Atlas Tragwerke
 9783955535261, 9783955535254

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Atlas

Tragwerke Strukturprinzipien – Spannweiten – Inspirationen

Eberhard Möller

Edition ∂

Autorinnen und Autoren Prof. Dr.-Ing. Eberhard Möller Hochschule Karlsruhe (DE) Fakultät für Architektur und Bauwesen

Prof. Maria E. Moreyra Garlock, P. E., Ph. D., F. SEI Princeton University, New Jersey (US) Civil and Environmental Engineering Dr.-Ing. Christian Kayser Kayser + Böttges, Barthel + Maus, Ingenieure und Architekten GmbH, München (DE)

mit Fachbeiträgen von: Prof. Sigrid Adriaenssens, Ph. D. Princeton University, New Jersey (US) Civil and Environmental Engineering Prof. Dr.-Ing. Jan Akkermann Hochschule Karlsruhe (DE) Fakultät für Architektur und Bauwesen Jun.-Prof. Dr.-Ing. M. Eng. Arch. Hanaa Dahy Universität Stuttgart (DE) Fakultät für Architektur und Stadtplanung

Prof. Dr.-Ing. Werner Lang und Dipl.-Ing. Patricia Schneider-Marin Technische Universität München (DE) Ingenieurfakultät Bau Geo Umwelt Prof. Dr.-Ing. Lars Schiemann Hochschule München (DE) Fachgebiet Tragwerksplanung und Konstruktives Entwerfen M. Sc. Jonas Schikore Akademischer Rat Technische Universität München (DE) Fakultät für Architektur

Verlag Redaktion und Lektorat: Steffi Lenzen (Projektleitung), Jana Rackwitz (Theorieteile), Daniel Reisch (Projektbeispiele)

© 2021, erste Auflage Detail Business Information GmbH, München detail.de

Redaktionelle Mitarbeit: Charlotte Petereit

ISBN: 978-3-95553-525-4 (Print) ISBN: 978-3-95553-526-1 (E-Book)

Endlektorat: Carola Jacob-Ritz, München (DE)

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbil­ dungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugs­weiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetz­lichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungs­pflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

Zeichnungen: Ralph Donhauser, Daniel Reisch, Lisa Hurler, Marion Griese Coverdesign nach einem Konzept von: Wiegand von Hartmann GbR, München (DE) Herstellung /DTP: Simone Soesters Repro: ludwig:media, Zell am See (AT) Druck und Bindung: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe (DE) Papier: Les Naturals Olivine (Umschlag), Profibulk (Innenteil)

Die Inhalte dieses Fachbuchs wurden nach bestem Wissen und Gewissen sowie mit größter Sorgfalt recherchiert und erarbeitet. Für Vollständigkeit und Richtigkeit wird keine Gewähr übernommen. Rechtliche Ansprüche können aus dem Inhalt ­dieses Buchs nicht abgeleitet werden. Bibliografische Information der deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Aus Vereinfachungsgründen wurde an manchen Stellen im Buch unabhängig vom Geschlecht nur die männliche For­ mulierungsform gewählt. Damit soll aber jedes Geschlecht ausdrücklich mit einbezogen sein.

Inhalt Entwerfen und Konstruieren von Tragwerken

4

Teil A  Grundlagen Aufgaben von Tragwerken 14 14 Geschichtliche und naturwissenschaftliche Hintergründe Kräfte, Lasten und andere Einwirkungen 16 18 Einwirkungen auf Tragwerke, Lastannahmen Tragwerksentwurf, Lastabtragung 25 30 Äußere Belastung – Innere Beanspruchung: Spannung Sicherheitskonzept32 32 Baustoffe, Eigenschaften, Widerstandsfähigkeit Teil B  Tragelemente Zugbeanspruchte Tragelemente Druckbeanspruchte Tragelemente  Biegebeanspruchte Tragelemente Überblick zur Vordimensionierung von Tragelementen

40 47 54 63

Teil C  Tragsysteme Vom Element zum System  Fachwerkträger  Unterspannte Träger Spreizbinder Seilbinder Abgespannte Träger  Bögen Sprengwerke Hängewerke Rahmen und Fachwerkrahmen Rahmenträger Trägerroste und Fachwerkträgerroste Raumfachwerke Tragelemente und Tragsysteme im Überblick

66 68 78 81 82 82 84 87 87 88 91 92 94 94 

Teil D  Komplexe Tragstrukturen Historische Tragwerke Brücken mit extremen Spannweiten Tragwerke für Hochhäuser Leichte Konstruktionen für weitspannende Dächer Tragende Membranen und Pneus Mobile, wandelbare und adaptive Tragwerke Potenziale neuer Technologien und Baustoffe Effizienz und Nachhaltigkeit von Werkstoffen und Tragkonstruktionen

100 108 116 122 130 136 142 150

Teil E  Gebaute Beispiele 21 Projektbeispiele

160

Anhang Normen / Richtlinien 250 Literatur / Dank 251 Abbildungsnachweis252 Sachwortregister254 Autorinnen und Autoren 256 LItera

4

Entwerfen und Konstruieren von Tragwerken Eberhard Möller

„Am schönsten ist das Gleichgewicht, kurz bevor’s zusammenbricht.“ [1] Peter Fischli und David Weiss Tragwerke bilden das Rückgrat von Architektur und gebauter Infrastruktur. Sie verleihen Gebäuden und Bauwerken Standsicherheit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit. Auch wenn das Tragwerk bei vielen Gebäuden auf den ersten Blick nicht eindeutig ables­bar ist, so ist es doch stets vorhanden. Einwirkungen infolge von Gravitation, Wind, Verkehr oder anderen Ursachen machen eine tragende Struktur bei jeder Bauaufgabe notwendig, egal ob es sich um ein Gartenhaus, einen Wolkenkratzer oder eine Hängebrücke handelt. Das Tragwerk bringt alle einwirkenden Kräfte mit den Reaktionskräften der gebau­ten Struktur ins Gleichgewicht. Im Idealfall entwickeln Architekten und Ingenieure das Tragwerk gemeinsam. Die Praxis zeigt, dass die Realität jedoch oft anders aussieht. Bruno Taut schildert bereits in den 1930er-Jahren in seiner „Archi­tekturlehre“ eine Situation, die manchem wohl auch heute noch recht vertraut klingt: „Sodann gibt es in der Praxis des Architekten oft den folgenden Fall: Er hat vielleicht ein Büro- oder Warenhaus zu entwerfen. Der Grundriß ist gelöst; nur wie er die Architektur

lösen soll, ist noch eine offene Frage. Er wendet sich also an einen Ingenieur, um zu erfahren, welches Konstruktionssystem sich am besten eignet, in der Hoffnung, aus diesem System die entscheidenden Konsequenzen für die formale Lösung entnehmen zu können. Man spricht dann von den verschiedenen Möglichkeiten des Eisen- oder Betonskeletts, ob man gewisse Teile im System der Auskragung oder auch der Aufhängung konstruiert und dergleichen mehr. Sehr oft enden solche Gespräche damit, daß der Ingenieur erklärt: ,Sie können das so oder so machen, wie Sie wollen; das macht alles keine Schwierigkeiten.‘ Der Architekt dachte, es müsse doch eine Kon­struktion geben, die die unbedingt Beste ist und aus der er seine Architektur entwickeln könnte. Aber er erfährt vom Ingenieur in dieser Beziehung so gut wie nichts“. [2] Bruno Taut Im Zusammenhang mit dieser Enttäuschung verdichtet sich die Frage, wer für das Tragwerk denn letztlich zuständig ist. Die meist rechnerischen Nachweise von Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit erstellen häufig Ingenieure. Bezüglich Idee, Konzept und Entwurf lässt sich die Frage aber weit weniger eindeutig beantworten. Zahlreiche erfahrene und renommierte Planer – Ingenieure wie Architekten – haben

1 Sydney Opera House, Sydney (AU) 1973 (Baubeginn 1959), Jørn Utzon, Ove Arup 2 Bahnhof Estação do Oriente, Lissabon (PT) 1998, Santiago Calatrava Architects & Engineers 3 temporärer Pavillon der Serpentine Gallery, London (GB) 2002, Toyo Ito & Associates, Arup, Cecil Balmond 1

EINLEITUNG

5

2

sich zu wesentlichen Aspekten rund um das Entwerfen und Konstruieren von Tragwerken – um das es in diesem Buch vor allem anderen geht – geäußert und ihre persönliche Sichtweise dargelegt. In alphabetischer Reihenfolge kommen sie im Folgenden zu Wort: „Engineering is not a science. Science studies particular events to find general laws. Engineering design makes use of these laws to solve particular practical problems. In this it is more closely related to art or craft; as in art, its problems are underdefined, there are many solutions, good, bad and indifferent. The art is, by a synthesis of ends and means, to arrive at a good solution. This is a creative activity, involving imagination, intuition and deliberate choice, for possible solutions often vary in ways which cannot be directly compared by quantitative methods.” [3] Ove Arup

and so forth) strictly, the engineer will achieve the most artistic result. I have tried to show that none of the best designers believed in such an idea; they all recognized that they had the freedom of personal choice and that conscious aesthetic choice was essential to proper design. At the same time, they sought always to understand better both nature's laws and the properties of their materials. They were well trained in detailed mathematical analysis but as they gained more experience with full-scale works, they used such analysis less and less. Thus, they were ­disciplined but not controlled by nature’s laws.“ [5] David P. Billington „Ingenieurbaukunst entsteht durch die Vorstellungskraft des Ingenieurs und hat drei grundlegende Ideale: Effizienz, Ökonomie und Eleganz.“ [6] David P. Billington

„Wenn wir von Baukunst reden, von Stadt und Straße, Brücke oder Haus, ist es ein Raum, den wir erdenken. Wenn wir von Baukunst reden, ist es ein Raum, dem wir uns suchend, rechnend, konstruierend nähern. Wenn wir von Baukunst reden, dann sind es Tragwerke, sind es Konstruktionen, die mit dem Licht, mit Material und Proportionen dem Raume Eigenwert und Ausdruck übertragen. Wenn wir von Baukunst reden, meint dies, dem vielen anderen voran, das Tragwerk, seine Nützlichkeit; meint dies die Schönheit und die Botschaft seiner Formen. Kein Tragwerk ohne Raum deshalb; und ohne Raum steht Baukunst nicht in Rede.“ [7] Hans-Busso von Busse

„Structure is architecture. The elements of structure punctuate space — they create episodes. They initiate movements to the eye. The placing of structure and its elements creates rhythms. Regular beats or shifting syncopation — ­classical or improvising jazz — each type of reference can be ‘locked’ into how a work is designed. Structure is about organisation — loose and relaxed, or rigid and fixed in hard symmetries. A structural element is not just a beam or a column, it can be a hedge in a landscape, a series of chords in a piece of music, a shaft of light in an installation. Whatever the reference, the outcome of a work is governed by pattern — a base structure for order and primary equilibrium, and the finer markings of ornament for richer dynamics.“ [4] Cecil Balmond „It is a common fallacy to believe that by following some laws (gravity, material properties, 3

6

4

„Es ist ein aktuelles Problem, daß es in der Welt der Architekturkritik Leute gibt, die moralische Normen für den Ingenieurbau entwickeln. Die Gesetze der Statik sagen dir, was du tun kannst und was du nicht tun kannst. Die neuen Moralisten aber sagen, daß es Dinge gibt, die du nicht tun sollst.“ Nun lautet Calatravas Frage: „Wieso soll etwas nicht erlaubt sein, wenn es möglich ist? Wenn Sie mich zum Bei­spiel fragen würden, warum ich Stützen entworfen habe in der Form meiner Hand, würde ich Ihnen sagen, weil es möglich ist. Das ist Ingenieurbau für mich: die Kunst des Möglichen.“ [8] Santiago Calatrava „Ich vermute, dass Maillart selbst sich nicht als Künstler, sondern wie Picasso empfand – als er sagte, ‚je ne cherche pas. je trouve’.“ [9] Félix Candela „Heute, wo nahezu alles möglich ist, kümmert es kaum noch jemanden, was vernünftig oder

wirtschaftlich ist. Doch Erbauern mit Verantwortungsgefühl, die in der Praxis tätig sind, sollte daran gelegen sein.“ [10] Félix Candela

des Ingenieurs zu betrachten oder in ihnen nur wirksame Erfüllung nützlicher Zwecke zu sehen.“ [12] Sigfried Giedion

„Auch Konstruktion ist nicht bloß Ratio. Die Einstellung, die das vergangene Jahrhundert dazu trieb, die Kenntnis der Materie so weit zu vertiefen, daß daraus eine vorher unbegreifliche Beherrschung resultierte, ist ebenso Ausdruck instinktmäßigen Getriebenseins, wie irgend ein künstlerisches Symbol. Man sagt, die Kunst fühle vor, aber man muß, wenn man von der Unteilbarkeit des Lebensprozesses überzeugt ist, hinzufügen: Auch die Industrie fühlt vor, die Technik, die Kon­ struktion.“ [11] Sigfried Giedion

„Ich glaube fast, daß es so etwas gibt wie Schwerelosigkeit. Ich glaube wirklich, daß die Gebäude fliegen. Ich weiß, daß sie es nicht tun, aber ich glaube daran – außer, wenn ich mich mit meinen Ingenieuren treffe.“ [13] Zaha Hadid

„Konstruktion – das Unterbewußtsein der Architektur. Es wäre ein Fehler, moderne Inge­nieurkon­struktionen nur mit den Augen

„Meine Art des Denkens ist schon ein wenig anders als die des klassischen Europäers, der die Dinge rational in den Blick nimmt. So sind ja die meisten Architekten, ihnen geht es um das Klare und Berechenbare. Ich gehöre zu einer Tradition, in der Intuition und Logik eine engere Verbindung eingehen.“ [14] Zaha Hadid „Gleichzeitig ist es so, dass es für eine Aufgabe nicht zwangsläufig nur eine Lösung gibt. Wieder kann man sich gut am Beispiel der Natur orientieren: Wie viele Käferarten hat man bisher entdeckt? Ich glaube, es sind ca. 350 000. Fantastisch, die krabbeln alle herum und haben sechs Beine [...]“ [15] Thomas Herzog „Konstruktive Ehrlichkeit scheint mir auch so ein Ölgötze zu sein, den wir sobald wie möglich loswerden sollten.“ [16] Philip Johnson „[Heinrich Klotz]: Mit anderen Worten, es gibt zwei Hauptelemente, die ein Zimmer kennzeichnen: die Konstruktion und das Licht. [Louis I. Kahn]: Die Konstruktion, die Licht spendet.“ [17] Louis I. Kahn (und Heinrich Klotz) „Die Grundzüge schöpferischen Konstruierens sind zeitlos. Sie hatten und haben wenig mit Wissenschaft zu tun.“ [18] Werner Lorenz

5

EINLEITUNG

7

4 Kronprinzen Brücke, Berlin (DE) 1996, Santiago Calatrava Architects & Engineers, PSP 5 World Trade Center Transportation Hub, New York (US) 2016, Santiago Calatrava Architects & Engineers 6 Restaurant Los Manantiales, Mexiko-Stadt (MX) 1958, Félix Candela 7 Library & Learning Center, Campus der Wirtschaftsuniversität Wien (AT) 2013, Zaha Hadid Architects 8 Richards Medical Research Laboratories, Philadelphia (US) 1965, Louis I. Kahn, August E. Komendant 9 Gallerie, Yale Center for British Art, New Haven (US) 1977, Louis I. Kahn 6

„Ich verwandte Jahre darauf zu begreifen, wie man eine klare und ehrliche Konstruktion entwirft. Mein ganzes Leben ist eine ­einzige Reise in diese Richtung gewesen“ [19] Ludwig Mies van der Rohe

„Wenn wir aber feststellen: ,Diejenige Form vieler Konstruktionen wie beispielsweise von Türmen, Brücken, Dächern, bei denen das Baumaterial optimal genutzt wird, ist unbekannt‘, dann verwundert das Laien und selbst viele Ingenieure. So schrieb uns einmal vor vielen Jahren ein weltberühmter lngenieur: ,Das weiß man doch, es gibt hunderte von wissenschaftlichen Abhandlungen darüber. Letztlich ist jedes ­Entwerfen und jedes Konstruieren nichts anderes als das Optimum suchen.‘ Wir aber mussten nach intensiven Recherchen feststellen, dass man noch nicht einmal die Form einer einfachen druckbelasteten Stütze mit unverringerbarem Materialaufwand kennt, und erst recht nicht von biegebelasteten Trägern oder Balken.“ [22] Frei Otto

„Trotzdem besteht meiner Meinung nach der grösste Schaden der wissenschaftlichen Illusion des Ingenieurwesens in der ­daraus folgenden Verarmung der Fantasie, der Freiheit in der Vorbereitung, Entwicklung und Aufwertung der baulichen Intuition, die als Einzige das schöne, wirt­ schaftliche und stabile Bauwerk schaffen kön­nen.“ [20] Pier Luigi Nervi „Ich musste zumindest die Entwürfe so ­gestal­ten, dass man sie überhaupt in so ­kurzer Zeit würde bauen können. Na ja, um das hinzu­bekommen, entschied ich mich dafür, vor allem die Struktur der Bauten zu betonen. Die Details waren nicht so wichtig, was zählte, war das Tragwerk. Mit der ­Technik entstand zugleich die Architektur, und wie gesagt, der Stahlbeton ermöglichte es mir, alles anders zu machen, schöner und abwechslungsreicher.“ [21] Oscar Niemeyer

„Die Konstruktion ist die Muttersprache des Architekten. Der Architekt ist ein Dichter, der in Konstruk­tionen denkt und spricht.“ [23] Auguste Perret

„Ich war auf der Suche nach dem absoluten Raum ohne Formkorsett, nach Strukturen ohne Schwere, also nach einer Eleganz ohne Architektur. Das Thema der Leichtigkeit war ein Spiel im eigentlichen Sinne des Wortes: eine Suche, die sich sehr auf den Instinkt stützte. Ich hatte das Gefühl, zum großen ,Zirkus‘ des Konstruierens zu gehören. Gebrechliche, ja ,unmögliche‘ Strukturen waren für mich wie Übungen eines Seiltänzers, die ohne das sichere Netz des schon Gesehenen, des schon Geschaffenen entwickelt wurden.“ [25] Renzo Piano „,Entwerfen‘ heißt Entscheiden. Die Wissenschaft entscheidet jedoch nicht, sie konstatiert. So kann die Wissenschaft Statik lediglich einige Kriterien zum gesamten Entwurfsprozeß beitragen; sie dient zur Überprüfung der Entscheidungen bzw. zur Dimensionierung im Rahmen bereits erfolgter Entscheidungen, sie liefert also ,Nachweise‘. Zum Entwerfen brauchen wir aber VORWEISE, und damit kann die

„Der Beruf des Architekten ist eine aben­ teuerliche Tätigkeit: ein Grenzberuf in der Schwebe zwischen Kunst und Wissenschaft, auf dem Grat zwischen Erfindung und Gedächtnis, zwischen dem Mut zur Moder­

7

nität und der Achtung der Tradition. Der Architekt lebt notgedrungen gefährlich. […] Der Akt der Konstruktion ist und kann keine bloß technische Übung sein, da er mit symbolischen Bedeutungen aufgeladen ist.“ [24] Renzo Piano

8

9

8

10

Statik leider nicht dienen. So müssen wir auch die Frage stellen, ob die Lehre der Statik dem Entwerfen, der Schulung der Fähigkeit zu entwerfen, in dieser Form, wie sie zur Zeit angeboten wird, dienlich ist. Damit ich nicht falsch interpretiert werde: ich stelle nicht die Statik in Frage, sondern deren Didaktik, und zwar sowohl für Architekten als auch für Tragwerks­ ingenieure.“ [26] Stefan Polónyi „Die Konstruktion steht zunächst nie im Vordergrund, sie wird aber sehr wichtig bei der Umsetzung des Projektes, bei der Umsetzung des Gedankens in die Realität. […] Eigentlich ist unser Statiker der Dekonstruktivist; er zerlegt nämlich die komplizierten und komplexen Systeme in Einzelteile, um sie berechnen zu können.“ [27] Wolf D. Prix “I am a child of my period just as everybody else is, and therefore I am enthusiastic about these same principles – function, structure, and being part of our time.” [28] Eero Saarinen „Nicht Zweckvolles, sondern Sinnvolles rührt uns zutiefst an, denn nur so betrachtet offenbaren sich Struktur und Gestalt.“ [29] Hans Scharoun

„Emotion als Integrationsfaktor bei der Planung eines Bauwerks gibt es auch im rein technischen Bereich. Es kann nicht dem Architekten die Emotion und dem Ingenieur die Rationalität zugeordnet werden. Beide benötigen Beides.“ [30] Jörg Schlaich

so‘. Das schlimmste Hindernis für kreative und innovative Entwürfe ist, dass wir heute zu viel Zeit damit verbringen, nichts falsch zu machen statt das Richtige zu tun, gedenk des Hegelzitats,… dass die Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist‘.“ [32] Jörg Schlaich

„Erinnern wir uns deshalb an die alte Weisheit, dass eine gute Konstruktion dadurch gekennzeichnet ist, dass man nichts weg­ nehmen kann und nichts hinzufügen muss. Die Verantwortung gegenüber den schwindenden Ressourcen und der Zwang zur ­Wirtschaftlichkeit sind dem verantwortungsbewussten Ingenieur ein willkommener Zuchtmeister, denn auf das Wesentliche reduzierte, effiziente Konstruktionen mit sauberen anschaulichen Details sind auf natürliche Weise schön.“ [31] Jörg Schlaich

„Der Ingenieurbegriff ist in Deutschland unglücklich belegt. Für das, was wir tun, gibt es kein Substantivum, kein Verb. Was tut ein Ingenieur? Manchmal sage ich: engineering. Die englische Sprache ist passender: He or she engineers something. Dieser Ausdruck ist umfassender in seiner Bedeutung als die nichtssagenden Begriffe Tragwerksplaner oder Statiker. Eigentlich müßte man das Wort – ein Substantiv und ein Verb –, das die Arbeit der Ingenieure präzise beschreibt, erst noch entwickeln.“ [33] Werner Sobek

„So bleibt die Hoffnung, dass Ingenieure und Architekten beim Entwerfen weitergeben können, was wir ,im Leben‘ immer wieder an uns selbst erfahren: dass Selbstdisziplin und ein liberales Umfeld die Eigenverantwortlichkeit und Kreativität auf lange Sicht mehr fördern, als die Abwehr äußerer Zwänge. Wir müssen uns deshalb auch gegen die Regelungsflut wehren, gegen das stupide ,das macht man

„Ingenieure haben eine extrem hohe Verantwortung. Das, was sie unterschreiben, kann – wenn es nicht korrekt berechnet ist – zu katas­ trophalen, irreparablen Schäden, ja sogar bis hin zum Einsturz eines Gebäudes führen. Man muss die Leute also zu einer sehr hohen Präzision erziehen. Die erfordert Konzentration und ist eine Arbeit im Inneren, extrem intro­ ver­tiert. Im Bereich des Entwertens muss

11

12

EINLEITUNG

9

10 Crown Hall, IIT, Chicago (US) 1956, Ludwig Mies van der Rohe 11 Museu de Arte Contemporânea de Niterói (MAC), Niterói (BR) 1996, Oscar Niemeyer 12 Keramion, Frechen (DE) 1971, Peter Neufert, Stefan Polónyi 13 Palazzetto dello Sport, Rom (IT) 1957, Pier Luigi Nervi

man nun genau diesen Leuten beibringen, dass sie von diesem hohen Präzisionsgrad weggehen müssen, und etwas skizzieren und diskutieren, was eigentlich nur zu fünfzig, sechzig Prozent sicher ist. Das fällt vielen schwer.“ [34] Werner Sobek „Es ist ein Irrtum zu glauben, daß man mit dem angelernten Wissen, so umfangreich es auch sein mag, dazu befähigt ist, das sich bietende strukturelle Problem zweckmäßig zu lösen. Denn zwischen der Skizzierung eines Tragwerkes und der Überprüfung seiner Festigkeit, verglichen mit dem Finden der optimalen Lösung und dem Entwurf mit der ganzen Treffsicherheit eines Meisters, besteht ein großer Unterschied. Diese kann man nur durch jahrelange Arbeit und Spezialisierung erreichen, deren intensive Durchführung vor allem einen festen Willen erfordert. Natürlich gehört auch Intelligenz dazu, um Auswahl zu treffen, ein Gedächtnis, um das informative Archiv der schöpferischen Intuition zu bilden; und noch mehr als alles andere, eine Menge gesunden Menschenverstandes. Auch schöpferische Phantasie ist nötig; sie vervollkommnet sich im Laufe der täglichen Arbeit, muß aber zum Teil angeboren sein. Gleichfalls benötigt man Beobachtungsgabe, um sämtlicher nützlichen Einzelheiten gewahr zu werden. Beobachtungsgabe und kritischer Geist sind zwei ausgezeichnete Waffen, um den eigenen schöpferischen Fähigkeiten die Richtung zu weisen.“ [35] Eduardo Torroja Miret

Das Konstruieren von Tragwerken lässt sich vielen erfahrenen Ingenieuren und Architekten zufolge mit natürlichen Evolutionsprozessen vergleichen. Ähnlich wie diese bestehen auch viele Entwicklungs- und Entwurfsprozesse im Bauwesen aus den beiden Phasen Variation und Selektion. Bei der ­Bildung von Varianten spielt der Zufall eine wichtige Rolle. Ohne ihn entsteht kaum Neues. Überholte Konventionen, Denkverbote oder andere willkürliche Beschränkungen verringern hingegen die Chance auf substanzielle Höherentwicklungen. Oft sind es – wie bei Muta­tionen in der Natur – eher kleine, zufällige Veränderungen, die bedeutende neue Potenziale eröffnen. Bis sich das Bessere dann allerdings gegen Gewohntes durchsetzt und zum neuen Standard wird, vergeht häufig viel Zeit. Bisweilen dauert es Generationen. Deshalb ist es ratsam, über eine aktive, ratio­ nale und aufmerksame Selektion zu versuchen, dies zu beschleunigen. Durch eine bewusste Analyse verschiedener Konstruk-

tionsmöglichkeiten anhand sinnvoller, nachvollziehbarer Kriterien gelingt es erfahrungsgemäß besser, vorteilhafte Varianten in einer großen verfügbaren Menge zu erkennen und auszu­wählen. Viele Planende gehen davon aus, dass neben solchen evolutionsähnlichen Entwicklungsprozessen auch zielgerichtete Optimierungen möglich sind. Diese Hoffnung scheint aber gerade bei komplexen Aufgabenstellungen kaum erfüllbar zu sein. Zwar sind Einparameteroptimierungen heute meist pro­blemlos umsetzbar, aber gerade Multiparameteroptimierungen liefern selten die eindeutig besten Ergebnisse. Doch welche Konstruktion – zumal in der Architektur – ließe sich lediglich auf ein Ziel hin entwickeln? Die Architektur als gebautes Spiegelbild des Lebens ist vielfältiger. Sie ist letztlich wohl kaum berechenbar. Vielfalt und Optimierung sind grundsätzlich nicht vereinbar. Gäbe es für eine komplexe Aufgabe mehrere gleich gute Lösungen, wäre keine die beste. Die Natur setzt eher

„Konstruktion ist die Kunst, aus vielen Ein­ zelteilen ein sinnvolles Ganzes zu formen. Gebäude sind Zeugnisse der menschlichen Fähigkeit, konkrete Dinge zu konstruieren. Im Akt des Konstruierens liegt für mich der eigentliche Kern jeder architektonischen Aufgabe. Hier, wo konkrete Materialien gefügt und aufgerichtet werden, wird die erdachte Architektur Teil der realen Welt.“ [36] Peter Zumthor 13

10

14

auf Vielfalt statt auf Optimierung, um langfristig Leben zu ermöglichen. Optimierung erfordert immer ein Ziel. Ein solches ist für die Natur und das Leben aber nicht definiert. Die Artenvielfalt belegt vielmehr, dass Optimierung für komplexe Systeme allenfalls ein nachrangiges Werkzeug ist. Diese Einsicht passt zum aktuellen Paradigmenwechsel: Wissenschaft und Forschung setzen heute weniger auf die Suche nach absoluten Wahrheiten. Das physikalisch geprägte Weltbild des 20. Jahrhunderts wandelt sich zu einer biologisch inspirierten Idee von vielfältigen Verknüpfungen, Wechselwirkungen und Chancen. „Die biologische Vielfalt ist dabei, der physikalischen Einheit den Rang abzulaufen.“ [37] Eberhard Möller

Entsprechend vielfältig ist das Handlungswissen, das man zum Konstruieren benötigt. Die Planenden müssen aus unterschiedlichen Quellen schöpfen, wobei die wissenschaftliche wohl nicht unbedingt im Vordergrund steht. Glaubt man den hier zitierten renommierten Konstrukteuren, so setzen sie bei Entwurf und Konstruktion eher auf eine aus Erfahrungen gespeiste Intuition und erar­beitete Kreativität, also auf eher künstlerische als auf rein wissenschaftliche Kompetenzen. Intuition wird allerdings erst auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie gründ­licher Analysen gebauter Vorbilder zu einem hilfreichen Werkzeug. Genau diese beiden Aspekte möchte die vorliegende Publikation seinen Lesern nahebringen, um Unterstützung beim Ent­

wickeln und Konstruieren von Tragwerken zu bieten. Der Atlas Tragwerke schafft eine Grundlage für das Gespräch zwischen den Bereichen Architektur, Bauingenieurwesen und den Auftraggebern. Anhand klassischer Meisterwerke sowie herausragender aktueller Projekte lassen sich gestalterische, konstruktive, bautechnische, aber auch ökonomische Potenziale für vielfältige Bauaufgaben praxisgerecht veranschau­lichen. Sinnvolle Einsatzgebiete verschiedener Tragsysteme werden aufgezeigt, ebenso wie ihre Grenzen. Gute Vorbilder helfen, Alternativen zu überschlagen und zielgerichtet zu disku­ tieren. Wesentliche Zusammenhänge sind grafisch visualisiert und eingehend erläutert. Zahlreiche Best-Practice-Beispiele demonstrieren die große Bandbreite sinnvoller Möglichkeiten. Übersichtlich aufbereitete, schnell vergleich­ bare Strukturprinzipien kombiniert mit gebauten Beispielen und technischen Hintergrundinformationen helfen, die konstruktive Qualität im kooperativen Prozess des Bauwesens nachhaltig zu fördern. Der Atlas Tragwerke bietet eine Basis für die interdisziplinäre Kommunikation zur Baukultur der Zukunft.

