Arbeiten zur Konversationsanalyse: Herausgegeben:Dittmann, Jürgen 3484103418, 9783484103412

Die Buchreihe Linguistische Arbeiten hat mit über 500 Bänden zur linguistischen Theoriebildung der letzten Jahrzehnte in

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German Pages 308 Year 1979

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Table of contents :
Vorwort des Herausgebers
Einleitung - Was ist, zu welchen Zwecken und wie treiben wir Konversationsanalyse?
Sprechakttheorie und Konversationsanalyse
Zum Problem der Natürlichkeit von Gesprächen in der Konversationsanalyse
Zur Frage der Wahrheitsfähigkeit bewertender Äußerungen in Alltagsgesprächen
Metakommunikationen als Mittel der Dialogorganisation und der Beziehungsdefinition
Konversationsrituale
Zum Ablaufmuster von Kurzberatungen - Beschreibung einer Gesprächsstruktur
Institution und sprachliches Handeln
Sandwich. Good for you. - Zur pragmatischen und konversationellen Analyse von Bewertungen im institutionellen Diskurs der Schule
Ein hm ist noch lange kein hm - oder - Was heißt klientenbezogene Gesprächsführung?
Über die Autoren
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Arbeiten zur Konversationsanalyse: Herausgegeben:Dittmann, Jürgen
 3484103418, 9783484103412

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Linguistische Arbeiten

75

Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner

Jürgen Dittmann (Hg.)

Arbeiten zur Konversationsanalyse

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1979

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Arbeiten zur Konversationsanalyse / Jürgen Dittmann (Hg.). - Tübingen : Niemeyer, 1979. (Linguistische Arbeiten ; 75) ISBN 3-484-10341-8 NE: Dittmann, Jürgen [Hrsg.] ISBN 3-484-10341-8

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1979 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany Druck: fotokop Wilhelm weihert KG, Darmstadt

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort des Herausgebers

VII

Jürgen Dittmann

Einleitung - Was ist, zu welchen Zwecken und wie treiben wir Konversationsanalyse?

1

Gisela Schoenthal Sprechakttheorie und Konversationsanalyse

44

Gerd Schank

Zum Problem der Natürlichkeit von Gesprächen in der Konversationsanalyse

73

Werner Zillig

Zur Frage der Wahrheitsfähigkeit bewertender Äußerungen in Alltagsgesprächen

94

Johannes Schwitalla Metakortinunikationen als Mittel der Dialogorganisation

und der Beziehungsdefinition

111

Iwar Werlen Konversationsrituale

144

Gerd Schank

Zum Ablaufmuster von Kurzberatungen - Beschreibung einer Gesprächsstruktur

176

Jürgen Dittmann Institution und sprachliches Handeln

198

VI

Jürgen Streeck Sandwich. Good for you. - Zur pragmatischen und

konversationeilen Analyse von Bewertungen im institutionellen Diskurs der Schule

235

Sibylle Wahmhoff/Angelika Wenzel Ein hm ist noch lange kein hm - oder - Was heißt klientenbezogene Gesprächsführung?

258

Über die Autoren

298

VORTOKT

Der vorliegende Sammelband enthält Beiträge primär z u r , nicht ü b e r Konversationsanalyse. Es erschien mir deshalb angebracht, in einer Einleitung etwas ü b e r Kbnversationsanalyse zu sagen. Jedoch wäre es ein Irrtum zu glauben, man könnte Konversationsanalyse durch die Lektüre eines komprimierten Überblicks wirklich kennenlernen. Dazu ist es vielmehr notwendig, sich auf die einzelne Arbeit zum jeweiligen Problem einzulassen, mit ihrer jeweiligen Methode und ihrem jeweiligen theoretischen Hintergrund. Erst mit dem Einblick in die Arbeitsweise der Beteiligten wird sich dem Leser erschließen, was Konversationsanalyse - jedenfalls soweit er sie hier repräsentiert findet - ist. Aus diesem Grunde enthält die Einleitung auch keine Zusammenfassung der Beiträge, sondern nur einen kurzen Überblick über die behandelten Themen. Ein Blick in das Autorenverzeichnis könnte den Eindruck vermitteln, es sei meine Absicht gewesen, in erster Linie einen 'Freiburger' Sanmelband zusammenzustellen (so wie der im selben Verlag erschienene Band 'Sprechen Handeln - Interaktion1 explizit ein 'Bielefelder1 Sammelband ist). Bei der Auswahl der Beiträge war das jedoch nicht der leitende Gesichtspunkt: Sie sollten vielmehr systematisch ein nicht zu enges Spektrum konversationsanalytischer Forschung abdecken. Daß dabei fünf Freiburger Autoren und ein 'ehemaliger' Freiburger beteiligt werden konnten, erklärt sich aus der günstigen Forschungssituation auf konversationsanalytischem Gebiet in Freiburg. Mein besonderer Dank gilt Otmar Werner, der als Mitherausgeber der Reihe 'Linguistische Arbeiten1 dieses Projekt von Anfang an gefördert hat. Durch seine kritischen Anmerkungen zu den Beiträgen hat er zudem unmittelbar Einfluß auf die Gestaltung des Bandes genommen. Robert Harsch-Niemeyer schulde ich Dank, weil er Verständnis für meine Terminnöte hatte. Weiterhin danke ich Petra Leonards, MA. und Doris Benz-Wickenhagen für ihre Geduld bei der Anfertigung der Graphiken, schließlich Sibylle Wahmhoff und Angelika Wenzel für vielerlei praktische Hilfen. Freiburg i.Br., im Januar 1979

Jürgen Dittmann

EINLEITUNG

Was ist, zu welchen Zwecken und wie treiben wir Konversationsanalyse? Jürgen Dittmann

0. 1. 2. 3. 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 4.

O.

Vorbemerkung Konversationsanalyse - Begriffs- und Gegenstandsbestimmung Forschungszwecke Methodologie Der Zugang zu den "Daten 1 Erklärungen und allgemeine Aussagen Interpretative Rekonstruktion - Erklärung oder Beschreibung? Regelhypothesen in der Konversationsanalyse Subsumtive Erklärungen durch Regelhypothesen Ablaufmuster-Hypothesen und erweiterte Erklärungsbegriffe Überblick über die Themen des Sammelbandes

Vorbemerkung

In der deutschsprachigen konversationsanalytischen Fachliteratur dürfte die Zahl der programmatischen, methodologischen und wissenschaftshistorischen Arbeiten zur Zahl der ' empirischen' Arbeiten an Gesprächen etwa im Verhältnis 3:1 stehen. Daß in dieser Einleitung dennoch ein weiteres Mal ü b e r Konversationsanalyse geschrieben werden soll, bedarf deshalb einer kurzen Rechtfertigung: Erstens sind einige der mir bekannten programmatischen Arbeiten deshalb unbefriedigend, weil auch nicht andeutungsweise klar wird, wozu eigentlich Konversationsanalyse getrieben wird bzw. getrieben werden sollte. Zweitens zeichnet sich in den programmatischen Arbeiten neuerdings ein Konsens hinsichtlich der Gegenstandsbestinroung von Konversationsanalyse ab, den herauszuarbeiten - zumindest aus wissenschaftshistorischer Sicht - lohnen dürfte. Drittens sind die - häufig sehr informell eingestreuten - Bemerkungen zur Methodologie der Konversationsanalyse für mich unbefriedigend, weil sie den wissenschaftstheoretischen Status konversationsanalytischer Aussagen meist eher verschleiern als erhellen. Deshalb möchte ich im 1 .Abschnitt dieser Einleitung etwas über Begriff und Gegenstand von Konversationsanalyse sagen (was schon allein im Hinblick auf

die Leser notwendig erscheint, die sich mit diesem Gebiet bisher nicht befaßt haben); im 2. Abschnitt werde ich drei Argumente, den Zweck von Konversationsanalyse betreffend, vorbringen; im 3. Abschnitt soll es dann um einige m.E. wichtige methodologische Charakteristika konversationsanalytischer Forschung gehen; schließlich werde ich im 4. Abschnitt einen überblick über die in diesem Band behandelten Fragestellungen geben. Nicht thematisiert wird in dieser Einleitung die Entstehung und Einordnung von Konversationsanalyse in der internationalen Wissenschaftsgeschichte. D.h. nicht systematisch diskutiert wird das Verhältnis von Konversationsanalyse im engeren Sinne (H.Sacks, E.Schegloff, G.Jefferson, R.Turner, mit Einschränkungen auch: H.Garfinkel) zu Vorformen und parallelen Strömungen, wie Ethnomethodologie, Ethnographie der Kommunikation/des Sprechens, Symbolischem Interaktionismus usw. (Für eine komprimierte Darstellung dieser Entwicklungen und Bezüge kann auf Betten 1975: 387 ff. und Kallmeyer/Schütze 1976: 5f. verwiesen werden, für einen Überblick über die genannten Forschungsrichtungen selbst auf Matthes/Schütze 1973.) Ebenso wird der wissenschaftstheoretische Stellenwert der Konversationsanalyse in der Bundesrepublik nicht systematisch behandelt, der im wesentlichen durch eine Klärung des Verhältnisses von Konversationsanalyse zu Linguistischer Pragmatik (und speziell: Sprechakttheorie; vgl. dazu Betten 1975; Henne 1977: 71 ff. und den Beitrag von G.Schoenthal im vorliegenden Band) zu bestimmen wäre. Lediglich unter methodologischem Aspekt gehe ich im 3. Abschnitt der Einleitung auf dieses Thema kurz ein. 1.

Konversationsanalyse - Begriffs- und Gegenstandsbestimmung

Als erste grobe Noninaldefinition von 'Konversationsanalyse1 kann man angeben: Konversationsanalyse ist die wissenschaftliche Analyse natürlicher Gespräche. Geklärt werden muß demnach im einzelnen, was - unter einem Gespräch, - unter einem n a t ü r l i c h e n Gespräch, - unter einer wissenschaftlichen Analyse zu verstehen ist. Was also ist ein Gespräch? Eine mit der umgangssprachlichen Bedeutung von Gespräch zu vereinbarende Definition kann bei dem Goffmanschen Konzept der zentrierten Interaktion anknüpfen: Zentrierte Interaktion ist nach E.Goffman (1973: 7) wiederum jener Spezialfall von 'Interaktion von Angesicht zu Angesicht1 (face-to-face interaction), der eintritt,

wenn Menschen effektiv darin übereinstimmen, für eine gewisse Zeit einen einzigen Brennpunkt der kognitiven oder visuellen Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten, wie etwa in einem Gespräch, bei einem Brettspiel oder bei einer gemeinsamen Aufgabe, die durch einen kleinen Kreis von Teilnehmern ausgeführt wird.

Das wesentliche Merkmal zentrierter Interaktion - e i n Brennpunkt der kognitiven oder visuellen Aufmerksamkeit der Beteiligten - definiert mithin, wie Goffmans Beispiel des Brettspiels zeigt, nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für das Vorliegen eines Gesprächs: eine Brettspiel-Situation z.B., in der einzig und allein handlungsbegleitendes Sprechen (im Extremfall: überhaupt kein Sprechen) vorkäme, würde nicht die Kriterien eines Gesprächs im umgangssprachlichen Sinne erfüllen. Das verweist erstens auf die Notwendigkeit des Anteils sprachlicher Kommunikation an einer Interaktion von Angesicht zu Angesicht, wollen wir den Begriff 'Gespräch1 auf sie anwenden (nan kann dies auch aus der Morphologie des Wortes Gespräch herauslesen); zweitens, aber nicht unabhängig davon, verweist dies auf die Notwendigkeit der Existenz eines T h e m a s in verbaler Kommunikation, das nicht allein durch die nicht-sprachlichen Handlungen der Beteiligten im Sinne eines handlungsbegleitenden Sprechens zu definieren ist. So werden wir nicht von einem Gespräch reden wollen, wenn Fritz und Peter ein Klavier in den dritten Stock tragen und sich dabei gegenseitig Instruktionen geben (Etwas höher! Vorsicht, die Lampe!) oder sich gegenseitig ermutigen (Nur noch zwei Treppen!) . Un zentrierte Interaktion mit einem Anteil sprachlicher Kommunikation handelt es sich zwar zweifellos, aber dominant sind in dieser Situation die nichtsprachlichen Handlungen: Sie stehen im 'Brennpunkt' der visuellen und kognitiven Aufmerksamkeit der Beteiligten, nicht das Thema der verbalen Konrnunikation. Etwas anderes ist es, wenn Fritz und Peter sich darüber unterhalten, wie man am besten ein Klavier in den dritten Stock trägt, oder wenn sie - nach getaner Arbeit - im Freundeskreis damit angeben, ein Klavier in den dritten Stock getragen zu haben. Hier wird das Klaviertragen thematisiert, dominant ist der Anteil sprachlicher Komnunikation an der Interaktion: das Thema ist im "Brennpunkt der kognitiven Aufmerksamkeit1. (Hier liegt wahrscheinlich ein Ansatzpunkt zur systematischen Unterscheidung von handlungsbegleitendem und thematischem Sprechen.) Dieser Doninanzgesichtspunkt wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, daß die Äußerung z.B. des Satzes Wir hatten ein fruchtbares /interessantes/längeres ... Ge-

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Vgl. Schank/Schoenthal 1976: 64.

spräehj während wir das Klavier trugen inner präsupponiert, daß über ein Thema gesprochen wurde (und sei es das Thema 'Klaviertragen1!), sich aber niemals auf handlungsbegleitendes Sprechen allein bezeihen kann. Daß mit dem Oberbegriff 'Interaktion' die notwendige Beteiligung von mindestens zwei Interaktionspartnern an einem Gespräch ('Gesprächspartner') impliziert ist, dürfte klar sein: ein S e l b s t gespräch ist kein Gespräch im hier zu definierenden Sinne. Diese Bestimmung reicht aber noch nicht aus: Wenn Klara zehn Minuten lang auf Paul eingeredet hat, ohne daß Paul überhaupt zu Wort kam, werden wir nicht ohne weiteres von einem 'Gespräch1 reden wollen - in anderen Situationstypen verwendet man deshalb dafür auch Begriffe wie 'Rede1 oder 'Vortrag'. Dies verweist auf die verschärfte Forderung, in einem Gespräch müsse mindestens ein S p r e c h e r w e c h s e l vorkommen. 2 Anders ausgedrückt: ein Gespräch hat notwendigerweise dialogischen Charakter. Schließlich erscheint es mir nicht überflüssig zu betonen, daß ein Gespräch (als Spezialfall von Interaktion) eine A k t i v i t ä t , eine Handlungsabfolge ist, die selbst aus Teil-Aktivitäten (Einzelhandlungen) besteht. Ein Gespräch hat so einerseits prozessualen Charakter, und die Beschreibung eines Gesprächs muß diesem Charakter gerecht werden; andererseits verweist dies auf die methodologisch interessante Tatsache, daß ein Gespräch und seine Beschreibung (z.B. seine Transkription) n i c h t d a s s e l b e sind. Eine eingangs bei der Einführung des Begriffs der zentrierten Interaktion nach Goffman gemachte Einschränkung kann nun aufgehoben werden: Goffman legt seinen Analysen des Alltagshandelns Interaktion von Angesicht zu Angesicht zugrunde. Die bisher für 'Gespräch' erarbeiteten Definientia erzwingen diese Spezifizierung nicht: sie treffen auch z.B. auf T e l e f o n gespräche zu, also allgemein auf Gespräche, die über ein technisches Medium geführt werden. Bedingung für die Möglichkeit eines Gesprächs ist also nicht notwendig die Anwesenheit der Beteiligten an einem Ort, sondern nur die Identität des Zeitraumes. Der Unterschied zwischen einem Gespräch in einer Situation von Angesicht zu Angesicht und z.B. einem Telefongespräch liegt vom konversationsanalytischen Standpunkt in erster Linie darin, daß bei letzterem nonverbale Kom2

