Archäologie und Geschichte: Band 1 Beiträge zur siedlungsarchäologischen Forschung [Reprint 2019 ed.] 9783110822540, 9783110020038


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German Pages 335 [336] Year 1976

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Archäologie und Geschichte: Band 1 Beiträge zur siedlungsarchäologischen Forschung [Reprint 2019 ed.]
 9783110822540, 9783110020038

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Herbert Jankuhn • Archäologie und Geschichte

HERBERT J A N K U H N

ARCHÄOLOGIE U N D GESCHICHTE Vorträge und Aufsätze

Band 1

Beiträge zur siedlungsarchäologischen Forschung

W G DE

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1976

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Jankuhn, Herbert [Sammlung] Archäologie u n d Geschichte: V o r t r . u. Aufsätze. Bd. 1. Beiträge zur siedlungsarchäologischen Forschung. ISBN 3-11-002003-3

© Copyright 1976 by Walter de G r u y t e r & C o . , vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. — Printed in Germany — Alle Rechte des Nachdrucks, einschließlich des Rechtes der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten. Satz und Druck: Saladruck, Berlin Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin

Meinen Mitarbeitern und Schülern als Dank für Hilfe, Anregung und Kritik

INHALT Vorwort Einleitung

IX 1

Siedlungsarchäologie als Forschungsaufgabe

23

Siedlungsgeschichte und Pollenanalyse in Angeln

40

Klima, Besiedlung und Wirtschaft der älteren Eisenzeit im westlichen Ostseebecken

69

Methoden und Probleme siedlungsarchäologischer Forschung

105

Terra . . . silvis horrida

145

Arbeiten zur älteren Siedlungsgeschichte Schleswig-Holsteins

185

Die Entstehung der mittelalterlichen Agrarlandschaft in Angeln

194

Rodung und Wüstung in vor- und frühgeschichtlicher Zeit

213

Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaftsordnung der germanischen Stämme in der Zeit der römischen Angriffskriege 263

VORWORT Das Bemühen, archäologische Funde für siedlungskundliche Erkenntnisse auszuwerten, ist zwar alt, die Entwicklung dafür geeigneter Methoden aber hat eben erst begonnen. Nach 1945 bemächtigte sich der deutschen archäologischen Forschung eine gewisse nach den Ereignissen der davor liegenden Zeit auf diesem Fachgebiet auch verständliche Resignation gegenüber historischen Fragestellungen und erst allmählich gewannen über einen antiquarisch-deskriptiven Forschungsbetrieb hinaus auch wieder historische Probleme an Bedeutung. Einen gangbaren Weg zur Gewinnung historischer Einsichten bot trotz aller methodologischer Unzulänglichkeiten die siedlungsarchäologische Betrachtungsweise mit den durch sie vermittelten Zugängen zu wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Erkenntnissen, ja unter Umständen auch zu stammeskundlichen Einsichten. Leider widmete die Forschung diesen Möglichkeiten nur peripheres Interesse, allerdings kamen hier und dort doch neue Ansätze zutage, die oft eingebettet in ganz andere Untersuchungen nur unter Schwierigkeiten aufzuspüren waren. In dieser Situation griff ich dankbar die Anregung des Verlages Walter de Gruyter auf, eine Einführung in dieses alte und doch neue Arbeitsgebiet der Archäologie zu schreiben und dabei einen Uberblick über den derzeitigen Forschungsstand zu bieten. Wenn dieses nicht in einer theoretischen Methodenreflexion geschehen sollte, so konnte es nur pragmatisch erfolgen. Um einen solchen Einführungsband von den vielfältigen, für die Anschaulichkeit aber notwendigen Einzelbeispielen zu entlasten, ohne doch auf sie verzichten zu müssen oder dem Leser die Beschaffung sehr weit verstreuter und außerhalb der Universitäten nicht leicht greifbarer Spezialliteratur zuzumuten, machte ich den Vorschlag, wenigstens meine Beiträge zu dieser Forschungsrichtung in einem besonderen Bande zusammenzufassen, der auch für sich alleingenommen, insbesondere durch den einleitenden methodischen Vortrag auf der Reichenau, eine Einführung bietet. Das leistet dieser Band allerdings nur in begrenztem Umfange, nämlich beschränkt auf die Teilaspekte siedlungsarchäologischer Forschung, die mich selbst beschäftigt haben. Andere, die Methodik in anderer Richtung bereichernde Beiträge, wie — um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen — die Untersuchungen von Klaus Schwarz zum Landesausbau in Nordostbayern oder die von Sielmann über die Abhängigkeit der neolithischen Besiedlung von kleinklimatischen Bedingungen und natürlich auch manche andere neue Denkansätze finden in diesem Bande keinen Platz. Sie werden in der „Einführung in die Siedlungsarchäologie" entsprechend gewürdigt werden.

X

VORWORT

Immerhin beziehen die hier noch einmal abgedruckten Vorträge und Aufsätze die methodischen Erkenntnisse mit ein, die die Archäologische Landesaufnahme in Schleswig-Holstein ergeben haben. An ihr habe ich mehrere Jahre selbst mitgewirkt, als ich die Bearbeitung der Eisenzeit für den Band über die Nordfriesischen Inseln übernommen hatte und als mir die Aufsicht über die Landesaufnahme im Kreise Schleswig — also im südlichen Teil der Landschaft Angeln — übertragen worden war. Hier war ich vier Jahre auch in der praktischen Geländearbeit tätig und habe einen intensiven Einblick in die methodischen Möglichkeiten und Grenzen dieser Arbeit gewonnen. Wenn ein Teil meiner Beispiele aus der Landschaft Angeln gewählt wurde, so geschah das deshalb, weil ich hier auf eigene, gut fundierte Anschauungen zurückgreifen konnte. Hier standen mir überdies in den Herren Bötel und Schäfer zwei Mitarbeiter zur Verfügung, denen ich manche Anregungen und manche mir neue Einblicke in die Besiedlung dieser Landschaft zu danken habe. Die kritische Auseinandersetzung mit ihren Beobachtungen und die lebhafte Diskussion ihrer Ergebnisse im Gelände selbst haben wesentlich dazu beigetragen, mir die methodischen Möglichkeiten und die Grenze dieser Arbeitsweise bewußt zu machen. Was die sich aus der Ausgrabung von Ansiedlungen ergebenden Einsichten betrifft, so habe ich dafür reichhaltige Anregungen aus den Grabungen in Haithabu und den dort mit Mitarbeitern und sachkundigen Kollegen geführten Diskussionen gewonnen. Diese haben in dem hier vorgelegten Band nur mittelbar ihren Niederschlag gefunden, wobei ich insbesondere und mit großer Dankbarkeit der Zusammenkünfte des „Nordseekolloquiums" der Deutschen Forschungsgemeinschaft gedenke, die gerade für die Interpretationsmöglichkeiten, wie sie ganz ausgegrabene Ansiedlungen bieten, wesentliche Anregungen zur Weiterentwicklung der Methode geboten haben. Audi für die Ausdeutung von Grabungen und die Auswertung von Funden und Befunden zur Beantwortung wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Fragen wurden in diesem Arbeitskreis nicht zuletzt durch die umfangreiche Einbeziehung naturwissenschaftlicher und technologischer Disziplinen neue Ansätze entwickelt, die einigen Beiträgen dieses Bandes direkt zugute gekommen sind. Was die theoretische Auswertung von Untersuchungen solcher Ansiedlungen selbst betrifft, so habe ich wesentliche Anregungen auch den Kolloquien der Kommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas der Akademie der Wissenschaften in Göttingen zu danken, die auf drei Kolloquien im Jahre 1972 das Problem „Wort und Begriff Bauer" behandelte und die in den Jahren 1973 und 1974 sechs Kolloquien dem Thema „Das Dorf der Eisenzeit und des frühen Mittelalters als Siedlungsform, seine wirtschaftliche Funktion und seine soziale Struktur" widmete. Die in diesem Bande zusammengestellten Beiträge aus den Jahren 1974 und 1975 verdanken manche Einsicht den dort gehaltenen Vorträgen und der sich anschließenden Diskussion.

VORWORT

XI

So bieten die Aufsätze dieses Bandes Überlegungen und Ergebnisse, die nicht nur auf theoretischen Erwägungen und auf Auswertungen der einschlägigen Literatur beruhen, sondern die zu einem Teil jedenfalls auch auf eigene Anschauungen und selbständige Forschungen im Gelände zurückgehen und dadurch einen mehr unmittelbaren Charakter gewonnen haben. Soweit neuere Erkenntnisse zu den zum Teil vor einem Vierteljahrhundert behandelten Problemen vorliegen, habe ich diese jeweils in Nachträgen zu dem einzelnen Aufsatz dargestellt, so daß diese Aufsätze gewissermaßen durch die Anführung neuerer Literatur dem Leser die Möglichkeit bieten, die dort angeschnittenen Probleme bis zur gegenwärtigen Forschungslage zu verfolgen. An den Texten der Vorträge und Aufsätze selbst sind keine Veränderungen vorgenommen worden. Die Stellen, zu denen in den Nachträgen Zusätze gemacht worden sind, wurden, soweit es sich nur im Literaturnachträge handelt, mit zwei Sternen gekennzeichnet, soweit es sich aber um ausführlichere Nachträge handelt, mit einem Stern versehen. Auf eine Angabe der Seitenzahlen in den originalen Publikationen ist an dieser Stelle verzichtet worden. Die Abbildungen sind so gebracht, wie sie die einzelnen Aufsätze im Original enthielten. Dem Verlag Walter de Gruyter, insbesondere Herrn Professor Dr. H . Wenzel, bin ich zu Dank für die Anregung zu dem Einführungsband und zu diesem Ergänzungsband verpflichtet und Frau E. Bittner vom Verlage Walter de Gruyter für die große Mühe, die sie sich damit gemacht hat, die ursprünglich in verschiedenen Formaten gedruckten Aufsätze nun auf ein einheitliches Format zu bringen, ohne daß dadurch die Abbildungsvorlagen unbrauchbar würden. Nicht berücksichtigt sind in diesem Bande einige Aufsätze über Ansiedlungen und meine Beiträge zur Burgenforschung und zur Untersuchung früher Städte, die ich in einem weiteren Bande vorlegen zu können hoffe. Einen besonders herzlichen Dank schulde ich meiner Frau, die mir auch diesmal, wie schon sooft, beim Lesen der Korrekturen geholfen hat. im Oktober 1975

EINLEITUNG [ V o r t r a g unter dem T h e m a „Siedlungsarchäologie als Forschungsmethode" gehalten v o r dem K o n s t a n z e r Arbeitskreis f ü r mittelalterliche Gesdiichte auf der Reichenau a m 8. O k t o b e r 1974 (unveröffentlicht)]

Jahrzehnte hindurch hat sich die deutsche Vorgeschichtsforschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts darum bemüht, ihr auch damals schon reiches Quellenmaterial an Funden systematisch zu ordnen. Dafür war nicht nur das Vorbild der Naturwissenschaften hilfreich, sondern es wurde die Arbeit selbst auch von Naturwissenschaftlern und Medizinern wie Otto Tischler und Rudolf Virchow geleistet. Dabei stand die Gewinnung einer gesicherten Chronologie im Vordergrund, die recht eigentlich die wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung der heimischen Archäologie zu einer historischen Wissenschaft bildete. Daneben aber trat auch früh schon das Bemühen auf, die systematisch gegliederten Formen in ihrer regionalen Verbreitung zu untersuchen, eine Arbeit, der sich die von der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft gewählte „Kommission für prähistorische Typenkarten" annahm. Eine historische Fragestellung war damit nicht verbunden. Ihr wandte sich die Vorgeschichtsforschung im ausgehenden 19. Jahrhundert auf zwei in ihrem Ansatz ganz verschiedenen Wegen zu. Carl Schuchhardt, beeindruckt durch die überraschenden Ergebnisse der Arbeiten von Schliemann mit der Entdeckung der mykenischen Welt und stark beeinflußt von der Erforschung römischer Lagerbauten am Rhein mit der dort gewonnenen Möglichkeit, auch vergangene Holzbauten zu erkennen, griff die Untersuchung vor- und frühgeschichtlicher Burgen auch außerhalb des Imperiums auf, in denen er die ältesten Verfassungsurkunden unserer Gesdiichte sah. Damit erschloß er eine Quellengruppe, die unmittelbar zur historischen Interpretation führte. Die Unterscheidung der mediterranen „Herrenburg" von der germanischen „Volksburg" war das eine, auch die Geschichtsforschung weithin und auf lange Zeit bestimmende Ergebnis seiner Bemühungen, das andere die Spiegelung der Sachsenkriege Karls des Großen in den sächsischen Volksburgen und den fränkischen Königshöfen. Audi wenn sich die Grundlage für seine Interpretation in vielen Punkten heute grundsätzlich geändert hat und viele Abstriche von seinem höchst eindrucksvollen Bild notwendig geworden sind, so blieben seine Untersuchungen doch im höchsten Grade anregend. Sie wirkten auf seinen Nachfolger in Berlin, Wilhelm Unverzagt, ein, der mit der Erforschung der slawischen

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EINLEITUNG

Burgen an der mittleren Oder und an der Netze-Warthe-Linie einen wesentlichen Beitrag zur Geschichte der deutsch-slawischen und der polnisch-pommeranischen Auseinandersetzungen im frühen und hohen Mittelalter leistete. Seither ist dieser Weg zur Gewinnung historischer Erkenntnisse aus ardiäologischen Quellen vielfach beschritten worden. Der zweite Anstoß zur historischen Interpretation im Bereich der deutschen Vorgeschichtsforschung kam von der Germanistik, und hier von der Stammeskunde, und ist an den Namen Gustaf Kossinna geknüpft. Er, ein Schüler Karl Müllenhoffs, unternahm den Versuch, den archäologischen Funden Erkenntnisse über die Abgrenzung von Stämmen und Völkern abzugewinnen. Dabei ging er von der Voraussetzung aus, daß sich Völker und auch Stämme in ihren materiellen Hinterlassenschaften, aber auch in den zum Teil dahinter sichtbar werdenden geistigen Erscheinungen wie etwa in der Religion als Hintergrund verschiedenartiger Bestattungssitten voneinander unterscheiden und ihr Wohngebiet sich durch die kartographische Darstellung solcher stammesgebundener Eigentümlichkeiten sichtbar machen ließe. Seine Vorstellung faßte er in dem Lehrsatz zusammen „scharf umgrenzte archäologische Kulturprovinzen decken sich zu allen Zeiten mit ganz bestimmten Völkern oder Völkerstämmen". Diese Methode führte er mit dem im Jahre 1911 erschienenen Buch „Die Herkunft der Germanen" als „siedlungsarchäologische Methode" in die Forschung ein. Schon ein Jahr zuvor hatte sein Schüler Erich Blume in dem Dissertationsdruck seiner Doktorarbeit, die dann 1912 unter dem Titel „Die germanischen Stämme und die Kulturen zwischen Oder und Passarge zur römischen Kaiserzeit" in der von Kossinna herausgegebenen MannusBibliothek erschien, dieser Methode, die er die „ethnographische Methode" nannte, ein ganzes Kapitel gewidmet und darin die bis heute beste Darstellung der Methode gegeben. In der Folgezeit aber setzte sich die Bezeichnung Kossinnas als „siedlungsarchäologische Methode" durch. Gegen diese Anwendung des Begriffs „Siedlungsarchäologie" wurde bald von verschiedenen Seiten wie etwa von Albert Kiekebusch im Artikel Siedlungsarchäologie in Eberts Reallexikon oder aber von Oswald Menghin Einspruch erhoben, aber erst die immer stärker werdende Kritik an dieser Methode selbst ließ sie und mit ihr die im ganzen doch unzutreffende Verwendung des Begriffs Siedlungsarchäologie immer stärker in den Hintergrund treten. Erst die schon in der Zeit vor und unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg begründete und nach dem zweiten Weltkrieg stärker weiterentwickelte Erforschung von Besiedlungsvorgängen in verschiedenen Landschaften und die seit der Mitte der 20er Jahre stärker betriebene Erforschung der Ansiedlungen selbst führten zu einer allmählichen Auffüllung des Begriffs „Siedlungsarchäologie" mit anderen Begriffsinhalten. Heute versteht man unter Siedlungsarchäologie eine Forschungsrichtung, die sich die Erforschung des Siedlungswesens im weitesten Umfange auf

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der Grundlage archäologischer Quellen und mit archäologischen Methoden angelegen sein läßt. Dabei stehen sowohl Besiedlungsvorgänge in bestimmten Landschaften, also nur flächenhaft erforschbare Probleme, wie auch die Ansiedlungen selbst in ihrem Wirtschaftsraum, also stärker punktartig orientierte Fragen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Für beide Bereiche aber ist die Einbeziehung der Landschaft mit ihren Leben und Wirtschaft des Menschen bestimmenden Möglichkeiten aber auch mit den vom Menschen in ihr bewirkten Veränderungen eine unerläßliche Voraussetzung. Sowohl nach Fragestellung wie auch nach Forschungsansatz — wenn auch durch Quellen und Methoden unterschieden — ist die Siedlungsarchäologie ein Teil der historischen Siedlungsforschung und rückt hier in die unmittelbare Nähe von Siedlungsgeographie und Siedlungsgeschichte. Als Q u e l l e n für die siedlungsarchäologische Forschungsrichtung kommen alle siedlungsanzeigenden Funde, Monumente und Befunde im Boden, also vor allem Ansiedlungen selbst und Gräber in Betracht. Daneben sind bedeutungsvoll auch die Spuren landwirtschaftlicher Produktion in Gestalt subfossiler Ackerfluren und die Zeugnisse für Rohstoffgewinnung und -Verarbeitung, wie etwa die Abbausteilen für Rohmaterialien und ihre Weiterverarbeitung. Burgen stellen nur eine begrenzt verwertbare Quelle für siedlungsarchäologische Untersuchungen dar. Dort, wo Burgen bewohnt sind und im Siedlungsgebiet liegen, gehören sie als befestigte Ansiedlungen unmittelbar in den Bereich siedlungsarchäologischer Forschung. Dort, wo sie abseits der Siedlungsgebiete in unzugänglichen Wald- oder Bergregionen als Fluchtburgen gelegen sind, haben sie einen geringeren Aussagewert für solche Forschungen. Das gleiche gilt von Heiligtümern, deren Erforschung in den letzten Jahrzehnten auch in Mittel- und Nordeuropa immer stärker in den Vordergrund des Forsdhungsinteresses gerückt ist. Audi sie können zum Teil in den Siedlungsgebieten und oft unmittelbar neben Siedlungen gelegen haben, bisweilen aber liegen sie weit außerhalb der Siedlungsgebiete in den großen ödmarkengrenzen, die diese Siedlungsgebiete voneinander trennen. Auch Depotfunde, also geschlossen niedergelegte Fundgruppen, können nur begrenzt für siedlungsarchäologische Untersuchungen in Anspruch genommen werden, nachdem sich gezeigt hat, daß diese Fundgruppe nur zum Teil unmittelbar mit den Siedlungsgebieten zusammenhängt, zu einem Teil aber gerade auch außerhalb der Siedlungsgebiete angetroffen wird. Das wichtigste Hilfsmittel der Siedlungsarchäologie ist die Fundkarte, weniger die auch sonst von der Archäologie erstellte Typenkarte als die die Fundplätze und Monumente darstellende Karte aller siedlungsanzeigenden Funde, nach Möglichkeit in zeitlicher Ordnung. Der Wert einer solchen Fundkarte ist umso größer, je sorgfältiger die Erfassung der auf ihr verzeichneten Fundstellen ist. Die beste Grundlage für siedlungsarchäologische Untersuchungen stellen Fundkarten dar, deren Grundlage eine systematische

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EINLEITUNG

Inventarisation in Art der archäologischen Landesaufnahme bildet, Karten dieser Art sind Quellen ersten Ranges für das Studium von Besiedlungsvorgängen. Die n a t ü r l i c h e n V o r a u s s e t z u n g e n stellen ein Wirkungsgefüge ganz verschiedener Elemente dar, so des Reliefs, des Klimas, des Bodens, des Wasserhaushaltes, der Pfllanzenwelt und der Tierwelt. Die Frage, wie weit diese feststellbaren Elemente im Laufe der Zeit Wandlungen erfahren haben und, wenn ja, wie diese Wandlungen zu erforschen sind, bildet ein Hauptanliegen siedlungsarchäologischer Forschung in Zusammenhang mit naturwissenschaftlichen Disziplinen. Hier stellt sich das Problem der Rückübertragbarkeit heutiger Verhältnisse. Der Archäologe, der einen langen Zeitraum im Auge zu behalten hat, und in diesem Zeitraum konfrontiert wird mit sehr unterschiedlichen natürlichen Lebensbedingungen, etwa im Eiszeitalter, in den warmen Zwischeneiszeiten oder im Postgalzial mit seinen wechselnden Lebensbedingungen, ist sich vonvornherein darüber im klaren, daß der Mensch in den langen Zeiträumen seiner Geschichte sehr verschiedenartigen naturräumlichen Voraussetzungen gegenübergestanden hat. Der Historiker ist weniger geneigt, einen Wandel dieses Wirkungsgefüges naturräumlicher Element in Rechnung zu stellen, und doch trifft auch schon für den von ihm zu überblickenden Zeitraum seit dem frühen Mittelalter die Feststellung zu, daß auch in diesen 1000 oder 1500 Jahren wesentliche Veränderungen sich vollzogen haben. Eine Siedlungsarchäologie in dem Sinne wie sie hier beschrieben wird, ist geknüpft an einen gewissen Grad von Seßhaftigkeit, beschränkt sich also auf den Teil der Menschheitsgeschichte, in dem eine landwirtschaftliche E r nährungsbasis für den Menschen bestimmend war und ihn zu einem Mindestmaß an Seßhaftigkeit zwang. Aus dieser Betrachtung ausgeschlossen sind, — ob das berechtigt ist oder nicht, soll hier nicht erörtert werden — , jene unvorstellbar langen Zeiträume, in denen der Mensch als Jäger, Sammler und Fänger seinen Lebensunterhalt gewann. Es ist ganz sicher, daß es auch damals eine Art von Seßhaftigkeit und Bindung des Menschen oder bestimmter Menschengruppen an bestimmte Landschaften gegeben hat, aber sie sollen hier nicht mit berücksichtigt werden. Der Zeitraum, der den Siedlungsarchäologen interessiert, begrenzt sich also auf die letzten 10 000 Jahre seit im Vorderen Orient — jedenfalls für den Altweltblock — der Übergang von der aneignenden Wirtschaftsweise glazialer Jäger und Sammler zur produzierenden Wirtschaftsweise früher Bauern erfolgte. In dieser Zeit war, wenn man das R e l i e f betrachtet, die Zeit der großen Veränderungen unserer Erdoberfläche bereits abgeschlossen. Die Auffaltung der Gebirge, die Entstehung der Weltmeere, das alles lag damals schon weit zurück. Trotzdem aber vollzogen sich im Relief auch in diesen Jahrtausenden noch Veränderungen, die für die Siedlung des Menschen und für seine Wirtschaft von entscheidender Bedeutung waren. Hier sind zunächst die postgalzialen Küstenbewegungen zu nennen. Einem eustatisch bedingten Meeresspiegel-

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anstieg stand eine isostatische Veränderung der Erdoberfläche gegenüber. Beide Bewegungen konnten sich verstärken, sie konnten sich auch teilweise aufheben, und hier hat die Geologie ein weitgehend gesichertes Bild von den Veränderungen der Land-Meergrenze entwickelt. Der Einbruch der Nordsee in ihren heutigen Raum, also die Trennung der Festlandverbindung der britischen Inseln mit dem Kontinent in der Zeit der neolithischen Bauern war eine der großen Veränderungen dieser Art. Später vollzogen sich immer wieder größere und kleinere Veränderungen der Uferlinie. Während sich Skandinavien stark aus dem Meer erhob, sanken andere Teile des Ostseebeckens ab, so daß in der Lübecker Bucht auch in historischer Zeit noch ein Anstieg des Meeresspiegels erfolgte, während etwa in Skandinavien Handelsplätze wie Birka in der Wikingerzeit etwa 5 m tiefer lagen als heute und dadurch bedingt war, daß der Mälar nicht nur über den heutigen Sund von Stockholm, sondern auch über die sogenannte Södertälje erreichbar war. Für alle Verkehrsverbindungen, die an Wasser gebunden waren, also auch für Verkehrsverbindungen des Mittelalters ist die Erforschung der LandMeergrenze und des Wasserspiegels von entscheidender Bedeutung, gerade hier kann man die heutigen Küstenverhältnisse nicht in das frühe oder hohe Mittelalter übertragen. Aus diesem Anstieg des Meeresspiegels resultierte auch ein Anstieg des Flußspiegels im Unterlauf der Flüsse, die in die Ostsee flössen, und in Zusammenhang damit erfolgte ein Steigen des Grundwasserspiegels, der für die menschliche Siedlung und die menschliche Wirtschaft von großer Bedeutung werden konnte. Nicht nur die Verkehrswege, sondern auch das Siedlungsland wurde durch diese Küstenveränderungen betroffen. Damit hing zusammen die Veränderung in der Marschenzone an der Nordseeküste Dänemarks, Deutschlands und der Niederlande. Hier hatte sich schon im Neolithikum die sogenannte alte Marsch gebildet. Transgressionen des Meeres und Regressionen wechselten hier ab, machten das Gebiet zeitweilig besiedelbar, zerstörten diese Besiedelbarkeit wieder in andern Perioden bis dann in historischer Zeit durch den Deichbau eine gewisse Stabilisierung der Siedlungsverhältnisse in der Marsch eintrat. Eine zweite, wenn auch nur geringfügige, sich aber trotzdem nachhaltig auswirkende Veränderung der Oberfläche stellt die Entstehung von Wehsandflächen und Binnenlanddünen dar. Konnte noch 1955 ein so guter Kenner der glazialen Verhältnisse wie Paul Woldstedt feststellen, daß in postglazialer Zeit Binnenlanddünenbildungen nicht mehr möglich waren und das, obwohl ein J a h r zuvor Hans Mortensen auf die anthropogenen Bedingungen von Dünenbildungen hingewiesen hatte, so ist in der letzten Zeit immer deutlicher herausgearbeitet worden, daß die Entstehung und Verlagerung von Wehsandflächen und auf ihnen die Herausbildung von Dünen und ihre aeolische Verlagerung eine im wesentlichen anthropogen bedingte E r scheinung war. Der Plaggenhieb und die Beweidung von Heideflächen durch Schafe bildeten in historischer Zeit die Voraussetzungen für diesen Sandtransport.

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Die Niederländische Forschung hat darauf hingewiesen, daß schon in früher Zeit vom Menschen bewirkte Zerstörung des natürlichen Bewuchses auf Sandflächen zu solchen Dünenbildungen geführt hat. Waterbolk konnte zeigen, daß in der niederländischen Provinz Drente die Anlegung von Ackerflächen in der jüngeren Bronzezeit nach Art der sogenannten „celtic fields" zu einer Zerstörung des natürlichen Bewuchses führte und daß offenbar in trockenen Wintern und Frühjahren der Sandtransport aus diesen Gebieten in der Hauptwindrichtung erfolgte. Dadurch wurden die Äcker in ihrer Ertragfähigkeit wesentlich gemindert, ja offenbar bisweilen ganz zerstört, und da es sich dabei um einen großflächigen Vorgang handelte, wurde eine ganze Landschaft in Mitleidenschaft gezogen. Waterbolk, dem wir diese Forschungen verdanken, hat darauf hingewiesen, daß offenbar unter dem Eindruck dieser Naturerscheinungen die Bewohner der Provinz Drente dieses Land räumten und in die am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit gerade besiedelbar werdende Marsch zogen, wo sie den Raum besetzten, der vom Beginn der Eisenzeit bis in die Zeit um Christi Geburt ununterbrochen besiedelt war und in dem Augenblick, in dem der erste Lichtstrahl historischer Überlieferung dieses Gebiet trifft, von Friesen bewohnt wurde. Wenn nicht alles täuscht, ist hier der Vorgang der Herausbildung des friesischen Stammes in seinen historischen Wohnsitzen eine direkte Folge solcher natürlicher Veränderungen gewesen. Ähnliche Dünenbildungen in frühgeschichtlicher Zeit lassen sich auch an anderen Stellen, vor allem auf der jütischen Halbinsel verfolgen, und bei einem Ort wie Norre Fjand wurde in der Zeit um Christi Geburt ein bis dahin im wesentlichen bäuerlich lebendes Dorf mit seinen Feldern von Sandflächen zugedeckt, und die sich unmittelbar danach auf diesen Sandflächen neu ansiedelnde Bevölkerung ernährte sich im Gegensatz zu der Zeit vor der Dünenbildung in der Hauptsache von Fischfang. Eine weitere, zwar ebenfalls nur geringfügige, aber doch nachhaltig die menschliche Siedlung und die menschliche Wirtschaft beeinflussende Veränderung der Erdoberfläche stellt die Auelehmbildung dar. Ihr sind in der letzten Zeit sehr zahlreiche Untersuchungen gewidmet worden, und es besteht darüber Einheitlichkeit der Auffassung, daß die Ablagerung von Lehmflächen in den Flußauen im wesentlichen eine Folge des menschlichen Eingriffs in die natürliche Vegetation an den Uferrändern der Talauen darstellt. Die Talauen selbst waren bis ins hohe Mittelalter im wesentlichen als Schotterfluren ausgebildet mit zahlreichen Totwasserläufen und einer verhältnismäßig leichten Überschreitbarkeit. Die Zerstörung der natürlichen Vegetation an den Uferhängen erfolgte in großem Umfange im hohen Mittelalter. Aber schon früher, und zwar einmal in neolithischer Zeit und dann in der Eisenzeit hatte die Ansiedlung von Menschen an den Talrändern hier die natürliche Vegetation beseitigt und zum Abströmen von Lehm in die Auetäler geführt. Zwar ist das heutige Bild dieser Flußauen mit seinen großen ebenen Wiesenflächen erst ein Ergebnis des mittelalterlichen Landausbaus, aber die

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Ansätze dazu reichen ins Neolithikum zurück. Die Folge dieser landschaftlichen Veränderung, war auf der einen Seite die Entstehung großer natürlicher Weiden für das Vieh, die in eine Konkurrenz zu der noch im Mittelalter so wichtigen Waldweide traten, und das zweite, was sich aus dieser Auelehmbildung ergab, war die Schwierigkeit der Flußüberquerungen, die jetzt weit größer wurde, wo die Flüße verhältnismäßig eingeengt durch tiefe Flußbetten flössen. D a ß sich das K l i m a in dem vom Archäologen zu überschauenden Zeitraum stark verändert hat, war seit langem bekannt, jedenfalls solange, als man wußte, daß der Mensch bereits Zeitgenosse einer kälteliebenden Eiszeitfauna war. Seither hat sich ergeben, daß auch nach dem Abschmelzen der großen Inlandgletscher nach der letzten Eiszeit vor etwa 10 000 Jahren das Klima sich nicht konstant gehalten hat, sondern stärkeren Veränderungen unterworfen gewesen ist. Die Möglichkeit einer Erforschung dieses Klimas beruht auf Klimazeugen aus dem Bereich der Tier- und vor allem der Pflanzenwelt, und ist damit ein Forschungsgegenstand der Zoologie und der botanischen Forschung geworden. Auf diesem Wege lassen sich vor allem das Temperaturklima und das Niederschlagsklima erforschen. Andere Klimaelemente, wie etwa Luftdruck, Windrichtung und Windstärke sind für weiter zurückliegende Zeiten nicht mehr klar erkennbar, aber auch schon Temperatur und Niederschlag lassen deutlich werden, daß der Mensch in vorgeschichtlicher und auch noch in frühgeschichtlicher Zeit sehr unterschiedlichen Bedingungen unterworfen gewesen ist. Mit der Veränderung dieser Klimafaktoren änderte sich die natürliche Vegetation und mit ihr auch die Lebensgrundlage des Menschen. Es folgte nach der Eiszeit eine allmähliche Erwärmung zu einem Klimaoptimum, dann eine Abkühlung, die allerdings nicht in der Form eines „Klimasturzes", sondern allmählidi und in oszillierender Form erfolgte und etwa in der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtausends einen Tiefpunkt erreichte. Daran schloß sich in den Jahrhunderten kurz vor Chr. Geb. eine kurze Epoche größerer Wärme und größerer Trockenheit, und um Chr. Geb. sank das Temperaturklima etwa auf die heutigen Werte ab, während das Niederschlagsklima zu etwas höheren Niederschlägen als heute führte. Erst im frühen und hohen Mittelalter besserte sich das Klima ganz entscheidend, es wurde wesentlich wärmer als heute und feuchter, und die Vorstöße der Normannen nach Grönland etwa sind nur erklärbar, wenn man annimmt, daß sie sich unter anderen klimatischen Verhältnissen abspielten als sie dann im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit bestanden. Audi das weit nach Norden vorgeschobene Gebiet des Weinbaus ist durch diese klimatische Situation des hohen Mittelalters bedingt. Am Übergang zur Neuzeit veränderte sich das Klima nach der negativen Seite. Im Jahresdurchschnitt wurde es wesentlich kälter als es heute ist, und auch die Niederschläge wurden stärker, so daß seit 1500 bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts verhältnismäßig ungünstige klimatische Bedingungen herrschten und erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in

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die Gegenwart hin das Temperaturklima sich wesentlich gebessert hat. Diese klimatischen Veränderungen wirkten sich insbesondere an den Grenzen der menschlichen Oikumene, sei es in den subpolaren Gebieten, sei es im Hochgebirge, aus. In den subarktischen Gebieten verschoben sich je nach Klimalage die Grenzen von Pflanzen und Bäumen ganz wesentlich, und in den Hochgebirgen machte sich eine Veränderung der Schneegrenze sowohl für die Bewirtschaftung der Mattenzone wie auch für den Verkehr entscheidend bemerkbar. Der B o d e n , dem man lange Zeit eine ganz besondere Konstanz zuschrieb, hat sich bis in die Gegenwart hinein stark verändert. Das trifft sowohl für die guten Lößböden im Süden Mitteleuropas wie auch die Sandböden im glazialen Aufschüttungsgebiet Norddeutschlands zu. Bei den Lößböden vollzog sich eine allmähliche Entkalkung und eine Degradation von echten Schwarzerdeböden zu Böden geringerer Fruchtbarkeit. Bei den Sandböden führte die Podsolierung zu einer veränderten Fruchtbarkeit. Die im wesentlichen organogen bedingten Veränderungen der Böden sind stark von dem Einwirken des Menschen abhängig und haben hier in dem auch von Siedlungsarchäologen überblickbaren Zeitraum starke Wandlungen erfahren, so daß bei jedem Versuch, die bodenmäßige Grundlage menschlicher Siedlung zu erforschen, eine Untersuchung der Bodenverhältnisse für die in Frage kommende Zeit notwendig wird. Daß auch der W a s s e r h a u s h a l t sich im Laufe der Zeit gewandelt hat, lehren Einblicke schon in die letzten Jahrzehnte. Sind es hier auch die starken Ballungen von Menschen und Industrien, die das Grundwasser verändern, so waren es in der Vorzeit im wesentlichen Veränderungen im Bewuchs, die auf den Menschen zurückgingen und größere Schwankungen im Meeresspiegel, die sich auch auf den Grundwasserspiegel auswirkten. Hier wird man mit Sicherheit annehmen dürfen, daß die heutigen Verhältnisse keineswegs für alle Epochen seit der Eiszeit zutreffen. Zwar hat die Forschung bisher noch keine allgemein anerkannten Methoden für die Ermittlung des Grundwasserstandes in frühgeschichtlichen oder vorgeschichtlichen Perioden erarbeitet, aber Untersuchungen in der D D R lassen wenigstens einige Möglichkeiten erkennen. Daß auch die P f l a n z e n w e l t durch die starken Veränderungen im Relief, im Klima und im Boden nicht unbeeinflußt blieb, ist leicht erkennbar. Die großen Wandlungen der Pflanzengesellschaften, insbesondere der Waldvegetation sind von der paläoethnobotanischen Forschung seit langem erkannt, und diese Veränderungen vor allen Dingen im Waldbild waren für den Menschen sowohl hinsichtlich der Besiedelbarkeit des Landes wie vor allem auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Nutzung von großer Bedeutung. Mit der Pflanzenwelt änderte sich auch die T i e r w e l t , so fand schon unmittelbar nach dem Schluß der Eiszeit mit dem Vordringen des Waldes und der Ablösung der Tundra das Verschwinden der großen Her-

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dentiere aus dem Ende der Eiszeit statt, und das Waldwild hielt seinen Einzug bis weit nach Nordeuropa herauf. Damit veränderten sich die Wirtschaftsmöglichkeiten des Menschen grundlegend. In dem Zeitraum allerdings, den der Historiker überblickt, sind diese Veränderungen nicht von so großer Bedeutung wie etwa die Wandlungen des Klimas oder die Veränderung des Bodens und des Wasserhaushaltes. Faßt man alles, was die Naturwissenschaften in Zusammenarbeit mit der Archäologie heute zur Wandlung der naturräumlichen Voraussetzungen sagen können, zusammen, so ergibt sich zunächst, daß auch schon für den vom Historiker zu überblickenden Zeitraum eine Rückübertragung heutiger Verhältnisse nicht mehr möglich ist und daß, je weiter man zurückschreitet in der Zeit, die naturräumlichen Bedingungen wesentlich andere waren, als wir sie heute erkennen können. Die Botanik und die Bodenkunde haben hier Möglichkeiten geschaffen, die Voraussetzung für menschliches Siedeln und menschliches Wirtschaften etwas klarer zu erfassen und umgekehrt auch den Eingriff des Menschen in die Natur deutlicher zu erkennen, was wiederum Rückschlüsse auf die Wirtschaftsart menschlicher Populationen zuläßt. Für die Erforschung der B e s i e d l u n g eines Raumes bildet die Fundkarte die wesentliche Grundlage. Ihre Bedeutung ist umso höher je vollständiger sie die siedlungsanzeigenden Funde und Monumente wiedergibt, d. h. also je sorgfältiger eine archäologische Inventarisation eines Gebietes durchgeführt ist. Die Erfassung möglichst aller siedlungsanzeigenden Funde und Monumente auf der einen Seite, ihre sorgfältige chronologische Gliederung auf der anderen bilden die Voraussetzungen für eine Interpretation der Karte in siedlungsarchäologischer Sicht. Dabei ist die Karte ebenso Quelle wie Veranschaulichungsmittel. Bestimmend für die Besiedlung einer bestimmten Landschaft durch eine Menschengruppe sind deren wirtschaftliche Ansprüche, ihre technische Ausstattung, die demographische Situation einer solchen Population und ihre soziale Organisationsform. Archäologisch erkennbar ist in jedem Falle das Besiedlungsbild einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Landschaft. Dieses Siedlungsbild kann großräumig gewonnen werden, es kann auch kleinräumig mit allen Details gewonnen werden, und es umschließt endlich die einzelne S i e d l u n g m i t i h r e m W i r t s c h a f t s r a u m . Eine solche Siedlung wird auf einer Fundkarte als Punkt angedeutet, und dieser Punkt umfaßt eine Reihe von Elementen, die zueinander gehören, nämlich die Siedlung selbst, ihren Friedhof oder auch ihre Friedhöfe, Reste landwirtschaftlicher Produktion in Gestalt subfossiler Ackerfluren, Rohstoffvorkommen in ihrer Nähe und Verarbeitungsplätze und weiterhin bei einem Siedlungswesen, das im wesentlichen oder doch zu einem großen Teil auf Viehhaltung beruhte, die Weide. Diese ist archäologisch normalerweise nicht zu fassen. Sie ist bis ins Mittelalter hinein in der Hauptsache als Waldweide ausgebildet und führt dazu, daß der eine solche Siedlung mit ihrem engeren Wirtschaftsraum umschließende Wald durch Viehverbiß und auch durch

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Holzeinschlag für verschiedene Zwecke in der näheren Nachbarschaft der Siedlung stärker aufgelichtet war. Gelingt es, die Siedlungen — in der Hauptsache meist durch ihre Friedhöfe — chronologisch feiner zu gliedern, so läßt sich die Entwicklung eines Siedlungsbildes deutlich machen. Zwei Formen können hier veranschaulicht werden, einmal die B i n n e n k o l o n i s a t i o n , also die Inbesitznahme im ganzen unbesiedelter Landschaften durch kleinere oder größere Populationen wie sie etwa in Nordostbayern oder auch in Mittelfranken gut erforscht worden ist, und zum anderen die Anlage von A u s b a u s i e d l u n g e n , die von alten Kernsiedlungen in den Rand der genutzten Gemarkung vorgeschoben werden und ihrerseits nun mit Rodungen in den umgebenden Waldgebieten verbunden sind. Solche Ausbausiedlungen lassen sich besonders im Bereich der merowingerzeitlichen Reihengräberfriedhöfe sehr deutlich erkennen. Den Hintergrund für den Landausbau, also die Inbesitznahme neuer bisher unbesiedelter Flächen bildet zumeist die demographische E n t w i c k l u n g . Gerade der Bevölkerungsentwicklung hat die Forschung in der letzten Zeit größere Aufmerksamkeit gewidmet und gezeigt, daß etwa im Bereich der merowingerzeitlichen Reihengräberfriedhöfe der im 7. Jahrhundert beginnende und sich im 8. Jahrhundert verstärkende Landausbau im wesentlichen durch ein starkes Anwachsen der Bevölkerung, also einen Bevölkerungsdruck in den Altsiedlungen hervorgerufen wird. Beim Landausbau, also sowohl bei der Binnenkolonisation wie bei der Anlage von Ausbausiedlungen bleiben die Altsiedelgebiete erhalten und werden durch Neusiedelgebiete ausgeweitet. Davon zu unterscheiden sind Siedlungsgebietsoder Schwerpunktsver 1 agerung e n . Sie führen zur vollständigen oder teilweisen Aufgabe älterbesiedelter Räume und führen die Besiedler dieser Räume in neue Gebiete. Ein solcher Vorgang wurde schon im Zusammenhang mit der Dünenbildung in Drente genannt. Dort wurde ein altes, am Ausgang der Bronzezeit und zu Beginn der Eisenzeit dicht besiedeltes Gebiet aufgegeben, und seine Bewohner siedelten sich in den Marchsgebieten der westfriesischen Marsch an. Hier kam es zu einer weitgehenden Räumung des alten Siedlungslandes in Drente, während an anderen Stellen, etwa in Nordwestjütland eine Verlagerung von der Steinzeit, in der die schweren Böden besiedelt wurden zur Bronzezeit, stattfand, in der die Randgebiete und die leichten Böden besiedelt wurden. In der vorrömischen Eisenzeit wurden fast ausschließlich die Sandgebiete in Anspruch genommen, währtend sich dann in der Zeit um Chr. Geb. die Siedlung verstärkt wieder auf die schweren Tonböden zurückzog, und hier mit Rodung verbunden war. Ein ähnlicher Vorgang läßt sich auch in Mittelschleswig zwischen Angeln und dem westlich vorgelagerten sandigen Mittelrücken erkennen. Fragt man nach den Ursachen dieses Vorganges so bieten sich zunächst klimatische Veränderungen an, bei denen in trockenen und wärmeren Klima-

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phasen und einem damit verbundenen Absinken des Grundwasserspiegels sandige Gebiete unbewohnbar werden konnten. Die Bildung von Flugsandebenen in solchen Räumen förderte solche Siedlungsverlagerungen. Wesentlich mitbedingt werden Vorgänge, wie sie für Nordwestjütland beschrieben wurden, als sich in den Jahrzehnten um Chr. Geb. das Interesse der bis dahin auf den Sandgebieten siedelnden Bevölkerung wieder den schweren Lehmböden zuwandte, durch die technische Entwicklung, denn die Rodung, die die Voraussetzung der Inbesitznahme dieser schweren Böden war, blieb abhängig von schwerem Rodungsgerät, d. h. in diesem Falle von eisernen Geräten in genügender Zahl, die für die Rodung notwendig waren, gleich in welcher Form sich die Rodung abspielte, und zweitens auch für die Bearbeitung des schwereren Bodens mit einem dafür geeigneten Pflug, und es ist sicher kein Zufall, daß die Hinwendung zu den schwereren Böden der jütischen Ostseite mit dem Aufblühen einer einheimischen Eisenproduktion und der Erfindung des Streichbrettpfluges zusammenfällt. Bei der Verlagerung von Schwerpunkten bleiben die Ausgangsgebiete, wenn auch in geringerem Umfang, als Siedlungsland zumeist erhalten. Ein extremer Fall der Verlagerung ist die vollständige Entsiedlung bzw. das W ü s t w e r d e n bestimmter Landschaften. Solche wüsten Landschaften sind im frühen Mittelalter mehrfach historisch bezeugt, so berichtet z .B. Beda, daß zu seiner Zeit die Landschaft Angulus, die zwischen Sachsen und Jüten gelegen war, wüst daläge. Ebenso wird bei der Rückwanderung der Heruler aus dem mittleren Donauraum in ihre nordeuropäische Heimat berichtet, daß sie in Mitteleuropa durch ein unbesiedeltes Gebiet zogen. Auch bei solchen Notizen wird man allerdings immer annehmen dürfen, daß jedenfalls ganz bescheidene Reste der älteren Bevölkerung in dem verödenden und sich bewaldenden Gebiet zurückgeblieben waren. Die Erforschung solcher Wüstungsvorgänge in kleineren oder größeren Räumen ist mit methodischen Schwierigkeiten verbunden. Sie basiert archäologisch immer auf dem Schluß e silentio. Hier führte lange Zeit die Feststellung, daß bestimmte Landschaften in bestimmten Perioden keine Funde aufwiesen, zu der Annahme, daß die Fundlücke einer Siedlungslücke entspräche. War schon seit langer Zeit von einem Teil der Forschung vor solchen Schlüssen e silentio gewarnt worden, so zeigen neuere Untersuchungen in Mittelschweden, wie gefährlich und irreführend solche Schlüsse sein können. Hier gab es eine verhältnismäßig dichte Besiedlung in der jüngeren Bronzezeit, und diese Besiedlung verschwand in der vorrömischen Eisenzeit und begann sich erst wieder im letzten vorchristlichen Jahrhundert abzuzeichnen. An dieses gut beobachtete Phänomen knüpfte sich die Frage, ob in Folge der damals nachgewiesenen Klimaverschlechterung in dieser Zeit große Teile Mittelschwedens ihre Bevölkerung verloren hatten. Inzwischen haben sorgfältige Untersuchungen auf Gräberfeldern von Dragby und Fiskeby gezeigt, daß auch in diesen scheinbar leeren Gebieten die Bestattungen durch die ganze vorrömische Eisenzeit bis in die Zeit nach Chr. Geb. hinein weiterlaufen, daß sie

