Amerika als Argument: Die deutsche Amerika-Forschung im Vormärz und ihre politische Deutung in der Revolution von 1848/49 [1. Aufl.] 9783839416709

»Schauen Sie nach Amerika!« Der Verweis auf die USA hat von jeher rhetorisches Potenzial. Für die politischen Professore

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German Pages 392 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Fragestellung und Untersuchungszeitraum
Theorie und Methode
Aufbau
Forschungsstand
Quellen
DEUTSCHE AMERIKAFORSCHUNG
Ausprägung und Kontext
Amerikaliteratur und Auswanderung zwischen Werbung und Warnung
Erste wissenschaftliche Annäherung
Der politische Professor und die Neue Welt
Übersetzung, Edition und Import
Zwei Biographien
Friedrich von Raumer − Ein preußischer Historiker
Robert von Mohl − Ein südwestdeutscher Jurist
POLITISCHE KONZEPTE
Die Paulskirche und Amerika: Beziehungen und Bezüge
Diplomatische Beziehungen
Amerikabezüge in der Verfassungsdebatte
Defensive Revolution
Revolutionstheorie(-en)
„Das Beispiel von Frankreich schreckt mich“
Legitimität
Mäßigung
Fazit
Republikanische Monarchie
Die Republik zwischen Europa und den USA
Die Republik zwischen Monarchie und Demokratie
„Vor der Hand ist es noch etwas utopisch, von einer Republik in Deutschland zu sprechen“
Partizipation
Republikanische Tugend
Regierungsoberhaupt
Föderativer Einheitsstaat
Wissenschaftliche Entwicklung
Politische Perspektiven
Praktische Argumentation
Die Exekutive
Die Legislative
Die Judikative
Fazit
Geordnete Freiheit
Freiheit(-en) und Recht(-e)
„Amerika lassen wir nicht gelten, es hat noch Sclaven“
Pressefreiheit
Religionsfreiheit
Bürgergesellschaft
Englische, französische, deutsche oder amerikanische Freiheit
Schluss
Literaturverzeichnis
Dank
Namensregister
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Amerika als Argument: Die deutsche Amerika-Forschung im Vormärz und ihre politische Deutung in der Revolution von 1848/49 [1. Aufl.]
 9783839416709

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Charlotte A. Lerg Amerika als Argument

Band 1

Die Reihe Amerika: Kultur – Geschichte – Politik wird herausgegeben von Christof Mauch, Michael Hochgeschwender, Anke Ortlepp, Ursula Prutsch und Britta Waldschmidt-Nelson.

Charlotte A. Lerg lehrt am Amerika-Institut der LMU München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die amerikanische Staatsgründung, Wissenschaftsund Kulturgeschichte sowie transatlantische Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert.

Charlotte A. Lerg

Amerika als Argument Die deutsche Amerika-Forschung im Vormärz und ihre politische Deutung in der Revolution von 1848/49

Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2008 als Dissertation an der Fakultät für Philosophie und Geschichte der Eberhard Karls Universität Tübingen angenommen. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Center for Advanced Studies der Ludwig-Maximilians-Universität München und des Lasky Center für Transatlantische Studien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Paul Bürde: Die Deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche, Lithographie, 1848 (Ausschnitt), Historisches Museum Frankfurt Lektorat & Satz: Charlotte A. Lerg Korrektorat: Tanja Jentsch, Bottrop Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1670-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Meinem Vater

Inhalt

Einleitung | 11

Fragestellung und Untersuchungszeitraum | 12 Theorie und Methode | 16 Aufbau | 20 Forschungsstand | 21 Quellen | 26

DEUTSCHE AMERIKAFORSCHUNG Ausprägung und Kontext | 31

Amerikaliteratur und Auswanderung zwischen Werbung und Warnung | 31 Erste wissenschaftliche Annäherung | 49 Der politische Professor und die Neue Welt | 59 Übersetzung, Edition und Import | 74 Zwei Biographien | 97

Friedrich von Raumer − Ein preußischer Historiker | 98 Robert von Mohl − Ein südwestdeutscher Jurist | 118

P OLITISCHE KONZEPTE Die Paulskirche und Amerika: Beziehungen und Bezüge | 141

Diplomatische Beziehungen | 141 Amerikabezüge in der Verfassungsdebatte | 155 Defensive Revolution | 169

Revolutionstheorie(-en) | 169 „Das Beispiel von Frankreich schreckt mich“ | 173 Legitimität | 179 Mäßigung | 185 Fazit | 191

Republikanische Monarchie | 195

Die Republik zwischen Europa und den USA | 196 Die Republik zwischen Monarchie und Demokratie | 200 „Vor der Hand ist es noch etwas utopisch, von einer Republik in Deutschland zu sprechen“ | 217 Partizipation | 220 Republikanische Tugend | 231 Regierungsoberhaupt | 234 Föderativer Einheitsstaat | 245

Wissenschaftliche Entwicklung | 246 Politische Perspektiven | 257 Praktische Argumentation | 263 Die Exekutive | 279 Die Legislative | 283 Die Judikative | 290 Fazit | 294 Geordnete Freiheit | 297

Freiheit(-en) und Recht(-e) | 299 „Amerika lassen wir nicht gelten, es hat noch Sclaven“ | 306 Pressefreiheit | 315 Religionsfreiheit | 321 Bürgergesellschaft | 324 Englische, französische, deutsche oder amerikanische Freiheit | 332 Schluss | 339 Literaturverzeichnis | 345 Dank | 385 Namensregister | 387

„Das Europäische kann weder kurzweg in Nordamerika, noch das Nordamerikanische in Europa nachgeahmt werden. Vorzüge wie Mängel können aber zur Lehre und Besserung dienen.“ F RIEDRICH VON R AUMER (1845)

„Gerade die Entfernung des Schauplatzes und die Ungleichartigkeit der Verhältnisse, um die es sich dort handelte, gegenüber der eigenen heimischen gab der amerikanischen Revolution in den Augen des denkenden freisinnigen Theils der deutschen Nation einen gewissen idealen Nimbus, welcher dem deutschen Geiste mehr imponierte, als es vielleicht damals ein näher liegendes und seine eigenen Interessen unmittelbar berührendes Ereignis zu thun vermocht hätte.“ K ARL B IEDERMAN (1858)

Einleitung „Meine Herren, es gehört zu meiner Lebensaufgabe seit mehr als 40 Jahren, mich vorzüglich dem Studium der nordamerikanischen Verfassung zu widmen. Ich habe nicht die Congressacte allein studiert, sondern ich bin in beständigem Verkehr mit Staatsmännern Amerikas gewesen.“ C ARL A NTON M ITTERMAIER 1848 1

Carl Anton Mittermaier, Professor der Rechte in Heidelberg, stellte 1848 in der Frankfurter Paulskirche sein Wissen über Amerika heraus und verband damit den eindringlichen Appell an seine Kollegen im Verfassungsausschuss und in der Nationalversammlung, bei ihren Beratungen einen wissenschaftlich geschulten Blick auf die Vereinigten Staaten zu richten.2 In den vorangegangenen Jahrzehnten hatte das Interesse an den USA zunehmend wissenschaftliche Dimensionen angenommen. Jenseits von Auswanderungsratgebern und anekdotenhaften Erzählungen waren eine Vielzahl analytischer Schriften zu den politischen Konzepten und gesellschaftlichen Verhältnissen der Vereinigten Staaten von Amerika erschienen. Deutsche Wissenschaftler begannen auch von amerikanischen Kollegen und deren Werken Notiz zu nehmen.3 Robert von Mohl wurde nicht müde, die Bedeutung dieser Schriften auch für den „cisatalantische[n] Publiciste[n]“ hervorzuheben, der daraus „vielfache […] Anregung hinsichtlich der eigenen Verhältnisse und Streitfragen“ gewinnen könne.4

1

F. Wigard: Stenographische Berichte (1848-1849), Bd. IV, S. 2982 [19.10.1848, 99.

2

Ebd., Bd. V, S. 3614 [Carl Anton Mittermaier 27.11.1848, 123. Sitzung].

3

H.-J. Grabbe: Weary of Germany (1997), S. 79.

4

R. Mohl: John Marshall (1840), S. 163f.

Sitzung].

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Konfrontiert mit den politischen Herausforderungen 1848/49 griffen viele der akademisch gebildeten Akteure auf wissenschaftliche Vorarbeiten zurück.5 Die konstitutionelle Monarchie Englands, die verschiedenen Republiken Frankreichs sowie die vielfältigen politischen Systeme anderer Zeiten, besonders der klassischen Antike und der italienischen Renaissance, hatten viele Kenner und Bewunderer unter den Frankfurter Delegierten. Überall suchten sie nach Anregungen, Beispielen und Modellen. Dies galt auch, vielleicht in besonderem Maße, für den jungen Bundesstaat jenseits des Atlantiks. Das eigene Ziel blieb jedoch zentrales Anliegen. Bereits im März 1836 hatte der preußische Außenminister Johann Friedrich Eichhorn an den Gesandten Friedrich von Rönne in Amerika geschrieben: „Wer ein fremdes Land besucht und es zum Gegenstand seiner Betrachtungen macht, richtet Fragen an dasselbe, wie sie ihm von der vorzugsweise ihm gegenwärtigen Kenntnis seines Vaterlandes, dessen Einrichtungen, Zustände usw. eingegeben werden.“6 Dieser Ansatz findet sich auch in einem Artikel in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Trotz des Titels Die vorige und die gegenwärtige Regierung von Nordamerika versicherte der Autor seinen Lesern, solle es „sich hier mehr um Deutschland als um Nordamerika handeln“.7

F RAGESTELLUNG UND U NTERSUCHUNGSZEITRAUM Amerika erschien durch die Außergewöhnlichkeit „in seinen Hoffnungen wie auch in seinen Problemen“ speziell.8 Diejenigen Abgeordneten, die sich in den vorangegangenen Jahren mit den USA beschäftigt hatten, argumentierten von einer neuen Wissensbasis aus. Der Blick über den Atlantik war für sie folglich mehr als nur die „verbale Verbeugung vor dem kanonischen Beispiel“.9 Es ging ihnen darum – in der politischen Realität der Frankfurter Paulskirche – die Untersuchungen und Analysen des amerikanischen Staatssystems für ihre Argumentation nutzbar zu machen, sie als Anschauungsmaterial und Auslegungs-

5

G.C. Unruh: Nordamerikanische Einflüsse (1976), S. 456.

6

J. Rönne: Hauptzüge (1867), S. 19 [Friedrich Eichhorn an Friedrich von Rönne, 31. März 1836].

7

Allgemeine Zeitung (1. Mai 1841), S. 964.

8

J. Sheehan: Ausnahme (1994), S. 236; B. Pieroth: Verfassungsexport (1989), S.

9

M. Dreyer: Kommentar (1990), S. 387.

1333f.

E INLEITUNG

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hilfe in den Debatten um staatstheoretische Begriffe und Entwürfe anzuwenden. Diesem Prozess soll in der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden. Freilich bleibt es eine andere Frage, wie das breitere Publikum Amerikareferenzen aufnahm und für sich interpretierte. Anders als im Falle Frankreichs oder Englands war das Thema USA staatswissenschaftlich noch eher ein Spezialthema. Viele konnten sich den Assoziationen und utopischen Vorstellungen, die vom idealisierten Amerikabild der Zeit bestimmt waren, kaum erwehren. Sicherlich war dieser Hintergrund durchaus ein willkommener zusätzlicher Effekt, der die Bezugnahme auf die junge Nation jenseits des Atlantiks rechtfertigte, primär ging es jedoch darum, die eigenen politischen Konzepte mit Hilfe des amerikanischen Beispiels auszulegen und zu interpretieren. Aus eben diesem Grund beschäftigt sich die vorliegende Studie nicht mit dem allgemeinen Amerikabild der Nationalversammlung, sondern fragt nach der Aussageabsicht und der argumentativen Motivation einzelner Akteure, das Thema USA zunächst in ihrer wissenschaftlichen Arbeit aufzugreifen und dann diese Expertise politisch anzuwenden. Bis heute gelten die USA, neben Frankreich, als Ursprungsland des „modern constitutionalism“. 10 Das Verständnis von Konstitutionalismus in Deutschland hat selbstverständlich tiefere Wurzeln als die US-Verfassung, der Diskurs während des Vormärz wurde aber durch dieses Beispiel nicht unerheblich mit geprägt.11 Die Unabhängigkeit der USA hat dem Verfassungsdenken in Deutschland entscheidende Impulse gegeben.12 Louis Favoreu argumentierte sogar, „that the notion of constitution itself, in its modern sense comes from the United States“,13 und erst kürzlich merkte auch Manfred Berg an: „Modern constitutionalism began in British North America when the colonial subjects of Gret Britain declared their independence.“ 14 Im Vormärz waren sich die Zeitgenossen des Nutzens der amerikanischen Verhältnisse als Vorbild, gerade auch für die Ausprägung formal-juristischer Fragen, durchaus bewusst. Mohl resümierte: „Ich will darüber nicht entscheiden, welches von beiden Beispielen [USA oder Frankreich] für den Geschichtsforscher, den Staatsmann und selbst für die große Menge das belehrendste und großartigste seyn muss: darüber ist aber wohl kein Zweifel, dass für den

10 H. Dippel: Executive and Legislative (1999), S. 2. 11 H. Boldt: Föderalismus (1990), S. 387. 12 T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 93; K. Stern: Grundideen (1984), S. 22. 13 L. Favoreu: Constitutional Review (1990), S. 39. 14 M. Berg: German Scholarship (2009), S. 405.

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Rechtsgelehrten die genaue Erforschung des rechtlichen Zustandes der Vereinigten Staaten von höchstem Interesse seyn muss.“15

Der „‚harten‘ Geschichte der Konstitutionen“ geht, so Hartwig Brandt, stets eine „‚weiche‘ Geschichte von Publizistik und politischer Theorie voraus“. 16 Eine solche theoretische Phase begründet auch die Eingrenzung der „Sattelzeit“ zwischen 1750 und 1850 in der Chronologie der Geschichtlichen Grundbegriffe.17 Diese zeitliche Perspektive soll auch für die vorliegende Studie gelten, allerdings mit besonderem Schwerpunkt auf dem 19. Jahrhundert und der politischen Klimax 1848/49, an dem die „weiche“ und „harte“ Geschichte ineinandergreifen. Wenn diese Studie das staatswissenschaftliche Interesse an den Vereinigten Staaten während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die sich in und um die Paulskirche entfaltenden politischen Diskurse bezieht und in den Mittelpunkt stellt, geht es dabei weder um den formal genauen Einfluss der USA auf die deutsche Verfassung von 1848/49 noch darum, ob die Kenntnisse deutscher Wissenschaftler von der amerikanischen Gesellschaft und Verfassung gänzlich korrekt waren. Die leitende Frage ist vielmehr, in welchen Zusammenhängen die Abgeordneten der Paulskirche auf Nordamerika verwiesen und dabei auf ihre fundierten Analysen zurückgriffen. Welche Begriffe und Konzepte der amerikanischen Politik, die während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich in der staatswissenschaftlichen, juristischen und historischen Forschung untersucht worden waren, erhielten 1848/49 besondere Relevanz und wie wurden sie im Kontext der deutschen Debatten ausgelegt und in der Argumentation angebracht? Bei einer Untersuchung zur Wechselwirkung von Wissenschaft und Politik Mitte des 19. Jahrhunderts bietet sich die Paulskirche als klar umrissener Untersuchungsraum an. In der vielfach verächtlich als „Professorenparlament“ deklarierten Versammlung offenbarte sich die Verknüpfung von Wissenschaftlichkeit und Politik in breiter Ausprägung, aber auch in ihrer ganzen Problematik. Der Politik standen gerade die Akademiker oft ambivalent gegenüber. Auf Grund ihrer Ausbildung hielten sie sich für prädestiniert, aktiv zu werden, gleichzeitig aber fürchteten sie die Oberflächlichkeit politischer Diskussionen, denen es an fundierten wissenschaftlichen Grundlagen fehlte. Der schon 1822 von Johann Ludwig Klüber erhobene Vorwurf, man könne nicht durch „Politisieren“ das wettmachen, was „an wissenschaftlicher Pflege“ fehle, zeigt deutlich, wie die

15 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 366. 16 H. Brandt: Konstitutionalismus (1994), S. 261. 17 R. Koselleck: Vorwort (1972), Bd. I, S. XXIII.

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Hierarchie der beiden Handlungsfelder wahrgenommen wurde. 18 In privaten Unterlagen der Akteure finden sich weitere Belege für diesen Zwiespalt. Im August 1846 schrieb Mittermaier, er bedauere, seiner „Wissenschaft untreu geworden zu sein. Die politische Laufbahn ist eine undankbare“ – und doch war gerade er immer wieder politisch aktiv.19 Das Ideal aber, dass die „politische Wissenschaft“ dem „vernünftige[n] Gesamtwillen […] zur Leuchte“ dienen könne, 20 ließ sich nicht verwirklichen und in der Nationalversammlung klagte Mittermaier: „[W]ir Professoren sind bald Schuld an allen Revolutionen und Elend, die armen Professoren arbeiten, wie man sieht zu doctrinär“.21 In ihren Untersuchungen zu den USA waren die Wissenschaftler ganz besonders gefordert, eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis herzustellen. Die Ereignisse von der Unabhängigkeit 1776 bis zur Demokratisierungswelle unter Präsident Andrew Jackson während der 1830er Jahre stellten für deutsche Beobachter eine Umsetzung bekannter Theorien und Begriffe dar, die sich jedoch unreflektiert zu vollziehen schien und erst anschließend analytisch gefasst werden konnte. Robert von Mohl notierte fast erstaunt: „Die Principien aber, auf welchen das Staatsgebäude der Vereinigten Staaten beruht, sind keine anderen, als die längst wissenschaftlich ausgebildeten“.22 Hier wird deutlich, dass die in Amerika wahrgenommenen politischen Zusammenhänge keineswegs zwingend als große theoretische Neuerung rezipiert wurden, sondern eine spezielle Überzeugungskraft gerade durch ihre praktische Ausrichtung und die Verwurzelung in der Realität erhielten. So boten sie eine ergänzende Perspektive zu den europäischen und historischen Auslegungen bestimmter Konzepte wie ‚Revolution‘, ‚Föderalismus‘, ‚Freiheit‘ oder ‚Republik‘. Das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit richtet sich nicht ausschließlich darauf, punktuell das Verständnis bestimmter Begriffe in der Nationalversammlung zu untersuchen, sondern greift sowohl chronologisch als auch methodisch dahinter zurück. Der erste Teil der Arbeit konzentriert sich auf den formativen Prozess dieses Verständnisses im wissenschaftlichen Diskurs des Vormärz. Hier geht es weniger um die Geschichte der Konzepte als um die Geschichte der Konzeptionalisierung. Amerika ist dabei für die Staats-

18 J.L. Klüber: Oeffentliches Recht (1822), S. VII. 19 D. Mußgnug: Briefwechsel (2005), S. 221 [Carl Anton Mittermaier an Robert von Mohl, 29.8.1846]. 20 K. Rotteck: Aristokratie (1845), Bd. I, S. 637. 21 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848-49), Bd. IV, S. 2983 [19.10.1848, 99. Sitzung]. 22 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. IX.

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wissenschaftler Anschauungsmaterial und Definitionshilfe, um sich von sehr viel weiter gefassten fundamentalen politischen Ideen einen Begriff zu machen.

T HEORIE

UND

M ETHODE

Die Ideengeschichte kann, wie Donald R. Kelly schreibt, der „cave of human discourse“ nicht entkommen. Die direkte Verbindung zwischen abstrakten Ideen und konkreten Ereignissen ist nicht greifbar, nicht in der Gegenwart und noch weniger in der Vergangenheit. Dennoch ist die formative Kraft von Ideen deutlich erkennbar und muss Teil eines historischen Gesamtbildes sein – auch wenn nur ihre Schattenwürfe an der Höhlenwand untersucht werden können. Damit sind, so Kelley weiter, „words and not ideas […] the medium of exchange and targets of inquiry“.23 Vor diesem Hintergrund haben sich, die traditionelle hermeneutische Geistesgeschichte hinter sich lassend, in den vergangenen Jahrzehnten neue Herangehensweisen entwickelt, nicht selten in einem Zusammenspiel verschiedener Ansätze innerhalb der historischen Disziplin, zuweilen gar darüber hinaus. Sei es die Intellectual History angelsächsischer Provenienz, die stark von der Philosophie geprägt ist, oder die sozialgeschichtlich orientierten Studien deutscher Begriffsgeschichte, oder französischer Mentalitätsforschung, sie alle legen besonderes Gewicht auf die historische Kontextualisierung von Ideen. Diese aufgefächerte neuere Ideengeschichte ist auch die Grundlage für den methodischen Ansatz dieser Arbeit. Reinhart Koselleck stellt den Geschichtlichen Grundbegriffen die Prämisse voran, dass sich „die Geschichte in bestimmten Begriffen niederschlägt“. 24 Wenn er jedoch an anderer Stelle von der „Eigenkraft der Worte“ spricht,25 wird deutlich, dass die Untersuchung von Begriffen in ihrer historischen Tiefenschärfe nicht nur darauf abzielt, Sprache als Spiegel historischer Zusammenhänge zu verstehen, sondern dass sie ihnen auch eine formierende Wirkung von Mentalitäten, Vorstellungen und letztlich auch Handlungen zugesteht.26 Ein nur auf die Begriffe fokussierter Ansatz marginalisiert jedoch sowohl die Akteure als auch das diskursive Umfeld und damit die Aussageabsicht im histo-

23 D.R. Kelley: Descent (2002), S. 1. 24 R. Koselleck: Vorwort (1975), Bd. I, S. XXIII. 25 R. Koselleck: Vergangene Zukunft (1979), S. 107. 26 M. Richter: Reconstructing (1990), S. 41.

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rischen Kontext. Die neue Intellectual History wendet sich gegen die stark auf lexikalische Quellen gestützte klassische Begriffsgeschichte und fordert eine umfassendere Kontextualisierung. Besonders Quentin Skinner beruft sich auf die Sprachphilosophie und unterstreicht, dass Sprechen auch Handeln ist, so dass die Motivation hinter einem Diskursbeitrag zum eigentlichen Forschungsinteresse wird. Damit ändert sich der Stellenwert des Begriffs selbst, der nun, anders als in der klassischen Begriffsgeschichte, nicht mehr an sich formativen oder gar normativen Charakter hat, sondern erst durch seine Anwendung – den diskursiven Kontext – historische Bedeutung erhält. Diese Studie folgt Skinner in der Annahme, dass Diskurse letztendlich ein Zusammenkommen von Sprachhandlungen sind, die nicht unabhängig von den Akteuren und ihren Motivationen verstanden werden können. Trotzdem orientiert sie sich an ausgewählten Begriffen und fragt, welche Rolle der Amerikabezug für ihre wissenschaftliche wie politische Ausdifferenzierung im Vormärz und während der Revolution 1848/49 spielte. J. C. Pocock spricht mit Rückbezug auf Thomas Kuhn von „paradigm“ oder „language convention“. Gemeint sind bestimmte Begriffe und Konzepte, wie sie sich innerhalb einer Gesellschaft oder eines definierten Diskursraums entwickeln und wandeln. Damit ist der Diskurs, den Pocock beschreibt, weniger strukturalistisch als die französische Diskursanalyse, wie vor allem Foucault sie vertritt, sondern orientiert sich ebenfalls stärker an der Sprachakt-Philosophie.27 Die im Gebrauch geformten Termini stehen den Teilnehmern des Diskurses zur Verfügung, die durch die Verwendung und Kombination verschiedener „paradigms“, die durchaus nebeneinander existieren können, ihrerseits Bedeutungen erneut aushandeln. 28 Verschiedene Inhalte fließen in diesen konsekutiv dynamischen Prozess ein. Folglich lässt sich weder von einer statischen oder eindeutigen noch von einer endgültigen Bedeutungszuordnung sprechen. Das besondere Forschungsinteresse an der Relevanz amerikanischer Konzepte in diesem Zusammenhang ist ein Beitrag zu der bisher stark auf Europa ausgerichteten Geschichte politischer Konzepte, deren transnationale Dimension ohnehin erst seit einigen Jahren Aufmerksamkeit erhält. 29 Die nicht zu unterschätzende semantische Schwierigkeit bei der Übersetzung und Sinn gebenden Übertragung von politischen Konzepten bleibt eine Herausforderung für die Ideen- und Begriffsgeschichte.30

27 Ebd., S. 55. 28 Ebd., S. 50. 29 M. Richter: Contemporary Classic (1996), S. 18f. 30 M. Kranz: Wider den Methodenzwang (2005), S. 38.

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„[The Problem is] the extraordinary difficulty of translating the meaning of terms and concepts from one language into another, from one cultural tradition into another, and from one intellectual climate into another.“31

Mit einer Übersetzungsproblematik sahen sich auch die Amerikawissenschaftler im Vormärz konfrontiert, wenn sie amerikanische Theorien analysierten, vor allem weil auch in den USA selbst einige der politischen Konzepte noch keine klare Definition erfahren hatten, so dass „unterschiedliche und sogar widersprüchliche Bedeutungen in den Worten ‚Republik’ oder ‚Freiheit’ versteckt sein“ konnten.32 Gerade aus diesen Unwägbarkeiten aber ergibt sich ein zusätzliches Forschungsinteresse am wissenschaftlichen Umgang mit dem Staatssystem Amerikas und seiner politischen Auslegung in und für Deutschland. Die staatswissenschaftlichen Texte zu Amerika sowie die Debatten der Nationalversammlung wären im Sinne der Cambridge School kontextualisierende Quellen, aus denen das diskursive Umfeld der kanonischen Texte zum europäischen Amerikaverständnis des 19. Jahrhunderts, etwa Tocquevilles Démocratie en Amérique konstruiert werden kann. Bedenkt man jedoch, dass die exponierte Stellung einzelner Texte gemeinhin eine nachträgliche, den historischen Umständen geschuldete Entwicklung ist, spricht nichts dagegen, die Texte der „mittleren Ebene“ als ideengeschichtliche Zeugnisse in their own right zu untersuchen. Für die vorliegende Studie haben sie folglich keine bloß instrumentalisierte Funktion, sondern sind gerade das eigentliche Forschungsobjekt. Diese Entscheidung beruft sich auch auf die Überzeugung der neueren Ideengeschichte, dass die Begriffsformation sich nicht allein in der Sphäre großer Theorien vollzieht. Sie wirkt vom „Höhenkamm“ hinunter in die „mittleren Ebenen“, aber die kontinuierlich neu verhandelten Sprachkonventionen der sozialen und politischen Lebenswelt beeinflussen ebenso die Terminologie der später kanonisierten Texte. Der Forderung nach Kontextualisierung soll weiterhin nachgekommen werden, was durch die Einbeziehung von Quellen, die ihrerseits diese Texte in ihrem Zusammenhang verständlich werden lassen, möglich ist. So erklärt sich auch das auf den ersten Blick möglicherweise vielfältig erscheinende Spektrum von Quellenarten, denn je weiter sich die Recherche vom „Gipfel“ entfernt, desto verzweigter und vielfältiger werden die Quellen, die Auskunft über das Verständnis hinter den einzelnen Begriffen geben.33

31 D. Junker: Preface (1996), S. 6. 32 D. Howard: Grundlegung (2001), S. 32. 33 M. Richter: Reconstructing (1990), S. 47.

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Diese Vorgehensweise, die Skinners Methode praktisch eine Ebene nach unten dekliniert, erleichtert so die Verbindung seines Ansatzes mit dem sozialgeschichtlichen Anspruch der neuen Ideengeschichte(-n) Kontinentaleuropas. Andererseits lässt sich durch das Festhalten an Akteuren die Schaffung eines neuen, vom Quellentypus hergeleiteten, Höhenkamms vermeiden. Diese Gefahr tritt bei der Weiterentwicklung der klassischen Begriffsgeschichte, der Sozialhistorischen Semantik, immer wieder auf, da hier primär mit „auf Institutionalisierung von Wissen ausgerichteten Quellen“ gearbeitet wird.34 Gleichzeitig kann auf diese Weise auch den abstrakten Tendenzen der stark strukturalisierten Diskursanalyse gegengesteuert werden, ohne diese völlig zu verwerfen. Sie ist als ordnendes Element gerade für die Eingrenzung von Handlungs- bzw. Diskursräumen hilfreich. 35 Praktisch bedeutet dies, die sprachlichen Konventionen innerhalb eines konkreten Diskurses zu untersuchen, in dem auch die Teilnehmer identifiziert werden – nicht zuletzt, um ihre Motive zu hinterfragen. Damit wird hier angewandt, was Günter Lottes als Methodik der „Vergegenwärtigungsgeschichte“ bezeichnet, um „herauszuarbeiten welche Themen, wann, warum und für wen Konjunktur hatten, ob und, wenn ja, wie die Themenstellung durch den Diskurs modifiziert wurde, ob, und wenn ja, wie Argumente wirkten, ignoriert, akzeptiert oder modifiziert wurden.“36

Im Fokus dieser Arbeit steht die Vergegenwärtigung politischer Konzepte, die mit Amerika in Verbindung gebracht wurden, zunächst in den wissenschaftlichen und dann in den politischen Diskursen in und für Deutschland während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das „paradigm“ scheint damit sehr viel enger als Pocock es anlegt und entspricht eher dem „Praxisbereich“, den Reichardt als „gruppenspezifisch“ im Gegensatz zu „gesamtgesellschaftlich“ definiert.37 Dennoch bleibt zu bedenken, dass eine formale Eingrenzung nie absolut sein kann, denn kein Diskurs existiert im luftleeren – oder ideenleeren – Raum. Durch ein breites Spektrum verschiedener Quellenarten lässt sich die Durchlässigkeit der Diskursgrenzen veranschaulichen. Um dennoch Zufälligkeit oder Willkür in der Auswahl auszuschließen, werden zwei fokussierende Parameter eingeführt. Neben einer klar definierten Gruppe von Akteuren, bestehend aus Abgeordneten der Nationalversamm-

34 R. Reichardt: Grundbegriffe (1985), S. 31. 35 Ebd., S. 24 und S. 46. 36 G. Lottes: State of the Art (1996), S. 45. 37 R. Reichardt: Grundbegriffe (1985), S. 45.

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lung, die während des Vormärz wissenschaftlich zu Amerika publizierten, bilden die ausgewählten politischen Begriffe ein weiteres ordnendes Element. Dieser Rückgriff auf die Begriffsgeschichte, besonders im zweiten Teil der Studie, ist dank der methodischen Grundierung in der angelsächsischen Intellectual History möglich, ohne die kontextuelle Verknüpfung, die vor allem durch den ersten Teil gewährleistet ist, aufs Spiel zu setzen.

AUFBAU Der Aufbau der Arbeit folgt der prozessualen Verlagerung des Schwerpunktes von wissenschaftlichem zu politischem Interesse an den USA. Zu diesem Zweck bedient sich der erste Teil eines eher diachronen Ansatzes, der diese Entwicklungen nachvollzieht. Dazu gehören die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Rezeption amerikanischer Ideen ebenso wie der Publikationskontext der verschiedenen deutschen Schriften. Eine politische Dimension der Thematik war freilich schon im Vormärz offensichtlich, so dass auch im ersten Teil bereits nach Motivationen und Hintergründen politischer Natur gefragt wird, um sie in den Gesamtkontext zu integrieren. Die beiden beispielhaft herausgegriffenen biographischen Fallstudien zu Robert von Mohl und Friedrich von Raumer unterstreichen die zentrale Bedeutung der Akteure. Die Wahl dieser beiden Persönlichkeiten erklärt sich zum einen aus ihrer Stellung in der Amerikawissenschaft des Vormärz, zum anderen aber dadurch, dass sie im politischen Spektrum komplementär zueinander zwei unterschiedliche Sichtweisen auf die USA repräsentieren. Ihre Biographien weisen dennoch genügend Gemeinsamkeiten auf, um einen Vergleich zu legitimieren. Der zweite Teil widmet sich der argumentativen Anwendung und Interpretation amerikanischer Konzepte im synchronen Kontext der Verhandlungen in der Paulskirche. Um herauszuarbeiten, wie das staatswissenschaftliche „paradigm“ des deutschen Amerikaverständnisses in den Debatten zu Tage trat, ist es jedoch auch hier notwendig, den politischen und den wissenschaftlichen Handlungsbereich zu verknüpfen und durch chronologische Rückgriffe den Hintergrund einzelner Äußerungen zu beleuchten. Anders als in der bisherigen Forschung zur Bedeutung Amerikas für den Vormärz und die Revolution, liegt der Schwerpunkt auf der Vergegenwärtigung und Entwicklung des amerikanischen Beispiels zu argumentativen und erklärenden Zwecken – zuerst im Kontext wissenschaftlicher und dann politischer Diskurse. Dieser zweigleisige Ansatz bringt den besonderen Erkenntniswert der vorliegenden Studie. Vor diesem Hintergrund zählt zum einen die Motivation der

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Akteure, in den jeweiligen Zusammenhängen Amerika zu benennen, und zum anderen die Funktion dieses speziellen Beispiels für die Ausformung ihrer politischen Argumente. Nachgeordnet bleiben sowohl die tatsächliche Übereinstimmung dieser Aussagen mit der amerikanischen Wirklichkeit als auch die realen Auswirkungen auf die Politik der Nationalversammlung. Der Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Interpretationsprozess sowie dem Diskursakt und den so ausgehandelten Begriffen.

F ORSCHUNGSSTAND Carl Friedrich identifiziert drei Höhepunkte des amerikanischen Einflusses auf das deutsche Verfassungsdenken: Zunächst erregte die Unabhängigkeit der Kolonien eine eher naive Begeisterung, dann folgte die Phase der Verfassungsentwürfe um 1848, und schließlich beeinflusste amerikanisches Staatsdenken die Ausarbeitung des Grundgesetzes nach dem Zweiten Weltkrieg.38 Alle diese Themenbereiche sind in der Forschung immer wieder beleuchtet worden.39 Nicht zuletzt auf Grund der schwierigen Greifbarkeit eines konkreten Einflusses kam es gerade in Bezug auf die Zeit um 1848 wiederholt zu Kontroversen. Klaus von Beyme wies 1986 darauf hin, dass das Wissen zum amerikanischen Staatssystem in Deutschland während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch unter Staatswissenschaftlern oft recht fehlerhaft gewesen sei, und stellte weiterhin fest, dass auf Grund der nur „bruchstückhaft[en]“ Quellenlage zum Verfassungsausschuss „der Einfluss des amerikanischen Modells auf den Entwurf der Reichsverfassung nur anhand von Textvergleichen“ zu leisten sei.40 Eine solche Arbeit hatte Anton Scholl bereits 1913 vorgelegt, und auch in den 1970er und 1980er Jahren veröffentlichten besonders Juristen dazu einige Artikel.41 Gerade mit Blick etwa auf die Bundesstaatstheorie spiele das „Vorbild der

38 C.J. Friedrich: Constitutionalism Abroad (1967), S. 3f. 39 Zu der Reaktion nach der Unabhängigkeit vgl. v.A.: H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978). Zur Phase um 1848 vgl. bes.: E.G. Franz: Probleme der Übertragung (1958); E. Angermann: Frühkonstitutionalismus (1974); G. Moltmann: Blockpolitik (1973). Zur Zeit nach 1945 vgl. u. A.: W.-U. Friedrich: USA und die deutsche Frage (1991); E. Spevack: German Freedom (2002). 40 K. Beyme: Vorbild Amerika? (1986), S. 102. 41 A. Scholl: Unionsverfassung (1913); G.C. Unruh: Nordamerikanische Einflüsse (1976); B. Pieroth: Verfassungsexport (1989).

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Vereinigten Staaten eine kaum zu überschätzende Rolle“, so Hans Boldt noch 1990. 42 Frühe Untersuchungen stützen diese Annahme. Thomas Ellwein wagt 1950, in einer der ersten ausführlichen Studien zu diesem Thema, gar die These, dass es ein nicht zu unterschätzender Faktor gerade für das Scheitern der verfassungsgebenden Versammlung von 1848/49 gewesen sei, dass man dem „unitarischen Bundesstaatsbegriff nach amerikanischem Muster“ zu stark angehangen habe.43 Eine These, die auch Carl Friedrich 17 Jahre später noch vertritt, indem er zu bedenken gibt: „Perhaps its [i.e. the German constitution’s] very Americanism must be considered part of its failure“.44 Auch Deuerlein bestätigt: „Die Bedeutung der Konstituierung der Vereinigten Staaten ist für die Geschichte des föderativen Gedankens nicht gering zu veranschlagen.“45 Allerdings muss hier klar unterschieden werden. Während die Gründung der Vereinigten Staaten durchaus ein wichtiger Schritt in der grundsätzlichen Ausdifferenzierung des modernen Bundesstaats war, dürfen gerade im deutschen Kontext die vielschichtigen föderativen Traditionen, die dieses Konzept seit dem Mittelalter – wenn nicht gar seit der Antike – prägten, nicht außer Acht gelassen werden. Trotz dieser Einschränkung kommt Boldt zu dem Schluss, in der Paulskirche seien die „Berufungen auf die Vereinigten Staaten mit den Händen zu greifen“ gewesen und die „Anlehnung an das amerikanische Vorbild“ sei „in der Reichsverfassung überall spürbar“.46 Ganz anderer Ansicht ist Michael Dreyer schon Ende der 1980er Jahre. 47 Vehement bestreitet er den amerikanischen Einfluss sowohl auf das deutsche Staatsdenken als auch auf die Verfassung selbst, vor allem, wie auch Thomas Nipperdey einräumt, weil die der USVerfassung zu Grunde liegenden Konzepte in Deutschland nicht richtig verstanden worden seien.48 Darüber hinaus müsse es „stutzig“ machen, so die Argumentation Dreyers weiter, dass die Berufung völlig unabhängig von politischen Neigungen quer durch das Parteienspektrum feststellbar sei, folglich kaum inhaltliches Gewicht haben könne und eher die „gebetsmühlenartige Berufung“ auf das amerikanische Beispiel „zum innenpolitischen Beweis lauterer Absichten“ gewesen sei.49

42 H. Boldt: Föderalismus (1990), S. 299. 43 T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 116. 44 C.J. Friedrich: Constitutionalism Abroad (1967), S. 54. 45 E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 64. 46 H. Boldt: Föderalismus (1990), S. 300. 47 M. Dreyer: Föderalismus (1987), S. 55, 74 und S. 88. 48 M. Dreyer: Modell (1993); T. Nipperdey: Föderalismus (1984), S. 1-18. 49 M. Dreyer: Modell (1993), S. 232.

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Die genuin eigenen Ausformungen politischer Theorien im nationalen Kontext verschiedener Länder steht außer Frage. 50 Es muss jedoch unterschieden werden, ob es um den tatsächlichen Einfluss etwa der US-Verfassung oder des amerikanischen Modells gehen soll oder um den „historisch-politischen Diskurs“ – diese Unterscheidung sei, so konstatierte Horst Dippel, „in der bisherigen Literatur durchweg nicht mit der erforderlichen Sorgfalt auseinander gehalten worden“.51 Dreyers These beruht primär auf der Einschätzung, dass der Staatsdiskurs des Vormärz lediglich ein „Surrogat […] für die Umsetzung politischer Programme“ gewesen sei, der damit für die tatsächliche Weiterentwicklung der Politik keine Funktion erfüllte. Umgekehrt sind in seinen Augen die Schriften, die „nicht sine ira et studio“, also frei von politischen Motivationen, entstanden sind, kaum ernstzunehmende Beiträge zur Theoriebildung.52 Eine politikwissenschaftliche Analyse, die primär das Ergebnis im Blick hat, wird daher die Bedeutung des amerikanischen Beispiels für die Verfassungsdiskussionen 1848/49 möglicherweise niedriger einschätzen als eine historische Untersuchung des diskursiven Prozesses, die Argumentationslinien verfolgt und Motivationen einzelner Akteure hinterfragt. Es gilt die Prämisse, die Rolf Reichardt für sein Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich ausgibt: „[G]esucht wird […] weniger der Erstbeleg und die philosophische Einsicht als vielmehr der gesellschaftliche Sprachgebrauch.“ 53 Damit sei noch einmal auf die Theorie der neuen angelsächsischen Ideengeschichte verwiesen, die eine Historiographie einzelner Theorien gar gänzlich in Frage stellt und sie ausschließlich im Zusammenhang des synchronen Diskurses für verstehbar hält: „To understand a concept, it is necessary to know the full range of things that can be done with it. That is why there can be no histories of concepts; there can only be histories of their uses in argument.“54 Die Wahl dieses Schwerpunkts gerade in der Untersuchung des Amerikaverständnisses im Vormärz stützt sich auch auf die Einschätzungen Erich Angermanns, der in seinen Arbeiten stets sowohl das deutsche Staatsdenken im Ganzen als auch die transatlantische Perspektive im Blick behält und so die komplexe Bedeutung Amerikas für die Ideengeschichte des deutschen Vormärz am differenziertesten analysiert. Angermann kommt zu dem Schluss, dass in den deut-

50 D. Herz: Wohlerwogene Republik (1999), S. 29. 51 H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 11. 52 M. Dreyer: Föderalismus (1987), S. 55, 74 und S. 88. 53 R. Reichardt: Grundbegriffe (1985), S. 22-47 und S. 40. 54 M. Richter: Reconstructing (1990), S. 41.

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schen Verfassungsdiskussionen das politische System der USA „nicht so sehr die Rolle eines Vorbildes für konstruktive politische Lösungen als die eines Arsenals von Argumenten für die eigenen Absichten“ gedient habe.55 Die vorliegende Studie untersucht, wie sich die politischen Professoren während des Vormärz dieses ‚Arsenal’ wissenschaftlich aneigneten und es dann 1848/49 politisch abfeuerten. Es darf nicht vergessen werden, dass Staatswissenschaftler wie Politiker im Vormärz und während der Revolution freilich keineswegs ausschließlich nach Amerika blickten. Dieser Aspekt ist damit Teil des insgesamt komplexen und vielschichtigen Staatsdenkens der Zeit. 56 Die fortwährende „Verarbeitung ausländischer Schreck- und Vorbilder“ identifiziert auch Uwe Backes als ein Schlüsselelement des politischen Diskurses schon im Vormärz.57 Die Stellung Frankreichs in der Gedankenwelt der Nationalversammlung ist in der Forschung bereits mehrfach thematisiert worden. Irmtraud Götz von Olenhusen gab einen Sammelband heraus, der verschiedene Aspekte beleuchtet, und zuletzt legte Ulrike Ruttmann eine umfangreiche Analyse der Wahrnehmung des Nachbarlandes vor.58 Beide beschäftigten sich neben der Interaktion zwischen den beiden Ländern auch mit den Projektionen und Mythen, die das Verständnis des Nachbarlandes beeinflussten und verzerrten. Ruttman unterscheidet in den Debatten der Nationalversammlung zwischen „manipulativem Gebrauch“ und „im Unbewussten verankerte[n] Vorstellungen“ von Frankreich als Bezugspunkt.59 Beide Kategorien spielen auch für die Analyse des Umgangs mit Amerika eine Rolle. In der vorliegenden Arbeit ergänzen sie aber die eigentlich im Mittelpunkt stehende Fragestellung nach wissenschaftlichen Auslegungen in politischer Perspektive. Das Phänomen der Auswanderung mit allen angrenzenden Themenfeldern, wie Reiseliteratur, Exilerfahrung oder demographischem Wandel, war und ist immer wieder Untersuchungsthema verschiedener Studien zu den transatlantischen Beziehungen im 19. Jahrhundert.60 Je nach Ansatz konzentrieren sich die Werke zu den Vorstellungen über die Neue Welt meist auf klassisch sozialgeschichtliche Fragestellungen oder tendieren zur Literaturwissenschaft. Die politische Relevanz des Amerikabildes spielte in diesem Zusammenhang zwar immer

55 E. Angermann: Frühkonstitutionalismus (1974), S. 4. 56 H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 9. 57 U. Backes: Liberalismus und Demokratie (2000), S. 55. 58 I.G. Olenhusen: Mythos (1998); U. Ruttmann: Wunschbild – Schreckbild (2001). 59 U. Ruttmann: Wunschbild – Schreckbild (2001), S. 14f. 60 C. Strupp/B. Zischke: German-Americana (2005); D.H. Tolzmann: German-Americana. (1975); H. Dippel: Americana Germanica (1976).

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auch eine Rolle, war hier jedoch selten erklärtes Thema und wurde zumeist nur in einzelnen Kapiteln oder kürzeren Artikeln behandelt. Karl-Ernst Jeismann veröffentlichte 1978 einen Aufsatz, der sich der Frage widmete, wie die Einstellung zu Amerika verschiedene politische Strömungen des Vormärz beeinflusste.61 Eine ausführlichere Studie hatte Günter Moltmann für den Liberalismus bereits fünf Jahre früher vorgelegt.62 Sein Schwerpunkt lag jedoch vorwiegend auf Amerika und den dortigen politischen Diskursen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich hingegen mit der Situation in Deutschland und dem deutschen Umgang mit den wahrgenommenen Wirklichkeiten sowie den ihnen zugeordneten politischen Ideen. Für die deutsch-amerikanische Diplomatiegeschichte des 19. Jahrhunderts bieten Moltmanns Buch sowie mehrere seiner Aufsätze ebenfalls eine fundierte Grundlage. Andere Untersuchungen, wie etwa die Studien von John Hawgood, Thomas Ellwein oder Eckart Franz liegen bereits weiter zurück, bieten aber ebenfalls wertvolle Ausgangspunkte.63 In der Ideengeschichte werden die formalen Kanäle der diplomatischen Beziehungen leider allzu oft vernachlässigt. Wenn es jedoch darum geht, nachzuvollziehen, wie das Wissen über ein anderes Land in der politischen Argumentation eingesetzt wurde, ist es unabdingbar, dieses internationale Zusammenspiel im Auge zu behalten. Zur Verbreitung von amerikanischen Primärtexten in den deutschen Staaten sind einzelne Spezialstudien in Aufsatzform erschienen.64 Allerdings konzentrieren sich Untersuchungen zu der sich entwickelnden Amerikawissenschaft in Deutschland seit 1776 meist auf die frühe Phase des ersten Interesses, die, ausgelöst durch die amerikanische Revolution, bis in die ersten Jahre des 19. Jahrhunderts reichte. In seltenen Fällen erstrecken sich die Studien dazu bis in die 1840er Jahre, und die Mehrzahl endet bereits mit den 1830er Jahren, als die repressive Antwort der Obrigkeit auf oppositionelle Bewegungen im Vormärz die Meinungsfreiheit stärker einschränkte und damit auch die Amerikastudien beeinträchtigte. 65 Das Wiederaufleben des wissenschaftlichen Interesses am Vorabend der Revolution – nunmehr oft ausdrücklich auf politische Ziele hin ausgerichtet –

61 K.-E. Jeismann: Utopie – Mission – Kritik (1978). 62 G. Moltmann: Blockpolitik (1973). 63 J. Hawgood: Beziehungen (1928); E.G. Franz: Problem der Übertragung (1958); T. Ellwein: Einfluß (1950). 64 W.-P. Adams: German Translations (1999); D. Thelen: Filters of Language (1999); M.O. Kistler: German-American Liberalism (1962). 65 E.E. Doll: German Historians (1948); S. Skard: American Myth (1961).