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Kein Sprecherwechsel liegt vor, wenn ein Beteiligter lediglich ein 'Hörersignal 1 äußert; das sind Ausdrücke wie hm, ja usw., "mit denen ein aktueller Zuhörer dem aktuellen Sprecher seine Aufmerksamkeit versichert und gegebenenfalls seine Meinung zum Gesagten kurz mitteilt, ohne darauf zu bestehen, die Sprecherrolle zu übernehmen" (Schwitalla 1976: 8O; vgl. den Beitrag von Wahmhoff und Wenzel in diesem Band). Vgl. Schank/Schoenthal 1976: 64 f.

munikation (Gestik, Mimik) und nichtsprachliches Handeln der Beteiligten kei4 ne das Gespräch mittragende Rolle spielen können, es sei denn indirekt durch verbale Ihematisierung. Gleichsam ex negativo ist damit auch gesagt, daß für ein Gespräch in einer Interaktion von Angesicht zu Angesicht aus der Sicht der Beteiligten und aus der Sicht des Analysators der Anteil nonverbalen Verhaltens normalerweise relevant ist, ebenso wie die paralinguistischen Ausdrucksmittel (als da sind Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit, Akzentsetzung usw.), die jedoch auch beim Telefongespräch eingesetzt werden. Bis hierher habe ich versucht, einen umgangsprachlichen Begriff von Gespräch zu rekonstruieren, mit dem Ergebnis folgender D e f i n i t i o n : Ein Gespräch ist jener Spezialfall von zentrierter Interaktion, in dem mindestens zwei Beteiligte sprachlich kommunizieren (sei es von Angesicht zu Angesicht oder, unter Wahrung der Identität des Zeitraumes, über ein technisches Medium vermittelt), derart, daß sie 1. nicht nur handlungsbegleitend sprechen, sondern über ein Ihema, das im 'Brennpunkt ihrer kognitiven Aufmerksamkeit1 steht, 2. mindestens einmal einen Sprecherwechsel vollziehen. In der neueren Literatur findet man nun Nominaldefinitionen von 'Gespräch', die gegenüber dieser - wie ich meine: am umgangssprachlichen Gebrauch orientierten - Definition teils weiter, teil enger sind. Einen weiteren Begriff vertritt G.Ungeheuer, der (1977: 27) 'Gespräch' "als allgemeinen Terminus für jede Art 'dialogischer Kommunikation'" festlegt. Hier wird mit 'dialogisch1 offenbar auf die Notwendigkeit des Sprecherwechsels abgehoben, aber nicht explizit gefordert, es müsse ein Thema in dem oben gegebenen Sinne vorhanden sein: Auch handlungsbegleitendes Sprechen (vgl. das Beispiel des Klaviertransports oben) in dialogischer Form müßte also ein Gespräch gemäß Ungeheuers Definition konstituieren. Auf eine vom konversationsanalytischen Standpunkt höchst wichtige sachliche Differenzierung verweist hingegen H.Stegers Nominaldefinition eines e n g e r e n Gesprächsbegriffs: Steger unterscheidet (1976: 32) zwei grund-

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Vgl. Schank/Schoenthal 1976: 65. Die von Ungeheuer (1977: 28) gestellte Frage: "Macht die Gesamtheit der von den Partnern geäußerten, im engeren Sinne system-linguistischen Einheiten schon ein Gespräch aus, oder sollen alle non-verbalen Verhaltensweisen (einschließlich (der?) paralinguistischen) hinzugenommen werden?" scheint mir eher rhetorischen Charakter zu haben. Themenwechsel innerhalb eines Gesprächs sei dabei zugelassen: es entspräche nicht umgangssprachlichem Gebrauch, zu sagen, mit jedem neuen Thema bei Konstanz aller anderen Faktoren beginne ein neues Gespräch.

legende Typen dialogischer Kotmunikation, nämlich asymmetrische und symmetrische Dialoge. Asymmetrische Dialoge lassen sich 'Interviewtypen' zuordnen, wie 'Befragung1, 'Beratung' und 'Dienstleistungsgespräch1; ihr wichtigstes Kennzeichen ist die Bevorrechtigung eines Beteiligten, der "den Dialog einleiten, steuern, beenden und Antwortzwänge oder Handlungszwänge auf die Dialogpartner ausüben" kann (ebd.: 34). Im Gegensatz dazu zeichnen sich nach Steger (ebd.: 37 f.) symmetrische Dialoge dadurch aus, "daß kein Sprecher in dieser Kommunikationssituation eine Bevorrechtigung genießt", daß vielmehr "partnerschaftlich kommuniziert wird, wobei meist Selbstwahl der Sprecher" beim Sprecherwechsel stattfindet: "Jeder Sprecher versucht, selbst zu steuern, die Thematik zu bestimmen, es gibt keine Zwänge zur Antwort." Nur für symmetrische Dialoge in diesem Sinne aber verwendet Steger den Begriff 'Gespräch', wobei er im einzelnen die Gesprächstypen 'Small Talk', 'Informationsaustausch/Unterhalten' und 'Diskussion' unterscheidet. Konsequenterveise berücksichtigt Steger eine Übergangsform des Interviewtyps 'Beraten' in Richtung Gespräch: "Wenn streckenweise die Beratung in partnerschaftliches Gespräch (symmetrischer Dialog) übergeht" (Steger 1976: 36), spricht er von 'Beratungsgespräch1. Eine Übergangsform von 'Gespräch' in Richtung 'Interview1 liegt hingegen mit der öffentlichen, moderierten Diskussion vor, in der im allgemeinen ein Thema festgelegt und die Selbstwahl eingeschränkt ist - beides Merkmale asymmetrischer Dialoge (vgl. ebd.: 38). Wie man sieht, sind von den hier gemachten Einschränkungen zwei Definientia des oben gegebenen Gesprächsbegriffs betroffen: der Sprecherwechsel, der jetzt frei ablaufen soll (einschließlich der Möglichkeit der Beteiligten, Antwort-Beiträge n i c h t zu leisten), und das Thema, genauer: die Themenwahl und der Themenwechsel, 7 die den Beteiligten nun ebenfalls freistehen sollen. 8 Von umgangssprachlichen Sprachgebrauch ausgehend, würde man m.E. auch die Interviewtypen als 'Gesprächstypen' bezeichnen können (ein bestimmter Typ moderierter öffentlicher Diskussion z.B. kann sowohl 'Podiumsdiskussion' als auch 'Podiumsgespräch' genannt werden; der SPIEGEL nennt seine Interviews 'Ge-

Ungeheuer führt (1974b: 4) als ein 'Moment' der Kategorie 'Gespräch 1 "die äußerliche möglichkeit des rollenwechsels von hörer zu Sprecher und umgekehrt für die beteiligten kommunikationspartner" an. Das Merkmal "freier Wechsel der Sprecher-/Hörerrolle" wird auch von Fuchs/Schank (1975a: 7) für 'Gespräch' genannt. Ungeheuer nennt dies (1974b: 4) "die möglichkeit des wechseis von themeninitiierung und themenakzeptierung (d.h. auch: prinzipiell die möglichkeit, dialogische kommunikation zu beginnen)".

spräche' usw.). Beim noninaldefinitorischen Verfahren hingegen kamt es einzig und allein darauf an, relevante diskriminierende Merkmale der definierten Gegenstandsbereiche zu erfassen; und um solche handelt es sich bei der Abgrenzung von symmetrischen und asyntnetrischen Dialogen über die Merkmale 'Sprecherwechsel1 und "Themenwahl bzw. --Wechsel', wie Steger anhand der jeweiligen konstitutiven bzw. obligatorischen Sprechintentionstypen nachweist. Die oben unternomnene umgangssprachliche Definition von 'Gespräch1, die mithin symmetrische und asymnetrische Dialoge erfaßt, trifft, soweit ich sehe, den bisher bearbeiteten Gegenstandsbereich konversationsanalytischer Forschung genau: Es werden symmetrische u n d asymnetrische Dialoge im Stegerschen Q Sinne untersucht. Hingegen scheint rein handlungsbegleitendes Sprechen bisher nicht auf konversationsanalytisches Interesse gestoßen zu sein, obwohl seine Relevanz insbesondere in sozialisatorischer und didaktischer Hinsicht außer Frage stehen dürfte. Ich käme nun zur zweiten eingangs gestellten Frage: Was ist ein n a t ü r l i c h e s Gespräch? Da G.Schank in seinem ersten Beitrag zu diesem Band eine ausführliche Antwort darauf gibt, kann ich mich hier auf die Angabe des konstitutiven Merkmals natürlicher Gespräche beschränken: "Natürliche Gespräche sind solche, die real in gesellschaftliche Funktionsabläufe eingelassen sind" (Henne 1977: 69), die also "nicht speziell zum Zwecke der Aufnahme unternommen werden, sondern auch ohne diese durchgeführt worden wären" (Schank, Zum Problem der Natürlichkeit von Gesprächen in der Konversationsanalyse, in diesem Band, Abschnitt 2.1). Was heißt schließlich - das war die dritte Frage - ' w i s s e n s c h a f t l i c h e A n a l y s e 1 in diesem Zusammenhang? Eine umfassende Antwort auf diese Frage würde einen vollständigen metatheoretischen Entwurf zur Konversationsanalyse voraussetzen. Einige informelle Bemerkungen dazu sollen in Abschnitt 2 (zu den Forschungszwecken) und Abschnitt 3 (zur Methodologie) auch gemacht werden. Einen grundlegenden Bestandteil der Antwort auf diese Frage möchte ich jedoch sogleich nennen, um eventuellen Mißverständnissen hinsichtlich des Interessenfokus1 wissenschaftlicher Analyse von Gesprächen in

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Vgl. für asymmetrische Dialoge etwa Schank über Kurzberatungen, Wahmhoff/ Wenzel über Beratungen beim Sozialamt und Dittmann über eine Vernehmung beim Städtischen Rechtsamt (alle Beiträge in diesem Band). Für symmetrische Dialoge vgl. insbesondere Schank 1977 und 1978: Teil I; vgl. weiterhin Teile des Materials, das den Beiträgen von Werlen und Zillig, in diedem Band, zugrundeliegt. Vgl. etwa Keseling u.a. 1974: 36 ff. zu Galperins Interiorisationstheorie, dort vor allem 44 ff.

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der Konversationsanalyse vorzubeugen. Wissenschaftliche Analyse von Gesprächen unterscheidet sich in einer ganz wesentlichen Hinsicht von nicht-wissenschaftlicher (alltäglicher) Analyse: Ziel der letzteren ist es, mit H.-J.Heringer (1977: 94) einzig und allein, ein Gespräch "besser zu verstehen", wobei 'ein Gespräch verstehen1 - 'interpretieren1 - soviel heißt wie "verstehen, was der oder die Partner gemeint haben". Anlaß und Fähigkeit, ein Gespräch zu analysieren und richtig zu analysieren, sind also im Alltag mit der "Fähigkeit, Mißverständnisse zu bemerken" (1977: 95) verknüpft. Die wissenschaftliche Analyse dagegen "soll den Betroffenen, d.h. allen, die Mittel für die Analyse bereitstellen" - sie "soll die Analyse im ersten Sinn ermöglichen" (Heringer 1977: 95). 12 Daraus folgt, denkt man diesen Heringerschen Ansatz weiter, daß die wissenschaftliche Analyse nicht letztlich auf das 'besser Verstehen1 eines Gesprächs um seiner selbst willen abzielt; oder mehr technisch formuliert: die Ziele von Konversationsanalyse sind n i c h t denen der Anwendung von Verfahren einer philologischen H e r m e n e u t i k auf literarische Texte gleichzusetzen. (Züge einer Verwandtschaft mit pnilologisch-hermeneutischen Verfahrensweisen weist allein der 'verstehende' Zugang zum Material von Konversationsanalyse - den Gesprächstexten bzw. Transkriptionen - auf. Darauf komme ich in Abschnitt 3.2.1 zurück.) Vielmehr ist die wissenschaftliche konversationsanalytische Untersuchung von Gesprächen auf V e r a l l g e m e i n e r u n g e n aus: Verallgemeinerung von Beschreibungen des A b l a u f s von Gesprächen zu Aussagen über A b l a u f m u s t e r für Gesprächstypen; Verallgemeinerung von Beschreibungen der Vorgehensweisen der Beteiligten bei der G e s p r ä c h s s t e u e r u n g zu Aussagen über Typen von Steuerungs m ö g l i c h k e i t e n , relativ zu bestimmten Gesprächstypen; Verallgemeinerung von Beschreibungen

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Heringer verwendet hier durchgehend den Begriff 'Kommunikationen' - einen Oberbegriff zu 'Gespräch 1 (1977: 9 3 ) . Ich möchte einschränkend hinzusetzen: Wissenschaftliche konversationsanalytische Untersuchung von Gesprächen wird jedenfalls notwendige, aber möglicherweise keine hinreichenden Mittel der Interpretation für alle denkbaren Arten von Gesprächen bereitstellen; sonst fiele sie mit einer allgemeinen Theorie des menschlichen Handelns wohl weitgehend zusammen; insbesondere aber verstehe ich Konversationsanalyse nicht als eine Art 'SuperDisziplin 1 über anderen mit Gesprächen befaßten Disziplinen (wie z.B. der Psychoanalyse und ihrer Metatheorie im Sinne von A.Lorenzer u . a . ) , sondern als Forschungsbereich n e b e n solchen Disziplinen. Vgl. dazu auch im folgenden. Vgl. den Beitrag von Schank über Kurzberatungen in diesem Band. Hierher

wiederkehrender Gesprächs-Züge oder Strategien von Beteiligten zu Formulierungen von R e g e l n oder K o n v e n t i o n e n alltäglichen kommunikativen Handelns; generalisierende Schlüsse von Aussagen über die I n t e r p r e t a t i o n des Sinns der Handlungen (soweit diese gesprächsrelevant zu sein scheinen) von Gesprächspartnern durch Gesprächspartner auf Formulierungen von Interpretations b e d i n g u n g e n und - r e g e l n , denen die Gesprächspartner folgen; Verallgemeinerungen von Beschreibungen der Beziehung zwischen den Z w e c k e n bestimnter Gesprächstypen im Rahmen von Institutionen einerseits und den konkreten Abläufen von Gesprächen in Institutionen andererseits zu Aussagen über die E f f i z i e n z von Gesprächen bestinmter Struktur für die Beteiligten. 17 Nicht zuletzt gehört hierher das Problem der Bildung von Gesprächstypen überhaupt, das von Steger (1976) unter Rückgriff auf das Konzept der Sprechintention(stypen) angegangen wird; und schließlich sei noch auf die Rekonstruktion von Mechanismen, Strategien und Konsequenzen v o n S e l b s t - u n d P a r t n e r e i n s c h ä t z u n g e n der Beteiligten in Gesprächen aus der Analyse von konkreten Gesprächen hingewiesen. 18

