen von sich behaupten, sich zum Priestertum berufen zu fühlen. Ratzinger 26 Ebd., 144. 27 Ebd., 145. 28 Vgl. ebd., 144. 29 Vgl. Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 79. 30 Gerhard Ludwig Müller hält in seiner Studie über den Empfänger des Weihesakramentes die „Sakramentalität der Kirche“ gar für die „Grundlage geschichtlicher Lehrentscheidungen“. Vgl. Gerhard Ludwig Müller , Priestertum und Diakonat. Der Empfänger des Weihesakramentes in schöpfungstheologischer und christologischer Perspektive, Freiburg i. Br. 22003, 68 f. 31 Das Priestertum des Mannes – ein Verstoß gegen die Rechte der Frau?, 1977, in: JRGS 12, 133. 32 Vgl. Am Anfang steht das Hinhören, 1986, in: JRGS 12, 507. 33 Vgl. ebd., 508.

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geht darauf nicht näher ein, man kann aber in Anbetracht seiner Gedanken zur Kirchlichkeit des Priestertums sagen, dass für ihn zur wirklichen Berufung mehr als die subjektive Überzeugung des eigenen Berufenseins gehört, nämlich die Anerkennung dieses Rufes als wirklichen Herrenruf durch die Kirche. Diese jedoch sieht sich an die ununterbrochene Praxis ihrer Tradition, in der ihr eigener Ursprung gegenwärtig bleibt, gebunden und spricht in diesem Fall eben diese Anerkennung nicht aus. Wirklich spannend werden Ratzingers Gedanken, wenn er sich mit der Frage auseinandersetzt, ob trotz allem hier Gesagten die Kirche dennoch nicht über einen erheblichen Spielraum der Gestaltung beim Priestertum verfüge. Tatsächlich wird die ausschließliche Männlichkeit des Priestertums oft als eine Konzession an die Zeit von damals betrachtet und die Frage gestellt, ob sie zur „unverlierbaren Substanz“ des Priestertums gehöre. Ratzinger macht in seiner Antwort in Texten, die diese Frage betreffen, nicht die bei anderen Gelegenheiten geäußerte Anmerkung, dass in der antiken Welt – mit Ausnahme des Judentums – alle Religionen auch weibliche Priester kannten, 34 dass also die Tatsache des nur männlichen Priestertums in der Kirche nicht eine schlichte Konzession an die damalige Zeit sein könne. Auch gegenüber der jüdischen Praxis seiner Zeit gibt Jesus der Frau eine Stellung, die eine Neuheit darstellt. 35 Die Tradition des nur Männern vorbehaltenen Priestertums entstand demzufolge „nicht aus der Umwelt heraus, sondern aus dem Inneren des Christentums“. 36 Nun aber zurück zur Frage des Spielraums der Kirche in puncto Priestertum. Ratzinger spricht da tatsächlich von Kontingenz, die „zur Bauart des christlichen Glaubens überhaupt“ gehöre, der „nun einmal auf einer Heilsgeschichte und damit auf Zufälligem“ gründe. 37 Es gehe darum, so Ratzinger, dass niemand einen Beweis

34 Vgl. z. B. Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 397. 35 Vgl. Zur Lage des Glaubens, 1985, in: JRGS 13/1, 107. 36 Salz der Erde, 1996, in: JRGS 13/1, 397. 37 Vgl. Das Priestertum des Mannes – ein Verstoß gegen die Rechte der Frau?, 1977, in: JRGS 12, 133. Müller meint, dass man „in allen Fragen der kirchlichen Lehre, der Liturgie, der Sendung und des Aufbaus der Kirche die Dimension der geschichtlichen Entfaltung und Konkretisierung wahrnehmen“ könne, was aber nicht „zwangsläufig zu einem Relativismus führen“ müsse, der sich „nur aus der (systematischen) Entgegensetzung von übergeschichtlichen Wesenswahrheiten und zufälligen Geschichtsfakten“ ergebe. Vgl. Müller , Priestertum und Diakonat, 69 f.

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führen könne, der „sozusagen mit zwingender metaphysischer Notwendigkeit“ bewiese, dass es „um das Sakrament so und nur gerade so und nicht anders stehe“. 38 Am Beispiel der eucharistischen Materie und unter Berufung auf Ausführungen von Jean-Jacques von Allmen erklärt er, was hiermit gemeint ist: Wir sind an Brot und Wein bei der Eucharistie nicht deswegen gebunden, weil es anders nicht möglich gewesen wäre, dass also Christus nicht auch andere Elemente hätte auswählen können, sondern da der ewige Logos als Jude Mensch geworden ist – das ist nun das Faktum der Heilsgeschichte –, ist auch seine Entscheidung für die „typischen Speisen des Mittelmeerraumes“ für uns für immer bindend. 39 Das Faktum des nur männlichen Priestertums ist demzufolge ein geschichtliches, wohl kontingentes Faktum, das aber gerade so der Grundlogik des Christlichen entspricht und uns für immer bindet. „Die Bindung an gerade diese Geschichte, die Bindung an Gottes konkreten Heilswillen, wie er in der Geschichte Gestalt ­annahm, gehört grundlegend zum Wesen des Sakraments.“40 Es stimmt also, dass die Kirche gestaltet, aber „sie gestaltet das Vorgegebene“, und gerade das Sakrament ist „Ausdruck der geschichtlichen Treue der Kirche zu ihrer Herkunft“.41 Die Betonung des Sakramentes und somit der Tatsache, dass die Materie der kirchlichen Verfügung entzogen sei, überrascht in diesem Zusammenhang nicht. Die starke Betonung der Kontingenz des geschichtlichen Faktums der nur Männern vorbehaltenen Weihe und ihre Einfügung in die Inkarnationslogik der Heilsgeschichte sind hier jedoch einmalig, und auch in dem neueren Text kommen sie so nicht mehr wieder. Das Kontingenzargument scheint einerseits die Begründungen naturrechtlicher Art für das nur Männern vorbehaltene Priestertum zu relativieren. Wenn das Thema andererseits im Licht der konkreten Tatsache der geschichtlich geschehenen Inkarnation betrachtet wird, dass nämlich der ewige Logos in Jesus von Nazareth, ergo einem Mann, Mensch wurde, wird die Plausibilität der Festlegungen der Kirche durch das Kontingenz­ argument nicht geschmälert, sondern eher bekräftigt.

38 Vgl. Das Priestertum des Mannes – ein Verstoß gegen die Rechte der Frau?, 1977, in: JRGS 12, 133. 39 Vgl. ebd., 134. 40 Ebd. 41 Vgl. ebd., 134 f.

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Schon bei der christologischen Grundlegung des Priestertums und besonders beim Thema seiner Sakramentalität wurden inhaltliche Grundlinien dieser Gehalte gezogen: Priester sein sei ­Hineinnahme in den Dienst, die eine Selbstenteignung bedeute. Der Priester gehöre nicht mehr sich selbst, weil er ganz Gott gehöre und hinter den eigenen Auftrag zurücktrete. Seine Verkün­ digung habe nicht eigene Weisheit zu verkünden und eigene Inte­ ressen zu vertreten, sondern „ganz vor dem zurückzutreten, der sendet“, und „nicht sich selbst zu verkündigen, sondern ohne Veruntreuung des übergebenen Wortes den Weg und den Blick freizugeben für den anderen“.42 Seine Aufgabe in der Gemeinschaft der Kirche besteht für Ratzinger dementsprechend darin, „Garant des Gehorsams gegenüber dem nicht zu manipulierenden Wort Gottes“ zu sein.43 Das heißt, dass dort, wo dem Priester im Konkreten des kirchlichen Lebens Entscheidungsbefugnisse eingeräumt würden, es nicht darum gehe, dass er die Entscheidungsmacht darstelle, sondern vielmehr darum, „den Punkt zu markieren, an dem Mehrheitswille endet und Gehorsam beginnt – Gehorsam gegenüber der Wahrheit, die nicht Produkt von Abstimmungen sein kann“.44 Das gilt allerdings für alle Macht in der Kirche – einschließlich der Macht der Bischöfe und des Papstes. Zugleich wird somit ziemlich scharf die enge Grenze angezeigt, wo die hierarchische Macht in der Kirche ihren Geltungsanspruch stellen kann und wo die Legitimität der kirchlichen Machtansprüche schwindet. So lehnt Ratzinger die Interpretation des Priesteramtes als „decision-making-power“ ab und gesteht, dass, wenn das sein Inhalt wäre, der Ausschluss von Frauen aus dem Entscheidungsprozess tatsächlich eine Diskriminierung wäre: „Wer das Neue Testament aufmerksam liest, wird nirgendwo den Priester als ‚decision-maker‘ beschrieben finden.“45 Das Priestertum, das mehr ist als Funktion, finde seinen Maßstab von Christus, dem Gekreuzigten, her, „als Enteignung der eigenen Macht in den Gehorsam Jesu hinein“.46 Außerdem gilt für Ratzinger: Alles in der Kirche diene der Ordnung der Heiligkeit, alles andere sei „nur dienende Stütze,

42 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 362. 43 Vgl. Grenzen kirchlicher Vollmacht, 1994, in: JRGS 12, 151. 44 Ebd. 45 Ebd. 46 Ebd., 152.

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­ amit Heiligkeit sei“, die das gemeinsame Ziel aller Menschen sei d und vor Gott letztlich allein zähle.47 Gerade im Hinblick auf die Mutter Gottes, die nicht am Priesterauftrag der Apostel teilgenommen habe und dennoch die entscheidende Gestalt der Heilsgeschichte sei, werde sichtbar, dass das alles „keine Minderwertigkeit der Frau“ bedeute und man sich „jedem neuen Manichäismus entgegenstellen“ müsse, der den Leib ins Belanglose herunterdrücke.48 Eine Gewissenserforschung der Kirche in dieser Frage sei unumgänglich,49 da das Priestertum oft eben in der falschen und diskriminierenden Perspektive der Entscheidungsmacht gelebt wird. Dies stellt für Ratzinger eine völlige Verzerrung dessen dar, was das Priestertum des Neuen Testaments von Christus her ist. Wie bereits angedeutet, sieht Ratzinger in der Auseinandersetzung um die Frage des nur Männern vorbehaltenen Priestertums neben allen Unvollkommenheiten innerhalb der Kirche auch einen Streit zwischen der oben skizzierten funktionalistischen Rechtsauffassung und dem sakramentalen Verständnis der Kirche, 50 und er gibt zu, dass „in einer ganz vom Funktionalen geprägten Welt […] es schwierig geworden [ist], andere Gesichtspunkte als die der Funktionalität überhaupt noch wahrzunehmen“, und „das eigentliche Wesen des Sakraments, das nicht auf Funktionalität zurückzuführen ist, […] kaum noch in den Blick kommen [kann]“. 51 Ratzinger mahnt hier zur Vorsicht, denn dort, wo die Bindung an den Willen des Stifters vergessen werde, „wird Funktionalität leicht zur Manipulierbarkeit“, die sich am Ende gegen den Menschen selbst wende. 52 Auch deswegen ist es wohl wichtig, dass die Kirche ihre Mühe um das sakramentale Verständnis des Priestertums nicht zugunsten einer von Funktionalität geprägten und somit heute leichter nachvollziehbaren Auffassung aufgibt. Ratzinger deutet neben der Bindung an die konkrete Heilsgeschichte und den Stifterwillen Jesu, von denen bereits ausführlich die Rede war, noch eine zweite Spur der Begründung des nur

47 Vgl. ebd. 48 Vgl. ebd. 49 Vgl. ebd. 50 Vgl. Das Priestertum des Mannes – ein Verstoß gegen die Rechte der Frau?, 1977, in: JRGS 12, 133. 51 Grenzen kirchlicher Vollmacht, 1994, in: JRGS 12, 140. 52 Vgl. ebd., 143.

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Männern vorbehaltenen Priestertums an, die er „symbolische Repräsentation“ und „Vergegenwärtigung verborgener Wirklichkeit in Symbolen“ nennt, 53 welche für das Sakrament grundlegend sei. Er sagt, dass das Sakrament „vorgegebene Symbolstrukturen der Schöpfung“ kenne, welche „eine unumkehrbare Aussage in sich enthalten“. 54 Die symbolische Stellung von Mann und Frau gehöre da hinein, da sie „beide Menschen gleichen Rechts und gleicher Würde, aber mit je einer anderen Aussage“ seien. 55 Leider führt er diese Gedanken nicht weiter aus, und man erfährt nicht, ob damit die Tatsache gemeint ist, dass nur ein Mann den als Mann Jesus von Nazareth Mensch gewordenen Logos repräsentieren könne, oder ob damit das Gegenüber des Priesters, der den Bräutigam symbolisch repräsentieren soll, und der Kirche, welche die Braut Christi ist, gedacht ist oder ob es um andere Gesichtspunkte gehe. Vielmehr sind seine Ausführungen eine ziemlich harsche Abrechnung mit dem, was er „Funktionalismus“, „totale Machbarkeit“ oder „technokratische[n] Totalitätsanspruch“ nennt und wovon hier unter dem Begriff der funktionalistischen Rechtsauffassung, die aus der Gedankenwelt der Französischen Revolution erwächst, bereits die Rede war. Ratzinger versucht aufzuzeigen, dass es bei dieser „fragwürdigen Egalisierung“ nicht um wirkliche Gleichheit von Mann und Frau gehe, sondern dass es am Ende eine Durchsetzung des Männlichen sei und die Frau so das Besondere des Frauseins verliere. Er spricht sogar von „manichäischer Hybris“, die sich auf Kosten der Frau durchsetze und in Wirklichkeit die Alleinherrschaft der männlichen Form des Geistes installiere. Das Geschlechtliche werde ins bloß Biologische abgedrängt und alles Mann- und Frausein grundsätzlich nur zum Material, das der Mensch zum Funktionieren bringt. Wenn er auch sieht, dass es eine „wirkliche Benachteiligung“ und einen „wirklichen Kampf um Chancengleichheit“ gebe, erkennt er das Bedrohliche eher daran, „dass das Berechtigte so leicht zum Vehikel für das Zerstörerisch-Unwahre“ dienen könne. 56 Diese seine Ausführungen enthalten unter Berücksichtigung ihrer Entste-

53 Vgl. Das Priestertum des Mannes – ein Verstoß gegen die Rechte der Frau?, 1977, in: JRGS 12, 135. 54 Ebd. 55 Vgl. ebd., 136. 56 Vgl. ebd., 135–137.

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hungszeit aus heutiger Sicht viel prophetische Intuition. Ob sie allerdings in Bezug auf die Begründung des Frauenausschlusses vom Priesteramt nachdrücklich überzeugen, muss hier als Frage offengelassen werden. Ähnliches lässt sich über dieses Thema allgemein feststellen, denn wenn auch die Verbindlichkeit und die formelle Seite der lehramtlichen Festlegung, wie wir ausgeführt haben, geklärt zu sein scheinen, ist dadurch die breite, sozusagen vom Volk nachvollziehbare Plausibilität noch nicht gegeben. Vielmehr zeigt sich in unserer Zeit, dass diese seit der letzten lehramtlichen Äußerung eher abgenommen hat. Somit ist die Klärung der Frage im Bereich der Rezeption noch nicht abgeschlossen. Ratzinger spricht von der „zweiten Ebene anthropologischer Begründungen“57, was wir als zu diesem Problemfeld zugehörig ansehen können. Wenn der Stiftungswille des Priestertums eindeutig der Wille Christi sei, sei er „nicht positivistischer oder willkürlicher Akt“, sondern ein „Logos-Wille“, ein „sinnvoller Wille“. 58 Der Papst, so Ratzinger, überlasse es der Theologie, deren Aufgabe es sei, „die anthropologischen Implikationen dieses Entscheids zu erarbeiten“, diese zweite Ebene zu bepflanzen: „Aufgabe des Denkens im Glauben ist es, das Sinnvolle dieses Willens zu suchen, damit er sinngemäß und mit innerer Zustimmung weitergegeben und gelebt“ und „im Kontext des heutigen Streits um den Menschen zur Geltung gebracht werden kann“. 59 Man muss feststellen, dass diese Aufgabe weitgehend unerledigt geblieben ist und auch heute noch nicht wirklich wahrgenommen wird, wie auch, dass die Plausibilität des nur Männern vorbehaltenen Priestertums durch neuere Entwicklungen und Diskurse noch fraglicher geworden ist. Wenn es aber stimmt – und das ist die Überzeugung der Kirche und das Zeugnis der beständigen Tradition –, dass die Tatsache des nur Männern vorbehaltenen Priestertums dem Willen Christi, des Stifters des neutestament­ lichen Priestertums, entspricht und dieser der Logos ist, dann ist diese Aufgabe nach wie vor aktuell. Ähnliches lässt sich auch hinsichtlich der Implikationen dieser Frage für den Bereich der Menschenrechte sagen. Die Hauptbe57 Vgl. Grenzen kirchlicher Vollmacht, 1994, in: JRGS 12, 143. 58 Ebd. 59 Ebd.

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gründungslinien, was Grundrecht ist und was nicht, was das Priestertum ist und was nicht, wie Ratzinger sie anbietet, sind wohl theologisch nachvollziehbar, wenn auch in der Breite unbekannt und nicht wirklich rezipiert. Wir haben gesehen: Das Priestertum ist laut Ratzinger weder Karrierechance noch eine Machtstellung. Vielmehr fußt es in der Selbstenteignung des in den Dienst Gestellten, der im Sakrament die Treue zum Ursprung gewährleisten und die Bindung an die konkrete Gestalt der Heilsgeschichte präsent halten soll. Ratzinger weiß freilich um das große Problem, dass diese Inhalte durch konkrete Erfahrungen viel zu oft entstellt werden. Denn die konkret erfahrbare Gestalt des Priestertums in der Realität der Kirche ist nicht frei von Falsch­ interpretationen, Privilegierungen und Machtansprüchen der Würdenträger, welche die Einsichtigkeit der Begründung des nur männlichen Priestertums mehr als verdunkeln. Deswegen vergisst Ratzinger nicht, darauf hinzuweisen, dass das Priestertum „in seiner empirischen Gestalt seiner theologischen Idee entsprechen“ und das bedeutet „immer wieder von dem Anstrich der Privilegierung gereinigt werden“ müsse.60 Die Aufgaben in diesem Themenbereich bleiben somit weitgehend unerledigt.