14 Tanzbrunnen und Schirme, Bundesgartenschauen, Köln (DE) 1957 und 1971, Frei Otto 15 Olympiastadion, München (DE) 1972, Behnisch & Partner, Frei Otto, Leonhardt und Andrä 16 Eishockey-Arena, Yale University (Yale Whale), New Haven (US) 1958, David S. Ingalls Rink, Eero Saarinen, Fred Severud 15

EINLEITUNG

Anmerkungen:   [1] Fischli, Peter; Weiss, David: Stiller Nachmittag. Basel 1985   [2] Taut, Bruno: Architekturlehre (veröffentlicht 1938: Mimarî Bilgisi). In: ARCH+ 194, 2009, S. 96 – 98   [3] Arup, Ove: The world of the structural engineer. Maitland Lecture to the Institution of Structural Engineers. In: The Structural Engineer 47, 1, 1969, S. 3f.   [4] Balmond, Cecil: Definition. In: Balmond, Cecil; Tsukui, Noriko (Hrsg.): Cecil Balmond. a+ u – ­Architecture + Urbanism. Sonderausgabe, Tokio 2006, S. 131   [5] Billington, David P.: The Tower and the Bridge. The New Art of Structural Engineering. Princeton 1983, S. 266f.   [6] Billington, David P.; Maillart, Robert: Robert ­Maillart und die Kunst des Stahlbetonbaus. Zürich, ­München 1990. S. 116   [7] Busse, Hans-Busso von: Wenn Wissenschaft zur Poesie aufsteigt [...] Stefan Polónyi, dem Freund der Baukunst zugeschrieben [...]. In: Walochnik, Wolfgang (Hrsg.): Bauwerksplanung. Festschrift ­Polónyi. Köln 1990, S. 365   [8] Calatrava, Santiago; Lyall, Sutherland (Hrsg.): ­San­tiago Calatrava: Dynamische Gleichgewichte, neue Projekte/dynamic equilibrium, recent projects. 3. erw. Aufl. Zürich 1993   [9] Candela, Félix: Mein Weg – und was ich Maillart verdanke. In: Tragende Häute, archithese 6, 1973, S. 18 – 22 [10] Candela, Félix: Schalenbau – gestern und morgen. In: Tragende Häute, archithese 6, 1973, S. 23 – 29 [11] Giedion, Sigfried: Bauen in Frankreich, Bauen in Eisen – Bauen in Eisenbeton. 1928. Nachdruck ­Berlin 2000, S. 3 [12] Giedion, Sigfried: Raum, Zeit, Architektur. Die Entstehung einer neuen Tradition. 5. Aufl., Zürich 1992, S. 46 [13] Hadid, Zaha: Häuser können fliegen. Zaha Hadid im Gespräch mit Alvin Boyarski. In: ARCH+ 86, 1986, S. 28 – 33 [14] Hadid, Zaha: Ich will die ganze Welt ergreifen. Schwebende Häuser, unbequeme Sofas und die große Lust am Schreien – ein Gespräch mit der ­Architektin Zaha Hadid über ihren erstaunlichen Weg zum Erfolg. Zaha Hadid im Gespräch mit Hanno Rauterberg. In: Zeit, 14.06.2006. zeit. de/2006/25/Hadid-Interv__xml (abgerufen am 20.02.2021) [15] Herzog, Thomas: Kunst und Technik zur Entsprechung bringen. Thomas Herzog im Gespräch mit Petra Hagen Hodgson und Rolf Toyka. In: Archi­ tecture, Biologie, Techniques, archithese 2, 2002, S. 27 [16] Johnson, Philip: Brief an Dr. Jürgen Joedicke. Brief vom 6. Dezember 1961. In: Johnson, Philip; Scully, Vincent; Eisenman, Peter; Stern, Robert A. M. (Hrsg.): Texte zur Architektur. Stuttgart 1982, S. 63 [17] Klotz, Heinrich; Cook, John W. (Hrsg.): Louis Kahn. In: Architektur im Widerspruch. Bauen in den USA

von Mies van der Rohe bis Andy Warhol. Zürich 1974, S. 247 [18] Lorenz, Werner: Konstruktion als Kunstwerk. Bauen mit Eisen in Berlin und Potsdam 1797 –1850. Diss. TU Berlin 1995, S. 106 [19] Mies van der Rohe, Ludwig: Ein Moderner Klassiker. Katherine Kuh im Gespräch mit Mies von der Rohe in Chicago, 1964. In: Mies van der Rohe, ­Ludwig (Hrsg.): Die neue Zeit ist eine Tatsache. Berlin 1986, S. 9 –15. [20] Nervi, Pier Luigi: Wissenschaft oder Kunst des Ingenieurs? Scienzia o arte dell'ingegnere? aus L’ingegnere, Fachzeitschrift der nationalen faschistischen Ingenieur-Gewerkschaft, 7, 1931. In: Greco, Claudio (Hrsg.): Pier Luigi Nervi. Von den ersten Patenten bis zur Ausstellungshalle in Turin 1917 – 1948. Luzern 2008, S. 282 [21] Niemeyer, Oscar: Viel wichtiger als die Architektur ist für mich das Leben, sind Freunde und Familie. In: Rauterberg, Hanno: Worauf wir bauen. Begegnungen mit Architekten. München 2008, S. 127 [22] Otto, Frei: Vorwort. In: Form – Kraft – Masse 1, Grund­lagen/Form – Force – Mass 1, Basics. Mit einem Beitrag und einer Diskussion über das ­Ästhetische. Schaur, Eda (Hrsg.), Mitteilungen des Instituts für leichte Flächentragwerke (IL), ­Universität Stuttgart. Stuttgart 1979, S. 4 [23] Perret, Auguste: Doctrine de l’architecture. In: Techniques et Architecture, 9, 1-2, 1949, S. 108f.; dt. Übers. von Stefan Barmann. In: Lampugnani, Vittorio Magnago; Hanisch, Ruth; Schumann, Ulrich M. (Hrsg.): Architekturtheorie 20. Jahrhundert. Positionen, Programme, Manifeste. Ostfildern-Ruit 2004, S. 186 ff. [24] Piano, Renzo: Renzo Piano, Mein Architektur-Logbuch. Im Zusammenhang mit der Ausstellung Out of the Blue. Renzo Piano Building Workshop vom

11

31. Januar bis 6. April 1997 in der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn. Ostfildern-Ruit 1997, S. 10 [25] ebd., S. 22 [26] Polónyi, Stefan: Der Tragwerksentwurf. In: Polónyi, Stefan (Hrsg.): …mit zaghafter Konsequenz. Auf­ sätze und Vorträge zum Tragwerksentwurf 1961– 1987. Braunschweig/Wiesbaden 1987 (BauweltFundamente Tragwerkslehre, Statik, Architektur 81), S. 106 [27] Prix, Wolf D.: On the Edge. In: Noever, Peter (Hrsg.): Architektur im AufBruch. Neun Positionen zum Dekonstruktivismus. München 1991, S. 23 [28] Saarinen, Eero: Selected Writings. Pelkonen, ­Eeva-Liisa; Albrecht, Donald (Hrsg.): Eero Saarinen. Shaping the future. New Haven 2006, S. 349 [29] Scharoun, Hans: Struktur in Raum und Zeit. In: ­Jaspert, Reinhard (Hrsg.): Handbuch moderner ­Architektur. Berlin 1957, S. 21 [30] Schlaich, Jörg: Bauen mit Seilen. Vorlesungsskript. Institut für Konstruktion und Entwurf II, Universität Stuttgart 2000, S. 1– 6 [31] Schlaich, Jörg: Vom Sinn des Details. In: Detail 8/2000, S. 1432 [32] Schlaich, Jörg: Ingenieur und Architekt. In: Detail 12/2005, S. 1398 [33] Sobek, Werner: Sobeks Sensor. Werner Sobek im Gespräch mit Nikolaus Kuhnert und Angelika Schnell. In: ARCH+ 157, 2001, S. 28 [34] Sobek, Werner: Integrale Planung – ein Gespräch mit Werner Sobek. In: Detail 12/2005, S. 1417 [35] Torroja Miret, Eduardo: Logik der Form. München 1961, S. 288 [36] Zumthor, Peter: Architektur Denken. Basel 1999, S. 11 [37] Möller, Eberhard: Die Konstruktion in der Architekturtheorie. Positionen und Entwicklungen von 1950 bis 2010. München 2011, S. 181

16

12

Teil A  Grundlagen

Aufgaben von Tragwerken

14

Geschichtliche und naturwissenschaftliche Hintergründe 14 Wissenschaft14 Physik, Mechanik, Statik 15 15 Kraft F – Bestimmungsgrößen Gravitation16 Gewichtskraft16 Kräfte, Lasten und andere Einwirkungen Flächenlast, Linienlast, Punktlast Vertikale und horizontale Lasten Ständige, veränderliche und außergewöhnliche Einwirkungen 

16 16 16 17

Einwirkungen auf Tragwerke, Lastannahmen 18 Einwirkungen infolge Eigengewichts 18 Einwirkungen durch Nutzlasten 18 Brandeinwirkungen auf Tragwerke 19 Einwirkungen durch Schnee und Eis 19 Einwirkungen durch Wind 22 Temperatureinwirkungen23 Einwirkungen während der Bauausführung 24 Einwirkungen durch Verkehrslasten auf Brücken 24 Einwirkungen durch Krane und Maschinen 24 Einwirkungen auf Silos und Flüssigkeitsbehälter 25 Einwirkungen durch Erdbeben 25 Umgang mit außergewöhnlichen Einwirkungen – Robuste Tragwerke 25 Kombination unterschiedlicher Einwirkungen 25 Tragwerksentwurf, Lastabtragung 25 Analyse des Tragverhaltens 26 Berechenbarkeit durch Abstraktion und Modellbildung 26 Moment M 26 Freiheitsgrad f 26 Auflager- und Zwischenbindungen 27 Gleichgewicht28 Gleichgewichtsbedingungen28 Auflagerreaktionen29 Zwischenreaktionen29 Äußere Belastung – Innere Beanspruchung: Spannung 30 Schnittgrößen30 Sicherheitskonzept32

Stadtbücherei Schweinfurt (DE) 2007, Bruno Fioretti Marquez

Baustoffe, Eigenschaften, Widerstandsfähigkeit 32 Festigkeit f eines Baustoffs 32 Elastizitätsmodul E eines Baustoffs 32 Steifigkeit eines Bauteils 33 Holz33 Stahl34 Stahlbeton35 Mauerwerk  36 Weitere Baustoffe 36

14

Grundlagen Eberhard Möller

Aufgaben von Tragwerken Als Tragwerk gelten die miteinander ver­ bundenen tragenden und aussteifenden Bauteile eines Gebäudes oder eines Ingenieurbauwerks. Tragwerke dienen konkreten Zwe­cken. Ihre Aufgabe ist es, alle einwirkenden Lasten weitgehend sicher, dauerhaft und ohne große Verformungen aufnehmen zu können. Unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte sollen sie eine gefahrlose Nutzung von Bauten ermöglichen. ­Folgende Hauptziele lassen sich daher für die Planung von Tragwerken benennen: • Standsicherheit • Gebrauchstauglichkeit • Dauerhaftigkeit • Wirtschaftlichkeit Neben diesen Aspekten muss das Tragwerk im Fall eines Brands dem Feuer trotzen und noch für einen gewissen Zeitraum tragfähig bleiben, um Flucht und Evakuierung zu ermöglichen. Die entsprechend geforderte Feuerwiderstandsdauer hängt vor allem von der Nutzung des Baus ab. Sogar außergewöhnliche Ereignisse wie Anprall, Explosion oder menschliches Versagen dürfen keine unverhältnismäßig großen Schäden zur Folge haben. Um das wesentlichste Ziel, die Standsicherheit, zu erreichen und damit den Schutz von Leib und Leben der Nutzer zu gewährleisten, ist es notwendig, dass Einwirkungen auf Tragwerke nicht deren Widerstands­ fähigkeit übersteigen. Eine grundsätzliche Forderung lautet daher: Einwirkung F  28,0 kN/m3

Asphalt

18,0 … 25,0 kN/m3

Magnesium

18,5 kN/m3

Aluminium

27,0 kN/m3

Gusseisen

72,5 kN/m3

Stahl

78,5 kN/m3

Kupfer

89,0 kN/m3

Blei

114,0 kN/m3 A 1.5

A 1.6

18

Beispiele für Dachkonstruktionen Eigenlast [kN/m2]

Beispiele für Deckenkonstruktionen Eigenlast [kN/m2]

Sparrendach mit Ziegeldeckung

leichte Holzbalkendecke (Altbau)

Ziegel, Lattung, Konterlattung Schalung 25 mm, Unterspannbahn Sparren 10/24 cm, e = 0,80 m Wärmedämmung 20 cm, Dampfbremse Gipskartonplatten 12,5 mm Summe

0,60 kN/m2 0,16 kN/m2 0,20 kN/m2 0,20 kN/m2 0,14 kN/m2 gk = 1,30 kN/m²

Flachdach in Holzbauweise Dachhaut Schalung 25 mm, Unterspannbahn Holzbalken 10/24 cm, e = 0,80 m Wärmedämmung 24 cm, Dampfbremse Gipskartonplatten 12,5 mm Summe

0,20 kN/m 0,30 kN/m2 2

0,14 kN/m2 gk = 1,00 kN/m²

Bodenbelag Estrich, Trittschalldämmung, Schalung Holzbalken 12/20 cm, e = 0,80 m Gipskartonplatten 2 ≈ 12,5 mm Summe

0,20 kN/m2 2,00 kN/m2 0,20 kN/m2 0,30 kN/m2 gk = 2,70 kN/m²

Stahlbetondecke, Wohnungsbau, Spannweite ca. 5 m

0,20 kN/m2 0,30 kN/m2 0,20 kN/m2 0,30 kN/m2 gk = 1,00 kN/m²

Bodenbelag Estrich, Trittschalldämmung Stahlbetonplatte d = 18 cm Innenputz 15 mm Summe

0,20 kN/m2 1,50 kN/m2 4,50 kN/m2 0,30 kN/m2 gk = 6,50 kN/m²

Stahlbetondecke, Objektbereich, Spannweite ca. 8 m

Flachdach in Stahlbeton-­ bauweise Kiesschüttung 5 cm Abdichtung Wärmedämmung 24 cm, Dampfbremse Stahlbetonplatte d = 22 cm Summe

0,20 kN/m2 0,16 kN/m2 0,20 kN/m2 0,80 kN/m2 0,14 kN/m2 gk = 1,50 kN/m²

Holzbalkendecke, Wohnungsbau

0,20 kN/m2 0,16 kN/m2

Flachdach in Stahlbauweise Dachhaut Wärmedämmung 24 cm, Dampfbremse Trapezblech Stahlträger, z. B. HEB 200, e = 3,00 m Summe

Bodenbelag Dielen 25 mm Holzbalken 12/20 cm, e = 0,80 m Schüttung (Schalldämmung) Gipskartonplatten 12,5 mm Summe

1,00 kN/m2 0,20 kN/m2 0,30 kN/m2 5,50 kN/m2 gk = 7,00 kN/m²

Bodenbelag Estrich, Trittschalldämmung Stahlbetonplatte d = 28 cm Unterdecke, Installationen Summe

0,20 kN/m2 1,50 kN/m2 7,00 kN/m2 1,30 kN/m2 gk = 10,00 kN/m² A 1.7

A 1.7 Beispiele für Eigenlasten üblicher Dach­kon­ struktionen A 1.8 Bei Tribünen sind relativ hohe Nutzlasten ­anzu­setzen. A 1.9 exemplarische Werte für lotrechte Nutzlasten für Decken, Treppen und Balkone nach DIN EN 1991-1-1/NA:2010-12 (Auszug) A 1.8

Einwirkungen auf Tragwerke, Lastannahmen Einwirkungen auf Tragwerke haben sehr unterschiedliche Ursachen. Die Werte der einwirkenden Kräfte variieren je nach aktueller Nutzung oder Witterung zudem teils stark. Um dennoch sinnvolle Größenordnungen ansetzen und Tragwerke entsprechend auslegen zu können, bieten Normen statistisch ermittelte Lastannahmen im Wesentlichen für die folgenden Arten von Einwirkungen. Einwirkungen infolge Eigengewicht Die Lasten aus Eigengewicht, die für jedes einzelne Bauteil anzusetzen sind, zählen zu den ständigen und ortsfesten Einwirkungen. Sie lassen sich aus den Abmessungen der Bauteile und den Wichten der Baustoffe berechnen und werden meist als Flächenlasten g [kN/m2] angegeben. Exemplarische Werte für häufig verwendete Dach- und Deckenkonstruktionen bietet Abb. A 1.7. Einwirkungen durch Nutzlasten Lasten, die während der Nutzung von Gebäuden oder Bauwerken unter anderem durch Personen, Möbel, bewegliche Einrichtungsgegenstände oder Fahrzeuge ­entstehen, sind meist zeitlich veränderlich und als quasi-statische Lasten anzusehen (Abb. A 1.8). Sollten Einwirkungen allerdings wesentliche Beschleunigungen des Tragwerks hervorrufen, sind sie im Rahmen dynamischer Berechnungen zu berücksichtigen. Bei Schwingungen oder häufigen Lastwechseln ist zudem die Ermüdung von Bauteilen zu untersuchen. Grundsätzlich muss man beim Nachweis der Tragfähigkeit vom ungünstigsten Lastfall ausgehen. Nutzlasten können oft in Form von gleichmäßig verteilten Flächen-, Strecken- oder Einzellasten angesetzt werden. Häufig vorkommende Nutzlasten sind in Kategorien wie Wohnflächen (A), Büroflächen (B), Flächen mit Personenansammlungen (C), Verkaufsflächen (D) oder Flächen

GR UNDLA GEN

für industrielle Nutzung und Lagerung (E) eingeteilt. Exemplarische Werte für entsprechende lotrechte Nutzlasten für Decken, Treppen und Balkone bietet Abb. 1.9. Vergleicht man die Werte für Nutzlasten mit den Werten des Eigengewichts von Decken­ konstruktionen, wird deutlich, dass beim Wohnungsbau die Beanspruchung einer Holzbalkendecke im Altbau zu etwa 50 % auf dem Eigengewicht beruht und zu etwa 50 % auf der Nutzlast. Bei einer Stahlbetondecke hingegen resultiert die Beanspruchung bereits zu über 80 % allein aus dem Eigengewicht und nur zu weniger als 20 % aus der Nutzlast. In Bezug auf das Tragverhalten offenbart eine Stahlbeton­decke also einen sehr niedrigen Wirkungsgrad. Brandeinwirkungen auf Tragwerke Brandeinwirkungen zählen zu den außer­ gewöhnlichen Einwirkungen. Um die Folgen eines möglichen Brands auf Tragwerke abzuschätzen, werden in Abhängigkeit von Brand­szenarien die Temperaturentwicklung in Bau­teilen und das Tragverhalten unter Brand­beanspruchung auf der Grundlage einer Brandrisikobetrachtung untersucht. Grundsätzlich liegt es nahe, vorbeugende Brandschutzmaßnahmen zu treffen, um Brände gar nicht erst entstehen zu lassen oder zumindest ihre rasche Ausbreitung zu verhindern. Um die Tragfähigkeit brandgefährdeter Bauteile sicherzustellen, können Bekleidungen, Beschichtungen oder Überdimensionierungen solcher Bauteile helfen. Einwirkungen durch Schnee und Eis Schnee- und Eislasten gehören zu den veränderlichen Einwirkungen. Schnee liegt meist flächig verteilt (Abb. A 1.12, S. 21). Er kann durch Winde oder Rutschungen aber auch lokal angehäuft sein. Auf der Grundlage langjähriger Wetterbeobachtungen lassen sich zu erwartende Lasten auf Bauten infolge von Schneefällen abschätzen. Während der Schnee in tieferen Lagen meist

Nutzungsbereiche

Beispiele

Nutzlast qk [kN/m²]

Dachböden ohne Stehhöhe

für Wohnzwecke nicht geeignete, aber zugängliche Dachräume bis 1,80 m lichte Höhe

1,0

Wohn- und Aufenthaltsräume

Decken mit ausreichender Querverteilung der Lasten, Räume und Flure in Wohngebäuden, Bettenräume in Krankenhäusern, Hotelzimmer, jeweils einschließlich zugehöriger Küchen und Bäder

1,5

wie vorher, aber ohne ausreichende Querverteilung der Lasten

2,0

Büroflächen, Flure in Bürogebäuden, Arztpraxen ohne schweres Gerät, Stationsräume, Aufenthaltsräume einschließlich Flure

2,0

Küchen und Flure in Krankenhäusern, Hotels, Altenheimen, Flure in Internaten etc., Behandlungsräume in Krankenhäusern einschließlich Operationsräume ohne schweres Gerät, Kellerräume in Wohngebäuden

3,0

Beispiele wie vorher, jedoch mit schwerem Gerät

5,0

Büroflächen, Arbeitsflächen, Flure

Räume, Versammlungsräume und Flächen, die der Ansammlung von Personen dienen können

19

Flächen mit Tischen, z. B. Kinderkrippen, Kindertagesstätten, 3,0 Schulräume, Cafés, Restaurants, Speisesäle, Lesesäle, Empfangsräume, Lehrerzimmer etc. Flächen mit fester Bestuhlung, z. B. in Kirchen, Theatern, Kinos, Kongresssälen, Hörsälen, Wartesälen etc.

4,0

frei begehbare Flächen, z. B. Museumsflächen, Ausstellungs- 5,0 flächen, Eingangsbereiche in öffentlichen Gebäuden, Hotels, nicht befahrbare Hofkellerdecken sowie die zu dieser und den beiden vorherigen Kategorien gehörige Flure

Verkaufsräume

Lager, Fabriken, Werkstätten, Ställe, Lagerräume und Zugänge

Treppen, Treppenpodeste

Zugänge, Balkone oder Ähnliches

Sport- und Spielflächen, z. B. Sporthallen, Gymnastik- und Krafträume, Tanzsäle, Bühnen

5,0

Flächen für große Menschenansammlungen, z. B. in Eingangsbereichen, in Konzertsälen, auf Terrassen oder auf Tribünen mit fester Bestuhlung

5,0

Flächen mit regelmäßiger Nutzung durch erhebliche ­ enschenansammlungen, Tribünen ohne feste Bestuhlung M

7,5

Flächen von Verkaufsräumen bis 50 m2 Grundfläche in Wohn-, Büro- oder vergleichbaren Gebäuden

2,0

Flächen in Einzelhandelsgeschäften und Warenhäusern

5,0

Flächen in Fabriken oder Werkstätten mit leichtem Betrieb, Flächen in Großviehställen

5,0

allgemeine Lagerflächen einschließlich Bibliotheken

mind. 6,0

Flächen in Fabriken und Werkstätten mit mittlerem oder schwerem Betrieb

mind. 7,5

Treppen und Treppenpodeste in Wohngebäuden, Bürogebäuden oder Arztpraxen ohne schweres Gerät

3,0

Treppen und Treppenpodeste, die nicht einer der anderen beiden Treppenkategorien zugeordnet werden können

5,0

Zugänge und Treppen von Tribünen ohne feste Sitzplätze, die als Fluchtwege dienen

7,5

Laubengänge, Dachterrassen, Loggien, Balkone, Ausstiegspodeste etc.

4,0 A 1.9

20

schnell wieder schmilzt, baut sich in höheren Lagen von Mittel- und Hochgebirgen über große Teile des Winters eine Schneedecke immer weiter auf und kann mehrere Meter stark werden. Für viele Länder existieren Karten, die entsprechend der zu erwar­ ten­den Schneemengen unterschied­liche Zonen ausweisen (Abb. A 1.10). Die charakteristischen Werte für Schneelasten sk [kN/m²] auf dem Boden lassen sich dann in Abhängigkeit der Höhe über dem Meeresniveau mit Formeln oder anhand von Graphen ermitteln. Für Deutschland gelten je nach Zone die Kurven in Abb. A 1.11. Die charakteristischen Werte in den Zonen 1a und 2 a ergeben sich jeweils durch Erhöhung der Werte aus den Zonen 1 und 2 mit dem Faktor 1,25. Als Mindestwerte für die charakteristische Schneelast sk auf dem Boden sind folgende Sockelbeträge anzusetzen: Zone 1: sk = 0,65 kN/m2 (bis 400 m ü. NN) Zone 2: sk = 0,85 kN/m2 (bis 285 m ü. NN) Zone 3: sk = 1,10 kN/m2 (bis 255 m ü. NN)

Hamburg Schwerin Bremen

WZ 2

Berlin

Hannover Magdeburg Dortmund

Nordhausen

Halle

Kassel

Düsseldorf

Leipzig

Köln Aachen

Bonn

Erfurt

Fulda

Zwickau

Dresden

Chemnitz

Koblenz Frankfurt /M. Mainz

Mannheim

Nürnberg

Saarbrücken Karlsruhe

Regensburg

Stuttgart Tübingen

Ulm Augsburg München

Freiburg Konstanz

Lindau

Zone 1 Zone 1a

Zone 2 Zone 2a

Zone 3

A 1.10

A 1.10 Schneelastzonenkarte für Deutschland nach DIN EN 1991-1-3/NA:2010-12 A 1.11 charakteristischer Wert der Schneelast sk

auf dem Boden in Deutschland nach DIN EN 1991-1-3/NA:2010-12 A 1.12 Schnee und Eis können Tragwerke belasten

In Abhängigkeit der Region, der Höhenlage des Grundstücks, der Gebäudeform, der Windexposition und des Wärmedurchgangs schneebedeckter Bauteile bieten Normen Vorgaben für die Ermittlung von Schnee­lasten, die auf Dachflächen anzu­ setzen sind. Da auf Balkonen oder Dach­ terrassen bereits Nutzlasten berücksichtigt werden müssen, ist es dort in der Regel nicht erforderlich, zusätzlich Schneelasten einzurechnen, da beide Lastarten üblicherweise nicht gleichzeitig große Werte erreichen. Die Schneelast s [kN/m2], die auf Dächern anzunehmen ist, berechnet sich wie folgt: Schneelast s [kN/m2] = μi ∙ Ce ∙ Ct ∙ sk mit μi Formbeiwert (μi = 0 … 0,8 … 2,0, je nach Dachform) Ce Umgebungskoeffizient (Ce = 0,8 … 1,0 … 1,2 für windige, übliche bzw. abgeschirmte Geländegegebenheiten)

Ct Temperaturkoeffizient (Ct = 1,0 für gedämmte Dächer) sk charakteristischer Wert der Schneelast auf dem Boden am entsprechenden Bauwerk [kN/m2] Bei einfachen Sattel- oder Pultdächern und einer Dachneigung α zwischen 0° und 30° beträgt der Formbeiwert μ1 = 0,8. Liegt die Dachneigung α zwischen 30° und 60°, berechnet sich der Formbeiwert μ1 = 0,8 (60 – α)/30. Bei einfachen Dächern, die steiler sind als α = 60°, rutscht der Schnee in der Regel ab. In diesem Fall muss keine Schneelast angesetzt werden. Örtliche Effekte an Dachtraufen durch Schneefanggitter oder durch Verwehungen an Wänden und Aufbauten sind allerdings zu beachten. Verwehungen können gerade in Senken von Shed- oder Tonnendächern zu größeren Schneeansammlungen führen. An Dachtraufen sollte zudem Schneeüberhang berücksichtigt werden. Die anzusetzende Schneelast auf einem 45° geneigten, gedämmten Satteldach in Karlsruhe (115 m ü. NN) beträgt also s = μi ∙ Ce ∙ Ct ∙ sk = 0,8 (60°- 45°)/30° ∙ 1,0 ∙ 1,0 ∙ 0,65 kN/m2 = 0,26 kN/m2. Die anzusetzende Schneelast auf einem 20° geneigten, gedämmten Pultdach in Garmisch-Partenkirchen (700 m ü. NN) hingegen beträgt s = μi ∙ Ce ∙ Ct ∙ sk = 0,8 ∙ 1,0 ∙ 1,0 ∙ 3,85 kN/m2 = 3,1 kN/m2 und damit mehr als das zehn­fache des Werts in Karlsruhe. In Folge von Eisregen, gefrierendem Nebel oder Raueis können Bauteile je nach Tempe­ ratur und Feuchtigkeit unterschiedlich stark vereisen. Die Einwirkung solcher Eispanzer hängt von der Eisstärke ab. Die Eisrohwichte beträgt etwa 5 – 9 kN/m3. Darüber hinaus vergrößert die Vereisung filigraner Bauteile deren Windangriffsfläche. Ähnlich wie für Schneelasten existieren auch für Eislasten Eiszonenkarten, die anzeigen, mit welchen Eislasten je nach Region zu rechnen ist.