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gehören auch Fragen nach Einheitenbildung und Sequenzierung in Gesprächen; zur Abgrenzung von ' t u r n ' und 'Sequenz' vgl. auch den Beitrag von Kerlen in diesem Band, Abschnitt 6, sowie Henne 1977: 8O f.; vgl. ausführlich zum Problem der Segmentierung Schank 1976. Vgl. den Beitrag von Schwitalla im vorliegenden Band, sowie ders. 1976. Vgl. dazu Heringers - m.E. überpointierte - Definition: "Eine kommunikative Handlung verstehen heißt die Regeln kennen, nach denen die Handlung gemacht wurde." (Hier wird der Aspekt der Situationskonstituiertheit kommunikativen Handelns unterschlagen; vgl. zur Unterscheidung von Situationsund Konventionalitätskonstituiertheit Dittmann 1975: 16; 1976a: 28 f.) Vgl. für eine empirische Arbeit speziell zu Regeln der Themenverwendung Schank 1977; vgl. auch Kallmeyer/Schütze 1976: 13 ff. für eine kurze Zusammenfassung der Formulierungen von Regeln über Sprecherwechsel, Eröffnung und Beendigung von Gesprächen in der amerikanischen konversationsanalytischen Literatur (Sacks/Schegloff/Jefferson 1974, Schegloff 1968; 1972, Schegloff/Sacks 1973). Aus mehr methodologischer Perspektive vgl. zu 'Regel' auch Wieder/Zimmermann 1976, zu "Regel· 1 und 'Konvention' Dittmann 1977b; vgl·. auch unten, Abschnitt 3 . 2 . 2 . Mit elementaren Interpretationsregeln al·s a^gemeinsten Voraussetzungen von 'Fremdverstehen 1 befaßt sich in einem schon klassischen Aufsatz A. Schütz (1971). Diesen 'Basisregeln 1 stehen, nach Cicourel· (1973), 'normative', soziokulturell und historisch spezifizierte Regeln der Rekonstruktion des Sinns des Handelns durch die Interaktionspartner gegenüber; vgl. die ausführlichen Darstellungen in Schütze/Meinefeld u.a. 1973: 441 f f . , Kallmeyer/Schütze 1976: 22 f f . , Schütze 1978: 1OO ff. Vgl. Wahmhoff/Wenzel und Dittmann, im vorliegenden Bank, für kritische Analysen institutione^er Gespräche. Vgl. zur Rekonstruktion von 'konversatione^en' Merkmalen von Bewertungen

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Dieser Katalog ließe sich noch verlängern, z.B. im Anschluß an die Aufstellung einer konversationsanalytischen Themensystematik von H.Henne (1977: 78 f . ) . Mir könnt es hier jedoch auf die grundlegende Einsicht an, daß Konversationsanalyse letztlich auf a l l g e m e i n e Aussagen abzielt, die sich systematisch aufteilen lassen in solche über die O r g a n i s a t i o n natürlicher Gespräche 19 (formal-struktureller Aspekt) und in solche über die Grundlagen und Prinzipien der I n t e r p r e t a t i o n des Sinns der gesprächsrelevanten Handlungen der Beteiligten durch die Beteiligten (inhaltlich-struktureller Aspekt). Die Unterscheidung von 'Organisation' und 'Interpretation' bedeutet aber nicht, daß es sich hier um in der Sache unabhängige Aktivitäten der Beteiligten handelt: Vielmehr ist davon auszugehen, daß es sich u m hochgradig i n t e r d e p e n d e n t e Aktivitäten handelt, die lediglich in wissenschaftlicher Betrachtung systematisch auseinandergehalten werden sollten, mit dem Ziel, längerfristig eben auch ihre Beziehungen in den Griff zu bekommen. ° Inkonsequent wäre es hingegen, wenn man in der Konversationsanalyse zwischen 'Strukturen1 und 'Aktivitäten' einen forschungslogischen Gegensatz aufbauen wollte. So bemerken denn auch Kalimeyer/Schütze (1976: 4 ) , "daß sich die Konversationsanalyse nicht nur mit formalen Strukturen, sondern auch mit den Aktivitäten der beteiligten Interaktionspartner und den Prozessen der Bedeutungszuschreibung befaßt": Strukturen sind aus konversationsanalytischer Sicht lediglich verdinglichte Resultate von Aktivitäten.

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im 'Unterrichtsdiskurs 1 (als eines Spezialfalls der Partner-Einschätzung) den Beitrag von Streeck im vorliegenden Band. 'Gesprächsorganisation' ist ein Terminus von Kallmeyer/Schütze (1976: 6 ) , der sich auf die "formale Struktur des Kommunikationsablaufs und die dieser entsprechenden elementaren Aktivitäten" der Gesprächspartner bezieht. Über die Interdependenz dieser Aktivitätstypen gibt es meines Wissens noch keine systematischen Untersuchungen im Rahmen der Konversationsanalyse; einen Ansatz zur Grundlegung entsprechender Untersuchungen könnte man allerdings in der Rekonstruktion von Gesprächsbeitrag-Abfolgen mittels sog. praktischer Schlüsse sehen: Um rekonstruieren zu können, "wie die Partizipanten ihren Diskurs Schritt für Schritt prozessieren", unterstellt ihnen Wunderlich (1976a: 4 7 6 ) , daß sie im wesentlichen versuchen, "die vorhergehenden Äußerungen eines anderen Partizipanten in dem momentan erforderlichen Kontext zu verstehen und auf dieser Grundlage ihre eigenen nächsten Äußerungen zu planen". Eben diesen Planungsprozeß will Wunderlich durch die Annahme praktischer Schlüsse' rekonstruieren. Für eine leicht faßliche Darstellung des Aufbaus solcher Schlüsse vgl. von Wright 1974: 93 f f . ; vgl. auch Wunderlich 1976b: 259 f f . ; unter methodologischem Aspekt vgl. dazu unten, Abschnitt 3.2.1. Kallmeyer/Schütze postulieren (1976: 6) eine Entsprechung zwischen der 'formalen Struktur 1 des Gesprächs und den Aktivitäten der Beteiligten; vgl. oben, Anm. 19.

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Betrachten wir noch einmal die eingangs gegebene grobe Definition von 'Konversationsanalyse', so erweist es sich nun als sinnvoll, sie um die soeben erarbeiteten Implikationen des Begriffs der wissenschaftlichen Analyse zu erweitern: K o n v e r s a t i o n s a n a l y s e ist die wissenschaftliche Analyse natürlicher Gespräche mit dem Ziel, allgemeine Aussagen über die Gesprächsorganisation und die Interpretation gesprächsrelevanter Handlungen durch die Beteiligten zu gewinnen. Eine abschließende Bemerkung zur Wahl des Terminus 'Konversationsanalyse1 selbst scheint mir noch angebracht zu sein: Der Gegenstandsbereich 'natürliches Gespräch' würde vielleicht den Terminus 'Gesprächsanalyse' nahelegen. 22 Ich habe mich nicht aus Begeisterung für Fremdwörter anders entschieden, sondern weil mir daran lag, schon im Titel die Verwandtschaft zwischen den Fragestellungen der neueren deutschen Konversationsanalyse und der entsprechenden amerikanischen Forschungsrichtung aufzuzeigen. H.Sacks, E.Schegloff, G. Jefferson, R.Turner u.a. (vgl. auch oben, Abschnitt O) haben stets auf den Gegenstand 'conversational structure1 und die Gewinnung von allgemeinen Aussagen über diesen abgehoben, und zwar sowohl im Hinblick auf die gesprächsorganisierenden als auch die interpretativen Aktivitäten der Beteiligten. Der sachliche wie forschungshistorische Bezug zu dieser Forschungsrichtung hat mich zur Wahl dieses Terminus1 bewegen - dogmatischen Charakter hat diese Entscheidung für mich aber keineswegs. 2.

Forschungszwecke

Ich möchte drei Forschungszwecke von Konversationsanalyse anführen, die nicht unabhängig voneinander sind und die m.E. von der gegenwärtigen Forschungspraxis zum Teil dem Anspruch nach, zum Teil tatsächlich,verfolgt werden. Als erster, allgemeinster Zweck sei die 'Verbesserung menschlicher kommu24 nikationspraxis" genannt. Dieser vage Zweck ergibt sich zwanglos aus der in

22

23

So durchgängig in Wegner ( H g . ) 1977 gebraucht. Vgl. auch Ramge 1977: 393 Anm. 11, der 'Gesprächsanalyse' für den am wenigsten vorbelasteten Terminus hält; ich werde im folgenden gerade mit dem umgekehrten Argument für 'Konversationsanalyse 1 plädieren. Schank hatte seinen ersten Beitrag zu diesem Band zunächst 'Zum Problem der Natürlichkeit von Gesprächen in der Gesprächsanalyse' genannt, den Titel dann aber zugunsten einheitlicher Terminologie geändert. Vgl. nochmals Betten 1975: 387 f f . ; für den zugrundeliegenden Begriff 'conversation' vgl. Schegloff 1968; 1972: 375.

12

Abschnitt 1 im Anschluß an H.-J.Heringer getroffenen Unterscheidung von alltäglicher und wissenschaftlicher Analyse von Gesprächen: Wenn der Zweck

all-

täglicher Analyse von Gesprächen ein besser Verstehen ist, so stellt Konversationsanalyse, welche diese alltägliche Analyse 'ermöglichen1 soll (Heringer), offenbar Mittel zur Verbesserung alltäglicher Kommunikationspraxis zur Verfügung. Dabei ist zunächst weder gesagt, was an alltäglicher Kommunikation im einzelnen schlecht ist,

noch was konkret aufgrund konversationsanalytischer

Forschungsergebnisse verbessert werden könnte. Hierin unterscheidet sich Konversationsanalyse zumindest derzeit von, z.B., (meta-)psychoanalytischer Ge25 sprächsforschung und Schizophrenieforschung, soweit letztere mit der Analyse von Gesprächen unter und mit Schizophrenen befaßt ist; denn bei beiden Disziplinen ist das Ziel 'Verbesserung kcmnunikativer Praxis' ganz konkret bestiitint: es ist mit dem der Analyse und Heilung einer Krankheit verknüpft. Diese erste Zweckformulierung soll zunächst den unterstellten guten Willen der mit Konversationsanalyse befaßten Wissenschaftler ausdrücken. Zu klären wäre also diesbezüglich in der Forschungspraxis, auf welche alltäglichen Komraunikationsprobleme eine konversationsanalytische Untersuchung jeweils zu beziehen ist. Sodann wäre zu klären, welche Informationskanäle Konversationsanalytiker benutzen können, um ihre wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse, mit Heringer zu reden, "den Betroffenen, d.h. allen" nutzbar zu machen. Hier wird man zunächst an den Deutsch- und Gemeinschaftskunde- bzw. Sozialkundeunterricht in der Schule denken - womit ich zum zweiten Zweck konversationsanalytischer Forschung komme: der wissenschaftlichen Grundlegung von Kommunikationsunterricht. Die Thematisierung von Komnunikationsproblemen, die in Alltagsgesprächen auftreten, dürfte als sinnvolle Fortsetzung der inzwischen weitverbreiteten Unterrichtseinheiten über Kommunikationsnodelle zu betrachten sein; darüberh±naus ist sie eine naheliegende Ergänzung der üblichen Arbeit an nicht-literarischen Texten im Deutschunterricht, neben der Analyse von Werbesprache, Sprache in der Politik, schichtenspezifischem Sprachgebrauch und anderen 'sozilinguistischen1 Problemfeldern. Voraussetzung der Mbglichkeit einer Didaktisierung ist allerdings das Vorliegen von (hinsichtlich der alltäg24 25 26

Vgl. Ungeheuer 1974b: 13 zu zentralen 'Problemstellungen 1 für 'Kommunikationsforschung 1 . Vgl. für das klassische Freudsche Setting u.a. Goeppert/Goeppert 1973; für gruppentherapeutische Gespräche u.a. Turner 1976. Vgl. für eine klassische Arbeit dazu Haley 1969. Heringer stellte übrigens in seinem programmatischen Beitrag 'Gesprächsanalyse 1 zum 5. IKP-Kolloquium, Bonn 1976, ein Gespräch zwischen einem Schizophrenen und zwei Ärzten zur Diskussion; vgl. jetzt Heringer 1977: 96 ff. und das 'Postskript' 1O5 f f .

13

liehen kommunikativen Problemlösungspraxis) als relevant zu betrachterden konversationsanalytischen Forschungsergebnissen - und diese Voraussetzung ist si27 eher erst ansatzweise erfüllt. Als dritten Forschungszweck möchte ich den 'innerwissenschaftlichen1 anführen: Zum einen können Ergebnisse der Konversationsanalyse für die innerlinguistische Forschung nutzbar gemacht werden. So in der Granmatiktheorie: zu nennen ist hier z.B. die Partikel-Forschung aus konversationsanalytischer 2ft Sicht; aber auch die Grundlegung neuer grammatischer Kategoriensystene auf 29 sprechhandlungstheoretischer Basis ist hier einzuordnen, denn eine empirische, nicht-kasuistische Validierung entsprechender Grammatiken müßte auf längere Sicht zumindest partiell in den Rahmen konversationsanalytischer Forschung eingebettet werden. Zum anderen bleibt Konversationsanalyse, da sie es mit einem Spezialfall von zentrierter Interaktion zu tun hat, zwangsläufig bezogen auf die mikroanalytisch verfahrende Sozialwissenschaft (Kleingruppenforschung, Nonverbalforschung, Grundlagenforschung im Rahmen von Interaktionismus, Verstehender Soziologie, Ethnomethcdologie usw.). Aber auch nach dem Selbstverständnis vieler Konversationsanalytiker ist es ein Forschungszweck der Konversationsanalyse, Beiträge zur Wissenschaft vom menschlichen Handeln auf mikroanalytischer Ebene zu leisten, die in die Forschungskontexte der entsprechenden Disziplinen integrierbar sein sollen (so wie umgekehrt Konversationsanalyse die Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Disziplinen nicht ignorieren darf; beides verweist sehr deutlich auf den, m.E. notwendigerweise, interdisziplinären 3o Charakter von Konversationsanalyse).

27

28 29

In den letzten Jahren hat trotzdem die Zahl der im weitesten Sinne konversationsanalytischen (d.h. auf den Gegenstandsbereich 'natürliches Gespräch bezogenen) Arbeiten in den sprachdidaktischen Zeitschriften wie 'Praxis Deutsch', 'Diskussion Deutsch 1 , 'Der Deutschunterricht 1 , Linguistik und Didaktik 1 usw. ständig zugenommen; zumeist bleiben diese Arbeiten im programmatischen stecken, indem schlicht unterschiedliche 'pragmatische' Ansätze der Analyse von Gesprächen nebeneinandergestellt werden (besonders krass bei Braunroth u.a. 1976, ziemlich krass bei Ramge 1977), oder sie legen die immer wieder gleichen Kategorien zugrunde: In der Rezeption an erster Stelle liegt hier der Ansatz von Watzlawick u.a. 1969 (der allerdings von Ramge 1977: 4O2 ff. wiederum als 'sozialpsychologischer' aus der linguistischen Konversationsanalyse eliminiert w i r d ) . Ich glaube, daß ein beachtlicher Teil der mir bekannten Arbeiten bestens geeignet ist, ihre Zielgruppe - in erster Linie Deutschlehrer - gründlich abzuschrecken. Vgl. die allgemeine Bemerkung dazu bei Kallmeyer 1978: 192 Anm. 2; für erste Forschungsergebnisse vgl. Koerfer demn. und Schank 1978: 56 f f . Für bescheidene erste Ansätze vgl. programmatisch u.a. Dittmann 1976c, in Anwendung Hindelang 1978.

