Arnold Kränzlein: Schriften 9783205790587, 9783205777526


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Arnold Kränzlein: Schriften
 9783205790587, 9783205777526

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FORSCHUNGEN ZUM RÖMISCHEN RECHT Herausgegeben von Rolf Knütel und Ulrich Manthe 52. Abhandlung

JOHANNES MICHAEL RAINER (HG.)

ARNOLD KRÄNZLEIN

SCHRIFTEN

BÖHLAU WIEN · KÖLN · WEIMAR

Gedruckt mit der Unterstützung durch das

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-77752-6 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, i­ nsbesondere die der Über­setzung, des Nachdruckes, der Entnahme von ­Abbildungen, der Funksendung, der Wieder­ gabe auf fotomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speiche­ rung in Daten­ver­arbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2010 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. & Co. KG, Wien · Köln · Weimar http://www.boehlau.at http://www.boehlau.de Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Druck: Impress, Slowenien

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII 11. Zu den Freilassungsinschriften aus Delphi . . . . . . . . . . . . . . . 001 12. Zur cura minorum in klassischer Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . 009 13. Zum attischen Erbtochterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 015 14. Ein Fall von Grundkredit im alten Griechenland . . . . . . . . . . . . 025 15. Obligatorische cura minorum im justinianischen Recht?. . . . . . . . 033 16. Zur Urkundenklausel Kurieuštw tîn karpîn ›wj . . . . . . . . . . 045 17. Eine atypische πρᾶσις ἐπὶ λύσει.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 055 18. Rechtsvorstellungen im altgriechischen und graeco-ägyptischen Rechtskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 063 19. Verpächter- und Pächterurkunden in den griechischen Papyri . . . . . 073 10. Die attischen Aufzeichnungen über die Einlieferung von fi¡lai ™xeleuderika… 0. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 079 11. Bemerkungen zur Praxisklausel kad£per ™k d…khj . . . . . . . . . . 089 12. Bürgerrrecht oder Latinität?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 095 13. Bemerkungen zu Form und Inhalt der delphischen Freilassungen . . . 113 14. Bemerkungen zu den griechischen Freilassungsschriften.. . . . . . . 121 15. Zu den Privatpacht-Hypomnemata der ersten zwei nachchristlichen Jahrhunderte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 16. Die Bedeutung der ¢pšdoto-Aufzeichnungen im heiligen Bezirk für die juristische Erfassung des Rechtsinstitutes Freilassung in Delphi .. 151 17. Fragen der Rechtsverfolgung in Delphi zur Zeit der Freilassungsinschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 18. Тοàτον τοιτον ¢ναπόριφον in den Eselverkaufsurkunden aus dem kaiserzeitlichen Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

VI

Inhaltsverzeichnis

19. Zum Usucapions-Titel bei Vermächtnissen. . . . . . . . . . . . . . . 181 20. Fragen des kaiserzeitlichen Städtewesens auf Grund neuer Funde auf der Iberischen Halbinsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 21. Probleme kaiserzeitlicher Tierveräußerungsverträge auf Papyrus . . . 199 22. Atypische Tierverkaufsurkunden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 23. Statuswechsel nach der lex Irnitana. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 24. Sine iniuria privatorum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 25. Ius municipum. Zu Art. 93 Lex Irnitana. . . . . . . . . . . . . . . . . 239 26. Zu P. OXY. LXI 4121. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 27. Zu den Epidochai des 3. und 4. nachchristlichen Jahrhunderts . . . . . 257 28. Zum attischen Apotimema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 29. Textverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

EINLEITUNG

Der vorliegende Band bietet einen eingehenden Überblick über das wissen­ schaftliche Œuvre meines verehrten akademischen Lehrers Univ.-Prof. Dr. Arnold Kränzlein. Kränzlein stand als Schüler von Erich Berneker und Erwin Seidl in der besten Tradition der antiken Rechtsgeschichte. Bernecker war ein namhafter Experte des klassischen griechischen Rechtes, Seidl ein ebenso namhafter Experte der juristischen Papyrologie. Kränzlein war aber auch in besonderem Ausmaße der großen deutschen Pandektenjurisprudenz des 19. Jahrhunderts verbunden. Insofern war er ein ex­ zellenter Dogmatiker, den stets der Brückenschlag zwischen dem klassischen römischen Recht und dem modernen deutschen BGB faszinierte. Im Laufe seiner Tätigkeit als akademischer Forscher hat sich Kränzlein vor­ nehmlich mit drei sehr speziellen Themata auseinandergesetzt: Den religiösen Freilassungen, insbesondere jenen in Delphi in klassisch-griechischer Zeit, den Verträgen in den Papyri und den römischen Stadtrechten. Kränzlein war ein überaus akribischer Forscher, der nur zu Papier brachte – und dies entsprach seinem wissenschaftlichen Ethos –, was er tatsächlich als be­ wiesen erachtete. Bevor er unzählige unbeweisbare Ansichten erfand und dar­ stellte, schien ihm ein non liquet die weitaus seriösere Vorgehensweise zu sein. In allen drei Bereichen erlangte Kränzlein durch die perfekte Beherrschung der jeweiligen Quellenlage eine geradezu unerreichbare Expertise. Die Beiträge aus Kränzleins Feder sind in einer ganzen Reihe überaus schwer auffindbarer Publikationsorgane veröffentlicht worden. Damit war die Gefahr groß, dass ein derartig komplexes und stets weiterführendes wissen­ schaftliches Werk für zukünftige Generationen zumindest in seiner Gesamtheit verschütt gehen könnte. Damit aber auch in Zukunft den Forschern des griechischen Rechts, der juri­ stischen Papyrologie und des römischen Rechtes seine ungemein tiefgehenden Aussagen zu diesen Rechtsgebieten weiterhin erhalten bleiben, habe ich mich entschlossen, die gesammelten Aufsätze des Gelehrten in handlicher Form der Fachwelt vorzustellen. Es ist dies nicht nur ein officium pietatis, das mir als sein Schüler stets am Herzen gelegen hatte, sondern darüber hinausgehend eine Maßnahme, grund­ legende Beiträge zur antiken Rechtsgeschichte zukünftigen Generationen an­ zuvertrauen.

VIII

Einleitung

Dieser Band ist ebenso an die Rechtshistoriker gerichtet, wie an den großen Kreis der Altertumsforscher. Für die Fertigstellung des Bandes haben meine Mitarbeiter Frau Martina Pachler, Frau Ilse Andorfer, Herr Mag. Friedrich Eder unschätzbare Hilfe ge­ leistet, Ihnen sei an dieser Stelle besonders herzlich gedankt. Salzburg, Februar 2010 J. Michael Rainer

ZU DEN FREILASSUNGSINSCHRIFTEN AUS DELPHI

Der hochverdiente Gelehrte, den zu ehren diese Festschrift bestimmt ist, hat sich in den langen Jahrzehnten seines Schaffens wiederholt mit Problemen aus dem griechischen Rechtskreis befaßt. Es sei mir daher erlaubt, mich an der Ehrung mit einem Beitrag aus dem Gebiete des altgriechischen Rechts zu beteiligen. 1. – In einer sehr verdienstlichen Untersuchung hat kürzlich Cromme1 den Versuch unternommen, die in den delphischen Freilassungsinschriften be­ gegnenden gemeinsamen Freilassungen und „Verkäufe“ unter Zustimmung („Eudokesis“) von Familienangehörigen, die zusam­men etwa 40 % aller be­ kannten Freilassungen ausmachen, mit dem Bestehen „einer Art kollektiven Familieneigentums“ bzw. der Ein­räumung einer Mitberechtigung durch die Eltern an ihre Abkömmlinge zu erklären. Bei einer dadurch angeregten erneu­ ten Beschäftigung mit der Materie bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß sich alle Fälle der Mitwirkung von Angehörigen in einer der beiden genannten Freilassungsformen e r b r e c h t l i c h oder g ü t e r r e c h t l i c h erklären lassen und die Annahme eines Familieneigentums, das „alle Verwandten in gerader Linie, oft auch angeheiratete Ehegatten, wahrschein­lich sogar gelegentlich Vettern und Cousinen“ umfaßt haben soll, entbehrlich ist, zumal es dazu im griechischen Rechtskreis jener Zeit m.W. keine Parallelen gibt. Gegen die Annahme, in Delphi habe es eine „feste Mitberechtigung“2 von Abkömmlingen am Vermögen der Eltern –- sei es auf Grund von Vereinbarungen, sei es kraft Gesetzes – gegeben, bestehen in Anbetracht der Funde aus dem ptolemäischen Ägypten an sich keine Bedenken, jedoch glaube ich zeigen zu können, daß man dieser Annahme zur Erklärung der delphischen Urkunden nicht bedarf. 2. – Die meisten Fälle einer E u d o k e s i s durch Familienmitglie­der las­ sen sich mit einem Wartrecht3 der g e s e t z l i c h e n E r b e n erklären4. Das 1 Cromme, R1DA. 9 (1962) 177 ff. insbes. 218 ff. u. 236 f. 2 Kreller, Erbrechtliche Untersuchungen auf Grund der graeco-aegyptischen Papyrusurkunden (1919) 182. 3 Als Verfangenschaftsrecht bezeichnet von Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht in den östlichen Provinzen des röm. Kaiserreiches (1891) 69 u. 338, als Beispruchsrecht von Weiss, Griechisches Privatrecht auf rechtsvergleichender Grund­lage 1 (1923) 351. 4 Mit Beauchet, Histoire du droit privé de la république Athénienne 2 (1897) 479; Klaffenbach, Griech. Epigraphik (1957) 85; Bloch, Die Freilassungsbedingungen der delphischen Freilassungsinschriften (Diss. Straßburg 1914) 14; Foucart, Mémoire sur l’affranchissement des esclaves par forme de vente à une divinité d’après les inscriptions de Delphes (1867) 8; Weiss, 352; DaresteHausoullier-Reinach, Recueil des inscriptions jurdidiques Grecques 2 (1898) 253f.

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Arnold Kränzlein – Schriften

gilt für die Zustimmungserklärungen von Söhnen, Töchtern, Enkelkindern, Eltern, Großeltern und Geschwistern sowie von Vaters­brüdern und deren Abkömmlingen. Denn alle diese Verwandten konnte schon Mitteis5 in sein System der gesetzlichen Erbfolge bei den Griechen aufnehmen bzw. sind uns als gesetzliche Erben sicher überliefert. Es spricht also nichts gegen die Annahme, daß sie gesetzliche Erben nach dem Recht Delphis und der umlie­ genden Staaten, deren Bürger in Delphi freiließen, gewesen sein können. Crommes6 Hauptargument gegen die erbrechtliche Erklärung sind die Urkunden SGDI. 1776, 2272 und 1707, in denen im Ablauf mehr als eines Jahrzehnts ein Vater wiederholt freiläßt, zuerst unter Eudokesis z w e i e r Söhne, dann a l l e i n und noch später mit Zustimmung e i n e s Sohnes. Cromme meint, die Nichtmitwirkung des, wie wir aus SGDI. 1707 wissen, noch lebenden Sohnes bei der Freilassung 2272 lasse den Schluß zu, daß die Eudokesis nicht auf erbrechtlichen Gründen beruht haben könne; denn anders sei der Wechsel von Teilnahme und Nichtteilnahme nicht zu erklären. Das ist in mehrfacher Hinsicht nicht überzeugend. 1776 und 1707 sind Freilassungen mit Paramone auf Le­benszeit zugunsten des Freilassers bzw. des Freilassers und seines Sohnes, während wir in 2272 eine Freilassung ohne Paramone vor uns haben. In dieser Verschiedenheit könnte der Grund dafür liegen, daß bei der zwei­ ten Freilassung keiner der Söhne mitwirkte. Ferner zwingt eine erb­rechtliche Erklärung, wie Cromme offenbar meint, nicht zu der Annahme, daß die gesetz­ lichen Erben bei j e d e r Freilassung des Erblassers mitwirken mußten. Darüber wird unten noch zu handeln sein. Auch Westermann, der Verfechter der These, daß die Eudokesis für bestimmte Fälle durch ein delphisches Gesetz vorge­ schrieben gewesen sei, nahm nicht an, daß der Nomos die Zustimmung aller Deszendenten des Freilassers zu allen Freilassungen verlangt habe7. Soweit A s z e n d e n t e n ihre Zustimmung erklären, ist nicht nur an ein ge­ setzliches Erbrecht, sondern auch daran zu denken, daß der Freizulassende auf ihr Ja als f r ü h e r e Eigentümer Wert gelegt haben könnte8, wie man sich über­ haupt vergegenwärtigen muß, daß es – zu­mindest auch – I n t e r e s s e n des F r e i g e l a s s e n e n waren, welche die Eudokesis befriedigte. Denn sie schützte ihn vor künftigen Ansprüchen Dritter. Ist Westermanns9 Annahme zutreffend, daß in vielen Fällen das Streben nach Profit die Herren zur Freilassung be­ 5 6 7 8 9

Mitteis, 346. Cromme, 216. Westermann, ]P. 4 (1950) 57 f. Vgl. die Zusammenstellung bei Partsch, Griechisches Bürgschaftsrecht I (1909) 141. Westermann, 54.

Zu den Freilassungsinschriften aus Delphi

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stimmt hat, wird man sogar annehmen dürfen, daß häufig – vor allem bei Freilassungen ohne Paramone – der Sklave auf die Zuziehung solcher Personen zu dringen vermochte, auf deren ausdrückliche Zustimmung er Wert legte. Problematischer ist eine erbrechtliche Deutung der Eudokesis von E h e g a t t e n . Zwar begegnet die E h e f r a u als gesetzliche Erbin im ptolemä­ ischen Ägypten10, aber für ein gesetzliches Erbrecht des E h e m a n n e s besit­ zen wir keine Belege. Es fragt sich jedoch, ob sich nicht eine g ü t e r r e c h t l i ­ c h e Erklärung anbietet11. Aus dem griechischen Rechtskreis sind Güterrechte verschiedenster Gestalt bekannt. Neben der durch die προίξ gekennzeichneten Rechtsord­nung Attikas – die προίξ unterlag der Verfügungsbefugnis des Ehemannes, die Frau konnte nach einer Annahme Wolffs12 nicht einmal mit Zustim­mung des Mannes darüber verfügen – steht die große Inschrift von Gortyn13, in welcher dem Manne die Verfügung über Frauengut ausdrück­lich untersagt ist. Für die Insel Amorgos hat Wolff14 aus den Steinen Syll.3 1189 und 1200 ein Güterrecht erschlossen, das der Frau ein Einspruchsrecht gegen Verfügungen ihres Ehemannes über sein Vermögen einräumte, aus den Papyri kennen wir die sog. Verfügungsgemeinschaft15. Für Delphi und die umliegenden staatlichen Gemeinschaften darf auf Grund der Stammeszugehörigkeit der Bevölkerung a priori angenommen werden, daß sie kein dem attischen gleichendes Güterrecht besaßen. Versuchen wir eine po­ sitive Aussage zu machen, ist der statistische Befund zu berücksichtigen: In rund 25 % der Mitwirkungsfälle – gemeinsame Freilassung und Freilassung unter Eudokesis – lassen Mann und Frau zusammen frei bzw. stimmen einander zu; dabei überwiegen die Fälle der Mitveräußerung die Zustimmungs-Fälle16. Innerhalb der Zustimmungsfälle begegnen Eudokesis bzw. Mit-Eudokesis des Mannes häufiger als Zustimmung von Frauen. Danach ist es sehr wahrschein­ lich, daß wir für Delphi eine Güterrechtsordnung annehmen können, nach welcher jeder Gatte zwar über die zu seinem Vermögen gehörenden Unfreien 10 Erschlossen aus P. Ent. 17 von Berneker, Krit. Vierteljahresschr. f. Gesetzgebung u. Rechtswissenschaft 26 (1933) 391 unter Zustim­mung von Taubenschlag, Atti IV Congr. Intern. Papirologia, Firenze 1935 (1936) 279 und Seidl, Ptolemäische Rechtsgesch2 (1962) 183. 11 Bejaht von Cromme, 220. 12 Wolff, Beitr. z. Rechtsgesch. Altgriechenlands u.d. hellenist. röm. Ägypten (1961) 182. 13 IC. IV 72 Kol. 6 Z. 9.11. 14 Wolff, 181. 15 Mitteis, Grundzüge der Papyruskunde (1912) 226 f.; Erdmann, ZSS. 60 (1940) 179 f.; Taubenschlag, The Law of Greco-Roman Egypt in the Light of the Papyri2 (1955) 127. 16 Vgl. die sehr nützliche Aufgliederung bei Cromme, 194 ff.

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Arnold Kränzlein – Schriften

– vielleicht auch über gemeinschaftliche Sklaven – verfügen konnte, dazu aber der Zustimmung des anderen Ehegatten bedurfte. Berücksichtigen wir jedoch, daß eine Mitwirkung von Ehegatten insge­ samt nur in etwa 10 % der Freilassungen begegnet17, liegt vielleicht eine an­ dere Annahme noch näher. Das güterrechtliche Mitspracherecht könnte näm­ lich nicht als formelles Recht der Mitwirkung bei Freilassungen, sondern als Wi d e r s p r u c h s r e c h t gestaltet gewesen sein, wie wir es aus Altgriechenland für die Verfügungen über Mehrheitseigentum durch einen der Miteigentümer kennen. Solche Verfügungen waren, wenn keiner der Miteigentümer wider­ sprochen hatte, grundsätzlich wirksam, weil jeder allein voll verfügungsbefugt war, sie ermangelten aber der Wirksamkeit, wenn einer der Mitberechtigten verhindert gewesen war, rechtzeitig Widerspruch zu erheben18. Daraus würde sich erklären, warum Ehegatten zwar häufig mitwirkten, in der Mehrzahl der Freilassun­gen aber nicht in Erscheinung treten. Ersteres geschah, wenn der Sklave auf der Mitwirkung bestanden hatte, um ein späteres Berufen auf Verhin­ derung unmöglich zu machen, letzteres kann darauf zurückgeführt wer­den, daß es entweder keine Widerspruchsberechtigten gegeben hatte –, Freilassung durch einen Ledigen oder Verwitweten – oder der Sklave geglaubt hatte, sicher sein zu können, daß sich der Ehegatte später nicht auf Verhinderung berufen würde. Mit einem derartigen Güterrecht wäre die aus den Urkunden zu erschlie­ ßende Befugnis der Frauen von Delphi und Umgebung, ohne Mitwirkung eines Geschlechtsvormundes freizulassen19, gut zu vereinen. Trifft diese Annahme über das Güterrecht ungefähr das Richtige20, las­ sen sich sowohl die Zustimmungen der E h e m ä n n e r wie der E h e f r a u e n g ü t e r r e c h t l i c h erklären. Auch SGDI. 2201, worin die Eudokesis des Ehemannes einer Frau, die zusammen mit ihrem Bruder freiläßt, begegnet, bie­ tet dann keine Schwierigkeiten21: Der Sklave könnte zur Mitgift gehört haben, der Bruder wirkte als gesetzlicher Erbe der Frau mit, der Ehemann stimmte wegen der Zugehörigkeit zur Mitgift zu22. 17 Etwa 60 % der bekannten Freilassungen erfolgten durch Einzelpersonen ohne Eudokesis (Cromme, 216). 18 Biscardi, St. Paoli (1956) 129 ff., u. RH. 4.36 (1958) 33; ff. Vgl. auch meine Schrift Eigentum und Besitz im griechischen Recht des 5. u. 4. Jahrhunderts v. Chr. (1963) § 8. 19 Vgl. Cromme, 235. 20 Wolff, 157 denkt an ein Güterrecht nach Art der Verfügungsgemeinschaft der Papyri. 21 Auch diese Urkunde wird von Cromme, 216 als Argument gegen die erbrechtliche Erklärung herangezogen. Er meint, sie lasse sich ohne Annahme eines kollektiven Familieneigentums nur mit einem Schwäger-Erbrecht erklären, wofür es keine Beispiele gebe. 22 Die Zustimmung eines Schwagers liegt wohl auch in SGDI. 1798 vor.

Zu den Freilassungsinschriften aus Delphi

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Auch die Steine Colin 1623 – Eudokesis von Sohn, S c h w i e g e r ­t o c h t e r und Enkel zu einer Freilassung durch die Eltern – und SGDI. 2321 – Tochter und S c h w i e g e r s o h n stimmen dem „Verkauf“ durch einen Mann zu – lassen sich m.E. güterrechtlich deuten. Konnte ein Ehegatte Freilassungen des ande­ ren durch Wider­spruch verhindern, ist es nicht abwegig, ein Mitspracherecht auch bei Zustimmungserklärungen des Ehegatten zu Freilassungen Dritter anzu­nehmen24. Denn auch die Eudokesis mußte als Verfügung über e­ inen Vermögensbestandteil erscheinen. Für die Schwiegertochter waren die Auswirkungen gleich, ob der Sohn auf künftigen Erwerb verzichtete oder durch den Erbfall Erlangtes „veräußerte“. Deshalb empfahl es sich für den Unfreien, die Beiziehung der Schwiegerkinder zu fordern, soweit zu befürchten war, daß sie später Schwierigkeiten machen könnten. Außer Betracht bleiben können SGDI. 1686 und 2269, weil in diesen Steinen unsicher ist, ob wirklich der Schwiegersohn eine Zustimmungs­erklärung abgibt. 3. – Vielleicht war auch die Ausübung der Befugnisse der E r b e n in der vorstehend angenommenen Art und Weise geregelt: Recht des Erblassers zur Freilassung ohne Zustimmung der gesetzlichen Erben 25, Befugnis der Wartberechtigten, die Freilassung durch Widerspruch zu verhindern, Unwirksamkeit der „Veräußerung“ bei Verhinderung der Erben an der recht­ zeitigen Erhebung des Widerspruchs. Dann wäre die Eudokesis der Erben nicht als Ausübung eines Beispruchsrechts anzu­sehen, sondern als Kundmachung des Nicht-widersprechen-Wollens. Das würde das Verständnis der Tatsache er­ leichtern, daß nur in rund 40 % der erhaltenen Freilassungen eine Mitwirkung von Angehörigen in einer der beiden Formen begegnet. Sechzig vom Hundert aller Freilasser können nicht ohne Angehörige in dem oben dargelegten Sinne gewesen sein. Es ist aber möglich, sich vorzustellen, daß die Unfreien viel­ fach keinen Wert auf die Beurkundung des Einverständnisses der Angehörigen gelegt haben, weil sie deren Erklärungen vertrauten. Serien mit wech­selnder Zustimmung, wie SGDI. 1776, 2272, 1707, von denen oben die Rede war, wür­ den sich unter dieser Annahme dahin gehend deuten lassen, daß das Interesse der einzelnen Freigelassenen an der Kundmachung des Einverständnisses der Erben verschieden gewesen war bzw. daß nicht alle die Mitwirkung der Angehörigen hatten durchsetzen können. 23 Bull. Corresp. hellén. 22 (1898) 24 f. 24 Vgl. zur Eudokesis von Tochter und Schwiegersohn in Thessalien (IG. 9.2.1282) Babakos, Πρᾶξεις κοινῇς διαθέσεως καὶ ἄλλα συγγενῆ fαινόµενα κατὰ τό δίκαιον τῆς ἀρχαίας Θεσσαλίας (1961) 70 u. 75. 25 So schon Foucart, 8. A.A. offenbar Weiss, 352.

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Arnold Kränzlein – Schriften

Dem steht die Annahme Westermanns 26 – Cromme entscheidet sich nicht27 – die Worte κατὰ τὸν νόµον in SGDI. 1704, 1805 und 180828 deute­ ten auf das Bestehen eines Eudokesis-Gesetzes, nicht entgegen. Der Nomos könnte nämlich bestimmt haben, daß die Nichterhebung des Widerspruchs auf Verlangen des „kaufenden“ Gottes ausdrücklich zu erklären und zu be­ urkunden sei29. 4. – Bei der Analyse der g e m e i n s a m e n F r e i l a s s u n ­gen stellt sich die Frage, ob wir berechtigt sind, aus der Tatsache der gemeinschaftlichen Verfügung den Schluß zu ziehen, daß die Mitverfü­genden in jedem Falle eine umfassendere Berechtigung an dem Sklaven besessen haben als die Zustimmenden in den Freilassungen mit Eudokesis. Dies wird von Cromme30, wenn ich ihn richtig verstehe, verneint. Dem wird man zustimmen müssen. Man wird annehmen können, daß Angehörige, die – aus welchem Grund auch im­ mer – zur Eudokesis verpflichtet waren, statt dessen auch als „Mitveräußerer“ mitwirken konnten31. SGDI. 1792, eine gemeinsame Freilassung durch eine Frau namens Xeno­ phaneia, ihre S c h w i e g e r t o c h t e r Teleso und deren Söhne Kleon und Par­ nassios unter Zustimmung ihres Sohnes Kleudamos, des Vaters des Kleon und des Parnassios und Ehemannes der Teleso32, zwingt geradezu zu dieser Annahme. Denn wie wäre anders zu erklären, daß die Schwiegertochter als Mitveräußerin mitwirkt, während der Sohn nur zustimmt? Selbst bei Annahme eines kollektiven Familieneigentums unter Einschluß der Schwiegerkinder im Sinne Crommes bliebe rätselhaft, wieso der Sohn nicht als Mitfreilasser, sondern nur als Zustim­mender auftritt. Es kann doch wohl kaum angenommen werden, daß der Sohn weniger Rechte hatte als die Schwiegertochter und die Enkel33. Des weiteren deuten in diese Richtung die wiederholt begegnende 26 Westermann, 54 ff. 27 Cromme, 216. 28 SGDI. 1704: „… ἀπέδοτο Σ. Τ. τῶι Ἀπόλλωνι τ. Π. σῶµα … συνεδοκέοντος καὶ τοῦ υἱοῦ Ν. κατὰ τὸν νόµον τᾶς πόλιος τιµᾶς …“; SGDI. 1805: „… ἀπέδοτο Δ. Ἀ.Δ. συνεπαινεόντων καὶ τῶν ὑιῶν αὐτ[ωῖ] … Κλέωνος κατὰ τὸν νόµον τᾶς πόλιος οῶµα …“ SGDI. 1808: „… ἀπέδοτο Θ. Δ. συνεπαινεόντ [ων τῶν υἱ]ῶν κατὰ τόν νόµον τᾶς πόλιος [σῶ]µ[α] 29 Vgl. die gesondert angeführten Zeugen für die Eudokesis von Söhnen in SGDI. 2094 Z. 40 ff. 30 Cromme, 218. 31 Vgl. Babakos’ Annahme einer νοµικὴ ταυτότης zwischen Eudokesis und gemeinschaftlicher Freilassung in den thessalischen Freilassungen (aaO. 76). 32 Dazu Cromme, 212 ff. 33 Freilich ist zuzugeben, daß sich aus SGDI. 1792 nicht zweifelsfrei ergibt, daß Kleudamos der Sohn der Xenophaneia und Ehemann der Teleso ist. Aber aus SGDI. 1761 – ein Jahr jünger als 1792 – erfahren wir, daß Xenophaneia die Mutter des Kleudamos und Teleso die Mutter der

Zu den Freilassungsinschriften aus Delphi

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Bezeich­nung einer die Eudokesis erteilenden Person als Mitveräußerer34 und die Gleichstellung des Zustimmenden mit dem „Verkäufer“ hinsichtlich der Bebaiosis in SGDI. 1935 und Colin 103. Wie dem aber auch sei, jedenfalls spricht nichts gegen die Annahme, daß es für den Sklaven unwesentlich war, ob diejenigen Personen, die künftig seine Freiheit durch Geltendmachung von Ansprüchen gefährden konnten, in Form der Mitverfügung oder der Eudokesis mitwirkten. Damit soll jedoch nicht gesagt werden, daß bei Vorkommen von gemein­ schaftlichen Freilassungen stets angenommen werden kann, ein Wartberechtigter oder ein Ehegatte habe seine Zustimmung durch Mit­ver­äußerung kundgetan. Vielmehr wird man zunächst immer an eine echte Mitberechtigung und nicht an eine ad hoc gebildete Verfügungsge­meinschaft zu denken haben. So werden sich Fälle, in denen G e s c h w i ­s t e r gemeinsam freilassen, unbedenklich mit einer ungeteilten Er­bengemeinschaft erklären lassen35. Soweit E h e g a t t e n zu­ sammen „veräußern“, liegt die Annahme von Mehrheitseigentum nahe36. Wenn E l t e r n u n d K i n d e r als „Veräußerer“ erscheinen, ist daran zu denken, daß die Eltern als frühere Eigentümer des Unfreien „mitveräußert“ haben könnten wie in § 44 des Registers von Tenos37. 5. – Ist es richtig, daß die Eudokesis-Fälle, von der Ehegatten-Zustimmung abgesehen, im wesentlichen erbrechtlich zu erklären sind, läßt sich anhand der Inschriften über das E r b r e c h t Delphis und der umliegenden Staaten, deren Angehörige in Delphi als Freilasser begegnen, folgendes aussagen: a) Ein gesetzliches Erbrecht von T ö c h t e r n neben S ö h n e n ist wahr­ scheinlich, da Töchter häufig neben Söhnen zustimmen und Schwestern mehr­ fach zusammen mit Brüdern freilassen. b) Ein gesetzliches Erbrecht von Va t e r und M u t t e r kann nicht sicher angenommen werden, weil ihre Zustimmung auch als die zugezogener früherer Eigentümer gedeutet werden kann. c) Über den Rang des gesetzlichen Erbrechts der Kinder, Geschwi­ster und Eltern eines Erblassers ist keine sichere Aussage möglich. Vereinzelt begegnen

Söhne des Kleudamos ist, die auch in 1792 begegnen. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, daß der zustim­mende Vater Kleudamos der mitverfügenden Parnassios und Kleon in 1792 nicht der Sohn der Xenophaneia und Ehemann der Teleso ist. 34 SGDI. 2198, 2210, 2212, 2219 35 Ähnlich Cromme, 221. 36 So auch Cromme, 220. 37 IG. XII 5 Nr. 872.

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Arnold Kränzlein – Schriften

neben Eltern eines Freilassers Kinder38 und Geschwi­ster39 desselben. Daraus kann aber nicht auf gleichen Rang geschlossen werden, da auch hier das unter b Gesagte gilt. Ein Nebeneinander von A b k ö m m l i n g e n und einem Bruder findet sich nur einmal und zwar in der Form der gemeinsamen Freilas­sung40. Die Inschrift ist jedoch an den entscheidenden Stellen so lüc­kenhaft, daß sie außer Betracht bleiben muß. Ist die Annahme richtig, daß die Zustimmung der gesetzlichen Erben nur dann in der Urkunde Erwähnung fand, wenn der „Käufer“ das verlangt hatte, kann aus dem Nebeneinander von Zustimmenden überhaupt kein Schluß auf die Rangordnung gezogen werden, weil die Mitwirkung allein davon abhing, wessen Einverständnis der Sklave festzuhalten wünschte. d) Va t e r s b r ü d e r und ihre Abkömmlinge gehörten – wie nicht anders zu erwarten – veschiedenen Rangklassen an, denn sie erscheinen in keinem Falle nebeneinander als Zustimmende.

38 SGDI. 1740, wobei unsicher ist, ob es sich bei Agathokles wirklich um den Vater der Freilasse­ rin und nicht einen weiteren Sohn der­selben handelt (vgl. Cromme 204 f.) Fouilles de Delphes 3.3 No. 54, wenn Adeimantos nicht ein Bruder der Freilasserin ist. SGDI. 2342 muß außer Betracht bleiben, weil τᾶς µατρὸς καὶ τ vor ῶν ὑῶν ergänzt ist. 39 Colin 81 (aaO. 84 f.), jedoch ist nicht sicher, ob die Zustimmenden wirklich Vater und Geschwi­ ster der Freilasserin sind. Es könnten auch Abkömmlinge von ihr sein (vgl. Cromme, 200 f.). Fouilles de Delphes 3.6 No. 51; SGDI. 2291. 40 SGDI. 2024.

ZUR CURA MINORUM IN KLASSISCHER ZEIT

Seit der lebhaften Diskussion zu Beginn des Jahrhunderts1 ist es um die cura minorum wieder stiller geworden. Ein Blick in die neuere Literatur zeigt je­ doch, daß über manche Probleme noch immer Kontro­versen bestehen, so z. B. über die Auswirkungen der Bestellung eines Kurators für einen Jüngling auf die Gewährung der restitutio in integrum2 gegen nach der Bestellung vorge­ nommene Rechtsgeschäfte. War es gleichgültig, ob der junge Mann den curator wegen des Ge­schäftes zu Rate gezogen hatte oder nicht, kam es darauf an, ob der Beistand den consensus verweigert oder erteilt hatte? Folgende Fallgestaltungen sind denkbar: 1. Der minor ist ohne consensus curatoris tätig geworden: a) Der curator erbittet die restitutio. b) Der minor erbittet die restitutio. 2. Der minor handelte mit consensus curatoris: a) Der curator erbittet die restitutio. b) Der minor erbittet die restitutio. 3. Der curator hat das Geschäft abgeschlossen: a) Der curator erbittet die restitutio. b) Der minor erbittet die restitutio3 Die Hauptkontroversen betreffen die Fälle 1 b und 2 b. Hier soll zu­nächst 1 b einer Betrachtung unterzogen werden. Hat ein minor ohne Befragung seines Beistandes ein Stück seines Ver­ mögens veräußert – wegen des Interesses der Geschäftspartner an der Mitwir­ kung des Kurators sicher kein häufiger, aber doch vorkommender Fall –, fragt sich, ob er gegen dieses Geschäft die restitutio in integrum erbitten konnte und ob der Magistrat sie ihm gewährt haben dürfte. Ersteres kann unbedenklich be­ jaht werden, letzteres wird verneint von Kaser4 unter Berufung auf CJ 2.21.35. 1 Insbesondere Partsch: Studien zur negotiorum gestio I, 1913, S.72-94. Solazzi: La minore età nel diritto romano, 1912; Curator impuberis, 1917. Lenel: Die cura minorum der klassischen Zeit, in: Ztschr. Sav. Stftg. Roman. Abtlg. 35, 1914, S. 129-213. 2 Restitutiones waren häufig (D. 4. 4. 7. 8. [lt. Index nicht verdächtigt]). 3 Vgl. dazu Perozzi: Istituzioni di diritto romano I2, 1928, S. 536 f. 4 Das römische Privatrecht I, 1955, S. 239; 314. 5 „Si curatorem habens minor quinque et viginti annis post pupillarem aetatem res venum dedisti, hunc contractum servari non oportet, cum non absimilis ei habeatur minor curatorem habens,

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Das angeführte Reskript ist m. E. allerdings für die klassische Zeit wenig er­ giebig, da es erst von Diokletian stammt und wahrscheinlich interpoliert ist6, in der Sache aber erscheint Kasers Ansicht auf den ersten Blick überzeugend. Der Prätor könnte argumentiert haben: auf seinen eigenen Antrag habe ich dem minor einen curator bestellt. Wenn er ihn vor Abschluß des Geschäfts nicht be­ fragt, also die Möglichkeit, den Rat eines erfahrenen Mannes einzuholen, nicht genutzt hat, sehe ich keinen Anlaß, jetzt einzugreifen, nachdem der Jüngling erkannt hat, daß das Geschäft nachteilig für ihn ist. Die gleiche Reaktion des Magistrats nimmt Kaser für den Fall an, daß das Geschäft von dem minor getätigt worden war, obgleich der curator abgera­ ten hatte. Hier könnte man sich vorstellen, daß der Prätor sich gesagt hat: wer den Rat eines ihm auf seinen eigenen Wunsch bestellten Helfers in den Wind schlägt, ist meines Schutzes nicht würdig. Demgegenüber vertreten mehrere Autoren7, ohne sich näher auszu­lassen, die Ansicht, daß der minor trotz der Bestellung des Beistandes auf die Gewäh­ rung der restitutio habe vertrauen dürfen. Und in der Tat bestehen erhebliche Zweifel, ob der Magistrat wirklich so gedacht und gehandelt hat, wie oben als möglich hingestellt worden ist. Nehmen wir nämlich die dem Antrag eines minor auf Bestellung eines Kurators zugrunde liegende Interessenlage genau unter die Lupe, so zeigt sich, daß der Antrag regelmäßig nur deshalb gestellt worden sein dürfte, weil Dritte – nämlich die Geschäftspartner des minor – den Jüngling dazu veranlaßt hatten. Denn wünschte der minor Beratung, konnte er Freunde, Bekannte oder Verwandte um Rat fragen und brauchte nicht den Prä­ tor um Ernennung eines Beistandes anzugehen. Das dürfte vielmehr in erster Linie geschehen sein, um den Dritten Sicherheit be­züglich der Seriosität des Beistandes zu geben. Daß dem so war und die Römer berücksichtigt haben, daß die Be­stellung eines Kurators nur insoweit den Interessen des minor diente, als sie unumgäng­ lich war, um ihm die Teilnahme am Rechtsverkehr zu ermöglichen, ergibt sich m. E. daraus, daß man offensichtlich dem minor sine curatore constitutus, der restitutio begehrte, nicht entgegengehalten hat, er sei nicht schutzwürdig, weil cui a praetore curatore dato bonis interdictum est. si vero sine curatore constitutus contractum fecisti, implorare in integrum restitutionem, si necdum tempora praefinita exces­serint, causa cognita non prohiberis.“ 6 Bonfante: Corso di diritto romano I, 1925, S. 505. Berger RE XV 1872. A. A. offenbar Kaser: Das röm. Privatrecht II, 1959, S. 169 Anm.15. 7 Buckland: A Text-Book of Roman Law2, 1950, S. 171. Lee: The elements of Roman Law4, 1956, S. 93. Nicholas: An introduction to Roman Law, 1962, S. 95. Perozzi: Istituzioni I2, 1928, S. 534. Berger: Encyclopedic Dictionary of Roman Law, 1953, s. v. curator minoris.

Zur cura minorum in klassischer Zeit

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er die Ernennung eines Beistandes nicht beantragt habe. CJ 2. 21. 3 (Satz 2) und 48 lassen keine andere Erklärung zu. Wenn nun der minor curatorem habens einen Dritten fand, der nicht auf der Mitwirkung des Kurators bestand – das ist ja die Annahme, auf der unser Fall basiert –, forderte die Gleichheit der Interessenlagen, ihn ebenso zu behandeln wie einen Jüngling ohne Kurator. Ein solcher aber erhielt, wie die angeführten Konstitutionen zeigen, die restitutio, wenn die Prüfung durch den Magistrat ergab, daß er übervorteilt worden war. Es dürfte deshalb dem minor, der ohne consensus curatoris ein Geschäft abgeschlossen hatte, die restitutio nicht mit der Begründung verweigert worden sein, du hättest ja deinen Kurator befragen bzw. dem Rat deines Kurators folgen können. Ist unsere Annahme richtig, daß die Übergehung des Beistandes durch den minor die Gewährung der restitutio nicht ausgeschlossen hat, sondern die Rö­ mer die Zwangslage berücksichtigt haben, in welcher die minores regelmäßig die Bestellung eines Kurators beantragt haben dürften, kann kaum zweifelhaft sein, daß in der Kontroverse zu 2 b diejenigen Gelehrten irren, die meinen, der consensus curatoris habe die Gewährung der restitutio ausgeschlossen9. Denn wenn es dem minor nicht zum Nachteil ausschlug, daß er ohne Zustimmung des Beistandes gehandelt hatte, kann die Einholung des consensus nicht die restitutio ausgeschlossen haben, da anderenfalls die minores geradezu gezwun­ gen worden wären, nach Möglichkeit den curator zu übergehen. Es ist ferner unvorstellbar, daß der Prätor sich mit der Bestellung des Beistandes des Rechts begeben haben könnte, ihm vorgetragene Einzelfälle auf captum esse zu unter­ suchen und nach, dem Ergebnis der Untersuchung zu handeln. Eine Konstitu­ tion Alexanders (CJ 2. 24. 2)10 stellt die Möglichkeit der restitutio in derartigen   8 ���������������������������������������������������������������������������������������������� „Si minorem te quinque et viginti annis fuisse, cum contraheres, ostenderis, et tempora resti­ tutionis praestituta excessisse ab adversario tuo comprobatum non fuerit, praeses provinciae in integrum restitutionis dare tibi auxilium debeat.“ (a. 293).  9 Z. B.: Burdese: Gli istituti del diritto privato romano, 1962, S. 182. Betti: Istituzioni di diritto ro­ mano I2, 1942, S. 71. Sanfilippo: Istituzioni di diritto romano3, 1955, S. 55. Scherillo: Lezioni di isti­ tuzioni di diritto romano5, 1953, S. 150. Schwind: Römisches Recht I, 1950, S. 141. Taubenschlag: Das römische Privatrecht z. Z. Diokletians, in: Opera minora I, 1959, S. 166 Anm. 1135. Auch Berger RE XV 1880 ist offenbar dieser Meinung. Anderer Ansicht: Arangio-Ruiz: Istituzioni di diritto romano11., 1952, S. 506. Cuq: Manuel des institutions juridiques des Romains, 1928, S. 230. Schulz: Classical Roman Law, 1951, S. 194, Buckland: Text-Book 171; A Manual of Roman Private Law2., 1953, S. 105. Nicholas, a.a. O., S. 95. Leage-Prichard: Roman Private Law3., 1961, S. 145. Lee, a.a.O., S. 93. Perozzi, a.a.O., S. 535. Rabel: Grundzüge d. röm. Privatrechts2., 1955, S. 40. 10 „Minoribus annis viginti quinque etiam in his, quae praesentibus tutoribus vel curatoribus in iudicio vel extra iudicium gesta fuerint, in integrum restitutionis auxilium superesse, si circu­ mventi sunt, placuit.“

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Fällen ausdrücklich klar11. Man kann lediglich zweifeln, ob der Magistrat nicht im höheren Interesse der Gesamtheit der minores besser tat, die Wiedereinset­ zung zu verweigern, um nicht den durch die Bestellung des Kurators geschaffe­ nen Kredit teilweise wieder zu zerstören. Daß der Prätor so gehandelt hat, wird z. B. von Schulz12 angenommen. M. E. dürfte der Magistrat vor diese schwie­ rige Entscheidung nur selten gestellt worden sein; denn regelmäßig hat ohne Zweifel die Mitwirkung des Kurators die Übervorteilung des jungen Mannes verhindert. Eine Wiedereinsetzung in den wenigen Fällen aber, in denen der curator versagt hatte, kann kaum in dem Maße abschreckend auf Dritte gewirkt haben, wie manche Autoren13 annehmen. Daß der consensus curatoris die Gewährung der Wiedereinsetzung nicht ausgeschlossen hat, zeigt m. E. auch die Tatsache, daß die Geschichte der venia aetatis vor dem Zeitpunkt einsetzt14, zu dem man die Wirksamkeit der Ge­ schäfte der minores curatorem habentes von der Zustimmung des Beistandes abhängig gemacht hat. Denn da minores mindestens bis auf Diokletian keine Kuratoren haben mußten15, kann die Erbittung der venia aetatis, deren Bewil­ ligung die spätere restitutio ausschloß (CJ 2. 44. 1)16, vor Diokletian kaum anders erklärt werden als von den Geschäftspartnern verlangter Schritt. Denn warum sollte ein Jüngling um die venia nachgesucht haben, wenn er keinen Kurator haben mußte, auch ohne Beistand voll verfügungsbefugt und ver­ pflichtungsfähig war und einen etwa früher erbetenen Kurator ohne weiteres

11 Sie dürfte insoweit nicht interpoliert sein, wie Taubenschlag (Das röm. Privatr. z. Z. Diokle­ tians, in: Opera minora I, 1955, S. 166 Anm. 1135) angenommen hat. Warum sollte in nach­ diokletianischer Zeit die Stellung der minores in Fällen, in denen sie mit consensus curatoris gehandelt hatten, verbessert worden sein? Denn durch die Angleichung der cura minorum an die tutela war der im Einvernehmen mit seinem Kurator handelnde minor doch nicht schutz­ würdiger geworden als vorher. Insofern war die Interessenlage anders als in Fällen, die mit der Zuerkennung des Rechts zur administratio an den curator in nachklassischer Zeit in Zusammen­ hang standen (3 b der Übersicht). In derartigen Fällen war es interessengemäß, die Rechte der minores zu verbessern. 12 A.a.O., S. 194. 13 Vgl. Berger RE XV 1880. 14 Spätestens unter Aurelian (vgl. CJ 2. 44. 1, a. 274), wahrscheinlich aber schon in spätklassi­ scher Zeit (vgl. D. 4. 4. 3 pr., bezogen auf die venia aetatis von Kaser: Das röm. Privatrecht II, 1959, S.80 Anm. 23. Girard-von Mayr: Geschichte und System d. röm. Rechts, 1908, S. 257. Buckland: Text-Book 171. Zweifelnd Berger RE XV 1886; 1888). 15 Berger RE XV 1871. 16 „Eos, qui veniam aetatis impetraverunt, etiamsi minus idonee rem suam administrare videantur, in integrum restitutionis auxilium impetrare non posse manifestissimum est, ne qui cum eis contraheret principali auctoritate circumscriptus esse videatur.“

Zur cura minorum in klassischer Zeit

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übergehen bzw. ihm die administratio wieder entziehen17 konnte? Nur Dritte können dahinterstehen, die nicht willens waren, mit einer Person zu kontra­ hieren, die ihre Zuflucht zur restitutio nehmen konnte. Darauf deutet auch die o. e. Konstitution Aurelians hin. Das läßt darauf schließen, daß die Mitwirkung eines Kurators nicht die Sicherheit gegen die Wiedereinsetzung geboten hat, die manche Geschäftspartner anstrebten; denn warum hätten sie sonst auf die Volljährigkeitserklärung gedrängt? In die gleiche Richtung weist die Beobachtung18, daß wir keine Äußerung eines klassischen Juristen über den consensus curatoris besitzen. Für die Klas­ siker war es bedeutungslos, ob, wann und wie er erklärt worden war, weil sich zu ihrer Zeit „no legal effect“19 daran knüpfte. Auch das bestätigt unsere These, daß der consensus curatoris die Bewilligung der restitutio nicht ausgeschlossen hat20.

17 Vgl. D. 26. 7. 39. 18. 18 Berger RE XV 1876. 19 Schulz, a.a.O., S. 194. 20 Der Problematik des Versuchs, aus der Interessenlage eine Antwort zu erschließen, welche die Quellen uns nicht geben, bin ich mir bewußt, die vorstehenden Ausführungen wollen daher auch nur als eine Anregung verstanden werden, die strittigen Fragen der cura minorum erneut zu durchdenken, eines Instituts, das wegen des häufigen Wandels in der Interessenbewertung, der sich in seiner Geschichte spiegelt, unser besonderes Interesse verdient.

ZUM ATTISCHEN ERBTOCHTERRECHT

Dem hochverehrten Gelehrten, den zu ehren dieser Band bestimmt ist, verdan­ ken wir sehr geschätzte Darstellungen des deutschen Sachen- und Erbrechts. Auch die Rechte der Antike haben ihn stets interessiert, erinnert sei nur an seine Mitarbeit am Index Interpolationum und das wichtige Buch über die klassische traditio. Es sei mir daher gestattet, mich mit einigen Bemerkungen zu sachen-, erb- und familienrechtlichen Problemen des attischen Erbtochterrechts an der Ehrung zu beteiligen.

I. Durchblättert man den bisher erschienenen Band der neuesten Gesamtdarstel­ lung des attischen Rechts,1 fällt einem alsbald auf, wieviele offene Fragen ge­ rade das Erbtochterrecht aufweist. Um so verwunderlicher ist es, daß offenbar noch nie der Versuch unternommen worden ist, die typischen Interessenlagen der Beteiligten herauszuarbeiten, um auf diesem Wege Anhaltspunkte für die größere Wahrscheinlichkeit der einen oder anderen möglichen Lösung der offenen Probleme zu gewinnen. Als eine Vorarbeit zu einem solchen Versuch möchten die folgenden Darlegungen verstanden werden.

II. Die leitenden Prinzipien des attischen Erbtochterrechts2 lassen sich in zwei Sät­ zen zusammenfassen: 1. Einem attischen Familienvater, der nur eine Tochter, aber keine Söhne oder Söhne von solchen hatte,3 war das Recht eingeräumt, durch Adoption – sei es unter Lebenden, sei es von Todes wegen – für die Nachfolge Sorge zu tragen, wobei er gehalten war, dem Adoptivsohn die Tochter zur Frau zu geben. 1 Harrison, The Law of Athens I (The Family and Property), Oxford 1968. 2 Die ausführlichsten Darstellungen des Gesamtkomplexes sind wohl immer noch die von Hafter, Die Erbtochter nach attischem Recht (Leipzig 1887), und von Beauchet in seiner Histoire du Droit privé de la République Athénienne I (Paris 1897), S. 398–487. 3 Der Fall des Vorhandenseins mehrerer Töchter sei hier vernachlässigt.

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2. Hatte er sich auf diese Weise keinen Sohn verschafft, war nach seinem Tode die Tochter dem Nächsten aus der Anchisteia auf dessen Antrag durch Epidi­ kasie als Ehefrau zuzusprechen, damit er mit ihr einen Nachfolger für den Ver­ storbenen erzeugte.4 Wir sehen also, daß es drei Beteiligte gab: den sohnlosen Vater, den nächsten männlichen Verwandten und die Erbtochter selbst, und wollen versuchen, einen Einblick in ihre typischen Interessen zu gewinnen.

III. Für jedes Oberhaupt eines athenischen Hauses ohne Söhne oder Söhne von Söhnen dürfte der Fortbestand des Hauses im Vordergrund des Interesses gestanden haben. Fand der Vater niemand, der bereit war, sich adoptieren zu lassen und seine Tochter zu ehelichen, oder wollte er diesen Weg nicht be­ schreiten, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Tochter an ein Mitglied eines anderen Oikos zu verheiraten und zu hoffen, später einen ihrer Söhne an Kindes Statt annehmen zu können. So dürfte sich erklären, warum, wie wir von Isaios5 hören, nicht selten Erbtöchter beim Tode des Vaters mit einem anderen Mann als dem auf ihre Hand anspruchsberechtigten Anchisteus verheiratet waren. Ob die Erbtochter in einem solchen Falle der Inanspruchnahme durch den nächsten Verwandten auch dann unterlag, wenn sie bereits einen ehelichen Sohn hatte, ist eine offene Frage. Sie wird neuerdings mehr und mehr verneint.6 An der Richtigkeit dieser Ansicht bestehen meines Erachtens erhebliche Zweifel. Fragen wir, was wir sicher wissen, so ergibt sich: ein Recht des nächsten An­ chisteus auf die Tochter gab es nicht, wenn der sohnlose Vater sich durch Adop­ tion einen Sohn verschafft hatte. War jedoch die Tochter verheiratet worden, ohne daß eine Adoption stattgefunden hatte, war der Anchisteus beim Tode des Vaters anspruchsberechtigt. Daß davon eine Ausnahme gegolten hätte – d. h. die erstge­ nannte Rechtsfolge eingetreten wäre –, wenn die Tochter inzwischen einen Sohn

4 Vgl. E. Berneker in Der Kleine Pauly II (Stuttgart 1967), S. 311. 5 III Pyrrh. 64. 6 Wolff, Lexikon d. Alten Welt (1965), S. 2524 (noch zweifelnd Tijdschrift v. Rechtsgeschiede­ nis 20, 1952, S. 19, Anm. 54), Harrison, S. 12, Paoli, Studia et Documenta Historiae et Iuris 1, 1936, S. 119, Scritti Ferrini, Milano 1946, S. 584, Studi e Testi 125 (= Miscellanea G. Mercati V, Rom 1946), S. 530, Balogh, Studi in memoria di E. Albertario II, Milano 1952, S. 715. Vgl. auch den Literaturüberblick bei Harrison, S. 309–311.

Zum attischen Erbtochterrecht

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geboren hatte, besagt keine Quelle aus Athen.7 Wäre es wirklich so gewesen, würde das bedeuten, daß die Geburt die gleiche Wirkung gehabt hätte wie die Adoption, die der Großvater gerade nicht vorgenommen hatte, weder in Beziehung auf dies Kind noch auf dessen Vater. Es hieße, daß es völlig außerhalb des Einflußberei­ ches des Vaters und der Anchisteia gelegen hätte, ob das Oikos-Vermögen nun auf viele Jahre in den Machtbereich einer oikosfremden Person kam, die der Verstor­ bene nicht als Sohn angenommen hatte, obgleich er das hätte tun können. Für uns heutige Menschen mag es natürlich erscheinen, daß die Existenz eines Sohnes der Tochter die Rechte der Verwandten ausgeschaltet haben muß; daß die Athener zur Zeit der Redner so gedacht haben sollen, ist kaum glaublich, zumal die Anchisteia ohne Zweifel durch posthume Adoption des Kindes die Lage freiwillig herbeifüh­ ren konnte, welche die vordringende Lehre für die gesetzliche hält. Ein weiteres Bedenken leitet sich daraus her, daß das Kind der ohne Ad­ option verheirateten Erbtochter ja Mitglied eines fremden Hauses war, also wohl nicht, ohne selbst an Kindes Statt angenommen zu sein, Nachfolger des Großvaters werden konnte.8 Wenn ich aber recht sehe, betrifft keine der von der posthumen Adoption handelnden Quellenstellen einen derartigen Fall. Es dürfte sich so leicht auch niemand aus der Verwandtschaft des Verstorbenen ge­ funden haben, die notwendigen Schritte zu unternehmen, hätte er doch dadurch seine Verwandten des Rechtes, die Erbtochter zur Frau verlangen zu können, beraubt. Dem darf man nicht entgegenhalten, auch der Sohn der Erbtochter mit dem nächsten Verwandten sei doch Mitglied eines fremden Oikos gewesen. Denn gerade das haben die Athener nicht angenommen, jedenfalls soweit es sich um die Nachfolge in den großväterlichen Oikos handelte. Das zeigt deut­ lich das Fehlen einer Norm, welche die posthume Adoption des Erbtochter­ sohnes vom nächsten Anchisteus zur Pflicht erhoben hätte.9 Man kann sich das folgendermaßen erklären: Wolff hat gezeigt, daß das Familienrecht Athens davon geprägt war, daß die einzelnen Häuser einander ihre Töchter zur Her­ vorbringung von Nachkommen zur Verfügung stellten.10 In dem Notfall nun, daß der verstorbene Chef eines Oikos nicht für einen Sohn als Nachfolger ge­  7 Paoli selbst (Scritti Ferrini a.a.O.) muß das zugeben. Was wir in den „Adelphoe“ des Terenz 657–659 lesen, (dazu vor allem Paoli, Studi e Testi 125, S. 530 ff.) ist kein schlüssiger Beweis für die Rechtslage in Athen zur Zeit Menanders. Es könnte sich, wenn es überhaupt von Men­ ander stammt, wie Paoli fest behauptet, z. B. auch um Anschauungen handeln, die im Volke verbreitet waren, aber mit dem geltenden Recht in Widerspruch standen.  8 Vgl. Körte, Philologus 65, 1906, S. 394.  9 Asheri, Historia XII, 1963, S. 17, Lipsius, Att. Recht (s. u. Anm. 16), S. 546, Anm. 24. 10 Traditio 2, 1944, S. 50 (= Beiträge z. Rechtsgeschichte Altgriechenlands u. d. hellenist.-römi­ schen Ägypten [Weimar 1961] S. 167).

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sorgt hatte, war das Oberhaupt des nächstverwandten Hauses aufgerufen, sich zur Erzeugung eines Erben zur Verfügung zu stellen, ohne dabei jedoch die Zugehörigkeit zu seinem Oikos aufzugeben. Folgte er dieser Pflicht, erlangt er durch die Epidikasie das Recht, alles, was von dem verwaisten Oikos vor­ handen war, an sich zu nehmen, ohne jedoch zum Oikosoberhaupt zu werden oder auch nur dessen Rechte zu erlangen.11 Denn es war ja gerade der Zweck des Erbtochterrechts, das Aussterben der einzelnen Häuser und den Anfall des Hausvermögens an andere Familien zu verhindern. Der Anchisteus war sozu­ sagen treuhänderischer Lenker des sohnlosen Hauses. Das aber hatte zur Folge, daß der Sohn der Erbtochter im Oikos zur Welt kam.12 Deshalb darf es nicht verwundern, daß die posthume Adoption eines solchen Sohnes nicht notwendig war. Daß aber Gleiches für den Sohn einer Erbtochter gegolten haben soll, die der Vater mit einem anderen Manne als dem nächstberechtigten Anverwandten verheiratet hatte, ist nicht glaubhaft.

IV. Den nächsten Anchisteus traf die Pflicht, mit der �p…klroj einen Sohn zu zeugen, wenn der Vater der Erbtochter keine Vorsorge für einen männlichen Nachfolger getroffen hatte. Da nach athenischer Anschauung die Legitimität der Kinder davon abhängig war, daß ihre Mutter in der κυοιεία ihres Erzeu­ gers stand,13 wurde der Anchisteus κύοιος der Erbtochter. Gleiches gilt nicht für den klÁroj. Isaios sagt das an zwei Stellen ausdrücklich.14 Eine Demosthe­ nes-Stelle, die für die kurieˆa. des Ehemannes über die cr»mata angeführt zu werden pflegt,15 ist im maßgeblichen ersten Satz nicht verläßlich überliefert.16 11 Darüber s. unten. 12 Vgl. Jones, The Law and legal Theory of the Greeks, Oxford 1956, S. 180. 13 Wolff, Tijdschrift, a.a.O. S. 8. 14 VIII Kir. 31: συνοικÁσαι μ�ν ¦n τÍ γυναικˆ κύrιος Ãν, τîν δ� χrημάτων οÝκ άν, άλλ’ οί γενόμενο‹ πα‹δες ™k τούτου καˆ ™ξ ™kείνης, όπότε ™pˆ διετ�ς ήβησαν· ούτω γ¦r οί νόμοι κελεύουσιν. εί τοίνυν καˆ ζώσης κύrιος αύιος μ¾ έγένετο tîn τÁς γυναικός, ¦λλ’ οί πα‹δες, … X Ariastarch. 12: κατ¦ τÕν νόμον ός οÙk �© τîν τÁς �πικλήrου κύrιον ε‹ναι, ¦λλ’ ¾ τοÝj πα‹δας έπˆ δίετες ήβήσαντας κrατε‹ν τîν χημάτων. 15 XLIII Makart. 51: ΝΟΜΟΣ “Oστις ¥nm¾ διαθέμενος ¢ποθάνη̣, έάν πα‹δας καταλίπη̣ θηλείας, σÝν ταύτη̣σιν, έ¦ν δ� μή, τούσδε κουrίυς ε‹ναι τîν χrημάτων. 16 Vgl. LEDL, Studien z. attischen Epikleren-Rechte I (Jahresbericht 1907 des I. k. k. Staatsgymn. in Graz), S. 12, Zum attischen Intestaterbgesetz (Stromateis, Grazer Festgabe zur 50. Versamm­ lung deutscher Philologen u. Schulmänner, Graz 1909), S. 7 ff., LIPSIUS, Att. Recht u. Rechts­ verf. (Leipzig 1908), S.544, Anm. 18, Thalheim, RE VI, Sp. 114. A. A. Körte, a.a.O. S. 393.

Zum attischen Erbtochterrecht

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Aischines I 9517 muß, wie mir scheint, keineswegs als zwingender Beleg für die Verfügungsbefugnis des Ehemannes verstanden werden. Wer aber war „Herr“, bis der älteste Sohn des nächsten Anchisteus mit der Erbtochter volljährig geworden war, womit ihm die κυοιεία zufiel?18 Die Ant­ wort dürfte lauten: niemand. Solange der Oikos ohne Oberhaupt war, konnte es keinen Herren des Oikosvermögens geben. Das war interessengemäß, um das Vermögen möglichst unvermindert dem künftigen Oberhaupt zu erhalten, zumal man sich den Kreis der Personen, die die Erbtochter zur Frau beanspru­ chen konnten, nicht als nächste Verwandtschaft vorstellen darf. So begegnen uns in den Quellen Söhne von Schwestern des Erblassers19 und Mutterbrüder20 desselben als nächste Anchisteis. Nur wenn der Ehemann der Erbtochter nicht verfügungsbefugt war, kann man auch befriedigend erklären, warum er weder pfandrechtliche Sicherheiten zu stellen hatte21 noch mit einer den δίκαι �πιτrοπÁς und πrοικός vergleichba­ ren Klage überzogen werden konnte. Denn selbst wenn man das Erbtochter­ recht weniger als eine Pflicht der Verwandten und mehr als ein Recht versteht,22 müßte der mangelnde Schutz der künftigen Oikosinhaber doch Verwunderung erregen. In einer „auf die möglichst lange Erhaltung aller bestehenden Häu­ ser ausgerichteten Rechtsordnung“ (Wolff) dürfte es kaum plein pouvoir über fremde Hausvermögen gegeben haben. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß es für den Ehemann der Erbtochter keine Interessen- und Gewissenskonflikte gegeben hätte. Im Gegenteil! Wer als nächster Anverwandter eine Erbtochter zur Frau beanspruchte, dürfte nicht zuletzt daran gedacht haben, daß Kinder aus dieser Ehe einmal den sohnlosen Oikos erhalten würden. Er hat aber sicherlich auch nicht überse­ hen, daß ihm das Erbe zufiel, wenn die Ehe kinderlos blieb;23 denn der nächste 17 “Eως μ�ν γ¦r ¦ντήκει ή τÁς έπικλήου ούσία ¿ν Ήγήσανδrος … ›γημε, … Áσαν �πˆ πολλÁς άσελgείας καˆ άφθονίας· έπειδ¾ δ� ταàτα μ�ν ¦πωλώλει καˆ κατεκεκύβευτο καˆ κατωyοφά­ γητο … 18 Isaios VIII Kir. 31, X Aristarch. 12, Hypereides Frgmt. 39 = Harpokration sv. �pˆ διετ�ς ήβÁ­σαι. 19 Isaios III Pyrrh. 72. 20 Isaios III Pyrrh. 63.74. 21 Vgl. Balogh, a.a.O. S. 713, Gerne T, Revue des Études Grecques 34, 1921, S. 373. 22 Vgl. Wolff, Lexikon d. Alten Welt, S. 2524. Eine Verpflichtung des Anchisteus leugnet voll­ ständig Hruza, Ehebegründung (s. u. Anm. 26), S. 96, Anm. 14, doch zeigen die besonderen Bestimmungen für den Fall einer Erbtochter aus der Theten-Klasse (Demosth. XLIII Makart. 54) klar den Pflichtcharakter. 23 Was geschah, wenn aus der Verbindung nur Töchter hervorgingen, wissen wir nicht. Wahr­ scheinlich griff man dann zur posthumen Adoption, womit erneut der Erbtochterfall eingetreten wäre.

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Arnold Kränzlein – Schriften

Anchisteus war ja der zur Erbschaft berufene Seitenverwandte, wenn weder Söhne noch Töchter noch Abkömmlinge von solchen vorhanden waren.24 Ein Problem für den Anchisteus war also: Kinder zeugen oder nicht? Damit aber nicht genug, auch die Frage „wann“? stellte sich gebieterisch; denn nur bis zur Volljährigkeit des ältesten Sohnes „gehörte“ der Nachlaß der Erbtochter. Je später also ein Sohn geboren wurde, desto länger war die Frau des Anchisteus nutzungsberechtigte „Erbin“. Man sieht, die solonische Vorschrift für Erb­ tochterehemänner, ihren Frauen dreimal im Monat beizuwohnen,25 hatte einen nüchternen Hintergrund in der Interessenlage.26

V. Fragen wir nach der Lage der Erbtochter selbst, so sind zunächst 3 Tatsachen deutlich: 1. Sie stand sich schlechter als eine Frau, die als Seitenverwandte zur Erbfolge gelangt war, wie z. B. eine Schwester27 des Erblassers oder eine Tante.28 Denn der gesamte Nachlaß fiel ihrem ältesten Sohn aus der Verbindung mit dem An­ chisteus29 mit Eintritt der Volljährigkeit zu.30 Für die als Seitenverwandte zu Erbinnen berufenen Frauen ist dergleichen nicht überliefert.31 24 Die Frage, ob es im alten Griechenland ein Erbrecht der Aszendenten gegeben hat, die neu­ erdings von Wolff (Lexikon d. Alten Welt, S. 2524) bejaht wird, muß hier ausgeklammert werden. Zuletzt ausführlich zu diesem Problem Harrison, S. 138 ff. Neuestens Wolff, Ztschr. Sav. Stiftg. Roman. Abtlg. 86, 1969, S. 441, Anm. 4. 25 Plutarch. Solon 20, 3. 26 Richtig gesehen von Hruza, Die Ehebegründung nach attischem Recht, Erlangen/Leipzig 1892, S. 113, Anm. 41. 27 Isaios XI Hagn. 2. 28 Nach dem Ergänzungsvorschlag von Lipsius, Att. Recht u. Rechtsverfahren, S. 556 zu De­ mosth. XLIII Makart. 51, anerkannt v. Harrison, S. 146. Zweifel bei Miles (s. u. Anm. 31). 29 Paoli, Studi e Testi 125, S. 528 nimmt das auch für den Fall an, daß der Erblasser jemand adop­ tiert und ihm seine Tochter zur Frau gegeben hatte. Dafür gibt es keinen Beweis. 30 Isaios VIII Kir. 31, X Aristarch. 12, Demosth. XLVI Stephan. II 20, Hypereides Frgmt. 39 (Loeb). Erdmann (s. u. Anm. 35), S. 76 sieht die Söhne als Eigentümer von Geburt an, Jones, The Law and legal Theory of the Greeks, S. 179 hält sie für „entitled“ von diesem Zeitpunkt an. 31 Wolff leugnet jegliches Frauenerbrecht für Athen und nimmt an, daß auch im Falle der Schwe­ ster nicht diese selbst, sondern ihre Söhne Erben wurden (Beiträge 167. 186). Zweifel auch bei Miles, Hermathena 75, 1950, S. 69–77 (jetzt im Sammelband „Zur griechischen Rechtsge­ schichte“, herausgeg. v. meinem verehrten Lehrer Erich Berneker, Darmstadt 1968).

Zum attischen Erbtochterrecht

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2. Ihre Lage war günstiger als die einer normalen Ehefrau, „auf“32 die eine ποοίξ bestellt worden war. Denn die ποοίξ wurde ja dem Manne und nicht der Frau gegeben, stand also in dessen unmittelbarer κυοιεία,33 während es, wie wir oben gesehen haben, keine Verfügungsbefugnis des Erbtochterehemannes über den Nachlaß gab. 3. Ungünstiger stand die Erbtochter im Vergleich zu anderen Ehefrauen34 ohne Zweifel hinsichtlich des Rechtes, die Ehe zu lösen. Denn wenn die durch Epi­ dikasie begründete Ehe von seiten der ὲπίκληοος ohne wichtigen Grund über­ haupt gelöst werden konnte,35 dann sicherlich frühestens nachdem ein Sohn volljährig geworden war. Schwieriger ist eine Aussage über die rechtliche Stellung der Erbtochter gegen­ über dem Nachlaß. Sicher wissen wir, daß sie das Recht hatte, sich nach dem Tode ihres Vaters eigenmächtig in den Besitz des Nachlasses zu setzen.36 D. h. sie besaß die κάτησις, „das Recht zum unmittelbaren, im Wege der Selbst­ hilfe zu verwirklichenden Zugriff“ (Wolff). Sie behielt dies Recht bis zur Volljährigkeit ihres ältesten Sohnes vom nächsten Anchisteus.37 Selbst wenn der Ehemann der Erbtochter also Verfügungsbefugnis über den Nachlaß ge­ habt hätte, wie vielfach angenommen wird, konnte er Vermögensstücke des Nachlasses endgültig nur im Einverständnis mit der Erbtochter veräußern, weil anderenfalls die Ehefrau kraft der κοάτησις sich jederzeit wieder in den Besitz der Sache setzen konnte. Ich freilich neige zu der Ansicht, daß die Athener be­ wußt nicht von einem κύιος des Nachlasses gesprochen haben, weil es einen „Herren“ desselben nicht gab. Die Erbtochter hatte das Recht zum Besitz und galt als diejenige, der der Nachlaß „gehörte“.38 Zu Geschäften über Nachlaßge­ genstände dürfte sie befugt gewesen sein, soweit athenische Frauen überhaupt 32 Wolff RE, XXIII, Sp. 141. 33 Wolff RE, XXIII, Sp. 148, Lipsius, S. 484, jedoch von der Mehrheit der Autoren geleugnet, vgl. die Literatur bei Wolff, Sp. 147. Bemerkenswerterweise gibt es m. W. keine Quellenstelle, die den Ehemann als κύοιος der ποοίξ bezeichnet. 34 Die Athenerin genoß grundsätzlich völlige Scheidungsfreiheit (Wolff, Tijdschrift, a.a.O. S. 11). 35 Die Frage der Lösbarkeit der Erbtochterehe durch die Erbtochter ohne wichtigen Grund kommt in der Literatur meist zu kurz. Becker, Platons Gesetze u. d. griech. Familienrecht, 1932, S. 148 nimmt Unlösbarkeit ohne wichtigen Grund an. Zur Scheidung aus wichtigem Grund vgl. Erdmann, Die Ehe im alten Griechenland, 1934, S. 392. 36 Isaios III Pyrrh. 60. 62. 37 Isaios X Aristarch. 12, Demosth. XLVI Stephan. II 20. 38 Aischin. I 95: ¹ tÁj ™pikl»rou oÙs…a, ferner Isaios VIII 31. X 5.12. Frgmt. 8 u. 26 (Loeb).

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Arnold Kränzlein – Schriften

Geschäfte abschließen konnten – bis zum Werte eines Medimnos Gerste39 –, darüber hinaus bedurfte sie sicherlich wie jede Frau der Genehmigung ihres κύοιος, d. h. ihres Ehemannes, die sie nicht erzwingen konnte. Angesichts dieser Rechtslage bedarf es keiner Erklärung, warum es für die Athener einen κύοιος des Nachlasses nicht gab. Nur gemeinsam handelnd konnten Mann und Frau wertvollere Stücke veräußern.40 Weil sie aber beide das natürliche Inter­ esse hatten, den Nachlaß ihren Kindern zu erhalten, wobei es für die Erbtochter überdies darum ging, das väterliche Vermögen zu bewahren, dürften Geschäfte zum Nachteil des Erbes nicht häufig vorgenommen worden sein. Zur Eigentumsfrage kann hier nur soviel gesagt werden, daß, wenn man überhaupt glaubt, von Eigentum im altgriechischen Recht sprechen zu dürfen,41 die �p…klhroj, auf die die Griechen die Ausdrücke des „Gehörens“ anwende­ ten, als Eigentümerin bezeichnet werden muß. Erbrechtlich könnte man von „Vorerbin kraft Gesetzes“ sprechen. Die Rolle der Erbtochter war übrigens rein passiv. Insbesondere konnte sie sich nicht gegen die Inanspruchnahme durch den nächsten Anchisteus wehren, auch nicht durch einen Erbverzicht.42 Wenn wir von Fällen hören, in denen Töchter nicht in Anspruch genommen wurden,43 so erklärt sich das aus der la­ xen Befolgung der Normen des Erbtochterrechts durch die Verwandten in der Zeit der Redner.44

VI. So interpretiert zeigen die Quellen ein verständliches Bild des attischen Erbtochterrechts: Die Vorsorge für die Zukunft des Oikos oblag dem Oberhaupt. Konnte aus irgendwelchen Gründen Vorsorge für die nachfolge 39 Isaios X Aristarch. 10. 40 So dürften sich solche Vorkommnisse wie die bei Aischin. I 95 geschilderten erklären. 41 Die Kritik an meinem Buch über das altgriechische Eigentum (Eigentum u. Besitz im griech. Recht d. 5. u. 4. Jhdts. v. Chr., Berlin 1963) rügt z. Teil die Verwendung der Begriffe Eigentum und Besitz. Vgl. Wolff, Festschrift f. Fritz v. Hippel, Tübingen 1967, S. 698f. u. Triantaphyllopoulos, IURA 15, 1964, S. 421. Für eine Auseinandersetzung mit meinen Kritikern ist hier kein Raum. 42 Gernet, aaO. S. 352, Wolff, Tijdschrift 20, S. 20, Anm. 57. An die Möglichkeit des Freiwer­ dens durch Verzicht glauben Erdmann, S. 75 und Koschaker, Deutsche Landesreferate zum II. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung im Haag 1937, S. 108. 43 Demosth. XLI Spud. dürfte ein einzigartiger Fall sein. Vgl. auch Isaios X Aristarch. 5.12. 44 Vgl. Gernet, S. 353 ff. Zu weitgehend Asheri, S. 18 f., der für Recht hält, was nur Missachtung des Rechts im Alltag war.

Zum attischen Erbtochterrecht

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nicht getroffen werden, durfte der Chef des „Hauses“ darauf vertrauen, daß die Anchisteia dem Oikos ein neues Oberhaupt geben würde. Der dafür zu zah­ lende Preis war die Überlassung der Tochter an den nächsten Anchisteus – u. U. unter Auflösung einer bestehenden Ehe – und die Gefahr der eigennützigen Einflußnahme des genannten Verwandten auf das Oikosvermögen. Jedoch war bis zum Eintritt der Volljährigkeit des künftigen Oberhauptes die Herrschaft über das Hausvermögen so gestaltet, daß es nach Möglichkeit unvermindert erhalten blieb.

EIN FALL VON GRUNDKREDIT IM ALTEN GRIECHENLAND (SEG XXIV 583)

I. Der verehrte Gelehrte, den zu ehren dieser Band bestimmt ist, hat im Jahre 1963 bereitwilligst mein Buch über das griechische Eigentum1 in seine „Ber­ liner Juristischen Abhandlungen“ aufgenommen und damit dem Anfänger die Möglichkeit eröffnet, mit seinem ersten Buch in einer hochgeachteten Reihe zu erscheinen. Ich möchte meiner Dankbarkeit hier durch einige Bemerkungen zu einer vor einigen Jahren bekanntgewordenen Inschrift Ausdruck verleihen, die Fragen des altgriechischen Sachenrechts berührt. II. D. I. Lazaridis hat im Jahre 19612 eine dem 4. Jahrhundert vor Christi Ge­ burt zuzuordnende Inschrift aus Amphipolis herausgegeben3, die, soweit ich feststellen konnte, bisher weder die gebührende Aufmerksamkeit der Forscher noch eine überzeugende Deutung gefunden hat. Lediglich C. Vatin4 hat ihr eine Abhandlung gewidmet5, deren Ergebnis jedoch nicht befriedigt. Der Text auf dem 42 cm hohen und 22 cm breiten Stein lautet: [/Ep]ˆ �pisstatou [Κα]λλίπου, �psία[το] [Τί]μων παý /Εξη[κέ] [σ]το τÕν άγrÕν τý 5 /Απολλωνίο καὶ [τ]Õν πιθîνα δrαχ μîν πεντακισχι λίων· δίδωσι δ� Τί μων /Απολλωνίωι 10 λύσασθι όταν β ούληται τοà ισου Μάοτυοες Λέων, Τμιωνίδης, Σώ1 Eigentum u. Besitz im griechischen Recht d. fünften und vierten Jahrhunderts v. Chr., Berlin (Duncker u. Humblot) 1963. 2 Bull. d. Corr. Hell. 85, 1961, 426–429. 3 Jetzt auch im Supplementum Epigraphicum Graecum 24, 1969, No. 583. 4 Bull. d. Corr. Hell. 86, 1962, S. 524-534. 5 Im Bulletin Épigraphique von J. u. L. Robert (Rev. d. Et. Gr. 76, 1963, 149) findet sich lediglich ein kurzer Hinweis.

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στrατος, Αˆσχύλος.

Der im Text festgehaltene tatsächliche Vorgang bietet kaum Erklärungsschwie­ rigkeiten. Timon (T) hat von Exekestos (E) durch Kauf einen Acker, der durch den Zusatz tý ’Απολλωνίο gekennzeichnet ist, sowie einen Keller erworben. Der Kaufpreis betrug fünftausend Drachmen. Gleichzeitig hat Timon dem Apollonios (A) das Recht eingeräumt, beides um den gleichen Betrag auszulö­ sen, wann immer er wolle. Auch die Erklärung der wirtschaftlichen Hintergründe bereitet keine große Schwierigkeit. A hatte bei E einen Kredit aufgenommen und als Sicherheit das Grundstück gestellt (Geschäft 1). E benötigt den ausgeliehenen Betrag zurück – ob die vereinbarte Frist abgelaufen war, wissen wir nicht, es ist möglich –, er verkauft deshalb zum Preise von fünftausend Drachmen das Sicherungsobjekt dem T, der bereit ist, gegen Erhalt des gleichen Betrages das Grundstück jeder­ zeit wieder dem A zu überlassen (Geschäft 2, das den Gegenstand der Inschrift bildet). Es liegt auf der Hand, daß A im Moment nicht über die Mittel verfügt, um selbst das Grundstück durch Rückzahlung des Kredits an E auszulösen. III. Nicht so einfach ist dagegen die juristische Deutung. Die Griechen kannten drei Formen der dinglichen Kreditsicherung6: das Besitzpfand (�νέχυrον7), das besitzlose Pfand an Grundstücken (ύποκείμεκον, „Hypothek“8) und die Veräußerung auf Lösung von Grundstücken (πιποάσκειν �pˆ λύσει, „Sicherungsübereignung“9). J. u. L. Robert10 nehmen an, daß hier eine Hypothek vorliegt. Lazaridis schwankt zwischen Hypothek und Veräuße­ rung auf Lösung11. Vatin12 hält Weiterveräußerung eines im Wege einer πο©σις �pˆ λύσει13 erworbenen Ackers für gegeben.

 6 Vgl. Wolff, Lexikon d. Alten Welt, 1965, Sp. 2527. Vgl. zum griechischen Pfandrecht allgemein die eben publizierten Bemerkungen Wolffs, ZSS 86, 1969, 442.   7 Neuere Literatur: Berneker, Der Kleine Pauly II, s. v. Hypotheke 1; Harrison, The Law of Athens I, 1968, 253 ff., insbes. 260–262.   8 Zuletzt eingehender behandelt von Fine, Horoi (Hesperia Suppl. IX), 1951, 61–95, und Harrison, 262–271.   9 Jüngste Darstellung von Berneker, RE Suppl. X, Sp. 652–664. 10 Revue des Etudes Grecques a. a. O.: „II y a une clause juridique originale qui permet au premier possesseur du champ de se libérer de ce qui est une hypothèque pour la même somme.“ 11 a. a. O. 428. 12 a. a. O. 13 Dieser Ausdruck hat sich in der Literatur eingebürgert, er findet sich nicht in den Quellen.

Ein Fall von Grundkredit im alten Griechenland

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Der Annahme, daß E durch das Geschäft 2 ein ihm – durch das frühere Ge­ schäft 1 – am Grundstück und Keller des A eingeräumtes besitzloses Grund­ pfandrecht, eine Hypothek, an T überträgt, stehen mehrere Bedenken entgegen. Nach dem Text der Inschrift handelt es sich beim Geschäft 2 um die Veräußerung des Grundstücks und des Kellers, nicht um die Übertragung eines Pfand­ rechtes. Der normale Zweck einer Veräußerung ist Übertragung des Eigentums. Da die Inschrift keinerlei Anhaltspunkte dafür enthält, daß die Parteien hier etwas anderes gewollt hätten, müssen wir davon ausgehen, daß auch hier eine Veräußerung vorliegt. Der zweite Einwand betrifft den bei der Annahme einer Hypothekenübertragung vorausgesetzten Fortbestand des Besitzes des A am Si­ cherungsobjekt. Kann man annehmen, daß T das Grundstück zum Betrage von 5000 erwarb und sich gleichzeitig verpflichtete, es jederzeit gegen Erstattung der fünftausend an den A herauszugeben, wenn ihm bis zur Auslösung nicht die Nutzung zugestanden hätte? Meines Erachtens wäre das nur bei Annahme eines Freundschaftsdienstes denkbar. Für einen solchen Freundschaftsdienst spräche, wenn zutreffend, die Beobachtung Lazaridis’, daß der Preis erhöht erscheint14, denn wer gibt schon auf ein Grundstück einen höheren Kredit, als normaler­ weise für ein solches Grundstück bezahlt wird? Kann man aber glauben, daß T überdies auch auf jegliche Nutzung keinen Wert gelegt haben könnte? Wir werden auf diesen Punkt zurückkommen. Aus diesen Gründen dürfte die Deutung des Geschäftes 2 als Hypothekenge­ schäft – Übertragung eines besitzlosen Pfandes am Grundstück des A durch E an T – kaum möglich sein. Das soll aber nicht besagen, daß Geschäft 1 keinesfalls die Bestellung einer Hypothek gewesen sein kann, im Gegenteil, vielleicht könnten die Worte tý ’Απολλωνίο sogar als Hinweis auf Besitz des A verstanden werden. Der vor allem von Vatin vertretenen These, es handele sich in der Inschrift um die Weiterveräußerung eines im Wege einer πο©σις �pˆ λύσει erworbenen Grundstückes, steht der Umstand entgegen, daß in der Inschrift das Grundstück als dem A gehörig bezeichnet ist. Hätte als Geschäft 1 eine Veräußerung auf Lösung von A an E stattgefunden, würde das Sicherungsobjekt zu Beginn des Geschäftes 2 im Eigentum des Gläubigers E gestanden haben. Wenn Vatin15 zur Stützung seiner These auf Veräußerungen in dem bekannten Register von Te­ nos16 verweist, so hat er dabei übersehen, daß in keiner der angeführten Stellen dieses Registers das verkaufte Objekt noch als im Eigentum des ursprünglichen Besitzers, also des Schuldners, stehend bezeichnet ist. Es heißt dort vielmehr 14 a. a. O. 428. 15 a. a. O. 527. 16 IG XII 5 No. 872 (3. Jhdt. v. Chr. Geb.).

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zur näheren Bezeichnung der verkauften Objekte „das der Verkäufer O. von P. gekauft hatte“17 „das früher dem E. gehörte“18. Mit anderen Worten, im Regi­ ster von Tenos kommt klar zum Ausdruck, daß der ursprüngliche Besitzer nicht mehr Eigentümer ist. Das aber ist in der Inschrift von Amphipolis offensichtlich nicht der Fall. Es scheint mir daher ausgeschlossen zu sein, daß E Eigentümer auf Lösung war, wie Vatin annimmt. Keine Bedenken bestehen indessen gegen das Verständnis des Geschäftes 2 als πο©σις ™pˆ λύσει. Wir können daher für die weitere Untersuchung da­ von ausgehen, daß E auf Grund des Geschäftes 1 Inhaber eines Grundpfand­ rechts war, mittels des Geschäftes 2 aber nicht dies Recht übertrug, sondern das Grundstück selbst auf Lösung veräußerte. Anders ausgedrückt: Das Geschäft 2 war von anderer Rechtsnatur als das vorangegangene Geschäft 1. Die Vorstellung der Veräußerung eines Grundstücks, an dem ein Pfandrecht besteht, durch den Pfandgläubiger unter Zustimmung des Eigentümers bietet keine gedanklichen Schwierigkeiten. Zwar ist in der vorliegenden Inschrift von einer solchen Zustimmung nicht die Rede, man kann sie aber aus der ausdrück­ lichen Einräumung des Lösungsrechtes durch T an A als gegeben erschließen. Jedenfalls gibt es keinen Beweis dafür, daß A nicht gefragt worden ist. Juri­ stisch bewirkte das Geschäft 2 das Erlöschen des Grundpfandrechts des E und die Entstehung von Sicherungseigentum für T. Zu fragen bleibt lediglich, warum nicht A, sondern E die Veräußerung vor­ nahm. Der Grund dürfte in der besonderen Interessenlage des Falles und den Normen des griechischen Pfandrechts zu suchen sein. Zwar konnte der Eigen­ tümer eines mit einer Hypothek belasteten Grundstückes das Grundstück ver­ äußern, jedoch war dem Hypothekengläubiger die Befugnis eingeräumt, diese Veräußerung durch Einspruch unwirksam zu machen, soweit dadurch seine Anwartschaft auf den Erwerb des Eigentums beeinträchtigt wurde19. Letzteres wäre bei einer Veräußerung durch A an T der Fall gewesen, A mußte deshalb einen Einspruch des E mit Sicherheit erwarten. Ihm waren daher die Hände ge­ bunden. Andererseits dürfte T nicht bereit gewesen sein, die Schuld des A abzu­ lösen, ohne gleichzeitig in den Genuß einer dinglichen Sicherheit zu kommen. Auch wäre denkbar, daß T nicht willens war, mit dem offenbar im Augenblick nicht in guten wirtschaftlichen Verhältnissen befinden A zu kontrahieren20. Das würde erklären, warum A nicht wenigstens als Mitveräußerer aufscheint. Der 17 § 21. Ähnlich §§ 26, 28. 18 § 30. 19 Vgl. mein Eigentumsbuch (oben Anm. 1), 83. 20 Vgl. Partsch, Griech. Bürgschaftsrecht I, 1909, 356.

Ein Fall von Grundkredit im alten Griechenland

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zweckmäßigste Weg zur Vermeidung des Einspruchs und zur Befriedigung der auf Sicherung gerichteten Interessen des T war die Veräußerung des Siche­ rungsobjektes an den Geldgeber durch den bisherigen Hypothekengläubiger unter Zustimmung des Eigentümers. Damit wurde man den Anliegen aller Be­ teiligten gerecht: E erhielt sein Geld zurück, A erlangte die gelöschte Prolonga­ tion des Kredites, T wurde Sicherungseigentümer. Keine Bedeutung darf man dem Umstand beimessen, daß in der Schrift keine βεβαιωταί aufgeführt sind. Denn nicht in allen Verkaufsschriften aus Am­ phipolis finden wir solche Garanten verzeichnet21. Überdies ist doch sehr die Frage, ob man überhaupt annehmen darf, daß bei der Veräußerung von Grund­ stücken kraft Gesetzes die Notwendigkeit bestanden hat, Garanten beizuziehen, ob die Beiziehung nicht viemehr vom Parteiwillen abhängig war22. IV. Ganz befriedigt freilich auch dieser Deutungsvorschlag nicht. Es erscheint zu wenig wahrscheinlich, daß T, auch wenn er A freundschaftlich verbunden gewesen sein sollte, 5.000 Drachmen auf unbegrenzte Zeit ohne Entgelt gegen eine – vielleicht sogar nur ungenügende – Sicherheit zur Verfügung gestellt ha­ ben soll, zumal er doch zweifeln mußte, daß A je willens, und wenn, imstande sein würde, das Grundstück auszulösen. Es soll deshalb noch ein anderer Deu­ tungsvorschlag gemacht werden. Das Faustpfand kommt zwar in den Quellen regelmäßig in bezug auf Mobi­ lien vor23, doch gibt es zumindest einen Text, der an ein Besitzpfand an Grund­ stücken denken läßt. Es ist eine Inschrift aus Mylasa24, deren in Betracht kom­ mende Zeilen wie folgt lauten: 21 Vgl. SEG 24 No. 585. Darauf hat bereits Vatin (a. a. O. 528) hingewiesen. Die von Vatin in diesem Zusammenhang geäußerte Behauptung, alle Geschäfte im Register von Tenos, die Ver­ äußerungen auf Lösung zum Gegendstand haben, wären ohne Garanten geschlossen worden, ist unbeweisbar. Weder wissen wir, ob die §§ 21. 26. 28, in denen sich keine Garanten finden, wirklich ènaˆ �pˆ lÚsei zum Gegenstand hatten, noch ist sicher, daß es sich in den §§ 25.41.42 des Registers, in denen poatÁoej aufgeführt sind, um keine Veräußerungen auf Lösung handelt. Ich muß ferner gestehen, daß ich nicht verstehee, warum Vatin meint, wegen der normalerweise zwischen dem Wert des Sicherungsobjektes und der Höhe des gewährten Kredits bestehenden Differenz habe der Erwerber keiner Garanten bedurft. Was hätte ihm im Falle der Eviktion der Grundstückswert genützt? Ganz zu schweigen von dem Umstand, daß in der vorliegenden In­ schrift nach Lazaridis ja gerade eine Unterversicherung vorliegt! 22 Vgl. Partsch a. a. O. 346 f. Für obligatorisch gehalten von Mitteis, Griech. Urkunden d. Papy­ russammlung zu Leipzig I, 1906, 18. 23 Die Anwendung bei Immobilien bezweifelt Fine, Horoi, 61 f. Nicht so entschieden Fintey, Studi in onore Arangio-Ruiz III, 479 Anm. 14. 24 Le Bas-Waddington, Inscr. grecq. et latines rec. en Grèce et en Asie Mineure III, 1870, No. 404.

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m¾ ™ξέστω δ� το‹ς μισωσαμ[έ]νοις μήτε άπόδοθαι τ¾γ γÁν ταύτην μήτε ύκοθε‹ναι μηδ� άλλοις παραδοàναι μηδ’ ™[νέχ]υοα παρέχεσθαι πrός τι τîν όφειλμάτων μήτε ε„ς τÕ βασιλικÕν μήτε είς τÕ πολιτικόν …25

Nehmen wir nun an, daß man auch in Amphipolis ein Besitzpfand an Grund­ stücken kannte, bietet sich folgende Deutung unserer Inschrift an: A hatte dem E zur Sicherung des ihm gewährten Kredites ein Grundstück verpfändet und übergeben. Zum vereinbarten Termin konnte A den Kredit nicht zurückbezah­ len. Um den Verfall des Pfandes an E zu verhindern, veranlaßte er den T, das Grundstück von E unter seiner, des A, Zustimmung käuflich zu erwerben und ihm das Recht der Lösung einzuräumen. So geschah es und E übertrug den Besitz des Grundstückes an T. Der Unterschied zu dem oben gegebenen ersten Deutungsvorschlag liegt so­ mit lediglich darin, daß wir Besitzpfand des E (Geschäft 1) annehmen, dem als Geschäft 2 eine Veräußerung auf Lösung mit Besitzübertragung an den neuen Eigentümer folgte. Meines Erachtens ist das die wahrscheinlichere Lösung26. Wäre A weiterhin im Besitz, dürfte man eine Verpflichtung des A erwarten, einen Zins für die Nutzung an den Eigentümer T zu bezahlen, wie z. B. in IG XII 7 No. 55 = Dittenberger, Sylloge Inscriptionum Graecarum III4, 1960, No. 1.200 (Amorgos, Wende IV./III. Jhdt. v. Chr. Geb.) V. So verstanden, bietet die Inschrift ein interessantes Bild von den Wegen, die im alten Griechenland eingeschlagen wurden, wenn ein Kredit durch einen neuen abgelöst werden sollte. Keine Bedeutung kommt dem Stein dagegen für das Verständnis der πο©σις �pˆ λύσει allgemein zu, wie Vatin meint. Vatin sieht in der Inschrift eine Bestätigung seiner These, es habe zwei Formen der Ver­ äußerung auf Lösung gegeben, eine mit und eine ohne Vereinbarung einer Lö­ sungsfrist, wobei im letztgenannten Falle der „Käufer“ das Recht gehabt habe, das Grundstück jederzeit ohne Befragung des Lösungsberechtigten, aber unter Wahrung seines Rückerwerbsrechtes weiterzuveräußern27. Vatin geht dabei da­ von aus, daß es „évident“ sei, daß T jederzeit ohne Zustimmung des A zu densel­ ben Bedingungen, zu denen er von E erworben hatte, weiterveräußern durfte28. 25 Vgl. Hitzig, Das griech. Pfandrecht, 1895, 97/98. Für einen Pleonasmus gehalten von DaresteHaussoullier-Reinach in Recueil d. Inscriptions Juridiques Grecq. I, 1891, 209 Anm. 1. 26 Auch Vatin nimmt (a. a. O. 526) Besitz des T an. 27 a. a. O. 533 f. 28 a. a. O. 526.

Ein Fall von Grundkredit im alten Griechenland

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Die Inschrift ist jedoch zur Stützung dieser These, deren Überzeugungskraft hier dahingestellt bleiben soll, nicht geeignet. Weder war, wie gezeigt worden ist, E Käufer auf Lösung, noch gibt es den Beweis dafür, daß A vor Abschluß des Geschäftes 2 nicht befragt worden war, noch gibt es Anzeichen für die Befugnis des T zur jederzeitigen Weiterveräußerung. Die Singularität der Inschrift und die oben aufgezeigten Besonderheiten des Falles lassen die Deutung als den ganz normalen Fall einer πο©σις �pˆ λύσει ohne Lösungsfrist nicht zu. VI. Abschließend möchte ich noch eine Erwägung zur Diskussion stellen, die Hans Julius Wolff 29 schon einmal für die Kaufsteine von Olynth aus dem 4. Jh. aufgestellt hat: ob die Inschrift aus Amphipolis nicht ähnlichen Warnzwecken diente wie die attischen Horoi. Dann wäre nämlich leicht verständlich, warum die Datierung nicht so genau ist wie auf den anderen Steinen aus der Stadt30 – ein genaues Datum war nicht notwendig, weil A ja ein Recht zur Lösung auf unbegrenzte Zeit eingeräumt war –, warum die Grundstücksnachbarn nicht verzeichnet sind31 – der Stein stand an oder auf dem Acker selbst – und warum keine βεβαιωταί, aufscheinen – der Stein diente in erster Linie Warnzwecken. Für die Frage nach Besitz und Nutzung am Acker ergibt sich aus dieser An­ nahme freilich nichts Neues. Sowohl Besitz des A und damit Aufstellung im Interesse des T wie umgekehrt Nutzung durch T und Placierung des Steines durch A wären denkbar.

29 ZSS 70, 1953, 417 Anm. 7. 30 Vgl. Vatin a. a. O. 524 f. 31 Vgl. Vatin a. a. O. 524 f.

OBLIGATORISCHE CURA MINORUM IM JUSTINIANISCHEN RECHT?

I. – Die Geschichte der cura minorum (c.m.) weist noch immer zahl­­reiche un­ gelöste Fragen auf 1. Eine der interessantesten ist die nach der Freiwilligkeit der c.m. im justinianischen Recht. Ihr seien im folgenden einige Bemerkungen gewidmet. In der jüngeren Literatur wird die c.m. der Zeit Justinians überwiegend für obligatorisch angesehen2, für das Gegenteil tritt nur eine Minderheit ein3. II. – Daß wir hinsichtlich der Freiwilligkeit oder Nicht-Freiwillig­keit der c.m. nicht klar sehen, beruht in erster Linie auf 2 Quellenstellen, die überwiegend als miteinander unvereinbar angesehen werden: J. I, 23, pr. + 2: Masculi puberes et feminae viripotentes usque ad vicesimum quintum annum completum curatores accipiunt: qui, licet puberes sint, adhuc tamen huius aetatis sunt, ut negotia sua tueri non possint. 2: Item inviti adulescentes curatores non accipiunt praeter-quam in litem: curator enim et ad certam causam dari potest.

und D. 4, 4, I, 3 (Ulpianus libro undecimo ad edictum): Et ideo hodie in hanc usque aetatem adulescentes curatorum auxilio reguntur, nec ante rei suae administratio eis committi debebit, quamvis bene rem suam gerentibus.

Soweit in der Literatur Versuche unternommen worden sind, eine Harmonie zwischen den genannten Stellen herzustellen, geschah dies, so weit ich sehe, stets auf Kosten des Paragraphen 2. Er wurde als nicht geltendes4 bzw. nicht

1 Vgl. Berger, Encyclop. Dict. of Roman Law, 1953, 583 und meinen Beitrag „Zur c.m. in klassischer Zeit“ in der Gedächtnisschrift für Rudolf Schmidt, Berlin, 1966, 393 ff. 2 G. Longo, Diritto Romano, III, 1940, 346 f.; Tejero, Historia e Instituciones de Derecho Romano, 1949, 329; Schulz, Classical Roman Law, 1951, 195; Berger, aaO., 583, RE XV, 1872; Volterra, Istituzioni di Diritto Romano, 1961, 115; De Francisci, Sintesi Storica del Diritto Romano2, 546; Kaser, Römisches Privatrecht (Kurzlehrbuch)5, 63. 3 Vor allem Kunkel in Jörs-Kunkel-Wenger, Römisches Privatrecht3, 306. 4 Kaser, aaO., 250.

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befolgtes5 Recht, als der Aufmerksamkeit der Kompilatoren entgangen6, als Ungeschicklichkeit7 o.ä. hingestellt. Andere Gelehrte gingen weniger weit und meinten, die Stelle besage nicht mehr, als dass ein A n t r a g des minor unent­ behrlich sei8, als dass keine dem Minderjährigen nicht genehme Person 9 zu seinem Kurator bestellt werden dürfe. Beide Thesen sind wenig überzeugend. Zu der letztgenannten ist zu fragen, warum man gerade für den Prozess-Kurator eine Aus­nahme gemacht haben sollte. Auch hören wir nirgendwo etwas von einer Auswahl durch den minor10. Überdies ist diese Deutung der Institutionenstelle mit der Lehre von der obliga­ torischen c.m. nur vereinbar, wenn man annimmt, im Falle des Ausbleibens von Vorschlägen durch den minor sei der Beistand durch die Bestel­lungsbehörde ausgewählt worden11. Für diese Annahme gibt es jedoch in den Quellen keine Stütze. Ähnliches gilt für die Lehre von der Notwendigkeit eines Antrages des Minderjährigen. Wer sie sich zu eigen machen will, muß entweder glauben, dass die Antragstellung erzwingbar war, oder für den Fall der Weigerung Be­ stellung von Amts wegen annehmen12. Auch davon wissen die Quellen nichts. Nur die Nichtbeantragung eines Beistandes durch den minor trotz Auf­ forderung hierzu durch eine Privatperson ist in den Quellen behandelt. Für zwei derartige, genau umrissene Tatbestände ist im Codex Justintanus die Be­ stellung eines Kurators ohne Antrag des Minderjährigen vorgesehen. C. 5, 31, I (anno 214): Admone adulescentem, adversus quem con-sistere vis, ut curatores sibi dari postulet, cum quibus secundum iuris formam consistas. qui si in petendis his cessabit, potes tu competentem iudicem adire, ut in dandis curatoribus officio suo fungatur. C. 5, 31, 7 (anno 239): Admone eam, quae quondam pupilla tua fuit, cum eam non tantum viri potentem, sed etiam nupsisse proponas, ut sibi petat curatorem. quod si ea petere neglexerit, quo maturius possis rationes reddere administrationis, adito eo cuius super ea re notio est petere curatorem non vetaris. 15 Lenel, ZSS, 35, 1914, 130; KAser, Das römische Privatrecht (Handbuch), II, 1959, 169. 16 Schulz, aaO., mit Recht verneint von Lenel, aaO., 129 und bei Solazzi, Scritti di Diritto Romano, II, 75. 17 Girard-Senn, Manuel élémentaire de Droit Romain8, 252, Anm. 3 18 So Solazzi, Scritti, aaO. 19 So Bonfante, Corso di Diritto Romano, I2, 682. 10 Deshalb wird Bonfantes Annahme mit Recht bezweifelt von Kaser, Handbuch, II, 168, Anm. 3. 11 So in der Tat Bonfante, aaO. und Volterra, aaO., 115. 12 So ist wohl auch Solazzi, Scritti, aaO. zu verstehen.