Schneelast [kN / m²]

GR UNDLA GEN

21

16 14

12

Zone 3

10

8 Zone 2

6

4

2

Zone 1

0 0

500

1000

1500 Höhe über dem Meeresniveau [m] A 1.11

A 1.12

22

A 1.13

Einwirkungen durch Wind Entsprechend der Beaufort-Skala (Bft), nach dem britischen Hydrografen Sir Francis Beaufort (1774 –1857) benannt, wird Wind seit 1906 je nach Geschwindigkeit in 13 Windstärkenbereiche klassifiziert (Abb. A 1.14). Dabei gelten alle Windgeschwindigkeiten über 118 km/h als Orkan. Aufgrund der Tatsache, dass bei Wirbelstürmen wie Hurrikans, Taifunen oder Zyklonen aber Windgeschwindigkeiten von bis zu etwa 300 km/h erreicht werden, existieren Wind­stärke [Bft]

Bezeichnung

0

Windstille, Flaute

weitere Skalen, die Klassifizierungen oberhalb der Beaufort-Skala vornehmen. Während Wind in großen Höhen und über ebenen Flächen wie Meeren, Gewässern oder baumlosen, unbebauten Ebenen wenig gebremst wird (Abb. A 1.13), reduziert sich in hügeligen, bewaldeten oder bebauten Regionen seine Geschwindigkeit in Bodennähe durch Reibung. Ähnlich wie bei den Schneelasten unterscheidet man daher auch Windzonen mit unterschiedlichen Windlasten (Abb. A 1.16).

Windstärke

Wirkung

[kn]

[km/h]

0 – < 1

0 –1

Rauch steigt senkrecht empor

1

leiser Zug

1 – < 4

1 – 5

2

leichte Brise

4 – < 7

  6 –11

3

schwache Brise

  7 – < 11

12 –19

dünne Zweige bewegen sich

4

mäßige Brise

11 – < 16

20 – 28

Zweige bewegen sich

5

frische Brise

16 – < 22

29 – 38

Bäume bewegen sich

6

starker Wind

22 – < 28

39 – 49

dicke Äste bewegen sich

7

steifer Wind

28 – < 34

50 – 61

Bäume schwanken

8

stürmischer Wind

34 – < 41

62 – 74

Zweige brechen von Bäumen

9

Sturm

41 – < 48

75 – 88

kleinere Schäden an Häusern

10

schwerer Sturm

48 – < 56

  89 –102

11

orkanartiger Sturm

56 – < 64

103 –117

12

Orkan

      ≥ 64

≥ 118

  

Rauch treibt leicht ab Blätter rascheln

Bäume werden entwurzelt schwere Schäden an Wäldern schwerste Sturmschäden A 1.14

Geschwindigkeitsdruck qp in kN/m2 bei einer Gebäudehöhe h in den Grenzen von

Windzone 1 2

3

4

h ≤ 10 m

10 m < h ≤ 18 m

18 m < h ≤ 25 m

Binnenland

0,5

0,65

0,75

Binnenland

0,65

0,80

0,90

Küste und Inseln der Ostsee

0,85

1,00

1,10

Binnenland

0,80

0,95

1,10

Küste und Inseln der Ostsee

1,05

1,20

1,30

Binnenland

0,95

1,15

1,30

Küste der Nord- und Ostsee und Inseln der Ostsee

1,25

1,40

1,55

Inseln der Nordsee

1,40



– A 1.15

Gasteilchen, die mit Geschwindigkeit auf Bauteile treffen, erzeugen dort Druckkräfte. Beim Vorbeiströmen und an windabgewandten Seiten entstehen Windsogkräfte. In Abhängigkeit von der Luftdichte ρ lässt sich jeder Windgeschwindigkeit v ein Geschwindigkeitsdruck q zuordnen. Dieser beträgt: Geschwindigkeitsdruck q [kN/m2] = Windgeschwindigkeit v2 [m2/s2] ∙ Luftdichte ρ [kg/m3]/2 Bei einem üblichen Luftdruck von 1013 hPa und einer Lufttemperatur von 10 °C beläuft sich die Luftdichte auf Meereshöhe auf ρ = 1,25 kg/m3. Für Bauwerke mit einer Höhe von bis zu 25 m bietet Abb. A 1.15 vereinfachte Anhaltswerte zum Geschwindigkeitsdruck qp, der über die gesamte Höhe des Bauwerks als konstant angenommen werden kann. Auf eine vertikale oder horizontale Außen­ fläche eines Bauwerks wirkt entsprechend der Bezugshöhe ze, des Geschwindigkeitsdrucks q sowie des aerodynamischen Beiwerts cpe der jeweiligen Teilfläche folgender Winddruck we: Winddruck we [kN/m2] = cpe ∙ q (ze) Die aerodynamischen Außendruckbeiwerte cpe für Bauwerke und Bauteile hängen unter anderem von der Richtung der Anströmung und der Größe der jeweiligen Teilfläche ab. Sie lassen sich in Normtabellen für übliche Gebäudeformen und unterschiedliche Lasteinzugsflächen ablesen. Die Werte des aerodynamischen Außendruckbeiwerts cpe liegen meist zwischen - 2,9 für Windsogkräfte und + 1,0 für Winddruckkräfte. Angeströmte scharfe Gebäudeecken und -kanten wie Traufe oder Ortgang sind dabei den größten Soglasten ausgesetzt. Hier können Windsogwerte von 3,8 kN/m2 und mehr erreicht werden. Daher ist an diesen Stellen auf eine gute Verankerung aller Bauteile zu achten. In komplexen Fällen ermitteln Ingenieure die zu erwartenden Einwirkungen infolge von Wind auf vertikale Flächen wie Fassaden sowie auf horizontale oder

GR UNDLA GEN

geneigte Dachflächen anhand von Modellversuchen in Windkanalanlagen. Wind kann Gebäude oder Bauwerke auch zu Schwingungen anregen. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang der Einsturz der Tacoma Narrows Bridge im US-Bun­ desstaat Washington am 7. November 1940 bei Windstärke 8 nach nur vier Monaten Betriebszeit. Seither werden bei der Kon­ struk­tion größerer Brücken oder Türme neben statischen auch dynamische Auswirkungen von Windeinwirkungen untersucht.

Hamburg Schwerin Bremen

Berlin Hannover Magdeburg

Temperatureinwirkungen Infolge thermischer Einwirkungen wie Sonneneinstrahlung oder Lufttemperatur verändern Bauteile ihre Abmessungen. Unter Wärme dehnen sie sich aus, bei Kälte ziehen sie sich zusammen. Jedem Material kann dabei ein sogenannter Temperaturkoeffi­ zient αT zugeordnet werden (Abb. A1.17). Solche Formänderungen können besonders bei statisch überbestimmten Tragsystemen zu Zwängungen führen und damit innere Beanspruchungen oder Verformungen hervorrufen, die die Standsicherheit oder die Gebrauchstauglichkeit gefährden. Aus diesem Grund sind die Folgen von Temperatureinwirkungen beim Nachweis der Stand­ sicherheit insbesondere für Bauteile in unge­ dämmten Bereichen oder bei Brücken zu

Dortmund

Nordhausen

Halle

Kassel

Düsseldorf

Leipzig

Köln Aachen

Bonn

Erfurt

Fulda

Zwickau

Dresden

Chemnitz

Koblenz Frankfurt /M. Mainz

Mannheim

Nürnberg

Saarbrücken Karlsruhe

Regensburg

Stuttgart Tübingen

Ulm Augsburg München

Freiburg Konstanz

Lindau

Windzone 1 Windzone 3

a A 1.13 Windkraftnutzung vor der Skyline von Boston A 1.14 Windstärkenbereiche nach der Beaufort-Skala A 1.15 vereinfachte Geschwindigkeitsdrücke qp für Bauwerke bis 25 m Höhe nach DIN EN 1991-1-4/NA:2010-12 A 1.16 Windzonenkarte für Deutschland nach DIN EN 1991-1-4/NA:2010-12 a  Windzonenkarte b Windgeschwindigkeit und zuge­höriger Geschwindigkeitsdruck A 1.17 Temperaturkoeffizienten αT verschiedener Baustoffe

23

Windgeschwindigkeit vb, 0 [m/s]

Geschwindigkeitsdruck qb, 0 [kN/m2]

WZ 1

22,5

0,32

WZ 2

25,0

0,39

WZ 3

27,5

0,47

WZ 4

30,0

0,56

Windzone

b

A 1.16

Windzone 2 Windzone 4

Baustoff

Temperaturkoeffizient αT

Holz in Faserrichtung

5 ∙ 10-6/°C

Holz quer zur Faser­ richtung

30 … 70 ∙ 10-6/°C

Normalbeton

10 ∙ 10-6/°C

Baustahl

12 ∙ 10-6/°C

nichtrostender Stahl

16 ∙ 10-6/°C

Aluminium

24 ∙ 10-6/°C A 1.17

24

A 1.18 Sowohl statische als auch dynamische Lasten wirken auf Brücken ein. Brooklyn Bridge, New York (US) 1883, Johann A. Roebling A 1.19 Lastannahmen für die Vordimensionierung ­(übliche vertikale Gesamtlast) A 1.20 Verband zur Aussteifung der Kunsthalle Rotterdam (NL) 1993, Rem Koolhaas A 1.21 Federn und Dämpfer zur Entkoppelung eines Hochhauses von Baugrundbewegungen durch Erdbeben

berücksichtigen. Tragwerke hingegen, die nicht täglichen oder jahreszeitlichen klima­ tischen oder betriebsbedingten Temperaturwechseln ausgesetzt sind, brauchen ­hinsichtlich Temperatureinwirkungen nicht näher betrachtet zu werden. Einwirkungen während der Bauausführung Im Verlauf der Bauausführung werden Lasten oft anders als beim endgültigen Bauwerk abgetragen, da nicht alle Bauteile von Anfang an zur Verfügung stehen. Entsprechend sind für verschiedene Bauzustände häufig eigene Nachweise der Standsicherheit erforderlich. Neben den bisher aufgeführten Einwirkungen wie Eigengewicht, Wind oder Schnee müssen gegebenenfalls Einwirkungen aus Baugrundbewegungen, Erddruck, Vorspannung, Vorverformungen, Hydratation, Schwinden, Feuchtigkeit oder Erdbe­ben berücksichtigt werden. Hinzu

kommen Bauausführungslasten infolge von Personal, Werkzeugen, Materiallagerungen, Maschinen oder Abfallstoffen. Geeignete Bemessungssituationen sollten sowohl für das Gesamttragwerk, für Einzelbauteile und für das teilweise errichtete Tragwerk als auch für Hilfskonstruktionen und Ausrüstungs­ gegen­stände so festgelegt werden, dass sie dem jeweiligen Zustand angemessen Rechung tragen. Einwirkungen durch Verkehrslasten auf Brücken Neben den bisher dargestellten Einwirkungen sind Straßen-, Fußgänger- oder Eisenbahnbrücken vor allem veränderlichen und außergewöhnlichen Ein­wirkungen aus Verkehr ausgesetzt. Hinzu kommen Lasten aus Straßen- und Brückenbauarbeiten im Zuge der Instandhaltung. Einwirkungen aus Straßenverkehr (Pkw, Lkw und Sonderfahrzeugen) erzeugen vertikale und horizontale, sta-

tische und dynamische Lasten (Abb. A 1.18). Entsprechende Normen enthalten geeignete, umfangreiche Rechenmodelle zum Nachweis von Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Brücken. Die ständigen Lastwechsel infolge des fließenden Verkehrs führen häufig zu einem Span­nungs­spektrum, das eine Ermüdung von Bauteilen zur Folge haben kann. Bei vielen Ingenieurbauwerken ist die Standsicherheit nicht nur vor der Errichtung nachzuweisen, sondern auch während der Lebens­dauer regelmäßig zu überprüfen. Neben einer jährlichen Sichtprüfung ist in Deutschland alle sechs Jahre eine Hauptprüfung hinsichtlich der Standsicherheit, der Verkehrssicherheit und der Dauerhaftigkeit durch sachkundige Personen vorge­ sehen. Alle relevanten Daten solcher Bauwerke werden in sogenannten Bauwerksbüchern heute meist digital dokumentiert. Dort fließen auch die Ergebnisse der regelmäßigen Prüfungen ein und bleiben so langfristig nachvollziehbar. Einwirkungen durch Krane und Maschinen Schwere bewegliche Geräte wie Krane oder Maschinen stellen für Tragwerke besondere Herausforderungen dar. Unter üblichen Betriebsbedingungen resultieren aus Kranen zeitlich und örtlich veränderliche Ein­ wirkungen. Sie beinhalten Gravitationskräfte und Hublasten, Trägheitskräfte aus Beschleu­ nigen und Bremsen, Dämpfungswirkungen sowie Kräfte, Verformungen und Schwingungen infolge dynamischer Einflüsse. Dazu kommen ständige Einwirkungen. Zu ihnen zählen das Eigengewicht aller festen und beweglichen Teile sowie statische Einwirkungen aus dem Betrieb. Bei Maschinen ergeben sich Einwirkungen aus dem Eigengewicht von Gehäusen oder Rotoren, durch Kondensatoren, aus Antriebsdrehmomenten, aus Reibung an den Lagern, durch Wärmeausdehnung oder Ähnliches.

A 1.18

GR UNDLA GEN

Bauteil

Hallendächer (Holz/Stahl) Holzbalkendecken

übliche vertikale Gesamtlast zur Vor­dimensionierung ~1,5 ... 3 kN/m2 ~4 ... 6 kN/m2

Massivdächer

~7 ... 11 kN/m2

Massivdecken

~10 ... 13 kN/m2 A 1.19

Einwirkungen auf Silos und Flüssigkeitsbehälter Schüttgüter oder Flüssigkeiten führen in Tanks, Silos oder Schwimmbädern sowohl zu vertikalen als auch zu horizontalen Beanspruchungen. Darüber hinaus entstehen besonders während des Befüllens oder Entleerens solcher Behälter Einwirkungen, die beachtliche Größenordnungen erreichen. Einwirkungen durch Erdbeben Erdbeben rufen meist horizontale und vertikale Beschleunigungen des Baugrunds und damit von Bauten hervor, die erhebliche Einwirkungen auf das Tragwerk mit sich bringen können. In Erdbebengebieten besteht an Tragwerke daher die Anforderung, üblichen Erdbebenstärken ohne lokales oder globales Versagen standzuhalten. Zudem sollen mögliche Schäden durch ­entsprechende Planung gering gehalten werden. Um dies zu gewährleisten, gelten entsprechende Konstruktionsprinzipien. ­Ein­fache und direkte Übertragungswege von Lasten erweisen sich ebenso als sinnvoll wie die regelmäßige Anordnung von Tragelementen in Grund- und Aufriss. Aussteifende Bauteile mit ähnlicher Steifigkeit in beiden Hauptrichtungen sowie eine ausreichende Torsionssteifigkeit sind ebenfalls hilfreich (Abb. A 1.21). Umgang mit außergewöhnlichen Einwirkungen – Robuste Tragwerke Um negative Folgen außergewöhnlicher ­Einwirkungen einzudämmen, stehen unterschiedliche Strategien zur Verfügung. Zum einen wird versucht, durch robuste Tragwerke, sinnvolle Schutzmaßnahmen oder entsprechende Bemessungen Schäden infolge von Explosion oder Anprall gering zu halten. Zum anderen sollen eventuelle Schäden auch lokal begrenzt werden, um nicht ganze Bauwerke oder Gebäude zu zerstören. Hierbei helfen Re­dundanzen, also eine Sicherheitsreserve in Form zusätzlicher Bauteile, sowie kon­struktive Regeln

25

hinsichtlich Zusammenhalt oder Duktilität. Robuste Tragwerke zeichnen sich aus durch Unempfindlichkeit gegenüber Fehlern oder Imperfektionen, durch Tragfähigkeitsund Systemreserven, durch Redundanz wesentlicher Bauteile sowie durch Konstruktionen, bei denen sich ein bevorstehendes Bauteil- oder Systemversagen offensichtlich, beispielsweise durch Verformungen, ankündigt. Als ungünstig und wenig robust gelten statisch bestimmte Tragwerke ohne System­ reserven, Tragwerke mit sprödem Verfor­ mungs­verhalten oder Fertigteilkonstruktionen ohne redundante Verbindungen. Besser hingegen sind statisch unbestimmte Konstruktionen mit Systemreserven sowie elastisch-plastischem Tragverhalten. Kon­ struktionen mit großer Systemredundanz und großen plastischen Systemreserven gelten als sehr robust. Beispiele für robuste Tragwerke sind vielfach statisch unbestimmte Systeme wie mehrfeldrige ein- und mehrgeschossige Rahmenkonstruktionen, seilverspannte Konstruktionen oder überschüttete Bogentragwerke. Kombination unterschiedlicher Einwirkungen Nicht alle der bisher aufgezählten Einwirkungen treffen bei jedem Bauwerk oder Gebäude zu. Nahezu ausgeschlossen ist es außerdem, dass alle grundsätzlich mög­lichen Einwirkungen auf ein Tragwerk gleichzeitig in voller Stärke auftreten. So kann eine reine Addition der potenziellen Bemes­sungs­­werte häufig nach entsprechenden Kombinationsregeln mit geeig­ neten Kombinationsbeiwerten ψ abgemindert werden. Je nach Dauer der Einwirkung wird zwischen einem Kombinationsbeiwert für seltene Einwirkungen ψ0, für häufige ψ1 und für quasi-ständige ψ2 Einwirkungen unterschieden. Auch bei Hochhäusern geht man nicht davon aus, dass in allen Geschossen gleich­zeitig die maximale Nutzlast erreicht wird.

Tragwerksentwurf, Lastab­ tragung

A 1.20

Das Tragwerk sorgt dafür, die angreifenden Einwirkungen egal welcher Ursache oder Wirkungsrichtung mit der Widerstandsfähigkeit des Baugrunds in Verbindung und ins Gleichgewicht zu bringen. Dabei versucht das Tragwerk, zwischen Einwirkung und Baugrund einen sicheren, geschützten Lebensraum oder eine nützliche Funktion bereitzustellen. Bildlich gesprochen hilft das Tragwerk, die einwirkenden Lasten bis in die Fundamente und in den Baugrund abzutragen. Dafür ist es meist notwendig, verschiedene tragende und aussteifende Elemente wie Decken, Wände, Stützen, Träger, Rahmen oder Verbände sinnvoll anzuordnen und miteinander zu verbinden. Als aussteifend bezeichnet man unter anderem Bauteile, die auch horizontale Lasten wie Wind oder Anprall abtragen. Neben liegenden Elementen wie Deckenscheiben sind dafür je Etage mindestens drei vertikale Bauteile erforderlich, die nicht alle parallel zueinander ange­ ordnet sein dürfen. Auch dürfen sich deren Wirkungsrichtungen nicht in einem Punkt schneiden. Solche aussteifenden Bauteile können Wandscheiben, Rahmen, Verbände oder eingespannte Stützen sein (Abb. A 1.20).

A 1.21

26

Der Planungs- und Entwicklungsprozess bei Tragwerken durchläuft, wie dies bei allen Ent­ wurfs­prozessen der Fall ist, verschiedene Phasen oder Stufen von der Ideensuche über die Grob- und Fein- bis hin zur Detailplanung. Eine wesentliche Grundlage bildet die sorgfältige Zusammenstellung funktioneller Anforderungen und Wünsche sowie finanzieller, terminlicher, rechtlicher, technischer, örtlicher und klimatischer Rahmenbedingungen. Eine fundierte und inspirierende Übersicht qualitativ hochwertiger gebauter Referenzobjekte hilft, die Kreativität zu fördern und anzuregen (Abb. A 1.22). In jeder Planungsphase folgt einer kreativen Zusammenstellung prinzipiell möglicher Alternativen jeweils ein reflektierter, analytischer Auswahlprozess, um gute Lösungen von weniger geeigneten Varianten abzugrenzen. Analyse des Tragverhaltens Im Rahmen des Entwurfs muss das Tragverhalten der geplanten Tragelemente unter­ sucht werden. Wie groß ist für jedes ein-

zelne Element die voraussichtliche Belastung infolge möglicher Einwirkungen? Welche Dimensionen sollte der Planer für das Element entsprechend seiner Beanspruchung wählen? Um solche Werte sinnvoll einschätzen zu können, sind Analysen für das Gesamtsystem sowie für alle Einzelteile vorzunehmen. Berechenbarkeit durch Abstraktion und Modellbildung Bereits bei der Zusammenstellung von ­Einwirkungen auf Tragwerke wird deutlich, dass die Realität zu komplex ist, um in allen Einzelheiten exakt vorhersehbar und berechenbar zu sein. Anstelle tatsächlich vorhandener Lasten oder Zustände werden oft statistisch ermittelte, abstrahierte Wahrscheinlichkeitsgrößen verwendet, um Berechenbarkeit und Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Aber nicht nur für Lasten ­gelten ­Vereinfachungen komplexer Sachverhalte. Auch aufseiten der lastabtragenden Kon­struktion behilft man sich mit Abs-

traktionen, Idealisierungen und Modellen, die einerseits der Realität ausreichend nahekommen, andererseits aber auch mit angemessenem Aufwand handhabbar bleiben. So ist es üblich, komplexe dreidimen­ sionale Systeme in zweidimensionale, ebene Teilsysteme zu zerlegen. Solche statischen Systeme werden als abstrahierte Strich- und Symbolzeichnungen dargestellt. Stets gilt dabei, dass statische Systeme in Ruhe sind, solange sich alle Kräfte und Momente mit­ einander im Gleichgewicht befinden. Moment M Das Moment M einer Kraft F beschreibt die rotierende, verbiegende oder verdrehende Wirkung, die diese Kraft auf einen Körper ausübt. Je nach Wirkung spricht man auch von Dreh-, Biege- oder Torsionsmoment. Die Größe eines solchen Moments M [kNm] lässt sich aus dem Produkt einer Kraft F [kN], die senkrecht auf einen Hebelarm wirkt, und dessen Länge h [m] berechnen: Moment M [kNm] = Kraft F [kN] ∙ Hebelarm h [m] Neben der Größe des Moments M ist häufig die Angabe von Drehpunkt oder Drehachse sowie des Drehsinns hilfreich. Momente, die gegen den Uhrzeigersinn um den Drehpunkt drehen, erhalten oft ein positives Vorzeichen. Freiheitsgrad f Jeder starre Körper hat im dreidimensionalen Raum sechs verschiedene, voneinander unabhängige Freiheiten f bewegt zu werden. Er lässt sich in x-Richtung verschieben, ohne seine Position in y- oder z-Richtung zu verändern. Entsprechendes gilt für Translatio­ nen in y- und in z-Richtung. Zusätzlich sind jeweils Verdrehungen des Körpers in der xy-, der xz- oder der yz-Ebene möglich, ohne dass damit eine Verschiebung des Körpers einhergeht. Betrachtet man ein nur zweidimensionales, ebenes Teilsystem, bleiben von den sechs Freiheitsgraden f drei übrig. Zur Analyse

A 1.22

GR UNDLA GEN

27

A 1.23

­ utzen Tragwerksplaner oft lotrecht auf der n Erdoberfläche stehende xz-Ebenen, bei denen die x-Koordinate horizontale Werte H und die z-Koordinate vertikale Werte V angibt. In einem solchen System sind unabhängig voneinander horizontale und vertikale Translationen sowie Rotationen in der xz-Ebene möglich. Um jede Bewegung von Bauten oder Bauteilen zu verhindern, muss man den genannten Freiheitsgraden mindestens eine entsprechende Anzahl von Bindungen entgegensetzen. Solche Bindungen können durch sogenannte Auflager oder Verknüpfungen mit angrenzenden, unbeweglichen Bauteilen geschaffen werden. Auflager- und Zwischenbindungen Im Wesentlichen lassen sich Auflager von Tragelementen drei verschiedenen Katego­ rien zuordnen, je nachdem, wie viele Bindun­ gen sie zur Verfügung stellen. Dreiwertige, eingespannte Lager bieten drei Bindungen. Sie verhindern beide Translationen sowie die Rotation (A 1.23). Zweiwer­tige, gelenkige aber unverschiebliche Auflager ermöglichen eine Rotation, behindern aber beide Translationen (Abb. A 1.24, A 1.25). Einwertige, gelenkige und einfach verschieb­ liche Auflager verhindern lediglich die Verschiebung in einer Richtung, nicht jedoch in der anderen und auch nicht Verdrehungen. Solche einwertigen Auflager ermöglichen großen Brücken zwängungsfreie Temperaturdehnungen. Um die Bewegungsfreiheit eines Bauteils zu unterbinden, reicht ein dreiwertiges Lager. Alternativ kann beispielsweise an einem Ende eines Bauteils ein zweiwertiges und am anderen ein einwertiges Auflager angeordnet werden, um das Element festzubinden. Beträgt der Freiheitsgrad (f) eines Bauteils unter Berücksichtigung aller Auflagerbindungen (a) Null, spricht man von einem statisch bestimmten System: Freiheitsgrad f = 3 – a a   Anzahl der Auflagerbindungen

f = 0  s tarr, statisch bestimmt f > 0  labil, beweglich, statisch unter­ bestimmt f < 0  starr, statisch überbestimmt (bzw. unbestimmt) Für ein statisch bestimmtes System ist f = 0 eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung. Wenn drei einwertige Lager parallel angeordnet werden, beträgt f = 0, das System ist aber trotzdem verschieblich. Zusätzlich zu f = 0 ist daher zu beachten, dass die Wirkungsrichtungen aller Auflager weder parallel sind, noch sich in einem Punkt schneiden. Bei mehrteiligen, ebenen Tragwerken erhöht sich mit jedem zusätzlichen Bauteil die Anzahl der Freiheitsgrade um drei. Entsprechend sind zusätzliche Bindungen nötig. Häu­ fig nutzt man dazu Gelenke (Abb. A 1.26, Abb. A 1.27, S. 28). Sie verhindern beide Translationen zwischen den Bauteilen, ermög­ lichen aber eine Rotation. Es handelt sich also um zweiwertige Zwischenbindungen. Für die Anzahl der Freiheitsgrade eines mehr­ teiligen Systems gilt folgende Gleichung: Freiheitsgrad f = 3 ∙ n – (a + z) n   Anzahl der Elemente a   Anzahl der Auflagerbindungen z   Anzahl der Zwischenbindungen

A 1.24

A 1.25

A 1.22 Barcelona-Pavillon (ES) 1929, Ludwig Mies van der Rohe A 1.23 dreiwertige, eingespannte Lagerung der Stützen, Neue Nationalgalerie, Berlin (DE) 1968, Ludwig Mies van der Rohe A 1.24 zweiwertiges, gelenkiges, aber unverschiebliches Auflager, Fondation Louis Vuitton, Paris (FR) 2014, Gehry Partners, Setec Bâtiment, RFR + T/E/S/S A 1.25 zweiwertiges, gelenkiges, aber unverschiebliches Auflager, Galerie des Machines, Paris (FR) 1889, Charles Louis, Ferdinand Dutert, Victor Contamin A 1.26 verschiedene Arten von Zwischenbindungen, Fondation Louis Vuitton, Paris (FR) 2014, Gehry Partners, Setec Bâtiment, RFR + T/E/S/S A 1.26

28

Gleichgewicht Bauten oder Bauteile befinden sich im unbe­wegten Ruhezustand, wenn alle Kräfte im Gleichgewicht sind. Den Einwirkungen auf Bauteile müssen also Reaktionsgrößen entgegenstehen. Diese Reaktionen sind im Bauwesen meist nicht sichtbar. Sie werden auch erst dann messbar, wenn man ein Bauteil von seinen Auflagern löst. Zu jeder Auflagerbindung lässt sich dann genau eine Auflagerreaktion ermitteln. Jede Auflager­ reaktion stellt sich dabei exakt so ein, dass sie im statischen Gleichgewicht mit den entsprechenden Einwirkungen steht. Können die Auflager diese Reaktionen aufbringen, verharrt das Bauteil im Ruhezustand. Jedes statische Gleichgewicht lässt sich in Form einer mathematischen Gleichung darstellen. Gleichgewicht herrscht, wenn zwei Kräfte dem Betrag nach gleich groß und entgegengesetzt gerichtet sind. Gleichgewicht von zwei Kräften: Factio = - Freactio

dreiwertiges Lager (eingespannt) Auflagerbindungen a = 3 mögliche Auflagerreaktionen: AV, AH, MA

AH

Freiheitsgrad f = 0 (keine Translationen, keine Rotation)

AV AH

MA

AV

AH MA AH

AV

MA

AH

AV

zweiwertiges Auflager (gelenkig, unverschieblich) Auflagerbindungen a = 2 mögliche Auflagerreaktionen: AV, AH

AH AH

Freiheitsgrad f = 1 (keine Translationen, aber Rotation möglich) AH

MA A V

AV AV

AV

oder einwertiges Auflager (gelenkig, einfach verschieblich) Auflagerbindungen a = 1 mögliche Auflagerreaktionen: AV oder AH (hier: AV)

AV

Factio + Freactio = 0

AV

Allgemein gilt, dass Gleichgewicht herrscht, wenn die Summe aller Kräfte gleich null ist: Gleichgewicht allgemein: Σ F = 0

AV

Freiheitsgrad f = 2 (eine Translation und Rotation möglich)

GH

Gleichgewichtsbedingungen Im dreidimensionalen Raum müssen analog zu den sechs Freiheitsgraden also sechs Gleichgewichtsbedingungen erfüllt sein, damit der Ruhezustand vorliegt: Σ Fx = 0 Σ Fy = 0 Σ Fz = 0 Σ Mx = 0 Σ My = 0 Σ Mz = 0