14

3.

Methodologie

Die methodologischen Grundzüge von Konversationsanalyse betreffend, lassen sich drei Problembereiche systematisch unterscheiden: das Problem des Zugangs zur empirischen Basis, zu den 'Daten1; die Frage nach dem Typ oder den Typen von 'Erklärungen1 sowie nach Form und Status allgemeiner Aussagen in der Konversationsanalyse; schließlich die Frage, ob und in welchem Sinne Theoriebildung in der Konversationsanalyse möglich ist.

Diese letzte Frage kann im be-

schränkten Rahmen dieser Einleitung nicht behandelt werden, weil ihre wissenschaftstheoretischen Implikationen einer umfassenden Klärung bedürften. Ich gehe deshalb nur auf die beiden ersten Problembereiche ein.

3.1

Der Zugang zu den 'Daten'

Zum Zwecke der konversationsanalytischen Untersuchung müssen Gespräche aufgezeichnet und verschriftlicht werden. Gespräche in Interaktion von Angesicht zu Angesicht werden heute zumeist in Ton und Bild festgehalten (Video-Technik) , denn nur so kann, im Gegensatz zu einer reinen Tonaufnahme bzw. zu einer Tonaufnahme mit zusätzlichem Situationsprotokoll, die Einbettung des sprachlichen Handelns in die Interaktion überhaupt vollständig erfaßt und nachträglich jederzeit rekonstruiert werden. Jedoch können der wissenschaftlichen Analyse nicht diese Aufnahmen selbst zugrundegelegt werden, denn die wahrgenommenen Abläufe sind bekanntlich flüchtig: Ein solches Material unmittelbar untersuchen zu wollen, würde die Kapazität des menschlichen Gedächtnisses überfordern; abgesehen davon muß das Material auch den Rezipienten konversationsanalytischer Arbeiten zum Beleg und zur kritischen Überprüfung zugänglich gemacht werden können. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Transkripte, verschriftlichte Versionen der Gespräche, herzustellen und zur Grundlage der wissenschaftlichen Untersuchung zu machen.

30

31

Henne 1977: 85 stellt zunächst fest, eine besondere 'sprachwissenschaftliche Sicht' in der Konversationsanalyse erübrige sich, wenn man mit Yngve der Meinung sei "that linguistics is the scientific study of how people use language to communicate"; er arbeitet dann jedoch (85 f f . ) überzeugend einige Punkte zur Akzentuierung einer solchen Sicht heraus, wie z . B . die Probleme der einzelsprachlichen und der varietätenspezifischen Ausprägung von Gesprächsstrukturen. Vgl. Ehlich/Rehbein 1976: 38 ff. und jetzt die sehr ausführliche Darstellung (mit längeren Transkripten) bei Henne/Rehbock 1979: 39 ff.

15

Jede Transkription enthält zwangsläufig auch schon Elemente einer Interi pretation des Gesprächs durch den Transkribierenden; dies ist natürlich zugleich eine Fehlerquelle. Grundsätzlich neigt der Transkribierende wie jeder andere 'Hörer' dazu, zumindest beim ersten Hören das zu hören, was seinen Erwartungen entspricht. So neigt jeder Hörer z.B. dazu, Fehler (die als solche an irgendeiner Norm zu bestürmen wären) stillschweigend beim Hören zu korrigieren, undeutlich Artikuliertes entsprechend der aufgrund des Kontextes gebildeten Erwartungen zu enschlüsseln, Einsätze und Beendigungen von überlagerten Sprecherbeiträgen bei simultanem Sprechen an Stellen zu 'hören', an denen die Segmentierung des fortlaufenden Beitrags dies nahelegt usw. Diese Fehlerquellen müssen durch entsprechende Ausbildung der Transkribierenden und durch Sicherheitsvorkehrungen (Korrekturgänge usw.) bei der Herstellung jedes Transkripts auf ein Minimum reduziert werden. Grundvoraussetzung für erfolgreiches Transkribieren ist aber allemal ein praktikables Transkriptionsverfahren ('Transkriptionsformular'). Die Erfahrung zeigt, daß es tatsächlich möglich ist, a d ä q u a t e Transkriptionen herzustellen, d.h. solche, bei denen eine größere Zahl von Überprüfenden hinsichtlich der Interpretation der Gesprächsaufzeichnung zu einer praktisch gleichen Verschriftlichung kommt. Wenn in diesem Sinne adäquate Transkripte vorliegen, beginnt die eigentliche konversationsanalytische Arbeit am Material, und sogleich stellt sich auch ein grundlegendes methodologisches Problem: das des Zugangs zu den 'Daten1, oder anders: das der Gewinnung von überprüfbaren Beschreibungs-Aussagen über im Iranskript fixierte konkrete Vorgänge und (sprachliche) Handlungen. Ich gebe zunächst einige zusammenhängende Beispiele für solche Aussagen (aus Schank/Schoenthal 1976: 74).

32

33

Vgl. dazu die mutatis mutandis nach wie vor aktuellen Überlegungen in Schröder 1973: 21 f f . , bes. 23 f. und Müller 1973: 64 f f . , bes. 65, zum Projekt 'Grundstrukturen der deutschen Sprache1 - 'Gesprochene Sprache1 der Forschungsstelle Freiburg i.Br. des Instituts für deutsche Sprache. Breiter angewendet werden in der Bundesrepublik nach meiner Kenntnis z . Z t . das (zweite) Freiburger (vgl. die Beiträge von Schank, Schwitalla und Wahmhoff/Wenzel in diesem Band), das Düsseldorfer (vgl. Ehlich/Rehbein 1976), das Bielefelder (vgl. Kalimeyer/Schütze 1976: 6 f.) und das Berliner Transkriptionsverfahren (vgl. Koerfer demn.); einen eigenen Vorschlag machen außerdem Henne/Rehbock 1979: 72 f f . ; eine Gegenüberstellung von Verfahren, die u . a . das Freiburger berücksichtigt, sich aber nicht auf die Bundesrepublik beschränkt, geben Ehlich/Switalla 1976.

16 (TELEFONKLINGELN) AAA (Berater)

BBB (Anruferin)

hier vier-eins-sieben-sieben l ja guten tag herr doktor von hollander guten tag l

(Erläuterung: '!' steht für 'kurze stille Pause 1 ; für das vollständige Transkriptionsformular vgl. den Anhang zum Beitrag von Wahmhoff/ Wenzel in diesem Band.) Aussage (1): "Der Berater identifiziert sich selbst durch Nennung seiner Tele-

fonnumrer"; Aussage (2) - (Fortsetzung von Aussage 1): "nicht durch Namensnennung:"; Aussage (3) "Der Name des Beraters wird als Anrede von der Anruferin genannt"; Aussage (4) - (Fortsetzung von Aussage 3): "die sich ihrerseits selbst nicht vorstellt.";

Aussage (5): "Der Berater spricht also mit einem Teilnehmer, der für ihn anonym bleibt." Aussage (6): "Damit ist eine für ein normales Telefongespräch ungewöhnliche Situation definiert." Wissenschaftstheoretisch betrachtet handelt es sich bei (1)-(6) um singuläre Erfahrungsaussagen oder s i n g u l ä r e s y n t h e t i s c h e Aussagen.

34

'Singular1 heißen sie, weil sie sich auf einzelne 'Ereignisse' oder

'Zustände' beziehen, 'synthetisch', weil sie nicht a priori,

sondern auf-

grund von empirischer Überprüfung als wahr oder falsch beurteilt werden. In den Naturwissenschaften nennt man solche Aussagen auch 'Beobachtungsaussagen1, und allgemein spricht man ihnen den Status von B e s c h r e i b u n g e n zu. 36 Schauen wir uns (1)-(6) an, so leuchtet unmittelbar ein, daß der Begriff 'Beobachtung' den Prozeß des Zustandekcmtens dieser Aussagen nicht adäquat wiedergibt: Z.B. wird in Aussage (1) eine sprachliche Handlung des Beraters als 'sich selbst identifizieren1 benannt, in Aussage (3) wird (sinngemäß) ei-

34 'Erfahrungsaussage' ist in unserem Kontext kein glücklicher Begriff, weil 'Erfahrung' im folgenden in einem spezifischen anderen Sinne benutzt wird. 35 priori 1 heißt hier: aus rein logischen Gründen oder aufgrund von Bedeutungsfestlegungen; vgl. Leinfellner 1967: 28. 36 Zu 'Beschreibung' im Gegensatz zu 'Erklärung' vgl. auch Stegmüller 1969: 76 ff.

17

ne sprachliche Handlung der Anruf erin als 'Anrede gebrauchen1 benannt usw. Diese Aussagen beruhen nicht auf Beobachtung, sondern auf der I n t e r p r e t a t i o n des Transkripts; anders ausgedrückt: die Analysatoren wählen zur Formulierung ihrer Aussagen einen v e r s t e h e n d e n Zugang. Welches sind die Grundlagen eines solchen Verstehensprozesses? Zunächst ist hier das A l l t a g s w i s s e n der Analysatoren zu nennen, und zwar Tteilbestände des 'alltagspraktischen Wissensbestandes', die sich auf die gesellschaftliche, die soziale Wirklichkeit und die Rolle von Sprache in ihr beziehen. 37 Dieses Alltagswissen ist von einer solchen Art, daß es uns nicht nur die Beschreibung dessen, was (nach unserer Interpretation) in dieser konkreten Situation i s t ermöglicht, sondern auch Aussagen über das, was n i c h t ist, aber sein könnte. Nur so ist Aussage (2) zu verstehen: Der Berater als Angerufener könnte sich auch mit Namen gemeldet haben; ebenso Aussage (4): Die Ratsuchende als Anruferin könnte sich auch vorgestellt haben. Diese Aussagen beruhen auf Erfahrungen, die wir in gleichartigen oder ähnlichen Situationen gemacht haben; diese Erfahrungen erzeugen bestimmte Erwartungen. In Aussagen wie (2) und (4) wird so kontrafaktisch das 'durchaus-auch-Erwartbare' formuliert. Wir können mithin bereits zwei Arten von konversationsanalytischen singulären synthetischen Aussagen unterscheiden: Solche, die sich auf das beziehen, was nach unserer Interpretation i s t (singuläre synthetische Aussagen erster Stufe) und solche, die sich auf etwas beziehen, was sein könnte, indem sie ausdrücken, was n i c h t ist (singuläre synthetische Aussagen zweiter Stufe). In dieses Schema paßt Aussage (6) allerdings nicht hinein, obwohl auch (6) Singular und synthetisch genannt werden muß: 38 (6) sagt uns nicht, was nicht ist, aber auch nicht einfach, was ist, denn sie enthält zwei b e w e rt e n d e Adjektive - normal und ungewöhnlich. 39 Die Formulierung solcher Aussagen setzt eine ganz bestimmte Art von Wissen im Alltagswissensbestand voraus: nämlich ein Wissen um das, was in vergleichbaren Situationen m i t

37 38 39

Vgl. zu 'Alltagswissen 1 u.a. Berger/Luckmann 1969: 43 f f . ; Matthes/Schütze 1973: 11 ff. Referiert wird auf eine konkrete Situation, und die Frage der Wahrheit ist nicht logisch und nicht rein semantisch entscheidbar; zur Problematisierung von 'singular 1 vgl. aber Stegmüller 1969: 98 f. Diese Adjektive drücken ugs. qualitative Einschätzungen aus; wissenschaftlich betrachtet müssen sie quantitativ operationalisiert werden; vgl. auch unten, Abschnitt 3.2.

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g r o ß e r W a h r s c h e i n l i c h k e i t eintritt u n d entsprechend erwartet werden kann. Wie wir in Abschnitt 3.2 noch genauer sehen werden, kann dies als das r e g e l h a f t Erwartbare expliziert werden. Nicht alle Erfahrungen schlagen sich als Regeln nieder, sondern nur rekurrente. 4o Der Bezug auf rekurrente Erfahrungen bzw. Regeln, wie er in (6) implizit, durch die 'wertenden1 Adjektive, vorliegt, konstituiert einen weiteren Typ konversationsanalytischer Beschreibungen: konversationsanalytische singuläre synthetische Aussagen dritter Stufe. Es ist denkbar, ja sogar wahrscheinlich, daß auch Aussage (2) auf rekurrente Erfahrungen der Analysatoren zurückgeht; aber das kommt nicht zum Ausdruck, also könnte (2) durchaus auf einer einmaligen vorherigen Erfahrung beruhen. Sie ist deshalb als konversationsanalytische singuläre synthetische Aussage zweiter Stufe zu werten, wobei wir zur Definition dieses Aussagentyps jetzt hinzufügen sollten: singuläre synthetische Aussagen zweiter Stufe stützen sich auf Erfahrungen, deren Rakurrenz weder qualifizierend (normal) noch quantifizierend (im allgemeinen) mitpostuliert wird, oder die nicht-rekurrent sind. Hinsichtlich des Zustandekommens ist der Unterschied zwischen Aussagen zweiter und dritter Stufe gering: beide Male berufen wir uns auf Erfahrungen aus unserem Alltagswissensbestand; wir kennen, was Aussagen zweiter Stufe betrifft, sozusagen durch Vergleich des Vorliegenden mit unserer Erfahrung auf die Feststellung von etwas, was n i c h t ist, so wie wir, im Fall von Aussagen dritter Stufe, darauf komtnen, daß etwas a n d e r s ist als (regelhaft) erwartbar gewesen wäre. Ein fundamentaler Unterschied scheint jedoch hinsichtlich der V a l i d i e r u n g von Aussagen dieser beiden Typen zu bestehen. Über Wahrheit oder Falschheit von Aussagen zweiter (wie auch erster) Stufe müßten wir uns prinzipiell einigen können, indem wir gemeinsam das Transkript anschauen, über Aussagen dritter Stufe dagegen können wir uns prinzipiell nur einigen, wenn wir uns zuvor darüber geeinigt haben, daß die zugrundeliegende Regel stimmt (wir müßten uns für Aussage (6) z.B. zunächst gemeinsam überlegen, ob unser Verständnis von 'normales Telefongespräch' impliziert, daß sich der Angerufene mit Namen meldet und der Anrufer sich vorstellt). Ist als erste Grundlage der Interpretation also der Rückgriff auf Alltagswissensbestände zu nennen, so muß nun als zweite Grundlage auf die w i s s e n s c h a f t l i c h e n W i s s e n s b e s t ä n d e hingewiesen werden: Der Forscher geht mit bestimmten Intentionen an ein Transkript heran, die teils durch seine wissenschaftliche Ausbildung überhaupt, teils durch sei4o

Vom Wissenserwerb durch Regel-Lernen sehe ich hier ab.