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Es ist nun sehr bemerkenswert, daß es sich in beiden Fällen um die Förderung von Interessen Dritter, nicht der Minderjährigen, und die Abwicklung, nicht die Anbahnung von Rechtsverhältnissen handelt. Da sich nämlich aus Stellen wie D. 4, 4, 24, I und 4, 4, 4113 ergibt, daß die c.m. noch immer als eine den Inter­ essen der unter 25 Jährigen, nicht etwa Dritter, dienende Institution verstanden wurde, müssen Fragmente, bei denen ganz offensichtlich die Belange Dritter im Vordergrund stehen, als A u s n a h m e n begriffen wer­den. Die beiden Texte sprechen somit gegen die Existenz einer Norm, welche generell gestattet hätte, im Falle des Ausbleibens der Einwil­ligung des minor einen Kurator von Amts wegen zu bestellen. Zu demselben Ergebnis führt die Überlegung, daß, hätte es eine solche Vorschrift gegeben, die beiden alten Konstitutionen überhaupt nicht aufnahmebedürftig gewesen wären. Und noch ein Argument lässt sich gegen die Deutung von J. I, 23, 2 als einer Norm ohne materiellen Gehalt, die lediglich die Notwen­digkeit eines Antrages festlegte, anführen: Die beiden Stellen be­treffen nicht den in den Institutionen genannten Ausnahmefall, sondern andere Fälle. Die Konstitution, welche die Notwendigkeit eines Kura­tors für Prozesse von minores anordnete, besitzen wir in C. 5, 34, 11 (anno 3I9). Sie weiß von keiner Ausnahme bei der Bestellung. In universis litibus placet non prius puberem iustam habere personam, nisi interposito decreto aut administrandi patrimonii gratia aut in litem fuerit curator datus, ut iuxta praecedentia nostrae pietatis sta­tuta legitime initiate litis agitata in iudiciis controversia finiatur.

Die bisher in der Literatur vorgeschlagene restriktive Interpre­tation von J. I, 23, 2 ist danach wenig überzeugend. Der materiellrecht­liche Gehalt kann nicht angezweifelt werden. Die Frage ist nur, ob der Grundsatz „keine c.m. ohne Einwilligung des minor“ von Justinian als geltendes Recht gewollt war. Dafür 13 D. 4,4,24,1 (Paul, libro primo sententiarum): Non semper autem ea, quae cum minoribus geruntur, rescindenda sunt, sed ad bonum et aequum redigenda sunt, ne magno incommodo huius aetatis homines adficiantur nemine cum his contrahente et quodammodo commercio eis interdicetur. itaque nisi aut manifesta circumscriptio sit aut tam neglegenter in ea causa versati sunt, praetor interponere se non debet. D. 4, 4, 41 (Julianus libro quadragensimo quinto digestorum): Si iūdex circumvento in venditione adulescenti iussit fundum restitui eumque pretium emptpori reddere, et hic nolit uti hac in integrum restitutione paenitentia acta, exceptionem utilem adversus petentem pretium quasi ex causa iudicati adulescens habere poterit, quia unicuique licet contemnere haec, quae pro se introducta sunt. nec queri poterit venditor, si restitutus fuerit in eam causam, in qua se ipse constituit et quam mutare non potuisset, si minor auxilium praetoris non implorasset.

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ist entscheidend, welchen Eindruck die Gesamtheit der die c.m. betreffenden Texte hervorruft. III. – Mit der aus der Institutionenstelle gewonnenen Vorstellung, daß es noch im justinianischen Recht de iure grundsätzlich der freie Wille der Minderjähri­ gen war, ob sie einen curator erbitten wollten, sind Stellen, die für bestimmte Angelegenheiten das Vorhanden­sein eines Beistandes vorschreiben, nicht un­ vereinbar. Texte wie die bereits erwähnte C. 5, 34, 11 und D. 4, 4, 7, 2: (Ulpianus libro undecimo ad edictum): Sed et si ei pecunia a debitore paterno soluta sit vel proprio et hanc perdidit, dicendum est ei subveniri, quasi gestum sit cum eo. et ideo si minor conveniat debitorem, adhibere debet curatores, ut ei solvatur pecunia: ceterum non ei compelletur solvere. sed hodie solet pecunia in aedem deponi, ut Pomponius libro vicensimo octavo scribit, ne vel debitor ultra usuris oneretur vel creditor minor perdat pecuniam, aut curatoribus solvi, si sunt. permittitur etiam ex constitutione principum debitori compellere adulescentem ad petendos sibi curatores. quid tamen, si praetor decernat solvendam pecuniam minori sine curatoribus et solverit, an possit esse securus? dubitari potest: puto autem, si allegans minorem esse compulsus sit ad solutionem, nihil ei imputandum: nisi forte quasi adversus iniuriam appellandum quis ei putet, sed credo praetorem hunc minorem in integrum restitui volentem auditurum non esse.

wären deshalb in diesem Zusammenhang von geringerer Bedeutung, wenn man nicht aus ihrer Aufnahme in Digesten und Codex folgern müßte, daß die c.m. für Justinian noch eine freiwillige Einrichtung war. Die Konstitution ist unverkennbar unter einer Rechtsordnung mit freiwilli­ ger c.m. ergangen. Welche Bedeutung konnte sie unter einem System mit obli­ gatorischer c.m. noch haben? Welche Rolle können insbesondere Spezial-Kura­ toren für Prozesse gespielt haben, wenn jedem Minderjährigen sui iuris von der Pubertät an ein Kurator administrandi patrimonii gratia zur Seite stand? Auch das Ulpian-Fragment ist nur bei freiwilliger c.m. verständ­lich. Denn anderenfalls wären die Satzteile „curatoribus solvi, si sunt“, „compellere adulescentem ad petendos sibi curatores“ und „si praetor decernat solvendam pecuniam minori sine curatoribus“ un­verständlich. Die Stelle ist stark inter­ polationsverdächtig14; warum hätte man insoweit den alten Text stehen las­ sen sollen? Interessanterweise enthält die lex einen weiteren Fall, in welchem Dritten das Recht zuerkannt wird, von ihrem minderjährigen Geschäftspartner 14 Vgl. die Belege im Index.

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den Antrag auf Bestellung von Kuratoren zu fordern. Sie ist daher den beiden o.e. Ausnahmen an die Seite zu stellen, ohne daß man sie indes wird dahin ergänzen dürfen, daß im Falle der Nichtbefolgung durch den minor eine Er­ nennung von Amts wegen erfolgt ist; denn der Dritte hatte ja die Möglichkeit der Hinterlegung. IV. – Auch zu C. 5, 31, 6 (anno 224): Matris pietas instruere te potest, quos tutores filio tuo petere debes, sed et observare, ne quid secus quam oportet in re filii pupilli agatur. petendi autem filiis curatores necessitas matribus imposita non est, cum puberes minores anno vicesimo quinto ipsi sibi curatores, si res eorum exigit, petere debeant.

muß man die Verfechter der These von der obligatorischen c.m. fragen, warum die constitutio mit diesem Text Aufnahme in den Codex gefunden hat. Warum blieb „si res eorum exigit“ stehen, wenn der Kaiser wünschte, daß jeder minor sui iuris einen Kurator hatte? Das leitet uns über zu der Frage, ob eigentlich die Tutoren und die Mütter mündig werdender Personen sui iuris verpflichtet waren, Anträge auf Ernen­ nung von Kuratoren für ihre Kinder bzw. Mündel zu stellen. Eine Durchmu­ sterung der Quellen (D. 38, 17, 2, 29; D. 26, 7, 5, 5; C. 5, 31, 6) ergibt, daß dies n i c h t der Fall war. D. 38, 17, 2, 29 (Ulpianus libro tertio decimo ad Sabinum): Quid si curatores non petiit? verba rescripti deficiunt, sed dicendum est, si quidem impuberibus curatores non petiit, eandem esse rationem, si iam puberibus, cessare debere. D. 26, 7, 5, 5 (Ulpianus libro trigesimo quinto ad edictum): Si tutor pupillum suum puberem factum non admonuerit, ut sibi curatores peteret (sacris enim constitutionibus hoc facere iubetur qui tutelam administravit), an tutelae iudicio teneatur? et magis puto sufficere tulelae iudicium, quasi conexum sit hoc tutelae officio, quamvis post pubertatem admittatur.

Das ist ein weiteres Argument g e g e n die Existenz einer Norm, nach der jeder Minderjährige einen Kurator haben mußte. Wollte man sicher gehen, daß alle minores sui iuris Beistände hatten, hätte nichts näher gelegen, als den genann­ ten Erwachsenen die Antragspflicht aufzuerlegen. Das ist aber nicht geschehen. Die Mutter trifft über­haupt keine Verpflichtung, der Vormund muß admonere; selbst um einen curator ansuchen oder auch nur die Behörde verständigen, muß er nicht.

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V. – Den Schluß auf die We i t e rg e l t u n g des Grundsatzes der F r e i w i l l i g ­ k e i t der c.m. verlangen m. E. auch die Stellen, welche die Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte von minores ohne Kuratoren oder solcher Minderjähriger, die ohne den Konsens ihrer Beistände abgeschlossen hatten, bezeugen, C. 2, 21, 3 (anno 293): Si curatorem habens minor quinque et viginti annis post pupillarem aetatem res venum dedisti, hunc contractum servari non oportet, cum non absimilis ei habeatur minor curatorem habens, cui a praetore curatore dato bonis interdictum est. si vero sine curatore constitutus contractum fecisti, implorare in integrum restitutionem, si necdum tempora praefinita excesserint, causa cognita non prohiberis. D. 45, 1, 101 (Modestinus libro quarto de praescriptionibus): Pu­beres sine curatoribus suis possunt ex stipulatu obligari.

Denn wenn es der Wille des Kaisers gewesen wäre, daß alle minores ohne Rücksicht auf ihre konkreten Bedürfnisse Kuratoren haben sollten, könnte man kaum erklären, warum man dabei verblieb, den von kuratorlosen Minderjäh­ rigen und solchen, die ihre Beistände übergangen hatten15, geschlossenen Ge­ schäften Wirksamkeit zuzuerkennen. Das mußte die minores doch davon ab­ halten, nach Erlan­gung der Pubertät umgehend den vom Kaiser gewünschten Antrag zu stellen, und sie veranlassen, zunächst einmal zuzusehen, ob es nicht auch ohne Kurator ging. Wer, eben pubes geworden und der Vormundschaft entronnen, wird freiwillig sogleich um Beiordnung eines ihn auch zukünftig bevormundenden Erwachsenen angesucht haben, wenn er erfuhr, daß seine Ge­ schäfte auch ohne Kurator Gültig­keit besaßen und sogar dem Schutz der lex Laetoria unterlagen? Nimmt man dagegen Beibehaltung der Freiwilligkeit als Grund­satz an – was nicht ausschließt, daß in vielen Fällen ein faktischer Zwang bestanden haben kann, um einen Kurator anzusuchen, weil sich sonst keine Geschäftspartner fanden –, fragt sich nur, warum von Minderjährigen unter Umgehung ihrer Ku­ ratoren getätigte Stipu­lationen und Veräußerungen unterschiedlich behandelt worden sind. Der Grund dafür ist wohl darin zu suchen, daß beim Abschluß von Stipulationen regelmäßig die Gefahren für den minor geringer waren. Mit der Stipulation war typisch noch keine Minderung des Vermögens verbunden, es wurde lediglich eine Leistung für die Zukunft ver­sprochen. Der Kurator konnte immer noch eingreifen, wenn er davon erfuhr, und restitutio begehren16. 15 Einen derartigen Fall behandelt Modestinus, vgl. Berger, RE XV, 1872. 16 Lenel, ZSS, 35, 201 und Perozzi, Istituzioni di Diritto Romano, I, 1928, 537. Beide berufen

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Anders war es bei Verkäufen. Hier beherrschte der Barkauf die Praxis. Die Ge­ fahr eines unwiederbring­lichen Verlustes für den minor war daher weit größer. Vielleicht ist die Differenzierung auch darauf zurückzuführen, daß man beab­ sichtigt hat, die bestellten Kuratoren vor widersprechenden Ge­schäften der minores zu schützen. Das war bei Stipulationen nicht notwendig, da der Kurator den minor nicht verpflichten konnte17. Verfügungen aber konnten sowohl der Beistand wie der Jüngling vornehmen18, deshalb bedurfte es bei Veräußerungen des Eingriffs des Gesetzgebers, um Doppelgeschäfte zu verhindern. VI. – In D. 4, 4, 7, 8 ist erwähnt, daß der Praetor t ä g l i c h Re­stitutionen gewährte. D. 4, 4, 7, 8 (Ulpianus libro undecimo ad edictum): Quaesitum est ex eo, quod in lucro quoque minoribus subveniendum dicitur, si res eius venierit et existat qui plus liceatur, an in integrum propter lucrum restituendus sit? et cottidie praetores cos restituunt, ut rursum admittatur licitatio. idem faciunt et in his rebus, quae servari eis debent. quod circumspecte erit faciendum: ceterum nemo accedet ad emptionem rerum pupillarium, nec si bona fide distrahantur. et destricte probandum est in rebus, quae fortuitis casibus subiectae sunt, non esse minori adversus emptorem succurrendum, nisi auf sordes aut evidens gratia tutorum sive curatorum doceatur.

Sollte das bloß eine historische Reminiszenz sein? Dagegen spricht m.E. die eingehende Regelung der restitutio integri im Codex und in den Digesten, die kaum die Annahme zuläßt, daß die restitutio im Alltag keine Rolle gespielt hat19. Folgt man dieser Ansicht, gibt es drei Möglichkeiten: Entweder gab es viele minores o h n e Ku­ratoren oder es wurden häufig Geschäfte unter Umge­ hung der Bei­stände abgeschlossen oder viele Kuratoren nahmen es mit ihren Pflichten nicht genau, sodaß gegen die von ihnen getätigten Geschäfte von ih­ ren Schutzbefohlenen restitutio begehrt werden mußte (D. 4, 4, 39, 1; C. 2, 24, 3).

sich auf D. 4, 4, 29 pr.: (Modestinus libro secundo sponsorum): Etiamsi patre eodemque tutore auctore pupillus captus probari possit, curatorem postea ei datum nomine ipsius in integrum restitutionem postulare non prohiberi. 17 Kaser, Kurzlehrbuch5, 54. 18 Kaser, Kurzlehrbuch5, 55. 19 Vgl. Levy, Ges. Schriften, 1963, 1, 483 (= ZSS, 68 [1951], 420): „Justinian betrachtete die in integrum restitutio als eine zu seiner Zeit praktische Einrichtung.“

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D. 4, 4, 39, 1 (Scaevola libro secundo digestorum): Vendentibus curatoribus minoris fundum emptor extitit Lucius Titius et sex fere annis possedit et longe longeque rem meliorem fecit: quaero, cum sint idonei curatores, an minor adversus Titium emptorem in integrum restitui possit. respondi ex omnibus quae proponerentur vix esse eum restituendum, nisi si maluerit omnes expensas, quas bona fide emptor fecisse adprobaverit, ei praestare, maxime cum sit ei paratum promptum auxilium curatoribus eius idoneis constitutis. C. 2, 24, 3 (anno 286): Etiam in his, quae minorum tutores vel cura­tores male gessisse probari possunt, licet personali actione a tutore vel curatore suum consequi possint, in integrum restitutionis auxilium eisdem minoribus dari iam pridem placuit.

Die beiden letztgenannten Möglichkeiten sind wenig wahrschein­lich, sodaß auch diese Stelle dafür spricht, daß die c.m. nicht obliga­torisch gewesen sein dürfte20. VII. – Schließlich muß man sich fragen, ob der Zweck der c.m. da­durch, daß man die Einrichtung zu einer obligatorischen machte, besser zu verwirklichen gewesen wäre als durch Beibehaltung der freiwilligen cura. Die Antwort kann m.E. nur n e i n lauten. Das hängt mit dem eigenartigen Charakter der c.m. zusammen. Die Beistandschaft diente dem Zweck, den einzelnen minor so weit wie möglich vor den geschäftsschädigenden Auswirkungen des Minder­ jährigenschutzes zu bewahren, Schutz vor den Reaktionen des Verkehrs auf die Existenz der Schutzvorschriften zu gewähren. Die Mitwirkung des vom Praetor bestellten Beistandes sollte den Partner des Minderjährigen von der Angst befreien, dieser könnte seine Zuflucht zum Minderjährigen­schutz neh­ men, und die Dritten dadurch abschlußfreudiger machen, ohne de iure den minor der Möglichkeit zu berauben, im Falle der Übervorteilung den Schutz in Anspruch zu nehmen21. Bessere Zweck­verwirklichung hätte also bedeutet, die Bereitwilligkeit Dritter, sich mit minores einzulassen, zu steigern, und wäre ohne Zweifel nur zu verwirklichen gewesen im Wege einer Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeit des mit consensus curatoris tätig gewordenen Min­ derjährigen auch de iure. Das aber ist, wie wir sicher sagen können, n i c h t geschehen. Die Fortgeltung der Konstitution C. 2, 24, 2 bezeugt das unbezwei­ felbar. 20 Auch Berger, RE XV, 1872 erkennt an, daß es noch zur Zeit Justinians minores mit und ohne Kuratoren gegeben haben muß. 21 Vgl. meinen Beitrag in der Festschrift f. Rudolf Schmidt (o. Anm. 1).

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C. 2, 24, 2 (Severus Alexander): Minoribus annis viginti quinque etiam in his, quae praesentibus tutoribus vel curatoribus in iudicio vel extra iudicium gesta fuerint, in integrum restitutionis auxilium superesse, si circumventi sunt, placuit.

Auch unter Justinian bot vollkommenen Schutz für Dritte gegen die Inan­ spruchnahme des Minderjährigenschutzes durch den Geschäfts­partner nur der vom minor geleistete Eid, daß er nicht anfechten werde, oder seine Volljährig­ keitserklärung (C. 2, 27, 1; 2, 44, 1). C. 2, 27, 1 (Severus Alexander): Si minor annis viginti quinque emptori praedii cavisti nullam de cetera te esse controversiam facturum, idque etiam iureiurando corporaliter praestito servare confirmasti, neque perfidiae neque periurii me auctorem futurum sperare tibi debuisti. C. 2, 44, 1 (anno 274): Eos, qui veniam aetatis impetraverunt, etiamsi minus idonee rem suam administrare videantur, in integrum resti­tutionis auxilium impetrare non passe manifestissimum est, ne qui cum eis contraheret principali auctoritate circumscriptus esse videatur.

Wenn also Justinian gewollt haben sollte, dass jeder minor sui iuris einen Kura­ tor haben müsse, dann sicher aus anderen Gründen als denen, die ursprünglich zur c.m. geführt hatten. Doch das steht auf einem anderen Blatt22. Hier geht es nur um die Frage, ob die Quellen dafür sprechen, dass er das gewollt hat. M.E. deuten die bisher erörterten Stellen eher auf das Gegenteil. VIII. – Das tun auch jene Texte, die betonen, dass der minor selbst den Kura­ tor beantragen musste. Von diesen sind vor allem zwei hier noch zu nennen: D. 3, 3, 43, 3 (Paulus libro nono ad edictum): Is, qui curatorem ali­ent praesenti petat, non aliter audietur nisi adulto consentiente: quod si absenti, ratam rem eum habiturum necesse habet dare. D. 26, 6, 2, 4 + 5 (Modestinus libro primo excusationum): 4 Ταῦτα µὲν περὶ ἐπι­τρόπϖν· κουράτορας δὲ ἑαυτοῖς αἰτήσουοιν οἱ ἀfήλικες, ἐὰν µὲν πα­ ρῶ­σι, διʹ ἑαυτῶν· ἐὰν δὲ ἀποδηµῇ τις αὐτῶν, αἰτήσει διὰ fροντίστοῦ. Εἰ δὲ ἄλλος αἰτῆσαι κουράτορα δύναται τῷ ἀfήλικι, ἐζητήϑη. καὶ Οὐλπιανὸς

22 Hier nur eine Bemerkung: Die Gründe dürften nur schwer erfaßbar sein; denn (offensichtlich hat man sich gescheut, mit alten Grundsätzen radikal zu brechen, und deshalb z.B. weder die Geschäfstfähigkeit der puberes unter 25 Jahren beschränkt noch ihnen mit Bestellung des Bei­ standes die Verfügungsbefugnis gänzlich genommen noch auch nur die Formen der Ausübung der Beistandsbefugnisse den für die tutela gültigen vollständig angeglichen.

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ὁ κράτιστος οὕτως γράfει, ὡς δέον ἂλλον αὐτῷ µὴ αἰτεῖν, ἀλλὰ αὐτὸν ἑαυτῷ et apud Paul­um libro nono responsorum ita relatum est curatorem ignorante nec mandante pupilla non recte ei a tutore petitum videri periculumque eorum, quae curator non iure datus gessit, non sine ratione eum qui petit cogendum agnoscere, et alia parte eiusdem libri ita respondit, si matris iudicium princeps secutus curatores filiae eius dedit, periculum administrationis eorum eam respicere debere.

Dazu muss man sagen: Es ist doch kaum denkbar, dass alle diese Texte ver­ sehentlich aufgenommen worden sind. Weit eher ist zu ver­muten, dass der Grundsatz der freiwilligen c.m. betont wurde, weil eine verbreitete Praxis sich darüber hinwegsetzte23. Es sprechen somit, wie mir scheint, sehr viele Gründe g e g e n die herr­ schende Lehre und für den Fortbestand der klassischen – freiwilligen – c.m. IX. – Es gibt m.W. auch k e i n e einzige Quellenstelle, die zu der Annahme z w i n g t , die c.m. müsse zur Zeit Justinians obliga­torisch gewesen sein. Wie schon Lenel festgestellt hat, bedeutet debere in D. 27, 1, 36, 1 keinen rechtlichen Zwang24. Das gleiche dürfte für D. 26, 5, 25 gelten. D. 27, 1, 36, 1 (Paulus libro nono responsorum): Lucius Titius ex tribus filiis incolumibus unum habet emancipatum eius aetatis, ut curatores accipere debeat: quaero, si idem Titius pater petente eodem filio emancipato curator a praetore detur, an iure publica uti possit et nihilo minus trium filiorum nomine vacationem postulare. respondi praemium quidem patri, quod propter numerum liberorum ei competit, denegari non oportere. sed cum filio suo curator petatur, contra naturales stimulos facit, si tali excusatione utendum esse temptaverit. D. 26, 5, 25 (Paulus libro decimo responsorum): Curatorem impuberi datum quacumque ex causa perseverare in diem pubertatis in eadem cura respondi: ergo post pubertatem alium curatorem sibi petere debebit.

C. 5, 60, 1 besagt nicht mehr, als daß das officium solcher Kurato­ren, die noch zur Zeit der Unmündigkeit bestellt worden waren, nicht über den Zeitpunkt des Eintritts der pubertas hinaus andauere. Dass jeder pubes sui iuris Beistände 23 Anders – Fortbestand der Freiwilligkeit in einzelnen Provinzen – Partsch, Stu­dien zur negotiorum gestio, 1, Heidelberg, 1913, 88, ähnlich wie hier Lenel, 130. 24 ZSS, 35, 195.

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haben müsse, lässt sich aus der Stelle nicht herauslesen. Dies um so mehr, als die jüngere C. 5, 31, 6 25 mit den Worten „si res eorum exigit“ noch klar er­ kennen lässt, dass es auf die Umstände des einzelnen Falles ankam26. C. 5, 60, 1 (anno 213): Si curatores tutoribus adiuncti sunt, pubertate pupilli tam tutorum quam curatorum adiunctorum officium finiri ideoque alios propter aetatis infirmitatem curatores esse dandos manifestissimum est.

C. 7, 39, 3, 1a stützt die These von der obligatorischen c.m. gleich­falls nicht. Denn auch diese Konstitution besagt nicht, dass puberes minores sui iuris Ku­ ratoren haben müssten. C. 7, 39, 3, 1a (anno 424): Non sexus fragilitate, non absentia, non militia contra hanc legem defendenda, sed pupillari aetate dumtaxat, quamvis sub tutoris defensione consistit, huic eximenda sanctioni. nam cum ad eos annos pervenerit, qui ad sollicitudinem pertinent curaratoris, necessario eis similiter ut aliis annorum triginta intervalla servanda sunt.

Gai Ep. 1, 8 braucht uns in diesem Zusammenhang nicht zu beschäftigen, da die Stelle für das justinianische Recht nichts besagt. Es bleiben J. 1, 23 pr. und D. 4, 4, 1, 327. Beide beginnen mit einer F e s t ­ s t e l l u n g , an deren Richtigkeit wir nicht zweifeln dürfen, wenn wir sie als Schilderung des zur Zeit Justinians Üblichen verstehen. In den Institutionen schließt sich daran der R e c h t s s a t z an, daß puberes minores sua negotia tueri non possunt, in den Di­gesten folgt das Verbot, den adulescentes vor Vollendung des 25. Lebensjahres die administratio ihres Vermögens zu über­ lassen. Daß minores Kuratoren haben müssen, steht in keiner der Stellen. Das ist vielmehr ein Schluß, den wir aus der Verknüpfung der Vorder- und Nachsätze miteinander ziehen. Dieser Schluß ist aber nicht zwingend. Wäre es mit den Texten unvereinbar, daß ein Minderjähriger die Verwaltung einem Verwandten übertrug oder einen Freund oder Bekannten damit betraute? Mir scheint nein und die Annahme fol­gender Rechtslage zulässig: Die minores durften nicht selbst admi­nistrieren, wem sie aber die Verwaltung überließen, 25 S..o.S. 321. 26 Die Ansicht Solazzis, Minore età 135, der die Stelle als Beleg für Bestellung von Amts wegen ansieht, wird mit Recht abgelehnt von Bonfante, aaO., 678, Anm. 1. 27 S.o. S. 317. Das Ulpianfragment wird allgemein als Hauptbeleg für die obligato­rische c.m. verstanden, vgl. Lenel, 129, Solazzi, 16, Bonfante, 681, BeRger, RE, XV, 1871.

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stand ihnen frei. Sie konnten um einen Kurator bitten, aber auch ohne Ein­ schaltung der Behörden einer Person ihres Vertrauens die Administration übertragen. Trifft diese Annahme zu, wäre manches in den Quellen zur c.m. verständli­ cher als bisher: Weil die private Regelung der administratio zulässig war, findet sich nirgendwo ausgesprochen, daß jeder minor sui iuris unter Kuratel stehen muß. Weil die private Regelung aber u n e r w ü n s c h t war, wird die Befugnis dazu an keiner Stelle erwähnt – nur in J. 1,23,2 scheint sie durch – und die vom Kaiser gewünschte Erbittung eines Beistandes als die allgemein geübte Praxis hingestellt. Der minor wird zwar angehalten, um einen Kurator anzu­suchen, aber wenn er es nicht tut, darf der Magistrat sich über den fehlenden Antrag nicht hinwegsetzen. Der minor s o l l einen Kurator beantragen, aber er m u s s n i c h t . So weit wollte der Kaiser offenbar vom klassischen Recht nicht ab­ weichen. Nur in den oben erwähnten Ausnahmefällen tat man den Schritt zur notwendigen cura minorum.

ZUR URKUNDENKLAUSEL Kurieuštw tîn karpîn ›wj

Die κυριευέτω-Klausel, die in Pachturkunden aus der Zeit der ptolemäischen und römischen Herrschaft in Ägypten begegnet,1 ist in den letzten Jahren wie­ der mehrfach in den Blickpunkt der Papyrologen gerückt worden. Sie findet sich nicht nur in neuen Urkundeneditionen,2 sondern wurde auch von mehre­ ren jungen Forschern im Rahmen weiter gesteckter Themen berührt.3 Hält man die dabei gewählten Übersetzungen der Klausel und die von den Herausgebern bzw. Autoren vertretenen Ansichten neben die frühere Literatur, so fällt einem alsbald neben neuen und interessanten Gedanken die nicht näher begründete, kritiklose Wiederholung von Ansichten auf, von denen man meinen sollte, sie seien längst abgetan. Dabei sind es vor allem drei Fragen, die immer wieder im Mittelpunkt stehen: 1. Handelt es sich um eine Abrede über das Eigentum? 2. Ging es darum, daß der Verpächter etwas behielt, was ihm ohne die Klausel verloren gehen würde? 3. Welchem Zweck diente die Abrede überhaupt? In den mir zur Verfügung stehenden Minuten möchte ich versuchen, einige Ge­ danken zu diesen drei Punkten zu formulieren. Zunächst ist jedoch eine Vorbemerkung notwendig: Sämtliche Texte, welche unsere Klausel aufweisen und aus der Römerzeit stammen, kommen aus dem Gau von Oxyrhynchos. Das kann kein Zufall sein; es muß angenommen wer­ den, daß es sich insoweit um einen stereotypen Bestandteil von Pachturkunden handelt, den man zwar in dem für seinen konservativen Urkundenstil bekannten Gau,4 nicht aber anderswo mehr in die Urkunden aufnahm. Das hat naturgemäß

1 Zusammenstellung der Texte bei R. Kniepkamp, ‛Ο καοπÕς in den Papyri, Diss. Köln 1970, S. 17, 49. Nachzutragen sind B.G.U. X 1943 Z. 16, 1944 Z. 14/15, 1950 Z. 4/5, S.B. X 10 216 Z. 17/18, 10 263 Z. 15/17. 2 Bsple.: B.G.U. X 1943, 1944, 1950; P. Oxy. XXXIII 2676 Z. 24/26; S.B. X 10 216 Z. 17/18, 10263 Z. 15/17; P. Yale I 70 Z. 5/6. 3 Vgl. Kniepkamp a. a. O. u. H.-C. Kuhnke, ΟÝσιακ¾ γÁ, Domänenland i. d. Papyri der Prinzi­ patszeit, Diss. Köln 1971, S. 104f. 4 Vgl. J. Herrmann, Studien zur Bodenpacht im Recht der graeco-aegyptischen Papyri, München 1958, S. 124.

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zur Konsequenz, daß wir annehmen müssen, die Einfügung der Klausel habe in der Römerzeit keine Änderung der Rechtslage zur Folge gehabt; denn warum sollte man nur im Oxyrhynchites bestrebt gewesen sein, das geltende Recht abzuändern? Diesem Schluß entspricht es, wenn wir in den die k.-Klausel auf­ weisenden Urkunden der Prinzipatszeit stets zugleich auch die Klausel finden, daß die öffentlichen Abgaben dem Verpächter zur Last fallen sollen. Auch das ist ja eine Abrede, die nichts an der bestehenden Rechtslage änderte, wonach der verpachtende Grundeigentümer Steuerschuldner war.5 Auf Grund des geschilderten Befundes für die Prinzipatszeit werden daher die die Klausel aufweisenden Texte aus der Ptolemäerzeit der Hauptgegenstand unserer Aufmerksamkeit sein müssen. Das macht unsere Aufgabe leichter; denn, wenn ich richtig gezählt habe, beschränkt sich unsere Betrachtung damit auf 16 Texte. Nachdem die Klausel aus ptolemäischen Texten verschiedener Herkunft bekannt ist, darf für die Ptolemäerzeit nicht angenommen werden, die Einfügung der Klausel habe an der geltenden Rechtslage nichts geändert. Im Gegenteil, da der Anteil der Pacht-Texte mit Klausel an der Gesamtheit der Pachturkunden aus ptolemäischer Zeit recht klein ist, muß angenommen wer­ den, daß die Einfügung der Klausel den Zweck hatte, die geltende Rechtslage umzugestalten. Doch nun zu den drei Fragenkomplexen. 1. P. Sijpesteijn übersetzt die unserer Klausel verwandte Formulierung καˆ κυrιεύειν τîν καrπîν έως … mit „Dir steht das Eigentumsrecht über die Früchte zu, bis …“6. Auch Wolfgang Müller, der Herausgeber von B.G.U. X, übersetzt „Eigentumsrecht“. In der Kölner Dissertation von Geginat7 fin­ det sich dieselbe Meinung vertreten und noch in der zu Beginn dieses Jahres erschienenen Arbeit von Kuhnke kann man lesen, die Klausel bedeute in den Pachtverträgen über Privatland Eigentum des Verpächters an den Früchten (S. 40. Vgl. auch S. 97). Diese Ansicht, daß es um das Eigentum an den Früchten geht, war früher die herrschende. Die von mir eben genannten Autoren hätte es jedoch zur Vorsicht mahnen sollen, daß schon vor vielen Jahrzehnten im Wörterbuch von Preisigke-Kiessling (I 850) κυριεύειν für die Pachturkunden nicht mit „Eigentü­ mer sein“ übersetzt wurde wie beim Vorkommen in anderem Zusammenhang,

5 Vgl. D. Hennig, Untersuchungen zur Bodenpacht im ptolemäisch-römischen Ägypten, Diss. phil. München 1967, S. 108, Anm. 40. 6 Einige Papyri aus der Giessener Papyrussammlung II, in: Aeg. 46 (1966), S. 14. 7 Prodoma in den Papyri aus dem ptolemäischen und römischen Ägypten, Diss. Köln 1964, S. 42., 50, 81.

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sondern mit „Verfügungsrecht haben“. Später hat z. B. Wolff8 von Klauseln gesprochen, „die dem Verpächter das Recht an den Früchten vorbehalten“, und Bell im 1. Band der P. Merton (S. 72.) mit „control of the crops“ übersetzt. Ähnlich die Herausgeber der Yale-Papyri.9 In meinem Buch über das griechi­ sche Eigentum10 habe ich die Worte „Sicherheit bestellen“ und „antizipierte Einräumung der κυριεία“ gebraucht. Die in den zuletzt genannten Zitaten zum Ausdruck kommende Zurückhal­ tung gegenüber der Wiedergabe von κυριεύειν mit Eigentümer-Sein hat ihre berechtigte Grundlage darin, daß κυριεία im griechischen Sprachgebrauch nicht Eigentum, sondern „Verfügungsbefugnis“ oder noch allgemeiner „Herr­ schaftsbefugnis“, „Herrschaft“ bedeutet. Das schließt selbstverständlich nicht aus, daß im Einzelfall Eigentum vorliegen kann, wo von κυριεύειν bzw. κυριεία gesprochen wird, berechtigt andererseits aber nicht, in jedem Falle mit Eigen­ tum zu übersetzen. So gibt es z. B. in Texten aus Athen eine Reihe von Stel­ len, in denen κυριεία und Eigentum auseinanderfallen.11 In den Papyri zeigt P. Eleph. 14, daß κυrιεύειν (Z. 14/15, 22) und κύrιος (Z. 23) den Nichteigentümer bezeichnen konnten. Das gleiche gilt von B.G.U. IV 992 (= Wilcken, Chrest. 162) Kol. II Z. 5/6. überdies ist daran zu erinnern, daß in den Urkunden der Prinzipatszeit sehr häufig zur Bezeichnung des Eigentums die Formulierungen κυrιεύειν καˆ δεσπόζειν12 sowie κρατειν καˆ κυrιεύειν13 begegnen, was eindeu­ tig dafür sprechen dürfte, daß κυριεύειν allein eben nicht genügte. Auch ist an ύπάrχειν14 als gebräuchlichen Ausdruck im Sinne von „Gehören“ zu erinnern. Von Eigentum zu sprechen wären wir daher nur dann befugt, wenn sich aus den Quellen ergäbe, daß man den Verpächter als die Person verstanden hat, der die Früchte „gehören“. Texte, die das besagen, gibt es aber meines Wissens nicht. Mir scheint, daß man eher argumentieren muß: Wenn das Recht zum κυριεύειν ausdrücklich betont wird oder allein von κυrιεία die Rede ist, dann läßt das ver­ muten, daß Eigentum und κυrιεία auseinanderfielen; denn anderenfalls hätte es nicht der ausdrücklichen Einräumung bedurft.

  8 Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenist.-röm. Ägypten, Weimar 1961, S. 138, Anm. 24.  9 P. Yak I (American Studies in Papyrology II), New Haven/Toronto 1967, S. 148: „shall control the crop until“. 10 Eigentum und Besitz im griech. Recht des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., Berlin 1963, S. 76. 11 Vgl. mein „Eigentum und Besitz“ S. 100; siehe auch Simon, SZ 82 (1965), 48f. 12 Bspl.: P. Mich. X (= American Studies in Papyrology 6) 583 Z. 17/18. 13 Vgl. P. Mich. X (= American Studies in Papyrology 6) 584 Z. 25. 14 Z. B. P. Eleph. 24 Z. 7, P. Oxy. XXXIII 2674 Z. 40.

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Welche Bedeutung für κυριεύειν nun hier in den Pachtverträgen in Frage kommt, soll zunächst dahingestellt bleiben. Jedenfalls nicht Eigentum, aber si­ cherlich auch nicht Verfügungsbefugnis. Denn der Zweck der Einfügung der Klausel war nach allem, was wir erkennen können, doch wohl mehr der, dem Pächter etwas zu nehmen, nämlich die Verfügungsbefugnis,15 als dem Verpäch­ ter etwas zu geben, es sei denn das Recht, Verfügungen des Pächters zu unter­ binden. Deshalb erscheint es zweckmäßig, nicht von „Eigentum“ zu sprechen, sondern sich mit der Übersetzung „dem Verpächter soll die κυριεία zustehen, bis …“ zu begnügen. 2. Wolfgang Müller übersetzt die Klausel in den Erläuterungen zu B.G.U. X 1943 folgendermaßen: „P.“ – das ist der Verpächter – „soll das Eigentums­ recht an den Früchten behalten, bis sein Teil gebracht ist“. Geginat spricht auf Seite 50 der bereits genannten Arbeit von Eigentumsvorbehalt. Beiden hätte zu denken geben sollen, daß schon Herrmann in seinem Buch über die Bo­ denpacht in den Papyri16 gemeint hat, man solle nicht von Eigentumsvorbe­ haltsklauseln sprechen, weil sehr zweifelhaft sei, ob juristisch ein Vorbehalt vorliege. Wenn man von Behalten oder von Vorbehalt spricht, bringt man zum Aus­ druck, daß es der Zweck der Klausel gewesen sei, ein bereits während des Rei­ fens der Früchte bestehendes Recht des Verpächters über den Zeitpunkt der Ernte hinaus andauern zu lassen. Dieser Meinung ist beispielsweise Herrmann, der den Pächter mit der Ernte das Eigentum erwerben läßt (S. 142). Demge­ genüber habe ich in meinem Eigentumsbuch (S. 76) die Ansicht vertreten, daß nach griechischer Anschauung wahrscheinlich schon die ungetrennten Früchte Eigentum des Pächters waren. Den Griechen war nämlich der Gedanke fremd, daß Bestandteile nicht Gegenstand besonderer Rechte sein könnten.17 Deswe­ gen ist es kaum überzeugend, wenn man bei Kuhnke18 das Argument findet, die Früchte hätten sicher zunächst dem Eigentümer des Bodens, auf dem sie wuchsen, gehört. Das ist um so weniger wahrscheinlich, als man sich das Recht des Pächters nach griechischer Auffassung als ein eigentumsähnliches, unseren heutigen dinglichen Rechten vergleichbares Recht vorzustellen hat,19 das auch das Recht auf die Früchte beinhaltete. 15 So kürzlich auch Oates-Samuel-Welles in P. Yale I S. 153. 16 S. 141, Anm. 2. 17 Das hat seither auch G. Mantzoufas, La loi Thasienne Ι΄λεàκος μηδ� οίνον sur le commerce du vin, Athen 1967, S. 15 betont. 18 S. 41. 19 Vgl. D. Behrend, Attische Pachturkunden, München 1970, S. 141 u. WOLFF, a. a. O., S. 138, Anm. 24.

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Zu einem ähnlichen Ergebnis wie ich ist jüngst Behrend auf Grund seines Studiums der attischen Pachturkunden gekommen.20 Seiner Meinung nach war entscheidend die vertragsgemäße Gewinnung der Früchte. Solange sich der Pächter vertragstreu verhalten habe, müsse ihm auch die Frucht auf dem Halm oder am Baum zugestanden haben. Eine andere Meinung vertreten die bereits genannten Seidl-Schüler Kniepkamp und Kuhnke. Sie folgen der Lehre ihres Meisters vom „Prinzip der not­ wendigen Entgeltlichkeit“ und leiten daraus ab, daß ein Eigentumserwerb des Pächters an den Früchten erst dann habe erfolgen können, wenn der Verpächter das volle Entgelt, also den Pachtzins, erhalten hatte.21 – Damit sind im Verlaufe von nicht einmal 13 Jahren nahezu alle überhaupt denkbaren Zeitpunkte für den Eigentumserwerb des Pächters in den Papyri behauptet worden: Eigentum­ serwerb vom Beginn des Entstehens der Früchte an – Eigentumserwerb mit der Ernte – Eigentumserwerb mit der völligen Bezahlung des Pachtzinses. Eine deutlichere Dokumentierung der Tatsache, wie weit wir von einheitlichen Ver­ stellungen über ein in der Antike so häufiges Rechtsinstitut entfernt sind, läßt sich wohl kaum denken! Eine Diskussion der Frage nach der Geltung des Prinzips der notwendi­ gen Entgeltlichkeit im Pachtrecht der Papyri ist hier nicht beabsichtigt. Dazu möchte ich mich mit 3 Feststellungen begnügen: 1. Die Urkunden können auch ohne Zuhilfenahme des Prinzips erklärt werden, was Kniepkamp u. Kuhnke auch tun; wir werden darauf noch zu sprechen kommen. 2. Um das sich ge­ radezu aufdrängende Gegenargument zu entkräften, daß die Aufnahme der Klausel doch gerade beweise, daß es einer ausdrücklichen Abrede bedurfte, um das Eigentum des Verpächters an den Früchten bis zum Zeitpunkt der Pacht­ zinszahlung andauern zu lassen, müssen die Verfechter des Prinzips die These vertreten, unsere Klausel bedeute in den Pachturkunden nur eine Hervorhebung dessen, was kraft des Prinzips ohnehin gegolten habe.22 3. Scheint es mir eine Überspitzung der Seidlschen Lehre zu sein, wenn man den Gedanken der not­ wendigen Entgeltlichkeit, mit dem sich übrigens Schenkungen nicht erklären lassen, bei der Pacht in doppelter Weise verwendet und im Pachtzins das Ent­ gelt sowohl für die Nutzungsmöglichkeit als auch für den Erwerb des Eigen­ tums an den Früchten ansieht, wie z. B. Kuhnke (S. 35 u. 41) das tut. Seidl selbst sagt in seiner Ptolemäischen Rechtsgeschichte (2. Aufl., S. 128) nur, daß „wo eine Nutzung ist, dem Eigentümer eine Gegenleistung dafür gebühre“. 20 S. 137. 21 Kniepkamp 23f., Kuhnke 41. 22 Vgl. Kniepkamp 25.

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Nach meiner Überzeugung liegt, wenn man in einer verbreiteten Urkun­ denpraxis beobachten kann, daß der Verpächter zum κυριεύιν ausdrücklich ermächtigt wird, der Schluß nahe, daß ihm die κυριεία ohne die Abrede nicht zugestanden hätte. Damit wäre die oben erwähnte These, daß nach griechischer Auffassung die Früchte der verpachteten Sache dem Pächter und nicht dem Verpächter zugeordnet wurden, bestätigt. Die Zuweisung an den Verpächter be­ durfte der Vereinbarung! Dies umso mehr, als die Texte zeigen, daß nach grie­ chischer Auffassung auch die den Gegenstand der μίσθωσις bildende Sache, das Pachtobjekt, in der κυριεία des Pächters-Mieters stand,23 und daß Pächter den Pachtgegenstand sogar als ihnen gehörig bezeichnen.24 Man kann doch kaum annehmen, daß die Griechen den Pächter zwar als κύοιος des gepachteten Bodens, nicht aber als „Herren“ der auf diesem dank seiner Tätigkeit entstehen­ den Früchte angesehen hätten! Überdies zeigt z. B. schon der aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert stammende P. Eleph. 14, daß der Pächter und nicht der Verpächter κύοιος der Früchte war, wenn er sie gesät hatte (Z. 14–16). Wei­ ters scheint mir die in den Pachtverträgen vorkommende βεβαίωσις-Erklärung der Verpächter über Land und Früchte25 dafür zu sprechen, daß man – modern gesprochen – ein dingliches Recht des Pächters an Land und Früchten für die Dauer des Pachtvertrages angenommen hat. Was den behaupteten Eigentumserwerb des Pächters mit der Ernte anbe­ langt, so sei im übrigen darauf hingewiesen, daß es für griechische Rechts­ vorstellungen auffallend wäre, wenn der Erlangung der tatsächlichen Gewalt rechtsverschaffende Bedeutung zugekommen wäre. Weit näher liegt doch, Er­ werb des Eigentums kraft eigener Arbeit auf dem auf Zeit überlassenen Land – oder von mir aus auch kraft Gestattung durch den Verpächter – anzunehmen. 3. Der Zweck der Klausel: Neben die herkömmliche Ansicht, wonach die Klausel dem Verpächter eine Rechtsmacht verschaffte, die er ohne die Klausel nicht gehabt hätte, ist jüngst die Ansicht von Kniepkamp getreten, wonach sich die verhältnismäßig unbedeutende Zahl von Pachturkunden in ptolemäischer und römischer Zeit, in denen die Klausel vorkommt, daraus erkläre, daß durch die Einfügung der Klausel an der bestehenden Rechtslage gar nichts geändert worden sei. Die Klausel habe vielmehr den ausschließlichen Zweck gehabt, die bestehende Rechtslage ausdrücklich klarzustellen (S. 21 u. 25). Zu dieser Mei­ 23 Vgl. P. Hamb. II 190 Z. 9 in der Deutung von Wolff (SZ 73/397). Müller, der diese Urkunde zusammen mit einem dazugehörigen Stück der Berliner Sammlung als B.G.U. X 1964 erneut abdruckt, übersetzt das κυριευέτω übrigens hier mit „soll Besitzrecht haben“ (S. 85)! 24 P. Lond. III 887 (S. 1) Z. 6, 9. 25 Vgl. bspw. B.G.U. X 1934 Z. 16/17, 1949 Z. 3/5, P. Frankf. 1 Z. 40/42.

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nung führte Kniepkamp sein Eindruck (S. 49ff.), daß sich in der Mehrzahl der die Klausel aufweisenden Urkunden keine Anhaltspunkte für ein besonderes Interesse des Verpächters an einer Sicherung finden ließen, zum anderen die Feststellungen Vandonis,26 wonach die Pächter in der Prinzipatszeit generell nicht in einer ungünstigeren Machtlage gewesen seien als die Verpächter, was sich z. B. darin äußere, daß trotz ungenügender Vertragserfüllung immer wieder an dieselben Personen verpachtet worden sei.27 Ich glaube, daß diese Argumente nicht durchschlagend sind. Was zunächst die angeblich geringe Zahl von Urkunden anbelangt, die Anhaltspunkte dafür aufweisen, aus welchem Grunde die Verpächter die Klausel aufnehmen ließen, so scheint mir Kniepkamp die Texte der Ptolemäerzeit nicht eingehend genug studiert zu haben. – Die von ihm vorgenommene Überprüfung der römerzeitlichen Texte ist aus den bereits erwähnten Gründen von geringem Nutzen. – Wie mir scheint, läßt sich im Gegenteil an fast allen ptolemäischen Texten zeigen, daß offenbar ganz bestimmte Gründe die Verpächter veranlaßt haben, die κ.Klausel aufnehmen zu lassen. Die Urkunden lassen sich nämlich in mehrere Gruppen einteilen, von denen jede mehr als einen Text umfaßt: Da sind einmal solche Texte, in denen dem Verpächter mehrere Pächter gegenüberstehen.28 Es liegt nahe, daß in diesem Fall die größere Schwierigkeit bei der Überwachung der Pächter den Anstoß dazu gegeben haben könnte, dem Verpächter eine Verfü­ gungskontrolle einzuräumen.29 Eine zweite Gruppe bilden diejenigen Papyri, in denen der Verpächter dem Pächter zusätzlich etwas überlassen hatte, sei es Saat­ gut, sei es einen Geldbetrag für auf dem Grundstück durchzuführende Arbei­ ten.30 Hier ist einleuchtend, daß die Verpächter besonders stark daran interessiert gewesen sein dürften, in den Besitz des ihnen Geschuldeten zu kommen, bevor der Pächter Verfügungen über die Früchte traf.31 Eine dritte Gruppe machen die Urkunden aus, in denen der Zins nicht in Früchten, sondern in Geld festgesetzt war.32 Auch hier liegt auf der Hand, daß der Verpächter schlecht unkontrollierte Verfügungen dulden konnte, bevor der Zinszahlungstermin heran war; denn an­ derenfalls bestand die Gefahr, daß dann die Früchte bereits alle veräußert, aber auch der Erlös ausgegeben war. Die letzte Gruppe schließlich bilden zwei Texte, 26 JJP 15 (1965), 145ff. 27 Zum Pächtermangel vgl. auch Poethke, Epimerismos (= Papyrologica Bruxellensia 8), Bruxel­ les 1969, S. 72. 28 P. Yale I 51; B.G.U. X 1944, 1950; B.G.U. VI 1266, 1267. 29 Nicht erkannt von Kniepkamp 18f. 30 P. Oxy. XIV 1628; B.G.U. X 1943; P. Tebt. I 105; P. Frankf. 2. 31 Richtig gesehen für P. Oxy. XIV 1628 von Kniepkamp 19. Vgl. daselbst S. 50. 32 P. Tebt. III 1, 815 fr. 6; P. Tebt. III 1, 819.

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in denen es der Verpächter ist, der eine Leistung erhalten hat.33 Es handelt sich um Darlehensgewährung in Form eines πρόδομα, wobei die Abrede getroffen worden war, daß die Pacht solange andauern sollte, bis das gegebene Darlehen amortisiert war. Trotz des Hinweises von Lewald, daß die Klausel hier wenig zum Vertragszweck stimme,34 möchte ich mit Kniepkamp (20) annehmen, daß ein wirkliches Interesse an der Einfügung der Klausel bestand. Und zwar möchte ich es ein „Verschleierungsinteresse“ nennen, das dazu diente, den Pachtcharak­ ter herauszustellen und nicht den wahren Geschäftszweck – Darlehen mit Si­ cherheit –erkennen zu lassen; denn die Verpfändung der Kleroi war ja verboten. Nicht erklärt bleiben damit 3 Texte, denen auch etwas gemeinsam ist: sie sind nämlich entweder nur Teile von Pachturkunden, d. h. unvollständig,35 oder sehr lückenhaft überliefert,36 so daß wir keine sichere Aussage machen können. Was die beiden anderen Argumente Kniepkamps anbelangt, so möchte ich meinen, daß für uns ja nicht immer erkennbar sein muß, welche besondere Interessenlage im konkreten Fall den Anlaß gegeben hatte, die Klausel in die Urkunde aufzunehmen, man denke beispielsweise an Unzuverlässigkeit des Pächters – manchmal mag es auch gar keine besondere Interessenlage gegeben haben, sondern einfach ein Formular als Vorlage benutzt worden sein, das die Klausel enthielt –, zum anderen dürften Untersuchungen wie die von Signora Vandoni nicht beweiskräftig genug sein, um uns zu sagen, auf wessen Seite nun in einem konkreten Falle die Machtlage gelegen hat. Im übrigen beziehen sich ihre Untersuchungen ja auf die m. E. hier nicht maßgebliche Prinzipatszeit. Jedoch ist dies nicht Kniepkamps einziger Deutungsvorschlag, daneben stellt er noch eine andere These zur Diskussion. Unter Berufung auf seinen Lehrer Erwin Seidel meint er nämlich (S. 97 u. 114), vielleicht sei der Zweck der κ.-Klausel gar nicht die Zuerkennung eines Rechtes an den Verpächter ge­ wesen, sondern eine Abrede darüber, wer nach der Ablieferung der vom Staat beanspruchten Abgaben „die tatsächliche Machtlage“ über den Rest der Ernte haben sollte. Diese Deutung erinnert an eine Bemerkung Taubenschlags,37 daß κυριεύειν nur das tatsächliche Gewaltverhältnis ausdrücke und kein techni­ scher Ausdruck für die Bezeichnung des Eigentums sei. Die Idee klingt bestechend. Denn, wie bereits dargelegt, kann κυριεύειν hier kaum Einräumung des Eigentums oder der Alleinverfügungsbefugnis bedeuten, 33 B.G.U. VI 1262; P. Frankf. 1. 34 P. Frankf. 1, S. 14. 35 B.G.U. VI 1271. 36 P. Tebt. III 1, 815 fr. 3 r. Kol. II u. 5 Z. 1–9. 37 SZ 55 (1935), 280 Anm. 1.

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war der Zweck der Klausel sicherlich nicht die völlige Entrechtung des Päch­ ters, zumal dieser dann überhaupt nicht hätte veräußern können. Die Annahme, es sei gar nicht um Rechte, sondern um die tatsächliche Sachherrschaft gegan­ gen, erscheint deshalb einleuchtend, sie würde die Klausel als interessenge­ mäße Lösung erscheinen lassen, die dem Verpächter die notwendige Sicherung ohne tiefen Eingriff in die Rechte des Pächters verschaffte. Nur scheint mir eine Abrede über die tatsächliche Machtlage kaum anders vorstellbar zu sein als in Gestalt einer Vereinbarung über die Rechte der Beteiligten. Denn ganz offen­ sichtlich war an die Festsetzung einer Pflicht zur Verbringung der Ernte in den Gewaltkreis des Verpächters nicht gedacht, sie wäre auch wirtschaftlich kaum sinnvoll gewesen, ebensowenig wohl an die Begründung eines Rechts für den Verpächter zum Abfahren der Früchte.38 Diese Zweifel werden von Kuhnke bestätigt. Die These von der Regelung der tatsächlichen Machtlage durch unsere Klausel findet sich nämlich auch bei ihm (105). Jedoch beschreibt er ihre Wirkung bemerkenswerter Weise als Si­ cherstellung des Rechts der Verpächter auf die Früchte!39 Ich möchte daher hier eine andere Deutung zur Diskussion stellen: Ich meine, ob es nicht bei der Einfügung der Klausel um zwei Anliegen der Ver­ pächter ging: Erstens darum, ihnen eine Verfügungskontrolle gegenüber dem Päch­ ter einzuräumen, vielleicht in Gestalt einer Samtverfügungsbefugnis, vielleicht aber auch nur im Wege der Zuerkennung eines Vetorechts gegenüber Verfügungen des Pächters, was im griechischen Rechtskreis besonders naheliegend wäre.40 38 So Wolff in der Diskussion. 39 Kuhnke ist dazu freilich auf einem ganz anderen Weg gekommen. Gemäß seinem Thema in­ teressierte ihn allein die Verpachtung staatlichen Landes in der Prinzipatsheit. Dabei glaubte er feststellen zu können, daß die Klausel nur bei der Unterverpachtung solchen Landes begegnet (S. 40, Anm. 6). Das ist, da es keine Urkunden über die Verpachtung von οÝσιακ¾ γÁ aus dem Oxyrhynchites gibt, unbeweisbar und daher nicht von Bedeutung. Anders für Kuhnke, da nach seiner Meinung (S. 41) Früchte, die auf staatlichem Boden entstanden, bis zur Bezahlung des Pachtzinses nur im Eigentum des Staates gestanden haben können. Als Ausweg beschritt er den von Kniepkamp eingeschlagenen Weg. M. E. wäre das nicht notwendig gewesen, es bietet sich eine weit einfachere Deutung in: Unterstellen wir einmal, die Klausel sei in der Prinzipatszeit tatsächlich nur in Unterpachtverträgen, niemals aber in Pachtkontrakten über staatliches Land vorgenommen. Dann wäre die einfach­ ste Erklärung ein „relativer“ Gebrauch von κυrιεύειν: Zwar konnte der Staatspächter durch den Verpächter Staat niemals als „Herr“ der Früchte anerkannt werden, im Verhältnis zwischen dem Pächter und seinem Unterpächter bestand dies Hemmnis aber nicht, hier konnten „Herren­ rechte“ des Unterverpächters ohne weiteres vereinbart werden. 40 Vgl. meine Ausführungen in „Eigentum und Besitz“ (o. Anm. 9) S. 130 ff. und in„Zu den Frei­ lassungsinschriften aus Delphi“ (Synteleia V. Arangio-Ruiz II, Napoli 1964) S. 823ff.

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Zweitens aber, ihm gegenüber den im staatlichen Auftrag tätigen Personen, insbesondere den Sitologen, aber auch den Steuerpächtern und Getreideaufkäu­ fern usw., eine Unterlage zu geben, um jederzeit klarstellen zu können, daß die Früchte vorerst noch ihm und nicht dein Pächter zuzurechnen waren. Das um so mehr, als nach neuesten Erkenntnissen41 die staatlichen Abgaben ja offenbar nicht in jedem Falle gleich beim Dreschen einbehalten worden sind. Zu der Annahme eines Zwecks auch gegenüber der staatlichen Hand führte mich u. a. die Tatsache, daß sich die Klausel im Mutterland nicht findet, was nahelegt, daß die andersgelagerten Verhältnisse im Ptolemäerstaat für ihre Ein­ führung von Bedeutung waren, und dabei denkt man natürlich zuerst an die Fiskalordnung.

41 Vgl. C. B. Welles, On the Collection of Revenues in Grain in Ptolemaic Egypt, in: Festschrift F. Oertel, Bonn 1964, S. 13, und Z. M. Packman, The Taxes in Grain in Ptolemaic Egypt (= American Studies in Papyrology IV), New Haven / Toronto 1968, S. 63.

EINE ATYPISCHE ΠΡΑΣΙΣ ΕΠΙ ΛΥΣΕΙ

B. Petrakos 1 hat im Jahre 1962 einen attischen Warnstein2 – Horos veröffent­ licht, dessen Text in der Ergänzung von R o b e r t 3 wie folgt lautet: ῞Ορος χωρίου καὶ οἰκίας καὶ κήπων πεπραµ ἑνων ἐπὶ λύσει Φιλίνωι Ἁλαιεῖ τιµῆς ἐνοfε[ι] λοµένης τοῦ ἡ µίσεως χωρίου XXX.

Ein Jurist, der mit dem neuesten Stand der Lehre vom griechischen Kauf nicht vertraut ist, wird beim Lesen des Textes sogleich an einer Restkaufgeld-„hypo­ thek“ in Form einer πρᾶσις ἐπὶ λύσει (π. ε. λ.) denken. Dagegen werden einen Kenner des attischen Rechtes Zweifel überkommen, ob dieser Stein mit den Lehren P r i n g s h e i m s über den Kauf bei den Griechen4 verein­bar ist. Diesen Fragen soll hier ein wenig nachgegangen werden5. Seit P r i n g s h e i m s Untersuchungen steht fest, daß nach griechischer Auffassung das Eigentum am Kaufgegenstand erst mit der vollständigen Be­ zahlung des Kaufpreises auf den Käufer überging6 . Zwei kleine Gruppen von Horoi bestätigen diese Lehre. Sie lassen sich nämlich, wie der verstorbene Frei­ burger Gelehrte gezeigt hat7, nur als Warnsteine erklären, die bei noch nicht bezahlten, aber übergebenen Grundstücken vom Verkäufer und auf bezahlten, aber noch in der Hand des Verkäufers befindlichen Objekten vom Käufer auf­ gestellt worden waren. Mit dieser anerkannten Lehre scheint der vorstehende Stein nicht vereinbar zu sein; denn, so könnte man argumentieren, wenn wie hier der Kaufpreis noch 1 Archaiologikón Deltion 17 (1961/62), Chronika, 35. 2 Grundlegend F i n e , Horoi, Princeton 1951, und F i n l e y, Studies in Land and Credit in Anci­ ent Athens 500–200 B. C., New Brunswick/New Jersey, 1951. 3 Bulletin Épigraphique 1963 (Revue des Études Grecques 77, 1964), S. 161. 4 Vor allem in: The Greek Law of Sale, Weimar 1950. 5 Letzte Behandlung bei B e h r e n d , Attische Pachturkunden, München 1970, S. 5314 . 6 A.a.O. 266. 7 Festschrift H. Lewald, Basel 1953, S. 143–160, insbes. 156 ff.

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nicht vollständig bezahlt war, konnte der Käufer nicht veräußern, weil er noch kein Eigentum und damit keine Verfügungsbefugnis erlangt hatte8. Bei genauer Überlegung scheint mir der Stein jedoch mit P r i n g s h e i m s Lehren verein­ bar zu sein. Wir haben dabei folgende Fakten zugrunde zu legen, die der Stein erkennen läßt: Jemand – wir wollen ihn X nennen – hat eine „Veräußerung auf Lösung“ eines Grundstückes, eines Hauses und eines Gartens an einen Philinos zur Si­ cherung einer Forderung in Höhe des halben Preises für das Grundstück (3000 Drachmen) vorgenommen. – Daß Philinos (Ph) der Gläubiger der Forderung auf 3000 ist, steht fest, daß es sich um eine Kauf­preisschuld handelt, dürfte ange­ nommen werden können9. – Vorangegangen war offenbar die Übergabe der ver­ kauften Objekte an X10 und die Bezahlung der Hälfte des vereinbarten Preises. Von der letztgenannten Tatsache müssen wir ausgehen. Daß die Zahlung des h a l b e n Kaufpreises X nicht zum Volleigentümer gemacht hatte, dürfte nach allem, was wir über den Eigentumserwerb bei den Griechen wissen, gewiß sein. Für nicht weniger sicher halte ich wegen der Geltung des Surrogationsgedan­ kens11 bei den Griechen aber, daß X irgendetwas erworben hatte. Dies Etwas läßt sich am besten als ein Miteigentum verstehen. Welche Befugnisse ein Mehrheitseigentümer im griechischen Recht besaß, ist eine nicht mit einem Satz zu beantwortende Frage, weil solidarisches Mit­ eigentum und Miteigentum nach Bruchteilen begegnen12. Welche Form hier in Betracht kommt, braucht aber nicht entschieden zu werden; denn ob man annimmt, X habe Verfügungsbefugnis über den gesamten gekauften Besitz ge­ habt – beim solidarischen Miteigentum – oder nur über einen Teil, jedenfalls dürfte ihm eine „Veräußerung auf Lösung“ unter Z u s t i m m u n g d e s M i t ­ e i g e n t ü m e r s und erst recht eine solche an diesen selbst möglich gewesen sein. Es kann deshalb keinem Zweifel unterliegen, daß ein Grund­stückskäufer, der den Kaufpreis erst zum Teil bezahlt hatte, dem Verkäufer eine Sicherheit im Wege der π. ε. λ. an dem Kaufobjekt bestellen konnte. Das hat P r i n g s h e i m offenbar nicht gesehen. Diese Deutung ist um so sicherer, als es in dem schon länger bekannten Re­ gister von Tenos13 eine Parallele gibt. § 34 des Registers lautet: 18 Vgl. P r i n g s h e i m , Law of Sale, 166. 19 Vgl. B e h r e n d a.a.O. 10 Wäre das Grundstück noch im Besitz des Ph, würde man Nennung des Lösungsberechtigten X erwarten. 11 Vgl. P r i n g s h e i m , Der Kauf mit fremdem Geld, Leipzig 1916, S. 168. 12 Vgl. mein Eigentum u. Besitz im griech. Recht d. 5./4. Jhs. v. Chr., Berlin 1963, § 8. 13 IG XII 5 Nr. 872 (3. Jh. v. Chr.).

Eine atypische πρᾶσις ἐπὶ λύσει

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Ἀριστονόη Νι[κοσ]τράτου f[υ]λ[ῆ]ς Ση[σ]ταιδῶ[ν µ]ετὰ κυρίου Πα[ντ]α­ρ[ί]δον Πανταλέοντος [Θρ]υ[η]σί[ου παρὰ Χαιρ]έλ[α Χαβυσσίου] Θεστιάρ[ί]δου Πανταλέοντος [Θρ]υ[η]σί[ου παρὰ Χαι­ρ]έλ[α Χαβυσσίου] Θεστιάδου ἐπίατο τὴν οἰκίαν καὶ τὰ [χωρί]α τὰ ἐν Κασµενείῳ καὶ τὰς ἐσχατιὰς, ὅσαι εἰσὶ τῶν χωρίων τούτων, οἷς γείτονες Πύρ᾿ρ῾ακος Χαρτάδης δρα[χ]µ[ῶν] ἀ[ρ]γυρίο[υ] τετρακισχιλίων ἐνακοσίων πεντ[ή]κοντα [τῆς ἐπι]λοίπου τιµῆς ἧς προσὠfειλε Χαιρέλας Ἀριστον[ό]ῃ ἀπὸ τῆς τιµῆς τῶν χωρίων τῶν ἐν Αἰσίλει καὶ ἐ[ν Κα]µενε[ί]ῳ ὧν ἐπρίατο παρὰ Ἀριστονόης.

Ch hatte von A Grundstücke gekauft, war aber einen Teil des Kaufpreises schul­ dig geblieben. Zur Sicherung veräußert er einen Teil des erworbenen Grundbe­ sitzes ἐπὶ λύσει an A14. Ob auch § 46 des Registers von Tenos einen Parallelfall darstellt, wie B e h ­ r e n d 15 annimmt, soll hier dahingestellt bleiben. Schon die eine Paral­lele ge­ nügt, um die vorgeschlagene Deutung zu unterstützen, Es bleibt zu fragen, warum die Parteien nicht den einfacheren Weg der Auf­ stellung eines den Kreditkauf anzeigenden Horos der Art, wie sie Pringsheim besprochen hat, gegangen sind, sondern eine π. ε. λ. vor­nahmen. Eine mögli­ che Antwort könnte lauten: weil X als Miteigentümer verfügungsbefugt war, brauchte er sich die Aufstellung eines solchen Steines nicht gefallen zu las­ sen. Vor allem aber ist daran zu denken, daß bei Mehr­heitseigentum jedenfalls beide Teile verfügungsbefugt waren, sich also gegen­seitig belauern mußten, ob nicht der andere Handlungen zu ihrem Nachteil setzte. Nach vollzogener π. ε. λ. war dagegen die Rechtslage für beide Teile günstiger, so seltsam das zunächst auch klingen mag: Ph war durch die π. ε. λ. wieder Alleineigentü­ mer und brauchte Geschäfte des X nicht zu befürchten. Auch X aber stand sich besser; denn dem Käufer ἐπὶ λύσει dürfte das Recht zur Weiterveräußerung vor Ablauf der vereinbarten Lösungsfrist gefehlt haben16. Die Parteien hatten also von einander nichts zu befürchten, beide standen sich besser. Als Vorteil für Ph kommt weiter hinzu, daß ein Verkäufer ἐ. λ. das Lösungs­ recht vermutlich bei Nichteinhaltung des vereinbarten Lösungstermins verlor17, Ph also nach der π. ε. λ. hoffen durfte, daß X um beinahe jeden Preis versuchen

14 Vgl. S z a n t o , Wiener Studien 9, 1887, S. 294, und H i t z i g , Das griechische Pfandrecht, Mün­ chen 1895, S. 36. Abweichende Deutung und weitere Literatur bei Pringsheim, Greek Law of Sale, S. 165. 15 A.a.O. 16 B e r n e k e r , RE Suppl. Bd. X, Sp. 660. 17 Berneker, a.a.O. Sp. 656, Va t i n (s. nächste Anmerkung), S. 534.

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würde, sich die Mittel zur rechtzeitigen Zahlung zu verschaffen. Gedacht wer­ den könnte ferner an die von Va t i n 18 vor einigen Jahren aufgestellte These, daß es zwei Typen der π. ε. λ. gegeben habe, mit befristetem und unbefriste­ tem Lösungsrecht, wobei im letztgenannten Falle der Sicherungs­nehmer das Recht gehabt habe, das Sicherungsobjekt jederzeit weiterzuveräußern, soweit der Erwerber dem Lösungsberechtigten das Lösungsrecht unter den mit dem Sicherungsnehmer vereinbarten Bedingungen einräumte19. Das hätte für Ph bedeutet, sich durch Weiterveräußerung ἐ. λ. jederzeit in den Ge­nuß des kre­ ditierten Kaufpreisrestes setzen zu können. Wenn man aber unter den attischen Horoi nach Spuren dieser These sucht, was Va t i n nicht getan hat, dann si­ cher nicht unter Steinen wie dem unseren, sondern solchen über Veräußerungen auf Lösung ohne Angabe des Käufers20 bzw. mit geändertem Käufernamen21. Im übrigen ist die Wahrscheinlichkeit, daß bei einer Kaufpreisrestschuld keine Frist für die Bezahlung vereinbart wird, wenig groß, wir dürfen daher die These Va t i n s hier beiseite lassen. Die Vorteile einer Veräußerung auf Lösung gegenüber der bloßen Auf­ stellung eines den Kreditkauf anzeigenden Steines dürften damit dargetan sein. Warum die Parteien nicht die Bestellung einer echten Kaufpreisresthypothek vorgezogen haben, braucht kaum gefragt zu werden. Das Zahlenverhält­nis der π. ε. λ.-Horoi zu den eine Hypothek anzeigenden Steinen (~ 12:1), das sich, wenn ich richtig sehe, seit Erscheinen der Bücher von F i n e und F i n l e y noch weiter zugunsten der π. ε. λ.-Steine verschoben hat22, zeigt die größere Beliebt­ heit der π. ε. λ., die sich aus der bei dieser günstigeren Position der Gläubiger23 erklärt. Zu denken wäre auch daran, daß nach griechischer Anschauung die Belastung eines Grundstückes zugunsten eines Miteigentümers nicht möglich gewesen sein könnte. Damit dürfte eine zumindest mögliche Erklärung der Vorgänge, die zu unse­ rem Stein geführt haben könnten, gegeben sein. Alles geklärt ist freilich noch nicht. Auffällig ist vor allem die unter den attischen eine π. ε. λ. anzei­genden

18 Bulletin de Correspondance Hellénique LXXXVI, 1962, 524 ff. 19 Einen Teil meiner Bedenken gegen die von Va t i n vorgebrachten Beweise habe ich in der Festgabe für Ulrich v. Lübtow (Sein und Werden im Recht, Berlin 1970), S. 173 ff., vorgetra­ gen. Hier sei darauf hingewiesen, daß V. keinen einzigen der zahlreichen attischen Horoi über Veräußerungen auf Lösung mit dem zweiten seiner Typen in Verbindung bringt. 20 Beispiele: IG 112 2694 = Finley Nr. 16, IG 112 2713 = F i n 1 e y Nr. 45. 21 Beispiele: IG 11 2689 = Fin1ey Nr. 33, IG II2 2736 = F i n 1 e y Nr. 78. 22 Vgl. SEG XIX 184. XXI 655–661. 23 Vgl. Berneker Sp. 661/662.

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Horoi exzeptionelle N e n n u n g d e r c a u s a 24. Sie läßt erstens erkennen, daß der Besitzer des Grundstückes dieses nicht als Eigentümer, sondern als Nochnicht-Eigentümer veräußert hatte, also nicht, wie im Regelfall der πράσεις ἐ. λ., Geld „auf“ das Grundstück geliehen, sondern beim Erwerb desselben den Kaufpreis zum Teil schuldig geblieben war. Mit anderen Worten, die Inschrift besagt „dies ist kein π. ε. λ.-Stein, sondern ein Kreditkauf-Horos“. Zum ande­ ren machte sie kund, daß wirtschaftlich das Grundstück nur in der Höhe des halben Wertes belastet war. Diese Feststellungen werfen die Frage auf, in wes­ sen Interesse diese Kundmachung wohl erfolgt war; denn daß die Steine private Zeichen waren, ist unbestritten25. Nach der herkömmlichen Meinung standen bei der Aufstellung der attischen Horoi die Belange der Kreditgeber im Vorder­ grund26. In unserem Falle kann man sich vorstellen, daß Ph. ein Interesse daran hatte, Dritten kundzutun, daß er nicht nur rechtlich, wie bei der typischen π. ε. λ., sondern a u c h w i r t s c h a f t l i c h noch Eigentumsrechte an dem Grund­ stück, dem Haus und dem Garten besaß. Das erklärt freilich nicht die Angabe des noch geschuldeten Betrages. Doch hat schon vor Jahren P r i n g s h e i m auf die Bemerkung meines verehrten Lehrers Erwin S e i d l , vom Standpunkt P r i n g s h e i m s aus erscheine es überflüssig, daß auf den Steinen, die seiner Meinung nach einen Lieferungskauf bzw. einen Kreditkauf anzeigen, der Kauf­ preis angegeben sei27, gemeint, es sei beim Kreditkauf für Dritte von Bedeu­ tung gewesen, wie hoch die noch geschuldete Kaufsumme sei, denn „durch ihre Ablösung kann das Grundstück freigemacht, das Eigentum dem Käufer verschafft werden“28. P r i n g s h e i m hat damit auch dem Ver­ständnis unseres Steines, der ja seinem Zweck nach ein Kreditkauf-Stein ist, den Weg gewiesen: Wer aus welchem Grund auch immer daran interessiert war, X das volle Eigen­ tum zu verschaffen, erfuhr durch den Stein die Höhe der Lösungssumme. Ich frage mich nun bei der Beschäftigung mit diesem Stein, ob nicht die Nennung der Lösungssumme auf den t y p i s c h e n π. ε. λ.-Steinen dem glei­ chen Zweck diente, ja nicht vielleicht als eine versteckte Aufforderung zur Ab­ lösung zu verstehen ist. Dabei denke ich weniger an eine Veräußerung des Si­ 24 Finley (S. 37; 183) nennt 5 Steine, welche die causa erkennen lassen. In allen Fällen handelt es sich um eine Mitgift (προὶξ). 25 Vgl. Wo l f f , ZSS 70 (1953), S. 419. 26 Vgl. F i n l e y 15, der sich mit Recht gegen die These von der Wahrnehmung der Interessen Dritter wendet, wie sie sich z. B. bei F i n e 43 findet 27 ZSS 68 (1951), S. 547, Anm. 12. 28 Festschrift Lewald, S. 144, Die bezüglich des Lieferungskaufs ebendort gegebene Erklärung, „Vom griechischen Standpunkt aus gehört der Preis zum Kauf dazu“, erscheint mir dagegen wenig überzeugend.

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cherungsobjektes unter Vorbehalt des Lösungsrechtes für den Sicherungs­geber durch den Sicherungsnehmer an ablösebereite Dritte im Sinne Va t i n s . Denn gegen die Praktizierung einer π. ε. λ. ohne Lösungsfrist, wie sie sich Va t i n vorstellt, in Attika spricht m. E. das Fehlen deutlicher Anzeichen auf den Warn­ steinen. Überdies hat F i n l e y gezeigt, daß man sich in Attika in der Regel kurzfristig zu nichtökonomischen Zwecken, nicht aber lang­fristig zu verschul­ den pflegte29. Nein, ich denke eher an ein Interesse des Gläubigers, Dritte zu veranlassen, im Zusammenwirken mit dem Schuldner das Sicherungsobjekt auszulösen. Dazu war es sinnvoll, die Lösungssumme bekanntzumachen. Der Leser der Inschrift konnte sich dann sogleich umsehen und überlegen, ob die Angelegenheit in Anbetracht der erforderlichen Lösungssumme für ihn von In­ teresse war. Diese Annahme setzt freilich voraus, daß die Sicherungseigentümer regel­ mäßig daran interessiert gewesen sein können, möglichst bald an Stelle des für sie weniger interessanten Titulareigentums wieder in den Besitz des ihnen ge­ schuldeten Geldes zu kommen30. In einer Zeit, in der die Bodenrente niedriger lag als der Normalzins31, wäre das durchaus denkbar. Nach dieser These, die ich hier zur Diskussion stellen möchte, wäre es also nicht allein das Interesse an der Ersparung von künftigen Komplikationen32 –, sondern auch der Wunsch, es möge sich doch jemand finden und das Sicherungsobjekt bald auslösen, gewe­ sen, das für die Aufstellung der π. ε. λ.-Steine bestimmend war33. Kehren wir zu unserem Stein zurück. Das festgestellte Interesse des Ph scheint mir wenigstens zum Teil mit Anliegen des X übereingestimmt zu haben. Dieser mußte daran interessiert sein, das Sicherungsobjekt rechtzeitig auszulö­ sen, mit anderen Worten, den Kaufpreisrest termingerecht abzuführen; denn anderenfalls drohte ihm der Verlust des Lösungsrechtes. Zur Erreichung die­ ses Zieles mußte er notfalls einen Kredit aufnehmen. Bei der Begleichung von Kaufpreisen wirkte sich nun im alten Griechenland der Surrogationsge­danke in der Weise aus, daß im Falle einer Bezahlung mit geliehenem Geld der Geldge­ ber ein dingliches Recht am Kaufgegenstand erwarb34. Es mußte daher ein An­ liegen des X sein, kundzutun, daß zwar das Grundstück wirt­schaftlich nur zur Hälfte belastet war, daß aber aus diesem Grunde dem potentiellen Geldgeber 29 Land and Credit S. 86 f. 30 Bejaht von F e l g e n t r a e g e r , Antikes Lösungsrecht, Berlin/Leipzig 1933, S. 70. 31 H e i c h e l h e i m , Wirtschaftsgeschichte des Altertums I (Neudruck 1969), S. 389. 32 So richtig F i n l e y 15. 33 An ein, wenn auch anderes Interesse des Sicherungsgebers denkt offenbar B e r n e k e r a.a.O. Sp. 657 unten. 34 P r i n g s h e i m , Kauf mit fremdem Geld, S. 168 f.

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kraft Surrogation ein dingliches Recht auch nur an der Hälfte – oder in Höhe des halben Wertes – zufallen würde. Anderen­falls waren später Streitigkeiten möglich. Das vor allem deshalb, weil bei einer n o r m a l e n Veräußerung auf Lösung ein dem lösungsberechtigten Sicherungsgeber beispringender Dritter ja ein Recht am g a n z e n Grundstück erwarb. Überdies kann angenommen werden, daß X daran interessiert ge­wesen sein könnte, Dritten kundzutun, daß es sich nur um eine k u r z ­f r i s t i g e Veräußerung auf Lösung handelte, wie ich aus dem Umstand, daß offenbar ein Restkaufgeld vorlag, folgern möchte. Mir scheint daher, daß wir bei diesem Horos von einem übereinstimmenden Interesse von besitzendem Nichteigentümer und nichtbesitzendem Eigentümer an der Aufstellung des Warnsteines sprechen können. Aber nicht nur dies sollte den Stein Beachtung durch die Rechtshistoriker finden lassen!

RECHTSVORSTELLUNGEN IM ALTGRIECHISCHEN UND GRAECO-ÄGYPTISCHEN RECHTSKREIS

I. Es ist genau 60 Jahre her, seit zuletzt der Inhaber einer Lehrkanzel für Römisches Recht das Amt des Rektors unserer Alma mater bekleidet hat. Es war der Roma­nist Dr. Ivo PFAFF, der im ersten Jahr des Ersten Weltkrieges inauguriert wurde. Wenn auch im Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit das römische Recht stand, so ha er sich doch gelegentlich auch mit den Papyrusurkunden juristischen Inhalts beschäftigt. Diese sind vor 25 Jahren mein erstes wissenschaftliches Arbeitsgebiet gewesen, spä­ter ist die Beschäftigung mit dem altgriechischen Recht dazugekommen. Alter Tradition folgend möchte ich dabei heute ein Thema aus diesen, meinen wissenschaft­ lichen Hauptarbeitsgebieten, hier behandeln. Wenn ich da­bei auch auf geltend­ rechtliche Fragen zu sprechen komme darf ich die hier anwesenden Kenner des österreichischen1 Privatrechts schon jetzt um Verzeihung bitten, wenn mir einmal Vorstellungen aus dem Kreis des deutschen Zivil­rechts unterkommen, in dem ich aufgewachsen bin und das ich gelehrt habe, bevor ich dem Ruf nach Graz folgte. Ich möchte mich in der mir zur Verfügung stehenden Zeit bemühen, Ihnen einige Rechtsvorstellungen näherzubringen, die nach dem Bild, das wir aus den Quellen gewinnen, im Zentrum des griechischen Rechtsdenkens ge­standen ha­ ben. Der Z e i t a b s c h n i t t , in dem wir die­sen Vorstellungen begegnen, reicht vom klassischen Griechenland bis in die Zeit des Hellenismus, der R a u m , aus dem die hier behandelten Quellen stammen, umfaßt in erster Linie Athen und das ptolemäisch-römische Ägypten. Die Einbeziehung der Zeit der Römer­ herrschaft darf Sie nicht überraschen: das in der Provinz Ägypten prakti­zierte Privatrecht wies noch lange, nachdem die Herrschaft über das Land am Nil auf die Römer übergegangen war, griechische Züge auf. II. Beginnen wir mit Fragen des Kauf- und Eigentums­rechts. Für den heu­ tigen Juristen ist der K a u f ein rein schuldrechtliches Geschäft, durch dessen Abschluß der Ver­käufer obligiert wird, die Ware zu übereignen, während den Käufer die Verpflichtung trifft, den Kaufpreis zu be­zahlen. Von diesem schuld­ rechtlichen Geschäft sind die beiden darauf basierenden Verfügungsgeschäfte, die Über­eignung der Ware durch den Verkäufer an den Käufer und die Über­ eignung des G e l d e s durch den Käufer an den Verkäufer, scharf zu trennen, obgleich sie bei einem normalen Kauf im Laden zusammenfallen und deshalb vom Laien auch kaum voneinander unterschieden werden. Für den Erwerb des E i g e n t u m s am K a u f g e g e n ­s t a n d durch den Käufer ist es dabei nach

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geltendem Recht völlig u n e r h e b l i c h , ob der Kaufpreis g l e i c h z e i t i g bezahlt wird oder nicht. Wird der Kaufpreis g e s t u n d e t , also beispielsweise Zahlung am nächsten Tag vereinbart, erwirbt der Käufer doch mit der Über­ gabe des Gegenstandes das Eigentum, soweit nicht besondere Abmachungen getroffen wurden, die wir hier einmal außer Betracht lassen wollen (nämlich den soge­nannten Eigentumsvorbehalt). Diese s t r i k t e Unterscheidung der drei Geschäfte ist ein Produkt der ent­ wickelten r ö m i s c h e n Jurispru­denz. Selbst in der römischen F r ü h z e i t war sie unbe­kannt. Der Verkauf war damals ein Veräußerungsgeschäft gegen Bar­ zahlung, der Erwerb des Eigentums am Kaufgegenstand abhängig von der B e ­ z a h l u n g des Kaufpreises. Die g r i e c h i s c h e n Rechtsvorstellungen sind nie über das Stadium des Barkaufs hinaus fortge­schritten. Nach griechischer An­ schauung erwarb, wie an­hand zahlreicher Texte gezeigt werden kann, der Käu­ fer einer Sache das Eigentum am Kaufgegenstand a u s s c h l i e ß l i c h durch die Bezahlung des Kaufpreises. Die Übergabe der Sache war unwesentlich.1 Damit in engem Zusammenhang steht eine erstmals von dem deutschen Rechtshistoriker Fritz PRINGSHEIM an den griechischen Texten gemachte Beobachtung2: Beim Kauf mit f r e m d e m Geld, z. B. durch einen Dar­ lehensnehmer, entstand am Kaufgegenstand ein Recht des Geldgebers, das im Wege der Surrogation fortbestand, bis das Darlehen zurückbezahlt war. Wurden die mit dem fremden Geld angeschafften Waren veräußert, trat das Entgelt an die Stelle der Waren, wurde das Entgelt neuer­lich ausgegeben, beispielsweise um auf einer Handelsfahrt nach Übersee für die Rückfahrt Waren zum Zwecke des Imports zu erwerben, traten wiederum die Waren an die Stelle des Geldes. Mit anderen Worten, der Darlehens­geber besaß während der Laufzeit des Dar­ lehens so lange eine Art Eigentum, als der hingegebene Wert noch in irgendei­ ner Gestalt greifbar war. Hinter beiden Vorstellungen steht offenbar ein Gedanke, den mein verehr­ ter Lehrer Erwin SEIDL „Prinzip der not­wendigen Entgeltlichkeit“ genannt hat3. Das soll be­sagen, daß Rechte d e r i v a t i v nur dadurch erworben werden konnten, daß der bisherige Inhaber ein Entgelt erhielt, das objektiv dem Wert der Sache entsprach. Eine Sache hat nach SEIDL so lange ihrem Eigentümer 1 Belege bei F. Pringsheim, The greek law of sale, Weimar 1950, passim. 2 In seinem 1916 erschienenen Buch „Der Kauf mit fremdem Geld“ (Leipzig). 3 Die Gedanken Erwin Seidls sind vor allem in den folgenden Werken zu finden: Ägyptische Rechtsgeschichte der Saiten- und Perserzeit2, Glückstadt 1968, S. 45ff.; Ptolemäische Rechtsge­ schichte2, Glückstadt/Hamburg/New York 1962, S. 114. Vergleiche auch die Darstellung von Claus in seinem Buch „Gewillkürte Stellvertretung im römischen Privatrecht“, Berlin 1973, S. 14ff.

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gehört, bis er eine entsprechende Gegenleistung erhalten hatte. War eine end­ gültige Überlassung nicht vereinbart, änderte sich auch durch eine Übergabe nichts an der Zuordnung, beispielsweise blieb Geld auch in den Händen des Dar­lehensnehmers immer Geld des Darlehensgebers. Beobachtungen in anderen antiken Rechtsordnungen haben SEIDL zu der Anschauung geführt, daß dies „Prinzip der notwendigen Entgeltlichkeit“ die meisten antiken vorrömischen Rechte beherrscht habe. Nur in ein­zelnen, fort­ geschrittenen Rechtsordnungen habe man sich mit einer E r k l ä r u n g des bis­ herigen Rechtsinhabers, daß er befriedigt sei, begnügt, sei es also nicht auf ein objektiv gleichwertiges Entgelt angekommen. Ob man wirklich von der Geltung eines derartigen Prinzips sprechen kann – ich erinnere nur an die Lehre, daß überall in der geschichtlichen Entwicklung die S c h e n k u n g früher als Tausch und Kauf existierte4 – und ob dieses Prin­ zip in der Tat die Rechtsvorstellungen der Griechen beherrscht hat, kann hier nicht weiter verfolgt werden5. Wenn ja, dann offenbar nur in der letzt­genannten Form – denn anders kann, wie mir scheint, der im altgriechischen Recht begeg­ nende Eigentumserwerb durch S c h e n k u n g nicht erklärt werden. Jedoch zurück zu den s i c h e r erkennbaren griechischen Rechtsvorstellun­ gen. Daß sie von unseren h e u t i ­g e n juristischen Vorstellungen weit entfernt sind, erklärt sich aus dem römischen Erbe in unserem Zivilrecht und dem Um­ stand, daß auch während der Zeit des soge­nannten Dominats wenig griechische Vorstellungen in das vorjustinianische römische Recht eingeflossen sind. Je­ doch kann man im Gespräch mit Laien auch heutzutage noch der Anschauung begegnen, man habe einen gekauften Gegenstand erst dann erworben, wenn man den Kaufpreis bezahlt hat. Es ist dies die volksnähere Anschauung, de­ ren Nichtüberwindung bei den Griechen kaum ausschließlich darauf zurück­ zuführen sein dürfte, daß es im alten Grie­chenland keine Rechtswissenschaft gegeben hat. Diese entgeltorientierte Denkweise dürfte vielmehr ein Grundzug griechischen Rechtsdenkens gewesen sein. Aufgrund der geschilderten Auffassung vom Kauf als einem Veräußerungs­ geschäft gegen Barzahlung waren die Griechen gezwungen, bei K r e d i t - und L i e f e r u n g s ­k ä u f e n andere Wege zu gehen als die moderne Rechtspraxis. Heutzutage, da wir den Kauf als ein reines Schuldverhältnis verstehen, macht es weder dogmatisch noch rechtstechnisch Schwierigkeiten, einen Kaufvertrag 4 Vgl. M. Mauss, Die Gabe, Frankfurt 1968 (dtsche. Über­setzung von „Essai sur le don“, erschie­ nen in Année socio-logique, sec. serie, I, 1923/24). 5 Zum „Prinzip der notwendigen Entgeltlichkeit“ neuestens M. Kaser in Ztschr. d. Sav. Stiftung, Rom. Abtlg., 91, 1974. S. 146–173.

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zu formulieren, bei dem die Lieferung der Ware erst in Zukunft erfolgen soll – Lieferungskauf –, wie es auch nicht schwierig ist, die nötigen Klauseln einer Abmachung über s o f o r t i g e Lieferung, aber erst spätere Bezahlung zu ver­ fassen, also das, was wir K r e d i t k a u f nennen. Bleiben wir zunächst beim Letztgenannten. Wenn im g r i e c h i s c h e n Rechtskreis die Lieferung sofort, die Bezahlung aber erst später erfolgen sollte, bedurfte es doppelter Vorkehrungen: Bei wertvollen Objekten, bei­spielsweise Grundstücken oder Gebäuden, mußte einmal der Ve r k ä u f e r dagegen ge­ schützt werden, daß Dritte den bereits dem K ä u f e r übergebenen Kaufgegen­ stand als diesem gehörig ansahen – deshalb wurden in Athen bei dem Objekt Warnsteine, die sogenannten Horoi, auf­gestellt – vor allem aber mußte sicher­ gestellt werden, daß der Verkäufer die Möglichkeit bekam, gegen den Käufer vorzugehen, wenn dieser den gestundeten Kauf­preis bei Fälligkeit nicht bezahlte. Da es eine O b l i ­g a t i o n Kauf ja nicht gab, wählte man den Weg, den Kaufpreis als dem Käufer vom Verkäufer gewährtes D a r ­l e h e n zu fingieren, so daß der Verkäufer die Möglich­keit hatte, wegen eines nicht rechtzeitig zurückbezahlten Darlehensbetrages gerichtlich vorzugehen. Beim L i e f e ­r u n g s k a u f bestand das Problem darin, dem Käufer, der den Preis schon bezahlt hatte, eine Klage­ möglichkeit zu verschaffen, wenn der Verkäufer zum vereinbarten Termin die Ware nicht lieferte. Hier ist man nicht den­selben Weg gegangen wie beim Kredit­ kauf, sondern ent­wickelte einen eigenen Urkundstyp, der sich erheblich von der Kaufurkunde unterschied und dem Schema „ich habe erhalten und werde liefern“ folgte. Und das ist es, worauf es mir hier ankommt: Die Vorstellung, daß Kauf nicht eine Obligation auf künftige Lieferung beinhalten kann, zeigt sich auch hier und noch in der Zeit des Hellenismus. Auch hier herrscht der Austauschgedanke. – Das Siche­rungsinteresse des K ä u f e r s von Grundstücken – er hatte bereits bezahlt und war damit Eigentümer gewor­den, der Verkäufer war aber noch im Besitz – wurde in Athen wiederum durch Horoi befriedigt, die anzeigten, daß das Grundstück dem Verkäufer nicht mehr gehörte. III. Sehen wir uns nun einmal die erwähnten K l a g e m ö g l i c h k e i t e n etwas näher an, so stellen wir fest, daß die Griechen offenbar weder a l l g e ­ m e i n e noch s p e z i e l l e Vertragsklagen kannten. Zur Erklärung dieses Phä­ nomens hat der Freiburger Rechtshistoriker Hans Julius WOLFF in den letzten Jahrzehnten den maß­geblichen Beitrag geleistet.6 6 Die Lehren H. J. Wolffs sind vor allem in folgenden Arbeiten entwickelt worden: Zeitschrift der Sav. Stiftung, Rom. Abteilung, 74, 1957, S. 26–72 (gleichfalls abgedr. bei E. Berneker in dem Sammelband „Zur griechischen Rechtsgeschichte“ [Wege der Forschung 45], Darmstadt 1968, S. 483 ff.); Lexikon der Alten Welt, Zürich/Stuttgart 1965, Sp. 2526; The Irish Jurist I, Part 2,

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Nach ihm gab es im alten Griechenland ursprünglich nur eine deliktische Haftung. Weder aus m ü n d l i c h e n noch s c h r i f t l i c h e n noch sonstwie formgebundenen Abmachungen entsprang eine Klage auf Leistung. Die Mög­ lichkeit, einen Vertragspartner, wie wir heute sagen würden, zu k l a g e n , be­ stand nach WOLFF nur dann, wenn eine Vermögensschädigung vorlag. Wenn also bei­spielsweise ein Darlehen gegen Zinsen gewährt worden war und die Rückzahlung des Kapitals erfolgte nicht rechtzeiitig, war der Darlehensemp­ fänger einer Delikts­klage ausgesetzt, weil er dem anderen Teil gehörendes Geld – hier sehen wir die vorhin erwähnte Vorstellung – für sich behalten und damit den anderen Teil geschädigt hatte. Aber auch bei Nichtzahlung der Zinsraten bestand eine Klagemöglichkeit; denn die dem Darlehensgeber ge­schuldeten Zinsen wurden bereits als dem Gläubiger ge­hörend verstanden, ihre nicht recht­ zeitige Zahlung bedeu­tete also ebenfalls Vermögensschädigung, d. h. blábe. Soweit die Lehren WOLFFs, die man kurz auf folgende Formel bringen kann: die zugunsten eines anderen zu einem bestimmten Zweck gemachte Ver­ fügung7 – dabei Zweckverfügung – schuf eine deliktische Haftung, d. h. der Verfügungsempfänger unterlag einer Deliktsklage wenn er den Zweck aner­ kannt, aber durch Nichterfüllung der gemachten Versprechungen den Verfügen­ den in seinem Vermögen geschädigt hatte. Auch hier sehen wir einen archaischen Zug: die Vor­stellung der Schuld fehlt, es existiert allein eine Haftung, und diese wurde ursprünglich nur durch ein De­ likt ausgelöst. Dies sind m. E. die wesentlichsten Vorstellungen, die das altgriechische Pri­ vatrecht beherrschten. Sie sind inso­fern bemerkenswert, als aus ihnen ein star­ ker Zuordnungs­schutz spricht. Erst der Eingang des Erlöses läßt das Eigentum übergeben, und die Beeinträchtigung des Eigen­tums steht unter Deliktsschutz. Man fragt sich, ob hier noch Anklänge an ein frühes Kollektiveigentum der Familie vorliegen, in Gestalt eines Schutzes der Gesamtheit der Eigentümer gegen Verfügungen des derzeitigen Oikosoberhauptes? IV. Wenn man nun, wie das wohl alle Rechtshistoriker tun, die sich mit dem altgriechischen Recht beschäftigen, auch die h e l l e n i s t i s c h e Z e i t in seine Betrach­tungen einbezieht, kann man beobachten, wie die Griechen, ohne die ge­

Winter 1966, S. 316–327; Revue Historique de droit Français et Étranger 44, 1966, S. 569–583; Fest­schrift F. v. Hippel, Tübingen 1967, S. 693–698; Vestigia 17 (= Akten des VI. Internationa­ len Kongresses für griechische und lateinische Epigraphik, München 1972), S. 140 ff.; Ztschr d. Sav. Stiftung, Rom. Abtlg., 90, 1973, S. 78 ff. 7 Vielleicht sollte man besser von „Überlassungen zu anerkanntem Zweck“ sprechen (siehe mei­ nen Beitrag in der Festschrift für Walter Wilburg).