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ist in der bisherigen Forschung meist durch die Beschäftigung mit ausschließlich politischen Diskursen verdrängt worden. Eine Ausnahme bildet eine Quellensammlung Horst Dippels. In der Einführung unterscheidet er die beiden Diskursebenen Wissenschaft und Politik, behandelt sie jedoch separat voneinander und bezieht sie nur vereinzelt zeitlich synchron aufeinander.66 Genau hier setzt die vorliegende Arbeit an, um nachzuvollziehen, wie in der Beschäftigung mit Amerika während des Vormärz und in der deutschen Revolution 1848/49 Wissenschaft und Politik miteinander verwoben waren. Vor allem in der diachronen Verknüpfung von Wissenschaft und Politik liegt hier der besondere Erkenntnisgewinn.

Q UELLEN Die zeitgenössischen Veröffentlichungen zu Amerika wurden nach verschiedenen Kriterien eingegrenzt und ausgewählt. Ausschlaggebend war zunächst der wissenschaftliche Anspruch, damit entfielen die Reisebeschreibungen und Auswanderungsratgeber. Die wirtschaftstheoretischen Abhandlungen böten Stoff für ein gänzlich neues Forschungsprojekt, so dass diese hier ebenfalls nur marginal berücksichtigt werden konnten. Kaum relevant für die Interpretation und Anwendung im politischen Kontext sind Untersuchungen zu Geographie, Flora und Fauna. Übrig bleiben folglich in erster Linie staatswissenschaftliche, juristische und historische Abhandlungen sowie einige frühe Werke der Statistik. Der Bezug zur Nationalversammlung war in der Regel direkt durch den Autor selbst gegeben, wie etwa im Falle von Robert von Mohl, Franz Josef Buß, Friedrich Murhard, Theodor Welcker, Carl Josias von Bunsen und Friedrich von Raumer, oder in einigen Einzelfällen durch eine indirekte Verbindung, etwa anhand der Referenzen in anderen Werken. Die Debatten in der Paulskirche lassen sich anhand der ausführlichen Protokolle rekonstruieren, die von privaten Aufzeichnungen und Dokumentationen einzelner Abgeordneter ergänzt werden, allen voran Gustav Droysens, der seine detaillierten Aufzeichnungen aus dem Verfassungsausschuss edierte. Aus der Flut von Pamphleten und Flugschriften in und um die Versammlung wurden diejenigen herausgegriffen, die sich explizit und ausführlicher mit Amerika befassten oder deren Autoren in anderem Kontext zu den USA publiziert hatten. Trotz ihres erklärt politischen Ziels lassen einige eindeutige wissenschaftliche Vorarbeiten erkennen.

66 H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 12 und S. 24.

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Ergänzend zu diesen veröffentlichten Quellen wurden einige Auszüge der Gesandtschaftsakten der Nationalversammlung gesichtet, um nicht die offiziellen politischen Kommunikationskanäle zwischen den USA und der Zentralgewalt zu vernachlässigen. Private – vor allem transatlantische – Korrespondenzen runden die Untersuchung des Amerikaverständnisses der Frankfurter Abgeordneten ab. Die Tagespresse wurde nur vereinzelt herangezogen, um punktuelle Ausblicke in die weitere Öffentlichkeit zu bieten. Ohnehin finden sich hier nur gelegentliche Berichte über die Vereinigten Staaten, die zumeist knapp gehalten waren und vorrangig der Information über Ereignisse dienten, wobei selbst dieser Zweck auf Grund der Kürze und Ungenauigkeit meist unerfüllt blieb. 67 Eine Ausnahme stellte die Allgemeine Zeitung dar, die mehrere Korrespondenten in den USA unterhielt und gelegentlich in ihren Beilagen Raum für fundierte Darstellungen und abwägende Betrachtungen erübrigte. Zu Häufigkeit und Inhalten legte Volker Depkat bereits eine umfassende Untersuchung vor.68 Die juristische Fachpresse, vor allem die Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, ist hingegen von großem Interesse. Unter ihren Beiträgern und Herausgebern waren mit Robert von Mohl, Carl Anton Mittermaier und Heinrich Zachariä einige der bedeutendsten Amerikawissenschaftler des Vormärz, die außerdem später in die Nationalversammlung gewählt wurden. Darüber hinaus veröffentlichten hier auch politische und wissenschaftliche Persönlichkeiten aus den USA, wie die Bundesrichter Joseph Story und John Marshall oder die deutschen Exilanten Karl Follen und Franz Lieber. Die zentrale Bedeutung des Rotteck/Welcker’schen Staats-Lexikons für das politische Denken des Vormärz und der Revolution war auch für das Amerikaverständnis prägend. Gleichzeitig wird hier die definitorische Dynamik der politischen Begrifflichkeiten besonders deutlich. Theodor Welcker etwa hatte in seinem Artikel Bund das amerikanische Modell ausführlich vorgestellt und analysiert, um es als Beispiel anzuführen. Zu den Artikeln, die im Laufe der verschiedenen Ausgaben zwischen 1843 und 1866 die meiste Veränderung erfuhren, gehörten gerade auch diejenigen, die amerikanische Ideen und Konzepte thematisierten.69 Das Werk De la Démocratie en Amérique des Franzosen Alexis de Tocqueville hält bis heute seine kanonische Stellung unter den Interpretationen der amerikanischen Gesellschaft und Politik auf beiden Seiten des Atlantiks. Schon wäh-

67 H.-J. Grabbe: Weary of Germany (1997), S. 82. 68 V. Depkat: Amerikabilder (1998). 69 M. Dreyer: Modell (1993), S. 230.

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rend des Vormärz wurde es in den deutschen Staaten nicht nur begeistert aufgenommen, sondern auch wissenschaftlich rezipiert.70 Der rheinische Abgeordnete August Reichensperger konstatierte in der Paulskirche, dass Tocquevilles Werk „gewiss ein classisches genannt werden kann“, 71 und selbst Gottfried Duden, eigentlich ein Kritiker Tocquevilles, empfahl „um die amerikanische Demokratie aus Büchern kennen zu lernen, das Tocqueville’sche nicht ungelesen zu lassen“.72 Indem hier ein ‚klassischer Text’ zur Ergänzung herangezogen wird, um den ideengeschichtlichen Zusammenhang zu beleuchten, findet praktisch eine Umkehrung der üblichen Kontextualisierung statt. Darüber hinaus bildet er auch als einziger französischer Text eine Ausnahme im deutschen Quellenkorpus, die jedoch durch eindeutige Fokussierung auf seine deutsche Rezeption ausgeglichen wird, weil so der Forderung nach „verbindenden Rezeptionsbelegen, die über Theorieverwandschaften hinaus“ gehen, nachgekommen werden kann. 73 Andere Quellen aus europäischen, nicht deutschen Staaten wurden höchstens indirekt konsultiert, wenn sie Erwähnung oder gar wörtliche Wiedergabe in den deutschen Texten fanden, die im Zentrum der Untersuchung stehen. Auch bei der Auswahl zeitgenössischer amerikanischer Werke blieben die deutschsprachigen Ausgangsquellen das leitende Kriterium.74 Zusammenfassend lassen sich die Quellen in verschiedene Ebenen unterteilen. 75 Die beiden Handlungsbereiche – Wissenschaft und Politik – werden je durch einen eigenen zentralen und klar umrissenen Quellenkorpus abgedeckt, namentlich die staatswissenschaftlichen Amerikaschriften einerseits und die Debatten der Nationalversammlung andererseits. Ziel ist es, die Berührungspunkte der beiden aufzuzeigen und sie so aufeinander zu beziehen. Zu diesem Zweck müssen sie in einem gemeinsamen, weiter gespannten Diskursrahmen verortet werden, der durch kontextualisierende Quellen unterschiedlicher Art geschaffen wird. Das bindende Element bleiben die Akteure.

70 T. Eschenberg: Tocquevilles Wirkung (1959), S. XVIIf. 71 F. Wigard: Stenographische Berichte (1948-49) S. 5260 [17.2.1849, 170. Sitzung]. 72 G. Duden: Selbstanklage (1837), S. 4. 73 R. Reichardt: Grundbegriffe (1985), S. 46. 74 Vgl. auch H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 12. 75 Vgl. R. Reichardt: Grundbegriffe (1985), S. 45.

Deutsche Amerikaforschung

Ausprägung und Kontext

AMERIKALITERATUR UND AUSWANDERUNG ZWISCHEN W ERBUNG UND W ARNUNG „Die deutsche Literatur ist nicht arm an Werken über die Geschichte und die politischen Zustände der Vereinigten Staaten; allein die große Mehrzahl von ihnen ist nicht zu hart beurtheilt, wenn man wünscht sie wäre nie geschrieben worden.“ F RIEDRICH K APP 18741

Im 19. Jahrhundert begann sich die Selbstwahrnehmung der Europäer zu wandeln.2 Die technische Entwicklung und der industrielle Fortschritt vereinfachten das Reisen und den Informationsaustausch. Franz Lieber schrieb 1844: “I used formally to say that if people could travel through the air it would have the most decided effect on politics. Railways effect this in part I suppose.“3 Je entschiedener die junge amerikanische Republik auf der Weltbühne auftrat, desto mehr nahm man sie auch als politische Größe war, besonders im Handel und durch ihre kolonialen Ansätze in Mittelamerika.4 Die politischen Klassen der europäischen Staaten und Handelsmächte versuchten, das Phänomen USA zu verstehen, nicht zuletzt, um Vorhersagen wagen zu können, wie sich die junge Republik weiter entwickeln würde. Aber auch im Bewusstsein der Be-

1

F. Kapp: Literatur (1874), S. 241.

2

G. Barraclough: Europa, Amerika und Russland (1966), S. 285 u. S. 298f.

3

C. u. I. Mack: Travel Diary (2002), S. 31 [Tagebucheintrag vom 9. Juni 1844].

4

C.F. Schmidt-Phiseldeck: Europa und Amerika (1820), S. 17; E.E. Doll: German Historians (1948), S. 468.

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völkerung erlangten ferne Länder eine konkretere, wirklichere Präsenz als zuvor.5 In den deutschen Staaten, anders als beispielsweise in dem an Kolonien reichen Großbritannien, waren internationale, über Europa hinausgehende Verknüpfungen keine politische Alltäglichkeit. Gerade mit Blick auf Amerika gab es zwar im Vormärz immer wieder Vorschläge für deutsche Kolonien, doch schon damals war erkennbar, dass eine Realisierung unmöglich sein würde. Die Idee eines „Neu-Deutschland“ in Amerika ließ sich jedoch so gut in die romantische Gedankenwelt integrieren, dass sie immer wieder Anhänger fand. Das Konzept bot einen Identifikationspunkt für das Nationalgefühl, verbunden mit dem Wunsch nach einem besseren Leben inmitten wilder Natur.6 Viele andere Schriften, die konkrete Projekte vorschlugen, waren nicht weniger utopisch als die romantischen Träumereien. Ludwig Brauns zum Beispiel veröffentlichte noch 1848 eine Schrift, die anregte, möglichst das ganze Gebiet Kaliforniens zu erwerben, um dort eine deutsche Kolonie zu gründen. Er schien der Tatsache, dass die USA bereits mit Mexiko um Kalifornien im Krieg lagen, kaum Bedeutung beizumessen.7 Zu Beginn der 1840er Jahre hatte es tatsächlich inoffizielle Verhandlungen mit mexikanischen Gesandten gegeben, Teile von Kalifornien an Preußen zu verkaufen. Mexiko erhoffte sich davon eine Pufferzone zu den USA, die zunehmend Interesse an mexikanischem Territorium bekundeten. Als die beiden preußischen Gesandten Friedrich Ludwig von Rönne (Washington) und Carl Josias von Bunsen (London) diese Möglichkeit ihrer Regierung vortrugen, lehnte diese jedoch ab. Man wollte die Auswanderung, die gemeinhin als wirtschaftlich schädigend wahrgenommen wurde, nicht weiter befördern, und so wurde das Projekt 1844 endgültig verworfen.8 Die Regierungen der deutschen Staaten hatten lange versucht, die Auswanderung und die damit verknüpften Probleme zu marginalisieren, für die Bevölkerung aber war sie ein alltägliches Phänomen und ein entscheidender Anstoß für internationales und besonders transatlantisches Interesse. Schriften wie Paul Follens Aufforderung und Erklärung zur Auswanderung im Großen blieben nicht ohne Auswirkungen.9 Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-

5

Die veränderte Wahrnehmung lässt sich auch an Titeln ablesen, z. B: K.H.L. Pölitz:

6

S. Senger und Etterlin: Neu-Deutschland (1991), S. 50.

7

Ebd., S. 60.

8

G. Smolka: Auswanderung (1993).

9

F.L. Bülau: Naumann’s Reise (1850), S. 2f.; P. Follen/F. Münch: Aufforderung

Staatensysteme (1826).

(1833). Paul Follen war der Bruder des bekannteren politischen Exilanten Karl Follen.

A USPRÄGUNG

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derts war Amerika mit Abstand das primäre Ziel der Auswanderer. Über 90 Prozent derer, die ihrer Heimat den Rücken kehrten, wandten sich nach Westen und setzten ihre Hoffnungen in die Neue Welt jenseits des Atlantiks. Der Süden des Kontinents blieb nicht ausgeschlossen, aber die Vereinigten Staaten übten die stärkste Anziehungskraft aus. 1816/17 kam es zu der ersten großen Welle von Auswanderungen, besonders aus den kleineren mitteldeutschen Staaten und dem Südwesten. Missernten hatten die ohnehin schon kritische Lage der ärmeren Schichten für viele unerträglich gemacht.10 In den 1830er Jahren bekam die soziale Unzufriedenheit durch die Julirevolution in Paris einen neuen Anstoß, der sich in Unruhen und Demonstrationen wie dem Hambacher Fest entlud. Die strenge Reaktion der Regierungen hatte zur Folge, dass besonders in diesen Jahren viele Emigrationen politisch motiviert waren. Für die Mehrheit bildeten jedoch der wachsende Pauperismus, überfüllte Handwerkergewerbe und wirtschaftliche Probleme im Allgemeinen den Hintergrund ihrer Entscheidung, Deutschland zu verlassen.11 In der Tat lässt sich eine Konvergenz im Anstieg der Lebensmittelpreise und der Auswandererzahlen feststellen.12 Allerdings schließen sich das wirtschaftliche und das politische Motiv nicht aus. Günter Moltmann sieht in der Auswanderungsflut des 19. Jahrhunderts sogar einen möglichen „Revolutionsersatz“. 13 Er weist darauf hin, dass zeitgenössische Beobachter durchaus einen Zusammenhang zwischen Emigration und Revolution erkannten. Man begrüßte die Auswanderung, wie Ludwig Brauns 1827 schrieb, als eine Möglichkeit zur „Ableitung von Gärungstoffen“.14 Nicht zuletzt ist auch die Entscheidung für den amerikanischen Kontinent als Ziel, und für die USA im Besonderen, bezeichnend für eine bestimmte Mentalität, die der Republik und der Demokratie zugetan war. Dennoch darf die politische Motivation der Mehrheit der Auswanderer nicht überschätzt werden. Das revolutionäre Potenzial von sozialen Spannungen und wirtschaftlicher Not ist unbestritten, und die Tatsache, dass die meisten sich

Die Auswanderungsschrift veröffentlichte er allerdings, entgegen Naumanns Erinnerung, nicht mit seinem Bruder, sondern mit seinem Freund Friedrich Münch. Er begründete darin seine Auswanderung ausschließlich politisch, beteuerte aber, nicht weiter auf die weitere Entwicklung Deutschlands Einfluss nehmen zu wollen – anders als sein Bruder Karl Follen; vgl. H. Reiter: Amerikabilder (1992), S. 78. 10 W. Siemann: Deutschland (1995), S. 90ff. 11 F.L. Bülau (Hg.): Naumann’s Reise (1833), S. 1. 12 W. Siemann: Deutschland (1995), S. 90. 13 G. Moltman: Revolutionsersatz (1984). 14 Ebd., S. 287.

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diesen Umständen entzogen, anstatt aktiv zu werden, zeugt eher von einer nicht-revolutionären Grundeinstellung.15 Auch gegen Mitte des Jahrhunderts riss der Strom der Emigranten nicht ab. Nach der Agrarkrise 1846 erreichte er den höchsten Stand seit Beginn dieser Massenmigration. 1847 schifften sich über 80.000 Passagiere nach Amerika ein. 16 In Anbetracht der immer weiter ansteigenden Auswandererzahlen fand eine zunehmende Professionalisierung und Kommerzialisierung des Betriebs statt. Makler, Agenten und Reedereien versuchten Vorteile aus dieser Zeiterscheinung zu ziehen, Auswanderungsvereine und Beratungsbüros wollten organisatorische Hilfestellungen leisten, um die Auswanderer zu schützen. Auch die Politik konnte nicht länger die Augen verschließen. Preußen machte 1847 einen ersten Versuch zur gesetzlichen Kontrolle der Auswanderung, der jedoch in der Revolution unterging. In der Paulskirche wurde das Thema erstmals auf gesamtdeutscher Basis diskutiert und erste Beschlüsse gefasst. Besonderes Augenmerk lag auf Amerika, das die Abgeordneten als Hauptzielland identifiziert hatten. Sie wollten daher ihre Gesetzgebung hauptsächlich auf die transatlantische Migration ausrichten.17 Kaum Diskussionen gab es um das Recht auf Freizügigkeit, das beinahe einstimmig gewährt wurde. Viele Staaten hatten dazu ohnehin bereits früher Erlasse verabschiedet.18 Langwieriger und komplizierter war die Frage, ob und wie der Deutsche Bund, später das Deutsche Reich, oder die einzelnen Staaten für die Auswanderer verantwortlich seien, nachdem diese das Land verlassen hatten.19 Besonders eine mögliche Fortsetzung von Fürsorgezahlungen wiesen viele Staaten von sich, denn es hatte sich als wirtschaftlich erwiesen, den ärmsten Gemeinden lieber eine einmalige Unterstützung zur Auswanderung zu zahlen als kontinuierliche Armengelder.20 Eine fortgesetzte Fürsorgepflicht hätte eine solche finanzielle Kalkulation zunichte gemacht. Andererseits war man der Meinung, dass mit mehr Verantwortung dem desorganisierten Zustand der Wanderbewegung Abhilfe geschaffen werden könne. Viele Auswanderer hatten ihre geringen Ersparnisse bereits aufgebraucht, bevor sie die Küste erreichten. In den Hafenstädten gestrandet, stellten sie ein ernsthaftes soziales Problem für die Küstenstaaten dar. Mit zunehmender Professionalisierung der Abläufe und vor allem mit der Einrichtung regelmäßiger

15 G. Moltmann: Revolutionsersatz (1984), S. 293. 16 F.L. Müller: Weltmacht (1997), S. 109. 17 G. Smolka: Auswanderung (1993), S. 217. 18 F.L. Müller: Weltmacht (1997), S. 110. 19 Ebd., S. 217; S. Senger und Etterlin: Neu-Deutschland (1991), S. 158. 20 W. Siemann: Deutschland (1995), S. 93.

A USPRÄGUNG

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Schiffspassagen 1829 kam es jedoch immer seltener zu Verzögerungen und gerade Städte wie Bremen und Hamburg begannen schnell von der Auswanderung zu profitieren. Am 15. März 1849 fiel in der Nationalversammlung eine definitive Entscheidung: Man sprach sich für den Schutz, aber gegen weitere Zahlungen aus.21 Dieser Anfang einer „aktiven Auswanderungspolitik“ kam mit dem Scheitern der Revolution und der Auflösung der Nationalversammlung schnell zum Erliegen.22 In den folgenden Jahrzehnten blieb die Verantwortung bei den einzelnen Staaten oder sogar den Gemeinden und den lokalen Auswanderervereinen. Schon bevor das gesamtdeutsche Parlament zusammengetreten war, hatte es eine öffentliche Diskussion über die Problematik der Auswanderung gegeben. Gerade der Mangel an staatlicher Unterstützung war der Grund für Männer wie Hans Christoph von Gagern, dem Vater des späteren Vorsitzenden der Nationalversammlung, sich in organisierter Form um die Belange der Emigranten zu kümmern. 23 Im März 1847 gründete er zusammen mit Heinrich Künzel, der eine zentrale Rolle im Vereinswesen der Auswandererzeit spielte, den Nationalverein für Deutsche Auswanderung und Ansiedlung.24 Unter anderem durch die Herausgabe der Zeitschrift Der deutsche Auswanderer sollte dafür gesorgt werden, dass ein besserer Informationsstand über die Modalitäten, Gefahren und Probleme der Auswanderung herrschte. Künzel gelang es über private Verbindungen, führende badische Liberale als Autoren für das Projekt zu gewinnen. Unter anderem trugen auch Wissenschaftler Artikel bei, die spätere Abgeordnete der Paulskirche waren, wie Carl Mathey, Georg Gervinius, Carl Welcker und Carl Mittermaier, später auch Robert von Mohl, der in Amerika das am besten geeignete Ziel für die Auswanderung sah.25 Schnell entwickelten sich Der deutsche Auswanderer und ebenso die Allgemeine Auswanderer Zeitung von reinen Informationsblättern zu zentralen Organen im Amerikadiskurs.26 In anderen, kleineren Vereinen schlossen sich Personen und Gruppen zusammen, die eine konkrete Siedlungsabsicht, manchmal sogar ein sehr genaues

21 G. Smolka: Auswanderung (1993), S. 217. 22 Ebd., S. 219. 23 A. Bretting/H. Bickelmann: Auswanderungsagenturen (1991). 24 S. Senger und Etterlin: Neu-Deutschland (1991), S. 97. 25 R. Mohl: Auswanderung (1850) [Zit. in: S. Senger und Etterlin: Neu-Deutschland (1991), S. 62]. 26 S. Senger und Etterlin: Neu-Deutschland (1991), S. 99.

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Ziel in Amerika hatten, wie zum Beispiel der Texasverein. Besonders mit der Aufhebung des Koalitionsverbots 1848 nahm die Zahl der Vereine rasch zu.27 Die Siedlungsprojekte gewannen allmählich einen eigenartigen kolonialistischen Charakter. Friedrich Gerstäcker beantragte 1849 bei der Nationalversammlung finanzielle Unterstützung für eine Reise in die USA. Er beabsichtige, im Interesse der deutschen Ökonomie das Gebiet zu sondieren, schrieb er, um mögliche Stellen für deutsche Kolonien aufzutun. Man bewilligte ihm einen Zuschuss von 1.000 Talern, doch Handelsminister Arnold Duckwitz spezifizierte in seinem Antwortschreiben vom 2. März 1849, dass Kolonien ihren Mutterländern früher oder später zur Last fielen und es vielmehr im Sinne wirtschaftlichen Fortschritts sei, „fruchtbare und menschenarme Länder, in welchen Bevölkerungen wohnen, die den Deutschen an Kulturkraft nachstehen, mit deutschen Ansiedlungen massenhaft zu bedecken“.28 Die gewichtige Bedeutung des Kulturbegriffs in Deutschland trat in der Rezeption Amerikas besonders hervor, bei der gerade der Vorwurf mangelnder Kultur in der jungen Republik eine zentrale Facette darstellte.29 Das rasch um sich greifende Idealbild eines Landes, an dem die deutschen Staaten in kolonialen Zeiten nie Anteil gehabt hatten und an dessen neue politische Freiheit und wirtschaftliche Möglichkeiten sie immer mehr Untertanen verloren, stellte den erstarkenden deutschen Nationalismus vor ein Problem.30 Was wenige Jahrzehnte später offensichtlich wurde, begann sich bereits abzuzeichnen: Die Intellektuellen Europas mussten erkennen, dass mit der Erschließung des amerikanischen Kontinents, den besseren Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen und dem gesteigerten Selbstbewusstsein der Neuen Welt die Rolle Europas in der Welt neu definiert werden würde.31 Selbst wenn man das eigene politische System durchaus rechtfertigen konnte und man auch wirtschaftstheoretisch von der eigenen Einstellung überzeugt war, griff man in der Argumentation gerne auf die Kultur zurück, die als derjenige Bereich wahrgenommen wurde, in dem man sich eindeutig überlegen glaubte. Die Beschwörung Europas als „Hort des wah-

27 Insgesamt kann man für die Zeit von 1815 bis 1860 etwa 54 verschiedene Auswanderungsvereine und Gesellschaften zählen, hauptsächlich in den späten 1840er Jahren gegründet, die zum Teil mehrere lokale Unterabteilungen hatten. Von fast einem Drittel der Ansiedlungspläne ist bekannt, dass sie erfolgreich waren, nur acht blieben gänzlich unverwirklicht. Vgl. S. Senger und Etterlin: Neu-Deutschland (1991), S. 158. 28 Ebd., S. 158. 29 S. Skard: American Studies (1958), S. 212. 30 H.-J.Grabbe: Weary of Germany (1997), S. 72. 31 G. Kamphausen: Kulturkritik (2002), S. 22.

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ren christlichen Glaubens, Wiege der Kultur und Hochburg der Wissenschaft“ schien die einzige Verteidigung in einer Zeit, in der „die Größe eines Landes mehr zählen [würde] als die Ehrwürdigkeit seiner Geschichte“.32 Auch in den Auswanderungsvereinen war dieses Konzept verbreitet und wurde auf Kongressen immer wieder bestätigt.33 So lebte in diesen Gesellschaften der Traum von einem „Neu-Deutschland“ weiter. Hatte man sich auch damit abgefunden, dass es zu spät war, auf dem amerikanischen Kontinent eine Kolonie zu gründen, so hoffte man nun, durch geschlossene Ansiedlungen und die Erhaltung der ‚deutschen‘ Kultur, Einfluss jenseits des Atlantiks gewinnen zu können.34 Eine Vorstellung, die auch in der Paulskirche Beachtung fand und sich bis zum Abflauen der Auswanderung kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Presse und Literatur immer wieder Bahn brach. Neben diesen ideologischen Hintergründen und den organisatorischen Funktionen hatten Auswanderungsvereine außerdem eine Schlüsselstellung für den Informationsfluss aus der Neuen Welt. Sie waren Sammelstellen für Berichte und Anlaufpunkte für Fragen. Einige hatten sogar eigene Korrespondenten in den Vereinigten Staaten und unterhielten enge Kontakte mit den bereits ausgewanderten, vor Ort angesiedelten Deutschen. Ihr erklärtes Ziel war es, die Ausgewanderten „auch in der Fremde mit dem Vaterland in Verbindung zu erhalten“.35 Diese Praxis konnte zu der so genannten ‚Kettenauswanderung‘ führen, bei der nach und nach immer mehr Auswanderer aus derselben Gegend, vielleicht sogar demselben Ort, den vorher Weggezogenen folgten und sich dort einer bereits etablierten Siedlung anschlossen, was vielleicht die sicherste Art der Auswanderung war. Persönliche Kontakte erleichterten den Kettenauswanderern die Übersiedelung, weil sie eine relativ genaue Vorstellung hatten von dem, was sie erwartete. Emigranten, die auf sich allein gestellt waren, mussten ihre Informationen auf andere Art beziehen. Auch wer keine direkten Verwandten oder Bekannten hatte, die ausgewandert waren, oder nicht selbst Mitglied in einem Auswanderungsverein war, hatte die Möglichkeit, genauere Informationen aus Briefen zu erhalten. Immer wieder wurden diese etwa in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, sowohl in den speziell der Auswanderung gewidmeten Blättern als auch in der allgemeinen Ta-

32 Ebd., S. 15. 33 G. Smolka: Auswanderung (1993), S. 202. 34 Ebd., S. 202. 35 F.L. Müller: Weltmacht (1997), S. 144 [Rede Alexander von Bülows zur Eröffnung des Berliner Vereins zur Centralisation deutscher Auswanderung und Kolonisation im Mai 1849].

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gespresse. Hinzu kamen öffentliche Lesungen von Briefen, die so den Inhalt nicht nur einer breiteren Masse, sondern vor allem auch denjenigen zugänglich machten, die selbst nicht lesen konnten. Für die große Mehrzahl der Bevölkerung waren private Korrespondenzen bis ins 20. Jahrhundert hinein die Hauptinformationsquelle über die Neue Welt.36 Der Vorteil der Briefe lag darin, dass sie, die in der Presse veröffentlichten Exemplare einmal ausgenommen, ohne kommerzielle Interessen geschrieben wurden. Die Schreiber hatten kein Motiv, die Ereignisse in irgendeine Richtung zu manipulieren. Andererseits tendierten briefliche Schilderungen – mehr als jede andere Form – zur Subjektivität. Einerseits beschrieben sie meist Einzelschicksale, die, verglichen mit literarischen Reisebeschreibungen, oft näher an der Realität waren, andererseits jedoch waren die Briefschreiber zumeist weder durch Erfahrung noch durch Erziehung in der Lage, reflektiert zu abstrahieren, um konkrete Ratschläge zu erteilen. Sie variierten, wie andere Informationsschriften, in Qualität und Zuverlässigkeit. Tatsächlich trugen private Briefwechsel bedingt dennoch zur politischen Aufklärung bei, denn die Terminologie, mit der etwa die deutschsprachigen Zeitungen in den Vereinigten Staaten dortige politische Konzepte und Phänomene erklärten, fanden sich in den Briefen der Immigranten nach Hause wieder – nicht selten auch in einem Versuch, diese auf heimatliche Verhältnisse anzuwenden und zu übertragen.37 Schon damals wurde der Effekt und damit in gewissem Sinne auch die Gefahr dieser Briefe nicht als gering eingeschätzt. Das preußische Polizeiministerium überwachte daher nicht nur den transatlantischen Reiseverkehr, sondern auch den Briefwechsel sehr genau.38 Schließlich sei, so urteilte eine zeitgenössische Quelle, „praktisch keine deutsche Familie ohne ihren amerikanischen Korrespondenten, der sie zur Revolution aufhetzt“.39 Die gewinnbringende Komponente der Auswanderungsbewegung war für den Bremer Senator Heineken offensichtlich: „Es hängt so innig mit dem Flor unseres Handels zusammen, dass man die Hände nicht ruhig in den Schoß legen und warten darf, bis sich Passagiere melden; vielmehr wollen diese aufgesucht und veranlasst sein, sich nach Bremen statt nach einer ihrer Rivalinnen zu wenden.“40

36 W. Helbich: German Images (1997), S. 126ff. 37 J. Nagler: Politisches Exil (1993), S. 281f. 38 H. Reiter: Amerikabilder (1992), S. 83 und S. 90 Anm. 46. 39 J.-D. Kühne: Bundesverfassung (1991), S. 168. 40 R. Engelsing: Bremen (1961), S. 38.

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Reedereien hatten schon früher Makler und Agenten eingesetzt, die mit Auswanderern Verträge aushandelten und abschlossen, wie es auch für Frachtgut üblich war. Der Beruf des Agenten war nie besonders einträglich gewesen, da er immer nur ein Mittelsmann blieb. Das herkömmliche Verfahren von Vertragsabschlüssen per Korrespondenz eignete sich nicht für die Phase der Massenauswanderung und viele Agenten sahen in dieser Entwicklung ihre Chance, sich selbstständig zu machen, indem sie unabhängige Agenturen gründeten. Bis in die späten 1830er Jahre gab es keine offiziellen Regelungen für dieses neue Gewerbe, aber Mitte des Jahrhunderts wurden staatliche Zulassungen eingeführt.41 Die Tatsache, dass diese Konzessionen oft werbewirksam eingesetzt wurden, deutet darauf hin, dass sie als ein Zuverlässigkeitsgarant fungierten in einem Geschäftsbereich, der weiterhin vielen Betrügern Raum bot, wie das Bild des Auswanderungsagenten in der zeitgenössischen Literatur, in Gedichten, Liedern und sogar Illustrationen weiter bekräftigt. Fast immer wurde er als eine zwielichtige Persönlichkeit dargestellt, die listig ahnungslose Auswanderer um ihr geringes Erspartes brachte.42 1847 gab es schätzungsweise 150 zugelassene Agenten in den deutschen Staaten.43 Zu ihren Aufgaben gehörten neben der Annahme und Buchung von Schiffspassagen auch Auskunfts- und Beratungsdienste und vor allem die Werbung. Bedenkt man die berufliche und daher meistens auch materielle Abhängigkeit vieler Agenten von möglichst vielen Auswanderern, ist ihre besonders einseitige Darstellung der Neuen Welt nicht weiter verwunderlich. Geworben wurde außerdem von einigen amerikanischen Bundesstaaten selbst, die spezielle Siedlungsanleitungen in Umlauf brachten oder Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichten. 44 Hier schalteten sich außerdem nicht selten zusätzlich noch Bodenspekulanten ein, um so die Preise weiter in die Höhe zu treiben. Aus dem primär meist kommerziellen Zweck dieser verschiedenen Veröffentlichungen resultierten ein Mangel an akkurater Information und eine Verzerrung der Realität, dennoch trugen die Werbeschriften entscheidend zum zeitgenössischen Amerikabild bei. Besonders die weniger gebildeten Bevölkerungsschichten, die weniger Zugang zu alternativen Schriften hatten, orientierten sich in ihren Vorstellungen sehr stark daran. Reiseberichte und -beschreibungen waren keine neue Erscheinung, doch die Auswanderung steigerte die Nachfrage.45 Das literarische Genre der Reise-

41 A. Bretting/H. Bickelmann: Auswanderungsagenturen (1991), S. 26ff. 42 Die Agenten werden z.B. als Wölfe dargestellt. Vgl. Karikatur: Szenen in einer Auswanderungsagentur, Frühjahr 1848. Ebd., Titelbild. 43 Nach einer „zeitgenössischen Schätzung“. Vgl. ebd., S. 51. 44 I. Zimmermann: Propaganda (1993), S. 42ff. 45 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 432.

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literatur erfuhr eine nie da gewesene Konjunktur und gleichzeitig eine facettenreiche Aufgliederung.46 Allein während der ersten Hälfte des Jahrhunderts erschienen an die 300 Titel, die im engeren Sinne als Reisebeschreibungen oder Auswandererberichte klassifiziert werden können.47 Den Reisebericht als literarische Gattung zu definieren, wirft immer wieder Probleme auf. Die klassischen Beispiele wie Goethes Italienreise, Fontanes Texte oder Heines Reisebilder sind fraglos literarische Werke, aber bei den auf die praktischen Bedürfnisse der Auswanderer zugeschnittenen Schriften über Amerika fällt die Einordnung schwerer. Verfasser von Reiseberichten waren konfrontiert mit der Diskrepanz, auf der einen Seite unterhalten zu wollen, aber gleichzeitig als Ratgeber zu fungieren. Verschiedene Autoren gewichteten die Aspekte unterschiedlich.48 Manfred Link kategorisiert die Reiseliteratur in sechs Gruppen. Angefangen bei dem Reiseführer über das Reisehandbuch, die wissenschaftliche Reiseschrift, das Reisetagebuch und die Reiseschilderung bis hin zur Reiseerzählung richtet er sich nach dem „Grad der Faktizität“.49 Aber selbst mit dieser Orientierungshilfe lässt sich die Auswandererliteratur schwer zusammenfassen, da es sich meistens um Mischformen handelt, zum Beispiel aus Reisebeschreibungen und Reiseführern.50 „Die Auswanderung hat ihre eigenen literarischen Formen geschaffen“, schreibt Peter Brenner und hebt besonders die Ratgeber hervor, deren Entwicklung mit der Auswanderungsbewegung des 19. Jahrhunderts fast untrennbar verknüpft war.51 Das wohl bekannteste Beispiel ist Gottfried Dudens Bericht über eine Reise nach den westlichen Staaten Nordamerikas, der erstmals 1829 erschien.52 1500 Exemplare allein in der ersten von mindestens vier rasch aufeinander folgenden Auflagen weisen auf eine sehr weite Verbreitung hin.53 In privaten Zeugnissen ebenso wie in der Reaktion von Presse und Öffentlichkeit zeigt sich der Erfolg und Einfluss dieses speziellen Ratgebers.54 Noch Jahrzehnte spä-

46 P. Brenner: Forschungsrückblick (1990). 47 C. Strupp/B. Zischke: German Americana (2005). 48 P. Brenner: Reisen in die Neue Welt (1991), S. 193. 49 M. Link: Goethe bis Heine (1963), zit. in N.P. Brenner: Forschungsrückblick (1990), S. 20f. 50 P. Brenner: Reisebericht (1989). 51 P. Brenner: Forschungsrückblick (1990), S. 523. 52 G. Duden: Bericht (1829). 53 G. Duden: Selbstanklage (1837), S. 95. 54 W. Beek: Followers (1919/20), zit. n. P. Brenner: Reisen in die Neue Welt (1991), S. 104.

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ter griffen Autoren von Auswanderungs- und Reiseschriften auf Duden zurück. Der große Anklang, den das Werk Dudens unter den Emigranten fand, ist vermutlich weniger auf eine besonders leserfreundliche Darstellung zurückzuführen. Obwohl Duden die damals in der Reiseliteratur üblichen wissenschaftlichen Aufzählungen zu Wirtschaft und Geographie vermied, war seine Schrift von fast 350 Seiten, verglichen mit anderen, sehr umfangreich. Auch die mangelnde Organisation des Textes in klare Themenfelder erschwerte eine praxisorientierte Nutzung.55 Seinen Erfolg verdankte Dudens Werk wohl eher „dessen Euphorie [die] alles in den Schatten stellte was in anderen Ratgeber dieser Zeit verbreitet worden war“.56 Ohne es je selbst zu verwenden, bediente sich Duden indirekt des Motivs vom Paradies auf Erden, das um die Jahrhundertwende etwa durch Kleists Landschaftsbeschreibungen über Tahiti und die Karibischen Inseln neue Prominenz erlangt hatte. Plötzlich erschienen die Phantasielandschaften ferner Paradiese erreichbar, indem sie in Nordamerika, zwar noch immer jenseits des Atlantiks, aber doch im Gesichtsfeld der europäischen Auswanderer lagen. Dudens emotionale Beschreibungen von Fruchtbarkeit und Naturschönheit, die dieser Paradies-Assoziation Vorschub leisteten, standen in starkem Gegensatz zu der Nüchternheit, mit der er mögliche Probleme ansprach, um sie dann herunterzuspielen. Es ist nachvollziehbar, dass sich bei einer derartigen Gewichtung die negativen Aspekte schnell verloren. Viele der Leser gingen zudem mit einem Anspruch an Dudens Buch heran, der auf einem vorgefertigten Amerikabild aus Hoffnung, Idealisierung und Erwartung fußte, für das sie Bestätigung suchten. Die Tatsache, dass Duden, der dieses Bild zu bedienen schien, so viel erfolgreicher war als zum Beispiel das qualitativ vergleichbare, aber viel kritischere Buch Ludwig Galls, zeigt, welches Gewicht der Anspruch des Publikums in diesem Zusammenhang hatte. Gall hatte seine Reisebeschreibung schon 1822 das erste Mal veröffentlicht, doch nie die gleiche Verbreitung gefunden wie Duden.57 Tatsächlich hielt man negative Berichte über die USA nicht selten für Propaganda der eigenen Regierung.58 Wenn die Auswanderer auch nur annähernd ernsthaft das erwarteten, was sie bei Duden gelesen hatten, war es unvermeidbar, dass die amerikanische Wirklichkeit eine Enttäuschung für sie bereithalten musste. Die ernüchternde Erfahrung wurde noch verstärkt durch eine zunehmend negative Einstellung der Ame-

55 P. Brenner: Reisen in die Neue Welt (1991). 56 Ebd., S. 102. 57 L. Gall: Meine Auswanderung (1822), zit. n. P. Brenner: Reisen in die Neue Welt (1991), S. 117. 58 Ebd., S. 106.

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rikaner zu Neuankömmlingen. 59 Rückkehrer veröffentlichten nicht selten Warnungen und sprachen sich teilweise explizit gegen Duden aus. Trotz der immer zahlreicher werdenden Warnungen und negativen Berichte ging der Auswandererstrom ungemindert weiter. Brenner spricht angesichts dieses Phänomens von einer „Absorption der gegenläufigen Erfahrung durch einen optimistischen Erwartungsdruck“.60 Wilhelm Grisson war sich der Problematik bewusst und räumte zu Beginn seiner Beiträge über die Charakteristik der Vereinigten Staaten von Nordamerika ein: „Einen angenehmen Wahn zerstören zu wollen, ist ein Unternehmen, welches selten mit Erfolg gekrönt wird, und noch seltener Dank findet, aber es ist darum nicht weniger verdienstreich. Diesen Verdienst möchte ich mir erwerben, verzichte auf Dank und rechne nicht auf Erfolg.“61

Die immer stärker werdende Kritik an seinem Reisebericht veranlasste Duden 1837, eine Selbstanklage herauszugeben, in der er vorgab, einige seiner euphorischen Aussagen zu revidieren. Tatsächlich war es eher eine Rechtfertigung seines ursprünglichen Werkes. Im Vorwort wies er darauf hin, dass er durchaus Gefahren und Probleme thematisiert habe und deutete an, dass er nicht mit einer derartigen Unmündigkeit seiner Leser gerechnet habe und man die Gefahr nicht unterschätzen dürfe, „Kindern Wahrheiten vorzutragen, die nur vor die Erwachsenen gehören“. Seine Kritiker klagte er des „Falschlesen[s] und Halblesen[s]“ an.62 Außerdem empörte er sich über die „Feinde der Auswanderung“, die gegen ihn hetzten und sich den Unmut der Enttäuschten zu Nutze machten.63 Duden hatte sicher recht damit, sich vor den unreflektierten Schuldzuweisungen enttäuschter Rückkehrer zu verwahren, doch finden sich unter seinen Kritikern auch Autoren, die auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zu einem wahrheitsgetreueren Amerikabild leisteten. Friedrich Gerstäckers Ziel war es, statt diffusen Illusionen konkrete Wahrheiten über die USA zu verbreiten. In dieser Absicht setzte er sich auch direkt mit Duden auseinander, ohne dass er jedoch Amerika allgemein verurteilte. Im Gegenteil, er sah die Gefahr, im Grunde ähnlich wie Duden, nicht jenseits des Atlantiks, sondern vielmehr in

59 M.L. Hansen: Atlantic Migration (1961), S. 108. 60 P. Brenner: Reisen in die Neue Welt (1991), S. 132. 61 W. Grisson: Charakteristik (1844), S. 3. 62 G. Duden: Selbstanklage (1837), S. 84f. 63 Ebd., S. 103f.

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der Ignoranz und Naivität des Amerikaverständnisses in den deutschen Staaten.64 Gustav Körner ging das Werk Dudens systematisch durch und gelangte zu einem realistischeren Urteil über die USA. Sein kritischer Ansatz wurde zum Vorbild für eine neue Generation von Ratgeberautoren, die mit unterschiedlichem Erfolg versuchten, einen ähnlich differenzierten Ansatz zu finden.65 Selbst Traugott Bromme, dessen Begeisterung für die Neue Welt derjenigen Dudens um nichts nachstand, zeichnete durch weniger emotionale Wortwahl und geographisch konkrete Lokalisierung ein realistischer anmutendes Bild des fruchtbaren Landes jenseits des Atlantiks.66 Grisson gab zu bedenken, dass es schwierig sei, Objektivität zu wahren in einem Land wie den USA, in dem die Politik so sehr Bestandteil des alltäglichen Lebens sei. Im Vorwort bemühte er sich noch um neutrale Formulierungen. Man würde „durch den Anblick [Amerikas] überrascht“, egal von welchem Standpunkt man auch heranginge. Der Tenor des Buches war jedoch so kritisch, dass es als eine direkte Warnung an die Auswanderer gelten musste. Trotzdem wollte Grisson „den unheilbar Europakranken […] einen oder zwei Rathschläge“ anbieten.67 Die zunehmende Differenzierung des Amerikabildes, vor allem auch in der Ratgeberliteratur, wurde nicht zuletzt durch die beachtliche Rückwanderung gefördert, mit der ein Wandel in der idealistischen Beurteilung der USA einherging. 68 Ferdinand Kürnberger schrieb 1856 seinen Roman „Der AmerikaMüde“.69 Inhaltlich eine der damals nicht unüblichen Erzählungen über Enttäuschung und Schicksal in der Neuen Welt, wurde der Titel schon sehr bald zu einem Schlagwort, das die Rückwanderung und die damit verbundene, besonders während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wachsende Kritik an den USA zusammenfassen sollte.70 Es wäre zweifellos zu kurz gegriffen, nur die enttäuschten Heimkehrer zu beachten. Es war beispielsweise nicht unüblich, mit einem erfolgreich in den

64 P. Brenner: Reisen in die Neue Welt (1991), S. 120. 65 Ebd., S. 113. 66 Ebd., S. 115. 67 W. Grisson: Charakteristik (1844), S. V und S. 12. 68 A. Schmidt: Amerika-Diskurs (1997), S. 89f. 69 F. Kürnberger: Amerika-Müde (1855). Der Titel nahm Bezug auf die 1838 erschienene Schrift Die Europamüden von Ernst Wilkomm, die jedoch nie eine vergleichbare Prominenz erlangt hatte; vgl. E. Willkomm: Die Europamüden (1838), zit. n. P. Brenner: Reisen in die Neue Welt (1991), S. 58ff. 70 F. Kapp: Literatur (1874).