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ne spezifischen Forschungsziele bestirtmt sind. Häufig wird er Transkripte sogar auf die Validierung bestimmter Hypothesen hin analysieren; diese determinieren dann einen Interessenfokus, der zu selektiven Beschreibungen führt. Dieser Interessenfokus könnt z.B. in einer solchen singulären synthetischen Aussage zweiter Stufe wie (4) zum Ausdruck: Daß sich die Anruferin nicht vorstellt, macht nach der (in diesem Stadium der Untersuchung noch hypothetischen) Ansicht der Analysatoren (vgl. Schank/Schoenthal 1976: 74) gerade ein konstituierendes Merkmal der Situation 'Beratungsgespräch1 41 aus. Auf gut bestätigte wissenschaftliche Regelhypothesen (vgl. unten, Abschnitt 3.2.2) als Teilbeständen unseres wissenschaftlichen Wissensbestandes können wir selbst wieder zur Formulierung von Beschreibungsaussagen rekurrieren, so daß sie in dieser Hinsicht eine ähnliche Funktion haben können wie die regelhaften Erwartungen in unserem Alltagswissensbestand. Eine wichtige Konsequenz des Einflusses wissenschaftlicher Wissensbestände ist der Gebrauch von t h e o r e t i s c h e n B e g r i f f e n ('theoretical terms') in der Formulierung von Beschreibungen. Das sind Begriffe, die ihre Definition selbst im Rahmen einer "Theorie1 (oder zumindest eines 'Hypo42 thesengefüges') erfahren. Im Kontext unseres Beispiels gelten etwa 'Berater' und 'Beratungsstelle' als Termini in einer Theorie der (betreffenden) Institution, 'Beratungsgespräch' als Terminus in einer Theorie der (betreffenden) Interaktionssituation - die von der Institutionstheorie natürlich nicht unabhängig ist. Mit der Verwendung theoretischer Begriffe in singulären synthetischen Aussagen wird also zwangsläufig bereits auf Theorie rekurriert, und zwar unter Umständen (wie im Fall von 'Beratungsgespräch') auf eben die Theorie, unter die die Beschreibungen selbst fallen. 43 F a ß t m a n das zum Zustandekcninen konversationsanalytischer Beschreibungen Gesagte kurz z u s a m m e n , so kann man sagen: Grundlage der Formulierung konversationsanalytischer singulärer synthetischer Aussagen ist ein Verstehensakt unter Rückbezug auf Alltagswissensbestände; dieser wird ergänzt

41 42 43

'Beratungsgespräch 1 wird von den Autoren als Oberbegriff zu 'Beratung' und 'Beratungsgespräch 1 im Stegerschen Sinne (vgl. oben, Abschnitt 2) verwendet. 'Theorie 1 und 'Hypothesengefüge' verwende ich hier Undefiniert. Vgl. die Ausführungen zum 'Integrationsmodell 1 der Analyse institutioneller Gespräche in meinem Beitrag zum vorliegenden Sammelband, Abschnitt 4.1 u.ö.

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durch, vollzogen im Hinblick auf und gelenkt von aktualisierten Teilbeständen des wissenschaftlichen Wissensbestandes.44 Daraus ergibt sich, daß eine konversationsanalytische Beschreibungs-Aussage als 'Datum1 im Prozeß einer "doppelten interpretativen Vermittlung" (Schütze, Meinefeld u.a. 1973: 447) k o n s t i t u i e r t wird. 45 Die Komplexität dieser Vorgänge mag dazu beigetragen haben, daß für den Verstehens- bzw. Interpretationsprozeß manchmal die Charakterisierung 'hermeneutisch' verwendet wird. So fordert H.Henne 1977: 71 für die Konversationsanalyse eine "sprachanalytisch-hermeneutische Methode"; G.Schank nennt die in seinem Beitrag über Kurzberatungen in diesem Band angewendete Methode "hermeneutisch-interpretatives Verfahren" (Abschnitt 5.6); und G.Ungeheuer konstatiert (1977: 37), daß das 'Einbringen1 seines Verständnisses des Gesprächsverlaufs durch den Wissenschaftler in die Analyse "zu den üblichen Schwierigkeiten in der Rechtfertigungsstruktur hermeneutischer Analyseverfahren" führe. Dieser Gebrauch von 'hermeneutisch' ist in ständiger Gefahr, unter das Verdikt einer V e r k ü r z u n g 'eigentlich' hermeneutischer Ansätze zu fallen, wenn nicht deutlich hinzugesetzt wird, daß 'hermeneutisch' sich hier nicht auf eine philosophische Hermeneutik in ihrer ganzen Reichweite, etwa im Gadamerschen Sinne, bezieht, auch nicht auf eine Hermeneutik als Kunstlehre der 'Auslegung1 von "schriftlichen Dokumenten unserer Kultur" (Riccer 1972: 252). Vielmehr läßt sich dieser Gebrauch nur rechtfertigen, wenn man auf Apelsche und Habermassche Positionen rekurriert: 'Hermeneutisch1 bezieht sich dann in einem elementaren Sinne "auf ein 'Vermögen1, das wir in dem Maße erwerben, als wir eine natürliche Sprache 'beherrschen' lernen: auf die Kunst, sprachlich kcmnunizierbaren Sinn zu verstehen und, im Falle gestörter Kcmtunikationen, verständlich zu machen" (Habermas 1971: 120). Diese Verwendung von 'hermeneutisch1 ist legitim, wie mit einem Argument ex auctoritate belegt werden kann: Gadamer selbst bescheinigt (1971: 57) der "zwischenmenschlichen Kommunikation" ausdrücklich, daß auch sie unter die 'hermeneutische Dimension"

44 45

46

Zum Verhältnis von 'alltäglichem 1 und 'theoretischem' Wissen vgl. auch Dittmann 1975: 7 ff. (im Anschluß an Cicourel 1973: 175 f f . ) . Apel nennt (1971: 14) die soeben behandelten Fragen "das Problem einer synthetischen Konstitution bereits der Erfahrungsdaten" in den Sozialwissenschaften; vgl. Apel 1976: 35 ff. und Dittmann 1975: 5 f f . ; speziell für eine 'pragmatische' Linguistik vgl. Dittmann 1977b: 1OO ff. Vgl. Gadamer 1965: xix, wo er es als den Sinn seiner philosophischen Hermeneutik bezeichnet, "das allen Verstehensweisen Gemeinsame aufzusuchen und zu zeigen, daß Verstehen niemals ein subjektives Verhalten zu einem gegebenen 'Gegenstande' ist, sondern zur Wirkungsgeschichte, und das heißt: zum Sein dessen gehört, was verstanden wird".

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falle. Es fragt sich allerdings, ob man nicht in diesen Kontexten 'hermeneutisch1 schlicht durch 'verstehend1 ersetzen sollte. Ernstzunehmen ist jedenfalls Ungeheuers oben zitierter Hinweis auf die 'Schwierigkeiten in der Rechtfertigungsstruktur hermeneutischer Analyseverfahren', denn tatsächlich miß sich jeder Forscher die Frage nach der Validität seiner konversationsanalytischen Beschreibungen stellen. Wie oben bei der Untersuchung von singulären synthetischen Aussagen zweiter und dritter Stufe angedeutet, gibt es unterschiedliche Arten möglicher Validierung. Dabei ist die Validierung unter Rekurs auf eine Regel zwar umständlich (denn sie setzt die vielleicht sehr aufwendige Bestimmung eben dieser Regel voraus), 47 aber letztlich klarer als die Validierung, bei der wir sozusagen im Transkript bleiben. Ein probates Hilfsmittel bei der Validierung ohne unmittelbaren Rekurs auf eine Regel im obigen Sinne ist die O p e r a t i o n a l i s i e r u n g von wiederkehrenden Begriffen in der Beschreibung von Elementen der Gesprächsorganisation und der Interpretationsprozesse in Gesprächen. So kann man bei der Beschreibung von Aktivitäten gesprächsorganisierender Art das Vorkcntnen von 'Gliederungssignalen' als Indiz für einen strukturell relevanten Schnitt im Gesprächsverlauf werten. G.Schank hat (1978: 64 ff.) z.B. gezeigt, daß eine Reihe von Signalen die Funktion haben, einen 'Themenabschnitt1 in einem Gespräch einzuleiten (z.B. iah meine, ich würde sagen, sag mal - letzteres ist allerdings in der Liste bei Schank nicht enthalten - usw.) bzw. zu beenden (z.B. stille Pausen, Lachen, und so weiter usw.). Diese Signale dienen bei Schank der Operationalisierung des wissenschaftlich-konversationsanalytischen Ausdrucks '... hat ein neues Thema begonnen' bzw. '... hat ein Thema beendet' in Beschreibungen wie etwa in folgendem Beispiel: Transkript: AA: sag mal, Mensch, soll man denn immer alles Zeug mit sich schleppen?

Beschreibung: 'AA eröffnet mit der Äußerung ... einen Themenabschnitt1. 49

47 48

49

Zu 'Regel 1 vgl. unten, Abschnitt 3 . 2 . 2 . Nach Fuchs/Schank ( H g . ) 1975b: 51; Transkriptionszeichen getilgt; inhaltlich geht es um Diebstahlsgefahr auf Reisen. Die 'Beschreibung' ist von mir, das Beispiel wird bei Schank nicht behandelt. Operationalisierungen lassen sich in der Konversationsanalyse über die Lexemgrenze hinaus fortführen; das zeigt das von Steger zunächst zur Ausgrenzung von Sprechintentionen verschiedener Typen entwickelte 'Modellsatzverfahren 1 ; vgl. jetzt die Anwendung bei Schank 1978: 84 ff. zur Gewinnung von Aussagen über Themenabschnittbildungen in natürlichen Gesprächen.

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Zu beachten ist,

daß derartige Operationalisierungen den Interpretations-

prozeß nicht ersetzen, sondern nur a n l e i t e n .

Sie lassen sich nicht

starr, mechanisch anwenden, sondern geben Hinweise auf die Möglichkeit Vorliegens bestimmter organisierender oder interpretativer Aktivitäten Gesprächspartner. Entsprechend lassen sich durch Operationalisierungen dierungen nicht in einem absoluten Sinne erzielen, sondern sie stützen lich die Plausibilität von Validitätsbehauptungen. 3.2.

des der Valiledig-

Erklärungen und allgemeine Aussagen

3.2.1

Interpretative Rekonstruktion - Erklärung oder Beschreibung?

Die wissenschaftstheoretisch bedeutsame Unterscheidung von Beschreibungen und E r k l ä r u n g e n läßt sich für die Konversationsanalyse nur dezisionistisch treffen. Das sei an einem Beispiel erläutert. G.Ungeheuer gibt (1977: 37) folgende Transkriptausschnitte (aus demselben Telefonberatungsgespräch, dessen Anfang ich im letzten Abschnitt zitiert habe): 51 Anruferin: Wir Jugendlichen aus meinem Kreis haben im Moment alle so ein großes Problem, und zwar ist es die Skepsis, die sich bei uns so ein bißchen breit macht. Berater: Skepsis oder Mißtrauen?

Dann schreibt Ungeheuer (ebd.: Hervorhebung von mir, J.D.): Die Frage des Beraters war von mir (1974a: 2O f . ) ) als Versuch der Überprüfung seines Verständnisses gegenüber den Formulierungen der Anruferin interpretiert worden; meine B e s c h r e i b u n g lautete: 'Verständnisschritt durch Abgrenzung gegen "Mißtrauen 1 1 .

Diese 'Beschreibung' der Äußerung des Beraters kann durchaus auch als Erklärung betrachtet werden, nämlich z.B. dann, wenn wir mit C.G.Hempel die Auf52 Zwangfassung vertreten, daß Erklärungen Antworten auf warwm-Fragen sind. los können wir ja umformulieren: 'Warum äußert der Berater Skepsis oder Mißtrauen? - Der Berater äußert Skepsis oder Mißtrauen?, u m sein Verständnis

50

51

52

Vgl. jetzt dazu die Einschätzung von Operationalisierungen bei Schwitalla 1979: 66 f., der (ebd.: 122 f f . ) das Stegersche Modellsatzverfahren zur Gewinnung von Aussagen über dialogorganisierende, speziell -steuernde, Aktivitäten von Gesprächspartnern verwendet. Ich zitiere hier die von Ungeheuer gegebene paraphrasierende(!) Fassung. Analysen des ganzen Transkripts liegen vor in Ungeheuer 1974a und Schank/ Schoenthal 1976: 66 ff. Genauer dazu vgl. Hempel 1965; 1977: 2 f. und von Wright 1974: 42 ff.

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der Formulierungen der Anruf er in durch Abgrenzung gegen 'Mißtrauen1 z u überprüfen.' Hier wird, so könnte man weiter argumentieren, eine bestimmte sprachliche Handlung - die Äußerung des Beraters - durch Angabe der von Sprecher mit der Äußerung verfolgten Absicht oder I n t e n t i o n erklärt. Dabei läßt die Struktur der Antwort auf die Damm-Frage erkennen, daß es sich hier um eine t e l e o l o g i s c h e Erklärung handelt (bei der, im Gegensatz zu einer kausalen Erklärung des Typs 'Warum brennt es? - W e i l der Blitz eingeschlagen hat.' mit dem Ausdruck um zu (oder auch damit) auf Zwecke, Ziele, zu erfüllende Aufgaben oder eben: Intentionen rekurriert wird). Könnte man also den Standpunkt vertreten, mit der Ungeheuerschen 'Beschreibung1 sei implizit eine teleologische Erklärung für die Äußerung gegeben, so muß man ergänzend feststellen, daß solche teleologischen Erklärungen in der Konversationsanalyse häufig auch explizit geleistet werden. So z.B. im Kontext der Beschreibung des oben, Abschnitt 3.1, gegebenen Transkriptausschnitts. Im Anschluß an ihre Aussagen (1/2) - "Der Berater identifiziert sich selbst durch Nennung seiner Telefonnummer, nicht durch Namensnennung" - schreiben Schank/Schoenthal (1976: 74): "Damit will er wohl seine Person hinter die Institution Beratungsstelle zurücktreten lassen." Diese Aussage ist ganz offensichtlich von den Analysatoren nicht als Beschreibungs-, sondern als Erklärungsaussage gedacht. Paraphrasiert man sie als '... um seine Person hinter die Institution Beratungsstelle zurücktreten zu lassen1, wird auch formal ihr teleologischer Charakter deutlich. 54 Teleologische Erklärungen sind in mindestens zweierlei Hinsicht problematisch, nämlich erstens aus formalen und zweitens aus forschungspraktischen Gründen. Die Schwierigkeiten in f o r m a l e r Hinsicht betreffen den logischen Status von teleologischen Erklärungen und leiten sich her aus der weithin

53 54

Vgl. von Wright 1974: 83 f f . ; genauer handelt es sich beim Rekurs auf Intentionen um Fälle von 'echter materialer Teleologie'; vgl. Stegmüller 1969: 519 ff. 'Damit' in der ursprünglichen Formulierung steht für 'mit dieser Äußerung 1 , indiziert also nicht auch schon den teleologischen Charakter, sondern ist Proform. Man kann auch paraphrasieren: " w e i l er seine Person hinter die Institution zurücktreten lassen w i l l 1 ; dies zeigt, daß teleologische Erklärungen in kausale formal überführbar sind (die 'Ursache 1 ist hier eine Intention), oder mit Stegmüller (1969: 521): "jeder Fall von echter Teleologie ist zugleich ein Fall von echter Kausalität"; allerdings i s t z u beachten, d a ß Intentionen keineswegs ' H u m e s c h e ' Ursachen von Handlungen (genauer: des 'äußeren 1 Aspekts von Handlungen;