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schilderten Vorstellungen jemals vollständig abzutun, Wege gefunden haben, um das zu entwickeln. was wir heute ein Ve r t r a g s r e c h t nennen würden. Zwei Erfindungen waren es vor allem, die zu nennen sind, die aber wohl schon in die vorhellenistische Epoche zurückreichen. Die erste bestand darin, durch Erklärung der aufgesetzten Urkunden für kyria, für m a ß g e b­l i c h , das in den Urkunden Niedergelegte einem Gegen­beweis zu entziehen. Hatte bei­ spielsweise ein Darlehens­nehmer in seiner Urkunde das échein, das Empfan­ genhaben, der Darlehenssumme bestätigt, und hatte man in die Urkunde die sogenannte Kyria-Klausel aufgenommen, war im Falle eines Prozesses dem Darlehensnehmer der Beweis abgeschnitten, er habe in Wahrheit die Valuta niemals empfangen. Dieser Klausel bediente man sich z. B., wenn es galt, Ur­ kunden über fiktive Geldempfänge zu errichten, wie eben geschildert wurde. Noch w e i t g e h e n d e r war die zweite Erfindung. Sie ist offenbar so vor sich gegangen, daß man sich bewußt wurde, was eigentlich durch die Erstrei­ tung eines Urteils in einer Schädigungsklage, einer dike blábes, dem Kläger er­ öffnet wurde, nämlich das Recht zur praxis, der Vo l l s t r e c k u n g in das Ver­ mögen und vielleicht auch die Person des Schuldners. – Durch ein griechisches Urteil wurde der Beklagte nicht zu einer Leistung verurteilt, sondern dem Klä­ ger das Recht zur praxis, zur Voll­streckung, zugesprochen. – Man ging nämlich dazu über, in Urkunden, in denen die Vornahme einer Überlassung bestätigt und Leistungsversprechen niedergelegt wurden, durch eine besondere Klausel dem Verfügenden ausdrück­lich die praxis für den Fall einzuräumen, daß der Versprechende die Leistung nicht erbringen würde. Das hatte nach WOLFF zur Folge, daß der Verfügungsemp­fänger verklagt werden konnte, auch wenn aus Gründen, die hier nicht näher erörtert werden können, sich etwa das Verhalten des Schuldners nicht als blábe darstellte. Mit anderen Worten, die Beifügung der Praxis-Klausel schuf eine Haftung, wo eine solche kraft Gesetzes n i c h t bestand. Das war ein umso wesentlicherer Fortschritt, als das griechische Kla­ gensystem offenbar nur ganz bestimmte, auf gesetzlicher Grundlage beruhende Klagen, dikai, kannte. Der „Vertragsschluß‘‘ war also Abschluß eines Haftungsgeschäftes. Mit die­ ser Erfindung hatte man praktisch die Schranken des Prinzips der Zweckverfü­ gung überwunden. Mit Hilfe von Kyria-Klausel und Praxis-Klausel konnte jede Abmachung klagbar gemacht werden. Und doch ist zu beobachten, daß offen­ bar die alte Vorstellung, eine Haftungsklage werde nur dadurch geschaffen, daß jemand etwas empfangen und den vom Gläubiger damit verfolgten Zweck an­ erkannt hatte, fortbestand. Denn bis weit in die Römerzeit lassen sich sehr viele Urkunden, die wir getrost als Vertragsurkunden bezeichnen können, wenn wir uns von der Vorstellung lösen, Vertragsurkunden müßten so ähnlich aussehen

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wie Vertragsurkunden des heutigen Rechtes, am besten auf der Grundlage der Zweckverfügungslehre erklären. Wir sehen an dem reichhaltigen Urkundenmaterial, das uns insbesondere auf Papyrus erhalten ist, somit ein inter­essantes Phänomen: ohne daß man zur Vorstellung der Schuld, die automatisch auch die Haftung des Verpflich­teten einschließt, vordrang, wurden Abmachungen des verschiedensten Inhalts klagbar gemacht. Das war einfach, wenn der Gläubiger irgendwie vorleistete, beispielsweise bei Miete und Pacht, beim Darlehen, aber auch beim Ammen­ vertrag und beim Vertrag über die Ausbildung von Lehrlingen. Leistete der Gläubiger n i c h t vor, fingierte man eine solche Leistung, machte die Urkunde durch Beifügung einer Kyria-Erklärung unwiderlegbar und hatte damit prak­ tisch denselben Effekt erzielt wie mit einer wirklichen Vorausleistung. V. Die dargestellte Auffassung von der praxis hat die Griechen befähigt, ein Problem auf einfache Weise zu lösen, welches beispielsweise dem wesentlich entwickelteren römischen Recht lange Schwierigkeiten bereitet hat. Ich meine die Möglichkeit der Abtretung, der Z e s s i o n , von Forderungen. Für die römische Jurisprudenz noch der klassischen Zeit war das entstan­ dene Forderungsrecht an die Person der Beteiligten gebunden, die Abtretung einer Forderung mit vollem Übergang des Gläubigerrechtes war den Römern fremd. Wenn ich einmal den verehrten Kollegen Max KASER zitieren darf: „Man mußte sich verschiedener Um­wege bedienen, um das wirtschaftlich not­ wendige Ziel der Übertragbarkeit zu erreichen.“ Ich nenne als Stufen der Ent­ wicklung: die sogenannte Aktivdelegation, die Bestel­lung desjenigen, der das Forderungsrecht erhalten soll, zum Prozeßvertreter und schließlich die Gewäh­ rung einer actio utilis an den Zessionar durch das Kaiserrecht von der Hoch­ klassik ab. Für die Griechen stellte sich dieses Problem nicht. Sie sind zur Vorstellung einer obligatio, eines Schuldner und Gläubiger und niemand sonst miteinander verbindenden Bandes niemals vorgedrungen. Sie kannten nur die Hal­tung und wußten diese in der geschilderten Weise künst­lich auch für solche Fälle zu schaffen, in denen es keine dike kraft Gesetzes gab. Da offenbar der zur praxis Berechtigte ausdrücklich in der Urkunde genannt werden mußte, sahen die Ur­ kundenverfasser kein Problem darin, als Berechtigten einen a n d e r e n als den Versprechensempfänger zu benennen. Hieraus hat sich später die Übertragung, parachoresis, der praxis entwickelt, derer früheste Beispiele in das letzte Jahr­ hundert vor der Zeiten­wende fallen. Zu einer derartigen Übertragung war of­ fenbar die Zustimmung des der praxis Unterworfenen, des „Schuldners“, nicht erforderlich. Soweit besteht Überein­stimmung unter den Gelehrten. Umstritten ist dagegen, ob die schon früher begegnenden B l a n k e t t u r k u n d e n , in de­

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nen der Name des zur praxis Berechtigten offenblieb, bereits im Sinne eines Rechtes des Gläubigers zur belie­bigen Übertragung oder nur so zu verstehen sind, daß dem Gläubiger die Möglichkeit gegeben werden sollte, die praxis durch einen anderen besorgen zu lassen. Letzte­res ist die Meinung meines Leh­ rers Erich BERNEKER in Würzburg, sie würde hinter der Bestellung zum pro­ curator in rem suam in Rom zurückbleiben.8 VI. Damit muß ich die Nennung von Beispielen ab­brechen. Sie haben Ihnen, so hoffe ich, einiges von der Denkweise der Griechen gezeigt und erkennen lassen, daß auch ohne ausgefeilte Dogmatik Lösungen möglich sind. die den Bedürfnissen des Wirtschaftslebens gerecht werden. Die geschilderten Rechtsvorstellungen sind nach meiner Überzeugung vor allem aus zwei Gründen für uns von Interesse: Erstens zeigen sie uns, welche privatrechtlichen Rechtsvorstellungen jenes Volk beherrschten, dessen Kultur ein nicht wegzudenkender Bestandteil unserer eigenen Kultur ist. Zweitens, und das ist der Aspekt, der mich als Rechtshistoriker immer wieder zu den Quellen des grie­chischen Rechtes zieht, lassen sie uns einen Blick in eine Vor­ stellungswelt tun, die gewisse archaische Züge nie überwunden hat, trotzdem aber in der Lage war, kunst­volle Vertragsformulare zu entwickeln, die offenbar allen Anforderungen des Wirtschaftslebens genügten. Bei der Beschäftigung mit diesen Texten wird man mit Vorstel­lungen vertraut, die ganz anders sind als die bis in unser Privatrecht fortwirkenden der römischen Juristen. Ihr Studium schärft den Blick für die Lehre des römischen und des geltenden Rechtes. Es regt dazu an, die Dogmatik des geltenden Rechtes immer wieder neu zu über­ denken. Damit will ich keineswegs eine Lanze dafür brechen, auch den griechi­ schen Rechtskreis in die Juristenausbildung einzubeziehen. Jedoch darf ich als Rechtshistoriker in einer Zeit nicht schweigen, in der ein neues Gesetz über die Ausbildung der Juristen dem Nalionalrat vorgelegt worden ist, von dem über­ all in der Presse die darin enthaltene Einschränkung des Umfangs der rechts­ geschichtlichen Fächer groß herausgestellt wurde. Ich bin mir wohl bewußt, daß das neue Juristengesetz Verbesse­rungen bringen wird, muß jedoch davor warnen, die rechtsgeschichtlichen Fächer zu sehr einzuschränken. Diese Fächer sind nicht ohne gute Gründe bis heute ein wesent­licher Teil der Juristenausbil­ 8 Literatur zur Zession in den Papyri: H. J. Wolff, Beiträge z. Rechtsgeschichte Altgriechenlands u. d. hellenistisch-römischen Ägypten. Weimar 1961, S. 122 ff.; derselbe, Symbolae Raphaeli Taubenschlag I (= Eos 48,1), Warschau 1956, S. 355 ff.; derselbe, Studi U. E. Paoli, Firenze 1955, S. 725–740. E. Berneker in Festschrift F. Laufke (Ius et Commercium), Würzburg 1971, S. 11–32.

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dung und müssen es bleiben! Wie kaum ein anderes juristisches Lehrfach ist die Rechts­geschichte geeignet, den Blick des jungen Juristen für die Relativität des eigenen Rechtes zu schärfen und ihm Ein­blick in rechtsgeschichtliche Ent­ wicklungsprozesse zu geben. Daß das meiner Überzeugung nach nicht nur für das römische Recht gilt, möchte ich hier ausdrücklich fest­stellen. Auch deshalb habe ich mich bemüht, Sie einen Blick in Rechtsbereiche tun zu lassen, deren Kenntnis – anders als die des römischen Rechts – für das Verständnis des g e l ­ t e n d e n Rechts nicht unbedingt notwendig ist. Ich hoffe, meine Fachgenossen werden mir das ebenso verzeihen wie Sie meine allzulangen Ausführungen!

VERPÄCHTER- UND PÄCHTERURKUNDEN IN DEN ­GRIECHISCHEN PAPYRI

Der verehrte Meister, dem zu Ehren dieser Band herausgegeben wird, hat mich als Studenten mit den verschiedenen antiken Rechtsordnungen vertraut gemacht. Dem von ihm geweckten Interesse an den Rechtsproblemen der Antike verdanke ich die maßgebliche Weichenstellung für die spätere Berufs­wahl. E ­ rwin Seidl hat mich dabei auch in die juristische Papyruskunde ein­geführt; unter seiner Lei­ tung durfte ich meine ersten wissenschaftlichen Schritte tun. Er war es auch, der mich mit den Methoden der Interessenjurisprudenz und den Lehren von Müller-Erzbach vertraut gemacht hat. Ich möchte mich da­her an dieser Festschrift mit einem kleinen Beitrag aus dem Bereich der juristi­schen Papyri beteiligen und einem Phänomen zuwenden, das man wohl nur mit Hilfe der Berücksichtigung der Interessenlagen erklären kann. Ich meine die Tatsache, daß die griechischen Urkunden über eine μίσϑωσις überwiegend von der Seite des Ve r p ä c h t e r s bzw. Vermieters her formuliert sind, also sein μισθοϋν festhalten. Und zwar gilt dies sowohl für die sogenannten Protokolle wie für die – allerdings in der Min­ derheit befindlichen – Ur­kunden in Homologie-Form. Gerade letzteres ist aus zwei Gründen bemer­kenswert: Einmal sollte man bei den Homologien doch er­ warten, daß die Erklärung derjenigen Partei beurkundet wird, der etwas überlas­ sen worden ist und die sich im Hinblick darauf zu bestimmtem Tun verpflichtet. Zum zweiten ist die Übung bei den μίσϑωσις-Homologien deshalb beachtens­ wert, weil wir bei den D a r l e h e n s urkunden genau das Gegenteil beobachten können: Auch die Urkunden über Kredite sind nämlich, soweit sie einfache Pro­ tokolle sind, regelmäßig von der Seite des Darlehensgebers stilisiert, ent­sprechen also den μίσωσεν-Protokollen; wenn jedoch die Homologie-Form verwendet ist, spricht der Kredit n e h m e r 1. Dieser Besonderheit der μίσϑωσις-Urkunden ist, wenn ich recht sehe, bisher noch kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden. Im allgemeinen begnügt man sich zur Erklärung der Verpächter-Homologien und überhaupt der Gläubiger­Homologien mit dem Hinweis, es habe keine Rolle gespielt, wer homologierte, da dem Homologieren ja nicht die Bedeutung eines Schuldversprechens oder Schuldanerkenntnisses zugekommen sei, sondern es nur den Zweck gehabt habe, eine erfolgte „Verfügung“ – man sollte vielleicht besser „Überlassung“ sa­

1 H. v. Soden, Untersuchungen zur Homologie in den griechischen Papyri Ägyptens bis Diokle­ tian (Köln 1973) S. 80/81.

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gen2 – zu beurkunden3. Es ist also die Frage zu stellen, warum man in Ägypten so entscheidenden Wert auf die Erklärungen und das Tun der Ve r p ä c h t e r und nicht der Pächter legte. Der Grund muß in der Z w e c k b e s t i m m u n g der Urkunde liegen. Erwin Seidl hat gelehrt, „daß überhaupt Rechtsurkunden errichtet werden, dient dem Bedürfnis des Empfängers nach späterer Beweis­ sicherung“4. Da man wohl davon ausgehen kann, daß eine Urkunde, die im wesentlichen nur die Erklärungen einer Partei enthält, für die Sicherung der a n d e r e n Partei und deshalb zum Verbleib bei dieser bestimmt ist, müssen wir annehmen, daß es im ptolemäischen Ägypten bei der μίσϑωσις unter der grie­ chisch sprechenden Bevölkerung mehr die P ä c h t e r waren, die eine Urkunde für ihre Zwecke benötigten, als die Verpächter. Diese Annahme widerspricht freilich dem von Seidl5 für normale Zeiten angenom­menen Regelfall, daß der Pächter als der wirtschaftlich schwächere Teil dem Verpächter eine Urkunde ausstellen muß; aber daß im griechisch-römischen Ägypten die Machtlage der Pächter nicht ungünstig war, ist ja nichts Neues6. Die Erklärung liegt, wie mir scheint, im folgenden: Wenn ein Grundbesitzer um die Überlassung eines Grundstückes in Pacht angegangen wurde, legte er seine Bedingungen fest und gab den Termin bekannt, von dem ab das Objekt dem Pächter zur Nutzung zur Verfügung stehen werde. Wenn später der Pächter tatsächlich mit der Nutzung begann, unterwarf er sich damit den vom Verpäch­ ter gesetzten Bedingungen. Einer schriftlichen Fixierung s e i n e r Er­klärungen bedurfte es deshalb nicht; es galten die vom Verpächter festgesetzten Bedin­ gungen. Für den Verpächter war also im Falle eines Rechtsstreites nur von Be­ deutung, was er selber festgesetzt hatte. Dazu genügte auch eine in den Händen des Pächters befindliche Urkunde. Zahlte der Pächter beispielsweise keinen Pachtzins, und leitete der Verpächter deshalb gegen ihn Schritte ein7, konnte der Pächter seine Berechtigung zur Nutzung nicht ohne gleichzeitige Offen­ legung der vom Verpächter festgelegten Zinshöhe beweisen8. Das be­deutet, 2 Vgl. meine Bemerkungen dazu in der Festschrift f. Walter Wilburg (Graz 1975) S. 189 ff. 3 Vgl. Wolff, SavZrom. 74 (1957) S. 60. 4 Studi in memoria di Emilio Albertario I (Milano 1953) S. 108 f. 5 Ptolemäische Rechtsgeschichte 2(Glückstadt/Hamburg/New York 1962) S. 129. 6 Vgl. Wolff, Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römischen Ägyptens (Weimar 1961) S. 146 u. Vandoni, JJP 15 (1965) S. 145 ff. 7 Eine spezielle Verpächterklage wegen des oder auf den nicht bezahlten Pachtzins hat es offen­ bar nicht gegeben; vgl. Wolff, SZ 74, S. 39; Herrmann, Studien zur Bodenpacht im Recht der graeco-aegyptischen Papyri (München 1958) S. 139. 8 Vgl. die Bemerkungen Seidls über das „Sichberühmen“ in seiner Ptolemäischen Rechtsge­ schichte (o. A. 5) S. 129 f.

Verpächter- und Pächterurkunden in den griechischen Papyri

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daß ein Verpächter normalerweise kein Bedürfnis nach einer Pächter­urkunde gehabt haben dürfte. Das auch deshalb, weil offenbar ein Pächter nicht haftete – etwa auf Schadensersatz –, der die ihm eingeräumte Nut­zungsbefugnis nicht ausgenutzt, also die Pacht nicht angetreten hatte. Das klingt für unsere Ohren zwar merkwürdig und wenig interessengerecht; das Fehlen jeder diesbezügli­ chen Sanktion in den Pachttexten läßt aber kaum eine andere Deutung zu9. Für den P ä c h t e r sah die Sache dagegen so aus, daß er ein Schriftstück b e n ö t i g t e , das seine Berechtigung bewies, um sich gegen den Vorwurf un­ berechtigter Nutzung verteidigen zu können und gegen Doppelverpach­tungen geschützt zu sein; zumal regelmäßig doch wohl die Abmachungen zwischen den Beteiligten längere Zeit vor Pachtbeginn getroffen worden sein dürften10. Das konnte logischerweise nur eine Verpächtererklärung sein. Unter diesem Gesichtspunkt wird auch die Verwendung der Homologie-Form ver­ständlich. Es war für den Pächter nützlich, wenn die Erklärungen des Ver­pächters mög­ lichst genau festgehalten waren11. Wie nicht anders zu erwarten, finden sich im erhaltenen Urkundenmaterial auch die A u s n a h m e n , welche bekanntlich die Regel bestätigen: In P. Teb. I 105 (103 v.) homologiert ein P ä c h t e r das μεμισϑῶσϑαι. Diese Ausnahme könnte sich daraus erklären, daß der Pächter erhebliche Beträge vom Verpächter in bar erhalten hatte (Z. 20/21), die er in Homologie-Form quit­tiert, der Text also das für den Ve r pächter bestimmte Papier darstellt. Dazu würde gut passen, daß über denselben Vertrag auch ein „Verpächterpapier“ erhalten ist, nämlich in Gestalt eines ἐμίσϑωσεν-Protokolls in dem fragmen­tarischen P. Teb. 158. Ein weiterer Ausnahmefall existiert aus römischer Zeit: In BGU III 920 (180 n.), gleichfalls aus dem Arsinoites, homologiert ebenfalls ein Pächter. Auch dies könnte sich daraus erklären, daß die Urkunde für den Verpächter bestimmt war, enthält sie doch (Z. 31) die für den Verpächter wichtige Ver­pflichtung des Pächters, den Grund nicht vor Ablauf der vereinbarten Zeit zu verlassen. Diesen Ausnahmen unter den Pachttexten in Homologie-Form entsprechen solche bei den Pachttexten in anderen Formen. Denn auch für diese war es offenbar die Regel, daß der Verpächter den Handschein ausstellte12. Als Aus­ nah­men sind zu nennen: SB VI 9612 (88/87 v. Chr.), P. Oslo II 33 (33 n. Chr.),

19 Vgl. WOLFF, Beiträge (o. A. 6) S. 137, und meine Bemerkungen in der Festschrift für Walter Wilburg (o. A. 2) S. 190 f. 10 Herrmann, Bodenpacht 185. 11 Vgl. meine Überlegungen zur Anwendung der Homologie-Form in der Festschrift für Walter Wilburg. 12 Vgl. Herrmann, Bodenpacht 24 zu den Cheirographa.

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P. Flor. I 85 (91 n. Chr.), P. Ryl. II 168 (120 n. Chr.), P. Michael. 13 (150/51 n. Chr.). Bei SB VI 9612 (Arsinoites) erhebt sich wegen seiner auffälligen Unvoll­ ständigkeit als erstes die Frage, ob es sich nicht überhaupt nur um ein vor­ läufiges Papier handelt13. Es kommt hinzu, daß vier Pächter (bemerkens­ werterweise in 2 Gruppen im Text aufgeführt) einem Verpächter gegenüber­ stehen, der der Verwalter eines anderen sein könnte14. Ein besonderes Inter­esse der Verpächterseite an einer Pächterurkunde ist daher unschwer vorstell­bar. P. Oslo II 33 (= SB IV 7373, ebenfalls Arsinoites) ist ein Text, der schon durch seine zahlreichen Fehler auffällt. Im übrigen handelt es sich wahrschein­ lich um eine Unterpacht15 von öffentlichem Land, woraus sich das besondere Interesse an einem „Pächterpapier“ erklären könnte. P. Flor. I 85 (Hermopolites) ist gleichfalls eine Afterpacht von öffentlichem Land. Für P. Ryl. 11 168 (gleichfalls Hermopolites) gilt das gleiche16, der Haupt­ pächter hat Land in Pacht, das zu einer οὐσία gehört. Keine Unterverpachtung enthält der unvollständige P. Michael. 13 (Hermo­ polites). Hier könnte sich die Pächterurkunde daraus erklären, daß genaue Bestimmungen über den Anbau mit Fruchtwechsel im zweiten Jahr getroffen werden. Aufgrund dieser Quellenlage bin ich der Überzeugung, daß es kein Zufall ist, daß die Verpächterurkunden in unserem Material der Ptolemäer- und Rö­ merzeit überwiegen; daß vielmehr Pächterurkunden nur dann errichtet wor­den sind, wenn besondere Interessen der Verpächter das erforderten17. N i c h t zu denken dürfte an spezielle Übung im Arsinoites und Hermopolites sein; denn Gegenbeispiele, also n i c h t vom Pächter her stilisierte Urkunden, las­sen sich finden (Arsinoites: P. Teb. II 311 u. 373, PSI X 1143; Hermopolites: Archiv d. Sarapion 22). Dennoch bleibt ein sicherer Schluß natürlich aus­geschlossen. Zuzugeben ist freilich – und in einer Erwin Seidl gewidmeten Studie darf dieser Hinweis natürlich nicht fehlen –, daß innerhalb der d e m o t i s c h e n

13 Vgl. dazu C. Préaux, Chronique d’Égypte 36 (1961) S..222 f. 14 So Zucker, Archiv f. Papyrusforschung 17 (1962) 5. 256 15 Vgl. Zucker, Gnomon 9 (1933) S. 656 f.; P. M. Meyer, SavZrom. 50 (1930) S. 529; Herrmann, Bodenpacht 82 Anm. 1. 16 Übrigens enthält auch der oben besprochene P. Teb. I 105 eine Afterpacht! 17 So verwundert nicht, daß der bekannte Zenon bei Verpachtungen Urkunden er­richten ließ, wel­ che die von den Pächtern übernommenen Pflichten deutlich zum Aus­druck brachten (vgl. die Abschrift in P. Col. Zenon 54, 256 v., „ἐξέλαβεν X. παρὰ Zenon“).

Verpächter- und Pächterurkunden in den griechischen Papyri

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Pachttexte die Formulierung aus der Sicht der Pächter überwiegt18. Den Grund dafür vermag ich nicht anzugeben. Möglicherweise überwog bei den demo­ tisch sprechenden und schreibenden Bevölkerungsteilen die Macht­lage der Verpächter, was die Pächter zwang, Pächterurkunden auszustellen. Aber das vermag Erwin Seidl weit eher zu beurteilen als sein dankbarer Schüler ­Arnold Kränzlein.

18 Herrmann, Bodenpacht 19; Seidl, Ptol. Rechtsgeschichte2 129 f.; derselbe, Sit­zungsberichte österr. Akad. d. Wiss., Phil.-Hist. Klasse, 291. Band, 2. Abh. (1973) S. 23.

DIE ATTISCHEN AUFZEICHNUNGEN ÜBER DIE EINLIEFERUNG VON FΙAΛAΙ ἘΞΕΛΕΥΘΕΡΙΚΑΙ

I. Die Zahl der publizierten Fragmente der bekannten attischen Aufzeich­nungen über eingegangene filai ἐξελευϑερικαί1 ist in letzter Zeit um einige Stücke vermehrt worden, die in der Mehrzahl D a v i d L e w i s 2 heraus­gegeben hat3. Diese Editionsarbeit war Anlaß für den genannten Gelehrten, sich mit dem gesamten Material zu beschäftigen. Auch sonst haben die Phialai Behandlung in der jüngsten Literatur gefunden4, ohne daß die wesentlichen Fragen einer überzeugenden Lösung zugeführt worden wären. Da nach allge­meiner Über­ zeugung die Weihung der Phialai in engem Zusammenhang mit Freilassungen stand, erscheint es geboten, diese Textgruppe einmal etwas näher in den Blick­ winkel der Rechtshistoriker zu rücken. II. L e w i s hat, das gesamte vorliegende Material sichtend, 17 Stelen unterschie­ den5. Die auf diesen erhaltenen Aufzeichnungen zerfallen in drei Gruppen: 1. Die große Masse der Eintragungen folgt dem Schema: Sklavenname im Nominativ – Wohngemeinde – Beruf – ἀποfυγὼν bzw. ἀποfυγοῦσα – Bür­ gername im Akkusativ – Demos – fιάλ σταϑ: H. Diesen Typ wollen wir Typ A nennen. 2. Daneben begegnen, aber in geringerer Anzahl, Aufzeichnungen des fol­ genden Typs: Bürgername im Nominativ – Demos Sklavenname im Akkusativ – Beruf – Wohngemeinde – fιάλη: H (Typ B). 1 Hauptquelle IG. II2 1553–1578. Der Terminus f.ὲ. hat sich eingebürgert, seit K ö h l e r die Phia­ lai der Listen als die in IG. II2 1469 und 1480 erwähnten f.ὲ. identifizieren zu können gemeint hat (Mitteilungen des Deutschen Archäolog. Instituts Athen, 3. Jhrg., 1878, S. 172–177). Inwie­ weit diese These unerschütterlich ist, soll hier dahingestellt bleiben. 2 Hesperia, Jg. 28, S. 208 ff. (= Manumissions). Hesperia, Jg. 37, S. 368–374 (= Dedications). 3 Ein Stein von B. M e r i t t in Hesperia, Jg. 30, S. 274, No. 43 (= SEG. XXI 561). 4 Vgl. z.B. die Münchner phil. Dissertation von R ä d l e , H., Untersuchungen zum attischen Frei­ lassungswesen, S. 16–26. Die Arbeit ist wegen der schwachen Kenntnisse des Verfassers von der juristischen Literatur für den Rechtshistoriker leider wenig er­giebig. 5 Manumissions 235. Wenn ich seine Ausführungen in Dedications 368 und 372 richtig verstehe, dürfte die Zahl der Stelen nunmehr mit 19 anzunehmen sein.

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Dazu verdient festgehalten zu werden, daß es zumindest ein Fragment gibt, auf dem von Formel A zu Formel B übergegangen worden ist6, und daß auf der großen Stele, die L e w i s aus den Steinen IG. II2 No. 1554, 1555, 1556, 1557, 1558, 1559 und zwei von ihm publizierten Fragmenten7 er­schlossen hat, die zuerst beschriebene Seite allein Typ A, die Rückseite da­gegen ausschließlich Typ B aufwies. 3. Gibt es zwei Fragmente8, in denen zwar von Phialai nicht die Rede ist, die aber einen sehr ähnlichen Wortlaut mit dem Schema: Sklavenname im Nomina­ tiv – Beruf – Wohnort – ἀπέfυγε – Bürgername im Akkusativ auf­weisen. Wir wollen diesen Typ U nennen. Schließlich ist zu erwähnen, daß wir eine Inschrift besitzen (IG. II3 1560), in der von ἀναγράfεω τὰ ὀν[όµατα … κ]ελεύο[ντ]ορ τοῦ νό[µου] die Rede ist. Daraus hat L e w i s erschlossen, daß die beiden Steine, welche die eben als Typ U vorgestellten Texte ohne Bezugnahme auf Phialai tragen, offenbar die ältesten sind, zur Zeit von deren Entstehung es eine Pflicht zur Darbrin­ gung einer Phiale noch nicht gegeben habe. Aus dem Umstand, daß – wie die eben erwähnte nachträgliche Hinzufügung des Typs B auf der Rückseite einer zu­nächst allein mit dem Typ A beschrifteten Stele zeigt – die Inschriften des zweiten Typs offenbar jünger sind als die des ersten, folgert er, daß irgend­wann vom Typ A auf Typ B übergegangen worden sei. Als zeitliche Aufein­anderfolge nimmt er somit an: Typ U – Typ A – Typ B. Insgesamt datiert man alle Steine in das letzte Drittel des vierten vorchristlichen Jahrhunderts, insbesondere in die zwanziger Jahre.

III. Über die D e u t u n g der Listen des Typs A hat sich bisher eine einheitliche Ansicht nicht gebildet. Übereinstimmung besteht darüber – vor allem gestützt auf das Vorkommen des Wortrestes – ]stasou im Kopf von IG. II2 1578 –, daß es sich um Aufzeichnungen der Ergebnisse von dkai postasou handele handele, die zum S c h e i n geführt worden seien und mit Klagabweisung geen­ det hätten, vielleicht infolge Ausbleibens des klagenden Freilassers im Termin9. 6 7 8 9

IG. II 2 1566. Manumissions 208, Dedications 368. IG. II2 1576, 1578. So K a h r s t e d t , U., Staatsgebiet und Staatsangehörige in Athen, Stuttgart/Berlin 1934, S.  307.

Die attischen Aufzeichnungen über die Einlieferung von fιἁλαι ἐξελευϑερικαί

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Die Freigesprochenen seien durch Herkommen oder das bereits erwähnte Ge­ setz gehalten gewesen, eine Schale im Werte von 100 Drachmen darzubringen. Kein Konsens hat sich dagegen über Grund und Zweck der Anstrengung der angeblichen Scheinprozesse postasou gebildet. Nach K a h r s t e d t war es der Zweck des Verfahrens, freizulassen und zugleich die Freigelassenen von der Pflicht zu befreien, einen Prostates haben zu müssen. Ähnlich ist die Meinung von Lewis10, während H a r r i s o n 11 Freilassung und Recht des Freigelassenen, seinen Prostates frei wählen zu dürfen, als Ziel ansieht. Nach Rädle12 soll es der Zweck der Schein­prozesse gewesen sein, bereits vollzogenen Freilassun­ gen Publizität zu ver­schaffen. Er sieht das Ziel des Verfahrens in der Erwirkung einer öffentlichen Aufzeichnung. Von diesen Ansichten hebt sich die von We s t e r m a n n 13 ab. Er ver­mutete als Zweck der pro forma erhobenen postasou-Klagen, bestehende Para­ mone-Verpflichtungen unter Publizitätserlangung aufzuheben. Er verwies dazu auf die bekannten Apolysis-Inschriften aus Delphi. – Doch lassen wir zunächst We s t e r m a n n beiseite. Was die Behauptung anlangt, der Zweck sei zunächst einmal Freilassung ge­ wesen, so ist dem vor allem zweierlei entgegenzuhalten: Erstens: Ganz sicher war die Führung einer Klage postasou nicht die in Athen vorge­schriebene Form für Freilassungen. Nach allem, was wir wissen, waren Freilas­sungen formlos gültig14. Zweitens spricht das, was wir bei den Lexikographen über die Klage postasou lesen15, gegen die Meinung, Freilassung wäre zumindest einer der Zwecke gewesen. Denn die Aussagen der Lexikographen besagen klar, daß die δ.ἀ. dem Freilasser gegen bereits freigelassene Personen zustand. Dem entspricht es, daß wir in den Phialai-Listen auch bei den Per­sonen mit einem Sklavennamen einen Wohnort verzeichnet finden, die Ge­nannten also nicht mehr den Wohnsitz ihres Herren teilten. Mit den Aussagen der Lexiko­ 10 J. Manumissions S. 237. 11 H a r r i s o n , A. R. W. The Law of Athens I, The Family and Property, Oxford 1968, S. 183. 12 A.a.O., S. 20. 13 We s t e r m a n n , W. L. Two Studies in Athenian Manumission, in: Journal of Near Eastern Studies, Jg. 5, S. 92 ff. 14 Vgl. R ä d l e , S. 11. 15 Vgl. Harpokration s.v. ἀποστασίου· δίκη τίς ἐστι κατὰ τῶν ἀπελευϑερωϑέντων δε­δο­µένη τοῖς ἀπελευϑερώσασιν, ἐὰν ἀfιστῶνταί τε ἀπ᾿ ἀυτῶν ᾒ ἓτερον ἐπιγράfω­νται προστάτην, καὶ ἃ κελεύουσιν οὶ νὄµοι µὴ ποιῶσιν. καὶ τοὺς µὲν ὰλόντας δεῖ δούλους εἶναι, τοὺς δὲ νικήσαντας τελέως ἤδη ἐλευϑέρους. Pollux. Onomast. VIII 35: ἀποστασίου δὲ δίκη κατὰ τῶν ἀfισταµένων ἀπελευϑέρων, … Hesychios, Lex. s.v. ἀποσταίου δίκη· ἡ κατὰ τῶν ἀπελευϑέρων, ὅτε ἀποστῶσιν τῶν ἐλευ­ ϑερωσάντων.

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graphen unvereinbar scheint mir aber auch die Ansicht K a h r s t e d t s zu sein, es sei darum gegangen, die freigelassenen von der Pflicht, einen Prostates zu benennen, vollständig zu befreien. Denn nach den Lexikographen war es zwar die Folge, daß die Freigesprochenen telwß frei wurden, von einer Entbindung von dem Gesetz, einen Prostates haben zu müssen, ist aber nichts gesagt. Wenn es überhaupt um die Prostates-Frage ging, dann dürfte eher H a r r i s o n recht gehabt haben, der als Folge des Sieges im Prozeß Freiheit in der Wahl der Per­ son des Prostates annahm. Für R ä d 1 e s These von der Publizitätsgewinnung spricht zunächst, daß wir aus früherer Zeit Nachrichten darüber haben, wie man in Athen auf ver­ schiedene Weise versucht hat, Freilassungen Publizität zu verschaffen, z.B. durch Ausruf im Theater und vor Gericht16. Das war offensichtlich deshalb ge­ schehen, weil der Staat in dieser Richtung nicht tätig geworden war. Eine dies­ bezügliche Initiative der Polis ist aber auch in der Zeit der Phialai-Listen und später nicht zu beobachten, wir kennen keine Freilassungsaufzeichnun­gen aus Athen. Ein Interesse, irgendwie eine Aufzeichnung erfolgter Freilas­sungen zu erreichen, wird daher kaum geleugnet werden können. Jedoch stellen sich so­ gleich zwei Fragen: Warum sollte eigentlich der F r e i l a s s e r ein so großes In­ teresse an der Publizität der von ihm vollzogenen Freilassungen gehabt haben, daß er sich deshalb der Mühe unterzogen hätte, einen Prozeß einzuleiten? Oder konnte man eine solche Bereitschaft „kaufen“? Es dürfte doch der F r e i g e ­ l a s s e n e gewesen sein, der das weitaus größere Inter­esse an der Publizität ge­ habt hat. Zweitens: Kann man annehmen, daß ein Staat, der keinerlei Interesse an der Publizität vollzogener Freilassungen an den Tag legt, den Mißbrauch des Rechtsweges zur Gewinnung von Publizität auf Umwegen geduldet hätte? Der zu erwartende Einwand, er könnte aus finanziellen Gründen – Einnahme einer Gebühr – duldsam gewesen sein, ist nach dem neuesten Stand der For­ schung wenig erfolgversprechend. Denn – und wie mir scheint mit Recht – hat ­L e w i s 17 die Steine IG. II2 1576 und 1578, in denen die Phialai nicht erwähnt sind, unseren Typ U, dahin erklärt, daß sie das gleiche Verfahren schon aus ei­ ner Zeit belegen, in der noch keine Pflicht zur Darbringung einer Schale festge­ setzt war. Es sind sonach Aufzeich­nungen ähnlich A und B bereits zu einer Zeit erfolgt, als es noch nicht darum ging, eingegangene Phialen zu verzeichnen. Weiter ist zu R ä d 1 e s These zu fragen, warum man den Weg der Führung von Scheinprozessen und der Aufzeichnung der Ergebnisse solcher Prozesse ge­ gangen sein sollte, wenn man sich wesentlich einfachere Möglichkeiten der Pu­ 16 Vgl. Aischines 3, 41, 44, Isaios Frgmt. 18 (Loeb). 17 Manumissions S. 237.

Die attischen Aufzeichnungen über die Einlieferung von fιἁλαι ἐξελευϑερικαί

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blizitätsverschaffung vorstellen kann. Wenn man die Beweisbarkeit voll­zogener Freilassungen erleichtern wollte, konnte man sie z.B. unter den Schutz einer Gottheit stellen, wie das aus anderen griechischen Poleis bekannt ist. Auch wenn der Staat etwa plötzlich doch Interesse an der Aufzeichnung vollzogener Freilassungen gezeigt haben sollte, könnte man sich kaum vorstel­len, daß dies Interesse im Wege der Phialai-Listen realisiert worden sein könnte. Es scheint daher notwendig zu sein, erneut die Frage zu stellen, ob wirklich Prozesse ἀποστασίου angenommen werden dürfen, zumal schwer er­klärbar erscheint, wie solche gegen K i n d e r angenommen werden können. In den Listen des Typs A sind nämlich auch Kinder verzeichnet18. Nun zu dem Erklärungsversuch We s t e r m a n n s aus dem Jahre 1946. Er sieht, wie bereits dargelegt, die Phialai-Listen im Zusammenhang mit der P a r a m o n e . Es sei doch auffallend, meinte der verstorbene amerikanische Ge­ lehrte, daß es aus Athen an ausdrücklichen Zeugnissen für eine Apolysis aus der Paramone, wie wir sie aus den delphischen Inschriften kennen, fehle, zumal doch nach dem Zeugnis des Harpokration19 in Athen gesetzliche Pflich­ten der Freigelassenen bestanden hätten. Da andererseits die Phialai-Listen kaum die Aufzeichnung von Vorgängen enthalten könnten, die zum Zwecke der Freilas­ sung vorgenommen worden seien – die Gründe habe ich vorhin schon genannt, liege der Schluß nahe, daß man in Athen die ἀ.-Klage ver­wendet habe, um die Freigelassenen aus ihren Paramone-Verpflichtungen gegenüber ihren Freilas­ sern zu lösen, und daß die Phiale im Wert von 100 Drachmen, die bemerkenswer­ terweise nach den Listen unabhängig davon zu leisten gewesen sei, ob es sich bei den Freigelassenen um einen Knaben oder ein Mädchen, einen Mann oder eine Frau gehandelt habe, als Taxe für die endgültige Apolysis, das gerichtliche Verfahren und die Publikation verstan­den werden müsse. Die These We s t e r m a n n s wäre recht einleuchtend, wenn es in Athen ge­ setzliche Paramone-Pflichten20 für jeden Freigelassenen gegeben hat. Das ist je­ doch fraglich21. An der fraglichen Harpokration-Stelle steht nur καὶ ἃ κελεύουσιν οἱ νόµοι µὴ ποιῶσιν. Daraus folgt zwar, daß es gewisse die Freigelassenen betref­ fende Gesetzesbestimmungen gegeben hat, nicht aber, daß gesetzliche P a r a ­ m o n e -Pflichten bestanden haben.

18 Vgl. IG. II2 1556 Z. 22, I558 Z. 24. 19 S.o. Anm. 15. 20 Ve r e i n b a r t e Paramone kommt m.E. nicht in Betracht; denn was vereinbart worden war, konnte ohne Zweifel auch durch Vereinbarung wieder aufgehoben werden. Das hat L i p s i u s , J. H., Das attische Recht u. Rechtsverfahren, Leipzig 1908, S. 623. übersehen. 21 Vgl. H a r r i s o n , S.185.

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Was R ä d 1 e 22 diesbezüglich aus Platons Nomoi (XI 915 A/B) erschlossen hat, ist nicht zwingend, Platon könnte hier gerade Vorschriften formuliert haben, die in Athen seiner Ansicht nach fehlten23. Wenn We s t e r m a n n Recht hätte, würde hier eine bemerkenswerte Parallele zu der römischen emancipatio bestehen: Weil die Gesetze keine Entlassung der Freigelassenen aus ihren Pflichten kannten, aber für den Fall der Nichtbefolgung dieser Pflichten die δ.ἀ. enthielten, verfiel man auf den Ausweg, die δ.ἀ. mit dem Ziel zu erheben, den Freigelassenen obsiegen zu lassen, womit die gewünschten Rechtsfolgen eintraten. Wie dem aber auch sei, auch zu dieser These muß gefragt werden, ob es für die Apeleutheroi einfach gewesen sein dürfte, den Freilasser zur Klageerhebung zu veranlassen; denn man könnte sich vorstellen, daß der paramoneberechtigte Freilaser zwar bereit war, dem Freigelassenen zu versprechen, auf der Erfüllung der Pflichten zukünftig nicht mehr bestehen zu wollen, nicht aber auch die juri­ stischen Schritte einzuleiten, um die Pflichten de iure zum Erlöschen zu bringen, zumal wenn dazu der Mißbrauch einer δίκη erforderlich war. Soweit zu Typ A. IV. Keine einheitliche Meinung hat sich bisher auch über die an zweiter Stelle ge­ nannte Formel gebildet. Dies rührt vor allem daher, daß bei diesem Typ (B) der Name eines Bürgers im Nominativ an der Spitze der Eintragung erscheint, wes­ halb man überwiegend annimmt, die Eintragungen deuteten auf den Bürger als den Stifter der Phiale, während man Typ A – mit Sklavennamen im Nominativ an der Spitze – als Aufzeichnung einer Leistung durch den ἀποfυγὼν versteht. Die Meinungen lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: a) Es handele sich um Prozesse ἀποστασίου, die mit dem Sieg des H e r r n geendet hätten (Robert)24. b) Es liege kein anderer Prozeßausgang vor als bei Typ A, jedoch habe man durch Änderung des Gesetzes den H e r r e n v e r p f l i c h t e t , die Phiale zu leisten (Lewis)25.

22 S. 136 ff. Auch M o r r o w, G. R., Plato’s Law of Slavery in Its Relations to Greek Law (Illinois Studies in Language and Literature, Vol. 25, No. 3, Urbana [Illinois] 1939) S. 107 ff. glaubt offenbar an kraft Gesetzes bestehende Pflichten. 23 Vgl. auch L i p s i u s , S. 622. 24 Rev. des Et. Gr., Jg. 59/60, S. 318, No. 87a. 25 Manumissions S. 238.

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c) Es habe sich überhaupt nichts geändert, es liege lediglich eine a n d e r e F o r m u l i e r u n g v o r ( R ä d l e ) 26. Was zunächst die Annahme anbelangt, Typ A bringe die Leistung der Schale durch die Person mit Sklavennamen, Typ B das Gegenteil zum Aus­druck, so ist sie dadurch erheblich erschüttert worden, daß wir nunmehr zwei längere Frag­ mente besitzen, in denen offenbar Rasuren allein zu dem Zweck vorgenommen worden sind, um den Casus, in dem das Wort fιάλη in den Listen erscheint, zu verändern27. Auf dem Stein IG. II2 1569, der Aufzeich­nungen des Typs A enthält, ist auf der einen Seite an sieben Stellen offen­sichtlich das ursprünglich dort ste­ hende fιάλην in fιάλη geändert worden. Daneben gibt es jedoch eine Reihe von Texten des Typs A, in denen unange­tastet fιάλην stehengeblieben ist. Ähnliches begegnet beim Typ B. Die Texte dieses Typs auf der Rückseite der sogenannten großen Stele haben durchwegs fιάλη, während auf dem von L e w i s 1968 als No. 50 veröffentlichten Stein durch Rasuren durchwegs fιάλη in fιάλην geändert worden ist. L e w i s meint mit Recht, man könne angesichts dieser Fakten nicht mehr behaupten, der „Spender“ der Phiale müsse die in den Aufzeichnungen im Nominativ genannte Person gewesen sein. Was die These betrifft, die in B gebrauchte Formulierung deute auf einen Sieg des Herrn und habe gleichzeitig die Bedeutung einer Feststellung des Skla­ venstatus des Unterlegenen gehabt, so dürfte sie nach dem heutigen Stand der Quellen ausgeschlossen werden können. Es ist kaum anzunehmen, daß an e i ­ n e m Sitzungstage, wie dies insbesondere das 1968 publizierte Fragment zeigt, reihenweise Verurteilungen in δίκαι ἀποστασίου erfolgt sein können. Gerade die stereotype Aneinanderreihung unter einer auf eine Gerichtssitzung hinwei­ senden Überschrift28 zeigt klar, daß es sich nicht um wirkliche Prozesse gehan­ delt haben kann29. Überdies macht es die von den Epigraphikern festge­stellte zeitliche Reihenfolge (A älter als B) wahrscheinlich, daß es sich in A und B um die Aufzeichnung der gleichen Lebensvorgänge handelt, für die nur eine andere Formulierung eingeführt worden war. Auch die Lehre, Typ B sei auf eine Gesetzesänderung zurückzuführen, die den unterlegenen Freilasser verpflichtet habe, die Phiale zu leisten, kann nicht überzeugen. Es ist nämlich nicht einzusehen, was der Zweck einer solchen Geset­ zesänderung gewesen sein sollte. Denn da mit Sicherheit angenommen werden muß, daß die Freilasser eine ihnen vom Staat auferlegte Taxe auf die Freigelasse­ 26 A.a.O. S. 21. 27 Vgl. Lewis, Dedications S. 372. 28 Hesperia, Jg. 37, S. 370 No. 50 Z. 12–19. 29 So auch Lewis, Manumissions 237.

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nen überwälzt hätten, wäre durch ein solches Gesetz nichts daran geändert wor­ den, daß im Ergebnis die Apeleutheroi die 100 Drachmen aufzu­bringen hatten. Auch dürfte den Athenern kaum entgangen sein, daß der alleinige Nutznießer des Verfahrens der Ex-Sklave war. – Andererseits, das will ich nicht leugnen, hätte natürlich eine gewisse Logik darin gelegen, dem­jenigen die Taxe aufzuer­ legen, der einen Prozeß mit dem Ziel eingeleitet hatte, ihn zu verlieren. Noch am ehesten einleuchtend ist die Meinung R ä d 1 e s 30, der Übergang von Typ A auf Typ B bedeute weder einen anderen Prozeßausgang noch die Stiftung der Schale durch die andere Partei, sondern sei aus einer gewandelten Auffassung vom Zweck der Aufzeichnungen zu verstehen. Als man zum Typ B überging, habe man die Einmeißelung schon in ihrem wirklichen Zweck als Freilassungsinschrift aufgefaßt, der moderne Leser müsse sich daher einen Frei­ lassungsterminus wie ἀπελευϑερώσας dazudenken. Mir scheint diese Ansicht freilich mit der von Rädle an anderer Stelle31 getroffenen Fest­stellung, daß man in städtischen Aufzeichnungen aus Altgriechenland dem Wechsel in der For­ mulierung keine zu große Bedeutung zumessen dürfe, in einem gewissen Wi­ derspruch zu stehen.

V. Betrachten wir, was wir oben zu Typ A gesagt hatten und was sich nun bei einer Durchmusterung der Ansichten zu Typ B ergeben hat, so finden wir eine bemer­ kenswerte Übereinstimmung: hatten wir zu Typ A Zweifel äußern müssen, ob wirklich Scheinprozesse ἀποστασίου geführt worden waren, so ergab sich für Typ B als einleuchtendste Erklärung die, daß keine Vorstellung von Prozessen mehr vorhanden war. Ich meine daher, wir sollten die Ansicht a u f g e b e n , wir hätten es mit Kurzprotokollen über den Ausgang von gerichtlichen Verfahren zu tun. Aus der Zeit, aus welcher unsere Aufzeichnungen stammen, gibt es von nirgendwo in Griechenland Belege für ein ähnliches Verfahren, ja es gibt wohl überhaupt aus Altgriechenland keine Belege für ausschließlich zum Zwecke der Publizitätsverschaffung geführte Prozesse. Es erscheint mir zu modern ge­ dacht, man habe in Athen die wirklichen Zwecken der F r e i l a s s e r dienende dkh 2postasou verwendet, um im Interesse der F r e i g e l a s s e n e n den er­ folgten Freilassungen Publizität zu verschaffen. Ein solches Ziel wäre überdies 30 Seite 21. 31 S. 102.

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viel einfacher zu erreichen gewesen, wenn man, wie anderswo in dieser Zeit, den Freigelassenen unter den Schutz einer Gottheit gestellt hätte32. Es besteht daher wenig Anlaß zu der Annahme, die Anrufung der Gerichte lediglich zum Zwecke der Publizitätsverschaffung wäre geduldet worden. Anders lägen die Dinge, wenn wir annehmen dürften, es sei ein gerichtliches Verfahren zum Zwecke der Freilassung selbst durchgeführt worden. Aber das ist unzweifelhaft n i c h t der Fall; denn da in den Aufzeichnungen bei den Per­ sonen mit typischem Sklavennamen eine Wohnsitzangabe vermerkt ist, spricht alles dafür, daß die Betreffenden schon frei waren, bevor das Ver­fahren begon­ nen hatte. Es gibt überdies keine Quelle, die dafür spräche, daß die Freilassung in Athen formgebunden gewesen wäre. Gegen die Annahme echter oder zumin­ dest ursprünglich echter gerichtlicher Verfahren wäre m.E. auch dann nichts einzuwenden, wenn wir annehmen dürften, wie We i s s 33 vorgeschlagen hat, daß nicht der ehemalige Herr geklagt habe, sondern der Freigelassene. Wir ken­ nen aber keine athenische Klage, die dafür in Betracht gekommen wäre, We i s s selbst hat keine genannt. Wir dürfen auch nicht annehmen, daß die Freigelassenen durch einen be­ wußten Verstoß gegen die geltenden Gesetze einen echten Grund zur Klage geboten hätten, z.B. durch Benennung einer anderen Person als des Freilassers als Prostates: denn nach dem, was die Lexikographen s.v. ἀποστασίου berich­ ten34, hätten die Verfahren dann nicht mit dem F r e i s p r u c h der Beklag­ten geendet. Darauf soll aber nach der überwiegenden Meinung der Forscher die Verwendung von ἀποfεύγειν hindeuten. Auch mit der These We s t e r m a n n s – Verwendung der Klage ἀπο­στα­σίου zum Zwecke der Lösung aus Paramonai – scheint mir nicht weiterzukommen zu sein; denn auch dann wäre unverständlich, warum man nicht einen einfacheren Weg beschritten hat.

VI. Ich mochte daher einen neuen Vorschlag zur Diskussion stellen. Ich gehe dabei davon aus, daß der Stein IG. II2 1578, in welchem der Wortrest – ]στασίου vor­ kommt, zum Typ U gehört, also jenen Steinen, die zwar den Texten des Typs A und B ähneln, aber das Wort fιάλη n i c h t enthalten. Man hat es in den IG. 32 Vgl. die von R ä d l e gesammelten Zeugnisse (S. 35 ff.). 33 Griechisches Privatrecht auf rechtsvergleichender Grundlage I, Leipzig 1923, S. 307. 34 s.o. Anm. 15.

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zwar zur Ergänzung des Textes eingesetzt, jedoch gibt es für die Richtigkeit dieser Ergänzung, worauf Lewis 35 hingewiesen hat, keinen Beweis. Für die In­ schriften der Typen A und B, in denen die Leistung einer Schale verzeichnet ist, gibt es somit keine absolut zwingende Ver­bindung mit δίκαι ἀποστασίου! Ich stütze mich weiter darauf, daß Isaios36 an einer Stelle von Freilassungen ἐν τῷ δικαστηρίῳ spricht, was bisher, wie mir scheint, für die Deutung unserer In­ schriften zu wenig beachtet worden ist, weil man von dem Wortrest –]στασίου geradezu fasziniert war. Ich meine nun, daß unsere Inschriften aus einer Zeit stammen können, als man für Freilassungen ἐν τῷ δικαστηρίῳ eine Gebühr in Gestalt einer Schale im Werte von 100 Drachmen eingeführt hatte37. Bei dem – älteren – Typ A könnte sich die Verwendung des Wortes ἀποfυγὼν daraus er­ klären, daß die Freigelas­senen ihre Freiheit vor G e r i c h t erlangt hatten, wenn auch nicht durch einen Freispruch. Das wäre ein naheliegender Sprachgebrauch, der zudem den Vorteil hatte, bedeutend kürzer als „ἀfειµενος ἐν τῷ δικαστηρίῳ ὑπὸ X.“ zu sein. Als dann von der Freilassung ἐν τῷ δικαστηρίῳ trotz der Ver­ pflichtung zur Leistung einer Phiale rege Gebrauch gemacht wurde, mag das Bedürfnis nach einer noch knapperen Formulierung aufgetaucht sein. Vielleicht er­kannte man auch, daß kein ἀποfεύγειν im technischen Sinne vorlag, und ging zu Typ B über, womit der wahre Charakter der Listen als Aufzeichnungen über bezahlte Taxen für öffentlich kundgemachte Freilassungen zu Tage trat. Was das v o l l s t ä n d i g e A u f h ö r e n der fιάλαι-Aufzeichnungen einige Zeit nach dem Übergang zum Typ B anbelangt, so wird es von R ä d l e 38 mit Demetrios von Phaleron zusammengebracht. Dieser habe offenbar die Mög­ lichkeil beseitigt, mit Hilfe eines gerichtlichen Verfahrens privat vollzogenen Freilassungen Publizität zu verschaffen, so wie man einige Jahrzehnte früher die Kundmachung der Freilassungen im Theater untersagt hatte. Seine Absicht da­ bei sei vor allem gewesen, die Freilassungen einzudäm­men. Von unserem Stand­ punkt aus wäre hinzuzufügen: Er beseitigte die Möglichkeit von Freilassungen ἐν τῷ δικαστηρίῳ. Ich bin mir bewußt, daß dies eine bloße Hypothese ist. Sie hätte ihren Zweck erfüllt, wenn es gelungen wäre, die Aufmerksamkeit der Rechts­historiker auf die hier behandelten Listen zu lenken.

35 Manumissions 237. 36 Frgmt. 18 (Leob). 37 Dabei denke ich nur an eine Freilassungserklärung v o r den versammelten Richtern, nicht an einen Akt freiwilliger Gerichtsbarkeit. 38 S. 22 ff.

BEMERKUNGEN ZUR PRAXISKLAUSEL ΚΑΘΆΠΕΡ ἘΚ ΔΊΚΗΣ

Der hochverehrte Kollege, dem dieser Band dargebracht wird, hat seine Auf­ merksamkeit stets auch dem griechischen Rechtskreis ge­widmet und diesen durch eigene Arbeiten gefördert. Ich möchte daher einen bescheidenen Beitrag zu einem aktuellen und zentralen Problem dieses Bereiches vorlegen. Die von der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. bis tief in die Römerzeit in den ägyptischen Papyri weit verbreitete Klausel πρᾶξις … καϑάπερ ἐκ δίκης ist in den letzten Jahren wieder zum Gegenstand der Diskussion geworden, nachdem sie lange Zeit ziemlich unbestrit­ten1 als Einräumung des Rechts zur Exekution ohne Erstreitung eines Urteils („Exekutivklausel“) verstanden wor­ den war. H. J. Wolff 2 und H. Meyer-Laurin3 haben die Klausel in Vorträgen be­ handelt und sind übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, sie bedeute „Vollstreckung gemäß den Regeln des δίκη-Verfahrens“.4 Sie sehen den Zweck der Klausel, die offensichtlich in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. in der Praxis der Urkundenverfasser die seit ungefähr einhundert Jahren übliche Formulierung πρᾶξις κατὰ τὸ διάγραµµα ersetzt hat,5 darin, nach dem Wegfall der griechischen Eigengerichte „die Vollstreckung von vertraglichen Ansprüchen gemäß den überkommenen Regeln des δίκη-Verfahrens vor den Chrematisten zu ermöglichen“.6 Wolff und sein Schüler sind v e r s c h i e d e n e r Ansicht über die Be­deutung der Worte a u ß e r h a l b Ägyptens und in Ägypten vor dem zweiten Jahrhun­ dert. Nach Wolff 7 hatten sie nie den Zweck einer Exekutivklausel, für MeyerLaurin8 ist gerade das erwiesen und zwar auch noch, soweit sie schon im vier­ ten und dritten Jahrhundert in Ägypten vorkommen.

1 Von den Gegenstimmen seien genannt: A. Segrè, Aegyptus 8 (1927) 318ff. und E. Seidl, Ptole­ mäische Rechtsgeschichte (2. Aufl. 1962) 103. 2 Proceedings of the XII. International Congress of Papyrology, Toronto 1970 (= American Studies in Papyrology Volume 7), 527–535. 3 Symposion 1971, Akten der Gesellschaft für griechische und hellenistische Rechts­geschichte, 1975, 189–204. 4 So Meyer-Laurin (M-L) 204. Wolff 531: ,,as one does when bringing a dike“. 5 M-L 195. 6 M-L.197. 7 Proceedings 529. 8 Symposion 198–202.

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Meyer-Laurin darin zu folgen sehe ich keine Schwierigkeit, soweit die Klau­ sel nicht nur πρᾶξις καϑάπερ ἐκ δίκης lautet, sondern weiter gefaßt ist, wie z. B. in IG XII 7 No. 67B, Z. 47f. καϑάπερ ἐκ δίκης τέλος ἐχούσης oder in P. Eleph. 1, Z. 12 καϑάπερ ἐκ δίκης κατὰ νόµον τέλος ἐχούσης. Wenn er dagegen die Worte πρᾶξάτω δὲ ὁ πράκτωρ ἢ ὁ ὑπηρέτης ἐκ τῶν ὑπαρχόντων καϑάπερ ἐγ δίκης in P. Hal. 1, Z. 119 f. nun wieder im Sinne der bisher einhelligen Meinung als Anweisung versteht, die Praxis durchzuführen, wie wenn eine Dike statt­ gefunden hätte,9 widerspricht er sich entweder selbst oder räumt ein, daß man καϑάπερ ἐκ δίκης, sehr wohl auch im Sinne von „ganz so wie aus einer δίκη“ verstehen kann. Meiner Meinung nach ist das der Sinn, den die Urkundenverfasser vom 2. Jahrhundert ab im Auge hatten. Die natürliche Konsequenz einer Erschwerung der Rechtsverfolgung durch den Wegfall zahlrei­cher Gerichte muß es gewesen sein, einen Weg zu suchen, auch ohne Urteil zum Ziel zu kommen. Genau das besagt καϑάπερ ἐκ δίκη. Der Berechtigte sollte es nicht nötig haben, ein Gericht anzugehen und ein Urteil zu erstreiten. – Damit soll nicht behauptet werden, die Klausel habe die sofortige Beauftragung eines Praktors ermöglicht, eine Exe­ kutivklausel in diesem Sinne hat es in Ägypten sicherlich nie gegeben. Dafür fehlen jegliche Anzeichen. Insoweit hat Wolff ohne Zweifel recht. – Da wir nun aus den folgenden 150 Jahren keine Anzeichen für ein Mahn- und ein Exeku­ tionsverfahren ohne ordentli­chen Prozeß haben, mit A u s n a h m e der zahlrei­ chen Belege für die Tätigkeit der Beamten in Zivilrechtsstreitigkeiten, liegt die Annahme nahe, daß die Klausel den Weg für eine Praxisanordnung durch den S t r a t e g e n öffnen sollte, ein Verfahren, das weit weniger kompliziert war als das spätere Mahn- und das Pfändungsbewilligungsverfahren der Kaiserzeit.10 Ist diese Annahme – mehr kann es nicht sein – richtig, würde die Häufigkeit der πρᾶξις κ.ἐ.δ.-Einräumung von der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts ab gut zu der Beobachtung passen, daß im Ptolemäerstaat die Anrufung der Beamten und nicht der Gerichte zur Regel für die Rechtsschutzsuchenden geworden ist.11 Zwar wissen wir von einer Befassung der Strategen mit Zivilrechts­streitigkeiten auch schon aus der Zeit der Herrschaft der Klausel πρᾶξις κατὰ τὸ διάγραµµα,12 können aber nicht mit Sicherheit sagen, ob der Gauchef auch dann entschei­

19 Symposion 203. 10 Eingehend dargestellt von A. B. Schwarz in: Hypothek und Hypallagma, 1911, 69ff. und in Aegyptus 17 (1937) 272ff. sowie von P. Jörs in SZ 36 (1915), 39 (1918) und 40 (1919). 11 H. J. Wolff, Das Justizwesen der Ptolemäer (2. Aufl. 1970) 183. 12 Vgl. Wolff, Justizwesen 119/120, 128/131, 139ff.

Bemerkungen zur Praxisklausel καϑάπερ ἐκ δίκης

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den konnte, wenn der Gegner des Antragstellers nicht freiwillig erfüllte.13 Wenn nein, könnte neben dem Wegfall der Eigengerichte, mit dem Wolff die Klause­ länderung sicherlich zutreffend in Verbindung bringt, auch das einer der Gründe gewesen sein, eine neue Formulierung zu wählen, die von der Pflicht, eine Dike einzubringen, befreite. M. E. darf übrigens auch ein Eingriff von oben nicht ausgeschlossen werden, etwa die Aufhebung des Diagramma. Die von mir vorstehend vorgeschlagene Deutung vermeidet eine Reihe von auffälligen Schwächen der Wolffschen These. 1. Es hat im klassischen Griechenland,14 im außerägyptischen helle­nistischen Bereich,15 in den Anfängen des Ptolemäerstaates16 und in der Kaiserzeit17 die Möglichkeit gegeben, ohne ein reguläres Erkennt­nisverfahren zu einem Exeku­ tionstitel zu kommen. Davon hat mich unter anderen Meyer-Laurin überzeugt, mag auch unter der Herrschaft der Römer für die Beschreitung dieses Weges das Vorhandensein einer πρᾶξις κ.ἐ.δ.-Klausel in der Urkunde weitgehend ohne Bedeutung gewesen sein.18 Sollte wirklich im Ptolemäerstaat vom 3. Jahr­ hundert ab jeder legale derartige Weg verbaut gewesen sein? Aus den Worten κατὰ τὸ διάγραµµα ergibt sich, daß im Diagramma Normen über die Exekution enthalten waren; wie sie ausgesehen haben, wissen wir nicht. Mir erscheint es wahrscheinlicher, tatsächlich ein Verbot anzu­nehmen, das würde den Zielen der frühen Ptolemäer entsprechen. Das Angehen der Beamten im dritten Jahrhun­ dert – vgl. die Enteuxeis-Papyri – ist als der Versuch zu verstehen, mit Hilfe der Autorität des Strategen ohne Inanspruchnahme der Gerichte doch zum Ziel zu kommen.19 Wenn es Exekutivurkunden gegeben hätte, dürfte die Bevölkerung sich kaum so häufig an die Beamten gewandt haben. 2. Man kann doch kaum glauben, die Worte καϑάπερ ἐκ δίκης hätten im Ptolemäerstaat vom 2. Jahrhundert an eine andere Bedeu­tung gehabt als noch im dritten. Die Annahme einer Erfindung durch die Urkundenverfasser, die Meyr-Laurin20 – im Gegensatz zu Wolff – vertritt, ist daher kaum überzeugend. Im Gegenteil, man dürfte be­wußt auf die früheren, vielleicht zwischenzeitlich 13 Vgl. Wolff, Justizwesen 148ff. 14 Athen: Demosth. 35, 12. Vgl. M–L 197ff. 15 Arkesine auf Amorgos: IG XII 7 No. 67 u. 69. Vgl. M-L aaO. 16 P. Eleph. 1. Vgl. M–L 202. 17 Vgl. Schwarz, Hypothek u. Hypallagma, 76ff. 18 So Schwarz, Die öffentliche u. private Urkunde im römischen Ägypten, 1920 (= Abhandlungen der phil.-hist. Klasse d. Sächs. Akad. d. Wiss. 31), 57. 19 Vgl. insbes. die auf Durchführung der πρᾶξις; gerichteten Ansuchen, die Wolff, Justizwesen 129, gesammelt hat. 20 Symposion 203/204.

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– durch das Diagramma – überflüssigen oder sogar verbotenen Formulierungen zu­rückgegriffen haben. 3. Wolff selbst hat vor 30 Jahren darauf aufmerksam gemacht, wie die Chre­ matisten im 2. Jahrhundert ihre Urteile formulierten, nämlich in Form einer Weisung an den Praktor, die Vollstreckung durchzufüh­ren.21 Kann es in An­ betracht dessen einer Parteivereinbarung bedurft haben bzw. können derartige Abreden für den Praktor bindend gewe­sen sein? Überzeugend wäre Wolffs Deutung dagegen, wenn man die Möglichkeit der Exekution ohne Urteil ins Auge faßt. Dann dürfte es in der Tat zweckmäßig gewesen sein, ausdrücklich klarzustellen, daß die Vollstreckung gemäß den überkommenen Regeln des δίκη-Verfahrens zu betreiben sei! Aber daß es Exekutiv-Urkunden im Ägyp­ ten des zweiten Jahrhunderts v. Chr. gegeben hätte, wird ja gerade von Wolff geleugnet. 4. Wenn die Grundlagen für das Prozessieren mittels δίκαι nicht mehr ge­ geben waren,22 erscheint es wenig wahrscheinlich, daß man sich an den Re­ geln des δίκη-Verfahrens orientiert haben soll. Noch unwahrscheinlicher aber ist es, daß man in dieser Situation die Formel neu geschaffen haben soll, wie Meyer-Laurin meint, erklärlich wäre nur die Wiederaufnahme einer früher in Gebrauch befindlichen und anderswo noch bekannten. 5. Die Deutung ,,gemäß den überkommenen Regeln des δίκη-Ver­fahrens“ führt m. E. auch zu großen Schwierigkeiten in der Frage des Verständnisses der vielen Urkunden, in denen n u r das Recht zur πρᾶξις ohne weiteren Zusatz ein­ geräumt ist, also καϑάπερ ἐκ δίκης fehlt.23 Wolff hat früher gelehrt, der Zweck der Unterwerfung unter die πρᾶξις in den griechischsprachigen Urkunden sei u. a. gewesen, eine Haftung zu begründen, wo eine solche nicht kraft Gesetzes be­ stand.24 Wenn das richtig ist, also eine Einräumung der πρᾶξις bei bestimmten Geschäften jedenfalls notwendig war, warum wurde dann in diesen Texten die Bezugnahme auf das δίκη-Verfahren weg­gelassen? Müßten sie in konsequenter Anwendung der Wolffschen Lehre von der Bedeutung des καϑάπερ ἐκ δίκης 21 In Transactions of the American Philological Association 72 (1941) 422ff. (jetzt in deutscher Sprache in Wolff, Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römi­ schen Ägypten, 1961, 108) unter Bezugnahme auf UPZ I 118 u. P. Petr. III 25 (in der ergänzten Fassung von AP 6/358). Neuerlich behandelt Justizwesen 155ff. 22 Wolff, Proceedings 533: „unfeasible“, M-L aaO 262: „Anwendung sich nicht von selbst ver­ stand“. 23 Vgl. aus ptolem. Zeit P. Eleph. 2, 13. Gradenwitz 4, 16. Teb. I. 105, 50. Amh. II 44, 33. Grenf. I 10, 18. Ryl. IV 587, 20. SB 7532, 20. 24 Vgl. seine Formulierung vom ,,Ersetzen der Praxisklausel durch das Gesetz“ in SZ 74 (1957) 38 und 90 (1973) 80f.

Bemerkungen zur Praxisklausel καϑάπερ ἐκ δίκης

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nicht deshalb unvoll­streckbar gewesen sein? Oder stand nur der Weg vor den Strategen offen, den Wolff der Koerzition zurechnet?25 Meine Deutung würde dagegen lediglich bedeuten, daß solche Urkunden vor einem Gericht eingeklagt werden mußten. In das Problem tiefer einzudringen, warum überhaupt πρᾶξις-Klauseln in die Vertragsurkunden aufgenommen wurden und aus welchen Gründen die Ur­ kunden mancher Vertragsarten typisch eine π.-Klausel haben,26 während sie bei anderen Arten ebenso regel­mäßig fehlt,27 muß ich mir hier versagen.28 Nur eine Bemerkung möchte ich mir gestatten: Liegt nicht einer der Schlüssel in der ver­ schiedenen Ausgestaltung der Strafklauseln? Die Beobachtung von Schwarz,29 wonach πρᾶξις-Klauseln häufig im Zusammenhang mit der Festsetzung eines ἡµιόλιον, nie aber bei einem ἐπίτιµον vorkom­men, hat m. E. bisher nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit gefunden. Wenn Wolff, wie eben erwähnt, die βεβαίωσις-Verspre­chen als eine der Vertragsarten nennt, bei denen niemals eine π.-Klau­sel vorkommt, so steht das offensichtlich damit in Zusammenhang, daß solche Versprechen regelmäßig ein ἐπίτιµον enthielten, bei ἐπίτιµα aber eben normalerweise keine π.-Klausel stand.30 Warum das so ist, könnte mit der häufig g l e i c h z e i t i g mit dem ἐπίτιµον festgesetzten Fiskalmult31 zusam­ menhängen, insofern nämlich, als die den Schuldner treffende Fiskalmult eine πρᾶξις-Unterwerfung hin­sichtlich des dem Gläubiger gebührenden ἐπίτιµον entbehrlich machte. Ich bin mir bewußt, daß ich nur Hypothesen vorlegen kann, aber vielleicht regen sie dazu an, den Komplex immer wieder neu zu durchdenken. Dann wür­ den meine knappen, im dritten Jahr ununter­brochener akademischer Funktio­ närstätigkeit leider durch Zeitman­gel stark behinderten und kaum ausgereiften Überlegungen ihren Zweck erfüllt haben. 25 Justizwesen l23ff. 26 So z. B. die δάνειον-Urkunden (H. A. Rupprecht, Untersuchungen zum Darlehen im Recht der graeco-aegyptischen Papyri der Ptolemäerzeit, 1967, 104). 27 Z. B. in den βεβαίωσις-Versprechen (Wolff, Beiträge 116), Ausnahme: P. Gradenwitz 10. 28 Seit dem o. e. Aufsatz in den Transactions 72 (1941) [= Beiträge . . 102–128] von Wolff immer wieder behandelt, zuletzt SZ 90 (1973) 78–81. 29 The Journal of Juristic Papyrology 14 (1962) 13ff., z. T. früher schon in: Die öffentliche und private Urkunde … 179ff. 30 Die folgenden e r g ä n z t e n Te x t e könnten Ausnahmen enthalten: P. Hamb. II 190 (aller­ dings gemeinsame π.-Klausel für beide Seiten), Freib. III 34, PSI X 1120 (hier sind ἡµιολία u. ἑπίτιµον gehäuft). 31 Schon Schwarz. Urkunde 183 hielt es für wahrscheinlich, daß die Gleichzeitigkeit von Fiskal­ mult und ἐπίτιµον kein Zufall sei, sondern die Mult ipso iure mit dem Verfall des ἐπίτιµον verfiel.

BÜRGERRECHT ODER LATINITÄT?

I. Der verehrte Kollege, zu dessen Ehren dieser Band erscheint, hat sein wissen­ schaftliches Interesse schon seit Jahrzehnten der Rechtsgeschichte Österreichs zugewandt. Dabei gilt seine Aufmerksamkeit naturgemäß auch den rechtlichen Verhältnissen in unserem Raum zur Zeit seiner Zugehörigkeit zum Imperium Romanum. Es war daher naheliegend, als Festschriftbeitrag ein Thema aus die­ sem Bereich zu wählen, obgleich ich mich nach meinen bisherigen Arbeiten mehr im römischen Ägypten wissenschaftlich zu Hause fühle als in Noricum. Als geeignetes Thema erschienen mir Fragen der Zuständigkeit der Munizi­ palmagistrate. Schon eine kurze Beschäftigung mit den vorhandenen Quellen ließ mich aber erkennen, daß es darüber keine Nachrichten aus Noricum und seinen Nachbarprovinzen gibt. Die einzigen Gebietskörperschaften im westlichen Teil des Imperium Romanum, aus denen wir wirklich etwas über die Befugnisse der städtischen Beamten in den lateinisch sprechenden Provinzen während der Prinzipatszeit wissen, sind spanische Munizipien, deren Statute der Zeit der flavischen Kaiser angehören1. Wenn man nun der Frage nachgeht, was sich aus dem dort Überlieferten vielleicht für Noricum erschließen läßt, stößt man sogleich auf eine weitere Schwierigkeit: in Spanien war, wie wir von Plinius wissen, der Errichtung die­ ser Munizipien eine Verleihung des ius Latii an die Provinzbewohner durch Vespasian vorhergegangen2, weshalb in den danach unter Domitian errichteten spanischen Munizipien auch Latini municipes sein konnten und wohl überwie­ gend auch waren3. Für Noricum aber sieht die Quellenlage ganz anders aus. Erstens sind fünf der norischen Munizipien offenbar bereits unter Kaiser Claudius errichtet worden4, zum anderen besitzen wir keine Nachrichten über eine 1 Lex Malacitana (FIRA [Fontes Iuris Romani Antejustiniani, ed. Riccobono u. a., Florenz, 1941] I 24) u. lex Salpensana (FIRA I 23), von beiden nur Teile erhalten. Die sonst erhaltenen dies­ bezüglichen Normen, in der sog. lex Rubria de Gallia Cisalpina (FIRA I 19) und der lex coloniae Genetivae Iuliae s. Ursonensis (FIRA I 21), sind mehr als 100 Jahre älter, wenn auch die uns erhaltenen Bronzetafeln des Stadtrechts von Urso gleichfalls aus flavischer Zeit stammen. (TORRENT, La „iurisdictio“ de los magistrados municipales, Salamanca 1970, S. 179). 2 Plinius, nat. hist. 3, 30: universae Hispaniae Vespasianus imperator Augustus iactatum procellis rei publicae Latium tribuit. 3 Vgl. lex Salp. XXVIII, Malac. LIV. 4 Plinius, nat. hist. 3, 146.

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Verleihung von ius Latii oder der civitas Romana an die Bewohner Noricums. Schon deshalb sollte man, wie mir scheint, sehr zurückhaltend mit der Be­ hauptung sein, die unter Claudius errichteten norischen Munizipien Aguntum, Celeia, Virunum, Iuvavum und Teurnia seien solche „latinischen Rechts“ ge­ wesen. Ein Blick in die Literatur zu dieser Frage zeigt ein buntes Bild, wovon hier nur einige Beispiele gebracht werden können: Kornemann5 spricht von Städten „italischen Rechts“, Polaschek6 ist für volles Bürgerrecht, Galsterer – Kröll7 und G. Alföldy8 denken an latinisches Recht, die bemerkenswerte­ ste Feststellung finden wir aber bei Sherwin – White9. Dort ist auf S. 242 im Text zu lesen, „he – Claudius – created five Roman municipalities in Noricum“, in Anmerkung 5 auf derselben Seite lesen wir aber „they may be of Latin sta­ tus“. Auf S. 373 findet sich in Anmerkung 1 dann die Feststellung „my sugge­ stion above, 242, that these viere all municipia c. R. is not supported by Pliny’s terms“ ! Zusammengenommen bedeutet das wohl, daß auch Sherwin – White jetzt zu der Annahme latinischen Rechtes neigt. Was er mit der letztgenannten Bemerkung aber genau meint, ist nicht ganz klar; denn Plinius spricht in Bezug auf Noricum ja lediglich von „oppida Claudia“ und „Flavium Solvense“ und unterläßt jeden Hinweis auf die Rechtsstellung der Bürger dieser Städte, ganz im Gegensatz zu anderen Stellen seines Werkes10. Bei dieser Lage steht somit Schlüssen aus den Ordnungen der genannten spanischen Munizipien die Ungewißheit im Wege, ob auch die norischen sol­ che waren, in denen Latini Bürger sein konnten, oder ob diese Stellung cives Romani vorbehalten war (sog. municipia civium Romanorum). Denn wie noch darzulegen sein wird, bestanden gerade auf dem Gebiet der Befugnisse der Ma­ gistrate Unterschiede zwischen Bürger- und Latinermunizipien. Nachdem nun in den letzten Jahrzehnten eine reiche Literatur zum Städ­ tewesen der Kaiserzeit entstanden ist, liegt es nahe, einmal zu fragen, ob sich darin Ansichten vertreten finden, die helfen können, zu sichereren Ergebnissen für Noricum zu kommen.

  5 RE XVI 598.   6 RE XVII 996.   7 Epigraphische Studien 9 (1972) 71.   8 Noricum, London/Boston 1974, S. 84. Noch in Latomus 25 (1966) S. 44 sprach sich A. für vol­ les Bürgerrecht aus, S. 52 vermutete er dagegen latinisches Recht. Für letzteres auch MOMM­ SEN, Hermes 19 (1884) S. 79.   9 The Roman Citizenship, 2. Auflage, Oxford 1973. 10 Vgl. z. B. für latinisches Recht nat. hist. 3, 7. 18. 24. 25; 4, 117; 5, 220.

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Hier ist zunächst Ch. Saumagne11 mit seiner These zu nennen, es habe in der Kaiserzeit municipia civium Romanorum überhaupt nicht gegeben, son­ dern nur solche mit ius Latii12. Diese These klingt insofern verlockend, weil sie Licht werfen könnte auf den bis heute ziemlich dunkel gebliebenen Unter­ schied zwischen municipia und coloniae in jenen Jahrhunderten13 – alle colo­ niae wären dann solche „civium Romanorum“ gewesen – und erklären helfen würde, warum so viele Munizipien in der Kaiserzeit den Koloniestatus ange­ strebt haben14, nämlich um dadurch im Ansehen zu steigen, daß nur noch cives Romani municipes sein konnten. Die Richtigkeit der These von S. würde für unsere Frage bedeuten, daß in Noricum die Beleihung eines größeren Perso­ nenkreises mit latinischem Recht mit Sicherheit irgendwann einmal erfolgt sein müßte; denn für Aguntum, Celeia, Iuvavum und Teurnia ist die Bezeichnung municipium sicher überliefert, nicht allerdings für Virunum15. Wir brauchen jedoch hier nicht näher auf Saumagne einzugehen, da er mit seiner These über­ wiegend Ablehnung gefunden hat16. Die große Mehrheit der Gelehrten glaubt nach wie vor an die Existenz von municipia „civium Romanorum“. Wenn man sich mit Saumagne auseinandersetzt, stößt man auf die Lehre des kürzlich verstorbenen deutschen Gelehrten H. Braunert, daß es überhaupt falsch sei, von Munizipien „römischer Bürger“ oder „latinischen Rechts“ zu sprechen, weil nämlich das ius Latii nur die persönliche Rechtsstellung von Personen, nicht aber den Status eines Gemeinwesens bestimmt habe17. Daran scheint mir erstens richtig zu sein, daß das ius Latii ein Personen und nicht Körperschaften verliehenes Recht gewesen sein muß17a. So heißt es schon bei Asconius in Pisonianam p. 3 (Clark) über die wohl erste Verleihung von 11 Le droit latin et les cités Romaines sous l’empire, Paris 1965. 12 Genau das Gegenteil – alle municipia der Kaiserzeit seien solche civium Romanorum gewesen – hat man übrigens vor 125 Jahren angenommen, wie einer Bemerkung MOMMSENS zu ent­ nehmen ist (Ges. Schriften I 294 Anm. 23). 13 Schon Gellius, Noctes Atticae 16, 13, 3 gesteht, daß den meisten der Unterschied unklar sei. 14 Vgl. dazu VITTINGHOFF (s. u. Anm. 23) S. 1257. 15 Galsterer – Kröll, Epigraphische Studien 9 (1972) 71. 16 Vgl. nur Sherwin – White in Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 35 (1967) 162–165, Galsterer, Epigraphische Studien 9 (1972) 37–43, Desanges, Revue historique de droit français et étranger (RHD) 50 (1972) 367. 17 Corolla memoriae E. Swoboda, Graz-Köln 1966, 82f. 17a Die beachtlichen Darlegungen zum ius Latii von H. Wolff in Chiron 6 (1976) S. 272–286 konnten leider nicht mehr berücksichtigt werden. Er stellt heraus, daß das ius Latii nie viritan oder an Personengruppen außerhalb von Gemeinwesen verliehen worden sei, sondern immer nur an eine Gemeinde, womit deren Bürgern die Möglichkeit eingeräumt worden sei, Mitbürger im Wege der Wahl in ein städtisches Amt zu cives zu machen.

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ius Latii außerhalb Italiens: „Pompeius … non colonis … sed veteribus incolis manentibus ius Latii dedit“. Wenn der Autor aber fortfährt „ut possent habere ius quod ceterae coloniae, id est gerendo magistratus civitatem Romanam adi­ piscentur“, so haben wir darin gleich den Sprachgebrauch vor uns, der das ius Latii als Recht einer Gemeinde erscheinen läßt. Aber gemeint sind natürlich die Bewohner der Gemeinde, colonia steht für Kolonisten. Weiter hat B. richtig gesehen, daß bei genauer Betrachtung zwischen zwei Rechtsakten unterschieden werden muß: a) der Verleihung der civitas Romana oder des latinischen Rechtes an die Bür­ ger einer peregrinen Gemeinde und b) der Errichtung eines Munizipiums mit der Gemeinde als Vorort und einem Territorium, obgleich unsere Nachrichten zwischen beiden nicht unterschei­ den, sondern es meist nur heißt, dem und dem sei das Latium gegeben wor­ den17b. Schon Schönbauer18 hat einmal mit Recht darauf hingewiesen, daß a) ohne b) erfolgen konnte19. Der in der modernen Literatur häufig verwendete, aber in den Quellen der Prinzipatszeit außer an insgesamt drei Stellen im dritten und vierten Buch von PLINIUS’ genanntem Werk nicht vorkommende Ausdruck „municipium civium Romanorum“ ist daher unglücklich gewählt und sollte allenfalls benützt werden um auszudrücken, daß in so bezeichneten Munizi­ pien Bürgerrecht nur cives Romani besitzen konnten20 und infolgedessen z. B. Nicht-cives keine Ämter bekleiden durften. Der Ausdruck municipium iuris Latii o. ä. ist den Quellen überhaupt fremd. Trotzdem wird hier der Einfachheit halber gelegentlich von Latinermunizipien oder Munizipien latinischen Rechts gesprochen werden. Damit sind Körperschaften gemeint, in denen cives und Latini municipes sein konnten. Der Unterschied zwischen den Lehren von S. und B. liegt – grob vereinfacht – also darin, daß nach S. für das Bürgerrecht in einem municipium immer la­ tinisches Recht ausreichte, es also keine Munizipien gab, in denen nur cives 17b Vgl. außer den bereits genannten Texten bspw. Sueton, Augustus 47: „urbium quasdam … Latinitate vel civitate donavit“ und Scriptores historiae Augustae (SHA) Hadrian 21: „Latium multis civitatibus dedit“. 18 Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Österr. Akademie d. Wissenschaften, 1954 Nr. 2, S. 30. 19 Auch Galsterer (Untersuchungen zum römischen Städtewesen auf der iberischen Halbinsel, Berlin 1971, S. 2 Anm. 13) geht offensichtlich davon aus, daß mancherorts so vorgegangen worden ist. 20 Vgl. schon Braunert a. a. O.

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Romani municipes sein konnten, während nach B. die Errichtung eines muni­ cipium überhaupt keine Aussage darüber bedeutete, ob die Bürger cives sein mußten oder cives und Latini sein konnten. Das sei lediglich für jedes munici­ pium bei der Errichtung im Statut bestimmt worden. Mir scheint, daß B. hier wesentlich zur Klarstellung beigetragen hat, was man vielleicht auch so formulieren kann: Die Errichtung eines municipium ist ein Rechtsakt, der die Gliederung des Staatsgebietes in sich selbst verwaltende Einheiten betrifft – Braunert spricht von Gemeinderecht –, während die Erhe­ bung von Peregrinen zu Bürgern oder Latinern dem Staatsangehörigkeitsrecht und Personenrecht – Braunert: „Personenrecht“ – zuzuordnen ist, also einem ganz anderen Rechtsbereich angehört. Für unser Problem gibt uns B.s Lehre freilich keine Hilfe. Denn es ist für Noricum, wie schon gesagt, weder etwas über die Verleihung von Bürgerrecht oder Latinität, noch über die Errichtung von Munizipien überliefert. Plinius nennt lediglich 5 oppida Claudia. Das wird man jedoch unbedenklich als Hin­ weis auf die Errichtung von Munizipien durch Claudius verstehen können; denn warum sollte der Autor sonst den Kaiser in diesem Zusammenhang er­ wähnen? Gegründet hat Claudius doch die städtischen Siedlungen sicher nicht, allenfalls ihre Verlegung von einer Höhenlage an eine leichter zugängliche, tie­ fer gelegene Stelle, veranlaßt21! Es soll aber hier nicht verschwiegen werden, daß es auch Gelehrte gibt, die meinen, daß die Einrichtung der oppida als muni­ cipia erst später erfolgt sein könnte, also wohl nur Verleihung von Bürgerrecht bzw. Latinität durch Claudius für sicher halten22. Hier ist vielleicht der richtige Ort, etwas über die Vertrauenswürdigkeit der Plinius-Berichte zu sagen. Man ist sich darüber einig, daß seine Städtelisten, in denen, von den genannten Ausnahmen abgesehen, das Fehlen des Termi­ nus municipium auffällt, aus Verzeichnissen aus den Anfängen des Prinzipats stammen. Niemand vermag aber mit Sicherheit zu sagen, ob in seinen Vorla­ gen wirklich nirgendwo der Ausdruck municipia gebraucht war, obgleich es doch schon zur Zeit des Augustus solche in großer Zahl gegeben haben muß23, oder ob Plinius überall „oppida“ civium Romanorum in „municipia“ civium Romanorum korrigiert hat24. Mir scheint die Annahme Sherwin – Whites na­ 21 Vgl. diesbezüglich für Virunum, Aguntum und Iuvavum Alföldy, Noricum, S. 87ff. 22 Z. B. Sherwin – White, The Roman Citizenship2, 373. 23 Vgl. die Übersicht über die municipia Caesars und des ersten Princeps bei F. Vittinghoff, Rö­ mische Kolonisation u. Bürgerrechtspolitik unter Caesar u. Augustus (Wiesbaden 1952) [= Ab­ handlungen der Geistes- u. Sozialwissenschaftlichen Klasse d. Akademie der Wissenschaften u. d. Literatur in Mainz, Jahrgang 1951, Nr. 14.] 24 So Vittinghoff in Corolla mem. E. Swoboda, Köln-Graz 1966, S. 227.

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heliegender, daß Plinius die Bezeichnung seinen Vorlagen entsprechend ver­ wendet25 und nur dort Änderungen in „municipia“ vorgenommen hat, wo er aus eigener Kenntnis um die Existenz solcher wußte26. Jedoch gibt es auch in dieser Beziehung Zweifel. Galsterer hat nämlich festgestellt27, daß nach den inschriftlichen Befunden Zweifel daran bestehen, ob wirklich ganz Spa­ nien latinisches Recht erhalten hat; denn in den vor der Zeit der Flavier nicht munizipalisierten Teilen der iberischen Halbinsel sind nur ganz wenige flavi­ sche Munizipien nachweisbar28. Das heißt, daß man Plinius – jedenfalls für die Terminologie – nicht einmal da trauen kann, wo er über Ereignisse zu seinen Lebzeiten berichtet. So darf man sich auch über seine unscharfen Bemerkungen über die norischen oppida nicht wundern. Wir können also für Noricum wohl davon ausgehen, daß zwar Munizipien unter Claudius eingerichtet worden sind, haben aber keinen Grund zu der An­ nahme einer vorangegangenen Verleihung von Bürgerrecht oder Latinität. Damit stehen wir vor einer ersten Alternative: Muß gleichzeitig eine Rechts­ verleihung stattgefunden haben oder kann man sich vorstellen, daß nur die Er­ richtung von Munizipien erfolgt sein könnte, also keine Anhebung des status civitatis der Bewohner? Letzteres würde bedeuten: Kann man sich vorstellen, daß Schritt b) ohne Schritt a) vollzogen wurde? Ich bin auf diesen Gedanken beim Studium von Braunert gekommen, insbesondere seiner These, man habe wohl als Latinus auch in einer Gemeinde, die noch nicht als municipium aner­ kannt, aber nach dem römischen Modell eingerichtet war, durch Ämterbeklei­ dung die Civität erwerben können29. Die aufgeworfene Frage zwingt als erstes zu der Überlegung, wer in einem auf diese Weise errichteten municipium wohl zum populus zählen konnte. Da es sich bei einem municipium um eine römische Einrichtung handelt, könnte man sagen, wenn man sich von Saumagne nicht überzeugt fühlt, die Antwort müsse lauten: ohne besondere Bestimmung im Stadtrecht wohl nur cives Ro­ mani. Das wären aber sicherlich in den von Claudius zu Vororten von Territo­ 25 Dieser Ansicht war offenbar auch Braunert, bestimmt aber Schönbauer (Anzeiger a. a. O. S. 19). 26 Sherwin – White in Tijdschrift a. a. O. S. 163. 27 Untersuchungen 46ff. 28 Freilich kann man G.s Befund natürlich auch gegen ihn kehren und sagen, also hat Braunert doch recht gehabt, verliehene Latinität mußte nicht zur Errichtung von municipia führen, son­ dern sollte die Beliehenen nur anregen, dem römischen Muster entsprechende Städteordnungen für ihre Gemeinden einzuführen, in denen sie dann durch Ämterbekleidung cives werden konn­ ten. 29 A. a. O. 80ff.

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rien erhobenen norischen Gemeinden nur sehr wenige Personen gewesen, von Virunum vielleicht abgesehen30. Selbst wenn man aber der von Saumagne auf­ gestellten These, alle municipia in der Prinzipatszeit seien solche latinischen Rechts gewesen, folgt, also annimmt, daß in jedem municipium stets auch La­ tini Bürger sein konnten, kommt man auf dieser Spur nicht viel weiter; denn wie sollte es damals in Noricum Latini in größerer Zahl gegeben haben, wenn nicht durch eine en bloc-Verleihung durch Kaiser Claudius oder einen seiner Vorgänger, von der wir aber nichts wissen? Für nicht wahrscheinlich halte ich die Möglichkeit, daß Nicht-Latiner in ei­ nem municipium per honorem die civitas Romana erwerben konnten, obgleich das manche Autoren im Wege eines besonderen Privilegs offenbar für möglich halten. Ich darf diesbezüglich auf CIL V 532 verweisen, woraus sich ergibt, daß Antoninus Pius den Notablen der Tergeste attribuierten Carni und Catali den Weg zur Bekleidung der Aedilität in Tergeste und damit zur civitas Romana eröffnet hat. Das wird von Gascou31 und Sherwin – White32 so verstanden, daß die Carni und Catali keine Latini gewesen sein müßten, wie in der älteren Lehre33 angenommen worden war. Das Durchdenken dieser Möglichkeit führt schließlich weiter zu dem Er­ gebnis, daß auf diesem Wege auch kaum ein Fortschritt in der Romanisierung erzielt werden konnte. Denn die Zahl der Latiner kann jedenfalls ohne größere Verleihungen kaum so groß gewesen sein, daß eine namhafte Zunahme der Zahl der Personen mit römischem Bürgerrecht im Wege der Ämterbekleidung per honorem bewirkt worden sein könnte, zumal das große latinische Recht, kraft welchem man auch durch Bekleidung des Dekurionats die civitas erlan­ gen konnte34, wohl erst von Hadrian eingeführt worden und nur in afrikani­ schen Städten nachweisbar ist35. Dies negative Ergebnis läßt als wahrscheinlich annehmen, daß in der Tat eine Rechtsverleihung erfolgt ist. Damit stehen wir aber vor einer weiteren Al­ ternative: Erfolgte die Verleihung ausdrücklich oder war sie in der Erhebung zum municipium enthalten? Letzteres hieße: schloß Schritt b) Schritt a) in sich

30 Obgleich die Zahl der Julii auch in Celeia und Iuvavum überraschend groß ist (vgl. Alföldy, Noricum, S. 76 u. 262). 31 La politique municipale de l’empire Romain en Afrique proconsulaire de Trajan à Septime-Sé­ vère, Rom 1972, 221. 32 Citizenship 356 Anm. 6. 33 Vgl. Mommsen, Röm. Staatsrecht 4III 1 S. 767, Dessau, Anm. 6 zu ILS 6680 (= CIL V 532). 34 Gai. 1, 96. 35 Vgl. Vittinghoff, Römische Kolonisation, a. a. O. S. 1263.

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ein? Eine Formulierung Saumagnes36 läßt als möglich erscheinen, daß er das für die Latinität annimmt37, es entspräche wohl auch der allgemeinen Ansicht. Wäre sie zutreffend, bräuchten wir uns nicht zu wundern, daß Plinius nichts von einer Verleihung von Civität oder latinischem Recht berichtet. Mir scheint jedoch kaum glaublich, daß die Römer zwei Rechtsakte so verschiedenen In­ halts in der geschilderten Weise in eins gezogen haben. Zumindest der Kreis der Neubürger mußte doch genau bestimmt werden. Wir können also als wahr­ scheinlich annehmen, daß eine ausdrückliche Rechtsverleihung erfolgt ist. Die Frage ist nur, ob volles Bürgerrecht gewährt worden ist oder Latinität. Um diese Frage zu beantworten, wollen wir bei Claudius ansetzen und prüfen, was über seine Verleihungspraxis außerhalb Noricums bekannt ist. Ich sage absichtlich nicht „Munizipien-Errichtungen“, weil claudisch sonst nur von Claudius errichtete coloniae zu heißen pflegen38. Doch dürfte bei den ersten norischen Gebietskörperschaften bis auf Virunum sicher sein, daß sie nicht als Kolonien gegründet worden sind. Auszuschließen ist wohl auch, daß sich hinter dem Claudium Nero verbirgt39, obgleich die Latinitätsverleihungen dieses Herrschers in den Seealpen40 zu Aktivitäten in anderen Alpenbezirken passen würden. Eine Befassung mit den claudischen Städtegründen führt zu der Erkennt­ nis, daß es offenbar nur einen sicheren Beleg für ein durch Claudius gegründe­ tes municipium latinischen Rechts gibt, nämlich Tipasa, für das auch Plinius (n. h. 5, 20) die Latinität ausdrücklich nennt41. Alle anderen durch Claudius außerhalb von Noricum errichteten Munizipien scheinen solche „civium Ro­ manorum“ gewesen zu sein. Es spricht daher, wie mir scheint, auch aus diesem Grunde sehr viel dafür, für die unter Claudius errichteten norischen Munizipien, bis zum eindeutigen Beweis des Gegenteils, kein ius Latii anzunehmen. Dem stehen die bekannten, den spanischen – also latinischen – Munizipalstatuen verwandten, Fragmente eines Stadtrechtes nicht entgegen, die in Lauriacum gefunden worden sind42; denn Lauriacum erhielt den Munizipialstatus ja erst 36 Le droit latin S. 124: „jusqu’ à sa latinisation par attribution de la qualité de municipium, G. avait été une civitas pérégrine“. 37 So wohl auch verstanden von Braunert S. 83 in der Anmerkung. 38 Galsterer – Kröll, Epigraph. Studien a. a. O. 39 Es sind keine von Nero gegründeten Munizipien u. Kolonien bekannt (Galsterer, Untersu­ chungen 36). 40 Tacitus, Annalen 15, 32. 41 Vgl. Kornemann, RE XVI Sp. 597–599. 42 Zuletzt abgedruckt bei E. Weber im Jahrbuch d. Oberösterr. Museal-Vereins 117 (Linz 1972) I S. 190ff. und bei B. u. H. Galsterer in der gleich zu nennenden Arbeit.

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unter Caracalla43. Aus den frühen norischen Munizipien sind aber bisher keine Stadtrechtsfragmente bekannt geworden. In die entgegengesetzte Richtung, also doch auf Latinität, könnte die Überle­ gung deuten, daß vieles dafür spricht, daß man in einer neu eingerichtete Provinz mit einer noch wenig romanisierten Bevölkerung – kann man sich um die Mitte des 1. Jhs. eine andere norische Gemeinde als die Stadt auf dem Magdalensberg als reif für eine Bürgerrechtsverleihung43a? – sicherlich nicht gleich das volle Bürgerrecht verliehen hat, sonder eher die Latinität. Aber diese Überlegung trifft nicht ins Schwarze; denn wie Sherwin – White44 richtig festgestellt hat, darf man aus der Praxis der „post-Julioclaudian period“ und vor allem des zweiten Jahrhunderts nicht auf die ersten einhundert Jahre des Prinzipats rückschließen. Für die Beleihung mit latinischem Recht ist auch die sonstige claudische Verleihungspraxis in Alpenbezirken kein Argument45, da dort keine Munizipi­ engründungen nachzuweisen sind. Gegen den latinischen Status der frühen norischen Munizipien – und damit auc gegen Rostovtzeff46 – spricht weiter die Vermutung von Petrikovits47, latinische Bürgerstädte hätten niemals ein Territorium gehabt, auf deren Rich­ tigkeit hier aber nicht eingegangen werden soll; denn daß die claudischen Mu­ nizipien in Noricum Territorien hatten, ist ja wohl nicht zu bezweifeln, wenn auch über deren anfänglichen Umfang gestritten werden kann48. Man wird bei dieser Lage nicht umhin kommen, trotz des Schweigens des Plinius eine civitas Romana-Verleihung ins Auge zu fassen48a. Auch hier ist natürlich zuerst zu fragen, ob es Beispiele für derartige Verleihungen durch Claudius gibt. Die Antwort muß „ja“ lauten; denn zumindest Volubilis ist von Claudius direkt mit der civitas Romana beliehen worden49. 43 Alföldy, Noricum 166.273, Weber a. a. O. 183. Der municipium-Status von L. wird bestritten von B. u. H. Galsterer, Bonner Jahrbücher 171 (1971) 334–348. 43a Dabei ���������������������������������������������������������������������������������������������� verkenne ich nicht die sehr unterschiedlichen Zahlen der Julii in den einzelnen Territo­ rien, nach Alföldys Aufstellung z. B. 26 in Celeia, 2 in Teurnia, 5 in Aguntum, 18 in Iuvavum, 35 in Solv (!) (Noricum 262). Die Vergleichszahl für Virunum wäre 81. 44 Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 35/164. 45 Vgl. RE sv. municipium XVI 592 und Sherwin-White, Citzienship2, 371ff. 46 Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich I (1929) 189. 47 Bonner Jahrbücher 153 (1953) 161. 48 Alföldy, Noricum 96ff. 48a Gegen die Bürgerrechtsverleihung darf man nicht die geringe Zahl der Claudii in den fünf ersten norischen Munizipien ins Feld führen; denn die Neurömer der Zeit des Claudius haben nach den Feststellungen G. Alföldys (Latomus 25 [1966] S. 44) offenbar kaum das nomen Claudius getragen. 49 Vgl. Galsterer, Epigr. Studien 9 S. 39 u. Sherwin – White in Tijdschrift a. a. O. 163. Auch

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Damit stellt sich die Frage nach dem Umfang. Betraf sie nur die Bewohner der oppida – bzw. nicht einmal diese alle? – oder auch die sonstige freie Bevöl­ kerung der Territorien? Auch in dieser Frage sind die Ansichten der Gelehrten geteilt. Während z. B. Rostovtzeff davon ausgeht, die Landbewohner seien peregrini geblieben50, eine Ansicht, der auch G. Alföldy zu sein scheint51, gibt es grundsätzliche – d. h. nicht auf den konkreten Fall Noricum gemünzte – Äußerungen, die be­ sagen, daß bei derartigen Verleihungen die gesamte freie Bevölkerung der Ter­ ritorien einbezogen worden ist52, 53. Mir scheint der inschriftliche Befund aus Noricum mit seinen vielen Per­ egrinen eindeutig für die erstgenannte Ansicht zu sprechen, wobei sogar zu fragen ist, wer von den Bewohnern der peregrinen oppida bei der Einrichtung der municipia die civitas Romana erhielt. Mit der Antwort „natürlich nur die Bürger der oppida“54 scheint mir wenig anzufangen zu sein; denn woher wissen wir schon, ob auch die Noriker zwischen Bürgern und incolae unterschieden haben. Die Frage könnte sogar eine solche nach Einschluß der Frauen sein. Für das bereits erwähnte Volubilis wird z. B. von manchen Gelehrten angenommen, aus den Worten „… ab Divo Claudio civitatem Romanam et conubium cum peregrinis mulieribus …55 sei zu folgern, daß die Volubilitanerinnen die civi­ tas nicht erhalten hätten, sondern nur die Männer. Jedoch kann man den Text auch anders deuten, nämlich als Vorsorge für künftige Ehen der Neubürger mit Frauen, die keine Bürgerkinder waren, sondern z. B. aus dem Kreise der von Claudius gleichzeitig der Stadt zugeteilten incolae stammten56. Wenn aber vielleicht selbst in Volubilis „gespart“ worden ist, wo es um die Belohnung politischer Verdienste ging, dürfte kein Grund bestehen, für Noricum Großzügigkeit anzunehmen, wo es um die Vermehrung der Schichten ging, die die Verwaltung der Territorien der neu errichteten Provinz übernehmen konnten. Rusucurru in Mauretanien (Sherwin – White, Citizenship 341 unter Hinweis auf Plinius n. h. 5, 20) und Verulanium in Britannien (Sherwin – White an der unten Anm. 59 genannten Stelle unter Berufung auf Tacitus) können hier vielleicht genannt werden. 50 Gesellschaft u. Wirtschaft I 189. 51 Noricum 82. 52 Galsterer, Untersuchungen 41, u. Hoyos, RIDA XXII (1975) 269. 53 Aus Polascheks RE-Art. „Noricum“ läßt sich seine Ansicht in dieser Frage nicht klar ersehen. 54 So Schönbauer, Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Österr. Akademie d. Wissenschaften 1954, No. 2, S. 21 zu der Frage allgemein, also ohne Bezug auf Noricum. Vgl. auch Hoyos 244: „the entire local citizen body of the recipient community“. 55 Inscr. Lat. Maroc. 116. 56 Vgl. Gascou, Latomus 30 (1971) 139ff.