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USA verdienten Vermögen nach Deutschland zurückzukehren. Wer es sich leisten konnte, verbrachte seinen Lebensabend in der Heimat. 71 Folglich gab es durchaus auch zufriedene Rückwanderer, doch die Erfahrungen der „Amerikamüden“ waren durch zahlreiche Schriften besser bekannt und nachvollziehbar. Die Allgegenwärtigkeit der Auswanderung und die Verbreitung von Ratgebern und Erfahrungsberichten trugen neben den verbesserten Verkehrs- und Kommunikationswegen entschieden dazu bei, dass die gefühlte Distanz zu Amerika geringer wurde.72 Trotzdem blieb die Faszination des Exotischen, des Abenteuerlichen und Unbekannten lange ein Hauptaspekt in der belletristischen Literatur über den amerikanischen Kontinent. Der bekannteste Autor von literarischen Amerikaromanen war Karl Postl, der unter dem Pseudonym Charles Sealsfield schrieb. Der Österreicher war selbst 1823 nach Amerika geflohen und veröffentlichte auch nach seiner Rückkehr schon 1826 größtenteils in Englisch. Aus diesem Grund könnte man annehmen, dass seine Schriften in Deutschland weniger verbreitet waren. Andererseits urteilte Friedrich Kapp schon 1874: „Der Einfluß dieses bedeutenden Dichters auf seine Zeitgenossen ist viel tiefer gewesen, als man heut zu Tage in Deutschland weiß; namentlich hat er auf die damals studierende Jugend wahrhaft berauschend gewirkt.“73

Die Begeisterung beschränkte sich nicht auf die intellektuellen Kreise, sondern erstreckte sich bis in die unteren Schichten. Grund war hier nicht nur die direkte oder indirekte Berührung mit Auswanderung und vielleicht sogar Rückwanderung, die das Interesse schürte, sondern auch die Veränderung des Leseverhaltens dieser Gesellschaftsschicht.74 Besonders in etwas gehobenen Handwerkerfamilien bekamen Bücher eine neue Bedeutung. Man hoffte, sich so dem Bildungsbürgertum anzunähern, in dessen Selbstverständnis das Lesen eine wichtige Rolle spielte.75 Im Zuge der Volkserziehung machte die Alphabetisierung entscheidende Fortschritte. 1840 konnten gut 40 Prozent der Bevölkerung in den deutschen Staaten lesen.76 Angesichts der wachsenden Nachfrage veränderte sich auch der Buchmarkt. Verleger waren eher zu „spekulativen“ größeren Auflagen bereit, besonders als durch neue technische Möglichkeiten zu-

71 K. Schniedewind: Rückwanderung (1992), S. 179-185. 72 K.-E. Jeismann: Utopie – Mission – Kritik (1978), S. 140. 73 F. Kapp: Literatur (1874), S. 250. 74 R. Engelsing: Analphabetentum (1973), S. 90ff. 75 Y. Yamanouchi: Lesekultur (1998), S. 15ff. 76 W. Siemann: Deutschland (1995), S. 214.

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sätzlich die Produktionskosten sanken. 77 In größeren Städten wurden erste Leihbüchereien eröffnet. Für das rasch anwachsende Publikum entstanden Abenteuerromane, Kuriositätensammlungen und Moralschriftchen. Das Leben in der amerikanischen Wildnis oder die fremden Bräuche der amerikanischen Ureinwohner boten sich in diesem Kontext geradezu als Themen an.78 Es entwickelte sich, was Kapp verächtlich „Indianer-Romantik“ nannte.79 Negative Aspekte wurden so gut wie gänzlich ausgeblendet. Die Problematik der Sklaverei, auch wenn sie in Presse und Öffentlichkeit durchaus kritisch diskutiert wurde, fand ihren Weg in die populärere Literatur erst mit dem Erscheinen von Onkel Toms Hütte (1852), das in Deutschland einen überwältigenden Anklang fand.80 Ein großer Teil der entstehenden Flut von Amerikaschriften mag nicht von besonderem literarischem Wert gewesen sein, doch sie reflektierte ein Amerikabild, das sich auch neben einer wissenschaftlichen und politischen Beschäftigung mit den USA weiterhin hielt.81 Es war nicht zuletzt geprägt von der Hoffnung der Auswanderer. Bestimmte Motive kehrten immer wieder, so dass sie sich regelrecht zu „Mythen“ entwickelten, die eng miteinander verknüpft waren und im Grunde nur „unterschiedliche Schwerpunkte innerhalb einer Utopie setz[t]en“.82 Zum Teil sind sie noch in der Amerikaliteratur des 20. und 21. Jahrhunderts zu finden.83 Herold Jantz identifiziert verschiedene prominente „Myths about America“, deren Wurzeln er im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert nachweist, wie zum Beispiel den reich gewordenen Onkel aus Amerika, der im dramatischen Moment entweder Geld schickt oder vererbt.84 Hinter diesem Bild verbarg sich auch das bekannte Konzept ‚vom Tellerwäscher zum Millionär‘. Dieser ‚American Dream‘ war eine entscheidende Motivation für die Auswanderungswellen des 19. Jahrhunderts, ähnlich wie die Utopie vom ‚Land der unbegrenzten Möglichkeiten‘. Letzteres bezog sich anfangs nur auf die scheinbar unerschöpfliche Verfügbarkeit von Land. Mit der zunehmenden Politisierung des Amerikabildes

77 Ebd., S. 215. 78 R. Palmer: Democratic Revolution (1959), Bd. I, S. 243. 79 F. Kapp: Literatur (1874), S. 250. 80 Francis Lieber Papers, Box 3, Huntington Library Passadena [Carl Josias von Bunsen an Francis Lieber am 12.10.1852]. 81 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 436; G. Barraclough: Europa, Amerika und Russland (1966), S. 281. 82 A. Schmidt: Amerika-Diskurs (1997), S. 85. 83 K.-E. Jeismann: Utopie – Mission – Kritik (1978). 84 H. Jantz: Myths (1962), S. 16.

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wurde es darüber hinaus immer öfter auf die freiheitliche Gesetzgebung übertragen.85 Die Wildnis und gewaltige Natur des amerikanischen Kontinents war für die deutsche Romantik ein willkommenes Motiv. 86 Amerikanische Autoren wie Ralph Waldo Emmerson, Henry Longfellow oder James Fennymore Cooper rezipierten ihrerseits die deutsche Romantik und lieferten gleichzeitig in ihren Werken wiederum poetische Ansatzpunkte für deutsche Beschreibungen der faszinierenden Flora und Fauna in der Neuen Welt.87 Sie fanden bewundernde Rezensenten zum Beispiel in der Allgemeinen Literatur Zeitung oder dem Morgenblatt für die gebildeten Stände, aber auch in der Allgemeinen Auswanderungszeitung.88 Besonders für die Schriftsteller, die nicht selbst über den Atlantik reisen konnten, waren die Werke dieser Dichter eine willkommene Alternative zu den oft praktisch orientierten Landschaftsbeschreibungen der Reiseführer- und Ratgeberliteratur. Es ist bezeichnend, dass gerade der Dichter, der die Reise tatsächlich wagte, von Amerika enttäuscht zurückkehrte. Nikolaus Lenau schrieb noch 1832, kurz vor seiner Abreise: „Du neue Welt, du freie Welt, An deren blütenreichem Strand Die Flut der Tyrannei zerschellt, Ich grüße dich, mein Vaterland!“89

In den USA erlebte er die Extreme der dortigen Natur so negativ, dass sich seine Begeisterung rasch verlor. Nach seiner Rückkehr beschrieb er im Hinblick auf Amerika eher gesellschaftliche Aspekte. Besonders ereiferte er sich darüber, dass die „himmelstinkenden Krämerseelen […] Tod für alles geistige Leben“ bedeuteten.90 Die Enttäuschung über die Konfrontation mit der Wirklichkeit des zuvor idealisierten Traumbildes erfuhren nicht nur die Romantiker und die vielen Auswanderer, die Duden gefolgt waren, sondern besonders auch später die politischen Flüchtlinge der Revolution von 1848/49. Kürnberger widmet in seinem

85 T. Baker: Political Utopia (1897), S. 64. 86 Ebd., H. Meyer: Amerikabild (1929). 87 P. Labriola: Romantik (1996). 88 M. Nirenberg: German Periodicals (1970), S. 95. 89 N. Lenau: Abschied (1823), Abdr. in M. Rohrer: Amerika im deutschen Gedicht (1948), S. 28. 90 A. Schmidt: Reisen in die Moderne (1997), S. 87.

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Roman gerade dieser letzten Gruppe von „Amerikamüden“, den intellektuellen Emigranten, besondere Aufmerksamkeit.91 Allerdings finden sich erste Negativstimmen bereits unter den Romantikern, die den fernen Kontinent nicht aus eigener Erfahrung kannten. In die verklärten Vorstellungen der Romantik von einer rousseauschen Ursprünglichkeit passte das Bild des geschäftigen Amerikaners, der sich die Natur zu eigen machte, denkbar schlecht. Die USA wurden gar zum Inbegriff des Antipoden zum idyllischen alten Europa. Für Ludwig Tieck beispielsweise zeigte sich die negative Seite des „Amerikanismus“ in der rasch anwachsenden Industriestadt Fürth, die das romantisch beschauliche Nürnberg zu überschatten drohte.92 Der Vergleich der Verhältnisse von Fürth zu Nürnberg und von Amerika zu Europa stammte ursprünglich von Georg Friedrich Hegel. Wie die junge Industriestadt aus dem Überschuss und Platzmangel der alten Reichsstadt entstanden war, so biete die Neue Welt Platz und Möglichkeiten für den „Überschuss“ Europas.93 Heinrich von Gagern schrieb 1836 an seinen Bruder Maximilian: „Diese Geld-, Bank-, Eisenbahn-, Kanalzivilisation in Amerika kann mich nicht ansprechen, das Staatsleben bei der Pöbelhaftigkeit des Kongresses, der Indianerausrottung und Sklavereibevorwortung [sic] ist mir verächtlich.“94

Die zentralen Widersprüche im Amerikabild der Romantik zwischen Maschine und Natur, zwischen Wirtschaftsvorbild und Kulturpessimismus und besonders auch der Zwiespalt zwischen unbegrenzter Freiheit und Pöbelherrschaft setzen sich bis in die spätere politische Argumentation fort.95 Den einen dienten der industrielle Fortschritt und das erfolgreiche Wirtschaftssystem der jungen Republik als Gewähr für die Stabilität und Sicherheit des politischen Experiments, während andere in Materialismus und Gewinnstreben eine Gefahr für die Gesellschaft und das organische Regierungssystem sahen. Eine kulturelle Entwicklung hielten sie unter diesen Voraussetzungen für unmöglich.96 Außerdem fehle die „deutsche Gemütlichkeit“, klagte Ziegler 1848.97

91 F. Kürnberger: Amerika-Müde (1855). 92 H. Jantz: Myth (1962), S. 15. 93 E. Moldenhauer/K.M. Michel: Hegel Werke (1970), Bd. 12, S. 109. 94 P. Wentzcke/W. Klötzer: Gagern Briefe (1959), S. 169f. [25. 11.1836]. 95 H. Meyer: Amerikabild (1929) S. 49ff.; S. Skard: American Myth (1961), S. 23. 96 K.-E. Jeismann: Utopie – Mission – Kritik (1978), S. 144. 97 A. Ziegler: Licht- und Schattenseiten (1848), S. 59.

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In welchem Maße sich auch die negativen Motive in der Amerikaliteratur hielten, zeigt die bedeutende Rolle von Gewinnstreben und Materialismus für das deutsche Amerikabild, die weit über das 19. Jahrhundert hinaus zentral blieb. In einer Beilage zur Allgemeinen Zeitung ereiferte sich der Autor, dass in den USA der „Geldsack, der Gott ‚Dollar‘“ regiere.98 Noch Thomas Mann monierte Anfang der 1950er Jahre die „Dollerjagd“ in den USA und selbst heute greifen Amerikakritiker auf dieses Klischee zurück.99 Die Untersuchung von Dudens Schrift hat bereits verdeutlicht, „wie sich traditionelle Mythen und europäische Wunschvorstellungen in der Darstellung über die amerikanische Wirklichkeit“ schoben und schwer zu revidieren waren.100 In Anbetracht dieser scheinbaren Kontinuität läuft man Gefahr, entscheidende Aspekte des Amerikaverständnisses, die in der Vergangenheit eine Rolle gespielt haben, mit Allgemeinplätzen zu überdecken und durch Verallgemeinerungen aus dem Blickfeld zu verlieren, sei es nun beabsichtigt oder nicht. Es ist wichtig, „kein zu eindeutiges Amerikabild zu erwarten“. 101 Ernst Fraenkel warnt vor „schablonenhaftem Denken“ und vertritt die Ansicht, dass die „falsche Interpretation amerikanischer Vorgänge“ in Deutschland während der letzten 200 Jahre „ein Studium der Verfälschung“ notwendig mache.102 Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts gilt es aber zu begreifen, dass es weniger darum ging, ein möglichst wahrheitsgetreues Bild von Amerika zu zeichnen als eigene Ziele zu verfolgen. „Die deutsche Amerikaliteratur“, schreibt Engelsing, „trug ein ideales und programmatisches, kein reales und feststellendes Gepräge und enthüllte in den amerikanischen Eigenschaften letztlich immer die deutschen“. 103 Die subjektiven Ziele reichten von Auswanderungswerbung oder Warnung über pure Unterhaltung und Auflagezahlen bis hin zu politischen Forderungen, wie sie besonders im Vormärz laut wurden.104 „America was the screen on which Europe could project its own consciousness, turning ideas into images and arguments into drama“.105

98

[Anonym]: Gegenansicht (2. Mai 1841).

99

T. Mann: Betrogene (1953), zit. n. W. Leppman: Thomas Manns (1977), S. 392.

100 P. Brenner: Reisen in die Neue Welt (1991), S. 113. 101 A. Schmidt: Amerika-Diskurs (1997), S. 84. 102 E. Fraenkel: Amerika im Spiegel (1959), Abdr. in A. Brünneck: Amerikastudien (2000), S. 338. 103 R. Engelsing: Periodisierung (1958), S. 140. 104 H. Meyer: Amerikabild (1929), S. 5; R. Palmer: Democratic Revolution, (1959), Bd. I, S. 253. H. Meyer: Amerikabild (1929), S. 5. 105 E. Douglass: Sturm und Drang (1989), S. 50.

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Mit dieser Überlegung stellt sich die Frage, woraus sich die Verwendung des Amerikabildes als „unbeschriebenes Blatt“, als „Folie“, „Indikator“ oder „Spiegel“ speiste.106 Es mag nur die unreflektierte Nutzung eines Motivs oder Mythos’ gewesen sein, der sich verselbstständigt hatte, oder aber es fußte auf einer fundierten wissenschaftlichen Grundlage. Sigmund Skard vertritt die Ansicht, dass die Beschäftigung mit den USA in zwei verschiedenen Bahnen verlief: „From the very beginning, this myth-making with its touch of emotional and the sensational, ran parallel with serious efforts on the part of the Europeans to make America into something else, not only a vehicle of dreams but an object of sober understanding.“107 Die natürliche Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Wissenschaft war gerade in der Sicht auf die USA besonders ausgeprägt, da die Grenzen fließend blieben. Der theoretische Umgang mit den USA, der sich aus der Auswanderung ergab, bildete einen wichtigen Eckpunkt für das Amerikaverständnis im 19. Jahrhundert.108 Die meisten der entstehenden Texte, selbst wenn es sich nicht um rein belletristische Literatur handelte, waren nicht wissenschaftlich angelegt. Trotzdem spielten kommerzielle Werbeschriften, warnende Ratgeber und praktische Anleitungen eine entscheidende Rolle für den Wissensstand über die USA, auf dem die analytische Beschäftigung mit dem anderen Land aufbaute. Eugene Edgar Doll bemerkt dazu: „It will be influenced by the more general picture of America in Germany at the time. It is in itself one aspect of the more general relation between the two peoples.“109 Viele Ratgeber beschäftigten sich durchaus auch mit dem politischen System des Ziellandes. Die starken Unterschiede in der Regierungspraxis, verbunden mit dem revolutionären Potenzial von sozialer Ungleichheit im eigenen Land, führten dazu, dass sich die Auswanderungsproblematik rasch politisierte und gesellschaftskritisch auflud.

E RSTE

WISSENSCHAFTLICHE

ANNÄHERUNG

Die Verwissenschaftlichung des Interesses für die Vereinigten Staaten war keine plötzliche Erscheinung des Vormärz, die sich aus den politischen Bedingungen ergeben hatte. Solange Siedlungsgebiete jenseits des Atlantiks noch in kolonialer

106 R. Engelsing: Periodisierung (1958), S. 140: „Spiegel“; K.-E. Jeismann Utopie – Mission – Kritik (1978), S. 128: „Folie“, „unbeschriebenes Blatt“, „Indikator“. 107 S. Skard: American Myth (1961), S. 7. 108 H. Meyer: Amerikabild (1929), S. 23. 109 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 421.

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Abhängigkeit zu europäischen Großmächten standen, boten sie eher die Kulisse für Anekdoten und Kuriosa. Eine Ausnahme machte nur ein kleiner Kreis von Kaufleuten, die sich aus wirtschaftlichen Gründen fundierter mit den Verhältnissen befassten.110 Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg der 1770er und 80er Jahre löste eine erste Phase von akademischen Betrachtungen aus, die in Deutschland sehr viel intensiver war als in den meisten anderen europäischen Ländern und als Voraussetzung für den späteren Wissensstand nicht unterschätzt werden darf.111 Politisch gesehen war das Interesse an den USA, so Fraenkel, „zu gering, um eine maßgebliche Rolle bei der Bildung von politischen Fronten zu spielen“.112 Er sieht diese Funktion eher von der Französischen Revolution erfüllt. Während es, entgegen Fraenkels Ansicht, durchaus ein großes Maß an Interesse gab, war es doch zumindest in den ersten Jahrzehnten von so idealisierter, abstrakter Art, dass man noch nicht wirklich von einer ‚Frontenbildung‘ sprechen kann. Erst später – etwa in den Debatten der Nationalversammlung – „korrespondierten [die Amerikabilder der verschiedenen Parteien] mit den Zukunftsentwürfen für Deutschland“, waren also parteitypisch.113 Während der ersten Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit der USA sahen viele deutsche Intellektuelle in dem Kampf der amerikanischen Kolonien um Freiheit und Selbstbestimmung eine konkrete Manifestation der abstrakten Philosophie der Aufklärung.114 Besonders einflussreich waren Stellungnahmen von Autoren wie Friedrich Schiller, Christoph Daniel Schubart oder Christoph Martin Wieland. Durch den Verkauf hessischer Truppen an die britische Krone noch direkter mit den Begebenheiten konfrontiert und entsprechend empört, wurden die liberalen Schichten des Bildungsbürgertums von einer immensen Sympathiewelle für die aufständischen Kolonien ergriffen. 115 In ihrem Enthusiasmus für den jungen Freistaat schienen die deutschen Intellektuellen zu vergessen, dass es ihnen meist an Fakten über die lokalen Begebenheiten und praktischen Hintergründe noch fehlte.116 Der Umgang mit den Ereignissen jenseits des Atlan-

110 Ebd., S. 437 und S. 474. 111 S. Skard: American Studies (1958), S. 210. 112 E. Fraenkel: Amerika im Spiegel (1959), S. 348; C. Schmid: Politik und Geist (1961), S. 65. 113 H. Reiter: Amerikabilder (1992), S. 78. 114 Palmer: Democratic Revolution, Bd. I (1959), S. 239; E. Douglass: Sturm und Drang (1989), S. 49. 115 S. Skard: American Studies (1958), S. 209. 116 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 347; E.E. Doll: German Historians (1948), S. 212; E. Douglass: Sturm und Drang (1989), S. 48.

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tiks wies eher den Charakter einer literarischen Allegorie auf als den einer wissenschaftlichen Analyse. 117 Horst Dippel sieht in dieser geradezu naiven Begeisterung auch eine Art Selbsttäuschung: „By interpreting the Revolution as a victory for philosophy rather than as an expression of concrete interests, Germany hid from itself the radical implications of the event“.118 Diese abstrahierende Wahrnehmung, die das Politische der Revolution auszublenden schien, erklärt sich zum einen aus der langen Bewunderung für das liberale System Großbritanniens, dem man sich nicht plötzlich entgegenstellen wollte, und zum anderen aus der konservativen Prägung deutscher Gelehrter, die zum Teil tief in traditionellen Gesellschaftsvorstellungen verwurzelt waren.119 Die praktischen politischen Zusammenhänge des Unabhängigkeitskrieges fanden lange nur wenig Beachtung, obgleich sich mit dem Ausbruch der Revolution 1776 die Veröffentlichung von Büchern zu Amerika vervierfachte.120 Schon Ende des 18. Jahrhunderts wurden an deutschen Universitäten Originaltexte aus Amerika in Vorlesungen zitiert und verwandt.121 Sie entstammten meist Materialsammlungen wie etwa Wilhelm Dohms Materialien zur Statistik, die neben der Unabhängigkeitserklärung auch die bekanntesten Texte Paines sowie einzelne Erwiderungen darauf enthielten.122 Als der Marquis de LaFayette jedoch 1785 durch die deutschen Staaten reiste, schrieb er an George Washington, man sei hier nur „ill-informed“ was die amerikanischen Angelegenheiten anginge. Quincy Adams berichtete noch in den späten 1790er Jahren von seinem Berliner Gesandtschaftsposten, in Preußen habe man nur „a few general ideas“ von den USA.123 Andererseits gab es gerade zum Ende des Jahrhunderts viele Versuche, einen besseren Wissensstand zu erlangen, aber diese Bemühungen fruchteten nur sehr langsam und betrafen meist ausgewählte gebildete Kreise.124 Das Interesse begann sich aber zu wandeln und wurde immer akademischer. Gegen Ende des Jahrhunderts hatte sich nicht nur die Menge, sondern auch die Qualität der Studien zu Amerika erheblich gesteigert. 125 Man versuchte in der

117 E. Douglass: Sturm und Drang (1989), S. 53. 118 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 358. 119 S. Skard: American Studies (1958), S. 210. 120 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 438; H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 32. 121 S. Skard: American Studies (1958), S. 220 [S. 350 Anm. 16]. 122 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 34. 123 Ebd., S. 347. 124 Ebd., S. 68. 125 Ebd., S. 364; E.E. Doll: German Historians (1948), S. 474.

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Bearbeitung des Themas, trotz mangelnder Materialien, empirischer vorzugehen.126 Als mit der Französischen Revolution ein neues, geographisch viel näheres Weltereignis die Gemüter beschäftigte, kamen in der breiten Öffentlichkeit neue Gesprächsthemen auf, die die Überlegungen zu dem jungen Freistaat verdrängten. Einige Gelehrte aber richteten ihre Aufmerksamkeit weiter auf Amerika, nicht zuletzt, weil sie einen Zusammenhang zwischen den neusten europäischen Entwicklungen und den Ereignissen von 1776 sahen. Unter den Hauptakteuren dieser ersten Entfaltung der sich entwickelnden Amerikawissenschaft lässt sich eine enge Vernetzung erkennen. 127 Die prominente Rolle der Universität Göttingen in dem wachsenden Gefüge der Amerikaforschung während der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts fällt auf. Von hier gingen erste Impulse für die Publikation von Materialien aus, Diskussionen wurden angestoßen. Gottfried Achenwall, von 1748 bis zu seinem Tod 1772 Professor an der Universität Göttingen, kann als Wegbereiter für die Entfaltung der Amerikastudien dort gelten. Er hatte schon früh Verbindungen mit Amerika, noch vor dem Unabhängigkeitskrieg. Im Juli 1766 empfing er Benjamin Franklin.128 Er setzte sich außerdem stark für das zu seiner Zeit gerade neu aufgekommene Fach Statistik ein.129 Es bestand aus einer Zusammensetzung von Geschichte, Geographie und Politik und war als neues Fach eine „wichtige Gehilfin der erhabenen Regierungs-Wissenschaft“.130 Dieser methodologische Zugriff bot einen günstigen Ausgangspunkt, um sich mit einem Land zu beschäftigen, über das in allen Bereichen erst wenig bekannt war. 131 Diese fächerübergreifende Kombination griff im Grunde dem vor, was im 20. Jahrhundert für die USA die Amerikanistik werden sollte: „Der Versuch, […] die traditionellen methodischen und institutionellen Grenzen […] durchzubrechen und die wissenschaftliche Be-

126 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 474; S. Skard: American Studies (1958), S. 212; H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 50. 127 Ebd., S. 435 u. S. 507; H. Krahnke: Reformtheorien (1999), S. 23. 128 G. Meinhardt: Universität Göttingen (1977), S. 33. 129 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 436; G. Meinhardt: Universität Göttingen (1977), S. 35; H. Krahnke: Reformtheorien (1999), S. 23; G. Meinhardt: Universität Göttingen (1977), S. 35. 130 H. Krahnke: Reformtheorien (1999), S. 295. 131 „Sie steht zwischen der Staatslehre und der Geschichte in der Mitte.“ Vgl. A. Arnold: Staatslehre (1849), S.V; „a hybrid of present-day History, Political Geography and Political Science“. Vgl. S. Skard: American Studies (1958), S. 218; „a hybrid of present-day History, Political Geography and Political Science“.

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schäftigung mit Amerika als interdisziplinäre Kulturwissenschaft zu begründen.“132 Wer in Göttingen studiert hatte, schien ganz selbstverständlich eine schärfere und gegenwärtigere Wahrnehmung von Amerika zu gewinnen. Auch naturwissenschaftliche Fachbereiche bildeten hier keine Ausnahme. Der Göttinger Botanikstudent Eberhard August Wilhelm Zimmermann etwa unterhielt sein Leben lang Kontakte mit amerikanischen Kollegen, was damals noch sehr unüblich war. Außerdem übersetzte er neben seiner späteren Lehrtätigkeit in Braunschweig Reiseberichte.133 Ein den Zeitgeist so fesselndes Thema wie die Unabhängigkeitsbestrebungen der amerikanischen Kolonien musste Niederschlag in der akademischen Welt finden, und die relativ neue, erst 1734 gegründete Universität Göttingen, die in den 1760er und 1770er Jahren ihre erste Blütezeit erlebte, bot die besten Voraussetzungen dafür. Es war die besondere Lage Göttingens, die diese erste fundierte wissenschaftliche Beschäftigung mit den amerikanischen Freistaaten begünstigte.134 George III. von Großbritannien regierte in Personalunion auch das Königreich Hannover, zu dem Göttingen gehörte, und förderte die Universität nachhaltig. Durch diese engen Verbindungen nach London war die Beschaffung von Quellen zu den Ereignissen in den Kolonien hier um einiges leichter als für Forscher anderenorts. Während des Unabhängigkeitskriegs barg dies allerdings gleichzeitig die Gefahr einer einseitigen Darstellung.135 Es entstand ein Spannungsfeld zwischen dem pro-amerikanischen Enthusiasmus deutscher Intellektueller auf der einen Seite und der Verehrung und Verpflichtung gegenüber Großbritannien auf der anderen. Nach dem Frieden von Paris 1783 konnten jedoch schon bald auf den bereits existierenden Transferwegen neben den englischen auch amerikanische Schriften via Großbritannien nach Göttingen gelangen, womit die dortige Universität einen entscheidenden Vorteil vor allen anderen Institutionen in Deutschland genoss.136 Zusätzlich entwickelte sich ein intellektueller Austausch mit den Forschungseinrichtungen, die sich in der jungen Republik zu gründen begannen. 1799 sandte die Philadelphia Philosophical So-

132 M. Christadler: Vorwort (1977), S. 5. 133 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 58f. 134 S. Skard: American Studies (1958), S. 218. 135 „Damals würde ich alles von England aus betrachtet, und aus diesem unrechten Standpunkte die innere Stärke der Kolonien, ihre Regierungsform und Geschichte, ihre Rechte und Verhältnisse, alles in einer verkehrten Gestalt und mit verzerrten Zügen erblickt haben.“ Vgl. C.D. Ebeling: Erdbeschreibung (1793), Bd. I, S. II. 136 Ebd., S. V/VI; S. Skard: American Studies (1958), S. 218.

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ciety einen kompletten Satz ihrer Transactions nach Göttingen und erhielt im Gegenzug die Göttinger Commentationes.137 Vereinzelte Exemplare waren auch vorher schon über private Kontakte einiger Professoren ausgetauscht worden. Die genauen Anschaffungsdaten der noch heute sehr umfangreichen Göttinger Sammlung an Americana138 aus jener Zeit lassen sich leider nicht nachvollziehen. Amerika ist bis heute Sammelschwerpunkt der Universitätsbibliothek Göttingen, so dass viele der Werke auch erst später dazugekommen sein könnten, etwa aus Nachlässen.139 Dennoch deutet zeitgenössisches Lob für die Göttinger Sammlung 1793 darauf hin, dass sie eine besondere Stellung innehatte.140 Der Ruf reichte bis nach Amerika selbst, und viele amerikanische Studenten kamen nach Göttingen. Pastor Melchior Mühlenberg, eine der einflussreichsten Persönlichkeiten unter den deutschen Lutheranern in Amerika, hatte schon während der späten 1730er Jahre in Göttingen studiert und pflegte sein Leben lang die Kontakte zu seiner Alma Mater, wodurch ein wichtiger persönlicher Kontakt in die Neue Welt gegeben war. Später lockte der gute Ruf deutscher Universitäten, der durch Exilanten in den USA immer wieder angefacht und verbreitet wurde, amerikanische Studenten nach Deutschland. Alumni wie George Ticknor, Edward Everett oder George Bancroft bildeten nach ihrer Rückkehr in die USA ein wichtiges Netzwerk für die Universität. 141 Ticknor, der 1815/16 für 20 Monate in Göttingen studierte, kommentierte die gelehrte Atmosphäre bewundernd: „[N]o man can come into their country and see their letters and professors without feeling that there is an enthusiasm among them, which has brought them forward in forty years as far as other nations had been three centuries in advancing[.]“142

137 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 468. 138 „This term [Americana] refers to those publications that in at least half a book page (rather than in scattered remarks throughout the text) dealt with the area that was declared the territory of the United States in 1783.“ Vgl. H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 30. 139 In dem handschriftlichen Bibliothekskatalog, der bis 1945 geführt wurde, sind keine Anschaffungsdaten vermerkt. 140 C.D. Ebeling: Erdbeschreibung (1793), Bd. I, S. V. Wenige Seiten später beklagt er die „Seltenheit der Quellen zu denen wohl nur wenige in Deutschland […] sich Zugang verschaffen können.“ Schiebt jedoch ein: „wenn ich Göttingen einmal ausnehme.“ Vgl. Ebd., S. IX; D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 127. 141 H. Röhrs: Higher Education (1995), S. 34; E.E. Doll: German Historians (1948), S. 511. 142 Ebd., S. 34f.; R. Hofstadter/W. Smith: American Higher Education (1961), S. 257.

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Trotz der engen Verbindungen nach Amerika war man sich bewusst, dass das hohe Maß an akademischer Freiheit nicht zuletzt dem britischen Einfluss zu verdanken war. In London konnte die Beschäftigung mit der amerikanischen Revolution möglicherweise negativ interpretiert werden und besonders vor dem Frieden von Paris fühlten sich nicht wenige Göttinger Gelehrte durch die Vorgänge jenseits des Atlantiks in einen Loyalitätskonflikt gedrängt.143 August Ludwig Schlözer war Gesandter in Russland gewesen, bevor er 1769 als Nachfolger Achenwalls berufen wurde. Sein Name war bekannt, und mit der Herausgabe des Staatsanzeigers erreichte er regelmäßig ein weites Publikum.144 Auch Friedrich von Raumer hörte einige seiner Vorlesungen. 145 Als britischer Hofrat und im Dienst des Hannoveraner Königs war Schlözer sehr darauf bedacht, sich nicht von dem Amerikaenthusiasmus vieler seiner Kollegen mitreißen zu lassen und sprach sich nie öffentlich für die aufständischen Kolonien aus. Dieses Verhalten wurde ihm oft als Antiamerikanismus ausgelegt.146 Er widmete sich den Ereignissen jedoch sehr ausführlich, auch in seinen Veranstaltungen. Seine eher pro-britische Einstellung, war sie nun persönlich oder beruflich motiviert, resultierte nicht in Hetzereien gegen die Amerikaner,147 wie sie durchaus auch zu hören waren, etwa von Georg Friedrich Hülsemann, der nach seinem Studium in Göttingen als österreichischer Gesandter unter Metternich nach Washington ging und sich besonders in späteren Jahren als Amerikakritiker einen Namen machte. 148 1823, im Jahr der Monroe Doctrine, veröffentlichte Hülsemann seine Schrift über die Geschichte der Democratie in den Vereinigten Staaten von Nord-America, in der es hieß: „Von dem europäischen Standpuncte aus aber erscheint das in Nord-America vorherrschende Bestreben als entschieden feindselig, als in einem schneidenden Widerspruch gegen alles Dasjenige [sic], worauf unsere Civilisation beruht.“149

143 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 441. 144 Der Staatsanzeiger allein hatte schon etwa 4000 Abonnenten.Vgl. G. Meinhard: Universität Göttingen (1977), S. 30f. Der Staatsanzeiger hatte allein schon um die 4000 Abonnenten. 145 F. Raumer: Lebenserinnerungen (1861), Bd. I, S. 39. 146 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 469; R. Palmer: Democratic Revolution (1959), Bd. I, S. 248. 147 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 57. 148 J.G. Hülsemann: Geschichte der Democratie (1823). 149 Ebd., S. VIII.

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Ein Student, der durch Schlözers Vorlesungen und Seminare während der 1770er Jahre nachhaltig zu einer Beschäftigung mit Amerika angeregt wurde, war Matthias Christian Sprengel. Schon 1776 veröffentlichte er – noch anonym – kleinere Texte zu den Vorgängen in den amerikanischen Kolonien.150 In den folgenden Jahren entwickelte er sich zu einem der ersten „Experten“, die das vermehrte Interesse und die intellektuelle Nachfrage im Bezug auf Informationen über Amerika hervorbrachte. 151 1782 schrieb er die erste deutschsprachige Geschichte der amerikanischen Revolution mit vier Neuauflagen in nur fünf Jahren.152 Es war jedoch ein anderer Göttinger Student, der zum „father of German scientific research on North America“ werden sollte.153 Christoph Daniel Ebeling hatte von 1763 bis 1767 in Göttingen Theologie studiert, unterrichtete aber später an einem Gymnasium in Hamburg Geschichte und Griechisch. Als Vermittler in der Hafenstadt übernahm er den internationalen Bücherkauf für die Universitätsbibliothek Göttingen. 154 So spielte er, selbst aus der Distanz, eine wichtige Rolle für die dortige Amerikaforschung und blieb außerdem der eminentesten Institution auf diesem Forschungsgebiet eng verbunden. 155 Bereits 1765 hatte er begonnen, über Amerika zu publizieren, blieb zunächst allerdings bei der Übersetzung englischer Autoren, doch schon damals kündigte er eine umfassende Untersuchung über die amerikanischen Kolonien an. 156 Dieses ausführliche Werk erschien erstmals fast 30 Jahre später, 1793, unter dem Titel Erdbeschreibungen und Geschichte von Amerika. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika.157 Die Verzögerung begründete der Autor mit der lückenhaften Quellenlage, die sich erst im Laufe der Zeit verbessert habe. Zu Beginn seines Projekts sei er „nur mit englischen, großentheils höchst mangelhaften Hülfsmitteln versehen“ gewesen und nicht vor dem Ende des Unabhängigkeitskrieges habe er „einige brauchbare Mittel aus dem Lande selbst auftreiben“ können. Er betonte:

150 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 51. 151 Ebd., S. 51. 152 M.C. Sprengel: Geschichte der Revolution (1784). 153 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 56. 154 K.J. Hartmann/H. Füchsel: Göttinger Universitätsbibliothek (1937), S. 7f.; C.D. Ebeling: Erdbeschreibung (1793), Bd. I, S. IX; S. Skard: American Studies (1958), S.219. 155 Ebd. 156 C.D. Ebeling: Erdbeschreibung (1793), Bd. I, S. I. 157 Ebd.

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„Wie unsäglich die Schwierigkeiten sind, um dahin zu gelangen, wie äußerst kostbar die Herbeischaffung derselben sei, davon können sich meine Leser keinen Begriff machen, selbst wenn sie wissen, welche Mühe es kostet, aus Spanien oder Portugal geographische Nachrichten oder Bücher zu erhalten.“158

Sieben Bände waren geplant, von denen fünf beendet wurden. Sie lieferten ein typisches Beispiel der deutschen Amerikaforschung, in der man gerade mit Blick auf die Gunst Englands einerseits und die revolutionäre Euphorie im Nachbarland Frankreich andererseits bemüht war, möglichst abwägend zu urteilen. 159 Selbst wenn Ebelings Schriften den heutigen Maßstäben an Objektivität nicht genügen, so sind sie doch geprägt von einem wissenschaftlichen Ansatz mit ausführlicheren Quellennachweisen, einer weiteren Literaturgrundlage und sehr viel mehr Aufmerksamkeit für faktische Details als es bis zu diesem Zeitpunkt in Europa üblich gewesen war.160 Die Folge war allerdings ein dermaßen umfangreiches Werk, dass es kaum einem breiten Publikum zugänglich sein konnte.161 Dieses Defizits war sich Ebeling offensichtlich selbst bewusst und rechtfertigte es im Vorwort: „[…] ist die neue Staatsverfassung […] eine viel zu merkwürdige Erscheinung, als dass man mit kurzer Darstellung derselben zufrieden sein könnte. […] Ueber den Vortrag dieser Geschichte entschuldige ich mich weniger; denn hätte ich auch die Kräfte, ihn zu verschönern, so war jetzt noch die Arbeit der Anschaffung, Prüfung und Ordnung der Nachrichten zu schwer, als dass ich dabei hätte auf unterhaltende Schreibart sehen können.“162

Durch seine Position als Lehrer und Bibliothekar war er eine bekannte Persönlichkeit auch außerhalb der rein akademischen Kreise. Man wusste von den

158 Ebd., S. II-IV. 159 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 517; R. Palmer: Democratic Revolution (1959), Bd. I, S. 259. 160 C.D. Ebeling: Erdbeschreibungen (1793), Bd. I, S. VI; F. Kapp: Literatur (1874), S. 242; S. Skard: American Studies (1958), S. 220; H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 54. 161 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 56; E.E. Doll: German Historians (1948), S. 517. Doll schränkt sein im Ganzen positives Urteil über die deutschen Wissenschaftler ein: „On the other hand, their works were weak integration and, for the most part, exceedingly dull in style and content. They wrote too much in terms of particular fact, too little in terms of internal development.“ 162 C.D. Ebeling: Erdbeschreibung (1793), Bd. I, S.VIII u. S. X.

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transatlantischen Verbindungen über die er seine Quellen und Bücher bezog, seine ausführlichen Studien wiesen ihn als Spezialisten aus, und bald avancierte er für viele zu der „personification of all that could be known about America“.163 Diese Popularität ist einer der Gründe dafür, dass der Name Ebeling bis heute untrennbar mit der ersten Blüte wissenschaftlicher Amerikastudien verbunden bleibt. Hinzu kam auch, dass er, anders als die meisten Professoren der Geschichte oder Staatswissenschaft, für die Amerika nur ein Thema unter vielen war, sich die Erforschung dieses Phänomens zur Lebensaufgabe gemacht hatte. Im Vorwort zu seiner Erdbeschreibung sprach er von „meinem Amerika“ und erklärte einige Seiten später, „dass diejenigen, welche nicht ihr Hauptstudium daraus machen, schwerlich eine ordentliche Uebersicht des Ganzen oder seiner vornehmsten Theile sich verschaffen können“.164 Gemeinsam mit Dietrich Hermann Hegewisch aus Kiel gab Ebeling von 1795 bis 1797 Das Amerikanische Magazin heraus. Es war die erste Zeitschrift, die sich ausschließlich Amerika widmete und ein Forum für fundierte Untersuchungen bieten wollte.165 Neben Artikeln über Wirtschaft, Klima, Geschichte und Politik enthielt auch hier jedes Heft mehrere Rezensionen – fast ausschließlich zu amerikanischen Büchern, die sich vermutlich größtenteils Ebeling hatte über den Atlantik kommen lassen. Zum Ende seines Lebens besaß er wohl die zu jener Zeit vollständigste Bibliothek an Americana in den gesamten deutschen Staaten, noch vor der Göttinger Sammlung. Für die spätere Amerikaforschung in Deutschland, besonders während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, war es ein großer Verlust, dass er diesen Privatbestand bei seinem Tod 1817 nicht einer deutschen Universität vermachte, sondern dem Harvard College, später University, in Massachusetts.166 Robert Mohl bedauerte noch in den 1820er Jahren, als er zu Amerika recherchierte, dass Ebelings Bibliothek für Europa verloren sei, verkaufte allerdings später, kurz vor seinem Tod, seine eigene beachtliche Büchersammlung ebenfalls nach Amerika.167 Als Ebeling 1817 starb, war die erste Blütezeit der wissenschaftlichen Amerikastudien bereits verklungen. Die Napoleonischen Kriege hatten die Verbindungen nach England und damit auch in die USA stark beeinträchtigt, und der Krieg von 1812 zwischen England und den USA hatte ein Wiederaufflammen des Loyalitätskonflikts mit sich gebracht. Die Thematik tauchte zwar in Zeit-

163 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 54. 164 C.D. Ebeling: Erdbeschreibung (1793), Bd. I, S. III u. S. VII. 165 D.H. Hegewisch/C.D. Ebeling: Das Amerikanische Magazin (1795-97). 166 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 54. 167 E. Angermann: Mohl (1962), S. 32.

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schriften und vereinzelten Büchern während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts auf, doch einen vergleichbaren Höhepunkt wie zwischen 1776 und 1800 erlangte das Interesse erst wieder ab den 1820er Jahren, dann allerdings in sehr politisierter Form. Ende des 18. Jahrhunderts war die deutsche Amerikakunde sowohl von abstrakter Begeisterung als auch von den Bemühungen geprägt, nicht die Gunst Englands zu verlieren. Alles in allem war sie auf empirische Erschließung bedacht. Im 19. Jahrhundert änderte sich der Fokus. Wissenschaftlich war man daran interessiert, Hintergründe und Konzepte der fremden Institutionen zu verstehen. Politisch ging es um alternative Regierungsmodelle, so dass die Beschäftigung mit den USA in einigen Fällen regelrecht zu einem politischen Bekenntnis werden konnte.

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UND DIE

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An den Universitäten trafen Professoren und Studenten aus verschiedenen deutschen Staaten zusammen. Sie waren in gewissem Sinne „gesamtdeutsche Institutionen“ und boten so einen Ausgangspunkt für Einheitsbestrebungen.168 Heinrich Sybel rief 1847 aus: „[K]ein Unterschied sei zwischen ächter Wissenschaft und ächtem Patriotismus!“169 Im Zuge des wachsenden Nationalgefühls begann die Idee der internationalen „Gelehrten Republik“ (Republic of Letters) gerade in Deutschland an Prominenz zu verlieren.170 Wissenschaft wurde ein immer öfter zitierter ‚deutscher‘ Wert.171 Man glaubte, „die wissenschaftlich weitest vorgeschrittene Nation der Welt“ zu sein,172 und dass die Deutschen „durch ihre Wissenschaft alle übrigen Nationen überragen“. 173 Gerade im Vergleich zu den USA, wo akademische Einrichtungen erst langsam zu wachsen begannen, verspürten die Deutschen ein Überlegenheitsgefühl, bis hin zu einem gewissen Missionierungsdrang. Karl Follen war der Auffassung, die Vereinigten Staaten könnten ihre wahre Bestimmung, „der Welt die Freiheit zu bringen“, nur erfüllen, wenn mit Hilfe der deutschen Wissenschaft in einer „in Nordamerika zu

168 K. Schwabe: Hochschullehrer (1988). 169 H. Sybel: Verhältnis (1847), S. 11. 170 E. Fraenkel: Amerika im Spiegel [1959], S. 373. 171 G. Herder: Einfluss der Regierung (1780), S. 115ff. 172 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), Abdr. in H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 159. 173 Der Autor zitiert hier die Aussage eines „Zeitgenossen“. Vgl. J. Goebel: Universität (1924), S. 59.