6.2 Priester und Zölibat Das Thema des priesterlichen Zölibats ist und bleibt virulent, und das nicht erst heute, sondern eigentlich seit Jahrhunderten, wurde diese Frage doch schon in der Zeit der Reformation als brennend betrachtet und mit viel Aufmerksamkeit bedacht. Für Ratzinger ist es freilich kein zentrales Thema. In seinen Texten kommt es höchstens am Rande vor. Dennoch ist es interessant, seine Äußerungen zum Thema zusammenzutragen. Zuerst ist hier ein sehr bekannter und viel zitierter Text von ­Joseph Ratzinger aus dem Jahr 1970 zu erwähnen: „[Die Kirche von morgen] wird auch gewiss neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen: In vielen kleineren Gemeinden bzw. in zusammen­

60 Vgl. Das Priestertum des Mannes – ein Verstoß gegen die Rechte der Frau?, 1977, in: JRGS 12, 135.

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gehörigen sozialen Gruppen wird die normale Seelsorge auf diese Weise erfüllt werden. Daneben wird der hauptamtliche Priester wie bisher unentbehrlich sein.“61

Der Text wird meist als Beweis dafür zitiert, dass Ratzinger einst selbst von der Möglichkeit der viri probati, der verheirateten bewährten Männer, gesprochen hat und dass er in diesem Punkt klar seine Meinung zugunsten des Pflichtzölibats geändert hat. Das könnte eine legitime Interpretation dieser Zeilen sein, wenn auch nicht die einzige. Tatsächlich spricht er von „bewährte[n] Christen, die im Beruf stehen“, ohne allerdings dabei den Begriff viri probati zu gebrauchen. Auch sagt dieser Text ausdrücklich nichts darüber, ob diese im Beruf stehenden Männer verheiratet sind oder sein werden, wenn er auch diese Möglichkeit ausdrücklich nicht negiert. Es bleibt auch völlig unklar, was genau mit den „neue[n] Formen des Amtes“ gemeint ist. Daneben findet sich der Satz, dass der „hauptamtliche Priester“, also der Priester, für den der priesterliche Dienst Berufung und Beruf zugleich ist, „unentbehrlich“ sein werde. Wiederum kann man nur rätseln, ob dieser hauptamtliche Priester verheiratet wird sein dürfen oder nicht. Man kann also feststellen, dass sich aus diesen relativ kurzen Sätzen eine klare Stellungnahme nicht ableiten lässt. Wichtig ist freilich, das Ganze des genannten Textes zu bedenken. Es geht um die Zukunft der Kirche. Ratzinger legt seine Gedanken darüber vor, wie eine richtige Erneuerung und die daraus folgende Zukunft der Kirche aussehen könnte, und blickt auf ­geschichtliche Parallelen mit der damaligen Zeit zurück. Größte Ähnlichkeiten erkennt er in der Zeit des Modernismus um die Wende zum 20. Jahrhundert und in der Zeit am Ende des Rokoko, einer Zeit des definitiven Aufbruchs der Neuzeit mit Aufklärung und Französischer Revolution also: „Wer genauer zusieht, wird erstaunt sein über das Maß der Ähnlichkeit zwischen damals und heute.“62 Danach stellt er anhand von konkreten Persönlichkeiten verschiedene ‚Strategien‘ des Umgangs mit den Spannungen und Krisen der Zeit vor. Gerade in Bezug auf das Priesteramt benennt er einige Vorstellungen der progressiven, mit der Zeit gehen wol-

61 Wie wird die Kirche im Jahre 2000 aussehen? (ursprünglich Glaube und Zukunft), 1970, in: JRGS 8/2, 1167. 62 Ebd., 1160 f.

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lenden Strategie, wie der Priester in der neuen, anbrechenden Zeit zu sein hat. Da wird das Bild des Priesters als Volkslehrer für Ackerbau, Viehzucht u. Ä. oder als Sozialhelfer, der „dem Aufbau einer vernünftigen, von Irrationalismen gereinigten Gesellschaft“ diene, angeführt.63 Das aus Ratzingers Sicht wirklich fruchtbare Priesterbild erkennt er in der Gestalt des Regensburger Bischofs Johann Michael Sailer. Diesen hält er für einen wahren Erneuerer, dessen Werk die Zeit überdauerte und der nicht einfach ein „Konservierer“ war, sondern sich „offen allen Fragen seiner Zeit stellte“ und andererseits „die große theologische und mystische Tradition des Mittelalters kannte“ und von ihr ausging.64 Mit diesen beiden Polen ist wohl Ratzingers Vorstellung von der Priestergestalt für morgen beschrieben, wie sie uns in diesem Text entgegentritt: ganz nahe am Heute und seinen Herausforderungen und zugleich tief verwurzelt in der Weisheit und Erfahrung der Tradition, die aus der Offenbarung erwächst. Dann spricht er davon, dass die Kirche, die aus der damaligen Krise hervorging – und ähnlich auch aus der gegenwärtigen Krise hervorgehen wird –, eine Kirche war, „die kleiner geworden war, die an gesellschaftlichem Glanz verloren hatte“, aber zugleich „aus einer neuen Kraft der Innerlichkeit“ in den darauffolgenden Laienbewegungen und zahlreichen neuen Ordensgründungen „fruchtbar wurde“.65 Darin sieht Ratzinger eben auch den Weg für unser Morgen: „Die Zukunft der Kirche kann und wird auch heute nur aus der Kraft derer kommen, die tiefe Wurzeln haben und aus der reinen Fülle ihres Glaubens leben, […] nicht von denen, die nur Rezepte machen, […] die sich nur dem jeweiligen Augenblick anpassen, […] die nur andere kritisieren, […] die nur den bequemeren Weg wählen.“66

In diesem Bild der Kirche hat für ihn dann auch der Priester Platz, „der kein Spezialist ist, der nicht sich selber aus dem Spiele hält, während er amtliche Beratungen gewährt, sondern von Gott her sich den Menschen zur Verfügung gibt“.67 Auch bricht er eine 63 Als klassischen Modernisten, der diese Vorstellungen vertritt, nennt Ratzinger Matthias Fingerlos. Vgl. ebd., 1163. 64 Vgl. ebd., 1164. 65 Vgl. ebd., 1165. 66 Ebd., 1165 f. 67 Ebd., 1167.

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Lanze für die Selbstlosigkeit, „die den Menschen frei macht“ und die „nur in der Geduld der täglich kleinen Verzichte auf sich selbst“ erreicht werden könne.68 Wenn er dann wenige Zeilen danach davon spricht, dass diese Kirche der Zukunft „neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen“ werde, fällt es schwer zu glauben, dass er hierfür den Maßstab der Selbstlosigkeit und des Verzichts auf sich selbst vergäße und dass er sich den Priester von morgen einfach als den vorstelle, dessen Leben mehr (insbesondere in dem immer als Provokation empfundenen Bereich der Ehelosigkeit) dem üblichen Lebensstil seiner Umgebung ähnle. Man kann also sagen, dass Ratzinger den Weg der Erneuerung und somit der Zukunft der Kirche – auch für den Priester in ihr – nicht in einem ‚Weniger‘ an Spannung mit der Welt von heute sieht, sondern in einem ‚Mehr‘ an Spannung, die dadurch entsteht, dass der Priester eben ganz beim Heute und seinen Problemen und zugleich ganz in Selbstlosigkeit, Tradition und existentieller Bindung an Gott ist. Eine solche Spannung macht authentisch und fruchtbar. Ob Ratzinger dabei an eine mögliche Relativierung der Zölibatspflicht gedacht hat, kann aus heutiger Sicht mit letzter Sicherheit schwer entschieden werden. Wenn man also das Ganze dieses Textes in Rechnung stellt, kann seiner in diesem Text für die Zukunft der Kirche vorgestellten Vision vielleicht das Modell der geheim geweihten und wirkenden Priester in der Untergrundkirche in manchen Ländern während der kommunistischen Unterdrückung, z. B. in der Slowakei, entsprechen. Es waren unverheiratete Männer,69 die einen 68 Vgl. ebd., 1166. 69 Es ist hinlänglich bekannt, dass es in der sogenannten Untergrundkirche (manchmal auch Geheimkirche genannt) auch verheiratete Geheimpriester gab. Dazu muss gesagt werden, dass dieses Phänomen nur in einigen Gruppen der Geheimkirche aufgetreten ist, vor allem bei denen, die durch die umstrittene Persönlichkeit von Geheimbischof Felix Maria Davidek beeinflusst waren. Davidek selbst war durch List zur Bischofsweihe gekommen, und wesentliche Teile der Geheimkirche in der Tschechoslowakei wie auch Rom haben sein Wirken als höchst problematisch angesehen. Der Großteil der Geheimkirche, die z. B. in der Slowakei von Bischof Ján Chryzostom Korec geleitet wurde, hielt sich sehr genau an die Vorgaben der Kirche in dieser Frage. Der spätere Kardinal Korec hat in seinem Buch Dni a noci po barbarskej noci dieses Problem ausführlich kommentiert. Auch persönlich hat er gegenüber dem Autor dieses Bandes öfter erklärt, dass ihnen die Einheit mit der Weltkirche in dieser Sache sehr wichtig war und eine Weihe von verheirateten Priestern

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­zivilen Beruf ausübten und neben diesem im Geheimen als Priester, z. B. in der Jugend- und Studentenpastoral, tätig waren. Sie waren keine ‚Profis‘, die ihre Tätigkeit ausübten, sondern haben vielmehr ihre ganze Existenz in den priesterlichen Dienst hineingelegt, ohne dabei irgendwelche Vorteile eines sicheren Berufs zu haben. Mit ihrer im Geheimen vollzogenen Tätigkeit haben sie eher alles riskiert. Es gibt einen weiteren Text, der zwar nicht so bekannt ist wie der soeben besprochene, der dafür aber umso klarer die Überprüfung des Zölibatsgesetzes fordert. Es ist ein ursprünglich vertrauliches Memorandum von neun Theologen, die der Kommission für Fragen der Glaubens- und Sittenlehre der Deutschen Bischofskonferenz angehörten, vom 9. Februar 1970, welches an die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz ergangen ist.70 Unter den Unterzeichnern findet man auch den Namen des damaligen Professors in Regensburg Joseph Ratzinger. Im Text wird sehr offen für eine qualitative Diskussion über die bisherige Praxis der Zölibatsverpflichtung in der lateinischen Kirche plädiert. Die Professoren sehen eine „Notwendigkeit einer eindringlichen Überprüfung und differenzierten Betrachtung des Zölibatsgesetzes der lateinischen Kirche“ und argumentieren, dass eine solche Überprüfung möglich sei (II.). Die Theologen erinnern die Bischöfe daran, dass sie im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils „keine Beamte des Papstes oder lediglich Exekutoren des päpstlichen Willens“, sondern „als Kollegium (mit dem Nachfolger Petri) selbst Träger höchster Entscheidungsgewalt in der Kirche“ seien. Deswegen könne sie auch eine mögliche päpstliche Erklärung in der Sache „nicht aus ihrer eigenen Verantwortung entlassen, diese Frage auch selbst und eigens neu zu überdenken“ (II.). Sie erinnern daran, dass eine Diskussion dieser Frage bereits im Gange sei; wenn sie aber nicht „auf hoher und höchster Ebene fortgeführt“ werde, dann sei zu erwarten, „dass sie Formen annimmt, welche die Bischöfe vor äußerst schwierige Situationen stellen“ (II.). Die bisherige Diskussion scheint ihnen ungenügend

oder sogar Frauen, wie es Davidek gemacht hat, nie infrage käme. Seine Person war auch in den eigenen Kreisen umstritten. Vgl. zu dieser Frage Ján Chryzostom Korec, Dni a noci po barbarskej noci, Bratislava 2006, vor allem 136–154. 70 Der vollständige Text des Memorandums ist unter http://www.kath.net/ news/29945 (6.11.2018) zu finden.

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zu sein und „zu sehr auf das Gesetz konzentriert“. Sogar die Enzyklika Sacerdotalis coelibatus von Papst Paul VI. sage „über vieles nichts […], worüber hätte gesprochen werden müssen“, und bleibe nach ihrer Meinung „in manchem sogar hinter der Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils [zurück]“. Auf jeden Fall aber sei sie „höchst ineffizient geblieben“ und habe bei jungen Priestern eher den Eindruck erweckt, „hier werde etwas verteidigt, was dann doch fallen werde“ (III.). Auch der in dieser Zeit bereits wahrgenommene Priestermangel wird thematisiert: „Wenn ohne Modifizierung der Zölibatsgesetzgebung ein genügend großer Priesternachwuchs nicht zu gewinnen ist […], dann hat die Kirche einfach die Pflicht, eine gewisse Modifizierung vorzunehmen“ (III.). Den Höhepunkt der Forderung erreicht der Text wohl in der Aussage, dass „die bisherige Zölibatsgesetzgebung […] jedenfalls nicht zum absoluten Fixpunkt der Überlegungen gemacht werden [kann], nach dem sich alle anderen kirchlichen und pastoralen Erwägungen ausschließlich zu richten hätten“ (III.). Die Professoren ermahnen, das Problem „von der Realisierbarkeit des ehelosen Lebens des heutigen jungen Priesters her zu bedenken“, und stellen ebendiese infrage, angesichts der „zunehmende[n] Vereinsamung“ und des „Verlust[es] echter ‚Anerkennung‘ bei vielen Priestern inmitten vieler Gemeinden“, der „Unsicherheit des Priesterbildes“, der „Entscheidungsschwäche“ und der „psychische[n] Labilität vieler junger Menschen, in der heutigen sexuell überreizten Gesellschaft ein ‚gesundes‘ eheloses Leben führen zu können“ usw. (IV.). Das ist die eine Seite des Textes, die in Ton und Inhalt wohl auffälligere, welche offen für eine Überprüfung der Zölibatsverpflichtung eintritt. Dennoch beinhaltet derselbe Text Stellen, welche diesen Eindruck stark relativieren. Die Professoren schreiben gleich am Anfang, dass sie ihre „dringliche Forderung nach einer Überprüfung“ des Zölibatsgesetzes nicht einfach als Kampf gegen den Zölibat verstanden wissen wollen: „Die Unterzeichner bitten die deutschen Bischöfe, die hier unternommenen Überlegungen in keiner Weise als eine Bekämpfung des Zölibats selber misszuverstehen“, und: „Diese Petition ist keine Forderung von Gegnern des priesterlichen Zölibats“ und „präjudiziert in keiner Weise eine Entscheidung darüber, was als Ergebnis [einer solchen Überprüfung] resultieren soll oder faktisch herauskommt“ (I.). Sie alle seien ­davon überzeugt, „dass eine solche Überprüfung auf hoher und

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höchster kirchlicher Ebene angebracht, ja notwendig“ sei, und „nur dazu soll im Folgenden etwas gesagt werden, nicht aber schon zum konkreten Inhalt einer solchen ‚Diskussion‘ selbst“. Es wird sogar festgestellt, dass „die Unterzeichneten sich bis jetzt auch gar nicht zu einer gemeinsamen Ansicht darüber verständigt [haben], was sie über die Sachfrage selbst im einzelnen meinen“ (I.). Man sieht, dass im Text selber eine gewisse Ambivalenz71 vorhanden ist und dass die Unterzeichner nicht einfach das Zölibatsgesetz bekämpfen wollen, sondern seine Überprüfung für fällig und wichtig halten und Gründe dafür anführen, warum diese in einer großen Offenheit geschehen soll. Das mag auch eine Konzession an diejenigen unter den Unterzeichnern sein, die sich alle wohl nicht in der Forderung, der Zölibat müsse freigestellt werden, einig waren, sehr wohl aber in der Forderung nach einer ­seriösen und überzeugenden Überprüfung und Begründung des Gesetzes. Für die richtige Einordnung des Textes ist auch wichtig, die Hintergründe zu bedenken, die eine solche Erklärung haben entstehen lassen. Im Text selber ist vieles von diesem zu spüren: Es sind erst einige Jahre seit dem Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils vergangen, eine starke Welle der Kulturrevolution von 1968 hat vieles bis dahin anscheinend Feststehende erschüttert, unter den Priesteramtskandidaten wie unter jungen Priestern herrscht eine große Verunsicherung, da immer wieder behauptet wird, dass die Zölibatsverpflichtung fallen werde. Selbst die Zölibatsenzyklika des Papstes hat diese Unsicherheiten nicht aufzufangen vermocht. Die Professoren, welche mit diesen jungen Menschen zu tun haben, nehmen ihre Verunsicherung, eine ausufernde Diskussion und auch die wohl aus ihrer Sicht zu große Vorsicht der Bischöfe in dieser Frage wahr. Deswegen richten sie an sie ihre Forderung, dass es zu einer nachvollziehbaren und – heute würde man sagen – transparenten Überprüfung des Zölibatsgesetzes 71 Von Ambivalenz wird hier deswegen gesprochen, weil die Unterzeichner des Memorandums in einer sehr direkten Form ihre Offenheit für das Ergebnis der von ihnen geforderten Überprüfung des Zölibatsgesetzes signalisieren (sie wollen die Entscheidung in keiner Weise präjudizieren) und ihren Text ausdrücklich nicht als einen Kampf gegen den Zölibat verstanden wissen wollen. Auch der im Text selbst vorhandene Hinweis, dass sie sich noch gar nicht zu einer gemeinsamen Ansicht darüber verständigt haben, was sie zu der Sachfrage im Einzelnen meinen, zeigt diese Ambivalenz.

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kommen müsse und dass die Bischöfe selbst eine große Verantwortung dafür tragen, wie diese Diskussion geführt wird. Dass die Professoren selbst eher für die Freistellung des priesterlichen Zölibats plädieren, ist freilich auch offenbar. Für uns stellt sich die Frage: Hat sich Joseph Ratzinger im Jahr 1970, wie immer wieder behauptet wird, für das Ende des verpflichtenden Zölibats für die Priester der lateinischen Kirche ausgesprochen? Die Frage lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Wahr ist, dass er diesen Text mitunterschrieben hat, wahr ist auch, dass dieser Text in seiner Ganzheit starke Momente der Ambivalenz aufweist, wenn auch die Forderung nach einer für (eventuell) Betroffene nachvollziehbaren Überprüfung des bestehenden Zölibatsgesetzes eindeutig erkennbar ist. Man muss auch festhalten, dass dieser Text kein genuin eigener Ratzinger-Text ist, sondern dass er sich 1970 gemeinsam mit seinen Kollegen hinter die genannte Forderung gestellt hat. Auch der davor besprochene Text weist seine gewisse Offenheit in dieser Frage auf. Es gibt aus dieser Zeit (1969) aber auch einen anderen, hier bereits oft erwähnten Text von Joseph Ratzinger, der ein theologisches Argument für die Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit beinhaltet, ohne sich dabei allzu eindeutig für den Zölibat als Verpflichtung auszusprechen.72 Diese Frage stellt für ihn in dieser Zeit offenbar kein großes Thema dar, da er, wie wir gezeigt haben, die eigentlichen Grundlagen des katholischen Priestertums infrage gestellt sieht und bemüht ist, diese zu sichern. Doch gerade dabei scheint der Zusammenhang von Priestertum und Ehelosigkeit einigermaßen klar hervorzutreten. Seine Argumentation wurde hier bereits eingehend skizziert. Hier wird sie lediglich kurz wiederholt, damit seine Position zum Zölibat nachvollziehbar wird. Die Argumentation folgt folgenden Schritten: Der Apostel, und daher auch der Priester, sei „Liturge des Evangeliums“, nicht durch Geburt oder durch Zugehörigkeit zu einer Sippe, sondern durch Berufung.73 Inhalt des Berufes sei das Evangelium, in dem die unheilvolle Entzweiung von Wort und Gottesdienst aufgehoben sei und die ursprüngliche Einheit hergestellt werde, „die von Jesus her kommt, der selbst das ‚Wort‘ und

72 Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 387–401, hier vor allem 397 f. 73 Vgl. ebd., 396.