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sich nur durch Beigabenlosigkeit auszeichnen und infolgedessen mit archäologischen Methoden zeitlich nicht erfaßt werden konnten. Erst die Möglichkeit einer Überprüfung der archäologischen Datierung durch die C 14-Methode hat diese Siedlungslücke geschlossen und gezeigt, daß Fundleere zwar Siedlungsleere bedeuten kann, aber nicht zu bedeuten braucht. Für die Erforschung solcher Entsiedlungsvorgänge ist die Archäologie in besonderem Maße auf die Mitwirkung der Paläoethnobotanik und der Bodenkunde angewiesen. Die methodischen Möglichkeiten einer solchen Zusammenarbeit sind in der Landschaft Angeln erprobt worden. Hier bedeutete die eben genannte Notiz bei Beda, daß man mit einer weitgehenden Entvölkerung Angelns im frühen Mittelalter rechnen mußte. Dem entsprach die Tatsache, daß die Gräberfelder, die seit der Steinzeit sehr umfangreich und dicht beieinander gelegen in der Landschaft auftraten, im 5. Jahrhundert aufhören und sich jedenfalls innerhalb der Gruppe der Grabfunde eine neue Besiedlung mit einem fremden ethnischen Element, das von Norden kam, erst im 9. Jahrhundert nachweisen ließ. Hier klaffte also in den archäologischen Funden, soweit sie Siedlungen anzeigen, eine Lücke von 300 Jahren. Die pollenanalytisdie Untersuchung in mehreren Mooren zeigt nun, daß ungefähr im frühen Mittelalter auch die siedlungsanzeigenden Pollen, insbesondere die Getreidepollen aufhören und auch von der botanischen Seite hier eine Siedlungslücke wahrscheinlich zu machen ist. Besonders deutlich wurde das bei der Untersuchung vermoorter Lehmstiche innerhalb eines großen Komplexes vorgeschichtlicher Ackerfluren in Uelsby, wo die Vermoorung dieser Lehmstiche ebenfalls am Ende der römischen Kaiserzeit einsetzte und sich nachweisen ließ, daß einer Epoche intensiven Getreideanbaus eine weitgehende Verwaldung des Ackergeländes folgte. Auch in solchen Fällen wird man keineswegs mit einer vollständigen Verödung rechnen dürfen. Allein die Tatsache, daß einige Ortsnamen älteren Typs, deren Datierung in die Jahrhunderte nach Chr. Geb. wahrscheinlich zu machen ist, sich erhalten haben, bezeugt, daß doch bescheidene Bevölkerungsreste auch diese Verödungsepoche überdauert haben dürften. Ein großräumiger Wüstungsprozeß hat sich im östlichen Mitteleuropa nachweisen lassen. Hier hören die Gräberfelder der römischen Kaiserzeit und der anschließenden Völkerwanderungszeit in der Mitte des 6. Jahrhunderts auf, und es breiten sich, zumeist ohne örtliche Anknüpfung an die älteren Fundstellen neue Gräberfelder und Siedlungen einer neuen Bevölkerung, nämlich der Slawen aus. Die Datierung der slawischen Einwanderung gehört bisher zu den umstrittendsten Problemen der ostmitteleuropäischen Frühgeschichtsforschung. In Gebieten, die sehr sorgfältig siedlungsarchäologisch untersucht sind, wie etwa im Kreise Herzogtum Lauenburg, zeigte sich, daß in keinem einzigen Falle die dort spätestens gegen Ende des 8. Jahrhunderts eindringenden Slawen örtlich an ältere germanische Siedlungsplätze anknüpften. Ähnliches ist auch bei vielen Fundplätzen in Mitteleuropa zu beobachten. Hier hat nun Elsbeth Lange in kleineren geschlosse-

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nen Gebieten, etwa in Mecklenburg oder in Nordbrandenburg in der Nähe slawischer Siedlungen pollenanalytische Untersuchungen durchgeführt und konnte dabei zeigen, daß im 5. und 6. Jahrhundert hier die siedlungsanzeigenden Pollen bei fast allen Fundplätzen aussetzten, hier also in der Tat eine Epoche der Verödung festzustellen ist. Vereinzeltes Anschließen des Getreidebaus an älteren germanischen Getreidebau, wie er sich hier und auch in Ostholstein an einzelnen Stellen nachweisen läßt, weist darauf hin, daß bescheidene ältere Bevölkerungsreste wohl im Lande verblieben sind, wie sich das für Böhmen mit einem Kontakt germanischer und slawischer Bevölkerungsgruppen in der Siedlung Brezno auch archäologisch nachweisen läßt. Man wird also in großen Teilen der südlichen jütischen Halbinsel und im östlichen Mitteleuropa für das 5., 6. und 7. Jahrhundert einen großen Verödungsvorgang annehmen dürfen, wenn auch, wie bereits betont, bescheidene Bevölkerungsrest sicher auch diese Wüstungsperiode überdauert haben werden. Die Erforschung der A n s i e d l u n g e n selbst unter siedlungsarchäologischer Fragestellung und unter Benutzung moderner Methoden begann in der Mitte der 20er Jahre als R . R . Schmidt die neolithischen Siedlungen im Federsee-Moor zu untersuchen begann und A. E. van Giffen mit der Untersuchung der Wurt Ezinge die moderne Marschenforschung einleitete. Eine der wesentlichsten Voraussetzungen für gute Ergebnisse ist die Wahl von Objekten, bei denen optimale Erhaltungs- und Beobachtungsmöglichkeiten gegeben sind, insbesondere die Erhaltung organischer Substanzen gewährleistet ist. Die zweite Voraussetzung ist die Untersuchung ganzer Siedlungen oder doch großer Teile von ihnen. Eine ergebnisreiche Siedlungsgrabung setzt eine sorgfältige Geländeforschung voraus und muß in enger Zusammenarbeit mit naturwissenschaftlichen Disziplinen, vor allen Dingen mit der Botanik, der Zoologie und der Bodenkunde erfolgen. Bei der Untersuchung von Ansiedlungen sind im wesentlichen vier Faktoren zu berücksichtigen und zu erforschen, das ist in erster Linie die Lagebezogenheit, die Form und Größe von Siedlungen, ihre wirtschaftliche Funktion auch im Hinblick auf das wirtschaftlich genutzte Umland und ihre soziale Struktur. Bei der Lagebezogenheit ist die Auswahl des Siedlungsplatzes im Hinblick auf Boden und Vegetation einerseits, auf Kleinklimatische Faktoren andererseits und auf die Wasserversorgung von großer Bedeutung. Bevor die mitteleuropäischen Bevölkerungsgruppen die Fähigkeit zum Brunnenbau besaßen, waren sie auf die natürliche Wasserversorgung in großem Umfange für Mensch und Vieh angewiesen. Welche Erkenntnismöglichkeiten aus einer sorgfältigen Untersuchung der Lagebezogenheit zu gewinnen sind, haben die Untersuchungen von Sielmann für die Bandkeramik erwiesen, bei denen er zwei Ökologie-Kreise erkennen konnte, einen nördlichen auf Mitteldeutschland beschränkten und einen südlichen, Böhmen, Mähren und Süddeutschland umfassenden. In beiden Kreisen zeigt die Wahl der Siedlungsörtlichkeit, daß ganz bestimmte Ansprüche an Boden und Klima gestellt wurden. Die Vermutung von Sielmann, daß hinter dieser Wahl verschieden-

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artiger Biotope auch eine verschiedenartige Wirtschaftsweise steht, hat viel für sich. Form und Größe von Ansiedlungen wird man nur nach der Ausgrabung ganzer Siedlungsplätze beurteilen können. Hier gibt es Unterschiede sowohl hinsichtlich der Größe wie hinsichtlich der Form. Neben einzelnen Höfen und kleinen Höfegruppen stehen weilerartige Siedlungen, davon unterscheiden sich Dörfer mit 30 bis 40 Gehöften und davon wieder befestigte Anlagen, von denen wiederum Anlagen städtischen Charakters zu unterscheiden sind. Für die Erkenntnis der wirtschaftlichen Funktionen solcher Siedlungen ist die genaue Beobachtung über Haus- und H o f f o r m von Bedeutung, und hier haben sich zwei ganz verschiedene Typen von Höfen erkennen lassen, einmal das Wohnstall-Gehöft mit außen angebrachten Speicherbauten, wie es im Nordseeküstengebiet und im unmittelbaren H i n terland, dazu auch auf den sandigen glazialen Aufschüttungsgebieten nachgewiesen werden konnte, und zum anderen Gehöfte mit mehreren Gebäuden verschiedener Funktion und Größe. Sind für die erste Form die Wurtensiedlungen typisch, so hat sich die zweite Form in Warendorf nachweisen lassen. Diese Form entspricht auch den Angaben der Volksrechte über die Form von Gebäuden und Höfen. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Funktion der Ansiedlungen haben die bisher durchgeführten Grabungen sehr unterschiedliche Ansiedlungen freigelegt. Neben rein landwirtschaftlichen Siedlungen mit Viehhaltung und Ackerbau stehen solche Siedlungen, bei denen gewerbliche Elemente zu den landwirtschaftlichen Häusern und Höfen treten, wie etwa in Feddersen Wierde oder Tornow. Davon zu unterscheiden sind reine Handwerkersiedlungen ohne bäuerliche Elemente, wie sie etwa im frühmittelalterlichen Helgö im Mälargebiet erforscht werden konnten. Dazu treten seit dem 7. oder 8. Jahrhundert Siedlungen städtischen Charakters, bei denen das landwirtschaftliche Element ganz fehlt oder stark in den Hintergrund tritt, wo neben der handwerkliche Produktion vor allem der weiträumige Güteraustausch an Bedeutung gewinnt. In den Kreis siedlungsarchäologischer Forschungen gehört auch ein Teil der Burgen. Während die unbewohnten Fluchtburgen wenig für die Siedlungsstruktur aussagen und allenfalls für die Sicherung bewohnter Gebiete von Interesse sind, haben sich die bewohnten Burgen als wesentliche Quellen für siedlungsarchäologische Erkenntnisse erwiesen. Hier ist es nicht nur der befestigte Siedlungsplatz, der Interesse verlangt, sondern auch eine ganz andere und jedenfalls im Hinblick auf die mittelalterliche Situation etwas ungewöhnliche Struktur wichtig, haben sich doch bei einer Reihe von Burgen in großem Umfang gewerbliche Elemente nachweisen lassen. Der in die Merowingerzeit gehörende Runde Berg bei Urach stellt eine solche Burg mit starker gewerblicher Komponente dar, und in diesen Kreis gehört wahrscheinlich auch der Glauberg. Welche Bedeutung solche präurbanen Züge bei Burgen gewinnen können, zeigt die Häufung von Gewerbebetrieben in der Vorburg der Pfalz Tilleda.

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Die neuere Erforschung ist dazu übergegangen, nicht nur Besiedlungsvorgänge bestimmter Landschaften für sich und einzelne Ansiedlungen in oder außerhalb solcher Landschaften zu untersuchen, sondern hat mit der siedlungsarchäolgischen Erforschung kleinerer Siedlungskammern begonnen, bei denen nicht nur die Besiedlung durch längere Zeiträume hindurch untersucht wird, sondern auch die Siedlungen und Gräberfelder selbst erforscht werden. Solche Forschungsvorhaben werden im Ammerland um Gristede, bei Archsum auf Sylt, im Elbe-Weser-Dreieck bei Flögeln, um Bosau im slawisch besiedelten Ostholstein und im Hannoverschen Wendland mit der Zielsetzung einer Erforschung der Zusammenhänge zwischen germanischer, slawischer und deutscher Besiedlung durchgeführt. Für alle siedlungsarchäologischen Untersuchungen, sei es die Erforschung von Besiedlungsvorgängen, sei es die Untersuchung von Siedlungen selbst, ist der große Mittel-, Personal- und Zeitaufwand kennzeichnend. Das hat zur Folge, daß nur an einigen wenigen Stellen Untersuchungen dieser Art durchgeführt werden können, die zudem zumeist auch ein bis zwei Jahrzehnte in Anspruch nehmen und Kräfte für längere Zeit binden. Es wird nicht möglich sein, diese Untersuchungen großräumig durchzuführen und gewissermaßen große Landschaften abzudecken. Man wird sich auf lange Zeit hin mit paradigmatischen Ergebnissen zufriedengeben müssen und darauf bedacht zu sein haben, daß nach Möglichkeit unterschiedliche Siedlungslandschaften untersucht werden, um das in der T a t durchaus bunte Bild des Siedlungswesens in groben Umrissen wenigstens abzutasten. Über die rein siedlungsgeschichtlichen Aspekte eröffnen siedlungsarchäologische Forschungen Einblicke in zwei andere Bereiche geschichtlicher Forschung: in die Wirtschaft und in die Gesellschaftsordnung. Bei der E r f o r s c h u n g w i r t s c h a f t l i c h e r Tatbestände sind es im wesentlichen drei Probleme, die mit archäologischen Mitteln im Rahmen siedlungsarchäologischer Untersuchungen geklärt werden können: 1. die Nahrungswirtschaft 2. die Produktionsmöglichkeiten und 3. der Güteraustausch. Bei der Erforschung der N a h r u n g s w i r t s c h a f t arbeitet die Archäologie aufs engste mit der Botanik und der Zoologie zusammen. Schon die archäologische Untersuchung von Häusern, Höfen und Dörfern läßt Rückschlüsse auf die Art der Wirtschaftsform und insbesondere auch auf die Art der Nahrungswirtschaft zu. Die pflanzliche Nahrung wird im wesentlichen durch botanische Untersuchungen erhellt, hier sind sowohl die Großreste auf den Siedlungen wichtig wie auch über die Pollenanalyse zu gewinnende Einblicke in den Betrieb der Landwirtschaft und den Anbau bestimmter Pflanzen. Auf diesen Gebiet haben Vegetationsgeschichte und Paläoethnobotanik seit langem wichtige Beiträge geleistet, und für einen großen Teil eisenzeitlicher Ansiedlungen läßt sich der Pflanzenanbau nicht nur im H i n -

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blick auf die angebauten Arten, sondern auch im Hinblick auf die Ackerund Erntetechnik recht gut erkennen. Die Zoologie und hier insbesondere die Haustierzoologie hat seit langer Zeit, nämlich schon als man in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Untersuchung der Schweizer „Pfahlbauten" begann, wichtige Einblicke in Haustierhaltung und wirtschaftliche Nutzung des Haustierbestandes erbracht. Innerhalb der Zoologie hat sich in den letzten Jahren ein gewisser Wandel vollzogen, indem man vom Denken in Individuen zum Denken in Populationen übergegangen ist und damit zur Verwendung statistischer Methoden kam. Hier sind in der Zwischenzeit wichtige Erkenntnisse zum Problem der Viehhaltung und eventuell der Viehzucht gewonnen worden, zur Umschreibung der Nutzungsziele über die Ermittlung des Schlachtalters und zum Handel. Die für Haithabu, für Manching und für Feddersen Wierde vorgelegten großen zusammenfassenden Untersuchungen haben hier ein ganz spezifisches Bild der Viehwirtschaft entstehen lassen, das in der Genauigkeit seiner Einzelzüge für eine so frühe Zeit oft in Erstaunen versetzt. Die dabei von der Zoologie angewandten Methoden sind die morphologische Methode und die statistische Aufschlüsselung eines großen Fundmaterials, wobei, wie sich immer deutlicher gezeigt hat, ein möglichst großer Bestand an Funden die Sicherheit der gewonnenen Ergebnisse sehr abstützt. Die Ermittlung des Schlachtalters hat zu der Erkenntnis geführt, daß Haustiere eben nicht nur wegen des Fleisches gehalten sind, sondern daß eine gewisse Reihe anderer Nutzleistungen im Mittelpunkt des Interesses stand, das war bei den Rindern die Milchlieferung, bei den Schafen die Wolle. Am auffallendsten und wohl auch am unerwartetsten ist der Einblick, den die zoologische Untersuchung erhaltener Tierknochen für den Handel erbracht hat. So hat sich für Haithabu gezeigt, daß dort Ziegenhäute zur Herstellung von Schuhen in größerem Umfange eingeführt worden sein müssen, daß z. B. auch Fuchsbälge importiert wurden um offenbar zu Pelzen verarbeitet zu werden und daß für das geweihverarbeitende Handwerk der Import von Rentiergeweihen wichtig war, die wegen ihrer ganz besonderen Qualität bevorzugt benutzt wurden. Das zweite Gebiet, zu dem die Siedlungsarchäologie im Bereich wirtschaftsgeschichtlicher Überlegungen entscheidende Beträge zu leisten in der Lage ist, ist das Gebiet der Produktion. Sowohl die Besiedlungsgeschichte wie die Untersuchung der Siedlungen selbst können hier neue wichtige Erkenntnisse vermitteln. Bei der Besiedlungsgeschichte ist oft schon die Wahl der Siedlungsräume von denen landwirtschaftlicher Produktion völlig verschieden. Auf der jütischen Halbinsel etwa, auf der in der römischen Eisenzeit die besseren Ackerböden besetzt sind, hebt sich ein Siedlungsgebiet auf dem tiefentkalkten für landwirtschaftliche Zwecke praktisch unbenutzbaren Sander ab, auf dem sich die Raseneisenerzvorkommen häufen, und um diese Raseneisenerzvorkommen finden sich Spuren menschlicher Siedlung bzw. menschlicher Anwesenheit.

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Das zweite Gebiet, bei dem man aus der Lage der Ansiedlungen auf Produktionsräume schließen kann, findet sich im Hochgebirge, und zwar in den Ostalpen um und unterhalb der Kupfervorkommen in Gebieten, die normalerweise für bäuerliche Bewirtschaftung auch in der Bronzezeit nicht mehr in Betracht kommen. Solche von Lagerstätten und ihrer Ausnutzung abhängig Siedlungsgebiete, die sich in Bereichen finden, in denen man eine landwirtschaftliche Ausnutzung nicht annehmen kann, sind deshalb sehr wichtig, weil sie schon für relativ frühe Zeit Bevölkerungsgruppen erkennen lassen, die aus dem Zusammenhang landwirtschaftlich arbeitender Populationen herausgelöst sind. In den Siedlungen selbst finden sich dann häufig Verarbeitungsplätze für Rohmaterial, und zwar aus den verschiedensten Gebieten. Bei nannten daneben manches

der Urproduktion von Rohmaterial sind nicht nur die schon geMaterialien wie Kupfer und Eisen von großer Bedeutung, sondern auch Salz, Graphit, Speckstein, Basaltlava für Mühlsteine und andere.

Die Verarbeitung solcher Rohstoffe fand zum Teil in unmittelbarer Nähe der Gewinnungsplätze der Rohstoffe selbst statt, aber auch in anderen Ansiedlungen, wobei die zur Verarbeitung kommenden Rohstoffe in Form von Barren oder Halbfabrikaten angeliefert wurden. Schon früh hat sich ein durchaus festes nach verschiedenen Gruppen gegliedertes Handwerkertum entwickelt. O b es daneben in großem Umfange auch Wanderhandwerker gab, soll hier nicht weiter behandelt werden. In jedem Falle aber sind schon seit der Steinzeit solche ortsfesten Handwerksplätze nachweisbar. In unmittelbarer Nähe der bergmännisch gewonnenen Flint- und Hornsteinarten finden sich solche Verarbeitungsplätze schon im mittleren und jüngeren Neolithikum. Daneben gibt es in Siedlungen der Bandkeramik während des 5. vorchristlichen Jahrtausends neben den großen Häusern, die offenbar bäuerlichen Betrieben zuzurechnen sind, auch vereinzelte „Schmieden", in denen man Flintmaterial verarbeitet hat. Die Weiterverarbeitung von Kupfer und Bronze vollzog sich nur zum Teil in der Nähe der Bergwerke, zu einem großen Teil auch in den Siedlungen weitab der eigentlichen Fördergebiete. Dabei ist es wohl zu beobachten, daß nicht alle Ansiedlungen der Bronze- und frühen Eisenzeit Handwerksbetriebe in sich aufnahmen. Die sog. Wasserburg Buchau, eine fast ganz ausgegrabene Siedlung der Urnenfelderkultur läßt keinerlei Spuren einer metallhandwerklichen Tätigkeit erkennen, während in anderen gleichzeitigen Ansiedlungen solche Spuren nachweisbar sind. Es war also offenbar nicht so, daß zu jeder Ansiedlung auch ein handwerklich arbeitendes Bevölkerungselement gehörte. Ebenso läßt sich für die Weiterverarbeitung von Eisen in den Siedlungen selbst eine Fülle von Belegen beibringen. Das Rohmaterial wurde entweder in Form von unreinen Luppen angeliefert und mußte dann im Ausheizverfahren zu schmiedbarem Eisen weiterverarbeitet werden oder gelangte in Form von Barren in den Bereich von „Dorfschmieden".

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Salzsiederei ist wohl immer entweder an die Förderplätze von Steinsalz oder an zu versiedende Salzsole gebunden. Interessante Aufschlüsse über die Herstellung von Textilien haben einige neue Untersuchungen von Siedlungen oder Burgen ergeben. Schon die Analyse der Textilreste selbst ließ zwei ganz verschiedene Arten von Textilien erkennen, solche, die offensichtlich im Hauswerk hergestellt waren und solche, die sowohl nach der Auswahl des verarbeiteten Materials und seiner speziellen Zurichtung wie auch nach der Feinheit des Gewebes eine gewerbliche Herstellung nahelegen. Die Untersuchungen Paul Grimms in der Vorburg der Tilleda haben nun Webehäuser zutage gefördert, in denen im 10. und 11. Jahrhundert offensichtlich Qualitätstextilien für die weitere Verteilung hergestellt wurden. Einen großen U m f a n g nehmen in den vor- und frühgeschichtlichen Siedlungen Plätze ein, in denen Knochen und Geweih verarbeitet wurden. M a n stellte aus diesem Material Kämme, Messergriffe, Würfel und manches andere her, vor allem auch Spinnwirtel für die Handspindeln. Schon in der römischen Kaiserzeit war, wie die Beobachtungen in Feddersen Wierde zeigen, dieses Handwerk spezialisisert und an einzelne wenige Werkstätten gebunden. Später in der Merowinger- und Karolingerzeit gab es in fast jeder der städtischen Ansiedlungen Kammacherwerkstätten, und in H a i t h a bu konzentrieren sich die Abfälle, die auf solche Handwerkerstätten hinweisen, auf mehrere Stellen. Auch hier ist offenbar ein über lange Zeit ortsansässiges Handwerk zu erkennen. D i e Vorstellung, daß die Verarbeitung von H o l z zu Geräten und Werkzeugen von jedem betrieben werden konnte, trifft höchstwahrscheinlich nicht das Richtige. In der römischen Kaiserzeit war, wie die Funde in Feddersen Wierde zeigen, beispielsweise die Drechslerei auf die Herstellung von zahlreichen Geräten abgestellt, wie die Auffindung von Halbfertigfabrikaten in größerer Anzahl in der Feddersen Wierde erkennen läßt. D a z u kam der Bootsbau und offenbar Werkstätten zur Wiederherstellung defekter Schiffe wie die Ausgrabungen in Paviken I auf Gotland erkennen lassen. D a ß Glas und vor allem Emailarbeiten schon sehr früh an spezielle Handwerker gebunden waren, zeigen die Untersuchungen auf Oppida der Spätlatenezeit wie etwa beim M o n t Beuvray. Zu nennen wäre weiterhin die Verarbeitung von Leder. Die auf Siedlungen angetroffenen Produktionsstätten der verschiedenen Handwerkarten zeigen, daß hier schon sehr früh ein spezialisiertes H a n d werk existierte und daß dieses Handwerk an den Platz gebunden war. D a s schließt nicht aus, daß Handwerker wanderten, aber die Vorstellung, das H a n d w e r k wäre als Wanderhandwerk betrieben, trifft mit Sicherheit nicht das Richtige, ebenso wie schon verhältnismäßig früh eine Spezialisierung ganz bestimmter Handwerksarten nachweisbar ist. Das dritte Gebiet endlich, daß durch die Siedlungsarchäologie beleuchtet wird, ist der G ü t e r a u s t a u s c h . W o h l zeigen auch die Grabfunde einen Güteraustausch über weite Entfernungen, aber die Zeugnisse dafür beschrän-

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ken sich auf jene Bereiche, die durch die konventionelle Auswahl des Grabgutes bestimmt werden. Die Archäologie ist hier lange Zeit in ihrer Aussagemöglichkeit sehr beengt gewesen. Erst die Untersuchung von Ansiedlungen hat gezeigt, in welchem Umfange Gegenstände über weite Strecken verhandelt worden sind, an die man auf Grund von Grabfunden überhaupt nicht hätte denken können. Uber die Aussage der Botanik und vor allem der Zoologie ist schon gesprochen worden. Die Mineralogie läßt erkennen, daß schon im Neolithikum Produkte über weite Entfernungen verhandelt worden sind, wie etwa der Amphibolith vom Zobten als Grundmaterial für neolithische Schuhleistenkeile, die weit über Mitteleuropa bis zum Rhein und nach Norddeutschland transportiert worden sind. Ähnliche Erkenntnisse lassen sich der Verbreitung von Geräten aus Widaer Schiefer oder aus Schiefer von Olonetz entnehmen. D a ß endlich der bergmännisch gewonnene Flint als Rohmaterial oder Halbfertigprodukt über weite Gebiete verhandelt worden ist, wurde schon frühzeitig erkannt, und das gleiche gilt von den besonders gut arbeitenden Mühlen aus Basaltlava. Daneben ist die Verbreitung von Speckstein zu Kochgefäßen, von Schiefer zu Schleifsteinen und auch der Transport von Eisenerz etwa aus Mittelschweden bis nach Haithabu ein Hinweis auf weit gestreckte Handelsbeziehungen, die sich auf Materialien verschiedenster Art beziehen und einen im großen gesehen umfangreichen Rohstoffhandel erkennen lassen. Auch Rohstoffe aus organischer Substanz sind, wie sich den Siedlungsfunden entnehmen läßt, oft über weite Strecken verhandelt worden. Erinnert sei noch einmal an Ziegenhäute oder Fuchspelze, aber auch an Holz und Holzgeräte und an Qualitätstextilien aus Wolle und Seide. Andere Handelswaren wie etwa Schmucksachen oder Gegenstände des gehobenen Bedarfs, z. B. Bronze- und Glasgefäße, lassen sich ebenso gut an Hand von Grabfunden studieren. Eine auf die Interpretation von Grabfunden allein beschränkte Auswertung des Fundstoffes aber, läßt eine Fülle von Erkenntnismöglichkeiten unberücksichtigt, die sich aus den Siedlungsuntersuchungen ergeben. Die Aussagen siedlungsarchäologischer Untersuchungen über s o z i a l e Strukturen treten neben die Aussagemöglichkeiten auf Grund von Grabfunden, die hier nicht weiter berücksichtigt werden sollen. Hierbei sind einmal die Herausbildung herrschaftlicher Strukturen zu erwähnen, die sich auf Grund ganz oder jedenfalls großenteils ausgegrabener Siedlungen erkennen lassen und zum zweiten die schon eben kurz gestreifte handwerkliche Spezialisierung in der Bewohnerschaft geschlossener Siedlungen. Die Entwicklung von herrschaftlichen Strukturen läßt sich schon verhältnismäßig früh erkennen. Auf der Siedlung vom Goldberg aus der Hallstattzeit ist eine akropolisartige Befestigung nachgewiesen, in der sich ein großer H o f befindet, der mit der Burg die übrige Ansiedlung überragt. Bei der Feddersen Wierde läßt die Herausbildung eines sog. „Herrenhofes" im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. Geb. die Durchbrechung des bis dahin diese

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Siedlungen beherrschenden Prinzips der gleichberechtigt nebeneinander bestehenden Bauern wirtschaften erkennen. Hier wird auch deutlich, daß die Einbeziehung handwerklicher Produktionsweisen zur Stärkung der wirtschaftlichen Basis für eine solche sozial herausragende Stellung wichtig sein konnte, wie sich das ähnlich auch für den Runden Berg von Urach erkennen läßt. Audi an anderen Stellen wie etwa in Tornow zeigt sich die Durchbrechung des Prinzips etwa gleichartiger Bauernhöfe nebeneinander durch die Herausbildung besonders großer Höfe und die dahinter zu vermutende Wandlung der sozialen Struktur. Was die Differenzierung von Bevölkerungsgruppen spezifischer Handwerksarten betrifft, ist oben schon das Wesentliche gesagt worden, so daß etwa Schmiede und Bronzegießer eine besondere Stellung einnahmen; wie das Beispiel von Feddersen Wierde oder auch von Helgö in Schweden lehrt, sind solche Handwerksbetriebe über lange Zeit, jedenfalls über mehrere Jahrhunderte an der gleichen Stelle angesiedelt gewesen und infolgedessen als ortsfeste Produktionsplätze anzusehen. Daß Eisenschmiedehandwerk und Bronzegießerei ein arbeitsteiliges Gewerbe darstellen, ist seit langem bekannt. Daß aber auch andere Handwerksarten wie die Verarbeitung von Knochen und Geweih oder aber die Bearbeitung von Holz durch die Drehbank zu Drechselarbeiten auch von spezialisierten und aus der Gruppe der bäuerlichen Bevölkerung herausgelösten Handwerkern betrieben wurde, ist eine verhältnismäßig neue Erkenntnis. Gerade für die Stellung des Handwerks sind Siedlungsgrabungen weit ergiebiger als die Untersuchung von Grabinventaren, die letztlich über die Stellung und die Bedeutung des Handwerkes wenig aussagen. Die Möglichkeit zur e t h n i s c h e n I n t e r p r e t a t i o n siedlungsarchäologischer Befunde ist nach wie vor sehr umstritten. Seit Kossinna seine These aufstellte, daß scharf umrissenen Kulturprovinzen sich immer mit Völkern oder Völkerstämmen decken, ist eine intensive Diskussion dieser Fragen entstanden. Der vollständigen Ablehnung der Kossinnaschen Thesen folgte im Laufe der letzten Zeit eine vorsichtige Uberprüfung der Fragen, wie weit denn Kulturprovinzen überhaupt bestehen und was sie aussagen. War Kossinna und waren auch seine Schüler den Nachweis für die Existenz von Kulturprovinzen schuldig geblieben, so läßt sidi an der Existenz solcher Gruppen, die sich vornehmlich durch Unterschiede in der materiellen Hinterlassenschaft aber auch im Siedlungswesen und im Kult gegeneinander abgrenzen lassen, gar nicht zweifeln. Eine solche Kulturprovinz stellt unbestritten die bandkeramische Gruppe in Mitteleuropa dar, die sich von den Nachbargebieten ganz deutlich abheben läßt. In die gleiche Gruppe gehört dann das Nebeneinander zweier Kulturprovinzen etwa auf der jütischen Halbinsel und den dänischen Inseln, nämlich auf der einen Seite der Megalith-Kultur, auf der anderen Seite der Einzelgrab-Kultur, die sich zunächst räumlich gegeneinander abgrenzen und dann durchdringen. Solche Kulturprovinzen sind in späterer Zeit auch vorhanden, wenn auch nicht immer so deutlich zu erkennen, wie in der Steinzeit. An der Existenz solcher Erscheinungen wird

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man infolgedessen nicht gut zweifeln können, und sie verlangen mit Sicherheit eine Interpretation. Ob diese Interpretation immer in die Richtung ethnischer Unterschiede zu suchen sein wird, ist bisher umstritten. Daß man etwa die Lat^ne-Kultur in Mitteleuropa an ihrer Nordgrenze gegenüber ihren nördlichen Nachbarn deutlich abgrenzen kann, ist eine nicht bestreitbare Tatsache. Daß sich hier die Latene-Kultur mit der Verbreitung keltischer Völker und Stämme deckt, ist zwar eine Hypothese, aber immerhin eine wahrscheinliche. Einen methodisch gut abgesicherten Zugang zu ethnischen Interpretation solcher Kulturprovinzen hat die Forschung noch nicht erarbeitet. Das Problem aber ist deutlich abgrenzbar und seine Verfolgung ein legitimes Anliegen der archäologischen Forschung. Die Vorstellung, daß sich Ethnika in der Frühzeit immer gewissermaßen mit linearen Grenzen gegeneinander abgrenzen lassen, entspricht dem Denken des 19. Jahrhunderts. Man wird für die Frühzeit wahrscheinlich in ebenso großem Umfange mit der Durchmischung verschiedener ethnischer Gruppen rechnen müssen, ähnlich etwa wie eine Sprachenkarte des 19. Jahrhunderts die Verhältnisse im östlichen Mitteleuropa mit der Vermischung der verschiedensten Sprachgruppen zeigt. Auch hier ist mit Durchmischungen im Zuge von Wanderbewegungen und mit Überschichtungen verschiedener Bevölkerungsgruppen zu rechnen. Daß auch bei der Einwanderung neuer Bevölkerungsgruppen sich mehr oder weniger große Reste der ursprünglichen Bevölkerung erhalten haben, ist aufgrund auch moderner Erfahrungen als sicher anzunehmen. Dieser Frage hat die archäologische Forschung bisher verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit gewidmet. J a n Filip hat in seiner Analyse der latenezeitlichen Funde in Böhmen und Mähren darauf aufmerksam gemacht, daß regional abgesonderte Reste älterer Bevölkerungsgruppen, die sich durch ihren Grabbau, aber auch durch ihr Inventar zu erkennen geben, erhalten geblieben sind. Diese Betrachtungsweise und die aus ihr resultierenden Erkenntnisse kommen der historischen Wirklichkeit wohl besonders nahe. Daß auch Zuwanderung gleicher ethnischer Gruppen aus anderen Regionen sich im Fundmaterial bei günstiger Situation nachweisen lassen, hat Zeman für ein mährisches Gräberfeld der römischen Kaiserzeit aufgezeigt. Daß schließlich die Einwanderung reiternomadischer Awaren auf bescheidene germanische, wahrscheinlich langobardische, Bevölkerungsreste stieß, läßt sich am Beispiel des Gräberfeldes von Varpalota aufzeigen. Endlich hat die tschechisdie Forschung am Beispiel der bei Brezno ausgegrabenen Siedlung der Völkerwanderungszeit und der frühen Karolingerzeit aufgezeigt, wie eine nach dem Fundmaterial zunächst rein germanisch belegte Siedlung allmählich überwandert wird von einer Bevölkerung, die in ihren Hinterlassenschaften sich ganz und gar dem slawischen Bereich anschließt, und die bisher gegebenen Deutung, daß hier die Überschichtung einer germanischer Restbevölkerungsgruppe durch eindringende Slawen vorliegt und eine allmähliche Absorbtion der Germanen durch die Slawen

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EINLEITUNG

stattgefunden hat, ist immerhin die plausibelste Deutung eines an sich klaren BefundesD a es nur selten einwandfrei Kriterien für die Aussonderung verschiedener ethnischer Gruppen gibt, wird der Versuch, solche ethnischen Gruppierungen im archäologischen Fundmaterial zu erkennen wohl meistens mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sein. Die Verfolgung der ethnischen Fragestellung aber ist auch bei siedlungsarchäologischen Untersuchungen ein echtes Desiderat. F a ß t man die hier vorgetragenen Gedankengänge zusammen, so wird man zu der Feststellung genötigt, daß die siedlungsarchäologische F o r schungsmethode verhältnismäßig jung und im Augenblick noch in weiterer Entwicklung begriffen ist. Sie begrenzt sich nicht auf die sog. vorgeschichtliche oder frühgeschichtliche Zeit, sondern kann bis weit in das hohe Mittelalter hinein neben die Siedlungsgeographie und die Siedlungsgeschichte treten und hier mit den beiden anderen Disziplinen zusammen wichtige Ergebnisse für das Siedlungswesen und über das Siedlungswesen hinaus für die wirtschaftliche Entwicklung bieten. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung der siedlungsarchäologischen Methode ist die enge Zusammenarbeit mit naturwissenschaftlichen Disziplinen, sei es zur Ergänzung der archäologisch gewonnenen Erkenntnisse, sei es auch als K o r r e k t i v für Schlüsse aus dem Fundmaterial auf das Siedlungsbild oder die Wirtschaftsweise. Darüber hinaus ist auch die Zusammenarbeit mit technologischen Teildisziplinen von großer Wichtigkeit, jedenfalls überall da, wo es sich um die Einbeziehung von Produktionsplätzen in das Siedlungsbild handelt. Wenn hier im wesentlichen auf die Zusammenarbeit der Siedlungsarchäologie mit naturwissenschaftlichen Disziplinen hingewiesen worden ist, so muß doch am Schluß bemerkt werden, daß in den Epochen, in denen sich siedlungsarchäologische Betrachtungsweise historischen Zeiten nähert, eine enge Zusammenarbeit auch mit der O r t s - u n d Flurnamenf o r s c h u n g und auch mit der im wesentlichen von geographischer Seite betriebenen W ü s t u n g s f o r s c h u n g notwendig ist. I m Arbeitsbereich des Mediävisten überschneidet sich die siedlungsarchäologische Betrachtungsweise weitgehend mit der siedlungsgeschichtlichen und mit der siedlungsgeographischen, und alle drei methodischen Möglichkeiten ergänzen sich vielfach zu einem verhältnismäßig komplexen Bild.

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE [Probleme der Küstenforschung Band 8, Hildesheim 1965, S. 1 — 8 ] Festvortrag, gehalten anläßlich der Feier zum 25jährigen Bestehen des Niedersächsischen Landesinstituts für Marschen- und Wurtenforsdiung in Wilhelmshaven am 6. 11. 1963

Über die Aufgaben siedlungsarchäologischer Forschung hier zu spredien, schien mir angesichts der Tatsache besonders angezeigt zu sein, daß nur wenige Institute zur Weiterentwicklung der siedlungsarchäologisdien Methodik so viel beigetragen haben wie das, dessen 25jähriges Bestehen wir heute festlich begehen. Meine Befürchtung, ein Vortrag über den Stand und die Möglichkeiten dieser Arbeitsrichtung, der von der Sache her notwendigerweise analytisch-theoretisch und darum wissenschaftlich trocken sein muß, möchte dem festlichen Anlaß nicht angemessen sein, sind durch den ausdrücklichen Wunsch von Herrn Haarnagel, ich solle gerade über ein wissenschaftliches Problem sprechen, zerstreut worden. Die Tatsache, daß hier Siedlungsarchäologie als Forschungsaufgabe behandelt wird, läßt deutlich werden, daß diese Arbeitsrichtung nur eine von mehreren in der Archäologie möglichen oder üblichen ist. Dabei darf ich gleich eingangs definieren, in welchem Sinne ich hier den Begriff „Siedlungsarchäologie" verwende. Eine lange Zeit hindurch bezeichnete ein Teil der deutschen Forscher als „siedlungsarchäologische Methode" eine Arbeitsweise, die ihrem Ziel nach auf die Klärung ethnischer Fragen abgestellt war, ohne sich mit Siedlungsproblemen überhaupt zu beschäftigen 1 .* 1

Die von G. KOSSINNA entwickelte und von seiner Schule vertretene „siedlungsardiäologisdie Methode" stellt den Versuch dar, die germanische Stammeskunde von der archäologischen Quellenbasis aus weitergehend zu fördern. Zur Methode selbst: G. KOSSINNA, Die Herkunft der Germanen. Zur Methode der siedlungsarchäologie, Würzburg 1 9 1 1 ; E . BLUME, Die germanischen Stämme und die Kulturen zwisdien Oder und Passarge zur römischen Kaiserzeit, Würzburg 1912, 1 ff. „Zur ethnologischen Methode". Kritik an der Methode wurde frühzeitig u.a.

v o n M . HOERNES u n d ED. MEYER g e ü b t ; g r u n d l e g e n d E . W A H L E ,

Zur

eth-

nischen Deutung frühgesichtlicher Kulturprovinzen. Grenzen frühgeschichtlicher Erkenntnis I, Heidelberg 1 9 4 1 ; H . J . EGGERS, Das Problem der ethnischen Deutung in der Frühgeschichte, WAHLE-Festsdirift, Heidelberg 1950, 4 9 ff.; DERSELBE, Einführung in die Vorgeschichte, München 1959, 1 9 9 ff., vgl. auch R . HACHMANN in: HACHMANN-KOSSACK-KUHN, Völker zwischen Germanen und Kelten, Neumünster 1 9 6 2 ; (kritisch dazu vom archäologischem Standpunkt: R.V.USLAR, Nadir, a. Nieders. Urgeschichte 32, 1963, 142 ff.; v o m philologischen Standpunkt: H . WESCHE, Zeitschr. d. Ges. für Schleswig-Holsteinisdie Geschichte (in Vorbereitung).

24

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

[1,2}

Dem Wortsinne nach wird man in Analogie zu Begriffen wie „Siedlungsgeographie" und „Siedlungsgeschichte" mit „Siedlungsarchäologie" nur eine Forschungsrichtung bezeichnen können, die sich bemüht mit Hilfe archäologischer Quellen und Methoden Siedlungsprobleme in weitestem Sinne zu erforschen 2 . Diese Forschungsrichtung ist in der Tat verhältnismäßig spät entstanden und befindet sich auch heute noch im Stadium der Entwicklung geeigneter Methoden. Es erscheint mir deshalb gerade hier, in einem Zentrum deutscher siedlungsarchäologischer Forschung, angebracht, sich über das bisher Erreichte Rechenschaft zu geben und den vor uns liegenden Weg abzustecken 3 . Die älteste Auswertung archäologischen Quellenmaterials stützte sich vornehmlich auf Grab-, Depot- und Einzelfunde. Sie beruhte auf der Ausdeutung von Form und Technik, also qualitativer Kriterien d e s e i n z e l n e n S t ü c k e s . Darüber hinaus gewann dieses in seiner Vergesellschaftung mit anderen Gegenständen [ als „geschlossener Fund" eine besondere Bedeutung für die Herausarbeitung synchroner Horizonte und damit für Fragen der chronologischen Gliederung 4 . Endlich kam dem einzelnen Gegenstand oder dem Fundkomplex eine quantitative Bedeutung als Glied einer statistisch erfaßbaren Kette gleichartiger Funde zu, die entweder in Fundlisten oder Fundkarten ihren wissenschaftlichen Niederschlag fand 5 . Der „Fund" mit den Aussagemöglichkeiten seiner Form, seiner Fundvergesellschaftung und seiner Einbettung in die regional bestimmbare Verbreitung gleichartiger Funde stand lange Zeit hindurch und steht auch heute noch im Mittelpunkt einer Forschungsrichtung, die Albert Kiekebusch im Gegensatz zur „Siedlungsarchäologie" als „Kulturarchäologie" 6 und die Karl Bosl als „Kulturgruppenarchäologie" bezeichneten 7 . 2

3

H. JANKUHN, Methoden und Probleme siedlungsardiäologisdier Ardiaeologia Geographica 2, 1952—1955, 73 ff. Gegenüber den Begründern dieser Arbeitsrichtung, von denen ERNST

4

5

WAHLE,

ALBERRT

KIEKEBUSCH,

GEORG

WOLFF

und

ALFRED

Forschung, vor

allem

TODE

ZU

nennen sind, weil sie auf älteren Vorarbeiten weiterbauend neue methodische Möglichkeiten erschlossen, hat sich auch die Methode weiter entwickelt. Insbesondere bildet die weitere Heranziehung naturwissenschaftlicher Disziplinen eine entscheidende Bereicherung. Dazu: O. MONTELIUS, Die Methode, in: Die älteren Kulturperioden im Orient und in Europa I, Stockholm 1905; vgl. auch H. J. EGGERS, Einführung in die Vorgeschichte, Münster 1959, 91 ff. Zur diorologischen Methode: K.H.JACOB-FRIESEN, Grundfragen der U r gesdiichtsforschung, Hannover 1928, 170 ff.; dort auch eingehende Würdigung der kartographischen Darstellungen in der Vorgeschichtsforsdiung; zu diesem Problem vgl. auch H. J. EGGERS, Die vergleichende geographisch-kartographische Methode in der Urgesdiiditsforsdiung. Archaeol. Geograph. 1, 1950/51, 1 ff.; H. BEHRENS, Einige Bemerkungen zur vergleichenden geographisch-kartographischen Methode in der Urgeschichtsforschung, a. a. O. 97 ff.

6

A . KIEKEBUSCH i n : MAX EBERT, R e a l l e x i k o n B d . 1 2 s. v .

7

KARL BOSL formulierte so in der Diskussion auf der Reichenau-Tagung Frühjahr 1963.

Siedlungsarchäologie.