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Nehmen wir somit keine umfassende Bürgerrechtsverleihung an, so erledigt sich damit auch Alföldys57 Hauptargument für die Latinität der frühen nori­ schen Munizipien, nämlich das häufige Vorkommen von Gentilnamen späterer Kaiser in den Bezirken; der Umfang der claudischen Verleihung ließ eben Raum für spätere Viritanverleihungen. Ich bin mir bewußt, daß dies Ergebnis sehr mager und schwach fundiert ist. Der Hauptzweck der Darstellung meiner Überlegungen sollte aber sein, erneut zum Durchdenken der Probleme anzuregen. Ein wirkliches Weiterkommen dürfte nur durch neue Funde möglich sein. Denn ob es gelingt, unter den inschriftlich erhaltenen Namen eine so große Menge von Latini nachzuweisen, daß damit die Latinität der municipes der claudischen Munizipien sicher er­ scheint, möchte ich für sehr fraglich halten. Was G. Alföldy kürzlich über die Identifizierung von Latini auf Inschriften ausgeführt hat58, erscheint mir nicht sehr hoffnungsvoll. Auf jeden Fall ist das aber eine Aufgabe, die der Jurist bes­ ser dem Epigraphiker bzw. dem Althistoriker überlassen sollte. Deshalb habe ich mich auch nicht daran versucht. Übrigens sollen mit den vorstehenden Bemerkungen keinerlei Vermutungen für die ab Vespasian errichteten norischen Munizipien Solva, Cetium, Ovilava und Lauriacum aufgestellt werden. Denn offenbar ist mit den Flaviern insofern eine Wendung in der Praxis der Munizipien-Errichtungen eingetreten, als von ihrer Zeit ab civitates, die als Munizipien anerkannt werden sollten, so gut wie ausschließlich nur noch mit der Latinität und nicht mit der civitas Romana be­ liehen worden sind59. Waren die Bürger der unter den Flaviern und später in Noricum errichteten Munizipien aus dem genannten Grunde wirklich überwiegend Latini60, wäre sicherlich einer der Gründe für die bemerkenswerte Tatsache gefunden, warum zwar eine dieser jüngeren Körperschaften später zur colonia erhoben worden ist, nämlich Ovilava, aber keine aus dem Kreis der ältesten fünf norischen Mu­ 57 Noricum 86. 58 Latomus XXV (1966) 47–55. 59 Vgl. Sherwin – White in ANRW (Aufstieg u. Niedergang der römischen Welt ed. Temporini) I 2, Berlin 1972, S. 42. Trotzdem konnte Vittinghoff 1972 (Akten d. 6. Intern. Kongr. f. latein. u. griech. Epigraphik in München) sagen, wir kennten im Donauraum gesichert noch keine einzige Gebietskörperschaft latinischer Rechtsstellung (S. 85 d. Kongreßakten). 60 Für Solva ist freilich das Überwiegen der Personen mit den tria nomina über die mit peregrinen Namen unter den freien Stadtbewohnern in der Zeit von Vespasian bis Caracalla bemerkens­ wert, über das Alföldy (Noricum 86. 310) berichtet: 170: 110! – Allerdings sollte hier ange­ merkt werden, daß derselbe Autor in Latomus XXV (1966) S. 53 festgestellt hat, daß Flotten­ soldaten im 2. Jh. die tria nomina schon als Latini tragen!

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nizipien. Denn bei den letztgenannten fehlte das Bedürfnis, sich um die Erhe­ bung zur colonia zu bemühen, um für einen größeren Kreis als die Familien der jährlich als Nichtcives in ein Magistratsamt gelangenden Latini61 (vgl. lex Salp. XXI) die civitas Romana zu erlangen62, 63. Dieser Anreiz war nur bei den jün­ geren, latinischen, nicht aber bei den älteren Munizipien vorhanden, weil diese ja Bürgermunizipien waren. An die kürzlich erst wieder von Weber64 zur Diskussion gestellte These, der Grund oder einer der Gründe für das Streben nach der Umwandlung aus einem Munizipium in eine colonia habe wohl in dem den letzteren generell zustehenden ius Italicum gelegen, kann ich nicht glauben. Wie Bleicken vor kurzem dargelegt hat65, sind von den 39 bekannten Gemeinden mit ius Italicum – Bleicken glaubt, daß es in Wahrheit mehr gegeben hat66 – zwei wahr­ scheinlich von Trajan, zehn von den Severern und Elagabal, der Großteil aber vermutlich bereits von Augustus mit dem Privileg ausgestattet worden, wobei in der Spätzeit – ganz anders als bei Augustus – das Motiv der Belohnung67 im Vordergrund gestanden hat. Das spricht, wie mir scheint, eindeutig gegen eine generelle Ausstattung aller Bürgerkolonien mit dem ius Italicum. Auch aus fiskalischen Gründen – mit dem ius Italicum war ja die Immunität verbunden68 – ist an eine so allgemeine Verleihung kaum zu denken. In Betracht käme also für unseren Raum nur eine Einzelverleihung unter den severischen Kaisern. Und hier sehe ich wohl einen Grund für Carnuntum69, nichts aber scheint mir für Ovilava zu sprechen. 61 Das sog. maius Latium (Gai I 96) ist nur für afrikanische Gemeinden nachweisbar (s. o. Anm. 35). 62 Für ein weiteres mögliches Motiv vgl. die Vorstellungen Gascous über „une sorte de cursus honorum qui conduit de la civitas à la colonia“, den Trajan mit der Verleihung des Titels colonia in Gang gesetzt habe. (La politique municipale de l‘empire Romain en Afrique proconsulaire de Trajan à Septime-Sévère, Rom 1972, S. 212.) 63 Vgl. für die Gründe der Erbittung derartiger Rangerhöhungen auch DE MARTINO, Storia della Costituzione Romana IV 2 (Neapel 1975) S. 746: es war vielleicht als colonia leichter ein Privi­ leg wie die Immunität oder das ius Italicum zu bekommen. 64 A. a. O. 183 unter Berufung auf Visky, Archaeologiai Ertesitö 79 (1952) 113ff. (mir sprach­ lich verschlossen). Die Idee ist nicht neu, vgl. Anm. 63 der sogleich zu nennenden Arbeit von ­Bleicken. 65 Chiron IV (1974) S. 373–391. 66 S. 383. 67 S. 390. 68 Bleicken 373–377. 69 Dort war Septimius Severus zum Princeps ausgerufen worden. – Daß C. ein Bürgermunizipium war, wird für möglich gehalten von H. Galsterer in Epigraphische Studien 9, S. 39f.

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II. Wenn das Problem, ob Munizipien römischen oder latinischen Rechtes, so ein­ gehend diskutiert wird, stellt sich naturgemäß die Frage nach der praktischen Bedeutung des Unterschieds, ob man in einem Bürger- oder einem Latiner­ munizipium lebte. Auch diesbezüglich kann hier nur ein Teil der Fragen ange­ schnitten werden. Als Gegenstand der Betrachtung bietet sich zuerst die sog. freiwillige oder nicht streitige Gerichtsbarkeit an. In einem Munizipium latinischen Rechts konnten, wie wir gesehen haben, Römer und Latini municipes sein. Freilassen konnte vor dem Duovir von den Genannten aber nur der Latinus (1. Salp. XXVIII)70, der civis mußte seine manumissiones wohl vor dem Statthalter vor­ nehmen. Auch in einem Bürger-Munizipium haben sich aber cives diesbezüg­ lich nur dann besser gestanden, wenn den Magistraten dieses Munizipiums die Befähigung zu manumissiones ausdrücklich zugesprochen worden war (Pauli sententiae 2, 25, 4, Cod. Iust. 7, 1, 4). Auch für die datio tutoris spielte es offenbar eine Rolle, ob man als römi­ scher Bürger municeps in einem Bürgermunizipium oder einem solchen la­ tinischen Rechts war. Denn die Formulierung in lex Salp. XXIX läßt darauf schließen, daß in den Gemeinden latinischen Rechts auch römischen Bürgern vom Magistrat ein Tutor bestellt werden konnte, während die Kompetenz der Munizipalmagistrate von Bürgergemeinden zumindest fraglich ist71. Außerhalb des Bereichs der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit können wir zwar nichts über die Unterschiede zwischen latinischen und Bürgergemeinden aus­ sagen, aber doch einige Feststellungen treffen, welche den Umfang der Zustän­ digkeiten der Munizipalmagistrate zeigen. Dabei hat man sich zwei Fakten vor Augen zu halten, die sozusagen den Background darstellen: Erstens ist jede Zuständigkeit der Munizipalmagistrate auf dem Gebiete der Rechtspflege in der Kaiserzeit als Einschränkung der grundsätzlich generellen Zuständigkeit des Statthalters zu sehen. Was also den Munizipalmagistraten versagt war, lag beim Statthalter. Zweitens: Noricum gehörte offensichtlich nicht zu den Pro­ vinzen, in denen der Statthalter seine Jurisdiktion durch regelmäßiges Abhalten

70 Mommsen, Ges. Schriften I (Berlin 1905), S. 327. 71 So Kaser, Das römische Privatrecht I2 (Handbuch d. Altertumswissenschaft III 3/1), München 1971, S. 357 für den tutor impuberis; dort auch die Literatur. Aus der jüngsten Literatur: Simshäuser, Iuridici und Municipalgerichtsbarkeit in Italien (München 1973) 232 für Zuständigkeit der Magistrate von Bürgergemeinden, ebenso Langhammer, Die rechtliche und soziale Stel­ lung d. Magistratus municipales und d. decuriones (Wiesbaden 1973) 83/84.

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von conventus in verschiedenen Städten auszuüben pflegte72. Das heißt, um das Statthaltergericht anzugehen, mußte man sich nach Virunum begeben, weil der Statthalter keine regelmäßigen „Gerichtstage“ außerhalb seines Amtssitzes hielt. Und nun die Feststellungen: Munizipalmagistrate konnten keine restitutiones in integrum gewähren73, keine missiones in possessionem vornehmen, keine stipulationes praetoriae auferlegen74. Ungeklärt sind die Fragen des Besitzstreites in den Munizipien, allgemein wird die Zuständigkeit der Munizipalmagistrate verneint75. Gegen diese Ansicht hat Simshäuser – wie mir scheint mit Recht – Bedenken angemeldet76. Denn anders als bei den eben behandelten Materien gibt es kein ausdrückliches Quellenzeugnis, das besagt, die Munizipalbeamten iure dicundo seien vom Erlaß von interdicta ausgeschlossen gewesen. Die h. M. beruht daher allein auf dem Schluß, daß der Erlaß von interdicta, als auf dem imperium beruhend, Magistraten ohne imperium wie den Munizipalmagi­ straten (D 50, 1, 26) versagt war. Aber kein Text spricht aus, daß die interdicta als eine Angelegenheit des imperium verstanden worden sind. S. beruft sich ferner auf c. XIX der bereits erwähnten lex Rubria, worin sich eine Weisung an denjenigen findet, der „de ea re decernet interdeicetve“, was er als Hinweis auf die Zuständigkeit der Magistrate zu interdicta versteht. Gegenteiliger Ansicht ist allerdings der letzte Kommentator der lex Rubria77. Was nun das normale streitige Verfahren anbelangt, so gab es offenbar eine Streitwertgrenze, bis zu welcher die Munizipalmagistrate kompetent waren78. Der Höhe nach genau fixieren können wir diese freilich nicht. Aus der Zeit des Ausgangs der Republik sind für italische Gemeinden Grenzen von 10.00079 bzw. 15.00080 Sesterzen überliefert. Für die Provinzialmagistrate der Prinzi­ patszeit sind keine Zahlen bekannt. Mit Sicherheit sind allerdings später Än­ derungen erfolgt und z. B. den Munizipien die infamierenden Klagen entzogen 72 Vgl. die Übersicht über die Konventsprovinzen bei Kornemann in RE IV 1175ff. 73 Dig. 50, 1, 26. 74 Dig. 2, 1, 4; 50, 1, 26. Ausnahmen bestanden für die Auferlegung einer cautio damni infecti u. im Fall der Nichtleistung für die missio in possessionem ex primo decreto (Dig. 39, 2, 4, 3). Die Materie ist ausführlich von Simshäuser S. 205–218 behandelt. 75 Vgl. Kaser, Das römische Zivilprozeßrecht (Handbuch III 4), München 1966, S. 318, Anm. 2 und die dort zitierte Literatur. 76 A. a. O. S. 222–225. Neuestens Simshäuser in Ztschr. d. Sav. Stiftung f. Rechtsgeschichte, Romanist. Abteilung, 93 (1976) S. 385–387. 77 Der Philologe F. Bruna, Lex Rubria, Leiden 1972, S. 52. 78 Pauli sent. 5, 5a, 1; Dig. 50, 1, 28. 79 Fragm. Atestinum (FIRA I 20) Z. 5ff. für infamierende Klagen. 80 Lex Rubria c. 21 für die ductio aus einer confessio oder indefensio.

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worden81, aber den Zeitpunkt dieser Beschneidung zu bestimmen sind wir nicht imstande. Völlig entzogen waren den Munizipien offenbar auch die causae li­ berales82. Soweit der Streitgegenstand schätzbar war, also nicht bei Freiheitsprozessen (Dig. 50, 17, 106)83, standen die genannten Zuständigkeitsbeschränkungen of­ fenbar einer Vereinbarung des munizipalen Gerichtsstandes nicht entgegen84, jedoch ist das für die infamierenden Klagen zweifelhaft85. Insgesamt wird man dennoch vermuten können, daß – jedenfalls solange die actiones famosae noch in den Bereich der duoviri fielen86 – die geschilderte Regelung den Interessen der Bevölkerung der kleinen Bezirke entsprochen hat; denn wenn man berücksichtigt, daß im 1. Jh. Sklaven zwischen 800 und 2.500 Sesterzen gekostet haben87, dürften 10–15.000 Sesterzen als Zuständigkeits­ grenze für diese „Bezirksgerichte“ genügt haben. Ich möchte diese Ausführungen, die, wie ich mir voll bewußt bin, mehr ver­ deckt lassen als enthüllen, mit dem Wunsche schließen, daß die Forschungen des verehrten Jubilars auch für die Provinzen Raetia, Noricum und Pannonia noch viele fruchtbare Ergebnisse bringen mögen; denn bis heute wissen wir in Wahrheit sehr wenig, gerade auch auf dem Gebiete der Rechtsgeschichte88. Leider erst nach Fertigstellung des Manuskripts erlangte ich Kenntnis von Brigitte Galsterer-Krölls Aufsatz „Zum Ius Latii in den keltischen Provinzen des Imperium Romanum“ (Chiron 3 [1973] 277–306). Die Autorin vertritt darin die Ansicht, die claudischen Gründungen in Noricum seien Gemeinden 81 Isidorus v. S. 15, 2, 10. 82 Isidorus a. a. O. 83 Vgl. Simshäuser 201. 84 Dig. 50, 1, 28. 85 Vgl. Simshäuser 201. 86 Sicher ist eine solche Kompetenz freilich nur für italische Munizipien um 50 v. Chr. (Frgmt. Atestinum cap. I) und nur bei Zuständigkeitsvereinbarung (Kaser, Ziv. Prozeßrecht S. 184 Anm. 44, u. Simshäuser 199), was auf die die bisherige Gerichtsbarkeit der Munizipien ein­ schränkende ratio des Fragments (Vgl. Mommsen, Ges. Schriften I 184) zurückzuführen sein dürfte. 87 G. Alföldy, Römische Sozialgeschichte (Wiesbaden 1975) S. 122 unter Berufung auf ­Westermann, The slave systems of Greek and Roman Antiquity (Philadelphia 1955) S. 100f. Vgl. auch die Zusammenstellung der Belege aus Italien in R. Duncan – Jones, The economy of the Roman empire, Quantitative studies (Cambridge 1974), S. 349. 88 Um unsere Armut zu erkennen, braucht man nur einmal die Studie von M. Humbert, La juri­ diction du préfet d‘Egypte d‘Auguste à Diocletien, in: Burdeau – Charbonnel – Humbert, Aspects de l‘empire Romain, Paris 1964, durchzublättern!

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latinischen Rechts gewesen, aber nicht notwendig schon unter Claudius Mu­ nizipien (301 f.). Sie kommt zu diesem Schluß – eine Nachricht über die Ver­ leihung latinischen Rechts an die Noriker gibt es ja nicht – auf Grund eines Vergleichs der Inschriften aus Noricum, in denen Amtstitel genannt sind, mit Steinen aus anderen Bereichen mit keltischer Bevölkerung. Es bestehe nämlich bei Inschriften aus Orten, für die Beleihung mit latinischem Recht überliefert ist, ein auffallender Unterschied gegenüber Steinen aus Gemeinden römischer Bürger: Die Aufzählung mehrerer bekleideter Ämter sei selten und umfasse in der Regel höchstens deren zwei, während die Steine aus Bürgergemeinden eine viel umfassendere Ämternennung aufwiesen. Auch gäbe es aus latinischen Gemeinden keine Belege für Quinquennalen und nur selten solche für praefecti pro duoviris (306). Genau dies treffe aber auch für die claudischen Gründungen Aguntum, Celeia, Iuvavum, Teurnia und Virunum zu, nicht aber z. B. für die Bürgergemeinden Pannoniens, weshalb die Verlei­ hung latinischen Rechts an die Noriker wahrscheinlich sei. Meine Skepsis können auch diese scharfsinnigen Überlegungen nicht än­ dern. Denn die Argumentation der Verfasserin ist keineswegs zwingend: 1. Was wissen wir schon über die Bereitschaft der Bewohner der neugeschaf­ fenen Provinz Noricum, sich für die Bekleidung von Munizipalämtern zur Verfügung zu stellen? 2. Wenn wirklich die Neu-Latini keltischer Abstammung, wie die Verfasserin meint, Ämter nur bekleidet haben, um dadurch für sich und ihre nächsten Angehörigen das römische Bürgerrecht zu erwerben (296), welches Inter­ esse darf man dann wohl unter Gemeindebewohnern erwarten, die bereits cives waren? Dies scheint mir die Verfasserin nicht bedacht zu haben. 3. Wissen wir, ob es nicht in manchen Bereichen der Alpen der Zwang zur Sparsamkeit oder die Gebräuche waren, die bewirkten, daß nur das höchste der bekleideten Ämter, nicht aber alle auf Grab- und sonstigen Inschriften erwähnt wurden? 4. In Spanien gibt es nach den bereits mehrfach genannten Untersuchungen von B. Galsterer (56. 60) quinquennales nur in Gemeinden der Provinz Tarra­ conensis, nicht aber in der Baetica und in Lusitania. Das Nichtvorkommen in Noricum kann also keinerlei Beweiskraft haben. Überdies sind die von der Autorin für das benachbarte Pannonien zitierten Quinquennalen-Belege CIL III 10220, III 4108 und XIII 8772 alle drei recht unsicher. 5. Wenn ich richtig sehe, war das Amt eines praefectus pro duoviris doch immer nur ein außerordentliches. Wer kann schon sagen, ob nicht die Notwendig­ keit zur Einsetzung solcher Beamter in den norischen Städten gering war?

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Im übrigen ist es wenig überzeugend, daß ein Amt, das in einem latinischen Stadtrecht wie dem von Salpensa ausdrücklich behandelt ist (1. Salp. XXV, worauf sich Verf. ausdrücklich bezieht), in zahlreichen latinischen Gemein­ den des Imperiums nicht existiert haben soll. Aber die Verfasserin hat offen­ bar nicht bemerkt, daß es sich bei den in Inschriften genannten praefecti pro duoviris in der Regel wohl nicht um die kurzzeitigen Vertreter nach 1. Salp. XXV, sondern um solche nach der lex Petronia bzw. gem. 1. Salp. XXIV handelt. Die Verfasserin verschweigt überdies, daß aus den von ihr auf S. 302 als Bür­ gergemeinden eingestuften norischen Gemeinden Ovilava, Cetium und Lauria­ cum gleichfalls keine Quinquennalen und keine praefecti bekannt sind. Die sonstigen von der Verfasserin angeschnittenen Probleme, insbesondere das angebliche Fehlen eines cursus honorum in Gemeinden latinischen Rechts und die Behauptung, Latini hätten in civitates – also noch nicht zu Munizipien oder Kolonien erhobenen Gemeinwesen – durch Ämterbekleidung die civitas Romana erwerben können, zu behandeln, ist hier nicht der Ort. Ich möchte mich daher mit der abschließenden Feststellung begnügen, daß meines Erachtens aus den genannten Gründen mehr für eine Bürgerrechtsver­ leihung durch Claudius spricht als für die Latinität89.

89 Zweifel am latin. Recht der frühen norischen Munizipien trotz Galsterer – Kröll auch bei Wolff, Historia 26 (1977) S. 229 und Bonner Jahrbücher 176 (1976) S. 64.

BEMERKUNGEN ZU FORM UND INHALT DER DELPHISCHEN FREILASSUNGEN1

I. Alle Aussagen über die Form der in Delphi gefundenen Freilassungsinschriften stehen unter einem Dilemma: Die uns erhaltenen Texte sind in jedem einzelnen Falle nur Wiedergaben von Aufzeichnungen, die bei dem Freilassungsakt selbst oder doch unmittelbar danach auf anderen Schreibstoffen gemacht worden wa­ ren. Für dies bekannte Faktum nur vier Belege: In GDI 2074 (Priesterschaft II) heißt es, die ωνά befinde sich bei dem und dem, womit hier nur die Verwahrung einer bei der Freilassung errichteten Urkunde gemeint sein kann, GDI 2143 (Priesterschaft VI) nennt vier Hüter – Phylássonti – der ’ωνά, in Colin 91 (= FD III 6 No. 29, Priesterschaft XXVII) heißt es: τίϑεμαι τ¾ν ωνήν … τ¾ν δ� τÁ „δία χειrί γrάψας εις τò δημόιον γrαμματοψυλάxιον und in Colin 97 (= FD III 6 No. 43, P. XXVII) lesen wir „Cheirographon des X“, was unzweifelhaft auf den Charakter einer Abschrift hinweist2. Das bedeutet, daß Studien an den Originalurkunden in diesem Rechtsbe­ reich nicht möglich sind. Wir müssen uns daher mit den für die Öffentlich­ keit bestimmten „Verewigungen“ begnügen. Diese sind freilich nur von einem begrenzten Aussagewert; denn weder wissen wir, wie weit sich die Inschrif­ tenverfasser an den Wortlaut der Originalurkunden gehalten haben, vor allem wohl, was die Vollständigkeit anbelangt, noch ist uns bekannt, welcher Text für die Zeitgenossen der maßgebliche war, ob man sich also z.B. in einem Streitfall auf den in die Polygonalmauer des Tempels bzw. im Theater einge­ hauenen Text berufen konnte. Nach den häufigen Hinweisen auf die da und

1 Vortrag auf der XXXIIIe Session der S.I.D.A. in Palermo am 14.9.1979. Wegen des Vortrag­ scharakters wird der wissenschaftliche Apparat auf das Notwendigste beschränkt. Die ältere Literatur bei G. Daux, Délphes au 11e et au 1er siècle depuis l’abaissement de l’Étoile jusqu’à la paix romaine. 191–31 av. J.-C. (Paris 1936) [= Bibliothèque des écoles fran­ çaises d’Athènes et de Rome 140] S. 46 ff. Die neuere Literatur bei H. Rädle, Untersuchungen. zum griechischen Freilassungswesen, Inaug. Diss. München 1969, F. Bömer, Untersuchungen über die Religion der Sklaven in Griechenland u. Rom, 2. Teil (= Abh. d. Geistes- u. Sozialwiss. Klasse d. Akademie d. Wiss. u. der Literatur in Mainz, Jahrg. 1960, Nr. 1). Zur Paramone insbesondere bei A.E. Samuel, The Role of Paramone Clauses in Ancient Documents, in: JJP 15 (1965) 221–311. 2 Auch von αντόγραφον ist dort die Rede.

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dort aufbewahrte ώνά sollte man das bezweifeln3. Damit stellt sich aber un­ ausweichlich die Frage, warum die Freilassungen überhaupt in Stein gehauen wurden. Zum Zwecke der Kundmachung an die Bewohner von Delphi? Wer je die heilige Straße entlanggegangen ist und die noch in situ befindlichen Texte gesehen hat, wird das füglich bezweifeln4. Und weiter: Was interessierten den Delpher die Freilassungen durch Auswärtige, vor allem aber, was nützte dem Freigelassenen von auswärts – der hohe Prozentsatz der in Delphi freilassenden Nichtdelpher ist ja bekannt –die Kundmachung im heiligen Bezirk in Delphi? Und wozu nicht zuletzt die öfter zu beobachtende Ausführlichkeit der Texte (Bsple.: Colin 83 [= FD III 6 No. 27], 91 [= FD III 6 No. 29], 94 bis FD III 6 No. 6], GDI 1832, 1878)? Auf welches Interesse dürften bei Nichtbetroffenen die speziellen Klauseln der einzelnen Freilassung schon gestoßen sein? Schon diese Überlegungen sprechen gegen den Publizitätszweck. Wenn aber weder das eine noch das andere eine große Wahrscheinlichkeit für sich hat, was war dann der Grund ? Mir scheint, man sollte eher an religiöse Gründe denken, die sich in praxi zu einer Art Werbung für den Gott ausgewirkt haben. Doch soll dieses Problem uns hier nicht beschäftigen, sondern die Frage, was wir aus den Tempelaufzeichnungen über die Form erschließen können. Zunächst einmal: ob es gesetzliche Formvorschriften gegeben hat oder ob es gewillkürte waren, ist nicht auszumachen. –Sicher dürfte nur sein, daß ein Zwang ausgeübt worden ist, eine solche Inschrift, wie wir sie zu mehr als tau­ send besitzen, in Auftrag zu geben und zwar nach den vom ersten nachchrist­ lichen Jahrhundert ab begegnenden Formulierungen ein Zwang auf die Frei­ lasser5. – Die Form war zunächst einmal Zeugenform; denn immer finden wir Martyroi genannt. Diese kommen anfangs in der Regel aus drei verschiedenen Personenkreisen: Priester, Funktionäre, Privatpersonen, später sind meist nur noch Priester des Apollon und Idiotai genannt. Ob man die offenbar stets er­ richteten Urkunden wegen der Zeugenschaft der Amtsinhaber als öffentliche bezeichnen kann, ist eine Frage der Definition. Von Bedeutung erscheint sie nicht, da wir über ihre Beweiskraft keine Aussage machen können. Zu wel­ chem Zweck von der Schriftform Gebrauch gemacht wurde, wissen wir nicht, man sollte meinen zu Beweiszwecken. Eigenhändigkeit, zumindest Unterzeich­

3 Direkt verneint von A.D. Keramopullos in Klio IV (1904) 252. 4 Daux, Delphes 81, bezeichnet manche Stellen mit Freilassungsinschriften als „pratiquement inaccessible aux visiteurs.“ 5 Vgl. Colin 85.87.93 u.a.m. Deshalb dürfte die in der Diskussion nach meinem Referat aufge­ worfene Frage nach der Eitelkeit der Freigelassenen als Motiv für die Aufzeichnung der „Frei­ käufe“ auf Stein negativ zu beantworten sein.

Bemerkungen zu Form und Inhalt der delphischen Freilassungen

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nung, war wohl spätestens ab dem ersten nachchristlichen Jahrhundert obliga­ torisch6. Ob beim Geschäftsabschluß etwas erklärt werden mußte, wissen wir nicht, offensichtlich mußte aber der Wille zum άποδ…dosθαι irgendwie zum Ausdruck gebracht werden. Ob damit eine Handlung verbunden war, oder eine Handlung überhaupt genügte, z.B. die Überhändigung des Sklaven an die Prie­ ster, steht gleichfalls außerhalb unseres Erkenntnisvermögens. Selbst eine Ver­ mutung in dieser Frage fällt schwer, obgleich wir doch von den dogmatischen Grundgedanken des altgriechischen Rechts manches zu wissen glauben. Ich sehe jedenfalls nicht, wie z.B. H.J. Wolffs Lehre von der Zweckverfügung oder E. SEIDLS Prinzip der notwendigen Entgeltlichkeit6a hier helfen könnten. Als moderner Jurist könnte man vielleicht argumentieren: Da die Priester des Apollon immer als Zeugen genannt sind, ist es nicht wahrscheinlich, daß eine von ihnen selbst gesetzte Handlung entscheidend war, aber ich trage Bedenken, diesen Gedanken der Vermeidung von Interessenkollisionen auf die Antike zu übertragen. Die Urkunden waren mit einem Datum beginnende, objektiv stilisierte Pro­ tokolle über die vorgenommenen „Veräußerungen“ und die dabei festgesetzten Einzelbestimmungen, endend mit der namentlichen Nennung der Zeugen. Wohl vom ersten nachchristlichen Jahrhundert ab7 tritt ein merkwürdiger Mischstil auf: Gewisse Erklärungen der Freilasser werden nun subjektiv stilisiert: die Quittung, die Bestellung des Bebaioter und die Feststellung der Niederlegung eines Exemplars der Urkunde im städtischen Archiv. Für den übrigen Inhalt der Urkunden bleibt es beim Protokollstil. Zwingende Regeln über den Aufbau der Urkunden dürfte es nicht gegeben haben; denn die vielen Abweichungen vom üblichen Formular sind kaum alle als Versehen erklärbar. Ich möchte diesbezüglich nur auf die ganz unterschied­ liche Einreihung der Paramone-Klausel hinweisen, die selbst innerhalb von Texten aus derselben Priesterschaft einmal weit vorn, dann wieder ganz am Ende vor den Martyroi gefunden werden kann. Bsple.: GDI 2261 u. 2225 (P. VIII), 21.07 u. 2168 (VI). Der übliche Aufbau war wohl der folgende: Datum – Erklärung des „Verkaufs“ – Zustimmungen – Preisquittung – AnvertrauensKlausel – Ernennung des Bebaioter – evtl. Festsetzung einer Paramone – Ein­ tritt der Bürgschaftsverpflichtung – Sylein-Klausel – Zeugen. 6 Keramopullos passim. 6a Der Einfachheit halber verweise ich den Nichtvertrauten auf M. Kasers Artikel Stellvertretung und notwendige Entgeltlichkeit in SZR 90/146-204, insbes. SS. 146 ff. u. 158 ff., und die dort zitierte Literatur. 7 Vgl. die Urkunden ab Colin Nr. 83.

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II. Doch verweilen wir nun ein wenig bei den Paramone-Klauseln, dem nach dem άπέδοτο wohl wichtigsten Bestandteil der Aufzeichnungen: jener Klausel, die besagt, daß der Veräußerte verpflichtet war, noch weiter bei seinem Herren – oder Dritten – zu verweilen und alle ihm aufgetragenen Aufgaben zu erledi­ gen. Da wir negative παοαμινάτω-Klauseln nicht kennen, muß angenommen werden, daß ohne eine derartige Klausel das σωμα nicht zum Weiterdienen, zum παοαμένειν, verpflichtet war. – Eine Paramone ex lege8 ist für Delphi ohne jeden Anhalt und wohl auch nie behauptet worden. Als einen wesentlichen, konstitutiven Bestandteil der Aufzeichnungen ver­ stehe ich nicht die in manchen Paramone-Freilassungen hinter der Festlegung der Pflichten des Paramonars und der Rechte des Paramone-Berechtigen auf­ scheinenden Formulierungen „wenn dem Berechtigten etwas Menschliches zu­ stoßen sollte, sei der Paramonar frei“, o.ä.9 Die darauf gestützte Unterscheidung Albrechts10 zwischen einer „freiheitsvorbehaltenden“ und einer „freiheitsbe­ schränkenden“ Paramone hat keine Basis in den Quellen. Das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein solcher, die Paramone-Bestimmungen meist abschlie­ ßenden, έλεÚθεrος œστω-Sätze war für den Status der Freigelassenen während des Bestehens der Verweilenspflicht nicht von Bedeutung. Da ich das aber vor kurzem näher ausgeführt habe11, möchte ich mich hier mit dieser Feststellung begnügen. Es mag verwunderlich erscheinen, daß ich nächst der άπέδοτο-Feststellung als wichtigsten Bestandteil die Paramone-Anordnung genannt habe und nicht die έπίστευσε-Klausel oder die Feststellung der Überhändigung der τιμά. Aber das geschah aus gutem Grund: Ich bin nämlich der Überzeugung, daß diese beiden Inschriftenbestandteile nicht wesentlich waren, sondern nur deklarato­ rischen Charakter hatten. Die έπίστευσε-Klausel, durch die in der Regel das σîμα, manchmal zusam­ men mit dem freilassenden Herren, zuweilen aber auch dieser allein (Colin 66, 106 [= FD III 6 No. 134], 107) oder ein Dritter (GDI 1723), dem Gott die ών¦   8 Wie sie z.B. Babakos – m.E. zu Unrecht – in seinen Πράεις κοινής διαθέως …, Athen 1961, für Thessalien behauptet hat.   9 Bspl. GDI 1924: εί δέ τί κα πάθη Είράνα œλευθέρα έστω ’Ωφέλίμα. 10 K.-D. Albrecht, Rechtsprobleme in den Freilassungen der Böotier, Dorier, Ost- u. Westlokrer, Paderborn 1978, S. 154 ff. 11 Auf dem IVe Colloque International d’histoire du droit grec et hellénistique auf Aigina am 3.9.1979. Das Referat wird in den Akten des Colloque als Veröffentlichung der École des Hautes Études Politiques Panteios, Athen, erscheinen.

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„anvertrauten“12 –was das auch immer heißen mag –, fehlt manchmal in den uns erhaltenen Steinen und zwar in Freilassungen ohne (GDI 1897, 1816)13 und mit Paramone (GDI 1754, 1944, 2136 [VII], 2160 [IX], 2168 [XIV]). Ein derartiges Fehlen kann aber wohl kaum bedeutet haben, daß der Sklave nicht έπ΄έλεθεrία verkauft war und nicht unter dem Schutz Apollons stand. Denn wenn der Zweck des Aktes nicht Freiheit unter den Fittichen des Gottes gewesen wäre, warum war dann überhaupt ein άποδίοσθαι an den Gott erfolgt? Schon diese Überlegung zeigt, daß die Klausel nicht wesentlich gewesen sein kann. – Daß eine echte Hierodulie Ziel der delphischen ωναί, gewesen wäre, ist nach allgemeiner Überzeugung ja schon seit langem außerhalb jeder Wahr­ scheinlichkeit14. Was die τ¦ν τιμ¦ν œχει π©σαν-Klausel anbelangt – wir können sie wohl Quittung nennen –, so findet sie sich zwar häufig auf den Steinen, oft aber auch nicht. Als Beispiele aus einer Zeit, in welcher die Bezahlung des Entgelts in Delphi regelmäßig vermerkt wurde, seien GDI 1817 u. 1859 genannt, beide aus demselben Monat eines Jahres um 150 v. Chr. Geburt: in 1817 fehlt die Quit­ tung, in 1859 ist sie enthalten. Suchen wir nach Gründen für diese Verschiedenheit, die, wie das Beispiel zeigt, auch bei zeitlich ganz nahe aufeinanderfolgenden Texten zu beobachten ist, so gibt es für die Lösung zwei Möglichkeiten: Entweder nimmt man an, daß die Nichterwähnung der Bezahlung der Tima bedeutet, daß diese wirklich nicht bezahlt worden war, oder man führt die Auslassung darauf zurück, daß es unwesentlich war, ob bezahlt war oder nicht, und die Erwähnung deshalb fortgelassen werden konnte. Albrecht, der Autor, der sich zuletzt mit dieser Frage beschäftigt hat, nimmt – überraschenderweise wie ich sagen muß – mal das eine und mal das andere an: wo es der Untermauerung seiner These von den zwei verschiedenen Typen der Paramone dienen kann ob der eine oder der andere Typ vorliegt, soll von der bei der Freilassung erfolgten oder nicht erfolgten Zahlung des Entgelts abhängen – stützt er sich auf das Vorhandensein bzw. Fehlen der Quittung, ohne sich jedoch zu scheuen, Quittungen dann für fiktiv zu erklären, wenn sie seiner These entgegenstehen, -bzw. sie als wegen Unwesentlichkeit weggelassen zu

12 Καθώς έπίστετυσε Χ τî θεî τ¦ν ’wn£n, ™f’ ™λευθερος ™‹μεν καί άνέφαπτος … 13 Beide lauten aber auf Veräußerung „έπ’ έλευθερία“. Ebenso 1908. 1954. 1897 (alle V). 14 Letzte Untersuchung des Problems wohl bei Bömer, Untersuchungen über die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom, 2. Teil, Wiesbaden 1960, (= Akademie d. Wissenschaften u. d. Literatur in Mainz, Abhandlungen der Geistes- u. Sozialwissensch. Klasse 1960, No. 1), insbes. S. 149 ff.

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bezeichnen, wenn er sie zur Stützung seiner These braucht15. Dem kann man m.E. nicht folgen. Die Annahme, daß bei Fehlen der „Quittung“ im Text der Freilassungsinschrift das Lösegeld nicht bezahlt worden ist, kann man m.E. ausschließen. Es ist weder glaublich, daß in einer so großen Anzahl von Fällen die Freilassungen unentgeltlich erfolgt sind, noch, daß sie sozusagen auf Kredit geschehen waren. So umfangreich dürfte die Zahl „großzügiger“ Herren kaum gewesen sein, vor allem wenn man die beträchtliche Zahl jener Freilassungen bedenkt, in denen trotz Zahlung eines Ent­ gelts in üblicher Höhe der Sklave noch zum Weiterdienen – παοαμένειν – auf Jahre verpflichtet wurde. – In jener Priesterschaft, aus der das eben genannte Beispiel ge­ wählt wurde, sind das 20 von 84 Freilassungen –. Aus dem. gleichen Grunde kann man übrigens meiner Überzeugung nach nicht annehmen, daß die Freilassungen durch Weihe an eine Gottheit, in deren Aufzeichnungen ja niemals von einer Tima, die Rede ist, generell unentgeltlich erfolgt wären16. Das wird besonders deutlich durch das Vorkommen des ausdrücklichen Hinweises auf eine schenkweise er­ folgte Weihe-Freilassung in der Inschrift IG VII 3332 aus Cheironea bewiesen: άνατίθησι τήν ίδίαν δούλην Φιλονμένην ™p… dwre©. Gegen eine Deutung des Fehlens der Quittung im Sinne von Unentgeltlich­ keit der Freilassung oder noch nicht bezahltem Lösegeld spricht übrigens auch die Beobachtung, daß wir Poleis kennen, aus denen wir eine ganze Reihe von Verkaufsfreilassungen besitzen, ohne daß auch nur in einer derselben die Be­ zahlung erwähnt ist17. All dies spricht meiner Ansicht nach dafür, daß die Lösung nur darin ge­ funden werden kann, daß die Bezahlung oder Nichtbezahlung des Lösegeldes unwesentlich war und deshalb unerwähnt bleiben konnte. Das άποδίδοσθαι an den Gott war kein gewöhnlicher Verkauf; denn Ziel einer derartigen Ver­ äußerung an die Gottheit war die Erlangung der Freiheit durch das σîμα und nicht der Erwerb des Eigentums an dem Sklaven. Das besagen schon die Worte έπ΄έλευθεrία. Daß bei einem Verkauf die Bezahlung des Entgelts nach grie­ chischer Vorstellung eine maßgebliche Rolle für die Rechtslage gespielt hat, ist zwar für den Erwerb des Eigentums an einem verkauften Objekt belegt. Ich erinnere an die herrschende, von Pringsheim begründete Lehre18. Darum ging

15 Albrecht 162. 176. 16 Insoweit stimme ich durchaus mit Albrecht 182 ff. überein. 17 Vgl. z.B. Naupaktos in IG IX 12. 18 Vgl. mein Eigentum und Besitz im griechischen Recht des 5. u. 4. Jhdts. v. Chr., Berlin 1963, S. 76 ff., ferner Herrmann in Symposion 1971, Köln / Wien 1975, S. 329 u. Festschrift für Max Kaser, München 1976, S. 615-627.

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es aber bei diesen „Verkäufen“ an Apollon bzw. andere Gottheiten nicht. Wenn manche Gelehrte davon sprechen, daß eine Freilassung nach griechischer Auf­ fassung darin bestand, daß der Sklave das „Eigentum an sich selbst“ erwarb19, so ist das ein Irrtum. Das zeigt schon die häufig begegnende Formulierung μη πrοσήκειν20, o.ä. Koschakers Behauptung21, diese Worte seien mit dem ungeschriebenen Zusatz „außer sich selbst“ zu lesen, ist durch nichts begründet. Denn κυοιεύειν aÙtosantoà heißt nicht „Eigentümer“, sondern „Herr“ sein über sich selbst: κύοιος ist nach griechischem Sprachgebrauch, nicht der Eigentümer, sondern der Verfügungsbefugte22. Das zeigt in den Verkaufsfreilassungen besonders deutlich jene Formulierung, die vom „Herr sein über sich selbst“ im Eigentum des Gottes spricht (GDI 2049): Toà qeoà šstw kurieÚwn aÙtosautoà. Es ging bei unseren Texten also nur um Eigentumsverlust und nicht zugleich um Eigentumserwerb. Daß man aber nach griechischer Anschauung Eigentum nicht unentgeltlich habe aufgeben können, z.B. durch Schenkung, Dereliktion oder Weihung an eine Gottheit wird wohl niemand ernsthaft behaupten wol­ len. Daß Sklaven de iure durchaus unentgeltlich aus dem Herrschaftsbereich ih­ res Herren ausscheiden konnten, zeigt übrigens auch die eben schon erwähnte andere und wohl ältere – Form der sogenannten „sakralen“ Freilassungen, näm­ lich die Weihe an eine Gottheit, wo niemals von einer Vergütung die Rede ist, auch wenn eine solche oft gegeben worden sein mag. Wenn aber juristisch die Bezahlung der Tima für den Eigentumsuntergang und die Erlangung der Freiheit nicht von Bedeutung war, für wen von den Be­ teiligten war dann die Aufnahme der Quittung in die Freilassungsaufzeichnung wichtig? Für die Priester sicherlich nicht; denn sie konnten niemals Eigentums­ rechte an dem Freigelassenen geltend machen, da der Zweck des Geschäftes ja die Freiheit und nicht der Erwerb des Eigentums durch den Gott gewesen war. Für die Freilasser konnte es allenfalls von Interesse sein, wenn sich aus der Urkunde ergab, daß sie ihr Entgelt noch nicht erhalten hatten, sie können daher hier außer Betracht bleiben. Bleiben also die Freigelassenen selbst. Aber auch für sie kam es nicht darauf an, da sie ja im Falle eines Angriffes auf ihre 19 Z.B. Berneker in RE XVIII, 3 Sp. 1213 s.v. παραμονή, Albrecht 143 ff. 20 Z.B. Colin 33. 36. 47. 80. 81. 86. 21 Über einige griechische Rechtsurkunden aus den östlichen Randgebieten des Hellenismus, Leipzig 1931 (= Sächsische Akademie d. Wissenschaften, Abhandlungen d. Philol.-Histor. Klasse, Bd. XLII, No. 1) S. 47. 22 Vgl. Wolff, EOS XLVIII, Vol. 1, Warschau 1956 (= Symbolae Taubenschlag I) S. 364, sowie mein obengenanntes Eigentum u. Besitz S. 24.

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Freiheit den Schutz der Bebaioteres genossen, einen Schutz, der in keinem Text von der Bezahlung der Tima abhängig gemacht ist. Fragen wir also umgekehrt: Warum wurde dennoch häufig die Quittung auf­ genommen? Man könnte an ein rein tatsächliches Interesse auf seiten der Frei­ gelassenen denken. Hatte der Herr vor Zeugen das Geld erhalten und das sogar in die im heiligen Bezirk öffentlich angebrachte Kopie aufnehmen lassen, stand umso sicherer fest, daß er auf seine Eigentumsrechte verzichtet hatte. Vielleicht dachte man aber auch: Bei einem normalen Kauf steht man besser, wenn der Preis bezahlt ist. Also schreiben wir es auch beim Kauf έπ΄έλευθεοία in die Urkunde hinein. Trotz dieses abschließenden Plaidoyers für den Wert einer Erwähnung der Zahlung des Lösegeldes hoffe ich mit meinen Ausführungen gezeigt zu haben, warum, wie ich meine, in den Freilassungsinschriften die Quittung ohne juristischen Nachteil für die Beteiligten fehlen konnte. Zu folgen hätte nun die Betrachtung der weiteren Klauseln der Freilassungs­ texte. Ich nenne nur beispielsweise: κύrιος œστω ό παρατυcών συλέων, βέβαιον παrεcόντων τ¦ν ëν¦ν οί τε ¦ποδόμενοι ουνευδοκεόντων καˆ τîν υίîν αύτοà23 sowie jene, welche die Freiheit umschreiben, doch reicht dafür die mir einge­ räumte Zeit nicht aus. Ich kann aber hier soviel sagen, daß meine bisherigen Untersuchungen in die Richtung deuten, daß auch diese überwiegend nicht wesentlich in dem vorhin genannten Sinne gewesen sein dürften und sich daraus das häufig zu beobachtende Fortbleiben – kurze Freilassungsaufzeichnungen haben z.B. selten die beiden erstgenannten Klauseln – erklären dürfte. Doch bedarf noch vieles der weiteren Untersuchung, z.B. der Charakter der das Er­ brecht nach dem Freigelassenen regelnden Klauseln24. Ein bleibendes Dilemma – und das möchte ich am Schluß meiner Ausführungen nochmals deutlich in Erinnerung bringen – schwebt freilich auch über allen derartigen Untersuchun­ gen: Wir wissen n i c h t , was in den Originaltexten der Urkunden stand und aus welchen Gründen wirklich die auszugsweise Verewigung im heiligen Bezirk erfolgte25. 23 Zum Problem der „Zustimmung“ jetzt eingehend Albrecht, 216 ff. 24 Beispiele: GDI 1718 (lange Urkunde), 1817 (kurze Urkunde). 25 Auch an dieser Stelle möchte ich meinen Studienassistenten Gabriele Hadler und Michael Rai­ ner, ohne die diese Arbeit nicht entstanden wäre, Dank für ihre treue Hilfe sagen.

BEMERKUNGEN ZU DEN GRIECHISCHEN FREILASSUNGSINSCHRIFTEN1

A) Wer sich mit den griechischen Freilassungsinschriften beschäftigt hat, weiß, daß die sog. Paramone-Klauseln in zwei Haupttypen vorkommen: Ohne – im folgen­den Typ b genannt – und mit – im folgenden als Typ v gekennzeichnet – einem Satz am Ende, der festlegt, welchen Status der Paramonar bzw. die Pa­ ramonaria nach dem Ende der Paramone, also in der Regel nach dem Tode des Paramone-Berechtigten bzw. nach Ablauf der festgelegten Jahre, einnimmt. Typische Formulierung für einen derartigen Satz aus Delphi (Typ v): ἐπεὶ δέ κα τελευτάσηι Α (Par. Berechtigter), ἐλεύθερος ἔστω Β (Paramo­ nar) κυριεύων αὐτοσαυτοῦ … (GDI 1796). In GDI 2079 aus derselben Priesterschaft (III) lautet dagegen die ganze Paramone-Klausel lediglich παραµεινάτω δὲ Α παρὰ Β ἀνεγκλήτως ἕως κα αὐτὰ ζώη (Typ b). Das ist seit dem vorigen Jahrhundert bekannt und in der Literatur behandelt2. Ebenso ist schon seit langem aufgefallen, daß die sog. sakralen Freilassun­ gen in der Gestalt eines „Verkaufes“ an einen Gott zwar fast immer den „Kauf­ preis, d.h. also das Lösegeld, nennen, aber keineswegs stets die Feststellung enthalten, ob bezahlt ist oder nicht3. Der jüngste Bearbeiter der Materie, Karl-Dieter Albrecht, hat auf diese bei­ den Beobachtungen eine umfassende Theorie gebaut: Er meint, man müsse grundsätzlich zwei unterschiedliche Ausgestaltungen der Paramone mit verschiede­nen Rechtsfolgen unterscheiden. Er nennt „freiheitsvorbehaltende“ Paramone jenen Fall, bei dem am Ende der Paramone-Klausel sich ausdrück­ lich die Feststellung findet, daß der Paramonar nunmehr frei sei (Typ v). Den anderen Typus, bei dem also nicht extra ausgesprochen wird, welchen Status der Freigelassene nach Ablauf der Paramone einnimmt (Typ b), nennt er „frei­ heitsbeschränkende“ Paramone4. – Obgleich ich ALBRECHT nicht folgen 1 Entsprechend dem Referatscharakter beschränke ich den Apparat auf das Notwendigste. 2 Vgl. Beauchet, Histoire du droit privé de la république Athénienne. Paris 1897, II 495 f.; Ko­ schaker, über einige griechische Rechtsurkunden aus den östlichen Randgebieten des Hellenis­ mus, Leipzig 1931, 39 ff. 3 Dareste – Haussoullier – Reinach, Recueil des inscriptions juridiques grecques, 2ème Série, Pa­ ris 1892–1904, S. 256; BLOCH, Die Freilassungsbedingungen der delphischen Feilassungsin­ schriften. Diss. phil. Straßburg 1914. S. 24. 4 K.-D. Albrecht, Rechtsprobleme in den Freilassungen der Böotier, Phoker, Dorier, Ost- u. West­ lokrer, Paderborn 1978, S. 154 ff., zusammengefaßt 200. 4a Albrecht 155 u. 188.

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kann, möchte ich der Einfachheit halber diese beiden Termini im folgenden beibehalten. – Die Rechtsfolgen der beiden Klauseln sollen sich nach A. wie folgt unterscheiden: Bei Typ b – nach A. war das der Normalfall – genieße der Freigelassene während der Paramone den Status der Halbfreiheit, seine Voll­ freiheit sei aufschiebend bedingt. Im Falle von „freiheitsvor­behaltender“ Pa­ ramone (Typ v) sei der Sklave dagegen bis zum Ende der Paramone überhaupt nicht frei gewesen. Mit anderen Worten: bei der sog. freiheitsvorbehal­tenden Paramone weiterhin Unfreiheit, im Falle einer „freiheitsbeschränkenden“ Para­ mone Halbfreiheit bis zum Ende der Verweilenspflicht. Zu dieser Theorie ist der Verfasser vor allem aus zwei Gründen bewogen worden: Einmal durch seine Überzeugung, daß man in Griechenland die Frei­ heit nur gegen Entgelt habe erlangen können4a, weil anders nämlich das Eigen­ tum des Freilassers am Sklaven nicht auf den Sklaven als ein „Eigentum an sich selbst“ habe übergehen können – auch nicht bei den sog. Weihe-Freilassungen, – zum anderen aufgrund der Beobachtung, daß bei den – nach seiner Behaup­ tung – in der Minderzahl auftretenden Texten mit Freiheitsausspruch am Ende der Paramone-Klausel (Typ v) häufig die Feststellung der Bezahlung der τιµὰ fehle, während das bei Typ b umgekehrt sei. Wenn aber noch nichts bezahlt worden sei, könne der Sklave die Freiheit noch gar nicht erlangt gehabt haben, das Entgelt werde vielmehr erst „durch“ das Weiterdienen geleistet. Die Glaubwürdigkeit dieser Thesen leidet schon in der Darstellung ihres Erfin­ders darunter, daß er, obgleich die Nichtzahlung der τιµὰ ja gerade die Grundlage seiner Ansieht ist, auch Texte zur Erklärung des Typs v heranzieht, in denen der Erhalt der tim erwähnt ist, indem er diese „Quittungen“, wie ich sie einmal nennen will, kurzerhand für „fiktiv“ erklärt5. Bei der zweiten Gruppe (Typ b), bei der sich also am Ende der Paramone-Klausel keine Aussage über den Status des Sklaven findet, versteht er das Verbleiben-Müssen als eine „Paramone für Schuld“, wie sie aus den Papyri bekannt ist6. Der Sklave habe nämlich von seinem eigenen Herrn den Loskaufpreis vorgeschossen bekom­ men und müsse dieses Darlehen durch sein Paramenein abdienen7. Da aber der Kaufpreis bezahlt sei – der vom Herrn zur Verfügung gestellte Betrag wurde ja von den Priestern dazu verwendet – habe der Sklave nach dem Surrogations­ prinzip zumindest die Halbfreiheit erlangt. Auch hier wird freilich vom Autor 5 Albrecht 162. Beispiel GDI 1726: Quittung und „freiheitsvorbehaltende“ Paramone. 6 Vgl. Koschaker 16 ff. u. 49 f., Adams, Paramone und verwandte Texte, Berlin 1964; Westermann, The Journal of Juristic Papyrology 2 (1948) 9–50, Herrmann, Revue internationale des droits de l’antiquité X (1963) 152 ff. 7 Albrecht 173.

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manipuliert, indem auch solche Texte hierher gezählt werden, in denen eine Quittung fehlt, die Bezahlung also nur angenommen werden kann. Albrechts Erklärung dafür lautet: Die Aufzeichnung der Bezahlung war nicht wesentlich, also habe man sie öfter aus Ersparnisgründen fortgelassen8. – Hierzu sei die Bemerkung gestattet, daß man durch Umgang mit Inschriften auf diese Weise natürlich alles beweisen kann! Abgesehen von diesen Bedenken sind A.s Thesen aber auch bei wirtschaft­ licher Betrachtung nicht einleuchtend: Warum sollte ein Herr, ohne von sei­ nem Sklaven sofort etwas auf die Hand zu bekommen – in welchen Fällen man mit A. von einem „Realisieren des im Sklaven steckenden Wertes durch Freilassung“ sprechen könnte – diesen freilassen? Warum sollte er die Dien­ ste des Sklaven, die ihm ja ohnehin zustanden, auf einmal als Entgelt für eine Freilassung entgegennehmen? Wirklich nur in dem Bestreben, sich einen ar­ beitswilligeren Sklaven für die letzten Lebensjahrzehnte zu verschaffen, wie es Aristoteles OIK. I 5, 6 S. 1344b u. Pol. VII 9,9 S. 1330 a vorgeschlagen hat? Daß dies jedenfalls nicht immer angenommen werden kann, zeigen jene Paramone-Freilassungen, in denen der Paramonar berechtigt ist, statt selber zu dienen, einen Ersatzmann zu stellen (GDI 1717, 1719, Colin 32, 40, 88, 93. 95, 102, 104). Und warum stimmten wohl erbberechtigte Angehörige des Freilas­ sers einer bargeldlosen Freilassung zu, wenn die noch zu leistenden Dienste mit dem Tod des Herren enden sollten, sie als die Erben also bestimmt nichts mehr davon haben würden? (Beispiele: GDI 1890, 1776 u.a.m.). B) Nachdem ich mich schon früher mehrfach mit Fragen der Freilassung und insbesondere auch der Paramone beschäftigt habe, bin ich durch das – al­ lerdings auf einem beschränkten Material aufgebaute – Buch von Albrecht veranlaßt wor­den, mich erneut den Freilassungen zuzuwenden. Was ich dabei beobachtet habe, möchte ich hier kurz vortragen: 1. Der Prozentsatz der sakralen Freilassungen, in denen eine Aussage über die Bezahlung des Kaufpreises aufscheint, ist sehr ungleich. In manchen Poleis war es offenbar überhaupt unüblich, die Auszahlung in den über den Verkauf an die Gottheit errichteten Inschriften festzuhalten, wie z.B. die Texte aus Naupaktos in IG IX 12 zeigen, obgleich sie zum Teil aus Jahrzehnten stammen, in denen in Delphi die Verzeichnung schon regelmäßig erfolgte, was dort gegen Ende der Priesterschaft IV einsetzte. Vorher war allerdings auch das delphische Bild ganz anders: In den über 200 Freilassungsinschriften, die in den GDI den Prie­ 8 Albrecht 157. 176. Beispiel: GDI 1715: Keine Quittung und „freiheitsbeschränkende“ Para­ mone.

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sterschaften II und III zuge­schrieben sind, enthalten noch nicht einmal 20, also weniger als zehn von hundert, eine solche Feststellung, wobei übrigens keine einzige Quittung in einer Para­mone-Freilassung zu finden ist. Aber selbst in den Urkunden von der Priestersch­aft V ab gibt es immer eine Reihe von Frei­ lassungen, in denen die Beurkundung der Auszahlung fehlt. 2. Beachtenswert erscheint mir ferner das Häufigkeitsbild der beiden Formulie­ rungen, wenn man die delphischen Texte allein betrachtet: Von den in den GDI enthaltenen delphischen Paramone-Texten sind 68 v.H. freiheitsvorbehaltend im Sinne von Albrecht, überwiegen also bei weitem, obgleich nach A.s Mei­ nung dies der Ausnahmefall war; von dem Rest, den nach A. also nur „freiheits­ beschränkenden“ Paramone-Texten, sind aber – und das halte ich für besonders erwähnens­wert – 50% ohne Quittung, obgleich seine These doch voraussetzt, daß in diesen Fällen das Lösungsgeld bezahlt und dadurch die Halbfreiheit be­ reits erlangt ist. Ist es wirklich wahrscheinlich, daß man die Bezahlung so oft nicht erwähnt hat, wenn sie für den Status des Freigelassenen von wesentlicher Bedeutung gewesen wäre? 3. Zeigt eine chronologische Durchmusterung der delphischen Texte, daß die frühen Paramonai alle freiheitsvorbehaltend nach dem Sprachgebrauch von A. sind und erst mit GDI 1965 (aus dem Jahre 189/188 v. Chr.) eine Formulierung erscheint, die A. für freiheitsbeschränkend erklärt. Doch ist diese Urkunde so kurz, daß man keine sicheren Schlüsse daraus ziehen kann. Auch die dann zeit­ lich folgenden „freiheitsbeschränkenden“ Texte sind alle kurz – und tragen üb­ rigens alle keine Quittung, obgleich nach der Theorie das Lösegeld doch bezahlt gewesen sein müßte! Es überwiegen aber weiterhin die Paramone-Klauseln mit Freiheitserklärung am Ende (Typ v). Die erste „freiheitsbeschränkende“ Para­ mone, solche Texte sind nach wie vor selten und fast immer kurz, mit Quittung, begegnet 174/173 (GDI 1852). Im Jahre 169/168 findet sich dann erstmals eine „freiheitsvorbehaltende“ Paramone mit Quittung (Nr. 1858), was dann häufiger wird, obgleich nach A.s These der Freikaufpreis gerade nicht bezahlt sein dürfte. Angesichts dieser Entwick­lung ist es wenig wahrscheinlich, daß wir es mit zwei Paramone-Klauseln ganz verschiedenen Inhalts zu tun haben. Es sieht vielmehr so aus, daß A.s „freiheitsbe­schränkende“ Paramone in Wahrheit lediglich eine Kurzfassung und d.h. Sparfas­sung war, vermutlich auf dem Umstand beruhend, daß es keine Normen gegeben hat, welche vorgeschrieben hätten, daß die Ur­ kunden in vollständiger Abschrift im Tempelbereich aufzustellen seien. Nicht auszuschließen ist freilich, daß schon die Urkunden – je nach den Interessen der Beteiligten – mal ausführlicher und mal knapper abgefaßt worden waren.

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4. Gelegentlich findet sich in den Paramone-Texten die Klausel „εἴ κα µὴ παραµένη, ἁ ὠνὰ ἄκυρος ἔστω“ (Bsple. GDI 1721, 1747, 1832, 1884, 1944), wodurch der Freikauf für unwirksam erklärt wird, wenn der Freigelassene der Verweilenspflicht nicht nachkommt. Diese Klausel paßt nur zu einer „freiheitsbeschränkenden“ Paramone; denn da nach ALBRECHT bei der „freiheitsvor­ behaltenden“ Paramone doch zunächst die Freiheit überhaupt nicht erlangt wurde, weil noch kein Lösegeld bezahlt worden war, sondern erst durch das Verweilen entrichtet werden sollte, bedurfte es für den Fall des Nicht-Verwei­ lens keiner ἄκυρος-Klausel, weil ohnehin selbstverständlich war, daß die Frei­ heit nur durch das Abdie­nen der festgesetzten Paramone erlangt werden konnte. Eine echte Drohung war eine solche Klausel dagegen bei „freiheitsbeschrän­ kender“ Paramone, da sie für den Fall des Nicht-Dienens den Verlust der schon errungenen Position – das Lösegeld war ja bezahlt – in Aussicht stellte. Dieser Überlegung entspricht jedoch der Quellen-Befund nicht. Die ἄκυρο-Klausel kommt in Delphi – und außerhalb Delphis gilt dasselbe –sowohl in Freilassun­ gen der einen wie der anderen Formulie­rung vor, und zwar in einem ausgewo­ genen Verhältnis. Das bestätigt meine Mei­nung, daß es einen Unterschied, wie ihn A. behauptet, in Wahrheit nicht gegeben hat! 5. Wenn es der Zweck der „freiheitsbeschränkenden“ Paramone war, wie Albrecht behauptet, ein vom eigenen Herrn erhaltenes Darlehen abzudienen, das der Unfreie erbeten hatte, um sich durch die Priester freikaufen zu lassen, ist zu erwarten, daß derartige Paramone-Klauseln in der Regel auf eine bestimmte Zeit lauteten und vor allem Vorsorge für den Fall trafen, daß der Freilasser schon nach kurzer Zeit verstarb, z.B. durch die Anordnung der Fortsetzung der Paramone bei den Erben des Freilassers; denn es ging ja, nach A.s These, um das Abdienen einer ganz be­ stimmten, in Jahre des Dienens leicht umrechenbaren Summe, weshalb die Festset­ zung auf die – doch nicht vorhersehbare – Lebenszeit des Freilassers weder dessen Interessen noch denen seiner Erben, aber auch nicht jenen des Ex-Sklaven ent­ sprochen haben dürfte. Ein Blick auf die Texte aus Delphi zeigt jedoch, daß davon keine Rede sein kann. Nur auf etwa einem Zehntel der in Frage kommenden Steine ist die „freiheitsbeschränkende“ Paramone auf eine feste Anzahl von Jahren ange­ ordnet (Bspl.: GDI 1764). Auch das spricht dafür, daß eine Paramone-Freilassung ohne ausdrückliche Frei-Erklärung für die Zeit nach Abdienen der Paramone (Typ b) nicht die von A. behauptete Bedeutung gehabt haben dürfte. 6. Gegen die Deutung dessen, was Albrecht freiheitsbeschränkende und frei­ heitsvorbehaltende Paramoneklausel nennt, als zwei ganz verschiedene Freilas­ sungsbedingungen spricht ferner die häufig zu beobachtende, auffallende Überein­

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stimmung der Texte. Ich wähle ein beliebig herausgegriffenes Beispiel aus der VI. Priesterschaft (etwa um 150 v. Chr. Geb.): die Inschriften GDI 2163 („freiheitsbe­ schränkend“) und 2186 („freiheitsvorbehaltend“). Beide sind unter demselben Ar­ chon, denselben Bouleuten und demselben Grammateus errichtet, die eine im Mo­ nat Endyspoitropios (10. Monat), die andere im 12. Monat, dem Ilaios. Beide sind ganz gleich und zwar folgendermaßen aufgebaut: Datum ἀπέδοτο-Feststellung, Angabe des Lösegeldes, Feststellung, daß dieses bezahlt worden war, πιστεύεινKlausel, Benennung des Bebaioter, Bestimmungen für den Fall der neuerlichen Versklavung, παραµεινάτω-Klausel, Verpflichtung, während der Paramone nach Kräften das Aufgetragene zu leisten, Recht zur Bestrafung für den Paramone-Be­ rechtigten im Falle der Nichteinhaltung des bezüglich der Paramone Festgeleg­ ten mit Ausnahme der Befugnis zum Verkauf. In 2163 folgen darauf sogleich die Zeugen, auch diese übrigens teilweise identisch mit denen in dem anderen Text, während in 2186 die ἐπεί δέ κά τι πάθηι ἀνθρώπινον-Klausel eingeschoben ist, die feststellt, daß nach dem Tode des Paramoneberechtigten der Paramonar frei sein soll wie anfangs festgelegt. M.E. ist es sehr wenig wahrscheinlich, daß diesem einen kleinen Sätzchen, das GDI 2186 mehr aufweist, eine so weitreichende Be­ deutung zugekommen sein soll, wie Albrecht behauptet. 7. Zu dem gleichen Ergebnis kommt man aufgrund der folgenden Überlegung: Wenn es eine Form der Freilassung unter Paramone gab, bei der die Freiheit zunächst überhaupt nicht erlangt wurde, warum wurden dann eigentlich in der Urkunde die Pflichten und Rechte der Beteiligten so genau festgelegt, wie es in den Inschriften geschieht? Im Grunde genommen war das, was Albrecht frei­ heitsvorbehaltende Paramone nennt, doch eine aufschiebend bedingte bzw. un­ ter einen Anfangstermin gestellte Freilassung. Die genauere Formulierung wäre daher gewesen: „Der X. wird an den Gott veräußert und ist frei, wenn er den Tod des Freilassers erlebt bzw. diesem noch so und so viele weitere … Jahre ge­ dient hat.“ Tatsächlich hat man aber überwiegend ganz anders formuliert: Auch bei der „freiheitsvorbehaltenden“ Para­mone erfolgte eine ἀπέδοτο-Erklärung, vertraute sich der Sklave dem Gott zum Zwecke der Erlangung der Freiheit an und wurde zu weiterem Bleiben auf ungewisse bzw. bestimmte Zeit verhalten, während der er genau besehen weiter wie ein Sklave zu dienen hatte. Das läßt m.E. nur eine Deutung zu: Das ἀποδίδοσθαι bewirkte wirklich in jedem Falle, auch bei Festsetzung einer Verweilenspflicht, eine Status-Än­ derung, der Sklave wurde fortan nicht mehr als der Verfügungsmacht seines Herrn unterliegend angesehen, weswegen die Pflichten des Freigelassenen und die Rechte des Freilas­sers für die Dauer des „Verweilens“ in ihrem Umfang festgelegt werden mußten.

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Aufgrund aller dieser Beobachtungen bin ich mit Samuel9 der Meinung, daß wir keine zwingend berechtigenden Gründe für die Annahme haben, daß die Paramonare je nach dem Platz der Freierklärung in der Urkunde einen ver­ schiedenen Status hatten. Ganz gleichgültig, welche Formulierung gewählt wurde, frei in jeglicher Beziehung war ein Paramonar immer erst dann, wenn er seine paramnein-Verpflichtung absolviert hatte. Das war klar und bedurfte keines ausdrücklichen Ausspruchs. Wenn es dennoch in den Urkunden häufig ausdrücklich erklärt wurde, so ist das nur eine jener in Inschriften und Papyri öfters anzutreffenden Formulie­rungen, die nichts weiter als eine ohnehin beste­ hende Rechtsfolge bzw. -lage betonen. C) Eine ganz andere Frage ist es, ob sich die Griechen über den Status eines solchen unter Verweilenspflicht Freigelassenen vor und nach Beendigung der Para­mone Gedanken gemacht haben, wie das viele Philologen und Juristen seit über 100 Jahren tun10. Blickt man auch nur in drei der jüngsten Arbeiten, findet man die folgenden einander ganz entgegenstehenden Ansichten: Für Samuel11 ist der Paramonar immer ein freier Mensch, Albrecht12 versteht die unter paramnein-Verpflich­ tung Freigelassenen gemäß seiner These von den zwei in ihren Rechtsfol­gen strikt zu unterscheidenden Typen der Paramone je nach Formulierung der Texte als Sklaven (bei „freiheitsvorbehaltender“ Paramone) oder als Halbfreie (näm­ lich bei nur „freiheitsbeschränkender“ Klausel), während nach Babakos13 die Para­mone zugleich volle Freiheit und volle Sklaverei bedeutet hat „συγχρόνως πλήρης ἐλευθερία καὶ πλήρης δουλεία“14. Ich bin zwar ziemlich überzeugt davon, daß wir uns über den Status der Para­ monare mehr Gedanken machen, als es die Griechen getan haben, und zwar zu viele, weil es kaum möglich ist. aus den bisher bekannten Texten eine zweifel­ s­freie Aussage zu gewinnen, möchte aber doch die Aufmerksamkeit auf drei Tex­te lenken, die, wenn ich recht sehe, für diese Frage noch nicht herange­ zogen worden sind. In IG IX2 3 No. 754 aus Amphissa heißt es in Z. 7–12 ἐπὶ τοῖσδε Υ ὥστε παρα[µὲ]νῃ Σωτηρίς Νικασιπόλει καὶ Ἑρµαὶω ποιοῦσα πᾶν τὸ ἐπιτασσόµε[νον]· εἰ δὲ µὴ ποιέοι, ἐξουσίαν ἐχέτωσαν ἐπιτιµέον­τες τρόπῳ, ᾧ κα   9 The Journal of Juristic Papyrology 15 (1965) S. 274. 10 Literatur bei Daux, Delphes au 2e et au 1er siécle (Paris 1936) 57 und Albrecht 189 ff. 11 A.a.O. 282 f. 12 200. 13 Familienrechtliche Verhältnisse auf der Insel Kalymnos im 1. nachchristlichen Jahrhundert. Köln/ Wien 1973, S. 78. 14 In der griechischen Fassung seiner Arbeit über Kalymnos (Scseiß okogeneiakoῦ dikaou … Athen l963) S. 87. Weitere Literatur bei Albrecht 189 ff.

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θέ[λων]τι· ποτὶ δὲ τοὺς λοιποὺς πάντας ἔστω Σωτηὶς ἐλευ­­θέρα καὶ ἀνέπαfο[ς] µὴ ἔχοντος αὐτὰν ἐξουσίαν µηδενὸς ἄγειν κατὰ µηδένα τρόπον µήτε [ζών]των Νικασιπόλιος καὶ Ἑρµαίου µήτεν ἀποθανόντων. Kann man das nicht als Beschreibung einer hinsichtlich des Verhältnisses der Freigelassenen gegenüber bestimmten Personen eingeschränkten Freiheit verstehen? Gegenüber allen anderen Personen außer Nikasipolis und Hermaios soll die Freige­lassene frei und zugriffsgeschützt sein, und zwar sowohl zu Lebzeiten von Nikasipolis und Hermaios wie nach deren Tode, was nichts anderes bedeu­ ten kann als während der Paramone und nach Beendigung derselben. Ich bin mir bewußt, daß eingewandt werden wird, mit πρὸς τοὺς λοι­ ποὺς15 seien die Jahre vom Ende der παραµονή ab gemeint, aber erstens steht von einer Zeit des Verweilens überhaupt nichts im Text – daß die Para­ mone wohl andauern soll, solange Nikasipolis und Hermaios leben werden, kann man nur erschließen – zum anderen würde dazu das µὴτε [ζών]των nicht passen. Vielleicht hat Babakos diese Relativität gemeint, doch ist das, soweit ich seine Ausführungen verstanden habe, nicht zweifelsfrei zu sa­ gen. Im selben Sinne kann man vielleicht auch die sich an die Festsetzung einer Paramone auf Lebenszeit des Freilassers παρµεν(ε)ῖ δὲ Ὀνασιfόρον πάντα τὸν τᾶς ζωᾶς χρόνον Νεικαινέτῳ Νεικαινέτου καὶ Διοκρίτᾳ Τίµωνος anschließenden Worte τοῖς δέ λοιποῖς ᾅπασιν ἐλευθέρα ἔστω καὶ ἀνέπαfος in IG IX 1 No. 192 (aus Tithorea) Z. 21/22 verstehen, „gegenüber allen üb­ rigen Personen soll sie frei sein“. Auch hier wird man vielleicht einwenden, τοῖς λοιποῖς meine „in den übrigen Jahren, in den übrigen Zeiten“. Aber dafür gibt es keinen sprachlichen Anknüpfungspunkt, da es im Vordersatz ja τὸν τᾶς ζωᾶς χρόνον heißt und somit weder Fall noch Zahl übereinstimmen. Im Dativ stehen dagegen im Vordersatz die Namen der Personen, bei de­ nen die Freigelassene auf Lebenszeit verbleiben muß. Sollte der Dativ toῖß loipoῖß nicht daran anknüpfend alle sonstigen Personen außer den nament­ lich genannten Freilassern meinen? Dann hätten wir auch in diesem Text den Ausdruck einer personell beschränkten Freiheit, nämlich volle Freiheit im Verhältnis zu allen Menschen außer den Paramone-Berechtigten. Ähn­ lich eine weitere Inschrift aus Tithorea IG IX 1 No. 194 Z. 20 ff.: παρµεν(ε)ῖ δὲ Νικάσιν καὶ Στοργὴ πάντα τὸν τᾶς ζωᾶς Ὀνασιfόρον χρόνον δουλεύουσαι, τοῖς δέ λοιποῖς ἐλεὺθεραι ἔσ(των).

15 Benseler-Autenrieth, Griech.-dtsches Schulwörterbuch, 8. Auflage, Leipzig, 1886, S. 707 über­ setzen πρὸς τὸ πλέον mit „gegenüber der Mehrheit“.

Bemerkungen zu den griechischen Freilassungsschriften

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Freilich muß sich eine derartige Deutung der Frage stellen, wie das mit jener πανελευθερία zu vereinbaren ist, die in IG VII 1780 Z. 7. den Sta­ tus von nicht auf sakrale Weise Freigelassenen nach Absolvierung der ih­ nen aufgegebenen Paramone bezeichnet: εἶµεν δὲ [αὐ]τοῖς πανελευθερίαν παρα[µει]νάντεσι εὐνόως, ἀνε[γ]κλείτο[ις] γ[ε]νοµένοις Εὐτύχο[ι] ἇς [κ]α [ζώει]16. Ist das Verständnis von πανελευθερία „Vollfreiheit“17 im Gegensatz zu dem noch nicht alle Freiheiten gewährenden Status der „Halbfreiheit“ wäh­ rend des παραµένειν aber wirklich die einzig mögliche Deutung? Kann nicht πανελευθερίας auch mit „Freiheit gegenüber allen“ übersetzt werden, so wie man πάναιθος, mit „ringsstrahlend“ und pnarcoß mit „allgebietend“ wie­ dergegeben findet?18 Also πᾶν im Sinne von „jedes“ und nicht „ganz“. Dann könnte auch aus diesem Text aus Böotien der Status der Paramonare nicht im Gegenschluß als Halbfreiheit19 erschlos­sen werden, sondern allenfalls als eine Freiheit, die noch nicht gegenüber allen voll wirksam geworden war. Haben die Griechen wirklich die Paramonare als zwar frei im Verhältnis zur Mehrheit der Mitmenschen, jedoch als „noch nicht ganz frei“ – diese Formu­ lierung empfiehlt sich angesichts der häufiger vorkommenden Wendung, der Paramonar habe Dienste zu leisten; ὡς δοῦλος bzw. δουλεύων20 – gegenüber dem Dienstberechtigten verstanden, so erklärt sich, warum in den ParamoneFreilassungen so häufig genau bestimmt worden ist, ob die Kinder einer Para­ monaria frei oder unfrei sein sollen21, welchen Umfang die Strafbefugnisse des Freilassers während der Zeit der Paramone haben sollen22, ob der Paramonar veräußert werden darf23, ob dem Paramonar erlaubt ist, während des Verwei­ lens Erworbenes als sein Eigentum zu behalten24, u.a.m. Denn für alle diese 16 Dazu Rädle, Untersuchungen zum griechischen Freilassungswesen, Diss. phil. München 1969, 144. 17 Wie bei Rädle, Koschaker 42, Albrecht 208, u.a. 18 Bei Benseler – Autenrieth. 19 Schon gar nicht als volle Sklaverei im Sinne von Babakos, sondern eher als noch nicht im vol­ len Besitz aller 4 Freiheiten im Sinne Westermann (vgl. seine Darlegungen in Journal of Near Eastern Studies 5 [1946] 92 f. und Quarterly Bulletin of the Polish Institute of Arts and Sciences in America [January 1943] 10 ff.). 20 Vgl. FD III 3 No. 329, GDI 2092, Colin 32. 21 Beispiele: GDI 1798, 2136 u. FD III 3 No. 439 (frei); IG VII 3322 u. FD III 2 No. 129 (unfrei); weitere Belege bei Samuel 281. 22 GDI 1714 pitimwn … ß leujra 23 „Nein“ in GDI 2140 u.a., vgl. Rädle 145 u. Koschaker 29. „Ja“ in Colin 20 u. 32 (beides späte Texte). 24 So z.B. in GDI 1798, 1874.

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Probleme gab es offenbar keine gesetzlichen Regelungen, weshalb es dem Frei­ lasser möglich war, entsprechende Klauseln festzusetzen. Hier muß ich abbrechen, da mir die Klepsydra Halt gebietet, obgleich noch viel zu sagen wäre. Ich kann daher nur hoffen, daß meine Bemerkungen als Anregung zu weiteren Forschungen über das griechische Freilassungswesen verstanden werden und auf fruchtbaren Boden fallen25.

25 Meinen Studienassistenten Gabriele Hadler und Johannes Michael Rainer gebührt mein herz­ licher Dank auch an dieser Stelle. Ohne ihre nimmermüde Mitarbeit wäre dieses Referat sicher nicht entstanden.

ZU DEN PRIVATPACHT-HYPOMNEMATA DER ERSTEN ZWEI NACHCHRISTLICHEN JAHRHUNDERTE

1. Unser Erlanger Kollege J o h a n n e s H e r r m a n n hat uns, wie Sie sich erinnern werden, vor 6 Jahren bei der ersten Tagung dieses Kreises in Rheda einen sehr interessanten Vortrag gehalten, in dem er versucht hat, „ver­schie­ dene Geschäftstypen des griechisch-hellenistischen Privatrechts“ als Ver­ fügungsermächtigungen unter Auflagen zu deuten1. Das genauere Studium dieses Vortrages hat mich veranlaßt, mich erneut den Misthosis-Urkunden zu­zuwenden, mit denen ich mich vor ein paar Jahren schon beschäftigt hatte2, und zwar dies­ mal in erster Linie den sog. Hypomnemata, für die übrigens A r a n g i o - R u i z , wie mir scheint weitgehend unbeachtet, die Frage auf­geworfen hat, ob sie nicht vielleicht bei den Griechen des römischen Ägyptens den Namen ἀναfόριον geführt hätten3. Die Misthosis-Urkunden erschienen mir zur Überprüfung der H e r r m a n n schen These deshalb besonders ge­eignet zu sein, weil sie von allen „obligatorischen“ Verträgen vielleicht am wenigsten die herrschende Zweckver­ fügungslehre bestätigen, jedenfalls auf den ersten Anblick. Von den Eindrücken, die ich bei diesen Studien gewon­nen habe, möchte ich hier berichten. 2. Doch beginnen wir zunächst mit H e r r m a n n s neuer Lehre, die, wenn ich recht sehe, geeignet sein könnte, die Zweckverfügungslehre unseres verehrten Jubilars zu ergänzen. H e r r m a n n stellt fest4: in den Geschäfts­urkunden finde sich regelmäßig die Feststellung, daß eine ermächtigende Verfügung stattge­ funden habe. Diese Verfügungen, die ihrerseits eine Ermächti­gung zu „Ver­ fügungen“ beinhaltet hätten, seien mit „Auflagen“ für den Ge­schäftspartner verknüpft gewesen. Um den Ermächtigungsempfänger zu bin­den, habe es von seiner Seite her einer Mitwirkungshandlung bedurft. Die Ermächtigungshand­ lung habe wirksam werden sollen, wenn sie der Geschäfts­partner akzeptierte, d. h. sich den Auflagen unterwarf. Das vertragliche Rechtsgeschäft lasse sich für die angeführten Geschäftstypen deshalb als Akzeptierung der unter Aufla­ gen getroffenen Verfügungsermächtigung definieren.

1 Symposion 1971, S. 321–332. 2 In den Festschriften für Walter Wilburg (Graz 1975) u. Erwin Seidl (Köln 1975) sowie auf dem XIII. Papyrologenkongreß Marburg 1971. 3 P. Mil. Vogl. II (1961), S. 195. 4 Symposion 1971, S. 331 f.

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Bei der kritischen Betrachtung derartiger Thesen, mit denen Vorstellungen vergangener Zeiten unter Zuhilfenahme moderner Ausdrücke erklärt werden sol­ len, erscheint es regelmäßig zweckmäßig, die gebrauchten Termini und die Vor­ stellungen, die damit verdeutlicht werden sollen, getrennt zu behandeln, um zu vermeiden, daß eine Kritik an den Ausdrücken als Verwerfung der Vor­stellungen verstanden wird, die damit aufgezeigt werden sollen. Ich darf das vielleicht an meiner eigenen Kritik an dem Ausdruck „Zweckverfügung“ demonstrieren. Ich habe in der Wilburg-Festschrift5 vorgeschlagen, statt von Zweckverfügun­ gen besser von „Überlassungen zu anerkanntem Zweck“ zu sprechen, weil mir der Ausdruck „Verfügung“ als in der Terminologie des deutschen bürgerlichen Rechts aufgewachsenem Juristen zu vorbelastet er­schien, um all das zu umfas­ sen, was uns in den Urkunden als das „reale Ele­ment“ begegnet, wie Wo l f f es einmal genannt hat6. Unser verehrter Meister hat mir daraufhin in der SeidlFestschrift7 entgegengehalten, die Formulierung „Überlassung zu anerkanntem Zweck“ erscheine als zu eng, weil sie der Möglichkeit, daß die Aufwendung in etwas anderem als einer Zahlung an den Vertragspartner bestand, keine Rech­ nung trage. Dieser Ein­wand kann mich nicht überzeugen, da ich den Ausdruck „Überlassung“ ja bewußt gewählt hatte, um auch solche Vorgänge wie die Überlassung von Säuglingen zum Zwecke des Stillens, von Jugendlichen zum Zwecke der Aus­bildung und von Grundstücken an den Bestandnehmer, mit zu umfassen. Ja ich meine sogar, der Ausdruck Überlassung zu anerkanntem Zweck ist so weit, daß er auch Leistungen an Dritte, also nicht nur an den, den wir ein­ mal den „Schuldner“ nennen wollen, mit umfassen kann. Die Kritik von Wo l f f hat mich umsomehr verblüfft, als er selbst in derselben Arbeit von „Aufwen­ dungen“, von einer „Vorgabe“ spricht8, deren Frustrierung die Praxis auslöst. Ich muß ehrlich bekennen, daß ich diese jüngsten Formulierungen unseres verehrten Jubilars meinerseits für eine unnötige Verengung des Zweckverfü­gungsbegriffs halte. Denn selbst bei weitester Auslegung des Wortes kann man wohl kaum von einer „Aufwendung“ sprechen, wenn Eltern ihr Kind an eine Amme zum Zwecke des Stillens überlassen, oder einen Sohn zum Zwecke der Ausbildung an einen Lehrherrn. Auch scheint es mir schwierig zu sein, die Überlassung eines Grund­ stückes an einen Pächter als „Vorgabe“ oder „Vor­ausaufwendung“ zu verstehen. Doch kehren wir zu J o h a n n e s H e r r m a n n s Lehre zurück. Leider ge­ braucht er den Ausdruck „Verfügung“ nicht nur für den ermächtigenden Akt, 5 6 7 8

S. 191. Festschrift f. Fritz von Hippel (Tübingen 1967), S. 695. S. 233. S. 232f.

Zu den Privatpacht-Hypomnemata der ersten zwei nachchristlichen Jahrhunderte

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sondern auch in Beziehung auf das, wozu der andere Teil ermächtigt wird, und ich muß ihm den gleichen Vorwurf machen, wie ich ihn gegenüber Wo l f f erhoben habe. Für H e r r m a n n ist Verfügung „hier im weiteren Sinne zu neh­ men“, er versteht darunter „nicht nur Rechtsgeschäfte, die auf unmittelbare Änderung eines Rechtes gerichtet sind, sondern auch entspre­chende Rechtsund Tathandlungen“9. In Anbetracht der Bedeutung, der nach deutschem Juri­ stensprachgebrauch dem Terminus „Verfügung“ zu­kommt, erscheint mir das wenig zweckmäßig und jedenfalls die Gefahr von Mißverständnissen in sich bergend. Dies um so mehr, als H e r r m a n n da­mit ja nicht nur, wie schon ge­ sagt, den einräumenden Akt des Gläubigers meint, also die Zweckverfügung im Wo l f f schen Sinne, sondern auch das, wozu der Schuldner ermächtigt wird, als Verfügung bezeichnet. Das heißt also, die Bewirtschaftung eines Feldes und das Ziehen der Früchte soll ebenso wie die Verwendung des als Darlehen emp­ fangenen Geldes10 und die Verwah­rung der hinterlegten Sache als Verfügung angesehen werden. Mir scheint, es wäre besser gewesen, von einer Ermächti­ gung zur Nutzung, zum Gebrauch oder dergleichen zu sprechen. Doch wenden wir uns nun dem weiteren Vorschlag H e r r m a n n s zu, die Ermächtigung als unter einer „Auflage“ erteilt zu verstehen. Hier gelten ähn­ liche Bedenken wie bezüglich der Verwendung des Ausdrucks Verfügung. H e r r m a n n definiert Auflage als „die einer Zuwendung hinzugefügte Ne­ benbestimmung, daß der Empfänger zu einer Leistung verpflichtet sein soll“11. Was mich daran mit Unbehagen erfüllt, ist die Verwendung des Ter­minus „Auf­ lage“ für eine Zuwendung, die keineswegs als unentgeltliche ge­dacht ist. Es kommt hinzu, daß eine Auflage nach dem deutschen Zivilrecht nur einem N e ­ b e n z w e c k dient und keineswegs als Gegenwert der Zu­wendung verstanden werden darf12. Letzteres ist aber doch gerade die griechi­sche Denkweise: die Verfügung wird um der Gegenleistung willen erbracht und ist nicht ein Neben­ zweck. – Ich bitte mir zu verzeihen, wenn ich auch hier vielleicht zu sehr von den Vorstellungen des deutschen Zivilrechts be­herrscht bin. Aber man sollte m.E. keine Termini verwenden, die in einer führenden Weltsprache eine ganz bestimmte technische Bedeutung haben. I­ ch gebe H e r r m a n n gerne zu, daß „Auflage“ besser paßt als „Bedingung“; denn was Wo l f f Zweckverfügung

19 Symposion, S. 323. 10 Hier paßt der Ausdruck. 11 S. 324. 12 H. L e h m a n n / H. H ü b n e r, Allg. Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 15. Aufl. (Berlin 1966), S. 298.

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nennt, erfolgt ja nicht unter einer Bedingung13. Trotzdem kann ich der Verwen­ dung von „Auflage“ keinen Beifall zollen. Die griechische, auf der Vorstellung eines Delikts basie­rende Anschauung ist eben mit der Terminologie des gelten­ den Rechts nur schwer zu erfassen. „Überlassung zu anerkanntem Zweck“ ist deshalb viel­leicht doch die sachgerechtere und weniger zu Mißverständnissen verleitende Formulierung. 3. Doch nun zu den Misthosis-Urkunden. H e r r m a n n benutzt sie als Beispiel für seine neue Lehre bemerkenswerterweise nur insoweit, als sie in der Gestalt des sog. privaten Protokolls, der Homologie und der attischen Pachtinschriften erscheinen14. Die Hypomnemata erwähnt er mit keinem Wort, obgleich gerade er sie doch in seinem Buch über die Bodenpacht15 als nur in der Form eines Hypomnema stilisierte Vertragsurkunden erklärt hat16. Will er davon nun still­ schweigend abrücken? Was die Misthosis-Urkunden von, wenn ich recht sehe, nahezu allen ande­ ren Gruppen von Urkunden – wenn wir sie einmal so nennen dürfen – obliga­ torischer Verträge auf Papyrus unterscheidet, ist, daß in ihnen die sonst über­all begegnende Feststellung nicht aufzufinden ist, daß die Partei, die wir heute den Schuldner nennen würden, etwas empfangen hat. Es fehlt die Erwähnung eines ἕχειν o.ä. des Pächters/Mieters. H a n s J u l i u s Wo l f f 17 hat dieses Faktum dadurch überspielt, daß er glaubt, mit den Formen von µισϑοῦν bzw. µισϑοῦσϑαι, die im Zentrum der Misthosis-Urkunden stehen, sei die Erlan­ gung der tatsächlichen Gewalt durch den Bestandnehmer gemeint. Wenn der Ver­pächter also von sich sagt µεµίσϑωκα, so bedeutet das nach Wo l f f , daß er dem Pachtwilligen das Pachtobjekt tatsächlich überlassen hatte, wenn der Mieter sagt µεµίσϑωµαι, so soll dies besagen, daß er die Mieträume in Be­ sitz genommen hatte18. Wo l f f hat dafür zwar gute Gründe angeführt, einen 13 B e h r e n d , Attische Pachturkunden, München 1970 (= Vestigia Bd. 12), S. 24 f., kann ich inso­ weit nicht folgen. 14 S. 321 f. 15 Studien zur Bodenpacht im Recht der graeco-aegyptischen Papyri, München 1958 (= Münche­ ner Beiträge zur Papyrusforschung u. Antiken Rechtsgeschichte H. 41). 16 Bodenpacht,S. 39. 17 Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römischen Ägypten (Weimar 1961), S. 134. 18 Daß die µεµίσϑωκα- bzw. µεµίσϑωµαι-Vermerke auf den Hypomnemata eine erfolgte Über­ lassung zum Ausdruck bringen, ist auch die Meinung v o n S o d e n s (Un­tersuchungen zur Ho­ mologie in den griechischen Papyri Ägyptens bis Diokletian, Wien/ Köln 1973 [= Graezistische Abhandlungen Bd. 5], S. 88.

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zwingenden Beweis jedoch nicht erbracht. Nach durch We i s e r 19 angemel­ deten Bedenken ist ihm mit Recht H e r r m a n n 20 entgegengetreten, während B e h r e n d 21, wenn ich seine etwas verklausulierten Ausführungen richtig ver­ stehe, offenbar der Meinung ist, in Attika habe das ἐµίσϑωσεν nicht die bereits vollzogene Übergabe an den Pächter bedeutet. Für Wo l f f streitet, daß bei den anderen obligatorischen Verträgen überall ein Haben festgehalten wird. Das könnte dafür sprechen, daß sich auch hinter dem µισϑοῦν bzw. µισϑοῦσϑαι etwas verbirgt, was die tatsächliche Innehabung durch den Bestandnehmer aus­ drückt. Umgekehrt kann man aber argumentie­ren: weil in den Misthosis-Ur­ kunden niemals von einem ἔχειν des Bestandneh­mers die Rede ist, dürfte es darauf nach Ansicht der Urkunden-Verfasser nicht angekommen sein. Aus der Überlegung, wie denn eigentlich µισϑοῦν zu über­setzen wäre, läßt sich kein Anhalt gewinnen. Falsch wäre sicherlich „Vergabe gegen Entgelt“; denn das Entgelt, der Zins, heißt bei der Misthosis ja niemals µισϑός. Mit der Frage der Bedeutung des Terminus µίσϑωοις und seiner ver­mutlichen Entwicklungsge­ schichte hat sich B e h r e n d beschäftigt22. Im Anschluß an seine Darlegungen23 könnte man vielleicht an „zur Verfügung Stellen zur Gewinnung des Lebensun­ terhaltes“ denken. Aber damit sind wir in der uns interessierenden Frage nicht klüger als vorher. Nun muß man natürlich fragen, ob die Klärung wirklich so wichtig ist. Meiner Meinung nach für die Frage nach der Richtigkeit der Zweckverfü­ gungslehre nicht. Denn mir scheint, daß es dafür keineswegs zwingend not­ wendig ist, µισϑοῦν im Sinne einer tatsächlichen Überlassung zu verstehen. Meiner Ansicht nach erfüllte es den Begriff der Zweckverfügung durchaus, wenn der Bestandgeber sein Einverständnis zu erkennen gegeben hatte, daß der Interes­sent das Objekt zu den festgesetzten Bedingungen übernimmt, also ihm das Objekt „zur Verfügung gestellt“ hatte24. Dann lag es in der Hand des Be­ standnehmers, ob er das Objekt wirklich nutzte oder nicht25. Wir kommen mit dieser Annahme auch nicht in Schwierigkeiten hinsichtlich der µεµίσϑωµαιErklärungen der Bestandnehmer. Diese bringen m.E. nur zum Ausdruck, daß der Bestandnehmer die Verfügung des anderen Teils a k z e p t i e r t hatte, ohne 19 Das Hypomnema in der Prinzipatszeit, (maschinengeschriebene) Inaug. Diss. Erlangen 1952, S. 88. 96. 20 Bodenpacht, 178. 21 Attische Pachturkunden, S. 145 ff. 22 Attische Pachturkunden, S. 28 ff. 23 S. 40 ff. 24 So auch H e r r m a n n , Bodenpacht, 178: „Gestatten der Inbesitznahme zur Nutzung“. 25 Vielleicht will auch Wo l f f nach Beiträge, 137 Anm. 23, jetzt so verstanden werden.

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daß die Übernahme des Objekts bereits erfolgt sein mußte. Mit einer solchen Erklärung kommen wir auch um die Probleme herum, die Wo l f f s Deutung für Urkunden aufwirft, die einen lange vor Pachtbeginn datierten µισϑοῦν-Vermerk aufweisen, wie z. B. BGU 538 (Mai-Datum, Pacht­beginn im nächsten Jahr), BGU 920 (6. August für nächstes Jahr) u. Ryl. 16926. Tut der Pächter/Mieter trotz einer solchen µεµίσϑωµαι-Erklärung nichts, „frustriert“ er die Verfügung des Vertragspartners im Sinne Wo l f f s und ist dessen Zugriff ausgesetzt. An­ ders war es dagegen, solange eine solche Erklärung n i c h t abgegeben worden war. Dann gab es, wie Wo l f f rich­tig gesehen hat, keine Möglichkeit für den Vermieter/Verpächter, gegen den Interessenten vorzugehen, mit dem er über die Einzelheiten der Vergabe ver­handelt und zu dessen Gunsten er im oben genann­ ten Sinne „verfügt“ hatte. Denn es fehlte an der Akzeptierung der Verfügung. – Ob die Rechtslage anders war, wenn der Interessent ein Hypomnema an den Vergabewilligen ge­richtet hatte, wird später zu behandeln sein. 4. Doch die Misthosis-Ve r t r a g s u r k u n d e n , die vor allem in der Form der öffentlichen Urkunde27, des sog. privaten Protokolls28, des Chiro­graphon29 und der Homologie30 begegnen und in der Regel von der Seite des Bestandgebers her formuliert sind, also an die Spitze stellen, daß er ein µισϑοῦν vorgenom­ men habe – nur eine Minderzahl enthält ein µεµίσϑωµαι-Bekenntnis des Be­ standnehmers31 – sind bekanntlich nur ein Teil der Mistho­sistexte. Zahlreicher sind die sog. H y p o m n e m a t a , in die Form eines βούλοµαι µισϑοῦσϑαι ge­ kleidete Ansuchen an einen anderen auf ln-Bestand­-Gabe eines näher bezeich­ neten Objekts unter Nennung des Zeitraums, des Zinses, überhaupt der gesam­ ten Verpflichtungen, die der Ansuchende zu über­nehmen bereit war, wobei alle Varianten von sehr knappen bis zu sehr breiten Formulierungen vorkommen; doch soll uns der Inhalt insoweit nicht näher beschäftigen32. Zur Verdeutli­ chung wurde in den Hypomnemata ferner auf­geführt, welche öffentlich-recht­ lichen Verpflichtungen nicht übernommen werden und deshalb weiterhin den Antragsempfänger treffen sollen. Die Hypomnemata schließen in der Regel mit einem ἐὰν φαίνηται µίσϑωσαι. Dem folgt gewöhnlich eine Hypographe, de­ 26 Vgl. auch H e r r m a n n, Bodenpacht, 188. 27 Bspl.: P. SB VI 9110 (not. Urk.). 28 Bspl.: P. Oxy. I 10l. 29 Bspl.: AdS 24 (P. Sarap). 30 Bspl.: BGU II 526. 31 Bsple.: P. Ryl. 11 168 (Chirogr.), BGU III 920 (Homologie). 32 Eine gute Übersicht über die Einzelheiten der Pächterpflichten bei H e n n i n g in Ztschr. f. Pa­ pyrologie und Epigraphik (ZPE) 9 (1972), S. 111–131.

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ren verschiedene Formen wir benutzen werden, um die Hypomnemata in Grup­ pen einzuteilen. Die Provenienz der Hypomnemata ist sehr ungleichmäßig. Aus der Zeit vor der Constitutio Antoniniana, die hier in erster Linie betrachtet werden soll, nachdem durchaus möglich ist, daß nach Caracalla römisch-rechtliche Einflüs­se die Misthosis beeinflußt haben33, und uns in diesem Kreise ja nur – oder doch vor allem – die von griechischen Vorstellungen geprägten Urkun­ den interessieren, besitzen wir Hypomnemata vor allem aus dem Arsinoites, wo sie im 2. Jh. stark überwiegen, dem Hermopolites, wo man das Verhältnis als aus­geglichen bezeichnen kann, und eines aus dem Oxyrhynchites, wo das sog. private Protokoll vorherrschend war. Die Hypomnemata sind mit zwei Aus­ nahmen Bestand n e h m er-Ansuchen. Die beiden Bestand g e b e r -Ansu­chen betreffen Mietverträge und sollen zunächst zurückgestellt werden. 4.1. Wie ich bereits sagte, enthalten die meisten Hypomnemata eine Un­terschrift, eine sog. Hypographe. Eine gesonderte Behandlung derjenigen, die überhaupt k e i n e Unterschrift aufweisen und aller Wahrscheinlichkeit nach auch niemals gehabt haben, scheint nicht notwendig zu sein; denn einmal ist ihre Zahl sehr gering, zum anderen kann nach den Untersuchungen von H ä s s l e r 34 dem Feh­ len der Hypographe kaum eine andere Bedeutung zu­kommen, als daß die unter­ schriftslosen Texte wahrscheinlich bloße Entwürfe sind. – A r a n g i o - R u i z 35 hält für möglich, daß es auch wirklich einge­reichte, aber nicht akzeptierte Ansu­ chen sein könnten. – Denn H ä s s l e r hat festgestellt, daß die Hypographai auf den Papyri die Bedeutung einer subjektiven Bestätigung des tatsächlichen Ge­ schäftsabschlusses gehabt ha­ben36, d.h., die Unterschrift sollte für den Fall eines etwaigen Prozesses sicherstellen, daß die unterzeichnete Erklärung wirklich von dem Genannten abgegeben worden war. Die Texte ohne Unterschrift bedürfen deshalb keiner besonderen Würdigung, wir können sie vielmehr mit den Urkun­ den mit e i n f a c h e n Hypographai, die aus der bloßen Namensunterschrift des Ansuchenden bestehen, zusammen betrachten. Welche Deutung bietet sich an? Ohne Zweifel bis zum eindeutigen Beweis des Gegenteils die von wirklichen A n s u c h e n , womit nicht gesagt sein soll, daß die Hypomnemata die erste Fühlungnahme zwischen den Beteiligten dar­ 33 Vgl. Wo l f f , Beiträge, 137. 148. 34 Die Bedeutung der Kyria-Klausel in den Papyrusurkunden, Berlin 1960 (= Berliner Juristische Abhandlungen Bd. 3). 35 P. Mil. Vogl. II, S. 88. 36 S. 110.