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das Opfer in einem“ sei.74 Die „Deckung von Wort und Opfer, die in Jesus, dem gekreuzigten Logos, gesetzt ist und ihn zum wahren Priester macht“, bleibe auch der Maßstab des Apostels.75 Paulus beschreibe sein eigenes Martyrium in Phil 2,17 als „Martyrium“, was für ihn nicht einen äußeren Vorgang darstelle, „den er durch erbauliche Erwägungen mit seinem Amt in Verbindung bringt, ohne dass er an sich etwas damit zu tun hätte“. Für ihn „gehört die Einbeziehung des Ich in die Liturgie, […] die Selbstenteignung des Berufenen zugunsten des Berufenden“.76 Der Diener folge also seinem Herrn auch darin, dass er sich selbst zur Verfügung stellt und nicht „rein professionell“ mit einem inneren „Sicherheitsabstand“ den ihm erteilten Auftrag erfülle. Ratzinger schließt daraus vorsichtig, aber dennoch klar: „Vielleicht gibt es keine tiefere Begründung für den Zusammenhang von priesterlichem Dienst und Ehelosigkeit als eben diesen Zusammenhang von Logos und Martyria durch die Einbeziehung der eigenen irdischen Existenz in die Liturgie des Wortes.“77 Man kann sagen, dass er in diesem Text die Verbindung von Priestertum und Ehelosigkeit für angemessen hält, weil darin die innere Logik des Heilswerkes Christi zum Vorschein kommt. Der vierte Text widmet sich schließlich ausdrücklich dem Thema der Ehelosigkeit. Es ist eine Entgegnung auf Gedanken zum Pflichtzölibat des Münchner Moraltheologen Richard Egenter, welche im Septemberheft 1977 der Zeitschrift Stimmen der Zeit veröffentlicht wurden. Als Erzbischof von München und Freising verfasst Ratzinger eine eigene Entgegnung, in der er unter dem Titel Zum Zölibat der katholischen Priester eine gegenteilige Auffassung vertritt und auch begründet. Er erklärt, warum seiner Meinung nach der Zölibat der Weltpriester nicht freiwillig werden sollte, obwohl Egenter meint, dass gerade die Aufhebung des sogenannten Pflichtzölibats seiner freiwilligen Form mehr Raum gäbe. Mit Hinweis auf den Historiker Paul Picard bringt Ratzinger ein geschichtliches Argument ins Spiel, dass nämlich die geschichtliche Erfahrung keine Stütze für

74 Vgl. ebd., 397. 75 Vgl. ebd. 76 Ebd., 397 f. 77 Ebd., 398.

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eine partielle Verwirklichung des Zölibats der Weltpriester böte.78 Noch wichtiger scheint ihm die theologische und zeichenhafte Bedeutung des Pflichtzölibats zu sein, was folgende, mit Nachdruck formulierte Sätze zeigen: „Wenn der Zölibat der Weltpriester nicht eine gemeinschaftliche kirchliche Form ist, sondern eine private Entscheidung, dann verliert er seinen wesentlich theologischen Gehalt und seine entscheidende persönliche Fundierung, denn dann hört er auf, ein von der Kirche getragenes Zeichen zu sein und wird zur privaten Absonderlichkeit. Dann ist er nicht mehr zeichenhafter Verzicht um des im Glauben übernommenen Dienstes willen, sondern Eigenbrötelei, die deshalb mit gutem Grund verschwindet.“79

Ratzinger geht es hier wohl darum, dass dieses Zeichen nicht nur ein ganz eigenes Zeichen einer konkreten Person sein soll, sondern ein Zeichen der Kirche und ein Zeichen, das von ihr getragen wird. Es soll folglich kein Zeichen der Merkwürdigkeit oder einer Ablehnung der Welt sein, sondern ein starker Hinweis über das irdische Leben hinaus. Diesem nachvollziehbaren Anliegen zum Trotz scheinen gerade im Hinblick auf die verheirateten Diözesanpriester der unierten katholischen Kirchen seine Worte etwas schroff und einseitig formuliert zu sein, denn auch in diesen Kirchen gibt es Priester, die sich für den Zölibat entschieden haben, und sie werden sicher nicht einfach als Eigenbrötler wahrgenommen. Allerdings muss man bedenken, dass diese Kirchen eine andere geschichtliche Erfahrung und in vielem ganz eigene Traditionen mitbringen, die zu einem guten Teil eine ‚Infrastruktur‘ zur Verfügung stellen – für den verheirateten wie auch den unverheirateten Klerus –, die diese Koexistenz erst möglich macht.80 78 Ratzinger bezieht sich hier auf die Monografie von Paul P icard, Zölibatsdiskussion im katholischen Deutschland der Aufklärungszeit. Auseinandersetzung mit der kanonischen Vorschrift im Namen der Vernunft und der Menschenrechte, Düsseldorf 1975. Vgl. Zum Zölibat der katholischen Priester, 1977, in: JRGS 12, 154. 79 Zum Zölibat der katholischen Priester, 1977, in: JRGS 12, 155. 80 Z. B. hat der griechisch-katholische Erzbischof und Sekretär der Ostkirchenkongregation Mons. Cyril Vasil’ SJ, selber aus einer Priesterfamilie stammend (sein Vater war Priester und auch sein Bruder ist ein verheirateter griechisch-katholischer Priester), in einem persönlichen Gespräch den Autor dieses Textes darauf aufmerksam gemacht, dass die meisten Priestergattinnen selber aus Priesterfamilien stammen, die Situation mit ihren Herausforderungen also von klein auf kennen und deswegen auch wissen, worauf sie sich einlassen.

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Ratzinger weist auch das Argument zurück, dass die jetzige Praxis gegen die Menschenrechte verstoße, da, wie Egenter meint, im Falle der Freistellung die meisten Priester heiraten würden und deswegen jetzt nur widerwillig auf das Recht der Ehe verzichteten. Ratzinger betont in seiner Entgegnung: Sollte der Zölibat nur etwas für Menschen sein, die ohnehin nicht heiraten wollen oder können, würde damit alles auf dem Kopf gestellt werden. Sein Wert zeige sich gerade dort, wo er als Verzicht auf etwas Wertvolles und Erstrebenswertes gewählt werde. Nur so könne er ein positives Zeichen sein und kein Ausdruck negativer Einstellung: „Der Zölibat ist ein sittlich und religiös belangvolles Phänomen nur und gerade dadurch, dass Menschen um Gottes und seines Dienstes willen auf den grundlegenden menschlichen Wert der Ehe verzichten, die an sich zur Ehe fähig und willens wären. Wenn der Kreis der Zölibatäre ein Verein von Hagestolzen ist, ist er nichts wert. Wichtig wird er allein dadurch, dass Menschen um des Herrn willen und um in der Kirche das gemeinschaftliche Zeichen ihrer Hoffnung auf den Herrn zu geben, das preisgeben, was sie nicht preisgeben würden, wenn nicht dieses gemeinschaftliche und öffentliche Zeichen ihnen einen neuen Auftrag und eine neue Weise der Erfüllung setzen würde.“81

Dass der Zölibat in der heutigen hypersexualisierten Zeit schwer bis unmöglich gelebt werden könne – übrigens eine Behauptung, die auch im oben besprochenen Memorandum der Professoren aufgestellt wurde –, will Ratzinger hier nicht gelten lassen. Freilich, es gebe diese Schwierigkeiten, aber die gälten genauso auch für die Ehe: „Auch die Ehe kann nur im Widerstand gegen die ‚Atmosphäre‘ von heute gelebt werden“, und ihrem inneren Anspruch gerecht zu werden sei genauso herausfordernd, wie es mit dem Anspruch des Zölibats der Fall sei.82 Zu dem im Zusammenhang mit dem Zölibat viel zitierten Begriff „Charisma der Ehelosigkeit“, das eben nicht viele besitzen, merkt er grundsätzlich an, dass Charisma nicht eine natürliche Gegebenheit sei, die man eben habe oder nicht. Er sieht diesen Begriff erst dann richtig verstanden, wenn er im Sinne einer geistlichen Begabung verwendet wird, denn diese sei nicht einfach ein

81 Zum Zölibat der katholischen Priester, 1977, in: JRGS 12, 155 f. 82 Ebd., 157.

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für alle Mal gegeben, sondern müsse gepflegt werden und könne reifen, aber auch verfallen. Das Charisma der Ehelosigkeit bedeute demnach, „dass mir im Ringen mit dem Herrn und mit mir selbst, in Mitglauben und Mitleben mit der Kirche […] die Kraft [gegeben] wird, mich einem Ruf zur Verfügung zu stellen, der mir zugemessen ist“, und „diesen Ruf in allen seinen Dimensionen zu bestehen, in ihn hineinreifen Tag um Tag“.83 Die Ehelosigkeit um des Priesterdienstes willen müsse also entdeckt, erkämpft, gepflegt und gelebt werden. Es bestehe auch die Gefahr, so Ratzinger, dass „das Zutrauen zum Zölibat in den jungen Menschen zerredet“ werde, was nicht beweise, dass sie „kein Charisma haben, sondern dass dem Charisma der Raum verbaut worden ist“. 84 Bei dieser Mahnung können wir erneut an die Sorge denken, welche im Memorandum der Professoren zu diesem Thema zum Ausdruck kam, wo sie eine nachvollziehbare Überprüfung des Zölibatsgesetzes gefordert haben, weil eine stete Unsicherheit viel schlimmer ist als die Höhe des Anspruchs und der Herausforderung, die der Zölibat bedeutet und für immer bedeuten wird. In seiner Entgegnung auf den Einwand, der Zölibat sei ursächlich für den Priestermangel verantwortlich, sieht Ratzinger ein großes Problem aufseiten der Kirche, „die müde geworden ist“ und Gott „keinen Einlass gewährt“. Er fährt fort: „Wie soll sich ein junger Mensch für das eschatologische Abenteuer des Zölibats entscheiden können, wenn die Kirche selbst nicht mehr zu wissen scheint, ob sie es noch wollen soll? Im Drama der Entscheidung wiegt jedes Wort.“85 Schließlich erkennt Ratzinger an, dass es auch Zölibatsverfehlungen gebe und „ungünstige psychische Auswirkungen, wo er unter falschen Voraussetzungen angegangen wurde“.86 Aber auch die Ehe sei vor ähnlichen Gefahren keineswegs immunisiert, und außerdem sollte nicht vergessen werden, „wie viele reife und große Gestalten in der Schule des Priestertums der katholischen Kirche herangewachsen sind“.87 Er schließt seine Entgegnung mit der Hoffnung, dass seine Ausführungen gezeigt haben, „dass auch

83 Ebd., 156. 84 Ebd. 85 Ebd., 157. 86 Ebd. 87 Ebd.

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6. Brennende Fragen der Zeit

heute nicht nur Borniertheit und Ängstlichkeit für den Zölibat stehen, sondern Gewichte, die nicht zufällig die Jahrhunderte überdauert haben“.88 Dieser Text des neuen Erzbischofs ist eine eindeutige Positionierung in der Frage des verpflichtenden Zölibats: Er sieht starke Argumente, warum dieser beibehalten werden soll. Freilich ist diese Eindeutigkeit etwas ganz anderes als seine Unterschrift, mit der er sich der Forderung nach Überprüfung des Zölibatsgesetzes anschloss, obwohl, wie hier dargelegt wurde, auch diese Stellungnahme nicht als ein Kampf gegen den Zölibat missverstanden werden wollte. Die Interpretation, dass Ratzinger einst gegen den Pflichtzölibat war und später eine gegenteilige Position vertrat, dass er also in diesem Punkt, wie immer wieder vorwurfsvoll behauptet wird, eine inkonsequente Entwicklung zurücklegte, scheint angesichts der Komplexität der Sachlage zu simpel und schlicht unangebracht zu sein. Wir haben gezeigt, dass er selbst zu der Zeit, aus der seine vermeintlichen Äußerungen gegen den Zölibat stammen, die innere Logik der Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit aufgezeigt hat. ­Dabei gilt, dass der eine, eigene Text, von dem immer wieder ­behauptet wird, dass Ratzinger darin die Zölibatsverpflichtung relativiere, die Frage nur ganz am Rande und auch nur indirekt und unklar berührt, der andere, in ähnlichem Bedeutungszusammenhang stehende Text dagegen nicht einmal ein eigener Ratzinger-Text ist. Wenn in seinen älteren Texten auch eine gewisse Interpretationsmöglichkeit für die Offenheit in dieser Frage zu bestehen scheint, wurden hier genügend Äußerungen angeführt, in denen sich Ratzinger früh und eindeutig positioniert und zugunsten der Verbindung von Priestertum und Zölibat argumentiert. Im Kontext seiner Priesteramtstheologie scheint diese seine Position nur konsequent zu sein, was freilich eine Entwicklung in dieser Frage nicht ausschließt. Zusammenfassend kann die Aussage getroffen werden, dass Ratzinger im Zölibat, der von den Priestern des römischen Ritus als Verpflichtung – in den Worten Ratzingers: als ein „Zeichen der Kirche“ – gelebt wird, einen besonders starken Ausdruck der Eigenheit des Priestertums, nämlich der existentiellen Selbstenteig-

88 Ebd.

6.3 Der Skandal des Missbrauchs

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nung des Priesters, erkennt.89 Dabei würde es entscheidend zu kurz greifen und auch Ratzingers Sicht verfälschen, im Zölibat einfach ein Mittel gegen die in jeder Epoche drohende Verbürgerlichung des Klerus zu sehen, denn ein bürgerlich-angenehmes Leben lässt sich bisweilen leichter ehelos leben als beladen mit den Sorgen der ehelichen und elterlichen Verantwortung. Wenn aber der Zölibat nicht nur auf seine praktischen Seiten reduziert, sondern in seiner wahren Tiefe verstanden wird, die in die Existen­ tialität des Menschen reicht, dass nämlich ein zölibatär lebender Priester um der Nachfolge Christi willen auf das Wertvollste dieser Welt überhaupt – auf Familie und eigene Nachkommenschaft und somit auf einen Großteil des irdischen Lebenssinnes – verzichtet, kann er tatsächlich ein Ausdruck ebendieser Selbstlosigkeit sein, von der Ratzinger betont, sie gehöre zum Wesen des Priestertums. So verstandener und von der Kirche geforderter und auch geförderter Zölibat kann tatsächlich zu einem starken Zeichen in der Welt von heute, ja gerade in ihr werden.

6.3 Der Skandal des Missbrauchs In den letzten Jahren sind Fälle des klerikalen Missbrauchs ein großes Thema geworden. Wenn auch die Statistiken zeigen, dass der oft sexualisiert konnotierte Missbrauch von Schutzbefohlenen ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, wiegt dieses Verbrechen innerhalb der Kirche schwerer, da damit das Vertrauen missbraucht und zerstört und oft sogar der Glaube vernichtet wird. Es negiert alles, wofür Kirche steht und wozu das Priestertum in ihr da ist. Wie in anderen gesellschaftlichen Milieus hat sich aber auch die Kirche lange Zeit schwergetan, diesen Skandal wahr­ zunehmen und Maßnahmen zu ergreifen. Mit Entsetzen musste man aber feststellen, dass es ein reales Problem darstellt und dass man dafür lange nicht sensibel genug war. Es gehört zur Wahrheit 89 Diese Interpretation Ratzingers, nach der der Zölibat eine wesentlich existentielle Komponente in sich trägt, widerspricht nicht der biblisch und archäologisch gut belegten, von Stefan Heid ans Licht gebrachten Einsicht, dass der alle Priester bindende Zölibat nach und nach aus der frühen Praxis der Enthaltsamkeit der Amtsträger hervorgewachsen ist, sondern ergänzt und vertieft diese. Siehe dazu Stefan Heid, Zölibat in der frühen Kirche, Paderborn/München/Wien/Zürich 32003, vor allem 29 f. und 259 f.