[2]

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

25

Für einen großen Teil der vorgeschichtlichen Perioden Mitteleuropas beruht die heute übliche zeitliche Gliederung auf dieser Forschungsrichtung und die „Kulturguppen" oder „Kulturprovinzen" wie Kossinna sie nannte, als geographisch eingrenzbare Bereiche der Verbreitung einheitlicher Formen gleicher Zeitstufe, stellen eine in ihrer historischen Ausdeutung nicht einheitlich erklärbare Erscheinung dar, über deren Wesen die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist 8 . Im Rahmen der „Siedlungsarchäologie" kommt dem einzelnen F u n d g e g e n s t a n d nidit die gleiche Bedeutung zu. Zwar behält er seinen Wert als chronologischer Indikator, als Hinweis auf bestimmte Funktionen oder als Beleg für Verkehrsbeziehungen über nähere und weitere Entfernungen. Eine weit größere Bedeutung aber gewinnen die B e f u n d e , also Beobachtungen an nidit beweglichen Relikten aus vorgeschichtlicher Zeit, wie Lagerungsverhältnisse, Bau- und Siedlungsreste und die Situation eines Platzes im Rahmen seiner näheren und weiteren Umgebung 9 . Zwei große Forsdiungsbereidie gehören zum Aufgabengebiet der Siedlungsardiäologie: Die Klärung der Besiedlungsgeschichte und die Erforschung der einzelnen Siedlung selbst. Beides ist nicht voneinander zu trennen. Als Ziel schwebt dabei der Forschung nicht nur die Ergründung siedlungsgeschiditlidier Vorgänge und die Erforschung von Haus, Hof und Dorf vor, sondern sie gewinnt damit auch Einblicke in die Wirtschaftsweise bestimm8

D e r KossiNNAschen Deutung soldier „ K u l t u r p r o v i n z e n " als Spiegelung der räumlichen Ausbreitung v o n Stämmen k a n n man eine Deutung als einheitliche Wirtschaftsräume entgegenstellen (dazu H . JANKUHN, Zur F r a g e n a d i der U r heimat der Angeln, Zeitsdir. d. Ges. f. Schlesw.-Holst. Geschichte 7 0 / 7 1 , 1943, D a b e i können Verbreitungsgebiete einzelner T y p e n entweder als Absatzgebiete lokaler W e r k s t ä t t e n oder als Wandergebiete umherziehender W a n d e r h a n d w e r k e r (so für die Merowingerzeit J . WERNER, F e r n h a n d e l und N a t u r a l w i r t s c h a f t im östlichen Merowingerreich nach archäologischen und numismatischen Zeugnissen, 4 2 . B e r . d. R G K 1961, 1962, 3 0 7 ff. bes. 318 mit A n m e r k . 17) a u f g e f a ß t werden. A b e r auch bei solchen Erklärungsversuchen bleibt die F r a g e nach den Ursachen der Begrenzung meist doch unbeantwortet. H i n t e r den K u l t u r p r o v i n z e n stehen entweder Verbreitungsgrenzen metallener Trachtenbestandteile und dann wären die v o n der Volkskunde erarbeiteten Gesichtspunkte für die E r k l ä r u n g rezenter Volkstrachtengebiete mit heranzuziehen, oder Ausbreitung bestimmter G e f ä ß - , G e r ä t - bzw. Waffenausstattungen. W i e w e i t solche „Verbreitungsgebiete" durch selektive Auswirkung bestimmter Grabbräuche zustande kommen und dann mehr den regionalen Geltungsbereich bestimmter Grabbräuche — also kultischer F a k t o r e n — spiegeln, bleibt immer v o n F a l l zu F a l l zu untersuchen. E i n e methodische K l ä r u n g solcher „ K u l t u r p r o v i n z e n " w i r d sich a m ehesten in den Küstenregionen der Nordseemarschen erreichen lassen, w o zu den räumlichen G r e n z e n einzelner Formelemente auch Siedlungsfaktoren treten. J e d e n f a l l s erscheint das P r o b l e m der „ K u l t u r p r o v i n z e n " noch keineswegs geklärt, der Begriff selbst präziserer Formulierung bedürftig.

8

D a b e i sind nicht nur die naturräumlidien Gegebenheiten, sondern auch die Einbettung in ein bestimmtes Siedlungs- und Wirtschaftsgebiet — also die B e rücksichtigung anthropogeographisdier Verhältnisse — v o n Bedeutung.

26

S I E D L U N G S A R C H Ä O L O G I E ALS FORSCHUNGSAUFGABE

[2,3]

ter Perioden und die soziale Gliederung der Bevölkerung. D a m i t wird eine notwendige und nadhi der Lage und der Aussagefähigkeit der Quellen auch besonders günstige Ergänzung zu den Erkenntnismöglichkeiten geschaffen, die die sogenannte „Kulturgruppenarchäologie" liefert. Eine lange Zeit hindurch glaubte eine optimistische Forschung mit H i l f e der zufällig in die Museen und Sammlungen gelangten Funde bereits Siedlungsgeschichte auf archäologischer Basis treiben zu können, obwohl schon Georg Wolff in seiner 1913 erschienenen Arbeit „Die südliche Wetterau in vor- und frühgeschichtlicher Zeit" empfohlen hatte, für die vergleichende Siedlungsgeschichte „nur solche Fundkarten zu verwenden, die auf eingehender und möglichst gleichmäßig auf alle Teile sich erstreckender Durchforschung des in Betracht kommenden Landstriches beruhen" 10 . | Die systematische Durchforschung eines Gebietes wird schon hier als Voraussetzung für eine besiedlungsgeschichtlidie Untersuchung gefordert, die Art dieser Durchforschung aber noch nicht endgültig definiert 11 . Erst ein 10

11

G. W O L F F , Die südliche Wetterau in vor- und frühgeschichtlicher Zeit mit einer archaeologisdien Fundkarte, Frankfurt 1913. Mit der Arbeit von W O L F F beginnt eine Reihe von siedlungsarchäologischen Untersuchungen, deren Grundlage zwar noch nicht die systematische auf Geländebegehung in Art der Archäologischen Landesaufnahme beruhende Fundund Fundplatzinventarisation ist, die sich aber auf vorzüglich erforschte und z. T. begangene Gebiete beziehen. Dieser Arbeit folgten in gut untersuchten Landschaften andere, von denen ich nur auf M A X H E L L M I C H , Die Besiedlung Schlesiens in vor- und frühgeschichtlicher Zeit, Breslau 1923; I . S T E I N H A U S E N , Archäologische Siedlungskunde des Trierer Landes, 1936; K. B Ö H N E R , Die fränkischen Altertümer des Trierer Landes, Berlin 1958 und H . D A N N H E I M E R , Die germanischen Funde der späten Kaiserzeit und des frühen Mittelalters in Mittelfranken, Berlin 1962 nennen und auf die zusammenfassenden Darstellungen von S T O L L , Urgeschichte des Oberen Gäues, 1933, oder von W . V E E C K über die Alamannen in Württemberg, Berlin 1931, hinweisen möchte (Zusammenstellungen älterer Arbeiten zur Siedlungsgeschichte auf dieser Grundlage enthält die Arbeit K A R L S C H U M A C H E R S in Präh. Ztsdir. 8, 1916, 133 ff.). Solche Untersuchungen haben auch heute noch ihre große Bedeutung. Sie sind nur in Gebieten mit hohem Forschungsstand möglich und beleuchten damit eine wesentliche Voraussetzung jeder siedlungsardiäologischen Arbeit: den ausreichenden Forschungsstand. In schlecht erforschten Gebieten kann auch eine noch so gründlich durchgeführte Landesaufnahme das Fehlen langjähriger Denkmalpflege nicht ausgleichen. Allerdings bleibt bei dieser Art des Arbeitens das Forsdiungsinteresse in der Regel auf die fundreichen Gebiete konzentriert. Die weniger ergiebigen Bergwälder etwa liefern zwar Hügelgräber und Burgen, hier bleiben aber doch große und keineswegs immer fundleere Gebiete unerforscht und der siedlungsgesdhichtlichen Betrachtungsweise können damit ganze Epochen fehlen, wie etwa ein Blick auf den Fundreichtum des Hochharzes zeigt (W. N O T O T H N I G , Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 41/42, 1958, 1 3 7 f f . ; dazu G . M I L D E N BERGER a. a. O. 43, 1949, 76 ff.), der lange Zeit als unbesiedelt galt, jetzt aber doch nicht nur vom Standpunkt der Siedlungskunde, sondern wegen seiner zahlreichen Spuren alten Bergbaues auch von dem der Wirtschaftsgeschichte Bedeutung erhält. Während in den fundreichen Bezirken auch die Archäologische

[3]

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

27

Jahrzehnt später sciiuf Alfred Tode mit der Begründung der archäologischen Landesaufnahme die bis heute beste Grundlage dafür 1 2 . Erst die systematische Begehung und Kartierung großer zusammenhängender Gebiete machte die Forschung von einem auf zufälliger Forschungsintensität einzelner Forscher oder bestimmter Institute beruhenden Quellenmaterial frei. Auch wenn der Technik systematischer Fundplatzerfassung im Gelände bis heute noch Mängel anhaften, die nur durch kritische Überprüfung der bisher angewandten Methoden und der mit ihnen erzielten Ergebnisse zu beseitigen sein werden 13 , so ändert das nichts an der Tatsache, daß auf diesem Wege die bisher sichersten Unterlagen für die frühe Besiedlungsgeschichte beigebracht werden können. Neben die „Typenverbreitungskarte" alter Art tritt die Karte, die nicht wie jene selektiv einzelne Funde oder Fundgruppen in ihrer geographischen Verteilung erfaßt, sondern sämtliche Zeugnisse der Anwesenheit von Menschen, wenn auch in zeitlicher Gliederung und in möglicher Scheidung ihrer Art, veranschaulicht. |

12

Landesaufnahme wohl zu einer Verdichtung der Fundpunkte, kaum aber zu grundsätzlich neuen Erkenntnissen der Besiedlungsvorgänge führen wird, kann sich das Bild von der Bedeutung vernachlässigter fundarmer Gebiete durdi das systematische Absuchen im Rahmen der Landesaufnahme durchaus ändern. Zur Definition der Archäologischen Landesaufnahme vgl. A. TODE, Vorgeschichtliches Jahrbuch, 1928, 11; es handelt sich bei ihr also um eine möglichst vollständige Erfassung der beweglichen Altertümer aus der Literatur, aus Sammlungen und Museen und um eine möglichst lückenlose Inventarisation von Denkmälern und Fundstellen im Gelände auf Grund archivalischer Unterlagen, mündlicher Überlieferung und einer lückenlosen Begehung des bearbeiteten Gebietes durch geschulte Fachkräfte. Die Ergebnisse dieser Aufnahme werden in zentralen Fundkarteien zusammengefaßt und nach bestimmten, noch allgemein festzulegenden Richtlinien publiziert. Die Forderung nach einer solchen Inventarisation ist alt. Sie wurde schon in einem Vortrag am 14. April 1908 in Leipzig von JACOB-FRIESEN erhoben (vgl. Praeh. Zeitschr. 9, 1917, 76). Ernsthaft in Angriff genommen wurde sie erst von A. TODE (dazu Vorgesch. Jahrb. 3, 1928, 10 ff.). Seine Aufnahme des Fürstentums Lübeck, die schon 1928 erscheinen sollte (vgl. A. KIEKEBUSCH in EBERTS Reall. X I I , 1928, 111) ist leider nie publiziert worden. Ein kurzer Überblick über die wichtigsten Ergebnisse findet sich in Mannus 14, 1929, 171 ff.; ein spezieller Ausschnitt aus seiner Aufnahmetätigkeit in Mannus 27, 1935, 19 ff. Nach seiner Methode wurden Inventarisationsarbeiten in der Ost- und Westprignitz in Angriff genommen und mit zusammenfassenden Publikationen abgeschlossen (vgl. W. MATTHES, Urgeschichte des Kreises Ostprignitz, Leipzig 1929 und WALTRAUT BÖHM, Die Vorgeschichte des Kreises Westprignitz, Leipzig 1937).

In Schleswig-Holstein wurde nach der Übernahme der Archäologischen Landesaufnahme durch KERSTEN dieses Arbeitsvorhaben reorganisiert und mit großer Energie vorangetrieben, so daß sehr bald schon die erste Publikation eines Kreis erscheinen konnte (K. KERSTEN, Vorgeschichte des Kreises Steinburg, 1939). Auch nach dem Kriege führte Kersten trotz pessimistischer Prognosen die unterbrochene Aufnahme weiter, so daß in schneller Folge die Kreise Herzogtum Lauenburg (1951), Nordfriesisches Festland (1954), Nordfriesische Inseln (1958), Storman (1959) und Flensburg (1963) erscheinen konnten, was eine wirklich

28

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

[4]

E r s t d a m i t h a t die B e s t a n d s a u f n a h m e a l t e r Siedlungsreste jenen G r a d v o n V o l l s t ä n d i g k e i t erreicht, der es gestattet, f ü r die a u f diesem W e g e i n v e n tarisierten B e z i r k e v o n der archäologischen Quellenbasis aus eine Gesdiidite der Besiedlung in vorhistorischer Z e i t z u schreiben 1 4 . Gleichwohl m u ß selbst dieses M a t e r i a l durch U n t e r s u c h u n g e n n a t u r w i s senschaftlicher A r t e r g ä n z t w e r d e n , die teils als K o r r e k t i v für die a r c h ä o l o gisch fundierten B e o b a c h t u n g e n dienen, teils echte E r g ä n z u n g e n

darstellen.

H i e r h a t besonders die P a l ä o b o t a n i k M e t h o d e n entwickelt, die es ihr gestatten, w e i t g e h e n d u n a b h ä n g i g v o n der A r c h ä o l o g i e z u selbständigen E r gebnissen z u k o m m e n 1 5 .

E i n e m o d e r n e Siedlungsarchäologie w i r d in

Zu-

k u n f t in solchen Gebieten, in denen die V o r a u s s e t z u n g e n d a f ü r gegeben sind, nicht m e h r o h n e engste V e r b i n d u n g z u r P a l ä o b o t a n i k arbeiten k ö n n e n , w i e das richtungweisend hier in W i l h e l m s h a v e n geschehen ist. D a s gilt nicht n u r für die vorgeschichtlichen Z e i t r ä u m e , sondern, w i e die U n t e r s u c h u n g e n

auf

der mittelalterlichen W ü s t u n g K ö n i g s h a g e n i m südlichen H a r z v o r l a n d

ge-

imponierende arbeitsmäßige und organisatorische Leistung darstellt. In Niedersachsen wurde nach einem unglücklichen Versuch mit dem Kreise Einbeck (1953) die Landesaufnahme auf eine neue Basis gestellt, so daß der erste B a n d ( V o r geschichte des Naturschutzparkes Lüneburger Heide) inzwischen gedruckt ist (9 weitere Kreise sind in Arbeit, davon wird voraussichtlich der Kreis Ammerland im Verwaltungsbezirk Oldenburg als nächster erscheinen). Der Anfang einer ähnlichen Inventarisationsarbeit Kreis Geldern scheint unter einem unglücklichen

im Rheinland mit dem Stern zu stehen (dazu

K L . RADDATZ, G e r m a n i a 4 1 , 1 9 6 3 , 1 6 5 ff.).

15

Hatten schon bei TODES Begründung der Archäologischen Landesaufnahme zwei Gesichtspunkte nebeneinander gestanden: der denkmalpflegerische der in der Landesaufnahme die wesentlichste Voraussetzung für eine geregelte D e n k malpflege sah, und der forscherische, der sich von ihr ein systematisch gewonnenes Quellenmaterial von größtmöglicher Vollständigkeit für siedlungs- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen erhoffte — und TODES kurzer Bericht in Mannus 14, 1929, 171 ff. zeigte deutlich, was in dieser Richtung zu erwarten war — , so besteht bis heute diese Doppelspurigkeit in der Zielsetzung der L a n desaufnahme unverändert weiter. D a r a n ändert grundsätzlich auch nichts die Tatsache, daß heute denkmalpflegerische Gesichtspunkte immer stärker in den Vordergrund treten. Gerade die schon von TODE stark betonte Bedeutung für die Siedlungsforschung sollte Technik der Aufnahme, Auswahl der zu bearbeitenden Gebiete und Art der Publikationen wesentlich mitbestimmen. Wer sich je mit der Praxis der Landesaufnahme befaßt hat, wird sich gewisser Lücken in der Methode der Fundstellenerfassung bewußt sein, deren Behebung kaum durch technische Hilfskräfte allein möglich sein wird. Grundsätzlich gelten auch für die Landesaufnahme WAHLES Bemerkungen zur Quellenkritik von 1920 (12. Ber. der R G K für 1920 [ 1 9 2 1 ] 34 ff.) und die seiner Vorgänger (z. B . GEORG WOLFF, D i e südliche W e t t e r a u a. a. O . S. 1 f.).

14

Selbst bei noch so gründlich durchgeführter Landesaufnahme wird man sich der Lückenhaftigkeit des Materials bewußt bleiben müssen und Schlüsse „e silentio" nur mit großen Vorbehalten ziehen dürfen. D a ß Wälder und echte Dauerweiden der Erhaltung übertägiger Denkmäler wie Steingräber, Grabhügel, Wehranlagen, Wegen und Ackersystemen günstiger als lange Zeit hindurch gepflügte Ackerflächen sind und daß auf diesen wiederum untertägige Fundstellen wie An-

[4]

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

29

zeigt haben, auch f ü r die Wüstungsforschung des hohen u n d späten Mittelalters 1 6 . D a n e b e n hat, wie die Arbeiten v o n T ü x e n 1 7 , Scheffer und B r u n k M e y e r 1 8 lehren, die Bodenforschung eine zunehmende B e d e u t u n g f ü r die archäologische Siedlungskunde im engeren Sinne, aber auch f ü r unsere K e n n t nis alter B o d e n n u t z u n g u n d Wirtschaftsweise, erlangt. E s sdieint mir sicher z u sein, d a ß die H e r a n z i e h u n g dieser D i s z i p l i n in Z u k u n f t neue E r k e n n t nisse vermitteln w i r d . Ebenso wie zu gewissen naturwissensdiaftlidien Disziplinen bestehen v o n der Fragestellung her auch zu bestimmten geisteswissenschaftlichen Fächern enge Berührungs- und Überschneidungszonen. S o hat v o r allem die siedlungshistorische Forschung in den letzten J a h r z e h n t e n Methoden entwickelt, die auf historischer G r u n d l a g e retrospektiv arbeitend in f r ü h geschichtliche Perioden vordringen. Z w e i Gelehrte sind es vornehmlich gewesen, die hier der Geschichtsforschung neue W e g e gewiesen h a b e n : Kötzschke in L e i p z i g u n d A u b i n in H a m b u r g .

13

Siedlungen und Fladigräberfelder leichter gefunden werden, ist eine so alte Erkenntnis, daß sie nidit näher begründet zu werden braucht. Das sollte Anlaß zum Nachdenken darüber sein, wie man durch Anwendung neuer prospektorischer Methoden diese Erfassungslücken schließen könnte. Auf jeden Fall hat hier schon WOLFF auf seiner Karte der südlichen Wetterau Vorbildliches geleistet, wenn er nidit nur Waldungen, sondern auch Wiesen angegeben hat. Daß damit audi in der Sadie selbst liegende Schwierigkeiten und nidit nur durch Unzulänglichkeit des Bearbeiters ganze Fundgruppen unbeobachtet bleiben können, muß man immer in Rechnung stellen. Flach liegende Urnenfriedhöfe werden meist durch den Pflug erfaßt und fallen infolgedessen audi in rein agrarischen Gebieten reichlich an. Unter die normale Pflugtiefe herunterreidiende Körpergräber dagegen werden nur bei tiefgründiger Erdbewegungen wie Kiesgruben und Bauvorhaben gefunden und gelangen in Gebieten mit starker Bautätigkeit oder starkem Bodenabbau in viel höherem Maße zur Kenntnis der Forschung, als in agrarischen Gebieten mit geringerer Bautätigkeit. Insofern ist auch bei sorgfältigster Durchführung der Landesaufnahme eine echte Vollständigkeit der Fundplatzerfassung nicht möglich. Man wird bei einer siedlungsgeschichtlichen Auswertung scharf zu unterscheiden haben zwischen gelegentlicher, durch die Bearbeiter bedingter Unzulänglichkeit der Fundstellenerfassung, der keine besonders große Bedeutung zuzukommen braucht, und dem generellen Übersehen ganzer Fundgruppen als Folge erschwerter Beobachtungsmöglichkeiten, was audi trotz sorgfältiger Durchführung der Landesaufnahme sehr empfindliche Quellenlücken zur Folge haben kann. Eingeleitet wurde diese Entwicklung mit der Entdeckung der Getreidepollen durch FIRBAS (Der pollenanalytische Nachweis des Getreidebaus, Ztschr. f. Botanik 31, 1937), der audi gleich die Konsequenzen dieser Entdeckung für die Besiedlungsgeschichte erkannte. Es folgte die Entdeckung des Zusammenhanges bestimmter synanthroper Kräuter mit der Siedlungs- und Wirtschaftsweise des Menschen durch JOH. IVERSEN (Landnam i Danmarks stenalder, 1941 und The influence of prehistoric man on Vegetation, Danmarks geolog. Undersögelser IV R. 3/6 1949) und zahlreiche weitere Untersuchungen von OVERBECK, TROELSSMITH, SCHÜTRUMPF, J . MÜLLER

und

anderen.

Hingewiesen

sei n u r

auf

die

Zusammenfassung von H . SCHMITZ, Klima, Vegetation und Besiedlung, Archaeol. Geographica 2, 1952—1955, 15 ff.

30

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

[4,5]

Aus der mitteldeutschen Schule Kötzschkes stammen verschiedene Arbeiten, die durch Berücksichtigung archäologischer Funde aus dem frühen Mittelalter tief in die frühgeschichtliche Periode zurückgreifen | und mit historischen Mitteln ergänzend neben siedlungsarchäologische Untersuchungen treten 19 . Damit ist ein sehr bedeutsames Problem, nämlich die Frage des Einmündens prähistorischer Besiedlungsvorgänge in historisch erfaßbare Zustände, wesentlich gefördert worden 2 0 . Das gleiche gilt f ü r die Arbeiten aus dem Schülerkreis Aubins, der sich gerade dieses Nordseeküstengebietes besonders angenommen hat 2 1 . Auch hier scheint mir der Versuch voll geglückt zu sein, mit vorsichtig gehandhabten rückschließenden Methoden tief in Epochen ohne eigene schriftliche Uberlieferungen einzudringen. Zu welchen Ergebnissen die Verknüpfung solcher Untersuchungen mit den Ergebnissen erschöpfender archäologischer Inventarisationsarbeiten führen kann, lehren eindringlich die Arbeiten von Prange über Lauenburg 22 , Kuhlmann über Angeln 2 3 und Steffens über Stormarn 2 4 . 1B

17

Dazu W. JANSSEN, Königshagen, ein historisch-archäologischer Beitrag zur Siedlungsgeschichte des südwestlichen Harzvorlandes (ungedr.) Phil. Dissertation, Göttingen 1963; DERSELBE, Die Ausgrabungen auf der mittelalterlichen Wüstung Königshagen, Gem. Barbis, Kreis Osterode (Harz), Göttingen Jahrb. 1963, 5 9 ff. R. TÜXEN, Die Grundlagen der Urlandsdiaftsforschung. Ein Beitrag zur Erforschung der Geschichte der anthropogenen Beeinflussung der Vegetation Mitteleuropas, Nachr. aus Niedersachsens Urgeschichte 5 , 1 9 3 1 , 5 9 ff.; DERSELBE, Pflanzensoziologie und Bodenkunde in ihrer Bedeutung für die Urgeschichte. In: Urgeschichtsstudien beiderseits der Niederelbe, hrsg. v. G. S C H W A N T E S , Hildesheim 1939; DERSELBE, Stufen, Standorte und Entwicklung von Hackfrucht- und Garten- Unkrautgesellschaften und deren Bedeutung für Ur- und Siedlungsgeschichte. Angewandte Pflanzensoziologie, hrsg. v. R. TÜXEN, H. 16, 1958.

18

19

20

Zusammenfassend:

Fr.

SCHEFER-BR. MEYER,

Berührungspunkte

der

archäologi-

schen und bodenkundlichen Forschung. In: Neue Ausgrabungen und Forschungen in Niedersachsen, hrsg. v. H . JANKUHN, 1 , 1 9 6 3 , 1 ff. Von KOETZSCHKE selbst etwa: Bedeutung und gegenwärtiger Stand der siedlungsgeschichtlichen Forschung, Ztsdir. f. deutsche Bildg., 1929, 233 ff.; Thüringen in der deutschen Siedlungsgeschichte, Festchrift f. A R M I N T I L L E , Weimar 1930, 1 ff.; Sächsische Geschichte, Werden und Wandlungen eines Stammes und seiner Heimat im Rahmen der deutschen Geschichte 1, 1935. Die aus Anlaß seines 7 0 . Geburtstages von W E R N E R EMMERICH herausgegebene Festschrift „Von Land und Kultur", Leipzig 1937, enthält eine Reihe von Aufsätzen seiner Schüler und Freunde von denen nur die Beiträge von K. TACKENBERG, H . H E L B I G , W. R A D I G und W. SCHLESINGER genannt sein sollen. Aus neuerer Zeit stammen die Arbeiten von H. HELBIG, Die slavische Siedlung im sorbischen Gebiet, und von W. SCHLESINGER, Die Verfassung der Sorben, beide in der Sammelpublikation „Siedlung und Verfassung der Slawen zwischen Elbe, Saale und Oder, hrsg. von H. LUDAT, Gießen 1960. Dieses Problem war in der west- und süddeutschen Forschung sehr frühzeitig aufgegriffen worden, wie die Bearbeitung der Siedlungskunde des Trierer Landes von STEINHAUSEN und BÖHNER oder die Untersuchung des Oberen Gäues durch STOLL und die Arbeiten von W . VEECK und W E L L E R über das alemannische

[5]

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

31

D a ß enge Verbindungen der Siedlungsarchäologie mit einer nicht allein auf philologischer Basis beruhenden, sondern auch die siedlungskundlidien Gegebenheiten berücksichtigenden

Ortsnamenforschung

bestehen, m a g

nur

a m R a n d e v e r m e r k t werden. Leider verfügen wir hier im L a n d e über keine erschöpfende und kritisch gesichtete V o r l a g e des Ortsnamenmaterials, sie

etwa

die

skandinavischen

Länder

oder

Schleswig-Holstein

wie

besitzen.

Welche Bereicherung siedlungsarchäologische Untersuchungen wenigstens für die frühgeschichtliche Zeit aus einer solchen Zusammenarbeit erfahren k ö n nen, zeigen die Arbeiten v o n L a u r 2 5 und K u h l m a n n . A u f diesem W e g e ist es vielleicht auch möglich, eines der H a u p t z i e l e älterer siedlungsarchäologischer Studien aus der Zeit v o n A l b e r t Kiekebusch zu erreichen: D i e V e r knüpfung v o n Siedlungsvorgängen mit stammeskundlichen F r a g e n , wie eben erst die sehr anregende aber auch recht problematische A r b e i t v o n H a c h mann, Kossack und K u h n gelehrt h a t 2 6 .

21

22

Gebiet erkennen lassen. Audi die neuerliche Untersuchung Mittelfrankens durch DANNHEIMER (Die germanischen Funde der späten Kaiserzeit und des frühen Mittelalters in Mittelfranken, Berlin 1962) stellt gerade die Einmündung der frühen germanischen Besiedlung in die der karolingischen Zeit dar. Dieses Problem ist eng mit dem Kontinuitätsproblem verbunden (dazu von ardiaeologischer Seite: K . BÖHNER, Die Frage der Kontinuität zwischen Altertum und Mittelalter im Spiegel der fränkischen Funde des Rheinlandes, Trierer Ztschr. 19, 1950, 82 ff.). Im norddeutschen Flachland ist dieses Problem infolge der Fundlücken in der karolingisch-ottonischen Zeit vom archäologischen Standpunkt vorerst noch schwer zu bearbeiten. Im slawisch besiedelten ost-mitteleuropäischen Gebiet sind außer den obengenannten Arbeiten aus der KoETZSCHKE-Sdiule vor allem FRANZ ENGEL, Grenzwälder und slawische Burgwallbezirk in Nordmecklenburg, in: Siedlung und Verfassung der Slaven zwischen Elbe, Saale und Oder, Gießen 1960, 125 ff. und a . a . O . 115 ff. zu nennen, dazu: W. PRANGE, Die slawische Besiedlung im Kreise Herzogtum Lauenburg und vom gleichen Verfasser: Siedlungsgeschichte des Landes Lauenburg im Mittelalter, Neumünster 1960, und Vom siedlungskundlidien Wert der Altlandschaftskarte im Lande Lauenburg, in: Archaeologia Geographica 7, 1958, 20 ff. Von AUBIN selbst: Gemeinsam Erstrebtes, Rhein. Vierteljahrsblätter 17, 1952, 305 ff.; DERS. Von den Ursachen der Freiheit der Seelande an der Nordsee, Nadir, der Akademie der Wissensch, in Göttingen I. Phil.-hist. Kl. Jg. 1953, N r . 1. Aus seinem Schülerkreis soll nur auf einige Arbeiten von besonderer Bedeutung für das Problem der Überprüfung vor- und frühgeschiditlichjr Arbeitsmethoden hingewiesen werden: H . RAMM, Landschaft, Großkirchspiel und Burgvogtei. Die raumgesdiichtlidien Grundlagen des Amtes Rendsburg, Vorläufers des Kreises Rendsburg; (ungedr.) Hamburger Phil. Dissertation 1951; DERS., Zur älteren Besiedlungsgeschichte Holsteins, Ardiaeol. Geogr. 2, 1952—1955, 67 ff.; H.G.STEFFENS, Die Siedlungskontinuität im mittelalterlichen Gau Stormarn, a . a . O . 7, 1958, 2 7 f f . ; DERS., Untersuchungen über die mittelalterliche Besiedlung des Kreises Bremervörde, Göttingen 1960 (dazu H . JÄGER, Niedersächsisches Jahrbuch 35, 1963, 252 f.); H . STOOB, Die Dithmarsdier Geschlechterverbände. Grundfragen der Siedlungs- und Reditsgeschichte in den Nordseemarschen, 1951. H . PRANGE, a . a . O . ( v g l . A n m . 2 0 ) .

32

S I E D L U N G S A R C H Ä O L O G I E ALS F O R S C H U N G S A U F G A B E

[5,6]

D a ß sidi die Siedlungsardhäologie auf breiter Front mit der Siedlungsgeographie berührt, ja, daß jede siedlungsardiäologische Untersuchung zum guten Teil siedlungsgeographisch fundiert sein muß, ist eine so alte Erkenntnis, daß hier darüber kein Wort verloren zu werden braucht. Ernst Wahle, wie Albert Kiekebusch, einer der Begründer moderner siedlungsarchäologischer Forschung, hat das schon in seiner Dissertation vom Jahre 1914 eingehend begründet, und in seiner 1921 erschienenen Abhandlung über die Besiedlung Südwestdeutschlands noch einmal klar dargelegt 27 . Aus einer solchen Zusammenarbeit mit | der Archäologie werden auch geographische Teildisziplinen, wie etwa die Wüstungsforschung, Nutzen ziehen können. Eine so komplexe Erforschung der Besiedlung mündet sehr schnell schon in eine bevölkerungsgeschichtliche Problematik ein. Ich meine dabei nicht in erster Linie das Aufgreifen von Fragen ethnischer Art, obwohl diese sich dort, w o historische oder linguistische Quellen hinzutreten, auch stellen. Erst neuerdings hat die Forschung begonnen, sich audi demographischen Fragestellungen* zuzuwenden und in dieser Richtung liegen noch unausgeschöpfte Möglichkeiten 28 , für die eine auf wirtschaftsgeschichtliche Fragen des Mittelalters ausgerichtete Wirtschaftsforschung mancherlei H i l f e n bieten kann. Vor allem aber ist es die Absicherung der methodischen Grundlagen für retrospektisdie Untersuchungen zur Bevölkerungsgeschichte, die hier notwendig ist und für die wir erst am Anfang stehen. Das an Variationen

23

24

25

28

27

28

H. J. KUHLMANN, Besiedlung und Kirchspielorganisation der Landschaft Angeln im Mittelalter, Neumünster 1958 DERS.; Siedlungshistorische Untersudiungsmethoden. Die Landschaft Angeln als Beispiel. Archaeol. Geogr. 5, 1956, 33 ff. G . H . STEFFENS, a . a . O .

(Vgl. A n m . 21). Z u

d e n in d e n A n m e r k u n g e n

20

bis

24 genannten Arbeiten H . JANKUHN, Arbeiten zur älteren Siedlungsgesdiidite Schleswig-Holsteins, Archaeol. Geogr. 8/9, 1959/60, 7 ff. W. LAUR, Die Ortsnamen in Sdileswig-Holstein, Schleswig 1960. Dort finden sich zahlreiche Beispiele für eine soldie Zusammenarbeit. H . H A C H M A N N - G . KOSSACK-H. K U H N , a . a . O . ( v g l . A n m . 1).

E. WAHLE, Ostdeutschland in jungneolithisdier Zeit, ein prähist.-geographischer Versuch, Leipzig 1914; DERS., 12. Ber. d. RGK (1920) 1921, 1 ff. Die moderne landeskundlich arbeitende Geographie bedient sich in zunehmendem Maße der Ergebnisse und Methoden archäologischer Siedlungsforschung. (Dazu als Uberblick: H.JÄGER, Zur Geschichte der deutschen Kulturlandschaften, Geograph. Ztsdir. 51, 1963, 90 ff.). Hatten im Gefolge der Untersuchung STOLLS über das Gräberfeld von Hailfingen (A. STOLL, Die Alamannengräber von Hailfingen, Berlin-Leipzig 1939) zunächst soziale Probleme im Mittelpunkt der Forschung gestanden, so traten bald Fragen der Bevölkerungszahl hinzu, die auch schon bei STOLL eine Rolle gespielt haben. Erst die anthropologische Untersuchung der Skelette gestattete auch Einblicke in den Altersaufbau gewisser Populationen (dazu: U. SCHAEFER, Demographische Beobachtungen an der wikingerzeitlichen Bevölkerung von Haithabu und Mitteilung einiger pathologischer Befunde, Ztsdir. Morph. Anthropol. 47, 1955, 221 ff.; DERS., Anthropologische Untersuchung der Skelette von Haithabu, Neumünster 1963, Die Ausgrabungen in Haithabu, 4. Bd., bes. 221 ff. Demographische Bemerkungen).

[6]

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

33

reiche Verhältnis von Besiedlungskontinuität zu Bevölkerungskonstanz, oder weiter gefaßt, von Besiedlung zu Bevölkerung überhaupt, ist heute noch weitgehend ungeklärt, bildet aber eine wichtige Grundlage für jeden Versuch, aus historisch bekannten Zeiträumen bevölkerungsgeschichtliche Rückschlüsse auf ältere Perioden zu ziehen 29 . Der schon von Montelius aufgestellte Grundsatz „Kulturkontinuität bedeutet Konstanz der Bevölkerung" ist in dieser, allgemeine Gültigkeit beanspruchenden Form, schon von Kossinna eingeschränkt worden. Hier wird es noch eingehender, vorsichtiger und kritischer Untersuchungen bedürfen, bevor wir auf einigermaßen gesicherte Ergebnisse rechnen können. Eine moderne siedlungsarchäologische Forschung, soweit sie sich mit der Aufhellung von Besiedlungsvorgängen befaßt, ist also in keinem Fall mehr allein mit archäologischen Methoden zu betreiben, sondern setzt den Kontakt und die enge wissenschaftliche Zusammenarbeit mit verschiedenen Nachbardisziplinen naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Richtung voraus. Gerade auf diesem Gebiet hat das Landesinstitut für Marschen- und Wurtenforschung durch den Aufbau eines aus Archäologen, Geographen und Botanikern bestehenden festen Mitarbeiterstabes bahnbrechend gewirkt 30 . Noch in dem ersten Bande seiner Empfehlungen beklagt der Wissenschaftsrat das Fehlen solcher auf ein gemeinsames Forschungsziel ausgerichteter Forscherteams verschiedener Fachrichtungen und rät der deutschen Forschung, sich an den englischen „units" zu orientieren 31 . Hier in 29

30

31

D a ß Besiedlungskontinuität selbst an einem Platze nicht unbedingt ungebrochene Konstanz der Bevölkerung zu bedeuten braucht, lehrt eindrucksvoll das von J . WERNER gebrachte Beispiel von Varpalota (J. WERNER, Die Langobarden in Pannonien, München 1962, 21 ff.), wo auf einem Gräberfeld langobardisdier Vorbevölkerung awarische Gräber erscheinen, neben denen dann vereinzelte langobardische Frauengräber liegen und das Weiterbestehen spärlicher Reste langobardisdier Bevölkerung neben der Masse der neueingedrungenen reiternomadischen Bewohnerschicht bezeugen. Hier läßt die Verschiedenartigkeit der Tracht zwei sich ablösende ethnische Elemente deutlich voneinander scheiden. Zum Problem der Siedlungskonstanz hat P. GRIMM einen weiterführenden Diskussionsbeitrag beigesteuert: zu Fragen der Konstanz von frühgeschiditlichen Siedlungen, Ausgrabungen und Funde 3, 1957. Es schält sich immer deutlicher heraus, daß bei siedlungsarchäologischen Arbeiten drei Begriffe scharf getrennt werden müssen: Siedlungskontinuität in bestimmten Räumen, Platzbeständigkeit einzelner Ansiedlungen und Bevölkerungskonstanz. Sie sind keineswegs ohne weiteres gegeneinander austauschbar, sondern stehen in einem vielfältig variierten Verhältnis zueinander. H i e r wird der einzelne Forscher höchsten noch in der Lage sein, das Zusammenwirken der einzelnen Disziplinen zu lenken, die Arbeiten in den einzelnen Forschungszweigen werden von Spezialforschern durchgeführt werden müssen. Das setzt die Möglichkeit der verschiedenen Forschungszweige an einem Institut mit verschiedenen Abteilungen oder durch Heranziehung von Spezialforschern aus anderen Instituten, wo diese im ständigen wissenschaftlichen K o n t a k t mit ihren Spezialgebieten bleiben voraus. Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Ausbau der wissenschaftlichen Einrichtungen, Teil 1, Wissenschaftliche Hochschulen, Tübingen 1960, 44 f.

34

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

[6, 7]

Wilhelmshaven ist die Notwendigkeit einer solchen Entwicklung frühzeitig erkannt und in die Tat umgesetzt worden. Mit welchem Erfolge das geschehen ist, lehrt die Untersuchung der Feddersen Wierde. Damit komme ich zum zweiten großen Arbeitsgebiet siedlungsarchäologischer Forschung, der Untersudiung der Ansiedlungen selbst*. Die Besiedlungsgeschichte schlägt sich wissenschaftlich in Siedlungskarten nieder und in ihnen sind auf dem kartographisch gefaßten Untergrund naturräumlicher Voraussetzungen die Ansiedlungen selbst meist mit einheitlichen Signaturen markiert. Will man über das flächenhafte Siedlungsbild einer solcher Karte hinaus den anthropogenen Anteil an der Umgestaltung der natürlichen Landschaft richtig einschätzen, dann ist es notwendig, eine Vorstellung davon zu gewinnen, was sich an historischer Realität hinter einem solchen Symbol verbirgt, und das ist immer nur — wenn auch nicht allein — durch Ausgrabungen möglich 32 . Solche Grabungen auf Siedlungsplätzen haben schon sehr | frühzeitig eingesetzt, aber sie standen im mitteleuropäischen Gebiet wenigstens — wenn man von den Schweizer Pfahlbauuntersuchungen vielleicht absieht — zunächst ähnlich wie die Untersuchungen der Gräberfelder unter dem Gesichtspunkt der Fundgewinnung. Erst eine verfeinerte Ausgrabungstechnik, die es gestattete, auch Reste der hierzulande fast allein üblichen Holzbauten zu erkennen, leitete zu Anfang unseres Jahrhunderts systematische größere Siedlungsgrabungen ein. Umfang und Zielsetzung solcher Untersuchungen waren und sind teilweise auch heute noch verschieden. Der hohe Mittelbedarf bei solchen Grabungen gestattete vielfach nur kleine Teiluntersuchungen und dort, wo es gelang, ganze Häuser freizulegen, standen Fragen des Hausbaues in ihrer Bedeutung für stammesgeschichtliche Zusammenhänge vielfach im Vordergrund 33 . Daneben trat schon früh bei der Untersuchung des bronzezeitlichen Dorfes Buch in der Nähe von Berlin durch Albert Kiekebusch der Wunsch auf, nicht nur Fragmente solcher Ansiedlungen, sondern ganze Dörfer zu untersuchen 34 . In diesem Sinne wurden die befestigte Höhensiedlung auf dem Goldberg bei Nördlingen durch Bersu und das neolithische Dorf KölnLindenthal durch Buttler ausgegraben. 3-

Daß eine sorgfältige Geländebegehung zusammen mit der Auswertung des bekannten Fundmaterials hier o f t schon ohne Grabungen recht umfassende Vorstellungen vermittelt, mag als Beispiel der Siedlungskomplex von Klappholz, Kreis Schleswig, zeigen, w o außer der Siedlungsstelle eines Dorfes der Urnenfriedhof dazu, ein Teil der Ackerflur, Eisenverhüttungsplätze am Rande der Siedlung und Raseneisenerzlager zur Deckung des Rohstoffbedarfes festgestellt werden

33

34

konnten

( H . JANKUHN,

37/38.

Ber.

d.

RGK

1956/57,

199

Abb. 13).

Größere Klarheit allerdings würde sich in solchen besonders günstigen Fällen nur durch eine Grabung gewinnen lassen. Damit sdiloß sich die Vorgesdiiditsforsdiung einer Fragestellung an, die mindestens in der deutschen Bauernhausforschung langer Zeit hindurch die wissenschaftlichen Arbeiten bestimmte. A . KIEKEBUSCH, Das bronzezeitliche Dorf Buch bei Berlin, 1914. DERS., in: Eberts Reallexikon Bd. 2 s. v. Buch.

[7]

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

35

Hier hat sich heute die Auffassung durchgesetzt, daß nur die Aufdeckung ganzer Ansiedlungen den Einsatz großer Mittel und zahlreicher wissenschaftlicher Kräfte rechtfertigt. Auch darin hat sich gegenüber der Zeit zwischen den Kriegen ein Wandel vollzogen, daß auch in diesem Bereich siedlungsarchäologischer Forschung nicht mehr ohne eine enge Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen auszukommen ist. In welchem Umfang unsere Kenntnis von der Umwelt des Menschen, von seiner Auseinandersetzung mit ihr und von ihrer Umgestaltung durch die Wirtschaft des Menschen nicht nur durch die Pollenanalyse, sondern auch durch die Untersuchung makroskopischer Pflanzenreste ausgeweitet worden ist, haben gerade die Untersuchungen von Frau Körber hier in Wilhelmshaven deutlich aufgezeigt 35 . Dazu kommt neben manchen anderen Disziplinen vor allem die Zoologie, die uns genaue Kenntnis von der Haustierhaltung, von J a g d und Fang als wirtschaftlicher Grundlage menschlichen Lebens vermittelt hat 36 . Auch das Kennzeichen moderner Siedlungsuntersuchungen ist, wie schon oben für die besiedlungsgeschichtlichen Forschungen bemerkt wurde, die Komplexität der Untersuchungsmethoden, die den Rahmen der einzelnen Disziplinen sprengen, bei uneingeschränkter Aufrechterhaltung historischer Fragestellungen im weitesten Sinne. Der große A u f w a n d an Mitteln, der für solche Ausgrabungen notwendig ist, zwingt zu Konzentration und weitschauender Planung. Daß das zu einer Grundregel der archäologischen Siedlungsforschung im norddeutschen Flachland geworden ist, verdanken wir der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Sie hat der Forschung im Bereich der Nordseeküste und ihres weiteren Hinterlandes im Rahmen des auf eine Initiative von Wolfgang Treue zurückgehenden Nordseeküstenplanes beträchtliche Summen aus ihrem Schwerpunktprogramm für eine systematische Ausweitung der Siedlunguntersuchungen zur Verfügung gestellt, und wir können nach deren Abschluß eine entscheidende Ausweitung unserer Kenntnis vom Siedlungswesen des ersten nachchristlichen Jahrtausends erhoffen 37 .

35

3,1

37

Eine Zusammenstellung der Arbeiten v o n Frau U . KÖRBER-GROHNE findet sich in Nachrichten aus Nieders. Urgesch. 32, 1963, 32 f. Die Haustierzoologie hat hier neben der anatomisch-morphologisdien Bearbeitung durch die Anwendung statistischer Methoden auch zur Wirtschaftsweise vorgeschichtlicher Epochen wichtige Beiträge geleistet. Ich erwähne an Stelle vieler hier aufzuzählender Arbeiten die Untersuchung v o n G . NOBIS, Die Haustiere v o n Tofting, in: A . BANTELMANN, Tofting, eine vorgeschichtliche W a r f t an der Eidermündung, Neumünster 1 9 5 5 , 1 1 4 ff. Ebenso könnte auf die Arbeiten v o n BOESSNECK und seinen Schülern über Tierreste aus neolithisdien Ansiedlungen oder v o n der Grabung Manching verwiesen werden. Sehr instruktiv ist auch die Bearbeitung der Tierknochen v o n Qalat J a r m o durch Ch. REED. W . TREUE, Das Nordsee-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Untersuchung eisenzeitlicher Siedlungen im norddeutschen Flachland, Nadir, a. Niedersachsens Urgesch. 30, 1 9 6 1 , 3 ff.