AV GV

GH GH Zwischenbindung (gelenkig, unverschieblich) Zwischenbindungen Z = 2 mögliche Zwischenreaktionen: GV, GH

GV

Im Fall eines ebenen Teilsystems, das in einer vertikalen xz-Ebene lotrecht auf der Erd­oberfläche steht, bezeichnet man die x-Koordinate meist als horizontale H und die z-Koordinate als vertikale V. Hier lässt sich das statische Gleichgewicht in drei voneinander unabhängigen Gleichungen darstellen, da grundsätzlich drei

GV GH GV

Freiheitsgrad f = 1 (keine Translationen, aber Rotation möglich)

A 1.27

GR UNDLA GEN

A 1.27 Auflager- und Zwischenbindungen: Symbole undF Erläuterungen A 1.28 Auflagerreaktionen bei einem statisch bestimmt gelagerten Einfeldträger a  mit F Einzellast F b  unter Gleichlast q c  mit Kragarm unter Gleichlast q BV

AH = 0 AV

voneinander unab­hän­gige Bewegungen in solch einer xz-Ebene möglich sind. Damit der Ruhezustand infolge des Gleichgewichts aller Kräfte und Momente herrscht, müssen in einem solchen ebenen Teilsystem also folgende drei Gleich­ gewichtsbedingungen gleichzeitig erfüllt sein: • Summe aller horizontalen Kräfte: Σ FH [kN] = 0 • Summe aller vertikalen Kräfte: Σ FV [kN] = 0 • Summe aller Momente um jeden belie­ bigen Punkt: Σ M [kNm] = 0

AH = 0

29

I1

I2 F

AV

BV

I1

I2

I1

I2

AH = 0 BV

AV

Σ FH = 0

AH = 0

Σ MA = 0

-F ∙ l1 + Bv ∙ (l1 + l2) = 0    ∫ Bv = F ∙ l1 /(l1 + l2)

Σ MB = 0

F ∙ l2 – Av ∙ (l1 + l2) = 0    ∫ Av = F ∙ l2 /(l1 + l2)

a

Auflagerreaktionen Mithilfe dieser drei Gleichgewichtsbedingungen lassen sich die Reaktionsgrößen an Auflagern bestimmen. Dazu ist festzulegen, welche Richtungen welche Vorzeichen erhalten. Häufig werden Kräfte, die nach oben oder nach rechts wirken, mit positiven Vorzei­chen versehen, nach unten oder nach links wirkende Kräfte entsprechend mit einem negativen Vorzeichen. Für das Beispiel eines statisch bestimmt gelagerten Einfeldträgers, der von einer Einzellast F beansprucht wird, errechnen sich die Auflagerreaktionen in Abb. A 1.28 a, für einen statisch bestimmt gelager­ten Einfeldträger unter Gleichlast q die Auflagerreaktionen in Abb. A 1.28 b. Bei symmetrischen Systemen führen symmetrische Lasten zu symmetrischen Reaktionsgrößen. Abb. A 1.28 c zeigt die Berechnung der Auflagerreaktionen für einen statisch bestimmt gelagerten Einfeldträger mit Kragarm unter Gleichlast q. Zwischenreaktionen Nach demselben Verfahren lassen sich auch Reaktionsgrößen an Zwischenbindungen ermitteln, indem man zusätzlich das System an den Zwischenbindungen in Teilsysteme zerlegt, die Zwischenreaktionen anträgt und mithilfe der drei Gleichgewichtsbedingungen berechnet.

q AH = 0

AH = 0

q AV

BV

I

AV

q BV

I

AH = 0

Σ MA = 0

BV I -q ∙ l ∙ l/2 + Bv ∙ l = 0    ∫ Bv = q ∙ l/2

Σ MB = 0

q ∙ l ∙ l/2 – Av ∙ l = 0    ∫ Av = q ∙ l/2

Σ FH

= 0

A  AH =V0

b

q AH = 0

AH = 0

q AV

BV IKrag

IFeld AV

q

BV IFeld

IKrag

Σ FH AH==0 0

AH = 0

Σ MA = 0

-q ∙ (lFeld + IKrag )2/2 + Bv ∙ lFeld = 0    ∫ Bv = q (lFeld + IKrag)2/2 lFeld AV B Av – q (lFeld + IKrag ) – Bv = 0    ∫ Av = q V(lFeld + IKrag) – Bv

Σ MB = 0 c

IFeld

IKrag

A 1.28

30

q AH = 0

Gesamtsystem AV

BV

->x

x = x1

linkes (positives) Schnittufer V

q M

AH = 0

M

N

N

AV

linkes Teilsystem

rechtes (negatives) Schnittufer

V

BV

rechtes Teilsystem A 1.29

1,25 1,25 1,25 1,25

0,07000 0,07000 0,07000

0,07000

-0,1250 -0,1250 -0,1250 -0,1250 -0,1250 -0,1250 -0,1250

-0,1250

0,07000 0,07000 0,07000

0,07000

0,375 0,375 0,375 0,375

Jede Einwirkung auf Tragwerke führt zu einer inneren Beanspruchung tragender Bauteile. Eine solche innere Beanspruchung von Tragelementen wird in der Mechanik oft als Spannung σ bezeichnet. Nachvollziehbar ist diese Bezeichnung am Beispiel von Pfeil und Bogen. Legt man einen Pfeil in den Bogen und spannt das System, dehnt sich die Sehne unter Zugspannung σN und der Bogen krümmt sich unter Biegespannung σB bzw. σM. Wird die Spannung zu groß, kann der Bogen brechen oder die Sehne reißen. Eine Spannung, die senkrecht, also normal, auf die Querschnittsfläche eines Stabs oder Seils wirkt, heißt Normalspannung σN. Dehnt sie den Stab, spricht man auch von einer Zugspannung, komprimiert sie ihn, nennt man sie Druckspannung. Die Größe einer solchen Normalspannung σN ergibt sich aus der in Stabrichtung einwirkenden Normalkraft N geteilt durch die Querschnittsfläche A des Stabs: Normalspannung σN [kN/cm2] = Normalkraft N [kN] / Querschnittsfläche A [cm2] Außer Normalspannungen können je nach Belastung eines Elements auch Schub-, ­Torsions- oder Biegespannungen als innere Beanspruchungen auftreten. Unmittelbare Folge von Spannungen sind Formänderungen, die im Bauwesen aus Gründen der Gebrauchsfähigkeit allerdings meist so klein gehalten werden, dass sie – anders als beim Beispiel von Pfeil und Bogen – kaum wahrnehmbar sind. Zugspannungen führen zu Dehnungen, Druckspannungen zu Stauchungen, Knicken oder Beulen, Torsionsspannungen zu Verdrehungen und Biegespannungen zu Krümmungen, Biegeknicken oder Biegedrillknicken.

0,375 0,375 0,375 0,375

Koeffizienten k für Durchlaufträger als Zweifeldträger (Gesamtlänge 2 l)

1,1

1,1 1,1 1,1

0,08000 0,08000 0,08000

0,08000

1,1 1,1 1,1

-0,1000 -0,1000 -0,1000 -0,1000 -0,1000 -0,1000 -0,1000 -0,1000

1,1

0,02500 0,02500 0,02500

0,02500

-0,1000 -0,1000 -0,1000 -0,1000 -0,1000 -0,1000 -0,1000 -0,1000

0,4 0,4 0,4

0,08000 0,08000 0,08000

0,08000

0,4

0,4

0,4 0,4 0,4

Koeffizienten k für Durchlaufträger als Dreifeldträger (Gesamtlänge 3 l)

-0,1071 -0,1071 -0,1071 -0,1071 -0,1071 -0,1071 -0,1071 -0,1071 0,07701 0,07701 0,07701

1,143 1,143 1,143 1,143

0,07701

0,9286 0,9286 0,9286 0,9286

0,03599 0,03599 0,03599

0,03599

-0,07143 -0,07143 -0,07143 -0,07143 -0,07143 -0,07143 -0,07143 -0,07143

0,03599 0,03599 0,03599

1,143 1,143 1,143 1,143

0,03599

-0,1071 -0,1071 -0,1071 -0,1071 -0,1071 -0,1071 -0,1071 -0,1071

0,07701 0,07701 0,07701

0,07701

0,3929 0,3929 0,3929 0,3929

0,3929 0,3929 0,3929 0,3929

Koeffizienten k für Durchlaufträger als Vierfeldträger (Gesamtlänge 4 l)

0,07767 0,07767 0,07767

1,132 1,132 1,132 1,132

0,07767

-0,1053 -0,1053 -0,1053 -0,1053 -0,1053 -0,1053 -0,1053 -0,1053

0,9737 0,9737 0,9737 0,9737

0,03289 0,03289 0,03289

0,03289

-0,07895 -0,07895 -0,07895 -0,07895 -0,07895 -0,07895 -0,07895 -0,07895

0,9737 0,9737 0,9737 0,9737

0,04605 0,04605 0,04605

0,04605

-0,07895 -0,07895 -0,07895 -0,07895 -0,07895 -0,07895 -0,07895 -0,07895

1,132 1,132 1,132 1,132

0,03289 0,03289 0,03289

0,03289

-0,1053 -0,1053 -0,1053 -0,1053 -0,1053 -0,1053 -0,1053 -0,1053

0,07767 0,07767 0,07767

0,07767

0,3947 0,3947 0,3947 0,3947

Äußere Belastung – Innere Beanspruchung: Spannung

0,3947 0,3947 0,3947 0,3947

Koeffizienten k für Durchlaufträger als Fünffeldträger (Gesamtlänge 5 l) A 1.30

Schnittgrößen Um die Größe innerer Spannungen zu ermitteln, schneidet man das Tragsystem an der zu untersuchenden Stelle gedanklich auf und zeichnet die beiden entstehenden Teil-

GR UNDLA GEN

31

A 1.29 Schnittprinzip zur Ermittlung innerer Beanspruchungen von Tragelementen A 1.30 Koeffizienten k zur Ermittlung von Auflagerreak­ tionen sowie Extremwerte von Biegemomenten bei Durchlaufträgern mit mehreren gleichen oder annähernd gleichen Stützweiten l unter Gleichstreckenlast q A 1.31 Zusammenhänge zwischen Last q, Querkraft V und Biegemoment M beim Einfeldträger unter Gleichlast q

systeme. Anschließend werden an beiden Schnittufern jeweils die drei Reaktionsgrößen angetragen, die die drei Freiheitsgrade des geschnittenen Elements an der Schnittstelle unterbinden. Am linken Teilsystem wirkt die Normalkraft N in Stabrichtung und in Richtung der x-Achse, die Querkraft V senkrecht dazu nach unten in Richtung der z-Achse. Die dritte Schnittgröße ist das Biegemoment M, das am linken Teilsystem gegen den Uhrzeigersinn anzusetzen ist. Am rechten Schnittufer werden die frei­ geschnittenen Reaktionsgrößen entgegengesetzt angetragen. Im statischen Ruhe­ zustand sind die Schnitt­größen an beiden Schnittufern gleich groß, aber genau ent­ gegengesetzt gerichtet. Bei der Betrachtung des Gesamtsystems stehen sie also exakt im Gleichgewicht (Abb. A 1.29). Die Schnittgrößen N, V und M lassen sich mithilfe der drei Gleichgewichtsbedingungen Σ FH= 0, Σ FV = 0 und Σ M = 0 an jedem der beiden Teilsysteme ermitteln, nachdem am Gesamtsystem die Auflagerreaktionen bestimmt wurden. Für das linke Teilsystem ergeben sich bei einem Schnitt an der Stelle x = x1 folgende Gleichungen: Σ FH = 0: AH + N = 0  ∫  N = - AH = 0

oft Tabellenwerte oder Rechenprogramme genutzt. Zur Vordimensionierung reichen in vielen Fällen jedoch einfache Berechnungshilfen. Abb. A 1.30 zeigt Koeffizienten k, die zur Ermittlung von Auflagerreaktionen sowie Extremwerten von Biegemomenten bei Durchlaufträgern mit mehreren gleichen oder annähernd gleichen Stützweiten l unter Gleichstreckenlast q dienen. Die gesuchten Kräfte und Momente lassen sich dann mit diesen beiden Gleichungen berechnen: Reaktionskräfte R = k ∙ q ∙ l Biegemomente M = k ∙ q ∙ l²

Bei den Schnittgrößen Normalkraft N, Querkraft V und Biegemoment M handelt es sich jeweils um resultierende Größen infolge der zugehörigen inneren Spannungen. In der Realität treten statt dieser resultierenden Schnittgrößen flächig über den Querschnitt verteilte Spannungen auf wie die Normalspannung σN (siehe S. 45), die Schubspannung τ (siehe S. 57) oder die Biegespannung σM (siehe S. 56). Um Schäden an Trag­elementen zu vermeiden, dürfen die Spannungen im Bauteil nicht zu groß werden.

q q q

AH A A HH Av

Bv

A A vv

B Bvv

Querkraft V(x) [kN] = - ∫ q dx = - q x + C1 hier: C1 = Av = ql/2

-

Σ FV = 0: AV - q ∙ x1 - V = 0  ∫  V = AV - q ∙ x1 = ql/2 – qx1

--

+

grafische Darstellung des Verlaufs der Querkraft V [kN] längs der Stabachse

+ +

Σ MA = 0: - q ∙ x1 ∙ x1/2 - V ∙ x1 + M = 0 ∫  M = q ∙ x12/2 + V ∙ x1 Mathematisch gelten die in Abb. A 1.31 dargestellten Zusammenhänge zwischen Last q, Querkraft V und Biegemoment M. Bei statisch überbestimmten Systemen ist die Ermittlung von Auflagerreaktionen und Schnittgrößen meist aufwendiger als bei ­statisch bestimmten Systemen. Für Mehrfeldträger, die über ein oder mehrere Zwischenauflager durchlaufen, werden deshalb

Biegemoment M(x) [kNm] = - ∫∫ q dx dx = - qx2/2 + C1x + C2 hier: C1 = ql/2; C2 = 0

M M M

+ + +

grafische Darstellung des Verlaufs des Biegemoments M [kNm] längs der Stabachse

A 1.31

Einwirkung Fd  auf ein Bauteil  < Widerstandsfähigkeit Rd des Bauteils

Beanspruchung / Beanspruchbarkeit A 1.32

a

 emessungswert einer Einwirkung B Fd = Fk ∙ γF Index d: Bemessungswert („design“) Index k: charakteristischer Wert (ohne zusätzliche Sicherheit) Während der Teilsicherheitsbeiwert für ­ständige Einwirkungen γG je nach Bemessungssituation meist 1,35 beträgt, liegt der Teilsicherheitsbeiwert für ungünstige, veränderliche Einwirkungen γQ bei 1,5. Tragwerke müssen also in der Lage sein, 50 % mehr veränderliche Lasten zu tragen, als während einer Lebensdauer von 50 Jahren statistisch gesehen nur einmal erreicht oder überschritten werden. Um das Sicherheitsniveau weiter zu steigern, kommt zusätzlich auf der Widerstands- oder Materialseite ein Teilsicherheitsbeiwert γM zum Einsatz. Der Bemessungswert des Widerstands Rd eines Bauteils ergibt sich hier durch das Teilen des charakteristischen Werts eines Widerstands Rk durch den Teilsicherheitsbeiwert γM: Bemessungswert eines Widerstands Rd = Rk / γM

Mittelwert der Festigkeit R

charakteristischer Wert Rk

γM

Bemessungswert Rd

Bemessungswert Fd

γF

charakteristischer Wert Fk (98%)

Häufigkeit

Ein wesentliches Prinzip sicheren Bauens ist es, dass die Summe der Einwirkungen F nicht die Widerstandsfähigkeit R des beanspruchten Bauteils übersteigt. Um dies zu erreichen, hat man sich in Europa auf ein Konzept mit sogenannten Teilsicherheits­ beiwerten geeinigt. Da die Einwirkungen nicht mit exakt tatsächlichen, sondern wahrscheinlichen Werten beziffert werden und um das Niveau der Standsicherheit zu verbessern, setzt man auf Seiten der Einwirkung F Rechenwerte an, die um einen Teilsicherheitsbeiwert γF erhöht sind. Der Bemessungswert einer Einwirkung Fd ergibt sich damit aus der Multiplikation des charakteristischen Werts einer Einwirkung Fk mit dem Teilsicherheitsbeiwert γF:

Die Eigenschaften eines Baustoffs bestimmen seine Widerstandsfähigkeit wesentlich. Daher hängt der Teilsicherheitsbeiwert γM von der Art des Materials ab (Abb. A 1.35). Natürliche Baustoffe wie Holz weisen eine größere Streuung der Materialeigenschaften auf und erfordern daher einen höheren Teilsicherheitsbeiwert als der industriell hergestellte Baustoff Stahl. Auch gelten für spröde Stoffe wie Glas höhere Beiwerte als für duktile, gut dehnbare Materialien. Die Berücksichtigung von Teilsicherheitsbeiwerten sowohl auf Einwirkungs- als auch auf Widerstandsseite erhöht das Sicherheitsniveau im Bauwesen unter Beachtung von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen so weit, dass Einstürze von Bauten infolge von Tragwerks­ versagen extrem selten sind. Völlig ausBeanspruchung / Beanspruchbarkeit schließen lassen sie sich allerdings weder durch dieses noch durch jedwedes andere Sicherheitskonzept. Der Grundgedanke, dass jede Einwirkung immer kleiner als die Widerstandsfähigkeit sein sollte, lässt sich unter Sicherheits­aspekten nun entsprechend präzisieren (Abb. A 1.32): Fd = Fk ∙ γF < Rd = Rk / γM

Fd < Rd

Sicherheitskonzept

Mittelwert der Einwirkung F

Mittelwert der Festigkeit R

charakteristischer Wert Rk

γM

Bemessungswert Rd

Fd < Rd

Bemessungswert Fd

γF

charakteristischer Wert Fk (98%)

Beanspruchung Ed infolge Fd < Beanspruchbarkeit / Festigkeit / Tragfähigkeit

Mittelwert der Einwirkung F

Häufigkeit

32

Baustoffe, Eigenschaften, Widerstandsfähigkeit Für Tragwerke kommen verschiedene Baustoffe zum Einsatz. Neben industriell hergestelltem Stahl, Stahlbeton und klassischem Mauerwerk erfreut sich auch der CO2-bindend nachwachsende, traditionelle Rohstoff Holz wieder wachsender Beliebtheit, nachdem er während der Moderne kaum eine Rolle gespielt hat. Bezüglich ihrer Eigenschaften unterscheiden sich die Werkstoffe deutlich. Zu den organischen Materialien zählen beispielsweise Holz, Bitumen oder Kunststoffe. Zu den anorganischen Werkstoffen hingegen gehören neben spröden, mineralischen Stoffen wie Beton, Glas, Mörtel oder Naturstein auch die duktilen, metallischen Mate­rialien wie Stahl, Aluminium

oder Kupfer, bei denen sich ein Bruch im Gegensatz zu den spröden Stoffen vorher ankündigt. Entsprechend ihres Gefügeaufbaus lassen sich kristalline, amorphe oder faserige Stoffe unterscheiden. Während Metalle, ­Ziegel oder Glas stofflich weitgehend homogene innere Strukturen aufweisen, sind diese bei Holz, Beton oder Stahlbeton eher inhomogen. Festigkeit f eines Baustoffs Für die Tragfähigkeit eines Werkstoffs hat die höchstmögliche Beanspruchbarkeit durch mechanische Belastungen eine wesentliche Bedeutung. So gibt die Elasti­zitätsgrenze oder Streckgrenze fy, k an, bei welcher Beanspruchung eine reversible elastische in eine bleibende plastische Verformung übergeht. Die maximale Grenz­beanspruchung f zeigt an, wann mit einem Bruch oder Versagen des Baustoffs zu rechnen ist. Für verschiedene Bean­ spruchungen wie Zug, Druck, Biegung, Schub oder Torsion lassen sich für jeden Baustoff entsprechende Festigkeiten f [kN/cm2 (= 10 N/mm2)] ermitteln. Diese ­Festigkeiten f werden als maximal zulässige Spannungen mit σzul = f [kN/cm2] ange­ geben. Elastizitätsmodul E eines Baustoffs Das Dehnungsverhalten, das ein Material im linear-elastischen Bereich unter Zugspannung aufweist, wird mit dem Elastizitäts­ modul E [kN/cm2 (= 10 N/mm2)] bezeichnet. Dieses E-Modul beschreibt das Verhältnis von Normalspannung σN zu Dehnung ε. Als Dehnung ε gilt dabei das Verhältnis von Längenänderung Δl zur ungedehnten Ausgangslänge l0 eines Elements unter Zugspannung. Elastizitätsmodul E [kN/cm2] = σN /ε = σN / (Δl /l0) Weiche Werkstoffe haben ein kleines E-Modul, steife wie Stahl ein großes.

GR UNDLA GEN

33

A 1.32 Grundlegendes Sicherheitskonzept für Trag­ werke. Um Schäden zu vermeiden, darf die ­Beanspruchung Ed infolge einer Einwirkung Fd die Beanspruchbarkeit Rd eines Bauteils nicht übersteigen: Ed < Rd rot: Häufigkeitsverteilung von Einwirkungen F blau: Häufigkeitsverteilung von Beanspruchbarkeiten R von Bauteilen/Baustoffen A 1.33 Fichtenholz unter dem Mikroskop A 1.34 überdachtes Holztragwerk der etwa 300 Jahre alten Kommabrücke bei Hittisau, Vorarlberg (AT) A 1.35 Teilsicherheitsbeiwerte γM für unterschiedliche Baustoffe

Steifigkeit eines Bauteils Die Dehnsteifigkeit EA [kN], die Biegesteifigkeit EI [kNcm2] sowie die Schub- oder die Torsionssteifigkeit geben daneben an, welche Widerstände ein konkretes Bauteil in Abhängigkeit von Material und Geometrie entsprechenden Beanspruchungen ent­ gegensetzen kann. Während die Materialseite über das Elastizitätsmodul E oder das Schubmodul G berücksichtigt wird, fließt die Bauteilgeometrie über die Querschnittsfläche A oder das Flächenmoment 2. Grades I, auch Flächenträgheitsmoment genannt, in den Steifigkeitswert ein. Holz Betrachtet man Holz unter dem Mikroskop so erscheint es als ein Bündel feinster Röhren, durch die der Baum Wasser aus dem Boden bis in die Blätter transportiert (Abb. A 1.33). Celluloseketten (C12H20O10) bilden recht reißfeste Faserstrukturen, die in den Wänden dieser Kapillaren die tragende Funktion übernehmen. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, warum Holz sehr unterschiedliche Eigenschaften in Faserrichtung und quer dazu aufweist. Man spricht deshalb von einem anisotropen Material. Zug- und Druckfestigkeit sind in Faserrichtung ungleich höher als quer dazu. Die Haupttragwirkung sollte daher immer in Faserrichtung gewählt werden. Der natürliche Rohstoff Holz bietet bei geringem Eigengewicht relativ hohe Festigkeiten und niedrige Wärmeleitfähigkeiten. Holz lässt sich gut bearbeiten. Größere oder komplexere Bauteile können im Werk vor­ gefertigt und trocken verbaut werden. Allerdings ist Holz brennbar und erfordert damit entsprechende Brandschutzvorkehrungen. Auch Feuchtigkeit kann zu Problemen wie Quellen, Verwitterung, Pilz- oder Insektenbefall führen. Daher gilt es, Feuchtigkeit grundsätzlich fernzuhalten, abzuleiten oder notfalls schnell abzulüften. Als übliches Bauholz gilt Nadelholz der Festigkeitsklasse C 24 (engl. coniferous = Zap-

fen tragend, Biegefestigkeit fm, k = 24 N/mm2). Seltener kommt das teurere Laubholz in Fes­tigkeitsklassen zwischen D 18 und D 70 (engl. deciduous = laubabwerfend, Biegefestigkeit fm, k = 18 … 70 N/mm2) zum Einsatz. Um größere Bauteile herzustellen, ­werden Bretter zu Brettschichtholz verleimt. Dabei sind Festigkeitsklassen bis zu GL36h (Glued Laminated Timber, Bie­gefestigkeit fm, k = 36 N/mm2, homogen) möglich. Neben dem Vollholz stehen auch Furnier-, Span- oder Faserwerkstoffe aus Holz zur Verfügung. Damit lassen sich zum einen auch qualitativ weniger wertvolle Gehölze, Verschnitt oder Holzabfälle als Werkstoffe für das Bauwesen nutzen. Zum anderen können Produkte mit Eigenschaften hergestellt werden, die natürliches Holz nicht ­bietet. So weisen Sperrholz, Brettsperrholz oder Tischlerplatten in zwei Richtungen große Festigkeiten auf statt nur in einer. Holz und Holzwerkstoffe erzielen bei kurzer Lasteinwirkungsdauer höhere Festigkeitswerte als bei lange einwirkenden Lasten. Daher unterscheidet man fünf Klassen der Lasteinwirkungsdauer (KLED). Sie reichen von „sehr kurz“ für Windböen über „mittel“ für Verkehrslasten bis zu „ständig“ für das Eigengewicht. Zusätzlich beeinflussen die klimatischen Verhältnisse in der Umgebung von Holzbauteilen deren Eigenschaften. Generell weist trockenes Holz höhere Festigkeiten auf als feuchtes. In der europäischen Normung wird zwischen drei Nutzungsklassen (NKL) unterschieden (EC5, DIN EN 1995): • NKL 1 (~20°, 65 % relative Luftfeuchte ∫ mittlere Holzfeuchte < 12 %), vorwiegend in allseitig geschlossenen und beheizten Bauwerken • NKL 2 (~85 % relative Luftfeuchte ∫ ­mittlere Holzfeuchte < 20 %), vorwiegend bei überdachten offenen ­Bauwerken • NKL 3 (Sonstige), vorwiegend für Konstruktionen, die der Witterung ausgesetzt sind (Abb. A 1.34)

A 1.33

A 1.34

Baustoff

Teilsicherheitsbeiwert

γM Holz und Holzwerkstoffe

γM = 1,3

Stahl

γM = 1,00 … 1,10 … 1,25

Mauerwerk

γM = 1,3 … 1,5

Beton

γC = 1,30 … 1,50

Betonstahl

γS = 1,00 … 1,15

Glas

γM = 1,5 … 1,8 A 1.35

34

Entsprechend der Nutzungsklasse (NKL) und der Klasse der Lasteinwirkungsdauer (KLED) ergeben sich Modifikationsbeiwerte für die Festigkeit von Holzbauteilen kmod. Dieser Wert liegt zwischen kmod = 0,20 für Spanplatten in NKL 2 bei ständiger Lasteinwirkung und kmod = 1,10 für Vollholz in NKL 1 oder 2 bei sehr kurzer Einwirkung. Zur Vorbemessung nutzt man häufig kmod = 0,80, der für Verkehrslasten in NKL 1 oder 2 gilt. Als Bemessungswert für die Beanspruchbarkeit Rd von Holz ergibt sich damit: Beanspruchbarkeit Rd = kmod ∙ Rk /γM Für eine Vordimensionierung von tragenden Holzbauteilen der üblichen Festigkeitsklasse C 24 haben sich folgende Anhaltswerte bewährt: ∙ C 24 Zugfestigkeit ft, 0, d = kmod ∙ ft, 0, k /γM = 0,8 ∙ 14 N/mm2/1,3 = 0,9 kN/cm2 ∙ C 24 Druckfestigkeit fc, 0, d = kmod ∙ fc, 0, k /γM = 0,8 ∙ 21 N/mm2/1,3 = 1,3 kN/cm2 ∙ C 24 Biegefestigkeit fm, d = kmod ∙ fm, k /γM = 0,8 ∙ 24 N/mm2/1,3 = 1,5 kN/cm2 ∙ C24 Elastizitätsmodul (in Faserrichtung) E0, mean = 11 kN/mm2 = 1100 kN/cm2

Spannung [kN/cm2]

Stahl Der industrielle Baustoff Stahl ist eine Legierung, die zum größten Teil aus Eisen besteht. Hinzu kommen bis zu 2 % Kohlenstoff sowie

leichte Verunreinigungen durch Schwefel und Phosphor. Um besondere Eigenschaften wie Rostfreiheit zu erreichen, werden weitere chemische Elemente wie Chrom hinzugefügt. Stahl ist ein homogener, iso­ troper, duktiler Werkstoff mit hoher Festigkeit, der sich kalt und warm verformen lässt. Seine Herstellung ist enorm energieaufwendig, die Wiederverwertbarkeit dafür hoch. Beachtliches Eigengewicht, großer Festigkeitsverlust bei Erhitzung, Ermüdung, Schwin­gungs- und Korrosionsanfälligkeit zählen zu seinen Nachteilen. Stahl weist ein besonderes Spannungs-Deh­­ nungs-Verhalten auf. Üblicher Baustahl der Sorte S235 dehnt sich elastisch bis zu seiner Streck- oder Fließgrenze fy, k = 23,5 kN/cm2 (engl. to yield = fließen). Ohne wesentliche Erhöhung der Spannung dehnt er sich zunächst plastisch weiter, bevor er dann bei etwa fu, k = 36,0 kN/cm2 den ultimativen Wert der aufnehmbaren Spannung erreicht. Anschließend genügt sogar eine sinkende Spannung für eine weitere bleibende Dehnung, bevor er bei einer Bruchdehnung von etwa 20 bis 25 % reißt (Abb. A 1.37). Neben S 235 stehen noch Bau­stähle der Sorten S 275 und S 355 sowie Feinkornbau­stähle der Sorten S 420 und S 460 zur Verfügung. Sie weisen zwar entsprechend ihrer Bezeichnung höhere Festigkeitswerte fy, k und fu, k auf,

haben im elastischen Bereich aber alle das gleiche Elastizitätsmodul E = 21 000 kN/cm2. Für die Vordimensionierung ist es sinnvoll, S 235 zu verwenden, damit im weiteren Verlauf der Planung notfalls auf höhere Festigkeiten zurückgegriffen werden kann, um größere Tragfähigkeiten zu erzielen, ohne die Bauteilstärken verändern zu müssen. Dünne, flächige Stahlbauteile werden meist als Well- oder Trapezbleche profiliert, um höhere Steifigkeiten zu erzielen. Auf Druck oder Biegung beanspruchte Trag­elemente sind häufig als runde oder eckige Hohlprofile sowie in I-, H- oder U-Form ausgebildet, um Material dort zur Verfügung zu stellen, wo es stark beansprucht ist, und dort zu sparen, wo die Spannungen gering sind (Abb. A 1.36). Für eine Vordimensionierung von tragenden Stahlbauteilen der üblichen Festigkeitsklasse S 235 haben sich folgende Anhaltswerte bewährt: • S 235 Zugfestigkeit fy, d = fy, k /γM0 = 235 N/mm2/1,0 = 23,5 kN/cm2 • S 235 Druck-/Biegefestigkeit fy, d = fy, k /γM1 = 235 N/mm2/1,1 = 21,4 kN/cm2 • S 235 Elastizitätsmodul E = 210 000 N/mm2 = 21 000 kN/cm2 Da die Festigkeitswerte zum einen nah beieinanderliegen und sie sich zum anderen