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gründenden teutschen Bildungsanstalt“ die erforderlichen Voraussetzungen geschaffen würden. „Von Teutschland aber, als Mittelpuncte der ganzen neuen Bildung muss auch für Amerika der tiefe geistige Gehalt ausgehen, der alleine die Grundlage seines Welterbes ausmachen kann.“174 Zu diesem Zweck schlug er Anfang der 1820er Jahre die Initiierung einer solchen Institution vor, die zusätzlich einen Anlaufpunkt für exilierte Akademiker in der Neuen Welt bieten sollte. Follens Vorstellungen und Hoffnungen gingen also im Grunde dahin, dass die „in Teutschland wurzelnde tiefe allseitige Bildung“ indirekt, ausgeführt durch Amerika, weltweit Freiheit schaffen müsse.175 Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ist als „eine der folgenschwersten Wendezeiten in der ganzen Geschichte des deutschen Hochschulwesens“ bezeichnet worden.176 Nachdem die Rufe nach Veränderung immer lauter geworden waren, fand ein Wandel der praktischen Abläufe und des gesellschaftlichen Anspruchs der Universitäten statt. In den deutschen Staaten hatte sich seit dem Mittelalter auf Grund der föderativen Struktur des Landes eine Vielzahl universitärer Zentren entwickelt, die noch bis ins späte 18. Jahrhundert in Konkurrenz zueinander florierten. Ausgenommen blieben die Institutionen in den zum Habsburgischen Reich gehörigen deutschsprachigen Staaten, wo eine zentrale Koordination stattfand. 1789 gab es etwa 35 Universitäten in Deutschland, die jedoch zum Teil recht klein waren – insgesamt waren nur um die 7900 Studenten eingeschrieben. Unter Napoleon wurden mehrere Institutionen, besonders die sehr kleinen, geschlossen. Eine neue akademische Blüte war erst nach dem Wiener Kongress möglich, als die deutschen Staaten ihre Souveränität zurückerhalten hatten. Bei der Wiederbelebung und Gestaltung der Hochschulen stellte man den Anspruch, Forschung und Lehre sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Dank der Um- und Neuorganisation reichten 1820 die knapp zwanzig übrig gebliebenen Universitäten aus, obgleich die Studentenzahlen ständig stiegen.177 Die Forschung galt als der hohe und entscheidende Zweck der Universitäten,178 aber die Verbreitung und Weitergabe des Wissens wurde ebenfalls als ein wichti-

174 K. Follen: Eine Denkschrift (um 1820), Abdr. in J. Goebel: Universität (1924), S. 74. 175 Ebd., S. 74. 176 C. McClelland: Hochschullehrer als Elite (1988), S. 29; D. Sdvižkov: Intelligenz (2006), S. 78. Sdvižkov setzt die Bedeutung der Bildungsreform in Preußen für Deutschland mit der der Industrialisierung für Großbritannien gleich. 177 W. Siemann: Deutschland (1995), S. 256. 178 D. Sdvižkov: Intelligenz (2006), S. 81.

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ges Ziel angesehen. „Theorie und Praxis sind, wie alle Gegenstände, innerlich eng verbunden; nie ganz getrennt, wenn es auch Manchen so erscheint“, schrieb August Arnold 1849 im Vorwort seiner Einleitung in die Staatslehre, „Nur ist einer oder der andere im besonderen Falle im Übergewicht. Ihre Wahrheit haben sie durch ihr jedmaliges richtiges Verhältnis untereinander.“179 So war ein harmonisches Zusammenwirken von Forschung und Lehre, bei dem beide Aspekte gebührend berücksichtigt würden, das erklärte Anliegen der Universität. Dieses Konzept, auf dem die deutschen Universitäten bis heute beruhen, fasste der Soziologe Friedrich Tenbruck 1962 kurz und einprägsam zusammen: „Wissenschaft bildet“.180 Im Zuge der zunehmenden Vereinheitlichung der Organisation von universitären Prozessen wandelte sich die Rolle des wissenschaftlichen Lehrers. Aus dem unabhängig forschenden Privatgelehrten einerseits und dem nur auf die formalisierte Vermittlung ausgerichteten „schulmeisterischen Pedanten“ andererseits entwickelte sich der Professor im Staatsdienst, der eigenständige Forschung und öffentliche Lehre verbinden sollte. Aus dieser Umdeutung ergab sich jedoch nicht selten der Zwiespalt zwischen freier Wissenschaft und Loyalität zur Regierung.181 Für die Mehrheit der Professoren hatte die unbeschränkte Wissenschaft Priorität. „Die Freiheit“, erklärte Friedrich Kapp 1848 in seinem Aufruf zur Umgestaltung der deutschen Nationalerziehung, sei „Mutter und zugleich Tochter menschlicher Bildung“. 182 Als während des Vormärz Gesetze wie die Karlsbader Beschlüsse die akademische Eigenständigkeit bedrohten und in Frage stellten, entwickelte sich rasch ein „Antagonismus zwischen Staat und Hochschule“.183 Die Folge war vonseiten der Machthaber eine intensive Überwachung und Einschränkung der Universitäten und auf der anderen Seite eine wachsende politische Aktivität der Gelehrten. Das Berufsbild des Professors und damit verbunden sein Selbstverständnis gewannen schärfere Kontur. Klaus Jentzsch legt in den 1980er Jahren vier Möglichkeiten der „Gruppenidentifikation“ von Professoren dar, die jedoch für das 19. Jahrhundert nicht klar zu trennen sind. Die Eigenbilder „Hochschullehrer“ und „Wissenschaftler“ waren eng miteinander verschmolzen. Sich selbst nur über sein jeweiliges Fach zu definieren, als „Fachwissenschaftler“, hätte dem damals verbreiteten Ideal von der Einheit der Wissenschaften widersprochen.

179 A. Arnold: Staatslehre (1849), S. V. 180 F. Tenbruck: Bildung, Gesellschaft, Wissenschaft (1962), S. 366. 181 H. Pleßner: Soziologie (1924), S. 417; C. McClelland: Hochschullehrer als Elite (1988), S. 29 u. S. 50. 182 D. Sdvižkov: Intelligenz (2006), S. 82. 183 W. Siemann: Deutschland (1995), S. 257.

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Neu war, dass ein innerer Zusammenhang unter den Gelehrten zu Stande kam, der über einen Bildungsstandard geschaffen wurde und unabhängig blieb von den zuvor üblichen Institutionen wie Universität oder Klerus.184 Ein wichtiger Identifikationsaspekt war folglich die Selbstwahrnehmung als Teil einer „Statusgruppe“, einer Elite.185 In ihrer Verantwortung für die Ausbildung von zukünftigen Staatsbeamten sahen sich viele Professoren bald in der Lage, entscheidend auf die Karrieren ihrer Studenten Einfluss zu nehmen.186 Die Einführung des Staatsexamens in die Lehrerausbildung minderte ab 1810 den Einfluss der Kirchen und gab den Universitätsdozenten zusätzliche Autorität.187 Nicht selten leiteten sie für sich daraus eine Sonderstellung ihrer eigenen Funktion im Staatsdienst ab. Hinzu kam, dass mit dem Erstarken des Bürgertums Bildung zunehmend als eine besondere Art von Vermögen gewertet wurde.188 Es konstituierte „symbolische und materielle Güter“.189 Hochschullehrer gehörten in ihrem Eigenbild wie auch in der Wahrnehmung der Gesellschaft zur Oberschicht, auch wenn ihre wirtschaftliche Lage diesem Status nicht immer entsprach.190 Die oft einflussreiche und umfangreiche publizistische Arbeit vieler Universitätsdozenten war nicht nur dem wissenschaftlichen und politischen Eifer, sondern auch den pekuniären Bedürfnissen eines großbürgerlichen Lebensstils geschuldet. 191 Die Hochschullehrerausbildung erfuhr eine Professionalisierung und analytische Wissenschaftlichkeit entwickelte sich zum ausschlaggebenden Kriterium. Fremde Theorien zu „belanglosen Exerzitien“ zusammenzustellen oder schlicht Fakten zu akkumulieren, reichte nicht mehr aus.192 Albrecht Hummel hatte gefordert:

184 D. Sdvižkov: Intelligenz (2006), S 13. 185 K. Jentzsch: Sprachanalytische (1981). 186 C. McClelland: Hochschullehrer als Elite (1988), S. 33. 187 F. Ringer: Gelehrten (1983), S. 33. 188 T. Schieder: Führungsschichten (1980), S. 14; „Bildung rangiert vor Besitz.“ Vgl. P. Wende: Der politische Professor (2003), S. 24; D. Sdvižkov: Intelligenz (2006), S.72ff. 189 D. Sdvižkov: Intelligenz (2006), S. 11. 190 H.H. Hofmann: Elitenformation (1980), S. 165; W. Siemann: Deutschland (1995), S.162; 191 C. McClelland: Hochschullehrer als Elite (1988), S. 33 u. S. 37; Exklusivität war entscheidend für die Entstehung eines gebildeten „Milieus“. Vgl. D. Sdvižkov: Intelligenz (2006), S. 11. 192 C. McClelland: Hochschullehrer als Elite (1988), S. 30.

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„[S]ie müssen eigentlich streng wissenschaftliche Kenntnisse sich erwerben, und die Wissenschaften als solche, und nicht als Handwerk, ausüben […] Diese Pflichten der Gelehrten sind von gedoppelter Art; nämlich: Beförderung und Veredelung der wissenschaftlichen, und Erhöhung und Ausbreitung der moralischen Kultur des Zeitalters, d.h. Thätigkeit und Wirksamkeit zur Geistes- und Herzenskultur ihrer Zeitgenossen[.]“193

Durch den neuen, wenn auch noch recht vagen „Maßstab der Wissenschaftlichkeit“ erhielten Akademiker eine beachtliche Autorität. Zusätzlich aber, über eine reine „Leistungselite“ hinaus, galten sie auch als „eine Werteelite, indem sie als Wissenschaftler moralische und politische Normen verkündeten, ja vorzuleben suchten“.194 Sie entwickelten sich zu einer Führungsschicht innerhalb des ohnehin gesellschaftlich dominanten Bürgertums und fungierten als „Sprachrohr“ dieser politischen Klasse.195 Der Respekt vor dem „Glanz der Wissenschaften“ war weit verbreitet.196 Oft hatten Veröffentlichungen von Professoren schon allein durch die gesellschaftliche Stellung des Autors Gewicht.197 Nicht zuletzt die Ergebnisse der Wahlen zur Nationalversammlung 1848 zeigten, dass denjenigen, die eine akademische Ausbildung durchlaufen hatten, auch der politische Führungsanspruch bereitwilliger zugestanden wurde.198 Seine gesellschaftliche Stellung gekoppelt mit umfangreichem Wissen ließ den Professor, neben dem Juristen, als optimalen Repräsentanten erscheinen. 199 Die Sachkenntnisse im rechts- und staatswissenschaftlichen, aber auch im historischen und ökonomischen Bereich waren für den politischen Führungsanspruch der Wissenschaftler durchaus relevantes „Rüstzeug“. 200 Die Bedeutung eines wissenschaftlichen Hintergrundes gerade auch in der Beschäftigung mit Politik machte August Arnold deutlich: „Dass die Zeit die politische Bildung, nicht bloß durch Erfahrung und Uebung fordert, sondern auch durch eine tiefere umfassendere Kenntnis vom Staate und seinen

193 A. Hummel: Gelehrtenrepublik (1802), S. 66. 194 K. Schwabe: Hochschullehrer (1988), S. 16; K. Lenk: ‚Elite‘ (1982), S. 28. 195 C. McClelland: Hochschullehrer als Elite (1988), S. 35; W. Füßl: Stahl (1988), S. 9; K. Schwabe: Hochschullehrer (1988), S. 12. 196 C. McClelland: Hochschullehrer als Elite (1988), S. 52. 197 Ebd., S. 47. 198 W. Bleek: Politik-Professoren (1994), S. 281; H. Ehmke: Rotteck (1964), S. 12. 199 P. Wende: Der politische Professor (2003), S. 24f. 200 H.H. Hofmann: Elitenformation (1980), S. 145; W. Bleek: Politik-Professoren (1994), S. 284; P. Wende: Der politische Professor (2003), S. 26.

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verwickelten Verhältnissen, d. i. die wissenschaftliche; wird wohl nicht leicht bezweifelt.“201 Friedrich Schleiermacher sah in der Wissenschaft die „höchste moralische Instanz zur Beurteilung politischer Entscheidung“.202 Noch weiter in seiner Praxisrelevanz ging das Wissenschaftsverständnis von Männern wie Karl von Rotteck oder Theodor Welcker, die ihre Arbeit direkt mit ihrem politischen Streben in Verbindung brachten. Für sie waren Überlegungen zur Staatslehre nicht theoretische Abstrakta, sondern hatten einen unmittelbar normativen Charakter. 203 Auch Follen sah dieses politische Potenzial der Wissenschaft. Gerade die Geschichte sei „ein treffliches Mittel, um die abergläubische Ergebung in den herrschenden Gewaltzustand durch Enthüllung seines Anfangs und seines Wachstums von Grund aus zu heben“.204 In der Paulskirche waren nur knapp zehn Prozent der Vertreter tatsächlich Professoren, hinzu kamen Privatdozenten, freie Akademiker und Publizisten.205 Studiert hatte die überwiegende Mehrheit aller Abgeordneten. 206 Die strengen Zugangsbeschränkungen für das Studium an einer Universität verstärkten den Eindruck der Exklusivität von höherer Bildung und weiteten die Kluft zu der übrigen Bevölkerung.207 Es entstand eine Art Geistesaristokratie.208 Zu der Gesellschaftsgruppe, die sich über ihre Bildung definierte, gehörten auch Juristen, Pfarrer, Staatsbeamte und Lehrer; der Professor aber verkörperte diese Schicht am bildhaftesten.209 Hinzu kam, dass er in der Regel durch Publikationen und Engagement während des Vormärz zu den Bekanntesten unter den Abgeordneten gehörte. Angesichts des Wissenschafts- und Universitätsverständnisses sowie der gesellschaftlichen Bedeutung von Bildung waren die Erwartungen gerade an Professoren besonders hoch – allemal vonseiten der Außenstehenden. Die meist abwertend klingende Kennzeichnung der Paulskirche als ‚Professorenparlament‘ erklärt sich weniger aus dem reellen Anteil an Professoren als vielmehr aus dem

201 A. Arnold: Staatslehre (1849), S. IV. 202 K. Schwabe: Hochschullehrer (1988), S. 16. 203 W. Dippel: Wissenschaftsverständnis (1989), S. 44; H. Ehmke: Rotteck (1964), S. 5 u. S. 11. 204 K. Follen: Denkschrift [um 1820], S. 68. 205 P. Wende: Der politische Professor (2003), S.25. 206 B. Brocke: Professoren als Parlamentarier (1988), S. 74f. [Tabelle: Sozialprofil der Abgeordneten deutscher Parlamente]. 207 F. Ringer: Gelehrten (1983), S. 34. 208 R. Schöttle: Politische Theorien (1994), S. 294. 209 D. Sdvižkov: Zeitalter der Intelligenz (2006), S. 89.

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überproportionalen Anteil akademisch ausgebildeter Repräsentanten und dem daraus resultierenden wissenschaftlichen Gestus der Verhandlungen. Nicht zuletzt der Stil der Reden in der Paulskirche erinnerte zuweilen an Vorlesungen und wurde innerhalb wie außerhalb der Versammlung mehrfach kritisiert.210 Robert von Mohl kommentierte diese Tatsache später etwas spöttisch: „Zwar ist der akademische Lehrer geübt im öffentlichen reden [sic], und es kann bei ihm höhere Kenntnis der in sein Fach einschlagenden Gegenstände, so wie Empfänglichkeit für große Gedanken und Begreifen neuer Systeme vorausgesetzt werden: allein auf der anderen Seite ist er selten ein guter Debater [sic], da er an Widerrede gegen seine Aufstellungen nicht gewöhnt ist.“211

Carl Josias von Bunsen bemerkte 1848 noch begeistert über den FünfzigerAusschuss: „Deutschland sieht mit freudigem Stolze auf die Männer der Wissenschaft“.212 Andere Beobachter waren skeptischer. Der dänische Hofrat Conrad Friedrich Schmidt-Phiseldeck, in Deutschland geboren und aufgewachsen, kritisierte schon 1820 die „Gelehrtenverfassungen“ des Deutschen Bundes, weil „sie ohne Unterlage eines politischen Lebens, in welchem und für welches sie Haltung und Anwendung gefunden hätten luftig zwischen Himmel und Erde schwebten“. 213 Moritz Hartmann klagte 1848 in einem privaten Brief über „Dahlmann, Welcker und die anderen Doktrinäre […], die am geschriebenen Wort und am Staatsrecht hängen wie die Kletten […] diese sind unser Unglück“.214 In Deutschland bewunderte man die Vereinigten Staaten für ihre praktische Herangehensweise an Politik, nicht jedoch ohne den dortigen Mangel an Wissenschaftlichkeit zu beklagen. Umgekehrt äußerten sich die Amerikaner kritisch über die „weltfremde Gelehrtheit“ in Frankfurt und das „Gehabe phantastischer Professoren“.215 Friedrich Meinecke stellte 1922 fest, dass es zwar „Analogien [zur ‚Gelehrtenpolitik‘] in anderen Ländern“ gebe, aber in keinem Land sei sie „so scharf und deutlich wie in Deutschland“ und so eng „mit den entscheiden Momenten der neu-

210 P. Wende: Der politische Professor (2003), S. 27. 211 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1862), Bd. II, S. 25f. 212 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 6 u. S. 7. 213 C.F. Schmidt-Phiseldeck: Europa und Amerika (1820), S. 25. 214 G. Hildebrandt: Opposition (1981), S. 13 [Moritz Hartman an Frl. …[sic] 30.5.1848]. 215 A.J. May: American Opinion (1927), S. 13; R. Engelsing: Periodisierung (1958), S. 151 [ohne Nachweis].

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eren Nationalgeschichte“ verwoben.216 Der Typus des ‚politischen Professors‘, wie er während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auftrat, scheint in der Tat ein eigentümlich deutsches Phänomen gewesen zu sein.217 Aus dem überregionalen Charakter der Universitäten, die darüber hinaus im internen akademischen Diskurs einen gewissen Schutzraum vor der Zensur boten,218 resultierte ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Dozenten und Studenten vonseiten des Staates. Schon die Demagogenverfolgung 1819 wurde an den Universitäten besonders rigoros betrieben.219 Diese Umstände führten dazu, dass eine hohe Sensibilisierung für die politische Lage zum Selbstverständnis der Hochschullehrer gehörte.220 Für viele von ihnen war es nur natürlich, dass sie als geistige Elite auch die politische Verantwortung übernehmen mussten. Das „Lehrbuch ist kein Kampfplatz“ mahnte zwar Johann Ludwig Klüber 1822 seine Kollegen,221 aber sie wollten nicht politisierend die Politik anderer von der akademischen Warte aus kommentieren, sondern Initiative ergreifen. Bereits im Vormärz hatten sich Hochschullehrer über Staatengrenzen hinaus politisch engagiert.222 Am berühmtesten waren schon damals die Göttinger Sieben, die 1838 als Folge eines Protestschreibens im Hannoveranischen Verfassungsstreit ihrer Ämter enthoben worden waren. Andere waren bekannt durch publizistische Arbeiten oder über Netzwerke unter Studenten und Kollegen. Der weit reichende Bekanntheitsgrad der Universitätsdozenten dürfte ebenfalls dazu beigetragen haben, dass die Frankfurter Nationalversammlung als ‚Professorenparlament‘ wahrgenommen wurde. Der Ruf einflussreicher Kaufleute oder Handwerker war mehr an lokale Zusammenhänge gebunden, Professoren hingegen vertraten oft Wahlkreise weit entfernt von Wohnort und Wirkungsstätte.223 Vier der Göttinger Sieben saßen in der Paulskirche, keiner von ihnen war dort gewählt worden, wo er ansässig war.224

216 F. Meinecke: Gelehrtenpolitik (1922), S. 248; J. Sheehan: Gelehrtenpolitik. (2006), S.39. 217 P. Wende: Der politische Professor (2003), S. 23f.; D. Sdvižkov: Intelligenz (2006), S. 67. 218 S. Skard: American Studies (1958), S. 222. 219 H.H. Hofmann: Elitenformation (1980); K. Schwabe: Hochschullehrer (1988), S. 11; P. Wende: Der politische Professor (2003), S. 23. 220 H. Ehmke: Rotteck (1964), S. 12. 221 J.L. Klüber: Oeffentliches Recht (1822), S. XII. 222 C. McClelland: Hochschullehrer als Elite (1988), S. 50ff. 223 Ebd., S. 35. 224 Wilhelm Eduard Albrecht, der inzwischen in Leipzig eine Professur innehatte, vertrat Hannover-Harburg; Friedrich Christoph Dahlmann ging von Bonn aus für Hol-

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Peter Wende identifiziert drei kennzeichnende Merkmale für den „politischen Professor“: 225 Eine parlamentarische Aktivität zusätzlich zu Forschung und Lehre war in den meisten Fällen ein wichtiger Indikator. Kaum einer gab jedoch seine wissenschaftliche Stellung für eine politische Karriere auf.226 Hinzu kamen öffentliche Stellungnahmen zu Ereignissen, wie dem Wartburgfest oder auch dem griechischen Freiheitskampf, zu dessen Unterstützung Wilhelm Traugott Krug 1821 seine Studenten aufrief.227 Am wichtigsten war das kontinuierliche Werben für die eigene politische Überzeugung in Schriften und Veranstaltungen.228 Es gab viele bekannte Beispiele für den ‚typischen‘ politischen Professor, etwa Gustav Droysen, Karl von Rotteck, Carl Welcker oder die Göttinger Sieben, aber schon diese Auswahl macht deutlich, dass sie auf Grund der Verschiedenartigkeit von Umständen und Persönlichkeiten keine homogene Gruppe darstellten.229 Die Frage der politischen Zugehörigkeit ist ein weiterer Aspekt, der oft als ausschlaggebend für den politischen Professor gilt. Es mag stimmen, dass die Mehrzahl der bekannten Vertreter dem liberalen Lager zuzuordnen waren, besonders in den südwestdeutschen Staaten, aber auch unter den Konservativen, zum Beispiel in Preußen, gab es mehrere Hochschullehrer, die den Kriterien ebenfalls entsprachen, wie etwa Friedrich Julius Stahl. 230 Darüber hinaus standen Professoren der Unterordnung unter eine bestimmte Partei oder der Ab-

stein-Segeberg nach Frankfurt. Jacob Grimm, der seit 1841 in Berlin lehrte, wurde in Essen gewählt, und Georg Gervinus hatte als Heidelberger Professor seinen Wahlkreis in Sachsen. Der Bremer Kaufmann Carl Theodor Gevekoth hingegen vertrat Bremen, der Stettiner Schulrat Wilhelm Giesbrecht die Provinz Pommern. Vgl. R. Koch: Nationalversammlung (1989). 225 P. Wende: Der politische Professor (2003), S. 23. 226 C. McClelland: Hochschullehrer als Elite (1988), S. 43. 227 W. Siemann: Deutschland (1995), S. 257. 228 Hübinger vertritt die Auffassung, dass der Begiff des ‚politischen Professors‘ „zu stark ideologisch verschliffen“ werde. Er schlägt daher als Alternative die Kombination „Gelehrten-Intellektuelle“ vor, weil darin das Spannungsfeld „zwischen dem Wissenschaftsethos und der Rationalität des Forschers und dem kritischen Engagement des zivilbürgerlichen Zeitgenossen“ besser zum Ausdruck komme. G. Hübinger: Intellektuellengeschichte (2006), S. 9. 229 Unterscheidung zwischen dem „Klassiker“ Rotteck, Welcker, Droysen und dem „Prototyp“ Dahlmann, Vgl. P. Wende: Der politische Professor (2003), S. 21 u. S. 22. 230 W. Füßl: Stahl (1988), S. 9.

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gabe eines „politischen Glaubensbekenntnisses“ 231 generell eher skeptisch gegenüber. Für einige war dieser „Zwang zu praktischer Anpassung“ Grund genug, sich aus der Politik bewusst heraus zu halten.232 Andere sahen sich als „uneigennützigen Vermittler zwischen den (partei-)politischen Extremen“. 233 Aus ihrer wissenschaftlichen Denkweise heraus neigten sie dazu, möglichst alle Seiten einer Situation abzuwägen und sich nach klaren Grundregeln und Prinzipien zu richten. Das wie Unentschlossenheit wirkende Streben nach Objektivität und die idealistische Dogmatik, die sich nur schwer an reale Situationen anpassen ließ, wurden immer wieder als die wissenschaftlichen Eigenschaften der „deutschen Mandarine“ kritisiert, die dem politischen Erfolg im Wege standen.234 Erst viel später, wie Carlo Schmidt anmerkt, „ging dann die Bildung eine Vernunftehe mit dem ein, was man Realpolitik zu nennen begann“.235 Die Problematik verdeutlicht, dass diese Abgeordneten „als Professoren politisch“ waren, jedoch keine Politiker. Ebenso wenig entsprachen sie dem Bild des agitativen Revolutionärs. 236 Robert Prutz hatte diese Zusammenhänge schon 1842 gesehen und in einem flammenden Gedicht an Deutschlands Gelehrte mehr praktischen, wenn nötig auch gewaltsamen revolutionären Einsatz gefordert: „Ja sei’s mit Worten, sei es mit dem Schwerte Seid M ä n n e r erst! und dann erst seid G e l e h r t e.“ 237

Wissenschaft aber war ein Teil der Lebenseinstellung und des Weltbildes und blieb auch bei den meisten politischen Professoren die dominante Prägung.238 Davon abgesehen blieb das Studium den besser situierten Gesellschaftsschichten vorbehalten und Universitätsdozenten waren entsprechend sozialisiert.239 Als gut bezahlte Staatsbeamte nicht ohne Dünkel, waren sie darüber hinaus kaum ge-

231 Francis Lieber Papers, Box 57, [Carl Anton Mittermaier an Francis Lieber, 23.9.1833]; K.H.L. Pölitz: Staatensysteme (1826), S. IIV; F. Raumer: Reden (1848), S. 17. 232 K. Schwabe: Hochschullehrer (1988), S. 21. 233 Ebd., S. 22; W. Bleek: Politik-Professoren (1994), S. 281. 234 F. Ringer: Gelehrten (1983). 235 C. Schmid: Politik und Geist (1961), S. 71. 236 H. Ehmke: Rotteck (1964), S. 11; P. Wende: Der politische Professor (2003), S. 27. 237 R. Prutz: Deutschlands Gelehrte (1842), Abdr. in H. Kircher: Prutz (1975), S. 204. 238 R. Stichweh: Wissenschaftliche Disziplinen (1993), S. 250. 239 S. Skard: American Studies (1958), S. 222.

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neigt, den Staat, der sie beschäftigte, völlig zu zerstören, was eine „für den deutschen Frühliberalismus charakteristische[n] Staatsbejahende[n] Grundhaltung“ zur Folge hatte.240 Ungeachtet ihrer spezielleren politischen Sympathien vertraten sie doch stets die bürgerliche Gesellschaft.241 Die Barrikadenkämpfer, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, hatten meist keine abgeschlossene akademische Bildung.242 Diese Diskrepanz zeigte sich auch in der wachsende Kluft zwischen den Debatten in der Paulskirche und der Revolution draußen. Der politische Führungsanspruch der Professoren entsprang zum einen ihrem Selbstverständnis, und zum anderem der gesellschaftlichen Situation im Vormärz. Entsprechend verloren sie ihn mit dem Scheitern der Nationalversammlung. 243 In der unmittelbaren Folge, gespeist von Ernüchterung und Enttäuschung, wurden in der Öffentlichkeit Stimmen laut, die den Professorenstand zu diskreditieren suchten, zum Teil sogar aus den eigenen Reihen. Viele Memoiren von Abgeordneten reflektieren über das Für und Wider des politischen Professors. Heinrich Laube erinnerte sich nur an eine Situation, in der „der politische Professor also gerade als solcher einmal allen Parteien willkommen war“. Bezeichnenderweise handelte es sich um den Vortrag Raumers zum allgemeinen Wahlrecht, der Laube als ein sehr hilfreicher historischer Überblick erschienen war. Mohl äußerte sich immer wieder kritisch über das professorale Auftreten in der Politik, trotzdem mahnte er den Wert von Sachkenntnis nicht zu unterschätzen.244 Julius Fröbel urteilte hingegen besonders vernichtend: Unmittelbar nach der Revolution habe er „eine solche Abneigung gegen wissenschaftliches und literarisches Handwerk“ gehabt, dass er nicht einmal Tagebuch habe schreiben wollen. Außerdem erinnerte er sich, sei in jener Zeit „der Professorentitel ziemlich zweideutig geworden“.245 Wenn auch das allgemeine Ansehen der Professoren schnell wieder hergestellt wurde, traten sie doch nach der Revolution politisch nie wieder auf eine Weise in Erscheinung, die mit ihrer Rolle im Vormärz vergleichbar gewesen wäre.246

240 U. Backes: Liberalismus und Demokratie (2000), S. 107. 241 D. Sdvižkov: Intelligenz (2006), S. 14. 242 H.H. Hofmann: Elitenformation (1980), S. 167; C. McClelland: Hochschullehrer als Elite (1988), S. 34 u. S. 52; P. Wende: Der politische Professor (2003), S. 25. 243 K. Töpner: Gelehrte Politiker (1970), S. 16f.; L. Krieger: Freedom (1972), S. 295. 244 H. Laube: Parlament (1849), Bd. III, S. 298; R. Mohl: Reichsversammlung (1850), S.13. 245 J. Fröbel: Amerika (1856), Bd. I, S. VI u. S. 9f. 246 W. Bleek: Politik-Professoren (1994), S. 276 u. S. 295.

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Im ‚politischen Professor‘ des frühen 19. Jahrhunderts verschmolzen zwei Tätigkeitsbereiche miteinander. Ebenso wie die Wissenschaftlichkeit in seinem politischen Engagement allgegenwärtig war, konnte und wollte er auch seine politischen Überzeugungen und Ideale nicht aus seiner akademischen Arbeit heraushalten. Neben der Rolle der USA als Anschauungsmaterial und als ein besonderer Fall der Statistik und Staatswissenschaft bekam die Amerikakunde mehr und mehr eine praxispolitische Dimension. Die Ratifizierung der US-Verfassung 1788/89 hatte in Europa eine „zweite, politische Entdeckung Nordamerikas“ nach sich gezogen.247 Freilich war nicht jeder, der sich mit dem Land jenseits des Atlantiks befasste, politisch liberal oder gar revolutionär gesinnt, umgekehrt setzten sich demokratische, liberale oder republikanische Wissenschaftler keineswegs ausschließlich mit den USA auseinander.248 Dennoch ließ ein Zuwachs an Wissen über die Neue Welt bestimmte Gegensätze gegenüber Europa noch deutlicher werden. Die geschriebenen bürgerlichen Verfassungen und das augenscheinlich problemlos funktionierende föderative System in den USA standen in heftigem Kontrast zu der Enttäuschung und Ernüchterung in den deutschen Staaten nach dem Wiener Kongress. Die im Kampf gegen Napoleon zugesicherten Verfassungen waren immer weiter herausgezögert oder gänzlich verworfen worden. In der amerikanischen Republik manifestierte sich besonders für die liberalen Staatsdenker während der Zeit des Deutschen Bundes nicht nur „a new dimension to the idea of liberty“, sondern auch der Beweis, dass bürgerliche Partizipation und Veränderung der Regierung möglich waren – auch ohne die Exzesse der Französischen Revolution.249 Die Forschung zu dieser Thematik unterlag einer besonders strengen Überwachung und allzu explizite Äußerungen konnten in manchen deutschen Staaten härtere Strafen nach sich ziehen als in anderen europäischen Ländern üblich. 250 Die Führer der Reaktion äußerten sich öffentlich kaum direkt gegen die USA. Es war jedoch weniger, wie Ernst Fraenkel es annimmt,251 eine fehlende Präsenz Amerikas in der europäischen Gedankenwelt, die diese Zurückhaltung auslöste, als vielmehr eine tiefe Unsicherheit der Herrschenden ob dieses neuen Phänomens, dessen Folgen für den eigenen Kontinent

247 R. Engelsing: Periodisierung (1858), S. 139. 248 S. Skard: American Studies (1958), S. 228; ders.: American Myth (1961), S. 30. 249 R. Palmer: Democratic Revolution (1959), Bd. I, S. 216 u. S. 282; E. Douglass: Sturm und Drang (1989), S. 61. 250 S. Skard: American Studies (1958), S. 225. 251 E. Fraenkel: Amerika im Spiegel [1959], S. 373.

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sie noch nicht abzuschätzen vermochten. Die Sorge, die beispielsweise Fürst Clemens von Metternich in dieser Hinsicht plagte, macht ein privater Brief an den russischen Diplomaten Graf Karl Robert von Nesselrode deutlich, in dem er sich zu der 1823 veröffentlichten Monroe Doktrin äußerte: „Indem sie [die USA] sich diesen unprovozierten Angriff erlauben, Revolutionen unterstützen, wo immer sie auftreten, Bedauern zeigen bei denen, die fehlschlagen, eine hilfreiche Hand ausstrecken bei denen, die erfolgreich sind, verleihen sie den Aposteln des Aufruhrs neue Kräfte und ermutigen jeden Verschwörer.“252

Es dürften verschiedene Aspekte zusammengekommen sein, die zu einer politisch motivierten, wissenschaftlichen Beschäftigung mit den USA führten. Angesichts der Situation in Deutschland blieb, aus Mangel an Möglichkeiten praktisch aktiv zu werden, nur die Flucht in die Theorie. Robert Palmer konstatiert: „America made Europe seem unsatisfactory […] It made a good many Europeans feel sorry for themselves and induced a kind of spiritual flight from the Old Regime.“253 Darüber hinaus war es für die Wissenschaft ob ihrer gesellschaftlichen Bedeutung ein Anliegen, Strömungen wie das steigende Amerikainteresse vor dem Hintergrund der heimischen Situation sachlich zu konkretisieren und in klare Bahnen zu lenken. Julius Fröbel erinnerte sich in seinen Memoiren, dass er schon früh die Meinung vertreten habe, „dass namentlich die Anschauung und das Studium amerikanischer Zustände zu den nothwendigen Voraussetzungen durchgebildeter Urtheile über unsere Zeit“ gehörten. 254 Aus einer ähnlichen Grundeinstellung heraus beklagte Bunsen noch in seinem Sendschreiben an die Nationalversammlung 1848, er habe „manches gesehen, was mir aus einer Unklarheit über die Prinzipien der Anwendbarkeit jener Formen auf unsere Zustände hervorgegangen zu sein scheint“.255 Ein wissenschaftliches Verständnis sollte die Grundlage schaffen für eine den eigenen Verhältnissen angemessene politische Umsetzung – oder die notwendige Abwehr. Die Französische Revolution hatte einen beachtlichen Einfluss darauf, wie die Vereinigten Staaten beurteilt wurden, sei es der Unabhängigkeitskrieg, die Verfassung oder auch die gesellschaftliche Lage.256 Gegen das radikale Frank-

252 G. Moltmann: Blockpolitik (1973), S. 36 [Fürst von Metternich an Graf Nesselrode, 19.1.1824]. 253 R. Palmer: Democratic Revolution (1959), Bd. I, S. 242 u. S. 282. 254 J. Fröbel: Amerika (1856), Bd. I, S. 13. 255 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 5. 256 E. Fraenkel: Amerika im Spiegel [1959], S. 348.

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reich wurde alles Amerikanische meist positiv hervorgehoben. Allerdings machte nicht jeder eine Trennung zwischen den beiden Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Friedrich Schlegel sah beispielsweise 1828 in seinen Wiener Vorträgen zur Philosophie der Geschichte die „eigentliche Pflanzschule“, auch der französischen Exzesse, jenseits des Atlantiks.257 Andere nahmen die junge Republik noch gar nicht in vollem Maße ernst. Etwa Hegel, der behauptete, so lange das Land nicht gänzlich besiedelt sei, bräuchte es auch keine genauen politischen Regulationen und diene als ein solches Provisorium höchstens denjenigen zum Argument, die nichts Besseres fänden.258 Alexander Lips hingegen postulierte, dass ein Ereignis wie der amerikanische Freiheitskampf gar nicht ohne Folgen für Deutschland „in allen wissenschaftlichen, geselligen und weltbürgerlichen Beziehungen“ bleiben könne. 259 Leopold von Ranke sah die Bedeutung der Ereignisse ähnlich, erinnerte jedoch daran, dass das „Factum“ der Idee voranginge, also die Gegebenheiten erst „reif“ sein müssten für eine Verwirklichung von Theorien. Letztlich seien die Ideen schließlich in Europa entstanden, aber erst die Situation in den englischen Kolonien habe die richtigen Voraussetzungen für eine Umsetzung geboten.260 Die amerikanische Unabhängigkeit hatte in Deutschland weniger unmittelbare Handlungen als eine generell veränderte, politische Wahrnehmung bewirkt.261 Schmidt-Phiseldeck beobachtete: „Den Ideen, deren der Deutsche so fähig und mächtig ist, fehlte das Medium, an welchem ihre Darstellung hätte erprobt werden können, und sie verlor sich in Weite, und verflüchtigte sich in Abstraction.“262 Das Beispiel der Vereinigten Staaten lieferte endlich einen Bezugspunkt in der Wirklichkeit. Es waren allerdings die französischen Ereignisse, besonders die Julirevolution 1830, die direktere Aktivitäten in Deutschland nach sich zogen, weil sie geographisch und gesellschaftspolitisch näher lagen.263 Das politische Bewusstsein wurde entschieden davon geprägt, dass für die damaligen Zeitgenossen mit der Entstehung einer Republik in den ehemaligen

257 Ebd. S. 348. 258 H. Meyer: Amerikabild (1929), S. 19. Leider bleibt das Hegelzitat – die USA biete Stoff für all diejenigen, „welche die historische Rüstkammer des alten Europa langweilt“ – ohne Nachweis. 259 A. Lips: Statistik (1828). 260 E. Kessel: Rankes Auffassung (1962), S. 32f. 261 E. Douglass: Sturm und Drang (1989), S. 62; H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 342 u. S. 344. 262 C.F. Schmidt-Phiseldeck: Europa und Amerika (1820), S. 25. 263 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 197.

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englischen Kolonien eine neue Epoche eingeläutet schien. Die USA hatten sich nicht nur vom Mutterland England emanzipiert, sondern es gleichzeitig aus seiner Funktion als Vorbild für eine freiheitliche Regierung verdrängt.264 Bald wurden erste Stimmen laut, die vorhersagten, dass in der Zukunft das fortschrittliche Amerika Europa in seiner – damals als zentral geltenden – Rolle in der Weltgeschichte ablösen würde. 265 Das erste Kapitel des 1820 erschienenen Buches Europa und Amerika oder die künftigen Verhältnisse der civilisierten Welt von Schmidt-Phiseldeck begann mit der klaren Feststellung: „Der vierte Julius des Jahres 1776 bezeichnet den Eintritt einer neuen Periode der Weltgeschichte.“266 Der Autor betonte, dass sein Werk selbst nicht wissenschaftlich sei, sondern die „Erweckung der Aufmerksamkeit“ zum Ziele habe, sowie „ein Wort der Warnung und Mäßigung“.267 Ein wichtiger Aspekt der Problematik in der Beschäftigung mit den Vereinigten Staaten während des Vormärz wird in dieser Absichtserklärung deutlich. Einerseits galt es, das amerikanische Material zu untersuchen und die dargebotenen Konzepte und Erfahrungen im Kopf zu behalten, doch andererseits sollte die Begeisterung nicht in Radikalität umschwenken, um nicht das Misstrauen der Zensur zu wecken. Amerikakunde wurde in den wenigsten Fällen aktiv politisch instrumentalisiert, aber das Interesse war nicht selten durch politische Zusammenhänge und die eigene Verstrickung darin motiviert. Es ist umstritten, ob die wissenschaftliche oder die politische Beschäftigung mit Amerika stark genug war, um bei der Formierung erster Parteilinien eine Rolle zu spielen. Eine gewisse Indikatorfunktion des Amerikabildes war jedoch nicht zu vermeiden – besonders in der Wahrnehmung der Zeitgenossen. Mit einer positiven oder negativen Beurteilung der Zustände in Amerika bezog man indirekt Position zu den Gegebenheiten im eigenen Land.268

264 R. Palmer: Democratic Revolution (1959), Bd. I, S. 282. 265 Ebeling hatte schon 1765 im Hannoverischen Magazin prophezeit, dass die Abwanderung von Talenten in Kunst und Wissenschaft über den Atlantik Europa eines Tages große Probleme bereiten würde. Vgl. E.E. Doll: German Historians (1948), S. 473. 266 Die Welt stehe „auf einer Grenzscheide“. Vgl. C.F. Schmidt-Phiseldeck: Europa und Amerika (1820), S. 15 u. S. X. 267 Ebd., S. XIV und S. XI. 268 H. Meyer: Amerikabild (1929), S. 5.

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„[E]in solches Land muss unbedingt in jedem denkenden Menschen Interesse erwecken. Und wahrlich, es giebt kein Land auf Erden, das man länger und schärfer beobachten muss, um es einigermaßen richtig zu kennen; kein Land, das den flüchtigen Beobachter im Wesentlichen des Volkslebens mehr täuscht; kein Land, das bei Schilderung der Zustände mehr Erfahrung, mehr Ruhe und Gewissheit erheischt, als eben die Republik der Ver. Staaten.“269

In den 1820er Jahren, nachdem die Aufregung der Napoleonischen Kriege verklungen war und der transatlantische Informationsfluss nicht länger durch Seeblockaden beeinträchtigt war, bekam die Amerikawissenschaft in Deutschland neuen Aufwind. Das Interesse an wirtschaftlichen Konzepten war dabei ein wichtiger Faktor für dieses Wiederaufleben. Friedrich List beispielsweise untersuchte das amerikanische System mit Blick auf eine Reform des Deutschen Zollvereins. Der preußische Gesandte Friedrich von Rönne bemühte sich um eine Handelskammer nach dem Vorbild der USA. Aus der Diskussion um die Praxisrelevanz der Ausbildung besonders für Wirtschaft, Politik und Staatsdienst resultierte die Forderung, an den Universitäten verstärkt moderne Sprachen zu unterrichten, wobei neben Französisch besonders Englisch an Wichtigkeit gewann.270 Darüber hinaus sollte man sich verstärkt der jüngsten Geschichte widmen, wie etwa der Amerikanischen Revolution. Selbst ein Leopold von Ranke wollte sich dieser neuen Tendenz nicht entziehen und änderte im Wintersemester 1847/48 den Titel einer seiner Vorlesungen von „Neue Zeit seit der Mitte des 18. Jahrhunderts“ in „Neue Zeit seit der Gründung der nordamerikanischen Freistaaten“. Den Vorlesungsmanuskripten nach zu urteilen, modifizierte er jedoch nicht nur den Titel, sondern auch den Inhalt. In früheren Jahren, etwa noch 1834/35, nahm das Thema USA nur wenige Seiten der schriftlichen Vorlage ein, in der neuen Fassung von 1847/48 hatte er dem amerikanischen Staat und seiner Entwicklung gut die Hälfte der ganzen Veranstaltung eingeräumt.271 Aus Vorlesungsverzeichnissen geht hervor, dass an den 17 größten deutschsprachigen Universitäten zwischen 1820 und 1870 etwa 150 Veranstaltungen, die sich ausschließlich mit Amerika beschäftigten, angebo-

269 S. Ludwigh: Licht und Schattenseiten (1848), S. V. 270 S. Skard: American Studies (1958), S. 216; M. Grandner/B. Bader-Zaar: Lehre und Forschung (2000), S. 123. 271 E. Kessel: Rankes Auffassung (1962), S. 25.

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ten wurden.272 Etwa ein Drittel davon bezog sich auf historische Themen. Weitere 100 erwähnten die USA zumindest explizit im Titel.273 Grund für diese Titelwahl war in vielen Fällen allerdings wohl auch der reizvolle Effekt des Neuen und Unbekannten, den eine Referenz auf die Vereinigten Staaten nach wie vor auslöste.274 Eine Ausweitung der wissenschaftlichen Präsentation Amerikas während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist offensichtlich, und sie übertraf in ihrem Umfang die zeitgenössische USA-Forschung in den meisten übrigen europäischen Staaten.275 Es ist zwar nicht gewährleistet, dass alle diese angekündigten Kurse auch tatsächlich unterrichtet wurden, andererseits ist es durchaus möglich, dass sehr viel mehr zu Amerika gelehrt wurde, als aus den Vorlesungsverzeichnissen direkt erkennbar wird. Besonders während der 1820er und 30er Jahre vermieden es gerade diejenigen Professoren, deren Interesse an den USA politisch ausgelegt werden konnte, in ihren Veranstaltungstiteln explizit darauf hinzuweisen, weil sie strafrechtliche Konsequenzen fürchteten. Eine gewichtige Rolle spielten die amerikanischen Ereignisse beispielsweise in Rottecks Kurs über „Allgemeine Geschichte“ oder auch in Schlossers Veranstaltung zur „Geschichte des 18. Jahrhunderts“.276 Die österreichischen Universitäten bildeten im deutschen Sprachraum einen Sonderfall. Im Habsburger Reich wurde das Kurrikulum der Hochschulen zentral koordiniert und erst nach der Thun’schen Universitätsreform 1848 Veranstaltungen mit konkretem Fokus auf die USA angeboten.277 Die neuen Amerikastudien in den übrigen deutschen Staaten knüpften zwar an die Traditionslinien des späten 18. Jahrhunderts an, hatten sich jedoch in ihrer Form gewandelt.278 Obgleich die Quellenlage und auch das daraus geschöpfte Wissen noch immer recht lückenhaft waren, entwickelte sich eine gewisse Systematik. 279 An die Stelle der auf Faktenpräsentation ausgerichteten empiristischen Arbeitsweise der Statistik trat nun immer mehr ein staatswissenschaftlicher Ansatz, der darauf abzielte, die politischen Zusammenhänge zu verstehen

272 S. Skard: American Studies (1958), S. 225 [Österreich und die Schweiz sind hier nicht eingerechnet]. 273 S. Skard: American Myth (1961), S. 29. 274 S. Skard: American Studies (1958), S. 216. 275 Ebd., S. 231. 276 Ebd., S. 228. 277 M. Grandner/B.Bader-Zaar: Lehre und Forschung (2000), S. 110. 278 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 516; S. Skard: American Myth (1961), S. 28. 279 S. Skard: American Stuides (1958), S. 231.