36

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

[7, 8]

Diese jetzt systematisch betriebene A u s g r a b u n g ganzer Ansiedlungen sollten in Z u k u n f t durch die Untersuchung der Elemente e r g ä n z t werden, die zu diesen D ö r f e r n gehören, ohne direkt in ihnen zu liegen, ich meine der Friedhöfe, der W e r k p l ä t z e und der Ackerfluren 3 8 . Wenn m a n v o n einigen wenigen Beispielen | in S k a n d i n a v i e n , wie etwa V a l l h a g e r auf G o t l a n d 3 9 oder Sostelid in N o r w e g e n 4 0 absieht, ist eine solche k o m p l e x e U n t e r suchung im Siedlungsbereich germanischer S t ä m m e bei uns noch nicht durchg e f ü h r t w o r d e n , o b w o h l es a n geeigneten O b j e k t e n auch in M i t t e l e u r o p a nicht fehlt. D i e heute bei der Untersuchung v o n F r i e d h ö f e n a n g e w a n d t e g r a b statistisch-demographische M e t h o d e m i t ihren Möglichkeiten z u r R e k o n struktion des Bevölkerungsbildes u n d der S o z i a l s t r u k t u r v o n Siedlungsgemeinschaften w ü r d e in einer K o p p e l u n g m i t der Freilegung der Ansiedlungen selbst ein erstaunlich vollständiges B i l d einer solchen G e m e i n d e ergeben. W ü r d e m a n der Untersuchung eines solchen D o r f e s noch die seiner Ackerflur einfügen, wie sie im subfossilen Z u s t a n d auch heute noch an vielen Stellen erhalten ist, u n d die Erschließung v o n W e r k p l ä t z e n auch außerhalb der Siedlungen selbst mit in das F o r s c h u n g s p r o g r a m m einbeziehen 4 1 , d a n n w ü r d e sich der P u n k t auf einer Siedlungskarte zu dem u m f a s s e n d e n B i l d 33

Während die Grabung auf Friedhöfen zur allgemeinen Routinearbeit der Vorgesdiiditsforsdiung gehört, ist die Vermessung und Untersuchung vorgeschichtlicher Ackerflächen immer noch eine Ausnahme. Das bisher am besten aufgenommene Material hat GUDM. HATT vorgelegt (Oldtidsagre, Kopenhagen 1949). Die in Deutschland begonnene Arbeit (H. JANKUHN, Ackerfluren der Eisenzeit und ihre Bedeutung für die frühe Wirtschaftsgeschichte, 37/38. Ber. d. R G K 1956/57, 148 ff.) ist steckengeblieben — wenigstens im Bereich der ardiäol. Forschung. Von geographischer Seite dazu; M.BORN, Siedlungsentwicklung am Osthang des Westerwaldes, Marburg 1957; K . SCHARLAU, Ztschr. f. Agrargesdi. u. Agrarsoziologie 5, 1957, 13 ff.; K . A. SEEL, Marburger geograph. Schriften 17, 1963; DERSELBE, Zeitschr. f. Agrargesch. u. Agrarsoziologie, 1962, 158 f f . ; DERSELBE,

30

40 41

Bonner

Jahrbücher

162,

1962,

455 ff.;

M . MÜLLER-WILLE,

XVII,

1950/51,

Westfälische Forschungen, 16, 1963, 5 ff. M. STENBERGER-OLE KLINDT-JENSEN, Vallhager, a migration period Settlement on Gotland/Sweden, 2 Bde., Kopenhagen 1955. A. HAGEN, Studier i jernalderens gardssamfunn, Oslo 1953. Hier wird in erster Linie an die Rohstoffgewinnung und -Verarbeitung gedacht. Als Beispiel für die Möglichkeiten, die sich hier einer systematischen Forschung bieten, sei auf die Erforschung der Feuersteingruben von Krzemionki, Kreis Opatow, in Polen (St. Krukowski, Krzemionki Opatowskie, Wariawa 1939; vgl. auch M. JAHN, Der älteste Bergbau in Europa, Berlin 1960, 43 ff.) und die Grabungen auf der zugehörigen Siedlung bei Cmielow an der Kmienna (ZOFIA PODKOWINSKA, W i a d o m o s c i

Ardieologiczne

95 ff.

mit

engl. Zusammenfassung 141 f.) verwiesen Für die Eisenzeit bietet die Gewinnung und Verarbeitung von Eisen in und bei Ansiedlungen ein wichtiges Fundproblem, wie die Untersuchungen PLEINERS lehren (Zaklady slovanskeko Zlezarske ho hutnictri o ceskych zemich, Prag, 1958). Salzgewinnung und Kupfererzbau stellen andere Möglichkeiten dar und bieten lohnende Forschungsobjekte.

[8]

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

37

einer menschlichen Ansiedlung früher Zeit ausweiten, wie wir sie in solcher Vollständigkeit sonst erst aus wesentlich jüngeren Zeiten kennen. H i e r stehen noch nicht in Angriff genommene Aufgaben siedlungsgeschichtlicher Forschung vor uns, für die die Forschung methodisch durchaus vorbereitet ist und für die es an geeigneten Objekten nicht mangelt. Betrachtet man noch einmal abschließend und zusammenfassend den hier behandelten K o m p l e x der Siedlungsardiäologie im Hinblick auf Problemstellung, Methode und zukünftige Möglichkeiten, so fällt als ein Kennzeichen der Entwicklung in den letzten Jahren der weit über die Grenzen der Einzeldisziplin hinausgreifende Charakter dieser Forschungsrichtung ins Auge. Gerade dafür hat das Institut, dessen 25jähriges Bestehen wir heute hier begehen, bahnbrechend gewirkt 4 2 . Die Erforschung der einzelnen Ansiedlung läßt sich von der der Siedlungsvorgänge, in die sie eingebettet ist, nicht trennen. Das Ergebnis solcher Untersuchungen ist, wie die Grabungen in Feddersen Wierde, in Elisenhof und neuerdings auch in Gielde gezeigt haben, nicht nur eine wesentliche Bereicherung unserer K e n n t nis vom Siedlungswesen der Frühzeit ganz allgemein, sondern die Gewinnung einer zum Teil erstaunlich detaillierten Vorstellung von der W i r t schaft und der sozialen Struktur einer solchen Siedlungsgemeinschaft. D a m i t ist die siedlungsarchäologische Forschung in ihrer modernen F o r m neben die ältere Betrachtungsweise der „Kulturgruppenarchäologie" getreten und ergänzt das von dieser vermittelte Bild im Hinblick auf Siedlungswesen und Wirtschafrtform in idealer Weise. Wenn es mit dieser Methode gelänge, die heute vielfach noch zwischen der Siedlungsgeschichte der Eisenzeit und der des hohen Mittelalters k l a f fende Lücke zu schließen, wäre ein Desiderat nicht nur der Siedlungsardiäologie, sondern auch der Siedlungsgeschichte erfüllt 4 3 . Würde es gelingen, das Siedlungswesen des ersten nachchristlichen Jahrtausends, auf das sich die Bemühungen der Archäologie in Norddeutschland und Skandinavien im Augenblick konzentrieren, mit seinen in weit ältere Zeit zurückreichenden Wurzeln zu verknüpfen, dann würde man auch auf dem Gebiet der Siedlungsforschung zu einer echten Ausweitung des Geschichtsbildes in vorgeschichtliche Epochen gelangen. H i e r stehen noch lohnende Forschungsvorhaben vor uns und harren der Inangriffnahme"'. Ith möchte dem heute sein Jubiläum feiernden Institut nicht nur Glückwunsch und D a n k der seiner Arbeit menschlich und wissenschaftlich nahestehenden Forschung aussprechen, sondern auch der Hoffnung Ausdruck geben, daß es auch im zweiten Vierteljahrhundert seines Bestehens nicht in Routinearbeit erstarren, sondern vielmehr weiterhin die siedlungsarchäolo42

43

Die Zusammenarbeit vornehmlich mit naturwissenschaftlichen Disziplinen beginnt allerdings bei der Siedlungsforsdiung viel früher. Dafür sei nur auf die Untersuchung an Schweizer „Pfahlbauten" seit der Mitte des 19. Jahrhundert oder an die Grabungen im Federsee-Moor erinnert. Dazu vgl. Anm. 20.

38

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

[8, 9]

gische Problematik und die zu ihrer Bewältigung notwendige Methodik wie bisher durch das Beschreiten neuer Wege bereichern möge. |

Nachträge

Zur Frage der „siedlungsarchäologischen Methode" in dem Sinne, wie sie Kossinna und seine Schüler benutzten und wie sie von Erich Blume als „ethnographische Methode" in die Forschung eingeführt wurde, ist kürzlich erneut in einem kurzen Aufsatz von R. Pittioni, Zum Herkunftsgebiet der Kelten S. B. d. österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil.Hist. K l . Bd. 233, 3. Abh., Wien 1959 Stellung genommen worden. Zur Methode Kossinnas hat H . - J . Eggers in der Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden, R . Oldenburg Verlag, München-Wien 1974 erneut Stellung genommen. Die weitergehende Diskussion dieser „ethnographisdien Methode" betrifft aber die „Siedlungsarchäologie" überhaupt nicht.

Die demographische Betrachtungsweise als Ergänzung siedlungsarchäologischer Untersuchungen ist vor allem durch ungarische Forscher wie Acsadi und Nemeskeri oder auf schwedischer Seite durch Gejvall gefördert worden. Einen guten Überblick über den heutigen Stand der Forschung bieten; J . Nemeskeri, Die archäologischen und anthropologischen Voraussetzungen paläodemographischer Forschungen, Prähist. Zeitschr. 47, 1972, 5 ff. und P. Donat und H . Ullrich, Einwohnerzahlen und Siedlungsgrößen der Merowingerzeit, Zeitschr. f. Archäol. 5, 1971, 234 ff. dazu der kurze Uberblick unter dem Stichwort „Bevölkerung" in Hoops, Reall. 2. Aufl. Bd. 2, 1974, 331 ff.

Untersuchungen, die über die Ansiedlungen selbst auch auf die Erforschung des unmittelbar wirtschaftlich genutzten Umlandes solcher Ansiedlungen ausgreifen, sind im letzten Jahrzehnt an verschiedenen Stellen in Mitteleuropa in Angriff genommen worden, wobei von Vorhaben zu Vorhaben doch durchaus unterschiedliche Probleme verfolgt werden können. Dabei ist zunächst das Vorhaben „Gristeder Esch" zu nennen, über das D . Zoller einen vorläufigen Abschlußbericht vorgelegt hat, vgl. Neue Ausgrabungen und Forschungen in Niedersachsen Bd 9, 1975. Hier stand nicht nur die Verknüpfung der eisenzeitlichen mit der mittelalterlichen Besiedlung im Mittelpunkt des Forschungsinteresses, sondern auch die Problematik der zu den einzelnen Ansiedlungen gehörenden Fluren und die Frage der Rohstoffversorgung mit Eisen. Die Erforschung einer von Marsch und Niederungen umgebenden Siedlungsinsel bei Archsum auf Sylt zielt auf die Frage der Kontinuität zwischen eisenzeitlichen, frühmittelalterlichen und hochmittel-

[9]

SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE ALS FORSCHUNGSAUFGABE

39

alterlichen Dörfern ab. Die Untersuchung einer Siedlungskammer bei Flögeln im Elbe-Weser-Dreieck endlich verfolgt eine sehr komplexe Fragestellung von Siedlungsform und Kontinuität, Ackerflur, Rohstoffgewinnung und politischer Organisation, vgl. P. Schmid—K. E. Behre—W. H. Zimmermann, Die Entwicklungsgeschichte einer Siedlungskammer im Elbe-WeserDreieck seit dem Neolithikum, Nachrichten aus Niedersadisens Urgeschichte, Bd. 42, 1973, 97 ff. An weiteren Untersuchungen ähnlicher Art wären die Erforschung der slawisch-deutschen Zusammenhänge im ostholsteinischen Gebiet um Bosau und die Verfolgung germanisch-slawisch-deutscher Beziehungen im Hannoverschen Wendland zu nennen. Sie alle beziehen sowohl die Besiedlungsgeschichte kleinerer Siedlungslandschaften wie die Ansiedlungen selbst mit ihren Aussagen zu Wirtschaft und Gesellschaftsordnung in die Fragestellung ein.

In der Verfolgung von Besiedlungsvorgängen über größere Gebiete hat vor allem die Untersuchung B. Sielmanns über das Neolithikum zur Gewinnung neuer methodischer Ansätze geführt, vgl. B. Sielmann, Der Einfluß der Umwelt auf die neolithische Besiedlung Südwestdeutschlands unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse am nördlichen Oberrhein, Acta Prähistorica et Archaeologica, Bd. 2, Berlin 1971, 65—197 und B. Sielmann, Die frühneolithisdie Besiedlung Mitteleuropas, in: H. Schwabedissen (Hrsg.) Die Anfänge des Neolithikums vom Orient bis Nordeuropa, Teil Va Westliches Mitteleuropa bearbeitet von Jens Lüning, Köln-Wien 1972, 1—65. In beiden Arbeiten versucht Sielmann, die neolithische Besiedlung auf Siedlungsräume unterschiedlicher kleinklimatischer Bedingungen zu projizieren. Dabei berücksichtigt er die menschliche Reaktion auf das Relief, auf die Bodenarten, auf das Gewässernetz, auf das Klima und auf die natürliche Vegetation. Wenn er dabei unterstellt, daß die heutigen naturräumlichen Verhältnisse über 6—7 Jahrtausende zurückprojiziert werden können, so wird man ihm dabei nicht gerne folgen wollen (vgl. S. 4 ff.). Die sorgfältige kleinklimatische Analyse der einzelnen Siedlungsräume aber stellt einen wesentlichen methodischen Fortschritt dar, und die Herausarbeitung zweier verschiedener ökologiekreise bei der ältesten Bandkeramik zeigt mindestens grundsätzlich, welchen Erkenntnismöglichkeiten dieser neue methodische Ansatz erschließt.

[28, 29]

SIEDLUNGSGESCHICHTE UND POLLENANALYSE IN ANGELN [Offa, Berichte und Mitteilungen aus dem schleswig-holsteinischen Museum vorgeschichtlicher Altertümer in Schleswig und dem Institut für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Kiel, Band 10, 1955, S. 28—45]

I. D A S PROBLEM 1

Jede nach siedlungsgeschichtlichen und siedlungsgeographischen Gesichtspunkten arbeitende archaeologische Landesforsdiung, also jede siedlungsarchaeologische Betrachtungsweise im eigentlichen Sinn des Wortes 2 , ist auf die Funde und Denkmäler angewiesen, die bis heute bewahrt und zur Kenntnis der Forschung gelangt sind. Dabei ist zu bedenken, daß der Aussagewert der einzelnen Fundgattungen für die alte Siedlungsgeschichte ein durchaus verschiedener sein kann. So sicher einzeln gehobene und in primärer Lagerung beobachtete Funde Zeugnisse für die Anwesenheit von Menschen darstellen, so fraglich ist ihr Quellenwert für die Besiedlungsgeschichte. Sie können Hinweise auf ein flüchtiges Durchstreifen einer Landschaft durch den Menschen bilden, können aber auch, wenn es sich bei ihnen um Teile unerkannter größerer Komplexe handelt, Beweise für eine längerdauernde Anwesenheit von Menschen darstellen. Solange also die Fundumstände | bei einzeln gemachten Funden nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt sind, bleibt ihr Aussagewert für die Geschichte der Besiedlung einer Landschaft unter Umständen fraglich. Anders bei Gräberfeldern und Siedlungen. Friedhöfe beweisen fast immer die Ansässigkeit einer größeren oder kleineren Menschengruppe für eine gewisse Zeit in der Nähe des Fundplatzes. Auch bei Siedlungen läßt sich Dauer und Umfang menschlicher Niederlassung fast immer durch eine Ausgrabung klären. 1

2

D i e K a p i t e l I u n d II sind v o n H . JANKUHN u n d R . SCHLÜTRUMPF gemeinsam

bearbeitet. Das Kapitel III stammt von H. Jankuhn, das Kapitel IV v o n R. Sdiütrumpf. Die Bezeichnung Siedlungsarchäologie ist hier nicht in dem verengten Sinne gebraucht, den die Schule von G. Kossinna dem Wort beigelegt hat (vgl. auch A. KIEKEBUSCH bei Ebert, Reallexikon, Bd. XII, 102, s. v . Siedlungsarchäologie), sondern wird zur Bezeichnung einer Forschungsrichtung gebraucht, die im Sinne der Siedlungsgeschichte und Siedlungsgeographie mit dem archäologischen Quellenstoff arbeitend die Besiedlungsgeschidite einzelner Landschaften in der Frühzeit zu erforschen bestrebt ist.

[29]

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Umstrittener schon ist der Quellenwert der Depotfunde für die Besiedlungsgeschichte, nachdem sich an einzelnen Stellen ergeben hat, daß die „Depotfundlandschaften" sich nicht immer mit den aus den Gräberfeldern erschließbaren gleichzeitigen Siedlungsgebieten decken3. Bei dem derzeitigen Stand der Forschung in Mitteleuropa ergibt sidi, daß besiedlungsgeschichtliche Untersuchungen sich überwiegend auf Grabfunde stützen müssen, und das ist auch für große Teile Skandinaviens der Fall, da eine entsprechende Anzahl guter Siedlungsuntersuchungen in den meisten Landschaften fehlt. Eine sidi im wesentlichen auf Gräberfunde stützende Siedlungsarchaeologie sieht sich in verschiedenen Landschaften Mittel- und Nordeuropas vor die Tatsache gestellt, daß Grabfunde für einzelne Perioden ganz oder doch fast ganz fehlen, und daß auch andere sicher auf die Ansiedlung von Menschen deutende Funde nicht vorhanden sind. Das ist etwa bei einzelnen Perioden der vorrömischen Eisenzeit in Schweden der Fall 4 . Die Ausdeutung dieses an sich von allen Forschern anerkannten Tatbestandes ist in ganz verschiedener Richtung erfolgt. Einerseits hat man unter Hinweis auf die Tatsache, daß keinerlei andere plausible Erklärung für diese Erscheinung gegeben werden könne, aus dem Abbrechen der Friedhöfe auf eine Abwanderung oder ein Aussterben der Bevölkerung geschlossen, also bevölkerungsgeschichtlich sehr bedeutsame Schlußfolgerungen daran geknüpft 5 . Andererseits hat man geglaubt, die Fundlüdke in der vorrömischen Eisenzeit mit einer Forschungslücke erklären zu können 6 . Sofern die Arbeitshypothese einer Abwanderung nicht durch andere, gewagtere Hypothesen ersetzt wurde 7 , lagen die Versuche einer Deutung der Fundlücke besonders in zwei Richtungen. Einmal hielt man die Fundlücke für nur scheinbar und erklärte sie durch Fehldatierung vorhandener Funde, die an sich in die Zeit der Fundlücke gehörend fälschlich anderen Zeitstufen zugerechnet würden 8 . So hat es nicht an Versuchen gefehlt, die 3

H . HOFFMANN, Die Gräber der jüngeren Bronzezeit in Holstein. 1938, S. 49 f.

4

G . EKHOLM in E b e r t ,

5

Reallexikon

Bd. IX,

0

H . ARBMAN, a. a. O .

7

K . E . SAHLSTRÖM



N.

G.

GEJVALL,

socken, Västergötland, Stockholm 1948.

8

s. u . N o r d i s c h e r

Kreis;

H . ARBMAN,

Zur Kenntnis der ältesten Eisenzeit in Schweden, Acta Arch. 5, 1934, S. 1 ff. G . SCHWANTES, Die Hausurne von Seedorf und ihre Zeit. Altonaisdie Zeitschrift, Bd. 4, 1935; DERS., Germanische Völkerwanderungen von Christi Geburt. 1. Nord. Thing. Bremen 1933; DERS., Die suebische Landnahme, Forsch, u. Fortsdir. 9, 1933, S. 187 f.; DERS., Die Jastorf-Zivilisation, Reinecke-Festschrift 1950, S. 119 ff.

H . ARBMAN,

a.a.O.

S. 4 2 ;

J.BECKER,

Gravfältet Die

zeitliche



Kyrkbacken

Stellung

des

i

Horns

Hjortspring-

fundes innerhalb der vorrömischen Eisenzeit Dänemarks, Acta Arch. 19, 1948, S. 1 4 5 ff.

42

SIEDLUNSGESCHICHTE UND POLLENANALYSE

IN ANGELN

[29, 30]

nur durch sehr wenige Funde belegte Periode II der vorrömischen Eisenzeit in dem chronologischen System von Oscar Montelius dadurch zu füllen, daß man bisher anders datierte Funde diesem Abschnitt zuwies. Zum anderen glaubte man eine reine Forschungslücke annehmen zu müssen. Für eine solche Möglichkeit sprachen Beobachtungen bei den Siedlungsverhältnissen der vorrömischen Eisenzeit in Jütland 9 . Sowohl für den älteren Teil dieser Periode, wie erst recht für ihren jüngeren Abschnitt verteilen sich die Gräberfelder nicht einheitlich über die ganze Halbinsel, sondern lassen einen breiten Streifen an der Westküste des Landes zwischen dem RingkjöbingFjord im Süden und dem Limfjord im Norden entweder unbewohnt oder doch nur sehr dünn besiedelt erscheinen10. | Die Entdeckung alter Äcker und ihre systematische Erschließung durch Gudmund Hatt 1 1 führte zu der Erkenntnis, daß diese meist der vorrömisclien Zeit angehörenden Äcker teilweise gerade in den Gebieten festgestellt werden konnten, die nach Ausweis der Grabfunde als un- oder dünnbesiedelt gelten mußten 12 , hier also selbst in einem Lande mit so hohem Forschungsstand, wie ihn Dänemark besitzt, das aus Grabfunden erschlossene Siedlungsbild sehr unvollständig war. Eine Siedlungsforschung, die sich nur auf Grabfunde hätte stützen können, müßte hier für große Teile Westjütlands eine „Siedlungslücke" annehmen. Was für Westjütland festgestellt werden konnte, kann natürlich grundsätzlich audi bei anderen Landschaften möglich sein, bei denen eine Kontrolle der Gräberkarten durch Siedlungen oder Äcker nicht gegeben ist. Und daß auch in anderen Gebieten das Fehlen von Grabfunden nicht einer Siedlungsleere zu entsprechen braucht, lehrt ein Blick auf die Besiedlungskarten der Nordseemarschen, wo einer Fülle von Wurten- und Flachsiedlungen nur äußerst wenige Grabfunde entsprechen. Man wird also in der Tat einräumen müssen, daß die Ausdeutung von Fundlücken als Siedlungslücken zwar eine mögliche Erklärung eines unbestrittenen Tatbestandes darstellt, keineswegs aber immer die einzig richtige. Die Forschung steht in solchen Fällen also jedesmal vor der Frage: stellt eine Fundlücke eines Gebietes in irgendeiner Epoche eine Siedlungslücke oder eine Forschungslücke dar? Die neueren Erkenntnisse der Vegetationsforschung schienen eine Möglichkeit zu bieten, diese Frage von einer ganz anderen Basis aus zu klären und evtl. einer Entscheidung zuzuführen. Eine große Anzahl historisch-pflanzengeographischer Arbeiten auf pollenanalytischer Grundlage hatte in den 20er und 30er Jahren zunächst die • D a z u vgl. J . BRBNDSTED, Danmarks Oldtid, Bd. III, 1940, S. 1—102. 19

J . B R 0 N D S T E D , a . a . O . S . 2 1 , A b b . 8, u n d S . 4 9 , A b b . 3 4 .

11

G. HATT, Oldtidsagre, Ergebnisse.

12

J . BR0NDSTED, a. a. O . S . 71, A b b . 51.

1949, bringt eine Zusammenstellung

aller

bisherigen

[30,31]

SIEDLUNSGESCHICHTE

UND POLLEN AN ALYSE IN

ANGELN

43

Grundzüge der natürlichen Waldentwicklung Mittel- und Nordeuropas geklärt, soweit sie klimatisch bedingt ist. Die spätere Berücksichtigung der Nichtbaumpollen ermöglichte dann auch Schlüsse über die Walddichte. Die großen geschichtlichen Rodungsperioden und die Auswirkungen der Forstwirtschaft ließen sich ebenfalls in großen Zügen erkennen. Der Einfluß des Menschen auf die natürliche Vegetation — sofern dieser in vorgeschichtlichen Perioden noch nicht so durchgreifend und nachhaltig war — entzog sich jedoch unserer Kenntnis, bis es Firbas (1937) 1 3 gelang, die Pollenkörner der Getreide wenigstens innerhalb der Gattung eindeutig zu diagnostizieren und von den Wildgraspollen abzusondern. Seitdem Firbas (1937) an H a n d von mehreren Moorprofilen aus dem Fichtelgebrige auch zeigen konnte, daß sich dort seit Beginn der Besiedlung in den ersten nachristlichen Jahrhunderten ein allmähliches Ansteigen der vorher noch ganz fehlenden Getreidepollen feststellen läßt, hat der enge Zusammenhang zwischen Siedlunggeschichte und Getreidekurve durch eine Reihe von pollenanalytischen Arbeiten aus den verschiedensten Gebieten bestätigt werden können. Die einzelnen Perioden menschlicher Besiedlung in vorgeschichtlicher und historischer Zeit zeichnen sich je nach Art und L a g e des Untersuchungsgebietes durch stärkeres Auftreten von Getreidepollen in geschlossener K u r v e aus, während diese in Epochen der Siedlungsleere auf geringe Einzelwerte absinken oder gänzlich im „Pollenspektrum" fehlen. Iversen (1941 und 1949) und Troels-Smith (1942) haben durch eine Reihe von Untersuchungen in dänischen Mooren den Beweis erbringen können, daß darüber hinaus einige Pollentypen der Unkraut- und Ruderalflora (Plantago Artemisia, Rumex u. a.) bei kritischer Auswertung ebenfalls als „Siedlungsanzeiger" verwendbar sind. Auf diese Weise konnte im letzten Jahrzehnt der Ackerbau durch die verschiedenen vorgeschichtlichen Kulturperioden bis ins Neolithikum zurückverfolgt werden. Bei der vorliegenden pollenanalytischen Untersuchung handelt es sich darum festzustellen, ob auch bei den nur während weniger Jahrhunderte unterbrochenen Siedlungsperioden der Eisenzeit die Kurven von Getreide und sonstigen „Kulturpollen" wesentliche Veränderungen zeigen, das heißt, festzustellen, ob auch kurzfristige Besiedlungen im Pollendiagramm | erfaßbar sind. Andererseits würde sich im bejahenden Fall u. U . eine neue Möglichkeit ergeben, den langen, waldgeschichtlich recht einförmigen Abschnitt des Subatlantikums zunächst örtlich zeitlich zu unterteilen, um dann nach Ausschaltung des menschlichen Einflusses regionale Unterschiede in der natürlichen Vegetationsentwicklung während des jüngsten Abschnittes der Nacheiszeit besser herausarbeiten zu können. Die Landschaft Angeln wurde als Beispiel deshalb gewählt, weil der archäologische Forschungsstand hier ein verhältnismäßig hoher ist und trotz der recht zahlreichen Grabfunde aus der Eisenzeit sich im Material deutlich 13

FIRBAS — siehe Literaturverzeichnis zu K a p . I V auf Seite 45.

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SIEDLUNSGESCHICHTE UND POLLENANALYSE IN A N G E L N

[31, 32]

zwei fundleere bzw. fundarme Horizonte, nämlich in der ältesten Eisenzeit und im frühen Mittelalter abhoben. Audi die sehr gewissenhaft durchgeführte archäologische Landesaufnahme im Nordteil dieser Landschaft hat die genannten Fundlücken nicht schließen können, so daß bei dem derzeitigen Stand der Forschung diese Tatsache als gegeben hingenommen werden darf. Da alles, was über die Wirtschaftsform dieser Epoche im nördlichen Mitteleuropa bekannt ist, darauf hindeutet, daß neben der Viehzucht auch der Ackerbau zur Lebensgrundlage der Menschen gehört hat und in Angeln keinerlei Anzeichen dafür vorliegen, daß die Verhältnisse hier anders gelagert waren, schien eine Untersuchung darüber, ob die Getreidepollenkurve im eisenzeitlichen Teil des Diagramms ununterbrochen durchläuft oder zeitweise stark absinkt bzw. sogar ganz verschwindet, besonders aufschlußreich.

II. DIE LANDSCHAFT ANGELN

Da die Landschaft die Grundlage für eine Beurteilung der eisenzeitlichen Besiedlungsverhältnisse bildet, ist eine kurze Darstellung der morphologischen Gegebenheiten und der sonstigen siedlungsgeographischen Voraussetzungen notwendig 14 . Angeln ist ein Teil der Jungmoränenlandschaft. Zwei Moränenbögen verlaufen im Großen gesehen parallel zur Küste; der östliche, zusammenhängende von Flensburg über Rüllschau, Grundhof, Ahneby bis in die Gegend von Röst westlich von Kappeln 15 . Dieser Höhenrücken bildet die Wasserscheide zwischen der Ostsee und der zur Nordsee fließenden Treene. Die Höhe steigt fast überall über die 40 m-Linie auf. Nur zwischen Sörup und Sterup verläuft eine paßartige Einsattelung, die unter der 40-m-Linie bleibt. Dieser „Paß" wird bei seinem Austritt in die Küstenebene nördlich von der höchsten Erhebung Angelns, dem Schersberg, flankiert. Der westliche Moränenzug ist durch Gewässerrinnen stark zerteilt und besteht aus drei Kuppen bei Süderschmedeby, Klappholz und östlich von Lürschau. | Trotz der verhältnismäßig einheitlichen Ausformung der Landschaft durch den Gletscher der letzten Vereisung ist die Qualität des Bodens eine durchaus verschiedene 16 (Abb. 1). 14

15

18

Dazu vgl. G.PFEIFER, Das Siedlungsbild der Landschaft Angeln. Breslau 1928; H . JANKUHN, J a h r b u c h des A n g l e r H e i m a t v e r e i n s , Jg. 1 9 5 0 , S. 6 0 — 6 3 . G . PFEIFER, a. a. O., K a r t e 1.

G. PFEIFER, a. a. O., Karte 2. Da die geologische Landesaufnahme für Angeln noch nidit vorliegt, und das Ergebnis der neuen Bonitierung noch nicht zugänglich ist, bilden ältere, ungenaue Karten die einzige Grundlage für einen Überblick über die Bodenbeschaffenheit Angelns, vgl. H. JANKUHN, a. a. O. S. 130, Anm. 1 5 .

[32]

SIEDLUNSGESCHICHTE U N D POLLENANALYSE I N ANGELN

45

Der östliche Teil der Landschaft einschließlich des östlichen Moränenbogens besteht aus schwerem Geschiebemergel, der mittlere Teil hat leichten Lehmboden, während die westlichen Moränenkuppen überwiegend aus lehmigem Sand und Kies bestehen. Auf der Westgrenze der Jungmoräne verläuft heute die Straße Schleswig—Flensburg, die allgemein als die Westgrenze Angelns gilt. Diese Grenze entspricht also einer scharfen morphologischen Grenze. Eingebettet in den mittelschweren Lehmboden des mittleren Angeln liegen zwei Gebiete leichteren Bodens aus lehmigem Sand um die Orte Süderbrarup und Steinfeld, die auf der Karte der Grundsteuer-Reinerträge sich wie Inseln aus dem sie umgebenden schweren Boden herausheben. Die Entwässerung des östlichen Küstenstreifens erfolgt ausschließlich zur Ostsee, und zwar durch kurze Bachläufe, die auf dem östlichen Moränenbogen entspringen. Der nördliche Teil Mittelangelns entwässert über die Bondenau und Bollingstedter Au zur Treene, der südliche, fladiere Teil über die Füsingau zur Schlei. Durch das Relief der Oberfläche wird Angeln in zwei Siedlungskammern geteilt: einen östlichen, etwa 5—10 km breiten Streifen zwischen

W und tPihr A b b . 1. K a r t e der G r u n d s t e u e r - R e i n e r t r ä g e nach P f e i f e r

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SIEDLUNSGESCHICHTE

UND POLLENANALYSE

IN ANGELN

[32, 3 3 ]

Seeküste und östlichen Moränenbogen und das zwischen die beiden Höherücken eingebettete Mittelangeln, das durch die Oxbek in einen höher gelegenen nördlichen und einen flacheren südlichen Teil gegliedert wird. Für die Bodenbedeckung zur Eisenzeit läßt sidi aus der Bodenkarte Angelns schließen, daß — unter Außerachtlassung möglicher menschlicher Eingriffe — der Osten des Landes und der östliche Höhenrücken mit dichtem Buchenwald bestockt gewesen sein werden 17 . Buchenwald trug auch die mittelanglisdie Siedlungskammer. Eingebettet in diese Gebiete dichten Buchenwaldes lagen die Inseln leichteren Bodens von Süderbrarup und Steinfeld, auf denen wohl ein lichterer Eichenmischwald vorgeherrscht haben dürfte. Leichter bewaldet waren vermutlich auch die Höhen des westlichen Höhenrückens. Obgleich die bisher vorliegenden verschiedenartigsten Untersuchungen über Entstehung und Verbreitung natürlicher Heidegebiete noch nicht restlos befriedigend sind, kann auf Grund der in Angeln vorherrschenden Bodenarten angenommen werden, daß die Heide in diesem Gebiet keine nennenswerten Areale besiedelt hatte, im Gegensatz zu dem im Westen vorgelagerten „Sander". Für die verkehrsgeographische Situation Angelns im Altertum ergibt sich angesichts der Tatsache, daß die Wasserläufe Hauptleitlinien des Verkehrs bildeten, eine Zweiteilung 18 . Der schmale östliche Küstenstreifen des Landes, von der mittelanglischen Siedlungskammer durch den dicht bewaldeten östlichen Höhenrücken scharf getrennt, war zur Ostsee hin durch mehrere kurze Bachläufe aufgeschlossen. Mittelangeln war von Westn her durch die Autäler der Bondenau, Bollingstedter Au und Silberstedter Au verhältnismäßig gut erschlossen, wenn man bedenkt, daß unmittelbar am Westrand Angelns entlang ein seit der Steinzeit bestehender Völkerweg, der heutige Heer- oder Ochsenweg, entlangführte, den die Autäler querten, und von dem sie sich als west-östlich verlaufende Rinnen mit Buchenwald und randlich lichterem Bewuchs in das dichtbewaldete Gebiet Mittelangelns hineinschoben. Über das südliche Autal der Silberstedter Au — Langsee — Arbek war die Siedlungsinsel von Süderbrarup mit ihrem leichten Boden gut von Westen zu erreichen. Der südliche Teil Mittelangelns war zur Schlei hin aufgeschlossen, von der aus über die Füsingau die Sandinsel von Steinfeld und auch das Gebiet um Süderbrarup zu erreichen war. [ Die beiden Siedlungskammern Angelns, verkehrsgeographisch verschieden orientiert, waren durch einen aus schwerem Boden aufgebauten Höhenrücken voneinander geschieden, dessen trennende Funktion durch den anzunehmenden dichten Buchenbewuchs noch verstärkt wurde. 17

18

Die Karte von E. KOLUMBE bei O. SCHEEL, Die Frühgeschichte bis 1100 in Geschichte Schleswig-Holsteins, im Auftrage der Gesellschaft für SchleswigHolsteinische Geschichte herausgegeben von V. Pauls und O. Scheel, Bd. II, 2. Hälfte, l . L f g . , Taf. 1, beruht auf den älteren Kartenunterlagen und ist infolgedessen in Einzelheiten nicht genau. Zu den Landwegen in Westangeln vgl. Röschmann in E. Freytag, Aus der Chronik des Kirchspiels Sieverstedt. 1951, S. 4 0 — 4 1 Karte.

[33]

SIEDLUNSGESCHICHTE UND POLLENANALYSE IN ANGELN

47

Eine Uberquerung dieser Scheidelinie war über den „Paß" von Sterupgaard, den auch heute noch die Bahnlinie benutzt, möglich. Die Südflanke des Höhenrückens zwischen Röst und der Schlei zeichnet sich durch besonders schweren Boden aus, so daß dieser Durchlaß wohl durch dichten Wald gesperrt war.

III. A B R I S S D E R S I E D L U N G S G E S C H I C H T E IN DER EISENZEIT19

ANGELNS

Die auf eine Besiedlung Angelns hindeutenden Funde der jüngeren Bronzezeit konzentrieren sich auf das Gebiet des östlichen Höhenrückens mit dem Küstenstreifen sowie auf den südlichen und nördlichen Teil der Landschaft. Mittelangeln zwischen Bondenau und Oxbek scheint nur dünn besiedelt gewesen zu sein. Die Zahl der Grabfundplätze beträgt am Ende der Bronzezeit drei oder vier. Dazu kommen noch einige Depot- und Einzelfunde. Gemessen an dem ungewöhnlich reichen Denkmälerbestand des Neolithikums und an der großen Zahl älter- und mittelbronzezeitlicher Grabhügel 20 läßt sich also in der jüngeren Bronzezeit ganz deutlich ein Nachlassen der Funde erkennen. Dazu kommt, daß sich schon in der Schlußphase der Bronzezeit die besiedelten Räume von den schweren Lehmböden Ost- und Südangelns auf die randlichen Bezirke Westangelns mit ihren leichteren Böden und auf die Sandinsel von Süderbrarup verlagert zu haben scheinen, als hätte die Bevölkerung bei einer zunehmenden Vernässung der schweren, schlecht entwässerten Böden Zuflucht zu den leichteren Bodenarten genommen. Aus der älteren Eisenzeit, der Stufe von Jastorf 2 1 im südlich anschließenden und der von Aare im jütischen Gebiet 22 , sind in Angeln bisher keinerlei Gräberfelder bekannt geworden. Allerdings kommt auf dem Friedhof von Süderschmedeby im Kreise Flensburg eine Urne vor, die formenkundlich enge Beziehungen zum Todendorfer T y p zu verraten scheint23. 19

20

21 22 29

Eine etwas ausführlichere Darstellung dieses Problems für die ältere und mittlere Eisenzeit findet sich im Jahrbuch des Angler Heimatvereins 1950, S. 54 ff., besonders S. 64 ff.; (H. JANKUHN); für die Wikingerzeit vgl. a . a . O . 1951, S. 28 ff. (H. JANKUHN). Z. Zt. der Niederschrift dieser Arbeit war nur ein Teil der im Mus. vorgesch. Altertümer aufbewahrten Funde zugänglich. Einen Eindruck der Fundhäufigkeit vermittelt die auf die Ergebnisse der archäologischen Landesaufnahme durch Herrn Röschmann zurückgehende Karte des Kreises Flensburg 1 : 2 5 000 im Städt. Kunstgewerbemuseum zu Flensburg. SCHWANTES, Die Jastorf-Zivilisation. Reinecke-Festschrift, Mainz 1950, S. 119 ff. J . BR0NDSTED, Danmarks Oldtid Bd. III, 1940, S. 14. JOH. MESTORF, Urnenfriedhöfe in Schleswig-Holsten, Hamburg 1886, T a f . V I I I , 2 7 ; J . RÖSCHMANN, a. a. O . T a f . I I I , 2.

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[33, 34]

Audi auf dem Friedhof von Lottorf im Kreise Schleswig, der zwar nicht mehr direkt in Angeln, aber doch unmittelbar von der Grenze der Landschaft gelegen ist, tritt ein Gefäß auf, das der Stufe Jastrorf C anzugehören scheint, indessen lehrt die Oranmentik, daß diese Form in Lottorf vielleicht einer späteren Stufe zuzuweisen ist. Unter diesen Umständen können auch zwei aus dem Thorsberger Moor stammende und wohl zu einem jastorfzeitlichen Gefäß mit geblähtem Hals gehörende Scherben 24 nicht als sichere chronologische Anhaltspunkte für eine Besiedlung Angelns zur älteren Jastorfzeit gewertet werden, jedenfalls solange nicht, als nicht einwandfreie Grabfunde aus dieser Zeit vorliegen. An Einzelfunden gehören in den Übergang von Bronze- zu Eisenzeit und in die älteste Stufe der letztgenannten Epoche drei Wendelringe bzw. Fragmente davon aus Norgaard 2 5 , Rüder Moor 2 6 und Steinberg 27 , alle im Kreise Flensburg gelegen. Audi zwei ösenringe, einer | audi Ausacker (Kreis Flensburg) 28 , der andere aus Klein-Born (Kreis Schleswig) 29 stammen als Einzelfunde aus dieser Zeit. Erst einem jüngeren Teil der vorrömischen Eisenzeit 30 gehören Funde an, die auf eine Besiedlung der Landschaft in größerem Umfange schließen

24 25 28

27

28

C. ENGELHARDT, Thorsbjerg Mosefund 1863, Taf. 17,16. Wendelring mit breiten Lappen, K. S. 14911: Moorfund. Das in zwei Stücke gebrochene Exemplar liegt im Städt. Haithabu-Museum in Schleswig (Kat. Nr. HM 2106). Der Fundort eines weiteren dort aufbewahrten Wendelringes (Kat. Nr. HM 2013) konnte noch nicht ermittelt werden. Wendelring, zur Hälfte erhalten, mit 3 bewahrten Wendungen, breite Rippen, grün patiniert. K. S. 8825. Hohler Ring mit beweglicher, aufgegossener Öse. K. S. 5593. Gefunden „6 Fuß tief im Moor südöstlich von Au". J . MESTORF, Urnenfriedhöfe, Taf. V, 14; C. NEERGAARD, Aarbeger 1916, S. 241. Ein ganz entsprechendes Stück aus Odderade, K. S. 11 871, bei KNORR, Friedhöfe der älteren Eisenzeit in Schleswig-Holstein, 1910, Taf. IV,63. Ein verwandtes Stück mit beweglicher Öse in Form eines vierspeichigen Rades aus einem Moor von Smedager bei Apenrade, vgl. C . NEERGAARD, a. a. O . S. 2 4 1 , A b b . 6.

Zum Problem der ösenringe in Moorfunden vgl. Aarbager 1892, S. 224 f. Fund von 250 ösenringen aus Falling Mose, Amt Aarhus; a . a . O . S. 224, 18 ösenringe aus Lyngaa, Amt Aarhus; Fra Nat. Mus. Arb. 1944, S. 21 ff. L. C. VEBAEK» En sotjysk offermose fra keltisk jernalder; Acta Arch. 16, 1945, S. 915 ff.; An early Iron Age Sacrificial Bog in East Jütland. C. NEERGAARD, Aarb0ger 1 9 1 6 , S . 2 4 1 f f . ; JOH. BR0NDSTED, B d . I I I , 1 9 4 0 , S . 2 2 ff.

29 30

FR. KNORR, Friedhöfe, S. 26; C. NEERGAARD, a. a. O. S. 235. Eine für das östliche Schleswig anwendbare, aus dem dortigen Material abgeleitete Chronologie der vorrömischen Eisenzeit gibt es noch nicht, da eine erschöpfende Bearbeitung der Funde fehlt. Infolgedessen sind hier die für Holstein und Nordosthannover geltenden chronologischen Schemata von FR. KNORR, a. a. O., und G. SCHWANTES, a. a. O., zugrunde gelegt, die an einem anderen Material gewonnen, nur bedingt für Angeln anwendbar zu sein scheinen. Audi das von C. J. BECKER in P. Norlund, Trelleborg, 1948, S. 223—240, und Acta Arth. 19 1948, S. 145 ff.; entworfene Schema paßt nicht unbedingt für Angeln.

[34]

SIEDLUNSGESCHICHTE UND POLLENANALYSE IN ANGELN

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lassen. Grabfunde stammen aus Stenderup 31 und vom Schersberg im Kreis Flensburg 32 , aus Dollrott 33 , Süderbrarup 34 , Nottfeld 3 5 und Steinfeld 39 im Kreise Schleswig. Davon entstammen die Funde aus Quem (Schersberg), Nottfeld und Steinfeld Friedhöfen, die Gräber aus Stenderup und Süderbrarup Nachbestattungen in Hügelgräbern. Die Lage dieser Plätze ist insofern höchst interessant, als sie mit Ausnahme von Quern auf den beiden Inseln mit leichten Böden von Süderbrarup und Steinfeld bzw. auf den Sandgebieten am Westrande Angelns liegen. Angesichts der Tatsache, daß aus den folgenden Jahrhunderten der Römischen Kaiserzeit sehr zahlreiche Friedhöfe auch außerhalb dieser beiden Inseln angetroffen sind, und die systematische Bestandsaufnahme der Funde und Denkmäler in Nord- und Ostangeln durch die archäologische Landesaufnahme bisher keinerlei neue Funde ergeben hat, liegt dieser Fundverteilung kaum ein Zufall zugrunde, insbesondere, wenn man berücksichtigt, daß auch der Grabfund von Stenderup auf leichtem Boden liegt. Die aus den Grabfunden erschließbare Besiedlung Angelns konzentriert sich auf das Gebiet von Süderbrarup-Steinfeld und ist offenbar von dem dortigen leichten Boden abhängig, was auch die Funde von Stenderup erkennen lassen. Lediglich der eine Grabfund vom Schersberg weicht von diesem Grundsatz ab, doch liegen hier wohl besondere Verhältnisse vor, wenn man berücksichtigt, daß dieser Fund an dem „Paß" zwischen Mittelund Ostangeln liegt, hier also eine besondere Verkehrslage mitsprechen kann, und wenn man weiter bedenkt, daß die Auswahl der höchsten Erhe31

Eine Urne mit facettiertem Rand. K . S . I I 435. VIII; vgl. J. Röschmann, a. a. O. 37, Taf. IUI, 4.5,7.

32

U r n e n g r a b m i t S p ä t - L a t e n e f i b e l , K . S. 9 7 9 6 , v g l . KNORR, a. a. O . N r . 1 3 5 ; MESTORF, U r n e n f r i e d h ö f e S. 4 1 ; C . NEERGAARD, a. a. O . S. 2 5 2 u n d U r n e K . S. 9730.

33

Gürtelhaken und andere Gürtelteile, K. S. 4247, vgl. J. MESTORF, Urnenfriedhöfe S. 32; C. NEERGAARD, a. a. O. S. 252, Anm. 4. Die Fundangabe Dollrott ist sehr zweifelhaft, da der Fund auch aus Süderbrarup stammen kann. Latène-Fibel und holsteinischer Gürtel aus einem Hügelgrab am Thorsberger Moor. Dan. Nat. Mus. Kopenhagen, vgl. Aarbager 1881, S. 91. Abb. 5; NEERGAARD, a . a . O . S. 251, Abb. 14. Außerdem eine Urne mit einer Zweiknopffibel von Latène-Sdiema. a. a. O. S. 251. Auch die Gräber auf dem Kirchhof von Süderbrarup, bei denen Urnen unter Steinpflastern standen ( K S . 11 759. 11 760 vgl. O. ROCHNA, Offa 5, 1940, S. 89 f., Nr. 13), gehören der vorrömischen Eisenzeit an; desgl. eine Urne mit Gürtelhaken K. S. 12 872. Gräberfeld von Nottfeld, Funde im Mus. vorgesdi. Altertümer zu Schleswig; es gehört der Rom. Kaiserzeit an, beginnt aber vielleicht schon früher, vgl. Scherbe K. S. 8537. Gräberfeld von Steinfeld im Museum vorgesdi. Altertümer. C. NEERGAARD, a. a. O. S. 253. Außer den genannten Friedhöfen sind einige weitere bekannt geworden, bei denen es fraglich ist, ob die Gefäße der ausgehenden vorrömischen Eisenzeit oder der älteren Kaiserzeit zuzurechnen sind, etwa von Schafflund, Kr. Flensburg, K. S. 14 615, Füsing, Kr. Schleswig, Museum Kolding, Nr. 2779.