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ungeklärten Beziehung zwischen der Intention, mit der eine Handlung ausgeführt wird ('innerer Aspekt1 der Handlung), und dem 'äußeren Aspekt' der Handlung, das ist das der Handlung korrespondierende 'beobachtbare Verhalten1. Nach den Vorstellungen G.H. von Wrights und anderer Theoretiker wird in einer teleologischen Erklärung gerade diese Beziehung formuliert: A tut a, um p herbeizuführen, das bedeutet ja genauer: (1) A tut a (2) A beabsichtigt, p herbeizuführen, wobei (1) den "äußeren1 Aspekt der Handlung, (2) die Intention ausdrückt. Aber von welcher Art ist die Beziehung zwischen den in (1) und (2) formulierten Sachverhalten? Gerade hier liegt die Schwierigkeit. Offenbar besteht zwischen (1) und (2) zunächst formal gesehen nur e i n Zusammenhang: es wird beide Male etwas über A ausgesagt. Zwischen a und p jedoch wird nicht explizit eine Relation postuliert. Offenbar unterstellen wir aber, wenn wir eine teleologische Erklärung geben, eine bestimmte Art von Zusammenhang zwischen a und p: Wir unterstellen, daß A glaubt, mit a p herbeizuführen zu können! In unserem obigen Beispiel läßt sich das Zustandekommen der Äußerung des Beraters folgendermaßen rekonstruieren: (1') Der Berater will der Anruferin nicht primär als Person, sondern als Institution erscheinen (p); (2') der Berater glaubt, dies (also p) (nur, unter anderem ...?) erreichen zu können, daß er sich mit seiner Telefonnummer meldet (daß er a tut); (3') folglich meldet er sich mit seiner Telefonnummer (er tut a). Eine Rekonstruktion von der Struktur wie d ' ) - ( 3 ' ) nennt man auch 'praktischen Schluß1 oder 'praktischen Syllogismus' (PS). Weil im praktischen Schluß die Aussage über die 'äußere1 Handlung als 'Conclusio' auftritt, kann man ihn als '"auf den Kopf gestellte1 teleologische Erklärung" (von Wright 1974: 93) be-

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vgl. dazu im folgenden) sein können; für diese Fragestellung vgl. von Wright 1974: 91 und für eine ausführliche Diskussion entsprechender Erklärungsbegriffe ebd.: Kap. iv. Vgl. von Wright 1974: 35 f f . ; vgl. zu 'Handlung' meinen Beitrag in diesem Band, Abschnitt 3.2. Vgl. von Wright 1974: 93 f f . ; allerdings ist im PS strenggenommen nur die Formulierung glaubt, d a ß e r p n ' u r d a n n herbeiführen kann, wenn er a tut' zulässig; vgl. zu dieser Formulierung auch i. folg.

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zeichnen. Wie man sieht, wird also, machen wir sie explizit, die Beziehung zwischen der Aussage über die Intention ( 1 ' ) und der Aussage über die "äußere1 Handlung (3 1 ) durch eine Aussage über eine A n n a h m e (einen 'Glauben') des Handelnden hergestellt (2 1 ) - über eine 'kognitive Mittelprämisse'. Welchen Status hat diese über die kognitive Mittelprämisse hergestellte Beziehung? Wenn man ( 2 ' ) , wie von Wright (1974: 93), in der strikten Version formuliert, derart, daß A glaubt, p nur d a n n herbeiführen zu können, wenn er a tut, scheint die Beziehung, mithin der PS, auf den ersten Blick zwingend zu sein: A hatte die Absicht, p zu erreichen, und es blieb ihm sozusagen gar nichts anderes übrig als a zu tun, um p zu erreichen. Aber diese Argumentation, die das Zus t a n d e k o m m e n einer Handlung betrifft, ist brüchig: A hätte zwar die Intention wie in (1') haben können, auch hätte er glauben können, daß a notwendig sei, um p zu erreichen, aber er hätte sehr wohl trotzdem n i c h t s tun können. D.h., aus einer Intention und einer Annahme über das zu ihrer Realisierung Notwendige folgt keineswegs 'logisch1 (in einem auf 'Syllogismus' im engeren Sinne bezogenen Verständnis dieses Wortes), daß die Handlung auch ausgeführt werden wird. L i e g t aber eine Handlung bereits v o r , wie das bei teleologischen Erklärungen ja der Fall ist, dann hat zwar der Handelnde 'etwas getan1, jedoch steht es mit der Erklärung recht eigentümlich. Von Wright vertritt (1974: 110) die Auffassung, wir hätten es im Fall einer vorliegenden Handlung bei einem PS mit einer "logisch schlüssigen Argumentation" zu tun, die 'Notwendigkeit' der Geltung des PS sei eine " e x p o s t a c t u verstandene Notwendigkeit". Diese Auffassung ist jedoch nicht haltbar: denn wie kann, was in bezug auf das Zustandekommen einer Handlung nicht logisch zwingend ist, nach Vollzug der Handlung plötzlich logisch zwingend sein? Wir können lediglich ex post actu dahingehend argumentieren, daß das logisch nicht zwingend Erwartbare in d i e s e m F a l l eingetreten ist - das ist eine ad hcc-Erklärung, mithin eine s c h w a c h e Erklärung von einem Typ, der die formale Transformation i n eine P r o g n o s e n i c h t gestattet. 58 Noch ärger wird es, wenn wir für (2') nicht die strikte Formulierung ('daß er p n u r dann/dadurch erreicht1) wählen, sondern eine der oben gegebenen lockeren Formulierungen - und in aller Regel wird für alltägliches Handeln und Reden eine lockere Formulierung notwendig sein. Dann ist schon im PS

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Vgl. für dieses Argument von Wright 1974: 1O9 f. Zu dieser Überführbarkeit aus der Sicht der analytischen Wissenschaftstheorie vgl. Lenk 1972.

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selbst formuliert, daß A anstatt a auch eine andere, nicht näher charakterisierte Handlung hätte ausführen können. Wenn er a ausführt - und bei der Verwendung des Arguments in teleologischer Erklärung gehen wir ja von einer vorliegenden Handlung aus -, hat der Handelnde also offenbar eine A u s w a h l zwischen Handlungsalternativen getroffen. 59 Aber warum hat er genau d i e s e Handlung gewählt?: Ihr Zustandekommen wollten wir doch erklären. Diese Frage aber bleibt offen. Die f o r s c h u n g s p r a k t i s c h e n Schwierigkeiten teleologischer Erklärungen liegen, auch in Ansehung des soeben Ausgeführten, auf der Hand: Die Validierung von Aussagen des Typs (1') und (2 1 ) ist in der Konversationsanalyse ein außerordentliches Problem. Möglich ist auch hier allein eine Art P l a u s i b i l i t ä t s e r w ä g u n g , gestützt auf unser Alltagswissen und ggf. Teile 'theoretischer1 Wissensbestände (z.B. psychologischer Provenienz). Insbesondere die Zuschreibung einer bestimmten Intention wird um so plausibler sein, je offensichtlicher auf Alltagswissen in Form von Regeloder Konventionenkenntnis (vgl. dazu unten, Abschnitt 3.2.2) rekurriert werden kann. Dadurch nämlich wird die intersubjektive Nachvollziehbarkeit einer Intentionsaussage erleichtert oder allererst ermöglicht. Andererseits geht dann der Typ teleologischer Erklärungen von Handlungen unter Rekurs auf Intentionen über in den im folgenden zu diskutierenden Typ von Erklärungen unter Rekurs auf allgemeine Aussagen (vgl. unten, Abschnitt 3.2.3). Wenn das so ist, stellt sich vielleicht die Frage, warum wir es dann nicht schlicht unterlassen, teleologische Erklärungen dieses Typs in der Konversationsanalyse zu leisten. Die Antwort ist einfach: D a s g e h t n i c h t , denn zumindest i m p l i z i t gehen teleologische Erklärungen unter Rekurs auf Intentionen zwangsläufig inner wieder in unsere konversationsanalytischen sog. Beschreibungen ein. Ich komme damit auf den Ausgangspunkt dieses Abschnitts zurück. Daß in konversationsanalytische Beschreibungen zwangsläufig teleologische Erklärungen implizit eingehen, liegt in der Schwierigkeit begründet, die wir haben, den 'äußeren' Aspekt einer s p r a c h l i c h e n Handlung für die

59 60

61

Mit der formalen Darstellung von Handlungsalternativen befaßt sich u.a. ein Zweig der Handlungstheorie; vgl. Kummer 1975: 63 ff. Für eine formale Darstellung solcher Wahlen (Entscheidungsprozesse) in einer Präferenz-Logik vgl. von Wright 1963; auch hier handelt es sich um ein logisch-handlungstheoretisch aufgearbeitetes Gebiet, dessen Bezug zur Empirie bisher nicht konsequent hergestellt wurde. Vgl. dazu auch meinen Beitrag in diesem Band, Abschnitt 3.2.

27

Konversationsanalyse

s i n n v o l l

zu beschreiben, d.h., auf einer für

konversationsanalytische Fragestellungen relevanten Ebene überhaupt die Unterscheidung von "innerem1 und 'äußerem1 Aspekt einer sprachlichen Handlung zu treffen. Im PS wird, wie wir gesehen haben, zwischen diesen beiden Aspekten systematisch unterschieden. Bei von Wright geschieht das, für die von ihm betrachteten nichtsprachlichen Handlungen, derart, daß die Beschreibung von a in der Conclusio des PS die Beschreibung einer 'Muskeltätigkeit' ('unmittelbarer' äußerer Aspekt) und kausal damit verbundener Ereignisse, z.B. des Drehens eines Handgriffes ('mittelbarer1 äußerer Aspekt) ist; der 'innere1 Aspekt kann hier z.B. die Intention sein, ein Fenster zu öffnen. Eine Beschreibung des 'äußeren' Aspekts einer sprachlichen Handlung auf diesem Niveau wäre etwa die Feststellung, der Handelnde vollziehe "kleine Bewegungen in Mund und Kehlkopf" (Blocmfield 1935; 1967: 22). An solchen Beschreibungen ist aber die Konversationsanalyse (und nicht nur sie)

n i c h t

i n t e r e s s i e r t .

Wird nun eine Äußerung wie Skepsis oder Mißtrauen? beschrieben als 'Verständnisschritt durch Abgrenzung gegen 'Mißtrauen", dann enthält bereits diese B e s c h r e i b u n g

(die in der Conclusio eines PS auftreten könnte) ei-

ne Hypothese über die Intention des Sprechers (die als erste Prämisse des PS auftreten würde). Zugleich wird dem Sprecher aber implizit unterstellt, daß auch er eine Beziehung zwischen seiner Intention und seiner Äußerung derart herstellen würde, daß er z.B. auf Nachfrage, angeben würde, er habe zumindest im Zeitpunkt der Äußerung diese für ein/das Mittel zur Realisierung seiner Intention gehalten. D.h., hier wird für den Sprecher eine Unterstellung von 'Rationali tat im Moment'

vorgenommen, die der kognitiven Mittelprämisse des PS

entspricht. Daraus folgt: Dieser Art von 'Beschreibung1 liegt inplizit eine teleologische Erklärung zugrunde; sie beruht auf der i n t e r p r e t a t i v e n R e k o n s t r u k t i o n

einer Handlung als Handlung mittels eines impli-

ziten, in der geschilderten Weise zirkulären praktischen Schlusses. Oder andersherum: Eine teleologische E r k l ä r u n g des hier behandelten Typs für eine sprachliche Handlung (bzw. die Rekonstruktion des Zustandekommens einer sprachlichen Handlung mittels eines im obigen Sinne zirkulären PS) ist

62

Vgl. zur Unterstellung von 'Vernünftigkeit im Moment' aus ethnomethodologischer Sicht Weingarten/Sack 1976: 12; von Wright bemerkt dazu (1977: 139): "Wenn der Handelnde hingegen nicht 'angemessen' handelt, verstehen wir ihn überhaupt nicht. Sein Benehmen ist für uns nicht nachvollziehbar und i n diesem Sinne i r r a t i o n a l " .

28

die e x p l i z i t e Fassung dessen, was wir bei der B e s c h r e i b u n g einer sprachlichen Handlung a l s H a n d l u n g (d.h., unter 1 Einschluß ihres 'inneren Aspekts) inner schon leisten müssen. W.Stegmüller hat deshalb (1975: 121) für die Rekonstruktion einer Handlung mittels PS den Begriff 'intentionale Tiefenanalyse1 vorgeschlagen und betont, daß es hierbei um die Gewinnung eines 'intentionalen Verständnisses1 einer Handlung 64 gehe - also schlicht um ihr V e r s t e h e n . Festzuhalten ist also: Mit den oben aufgedeckten Schwächen des Typs der teleologischen Erklärung unter Rekurs auf Intentionen miß die Konversationsanalyse leben, und mancher Kritiker wird ihre Methode deshalb 'weich' finden. Aber dieses Schicksal teilt die Konversationsanalyse mit allen Disziplinen, die sich mit dem menschlichen Handeln befassen. Nun ist aber zu dem bisher allein behandelten Typ der teleologischen Erklärung unter Rekurs auf eine Intention auch in der Konversationsanalyse eine Alternative denkbar: die Erklärung einer sprachlichen Handlung unter Rekurs auf eine Regel oder Konvention, also auf eine allgemeine Aussage. Diese Möglichkeit klang oben in diesem Abschnitt schon an, nämlich im Zusanmenhang mit der Validierung von Intentionsaussagen unter Rekurs auf Alltagswissen allgemeiner Natur. Diese Möglichkeit ausschöpfen heißt nicht, das 'Verstehen' (die interpretative Rekonstruktion) von sprachlichen Handlungen zu umgehen, sondern nur, einen gegen 'Beschreibung' besser abgegrenzten Erklärungsbegriff für die Konversationsanalyse einzuführen.

63 64

Stegmüller beschränkt sich hier, wie von Wright, auf die Behandlung elementarer nichtsprachlicher Handlungen; das Zirkularitätsproblera wird von ihm nicht angeschnitten. Daraus folgt, daß bei Stegmüller für diesen Fall der Verwendung von 'Verstehen' dieser Begriff mit dem der (teleologischen) Erklärung zusammenfällt (vgl. Stegmüller 1975: 121); vgl. auch Dittmann 1977b: 89 ff. Der Vollständigkeit halber muß noch angemerkt werden, daß von Wright zwar, wie gesagt, systematisch zwischen dem 'inneren 1 und dem 'äußeren 1 Aspekt einer Handlung trennt, diese Aspekte aber auch bezüglich elementarer nichtsprachlicher Handlungen nicht für schlicht unabhängig voneinander hält; zunächst (1974: 91 f f . ) votiert er sogar für die Auffassung, sie seien 'logisch verknüpft'; dieser Standpunkt ist aus genau dem Grund, den ich oben in diesem Abschnitt gegen die Auffassung, ein PS sei 'logisch zwingend', angeführt habe, unhaltbar; vgl. dazu Stegmüller 1975: 115; vgl. auch die Revision seiner eigenen Position in von Wright 1977: 138 f . ; trotz der scharfsinnigen Diskussion muß insgesamt das Verhältnis zwischen 'innerem' und 'äußerem' Aspekt einer Handlung aus wissenschaftstheoretischer Sicht als ungeklärt gelten. Für die Ebene konversationsanalytischer Erklärungen bzw. interpretativer Rekonstruktionen scheint mir jedoch die Zirkularität eines Arguments mit einer Intentionsaussage als erster Prämisse und einer konversationsanalytischen Äußerungs-Beschreibung als Conclusio erwiesen zu sein.