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stellten, daß also nicht schon Gespräche über die Bestandnahme stattge­funden haben konnten. Vielleicht war das sogar die Regel. Nichts besagen der­artige Hy­ pomnemata dagegen über das Zustandekommen des Geschäfts. Das ließ und läßt sich der Urkunde nicht entnehmen. Derartige Texte sind daher nicht geeignet, H e r r m a n n s neue Lehre zu rechtfertigen. Sie machen aber auch keinen Be­ weis für die Zweckverfügungslehre Wo l f f s und ent­sprechen nicht dem Bild, das Wo l f f kürzlich für die über eine Zweckverfü­gung errichteten Urkunden gezeichnet hat, nämlich „die Vornahme der erfor­derten Zweckverfügung und die ihretwegen erfolgte Übernahme der Ver­pflichtung zu bezeugen“37. Die Urkunden dieser Gruppe sind auch keine Vertragsurkunden. Das festzuhalten ist wichtig, weil H e r r m a n n 38 und ihm folgend H ä s s l e r 39 die Meinung vertreten haben, die erhaltenen Hypom­nemata seien überhaupt keine wirklichen Ansuchen, son­ dern nach dem münd­lichen Abschluß einer Pachtvereinbarung in der Form eines Ansuchens errich­tete Vertragsurkunden, eine Möglichkeit, die auch schon von We i s e r 4 0 er­wogen worden ist. Wir werden auf diese These, der zuletzt A r a n ­ g i o - R u i z 41 entgegengetreten ist, zurückkommen. Daß es keine Vertragsurkun­ den sind, zeigt sich schon darin, daß weder Verpächter noch Pächter mit einem derartigen Schriftstück im Falle eines Prozesses etwas anfangen konn­ten. Aus einem solchen Papier ergab sich ja nicht einmal, daß es überhaupt in die Hände des Verpächters gelangt war, geschweige denn, daß dieser einver­standen gewe­ sen war und ein µισϑοῦν vorgenommen hatte! Zumindest die Hypomnemata dieser Gruppe – ohne Unterschrift oder mit einfacher Unter­schrift des MisthosisWilligen zusammen mit seinem Signalement – sind also sicher nichts weiter als das, als was sie sich deklarieren: Ansuchen um eine Bestandgabe. Hier stellt sich nun ein interessantes Problem: bewirkten derartige Schrei­ben irgendeine B i n d u n g ? Diese Frage ist m.E. nicht nur von theoreti­scher Be­ deutung. Bestand nämlich eine Bindung für den Fall des Einverständ­nisses des Angeschriebenen, konnte ein Pachtinteressent sich mittels eines Hy­pomnema immer nur bei e i n e m Grundherrn oder Pächter bewerben. Denn im Falle von dessen Zustimmung mußte er dann das Objekt auch übernehmen. Fehlte dagegen eine Bindung, war es dem Pachtwilligen möglich, sich bei meh­reren Grundher­ ren mittels Hypomnemata zu bewerben, mit allen zu verhan­deln und schließlich das Objekt mit den günstigsten Bedingungen zu überneh­men. Das wäre natürlich 37 Festschrift f. Max Kaser (München 1976), S. 581. 38 Bodenpacht, 38 f. 39 S. 112. 40 S. 56. 41 Studi in onore Emilio Betti I (Milano 1962), S. 3 ff. und P. Mil. Vogl. II, S. 88.

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eine ungünstige Situation für die Grundherren gewesen, würde aber der These von Wo l f f entsprechen, daß erst ein µισϑοῦσϑαι des Pachtwilligen seine Haf­ tung ausgelöst habe. Während Wo l f f sich aber, wenn ich recht sehe, zur Frage der Bindung an ein Hypomnema nicht geäußert hat, ist sie von We i s e r 42 und H e r r m a n n 43 bejaht worden, ohne allerdings Gründe dafür anzuführen. Wie das mit H e r r m a n n s bereits erwähnter These zusammenpaßt, die uns erhal­ tenen privaten Pachthypomnemata seien grundsätzlich materielle Verträge, die nach Ab­schluß der Verhandlungen in dieser Form redigiert worden waren, ist mir allerdings nicht ganz verständlich. Meines Erachtens spricht s e h r w e n i g oder nichts für eine Bindung44. Hier ist einmal die Tatsache anzumerken, daß in keinem einzigen Hypo­mne­ma über eine Privatpacht eine Klausel zu finden ist, mit welcher der Ansu­chende eine Bindung ausschließt. Da nicht angenommen werden kann, daß nur wirtschaft­ lich Schwache sich um die Übernahme von Land zur Bewirt­schaftung beworben haben, und wir überdies wissen, daß im römischen Ägyp­ten die Pächter keines­ wegs in einer ungünstigen Situation gegenüber den Ver­pächtern waren45, spricht dieser Befund dafür, daß keine Notwendigkeit be­stand, eine solche Bindung aus­ zuschließen, weil es nämlich keine gab. Wie Wo l f f , ausgehend freilich von den ἐµίσϑωσεν-Urkunden, gezeigt hat, gab es aller Wahrscheinlichkeit nach keine Möglichkeit für einen Verpächter, gegen einen Pachtwilligen vorzugehen, der trotz positiv abgeschlossener Ver­handlungen und trotz des vom Verpächter voll­ zogenen µισϑοῦν die Pacht nicht antrat. Es wäre sehr überraschend, wenn es bei Einreichung eines Hy­pomnema durch den Pachtinteressierten anders gewesen wäre, zumal wir doch davon ausgehen müssen, daß keine Verschiedenheiten in der Rechtslage zwi­schen den einzelnen ägyptischen Gauen bestanden haben können. Die Lage eines Grundherrn, der ein Hypomnema erhalten hatte, war also keine andere, als wenn er mit einem Bewerber mündliche Verhandlungen gepflogen hatte. Es sieht nur für uns, die wir von der Vorstellung der Bindung an eine Of­ ferte ausgehen, so aus. Es spricht auch nicht für eine Bindung, daß die Hypomne­ mata grundsätzlich mit einer Hypographe des Ansuchenden abgeschlossen wor­ den sind. Man kann nicht auf Grund der Erkenntnisse von H ä s s l e r folgern, daß eine Unterschrift wenig wahrscheinlich sei, wenn keine Bindung bestand. Die Gegenargumente lauten: einmal war es üblich, Erklärungen im Rechtsleben mit einer Hypographe abzuschließen, zum anderen war die Unterzeichnung eine prak­ 42 S. 86. 43 Bodenpacht, 35. 44 So auch S t . Wa s z y n s k i , Die Bodenpacht (Leipzig/Berlin 1905), S. 43. 45 Va n d o n i in JJP 15 (1965), S. 145 ff.

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tische Maßnahme für den Fall, daß es zum Abschluß kam, und drittens, welche Bedeutung hätten die Hypomnemata mit erweiter­ter Hypographe in Gestalt einer µεµίσϑωµαι-Erklärung des Ansuchenden ge­habt, wenn zwischen der einfachen Form und dieser erweiterten kein Unter­schied bestanden hätte. Hier kann sich das bewähren, was oben vorgeschlagen worden ist: Daß nämlich die tatsächliche Übernahme durch den Pachtwilligen durch seine µεµίσϑωµαι-Erklärung ersetzt werden konnte, mit der er die Ver­fügung des anderen Teils akzeptierte und sich damit für den Fall der Frustrie­rung dem Zugriff des anderen Teils unterwarf. 4.2. Den eben behandelten Urkunden können wir jene anreihen, die zwar eine e r w e i t e r t e Hypographe tragen, in der aber nur zum Ausdruck gebracht wird, daß der Unterzeichner dieses Ansuchen vorgelegt hat. Solche Urkunden haben wir beispielsweise in P. Fam. Tebt. 5, Jand. 26 und Hamb. 64 vor uns. Die For­ mulierungen lauten ἐπιδέδωκα τὸ ἀνϕόριον o.ä. Auch P. Amh. 85 und SB X 10.533 gehören hierher. Auch diesen Texten können wir nicht entnehmen, welche Stellung der Empfänger des Ansuchens bezogen hatte. Auch sie lassen nicht einmal erkennen, ob sie je in die Hände des Emp­fängers gelangt waren. Sie sind deshalb ebenso wie die vorgenannten keine Urkunden im Wo l f f ­ schen Sinne und bestätigen H e r r m a n n s Lehren nicht. 4.3. Damit kommen wir zu der letzten Gruppe von erweiterten Mieter-/Päch­ ter-Hypographai. Es sind jene, in denen der Pächter seiner Unterschrift ein µ ε µ ί σ ϑ ω µ α ι ώ ς π ρ ό κ ε ι τ α ι beigesetzt hat. Sie sind geringer an Zahl als die Hypomnemata mit bloßer Unterschrift des Ansuchenden. Hier­her gehö­ ren die Urkunden Tebt. II 375, Archiv des Sarapion 44, 45 und 47, BGU I 39, Mich. IX 564 sowie CPR I 45 und Gen. 78, wobei für die zwei letztgenannten allerdings fraglich ist, ob sie noch dem zweiten und nicht be­reits dem dritten nachchristlichen Jahrhundert angehören. Die Texte stammen aus dem Fayum und dem Hermopolites und sind über­ wiegend von einer Hand geschrieben. Verständen wir µισϑοῦσϑαι im Sinne einer tatsächlichen Übernahme durch den Bestandnehmer, so drückten diese Urkunden aus, daß der Pächter tatsäch­ lich angetreten hat. Ihr Inhalt ginge damit über den der bisher behandelten in­ soweit hinaus, als er nicht nur eine Fixierung der Pflichten enthielte, die der Pächter für den Fall der Zustimmung zu seinem Ansuchen übernehmen will, sondern wir hätten auch die Bezeugung des Pächters, daß er die Pacht ange­ treten hat. Legen wir dagegen die oben vorgeschlagene Deutung zugrun­de, bringen diese Urkunden die A n e r k e n n u n g der vom Bestandgeber vorge­

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nommenen Verfügung zum Ausdruck. Wie aber steht es mit der Bezeu­gung der Zweckverfügung, von der Wo l f f spricht? Sie ist in jedem Fall nur mit­ telbar zu erschließen, nämlich wenn man annimmt, daß dem µεµίσϑωµαι ein µισϑοῦν des anderen Teils entsprochen hat. Naturgemäß ist das nur ein Schluß. Vielleicht kommen wir aber weiter, wenn wir die Frage stellen, für wen der­ artig formulierte Papiere wohl bestimmt waren. An anderer Stelle46 habe ich vor einiger Zeit darzulegen versucht, daß es in Ägypten offenbar die Pächter waren, die in erster Linie Urkunden benötigten, nämlich um sich gegen den Vorwurf verteidigen zu können, sie hätten unberechtigt ein frem­des Grundstück in Nutzung genommen. Verpächter benötigten offenbar nur in Ausnahmefällen eine Misthosis-Urkunde, beispielsweise dann, wenn es sich um eine Unterver­ pachtung handelte und sie sich deshalb genötigt sehen konn­ten, sich gegenüber ihren Verpächtern rechtfertigen zu müssen. Der hier be­sprochene Typ kann nur ein solches für den Ver p ä c h t e r bestimmtes Dokument gewesen sein. Denn in den Händen eines Pächters dürfte eine der­artige Urkunde ohne Sinn gewesen sein, er konnte damit nicht beweisen, daß der als Empfänger des Ansuchens im Papier Genannte die Urkunde überhaupt erhalten, geschweige denn, daß er sie gebilligt und ein µισϑοῦν vollzogen hatte. Wenn wir die Urkunden dagegen als für den Verpächter bestimmt verstehen, so erfüllten sie in jeder Weise ihren Zweck: Sie zählten die Pflichten auf, die der Pächter übernehmen wollte, und sie enthielten seine Erklärung, aus der sich die Anerkennung der Zweckverfü­ gung und damit seine Haftung ergab. Sind diese Urkunden „Verträge“ im Sinne H e r r m a n n s ? Dafür ist es wich­ tig zunächst festzuhalten, daß in keinem Falle das Wort µεµίσϑωµαι ab­gesetzt vom Namen des Pächters steht, die Texte also offenbar nicht mit bloßer Un­ terschrift eingereicht und erst später mit dem Zusatz µεµίσϑωµαι versehen worden sind. Das ergibt sich besonders deutlich aus Archiv d. Sara­pion 45, wo sich ein, ohne Zweifel auf Wunsch des Verpächters angefügter, von derselben Hand geschriebener Nachsatz bezüglich des Rechts des Ver­pächters zur ander­ weitigen Verpachtung im Falle eines Höhergebots von drit­ter Seite hinter dem µεµίσϑωµαι findet. Die erweiterte Hypographe steht im Fayum vor, im Her­ mopolites hinter dem Datum. Hier könnte die These H e r r m a n n s von den im nachhinein formulierten Vertragsurkunden also zutreffen. Doch weiß ich eine Erklärung vorzuschlagen, die, wie mir scheint, einleuchtender ist: Diese Urkun­ den betreffen Fälle, in denen der Vergabe­willige b i n d e n d e Hypomnemata verlangt hatte! Dies wurde durch die µεµίσϑωµαι-Erklärung bewirkt, wenn wir sie im oben vorgeschlagenen Sinne verstehen. Die Texte sind also echte Ansu­ 46 In der Festschrift für Erwin Seidl, S. 99 ff.

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chen, keine Vertragsurkunden. Mit einer solchen Urkunde in der Hand brauchte der Verpächter nur noch das Grundstück zur Verfügung zu stellen, um das Ge­ schäft perfekt zu machen. Nicht überzeugen kann die Behauptung A r a n g i o R u i z ’, es handle sich bei dem µεµίσϑωµαι um eine bloße superfetazione47; denn das verträgt sich kaum mit der doppelten Verwendung desselben Verbs in verschiedenen Zei­ten. Wenn auf ein βούλοµαι µισ­ϑώσασϑαι ein µεµίσϑωµαι folgt, muß letzte­res etwas anderes bedeuten. „lch will übernehmen, … ich habe übernom­men“ wäre eine wenig verständliche Aneinanderreihung. 4.4. Wenn wir nun zu jenen Bestandnehmer-Hypomnemata übergehen, welche eine Hypographe des B e s t a n d g e b e r s und nicht des Ansuchen­den tragen, so kommen wir damit zu den Texten, die wohl die seltsamsten aller Hypomnemata sind. Auch hier sind eine kleine und eine größere Gruppe zu unterscheiden, die Texte der kleinen tragen nur eine einfache Hypographe des Verpächters48, die der wesentlich größeren Gruppe eine erweiterte Unter­schrift, in welcher der Verpächter sein µεµίσϑωκα49 oder ἐµίσϑωσα50 er­klärt. Die Besonderheit die­ ser Texte wird sofort augenfällig, wenn man sich klar macht, daß sie, wie alle Hypomnemata, zunächst ein Ansuchen um die Übernahme einer Pacht oder Miete enthalten, jedoch nicht mit einer Unter­schrift des Ansuchenden abschlie­ ßen, sondern entweder die einfache Unter­schrift des Ve r p ä c h t e r s oder die µεµίσϑωκα-Erklärung eines solchen tragen. Während man ursprünglich diese Urkunden als Hypomnemata mit Annahme-Erklärung des Verpächters ver­ standen hat51, wie das auch A r a n g i o - R u i z 52 zuletzt wieder getan hat, hat H e r r m a n n ihren Ansuchen-­Charakter völlig geleugnet und sie als „Verträge“ – gemeint ist wohl „Ver­tragsurkunden“ – eingestuft. Ich will seine Formulie­ rung hier wörtlich zitie­ren: „Wir neigen deshalb zur Auffassung, daß die uns erhaltenen privaten Pacht-Hypomnemata grundsätzlich materiell als Verträge anzusprechen sind, gleichviel ob sie einen Verpächter- oder Pächtervermerk tragen oder nicht.“53 In dieser Anschauung ist ihm H ä s s l e r gefolgt und hat den Umstand, daß es sowohl Hypomnemata mit Unterschrift des Pächters wie solche mit Hypo­graphe des Verpächters, aber keine mit den Unterschriften bei­ 47 Studi i.o.E. Betti, S. 9. 48 Bspl.: BGU I 237. 49 Bsp.: Mich. III 185. 50 Bspl.: PSA 19. 51 G r a d e n w i t z , AP. 11 (1903), S. 105, Wa s z y n s k i , Die Bodenpacht, 21, L. M i t t e i s , Grundzüge u. Chrestomathie d. Papyruskunde II, 1 (Leipzig – Berlin 1912), S. 58 u. 196. 52 P. Mil. Vogl. II, 88. 53 Bodenpacht, 38/39.

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der gibt, wie folgt erklärt: Wenn jemand ein Pachtobjekt gesucht habe, so habe er zunächst mündlich mit dem Landbesitzer verhandelt. Seien die Gespräche zu einer Einigung gediehen gewesen, habe entweder der Verpächter oder der Päch­ ter für die Errichtung einer Urkunde gesorgt. Die so erstellten Papiere trügen im­mer die Hypographe des Errichtenden, also entweder des Verpächters oder des Pächters. Die Hypographai erfüllten somit auch hier den von ihm erschlos­ senen Zweck der Sicherstellung der Identität des Ausstellers54. Wenn man sich fragt, ob diese Ansicht Zustimmung verdient und zur Er­ klärung dieses Typs ausreicht, so muß man davon ausgehen, daß eine derartige Übung, wie die von den beiden Autoren behauptete, nämlich die Errichtung einer βούλοµαι µισ­ϑώσασϑαι-Urkunde nach erfolgter Einigung naturgemäß niemals allein deshalb erfolgt sein kann, weil man auch bei der Pachtbewer­ bung um Staatsland ein Ansuchen einreichen mußte, das dann genehmigt oder nicht genehmigt wurde, sondern daß hinzugekommen sein muß, daß die auf diese Weise errichteten Urkunden den Beweisinteressen der Parteien Genüge trugen. Das ist um so sicherer, als es Hypomnemata in dieser Form aus min­ destens 2 Gauen gibt! Wir wollen daher die beiden Gruppen im folgenden dar­ aufhin untersuchen und fragen, ob es wirklich nur die von H e r r m a n n und H ä s s l e r gegebene Erklärung für diese Urkundengruppen gibt. 4.4.1. Wenn es richtig ist, was ich früher darzulegen versucht habe, daß es vor allem die Pächter waren, die eine Urkunde benötigten, dann sind die Hypomne­ mata mit e r w e i t e r t e r Unterschrift des Verpächters genau das, was man im Normalfall erwarten sollte, die Fixierung der Rechte und Pflichten der Beteilig­ ten und die Erklärung des Verpächters, daß er das Objekt zu den angegebenen Bedingungen überlassen habe. Eine solche Urkun­de erfüllte in jeder Beziehung die Forderung Wo l f f s , indem sie außer der Aufzählung der Pflichten, die der Bestandnehmer auf sich zu nehmen bereit war, auch den Vollzug der nach der Lehre von der Zweckverfügung notwendi­gen Überlassung bezeugt. Mit einer Urkunde dieses Inhalts konnte der etwa wegen unbefugter Nutzung in Anspruch genommene Pächter nachweisen, daß der Verpächter ihm das Grund­ stück überlassen hatte. Wenn er dies in einem Rechtsstreit tat, so stand gleich­ zeitig zur Kenntnis des Richters fest, zu wel­chen Bedingungen er die Pacht erlangt hatte; d.h. ein Verpächter, der eine derartige Urkunde seinem Pächter überlassen hatte, benötigte normalerweise keine eigene Urkunde, die dem an­ deren Teil ausgestellte befriedigte auch seine Interessen.

54 A.a.O., 112.

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Nun läge es bei unbefangener Betrachtung natürlich nahe, diese Hypomne­ mata als originale Gesuche zu verstehen, auf die der Verpächter nach der Ein­reichung seinen µεµίσϑωκα-Vermerk gesetzt hatte55. Dies ist jedoch auszu­schließen; denn dann müßten die Urkunden ja die Unterschrift des Ansuchen­den u n d den µεµίσϑωκα-Vermerk des Empfängers tragen. Das ist aber n i c h t der Fall. Es könnte sich also allenfalls um eine vom Ansuchen­ den nicht unterzeichnete K o p i e handeln, auf die der Verpächter sein Einver­ ständnis geschrieben hätte, wobei freilich zu fragen wäre, warum eigentlich die Hypographe des Ansuchenden weggelassen worden sei. Diese Annahme ist die Grundlage der Austauschtheorie: Das Original habe der Verpächter behal­ ten, eine Kopie ohne Hypographe sei vom Verpächter unterzeichnet und dem Pächter überlassen worden56. Die Theorie wird unterstützt durch ein doppelt überliefertes Hypomnema, allerdings erst aus dem Jahre 265: Tebt. II 378 ist ein Pächter-Hypomnema mit µεµίσϑωκαι des Pächters, Tebt. II 588 ist eine Kopie desselben Ansuchens von anderer Hand mit einem µαιµισϑώκαµεν der Verpächter. Eine weitere Unterstützung bietet Mil. Vogl. II 104, wo in ein- und derselben, mit Ἀν[τίγραfον ἀναfοριου] überschriebenen Urkunde der Päch­ ter mit ἐπιδέδωκα τό ἀναfόριον unterzeichnet und sich nach dem darauf folgen­den Datum von 2. Hand ein Empfangsvermerk des Verpächters ἔ[σχ]ον τό προκίµενον ἀντί[γ]ρ[α]fον ἀ[ναf]ορίου] befindet. Doch kann ich we­ gen der für die Misthosis-Papyri charakteristischen Einseitigkeit der Fest­ stellungen bzw. Erklärungen und der geschilderten typischen Interessenlage nicht an den Austausch als Regel glauben. Zumindest kann man H e r r m a n n und H ä s s l e r nicht widerlegen, daß die Urkunden dieses Typs erst nach Ab­ schluß der Vereinbarung erstellt worden sind. Mit anderen Worten: Sie sind wohl wirklich Vertragsurkunden und nie Ansuchen um Annahme als Pächter gewesen. Warum A r a n g i o - R u i z 57 diese Annahme so strikt abgelehnt hat, ist mir nicht verständlich geworden. Aber vielleicht richtete sich seine Kritik vor allem gegen die generelle Annahme H e r r m a n n s , a l l e Hy­pomnemata seien materiell Verträge. Daß davon keine Rede sein kann, hoffe ich gezeigt zu haben. Aber bei der im Moment behandelten Gruppe gibt es, wie mir scheint, keine zwingend H e r r m a n n s Deutung entkräftende Erklärung, zumal für die von einer Hand stammenden Texte. – Daß das µεµίσϑωκα in den hermopo­ litanischen Texten nach dem Datum steht, in denen sonstiger Provenienz, der 55 Wie das z.B. Wa s z y n s k i , S. 21 u. A r a n g i o - R u i z , P. Mil. Vogl. II 88 getan haben. 56 Vgl. Wa s z y n s k i , S. 21, M i t t e i s , Griech. Urkunden d. Papyrussamm­lung zu Leipzig (P. Lips) I (Leipzig 1906), S. 59, A r a n g i o - R u i z a.a.O., 88. 57 Studi Betti, 11 ff. .

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Mehrheit, aber davor, kann kaum anders als eine lokale Besonderheit verstan­ den werden. Auch H ä s s l e r s Meinung zu dieser Gruppe kann ich nicht so absurd fin­ den wie A r a n g i o - R u i z 58: Die Urkunde war für den Pächter be­stimmt. Ihm kam es darauf an, daß wirklich der im Text genannte Grund­eigentümer das µεµίσϑωκα erklärt hatte. Deshalb unterzeichnete der Ver­pächter, womit er zugleich die vorher genannten Bedingungen, unter denen der Pachtwil­ lige hatte übernehmen wollen, zu Bedingungen – H e r r m a n n würde sagen „Auflagen“ – seiner Vergabe machte. Seltsam ist an dieser Übung doch nur die Beibehaltung der βούλοµαι µισ­ϑώσασϑαι-F o r m, i n h a l t l i c h enthält ein Hypomnema dieser Gruppe doch nichts anderes als ein privates Protokoll mit Hypographe des Verpächters wie z.B. Oxy. 502, 499 oder 1124 oder ein Chei­ rographon von Verpächterhand wie PSI 30, Amh. 87 oder Archiv d. Sarapion 22, 22a, 24 u. 27. Wenn nun die Frage nach der Vereinbarkeit mit H e r r m a n n s neuer Lehre von der Verfügungsermächtigung gestellt wird, so wird man freilich sagen müssen, daß die Texte dieser Gruppe nicht geeignet sind, diese Lehre zu stüt­ zen. Denn was die Urkunden dem Pächter darin zuweisen, sind fast nur Pflich­ ten, was man kaum als eine Verfügungsermächtigung verstehen kann. Auch von einer „Auflage“ vermag ich nichts zu erblicken. Im Gegenteil, es ist genau das, was H e r r m a n n in seinem früheren Buch „Gestatten … unter Bedingun­ gen“59 genannt hatte. 4.4.2. Im ersten nachchristlichen Jahrhundert hat es diese Form offenbar noch nicht gegeben, dagegen können wir für diesen Zeitraum eine andere nachwei­ sen, die ihrerseits nach dem Ende des 1. Jahrhunderts nicht mehr auftritt: Es handelt sich um die Urkunden Ryl. IV 600 aus dem I. Jahrzehnt vor Christi Geburt und Lond. II 286 p. 183 aus dem Jahre 88 n. Chr. In die­sen beiden Tex­ ten findet sich von der Hand des Verpächters eine durch Ver­wendung des Verbs ἐπιχωρέω ausgedrückte Zustimmungserklärung, wobei insbes. der RylandPapyrus interessant ist: Er enthält nämlich ein doppeltes Datum und die Unter­ schriften beider Teile! Das eine Datum bezeugt den Tag, an dem die Pächter ihr Ansuchen unterschrieben haben, das andere Datum gibt den Tag an, an dem der Verpächter sein ἐπεικεχώρηκα µι[σϑοῦν] darun­tergeschrieben hat, wobei die Differenz zwischen beiden Daten 12 Tage be­trägt. Auch Ryl. II 166 ist hier zu nennen (26 p. Chr.), wo der Verpächter mit συνχωρῶ ἐπὶ προκειµένοις 58 Studi Betti, 22. 59 Bodenpacht, 183.

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sein Einverständnis bekundet. Möglicherweise ha­ben wir in diesen Texten die Frühform der Behandlung von Hypomnemata vor uns, doch läßt sich das natur­ gemäß nicht beweisen. 4.4.3. Damit können wir zu jenen Texten übergehen, die wohl die rätsel­ haftesten unter den Hypomnemata sind: Es sind jene Texte, in denen auf das Ansuchen des Pächters lediglich die U n t e r s c h r i f t und das Signalement des Verpächters folgen, aber keine µισϑοῦν-Feststel1ung. Nach H ä s s l e r 60 gibt es derartige bloße Namensunterschriften ohne Zusatz nur in den Hypom­ nemata. Es handelt sich um die Urkunden Mich. III 184, Lips. 16, SB 9922, Tebt. II 376 und BGU I 237, denen noch SB 7665 aus dem Jahre 225 ange­reiht werden kann. In allen diesen Texten steht das Datum erst nach der Un­terschrift und dem Signalement des Verpächters. Bemerkenswerterweise sind fünf dieser Texte von einer Hand, nur in der Berliner Urkunde hat die Hypo­graphe eine an­ dere Hand geschrieben als das Ansuchen. Dadurch unterschei­den sich die Texte wesentlich von jenen mit einer µεµίσϑωκα-Erklärung des Bestandgebers, die überwiegend mehrere Hände aufweisen. In der Literatur sind diese Texte im allgemeinen nicht als besondere Gruppe behandelt, son­dern so verstanden worden, als trügen auch sie ein µεµίσϑωκα. Das scheint mir jedoch nicht an­ gängig zu sein; denn wenn man schon das Signalement hinzugefügt hat, wäre es ein leichtes gewesen, auch ein µεµίσϑωκα dazuzuset­zen. Man muß daher m.E. von einer Verschiedenheit ausgehen. Worin kann diese bestehen? Sicher ist, daß irgendeine Zustimmung des Verpächters vorliegt61. Ferner steht fest, daß es sich auch hier um kein eingereichtes Original­ansuchen handeln kann, sondern allenfalls um eine Kopie; denn die Urkun­den tragen ja keine Hypogra­ phe der Pachtwilligen. Unbezweifelbar dürfte auch sein, daß das Exemplar nur für den Pächter bestimmt gewesen sein kann, da es sonst wohl kaum das Signa­ lement des Verpächters tragen würde. Wie aber stand es mit dem Beweiswert eines solchen Papiers? Man könnte geneigt sein, diesen zu leugnen, weil kein µισϑοῦν, keine Überlassung, bezeugt ist. Jedoch wäre das wohl ein zu vor­ schnelles Urteil. Nehmen wir an, ein Pächter im Besitz einer solchen Urkunde mußte sich gegen den Vorwurf der unberech­tigten Inbesitznahme verteidigen. Dann konnte er mit der Urkunde zumindest den Anscheinsbeweis dafür führen, 60 S. 100 f. 61 Wo l f f hat es sich mit seiner Erklärung (Beiträge, 135) etwas zu einfach ge­macht. Er versteht unter der Hypographe eine „Notiz“, daß der Pachtgegenstand dem Pächter im Einklang mit seinem Angebot überlassen worden war, ohne jedoch zu sagen, welchen Zwecken die Notiz eigentlich dienen sollte.

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daß die Nutzung mit Willen des Prozeß­gegners erfolgt war; denn dieser hatte ja unter den in dem Schriftstück ausge­drückten Wunsch des Pächters seinen Namen gesetzt. Obgleich also möglich ist, daß im praktischen Gebrauch der Nutzen fast der gleiche war, möchte ich doch einen anderen Vorschlag zur Diskussion stellen, der den Unterschied – das fehlende µεµίσϑωκα – berücksichtigt. Meine Deu­ tung lautet: Es handelt sich bei diesen wenigen Texten um Fälle, in denen der Empfänger eines Ansuchens mit den darin genannten Bedingun­gen nicht ein­ verstanden war und deshalb dieses Ansuchen neu geschrieben hat bzw. schrei­ ben ließ und mit seiner Unterschrift versah. Damit waren seine Be­dingungen fixiert und nun lag es beim Ansucher, ob er unter den neu formu­lierten Bedin­ gungen übernehmen wollte oder nicht. Deshalb fehlt hier der µεµίσϑωκα-Ver­ merk. Ich bin mir selbstverständlich bewußt, daß es für diese Deutung keinen zwingenden Beweis gibt, jedoch werden wir mit ihr dem Unterschied gerecht und sind nicht genötigt, auch diese 6 Papiere als mögliche Vertragsurkunden zu verstehen. Als Stütze von H e r r m a n n s neuer Lehre sind diese Texte freilich nicht geeignet. Das gleiche gilt aber auch für die Anforderungen, die Wo l f f in der vorhin erwähnten Definition für eine Urkunde über eine Zweckverfü­gung auf­ gestellt hat. Ich meine daher, daß man diese sechs Texte n i c h t als Vertrags­ urkun­den­ansehen kann. 4.5. Wir wollen nun noch einen kurzen Blick auf jene beiden atypischen Hy­ pomnemata werfen, die von einem Be s t a n d g e b e r an einen Bestand­ nehmer gerichtet sind und mit einem βουλόµεϑα µισϑώσασϑε bzw. µιοσϑώσαι beginnen. Objekt ist im 1. Falle (Tebt. 11 372 aus dem Jahre 141) ein Haus, im 2. Falle (Lond. II 335 aus dem 2. Jh.) eine Mühle. In dem Hy­ pomnema aus Tebtynis quittieren die Vermieter in ihrer Erklärung den Emp­ fang des gesam­ten Mietzinses für sechs Jahre und verpflichten sich, für die Dauer der Mietzeit das Haus weder anderweitig zu vermieten noch es für sich selbst als Wohn­raum in Anspruch zu nehmen. Das eigentliche Hypomnema schließt mit dem Namen und dem Signalement der drei Vermieter. Daran schließt sich, viel­leicht von zweiter Hand – die Herausgeber haben den ent­ sprechenden Ver­merk mit einem Fragezeichen versehen – eine Hypographe der Vermieter in erweiterter Form, die neben dem µεµισϑώκαµεν nicht nur die Quittung, son­dern auch die wichtigsten Bestimmungen des Mietkontrakts enthält. Den Be­schluß macht das Datum. Es handelt sich hierbei ganz ohne Zweifel um einen Text, der nach vorangegangenen Vertragsverhandlungen von den Vermietern in dieser außergewöhnlichen Form niedergeschrieben worden

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ist. Das ergibt sich schon aus der Quittung über den vorausgezahlten Miet­ zins und den aus­drücklichen Verzicht auf eine anderweitige Verwertung des Hauses während der vorgesehenen Mietzeit, die ohne Zweifel auf Wunsch der Mieter und schwerlich von den Vermietern von sich aus eingefügt worden ist. Das beson­dere ist die d o p p e l t e Hypographe, einmal unter dem eigentlichen Ange­bot, zum anderen im Zusammenhang mit dem µεµισϑώκαµεν. Wenn die zweite ausführliche Hypographe wirklich von einer zweiten Hand herrührt, könnte ich mir vorstellen, daß der Text von den Mietern nach Abschluß der Besprechung formuliert und dann den Vermietern zur abschließenden Unter­ schrift unter Bestätigung der Vornahme des µισϑοῦν vorgelegt worden ist. Es handelt sich ohne Zweifel um ein für die Mieter bestimmtes Papier, das al­ len Erfordernissen der Zweckverfügungslehre entspricht. Was H e r r m a n n s neue These anbelangt, so würde ich meinen, daß dieses atypische Hypomnema noch am ehesten seinen Vorstellungen von einer Verfügung entspricht, die un­ ter einer „Auflage“ zur Nutzung ermächtigt. Das andere Verpächter-Hypomnema ist eine sehr unbeholfen formulierte und mit vielen Fehlern versehene Urkunde, die die Hypographai von zwei der verpachtenden Priester mit dem Zusatz ἔγραϕα καϑῶς πρόκειται enthält. Dies ist eine typische Hypographe im Sinne von H ä s s l e r ; im übrigen läßt der Text nicht erkennen, ob es zu einer Übernahme der Mühle wirklich ge­kommen ist. Die Urkunde muß als reines Ansuchen klassifiziert werden, sie könnte eher konsensual verstanden werden als als Beleg für die Zweckverfügungs- oder die H e r r m a n n s c h e Lehre62. 4.6. Auf zwei Eigenheiten der Hypomnemata soll noch kurz hingewiesen werden: Die Hypomnemata enthalten so gut wie nie eine P r a x i s - K l a u ­s e l zugunsten des Bestandgebers. Beispiele gibt es, wenn ich recht sehe, nur aus dem Oxyrhynchites: SB 9918 (180 p.), Oxy. XVII 2137 (226 p.) und XVII 2109 (261 p.), obgleich sie wegen des Vorkommens in Nichthypomne­mata im Arsinoites63 auch von dort zu erwarten wären. Auch das spricht da­für, daß die Hypomnemata wirkliche Ansuchen und nicht in Ansuchen-Form stilisierte Ver­ tragsurkunden waren; denn da die Praxis-Klauseln in Misthosis­-Texten immer gegen den Pächter gerichtet sind, kann man verstehen, daß Pachtwerber keine gegen sich selbst gerichteten Klauseln in ihre Ansuchen aufnahmen, während 62 W i l c k e n hat vermutet, die Verpächter hätten damit dem Pächter nur „ihre Formeln vorschrei­ ben wollen“ (AP. II [1903]. S. 130 Anm.) 63 Vgl. SB X 10536 (Homologie, 1. Jh.), SB 9110 (Protokoll, 1. Jh.), Merton I 10 (dito), Mich. V 310 (dito), PSA 14 (dito), BGU II 538 (Protokoll, 2. Jh.), CPR 240 (Homologie, 2. Jh.).

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es nicht verständlich wäre, warum die Verpächter zwar solche in Homologien und die sog. privaten Protokolle, aber nicht in die in Ansuchen-Form abgefaß­ ten Vertragsurkunden aufgenommen haben sollten. Weniger leicht verständlich ist die Seltenheit von B e b a i o s i s - K l a u s e l n in Hypomnemata, da solche doch im Interesse des ansuchenden Pacht­willigen waren. Eine mögliche Erklärung wäre die rechtliche Entbehrlichkeit von Be­ baiosis-Klauseln in Misthosis-Texten überhaupt, wie in der Tat in der Literatur angenommen wird64. Die dennoch erfolgte Aufnahme wäre dann als Gewohn­ heit und Streben nach Vollständigkeit zu erklären. Die andere Erklä­rung wäre eine solche aus der Machtlage: Wer nur hoffen konnte, unter meh­reren Bewer­ bern ausgewählt zu werden, unterließ es besser, eine Bebaiosis­-Klausel in sein Ansuchen aufzunehmen; wem es mehr auf seine Position w ä h r e n d der Pacht als auf die Erlangung des Kontrakts um jeden Preis ankam, schrieb eine solche Klausel hinein, aber natürlich auch nur dann, wenn er befürchten mußte, daß der Verpächter einen anderen Pächter finden könn­te65. Die größere Häufigkeit außerhalb der Hypomnemata würde dann darauf deuten, daß sich eines Hy­ pomnema eher wirtschaftlich Schwächere bedient haben. Das würde der These von A r a n g i o - R u i z 66 über die Anwendung der Hypomnemata entsprechen. Die richtige Deutung dürfte wohl in einer Kombination beider Erklärungen lie­ gen: Ursprünglich Vorkommen entspre­chend der Machtlage, allmähliches Sel­ tenerwerden wegen juristischer Entbehr­lichkeit.

64 Vgl. H e r r m a n n , Bodenpacht, 155 u. Wo l f f , Beiträge, 140 Anm. 28. 65 Vgl. Wa s z y n s k i , S.  84. 66 Studi E. Betti, S. 22 ff.

DIE BEDEUTUNG DER ΆΠEΔΟΤΟ-AUFZEICHNUNGEN IM HEILIGEN BEZIRK FÜR DIE JURISTISCHE ERFASSUNG DES RECHTSINSTITUTES FREILASSUNG IN DELPHI

Als Rechtshistoriker, der an den griechischsprachigen Texten aus der Antike arbeitet, wird man von Kollegen, die auf anderen Gebieten tätig sind, manch­ mal wegen der Vielzahl und der Vielfältigkeit der einem zur Verfügung stehen­ den Quellen beneidet. Vielzahl und Vielfältigkeit können sicher nicht bestrit­ ten werden. Es sei nur an die vielen tausend privat- und öffentlichrechtlichen Papyrusurkunden erinnert und auf die Tatsache hingewiesen, daß wir neben diesen Gesetze, Volksbeschlüsse und Freilassungsaufzeichnungen auf Stein so­ wie eine große Zahl von Gerichtsreden besitzen, um nur einige Beispiele anzu­ führen. Aber trotz der Vielzahl ist die Aussagekraft oft nicht so groß, wie man meinen könnte. Das soll an einem Beispiel aus einem berühmten Ort, nämlich Delphi, demonstriert werden. Viele hunderttausend Touristen sind ohne Zweifel schon die Heilige Straße in Delphi hinaufgegangen. Einem Teil von ihnen wird dabei aufgefallen sein, daß die große Polygonmauer des Apollontempels mit kleinbuchstabigen In­ schriften förmlich übersät ist und daß sich ähnliche Inschriften auch an anderen Stellen, etwa im Theater, finden, zum Teil heute noch auch für den Nichtfachmann lesbar. Es handelt sich dabei um Aufzeichnungen über Sklavenverkäufe an den Gott Apollon aus der Zeit von ungefähr 200 v. Chr. Geburt bis gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Weit über 1000 sind bekannt. Nach herrschender Meinung ging es bei diesen Veräußerungen nicht um die Überführung der Unfreien in Tempeleigentum, also in Hierodoulie, sondern um Freilassung, zu deren Durchführung man lediglich die Form eines Verkaufes an den Gott gewählt hatte. In ähnlicher Weise bediente man sich in anderen mit­ telgriechischen Poleis, wie z. B. Chaironeia, zum Zwecke der Freilassung der Weihung an eine Gottheit1; wir pflegen diese Formen unter dem Oberbegriff der „sakralen Freilassungen“ zusammenzufassen. Warum man diese Formen wählte und sich nicht mit der privaten Freilassung begnügte, die den Griechen gleichfalls bekannt war und nach allem, was wir wissen, die ursprünglich alleinige Freilassungsform gewesen ist2, konnte 1 Die jüngste Publikation solcher Texte von P. Roesch und J. M. Fossey in Zeitschrift für Papy­ rologie und Epigraphik (ZPE), 29 (1978), S. 123–137. 2 Vgl. F. Böhmer, Untersuchungen über die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom, 2. Teil (= Abhandlungen der Geistes- u. Sozialwissenschaftlichen Klasse d. Akademie der Wis­

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bis heute nicht eindeutig geklärt werden, vermutlich ging es darum, dem Freige­ lassenen durch die Einschaltung einer Gottheit eine größere Sicherheit ge­ gen Wiederversklavung zu verschaffen. Jedoch hat sich, nach dem heutigen Stand unseres Wissens, keineswegs in allen griechischen Staaten die sakrale Freilassung durchgesetzt. Nun sollte man meinen, daß es möglich sein müßte, mit Hunderten der­artiger Texte vor Augen genaue Aussagen über die Freilassung bei den Griechen in hellenistischer Zeit, zumindest aber in Delphi, zu machen. Dem ist aber nur sehr bedingt so; denn es gibt eine Reihe von Ungewißheiten, die sich einer sol­ chen Aussage entgegenstellen. 1. Wie bereits dargelegt, besitzen wir aus Delphi viele hundert Einzelauf­ zeichnungen über Sklavenverkäufe an Apollon. Waren dies für den einzelnen Fall nun die einzigen Niederschriften über das mit dem Gott getätigte Geschäft, oder gab es über die einzelnen „Verkäufe“3 daneben irgendwo auch Urkunden auf vergänglichem Material? Eine sichere Aussage darüber können wir für die Texte nach der Zeitwende machen: In ihnen ist regelmäßig davon die Rede, daß, wie von den Gesetzen angeordnet, ein Exemplar im Stadtarchiv niederge­ legt und die Aufzeichnung auf Stein veranlaßt worden sei4. Für diese Epoche ist somit klar, daß neben der Inschrift noch Urkunden über den Vorgang existier­ ten. Für die ersten beiden Jahrhunderte der für uns belegten Freilassungspraxis in Delphi stehen wir dagegen auf wesentlich unsichererem Boden. In den Steinen ist nämlich nur dann und wann davon die Rede, daß die ὠνὰ da und dort de­ poniert sei5. Heißt das nun, daß in allen anderen Fällen die Tempelinschrift die einzige Aufzeichnung war, also das Original, wie wir heute sagen würden? Diese Frage scheint mir mit einem entschiedenen „sehr unwahrscheinlich“ be­ antwortet werden zu müssen. Hierbei denke ich vor allem an die Interessen des einzelnen Freigelassenen. Er mußte doch irgend etwas Schriftliches darüber in Händen haben bzw. schnell beibringen können, daß er nunmehr ein Freier war. Dabei ist vor allem an die Lage der vielen Nicht-Delpher zu denken, die in Delphi an den Gott Apollon „verkauft“ worden waren. Was nützte es diesen an ihrem künftigen Wohnort, wenn an einer, übrigens nicht leicht auffindbaren senschaften u. der Literatur in Mainz, Jahrgang 1960, Nr. 1), Wiesbaden o. J., S. 11, H. Rädle, Untersuchungen zum griechischen Freilassungswesen, Diss. phil. München, München 1969, S. 168. 3 Im allgemeinen lautet die Formulierung ἐπὶ τοῖσδε ἀπέδοτο X oder einfach ἀπέδοτο X. 4 Beispiel: Fouilles de Delphes (FD), III, 6, Nr. 121. 5 Beispiele: H. Collitz, Sammlung der griechischen Dialekt-Inschriften (GDI), Band II, Nr. 2116 u. 2143.

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Stelle im Heiligen Bezirk von Delphi verzeichnet war, daß sie an den Gott ver­ äußert worden waren? Sie benötigten mindestens einen Text an ihrem Wohn­ort! Daß man sich in Fällen bezweifelter Freiheit mit der Herbeirufung eines der obligatorischen Zeugen – in der Regel sind bei Freilassungen durch Auswärtige einige der Zeugen aus der Stadt des Freilassers – begnügt haben sollte, ist doch wohl kaum anzunehmen. Ich meine daher, daß es kaum einem Zweifel unter­ liegen kann, daß beim Freilassungsakt eine Urkunde errichtet wurde6, die als Unterlage der Einmeißelung der Inschrift im Tempelbezirk diente, dann aber in den Händen der Parteien, vielleicht auch der Tempelverwaltung verblieb, um jederzeit als Beweismittel für die Freiheit herangezogen werden zu können. Ich gebe aber zu, daß wir darüber keine Belege besitzen. Wir sind somit nicht in der Lage zu sagen, wie ein Freigelassener im Streitfall seine Freilassung bewies7. Genausowenig können wir sagen, welcher Text der ,,maßgebliche“ war, die Inschrift oder die Urkunde8. 2. Die zweite sich aufdrängende Frage ist die nach der Notwendigkeit für die Beteiligten, das Geschäft irgendwo im Tempel aufzeichnen zu müssen. Für die Spätzeit haben wir die Frage eben schon beantwortet, ganz offensichtlich war damals die Einmeißelung obligatorisch. Für die früheren Jahrhunderte – man kann auch sagen die letzten beiden Jahrhunderte vor Christi Geburt – ist auch diese Frage nicht eindeutig zu klären. Wenn es richtig ist, daß die Institution der sakralen Freilassungen überhaupt deswegen aufkam, um den Parteien grö­ ßere Sicherheit zu gewähren, wäre vorstellbar, daß die Priester sich darauf be­ schränkt haben, die Aufzeichnung im Heiligen Bezirk zu gestatten. Das heißt, es wäre der Privatinitiative, vor allem wohl der Freigelassenen, vielleicht aber auch der Freilasser, überlassen gewesen, eine solche Inschrift einmeißeln zu lassen. Dafür könnte sprechen, daß es innerhalb des Heiligen Bezirkes offenbar keinen speziellen Platz dafür gab, sondern man zunächst einfach die Polygon­ mauer des Apollon-Tempels benutzte und, nachdem diese vollgeschrieben war, dazu überging, auch an anderer Stelle, etwa auf den Sockeln von Denkmälern bzw. im Theater, solche Inschriften anzubringen9. Andererseits kann man sich aber auch vorstellen, daß die Priester ein Interesse daran hatten, daß jeder Fall, 6 So auch M. Bloch, Die Freilassungsbedingungen der delphischen Freilassungsinschriften, Diss. phil. Straßburg 1914, S. 11, C. Cromme, RIDA 9, 1962, S. 181, und die h. M. 7 A. D. Keramopullos, Klio 4, 1904, S. 25, vertritt die Ansicht, daß man sich vor Gericht offen­ bar nicht auf die Inschriften gestützt habe und diese keine Originalurkunden seien, sondern nur „Zusammenstellungen“. 8 Für die Kaiserzeit von Rädle, S. 87, ohne eingehende Begründung zugunsten der Inschrift beantwortet. 9 Vgl, FD III, 3, Nr. 262 ff,

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in dem der Gott zugunsten eines Sklaven tätig geworden war, sozusagen zum Ruhme des Gottes im Heiligen Bezirk verzeichnet wurde. Etwa in der Absicht einer Kundmachung; „Seht, in so vielen Fällen schon hat der Gott zugunsten von Sklaven gehandelt, sie gehören eigentlich jetzt ihm, er aber läßt ihnen die Freiheit und schützt sie.“ Es wäre daher durchaus denkbar, daß die Priester schon in den ersten beiden Jahrhunderten die Beteiligten verpflichteten, eine Aufzeich­nung im Tempel vorzunehmen. Dafür spricht auch die folgende Überlegung, die mir noch jedesmal in den Sinn gekommen ist, wenn ich in Delphi war: Eine wirkliche Publizität im Sinne einer Unterrichtung aller Interessierten war mit den Inschriften nicht zu erzielen, dazu waren sie viel zu unübersicht­ lich, zu klein und zum Teil in Höhen angebracht, die ein Vorüberschreitender überhaupt nicht einsehen konnte. Vor allem aber: Was intetessierte den Delpher, wenn jemand aus Amphissa seinen Sklaven in Delphi freigelassen hatte10? Waren die Inschriften aber sozusagen zum ,,Preis des Gottes‘‘ eingemeißelt, kam es nicht darauf an, ob sie auch für den Vorbeigehenden lesbar waren. Auch diese Überlegung spricht übrigens gegen die Annahme einer bloßen Gestattung. Wenn die Aufstellung im Tempelbezirk auf Initiative der Freigelassenen erfolgt wäre, hätten diese wohl für eine leichter lesbare Aufzeichnung gesorgt. Ich glaube also, daß mehr für eine Pflicht zur Aufzeichnung spricht, auch in den letzten beiden vorchristlichen Jahrhunderten. 3. Die dritte Frage ist die Frage nach der Vollständigkeit der Aufzeichnungen. Wir waren oben unter 1 davon ausgegangen, daß aller Wahrscheinlichkeit nach die Inschriften im Heiligen Bezirk nur Abschriften der bei den Freilassungen errichteten Urkunden gewesen sind. Wir hatten uns weiter davon überzeugt, daß mehr dafür spricht, daß die Einmeißelung obligatorisch war. Nun stellt sich die Frage, ob die vorgeschriebene Verewigung im Heiligen Bezirk den gesam­ ten Text der Urkunde – die Urkunden hatten die Form eines Berichtes über die Vornahme der Freilassung – enthalten mußte oder nur die wesentlichen Ele­ mente. Diese Frage drängt sich nicht nur deshalb auf, weil die Frage nach der Vollständigkeit ein bekanntes Problem aller griechischen Inschriftenforschung ist11, sondern auch weil die delphischen Freilassungsinschriften von sehr

10 Gerade aus Amphissa stammten viele in Delphi Freilassende, vgl. K. D. Albrecht, Rechtspro­ bleme in den Freilassungen der Böotier, Phoker, Dorier, Ost- und Westlokrer, Paderborn 1978, S. 52, der 76 in Delphi gefundene Freilassungen durch Leute aus Amphissa anführt. 11 Vgl. G. Klaffenbach, Bemerkungen zum griechischen Urkundenwesen (= Sitzungsbe­richt d. Deutschen Akademie d. Wissenschaften zu Berlin, Klasse für Sprachen, Literatur u. Kunst, Jahrgang 1960, Nr. 6), Berlin 1960, S. 26.

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unter­schiedlicher Länge sind. Kann man aus diesem Faktum folgern, daß in Delphi für den gleichen Vorgang, den Verkauf eines Sklaven ἐπ ἐλευϑερίαι an den Gott, manchmal recht umfangreiche, manches Mal aber sehr knappe Urkunden errich­tet worden sind12? Ein Anlaß für diese Verschiedenheit läge natürlich auf der Hand, wenn, wie in vielen Fällen, dem Freigelassenen be­ stimmte Pflichten für die Zukunft auferlegt wurden. In solchen Fällen ist klar, daß der Text umfang­reicher sein mußte. Ich denke hier insbesondere an die sogenannten Paramone-Freilassungen, in denen dem Sklaven auferlegt wurde, noch eine Reihe von weiteren Jahren, meist, aber nicht immer, bis zum Tode des Freilassers, diesem in sklavenähnlicher Weise zu dienen13. Aber das kann nicht der Grund für die verschiedenen Längen gewesen sein. Es gibt nämlich Texte mit Paramone, die kürzer sind als Texte ohne Paramone-Anordnung14. Wenn wir aber die längeren Texte näher ansehen, kommen wir, wie mir scheint, zu dem eigentlichen Kern des Problems: Die unterschiedliche Länge beruht nämlich vor allem auf der Aufnahme bzw. Nichtaufnahme von, wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, nicht konstitutiven Klauseln. Ich will damit sa­ gen, daß viele Aufzeichnungen Feststellungen oder Gebote enthalten, die nach dem geltenden Recht ohnehin Folge einer Veräußerung an den Gott waren. Als Beispiel seien hier die Garan­tie-Klauseln genannt. Nach dem Recht der Stadt war es offenbar notwendig, für jede Freilassung einen Garanten, βεβαιωτήρ, zu bestellen. Die Nennung eines solchen findet sich daher auch in den kürze­ sten Texten15. An die Nennung schließt sich aber in manchen, nicht jedoch in allen Texten16 die Klausel an, daß der Garant einzustehen habe, wenn jemand ἐfάπτοιτο den Freigelassenen ἐπὶ καταδουλισµῶι17. Das war ganz sicher ein überflüssiger Satz, es sei denn, einen βεβαιωτήρ hätte nach damaligen Vorstellungen die Haftung auch unter an­deren Voraussetzungen treffen können, was aber wenig wahrscheinlich ist. Aber damit nicht genug, manchmal folgt

12 Westermann nimmt das an (Journal of Near Eastern Studies, 5, 1946, S. 92). 13 Vgl. dazu meinen 1979 in Palermo gehaltenen Vortrag „Bemerkungen zu Form und Inhalt der delphischen Freilassungen“ in RIDA (Revue internationale des droits de l’antiquité), 27, Bru­ xelles 1980, S. 85 ff. Das oben genannte Buch von Albrecht, der in § 6 eingehend auf die Paramone-Freilassungen zu sprechen kommt, nenne ich nur zögernd, da er meines Erachtens zu unrichtigen Ergebnissen kommt. Vgl. meinen Vortrag auf dem IV. Colloque intern. d’histoire du droit Grec et Hellénistique in Aigina 1979, der im Wissenschaftl. Jahrbuch der Akademie PANTEIOS in Athen im Jahr 1981 erschienen ist (Teil II, S. 237–247). 14 Vgl. GDI, Nr. 2038 mit 2083, beide aus demselben Archontat der Prieslerschaft II. 15 Beispiel: GDI, Nr. 1725. 16 Zum Beispiel nicht in GDI, Nr. 1954. 17 Beispiele: SEG (Supplementum Epigraphicum Graecum), 22, Nr. 485, GDI, Nr. 1956.

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dem noch eine weitere Zeile mit der Rechtsfolge, die eintreten sollte, wenn der Bebaioter dieser Pflicht nicht nach­kam, wobei zwar in einigen Texten der Betrag der Buße festgelegt wird18, meist aber die Höhe offenbleibt19. Nun ist demjenigen, der mit Rechtsurkunden arbeitet, aus allen Perioden der geschichtlichen Entwicklung bekannt, daß immer wieder das Bestreben zu be­ obachten ist, die Rechtsfolgen im Text festzuhalten, auch wenn sie an sich nicht der Aufzeichnung oder besonderen Vereinbarung bedürfen, sondern ipso jure eintreten. Das könnte durchaus auch in Delphi der Fall gewesen sein, die einen hätten sich eben damit begnügt, den Namen des Bebaioter anzuführen, den an­ deren wäre daran gelegen gewesen, auch seine Pflichten festzuhalten. Wenn wir nun in den Aufzeichnungen zahlreiche Texte mit den genannten Erweiterungen treffen, so scheint mir das, wenn wir mit Recht davon ausgehen, daß neben der Aufzeichnung immer noch eine Urkunde existierte, darauf zu deuten, daß die Beteiligten gehalten waren, die Urkunde vollständig in Stein einhauen zu lassen. Denn anders wäre nur schwer zu erklären, warum in so vielen Fällen derartige entbehrliche Klauseln bei der Tempelaufzeichnung nicht fortgelassen worden sind und zum Beispiel die beigezogenen Zeugen offenbar vollständig genannt werden. Der Steinmetz mußte doch bezahlt werden! Aber ich muß einräumen, daß wir uns insoweit auf weit unsichererem Boden befinden als bei den beiden anderen Fragenkomplexen20. Noch unverständlicher wäre die Einmeißelung unwesentlicher Klauseln, wenn die Aufstellung der Inschrift nicht obligatorisch gewesen sein sollte. Dagegen ergäbe sich eine ganz andere Deutung, wenn wirklich in den er­ sten beiden Jahrhunderten die Inschrift die einzige Aufzeichnung über den Verkauf an den Gott gewesen sein sollte; denn dann würde natürlich das be­ reits erwähnte Streben vieler Parteien nach Vollständigkeit der Urkunden die „Verewigung“ auch solcher juristisch nicht relevanter Klauseln erklären. 4. Ich glaube, daß damit die wesentlichen Probleme genannt sind. Nachdem ich aber gerade die Garantie-Klauseln als Beispiel erwähnt habe, möchte ich in bezug auf diese noch etwas hinzufügen: Die erwähnte – meines Erachtens entbehrliche – Klausel, daß der Garant im Falle der Wiederversklavung der Freigelassenen Gewähr leisten müsse, tritt nämlich in zwei Varianten auf: In der Minderzahl kommt sie so wie oben erwähnt vor, nur das Einstehenmüssen 18 Beispiele: GDI, Nr. 2012, 2049, 2198. 19 Beispiel: GDI, Nr. 1720: ὑπόδικοι ἔστωσαν κατὰ τοὺς νόµους. 20 Für die späten Delphi-Texte leugnet die Vollständigkeit Keramopullos, Klio 4, 1904, S. 27. Genau umgekehrt Bloch, S. 11/12, der offenbar wörtliche Wiedergabe nur für die späten Texte annimmt.

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des Garanten aussprechend. In der Mehrzahl der Texte lautet sie aber, daß im Falle der Wiederversklavung der Garant und der Veräußerer dem Gott Gewähr zu leisten hätten (βέβαιον παρεχόντω τῶι ϑεῶι τὰν ὠνάν).21 Das kon­ frontiert uns mit einem weiteren Problem: Traf diese Pflicht den „Veräußerer“ immer nur dann, wenn es ausdrücklich im Text festgelegt war, oder bestand auch seine Haftung ex lege? Die Frage wird in der Literatur verschieden be­ antwortet22. Mir scheint letzteres wahrscheinlicher zu sein23, zumal das bei normalen Verkaufsgeschäften nach dem Recht der griechischen Staaten je­ ner Zeit offenbar auch so war24. Wir hätten damit einen weiteren entbehrli­ chen Urkundenbestandteil vor uns. Um zu klären, warum dieser uns dennoch so oft begegnet, müssen wir fragen, was für eine Bedeutung diese Haftung überhaupt hatte: Eine Inanspruchnahme des freigekauften Sklaven als unfrei kann eigentlich nur in zwei Fälle praktisch gewesen sein: Einmal, wenn der Veräußerer (und frühere Eigentümer) selbst die Freilassung nicht gelten lassen wollte, weil er es sich anders überlegt hatte. Dagegen schützte natürlich, wenn er selbst zu den im Eviktionsfall Haftenden zählte. Der andere denkbare Fall wäre die Vornahme der Freilassungshandlung durch einen non-dominus, wes­ halb nun der wahre Eigentümer den Sklaven als seinen in Anspruch nahm. Da aber ein Herr normalerweise weiß, wer sein Sklave ist und wer nicht, dürfte die Veräußerung durch einen non-dominus nur in der Gestalt praktisch gewesen sein, daß sich jemand gegenüber den Priestern bewußt als Eigentümer eines Sklaven geriert hatte, der das in Wahrheit nicht war. Ich halte das nicht für so weit hergeholt, wie es vielleicht klingt. Denken wir nur daran, daß ein auswär­ tiger Sklave, dessen Herr ihn nicht freilassen wollte, einen anderen Freien be­ wegte, mit ihm in Delphi als Herr und Sklave aufzutreten und eine Freilassung vorzunehmen. In beiden Fällen rechtfertigt sich eine Ex-lege-Haftung des Ver­äußerers für den schweren Vertrauens­bruch gegenüber dem Gott. Nicht zu denken ist an Gefahren, die sich aus dem altgriechischen Miteigentumsrecht ergeben könnten25. Denn daß ein Mitberech­tigter die Abwesenheit der ande­ ren ausnützte, um eine Freilassung vorzunehmen, in der Hoffnung, die anderen würden nach Rückkehr nicht die Unwirksamkeit geltend machen, ist deswegen unwahrscheinlich, weil dem Freizukaufenden ja normalerweise bekannt gewe­ 21 Beispiel: GDI, Nr. 2096. 22 Vgl. Bloch, S. 19 ff. 23 So auch J. Herrmann in Recueils de la Société Jean Bodin XXVIII, 1974, S. 257; a. A. z. B. J. Partsch, Griech. Bürgschaftsrecht, 1909, S. 353. 24 Vgl. F. Pringsheim, The Greek law of Sale, Weimar 1950, S. 430ff. 25 Vgl. A. Kränzlein, Eigentum u. Besitz im griechischen Recht des 5. u. 4. Jh.s v. Chr., Berlin 1963, S. 130–134.

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sen sein dürfte, wer alles seine Herren waren, und er es wegen des Risikos der späteren Geltendmachung der Unwirksamkeit deshalb vermieden haben wird, sich ohne Einverständnis – hier dürfte einer der Gründe für die vielen Zustim­ mungs­freilassungen26 gelegen haben – der anderen freikaufen zu lassen. Für eine solche Haftung ohne besondere Klausel spricht auch die Überle­ gung, daß bei diesen Freikäufen die Machtlage wohl in der Regel auf seiten der Verkäufer war, es also in ihrer Hand gelegen haben dürfte, ob es überhaupt zu einer Freilassung kam und, wenn ja, zu welchen Bedingungen. Wenn dem aber so war, ist nicht anzunehmen, daß die Veräußerer-Haftung so häufig freiwil­ lig übernommen worden wäre. Doch soll nicht verschwiegen werden, daß es Texte aus ein und demselben Archontat, also einem engen Zeitraum, im 2. Jh. v. Chr. Geburt gibt, in denen die Garantieklausel ganz fehlt (Rüsch27 Nr. 23, 24, 27), nur den Bebaioter nennt (Rüsch Nr. 8) oder auch den „Veräußerer“ umfaßt (Rüsch Nr. 28). Kann es sein, daß diese Verschiedenheit völlig belanglos war und in jedem Falle einer Wiederversklavung Freilasser und Garant hafteten? Eine Erklärung ist nicht leicht zu finden. Aber wenn man die vielen anderen, offenbar „unnötigen“ Klauseln bedenkt, so war es trotz der Kosten wohl doch das Streben nach Vollständigkeit, das hier triumphiert hat. Von Interesse ist vielleicht das Faktum, daß die Steine keine zeitliche Begrenzung für die Garantiehaftung nennen. Nach den Untersuchungen von H. J. Wolff28 wäre dafür wohl eine Regelung durch Gesetz zu erwarten, so daß dem Fehlen einer Frist in den Inschriften kaum Bedeutung zugemessen werden darf. Wir können also keine sicheren Aussagen über das delphische Institut „Verkauf an Apollon“ machen, weil wir nicht wissen, ob wir vollständige Aufzeichnungen vor uns haben und welche der uns auf den Steinen begegnen­ den Klauseln konstitutiv waren. Alles, was wir sagen können, beruht auf der Unter­stellung, daß die Aufzeichnungen im Heiligen Bezirk nicht weniger ent­ hielten als die Abmachungen beim Verkauf. Ich bin hier zurückhaltender als mein Lehrer Erwin Seidl, der einmal gemeint hat29, wenn eine Inschrift be­ stimmt gewesen sei, ein Geschäft wiederzugeben, und dann öffentlich in der Nähe aufgestellt worden sei, so habe sie einen gewissen Beweiswert im Prozeß

26 Kürzlich eingehend behandelt von Albrecht im 2. Teil seines oben genannten Buches, aller­ dings wohl nicht immer zutreffend. 27 In E. Rüsch, Grammatik der delphischen Inschriften, Berlin 1914, S. 315 ff. 28 Eranion Maridakis, I (Athen 1963), S. 89. 29 Römische Rechtsgeschichte u. röm. Zivilprozeßrecht, Köln – Berlin – Bonn – München, 1962, S. 14.

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gehabt, auch wenn sie die Originalurkunde nicht wörtlich wiedergegeben ha­ ben sollte. Denn ein Rechtsvorgang, der lange Zeit jedermann in dieser Weise zugänglich kundgemacht wurde, gewinne an Glaubhaftigkeit, wenn niemals je­ mand ihn bestritten habe. Solche Inschriften seien also zuverlässige Abschriften für uns, wenn wir die Fundumstände kennen und aus ihnen schließen können, daß es sich um eine für die Öffentlichkeit bestimmte Inschrift gehandelt habe. Leider ist auch die Rechtsvergleichung wenig ertragreich. Denn die uns aus anderen griechischen Poleis – ich nenne30 Phistyon, Naupaktos, Amphissa, Chaleion, Phaistos, Physkeis, Tolophon, Poteidania, Stratos – erhaltenen „Frei­ lassungsverkäufe“ sind in der Mehrzahl mit den delphischen Steinen bezüg­ lich der hier behandelten Fragen kaum vergleichbar. Sie enthalten nämlich fast durchwegs keine Klauseln, deren Notwendigkeit zweifelhaft erscheint, und weisen überwiegend die Angabe auf, wo die ὠνὰ bzw. eine Abschrift der­ selben aufbewahrt wird, wobei teilweise auch dem oben erwähnten Interesse nach Einsichtmöglichkeit am Wohnort des Freigelassenen entsprochen ist31. Es muß daher bei der anfangs getroffenen Feststellung bleiben, daß oft auch eine Vielzahl von gleichförmigen – und sogar inhaltsreichen32 – Quellen keine wirk­ lich eingehenden Aussagen gestattet.

30 Vgl. die Übersicht bei Bömer, a. a. O., S. 26 ff. 31 Vgl. Inscriptiones Graecae (IG), IX, Pars 1, ed. minor, Nr. 99, 634, 635, SEG, XII, Nr. 275. 32 Im Vergleich mit den Freilassungsaufzeichnungen anderer griechischer Poleis müssen die del­ phischen Steine als sehr ausführlich eingestuft werden.

FRAGEN DER RECHTSVERFOLGUNG IN DELPHI ZUR ZEIT DER FREILASSUNGSINSCHRIFTEN

I. In den delphischen Verkaufsfreilassungen finden wir häufig eine Klausel, welche Personen, die zufällig anwesend sind, wenn jemand einen Zugriff zwecks Wiederversklavung1 auf einen Freigekauften vornimmt (= ἐfάπτοιτο ἐπὶ καταδουλισµῶι), zum Eingreifen zum Schutze des Ergriffenen ermächtigt und sie von nachteiligen Rechtsfol­gen freistellt. Die Formulierung lautet im all­ gemeinen: οἱ παρατυγχάνοντες κύριοι ἐόντων συλέοντες den Freigekauften, ὡς ἐλεύθερον ὄντα2 ἀζάµιοι ἐόντες καὶ ἀνυπόδικοι πάσας δίκας, καὶ ζαµίας. Diese Klauseln kommen schon in der II. Priesterschaft vor (GDI 2229) und sind noch in Texten aus der XXXII. Priesterschaft anzutreffen (GDI 2322). Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, daß es auch zahlreiche delphische Freilassungs­ texte gibt, in denen eine derartige Klausel fehlt. Als Beispiel für viele nenne ich aus der II. Priesterschaft GDI 2230, aus der IX. FD III 2 No. 235, dabei handelt es sich aber in der Regel um kurze Aufzeichnungen. Diese Klauseln lassen uns zusammen mit den regelmäßig vorkommenden Garantie-Klauseln, die eine Be­ baiosis-Haftung3 des oder der immer bestellten Bebaioteres und häufig auch des Veräußerers beinhalten, einen Blick in die Rechtsverfolgung in Delphi tun, werfen jedoch, wenn ich recht sehe, im Ergebnis mehr Fragen auf, als sie uns Belehrung erteilen. II. Zunächst einmal ergibt sich aus den οἱ παρατυγχάνοντες-KIauseln – im fol­ genden kurz „Freistellungsklauseln“ genannt –, daß man in Delphi offenbar während der ganzen Periode, aus der wir Freilassungs­aufzeichnungen besitzen, mit dem Handanlegen durch Personen rechnete, die dadurch Rechte an den an Apollon „veräußerten“ Personen geltend machten, und es für notwendig hielt, 1 Gemeint sein kann nur die Infragestellung des „Freikaufs“ und nicht eine davon unabhän­gige Neuversklavung; denn anderenfalls wäre unverständlich, warum dieser Zugriff die Haftung der Garanten und des „Verkäufers“ auslösen sollte. Auch wäre das wohl als eine Verfehlung gegen­ über Apollon angesehen worden. 2 Wohl vergleichbar dem athenischen ἀfαιρεῖσθαι εἰς ἐλευθερίαν (Lipsius, Das attische Recht u. Rechtsverfahren II (1908) 640, Harrison, The Law of Athens I (1968) 221, Kaser, SZ 64/202 ff.). 3 Vgl. dazu meinen Beitrag in der Grazer Festschrift für Berthold Sutter 1983. Beispiel für das Fehlen eines Bebaioter: GDI 2219 P. XIX.

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für derartige Geschehnisse Vorsorge zu tragen. Denn anders ist wohl kaum zu erklären, daß sogar beim Kopieren der Urkunden auf Stein die diesbe­züglichen Klauseln nicht weggelassen wurden. III. Worum geht es nun bei den Freistellungs-Klauseln genauer? Zufällig An­ wesende sollen eingreifen können, um den vom Gott Freigekauften dem ἄγειν des – wir können wohl sagen angeblichen – Eigentümers zu entziehen. Damit war erreicht, daß keine Prüfung in Eile stattfinden mußte, ob der Angreifer im Recht war oder nicht, sondern sofort die erforderlichen Gegenakte gesetzt wer­ den konnten; ohne Zweifel eine sinnvolle Maßnahme, um jedem zufällig An­ wesenden das Eingreifen zu erleichtern. Für uns bedeuten die Klauseln leider keine Aufhellung der Rechtslage; denn welchen Weg der Agon nun einschlagen mußte, um sein Recht durchzusetzen, ist den delphischen Inschriften nicht zu entnehmen. Der συλάσας (so GDI 2216) war jedenfalls von jeder Dike und Strafe freigestellt, woraus man wohl folgern kann, daß außerhalb des Bereichs der Freilassungen, also z.B. wenn A den Sklaven des B mit der Behauptung ergriff, er sei sein Eigentum, demjenigen, der interve­nierte, Klagen und Strafen gedroht haben. Auf die Frage, was der in seinem Vorgehen zunächst einmal gestoppte Angreifer nun tun konnte, werden wir später zurückkommen. IV. Zunächst aber noch eine andere Bemerkung. Aus den Inschriften ergibt sich gleichfalls regelmäßig nicht, was gegen einen Agon unternommen wer­ den konnte, der zu Unrecht ein ἅπτεσθαι vorgenommen hatte. Nur ganz selten finden wir eine Bußpflicht genannt3a. Kann das bedeuten, daß es eine solche Klagemöglichkeit nur gab, wenn ausdrücklich davon in der Urkunde die Rede war? Ich halte das für sehr unwahrscheinlich und meine, daß man aus dem Schweigen der Quellen einen solchen Schluß nicht ziehen darf; denn genau besehen gehörten Bestimmungen darüber ja nicht in den „Freikaufskontrakt“ mit dem Gott. V. Die nächste sich stellende Frage ist die, warum es für die Paratynchanontes der ausdrücklichen Ermächtigung – κύριος im Sinne von befugt, ermächtigt – bedurfte? Die Frage liegt umso näher, als beispielsweise in Athen offenbar 3a Beispiele: GDI 2107, FD III 2 No. 243 aus der VI. bzw. IX. Priesterschaft. In diesen Texten fehlt aber jeder Hinweis, ob die Buße wirklich nur dann anfiel, wenn der Agon zu Unrecht Un­ wirksamkeit des Verkaufes behauptete. Man möchte es meinen, weil es anderenfalls ja in praxi kein ἅπτεσθαι ἐπὶ καταδουλισµῶι gegeben haben dürfte, wenn man sich damit automatisch eine Bußpflicht zuzog, aber für ganz sicher möchte ich das nicht halten.

Fragen der Rechtsverfolgung in Delphi zur Zeit der Freilassungsinschriften

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jedermann4 zugunsten eines in dieser Weise in Zugriff genommenen Menschen intervenieren konnte, sich damit freilich dem Risiko eines Prozesses ausgesetzt hat. Mir scheint daher, daß man hier κύριος nicht auf den formalen Gegenakt, das συλεῖν, zu beziehen hat, sondern auf die damit verbundenen Rechtsfolgen. Wir müssen also lesen „ermächtigt ohne eine Klage oder Strafe zu riskieren, den Ergriffenen als frei zu reklamieren“. Es soll allerdings nicht verschwie­gen werden, daß Steine existieren, in denen nur vom κύριος-Sein zum συλεῖν die Rede ist, die Freistellung aber fehlt (Bspl. FD III 2 No. 230, P. [= Priesterschaft] IX, GDI 2151, 2160). Die Angelegenheit wird dadurch noch komplizierter, daß in einer Reihe von Texten dem Freigekauften ausdrücklich zugestanden wird, das Sylein selbst vorzu­nehmen (Bsple. GDI 1696, 1701, 1713, 1723, 1727, 1749, 1857, 1936, 1971, 2138, 2184, 2213, 2252, 2256 u.a.), Texte, die keines­ wegs nur aus einer Priesterschaft stammen und sich z.T. sogar auf Sklavinnen beziehen (1701, 2138, 2213, 2252, 2256). Das kann nur bedeuten, daß in die­ sen Fällen der Freigekaufte der Hilfe eines Dritten nicht bedürfen sollte, ohne daß immer klar erkennbar ist, ob auch ihn die Freistellung treffen sollte, aber wohl ja4a. In einigen dieser Steine findet sich dessen ungeachtet auch die Frei­ stellungsklausel für Dritte (1696, 1723, 1727, 1857, 1936, 1971, 2213, 2256, in diesem Sinne auch FD III 2. No. 246 P. IX, FD III 3 No. 347 u. 412). Das zeigt wohl, daß man erkannt hatte, daß das Selbstbefreien nicht immer gelin­ gen würde. Zu fragen bleibt freilich, warum man nicht immer die Freigekauf­ ten zur Selbstbefreiung ermächtigt hat. Das führt uns wieder einmal zu jener Frage, welche die Freilassungen – und nicht nur sie – so häufig hervorrufen, ob eigentlich die Aufnahme einer Klausel in den Text der Freilassungsurkunde konstitutiv war oder nur deklaratorisch. Hier heißt das, ob nicht ohnehin nach dem geltenden Recht jeder Freigekaufte zum αὐτοσαυτὸν συλᾶν befugt war. Während man, wie ich an anderer Stelle dargelegt habe5, überwiegend bei den Klauseln der Freilassungen wohl davon ausgehen kann, daß sie nur deklarato­ risch waren, wage ich hier keine Entscheidung. Vergleicht man die oben ge­ nannten Steine, lassen sich darin keine Gemeinsamkeiten finden, die Anlaß für die Ermäch­tigung zur Selbstbefreiung gewesen sein könnten. Vielleicht war es 4 So jedenfalls Thalheim, Lehrbuch d. griechischen Rechtsaltertümer 4(1895) 31 in K.F. Hermann, Lehrbuch der griechischen Antiquitäten, Bd. II. 4a Wäre dies zu verneinen, müßte man sich fragen, warum der Freigekaufte einer solchen Ermäch­ tigung überhaupt bedurfte. Zwei Erklärungen bieten sich an, ohne daß die Frage hier weiter ver­ tieft werden kann: I.) Der ordnungsgemäß erfolgte Zugriff des Agon hat ihn in eine Rechtslage gebracht, aus der er ohne ausdrückliche Ermächtigung sich nicht selbst befreien kann. 2.) Der an den Gott Veräußerte wurde nicht als voll prozessual handlungsfähig angesehen. 5 RIDA XXVII (1980) 85 f. 90.

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so, daß Sklaven, die sich stark genug fühlten, gebeten haben, eine solche Klau­ sel in ihre Urkunde aufzunehmen. VI. Kurz abtun kann man wohl die Frage, ob es für die Rechtsstellung des ein­ greifenden Dritten darauf ankam, ob er die Freistellungsklausel der Freikaufs­ urkunde gekannt hatte oder nicht. Hier kann es wohl keinen Zweifel geben, daß es darauf nicht ankam. VII. Daran kann man gleich die nächste Folgerung anschließen, nämlich die, daß die ganze Freistellungsklausel an sich wohl entbehrlich war. Es kann kaum darauf angekommen sein, ob in der Urkunde über diesen Menschen die kyriosesto-Klausel gestanden hat oder nicht. Denn nur so war zu gewährleisten, daß jedermann sofort ohne Risiko eingreifen konnte. So dürfte auch zu erklären sein, warum die Klausel häufig fehlte. Sie konnte wegbleiben, weil ohnehin jedermann wußte, daß sie Bestandteil einer jeden Freilassung war. VIII. Wenn dem so war, stellt sich natürlich die Frage, warum die Klauseln doch immer wieder in die Freilassungsabmachungen aufgenommen wurden. Hier dürfte in erster Linie an das aus der Rechtsgeschichte so vielfältig be­ kannte ewige Forterben einmal eingeführter Klauseln zu denken sein. Überdies dürften die Priester des Apollon ein Interesse gehabt haben, daß immer wieder die Sicherheit für diejenigen, die den vom Gott Freigekauften zu Hilfe kamen, kundgetan wurde. Letztlich dürfte es aber auch ein Anliegen dieser selbst ge­ wesen sein, daß immer wieder ausdrücklich festgehalten wurde, daß für jeden Fall eines gegen sie gerichteten Zugriffs der Helfer gewiß sein konnte, keinem Risiko zu unterliegen. Vielleicht haben die stereotypen Wiederholungen ipso iure geltender Bestimmungen auch etwas mit dem starken Fremden-Anteil an den delphischen Freilassungen zu tun6. IX. Insgesamt aber muß man sagen, daß man in den delphischen Freistel­lungs­ klauseln nicht so weit gegangen ist wie anderswo. Die Freistel­lungs­klau­seln enthalten in Delphi nämlich nur die Ermächtigung, nie­mals aber eine Verhei­ ßung, die als Anreiz wirken konnte. Anderswo gibt es solche Anreize durchaus, z.B. in Hyampolis (IG IX1 pars. I. Nr. 86) und Tithora (IG IX1 1 Nr. 192), wo man den Helfenden die Hälfte der vom Angreifer zu zahlenden Buße in Aus­ 6 Vgl. die noch immer aussagekräftige Übersicht bei Calderini, La manomissione e la condizione dei liberti in Grecia, ed. anastatica Roma 1965, S. 405 ff. und Daux, Delphes au IIe et au Ier siècle, Paris 1936, S. 490 ff.

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sicht stellte – die andere Hälfte ging an den schützenden Gott. Warum sich das in Delphi nicht eingebürgert hat, muß offenbleiben. Doch soll nicht verschwiegen werden, daß es Verkaufsfreilassungs-Gebiete gibt, die überhaupt keine Freistellungsklauseln aufweisen, z.B. Phistyon (IG IX, pars. 1, editio minor, No. 97 ff.) und Naupaktos (a.a.O. No. 612 ff.), über­ haupt alle Gemeinwesen, die in IG IX 1, ed. minor, erfaßt sind. Auch bei den sog. Weihefreilassungen ist übrigens das völlige Fehlen zu konstatieren (vgl. die Texte aus Chaironeia in IG VII No. 3301 ff.), obgleich doch bei den Wei­ hefreilassungen eine ähnliche Interessenlage bestanden haben dürfte. X. Das Bild ist somit durchaus bunt, wenn man über Delphi hinausschaut. Das führt noch zu einer weiteren, interessanten Frage: ἀνυπόδικος πάσας δίκας καί ζαµίας, kann doch nur heißen, daß dem Helfer keine Strafe, ja nicht einmal eine Klage drohte. Das bedeutet, die „Abma­chung“ des Freilassers mit dem Gott muß von den Gerichten beachtet worden sein, sonst wäre sie sozusagen den Hammerschlag des Steinmet­zen nicht wert gewesen. Das ist auf zweierlei Weise erklärbar: Entweder gab es einen Nomos der Delpher, der zugunsten der frei­gelassenen Sklaven die Freistellung angeordnet hatte. Dann stellt sich ein­ mal mehr die Frage, warum das immer wieder in die Einzel­urkunde – und die Steinaufzeichnungen aufgenommen wurde. Oder die „Abmachung“ des Gottes mit dem Freilasser hatte eine die Gerichte bindende Kraft. Das wäre m.E. folgendermaßen erklärbar: Durch den „Kauf“ trat der Sklave aus dem Geltungsbereich der menschlichen Gesetze heraus, er unterstand nur noch dem Gott. Was dieser mit ihm machte, ob er ihn in Freiheit beließ oder nicht, war seine Angelegenheit. Der menschli­chen Ordnung war er entzogen, gegen ihn durfte nicht vorgegangen werden6a. Deshalb stellte sich der Gott hin­ ter jeden, der seine Rechte verteidigte, und dekretierte dessen Straflosigkeit. Dagegen dürfte auch niemand verstoßen haben; denn das hätte ja einen Über­ griff gegen Apollons Gebot bedeutet. Die Klausel ist somit als eine Art vom Gott gesetztes Recht zu verstehen. Damit dürfte sich auch die Frage nach der territorialen Geltung erübrigen, also die Frage, ob die in Delphi „vereinbarte“ Straflosigkeit eines Eingreifen­ den auch außerhalb Delphis Geltung hatte, bzw. beachtet worden ist. Denn man muß wohl annehmen, daß selbstverständlich Apollons Gebot überall galt, auch außerhalb von Delphi. Auch in Amphissa oder einer anderen Polis dürfte es nie­ mand gewagt haben, gegen ein solches Göttergebot zu handeln. D.h., auch au­ 6a Er war „ἀνέfαπτος für Menschen“, wie Bömer formuliert hat (Untersuchungen über die Religion der Sklaven in Griechenland u. Rom, 2. Teil. [Akademieschriften Mainz 1960], S. 32).

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ßerhalb von Delphi konnten sich Personen, die zugunsten eines Freigekauften eingegriffen hatten, darauf berufen, daß der Gott ihnen Straf- und Klagsfreiheit verheißen hatte. XI. Welche rechtlichen Möglichkeiten hatte nun derjenige, der durch Agein ei­ nen Freigekauften als seinen Sklaven in Anspruch genommen hatte? Wie wir gesehen hatten, war ihm der Weg, den συλέων zu klagen, verschlossen. Es stellt sich daher zunächst die Vorfrage, warum man dessen ungeachtet mit einem ἅπτεσθαι rechnete. Die Antwort wird lauten müssen: weil es der vorgesehene – oder zumindest ein nicht unerlaubter7 – Weg zur Geltendmachung der Eigen­ tumsbehauptung war. D.h. das Agein konnte zum Erfolg führen, wenn darauf kein suleῖn erfolgte. XII. Wenn es aber erfolgt war, was dann? Theoretisch bieten sich, wenn ich recht sehe, eine ganze Reihe von Möglichkeiten: 1. Es gab überhaupt keinen Rechtsbehelf für den wahren Eigentümer, dessen Sklaven man durch Verkauf an Apollon freigelassen hatte. Das erscheint un­ wahrscheinlich; denn dann hätte man wohl das Agein überhaupt unter Strafe gestellt. Die Steine zeigen jedoch, wie eben dargelegt, daß man das nicht getan hatte und sogar damit rechnete. 2. Eine Diadikasie mit dem Gott bzw. den Priestern, in der es um die Frage ging, ob der Freigekaufte noch dem Eigentümer oder dem Gott gehörte8. Aufgrund des großen Ansehens und der Verehrung, die gerade der delphi­ sche Apollon auch in hellenistischer Zeit noch genossen hat9, und ange­ sichts der Tatsache, daß in den Texten immer geregelt ist, wer im Falle eines ἐfάπτεσθαι ἐπὶ καταδουλισµῷ dem Gott zum βέβαιον παρέχειν des „Kaufes“ verpflichtet war, möchte ich diesen Weg ausschließen. 3. Eine Bußklage gegen die genannten Rechtssubjekte dürfte aus den gleichen Gründen nicht in Betracht gekommen sein. 4. Sehr wahrscheinlich ist eine Bußklage gegen den Veräußerer, wenn dieser durch sein ἀποδίδοσθαι Rechte des wahren Berechtigten verletzt hatte. Zu denken ist wohl in erster Linie an eine Klage βλάβης, es könnte aber auch eine Klage wegen Hybris in Betracht kommen. Allerdings muß zugegeben werden, daß wir weder für die eine noch für die andere Klage irgendwel­ 7 Anders als z.B. in Tithora (IG IX1 I92) findet sich in den delphischen Texten kein an jedermann gerichtetes Agein-Verbot zugunsten des Freigekauften. 8 Vgl. GDI 2049 P. I: ὡς ἐλευθέρου ἐόντος καί τοῦ θεοῦ. 9 Vgl. Schneider, Kulturgeschichte des Hellenismus II (München 1969) 772, 785 ff.

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che Anzeichen in den Freilassungsinschriften finden; doch auch in diesem Zusammen­hang könnte man sagen, daß die Nennung der Klagemöglichkei­ ten in den „Freikaufkontrakten“ nichts zu suchen hatte. 5. Mit aller Vorsicht möchte ich zur Diskussion stellen, ob nicht auch die in allen Freilassungsinschriften genannten Garanten als Beklagte für den in seinem Zugriff gestoppten Agon in Betracht kamen. Ich meine damit, daß in Fällen eines ἀποδίδοσθαι zum Zwecke der Freilassung der Garant von vornherein der richtige Beklagte war und nicht erst einen gegen den „Käufer“ an­ gestrengten Prozeß übernehmen mußte, wie es im allgemeinen als Aufgabe der B. angesehen wird10. Dafür scheint mir zu sprechen, daß es in den Stei­ nen immer heißt, im Falle eines ἐfάπτεσθαι ἐπὶ καταδουλισµῷ sei der Be­ baioter dem Gott zum βέβαιον παρέχειν des Kaufes verpflichtet. D.h., aus­ lösendes Moment sollte schon nach dem Wortlaut der Inschriften nicht eine Klage, sondern der Selbsthil­fezugriff sein. Meine Annahme würde weiter erklären, warum die Bestellung eines Garanten für die Freikäufe in Delphi gesetzlich vorgeschrieben (κατά τὸν νόµον τᾶς πόλιος10a) bzw. zwischensta­ atlich (κατά τὸ σύµβολον10b) vereinbart war: er war derjenige, der „vor“ den Gott zu treten hatte, wenn jemand behauptete, die Freilassung sei nicht in Ordnung gewesen10c. Das würde auch verstehen helfen, warum die Prie­ ster bereit waren, ihre Hilfe für Freilassungen zur Verfügung zu stellen. Sie konnten per Saldo nur gewinnen, indem sie den Ruf des Gottes als Helfer der Sklaven mehrten, ohne der Gefahr zu unterliegen, in Fällen, in denen es zu anfechtbaren Freilassungen gekommen war, in Prozesse verwickelt zu werden. Hier soll auch eine These Schönbauers in Erinnerung gerufen werden, der in SZR 62 (1942) S. 292 die Meinung vertreten hat, bei einem formgerechten Kauf habe es bei den Griechen, auch wenn dem Veräußerer die Verfügungs­ legitimation objektiv gefehlt hatte, keine Möglichkeit des Zugriffs auf den Erwerber gegeben, wenn die Möglich­keit bestand, den Verkäufer zur Ver­ antwortung zu ziehen. Diese Meinung hat freilich keine Zustimmung gefun­ den11, aber mir scheint doch in dem besonderen Fall der sakralen Freilassung manches für eine ähnliche Gestaltung zu sprechen. 10 Vgl. Partsch, Griechisches Bürgschaftsrecht I (1909) S. 345, Partsch war übrigens der Mei­ nung, daß im delphischen Recht des Verkaufs an Apollon der Veräußerer nur dann haftete, wenn das in der Urkunde festgelegt worden war (S. 353 Amm. lc.). 10a Bspl. GDI 1903 P.V. 10b Bspl. GDI 1901 P.V. 10c Vgl. auch b. tῶi jeῶi in GDI 1831 P. IV. 11 Vgl. Kaser, SZR 64 (1944) S. 173.

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XIII. Nicht zu denken ist wohl an eine Diadikasie gegen den Freigelassenen. Die Inschriften sprechen konstant von den Pflichten des Garanten und des Veräußerers gegenüber dem Gott. Daraus scheint mir zu folgen, daß man sich den Freigekauften nicht als jemand vorstellte, der des Schutzes dieser Mitwirkenden bedurfte, obgleich Texte zu finden sind, in denen dem Freigekauften das Recht zu einer Bußklage gegen den Garanten eingeräumt ist (GDI 2049 u. 2072 P.I., 1708 P. V, 2197 P. VI, 2216 P. IX). Gegen die Möglichkeit, mit dem Freigekauften einen Rechtsstreit über die Gültigkeit des Freikaufs zu führen, spricht auch eine Überlegung, die ich bereits oben erwähnt habe: Ich glaube, daß man sich bei den Verkaufs-Freilassungen den Freigekauften als einen der menschlichen Rechtsordnung Entzogenen vorgestellt hat, über dessen Leben allein von dem Gott bestimmt wurde, der ihn „gekauft“ hatte. Wenn diese Auffassung richtig ist, konnte man selbstverständ­lich auch mit einer solchen, dem Gott „gehörenden“ Per­ son keinen Rechtsstreit über die Frage führen, ob diese Zugehörigkeit von Rechts wegen bestand oder nicht bestand. XIV. Eine vom Vorstehenden scharf zu trennende Frage ist, ob der Herr oder Mitberechtigte eines ohne seine Zustimmung an den Gott „verkauften“ Sklaven seine volle Rechtsposition und die tatsächliche Gewalt über den Sklaven wiedererlangen konnte. – Die Frage, ob er sie nach Auffassung der Griechen viel­ leicht nie verloren hatte, wollen wir hier nicht aufwerfen. – Dabei müssen wir das Wie außer Betracht lassen, da wir darüber so gut wie nichts wissen, und uns auf das Ob konzentrieren. Anders formuliert: Hatte der Ankauf ἐπ᾽ ἐλευθερίᾳ die unangreifbare Folge des endgültigen Übergangs in den Herrschaftsbe­reich Apollons oder konnte diese unwirksam sein? M.E. kann die Antwort nur sein, daß Unwirksamkeit möglich war. In diese Richtung deutet einmal, daß es eine ganze Reihe von Texten gibt, in denen das ἄκυρος-Werden der Veräußerung vereinbart wird, nämlich für den Fall, daß der Sklave seinen vereinbarten Paramone-Pflichten nicht nachkommen sollte (Bsple: GDI 1702 P. IV, 1747 P. IV). Vor allem aber wird diese Antwort durch die zahlreichen Mit- und Zustimmungsfreilassungen wahrscheinlich gemacht. Damit meint ich jene Texte, in denen das ἀποδίδοσθαι durch mehrere Perso­ nen oder συνευδοκέοντος τοῦ δεῖνος (Bsple.: GDI 2019 P. VI, 2185 P. XXI) erfolgt12. Denn die Beurkundung der Zustimmung kann doch kaum einen an­ 12 Zu diesen Zustimmungen zuletzt ausführlich, wenn auch nicht überzeugend, K.D. Albrecht, Rechtsprobleme in den Freilassungen der Böotier, Phoker, Dorier, Ost- u. Westlokrer, Paderborn 1978, III. Teil.

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deren Grund gehabt haben, als als Wirksamkeitserfordernis13 bzw. um künfti­ gen Anfechtungen vorzubeugen14. Weiter ist darauf hinzuweisen, daß in Del­ phi kein Verbot des καταδουλίζεσθαι ausge­sprochen ist, wie sich das anderswo findet, z.B. in Tithora (IG IX maior 192). Deshalb kann nicht zweifelhaft sein, daß für die Delpher auch der Freikauf durch ihren Gott unwirksam sein bzw. werden konnte. Es wäre wohl auch für das Ansehen des Gottes nicht förderlich gewesen, hätte man unter seiner Mitwirkung ohne Rechtsgrund sein Eigentum verlieren können. XV. Nur einige Texte aus Delphi geben zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Meinung Anlaß. Sie stammen, wenn ich recht sehe, sämtlich aus der IX. Prie­ sterschaft und finden sich z.B. in Bd. III Heft 2 der Fouilles de Delphes. Dort können wir in den Inschriften No. 121–123 u. 237/238, aber auch in GDI 2287 lesen, daß im Falle eines ἐfάπτεσθαι und darauf ausbleibender Bebaiosis der bestellten Garanten die letztge­nannten πράκτιµοι, die Freigekauften aber frei sein sollen, wobei dies Sätzchen vor oder nach der Freistellungsklausel für die Paratynchanontes aufgenommen sein kann. Das könnte man als Beweis dafür anführen, daß das weitere Schicksal der „Apollon-Sklaven“ von Angriffen gegen den Freikauf unabhängig sein sollte. Aber so weit geht die Tragweite dieser, soweit ersichtlich nur gelegentlich be­ gegnenden, Formulierung wohl nicht. Denn genau besehen besagt sie ja nur, daß die Freiheit der Ex-Sklaven von der Pflichterfüllung durch die Garanten unberührt sein soll. Daß ihr Status auf die Dauer vom Vorgehen des Agon nicht betroffen werden kann, ist nicht zum Ausdruck gebracht. Es ging den Urkundenverfassern also offenbar nur darum, die Unabhängigkeit des Frei­ seins von der Pflicht­erfüllung durch die Garanten zum Ausdruck zu bringen. Es dürfte daher etwa „vorerst frei“ zu übersetzen sein. Zu denken wäre mögli­ cherweise auch an einen Fall von unbeabsichtigter Formularvermi­schung. Wer mit den delphischen Texten etwas vertrauter ist, wird sich erinnern, daß in Freilassungen unter Paramone-Vereinbarung häufig die Formulierung be­ gegnet, wenn dem Paramoneberechtigten etwas Menschliches zustößt, soll der Paramonar frei sein (Beispiele: GDI 1916 P. IV, 1969 P. II, 1694 P. VI.). Es wäre nun, wie mir scheint, denkbar, daß einmal ein Urkundenschreiber verse­ hentlich in ein „Paramone-Formular“ geraten war und einige Nachfolger ihm nachgeschrieben haben, bis man das Versehen bemerkte und wieder zur frü­ heren Textgestaltung zurückkehrte. Aber sicher ist das nicht, ich kann daher 13 So Albrecht 281. 14 So meine Meinung.

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die Möglichkeit einer Unangreifbarkeit des Übergangs in das Gotteseigentum – was das auch immer bedeutet haben mag – nicht ausschließen. XVI. Hier muß ich abbrechen. Ich bin mir bewußt, wenig Bewiesenes geboten zu haben, aber vielleicht wirken die vorstehenden Zeilen als Anregung, sich den prozessualen Aspekten der Freilassungen mehr zuzuwenden.

Тοῦτον τοι῱υτον ἀναπόριφον IN DEN ESELVERKAUFSURKUNDEN AUS DEM KAISERZEITLICHEN ÄGYPTEN

I. Urkunden werden bei Rechtsgeschäften zu bestimmten Zwecken errichtet. Dieser Zweck muß den Parteien bei der Erstellung nicht mehr bewußt sein, z. B. wenn man sich an ein altüberliefertes Formu­lar hält, dessen Sinn man nicht mehr kennt; das ändert aber nichts an der Richtigkeit der obigen Feststel­ lung. Der Zweck kann ein solcher der – vereinfachend gesagt – Obrigkeit oder von Privaten sein. In letzterem Fall kommen die Interessen beider Beteiligter oder nur eines von ihnen in Betracht. II. Inspizieren wir unter diesen Aspekten als Beispiel die Eselveräußerungsur­ kunden1 aus dem römischen Ägypten, so ergibt sich daraus zunächst, daß sie, da als Verkäufererklärungen abgefaßt2, offenbar den Zwecken des Erwerbers zu dienen bestimmt waren. Daß sie nur für eine Seite von Bedeutung waren, ist umso wahrscheinlicher, als in manchen Texten ausdrücklich festgehalten ist, daß die Urkunde nur einmal errichtet wurde3. Wozu der Erwerber eine Urkunde über das Kaufgeschäft benötig­te, dürfte auf der Hand liegen: Er mußte einen Beleg in Besitz haben, der ihn vor ei­ nem etwaigen Diebstahlsvorwurf schützte und ihm gegen Veräußerer zum Rechtsschutz verhalf, wenn dieser im Eviktionsfalle, d. h. der Inanspruch­ nahme des Kaufobjekts durch einen Dritten als ihm gehörig, die Bebaiosis, die Gewährleistung, verweigerte. Diesen Erfordernissen dienten in den Tex­ ten das πεπραχέναι-Bekenntnis und die Bebaiosis-Erklärung des Veräuße­ rers4. Nicht nennen möchte ich in diesem Zusammenhang die in den Texten re­ gelmäßig begegnenden Quittungen über den Kaufpreis5; denn nach allem, was wir wissen, gab es im griechischen und gräko-ägyptischen Recht – römisches Gedankengut findet in den griechischsprachigen Papyri der Kaiserzeit erst ver­ 1 Übersicht über diese im Corpus Papyrorum Rainen Bd. VI, Griech. Texte III, Textband, Liefg. 1, Wien 1978, 22f. 2 Übliche Formulierung: Όμολογώ πεπραχέναι σοι ǒνους. 3 Beispiel: PSI XIV 1417: [πράσις ά]πλη[γρα]φίσα III. post). Daß es auch Urkunden gibt, bei de­ nen unser Exemplar nach den Fundumständen aus dem Besitz des Veräußerers stammen dürfte (z. B. P. Berl. Leihgabe 7), soll nicht verschwiegen werden. 4 Beispiel: βεβαιώσω [σο]ι πρ(òς)πασαν βεβαίωσιν (PSI I 38). 5 Beispiel: βεβαιώσω [σο]ι πρ(òς)πασαν βεβαίωσιν (PSI I 38).