Bruchgrenze fu, k = 36,0 kN/cm2 plastische Dehnung Fließgrenze fy, k = 23,5 kN/cm2 Stab gerissen linear-elastische Dehnung

Dehnung [%] A 1.36

A 1.37

GR UNDLA GEN

35

A 1.36 verschiedene Profilstähle A 1.37 Protokollierung eines Zugversuchs bei einem Stahlstab A 1.38 Bewehrungsstahl A 1.39 Sichtbeton, Fukutake Hall, University of Tokyo (JP) 2008, Tadao Ando A 1.38

auf die elastische Streckgrenze statt auf die deutlich höhere Bruchgrenze beziehen, wird in der überschlägigen Handrechnung häufig auch mit einem einheitlichen Festigkeitswert fy, d = 24 kN/cm2/1,1 = 21,8 kN/cm2 gerechnet. Stahlbeton Der künstlich hergestellte Werkstoff Stahlbeton ist ein Baumaterial, das in der industrialisierten Welt aktuell sehr große Verwendung findet (Abb. A 1.39). Stahlbeton nutzt als Verbundmaterial die Brand- und Korrosionsschutzwirkung, die freie Formbarkeit und die Druckfestigkeit des Kunstgesteins Beton. Der vergleichsweise geringen Zugfestigkeit von Beton begegnet man durch gezieltes Einlegen gerippter oder profilierter Stahlstäbe vor allem in zugbeanspruchten Bereichen von Stahlbetonbauteilen. Der Einsatzbereich von Stahlbeton erstreckt sich von Fundamenten über Stützen, Wandscheiben, Boden- oder Deckenplatten, weitgespannte Dächer und Brücken bis hin zu enormen Staumauern. Seine Klimaschädlichkeit aufgrund des sehr hohen Energieaufwands für die Zement- und Stahlproduktion, die Wärmeleitfähigkeit, die hohen Eigenlasten im Vergleich zu Nutzlasten sowie die mäßige Umbau- oder Wiederverwendbarkeit zählen zu den Nachteilen dieses Baustoffs. Beton (engl. concrete) besteht aus dem hydraulischen Bindemittel Zement, aus Zugabewasser, aus Gesteinskörnungen wie Sand und Kies sowie oft aus chemischen Zusätzen, um die Eigenschaften des Frisch- oder des späteren Festbetons zu steuern. Aus diesen Bestandteilen entsteht beim Abbinden ein sprödes, mineralisches Material. Im Bauwesen finden häufig Betone der ­Festigkeitsklassen C 25/30 oder C 30/37 Anwendung. Die charakteristische Druck­ festigkeit von Beton C 30/37 beträgt fck, cyl = 30 N/mm2. Für den Bemessungswert der Druckfestigkeit ist neben dem ­Teilsicherheitsbeiwert γC = 1,50 der Faktor

αCC = 0,85 zu berücksichtigen, da auch Beton unter Dauerlast geringere Festigkeiten aufweist als bei Kurzzeitversuchen: • C 30/37 Druckfestigkeit fcd = αCC ∙ 30 N/mm2/γC = 0,85 ∙ 3,0 kN/cm2/1,5 = 1,7 kN/cm2 • C 30/37 Elastizitätsmodul Ecm = 33 000 N/mm2 = 3300 kN/cm2 Für die Bewehrung von Betonbauteilen kommt oft gerippter Stab- oder Mattenstahl der Festigkeitsklasse B 500 mit Durchmessern zwischen 6 und 40 mm sowie Längen bis zu 18 m zum Einsatz (Abb. A 1.38). Der Bemessungswert seiner Zugfestigkeit errechnet sich wie folgt:

B 500 Zugfestigkeit fyd = fyk /γS = 500 N/mm2/1,15 = 43,5 kN/cm2 Das Tragverhalten von Stahlbetonbauteilen ist aufgrund der sehr unterschiedlichen Bestandteile komplex. Vordimensionierungen von Bauteilabmessungen erfolgen oft über die Anforderung der Gebrauchstauglichkeit. Zur Abschätzung der Bauteilhöhe h einer Stahlbetondecke in Abhängigkeit ihrer Spann­weite l und des Beiwerts k zur Berücksichtigung des statischen Systems eignet sich folgende Formel, die auf Erfahrungswerten beruht: Bauteilhöhe einer Stahlbetondecke h [m] ≥ l / (k ∙ 35) + 0,04 m

A 1.39

36

Bei erhöhten Anforderungen an die Verformungsbegrenzung der Decke zur Vermeidung von Schäden an angrenzenden Bauteilen gilt Erfahrungen zufolge: Bauteilhöhe bei erhöhten Anforderungen h [m] ≥ l2 / (k2 ∙ 150) + 0,04 m

A 1.40

A 1.41

A 1.42

Der Beiwert k variiert zwischen k = 0,4 für Kragarme wie frei auskragende Balkone, k = 1,0 für gelenkig gelagerte Einfeldplatten und k  = 1,5 für die Innenfelder einer über mehrere Auflager durchlaufenden Platte. Aus Gründen des Brand- und Schallschutzes beträgt die Mindestdeckenstärke im Hochbau meist h ≥ 16 cm. Um die Wärmeleitfähigkeit zu verringern, lassen sich Leicht- oder Infraleichtbetone verwenden. Für hochbeanspruchte Bauteile kommen hingegen hochfeste oder ultrahoch­ feste Betone zum Einsatz, die charakteris­ tische Druckfestigkeiten fck, cyl = 100 N/mm2 und mehr erreichen. Um Zug- und Biegezugfestigkeit zu erhöhen, können dem Beton Stahl-, Polymer- oder spezielle Glasfasern zugegeben werden. Mauerwerk Der Begriff Mauerwerk bezeichnet weniger einen Baustoff als vielmehr eine Fügetechnik für ganz unterschiedliche Materialien wie getrocknete oder gebrannte Ziegel, Natur-, Beton-, Porenbeton- oder Kalksandsteine (Abb. A 1.40). Ähnlich wie Beton weist Mauerwerk meist eine relativ hohe Druckfestigkeit auf, verfügt aber nur über eine sehr geringe Zugfestigkeit. Die einzelnen Steine werden im Verband angeordnet, also so versetzt, dass sie sich gegenseitig verzahnen. Zur Bettung der Steine und zur Füllung von Fugen kommt meist Mörtel zum Einsatz, ein Gemisch aus Sand, Wasser und Bindemitteln wie Kalk oder Zement (Abb. A 1.41). Haupteinsatzgebiet von Mauerwerk sind ­tragende oder aussteifende Wände, deren Wandstärke je nach Wandhöhe zwischen 11,5 und 30 cm oder mehr betragen muss. Je nach Rohdichte und Material des Mauer-

werks lassen sich meist Nennfestigkeiten zwischen 2 und 28 MN/m2 erreichen. Dies entspricht 0,2 – 2,8 kN/cm2. Für Mauerwerk gilt die statisch-konstruktive Regel, dass auf einen rechnerischen Nachweis dann verzichtet werden kann, wenn die gewählte Wanddicke offensichtlich ausreicht (DIN EN 1996-1-1/NA, NCI zu 8.1.2). Diese Regel ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass Mauerwerk in der Baugeschichte über Jahrtausende errichtet wurde, ohne dass jemals rechnerische Nachweise geführt worden wären. Ohne entsprechende Erfahrung sollte diese Regel heute allerdings nicht genutzt werden. Ähnlich wie bei Beton kann auch bei Mauerwerk durch den Einsatz von Bewehrung die Zugfestigkeit erhöht werden. Insbesondere in Erdbebengebieten lässt sich so die Standsicherheit verbessern. Weitere Baustoffe Neben den bisher beschriebenen Werk­ stoffen werden auch andere Materialien oder Verbundstoffe für tragende Funk­tionen genutzt, wenn auch seltener. Aluminium hat eine geringere Wichte und ist leichter formbar als Stahl. Sehr häufig werden stranggepresste Aluminiumprofile als Fassung von Glasflächen in Pfosten-­Riegeloder Elementfassaden eingesetzt. Glasscheiben in solchen Fassaden müssen Windlasten widerstehen. Im Fall von begehbaren oder Überkopfverglasungen kommen das Eigengewicht des Glases sowie teilweise weitere Lasten hinzu. Hierfür steht aus mehreren Scheiben verklebtes Verbundsicherheitsglas (VSG) zur Verfügung. Sehr selten wird Glas sogar eingesetzt, um Lasten aus anderen Bauteilen zu tragen (Abb. A 1.42). Der ökologisch sinnvolle Baustoff Lehm ist in großem Maß nahezu weltweit verfügbar, ohne hohen Energieaufwand herstellbar, nicht brennbar, wiederverwertbar und bauphysikalisch vorteilhaft. Seine Tragfähigkeit hat er bei den fast 400 Jahre alten Lehm-

GR UNDLA GEN

hochhäusern im Jemen unter Beweis gestellt. Bei Fachwerkhäusern wird er zur Ausfachung der Holzkonstruktion verwendet. Für ein nachhaltiges Bauen bietet Lehm große Chancen. Faserverstärkte Kunststoffe (FVK) nutzen Glasfasern (GFK) oder Kohlenstofffasern (CFK), die in Kunstharze eingelegt werden, um hohe Zugfestigkeiten bei geringem Eigengewicht zu erreichen. Diese recht aufwendige Bauweise hat sich bisher vor allem beim Bau von Sportbooten durchgesetzt. Im Bauwesen kommen Lamellen aus FVK bisher in erster Linie bei Verstärkungen bestehender Bauteile zum Einsatz. Mit beschichteten Gewebemembranen oder Kunststofffolien lassen sich große Flächen mit relativ geringem Aufwand überspannen. Solche dünnen Häute können vor allem Zugspannungen aufnehmen. Um Lasten verformungsarm tragen zu können, sind sie mechanisch oder pneumatisch vorzuspan-

nen. Membranen werden nicht nur bei kleinen Zelten, sondern auch bei der Über­ dachung großer Sportarenen weltweit eingesetzt (Abb. A 1.43). Die spezifischen Eigenschaften aller Baustoffe bezüglich ihres Tragverhaltens sind bei der Planung entsprechender Tragkon­ struktionen zu berücksichtigen. Liegen keine zugehörigen Normen vor, ist die Verwendbarkeit im Einzelfall zu prüfen und mit den zuständigen Bauaufsichtsbehörden abzustimmen. A 1.40 historisches Mauerwerk aus dem 10. Jh., Kathedrale von Glendalough (IE) A 1.41 modernes Mauerwerk, Europäisches Hanse­ museum Lübeck (DE) 2015, Andreas Heller Architects & Designers, Kröger & Steinchen A 1.42 Die Glasfassade trägt das Dach des Eingangspavillons, Novartis Campus, Basel (CH) 2006, Marco Serra, EBP A 1.43 ETFE-Folienkissen bilden Dach und Fassade der Allianz Arena, München (DE) 2005, Herzog & de Meuron in Zusammenarbeit mit Arup, Sailer Stepan und Partner (ssp)

A 1.43

37

38

Teil B  Tragelemente

Zugbeanspruchte Tragelemente  Zugbeanspruchte Elemente im Ingenieurbau Zugbeanspruchte Elemente im Hochbau Tragverhalten zugbeanspruchter Tragelemente Vordimensionierung von Zugstäben

40 40 41 44 45

Druckbeanspruchte Tragelemente Tragverhalten druckbeanspruchter Tragelemente Vordimensionierung von Druckstäben Kombination verschiedener Beanspruchungen Formgebung bei Druckstäben

47 48 51 54 54

Biegebeanspruchte Tragelemente Tragverhalten biegebeanspruchter Tragelemente Vordimensionierung biegebeanspruchter Tragelemente Verformung biegebeanspruchter Tragelemente Gebrauchstauglichkeit biegebeanspruchter Tragelemente Konstruktion biegebeanspruchter Tragelemente

54 54 57 60 60 61

Überblick zur Vordimensionierung von Tragelementen 63 Hinweis63 Geometrische Querschnittswerte 63 Vereinfachte Materialkennwerte für die Vordimensionierung 63 Standsicherheit, Tragfähigkeit 63 Gebrauchstauglichkeit (Begrenzung von Verformungen) 63

Tensegrity, zug- und druckbeanspruchte Elemente im Gleichgewicht, Needle Tower II im Skulpturengarten des Kröller Müller Museums, Otterlo bei Arnheim (NL) 1969, Kenneth Snelson

40

Tragelemente Eberhard Möller

Tragwerke sind zumeist aus einzelnen Trag­ elementen zusammengesetzt. Die wichtigsten dieser Grundelemente lassen sich ­entsprechend ihrer wesentlichen inneren Beanspruchung in drei Kategorien grup­ pieren: • zugbeanspruchte Tragelemente • druckbeanspruchte Tragelemente • biegebeanspruchte Tragelemente Zu den genannten Kategorien werden im Folgenden herausragende Beispiele und wichtige Varianten vorgestellt. Angaben zu üblichen Einsatzbereichen, einfache Faustformeln, aktuelle Analyseverfahren, typische Schnittgrößenverläufe oder nützliche Vor­ dimensionierungsmethoden bieten Informationen für die Anwendung solcher tragenden Elemente. Tragelemente erfüllen neben ihrer tragenden Funktion häufig weitere Aufgaben. Als Wände oder Decken sind sie Raum­ abschluss und sorgen für Sicht-, Schall-, Brand-, Wind-, Feuchte- oder Wärmeschutz. Entsprechend der Fülle solcher Funktionen bestehen derartige Bauteile oft aus mehreren Schichten, um allen Anforderungen möglichst weitgehend gerecht werden zu können.

Zugbeanspruchte Tragelemente Zu den zugbeanspruchten Tragelementen zählen unter anderem Zugstäbe, Seile oder Membranen. Der Werkstoff Stahl, aus dem zugbeanspruchte Elemente heute oft hergestellt werden, ist vergleichsweise jung. Noch jünger sind manche der Konstruktionsarten, die die Potenziale dieses Materials ausreizen. Im Zuge der Industrialisierung gelang es, ausreichende Mengen des neuen Baustoffs und gleichzeitig sinnvolle Größenordnungen von Werkstücken zu produzieren. Obwohl es die Bauweisen mit zugbeanspruchten Tragelementen also noch nicht so lange gibt, existieren heute bereits viele entsprechende Bauwerke mit beeindruckenden Dimensionen. Zugbeanspruchte Elemente im ­Ingenieurbau Bei weitgespannten Brücken kommen oft zugbeanspruchte Elemente zum Einsatz. Mit Längen von mehreren 1000 m zählen Seile oder Kabel zu den längsten Tragelementen, die im Bauwesen zur Verfügung stehen. Hängebrücken Große Hängebrücken wie die Golden Gate Bridge von San Francisco aus dem Jahr 1937 mit 1280 m Stützweite oder die AkashiKaikyō-Brücke in Japan mit einer Stützweite von 1991 m wären ohne Stahlseile nicht realisierbar (Abb. B 1.1). Neben den Tragkabeln, die über die Köpfe der hohen Pylonen laufen, sind auch die senkrechten Hänger, an denen die Fahrbahnebene befestigt ist, auf Zug beansprucht. Schrägseilbrücken Bei Schrägseilbrücken spannen die tragenden Seile wie bei einer Harfe unmittelbar zwischen Fahrbahndeck und Pylon. Für die Erasmusbücke in Rotterdam aus dem Jahr 1996 setzten die Planer Ben van Berkel und Caroline Bos ebenfalls auf zugbeanspruchte Tragelemente (Abb. B 1.4). Mit

B 1.1 Hängebrücke, Akashi-Kaikyō-Brücke, Kobe (JP) 1998, Honshu Shikoku Bridge Authority B 1.2 Hängebrücke, Millennium Bridge, London (GB) 2000/2002, Norman Foster, Arup B 1.3 drehbare Schrägseilbrücke, St Saviour’s Dock Footbridge, London (GB) 1996, Nicholas Lacey, Whitby & Bird B 1.4 Schrägseilbrücke, Erasmusbrücke, Rotterdam (NL) 1996, van Berkel & Bos, Gemeentewerken Rotterdam B 1.1

41

TR A GELEM ENTE

etwas Phantasie kann man den knienden Erasmus erkennen, der an aufgefächerten, haarfeinen Armen die Fahrbahn über der Nieuwen Maas hält. Kombinierte Hänge-/Schrägseilbrücken Eine frühe Überlagerung der beiden ­Konstruktionsprinzipien von Hänge- und Schrägseilbrücke stellt die Brooklyn Bridge in New York dar (Abb. A 1.18, S. 24). John A. Roebling (1806 –1869) hat sie geplant. Nach seinem Tod übernahm zunächst sein Sohn und nach dessen Erkrankung seine Schwiegertochter Emily Warren Roebling die Bauleitung. 1883 eröffnete US-Präsident

Chester Alan Arthur zu Pferde die mit 486 m Stütz­weite damals weitaus längste Brücke der Welt. Der französische Brückenbauingenieur Michel Virlogeux nahm die Idee der Kombination von Hänge- und Schrägseilkonstruktion für die dritte Brücke über den Bosporus auf (Abb. D 2.14, S. 115). Schrägseile versteifen die pfeilernahen Zonen des 2016 eröffneten Viadukts, während weichere senkrechte Hänger den mittleren Bereich der Brücke tragen. Fußgängerbrücken Auch Fußgängerbrücken nutzen filigrane Zugelemente, um mit relativ wenig Mate-

rial größere Stützweiten zu bewältigen. ­ ierbei sind neben Hängebrücken wie H der Millennium Bridge in London von ­Norman Foster und Arup (Abb. B 1.2) ­ebenfalls auch Schrägseilkon­struktionen im Einsatz wie die St Saviour’s Dock Footbridge, eine drehbare Schrägseilbrücke (Abb. B 1.3). Zugbeanspruchte Elemente im Hochbau Neben dem Ingenieurbau lassen sich auch im Hochbau zugbeanspruchte Tragelemente finden. Hier sind es wiederum eher weitgespannte Konstruktionen, bei denen solche Bauteile zum Einsatz kommen.

B 1.2

B 1.3

B 1.4

42

B 1.5

B 1.6

Sattelförmige hängende Dächer Einen Meilenstein in der Entwicklung hängender, überwiegend zugbeanspruchter Dächer stellt die J. S. Dorton Arena (früher State Fair Arena) in Raleigh dar (Abb. B 1.5). Der aus Polen stammende Architekt Matthew Nowicki (1910 –1950) hatte das neuartige Tragwerk konzipiert. Nach seinem tragischen Tod bei einem Flugzeugabsturz 1950 half der New Yorker Bauingenieur Fred Severud, das Projekt zu verwirklichen. ­Während die zwischen den höheren Bereichen der beiden Bögen hängenden Seile die Eigenlasten tragen, verhindern die quer dazu zwischen den tieferen Punkten gespannten Zugelemente ein Abheben des leichten Dachs unter Windsog. Aufgrund der Form solcher Dachkonstruktionen spricht man bei entsprechend gegensinnig gekrümmten Flächen auch von ­Sattelflächen. Gemeinsam mit dem aus Finnland stammenden Architekten Eero Saarinen (1910 –1961) plante der in Norwegen geborene Fred Severud (1899 –1990) wenig später in den 1950er-Jahren eine Eishockey Arena für die Yale University in New Haven. Hier spannen Seile zwischen drei Bögen, einem zentral stehenden und zwei seitlich liegenden. Wegen der sich daraus ergebenden schwungvollen Form samt Heckflosse mit

Vorplatzbeleuchtung ist der David S. Ingalls Rink auch unter dem Namen Yale Whale bekannt (Abb. B 1.6). Inspiriert von diesen Bauten entschieden sich Kenzo Tange, Yoshikatsu Tsuboi und Mamoru Kawaguchi, die Hallen für die Olym­ pischen Spiele 1964 in Tokio mit vergleichbaren hängenden Dächern zu versehen (Abb. B 1.7).

a

Speichenradkonstruktionen Von ähnlich schlanker Form wie die tragenden Seile bei Hängebrücken oder -dächern sind auch die Speichen von Fahrrädern. Der US-Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel demon­strierte 1958 die Idee, eine solche Speichenradkonstruktion horizontal als großes Dachtragwerk zu nutzen. Die tragenden Zugelemente hatte Edward Durell Stone hier radial angeordnet. Zur Versteifung und gegen abhebenden Windsog half eine zweite Lage von Zugseilen oberhalb der Tragseile, die außen ebenfalls an der druckbeanspruchten Felge und innen an einer gemeinsamen, mehrere Meter hohen Nabe des Speichenrads verankert waren. Der in Russland geborene Ingenieur Lev Zetlin verwendete dasselbe Prinzip 1959 für das Dach des Utica Memorial Auditoriums im Bundesstaat New York (Abb. B 1.8), das im Gegensatz zum temporären Brüsseler

Pavillon bis heute als Multifunktionshalle in Betrieb ist. Für die Weltausstellung 1964 entwickelte Lev Zetlin gemeinsam mit Philip Johnson und Richard Foster auch den New York State Pavilion, das sogenannte Tent of Tomorrow (Abb. B 1.9). Hier liegen die Tragseile anders als in Utica oder Brüssel oberhalb der Spannseile. Entsprechend hoch muss die druckbeanspruchte umlaufende Felge ausgeführt werden. Auch hier hängen die filigranen Speichen im mächtigen Druckring, den monumentale Betonstützen tragen. Als Skulptur steht das Tragwerk des Pavillons bis heute im Flushing Meadows Park im New Yorker Stadtteil Queens. Speichenradkonstruktionen wurden seit den 1990er-Jahren häufig für Tribünenüberda­ chungen bei Stadien oder Arenen genutzt. Neben dem geringen Gewicht solcher Tragwerke haben sie den zusätzlichen Vorteil, dass die horizontalen Zugkräfte aus den gespannten Speichen über den Druckring kurzgeschlossen sind und somit infolge des Eigengewichts nur vertikale Lasten in Stützen und Fundamente abgetragen werden müssen. Eine exakt kreisrunde Form von Felge oder Nabe ist dabei nicht mehr nötig. Beispiele lassen sich weltweit unter anderem in Stuttgart, Frankfurt, Hannover, Hamburg, Rom, Madrid, Sevilla, Saragossa,

b

B 1.7

TR A GELEM ENTE

43

Warschau, Bukarest, Kiew, Shenzhen, Brasília oder Rio de Janeiro besichtigen. Gewichtsversteifte hängende Dächer Während die bisherigen Projekte neben den Tragseilen Spannseile zur Versteifung der Dachkonstruktion aufweisen, nutzte Eero Saarinen beim elegant geschwungenen Dach über dem Terminalgebäude des Dulles Airport bei Washington dafür das Gewicht von Beton (Abb. B 1.11). Stahlseile, die an den nach außen geneigten massiven Stützen eingehängt sind, tragen hier ein zwar schlankes, aber vergleichsweise schweres Stahlbetondach. Auch bei Álvaro Siza Vieiras und Cecil ­almonds Pavilhão de Portugal für die Expo 1998 in Lissabon dient das Eigengewicht der Betonhaut zur Versteifung der darin eingebetteten Zugseile (Abb. B 1.10). Thomas Herzog nutzte 1996 bei der Messehalle 26 in Hannover kiesgefüllte Holzelemente, ergänzt durch zwei Abspannungen mit Schwingungsdämpfern je Tragseil. Bei den verglasten Überdachungen der Bahnhofsvorplätze in Ulm von 1993 und Heilbronn von 2001 sowie bei der Römertherme in Baden bei Wien 1999 stand den Ingenieuren von Schlaich Bergermann Partner (sbp) dafür sogar nur das Gewicht der Glasscheiben zur Verfügung.

B 1.8

B 1.9

B 1.10 B 1.5   Tragwerksmodell der J. S. Dorton Arena, Raleigh (US) 1953, Matthew Nowicki, Fred Severud B 1.6   Tragseile zwischen Bögen, Tragwerksmodell der Eishockey-Arena, Yale University (Yale Whale), New Haven (US) 1958, David S. Ingalls Rink, Eero Saarinen, Fred Severud B 1.7   Yoyogi National Gymnasium und Yoyogi 2nd Gymnasium, Tokio (JP) 1964, Kenzo Tange, Yoshikatsu Tsuboi a  Außenansicht Yoyogi National Gymnasium b  Innenraum Yoyogi 2nd Gymnasium B 1.8   Tragseile der Speichenradkonstruktion, Memorial Auditorium, Utica (US) 1959, Gehron Seltzer, Lev Zetlin B 1.9   New York State Pavilion, New York (US) 1964, Philip Johnson, Richard Foster, Lev Zetlin B 1.10 Pavilhão de Portugal, Expo 1998, Lissabon (PT) Álvaro Siza Vieira, Cecil Balmond B 1.11 Hauptterminal des Dulles international Airport bei Washington (US) 1962, Eero Saarinen B 1.11

44

B 1.12

Weitere Arten hängender Dächer Für die Messe in Stuttgart setzten die Ingenieure von Mayr Ludescher Partner 2007 wiederum auf Spannseile unterhalb der pa­rallel hängenden Tragseile, um größere Verformungen oder gar ein Abheben des Dachs zu verhindern (Abb. B 1.12). Tragund Spannseile sind über senkrechte Koppelstäbe miteinander verbunden. Ein ähnliches Konzept haben die Planer von gmp und sbp bei der Messehalle 8/9 in Hannover 1998 umgesetzt. Deutlich an eine Hängebrücke erinnert hingegen das außen liegende Dachtragwerk der Europahalle in Karlsruhe von 1983 (Abb. B 1.13). Hängende Dächer aus Holz Mithilfe von Leim lassen sich längere Zugelemente heute auch aus Holzwerkstoffen herstellen. Für vier Fertigungspavillons eines Büromöbelherstellers in Bad Münder nutzte Frei Otto 1988 gekrümmte Zugstäbe aus Holz, die zwischen einem verglasten First-

B 1.13

rahmen und den umlaufenden Traufbalken hängen. Im Jahr 2000 konnten die Ingenieure von Merz Kley Partner (mkp) den Werkhof in Hohenems bei Dornbirn mit 39 mm starken und 20 m langen Furnierschicht­ holz­platten überdachen. Im kanadischen Surrey spannt sich seit 2015 ein Hängedach aus Holz über ein Sport- und Freizeitbad. Vertikale Zugstäbe Für das Abhängen von Bauteilen kommen vertikale Zugstäbe auch in kleinerem Maßstab zum Einsatz. Philip Johnson verankerte 1960 die Galerie im Obergeschoss des Munson-Williams-Proctor Arts Institute in Utica an hohen Trägern oberhalb der Dach­ ebene (Abb. B 1.14). So bleibt die Ebene unter der Galerie stützenfrei. Um Instrumentalübungsräume akustisch voneinander zu entkoppeln und damit Schall­ übertragungen zwischen ihnen zu minimieren, hängten Steven Hall Architects und Arup 2017 im New Music Building des Lewis

Arts Complex der Princeton University einzelne Holzkuben über Zugstäbe vom Haupttragwerk ab (Abb. B 1.18). Die großflächig verglaste Fassade gibt den Blick auf die einzeln hängenden Raummodule frei. In vielen Gebäuden helfen Zugstäbe dabei, Balkone, Galerien, Stege, Vordächer, Treppen oder Ähnliches von oben abzuhängen (Abb. B 1.17). Grundsätzlich müssen jedoch alle vertikalen Lasten aus solchen Zugstäben über Umwege nach unten in den Baugrund abgetragen werden. Tragverhalten zugbeanspruchter Trag­ elemente Das Tragverhalten von einachsig auf Zug beanspruchten Elementen ist aus Erfahrungen des Alltags bekannt und einfach nachvollziehbar. Je schwerer ein Gewicht wiegt, das wir am gerade herunterhängenden Arm tragen, desto stärker wird der Arm in die Länge gezogen und desto größer werden die Schmerzen. Im Jahr 1638 beschrieb Galileo Galilei (1564 –1642) seine theoretischen Gedanken zum Thema zugbeanspruchter Elemente in seinen berühmten Discorsi (dt. „Unterredungen und mathematische Demon­ strationen über zwei neue Wissenszweige, die Mechanik und die Fall­ge­setze betreffend“; Abb. B 1.15): „Zu näherem Verständniss denken wir uns einen Cylinder oder ein Prisma A B, aus Holz oder anderem Material, befestigt oben bei A, vertical herabstrebend und bei B mit dem Gewichte C belastet. Welches nun auch die Festigkeit sei, man kann stets C so gross denken, dass der Körper zerbricht. Denn lassen wir die Last anwachsen, so muss schliesslich der Körper wie ein Strick zerreissen.“ [1] Hookesches Gesetz Nach Galileo Galilei hat auch Robert Hooke (1635 –1703) untersucht, wie sich Elemente unter Zugbeanspruchung verhalten. Das nach ihm benannte, 1676 entwickelte Gesetz besagt, dass sich die Längenänderung Δl bei vielen Werkstoffen proportional

B 1.14

TR A GELEM ENTE

45

B 1.15

zur einwirkenden Zugkraft F verhält, solange die Kraft bestimmte Größenordnungen nicht übersteigt. Hookesches Gesetz: Längenänderung Δl [cm] ~ Kraft F [kN] Versuche zeigen, dass die Längenänderung Δl eines Stabs unter Zugbeanspruchung durch eine Normalkraft N, eine Kraft also, die senkrecht (= normal) auf die Querschnittsfläche wirkt, von folgenden Para­ metern beeinflusst wird: • auf den Stab ziehend einwirkende Normalkraft N [kN] • Ausgangslänge des unbeanspruchten Stabs l0 [cm] • Querschnittsfläche des Stabs A [cm2] • Material des Stabs, ausgedrückt durch das Elastizitätsmodul E [kN/cm2]

rungen von Länge und Breite allerdings so gering, dass sie kaum wahrnehmbar sind. Normalspannung σN Die innere Beanspruchung des Stabs infolge einer äußeren Normalkraft-Belastung N wird als Normalspannung σN bezeichnet: Normalspannung σN [kN/cm2] = Normalkraft N [kN]/Querschnittsfläche A [cm2] Dehnung ε Das Verhältnis von Längenänderung Δl zur Ausgangslänge l0 eines Stabs bezeichnet man als Dehnung ε. Sie ist ein dimensionsloser Verhältniswert. Die Dehnung ε eines

Zugstabs lässt sich auch aus dem Verhältnis von Normalspannung σN zu Elastizitätsmodul E des Baustoffs ermitteln: Dehnung ε = Δl / l0 = (N/A) / E = σN / E Vordimensionierung von Zugstäben Die Vordimensionierung von Tragwerken dient in erster Linie dazu, während der Entwurfsphase sinnvolle Bauteilabmessungen für tragende Elemente einzuplanen. Sie erfolgt, bevor alle das Tragwerk beeinflussenden Faktoren genau feststehen und lange vor dem später notwendigen Nachweis von Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit des Tragwerks sowie all seiner Teile.