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dieser Geschichte, dass die Kirche einen Druck von außen brauchte, um sich diesem Thema kompromisslos und ohne falsche Relativierungen zu stellen. Umso größer sind jetzt die Auswirkungen. Es ist fast unmöglich geworden, über das katholische Priestertum zu sprechen, ohne dabei dieses leidige Thema in den Blick zu nehmen. Man kann nicht leugnen, dass das Sichtbarwerden dieser Verbrechen eine tiefe Krise ausgelöst hat – besonders spürbar in den Ortskirchen, wo solche Phänomene in großem Ausmaß zutage getreten sind. Da die meisten Täter innerhalb der Kirche Priester waren, hat diese Krise besonders intensiv das Priestertum getroffen. Es wird gefragt, ob ein System, in dem es Kleriker und Laien gibt, ein System, in dem es nur zölibatäres Priestertum gibt, dieses Phänomen nicht begünstigt. Die Auseinandersetzung ist auf jeden Fall noch im vollen Gange. Im theologischen Werk Joseph Ratzingers lässt sich in der Zeit, die wir als für unsere Studie relevant bestimmt haben – also bis zu seiner Papstwahl –, keine direkte systematische Auseinandersetzung des Theologen mit dem Thema finden.90 Man kann gar behaupten, dass es in dieser Zeit kein Thema in der systematischen Theologie war. Die Frage, wie Ratzinger mit dem Gegenstand des Missbrauchs als Präfekt der Glaubenskongregation und dann als Papst praktisch umgegangen ist, gehört nicht in diese Untersuchung hinein. Man kann nur sagen, dass es Zeugnisse91 gibt, die besagen, 90 Als Papst hat Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. viel zu diesem Thema gesagt und auch viele konkrete Schritte unternommen, um das Problem zu bekämpfen. Treffen mit Opfern sind z. B. zu fixen Programmpunkten seiner Papstreisen geworden. 91 Vgl. z. B. das Zeugnis von Kardinal Christoph Schönborn, Ratzinger ging entschieden gegen Missbrauch vor, https://www.katholisch.de/artikel/23425-schoenbornratzinger-ging-entschieden-gegen-missbrauchstaeter-vor (8.11.2019). Ähnlich äußert sich P. Hans Zollner SJ, der Leiter des Centre for Child Protection an der Päpstlichen Universität Gregoriana und Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen, in einem Interview mit der Mittelbayerischen Zeitung unter dem Titel Papst Benedikt wird Unrecht angetan (erschienen am 21.11.2019): „Für mich war Papst Benedikt derjenige, der noch als Präfekt der Glaubenskongregation die Frage des Missbrauchs und die Verurteilung von Tätern überhaupt als erster konsequent angegangen ist. Er hatte Papst Johannes Paul II. davon überzeugt, die Aufklärung dieser Fälle an der Glaubenskongregation und nicht in den Ortskirchen anzusiedeln. Sehr zum Ärger vieler damaliger Bischöfe und Kardinäle hat der von Joseph Ratzinger eingesetzte ‚Oberstaatsanwalt‘ mit eiserner Hand diese Fälle behandelt. Dann hat Ratzinger für die Einführung einer kirchenrechtlichen Grundlage gesorgt, aufgrund derer Priester entlassen werden können. Dann hat er 2010 als Papst die Verjährungsfrist verlängert. Ich sehe nicht, dass Benedikt dieses

6.3 Der Skandal des Missbrauchs

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dass es Ratzinger war, der das Problem früh erkannte und dazu beitrug, dass die Kirche seit der Jahrtausendwende auf der Verfahrens­ ebene wie auch auf der Ebene der Gesetzgebung bewusster und effizienter auf solche Verbrechen reagiert und auch stark um Prävention bemüht ist.92 Die Rolle, welche Ratzinger nach öffentlich zugänglichen Informationen im Fall von Marcial Maciel gespielt hat, zeigt, dass er relativ früh, jedenfalls viel früher als manch andere Verantwortungsträger in der Kirche eine gewisse Sensibilität für diese Fragen und auch eine Klarheit, was den Umgang mit den Tätern und Opfern anbelangt, entwickelt hat. Ein abschließendes Urteil dazu, welche Rolle Joseph Ratzinger bei diesem Problem gespielt hat, wird erst das Studium der Archive geben können, die aber erst in einigen Jahrzehnten zugänglich sein werden. Man kann aber feststellen, dass er als Theologe dieses Problem nicht eigens reflektiert und dass man dazu keine brauchbaren Stellungnahmen vorfindet. Auf der anderen Seite muss auch erwähnt werden, dass dieses Phänomen von keinem aus dem Kreis der Systematiker seiner Generation groß reflektiert wurde und dass ein Bewusstsein dafür sich erst nach und nach durchgesetzt hat. Was seine Stellungnahme als emeritierter Papst zu diesem Themenkomplex angeht,93 muss freilich gesagt werden, dass er – so wie wir bei anderen Fragestellungen gesehen haben – versucht, das Thema grundsätzlich anzugehen, und die Ursache des Missbrauchs in einem Abbruch von Glaube, Theologie und Moral seit den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts sieht. Neben anderen, eher anekdotisch skizzierten Entwicklungen erwähnt er auch, dass von breiten Schichten der Theologie das Konzept des ­intrinsece

Thema vernachlässigt hätte.“ https://www.mittelbayerische.de/uni-nachrichten/ papst-benedikt-wird-unrecht-getan-21984-art1850777.html (23.11.2019). 92 Der Komplex der delicta graviora wurde 2001 auch auf Betreiben von Joseph Ratzinger hin überarbeitet. Durch die verpflichtende Meldung aller dieser Fälle nach Rom sollte ein Vertuschen auf diözesaner Ebene unmöglich gemacht werden. Der Kampf ist aber noch lange nicht zu Ende. 93 Der Aufsatz Die Kirche und der Skandal des sexuellen Missbrauchs des emeritierten Papstes versteht sich als Zusammentragung eigener Gedanken zu diesem Thema. Das Zustandekommen dieser Zeilen begründet er damit, dass er zum Zeitpunkt des öffentlichen Ausbruchs der Krise und während ihres Anwachsens an verantwortlicher Stelle als Hirte in der Kirche gewirkt habe und sich auch jetzt fragt, was er aus der Rückschau zu einem neuen Aufbruch beitragen könne. Der Text erschien im Klerusblatt, wurde aber von den vatikanischen Medien auch online verfügbar gemacht. Siehe https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2019-04/papst-bene dikt-xvi-wortlaut-aufsatz-missbrauch-theologie.html (11.4.2019).

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6. Brennende Fragen der Zeit

malum, des unter allen Umständen Bösen, bekämpft wurde oder dass eine Gesellschaft, die Gott für inexistent erkläre, „eine Gesellschaft, die ihr Maß verliert“, und „in Wahrheit zu einer Gesellschaft ohne Orientierung“ werde, „weil das Maß verschwindet, das uns die Richtung weist, indem es uns gut und böse zu unterscheiden lehrt“. Dass sich all das auch auf die Wahrnehmung von konkreten Handlungen auswirkt, liegt auf der Hand. Solche Gedankengänge sind typisch für die Theologie Joseph Ratzingers. Wenn die Gedanken, wie sie in diesem Aufsatz geschildert werden, als einzige Ursachenbenennung für den Missbrauch innerhalb der Kirche gelten sollten, müsste man dagegenhalten, dass dies so nicht zutreffen kann, da dieses Phänomen schon lange vor der von ihm thematisierten Zeit und auch in Kreisen, die bei diversen – von ihnen so bezeichneten – ‚Aufweichungen‘ in Lehre und Praxis nicht mitgemacht haben, vorkommt. Wenn sie aber einen grundsätzlichen Blick darstellen wollen, einen Beitrag zur Ursachenforschung, der neben vielen anderen auch geleistet werden muss, dann sind sie ein sinnvoller Beitrag zur Bekämpfung einer schlimmen Plage im Leben der Kirche. Von Ratzingers Priesteramtstheologie, wie sie auch in dieser Studie besprochen wird, lässt sich auf jeden Fall sagen: Wenn er als Theologe in seinen Arbeiten das Thema auch nicht direkt anspricht, haben solche Taten im Licht seiner Priesteramtstheologie im Priesterberuf keinen Platz. Jede bloße Verwirklichung eigener Vorstellungen, jedes wie auch immer geartete Nachgeben gegenüber den eigenen Bedürfnissen, Schwächen oder Sünden widerspricht allem, was das Priestertum nach seiner Auffassung ist, nämlich Selbstenteignung, die das Wesen des katholischen Priestertums ausmacht. Jeder Egoismus des Geweihten, der nehmen und haben will, jedes Nutzbarmachen, jeder wie auch immer verkleidete Missbrauch von anderen Personen stellt einen Missbrauch des Priestertums für Eigenzwecke dar und steht im krassen Gegensatz zu dem, was ein Priester nach Ratzinger zu sein hat. Selbstverzicht als wesentliche Kategorie des Priestertums verträgt sich nicht mit Missbrauch, mit einem ‚Gebrauchen‘ einer anderen menschlichen Person für eigene Bedürfnisse. In dieser Hinsicht könnte Ratzingers Theologie sogar als Beitrag zur Bekämpfung der aktuellen Krise verstanden werden, so wie jede gute Theologie, da sie sich kompromisslos der Wahrheit verpflichtet weiß, eigentlich einen solchen Beitrag leistet.

7. Zusammenführung: Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

Das letzte, kleine Kapitel dieser Arbeit will das durch den Blick auf Ratzingers Opus für das Priestertum Gewonnene zusammenführen und dessen Lebendigkeit und Relevanz aufzeigen. Der anfängliche Blick auf das Thema in der neuscholastischen Theologie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einer Theologie also, die Ratzinger in seinem Studium formte und die damalige theologische und kirchliche Welt weitgehend beherrschte, hat gezeigt, wie andersartig Ratzinger denkt und wie verschieden sein Blick auf das Thema im Vergleich zu dieser Art Theologie ist. Das zweite Kapitel, das den Entwicklungen seit dem Trienter Konzil und vor allem den Aussagen des Zweiten Vatikanums zum Thema gewidmet war, machte sichtbar, dass Ratzinger die Unzulänglichkeiten der damals vertretenen Konzepte sowie die Engführungen der geschichtlichen Entwicklungen wahrgenommen und benannt hat, wie auch, dass er in der Erneuerungsspur des letzten Konzils bleibt und diese weiterführen und vertiefen will. Im Folgenden soll darauf eingegangen werden, wie Ratzingers Ansatz zu benennen ist und welcher der konkrete Gewinn seiner Theologie des Priestertums sein kann.

7.1 Ratzingers Ansatz Ratzinger ist nicht um eine ‚überzeitliche‘ Theologie bemüht, denn er weiß, dass jedes theologische Denken und seine Aussagen zeitgebunden sind und dass das Bleibende, gerade um es unverfälscht zu bewahren, immer neuen Ausdruck finden muss. Deswegen hat er bei seinem Nachdenken über unser Thema nie den Priester als

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7. Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

eine theoretische Größe vor Augen. Was ihm vorschwebt und woraufhin seine Texte ausgerichtet sind, ist der konkrete ‚Mensch Priester‘ in einer ganz konkreten Zeit mit ihren Fragen und Unsicherheiten.1 Das bedeutet freilich nicht, dass seine Aussagen nur von kurzer Gültigkeit wären. Da er immer bemüht ist, hinter die sichtbare Seite der Phänomene zu blicken und die dahinterliegenden Bewegungen und Ursachen zu benennen, tangiert er tiefere Problemstellungen als allein die in schnelllebigen Diskursen aktuell erscheinenden. So bleiben seine Texte frisch und relevant auch nach Jahrzehnten, in denen sich viele Empfindungen und Vorzeichen verändert haben und in vielem wohl ein neues Problembewusstsein entstanden ist, das sich vom damaligen unterscheidet. Zugleich aber zeigt sein Werk, dass er sich an das Größere, an das in der Offenbarung Vorgegebene, in Schrift und Tradition Zugängliche gebunden fühlt. Für Ratzinger ist eine Theologie, die wegen der Treue zum Heute das Einmalige und Unüberholbare des Offenbarungsereignisses in Christus vergisst, wertlos, weil sie nicht mehr als sich selbst und eigene Konzepte zu vermitteln weiß. Die Progressismen, welche in den Grundlagen der Bibel und der Tradition bloße „Bausteinlieferanten“ zur Begründung von eigenen Ideen sehen und diese nicht als wirkliche Autoritätsgrößen betrachten, sind ihm suspekt. Zugleich aber lehnt er auch einen reduktionistischen Archäologismus ab, der zwischen dem ‚Damals der Bibel‘ und dem ‚Heute‘ ein Nichts aufstellt, d. h. nur die in der Bibel ausdrücklich belegbaren Sachverhalte anerkennt und die Entwicklung und die Tradition der Jahrhunderte nicht als ein organisches Weiterwachsen dieses Ursprungs, sondern als bloße und abzutragende Verirrung ansieht. Ratzinger ist sich sehr wohl der Verengungen und Verirrungen der Geschichte bewusst und spricht davon, dass das Eigentliche immer wieder bereinigt und von den Ablagerungen der jeweiligen Epoche freigelegt werden müsse, aber er lehnt nie die Entwicklung der Jahrhunderte als solches ab. Ein derartiges ahistorisches Denken ist ihm aus vielerlei Gründen tatsächlich fremd. Dass ihm andererseits eine Theologie, 1 Dieser so ausgeprägte Zug seiner Priesteramtstheologie steht in krassem Widerspruch zu seinem angeblichen, immer wieder behaupteten Neuplatonismus, der von Ideen und nicht von konkreter Wirklichkeit ausgeht. Ratzingers Gedanken zu unserem Thema sind, wie wir zeigen konnten, sehr stark vom Blick auf das Heute geprägt.

7.1 Ratzingers Ansatz

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die im selbstzufriedenen und nur vermeintlich sicheren Elfenbeinturm eigener, ‚überzeitlicher‘ Konzepte lebt und kein Bedürfnis verspürt, in die Niederungen der neuen Fragen und Entwicklungen herabzusteigen, völlig ungenügend und steril erscheint, braucht hier nicht eigens betont zu werden; es dürfte ausreichend sichtbar geworden sein. Ratzingers eigenen Ansatz könnte man wohl am besten mit dem Bild einer Brücke illustrieren, die zwischen zwei Ufern ausgestreckt ist. Auf der einen Seite steht das Einmalige der Heilsgeschichte, das unwiederholbare Offenbarungsereignis, aber auch das Gewordene der recht verstandenen katholischen Tradition, mit einem Wort: das, was die Kirche zur ‚Gebundenen‘ macht, die nicht frei über das ihr Anvertraute verfügt, sondern es treu durch die Geschichte trägt und jeder Generation zugänglich machen soll. Das andere Ufer stellt das Heute des modernen Menschen, ja des Menschen jeder Epoche dar. Es sind seine Fragen und seine Unsicherheiten, seine oft früher nicht geäußerten Gedanken, die neue Anfragen an den von der Kirche getragenen Schatz der Heilsgeschichte formulieren. Es sind auch die im Vergleich zu früher völlig veränderten Plausibilitäten, die den christlichen Glauben herausfordern, das einst Plausible und vielleicht gar nicht notwendigerweise und mit besonderem Aufwand Belegbare neu zu ergründen und zu begründen, immer in dem Bewusstsein der Identität der Wahrheit. Die Brücke spannt sich zwischen diesen zwei Ufern aus und hält beide zusammen, was freilich alles andere als einfach ist, weil die zwei Ufer oft unvereinbar erscheinen und die Versuchung groß ist, eine Seite als die eigentlich relevante oder zumindest relevantere als die andere zu betrachten. In diesem Bild bleibend, kann man von zwei Arten von Theologie sprechen, die ihren Fokus auf das eine oder das andere Ufer richten, dabei aber die Relevanz des jeweils anderen Beziehungspunktes als unvergleichlich geringer betrachten. Die eine Art, Theologie zu entfalten – man kann wohl von zeitgemäßeren Entwürfen sprechen –, vergisst wegen der Wichtigkeit und Relevanz der Anfragen des Heute den unaufgebbaren Wert dessen, was bereits vor diesem Heute da war und bleibende Relevanz besitzt. So wird sie zur bloßen Erzählung von mehr oder weniger relevanten Geschichten, findet aber nicht die Kraft, das Heute zu formen und durch das Licht der Wahrheit, die immer größer ist als bloß das, was der aktuelle Augenblick zu erkennen vermag, dieses Heute

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7. Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

und seine Überzeugungen zu erleuchten. Die andere, wohl auf schultheologischen Thesen basierende Art Theologie, die wir eher in traditionelleren Kreisen vorfinden, verliert wiederum das Heute, missachtet bei aller Mühe um überzeitliche und korrekte Aussagen dessen Relevanz und bleibt für eigene strukturelle Schwächen und Grenzen weitgehend blind. Auch hier ist das Ergebnis ähnlich: Sie besitzt keine Relevanz in einer von veränderten Plausibilitäten geprägten Welt und kann diese deswegen auch nicht ansprechen und formen. Erst eine Theologie, die den Mut aufbringt, wie eine Brücke die Spannung zwischen beiden Polen auszuhalten, und um diese sogar bemüht ist, kann wirklich fruchtbar sein und den ihr anvertrauten Schatz immer tiefer verstehen. Sie kann in ein wahrhaftes Gespräch mit dem Menschen von heute eintreten und ihm den Offenbarungsschatz anbieten, auch wenn es nicht immer einfach ist, die Spannung auszuhalten, die oft bis an die Grenzen des Möglichen geht. Aber wie eine Brücke nur Brücke bleiben kann, wenn sie unter Spannung steht, so kann Theologie ihren Vermittlungsauftrag nur erfüllen, wenn sie unter der Spannung der Anfragen von heute und der Anforderungen der überlieferten Botschaft bleibt. Ratzingers Theologie darf wohl zu dieser Art von Theologie gezählt werden, da sie unverkennbar bemüht ist, beide Pole zu würdigen. Ob es ihr immer und in allen Einzelheiten gelingt, muss jeweils eigens beantwortet werden. Es kann aber festgehalten werden, dass Ratzinger die Spannung weder auf die eine noch auf die andere Seite hin aufgibt. Das ist auch das Selbstverständnis des Theologen Joseph Ratzinger. Wenn er bei einem hier bereits zitierten Anlass über den Regensburger Bischof Johann Michael Sailer spricht, den er für den wahren Erneuerer der Kirche in seiner Zeit hält, wirkt es, als würde er in ihm Maßstab und Inspiration für seine eigene Bemühung in dem eben genannten Sinne sehen. Sailer war in seiner Zeit nicht einfach ein „Konservierer“, der nur das Gewordene bewahren und das Traditionelle verteidigen wollte, sondern er stellte sich, so Ratzinger, einerseits „offen allen Fragen seiner Zeit“, und das gerade deswegen, weil ihm „die verstaubte Jesuitenscholastik, in deren Systemgefüge längst die Wirklichkeit nicht mehr eindringen konnte“, ungenügend erschien, andererseits aber kannte er „die große theologische und mystische Tradition des Mittel­

7.1 Ratzingers Ansatz

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alters […] in einer für seine Zeit ungewöhnlichen Tiefe“. 2 Sailers eigene Position beschreibt Ratzinger mit folgenden Worten: „Glaube ist für ihn nicht an ein System von Sätzen gebunden und nicht durch Flucht ins Irrationale zu halten, sondern in offener Auseinandersetzung mit dem Heute zu bestehen.“3 Ähnliches lässt sich von Ratzingers Priesteramtstheologie sagen: Sie ist bemüht, in der Auseinandersetzung mit dem Heute zu bestehen und darin die Wurzeln des Priestertums zu erneuern. Auch wenn das Priesterthema, wie hier mehrfach in Erinnerung gerufen wurde, nicht zu den zentralen Motiven im Werk Joseph Ratzingers zählt, war diese Studie bemüht zu zeigen, dass Ratzinger nicht, wie es mitunter mit einer geradezu erstaun­ lichen Leichtigkeit geschieht, den Traditionalisten oder Konservativen zuzuordnen ist und dass seine Theologie weit über das hinausgeht – im Ton wie in den Inhalten –, was in diesen Kreisen als ‚einzig wahre Theologie‘ gilt. In diesem Sinne wird er meiner Meinung nach von zwei Seiten missinterpretiert: von der progressiven Seite, die seine Theologie, eben weil sie in vielem neue und vertiefte Grundlegungen für klassische Inhalte liefert, ungerechterweise als rückwärtsgewandt apostrophiert, wie auch von den Traditionalisten, die immer wieder versuchen, ihn für eigene Zwecke und Überzeugungen zu vereinnahmen. Ratzinger kann nicht Pate stehen für einen im Grunde genommen auf Neuscholastik aufbauenden Traditionalismus. Das zeugte entweder von einer Unkenntnis seines Werkes oder wäre eine völlige Desinterpretation seiner Texte. Ratzinger ist kein Nostalgiker, der zum Gewesenen zurückkehren wollte. Das Verschwinden mancher Auswüchse des Hochwürdigkeitsdenkens bereut er keineswegs, der Priester ist für ihn weit mehr als ein professioneller ‚Kulthandwerker‘, der vor allem anderen auf die äußere Korrektheit des Ritus bedacht wäre, und auch mehr als ein bloßer ‚Spender der Sakramente‘, der überzeitliche Wahrheiten zu verkünden hat und dessen Lebensstil fernab von dem der Menschen seiner Epoche ist. Der Priester ist für ihn aber auch weit mehr als ein Sozialdienstleister, Kämpfer für Gerechtigkeit, Moralapostel oder Arbeiter im Dienst der Volksauf-