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Bevor ich in Abschnitt 3.2.3 zu diesen Typ von s u b s u m t i v e r Erklärung

in der Konversationsanalyse könne, muß geklärt werden, was unter

'allgemeinen Aussagen1 verstanden werden soll. Entsprechend den in Abschnitt 1 genannten Arten von Verallgemeinerungen (als Zielen konversationsanalytischer Untersuchung von Gesprächen), kann man zunächst zwischen allgemeinen Aussagen über die Gesprächsorganisation und solchen über Interpretationen von gesprächsrelevanten Handlungen unterscheiden. Die Forschung, diese letzteren betreffend, steht noch in den Anfängen,

so daß es wenig sinnvoll ist, hier

allgemeine Interpretationsbedingungen und -regeln unter methodologischem Aspekt zu behandeln. Besser erforscht sind hingegen Regeln bzw. Konventionen, die die Gesprächsorganisationen betreffen, sowie Gesprächsstruktur-Muster (Ablaufmuster für Gesprächstypen). Allein auf diese beiden Typen konversationsanalytischer allgemeiner Aussagen werde ich im folgenden, Abschnitt 3.2.2 und 3.2.4, kurz eingehen.

3.2.2

Regelhypothesen in der Konversationsanalyse

Un zu erläutern, was unter Regeln bzw. Konventionen der Gesprächsorganisation zu verstehen ist, sei nochmals bei den oben, Abschnitt 3.1, zitierten Aussagen (1)-(6) aus Schank/Schoenthal (1976: 74) angeknüpft. Mit den Aussagen (1)(5) wird eine konkrete Situation beschrieben. Aussage (6) faßt, wie wir gesehen haben, diese Beschreibung 'wertend' zusammen: "Damit ist eine für ein normales Telefongespräch ungewöhnliche Situation definiert." Grundlage einer solchen Beschreibung kann ein Rekurs auf den Abschnitt des Alltagswissensbestandes der Analysatoren sein, der ihr Wissen um das, was ein 'normales' Telefongespräch ist enthält.

W i e weiß der alltäglich Handelnde, was ein - die

Eröffnungsphase betreffend - 'normales1 Telefongespräch ist? Indem er die R e g e l n kennt, nach denen er alltäglich handelnd ein solches Gespräch eröffnet, und denen gemäß er seinen Gesprächspartnern gegenüber im Hinblick auf deren Handlungen bestimmte Erwartungen hegt. Eine Regel 'kennen1 heißt dabei

Zur Unterscheidung zwischen 'harten 1 und 'weichen' Methoden in der Soziologie vgl. die Anm. 9c der Hg. zu Garfinkel 1973: 245 ff. 66 'Subsumtiv 1 heißt allgemein jede Erklärung, die auf eine allgemeine Aussage ( z . B . auch eine naturwissenschaftliche Gesetzeshypothese) rekurriert; vgl. von Wright 1974: 23 ff. In wissenschaftshistorischer Perspektive spricht man hier gelegentlich auch von 'Huraescher Erklärung'; vgl. Stegmüller 1969: 78. 67 Vgl. oben, Anm. 16. 65

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zunächst nur, sie zu beherrschen (im Sinne des Ryleschen 'knowing hew 1 ), nicht schon sich ihrer bewußt zu sein, über sie reden zu können (im Sinne des fift 'knowing that'). Nach einem Vorschlag des Soziologen Th. .Wilson (1973) können wir unter formalem Gesichtspunkt eine solche Regel als Ausdruck einer Beziehung zwischen einem Situationstyp und einem Handlungstyp wissenschaftlich rekonstruieren. Sie sagt uns gleichsam, welcher Typvon Handlung einem bestimmten Typ von Sieg tuation angemessen ist, zu ihm 'paßt'. A l l g e m e i n an einer solchen Aussage, die wir bei wissenschaftlicher Rekonstruktion als 'Regelhypothese' bezeichnen können, ist also zum einen die Referenz auf T y p e n (von Handlungen und Situationen). Allgemein ist zum anderen aber auch die Behauptung ihrer Geltung in (mindestens) einer gesellschaftlichen G r u p p e : "Es kann nicht ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel gefolgt sein" (Wittgenstein 1967: § 199). Zu den Generalisierungen typen- (bzw. mengen-)theoretischer Art kommt mithin noch eine quantitative Generalisierung über Handelnde hinzu. Von welcher Art aber kann diese Quantifizierung sein? Das eine Extrem: Existenzquantifizierung im prädikatenlogischen Sinne ('mindestens e i n ...') hat bereits Wittgenstein ausgeschlossen. Das andere Extrem: Allquantifizierung ('alle ...') müssen wir aber auch ausschließen: Regeln haben nämlich offensichtlich das Merkmal d u r c h b r o c h e n , nicht-befolgt werden zu können. (Wissenschaftlich-methodologisch betrachtet ist das sogar eine gute Möglichkeit, die Existenz und Geltung von Regeln zu testen: man durchbricht sie bei einem 'Experiment im Feld1 und schaut, ob das zu Mißverständnissen, Konflikten o.a. führt, oder man sucht 'natürliche' Vorkommen von Regeldurchbrechungen zu protokollieren. ) Das Quantifizierungsproblem löst der Sprachphilosoph und Logiker D.Lewis (1975: 77), indem er für die Formulierung von Regel-Hypothesen dieses Typs (und zum Schrecken seiner Logiker-Kollegen) 'Nahezu-All-Quantifizierung' verwendet. D.h., wir fordern vernünftigerweise nur, daß nahezu jedes Mitglied einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe in einer Situation eines bestimmten Typs eine Handlung des bestimmten Typs ausführt, wenn wir von einer Regel

68 69 70

Zum Begriff 'Regel' in handlungswissenschaftlicher Verwendung vgl. auch Keller 1974. Zum Wilsonschen Regelbegriff vgl. auch Dittmann 1975: 17 und Wieder/Zimmermann 1976: 111 ff. Vgl. etwa Garfinkel 1967 bzw. ders. 1973 zu 'Krisenexperimenten 1 im Feld; für 'natürliche 1 Regeldurchbrechungen speziell am Beginn von Telefongesprächen vgl. Schegloff 1968; 1972.

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- Lewis verwendet den Begriff 'Konvention1 - sprechen können vollen. Mit demselben Argument kann man begründen, daß auch über Situationen des jeweiligen Typs nicht all-quantifiziert werden dürfte: schon wenn bei nahezu jedem Auftreten einer Situation eines bestimmten Typs eine Handlung eines bestinmten Typs durchgeführt wird, können wir von 'Regel1 bzw. 'Konvention' spre, 72 chen. Zurück zu unserem Beispiel: Grundlage der Formulierung von Aussage (6) ist ein alltägliches Wissen der Analysatoren um eine Regel bzw. Konvention über die Eröffnung von Telefongesprächen (K_), die (in gegenüber der Lewisschen Definition von 'Konvention' stark vereinfachter und gekürzter Form) besagt: In mindestens einer gesellschaftlichen Gruppe G (die nicht näher beschrieben wird) gilt: Bei nahezu jedem Auftreten einer Situation 'Eröffnung eines Telefongesprächs1 (a) wird nahezu jedes Mitglied von G sich als Angerufener mit Namen identifizieren, (b) wird nahezu jedes Mitglied von G als Anrufer sich vorstellen, (c) wird nahezu jedes Mitglied von G von nahezu jedem anderen Mitglied erwarten, daß es sich gemäß (a) bzw. (b) verhält. Schank/Schcenthal (1976: 74) explizieren diese Konvention nicht, sondern setzen sie für (6) voraus. Das können sie, weil sie erwarten dürfen, daß der Leser über die Konvention in seinem Alltagswissensbestand im Sinne des 74 'knowing how1 verfügt und sie sich jetzt b e w u ß t m a c h e n kann. Etwas anders verhält es sich mit der Fortsetzung von Aussage (6) bei Schank/Schoenthal (1976: 74). Sie lautet: Aussage (7): "... die (i.e. die ungewöhnliche Situation) jedoch für den Redekonstellationstyp Beratungsgespräch typisch ist." Für den Redekonstellationstyp (vereinfacht: Situationstyp) Telefonberatungsgespräch gilt also eine zuK_ a l t e r n a t i v e Konvention (die min-

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72 73

74

Man spricht deshalb gelegentlich von 'Regel bzw. Konvention 1 , wie ich das auch bisher getan habe; vgl. Kalimeyer/Schütze 1976: 13 und Keller 1974: 14. Man kann aber auch 'Regel 1 als Oberbegriff nehmen, denn die Spiel-Regeln (z.B. des Skat), Rechen-Regeln, Rechtschreib-Regeln usw. sind k e in e Konventionen im Lewisschen Sinne. Für die genaue Definition von 'Konvention' vgl. Lewis 1975: 79 f . Ich sehe hier der Einfachheit halber von den Variationsmöglichkeiten ab, die sich z.B. aus unterschiedlichen Graden der Vertrautheit der Gesprächspartner ergeben; vgl. dazu den Beitrag von Werlen in diesem Band, Abschnitt 5.1. Vgl. oben, Abschnitt 3.1, zur Validierung von Aussage ( 6 ) .

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destens beinhaltet, daß der Anrufer sich nicht vorstellt). Diese Konvention gehört zum Alltagswissen des Beraters sowie zu dem seiner 'routinieren' Kunden. Für die Analysatoren ist dies hingegen Ergebnis der konversationsanalytischen Beschäftigung mit Telefonberatungsgesprächen, ist es eine wissenschaftliche Regelhypothese, die sie durch Vergleich von mehreren Gesprächen, also durch K o r p u s analyse, gefunden haben. Dies ist zugleich ein Hinweis darauf, H^p es prinzipiell zwei Arten der G e w i n n u n g konversationsanalytischer Regelhypothesen gibt, die man als die 'deduktive1 und die "induktive1 unterscheiden kann. Beim induktiven Vorgehen setzt der Forscher mit Beschreibungen beim Transkript an und kamt zu Verallgemeinerungen entweder qualitativ-hypothetischer Natur (dann hat die Transkript-Beschreibung heuristische Funktion), oder quantitativ-hypothetischer Natur (dann muß ein Korpus von Transkripten ausgewertet werden ) . Diesem induktiven Verfahren steht das deduktive gegenüber, bei dem der Forscher seine Regelhypothesen durch Explikation von Teilbeständen seines Alltagswissensbestandes, zumeist ergänzt um 'theoretisches1 Wissen, gewinnt. Diese Regelhypothesen werden dann am Material überprüft. Wie man sieht, schließen sich diese Verfahren keineswegs aus. Es ist z.B. denkbar, daß der Forscher sich in seiner auf Alltagswissensbeständen beruhenden Intuition (deduktiver Aspekt) von einer heuristischen Betrachtung eines Transkriptes oder mehrerer Transkripte leiten läßt (induktiver Aspekt), bevor er seine Regelhypothesen endgültig formuliert und einer Validierung unterzieht. 3.2.2

Subsumtive Erklärungen durch Regelhypothesen

Wenn wir über eine gut bestätigte Regelhypothese des behandelten Typs verfügen, können wir auch in der Konversationsanalyse subsumtive Erklärungen leisten: indem wir postulieren, eine konkrete sprachliche Handlung sei ein Fall der B e f o l g u n g einer Konvention (die in der Regelhypothese formuliert wird). Am Beispiel der oben grob entwickelten Konvention Kp, für die Er-

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77

Vgl. für die quantitative, aber nicht-numerische Auswertung eines Korpus auch den Beitrag von Schwitalla, in diesem Band. Ich habe in den Formulierungen über Verallgemeinerungen oben, Abschnitt l (z.B. "Verallgemeinerung von Beschreibungen des Ablaufs von Gesprächen zu Aussagen über Ablaufmuster von Gesprächstypen"), der Einfachheit halber so getan, als gebe es nur dieses induktive Verfahren. Für die Beschreibung eines solchen Vorgehens vgl. Schwitalla 1979: 7O f f . ; vgl. auch Dittmann 1977b: 119 f.

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Öffnung 'normaler' Telefongespräche: Die Nahezu-All-Qualifizierung sei ausgedrückt durch den (nicht notwendig numerisch bekannten) Wert einer statistischen Wahrscheinlichkeit, mit der die Handlungsabfolge tL (der Angerufene meldet sich mit Namen, der Anrufer stellt sich vor) als Eröffnung eines Telefongesprächs (TE) auftritt; 'p1 sei die Abkürzung für den Ausdruck 'die Wahrscheinlichkeit, mit der gilt ...'. Dann können wir die Regelhypothese als p r o b a b i l i s t i s c h e Hypothese der Form Kj,: p (TE, Hj,) = r notieren, d.h.: die Wahrscheinlichkeit, mit der die 'Eröffnung' durch die be78 schriebene Handlungsabfolge auftritt, ist gleich r. Die subsumtive Erklärung für ein bestimmtes Vorkommen von Hg, H^a, als Eröffnung des Gesprächs (Tga), nimmt dann die Form eines 'statistischen Syllogismus1, einer 'induktiv-statistischen Erklärung' folgender Form an: P (TE, Hg) = r V

r

,

^ ^ Paraphrasiert: Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Fall, ein Vorkonmen von T„ zugleich ein Vorkonmen von IL ist, beträgt r; a ist ein Fall von T..,; folglich ist mit der Wahrscheinlichkeit q (= r 79 ) a zugleich ein Fall von H^. Dieser Typ von subsumtiver, induktiv-statistischer Erklärung in der Konversationsanalyse ("Erklärung durch Regeln" ) birgt eine Reihe von wissen81 schaftstheoretischen Problemen, die ich hier nicht diskutieren will. Jedenfalls scheint mir hier eine Möglichkeit gegeben, eine Brücke zu schlagen zwischen der Methodologie der Konversationsanalyse und der analytischen Wissenschaftstheorie, insofern letztere sich mit induktiv-statistischen Erklärungen

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Der Wert von r muß hoch sein (also nahe bei l liegen): das ist erstens eine durch die Annahme einer Nahezu-All-Quantifizierung gegebene Voraussetzung, zweitens aber auch Voraussetzung für die Verwendung von KE im folgenden statistischen Syllogismus; vgl. Stegmüller 1969: 65O ff. Aus wissenschaftstheoretischen Gründen muß der Wert q der 'induktiven Wahrscheinlichkeit 1 , des 'Bestätigungsgrades 1 im Carnapschen Sinne nicht zwangsläufig gleich dem Wert r der 'statistischen Wahrscheinlichkeit' sein; das kann hier aber vernachlässigt werden; vgl. Stegmüller 1969: 651 f. Der Doppelstrich in diesem Syllogismus steht für die induktive Inferenz-Beziehung. Vgl. Wieder/Zimmermann 1976: HO f. aus ethnomethodologischer Perspektive ,die Darstellung dort krankt an der Vermischung von Erklärungen durch Regeln mit 'dispositioneilen Erklärungen'; vgl. zu dieser Abgrenzung Dittmann 1977a: 99 f f ; 112 ff. Vgl. dazu Dittmann 1977b: 1O8 f f . ; 122 ff.