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und logisch nachzuvollziehen.280 Anders als ihre Vorgänger in den 1770er Jahren hatten viele der Autoren, die im 19. Jahrhundert über Amerika schrieben, selbst vor Ort Erfahrungen gesammelt. Eine häufige Ursache für diesen Umstand lag in der durch die Karlsbader Beschlüsse zum Teil erzwungenen Emigration vieler akademisch gebildeter Männer. Mit der Revolution wurden viele begnadigt und kehrten in die wissenschaftliche und politische Öffentlichkeit Deutschlands zurück. Auf diese Weise erhielt die Amerikakunde einen weiteren aktuellen Anstoß.281 Ein zweiter Grund für die persönlichen Erfahrungen im fremden Land war die neue Popularität von wissenschaftlichen Expeditionen. Forschungsreisen, wie sie im 18. Jahrhundert hauptsächlich in Geographie und den Naturwissenschaften aufgekommen waren, wurden immer öfter auch aus politischem oder rechtswissenschaftlichem Interesse unternommen. 282 Neben dem Interesse an den politischen Zusammenhängen suchte man auch nach Anregungen in Wirtschaftsfragen und der Lehre vom Gefängniswesen, der Pönologie. Besonders Letztere gab immer häufiger Anlass zu Expeditionen. Der berühmteste Vertreter dieser Gefängnisinspektoren bleibt Alexis de Tocqueville, aber auch Friedrich von Raumer, Ludwig Tellkampf und Nikolaus Julius widmeten dieser Thematik besondere Aufmerksamkeit und gaben ihr Interesse am Strafsystem als einen entscheidenden Reisegrund an. 283 Unter den transatlantischen Passagieren des 19. Jahrhunderts machten die Wissenschaftler folglich neben den Auswanderern und Abenteurern eine dritte wichtige Gruppe aus. 284 Es schifften sich immer mehr Amerikareisende ein, „die sich entweder ausdrücklich als Wissenschaftler verstanden oder aber zumindest en passant wissenschaftliche Ambitionen verfolgten“.285 Im Bürgertum hatte sich in Anlehnung an die adelige Grande Tour das Konzept der Bildungsreise entwickelt. Anders als die Forschungsreise führte sie zwar zu bekannte Stätten, aber Ziel blieb der Erkenntnisgewinn neben dem primären Streben nach Persönlichkeitsbildung. 286 Während die klassische Bildungsreise nach Italien und insbesondere nach Rom führte und historischen Traditionen folgte, wurde es gleichzeitig immer beliebter, „in die Moderne“ zu reisen, in

280 Ebd., S. 224. 281 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 511. 282 P. Brenner: Reisebericht (1989), S. 445. 283 Verzeichnis der Bibliothek des Dr. [Nicolaus] Julius (1850). 284 P. Brenner: Reisen in die Neue Welt (1991), S. 188. 285 Ebd., S. 190. 286 A. Schmidt: Amerika-Diskurs (1997), S. 58 u. S. 61.

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Staaten, die wirtschaftlich, industriell und politisch als besonders fortschrittlich galten. Dazu gehörten Großbritannien, Belgien und Frankreich sowie bald auch gerade die USA. 287 Herder hatte schon 1781 darauf hingewiesen, dass man „durch mancherlei Reisen [über] die Verfassung verschiedener Nationen unterrichtet“ werden könne.288 Es gab jedoch auch weiterhin einige, besonders Juristen und Staatswissenschaftler, die das Land ohne eigene Anschauung auf der Grundlage von Analysen der Verfassung und Gesetzgebung untersuchten und danach strebten, ihren Mangel an direkter Erfahrung durch sorgfältige Studien wettzumachen.289 Persönliche Erfahrungen und wissenschaftlicher Anspruch schlossen einander nicht aus. Erfahrungsberichte wurden mit Informationen aus wissenschaftlichen Analysen untermauert, Reisen wurden wissenschaftlich vorbereitet und aufgearbeitet. Die daraus resultierenden Schriften konnten nicht nur untereinander, sondern auch in sich an Qualität und Zuverlässigkeit sehr variieren. Ein sehr subjektiver Reisebericht mochte wertvolle Einsichten in die sozialen Verhältnisse enthalten, während wissenschaftliche Untersuchungen mit persönlichen, eher selektiven Eindrücken gespickt sein konnten. Nicht zuletzt war die Beschäftigung mit Amerika während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, besonders wenn sie das politische System und nicht rein naturwissenschaftliche oder geographische Fragen betraf, auch idealistisch bis ideologisch begründet. Politische Hintergründe machten sich selbst bei Übersetzungsarbeiten bemerkbar. Ein Standardwerk beispielsweise, das immer wieder in der Literatur zu Amerika zitiert wurde, war David Ramseys History of the American Revolution. 290 Bereits 1794 hatte Georg Forster im Auftrag des Berliner Verlegers Christian Friedrich Voss eine deutsche Übersetzung geliefert. Bedenkt man die liberale Einstellung des Verlegers und die republikanischen Neigungen des Übersetzers, liegt die politische Motivation hier nahe.291 Im europäischen Vergleich war man wohl nur in Frankreich ähnlich intensiv um Übersetzungen amerikanischer Quellen bemüht.292 Sie spiegeln auch den Grad an Verständnis des

287 Ebd., S. 67. 288 G. Herder: Einfluss der Regierung (1780), S. 124. 289 „[W]hat German writers lacked in familiarity with the American scene was in a measure balanced by patient industry, critical study and careful evaluation.“ Vgl. E.E. Doll: German Historians (1948), S. 518. 290 D. Ramsey: History of the American Revolution (1789). 291 W.-P. Adams: German Translations (1999), S. 1332. 292 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 429; R. Palmer: Democratic Revolution (1959), Bd. I, S. 244.

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fremden Systems wider. In frühen Übertragungen wurden zum Beispiel die ‚state-assemblies‘ noch in Ermangelung eines wirklich passenden Konzepts zu ‚Ständen‘.293 Der Übersetzer von Jeffersons Manual of Parliamentary Practice, selbst studierter Jurist, klagte noch 1819 in seinem Vorwort: „[D]a in der vorliegenden Schrift häufig von Gegenständen und Verhältnissen die Rede ist, deren mündliche und schriftliche Erwähnung bisher in Deutschland nur selten vorkam, [habe] ich bei der Übersetzung oft Mühe gehabt […], entsprechende Ausdrücke und Wendungen aufzufinden.“294

Primärtexte aus den USA bildeten eine wichtige Grundlage für das Verständnis der jungen Republik jenseits des Atlantiks. Im Allgemeinen fanden sie ihren Weg in die deutschen Staaten über Großbritannien oder Frankreich. 295 Die Wortwahl der ersten deutschen Übersetzer der Unabhängigkeitserklärung diesseits des Atlantiks etwa lässt vermuten, dass sie sich nach französischen Exemplaren statt nach dem englischen Originaltext richteten.296 Auch nachdem der Zugang zu den amerikanischen Urquellen einfacher wurde, erschienen weiterhin Übersetzungen von französischen Ausgaben.297 Die Federalist Papers wurden nicht vor 1864 erstmals ins Deutsche übersetzt und selbst dann nur in Auszügen.298 Auch die französische Edition traf 1835 die harte Kritik Mohls, der sie als bloße „Verstümmelung“ titulierte, was vermuten lässt, dass er auch das englische Original kannte.299 Diese Aufsätze gehörten dennoch zu den amerikanischen Quellen, die von deutschen Wissenschaftlern und auch in den politischen Debatten am häufigsten zitiert wurden.300 Der Göttinger Professor Heinrich Zachariä veröffentlichte 1836 einen Artikel in der Kritischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, in dem er die US-Verfassung anhand von amerikanischen Schriften darstellte. 301 An erster Stelle standen die Federalist Papers, über die Zachariä schrieb, sie seien nicht nur „beachtet und geschätzt“, sondern sollten darüber hinaus „als Muster all

293 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 69 [Zitat von 1779]. 294 L. Henning: Vorwort (1819), S. 7f. 295 R. Engelsing: Periodisierung (1958), S. 139. 296 I. Iselin: Ephemeridien der Menschheit (1776), S. 96-106. 297 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 429. 298 W.-P. Adams: German Translations (1999), S. 1337. 299 R. Mohl: Nordamerikanisches Staatsrecht (1835), S. 4 300 H.A. Zachariä: Constitution (1836), S.1-34. 301 Ebd.

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denen empfohlen werden, welche über irgendeine Verfassungskunde eine ähnliche Arbeit – den Geiste einer Verfassung zu schildern – beabsichtigen“.302 Ein noch enthusiastischeres Lob hielt Franz Josef Buß für die Sammlung der zur Erklärung und Verteidigung der amerikanischen Verfassung geschriebenen Artikel bereit, für ihn waren sie ein „Heiligthum nationaler Staatsweisheit und untrügbarer Vaterlandsliebe“.303 Französisch war weit verbreitet unter den Intellektuellen und vereinzelt waren durchaus englischsprachige Ausgaben erhältlich, so dass aus fehlenden deutschen Übersetzungen kein Mangel an Kenntnis unter den gebildeten Schichten abzuleiten ist. Die Unabhängigkeitserklärung war in zweifacher Hinsicht interessant. Sie rechtfertigte einerseits eine Revolution beziehungsweise den eigenständigen Akt der Bürger in der Schaffung einer verfassungsgebenden Versammlung, ein Legitimationsbedarf, der auch in Frankfurt 1848 bestand. Zugleich galt sie als Gründungsdokument einer Nation und als Grundlage der kollektiven Identifikation der Amerikaner. Die Übersetzer mussten entscheiden, welchen dieser Aspekte sie besonders herauskehren wollten. Entweder sie orientierten sich möglichst eng am ‚Spirit of 76‘, um den Gründungsmythos der jungen Republik historisch zu untermauern, oder aber sie konzentrierten sich auf die Legitimation von Revolution und entsprachen so den Bedürfnissen ihrer eigenen Situation.304 Friedrich Murhard entschied sich bei seiner Übersetzung im Staats-Lexikon für den gegenwartsbezogenen Ansatz. 1843 hatte er die Passage, die dem Volk das Recht zusprach, seine Regierungsform „zu verändern oder abzuschaffen“ [„to alter or to abolish“], noch wörtlich übersetzt.305 In einer überarbeiteten Version von 1847 wurde daraus „das Recht [die Regierung] zu stürzen“.306 Durch diese Abwandlung gerät die Möglichkeit einer geordneten formalen Veränderung der Staatsform ins Hintertreffen. Stattdessen scheint eine radikalere revolutionäre Umwälzung gerechtfertigt. Extremere Verfälschungen des Originals in der Übersetzung zu politischen Zwecken sind bisher nicht bekannt.307 Das Urteil über die Unabhängigkeitserklärung von Karl Heinrich Ludwig Pölitz, sie habe „nicht nur eine hohe geschichtliche Wirklichkeit, […] sondern auch ein eigenthümliches politisches Gewicht“, verdeutlicht, dass ihre staatstheoretische Bedeutung auch

302 Ebd., S. 2. 303 F. J. Buß: Story’s Commentarien (1838), S. XXVIIf. 304 D. Thelen: Filters of Language (1999), S. 1291f. 305 F. Murhard: Nordamerikanische Verfassung (1846), Bd. III, S. 351. 306 W.-P. Adams: German Translations (1999), S. 1334. 307 Ebd., S. 1346.

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in Deutschland erkannt wurde.308 Für Pölitz rührte die besondere Bedeutung dieses Dokuments daher, dass die verschiedenen politisch-philosophischen Ansätze aus Frankreich und Großbritannien erfolgreich kombiniert wurden und erstmals tatsächlich Anwendung fanden. Die Erklärung beweise, „wie tief in Nordamerika die politische Bildung bereits Wurzeln geschlagen hatte“.309 Es entwickelte sich ein Kanon an amerikanischen Primärtexten, der in wachsendem Maß publiziert wurde und rasch einen hohen Bekanntheitsgrat erlangte. 310 Werbeschriften der amerikanischen Bundesstaaten enthielten meist einen Abdruck der jeweiligen Einzelverfassung, einige Reiseführer veröffentlichten Auszüge aus der Unabhängigkeitserklärung, der Bundesverfassung, den Articles of Confederation und sogar aus Reden amerikanischer Politiker, allen voran George Washington und Thomas Jefferson. Das politische System der Vereinigten Staaten zeugte für viele europäische Intellektuelle von einem hohen Grad an politischer Aufklärung, und schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts galten amerikanische Persönlichkeiten als Autoritäten, deren Stellungnahme zur europäischen Situation mehr Bedeutung beigemessen wurde als noch wenige Jahrzehnte zuvor. 311 Die Zugehörigkeit großer amerikanischer Politiker wie George Washington oder Benjamin Franklin zu den Freimaurern trug ein Weiteres dazu bei, dass sich die Mitglieder europäischer Logen ihnen verbunden fühlten. 312 Die eigenen politischen Überzeugungen hatten dabei durchaus Einfluss darauf, welche der amerikanischen „Leitfiguren“ bevorzugt wurde.313 Der Preuße Friedrich von Raumer etwa war begeistert von den Schriften Thomas Jeffersons, während Robert von Mohl eindeutig die Autoren der Federalist Papers bevorzugte. Das Bildungsbürgertum war besonders an dem Konzept der Religionsfreiheit interessiert, was zu einer auffallend großen Verbreitung der 1783 verabschiedeten Virginia Statutes of Religious Freedom führte, die später auch in die USBundesverfassung aufgenommen worden waren.314 Aus ähnlichem Anlass war Thomas Paine als Verfasser des Traktats für Religionsfreiheit Age of Reason vielen schon früh ein Begriff. Die revolutionären Schriften des Autors, besonders Common Sense und Rights of Men, fanden aber ebenfalls rasch Verbreitung und

308 K.H.L. Pölitz: Staatensysteme (1826), S. 98. 309 Ebd., S. 79. 310 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 470ff. 311 J. Remer: Handbuch (1783-1784); L. Heeren: Handbuch (1817), S. 111. 312 R. Palmer: Democratic Revolution (1959) Bd. I, S. 245. 313 J. Nagler: Politisches Exil (1993), S. 285. 314 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 308.

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wurden seit 1777 in Deutschland gelesen.315 Im Kontext der Schweizer Unruhen entstanden erste deutsche Übersetzungen.316 In Anbetracht der politischen Situation in Deutschland war die föderale USBundesverfassung für viele von größter staatswissenschaftlicher Bedeutung und praktischem Interesse. Die Federalist Papers waren als Kommentierungen zur amerikanischen Verfassung am weitesten verbreitet, doch auch zeitgenössische und modernere Werke amerikanischer Autoren waren in Deutschland nicht unbekannt, sowohl im englischen Original als auch in ersten Übersetzungen.317 Die Arbeiten des Bundesrichters John Marshall wurden rezipiert, wie man einer Rezension durch Robert von Mohl in der Kritischen Zeitschrift entnehmen kann.318 Der Konservative Buß veröffentlichte 1838 eine Studie Über die Verfassung der Vereinigten Staaten von Nord Amerika. Historischer Theil, nach Story’s Commentarien bearbeitet. Im Vorwort begründete er seine Anlehnung an den amerikanischen Bundesrichter Joseph Story. Er habe nicht gewagt „vom europäischen Standpunkte und meiner, der nordamerikanischen vielfach entgegen gesetzten Staatsansicht aus“ das dortige Bundesrecht darzulegen, aber er „achte jedes bestehende Gemeinwesen, welches die Güter der Menschen in seiner nationalen Weise zu erringen strebt“.319 Das Interesse an den USA war folglich nicht nur an politische Einstellungen gebunden. Es fällt auf, dass die Mehrzahl der amerikanischen Autoren, die Zachariä betrachtete, in ihren Biographien einen direkten Bezug zu Europa hatte.320 William Rawle – als Sohn einer Loyalistenfamilie – hatte lange Zeit in London gelebt und veröffentlicht. Thomas Sergeant Perry hatte in Deutschland studiert und Peter de Ponceau war in Frankreich geboren und als Aide-du-camp des preußischen Barons von Steuben während des Unabhängigkeitskrieges 1777 nach Amerika gekommen. Es ist nicht auszuschließen, dass der Bekanntheitsgrad amerikanischer Schriften in Europa auch davon abhing, welchen Bezug die Autoren selbst zu Europa hatten oder, wenn sie keine persönliche Erfahrungen mit der Alten Welt verbanden, welchen Stellenwert sie dem transatlantischen Austausch dennoch beimaßen. Joseph Story beispielsweise, den Zachariä ebenfalls in seine

315 M.O. Kistler: German-American Liberalism (1962), S. 82; J. Greis: Republik oder Monarchie? (1849). 316 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 342. 317 J.-D. Kühne: Bundesverfassung (1991), S. 174. 318 R. Mohl: John Marshall (1840). 319 F.J. Buß: Verfassungs-Urkunde (1838), S. XXVI. 320 W. Rawle: Constitution (1829); T.S. Perry: Constitutional Law (1830); P. Ponceau: Constitution (1834).

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Darstellung einbezog, korrespondierte mit Wissenschaftlern und Politikern in ganz Europa, ohne selbst viel gereist zu sein. Das letzte der von Zachariä vorgestellten Werke war eine 1833 erschienene Sammlung der verschiedenen amerikanischen Konstitutionen und der wichtigsten Dokumente. Er betonte: „Die Verfassung der V. St.- sowohl der Union als der einzelnen unter der Union begriffenen Staaten hat für das deutsche Publicum, jetzt schon seit Jahren, ein besonderes, unmittelbares Interesse. […] In Deutschland (und anderwärts) beschäftigt die Frage, auf welcher Grundlage die Staatsverfassung zu errichten und wie sie zu organisieren sey.“321

Johann Daniel Höcks hatte 1811 in seiner Tabellarische[n] Darstellung der Staatskräfte der Europäischen Staaten und des Nordamerikanischen Freistaats schon einmal einige Auszüge verschiedener Staatsverfassungen dargelegt, aber die meisten anderen Editoren stellten hauptsächlich europäische Verfassungen vor. 322 Erst ein Jahr nach Zachariäs Artikel, 1834, erschien ein umfassender Sammelband, der zum ersten Mal vollständig alle nordamerikanischen Verfassungstexte in deutscher Übersetzung präsentierte, herausgegeben von Georg Heinrich Engelhard.323 Als fortschrittlich galten neben den verschiedenen amerikanischen Staatenkonstitutionen und der Bundesverfassung noch die belgische, die norwegische, die schweizerische und, als Vorbild aller, die ungeschriebene englische Staatsordnung. Manche bezogen auch die verschiedenen französischen Verfassungen mit ein, doch hier gingen die Meinungen auseinander, da die umtriebige Geschichte der französischen Nachbarn von der ersten Revolution über das Terrorregime bis hin zu Napoleon und den zwei folgenden Revolutionen viele abschreckte. Mit Blick auf die neue Wahrnehmung transatlantischer Verhältnisse urteilte Karl Heinrich Ludwig Pölitz 1824: „[…] dass am Ende des ersten Vierteile des neunzehnten Jahrhunderts, die Staatensysteme Europa’s und Amerika’s sowohl einzeln für sich betrachtet, als auch in ihrer Wechselwirkung aufeinander, unter einer ganz anderen Ankündigung erscheinen als vor hundert, ja noch vor fünfzig Jahren.“324

321 H.A. Zachariä: Constitution (1836), S. 21. 322 C. Strupp/B. Zischke: German-Americana (2005), S. 112-114; J.D.A. Höcks: Tabellarische Darstellung (1811). 323 J.H. Engelhard: Verfassungen (1834). 324 K.H.L. Pölitz: Staatensysteme (1826), S. X.

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Der politische Aspekt der wachsenden Präsenz der Vereinigten Staaten in den deutschen Wissenschaften lässt sich auch an dem beachtlichen Anstieg akademischer Veröffentlichungen und universitärer Veranstaltungen zu diesem Thema erkennen, der an die politisch unruhigen Zeiten der Jahre 1830 und 1848 gekoppelt war.325 Besonders während die Nationalversammlung in der Paulskirche tagte, hielten viele Herausgeber es für ihre Pflicht, neue Editionen der wichtigsten amerikanischen Verfassungsdokumente zusammenzustellen. Allein in den nicht ganz zwei Jahren der Revolution erschienen in den verschiedenen deutschen Staaten zehn neue Ausgaben der amerikanischen Verfassung.326 Der Markt war durchaus gegeben.327 Maximilian Schele de Vere, der nach seinem Studium in Berlin 1843 in die USA gegangen und ein Jahr darauf Professor in Virginia geworden war, hielt sich während der Revolution in Frankfurt auf.328 In einem Brief nach Hause erzählte er begeistert von der großen Auswahl an Literatur über die amerikanische Verfassung in den Auslagen der Frankfurter Buchhändler.329 Untertitel wie „Parlamentarisches Taschenbuch“ oder auch „Taschenbuch für Nationalvertreter“ lassen darauf schließen, dass diese Sammlungen besonders für den praktischen Gebrauch im politischen Alltag gedacht waren.330 Traugott Bromme formuliert 1848 in seinem Vorwort das Problem, dem all diese Schriften entgegenwirken wollten: „Aus aller Munde ertönen die Titel dieser verschiedenen Verfassungen, sollen aber die Empfehler derselben die Grundsätze näher entwickeln, auf denen jene Verfassungen basiert sind, so sind sie fast keinem bekannt, und die ganze Empfehlung gründet sich auf Hörensagen, oder das Conversationslexikon, und doch ist in ihnen Stoff genug erhalten, der wohl von denen berücksichtigt zu werden verdient, die jetzt berufen sind, eine entscheidende Stimme bei der Ausbildung unseres staatlichen Gebäudes abzugeben.“331

Bezeichnend ist, dass die etwa 3000 Bände starke Bibliothek der Nationalversammlung, die auf den Rängen der Paulskirche untergebracht war, kaum Werke zu den USA enthielt. Sie beruhte auf freiwilligen Spenden von Buchhändlern

325 S. Skard: American Studies (1958), S. 277. 326 H. Reiter: Amerikabilder (1992), S. 78. 327 W.-P. Adams: German Translations (1999), S. 1334. 328 G. Körner: Element (1880), S. 104ff. 329 J. Hawgood: Beziehungen (1928), S. 29. 330 C. Strupp/B. Zischke: German Americana (2005). 331 T. Bromme: Beantwortung (1848), S. XII.

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und wurde schon damals ob ihrer Unvollständigkeit kritisiert. Die wenigen Texte mit Amerikabezug waren größtenteils Reiseberichte und Landschaftsbeschreibungen. An politischen Handbüchern, die das politische System der Vereinigten Staaten einschlossen, war nur der Sammelband von Engelhard vorhanden. 332 Nicht einmal Tocquevilles Analyse der Demokratie in Amerika, die schon damals allgemein gerühmt wurde, fand sich in der Liste, sondern nur die deutsche Übersetzung eines weniger spektakulären Berichtes unter dem Namen seines Reisebegleiters Gustave Beaumont. 333 Die Arbeiten deutscher Wissenschaftler zu den USA fehlten ebenfalls. Weder Friedrich von Raumers zweibändiges Werk über Die Vereinigten Staaten von Nordamerika noch Robert von Mohls Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika waren verzeichnet, obwohl beide Autoren selbst Abgeordnete waren.334 Es ist jedoch anzunehmen, dass diese Werke einer großen Zahl der Abgeordneten durchaus bekannt waren, denn diejenigen, die selbst veröffentlichten, nahmen in ihren Schriften Bezug darauf, einige Redner, wie beispielsweise Carl Nauwerck, erwähnten sie sogar im Plenum.335 Der amerikanische Verfassungstext war in der Paulskirche jedoch auch tatsächlich physisch präsent, wie ein Zwischenfall vom 23. Juni 1848 dokumentiert. Franz Raveaux zitierte eine längere Passage aus den Bestimmungen über die Autorität des US-Präsidenten. Hugo Wesendonck wies ihn vom Platz aus darauf hin, dass es genau in diesen Paragraphen Änderungen gegeben habe. „Dann bitte ich den Gegenbeweis aus der Tasche zu ziehen“, forderte Raveaux, woraufhin Vizepräsident Alexander von Sorion ihm einen Druck der US-Verfassung reichte.336 Immer wieder richteten Autoren ihre Veröffentlichungen direkt an die Nationalversammlung, wie etwa Carl Josias von Bunsen sein Sendschreiben vom Mai 1848. Noch bevor er selbst zum Abgeordneten gewählt worden war, äußerte er sich darin öffentlich über den Fünfziger Ausschuss und den Entwurf der Siebzehn. Als preußischer Botschafter in London hatte er Erfahrung mit dem englischen Staatssystem, das er zum Vergleich heranzog, besondere Aufmerksamkeit widmete er aber der Verfassung von Nordamerika und erklärte:

332 (Reichsbibliothek) Bestandsverzeichnis (1999). 333 G. Beaumont: Nordamerikanische Bilder (1836). 334 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845); R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824). 335 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5495 [Carl Nauwerck 1.3.1849, 179. Sitzung]. 336 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 515 [23.6.1848, 22. Sitzung].

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„Um uns aber über diese Grundbedingung der eigenen Aufgabe zu größerer Klarheit zu verhelfen, lassen Sie uns die Formel des Staats unserer Zukunft an die beiden klassischen Typen, sowohl des europäischen Einheitsstaats, als des amerikanischen Bundesstaats halten, und das jedes Mal Entsprechende und Anwendbare aussuchen.“337

Friedrich Hundshagen wandte sich 1848 ebenfalls „[a]n das deutsche Volk und seine Vertreter in Franfurt a. M.“.338 Um seiner Argumentation besonderes Gewicht zu verleihen, betonte er wiederholt, dass er „als Handwerker und Geschäftsmann, als Ackerbauer mitten im Volke“ das Leben in den USA kennengelernt habe. Diese praktische Erfahrung hielt er für entscheidend bei der Beurteilung des fernen Landes.339 In einem anderen Schreiben „an das deutsche Volk und zunächst an die Bewohner Badens“ nach den Hecker Unruhen warnte er vor radikalen Vorgehensweisen. Hier erläuterte er seine Motive, an die Öffentlichkeit zu treten, genauer. Er sei „kein Redner“, vertrete aber die „Ueberzeugung, dass durch Verschiedenheit der Meinungen allein nur die Wahrheit gefördert werden kann“.340 Ein indirektes Plädoyer für die Pressefreiheit, das tatsächlich seiner praktischen Erfahrung in den USA entsprungen sein mag. Die „Sclaverei der Presse“ war für ihn auch der Grund, aus dem das Volk in den deutschen Staaten so lange untätig geblieben sei.341 Viele Flugschriftenschreiber machten sich das Motiv ‚Amerika‘ zu Nutze. Man ging davon aus, dass eine ungefähre Kenntnis der amerikanischen Verhältnisse bei den gebildeten Zeitgenossen vorausgesetzt werden könne. 342 Ein schneller Hinweis auf das blühende Land jenseits des Atlantiks war besonders für viele Republikaner ein willkommenes Stilmittel.343 Nicht immer war es wissenschaftlich fundierte Argumentationshilfe, denn der rhetorische Effekt war zu verlockend. Johann Ludwig Tellkampf, der in den 1830er Jahren an einer amerikanischen Universität gelehrt hatte, trieb es mit seinen ständigen USA Referenzen so weit, dass er seine Kollegen in der Paulskirche schon damit verärgerte. Heinrich Laube erinnerte sich:

337 C. J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 19. 338 F. Hundshagen: Parlament (1848). 339 Ebd., S. III. 340 F. Hundshagen: Reform nicht die Republik (1848), S. 3. 341 Ebd. 342 W.-P. Adams: German Translations (1999), S. 1335. 343 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 388. Die Argumentation mit Hilfe des amerikanischen Beispiels kann für mehrere „German Jacobites“ nachgewiesen werden.

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„Herr Tellkampf lispelte immer von Amerika, wo er eine Zeit lang gewesen war. Nichts ist misslicher als erlernte oder von der Fremde abgeschriebene Politik. Wenn sie geistvoll übertragen werden will, so beleidigt sie, und wenn sie geistlos empfohlen wird, so langweilt sie. Herr Tellkampf und die Nationalversammlung waren in dem letzteren Falle.“

344

Die Schriften jedoch, die sich genauer und ausführlicher mit dem politischen System der USA befassten, waren differenzierter. Man war sich zwar einig, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten Bewunderung verdiente, aber es wurden auch negative Aspekte thematisiert, durchaus nicht ohne einen politischen Zweck. Es galt, wie Victor Jacobi es offen formulierte, den Republikanern den „Trumpf“ Nordamerika zu nehmen.345 Diesem Ziel widmeten sich unter anderem Alexander Ziegler, der selbst weite Teile Amerikas bereist hatte, und Otto Zirckel, inzwischen US-Bürger. Auch sie hielten beide eine direkte Kenntnis des Landes für zwingend, um ein ausgewogenes, wahrheitsgetreues Urteil über das ferne Land fällen zu können „nicht nach den Schilderungen überspannter Köpfe oder nach unzuverlässigen […] Berichten“.346 Die Verhältnisse sollten nicht nur „theoretisch beobachtet“, sondern „praktisch miterlebt“ werden. 347 Kurz nach seiner Rückkehr aus den USA schrieb Ziegler 1848 mit Blick auf die politische Situation in Europa: „Ein praktischer unpartheiischer Blick auf dieses überseeische Land thut jetzt Noth, damit unsere Weltverbesserer belehrt werden, das sie, die meist der Erfahrung und der eigenen Anschauung entbehrend, ihre theoretischen goldenen Träume auf die trügerischen, wankenden Trümmern von Luftschlössern gebaut haben.“348

Otto Zirckel gestand, er selbst sei in seiner Jugend idealistisch gewesen und habe „glühend für freie Institutionen“ die Reise nach Amerika angetreten, inzwischen habe sich seine Begeisterung jedoch relativiert und so glaube auch er: „Es würde für diese jungen Weltverbesserer sehr heilsam sein, wenn man sie auf einige Jahre nach Amerika sendete, sie würden mit ganz anderen Ideen nach ihrem Vaterland zurückkehren“. 349 Der Autor selbst allerdings beabsichtigte nicht wieder nach Deutschland zu kommen. Im mexikanischen Krieg hatte er für die USA

344 H. Laube: Parlament (1849), Bd. II, S. 53. 345 V. Jacobi: Deutschland? (1848), S. 1. 346 A. Ziegler: Licht- und Schattenseiten (1848), S. 7. 347 F. Hundshagen: Reform nicht die Republik (1848), S. III. 348 A. Ziegler: Licht- und Schattenseiten (1848), S. 6f. 349 O. Zirckel: Demokratie (1849), S. 7f.

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gekämpft und war inzwischen mit einer Amerikanerin verheiratet. Er „verschmolz so mehr mit der Nation als es einem andern Fremdling möglich ist“.350 Dies erklärt auch den Unterschied zwischen den zwei Autoren, die doch beide aus der Motivation heraus schrieben, ihre praktischen Anschauungen der Vereinigten Staaten in Deutschland zu verbreiten, um republikanischen Tendenzen entgegenzuwirken. Ziegler hatte als Reisender, als kritischer Besucher die gesellschaftlichen und politischen Umstände in der jungen Republik beobachtet. Er lieferte konkrete Kritikpunkte, die er dazu mit zahlreichen Beispielen belegte, auch wenn er einräumte, dass die amerikanische Verfassung „Anerkennung und Hochachtung“ verdiene.351 Sein Fokus aber lag auf den Nachteilen republikanischer Staatsformen im Allgemeinen, von denen die USA nur das bekannteste und aktuellste Beispiel sei.352 Zirckel hingegen fühlte sich wohl in seiner Wahlheimat, als ein „Bürger der besten und glücklichsten Republik auf der Erde“.353 Seine Warnung bezog sich nicht auf die Staatsform an sich, sondern vielmehr auf die Gefahren, die sie „in dem stark bevölkerten Europa“ mit sich brächte, wo sie ein „Unding“ oder schlicht „Unsinn“ sei.354 Später drückte er es folgendermaßen aus: „Die Republik Washingtons ist für Amerika so übel nicht, jedoch jeder Versuch, sie in Europa einzuführen, wird in Anarchie enden und scheitern, da die Verhältnisse, die sie hier bedingen, dort nicht vorhanden sind und auf keine Weise erzeugt werden können.“355

Beide Einstellungen sind Beispiele einer Argumentationsweise zur Übertragbarkeit, die in ähnlicher Form bei vielen Autoren in jener Zeit thematisiert wurden. Entweder die USA dienten als ein Denkanstoß unter vielen, wie man ihn auch aus der Geschichte oder aus der aktuellen Situation in anderen Ländern bezog, oder aber sie galten als so einmalig und außergewöhnlich, dass eine Übertragung von vorneherein ausgeschlossen blieb. Selbst wer in den Prinzipien des amerikanischen Regierungssystems ein Vorbild für die deutsche Verfassungsfrage sah, wollte nicht als realitätsferner Idealist dastehen.356 Die Mehrheit der Autoren hielt es für notwendig, explizit

350 Ebd., S. 6. 351 A. Ziegler: Licht- und Schattenseiten (1848), S. 7f. 352 Ebd., S. VII u. S. 5. 353 O. Zirckel: Demokratie (1849), S. 16. 354 Ebd., S. 3f. 355 O. Zirckel: Brief (1850), S. 179. 356 N. Fuchs: Theorie Friedrich Murhards (1973), S. 348.

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gegen eine direkte Übertragung zu argumentieren, offenbar um Missverständnissen vorzubeugen: Es leuchte ein, dass die unterschiedlichen Voraussetzungen in der Alten und der Neuen Welt eine direkte Übertragung unmöglich machten und „dass diese Verfassung ohne die allerwesentlichsten Modifikationen sich für kein europäisches Land eignen würde“.357 Die spärliche Besiedelung des weiten amerikanischen Kontinents bot viele Vorteile, die in Europa völlig undenkbar seien. Einige Autoren gingen sogar so weit, zu behaupten, dass es in den USA – gerade dank der Möglichkeiten in den westlichen Siedlungsgebieten – keinen ‚Pöbel‘ gäbe, wodurch die Regierung in ihren Augen erheblich erleichtert würde.358 Einerseits sah man in Europa auf die junge Republik, ob ihrer fehlenden Geschichte und dem Mangel an Traditionen herab, andererseits beneidete man die günstigen Voraussetzungen, die einer fortschrittlichen Staatsform Vorschub geleistet hatten. Johann Wolfgang von Goethe seufzte bekanntlich 1827: „Amerika, du hast es besser als unser Kontinent, das alte, hast keine verfallenen Schlösser und keine Basalte. Dich stört nicht im Innern zu lebendiger Zeit unnützes Erinnern und vergeblicher Streit.“359

Ende März 1848 formulierte der Statistiker Hermann Abeken, der Amerika aus eigener Erfahrung kannte und es sich zum Forschungsgebiet gemacht hatte, einen ähnlichen Gedanken in seiner Flugschrift. Wer die amerikanische Regierungsform für Deutschland fordere, warnte er, müsse „bedenken, dass wir eine ganz andere Entwicklungsphase durchgemacht, dass wir eine tausendjährige Geschichte hinter uns haben, deren Einfluss wir uns nicht entziehen können und dürfen“. Er erinnerte daran, dass „ungleich größere Schwierigkeiten uns zur Klugheit auffordern“.360 Trotzdem resignierte er nicht, sondern war vielmehr der Ansicht, dass durch „unsere Geschichte und die Nacht vergangener Zeiten“ frei-

357 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 153. 358 F. Murhard: Nordamerikanische Verfassung (1846), S. 414; F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845); S. 30; O. Zirckel: Demokratie (1849), S. 7. 359 J.W. Goethe: Die Vereinigten Staaten (1827). 360 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 156.

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heitliche Errungenschaften „noch glänzender erscheinen“, ja sogar „geheiligt“ würden.361 Anders als Goethe und viele andere sah Abeken in der unterschiedlichen Ausgangssituation Europas eine Chance. Im Glauben an den steten Fortschritt von Menschheit und Gesellschaft könne man nun noch einen Schritt weiter gehen als die Amerikaner. Diesen Optimismus teilten jedoch nur wenige, denn zwei damals weit verbreitete Vorstellungen waren im Bezug auf die Beurteilung des politischen Systems der USA besonders einflussreich. Zum einen hielt sich die Vorstellung von einer Westwärtsbewegung der Zivilisation.362 Zum anderen glaubte man an das Konzept von politischer Reife, verbunden mit der Annahme, dass Amerika beziehungsweise die dortige Bevölkerung in dieser Hinsicht am weitesten gediehen sei. In einem Zitat Ludwig Börnes werden beide Auffassungen deutlich: „Asien war die Wiege des menschlichen Geschlechts, Europa sah die Lust, die Kraft, den Übermut seiner Jugend. In Amerika entwickelt sich die Fülle und Weisheit des männlichen Alters.“363

Aus dieser Sichtweise heraus lag es nahe, einen Hauptunterschied zwischen den USA und Deutschland in Wesen und Bildung des Volkes zu sehen. Arnold etwa beklagte im Vorwort zu seiner Sammlung verschiedener Verfassungen, die Anfang 1849 erschien: „Die politische Bildung und Geschicklichkeit, welche zur Lösung der großen Aufgabe nöthig sind, haben wir noch nicht.“ Dies sei auch völlig unmöglich, fuhr er fort, da „die alten Verhältnisse“ eine solche Entwicklung verhindert hätten. Selbst mit der Revolution sei zwar „der politische Geist des Volkes durch das Leben und die Ereignisse gewiss sehr gereift, aber mehr treibhausartig“. 364 Das amerikanische Volk hingegen wähnte er an politischer Mündigkeit weiter entwickelt und im Besitz einer „zur Reife gelangte[n] Vernunft: als Weißheit, Sittlichkeit, Gerechtigkeit, – die innere Freiheit“.365 Traugott Bromme erklärte 1848 fast resignierend: „Jede Staatsform wird durch den Bildungsgrad ihrer Staatsangehörigen bedingt. Nicht der Despotismus ist es, der willenlose Sklaven erzeugt, sondern der sklavische Geist eines

361 Ebd., S. 156. 362 H. Jantz: Myths (1962), S. 10. 363 L. Börne: Aphorismen (1829). 364 A. Arnold: Staatslehre (1849), S. IV. 365 Ebd., S. 2.

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Volkes allein ist der Erzeuger des Despotismus. Um Republiken zu bilden, müssen wir erst Republikaner im wahren Sinne des Wortes haben.“366

Entschieden gegen diese Einstellung stellte sich eine prominente Stimme aus Amerika. Edward Everett, Professor am Harvard College und Abgeordneter des House of Representatives, später langjähriger Gouverneurs, von Massachusetts, war vielleicht am ehesten ein amerikanisches Pendant zum politischen Professor des Vormärz. Deutschland kannte er aus seiner Studienzeit in Göttingen (181517). 1831 äußerte er sich anonym in The North American Review zur politischen Situation in Europa.367 In London für den europäischen Markt nachgedruckt, war diese Zeitschrift auch in den deutschen Staaten erhältlich, wie man der Erwiderung auf den Artikel Everetts entnehmen kann, die Zachariä im Jahr darauf in der Kritischen Zeitschrift veröffentlichte.368 Everett teilte den Fortschrittsglauben seiner Kollegen, stimmte jedoch nicht mit ihnen darin überein, dass die europäische Gesellschaft nicht reif sei. Aus tiefer republikanischer Überzeugung heraus erklärte der New England Whig: „Man was born for liberty; his soul pants for liberty; he has faculties both of power and will, that fit him for it; civilisation is but the growing progress of communities toward [sic] liberty, and liberty will triumph. […] – we maintain that our system is adapted to the political societies of Europe, as well as of America […] men is not only the same on both sides of the water, but because the nations are of the same social stock […] their present social condition, man for man, neighbourhood for neighbourhood, is so nearly the same in all things connected with their political condition and civil privileges.“369

Im Anschluss an diese Feststellung schickte Everett sich an, die üblichen Argumente gegen eine Republik in Europa zu widerlegen; von der Liebe zu den Monarchen über die soziale Ungleichheit bis hin zu der seit Generationen währenden Gewohnheit des Regiertwerdens. Er räumte jedoch ein, dass eine Veränderung nicht plötzlich geschehen könne. Zachariä war nicht überzeugt und unterzog Everetts Darstellung einer ausführlichen Untersuchung. Vor allem wies er darauf hin, dass die amerikanische Republik bei Weitem noch nicht lange genug bestünde, um Aussagen über die „Haltbarkeit und Standhaftigkeit“ der Verfassung treffen zu können. Eine Sorge,

366 T. Bromme: Beantwortung (1848), S. XIII. 367 Anonym [E. Everett]: Reform in Europe (1831) S. 154 -190. 368 C.S. Zachariä: Europa’s Zukunft (1832), S. 305-377. 369 Anonym [E. Everett]: Reform in Europe (1931), S. 178f.

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die viele derjenigen beschäftigte, die über eine Anwendung amerikanischer Konzepte auf Deutschland nachdachten.370 Letztlich, schloss Zachariä, seien die Unterschiede gravierender als die Gemeinsamkeiten und alles spräche in Europa eher für eine konstitutionelle Monarchie als für eine Republik. 371 Im wirtschaftlichen Bereich ließen amerikanische Konzepte sich ebenso wenig einfach nach Europa übertragen, obgleich gerade hier viele Stimmen, wie etwa Friedrich List oder Friedrich Murhard, eine engere Orientierung an den USA forderten.372 Ranke hingegen schrieb 1830 in Bezug auf den Zollverein: „Es versteht sich von selbst, dass die Vergleichungen zwischen unseren deutschen Einrichtungen und den amerikanischen nur eine entfernte ist.“373 Angesichts ihres „inneren Zwiespalt[s] zwischen Bewunderung und Resignation“, den Dippel als „symptomatisch“ für das Amerikabild gerade der Liberalen bis 1848 diagnostiziert,374 waren sie bemüht, die Unterschiede anzuerkennen und gleichzeitig geschickt Parallelen zu ziehen, um die Einsichten für ihre Argumentation nutzbar zu machen. In „geeignete Verbindung gebracht“ könnten vereinzelte amerikanische Elemente, beispielsweise der Föderalismus, „die trefflichsten Materialien zu einem dauerhaften deutschen Verfassungsbau“ liefern.375 Ein Artikel in der Allgemeinen Zeitung vom 20. März 1848 fasste die Bedeutung des Amerikaverständnisses für die Aufgabe der Nationalversammlung treffend zusammen: „Wenn wir in dieser Hinsicht den Blick derer, die an dem Werk zu arbeiten berufen sind, auf die Verfassung des nordamerikanischen Staatenbundes zu lenken suchen, so sind wir weit entfernt ihn von unserer eigenen Geschichte und den aus ihr entwickelten Verhältnissen ablenken zu wollen. Vielmehr leitet uns hierbei gerade die Aehnlichkeit der Verhältnisse, in welcher bei allen sonstigen Verschiedenheiten die beiden Nationen sich begegnen.“376

Im Laufe der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in vielen Zeitungen und Zeitschriften die Amerikathematik von einem „Miszellendasein“ zu immer konkreterer Berichterstattung. 377 Nur Moritz Fürstenwärther in den

370 K.H.L. Pölitz: Staatensysteme (1826), S. 482f. 371 C.S. Zachariä: Europa’s Zukunft (1832), S. 363f. 372 W. Henderson: List (1984), S. 105ff.; R. Schöttle: Politische Theorien (1994), S. 308ff. 373 E. Kessel: Rankes Auffassung (1962), S. 50. 374 H. Dippel: Vorbild Amerika? (1995), S. 190. 375 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 4. 376 [Anonym]: Das deutsche Parlament (1848). 377 V. Depkat: Amerikabilder (1998), S. 105 u. S. 131.

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Allgemeinen politischen Annalen wählte die gegenläufige Methode. Von den 1820er Jahren an bediente er sich eines essayistischen Stils, um mehr Platz für „politische Reflexionen“ zu gewinnen, denn seine Beschäftigung mit den USA bezeichnete er als einziger ausdrücklich als „sein politisches Credo“.378 Die Allgemeine Zeitung, eine der teureren Zeitungen zu jener Zeit, berichtete kontinuierlich aus den Vereinigten Staaten. 379 Sie hatte Korrespondenten in Philadelphia, New York, Boston, New Orleans und Kalifornien.380 Die Themen waren im Grunde keine anderen als bei der Berichterstattung über andere Nationen. Als Quellen dienten, wie es damals üblich war, andere Zeitungen, besonders ausländische. Zu diesem Zweck hatte das Verlagshaus Cotta 1833 etwa 62 Zeitungen abonniert.381 Die Artikel beleuchteten Personalfragen in den Regierungen, militärische und diplomatische Unternehmungen sowie Organisation von Handel und Verkehr. In den frühen vierziger Jahren richtete sich die Aufmerksamkeit besonders auf den sich anbahnenden mexikanischen Krieg und auf die Verhandlungen mit Großbritannien um Oregon. Abgesehen von vereinzelten Artikeln über Auswanderung und Ansiedlung erhielten die USA aber eigentlich keine spezielle Behandlung in der Allgemeinen Zeitung.382 Ausnahmen bildeten Beiträge zu besonderen Anlässen, so erschienen zum Beispiel anlässlich des Amtsantritts eines neuen Präsidenten gelegentlich übersetzte Auszüge der Reden oder kurze Einschätzungen der neuen Situation. Anders war es bei dem Morgenblatt für gebildete Stände. Die Herausgeber informierten über die USA, indem sie Auszüge aus amerikanischen Büchern veröffentlichten, die in den deutschen Staaten schwer zu bekommen waren.383 In dem der südwestdeutschen Aufklärung eng verbundenen Blatt zeichnete sich auch die innerliberale Ambivalenz ab, die sich vom gespaltenen Amerikabild der Romantik bis in den politischen Amerikadiskurs der Revolutionsjahre fortsetzte. Einerseits bewunderte man die liberale Regierungsform, warnte aber gleichzeitig vor den egalitären Tendenzen des Republikanismus. Eine zumindest teilweise politische Motivation bei der Themenwahl beweist die plötzliche Konjunktur des Sujet ‚Amerika‘ in den unruhigen Jahren 1819, 1830 und 1848, nicht nur in der deutschen Presse, sondern auch bei anderen Veröffentlichungen.384

378 Ebd., S. 119. 379 G. Müchler: Geschichte der Cotta’schen Allgemeinen Zeitung (1998), S. 154. 380 B. Fischer: Register (2004). 381 G. Müchler: Geschichte der Cotta’schen Allgemeinen Zeitung (1998), S. 149. 382 I. Zimmermann: Propaganda (1993). 383 V. Depkat: Amerikabilder (1998), S. 150. 384 Ebd., S. 175.