2 Wie wird die Kirche im Jahre 2000 aussehen?, 1970, in: JRGS 8/2, 1164. 3 Ebd.

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7. Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

klärung. ‚Ratzingers Priester‘ lebt in der Welt von heute und setzt sich mit ihren Fragen auseinander. Um seiner Treue zum überlieferten Glauben willen gibt er die Treue zum konkreten Menschen seiner Zeit nicht auf. Ratzinger liegt daran, das Priestertum gegenüber modernen Infragestellungen zu ‚retten‘, weil er weiß, dass dieses zum Wesen der Kirche gehört und in ihm ein wirk­ licher Auftrag des Herrn lebt. In diesem Sinne will er das Verständnis des Priestertums ‚verwesentlichen‘, also auf das Eigentliche, das Wesentliche seines Auftrags zurückführen, das heißt einerseits von Ablagerungen der Zeit, die diesen verwässert haben, reinigen und andererseits aus den dem modernen Denken entsprießenden Engführungen herausführen. Die hier beschriebene Aufgabenstellung bleibt bis in unsere Zeit hinein aktuell, auch und gerade für die Priester. An einer Stelle beschreibt Ratzinger 1969 die Spannung zwischen den verschiedenen Priestergenerationen der damaligen Zeit, als nämlich die ältere Generation, die auf Kontinuität bedacht war, im Kontakt mit der jüngeren, eher für Erneuerung und Veränderung plädierenden, die Sorge nicht loswerden konnte, „in all dem Neuen […] die Substanz des Christlichen“ preiszugeben, also durch die Veränderungen nicht weniger als den Glauben zu verraten. Der jüngere Priester der 1960er-Jahre konnte dagegen, so Ratzinger, den Verdacht nicht unterdrücken, „in all dem Herkömmlichen, auf das er trifft, werde die Welt verraten“, und das heißt nichts weniger, als dass „der Glaube weltlos gemacht“ und somit „ins Unmögliche abgedrängt, eingeschlossen in Schemen und Leitbilder der Vergangenheit“ werde, die ihn so „selbst zum ‚Schema‘, zum Schatten machen“ und daran hindern, seine Lebenskraft in unserer Zeit zu entfalten.4 Diese Beobachtung der Spannungen unter den Priestergenerationen und ihre Bedenken haben ihre Gültigkeit bis in unsere Zeit hinein behalten, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen. Häufig ist es nämlich die jüngere Priestergeneration, die auf Kontinuität mit dem Tradierten pocht und die älteren Ausdrücke der eigenen Identität mehr schätzt als die inzwischen reifer gewordene Priestergeneration. Die wiederum beobachtet diese Entwicklung mit Unverständnis und fragt fast verzweifelt, warum

4 Vgl. Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 388.

7.1 Ratzingers Ansatz

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die Jungen ihren „Kampf“ nicht weiterkämpften und zu dem zurückkehren wollten, was die Älteren mit so viel Mühe aufgebrochen und wenn auch nicht zum Ziel, so dennoch weitergebracht hätten. Jedoch darf hier das Recht einer jeden Generation, ihre eigenen Akzente zu setzen, auch wenn sie anders sind als die ­ihrer Vorgänger, nicht vergessen werden. Nicht alles, was die inzwischen älter gewordene Priestergeneration als des Kampfes würdig betrachtet hatte, bestand die Prüfung der Zeit. Es gab auch Verirrungen und Verflachungen in Bezug auf die Identität des Priesters, welche die Jüngeren nicht übernehmen wollen. Denn viele von ihnen sind nicht mehr, wie die heutigen Älteren in ihrer Jugend, von der Neuheit und den Möglichkeiten der modernen Welt fasziniert. Sie kennen sie und müssen nicht erst aufbrechen, um zu ihr zu gelangen, sondern betrachten sich selbst als ihren Bestandteil. Sie sind häufig nämlich nicht mehr, wie viele der heute Älteren, in einem behüteten katholischen Milieu aufgewachsen, sondern haben sich für die Berufung nach eigenem, vielleicht längerem Suchen, das oft in einem völligen Eintauchen in die moderne Welt geschah, entschieden. Mit einem Wort: Die Älteren dürften ihre möglicherweise naive, einseitig positive Vorstellung von der Welt relativieren, die Jüngeren wiederum müssen aufpassen, nicht zu negativ über das Heute zu denken und wegen teils berechtigter Kritik das Gute der heutigen Welt nicht zu übersehen. Wenn eine Neuentdeckung des Tradierten und seiner Formen aber ein einfaches Zurück zum Gewesenen und einen Rückzug in vermeintlich einsichtige Sicherheiten bedeuten sollte, welche die Mühe der Nähe zum heutigen Menschen und seinen Fragen, ja die Mühe der Suche nach den im Heute nachvollziehbaren Plausibilitäten scheuen, würde es der Komplexität der Sachlage nicht gerecht, ja sogar das Priesterliche selbst nur karikieren. Dass damit das eigentliche theologische sowie priesterliche Anliegen von Joseph Ratzinger völlig verkannt werden würde, dürfte diese Untersuchung ausreichend gezeigt haben, auch wenn Ratzinger selbst diese Gefahr direkt nicht thematisiert. Die Spannung zwischen dem Anspruch des Vorgegebenen und durch die Geschichte Getragenen und dem Heute und seinen teils heftigen Anfragen, wie eine Brücke zwischen zwei Ufern auszuhalten, bleibt ein Gebot der Stunde für die Theologie und für das Priestersein.

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7. Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

7.2 Ratzingers Priesterbild: die Wichtigkeit solider Theologie (theologische Perspektive) Das längste Kapitel dieser Studie hat wohl eindeutig Ratzingers Mühe um Erneuerung der biblischen und theologischen Grund­ lagen des katholischen Priestertums belegt. Die entsprechenden Ausführungen müssen hier nicht eigens wiederholt werden. Es soll nur in Erinnerung gerufen werden, von welcher Wichtigkeit für Ratzinger gerade eine solide, belastbare Theologie des Amtes ist. Ratzinger ist bemüht, aus biblischen, ekklesiologischen und vor allem christologischen Fäden eine solche gediegene Theologie des Priestertums zu weben, die den Infragestellungen durch moderne, protestantisch geprägte Theologien, aber auch dem Nichtverstehen durch die moderne Welt standhält. Natürlich existiert in der Kirche kein Priestertum neben dem einzigen Priestertum Christi, welches sich in Ritualismus und Sicherstellung des Systems Kirche als societas perfecta erschöpfen würde. Solches Denken entlarvt Ratzinger als eine unzulässige Engführung, die selbst Ausdruck einer Krise innerhalb der Theologie und der Kirche ist. Vielmehr ist das Priestertum für ihn ein aus der Sendung Christi selbst, also aus der von Gott selbst begonnenen geschichtlichen ‚Heilsbewegung‘ herauswachsender Auftrag, der zuerst und unmittelbar den Aposteln anvertraut, von ihnen weitergegeben wurde und in der Kirche in einem Prozess der Differenzierung gewachsen ist. Von da kommt auch seine Klarheit her: Entweder ist das Priestertum eindeutig christologisch begründbar, oder aber es gibt das Priestertum nicht. Die Apostel – und im Ausfluss ihrer Sendung die Presbyter – sind vom auferstandenen Herrn selbst berufen und durch das Sakrament bevollmächtigt. Eine Selbstermächtigung ist nicht möglich, es muss der Herr selbst sein, der in die Dynamik des apostolischen Grundauftrags hineinstellt. Das Moment der persönlichen Berufung, dieses geheimnisvollen dialogischen Geschehens zwischen der Freiheit Gottes, diejenigen, die er selber will, zu berufen, und der Freiheit des Menschen, eine Antwort auf diesen Ruf zu geben, gehört zu den konstitutiven Momenten des Priesteramtes. Siegfried Wiedenhofer hält Ratzingers starke, fast ausschließlich christologische Begründung des Amtes für problematisch, da sie seiner Meinung nach die „Offenheit für innerkirchliche ­Reformbestrebungen“ sowie für „ökumenische Einigungsbestre-

7.2 Ratzingers Priesterbild: die Wichtigkeit solider Theologie

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bungen“, die er in Ratzingers Konzeption durchaus erkennt, „vorschnell zum Halten bring[t]“, was bei einer stärker pneumatisch geprägten Begründung wohl anders wäre. Auch meint er, dass Ratzinger Struktur-, Organisations- sowie Institutionsfragen „als mehr oder weniger bloße Äußerlichkeiten“ ausblendet. 5 Es stimmt, dass Ratzinger die genannten Fragen nicht für vorrangig hält. Er ist vielmehr bemüht, die Grundlagen neu freizulegen und zu festigen. Andererseits muss man sagen, dass in seiner Priesteramtstheologie, wie wir gesehen haben, sehr wohl auch pneumatische Momente zum Tragen kommen, auch wenn die christologische Mitte immer die eigentlich entscheidende bleibt. Es ist auch richtig, dass Ratzinger die immer wieder von interessierten Kreisen vorgeschlagenen Strukturreformen nicht unterstützt und dafür gute Gründe zu haben meint. Man kann wohl auch sagen, dass er dem Pragmatismus mancher immer wieder vorgetragener Lösungsansätze misstraut und vielmehr vom Grundsätzlichen her denkt. Es sei auch noch vor Augen geführt, dass die kirchlichen Gemeinschaften, in denen all die bekannten Reformvorschläge verwirklicht wurden, nicht weniger mit Problemen zu kämpfen haben, als es in der katholischen Kirche der Fall ist, eher im Gegenteil.6 Auch das zeigt, dass die Debatte hier grundsätzlicher geführt werden muss, was stets auch Ratzingers Anliegen war. Sein Grundsatz lässt sich wohl mit dem Stichwort auf den Punkt bringen, dass er die Kirche nicht für „unsere Kirche“ hält, sondern ­immer kompromisslos ihre Christusbezogenheit betont. Es ist Ratzinger wohl darin beizupflichten: Wenn die Kirche eine

5 Vgl. Siegfried Wiedenhofer , Die Theologie Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. Ein Blick auf das Ganze, Regensburg 2016, 616 f. Wiedenhofers Darstellung von Ratzingers Theologie ist wegen seines Todes leider unvollständig und eher skizzenhaft geblieben und somit auch seine Anfragen zu Ratzingers Priesteramtstheologie. Dennoch ist sie wohl die einzige bekannte, wenn auch sehr knappe Darstellung und kritische Würdigung von Ratzingers Gedanken zu unserem Thema. 6 Stichwortartig sei an die inneren Spaltungstendenzen innerhalb der weltweiten Anglikanischen Gemeinschaft sowie an den großen Pfarrermangel in den evangelischen Kirchen erinnert. Auch die „ergebnisoffenen“ Diskussionen in der EKD, ob man den Sonntagsgottesdienst nicht ganz abschaffen solle, sind hier zu nennen: „Angesichts schwindender personeller und finanzieller Ressourcen, vor allem aber mit Blick auf die geringe Reichweite sollte vielerorts engagierter und ergebnisoffener über den Fortbestand [des Sonntagsgottesdienstes] diskutiert werden.“ https://www.katholisch.de/artikel/23009-studie-sorgt-weiter-zu-diskussionenum-sonntagsgottesdienst (20.10.2019).

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7. Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

„Christokratie“ ist, wie er formuliert, und die Freiheit in ihr nicht in der Ermächtigung aller, sondern vielmehr in der Entmächtigung aller, also in der Bindung an den formenden Willen des Stifters besteht, dann müssen auch die Fragen anders formuliert werden und dann ist das Entscheidende in ihr die Treue zum Ursprung. Erst sie ermöglicht eine fruchtbare Zuwendung zum Heute. In diesem Sinne ist das hierarchische Prinzip in der Kirche, für das das Priestertum steht, in Ratzingers Auffassung nicht einfach eine Entscheidungsmacht innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft, sondern vielmehr Durchlass und Vergegenwärtigung des Anfangs in der Sendung Christi, da das Priestertum durch die ganze Geschichte hindurch nicht nur durch die successio apostolica, sondern auch und vor allem sakramental und pneumatisch diesen Ursprung und Anfang gegenwärtig macht. Das Priestertum ist somit Bezeugungsinstanz und Bürgnis des gemeinsamen Stehens in der Überlieferung vom Anfang her, ein Garant der Treue zum Ursprung, da die Apostel und in ihrer Nachfolge die Bischöfe und Priester bevollmächtigte Zeugen Christi sind, in seiner Autorität das Evangelium verkünden und sein eigenes Handeln vor allem sakramental gegenwärtig setzen. Gerade das aber bedeutet Sakrament, wenn die Diener etwas vermitteln und geben, was sie von sich aus, aus dem Eigenen heraus, nicht zu geben vermögen. Deswegen ist das Priestertum mehr als Funktion oder Rolle, es ist ein Raum des Handelns Christi. Folglich gilt das bereits Gesagte, dass nämlich überall dort, wo den Geweihten in der Kirche Entscheidungsbefugnisse reserviert sind, es nicht darum geht, Eigenwillen oder Mehrheitswillen durchzusetzen, sondern darum, den Punkt zu markieren, an dem der menschliche Wille endet und der Gehorsam der Wahrheit Christi gegenüber beginnt. Auch aus diesem Grund muss die Gegenwart des Herrn in der Person und im Handeln seines Dieners dynamisch und handlungsbezogen und nicht statisch-objektivistisch verstanden werden. Dafür steht wohl mehr der Begriff In persona Christi Capitis agere denn der Ausdruck Sacerdos – alter Christus. All dies zeigt wohl unmissverständlich den völligen Dienstcharakter des Priestertums, der sein Grundcharakteristikum ist: Das Priestertum ist niemals für sich selbst da, in keinem wie auch immer verborgenen Winkel seines Daseins ist es ein Selbstzweck, sondern es ist dazu da, damit die Kirche sie selbst sein kann – durch das unverfälscht verkündete Wort Gottes, das sie zusam-

7.3 Ratzingers Priesterbild: ein selbstenteigneter Diener

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menruft, und die recht gefeierte Eucharistie, aus der sie hervorgeht und aus der sie lebt. In diesem Verständnis werden alle klerikalen Herrschaftsallüren als dem Priestertum selbst widersprechend entblößt und daher als widersinnig und im höchsten Maße abwegig erkannt. Das Priestertum ist ein grundsätzlich relationaler Begriff, der im Dienst des Geheimnisses Kirche steht, welche der in der Geschichte lebendige Christus ist. Es dient dem Grundauftrag, dass die Kirche sie selbst durch die Eucharistie, welche das Priestertum als seinen höchsten Dienst gewährleistet, ist und immer wieder wird. Wenn sie mehr sein soll als eine Zusammenkunft von Gleichgesinnten, wenn sie sie selbst sein soll, also die Braut Christi, der Tempel des Heiligen Geistes, bedarf sie des Amtes, das genau dieses ‚Mehr‘ gewährleistet.

7.3 Ratzingers Priesterbild: ein selbstenteigneter Diener (existentielle Perspektive) Somit kommen wir zum zweiten Punkt, der Ratzingers Priesterbild charakterisiert. In all dem, was bisher gesagt wurde, zeigt sich ein Wesenszug des katholischen, auf Christus, den einzigen Hohepriester, zurückgehenden Priestertums: die Selbstlosigkeit des Amtsträgers, seine Selbstenteignung zugunsten des Herrn. Ratzinger hält sie für das Kriterium und Erkennungsmerkmal der wahren Nachfolge und des wirklichen Priestertums Jesu überhaupt und sagt, dass die Selbstlosigkeit nach dem Neuen Testament und nach der Didache „das wahre Kriterium des Apostels“ sei,7 an dem man überhaupt erkenne, „er sei einer“. 8 Das ist freilich keine einfache, irgendwie lyrisch oder romantisch zu verstehende Größe. Vielmehr geht es um die existentielle Perspektive des priesterlichen Dienstes. Die Selbstenteignung berührt das Tiefste des Menschen, seine Identität, seine Freiheit und seine Sehnsucht nach dem Sinn. Wenn sie ernst genommen wird, ist ‚das Ganze‘ im Spiel.

7 Vgl. Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 400. 8 Vgl. die Originalaufnahme des Vortrags Der Priester im Umbruch der Zeit aus dem Jahr 1969, in der schriftlichen Fassung anders formuliert. Vgl. JRGS 12, 401.

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7. Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

Sie tangiert das ganz persönliche Ringen des Menschen um den eigenen Glauben auf ganz grundsätzlicher Ebene. Der Priester bleibt für Ratzinger, wie wir gesehen haben, immer ein Mensch aus Fleisch und Blut, der mitten in einer zwiespältigen Zeit seinen Glauben erringen muss – einerseits, um selber wirklich glauben zu können, andererseits aber auch, um glaubwürdig das zu sein, was er als Priester sein soll: ein Mann Gottes. Diese existentielle Perspektive des glaubenden Menschen von heute, der niemals in sich verschlossen und selbstgenügsam existiert, da alle Menschen in eine Schicksalsgemeinschaft – und das heißt wesentlich auch in Berührung zwischen dem Glauben und dem Unglauben, in ein gegenseitiges Aufeinander-bezogen-Sein von Glaubenden und Glaubenslosen – verwoben sind, hat Ratzinger in seinem Bestseller Einführung in das Christentum unübertrefflich schön in Worte gefasst: „Wenn der Glaubende nur immer über dem Ozean des Nichts, der Anfechtung und der Fragwürdigkeiten seinen Glauben vollziehen kann, den Ozean der Ungewissheit als den allein möglichen Ort seines Glaubens zugewiesen erhalten hat, so ist doch auch umgekehrt der Ungläubige nicht undialektisch als bloß Glaubensloser zu verstehen. So wie wir bisher erkannt hatten, dass der Gläubige nicht fraglos dahinlebt, sondern stets vom Absturz ins Nichts bedroht, so werden wir jetzt das Ineinandergeschobensein der menschlichen Geschicke anerkennen und sagen müssen, dass auch der Nichtglaubende keine rund in sich geschlossene Existenz darstellt. Denn wie forsch er sich auch immer als reiner Positivist gebärden mag, der die supranaturalen Versuchungen und Anfälligkeiten längst hinter sich gelassen hat und jetzt nur noch im unmittelbar Gewissen lebt – die geheime Ungewissheit, ob der Positivismus wirklich das letzte Wort habe, wird ihn doch nie verlassen. Wie es dem Glaubenden geschieht, dass er vom Salzwasser des Zweifels gewürgt wird, das ihm der Ozean fortwährend in den Mund spült, so gibt es auch den Zweifel des Ungläubigen an seiner Ungläubigkeit, an der wirklichen Totalität der Welt, die zum Totum zu erklären er sich entschlossen hat. Er wird der Abgeschlossenheit dessen, was er gesehen hat und als das Ganze erklärt, nie restlos gewiss, sondern bleibt von der Frage bedroht, ob nicht der Glaube dennoch das Wirkliche sei und es sage. So wie also der Gläubige sich fortwährend durch den Unglauben bedroht weiß, ihn als seine beständige Versuchung empfinden muss, so bleibt dem Ungläubigen der Glaube Bedrohung und Versuchung seiner scheinbar ein für alle Mal geschlossenen Welt.“9 9 Einführung in das Christentum, 1968, in: JRGS 4, 59.