34

befaßt.

82

Darin liegt die Chance, längerfristig und in Auseinandersetzung mit

der analytischen Wissenschaftstheorie zu einem präziseren Begriff von konversationsanalytischer Erklärung zu gelangen. 3.2.4

Ablaufmuster-Hypothesen und erweiterte Erklärungsbegriffe

Der zweite Typ von konversationsanalytischen allgemeinen Aussagen, den ich hier betrachten möchte, ist der von Ablaufmuster-Hypothesen, von Aussagen über Ablaufmuster für Gesprächstypen. Mit Ablaufmustern von Kurzberatungen befaßt sich G.Schank in seinem zweiten Beitrag zu diesem Sammelband. Grundlage der Aufstellung von AblaufmusterHypothesen ist die S e g m e n t i e r u n g konkreter Beratungsgespräche in 'Teilziele1, als da sind: die Explizierung des Problems durch den Ratsucher, die Darstellung der Person und der Lage des Ratsuchers usw. Die Reihenfolge dieser Teilziele läßt sich für jedes Transkript in Form eines Ablaufdiagranms darstellen. Methodologisch wichtig ist es nun, daß der Ablauf eines konkreten Beratungsgesprächs an einer O p t i m a l f o r m gemessen werden kann, die sich aus den mit solchen Gesprächen verfolgten Z w e c k e n ableiten läßt (vgl. Abschnitt 5.1 des genannten Beitrags) . Wenn z.B. schon vor Abschluß einer für Berater-und Ratsucher befriedigenden Problemexplizierung zum Teilziel 'Darstellung der Person und Lage des Ratsuchers' übergegangen wird, ist zu erwarten, daß in einer späteren Phase des Gesprächs noch einmal in die Problemexplizierung eingetreten wird: im Ablauf bildet sich eine •Schleife1 (vgl. ebd.: Abschnitt 4 . 2 ) . Die Festlegung einer Optimalform für Ablaufmuster von Kurzberatungen ist ersichtlich keine rein induktive Verfahrensweise; sie basiert nicht nur auf Beschreibungen von Transkripten, sondern zusätzlich auf alltagslogischen Ein83 sichten in eine angemessene, zweckmäßige Abfolge von Teilzielen, die theoretisch in k e i n e m Transkript eines Korpus voll realisiert sein müßte. Daraus folgt unmittelbar, daß es sich bei einer Ablaufmuster-Hypothese nicht um eine Regelhypothese des in Abschnitt 3.2.3 diskutierten Typs handelt, daß sie nicht den Status einer Lewisschen Konvention hat: Die Beteiligten 'verfügen1 nicht über ein Ablaufmuster, sie 'befolgen1 es nicht als Ablaufmuster,

82 83

Vgl. u . a . Hempel 1965; 1977: 55 ff. und Stegmüller 1969: 624 ff. Diesen Begriff bilde ich analog zu Lauckens (1974: 69 f f . ) Terminus 'alltagspsychologisch (es Hintergrundwissen)'.

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sondern sie verfolgen bestimnte Zwecke, und 'aus der Natur der Sache1 ergibt es sich, daß ein Ablauf, sprich: eine Handlungsabfolge, besser ist als eine andere, und daß es möglicherweise so etwas wie ein optimales Ablaufmuster gibt.84 Auch kann man nicht im selben Sinne wie bei einer Konvention sagen, ein Ablaufmuster 'spiele sich in einer Gruppe ein': Erstens müssen die Gespräche ja nicht nach diesem Muster ablaufen; und selbst wenn sie größtenteils nach diesem Muster ablaufen würden, wäre es klar, daß zweitens der Grund dafür eben nicht die 'Existenz' eines Ablaufmusters (analog der Existenz einer Regel) wäre, sondern das zweckrationale Handeln der Beteiligten. Das kann man sich anhand eines zweiten Beispiels für eine Ablaufmuster-Hypothese, jetzt speziell die Gesprächssteuerung betreffend, verdeutlichen. Schank/Schoenthal (1976: 86) formulieren eine "Regel" für Telefonberatungsgespräche, derzufolge in einem solchen Gespräch zunächst der Ratsuchende Initiant sei (die Gesprächssteuerung übernehme), denn er lege ja durch die Problemexplizierung die Voraussetzung für die Beratung; erst danach werde der Berater die Initiantenrolle übernehmen. Diese 'Regel' hat sicher für die weitaus überwiegende Zahl von Beratungsgesprächen Geltung, aber sie hat nicht den Status einer Konvention, sondern hier handelt es sich um eine Ablaufmuster-Hypothese, die aus der Zweckbestimmung ableitbar ist. Auch hier wird nicht eine Regel befolgt, sondern ein Zweck gleichsam unmittelbar verfolgt. Und auch hier wieder gibt es so etwas wie einen 'strukturellen Niederschlag' einer zweckrationalen Gesprächstührung. Wie können Ablaufnuster-Hypothesen in konversationsanalytischen E r k l ä r u n g e n verwendet werden? Jedenfalls nicht in subsumtiven ErkläQC

84

85

Sehr treffend scheint es mir zu sein, wenn G.Schank in seinem Beitrag über Kurzberatungen in diesem Band, Abschnitt 5.6, die Analyse von Ablaufmustern als Beschreibung "formaler Strukturelemente", analog zum Vorgehen einer linguistischen Syntax, charakterisiert, wobei die formalen Elemente mithilfe "hermeneutisch-interpretativer Verfahren" zu gewinnen seien; für eine vergleichbare Einschätzung auch der linguistische Syntax vgl. Dittmann 1975. Kalimeyer/Schütze 1976: 21 sprechen, wenn ich sie recht verstehe, in diesem Zusammenhang von einer dem 'Handlungsschema' "inhärenten "interaktions-' und 'sachlogischen 1 Aufgabenkontur". Mir ist nur nicht klar, weshalb sich diese 'Aufgabenkontur' n i c h t (wenigstens unter Umständen) "aus einer umfassenden Sequenzierungsstruktur sozialer Aktivitäten" soll ableiten lassen können; vgl. dazu im folgenden.

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rungen des in Abschnitt 3.2.3 vorgestellten Typs, also in Form der Behauptung einer Befolgung durch die Beteiligten. Einleuchtender erscheint es mir hier, von der Erklärung einer konkreten Handlungsabfolge dann zu sprechen, wenn wir eben auf den jeweiligen Z w e c k (z.B. eine Teilzielverfolgung) rekurrieren. Begriffe wie 'zweckrationales Handeln1 oder 'alltagslogisches Hintergrundwissen1 sind dabei allerdings zunächst noch vage. Ihre Bedeutung müßte für einzelne Gesprächstypen noch präzisiert werden, wenn wir schlüssige Erklärungen einzelner Handlungen bzw. Handlungsabfolgen gewinnen wollen. Eine gewisse Explikation hat meines Wissens in der Konversationsanalyse bisher nur der Begriff 'interaktions- und sachlogische Aufgabenkontur1 bei Kallmeyer/ Schütze (vgl. oben, Anm. 85) für den monologischen Sprechhandlungstyp 'Erzählen von Geschichten1 erfahren, wenn sie im Anschluß an Arbeiten von Sacks und Labov/Waletzky auf die determinierende Itolle der Abfolge von tatsächlichen Ereignissen für die Erzählstruktur hinweisen. Denkt man diesen Ansatz zur Gewinnung eines alternativen Erklärungsbegriffs konsequent weiter, so kommt man schließlich zur Konzeption noch umfassenderer Erklärungsversuche in der Konversationsanalyse. An die Stelle 'interaktions- und sachlogischer Aufgabenkonturen' können z.B. psychologische begründbare Motivationen der Beteiligten für gesprächsrelevante Handlungen treten. Diesen Typ von Erklärung verwendet G.Ungeheuer, wenn er die Struktur des von ihm {1974a: 19 ff.) untersuchten Telefonberatungsgesprächs auf das Ziel: Erreichung des "Gefühls des Verstandenseins" (ebd.: 24) bezieht. Noch einen Schritt weiter gehen schließlich Erklärungsversuche, die die Gesprächsorganisation und die Interpretations-Aktivitäten der Beteiligten an Interaktionsformen als gesellschaftlichen Verkehrsformen rückbinden wollen. Paradigmatisch hierfür ist die Arbeit von K.Martens über Kommunikation in der Familie (1974). Anhand von Analysen eines umfangreichen Korpus von Transkripten aus einer Familie formuliert sie 'Grundmuster1 der Kommunikation ('Strategien' der Gesprächsführung) in dieser Familie, die in Form von Ablauf diagrammen für Typen sprachlicher Handlungen darstellbar sind. Die Formulierung eines solchen Grundmusters bringt (1974: 125) z.B. zum Ausdruck, daß ein "impliftfi zit und auf der Beziehungsebene verlaufendes Koalitionsangebot des V(aters) an W(olfgang, den Sohn) [... ] typischerweise nur über eine Disqualifizierung der M(utter) Zustandekommen kann". Diese 'Strategien1 werden sodann (1974: 270 ff.) e r k l ä r t durch die ihnen zugrundeliegenden Konflikte inner-

86

Im Sinne von Watzlawick u.a.

1969:

53

ff.

37

halb der Familie, die ihrerseits auf die Problematik der Institution Familie 87

in der gegenwärtigen Gesellschaft rückführbar sind. D.h., die Ebene der Erklärung von Strategien der Gesprächsführung wird hier definiert durch die Koppelung der konversationsanalytischen Beschreibung an einen Teilbereich einer Gesellschafts- bzw. Institutionstheorie. Werden solcherart Erklärungen unter Rekurs auf gesellschaftliche U r S a c h e n88 geleistet, dann erweist sich Konversationsanalyse als Disziplin, deren Fragestellungen und Untersuchungsergebnisse letztlich auf allgemein soziologische und handlungswissenschaftliche Erkenntnisinteressen beziehbar sein müßten, 89 mithin als Disziplin, die im Rahmen einer kritischen Gesellschafts- und Institutionstheorie ihre gleichsam externe Relevanzeinschätzung und Legitimation erfahren könnte. Voraussetzung für die Einlösung eines solchen Anspruchs ist allerdings die konsequente empirische Arbeit am Gespräch - diese Disziplin läßt sich nicht allein theoretisch rechtfertigen. 4.

Überblick über die Themen des Sammelbandes

Die folgenden Beiträge lassen sich in drei Abteilungen gliedern: (I) G.Scnoenthal ('Sprechakttheorie und Konversationsanalyse1) und G.Schank ('Zum Problem der Natürlichkeit von Gesprächen in der Konversationsanalyse') schreiben ü b e r Konversationsanalyse, wobei im Beitrag von G.Scnoenthal ein wissenschaftssystematischer, metatheoretischer Aspekt dominiert, während bei G.Schank ein methodologischer Aspekt im Vordergrund steht. G.Scnoenthal verfolgt im S.Abschnitt ihres Aufsatzes zudem eine sprechakttheoretische Frage, nämlich die nach der Abgrenzung zweier Typen von Sprechakten, deren Behandlung sie zu einem methodologisch weitgesteckten Rahmen konversationsanylytischer Arbeit führt (vgl. oben, Arm. 88 dieser Einleitung); systematisch betrachtet, würde dieser 3.Abschnitt zugleich der dritten Abteilung des Sammelbandes zuzuordnen sein.

87 88

89

In der untersuchten Familie erweist sich z . B . das Problem der innerfamilialen Rollenverteilung und der Rollenerwartungen zwischen Vater und berufstätiger Mutter als konfliktträchtig. Für eine konversationsanalytische Arbeit, die ein ähnlich hohes Niveau vorausgesetzter Theoriebildung und entsprechender 'Erklärungen' erreicht, vgl. den Beitrag von Schoenthal im vorliegenden Band, Abschnitt 3. Für eine ausführliche Darstellung des hier verwendeten Ursache-Begriffs vgl. Dittmann 1976b: 136 ff. Vgl. auch Oevermann u.a. 1976 für den Bezug zur Sozialisationsforschung; vgl. dazu auch Koerfer 1978: 84 ff.

38

(II) Die Beitrage von W.Zillig ('Zur Frage der Wahrheitsfähigkeit bewertender Äußerungen in Alltagsgesprächen1), J.Schwitalla ('Metakcnnunikationen als Mittel der Dialogorganisation und der Beziehungsdefinition'), I.Werlen ('Konversationsrituale1) und G.Schank ('Zum Ablaufmuster von Kurzberatungen - Beschreibung einer Gesprächsstruktur') thematisieren Abläufe natürlicher Gespräche unter den vier Aspekten: Bewertungen, Metakomnunikation, Ritual und t y p i s c h e r Ablauf von Gesprächen. (III) In den Beiträgen von J.Dittmann ("Institution und sprachliches Handeln'), J.Streeck ('Sandwiah. Good for you. - Zur pragmatischen und konversationellen Analyse von Bewertungen im institutionellen Diskurs der Schule1) und S.Wahmhoff/A.Wenzel ('Ein hm ist noch lange kein hm - oder - Was heißt klientenbezogene Gesprächsführung?') geht es speziell um natürliche Gespräche in Institutionen im engeren Sinne (Stadt. Rechtsamt, Schule, Sozialamt), wobei im Beitrag von J.Dittmann ein Klassifikationsansatz für institutionelle Sprechhandlungen sowie metatheoretische Aspekte im Vordergrund stehen, während J.Streeck Bewertungen von Schüler-Äußerungen und S.Wahmhoff und A.Wenzel Gesprächssteuerung unter dem Aspekt der Wirkung auf Klienten des Sozialamtes behandeln. Literaturverzeichnis Apel, Karl-Otto (1971): Szientistik, Hermeneutik, Ideologiekritik. Entwurf einer Wissenschaftslehre in erkenntnisanthropoLogischer Sicht. In: Hermeneutik und Ideologiekritik. (Theorie-Diskussion.) Frankfurt a . M . , Suhrkamp. 7-44. (1976): Sprechakttheorie und transzendentale Sprachpragraatik zur Frage ethischer Normen. In: Sprachpragmatik und Philosophie. Hg. Karl-Otto Apel. (Theorie-Diskussion.) Frankfurt a . M . , Suhrkamp. 1O-173. Berger, Peter L., Thomas Luckmann (1969): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt a . M . , Fischer. Betten, Anne (1975): Konversationsanalyse und Pragmalinguistik. In: Akten der 1. Salzburger Frühjahrstagung für Linguistik. Hg. Gabereil Drachmann. Tübingen, Narr. 387-4O1. Bloomfield, Leonard (1935; 1967): Language. London, Allen & Unwin (rev. and ist published in Great Britain 1935; repr. 1965). Braunroth, Manfred, Gernot Seyfert, Rarsten Siegel, Fritz Vahle (1976): Pragmatik und Textanalyse - vier verschiedene Ansätze. Diskussion Deutsch 7. 258-86. Cicourel, Aaron (1973): Basisregeln und normative Regeln im Prozeß des Aushandelns von Status und Rolle. In: Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. Bd. 1: Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie. Hg. von einer Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen. Reinbek, Rowohlt. 147-88.

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