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Die Bedeutung von Zeitungen und Zeitschriften wuchs während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beachtlich. Die Berufsgruppe der Publizisten ließ die Presselandschaft erblühen.385 Schriftsteller, die nicht länger auf adelige Geldgeber angewiesen sein wollten, verdienten ihren Lebensunterhalt als Redakteure und Journalisten. Die politische Situation bot Stoff genug. Im Zuge dessen wurden auch mehrere Zeitschriften gegründet, die sich ausschließlich Amerika widmeten. Die ersten Publikationen dieser Art waren der frühen Amerikakunde entsprungen, wie etwa das Amerikanische Magazin, das 1795 bis 1797 von Christoph Daniel Ebeling und Dietrich Herrmann Hegewisch herausgegeben wurde, oder das Amerikanische Archiv des Bamberger Professors Julius August Remer.386 Die USA-Kenntnisse Remers dürften seinen Kollegen ein Begriff gewesen sein. Schon 1786 hatte er in seinem für die Lehre gedachten und vielerorts noch lange verwandten Handbuch der allgemeinen Geschichte mehrere Kapitel dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und der dortigen Verfassung gewidmet.387 Mit dem Abflauen des öffentlichen Interesses gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden auch bald die allein auf Amerika bezogenen Zeitschriften eingestellt. Die Napoleonischen Kriege führten dazu, dass erst ab 1815 Neugründungen dieser Art möglich wurden, als der transatlantische Informationsaustausch wieder ungehindert fließen konnte. Mit der Einrichtung einer regelmäßigen Fährverbindung 1829 entfiel aber die Notwendigkeit von Spezialzeitschriften schon bald ganz, da nun die Redaktionen aller Zeitungen ohne große Mühe Zugriff auf regelmäßige Nachrichten aus der Neuen Welt hatten.388 Bedenkt man aber, dass in der kurzen Zeit dazwischen drei verschiedene Zeitschriften publiziert wurden, die neben Neuigkeiten aus den USA auch Erklärungen von politischen Zusammenhängen boten, so zeugt dies nicht nur von einer immens großen Nachfrage nach Wissen über Amerika, sondern auch von dem bereitwilligen Eifer der Publizisten – und auch der Wissenschaftler – diese Nachfrage zu bedienen. Amerika, dargestellt durch sich selbst war das erste Magazin dieser zweiten Welle der Amerikapresse. Von 1818 bis 1820 erschien es zwei Mal wöchentlich, herausgegeben von Georg Joachim Göschen und einem Mitherausgeber in den USA, der jedoch ungenannt blieb.389 Inhaltlich widmete man sich sowohl täglichen Ereignissen wie dem Krieg mit den Indianern, der Auswanderung oder den Revolutionen in Lateinamerika als auch grundsätzlicheren Fragen zur

385 I. Heinrich-Jost: Presse (1981), S. 30; W. Siemann: Deutschland (1995), S. 164. 386 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 57. 387 M. Grandner/B.Bader-Zaar: Lehre und Forschung (2000), S. 110. 388 V. Depkat: Amerikabilder (1998), S. 181. 389 G.J. Göschen: Amerika (1818-20).

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nordamerikanischen Verfassung oder dem dortigen Bankwesen, jedoch noch nicht auf einem wirklich wissenschaftlichen Niveau.390 Mitte der 1820er Jahre erschien das erste Exemplar von Columbus. Amerikanische Miszellen.391 Diese Zeitschrift konnte sich bis 1832 und somit am längsten halten, wobei die Tatsache, dass sie hauptsächlich apolitisch ausgerichtet war, durchaus eine Rolle gespielt haben dürfte.392 Weniger ergiebig für aktuelle Nachrichten, aber umso gewichtiger in der Verbreitung amerikanischer Primärquellen war das dritte Magazin Atlantis, das allerdings nur ein Jahr lang, von 1826-27, erschien. Auch hier, wie schon bei der Redaktion von Amerika, dargestellt durch sich selbst, waren einige Mitarbeiter jenseits des Atlantiks angesiedelt. Schwerpunkt dieser Zeitschrift war die Veröffentlichung und meist auch Übersetzung politischer Dokumente und Reden aus den USA.393 So trug Atlantis durch die Präsentation von Quellen zu der Grundlage bei, auf der sich die wissenschaftliche Arbeit zu Amerika weiterentwickelte. Trotz ihrer unterschiedlichen Grundausrichtung entbrannte ein erbitterter Konkurrenzkampf zwischen Columbus und Atlantis. 394 Das Aufkommen einer speziellen Presse zum Thema Amerika ist ein Indiz dafür, dass sich die Beschäftigung mit den USA auf dem Weg befand, eine wissenschaftliche Disziplin zu werden, da diese sich „nicht zuletzt durch die Entstehung effektiver Mechanismen disziplinärer Kommunikation“ auszeichnet.395 In der staatswissenschaftlichen und juristischen Fachpresse zeigten sich während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenfalls erste Anzeichen eines „Kommunikations-zusammenhang[s] von Wissenschaftlern und Gelehrten“, 396 die ein Interesse an Amerika teilten. Friedrich Murards kurzlebige Zeitschrift Allgemeine Politische Annalen (1821-24) widmete sich neben den europäischen Verfassungen immer wieder auch den USA.397 In der Kritischen Zeitschrift gab es eine ausgewiesene Sparte zu nordamerikanischem Staatsrecht. Hier veröffentlichten Männer wie Heinrich Zachariä, Robert von Mohl und Carl Anton Mittermaier, aber auch Stimmen direkt aus den Vereinigten Staaten, etwa Franz Lieber oder Joseph Story.398 „Perhaps never again“, urteilt Doll 100 Jahre später,

390 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 509. 391 Columbus (1825-1832). 392 V. Depkat: Amerikabilder (1998), S. 177. 393 Ebd., S. 181. 394 Anonym: Brodneid (1827). 395 R. Stichweh: Wissenschaftliche Disziplinen (1993), S. 241. 396 Ebd., S. 241; H. Gollwitzer: Blockbildung (1965), S. 321. 397 U. Backes: Liberalismus und Demokratie (2000), S.88. 398 R. Hippel: Register (1998).

A USPRÄGUNG

UND

K ONTEXT

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1948, „were so many of the foremost intellectual figures of Germany to concern themselves seriously with American affairs“.399 Die Kritische Zeitschrift hatte entscheidenden Anteil an der Verbreitung von Reflexionen und Einsichten über das amerikanische Staatssystem und die neuesten Gesetzgebungen des Bundes oder der einzelnen Staaten. Der transatlantische Buchhandel war noch nicht sehr ausgeprägt. Viele amerikanische Bücher wurden in Europa erst erhältlich, wenn sie diesseits des Atlantiks nachgedruckt worden waren, etwa in London. Aus Korrespondenzen lässt sich schließen, dass es in intellektuellen Kreisen üblich war, auf einer persönlichen Ebene Bücher auszutauschen oder sie sich von Bekannten in Amerika oder in Deutschland zuschicken zu lassen.400 Besonders häufig nutzten Beiträger wissenschaftlicher Zeitschriften die Möglichkeit, ihre Kollegen und Leser durch Rezensionen auf Neuerscheinungen in Europa und Amerika aufmerksam zu machen. Doll bemerkt dazu: „Truly admirable, however, was the critical and intelligent scrutiny which translations and originals alike found at the hands of reviewers. […] It is revealing to consider the productions of the day in terms of reviews, and to see how firmly the critical foundations of Amerikakunde were being laid in terms of German scholarship.”401

Diese „mania“402 des Rezensierens rührte auch daher, dass sich darin eine Möglichkeit bot, ausführliche Betrachtungen zu einer komplexen Thematik zu präsentieren. Rezensionen staatstheoretischer Schriften aus den Vereinigten Staaten boten eine willkommene Gelegenheit, die politischen Konzepte und Hintergründe, auf denen sie basierten, genauer zu untersuchen und darzulegen. Die konzisen Artikel der juristischen und staatswissenschaftlichen Fachpresse verdeutlichen noch besser als die umfangreichen sonstigen Veröffentlichungen, die mit einem akademischen Anspruch die USA untersuchten, wie intensiv

399 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 445 400 In der Bibliothek des amerikanischen Historikers George Bancroft fanden sich u.A. Werke von Ebeling, Mohl, Schlözer, Sprengel, Pölitz und Raumer. Vgl. E.E. Doll: German Historians (1948), S. 512f. Korrespondenzen zeugen ebenfalls von einem regen Bücheraustausch. Vgl. D. Mußgnug: Briefwechsel (2005), S. 38 [Carl Josef Anton Mittermaier und Robert von Mohl]; Francis Lieber Papers, South Caroliniana Columbia [Francis Lieber und Carl Anton Mittermaier]; Huntington Library Passadena [Francis Lieber und Robert von Mohl]; Universitätsarchiv Tübingen und Library of Congress [Robert von Mohl und David Bailie Warden]. 401 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 446. 402 Ebd., S. 517.

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die zeitgenössischen Wissenschaftler mit den politischen Konzepten Amerikas rangen und sie zu verstehen strebten. In den 1840er und 50er Jahren hatte sich das deutsche Verständnis amerikanischer Konzepte entschieden weiterentwickelt. Selbst wenn die Menge an Publikationen nicht übermäßig zunahm, vielleicht sogar etwas weniger wurde, so war das Niveau inzwischen sehr viel wissenschaftlicher als zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges und selbst noch verglichen mit den Untersuchungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts.403

403 Ebd., S. 445.

Zwei Biographien

Ziel der folgenden Fallstudien ist es, anhand von biographischen Untersuchungen ein differenzierteres Bild der wissenschaftlichen Arbeit zu Amerika während des Vormärz darzulegen und gleichzeitig konkretere Überlegungen zu ihrer politischen Relevanz anzustellen. Das Besondere an der Auswahl der beiden Persönlichkeiten Friedrich von Raumer und Robert von Mohl liegt in der Kombination von Gemeinsamkeiten einerseits und offensichtlichen Gegensätzen andererseits, so dass sie – sich gegenseitig ergänzend – ineinandergreifen. Auf dem politischen Spektrum markieren sie Eckpunkte rechts und links der Mitte. Auf diese Weise bieten sie exemplarisch ein Gesamtbild der politisch gemäßigten Amerikawissenschaft. Gemeinsam war ihnen der Habitus des politischen Professors, freilich im jeweils entsprechenden Umfeld und von einem persönlichen Standpunkt aus. Ihr Zugang zum Forschungsobjekt Amerika und auch zur Verbindung von Wissenschaft und Politik unterschied sich grundlegend. Raumer, der betagte, royalistische Preuße, hatte dem jugendlicheren Mohl nicht nur an unmittelbarer, praktischer Kenntnis der USA, die er 1844 durch die Reise dorthin erworben hatte, sondern auch politisch einiges an Erfahrungen voraus. Jener hingegen, in seinem Amerikainteresse konsequenter wissenschaftlich und vom südwestdeutschen Liberalismus geprägt, vermochte die politische Situation in der Paulskirche besser einzuschätzen. Ihre Werke zu den Vereinigten Staaten stechen aus dem weiten Feld an Literatur heraus, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Beide veröffentlichten ihre Schriften zu den USA in einem explizit wissenschaftlichen Kontext und unterscheiden sich somit von den zahllosen Veröffentlichungen am Vorabend der Revolution 1848/49, deren Wissenschaftlichkeit eher ein Vorwand für politische Reflexionen war. Ebenso wenig sind sie vergleichbar mit den ‚enpassant‘ auf einer Reise entstandenen Werken. Die umfangreiche, detaillierte Untersuchung und analytische Beschreibung Raumers steht der konzisen, systematischen Darstellung Mohls gegenüber. Es liegen fast zwanzig Jahre zwischen

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den beiden Werken. Mohls Bundes-Staatsrecht, das schon 1823 erschienen war, hatte jedoch an Aktualität und Beachtung nichts eingebüßt, sondern durch die wissenschaftliche Karriere des Autors und die politischen Entwicklungen im Deutschen Bund eher dazugewonnen. Auch Raumer zitierte es. Die Art und Weise, wie diese wissenschaftlichen Amerikastudien des Vormärz während der Revolution relevant wurden, birgt einen weiteren Unterschied. Auf Grund des systematischen Ansatzes gehörte Mohls Arbeit Mitte des 19. Jahrhunderts bereits zum Kanon der Staatswissenschaft, besonders im Bezug auf das Thema Föderalismus. Als solches wirkte es in die Debatten der Paulskirche hinein. Raumers zwei Bände über die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika kamen erst 1845 heraus und lieferten so den Verhandlungen in Frankfurt zeitnah wissenschaftlich aufbereitetes Anschauungsmaterial.1

F RIEDRICH VON R AUMER – E IN PREUSSISCHER H ISTORIKER „ … der Jefferson Deutschlands“2

Raumers große Bewunderung für Thomas Jefferson, einen „der größten Männer, […] die je auf Erden lebten“, wirft ein interessantes Licht auf seine eigene politische Einstellung und Persönlichkeit.3 Er widmete ihm eines der längsten Kapitel in seinem Buch über Die Vereinigten Staaten von Nordamerika, worin er ihn gegen jegliche Angriffe verteidigte.4 Jefferson, der „friedliche Demokrat“5 und „der größte Republikaner“, 6 lieferte für Raumer den Beweis, dass politische Konzepte, die in der Alten Welt von vielen als bedrohlich wahrgenommen wurden, nicht zwingend verheerende Folgen haben mussten, wenn man sie richtig zu handhaben wusste. Immer wieder zitierte er den dritten Präsidenten der USA wörtlich oder indirekt in seinen eigenen Schriften und politischen Reden.7 Auf

1

H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 23 u. S. 32.

2

F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 282f. [Brief vom 13. August 1848].

3

Ebd.

4

Jeffersons Enkelin Ellen Coolidge bedankte sich brieflich für seine Ausführungen über ihren Großvater. Vgl. F. Raumer: Nachlaß (1869), S. 224.

5

F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I (1845), S. 480.

6

F. Raumer: Nachlaß (1869), S. 224

7

F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845); F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5283-5285 [Friedrich von Raumer 17.2.1849, 172. Sitzung].

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seiner Amerikareise 1843/44 hatte er Monticello, Landhaus und Grabstätte Jeffersons, besucht und war über alle Maßen enttäuscht gewesen, es in seien Augen äußerst vernachlässigt vorzufinden.8 Der belesene Südstaatler passte genau in Raumers politisches Weltbild. Er sei ein „praktischer Staatsmann“ von hohen moralischen Prinzipien gewesen, ohne je den Sinn „für das Mögliche und Ausführbare“ zu verlieren.9 Vielleicht zog Raumer auch Parallelen zu seiner eigenen Person, denn einige politische Zusammenhänge, die Jefferson beschäftigt hatten, begegneten Raumer auf ganz ähnliche Weise. Er teilte die moderaten, elitär anmutenden Ansichten Jeffersons über Pressefreiheit, Volkssouveränität und Repräsentation sowie dessen tolerante Einstellung zur Religion. Wie der eine für Preußen, so hatte sich der andere immer sehr intensiv für seinen Heimatstaat Virginia eingesetzt, der ebenfalls einer der stärksten im Bund war. Nicht zuletzt in der Gesandtschaft nach Paris hatten sie eine Gemeinsamkeit. Einen derartigen Vergleich selbst aufzustellen, wollte sich Raumer nicht anmaßen, doch voll Stolz berichtete er aus Frankfurt, ein Kollege habe ihm begeistert zu seinen gerade veröffentlichten Reden10 gratuliert und bei dieser Gelegenheit geäußert, Raumer sei „der Jefferson Deutschlands“.11 1781 in Wörlitz bei Dessau geboren, zog Raumer mit zwölf Jahren nach Berlin zu seinem Onkel Leopold von Gerlach, einem der führenden konservativen Politiker seiner Zeit, der es ihm ermöglichte, das renommierte humanistische Joachimsthaler Gymnasium zu besuchen.12 Es folgte ein Studium der Rechtswissenschaften in Halle und an der Amerika zugeneigten Universität Göttingen. 1802 erhielt Raumer, vermutlich durch Vermittlung eines weiteren Onkels, des geheimen Legationsrats Karl Georg von Raumer, dem Präsidenten des Oberzensurkollegiums, eine Referendarstelle bei der preußischen Kriegs- und Domänenkammer in Berlin. Staatskanzler Karl August von Hardenberg berief Raumer 1809 in seinen Stab, wo er maßgeblich an den preußischen Reformen beteiligt war, bis er sich 1811 mit der Annahme einer Professur in Breslau und später in Berlin für eine akademische Laufbahn entschied, die er, unterbrochen durch seine politischen Mandate als preußischer Stadtverordneter, in der Nationalversammlung und im preußischen Landtag, bis zu seiner Emeritierung 1859 verfolgte.13

8

F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845); Bd. II, S. 377 [Anhang].

9

Ebd., Bd. I (1845), S. 197.

10 F. Raumer: Reden (1848). 11 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I (1849), S. 282f. [Brief vom 13.8.1848]. 12 H. Raumer: Familie Raumer (1975). 13 H. Herzfeld: Raumer (1928), S. 318-361; W. Friedrich: Raumer (1930); H. Raumer: Geschichte der Familie (1975); H. Best/W. Weege: Biographisches Handbuch (1998).

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Die enge Zusammenarbeit mit Hardenberg und der große Einfluss, über den er – knapp 30 Jahre alt – bereits verfügte, rief Neid und Missgunst unter Kollegen hervor. Dies trug ihm den spöttischen Beinamen „kleiner Staatskanzler“ ein. 14 Jahre später, 1869, veröffentlichte Raumer in seinem Litterarische[n] Nachlaß einige Schriftstücke aus seiner Zeit unter Hardenberg. In der Vorrede erklärte er, sich auf diese Weise gegen Vorwürfe verteidigen zu wollen, die ihn als „Ausländer“ im preußischen Staatsdienst getroffen hätten.15 Die ungebrochene Loyalität zu Preußen, die Raumer sein ganzes Leben lang hegte, ist bemerkenswert. Seine schulische Erziehung in Berlin und der Einfluss seiner beiden Onkel hatten ihn geprägt und durch den Staatsdienst wurde diese Grundeinstellung weiter gefestigt. Zeitgenossen rühmten, dass er, der eigentlich im Anhaltischen geboren worden war, auch auf seinen vielen Reisen „immer Preuße“ blieb.16 In der Frankfurter Nationalversammlung vertrat er den preußischen Wahlbezirk 4. Provinz Brandenburg (Berlin) und setzte sich entschieden für preußische Interessen ein. Zwar unverhohlen enttäuscht über die Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. 1849, 17 sah Raumer in den späten 1860er Jahren mit Freuden, wie Preußen „in unglaublich kurzer Zeit einen Ruhm [erwarb], der ganz Europa, ja Länder und Völker darüber hinaus in Erstaunen und Bewunderung versetzte“. 18 Preußen war Friedrich von Raumers Wahlheimat. Angesichts dieses ausgeprägten Staatspatriotismus, verbunden mit dem politischen Werdegang und seiner sozialen Herkunft, liegt es nahe, Raumer als einen typischen preußischen Konservativen einzustufen. Es war ihm jedoch stets zuwider, sich auf diese Art festlegen zu lassen. 1801 gehörte er zu den ersten Staatsbeamten, die aufhörten, Zopf zu tragen.19 Wenn er sich selbst als ‚liberal‘ bezeichnete, benutzte er dieses Wort allerdings nicht in der politischen Bedeutung, sondern um allgemein eine Position der Mitte zu benennen.20 Nach seinen Studien über Amerika griff er die europäischen Liberalen an: Verglichen mit

14 F. Raumer: Lebenserinnerungen (1861), Bd. I, S. 166. 15 F. Raumer: Vermischte Schriften (1852), Bd. I, S. Xf. 16 [Anonym]: Berliner Historiker (1841), S. 429. 17 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. II, S. 418 [Brief vom 6.5.1849: „Das Benehmen von Preußen hat in Deutschland mehr Republikaner erzeugt, als all die wühlerischen Demagogen zusammengenommen“]. 18 F. Raumer: Nachlaß (1869), S. 14. 19 E. Heilborn: Schinkelzeit (1927), S. 56. 20 [Anonym]: Berliner Historiker (1841), S. 429.

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dem in seinen Augen umfassenderen, strukturierter durchdachten amerikanischen Liberalismus sei die europäische Variante eine halbherzige und nur antiroyalistische Bewegung.21 Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden wiederholt Äußerungen Raumers als regierungskritisch ausgelegt. Der Grund lag nicht zuletzt in seiner Direktheit, wie Leopold von Ranke sich später erinnerte: „[W]as er in jedem Moment dachte, sagte er frei heraus, ohne Ueberhebung, aber auch ohne Zurückhaltung, und liess es drucken.“22 1822 wurde eine Rede, die er zum 25-jährigen Regierungsjubiläum Friedrich Wilhelms III. gehalten hatte, mit einem Druckverbot belegt, weil sie zu offen konstitutionelle Reformen gefordert hatte. Zehn Jahre später verweigerte der preußische König, inzwischen Friedrich Wilhelm IV., die Bestätigung der Wiederwahl Raumers zum Rektor der Universität Berlin wegen dessen Schrift über Polens Untergang, in der er die preußische Politik kritisiert hatte.23 Nach andauernden Differenzen trat Raumer 1832 aus dem Oberzensurkolleg aus, dem er seit Referendarzeiten angehört hatte. Sein Kündigungsbrief, der mit einer gewissen Schärfe formuliert war, tadelte die unverhältnismäßig strenge Zensur: „[…] daß Preußen (einst in dieser Beziehung der freigesinnteste und der Treue sowie dem Verstand seiner Untertanen am meisten vertrauende Staat) jetzt fast hinter allen anderen zurücksteht. […] Anstatt nämlich die schreibende und lesende Welt für größere, echte Freiheit zu erziehen.“

Ferner, so fügte er hinzu, bedeute eine Verweigerung seiner Kündigung, dass man ihn zwänge, „gegen meine Überzeugung zu handeln, und mich für Maßnahmen mitverantwortlich machte, die ich misbillige [sic]“.24 Das Schreiben war offiziell nicht zur Veröffentlichung gedacht, denn Raumer wollte „den Schein vermeiden, als suchte ich durch einen auffallenden Austritt falschen Ruhm und zweideutige Popularität zu erwerben“. 25 Einige Tage darauf stand der Text aber unerwartet in der Stuttgarter Zeitung und Raumer musste mehrfach eidesstattlich erklären, dass er diese Veröffentlichung nicht

21 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 269. 22 L. Ranke: Gedächtnisrede (1874), S. 149 und S. 153. 23 F. Raumer: Polens Untergang (1832). 24 F. Raumer: Lebenserinnerungen (1861), Bd. II, S. 357f. 25 Ebd., Bd. I (1861), S. 358.

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veranlasst hatte. Er gab zu Protokoll, das Schreiben müsse über einen befreundeten Buchhändler ohne sein Wissen an die Presse gelangt sein.26 Fünfzehn Jahre später, 1847, kam es zu einem ähnlichen Eklat an der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Bei seiner Gedächtnisrede für Friedrich II. lobte Raumer dessen große Toleranz besonders in Glaubensfragen so ausführlich, dass der anwesende preußische König Friedrich Wilhelm IV. sich indirekt angegriffen fühlte. Als das geforderte Entschuldigungsschreiben ebenfalls unerwartet in der Presse erschien,27 wurde Raumer ersucht, sein Amt als Sekretär der Akademie niederzulegen. Unter den gegebenen Umständen beschloss er jedoch, stattdessen ganz auszutreten. Eine Geste, die sich als sehr öffentlichkeitswirksam erwies und nicht unwesentlich zu seiner Wahl in die Nationalversammlung im Jahr darauf beigetragen haben dürfte.28 Verglichen mit den Meinungsäußerungen anderer Professoren zu jener Zeit, etwa der Göttinger Sieben, und den entsprechenden Konsequenzen, die sie dafür zu tragen hatten, waren Raumers Aktivitäten und Erfahrungen allerdings weniger dramatisch. Ein Professor sollte, so Raumer, kein „Brandstifter, sondern der treuste Freund gerechter Könige und guter Völker“ sein.29 Er zog gemäßigte und kontrollierbare Umwälzungen vor, doch räumte er ein, man müsse „die Revolution acceptieren, sich den neuen Verhältnissen anschließen […] und erforschen in welche Richtung etwas Gutes erreichbar bleibt“.30

26 Nach seiner eigenen Aussage hatte Raumer sich mit einem befreundeten Buchhändler über die Situation unterhalten, worauf dieser ihn darum bat, das Schreiben zur eigenen Information lesen zu dürfen. Es ist jedoch unklar, warum dieser es seinem Angestellten zur Abschrift gegeben hatte, der wiederum aussagte, dass er, „ohne Willen und Wissen“ seines Vorgesetzten oder Raumers den Text nach Stuttgart geschickt habe. Vgl. F. Raumer: Lebenserinnerungen (1861), Bd. II, S. 358f. 27 Die Veröffentlichung erfolgte möglicherweise auf Betreiben des Ministers Eichhorn. Vgl. W. Friedrich: Raumer (1930), S. 37, ohne weiterführenden Nachweis. 28 H. Herzfeld: Raumer (1928), S. 353ff.; Karl August Varnhagen von Ense verfasste angeblich einen Artikel über die Vorgänge in der preußischen Akademie, in dem er Raumer ausführlich lobte und als Opfer der Regierung darstellte. In Varnhagens gesammelten Schriften lässt sich nichts in diese Richtung finden. Es ist aber bekannt, dass Varnhagen Raumer kannte und ihn früher schon einmal gegen fachliche Kritik Schlossers in Schutz genommen hatte. Vgl. K. Feilchenfeldt: Varnhagen Werke (1987); ders: Varnhagen als Historiker (1970). 29 F. Raumer: Lebenserinnerungen (1861), Bd. I, S. 279. [Vorlesungsfragment (1815)]. 30 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 136 [Brief vom 27.6.1848].

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Es ist verständlich, dass die radikaleren unter den Liberalen, zum Beispiel aus der Bewegung Junges Deutschland, in Raumer nur den royalistischen preußischen Staatsdiener sahen, der sich gelegentlich etwas weiter vorwagte.31 Heinrich Heine, der bei Raumer in Berlin Vorlesungen hörte, sagte über seinen Professor, er sei ein „Hund der ein bißchen Wedelfreiheit wünscht, der nur liberal knurrt; aber jeder weiß er ist ein untertäniger Pudel, der niemand beißt“.32 Ludwig Börne nannte ihn den „geschmeidigen Kammerdiener-Historiker“.33 Derlei Anfeindungen veranlassten Raumer, der Berlin sonst sehr schätzte, in Paris 1848 festzustellen, dass ihm die dortige Gesellschaft sehr viel lieber sei „als einige berliner [sic], weltverbessernde Studenten, die mich für einen reaktionären Dummkopf halten“.34 Raumer blieb in seinem preußischen Weltbild verwurzelt und versuchte, es mit den Entwicklungen der neuen Zeit zu kombinieren. Kurz vor der ernüchternden Kaiserdeputation im März 1849 erklärte er fast euphorisch: „Preußen ist ein weltgeschichtlicher Staat und soll es in steigender Größe bleiben. Heißt das (der Diplomatie und dem neidischen Auslande gegenüber) revolutionair; nun so bin ich ein Revolutionair, und thue hier mein Möglichstes, Andere für diese unvermeidliche, heilsame Revolution zu bekehren.“35

Ironischerweise bewies Raumer mit diesem Ausspruch, dass Heinrich Heine im Grunde recht gehabt hatte, als er ihn zwei Jahre zuvor, 1847, anlässlich der Vorgänge an der Akademie der Wissenschaften abschätzig einen „königlich Preußischen Revolutionär“ genannt hatte.36 Der Ruf des fügsamen Royalisten folgte Raumer von Berlin nach Frankfurt. In einem Flugblatt porträtierte Hans Pfeffer 1849 die Mitglieder der Nationalversammlung als eine Schulklasse voller unbedarfter Jungen. Raumer erhielt die Rolle des artigen Kindes, das sich beim „Schulmeister“ mit den Worten anbiederte: „[U]nd wenn Einer Einem was sagt, so muss man doch hören.“37 Es war

31 [Anonym]: Berliner Historiker (1841), S. 437. 32 H. Heine: Werke (1930), Bd. VII, S. 70; Heine verewigte Raumer außerdem in seiner Ballade „Deutschland. Ein Wintermärchen“ [1844], Caput XI: „Der Raumer bleibt ein deutscher Lump/in unsrem deutschen Norden.“ 33 L. Börne: Briefe aus Paris (1832), zit. in W. Friedrich: Raumer (1930), S. 36. 34 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 328 [Brief vom 8.9.1848]. 35 Ebd. Bd. II (1849), S. 253f. [Brief vom 21.3.1849]. 36 H. Heine: Werke (1930), Bd. V, S. 16. 37 H. Pfeffer: Frankfurter Schule (1849).

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schnell klar, wo man Raumer auf dem politischen Spektrum in Frankfurt anzusiedeln hatte. Ihm war offenbar selbst bewusst, dass er in den „Augen gewisser Leute binnen Jahresfrist von einem ultra-liberalen Rebellen, ein knechtischer Royalist geworden“ war.38 Tatsächlich war Raumer, trotz der wiederholten Unstimmigkeiten, voller Sympathie, Bewunderung und Vertrauen für den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. sowie besonders für dessen Sohn, den Prinzen von Preußen, dem er einst Privatunterricht erteilt hatte.39 1826 lehnte er sogar den Ruf auf eine Professur nach München ab, weil er so sehr an „Vaterland, König und Königshaus“ hing. 40 Diese persönliche Bindung an eine Monarchie war bezeichnend. Für Raumer hing das Bestehen dieses Regierungssystems nicht vom „objektiven Werthe der Form“ ab, sondern vom Charakter des Monarchen und seinem „subjektiven Verhältnis zu den Personen“.41 Wenn Raumer von Monarchie sprach, hatte er stets das Beispiel Preußens vor Augen und war daher überzeugt, dass nur die Monarchie als Regierungsform für Deutschland in Frage komme. Diese Einstellung vertrat er auch in der Paulskirche, scheute jedoch auch hier davor zurück, sich auf eine konkrete Partei festzulegen und stand politischen Klubs eher skeptisch gegenüber. Alexander von Humboldt lobte diese „schöne Unabhängigkeit … [der] … Gesinnung“.42 Andere hingegen legten ihm diesen Drang nach Unparteilichkeit negativ aus, sei es als Eklektik43 oder als Inkonsequenz: „Hätte er die Welt erschaffen, er würde sie grau angestrichen haben […] um keinem Unrecht zu tun.“44 Raumer wollte die Dinge auf das Machbare hin beurteilen, ohne sich in Fraktionsgräben zu verlieren. Er bewunderte „die großen Amerikaner“ für ihre Einsicht, dass „ein Übermaße an leidenschaftlichen Parteiungen“ dem Staat auf lange Sicht nur schaden könne.45 Zwar musste er eingestehen, dass es in Amerika schon lange nicht mehr so sei wie zur Zeit Washingtons, als sich noch „die Mehrzahl unter Vergessen aller Parteiabsichten und Zwecke um einen großen Mann scharrte,“ doch lobte er die in seinen Augen bedingungslose Akzeptanz von mehrheitlichen Entscheidungen, die Stabilität und Frieden

38 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 69 [Brief vom 9.6.1848]. 39 F. Raumer: Städteordnung (1828). 40 F. Raumer: Lebenserinnerung (1861), Bd. II, S. 105. 41 F. Raumer: Spreu (1848), S. 238 [Nr. 758]. 42 F. Raumer: Nachlaß (1869), S. 35 [Alexander von Humboldt an Friedrich von Raumer, 22.2.1857]. 43 H. Herzfeld: Raumer (1928), S. 323; W. Giesbrecht: Nekrolog (1874), S. 185. 44 [Anonym]: Berliner Historiker (1841), S. 427. 45 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 24.

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gewährleistete.46 Die verschiedenen Einstellungen von Whigs, Jeffersonian Republicans und Federalists hatte Raumer in seinen Studien dargelegt und war zu dem Schluss gekommen: „Zuletzt stehen sich aber die amerikanischen Parteien doch näher, und eine Verständigung ist unter ihnen weit eher möglich als unter den europäischen, sich schroff widersprechenden Richtungen.“47 Angesichts der heftigen politischen Gegensätze in der Paulskirche, die er als destruktiv und störend empfand, griff er 1848 auf seine Analyse der amerikanischen Parteienlandschaft zurück und schrieb, dass „das französische und deutsche Klubwesen des letzten Jahres dort [in den USA] gar nicht vorhanden“ gewesen sei.48 Besonders angesichts der Fraktionierung war Raumer zu Beginn der Nationalversammlung skeptisch ob einer realistischen Möglichkeit, überhaupt etwas zu erreichen. Er sprach von der Paulskirche als „Rühreiolymp“, in das Frankreich oder Russland lediglich mit einer Gabel stechen müsse, um es zu Fall zu bringen.49 Mit der Zeit wurde er zuversichtlicher und nach seiner Rückkehr von der Gesandtschaft in Paris, wo er sich eher unnütz gefühlt hatte, begann er Anfang 1849, sich aktiver einzubringen. Er näherte sich der Casino-Fraktion an, weil er es angesichts der wachsenden Opposition innerhalb und außerhalb des Parlaments gegen seine politischen Vorstellungen für notwendig hielt, sich mit Gleichgesinnten zu verbünden und einen festen politischen Standpunkt zu beziehen, um überzeugender argumentieren zu können. Diese Positionierung im rechten Zentrum, besonders mit Blick auf die Zustimmung zum Erbkaisertum, traf Raumers politische Gesinnung ziemlich genau. Er fühlte sich dennoch verpflichtet, seine Parteinahme zu rechtfertigen: „Ihr werdet es unfolgerecht von mir finden, daß ich erst auf die Klubs schelte und jetzt fast jeden Abend auf mehrere Stunden ins Casino gehe, oft spreche und selbst auffordere im Kampfe nicht dadurch zu unterliegen, daß Jeder auf seiner Meinung besteht und die Stimmen zersplittert. Wie aber die Dinge liegen, muss man unter zwei Übeln das kleinere wählen und da ich in der Paulskirche nicht zu Wort kommen kann, will ich wenigstens im kleinen Kreise versuchen meine Pflicht zu thun, und nicht als bloße Null zu erscheinen.“50

Von zu erbitterten Parteikämpfen und einer politischen Festlegung wollte er sich trotzdem weiterhin möglichst fernhalten. Zu diesem Zweck nahm Raumer gerne

46 Ebd., S. 25. 47 Ebd., S. 36. 48 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 340 [Brief vom 12.9.1848]. 49 Ebd., Bd. I, S. 33 [Brief vom 31.5.1848]. 50 Ebd., Bd. II (1849), S. 248 [Brief vom 12.2.1849].

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die Position des unabhängigen Wissenschaftlers ein, um – so meinte er – neutral urteilen zu können, ohne sich „einem festen Symbole und (politischen) Glaubensbekenntnis“ zu verschreiben.51 Als Gesandter der provisorischen Zentralgewalt in Paris betitelte er seinen ersten Bericht an den französischen Minister Jule Bastide nur „considérations d’un vieux professeur d’histoire“.52 Dieser Rückzug auf seine akademische Stellung ermöglichte es ihm, seine Mission herunterzuspielen, um bei den Franzosen nicht unnötiges Misstrauen gegenüber dem Parlament in Frankfurt zu wecken. Vor dem Hintergrund des Konflikts um Schleswig-Holstein erschien ihm dieses Feingefühl sinnvoll. Seine Gegner hingegen legten es ihm als Schwäche aus.53 Er reagierte gelassen auf den indirekten Angriff der politischen Linken, die ihn mit „historischer Gesandter“ titulierte. Ganz in seiner Professorenrolle dozierte er vor der Versammlung:54 „Worin besteht der Unterschied zwischen einem Redner und einem Geschichtsforscher? Darin, dass der Redner das Recht und die Pflicht und die Geschicklichkeit hat, eine Ansicht mit aller Kraft des Kopfes und des Herzens zu vertheidigen, wodurch er in der Regel weit größeren Beifall gewiß ist, als Derjenige welchem es obliegt, die Ansichten von einer oder von mehreren Parteien mit voller, wo möglich gleicher Unparteiligkeit zu entwickeln. Je mehr man aber auf diesem Wege fortschreitet meine Herrn, desto mehr überzeugt man sich, daß die Wahrheit und das Recht höchst selten allein auf einer Seite – auf der rechten oder der linken – liege[.]“55

Raumer nutzte seine Position als Historiker und Wissenschaftler zwar, um sich als unparteiisch zu präsentieren, doch sie war kein Vorwand, sich von politischer Aktivität loszusagen oder fernzuhalten. Hier entsprach er ganz dem Typus des ,politischen Professors‘. Sein Studienfreund Karl Solger hatte ihn beim Antritt seiner Professur in Breslau ermahnt, er möge „ja recht praktisch bleiben“, denn was den Deutschen fehle, sei ein „praktischer Historiker und Staatslehrer“. 56 Wissenschaft und Politik waren für Raumer eng miteinander verknüpft, wenn nicht sogar voneinander abhängig. Es sei wichtig, „daß man den Gelehrten nicht vom Staat absondert, den Beamten nicht durch eine unbillige Last gewöhnlicher

51 Ebd., Bd. I (1849), S. 36 u. S. 58 [Brief vom 1.6.1848 u. Brief vom 5.6.1848]. 52 Ebd., Bd. I (1849), S. 306 [Brief vom 31.8.1848]. 53 R. Mohl: Reichsversammlung (1850), S. 47. 54 W. Bleek: Politik-Professoren (1994), S. 290. 55 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII (1848), 5283f. [Friedrich von Raumer 17.2.1849, 172. Sitzung]. 56 F. Raumer: Lebenserinnerungen (1861), Bd. I.

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Geschäfte ausdörrt, vielmehr Einer wie der Andere im Geschäft auf die Wissenschaft, in der Wissenschaft auf die lebendige, sich gestaltende Welt hinblicken“.57 Dem wissenschaftlichen Hintergrund maß er für die politische Anwendung unschätzbaren Wert bei.58 In einem Staatsmann von „vollendeter […] Natur und Wirksamkeit“ sollten sich Raumer zufolge „die Wissenschaft und das Leben […] durchdrungen haben“.59 Ein Schluss, zu dem er wohl nicht zuletzt durch sein eigenes Leben gekommen war, in dem sich die Gewichtung zwischen Politik und Wissenschaft immer wieder verschob. Ungeachtet der unbedingten Kooperation zwischen Wissenschaft und Politik, für die Raumer immer wieder plädierte, identifizierte er zwei unterschiedliche Handlungsräume. Mit der freiwilligen Aufgabe seiner lukrativeren Stellung bei der Preußischen Regierung zu Gunsten seiner Professur, hatte er der akademischen Seite den Vorzug gegeben. Wissenschaft bedeutete für ihn Freiheit, denn „unter allen Berufsarten, welche nicht nur die Befriedung äußerer Bedürfnisse zum Zweck haben, ist die der Wissenschaft, des Gelehrten, die unabhängigste und selbstständigste“.60 In Anbetracht dieser Einstellung ist es nachvollziehbar, dass ihn seine Entscheidung „niemals gereut“ habe, obgleich er in seinen Lebenserinnerungen einräumt: „[D]ie äußeren Ehren und der Geldbetrag, den ich durch Annahme der Professur verloren habe, ist allerdings sehr groß, und wol [sic] größer als irgendein deutscher Gelehrter freiwillig der Wissenschaft opferte.“61 Die Aufnahme in die Akademie sowie 22 weitere Ehrentitel internationaler Universitäten und Akademien belegen, dass Raumer den Respekt seiner Kollegen besaß und als Autorität anerkannt war.62 Leopold von Ranke sprach in der Gedächtnisrede für Raumer 1874 sogar von einem „Nestor“ der Geschichtswissenschaft.63 Später war es jedoch Ranke selbst, der als jüngerer Kollege Raumers an der Universität Berlin den prägenden Beitrag zur Entwicklung des Faches leistete. Raumer blieb hinter ihm zurück, „an der Schwelle der modernen deutschen Geschichtswissenschaft ohne sie eigentlich überschritten zu haben“.64 Me-

57 F. Raumer: Verfassung der Behörden (1811). 58 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 187. 59 F. Raumer: Vermischte Schriften (1852), S. 221; ders: Historisch-politische Briefe (1860), S. 68. 60 F. Raumer: Vermischte Schriften (1852), S. 25. 61 F. Raumer: Lebenserinnerungen (1861), Bd. I, S. 168f. 62 F. Raumer: Nachlaß (1869), Bd. I, S. 8. 63 L. Ranke: Gedächtnisrede (1874), S. 149. 64 H. Herzfeld: Raumer (1928), S. 334 u. S. 318.

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thodik, Forschungsstil und Themenwahl Raumers ernteten immer wieder Kritik im Fach. Sein erstes großes Werk, Die Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, wurde zwar hoch gelobt und ging in zahlreiche Neuauflagen, viele Kollegen warfen ihm allerdings mangelnde Quellenkritik vor. Der Heidelberger Historiker Friedrich Christoph Schlosser kritisierte den erzählenden Stil des Werks.65 Andererseits war es gerade dieser Stil eines „historische[n] Erzählers“, der Raumer zu seinem gewaltigen Erfolg im Bildungsbürgertum verhalf.66 Er war bestrebt, diesem Publikum Wissen leichter zugänglich zu machen. Durch Spenden machte er sich um die erste öffentliche Bibliothek in Berlin verdient. Darüber hinaus hielt er populärwissenschaftliche Vorträge – auch speziell für Frauen.67 Dieses öffentliche Engagement wurde ihm in solchem Maß gedankt, dass er dafür mehr Motivation verspürte als für die akademische Lehre vor desinteressierten Studenten. Er sei es leid, wurde Raumer 1841 in den Hallischen Jahrbüchern zitiert, „junge hyperbolische Bären mit Historien aufzunudeln, da sie nicht einmal gierig die Hälse aufsperren […] sondern einen undankbar anbrummen und kritisch in die Finger beißen“.68 Mit Blick auf seine Leserschaft orientierte er sich bei seiner Themenwahl an aktuellen Strömungen. Die Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit war wesentlich von der Romantik inspiriert, wenn auch Raumer in seiner rational fundierten Vorgehensweise nicht alle ihre Prämissen teilte.69 Barthold Georg Niebuhr, mit dem Raumer schon früher politisch aneinander geraten war, beanstandete diese Forschungsausrichtung.70 Raumer lege zu viel Gewicht auf die Ereignisse der neueren Zeit und vernachlässige die klassi-

65 [Anonym]: Berliner Historiker (1841), S. 425. 66 H. Herzfeld: Raumer (1928), S. 335; [Anonym]: Berliner Historiker (1841), S. 425; W. Friedrich: Raumer (1930), S. 50. In dem von Raumer 1829 gegründeten und herausgegebenen „Das Historische Taschenbuch führte er diesen Stil weiter fort. Seine historischen Arbeiten können als Vorläufer des kulturhistorischen Ansatzes verstanden werden, wie er sich Mitte des 19. Jahrhunderts herauszubilden begann. 67 Gedichte zeigen, wie dankbar viele der Damen waren, die zu Raumers Vorlesungen kamen. Selbst die Königin schrieb ihm. Vgl. F.Raumer: Nachlaß (1869), S. VI. 68 [Anonym]: Berliner Historiker (1841), S. 450 [ohne Nachweis]. 69 H. Herzfeld: Raumer (1928), S. 339. 70 Niebuhr hatte 1810 während seiner Zeit im preußischen Finanzministerium einen von Raumer ausgearbeiteten Finanzplan verworfen und sich, nach Raumers Dafürhalten, sehr unkooperativ verhalten. Vgl. F. Raumer: Lebenserinnerungen (1861), Bd. I, S.128f.

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sche Welt.71 Tatsächlich setzte Raumer bei seiner Suche nach Untersuchungsthemen andere Prioritäten als gemeinhin üblich. Der sprunghafte Anstieg von Amerikaliteratur während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnet eine Strömung, der sich Raumer nicht entziehen wollte und konnte. Sein Ziel war es, ein klares Bild von Amerika zu zeichnen. Mit seinen Untersuchungen wollte er vorherrschende Missverständnisse ausräumen und das Meinungsbild differenzieren. Die Schrift war also „vorzugsweise für Deutschland bestimmt“.72 Zwar hatte man ihm auf seinen Reisen durch die USA gesagt, dass „kein Fremder […] über irgend etwas Amerikanisches gründlich urtheilen und angemessen Bericht erstatten“ könne, und John Jay hatte angeblich behauptet, er habe seit 1786 „kaum sechs fremde Reisende gefunden, die etwas von Amerika verstanden“, aber Raumer war zuversichtlich. Mit „verdoppelten wissenschaftlichen Anstrengungen“ wolle er durch seine Arbeit zu einem besseren Verständnis beitragen.73 Für den Winter 1844 plante Raumer eine Vorlesung über die Neuste Geschichte seit 1700, musste jedoch während der Vorbereitungen dazu feststellten, dass er über Griechenland und Spanien „nur wenig Erfreuliches“ finden konnte. Amerika begeisterte ihn umso mehr. Er wollte „rasch u[nd] viel von der neuen Welt […] lernen“, denn er hatte an sich selbst den Anspruch gestellt, zunächst das Thema ausführlich zu ergründen und die Verhältnisse kennenzulernen, bevor er sich dazu äußern würde. Seinem Bruder erklärte er im Oktober 1843: „Dennoch so groß der Ertrag [der vorbereitenden Recherchen] ist, […] bleibt es doch nothwendig, das Land zu sehen, bevor ich mit Festigkeit u[nd] Sicherheit mich darüber öffentlich aussprechen kann.“74 Die Berichte, die er las, stellten ihn in keiner Weise zufrieden.75 Allen voran traf sein Missfallen die Engländer, denn sie seien „unfähig Land u[nd] Volk zu

71 F. Raumer: Vermischte Schriften (1852), S. 27 [Raumers Antrittsrede vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1827]. 72 Ebd., Bd. I, S. XII. Es gab jedoch schon 1845 Vorbereitungen für eine englischsprachige Veröffentlichung in New York, wie aus Raumers privater Korrespondenz hervorgeht, die in der Universitätsbibliothek Münster einsehbar ist [Raumer an seinen Bruder Karl, 22.3.1845]. Tatsächlich erschien die Schrift kaum ein Jahr später übersetzt von W. Turner: America and the American People (1946); eine holländische Version erschien 1849: De Vereenigde Staten van Noord-Amerika (1849). Vgl. LOC. 73 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. VIIf. 74 Private Briefe der Familie Raumer, Universitätsbibliothek Münster [Friedrich an Karl von Raumer, 19.10.1843]. 75 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. VI.