7.3 Ratzingers Priesterbild: ein selbstenteigneter Diener

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Der Priester, ein Mensch des Heute, ist auch und gerade in diesem Sinne existentiell herausgefordert. Ratzinger bezieht diese grundsätzliche Existentialität des Glaubensaktes tatsächlich auch konkret auf den Priester, wenn er, nachdem er über das mühsame, leidenvolle, der Grenze des Scheiterns sich auszusetzende Bestehen des Priesters im Heute nachgedacht hat, sagt: „Fängt nicht da […] ein Bild des Priesters zu entstehen an […], des Menschen nämlich, der die Anfechtung und die Frage des Glaubens durchleidet? Der gleichsam an der Front des Glaubens steht, ‚professionell‘ für ihn da ist, damit die anderen ihn empfangen können?“10 Wenn auch Ratzinger diese als naheliegende Frage formulierten Gedanken an dieser Stelle nicht „voreilig“, wie er sagt, weiterverfolgen will, kommt er am Ende seines Aufsatzes dennoch zu diesem existentiellen Punkt, zu einem Bild des Priesters also, der eine Schicksalsgemeinschaft mit Christus eingegangen ist.11 Bevor wir aber diesen Gedanken als die Zusammenfassung der existentiellen Ansicht des Priestertums konkreter werden lassen, schauen wir noch auf weitere Aspekte dieses Sachverhaltes. Das Priestersein ist auch deswegen in seiner Tiefe existentiell, weil es nach dem ganzen Menschen verlangt: „Priestertum gibt es nicht halbzeitig und nicht halbherzig. Es ist etwas, das den Menschen braucht, der sich gibt, und nicht ein Stück seiner Zeit, seines Vermögens.“12 Der Mensch, der zum Priestertum berufen und geweiht ist, muss alles geben, seine ganze Existenz: „Zum Ja der Nachfolge gehört der Mut, sich brennen zu lassen von dem Feuer der Passion Jesu Christi, das zugleich das rettende Feuer des Heiligen Geistes ist. Nur wenn wir den Mut haben, diesem Feuer nahe zu sein, wenn wir selbst uns zu Brennenden machen lassen, dann können wir auch auf dieser Erde sein Feuer entzünden, das Feuer des Lebens, der Hoffnung und der Liebe. Dies ist im Grunde immer wieder der Kern des Rufes: dass wir bereit sein müssen, uns von ihm brennen, zu Brennenden machen zu lassen, deren Herz brennt von der Kraft seines Wortes.“13

Wir haben gesehen, dass Ratzinger durch seine Biografie von priesterlichen Gestalten geprägt war, die ihre Berufung als Ernst10 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 392. 11 Vgl. ebd., 401. 12 Sich hineingeben in Seinen Willen, 1986, in: JRGS 12, 479. 13 Ebd., 480.

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7. Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

fall in schweren Zeiten des Krieges gelebt haben. In seinen Texten finden sich keine direkten Bezüge zu diesen Persönlichkeiten, man kann aber diese Erfahrung gewiss als den Hintergrund seiner Gedanken und auch seiner nicht geringen Ansprüche an den Priester ansehen. So erscheint seine wiederholte Aussage, dass zum Wesen des christlichen Priestertums eine Selbstenteignung des Berufenen zugunsten des Berufenden gehört, nicht als zu hoch gestellte Vorlage, sondern als eine aus der inneren Logik des Priestertums entspringende Anforderung, wenn der Priester im Ernstfall seiner Berufung und seinem Auftrag nicht untreu werden soll. Der Priesterberuf ist dieser Logik nach auch kein Job und keine günstige Gelegenheit, ein angenehmes Leben zu bestreiten, sondern vielmehr ein ernstes Unternehmen, das in diesem Sinne die Selbstenteignung – man kann auch sagen: die Koordinaten der Menschwerdung selbst – in sich trägt. Die Kategorie der Selbstlosigkeit spielt auch beim Verkündigungsdienst des Priesters eine äußerst wichtige Rolle. Seine Person muss auch hier hinter die des Herrn zurücktreten, seine Meinung muss hinter den Glauben der Kirche zurücktreten, wenn er mehr zu geben haben soll als das bloß Eigene. In der bereits zitierten Ansprache am Ende der eigenen Bischofsweihe sagt Ratzinger ausdrücklich, dass der Amtsträger „nicht beliebig seine Meinungen wechseln und einmal für dies, einmal für jenes eintreten [kann], je nachdem, wie es günstig erscheint“, denn „er ist nicht da, seine Privatideen auszubreiten, sondern er ist ein Gesandter, der eine Botschaft zu überbringen hat, die größer ist als er“.14 Er ergänzt: „An dieser Treue wird er gemessen, sie ist sein Auftrag“, und nennt sie „Selbstenteignung in das andere, in den Anderen hinein“.15 Der Verkündigungsdienst muss also wesentlich im Zeichen der Selbstenteignung stehen. Die Priorisierung des Willens Christi über den eigenen Willen ist die nächste konkrete Äußerung der Selbstenteignung, die im Gehorsam, von dem bereits ausführlich die Rede war, ihre Lebensform findet: „[Das Priestertum] verlangt immer dies, dass wir aus unserem bloß eigenen Wollen, aus der bloßen Idee der Selbstverwirklichung und

14 Der Bischof ist ein Christusträger, 1977, in: JRGS 12, 268. 15 Ebd.

7.3 Ratzingers Priesterbild: ein selbstenteigneter Diener

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dessen, was wir aus uns machen könnten und haben wollten, heraustreten und uns hineingeben in einen anderen Willen, um von ihm uns führen zu lassen – auch führen zu lassen, wohin wir nicht wollen. Wenn dieser Grundwille nicht da ist, in einen anderen Willen einzugehen, mit ihm eins zu werden, sich führen zu lassen, wo wir es nicht ausgerechnet hatten, dann ist der priesterliche Weg nicht beschritten und könnte nur zum Verhängnis werden. Priestertum beruht darauf, diesen Mut des Ja zu einem anderen Willen zu haben.“16

Für Ratzinger bedeutet dies aber nicht eine Vernichtung des Eigenen, ergo eine Gefahr für den Menschen, sondern vielmehr das Finden der Wahrheit des eigenen Seins. Der Priester empfängt darin nämlich „immer mehr die große Gewissheit […], dass wir, hin­ eingegeben in diesen Willen, nicht vernichtet, nicht zerstört werden, sondern auch in allen Führungen, die uns quer liegen, erst recht in die Wahrheit unseres eigenen Seins hineinkommen“.17 An einer anderen Stelle wird dieser Gedanke noch von einer weiteren Seite, der Seite des Kreuzesgeheimnisses, beleuchtet: „Die Zeit seiner [Christi] Wortverkündigung währte nicht lange. Dann kam das Verstummen des Kreuzes. Aber auch das Kreuz ist Dienst. Im Leiden gibt der Mensch mehr als im Tun, nicht nur seine Kraft, sondern auch seine Substanz – sich selbst. Und so wuchs erst hier die endgültige Fruchtbarkeit (Joh 12,24!): Das Kreuz wurde das Evangelium. Gewiss – nur aus der Perspektive des Schreibtischs stellt sich das alles in schöner Harmonie dar. In Wirklichkeit ist das Kreuz das Zerrissenwerden des Menschen. Und auch der Priester wird das Evangelium immer wieder als Zerreißprobe seines Lebens erfahren. Aber nur indem der Mensch auseinandergerissen wird, kommt er zu seiner vollen Größe. Das Zerrissenwerden ist – wir dürfen uns nichts vormachen – furchtbar, aber es ist auch fruchtbar. Es öffnet den Spalt, der den Blick in das Unendliche freigibt.“18

Im Zurücktreten des Priesters hinter den Eigentlichen, den Herrn, in seiner existentiellen Selbstenteignung, sind somit die Koordinaten der Inkarnation wie auch die des Kreuzes sichtbar. Doch gerade dieser Weg Christi öffnet den Menschen und durch ihn die Welt auf Gott hin und lässt ihn so das Tiefste der eigenen Wahrheit 16 Sich hineingeben in Seinen Willen, 1986, in: JRGS 12, 478. 17 Ebd. 18 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 381.

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7. Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

finden. Und da zeigt sich auch das, was in den priesterlichen Ermahnungen der Pius-Päpste eine so große Rolle gespielt hat, freilich unter neuen Vorzeichen: „Die Heiligkeit des Priesters“, sagt Ratzinger, „besteht in diesem Vorgang des geistlichen Arm-Werdens, des Zurücktretens des Eigenen vor dem Anderen, im SichVerlieren für den Anderen: Christus und von ihm her für die anderen: die Menschen, die Christus uns anvertrauen will.“19 Diese so stark akzentuierten Gedanken Ratzingers würden wohl einer Ergänzung oder Präzisierung bedürfen, um die Gefahr, dass sie missverstanden werden, zu minimieren. Was ist damit ­gemeint? Wir haben gesehen, dass Ratzinger den Gedanken der Selbstenteignung in mehreren Kontexten akzentuiert: existentiell, sakramental, in Bezug auf die Verkündigung, im Hinblick auf den Gehorsam … Das ist nicht nur theologisch, sondern auch ganz praktisch verständlich, hat er doch in seiner kritischen Analyse seines Heute viele Priester vor Augen, die ihren Dienst als persönliche Performance verstehen und diese Dimension völlig missen lassen. Der Priester als Person soll mit dem Eigenen zurücktreten. Wenn dies aber nicht existentiell, sondern nur formal und oberflächlich verstanden werden würde, könnte gerade dann die Gefahr entstehen, dass er zu einem unpersönlichen ‚Profi‘ wird, dass er nur das Vorgegebene anbietet und nur die ihm objektiv auferlegte Pflicht ‚abarbeitet‘. Deswegen müsste noch mehr und genauer gesagt werden, wie viel vom Eigenen des Amtsträgers, das heißt also, wie viel eigenes Herzblut von ihm selbst kommen muss, wie viel eigene ‚Übersetzungsarbeit‘ der Botschaft, die nicht von ihm kommt, er leisten muss, damit sein Wirken nicht zum bloßen und mechanischen Wiederholen der von außen kommenden Inhalte wird. Das Existentielle der Selbstenteignung wäre gerade da missverstanden. An einer Stelle, die bereits erwähnt wurde, betont Ratzinger ebendiese Dimension und besagt, dass „die Existenz des Verkündigers“ der „Transformationspunkt des Damals ins Heute“ sei,20 dass also das eigene Leben des Priesters der eigentliche ‚Übersetzungsort‘ der Botschaft für heute ist. Da der Inhalt der Selbstenteignung so oft und nachdrücklich betont wird, hätte er es wohl verdient, dass auch dieser Aspekt öfter und deutlicher formuliert würde. 19 Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi, 1972, in: JRGS 12, 127. 20 Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, 1967, in: JRGS 12, 372.

7.4 Ratzingers Priesterbild und aktuelle Diskussionen

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7.4 Ratzingers Priesterbild und aktuelle Diskussionen Vielfach war hier von einer Krise des Priestertums die Rede, besonders in der Zeit seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, als viele Infragestellungen sichtbar wurden und sich eine bis dahin ungekannte Einsichtigkeit ihrer Argumente auch in katholischen Kreisen entwickelte. Auch in unserer Zeit mangelt es nicht an Krisenphänomenen, die auf eine tiefe Verunsicherung und Unklarheit bezüglich des Priestertums in der Kirche hindeuten. So kann man berechtigterweise die Frage stellen, ob Ratzingers Theologie des Priestertums heute noch ausreicht, ob sein in dieser Studie skizziertes Priesterbild diesem Heute und seinen Anfragen wie Anforderungen gerecht wird. Es darf auch gefragt werden, ob seine Theologie in den gegenwärtigen Diskursen etwas zu sagen hat und ob sie zur Überwindung der gegenwärtigen Krise beitragen kann. Da muss zuallererst gesehen werden, dass die aktuellen Diskurse sich eher auf praktischer Ebene abspielen und Zölibat, Priestertum der Frau sowie die Fragenkomplexe rund um die Macht in der Kirche thematisieren, wozu nicht zuletzt die Missbrauchsfälle den Anlass gegeben haben. Wir haben allerdings gesehen, dass in Ratzingers Theologie diese Themen eher am Rande seiner Aufmerksamkeit stehen. Wer also bei Ratzinger erschöpfende Darlegungen zu diesen Fragestellungen sucht, kann ob der Knappheit seiner Stellungnahmen enttäuscht werden. Seine Denkrichtung ist grundsätzlicher und versucht eher das zu erneuern, was sozusagen ‚dahintersteht‘, also die Erneuerung der Grundlagen des Amtes zu leisten. Daraus wachsen dann Antworten auf die brennenden Fragen, die Ratzinger vielfach im Modus der Auseinandersetzung und nicht in systematischer Weise, welche an Maßstäben der Vollständigkeit gemessen werden könnte, formuliert. Eine neue Plausibilität in den brenzligen Teilfragen ist damit freilich noch nicht gegeben. Diese erwächst vielmehr aus dem mutigen Weiterdenken in der Treue zum Vorgegebenen sowie zum Heutigen. In dieser Hinsicht ist Ratzingers Priesteramtstheologie mit ihrer großen Mühe um die Sicherung der eigentlichen Grundlagen wohl mehr ein Anfang als ein Ende des Weges, allerdings ein entscheidender Anfang, der durch die Sicherstellung und Erneuerung der Grundlagen ein sinnvolles Weitergehen erst ermöglicht. Dennoch oder gerade deswegen leisten seine Texte zu unserem Thema einen wichtigen und fruchtbaren Beitrag zur Überwin-

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7. Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

dung der gegenwärtigen Krise des Priestertums. An dieser Stelle seien im Licht von Ratzingers Priesteramtstheologie einige kurze Gedanken zu den oben angeführten Diskussionsinteressen unserer gegenwärtigen Zeit formuliert. Die verpflichtende Verbindung von Priestertum und Zölibat in der westlichen Kirche wird nicht erst seit Jahrzehnten, sondern seit Jahrhunderten problematisiert. Der Ruf nach einer Veränderung des Zölibatsgesetzes ist unüberhörbar. Die Kirche dagegen beharrt auf der Tradition, wenngleich ihre konkrete Praxis zeigt, dass es auch andere Modelle gibt: Die unierten Ostkirchen sowie die nach Anglicanorum coetibus entstandenen Ordinariate kennen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, verheiratete Priester. Zweifellos ist der Zölibat auch in der heutigen Welt ein starkes Zeichen, das ohne Worte viel aussagt und von Gläubigen wie Ungläubigen wahrgenommen wird. Damit der Zölibat ein positives Zeichen ist, muss er in Freiheit und aus Überzeugung gewählt und dann auch so gelebt werden. Das zeigt die große Verantwortung bei der Vorbereitung in den Priesterseminaren. Denn ein Zölibat, der nicht in seiner Tiefe erfasst und in Freiheit gewählt wurde, ist eine Belastung für den ihn nur widerwillig lebenden Priester sowie für alle, mit denen er zu tun bekommt. In den Diskussionen wird immer wieder die Hoffnung geäußert, dass mit der Freistellung des Pflichtzölibats das gravierende Problem des Priestermangels wenn nicht behoben, so doch sehr stark abgemildert würde. Das könnte zutreffen, wenn auch nur für einen wohl überschaubar bleibenden Zeitraum, wie die Erfahrungen der kirchlichen Gemeinschaften belegen, die trotz der Nichtexistenz des Pflichtzölibats mit ähnlichen, teils noch dramatischeren Mangelerscheinungen wie die katholische Kirche konfrontiert sind. Vor allem aber reicht das Problem, mit dem der christliche Glaube konfrontiert ist, viel tiefer. Nicht nur der Zölibat scheint der heutigen Kultur nicht mehr einsichtig zu sein, sondern häufig vielmehr der Glaube an Gott selbst. Der moderne Mensch meint weitgehend ohne jedwede Religion gut auszukommen, und die Frage nach Gott lässt ihn vielfach kalt. Das Unverständnis für den Zölibat ist vor allem in diesem Rahmen zu sehen. Es ist weitgehend eine Äußerung dieses grundlegenderen Unverständnisses für alles, was das Sichtbare und naturwissenschaftlich Belegbare übersteigt. Dieses Unverständnis – wir können durchaus von ‚religiöser Unmusikalität‘ sprechen – kennt verschiedene Formen und

7.4 Ratzingers Priesterbild und aktuelle Diskussionen

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Abstufungen und lässt sich auch bei Menschen vorfinden, die eine stärkere oder schwächere Verbindung zur Kirche haben. Das ist die wahre, wohl viel grundlegendere und wirklich existenzentscheidende Herausforderung für die Kirche von heute. Der Diskussionsstand und vor allem die Erwartungshaltung, die mit der möglichen Änderung des Zölibatsgesetzes immer wieder verbunden wird, lassen allerdings vermuten, dass eine solche Änderung gerade in diesem Sinne leicht als ein falsches Signal verstanden werden könnte. Denn die Reaktion in weiten Teilen nicht nur der kirchlichen Öffentlichkeit würde vermutlich lauten: Endlich! Was lange verlangt und als Ursache der Probleme ausgemacht wurde, sei nun endlich geschehen. Nach einer gewissen Zeit würde aber eine Ernüchterung folgen. Es würde sich relativ rasch zeigen, dass eben die Ursache der Probleme, nämlich die soeben beschriebene tiefergehende Herausforderung, mit der Änderung des Pflicht­ zölibatsgesetzes nicht behoben worden ist, und die Erleichterung ob der Entspannung würde von Enttäuschung abgelöst. Natürlich würde eine solche Veränderung auch neue Probleme mit sich bringen, wie die unierten Ostkirchen bezeugen: von gescheiterten Priesterehen über Mehrbelastung bis hin zu höheren materiellen Ansprüchen, welche der verheiratete Klerus mit der Familie hätte. Was damit gemeint ist, illustriert eine konkrete Begebenheit: Ein Freund, ein zölibatär lebender griechisch-katholischer Priester, hat mir von der schockierenden Tatsache erzählt, dass die Mehrheit seiner verheirateten Weihekollegen ihn wegen seiner Lebensform beneide. Nicht wegen Problemen in der Ehe oder Enttäuschungen im Priesterleben, sondern weil sie sagen, dass die Mühe um gleichzeitige Verwirklichung von drei großen Berufungen – Ehemann, Vater und Priester – eine kaum zu meisternde Herausforderung für sie darstelle und sie sehr oft mit dem Gefühl kämpften, das eine oder das andere zu vernachlässigen. Dass es andererseits Frustration und Enttäuschung auch unter den zölibatär lebenden Priestern gibt, braucht hier nicht eigens betont zu werden, denn das wird immer wieder zur Sprache gebracht. Während jedoch die oft schwierigen Erfahrungen der zölibatären Priester in der Diskussion berechtigterweise eine ­ wichtige Rolle spielen, kommen die Probleme der verheirateten katholischen Priester im Diskurs kaum vor. Dass damit einem guten Dialog über ein wichtiges Anliegen etwas Essentielles fehlt, liegt auf der Hand.