Der Wert der Längenänderung Δl [cm] lässt sich im elastischen Bereich damit wie folgt ermitteln: Längenänderung Δl = N ∙ l0 /(E ∙ A) Bei der Längenänderung Δl eines gezogenen Stabs entsteht keine zusätzliche Materie, sie lagert sich nur um. Entsprechend geht mit einer positiven Längenänderung quer dazu eine negative Breitenänderung einher. Bei vielen Baustoffen sind die ÄndeB 1.16

B 1.17

B 1.12 Messehalle 3, Stuttgart (DE) 2007, Wulf ­Architekten Partner, Mayr Ludescher Partner B 1.13 Europahalle Karlsruhe (DE) 1983, Schmitt, Kasimir + Partner (SKP), Schlaich Bergermann Partner (sbp) B 1.14 Munson-Williams-Proctor Arts Institute, Utica (US) 1960, Philip Johnson B 1.15 Galileo Galilei: Discorsi e dimonstrazioni matematiche (Unterredungen). Leiden 1638, Fig. 7 B 1.16 Hängedach aus Holz, Fertigungspavillon, Bad Münder (DE) 1988, Frei Otto B 1.17 abgehängter Steg, Stadtbibliothek Landau / Pfalz (DE) 1998, Lamott.Lamott Architekten B 1.18 hängende Boxen, New Music Building Lewis Arts Complex, Princeton (US) 2017, Steven Hall Architects, Arup a  Blick von außen auf die hängenden Boxen b Innenraum a

b

B 1.18

46

B 1.19

Für das verantwortungsbewusste Entwickeln und Konstruieren von Bauwerken und Gebäuden spielt die sorgfältige Vorbemes­ sung von Tragelementen damit eine wichtige Rolle. Sie ersetzt aber keinesfalls die nötigen Nachweise, die entsprechend der bauaufsichtlich eingeführten Regelungen, Normen, Baubestimmungen und Gesetze zu führen sind. Für die Anwendung dieser Regeln steht umfangreiche Literatur zur Verfügung [2]. Erfahrungsgemäß reißt ein gezogenes Element, wenn die Normalspannung σN sehr groß wird und dabei bestimmte Grenzwerte übersteigt. Um solch ein Versagen und damit verbundene Schäden zu vermeiden, ist die zulässige Spannung im Bauwesen auf einen Höchstwert σN,zul zu begrenzen. Dieser Wert muss kleiner sein als die jeweilige Zugfestigkeit ft (t: tension) des verwendeten Materials. Grundsätzlich gilt: σN = Nt, d /A < ft, d = ft, k / γM

Für die Vordimensionierung hat es sich als hilfreich erwiesen, dass die Zugspannung σN infolge des Bemessungswerts einer ­einwirkenden Zugkraft Nt, d die folgenden Bemessungswerte der Festigkeiten ft, d nicht übersteigt: Holzbau: C 24 Zugfestigkeit ft, 0, d = kmod ∙ ft, 0, k / γM = 0,8 ∙ 14 N/mm2/1,3 = 0,9 kN/cm2 Stahlbau: S 235 Zugfestigkeit fy, d = fy, k / γM0 = 235 N/mm2/1,0 = 23,5 kN/cm2 Unter Ansatz dieser Festigkeiten ft, d lässt sich für jede Einwirkung Nt, d = γF ∙ Nt, k die erforderliche Querschnittsfläche Aerf eines Zugstabs ermitteln: erforderliche Querschnittsfläche Aerf eines Zugstabs [cm²] = Nt, d / σN, zul = γF ∙ Nt, k /ft, d Bei runden Vollprofilen beträgt die Querschnittsfläche A = r2 π = (d/2)2 π. Damit ergibt sich der erforderliche Stabdurchmesser d eines Zugstabs in Abhängigkeit von

der einwirkenden Zugkraft Nt, d wie folgt: erforderlicher Durchmesser derf eines ­runden Zugstabs: 2r = 2 √(A/π) = 2 (Nt, d /ft, d /π)0,5 Um eine Last von Nt, d = 100 kN zu tragen, ist ein runder Holzstab der üblichen Fes­ tigkeitsklasse C 24 mit Durchmesser derf = 2 (Nt, d /ft, d /π)0,5 = 2 (100 kN/0,9 kN/mm2/π)0,5 = 12 cm erforderlich. Ein solcher Holzstab mit einer Ausgangslänge l0 = 5 m erfährt infolge von N = 100 kN eine Längenänderung Δl = N ∙ l0 /(E ∙ A) = 100 kN ∙ 500 cm/(1100 kN/cm2 ∙ 113 cm2) = 0,4 cm. Für dieselbe Last Nt,d = 100 kN reicht ein runder Stahlstab der üblichen Stahlsorte S 235 mit Durchmesser derf = 2 (Nt, d /ft, d /π)0,5 = 2 (100 kN/23,5 kN/cm2/π)0,5 = 2,4 cm aus. Ein solcher Stahlstab mit einer Ausgangslänge l0 = 5 m erfährt infolge von N = 100 kN eine Längenänderung Δl = N ∙ l0/(E ∙ A) = 100 kN ∙ 500 cm/(21 000 kN/cm2 ∙ 4,5 cm2) = 0,5 cm. Für jede Last Nt, d, die auf einen Zugstab einwirkt, lässt sich also sehr einfach ein erforderlicher Querschnitt Aerf [cm2] für Elemente aus Holz oder Stahl ermitteln. Baustoffe wie unbewehrter Beton oder Mauerwerk wei-

B 1.19 Bushaltestelle Bränden, Krumbach, Vorarlberg (AT) 2014, Sou Fujimoto B 1.20 Maison Carré d’Art, Nîmes (FR) 1993, Norman Foster, Arup B 1.21 Ketten- und Stützlinie der Kuppel des Petersdoms. Giovanni Poleni, Memorie istoriche della gran cupola del Tempio Vaticano. Padua 1748, Fig. XIV B 1.22 Gateway Arch, St. Louis (US) 1965 (Entwurf 1947), Eero Saarinen, Hannskarl Bandel B 1.23 Pont du Gard, bei Nîmes (FR) ca. Mitte 1. Jh. n. Chr. B 1.24 Pont d'Arc, natürlich entstandenes Gewölbe über dem Fluss Ardèche (FR) B 1.20

TR A GELEM ENTE

47

B 1.21

sen sehr geringe Zugfestigkeiten f auf und kommen daher bei zugbeanspruchten ­Tragelementen nicht zum Einsatz. Neben einachsigen Zugbeanspruchungen treten bei Membranen auch zweiachsige Zug­ beanspruchungen auf. Solche Bauweisen beschreibt Kapitel „Tragende Membranen und Pneus" (S. 130ff.).  

Druckbeanspruchte Trag­ elemente Während Tragelemente unter Zugbeanspruchung gedehnt werden, erfahren druckbean­ spruchte Elemente eine Stauchung. Druck­ beanspruchungen finden sich häufig in Stützen, Wänden, Scheiben, Bögen oder Gewölben. Anders als die länglichen Zug­elemente haben viele solcher Druckelemente eine lange Tradition im Bauwesen. Konstruktionen der antiken und mittelalterlichen Baukunst beruhen häufig auf einer Lastabtragung über druckbeanspruchte Bauteile. Säulen und Stützen Im südfranzösischen Nîmes stehen sich Trag­elemente verschiedener Epochen gegenüber. Die steinernen Säu­len der ­Maison Carrée, eines römischen Tempels vom Be­­ginn des 1. Jahrhunderts n. Chr., kontrastierten Norman Foster und die Ingenieure von Arup 1993 mit den schlanken Stahlstützen des Kulturzentrums Carré d’Art auf der gegenüberliegenden Seite des ­Platzes (Abb. B 1.20). Sehr schlank erscheinen auch die senkrechten Stäbe der Bushaltestelle in Vorarlberg von Sou Fujimoto (Abb. B 1.19). Bögen und Gewölbe Neben Säulen, Stützen oder Wänden zählen auch Bögen oder Gewölbe zu den überwiegend druckbeanspruchten Tragelementen. Bei Aquädukten wie dem Pont du Gard nahe Nîmes nutzten die Römer die strenge Geometrie kreisförmiger Bögen (Abb. B 1.23).

Auf natürliche Weise entstandene Strukturen legen allerdings etwas andere, konstruktiv sinnvollere Formgebungen nahe. Das Felsgewölbe des Pont d’Arc über der Ardèche erinnert beispielsweise an eine stehende Parabel (Abb. B 1.24). Kettenlinie und Stützlinie Bögen und Gewölbe der Gotik kommen der geometrischen Form einer Parabel schon recht nahe. Wissenschaftlich war es wohl bereits Galileo Galilei bewusst, dass die Umkehrung der Form hängender Ketten zu vorteilhaften druckbeanspruchten Konstruktionen führen könne. Eine exakte mathematische Gleichung für die Kettenlinie gelang ihm aber noch nicht. Um die Ursache von Schäden an der Kuppel des Petersdoms in Rom zu untersuchen, nutzte der Mathematiker Giovanni Poleni die Kettenlinie sowie deren Umkehrform, die Stützlinie. Seine Ergebnisse veröffentlichte er 1748 unter dem Titel „Memorie istoriche della gran cupola del tempio vaticano“. Manchen gilt dieses Datum als Geburtsstunde der heutigen Bau­ statik, da damals das Tragverhalten eines Gebäudeteils eingehend wissenschaftlich analysiert wurde (Abb. B 1.21). Der katalanische Architekt Antoni Gaudí (1852 –1926) machte sich solche Erkenntnisse bei einigen seiner berühmten Projekte wie der 1882 begonnenen Sagrada Família in Barcelona zunutze, indem er mithilfe von Hängemodellen Bogen- und Gewölbeformen und sogar ganze Bauten entwickelte. Der Gateway Arch in St. Louis, 1947 entworfen von Eero Saarinen und verwirklicht mit dem Ingenieur Hannskarl Bandel, ist ebenfalls einer Kettenlinie nachempfunden (Abb. B 1.22), genau wie die Gewölbe der Kirche St Stephen Martyr in Washington aus dem Jahr 1961 (Abb. B 1.27, S. 48). Frei Otto (1925 –2015) arbeitete unter anderem bei der Mannheimer Multihalle mit hängenden Ketten, um günstige Formen für große ­Lattenkuppeln zu finden (Abb. B 1.25, S. 48).

B 1.22

B 1.23

B 1.24

48

B 1.25

B 1.26

Übliche Baustoffe für druckbeanspruchte Tragelemente sind Lehm, Natursteine, Kunststeine wie Kalksandstein, Ziegel oder Beton sowie Holz, Stahl und Stahlbeton.

Wind- und Schneelasten tragen zu können. Der innere Überdruck erzeugt Zugspan­ nungen im Material der umgebenden Hülle. Für Menschen ist der Luftdruckunterschied zwischen innen und außen kaum spürbar, da er geringer ist als jener zwischen einem Tiefdruckgebiet (um 980 hPa) und einem Hochdruckgebiet (um 1030 hPa). Durch kleinste Undichtigkeiten entweicht bei solchen Hallen wie bei Fahr­radreifen kontinuierlich etwas Luft. Deshalb müssen Gebläse ständig für Nachschub sorgen und Luft ins Innere drücken. Der Innendruck lässt sich etwa bei Stürmen oder starken Schneefällen adaptiv erhöhen.

Luftdruck und Druckluft Ein besonders leichter druckbeanspruch­ barer „Baustoff” ist die Luft. Luftdruck sorgt nicht nur in Fahrradreifen oder Hüpfburgen für Tragfähigkeit, sondern auch in Traglufthallen, die ganze Tennis-, Footballoder andere Sportfelder überspannen können (Abb. B 1.26). Leichter Überdruck von 1 kN/m2 = 1000 Pa = 10 hPa im Inneren genügt meist, um das Eigengewicht sowie

Tragverhalten druckbeanspruchter ­Tragelemente In der Physik ist der Druck p definiert als das Resultat einer senkrecht auf eine Fläche A einwirkenden Kraft F. Die Einheit wurde nach dem französischen Wissenschaftler Blaise Pascal (1623 –1662) benannt. Druck p [Pa] = Kraft F [N]/Fläche A [m2] Im Bauwesen wird eher die Einheit kN/m2 (1 kN/m2 = 1 kPA = 1000 Pa) oder kN/cm2 (1 kN/cm2 = 10 MPa = 10 000 kPa) genutzt. Einachsiger Druck Zur Bestimmung der Druckfestigkeit fc (dabei engl. c: compression) von kompakten Probekörpern aus Beton werden oftmals Würfel zwischen zwei parallele Platten gelegt und diese immer stärker zusammen gepresst. Bei einem solchen Druckversuch treten zunächst Risse am Probekörper auf (Abb. B 1.29). Das ist erstaunlich, da Risse eine unmittelbare Folge von Zugspannungen sind und nicht von Druckspannungen. Belastet man den Körper weiter, zerreißt es ihn, teils unter lautem Knall. Ursache für die Risse sind Dehnungen quer zur Druckrichtung. Der Probekörper wird also nicht unmittelbar durch die Druckspannung zerstört, sondern mittelbar durch Querzugspannungen, die infolge des einachsigen Drucks senkrecht zur Druckrichtung entstehen. Die Zugfestigkeit von Gestein ist grundsätzlich eher geringer als die Druckfestigkeit. Allseitiger Druck Wie Probekörper statt unter einachsigem Druck unter allseitigem, sogenanntem hydro­ statischem Druck reagieren ist ebenso zu untersuchen, denn in diesem Fall wäre ein Versagen infolge von Querzugspannungen ausgeschlossen. Da alle Stoffe außer Wasser im festen Zustand eine höhere Dichte aufweisen als im flüssigen oder gasförmigen Zustand, sind Festkörper anders als Gase kaum komprimierbar. Unter Druck

B 1.27

TR A GELEM ENTE

49

B 1.25 Deckenkonstruktion der Multihalle Mannheim (DE) 1975, Carlfried Mutschler, Joachim Langner, Frei Otto B 1.26 temporäre Traglufthalle über dem FootballSpielfeld im Princeton University Stadium, Princeton (US) B 1.27 St Stephen Martyr Church, Washington, DC (US) 1961, Johnson & Boutin B 1.28 schlanke Gussstützen, Bahnhof Feldafing (DE) 1865, Georg Dollmann B 1.29 Druckversuch an einem Probewürfel aus Beton B 1.28

entstehende hohe Temperaturen könnten allerdings zur Überschreitung der Schmelztemperatur und damit zur Verflüssigung der Festkörper führen. Diese Änderung des Aggregatzustands bewirkt jedoch gleich­ zeitig ein größeres Volumen. Entsprechend hohe Temperaturen und Druckverhältnisse finden sich im Erdinneren. Die mit dem Verflüssigen von Gestein einhergehende Volumenzunahme könnte im Zusammenhang mit Vulkanausbrüchen stehen. Hierbei entlädt sich hoher Druck im Erdmantel nach außen. Stabilität Im Bauwesen verwendete Druckelemente sind selten so kompakt wie die im Versuch verwendeten Probewürfel. Noch sel­ tener stehen sie unter allseitigem Druck. Zur Anwendung kommen heute meist recht schlanke Druckelemente wie Stützen oder Wände (Abb. B 1.28). Bei diesen zeigt sich eine prinzipiell andere Form des Versagens. Sie knicken (engl.: crinkle) ab einer bestimmten Beanspruchung plötzlich seitlich aus. Stabilität ist nicht mehr gegeben. Die zugehörige Last wird oft als kritische Last Fcr oder kritische Normalkraft Ncr bezeichnet. Begriffe wie Verzweigungs- oder Knicklast sind ebenfalls gebräuchlich. Stabilitätsversagen wie das Knicken oder Drillknicken von Druckstäben, das Beulen

von Platten oder das Biegedrillknicken von Trägern treten ohne Vorankündigung etwa durch Verformungen oder Geräusche auf, oft lange bevor die höchstzulässige Druckspannung des Materials erreicht ist. Dies passiert umso früher, je schlanker Bauteile sind. Knicklast Ncr Mit Erreichen der Knicklast Ncr endet das stabile Gleichgewicht eines druckbeanspruchten Tragelements. Stabil ist ein Gleichgewicht, wenn es nach einer Störung in den Ausgangszustand zurückkehrt. Im Fall der idealen Knick- oder Verzweigungslast Ncr herrscht theoretisch ein indifferentes Gleichgewicht, dass baupraktisch bereits zu vermeiden ist. Jenseits der Last Ncr wäre das System labil und damit instabil. Es würde bei der leisesten Störung sofort durch seitliches Ausknicken versagen. Versuche zeigen, dass die kritische Last Ncr eines Druckstabs von der Kreiszahl π, vom Material sowie von verschiedenen geometrischen Werten des Stabs abhängt: Knicklast Ncr [kN] = π2 E I /Lcr2 mit Elastizitätsmodul E [kN/cm2] des Mate­ rials, Flächenträgheitsmoment I [cm4] (auch: Flächenmoment 2. Grades) Knicklänge bzw. Ersatzstablänge Lcr = Knicklängenbeiwert β ∙ Stablänge l

Flächenträgheitsmoment I Das Flächenträgheitsmoment I [cm4], auch Flächenmoment 2. Grades genannt, ist eine geometrische Größe eines Querschnitts, bei der Flächen, die in Lastrichtung weit vom Flächenschwerpunkt des Querschnitts entfernt sind, stärker gewichtet werden als schwerpunktnahe Flächen. Für viele Querschnitte und Profile existieren hierzu Werte in Tabellenwerken (Abb. B 1.31, S. 50). Bei einem einfachen Rechteckquerschnitt mit der Breite b und der Höhe h lässt sich das Flächenträgheitsmoment I in Richtung der Höhe h wie folgt errechnen: Flächenträgheitsmoment I [cm4] = ∫ z2 dA = b h3/12 Knicklänge Lcr Die Knicklänge Lcr (auch: sk) ist abhängig von der Stablänge l und der Lagerung des Stabs. Sie wird auch als Ersatzstablänge bezeichnet und macht unterschiedlich gelagerte Druckstäbe bezüglich des Knickverhaltens vergleichbar. Bereits Leonhard Euler (1707– 1783) hat einige solcher Fälle hinsichtlich der Lagerung benannt. Für Stäbe, die an beiden Enden eingespannt sind, beträgt der Knicklängenbeiwert β = 0,5, für beidseitig gelenkig gelagerte Stäbe ist β = 1,0, für einseitig eingespannte frei auskragende Stäbe β = 2,0. Bei Bögen, Rahmen oder federnd

B 1.29

50

w3

y

w2

w3

r + tf

r h

x

tW tf z

d

B 1.30 breites I-Profil der HEB-Reihe B 1.31 Querschnittswerte für warmgewalzte, breite ­I-Profile (mit parallelen Flanschflächen) der HEB-Reihe (nach DIN 1025-2/Wendehorst, siehe Anm. 2) B 1.32 Knickspannung σcr in Abhängigkeit von der Schlankheit λ B 1.33  Querschnittswerte für warmgefertigte, kreis­ förmige Hohlprofile (nach Wendehorst, siehe Anm. 2)

y dmax

r + tf

z

b

b B 1.30

Wie das Flächenträgheitsmoment I ist auch der Trägheitsradius i eine geome­ trische Größe in Abhängigkeit von Form und Fläche eines Querschnitts. Werte für übliche Stahlbauprofile und gängige sonstige Querschnitte finden sich in Tabellenwerken. Abb. B 1.31 und B 1.32 zeigen ­beispielhaft Querschnittswerte für häufig genutzte Querschnitte wie warmgewalzte breite, I-Profile der HEB-Reihe (Abb. B 1.30) und warmgefertigte, kreisförmige Hohl­ profile. Für quadratische Vollquerschnitte mit Kantenlänge d, wie sie im Holzbau oft Verwendung finden, ist die Berechnung des Trägheitsradius i einfach: Trägheitsradius i [cm] = √(I/A) = √((d ∙ d3/12)/d2) = d/√12 = 0,289 d

gelagerten Stäben kann der Knicklängenbeiwert β Werte von 10 und mehr erreichen. Knicklänge bzw. Ersatzstablänge Lcr = Knicklängenbeiwert β ∙ Stablänge l Knickspannung σcr Zur Knicklast Ncr eines Druckstabs lässt sich die zugehörige Knickspannung σcr ermitteln: Knickspannung σcr = Ncr /A = π2 E I /(Lcr2 ∙ A) = π2 E /(Lcr2 ∙ (√(I/A))2) Trägheitsradius i Die den Querschnitt eines Druckstabs beschreibenden Werte Flächenträgheits­ moment I und Querschnittsfläche A werden oft unter dem Begriff des Trägheits­radius i [cm] zusammengefasst: Trägheitsradius i [cm] = √(I/A) = (I/A)0,5

Kurz­ zei­ chen

Maße [mm] h [mm]

Schlankheit λ Unter dem anschaulichen Begriff der Schlankheit λ lässt sich schließlich die gesamte Geometrie eines Druckstabs hinsichtlich der Gefahr des Knickens in einem Wert ausdrücken. Ein Stab knickt umso eher, je größer seine Schlankheit. Die Schlankheit λ ist ein dimensionsloser Wert. Er berücksichtigt die Lagerung, die Länge l sowie Form I und Fläche A des Querschnitts eines druckbeanspruchten Stabs. Schlankheit λ = Lcr /i = β ∙ l/√(I/A) Ein Druckstab mit Knicklänge Lcr = 5,00 m = 500 cm und einem quadratischen Querschnitt der Kantenlänge d = 17,3 cm weist beispielsweise eine Schlankheit λ = Lcr /i = 500 cm/(0,289 ∙ 17,3 cm) = 100 auf.

für Biegung um die y-Achse

für Biegung um die z-Achse

b [mm]

tw [mm]

tf [mm]

r [mm]

d [mm]

A [cm2]

Avy [cm2]

Avz [cm2]

G [kg/m2]

U [m2/m]

Iy

[cm4]

Wy [cm3]

iy [cm]

Iz

[cm4]

Wz [cm3]

iz [cm]

HEB (IPB) 100

100

100

6

10

12

56

26,0

20,0

9,04

20,4

0,567

450

89,9

4,16

167

33,5

2,53

120

120

120

6,5

11

12

74

34,0

26,4

11,0

26,7

0,686

864

144

5,04

318

52,9

3,06

140

140

140

7

12

12

92

43,0

33,6

13,1

33,7

0,805

1510

216

5,93

550

78,5

3,58

160

160

160

8

13

15

104

54,3

41,6

17,6

42,6

0,918

2490

312

6,78

889

111

4,05

180

180

180

8,5

14

15

122

65,3

50,4

20,2

51,2

1,04

3830

426

7,66

1360

151

4,57

200

200

200

9

15

18

134

78,1

60,0

24,8

61,3

1,15

5700

570

8,54

2000

200

5,07

220

220

220

9,5

16

18

152

91,0

70,4

27,9

71,5

1,27

8090

736

9,43

2840

258

5,59

240

240

240

10

17

21

164

106

81,6

33,2

83,2

1,38

11 260

938

10,3

3920

327

6,08

260

260

260

10

17,5

24

177

118

91,0

37,6

93,0

1,50

14 920

1150

11,2

5130

395

6,58

280

280

280

10,5

18

24

196

131

101

41,1

103

1,62

19 270

1380

12,1

6590

471

7,09

300

300

300

11

19

27

208

149

114

47,4

117

1,73

25 170

1680

13,0

8560

571

7,58

320

320

300

11,5

20,5

27

225

161

123

51,8

127

1,77

30 820

1930

13,8

9240

616

7,57

340

340

300

12

21,5

27

243

171

129

56,1

134

1,81

36 660

2160

14,6

9690

646

7,53

360

360

300

12,5

22,5

27

261

181

135

60,6

142

1,85

43 190

2400

15,5

10 140

676

7,49

400

400

300

13,5

24

27

298

198

144

70,0

155

1,93

57 680

2880

17,1

10 820

721

7,40

500

500

300

14,5

28

27

390

239

168

89,8

187

2,12

107200

4290

21,2

12 620

842

7,27

600

600

300

15,5

30

27

486

270

180

111

212

2,32

171 000

5700

25,2

13 530

902

7,08

800

800

300

17,5

33

30

674

334

198

162

262

2,71

359 100

8980

32,8

14 900

994

6,68

1000

1000

300

19

36

30

868

400

216

212

314

3,11

644 700

12 890

40,1

16 280

1090

6,38 B 1.31

51

Knickspannung σcr

TR A GELEM ENTE

50

40 fu,k 30 fy,k σR,d

20

10

0 50

0

100

150

200

250 Schlankheit λ B 1.32

Setzt man die Schlankheit λ in die Gleichung der Knickspannung σcr ein, so vereinfacht sich diese Gleichung schließlich zu: Knickspannung σcr = Ncr /A = π2 E I/(Lcr2 ∙ A) = π2 E /(Lcr2 ∙ (√(I/A))2 = π2 E/λ2 Als Graph der Knickspannung σcr in Abhängigkeit von der Schlankheit λ erhält man eine Hyperbel, die sogenannte Euler-Hyperbel. Im Bauwesen dürfen nur Druckstäbe verwendet werden, bei denen die Druckspannung unterhalb der Knickspannung σcr liegt. Gleichzeitig darf gerade für weniger schlanke Stäbe die Druckfestigkeit fc, d nicht überschritten werden (Abb. B 1.32).

t

d [mm] 33,7

48,3

60,3

Vordimensionierung von Druckstäben Eine Vordimensionierung von Druckstäben ist aufwendiger als von Zugstäben, da bei Druck unterschiedliche Versagensarten zu berücksichtigen sind. Um jedes Versagen von druckbeanspruchten Stäben und damit verbundene Schäden zu vermeiden, ist die zulässige Spannung im Bauwesen auf einen Höchstwert σN, zul zu begrenzen. Dieser Wert muss kleiner sein als das Produkt aus der Druckfestigkeit fc, d des verwendeten Mate­ rials und dem Knickbeiwert kc in Abhängigkeit von der Schlankheit λ. Grundsätzlich gilt: σN = Nc, d /A < kc ∙ fc, d = kc ∙ fc, k /γM Der wesentliche Unterschied zur Vorbemessung eines Zugelements ist der Knickbeiwert kc. Dieser Wert liegt zwischen 0 und 1 und lässt sich ausgehend von der Schlankheit λ in Graphen oder Tabellen ablesen. Die Schlankheit λ = Lcr /(I/A)0,5 wiederum ist auch abhängig von der Querschnittsfläche A. Eine einfache Auflösung obiger Gleichung nach A wie bei der Vordimensionierung von Zugstäben erweist sich aus diesem Grund nicht als zielführend. Vielmehr ist ein iteratives Vorgehen aus Schätzung, Prüfung und verbesserter Schätzung notwendig, um ein tragfähiges und wirtschaft­ liches Profil zu finden.

d

warmgefertigte, kreisförmige Hohlprofile, nahtlos oder geschweißt

76,1

88,9

101,6

114,3

139,7

168,3

193,7

244,5

323,9

406,4

508,0

t [mm]

A [cm2]

G [kg/m2]

U [m2/m]

I

[cm4]

Wel [cm3]

Wpl [cm3]

i [cm]

IT

[cm4]

Ct = WT

3,2

3,07

2,41

0,106

3,60

2,14

2,99

1,08

7,21

4,28

4

3,73

2,93

0,106

4,19

2,49

3,55

1,06

8,38

4,97

3,2

4,53

3,56

0,152

11,6

4,80

6,52

1,60

23,2

9,59

5

6,80

5,34

0,152

16,2

6,69

9,42

1,54

32,3

13,4

3,2

5,74

4,51

0,189

23,5

7,78

10,4

2,02

46,9

15,6

5

8,69

6,82

0,189

33,5

11,1

15,3

1,96

67,0

22,2

3,2

7,33

5,75

0,239

48,8

12,8

17,0

2,58

97,6

25,6

5

11,2

8,77

0,239

70,9

18,6

25,3

2,52

142

37,3

4

10,7

8,38

0,279

96,3

21,7

28,9

3,00

193

43,3

6,3

16,3

12,8

0,279

140

31,5

43,1

2,93

280

63,1

4

12,3

9,63

0,319

146

28,8

38,1

3,45

293

57,6

10

28,8

22,6

0,319

305

60,1

84,2

3,26

611

120

4

13,9

10,9

0,359

211

36,9

48,7

3,90

422

73,9

6,3

21,4

16,8

0,359

313

54,7

73,6

3,82

625

109

10

32,8

25,7

0,359

450

78,7

109

3,70

899

157

5

21,2

16,6

0,439

481

68,8

90,8

4,77

961

138

8

33,1

26,0

0,439

720

103

139

4,66

1441

206

12,5

50,0

39,2

0,439

1020

146

203

4,52

2040

292

6,3

32,1

25,2

0,529

1053

125

165

5,73

2107

250

12,5

61,2

48,0

0,529

1868

222

304

5,53

3737

444

6,3

37,1

29,1

0,609

1630

168

221

6,63

3260

337

16

89,3

70,1

0,609

3554

367

507

6,31

7109

734

8

59,4

46,7

0,768

4160

340

448

8,37

8321

681

20

141

111

0,768

8957

733

1011

7,97

17 914

1465

8

79,4

62,3

1,02

9910

612

799

11,2

19 820

1224

25

235

184

1,02

26 400

1630

2239

10,6

52 800

3260

10

125

97,8

1,28

24 476

1205

1572

14,0

48 952

2409

25

300

235

1,28

54 702

2692

3642

13,5

109 404

5384

12,5

195

153

1,60

59 755

2353

3070

17,5

119 511

4705

40

588

462

1,60

162 188

6385

8782

16,6

324 376

12 771 B 1.33

52

Ausgehend von einer üblichen Schlankheit λ sowie von Stablänge l und lagerungsabhängigem Knicklängenbeiwert β des Stabs lässt sich ein erforderlicher Trägheitsradius i ermitteln: i = Lcr /λ = β ∙ l/λ Anschließend muss geprüft werden, ob die Beanspruchung des Querschnitts durch die Normalspannung σN = Nc, d /A kleiner ist als die Beanspruchbarkeit kc ∙ fc, d. Falls dies nicht der Fall sein sollte, muss der Planer in weiteren Schritten dasselbe Verfahren mit jeweils kleinerer Schlankheit λ durchführen, bis die Beanspruchung des Druckstabs geringer ist als seine Beanspruchbarkeit.