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SIEDLUNSGESCHICHTE UND POLLENANALYSE IN ANGELN

[34, 35]

bung Angelns zur Anlage eines Friedhofes durch besondere Verhältnisse, vielleicht solche religiöser Art, bedingt sein könnte. Auch aus diesem Zeitabschnitt, der sich im großen und ganzen mit den beiden Stufen von Ripsorf und Seedorf nach Schwantes deckt, liegen einzelne Schmuckfunde vor, die — soweit die Fundumstände überhaupt bekanntgeworden sind — aus Mooren stammen. Hier ] ist zu nennen eine Spätlat&iefibel aus Süderbrarup 3 7 , ein flacher Kronenhaisring aus Töstrup, Kreis Schleswig 38 , ein Halsring aus Scheggerott, Kreis Schleswig 39 , ein flacher Kronenhalsring aus Schwakendorf, Kreis Flensburg 40 , die gekröpfte Bronzenadel aus Royum bei Brodersby, Kreis Schleswig 41 . Auffallend ist, daß von den fünf Stücken mit gesichertem Fundort vier außerhalb des durch die Grabfunde belegbaren Siedlungsraumes aus dem Bereich der schweren Böden Ost- und Südangelns stammen. Zwisdien den durch Gräberfelder und einzelne Grabfunde repräsentierten Siedlungshorizonten der jüngsten Bronzezeit und der jüngeren vorrömischen Eisenzeit liegt in der älteren vorrömischen Eisenzeit eine Zeitspanne, für die Grabfunde bisher in Angeln fehlen. Auch die systematische Landesaufnahme in Nord- und Ostangeln hat diese Lücke nicht zu schließen vermocht 42 . Angesichts der verhältnismäßig guten Erschließung der Landschaft durch eine rührige Heimatforschung bleibt diese Fundlücke bemerkenswert. Zwar muß mit dem Auftreten vereinzelter Gräber dieser Zeit vielleicht als Nadibestattungen in bronzezeitlichen Hügeln gerechnet werden, aber der Eindruck weitgehender Verödung würde trotzdem bestehen bleiben.

37

Im Städt. Kunstgewerbemuseum zu Flensburg, vgl. Forschungen und Fortschritte 1936, S. 366, Abb. 2.

38

K . S . 4 4 3 9 , v g l . J . MESTORF, A l t e r t ü m e r N r . 3 1 3 ; C . NEERGAARD, a. a . O . S . 2 4 5 ,

Anm. 2 . 39

C . NEERGAARD, a. a. O . S . 2 4 5 , A n m . 2.

40

Städt. Kunstgewerbemuseum Flensburg, P. V. 115; C. Neergaard, a. a. O., S. 245, Anm. 2. K . S. 10 470, zusammen mit Tongefäßscherben und bearbeitetem H o l z in einem Moor bei R. vgl. C. NEERGAARD, a. a. O. S. 235. Außerdem liegt noch eine schwere Flügelnadel aus Bronze mit Moorpatina vor, F. S. 2983; sie wurde als angeblich zusammen mit einer Fibel mit zweilappiger Rollenkappe F. S. 2984 und einer kleinen Perle F. S. 2985 auf dem Südermühlenberg bei Norderbrarup gefunden von einem Tagelöhner in Süderbrarup erworben. Gegen eine Zusammengehörigkeit spricht das verschiedene Alter der Funde. Die Patina beweist, daß es sich bei der Nadel um einen Moorfund handelt, dessen genauer Fundort heute leider nicht mehr zu ermitteln ist, der aber wohl in der N ä h e von Süderbrarup gelegen haben dürfte. Vgl. C. ENGELHARDT, N y d a m Mosefund

41

S . 6 1 ; J . MESTORF, U r n e n f r i e d h ö f e , S . 3 1 ; C . NEERGAARD, a. a. O . S . 2 4 3 . 42

Herr Mittelschullehrer Röschmann machte mir in liebenswürdiger Weise Material der von ihm durchgeführten Landesaufnahme zugänglich. Die von neuentdeckten Urnenfriedhöfe sind hier nicht mehr berücksichtigt, da sie das den älteren Funden beruhende Bild nicht wesentlich verändern. Ich habe für zahlreiche Auskünfte und für freundliche H i l f e sehr zu danken.

das ihm auf ihm

[35, 36]

SIEDLUNSGESCHICHTE UND POLLENANALYSE IN ANGELN

51

Mit der älteren Römischen Kaiserzeit steigt die Zahl der Gräberfelder und Grabfunde in Angeln stark an. Bisher sind 19 solche Fundstellen bekannt geworden, wenn man von einigen chronologisch nicht ganz sicher zu beurteilenden Plätzen absieht. Noch größer ist die Zahl der Grabfundstellen für das 3.—5. Jahrhundert. Wenn man die über die heutige Westgrenze Angelns auf den Sander übergreifenden Friedhöfe, über deren Bedeutung an anderer Stelle gesprochen worden ist 43 , mitzählt, sind es 24 Fundplätze, wobei nur die Gemarkungen gezählt wurden; auf der Gemarkung Süderbrarup liegen zwei Gräberfelder, in Tarp zwei getrennte Fundstellen. Die Enddatierung dieser reichen kaiserzeitlichen Besiedlung ist noch nicht näher untersucht. Jedenfalls sind bisher keine mit Sicherheit über das 6. Jahrhundert hinausgehende Grabfunde nachzuweisen. Für das 7. und 8. Jahrhundert lassen sich aus Angeln weder Grab- noch Einzelfunde nachweisen, es besteht für zwei bis drei Jahrhunderte eine absolute Fundlücke, die aufs beste die Angabe von Beda zu bestätigen scheint 44 , daß die Landschaft, „quae Angulus dicitur et ab eo tempore (gemeint ist der Abzug der Angeln) usque hodie (d. h. bis zu Bedas Zeit) manere desertus inter provincias Jutarum et Saxonum perhibetur ... Die Funde der Kaiser- und Völkerwanderungszeit lassen gegenüber der vorrömischen Eisenzeit eine starke Ausweitung des besiedelten Raumes und die Besetzung auch der schweren Böden erkennen. Das gleiche Bild zeigen die nach der allgemeinen Auffassung der Namensforschung in die Jahrhunderte vor der Wanderung zurückreichenden Ortsnamen (-ing- sted, -te, -nitz und Kurznamen) wobei als auffallend festgestellt werden muß, daß für | den Nordteil Angelns weder Friedhöfe noch Ortsnamen eine Besiedlung in den Jahrhunderten nach Christi Geburt bezeugen 45 . Nach den fundleeren Jahrhunderten des frühen Mittelalters tauchen erst wieder im 9. Jahrhundert Grabfunde auf. Drei Gräber aus Süderbrarup 46 , Triangel 47 und Norderbrarup 48 lassen sich auf Grund der Funde für das 9. Jahrhundert nachweisen. Dazu kommt bei Fröslev westlich von Flens-

43

H . JANKUHN, a . a . O . S. 1 1 2 ff.

44

BEDA, hist. eccl. 1,15. Zu den Ortsnamen in Angeln A. SACH, Das Herzogtum Schleswig in seiner ethnographischen und nationalen Entwicklung, Bd. 2, 1899, S. 65 ff. V. la COUR in Senderjyllands Historie, Bd. 1, 1930, S. 207 ff.; a . a . O . S. 508, ältere Literatur; KR. HALD, Stednavne i Angel; in Sydsleswig II. Angel. Kopenhagen 1945, S. 70 ff.; W . LAUR, Angelns älteste Ortsnamen. Jahrbuch des Angler

43

H e i m a t v e r e i n s , 1 4 . J g . 1 9 5 0 , S . 1 3 3 ff.; H . JANKUHN, a . a . O . S . 7 4 ff. 48

47

48

K . S. 13 865, Skelettgrab mit zwei Schalenfibeln vom T y p F. P. 36,6, O. ROCHNA Offa 5, 1940, S. 93, N r . 29. Städt. Kunstgewerbemuseum Flensburg P. V. 152/153 P. PAULSEN, Studien zur Wikinger-Kultur 1933, S. 26. L. JACOBSEN — E. MOLTKE, Danmarks Runeinskrifter Textband, Sp. 22 f. Grab mit Runenstein. Inschrift F A T U R .

52

SIEDLUNSGESCHICHTE UND POLLENANALYSE IN ANGELN

[36, 37]

bürg in unmittelbarer Nähe des alten Heerweges — also außerhalb der eigentlichen Landschaft Angeln — ein Frauengrab der Zeit um 8 0 0 49 . Audi in Haithabu — also am Südufer der Sdilei — treten Gräber des 9. Jahrhunderts auf 5 0 . In Angeln selbst scheint auch damals wieder die Sandinsel von Süderbrarup — Norderbrarup siedlungsanziehend gewirkt zu haben. Im 10. Jahrhundert steigt dann die Zahl der Grabfundplätze auf mindestens fünf 5 1 , wozu wohl von den zahlreichen Gräbern, die infolge Verlustes der Beigaben nicht näher zu bestimmen sind, noch ein großer Teil geredinet werden kann. Einzelne dieser zeitlich heute nidit mehr sicher zu bestimmenden Funde gehören vielleicht audi dem 9. Jahrhundert an. Eine gleichmäßige Besiedlung Angelns im 9. bis 11. Jahrhundert zeigen auch die größtenteils wohl diesen Jahrhunderten zuzurechnenden Ortsnamen auf -torp (-rup), -bal, -toft und -by an 52 . Den besser datierbaren Funden 53 möchte man eine im 9. Jahrhundert beginnende Neubesiedlung Angelns und einen sidi im 10. und 11. Jahrhundert verstärkenden Landausbau entnehmen, wobei ähnlidi wie in der vorrömischen Eisenzeit die Sandinsel von Süderbrarup den Ausgangspunkt bildet, aber schon im 10. Jahrhundert fast ganz Angeln mit Siedlungsplätzen überzogen ist. Uberblickt man zusammenfassend den lung Angelns, soweit die Funde ein Urteil älteste Eisenzeit eine Lücke der Grabfunde zelne lose, zum Teil in Mooren gemachte kann (Abb. 2).

Gang der eisenzeitlichen Besiedgestatten, so ist zunächst für die zu erkennen, die auch durch einFunde nicht geschlossen werden

Eine Neubesiedlung beginnt in den beiden letzten Jahrhunderten vor Christi Geburt und nimmt ihren Ausgang vom Westrand Angelns und den leichten Böden um Steinfeld und Süderbrarup. Die ältere Römische Kaiserzeit zeigt ein starkes zahlenmäßiges Anwachsen der Grabfelder und ein Übergreifen der Besiedlung auch auf die schweren Böden Ost- und Mittelangelns. Die Anzahl der Fundstellen — und auf einzelnen seit länge-

4,J 60

51

62

5:1

V. 1A COUR, a. a. O. S. 307, Abb. 157. H . JANKUHN, Ztschr. d. Ges. f. Schleswig-Holsteinisdie Geschichte, Bd. 73, 1949, S. 28 ff. Süderbrarup, Kr. Schleswig; Gr. Quem (Schersberg), Kr. Flensburg; Norderbrarup, Kr. Schleswig; Boel, Kr. Schleswig; Idstedt, Kr. Schleswig. Zur Siedlungsgeschidite der Wikingerzeit vgl. Anm. 1 dieses Kap. Zu den Ortsnamen des 9. bis 11. Jahrhunderts V . 1A COUR, a . a . O . S. 284 ff. und ältere Literatur auf S. 517 f.; Kr. HALD, a . a . O . Zu den -torp-Siedlungen „Schleswig urdänisches Land?" 1937, S. 47 ff. Bei den Ortsnamen ist eine genauere zeitliche Fixierung meist nicht möglich; im Gegensatz dazu lassen sich die archäologischen Funde besser datieren.

[37]

SIEDLUNSGESCHICHTE

UND

POLLENANALYSE

IN

ANGELN

53

rer Zeit belegten Gräberfeldern auch die Zahl der Bestattungen | nimmt im 3. und 4. Jahrhundert weiter zu. Die Besiedlung greift im Westen über den Rand der Jungmoräne hinaus und schiebt sich bei Tarp und Silberstedt auf den Sander vor, wofür besondere, wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend gewesen sind54. Im 7. und 8. Jahrhundert hören die Grabfunde völlig auf, auch Einzelfunde fehlen für diese Zeit gänzlich. Erst im 9. Jahrhundert beginnt — anscheinend wieder vom Raum Süderbrarup ausgehend — eine Neubesiedlung, die sich in einer geringen Anzahl von Grabfunden ausdrückt; erst im 10. Jahrhundert nimmt die Zahl der Fundplätze und die Anzahl der Gräber auf den einzelnen Fried/ Vieti deserfus höfen stärker zu, die Besiedlung greift (B :da) auf die schweren Böden über und bedeckt schon im 10. Jahrhundert inselartig fast ganz Angeln — auch den in der älteren Zeit anscheinend unbesiedelten Norden. Es schließt sich daran der mittelalterliche Landausbau, der nicht mehr durch die Fünde, sondern durch andere Quellen ' zu erschließen ist. Nach der in der archaeologischen I Yr i2 e fi inde Forschung üblichen Betrachtungsweise würde man also einen Abbruch oder doch sehr starken Rückgang der Besiedlung am Ende der Bronzezeit und eine etwa im 2. vorchristlichen Jahrhundert beginnende Neubesiedlung des Landes annehmen, die vom WestAbb. 2. Diagramm rand Angelns und den leichten Böden der Grabfunde in Angeln um Süderbrarup-Steinfeld ausgeht und nach Ausweis der Funde mindestens eine starke Zuwanderung aus dem Elbgebiet erkennen läßt. Für die Jahrhunderte nach Christi Geburt lehrt die zunehmende Fundzahl ein Anwachsen der Bevölkerung und einen verstärkten Landausbau durch Besiedlung au auftreten, voneinander getrennt.

64

SIEDLUNSGESCHICHTE UND POLLENANALYSE IN ANGELN

[44, 4 5 ]

Was läßt sich nun über die Zeitstellung des „unteren getreidereichen Abschnittes" aussagen? In den Spektren um den Grenzhorizont und 20 cm darüber ist die Getreidekurve zwar geschlossen, zeigt aber nur kleine Werte. Man kann daher auf geringfügigen Getreidebau von der ausgehenden Bronzezeit bis in die frühe Eisenzeit schließen, sofern die Prozente nicht auf Ferntransport zurückzuführen sind. Nach dem Vergleich mit zwei weiteren Teilprofilen aus dem Satrupholmer Moor 5 7 , die durch ein Gefäß aus der Zeit um Chr. Geb. datiert sind, liegt im vorliegenden Diagramm die zeitlich entsprechende Schicht etwas unterhalb 180 cm, deckt sich also mit dem obersten Horizont der geringen Getreidewerte. D . h. die Periode wenig intensiven Getreidebaues wäre demnach in Mittelangeln zwischen der ausgehenden Bronzezeit und Chr. Geb. anzusetzen. Dieses Ergebnis deckt sich gut mit dem archäologischen Befund, der für dieses Gebiet eine Fundlücke zwischen dem Ende der Bronzezeit und der Zeit um Chr. Geb. — also eine zeitlich längere Lücke als im östlichen Angeln — aufweist. Von 180 cm aufwärts steigt dann die Getreidekurve auf maximal 7 °/o an, eine Siedlungsperiode mit intensiverem Getreidebau anzeigend. Bei 130 cm ist ein markanter Abfall zur Null-Linie und anschließend nur vereinzeltes | Getreidevorkommen festzustellen. Diese Horizonte könnten gut der archäologisch festgestellten Fundlücke zwischen dem 6. und dem 9. Jahrhundert n. Chr. entsprechen. Vom Zeitpunkt der maximalen Buchenausbreitung ab (Buchenoptimum) beginnen die Getreidepollen erneut mit geschlossener und mehr oder weniger stetig ansteigender Kurve bis zu einem absoluten Maximum von 20 °/o in der Oberflächenprobe ins Diagramm einzugehen. Hierin spiegelt sich die intensive Kultivierung in historischer Zeit wider. In gutem Einklang damit steht das Anschwellen der Wildgräser auf 168 °/o. Der gewaltige Anstieg der Ericaceenkurve, der Abfall der Cyperaceen und der Erle sowie die geringen Werte der Sphagnumsporen zeigen die Kultivierung, d. h. Trockenlegung des Moores an. Bezeichnend ist auch die Unterbrechung der Plantago-Kurve während der Periode des lückenhaften Getreidevorkommens, woraus u. U . ebenfalls auf nur geringfügige Besiedlung oder evtl. sogar auf Siedlungsleere in der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends geschlossen werden kann. Das Absinken der Getreidekurve nach dem Grenzhorizont fällt zeitlich einwandfrei mit der Fundarmut in der älteren Eisenzeit zusammen. Wenn die hier zunächst als Hypothese gegebene zeitliche Parallelisierung zwischen Getreidekurve und siedlungsgeschichtlichem Befund im frühen Mittelalter ebenfalls zu Recht besteht, würden sich für die zeitliche Unterteilung der subatlantischen Pollenspekrten neue Anhaltspunkte ergeben, indem die markanten Kurvengipfel der Buche, Hainbuche und der Hasel zeitlich festgelegt werden könnten.

" Vgl. Offa 9, 1951, S. 54.

[45]

SIEDLUNSGESCHICHTE U N D POLLENANALYSE I N ANGELN

65

Für die weitere Arbeitsplanung ergibt sich daher abschließend folgende Forderung: Zur endgültigen Klärung des zweiten Getreideminimums muß angestrebt werden, einen typologisch einwandfrei datierten eisenzeitlichen Siedlungshorizont in einem Moor pollenanalytisch zu erfassen. Einzelfunde genügen nicht, da immer die Möglichkeit besteht, daß sie in tiefere Schichten abgesunken oder eingegraben worden sind.

Literaturverzeichnis

zu K a p i t e l

IV

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BORNGAESSER,

66

SIEDLUNSGESCHICHTE UND POLLENANALYSE IN ANGELN

[45]

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Nachträge

Einen Versuch, in Zusammenarbeit von Archäologie und Botanik den Zeitpunkt der Verödung der Landschaft Angeln am Übergang zum frühen Mittelalter näher zu erforschen, stellt die Untersuchung von Moorschichten innerhalb eines alten, in die römische Kaiserzeit gehörenden Flurkomplexes im Außelbeker Gehege, K r . Schleswig, dar, vgl. H . Schmitz, Auswertung einer pollenanalytischen Untersuchung aus dem Gehege Außelbek für die Siedlungsgeschichte, 37./38. Ber. der Röm.-Germ. Komm. 1 9 5 6 — 1 9 5 7 , 206 ff. Sonst gehören systematische und aufeinander abgestimmte Untersuchungen von Archäologie und Botanik mit dem Ziel einer weiteren Klärung der Siedlungsgeschichte und der Wirtschaftsweise heute noch zu den Ausnahmen. An der Erforschung der germanisch-slawisch-deutschen Besiedlungsgeschichte Ostholsteins arbeiten Archäologen und Botaniker eng zusammen, freilich bisher noch ohne umfassende Vorlage der Untersuchungsergebnisse, vgl. Bericht über die Arbeiten des Sonderforschungsbereichs 17 „Skandinavien- und Ostseeraumforschung", Kiel für die archäologische Gruppe in der Zeit von 1969 bis 1971, in: Offa Bd. 28, 1971, 147. Die für die Jahre 1972 und 1973 erstatteten Berichte sowie die Aufstellung der Planung für die Jahre 1974 bis 1976 sind bisher nur als Manuskripte veröffentlicht. Vorgelegt wird als erster einschlägiger Band H . Hinz (Hrsg.), Bosau I. Offa-Büdier Bd. 31. Neumünster 1974. Ähnlich ist die Situation bei dem Forschungsprogramm Germanen — Slawen — Deutsche im Hannoverschen Wendland. Nach Vorlage des Standardprofils von B. Lesemann „Pollenanalytische Untersuchungen zur Vegetationsgeschichte des Hannoverschen Wendlandes" Flora, Abt. B, Bd 158, 1969, 4 8 0 — 5 1 9 stehen die Berichte sowohl über die archäologischen Untersuchungen wie über die paläoethnobotanischen Analysen noch aus. Die im Zusammenhang mit der Marschenforschung durchgeführten pollenanalytischen Untersuchungen dienen mehr der Erforschung des Landschaftsbildes in seiner naturräumlich bedingten Entwicklung. Eine systematische Zusammenarbeit zwischen archäologischer und pollenanalytischer Siedlungsforschung hat sich neuerdings in der D D R entwickelt, vgl. E. Lange, Botanische Beiträge zur mitteleuropäischen Siedlungsgeschichte, Ergebnisse zur Wirtschaft und Kulturlandschaft in frühgeschichtlicher Zeit, Schriften zur Ur- und Frühgeschichte Bd 27, Berlin

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67

1971, gibt einen guten Überblick über das bisher auf diesem Gebiet Erreichte. Weitere Ergebnisse legt die gleiche Verfasserin in ihrem Beitrag, Pollenanalytische Untersuchungen in Tornow und Presendien zu: J . Herrmann, Die germanischen und slawischen Siedlungen und das mittelalterliche D o r f von Tornow, Kr. Calau, Schriften zur U r - und Frühgeschichte Bd. 26, Berlin 1973, 2 0 3 — 2 4 1 vor. Dazu kommt auch: E. Gringmuth-Dallmer, Zur Kulturlandschaftsentwicklung in frühgeschichtlicher Zeit, Zeitschr. f. Archäologie Bd. 6, 1972, 64—70. Innerhalb der pollenanalytischen Forschung haben Gesichtspunkte der Siedlungsgeschichte seit langem eine große Bedeutung gewonnen, sei es, daß diese Arbeiten wie etwa von H . - U . Steckhan, Pollenanalytisch-vegetationsgeschichtliche Untersuchungen zur frühen Siedlungsgeschichte im Vogelsberg, Knüll und Solling, Flora Bd. 150, 1961, 514—551 in direktem Blick auf siedlungsgeschichtliche Vorgänge unternommen wurden, sei es, daß sie wie beispielsweise bei E. Burrichter, Das Zwillbrocker Venn, Westmünsterland, in moor- und vegetationskundlicher Sicht, mit einem Beitrag zur Wald- und Siedlungsgeschichte seiner Umgebung, Abh. aus dem Landesmuseum für Naturkunde zu Münster in Westfalen 31. Jhg., 1969, H . 1 1—60 zwar in der Hauptsache einer vegetationsgeschichtlichen Fragestellung nachgehen, in diesem Rahmen aber siedlungsgeschichtlichen Problemen einen großen Raum widmen (a. a. O. 36—54). Solche botanischen Untersuchungen enthalten eine Fülle von leider von der archäologischen Forschung oft nicht einmal zur Kenntnis genommenen Ergebnissen. Immerhin zeigen auch schon die wenigen Beispiele einer systematischen Zusammenarbeit von Archäologie und Pollenanalyse, in welchem Umfange siedlungsgeschichtliche Studien aus ihr Nutzen ziehen können, wobei nicht die geringste Bedeutung der Pollenanalyse für die Siedlungsarchäologie in einer Art von Kontrollfunktion bei der Beantwortung der Frage liegt, wieweit „Fundlücken" wirkliche „Siedlungslücken" bedeuten oder nur „Forschungslücken" widerspiegeln. Über die in dem vorstehenden Aufsatz aus dem Jahre 1952 sichtbar gemachten Zusammenhänge zwischen Siedlungsarchäologie und Vegetationsgeschichte hinaus, die im wesentlichen auf der Entdeckung der Getreidepollen durch F. Firbas beruhen, hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten eine über den Nachweis von Getreidebau hinausgehende Erkenntnismöglichkeit auch für die Viehhaltung ergeben, so daß solche pollenanalytischen Untersuchungen auch echte Beiträge zur Wirtschaftsweise zu leisten in der Lage sind. Seit Veröffentlichung des vorstehenden Beitrages wurden die moorgeologisch-pollenanalytischen Untersuchungen in Verbindung mit prähistorischen Ausgrabungen im Satrupholmer Moor durch über 30 Pollendiagramme und zahlreiche Einzelproben zu Funden ergänzt. Dabei ergab sich für die hier behandelte Fragestellung eine sehr wichtige Beobachtung, die ergänzend mitgeteilt werden soll.

68

SIEDLUNSGESCHICHTE UND POLLENANALYSE IN ANGELN

Am frühneolithischen Fundplatz „Fuchsberg" (Dolmenzeit) fand sich ein Abdruck eines Getreidekorns in einer Trichterbecherscherbe. Alle zugehörigen Pollenproben enthielten unter weit über 1000 gezählten Pollenkörnern jedodi keine Spur von Getreidepollen! Anders dagegen in älteren neolithischen Schichten dicht benachbarter Siedlungsplätze: Hier fanden sich weder Großreste, noch konnten trotz sorgfältiger Prüfung Abdrücke von Getreidekörnern oder Spelzen in Keramikscherben beobachtet werden; die zugehörigen Pollenspektren jedodi wiesen im Durchschnitt bis zu 0,4 °/o Getreidepollen auf. Das älteste Auftreten von Getreidepollen fällt bei Satrup in eine Ellerbek-Ertebölle-Kultursdiicht (nach C 1 4 : 3 7 0 0 — 3 4 0 0 v. Ch.). Das gleiche gilt für einen Ellerbek-Siedlungsplatz an der ostholsteinischen Ostseeküste (Rosenhof, Kr. Ostholstein). Nach diesen neuen Beobachtungen ist Vorsicht bei der Auswertung von Pollenspektren hinsichtlich Getreidepollen geboten. Aus dem Nichtvorhandensein von Getreidepollen kann man demnach besonders in den Frühphasen des Ackerbaus nicht ohne Weiteres auf das Fehlen von Getreidebau schließen. Hier ist nämlich die Pollenproduktion der in Frage kommenden Arten Einkorn, Emmer und Gerste nur gering, und daher sind die Prozentanteile der Cerealien niedrig. Anders stellt sich die Sache von der Eisenzeit ab dar. Mit dem Erscheinen des Roggens, dessen Pollenproduktion als Windbestäuber um ein Vielfaches höher liegt, steigen die Getreide-Pollenprozente merklich an, so daß in dieser Zeit ein Rückgang im Getreidebau wesentlich deutlicher zum Ausdruck kommt.

[23]

KLIMA, BESIEDLUNG UND WIRTSCHAFT DER ÄLTEREN EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN [Archaeologia Geographica, Jhg. 3, 1952, S. 23—35]

D i e D u r c h f ü h r u n g der archäologischen L a n d e s a u f n a h m e " ' in einzelnen Kreisen N o r d b r a n d e n b u r g s 1 sowie in großen Teilen Schleswig-Holsteins 2 u n d ähnliche Inventarisationswerke in D ä n e m a r k 3 , N o r w e g e n 4 und Schwe1

W. MATTHES, Urgeschichte des Kreises Ostpriegnitz (Leipzig 1929) W. BÖHM, Die Vorgeschichte des Kreises Westpriegnitz (Leipzig 1937).

2

Die

3 4

von

ALFRED

TODE

eingeleitete

und

von

KARL

KERSTEN

durchgeführte

Ardiaeologisdie Landesaufnahme ist für einen Teil der Landkreise fertig abgeschlossen. Aufgenommen und veröffentlicht sind die Kreise: Steinburg und Herzogtum Lauenburg; vgl. K . KERSTEN, Die Vorgeschichte des Kreises Steinburg (Neumünster 1939); und K . KERSTEN, die Vorgeschichte des Kreises Herzogtum Lauenburg (Neumünster 1951). In der Aufnahme abgeschlossen, aber noch nicht publiziert sind folgende Kreise: Südtondern (einschließlich der nordfriesischen Inseln), Husum, Flensburg, Stormarn. Zur Zeit werden folgende Kreise aufgenommen: Eiderstedt, Schleswig, Rendsburg. Von den 17 Landkreisen sind also sechs abgeschlossen, drei weitere werden z. Zt. bearbeitet und acht sind noch in Angriff genommen. Der bisherige Stand der Aufnahme gestattet es also, im Norden des Landes ein großes, zusammenhängendes Gebiet mit ganz verschiedenen Landschaftszonen zu überblicken. Th. MATHIASSEN 1948; ders., F N A M , 1949, S. 27 ff. Für die einzelnen Landschaften liegen Teiluntersuchungen vor: A. W. BRÖGGER, Glamdalen i oldtiden. Norske Bygder V. Glamdalen (BERGEN 1942, I. B. BULL, Rendalen (Kristiania 1916); A. FOSVOLD, Bygdebok for Stor-Elvdal (Hamar 1936); S. GRIEG, Hadelands eldste bosetningshistorie (Oslo 1925); ders., Vestfolds oldtidsminner (Oslo 1943); Bj. HOUGEN, Oltidsminne, funn og bygd, Einleitungen zu: 0 s t f o l d s Oltidsminner (Oslo 1932) ders., Romerike i forhistorik tid (BERGEN 1 9 3 2 ) ; J . KLEIVEN, F r o n s b y g d i n ( O s l o 1 9 3 0 ) ; J . P E T E R S E N , V a d r e s i h e -

densk tid. Valdresboken (Gjovik 1923); Th. PETERSEN, Opdals oldtidsminner. Aus: Opdals Historie (Halden 1935); ders., Rßrosdistriktet i den hedenske oldtid. Rorosboka (Trondheim 1941). Außer Zusammenfassungen für bestimmte Zeiten wie z. B. H . SHETELIG, Den forromerske jernalder i Norge. Oldtiden 3 (1913) oder Bj. HOUGEN, Trekk i ostnorsk romertid. Univ. Oldsaksaml. Skr. Bd. 2 (1920) und bestimmte größere Gebiete wie z. B. H . SHETELIG, Vestlandske graver fra jernalderen (BERGEN 1912), liegt eine zusammenfassende Darstellung von Bj. HOUGEN vor, die die im Titel dieser Arbeit umrissenen Probleme, nämlich Klima, Siedlung und Wirtschaft in einer beispielhaften Weise behandelt und die Forschung in Problemstellung und Methode wesentlich weiterführt: Bj. HOUGEN, Fra seter til gard (Oslo 1947).

70

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

[23]

den 5 geben der siedlungsardiäologischen Forschung erstmalig ein Quellenmaterial in die Hand, das — soweit das heute überhaupt möglich ist — nicht auf dem Zufall der Funderfassung durch einzelne Museen oder Privatsammler, sondern auf systematischer Geländeaufnahme und Inventarisation aller erreichbaren Funde und Denkmäler beruht. Diese Aufnahmen bieten deshalb einen weit höheren Grad von Sicherheit für die Erforschung alter Siedlungsvorgänge, als die nur auf Museums- und Sammlungsbeständen beruhenden Inventare alter Art. Die Bedeutung dieser Katalogwerke ist in erster Linie für die Siedlungsarchäologie, d. h. die Siedlungsgeschichte der älteren Zeit gegeben. Wenn in diesem Zusammenhang von „Siedlungsarchäologie" gesprochen wird, so geschieht das nicht in dem verengenden Sinne, der diesem Ausdruck durch die Bezeichnung „siedlungsarchäologische Methode" allmählich zugekommen ist, er wird vielmehr in Analogie zu den Begriffen „Siedlungsgeschichte" und „Siedlungsgeographie" als Bezeichnung für eine Forschungsrichtung gebraucht, deren Ziel es ist, mit archäologischen Quellen und Methoden die ältere Besiedlungsgeschichte bestimmter Landschaften zu erforschen. Wenn auch die Siedlungsarchäologie durch die genannten Inventarwerke in erster Linie und besonders stark befruchtet wird, so ist damit die Bedeutung dieser Materialvorlagen nicht ersdiöpft. Die Erforschung von Siedlungsvorgängen bildet gelegentlich den Ausgangspunkt für speziellere Untersuchungen in zwei anderen Richtungen: nämlich einmal dann, wenn durch sie stammeskundlidie Vorgänge beleuchtet werden; zum anderen bietet die Erforschung der älteren Siedlungsgeschichte eine wesentliche Grundlage für die Untersuchung früher Wirtschaftsformen 6 . Die Wahl von Siedlungsräumen, ihre oft erstaunlich enge Abhängigkeit von der Morphologie der Landschaft und bestimmten Bodenarten lassen in einzelnen Gebieten für bestimmte Zeiten Rückschlüsse auf die Wirtschaftsformen zu, so daß also nicht nur die Besiedlungsgeschichte selbst, sondern darüber hinaus auch die Wirtschaftsgeschichte aus jenen Inventarwerken neue Erkenntnismöglichkeiten gewinnt. Die im folgenden vorgetragenen Beobachtungen gehen von einzelnen auf diese Weise systematisch erforschten Landschaften aus, da die Vollständigkeit der Fundplätze hier verhältnismäßig hoch ist. Erst in zwei-

Eine ausgezeichnete, audi auf die Erforschung der Zusammenhänge zwischen Siedlung und Wirtschaft gerichtete Arbeit legte MÄRTEN STENBERGER, ö l a n d under äldere järnalderen (Stockholm 1933), vor. Andere landschaftliche Zusammenfassungen z. B. Antikvariska studier II. Norrtäljetrakten under forntiden. En översikt (Stockholm 1946). ' Fundverteilung als Quelle wirtschaftsgeschichtlicher Untersuchungen bei A. W. BRÖGGER, Hoifjeldsjagt i vikingetiden. Naturen 1914; ders., Glamdalen (1942); S. GRIEG, Smedverktoi i norske gravfund. Oldtiden 9 (1922); BJ. HOUGEN, Jaktfunn fra dalbygdens folkevandringstid. Univ. Oldsaksaml. Ärb.

ä

1930 (1932).

[23]

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

71

ter Linie werden zusammenfassende Übersichten, denen keine genaue Geländeerforschung zugrunde liegt, in die Untersuchung mit einbezogen. Um das, was über die Geschichte der älteren eisenzeitlichen Besiedlung des westlichen Ostseeraumes heute zu erkennen ist, vom Zufall lokaler Bedingungen unabhängig zu machen, stützt sich diese Darstellung auf urei verschiedene, räumlich weit auseinanderliegende Beispiele. Ihren Ausgang nahmen die Untersuchungen von der Landschaft Angeln 7 . Eine wesentliche Bestätigung der hier gemachten Beobachtung ergab sich für den Kreis Herzogtum Lauenburg 8 , während die Landesaufnahme in Nordwest-Jütland die Verhältnisse weiter im Norden beleuchtet 9 . Die Darstellung der norwegischen Verhältnisse und die Erforschung der eisenzeitlichen Denkmäler auf der Insel ö l a n d bieten gewisse Kontrollmöglichkeiten, wenn auch für die genannten Räume die morphologischen Voraussetzungen andere sind als für die cimbrische Halbinsel.

1. ANGELN Die Landschaft Angeln wird im Norden, Osten und Süden durch die Ostsee bzw. Förden, im Westen durch die scharf ausgeprägte morphologische Grenze zwischen Jungmoräne und Sander begrenzt 10 (Abb. 1). Die Bodenqualität nimmt von Osten nach Westen zu ab (Abb. 2). Die schweren Tonböden liegen im Osten, die mittleren Böden in der Mitte. Am Westrande Angelns folgt eine Zone lehmigen Sandes im Gebiet der äußersten jungdiluvialen Eisrandlage, und davor liegt im Westen, von Talauen und flachen Mooren durchsetzt, der Sander 1 1 . Die Grabfunde der jüngeren Bronzezeit (Per. I V und V ) liegen im Bereich der Jungmoräne auf den mittleren Böden (Abb. 3), sie finden sich auf der Altmoräne und besonders häufig auf den nordfriesischen Geestinseln 12 . Die Funde der Endbronzezeit nadi Claus Lund sind fast ganz von der Jungmoräne verschwunden (Abb. 4); sie häufen sich auf den besseren Sandböden der Randzone, und, wo sie sich noch auf der Jungmoräne finden, liegen sie meist auf größeren, in den Tonboden eingesprengten Sandinseln. Eine ähnliche Bevorzugung der diluvialen Randzone und dazu der Altmoräne lassen die Bestattungsplätze der vorrömischen Eisenzeit erken-

7

D a z u ; H . JANKUHN 1 9 5 0 .

8

K . KERSTEN 1 9 5 1 .

9

10

T h . MATHIASSEN 1 9 4 7 .

G.PFEIFFER, H.

JANKUHN

Das

Siedlungsbild

1950,

S. 6 1 — 6 5 ;

der

Landschaft

Angeln

(Breslau

GUTENBRUNNER-JANKUHN-LAUR

1928); 1952;

H . JANKUHN, Antiquity 1952. 11

GUTENBRUNNER-JAHNKUHN-LAUR 1 9 5 2 , A b b . 2.

12

C. LUND, Die jüngere Bronzezeit in Schleswig. Kieler Dissertation 1951. Die Karten Abb. 2 und 3 gehen auf LUND zurück.

72

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

[23]

nen 1 3 . Soweit solche Bestattungen im Bereich der Jungmoräne vorkommen, liegen sie ganz ausschließlich auf Sandinseln, die in Tonboden eingebettet sind. Die ältere Kaiserzeit läßt wieder eine starke Besiedlung der J u n g moräne erkennen 1 4 (Abb. 5). Zwar sind auch jetzt noch die Sandinseln wie etwa das Gebiet von Süderbrarup oder der Schnaaper Sander dicht besiedelt, daneben finden sich aber eindeutig Grabfunde auch im Bereich der Tonböden, auch wenn die Friedhöfe selbst auf kleinen Sandhorsten angelegt sind. Es läßt sich also im Bereich von Angeln und dem dieser Landschaft westlich vorgelagerten Sander eine zweimalige Verlagerung des Siedlungsschwerpunktes beobachten: A m Ende der Bronzezeit ein Aufgeben der schweren und mittleren, jungdiluvialen Tonböden und ein Rüdszug auf die sandigen Böden des Westens und um Christi Geburt ein erneutes Vordringen auf die Jungmoräne, verbunden mit einer starken Vermehrung der Fundplätze und innerhalb der einzelnen Fundplätze mit einem zahlenmäßigen Ansteigen der einzelnen Bestattungen. Bemerkenswert ist die sehr geringe Anzahl von Bestattungen der vorrömischen Eisenzeit in Angeln. Es kommen nur vereinzelte Nachbestattungen in älteren Grabhügeln vor. N u r das Gräberfeld von Steinfeld stellt mit fast 150 Flachgräbern eine Besonderheit dar 1 5 . Das starke Auftreten von Formen aus dem Elbegebiet gibt dem Friedhof weiterhin eine besondere Note. M a n wird für die vorrömische Eisenzeit, insbesondere deren älteren und mittleren Teil, eine starke Ausdünnung der Bevölkerung annehmen müssen. Übereinstimmend mit dem archaeologischen Befund lassen pollenanalytische Untersuchungen ein starkes Zurückgehen der Getreidepollen und auch anderer als Siedlungsindikatoren bedeutsamer Kräuterpollen erkennen 1 8 . Auch die Pollenanalyse spricht also für eine nach der Zeit des Grenzhorizonts eingetretene Abnahme der Besiedlung.

13

14 15

16

Eine erschöpfende Bearbeitung der vorrömischen Eisenzeit Schleswigs fehlt. Für freundliche Unterstützung bei der Zusammenstellung der Karte zur vorrömischen Eisenzeit habe ich den Herren Röschmann und Dr. Hinz zu danken, die mir die Ergebnisse der jeweils von ihnen durchgeführten Archaeologischen Landesaufnahme in den Kreisen Flensburg, Husum und Südtondern zur Verfügung stellten. Für den Kreis Schleswig ist die Landesaufnahme noch nicht abgeschlossen, hier werden vielleicht einzelne neue Funde hinzukommen. Nach F. TISCHLER, Fuhlsbüttel, ein Beitrag zur Sachsenfrage (Neumünster 1937). Eine Bekanntgabe dieses interessanten Friedhofes steht noch aus. Einzelne Funde: H. JANKUHN 1950, Taf. 1, a, b, d, e. F. KNORR, Friedhöfe der älteren Eisenzeit in Schleswig-Holstein (Kiel 1910), Taf. 6, 147. H . JANKUHN und R . SCHÜTRUMPF 1 9 5 2 .

[23]

Ä L T E R E EISENZEIT IM W E S T L I C H E N

OSTSEEBECKEN

73

Km

Abb. 1. Höhenschichtenkarte für das südöstliche Schleswig

2. K R E I S H E R Z O G T U M

LAUENBURG

Der Kreis Herzogtum Lauenburg überspannt drei verschiedene geologische Formationen: Der Nordteil liegt auf Jungmoränenboden, der zumeist aus Ton besteht, aber zahlreiche sandige Einsprengungen erkennen läßt; der mittlere Teil des Kreises liegt auf dem Boden des jungen Sanders, und der Süden bedeckt Altmoränenboden mit lehmigen und sandigen Partien 1 7 . Auch in Lauenburg läßt sich in der jüngeren Bronzezeit eine starke Verlagerung des Siedlungsraumes in den Bereich des Sanders und der Alt17

K . GRIPP, Der Untergrund des Kreises Herzogtum Lauenburg. In: K. KERSTEN 1951, S. 1—8.

74

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

m

schwerer Lehmboden

[23,24]

|1||||| leithferLehmboden j* -i lehmiger Sand

I" | leicMer Sand

Abb. 2. Bodenartenkarte für die Landschaft Angeln

moräne erkennen 18 . In der vorrömischen Eisenzeit ist das Siedlungsbild im großen ganzen ähnlich19 und in der älteren Römischen | Kaiserzeit wird audi hier Sander und Altmoräne zum großen Teil aufgegeben und die Jungmoräne dichter besiedelt, wobei audi hier wie in Angeln die größeren sandigen Flächen bei Krummesse bevorzugt, aber auch die lehmigen Partien nicht gemieden werden 20 . Zahlenmäßig tritt hier im Gegensatz zu Angeln weder in der jüngeren Bronzezeit noch in der vorrömisdien Eisenzeit ein Rückgang von Funden ein; im Gegenteil sind beide Perioden durch sehr zahlreiche Fundstellen und durch teilweise große Friedhöfe gekennzeichnet. Hier hat offenbar keine Abnahme der Bevölkerung stattgefunden, sondern im Gegenteil eine Zunahme. 18 19 20

K. K. K.

KERSTEN KERSTEN KERSTEN

1951, Karte Abb. 55 A. 1951, Karte Abb. 63. 1951, Karte Abb. 71.

[24]

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

75

Abb. 3. Besiedlung der Landschaft Angeln in der jüngeren Bronzezeit (Per. IV und V nach MONTELIUS)

Audi in Lauenburg lassen sich die gleichen Verlagerungen des Siedlungsraumes erkennen wie in Angeln: In der jüngeren Bronzezeit ein weitgehendes Aufgeben der Jungmoräne und eine Siedlungskonzentration auf dem Sander und der Altmoräne und hier überwiegend auf den sandigen Gebieten und um Christi Geburt ein Aufgeben dieser leichteren Böden und eine Inbesitznahme der Jungmoräne.

3. N O R D W E S T J Ü T L A N D

Auch das von Therkel Mathiassen gewählte Untersuchungsgebiet in Nordwestjütland südlich des Limfjordes und östlich des Nissumfjordes umfaßt Jungmoräne, Sander und Altmoräne (Abb. 6) und eignet sich infolgedessen sehr gut für vergleichende Siedlungsuntersuchungen 21 . Während 21

T h . MATHIASSEN 1 9 4 8 , S . 1 — 2 4 .

76

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

[24]

noch das ältere Neolithikum eine Bevorzugung der Jungmoränenböden erkennen läßt (Abb. 7), wobei für die Wahl der Siedlungsplätze offenbar die L a g e an fließenden Gewässern von entscheidender Bedeutung war und die zahlreichen einzeln gefundenen Flintbeile in der weiteren Umgebung der Ansiedlungen die Waldrodungsgebiete angeben 2 2 , läßt sidi hier schon im jüngeren Neolithikum mit dem Auftreten der Einzelgrabkultur eine Verlagerung der Siedlungsgebiete in die jungdiluvialen Randzonen beobachten 23 . Die Lage der Gräber am R a n d e der Jungmoräne ist dann für ältere 2 4 und jüngere 2 5 Bronzezeit (Abb. 8) sehr typisch, wobei das starke zahlenmäßige Abnehmen der Funde in der jüngeren Bronzezeit zu erwähnen ist. - Eine Verbreitung der Siedlungen und der einzeln gefundenen Flintbeile, deren vereinzelte Vorkommen nidit für Siedlungen spricht, bei TH. MATHIASSEN 1948, Taf. 22. 23 Th. MATHIASSEN 1948, Taf. 23, rote Signaturen. 2

24 25

T h . MATHIASSEN 1 9 4 8 , T a f . 2 5 . T h . MATHIASSEN 1 9 4 8 , T a f . 2 6 .

[24]

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN

OSTSEEBECKEN

77

Abb. 5. Besiedlung der Landschaft Angeln in der römischen Kaiserzeit

In der vorrömischen Eisenzeit (Abb. 9) fällt neben dem weiteren zahlenmäßigen Abnehmen der Fundplätze ein starker Ausbau auf dem Sander auf 2 6 , der mit der Anlage von Äckern (Abb. 10) nadi A r t der „celtic fields" verbunden ist 27 (Abb. 11). Die Zahl der Fundplätze auf dem Lehmboden der Jungmoräne ist sehr gering. Die Römische Kaiserzeit bringt audi hier einen starken Landausbau auf den schweren jungdiluvialen Böden 28 (Abb. 12). 29

27

23

Th. M A T H I A S S E N 1 9 4 8 , Taf. 2 8 . Die Funde der vorrömisdien Eisenzeit und der römischen Kaiserzeit sind auf einer Karte, aber mit verschiedenen Signaturen dargestellt. Die hier als Abb. 9 und 10 gebrachten Karten sind auf Grund der Karte Taf. 2 8 bei Th. M A T H I A S S E N 1 9 4 8 gezeichnet. Zur Verbreitung der eisenzeitlichen Äcker in Jütland vgl. J. B R 0 N D S T E D T DO III, 5 . 7 1 ; G. H A T T 1 9 4 9 , S. 6 . Die Verbreitung der alten Äcker auf dem Sander um Bedse (Abb. 1 0 ) ist nach Th. M A T H I A S S E N 1 9 4 8 , Taf. 2 8 gezeichnet. Die Karte Abb. 1 2 ist auf Grund der Karte Taf. 2 8 bei Th. M A T H I A S S E N 1 9 4 8 gezeichnet.

78

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN

OSTSEEBECKEN

[24]

Abb. 7. Verteilung der Grab- und Siedlungsfun-de aus dem älteren Teil der jüngeren Steinzeit in Nordwestjütland (n. TH. MATHIASSEN)

Auch in Nordwestjütland lassen sich große Verlagerungen der Siedlungsräume entsprechend den beiden erstgenannten Beispielen Angeln und Lauenburg erkennen, nur beginnt im Norden die Aufgabe des jungdiluvialen Bodens schon früher als im Süden, nämlich am Übergang von der

[24]

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

Ab.. 8. Verteilung der jungbronzezeitlidien

Grabfunde in Nordwestjütland

79

(n.