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hältnismäßig spät einen Niederschlag – keine Klage auf Bezahlung des Kauf­ preises6. Wenn gleichwohl in den Veräußerungsurkunden regelmäßig das „Erhalten­ haben“ des Kaufpreises durch den Veräußerer bestätigt wird, muß das einen an­ deren Grund haben. Dieser dürfte in den griechischen Eigentumsvorstellungen zu suchen sein. Eigentum wurde nämlich erworben durch Bezahlung des Kauf­ preises, wobei die Übergabe an den Erwerber keine Rolle gespielt hat7. Wenn also der Erwerber einer Sache eine Urkunde in Händen hatte, in der der frühere Eigentümer bescheinigte, er habe sie ihm veräußert und dafür den ausgemach­ ten Kaufpreis erhalten, so war der Erwerber dadurch genügend geschützt, weil diese Erklärungen des Veräußerers ihm, den Erwerber, den Eigentumsbeweis ermöglichten. Von den regelmäßig in den Esel-Veräußerungsurkunden vorkommenden Klauseln bzw. Feststellungen haben wir damit drei als allein oder doch über­ wiegend von Bedeutung für den Erwerber erkannt. III. Größere Schwierigkeiten macht jedoch die vierte. Ich meine damit die zwar nicht immer, aber doch sehr häufig vorkommende Erklärung des Veräußerers, das Tier sei τοῦτον τοι῱υτον ἀναπόριφος (τ.τ.ἀ.) verkauft. Gehen wir einmal mit der überwiegenden Meinung davon aus, es habe sich dabei um den Aus­ schluß eines dem Käufer – wohl kraft Gesetzes – zustehenden Rückgaberechtes gehandelt, so fragt sich sogleich, welchen Nutzen die Verzeichnung dieses – of­ fenbar doch vom Verkäufer durchgesetzten – Ausschlusses eines dem Käufer zustehenden Rechts in einer zum Verbleib bei ebendiesem bestimmten Urkunde besessen hat. Doch dürfte die Antwort nicht allzu schwierig zu finden sein, wenn wir uns einmal den Ablauf eines etwaigen Prozesses vorstellen: Wenn der Erwerber das Tier zurückgeben wollte, und der Verkäufer verweigerte die Rücknahme, blieb dem Käufer nichts anderes übrig, als zu klagen, wobei wir die Frage „welche Klage?“ hier zurückstellen müssen. Um sein Begehren be­ gründen zu können, mußte er dem Gericht dartun, daß er das Tier durch Kauf vom Beklagten erworben hatte. Das konnte er nur durch die ihm ausgestell­te Urkunde mit den vorhin erwähnten Klauseln. Wenn nun aber in dieser Urkunde stand, der Esel sei τ. τ. ἀ. verkauft worden, dann ergab sich für den Richter 6 J. Hermann, Verfügungsermächtigungen als Gestaltungselemente verschiedener griechischer Geschäftstypen, in: Symposion 1971, Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechts­ geschichte. Köln-Wien, 1975, 329. und H. J. Wolff, Hellenistisches Privatrecht, Zeitschr. d. Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Bd. 90, Romanist. Abtlg., 81. 7 J. Herrmann a. a. O.

Тοῦτον τοι῱υτον ἀναπόριφον in den Eselverkaufsurkunden aus Ägypten

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daraus, daß der Käufer keinen Klageschutz geltend machen konnte, weil er ja eine Sache erworben hatte, die der Verkäufer ausdrücklich unter Ausschluß der Rückgabemöglichkeit veräußert hatte, soweit das rechtlich überhaupt möglich war. Dazu gleich. Angesichts dieser Überlegungen zur prozessualen Situation ist es nicht verwunderlich, daß den Interessen des Veräußerers auch die zwar von ihm ausgestellte, aber jetzt in den Händen des Käufers befindliche Urkunde genügte, worin er das Tier für unrückgebbar erklärt hatte. Eine zum Verbleib in Händen des Veräußerers befindli­che Zweitschrift war somit nicht notwendig, der Veräußerer konnte unbedenklich einen Prozeß abwarten – wenn man von der Verfäl­schungsgefahr einmal absieht. IV. Ist somit leicht erklärbar, daß eine im Interesse des Veräuße­rers verabre­ dete – oder häufig von ihm wohl einfach diktierte – Klausel in eine zum Ver­ bleib beim Käufer bestimmte Urkunde Aufnahme fand, läßt sich das von dem Befund, daß eine Reihe von solchen Urkunden den Esel nicht als τ. τ. ἀ. be­ zeichnen, nicht sagen. Es fragt sich nämlich, wie dies zu deuten ist. War in den Texten ohne die τ. τ. ἀ.-Klausel die Rückgabe „möglich“, also vom Veräußerer nicht ausgeschlossen? Oder wurde der Ausschluß nicht erwähnt, weil er ohne­ hin als stillschweigend mitenthalten galt? Oder war die Klausel nicht aufge­ nommen worden, weil sie rechtlich ohne Belang war, die„Rückgabe“ also gar nicht ausgeschlossen werden konnte? Alle drei Deutungen erscheinen möglich. – Dieselbe Frage stellt sich übrigens auch bei den Kamel-Veräußerungen aus derselben Zeit, wo es ganz ähnlich liegt, allerdings mit einem dort noch größe­ ren Anteil von Urkunden ohne die τ. τ. ἀ.-Klausel8. Die einfachste Erklärung des Nebeneinanders von Texten mit und ohne Klausel wäre wohl die folgende Annahme: Die τ. τ. ἀ.-Klausel hatte keine rechtliche Bedeutung, weil das ex lege bestehende Rück­gaberecht, über des­ sen Voraussetzungen wir hier nicht spekulieren wollen, überhaupt nicht ausge­ schlossen werden konnte. Eine derartige Argumentation, die eine jahrhunder­ telang in Ägypten in Urkunden aufgenommene Klausel für rechtlich belanglos erklärt, ist erst jüngst zu lesen gewesen9. Diese Annahme würde die Frage nach dem Grund des Vorkommens bzw. Fehlens der Klausel in den Eselverkäufen überflüs­sig machen, man würde die Antwort in dem mehr oder weniger star­ 8 Übersicht in K. A. Worp, Einige Wiener Papyri, Amsterdam 1972. 92/ 93. 9 H. J. Wolff, Das Recht d. griechischen Papyri Ägyptens in der Zeit der Ptolemäer u. d. Prin­ zipats, Bd. 2: Organisation und Kontrolle des privaten Rechtsverkehrs (= Handbuch d. Alter­ stumswissenschaft, 10. Abtlg., 5. Teil, 2. Band), München 1978, 157 in bezug auf die KyriaKlausel.

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ken Streben der Urkundenverfasser nach Vollständigkeil und Absicherung in jeglicher Hinsicht zu suchen haben. Die Annahme, daß die Klausel, die fast nur bei Tier- und Sklavenveräußerungen begegnet10, ohne rechtliche Bedeutung ge­ wesen sei, sollte aber wohl so lange nicht bemüht werden, als eindeutige hand­ feste Beweise fehlen. Mehr als 300 Jahre würde sich doch eine solche Klausel kaum gehalten haben, zumal in Anbetracht der Abdingbarkei11 der römischen Sachmängel­vorschriften! Eine andere einfache Annahme wäre: Die τ. τ. ἀ.-Klausel konnte fortblei­ ben, weil man den – rechtlich erlaubten – Ausschluß der Rückgabemöglichkeit bei derartigen Tierverkäufen aufgrund langer Übung als inhärenten Bestand­ teil der Parteivereinbarungen ansah. D. h.: die ausdrückliche Erklärung als άναπόριφος war überflüssig, weil die Rückgabe ohnehin als in jedem Kontrakt durch Vereinbarung ausgeschlossen galt. Auch diese Theorie würde das Ne­ beneinander von Texten mit und ohne Klausel verständlich machen. Für eine derartige Argumentation kann ähnliches wie oben festgestellt werden: Auch sie war – freilich für eine andere Klausel – erst ganz kürzlich zu lesen, um das Fehlen häufig vorkommender Klauseln in manchen Texten zu erklären.12 Für ihre Richtigkeit in unserer Textgruppe könnte spre­chen, daß die Texte mit Klausel mit Fortschreiten der Zeit abneh­men13. Ich bin dennoch nicht von ih­ rer Richtigkeit überzeugt, weil wir es hier mit einer Negativ-Klausel zu tun haben. Es müßten, wie mir scheint, schon besondere Umstände vorliegen, da­ mit man annehmen kann, das häufige Fehlen einer die gesetzliche Regelung ausschließen­den Klausel sei darauf zurückzuführen, daß man den Ausschluß als regelmäßig vereinbart ansah. Dafür sind meines Erachtens bei den EselVerkäufen die Texte nach zu verschiedenen Formularen abgefaßt und zu unter­ schiedlich in ihrem Umfang. Die Palette reicht von kurzen Chirographa im IchStil (BGU III 806) über das sog. private Protokoll (Stud. Pal. XXII 20) – sogar gewisse „atypische“ (H. J. Wolff) Formen desselben (BGU II 413) – bis zur notariellen Urkunde im Er-Stil (P. Meyer 13) und zur Bankdiagraphe (BGU III 982). Der Umfang kann dreißig Zeilen ausmachen (P. Fayum 92) oder auch nur neun (BGU III 806) betragen. 10 L. Dorner, Zur Sachmängelhaftung beim gräko-ägyptischen Kauf. Diss. jur., Erlangen, 1974. 58. Mit drei Ausnahmen: PSA Athen 25, BGU XV 2477 u. Mich. IX 550, alles Käufe von Handmühlen. 11 S.u. 12 Vgl. H. A. Rupprecht zur βεβαίωσις-Klausel in den Studi in onore di Arnaldo Biscardi (Vol. III, 476 ff.) und Cesare Sanfilippo (III, 625f.), 1982 bzw. 1983 erschienen. AA. Dorner 46 auch für unsere Fallgruppe. 13 Dorner 60f.

Тοῦτον τοι῱υτον ἀναπόριφον in den Eselverkaufsurkunden aus Ägypten

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Es bleibt somit nur die oben als erste genannte Erklärungsmög­lichkeit übrig: Die Abwesenheit der Klausel bedeutet nichts anderes als wirklich das Feh­ len einer entsprechenden Ausschlußvereinba­rung. Eine solche Erklärung legt nichts in den Text hinein und ent­spricht der Lebenserfahrung, daß rechtsge­ schäftliche Urkunden nicht immer alle denkbaren und für den einen oder an­ deren Teil günstigen Klauseln enthalten, sondern daß solche fehlen können, weil entweder die Einfügung schlicht und einfach vergessen wurde oder der wirt­schaftlich stärkere Teil keinen Wert darauf gelegt hatte – etwa weil er dem anderen Teil vertraute oder z. B. seine Ware für so einwandfrei hielt, dass so etwas wie z. B. ein Sachmangel gar nicht vorkommen könnte, oder er sich mit dem Verlangen nach einer bestimmten Klausel nicht hatte durchsetzen können, das hieße hier, keinen Käufer für einen Abschluß unter τ. τ. ἀ.-Klausel gefun­ den hatte. Die Macht­lage der Parteien ist nicht immer gleich. Wenn allgemein ein Käufer­markt herrscht, besagt das nicht, daß bei jedem Kaufabschluß der Käufer der stärkere Teil ist. V. Kommen wir somit zu dem Ergebnis, die Texte mit τ. τ. ἀ.-Klausel seien am besten so zu verstehen, als sei darin wirklich etwas ausgeschlossen worden, fragt sich, was zufolge der Aufnahme der 3 Worte nicht gelten sollte. Offenbar ging es um eine Befugnis, das Kaufobjekt zurückzugeben, mit anderen Worten, den Kaufvertrag aufzulösen, wobei hier freilich dahingestellt bleiben muß, ob auch die Griechen dogmatisch so gesehen haben. Da kaum an ein willkürliches Rücktrittsrecht gedacht werden kann – derartige „Lösungsrechte“14 sind nur für Verkäufer überliefert – kommt m. E. nur eine Art Wandelung in Betracht, also Rückgängigmachung wegen eines Mangels der Kauf­sache. Daß es bei den Römern, den Herren Ägyptens zur Zeit unserer Urkunden, ein Recht des Käufers von Tieren gegeben hat, diese bei Vorhandensein gewis­ ser Krankheiten zurückzugeben, ist allgemein bekannt14. Dieses Recht der sog. ädilizischen Rechtsbehelfe lebt noch heute in unserem Allgemeinen Bürgerli­ chen Gesetzbuch fort (§ 932). Daß das Institut der Wandelung auch den Grie­ chen bei Tierverkäufen nicht fremd war, hat vor einigen Jahren Triantaphyllo­ poulos15 anhand von Feyels Publikation einer Inschrift aus Abdera16 und anderen Quellen gezeigt. Deshalb darf man, auch wenn aus dem Staat der Pto­ lemäer urkundliche Belege für eine Sachmängelgewähr nicht be­kannt sind17, 14 Vgl. M. Kaser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, 2. Auflage, München 1971. 558ff. 15 Scritti in onore di Edoardo Volterra V (1971), 697–719. 16 Bull. Corr. Hell. 66/67 (1942/43), 180–188. 17 E. Seidl, Ptolemäische Rechtsgeschichte, 2. Auflage, Glückstadt/Hamburg/New York 1962, 126.

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mit der Existenz solcher Vorschriften rechnen und ist nicht gezwungen, die erstmals aus der frühen Prinzipatszeit erhaltenen Kaufurkunden mit τ. τ. ἀ.Klausel auf römischen Einfluß zurückzu­führen, wenngleich das nicht sicher verneint werden kann. Es spricht daher vieles dafür, daß es bei der Klausel um den Ausschluß einer Befugnis des Käufers bei Auftreten von Sachmängeln, bei Eseln also wohl vor allem Krankheiten, ging. Der Ausschluß des Rückgabe­ rechts folgt klar aus dem von άπορίπτειν herzuleitenden Wort άναρόριφοσ. Unter welchen Voraussetzungen sollte aber das Recht zum άπορίπτειν aus­ geschlossen sein? Das muß in dem Wort τοιοῦτος stecken und dürfte meinen „so wie jetzt beschaffen“. Das verstehe ich so, daß das Tier in dem Zustand, in dem es sich im Moment der Urkundenerrichtung befindet, unrückgebbar sein soll. Allgemein wird es allerdings als ein Ausschluß jeglicher versteckter Män­ gel verstanden18. Gerade das scheinen mir aber die Worte nicht auszudrücken. Denn wenn sich z. B. einige Tage später eine Erkrankung zeigte, war das Tier nicht mehr „so beschaffen“ wie im Moment der Urkundenerrichtung, sondern verändert und deshalb schon nach dem Wortlaut die Befugnis zur Rückgabe nicht mehr versagt. Ich meine also, daß zwar wegen aller im Kaufzeitpunkt be­ reits sichtbaren Mängel die Rückgabe ausge­schlossen war, nicht aber für kurz danach auftretende. – Man würde das Wort τοιουτος ignorieren, würde man durch die Klausel τ. τ. ἀ. die Rückgabe für generell ausgeschlossen ansehen. Dagegen könnte letzteres für diejenigen Urkunden vertreten werden, die nur αναπόριφον und nicht τοàτον τοιοàτον enthalten19. Doch ist hier wohl eher an einen verkürzenden Sprachgebrauch zu denken20, ebenso wie in jenem Text, in dem wir nur τοàτην τοιοῦτοην lesen21, also ἀ fehlt. Welchen Vorteil brachte die Klausel dem Verkäufer? Alle Mängel, welche im Moment der Urkundenerrichtung vorhanden gewesen waren, konnten nicht mehr zur Rechtfertigung einer Rückgabe angeführt werden. Nur Abweichun­ gen vom Zustand im Moment des Kaufes zählten. Dem könnte man entge­ genhalten, wie das denn bewiesen werden sollte, da Zeugen in den Urkunden 18 Vgl. O. Gradenwitz, Einführung in die Papyruskunde, 1. Heft, Leipzig 1900, 60. M. J. Bry, Essai sur la vente dans les Papyrus Gréco-Egyptiens 1909, 295. E. Weiss, Ztschr. d. Sav. Stiftung f. Rechts­ geschichte, Romanist. Abtlg., XXXVII, 1916, 172. F. Pringsheim, The Greek Law of Sale, Weimar 1950, 488. C. Préaux, Chronique d’Egypte 37, 1962, 159. E. Seidl, Rechtsgeschichte Ägyptens als römischer Provinz, Sankt Augustin 1973, 184. J. Herrmann, Akten d. XIII. Internationalen Papyro­ logenkongresses, Marburg 1971; München 1974, 161. Dorner 33, 75/77 19 P. Stud. Pal. XXII 29 u. 170; Straßb. 504; Mich IX 551; Genf. II 46; Lond. II 331 (197) u. 466 (196). 20 So wohl auch Dorner 65. 21 P. BGU III 758.

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ja nicht aufgeführt sind. Dazu ist zunächst zu sagen, daß das dem sich auf die Klausel berufen­den Verkäufer gleichgültig sein konnte. Überdies besagt aber die Nichtnennung von Zeugen in den Urkunden ja nicht, dass keine Personen beim Geschäftsabschluß zugegen gewesen waren, die später als Zeugen für den Zustand benannt werden konnten. Schließlich aber brauchte der Käufer ja nur Zeugen für das Auftreten negativer Veränderungen in den Tagen nach dem Er­ werb beizubringen. Die Klausel war also einerseits für den Verkäufer günstig, andererseits für den Käufer nicht unakzeptabel. – Für den Rückgang der Klau­ selverwendung – soweit wir davon bei der Zufälligkeit unserer Überlieferung überhaupt sprechen dürfen – in den Jahrhunderten nach der Constitutio Antoni­ niana böte sich die folgende Erklärung an: Unter dem Einfluß des bekannter werdenden römischen Rechts könnte man bei Kennen und Kennenmüssen des Käufers22 einen Ausschluß der Rückgabemöglichkeit angenommen haben. Da­ mit aber war die Erklärung für τ. τ. ἀ. entbehrlich, nachdem dadurch nach dem obigen Deutungsvorschlag nichts anderes bewirkt wurde. Fehlte die Klausel, muß man annehmen, daß der Verkäufer sie entweder nicht hatte durchsetzen können oder aber keinen Wert darauf gelegt hatte. Das muß zur Folge gehabt haben, daß das Rückgaberecht uneingeschränkt ausgeübt werden konnte. Ob die Praktizierung der Klausel erst unter römischer Herrschaft aufgekom­ men ist, können wir wegen des Fehlens derartiger Urkunden aus der Ptolemä­ erzeit nicht sagen. Aber auch wenn wir das einmal als Hypothese annähmen, gestattete uns das keine Aussage darüber, ob dahinter römische Einflüsse an­ zunehmen sind; denn genauso gut hätte auch die gräko-ägyptische Praxis auf die Idee kommen können, daß die Einfügung einer derartigen Klausel für den Verkäufer Vorteile mit sich bringen konnte. VI. Noch eine weitere Bemerkung zu den τ. τ. ἀ.-Klauseln. Nach dem Recht von Abdera (Z. 3) konnte der Veräußerer die Möglichkeit der Rückgabe we­ gen eines Sachmangels offenbar durch ein προλέγειν abwenden23. Über ein προλέγειν dieser Art sagen nun interessanter­weise unsere Urkunden überhaupt nichts. Das ist seltsam; denn makel­los dürften die mit unseren Urkunden ver­ kauften Esel kaum alle gewesen sein. Es spricht daher manches dafür, einen Zusammenhang dieses Umstands mit der τ. τ. ἀ.-Klausel anzunehmen. Könnte man nicht in der Deklarierung des Esels als τ. τ. ἀ. sozusagen eine andere Form des vermißten προλέγειν erblicken? Indem der Verkäufer das Tier für in dem 22 Digesten 21, 1, 14, 10. 23 Triantaphyllopoulos 710.

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augenblicklichen Zustand unrückgebbar erklärte, tat er nichts anderes als alle sichtbaren Mängel anzusagen, nur in einer verkürzenden, die Einzelaufzählung ersparenden und den Käufer zum „Augen auf!“ auffordernden Formulierung. Denn die Rechtsfolge war ja dieselbe: Ausschluß der Haftung. Mir schiene eine derartige Entwicklung in der Handhabung der Sachmängelvor­ schriften durchaus vorstellbar. Wenn in Rom die Erfül­lung der sicherlich als lästig empfundenen Pflicht zum Offenbaren-Müssen vorhandener Fehler durch die Ver­ einbarung eines Haftungs­ausschlusses vermieden werden konnte24, warum sollte man sich nicht auch in Ägypten mit einer ähnlichen Praxis begnügt haben? Die Urkunden ohne τ. τ. ἀ.-Klausel wären dann als Verkäufe verstehen, in denen kein προλέγειν erfolgt war, der Verkäufer also keine Mängel bekannt­ gegeben hatte. VII. Wir müssen sonach wegen der nicht immer in die Urkunden aufgenom­ menen Klausel wohl davon ausgehen, dass es zu einer Rückgabe kommen konnte, obgleich es dafür meines Wissens keine Anzeichen in den Papyri gibt. Die sich an ein solches Geschehen knüpfenden Fragen scheinen allerdings kaum beantwortbar und können hier nur gestreift werden. Die Hauptprobleme lauten: Wie erlangte der Verkäufer das Eigentum am Esel zurück? Wozu war er aufgrund der Rückgabe verpflichtet? Die Antwort auf die erste Frage darf sicherlich nicht lauten: Mit der Rückgabe. Maßgeblich dürfte wohl die Rückzahlung des empfangenen Preises gewesen sein25, nur das entspricht den Vor­ stellungen der Griechen, so wie wir sie heute sehen.26 Herrmann sieht den Veräußerer nach berechtigter Rückgabe als zur Rück­ zahlung verpflichtet an, anderenfalls er sich einer δίκη βλάβης ausgesetzt gesehen habe. Auch insoweit teile ich seine Mei­nung, wenn ich auch hinsicht­ lich der zu diesem Ergebnis führenden juristischen Konstruktion mit ihm nicht übereinstimme, worauf näher einzugehen hier aber der Raum fehlt. Die βλάβη möchte ich hier in der Vorenthaltung des empfangenen Kaufprei­ ses sehen, so ähnlich, wie wir im Corpus Demosthenicum (XXXVI 20) lesen können: έβλαψέ μ´δ δεί άποδιδούς έμοί τό άργύριον … Es muß aber zugegeben werden, daß entsprechende Formulierungen in den Papyrusurkunden fehlen.27

24 Dig. 2, 14, 31 u. 21, 1, 28. 25 So auch J. Herrmann in einem Brief an mich v. 26. 3. 1984. 26 Vgl. auch mein Buch „Eigentum und Besitz im griechischen Recht des V. und IV. Jhs. v. Chr.“ Berlin, 1963. 27 Vgl. zur βλάβη Mummenthey, zur Geschichte des Begriffs βλάβη im attischen Recht, Diss. jur. Freiburg/Brsg., 1971.

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Ich möchte jedoch ausdrücklich bekennen, daß wir uns insoweit im Bereich reiner Hypothese befinden. Ich sehen keinen Text, der in diese Richtung deutet. Man darf z. B, wohl nicht mit Sicherheit ausschließen, daß der Verkäufer zu mehr als der bloßen Preisrückzah­lung verpflichtet gewesen sein könnte28. VIII. Man kann – oder besser muß – daher sagen: Die in Tier- und Sklaven­ veräußerungsurkunden der Prinzipatszeit so häufige τ.τ.ἀ.-Klausel macht uns bezüglich der Rechtsfolgen Kopfschmerzen, nicht nur insoweit sie auftritt, sondern auch wenn sie fehlt. Die wirklichen Auswirkungen eines Sachmangels auf die Vertragspartner im Ägypten der Kaiserzeit sind weitgehend unfaßbar. Meine Ausfüh­rungen sollen daher auch nur die Aufmerksamkeit erneut auf die­ ses Gebiet lenken und wieder einmal aufzeigen, wie wenig wir uns wirklich in viele Alltagsvorgänge der Zeit vor rund 1800 Jahren hineindenken können.

28 Das dürfte auch Dorner 99 annehmen, wenn er für möglich hält, daß nach einer berechtigten Rückgabe den Verkäufer die gleichen Rechtsfolgen wie im Falle eines Rechtsmangels getroffen haben, d. h. Haftung aus seiner Bebaiosis-Zusage.

ZUM USUCAPIONS-TITEL BEI VERMÄCHTNISSEN

I. Horst Heinrich Jakobs hat in seinem fördernden Beitrag in der Festschrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag die Ansicht vertreten, die klassischen Ju­ risten hätten bei den Usucapionstiteln zwischen notwendig gültigen causae auf der einen Seite und solchen Kausalgeschäften unterschieden, die lediglich vor­ genommen worden sein mußten, ohne daß es auf die Rechtswirksamkeit ange­ kommen wäre. Zu den erstgenannten hätten pro legato, pro dote und pro donato gehört, bei pro emptore und pro soluto sei es da­gegen auf die rechtliche Gültigkeit nicht angekommen. Bei vielen Diskussionen des Aufsatzes mit Grazer Studie­ renden – ebenso wie die Arbeit des hochverehrten Jubilars „Nochmals über Be­ sitz und Verschulden bei den actiones in rem“ ist auch „error falsae causae“ derzeit Pflichtlektüre für die Kandidaten des rechtshistorischen Rigorosums in Graz – hat sich mir die Frage gestellt, ob nicht der Titel pro legato auf der an­ deren Seite des Trennungsstrichs angesiedelt war, d.h. zur usucapio nicht auch ein u n g ü l t i g e s legatum a u s r e i c h e n d gewesen ist. Die Überlegungen, die mich dazu veranlaßt haben, sollen nachstehend zur Diskussion gestellt werden.

II. Überprüfen wir die von Jakobs angeführten Stellen, so finden wir eine Reihe von Texten, die seine Meinung nicht stützen, ja sogar zweifelhaft erscheinen lassen. Ulpian D. 41, 8, 1 (6 disput.)1 besagt lediglich, daß es eine usucapio pro legato nur für den gibt, dem etwas vermacht worden war. Daß das Legat g ü l ­ t i g sein müsse, sagt Ulpian n i c h t . Von ähnlich geringer Bedeutung ist der Paulus-Text D. 41, 8, 2 (54 ed.)2. Hier wird das Genügen des sogenannten Putativtitels abgelehnt, es ist die Rede von einer Person, der nichts vermacht wurde, die aber glaubt, es sei ihr etwas hinterlassen worden. Beide Texte können Jakobs’ Meinung, daß das Legat für die Ersitzung pro legato gültig gewesen sein müsse, n i c h t stützen, überdies zeigt der Paulus-Text, daß die Frage, ob ein Putativtitel ausreiche, auch in der 1 Legatorum nomine is videtur possidere cui legatum est: pro legato enim possessio et usucapio nulli alii, quam cui legatum est, competit. 2 Si possideam aliquam rem, quam putabam mihi legatam, cum non esset, pro legato non usucapiam.

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Spätklassik für das Legat noch diskutiert wurde. Seine Aufnahme in den Di­ gestentitel „pro legato“ dürfte bedeuten, daß das in der Zeit Justinians nicht anders war. Auch Pomponius D. 41, 10, 4, 2 (32 Sab.)3 braucht hier nicht näher betrach­ tet zu werden; denn einmal geht es darin um einen Fall, in dem hinsichtlich des übergebenen Gegenstandes ein Vermächtnis nicht einmal angeordnet worden war, zum anderen wird die Ersitzung unter pro suo-Titel und nicht pro legato zugelassen, worum es uns hier geht. Nun zu jenen Texten, die nicht nur nicht für Jakobs sprechen, sondern so­ gar Zweifel an der Richtigkeit seiner These erwecken. Da ist einmal Paulus D. 41, 8, 4 (54 ed.)4, nach Jakobs S. 86 sicher interpoliert. Dieser Text behandelt mehrere Fälle: Zunächst den Fall eines widerrufenen Legats: Die usucapio pro legato wird zugelassen, was klar gegen die Notwendigkeit der Wirksamkeit des Legats spricht. Daran ist ein Sachverhalt angeschlossen, in dem es Zweifel über die Identität des Legatars gab. Zum Legatar war ein Titius berufen, es gab aber neben dem bedachten Titius einen anderen Titius, der fest überzeugt war, daß der Erblasser ihn gemeint hatte. Wenn der Erbe jetzt – so muß man den Sachverhalt ergänzen – einem der beiden den Gegenstand übergab, konnte dieser ersitzen. Daß auch der in Wahrheit – aber nicht erkennbar – Bedachte der usucapio bedurfte, wird auf Ungültigkeit des Legats wegen Nichtbestimmbar­ keit beruhen (vgl. Ulpian D. 34, 4, 3, 7 und 34, 5, 10 pr.)5. Auch diesen Unter­ fall von 41, 8, 4 wird man kaum als einen Beleg für notwendige Wirksam­keit des Legats verstehen können. Das gilt aber noch mehr für den dritten in dem Paulus-Text besprochenen Fall: Die Hinterlassung einer res aliena per vindicationem. Denn auch das ist für die Klassiker ohne Zweifel kein wirksames Legat gewesen6, wenngleich wegen des SC Neronianum vielleicht ein genügender Er­ sitzungstitel pro legato7. 3 Quod legatum non sit, ab herede tamnen perperam traditum sit, placet a legatario usucapi, quia pro suo possidet. 4 Pro legato potest usucapi, si res aliena legata sit aut testatoris quidem sit, sed adempta codicillis igno­ratur: in horum enim persona subest iusta causa, quae sufficit ad usucapionem. idem potest dici et si in nomine erit dubitatio, veluti sii Titio legatum sit, cum sint duo Titii, ut alter eorum de se cogitatum existimaverit. 5 § 7 (24 ad Sab.): Si duobus Titiis separatim legaverit et uni ademerit nec appareat, cui ademptum sit, utrique legatum debetur, quemadmodum et in dando, si non appareat, cui datum sit, dicemus neutri legatum. – 10 pr. (6 disp.): … sed et si legatum Sempronio amico fuerit relictum, et duo sint aequa caritate coniuncti? …et verius est in his omnibus etiam legata impediri … 6 Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht I2 (1971) 746 A. 43. 7 Vgl. Kaser, SZ 67 (1950) 330 A. 19, und Ciapessoni, Studi Bonfante III (1930) 693.

Zum Usucapions-Titel bei Vermächtnissen

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Der nächste Text wäre Hermogenianus D. 41, 8, 9 (5 iur. epit.)8, ein Text, der m. E. klar gegen die Wirksamkeitsthese spricht. Hier geht es nochmals um den Fall des widerrufenen Vermächtnisses. Es wird zwar eingeräumt, daß es darüber verschiedene Ansichten gegeben habe, dennoch aber die usucapio pro legato zugelassen, und zwar unter Einbeziehung solcher Fälle, in denen etwas non iure legatum relinquatur. Natürlich kann es sich dabei um einen späteren Zusatz handeln, was Jakobs S. 87 für wahr­scheinlich hält9. Der Hinweis auf die varietates zeigt aber wohl doch, daß die Frage lange umstritten war. Als Verfechter einer Gegenmeinung konnten wir etwa jenen Namenlosen, von dem gleich die Rede sein wird, anführen, der möglicherweise in D. 41, 3, 27 den Ulpian-Text bei dem Referat über die Ansicht des Celsus um dos und legatum erweiterte und offenbar Gültigkeit des Legats verlangt hat. Nur bezüglich eines Textes muß zugegeben werden, daß er zumindest beim ersten Anschein für Jakobs spricht. Ich meine Ulpian D. 41, 3, 27 (31 Sab.)10. Jakobs erklärt (S. 73ff.) diesen Test wie folgt: Der gutgläubige possessor einer Sache weiß nicht, ob er diese gekauft oder geschenkt erhalten hat. Die Ver­ treter der von Celsus bekämpften Meinung ließen für einen solchen Fall die usucapio pro suo zu, offenbar weil ihnen genügte, daß eine der beiden causae jedenfalls zutraf. Celsus verneint dies vehement, nach Jakobs deshalb, weil die usucapio pro donato eine gültige Schenkung vorausgesetzt habe, die von Celsus bekämpfte Meinung also dazu hätte führen können, daß jemand auf­ grund nichtiger Schenkung ersaß. Hält man diese Erklärung für über­zeugend, muß natürlich Celsus die Tatbestandselemente für die Ersitzungen pro emptore und pro donato verschieden gesehen haben. Daß jedoch schon Celsus in diesem Zu­sammenhang auch dos und legatum erwähnt hat, hält Jakobs für zumindest nicht sicher, da das für die Argumentation unwesentlich gewesen sei. Aber gleichgültig ob Celsus selbst oder ein Späterer11 dos und legatum in diesem Zusammenhang genannt hat, für Jakobs spricht, daß der Verfasser des Textes, so wie er in den Digesten steht, die Voraussetzungen für donatio, dos 18 Pro legato usucapit, cui recte legatum relictum est: sed et si non iure legatum relinquatur vel legatum ademptum est, pro legato usucapi post magnas varietates optinuit. 19 Voci, SD 15 (1949) 167, sieht in recte und non iure die Fälle des Neronianum angesprochen. 10 Celsus libro trigensimo quarto errare eos ait, qui existimarent, cuius rei quisque bona fide adeptus sit possessionem, pro suo usucapere eum posse nihil referre, emerit nec ne, donalum sit nec ne, si modo emptum vel donatum sìbì existimaverit, quia neque pro legato neque pro donato neque pro dote usucapio valeat, si nulla donatio, nulla dos, nullum legatum sit. idem et in litis aestimatione placet, ut, nisi vere quis litis aestimationem subierit, usucapere non possit. 11 Wie z. B. von Lübtow in der Festschrift der juristischen Fakultät der Freien Universität Berlin zum 41. Deutschen Juristentag in Berlin 1955, 158 annimmt.

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und legatum gleich gesehen haben muß, sonst wäre seine Argumentation un­ verständlich. Es fragt sich nur, worin er diese Gleichheit gesehen hat, und be­ sagt nichts über die herrschende Meinung unter den Klassikern und in späterer Zeit. Jakobs kann also allenfalls sagen, die Digestenversion von D. 41, 3, 27 vermöge seine Ansicht zu stützen12. Er hat dabei aber wohl übersehen, daß man Celsus auch anders verstehen kann. Nulla donatio spricht ja eher für die Über­ setzung „keine“ donatio als für „nichtige“ donatio13. Übersetzt man aber so, stellt sich die Frage, warum Celsus dann hier widersprochen hat, warum man es seiner Meinung nach nicht dahingestellt sein lassen konnte, ob emptio oder donatio vorlag. Dazu könnten die von Jakobs ausführlich behandelten errorFälle Anlaß gewesen sein. Sie zeigen uns, daß manche Juristen geneigt waren, den G l a u b e n des Possessors an einen Kauf genügen zu lassen, auch wenn in Wahrheit überhaupt kein kaufweiser Erwerb vor­gelegen hatte, nicht einmal ein unwirksames Kaufgeschäft getätigt worden war14. Für dos, donatio und legatum aber waren die Juristen offenbar der gegen­ teiligen Meinung; denn in den Quellen findet sich kein Anzeichen für diese ersitzungsfreundliche Hand­habung gegenüber dos, donatio und legatum. Cel­ sus könnte deshalb gemeint haben, der bloße Glaube „gekauft oder geschenkt“ dürfe nicht für ausreichend erachtet werden, weil die bloße Annahme zwar bei einem Kauf, aber nicht bei einer donatio toleriert werden dürfe. Hat aber Celsus so gedacht und deshalb die Ansichten der Ungenannten kritisiert, hat der Text mit unserem Problem überhaupt nichts zu tun und dürfte nicht einmal für die hier nicht zur Diskussion stehende Notwendigkeit der Gültigkeit bei der pro donato-Ersitzung herangezogen werden15, geschweige denn für pro dote und pro legato. Angesichts dieses Quellenstandes kann man wohl kaum behaupten, die Klassiker hätten zur usucapio pro legato ein wirksames Vermächtnis gefordert, 12 Der so in den Digesten stehende Text ist übrigens ein deutlicher Beweis für die schlechte Ge­ samtredaktion der „Zettel“ der drei Unterkommissionen. Niemandem ist offenbar auf­gefallen, daß D. 41, 3, 27 zu 41, 8, 4 und 9 in Widerspruch steht. Interessanterweise stammt jede der 3 Stellen übrigens aus dem „Zettelstoß“ einer anderen Unterkommission! 13 Auch Hausmaninger übersetzt im Casebook zum römischen Sachenrecht4 (1980) 132 ,,keine Schenkung“. 14 Vgl. D. 41, 4, 11 und 41, 10, 5, 1. 15 Daß man zur Zeit Justinians keinen großen Unterschied in den Voraussetzungen für pro emptore und pro donato gesehen hat, scheint mir die Nebeneinanderstellung von Kauf und Schenkung in Inst. 2, 6, 11 (Error autem falsae causae usucapionem non parit. veluti si quis, cum non emerit, emisse se existimans possideat: vel cum ei donatum non fuerat, quasi ex donatione possideat.) zu zeigen.

Zum Usucapions-Titel bei Vermächtnissen

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sondern allenfalls im Hinblick auf D. 41, 3, 27 sagen, Celsus und Ulpian könn­ ten dieser Ansicht ge­wesen sein. Aber selbst das ist keineswegs sicher, wie wir eben gesehen haben.

III. Gehen wir dagegen von der Annahme aus, man hätte sich mit einem zugunsten des Ersitzenden einmal wirklich angeordneten Legat begnügt, dessen Gültig­ keit im Moment der Überhändigung des vermachten Gegenstandes aber als unwesentlich angesehen16, kommen wir zu einem harmonischen Textverständ­ nis. Es kam dann nicht darauf an, ob das Legat je rechtswirksam gewesen war, ob der Gegenstand vielleicht eine res aliena gewesen war, ob es widerrufen wurde, oder ob der Bedachte eindeutig identi­fizierbar war. Das alles spielte keine Rolle: Wenn der im Testament als vermacht genannte Gegenstand17 vom Erben übergeben wurde, konnte pro legatoersessen werden. Das würde den Titel pro legato den Titeln pro soluto und pro emptore zu­ gesellen, da­gegen von pro donato und pro dote entfernen und gut zu der Be­ obachtung passen, daß in den Digesten in den Titeln 41, 6 und 41, 9 zwar für die Ersitzung pro donato und pro dote ausgesprochen ist, daß donatio und dos wirksam sein müßten, nämlich in 41, 6, 1, 118 und 41, 9, 1, 419, nicht aber für das Legat im Titel 41, 8! Unklarheiten bleiben freilich auch unter dieser Annahme, z.B. warum bei der Endredaktion des Digestentitels 41, 8 als lex 3 das Papinian-Fragment (23 quaest.) non magis quam si quis emptum existimet, quod non emerit textlich anknüpfend an die Ab­lehnung eines Putativtitels pro legato (lex 2) eingestellt worden ist20. Denn die Ab­lehnung eines Putativtitels beim Kauf gehörte ja nicht 16 Ich will mit meinen Ausführungen keineswegs behaupten, daß diese Meinung neu ist; man vergleiche nur die eingehenden Darlegungen bei Fitting, AcP 52 = NF 2 (1869) 26 ff. 17 Der Fall der Übergabe eines anderen, also falschen Gegenstandes führte ja zur pro suo- und nicht zur pro legato-Ersitzung (D. 41, 10, 4, 2), 18 Si pater filio quem in potestate habet donet, deinde decedat, filiuis pro donato non capiet usu, quoniam nulla donatio fuit. 19 Idem scribit et si putavit maritus esse sibi matrimonium, cum non esset, usucapere eum non posse, quia nulla dos sit: quae sententia habet rationem. 20 Eine ähnliche Verknüpfung begegnet in dem kurzen Titel übrigens auch bei den leges 5 und 6, hat aber dort ihren Sinn: (5) Ea res, quae legati nomine tradita est, quamvis dominus eius vivat, legatorum tamen nomine usucapietur. (6) Si is, cui tradita est, mortui esse existimaverit. Es fragt sich freilich, warum man lex 6 bei Pomponius entnahm. Stand über die Vorstellung des Legatars bei Javolen (lex 5) nichts?

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nur nicht hierher, sondern war auch durch die Anerkennung der Fälle von error falsae causae gelockert. Die Ähnlich­keit zwischen den Titeln pro emptore und pro legato bestand also nur in dem Nicht-verlangt-Werden einer wirksamen causa. Selbst die Erklärung Mayer-Malys21, die Verbindung der beiden Texte sei wohl schon früher erfolgt, hilft da nicht weiter; denn dann müßte man fra­ gen, warum die Verbindung nicht gelöst worden ist.

IV. Jakobs’ These, das Problem für die römischen Juristen sei nicht der Putativ­ titel gewesen, sondern der error falsae causae, berührt meine These nur in­ sofern, als ich mich frage, ob der Fall der beiden Titii (41, 8, 4) wirklich als ein „Grenzfall“ verstanden und sein Charakter als Ausnahme von der Regel geleugnet werden darf22. Ich meine, die Antwort muß „nein“ lauten. Zugunsten des einen Titius wird die usucapio pro legato trotz eines bloß angenommenen Titels zugelassen. Das ist kein Grenzfall wie bei den ampliores fines in D. 41, 4, 2, 623. Es ist auch kein error im oben erwähnten Sinne24, sondern nur ähnliches, nämlich die auf einem error beruhende Annahme, der Bedachte zu sein, mög­ licherweise bestärkt durch die Überhändigung des vermachten Gegenstandes durch den Erben. Man könnte vielleicht von einem „error falsae personae“ sprechen. Aber es bleibt ein Putativ-Titel25, was neben den bereits genannten Gründen dafür spricht, daß der Ersitzungstitel pro legato zu jenen Titeln zu zählen ist, bei denen man weniger strenge Erfordernisse aufgestellt hat.

21 Das Putativtitelproblem bei der usucapio (1962) 85. 22 So Jakobs S. 96. 23 Sed si fundus emptus sit et ampliores fines possessi sint, totum [longo tempore] (usu) capi, quoniam universitas eius possideatur, non singuale partes. Vgl. Jakobs S. 6l. 24 v. Lübtow (A. 11) 160 meint, der „nachklassische Bearbeiter“ habe hier einen entschuld­baren Irrtum angenommen. Davon steht im Text aber nichts! 25 Nach Fitting (A. 16) 34 müsse Paulus das freilich anders gesehen haben, da er nach 41, 8, 2 zu den Gegnern des Putativtitels gezählt werden müsse.

FRAGEN DES KAISERZEITLICHEN STÄDTEWESENS AUF GRUND NEUER FUNDE AUF DER IBERISCHEN HALBINSEL

In der Festschrift für den hier Geehrten zum 60. Geburtstag1 haben Ekkehard Weber2 und ich3 uns mit der Frage der Latinität der vorflavischen Munizipien der römischen Provinz Noricum beschäftigt. Weber hielt sie für möglich, ich habe mich im entgegengesetzten Sinne geäußert. Aus anderen Gründen hat sich kürzlich P. Le Roux gegen die Latinität ausgesprochen4; als für den latinischen Charakter streitend kann man cum grano salis J. Gonzales5 und T. GimenezGonzales6 nennen, insofern sie die These von Saumagne7, daß alle kaiserzeit­ lichen Munizipien solche latinischen Rechts waren, unterstützen – freilich nur für die Zeit bis einschließlich der Herr­schaft des Kaisers Tiberius. Bezüglich unserer Kenntnisse des Rechts der Munizipien haben wir in den vergangenen 10 Jahren einen bedeutenden Schritt vorwärts tun können, ins­ besondere durch die Auffindung mehrerer Bronzetafeln mit Textteilen eines „flavischen Munizipalstatuts“ in Spanien, deren Inhalt man heute lex Irnitana nennt.8 Die neu entdeckten Texte überschneiden sich teilweise mit denen der sogenannten leges Salpensana und Malacitana, bringen aber auch viel Neues, vor allem den gesamten Rest des Statuts anschließend an § 68 des fragmentum Malacitanum. Die Übereinstimmung der sich überschnei­denden Teile ist fast wörtlich, so daß A. d’Ors eine „lex Flavia municipalis“ als Vorlage annimmt.9 Nachdem zumindest auch für das flavische Munizipium Solva ein Statut nach diesem Modell angenommen werden kann, möchte ich im folgenden einige Punkte der neugefundenen Teile des Munizipialstatuts beleuchten und hoffe damit dem Geehrten, der mir häufig sein Interesse an der Austria Romana bekundet hat, eine kleine Freude zu bereiten.

1 Festschrift Hermann Baltl, Innsbruck 1978. 2 S. 519 ff. 3 S. 323 ff. 4 Municipe et droit latin en Hispania sous l’Empire, in RHD 64 (1986), 325ff. 5 Tabula Siarensis, fortunales Siarenses et municipia civium Romanorum, in ZPE 55 (1984) S. 88. 6 La „Lex Irnitana“. Une nouvelle loi municipale de la Bétique, in RIDA 30 (1983), S. 125 ff. 7 Le droit latin et les cités Romaines sous l’empire, Paris 1965. 8 Jetzt endlich ediert mit Übersetzung und Kommentar in JRS 76 (1986) S. 147 ff., wo übrigens auch die Statut-Fragmente aus Lauriacum als Appendix 2 abgedruckt sind (S. 24112). Dazu auch d’Ors in SDHI 50 (1984) S. 192/6. 9 Nuevos datos de la ley Irnitana sobre jurisdicción municipal, in SDHI 49 (1983) S. 23.

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Zuvor möchte ich aber noch eine auf Grund der Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte und der Neufunde von dem bereits genannten Ge­lehrten Le Roux aufgestellte These10 kurz skizzieren. Er meint, die Munizipien vor den flavischen Kaisern seien – möglicherweise mit ganz wenigen Ausnahmen – solche römischen Rechts gewesen. Die flavischen Kaiser hätten dann als neuen Typ das municipium Latinum geschaffen, das mög­licherweise seit dieser Zeit die einzige Form des Munizipiums in den Pro­vinzen geworden sei. Für Le Roux spricht u. a., daß in § 30 der lex Irnitana erstmals der Terminus „municipium Latinum“ inschriftlich überliefert ist, gegen ihn läßt sich anfüh­ ren, daß für die Zeit nach Kaiser Vespasian keine ganze Territo­rien umfassende Verleihungen des ius Latii mehr überliefert sind. Doch will ich auf diese Frage hier nicht weiter eingehen. I. Die beiden ersten Paragraphen des Neufundes sind sozusagen der letzte Teil von dem, was vor den uns erhaltenen Teilen der sogenannten lex Salpen­ sana11 fehlt. Es handeln § 19 von den Ädilen und § 20 von den Quästoren, so daß man vermuten kann, daß davor, in dem noch immer fehlenden Teil des flavischen Munizipalstatuts, die Duoviri behandelt waren. Die §§ 19 und 20 sind deshalb von großem Interesse, weil sie uns genau mit den Aufgaben und Befugnissen der Ädilen und Quästoren eines lati­nischen Munizipiums bekannt machen. Die Aufgaben der Ädilen werden wie folgt be­ schrieben: „Annonam aedes sacras locra sacra religiosa oppidum vias vicos cloacas balnea macellum pondera mensurasve exigendi aequandi, vigilias cum res desiderabit exigendi … item pignus capiendi … item multam dicendi, damnum dandi … ius potestamque habento.“12 Dazu kamen noch jene Aufgaben, welche die Dekurionen den Ädilen über­ trugen. Ferner ist den Ädilen eine iurisdictio bis zur Höhe von 1000 HS13 und das Recht zur Bestellung eines iudex bzw. von Rekuperatoren zuerkannt „de is rebus et inter eos, de quibus et inter quos duumvirorum iurisdictio erit“. Das ist insofern autfallend, als offenbar diese jurisdiktionellen Befugnisse keinen Ausschnitt aus den Befugnissen der Duumviri darstellen, wie etwa in Rom die der Ädilen aus der der Prätoren, sondern den gleichen Umfang haben. Auch

10 RHD 64 (1986) S. 340ff. 11 Fontes iuris Romani anteiustiniani, Pars prima, Leges (iterum edidit S. Riccobono), Florentiae 1941, No. 23. 12 Text nach Gonzales (o. Anm. 8). 13 Von Mommsen, Die Stadtrechte der latinischen Gemeinden Salpensa und Malaca in der Provinz Baetica (= Gesammelte Schriften I, 1 [Berlin 1905]) S. 335 „erraten“.

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aus den anderen überlieferten Bestimmungen des flavischen Munizipalstatuts ist keine derartige Beschränkung zu entnehmen. Im Gegenteil, im § 84 über die gerichtlichen Streitigkeiten ist ausdrücklich für Streitwerte von 1000 HS und darunter der Ädil neben dem Duovir genannt. – Ich muß zugeben, daß es mir schwerfällt anzunehmen, die Parteien hätten die Wahl gehabt, ob sie vor dem obersten Beamten der Stadt oder dem Ädil prozes­sieren wollten, insbe­ sondere dann, wenn es sich um eine Streitigkeit aus einem Geschäft auf dem macellum handelte, also eine Marktangelegenheit, die ausdrücklich zu den Aufgaben des Ädil gehörte. Ich vermag allerdings keinen Abschnitt des Sta­ tuts für meine Überzeugung anzuführen. Deshalb spricht sich offenbar auch Gonzales in seinem Kommentar14 S. 201 unten für konkurrierende Zustän­ digkeit aus. Ein Unterschied in der iurisdictio dürfte freilich insoweit bestanden haben, als vor einem Ädil niemals über einen Streitwert von mehr als 1000 HS pro­ zessiert werden konnte, was offenbar vor dem Duovir bei Einverständnis der Parteien möglich war. Für die Quästoren heißt es: „Pecuniam communem municipium eius municipii exigendi erogandi custodiendi administrandi dispensandi arbitratu duumvirorum ius potestasque esto.“ Eine iurisdictio ist den Quästoren nicht eingeräumt, ihnen fehlt auch die Befugnis, eine Mult zu verhängen, Pfänder zu nehmen usw. Was diese Verteilung der Aufgaben der Verwaltung und der Rechts­pflege unter die städtischen Beamten anbelangt, so enthalten die beiden Paragraphen zugegebenermaßen wenig Neues, aber in ihrer originalen Zusammenstellung sind sie wohl einmalig. Besser wäre es natürlich, wir besäßen auch den wei­ ter vorne im Statut zu vermutenden Abschnitt über die Aufgaben der obersten Stadtmagistrate! II. In dem eben genannten Art. 84 über die iurisdictio der städtischen Beam­ ten sind als prozeßführungsberechtigt neben den municipes auch die incolae genannt, und zwar ohne Einschränkung. D. h., daß alle incolae des Munici­ piums wie die municipes vor den städtischen Beamten klagen und verklagt werden konnten. Der Gerichtsstand des Wohnsitzes ist somit im Statut aus­ drücklich verankert. Der incola ist überhaupt den Normen des Stadtstatuts des Municipiums in dem er wohnt, unterworfen, wie sich in Übereinstimmung mit Dig. 50, 1, 29 im § 94 ausdrücklich ausgesprochen findet: „Huic legi uti municipes parere debuerint, ita eius municipi incolae parento.“ 14 JRS 76 (1986) S. 200 ff.

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Der Kreis der dem städtischen Recht unterworfenen Personen reicht aber in mindestens einer Beziehung noch weiter, nämlich bei der sogenannten munitio. Es handelt sich dabei um die Leistung von sogenannten Hand- und Spanndien­ sten bei öffentlichen Bauvorhaben. § 83 bestimmt nämlich, daß eine von der Curia beschlossene derartige Leistungspflicht zu erfüllen haben „quicumque municipes incolaeve eius municipi erunt aut intra fines municipi eius habitabunt agrum agrosve habebunt, ii omnes eas operas dare facere praestareque debento“. D. h., die Dienstleistungspflicht betrifft nicht nur Bürger und inco­ lae, sondern auch alle Personen, die innerhalb der Grenzen des Municipiums wohnen, ohne incolae zu sein, oder auch dort nur einen Acker besitzen. Das geht über § 98 des Statuts der spanischen Colonia Genetiva Iulia15 hinaus, wo von „domicilium praediumve habebit“ die Rede ist. III. Keine wesentlich neuen Erkenntnisse bringt mit sich, daß wir nun über den vollständigen Text von § 21 verfügen. Bislang fehlte in der lex Salpen­ sana der Anfang dieses Paragraphen, er war von Mommsen ergänzt worden16, und zwar, wie sich nunmehr herausgestellt hat, unrichtig. Mommsen hatte wohl nicht voraussehen können, daß hier keine Aufzählung derjenigen Ämter enthal­ ten war, durch deren Absolvierung man die civitas Romana erlangte, sondern daß es nur heißt, „magistratus, uti hac lege comprehensum est, creat sunt erunt, ii, cum eo honore abierint“, wobei das abierint bereits in der lex Salpensana sicher gelesen war. Die eigentliche Überraschung besteht darin, daß der Text wie folgt beginnt: „Qui ex senatoribus decurionibus conscriptisve municipii Flavi Irnitani.“ – Dann geht es weiter wie eben zitiert „magistratus uti hac lege“ usw. – Das besagt nämlich, daß die Mitglieder der curia in dem Städtchen offenbar früher als senatores bezeichnet worden waren. Das ist für die spani­ schen Provinzen keine Überraschung17, kann aber auch nicht mit Sicherheit für jedes Gemeinwesen behauptet werden. Daß es in Zukunft keine Senatoren mehr geben soll, und die im Moment der Publizierung des Statuts amtierenden Senatoren sozu­sagen in den Status von Dekurionen überführt werden, ergibt sich aus § 30. Unverändert gegenüber der aus der lex Salpensana bekannten Fassung ist der Rest des Textes des § 21. Danach kann es nunmehr keine Zweifel mehr ge­

15 Abgedruckt in Fontes (o. Anm. 11) als Nr. 21, dazu Mommsen in Gesammelte Schriften I, 1 S. 194 ff. 16 A. a. O. S. 267. 17 Vgl. H. Galsterer, Untersuchungen zum römischen Städtewesen auf der Iberischen Halbin­ sel (= Madrider Forschungen des Deutschen Archäologischen Instituts Band 8), Berlin 1971, S. 51 ff.

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ben, daß die civitas erst erlangt wurde, wenn die Amtszeit beendet worden war (abierint), also nicht bereits mit Amtsantritt. Andererseits bleibt auch mit dem neuen Fund in der Hand die Bedeu­tung des Schlußsatzes des Paragraphen18 „dum ne plures cives Romani sint, quam quod ex hac lege magistratus crevare oportet“ unklar. H. Wolff19, der sich zuletzt mit diesem Text beschäftigt hat, meint, weil „sint“ und nicht „fiant“ gesehrieben ist, bedeute der Text keine Beschrän­kung auf einen Posteninhaber pro Jahr. Die zahlenmäßige Einschränkung ziele auch nicht auf die Familienangehörigen, weil diese Zahl unvorherseh­bar gewesen sei. – Das ist sicher richtig, soweit die Gesamtzahl der Ange­hörigen aller Magi­ strate zusammen angenommen wird. Möglich erscheint mir jedoch der Bezug auf die Zahl der Angehörigen eines Magistrates. Nehmen wir an, in Irni waren pro Jahr 2 Duumviri, 2 Ädilen und 2 Quästoren zu wählen. Dann konnten nach dem dum-Satz neben jedem von diesen nur 5 Angehörige seiner Familie cives werden. Das wäre eine ver­ständliche Begrenzung gewesen. – Wenn H. Wolff jedoch weiter meint, der Zweck des Textes sei vielmehr, die Angehörigen von solchen Magistra­ten auszuschließen, die bereits als cives in das Amt gewählt wurden, kann ihm schwerlich gefolgt werden. Schon wie sich das aus seiner Übersetzung „sofern nicht mehr (Magistrate) römische Bürger sind, als wie viele (sc. Personen) aufgrund dieses Gesetzes zu Magistraten gewählt werden dürfen“ ergeben soll, ist mir unklar. Erwarten sollte man doch „ausgenommen, einer der creati war bereits vor dem abire civis Romanus“. In einem solchen Falle würden aber wohl die Angehörigen in der Regel auch schon cives gewe­ sen sein. Aber selbst wenn das nicht so war, welcher Anlaß sollte bestanden haben, die Angehörigen eines solchen Römers quasi zu bestrafen? – Für die traditionelle Deutung des Schlußsatzes „nicht mehr Familien, als planmäßig Magistrate pro Jahr zu wählen sind“ tritt der Kommentator Gonzales unter Berufung auf Mommsen ein.20 IV. Mit dem Wechsel in den Status eines civis Romanus zufolge Äm­ter­ beklei­dung ergab sich das Problem, welchen Einfluß dieser Wechsel auf eine etwa bestehende Beziehung zwischen Herrn und Freigelassenem ha­ben sollte. Dazu wußten wir bereits aus § 23 des fragmentum Salpensanum, daß die Pa­ tronatsrechte der Neubürger über ihre und ihrer Eltern Freigelassenen unverän­ dert bleiben sollten. Keine Bestimmung war jedoch für solche Fälle erhalten, 18 Mommsen S. 299 Anm. 38: „Die ziemlich dunklen Schlußworte“. 19 Kriterien für latinische und römische Städte in Gallien und Germanien …, in Bonner Jahrbü­ cher 176 (1976) S. 65. 20 JRS a. a. O. S. 204.

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daß auch der Freigelassene oder nur der libertus die civitas erlangt hatte, z. B. dadurch, daß sein Ehegatte oder Sohn – er selbst konnte ja nicht, wie sich aus Malacitana21 § 54 ergibt – ein Amt bekleidet hatte. Dies finden wir nun im § 97 der lex Irnitana dahin geregelt, daß solche Freigelassenen und ihre bona den gleichen Rechten ihrer Freilasser unter­lagen wie bisher, auch wenn der Frei­ lasser nicht gleichfalls civis geworden war. D. h. u. a. also, ein Latinus konnte Patron eines civis sein, die neue „Standeszugehörigkeit“ (ein Ausdruck von D. Nörr in Tijdschrift 31 [1963] 588) änderte nichts am Inhalt des Patronatsver­ hältnisses. Das ist insofern bemerkenswert, als für Römer die tutela legitima über einen unmündigen libertus an das Bürgerrecht des Freilassers gebunden war22, also gleiches Bürgerrecht bei Patron und Freigelassenem vorhanden sein mußte. Aber wir sind hier eben im Bereich latinischen und nicht römischen ius civile. – Für den Fall, daß auch der manumissor die civitas erlangt hatte, bestimmt Art. 97, daß der Inhalt des Patronatsverhältnisses nicht nur weiter be­ stand, sondern nunmehr nach römischem Recht zu beurteilen sei: „Si a civibus Romanis manumissi essent.“ – Ausdrücklich stellt übrigens das Statut klar, daß das Gesagte auch gegenüber weiblichen Patronen galt. V. Verweilen wir noch einen Augenblick beim Thema Freilassung. Die lex Salpensana enthält nur eine Bestimmung für Manumissionen vor den obersten Beamten der Stadt durch einen „municeps, qui Latinus erit“ (§ 28). Entsprechende Bestimmungen über Freilassungen durch domini, die munici­ pes cives Romani oder incolae waren, besitzen wir nicht. Auch der Neufund enthält nichts darüber, so daß es wohl bei der herrschenden Meinung bleiben muß, daß im latinischen Municipium weder römische Bürger noch incolae vor den Stadtmagistraten freilassen konnten23, was natürlich nicht besagen soll, daß sie überhaupt nicht manumittieren konn­ten. Für die incolae muß sich das nach ihrem Heimatrecht gerichtet haben, für die römischen Bürger nach dem ius ci­ vile. D. h., testamentarische Frei­lassungen dürften beispielsweise für letztere möglich gewesen sein, ohne das Municipium zu verlassen. Erfahren wir somit diesbezüglich nichts Neues, so verhält es sich anders mit der manumissio von Gemeindesklaven (§ 72 der lex Irnitana). Wir wollen hier freilich nicht das diesbezügliche Verfahren – Beschluß der Dekurionen mit qualifizierter Mehrheit von zwei Dritteln der mindestens zu zwei Drittel 21 Jüngste Textabdrucke: in JRS 76 zusammen mit der lex Irnitana und bei T. Sptizl, Lex munici­ pii Malacitani (=Vestigia Band 36), München 1984. 22 Kaser, Das römische Privatrecht I, 2. Auflage (= Handbuch der Altertumswissenschaft III/3/1), München 1971, S. 356. 23 Vgl. Gonzales im im Kommentar zur lex Irnitana S. 206 unter Berufung auf Mommsen.

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Versammelten usw. – sondern nur die Folgen für den libertus betrachten. Das Statut bestimmt seinen Status folgendermaßen: „Liber, Latinus, municeps municipi Flavi Irnitani.“ Daraus ergibt sich zwingend, daß libertini munici­ pes sein konnten und das Städtchen Irni24 ein municipium Latinum war; denn anderenfalls hätten die Freigelassenen sine dubio durch eine den Vorschriften entsprechende manumissio die civitas Romana erlangt. – In­teressanterweise sind die Rechtsfolgen für die Freilassung eines Privatsklaven vor dem Duovir, von der eben die Rede war, im § 28 nur umschrieben. Dort heißt es nur: „Liber esto, uti qui optimo iure Latini libertini liberi sunt erunt.“ Hier findet sich also kein Hinweis auf das automatische Einrücken in den Stand eines municeps municipi Flavi Irnitani, sondern nur eine Verweisung auf die Bestimmungen des latinischen Rechts. – Doch kehren wir noch einmal zurück zu dem frei­ gelassenen Gemeindesklaven. Er wird zum Latinus. Im Zusammenhang mit Freilassungen denkt man bei Latinus natürlich unwillkürlich an die sogenannte junianische Latinität auf Grund der lex Iunia.25 Wenn z. B. der Jurist Gaius von „Latini“ ohne Zusatz spricht, meint er häufig diese Freigelassenen min­ deren Rechts.26 Trotzdem glaube ich nicht, daß auch hier junianische Latinität gemeint ist. Denn diese war für solche Freilassungen geschaffen worden, die von römischen Bürgern unter Nichtbeachtung der gesetzlichen Bestimmungen vollzogen worden waren, also z. B. per epistulam und nicht vor dem zuständi­ gen Magistrat. Meiner Überzeugung nach scheidet diese Latinität hier aus, weil wir uns im § 72 ja nicht im Bereich des ius civile, sondern des latinischen Rechts befinden. Deshalb ist an junianische Latinität wohl nicht zu denken. Das führt zu der nächsten Frage, was für Latini diese Latini denn sonst wa­ ren, wenn sie schon nicht als Iuniani qualifiziert werden können. Soge­nannte latini coloniarii27 im präzisen Sinn des Wortes sicher auch nicht, weil wir ja nicht das Statut einer colonia, sondern eines municipium vor uns haben. Es gibt daher wohl nur die Erklärung, daß die municipes eines municipium Latinum Latini genannt wurden, soweit sie keine cives Romani waren, was schon Humbert angenommen hat.28 24 Der Name könnte nach Meinung der spanischen Kollegen auch Irnium gelautet haben (Gonzales, JRS a. a. O. S. 147). 25 Über diese kürzlich ausführlich A. J. B. Sirks, Informal manumission and the lex Iunia, und The lex Iunia and the effects of informal manumission and iteration, in RlDA 28 (1981) S. 247ff. u. 30 (1983) S. 211 ff. 26 Vgl. Gai. Inst. I. 28.33.71.80. 167. II 110.275. S. auch Ulpian Fragm. Vatic. 221. 27 Vgl. Gai. Inst. I. 22.III 56. 28 Le droit latin impérial: cités latines ou citoyenneté latine? in KTEMA 6 (1981) S. 225.

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Er hält sogar für möglich, daß bereits mit der Verleihung des sogenann­ten ius Latii an eine Bevölkerungsgruppe, z. B. eine civitas, die nicht oder noch nicht in Munizipien lebte, die Mitglieder dieser Gruppe als latini bezeichnet worden seien.29 – Es ist ja heute feststehende Überzeugung, daß die Verleihung des ius Latii nicht zur Folge hatte, daß die beliehene Bevöl­kerungsgruppe ein Munizipalstatut anstreben mußte.30 – Doch gibt es, wie Humbert selbst zuge­ ben muß, für diese weitreichende Annahme keinen Beweis. VI. Die eben gestellte Frage, ,,sind die sogenannten Latini Iuniani ge­ meint?“, stellt sich noch an einer anderen Stelle des Statuts, die hier behan­delt werden soll, obgleich sie in den neu gefundenen Tafeln nicht erhalten ist, son­ dern nur als § 53 des fragmentum Malacitanum. Dort ist bestimmt, daß bei den Magistratswahlen nicht nur die municipes, sondern auch ge­wisse incolae wahlberechtigt sein sollten, und zwar jene, „qui cives Latinive cives erunt“. Ich will diese Frage hier kurz aufgreifen, weil der jüngste Kommentar zur lex Malacitana31 sie einfach übergeht. Überdies ist sie in gewissem Sinne für den bereits erörterten § 28 von Bedeutung. Versteht man unter einem incolae civis Latinus eine Person, die anderswo Bürger eines municipium oder einer colonia war, müssen als ausgeschlossen alle die gelten, die diesen Status nicht besaßen, gleichgültig aus welchem Grunde. Unter den vielen denkbaren Fällen von inco­ lae, z. B. zugewanderte Reichs­fremde oder nach lrni übersiedelte Angehörige eines nordostspanischen Gebirgsvolkes, soll hier nur die Frage nach zugezo­ genen Latini Iuniani aufgeworfen werden. Wenn ich recht sehe, sind die Mei­ nungen in der Literatur geteilt, ob Iuniani irgendwo cives sein konnten. Steinwenter32 und H. Wolff33 vertreten den Standpunkt, daß die Latini Iuniani nir­gendwo Bürger sein konnten. Der letzte Bearbeiter des Komplexes der Iuniani, Sirks, sagt dagegen klar und deutlich34: „They will have become Citi­ zens of the town of their manumitter.“ Das kann jedoch kaum richtig sein, man stelle sich nur einmal vor, der Freilasser sei Bürger einer römischen Bürgerko­ lonie gewesen oder habe in Rom gelebt. Es ist wohl ausgeschlos­sen, anzuneh­ men, der Iunianus sei in diesem Falle Bürger der Kolonie bzw. der Stadt Rom geworden. Andererseits sehe ich keinen Text, der uns die Annahme verbietet, daß ein municeps civis Romanus eines latinischen municipium durch „infor­ 29 Humbert S. 222. 30 Vgl. Humbert, S. 218 ff. und Le Roux passim. 31 T. Spitzl, s. o. Anm. 20. 32 RE XII 918. 33 Die cohors II Tungrorum milliaria equitata c(oram?) l(audata?) und die Rechtsform des ius Latii, in Chiron 6 (1976) S. 276. 34 RIDA 28 S. 252, nicht so entschieden R1DA 30 S. 229.

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melle“ Freilassung seinen Sklaven zum municeps machen konnte, obgleich wir, wie oben erwähnt, nicht sicher sein können, daß eine ordnungsgemäße Freilas­ sung einen Latinersklaven zum municeps im Munizipium seines latinischen Eigentümers machte. Doch auch aus zeitlichen Gründen zögere ich mit einer positiven Aussage. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, daß wir uns mit dem flavischen Municipalstatut gegen Ende des 1. nachristlichen Jahrhunderts be­ finden. Erst von Hadrian35 wissen wir, daß er bestimmt hat, ein Freigelassener habe die origo seines Freilassers (C. J. 10, 40, 7). Es ist daher keineswegs si­ cher, daß man vor Hadrian eine origo des Iunianus überhaupt angenommen hat. Noch strikter ist Humbert (S. 212), der die Zugehörigkeit der Latini Iuniani zu einer civitas schlankweg leugnet und daran weitreichende Folgerungen über den Status der Iuniani knüpft, über die aber hier nicht zu handeln ist. Auch ich möchte mich jedenfalls der Meinung anschließen, daß wahr­ scheinlich Latini Iuniani, die in einem latinischen Municipium wohnten, dort nicht das Wahlrecht besaßen, ohne mich zu entscheiden, ob das überhaupt un­ möglich war oder durch die Wahl der Formulierung „Latini cives“ bewußt aus­ geschlossen werden sollte. Zu der Frage, ob der Ausdruck civis Latinus so zu verstehen ist, daß man daraus auf eine „civitas Latina“, ein persönliches latinisches Bürgerrecht, schließen könne – müsse? –, eine Frage, die die Gemüter seit Braunert36 bewegt, ergibt der Neufund, wie mir scheint, nichts entscheidend Neues. Der letzte Stand der Meinungen findet sich bei Humbert, der seine Ansicht in den lapidaren Satz „la civitas latina est un mythe“ zusammengefaßt hat.37 VII. Ein Munizipalstatut konnte naturgemäß nicht alle von den Bürgern zu beachtenden Rechtsnormen aufführen. Im § 93 ist daher bestimmt: „De iure municipum. Quibus de rebus in hac lege nominatim cautum scriptum (ve) non est, quo iure inter se municipes municipi Irnitani agant, de iis rebus omnibus ii inte(r se) agunto, quo cives Romani inter se iure civili agunt agent.“ Crawford übersetzt: “They are to deal with each other in all these matters under the civil law, under which Roman Citizens deal or will deal with each other.” (JRS 76 S. 189/9).38 35 Allerdings soll Degrassi bereits eine Äußerung des Augustus in diesem Sinne aus einer In­ schrift aus Vardacate erschlossen haben (Athenaeum 36 [1948] 254 f.), die von Arangio-Ruiz und Vogliano in Athenaeum 20 (1942) 1–10 behandelt worden war (T. Gimenez-Candela, RIDA 30 S. 131). 36 Ius Latii in den Stadtrechten von Salpensa und Malaca, in Corolla memoriae E. Swoboda, Graz/Köln 1966, S. 68 ff. 37 A. a. O. S. 217. 38 Anders d’Ors in Annuario de historia del derecho Español 54 (1984), S. 569: „Rúbrica: Sobre

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Gonzales kommentiert: “No local rules are allowed, except insofar as they are incorporated in the text of the law, and the only ius available to the munici­ pes apart from that in the law is that of Roman citizens.” (JRS 76 S. 237) Nach Crawford und Gonzales hätten wir es mit einer höchst inter­essanten Norm zu tun; denn sie würde besagen, daß die Latini municipes unter den ge­ nannten Voraussetzungen ihre Geschäfte nach ius civile abzu­schließen hätten! Das wäre nicht gleichbedeutend mit der Gewährung des sogenannten commercium, da commercium ja wohl nicht die Erteilung des Rechts zur Benutzung des ius civile, sondern nur der Teilnahme an einem mit einem civis getätigten Geschäft des ius civile bedeutet.39 D. h., commercium heißt nicht, daß zwei Latini untereinander eine mancipatio iuris civilis vornehmen konnten, sondern nur jeder von ihnen mit einem civis. Aber das „inter se“ in unserem Text würde ja Geschäfte ersterer Art ein­schließen. Im übrigen bedeutet das commercium ein Können, hier aber ist ein Sollen angeordnet! Eine derartige Festlegung von Nicht-cives auf das römische ius civile er­ scheint ganz unrömisch.40 Es gab ja das ius gentium, dessen man sich bedienen konnte. Überdies wäre das Gebot, das bisher angewandte Recht künftig nicht mehr zu benutzen und nach anderen Rechtsnormen zu ver­fahren, gleichfalls höchst bemerkenswert.41 In Ägypten z. B. ist das nicht einmal für die Neurö­ mer nach der Constitutio Antoniniana ausgesprochen worden! Aber vielleicht müssen wir umlernen!

el derecho de los munícipes. Sobre los asuntos de los que en la presente ley no se ha previsto o dispuesto nada especialmente acerca de cómo deban litigar los municipes del municipo Flavio Irnitano, por todos ellos litiguen éstos entre sí como los ciudadanos romanos litigan o pueden litigar entre sí por derecho civil, siempre que no resulte contra la presente ley. Lo que se haya hecho de esto modo, a no ser que se hava hecho o actuado con dolo malo, sea conforme a derecho y válido.��������������������������������������������������������������������������� “ – In seiner, mir erst nach Abschluß meiner Überlegungen zugänglich gewor­ denen Arbeit, La Ley Flavia municipal (Texto y comentario), Rom 1986, die nur zum Teil noch berücksichtigt werden konnte, versteht A. d’Ors § 93 nur als auf die Prozeßführung bezogen („proceder en sus litigios“) und erblickt darin einen weiteren Hinweis für die Herkunft der lex aus einem augusteischen Gesetz für die Munizipien in Italien (S. 181). Ist letzteres richtig, könne man an ein Versehen hei der Adaption der lex gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts denken, insofern man nicht bei jedem Abschnitt genau bedachte, daß die munici­ pes nunmehr zum Teil Latini waren. 39 Vgl. Humbert, S. 216, Anm. 36, und Kaser (o. Anm. 21), S. 35. 40 Nicht so strikt offenbar Sirks für die luniani in RIDA 30 (1983), S. 228. 41 Freilich muß man sich fragen: Welches Recht galt eigentlich für diese Neu-Latiner? Das Städt­ chen war ja als latinisches Gemeinwesen künstlich geschaffen worden. Allgemeine lati­nische Rechtsgrundsätze? Wen konnten die Irnitaner danach befragen? Eine Sachnormver­weisung wäre daher verständlich.

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Ist es aber zwingend, agere hier mit to deal zu übersetzen? Die Wen­dung „agere inter se“ kommt auch an anderer Stelle in der lex Irnitana vor, nämlich in der Fassung „inter se agere petere persequi volent“ im Abschnitt 84. Muß man nicht annehmen, daß diese Wendung hier lediglich in abge­kürzter Form gebraucht ist und „klagen“ bedeutet42, zumal § 93 am Ende einer Reihe von Paragraphen über die Gerichtsbarkeit steht? Die Bestim­mung wäre somit pro­ zessual zu verstehen und verwiese auf das für Bürger nach ius civile geltende Verfahren. Ich möchte jedoch – trotz sprachlicher Bedenken – noch einen anderen In­ terpretationsvorschlag zur Diskussion stellen. Wenn man „quo iure“ als „an jener Gerichtsstätte“ versteht, enthielte der Abschnitt lediglich eine Zuständig­ keitsbestimmung, wie sie als Generalklausel am Schluß einer Reihe von Para­ graphen über die Gerichtsbarkeit erwartet werden kann. Der Text würde dann besagen: Für alle Streitigkeiten, für die sich die Zustän­digkeit aus dem Statut nicht ergibt, ist der nach ius civile für untereinander prozessierende cives beru­ fene Gerichtsmagistrat zuständig. Das würde wohl heißen: der Provinzgouver­ neur, wobei man sich nicht wundern darf, daß das nicht im Statut steht; denn in der lex kann man auch sonst feststellen, daß der Zuständige nicht genannt ist, wenn die Kompetenz der städtischen Beamten verneint wird43, wahrscheinlich nach dem Prinzip, „was selbstver­ständlich ist bzw. ohnehin jeder weiß, braucht nicht ausdrücklich gesagt zu werden“.44 Zu fragen bliebe lediglich, warum das nur „inter municipes“ gelten sollte, obgleich doch nach § 84 auch die incolae im municipium ihres Domizils klage­ berechtigt waren. Die einfachste Annahme wäre die einer bloßen Nachlässig­ keit bei der Redaktion, wie sie offensichtlich im § 91 mit „quod legis Iuliae, quae de iudicis privatis proxime lata est“ vorliegt, wo man bei der Adaption einer Vorlage aus augusteischer Zeit versehentlich das „proxime lata“ stehen­ gelassen hat.45 Wahrscheinlich liegt aber bloß ein Scheinproblem vor. Ein incola konnte ein civis Romanus, ein latinischer municeps von anderswo oder ein echter pe­ regrinus sein. War er civis, verstand sich die Anwendung des ius civile von selbst. Handelte es sich um einen peregrinus, kam ius civile nicht in Betracht. 42 So offenbar auch von d’Ors verstanden. 43 Vgl. die Abschnitte 69 und 84, aber auch den schon erwähnten Paragraphen über die Freilassun­ gen durch Laitni municipes. i).Das kann kein Zufall sein, weil in anderem Zusammen­hang „is qui ei provinciae praerit“ durchaus erwähnt ist (z.B. §§ 80 und 86). 44 Vgl. D. Daube, Das Selbstverständliche in der Rechtsgeschichte, in Ztschr. d. Sav. Stiftung, Rom. Abtlg. 90 (1973), S. 1–13. 45 Vgl. A. d’Ors, La ley Flavia municipal (Texto y comentario), Rom 1986, S. 13 ff. und 179.

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Nur bezüglich eines incola „civis“ Latinus kann man zweifeln, ob er den Latini municipes von Irni gleichgestellt wurde oder als nicht irnitanischer Latinus privatrechtlich als peregrinus galt. Wie dem aber auch sei, einer ausdrücklichen Erwähnung bedurften die incola-Fälle jedenfalls nicht, womit die Beschrän­ kung auf „inter municipes“ erklärt wäre. § 93 enthält allerdings noch einen weiteren Satz, der jedoch nicht lückenlos erhalten ist: „Quod adversus h(anc) l(egem) non fiat quodque ita actum [sit, quod eius] si [ne dolo malo fiet] actumque erit, id ius ratumqne esto.“ Er wird von Gonzales als eine Milderung des im ersten Satz Angeordneten verstan­ den46, doch kann man auf den verstümmelten Text wohl keine sichere Aussage gründen und Entscheidendes für die Frage entnehmen, was mit dem ersten Satz gemeint war. VIII. Ich hoffe, mit diesem – notgedrungen knappen – Streifzug durch ei­ nige Kapitel des Neufundes gezeigt zu haben, daß sich die Beschäftigung mit der lex Irnitana lohnt, nicht nur für den Vertreter des römischen Rechts, sondern für alle, die an den Verhältnissen in Roms Provinzen unter dem Prinzipat inter­ essiert sind. Um so bedauerlicher ist es, daß noch immer wesentliche Fragen über den Status der Menschen, ihre Rechtsbeziehungen untereinander und das Städtewesen in jener Zeit ungelöst bleiben.

46 Mich nicht überzeugend. Adversus heißt doch hier wohl „gegen“ und nicht „gemäß“.

PROBLEME KAISERZEITLICHER TIERVERÄUSSERUNGSVERTRÄGE AUF PAPYRUS

I. In den kaiserzeitlichen Tierveräußerungsverträgen kommt zwar nicht immer, aber doch sehr häufig die Klausel vor, das Tier sei τοῦτος τοιοῦτος ναπόριφος (τ.τ.α.) verkauft. Da ναπόριφος von πορίπτειν herzuleiten ist, dürfte es rich­ tig sein, wenn die h. L. in der Klausel einen Rückgabe-Ausschluß erblickt1. Auf die genaue Bedeutung werde ich alsbald zu sprechen kommen. An anderer Stelle2 habe ich mich vor kurzem mit der Frage beschäftigt, wie jene Texte zu verstehen sind, in denen die Klausel n i c h t aufscheint. Konnte sie wegbleiben, weil sie eine leere Floskel war, der keine Bedeutung zukam, oder war ihre Aufnahme deshalb entbehrlich, weil man die Urkunden ohnehin so las, als wenn sie enthalten wäre, oder sind die Texte ohne die Klausel als Ab­ reden zu verstehen, in denen diesbezüglich nichts vereinbart worden war? Aus Gründen, die ich hier nicht wiederholen kann, erschien mir die letztgenannte Annahme als diejenige, von der wir ausgehen sollten, solange das Gegenteil nicht offensichtlich ist. Was für regelmäßige Bestandteile enthalten die Tierverkäufe noch? Es be­ gegnen: Die Erklärung des Veräußerers, verkauft zu haben, die Beschreibung, mindestens Nennung, des Kaufobjektes. das Bekenntnis, den vereinbarten Preis erhalten zu haben, und eine Bebaiosis-Erklärung des Veräußerers. Gelegentlich wurde auch festgehalten, daß die Übernahme durch den Käu­ fer stattgefunden habe. Als Formen finden wir: Cheirographon3 notarielle Urkun­de4, sog. privates Protokoll5, Bankdiagraphe6. II. Dazu treten, wie gesagt, in der Mehrzahl der Urkunden die Worte: τοῦτος τοιοῦτος ναπόριφος. Überwiegend wird das als Ausschluß jeglicher Rückga­ bemöglichkeit verstanden, es sei denn, es war die Einschränkung πλήν … bzw.

1 Auch die Diskussion anläßlich des Vortrages dieses Manuskriptes in Ringberg ergab keine an­ dere Möglichkeit des Verstehens. 2 In der Grazer Festschrift für Franz Stoessl (Grazer Beiträge 12/13, 1985/86, S. 225–234). 3 Bsp.: P.Grenf. 23, BGU II 584. 4 Bsp.: P. Fayum 92, P. Mich. IX (Karanis) 551, P.Meyer 13. 5 Bsp.: P.Köln 54, BGU III 982, P.Basel 4. 6 Bsp.: P.Stud. Pal. XXII 20, BGU II 373.

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χωρίς …7 beigefügt, wie das bei den Sklavenverkäufen häufig der Fall war. Dazu später. Mir scheint die h. M. nicht überzeugend zu sein. Sicher richtig ist zwar, daß es offenbar um die Befugnis ging, das Kaufobjekt z u r ü c k z u g e b e n , mit anderen Worten, den Kaufvertrag aufzulösen, wobei hier freilich dahingestellt bleiben muß, ob auch die Griechen das dogmatisch so gesehen haben. Da kaum an ein willkürliches Rücktrittsrecht gedacht werden kann – derartige Lösungs­ rechte sind nur für Verkäufer überliefert – kommt m. E. nur eine Art Wandelung in Betracht, also Rückgängigmachung wegen eines Mangels der verkauften Sache. Daß es bei den Römern, den Herren Ägyptens zur Zeit unserer Urkunden, ein Recht des Käufers von Tieren gegeben hat, diese bei Vorhandensein gewis­ ser Krankheiten zurückzugeben, ist allgemein bekannt8. Dieses Recht der sog. ädilizischen Rechtsbehelfe lebt noch heute in unserem Allgemeinen Bürgerli­ chen Gesetzbuch fort (§ 932). Daß das Institut der Wandelung auch den Griechen bei Tierverkäufen nicht fremd war, hat vor einigen Jahren T r i a n t a p h y l l o p o u l o s 9 anhand von F e y e l s Publikation einer Inschrift aus Abdera10 und anderen Quellen gezeigt. Deshalb darf man, auch wenn aus dem Staat der Ptolemäer urkundliche Belege für eine Sachmängelgewähr nicht bekannt sind11, mit der Existenz solcher Vor­ schriften rechnen und ist nicht gezwungen, die erstmals aus der frühen Prinzi­ patszeit erhaltenen Kaufurkunden mit τ. τ. .-Klausel auf römischen Ein­fluß zurückzuführen, wenngleich das auch nicht sicher verneint werden kann. Es spricht daher vieles dafür, daß es bei der Klausel um den Ausschluß einer Be­ fugnis des Käufers bei Auftreten von Sachmängeln, bei Tieren also wohl vor allem Krankheiten, ging. Unter welchen Voraussetzungen sollte aber das Recht zum πορίπτειν aus­ geschlossen sein? Das muß in dem Wort τοιοῦτος stecken und dürfte meinen „so wie jetzt beschaffen“. Das verstehe ich so, daß das Tier in dem Zustand, in dem es sich im Moment der Urkundenerrichtung befindet, unrückgebbar sein soll. Allgemein wird es allerdings als ein Ausschluß jeglicher Mängel verstan­ denden12. Gerade das scheinen mir aber die Worte nicht auszudrücken. Denn 17 Bsp.: BGU III 937 (250 post), P.Hamb III 63 (125/6 p.), PSI XII 1228 (188 p.). 18 Vgl.: M a x K a s e r , Das römische Pnvatrecht, 1. Abschnitt, 2. Aufl., München 1971, S. 558ff. 19 Scritii in onore di Edoardo Volterra V (1971), S. 697–719. 10 BCH 66/67 (1942/43), S. 180–188. 11 E . S e i d l , Ptolemäische Rechtsgeschichte, 2. Auflage, Glückstadt – Hamburg/New York 1962, S. 126. 12 Vgl. O. G r a d e n w i t z , Einführung in die Papyruskunde. 1. Heft, Leipzig 1900, S. 60. M.-J.

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wenn sich z.B. einige Tage später eine Erkrankung zeigte, war das Tier nicht mehr „so beschaffen“ wie im Moment der Urkundenerrichtung, sondern ver­ ändert und deshalb schon nach dem Wortlaut die Befugnis zur Rückgabe nicht mehr versagt. Es ist nicht tel quel verkauft, sondern tel quel ναπόριφος! Ich meine also, daß zwar wegen aller im Kaufzeitpunkt bereits vorhande­nen Män­ gel die Rückgabe ausgeschlossen war, nicht aber für kurz danach auftretende. – Man würde das Wort τοιοῦτος ignorieren, würde man durch die Klausel τ. τ. . jegliche Rückgabe für generell ausgeschlossen ansehen. Dagegen könnte letzteres für diejenigen Urkunden vertreten werden, die nur άναπόριφον und nicht τοῦτον τοιοῦτον enthalten13. Doch ist hier wohl eher an einen verkür­ zenden Sprachgebrauch zu denken14, ebenso wie in jenem Text, in dem wir nur lesen15, also ά fehlt. Gegen diese Deutung bestehen auch keine Bedenken, wenn man die Skla­ ven-Verkäufe in die Betrachtung einbezieht, in denen es bekanntlich häufig heißt τ. τ. . πλήν εράς νόσου καί παφῆς16; denn das meint nicht „außer bei H. N. und E. keine Rückgabe“, sondern „keine Rückgabe im Zustand des Kaufabschlusses außer bei H. N. und E.“. Das heißt, bei H. N. und E. war der Erwerber auch dann zur Rückgabe befugt, wenn die Symptome schon beim Kaufabschluß bestanden hatten. Mit anderen Worten, dem Käufer war insoweit eine Ü b e r l e g u n g s f r i s t eingeräumt. Innerhalb der – uns allerdings unbe­ kannten Frist – konnte er auch wegen H. N. und E. „wandeln“, wenn dieser Ausdruck hier einmal gestattet wird. Diese Deutung würde auch helfen, den Eselverkauf P.Lond. II 303, S. 195. mit der rätselhaften Formulierung, τ. τ. . χωρς πηροῦ zu erklären, Πηρός kann „verstümmelt“, „verkrüppelt“, „lahm“, „gebrechlich“, „blind“ heißen. Das al­ les sind Mängel, die normalerweise erkennbar sind. Warum also insoweit der Vorbehalt des Rückgaberechts, im übrigen aber Haftungsausschluß? Wenn der Käufer ein bevorstehendes Auftreten des Gebrechens fürchtete, warum taten B r y, Essai sur la vente dans les Papyrus Gréco-Egyptiens, Paris 1909, S. 295; E. We i s s , ZSSt. Rom 37, (1916), S. 172; F. P r i n g s h e i m , The Greek Law of Sale, Weimar 1950, S. 488; C. P r e a u x , Chronique d’Egypte 37 (1962) S. 159; E. S e i d l , Rechtsgeschichte Ägyptens als rö­ mischer Provinz. Sankt Augustin 1973, S. 184; J. H e r r m a n n . Akten d. XIII. Internationalen Papyrologenkongresses, Mar­burg 1971, München 1974, S. 161; Dorner, Zur Sachmängelhaf­ tung beim gräko-ägypt. Kauf, Diss. jur. Erlangen – Nürnberg 1974, S. 33, 75/77. 13 P.Stud.Pal. XXII 29 u. 170, P.Straßb. 504, P.Mich. IX 551, P.Genf. II 46, P.Lond. II 331 (S. 197) u. 466 (S. 196), BGU XV 2480. 14 So wohl auch D o r n e r 65. 15 BGU III 758. 16 Bsp.: BGU III 987 (I. p.), P.Oxy. I 95 (II. p.), SB XIV 11277 (III. p.).

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das die übrigen Eselkäufer, von denen wir durch die erhaltenen Urkunden wis­ sen, nicht? Vom Standpunkt der h. L. aus ist diese Variante der τ. τ. .-Klausel somit kaum verständlich. Anders, wenn wir eine Überlegungsfrist annehmen: Dann dürfte der Käufer den Mangel gekannt haben, wollte sich aber noch über­ legen, ob er das Tier nicht trotz des Mangels nehmen sollte. Deshalb ließ er so­ zusagen das τοιοῦτος in bezug auf die πήρωσις ausklammern, was der Verkäu­ fer konzedieren konnte; denn anderenfalls hätte der Interessent wahr­scheinlich den Esel sofort zurückgewiesen. Doch zurück zur Klausel o h n e Zusatz. Es ist bemerkenswert, daß die R ü c k g a b e der Sache und nicht etwa die Rückforderung der τιμ ausgeschlos­ sen ist. Das bestätigt nämlich, wie mir scheint, unsere Vorstellungen vom grie­ chischen Kauf: Ebenso wie es keine Klage auf den Preis gab17, so existierte offensichtlich auch keine solche auf dessen Rückzahlung. Vielmehr muß mit der Rückgabe – der berechtigten natürlich – ipso iure eine für den Verkäufer nicht wünschenswerte Rechtslage eingetreten sein. Wie zu vermuten ist, dürfte er zumindest als unbefugter Innehaber fremden Geldes angesehen worden sein, vielleicht aber auch für mehr. Doch dazu später. Welchen Vorteil brachte die Klausel dem Verkäufer? Alle Mängel, welche im Moment der Urkundenerrichtung vorhanden gewesen waren, konnten nicht mehr zur Rechtfertigung einer Rückgabe angeführt werden. Nur A b w e i ­ c h u n g e n vom Zustand in diesem Moment zählten. Dem könnte man die Frage entgegenhalten, wie das denn bewiesen werden sollte, da Zeugen in den Urkunden ja nicht aufgeführt sind. Dazu ist zunächst zu sagen, daß das dem sich auf die Klausel berufenden Verkäufer gleichgültig sein konnte. Überdies besagt aber auch die Nichtnennung von Zeugen in den Urkunden ja nicht, daß keine Personen beim Geschäftsabschluß zugegen gewesen waren, die später als Zeugen für den Zustand benannt werden konnten. Schließlich aber brauchte der Käufer ja nur Zeugen für das A u f t r e t e n negativer Veränderungen in den Tagen nach dem Erwerb beizubringen. – Daß die Mängel, jedenfalls soweit sie sichtbar waren, bei der Abrede zwischen Verkäufer und Käufer noch nicht vorhanden gewesen waren, wird man nach der Lebenserfahrung annehmen haben können. – Die Klausel war also einerseits für den Verkäufer günstig, andererseits für den Käufer nicht unakzeptabel. Für den Rückgang der Klausel­ verwendung – soweit wir davon bei der Zufälligkeit unserer Überlieferung überhaupt sprechen dürfen – in den Jahrhunderten nach der Constitutio Antoni­ niana18 böte sich die folgende Erklärung an: Unter dem Einfluß des bekannter 17 H. J. Wo l f f , Lexikon der alten Welt, Zürich – Stuttgart 1965, Sp. 2526, F. 3. 18 Vgl. dazu Dorner 59ff.

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werdenden römischen Rechts könnte man bei Kennenmüssen des Käufers19 einen Ausschluß der Rückgabemöglichkeit angenommen haben. Damit aber war die Erklärung für τ. τ. . entbehrlich, nachdem dadurch nach dem obigen Deutungsvorschlag praktisch nichts anderes bewirkt wurde. F e h l t die Klausel, muß man annehmen, daß der Verkäufer sie entweder nicht hatte durchsetzen können oder aber keinen Wert darauf gelegt hatte. Das muß zur Folge gehabt haben, daß das Rückgaberecht nicht nur bezüglich erst sichtbar gewordener Mängel ausgeübt werden konnte. Ob die Praktizierung der Klausel erst unter römischer Herrschaft aufgekom­ men ist, können wir wegen des Fehlens derartiger Urkunden aus der Ptolemä­ erzeit nicht sagen. Aber auch wenn wir das einmal als Hypothese annähmen, gestattete uns das keine Aussage darüber, ob dahinter römische Einflüsse an­ zunehmen sind; denn genausogut hätte auch die gräco-ägyptische Praxis auf die Idee kommen können, daß die Einfügung einer derartigen Klausel für den Verkäufer Vorteile mit sich bringen konnte. Außer bei Tierveräußerungen kommt die τ. τ. .-Klausel, wie schon erwähnt, häufig bei Sklavenverkäufen und in drei Urkunden über die Veräußerung von μύλος Θηβαικός vor20. Während sich die Verwendung bei der Veräußerung von Unfreien leicht erklären läßt – bei Lebewesen sind ja nicht immer alle ihre Ei­ genschaften, oder sagen wir besser Eigenheiten, gleich erkennbar –, sind über­ zeugende Gründe für die Aufnahme in die drei erhaltenen Myloi-Texte aus dem 1. Jh. n. Chr.. von denen übrigens zwei aus Karanis21 und auch der dritte aus dem Arsinoites stammen, bisher, wenn ich recht sehe, nicht vorgebracht wor­ den22. Gegenstand der Veräußerungen sind offenbar kleine Mahleinrichtun­gen bzw. Teile davon. Die Besonderheit des Vorkommens der Klausel in Abma­ chungen über derartige Objekte liegt darin, daß wir über eine Ausdeh­nung der Gewährleistungsrechte über den Kreis von Sklaven und Tieren hinaus bisher aus dem griechischen Rechtskreis nichts wissen und ja wohl auch in Rom die Haftung für Sachmängel ohne dolus und ohne dictum außerhalb der Marktkäufe von Sklaven und Tieren erst dem 2. nachchristl. Jh. zugeschrieben wird23. Die drei Texte aus dem Fayum ließen sich zunächst einfach damit erklären, daß ein unverständiger oder ein sehr vorsichtiger Urkundenschreiber die Klau­

19 Digesten 21, 1, 14, 10. 20 PSA Athen 25 = SB 8255, P.Mich. 550, BGU 2477. 21 Die beiden vorstehend zuerst genannten. 22 Vgl. die Literaturhinweise bei BGU 2477 u. P.Mich. 550. 23 K a s e r , Handbuch I2 558, Medicus, Id quod interest, Köln – Graz 1962, 143ff.; H o n s e l l , Quod interest im bonae fidei-iudicium, München 1969, 80ff.

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sel einfach ohne größeres Nachdenken aus einem Tierveräußerungsformular über­nommen hat. Dafür spricht die unübersehbare Abhängigkeit der drei Texte voneinander: 1. Alle haben die τ. τ. .-Klausel auch in der Hypographé, was sonst ganz unüblich ist. 2. In allen drei Texten steht τ. τ. . an der gleichen Stelle des Formulars, direkt hinter dem Kaufobjekt, während in den Tierverkäufen sonst ganz ver­ schiedene Einordnungen zu beobachten sind24. 3. Alle drei sagen nichts über die Übernahme des verkauften μύλος durch den Käufer, obgleich das schon im 1. nachchristl. Jh. bei Tierverkäufen zu be­ obachten ist25. 4. Es heißt in allen drei Texten τν πάρχοντά μοι μύλον, was im ersten Jahrhundert bei Tierverkäufen zwar vorkommt, aber nicht stereotyp26. 5. Der Erwerbspreis ist in dem Berliner Text genau der gleiche wie im Papy­ rus Michigan 550. Es bietet sich aber auch eine andere Deutung an: Sklaven, Haustiere und derartige Geräte wie eine Handmühle haben eine gemeinsame Eigenschaft: Welche störenden Eigenheiten, man ist versucht zu sagen, welche „Mucken« sie haben, läßt sich nur beim Einsatz feststellen, bei einer bloßen Besichtigung bleiben sie unerkennbar. Es ist daher wahrscheinlich, daß es deswegen öfter zu Bemängelungen durch die Käufer gekommen ist. Davor sich zu schützen, mußten die Veräußerer bestrebt sein. Das konnten sie mit der τ. τ. .-Klausel bewirken, welche die Berufung auf Mängel ausschloß, die im Moment der Ur­ kundenerrichtung bestanden hatten, ob sie nun erkennbar gewesen waren oder nicht. Es war lediglich eine Beweisfrage. Derartige Überlegungen könnten der Anlaß gewesen sein, die Klausel bei der Veräußerung dieser zwar nicht leben­ den, aber in der Anwendung doch lebendigen Objekte einzufügen. Ein, wie ich zugeben muß. offenbleibendes Problem ist das der F r i s t e n , innerhalb derer sich die Veränderung zeigen bzw. geltend gemacht werden mußte. Den Papyri ist darüber n i c h t s zu entnehmen. Aber schon in Platons Nomoi finden wir ja, wenn auch nur für Sklavenveräußerungen, Fristen von sechs Monaten bzw. einem Jahr (916a–c)27 für die Rückgabe genannt, und das

24 Z.B. in PSI I 38, 101 n. Chr., Hermopolites, hinter der Bebaiosis-Klausel, dagegen in BGU III 806, 1 n. Chr., nach der Quittung und vor der Bebaiosis. 25 Vgl. BGU XI 2112 aus dem Arsinoites und PSI 138. 26 Vgl. etwa den bereits genannten Papyrus BGU 2112. 27 Vgl. dazu J. H e r r m a n n . Der Warenkauf in Platons Nomoi, in den Studi Arnaldo Biscardi II (1982) S. 465–467.