Knickbei­wert kc = 0,305. Die Druckfestigkeit fc, 0, d =1,3 kN/cm2 darf deshalb zu 30,5 % aus­genutzt werden, ohne dass der Stab knickgefährdet ist. Für einen solchen Druckstab aus Nadelholz C 24 mit der Schlankheit λ = 100 beträgt die höchstzulässige Druckspannung σN, zul = kc ∙ fc, 0, d = 0,305 ∙ 1,3 kN/cm2 = 0,4 kN/cm2. Eine Holzstütze mit Knicklänge Lcr = 5,00 m und quadratischem Querschnitt der Kantenlänge d = 17,3 cm, deren Schlankheit sich also auf λ = 100 beläuft, kann damit eine Last von Nc, d = A ∙ kc ∙ fc,0,d = (17,3 cm)2 ∙ 0,305 ∙ 1,3 kN/cm2 = 118 kN tragen. Weitere Knickbeiwerte kc für Holz zeigt Abb. B 1.34.

viele gängige Stahlprofile (Abb. B 1.37) Tabellen, aus denen sich die Tragfähigkeit Nd in Abhängigkeit von Profil und Knicklänge Lcr ablesen lässt. Umgekehrt findet der Planer dort für eine zu tragende Last Nd je nach Knicklänge Lcr einfach das benötigte Profil. Für eine Stahlstütze mit Knicklänge Lcr = 5,00 m, die Nd = 120 kN tragen soll, zeigt Abb. B 1.35, dass sich beispielsweise ein kreisförmiges Hohlprofil (KHP) mit einem Durchmesser d = 114,3 mm und einer Wandstärke t = 4 mm nutzen lässt. Alternativ wäre die Verwendung eines HEB 120 Profils möglich, das bei dieser Knicklänge sogar in der Lage ist, bis zu 180 kN zu tragen.

Druckstäbe aus Holz Beim Bauen mit Holz hat sich als Ausgangswert einer Vordimensionierung eine Schlankheit λ = 100 als hilfreich erwiesen. Bei Nadelholz der Festigkeitsklasse C 24 verzeichnen Tabellen den zugehörigen

Druckstäbe aus Stahl Stahlbauprofile weisen teils komplexe Geometrien auf. Eine rechnerische Vordimen­ sionierung von druckbeanspruchten Tragelementen aus Stahl ist entsprechend aufwendig. Zur Vereinfachung existieren für

Druckstäbe aus Stahlbeton Das Tragverhalten des Verbundmaterials Stahlbeton ist komplex. Es hängt von ­mehreren Parametern wie der Stahl- und der Betonfestigkeit sowie dem Anteil der Beweh­rung und deren Anordnung ab. Als einfache Faustformel lässt sich annehmen, dass Stahlbetonstützen mit etwa 1 kN/cm2 belastbar sind. Eine Stütze mit quadratischem Querschnitt und einer Kantenlänge d = 20 cm kann entsprechend etwa 400 kN tragen. Bei einer im Stahlbetonbau üblichen Gesamtlast qd = 10 kN/m2 sind je m2 zu tragender Deckenfläche also 10 cm2 Stützenquerschnitt erforderlich (Abb. B 1.38).

Schlank­ heitsgrad λ

Festigkeitsklasse (Sortierklasse) C 18 (S 7)

C 24 (S 10)

C 30 (S 13)

C 40

D 35 (LS 10)

D 60

  10

1,000

1,000

1,000

1,000

1,000

1,000

  20

0,989

0,991

0,991

0,992

0,966

1,000

  30

0,943

0,948

0,947

0,950

0,957

0,964

  40

0,878

0,887

0,885

0,890

0,905

0,917

  50

0,781

0,796

0,793

0,803

0,830

0,851

  60

0,655

0,676

0,671

0,686

0,726

0,759

  70

0,531

0,554

0,548

0,564

0,609

0,649

  80

0,429

0,450

0,445

0,459

0,502

0,542

  90

0,351

0,368

0,364

0,376

0,414

0,450

100

0,290

0,305

0,302

0,312

0,345

0,377

110

0,244

0,256

0,253

0,263

0,291

0,318

120

0,207

0,218

0,216

0,223

0,248

0,272

130

0,178

0,188

0,185

0,192

0,213

0,234

140

0,155

0,163

0,161

0,167

0,186

0,204

150

0,136

0,143

0,141

0,147

0,163

0,179

160

0,120

0,126

0,125

0,130

0,144

0,159

180

0,095

0,101

0,099

0,103

0,115

0,127

200

0,078

0,082

0,081

0,084

0,094

0,103

220

0,065

0,068

0,067

0,070

0,078

0,086

240

0,055

0,058

0,057

0,059

0,066

0,073

250

0,050

0,053

0,053

0,055

0,061

0,067 B 1.34

Druckbeanspruchtes Mauerwerk Wände und Pfeiler aus Mauerwerk gelten als tragend, wenn sie vertikale oder horizontale Lasten aufnehmen oder der Knickaussteifung von tragenden Wänden dienen. Eine Mindestdicke von d = 11,5 cm darf nicht unterschritten werden. Pfeiler müssen einen Mindestquerschnitt von A = 400 cm2 aufweisen. Auch für Mauerwerk gilt, dass der Bemessungswert der einwirkenden Normalkraft NEd kleiner als der Bemessungswert der aufnehmbaren Normalkraft NRd sein muss: NEd = γG ∙ NGk + γQ ∙ NQk = 1,35 ∙ NGk + 1,50 ∙ NQk < NRd = NRk /γM

TR A GELEM ENTE

53

B 1.34 Knickbeiwerte kc für Druckstäbe aus Nadelholz (C) und Laubholz (D) in Abhängigkeit von der Schlankheit λ nach DIN EN 1995-1-1:2010-12, 6.3.2 (Auszug nach Wendehorst, siehe Anm. 2, Tafel 10.101) B 1.35 Bemessungswerte in kN der Biegeknickbeanspruchbarkeit Nb, Rd druckbeanspruchter, warmgefertigter KHP-Profile aus S 235 B 1.36 Holzstützen, Stadtbibliothek Schweinfurt (DE) 2007, Bruno Fioretti Marquez, Ingenieurbüro Dörland B 1.37 Kantine Finanzamt München (DE) 2003, Peck Daam Architekten, Behringer Ingenieure B 1.38 Druckstäbe aus Stahlbeton, Niederländisches Architekturinstitut, Rotterdam (NL) 1993, Jo Coenen KHP-Profil d [mm] t [mm] 33,7

48,3

60,3

76,1

88,9

101,6

114,3

139,7

168,3

193,7

244,5

323,9

406,4

508,0

Knicklänge Lcr [m]  1,50  2,00

   2,50

  3,00

  4,00

  5,00

   6,00

3,2

25,2

15,1

9,95

7,02

4,03

2,61

1,82

  8,00 1,03

4

29,4

17,6

11,6

8,18

4,69

3,03

2,12

1,20

3,2

64,5

43,8

30,1

21,6

12,6

8,20

5,76

3,28

4

77,9

52,5

35,9

25,8

15,0

9,76

6,85

3,90

5

93,0

62,0

42,3

30,3

17,6

11,5

8,04

4,58

3,2

98,3

77,1

56,6

41,8

24,8

16,3

11,5

6,58

4

120

93,5

68,3

50,3

29,9

19,6

13,8

7,90

5

146

113

81,7

60,0

35,6

23,3

16,4

9,40

3,2

138

122

101

79,3

49,4

32,9

23,4

13,5

4

170

150

123

96,5

59,9

39,9

28,3

16,3

5

209

183

149

117

72,2

48,0

34,1

19,6

4

208

192

169

142

93,3

63,4

45,4

26,3

5

257

236

207

173

113

76,7

54,9

31,8

6,3

318

292

254

210

137

92,7

66,2

38,4

4

245

232

213

188

133

93,1

67,4

39,4

5

303

286

262

231

163

113

81,9

47,9

6,3

376

354

323

283

198

138

99,5

58,1

4

281

269

253

232

178

129

94,8

56,1

6,3

433

414

388

354

268

193

141

83,3

8

540

515

482

438

329

235

172

101

5

438

425

409

389

334

264

203

124

8

684

663

637

604

513

402

306

186

10

841

814

782

740

624

485

368

223

6,3

 673

658

640

620

566

490

401

259

10

1042

1018

990

957

869

744

605

387

12,5

1281

1250

1215

1174

1061

903

730

465

6,3

785

771

755

737

692

629

547

379

10

1220

1197

1172

1143

1070

968

836

573

12,5

1504

693

1475

1443

1406

1314

1184

1017

8

1254

1236

1216

1170

1112

1036

829

12,5

1921

1891

1860

1788

1695

1573

1245

16

2419

2382

2341

2248

2127

1968

1544

8

1682

1664

1624

1580

1527

1385

12,5

2588

2560

2498

2428

2345

2118

16

3274

3237

3158

3068

2960

2665

10

2644

2598

2549

2494

2360

20

5148

5056

4956

4845

4570

25

6348

6233

6107

5968

5619

12,5

4117

4060

3999

3860

20

6483

6390

6292

6068

30

9515

9375

9227

8886 B 1.35

B 1.36

B 1.37

B 1.38

Außenwände von Gebäuden werden durch Windlasten auch biegebeansprucht. Infolge von Verformungen, Imperfektionen oder exzentrisch angreifender Lasten entstehen ebenfalls Biegebeanspruchungen, die zusätzlich zu Druckbeanspruchungen auftreten können. Bei der Dimensionierung solcher mehrfach beanspruchter Bauteile ist darauf zu achten, dass auch die Kombination der einzelnen Beanspruchungen E stets kleiner bleibt als die Beanspruchbarkeit R.

Formgebung bei Druckstäben

54

Anders als bei Zugstäben spielt die Formgebung bei schlanken, knickgefährdeten Druckstäben eine wichtige Rolle. Da die Knicklast Ncr vom Flächenträgheitsmoment I abhängig ist, liegt es nahe Material weit entfernt vom Schwerpunkt des Stab-Querschnitts anzuordnen. Ein Tragfähigkeitsvergleich verschiedener über die Stablänge konstanter Vollprofile zeigt, dass Rundstäbe besser sind als quadratische Profile. Ein gleichseitiges Dreieck als Querschnitt kann bei gleichem Materialeinsatz allerdings nochmal 21% mehr Last tragen als ein runder Vollstab. Ordnet man den Werkstoff über die Stablänge nicht konstant an, sondern verjüngt die Enden und verstärkt die Stabmitte, lässt sich die Tragfähigkeit sogar um 61% steigern.

Tragfähigkeit in Abhängigkeit von der Stützenform (vgl. Peter Hupfer: Optimierung von Baukonstruktionen, Stuttgart 1970)

B 1.39

Die aufnehmbare Normalkraft NRk ist abhängig von der Druckfestigkeit fk des verwendeten Mauerwerks zuzüglich eines Abminderungsfaktors zur Berücksichtigung des ­Knickens und von Lastexzentrizitäten, also von Lasten, die nicht in der Schwerachse des Bauteils angreifen. Für Mauerwerk stehen eine Fülle von Baustoffen mit sehr unterschiedlichen Druck­ festigkeiten sowie diverse Steingrößen für verschiedene Wanddicken zur Verfügung. Aufgrund dieser Vielfalt und der damit verbundenen Ermangelung einfacher Faust­ formeln ist es sinnvoll, sich bei der Vordimensionierung von druckbeanspruchten Tragelementen aus Mauerwerk an vergleichbaren, gebauten Beispielen zu orientieren. Kombination verschiedener Beanspru­ chungen Stützen oder Wände sind häufig nicht nur reiner Druckbeanspruchung ausgesetzt. Besonders Außenwände von Gebäuden werden durch Windlasten auch biegebeansprucht. Infolge von Verformungen, Imperfektionen oder exzentrisch angreifenden Lasten entstehen Biegebeanspruchungen,

Noch besser als Vollprofile sind Druckstäbe, die hohl oder aufgelöst sind. Im Stahlbau finden daher oft runde oder eckige Rohre Verwendung als Druckstäbe. Für hoheB Strommasten nutzt man häufig 1.40 Fachwerkkonstruktionen. Dreieckige, mittig aufgeweitete Konstruktionen sind im Leichtbau üblich. Trotz aller Verbesserungen und Bemühungen ist die optimale Form eines Druckstabs bisher nicht bekannt.

die zusätzlich zu Druckbeanspruchungen auftreten können. Bei der Dimensionierung solcher mehrfach beanspruchter Bauteile ist darauf zu achten, dass auch die Kombina15.02.2020 tion der einzelnen Beanspruchungen E stets kleiner bleibt als die Beanspruchbarkeit R. Formgebung bei Druckstäben Anders als bei Zugstäben spielt die Form­ gebung bei schlanken, knickgefährdeten Druckstäben eine wichtige Rolle (Abb. B 1.40). Da die Knicklast Ncr vom Flächenträgheitsmoment I abhängig ist, liegt es auf der Hand, Material weit entfernt vom Schwer­punkt des Stabquerschnitts anzuordnen. Ein Tragfähigkeitsvergleich verschiedener über die Stablänge konstanter Vollprofile zeigt, dass Rundstäbe bessere Werte aufweisen als quadratische Profile. Ein gleichseitiges Dreieck als Querschnitt kann bei gleichem Material­einsatz allerdings nochmal 21 % mehr Last tragen als ein runder Vollstab. Verjüngt man die Enden und verstärkt die Stabmitte, lässt sich die Trag­ fähigkeit gegenüber Stäben mit konstantem Querschnitt sogar um 61 % steigern.

B 1.41

Eine noch bessere Tragfähigkeit als Voll­ profile weisen hohle oder aufgelöste Druckstäbe auf. Im Stahlbau finden daher oft runde oder eckige Rohre Verwendung als Seite 43 Druckstäbe. Für hohe Strommasten werden häufig Fachwerkkonstruktionen genutzt. Dreieckige, mittig aufgeweitete Konstruktio­ nen sind im Leichtbau üblich (Abb. B 1.41). Trotz aller Verbesserungen und Bemühungen ist die optimale Form eines Druckstabs bisher nicht bekannt.

Biegebeanspruchte Trag­ elemente Zu den biegebeanspruchten Tragelementen zählen unter anderem Ein- und Mehrfeld­ träger, Kragträger oder Platten. Biegung entsteht, wenn ein Stab nicht in Längsrichtung, sondern quer dazu belastet wird. Dies ist bei Deckenbalken oder -platten unter Eigen- oder Verkehrslasten ebenso der Fall wie bei Außenwänden oder Glasfassaden unter Wind­lasten. Lange Zeit war Holz das übliche Material, aus dem man Biegeträger herstellte. In vielen Dachstühlen lassen sich daher sehr alte Holzbalken finden (Abb. B 1.39). Industrielle Werkstoffe wie Stahl, Stahlbeton oder Holz-Beton-Verbundsysteme bieten heute erweiterte Möglich­ keiten für biegebeanspruchte Tragelemente (Abb. B 1.43 – B 1.45). Neben stabförmigen Balken, Trägern oder Unterzügen kommen flächige Tafeln aus profilierten Blechen sowie Platten aus Holzwerkstoffen, Stahl­ beton oder aus Kombina­tionen dieser Baustoffe zum Einsatz. Einfacher als druckbeanspruchte Gewölbe ermöglichen biegebeanspruchte Trag­elemente eine wirtschaftliche Stapelung von Ebenen. Sie sind daher eine wesentliche Grundlage für die Geschossbauweise, die seit der Antike unsere Städte prägt. Bei der vergleichsweise jungen HolzBeton-Verbundbauweise werden Bauteile aus Beton über oder seltener unter solchen

TR A GELEM ENTE

B 1.39 Tragelemente aus Holz, ehemaliger Marstall und Traidkasten, Kloster Dießen (DE) 1627 B 1.40 Tragfähigkeit in Abhängigkeit der Stützenform B 1.41 aufgelöste Druckstäbe, Tanzbrunnen, Bundesgartenschau Köln (DE) 1957, Frei Otto B 1.42 Tragverhalten biegebeanspruchter Tragele­ mente, Galileo Galilei, Unterredungen: Discorsi e dimostrazioni matematiche. Leiden 1638, Fig. 17 B 1.43 biegebeanspruchte Träger aus Stahl, Gewerbeschule Karlsruhe-Durlach (DE) 1995, Mahler Günster Fuchs Architekten (MGF)

55

B 1.44 Haus Le Corbusier, Weißenhofsiedlung, Stuttgart (DE) 1927, Le Corbusier, Pierre Jeanneret B 1.45 biegebeanspruchte Träger aus Stahlbeton, Niederländisches Architekturinstitut, Rotterdam (NL) 1993, Jo Coenen B 1.46 Holz-Beton-Verbundbauweise, Life-CycleTower (LCT One), Dornbirn (AT) 2012, ­Hermann Kaufmann Architekten, Merz Kley Partner (mkp) B 1.47 biegebeanspruchtes Trag­element unter ­Belastung a  unbelasteter Träger b Verformung des Trägers unter Lasteinwir­kung B 1.42

aus Holz angeordnet (Abb. B 1.46). Verbindungsmittel wie Verbundschrauben, HBV (Holz-Beton-Verbund)-Schubverbinder, BS(Betonstahl)-Verbundanker oder Flachstahlschlösser stellen die Verbundtragwirkung des hybriden Gesamtquerschnitts sicher. Dies erhöht die Tragfähigkeit und Steifigkeit um das Zwei- bis Fünffache im Vergleich zu einem Balkentragwerk ohne Verbund. Tragverhalten biegebeanspruchter ­Tragelemente Auch das Verhalten biegebeanspruchter Bauteile hat bereits Galileo Galilei untersucht. 1638 erläutert er seine Zeichnung (Abb. B 1.42): „Offenbar wird das Prisma bei B zerbrechen, wo die Mauergrenze als Stützpunkt dient, und BC wird der Hebelarm der Kraft sein; die Dicke BA des Prismas bildet den anderen Hebelarm, an welchem der Widerstand wirkt, der die Theile von BD trennen will von den Theilen, die in der Mauer stecken“. [3] Die genaue Beobachtung der Verformung eines senkrecht zur Stabachse belasteten Tragelements zwischen zwei Auflagern ­iefert über Galileis Erkenntnisse hinaus ­Hinweise auf innere Beanspruchungen, was Untersuchungen von Jakob Bernoulli (1654 –1705) und Henri Navier (1785 –1836) bestätigten. Während oberhalb der Sys­ temachse Stauchung und damit Druck­ beanspruchung festzustellen ist, herrscht unterhalb Dehnung und entsprechend Zugbeanspruchung. Die Systemachse selbst wird gekrümmt, aber weder gedehnt noch gestaucht. Am stärksten beansprucht sind Ober- und Unterseite des Trägers (Abb. B 1.47).

B 1.43

B 1.44

B 1.45

B 1.46

Innere Beanspruchungen Eine Belastung senkrecht zur Stabachse führt also zu den bereits bekannten Arten innerer Beanspruchung. In den gedehnten Fasern des Stabs darf die Zugspannung σt, d die Zug­festigkeit ft, d des Materials nicht überschreiten, gleichzeitig darf in den gestaucha

b

B 1.47

56

W

ϕ

M

M

σ

ε

ε

σ=

M ∙z I

W

B 1.48

ten Fasern die Druckfestigkeit fc, d nicht überschritten werden. Zusätzlich ist ein Ausknicken druckbeanspruchter Fasern sowie ein ϕ Biegedrillknicken des Gesamtquerschnitts zu vermeiden, um die Tragfähigkeit nicht zu gefähr­den. Im ideal-elastischen Bereich M verhalten sich Dehnung ε und Spannung σ proportional zueinander. Zudem sind die genannten Beanspruchungen in Auflagernäheσ geringer εals mittig ­zwischen den Auflagern. In Feldmitte verformt die einwirkende Belastung einen ursprünglich rechteckigen Bereich so, dass er einem Trapez ähnelt. Abschnitte in Auf­ lagernähe hingegen bleiben auch unter Last nahezu rechteckig. Vergleicht man dies mit dem Verlauf der Schnittgröße Biegemoment M, so fällt ein Zusammenhang auf. Dort, wo das Biegemoment M groß ist, sind auch die genannten Verzerrungen großq (Abb. B 1.48).

-0,5000

Spannungstrajektorien Untersucht man einen biegebeanspruchten Balken detaillierter, lassen sich die Richtungen der Hauptspannungen als sogenannte Spannungstrajektorien darstellen. Der Zusammenhang zwischen Zugspannungs-­ und Kettenlinien wird dabei ebenso deut-

0,5000

lich wie der zwischen Druckspannungs­ linien und Bogenformen. Die Trajektorien in Feldmitte verlaufen eher horizontal, in Auflagernähe auch vertikal. Dies passt zum Verlauf der beiden Schnittgrößen Biegemoment M und Querkraft V. Während M das Biegemoment M in Feldmitte einen ­Extremwert hat, ist die Querkraft V hier gleich null. Unter Gleichlast nimmt diese M hin linear zu und erreicht zu den ∙z ε Auflagern σ= I dort ihren Extremwert. Entsprechend ver­ laufen die inneren Druckspannungen dort eher vertikal (Abb. B 1.49). Die inneren Zugspannungen in der unteren Trägerhälfte können zu einer resultierenden Zugkraft FZug und die inneren Druckspannungen in der oberen Hälfte zu einer resultierenden Druckkraft FDruck zusammengefasst werden. Die maximal zulässige Größe der beiden Kräfte hängt von der maximal zulässigen Spannung σRd = fd ab, die auch in der Randfaser nicht überschritten werden darf. Die durchschnittliche Spannung beträgt damit bei einem Rechteckquerschnitt höchstens 1/2 ∙ σRd = 1/2 ∙ fd. Die maximal zulässigen Kräfte belaufen sich entsprechend auf: FZug = FDruck ≤ (1/2 ∙ Rd) ∙ (b ∙ 1/2 h) = 1/4 ∙ σRd ∙ bh

q

0,1250 b -0,5000

h

B 1.57 linien mit 0,14pt

0,1250

0,5000

FDruck 0,1250

b

0,1250

a

0,1250 0,1250

0,1250

B 1.57

FZug

B 1.49

linien mit 0,14pt

Biegespannung σm Die beiden aus den inneren Beanspruchungen resultierenden Kräfte FZug und FDruck mit dem zugehörigen Hebelarm 2/3 h entsprechen genau dem aus der Belastung q resultierenden Biegemoment M. Biegemoment M [kNm] = FZug ∙ 2/3 h = FDruck ∙ 2/3 h ≤ (1/4 σRd ∙ bh) ∙ 2/3 h = σRd ∙ bh2/6 Löst man diesen Term nach der Spannung σ auf, erhält man die sogenannte ­Biegespannung σm in der Randfaser. Sie muss kleiner gleich dem Bemessungswert der Biegefestigkeit fm,d des verwendeten Baustoffs sein. Rechteckbalken: Biegespannung σm, d [kN/cm2] = Md /(bh2/6) ≤ fm, d = fm, k /γM Widerstandsmoment W Den geometrischen Wert (bh2/6) eines Rechteckbalkens mit der Breite b und der Höhe h, der einer Verformung durch ein ­einwirkendes Biegemoment M Widerstand leistet, nennt man entsprechend Widerstandsmoment W. Rechteckbalken: Widerstandsmoment W [cm3] = bh2/6 Für Querschnittsformen üblicher Stahlprofile lässt sich das Widerstandsmoment W in Tabellenwerken ablesen (Abb. B 1.53; B 1.31, S. 50). Allgemein formuliert stellt die Biegespannung σm das Verhältnis zwischen dem einwirkenden Biegemoment M und dem geometrischen Widerstandsmoment W des beanspruchten Tragelements dar: Biegespannung σm, d [kN/cm2] = Md / W 1,000

d

1,000

c

σ < σRd

Die Wirkungslinie der Zugkraft FZug liegt im geometrischen Schwerpunkt der Zugspannungen σt, die Wirkungslinie der Druckkraft FDruck im Schwerpunkt der Druckspannungen σc. Zwischen diesen beiden Kräften besteht somit ein Hebelarm. Bei einem Rechteckbalken beträgt dieser Hebelarm zwei Drittel der Balkenhöhe h.