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begreifen“. Er wünschte sich, man möge Amerika von einem „weltgeschichtlichen Standpunkte“ und nicht „durch die aus der Heimath mitgebrachte Brille“ betrachten. Anders als bisherige Autoren wollte er sich „auf den für Amerika passenden Standpunkt stellen“, und so reifte in ihm während der Einarbeitung in das neue Thema der Entschluss, „selbst hinzureisen!!“76 Reisen und sich vor Ort ein Bild von Zusammenhängen zu verschaffen, war für Raumer ein wichtiger Teil seiner wissenschaftlichen Arbeit. Für ihn wurde nicht zuletzt dadurch der Verlust ausgeglichen, den er durch die Aufgabe seiner lukrativen Stelle im Staatsdienst hatte hinnehmen müssen.77 Einige seiner Kollegen unterstellten ihm sogar, er verschwende Zeit und Geld der Universität mit angeblichen Recherchereisen, die er zu seinem Vergnügen nutze.78 Seine Erfahrungen während langer Aufenthalte zum Aktenstudium, unter anderem in Italien, Frankreich und England, fasste Raumer in Analysen der gesellschaftspolitischen Lage der Länder zusammen.79 Seine Arbeiten waren geprägt von der „Mannigfaltigkeit des Beobachteten, Erlernten, Erlebten“.80 Im Frühjahr 1844 brach er in die USA auf. Weder von der Universität noch vom preußischen Staat erhielt er dieses Mal finanzielle Unterstützung. Es gab in der jungen Republik zu jener Zeit noch keine großen Archive oder Bibliotheken, in denen er hätte recherchieren können, schon allein dadurch unterschied sich dieses Unternehmen von seinen bisherigen Recherchereisen innerhalb Europas. In Amerika galt sein Interesse ausschließlich der gegenwärtigen Situation des Landes, der Lebensart der Bürger und den praktischen Abläufen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Raumer verstand die Exkursion als Forschungsreise, entsprechend hatte er sich vorbereitet. Schon im August 1843 schrieb er darüber an seinen Bruder Karl: „Bis zum Frühjahr hoffe ich meine reichen Auszüge so zusammen[zu]stellen, dass mir völlig klar wird, was ich von A[merika] weiß, oder nicht weiß; dann kann ich binnen kurzer Frist viel erfragen.“ [Unterstreichung im Original] 81

76 Private Briefe der Familie Raumer, Universitätsbibliothek Münster [Friedrich an Karl von Raumer, 13.8.1843]. 77 F. Raumer: Lebenserinnerungen (1861), Bd. I, S. 168f. 78 [Anonym]: Berliner Historiker (1841), S. 425. 79 F. Raumer: Briefe aus Paris (1831); ders.: England (1836). 80 F. Raumer: Nachlaß (1869), S. III. 81 Private Briefe der Familie Raumer, Universitätsbibliothek Münster [Friedrich an Karl von Raumer, 13.10.1843 – Unterstreichung wie im Original].

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Im Oktober 1843 befasste er sich bereits „vom Morgen bis Abend mit den vereinigten Staaten von Nordamerika“.82 Er sprach mit anderen Amerikareisenden und befragte sie zu der organisatorischen Seite eines solchen Vorhabens, wie etwa über Dauer und Kosten der Überfahrt mit dem Dampfboot oder über die Transportmöglichkeiten vor Ort. Mit Hilfe des ehemals preußischen Gesandten in Washington, Friedrich Ludwig von Rönne, nahm er Kontakt zu amerikanischen Politikern, beispielsweise John C. Calhoun auf.83 Aus einem Brief von Alexander von Humboldt geht hervor, dass dieser versucht hatte, Raumer, wohl angesichts dessen fortgeschrittenen Alters, zu überzeugen, in Europa zu bleiben und besser nach Spanien oder Portugal zu reisen.84 Seine Einwände blieben jedoch wirkungslos, im Gegenteil teilte Raumer seinem Bruder erfreut mit: „[Friedrich von] Rönne, [Henry] Whearton, [Alexander von85] Humboldt, [Nikolaus] Julius stellen mir die Unternehmung als etwas Leichtes dar“, nur das „purgatorium der Seereise“[Unterstreichung im Original] bereitete ihm offensichtlich etwas Sorge, die jedoch seinen Enthusiasmus nicht schmälerte: „Dieser Eifer, diese jugendliche Freude“. 86 Der preußische Minister Johann Friedrich Eichhorn, bei dem Raumer 1843 seine Beurlaubung für die Reise beantragte, unterstützte das Vorhaben begeistert. Er betonte außerdem den Wert der für Raumers Forschung charakteristischen Methode von praktischer Anschauung: „Diese Freunde [die Raumer überreden wollten bei seinen historischen Forschungen in Europa zu bleiben], vergessen aber, daß von Anfang an zwei Richtungen sich in ihr Leben geteilt haben, neben der gelehrten auch eine praktische. Die letztere treibt Sie, statt alte Geschichte in neue Rahmen zu spannen, die Gegenwart und das wirkliche Leben der Länder und Völker zu erkunden. Da sie dies bisher mit so vielem Erfolge getan haben, so bin ich weit entfernt, Sie in ihrem Entschlusse, dessen Ausführung neue, schöne Früchte verheißt, irgendwankend zu machen.“87

82 Ebd. [19.10.1843]. 83 VI HA NL Roenne, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin [John C. Calhoun an Friedrich Ludwig Rönne, 8.7.1844]. 84 F. Raumer: Nachlaß (1869), S. 23 [Alexander von Humboldt an Raumer, o. D.]. 85 Es ist nicht ganz klar, welchen der Humboldt Brüder Raumer hier meint, doch angesichts seiner umfangreichen Korrespondenz mit Alexander von Humboldt liegt diese Vermutung nahe. 86 Private Briefe der Familie Raumer, Universitätsbibliothek Münster [Friedrich an Karl von Raumer, 13.8.1843 – Unterstreichung wie im Original]. 87 W. Friedrich: Raumer (1930), S. 62 [Eichhorn an Raumer, o. D.].

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Die knapp dreimonatige Rundreise ging von Boston über New York in Richtung Süden mit Station unter anderem in Philadelphia und Washington, durch das Landesinnere bis nach Chicago, dann gen Norden bis Kanada und schließlich zurück nach Boston. Sie beeindruckte Raumer zutiefst.88 Im Anschluss an die Reise entstand die zweibändige Schrift über Die Vereinigten Staaten von Nordamerika, bereitwillig von Brockhaus verlegt, möglicherweise vom Verlagshaus sogar mitinitiiert.89 Der Inhalt ist klar und systematisch gegliedert. Beginnend mit den geographischen Daten beschäftigte er sich dann ausführlich mit der Geschichte des Kontinents von den ersten europäischen Siedlern bis zum Ende der Präsidentschaft Jeffersons 1809. Dem historischen Teil folgt eine Vorstellung der einzelnen Bevölkerungsgruppen, in der auch Probleme wie die Sklaverei und die Behandlung der Ureinwohner erörtert wurden. Anhand eines Kapitels über Ohio werden die Gegebenheiten eines Einzelstaats exemplarisch dargelegt.90 Den größten Teil des Werkes jedoch bildet eine staatswissenschaftliche Analyse von Funktion und Bedeutung verschiedener gesellschaftlicher und politischer Institutionen und Bedingungen. Dieser Ansatz Raumers, zusammen mit den umfangreichen Voruntersuchungen und der systematischen Nachbereitung der Reise, hebt seine Arbeit aus der Flut beschreibender Berichte heraus. Die Darstellungen waren nicht ausschließlich an seinen Aufenthalt in Amerika gebunden. Sie waren das Ergebnis ausführlicher Recherchen, die durch eine Reise vervollständigt und überprüft worden waren. Den Fußnoten nach zu urteilen, hatte er viele amerikanische Primär- und Sekundärquellen studiert, etwa die Schriften verschiedener Politiker wie Thomas Jefferson, Henry Clay, James Monroe, John Calhoun, John Adams. Hinzu kamen Artikel aus Zeitschriften und damit auch die Federalist Papers. Unter den deutschen Quellen ist Robert von Mohls BundesStaatsrecht von Nord-Amerika das einzig nennenswerte, abgesehen von verschiedenen Nachschlagewerken. Zusätzlich zog er Texte aus Frankreich und Großbritannien hinzu, allen voran Alexis de Tocqueville und George Bancroft. Im Anhang veröffentlichte Raumer Auszüge aus seinen Briefen und Reisenotizen. In ihrer Unmittelbarkeit sind sie emotionaler und mit den üblichen Reisebeschreibungen vergleichbar. Diese lebhafte Anschaulichkeit bildet zwar einen Kontrast zu der vorherigen Analyse, ist jedoch eine wertvolle Ergänzung des Gesamtwerkes.

88 Private Briefe der Familie Raumer, Universitätsbibliothek Münster [Friedrich an Karl von Raumer, 22.12.1844]. 89 W.-P. Adams: German Translations (1999), S. 1334. 90 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 207-241.

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Friedrich Kapp urteilte 1874, knapp 30 Jahre später, eher harsch über Raumers Werk. Es enthalte zwar „gute Schilderungen und manche gelungene politische“, im Ganzen würde es jedoch „kaum die gewöhnliche Reisebeschreibung überragen“ und „viele oberflächliche Ausführungen und Parallelen enthalten“.91 Ganz anders klingt die Einschätzung Eugen Edgar Dolls weitere 50 Jahre danach, der in Raumers Werk eine „energetic and comprehensive vindication of the American people and their history“ sah. Es sei der „climax“ des Amerikainteresses der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.92 Raumers Forschung war weder die eines Wissenschaftlers „en-passant“, den die Umstände oder Abenteuerlust nach Amerika verschlagen hatten, noch war er ausschließlich Theoretiker oder politisch motivierter Amerikaenthusiast. Die Entscheidung für die USA als Thema entsprang einem explizit akademischen Interesse, freilich nicht unabhängig von Zeitgeist und Öffentlichkeit. In gewisser Weise allerdings stand dieser Ansatz dem Anspruch der Amerikaforschung des ausgehenden 18. Jahrhunderts näher als dem des Vormärz und gerade deshalb erschien er in jener Zeit besonders gewichtig. Raumer ging es um akkurate Darstellung statt um Systematisierung. Der besondere Wert von Raumers Amerikastudien lag und liegt in der Zusammenführung von genauen Beobachtungen, umfangreichem Hintergrundwissen und genauer Analyse. Streckenweise etwas zu ausführlich und im staatswissenschaftlichen Teil nicht so konzise wie etwa die Arbeiten von Mohl oder Zachariä, darf die Bedeutung des Buches für das Amerikaverständnis in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts nicht unterschätzt werden. Als Friedrich von Raumer im Alter von 67 Jahren in die Nationalversammlung gewählt wurde, kam ihm die Abwechslung nicht ungelegen. Nach den Anfeindungen vonseiten seiner Studenten war er vielleicht sogar besonders froh, wieder politisches Parkett betreten zu können. Er vermisse die universitäre Arbeit nicht, schrieb er aus Paris, denn „so nützlich wie dort, […sei er…] hier und in Frankfurt alle Tage“.93 Er sei akademisch „am Ende einer Laufbahn“ und könne ohnehin „wissenschaftlich nichts mehr zu Stande bringen“.94 Außerdem hielt er es für seine Pflicht, seinem Mandat in Frankfurt Folge zu leisten. Entsprechend empörte ihn der Vorschlag, er könne doch seine guten Verbindungen über den Atlantik nutzen, um auszuwandern und fernab von Unruhe und Revolution ein „sorgenfreies Leben“ zu führen: „Wie, ich soll mein Vaterland, dem ich mit Leib und Seele angehöre, dem ich so viel verdanke, wie ein feiger egoisti-

91 F. Kapp: Literatur (1874), S. 254. 92 E.E. Doll: German Historians (1948), S. 511. 93 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 323 [Brief vom 6.9.1848]. 94 Ebd., Bd. II, S. 397 u. S. 285 [Brief vom 4.10.1848 u. 19.8.1848].

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scher Schuft in dem Augenblicke verlassen, wo es an schwerer Krankheit daniederliegt?“95 Später, in seinen Lebenserinnerungen, kommentierte er die Früchte seiner politischen Tätigkeit zusammenfassend allerdings eher abwertend, spielte sie vielleicht auch absichtlich herunter: Er habe „viel gelernt aber keinen belehrt und nichts bewirkt“. 96 Sein öffentliches Auftreten war ähnlich bescheiden. Man schätzte sein zurückhaltendes Benehmen, „ohne die Prätensionen [sic] eines Edelmanns und eines Professors“. 97 Ein Standesbewusstsein ging ihm jedoch nicht gänzlich ab, auch wenn er, verglichen mit anderen Adligen, ein eher nüchternes Verhältnis zu seiner sozialen Stellung an den Tag legte.98 Er bot ein gutes Beispiel für die Angehörigen des ‚Gelehrtenstandes‘, die sich primär über ihre Bildung definierten. In seiner Einschätzung des Volkes war Raumer zwiegespalten. Als einer der wenigen Staatsangestellten hatte er schon unter Hardenberg auf eine Volksvertretung – zumindest mit beratender Funktion – gedrängt.99 Das Engagement für Reformen hatte ihn von aristokratischen Gesellschaftskreisen und sogar von einigen Verwandten entfremdet. Dennoch mahnte er später in der Paulskirche, „die Achtung vor der Vergangenheit und der Stellung eines einflussreichen Fürsten“ nicht zu verlieren. 100 Diese ständisch-liberal beeinflusste Einstellung war nicht untypisch für jemanden mit dem sozialen Hintergrund Raumers. Eine große Zahl der Abgeordneten in der Nationalversammlung, die fast ausschließlich dem Bildungsbürgertum entstammten, teilte die Skepsis gegenüber dem Volk. Raumer blieb in seiner Grundhaltung von der Arbeit unter Hardenberg geprägt, jener Zeit der preußischen Reformen, die von ihren Initiatoren gern als eine ‚Revolution von oben‘ gesehen wurden. Entschieden argumentierte er gegen den Vorwurf der Demokraten, die Frankfurter Verfassung sei dem Volk

95

Ebd., Bd. I, S. 137 [Brief vom 27.6.1848].

96

F. Raumer: Nachlaß (1869), S. 3.

97

W. Giesbrecht: Nekrolog (1874), S. 179 u. S. 187.

98

Zwischen Studium und Staatsdienst hatte sein Vater Raumer dazu angehalten, ein Jahr auf dem Landgut der Familie zu verbringen und sich auch mit praktischen Fragen der Landwirtschaft auseinanderzusetzen. Raumer hatte so einen adeligländlichen Lebensstil schätzen gelernt. F. Raumer: Lebenserinnerungen (1861), Bd. II, S. 5.

99

H. Herzfeld: Raumer (1928), S. 327, ohne weiterführenden Nachweis. Raumers Schriften nach zu urteilen, ist diese Einstellung nachvollziehbar, z.B. F. Raumer: Spreu (1848), S. 24 [Nr. 79], S. 148 [Nr. 491] u. S. 193f. [Nr. 636].

100 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 150 [Brief vom 29.6.1848].

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„oktroyrt“ worden. Wörtlich übersetzt hieße es nicht mehr als „gegeben“ und wenn etwas Gutes gegeben würde, spräche schließlich nichts dagegen, es „dankbar“ anzunehmen.101 Eine Argumentationsweise, die an jene Äußerung erinnert, die Hans Pfeffer, der Flugblattschreiber, dem ‚artigen Jungen‘ Raumer in den Mund legte. Zu der Frage, wie beim Schaffen und Beurteilen einer Verfassung vorzugehen sei, zog Friedrich von Raumer einmal mehr die Wissenschaft zu Rate.102 Er war der Überzeugung, man müsse zu diesem Zweck staatstheoretische a prioriÜberlegungen und praktische Erfahrung aus Geschichte und Politik verbinden.103 Die in der französischen Staatslehre propagierte absolute Gewaltenteilung war für Raumer eine „angeblich philosophische, in Wahrheit leere und unbrauchbare Abstraktion“. Wie der auf die britische Staatslehre zurückgehende, „oft wiederholte allgemeine Satz, eine niedergeschriebene Verfassung tauge Nichts“, ebenfalls seinen Widerspruch weckte. Die Vereinigten Staaten dagegen hätten in ihrer Verfassung sinnvoll ein „praktisches Ineinandergreifen“ der einzelnen Gewalten erreicht. Dadurch, dass man dort außerdem „nie Gesehnes und Gehörtes zu Gesetzen erhob“, habe man die „Allgewalt berathender und beschließender Versammlungen“ gebannt. Diese bedürften nämlich „nicht minder eines Zaums und Zügels […] als das Volk“.104 Vor allem betonte er die Notwendigkeit eines „Steuermann[s]“, um zu vermeiden, dass man „in alle Richtungen“ treibe.105 In Amerika habe George Washington diese „Aufgabe durch Milde, Besonnenheit, Mäßigung, Festigkeit und Weisheit“ gelöst.106 Selbst denjenigen, die sich nicht näher damit befasst hatten, musste bei der Frage nach einer neuen Verfassung neben Frankreich auch das Beispiel der USA in den Sinn kommen. Raumer war, wie die meisten seiner Kollegen, die über den Atlantik blickten, stets bemüht zu betonen, dass eine Übertragung amerikanischer Politik auf Europa nicht möglich und beabsichtigt sei. Er verglich eine Verfassung mit einem Schuh, der auch nicht jedem passe.107 „[N]ur die wahrhaft

101 Ebd., Bd. I, S. 128 [Brief vom 12.12.1848]. 102 F. Raumer: Staatsverfassung (1848), S. 165. 103 Raumer argumentiert, dass das amerikanische Staatsrecht so reibungslos funktioniere, läge daran, dass „dies nicht a priori von Wenigen erfunden, sondern das Ergebnis einer Vorbereitung von zwei Jahrhunderten“ sei. Vgl. F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 273. 104 Ebd. Bd. II, S. 275. 105 F. Raumer: Spreu (1848), S. 66 [Nr. 208]. 106 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 129. 107 F. Raumer: Spreu (1848), S. 147 [Nr. 487].

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den Verhältnissen angepassten [Verfassungen] können Liebe und Begeisterung erwecken.“ 108 Gleiche Ursachen historischer Ereignisse bedeuteten nicht auch gleiche Konsequenzen. Es sei also zu kurz gedacht, dass jede Revolution ein positives Ergebnis hervorbringe.109 Sein Urteil war eindeutig; „die nordamerikanische Verfassung [sei] die vollkommenste“ – aber eben nur ‚ad abstracto‘. Er wollte mit seinen Studien über die USA das europäische Verständnis von Konzepten wie Volkssouveränität, Republik und Demokratie schärfen und differenzieren. Diese Konzepte seien nicht in sich schlecht, das werde in Amerika deutlich, das Chaos der französischen Republik beweise jedoch, dass eine direkte und übereilte Anwendung unter den sozialen, religiösen und wirtschaftlichen Umständen der Alten Welt zum Scheitern verurteilt wäre. Er war durchaus der Meinung, dass die USA in bestimmten Zusammenhängen eine „neue Entwicklungsstufe der Menschheit“ erreicht hatten,110 doch – anders als besonders einige Liberale – ließ er sich nicht dazu hinreißen, etwas Ähnliches für die Zukunft Europas vorauszusagen. Für ihn waren und blieben die Welten diesseits und jenseits des Atlantiks zu verschieden. Es würde sich in Amerika genauso wenig eine erbliche Monarchie entwickeln, wie eine funktionsfähige, ausgewogene Demokratie in Deutschland. Europa könne dennoch von Amerika lernen, wenn man es nur richtig verstünde.111 „Das Europäische kann weder kurzweg in Nordamerika, noch das Nordamerikanische in Europa nachgeahmt werden. Vorzüge wie Mängel können aber zur Lehre und Besserung dienen.“112 Diese distanzierte Art, politische Konzepte zu betrachten, war jedoch nicht für alle seiner Leser nachvollziehbar, besonders nachdem gerade er selbst sich immer wieder gegen eine derartige Trennung von wissenschaftlicher Reflexion und praktischer Anwendung ausgesprochen hatte. 113 Öffentlich, im Plenum der Paulskirche, ergriff Raumer nur selten das Wort. Immer wieder verteidigte er sich seinen Wählern gegenüber, um nicht „für einen untauglichen Abgeordneten“ gehalten zu werden, weil er zu selten etwas sage.114 Als Parteiloser nämlich habe er kaum die Chance, einen Platz weit genug oben auf der Rednerliste zu bekommen, um tatsächlich aufgerufen zu werden. Er nutz-

108 F. Raumer: Historisch-politische Briefe (1860), S. 83. 109 Ebd., S. 281. 110 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 149. 111 Ebd., Bd. I, S. XIII. 112 Ebd., Bd. I, S. XIIf. 113 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. II, S. 156 u. S. 166 [Briefe vom 8.1.1849 u. 13.1.1849]. 114 Ebd., Bd. I, S. 26-31 u. S. 49 [28.-30.5.1848 u. 3.6.1848].

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te geschickt den publizistischen Weg, dessen Wirkung und Möglichkeiten er bereits zu schätzen gelernt hatte. So veröffentlichte Raumer 1848 Reden, die in Frankfurt nie gehalten wurden. Das schmale Bändchen mit sechs Reden erschien zwar in Berlin und nicht vor Ort in Frankfurt, war dort aber im Umlauf, so dass Raumers Einstellungen schnell unter seinen Kollegen bekannt wurden.115 Zusätzlich gab er schon 1849 seine Korrespondenz aus Frankfurt und Paris heraus.116 Robert von Mohl war zwar der Meinung, dass „diese Komödien- und Wäschezettel, diese Berichte über Spaziergänge und Leibweh, die man etwa zu Hause [sic] geschickt hat, drucken zu lassen“,117 keine gute Idee gewesen sei, doch boten sie einen wertvollen Eindruck der Gedankenwelten, Unterhaltungen und kleineren Vorträge in den Parteikneipen. Es fällt auf, dass Raumer bei politisch brisanten Themen fast immer auf die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten zu sprechen kam. Den selbst gesetzten wissenschaftlichen Anspruch erfüllend, hatte er in seiner Studie zu Amerika eine genaue Darstellung der Verfassung von 1787 sowie der „materiellen und geistigen Zustände“ in den USA, die darauf eingewirkt hatten, geliefert.118 In einer seiner wenigen Reden vor der Nationalversammlung berief er sich am 17. Februar 1849 explizit auf seine eigenen „genauen Untersuchungen“ zu Amerika.119 Auch seinen Kollegen war sein Werk bekannt, wie etwa der Hinweis in einer Plenarrede Nauwercks beweist.120 Wieder präsentierte Raumer Amerika ausdrücklich nicht als konkretes Vorbild für die politische Gestaltung Europas, besonders Deutschlands, und wiederholte seine Warnungen vor „Nachäfferei“, die er als „falsche Weltbürgerei“ verwarf.121 In Bezug auf politische Ansätze für Deutschland war Raumer eindeutig mehr Reformer als Revolutionär, mehr Royalist als Rebell. In anderen Zusammenhängen – beispielsweise in seinen wissenschaftlich abstrakten Betrachtungen über Amerika – verlagerte sich seine Position. Die USA ersetzten für Raumer die praktischen Beispiele, die er sonst in der Geschichte suchte. Die junge Republik jenseits des Atlantiks, strukturell und geographisch weit genug entfernt, um nicht

115 Ebd., Bd. I, S. 282 [Brief vom 13.8.1848]. 116 F. Raumer: Reden (1848); ders.: Briefe (1849). 117 R. Mohl: Reichsversammlung (1850), S. 48. 118 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 131ff., S. 142ff. u. S. 148f. 119 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII (1849), S. 5283-5285 [Friedrich von Raumer, 17.2.1849, 172. Sitzung]. 120 Ebd., Bd. VII (1849), S. 5521 [Nauwerck 01.3.1849, 179. Sitzung]. 121 F. Raumer: Briefe aus Frankfurt und Paris (1849), Bd. I, S. 159 [Brief vom 2.7.1848]; ders.: Historisch-politische Briefe (1860), S. 106.

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als Bedrohung wahrgenommen zu werden, bot neue staatstheoretische Denkanstöße und war eine Quelle für Argumente und Erfahrungswerte, die man in Europa nicht sammeln konnte. Statt historisch, rückwärtsgewandt zu argumentieren, bediente er sich der Vereinigten Staaten, da diese die „Poesie der Zukunft“ ausstrahlten und somit für jeden Fortschrittoptimisten anziehend wirkten.122 Er war genau deshalb in die USA gereist, um sich „daselbst von ächten Propheten über eine große Zukunft weissagen zu lassen“. 123 Wie viele seiner Zeitgenossen war Friedrich von Raumer der Auffassung, dass die „wahrscheinliche Zukunft der Menschheit […] keineswegs allein in Europa liege“.124

R OBERT VON M OHL – E IN SÜDWESTDEUTSCHER J URIST „…der das amerikanische Staatsrecht am besten kennt.“ 125

Als Robert von Mohl in die Nationalversammlung gewählt wurde, war er 49 Jahre alt und stand erst am Beginn seiner politischen Laufbahn. Im Gegensatz dazu hatte er sich in der Wissenschaft bereits einen beachtlichen Ruf erarbeitet. Für beide Handlungsbereiche galt jedoch, was Heinrich Laube in seinen Erinnerungen an die Nationalversammlung über Mohl schrieb: „Was er weiß, das hat er unbefangen geprüft und feiner gesichtet, was er vertritt, das vertritt er vorsichtiger [als sein Bruder Moriz]. Seine Neigung zum Eigensinne ist nicht minder groß, aber seine politische Fähigkeit ist größer.“126 Mohl – der Wissenschaftler – arbeitete sorgfältig und unparteiisch, wenn es aber notwendig wurde, Position zu beziehen, scheute Mohl – der Politiker – nicht davor zurück; allerdings mit der gebotenen Vorsicht und mit der Skepsis gegenüber Einseitigkeit, die ihn seine wissenschaftliche Arbeit gelehrt hatte. Wenn „seinem durch und durch gesunden Menschenverstande doch eine kleine Dosis von Schrulligkeit beigemischt“ zu sein schien,127 dann lag das vermut-

122 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 96. 123 Ebd., Bd. I, (1845), S. VIII. 124 Ebd., Bd. I, (1845), S. VI. 125 Francis Lieber Papers, Box 57, Huntington Library Passadena [Carl Anton Mittermaier über Mohl in einem Brief an Francis Lieber, 21.10.1844]. 126 H. Laube: Parlament (1849), Bd. II, S. 78. 127 E. Meier: Mohl (1878), S. 458.

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lich daran, dass es ihm selbst schwer fiel, sich für einen der beiden Handlungsbereiche Wissenschaft oder Politik zu entscheiden, obgleich er der Ansicht war, eine Kombination beeinträchtige die Qualität der Arbeit auf mindestens einem der beiden Felder, weil der Anspruch in seinen Augen grundlegend verschieden war. Das vom Vater gewünschte Jurastudium absolvierte er „ohne Liebe zum Recht aber auch ohne bestimmten Widerwillen dagegen“ in Tübingen und Heidelberg.128 Er arbeitete „unausgesetzt fleißig“.129 Seine Dissertation war in „sehr schlechtem Latein“ verfasst und für Mohl ohnehin nur „ein unbedeutender Aufsatz“.130 Er beschäftigte sich darin allerdings bereits mit dem Unterschied zwischen repräsentativen und ständischen Verfassungen, was später eines seiner zentralen Forschungsinteressen werden sollte. Auch das amerikanische Regierungssystem betrachtete er aus dieser Perspektive. Im August 1821 wurde Mohl in Tübingen die Doktorwürde verliehen. Gleich darauf sammelte er in Frankfurt am Main bei der württembergischen Bundesgesandtschaft unter Karl August Freiherr von Wangenheim erste berufliche Erfahrungen und reiste dann durch mehrere deutsche Staaten und nach Paris.131 In Frankreich sollte er besonders seine Sprachkenntnisse perfektionieren. Seine Eltern hatten, trotz der finanziellen Belastung, für jeden ihrer vier Söhne eine solche Bildungsreise vorgesehen, um die Erziehung zu vollenden, und Mohl wusste dieses Privileg zu schätzen, „weil bei beständigem Aufenthalt im eigenen Lande der enge Blick nicht erweitert“ werden könne.132 Sein Vater wurde jedoch bald ungeduldig. Selber kein „Mann der Wissenschaft im strengsten Sinne“, hoffte Staatsrat Ferdinand Mohl für seinen Sohn auf eine akademische Karriere.133 Er drängte zu ersten Veröffentlichungen und vor allem auf eine schnelle Anstellung. Bereits ein Jahr später, 1823, trat Mohl eine Professur für Staatswissenschaften an, die sein Vater ihm durch gute Kontakte an der Universität Tübingen verschafft hatte.134

128 P. Ehler/V. Schäfer: Mohl (1975), S. 22 [Robert von Mohl an seinen Vater, etwa Frühjahr 1819]; „[…] ohne dass ich eigentlich eine Meinung dazu gehabt hätte; allein mein Vater wünschte es so.“ Vgl. D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 85. 129 P. Ehler/V. Schäfer: Mohl (1975), S. 23 [Zeugnis für Robert Mohl von Juraprofessor Dr. Eduard Schrader]. 130 E. Meier: Mohl (1878), S. 443; D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 118. 131 H. Best/W. Weege: Biographisches Handbuch (1998), S. 243. 132 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 86 u. S. 119. 133 Ebd., Bd. I, S. 20. 134 Ebd., Bd. I, S. 134.

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In seinen Lebenserinnerungen bedauerte Mohl, dass seine ersten Veröffentlichungen unter dem Druck des Vaters entstanden seien oder vielmehr, dass er „von Jugend auf gar nichts anderes wusste, als dass ein ordentlicher junger Mensch gleich nach der Universität Bücher drucken lassen müsse“. 135 Diesen ersten Werken fehle daher aus Zeitmangel und Unerfahrenheit die fundierte Basis, die er später zur Grundlage seiner Arbeiten machte. 1822 fasste Mohl seine praktischen Erfahrungen bei der Bundesversammlung zu seiner ersten kleinen Publikation Die öffentliche Rechtspflege des deutschen Bundes zusammen. Über die schnelle, schon im Jahr darauf folgende Veröffentlichung seiner zweiten wissenschaftlichen Arbeit Das Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika urteilte Mohl später ebenfalls abwehrend: „[M]ein freier Wille war es nicht“. In anderen Worten, auch hier war es die „nicht nur quälende sondern geradezu unverständige Ungeduld“ des Vaters, die ihn antrieb. 136 Seine kurzfristige Berufung nach Tübingen verhinderte das Erscheinen des geplanten zweiten Bandes der Untersuchungen über die USA, was Mohl sehr bedauerte.137 Stattdessen veröffentlichte er aber bald darauf seine Vorlesungen über das Staatsrecht in Württemberg. 138 Obschon ihm das wissenschaftliche Arbeiten mehr Freude machte als Vorlesungen zu halten, bereitete er sich immer umfassend für seine Studenten vor und konnte so das Material problemlos zu einem Buch verarbeiten. 139 Es waren aber dennoch seine Studien über Amerika, die Mohls Ruf als Wissenschaftler begründeten, auch wenn er später für Arbeiten zu vielen weiteren Bereichen der Staatswissenschaft geachtet wurde und in Erinnerung blieb.140 Sogar der amerikanische Bundesrichter Joseph Story, damals einer der wichtigsten Kommentatoren zur amerikanischen Verfassung, sprach sich anerkennend über Mohls Arbeit aus.141 Noch 1878 schrieb die Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, das Bundes-Staatsrecht sei „wahrhaft klassisch“, weil es „die klarste Auseinandersetzung des geltenden Rechts mit dem tiefsten Eindringen in den Geist desselben verbindet“.142 Mit Bedauern stellte man fest,

135 Ebd., Bd. I, S. 21. 136 Ebd., Bd. I, S. 119f. 137 E. Angermann: Mohl (1962), S. 27; D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 261. 138 R. Mohl: Württemberg (1829). 139 N. Urban: Mohl (1998), S. 116; D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 255. 140 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 261. 141 E. Angermann: Mohl (1962), S. 26. 142 E. Meier: Mohl (1878), S. 446.

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dass Mohls Untersuchungen, die noch vor Tocquevilles großem Werk De la Démocratie en Amérique zu einer Zeit erschienen waren, in der noch „gänzliche[r] Mangel an einer wissenschaftlichen Bearbeitung des Gegenstandes“ herrschte, „für das Interesse des deutschen Publikums, und auch des Staatsgelehrtentums jener Zeit um Vieles zu früh“ gekommen seien.143 Für Friedrich Kapp, der 1874 in der Historischen Zeitschrift seine ausgesprochen kritische Zusammenstellung Zur deutschen Literatur über die Vereinigten Staaten von Amerika präsentierte, war Mohl – besonders ob seiner Sachlichkeit – einer der wenigen Autoren, die wirklich Lob verdienten: „[Seine] verdienstvolle Arbeit […] bildet einen wohltuhenden Gegensatz zu den ihr vorausgegangenen und den nachfolgenden tendenziösen Schriften […] eine wahre Perle der staatsrechtlichen Literatur.“144 Auch Mohl selbst hielt seine zweite Veröffentlichung rückblickend für „ein nicht eben schlechtes Buch über einen interessanten Gegenstand, welcher damals wissenschaftlich noch gar nicht bearbeitet gewesen war“, obgleich er einräumte, dass er vielleicht etwas zu jung und unerfahren gewesen sei, um einen noch so unbekannten Gegenstand anzugehen. 145 Im Vorwort des Bundes-Staatsrechts war der streng wissenschaftliche Anspruch klar zu erkennen, gespickt vielleicht mit einem gewissen jugendlichen Überschwang des gerade 23-jährigen Verfassers: „Kann es […] einen zur aufmerksamen Betrachtung tauglicheren Gegenstand geben, als eine in der Wirklichkeit bestehende Bundesverfassung?“146 fragte er und wies darauf hin, dass man, „um der überflüssig vorhandenen, und durch ihre hohe Allgemeinheit und Leere so gefährlichen Theorien-Weisheit Consistenz zu verschaffen, […] dieselben am einzig richtigen Probiersteine der Erfahrung […] untersuchen“ müsse.147 Unter den bisherigen Werken auf beiden Seiten des Atlantiks fänden sich zwar einige sehr verdienstvolle, doch seien es entweder statistische Beschreibungen oder politische Schriften. Eine „umfassende systematische Darstellung des positiven Bundesstaatsrechts der Vereinigten Staaten“, wie er sie vorlege, existiere noch „in keiner Sprache“.148 Mit den Recherchen für die Untersuchung des Bundesstaatsrechts hatte Mohl begonnen, als er nach seinem Rechtspraktikum in Frankfurt bei der Bundesgesandtschaft mehrere Monate in Göttingen verbracht hatte. Er erinnerte sich, dass

143 Ebd., S. 446. 144 F. Kapp: Literatur (1874), S. 247 u. S. 249. 145 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 261. 146 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. VI. 147 Ebd., S. XII. 148 Ebd., S. XI; D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 260.

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hier „Litteratur [über Amerika] in großer Vollständigkeit vorhanden war und mich eben dadurch reizte“.149 Das umfangreiche Material bot sich geradezu an, um eine Publikation vorzubereiten. Während seiner späteren Forschung zu den USA erfuhr er immer wieder, wie einzigartig in Deutschland die Göttinger Sammlung war. In seinen Lebenserinnerungen nannte er sie sogar „die an wirklich benutzbaren und kennenswerten Büchern reichste in der Welt“. 150 Die Bekanntschaft mit dem amerikanischen Konsul in Paris, David Bailie Warden, erwies sich ebenfalls als ein großer Vorteil für Mohls Studien über die USA.151 Warden hatte selbst bereits über das amerikanische Staatsrecht publiziert und besaß eine sehr umfangreiche Bibliothek an Americana, die er dem jungen Mohl während eines Aufenthalts in der französischen Hauptstadt Anfang 1823 zu Verfügung stellte.152 In persönlichen Gesprächen und später in Briefen beantwortete Warden bereitwillig Fragen zu seinem Heimatland.153 Mohl nutzte die Gelegenheit, sich umfassend in die Thematik einzuarbeiten. Zum Abschied schrieb er an Warden: „C’est à l’honneur de votre connaissance et à votre bonté inépuisable, que je dois tous le renseignements sur une partie de globe si intéressant pour mois; je crains seulement de n’avoir abusé de votre complaisance extrême.“154 Wenn Mohl es in seinen Lebenserinnerungen auch so darstellte, als sei er eher zufällig zu dem Thema Amerika gekommen, blieb es doch ein wiederkehrendes Sujet in seinen Arbeiten.155 Seine späteren Schriften gelten zwar als politischer, was nicht zuletzt an den aktuellen Entwicklungen der Zeit gelegen haben dürfte, doch blieb er seinem juristisch theoretischen Anspruch treu.156 Während den 1830er und 40er Jahren schrieb er regelmäßig Beiträge für die Kritische Zeitschrift. 157 Besonders zu Beginn seiner publizistischen Tätigkeit konzentrierte er sich auf die Vereinigten Staaten. Er schrieb Rezensionen über

149 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 128. 150 Ebd., Bd. I, S. 127. 151 Ebd., Bd. I, S. 132. 152 D.B. Warden: Account (1819). 153 Papers of David Bailie Warden, LOC Washington; Nachlass Robert von Mohl, Universitätsbibliothek Tübingen. 154 Ebd. [Mohl an Warden, 23.2.1824]. 155 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 132. 156 E. Meier: Mohl (1878), S. 447. 157 Bei der Kritischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes war Mohl ab Nr. 7 Beiträger, später Mitherausgeber. Nur drei Nummern erschienen ohne einen Beitrag von ihm: Nr. 9 (1837), Nr. 19 (1847) u. Nr. 20 (1848).

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amerikanische Autoren wie Joseph Story, John Marshall und auch Francis Lieber. Bei dieser Gelegenheit betonte er wiederholt, wie wichtig es sei, amerikanische Autoren in Deutschland zu präsentieren. 1844 verfasste er einen langen Artikel über die Entwicklung der Demokratie jenseits des Atlantiks. In diesem Zusammenhang setzte er sich auch intensiver mit Tocqueville auseinander, dessen Sichtweise auf die amerikanische Demokratie er zwar teilte, deren negativen Seiten er jedoch mehr betont sehen wollte. Im Ganzen fühlte sich Mohl aber nur auf seinem eigenen Spezialgebiet in einer Position, den schon damals für seine genaue Kenntnis der USA hoch gelobten Franzosen direkt zu kritisieren. Das Kapitel über das Bundesstaatsrecht sei der „schwächste Theil des Werkes“.158 Die Bedeutung, die seine Beschäftigung mit Amerika für den wissenschaftlichen Ruf Mohls hatte, und den Stellenwert, den seine Arbeit in der deutschen Amerikaforschung im Allgemeinen einnahm, verdeutlichte die Festschrift, die er 1871 erhielt, und die sich ebenfalls einer Amerikathematik widmete.159 Im Vorwort schwärmte der Verfasser J. Rüttimann: „[…] dass Sie [Mohl] nicht nur der Erste gewesen sind, der das Verfassungsrecht der nordamerikanischen Union wissenschaftlich und systematisch bearbeitet hat, sondern dass sie auch durch Bezeichnung der Quellen und Hilfsmittel Anderen die Bahn für ähnliche Forschungen geebnet haben.“160

In seinen Studien zu den USA kam Mohl mit vielen Themen in Berührung, die ihn während seiner ganzen späteren wissenschaftlichen Laufbahn in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder umtrieben, insbesondere der Föderalismus und die Rechtsstaatlichkeit.161 Im Zusammenhang mit Überlegungen zum Deutschen Bund hatten ihn föderale Systeme schon während seines Studiums beschäftigt, und es ist durchaus möglich, dass sein Interesse an Amerika auch dadurch motiviert war.162 Noch Anfang der 1870er Jahren, als Organisationsformen des Staates in Deutschland erneut zum Thema wurden, zog man Mohls Arbeit zu Amerika als ein Lehrbuch zum Föderalismus heran.163 Seinem Freund, dem amerikanischen Gesandten in Paris, David Bailie Warden, sandte Mohl ein Exemplar des Bundes-Staatsrechts mit der Bitte um Nach-

158 R. Mohl: Entwicklung der Demokratie (1844), S. 282. 159 J. Rüttimann: Kirche und Staat (1871). 160 Ebd., S. IIf. 161 E. Angermann: Mohl (1962), S. 26. 162 E. Meier: Mohl (1878), S. 445. 163 F. Kapp: Literatur (1874), S. 249.

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sicht für mögliche Ungenauigkeit. Er habe schließlich nicht die Amerikaner im Blick gehabt, „mais mes compatriots, qui sont bien loin, d’en [votre constitution fédérative] avoir la connaissance necessaire, quoique gouvernés eux même par une constitution fédérative“.164 Mit der Situation im Deutschen Bund war Mohl vertraut und auch mit verschiedenen Reformvorschlägen und den realen Möglichkeiten dazu. Sein Urteil also, man habe in Deutschland noch nicht das richtige Verständnis von Föderalismus, war nicht aus der Luft gegriffen. Mit seinen Untersuchungen des amerikanischen Bundesstaatsrechts hoffte Mohl zur Klärung und Konturierung des föderativen Konzeptes beizutragen, seinen Ansatz aber als politisch motiviert einzustufen, ginge zu weit. Ziel seiner Arbeit, schrieb Mohl später, sei es gewesen, „lediglich das positive Recht [der USA] nach den gesetzlichen Quellen“ darzulegen.165 Im Vergleich zu vielen seiner Kollegen und Zeitgenossen, die sich wissenschaftlich mit Amerika befassten, war Mohl weniger darum bemüht, eine mögliche Übertragung amerikanischer Konzepte auf Deutschland auszuschließen – nicht weil er dies für möglich oder gar wünschenswert gehalten hätte –, sondern vielmehr weil für ihn eine direkte reale Anwendung seiner juristischen Betrachtungen gar nicht zur Disposition stand.166 Davon abgesehen erschien seine Schrift zu einer Zeit, als der politisierte Amerikadiskurs noch nicht so intensiv stattfand. Erst später machte Mohl sich ernsthaft Gedanken zur Übertragbarkeit amerikanischer Konzepte, wie etwa der Republik, zum Beispiel im Entwurf zu einer Flugschrift 1848. Diese blieb jedoch allem Anschein nach unveröffentlicht.167 Als er 1860 den ersten Teil seines Sammelbandes Staatsrecht, Völkerrecht und Politik veröffentlichte, griff er die Beweisführungen aus der Flugschrift noch einmal auf. Jetzt argumentierte er fundierter gegen die Übertragung, da es „eine grauenvolle Dummheit wäre, zu glauben, durch die Einführung einer repräsentativen Demokratie sei Deutschland zu verwandeln in ein zweites Nordamerika“.168 Er berief sich zwar auf das Beispiel der USA „zur weiteren Bekräftigung meiner Ansichten“, schob aber gleich vorweg, dass die dortige Verfassung einer „anderen Staatsart“ angehöre und „somit kein Beweis für die Anwendbarkeit diesseits“ böte.169 Mohl nutzte Amerika nur als ein Anschauungsobjekt unter vielen, nicht als Modell oder Vorbild, nicht einmal als Ausblick auf eine noch ferne republikanische Zukunft im eigenen Land. Es

164 Papers of David Baillie Warden, LOC [Mohl an Warden, 10.3.1824]. 165 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 260f. 166 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. XIIf. 167 E. Angermann: Republikanismus (1961). 168 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 455. 169 Ebd., Bd. I (1860), S. 455.