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Gesetz von Abdera kennt eine Fristenstaffelung von vier Tagen bis zu einem Jahr28 für Verkäufe von Sklaven und Tieren. Ich trage daher keine Bedenken, auch für das Ägypten der Kaiserzeit ein an Fristen gebundenes Rückgaberecht anzunehmen, ohne mich in Spekulationen über die Länge der Fristen einzulas­ sen. Können wir nach alldem davon ausgehen, daß es in Ägypten ein Rückgabe­ recht für gekaufte Tiere gegeben hat, muß nach den Erfahrungen des täglichen Lebens angenommen werden, daß es auch zu Rückgaben gekommen ist, wenn innerhalb der Fristen Mängel aufgetreten waren. Dieser Überzeugung steht nicht entgegen, daß es meines Wissens keine Anzeichen für tatsächlich erfolgte „Rückgaben“ in den Papyri gibt. Denn die Wahrscheinlichkeit, daß alle ver­ kauften Esel und Kamele wirklich gesund gewesen sind, ist doch sehr gering. Vor allem zeigt die Praxis, bei Sklavenverkäufen der τ. τ. .-Klausel die πλήνEinschränkung beizufügen, von der wir oben gesprochen haben, daß zumindest Fälle von Epaphé29 und Hiera Nosos offenbar so häufig gewesen sind, daß die Käufer von Sklaven nicht bereit waren, die τ. τ. .-Klausel ohne Einschränkung zu akzeptieren, um sich die Möglichkeit der ναγωγή offenzuhalten. III. Damit komme ich zum zweiten Teil meiner Überlegungen. W i e er­ langte der Verkäufer das Eigentum an dem zurückgegebenen Objekt zurück? Wo z u zwang ihn die ναγωγή30? Die Antwort auf die erste Frage darf sicherlich n i c h t lauten: mit der R ü c k g a b e . Maßgeblich dürfte wohl die R ü c k z a h l u n g des empfangenen Preises gewesen sein31, nur das entspricht den Vorstellungen der Griechen, so wie wir sie heute sehen32. J. H e r r m a n n 33 sieht den Veräußerer nach berechtigter Rückgabe für zur Rückzahlung v e r p f l i c h t e t an, anderenfalls er sich einer δίκη βλάβης aus­ gesetzt gesehen habe. Ich teile im Ergebnis seine Meinung, auch wenn wir da­ bei nicht übersehen dürfen, daß es weder für Athen34 noch für den Bereich der Papyri Belege für eine Klage dieses Namens gibt. Vielleicht ist es aber damit so bestellt wie mit den Rückgaben: Es spricht sehr viel dafür, daß sie vorge­ kommen sind, nur hat das keinen Niederschlag in den auf uns gekomme­nen 28 S. F e y e l 188 u. T r i a n t a p h y l l o p o u l o s 711/2. 29 Zur Bedeutung von paf zuletzt D o r n e r , 118ff. 30 Der Ausdruck wird von Platon, Nomoi 916 a, gebraucht. 31 So auch J. H e r r m a n n in einem Brief an mich v. 26.3.1984. 32 Vgl. m e i n „Eigentum u. Besitz im Griechischen Recht des V. und IV. Jh. v. Chr.«, Berlin 1963. 33 In seinem Brief an mich. 34 Vgl. M u m m e n t h e y (u. Anm. 37) S. 31.

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Texten gefunden. Hinsichtlich der zu diesem Ergebnis führenden juristi­schen Konstruktion kann ich Freund H e r r m a n n freilich nicht folgen. H e r r ­m a n n sieht in der Rückgabe eine Ermächtigung zum Rückerwerb des Eigen­tums mit der Auflage, den erhaltenen Preis zurückzuzahlen. Der Verkäufer habe diese Ermächtigung akzeptieren müssen. Ich habe mich, wie sich einige von Ihnen erinnern werden, schon früher gegen die „Auflage«-Konstruktion gewandt35; davon in diesem Zusammenhang zu sprechen, scheint mir genauso unglücklich, wie die Verwendung des Wortes „Bedingung“, weil beide termini in unserem Recht genau umrissene Bedeutungen haben. Das führt allzuleicht zu Mißver­ ständnissen. – Ich würde lieber den Gedanken der Zweckverfügung unseres verstorbenen Altmeisters hier aufgreifen. Dazu gleich. In der Sache sind H e r r m a n n und ich freilich einig. Die berechtigte Rück­ gabe brachte den Verkäufer in eine Lage, aus der ihn nur die Rückgewähr des Entgelts befreien konnte. Erfolgte sie nicht, bedeutete das ein Klagerecht βλάβης für den Käufer. Auch darin stimmen H e r r m a n n und ich überein, daß nur die Rückzahlung der tim dem Verkäufer das Eigentum an dem Tier wie­ derzuverschaffen vermochte. Für die juristische Konstruktion erscheint mir jedoch eher Wo l f f s Lehre eine Grundlage zu bieten, obgleich dieser selbst, wie erinnerlich, ihre Anwen­ dung auf den Kauf abgelehnt hat36. Doch für die Rückabwicklung eines Kau­ fes wegen mangelhafter Ware würde sie m. E. passen: Die Rückgabe erfolgt zum Zweck der Wiedererlangung des bezahlten Entgelts. Das ist zwar mit dem Verkäufer nicht ausgehandelt, beruht aber auf einem gesetzlichen Recht des Käufers. Sie ist deshalb „Zweckverfügung« im Sinne Wo l f f s . Verfährt der Verkäufer nicht entsprechend, zahlt er also den Kaufpreis nicht zurück, dürfte er sich daher einer Klage des Käufers ausgesetzt haben, bei der als Vorfrage zu klären war. ob berechtigte Rückgabe vorlag oder nicht. Wahrscheinlich wird die Rückzahlung in vielen Fällen aber freiwillig erfolgt sein, weil nämlich der Verkäufer nur so wieder Eigentümer der verkauften Sache werden konnte. Den Klagegrund, die βλάβη37. möchte ich hier in der Vorenthaltung des empfangenen Kaufpreises sehen, so ähnlich, wie wir im Corpus Demostheni­ cum (XXXVI 20) lesen können: βλaψέ μ´ δεῖν´ ποδιδούς έμοί τ ργύριον … Es muß aber zugegeben werden, daß entsprechende Formulierungen in den Papyrusurkunden fehlen. 35 In meinem Vortrag auf dem Symposion in Chantilly 1977 (Symposion 1977, S. 309). 36 ZSSt. Rom 90 (1973), S. 81. 37 Vgl. zur βλάβη H. M u m m e n t h e y, Zur Geschichte des Begriffs βλάβη im attischen Recht, Diss. jur. Freiburg – Brsg. 1971.

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Ich möchte jedoch ausdrücklich bekennen, daß wir uns insoweit im Bereich reiner Hypothesen befinden. Ich sehe keinen Text, der in diese Richtung deutet. Man darf z.B. wohl nicht mit Sicherheit ausschließen, daß der Verkäufer zu mehr als der bloßen Preisrückzahlung verpflichtet gewesen sein könnte. Aber auch die Annahme von D o r n e r 38, durch eine berechtigte „Rückgabe“ seien für den Verkäufer dieselben Rechtsfolgen wie aufgrund einer Klage aus der Bebaiosis-Klausel eingetreten, erscheint mir erwägenswert. Es läßt sich nämlich zeigen, daß vom ersten bis zum vierten nachchristl. Jh. in Kaufverträ­ gen immer wieder Formulierungen auftreten, die darauf hindeuten, daß zumin­ dest in den Köpfen der Urkundenverfasser ein enger Zusammenhang zwischen der Bebaiosis-Erklärung des Veräußerers und dem bestanden hat, was durch die τ. τ. .-Klausel ausgeschlossen bzw. eingeschränkt werden sollte. Das beste Beispiel ist wohl der allerdings späte, nichtägyptische Papyrus BGU I 316 (Askalon, 359 p.), ein Sklavenverkauf, der eingehende Regelungen für eine Bebaiosis-Haftung des Verkäufers bei Rechtsmängeln und bei Sach­ mängeln enthält. In bezug auf letztere wird darin ein βεβαιοῦν für sechs Monate für Heilige Krankheit, σίνος und πάος festgelegt, für δρασμός auf die Dauer von zwölf Monaten. Als Inhalt der Verpflichtung wird Rückzahlung der τειμή und Ersatz des βλάβος bestimmt. Wenn auch wohl der Einfluß des römischen Sachmängelrechtes hier unverkennbar ist, so ist doch offensichtlich, daß hier βεβαιόω im Zusammenhang mit Sachmängeln gebraucht wird. Aber blicken wir in die frühe Kaiserzeit. Hier läßt sich in dem Papyrus Mich. V 278–279, einem Sklavenverkauf aus dem Jahre 30 n. Chr., eine etwas anders gestaltete Verbindung aufzeigen. Es heißt hier nämlich, nachdem die Sklaven zunächst für τοῦτον τοιοῦτον erklärt worden sind, βεβαιώσώ τήν πράσιν πάση βεβαίωσει … πλήν δρασμοῦ καί ερᾶς νσου. Der Haftungsausschluß, der in den folgenden Jahrhunderten bei den Sklavenverkäufen üblicherweise an die τ. τ. α.-Klausel angeschlossen wird, schränkt hier die Bebaiosis-Pflicht ein, wor­ aus man folgern könnte, soweit nicht die Klausel τ. τ. eingreift, habe aus der Bebaiosis eine Verpflichtung für alle Arten von Mängeln bestanden. Eine dritte Art der Verknüpfung begegnet vom ersten bis zum dritten Jh. in Urkunden aus drei Gauen, dem Arsinoites, dem Hermopolites und dem Oxy­ rhynchites. Hier wird formuliert: bebais soi πρς πᾶσαν βεβαίωσιν τοῦτον τοιοῦτον άναπόριφον also ist wieder die Haftungsbeschränkung so an die Beba­ iosis-Erklärung herangezogen, daß man einen Zusammenhang vermu­ten muß, zumindest aber kann. Es handelt sich um BGU XI 2112 aus dem 1. Jh., PSI 38, P. London III 309 a S. 170, P. Genf. 29 u. 30, BGU II 453 und XV 2482 aus 38 S. 99.

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dem 2. Jh. und P. Oxy. XIV 1707 aus dem 3. Jh. Vielleicht sollte man auch jene Texte hier nennen, in denen von βεβαιοῦν τν πρᾶσιν die Rede ist, wie z.B. PSI 79 (III. p.), oder von βεβαιοῦν τν νον (PSI VIII 882, IV. p.). In der Mehrzahl der Urkunden findet man freilich die τ. τ. .-Klausel und die Bebaiosis-Erklärung voneinander getrennt39, was aber natürlich nicht bedeuten muß, daß es nach Meinung der Urkundenverfasser dabei um zwei rechtlich völlig verschiedene Komplexe ging. Denn bemerkenswert ist doch, daß nirgend­wo festgehalten ist, welche Folgen eine berechtigte Rückgabe zei­ tigen sollte. Zugegeben werden muß freilich, daß in solchen Texten, die eine ausführli­ chere Bebaiosis-Erklärung enthalten40, die gewählte Formulierung klar und deutlich zeigt, daß es sich um einen Schutz gegen Angriffe Dritter und des Ver­ äußerers selbst auf das getätigte Geschäft handelte, nicht jedoch um Sicherheit für Fälle berechtigter Rückgaben41. Schließlich ist zu sagen, daß uns auch der Nachweis, daß die Bebaiosis-Haf­ tung nicht nur im Falle der Eviktion, sondern auch nach berechtiger Rückgabe eintrat, in unseren Vermutungen nicht viel weiterbringen würde: denn bekannt­ lich wird ja in der Bebaiosis-Erklärung nur selten angeführt, was die Folge ei­ ner Versäumung der Bebaiosis-Pflicht war42. Wie dem aber auch sei, es kann nichts anderes angenommen werden, als daß die berechtigte Rückgabe, wenn der Verkäufer den Kaufpreis daraufhin nicht herausgab, eine δίκη βλάβης oder βεβαιώσεως ausgelöst hat. IV. Zum Abschluß ein Hinweis. Unter den Tierveräußerungsverträgen besit­ zen wir auch einen Beleg für einen Tausch, bekanntlich eine große Seltenheit. In P.Wisconsin I 15 aus dem dritten nachchristl. Jh. tauschen zwei Personen ihre Esel miteinander, wobei der in der Urkunde sprechende Partner erklärt, zusätzlich zu dem Esel des anderen wegen des höheren Wertes seines Tieres eine vereinbarte Aufzahlung von 80 Silberdrachmen erhalten zu haben. Die Tauschpartner stammen aus verschiedenen Gauen, von einer τ. τ. .-Klausel findet sich keine Spur. Es fehlt freilich auch eine Bebaiosis-Klausel, während 39 Bsp.: BGU II 584 (I. p.), P. Lond. II 303 S. 195 (II. p.), PSI 79 (III. p.), P. Oxy XLIII 3143 (IV. p.) 40 Bsp.: P.Oxy XLIII 3145 (IV. p.), P. Ryl. 158 (II. p.). 41 Das war wohl auch der Grund, weshalb Kollege R u p p r e c h t , im Moment aufgrund seiner Studien in den Akten des Symposions 1977 sowie den Studi Biscardi u. Sanfilippo wohl der beste Kenner der Bebaiosis-Probleme, in der Diskussion zu diesem Referat meinte, er glaube nicht an eine Erstreckung der Bebaiosis-Erklärung auf Sachmängel. 42 Ein Beispiel in P. Ryl. 158 Z. 20ff., von P r i n g s h e i m , The Greek Law of sale (1950), S. 442, Anm. 7, als „irregular“ bezeichnet.

Probleme kaiserzeitlicher Tierveräußerungsverträge auf Papyrus

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die Stipulationsklausel περωτηέντες p´ άλλήλων ώμολογήσαμεν in diesem Text aus dem Jahre 236 enthalten ist. Nachdem im 3. nachchristl. Jh. die τ. τ. .-Klausel noch durchaus üblich war, stellt sich auch hier die Frage, welche Bedeutung dem Fehlen der Klausel zuzuschreiben ist. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß es sich hier um Tausch und nicht um Kauf handelt. Da beim Tausch die Rückgabe durch den einen der Partner logischerweise zur Rückgabe auch durch den anderen führen müßte, fragt sich, ob nicht hier vielleicht die „Rückgabe“ überhaupt ausgeschlossen war. Das wäre natürlich eine Härte für jeden Tauschenden gewesen, der ein krankes oder sonst mängelbehaftetes Tier eingetauscht hatte. Der Einwand, daß aber der vorliegende Vertrag wegen der Aufzahlung doch auch Kaufelemente enthalte, dürfte nicht durchschlagen, da eine Bebaiosis-Erklärung fehlt43. Das dürfte dafür sprechen, daß die Urkundenverfasser doch von einem Tausch aus­ gegangen sind. Wie dem aber auch sei, über ein non liquet dürfte im Augenblick nicht hin­ auszukommen sein.

43 Anders in P. Flor, 47 (= M.Chr. 146), einem Immobilientausch mit Aufzahlung aus dem 3. nach­ christl. Jh.

ATYPISCHE TIERVERKAUFSURKUNDEN1

I Unter der Überschrift „Sonderformen und atypische Urkunden“ hat der verstor­ bene Altmeister Hans Julius Wolff vier der hier vorgestellten fünf kaiserzeitli­ chen Papyri im Handbuch2 behandelt. Die Texte stammen alle aus der ersten Hälfte des 3. Jhs. und wurden im Arsinoites aufgesetzt. Es sind die Papyri: Stud. Pal. XXII 101, II. Jh. p. Chr. – BGU XIII 2336, 203 p. Chr. – BGU II 413, 219 p. Chr. – SB XII 11152, 225 p. Chr. – Vindob. G 31583 (= ZPE 56 S. 73 ff), uni 230 p. Chr. Die Fragestellung, mit der an die Texte herangegangen werden soll, lautet: Wer hatte sie wohl nach der Errichtung in Händen und wer war zum selben Zeit­ punkt vermutlich Besitzer der Tiere, deren Veräußerung Gegenstand der Papyri ist?

II Einleitend möchte ich in Erinnerung zurückrufen, wie in der Prinzipatszeit Tierverkaufsurkunden in Ägypten üblicherweise aussahen: Die Urkunden waren immer nach dem Schema A πέπρακεν an B redigiert, begegnen aber in den verschiedensten Formen, nämlich als Cheirographon, notarielle Urkunde, Bank-Diagraphe und sog. privates Protokoll. Sie enthielten regelmäßig: 1. Die Erklärung des Verkäufers, verkauft zu haben. 2. Eine Beschreibung, mindestens aber Nennung des verkauften Objekts. 3. Das Bekenntnis, den vereinbarten Preis erhalten zu haben. 1 Der Beitrag gibt in leicht veränderter Gestalt ein Referat wieder, das auf der XLe Session de la Société internationale „Fernand de Visscher“ pour l’étude des droits de l’antiquité in Stockholm – Uppsala am 15.9.1986 vorgetragen wurde. 2 Handbuch der Altertumswissenschaft, Das Recht der griechischen Papyri Ägyptens in der Zeit der Ptolemäer und des Prinzipats 2. Bd., München 1978, S. 127/8.

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4. Eine Bebaiosis-Erklärung des Veräußerers. 5. Gelegentlich wurde auch festgehalten, daß die Übernahme durch den Käufer stattgefunden habe. 6. Dazu traten in der Mehrzahl der Urkunden die Worte τοῦτον τοι῱υτον ἀναπόριφος, die einen Haftungsausschluß zum Gegenstand hatten, über dessen Bedeutung ich kürzlich in den „Grazer Beiträgen“, Bd. XII/XIII (1985/86), gehandelt und auf der Ringberg-Tagung (Symposion 1985) ge­ sprochen habe. Dem gegenüber bieten unsere 5 Texte ein ganz anderes Bild: Sie folgen zwar gleichfalls dem Schema ό δε‹να πέπρακεν τî δε‹νι, sind aber immer im Proto­ kollstil mit Datum am Anfang abgefaßt – wodurch der Eindruck einer öffentli­ chen Urkunde erweckt wird – tragen das Signalement des Verkäufers und nen­ nen Kaufobjekt und Preis. Es gibt keine Homologien, und bis auf eine Urkunde sind alle von einer einzigen Hand geschrieben. Keine enthält einen -Übergabe­ vermerk, es gibt darin weder Quittungen noch Bebaiosis- oder τοῦτον τοι῱υτον ἀναπόριφος-Klauseln. Als Ort der Veräußerung wird dreimal der Markt ge­ nannt, einmal heißt es „in der Metropolis“, zweimal ist die Mitwirkung eines Hermeneus erwähnt. Etwas aus dem Rahmen der 5 Texte fällt P. Vind. G 31583 insofern, als die Verkaufsbeurkundung mit Kyria- und Stipulationsklausel versehen ist. Wir dürfen die vorliegenden Urkunde wegen des dreimal begegnenden Hin­ weises auf den Abschluß auf dem Markt nicht als die bei Marktkäufen übliche Form verstehen, etwa weil im Trubel eines Marktes nicht genügend Zeit gewe­ sen wäre, eine ausführliche Urkunde auszustellen. Dafür spricht nicht nur das Fehlen der sonst regelmäßigen Klauseln, was, wie mir scheint, eindeutig darauf hinweist, daß es sich nicht um das endgültige Papier handeln kann, sondern auch der Umstand, daß wir eine ganze Reihe von Tierveräußerungsurkunden besitzen, die den üblichen Umfang und die gewöhnlichen Klauseln aufweisen, aber auch den Hinweis enthalten, daß der Verkauf auf dem Markt getätigt wor­ den ist. Ich nenne als Beispiel: PSI XIV 1417 (290 post), SB VI 9214 (311 post), Oxy XLIII 3145 (4. Jh. post).

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III Bei dem Versuch der Erklärung dieser kleinen Urkunden – die größte mißt 8 x 21 cm, die kleinste 7 x 7 – darf man wegen der Bedeutung der Begleichung des Kaufpreises für den Eigentumserwerb nach den griechischen Vorstellungen und der Übergabe nach den Lehren der römischen Juristen wohl davon ausgehen, daß auch. in derartigen, knapp formulierten „Papieren“ Bezahlung und Über­ gabe erwähnt worden wären, wenn sie geschehen waren. In diese Richtung deutet auch die bereits erwähnte Beobachtung, daß in den Tierveräußerungs­ papyri üblicherweise der Erhalt der Time und häufig auch die Übernahme der Tiere festgehalten wurde. Es spricht daher die Wahrscheinlichkeit dafür, daß bei der Errichtung unserer Urkunden beides noch nicht geschehen war. Das bedeutet, daß sich der Besitz der Tiere noch beim Veräußerer befunden haben dürfte und diese auch noch ihm gehört haben, ohne daß die Eigentums­ fragen hier weiter verfolgt werden sollen. Wenn dies im Moment der Errichtung der Texte der Stand der Dinge gewe­ sen ist, braucht man sich nicht zu wundern, daß die üblicherweise begegnenden Klauseln nicht aufscheinen; denn weder eine Bebaiosis-Erklärung des Veräu­ ßerers noch die Einschränkung der Sachmängelrechte des Erwerbers durch die τοàτος τοιοàτος άναπόριφος-Klausel können in diesem Stadium vermißt wor­ den sein, weil es vorerst weder zu einer Eviktion noch einer Rückgabe wegen eines Sachmangels kommen konnte. Welchen Zwecken dienten aber dann die ausgestellten Papyri? Mir scheint, man könnte hier an etwas denken, was ich schon vor längerer Zeit für die Mist­ hosis aufgezeigt habe: Die Perfekt-Form μεμίσθωκα meinte nicht, es ist zwi­ schen uns ein Mietvertrag geschlossen worden, sondern bedeutete entsprechend der sog. Zweckverfügungslehre, daß der Vermieter dem Mietinteressenten ge­ stattet hatte, das Mietobjekt zu den genannten Bedingungen in Benutzung zu nehmen3. Könnte nicht das πέπρακα hier eine entsprechende Bedeutung haben? Ich meine damit, daß der Verkäufer dem potentiellen Käufer seinen Preis ge­ nannt und ihm bedeutet hatte, wenn er wolle, könne er das Tier gegen Bezah­ lung dieses Betrages erwerben. Damit würden sich auch die Kyria-Klausel und die Stipulationsklausel vertragen, die, wie bereits erwähnt, in einem der 5 Texte angefügt sind4. – Ich bin mir selbstverständlich bewußt, daß ein derartiges Ver­ 3 Symposion 1977. S. 311. Siehe auch Hansgünther M ü l l e r, Untersuchungen zur Misthosis von Gebäuden im Recht der gräco-ägyptischen Papyri, Erlanger Juristische Abhandlungen, Bd. 33, 1985, S. 329: „Verfügungsmacht eingeräumt“. 4 Sie würden der Bekräftigung der Verkäufererklärung gedient haben.

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ständnis des Kaufs der h.L. völlig widerspricht5, sehe aber in meinem Vorschlag eine Möglichkeit der Deutung. Auch das Fehlen des üblichen συνπεφωμένη u.ä. in Bezug auf die τιμή könnte darauf hindeuten, daß wir es mit einem dik­ tierten und noch nicht endgültig akzeptierten Preis zu tun haben. Daran knüpfen sich natürlich eine Reihe von juristisch höchst interessanten Fragen, die hier nur angedeutet werden können: Inwieweit waren Verkäufer und Interessent gebunden? Setzte sich ersterer einer Klage aus, wenn er die Tiere einem Dritten veräußerte, bevor sich der Interessent wieder gemeldet hatte? Binnen welcher Frist mußte der Interessent sich erklären? Wenn er sich positiv entschied, den genannten Betrag bezahlte und die Tiere übernahm, haftete der Veräußerer dann für Bebaiosis, obgleich darüber schriftlich nichts ausgemacht worden war? Hatte der Erwerber ein Wandelungsrecht, wenn sich einige Tiere als krank erwiesen? Fragen über Fragen, die zu beantworten hier nicht versucht werden kann6. Zu der angedeuteten möglichen Erklärung würde gut passen, daß wir einen Fayumtext aus der Zeit um 180 p. Chr. besitzen (BGU 11 541), der in Form eines Cheirographon den Erhalt des Kaufpreises für eine verkaufte Eselin be­ inhaltet. Es könnte sich dabei um den Beleg für den abschließenden Akt ei­ nes Geschäftsvorfalles der Art handeln, wie er hier für möglich gehalten wird – aber natürlich auch um eine weitere atypische Veräußerungsurkunde. Für die zu Anfang aufgeworfene Frage nach dem vermutlichen Besitzer der Urkunde würde bei dieser Deutung die Antwort natürlich in erster Linie „der Käufer“ lauten müssen, ohne daß allerdings ausgeschlossen werden darf, daß auch der Verkäufer in Betracht kommen kann, insofern nämlich, als der Papy­ rus für ihn einen Beleg darüber darstellt, daß er einer bestimmten Person die Abgabe der und der Tiere zu einem bestimmten Preis zugesagt hatte. Doch ist das wohl weniger wahrscheinlich. Die Frage, ob in den 5 Papyri nicht lediglich eine Besonderheit des Arsinoi­ tes vorliegt, kann hier dahingestellt bleiben, nachdem es uns ja um den Zweck der Urkunden geht und nicht um Probleme des Vorkommens. Es ist übrigens auch wenig wahrscheinlich, da es zumindest einen Beleg für eine ganz knapp formulierte Verkaufsurkunde in Form eines Cheirographon mit korrekt nach­ gestelltem Datum und Quittung aus dem Fayum (BGU III 758, 197/198 post) gibt. 5 Vgl. Wo l f f, SZ 90/81. 6 Zur Wandelungsfrage s. meine oben genannten Arbeiten, zur Entbehrlichkeit der Bebaiosis­ klausel H. A. R u p p r e c h t , Studi i.o. di C. Sanfilippo III, Milano 1983. S. 626, u. Studi i.o. di A. Biscardi III, Milano 1982, S. 476.

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IV Wenn wir berücksichtigen, daß die ägyptische Urkundenpraxis beim Kauf weitgehend von griechischen und nicht von römischen Rechtsvorstellungen be­ herrscht war7, ist allerdings nicht ganz auszuschließen, daß die Übergabe doch schon erfolgt war. Auch in den „normalen“ Tierveräußerungsurkunden wurde dies ja keineswegs immer erwähnt8. Die Situation wäre dann so anzunehmen, daß der Erwerber sich bereits im Besitz des Tieres befand und deshalb die Möglichkeit haben mußte, den Nach­ weis darüber zu führen, wie er zu dem Tier gekommen war. Dazu hätten Texte wie diese dienen könhen, und es ist denkbar, daß der Veräußerer deshalb eine derartige Urkunde ausgestellt hatte. Auch das Fehlen der Bebaiosis-Erklärung ließe sich unter dieser Annahme verstehen, denn der Veräußerer war ja noch im ungewissen, ob es wirklich letzten Endes zu Bezahlung des Kaufpreises kommen würde. Nicht passend erscheint auf den ersten Blick nur, daß die τοῦτος τοιοàτος άναπόριφος-Klausel fehlt, die ja, soweit wir sie bisher verstehen, im Interesse des Veräußerers die Rechte des Erwerbers einschränkte9. Doch könnte man vielleicht annehmen, daß sie deswegen nicht aufgenommen wurde, weil vorerst noch eine Rückgabe auch im Interesse des Veräußerers in Frage kam, nämlich dann, wenn der Käufer letzten Endes doch den Preis nicht aufbringen konnte oder wollte. Die τ.τ.ά.-Klausel wäre bei einer derartigen Entwicklung der Dinge interessenwid­ rig gewesen. – Zugegebenermaßen ist freilich die Wahrscheinlichkeit, daß man veräußerte Tiere aus der Hand gab, ohne gleichzeitig den Kaufpreis erhalten zu haben, nicht sehr groß, noch dazu bei Marktgeschäften. Auch zu diesem Deutungsvorschlag würde BGU II 541 sozusagen als ab­ schließender Akt passen, freilich wäre es damit zu einem Tierverkauf ohne Bebaiosis- und τ.τ.ά.-Klausel gekommen. Aber dergleichen kommt ja vor10. Fragen müßte man sich eher, warum die Übergabe der Tiere keine Erwähnung gefunden hatte. Doch fiele die Antwort nicht schwer: Rechtlich, d.h. für den Eigentumserwerb, war die Übergabe nach griechischer Auffassung ohne Be­ lang11, bedurfte also nicht der Erwähnung.  7 Vgl. F. P r i n g s h e i m, The Greek Law of Sale, Weimar 1950, S. 109 f.   8 Ein Beispiel aus der Zeit unserer 5 Texte: P. Jand. III 35.   9 Siehe meine oben unter II., Ziffer 6, genannten Arbeiten. 10 Beispiele: BGU IV 1086, XV 2479. Zu den Rechtsfolgen fehlender diesbezüglicher Vereinba­ rungen siehe gleichfalls meine Arbeiten zu den „normalen“ Tierveräußerungsurkunden. 11 Herrschende Lehre, s. J. H e r r m a n n , Symposion 1971, Köln – Wien 1975, S. 329 u. mein Eigentum und Besitz im griechischen Recht des 5. und 4. Jahrhunderts vor Christi, Berlin 1963, passim.

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V Ein weiterer vorstellbarer Verwendungszweck wäre die beabsichtigte Übergabe an eine Bank. Der Käufer könnte vorgehabt haben, den Preis mittels Bank­ zahlung zu entrichten, wobei die Frage „selbständige“ oder „unselbständige“ Diagraphe wohl dahingestellt bleiben kann12. Die Verwendung der Bank-Dia­ graphe bei Tierverkäufen ist mehrfach belegt, ich nenne P. Köln I 54 aus dem Jahre 4 n. Chr., BGU III 982 aus dem Jahre 108 n. Chr. u. P. Basel 4 aus dem Jahre 141 als Beispiele. Eine solche Verwendung unserer Papyri wird nahege­ legt durch die Anführung des Signalements des Veräußerers. Wie H. J. Wo l f f beobachtet hat, war es nämlich eine weitverbreitete Gewohnheit der Trapeziten, das Signalement des Empfängers in die Bank-Urkunde aufzunehmen, ohne daß das allerdings regelmäßig geschah13. Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, was gegen die Deutung der Ver­ wendung als Unterlage für eine Bankzahlung sprechen könnte: Die Tatsache nämlich, daß die Belege für Bank-Diagraphai aus dem Fayum nach der von Wo l f f im Handbuch gegebenen Übersicht in der 2. Hälfte des zweiten nach­ christl. Jhs. aufhören. Doch da ihr Vorkommen anderswo in Ägypten, nämlich in Hermoupolis und Antinoupolis, bis tief in das 3. Jh. belegt ist14, schließt der bisherige Stand der Diagraphai-Funde diesen Deutungsvorschlag wohl nicht aus. Besitzer der Urkunde, die man als Interims-Bescheinigung charakterisieren könnte, wäre unter dieser Annahme selbstverständlich der Käufer gewesen, der sie zu seiner Bank bringen mußte, um die Zahlung durchführen zu lassen. Über den Besitz an den verkauften Tieren ist eine Aussage nicht möglich.

VI Eine weitere Möglichkeit wäre ein Zusammenhang der Texte mit Abgabezwecken, wie schon der Herausgeber von BGU XIII 2336 angenommen hat. Wir wissen aus dem kürzlich publizierten Papyrus BGU XIII 2293, daß es bei Marktkäufen eine Abgabe ὲπιστατεία καὶ δεκάη gab, die der Käufer zahlen 12 Dazu H. J. Wo l f f im Handbuch, S. 95 ff. Letzte monographische Behandlung der Bankdia­ graphe: P. D r e w e s , Die B. in den gräko-ägyptischen Papyri, Diss. jur. Freiburg im Breisgau 1970. 13 Handbuch, S. 101. 14 Handbuch, a.a.O.

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mußte. Nach Wa l l a c e1 5 handelte es sich dabei wohl um eine 10%ige Kauf­ steuer und eine Gebühr für die Anwesenheit eines Epistates. Ein Beleg für die Einzahlungen durch Eselkäufer16 findet sich im Papyrus Hamburg I 33, ein weiterer über eine vom Käufer eines Tieres gezahlte Abgabe in P. Fayum 62 aus dem Jahre 134. Sie stammt von dem Markt in Kerkesouchos und ist die Quittung über ein τέλος, das eine Käuferin namens Sabina einbe­ zahlt hat, die ein Rind zum Preis von 44 Silberdrachmen erworben hatte. Es liegt daher auf der Hand, daß unsere 5 Urkunden auch als Belege für die Verwendung im Zusammenhang mit diesen Abgaben verstanden werden kön­ nen. Allerdings spricht die Anführung des Signalements des Verkäufers nicht für diese Deutung, wenn doch der Käufer der Zahlungsverpflichtete war. Um­ gekehrt wird die Annahme der Verwendung zu fiskalischen Zwecken durch die Beobachtung begünstigt, daß einer unserer Texte (BGU XIII 2336) von zwei Händen geschrieben ist. Darin wurden nämlich das Datum und die Worte „ν ¦γορ© Άλεξ (άνδρου) Νήσυ πέπρακεν“ von einer anderen Person geschrieben, als jener, die später den Namen des Verkäufers, dessen Signalement, das Kauf­ objekt und den Preis eingetragen hat. Diese Beobachtung läßt auf – für diesen speziellen Markttag vorbereitete – „Zettel“ schließen, die im konkreten Fall nur vervollständigt wurden. Dabei ist natürlich nicht an eine Vorbereitung durch den Veräußerer zu denken; denn dieser hätte zweifellos seinen Namen gleich eingesetzt. In Betracht kommt eher einer der Epistatai, wie der Herausgeber der Urkunde meint, aber es steht vielleicht auch der Hermeneus in Frage, obgleich gerade diese Urkunde die Mitwirkung eines solchen nicht nennt. Nicht zu denken ist wohl an eine für Abgabezwecke bestimmte Beschei­ nigung für die Akten des Veräußerers, z.B. um gegenüber der Steuerbehörde notfalls nachweisen zu können, daß er eines seiner Tiere verkauft hatte17; denn da die Urkunden durchwegs keine Hypographai tragen, konnte sie sozusagen jeder errichtet haben, überdies hätte man solchenfalls sicherlich auch die er­ folgte Übernahme erwähnt. Folgen wir der Annahme einer Aufzeichnung für fiskalische Zwecke, läßt sich naturgemäß über den Zettel-Besitzer wenig aussagen; in erster Linie kä­ men wohl der Pächter der Steuer und der Epistates, vielleicht auch der Käufer und der Hermeneus in Betracht.

15 Taxation in Egypt from Augustus to Diokletian, Princeton 1938, S. 226, u. 261. 16 So Wa l l a c e, Taxation …, S. 226. 17 Bspl: für eine Verkaufsdeklaration BGU I 353.

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VII Womit wir bei einem dunklen Punkt wären: Was bedeutet διὰ έρμηνέως in den Wiener Texten G 31583 und Stud. Pal. XXII 101? Bei dem letzten Bearbeiter dieser Materie, W. P e r e m a n s, lesen wir: „Nous verrons qu’ils ne sont pas seulement des interprètes, mais aussi des agents de l’administration, des employés aupreès des tribunaux, des attaché aux temples. Ou encore des agents de commerce et des fonctionnaires des village“18. Für Stud. Pal. XX 101 hat K a 1 é n19 angenommen, „daß ein Dolmetscher bisweilen auch als Urkundenschreiber tätig war“20. Peremans stimmt dem zu, mein aber aufgrund der Namen der Parteien in diesem Text, vielleicht habe doch die Dolmetschtätigkeit im Vordergrund gestanden. Für G 31583 sieht der Herausgeber G. B a s t i a n i n i aufgrund der Namen der Parteien keinen An­ laß für die Notwendigkeit einer Dolmetschtätigkeit21, schwankt aber zwischen „scrivano pubblico“ und „mediatore“. Für eine Vermittlertätigkeit eines Her­ meneus gibt es nach Peremans Feststellungen bis heute nur einen Beleg aus römischer Zeit, Oxy. 1650, wo für έρμενε‹{ς} die Ausgabe von zwei Drachmen verzeichnet ist. Das ist m.E. aber vie zu unsicher, um darauf die Annahme einer Maklertätigkeit o.ä. in unserem Text zu stützen, wenngleich bei einem Kauf daran natürlich leicht gedacht werden kann. Aber damit würden wir vielleicht zu sehr heutige Erfahrungen in die Erklärung antiker Texte einfließen lassen und damit einer Gefahr unterliegen, die ja bei einem Rechtshistoriker, der auch geltendes Recht betreibt, stets immanent ist. Aber auch die Stellung der Worte δι¦ έρμηνέως in G 31583 scheint mir eher für „Verfasser der Urkunde“ als für „Vermittler“ zu sprechen. Ab Zeile 16 lautet der Text nämlich wie folgt (ZPE 56 S. 75): 16

¢μφοτέρων ¢ργυ(ρίου) (δραχμîν) έξ[ακ]οσί[ων] τ ̣ε ̣σ ̣σρά〈κον〉τα (γίνονται) (δραχμαί) χμ κ ̣υ ̣ρία ή πρ©σ ̣(ις) δ(ι¦) έρμηνέως [πη]ρωτήθη κ ̣αˆ όμ ̣ο ̣λ〈όγ〉ησεν

18 Das römisch-byzantinische Ägypten, Akten des intern. Symposions 26.–30. Sept. 1978 in Trier, Mainz 1983, S. 12. 19 Berliner Leihgabe griechischer Papyri I, Uppsala 1932. S. 175. 20 Auch R. Ta u b e n s c h l a g, Opera Minora II, Warszawa 1959, S. 168, war dieser Meinung. 21 Aber könnte es nicht sein, daß von den beiden Aureliern Celetes, Sohn des Harpokration, und Serenis (?), Sohn des Horus, einer nicht gut griechisch verstand und deshalb der Hermeneus herangezogen wurde?

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[d] (i¦)AÙrhl(ˆou)scur…wnoj ˜rmhnšwj []ο̣α̣()

Das sieht für mich mehr nach einem Hinweis auf den Verfertiger der Urkunde als den Vermittler des Geschäftes aus. Auch bei diesem Text sollte man also annehmen, daß jemand, der vorwiegend oder doch auch als Hermeneus arbei­ tete – übrigens ein Aurelier wie die Geschäftspartner! – von den Parteien zur Niederschrift über den Abschluß herangezogen worden war.

VIII Die Entscheidung für eine der genannten Möglichkeiten fällt schwer. Die An­ führung des Signalements des Verkäufers spricht für eine Verwendung, bei der es auf eine Identifizierbarkeit dieses Geschäftspartners ankam. Das könnten Zwecke des Käufers oder der Obrigkeit gewesen sein. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, daß sich gerade im Fayum eine besondere Vorliebe für die Aufnahme des Signalements beobachten läßt22, ohne daß dem offenbar eine juristische Bedeutung beizumessen wäre. Die ungewöhnliche Plazierung des Datums am Anfang spricht wohl für ei­ nen Verfasser, der es gewohnt war, staatsnotarielle Syngraphai o.ä. zu errich­ ten. An eine Vortäuschung war dabei wohl kaum gedacht, Wo l f f konstatiert „Nachahmung“. Daß es auf einem Tiermarkt nicht zum endgültigen Abschluß kam, erscheint gleichfalls weniger wahrscheinlich, weshalb die Annahme einer beabsichtigten Bankzahlung vielleicht am meisten für sich hat! Damit wäre die Frage „wer war Besitzer der Urkunde“? mit „der Käufer“ zu beantworten, für die verkauf­ ten Tiere muß man es wohl bei einem „non liquet“ belassen.

22 Wo 1 f f, Handbuch, S. 89.

STATUSWECHSEL NACH DER LEX IRNITANA

Nachdem mit der sogenannten lex Irnitana1 auch bisher unbekannte Artikel der leges für die latinischen Munizipien der iberischen Halbinsel aus flavischer Zeit bekannt geworden sind, die Probleme des Statuswechsel betreffen (Art. 21 (Anfang), 72 und 97, die Nummerierung in Fortführung der Zählung er leges Malacitana und Salpensana), erscheint es nicht nutzlos, die Bestimmungen über den Statuswechsel insgesamt neu zu behandeln.

I. Aller Erbwerb der status civitatis in der lex Irnitana basiert auf Artikel 21, der den Erwerb der civitas Romana durch den Magistrat und bestimmte nahe An­ hörigfe zum Inhalt hat. Wir verdanken dem Neufund den Anfang dieses Artikel – der weitere Text ist identsich mit dem der lex Salpensana –, der uns lehrt, daß die Norm sich nur auf Magistrate bezog, die aus dem Kreise der Deku­ rionen und conscripti in das Amt gewählt worden waren2. Ob das heißt, daß d´überhaupt nur Dekurionen und conscripti wählbar waren oder daß nur aus diesem Kreise zur Magistratur gelangten Personen der Schritt in das römische Bürgerrecht offenstand, lässt sich dem Statut nicht sicher entnehmen3. Ich will auf diese Frage hier nicht näher eingehen, aber doch anmerken, daß in dem zwar nicht aus Irni, aber in der lex Malacitana überlieferten Artikel 54 unter den Erfordernissen für die Wahl zum duovir nicht nur die Zugehörigkeit zu den Dekurionen nicht genannt ist, sondern ausdrücklich solche Personen ausgeschlossen sind, die als cives Romani nicht decurio werden könnten. Das kann wohl nur bedeuten, daß die römischen Erfordernisse für den Dekurionat für die latinischen Munizipien auf der iberischen Halbinsel übernommen wer­ den sollten und jeder Magistratskandidat diese erfüllen mußte. Das hätte man wohl nicht so formuliert, wären nur Dekurionen und conscripti als Bewerber in 1 Text und Kommentar bei Gonzales JRS 76 (1986) und D’Ors, La Ley Flavia municipal, Ro­ mae 1986. Auf die Kommentare beider Autoren wird im folgenden nicht speziell verwiesen. Vgl. zur lex Irnitana allgemein MEINEN Aufsatz in der Grazer Festschrift für Hermann Baltl zum 70. Geburtstag («Recht und Geschichte», Graz 1988) 373–385. 2 Qui ex senatoribus decurionibus conscriptisve municipii Flavi Irnitani magistratus, uti. h.l. comprehensum est, create sunt erunt … 3 Vgl. Horstkotte ZPE 78 (1989) 165ff. und Galsterer JRS 78 (1988) 79ff., die diesbezüglich zu gegenteiligen Schlüssen kommen.

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Frage gekommen. Oder war die Qualifikation zum decurio in den latinischen Munizipien anders festgesetzt als in Rom? Jedenfalls erscheint der Text des Ar­ tikel 54 eher unter der Ausnahme verständlich, daß Exmagistrate automatisch Dekurionen wurden, was freilich, wenn überhaupt im Statut erwähnt, nur in jenen Abschnitten (Art. 1–18, 32–38) gestanden haben kann, die uns vollstän­ dig fehlen. Denn von zwei Erwähnungen von Einzelfällen (in den Art. 31 u. 72) abgesehen, wissen wir weder, wie man decurio, noch wie man municeps von Salpensa, Malaca oder Irni wurde4. Auch die Auffindung des vollständigen Textes von Artikel 21 weist uns üb­ rigens keinen Weg zu einem sicheren Verständnis des seit langem bekannten letzten Teiles des Artikel, nämlich der zahlenmäßigen Beschränkung „dum ne plures cives Romani sint quam quod ex hac lege magistratus creare oportet“. Die wahrscheinlichste Deutung scheint trotz des Wortlautes zu sein, daß immer nur so viele Magistrate nebst den in Artikel 21 genannten Angehörigen zum Zuge kommen konnten, wie Posten zu besetzen waren, also regelmäßig wohl 6 Familien (zwei duumviri, zwei Ädilen, zwei Quästoren), was natürlich bedeu­ tet, daß insgesamt weit mehr als 6 Personen pro Jahr Neubürger wurden, denn mit den plures kann nur die Zahl der Familien gemeint gewesen sein und nicht die Gesamtzahl der Neubürger5. II. Der Erwerb des Status eines civis Romanus gemäß Artikel 21 – das heißt durch den Magistrat selbst, seine coniux, seine parentes und die in „potestas parentium“ befindlichen Kinder und Enkel – machte flankierende Regelungen not­ wendig, die sich in den schon aus der lex Salpensana bekannten Artikeln 22 und 23 finden. Dabei zunächst offenbar übersehene Probleme sind Gegenstand von Artikel 97 des Neufundes. Artikel 22 regelt die Lage eines Neubürgers, der vorher in einem G e w a l t ­ v e r h ä l t n i s gestanden hatte. Der Gewaltunterworfene soll bei beiderseitigem 4 D. 50.2.7.2 aus den Paulus-Sentenzen „is qui non sit decurio, duumviratu vel aliis honoribus fungi non potest“ ist zu spät, um daraus ein entscheidendes Argument für die Interpretation der lex Irnitana abzuleiten. 5 Die Zahl von 6 konnte sich vermindern, wenn unter den Gewählten cives Romani waren. Ob in einem derartigen Fall auch etwaige Angehörige eines solchen Magistrats, die noch nicht cives waren, nicht zum Zuge kamen? Mir scheint ja, weil die Angehörigen in Art. 21 nur als mitbedacht aufscheinen und ich nicht glauben kann, daß die Römer den Zweck der Norm darin gesehen haben könnten, möglichst vielen Personen die civitas Romana zu verschaffen. – Vgl. auch meinen Beitrag in der Festschrift für Baltl (Fn. 1) 377-378.

Statuswechsel nach der lex Irnitana

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Erwerb der civitas Romana in potestas5a, manus bzw. mancipium der Person ste­ hen, in der er sich ohne Statuswechsel befände. Ich verstehe das, nachdem beide nunmehr cives waren, als Überführung latinischer Gewaltverhältnisse in solche des ius civile und nicht als Fortgeltung des bisherigen Rechts, was wohl darauf hindeutet, daß große Unterschiede nicht bestanden haben. Umso bemerkenswer­ ter erscheint, daß in demselben Artikel den Neubürgerinnen (und Neubürgern?) das Recht zur tutoris optio zugesprochen wird, „wie wenn sie geborene Römer wären und kein Statuswechsel stattgefunden hätte“. Insoweit findet somit keine Überführung statt, was anzeigen dürfte, daß hinsichtlich der tutela Verschieden­ heiten zwischen dem römischen und dem bisherigen Privatrecht der Neubürger bestanden haben. Wir beobachten also zwei verschiedene Lösungswege: Über­ führung nicht-römischer Personenbeziehungen in solche des römischen Rechts und Fiktion eines von Geburt an vorhandenen status civitatis6. Einen dritten Weg zur Regelung der Statuswechsel-Probleme wählte man in Abschnitt 23: Wer die civitas Romana erwirbt, behält seine Rechte gegenüber seinen Freigelassenen und denen seines Vaters, wenn diese n i c h t römische Neubürger werden, wie wenn der Statuswechsel nicht geschehen wäre, und zwar auch bezüglich der bona der liberti und jener Abreden „quae libertatis causa imposita sunt“. Das bedeutet: Dem Neubürger verbleiben über die – lati­ nischen? – liberti die ihm bisher nach seinem Heimatrecht zustehenden Rechte. Hier findet also keine Überführung statt, es gilt das bisherige Recht weiter, ver­ mutlich deshalb, weil der Freigelassene außerhalb des Rechts der römischen Bürger bleibt7. Diese beiden Abschnitte, die bereits aus dem Statut von Salpensa bekannt waren, enthalten eine nur unvollständige Regelung der mit einem Statuswech­ sel verbundenen Fragen. Es finden sich keine Lösungen für die Beziehung patronus: libertus im Falle des beiderseitigen Wechsels der civitas sowie eines 5a Vgl. Gaius I 95

6 Zu der zu vermutenden Entstehung dieses Artikels aus mehreren Einzelregelungen und der Einräumung der optio tutoris nicht nur an Frauen, vgl. D’Ors (Fn. 1) 102-106. Zu der Frage, ob hier ein Widerspruch zu Gaius’. Äußerungen über patria potestas und manus besteht, vgl. Hanard RIDA 34 (1987) 173–175. Der die tutela betreffende Satz lautet seltsamerweise: „itaque ius tutoris optandi habeto, quod herberet; si a cive Romano ortus orta neque civitate mutatus mutata esset“. Mommsen, Gesam­ melte Schriften, I. Abteilung: Juristische Schriften, Bd. 1 (Berlin 1905) 350 hält das für schlam­ pige Redaktion. D’Ors (Fn. 1) 103 denkt im Hinblick auf Art. 29 an bewußte Erstreckung auf die impuberes. 7 Ob das die Durchbrechung eines römischen Prinzips (erschlossen aus Gaius III 56) bedeutet, wie seit Mommsen (Fn. 6) 300 gerne angenommen wird (so die Kommentare von D’Ors und Gonzalez), möchte ich hier unbehandelt lassen.

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Wechsels des libertus allein. Desgleichen fehlen Regelungen für den Status­ wechsel nur eines der Beteiligten eines bestehenden Gewaltverhältnisses. Bei­ spiele: Bleibt der Haussohn in der potestas des Vaters, wenn dieser Neurömer wird, er aber nicht, und umgekehrt? Welche Rechte hat ein Nichtbürger, wenn sein Freigelassener civis geworden ist, beziehungsweise wird die bisherige Pa­ tronatsbeziehung in eine römische transformiert, wenn beide Neurömer wur­ den? Dazu findet sich in der lex Irnitana die offensichtlich nachgetragene Bestim­ mung des Abschnitts 97, die allerdings nur den P a t r o n a t betrifft. Wenn liberti/libertae per honores liberorum suo aut virorum Neubürger geworden wa­ ren, behielten nicht zur civitas gelangte Freilasser die bisherigen (latinischen?) Rechte über ihre Freigelassenen – nicht auch die väterlichen (ungenaue Redak­ tion?)8 – auch bezüglich der bona, nicht dagegen solche aus besonderen Abma­ chungen (Redaktionsversehen?), wie wenn der Wechsel nicht erfolgt wäre. Ein Neubürger konnte somit einen nicht -civis zum Patron haben. Vielleicht hielt man die hier im Gegensatz zu Artikel 23 nicht aufscheinenden Rechte für zu weitgehend in der Hand eines Nichtrömers gegenüber einem civis. Hier ist der Zusammensteller des Statuts – oder der Verfasser des Nachtragsartikels – er­ neut den Weg der Beibehaltung des Rechts gegangen. Artikel 97 bestimmt weiter: Wurden patron u n d libertus zu cives, soll der Patron jene Rechte bezüglich der Freigelassenen und ihrer bona haben „quod esset si a civibus Romanis manumissi essent“. Die Patronatsbeziehung wird also behandelt, wie wenn sie einer Römerfreilassung entsprungen wäre. Es wird fingiert, daß der Freilasser schon bei der manumissio civis gewesen ist. Die Beziehung regelt sich rein nach römischem Recht.9 – Da nun auch hier nicht die vollen im Artikel 23 genannten Rechte aufrecht erhalten werden, dürfte die eben geäußerte Vermutung nicht zutreffen, daß das darauf beruhen könnte, daß der Patron kein civis war. Eher liegt, wenn man nicht der These einer schlampigen Redaktion beitreten will, die Annahme nahe, daß eine be­ wußte Abweichung für Fälle vorgenommen worden ist, in denen ein libertus zum civis geworden war. K e i n e Ergänzung hat Artikel 22 durch den Nachtrag gefunden. Es ist nicht ausdrücklich geregelt, was gelten soll, wenn von den in einem G e w a l t v e r ­ h ä l t n i s verbundenen Personen nur einer civis Romanus wurde. Überlegen wir uns ein Beispiel: Der Magistrat hatte seinen Sohn in ein mancipium gege­ ben, der Inhaber der mancipium-Gewalt erlangte aber die civitas nicht. Hier 8 So Gonzalez in seinem Kommentar zur lex Irnitana, JRS 76 (1986) 204. 9 Es wird der gleiche Weg wie in Art. 22 hinsichtlich der tutoris optio beschritten.

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besteht Anlaß zu Zweifeln. In Gaius (I 128) lesen wir, daß ein civis Romanus keinen peregrinus in seiner potestas haben kann und umgekehrt. Hatte also der Magistrat einen Bruder, der noch in der Gewalt von beider Vater stand, muß dieser gewaltfrei geworden sein, wenn der Vater gemäß Artikel 21 civis wurde. Dasselbe würde ich für eine gewaltunterworfene Stiefmutter annehmen, ob­ gleich zur manus bei Gaius diesbezüglich nichts zu finden ist. Galt gleiches aber auch für Personen in causa mancipii? Ich würde eher denken „nein“, „quia servorum loco haberentur“, wenngleich mir ein römischer Haussohn im mancipium eines Nichtbürgers keine überzeugende Annahme zu sein scheint. Gaius behandelt auch diesen Fall nicht. Jedenfalls aber scheint mir der Grund für die Nichtregelung der Frage durch das Statut darin zu liegen, daß eine Aufrechter­ haltung der Gewalt von römischer Warte aus nicht in Betracht kam. Ich habe im Vorstehenden absichtlich vermieden, das bisherige Recht der durch Artikel 21 zu cives Gewordenen als latinisches zu bezeichnen, weil mir mög­ lich erscheint, daß auch (nicht latinische) peregrini auf diesem Weg zu cives werden konnten, so daß zum Beispiel auch peregrine Patronatsverhältnisse in Betracht gekommen sein könnten. Auch hierfür ein Beispiel: Der peregrine Va­ ter eines municeps wird durch die Amtsbekleidung seines Sohnes zum Bürger, nachdem er nach peregrinem Recht Freilassungen vorgenommen hatte. Es läge ein Fall des Artikel 23 vor. Eines Hinweises wert erscheint mir, daß die zufolge von Artikel 21 notwen­ dig auftauchenden conubium-Probleme im Statut unerwähnt bleiben. Der na­ heliegendste Fall wäre, daß der mit der civitas belohnte Magistrat eine Latina oder peregrina heiraten will. In den Militärdiplomen für Auxiliare ist dieser Fall bekanntlich berücksichtigt10, nicht aber in den Fragmenten aus den spanischen latinischen Munizipien! Ein weiterer Fall wäre, daß der pater des Magistrats in zweiter Ehe mit einer peregrina oder Latina verheiratet war. Da die Stiefmutter ohne Zweifel nicht gemäß Artikel 21 die citivas erlangte, stellt sich die Frage nach der nunmehrigen Bewertung ihrer Ehe. Ähnliches gilt beispielsweise für einen mit einer peregrina verheirateten Sohn des Magistrats. Soweit es sich in derartigen Fällen um Peregrine gehandelt hat, kann be­ wußte Nichterteilung des conubium angenommen werden. Für Latinae möchte man conubium concessum (im Sinne von regulae Ulpiani V 4) annehmen; denn mußte ohne ein solches in einem municipium Latinum mit regelmäßigem Status­ wechsel von municipes Jahr für Jahr nicht laufend Unruhe und Unzufriedenheit entstehen? Es wundert daher nicht, daß in jüngster Zeit in der Literatur vermehrt 10 Vgl. Vittinghoff in „Heer und Integrationspolitik“ (ed. Eck/Wolff 1986) 536.

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Stimmen zu finden sind, die das bejahen11. Ich muß allerdings bekennen, daß ich von der Richtigkeit der Zuerkennung des conubium an die municipes Latini nicht überzeugt bin. Noch Gaius (I 56) und die regulae Ulpiani (V 4) betonen die Notwendigkeit der conubium-Gewährung (concessum) an Latini schlecht­ hin, ohne in diesem Zusammenhang zwischen Latini Iuniani und coloniarii zu unterscheiden wie an anderen Stellen (Gaius I 29, regulae IX 4). Es ist des­ halb wenig wahrscheinlich, daß in I 56 und V 4 nur die Latini Iuniani gemeint sein könnten, zumal gerade bei diesen ein concessum conubium naheliegt (Vgl. Gaius I 80), nachdem ihnen die Möglichkeit eingeräumt war, durch Eheschlie­ ßung mit einer Römerin selbst cives zu werden (Gaius I 29-31). Ich neige eher dazu, in dem den Neubürgern nicht gewährten conubium den Anlaß oder einen der Anlässe für die am Ende der lex Irnitana aufgezeichnete scharfe subscriptio12 Domitians anzunehmen: Es erscheint möglich, daß man in den latinischen Munizipien zunächst die Erlangung der civitas als das conubium einschließend verstanden hatte. Die Kaiser hatten das auch geduldet (venia). Nun aber soll – so der Spruch Domitians – die Strenge des Gesetzes gelten, das heißt zukünftig darf sich keiner mehr darauf berufen, mit der Erlangung der civitas Romana sei auch das conubium mit einer Latina oder peregrina erlangt worden. Ich will freilich nicht verschweigen, daß Mourgues die subscriptio in einem anderen Zusammenhang sieht. Wegen ihrer Stellung in der letzten Bronzetafel der lex Irnitana, unmittelbar hinter Abschnitt 97, müsse sie sich auf die in die­ sem Abschnitt geregelten Probleme bezogen haben. Als ersten Fall denkt er an Freigelassene, die nach peregrinem Recht verheiratet waren, ohne daß das von römischer Warte aus als gültige Ehe verstanden werden konnte. Dem habe man nachgesehen und sie zusammen mit ihren Ehemännern zur civitas gelangen lassen. Hier sehe ich nur einen sehr oberflächlichen Zusammenhang mit dem Inhalt des Artikel 97; denn darin geht es ja um den Fortbestand des Patronats und nicht um die Anerkennung von Ehen. Meines Erachtens hat Mourgues dabei übersehen, daß das gleiche Problem auch bei freigeborenen peregrinae auftauchen konnte. Eine diesbezügliche kaiserliche Äußerung hätte also hinter Artikel 21 gehört und nicht hinter Artikel 97! 11 Ich nenne Humbert Ktema 6 (1981) 221, Le Roux RHD 64 (1986) 344, Alföldy, Bayerische Vorgeschichtsblätter, Jahrgang 51 (1986) 197 sowie Braunert in den Corolla memoriae E. Swoboda (Graz – Köln 1966) 76. Anders dagegen Kaser, Römisches Privatrecht I2, 282, 315. 12 So Mourgues JRS 77 (1987) 78ff. Der Text lautet: „conubia conprehensa quaedam lege lata scio et postea aliqua. Si quit sollicitudo vestra indicat parum considerate coisse, quibus in praeteritum veniam do, in futurum exigo memineritis legis, cum iam omnes indulgentiae partes consumatae sint. Litterae datae III idus Apriles …“

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Als zweiten Fall denkt Mourgues daran, daß man verheiratete libertae nach Erlangung der civitas wie ingenuae behandelt habe, was gleichfalls in Zukunft nicht mehr geduldet werden solle. Auch hier sehe ich nur einen sehr beschränk­ ten Zusammenhang mit Artikel 97, worin es ja um die Rechte der Freilasser, nicht aber darum ging, ob libertae im Interesse ihrer Ehemänner Nachsicht von den Nachteilen des Freigelassenen-Status gewährt werden würde. Wie dem aber auch sei, es erscheint nicht ausgeschlossen, daß Domitian mit seinem Schreiben die conubium-Frage und nicht Patronatsfragen gemeint hat13. Daß es im ersten Jahrhundert im Zusammenhang mit Latinern verschiedene Meinun­ gen darüber gegeben hat, ob das conubium stillschweigend miterteilt worden war, wissen wir ja aus Gaius (I 80). Fest steht jedenfalls: Wie es mit den Ehen der gemäß Artikel 21 zu cives gewordenen municipes von Irni stand, können wir nur vermuten14.

III. Um den status libertatis geht es in den Bestimmungen über Freilassungen. Zu dem Neufund gehört auch Artikel 72 über die Freilassung von servi publici. Auf das dort genau geregelte Verfahren will ich hier nicht eingehen15, sondern nur die Folgen betrachten: Der Freigelassene wird liber und Latinus und municeps municipi Flavi Irnitani. Wenn ich recht sehe, ist dies unter den erhaltenen Teilen des Statuts der einzige Artikel, der uns einen Tatbestand überliefert, durch den man municeps wurde. Bisher war aus den erhaltenen Teilen des Statuts nur zu ersehen, daß es municipes, die Latini waren, gegeben haben muß (Artikel 28 der lex Salpensana). Wir werden auf diesen Artikel gleich zu sprechen kommen. War ein solcher freigelassener servus publicus ein Latinus Iunianus? Ich möchte das verneinen. Latinus Iunianus nannten die Römer einen nicht nach den Regeln des ius civile manumittierten Unfreien eines civis Romanus. Hier dagegen haben wir es mit einem – offenbar – formgerecht freigelassenen Ge­ meindesklaven eines municipium Latinum (dieser terminus erstmals in Artikel 30)16 zu tun. 13 D’Ors denkt in La Ley Flavia Municipal (Fn. 1) 186 an die Ehen von Römerinnen mit Latinern als einen möglichen Anlaß. 14 Galsterer JRS 78 (1988) 80 glaubt an eine Regelung der conubium-Frage in den uns nicht erhaltenen Teilen des Gemeindestatuts. 15 Dazu Gimenez-Candela IURA 32 (1981). 16 Le Roux (in der Fn. 11 genannten Arbeit „Municipe et droit latin en Hispania sous l‘Empire“) hält die municipia Latina für einen von den Flaviern erfundenen Gemeindetyp.

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Eine weit schwieriger zu beantwortende Frage ist freilich, ob, und wenn ja wodurch, sich ein solcher Ex-servus publicus in seiner Rechtsstellung von ei­ nem Iunianus unterschied. Mir scheint, daß wir diese Frage nicht beantworten können. Wir kennen zwar die Beschränkungen und Privilegien, die Iuniani be­ trafen17, wissen aber, wenn ich recht sehe, wenig über Beschränkungen dieser latinischen Neu-municipes, außer daß sie eben keine ingenui waren – und des­ halb für solche Verwendungen nicht in Betracht kamen, wozu man ingenuus sein mußte, beispielsweise gemäß Artikel 54 für die Bekleidung von Magistra­ turen oder gemäß Artikel 86 für die Aufnahme in die Richterliste – und Patro­ natsrechten der Gemeinde Irni unterlagen. Dazu gleich. Auch wenn also die Freigelassenen des Artikel 72 nicht als Iuniani anzuse­ hen sind, kann es doch kaum einem Zweifel unterliegen, daß es Iuniani in Irni, Malaca und Salpensa gegeben haben muß. Denn ein municeps civis Romanus – daß es solche gegeben hat, kann kaum bezweifelt werden, man erinnere sich nur an Artikel 21 – brauchte ja nur eine manumissio inter amicos vorzunehmen, und schon war sein bisheriger Sklave zum Latinus Iunianus geworden. Aber auch zum municeps? Damit kommen wir zu dem bereits erwähnten Artikel 28 zurück, der die Freilassung eines privaten servus in einem municipium Latinum betrifft – und sind damit erneut bei einer Lücke beziehungsweise absichtlichen Nichtbehand­ lung im Statut. Artikel 28 regelt nämlich nur den Fall der Freilassung durch einen municeps, qui Latinus erit, apud duumviros. – Der Fall einer manumissio durch einen municeps civis Romanus ist im Statut nicht behandelt, allgemein wird angenommen, daß die duumviri einer latinischen Gemeinde zur manumissio vindicta nicht befugt waren, man also den Provinzgouverneur angehen mußte –18. Der Status des durch einen latinischen municeps freigelassenen Pri­ vatsklaven wird wie folgt umschrieben: „liber esto uti qui optimo iure Latini libertini liberi sunt erunt“. Hieran erscheint dreierlei interessant: Die Freiheit wird umschrieben uti qui optimo iure Latini liberti sint. Das kann eine bloße Floskel sein, ich halte aber für wahrscheinlich, daß damit eine Abgrenzung gegenüber den Latini Iuniani gemeint war19. Es heißt nicht iure Latino, was für diejenigen spricht,die das Vorhandensein einer „civitas Latina“ leugnen20. 17 Die jüngsten Arbeiten über die Latini Iuniani sind die von Sirks RIDA 28 (1981) und 30 (1983) sowie die in Fn. 11 genannte Abhandlung von Humbert. 18 Vgl. Mommsen (Fn. 6) 326/327. 19 So auch Gonzales (Fn. 1) 206. 20 Von den neuesten Arbeiten nenne ich Humberts bereits zitierten Artikel. A.A. Gonzales Athe­ naeum 75 (1987) 317: civitas Latina = „una especie de civitas Romana de transición“. Die letzte umfassende Betrachtung ist die in Fn. 11 genannte Arbeit von Alföldy, in juristischer Hinsicht

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Weiter fehlt die Zuerkennung des Gemeindebürgerrechts, daß die Freigelasse­ nen municipes sunt erunt, steht nicht dort. Wenn das beabsichtigt war21, was man bei der Interpretation eines m o d e r n e n G e s e t z e s im Hinblick auf die Formulierung in Artikel 72 wohl annehmen müßte, wäre das verständlich. Dem einzelnen Bürger sollte nicht die Möglichkeit gegeben werden, beliebig neue municipes zu schaffen. Das war zwar ein Grundsatz des altgriechischen Rech­ tes, galt aber, wie bekannt, nicht in Rom; auch in der Prinzipatszeit konnte ein civis durch eine ius civile-gemäße Freilassung cives schaffen. Sollte gleiches für das Gemeindebürgerrecht nicht gegolten haben? Wurde also zum Beispiel ein testamento Freigelassener eines municeps civis Romanus nicht auch zum municeps, sondern „nur“ zum civis? Ich halte das für kaum wahrscheinlich. Doch sollte man sich dafür vielleicht nicht allzusehr auf Ulpian D. 50,1,1 pr. berufen, weil es dort heißt: municipem facit … manumissio …; denn die Mei­ nungen der spätklassischen Juristen entsprechen öfters nicht dem Recht zur Zeit der lex Irnitana22. Aber was für Freilassungen durch municipes cives Romani wahrscheinlich ist, muß nicht auch für freigelassene Latinersklaven gegolten haben. Ich halte für denkbar, daß private liberti Latini nicht, wenigstens nicht sogleich, municipes wurden. Doch führt eine derartige Annahme wohl unver­ meidbar zu der Notwendigkeit, eine civitas Latina zu bejahen. Denn welche Rechtsordnung sollte für diese Freigelassenen „besten Rechts“ gegolten haben, wenn wir sie nicht als municipes von Irni – und damit als dem Recht dieser Stadt unterworfen – verstehen? Ich will hier in eine Diskussion des Charakters des „latinischen Rechts“ nicht eintreten (vgl. die eben genannte Literatur), son­ dern nur die Konsequenzen andeuten und es bei einem vorläufigen mihi non liquet belassen. Wie man municeps in einem der spanischen latinischen Munizipien wurde, wissen wir sicher also nur für servi publici23. Es ist übrigens auch unbekannt, wie die municipes der ersten Generation, wie man heute sagen würde, zu sol­ chen geworden sind, ganz zu schweigen von der interessanten Frage, ob die Nicht-cives unter ihnen schon vor der Errichtung des municipium aufgrund der Vespasianischen Verleihung Latini waren24 beziehungsweise genannt wurden. allerdings nicht immer überzeugend. Vgl. auch Spitzl, Lex Municipii Malacitani (München 1984) 2ff. 21 Das Gegenteil nimmt Mommsen (Fn. 6) 293 an. 22 Vgl. Simshäuser RHD 67 (1989) 646. 23 Erwerb des Gemeindebürgerrechts durch Geburt ist natürlich anzunehmen, aber ob bzw. durch wen Zuziehende aufgenommen werden konnten, wissen wir nicht. 24 So ist wohl Gonzalez in der Fn. 20 genannten Arbeit zu verstehen. Auch Humbert (Fn. 11) 222.

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Auch incolae des municipium Irnitanum konnten offenbar vor den duumviri nicht freilassen. Sie waren zwar nach Artikel 94 gehalten, dem Statut zu gehor­ chen, und nach Artikel 84 berechtigt, vor dem duovir beziehungsweise dem Ädil zu prozessieren, von manumittieren aber ist nirgendwo die Rede. Dazu mußte der incola offenbar seine Heimatgemeinde aufsuchen, soweit sein Hei­ matrecht nicht private Formen der Freilassung kannte. Freigelassenen-Fragen werden überdies berührt in den Artikeln 23 und 97, davon wurde oben bereits gehandelt. IV. Ich komme zurück zu den P a t r o n a t s r e c h t e n d e r G e m e i n d e Irni über ihre liberti. Artikel 72 bestimmt „inque eius, qui ita manumissus erit, hereditate bonorum[ve] [p]ossessione petenda operis dono munere ide[m] iuris municipi Flavi Irnitani esto, quod esset, si municipi Italiae libertus esset“. Der Inhalt der Rechte wird bestimmt nach den Regeln für die Rechte der Munizipien in Ita­ lien über ihre liberti. Da damit zur Zeit der Flavier kaum latinische Munizipien gemeint gewesen sein können, liegt eine Verweisung auf römisches Recht vor. Die eindeutig latinische Rechtsbeziehung municipium Latinum: libertus municipi wird also den Regeln des römischen Rechts unterstellt, obgleich das – wie man aus Artikel 28 schließen kann – für die Patronatsrechte privater Freilasser nicht geschah. Der Grund könnte sein, daß die kaiserliche Zentralverwaltung die Patronatsrechte der Gemeinden des Typs municipium einheitlich zu regeln bestrebt war. Es ist aber auch denkbar, daß es keine irgendwo schon einmal fixierten Normen für die Freigelassenen latinischer Munizipien gab, die man abschreiben konnte25 und deshalb der Einfachheit halber diese Verweisung er­ folgte. – Verweisungen gibt es ja auch an anderen Stellen der lex Irnitana, bei­ spielsweise in Artikel K (49?), 71, 89 und 91. Jedenfalls zeugt diese Gesetzgebungstechnik von wenig Verständnis für die Magistrate und iudices einer solchen kleinen Provinzgemeinde; denn wo in der Baetica konnten diese wohl Rechtsbelehrung über die Patronatsrechte italischer Munizipien finden26. Vergleichen wir den in Artikel 72 begangenen Weg mit dem in den Artikeln 22, 23 und 97 beschrittenen, so konstatieren wir einen vierten: neben Über­ 25 Zur zu vermutenden Entstehung solcher Statuten Galsterer RHD 65 (1987) 194ff. und Ders. JRS 78 (1988) 89f. 26 Zu den Verweisungen in der lex Irnitana, Johnston JRS 77 (1987) 62-67.

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führung, Beibehaltung und Fiktion tritt die Unterwerfung unter anderes Recht. Doch eine nähere Befassung damit gehört nicht unter den für diesen Beitrag zur Ehrung des hochverehrten Kollegen von Lübtow gewählten Titel.

V. Änderungen des status familiae („hominis“ bei Gaius I 162) waren im rö­ mischen Privatrecht notwendige Folge von Änderungen des status libertatis beziehungsweise civitatis. Im Zusammenhang damit haben wir solche Än­ derungen bereits behandelt. Normen, die nur Änderungen des status familiae betreffen, also zum Beispiel Annahmen an Kindes statt oder Emanzipationen, finden sich unter den neugefundenen Texten aus dem municipium Flavium Irnitanum nicht.

SINE INIURIA PRIVATORUM

In einem Artikel auf tabula IX 1 (Art. 82 nach der gebräuchlich gewordenen Zählweise) der kürzlich entdeckten Fragmente der sog. lex Irnitana1, eines Stadtstatuts aus dem Ende des ersten Jhdts. nach der Zeitenwende für ein municipium Latinum (so in Art. 30) der Provinz Baetica im heutigen Andalusien, findet sich unter der Rubrik „De viis itineribus fluminibus fossis cloacis“ fol­ gender Text: Quas vias itinera flumina fossas cloacas inmittere commutare eius municipi duoviri ambo alterve volet, dum ea ex decurionum conscriptorumve decreto, et intra fines eius municipi et sine iniuria privatorum fiant, duoviris, ambobus alterive, facere ius potestasque esto. Si quaeque ita immissa commutata erunt, ea ita esse haberi ius esto.

Die duoviri des Munizipiums waren danach zum immittere und commutare innerhalb der Grenzen der Gebietskörperschaft ermächtigt, soweit ein diesbe­ zügliches decretum der Dekurionen und conscripti vorlag, und es sine iniuria privatorum geschah. Über die Bedeutung dieser drei Worte habe ich bisher eine befriedigende Erklärung nicht gefunden, obgleich die Klausel seit längerem bekannt ist, da sie verschiedentlich in den Quellen vorkommt, bspw. in der lex mun. Tarentini IX,5, in der lex coloniae Genetivae Juliae 77, bei Frontinus aq. 125, im Hospitium Procuratoris columnae divi Marci (FIRA III, 110a), in D. 8,3,17 in einem Reskript der Kaiser Mark Aurel und Verus in der Formulierung sine iniuria alterius. Die Erklärungen in der Literatur meinen, um nur eine Blütenlese zu geben, es habe das Einverständnis der Grundeigentümer vorliegen müssen (Mommsen), es hätten private Gerechtsame nicht verletzt werden dürfen (Lie­ benam, Städteverwaltung 405), es hätten keine Privatinteressen geschädigt wer­ den dürfen (Ohnesseit in SZ 4, 1883), dadurch sei „coazione“ ausgeschlossen gewesen (Bonfante, Corso II 1 Kap. XIII Ziffer 15), iniuria liege nur vor bei Überschreiten der Befugnisse (De Robertis, La espropriazione … 132), u.ä. 1 Der Text bei A. u. J. D’ORS, Lex Irnitana (Texto bilingue), Cuadernos Compostelanos de derecho Romano No. 1, Universidade de Santiago de Compostela 1988, bei A. D’ORS, La Ley Flavia Municipal, Texto e comentario, Romae 1986, bei J. GONZALEZ FERNANDEZ, Bronces Juridicos Romanos De Andalucia, Junta de Andalucia Consejeria de Cultura, Sevilla 1990, und in JRS 76 (1986) S. 153 ff.

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Die der Regelung der Materie dienenden Normen in den Stadtstatuten sind zwar für die colonia Genetiva Julia und das municipium Tarentinum nicht wört­ lich gleich2, sondern nur ähnlich formuliert – mit liceto – und schließen auch eine Ermächtigung der Ädilen3 ein, doch kommt dem wohl kaum Bedeutung zu. Das gilt wohl auch insoweit, als in diesen beiden, übrigens beträchtlich älte­ ren, leges „puplic facere … volet“ zu lesen ist und die den Magistraten erlaub­ ten Betätigungen viel umfassender umschrieben sind als in der lex Irnitana, nämlich mit facere, immitere, commutare, aedificare, munire. Verweilen müssen wir jedoch bei der gleichfalls unterschiedlichen Formu­ lierung der iniuria-Klausel4. Sie lautet: Quod eius sine iniuria fiat in Tarent, quod eius sine iniuria privatorum fiet in der colonia Genetiva lulia und sine iniuria privatorum im municipium Irnitanum. Für Tarent dürfte unbezweifelbar sein, dass eius ein genetivus subjectivus ist. Privatorum wird einheitlich als genetivus objectivus verstanden. Hat man es also in dem Text für die Kolonie mit einem genetivus subjectivus u n d einem genetivus objectivus zu tun? Das dürfte in der Tat anzunehmen sein, zumal man sonst wohl quod sine iniuria eius et privatorum erwarten sollte5. Dabei eröffnet das Wort privatorum auf den ersten Blick so einladende Per­ spektiven: Es bietet sich an, seine Verwendung im Kontrast zur Amtsperson des duovir zu sehen, man denkt – vielleicht zu modern – an vom Magistrat verwen­ dete Privatpersonen, z.B. Handwerker oder Bauarbeiter. Als Zweck wäre die Klarstellung anzunehmen, dass auch ein injuriöses Verhalten von Helfern des Magistrats dessen Tun die Rechtfertigung nehmen könnte. Dass das erst recht für sein eigenes Verhalten galt, hätte aber als selbstverständlich auch wegblei­ ben können. Insofern dürfte das Fehlen des eius in der lex Irnitana kaum auf Verwunderung stoßen. Aber das ist nur Spekulation. Denn in einem bei Frontinus aq. 125 zitierten Senatus Consultum lesen wir: … uti cum ii rivi, , fornices, quos Augustus Caesar se refecturum impensa sua pollicitus senatui est, reficerentur, ex agris privatorum terram, limum, lapidem, testam, harenam, ligna ceteraque quibus ad eam rem opus esset, unde 2 Die Verschiedenheiten werden ignoriert von GONZALEZ in seinem Kommentar zur lex Irnitana in JRS 76 (1986) S. 227. 3 Zum Fehlen dieser Magistrate in Art. 82 A. D‘ORS in La Ley… S. 168. 4 Nichts dazu bei A. D’ORS aaO. 5 Im Statut der Col. Gen. Julia kommt auch noch an anderer Stelle sine iniuria vor, mit privati verbunden (§ 100) und zwar im Zusammenhang mit privater Wassernutzung. Ob es auch in der genannten Digestenstelle um privaten Wasserbezug geht, ist nicht ganz klar.

Sine iniuria privatorum

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quaeque eorum proxime s i n e i n i u r i a p r i v a t o r u m tolli, sumi, portari possint, viri arbitratu aestimata darentur, tollerentur, sumerentur, exportarentur; et ad eas res omnes exportandas earumque rerum reficiendarum causa, quotiens opus esset, per agros privatorum s i n e i n i u r i a e o r u m itinera, actus paterent, darentur.

In diesem Text kann es keinen Zweifel geben, dass mit privati die in Anspruch genommenen privaten Eigentümer gemeint sind, wie die Worte „per agros priva-torum sine iniuria eorum“ unmißverständlich zeigen. Der genetivus objectivus ist somit gesichert, und ich trage Bedenken, sine iniuria privatorum in der lex Irnitana anders, nämlich im o.a. Sinne als auf Helfer bezogen, zu verstehen. Gemeint gewesen dürfte sein, dass Maßnahmen des Magistrats unter iniuria privatorum trotz Vorliegen des Beschlusses des Stadtsenats als ohne ius und potestas vorgenommen anzusehen waren. Was kann mit iniuria gegenüber Privatpersonen hier, in einer offenbar ge­ bräuchlichen Wendung, gemeint gewesen sein? Oder war es nur noch eine be­ langlos gewordene immer wieder eingefügte Floskel? Sicher war nicht an eine iniuria im Sinne der actio iniuriarum gedacht. Denn Beleidigungen und (sonstige) Persönlichkeitsverletzungen sind bei derartigen Maßnahmen so wenig typisch, dass ihre ausdrückliche Erwähnung im nega­ tiven Sinne kaum zu erwarten ist. Auch an ein Gebot, im Rahmen der vorzu­ nehmenden Arbeiten keine sonstigen Delikte zu begehen, darf wegen seiner Selbstverständlichkeit wohl eher nicht gedacht werden. Vielmehr muss eine andere Beeinträchtigung gemeint gewesen sein. Da­ bei denke ich nicht an Kap. III der lex Aquilia; denn weder ist von damnum facere die Rede, noch wissen wir, ob Munizipalmagistrate überhaupt schon zur Zeit der lex Irnitana für Taten in Amtsausübung nach der lex Aquilia haftbar werden konnten – Ulpian spricht das noch mehr als einhundert Jahre später in D. 9,2,29,7 ausdrücklich aus. – Überdies sind Nachteile für die betroffenen Grundeigentümer bei derartigen Arbeiten an der Infrastruktur unvermeidbar6, zum anderen geschahen „enteignende“ Eingriffe wohl nur gegen Entschädi­ gung (dazu siehe gleich). Es dürfte daher etwas ganz anderes mit den Worten sine iniuria privatorum beabsichtigt gewesen sein, wofür auch ihr legistischer Einbau in die Ermächtigung für die Magistrate spricht. Ich denke dabei an ei­ nen Gebrauch des Wortes iniuria in mehr allgemeinem Sinne mit dem Ziele der Vermeidung von Inanspruchnahmen von Privateigentum, die als vermeid­ 6 So schon MANFREDINI, Contributi allo studio dell’ „iniuria“ in età repubblicana, Milano 1977, S. 131.

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bar, weil aus Gründen des öffentlichen Wohles gegenüber diesem Eigentümer nicht zwingend geboten, anzusehen waren und deshalb eine Ungerechtigtkeit7, ein Unrecht darstellen. Als denkbare Fälle seien beispielhaft genannt: Die nicht zwingend notwendige Führung von Straße oder Graben über wertvollen priva­ ten Grund oder durch eine blühende, ertragreiche Kultur, wenn man auch einen Verlauf über nicht privates oder weniger wertvolles Land wählen konnte, von Fällen des absichtlichen Wählens eines solchen Verlaufes ganz zu schweigen. Wenn es richtig ist, wie Martin Pennitz kürzlich in seiner lobenswerten Dissertation8 unter Betreuung durch den Jubilar gemeint hat, daß Inanspruch­ nahmen aus öffentlichem Interesse in der Prinzipatszeit regelmäßig nur gegen Entschädigung erfolgten, könnte die iniuria natürlich auch in der Verweigerung einer solchen oder der Abfindung mit einer nicht billigen Entschädigung er­ blickt worden sein. Allerdings ist zu sagen, dass von Entschädigungen in den erhaltenen Statutsfragmenten in diesem Zusammenhang nicht die Rede ist. – Im bereits mehrfach zitierten SC ist offenbar eine Entschädigung nur für die Entnahmen (arg. „viri arbitratu aestimata darentur …“), nicht aber für den auch unter das Gebot „sine iniuria“ gestellten Transport über privaten Grund vorgesehen. – Daß mit unserer Klausel gerade eine solche Entschädi­ gungspflicht gemeint war, dürfte kaum anzunehmen sein. Dafür spricht nicht zuletzt der eben erwähnte, offenbar wegen Geringfügigkeit der Belästigung trotz sine iniuria-Klausel entschädigungslose Transport über fremden Grund im o.e. SC. Sine iniuria privatorum wäre demnach ein Verhalten des duovir im Rahmen seiner Amtspflichten, das Privatpersonen ohne zwingende Notwendigkeit bei Verfolgung von Anliegen der Gemeinde ungerecht behandelte. „Unter tunlich­ ster Vermeidung von Unrecht gegenüber Privaten“ könnte man vielleicht frei übersetzen. Die Verpflichtung zu möglichst schonendem Vorgehen war wohl nicht selbstverständlich. Zumindest dürfte man ohne die Klausel schwerlich iniuria im Sinne der lex Aquilia in einem Verhalten gefunden haben, das im Rahmen des decretum der Kurie blieb. Ob es auf schuldhafte iniuria-Zufügung ankam, lassen die Stellen nicht er­ kennen. Die Entwicklung verlief bekanntlich vom objektiven zum subjektiven Verständnis hin. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass schon Alfenus im Rah­ men der lex Aquilia iniuria als culpa verstanden hat (D. 9,2,51,1). 7 Ähnlich ist wohl SCHIPANI, Responsibilità ex lege Aquilia zu verstehen. 8 PENNITZ, Der „Enteigungsfall“ im römischen Recht der Republik und des Prinzipats, For­ schungen z. röm. Recht Bd. 37, Wien – Köln – Weimar 1991.

Sine iniuria privatorum

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Keinesfalls darf man m.E. annehmen, hinter der sine iniuria privatorumKlausel verberge sich die Forderung nach Zustimmung der betroffenen Boden­ eigentümer9. Das wäre ohne Zweifel ganz anders formuliert worden. Im übri­ gen dürfte das bereits mehrfach erwähnte Senatus Consultum zeigen, daß auch nur an den Versuch, eine solche Zustimmung einzuholen, bei den Römern nicht gedacht wurde. Aus gutem Grund! Man bedenke nur die Auswirkungen, die das auf die Entschädigung gehabt haben könnte! Die legistische Erklärung der Stellung des sine iniuria privatorum erscheint einfach: Man machte das Vorgehen sine iniuria privatorum zum Tatbestand­ selement der Ermächtigung des Munizipalmagistrats, um ihm die Verteidigung abzuschneiden, von iniuria könne schon deshalb keine Rede sein, weil er als Amtsinhaber aufgrund eines decretum des Stadtsenats tätig gewesen sei. Wenn es richtig ist, wie mir scheint, da sine iniuria privatorum auch ein Verhalten meinte, daß nicht mittels aquilischer Klagen verfolgt werden konnte, stellt sich notwendig die Frage nach sonstigen Möglichkeiten der Ahndung. Im allgemeinen Strafrecht sehe ich keinen Tatbestand. Man kann lediglich aus der Formulierung im Statut folgern, dass bei iniuria für die Maßnahmen des Ma­ gistrates ius und potestas gefehlt hatten. Für die Verwaltungspraxis muß man das als eine deutliche Mahnung verstehen, immer zuerst zu prüfen, ob und wie die Aufgabe sine iniuria privatorum erledigt werden konnte. Insofern könnte die knappe Klausel als Warnung auch dann ihren Zweck erfüllt haben, wenn keine Strafdrohung dahinterstand. Spezielle Strafdrohungen für Fehlverhalten von Amtsinhabern gibt es zwar in den leges für die Munizipien und Kolonien der Kaiserzeit, ich nenne bspw. die Artikel 97 und 128 der lex coloniae Genetivae Juliae und 26 und 61 der lex Irnitana, aber in den Bestimmungen betref­ fend den Straßen- und Wasserbau usw., von denen hier gehandelt wurde, finden sich solche nicht. Aber vielleicht konnte man sich auf die Generalklausel am Schluss der lex Irnitana stützen: Sanctio. Quod quemque ex h(ac) l(ege) facere oportebit facito, neque adversus hanc sciens d(olo) m(alo) facito quove huic legi fraus fiat. Quod adversus eam factum erit quove huic legi fraus fiat, it ratum ne esto, isque qui adversus ea fecerit sciens d(olo) m(alo) fraudemve huic legi fecerit, in res singulas HS (sestertium) C (centum) millia nummum municipibus municipi Flavi Irnitani d(ari) d(amnas) esto, eiusque pecuniae deque ea pecunia municipi eius municipii qui volet cuique per h(anc) l(egem) licebit actio petitio persecutio esto … 9 So z.B. MOMMSEN, Zur lex col. Gen. Jul., in: Juristische Schriften, Bd. I, Berlin 1905, S. 264.

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– womit freilich eine auf Nachlässigkeit beruhende iniuria straflos geblieben wäre.

IUS MUNICIPUM ZU ART. 93 LEX IRNITANA

I. In der ständig anschwellenden Literatur zur sog. lex Irnitana findet sich bis­ her, wenn ich recht sehe, keine speziell dem Abschnitt 93 (nach der üblichen Zählung) gewidmete Untersuchung, der Artikel wird nur gelegentlich gestreift. Dabei scheint er mir für unser Verständnis der Rechtsordnung in der römischen Kaiserzeit, speziell in den Provinzen, von großer Bedeutung zu sein. Läßt er uns doch erkennen, was man den Bürgern eines municipium Latinum durch das Stadt-Statut einräumte, auferlegte bzw. bekanntgab. Art. 93 findet sich auf der letzten, zehnten, Bronzetafel am Ende einer Reihe von dem Gerichtswesen gewidmeten Artikeln, beginnend mit dem Jurisdik­ tions-Artikel 84, gefolgt von der Vorschrift, das Album des Provinzgouvemeurs für jedermann lesbar auszuhängen und danach die iurisdictio auszuüben (85). Dem schließen sich Bestimmungen über die Aufstellung der Richterliste und die datio von iudices und reciperatores (so im Text) an (86–89). Es folgen drei Artikel über das noch immer rätselhafte intertium (90–92)1, denen sich unser Artikel 93 mit der rubrica „de iure municipum“ anschließt. Er lautet: Quibus de rebus in hac lege nominatim cautum [ve] non est, quo iure inter se municipes municipi Irnitani agant, de iis rebus omnibus ii inte[r se] agunto, quo cives Romani inter se iure civili agunt agent. Quod adversus hanc legem nonfiat quodque ita actum factum conprehensumque erit, id ius ratumque esto2. Vor den die lex abschließenden Artikeln folgt dann noch der Art. 94 mit der rubrica „de incolis“: huic legi uti municipes parere debuerint, ita eius municipi incolae parento. II. Schon ein erster Blick zeigt, daß wir es mit einer subsidiären Verweisung zu tun haben. Es wird bestimmt, was gelten soll, wenn etwas in diesem Statut nominatim cautum vel scriptum3 n o n est. Wa s nicht geregelt ist, wird wie folgt umschrieben: quo iure inter se municipes municipi Irnitani agant. Daran schließt sich die folgende Verweisung für die inter se agentes municipes an: 1 Vgl. zum Art. 84 Rodger, in: ZPE 84 (1990) 147 ff., zum Art. 85 Peppe, in: Labeo 37 (1991) 73–81, zum intertium Simshäuser, in: SZ 107 (1990) 549 ff. und RHDE 67 (1989) 629, sowie die dort Zitierten, vor allem das Tagungsprotokoll von J.A. Crook, D.E.L. Johnston und P.G. Stein über das Colloquium in Cambridge 1987, in: ZPE 70 (1987). 2 Text gemäß jüngster Textedition in J. Gonzales Fernandez, Bronces juridicos romanos di Andalucia, Sevilla 1990. Von demselben Autor die erste Edition der lex Irnitana, in: JRS 76 (1986). 3 So der Text bei A. u. J. d’Ors, Lex Irnitana (Texto bilingüe) 1988.

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agunto quo – zu ergänzen wohl iure – cives Romani inter se iure civili agunt agent. Es folgt ein Satz, der das für ius ratumque erklärt, was in dieser Weise geschieht, soweit es nicht gegen die lex verstößt4. Es geht also um das agere inter se von municipes, d.h. Gemeindebürgern, des municipium Flavium Irnitanum. Agere inter se kann man wohl unbedenk­ lich mit „untereinander Prozesse führen“ übersetzen, auch wenn der übliche Ausdruck für „jemanden klagen“ agere cum aliquo lautet. Agere, in der Be­ deutung ,,klagen, einen Prozeß führen“, begegnet in der lex auch in Art. 89 (si Romae ageretur) und in Art. 84 über die iurisdictio der städtischen Magistrate. Dort heißt es: qui eius municipi municipes incolaeve erunt, qua de re ii inter se … agere petere persequi volent … Dieser Eingangssatz des Art. 84 unterschei­ det sich freilich in einem wesentlichen Punkt von Art. 93: In 84 sind die municipes und incolae genannt, woraus sich drei mögliche Streitparteien-Konstella­ tionen ergeben: municeps gegen municeps, incola gegen incola und municeps gegen incola, in Art. 93 dagegen ist die Rede nur von municipes inter se, die incolae sind nicht genannt, schon gar nicht die in Art. 83 erwähnten intra fines municipi eius habitantes agrosve habentes, also eine dritte Gruppe von auf dem Territorium der Gemeinde lebenden Personen. Das führt uns zu der Frage, ob die nur auf municipes abgestellte Formu­ lierung des Art. 93 Absicht des Statutgebers war oder ein Redaktionsversehen anzunehmen ist – derartige gibt es bekanntlich in der lex Irnitana mehrere5 – oder Art. 94 zum Zuge kommt, wonach die incolae des municipium „parento uti municipes huic legi parere debuerint“. Wir werden auf diese Frage zurück­ kommen, wenn wir geklärt haben, um die Schließung welcher Lücke es für die inter se agentes municipes wohl ging. III. Zunächst sollten wir aber genauer untersuchen, wer mit „municipes“ gemeint war. Damit stoßen wir auf eines der großen Probleme bei Studium und 4 Gonzales in der Erstedition und A. u. J. d’Ors haben hier einen etwas anderen Ergänzungsvor­ schlag, bei ihnen begegnet comprehensum nicht und statt dessen sine dolo malo. Meines Er­ achtens sprechen für die Ergänzung „nisi dolo malo actum factum“ weder epigraphische noch sachliche Gründe. Denn nachdem schon der quod-Satz ein Handeln „adversus hanc legem“ nicht sanktioniert, brauchte ein agere facere dolo malo nicht noch ausdrücklich ausgeschlossen zu werden. Einem nicht gegen das Statut verstoßenden Handeln wegen dolus malus die Wirk­ samkeit zu versagen, dazu dürften die normalen Mittel der Jurisdiktionmagistrate ausge­reicht haben. Die neue Ergänzung von Gonzales dürfte daher den Vorzug verdienen. Der Sinn ist: Wenn man sich an die Generalklausel hält und dabei nicht gegen das Statut verstößt – gemeint sein dürfte in erster Linie: wenn man auf die Generalklausel ausweicht, obgleich im Statut eine Regelung enthalten ist, – soll das Geschehene rechtmäßig und gültig sein. 5 Z.B. proxime lata“ in Art. 91, „inter colonos“ in 79, „Ipsorum tribus“ (a.A. P. Le Roux, in: Cahiers du Centre G. Glotz II, 1991, 98–124), in 86.

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Deutung der lex Irnitana. Wer municeps sein konnte, bzw. wie man municeps wurde, stand, wenn überhaupt, in den ersten, nicht erhaltenen Artikeln des Sta­ tuts. Aufgrund des bis heute auf uns gekommenen Textes können wir nur zwei Aussagen machen: Für ordnungsgemäß freigelassene servi publici bestimmt Art. 72 „liber et Latinus esto eique municipes municipi Flavi Irnitani sunto“. – Das ist der einzige expressis verbis in den erhaltenen Teilen des Statuts gere­ gelte Tatbestand des Erwerbs der Munizipalbürgerschaft. – Daraus ergibt sich, daß unter den municipes Latini 6 sein konnten, was auch aus Art. 28 zu ent­ nehmen ist, wo von einem freilassenden „municeps municipi Flavi Irnitani, qui Latinus erit“ gesprochen wird. Es gab somit municipes, die man als Latini bezeichnet hat. Daß es zweitens daneben municipes gegeben haben muß, die cives Romani waren, kann keinem Zweifel unterliegen, da in Art. 21 des Statuts der Erwerb der civitas Romana denjenigen Magistraten samt gewissen ihrer Angehörigen gewährt wird, die aus dem Kreise der Dekurionen und conscripti in ein Amt gewählt worden waren und dies absolviert hatten. Wenn auch in den bisher aufgefundenen Tafeln der lex von municipes cives Romani nirgendwo die Rede ist, haben wir wegen des Art. 21 bei der Interpretation des Art. 93 davon auszugehen, daß unter den dort angesprochenen municipes Römer und Latiner gewesen sein müssen, in welchem zahlenmäßigen Verhältnis zueinan­ der ist aller­dings unerkennbar. Ob auch Nicht-cives und nicht als Latini bezeichnete peregrini municipes werden bzw. sein konnten, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir wissen nicht einmal, wie und ob überhaupt jemand, der in Irni „zuziehen wollte“, um einmal einen modernen Ausdruck zu gebrauchen, das Munizipalbürgerrecht erwerben konnte, oder ob er darauf beschränkt war, als incola anerkannt zu werden. Wo­ mit wir auf eine weitere Lücke stoßen, da die erhaltenen Teile des Statuts nicht erkennen lassen, wie man incola wurde7 bzw. wer ein solcher werden konnte. Wenn jedoch Art. 53 des Statuts von Malaga – eine identische Bestimmung dürfte in der lex Irnitana gestanden haben (der entsprechende Teil des Statuts fehlt auf den erhaltenen Irni-Tafeln) den incolae „cives Romani Latinive cives“ dass aktive Wahlrecht zuspricht, kann man wohl im Umkehrschluß folgern, daß es incolae gegeben hat, die keine solchen „cives“ waren. 6 Die m.E. nicht zutreffende Meinung, daß die freigelassenen servi publici des Art. 72 Latini luniani waren, konnte man kürzlich bei A. T. Fear, in: RIDA 37 (1990) 149 ff. lesen. 7 Auch für Griechenland wissen wir nicht sicher zu sagen, ob für einen Zuwanderer die Einrei­ hung unter die Metöken eines Aktes der Polis bedurfte. E. Levy (in: L’étranger dans le monde grec, Nancy 1988, 60) spricht sich für eine Aufnahme durch die einzelnen Demen aus, ich würde eher an die Boulé denken. Inschriftliche Belege fehlen. – Zu den Metöken allgemein vgl. auch das Referat von Ph. Gauthier im selben Band.

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Überwiegend geht man, wenn ich recht sehe, davon aus, daß man, um municeps in einem municipium Latinum sein zu können, zumindest Latinus sein mußte. Dem­gemäß habe auch ich früher angenommen, daß der Unterschied zwischen den municipia civium Romanorum8 und den municipia Latina im we­ sentlichen darin bestand, daß in ersteren ausschließlich cives Romani municipes sein konnten. Ich bin mir aber heute nicht mehr so sicher, ob das wirklich zutrifft und man, wie es z.B. jetzt wieder F. Sturm in der Grazer Festschrift für Gunter Wesener (1992) getan hat, stillschweigend davon ausgehen kann, daß die Magistrate, die gem. Art. 21 die civitas Romana erlangten, vorher alle Latini gewesen waren bzw. nach latinischem Recht gelebt hatten. Dabei ignoriert man nämlich das Problem, ob die Verleihung des ius Latii bzw. die Errichtung eines municipium wirklich alle Bewohner der damit beliehenen Gemeinden und Stämme persönlich zu Latinern machte9. Daß in Art. 22 von potestas, manus und mancipium vor der Erlangung der civitas gespro­chen wird, besagt doch nicht, daß damit Einrichtungen latinischen Rechts gemeint waren, sondern nur, daß die Neubürger früher Gewalten innehatten, die ein Römer mit diesen termini bezeichnen konnte10. Und daß das Statut, wie eben gesagt, mit municipes, qui Latini erunt, rechnete (Art. 28), zwingt doch nicht zu der Annahme, daß, mit Ausnahme der zu Römern gewordenen, alle Gemeindebürger Latini wa­ren! Im Gegenteil, bei unbefangenem Lesen spricht diese Formulierung eher dage­ gen. Auch muß man bedenken, daß die Verleihung des ius Latii an die Spanier noch keine 20 Jahre zurücklag. Sollten die spanischen Neu-municipes zur Zeit der Erlassung des Statuts unter Domitian wirklich alle nach latinischem Recht gelebt haben? Wo konnten sie eigentlich lernen bzw. erfahren, was „latinisches Recht“ war? Ich meine aufgrund dieser und anderer Überlegungen, daß wir diesbezüglich so sicher nicht sein dürfen.

18 Auf die insbes. seit 1965 (Saumagne) diskutierte Frage, ob es solche in der Prinzipatszeit in den Provinzen überhaupt gegeben hat bzw. bis wann, kann ich hier nicht eingehen. Art. 30 der lex Irnitana enthält bekanntlich die erste inschriftliche Erwähnung des Ausdrucks municipium Latinum überhaupt. Vgl. die Erörterungen bei P. Le Roux, in: RHDE 64 (1986) und J. Gonzalez, in: Athenacum 75 (1987). Municipia Latina hat es nach Le Roux, in: RHDE 64 (1986) erst ab den Flaviern gegeben, wobei die Neuerung in der Kombination lag; denn sowohl municipia wie „latinische“ Gemeinwesen – nämlich coloniae – hatte es schon früher gegeben. 19 Ich verweise zu der „Latinerfrage“ in diesem Sinne auf M. Humbert, in: Ktema 6 (1981) 207 ff. und – trotz seiner Irrtümer in juristischer Hinsicht – G. Alföldy, in: Bayer. Vorgeschichtsblät­ter, 51 (1986) 187 ff. sowie die dort Zitierten. Die These von F. Millar, „Latini“ habe im Prinzipat immer Latini Iuniani bedeutet, in: The emperor in the Roman World, 1977, 486 u. 630/35, wird den Lesern dieses Beitrages ja bekannt sein. 10 Vgl. G. Hanard, in: R1DA 34 (1987) 173 ff.