TR A GELEM ENTE

57

B 1.48  innere Beanspruchungen eines Einfeldträgers Spannungen im Biegeträger, Spannungstra­ B 1.49  jektorien a  Verlauf der Hauptspannungslinien (Druckspannungen gestrichelt, Zugspannung durchgezogen) b qualitativer Verlauf der Querkraft V infolge ­linearer Gleichlast q c qualitativer Verlauf des Biegemoments M infolge linearer Gleichlast q d innere Zug- und Druckspannungen B 1.50 Holzbalken als biegebeanspruchte Tragele­ mente, Gemeindezentrum Blons (AT) 2004, Bruno Spagolla B 1.51 Trapezblechtafeln auf HEB 200 Trägern, Wildparkhalle Karlsruhe (DE) 1992, Heinz Kuhlmann, Paul Schuler B 1.50

Schubspannung τ Neben der Biegespannung σm entsprechend des Biegemoments M entstehen bei biegebeanspruchten Tragelementen auch Schubspannungen τ im Zusammenhang mit der Querkraft V. Die Schubspannung τ ist proportional zur Querkraft V infolge der Belastung sowie zum statischen Moment S = ∫ z dA entsprechend der Geometrie des Trägers. Bei Rechteckquerschnitten beträgt die Schubspannung τ in Abhängigkeit von der Querkraft V maximal: Maximale Schubspannung τmax [kN/cm2] = V ∙ S/(I ∙ b) = 3/2 V/(b ∙ h) Die Schubspannung τ darf die Schubfestigkeit fv = V/A [kN/cm2] nicht übersteigen. Sie ist allerdings nur selten maßgebend, z. B. bei kurzen, hochbelasteten Trägern. Vordimensionierung biegebeanspruchter Tragelemente Da die Bauhöhe h eines biegebeanspruchten Trägers wesentlich von der Stützweite l abhängt, dient als erste, grobe Faustformel oft folgende Abschätzung: Trägerhöhe h [cm] ~ Stützweite l [cm]/20 Eine deutlich genauere Einschätzung der Trägerhöhe h ist möglich, wenn neben der Stützweite l auch Daten zu Einwirkungen und damit zu Schnittgrößen ermittelt werden. Ausgehend von der Belastung qd lässt sich bei statisch bestimmten Systemen wie Einfeld- oder Kragträgern der benötigte Bemessungswert des Biegemoments Md wie in Teil A beschrieben (S. 30f.; siehe auch S. 95) recht einfach errechnen. Für statisch unbestimmte Systeme wie Durchlaufträger, eingespannte Rahmen oder Zweigelenkbögen stehen Rechenprogramme oder Tabellenwerke zur Verfügung, um die notwendigen Bemessungswerte des Biegemoments Md zu ermitteln. Die Ausnutzung einer Durchlaufwirkung über mehrere Felder reduziert meist die Extremwerte der Biege-

momente gegenüber einer Aneinanderreihung von Einfeldträgern. In Abhängigkeit vom Bemessungswert der Biegefestigkeit fm, d des gewählten Baustoffs erhält man als Voraussetzung für die weiteren baustoffbezogenen Vordimensionierungsschritte ein erforderliches Widerstandsmoment W: erforderliches Widerstandsmoment W [cm3] = Md /fm, d Biegebeanspruchte Tragelemente aus Holz Im Holzbau lassen sich nach der Feststellung des erforderlichen Widerstandsmoments W = Md /fm, d = Md /1,5 kN/cm2 entsprechende Bauteilabmessungen ermitteln. Für biegebeanspruchte Elemente finden meist rechteckige Balkenquerschnitte Verwendung (Abb. B 1.50). Da die Höhe h beim Widerstands­moment W eines Trägers in zweiter Potenz berücksichtigt wird, ist es sinnvoll, h größer zu wählen als die Breite b. Als recht günstig haben sich Balken erwiesen, bei denen die Höhe h etwa dem Doppelten der Breite b entspricht. Die erforderliche Trägerhöhe h errechnet sich in diesem Fall wie folgt: erforderliche Trägerhöhe h [cm] = √(6 W/b) = (12 W)0,33 = (12 Md /fm, d)0,33 = (12 Md /1,5 kN/cm2)0,33

Die zugehörige Trägerbreite beträgt b = h/2. Ein Deckenbalken als Einfeldträger im Wohnungsbau mit einer Stützweite l = 5,00 m und einer Belastung qd = 5,0 kN/m erfährt ein Biegemoment Md = qd ∙ l2/8 = 5,0 kN/m ∙ (5,00 m)2/8 = 15,6 kNm = 1560 kNcm. Dafür ist eine tragfähige ­Trägerhöhe h = (12 Md /1,5 kN/cm2)0,33 = (12 ∙ 1560 kNcm/1,5 kN/cm2)0,33 = 24 cm sowie eine Trägerbreite b = h/2 = 12 cm erforderlich. Kommen statt eines Balkens flächige Platten wie Brettstapeldecken oder Brettsperrholzplatten zum Einsatz, lässt sich für die Trägerbreite vereinfachend ein 1 m breiter Plattenstreifen ansetzen. Die erforderliche Höhe h einer kontinuierlichen, einachsig gespannten Platte kann wie folgt ermittelt werden: erforderliche Plattenhöhe h [cm] = √(6 W/b) = (6 (Md /fm, d)/100 cm)0,5 = (6 Md /150 kN/cm2)0,5 Bei gleichem Biegemoment Md = 1560 kNcm reicht hier bezüglich der Tragfähigkeit eine Deckenstärke h = (6 Md /150 kN/cm2)0,5 = (6 ∙ 1560 kNcm /150 kN/cm2)0,5 = 8 cm, da die Breite der Platte anders als beim Balken nicht beschränkt ist.

B 1.51

58

r + tf

r y

h

d

w3 y y

tW

r h

dmax tf

z

r + tf

b

tW tf

z

z

w1

w2

w3

r + tf d

y dmax

r + tf

B 1.52 IPE-Profile eignen sich für Biegeträger, zum ­Vergleich: HEB-Profil (früher: IPB) B 1.53 Querschnittswerte von IPE-Profilen (nach ­Wendehorst, siehe Anm. 2) B 1.54 Tragfähigkeit von Trapezprofilen

z

b

b B 1.52

In beiden Fällen muss zusätzlich geprüft werden, ob die Kriterien der Gebrauchstauglichkeit erfüllt sind. Biegebeanspruchte Tragelemente aus Stahl Im Stahlbau lassen sich nach der Ermittlung des erforderlichen Widerstandsmoments W = Md /fy, d = Md /21,4 kN/cm2 entsprechende Profilgrößen für Träger in Abhängigkeit von der Profilform den einschlägigen Tabellenwerken entnehmen (Abb. B 1.53). Da die Biegespannung σm in den oberen und unteren Randfasern groß ist, zur Stab­ achse hin aber abnimmt, wird der wertvolle Baustoff Stahl vor allem dort eingesetzt, wo er viel zur Tragfähigkeit beiträgt, also in den Randbereichen, die auch Flansche oder Ober- und Untergurt genannt werden. Die beiden Flansche sind durch einen dünnen Kurz­ zei­ chen

ist, erfährt das Biegemoment Md = qd ∙ l2/8 = 15 kN/m ∙ (12,0 m)2/8 = 270 kNm = 27 000 kNcm. Ein tragfähiges Profil benötigt daher ein Widerstandsmoments W = Md /fy, d = Md /21,4 kN/cm2 = 1262 cm3. Geeignet wäre beispielsweise ein IPE 450 mit Wy = 1500 cm3 (Abb. B 1.53). Neben solchen stabförmigen Biegeträgern werden auch flächige Tragelemente aus Well- oder Trapezblech genutzt. Anwendung finden die profilierten, teils beschichteten Tafeln als Tragschicht, Dachdeckung oder Wandelemente (Abb. B 1.51, S. 57). Die Profilbezeichnung solcher Bleche setzt sich grundsätzlich aus der Angabe der Profilhöhe h und der Rippenbreite b zusammen. Die Tragfähigkeit hängt vom Material, von der Art der Profilierung, von der Profilhöhe h sowie der Blechdicke t ab. In umfangreichen Tabellen geben die Hersteller die Tragfähig-

Steg verbunden, der unter anderem zur Aufnahme der Schubspannungen τ dient. Eine solche Bauform gleicht dem Großbuchstaben I in Serifenschrift. Sind die beiden Flansche wie bei HEB-Trägern breiter, ähnelt das Profil einem liegenden H (Abb. B 1.52). IPE-Profile sind bei relativ geringem Gewicht und entsprechend niedrigen Kosten sehr leistungsfähig. Um Bauhöhe zu reduzieren, kommen auch Profile aus den Reihen HEA, HEB oder HEM zum Einsatz. Dies geht allerdings zu Lasten größeren Eigengewichts und höherer Kosten. Alternativ finden im Stahlbau zudem rechteckige Hohlprofile Verwendung. Der Stahlträger eines leichten Hallendachs, der als Einfeldträger eine Stützweite l = 12,00 m überspannt und aufgrund einer Last­einzugsbreite e = 5,00 m einer Belastung qd = 3 kN/m2 ∙ e = 15 kN/m ausgesetzt

Maße

für Biegung um die y-Achse

für Biegung um die z-Achse

h [mm]

b [mm]

tw [mm]

tf [mm]

r [mm]

d [mm]

A [cm2]

Avy [cm2]

Avz [cm2]

G [kg/m2]

U [m2/m]

Iy

[cm4]

Wy [cm3]

iy [cm]

Iz

[cm4]

Wz [cm3]

iz [cm]

 80

 80

 46

3,8

 5,2

 5

 59,6

7,64

4,78

3,58

6,00

0,328

80,1

20,0

3,24

8,49

3,69

1,05

100

100

 55

4,1

 5,7

 7

 74,6

10,3

6,27

5,08

8,10

0,400

171

34,2

4,07

15,9

5,79

1,24

120

120

 64

4,4

 6,3

 7

 93,4

13,2

8,06

6,31

10,4

0,475

318

53,0

4,90

27,7

8,65

1,45

140

140

 73

4,7

 6,9

 7

112,2

16,4

10,1

7,64

12,9

0,551

541

77,3

5,74

44,9

12,3

1,65

160

160

 82

5,0

 7,4

 9

127,2

20,1

12,1

9,66

15,8

0,623

869

109

6,58

68,3

16,7

1,84

180

180

 91

5,3

 8,0

 9

146,0

23,9

14,6

11,3

18,8

0,698

1320

146

7,42

101

22,2

2,05

200

200

100

5,6

 8,5

12

159,0

28,5

17,0

14,0

22,4

0,768

1940

194

8,26

142

28,5

2,24

220

220

110

5,9

 9,2

12

177,6

33,4

20,2

15,9

26,2

0,848

2770

252

9,11

205

37,3

2,48

240

240

120

6,2

 9,8

15

190,4

39,1

23,5

19,1

30,7

0,922

3890

324

9,97

284

47,3

2,69

270

260

135

6,6

10,2

15

219,6

45,9

27,5

22,1

36,1

1,04

5790

429

11,2

420

62,2

3,02

300

280

150

7,1

10,7

15

248,6

53,8

32,1

25,7

42,2

1,16

8360

557

12,5

604

80,5

3,35

330

300

160

7,5

11,5

18

271,0

62,6

36,8

30,8

49,1

1,25

11 770

713

13,7

788

98,5

3,55

360

320

170

8,0

12,7

18

298,6

72,7

43,2

35,1

57,1

1,35

16 270

904

15,0

1040

123

3,79

400

340

180

8,6

13,5

21

331,0

84,5

48,6

42,7

66,3

1,47

23 130

1160

16,5

1320

146

3,95

450

360

190

9,4

14,6

21

378,8

98,8

55,5

50,8

77,6

1,61

33 740

1500

18,5

1680

176

4,12

500

400

200

10,2

16,0

21

426,0

116

64,0

59,9

90,7

1,74

48 200

1930

20,4

2140

214

4,31

550

500

210

11,1

17,2

24

467,7

134

72,2

72,3

106

1,88

67 120

2440

22,3

2670

254

4,45

600

600

220

12,0

19,0

24

514,0

156

83,6

83,8

122

2,01

92 080

3070

24,3

3390

308

4,66

IPE

B 1.53

59

TR A GELEM ENTE

15 16 15 14

1 2

3 4

5

6 7 8

keit ihrer Profile in Abhängigkeit von Profilquerschnitt, Blechdicke, Stützweite, statischem System und Verformungsgrenzen an. Die in Abb. B 1.54 aufgeführten Werte gelten für gleichmäßig verteilte Lasten bei reiner Biegebeanspruchung. Die Ausnutzung einer Durchlaufwirkung über mehrere Felder erhöht auch hier die Tragfähigkeit gegenüber einer Verwendung als Einfeldträger. Biegebeanspruchte Tragelemente aus Stahlbeton Wie bei druckbeanspruchten Bauteilen aus Stahlbeton ist auch die Vordimensionierung biegebeanspruchter Bauteile des Verbundbaustoffs Stahlbeton nicht so einfach wie bei Holz oder Stahl. Neben der allgemeinen Faustformel für Trägerhöhen h ~ l/20 stehen die Vordimensionierungsverfahren für Stahlbeton zur Verfügung, die in Teil A (S. 35f.) beschrieben sind. Der Einsatz vorgespannter Stahlbetonelemente ist aufwendig, ermöglicht dafür aber große Stützweiten bei vergleichsweise geringen Bauhöhen. Aufgrund der geringen Zugfestigkeit von Beton muss bei biegebeanspruchten Stahlbetonbauteilen Bewehrungsstahl eingelegt werden, um Zugbeanspruchungen Trag­ widerstand entgegenzusetzen. Stahl ist also immer dort notwendig, wo in Trägern, Unterzügen oder Platten wesentliche Zugspannungen auftreten. Für die Ermittlung erforderlicher Stahlquerschnitte stehen bewährte Verfahren zur Verfügung. Druckspannungen nimmt überwiegend der Beton auf. Falls nötig, lässt sich jedoch auch die Druckzone verstärken, indem dort Bewehrung angeordnet wird. Sinnvoll ist zudem, in gering beanspruchten Bereichen nahe der Systemachse leichte Hohlkörper einzulegen, um Eigen­ gewicht zu sparen ohne die Tragfähigkeit deutlich zu reduzieren. Biegebeanspruchte Tragelemente aus weiteren Baustoffen Neben den häufig genutzten Materialien Holz, Stahl und Stahlbeton kommen weitere

1 Verbindungselement Längsrand (Blindniet, Schraube) 2 Randversteifung 3 aufgekanteter Längsrand

4 Steg 5 Obergurt 6 Untergurt 7 Längsstoß 8 Stegsicke 9 Untergurtsicke

Abmes­- Eigenlast g Nenn­- statisches blech- System sungen [kN/m²] dicke d [mm] [mm]

0,072 0,096 0,144

135/310 0,097 0,130 0,195

160/250 0,121 0,161 0,241

200/375 0,118 0,158 0,237

10

12 13

11

14 Verbindungselement für Auflager (Schraube, Setzbolzen) 15 Profiltafel 16 Verbindungselement Längs­ stoß (Blindniet, Schraube)

10 Obergurtsicke 11 ebener Längsrand 12 Querstoß 13 Binder, Pfette, Riegel

Stützweite [m] 1,0

2,0

3,0

Trapezprofile (l/150) Positivlage 35/207

9

4,0

5,0

6,0

7,0

8,0

9,0

10,0

11,0

Tragfähigkeit q [kN/m ] 2

0,75 1,00 1,50

8,98 14,31 26,99

1,74 2,63 4,15

0,52 0,78 1,23

0,22 0,32 0,52

0,11 0,17 0,27

0,75 1,00 1,50

7,55 12,28 24,74

2,25 3,59 6,57

1,00 1,60 2,92

0,54 0,79 1,27

0,31 0,40 0,64

0,75 1,00 1,50

8,36 13,49 25,87

2,67 4,33 7,38

1,05 1,47 2,34

0,50 0,62 0,99

0,32 0,31 0,50

0,75 1,00 1,50

2,88 5,37 14,28

2,13 3,97 7,91

1,75 2,82 4,79

1,32 1,92 2,94

0,96 1,21 1,85

0,65 0,81 1,24

0,75 1,00 1,50

3,18 5,36 14,26

2,14 3,97 8,32

1,77 2,82 5,42

1,35 2,21 3,89

1,02 1,63 2,86

0,80 1,25 2,13

0,75 1,00 1,50

3,60 6,10 14,28

2,47 4,02 8,30

1,88 2,93 5,53

1,39 2,23 4,00

1,05 1,73 3,08

0,85 1,42 2,29

0,75 1,00 1,50

3,44 6,70 10,18

2,54 4,22 6,69

1,77 2,93 4,58

1,30 1,96 2,98

0,96 1,31 2,00

0,68 0,93 1,41

0,49 0,68 1,04

0,75 1,00 1,50

3,45 6,47 9,88

2,51 4,33 6,91

1,83 3,12 4,95

1,39 2,36 3,74

1,09 1,82 2,86

0,85 1,41 2,28

0,59 0,96 1,77

0,75 1,00 1,50

3,45 6,70 10,18

2,57 4,34 6,90

1,84 3,11 4,95

1,41 2,38 3,77

1,12 1,85 2,90

0,90 1,47 2,34

0,73 1,17 2,18

0,75 1,00 1,50

2,12 3,69 8,84

1,76 3,07 6,19

1,51 2,53 4,55

1,22 1,93 3,16

0,96 1,41 2,22

0,74 1,03 1,62

0,56 0,77 1,22

0,75 1,00 1,50

2,12 3,77 7,38

1,65 2,87 5,53

1,31 2,26 4,28

1,06 1,82 3,41

0,88 1,50 2,75

0,72 1,22 2,25

0,61 1,04 1,89

0,75 1,00 1,50

2,12 3,92 8,82

1,76 4,76 6,19

1,51 2,63 4,55

1,22 2,02 3,48

0,96 1,59 2,75

0,81 1,38 2,56

0,69 1,17 2,16

Die Angaben gelten für gleichmäßig verteilte Lasten q. B 1.54

60

IPE 500 Höhe h [mm] Breite b [mm] längenbezo­gene Masse [kg/m] Masse im Verhältnis zur Masse des IPE 500 [%]

HEB 400

HEM 300

2 HEM 240

 500    400   340   270  200    300   310   2≈ 248  90,7    155   238   2≈ 157  100    177   264   34 B 1.55

Baustoffe oder Verbundwerkstoffe wie Aluminium, Glas, Sandwichpaneele, Stahl-Stahl­ betonverbundbauweisen oder Holz-BetonVerbundsysteme zum Einsatz. In den Fällen, in denen keine einfachen Verfahren der Vordimensionierung oder bewährte Faustformeln existieren, ist es grundsätzlich hilfreich, sich an möglichst zahlreichen gebauten Referenzobjekten zu orientieren. Verformung biegebeanspruchter Trag­ elemente Versuche zeigen, dass die Verformung eines biegebeanspruchten Tragelements von der Belastung q, der Spannweite l, der

a

Geometrie I und dem Elastizitätsmodul E des Baustoffs abhängt: Je größer die Belastung q und die Spannweite l, desto größer die Durchbiegung w. Ein großes E-Modul sowie ein hohes Flächenträgheitsmoment I hingegen verringern die Verformung. Bei einem Rechteckbalken als Einfeldträger unter Gleichlast q mit I = bh3/12 führt eine Verdopplung der Trägerhöhe h dazu, dass sich der Maximalwert der Durchbiegung w in Feldmitte auf 1/23 = 1/8 des Ausgangswerts reduziert. Die Durchbiegung ist bei doppelter Trägerhöhe also um 87,5 % geringer als bei einfacher Trägerhöhe (Abb. B 1.56). Mathematisch ausgedrückt folgt die Differentialgleichung der Biegelinie aus der Betrachtung eines Stabs, der infolge einer Belastung q(x) senkrecht zur Stabachse gekrümmt ist. Grundsätzlich besteht dabei folgender Zusammenhang zwischen Biegelinie und Last q, wobei EI die Biegesteifigkeit des Stabs infolge von Material (E-Modul) und Geometrie (Flächenträgheitsmoment I) angibt (siehe S. 33): wIV (x) = q(x)/EI Die Belastung q(x) ist also proportional zur vierten Ableitung der Biegelinie wIV (x). Umgekehrt ergibt sich daraus, dass man die EI-fache Biegelinie durch viermalige

B 1.55 Querschnitte gleicher Steifigkeit (gleiche Durchbiegung, I ≥ 48 000 cm4) B 1.56 biegebeanspruchtes Tragelement unter Belastung q a  unbelasteter Träger der Höhe h b große Verformung eines belasteten Trägers der Höhe h c deutlich geringere Verformung eines gleich belasteten Trägers der Höhe 2h B 1.57 qualitativer Verlauf des Biegemoments M eines Einfeldträgers unter linearer Gleichlast q B 1.58 Trägerform und Biegemoment, Campus de Jussieu, Paris (DE) 1968, Édouard Albert B 1.59 verjüngter Kragarm des Laufstegs, Stahlbeton, TWA-Terminal (heute Hotel), New York (US) 1962, Eero Saarinen

b

c

B 1.56

Integration der Belastungsfunktion q(x) ermitteln kann. Durch einfache Integration erhält man dabei die Querkraft V(x), durch zweifache Integration das Biegemoment M(x) und durch dreifache Integration die Verdrehung ψ (oder ϕ) des Querschnitts. Für einen Einfeldträger unter Gleichlast qk errechnet sich der Maximalwert der Durchbiegung wmax in Feldmitte wie folgt: maximale Durchbiegung wmax [cm] = (5/384) qkl4/EI In diesem Zusammenhang ist ein Vergleich unterschiedlicher Profiltypen annähernd gleicher Biegesteifigkeit EI aufschlussreich. Abb. B 1.55 zeigt verschiedene Träger, die bei gleichen Randbedingungen wie Belastung q oder Spannweite l zu gleicher Durchbiegung w führen. Dieser Vergleich demon­ striert, dass sich durch die Nutzung von zwei HEM 240 Profilen die Bauhöhe gegenüber einem IPE 500 beinahe halbieren lässt. Das Gewicht und die Kosten steigen dadurch allerdings gleich­zeitig überpropor­ tional auf den 3,5-fachen Wert im Vergleich zum IPE 500. Dies offenbart, dass sich durch sinnvolle Profilwahl wirtschaftliche Vorteile erzielen lassen und breite und schwere niedrige Träger daher eher dort zum Einsatz kommen, wo eine reduzierte Bauhöhe notwendig ist, etwa bei Instand­ setzungen oder Verstärkungen von historischen Bauten mit sehr geringen Geschossoder Durchgangshöhen. Gebrauchstauglichkeit biegebeanspruch­ ter Tragelemente Um die sinnvolle Gebrauchstauglichkeit von Konstruktionen sicherzustellen, müssen Verformungen durch Beanspruchungen in ange­messenen Grenzen bleiben. Bei normalkraftbeanspruchten, schlanken Druckstäben sind Verformungen infolge der Belas­tung meist klein, da wegen der Knickgefahr die eigentliche Festigkeit des Mate­ rials nicht voll ausgenutzt werden darf. Bei gut ausgelasteten biegebeanspruchten

00

00

0,1250

B 1.49

TR A GELEM ENTE

0,1250

1,000

0,1250

1,000

1,000

1,000

1,000

1,000

graue linie 60% schwarz

61

0,1250 0,1250

1,000

B 1.58

Formgebung als auch Aspekte wie Leitungs­ höheren Träger zu nutzen, bei dem Flä-schwarz graue liniedas 60% führungen oder Maßnahmen gegen das chenträgheitsmoment I um das Verhältnis von berechneter Verformung w zu empfohKnicken von Gurten. lener Maximalverformung wmax höher ist als beim zunächst gewählten. Formgebung Um den Durchhang von biegebeanspruchDer enge Zusammenhang zwischen dem ten Tragelementen im verbauten Zustand Verlauf der gedanklichen Schnittgröße Biegering zu halten, können Träger oder Platgemoment M und der Biegespannung σm ten überhöht eingebaut werden. Solche Elelegt nahe, biegebeanspruchte Träger dort mente sind im unbelasteten Zustand nach höher auszubilden, wo das Biegemoment M oben gekrümmt. Nach dem Einbau und groß ist. Bei einem Einfeldträger unter dem Entfernen von Schalung oder HilfsstütGleichlast kann es also beispielsweise sinnzen führt die Verformung unter Eigenlasten voll sein, den Träger in Feldmitte höher zu dazu, dass sich die Überhöhung abbaut bemessen als in Auflagernähe (Abb. B 1.57, und das bis dahin nach oben vorgekrümmte Abb. B 1.58). Element nun eine annähernd gerade Form Einfeldträger sind in der Regel nicht in annimmt. allen Teilbereichen gleich stark beansprucht. Vielmehr stehen drei Teilbereiche Konstruktion biegebeanspruchter Trag­ unter besonderer Beanspruchung. Die Bieelemente gespannung σm ist in Feldmitte groß, die Um biegebeanspruchte Bauteile sinnvoll Schubspannung τ dagegen im Bereich der aus­zubilden, ist es hilfreich, ein paar Grundbeiden Auflager. Anders verhält es sich bei sätze zu beachten. Sie betreffen sowohl die Krag- oder Durchlaufträgern über Mittelauf-

1,000

B 1.57

Trag­elementen hingegen kann es zu wahrnehmbaren statischen und dynamischen Verformungen kommen, deutlich bevor der Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT, engl.: ULS – Ultimate Limit State) erreicht ist. Da größere Verformungen und Schwingungen von Tragelementen unter Last als bedrohlich wahrgenommen werden, aber auch Schäden an angrenzenden Bauteilen wie Glasfassaden oder leichten Trennwänden verursachen können, ist neben dem Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) auch der Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG, engl.: SLS – Serviceability Limit State) zu berücksich­tigen. Im Fall von Schwingungen geschieht dies durch Untersuchung des dynamischen ­Verhaltens in Form von Messungen oder Berechnungen. Bezüglich der Durchbiegung von Bauteilen existieren Empfehlungen, welche Grenzwerte unter charakteris­ tischen Lasten qk nicht überschritten werden sollten. So empfehlen Richtlinien, bei Biegestäben mit Stützweite l nachfolgende Grenzwerte der Verformung w einzuhalten. Bei untergeordneten Bauteilen wie Sparren und Pfetten oder bei landwirtschaftlichen Gebäuden sind dies: • auskragend: maximale Verformung w ≤ lk /100 • sonst: maximale Verformung w ≤ l/200 Für alle übrigen Bauteile wird empfohlen: • auskragend: maximale Verformung w ≤ lk /150...lk /200 • sonst: maximale Verformung w ≤ l/300...l /500

1,000

1,000

In der Praxis zeigt sich, dass gerade bei Einfeldträgern das Kriterium der Gebrauchs­ tauglichkeit oft für Trägerhöhen maßgebend ist. Der Nachweis der Tragfähigkeit allein reicht bei solchen Elementen also nicht aus, da Träger, die den Grenzzustand der Trag­ fähigkeit nicht annähernd erreicht haben, Verformungen erleiden, die bereits ungünstig groß sind. In solchen Fällen hilft es, einen B 1.59

62

B 1.60 Sich verjüngende Kragarme auf Stahlstützen tragen das Tribünendach. Stadion Bregenz (AT) 1994, Johannes Kaufmann, Bernd Spiegel, ­Helmut Dietrich, Robert Schedler, Ernst Mader B 1.61 Möglichkeiten zur Materialeinsparung durch sinn­ volle Positionierung von Auflagern und Gelenken B 1.62 Art Institute of Chicago, Modern Wing, Chicago (US) 2009, Renzo Piano Building Workshop B 1.60

100,0

100,0

100,0

lagern. In diesen Fällen sind beide Arten von Spannung in Auflagernähe groß, während sie in Richtung eines freien Kragarm­ endes auf Null zurückgehen. Häufig sieht man daher, dass Trägerhöhen zu freien Kragarmenden hin reduziert sind, während sie in Richtung der Auflager größer werden (Abb. B 1.60). Durch eine Verringerung von Stützweiten, die gezielte Nutzung statisch unbestimmter Systeme oder eine geschickte Anordnung von Gelenken können Planer auf die Größe des Biegemoments M Einfluss nehmen und damit die Bauhöhe h von Tragelementen sowie den Materialverbrauch reduzieren (Abb. B 1.61).

Verlauf der Schnittgröße Biegemoment M bei drei unabhängigen Einfeldträgern

-80,00 -80,00

-80,00 -80,00

63,89

20,00

63,89

Aussparungen für Leitungsführungen Bei der Entwicklung des Tragwerks stellt die Integration der Gebäudetechnik eine Heraus­forderung dar. In diesem Zusammenhang suchen Planer oft nach sinnvollen Möglichkeiten, Leitungen in der Träger­ ebene zu verlegen. Entsprechend der geringen Schubbeanspruchung in Feldmitte lassen sich Öffnungen für Installationen hier vorteilhaft anordnen, während sie in Auflagernähe wegen der dort herrschenden großen Schubspannung τ zu Problemen führen würden. Im Stahlbau sind Durchbrüche im Steg eines I- oder H-Profils also meist da gut möglich, wo die Querkraft V klein ist. Dies gilt analog für Unterzüge aus Stahl­ beton.

Extremwert des Biegemoments M (20 % kleiner bei Nutzung der Durchlaufwirkung)

-68,64 -68,64

-68,64 -68,64

68,62

31,36

68,62

Extremwert des Biegemoments M (31,4 % kleiner bei günstiger Anordnung von Gelenken)

-61,43

-61,43

-61,43

-61,43

61,41

61,41

61,41

Extremwert des Biegemoments M (38,6 % kleiner bei günstiger Lage von Auflagern und Gelenken)

B 1.61

Aussteifung von Druckgurten Druckbeanspruchte Bereiche von Biege­ trägern sind grundsätzlich knickgefährdet. Bei Einfeldträgern betrifft dies die Obergurte. Häufig liegen diese in der Decken- oder Dachebene. Hier ist es problemlos möglich, seitliches Ausknicken oder Biegedrillknicken (früher: Kippen) dadurch zu vermeiden, dass man die Obergurte über eine Verknüpfung mit ausgesteiften Deckenscheiben oder Windverbänden gegen horizontales Ausweichen sichert.

63

TR A GELEM ENTE

Überblick zur Vordimensionie­ rung von Tragelementen Anforderungen an Tragelemente: • Standsicherheit, Tragfähigkeit • Gebrauchstauglichkeit (Begrenzung von Verformungen oder Schwingungen) • Wirtschaftlichkeit • Dauerhaftigkeit Hinweis Vor dem Bau von Tragelementen sind Standsicherheit und Gebrauchsfähigkeit der entwickelten Elemente grundsätzlich entsprechend der bauaufsichtlich eingeführten Normen und Richtlinien nachzuweisen. In vielen Fällen sind diese Nachweise zur Prüfung vorzulegen. Geometrische Querschnittswerte Geometrische Querschnittswerte lassen sich aus Profiltabellen ablesen; für rechteckige Vollquerschnitte mit Höhe h und Breite b gilt: Querschnittsfläche A = bh Widerstandsmoment W = bh2/6 Trägheitsmoment I = bh3/12 Trägheitsradius i = √(I/A) = h/√12 Schlankheit λ = Lcr /i = β ∙ l/i

Standsicherheit, Tragfähigkeit Grundsatz: Beanspruchung Ed infolge von Einwirkungen < Beanspruchbarkeit Rd des Materials Zugstäbe: σN,d = Nt, d /A < ft, d Druckstäbe: σN, d = Nc, d /A < kc ∙ fc, d Biegeträger: σm, d = Md /W < fm, d Druck + Biegung: (Nc, d /A)/(kc ∙ fc, d) + (Md /W)/fm, d < 1

Gebrauchstauglichkeit (Begrenzung von Verformungen) Einfeldträger: wmax = (5/384) qkl4/ EI