T H . MATHIASSEN)

Abb. 9. Grab- und Siedlungsfunde der vorrömischen Eisenzeit in Nordwestjütland (n. T H . M A T H I A S S E N )

Stein- und Bronzezeit. Allerdings lassen die von K. Kersten vorgelegten Fundkarten für die ältere Bronzezeit auch in Schleswig-Holstein schon in dieser Epoche eine gewisse Bevorzugung der jungdiluvialen Randzonen erkennen.

80

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

[24]

I n der vorrömischen Eisenzeit f ä l l t der A u s b a u der Sandergebiete auf, w ä h r e n d die V e r l a g e r u n g der menschlichen Ansiedlungen auf die L e h m böden der J u n g m o r ä n e zu Beginn unserer Zeitrechnung weitgehend den Verhältnissen weiter im Süden entspricht.

Abb. 10. Ausbau auf dem Sander östlich des Nissumfjordes in der älteren Eisenzeit. 1. Grab der älteren Eisenzeit, 2. Siedlung der älteren Eisenzeit, 3. Grab der römischen Kaiserzeit, 4. Siedlung der römischen Kaiserzeit, 5. Moorfund mit Keramik, 6. Moorfund mit Keramik aus der röm. Kaiserzeit, 7. vorgeschichtlicher Acker, 8. Geschiebesand, 9. Sander, 10. Geschiebelehm, 11. Talauen und Moore, 12. Marine Bildungen

Abb. 11. Landausbau auf dem jungdiluvialen Tonboden südlich des Limfjordes. 1.—6. wie Abb. 10, 7. Moorfund Hummelmose, 8. vorgeschichtlicher Acker, 9. Gesdiiebesand, 10. Sander, 11. Gesdiiebelehm, 12. Talauen und Moore, 13. Marine Bildungen

[24,25]

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

81

Abb. 12. Verbreitung der Grab- und Siedlungsfunde der älteren römisdien Kaiserzeit in Nordwestjütland (n. TH. MATHIASSEN). V = Gräberfeld, ® = Siedlung

4. N O R W E G E N

Zwar liegen in Norwegen die morphologischen Verhältnisse ganz anders als auf der jütischen Halbinsel, aber auch im Norden lassen sich Veränderungen der Siedlungsräume beobachten, die denen in Jütland und Schleswig-Holstein parallel laufen. Björn Hougen hat diese Vorgänge sorgfältig untersucht, zusammenfassend dargestellt und überzeugend gedeutet 29 . Zunächst fällt am Übergang von der Bronzezeit- zur Eisenzeit eine Verschiebung der nördlichen Grenze menschlicher Ansiedlung um mehrere Breitengrade nadi Süden auf 3 0 . Wenn diese Veränderung vielleicht auch nicht ganz so weiträumig war, wie man ursprünglich annahm, so bleibt sie auch heute noch auffallend genug 31 . Als zweites läßt sich ein Aufgeben der Talgebiete des Ostlandes | beobachten. Nur ganz vereinzelte Funde der vorrömisdien Eisenzeit bezeugen hier die gelegentliche Anwesenheit von Menschen. Die feste Siedlungen anzeigenden, z. T. recht ausgedehnten Friedhöfe dieser Periode liegen überwiegend im südlichen und in geringerem Umfange auch im westlichen Küstengebiet des Landes. Im Süden konzentrieren sich die Gräberfelder auf drei Gebiete: die Landschaften beiderseits des Oslo-

20

Bj. HOUGEN 1947.

30

H . SHETEILIG, Det norske Folks Liv og Historie, Bd. 1 (1930), S. 88 ff.

31

B j . H O U G E N 1 9 4 7 , S . 1 0 3 ff.

82

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN

OSTSEEBECKEN

[25, 26]

fjords, die Halbinsel Lista und die Landschaft Jaeren 32 . Gegenüber den Verhältnissen der Stein- und Bronzezeit bringt auch hier die vorrömische Eisenzeit eine Veränderung der Siedlungsbezirke mit sich, die durch eine starke Verengung des Siedlungsraumes gekennzeichnet ist. Ähnlich wie im westlichen Ostseegebiet beginnt auch in Norwegen in der Römischen Kaiserzeit eine Landnahme großen Stils, die zur Inbesitznahme der Taldistrikte und zu einem Landausbau führt. Diese erste Phase ausgedehnter Binnenkolonisation umfaßt zeitlich die ersten vier Jahrhunderte nach Christi Geburt. Nach einem Stillstand beginnt in der Merowinger- und Wikingerzeit, ausgelöst, wie Brögger vermutet hat 33 , durch eine wirtschaftliche Krise, eine neue Phase des Landausbaus, der mit einer intensiveren Entwicklung des Ackerbaues zusammenfällt. Wenn auch in Norwegen die Bodenverhältnisse andere sind als auf der jütischen Halbinsel, so lassen sich doch auffallend ähnlich verlaufende Veränderungen der Siedlungsräume zwischen der Bronzezeit und den ersten nachchristlichen Jahrhunderten beobachten wie im westlichen Ostseegebiet.

5. Z U S A M M E N F A S S U N G DER EINZELBEISPIELE

Die drei ausführlicher besprochenen einzelnen Landschaften: Angeln, Lauenburg und Nordwest-Jütland zeichnen sich zunächst durch Gleichartigkeit der morphologischen Grundlagen für die Besiedlung aus. Der Boden ist in allen drei Gebieten durch das Eis der vorletzten und letzten Vereisung geformt, bei allen drei Beispielen sind nicht nur einheitliche Landschaften, sondern verschiedenartige Landschaftszonen erfaßt. Die Jungmoränenböden mit ihren bewegten Oberflächenformen und der geringen Entkalkung, die Sanderflächen der letzten Eiszeit und die flachwellige tiefer entkalkte Grundmoräne der vorletzten Eiszeit. In allen drei Gebieten lassen sich im großen und ganzen einheitlich verlaufende Veränderungen der Siedlungsräume von der jüngeren Bronzezeit bis in die ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt erkennen, wenn auch lokale Variationen bei diesen Veränderungen auftreten. Für die Erforschung der Siedlungsräume sind in dieser Untersuchung nur diejenigen Funde herangezogen worden, die als primäre Siedlungsindikatoren gewertet werden müssen, also Siedlungen selbst und Gräberfelder. Die Bedeutung der | Depot- und Moorfunde ist für die Ermittlung der Siedlungsräume nicht ohne weiteres gegeben. Einzelne Beobachtungen, die schon Hoffmann vorlegte 34 , zeigen, daß sich in bestimmten Gebieten während der jüngeren Bronzezeit „Grablandschaften" und „Depot-

32

Bj. H o u g e n 1 9 4 7 ; H . SHETELIG, a. a. O .

33

A . W . BRÖGGER,

34

Jernet i Norges eldste 0konomiske historie ( 1 9 4 0 ) ; ders.; Glämdalen i Oldtiden (1942). H. HOFFMANN, Die Gräber der jüngeren Bronzezeit in Holstein (Neumünster 1938), S. 50 f.

[26, 27]

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

83

fundlandschaften" ausschließen. Ähnliche Beobachtungen lassen sich für die Grab- bzw. Siedlungsfunde der älteren Eisenzeit einerseits und für die Moorfunde andererseits machen 35 . Über die Ursachen für die Verschiedenheit des Verteilungsgebietes dieser verschiedenen Fundtypen wird später zu sprechen sein. Es scheint, als ob es notwendig ist, zwischen Siedlungsräumen im engeren Sinn und weiter gespannten Wirtschaftsräumen zu unterscheiden 36 . In der jüngeren Bronzezeit finden sich nur noch vereinzelte Siedlungsbezirke auf den schweren Tonböden der Jungmoräne. Wenn sie sich dort beobachten lassen, so liegen sie in vielen Fällen auf größeren, in den Tonboden eingesprengten, Sandinseln. Dabei handelt es sich nicht um die auch für die meisten anderen Zeiträume feststellbare Tendenz, Friedhöfe auf Sandböden anzulegen, was häufig wohl praktische Ursachen haben wird, und oft zur Wahl kleiner Sandkuppen führt, sondern um die Konzentration von Friedhöfen oder Siedlungsplätzen auf größeren Sandinseln 37 , die in den schweren | Tonboden der Jungmoräne eingebettet sind, und die groß genug sind, größere Siedlungseinheiten mit dem für sie notwendigen Wirtschaftsraum aufzunehmen. Dieselben Grundsätze in der Wahl der Siedlungsböden finden sich in der vorrömischen Eisenzeit, wobei im nordwestlichen Jütland die Tendenz erkennbar wird, außer den lehmigen Sandböden der alten Eisrandlagen und der Altmoräne, auch die Sandgebiete des Sanders in Besitz zu nehmen 38 . Nur vereinzelte Funde bezeugen für die vorrömische Eisenzeit das Verbleiben kleinerer Bevölkerungsreste auf der Jungmoräne. Daß es sich dabei um einen wirklichen Abbruch der Besiedlung und eine starke Ausdünnung der Bevölkerung handelt, ergibt sich übereinstimmend mit den Ergebnissen der Archäologie auch aus der Pollenanalyse, die für die so verödeten Gebiete in den meisten Fällen einen Abbruch oder doch stärkeren Rückgang der Getreidepollenkurve erkennen läßt 39 . Damit H a n d 35

36

37

Eine Bearbeitung der sehr o f t unscheinbaren eisenzeitlichen M o o r f u n d e für Schleswig-Holstein und D ä n e m a r k fehlt. D a die Funde häufig wegen ihrer Unscheinbarkeit auch nicht in die Museen eingeliefert wurden, ist ihre Erfassung schwierig. Insbesondere bei Viehzüchterkulturen können, wie die Almwirtschaft in den Alpen oder die Seterwirtschaft in Norwegen aber wie auch moderne Beispiele der Marschwirtschaft lehren, die Weidegebiete weit entfernt von den Siedlungszentren liegen. D a s scheint wie Bj. HOUGEN 1947 für N o r w e g e n gezeigt hat, auch in der Eisenzeit schon der Fall gewesen zu sein. Mit ähnlichen Verhältnissen wird man auch in anderen Teilen Europas redinen müssen. D a s wird deutlich bei der Wahl der Sandinsel von Süderbrarup vgl. A b b . 2) aber auch in Lauenburg bei den Sandinseln von Krummesse oder Sirksfelde ( K . KERSTEN 1951, A b b . 53 A ) .

35

Th. MATHIASSEN 1947, T a f . 26. Auch in Schleswig-Holstein läßt sich stellenweise, so etwa im Gebiet südlich von Rendsburg ein solcher Sanderausbau nachweisen (nach Hingst).

39

R . SCHÜTRUMPF

S. 39, A b b . 3.

1951,

S. 54,

Abb. 2;

H . JANKUHN

U.

R . SCHÜTRUMPF

1952,

84

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

[27, 2 8 ]

in Hand geht in den meisten Fällen auch ein Abbrechen oder starkes Abnehmen der übrigen, als Siedlungsindikatoren zu wertenden Kräuterpollen 40 . Ein gelegentlich feststellbares Weiterlaufen oder sogar Ansteigen der Plantago-Kurve findet seine Erklärung vielleicht durch besondere wirtschaftliche Verhältnisse. Bei der Bewertung der Fundkarte ist | weiterhin zu berücksichtigen, daß die starke zahlenmäßige Ausdünnung der Fundpunkte in der vorrömisdien Eisenzeit für das östliche Schleswig nicht etwa seinen Grund in einer Konzentration von Bestattungen auf großen Friedhöfen hat, sondern daß innerhalb der Jungmoräne aus der vorrömisdien Eisenzeit Angelns nur vereinzelte Nachbestattungen in älteren Grabhügeln bekannt sind, wenn man von dem großen Friedhof der Spät-Lat^nezeit in Steinfeld absieht. Dieser Unterschied zwischen einzelnen Nachbestattungen in Hügeln und ganz vereinzelt auftretenden großen Urnenfriedhöfen erklärt sich wohl am besten soziologisch aus einem Unterschied der Besiedlungsform 41 . In allen drei Gebieten läßt sich in der Zeit um Christi Geburt, teilweise schon in der ausgehenden Spät-Lat^nezeit beginnend, eine starke Verlagerung des Siedlungsgebietes auf die Jungmoränenböden beobachten. Sowohl in Lauenburg, wie in Angeln, aber auch in Nordwest-Jütland kann man diesen Vorgang gleichmäßig verfolgen. Eine Berücksichtigung der großen von Brondsted für ganz Dänemark gegebenen Besiedlungskarte der vorrömischen Eisenzeit einerseits 42 , und der der älteren römischen Kaiserzeit andererseits 43 zeigt, daß hier in der Tat ein sich über ganz Dänemark erstreckender Wandel des Siedlungsraumes erfolgt ist. Ähnliche Verlagerungen zeigen auch die Fundkarten der älteren vorrömischen Eisenzeit und der älteren Römischen Kaiserzeit für Schleswig-Holstein. Es liegt also eine über größere Gebiete gleichartig verlaufende Erscheinung vor.

40

41

Vgl. die W e g e r e i d i - ( P l a n t a g o - ) K u r v e

b e i H . J A N K U H N U. R . SCHÜTRUMPF

1952,

S. 39, A b b . 3 ; zum parallelen Verlauf der K u r v e n bei Kräuterpollen, die als Siedlungsindikatoren zu werten sind; H.SCHMITZ 1 9 5 1 , S. 193 ff. und A b b . 1 dazu auch H. SCHMITZ 1952. Die einzeln oder in kleinen Gruppen angetroffenen Nachbestattungen der Eisenzeit in älteren Grabhügeln könnten am ehesten als Zeugnisse f ü r spärliche Bevölkerungsreste in den älteren Siedlungsräumen gedeutet werden (falls nicht ein stärkerer Sippenzusammenhang auch nach Verlagerung der Siedlungsgebiete dazu geführt hat, daß in Einzelfällen Bestattungen in Grabhügeln der alten, aufgegebenen Siedlungsräume vorgenommen wurden). D e r Friedhof v o n Steinfeld in Angeln enspridit w o h l einer größeren geschlossenen Siedlungsgemeinsdiaft, etwa einem D o r f . Es ist vielleicht kein Zufall, daß ein Gräberfeld, auf dem die Formen des Elbegebiets eine so große Rolle spielen, auch hinsichtlich der aus ihm zu erschließenden Gesellschaftsordnung sich eng an die Verhältnisse Südholsteins anlehnt.

42

J . BR0NDSTED D O I I I , S . 2 1 , A b b . 8 .

43

J . BRONDSTED D O I I I , S . 1 2 5 , A b b . 1 0 4 .

[28]

Ä L T E R E E I S E N Z E I T IM W E S T L I C H E N OSTSEEBECKEN

85

6. D I E U R S A C H E N D E R V E R Ä N D E R U N G E N BEI D E N SIEDLUNGSRÄUMEN

Fragt man nach den Ursachen für diese auffallenden Wandlungen in der Wahl der Siedlungsräume, so muß man zunächst berücksichtigen, daß die große räumliche Erstreckung des Vorgangs lokale Faktoren weitgehend ausschließt. Solch örtlich begrenzte Voraussetzungen hat es sidier gegeben, und sie werden entscheidend mitgewirkt haben bei der Entstehung der örtlich feststellbaren Variationen, über die an dieser Stelle nicht zu sprechen ist. Der Rückzug des Menschen von den Tonböden auf die Sandgebiete am Ende der Bronzezeit fällt zeitlich mit dem klimatischen Wandel zusammen, der am Ende der Bronzezeit durch eine starke und verhältnismäßig plötzliche Zunahme der Niederschläge gekennzeichnet ist 44 . Diese Entwicklung beginnt nicht bei der sogenannten „Klimaverschlechterung", sondern setzt nach Firbas bereits in der späten Wärmezeit, also am Ende des Neolithikums, ein. Sie läßt im Laufe der Bronezeit Schwankungen bei der Zunahme der Feuchtigkeit erkennen und zeigt am Übergang zur Eisenzeit ein besonders starkes Ansteigen der Niederschläge. Die durch die zunehmenden Niederschläge eintretende Vernässung der schweren jungdiluvialen Tonböden mit ihren auch heute noch schwierig zu entwässernden, kleinen Hohlformen, hat die Menschen am Ende der jüngeren Bronzezeit anscheinend dazu veranlaßt, sich auf die wasserdurchlässigeren Sandböden zurückzuziehen, die unter dem Einfluß der steigenden Niederschläge außerdem an wirtschaftlicher Ertragfähigkeit zugenommen haben müssen. Das zeitliche Zusammenfallen der klimatischen Änderung am Ende der Bronzezeit und die Wandlungen des bronzezeitlich und früheisenzeitlichen Siedlungsbildes mit dem in der frühen Eisenzeit zu beobachtenden Übergreifen auf die trockenen Böden scheint mehr als eine chronologische Koinzidenz zu sein und kausale Zusammenhänge anzudeuten. Die Wandlung der Siedlungsräume zwischen der älteren Bronzezeit und der vorrömischen Eisenzeit hat wahrscheinlich vorwiegend klimatische Ursachen. Dabei soll nicht übersehen werden, daß auch in der vorrömischen Eisenzeit im Bereich der schweren Tonböden einzelne Ansiedlungen vorhanden sind. Es scheint, als hätten die klimatischen Veränderungen im gewissen Sinn selektiv gewirkt und nur einen Teil der Menschen zum Verlassen der vernässenden Böden gezwungen, während ein anderer, wenn auch sehr kleiner Teil, diesem natürlichen Zwang nicht nachgegeben hat. Das Feuchtwerden der schweren Tonböden hat sich zweifellos für den Getreidebau weit ungünstiger ausgewirkt, als für die Viehzucht. Die Vernässung der Böden mit einem Anstieg des Grundwassers hat höchstwahrscheinlich mit am stärksten diejenigen Bewohner dieser Böden betroffen, bei denen das Schwergewicht der Wirtschaft auf dem Anbau von Getreide lag, während viehzüchtende Bauern dieser klimatischen Ent-

44

H . SCHMITZ 1 9 5 2 .

86

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

[28, 2 9 ]

wicklung gegenüber weit weniger anfällig waren, da die damals vorhandene Waldweide sich kaum wesentlich geändert haben dürfte 45 . Der zweite große Wandel des Siedlungsbildes, der schärfer als der erste um Christi Geburt sichtbar wird und zu einer Landnahme auf den vorher gemiedenen schweren Tonböden führt, ist allem Anschein nach nicht durch klimatische Ursachen ausgelöst worden. Bis heute wenigstens lassen sich für die Zeit um Christi Geburt keinerlei Anzeichen erkennen, die auf einen erneuten Wandel des Klimas hinweisen. Kleinere klimatische Schwankungen hat es wahrscheinlich auch damals gegeben46. Daß es sich aber um Veränderungen handelt, die so weitreichende Wandlungen in der Siedlungsweise des Menschen ausgelöst haben, ist im höchsten Maße unwahrscheinlich. Die Gründe müssen anderer Art gewesen sein. Es ist denkbar, und bestimmte Beobachtungen im Gebiet Nordwest- und Nordjütlands scheinen darauf hinzudeuten, daß sie im Bereich wirtschaftlicher Entwicklungen zu suchen sind.

7. D I E W I R T S C H A F T S F O R M D E R Ä L T E R E N

EISENZEIT»*

Durch die Untersuchungen Gudmund Hatts 47 und Peter Globs 48 in Jütland lassen sich hier die Grundlinien einer wirtschaftlichen Entwicklung erkennen, die zwar zunächst nur für Mittel- und West-Jütland beobachtet werden kann, möglicherweise aber auch im Gebiet von | Schleswig stattgefunden hat. Wenn auch der Klimawandel am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit zunächst nur durch eine Änderung des Niederschlagklimas gekennzeichnet ist, so haben sich doch, wie Schmitz betont49, im Gefolge des Niederschlaganstieges als sekundäre Auswirkung auch kleinere Veränderungen des Temperaturklimas eingestellt, für das sich ein Absinken der Sommertemperatur erschließen läßt, während der Verlauf der Wintertemperatur auf pollenanalytischer Basis nicht feststellbar ist. Die skandinavische Forschung hat verschiedentlich darauf aufmerksam gemacht, daß im Gefolge des Klimawandels der Zwang zum Bau fester Häuser mit Stallungen für das Vieh eintritt50. Dieser Zwang hat tiefgreifende Wandlungen in der Betriebsweise der Wirtschaft zur Folge gehabt. Soweit die spärlichen Beobachtungen heute schon einen Schluß zulassen, ist die Wirtschaftsweise in der Stein- und 43

48

47 48 49 50

Uber eventuell anders gelagerte Verhältnisse in N o r w e g e n BJ. HOUGEN 1947, S. 103 ff. Z u r Auswirkung kürzerer in den Pollendiagrammen nicht zum Ausdrude kommenden Klimaänderungen neurer Zeit vgl. H . FLOHN, Klimaschwankungen im Mittelalter und ihre historisch-geographische Bedeutung. Ber. zur dt. Landeskunde 7 ( 1 9 4 9 / 5 0 ) . G. HATT 1 9 3 7 ; G. HATT 1 9 4 9 ; G. HATT, Aarb. 1941. P . GLOB, Jyllands 0de agre. K u m l 1 ( 1 9 5 1 ) ; P . GLOB 1 9 5 1 . H . SCHMITZ 1952. S. HASUND, O r Norsge Bondesoge ( 1 9 4 2 ) ; Bj. HOUGEN 1947, S. 83 ff.

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Bronzezeit eine fluktuierende gewesen, was nicht nur für den Norden 5 1 Europas, sondern neuerdings auch für die Bandkeramik betont worden ist 52 . Eine Seßhaftigkeit im modernen Sinn war in weiten Gebieten Nordeuropas in jener Zeit offenbar nicht vorhanden, vielmehr war eine mehrfache Verlegung des Siedlungsraumes schon im Laufe einer Generation anscheinend das Typische*. Der Zwang zum Bau fester Häuser hat hierin Veränderungen zur Folge gehabt. Die anscheinend leichteren Bauten der Bronzezeit waren leicht abzubrechen und an anderen Stellen neu zu errichten 53 . D a s war mit den fester gebauten Häusern der Eisenzeit nicht im gleichen Maße der Fall. Die Existenz so fest gebauter Wohn- und Stallgebäude hat offenbar eine weit stärkere an den gleichen Ort gebundene Betriebsform zur Folge gehabt 54 . Eine solche stationäre Landwirtschaft war der älteren Zeit anscheinend unbekannt*. Sie stellte an den Menschen und an den Boden andere Anforderungen als die ältere Form, insbesondere wurden die Ackergebiete, die bei der älteren Betriebsweise nur kurze Zeit bewirtschaftet wurden, jetzt für die Dauer in Betrieb genommen. Ob damals schon eine Düngung bekannt war, wissen wir nicht. Auf jeden Fall zeigen die von Hatt untersuchten Häuser aus der vorrömischen Eisenzeit West- und Mitteljütlands nur verhältnismäßig kleine Stallteile 55 , so daß man daraus nur auf eine mittelmäßige Viehhaltung schließen kann*, die eine andere Entwicklung als bei den großen Weidewirtschaften in den Marschengebieten erkennen läßt 56 . Beim Vordringen auf den Sander Nordwest-Jütlands (Abb. 10) fand der Mensch nur zum kleinen Teil Heideflächen, überwiegend aber einen hauptsächlich durch Eichen und Birken charakterisierten Wald vor. Das ergibt sich übereinstimmend aus bodenkundlichen Beobachtungen Hatts 5 7 und den verschiedenen pollenanalytischen Untersuchungen 58 . Die Anlage der eisenzeitlichen Äcker (Oldtidsagre) erfolgte überwiegend auf altem Waldboden und nur ausnahmsweise auf alten Heideflächen. Auch bei dem Pollenprofil von Bedso läuft dem Anstieg der Getreide- und PlantagoKurve ein Absinken der Eichenmischwald-Kurve parallel 5 9 . Die von Hatt

51

52

53

54

Johs. Iversen, Landnam i Danmarks Stenalder (1941); Bj. HOUGEN, 1947, S. 104 f. Edw. SANGMEISTER, Zum Charakter der bandkeramischen Siedlung. 33. Ber. der R G K (1951), S. 89 ff. Die Tatsache, daß in Nordeuropa einschließlich der jütischen Halbinsel trotz hohen Forschungsstandes keine Häuser der Bronzezeit gefunden werden konnten, scheint für deren leichten Bauart zu spredien. Bj. HOUGEN 1947, S. 105.

65

G . H A T T 1937, S. 112 ff.; G . H A T T , A a r b 1938, S. 119 ff.

58

W. HAARNAGEL, O f f a 2 (1937), S. 31—78; A. E. VAN GIFFEN, Germania 20 (1936), S. 40 ff.

57

G . HATT 1949, S. 120 ff.

58

H . SCHMITZ 1 9 5 2 .

59

T h . MATHIASSEN 1 9 4 8 , S . 2 7 , A b b . 3.

88

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für Jütland ermittelte Ackerform nach Art der „celtic fields" war durch breite flache Wälle umgeben und erhielt dadurch die Form flacher Schüsseln oder Wannen. Diese Ackerform ist, das hat H a t t schon betont, einem mediterranen Klima mit Winterregen und trockenen Sommern angepaßt, da sie vorzüglich den Regen in den Untergrund zu leiten und dort zu speichern geeignet ist. Die Auswirkung zu einem Gebiet mit regenfeuchten Sommern war ungünstig. Solange die leichten Böden des Sanders mit Wald bestanden waren, war der größte Teil der Niederschläge vom Walde aufgenommen und durch Verdunstung wieder in die Atmosphäre abgegeben worden, ohne in die tiefen Schichten des Bodens einzusickern. Nach der Beseitigung des Waldbestandes und der starken Auflockerung der Humusschicht durch Beackerung versickerte ein weitaus größerer Teil der Niederschläge im Boden und diese starke Durchspülung der oberen Humusschichten hat zur Bildung des Ortsteins, den H a t t als Folge des Ackerbaus bei vielen alten Äckern hat feststellen können, wesentlich mit beigetragen. Die Beseitigung des Waldes hatte außerdem ein Aufhören des Laubfalles zur Folge und damit den Fortfall der Düngung des Humusbodens 60 . Darüber hinaus entzog der Mensch durch langwährenden Ackerbau dem Boden weitgehend Nährstoffe, ohne sie anscheinend durch ausreichende Düngung ersetzen zu können. Die geringe Viehhaltung machte wohl auch eine intensive Düngung unmöglich. Diese Behandlung des Bodens führte zu einer Erschöpfung der leichten Bodenarten, wie sie auch in der starken Podsolierung | und in der Tatsache, daß nach Aufgabe des Ackerbaus nicht der ursprünglich vorhandene Wald, sondern die Heide sich ansamte, zum Ausdruck kommt. Daß der stationäre Ackerbau der älteren Eisenzeit dem Boden in der Tat wichtige Nährstoffe entzog, hat eine neuere Untersuchung von Glob für die verödeten eisenzeitlichen Ackergebiete Jütlands ergeben81. Die durdi Kobaltmangel hervorgerufene, von den Dänen „vosk" genannte Mangelkrankheit beim Hornvieh ist in Jütland überwiegend im Bereidi der alten Äcker feststellbar. Der Entzug bestimmter Mineralien hat sich für diese Gebiete also bis in die Gegenwart hinein bemerkbar gemacht, und führte noch in neuester Zeit zu einer Katastrophe in der Viehhaltung. Die Ansicht Globs, daß durch diese Entwicklung in den alten Ackergebieten der vorrömischen Eisenzeit auch damals die Viehhaltung erschwert, wenn nicht ganz unmöglich gemacht wurde, ist durchaus einleuchtend. Mit einer solchen Erschöpfung der Äcker scheint eine Behinderung der Viehzucht verbunden gewesen zu sein. Daß es in der Tat im Laufe der älteren Eisenzeit zu einer starken Minderung der Ertragsfähigkeit bei den Äckern gekommen ist, ergibt sich auch aus anderen Beobachtungen. Westlich von Silkeborg fand man im Tollundmoor eine Moorleiche in ganz vorzüglicher Erhaltung 62 . Der Fundplatz liegt westlich der Jung60

H . SCHMITZ 1952. P. GLOB, Jyllands 0de agre. Kuml 1 (1951). 62 Kn. THORVILDSEN, Aarbog. 1950, S. 203 ff. 61

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moräne auf dürftigem Boden 6 8 . Eine genaue Altersbestimmung ergab sich aus den Befunden nicht. Die Moorleiche, die einen Strick um den Hals trug, wird wahrscheinlich der vorrömischen Eisenzeit oder der Zeit um Christi Geburt angehören. Infolge des guten Erhaltungszustandes gelang es Helbaek, den Mageninhalt des Mannes zu untersuchen und daraus die pflanzlichen Bestandteile seiner letzten Mahlzeit zu rekonstruieren 64 . Sie bestand zum Teil aus vierzeiliger Gerste. Einen großen Anteil machten Früchte von K n ö terich (Polygonum lapathifolium) von Leindotter (Camelina linicola Sdi. u. Sp.) und Lein (Linum usitatissimum L.) aus. Stark vertreten waren weiterhin die Früchte von Gänsefuß, Spörgel, Ackerveilthen und Hohlzahn. Bei dieser Zusammensetzung fällt auf, daß Unkräuter wie Spörgel, Knöterich und Ackerveilchen einen großen Anteil ausmachen. Leindotter, heute als Leinunkraut bekannt, ist früher anscheinend angebaut worden 6 5 . Nach dieser Zusammenstellung hat man den Eindruck, daß die pflanzliche N a h rung des Mannes jedenfalls bei seiner letzten Mahlzeit zum großen Teil aus 68

Zur geologischen Beurteilung des Lageplatzes vgl. Karte im Anhang zu J . BRBNDSTED D O

M

65

II.

H. HELBAEK, Tollund-Mandens sidste Maaltid. Aarbog. 1950, S. 311 ff., bes. Tabelle S. 326. Herr Prof. Dr. SCHMITZ stellte mir folgende Charakteristik der genannten Pfllanzen zur Verfügung: „Die Knöteridiarten müssen hinsichtlich ihrer Standorte getrennt betrachtet werden. P o l y g o n u m l a p a t h i f o l i u m , Ampfer-Knöterich, wächst an feuchten Stellen, Grabenrändern. P o l y g o n u m a v i c u l a r e , Vögel-Knöterich, wächst an und auf Wegen, Ruderalstellen, trockenen Äckern, auf Sand und ödflädien. P o l y g o n u m c o n v o l v u l u s , Winden-Knöterich, ist ein Ackerunkraut. C h e n o p o d i u m a l b u m , weißer Gänsefuß, ist eine Ruderalpflanze, meist in der Nähe menschlicher Siedlungen oder auch an Wegen (Chenopodicee!). S p e r g u l a , Spörgel, ist ein Ackerunkraut auf sandigem, kalkarmem Boden und kommt auch an Ruderalstellen vor. G a l e o p i s , Hohlzahn, und V i o l a a r v e n s i s , Ackerveilthen, sind Ackerunkräuter, die zwar überwiegend, aber nicht ausschließlich auf Sandboden vorkommen. C a m e l i n a s a t i v a , Leindotter, wurde in früheren Zeiten angebaut als Ölfrucht. Nach HEGI, Illustrierte Flora von Mitteleuropa, München (ohne Jahr), ist die Kultur von Camelina aus der La Tene- und Hallstatt-Zeit in Schlesien und der Oberlausitz Groß-Sägewitz, Striegau) nachgewiesen, in Ungarn bereits aus dem Neolithikum (Aggtelek). In historischer Zeit ist der Anbau bis ins 15. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Noch zu Anfang unseres Jahrhunderts wurde der Leindotter an einigen Stellen in Baden, Elsaß-Lothringen, Posen, Mähren (bei Prosnitz), Rußland, Belgien und den Niederlanden auf mageren, sandigen Böden angebaut. Der Samen hat einen Fettgehalt von 27—31 °/o seines Gewichtes. Beim Kaltpressen können 18—20 °/o ö l gewonnen werden, beim Warmpressen 2 3 — 2 5 % . Das Leindotteröl (auch deutsches Sesamöl genannt) wurde teilweise als Speiseöl verwandt, hauptsächlich aber für Schmierseifen und als Leuditöl. Die Schoten wurden an Schafe verfüttert, das Stroh für Besen benutzt."

90

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Art der Samenabdrücke

Nackte Gerste begrannte Gerste Hafer Roggen Lein Leindotter Waid Knöterich (Ampfer-) Knöterich (Winden-) Erbse Spörgel weißer Gänsefuß

bek Hede

Unkrautsamen bestand. Daß es sich dabei nicht um einen vereinzelten Fall handelt, zeigt eine ähnliche Untersuchung bei der Moorleiche von Osterbolle, die zum Vergleich herangezogen wurde 66 . Auch hier fällt das Vorherrschen von Unkräutern auf. Man könnte geneigt sein, die letzte Mahlzeit eines zum Tode Verurteilten nicht für typisch zu halten. Vergleicht man aber mit diesem Mageninhalt die Getreide- und Samenabdrücke auf Tongefäßscherben, die Gudmund Hatt auf eisenzeitlichen Siedlungen Himmerlands ausgrub67, so ergibt sich eine erstaunliche Ubereinstimmung in der Zusammensetzung der Getreidekörner und Unkrautsamen, die dabei festgestellt wurden. Auch hier machen

M § J betrug, ganz unbedeutend war. Auf den Megalithsiedlungen von Trolde-

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Ä L T E R E E I S E N Z E I T IM W E S T L I C H E N O S T S E E B E C K E N

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deutlich, daß das angebaute Getreide nicht zur Deckung des Bedarfs an pflanzlicher Nahrung ausreichte, sondern die Menschen gezwungen waren, auch Unkrautsamen in großem U m f a n g zu sammeln und zu essen 69 . Die Erschöpfung der Böden wird also nicht nur durch die Ortsteinbildung und das weiträumige Aufkommen von Heide, sondern auch direkt durch die erhaltenen Pflanzenreste bezeugt. N i m m t man die Beobachtung von Glob 4 8 , daß die Erschöpfung der Ackerflächen durch den Mangel bestimmter Mineralien auch die Viehzucht erschwerte oder unmöglich machte, hinzu, so zeichnet sich das Bild einer durch den ungewohnten stationären Ackerbau bedingten oder geförderten Erschöpfung der Böden und in ihrem Gefolge einer wirtschaftlichen Krise bei den Bewohnern der leichten Böden Nordwestjütlands ab. Der Zug „ a d meliores terras" war für die Bewohner dieser Gebiete wahrscheinlich eine Notwendigkeit, und diese wirtschaftliche Krise scheint einer von den Gründen gewesen zu sein, die einen Teil der Bewohner Jütlands zur Abwanderung veranlaßten. Wahrscheinlich hat diese Entwicklung auch die zweite Verlagerung der Siedlungsräume auf die schweren Böden um Christi Geburt zur Folge gehabt, zum mindesten hat sie eine solche Entwicklung stark befördert. O b eine ähnliche Entwicklung auch auf der Schleswiger Geest eingetreten ist, ist fraglich, da Untersuchungen ähnlicher Art wie die Grabungen von H a t t in Jütland hier fast völlig fehlen 7 0 . Bantelmann hat kürzlich darauf hingewiesen, daß auf den Siedlungen der vorrömischen Eisenzeit an der Westküste bis in die Zeit um Christi Geburt hin fast immer Muschelschalen in größerer Menge auftreten 71 . Er hat daraus den Schluß gezogen, daß die landwirtschaftliche Erzeugung nicht ausreichte, um den Bedarf an Nahrungsmitteln zu decken und die Menschen gezwungen waren, zur Ergänzung ihrer Nahrung auf Muscheln zurückzugreifen, was bei einer Fischerei und Landwirtschaft treibenden Be-

bjerg, Blandebjerg und Lindo betrug bei insgesamt 968 Kornabdrücken auf Tongefäßsdierben der Anteil an Unkräuter nur 6,5 %>. Auf den neol. Wohnplatz von Bunds0 auf Alsen fanden sich unter 564 Kornabdrücken nur 1,7 °/o U n k r ä u t e r ( A a r b o g e r 1 9 3 9 , K N U D JESSEN).

Die große wirtschaftliche Bedeutung des Einsammelns von Unkrautsamen in der vorrömischen Eisenzeit wird durch das Gefäß von Garding und die anderen oben genannten Funde eindeutig unterstrichen. Zur Frage der Unkrautsamen: G. HATT, 1937; ders., En vestjydsk Landsby fra aeldre Jernalder, NORD. TIDSKRIFT (Stockholm) 1944; H. HELBAEK, Aarb. 1938, 165 ff.; 217 ff.; ders., Aarb. 1950, 311 ff.; KNUD JESSEN, Botan. Tidskrift 1933; ders. Aarb. 1939; E. NEUWEILER, Die prähistorischen Pflanzenreste Mitteleuropas, Vierteljahrsschrift d. naturforsdi. Ges. in Zürich 1905. 6» So auch H. HELBAEK, Kuml 1 (1951) und Aarb0g. 1950, S. 311 ff. bes. S. 323; dazu vgl. G. HATT, Jydsk Bondeliv i aeldere Jernalder (1943). ™ H.HINZ, Offa 9 (1951), S. 57 en. mit Bestimmung der dort gefundenen Pflanzenreste, die für die Kaiserzeit eine günstigere Ernährungslage anzudeuten scheinen. 71 In einem Vortrag vor der Gesellschaft für Sdileswig-Holsteinische Geschichte in Kiel.

[30,31]

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völkerung in Notzeiten bis in die Gegenwart hinein bezeugt ist 7 2 . Vielleicht hängt mit einer solchen Entwicklung auch die Tatsache zusammen, daß die Musdielhaufen am Windebyer Moor bei Eckernförde 7 3 und bei Pugum am Südufer der Flensburger Förde in der Zeit um Christi Geburt für kurze Zeit benutzt worden sind und hier eine Bevölkerung in größerem Umfange Muschelfang betrieb. | M a n wird den Beobachtungen in Nordwestjütland zunächst nur für dieses Gebiet entnehmen können, daß eine krisenhafte wirtschaftliche E n t wicklung die Menschen zur Abwanderung entweder nach Süden oder auf die besseren Bodengebiete zwang und eine solche Entwicklung als möglich auch für das Gebiet westlich von Angeln im Auge behalten. A u f jeden Fall handelt es sich dabei nur um einen von mehreren Faktoren. Die Landnahme auf den schweren Böden zu Beginn unserer Zeitrechnung muß wesentlich durch allgemeinere Ursachen bedingt sein. M a n wird sie vielleicht im Bereich wirtschaftlich-technischer Entwicklungen oder auf dem Gebiet sozialer Strukturwandlungen suchen dürfen. Auch Anregungen aus dem römisch-keltischen Gebiet mit der dort anders gearteten Betriebsform der Landwirtschaft mögen auf den Norden eingewirkt haben.

8. DIE BESIEDLUNG DER JUNGMORÄNENBÖDEN IN DER RÖMISCHEN KAISERZEIT Ein kleiner Teil der Bevölkerung war wenigstens in Angeln und Nordwestjütland aber auch in Lauenburg und auf den dänischen Inseln im Bereich der schweren Böden sitzen geblieben und hatte die Abwanderung auf die leichten Sandböden in der Zeit der starken Vernässung nicht mitgemacht. In Angeln und Lauenburg läßt sich beobachten, daß die im Bereich der jungdiluvialen Tonböden zurückbleibenden Bevölkerungsreste sich auf größere Sandinseln zurückzogen, die ihnen eine den veränderten Niederschlagsverhältnissen angepaßte Wirtschaftsweise ermöglichten. Betrachtet man die Funde der vorrömischen Eisenzeit, die nicht aus Gräbern oder Siedlungen, sondern aus Depots oder Mooren stammen, so zeigt sich ganz besonders deutlich am Beispiel von Angeln, daß diese Moorfunde nur zu einem kleinen Teil im Bereich der die Ansiedlungen tragenden Sandböden gemacht werden, daß vielmehr die überwiegende Anzahl dieser M o o r funde außerhalb der Sandinseln im Bereich der mittleren Tonböden meist

72

73

Z. B. bei der Fischerbevölkerung in Ellerbek, die nodi im 19. Jahrhundert in schlechten Fangzeiten Pfahlmusdieln aß. Über Fischnahrung zur Ergänzung in der Eisenzeit: G. HATT, En vestjysk Landsby fra aeldre Jernalder. NORD. TIDSKRIFT (Stockholm 1940), S. 239. H. JOKISCH, Die Musdielhaufen am Windebyer Moor und ihre zeitliche Einordnung. Jahrb. d. Heimatgesellsdiaft des Kreises Eckernförde 9 (1951) S. 76—84.

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in kleinen Kesselmooren zutage gefördert wurden (Abb. 13). Man kann unschwer zwei Gruppen unterscheiden. Einmal handelt es sich um einzeln oder paarweise gefundene bronzene Schmucksachen, meistens um Ringe oder Nadeln, die aus Mooren bekannt geworden sind. Ihre Deutung ist nicht leicht möglich. Hinsichtlidbi der paarweise gefundenen Bronzeringe haben Schnittger und andere skandinavische Forscher darauf hingewiesen, daß es sich wahrscheinlich um Opfer von Frauen an eine Göttin der Fruchtbarkeit handelt 74 . Den weitaus größten Teil der Moorfunde machen unscheinbare

Abb. 13. Funde der vorrömisdien Eisenzeit in Angeln. • = Grabfunde; A = Moorgefäße; X + = Einzelfunde der älteren bzw. jüngeren vorrömischen Eisenzeit

Moorgefäße aus, die zum größten Teil nur in Scherben in die Museen gelangten und deshalb die Aufmerksamkeit der Besucher nicht in gleichem Umfang auf sich ziehen wie die prachtvollen Schmuckfunde.** Eine zusammenfassende Darstellung dieser Moorgefäßopfer fehlt bisher. Soweit sich die Funde aus Schleswig-Holstein übersehen lassen 75 , bilden diese Gefäße den erhaltenen Rest eines bäuerlichen Brauchtums, bei dem überwiegend Produkte der Viehzucht in die Moore gelangten. Sehr häufig treten zusammen mit den Tongefäßen Tierknochen vom Rind, Schaf, Schwein, selten vom Pferd und gelegentlich vom Hund auf. Wild spielt dabei keine Rolle. Daneben ließ sich Butter und tierisches Fett nachweisen, häufig werden Hasel74

J . BR0NDSTED D O I I , S . 2 7 6 ; B r . SCHNITTGER F o r n v ä n n e n 1 9 1 6 , S . 1 0 4 f f .

75

H . JANKUHN 1 9 5 0 , S . 1 0 3 .

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nüsse als Inhalt genannt. Wenn auch in Jütland und in Schweden im Zusammenhang mit solchen Moorgefäßopfern Pflugscharen aus H o l z und Eggen 7 6 , also Ackergeräte, bekannt geworden sind, so zeichnen sich doch in Schleswig-Holstein zum wenigsten diese Opfergaben durch ihre enge Verbindung mit der Viehzucht aus. Eine genaue Durcharbeitung aller bisher bekannt gewordenen Fälle, besonders aber die Beachtung neuer Vorkommen wird es vielleicht einmal möglich machen, den wirtschaftlichen Hintergrund dieses religiösen Brauches genauer zu erfassen, als das heute möglich ist. In Angeln jedenfalls überwiegen bei weitem in diesen Moorfunden mit Tongefäßen die Zeugnisse für Viehzucht. Sie finden sich, wie gesagt, nur vereinzelt auf den sandigen Siedlungsinseln der vorrömischen Eisenzeit, meistens umgeben sie sie wie ein K r a n z . Es scheint so, als hätten die auf den Sandinseln sitzengebliebenen Bevölkerungsreste der vorrömischen Eisenzeit auf dem Sandboden Ackerbau getrieben und dort das Winterfutter für das Vieh gesammelt. D a s Vieh selbst scheint im Sommer in die diese Inseln umgebenden Wälder zur Weide getrieben worden sein. Es ist vielleicht kein Zufall, daß sich diese „Weideopfer" fast nur im Bereich der mittleren Tonböden finden, die nach bisherigen botanischen Untersuchungen 77 den für die Waldweide besonders geeigneten Eichenmischwald trugen, während die schweren Tonböden damals schon in starkem U m f a n g mit den für die Waldweide ungeeigneteren Buchenbeständen durchsetzt waren. Wenn man an der Deutung der Opfer als Weideopfer festhält, würden sie die Erstreckung der Sommerweidegebiete anzeigen, in die das Vieh für die Sommermonate getrieben wurde. Im Herbst, bevor die Tiere zum Aufstallen auf die H ö f e zurückgebracht wurden, sind zum großen Teil, wie die Haselnüsse lehren, diese Opfer in den Weidebezirken niedergelegt worden. Wenn diese hier als reine Arbeitshypothese vorgetragene Deutung sich durch weitere Beobachtungen bestätigen sollte, so würde das bedeuten, daß die Klimaveränderung am Ende der Bronzezeit in gewissem Sinne selektiv gewirkt hat insofern, als sie die Bevölkerungsteile, die überwiegend von Ackerbau lebten, zum Abwandern in trocknere Gegenden veranlaßte. Die Bevölkerungsteile aber, die entweder schon damals überwiegend von Viehzucht lebten, oder sich unter dem Zwang der veränderten klimatischen Verhältnisse auf diese Wirtschaftsweise umstellten, konnten auf den Tonböden der Jungmoräne weiter siedeln, denn die Vernässung des Bodens hat sich wohl nur für den Ackerbau ungünstig ausgewirkt, während die auf der Waldweide beruhende Viehzucht nicht im gleichen Maße betroffen worden ist. Die in der Zeit um Christi Geburt beginnende Aufsiedlung der schweren Böden hat, wie es scheint, zunächst an die Siedlungsinseln der verblei78

77

H . ARBMAN, Käringsjön 1945; P. Glob 1951, S. 67 f. Für diesen freundlichen Hinweis bin idi Herrn Prof. Dr. SCHMITZ dankbar.