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Ich kann dieses Problem hier nicht weiter vertiefen, für die mit dieser Arbeit verfolgten Zwecke genügt m.E. die Feststellung, daß die municipes nach ihrem status civitatis jedenfalls keine einheitliche Gruppe bildeten. Das läßt auch un­ ser Art. 93 erkennen, wenn darin die municipes auf das ius verwiesen werden, nach dem cives Romani iure civili inter se agunt, denn das ist nur verständlich unter der Annahme, daß die in Art. 93 angesprochenen municipes zumindest zum Teil keine cives Romani waren. IV. Agere von municipes inter se bedeutet somit gleichfalls m i n d e s t e n s drei mögliche Parteienkonstellationen, nämlich municeps Latinus gegen municeps Latinus, römischer Gemeindebürger gegen einen anderen römischen Gemeindebürger, und municeps Latinus gegen municeps civis Romanus, ohne daß wir mit Sicherheit sagen können, daß letzteres der Anlaßfall gewesen sein dürfte. Nicht unterdrückt werden sollte der – allerdings wohl ferner liegende – Verdacht, es könnte sich auch beim Art. 93, wie in den oben genannten Fäl­ len, um eine unüberlegte Übernahme aus einer nicht „passenden“ Vorlage han­ deln, nämlich aus dem Statut einer Bürger­gemeinde, worin Neubürger darauf hingewiesen wurden, daß für sie nun selbstver­ständlich auch das Recht der römischen Bürger galt11. Kann man das, was die bequemste – weil uns jeder Deutungsnotwendigkeit enthebende – Erklärung des Art. 93 wäre, jedoch zu beträchlichen Auslegungsproblemen – voluntas des Statut gebers oder verba? – führen würde, aber ausschließen, waren ohne Zweifel in erste Linie solche municipes angesprochen, die noch nicht cives Romani waren. Über ihr „Jus“ handelt der Artikel nach seiner rubrica. Was kann ius in unserem Zusammenhang meinen? Von den sich anbietenden Bedeutungen kommen „Ort der iurisdictio“ und ,,Normenkreis“ in Frage. Für erstere – vgl. D. 1, 1, 11: ius dicitur locus, in quo ius reditur – bin ich schon frühe (z.B. 1988 in der Grazer Festschrift für Hermann Baltl) eingetreten. V. Ich hatte mich dabei von der Beobachtung leiten lassen, daß in Art. 84 über die Jurisdiktion der städtischen Magistrate n i c h t bestimmt ist, vor wem municipes und incolae klagen mußten, soweit die Zuständigkeit der städtischen Magistrate ausgeschlossen war. Art. 93 enthielte bei dieser Deutung für alle derartigen Fälle eine Gerichtsstandsregelung, allerdings nicht in der Gestalt ­einer ausdrücklichen Nennung des Anzurufenden, sondern nur in der Form einer Verweisung auf den für römische Bürger Zuständigen. Daß uns das als Mangel an Genauigkeit erscheint, als Steine statt Brot, darf einer solchen Deu­ 11 Betrachtungen über die zu vermutende Entstehung derartiger Statute bei H. Galsterer, in: RHDE 65 (1987). Für die Übernahme aus einem Bürger-municipium auch A. d’Ors im Kom­ mentar (u. Anm. 14) 181.

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tung nicht entgegengehalten werden; denn Derartiges wurde damals offenbar als bekannt vorausgesetzt, wie z.B. im Statut ja auch kein Artikel enthalten ist, der besagt, wo cives Romani freilassen konnten, was vor den Munizipalmagi­ straten wohl wegen fehlender legis actio nicht möglich war (Paul. sent. 2,25,4), während es den municipes Latini durch Art. 28 ermöglicht wird. Allerdings hatte ich bei einem derartigen Verständnis des quo iure schon immer gewisse Bedenken: Einmal fand ich keine Belege für den Gebrauch von „quo iure“ im Sinne von „an welcher Gerichtsstätte“. Auch würde man viel­ leicht „in“ quo iure erwarten, obgleich auch der reine Ablativ nicht falsch sein dürfte. Nachdem aber Rodger (in: ZPE 84, 1990, 155) kürzlich darauf hin­ gewiesen hat, daß in der lex Irnitana mit furtum cum“ und „iniuria cum“ ein Sprachgebrauch begegnet, der sonst nicht überliefert ist, dürften sprachliche Bedenken nicht entscheidend sein. Meine Bedenken sind heute mehr sachlicher Art. Zunächst einmal wäre bei der Übersetzung „Gerichtsstätte“ die rubrica nicht zutreffend, weil sich die generelle Bestimmung des locus, in quo … ja in Art. 84 findet und nicht in 93. Weiter ist in antiken Gesetzen häufig die Beobachtung zu machen, daß Selbstverständliches nicht behandelt wird12. Unter diesem Aspekt könnte man eine subsidiäre Gerichts­standbestimmung für entbehrlich ansehen, weil ohne­ hin jeder wußte, daß nur der Provinzgouverneur zuständig sein konnte, wenn die iurisdictio den Munizipalmagi­straten versagt war. Dies wird allerdings teil­ weise entkräftet durch die Überlegung, daß in einer Gemeinde mit Personen, die erst seit kurzem Bürger einer solchen Ge­bietskörperschaft italischen Typs waren, ein beträchtlicher Aufklärungsbedarf be­standen haben muß. Weitere Be­ denken erweckt die Nichtnennung der incolae. Nachdem diesen ausdrücklich durch Art. 84 die Prozeßführung im municipium Irnitanum gestattet war, wäre zu erwarten, daß auch ihnen gesagt wurde, wohin sie sich wenden konnten, wenn sie in Irni kein Gehör finden durften. Auch dem gegenüber gibt es freilich einen beachtlichen Einwand: Soweit wir das Statut besitzen, bleibt darin voll­ ständig unerwähnt, wo Fremde, also Nicht-municipes und Nicht-incolae, z.B. auswärtige Händler aus Nordafrika, einen Irnitaner verklagen konnten. Es ist doch kaum denkbar, daß das am forum domicilii nicht möglich gewesen sein kann und alle derartigen Klagen etwa dem forum des Gouverneurs zugewiesen gewesen sein sollten! Mit anderen Worten: Die lex Irnitana ist in puncto Ge­ richtsstand ohnehin sehr lückenhaft. Zwei weitere Argumente wären: In Art. 85 ist den Magistraten ausdrück­ lich vorgeschrieben, daß das Album des Provinzgouverneurs mit den Formeln, 12 Vgl. D. Daube, Das Selbstverständliche in der Rechtsgeschichte, in: SZ 90 (1973).

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Sponsionen, Stipulationen usw. in Irni für jeden einschaubar ausgehängt sein muß. Wäre es nicht denkbar, daß darin die von uns vermißte Zuständigkeits­ regelung enthalten war? Überdies aber könnte man vielleicht überhaupt den Art. 84 als mittelbar auf die Zuständigkeit des Provinzgouverneurs verweisend verstehen, wenn dort den Munizipalmagistraten die Kompetenz de vadimonio promittendo in eum locum, quo is erit, qui ei provinciae praeerit futurusve esse videbitur eingeräumt ist. Wie dem aber auch sei, man sollte vielleicht doch die an sich mögliche Überset­ zung von ius mit Gerichtsstätte als hier nicht überzeugend vernachlässigen. VI. Folgt man diesem Verständnis von ius nicht, ist die Bedeutung „Rechts­ kreis“, „Rechtsschicht“ zu untersuchen. Diesbezüglich ist zunächst anzumer­ ken, daß mei­ner Meinung nach keine direkte Verweisung auf das ius civile vor­ liegt, wie man nicht selten liest13. Denn das hätte man wohl anders ausgedrückt, nämlich mit iure civili agunto. Die Worte der lex drücken genau besehen etwas anderes aus, sie ver­weisen auf das, was cives Romani gemäß dem ius civile praktizieren. Wegen des Bezugs auf agere inter se dürfte dabei in erster Linie an alles, was das streitige Verfahren betraf, gedacht sein14, was übrigens auch das in Betracht kommende forum einschließen würde. Das Prozessieren be­ treffende Bestimmungen finden sich nur vereinzelt im Statut, so daß auch die Anknüpfung an das „in hac lege non cautum“ gegeben wäre, ich erinnere an die bereits erwähnten Regeln über Richter­bestellung sowie über das intertium dare und nenne zusätzlich die in Art. 84 enthaltenen Bestimmungen über die Kompetenz der Munizipalmagistrate. Soweit sich aber Verfahrensfragen auch nicht aus dem Edikt des Provinzstatthalters beantworten ließen, muß sich für die Jurisdiktionsmagistrate und die iudices bzw. Reku­peratoren die Frage ge­ stellt haben, nach welchen Regeln sie verfahren sollten, z.B. bei der Prozeß­ führung alteriusve nomine, die in Art. 84 zugelassen ist, für die sich aber sonst keine Normen finden. Die Parteien waren ja zumindest zum Teil Neo-Latini bzw. sonstige peregrini, jedenfalls nicht alle Römer. Ein „latinisches“ Recht, das unter Latini anzuwenden war, gab es aber nach einer zwar bestrittenen, mir aber zutreffend erscheinenden Meinung nicht. Dazu gleich. Es kam also, soweit nicht beide Parteien cives waren, nur das ius gentium15 in Betracht. 13 Vgl. z.B. Crawfords Übersetzung und Gonzalez’ Kommentierung, in: JRS 76 (1986), anläß­ lich der Erstedition der lex Irnitana, Luraschi, in: SDHI 55 (1989) 364, Gonzalez, in: Athe­ naeum (o. Anm. 8) 320, H. Galsterer, in: RHDE 65 (1987) 186, 195. 14 Wie etwa A. d’Ors, La ley Flavia municipal, Rom 1986, F. Sturm in der Grazer Festschrift für Gunter Wesener 1992, 490/1, G. Zecchini, in: ZPE 84 (1990) 146 und A. Rodger ebenda, 153. 15 Hier verwendet im Sinne von Kaser, in: Römische Rechtsquellen und angewandte Juristen­

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Hier griffe nun die Verweisung des Art. 93 ein. Für municipes inter se wird statt dessen – unter stillschweigender, nicht besonders angezeigter Ausklam­ merung von Prozessen inter cives Romanos – die Heranziehung desjenigen ius angeordnet, quo cives Romani inter se iure civili agunt. Darunter ist offenbar zu verstehen, wie im Imperium unter Beachtung des ius civile bei Prozessen unter Bürgern verfahren wurde, was natürlich unter Einschluß auch des Edikts des praetor urbanus bedeute­te. In Anbetracht des großen, den Jurisdiktionsmagi­ straten eingeräumten Freiraums darf man jedenfalls sicher nicht an „strikt nach ius civile“ denken. Eine – wie mir allerdings erscheint entfernte – Möglichkeit wäre auch, in Art. 93 eine Verweisung auf die Anwendung des Formularprozesses zu erblicken. VII. Was bedeutete das für Verfahren in Irni? Dabei müssen wir die Frage ausklam­mern, wie man sich in Irni Kenntnisse über das ius in diesem Sinne verschaffen konnte. Diese Frage können wir nicht beantworten, wir müssen uns mit dem Befund begnügen, daß es im Statut mehrere vergleichbare Verweisun­ gen gibt16, vgl. z.B. die Artikel 49, 89 und 91. Der oder die Kompilatoren der lex sind also offensichtlich davon ausgegangen, daß es eine Möglichkeit der Kenntniserlangung gab17. Was hatte die Anwendung dieses ius für die Beteiligten für Folgen? Cui bono? Zunächst denkt man natürlich an ein Privileg für die Neo-municipes: Die potentiellen18 – wenn sie es zum nötigen census bringen sollten und in ein Amt gewählt wurden – cives sollten agere nach dem unter cives Üblichen. Aber, selbst wenn wir einmal davon absehen, daß viele den Aufstieg unter die cives Romani nie erreichen würden, war die Anwendung der Regeln des Verfahrens unter cives eigentlich ein Vorteil? Wurde dadurch die Prozeßführung nicht mehr reglementiert, als wenn ius gentium angewendet worden wäre? Konnte das für den einzelnen ein Anreiz sein, municeps zu werden, bzw. für die Angehörigen einer civitas, sich um den Munizipalstatus zu bemühen? Das erscheint fraglich. Waren die Begünstigten also andere, etwa die Jurisdiktionsmagistrate oder die iudices bzw. reciperatores? Konnte man im südiberischen Provinzstädtchen Irni in der Einbindung in das Verfahren unter Römern eine Vereinfachung bzw.

methode, 1986, 91 und z.B. M. Talamanca, Istituzioni di diritto Romano I, 1989, 53, trotz der Feststellungen Mayer-Malys (Iura 34, 1983, 91 ff.), wonach sich dieser Sprachgebrauch für die Zeit der Frühklassiker nicht belegen läßt. 16 Zur Fülle der Verweisungen vgl, Simshäuser, in: RHDE 67 (1989) 636. 17 Vgl. D. Johnston, in: JRS 77 (1987) 62 ff. 18 Gonzales (o. Anm. 8) nennt sie „quasi cives“.

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Erleichte­rung für diese sehen? War es nicht durch Bindung an auch ihnen nicht sehr Vertrautes vielmehr eine Erschwernis, eine Reglementierung eher als eine Hilfe, eine Einengung eines sonst bestehenden Freiraumes? Also niemandes Nutzen? Nein, denn wir haben ja bisher unter den municipes die cives Romani nicht ins Auge gefaßt. Und für diese, zumindest die ge­ borenen Römer, die Alt-cives, war es sicherlich ein Vorteil, wenn in Prozessen mit Nichtbürgern das im Verfahren unter Bürgern übliche zur Anwendung kam und nicht ein vages ius gentium! Das könnte die maßgebliche Intention bei Art. 93 gewesen sein. Damit würde sich auch das bereits angemerkte Nichtaufscheinen der incolae in Art. 93 erklären: So groß kann die Zahl der nicht im Besitz des Munizipalbürger­rechts befindlichen Mitbewohner nicht gewesen sein – und damit die Häufigkeit von Prozessen mit denselben –, daß man deshalb auch nichtlatinische peregrini in den Genuß des Verfahrensrechts der cives kommen lassen wollte! Es ist also m.E. nicht anzunehmen, daß die incolae in Art. 93 nicht genannt sind, weil sie wegen Art. 94 ohnehin miteinbezogen waren19. Dem Statut parere müssen bedeutete wohl nicht, auch solchen Gesetzen zu un­ terliegen, die im Interesse bestimmter Personen­gruppen angeordnet waren. Die incolae besaßen ein ius proprium, ihnen brauchte man nicht zu helfen! VIII. Jedoch scheint mir auch noch eine andere Motivation bei der Schaf­ fung des Art. 93 denkbar zu sein. Anders als die prisci Latini waren die Gemeindebürger der neugeschaffenen latinischen municipia, die, wie wir gesehen hatten, zumindest teilweise Latini genannt wurden, nicht in einer Latinergemeinde geboren worden, deren Recht ipso iure für sie gegolten hätte, sondern sie waren sozusagen rechtlich „ver­ pflanzt“, von Bewohnern einheimischer Ortschaften zu municipes gemacht worden. Ihre neuen Gemeinden besaßen aber als künstlich geschaffene, nicht gewachsene Gemeinwe­sen kein eigenständiges ius civitatis; denn von einem gemeinlatinischen Recht dieser municipia Latina der Prinzipatszeit haben wir keine Spuren. Da bin ich einig mit Humbert und M. Talamanca20. Übrigens hatte es wohl auch unter den prisci Latini kein „latinisches“ Recht gegeben, sondern nur bspw. die Rechtsordnungen von Tusculum, Aricia oder Lavinium,

19 Daß die incolae wegen Art. 94 unter 93 fallen, wird angenommen von A. d’Ors (o. Anm. 14) 181, Galsterer, in: JRS 78 (1988) 80, Rodger, in: ZPE 84 (1990) 153. 20 M. Humbert, in: Ktema 6 (1981), M. Talamanca, in: Istituzioni di diritto Romano I (1989) 109. Gegen eine civitas Latina bei den prisci Latini auch Alföldy (o. Anm. 9) 216. Jüngste Bejahung einer civitas Latina in: Athenaeum 75 durch J. Gonzalez (o. Anm. 8). Er spricht von „civitas R. de transición“ (320). Die Streitfrage gleichfalls bei Le Roux, in: REDE 64 (1986).

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die freilich gewisse einheitliche Züge aufge­wiesen haben mögen. Lediglich für die in der zweiten Hälfte der Republik errichte­ten latinischen Kolonien wäre ein dem römischen nahes „latinisches Recht“ denk­bar, vor allem wenn man sich klarmacht, daß ein Teil der Kolonisten dieser coloniae ja geborene Römer waren! Humbert21 hat deshalb für diese Kolonien die Verlei­hung eingehender, weitgehend konformer Statute angenommen. Ich füge hinzu: Von hier könnte – unter Ersetzung von coloni durch municipes – das Muster für Art. 93 stammen! Die Neu-municipes auf der iberischen Halbinsel jedenfalls besaßen vermut­ lich als ius civitatis allein, zumindest aber primär, das ihnen verliehene Sta­ tut. Sie waren nun schon zum zweiten Mal unter neues Recht gestellt worden, nach der Beleihung mit dem ius Latii unter Vespasian jetzt neuerdings durch die „Einbringung“ in ein neu geschaffenes Gemeinwesen italischen Typs. Ihre origo war jetzt Salpensa oder Malaca oder Irni usw. Das ihnen gegebene Statut, die lex, konnte aber naturgemäß nicht vollständig sein, es bedurfte der Ergän­ zung. Dafür stand eine Verweisung auf „latinisches“ Recht, selbst wenn es das gegeben hätte, nicht zur Wahl; denn das war nicht aufgezeichnet und damit nicht faßbar, jedenfalls nicht für in der Baetica lebende Personen. Deshalb kam nur die Anlehnung an das Recht der Römer in Betracht. Dies ist mit Art. 93 ge­ schehen, weshalb dessen rubrica auch lautet „De iure municipum“. Nicht anders wäre es übrigens, wenn man nicht eine Verdrängung des ur­ sprünglichen ius civitatis, sondern nur eine Überlagerung annähme. Eine Überla­gerung, verbunden notwendig mit der Folge der Unsicherheit: Galt noch das peregrine Recht ihres ehemaligen Dorfes oder Stammes? Oder war ihre origo jetzt Malaca oder Irni? Klarheit schaffen konnte man nur mit der Anord­ nung des Gebrau­ches des Rechts der Römer. Und da man nicht direkt das ius civile als anzuwendend vorschreiben wollte oder konnte, weil die Neo-municipes noch keine cives Romani waren, sondern nur potentielle, wählte man die „quo iure agunt iure civili“-Formulierung! Daß diese Zulassung der potentiellen Römerbürger zu dem von den wirkli­ chen praktizierten Recht bereits mit oder bald nach der Verleihung des ius Latii unter Vespasian erfolgt war und nicht erst mit der Erlassung des Stadt-Statuts, ist mög­lich. Man brauchte sich dann nicht zur Erklärung des aus Art. 22 er­ sichtlichen Bestehens von manus-, potestas- und mancipium-Verhältnissen bei Personen, wel­che die civitas Romana durch Armsbekleidung erwarben22, auf 21 In: Ktema (o. Anm. 9) 87. 22 Vgl. dazu meinen Beitrag in: Tradition und Fortentwicklung im Recht: Festschrift zum 90. Geburts­ tag von Ulrich von Lübtow, 1991. Die rubrica des Artikels lautet: „Ut, qui civitatem Romanam consequentur, maneant in eorundem manu, mancipio, potestate“.

Ius municipum. Zu Art. 93 Lex Irnitana

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Livius 41,8 oder Cic. Balb. 823 bzw. römische Umschreibung latinischer Insti­ tutionen zu berufen. Art. 93 wäre damit lediglich eine Ergänzung bzw. Neupu­ blizierung bereits geltenden Rechts gewesen. Eine derartige Annahme würde auch das Problem lösen, daß man ande­renfalls hinsichtlich der Rechtsstellung der mit ius Latii beliehenen Peregrinen danach differenzieren müßte, ob ihre Wohngemeinde municipium geworden war oder nicht. Aber wie dem auch sei, die Nichteinbeziehung der incolae in Art. 93 bliebe verständlich: Ihr ius civitatis proprium war durch die Aufnahme als incolae in das neue municipium nicht berührt worden. IX. Dank Art. 93 der lex Irnitana wird die Vorstellung klarer, die wir uns vom Zusammenleben von cives Romani und peregrini mit ius Latii zum Ende des 1. Jhdts. nach der Zeitenwende in den Provinzen des Imperium Romanum zu machen haben. – Ich beschränke meine Aussage hier bewußt nicht auf die iberische Halbin­sel, weil ich glaube, daß für die ab den Flaviern gegründeten latinischen Munizipien überall im Imperium ähnliche Statuten gegolten haben dürften, also z.B. auch in der „Austria Romana“24. – Das bedeutet: Für die Ve r w a l t u n g der gemeinsam bewohnten Gebietskörperschaften ignorierte man offenbar den status civitatis. Soweit wir sehen können, herrschte vollständige Gleichberechtigung zwischen cives und Nicht-cives. Es kam nur dar­auf an, daß man municeps war25, weshalb umso nachteiliger für uns ist, daß wir, wie bereits gesagt, nicht wissen, wie man municeps wurde. Im R e c h t s a l l t a g dürfte es auf den Besitz des ius commercii26, dessen Innehabung durch die Latini municipes in der Literatur noch immer umstritten ist, kaum angekommen sein. Sollte man z.B. in der Baetica wirklich toros, Pferde und Sklaven üblicherweise manzipiert haben? Für P r o z e s s e machte man den Zugang zum Verfahren unter cives möglich, auch wenn municipes, die keine cives Romani waren, untereinander stritten. Lediglich im E h e r e c h t bestehen Zweifel27. Man sollte eigentlich die Ge­ währung des conubium erwarten, um Probleme bei Eheschließungen von Neu­ 23 Balb. 8: innummerabiles aliae leges de civili iure sunt; quas Latini voluerunt, adsciverunt; – Liv. 41,8 über die socii Latini: liberos suos quibus libet Romanis in eam condicionem, ut manu mitterentur, mancipio dabant, libertinique cives essent. 24 Über die vorflavischen Munizipien in Noricum zuletzt P. Le Roux, in: RHDE 64 (1986) 337 f. 25 Vgl. Le Roux, in: Cahiers du Centre (o. Anm. 5). 26 Für commercium und „Prozeßgemeinschaft mit römischen Bürgern“ z.B. G. Alföldy 197, für C. auch Guarino, Le origine quiritarie, 1973, 267, oder De Martino, Storia della constituzione Romana IV 2, 1965, 712, dagegen z.B. M. Kaser, Das römische Privatrecht (Handbuch) I2 1971, 36. 27 Vgl. meinen Beitrag in der neuesten Festschrift für U. von Lübtow (o. Anm. 22).

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bürgern zu vermeiden. Conubium mit den Latini coloniarii – municipes Latini sind ja seltsamerweise in den Juristenschriften nicht existent – wird daher in der Literatur auch teilweise angenommen28, doch scheinen mir die Quellen da­ gegen zu sprechen. Vielleicht aber w o l l t e man, daß die novi cives Romani innerhalb ihrer neuen Schicht heirateten und gab ihnen deshalb das conubium nicht einmal für die erste Ehe, die sie schließen wollten, wie in den Militärdi­ plomen. Art. 21 bezieht nur Ehegatten, Eltern und in der Gewalt der Eltern be­ findliche Kinder und Enkel in den civitas-Erwerb ein und weiß nichts von der Gewährung des conubium. Es fiel somit weder eine etwaige Schwiegertochter des zum civis avancierten Magistrats darun­ter, noch eine von ihm künftig ge­ ehelichte Frau.

28 Für conubium z. B. Alföldy (o. Anm. 9) 197, dagegen KASER (o. Anm. 26).

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Gewisse eingefahrene Vorstellungen sind offenbar unausrottbar. Beim Studium des LXI. Bandes der Oxyrhynchus Papyri stelle ich bei No. 4121, einer έπιδοχή vom Ende des 3. Jhdts. n.Chr., fest, daß von T. Gagos die Worte κυριεύ〈ου〉σαν τîν καρπων ›ως π¦ όφιλόμενα άπολάβης in Z. 14/16 noch immer mit „you are to retain ownership of the produce until …“ übersetzt werden. Vor mehr als 20 Jahren habe ich in den Akten des XIII. Internationalen Pa­ pyrologenkongresses dargelegt (München 1974, S. 215 ff.), daß man bei die­ ser Klausel, die charakteristisch für den Oxyrhynchites ist, nicht von Eigentum sprechen sollte, und ich wüßte nicht, daß mich jemand widerlegt hat. Gagos zitiert meine Arbeit, ohne sich mit den darin vorgetragenen Argumenten ausein­ anderzusetzen. Das ist um so überraschender, als andere Herausgeber von Oxy­ rhynchus-Papyri, nämlich z.B. J. R. Rea und H. el-Maghrabi/J.D. Thomas, die gleiche Klausel mit „control of the crops“ übersetzen (Oxy. 3800 u. 3911), ohne daß Gagos das erwähnt. Ganz abwegig übrigens W. E. H. Cockle in 3591/92 „remain in possession“, denn die Früchte sind doch im Besitz der Pächter! Ich will das damals Gesagte hier nicht wiederholen, ich stehe nach wie vor dazu, κυριεύειν allein bedeutet nicht Eigentum. Das wird allenfalls mit κρατειν καˆ κυριεύειν1 ausgedrückt, später auch mit δεσποτεύειν, in unserer Urkunde mit Øparcein, wie man in den Zeilen 7/8 dieser Epidoché, „ich will μιοθώσασθαι … ™κ των Øparcόντων σοι“ und 22/24 „γενομένης σοι τÁς πρά­ ξεως … ™κ των Øparcόντων μοι πάντω(ν)“�������������������������������� lesen kann, wo deutlich das Ei­ gentum der Verpächterin und des Pächters gemeint ist. Deshalb bemerken J.R. Rea/J. Rowlandson mit Recht zu Oxy. L 3589 „the regular formula indicating ownership is τ¦ς Øparcούσας“. Von κυριεύειν kann man allenfalls sagen, daß es einen Teil der Befugnisse ausdrückt, die normalerweise einer Person zustehen, die wir heute als Eigentü­ mer bezeichnen würden; aber aus seiner Verwendung allein darf man nicht auf Eigentum schließen. – Mit „retain ownership“ verbindet sich die Vorstellung eines Behaltens des Eigentums. Kann aber die Verpächterin ohne Übereignung überhaupt Eigentümerin der Früchte gewesen sein? Selbst wenn sich im drit­ ten Jahrhundert schon römische Rechtsvorstellungen in Ägypten durchgesetzt haben sollten,2 gehörten die Früchte dem Pächter, weil er sie perzipiert hatte. 1 Vgl. SB XVI 12333, auch mit κρατειν καˆ δεσπόζειν. 2 Im Bereich des Sachen- u. Obligationenrechts eher unwahrscheinlich, vgl. H.J. Wolff in SZR 73 (1956), S. 1 ff. Vgl. auch dessen Beitrag in SZR 96 (1979), S. 264 ff.

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Wahrscheinlich aber herrschten noch griechische Vorstellungen, denen ein „Sub­ stantialprinzip“ (Kaser) fremd gewesen sein dürfte und die die Früchte eines Pachtobjekts wohl dem Pächter zuordneten.3 – Sollte Gagos jedoch an eine Si­ cherungsübereignung gedacht haben, müßte er uns wohl erklären, wie das vor sich gegangen sein soll. – Vor allem aber fragt man sich doch: Warum wurde die Klausel im Oxyrhynchites stereotyp – nicht immer, z.B. nicht in SB XIV 11281 – in die Pachturkunden aufgenommen, wenn man einen Verpächter ohnehin als Eigentümer der Früchte angesehen hat? Bloß zur Verdeutlichung der Rechtslage? Gerade diese Überlegung spricht m. E. dafür, daß an sich – zumindest ursprüng­ lich – nach allgemeiner Überzeugung das κυριεύειν eben nicht dem Verpächter sondern dem Pächter zustand und es einer besonderen Klausel bedurfte, wenn dem Pächter die κυριεία, insbesondere die Veräußerung, zunächst nicht zustehen sollte. Und diese Überlegung deutet daraufhin, daß nicht die Eigentumsfrage in­ teressant war, sondern das Recht zu Verfügungen. Der Verpächter sollte sicherge­ hen, daß die geernteten Früchte noch im Zugriffsbereich vorhanden waren, wenn er wegen Nichtzahlung des Pachtzinses zur Praxis schreiten mußte. Ein weiteres Bedenken ist gegen die Übersetzung „if my undertaking to lease is confirmed“ der βεβαιουμένης-Klausel anzumelden. Es handelt sich da­ bei nämlich nicht um die Zustimmung der Verpächterin zur Epidoché, mit an­ deren Worten die Vertragsannahme, sondern um die βεβαίωσις – d.h. Gewähr­ leistungspflicht der Verpächterin. Wenn die Verpächterin während des Laufens der Pacht sich nicht an ihre Pflichten aus der βεβαίωσις hält – wie umfassend diese waren, kann hier nicht diskutiert werden – entfällt die Pächterpflicht zur Zinszahlung; denn nur unter der Voraussetzung der Gewährleistung hat er sich zur Zahlung des φόρος verpflichtet.4 Eine Betrachtung verdienen schließlich die Worte: „�πιδοχή, a form of con­ tract“. Die Epidoché, eine oxyrhynchitische Spezialität, ist ein Hypomnema, und der Vertragscharakter dieser Urkundenform ist zweifelhaft5. H. J. Wolff hat sich zumindest für die Zeit bis 250 post mehr für den Angebotscharakter ausgesprochen6. Aber auch J. Herrmann, der gute Argumente für den Vertrag­ scharakter zumindest mancher Hypomnemata vorgebracht hat7, hat für Epi­ 3 Vgl. mein Eigentumsbuch S. 75 f. und Behrend, Attische Pachturkunden, München 1970, S. 137. 4 Vgl. dazu Rupprecht; Studi Biscardi III (1982) 474 ff. und Müller, Untersuchungen zur Mis­ thosis, (siehe unten) 232 ff. 5 Vgl. meinem Beitrag in Symposion 1977. 6 Handbuch d. Altertumswissenschaft 10. Abtlg. 5. Teil, Band II (1978) S. 121. 7 Chronique d’Égypt 32 (1957) 121 ff. und Studien zur Bodenpacht im Recht der graeco-aegypti­ schen Papyri (München 1958), 39.

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doché die Übersetzung „Pachtangebot (oder -vertrag)“ vorgeschlagen8. Mir scheint daher die Frage überlegenswert, worum es sich hier bei dieser Epidoché vom Ende des Jahres 289 post handelt. Die Urkunde beginnt – nach der Anrede – mit έκουσίως ™πιδέχομαι μισθώ­ σασθαι������������������������������������������������������������������������ , sie schließt nach Praxisklausel, κυρία-Erklärung und Stipulationsklau­ sel mit dem Datum. Es folgt von anderer Hand die Erklärung der Verpächterin ΄έσ]χον τούτο[υ τÕ ΄ίσ]ον9. Eine nicht auf Vollständigkeit angelegte Durchmu­ sterung der Epidochai des dritten Jhdts. zeigt, daß ein derartiger Empfangsver­ merk über eine Gleichschrift häufiger vorkommt, ich nenne nur Oxy. I 103, XIV 1690 u. XXXI 2585.10 Es begegnen aber auch andere Urkundenschlüsse, und insoweit ähnelt die Epidoché den Hypomnemata aus anderen Gauen11. So finden sich bei den Epidochai der Verpächtervermerk έμίσθωσα (Oxy. I 102) ebenso wie die Pächtererklärungen μεμίσθωμαι (PSI IV 316), ™pιδέχομαι (Oxy. XXXIII 2676) und ™pedex£mhn μισθώσασθαι τ¾ν γην. In meiner o. a. Arbeit habe ich darzulegen versucht, daß derartige Unterfertigungen verschieden zu werten seien: Für die μεμίσθωμαι-Texte habe ich das Verständnis als bindende Ansuchen vorgeschlagen. Anders habe ich mich bezüglich der Hypomnemata mit Vermerk des Verpächters ausgesprochen: man könne sie wirklich als Ver­ tragsurkunden verstehen. Das kann man natürlich erst recht für das 3. Jhdt. aufrechterhalten, also für die Epidochai mit έμίσθωσα. Diese Meinung hatte ich jedoch nicht auf solche Hypomnemata erstreckt, die nach einem Ansuchen nur die Unterschrift des Verpächters tragen. Für diese habe ich gegen die Auffas­ sung argumentiert, darin sei ein μεμίσθωκα als enthalten anzunehmen. Bei den Epidochai haben wir ein ähnliches Problem vor uns: wie ist die Bestätigung des Erhalts einer Kopie zu werten? Ist dies einem μεμίσθωκα gleichzusetzen? Mir scheint nein, vielmehr die gleichzeitige Fertigung zweier Ausführungen dafür zu sprechen, daß die Parteien offenbar nach mündlichen Abreden übereinge­ kommen waren, einen Text aufzusetzen, der alles enthielt und den Beweis-In­ teressen beider Seiten gerecht wurde, also wenn auch unter Verwendung der gebräuchlichen Ansuchen-Form, doch von vornherein eine Vertragsurkunde zu erstellen. Denn daß jemand, der sich vorerst nur um eine Pacht bewerben wollte, gleich zwei Exemplare fertigen ließ, erscheint mir wenig wahrschein­ lich, er wußte ja gar nicht, ob er zum Zuge kommen würde und zu welchen Bedingungen. Eine bloße Bestätigung des Einreichens seines Ansuchens benö­   8 Studien zur Bodenpacht … 12 u. 41.   9 Zusatz des Herausgebers „(vac.)“. 10 Weitere Belege bei NIELSEN in ZPE 106 (1995) 187 zu Z. 22. 11 Vgl. meine Arbeit in Symposion 1977.

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tigte er auch wohl nicht, und wenn doch, sicherlich nicht auf einem vollständi­ gen Text – mit Praxis-Klausel, κυρία-Erklärung und Stipulationsklausel! Diese Epidoché ist also eine Vertragsurkunde. Eine derartige Deutung muß aber nicht besagen, daß wir es bei dieser Mist­ hosis mit einem Konsensualkontrakt zu tun haben, also der bloße consensus die Abreden perfektionierte und Haftung auslöste. Mir scheinen noch immer überzeugender, wenn wir einmal die von den beiden verstorbenen Kollegen ge­ wählten termini außer Betracht lassen und nur den dogmatischen Gehalt ihrer Aussagen ins Auge fassen, die Lehren von der sogenannten Zweckverfügung (Wolff), – besser „Überlassung zu anerkanntem Zweck“, wie ich vor 20 Jahren formuliert habe12, – die besagt, daß eine derartige Übereinkunft erst Haftung auslöste, wenn ein „reales Element“ (Wolff) gegeben war, bzw. von der „Ver­ fügungsermächtigung unter Auflagen“ Johannes Herrmanns13, obgleich ich zugeben muß, daß die vorliegende Epidoché weder Wolffs noch Herrmanns Ansichten stützt. Sie läßt weder mit Sicherheit eine vorgenommene Zweckver­ fügung/Überlassung erkennen, noch eine Ermächtigung durch die Verpächte­ rin zur Verfügung unter bestimmten Kautelen. – Die im Text ausgesprochene Ermächtigung zur Praxis fällt nicht unter Herrmanns Ideen, da sie von der falschen Seite, dem Pächter, erteilt wird und nur sekundären Zwecken dient. – Daß das bei den meisten Misthosis-Urkunden so ist, war aber bereits Wolff und Herrmann bewußt.14 Deshalb ist unsere Epidoché auch nicht geeignet, über ihre Lehren den Stab zu brechen. Im Gegenteil, sie bestätigt diese insoweit wenigstens zum Teil, als sie erkennen läßt, daß offenbar Klagmöglichkeiten für den Pächter nicht bestanden, wenn es sich die Verpächterin trotz übernommener Urkunde noch anders überlegte, also z. B. jemand anderen als Pächter nahm. Denn dafür findet sich in der Urkunde kein Anhaltspunkt. Schwieriger ist die Frage nach den Klagerechten der Verpächterin zu beurteilen, wobei z. B. an den Fall zu denken ist, daß der Pächter nicht wie in der Urkunde versprochen tätig wurde. Ich möchte seine Haftung für gegeben erachten, aber weder auf Grund einer „Zweckverfügung“ noch einer „Ermächtigung unter Auflagen“, für die es im Text keine Anzeichen gibt, sondern zufolge seiner Erklärungen in der Epi­ doché, die durch Kyria-, Praxis- und Stipulationsklausel unangreifbar gewor­

12 Vgl. meine Arbeit in Symposion 1977. 13 In Symposion 1971 S. 321-332. 14 Vgl. meinen Beitrag 1977 S. 310 f. und die Ausführungen von Hansgünter Müller in seiner noch unter J. Herrmann geschriebenen Erlanger Dissertation „Untersuchungen zur Mistho­ sis von Gebäuden im Recht der gräko-ägyptischen Papyri“, Köln/Berlin/Bari/München 1985, S. 106 f. u. 329 f.

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den waren. Wenn der Pächter also nichts tat und nicht nachweisen konnte, daß die Verpächterin ihn an der Aufnahme der Pächterarbeiten gehindert hatte oder ihren Bebaiosispflichten nicht nachgekommen war, mußte er die angekündig­ ten Raten bezahlen. Das wäre eine Haftung aus eigener Erklärung, wie sie der Text nahelegt. Nun ist, wie oben dargelegt, zu vermuten, daß vor Fertigung der Epidoché eine Besprechung stattgefunden hatte. In dieser könnte natürlich die Verpächterin die Überlassung oder Ermächtigung unter Auflagen erklärt haben, dann wäre unsere Epidoché die Akzeptierung derselben, wenn man έπιδέχομαι in seiner wörtlichen Bedeutung versteht. Da man jedoch in den anderen Gauen βούλομαι μισθώσαθαι schrieb, wo hier ™πιδέχομαι μισθώσασθαι steht, bleibt ungewiß, was man im Oxyrhynchites mit dem ™πιδέχομαι μισθώσασθαι wirk­ lich ausdrücken wollte. Vielleicht doch nur ein Ansuchen um Verpachtung15. Deshalb ziehe ich für Texte wie diesen die juristisch naheliegende Annahme einer Haftung aus Erklärung vor.16

15 Anders Wolff (Handbuch S. 119): „Mitteilung der Pachtübernahme“. 16 Ob auch Herrmann (Bodenpacht … 195: „genügte die Schriftform“) das so gesehen hat, muß offenbleiben.

ZU DEN EPIDOCHAI DES 3. UND 4. NACHCHRISTLICHEN JAHRHUNDERTS

I. Epidoche ist die oxyrhynchitische Bezeichnung für ein msjwsiß-Hypom­ nema. Unter Hypomnemata verstehen wir Urkunden in Form eines Ansuchens, wie sie in den Papyri zumindest seit der frühen Römerzeit begegnen. Bei der Befassung mit einer Pacht-Epidoche vom Ende des 3. nachchristli­ chen Jahrhunderts in ZPE 113 (1996) S. 230ff. bin ich kürzlich zu dem Ergebnis ge­kommen, daß Epidochai ohne Hypographe des Pächters, aber mit einer Bestäti­ gung des Verpächters, er habe ein son erhalten (z.B. P. Oxy. XXI 2585, 315), als Vertragsurkunden und nicht als bloße Ansuchen, wie es sie im 3. Jahrhundert of­fensichtlich noch gab (vgl. P. Oxy. XVII 2109, 267), zu verstehen sind. Vermut­ lich war ein derartig gestalteter Text für den Pächter bestimmt, dazu später, Nun gibt es aber aus nachseverischer Zeit auch Epidochai mit anderen Hy­ pographe-Gestaltungen. Ein Versuch ihrer Wertung soll nachfolgend unternom­ men und dabei auch die Frage gestellt werden, ob die Epidochai die Lehren Herrmanns und Wolffs über die msjwsiß, für die ich den Leser der Einfachheit halber auf die Beiträge der Genannten in Symposion 1971, hrsg. von H.J. Wolff mit D. Nörr, J. Modrzejewski, Köln/Wien 1975, S. 321 ff., und SZ 90 (1973), S. 78ff., verwei­se, stützen oder widerlegen, obgleich oder weil sich beide Ge­ lehrte auf die Hypo­mnemata/ Epidochai, und insbesondere die aus byzantini­ scher Zeit, kaum gestützt haben. Beide Lehren erscheinen nämlich zu wenig erhellend, wenn man die viel­fältige Epidochai-Praxis betrachtet, in der von der Herrmannschen „Ermächti­gung“ bzw. einer „Zweckverfügung“ (Wolff) des Bestandgebers kaum etwas zu spüren ist. Summieren wir die Vielfalt. II. Da sind zunächst die Urkunden mit memsjwnai- bzw. pidexmhn-Hypo­ graphai. Andere erwähnen im Text eine doppelte Ausfertigung, ohne jedoch eine Empfangsbestätigung für ein son zu tragen. Schließlich existiert minde­ stens eine Epidoche mit msjwsa des Verpächters. Ohne Bedeutung scheinen mir die Ur­kunden mit bloßem piddwka des Ansuchenden zu sein und wer­ den daher hier nicht berücksichtigt, weil sie nicht erkennen lassen, was nach ihrer Übergabe an den erhofften Bestandgeber geschehen ist, auch wenn man vielleicht sagen könnte: Wenn sie uns erhalten sind, wurden sie aufgehoben und nicht weggewor­fen, woraus man folgern könnte, daß das msjwsiß-Verhältnis in Wirksamkeit ge­treten ist. Gegenargument: Warum wurden die Epidochai über abgewickelte msjwsiß-Verhältnisse nicht weggeworfen bzw. rückseitig neuerlich verwendet?

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1. Beginnen wir mit den memsjwmai-Hypographai, anders ausgedrückt, mit den Urkunden, die mit pidcomai misjsasjai eingeleitet sind und mit memsjwnai schließen (z.B. P. Oxy. XVII 2137, 226). Ich sehe den entschei­ denden Punkt in diesen Papyri im memsjwnai der Hypographe. Nachdem re­ gelmäßig die Kyria-Klausel und häufig auch eine Praxisunterwerfung1 in die so formulierten Epidochai aufgenommen wurden, muß angenommen werden, daß der Mieter/Pächter an dieser Erklärung festgehalten werden konnte. An­ ders kann man die Ur­kunden kaum verstehen. Nur wenn der Bestandgeber es nicht zur Nutzung kom­men ließ, haftete wohl der Verfasser der Epidoche nicht. Ob es sich dabei um eine Vertragsurkunde handelt, die von vornherein unter Verwendung des im Gau übli­chen Stils errichtet worden war, oder um ein nach­ träglich durch das memsjwmai ergänztes echtes Ansuchen, wird allenfalls für den einzelnen Fall beantwortbar sein und auch nicht für jeden Epidoche-Papy­ rus. Ist der ganze Text von einer Hand geschrieben, spricht die Vermutung, so möchte ich meinen, für Vertragsurkunde, waren mehrere Hände am Werk, fällt die Entscheidung schwer. Leicht erscheint sie z.B. in P. Oxy. XLVIII 3386, 338. Hier ist die Zinshöhe von einer zweiten Hand korrigiert, eine dritte hat in Schreibvertretung das memsjwmai daruntergesetzt. Dies dürfte anfangs ein echtes Ansuchen gewesen sein, das der Vermieter korrigiert hat. Daraufhin wurde die Epidoche ohne Neu­ schreibung durch Hypographierung vervollständigt, vielleicht deshalb, weil der Vertrag sofort beginnen sollte. Für J. Herrmanns Lehre von der „Verfügungsermächtigung unter Auflagen“2 bringt die Urkunde keinen zwingenden Beweis. Man kann allenfalls annehmen, ohne eine Zustimmung des Vermieters/Verpächters hätte der Epidoche-Verfas­ ser wohl kein memsjwmai geschrieben, aber selbst das besagt nichts über die Rechts­natur des vergebenden Aktes des Bestandgebers. Ich werde auf diese Frage später nochmals zu sprechen kommen, ebenso wie auf meine Erwägun­ gen auf dem Sym­posion 1977, die vergleichbaren memsjwmai-Hypomnemata als bindende Ansu­chen zu verstehen. 2. Bei der zweiten Textgruppe kehrt nicht das misjosjai in der Hypo­graphe wieder, sondern das pidcesjai: pedexmhn eß msjwsin (z. B.: P. Oxy. LV 1 Praxis-Klauseln sind nicht immer vorhanden. Die Lehre nimmt an (J. Herrmann, Studien zur Bodenpacht im Rechte der gräco-ägyptischen Papyri, München 1958 [MB 41]), 159; H. Mül­ ler, Untersuchungen zur Misthosis von Gebäuden im Recht der gräko-ägyptischen Papyri, jur. Diss. Erlangen, Köln/Berlin/München 1985, 141, unter Bezugnahme auf Wolff), solche seien sicherlich ab dem vierten Jh., vielleicht aber auch schon früher. für die Haftung unwesentlich gewesen. 2 Symposion 1971, 331. Über Herrmanns Lehre zuletzt H. Kupiszewski. JJP XXI (1991) 46ff.

Zu den Epidochai des 3. und 4. nachchristlichen Jahrhunderts

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3802 vom Jahre 296). Hier scheint mir die erfolgte Übernahme klar ausgedrückt. Ob das Wolff auch so gesehen hätte, ist freilich fraglich; denn ein wirklich „re­ aler Akt“ ist ja nicht bekundet, es liegt nur ein die Übernahme ausdrückender Schriftakt vor. Jedoch auch eine Ermächtigung im Sinne Herrmanns ist lediglich er­schließbar, indem man argumentiert, ohne solche würde der Mieter/Pächter wohl nicht das pedexmhn erklärt haben. Also ist es bestenfalls eine mittelbare Bestätigung für Herrmann, nicht so deutlich wie beim Gebrauch des zu ungefähr derselben Zeit auch im Oxyrhynchites noch immer verwendeten msjwsenFormulars (z.B. P. Oxy. XLVIII 3384 oder P.Harris 1 82)3. Auch hier dürfte Haftung des Bestandnehmers gegeben gewesen sein, wenn er untätig blieb, ohne daß der Bestandgeber ihn am Pachtantritt gehindert hatte, zu­mindest wenn eine Praxis-Unterwerfung im Text aufscheint. Denn welchen Zwecken sollte die an die Gewährung der Bebaiosis geknüpfte (bebaioumnhß tß misjsewß/pidocß) Unterwerfung unter die Praxis sonst gedient haben, wenn nicht um dem Verpächter Sicherheit für alle Fälle zu geben? Daß ein Epi­ doche-Einreicher später untätig blieb, dürfte allerdings so selten gewesen sein, daß man einen solchen Fall nicht ausdrücklich regelte. Der Text der Epidoche schließt je­denfalls eine Haftung bei Untätigkeit ein, Für die Frage Vertragsurkunde oder echte Epidoche dürfte das gleiche wie oben gelten. Was die Haftung/Bindung des Epidoche-Empfängers anbelangt, dürfte für beide bisher behandelten Formulare zu sagen sein: Sie lassen eine Bin­ dung nicht erkennen, was natürlich nicht heißt, daß eine solche nicht bestanden hat. Selbstverständliches pflegte man nicht ausdrücklich niederzuschreiben. Es wird zwar die Meinung vertreten, ab der „Annahme“ (dazu gleich) einer Verfü­ gungsermächtigung müßten beide Seilen gehaftet haben4, aber Belege gibt es da­für keine. Wenn der Vergeber es sich also doch noch anders überlegte und an einen anderen verpachtete, konnte der Epidoche-Verfasser wohl nichts unterneh­ men, es gab keine Klagen auf Erfüllung bzw. wegen Kontraktbruchs5. Auch hier wird man allerdings fragen müssen: Wie oft dürfte das vorgekommen sein? Wahr­scheinlich wäre der Interessent gesicherter gewesen, wenn er durchgesetzt hätte, daß der Grundeigentümer ein memsjwka auf die Epidoche setzte. Aber 3 Das Nebeneinander von zwei Zeiten desselben Verbs (pidecomai und pedxmhn) scheint mir darauf hinzudeuten, daß das Präsens im Oxyrhynchites ähnlich wie bolomai anderswo ge­braucht wurde und sein Gebrauch nicht eine Art Zwischentyp zwischen Hypomnema und Homolo­gie bedeutet, wie J. Herrmann, Studien zur Bodenpacht (Anm. 1), 41, angenommen hat. 4 H. Müller. Untersuchungen zur Misthosis (Anm. 1), 327. 5 H. J. Wolff, in: Die Grundlagen des griechischen Verlagsrechts, SZ 74 (1957), 26ff. u. Helle­ nistisches Privatrecht, SZ 90 (1973), 79.

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auch heute sind wir bei Vertragsschlüssen ja oft voller Vertrauen – vielleicht zu oft – und regeln nicht jeden denkbaren Fall. 3. Eine Vertragsurkunde muß man annehmen, wenn sich aus einer Epidoche er­gibt, daß sie von vornherein doppelt gefertigt wurde wie P. Oxy. LV 3803 aus dem Jahre 411: kura  msjwsiß diss grafsa ka –, dem von zweiter Hand ein memsjwmai folgt. Hier wird man sich wohl wie bei den scon-tson-Fällen6 für eine nach vorangegangenen Abreden in Epidoche-Form errich­ tete Beweisur­kunde aussprechen müssen, auch wenn die Entgegennahme durch den Verpächter nicht dokumentiert ist. Denn ein bloßes Ansuchen hätte man wohl nicht zweimal schreiben lassen und das noch ausdrücklich im Text ver­ merkt. Das kann nur in der Gewißheit, daß verpachtet werden würde bzw. wor­ den war, geschehen sein. Da kein Bekenntnis, ein son zu besitzen, daraufge­ setzt ist, sondern ein memsjwmai, ist dies das Verpächterexemplar. Hier könnte man sagen, die Urkunde entspricht Herrmanns Weiterbildung der Wolffschen Lehre, auch wenn sie die Ermächtigung nicht ausdrücklich dokumentiert. Die Überlassung wurde offenbar mündlich aus­gesprochen, der Pächter akzeptierte durch sein memsjwmai. Diese Epidoche enthält keine Praxisklausel. Wie oben bereits erwähnt, soll das nach herrschender Lehre nicht auffällig sein. Doch meine ich, man müßte einmal der Frage nachgehen, ohne das hier tun zu können, warum wohl in den nachseverischen Urkunden Praxisklauseln, wenn sie vorkommen, einmal ohne Zusatz sind, also nur von eingeräumter prxiß sprechen (wie z.B. P. Col. X 284), ein andermal als prxiß ß katkei formuliert sind (z.B. P.Oxy. LV 3802) oder auch als prxiß kajper k dkhß (P. Cair. Isid. 91), und vielleicht auch, ob sie nicht doch zur Exekution ohne vorherige Einschaltung eines Ge­ richts berechtigen, was die herr­schende Lehre ablehnt7. 4. Eine Vertragsurkunde wird man wohl auch anzunehmen haben, wenn auf der Epidoche als Hypographe ein mswsa steht, wie in P. Oxy. I 102 aus dem Jahr 306, was offenbar selten vorkam. Man kann eine derartige Epidoche einer msjwsen- bzw. memska-Urkunde gleichstellen; sie belegt/dokumentiert, könnte man sagen, eine Verfügungsermächtigung bzw. eine „Überlassung“. Daß zu seiner „Zweckverfügung“ keine Besitzübertragung notwendig war. hat Wolff 1961 eingeräumt8. Der Verpächter brachte mit seinem mswsa zum 6 Siehe oben am Anfang. 7 Vgl. H.J. Wolff, Proceedings of the 12th International Congress of Papyrology. Toronto 1970 (= American Studie in Papyrology VII) 528f. 8 Beiträge zur Rechtsgeschichte Altgriechenlands und des hellenistisch-römischen Ägypten (1961), 137 Anm. 23.

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Ausdruck, daß der Pächter unter den in der Epidoche formulierten Kautelen„Bedingungen“ möchte ich wegen der heutigen technischen Bedeutung die­ ses Ausdruckes ungern sagen – die Nutzung beginnen dürfe. Anders kann man die Hypographe kaum ver­stehen. Dieser Urkundentyp spiegelt m.E. am besten Herrmanns Lehre, was we­gen seiner Ähnlichkeit mit den msjwsiß-Protokollen, anhand derer die Lehren Wolffs und Herrmanns entwickelt wurden, nicht gerade überraschend ist. Aber auch er beweist nicht, daß der Akt des Vermie­ tens eine Verfügungsermächtigung war. III. Die Vielfalt der Hypographai-Gestaltung in einem einzigen Gau auch noch nach jahrhundertelanger Praktizierung ist überraschend. M.E. ergibt sich daraus zwingend, daß die Gestaltung der Hypographe im einzelnen nicht von entschei­ dender Bedeutung war, sondern allein wichtig der allen Epidochai gemeinsame Kern, nämlich die detaillierte Aufzählung der zu übernehmenden Pflichten, die zwischen pidomai und misjsasjai der Hypographe aufgelistet waren. Das muß den (Beweis-)lnteressen der Beteiligten genügt haben. Solche hatte vermutlich vor allem der Bestandnehmer, nämlich für den Fall, daß der Verpächter ihm unbefugte Nutzung vorwerfen würde, aber eventuell auch letzterer, wenn er meinte, der Pächter halte das von ihm Zugesagte nicht ein. Dazu benötigte er freilich genau besehen kein eigenes Exemplar des Ansu­ chens, da bei Erhebung des Vorwurfes der unbefugten Nutzung der Pächter die Urkunde vorzu­weisen gezwungen war, aus der sich dann für das Gericht auch der Inhalt der Kautelen ergab, unter denen die Pacht zustandegekommen war. Kann man aus der Gestaltung der Urkunden und diesen Überlegungen et­ was über das Verständnis der msjwsiß durch die an einer solchen Beteiligten ableiten. mit anderen Worten, über die rechtliche Gestalt der msjwsiß? Dabei ist freilich Vorsicht geboten, weil die Urkunden ohne Zweifel nicht konstitutiv, sondern nur Beweisurkunden waren. Die herrschende, von Wolff begründete (Zweckverfügung) und von Herr­ mann (Verfügungsermächtigung unter Auflagen) weiterentwickelte Lehre ist, wie be­reits gesagt, unter Vernachlässigung der Hypomnemata und Epidochai aufgestellt worden9. Das war m.E. ein wenig kühn, weil ja die Hypomnemata anders als die Cheirographa und Protokolle nicht die Feststellung von etwas Geschehenem fest­halten, kein msjwsen o.ä., sondern die Bekundung eines Übernahmewillens (bolomai misjsajai), eines zukünftigen Verhaltens­ wollens, also etwas we­sentlich anderes zum Ausdruck bringen. Allenfalls aus deren Hypographai kann man entnehmen, was nach der Erstellung des Ansu­ 9 Vgl. Wolff, Beiträge (Anm. 8), 133.

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chens geschehen war, ob Ver­fügungen oder Ermächtigungen ausgesprochen worden waren. Vielleicht bietet der Stil der oxyrhynchitischen Epidochai hier eine Hilfe. Mit ihrer Formulierung pidomai (statt bolomai) misjsasjai am Anfang, stehen sie den feststellen­den Urkunden nahe, wenn man das pidomai wörtlich nimmt. Bedenken bleiben freilich, weil es Epidochai gibt, die als Hypographe ein pedexmhn aufweisen, was die Frage nahelegt, ob man im Oxyrhynchites wirklich das pidomai misjsasjai mehr feststellend als willensbekundend verstanden hat. Aber wie dem auch sei, die von Wolff und Herrmann als maßgeblicher Fak­ tor behauptete Zweckverfügung bzw. Verfügungsermächtigung dokumentieren die Epidochai nicht ausdrücklich als bereits geschehen. Kam also die msjwsiß nach Einreichung einer Epidoche-Urkunde nicht durch „Zweckverfügung“ bzw. „Ver­fügungsermächtigung unter Auflagen“ zustande? Diese Frage muß um so mehr gestellt werden, als beide Lehren eine „Annahme“ der Zweckverfügung bzw. Er­mächtigung fordern, Wolff hinsichtlich des Zweckes10, Herrmann11 in bezug auf die „Auflagen“, jedoch beide Gelehrte sich nicht oder kaum darüber geäußert ha­ben, wie sie sich eine solche vorstellen oder, mit anderen Worten, mit welchem Geschehen die Akzeptierung als erfolgt anzunehmen sei. Herrmann versteht die Ermächtigung als einen „Teilakt“, dem die Unterwer­ fung unter die „Auflagen“ folgen mußte, um Haftungen entstehen zu lassen12. Hier bieten nun, wie mir scheint, die Epidochai eine ins Auge springende Lö­ sung und lassen sich so mit der Wolff-Herrmannschen Theorie vereinbaren. Die Epidoche kann als antizipierter „Teilakt“, als vorweggenommene Akzeptierung, verstanden werden, wodurch der Ansuchende erklärt: „Ich unterwerfe mich den hier von mir formulierten Kautelen“, das entspricht Herrmanns „Auflagen“/„Be­ dingungen“, „wenn Du Dich für mich entscheidest, mich ermächtigst, an mich vergibst“. Jetzt brauchte der Grundeigentümer nur noch den anderen Teilakt zu vollziehen, womit den Grundelementen der Lehre Wolffs/Herrmanns ent­ sprochen wäre. Meine oben zunächst beiseite gelassene, 1977 aufgestellte These, man könne, wenn memsjwmai-Hypographai offensichtlich bereits bei Fertigung der Epidoche geschrieben worden waren, vielleicht von bindenden Ansuchen spre­chen, sollte man unter dieser neuen Sicht der Dinge als vorweg­ genommene bin­dende Akzeptierung einer erwarteten Verfügungsermächtigung

10 Wolff, in: E. Bernecker (Ed.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, Darmstadt 1968, 527 = SZ 74 (1957), 26ff. 11 Symposion 1971, 131. 12 Ebd.

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verstehen, um in Herrmanns Terminologie13 zu bleiben. Das ist nicht zu kon­ sensual gedacht, wie mir Müller, (o. Anm. l) 333 vorgehalten hat. Denn wenn eine Ermächtigung der Akzeptierung bedarf, muß man auch eine solche vorweg bindend ausdrücken können. Dagegen wird man vermutlich einwenden, ob die Ermächtigung dann wirk­ lich auch erfolgt war, ergebe sich aber, wie auch von mir ja festgestellt, aus den Epidoche-Urkunden nicht, konnte also mit diesen nicht bewiesen werden. Das ist in der Tat richtig, hätte sich aber wohl, wenn ich richtig sehe, nur in einem einzigen Fall wirklich negativ ausgewirkt, nämlich dann, wenn der Verpäch­ ter wegen un­befugter Nutzung klagte, weil er damit ja behauptete, den ersten Teilakt nicht ge­setzt zu haben. In allen anderen Fällen rechtlichen Vorgehens gegen den Nutzer, z.B. wegen zu extensiver Nutzung oder Nichtzahlung des Zinses, ließ ja die Klageerhebung erkennen, daß der Kläger verfügt/ermächtigt hatte, sein Teilakt also erfolgt war. Doch auch bei einem Verfahren wegen unbefugter Nutzung half nach den oben angestellten Überlegungen dem Nutzer wohl die Urkunde, wenn sie ein msjwsa oder ein nachträgliches memsjwmai bzw. pedexmhn trug. Und sogar bei einer aus der Urkunde ersichtlichen Doppelausfertigung ohne klar­ stellende Hypographe konnte ein geschickter Redner sicherlich die Richter überzeugen, daß Verabre­dungen vorangegangen waren, also aller Wahrschein­ lichkeit nach verfügt worden war. Somit können die Epidochai nicht gegen die Lehren Wolffs und Herrmanns ins Feld geführt werden. Sie schließen nicht aus, daß die Bindung bei der ms­ jwsiß in der geschilderten Weise entstand. IV. Man kann sie aber wohl auch nicht als Bestätigung der Lehren verstehen, eben weil die Verfügung/Ermächtigung nicht dokumentiert ist, sondern allen­ falls er­schlossen werden kann. Daß die Epidochai nicht exakt erkennen lassen, in wel­chem Augenblick Bindung/Haftung eintrat, darf nicht verwundern. Das war be­kannt, man brauchte es nicht festzuhalten. Künftige Forscher, die unser heutiges Recht nicht mehr kennen, würden sich mit den heute im Alltag errich­ teten Urkun­den insoweit auch schwertun. In eine etwas heikle Lage käme man, versuchte man, die Epidochai für die Lö­sung der Frage heranzuziehen, wieweit in Ägypten der Gedanke des Vertragsab­schlusses durch consensus in die von griechischer Praxis geprägten Institute im 3./4. Jh. bereits eingedrungen war. Denn ob man die Epidochai als echte Ansu­chen mit später darauf vermerkter Bewilligung oder als nach münd­ 13 In Symposion 1977 (ed. Modrzejewski/Liebs, Köln/Wien 1982). 308f, habe ich meine Beden­ ken gegen diese Terminologie formuliert, was hier nicht wiederholt werden soll.

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licher Bespre­chung gefertigte Vertragsurkunden im Ansuchen-Stil versteht, eine konsensuale Deutung bietet sich an. Selbst Wolff hat ja das Eindringen römischer Vorstel­lungen angenommen14. Doch meine ich: Müßten nicht Texte auf uns gekommen sein mit Anspielungen auf gebrochene Abreden und derglei­ chen, wenn bloße Ver­einharungen eine Haftung erzeugt hätten? Alle EpidocheVerfasser einerseits und die vielen Angeschriebenen andererseits dürften doch nicht immer zu ihren Zusa­gen gestanden haben! V. Versuchen wir, ein Fazit zu ziehen: Die Pacht-Epidochai der nachseveri­ schen Zeit bestätigen oder widerlegen die Wolff-Herrmannschen Lehren über den msjwsiß-Vertrag nicht! Zu welchem Zeitpunkt und wodurch Bindung und Haftung eintraten, läßt sie nicht erkennen. Nur aus Hypographai in der Ver­ gangenheitsform kann man allenfalls erschließen, daß Haftung eingetreten war. Zwar hat Wolff noch 1961 (Beiträge [Anm. 8] 135) betont, daß die tatsäch­ liche „Herausnahme des Pachtgegenstandes durch den Pächter“ entscheidend war. Das hieße zunächst keine Bindung: doch erscheint mir wahrscheinlicher, daß es allein darauf ankam, daß dem Pächter eine Befugnis ein­geräumt worden war, nicht, ob er auch tatsächlich davon Gebrauch gemacht hatte. Anhand der Urkunden gewinnt man den Eindruck, daß nachteilige Folgen für den Verge­ ber überhaupt nur die Nichtgewährung von Bebaiosis hatte, selbst wenn er ein msjwsa unter die Epidoche gesetzt hatte. Es handelte sich somit allenfalls um einen unvollkommenen zweiseitigen Vertrag. Beim Bestandnehmer sehe ich es anders. Er mußte sicherlich den Zins bezahlen, wenn er sich der Praxis unter­worfen hatte, vorausgesetzt, der Bestandgeber hatte sich keines Unterlas­ sens der Bebaiosis schuldig gemacht, dem die Verpachtung an einen anderen wohl gleich­zustellen ist. Fehlt jedoch eine Praxis-Klausel, so meine ich, daß für eine sichere Aussage die Grundlage fehlt. Aber wären Abmachungen ohne Klage- bzw. Exekutionsmöglichkeit nicht sinnlos gewesen? Für die Annahme Müllers (Untersuchungen [Anm. 1] 327), die akzeptierte15 Ermächtigung habe eine beiderseitige Bindung bewirkt, finde ich in den Quel­ len keine Stütze, auch wenn man sagen kann, nach der Interessenlage müßte es eigentlich so gewesen sein.

14 Wolff, Beiträge (Anm. 8), 137, vor allem aber 148, „als römisches Recht die Beziehung be­ herrschte“. 15 So meint er wohl, ohne das ausdrücklich zu sagen.

ZUM ATTISCHEN APOTIMEMA*

I. Die attischen Horoi (360–185 v. Chr. Geb.) gehören zu jenen Quellen aus der Antike, deren Zahl durch Neufunde ständig wächst, wie die der Papyrusurkun­ den1: Doch waren nicht neue Horoi wie die im letzterschienenen Band XXXIX (1989) des SEG der Anlaß, mich diesen Texten erneut2 zuzuwenden, sondern zwei Arbei­ten des New Yorker Historikers und Philologen Edward HARRIS, der, wenn ich richtig gezählt habe, nach Finley, Fine und Millett der vierte an­ glo-amerikanische Nichtjurist ist, der sich eingehender mit diesen Steinen aus dem nachklassischen Athen befaßt hat. Seine Auffassung ist schon im Titel der zweiten Arbeit erkenn­bar: „Apotimema: Athenian terminology for real security in leases and dowry agreements“3. Seine These, die Ausdrücke potetimhmenon, pepramnon p lsei, upo­  kei­mnon u.a. auf den Horoi seien nur verschiedene Worte für dieselbe dingli­ che Sicherung, darf m.E. nicht unwidersprochen bleiben Sie ist schon wegen der Unterscheidung bei den Rednern (Demosth. UN 10: ote prajai ote, jsjai, Isaios V 21 primenoi ka jmenoi) und auf den Horoi [nach der Zählung FINLEY/MILLETT] Nr. 147: potimmnh … ujtkeitai,  Nr. 32: pepramnon p lsei … ka potmhma) sowie der verschiedenen Behand­ lung von Hypothek und Prasis epi lysei in der Poleteninschrift Hesp. 10 (1941) 14 No. I sehr unwahrscheinlich. Die No. 200 aus dem oben genannten SEG-Band „ro crou potimhma Cupetaio 200“ ist bedauerlicherweise ein potimhma-Stein, dessen Beschrif­ tung besonders knapp formuliert ist, so daß man nicht sagen kann, zu welcher der drei Gruppen von potimhma-Horoi er gehört. Die Mehrzahl der Apoti­ mema-Steine betrifft nämlich Vereinbarungen, vermutlich Sicherheitsbestel­ lungen, im Zusammenhang mit der Pachtung von Mündelvermögen (mis­thosis * Es ist mir eine große Ehre, in der neuen antikrechtlichen Zeitschrift OIR erstmals das Recht von Athen zur Betrachtung stellen zu können, ich wähle dazu ein Thema aus dem Bereich der Pfandsteine, der Horoi. 1 Jüngste Gesamtübersicht in der 1985er Neuausgabe von FINLEY; Land and Credit in Ancient Athens, 500–200 B.C., Rutgers University Press, mit Einführung von P. MILLETT. 2 Vgl. meine früheren Beiträge in der Festgabe für Arnold HERDLITCZKA, 1972:„Eine atypi­ sche prsi p lsei“ und „Ein Fall von Grundkredit im alten Griechenland (SEG XXIV 583)“ in: Sein u. Werden im Recht, Festgabe für Ulrich von LÜBTOW, 1970. 3 The Classical Quarterly XLIII I (1993). Die andere Arbeit erschien in derselben Zeitschrift XXXVIII 2 (1988) unter dem Titel „When is a sale not a sale? �������������������������������� The riddle of Athenian terminol­ ogy for real security revisted“.

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oikou) bzw. der Bestellung einer proix (Mitgift), nur eine kleine dritte Gruppe4 betrifft sonstige Pachten und Darlehensgewährungen, wozu dieser Stein gehören dürfte. Diese Verteilung des Vorkommens der Apotimerna-Horoi bedeutet, daß das potimhma, wenn wir das Recht Athens richtig verstehen, bei ganz unter­ schiedlichen juristischen Abmachungen verwendet wurde: bei der Mitgiftbestel­ lung zur Sicherung eines eventuellen Zahlungsanspruchs gegen den Ehemann nach Beendigung der Ehe – den Ehemann traf keine Pflicht zur Rückstellung der Original-prox –, bei Verpachtungen, insbes. von Mündelvermögen, zur Si­ cherung der Zahlung des Pachtzinses, auch hier offenbar nicht zur Sicherung der Rückgabe der verpachteten Objekte5, und nur bei Darlehen – das ist die kleinste Gruppe, über die wir am wenigstens wissen – zur Sicherung der Rückzahlung. Als ein Gemeinsames erscheint: in allen Fällen handelt es sich um Geldansprü­ che, eine Verschiedenheit zeigt sich schon äußerlich in dem Vorhandensein oder Fehlen einer Wertangabe auf dem Stein. Letzteres, das Fehlen, ist charakteri­ stisch für Mündel-potimhma, ersteres für die dotalen. Das dürfte zurückzu­ führen sein auf die Verschiedenheit der Fallgestaltungen und Interessenlagen: Bei der prox ging es um eine Forderung, die, wer weiß wann, und vielleicht überhaupt nicht (Witwe mit Sohn bleibt im oko des verstorbenen Mannes), aktuell werden konnte, so daß es für den eines seiner Grundstücke apotimieren­ den Ehemann wohl interessant sein konnte, den freien Mehrwert eventuell zwi­ schenzeitlich für die Erlangung eines Kredits zu nutzen6. Bei der Verpachtung von Mündelvermögen konnte die Inanspruchnahme dagegen vielleicht schon alsbald erfolgen, nämlich bei Ausbleiben einer Zinsrate. Hier war ein Betrag kaum angebbar und könnte deshalb fehlen; es ist aber auch möglich, daß wegen des öffentlichen Interesses am Mündelschutz (Athenaion Politeia 56.7) – der Archon war nach WOLFF sogar der Vergebende bei der Verpachtung – eine weitere Belastung von Rechts wegen gar nicht gestattet war. Dann wäre eine Wertangabe überflüssig gewesen. Bei der dritten Gruppe liegt die Besonder­ heit in dem Umstand, daß hier zur Kreditsicherung eine Apotimierung dient und nicht, wie üblicherweise bei solchen Geldaufnahmen, dafür das piprskein p lsei bzw. das upotijnai  gewählt worden war. M. E. bietet sich als Erklärung für die Wahl des potimhma in der wenigen Fällen der 3. Gruppe ein Streben nach besonderer Sicherheit an, insofern nämlich, als bei Apotimierungen, wie schon der Name sagt, offenbar eine Schätzung um einverständliche Fixierung 4 Dazu GERMAIN in Studi Biscardi 111 1982. 5 AFINLEY 143 für das potmhma bei msjwsi okou. 6 Bestritten von HARRIS in Cl. Q. XXVIII S. 354. Vgl. aber den ro Nr. 147 in der Zählung Finley/Millett: potimhmnh … upkeitai. 

Zum attischen Apotimema

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des Wertes des Sicherungsobjektes erfolgte während sich bei den anderen Siche­ rungsformen zwar aller Wahrscheinlichkeit nach der Gläubiger einen Eindruck vom Wert verschafft haben dürfte, eine Schätzung aber offensichtlich nicht statt­ fand, es sei denn, der Name potimhma führt uns in die Irre. Bei HARRIS, der wie bereits angedeutet, die auf dem Kontinent herrschende Auffassung, man müsse wegen der verschiedenen Formulierungen auf den roi drei Formen der dinglichen Sicherung, nämlich potimhma, prsi p lsei und Hypothek unterscheiden, leugnet, und darin nur verschiedene Bezeich­nungen für ein und dieselbe Sicherung sieht, habe ich eine Erklärung dafür vergeb­lich gesucht, ob­ gleich er betont, upotijnai  und piprskein hätten nur bei den loans der 3. Gruppe Verwendung gefunden. Um so eher hatte man von ihm eine Äußerung erwartet, warum bei diesen loans die üblichen Ausdrücke nicht verwen­det wor­ den sind. – Die Gründe für den wechselnden Sprachgebrauch sieht HARRIS in einer Verschiedenheit der „structures of legal obligations“. Bei loans erfolge am Beginn eine Leistung des Darleihers, danach habe dieser keine Verpflichtung mehr und der Darlehensnehmer nur eine zukünftige, weswegen man das dafür bestellte Sicherungsobjekt als ihm unterfallen bzw. an ihn verkauft verstanden habe. Bei ei­ner Verpachtung dagegen standen sich während der ganzen Lauf­ zeit gegenseitige Verpflichtungen gegenüber, die Belassung des Bodens in Hän­ den des Partners ei­nerseits und die Zinspflicht andererseits, weswegen man bei msjwsi nicht davon gesprochen habe, es sei etwas verkauft oder unterfallen. – Dabei übersieht HARRIS, daß man eine Pacht sehr wohl auch als einen Kauf und zwar als Nutzungskauf ansehen könnte und natürlich auch bei der Pacht eine Vorleistung er­folgt: die Einräumung des Pachtobjekts. – HARRIS mit eige­ nen Worten: upokeimnon  oder pepramnon p lsei bei existing obligations, potimhmnon wenn the debt is only contigent (89). – Mit dem von ihm ange­ nommenen attischen Obligationsverständnis versucht HARRIS auch das fehlen der Wertangabe auf den msjwsi okou-roi zu erklären: Da nichts verkauft war, bestand auch keine ob­ligatio in fixierbarer Höhe. Auf seine Erklärung der Verwendung der „Apotimierungsausdrücke“ bei der prox, ist man nach dem bisher Dargelegten gespannt; denn unbefangen betrachtet sieht man eher Ähnlichkeiten zu loan und nicht mit lease. Der Ver­ pflichtete hat et­was anderes zurückzugeben, als was er empfangen hat. HAR­ RIS’ Erklärung: Schon die Ehen der Frühzeit seien von einer Gabe der Familie der Frau an den Mann begleitet gewesen. Kam es zu einer Scheidung, war der Mann zu einer Ge­gengabe verpflichtet. Diese alten Vorstellungen fanden in klassischer Zeit Ausdruck in der prox und der Pflicht zu der Rückgabe von deren Wert im Falle einer Schei­dung. Diese Pflicht sei „only contigent“ ge­ wesen, daher habe man sich des bei solchen Obligationen üblichen Ausdruck

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potimhma bedient; denn die prox-Gabe war Schenkung und schuf keine Ob­ ligation. Prox-roi, die nicht in dieses Bild passen, also ohne potimhmnon7, erklärt HARRIS mit einer in Athen daneben vorhandenen abweichenden Mei­ nung. Die Vertreter dieser Minderheitsmeinung hätten Vergleichbarkeit eher mit einem loan gesehen und deswegen nicht von potimhmnon gesprochen. Aus diesem Streit zweier Meinungen miteinander erkläre sich auch die in der Phainippos-Rede des Demosthenes (XLII) begegnende konträre Behandlung einer prox durch die Prozeßparteien in einem antidosis-Fall: Zugehörigkeit zum Vermögen des Ehemannes oder nicht? – Hier läßt sich HARRIS m. E. von geschicktem Redner-Vorbringen verleiten, das Fehlen einer gesetzlichen Rege­ lung anzunehmen. Was überhaupt sein Hauptargument zur Erklärung des ver­ schiedenen Sprachgebrauchs ist: Es habe keinen nmo über Grundpfandrechte gegeben, deshalb konnten sich sowohl Gläubiger wie Verpfänder während des Bestehens der Sicherung als Eigentümer aufspielen. HARRIS leugnet also den Eigen-Charakter eines potmhma, ähnlich wie den eines pepramnon p lsei bzw. upokeimnon.  Statt dessen nimmt er Wortwahl entsprechend dem Charakter der zugrundeliegenden Obligationen an. Das erscheint angesichts der völligen Verschiedenheit der wörtlichen Be­ deutung der Ausdrücke und des Zwecks der roi, die mit den Abreden der Par­ teien nicht vertrauten Dritten aufzuklären bzw. zu warnen, wenig überzeugend. In dem Leser eines ro muß durch potimhmnon eine andere Vorstellung erweckt worden sein als z.B. durch pepramnon p lsei, weil von einer Schätzung die Rede war und nicht von Verkauf. Daß jemand etwas erworben hatte, daß etwas verkauft worden war, und wenn auch nur auf Zeit, konnte, ja durfte man einem potmhma-ro nicht entnehmen, sondern nur die Bereit­ stellung, die Bestimmung als Sicherheit zu einem bestimmten Wert, ohne daß dieser angegeben sein mußte. Wieder anders muß es zu verstehen gewesen sein, wenn man auf dem Stein upokeimnon  las. Das besagte negativ zunächst einmal, daß weder „verkauft“ noch „apotimiert“ worden war. Es dürfte eine reine Belastungsvorstellung ge­ wesen sein, das Nähere ergab sich wohl aus einer Syntheke. Es bestand we­ der Mitberechtigungseinräumung8 – so verstehe ich heute die Folge eines piprskein p lsei, ohne das hier näher ausführen zu können – noch Be­ reitstellung im eben erörterten Sinne. 7 FINLEY/MILLETT, Nr. 21A, 49 u. 82. 8 Das würde z.B. erklären, wieso der „Verkäufer“ weiter belasten (vgl. die sogen. Poletenin­ schrift) und der „Käufer“ die „Sicherheit“ weiterveräußern konnte (Horns No. 102), um mich auf von HARRIS (C. Q. XXXVIII) gebrachte Beispiele zu beschränken.

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HARRIS’ Argumentation mit den Obligationsstrukturen ist viel zu dogma­ tisch. Es leuchtet überdies nicht ein, warum man verschiedene Ausdrücke für dasselbe verwendet haben sollte, nämlich die Sicherung eines Geldanspruchs, wenn dessen Durchsetzung in allen Fällen gleich verlief, nämlich durch Inbe­ sitznahme bzw. Überlassung des Sicherungsobjekts. Die unterschiedliche Wort­ wahl zeigt m. E. deutlich, daß Verschiedenes kundgemacht werden sollte: Beim upokeimnon  das Vorhandensein einer Belastung, das Bestehen von Rechten Dritter an dem Grundstück oder Haus. Pepramnon p lsei ließ erkennen, daß der Eigentümer einem Dritten eine Mitberechtigung eingeräumt hatte, die gelöst werden konnte, was vielleicht sogar erwünscht war. – Übertragung in Alleineigentum ist bei dem oft auf der Hand liegenden Mißverhältnis zwischen Wert und aufgenommenem Kredit nicht glaubhaft. – A potimhmnon dage­ gen tat etwas ganz anderes kund: Das Objekt war zu einem fixierten Wert für die Regelung eines künftigen möglichen Streits zwischen zwei Personen be­ reitgestellt, ohne – wenn WOLFF recht hat (dazu gleich) – daß erkennbar war, wem es gehörte – genannt war nur der, dessen Interessen es diente – und wem es in Zukunft endgültig verbleiben würde. II. Bisher ausgeklammert habe ich die Frage, die seit fast 40 Jahren über dem potmhma schwebt: Gab es potmhma-roi auch auf Grundstücken, die zur prox gehörten oder Eigentum des Mündels waren, wie Hans Julius WOLFF gemeint hat‘? (Festschrift für Ernst Rabel II, 1954, S. 293–333). Anders ausge­ drückt: Gab es die Apotimierung von Grundstücken, die auf Zeit unter die Ky­ rieia eines anderen kamen, wobei der Zweck nicht – oder doch nicht in erster Linie – pfandartig war? WOLFF schrieb nämlich dem Apotimema neben der sichernden eine – viel­ leicht sogar als primär anzusehende – ablösende Funktion zu. Der zeitweilige Kyrieia-Inhaber sollte die Möglichkeit bekommen, am Ende der Zeit seiner Be­ rechtigung zur Erfüllung seiner Geldschuld das apotimierte Objekt dem anderen Teil wieder zu überlassen und dadurch die dkai proik bzw. pitrop zu vermeiden. Überdies habe eine Apotimierung das Objekt der Verfügungsfrei­ heit des Ehemannes9 bzw. Vormundes entzogen. Das Ganze habe somit Vorteile für beide Seiten gehabt: Ehemann bzw. Vormund brauchten das Auflaufen einer ohne Angreifen des eigenen Vermögens nicht begleichbaren Schuld nicht zu be­ fürchten, da sie sich durch Rückgabe des Apotimema immer befreien konnten, die Grundstückseigentümer andererseits hätten keine Besorgnis haben müssen, 9 Ob das wirklich für den Ehemann galt, der generell doch die prox-Gegenstände nicht zurück­ geben mußte!?

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daß über den apotimierten Boden auf Nimmerwiedersehen verfügt wurde, und brauchten keinen schwierigen Prozeß zu befürchten. Das apotimierte Objekt blieb ihnen immer sicher. HARRIS lehnt WOLFFS These ab. Die von WOLFF herangezogenen Texte ließen sich auch anders interpretieren, überdies wüßten die Lexikographen von derartigen Apotimierungen nichts. Beides ist zuzugeben. Zwingend widerlegt hat er m. E. WOLFF nicht, es könnte Apotimierungen im Sinne von WOLFF gegeben haben10, die Formulierungen auf manchen Horoi klingen so. Die Frage ist für mich nur, ob es wahrscheinlich ist. Die Quellenlage ist für WOLFF ungünstig. Auf einige vielleicht heranzieh­ bare roi aus dem Mündelbereich hat er sich nicht einmal gestützt. Es fragt sich nämlich, ob man nicht an ein potmhma auf Mündelvermögensstücken denken könnte, wenn es heißt (120a): ro cwrou ka oika potimmato paid oder (129a): ro … potimmato, Dwro … wno11 padwn Filo­ klo ka Filrgo. Daß das sprachlich nicht zwingend auf Grundstücke des Mündels deutet, ist mir natürlich bewußt, aber es erscheint doch bemer­ kenswert, daß diese Formulierungen Ausnahmen sind, während überwiegend potimma paisn bzw. paid geschrieben wurde. Warum WOLFF diese Steine nicht angeführt hat, kann man nicht sagen. Möglicherweise wegen der abweichenden Rechtslage, wenn der Epitropos selbst das Mündelvermögen oder Teile desselben pachtete. – Daß ihm das er­ laubt war, stand für WOLFF fest. – Wenn in einer solchen Situation auf Mün­ delgrund apotimiert wurde, stand nämlich aller Wahrscheinlichtkeit nach die Pfandfunktion im Vordergrund. Jeder Pächter mußte ja Sicherheiten stellen und als Kyrios durfte der Vormund dazu wohl Mündelgrundstücke nehmen, auch wenn uns Heutigen das vielleicht merkwürdig erscheinen mag. Was das WOLFFsche Argument einer durch die Apotimierung zu bewir­ kenden Verfügungssperre anbelangt, so muß man sich fragen: Waren wirklich die am Ende einer Vormundschaft möglicherweise drohenden Zwistigkeiten so groß, daß der Epitropos sich deshalb selbst einer Verfügungssperre unterwarf? Im Regelfall des treu sein wollenden Vormundes doch wohl kaum. – Daß Vater oder Archon die Apotimierung außer im Falle einer misthosis oikou12 anord­ nen konnten, ist nicht überliefert. – Praktisch dürfte deshalb die Apotimierung von Mündelvermögen selten gewesen sein. 10 So schon H. NIEDERLÄNDER in IURA 6 (1955) S. 293 für die Mitgift. 11 Nach FINE, Horoi (1951) S. 2, Name und Demotikon eher als Name und Vatersnahme, Name vielleicht schlicht Dro. 12 NIEDERLÄNDER erklärt WOLFFs These für die mosjwsi okou für unwahrscheinlich, aber aufgrund anderer Überlegungen.

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Aber wie bereits gesagt, WOLFFs Hauptquelle für seine Ablösungsthese sind nicht die Mündelvermögens- sondern die Proix-Texte, wofür er sich auf Horosinschriften wie Nr. 150 en ptoik potetimhmnh Nr. 175 oika proi­k und Nr. 137 A ei tn proka stützt, um nur die attischen zu nen­ nen. Bei der Proix, bezüglich derer HARRISON in Law of Athens 1 299 ff. WOLFFs These zugestimmt hat, ist ganz sicher, daß nach dem Recht der Athener, wenn überhaupt der Fall der Rückstellungs-„Pflicht“ des Eheman­ nes eintrat, immer nur eine Geldsumme verlangt werden konnte. Die proix in natura verblieb, wenn er das so wollte, endgültig dem Ehemann, der ja auch während des Bestehens der Ehe verfügungsbefugt war. Hier hat WOLFF, wie mir scheint, übersehen, zumindest nirgendwo gesagt, daß eine Rückgabe der apotimierten Proix-Grundstücke niemals auch die vom Ehemann im Falle ver­ späteter Rückstellung geschuldeten Zinsen13 abdecken konnte, es sei denn, man hatte die Grundstücke bei der Apotimierung bewußt unterbewertet, so daß ihr wahrer Wert zusammen dem Wert der Gesamtproix plus eventueller Zin­ sen entsprach. Denn anders konnte wohl Wertgleichheit und damit Schutz der Interessen der Frauenfamilie nicht erreicht werden, und zwar vor allem dann, wenn neben den Grundstücken noch anderes als proix gegeben worden war, was offenbar in Athen üblich war! Boden als Teil der Mitgift zu geben war viel­ leicht sogar nicht die Regel14. Eine derartig manipulierte Wertansetzung bei der Apotimierung scheint mir bei der Proix – anders als bei der mis­thosis oikou, wo amtliche Schätzer eingesetzt wurden – denkbar. Bei WOLFF findet man davon nichts, er hat den möglichen Zinsanfall vernachlässigt. Das mag mit der Verengung seines Blickes auf die dkai pitrop bzw. proik zusammen­ hängen, die wohl nicht auf Zinsen gingen. Dafür kamen bei der Pacht offenbar die dkh karpo, bei der prox die dkh stou in Frage. Zusammenfassend möchte ich meinen: Eine wirkliche Wahrung der Interes­ sen der Grundstücksüberlasser war nur gegeben, wenn Ehemann – bzw. Päch­ tereigentum apotimiert wurde, daneben mag die Apotimierung von Mündelbzw. Proix-Grundstücken sinnvoll gewesen sein. III. Wir kommen nun zu dem sogenannten potmhma-Gesetz (Demosth. 41 Spuidas §§ 7 und 10), für WOLFF eine wesentliche Stütze seiner These. Ich glaube, daß er auch hier etwas übersehen oder stark vernachlässigt hat.

13 S. WOLFF, Art. prox in RE XXIII Sp. 154. 14 S. WOLFF aaO. Sp. 137.

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Wie der Gesetzestext gelautet hat, wissen wir nicht, wir besitzen nur zwei Inhaltsangaben des Sprechers in den §§ 7 und 1015. Nach Meinung aller Ge­ lehrten, die sich in den letzten 50 Jahren damit eingehender beschäftigt haben, ist der Wortlaut nicht zweifelsfrei zu erschließen. Wir können nur mit einer gewissen Verläßlichkeit davon ausgehen, daß danach potmhma-Besteller (potimmante) einschließlich ihrer Erben gegen conte keine dkai tn potimhjntwn erheben durften. Das Gesetz wird hier merkwürdigerweise zi­ tiert von einem Apotimema-Empfänger, der Erben des Apotimema-Bestellers klagt, vermutlich wegen blbh (WOLFF). WOLFF verstand conta im Sinne von Sachbesitzern ihnen apotimierter Gegenstände16. Das tut auch jetzt wieder HARRIS17, nur nimmt er ein vorange­ gangenes mbateein an, Inbesitznahme nach trotz Fälligkeit ausgebliebener Zahlung, wofür aber weder der Inhalt der Spuidas-Rede noch die Ausführungen des Redners über das durch den Nomos Verbotene sprechen. WOLFF hält „allein“ für denkbar, daß das Verbot sich auf die dkai pitropß und proik bezogen hat, weshalb als conta nur Ehemann bzw. Pächter im Sachbesitz ihnen apotimiert überlassenen Proix- bzw. Mündel-Ver­ mögens in Frage kämen. Das ist eine aus den Texten nicht zu rechtfertigende Verengung, für die m.E. wenig spricht. Warum sollten nicht auch die Kyrioi von Frau bzw. Mündel vor kai geschützt sein, wenn ihnen apotimiert wor­ den war? Sollten sie von Apotimema-Bestellern geklagt werden dürfen? Sogar von deren Erben? War es nicht vielleicht der Zweck des Nomos, ein bestelltes Apotimema unangreifbar zu machen? – Das entspricht auch eher, soweit aus der dunklen Schilderung des Sprechers erkennbar, dem Grund für die Anfüh­ rung des Nomos in der Spuidas-Rede. WOLFF muß ihm „Spiegelfechterei“ vorwerfen, weil gegen ihn keine dkh proik erhoben gewesen sein kann und es überdies um eine Klägerrede geht. Wenn aber jegliche „Anfechtung“ o. ä. ei­ nes bestellten Apotimema durch den Nomos verboten war, könnte der Sprecher gemeint haben: Wem der Nomos das Klagen wegen eines von ihm bestellten Apotimema versagt, der darf sich auch nicht auf Ungültigkeit eines solchen berufen, wenn er geklagt wird! – Die Unangreifbarkeit vorgenommener Apoti­ mierungen wäre eine sinnvolle Abgrenzung gegenüber hypothezierten oder p lsei „verkauften“ Objekten gewesen, wegen derer Klagen nicht ausgeschlos­ sen waren, was sich bei p lsei-Geschäften schon aus der Bezeichnung ver­ 15  ouk   diarrήdhn, sa ti petmhsen, enai dka, out autoi  ote to klhronomi (§ 10) und  ouk  ᾷ tn potmhjntwn ti dkhn enai pr to conta (§ 10). 16 Festschrift für Emst Rabel 11 (Tübingen 1954) S. 330. 17 The Class. Quarterly XLIII (1993) S. 93.

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steht und bei einem Hypokeimenon deshalb angenommen werden kann, weil, wie die sogen. Poleteninschrift18 zeigt, nach Hypothezierungen jedenfalls nicht automatisch Pfandverfall eintrat, sondern Ablösung erfolgen konnte. Man muß auch berücksichtigen, daß das Verbot in einem Nomos enthalten war. Welche Veranlassung könnte stark genug gewesen sein, gerade die „Geg­ ner“ von Kyrioi von Frauen und Mündeln vor prozessualer Inanspruchnahme zu schützen, nicht aber diese Kyrioi selbst? Denn das ist doch die Konsequenz von WOLFFS Verengung: Ehemänner und Vermögenspächter waren an ötict nicht gehindert, wenn sie von ihnen apotimierte Objekte den Kyrioi überlas­ sen hatten, jedenfalls nicht durch diesen Nomos, da sie ja weder proik noch pitropß klagten! Im übrigen scheint mir, daß man unter den conta nicht unbedingt Sach­ besitzer verstehen muß, sondern vielleicht auch an die Empfänger von Apo­ timierungen, also die Inhaber von potimmata, denken kann. Dies tun z.B. FINE (Horoi 131) und FINLEY (Land and Credit 245). Dann brauchte man für die Anwendbarkeit des Nomos nicht einmal vorauszusetzen, daß die vom Ehemann bzw. Pächter apotimierten eigenen Objekte schon in den Gewahrsam der Kyrioi gelangt waren An­fechtungen, Forderungen auf Erstattung eines Wert­ überschhusses, Austausch gegen andere Sicherheiten u. ä. waren damit ausge­ schlossen, was wesentlich zur Sicherheit beigetragen hatte. Gegen WOLFF spricht auch, daß gar nicht feststeht, ob das fragliche Haus wirklich apotimiert in die prox gegeben worden war (vgl. HARRIS 85), wie es WOLFFs Lehre fordert, und nicht etwa dem Sprecher als Sicherheit Für seine For­derung gegen den Schwiegervater auf das restliche Viertel der Mitgift apotimiert wurde. – Das wäre eine potmhma-Verwendung gemäß Fallgruppe III, wobei freilich auflallend wäre, daß der Sprecher nicht Verfall wegen Nicht­ auszahlung des restlichen Mitgiftviertels geltend macht. Ich will und kann mich aber hier nicht weiter in die dunkle Spuidas-Rede vertie­fen, mein Anliegen war nur zu zeigen, daß die Rede und der in ihr er­ wähnte Nomos keine überzeugende Stütze für WOLFF – aber auch nicht für HARRIS sind, dem insbesondere vorzuwerfen ist, daß er bei der Diskussion des Sinns des Gesetzes übersehen hat, daß mit conte auch Pfandbesitzer gemeint gewesen sein können, denen der Apotimemabesteller den Besitz eingeräumt hatte. Ohne diese Möglichkeit mit Sicherheit auszuschließen, darf man aber nicht davon ausgehen, daß eine mbatesi wegen Nichtzahlung der Schuld vorgenommen worden war, wenn dafür jeder Hinweis im Text fehlt.

18 Hesperia 10 (1941) 14 No. 1.

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Zusammenfassend meine ich, daß viel für die vor WOLFF und HARRIS herr­schende Auffassung vom Apotimema spricht. Seine Beliebtheit verdankt es offen­bar der vorzunehmenden Wertfeststellung und dem eben besprochenen Nomos. Ich könnte mir vorstellen, daß Ausgangspunkt der Schutz von Mündel­ vermögen gewe­sen war, und die Vertragspraxis sich der Apotimierung später für lsei-Bestellungen und schließlich gelegentlich auch für solche Verpach­ tungen und Darlehen be­dient hat, bei denen man besonders sicher gehen wollte (die erwähnte dritte Gruppe der potimhma-roi19).

19 Erweiterte Fassung eines 1994 auf der SIHDA-Tagung in Wien gehaltenen Referates.

TEXTVERZEICHNIS

 1. Zu den Freilassungsinschriften aus Delphi, in: Synteleia, Festschrift Vin­ cenzo Arangio-Ruiz, Napoli, 1964   2. Zur cura minorum in klassischer Zeit, in: Aktuelle Fragen aus modernem Recht und Rechtsgeschichte, Gedächtnisschrift für Rudolf Schmidt, Dun­ cker & Humboldt Berlin, 1966   3. Zum attischen Erbtochterrecht, in: Rechtsbewahrung und Rechtsentwick­ lung, Festschrift für Heinrich Lange zum 70. Geburtstag, 25. März 1970, C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung München 1970   4. Ein Fall von Grundkredit im alten Griechenland, in: Sein und Werden im Recht, Festgabe für Ulrich von Lübtow zum 70.Geburtstag am 21. August 1970, Duncker & Humboldt Berlin  5. Obligatorische cura minorum im justinianischen Recht? in: Studi in onore di GIUSEPPE GROSSO. Opera in sei volumi rilegati in tela. Volume Quarto, G. Giappichelli Editore srl, 1971   6. Zur Urkundenklausel Κυριευέτω τîν καρπîν έως …, in: Akten des XIII. Internatioanlen Papyrologenkongresses Marburg/Lahn, 2.–6. August 1971, Verlag C.H.Beck München  7. Eine atypische ΠΡΑΣΙΣ ΕΠΙ ΛΥΣΕΙ, in: Festgabe für Arnold Herdlitczka zu seinem 75. Geburtstag, Verlag Wilhelm Fink, 1972  8. Rechtsvorstellungen im altgriechischen und graeco-ägyptischen Rechts­ kreis, Inaugurationsrede, gehalten an der Universität in Graz am 15. No­ vember 1974, Verlag Jos. a. Kienreich Graz   9. Verpächter- und Pächterurkunden in den griechischen Papyri, in: Fest­ schrift für Erwin Seidl zum 70. Geburtstag, Peter Hanstein Verlag Gmbh Köln, 1975 10. Die attischen Aufzeichnungen über die Einlieferung von φιαλι έξελευ­ ϑερικαί,�������������������������������������������������������������� in: Symposion 1971, Vorträge zur griechischen und hellenisti­ schen Rechtsgeschichte, Böhlau Verlag, 1975 11. Bemerkungen zur Praxisklausel, in: Festschrift für Max Kaser zum 70. Ge­ burtstag, C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung München, 1976 12. Bürgerrecht oder Latinität?, in: Festschrift Hermann Baltl zum 60. Ge­ burtstag, Universitätsverlag Wagner Innsbruck 1978 13. Bemerkungen zu Form und Inhalt der delphischen Freilassungen, in: RE­ VUE INTERNATINALE DES DROITS DE L’ANTIQUITE, Office Inter­ national de Librairie, 1980

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14. Bemerkungen zu den griechischen Freilassungsschriften, in: Wissenschaft­ liches Jahrbuch der Panteios“ Athen, 1981 15. Zu den Privatpacht-Hypomnemata der ersten zwei nachchristlichen Jahr­ hunderte, in: Symposion 1977, Vorträge zur griechischen und hellenisti­ schen Rechtsgeschichte (Chantilly, 1.–4. Juni 1977), Böhlau Verlag Köln, 1982 16. Die Bedeutung der άπέδοτο-Aufzeichnungen im heiligen Bezirk für die juristische Erfassung des Rechtsinstitutes Freilassung in Delphi, in: Fest­ schrift Berthold Sutter (1983), Leykam-Verlag Graz 17. Fragen der Rechtsverfolgung in Delphi zur Zeit der Freilassungsinschrif­ ten, in: Mneme Petropoulou II, Editions Ant. N. Sakkoulas, 1984 18. Τοῦτον τοι῱υτον ἀναπόριφον in den Eselverkaufsurkunden aus dem kai­ serzeitlichen Ägypten, in: Grazer Beiträge 12–13, 1985–86, Verlag F. Ber­ ger u. Söhne Gesellschaft m.b.H. 19. Zum Usucapions-Titel bei Vermächtnissen, in: Iuris Professio, Festgabe für Max Kaser zum 80. Geburtstag, Böhlau Verlag, 1986 20. Fragen des kaiserzeitlichen Städtewesens auf Grund neuer Funde auf der Iberischen Halbinsel, in: Recht und Geschichte, Festschrift Hermann Baltl zum 70. Geburtstag, Leykam-Verlag, 1988 21. Probleme kaiserzeitlicher Tierveräußerungsverträge auf Papyrus, in: Sym­ posion 1985, Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsge­ schichte (Ringberg, 24.–26. Juli 1985), Böhlau Verlag, 1989 22. Atypische Tierverkaufsurkunden, in: The Journal of Juristic Papyrology, Vol. XX, 1190 23. Statuswechsel nach der lex Irnitana, in: Tradition und Fortentwicklung im Recht, Festschrift zum 90. Geburtstag von Ulrich von Lübtow am 21. Au­ gust 1990, Schäuble Verlag Rheinfelden Berlin, 1991 24. Sine iniuria privatorum, in: VESTIA IURIS ROMANI, Festschrift für Gunter Wesener zum 60. Geburtstag am 3. Juni 1992, Leykam Verlag 1992 25. Ius municipum, Zu Art. 93 Lex Irnitana, in: Ars boni et aequi. Festschrift für Wolfgang Waldstein zum 65. Geburtstag, Steiner Franz Verlag, 1993 26. Zu P. OXY. LXI 4121, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik, Dr. Rudolf Habelt GmbH Bonn, 1996 27. Zu den Epidochai des 3. und 4. nachchristlichen Jahrhunderts, in: Archiv für Papyrusforschung 1997, Verlag B. G. Teubner Stuttgart und Leipzig 28. Zum attischen Apotimema, in: OIR Orbis Iuris Romani 3, Brno; Bratislava, 1997