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7. Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

Das entscheidende theologische Argument für die bestehende Praxis der römischen Kirche, das über alle praktischen Überlegungen hinausgeht, lautet aber: Wenn zum Wesen des auf Christus zurückgehenden Priestertums, wie hier oft dargelegt, eine das Existentielle berührende Selbstenteignung der Person des Priesters gehört, dann wird dieses Wesentliche des Priestertums im Zölibat in besonderer, wenn auch natürlich nicht einzig möglicher Weise gelebt. Im Unterkapitel über das Zölibatsthema wurde diese Existentialität des Zölibats bereits zur Sprache gebracht. Die Frage lautet: Sind die gegen den Pflichtzölibat vorgetragenen Argumente stark genug, um auf diese durch Jahrhunderte bewährte Praxis zu verzichten? Und wenn ja, wie könnte dieser wesentliche, existentielle Verzicht dann strukturell gelebt werden? Der zweite Punkt, das Unverständnis für den Ausschluss der Frauen vom Ordo, scheint in den letzten Jahren noch stärker geworden zu sein. Er zeigt, dass die Frage für den modernen Menschen eine starke Plausibilität in sich trägt. In Zeiten, in denen der Gleichstellungsgedanke aus gut nachvollziehbaren Gründen selbstverständlich ist, scheint die Aufgabe, den traditionellen Ausschluss zu begründen, kaum bewältigbar zu sein. Ratzingers Argumente für die bestehende Praxis im Westen wie im Osten brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Es soll aber daran erinnert werden, dass diese Frage in verschiedenen Gegenden der Weltkirche sehr unterschiedlich wahrgenommen wird und das, was in der westlichen Hemisphäre als ein Gebot der Stunde und als logischer Gipfel der Entwicklung erscheint, anderswo als höchst problematisch gilt und eine Plausibilität, die der im Westen auch nur ähneln würde, nicht zu entwickeln vermag. Diese Tatsache von der Warte des Westens her vorrangig als eine Frage der vermeintlich unzureichenden Entwicklung mancher Ortskirchen zu interpretieren, würde wohl an die Haltung des Hochmuts grenzen, die Papst Franziskus scharf als „ideologische Kolonisierung“ anprangert. Auf jeden Fall soll gesehen werden, dass, wenn ein Teil der Ortskirchen im Westen in dieser Frage eigenständig vorpreschen wollte, das hohe Gut der Kircheneinheit auf dem Spiel stünde, was im höchsten Maße zur Zurückhaltung auffordert. Auch gilt, dass diese Frage geschichtlich nicht nur mit der Emanzipation der Frau in der westlichen Gesellschaft zusammenhängt, sondern wesentlich auch mit der im Laufe des 20. Jahrhunderts

7.4 Ratzingers Priesterbild und aktuelle Diskussionen

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veränderten Praxis der protestantischen Kirchen auf diesem Gebiet, die bis dahin ebenso nur männliche Amtsträger kannten. Mit der Veränderung ihrer Praxis wurde die Frage auch in anderen christlichen Kirchen virulent. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die protestantischen Gemeinschaften im Unterschied zur katholischen Kirche ein sakramentales Priestertum nicht kennen, was die Sachlage in einem anderen Licht erscheinen lässt. Ihre Ämter sind dementsprechend stärker funktional und nicht sakramental-ontologisch definiert. In den Diskussionen wird schließlich immer wieder behauptet, dass es keine Argumente für den Ausschluss der Frauen vom Weihepriestertum gebe. Nicht nur Ratzingers Texte, sondern vor allem die lehramtlichen Dokumente belegen aber, dass die Haltung des Lehramtes durchaus argumentativ unterlegt ist. Das wirkliche Problem besteht wohl nicht darin, dass es keine Argumente für die bestehende Haltung der Kirche geben würde, sondern vielmehr darin, was als gültiges Argument anerkannt wird. Da müsste allerdings die ‚Beweislast‘ bei denen liegen, die in diesem Bereich einer Art von Argumenten die Schlagkraft absprechen, die bei anderen Themen in der Theologie durchaus anerkannt wird. Über allem aber steht die Frage: Wie lässt sich, auch und gerade bei Beachtung der starken Empfindungen der gegenwärtigen Zeit, dem theologisch äußerst starken Argument der bestehenden Tradition in Ost und West begegnen? Es als unwichtig oder zweitrangig beiseitezulegen, kann eine redliche Theologie, die sich dem Offenbarungsereignis verpflichtet fühlt, nicht tun. Die viel zitierte Krise des Priestertums hängt in unserer kirch­ lichen Geschichtsstunde wohl stark auch mit der Frage der Macht und ihrer Ausübung in der Kirche zusammen, die äußerst virulent ist. Das Verständnis des Amtes und seine konkrete, praktisch gelebte Form spielen dabei eine ganz große Rolle. Leider mangelt es nicht an Beispielen, die zeigen, dass ungeeignete Personen die ihnen verliehene Macht auch falsch einsetzen, zu ihrem eigenen Vorteil nutzen oder mitunter sogar missbrauchen können. Ganz grundsätzlich kann das kirchliche Amt, das die Legislative, Judikative und Exekutive in sich vereint, gegenüber einer selbstverständlich demokratisch, nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung strukturierten Gesellschaft sehr schnell als „undemokratisch“ und „problematisch“ wahrgenommen werden. Die Spannung, die sich hier auftut und sich in der Form des Unverständnisses und

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7. Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

der Reformforderungen nach dem Beispiel der demokratischen Spielregeln äußert, wird in unserer Zeit eher größer. Die Kirche aber ist weder Demokratie, in der alle Macht vom Volke ausgeht, noch Monarchie, in der die Macht in der Hand einer Elite gehalten und vererbt wird. Auch und gerade in diesem Punkt muss der Eigencharakter der Kirche und aller Macht in ihr neu entdeckt und zum Tragen gebracht werden. Da gilt wohl die Feststellung von Bernhard Körner: „Die ‚undemokratischen Zustände‘ in der Kirche werden als um so größer empfunden, je mehr Kirche und Amt in Analogie zu anderen profanen gesellschaftlichen Größen gesehen werden, und sie werden als um so geringer empfunden, je mehr das Anderssein von Kirche und Amt betont werden.“21 Dieses Anderssein der Kirche und des Amtes müsste in besonderer Weise im Verständnis der Macht sichtbar werden, die sich immer wesentlich in Entscheidungskompetenzen äußert. Wir haben gesehen, dass Ratzingers Auffassung der Macht des Amtes eher minimalistisch ausfällt, was in seiner Ablehnung, das Amt als ‚decision-making-power‘ in der Kirche zu verstehen, offenkundig wird und in der Bemühung um Verwesentlichung gipfelt, die das Amt zu seiner eigentlichen Aufgabe zurückführen will, als „Garant des Gehorsams gegenüber dem nicht zu manipulierenden Wort Gottes“22 zu fungieren und nicht als Instanz zur Durchsetzung von wem auch immer stammender Vorstellungen oder Interessen. Die Umsetzung dieser Perspektive würde bedeuten, dass nach Wegen gesucht wird, die dem Priester im Konkreten des kirchlichen Lebens zustehende Entscheidungskompetenz, die in irgendeiner Form wohl immer zu den Leitungsaufgaben gehören wird, nicht als bloße Entscheidungsmacht zu gebrauchen, sondern eben als Verwirklichung des eigentlichen, die Existenz des Priestertums begründenden Auftrags, die Bindung an den Willen des Stifters sichtbar zu machen und so die Kirche zu ihr selbst zu machen. Die Frage lautet also: Wie lässt sich die Leitungsmacht des Priestertums in der Kirche konkret leben, damit diese wirklich dem Gehorsam aller gegenüber der Wahrheit dient – die stets größer ist als das, was ein konkreter geschichtlicher Augenblick zu erkennen

21 Körner , Amt und Ordination im Zeitalter der Demokratisierung, 222. 22 Grenzen kirchlicher Vollmacht, 1994, in: JRGS 12, 151.

7.5 Epilog

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vermag, die aber gerade so, in ihrer Größe und in ihrem Anspruch für den Menschen ein Segen ist – und zugleich die Freiheit aller in der Kirche nicht beschneidet, sondern gewährleistet? Freilich wird diese „minimalistische Maxime“ für das Priestertum in der menschlichen Realität immer wieder an Grenzen stoßen, nicht zuletzt bei der Person des Priesters, der durch die Weihe nicht aufhört, ein Mensch mit Schwächen und Sünden zu sein. Wenn er aber bereit ist, sein Priestersein als eine Hineinnahme in den Dienst, die eine Selbstenteignung bedeutet, zu begreifen und tagtäglich die eigene Berufung zu leben, nicht mehr sich selbst, sondern ganz Gott zu gehören und selbst hinter den von Christus kommenden Auftrag zurückzutreten, dann kann das oben beschriebene Eigentliche gelingen und die Macht als Vollmacht im Dienst erfahrbar werden. Denn auch hier gilt, dass das Echtheitssiegel nicht in der Gewandtheit der Theorie, sondern im Bestehen des mühsamen Examens des Alltags verliehen wird. Das Priesterbild, das wir bei Joseph Ratzinger gefunden haben, wäre meiner Meinung nach durchaus geeignet, Bewegung in manche verfahrene Diskussion über die Macht in der Kirche zu bringen, die allzu starke Fokussierung auf die Fragen der Struktur aufzubrechen und die Freude der Berufung in all den unterschiedlichen Möglichkeiten zu leben. Letztlich gilt, dass der soeben beschriebene Weg wohl nichts Geringeres darstellt als die dem Priestertum angemessene Heiligkeit, nach der zu streben jeder Amtsträger schon bei seiner Weihe ermahnt wird. Ihr, der Heiligkeit in ihren so verschiedenen Facetten, hat alles in der Kirche zu dienen.

7.5 Epilog Abschließend können wir einen Gedanken formulieren, der Ratzingers Theologie des Priestertums zusammenzufassen versucht: Durch Ratzingers große Mühe, die Fundamente des Priestertums neu zu sichern – bibelwissenschaftlich, ekklesiologisch und vor allem christologisch –, entsteht ein erneuertes und im Heute verankertes Bild des Priesters, der ein Mann von existentiellem Glauben ist und der in der Bereitschaft, das eigene Ich zu entprivatisieren und einem Anderen, nämlich Christus, zu übereignen, die eigene Existenz auf Gott hin, aber auch auf den konkreten Menschen ­dieser Geschichtsstunde hin öffnet und gerade so Christus den

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7. Existentiell-theologische Erneuerung des Priestertums

Vorrang lässt. Auf diese Weise wird das Priestertum theologisch und existentiell erneuert, vertieft und ‚verwesentlicht‘. Gerade so findet es auch eine neue Glaubwürdigkeit. Ratzinger verwendet dafür einen Begriff der Kirchenväter, mit dem sie das Leuchten des Gesichts des Mose erklärten, nämlich dass er „ex consortio verbi divini“ leuchtete, „von seiner Schicksalsgemeinschaft mit dem Worte Gottes her, auf das er sich eingelassen hatte“. 23 Genau das aber ist für Ratzinger nichts Vergangenes, denn die Schicksalsgemeinschaft des Lebens des Priesters mit dem lebendigen Logos, das consortium totius vitae, macht die priesterliche Existenz mit all ihren Schwierigkeiten und Anforderungen sinnvoll, möglich und sogar anziehend: „Auch heute noch liegt ein Leuchten über demjenigen, der im ‚consortium‘ steht mit Gottes Wort. Und die Menschen merken sehr wohl, ob dieses Leuchten in jemandem wohnt oder ob die Flamme erloschen ist. Als Liturgen des Evangeliums sind wir in das ‚consortium‘ mit dem Worte Gottes gerufen.“24

23 Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 401. 24 Ebd.

8. Literaturverzeichnis

8.1 Primärliteratur 8.1.1 Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften (JRGS) Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche. Die Dissertation und weitere Studien zu Augustinus und zur Theologie der Kirchen­ väter (JRGS 1), Freiburg i. Br. 2011. Offenbarungsverständnis und Geschichtstheologie Bonaventuras. Habilitationsschrift und Bonaventura-Studien (JRGS 2), Freiburg i. Br. 2009. Einführung in das Christentum. Bekenntnis – Taufe – Nachfolge (JRGS 4), Freiburg i. Br. 2014. Jesus von Nazareth. Beiträge zur Christologie (JRGS 6, in zwei Teilbänden), Freiburg i. Br. 2013. Zur Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils. Formulierung – Vermittlung – Deutung (JRGS 7, in zwei Teilbänden), Freiburg i. Br. 2012. Kirche – Zeichen unter den Völkern. Schriften zur Ekklesiologie und Ökumene (JRGS 8, in zwei Teilbänden), Freiburg i. Br. 2010. Glaube in Schrift und Tradition. Zur Theologischen Prinzipienlehre (JRGS 9, in zwei Teilbänden), Freiburg i. Br. 2016. Auferstehung und ewiges Leben. Beiträge zur Eschatologie und zur Theologie der Hoffnung (JRGS 10), Freiburg i. Br. 2012. Theologie der Liturgie. Die sakramentale Begründung christlicher Existenz (JRGS 11), Freiburg i. Br. 2009. Künder des Wortes und Diener eurer Freude. Theologie und Spiritualität des Weihesakramentes (JRGS 12), Freiburg i. Br. 2010. Im Gespräch mit der Zeit (JRGS 13, in drei Teilbänden), Freiburg i. Br. 2016.

8.1.2 Monografien und Aufsätze Benedikt XVI., Die Kirche und der Skandal des sexuellen Missbrauchs, https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2019-04/papst-benediktxvi-wortlaut-aufsatz-missbrauch-theologie.html (11.4.2019). – Zum Eröffnungsband meiner Schriften, in: JRGS 11, 5–8.

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8. Literaturverzeichnis

Ratzinger, Joseph/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung, Freiburg i. Br. 2007. – Jesus von Nazareth. Zweiter Teil: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Freiburg i. Br. 2011. – Jesus von Nazareth. Dritter Teil: Prolog – Die Kindheitsgeschichten, Freiburg i. Br. 2012. Ratzinger, Joseph, Aus meinem Leben. Erinnerungen 1927–1977, Stuttgart 1 1998 (München 62006). – Bemerkungen zur Frage der Apostolischen Sukzession, 1973, in: JRGS 8/2, 855–863. – Bereitung zum priesterlichen Dienst, 1989, in: JRGS 12, 432–450. – Bilanz der Nachkonzilszeit – Misserfolge, Aufgaben, Hoffnungen, 1982, in: JRGS 7/2, 1064–1078. – Damit das Wort Gottes bleibt, 1973, in: JRGS 12, 685–692. – Das Fest des Glaubens. Versuche zur Theologie des Gottesdienstes, Einsiedeln 1981. – Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, 1961, in: JRGS 12, 51–69. – Das Konzil auf dem Weg. Rückblick auf die zweite Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils, Köln 1964; jetzt in: JRGS 2, 359–410. – Das neue Volk Gottes. Entwürfe zur Ekklesiologie, Düsseldorf 1969. – Das priesterliche Amt, 1970, in: JRGS 12, 402–407. – Das Priestertum des Mannes – ein Verstoß gegen die Rechte der Frau?, 1977, in: JRGS 12, 129–138. – Demokratisierung der Kirche?, 1970, in: Joseph Ratzinger / Hans Maier, Demokratie in der Kirche. Möglichkeiten und Grenzen, Limburg 22005 (11970), 7–46. – Der Geist der Liturgie. Eine Einführung, Freiburg i. Br. 2000. – Der Priester als Mittler und Diener Jesu Christi im Licht der neutestamentlichen Botschaft, 1972, in: JRGS 12, 107–128. – Der Priester im Umbruch der Zeit, 1969, in: JRGS 12, 387–407. – Die erste Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ein Rückblick, Köln 1963; jetzt in: JRGS 2, 296–322. – Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, 1976, in: JRGS 12, 70–84. – Die letzte Sitzungsperiode des Konzils, Köln 1966; jetzt in: JRGS 2, 527–575. – Die pastoralen Implikationen der Lehre von der Kollegialität der Bischöfe, 1965, in: JRGS 12, 233–261. – Die Situation der Kirche heute, 1970, in: JRGS 7/1, 584–601. – Dienst und Leben der Priester, in: Weggemeinschaft des Glaubens (siehe unten), 132–150; jetzt in: JRGS 7/2, 897–915. – Dogma und Verkündigung, Augsburg 1973.

8.1 Primärliteratur

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– Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis, München 92007 (11968). – Einleitung zur Dogmatischen Konstitution Dei Verbum, in: LThK 2 13, 497–528. – Ein neues Lied für den Herrn, Freiburg i. Br. 11995. – Ergebnisse und Probleme der dritten Konzilsperiode, Köln 1965; jetzt in: JRGS 2, 417–472. – Eschatologie – Tod und ewiges Leben, Regensburg 1977. – Gesamtkirche und Teilkirche – der Auftrag des Bischofs, 1990, in: Zur Gemeinschaft gerufen (siehe unten), 73–100. – Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg i. Br. 2003. – Grenzen kirchlicher Vollmacht. Einführung zum Apostolischen Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“, 1994, in: JRGS 12, 139–153. – Kirche, Ökumene und Politik. Neue Versuche zur Ekklesiologie, Einsiedeln 1987. – Kommentar zum ersten Kapitel des ersten Teils der Pastoralkonstitution Gaudium et spes, in: LThK 2 14, 313–354. – Opfer, Sakrament und Priestertum in der Entwicklung der Kirche, 1972, in: JRGS 12, 85–106. – Priester aus innerstem Herzen. Beiträge im Klerusblatt aus fünf Jahrzehnten, München 2007. – Probleme von Glaubens- und Sittenlehre im europäischen Kontext, in: Erzbischöfliches Generalvikariat Paderborn (Hg.), Zu Grundfragen der Theologie heute, Paderborn 1992, 7–17. – Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie, Donauwörth 22005 (11982). – Thesen zum Thema „Zehn Jahre Vaticanum II“, 1976, in: JRGS 7/2, 1060–1063. – Unser priesterlicher Dienst. Ansprache an die Priester in Ecuador, 1978, in: JRGS 12, 408–412. – Ursprung und Wesen der Kirche, 1990, in: Zur Gemeinschaft gerufen (siehe unten), 11–42. – Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche, Dissertation, München 1951; jetzt in: JRGS 1, 43–418. – Vom Wesen des Priestertums. Vortrag zur Eröffnung der 8. Vollversammlung der Bischofssynode über das Priestertum, in: Zur Gemeinschaft gerufen (siehe unten), 98–123. – Wahrheit, Werte, Macht. Prüfsteine der pluralistischen Gesellschaft, Freiburg i. Br. 11993. – Warum ich noch in der Kirche bin, 1971, in: JRGS 8/2, 1169–1185. – Was heißt Erneuerung der Kirche?, 1965, in: JRGS 8/2, 1186–1202.