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benden Restbevölkerung angeknüpft 7 8 . Sowohl in Nordwestjütland (Abb. 12) wie auf Fünen 79 und in Angeln bilden zum Teil wenigstens die spärlichen Fundstellen der vorrömischen Eisenzeit die Mittelpunkte der großen kaiserzeitlichen Ausbaugebiete. In Angeln läßt sich deutlich erkennen, daß audi in der Kaiserzeit die sandigen Böden bevorzugt wurden und eine zum Teil sehr dichte Belegung mit Friedhöfen erkennen lassen (Abb. 5). Daneben aber werden auch die mittleren Tonböden, ja selbst schwere Böden, in Besitz genommen. Die Wirtschaftsform dieser neuen Ansiedler läßt sich mangels guter Beobachtungen nidit in dem gleichen Maße erkennen, wie die der Bevölkerung auf den leichten Böden in der vorrömischen Eisenzeit. In allen Pollenprofilen ergibt sich ein starkes Ansteigen der Getreidekurve 80 . D a nach Ausweis der erhaltenen Getreidereste der Roggen auch damals nur eine sehr geringe Bedeutung gehabt zu haben scheint 81 , und Gerste nach wie vor das Hauptgetreide gewesen ist, kann das Ansteigen der Getreidekurve nidit auf den Anbau des stärker pollenerzeugenden Roggens zurückgehen, sondern muß durch eine ganz wesentlidie Ausbreitung der Anbauflächen für Getreide bedingt sein. Der Getreidebau hat, das ergibt sich aus allen bisher untersuditen Pollendiagrammen, eine wesentlidie Rolle in der Wirtschaftsform gespielt. Parallel mit dem Ansteigen der Getreidekurve in der Zeit um Christi Geburt verläuft ein Absinken der Eichenmischwaldkurve und an einzelnen Stellen audi ein Rückgang der Buchenkurve, was wohl nur durch Waldrodung hervorgerufen sein kann. D a s gleichzeitige Ansteigen der Gramineen- und allgemein der Nichtbaumpollen-Kurve zeigt weiterhin deutlich eine starke Liditung des Waldbildes an. Daß diese Lichtung durch Rodung hervorgerufen wurde, ist allerdings nicht bündig zu beweisen. Denkbar wäre auch ein Rückgang des Waldes durch Verbiß und Viehvertritt. Solange Untersuchungen von Siedlungsplätzen fehlen, wird sich die Wirtschaftsform nidit klar erkennen lassen. Auffallend ist bei den auf | Fünen freigelegten Häusern das Fehlen von Stallteilen für die ältere Kaiserzeit 8 2 , obwohl nadi Ausweis der erhaltenen Tierknodien die Haustierzucht geübt worden ist. Eine wesentlidie Voraussetzung für die Inbesitznahme der schweren Böden war das Vorhandensein genügender Eisenmengen 83 . Eine Rodung

78

79

So spielt audi in der älteren römischen Kaiserzeit die Sandinsel v o n Süderbrarup eine große Rolle. A a r b a g 1946, S. 1 ff.

80

T h . MATHIASSEN S . 3 9 , Abb. 3 .

81

D a s ergibt sidi mit großer Deutlichkeit aus den Getreideabdrüdcen der himmerländisdien Siedlungen bei H a t t , Aarb0g. 1938 vgl. hier Tabelle S. 30 und aus der Zusammenstellung bei G . HATT 1937, S. 22 ff. A a r b e g 1946, S. 1 ff. Zur Bedeutung des Eisens f ü r die wirtschaftliche Entwicklung des N o r d e n s vgl. A. W. BRÖGGER, Jernet og N o r g e s eldste okonomiske historie (1940).

82 83

1948,

S. 25,

Abb. 2;

H . JANKUHN

U.

R . SCHÜTRUMPF

1952,

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des Eichenmischwaldes, besonders aber eine Rodung des Buchenwaldes war nur mit schweren Geräten möglich*. In der Steinzeit und bis in die Bronzezeit hinein standen als geeignete Geräte dafür Flintäxte zur Verfügung. Die Bronze war wohl nie in dem Maße vorhanden, daß es möglich war, in größerem Umfange Arbeitsäxte aus ihr herzustellen. Erst die Gewinnung eines für Äxte geeigneten Materials wie des Eisens hat eine ausgedehnte Rodungstätigkeit ermöglicht. Die zweite Voraussetzung für die Entwicklung des ausgedehnten Ackerbaues war die Schaffung von schweren Pflügen mit Vorschneidemesser und Streichbrett, durch die der Boden nicht nur aufgeritzt, sondern die Schollen auch gewendet werden konnten. Die leichten Böden des Westens sind in der vorrömischen Eisenzeit mit den einfachen, seit dem Neolithikum nachweisbaren 84 Hakenpflügen bearbeitet worden. Sie rissen den Boden nur auf und konnten gelegentlich durch Schräghalten des Pfluges, wie Glob gezeigt hat 9 5 , auch nach Art eines Pfluges mit Streichbrett wirken. Für die vernäßten schweren Böden der Jungmoräne mußten sie entweder mit einer eisernen Pflugschar bewehrt, oder durch schwere Pflüge ersetzt werden. Zwar zeigen Pflugspuren auf den dänischen Inseln 8 6 , daß auch schwere Böden mit einfachen Hakenpflügen bearbeitet werden konnten und selbst in der Marsch scheint das möglich gewesen zu sein 87 , im ganzen aber bildet doch die Entwicklung schwerer Pflüge eine wesentliche Voraussetzung für die Landnahme auf den jungdiluvialen Tonböden*. Die Entstehung wirtschaftlicher Schwierigkeiten auf den leichten Sandböden des Westens einerseits, die Gewinnung von Eisen für Äxte und Pflugscharen und die Entwicklung schwerer Pflugtypen andererseits sind Momente, die wenigstens zum Teil die Wandlungen des Siedlungsraumes zwischen der vorrömischen Eisenzeit und der römischen Kaiserzeit im westlichen Ostseebecken erklären können, wenn auch vielleicht noch wesentliche komplexere Ursachen vorgelegen haben die sich auf einen großen Raum gleichmäßig auswirkten.

81

Wenn auch einwandfrei ins Neolithikum datierte Pflüge fehlen (zur Datierung des Pfluges von Walle in die Bronzezeit vgl. P. GLOB 1951, S. 22 f. und F. OVERBECK, Nachr. Nieders. Urgeschichte 19 [ 1 9 5 0 ] ) . So lassen sich doch Pflugspuren, die auf die Verwendung dieses Pflugtyps weisen, an zwei Stellen unter spätneolithisdien Grabhügeln nachweisen: A. E. VAN GRIFPEN, Nieuwe Drentsche Volksalmanak 1941. Abb. 3 1 : für den Hügel von Gasteren, Anloo; und P. GLOB 1951. S. 80; für den Hügel von Sevel in Mitteljütland. Der Befund ist wohl so zu deuten, daß an beiden Stellen die spätneolithisdien Hügelgräber auf altem Ackerland angelegt wurden.

85

P . GLOB 1 9 5 1 , passim.

M

P . GLOB 1 9 5 1 .

87

Nach frdl. mündlicher Mitteilung von Herrn Prof. VAN GRIFFEN.

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[32]

9. DIE AUSWIRKUNGEN AUF SOZIALEM GEBIET Für die Gesellschaftsordnung der auf den leichteren Böden sitzenden Bevölkerung der vorrömischen Eisenzeit ergeben Grabfunde und Siedlungen wenigstens ein ungefähres Bild. Es fehlen alle Anzeichen für die Existenz einer aus der breiten Masse der Bevölkerung herausgehobenen sozialen Oberschicht. Die Grabfunde zeichnen sich über weitere Räume durch große Gleichartigkeit aus, wobei höchstens das gelegentliche Auftreten von Waffen-Gräbern soziale Unterschiede andeuten mag. Den Grabfunden wird man wenigstens bei einer oberflächlichen Überprüfung entnehmen können, daß die Gesellschaftsordnung dieser Menschen durch das gleichberechtigte Nebeneinander der Einzelnen gekennzeichnet war, eine Ordnung wie sie von philologischer Seite aus auch aus der Zusammensetzung der älteren Ortsnamen gefolgert worden ist 88 . Im Bereich der Moorfunde tauchten zum Teil auffallende Unterschiede auf. Neben den einfachen bäuerlichen Tongefäßopfern einer hauptsächlich von Viehzucht lebenden Bevölkerung stehen ungewöhnlich kostbare Opfergaben wie etwa der Gundestrup-Kessel und der Dejberg-Wagen. Was sich in diesen Unterschieden andeutet, ist nicht zu erkennen. D a s Zusammenleben der Bevölkerung geschah in einzelnen H ö f e n oder kleinen weilerartigen Dörfern 8 9 , bei denen die einzelnen Häuser meist geschlossene wirtschaftliche Einheiten von ungefähr gleichem Ausmaß darstellen. Auf dem Siedlungsplatz von Mariesminde fand Gudmund H a t t neben den üblichen an verschiedenen Stellen beobachteten Häusern mit Wohnteil, quergestellter Mitteldiele und Stallteil an der südlichen Häuserzeile des Angersdorfes Häuser, die nur aus einem Wohnteil ohne Diele und Stall bestanden 0 0 . Es mag sein, daß sich hier Anzeichen für die Existenz einer wenigstens im Besitzstand niedrigeren Bevölkerungsgruppe ergeben. Den kleinen, weilerartigen Siedlungen entsprechen auch die kleinen Friedhöfe, Einzelhöfen wohl die vereinzelten Gräber oder Grabgruppen, die H a t t zu wiederholten Malen auf den Äckern antraf. Allerdings könnten große Friedhöfe wie Aarre 9 1 auch für die ältere vorrömische Eisenzeit bereits auf die Existenz größerer Siedlungen hinweisen. Gefunden sind solche Dörfer, wie es scheint, bisher noch nicht. Mit der Besiedlung der schweren Tonböden geht die Entstehung großer Friedhöfe mit o f t vielen Hunderten von Gräbern H a n d in H a n d . Diese großen Urnenfelder sind wahrscheinlich als Begräb-

88

80

Z. B. für -um (-heim) und -inge Namen im Norden Kr. Haid, Vore Stednavne (1950). Z. B., die Ansiedlung von Skorbaek Hede, Aarbog. 1938, Taf. II, Zur Siedlungsweise: G. H A T T 1937, S. 112 ff.; J. B R O N D S T E D DO III, S. 77 ff.; G. H A T T 1949, S. 19 ff.; AXEL STEENSBERG, Den danske Landsby. Vi og vor

Vortid

(1942); ders., in: Danmarks Historie. Udg. af Historikergruppen 1950. S. 46 ff. M

G . H A T T 1937, S. 116, A b b . 59.

91

A a r b o g 1894, S. 169; J . BRONSTED D O I I I , S. 14.

[32, 3 3 ]

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

99

nisplätze für größere Gemeinschaftssiedlungen aufzufassen. Daß in der römischen Kaiserzeit größere Dorfsiedlungen bestanden, ist auch durch die Untersuchung Hatts in Himmerland bewiesen 92 . Welches der soziale Hintergrund für die Entstehung so großer Dörfer gewesen ist, läßt sich bisher noch nicht erkennen. Die von historischer Seite vorgetragene Auffassung, daß die Entwicklung schwerer Pflugtypen mit großem Vorspann zu einem solchen Zusammensiedeln zwang 9 3 , hat sich bisher nicht durchgesetzt 94 . Ob die Aufgaben, die der Zwang zur Waldrodung stellte, die Menschen zum Zusammenwohnen in größeren Gemeinschaften veranlaßte 9 5 ist fraglich, da bis weit in die historische Zeit hinein Waldrodungen auch in Einzelsiedlungen durchgeführt worden sind. Möglicherweise hat hier das Kennenlernen größerer Ansiedlungen im Westen und Süden Europas als Vorbild gewirkt. Diese Frage ist bisher noch nicht sicher zu beantworten. Einen anderen tiefgreifenden Wandel in der Gesellschaftsordnung zeigen die Gräber an. Waren die Bestattungen der vorrömischen Eisenzeit durch eine eintönige Gleichartigkeit gekennzeichnet, so lassen sich seit augustäischer Zeit, neben den kleineren und größeren Friedhöfen der gewöhnlichen Bevölkerung, kleine ungewöhnlich reiche Grabkomplexe, sogenannte Fürstengräber erkennen 96 . Sie unterscheiden sich von den Beisetzungen der übrigen Bevölkerung nicht nur durch den Reichtum an zum Teil kostbaren Gütern, sondern auch durch den aufwendigeren Grabbau und durch die isolierte Lage**. In diesen Gräbern drückt sich eine soziale Differenzierung aus, die in der Zeit um Chrsti Geburt zur Entstehung einer Aristokratie geführt hat. Man wird in dieser kleinen, aber scharf umrissenen Bevölkerungsgruppe die „principes" des Tacitus wiedererkennen können. Die sich damit andeutende soziale Gliederung läßt sich im westlichen Ostseebecken im Verlauf der römischen Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit nicht nur an den Grabfunden ablesen. Sie ergab sich auch aus der Untersuchung der Ortsnamen 97 und sie findet sich bei der Ausgrabung einzelner Siedlungen bestätigt 98 . | Die kriegerisch unruhigen Zeiten dieser Jahrhunderte haben eine solche Differenzierung gefördert 99 . Unklar, und bisher aus dem archäologischen Quellenmaterial nicht zu erkennen, bleibt Wirtschaftsform und Flurver92 93

94

93

90

97 98 99

Z. B. OSTERB0LLE, A a r b . 1938, S. 166 ff. u. Taf. III. Literatur bei P. J0RGENSEN, Dansk Retshistorie (1947 2 ), S. 1 6 9 — 1 8 9 , bes. 1 8 7 f. Weil nicht einleuchtet, daß der Zwang zur Gestellung eines größeren V o r spanns v o n Odisen zur Bildung großer D ö r f e r geführt haben muß. A u f diese Möglichkeit machte midi H e r r D r . HINGST freundlicherweise a u f merksam. H. J. EGGERS, Der römische Import im freien Germanien (Hamburg 1 9 5 1 ) , S. 48 ff. Für die - l e v Namen vgl. K r . HALD, Vore Stednavne (1950). G . HATT, Fra Ribe A m t 1948, S. 36 ff. f ü r die Zeit um 500. P. J . J0RGENSEN, Dansk Retshistorie (1947 2 ), S. 2 1 0 .

100

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

[33]

fassung dieser Jahrhunderte. In ihnen muß sich der Ubergang von der individualwirtschaftlichen auf dem Privateigentum am gepflügten Land beruhenden Wirtschaftsweise der vorrömischen Eisenzeit 100 zur genossenschaftlichen auf Flurgemeinschaft und Flurzwang beruhenden Wirtschaftsform des frühen Mittelalters vollzogen haben 101 . Audi die Entstehung des neuen Ackertyps, der hochrückigen Äcker, muß im Norden in diesen Jahrhunderten erfolgt sein, ohne daß sich dieser Vorgang für den Norden bisher klären läßt. Vergleicht man das, was sich aus den archäologischen Untersuchungen Jütlands über Flurverfassung und bäuerliche Wirtschaftsform der cäsarianischen und taciteischen Zeit in einer Fülle von Beispielen als Regel und Norm in den Siedlungsgebieten des westlichen Ostseeraumes ergibt, so fällt die große Diskrepanz auf, die sich zwischen diesen Ergebnissen und den Berichten der antiken Autoren über die Wirtschaftsform der germanischen Stämme erkennen läßt. Dem Privateigentum am gepflügten Boden und der anscheinend stärker individualwirtschaftlichen Betriebsform Jütlands entspricht in den antiken Quellen die Vorstellung vom Vorherrschen des Gemeineigentums am Grund und Boden und von einer genossenschaftlichen Betriebsform. Dieses Bild hat weitgehend die rechtsgeschichtliche Forschung beherrscht 102 , und man hat die sich aus den antiken Quellen ergebenden Beobachtungen für typisch gehalten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich die Kenntnis der antiken Autoren zunächst überwiegend auf die Bekanntschaft mit Völkern gründete, die am Rande der germanischen Stammeswelt in kriegerischer Wanderung begriffen waren. Dieser Zustand hat naturgemäß wesentlich auch auf die Wirtschaftsform eingewirkt. Das Zweite aber, was in Betracht zu ziehen ist, will man die Divergenz der verschiedenartigen Quellen erklären, ist die Tatsache, daß sich die historischen Berichte der Frühzeit auf Stämme beziehen, die erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit in den Siedlungsgebieten saßen, in denen sie die Römer kennenlernten und die in diesen Siedlungsgebieten eine Bevölkerung anderer Volkstumszugehörigkeit mit möglicherweise anderer Wirtschaftsverfassung angetroffen hatten, mit der sie sich auseinandersetzen mußten. Diese Faktoren haben offenbar dazu geführt, daß sich schon in der Zeit Cäsars im Siedlungsgebiet der Völker und Stämme Mittel- und Nordeuropas tiefgreifende Verschiedenheiten der Wirtschaftsform entwickelt hatten, Unterschiede, die nicht nur durch die lokalen Besonderheiten geographischer und klimatischer Art bedingt waren, sondern die zum Teil auch durch die verschiedenartigen historischen und soziologischen Situationen bestimmt wurden, in denen sich die Stämme in den verschiedenen Teilen des großen Siedlungsraumes befanden 103 . 11,0 101

102

G. H A T T , The Ownership of Cultivated Land (1939). P. J. J0RGENSEN, Dansk Retshistorie (1947 2 ), S. 188, N r . 3, Literatur zu diesem Problem. Z. B. H. BRUNNER, Deutsche Rechtsgeschichte I 2 (1906).

[33]

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

101

Abkürzungen: Aarboger for nordisk Oldkyndighed og Historie. J. B R O N D S T E D D E : Joh. Br0ndsted, Danmarks Oldtid, 3 Bände (1938—1940). FNMA: Fra Nationalmuseets Arbejdsmark. P. G L O B 1951: P. Glob, Ard og Plov i Nordens Oldtid (1951). G U T E N B R U N N E R — J A N K U H N — L A U R : S. Gutenbrunner, H . Jankuhn u. W. Laur, Völker und Stämme Südostschleswigs im frühen Mittelalter (1952). G. H A T T 1937: G. Hatt, Landbrug i Danmarks Oldtid (1937). G. H A T T 1949: G. Hatt, Oldtidsagre (1949). Bj. H O U G E N 1947: Björn Hougen, Fra Seter til gard (1947). H . J A N K U H N 1950: H. Jankuhn, Siedlungs- und Kulturgeschichte der Angeln vor ihrer Auswanderung nach England. Jahrbuch des Angler Heimatvereins 1950, S. 54—132. H. J A N K U H N u. R. S C H Ü T R U M P F 1952: H . Jankuhn u. R. Schütrumpf, Siedlungsgeschichte und Pollenanalyse in Angeln. Offa 10 (1952). K. K E R S T E N 1951: K. Kersten, Die Vorgeschichte des Kreises Herzogtum Lauenburg (1951). T H . M A T H I A S S E N 1 9 4 8 : Th. Mathiassen, Studier over Vestjyllands Oldtidsbebyggelse

AARBOG:

(1948)

Schmitz, Die Zeitstellung der Buchenausbreitung in SchleswigHolstein. Forstwissenschaft!. Centralblatt 70 (1951), S. 193—203. H. S C H M I T Z 1952: H. Schmitz, Klima Vegetation und Besiedlung. Ardiaeologia geographica 2 (1952), S. 15—22. R. S C H Ü T R U M P F 1951: R. Schütrumpf, Die pollenanalytische Untersuchung eisenzeitlicher Funde aus dem Rüder Moor, Kr. Schleswig. Offa 9 (1951), S. 53 ff. H . SCHMITZ 1 9 5 1 : H .

Nachträge Zur Problematik der archäologischen Landesaufnahme vgl. H . Jankuhn, Archäologische Landesaufnahme, in: Hoops, Reall. 2. Aufl. Bd. 1, Berlin — N e w York 1973, 391—394 mit Literaturnachweis. Über Möglichkeiten und Grenzen einer archäologischen Landesaufnahme im Bergland vgl. K. Raddatz Probleme einer archäologischen Landesaufnahme im niedersächsischen Mittelgebirgsgebiet, Neue Ausgrabungen und Forschungen in Niedersachsen, Bd. 7 (Festschrift für W. Haarnagel) Hildesheim 1972, 341 bis 380.

103

Die vorstehend dargelegten Gedanken über die Abhängigkeit von Siedlung, Klima und Wirtschaft voneinander sind durch einen engen wissenschaftlichen Kontakt mit den Herren Dr. S C H Ü T R U M P F , Prof. S C H M I T Z und Prof. S C H O T T wesentlich gefördert worden. Ich bin den drei Herren für den freundschaftlichen und anregenden Gedankenaustausch zu tiefstem Dank verpflichtet. Dieser Beitrag gehört aufs engste mit der vor ihm abgedruckten Arbeit von Herrn Schmitz zusammen, der die naturwissenschaftlichen Ergebnisse zu dem hier behandelten Problem vorlegt.

102

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

[33]

Z u 1. A n g e l n Für die Siedlungsgeschichte der Landschaft Angeln (vgl. Anm. 7) ist jetzt die Vorlage der archäologischen Landesaufnahme im Kreise Flensburg — also im Nordteil von Angeln — wichtig, vgl. J. Röschmann, Vorgeschichte des Kreises Flensburg, Neumünster 1963. Durch sie werden die hier vorgetragenen Ergebnisse weitgehend gestützt. Für ganz Schleswig-Holstein wichtig ist die Arbeit von H. Hingst, Karten zur Besiedlung Schleswig-Holsteins in der vorchristlichen Eisenzeit und älteren Kaiserzeit, Archaeologia Geographica, Jhg. 3, H. 1/3, 1952, 8—15; eine neue Zusammenfassung auch der siedlungsarchäologischen Ergebnisse findet sich in den Beiträgen von H. Hingst und H. Jankuhn zum Bd. 2 der Geschichte Schleswig-Holsteins, hrsg. von O.Klose, Neumünster 1964 ff. Für die Siedlungsverhältnisse der jüngeren Bronzezeit in Holstein jetzt auch M. Menke, Die jüngere Bronzezeit in Holstein, topographisch-chronologische Studien, Neumünster 1972. Z u 6. D i e U r s a c h e n d e r V e r ä n d e r u n g e n bei den S i e d 1 u n g s r ä u m e n Die Datierung der Klimaverschlechterung zu Beginn der sog. Nadiwärmezeit am Übergang von Bronze- zu Eisenzeit ist in mehreren Arbeiten untersucht worden; vgl. dazu: F.Overbeck—K. O. Münnich—L. Aletsee— F. R. Averdieck, Das Alter des „Grenzhorizontes" norddeutscher Hochmoore nach Radiocarbon-Datierungen", Flora, Bd. 145, 1957, 37—71 und F. Firbas — K. O. Münnich—W. Wittke, C 14-Datierungen zur Gliederung der nacheiszeitlichen Waldentwicklung und zum Alter von Rekurrenzflächen im Fichtelgebirge", Flora, Bd. 146, 1958, 512—520. Von der klimatischen Entwicklung des letzten vorchristlichen Jahrhunderts ist insbesondere durch die Untersuchungen Overbecks bekannt, daß in diesem Jahrhundert ein Temperaturanstieg und eine Abnahme der Niederschläge eintrat, also ein auch gemessen am heutigen Klima wärmeres und trockeneres Klima herrschte. Nimmt man hinzu, daß, wie die Untersuchungen im Marschengebiet, etwa im Bereich von Feddersen Wierde gezeigt haben, in dieser Zeit eine Meeresregression stattfand und infolgedessen auch mindestens im weiteren Küstengebiet eine Wasserspiegelsenkung eintrat, so könnte man durchaus mit einer Austrocknung sandiger Gebiete auf der jütischen Halbinsel bis nach Holstein hin rechnen. Vielleicht deutet die Entstehung von Wehsandflächen und eine Dünenbildung, wie sie für die Zeit um Christi Geburt in Nordwestjütland bei N0rre Fjand nachgewiesen worden ist (vgl. G. Hatt, Norre Fjand. An early Iron-Age-Village Site in West-Jütland, Kopenhagen 1957) eine solche Austrocknung mit den nachteiligen Folgen für menschliches Siedeln und Wirtschaften an. Diese Veränderung im Temperatur- und Niederschlagsklima könnte im Verein mit der zu vermutenden Grundwasserspiegelsenkung auf sandigen Böden auch Folgen für den Menschen gehabt haben.

[33]

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

103

Daneben wird man, insbesondere im Hinblick auf die Hinwendung zu schweren Böden, sei es in der Jungmoräne, sei es in der Marsch auch mit technologischen Fortschritten wie der stärkeren Eisengewinnung aus heimischen Rohstoffen und der Erfindung des Streichbrettpfluges und mit organisatorisch-sozialen Neuordnungen rechnen müssen. Zu

7. D i e

Wirtschaftsform

der

älteren

Eisenzeit

Neuere zusammenfassende Literatur: H . Jankuhn, Ackerfluren der Eisenzeit und ihre Bedeutung für die frühe Wirtschaftsgeschichte, 37./38, Ber. d. Röm-Germ. Komm. 1956—1957 (1958), 148—214. M. Müller-Wille, Eisenzeitliche Fluren in den festländischen Nordseegebieten, Münster 1965. H . Jankuhn, Deutsche Agrargeschichte Bd. I. Vor- und Frühgeschichte vom Neolithikum bis zur Völkerwanderungszeit, Stuttgart 1969, bes. 114 bis 184. H . Jankuhn, Das freie Germanien bis 500, in: H . Aubin und W. Zorn (Hrsg.) Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1971, 56—79. W. Haarnagel, Vor- und Frühgeschichte des Landes Wursten, in: E. v. Lehe, Geschichte des Landes Wursten, Bremerhaven 1973, 17—128, bes. 79 ff. Zur Frage der Instabilität der Siedlungsplätze auch bei fester gebauten Häusern vgl. jetzt C. J . Becker zum Problem der ältesten eisenzeitlichen Dörfer in Jütland, in: M. Claus—W. Haarnagel—K. Raddatz (Hrsg.), Studien zur europäischen Vor- und Frühgeschichte (Festschrift für H . Jankuhn) Neumünster 1968, 74—82. Ob diese Betriebsform der Landwirtschaft in der Zeit vor dem Bau fester Häuser in der Eisenzeit weniger stationär war, ist eine noch immer offene Frage, insbesondere nachdem auch aus der Bronzezeit in den Niederlanden und in Jütland große Häuser entdeckt worden sind. Zur Größe des Viehstapels vgl. C. J . Becker, a. a. O. 76 und W. Haarnagel, a. a. O. (s. oben) 79 ff. Z u 8. B e s i e d l u n g in d e r r ö m i s c h e n

der Jungmoränenböden Kaiserzeit

Zum Problem der sog. Moorgefäße vgl. C. J . Becker, Zur Frage der eisenzeitlichen Moorgefäße in Dänemark, in: H . Jankuhn (Hrsg.) Vorgeschichtliche Heiligtümer und Opferplätze in Mittel- und Nordeuropa, Abhandl., der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist. Kl., 3. Folge, Nr. 74, Göttingen 1970, 119—166. Zur Frage der Rodungsgeräte vgl. den Artikel „ A x t " in Hoops, Reall. 2. Aufl. Bd. 1, 1973, 534 ff.

104

ÄLTERE EISENZEIT IM WESTLICHEN OSTSEEBECKEN

[33]

Zur Frage des Streichbrettpfluges H . Jankuhn Deutsche Agrargeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1969, 156 und M. Müller-Wille, „Ackergeräte" in Hoops, Reall. 2. Aufl. Bd. 1, 1973, 5 0 — 5 3 . Zur Frage der Dorfsiedlungen s. hier S. 283 ff. Zu den Fürstengräbern der römischen Kaiserzeit vgl. M. Gebühr, Zur Definition älterkaiserzeitlicher Fürstengräber vom Lübsow-Typ. Prähist. Zeitschr. 49, 1974, 82—128.

[229, 230]

METHODEN UND PROBLEME SIEDLUNGSARCHÄOLOGISCHER FORSCHUNG [Archaeologia Geographica, Jhg. 4, 1955, S. 73—84]

Der Begriff „Siedlungsarchäologie" ist durch die Formulierung des Ausdrucks „siedlungsarchäologische Methode" und die Anwendung dieses Begriffs für eine Arbeitsweise, die mit dem, was das Wort Siedlungsarchäologie ausdrückt, verhältnismäßig wenig zu tun hat, in seinem Bedeutungsgehalt umgebogen und stark verengt worden 1 . Folgt man dem Wortsinn des Ausdrucks Siedlungsarchäologie, so kann man ihn nur in Analogie zu den Bezeichnungen „Siedlungsgeschichte" und „Siedlungsgeographie" zur Benennung einer Arbeitsweise benutzen, die sich bemüht, aus archäologischen Quellen mit einer diesen angepaßten Methode Erkenntnisse über frühe Siedlungs- und Besiedlungsvorgänge zu gewinnen. Es wäre schon im Hinblick auf die leichtere Verständlichkeit bei Nachbardisziplinen vorteilhaft, wenn man den Begriff „Siedlungsarchäologie" nur in dieser seinem Wortsinn gerecht werdenden Bedeutung anwenden würde. Versuche, von der archäologischen Quellenbasis aus Besiedlungsvorgänge früherer Zeiten zu erkennen, sind alt. Eine wesentlich breitere Grundlage erhielt diese Betrachtungsweise durch die Entwicklung der archäologischen Landesaufnahme, deren Ziel es war, in einer Zeit schnell fortschreitender Intensivierung der Landwirtschaft und einer dadurch bedingten stärkeren Zerstörung vorgeschichtlicher Denkmäler und Fundplätze die heute noch erhaltenen | Reste im Gelände systematisch aufzusuchen, zu registrieren und zu beschreiben, um so wenigstens einen Teil dieser stark von Zerstörung bedrohten Quellen der Forschung zu erhalten. Damit gewann man gerade für siedlungsarchäologische Untersuchungen ein Quellenmaterial das nicht auf der Zufälligkeit einer Erfassung durch interessierte Laien oder örtliche Museen beruht, wenn auch von vornherein in Rechnung zu stellen 1

2

3

E. BLUME, Die Germanischen Stämme und die Kulturen zwischen Oder und Passarge zur römischen Kaiserzeit 1912, S. 1 ff.; Zur Anwendung der Bezeichnung „siedlungsarchäologische Methode" im Sprachgebrauch Kossinas und seiner Schüler: A . KIEKEBUSCH, in: Max Ebert, Reallexikon der Vorgeschichte Bd. 12, s. v . ,Siedlungsarchäologie'. A . TODE, Organisation und praktische Durchführung einer allgemeinen archäologischen Landesaufnahme. Vorgesdi. Jahrb. 3 (1928), S. 10 bis 2 1 ; ders., Die urgeschichtlichen Denkmäler und Funde von Schleswig-Holstein Bd. 1, Landesteil Lübeck, 1929. W . BÖHM, Die Vorgeschichte des Kreises Westprignitz, 1937.

106

M E T H O D E N U N D PROBLEME DER S I E D L U N G S A R C H Ä O L O G I E

[230, 231]

ist, daß ein gewisser Teil von Fundplätzen, ja selbst ganze Fundgattungen auch durch diese systematisch betriebene Aufnahme nicht erfaßt werden. Der Gedanke der archäologischen Landesaufnahme ging von Alfred Tode aus, der die Möglichkeiten einer solchen Betrachtungsweise an einem begrenzten Gebiet Ostholsteins studierte 2 . Von ihm angeregt, wurden die Landesaufnahmne in der Prignitz durch Waltraud Böhm 3 und Walter Matthes 4 durchgeführt. Nach dem Fortgang Todes aus Kiel übernahm Kersten dieses Forschungsvorhaben und führte es in verhältnismäßig kurzer Zeit für große Teile des Landes Schleswig-Holstein durch. Das zunächst gewählte Beispiel des Kreises Steinburg 5 war verhältnismäßig ungünstig und wenig geeignet dazu, einem mit dieser Fragestellung weniger vertrauten Forscher zu einem Verständnis für die in dieser Forschungsrichtung liegenden Möglichkeiten zu verhelfen. Die archäologische Landesaufnahme ist aus verwaltungstechnischen Gründen gezwungen, ihre Arbeitsbereiche nach den modernen Verwaltungseinheiten der Kreise zu richten. Das ist in vieler Hinsicht unglücklich, denn es werden dadurch häufig willkürlich Gebiete herausgeschnitten, die siedlungsgeschichtlich für sich allein genommen unverständlich bleiben müssen, weil durch diese moderne Verwaltungseinteilung vielfach alte Siedlungseinheiten zerrissen werden. Erst, wenn größere geschlossene Gebiete vollständig | untersucht sind, wird sich ein erschöpfendes Bild der großen Siedlungsvorgänge in den verschiedenen Zeiten gewinnen lassen. Indessen gewinnen auch die jetzt vorliegenden Untersuchungen für einen mit der Methode der Landesaufnahme und den örtlichen Gegebenheiten eines größeren Gebietes vertrauten Forscher insofern eine gewisse Bedeutung, als sich auch jetzt schon einige methodische Gesichtspunkte ergeben 6 . Im folgenden soll an verschiedenartig gelagerten Beispielen dargelegt werden, in welchem Umfange besiedlungsgeschichtliche Erkenntnisse für bevölkerungsgeschichtliche Fragen ausgewertet werden können. Diese Versuche gehen nicht allein von den Ergebnissen der archäologischen Landesaufnahme aus; sie beziehen sich auf die Klärung von Siedlungsvorgängen der Eisenzeit, für die neben den archäologischen Quellen auch andere Zeugnisse zur Verfügung stehen, wie Orts- und Flurnamen und geographischen Gegebenheiten. Die Bedeutung der archäologischen Landesaufnahme für die Erforschung eisenzeitlicher Siedlungsvorgänge in Norddeutschland erschöpft sich nicht in der Registrierung von Funden und Fundplätzen; sie liegt vielmehr darin, daß durch eine Verknüpfung mit den Ergebnissen moderner siedlungsgeographischer und siedlungshistorischer Untersuchungen neue Gesichtspunkte gewonnen werden können. Die im folgenden gewählten Beispiele erstrecken sich auf Gebiete, für die neuere sied4 5 6

W. MATTHES, Urgeschichte des Kreises Ostprignitz, 1929. K . KERSTEN, Vorgeschichte des Kreises Steinburg, 1939 E t w a H . JANKUHN, K l i m a , Besiedlung u n d Wirtschaft der im westlichen Ostseebecken. Arth. G e o g r . 3 (1952) S. 23 ff.

älteren

Eisenzeit

[232,233]

METHODEN UND PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

107

lungshistorische Untersuchungen vorliegen, über die teilweise im vorliegenden H e f t die Verfasser selbst berichten. Auf die Ergebnisse dieser historischen Untersuchungen bezieht sich der vorliegende Aufsatz.

I. S I E D L U N G S G E S C H I C H T L I C H E P R O B L E M E D E R E I S E N Z E I T IN ANGELN7

Die archäologische Landesaufnahme in der Landschaft Angeln ist abgeschlossen, und es liegt jetzt ein vollständiges Verzeichnis [ aller nach den vorliegenden Gegebenheiten erfaßbaren Funde dieser an Denkmälern, Bodenfunden und historischen Problemen so reichen Landschaft vor. Dazu kommt, daß von historischer Seite die Besiedlungsgeschichte Angelns während der Wikingerzeit und für die anschließenden Teile des hohen Mittelalters von historischen Quellen ausgehend und die geographischen Voraussetzungen sorgfältig berücksichtigend untersucht ist 8 . Außerdem ist durch die inzwischen ebenfalls abgeschlossene kunsttopographische Aufnahme der Baudenkmäler Angelns auch von dieser Seite her ein Quellenmaterial aufgeschlossen9, dessen methodische Nutzbarmachung für siedlungsgeschichtliche Fragen ein Verdienst der Arbeit von Kuhlmann ist. Damit zählt Angeln zu den bestuntersuchten Landschaften Mittel- und Nordeuropas. Dazu kommt, daß eine Reihe von Spezialuntersuchungen, die sich mit größeren Denkmälergruppen befassen, ebenfalls vor dem Abschluß steht. Zu erwähnen sind hier die Untersuchungen Schwabedissens in dem großen steinzeitlichen Siedlungsgebiet des Satrupholmer Moores, die Bearbeitung der Funde von Thorsberg, die jetzt zu einem Teil wenigstens abgeschlossen vorliegt, und die philologische Durcharbeitung des Ortsnamenbestandes 10 . Eine solche Vielfalt von Untersuchungen bildet für die Erkenntnis siedlungsgeschichtlicher Probleme eine wesentliche Voraussetzung. Siedlungsarchäologische Untersuchungen werden — das liegt in der Natur der Sache — immer nur kleinräumig durchgeführt werden können, ohne daß sie deshalb ihrem Range nach als „Heimatgeschichte" abgetan werden können. Ihr Wert liegt über die speziellen Erkenntnisse für den untersuchten Raum | hinausgehend in dem 7

8

9

10

Der erste Teil der hier für Angeln vorgetragenen Ergebnisse ist in ähnlicher, teilweise gleichlautender Form schon im Jahrbuch des Angeler Heimatvereins, 18. J g . (1954) S. 37 ff. dargestellt worden. J . KUHLMANN, Besiedlung und Kirchspielorganisation der Landschaft Angeln. Ungedr. Kieler Dissertation 1954. Abgeschlossen vorgelegt sind die Baudenkmäler des Kreises Flensburg, vgl. D. ELLGER, Die Kunstdenkmäler des Landkreises Flensburg, 1952. Abgeschlossen, aber noch nicht veröffentlicht sind die Aufnahmen im Kreise Schleswig, in der Stadt Flensburg und in der Stadt Schleswig. E i n e Übersicht v o n W . LAUR in: S. GUTENBRUNNER/H. JANKUHN/W. LAUR,

Völ-

ker und Stämme Südostschleswigs im frühen Mittelalter, 1952, S. 59—85 mit älterer Literatur. D a z u jetzt noch W. Laur, Theophore Ortsnamen in der Landschaft Angeln. Jhb. d. Angler Heimatvereins 18. Jhb. (1954) S. 106 ff.

108

METHODEN UND PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

[233, 234]

paradigmatischen Charakter solcher Arbeit. Es wird niemals möglich sein, große Gebiete in der gleichen Intensität zu erforschen, aber wenn es gelingt, durch intensivste Erforschung einzelner Landschaften den Ablauf der Siedlungsvorgänge im einzelnen zu klären, wird auch auf die Vorgänge benachbarter, weniger sorgfältig untersuchter Landschaften Licht fallen. Für die eisenzeitliche Besiedlung Angelns ist in einer Reihe einzelner Untersuchungen 11 die Auffassung vertreten worden, daß sich im Fundmaterial der Landschaft zwei Siedlungshorizonte abzeichnen, die anscheinend durch eine Epoche der Verödung getrennt sind. Nach einer am Ende der Bronzezeit einsetzenden Epoche der Fundarmut setzt in der späten, vorrömischen Eisenzeit ein von einzelnen Siedlungskernen ausgehender, vielleicht zum Teil durch Zuzug von außen gespeister, Landausbau ein. Dieser Vorgang einer Binnenkolonisation führte in den ersten nachchristlichen J a h r hunderten zur Besitznahme auch der schweren Böden und zu einer für vorgeschichtliche Verhältnisse dichten Besiedlung Angelns, die nur auf dem Hintergrund einer Waldrodung erklärbar ist 12 . Die damit einsetzende dichte Besiedlung der Landschaft Angeln hört im fünften nachchristlichen J a h r hundert auf, jedenfalls setzen um diesen Zeitpunkt die archäologischen Quellenzeugnisse aus, die für die Erforschung der Siedlungsgeschichte zur Verfügung stehen. U m festzustellen, ob die sich für drei bis vier Jahrhunderte anschließende Fundleere einer Siedlungsleere oder einer Forschungslücke entspricht, war für Angeln durch die Einbeziehung paläobotanischer Untersuchungen ein neuer Weg beschritten worden 1 3 , und es ergab sich aus den zunächst durchgeführten pollenanalytischen Untersuchungen, daß die siedlungsanzeigenden Kräuterpollen tatsächlich | in der Zeit dieser Fundleere aussetzen und damit auch von dieser Basis aus die Annahme einer starken Bevölkerungsausdünnung zu Beginn des frühen Mittelalters gerechtfertigt erscheint. Wenn hier von einer Verödung gesprochen wird, so ist darauf hinzuweisen, daß dieser Ausdruck nicht eine vollständige Menschenleere bedeutet, sondern lediglich eine starke Ausdünnung der Bevölkerung bezeichnet, so daß mit geringen oder größeren Bevölkerungsresten gerechnet werden muß. Nach dieser Verödung des 6., 7. und 8. Jahrhunderts setzt im 9. Jahrhundert, zunächst zaghaft und seit 900 stärker, eine Neubesiedlung des Landes überwiegend wohl durch von außen zuwandernde neue Ansiedler ein. Diese auf Grund von archäologischen Funden und Ortsnamen erschlossene Siedlungsgeschichte der Zeit zwischen 500 v. Chr. Geb. und dem Ende " 12

13

H . JANKUHN,

in

GUTENBRUNNER/JANKUHN/LAUR

a. a. O . ,

S. 9 ff.,

dazu

noch

H . JANKUHN, Angler Jhb. (A. J.) 16 (1952) S. 25 ff. Den ersten Hinweis auf eine Waldrodung größeren Umfanges in der römischen Eisenzeit verdanke ich dem verstorbenen Haderslebener Museumsdirektor Lund, der auf Grund einer sorgfältigen Kartierung aller Eisenzeitfunde Nordschleswigs zur Annahme einer ausgedehnten Waldrodung gekommen war. H . JANKUHN/R. SCHÜTRUMPF, Siedlungsgeschichte und Pollenanalyse in Angeln. Offa 10 (1952) S. 28 ff.