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8. Literaturverzeichnis

– Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio (Festgabe zum 75. Geburtstag, hg. vom Schülerkreis, Redaktion: Otto Stephan Horn / Vinzenz Pfnür), Augsburg 22002 (11995). – Widersprüche im Buch von Hans Küng, in: Karl Rahner (Hg.), Zum Problem Unfehlbarkeit. Antworten auf die Anfrage von Hans Küng, Freiburg/Basel/Wien 1971. – Wie wird die Kirche im Jahre 2000 aussehen?, 1970, in: JRGS 8/2, 1159– 1168. – Zehn Jahre nach Konzilsbeginn – wo stehen wir?, 1972, in: JRGS 7/2, 1032–1039. – Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes. Vortrag auf der Tagung der deutschsprachigen Regenten, Brixen 1967, in: JRGS 12, 350– 386. – Zur Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe. Bemerkungen zum dogmengeschichtlichen Befund und zu seiner gegenwärtigen Bedeutung, in: Franz Henrich / Volker Eid (Hg.), Ehe und Ehescheidung. Diskussion unter Christen, München 1972, 35–56. – Zur Gemeinschaft gerufen. Kirche heute verstehen, Freiburg i. Br. 22005 (11991). – Zur Lage des Glaubens. Ein Gespräch mit Vittorio Messori, München/ Zürich/Wien 22006 (11985).

8.1.3 Ansprachen und Interviews Benedikt XVI., Angelus am 2. Fastensonntag, dem 24. Februar 2013, http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/angelus/2013/docu ments/hf_ben-xvi_ang_20130224.html (11.5.2016). – Ansprache an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie beim Weihnachtsempfang 2005, http://w2.vatican.va/con tent/benedict-xvi/de/speeches/2005/december/documents/hf_ben_ xvi_spe_20051222_roman-curia.html (31.5.2016). – Ansprache bei der Begegnung mit dem Klerus der Diözese Rom am 14. Februar 2013, http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/speeches/ 2013/february/documents/hf_ben-xvi_spe_20130214_clero-roma.html (3.4.2018). – Generalaudienz am 13. Februar 2013, http://w2.vatican.va/content/be nedict-xvi/de/audiences/2013/documents/hf_ben-xvi_aud_20130213. html (10.5.2016). – Generalaudienz am 27. Februar 2013, http://w2.vatican.va/content/be nedict-xvi/de/audiences/2013/documents/hf_ben-xvi_aud_20130227. html (9.5.2016). – Grußworte an die Gläubigen der Diözese Albano in Castel Gandolfo am 28. Februar 2013, http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/

8.1 Primärliteratur

397

speeches/2013/february/documents/hf_ben-xvi_spe_20130228_fedelialbano.html (11.5.2016). – Interview mit dem Jesuitentheologen Jacques Servais über die Frage „Was ist der Glaube, und wie kommt man zum Glauben?“, http://de. radiovaticana.va/news/2016/03/19/im_wortlaut_interview_mit_bene dikt_xvi/1216537 (20.3.2016). – Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Freiburg/Basel/Wien 2010. – Vorlesung über die Kirchenmusik bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Päpstlichen Universität Johannes Paul II. Krakau und der Musikakademie Krakau am 4. Juli 2015, http://www.fondazioneratzin ger.va/content/fondazioneratzinger/it/news/notizie/rimandi-news/ verleihung-der-ehrendoktor-wuerde-an-benedikt-xvi-.html (20.6.2016). Ratzinger, Joseph, Der Bischof ist ein Christusträger. Ansprache bei der eigenen Bischofsweihe, 1977, in: JRGS 12, 267–270. – Ein Bischof muss auch Theologe sein, 1977, in: JRGS 12, 271–273. – Eine „Konzilskirche“ gibt es nicht. Ansprache an die Bischöfe von Chile, 1988, in: Vatican Magazin 3–4 (2013) 45–52. – Gott und die Welt. Die Geheimnisse des christlichen Glaubens. Ein Gespräch mit Peter Seewald, München 2000. – Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche an der Jahrtausendwende. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Stuttgart 1996. Ratzinger, Joseph / Metz, Johann Baptist, Gott, die Schuld und das Leiden. Gespräch, in: Tiemo R. Peters / Claus Urban (Hg.), Ende der Zeit? Die Provokation der Rede von Gott. Dokumentation einer Tagung mit Joseph Ratzinger, Johann Baptist Metz, Jürgen Moltmann und Eveline Goodman-Thau in Ahaus, Mainz 1999, 50–55.

8.1.4 Predigten und Meditationen Benedikt XVI./Joseph Ratzinger, Die Liebe Gottes lehren und lernen. Priestersein heute, hg. von Pierluca Azzaro / Carlos Granados, Freiburg i. Br. 2016. Ratzinger, Joseph, Am Anfang steht das Hinhören. „Und er rief die zu sich, die er wollte“ (Mk 3,13–19), 1986, in: Diener eurer Freude (siehe unten), 71–81. – „Auf Dein Wort hin“. Eine Meditation zur priesterlichen Spiritualität, in: Joseph Ratzinger / Hermann Volk / Bernard Henrichs, „Auf Dein Wort hin“ (Kölner Beiträge, Neue Folge 9), Köln 1983, 15–36. – Betrachtung am Primiztag, 1973, in: JRGS 12, 678–684. – Der Dienst des Zeugen. „Es ist der Herr!“ (Joh 21,1–14), 1986, in: Diener eurer Freude (siehe unten), 59–69. – Der Priester – ein segnender Mensch, 1955, in: JRGS 12, 670–677.

398

8. Literaturverzeichnis

– Die Liebe Gottes lehren und lernen, 1994, in: JRGS 12, 768–773. – Diener eurer Freude. Meditationen über die priesterliche Spiritualität, Freiburg/Basel/Wien 1988. – Eucharistie – Mitte der Kirche, 1978, Donauwörth 22005 (München 1 1978); jetzt in: JRGS 11, 305–358. – Ihm das Ganze zutrauen. „Und viele werden sich freuen …“ (Lk 1,5–17), 1986, in: Diener eurer Freude (siehe oben), 37–48. – Im Atemraum seines Geistes „geistlich Geistliche“ werden, 1979, in: JRGS 12, 540–545. – Immer gibt es Körner, die zur Ernte reifen. „Ein Sämann ging aus …“ (Lk 8,4–15), 1962, in: Diener eurer Freude (siehe oben), 13–23. – Menschenfischer, 1954, in: JRGS 12, 664–669. – Ohne ihn ist alles vergeblich. „Ich gehe fischen“ (Joh 21,1–14), 1986, in: Diener eurer Freude (siehe oben), 49–58. – Schauen auf den Durchbohrten. Versuche zu einer spirituellen Christologie, Einsiedeln 32007 (11984). – Sich hineingeben in Seinen Willen. „Folge mir nach!“ (Lk 9,51–62), 1986, in: Diener eurer Freude (siehe oben), 25–35. – Unterwegs zur Tiefe des Geheimnisses Christi, 1979, in: JRGS 12, 706– 709. – Wegweiser aus der Weisung Jesu Christi, 1978, in: JRGS 12, 694–699. – Zur priesterlichen Spiritualität. „Auf dein Wort hin“ (Lk 5,1–11), 1983, in: Diener eurer Freude (siehe oben), 83–109.

8.2 Sekundärliteratur Balthasar, Hans Urs von, Cordula oder der Ernstfall, Einsiedeln 1965. – Klarstellungen, Einsiedeln 1978. – Rechenschaft 1965, Einsiedeln 1965. Bartmann, Bernhard, Lehrbuch der Dogmatik, Freiburg i. Br. 21911. Bautz, Joseph, Grundzüge der Katholischen Dogmatik, Mainz 21899–1903. Berger, Klaus, Zölibat. Eine theologische Begründung, Leipzig 2009. Blank, Josef / Hünermann, Peter / Zulehner, Paul Michael, Das Recht der Gemeinde auf Eucharistie, Trier 1978. Borutta, Manuel, Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeit­ alter der europäischen Kulturkämpfe, Göttingen ²2011. Bucher, Rainer, Priester des Volkes Gottes, Würzburg 2010. Burkhardt, Johannes / Höhn, Hans-Joachim, Neuzeit, in: LThK 3 7, 789–791. Congar, Yves, La Pentecôte, Paris 1956. – Le Concile au jour le jour. Quatrieme session, Paris 1966.

8.2 Sekundärliteratur

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400

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8.2 Sekundärliteratur

401

– Priester in priesterarmer Zeit, https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/ texte/867.html (4.1.2017). – Priesterlicher Dienst am Wort Gottes und an der Eucharistie, Salzburg 2016. Korec, Ján Chryzostom, Dni a noci po barbarskej noci, Bratislava 2006. Körner, Bernhard, Amt und Ordination im Zeitalter der Demokratisierung. Umblick in einem Spannungsfeld, in: Konrad Huber / Andreas Vonach (Hg.), Ordination – mehr als eine Beauftragung?, Wien 2010, 205–229. – Die Bibel als Wort Gottes auslegen. Historisch-kritische Exegese und Dogmatik, Würzburg 2011. – Melchior Cano. De locis theologicis. Ein Beitrag zur Theologischen Erkenntnislehre, Graz 1994. Kreiml, Josef (Hg.), Christliche Antworten auf die Fragen der Gegenwart. Grundlinien der Theologie Papst Benedikts XVI., Regensburg 2010. Küng, Hans, Umstrittene Wahrheit. Erinnerungen, München 2007. Lebendige Kirche – lebendige Heimat. Joseph Ratzinger und das Erzbistum München und Freising, München 2008. Lécuyer, Joseph, Die Geschichte des Dekrets Presbyterorum ordinis, in: LThK 2 14, 128–140. Leinsle, Ulrich Gottfried, Einführung in die scholastische Theologie, ­Paderborn/München/Wien/Zürich 1995. Meier-Hamidi, Frank / Schumacher, Ferdinand (Hg.), Der Theologe ­Joseph Ratzinger, Freiburg i. Br. 2007. Mühlen, Heribert, Entsakralisierung, in: LThK 3 3, 685 f. Müller, Gerhard Ludwig, Der Empfänger des Weihesakramentes. Quellen zur Lehre und Praxis der Kirche, nur Männern das Weihesakrament zu spenden, Würzburg 1999. – Priestertum und Diakonat. Der Empfänger des Weihesakramentes in schöpfungstheologischer und christologischer Perspektive, Freiburg i. Br. 22003 (12000). – Von „Inter insigniores“ bis „Ordinatio sacerdotalis“. Dokumente und Studien der Glaubenskongregation, Würzburg 2006. Müller, Judith, In der Kirche Priester sein. Das Priesterbild in der deutschsprachigen katholischen Dogmatik des 20. Jahrhunderts, Würzburg 2001. Neuner, Josef, Einleitung und Kommentar zu Optatam totius, in: LThK 2 13, 314–355. Ochs, Thomas, Funktionär oder privilegierter Heiliger? Biblisch-theologische Untersuchungen zum Verhältnis von Person und Funktion des sakramental ordinierten Amtsträgers, Würzburg 2008. Ott, Ludwig, Grundriss der katholischen Dogmatik, Freiburg i. Br. 21954.

402

8. Literaturverzeichnis

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8.3 Dokumente der Kirche

403

Schönborn, Christoph, Ratzinger ging entschieden gegen Missbrauch vor, https://www.katholisch.de/artikel/23425-schoenborn-ratzinger-gingentschieden-gegen-missbrauchstaeter-vor (8.11.2019). Seybold, Michael, Michael Schmaus, in: LThK 3 9, 173. Söhngen, Gottlieb, Neuscholastik, in: LThK 2 7, 924–926. Tück, Jan-Heiner (Hg.), Der Theologenpapst. Eine kritische Würdigung Benedikts XVI., Freiburg/Basel/Wien 2013. Verweyen, Hansjürgen, Ein unbekannter Ratzinger. Die Habilitationsschrift von 1955 als Schlüssel zu seiner Theologie, Regensburg 2010. – Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. Die Entwicklung seines Denkens, Darmstadt 2007. Voderholzer, Rudolf, Der Grundduktus innerhalb der Fundamentaltheologie von Joseph Ratzinger, in: Maximilian Heim / Justinus C. Pech (Hg.), Zur Mitte der Theologie im Werk von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Regensburg 2013, 40–57. – Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. und die Exegese, in: Peter Hofmann (Hg.), Joseph Ratzinger. Ein theologisches Profil, Paderborn 2008, 99–121. Voderholzer, Rudolf (Hg.), Der Logos-gemäße Gottesdienst. Theologie der Liturgie bei Joseph Ratzinger, Regensburg 2009. Walter, Peter, Römische Schule, in: LThK 3 8, 1292. – Ursakrament, in: LThK 3 10, 481 f. Wenger, Antoine, Vatican II. Chronique de la troisième session, Paris 1965. Wiedenhofer, Siegfried, Die Theologie Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. Ein Blick auf das Ganze, Regensburg 2016. Wollbold, Andreas, Als Priester leben. Ein Leitfaden, Regensburg 2010. Wulf, Friedrich, Kommentar zu Artikel 1–6 des Dekrets Presbyterorum ordinis, in: LThK 2 14, 141–169. Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Hg.), Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben. 85. Deutscher Katholikentag vom 13. September bis 17. September 1978 in Freiburg, Paderborn 1978. Zinnhobler, Rudolf, Josef II., in: LThK 3 5, 1008–1010. Zollner, Hans, Papst Benedikt wird Unrecht angetan, https://www.mit telbayerische.de/uni-nachrichten/papst-benedikt-wird-unrecht-ge tan-21984-art1850777.html (23.11.2019).

8.3 Dokumente der Kirche Alle unter einem Christus. Stellungnahme der Gemeinsamen Römischkatholischen/Evangelisch-lutherischen Kommission zum Augsburgischen Bekenntnis 1980, in: Harding Meyer / Damaskinos Papandreou /

404

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8.3 Dokumente der Kirche

405

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Ratzinger-Studien Ratzinger-Studien Die Die Reihe Reihe »Ratzinger-Studien« »Ratzinger-Studien« bietet das derzeit einzige Forum, in dem Einzelaspekte Einzelaspekte der der Theologie Theologie Joseph Joseph Ratzingers Ratzingers auf auf der der Basis Basis seines Gesamtwerks Gesamtwerks diskutiert werden. werden. Die Die Bände Bände kommentieren, kommentieren,interpretieren interpretieren und und diskutieren. diskutieren. diskutiert Herausgegebenwird wirddie dieReihe Reiheim imAuftrag Auftragdes desInstituts Instituts Papst Papst Benedikt Benedikt XVI. XVI. Herausgegeben Christian Schaller Maximilian Heim /(Hg.) Justinus C. Pech (Hg.)

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Zur Mitte der Theologie im Werk

Gerhard NachtweiRatzinger (Hg.) von Joseph / Benedikt XVI.

Hoffnung auf Vollendung Band 6, 216 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-2545-1 / auch als eBook

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Quellen – Auslegungen – Perspektiven

Rainer Hanglertheologische Reflexionen der Premio Ratzinger-Preisträger Internationale

Juble, Tochter ZionISBN 978-3-7917-2593-2 / auch als eBook Band 7, 264 Seiten, Hardcover,

Zur Mariologie von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. Gerhard Nachtwei Band 9, 336 Seiten,(Hg.) Hardcover, ISBN 978-3-7917-2766-0 / auch als eBook

Hoffnung auf Vollendung

Siegfried Wiedenhofer Zur Eschatologie von Joseph Ratzinger

Die Joseph Ratzingers Band Theologie 8, 288 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-2732-5//Benedikts auch als eBook XVI. Ein Blick auf das Ganze Rainer Band 10,Hangler 864 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-2839-1 / auch als eBook

Juble, Tochter Zion

Christian Schaller Giuseppe A. Scotti (Hg.) XVI. Zur Mariologie von/Joseph Ratzinger / Benedikt

Die XVI. / auch als eBook Band Jesus-Trilogie 9, 336 Seiten, Hardcover,Benedikts ISBN 978-3-7917-2766-0

Eine Herausforderung für die moderne Exegese Siegfried Wiedenhofer Band 11, 264 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-2840-7 / auch als eBook

Die Theologie Joseph Ratzingers / Benedikts XVI.

Christian Poncelet Ein Blick auf das Ganze

Dreifacher der Vernunft Band 10, 864 Seiten,Gebrauch Hardcover, ISBN 978-3-7917-2839-1 / auch als eBook

Zum Verhältnis von Theologie und Philosophie bei Gottlieb Söhngen Band 12, 296 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-2921-3 / auch als eBook

Michaela C. Hastetter / Stefanos Athanasiou (Hg.)

»Ut unum sint«

Zur Theologie der Einheit bei Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. Band 13, 192 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-2939-8 / auch als eBook Christian Schaller / Florian Schuller / Josef Zöhrer (Hg.)

Europa christlich?!

Zum Gespräch von Glaube und säkularer Welt Band 14, 112 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-2388-4 / auch als eBook Andreas Jall

Erfahrung von offenbarung

Grundlagen, Quellen und Anwendungen der Erkenntnislehre Joseph Ratzingers Band 15, 664 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-3009-7 / auch als eBook Samuel Acloque

Die Weihnachtsbotschaft bei Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.

Eine religionspädagogische Perspektive Band 17, 368 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-3046-2 / auch als eBook Anna Elisabeth Meiers

Eschatos Adam

Zentrale Aspekte der Christologie bei Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. Band 18, 312 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-3054-7 / auch als eBook Christoph Ohly / Sven Leo Conrad / Rainer Hangler (Hg.)

Aktuelle Herausforderungen des kirchlichen Weiheamts

Band 19, 192 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-3202-2 / auch als eBook Christoph Ohly / Josef Zöhrer (Hg.)

»Mein Herr und mein Gott«

Die Frage nach Gott in den gegenwärtigen Herausforderungen Band 20, 176 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-3295-4 / auch als eBook Christoph Ohly / Josef Zöhrer (Hg.)

»Du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott« Die Frage nach der Erlösung des Menschen im Licht des Christusglaubens Band 22, 152 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-3370-8 / auch als eBook Georg Gänswein (Hg.)

Fides et ratio im Denken und Wirken Benedikts XVI. Band 23, 176 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7917-3362-3 / auch als eBook

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