[234]

METHODEN U N D PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

109

der Wikingerzeit (Anfang des 11. Jahrhunderts n. Chr. Geb.) nimmt also zwei durch einen sich über mehrere Jahrhunderte erstreckenden Zeitraum der Verödung getrennte Siedlungsschichten an, eine eisenzeitliche von etwa 100 v. Chr. Geb. bis 500 n. Chr. Geb. reichende und eine zweite im 9. Jahrhundert beginnende und ohne inneren Bruch in die historische Besiedlung des hohen Mittelalters übergehende Schicht. Für die Verödungszeit, die zwischen beiden liegt, wurde mit einer spärlichen Restbevölkerung aus älterer Zeit gerechnet, die einen in ihrem Umfang vorläufig nicht näher zu bestimmenden Anteil an der Bevölkerung Angelns im Mittelalter ausmacht. 1. Diskordante

Überlagerung

zweier

Siedlungsschichten

Für die Klärung der siedlungsgeschichtlichen Vorgänge in der Eisenund Wikingerzeit konnten durch die Weiterführung der Landesaufnahme neue, methodisch interessante und über Angeln hinaus wichtige Gesichtspunkte gewonnen werden, die hier für den Bereich eines Meßtischblattes, nämlich des Blattes 1323 Ulsby, besprochen werden sollen (Abb. 1). Diese

Abb. 1. Karte Südostschleswigs mit Angabe der Lage der in den Abbildungen 2 und 3 wiedergegebenen Meßtischblätter Ulsby und Süderbrarup

11 o

METHODEN u. PROBLEME d. SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

[234, 235, 236]

Ergebnisse gründen sich nicht nur auf die Registrierung von Funden und Fundplätzen, sondern gehen zu einem sehr wesentlichen Teil auch auf die Ergebnisse der Altlandschaftsforschung zurück, die im Rahmen der schon genannten | siedlungs-historischen Untersuchung mit historisch-geographischen Mitteln gewonnen worden sind. Herr Kuhlmann wird im nächsten Jahrgang dieser Zeitschrift über ein Teilgebiet seiner Ergebnisse berichten, und ich wähle für meine Darlegung etwa den gleichen Raum wie er, damit der Leser durch die Zusammenstellung der archäologischen und historischen Bearbeitung ein möglichst geschlossenes Bild der siedlungsgeschichtlichen Vorgänge einerseits und der sich der Forschung bietenden Möglichkeiten andererseits gewinnt. Betrachten wir zunächst die geographischen und vegetationsgeschichtlichen Voraussetzungen für | das Gebiet, das von Satrup im Norden bis nach Stolk im Süden und von Holming im Westen bis nach Schnarup im Osten reicht. (Meßtischblatt 1323 Ülsby). Auch dieser Teil Angelns gehört zur Jungmoräne und ist demzufolge überwiegend aus schwerem Lehm aufgebaut. Nur am Westrande und an der Südwestecke dieses Kartenblattes finden sich größere, z. T. als Endmoränen ausgebildete sandige bzw. kiesige Partien, im Norden von Hostrup bis nach Stolk im Süden (Abb. 2). In den mittelschweren Lehmboden, der den übrigen Teil des Kartenblattes ausmacht, sind einzelne kleine Sandinseln eingebettet. Etwa diagonal durch dieses Meßtischblatt zieht sich von Südwesten her von Stolk über Havetoftloit nach Esmark ein Moränenbogen, durch den das auf diesem Kartenblatt dargestellte Gelände in zwei ganz verschiedene Gewässersysteme gegliedert wird. Während der Südosten, also die Ortschaften Norderfahrenstedt, Ulsby, Struxdorf und Thumby, nach dem Südosten zur Schlei entwässert, geschieht es im Westen nach Nordwesten des Kartenblattes, also im Gebiet der Ortschaften Havetoft, Hostrup und Torsballig, zur Treene und damit zur Nordsee. Diagonal durch dieses Meßtischblatt läuft also die Wasserscheide zwischen Ost- und Nordsee. In dem hier besprochenen Gebiet befinden sich einige größere Moore, vor allem das an steinzeitlichen Fundplätzen so reiche Rüdermoor im Nordosten, der Ekeberger See in der Mitte, das an Opferfunden aus der Eisenzeit reiche „Hechtmoor" bei Esmark-Süderfeld und das Moorgebiet nordwestlich von Hostrup. Kleinere Kesselmoore, wie sie für die Angeler Jungmoräne auch sonst sehr typisch sind, finden sich auch an anderen Stellen. Bodenmäßig bietet der hier besprochene Raum mit seinen mittleren Lehmböden den Menschen nach heutigen Begriffen gute Existenzmöglidikeit; nur der Westen und Südwesten gibt mit seinen Sandböden weniger her. Ohne menschliche Einwirkung würde sich dieses Gebiet audi heute sehr schnell mit einem dichten Wald bedecken, und das ist auch in der Vorzeit immer dann der Fall gewesen, wenn die menschliche Einwirkung ganz oder großenteils ausgeschaltet war. Das heutige Waldbild stellt also nur einen Restbestand ursprünglich sehr viel größerer Waldungen dar. Noch zur Zeit

[236]

METHODEN UND PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

111

112

METHODEN u. PROBLEME d. SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

[236,238,239]

der ersten einigermaßen verläßlichen Karte Angelns war der Waldbestand ein ganz wesentlich höherer (Angl. Jahrb. 16, S. 52, Abb. 14); zur [ Zeit des Kartographen Johannes Meier (um 1649) war also Angeln vorwiegend ein Waldland, und die menschlichen Siedlungen bildeten in diesem Waldland waldfreie Inseln. Sie waren voneinander durch mehr oder weniger breite Waldgürtel getrennt. Die Karte von Johannes Meier stammt aus einer Zeit (1649), in der die Besiedlung Angelns weitgehend abgeschlossen war. Verfolgt man diese Siedlungsgeschichte weiter rückwärts, dann ergibt sich, daß im hohen Mittelalter etwa das Siedlungsbild noch viel weniger dicht war, und geht man noch einen Schritt weiter, etwa an das Ende der Wikingerzeit, das heißt um die Zeit um 1000 n. Chr. zurück, dann wird man annehmen müssen, daß die damals vorhandenen spärlichen Siedlungen nur weitläufig verstreute Inseln in einem zum größten Teil von Wald bedeckten Lande bilden. Die Rekonstruktion des Waldbildes der Frühzeit, die für die Erkenntnis der siedlungsgeschichtlichen Vorgänge von so großem Wert ist, läßt sich nicht mit Sicherheit vornehmen, da uns historisches oder kartographisches Quellenmaterial für die Zeit um etwa 1000 vollkommen fehlt. Es ist lediglich möglich, eine ungefähre Verbreitung des alten Waldes aus den heutigen Restbeständen und aus den Orts- und Flurnamen, die auf ehemaligen W a l d deuten, zu erschließen. Wenn heute eine Koppel einen Namen trägt, der auf ehemaligen Wald oder auf menschliche Rodungstätigkeit hinweist, dann kann man mit Sicherheit annehmen, daß an dieser Stelle heutigen Ackerlandes oder heutigen Wiesengeländes einmal Wald stand, der im Laufe der historischen Entwicklung von Menschen gerodet wurde. Trägt man alle Flurnamen in eine Karte ein, die so auf ehemaligen Wald oder altes Rodungsgelände hinweisen, so ergibt sich eine Mindestausdehnung alter Waldbestände. Allen ursprünglich vorhandenen Wald wird man auf diese Weise nicht erfassen können, weil ganz sicher nicht alle Äcker oder Wiesen, die durch Rodung aus altem Waldland gewonnen wurden, Namen bekamen, die auf den ehemaligen Waldbestand hindeuten. Kuhlmann hat den Versuch gemacht, mit dieser auch sonst allgemein üblichen Methode das historisch erfaßbare Waldbild für ganz Angeln festzulegen, und er hat auf meine Bitte für die vorliegende Arbeit eine Karte von dem im Bereich des Meßtischblattes Ulsby nachweisbaren Wald angefertigt, wofür ich ihm sehr danke. Diese | Waldkarte ist auf dem beiliegenden Kartenblatt (Abb. 2) wiedergegeben. Der so ermittelte Waldbestand deckt sich in seiner Ausdehnung weitgehend mit dem von Meier auf seiner Karte von 1649 angedeuteten Waldbestand dieser Gegend. Welche Zeit man für das Waldbild mit dieser historischen Methode erfaßt, ist schwer zu sagen; es wird vermutlich die Zeit des späten Mittelalters sein. Betrachtet man die Verteilung dieses W a l des auf dem hier wiedergegebenen Kartenausschnitt, so sieht man sehr deutlich ein großes altes Waldgebiet, das, von Nordwesten nach Südosten verlaufend, die Ortschaften Obdrup, Satrup und Esmark gegen die Dörfer Torsbai-

[239, 2 4 0 ]

METHODEN UND PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

H3

lig und Havetoftloit abgrenzt. Dieses "Waldgebiet biegt südlich von Esmark um und verläuft im Bogen nach Nordosten zu, wo es bei Rüde an das Rüder Moor anstößt. Hier sind zwar mit dieser historisch-kartographischen Methode nur einzelne Waldstücke nachweisbar, aber Ortsnamen wie Rüde, die auf Rodung deuten, zeigen, daß hier ein ursprünglich dichteres Waldgebiet durch frühzeitige Rodung gelichtet worden ist. Man gewinnt also den Eindruck, daß das Gebiet der Dörfer Obdrup, Satrup und Esmark im Westen, Süden und Osten von einem dichten, breiten Waldgürtel umgeben war, der dieses Gebiet auch nördlich des Kartenrandes im Norden ganz umschloß, während im Nordosten das Rüder Moor eine breite unpassierbare Grenze bildet. Hier gewinnt man also den Eindruck, daß diese drei genannten Dörfer als große Lichtung in einem sie umgebenden Waldgebiet lagen. Das ist genau das gleiche Bild, das Johannes Meier auf seiner Karte darstellt (vgl. A. J. 18, 1954, S. 46). Die Entstehung dieser Siedlungsinsel im Walde und ihre Siedlungsgeschichte hat Kuhlmann ausführlich dargestellt. Verfolgt man das Waldbild weiter, dann zeigt sich eine ähnliche Bildung auch im südöstlichen Teil dieses Kartenblattes, die dort liegenden Ortschaften Ülsby, Hollmühle, Struxdorf, Thumby und Schnarup sind im Norden, Westen und Süden von einem breiten Waldgürtel umgeben, der sich im Osten außerhalb des Kartenrandes schließt. Auch hier gewinnt man den Eindruck, daß die genannten Orte an einem waldfreien, von breitem Waldgürtel umgebenen Raum lagen. Dieser Zustand muß schon älter sein als die Karte von Johannes Meier, denn auf ihr läßt sich dieser Waldgürtel nicht mehr klar erkennen. Geht man zum linken Teil der Karte über, dann kommt | man in den Bereich der leichten Sandböden. Hier ergibt sich eine ebenfalls auf fast allen Seiten von Wald umschlossene Siedlungskammer mit den Orten Havetoftloit im Zentrum und Torsballig. Nur nach Westen zu ist diese Siedlungskammer gegen Havetoft und Hostrup nicht durch einen Waldgürtel abgeschlossen. Es mag sein, daß hier das sumpfige Autal östlich von Hostrup einen Anschluß bildet. Es mag aber auch sein, daß diese Siedlungskammer von Havetoftloit nur den östlichen Teil eines größeren zusammenhängenden Siedlungsgebietes darstellt, das im Westen auch die Orte Havetoft und Hostrup mit umfaßte. Das Ergebnis der Betrachtung dieses von Kuhlmann erarbeiteten Waldbildes ist also die Erkenntnis, daß sich der mit dieser Methode erschließbare Wald nicht wähl- und regellos über das Gelände verstreut findet, sondern daß sich sehr deutlich breite Waldgürtel erkennen lassen, die weitgehend waldfreie Gebiete mit alten Dörfern umschließen. Es lassen sich also mit dieser Methode Siedlungskammern ermitteln, in denen meist mehrere z. T. größere Dörfer liegen, und diese Kammern werden von mehr oder weniger breiten, noch am Ende des Mittelalters zusammenhängenden Waldgürteln umgeben. Dabei muß man sich vor Augen halten, daß diese Waldgürtel keineswegs „Unland" darstellen oder nur dem Schutz und der Abgrenzung menschlicher Siedlungsräume dienten, sondern daß sie sehr wesentliche wirtschaftliche Funktionen zu erfüllen hatten. Der Wald wurde vom Menschen der

114

METHODEN UND PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

[240,241]

Frühzeit weitgehend genutzt. Er lieferte ihm nicht nur Bau- und Brennholz, sondern diente vor allen Dingen der Viehweide; denn die Frühzeit kannte künstliche Wiesen nicht, und die Waldweide war nicht nur für die Schweinemast, sondern überhaupt für die Viehhaltung von entscheidendem Wert. Die großen, breiten, von der Allgemeinheit genutzten Waldgürtel um das Ackerland stellen also einen für die primitive Wirtschaftsform der Vorzeit außerordentlich wichtigen Bestandteil des Wirtschaftsgebietes dar. Diese intensive Waldausnutzung hat offenbar in starkem Umfange zur allmählichen Beseitigung des Waldes durch Viehverbiß und Holzentnahme geführt, und nur zu einem Teil war der Wunsch nach Vergrößerung der Ackerflächen die maßgebliche Triebkraft bei der Waldrodung. Diese Vorgänge hat Fr. Mager auch für Angeln so sorgfältig untersucht, daß ein weiteres Eingehen | darauf hier überflüssig ist 14 . Für die in diesem Zusammenhang hier interessierende Frage nach der Siedlungsgeschichte des Raumes bedeutsam ist noch die Erörterung des Alters dieser Siedlungskammern. Mit historischen Mitteln im engeren Sinne, also mit urkundlichen Quellen läßt sich die Frage nicht beantworten. Das wichtigste Hilfsmittel dafür stellen Ortsnamen und für die ältere Zeit Bodenfunde dar, die gerade jetzt durch die archäologische Landesaufnahme weitgehend erfaßt worden sind. Auf das Problem der Ortsnamen brauche ich an dieser Stelle nicht näher einzugehen. Es ist früher von Laur besprochen worden 15 . Das Ergebnis dieser Erforschung der Ortsnamen ist die Erkenntnis, daß sich verschieden alte Ortsnamenschichten ausscheiden lassen. Zu den ältesten, noch in die Eisenzeit zurückreichenden Ortsnamen gehören die auf -stedt, -ing, -ithe und einige kurze, in ihrer Deutung unklare Ortsnamen. Die zweite, in der Wikingerzeit beginnende und bis ins 12. Jahrhundert hinein gebräuchliche Schicht von Ortsnamen ist die der Namen auf -by, -torp (heute zu -trup oder -rup geworden), -toft, -büll und vielleicht zum Teil die Namen auf -mark. Die dritte Schicht endlich, die dem ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit angehört, wird durch Ortsnamen gebildet, die auf -holz, -schau u. a. m. enden. Einer neuzeitlichen Ausbauperiode endlich sind die Ortschaften zuzurechnen, die sidi schon ihrer Lage nach als Ausbaudörfer älterer Zentralsiedlungen zu erkennen geben und die mit dem Zusatz -feld zu einem älteren Ortsnamen gebildet werden, so etwa bei Namen wie Stoikerfeld, Hostrupfeid usw. Unternimmt man es nun, das durch die Besprechung der Waldkarte gekennzeichnete Siedlungsbild in dem hier besprochenen Raum durch die Einfügung der Ortsnamen zu vervollständigen, so fällt zunächst auf, daß nur sehr wenige und wohl kein sicherer Ortsname der ältesten Schicht auf diesem Meßtischblatt nachweisbar sind. Zu dieser ältesten Gruppe werden mitunter gerechnet: Havetoftloit, Stolk und Norderfahrenstedt. Die Hauptmasse der

14

F r . MAGER, Entwicklungsgeschichte der Kulturlandschaft Schleswig in historisdier Zeit. 2 Bde., 1 9 3 0 und 1937.

15

Vgl. A n m . 10.

des

Herzogtumes

[242, 243]

METHODEN U N D PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

H5

auf diesem Blatt vertretenen Ortsnamen gehört der Wikingerzeit und | dem hohen Mittelalter an, nämlich die Ortsnamen auf -by, -trup, -toft und -büll. Die Zentren der sich aus der Waldkarte ergebenden Siedlungskammern bilden so gut wie ausschließlich Ortsnamen der wikingerzeitlichen Schicht16. Im Zentrum der nördlichen Siedlungskammer liegen die Ortsnamen Satrup und Esmark, im Zentrum der südöstlichen Kammer die Ortsnamen Struxdorf, Ülsby, Thumby und Schnarup. In der Mitte der Karte etwa liegt die Siedlungskammer von Havetoftloit, und nur am Südrande scheint ein vielleicht alter Name, Norderfahrenstedt, Mittelpunkt eines von Wald umgebenen Siedlungsgebietes zu sein. Die sich im Bereich des Kartenblattes herausbildenden und auf der Waldkarte noch deutlich erkennbaren Siedlungskammern gehen also, wenigstens nach den Ortsnamen zu schließen, nur bis in das hohe Mittelalter, d. h. also die Zeit zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert, zurück. Daß einzelne dieser Orte in der Tat schon wikingerzeitlich sind, ergibt sich mit Sicherheit aus dem Auftreten von wikingerzeitlichen Grab- und Siedlungsfunden. Gräber wurden bei Struxdorf und südlich von Fahrenstedt, eine wahrscheinlich wikingerzeitliche Ansiedlung am Südrande von Havetoft ermittelt. Insofern also gestattet die Analyse des Waldbildes und der Ortsnamen den Schluß, daß dieses verhältnismäßig klare Siedlungsbild in seinen Anfängen nur bis in die Wikingerzeit zurückreicht. Das wesentlich Neue nun, das man diesem Siedlungsbilde einfügen kann, ergibt sich jetzt aus der Möglichkeit, auch die älteren | eisenzeitlichen Siedlungen im Gelände festzustellen. War man bisher für die Rekonstruktion des eisenzeitlichen Besiedlungsbildes ausschließlich auf die Friedhöfe angewiesen — und auf ihnen beruhen die früher gegebenen Darstellungen der älteren Besiedlungsgeschichte17 —, so hat neuerdings die Möglichkeit, auch in Angeln eisenzeitliche Ansiedlungen zu erkennen, der Siedlungsforschung neue Wege erschlossen. Ergänzt werden diese neuen Möglichkeiten noch durch die Entdeckung eisenzeitlicher Feldsysteme, so daß wir wenigstens in bescheide-

16

Wenn hier von wikingerzeitlichen Ortsnamen ( O N ) gesprochen wird, so handelt es sich um O mit den Grundworten (GW) -by-, -torp, -toft, -hol usw. Diese A r t der Namengebung beginnt wohl überwiegend in der Wikingerzeit, ist aber zeitlich nicht auf diese Periode beschränkt, sondern reidit mindestens bis ins 12. Jahrhundert, ohne daß bisher die Möglichkeit besteht, innerhalb dieser N a m e n g r u p p e n auf sprachlicher Grundlage allein verschieden alte Schichten auszuscheiden. Soweit es sich bei den Bestimmungsworten (BW) etwa um christliche Personennamen ( P N ) handelt, wird man die O N der Zeit nach 1000 zurechnen dürfen und eine Datierung in ältere Zeit im allgemeinen ausschließen können. I m Zusammenhang mit O N hat die Bezeichnung „wikingerzeitlich" also nicht die scharfe chronologische Begrenzung wie in Verbindung mit archäologischem Fundmaterial.

17

Besonders H . JANKUHN, Siedlungs- und Kulturgeschichte der Angeln vor ihrer A b w a n d e r u n g nach England. A . J . 14 (1950) S. 54 ff.; ders. in GUTENBRUNNER/ JANKUHN/LAUR, S . 15 ff.

116

METHODEN UND PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

[243]

[243,245]

METHODEN UND PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

nem Umfange auch für diese frühe Zeit eine „Kulturlandschaft" erkennen können. Die als Abbildung 3 beigefügte Karte läßt erkennen, daß wir im Bereich des hier besprochenen Meßtischblattes eine Reihe von großen Ansiedlungen mit teilweise danebenliegenden Ackerflächen aus der Eisenzeit feststellen können. Eine große dorfartige Siedlung aus der Zeit von Christi Geburt bis ins 3. oder vielleicht 4. nachchristliche Jahrhundert 1 8 findet sich bei Esmarksüderfeld, also einem Ortsnamen, der sich schon durch den Zusatz von -feld als neuzeitliche Ausbausiedlung des älteren Dorfes Esmark zu erkennen gibt. Zu diesem großen, von Herrn Bondzen entdeckten und erschlossenen eisenzeitlichen Dorf gehören zwei Friedhöfe, ein Opferfund in dem westlich liegenden Hechtmoor und Ackerflächen, von denen bescheidene Reste noch heute in dem südlich des Moores gelegenen „Schwennholz" erhalten sind. Hier erkennt man sehr deutlich ein eisenzeitlidies Dorf mit allem, was dazu gehört. Eine zweite ähnliche große eisenzeitliche Dorfanlage mit Friedhof, Ackerflächen und Eisenverhüttungsplätzen liegt westlich von Klappholz nordöstlich des heutigen Waldes, Eimenholz". Die dritte große Dorfanlage mit großen zugehörigen Ackerflächen findet sich zwischen den Orten Ülsby und Klappholz, im westlichen Teil und am Westrande des Waldstückes „Ausselbeker Gehege". Eine weitere Ansiedlung ergab sich auf einer spornartig in das Moorgebiet westlich des Ekeberger Sees vorspringenden Landzunge. Zahlreiche andere Siedlungsstellen sind auf der Karte eingezeichnet. | Ob es sich auch bei ihnen um größere Dörfer, kleinere Weiler oder einzelne Höfe handelt, ist vorläufig noch unklar. Durch Friedhöfe werden noch angedeutet eisenzeitliche Siedlungen bei Obdrup, bei Satrupkirchenholz, nordöstlich von Böklund und an einigen anderen Stellen. Untersucht man die Lage dieser eisenzeitlichen Siedlungen im Verhältnis zu den durch die Ortsnamen als wikingerzeitlich bzw. hochmittelalterlich ermittelten Dörfern, so ergibt sich die erstaunliche Feststellung, daß so gut wie keines dieser heutigen Dörfer, abgesehen von Havetoft, auf dem Gelände oder in unmittelbarer Nähe einer älteren eisenzeitlichen Ansiedlung liegt. Im Gegenteil sind die meisten der eisenzeitlichen Ansiedlungen weit ab von den wikingerzeitlichen und mittelalterlichen Dörfern gelegen. Und noch ein Weiteres ergibt sich bei dem Vergleich der Lage dieser eisenzeitlichen Dörfer mit den wikingerzeitlichen: Sie liegen zu einem großen Teil an Stellen, die nodi am Ende des Mittelalters bewaldet waren. Das große, eisenzeitliche Dorf von Esmark-Süderfeld liegt mitten im Walde; im Ausselbeker Gehege liegen die Äcker in schönem Buchenhochwald; das große Dorf der Eisenzeit westlich von Klappholz liegt in einem Waldgebiet, das überhaupt erst in der Neuzeit gerodet wurde; die eisenzeitlichen Ackerfluren von Rüderholz liegen heute noch im Walde; der Friedhof von Satrupkirchenholz liegt z. T. heute noch im Wald, und der eisenzeitliche Urnenfriedhof westlich von Obdrup lag ebenfalls in einem Waldgebiet. Das sind im gan18

J . RÖSCHMANN, A . J . 1 8 ( 1 9 5 4 ) S. 9 1 FF.

118

METHODEN U N D PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

[245,246]

zen gesehen sehr interessante, für die Siedlungsgeschidite Angelns sachlich und darüber hinaus methodisch wichtige neue Erkenntnisse. Im Bereich dieses Meßtischblattes läßt sich mit siedlungsgeographischen und siedlungshistorischen Methoden sehr deutlich ein Siedlungsbild herausarbeiten, das mit seinen Anfängen in die Wikingerzeit zurückgeht, aber in kaum einem einzigen Falle an Siedlungen der Eisenzeit anknüpft. Die siedlungsarchäologische Betrachtungsweise gestattet es, das Siedlungsbild einer zeitlich älteren Schicht, nämlich der ersten nachchristlichen Jahrhunderte mit einer bisher in unserem Bereich ungewöhnlichen Vollständigkeit zu ermitteln. Der Vergleich dieser beiden Siedlungsbilder (Abb. 2 und 3) läßt nun deutlich erkennen, daß das Siedlungsbild der Wikingerzeit und des hohen Mittelalters [ keine Fortsetzung einer älteren Siedlungsschicht darstellt und in kaum einem Falle an ältere Siedlungen anknüpft, sondern daß vielmehr diese älteren Siedlungskerne ganz anders liegen und noch am Ende des Mittelalters jedenfalls zum großen Teil von Wald bedeckt waren. Hier ergeben sidi also mit einer bisher in Angeln nicht erkennbaren Deutlichkeit zwei ganz verschiedene Siedlungsperioden, eine eisenzeitliche und eine in der Wikingerzeit beginnende und ohne Bruch in das heutige Siedlungsbild überleitende mittelalterliche Siedlungsphase, die durch eine Periode der „Verwaldung" getrennt waren. Die siedlungsgeschichtliche Ausdeutung dieses Befundes ist wohl nur in der Richtung der Annahme möglich, daß dieser Teil Angelns nach einer Zeit sehr intensiven eisenzeitlichen Landausbaues und ungewöhnlich dichter Besiedlung in den ersten drei oder vier nachchristlichen Jahrhunderten durch das Verschwinden der Bevölkerung verödete, daß sich das Gebiet in den folgenden Jahrhunderten mit Wald bedeckte und daß, als eine neue Bevölkerungsschicht in der Wikingerzeit in das Land kam, diese, wenigstens in dem hier besprochenen Teile Angelns, Waldrand roden mußte und dabei ihre neuen Siedlungen an ganz andere Stellen und höchstens gelegentlich einmal, entweder durch Zufall oder durch Anknüpfung an eine bescheidene Restsiedlung, in unmittelbarer räumlicher Anlehnung an alte, eisenzeitliche Siedlungsplätze anlegte. Hier läßt sich also mit einer verhältnismäßig seltenen Deutlichkeit die „diskordante Überlagerung" eines älteren durch ein jüngeres Siedlungsbild beobachten. Damit schaltet auch eine andere Erklärungsmöglichkeit des Ortsnamenbestandes aus, die in anderen Bereichen sprachlicher Grenzgebiete sich als richtige Ausdeutung herausgestellt hat 19 und die bisher in der Ortsnamenforschung Schleswig-Holsteins nur ganz gelegentlich in Rechnung gestellt worden ist, nämlich die Annahme eines Ortsnamenausgleichs. Damit meint man einen Vorgang, der dadurch gekennzeichnet ist, daß in unserem Falle 19

Dazu Fr. PETRI, Zum Stand der Diskussion über die fränkische Landnahme, 1954. Für Angeln hat auf ähnliche Möglichkeiten hingewiesen Kr. HALD, Stednavne i Angeln in: Sydslesvig II Angeln, 1945, S. 70 ff.

[247, 2 4 8 ]

METHODEN UND PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

119

etwa eine zahlenmäßig schwache Restbevölkerung durch eine zahlenmäßig | starke und politisch entscheidende neuzugewanderte Bevölkerungsgruppe anderer Sprache überschichtet wurde, wobei sidi die alten Spradiverhältnisse dadurch wandeln, daß sich die Sprache der neuen Bevölkerungssdiicht vollständig durchsetzte und im Zusammenhang damit ältere, aus dem Sprachschatz der Vorbevölkerung stammende Ortsnamen durch neue, von den Neusiedlern hereingebrachte Namen abgelöst werden. Es ist theoretisch denkbar und trifft sicherlich für einzelne Teile Angelns auch zu, daß die Namen der wikingerzeitlichen Besiedlungswelle noch vorhandene und von bescheidenen älteren Bevölkerungsresten noch benutzte Namen verdrängen und ersetzen. Anzeichen für einen solchen Vorgang ergeben sich mit Ausnahme von Havetoft in unserem Gebiet bisher nidit; was sich hier abzeidinet, ist wohl wirklich weitgehend eine Neubesiedlung des Landes, die in der Wikingerzeit beginnt und die im Bereich unseres Kartenblattes nur ausnahmsweise an ältere Siedlungsplätze anknüpft. Diese rein siedlungsarchäologisch gewonnene Erkenntnis zweier weder zeitlich noch örtlich miteinander verknüpfbarer Siedlungsschichten, die durch eine Phase der Verwaldung voneinander getrennt sind, wird von einer ganz anderen Quellenbasis aus, nämlich von der botanischen her, bestätigt 20 . Im Bereich des hier behandelten Meßtischblattes findet sich im Nordosten das die Siedlungskammer von Satrup-Esmark abschließende Rüder Moor. In diesem Moorgebiet wurden in alten Torfstichen der Eisenzeit niedergesetzte Opfergefäße der Zeit um Christi Geburt gefunden 21 . Im Anschluß an diesen Fund wurde eine pollenanalytische Untersuchung durchgeführt. Es war hierbei verhältnismäßig eindeutig möglich, einen Horizont des Moorprofiles durch die Tongefäße auch zeitlich festzulegen. Die Verfolgung der Getreidepollenkurve zeigt sehr deutlich, daß um Christi Geburt ein starker Getreideanbau einsetzt, der nach einer gewissen Zeit abbricht. Legt man diese pollenanalytische Untersuchung, die allerdings nur für den näheren | Umkreis des Rüder Moores und keineswegs für den Bereich des ganzen Meßtischblattes gilt, zugrunde, dann ergibt sich daraus auch von der Seite der botanischen Forschung her, daß die eisenzeitliche Besiedlungsschicht dieses Raumes von der mittelalterlichen durch eine Periode der Verwaldung getrennt ist. Erst die Koppelung siedlungshistorischer, siedlungsgeographischer und siedlungsarchäologischer Erkenntnisse mit den Ergebnissen der Moorbotanik verleiht den Erkenntnissen eine größere Sicherheit. Eine im südwestlichen Gebiet des Meßtischblattes Ülsby im engen geographischen Zusammenhang mit dem Siedlungskomplex von Klappholz vorgenommene pollenanalytische Untersuchung eines kleinen Moorgebietes ist noch nicht abgeschlossen. Durch sie soll in der Hauptsache geklärt werden, ob die Verheidung dieses Gebietes eine Folgeerscheinung der eisenzeitlichen Siedlung ist. 20 21

Vgl. Anm. 13. H . SCHWABEDISSEN, O f f a 9 ( 1 9 5 1 ) S. 4 6 f f . ; R . SCHÜTRUMPF, a. a. O., S. 53 f f .

120

METHODEN UND PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

[248,249]

Das Fazit dieser Betrachtungen ist die Feststellung, daß sich im Bereich des Meßtischblattes Ülsby zwei eisenzeitliche Besiedlungsschichten abheben, die sich nicht im Sinne einer Siedlungskontinuität miteinander verknüpfen lassen, sondern die durch eine auch pollenanalytisch erkennbare Verwaldungsphase getrennt, sich diskordant überlagern. 2. Konkordante

Überlagerung

oder

Siedlungskontinuität?

Die für das Blatt Ülsby gewonnenen Erkenntnisse zur Siedlungsgeschichte der Eisenzeit lassen sich nicht auf das ganze Gebiet SchleswigHolsteins, ja, nicht einmal auf das Gebiet der siedlungsgeschichtlich so geschlossen wirkenden Landschaft Angeln übertragen, was sich aus einem Vergleich mit den Verhältnissen, die im Bereich des östlich anschließenden Meßtischblattes Süderbrarup (1324) angetroffen wurden, leicht erkennen läßt (Abb. 2 und 3). Ein gewisser Unterschied im Forschungsstand ergibt sich zwischen diesen beiden Meßtischblättern daraus, daß bei der Begehung des Gebietes um Süderbrarup die Spuren eisenzeitlicher Siedlungen noch nicht in gleichem Maße erkannt wurden, wie das im Bereich des Blattes Olsby der Fall war. Das Erkennen von Siedlungsspuren im Bereich der schweren Böden der Jungmoräne ist äußerst | schwierig, weil sich hier die besten Hinweise auf Siedlungen, nämlich die Scherben, an der Oberfläche in verhältnismäßig kurzer Zeit auflösen. Erst das Studium der Privatsammlung des Bauern Bondzen in Esmark-Süderfeld und das Kennenlernen seiner Erfahrung gab der Forschung die Möglichkeit, auch die Siedlungsspuren der Eisenzeit im Gelände wiederzufinden. Einen gewissen Ersatz für die fehlenden Siedlungen bieten die gerade im Bereich des Meßtischblattes Süderbrarup sehr zahlreichen Grabfunde der Eisenzeit und der Wikingerzeit. Eine Neubegehung des Geländes um Süderbrarup nach den im Bereich des Meßtischblattes Ülsby gewonnenen Erfahrungen ist aus zeitlichen und finanziellen Gründen unmöglich, so daß vorerst mit den Grabfunden allein gearbeitet werden muß. Die geographischen Voraussetzungen im Bereich des Meßtischblattes Süderbrarup unterscheiden sich in einigen wesentlichen Punkten von denen des westlich anschließenden Blattes Ülsby. Im Bodenrelief läßt sich eine Abschirmung des Siedlungsraumes um Süderbrarup gegen Norden durch den Höhenzug von Rügge deutlich erkennen, während eine Abgrenzung nach Süden zur Schlei hin nicht vorliegt und ebenso eine Abgrenzung gegen das westlich anschließende Blatt Ülsby im mittleren und nördlichen Teil nicht erfolgt ist und lediglich im südlichen Teil durch das tief eingeschnittene Tal der Loiter Au gegeben ist. Das Gebiet des Meßtischblattes entwässert zur Schlei hin. Hinsichtlich der Bodenarten unterscheidet sich das Gebiet um Süderbrarup ganz wesentlich von dem Gebiet um Ülsby (Abb. 2). In der Mitte des Raumes liegt beiderseits des Oxbektales ein großes Sandgebiet, dessen geolo-

[249, 250, 251 ]

METHODEN u. PROBLEME d. SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

121

gische Entstehung hier nicht interessiert. Diese Sandinsel von Norder- und Süderbrarup, Böel und Brebel liegt eingebettet in den mittelschweren Lehmboden Mittelangelns. Das Sandgebiet ist so groß, daß heute eine Anzahl von Dörfern darauf liegt. Trägt man nach der oben besprochenen Methode den mit historischen Mitteln erkennbaren Wald auf dieses Kartenblatt auf, dann ergibt sich sehr deutlich, daß dieser Wald, soweit er mit Hilfe von Orts- un Flurnamen erkennbar ist, einen breiten Gürtel bildet, der das Kerngebiet der genannten Orte wie ein Ring umschließt. Zum | gleichen Ergebnis führt auch die Heranziehung der ältesten einigermaßen verläßlichen Waldkarte dieses Gebietes von Johannes Meier aus dem Jahre 1649 (A. J. 16, 1952, 41). In dieser Karte wird die ringförmgie Umschließung der Süderbraruper Siedlungsinsel durch einen Waldgürtel noch deutlicher, vor allem zeigt die Eintragung der Orte mit mittelalterlichen Rodungsnamen wie „Sdieggerott", „Wagersrott", „Dollrott" und „Güderott", deren Datierung in das 12. und 13. Jahrhundert feststeht 22 , daß die Zerstörung des Waldgürtels im Nordosten und Südosten dieser Siedlungskammer erst das Werk der großen mittelalterlichen Rodungsperiode ist. Hier läßt sich, wenn man von den Randbezirken des Meßtischblattes absieht, allein aus dem Waldbild deutlich eine große Siedlungskammer erkennen, die im wesentlichen in der Mitte des Meßtischblattes liegt und sich mit dem Gebiet leichten Bodens deckt. Trägt man die eisenzeitlichen Friedhöfe — Siedlungen stehen hier leider nur in beschränktem Umfange zur Verfügung — auf der Karte ein (Abb. 3), so zeigt sich, daß zwar im Gebiet der diese Sandinsel im Norden umschließenden Waldungen einzelne Friedhöfe und Siedlungen liegen, daß aber die Masse der' kaiserzeitlichen Friedhöfe im Bereich des leichten Siedlungsbodens um Norder- und Süderbrarup auftritt und also im Zentrum der mittelalterlichen Siedlungskammer liegt. Trägt man auf dieses Waldbild die Ortsnamen der Wikingerzeit ein (Abb. 2), und läßt die nachweislich jüngeren, erst der Rodungsperiode des späten Mittelalters zugehörigen Namen fort, dann zeigt sich, daß die Masse der wikingerzeitlichen Siedlungen in der vom Waldgürtel umschlossenen Siedlungskammer von Norder- und Süderbrarup liegt. Nur die genannten jüngeren Rodeorte liegen außerhalb. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Ortsnamenforschung zwar von wikingerzeitlichen Ortsnamen spricht, damit aber nicht zum Ausdruck bringen will, daß der in diesen Namen sichtbar werdende Siedlungsvorgang am Ende der Wikingerzeit, also um 1030, abgeschlossen ist. Im Gegenteil läßt sich leicht nachweisen, daß ein Teil der sogenannten wikingerzeitlichen Ortsnamen | auf -torp, -toft und -böl an Orten hängt, die erst im 11. oder 12. Jahrhundert, also lange nach dem Ende der Wikingerzeit, gegründet worden sein können. 22

Zur Datierung S. 80 ff.

dieser Namen

W . LAUR in:

GUTENBRUNNER/JANKUHN/LAUR,

122

METHODEN UND PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

[251, 2 5 2 ]

Im Bereich des Meßtischblattes Süderbrarup läßt sich der Beginn der wikingerzeitlichen Besiedlungsphase im Gegensatz zu den im Bereich des Meßtischblattes Ülsby angetroffenen Verhältnissen dadurch besser bestimmen, daß hier bei einem Teil der „wikingerzeitlichen" Ortsnamen auch wikingerzeitliche Gräberfelder auftreten. An anderer Stelle ist dargelegt worden, daß nach Aussage der archäologischen Funde die wikingerzeitliche Besiedlung des Gebietes um 900 beginnt, und zwar mit der Anlage der Orte Norderbrarup, Süderbrarup und Böel, deren großes Alter auch durch die Tatsache unterstrichen wird, daß sie alle drei, obwohl auf engem Raum zusammenliegend, zu Kirchorten aufstiegen 23 . Hier kann man durch eine Verknüpfung von Ortsnamen und Fundplätzen zu einer gewissen Datierung des genannten Siedlungsvorganges kommen. Vergleicht man im Bereich dieses Meßtischblattes die beiden Siedlungsbilder der Eisenzeit und des hohen Mittelalters, so ergibt sich, daß der Siedlungskern der Eisenzeit genau dort lag, wo auch in der Wikingerzeit Siedlungskerne erkennbar werden. Nur in dem diese Siedlungskammern nördlich umschließenden Waldgebiet liegen eisenzeitliche Friedhöfe und Siedlungen, die nicht zu Ansatzpunkten wikingerzeitlicher Neubesiedlung wurden. Für diese nördliche Randzone wird man, ähnlich wie für den größten Teil des Meßtischblattes Ülsby, eine Verödung am Ende der Eisenzeit und eine sich anschließende Verwaldung dieses Gebietes annehmen dürfen, das erst im späten Mittelalter durch Neurodung der menschlichen Siedlung wieder erschlossen wurde, ohne daß die damals neu entstehenden Ansiedlungen örtlich an die alten Siedlungsplätze der Eisenzeit anknüpfen. Für die Masse der im mittleren Teil des Meßtischblattes liegenden Fundplätze der Eisenzeit wird man feststellen dürfen, daß sie genau an den Stellen liegen, an denen auch in der Wikingerzeit die ersten neuen Siedlungen nachweisbar sind. Audi für den Raum um Süderbrarup lassen sich im archäologischen Material zwei getrennte Siedlungsschichten nachweisen, wenn | hier auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, daß sich unter den mangels geeigneter Beigaben schwer datierbaren Gefäßen von den großen Friedhöfen in Süderbrarup Formen finden, die in die Zeit der Fundlücke zwischen Eisenzeit und Wikingerzeit gehören und so den Hiatus zwischen den beiden Siedlungsepochen ausfüllen würden. Gesichert ist das vorläufig noch nicht. Im Bereich der Ortsnamen scheinen sich auch hier in den Zentren eisenzeitlicher und wikingerzeitlicher Siedlungen nur junge Namen der Wikingerzeit erhalten zu haben, was für einen wirklichen Abbruch der eisenzeitlichen Siedlungsschicht sprechen würde, wenn man nicht hier die Wirkung des Namensausgleichs in Rechnung stellen will. Bei den seit der Wikingerzeit bis zur Gegenwart unbestreitbar bedeutendsten Siedlungen dieser Siedlungskammer, Süder- und Norderbrarup, läßt sich zwar das Grundwort -torp deutlich als wikingerzeitlich erweisen, das Bestimmungswort „Bra" dagegen

23

W . LAUR i n : GUTENBRUNNER/JANKUHN/LAUR, S. 7 5 .

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METHODEN U N D PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

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widersetzt sich dem Versuch einer einleuchtenden Erklärung 230 . Weder lassen sich dafür Personennamen noch einleuchtende und den Verhältnissen entsprechende Geländebezeichnungen anführen. Höfler hat aber auf einen anderen Zusammenhang aufmerksam gemacht24, indem er die Bezeichnung dieser Orte mit dem Namen „Bralundr" der Edda in Zusammenhang bringt, der ein in die Eisenzeit gehöriges Heiligtum bezeichnet. Die Lage ergibt sich aus der Edda nicht mit Sicherheit, aber die Verknüpfung mit dem großen Opferfund der Eisenzeit im Thorsberger Moor, zwischen Norder- und Süderbrarup gelegen, ist in der Tat verlockend. Mehr als einen interessanten Hinweis stellt diese Beobachtung nicht dar. Würde sie zutreffen, dantl wäre hier zum ersten Male in Angeln ein Namenausgleich zwischen einer älteren und einer jüngeren Zeit faßbar, durch den nur das Grundwort betroffen wurde, während das Bestimmungswort des jüngeren Namens mehr oder weniger unverändert aus der Eisenzeit übernommen wäre. Eine Sicherheit für die Verknüpfung der beiden Siedlungsphasen gewinnt man aber aus diesen Überlegungen nicht, so daß auch von seiten der Ortsnamenforschung | vorläufig kein entscheidender Beitrag zur Klärung der Frage geleistet werden kann, ob im Bereich der Siedlungsinsel Süderbrarup nicht nur eine geographische Anknüpfung der beiden Siedlungsschichten zu beobachten ist, sondern auch eine chronologische Verknüpfung möglich wird. Auch hier ist zur Klärung dieser siedlungsgeschichtlichen Vorgänge die Pollenanalyse eingesetzt worden, und das im Thorsberger Moor gewonnene Ergebnis scheint nach der Darstellung von Schütrumpf die Annahme zu bestätigen, daß trotz der topographischen Koinzidenz der beiden Siedlungsphasen eine chronologische Verbindung nicht besteht 25 . Indessen wird man bei dem durch die Ausgrabung des Thorsberger Fundes und durch spätere Untersuchungen vielfach gestörten Moor mit der Möglichkeit von Störungen auch des erbohrten Pollenprofils rechnen müssen. Deshalb ist in einem südlich des Thorsberger Moores mitten in der Ortschaft Süderbrarup liegenden Moor eine neue Untersuchung durchgeführt worden, deren Ergebnisse noch nicht vorliegen und aus denen sich entweder eine Bestätigung des Befundes im Thorsberger Moor oder eine andersartige Beobachtung ergeben wird. Im Bereich des Meßtischblattes Süderbrarup liegen die Siedlungsverhältnisse gegenüber dem Blatt Ülsby insofern anders, als sich die Siedlungszentren der beiden hier behandelten Zeitstufen geographisch decken. Sowohl die Ergebnisse der Ortsnamenforschung wie auch die bisherigen Ergebnisse der archäologischen Fundbearbeitung lassen eine chronologische Verknüpfung der beiden Siedlungsschichten noch nicht als gesichert erscheinen, und es bleibt vorläufig fraglich, ob hier im Gebiet der Süderbraru230 24

25

Vgl. Anm. 23. In Festschrift für Felix Ganzmer „Edda, Skalden, Saga", 1952, S. 51, bes. Anm. 192 a. R. SCHÜTRUMPF, Offa 10 (1952) S. 38 ff.

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METHODEN u. PROBLEME d. SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

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per Siedlungsinsel eine konkordante Überlagerung zweier zeitlich getrennter und durch einen Verödungshorizont geschiedener Siedlungsschichten vorliegt oder ob an dieser Stelle eine wirkliche Siedlungskontinuität vorhanden ist. und die vorläufig zu beobachtende Fundlücke zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert lediglich eine Forschungslücke darstellt. So verlockend es ist, hier aus dem topographischen Befund über die Fundlücke und die Warnung der Ortsnamenforschung hinausgehend | eine echte Siedlungskontinuität anzunehmen, so ungesichert bliebe ein solche Annahme, weil man bei der Erklärung eines so gelagerten Befundes die Möglichkeit einer konkordanten Uberlagerung wird in Rechnung stellen müssen. Und gerade die geographischen Verhältnisse des Raumes um Süderbrarup könnten dafür aufschlußreich sein. Die Kristallisationspunkte sowohl der eisenzeitlichen wie auch der wikingerzeitlichen Besiedlung liegen auf einer in schweren Boden eingebetteten Sandinsel, die nicht nur im Hinblick auf die Bodenart, sondern auch im Hinblick auf den Bewuchs dem Siedlungsraum suchenden Menschen ganz andere Daseinsbedingungen bot als die Umgebung mit schwerem Lehmboden. Es wäre durchaus denkbar, daß bei gleichartiger Wirtschaftsform Menschen in ganz verschiedenen Zeiten durch die spezifischen Verhältnisse der Süderbraruper Sandinsel immer wieder angezogen wurden, weil sich ihnen hier entsprechend ihrer gleichgearteten Lebens- und Wirtschaftsform optimale Daseinsbedingungen boten. Während also die historischen, geographischen, archäologischen und botanischen Beobachtungen im Bereich des Meßtischblattes Ülsby die Annahme gestatten, daß hier eine diskordante Überlagerung zweier durch einen Verödungshorizont getrennter Siedlungsschichten vorliegt, wird im Bereich des Blattes Süderbrarup eine Entscheidung der alternativen Annahme „konkordante Uberlagerung" oder echte „Siedlungskontinuität" bei dem derzeitigen Stand der Forschung noch nicht möglich sein. Erst weitere botanische Untersuchungen, Bearbeitung des bisher vorliegenden Fundmaterials und seine Ergänzung durch neue Ausgrabungen werden hier eine Entscheidung ermöglichen.

II. SIEDLUNGSGESCHICHTLICHE PROBLEME IM NORDELBISCHEN SACHSENGEBIET Anders als in Angeln liegen sowohl hinsichtlich der historischen Voraussetzungen wie auch des Forschungsstandes die Dinge im sächsisch besiedelten Teile Holsteins. Hier läßt sich mit historischen Mitteln eine Siedlungskontinuität seit der römischen Zeit wahrscheinlich machen, denn schon Ptolemäus erwähnt in ungefähr dem gleichen Gebiet, das in der Zeit Karls des Großen von den drei | nordelbischen Sachsenstämmen der Dithmarscher, Holsten und Stormarn bewohnt wird, Sachsen. Es ist nun nicht sehr wahrscheinlich, daß die sächsische Besiedlung der römischen Zeit abbrach und sich später, aber jedenfalls vor der Zeit Karls des Großen, eine neue sächsische

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METHODEN UND PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

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Siedlerschicht ins Land vorschob. Die plausiblere Erklärung für den aus den historischen Quellen sich ergebenden Befund bleibt die Annahme, daß es in diesem Raum im ersten nachchristlichen Jahrtausend eine wirkliche Bevölkerungskontinuität gegeben hat. Das braucht allerdings nicht zu besagen, daß auch eine Kontinuität der besiedelten Plätze über diese lange Zeit existiert. Hinsichtlich des Forschungsstandes unterscheidet sich der von Sachsenstämmen besiedelte Teil Holsteins von der Landschaft Angeln dadurch, daß hier nur für ganz kleine Gebiete die Ergebnisse der archäologischen Landesaufnahme vorliegen. Nur der Kreis Steinburg ist bisher bearbeitet, der Kreis Stormarn ist zwar aufgenommen, aber noch nicht abschließend durchgearbeitet, und der Kreis Pinneberg wird eben erst in Angriff genommen. Es fehlen vor allen Dingen genaue Untersuchungen über Dithmarschen und den überwiegend im Kreise Rendsburg liegenden Kernraum des Holstengaues. Weit besser ist es mit der vom historischen Quellenmaterial ausgehenden Bearbeitung der Siedlungsgeschichte bestellt. Abgesehen von der sich auf das ganze Gebiet erstreckenden Arbeit von Gaasch über die Entstehung der Pfarrorganisation 2 6 liegen zwei Einzeluntersuchungen vor, die eine von Stoob über Dithmarschen 27 , die andere von Ramm über Holstein 28 . Eine dritte Untersuchung von Steffens über den Gau Stormarn steht vor dem Abschluß. Da es sich hier nicht darum handelt, einen erschöpfenden Überblick über die Besiedlungsgeschichte der drei nordelbischen Sachsengaue zu geben, sondern methodische Probleme im Mittelpunkt der Darstellung stehen, wird auch hier nur ein Ausschnitt aus dem ganzen Raum behandelt, nämlich das Gebiet des alten Holstengaues | zwischen der Stör im Süden, der Eider im Norden, den Flußscheiden der Gieselau und Holstenau im Westen und der Grenze des Jungmoränengebietes im Osten (Abb. 4). Das ist im wesentlichen der Raum, den Ramm in seiner ungedruckten Dissertation behandelt | hat und über den er auch im vorliegenden Heft berichtet. Er bietet sich für eine methodische Untersuchung besonders deshalb an, weil wenigstens für den südlichen Teil, soweit er im Kreise Steinburg liegt, eine abgeschlossene archäologische Landesaufnahme zur Verfügung steht. Auch vom Standpunkt der Ortsnamenforschung liegen in diesem Gebiet die Verhältnisse besonders günstig, nachdem Laur, gestützt auf die Untersuchungsergebnisse Ramms, die Ortsnamen des Kreises Rendsburg durchgearbeitet und einige Korrekturen an bisher geltenden Auffassungen vorgenommen hat 29 .

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27 28

29

K . - H . GAASCH, Zeitsdir. d. Ges. f. Schlesw.-Holst. Geschichte ( Z S H G ) 76 (1952) und 77 (1953). H. STOOB, Z S H G 77 (1953). H. RAMM, Landschaft, Großkirchspiel und Burgvogtei. Die raumgeschiditlichen Grundlagen des Amtes Rendsburg. (Ungedr.) Hamburger Dissertation 1 9 5 1 . Zur Frage der älteren O N vgl. W . LAUR. Die Ortsnamen im Kreise Rendsburg. Heimatkundl. Jhb. 1 9 5 4 f ü r den Kreis Rendsburg, S. 45 f f .

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METHODEN UND PROBLEME DER SIEDLUNGSARCHÄOLOGIE

[257]

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