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wurde ihm später zu Gute gehalten, dass er es verstanden habe, „mit deutscher Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit […] Institutionen des Auslandes [zu untersuchen,] ohne jemals aus blinder Nachahmungssucht das einheimische Gute Preis zu geben“.170 Diese Herangehensweise an das amerikanische Bundesstaatsrecht, die von der politischen Realität in Europa abstrahierte, war bezeichnend für sein Verständnis von Politik und Wissenschaft. Seine Motivation, sich mit Verfassungsrecht zu beschäftigen, beschrieb Mohl in seinen Lebenserinnerungen: „Wie ich selbst noch Mühe hatte, mich in den neuen Verfassungsgrundsetzen zurechtzufinden und sie mir in ihren, den bestehenden Staatseinrichtungen oft sehr zuwiderlaufenden Folgerungen deutlich zu machen, so schien es mir auch die nächste Aufgabe zu sein, auf diesem Felde schriftstellerisch und im Leben zu wirken.“171

Klaus von Beyme vergleicht diesen Ansatz in den verfassungsrechtlichen Schriften Mohls mit der heute im englischsprachigen Raum als „comparative government“ bekannten Methodik, bei der man durch das Vergleichen verschiedener Regierungssysteme allgemeine Strukturen zu erkennen sucht, um abstrakte Systeme zu konstruieren. In diesem Sinne, so Beyme weiter, könne man Mohl als einen der ersten Politikwissenschaftler sehen.172 So trugen die fast aristotelischen Prämissen, nach denen Mohl vorging, entschieden zu der „Ausdifferenzierung und Trennung derjenigen wissenschaftlichen Disziplinen [bei], die sich mit Staat, Verwaltung und Politik befassen“.173 Ein Artikel in der einst von Mohl mitbegründeten Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft lobte 1878, drei Jahre nach Mohls Tod, dessen logisch stringente Ausarbeitungen, die ohne rechtshistorische oder philosophische Ausschweifungen methodisch überzeugend das jeweilige Thema umfassend beleuchteten, beklagte aber, dass er „dem Leser nichts zu denken übrig“ ließe, weil wirklich jedes Detail behandelt würde. Selbst Einwände, „auf die sonst Niemand gekommen wäre“, suche er zu widerlegen.174 Über Mohls Arbeitsweise und Forschungsstil hieß es:

170 J. Rüttimann: Kirche und Staat (1871), S. If. 171 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 132. 172 K. Beyme: Mohl. Politische Schriften (1966), S. XXI. 173 M. Henkel: Mohl (2002), S. 348 174 E. Meier: Mohl (1878), S. 432 u. S. 457.

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„Er besaß ferner im hohen Maasse jene Schärfe des Verstands und jene Klarheit des Denkens, die nirgends eine Dunkelheit oder auch nur eine für den Schriftsteller ebenso bequeme wie für den Leser unbequeme zweideutige Unbestimmtheit zuliess.“175

Im Ganzen besitze er zwar eine außerordentliche Beobachtungsgabe für politische Prozesse und staatswissenschaftliche Zusammenhänge, „fast wie ein Naturforscher“, ihm fehle aber die nötige Intuition für die politische Umsetzung. Die Fähigkeit zur staatswissenschaftlichen Diagnose sei ihm eher zu eigen gewesen als die Kreativität für politische Reformvorschläge.176 Mohl selbst sah sich zweifelsohne als Wissenschaftler, hatte jedoch immer auch politische Ambitionen. 1845 ließ er sich für die Wahlen der Zweiten Württembergischen Kammer aufstellen. Infolge einer regierungskritischen Stellungnahme, die er in diesem Zusammenhang schrieb, geriet er mit dem württembergischen Minister Johannes von Schlayer aneinander und sollte nach Ulm strafversetzt werden. Aus Protest trat er aus dem württembergischen Staatsdienst aus und verließ Tübingen vorübergehend. Bei seiner Rückkehr wurde er, zu seinem Erstaunen, als „politischer Märtyrer“ gefeiert. Durch diesen Vorfall gewann Mohl mehr oder minder unfreiwillig, ähnlich wie Raumer durch seinen öffentlichkeitswirksamen Austritt aus der Akademie der Wissenschaften, hilfreiche liberale Sympathien. Später spielte er das Ereignis jedoch bewusst herunter. Es habe ihm „nur eine komische Erinnerung zurückgelassen“.177 Seine Professur in Tübingen erhielt er aber nicht wieder und folgte daher 1847 einem Ruf an die Universität im badischen Heidelberg, wo auch der Jurist Carl Anton Mittermaier lebte, der sich ebenfalls intensiv für die USA interessierte. Mohls Lehrtätigkeit dort wurde von verschiedenen politischen Ämtern immer wieder unterbrochen. In seinen Lebenserinnerungen schilderte er, wie ihm während seiner Zeit in der Paulskirche klar geworden sei, dass ihm „zum bedeutenden Staatsmanne zwei wesentliche Eigenschaften fehlen. Einmal der die ganze Sachlage frei beherrschende durch die augenblicklichen Verhältnisse und Strömungen nicht getrübte und nicht auf sie beschränkte Blick. Zweitens die Initiative zur Aufstellung eines ganz selbstständigen und zu einer großen augenblicklichen Wirkung geeigneten Plans. […] Kurz, ich sah täglich mehr und mehr ein, dass ich Theoretiker und Doktrinär, nicht aber maßgebender Staatsmann war.“178

175 Ebd., S. 443. 176 Ebd., S. 456, S. 457 u. S. 458; K. Beyme: Mohl. Politische Schriften (1966), S. XLI. 177 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. II, S. 9. 178 Ebd., Bd. II, S. 99.

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Spätere Kritik an Mohls Fähigkeiten als Staatsmann stützte sich, der Wortwahl nach zu urteilen, ausschließlich auf dessen eigene Einschätzungen, die sich jedoch hauptsächlich aus der nachvollziehbaren Resignation unmittelbar nach dem Scheitern der Nationalversammlung, Mohls erster großen politischen Aufgabe, speisten.179 Je klarer sich das Ende der Versammlung in Frankfurt abzeichnete, desto mehr sehnte sich Mohl „nach meinen Büchern und meiner akademischen Wirksamkeit zurück“.180 Als er Ende 1849 mit seiner Familie vor den badischen Unruhen aus Heidelberg vorübergehend nach Bonn geflohen war, schrieb er an seinen Bruder in Paris: „Ich habe die Politik dick satt bekommen. Ich […] habe keinen politischen Ehrgeiz, keine politische Leidenschaft, und lasse mir leicht etwas entleiden durch die persönliche Rohheit eines Gegners.“ 181 Tatsächlich engagierte er sich aber neben seiner wissenschaftlichen Arbeit immer wieder aktiv politisch. In den 1850er und 60er Jahren war er Mitglied der württembergischen Abgeordnetenkammer und dann Präsident der badischen Ständeversammlung. Von 1874 bis zu seinem Tod ein Jahr später saß er sogar im deutschen Reichstag.182 Die Verknüpfung von Politik und Wissenschaft war für Mohl ein zweischneidiges Schwert.183 Wirkliche Gelehrte, meinte er, fänden sich so selten in politischen Positionen, etwa auf Gesandtschaftsposten, dass sie dann meist überschätzt würden.184 Auch die Art und Weise, auf die viele seiner Kollegen, unter ihnen Welcker oder Rotteck, die beiden Handlungsbereiche verknüpften, billigte Mohl nicht immer.185 Gleichzeitig war er aber sein Leben lang bemüht, selbst einen Weg zu finden, die „zwei Seelen in seiner Brust“ zu versöhnen.186 Er leistete einen wichtigen Beitrag zur Institutionalisierung der Staatswissenschaft und damit auch der heutigen Politikwissenschaft.187 Anfangs war Mohl unzufrieden damit, als Professor für Staatswissenschaften und nicht in seinem eigentlichen Fach Jura berufen worden zu sein, bemühte sich dann jedoch bald, dieser Fach-

179 E. Meier: Mohl (1878), S. 439; W. Bleek: Politik-Professoren (1994), S. 293. 180 B. Mann: Reichsminister (1971), S. 370 [6.3.1849]. 181 Robert an seinen Bruder Julius, 13.6.1849: „[S]ehne [ich] mich auf das stärkste nach meinen Büchern und meinem Schreibtische.“ Vgl. E. Angermann: Mohl (1962), S. 71. 182 H. Best/W. Weege: Biographisches Handbuch (1998), S. 244. 183 K. Beyme: Mohl. Politische Schriften (1966), S. VIII. 184 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 285f. 185 K. Beyme: Mohl. Politische Schriften (1966), S. VII. 186 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 140; K. Beyme: Mohl. Politische Schriften (1966), S. VIII. 187 K. Beyme: Mohl. Politische Schriften (1966), S. XLI.

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richtung neue Bedeutung zu verschaffen und Lehrinhalte zu entwickeln.188 Ein konkreterer Praxisanteil in der Forschung, wie Friedrich von Raumer ihn etwa auf seinen Reisen praktizierte, schien Mohl nicht die Lösung. Für Raumer sollte die Wissenschaft eine Grundlage für politisches Handeln bieten, Mohl hingegen definierte den Prozess in die andere Richtung. Er propagierte eine Verwissenschaftlichung der Politik. Die praktische Politik sollte Anhaltspunkte geben für eine Systematisierung der Staatswissenschaften, bevor anhand der „Wissenschaftliche[n] Politik“ die geforderte fundierte akademische Ausbildung für eine Karriere im Staatsdienst möglich würde. 189 Die Notwendigkeit einer solchen praxisbezogenen Ausbildung war auch für Mohl keine Frage, denn „der praktische Staatsmann [erhalte] Kenntnis der geschichtlichen Staatswissenschaften. Sie liefern ihm das, was er vor Allem bedarf, nämlich Erfahrung; und sie lehren ihn den Schauplatz kennen, auf welchem er zu handeln hat, so wie die Elemente der Kraft und des Widerstandes, welche er benützen oder bemessen muss.“190

Friedrich von Raumer war ein praktischer Wissenschaftler, Robert von Mohl hingegen ein theoretischer Politiker. In Mohls Wissenschaftsverständnis dienten „Geschichte und Statistik für den Theoretiker sowohl zur Erweiterung und Vervollständigung seiner Anschauungen und Gedanken als zur Prüfung seiner Lehrsätze“ und boten „Stoff, aus welchem neue allgemeine Regeln entwickelt werden“ konnten.191 Dieser abstrahierende Prozess war die Aufgabe der so genannten ‚dogmatischen‘ Staatswissenschaft. Entsprechend veröffentlichte Mohl selbst einige Politische Aphorismen abgeleitet aus der Zeitgeschichte. In der Einleitung betonte er explizit, dass gerade die „Tagesgeschichte zur Gewinnung theoretischer Sätze“ besonders hilfreich sei, weil sie „die für die Gegenwart und die nächste Zukunft passenden Regeln am sichersten und leichtesten liefert“.192 Raumer, der diese Meinung über den Nutzen der jüngeren Geschichte teilte und für seine entsprechende Themenwahl viel Kritik von Fachkollegen erntete, bediente sich des historisch-statistischen Ansatzes, während Mohls systematische Denkstrukturen eher der dogmatischen Staatswissenschaft entsprachen.193 So blieb ein Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen

188 E. Angermann: Mohl (1962), S. 47. 189 R. Mohl: Enzyklopädie (1859), S. 457. 190 Ebd., S. 714. 191 Ebd., S. 712; R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1862), Bd. II, S. 3. 192 Ebd., 193 E. Angermann: Mohl (1962), S. 22.

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Arbeiten die Systematisierung der Staatwissenschaften, bezogen sowohl auf Inhalte als auch auf die Methode. Vor diesem Hintergrund erklären sich auch die Vorbehalte, die Mohl gegenüber politischer Aktivität von Wissenschaftlern – auch seiner eigenen – hatte. Die Abstraktion der Dogmatik führte bei der Lösung konkreter Fragen zum Problem. Diese Sorge sah Mohl bei den Rednern in der Paulskirche bestätigt: „Während die Einen, staatsmännisch die Tatsachen zu Grunde legten und nach diesen zu folgen suchten, strebten Andere in streng wissenschaftlicher Form einem Ideale zu.“194 Heinrich Zachariä schilderte in der Kritischen Zeitschrift, in der auch Mohl publizierte, wie die Rolle des Beispiels USA für die abstrahierende Arbeit des Staatswissenschaftlers zu verstehen sei. In seiner Antwort auf den Artikel Edward Everetts, der 1831 für eine direkte Anwendung des amerikanischen Republikanismus in Europa argumentierte, erwiderte Zachariä, dass das Anschauungsmaterial aus Amerika nicht direkte Vorbildfunktion haben solle, sondern als ein spezieller Fall der Geschichte betrachtet werden müsse. Es gelte, ihn zu untersuchen, mit anderen zu vergleichen und Schlüsse auf allgemeine Regeln zu ziehen. Auf diese Weise umgehe man auch das Problem, dass mit einem schlichten Hinweis auf die unterschiedlichen Ausgangssituationen jegliche Bezugnahme auf die politischen Konzepte der USA abgetan oder ausgeklammert würde: „Man wende nicht ein, dass kein Fall dem anderen völlig ähnlich sey. Auch die Beobachtungen, welche der Astronom an einem Himmelskörper anstellt, sind einzeln genommen, mehr oder weniger fehlerhaft. Aber viele zusammen geben ein Mittel, welches der Wahrheit sehr nahe kommt.“195

Diesem Grundsatz folgend, war auch für Mohl Amerika ein Thema von vielen, ein Glied in der Abstraktionskette – wenn auch ein besonders wichtiges, neues und prägendes. In seinen Augen konnte man die fremden Konzepte nur nutzen, wenn man sie zunächst in ein allgemeines System gebracht hatte, das danach wiederum auf konkrete Probleme angewandt wurde. Aus dieser Überzeugung heraus hütete Mohl sich in der täglichen politischen Diskussion, Amerika als direktes Beispiel heranzuziehen, wie es etwa Raumer oder Tellkampf immer wieder taten, obgleich es sich in vielen seiner Wirkungsbereiche angeboten hätte. Nur auf einer rein praktisch-organisatorischen Ebene arbeitete er in direkter Anlehnung an das amerikanische Beispiel. Bei der Ausarbeitung einer Geschäfts-

194 Ebd., S. 20. 195 C.S. Zachariä: Europa’s Zukunft (1832), S. 329.

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ordnung für die Paulskirche orientierte er sich neben den Regeln des englischen Unterhauses und der französischen Kammern auch an Jeffersons Manual of Parliamentary Practice.196 Er hatte seinen Vorschlag bereits im Voraus ausgearbeitet, damit im Parlament Zeit gespart werden könne und nicht „von Anfang an Unordnung einreiße“.197 In der ersten Sitzung, am 18. Mai 1848, wurde der Entwurf provisorisch angenommen, doch der Ausschuss für die Geschäftsordnung, dem auch Mohl selbst angehörte, folgte später nur einigen Aspekten, darunter die Einführung periodischer Neuwahlen des Präsidenten, für die Mohl unter Anderem mit dem amerikanischen Beispiel argumentiert hatte.198 Als Mohl 1850 über die Ereignisse in der Paulskirche reflektierte, erschien ihm eindeutig, dass gewisse Mängel der Geschäftsordnung für das Scheitern mitverantwortlich zu machen seien. Ob diese jedoch bei einer einwandfreien Durchführung seines Entwurfes ausgeblieben wären, ließ er offen.199 Mohl erinnerte sich lebhaft an die „fieberhafte belebte Atmosphäre“ in der Paulskirche, machte aber auch die schlechte Akustik mit dafür verantwortlich, denn die „Größe des mit Stimme zu füllenden Raumes machte für die Meisten eine mächtige Anstrengung nöthig, was den Schein der Leidenschaft gab, und solche auch wirklich erzeugte“.200 Unterstützt worden sei Aufruhr durch das Publikum auf den Emporen, das sich durch empörte Zwischenrufe und laute Beifallsbekundungen störend in die Verhandlungen eingemischt habe.201 Dabei hielt Mohl die Transparenz von parlamentarischen Entscheidungsprozessen für besonders wichtig. 202 Diese Pflicht zur „Öffentlichkeit, auf die das Volk ein Recht hat“, sah er jedoch nicht durch das Zulassen von Publikum in der Versammlung erfüllt.203 Die Presse sollte sich stattdessen dieser Aufgabe annehmen, ergänzt durch offizielle Publikationen des Parlaments. „Eckensteher“ und „müßige Weiber“ hingegen stünden einer erfolgsorientierten politischen Diskussion nur im Wege.204 Noch in seinen Erinnerungen an die Paulskirche ärgerte sich Mohl: „Klatschen gehört in das Schauspielhaus; mit Fäusten und

196 T. Jefferson: Parliamentary Practice (1820). 197 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. II, S. 31. 198 R. Mohl: Geschäfts-Ordnung (1848), S. 11 u. S. 21. 199 R. Mohl: Reichsversammlung (1850), S. 31. 200 Mohl: Reichsversammlung (1850), S. 16; D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd.II, S. 36. 201 Ebd., S. 35f. 202 P. Nordblom: Mohl (1998), S. 49. 203 R. Mohl: Reichsversammlung (1850), S. 29. 204 Ebd., S. 29.

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Füßen trommeln ungezogene Schuljungen; Zurufe an die Redner sind Bierhaussitte“.205 Hier zeigt sich Mohls Eigenwahrnehmung als ein Teil der gebildeten Elite. Für viele politische Professoren war es weniger ihr sozialer Status, obgleich auch der eine Rolle spielte, als vielmehr ihre akademische Erziehung, über die sie ihren Stand definierten. Mohl war durch sein Elternhaus von einem starken bildungsbürgerlichen Selbstbewusstsein geprägt. Er empfand es als angenehm, dass im persönlichen Umgang unter den Abgeordneten kein erhöhter Wert auf adelige Titel und aristokratisches Zeremoniell gelegt wurde und war später sehr stolz darauf, „als Bürgerlicher eine Gesandtenlaufbahn“ gemacht zu haben.206 Als Ritter des Württembergischen Kronordens konnte er allerdings das ‚von‘ im Namen führen, wann immer er wollte oder es für notwendig hielt. 1871, anlässlich des 50-jährigen Jubiläums seines Doktorats, verlieh ihm der Erzherzog von Baden zusätzlich einen erblichen Adelstitel. Der Geehrte selbst meinte dazu später, ihm persönlich sei es „nicht nur gleichgültig, sondern auch unangenehm“ gewesen. „Es war ein Opfer, welches ich meinen Söhnen brachte“, erklärte er nicht ohne Selbststilisierung in seinen Lebenserinnerungen.207 Tatsächlich hatte Mohl aber schon in Frankfurt die aristokratischen Abendamusements genossen und erinnerte sich später gerne „an dieses bunte Leben zurück, an welchem mich zu beteiligen ich selten verfehlte“. Zu seiner Rechtfertigung erklärte er ganz im Sinne des Bürgerlichen, der sich vom Adel abgrenzen wollte, sich aber gleichzeitig angezogen fühlte: „[M]an hatte ja der Demokratie so viel in der Versammlung […] man steckte den ganzen Tag so tief im Plebejischen, dass eine kleine abendliche Vergiftung nichts schaden konnte.“208 Von Anfang an befürchtete Mohl die Radikalisierung der Revolution auch in der Nationalversammlung. Über die Vertreter der Linken schrieb er sogar: „[E]ine schauderhafte Bande; der moralische Ekel mit solchem Gesindel in einer Stube sein zu müssen, bringt mich fast um.“209 Das allgemeine Wahlrecht war für Mohl ein entscheidender Bestandteil der Demokratie, die er mit dem „Plebejischen“ identifizierte, und damit war es auch in jedem anderen Regierungssystem die Beimischung eines demokratischen Elements, die er für problematisch

205 Ebd., S. 30. 206 Ebd., S. 18; D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I S. 64. 207 Zwei Söhne Mohls standen im preußischen Staatsdienst und hatten durch einen Adelstitel bessere Chancen auf eine Offiziers- oder Diplomatenkarriere. Vgl. D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. I, S. 64. 208 Ebd., Bd. II, S. 120. 209 N. Urban: Mohl (1998), S. 68 [Mohl an sein Frau Pauline, 7.10.1848].

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hielt: „[J]eden Falles ist das allgemeine Stimmrecht in einer Demokratie etwas specifisch Verschiedenes von der itzt mitten in die deutschen monarchischen Institutionen hineingesetze Maassregel.“210 Die reine Demokratie nämlich war für ihn mit einer „höheren Gesittung“ unvereinbar – zumindest in Europa.211 Er wies, wie auch Raumer, darauf hin, dass die etablierten bürgerlichen Demokraten in Amerika mit den sehr viel radikaleren in Europa nicht zu vergleichen seien. In seinen Politischen Aphorismen betonte er, dass die „demokratische Richtung im Staatsleben und unerträgliche Pöbelhaftigkeit“ nicht immer zusammenhängen mussten. „Und wie weit war gar die Demokratie der Washington, Jefferson und Hamilton [sic] von Rohheit entfernt!“ In Deutschland aber liege das Problem darin, „dass die demokratische Partei mit geringen Ausnahmen, den gesammten höheren und gebildeten Classen fremd ist“.212 Mohls Skepsis gegenüber dem demokratischen Element des allgemeinen Wahlrechts wurde in gewisser Weise durch seine Argumentation für das Repräsentativsystem relativiert. In der Volksvertretung habe jeder die Möglichkeit, sich an politischen Entscheidungen zu beteiligen oder es böte sich zumindest die Perspektive, durch ein Mandat selbst Einfluss zu nehmen. Mit diesem so „selbstgeschaffene[n] Dämpfer“ war Mohl bereit, eine breitere Partizipation zuzulassen, da „demokratische Bestrebungen in einer Repräsentation und durch dieselbe Befriedigung auf gesetzlichem Wege finden können, ohne der Monarchie gefährlich zu sein“.213 Mit der Revolution war für ihn die Gelegenheit gekommen, selbst als Repräsentant aktiv zu werden. Abgesehen von einigen Monaten in der Zweiten Kammer der Württembergischen Ständeversammlung war die Wahl in die Nationalversammlung Mohls erstes politisches Mandat. 214 Zunächst war er allerdings durch eine schwere Rippenfellentzündung außer Gefecht gesetzt. Seine Teilnahme am Vorparlament war noch stark beeinträchtigt.215 Im Mai 1848 war er jedoch ausreichend genesen und konnte voller Erwartung für seinen Wahlkreis Mergentheim/Gerabron nach Frankfurt reisen. „Es wird heiß hergehen“, schrieb er seinem Bruder Julius kurz vor der Abreise.216

210 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1869), Bd. III, S. 716. 211 K. Beyme: Mohl. Politische Schriften (1866), S. XXXVI. 212 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1862), Bd. II, S. 13. 213 Ebd., Bd. I, S. 24. 214 N. Urban: Mohl (1998), S. 113. 215 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. II, S. 31. 216 E. Angermann: Mohl (1962), S. 60 [1.5.1848].

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Als nach der Krise um den Waffenstillstand von Malmö im Oktober 1848 eine eher kleine Gruppierung innerhalb seines Wahlkreises, die sich „Schrotzenberger Politischer Verein“ nannte, seinen Rücktritt forderten, schrieb er einen ausführlichen Brief an seine Wähler, in dem er sein Mandat verteidigte: „Ich nämlich gehe von einem doppelten Satz als Richtschnur meiner Handlungsweise aus: erstens davon, dass niemand das R e c h t hat, mir mein Mandat abzuverlangen; zweitens dass E h r e u n d P f l i c h t g e f ü h l mit in der ietzigen Lage des Vaterlandes verbieten zurückzutreten.“217

Einmal gewählt, legte er dar, sei der Abgeordnete ganz Deutschland verantwortlich und eine Abberufung durch seinen Wahlkreis nicht mehr zulässig. Außerdem sei die Aufgabe, für die er sein Amt angetreten habe, nämlich eine Verfassung für Deutschland zu erarbeiten, noch nicht abgeschlossen. Mit ähnlichen Mandatsrückforderungen mussten sich auch andere Abgeordnete auseinandersetzen – nicht zuletzt auch Friedrich von Raumer. Die Argumentationsweise der Antwortschreiben war ähnlich, Mohl fällt jedoch durch seine Ausführlichkeit auf. Er wollte nicht nur seine Wähler überzeugen, sondern hoffte auch, „gewissen Ansichten über das Mandat der Abgeordneten entgegenzutreten, die gegenwärtig mit viel Absichtlichkeit verbreitet werden“. 218 Der fast sechs gedruckte Seiten umfassende Brief, der in mehreren lokalen Zeitungen veröffentlicht wurde, zeugte abermals von Mohls Misstrauen gegenüber zu viel Einfluss des Volkes auf die Politik. Man könne auch gar nicht erwarten, schrieb er in seinen Erinnerungen an die Paulskirche, „dass das deutsche Volk jetzt schon staatlich genug durchgebildet ist, um bei seinen Wahlen alle Bedürfnisse eines Parlaments zu berücksichtigen und nicht bloß nach dem Glänzenden zu greifen“.219 Schon in den 1830er Jahren hatte er darauf hingewiesen, dass die Situation der Ärmeren und Ärmsten Nährboden für Unruhe böte und die wachsende Unzufriedenheit radikalen politischen Richtungen Aufwind verschaffen würde. 220 Diese frühe Erkenntnis des gefährlichen Potenzials des Pauperismus erklärt Mohls intensive Beschäftigung mit der sozialen Frage. Er war neben Männern wie Lorenz Stein einer der ersten liberalen Staatstheoretiker, die diese Problematik thematisierten, noch bevor mit der Industrialisierung die Lage in Deutschland

217 B. Mann: Reichsminister (1971), S. 347 [10.11.1848 – eigentlich 10.10.1848)]. 218 Ebd., S. 346. 219 R. Mohl: Reichsversammlung (1850), S. 35. 220 E. Angermann: Mohl (1962), S. 235.

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selbst wirklich akut – oder in vollem Maße erkannt – wurde.221 Die soziale Frage beschäftigte ihn mehr aus Angst als aus Mitgefühl oder wissenschaftlichem Interesse.222 Er sah in verantwortungsvollem und gesellschaftspolitischem Handeln eine Pflicht des Staates, nicht zuletzt um der drohenden Revolution vorzubeugen.223 Anders als viele seiner Kollegen schob er Armut nicht auf eine moralische Verkommenheit, sondern betrachtete die Zusammenhänge des gesamten Wirtschaftssystems. 224 Diese nüchtern analytische Sichtweise der Situation unterschied ihn von vielen seiner Zeitgenossen auch – oder gerade – im liberalen Lager. Die Umstände der Revolution, vielleicht auch der Blick nach Frankreich, hatten Mohls Befürchtungen bezüglich der „zahlreich, und dadurch mächtigen Klasse der Arbeiter“ neu aufleben lassen. 1848 entwarf er zu dieser Thematik eine Flugschrift mit dem Titel Republik oder nicht? An die Arbeiter.225 Um den Schrecken der Republik deutlich zu machen, verwies er auf Frankreich. Das Dokument ist nicht datiert, muss jedoch vor der offiziellen Eröffnung der Nationalversammlung, der „[a]lle mit größter Spannung und Hoffnung entgegensehen“, geschrieben worden sein. Ob der Text allerdings zu jenem Zeitpunkt oder überhaupt publik gemacht wurde, ist nicht zu ermitteln. Mohl hatte die praktische Notwendigkeit von Parteiorganisation für den politischen Entscheidungsfindungsprozess früher erkannt als Raumer. Seine Idealvorstellung wäre allerdings ein Zweiparteiensystem gewesen, wie man es aus England und den USA kannte. Eine so klare Aufteilung der Interessen schien ihm in Deutschland jedoch (noch) nicht möglich.226 Die starke Fraktionierung, die in seinen Augen später auch einen Grund für das Scheitern der Verfassung darstellte, galt ihm als eine notwendige Zwischenstufe in der parlamentarischen Entwicklung.227 Diese Sichtweise, wie auch Äußerungen an anderer Stelle, implizieren, dass Mohl zu jenen gehörte, die an das Konzept eines politischen Reifeprozesses glaubten, in dem die politische Kultur der angelsächsischen Länder bereits weiter fortgeschritten sei als etwa in den deutschen Staaten. Seine eigenen Sympathien für den bürgerlichen Liberalismus hinderten Mohl nicht daran, die liberale Bewegung wiederholt zu kritisieren. Ihre Uneinigkeit

221 E. Angermann: Vergleich (1962), S. 174. 222 K. Beyme: Mohl. Politische Schriften (1966), S. XXV. 223 E. Angermann: Vergleich (1962), S. 175. 224 E. Angermann: Mohl (1962), S. 231. 225 E. Angermann: Republikanismus (1961), S. 188. 226 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. II, S. 72. 227 R. Mohl: Reichsversammlung (1850), S. 45.

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und vor allem ihre „Tadelsucht“ seien der Grund dafür, dass sie keine stabile Machtbasis erlangten.228 In Frankfurt war er ab Mitte Juni 1848 bei der Gruppierung im Württembergischen Hof zu finden, denn er glaubte, wie er seiner Frau schrieb, „dass meine Ansichten von dem, was ietzt notwendig ist (nicht was ich an und für sich wünschte) dort ausgedrückt sind“. In seiner wissenschaftlichen Skepsis gegenüber absoluten Aussagen fügte er jedoch einschränkend hinzu: „Ich unterschreibe keine Programme“.229 Auch wenn er sich nicht schriftlich binden wollte, entsprach die Positionierung im linken Zentrum Mohls Vorstellungen und Hoffnungen während der ersten Monate in Frankfurt. Er unterstützte die großdeutschen Pläne und die Errichtung einer parlamentarischen Monarchie mit föderativen Elementen. Sein drei Jahre jüngerer Bruder Moriz Mohl hingegen war im Plenum aktiver als Redner und stand auf dem politischen Spektrum sehr viel weiter links.230 Er blieb zwar fraktionslos, stimmte aber mit der Linken. Der Kontakt zwischen den Brüdern blieb dennoch gut, und Robert von Mohl hatte so eine persönliche Verbindung zum linken Flügel, von dem er sich sonst klar distanzierte. Nach den Septemberunruhen, die Mohls Angst vor einer Radikalisierung weiter geschürt hatten, driftete er nach rechts. Gemeinsam mit einigen Parteifreunden entfernte er sich vom Württembergischen Hof und gründete den Augsburger Hof, der eine schwächere Volksvertretung favorisierte und sich später sogar auf einen kleindeutschen Kompromiss einließ. 231 „[L]ieber klein und in sich fertig“, schrieb Mohl nach Hause, „als Zwitterverhältnisse“.232 Dieses Zugeständnis kostete ihn besondere Überwindung. Sein Leben lang war er sehr kritisch gegenüber Preußen eingestellt und unterstützte das österreichische Erbkaisertum als Schutz vor Berlin, denn „als Süddeutscher ka n n ich keine Neigung zu einer Supermacht Preußen haben“.233 Später warf man Mohl vor, dass ihm offensichtlich „Paris und London näher lagen als Berlin“, dass er den Zollverein in seinen Schriften praktisch ignoriert habe und noch in den 1870er Jahren Preußen keinerlei Verdienst zugestehen wollte.234 Als im Oktober die Wiener Revo-

228 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1862), Bd. II, S. 7f. 229 P. Nordblom: Mohl (1998), S. 52 [Mohl an seine Frau Pauline, 18.6.1848]. 230 K. Beyme: Mohl. Politische Schriften (1966), S. X; H. Best/W. Weege: Biographisches Handbuch (1998), S. 242; J. Westermayer: Moriz Mohl (1998). 231 P. Nordblom: Mohl (1998), S. 57. 232 Ebd., S. 58 [Mohl an seine Frau Pauline, o. D.]. 233 B. Mann: Reichsminister (1971), S. 361 [21.12.1848]. 234 E. Meier: Mohl (1878), S. 459; Angermann weist allerdings nach, dass Mohl dem Zollverein schon früh eher positiv gegenübergestanden hatte, weil er darin das

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lution niedergeschlagen wurde, ließ Mohl seine Wähler wissen: „[D]ie österreichische Sache ist schlimm, […] Ich verzweifle aber doch noch nicht an Deutschland; jeden Falls werde ich ausharren und mit ihm untergehen.“ 235 Spätestens jedoch im März 1849, als durch den Staatsstreich in Wien eine Lösung mit Österreich vollends unmöglich wurde, rang er sich dazu durch, dem kleindeutschen Vorschlag zuzustimmen.236 Vermutlich hatte er schon früher erkannt, dass ein Kompromiss notwendig werden würde. „Es mag das Herz mir bluten, dass es so gekommen ist; allein ich kann es nicht ändern, und sich fortan mit Illusionen die Augen selbst zu verkleistern hilft nicht.“ So hatte er die Situation schon im Dezember kommentiert und für ein „möglichst freundliches und enges Bündnis“ mit Österreich plädiert. 237 Die realisierbare Gestalt einer deutschen Einigung ging ihm über theoretische Ideallösungen. Seinen Wählern hatte er schon zu Beginn der Versammlung in einem offenen Brief vom 7. Juni 1848 erklärt: „So viel aber ist klar, dass jeder einzelne die Pflicht hat, seine etwaige Privatmeinung aufzugeben und das zu unterstützen, was unter den gegebenen Umständen das Bestmögliche ist. Wir haben kein theoretisches Lehrgebäude zu machen, sondern müssen unter den schwierigen Umständen die verschiedenartigsten Zustände so gut zu ordnen suchen, als es geht;“238

Der Verfassungsausschuss war für Mohl „der Mittelpunkt der ganzen Tätigkeit“ in der Nationalversammlung und gleichzeitig das verdienstreichste Gremium.239 Besonderes Lob sprach er dem Schriftführer des Ausschusses, Gustav Droysen, aus, der die Protokolle der Sitzungen veröffentlicht hatte. Zum einen, weil die Verhandlungen „für Politiker jedes Landes eine reiche Quelle der Belehrung“ seien, und zum anderen, weil sich so jeder selbst ein Bild machen könne, bevor er die „kaisermachenden Professoren“ für ihre Verfassungsarbeit verurteile. 240 Privat äußerte er sich allerdings weniger enthusiastisch über den Verfassungsausschuss. In einem Brief an seine Frau beklagt er sich besonders über Friedrich Christoph Dahlmann und Eugen von Mühlfeld, mit denen er in einer Vorkommission den Entwurf für die Grundrechte ausarbeiten sollte. Dahlmann, in Mohls

Potenzial einer deutschen Einigung erkannte. Vgl. E. Angermann: Mohl (1962), S. 60f. 235 B. Mann: Reichsminister (1971), S. 345 [14.10.1848, eigentlich 14.11.1848]. 236 P. Nordblom: Mohl (1998), S. 59. 237 B. Mann: Reichsminister (1971), S. 361 [21.12.1848]. 238 Ebd., S. 336 [17.6.1848]. 239 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. II, S. 32. 240 R. Mohl: Reichsversammlung (1850), S. 33.

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Augen ein „peinlicher, kleinlicher Kopf“, sei in „starrem Doktrinismus“ verhaftet und wolle alles so kurz wie möglich halten. „[W]enn er unsere 19 Punkte mit einem Worte hätte ausdrücken können; ich glaube er hätte es getan“, stellte Mohl resigniert fest und fügte hinzu: „Meine Meinung von ihm ist eine gar kleine geworden, (da ich nie eine große von ihm hatte).“ 241 Hier zeigt sich der große Unterschied, der innerhalb der Gruppe von politischen Professoren möglich war. Sowohl Dahlmann als auch Mohl passten in die Definition dieses Typus und doch waren sie in ihrem Verständnis von der Nützlichkeit von Wissenschaft für die Politik „Antipode[n]“.242 An von Mühlfeld störten Mohl dessen beharrliche Forderungen, möglichst viel den Kompetenzen der einzelnen Länder zu überlassen. Zwar konnte der süddeutsche Mohl diese Argumentation des Österreichers von Mühlfeld nachvollziehen, sah darin aber dennoch ein „Unglück“.243 Seine eigene Stellung im Parlament, erinnerte sich Mohl, habe seine Erwartungen übertroffen, seinen wichtigsten Beitrag habe er jedoch mehr im Hintergrund, bei der „Besorgung der Geschäfte“ geleistet. 244 Als Redner trat er tatsächlich nicht besonders hervor, wurde aber immerhin zum Justizminister gewählt. Er betonte immer wieder, welcher rein praktischen Aufgaben er sich angenommen hatte, wie etwa der Organisation des Justizministeriums. Er engagierte Schreiber, stellte Beamte ein und kaufte sogar die Büroausstattung, vom Schreibtisch bis zum Briefpapier, persönlich ein. Diese Anekdote findet sich sogar als zeitgenössische Karikatur.245 Mohls Einsatz für die Formalisierung reibungsloser parlamentarischer Abläufe spiegelte sich auch in seinen Bemühungen um die Geschäftsordnung wider. Die Erfüllung seiner Aufgaben als Justizminister nach der „wunderbaren politischen Schöpfung“ der Ministerien im Juli 1848 war für Mohl ein wichtiger Aspekt seiner Arbeit in Frankfurt.246 Am 17. Mai, kurz nachdem der preußische König die Kaiserkrone abgelehnt hatte, legte Mohl sein Ministeramt offiziell nieder, und schon knapp zwei Wochen später, am 3. Juni, gab er seinen formellen Austritt aus der Versammlung bekannt, „als die Selbstauflösung derselben schon sehr weit fortgeschritten war“. 247 In Gotha

241 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. II, S. 33. 242 W. Bleek: Politik-Professoren (1994), S. 295. 243 E. Angermann: Mohl (1962), S. 63; N. Urban: Mohl (1998), S. 122. 244 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. II, S. 132; P. Nordblom: Mohl (1998), S.42. 245 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. II, S. 74; P. Nordblom: Mohl (1998), Abb. S. 54. 246 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. II, S. 73. 247 Ebd., Bd. II, S. 32.

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nahm er noch am Nachparlament teil, weil er darin „eine Unterstützung des voraussichtlich letzten Versuchs der deutschen Einheit“ sah, aber im Ganzen entsprach die dortige Versammlung nicht seinen politischen Vorstellungen und er unterschrieb die Gothaer Erklärung „nur sehr ungern“.248 Abschließend urteilte Mohl über seine Zeit in der Nationalversammlung 1848/49: „Ich sehe nicht mit Stolz auf diesen Abschnitt meiner öffentlichen Thätigkeit zurück, dazu ist keine genügende Veranlassung, wohl aber mit Freude, der Genosse solcher Männer gewesen zu sein.“249 Der Stellenwert der USA in der wissenschaftlichen und politischen Arbeit Robert von Mohls muss in seiner Entwicklung differenziert werden. Zunächst bot sich der Reiz eines noch vergleichsweise frischen Forschungsobjekts, der Mohls erste Annäherung an das Thema erklärt. Zeitweise spielte er sogar mit dem Gedanken, eine Reise über den Atlantik zu unternehmen, besonders um „eine Sammlung von Americanas anzulegen“.250 Diesen Plan setzte er jedoch nie um. Später dienten ihm die Vereinigten Staaten als Anschauungsmaterial in seinen systematisierenden Untersuchungen zur Staatswissenschaft. Die politische Relevanz der in Amerika realisierten Konzepte für die Situation im Deutschen Bund und in der Paulskirche ließ Mohl nur indirekt gelten, wie es ihm sein Verständnis von wissenschaftlicher Herangehensweise an die Politik vorschrieb. Nicht zuletzt sein Mangel an direkter Erfahrung mit den USA trug zu diesem eher distanzierten und – von der frühen jugendlichen Begeisterung abgesehen – nüchternen Umgang mit dem Thema bei.

248 P. Nordblom: Mohl (1998), S. 61 [Mohl an seine Frau Pauline, 24.5.1849]. 249 D. Kerler: Lebenserinnerungen (1902), Bd. II, S. 99. 250 D. Mußgnug: Briefwechsel (2005), S. 40 [Mohl an Carl Anton Mittermaier, 15.3.1836].

Politische Konzepte

Die Paulskirche und Amerika: Beziehungen und Bezüge

D IPLOMATISCHE B EZIEHUNGEN „I thank God that our beloved country is not an immediate actor in the events, but imparting by her example a moral support which is equally effective…“ ANDREW JACKSON DONELSON1

Diplomatische Beziehungen werden auf Grund ihrer politischen Formalität in der Ideengeschichte oft als Kanäle für den intellektuellen Austausch unterschätzt. Eine umfassende Analyse des deutschen Amerikaverständnisses Mitte des 19. Jahrhunderts, auf das die politischen Auslegungen und Anwendungsversuche zurückzuführen sind, erfordert neben einer Untersuchung der Amerikawissenschaft auch eine kurze Darlegung der transatlantischen Beziehungen auf politischer Ebene. Schon 1835 schrieb der US-Gesandte in Berlin, Henry Weaton, an seinen preußischen Amtskollegen Friedrich Ludwig Rönne nach Washington: „I am aware that you are also effectually making America known to Germany.“2 Gerade für die amerikanische Regierung war es besonders wichtig, theoretische oder ideologische Unterstützung zu geben, denn ihre praktische Außenpolitik war noch geprägt von der Maxime George Washingtons, sich aus europäischen Streitigkeiten möglichst herauszuhalten.3 Die Monroe Doktrin von 1823, die Präsi-

1

Papers of Andrew Jackson Donelson, Reel 10, LOC Washington [Donelson Report,

2

VI HA NL Roenne, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin.

3

J. Hawgood: Beziehungen (1928); S. 1 u. S. 70f.

28.3.1848].

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dent Polk 1845 nochmals bestätigt hatte, verlieh dieser Haltung zusätzlich Gewicht.4 Man wollte sich folglich darauf beschränken, wohlwollend abzuwarten, bis die neue Regierungsstruktur in den deutschen Staaten klar zu erkennen sein würde. Bis dahin scheute man feste Zusagen jeglicher Art und gedachte, sich auf Sympathiebekundungen und beratende Tätigkeiten zu beschränken. Andererseits jedoch war die Begeisterung für die politischen Entwicklungen groß. Gerader im Lager der Democrats wurden jedoch immer öfter Stimmen laut, die es auf Grund der wachsenden Ideologie der Manifest Destiny für die Pflicht der USA hielten, ihr politisches System in aller Welt zu propagieren.5 In den Instruktionen für den Gesandten Andrew Jackson Donelson in Berlin fasste der amerikanische Außenminister James Buchanan das Dilemma zusammen: „Whilst it is our established policy never to interfere in the domestic concerns of foreigen nations, we cannot view with indifference the efforts now in progress to unite all the German States in a more intimate Federal Union.“6 Entsprechend wurde die diplomatische Interaktion sowohl mit den deutschen Einzelstaaten als auch mit der Nationalversammlung in Frankfurt zu einem Balanceakt zwischen enthusiastischer Unterstützung der Veränderungen einerseits und strengen Vorbehalten, dabei aktiv mitzuwirken oder auch nur den Eindruck von Einmischung zu erwecken andererseits. In der Paulskirche und mehr noch in den politischen Kreisen außerhalb der Nationalversammlung wusste man die daraus resultierende Verhaltensunsicherheit auf der amerikanischen Seite nicht einzuordnen und erwartete, dass den Sympathiebekundungen Taten folgen würden. 7 Selbst eine Ermahnung des amerikanischen Korrespondenten der Allgemeinen Zeitung konnte dieses Denken kaum relativieren. Während der USWahlen im November 1848 erklärte er, ohne Lewis Cass, den Kandidaten der eher interventionistisch gesinnten Democrats überhaupt zu erwähnen, man solle sich weder von Taylor noch von dessen Gegenkandidat Van Buren Unterstützung erhoffen, „da der erste zu rechtlich, der andere zu klug ist, um irgendeine Intervention in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten oder Neutralitätsbrüche zu erlauben“.8

4

S. Flagg Bemis: Secretaries of State (1958), Bd. V; G. Moltmann: Prinzipienkonflikt

5

T. M. Roberts: Distant Revolutions (2009).

6

J.B. Moore: James Buchanan (1960), Bd. VIII, S. 167. [Buchanan an Donelson,

7

H. Reiter: Amerikabilder (1992), S. 80 u. S. 76.

8

Der Demokrat Lewis Cass, der als dritter Kandidat im Wahlkampf stand, wird hier

(1969), S. 26; W.-P. Adams: USA (2000), S. 63.

15.8.1848].

nicht kommentiert, obgleich diesem in den USA höhere Gewinnchancen ausgerechnet

D IE P AULSKIRCHE UND A MERIKA

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Die schnelle Anerkennung ihrer provisorischen Autorität durch die USA deutete die Regierung in der Paulskirche dahingehend, dass man sie auf der anderen Seite des Atlantiks voll akzeptiert habe. Sie drang auf Handelsverträge und offizielle diplomatische Kontakte, um die Legitimität der Nationalversammlung auf der internationalen Bühne zu untermauern und sie dadurch vor allem innenpolitisch zu stärken. 9 Gerade Letzteres aber war eine diffizile Angelegenheit, denn Amerika hatte schon lange ein sehr gutes Verhältnis zu Preußen, 10 dem man unter gar keinen Umständen Anlass geben wollte, sich übergangen oder gar verraten zu fühlen. Die Amerikaner gaben ihre Konsulate in den deutschen Einzelstaaten nicht auf. Sie hielten sich so die Option offen, im Falle eines Scheiterns der Nationalversammlung weiterhin gute Verhältnisse zu den Einzelstaaten pflegen zu können, allen voran zu Preußen und den Küstenstaaten, die für den Handel besonders wichtig waren. Der Antagonismus zwischen Frankfurt und Berlin zog sich wie ein roter Faden durch die diplomatischen Beziehungen zwischen der provisorischen Zentralgewalt und den USA. Sowohl der amerikanische Gesandte Andrew Jackson Donelson als auch sein deutscher Amtskollege Baron Friedrich Ludwig von Rönne gerieten zwischen die Fronten.11 Zunächst deutete alles darauf hin, dass die Amerikaner sich öffentlich auf die Seite der Revolution schlagen würden. In Washington war man sogar explizit darum bemüht, allen anderen Regierungen bei der Anerkennung der Frankfurter Nationalversammlung als rechtmäßige Regierung zuvorzukommen.12 Die Angelegenheit nahm man in Washington so wichtig, dass nicht der zwar gewissenhafte, aber auf Grund seines Alters gebrechliche, amerikanische Konsul in Frankfurt mit der Anerkennung betraut wurde, sondern stattdessen der Gesandte in Preußen, Donelson.13 Sein Auftrag war es, nach Frankfurt zu reisen, um die Provisorische Zentralgewalt anzuerkennen – „provided you shall find such a Government in successful operation“.14

wurden als dem ehemaligen Präsidenten Van Buren. Sein Name war jenseits des Atlantiks jedoch kaum bekannt. Vgl. Anonym: Hecker (1848), Beilage, S.1f. 9

J. Hawgood: Beziehungen (1928); S. 25; ders.: Männer und Ideen (1948), S. 101.

10 H. M. Adams: Preußen (1961), S. 179-256. 11 J. Hawgood: Beziehungen (1928), S. 13. 12 J. Hawgood: Rönne (1948), S. 103; V. Valentin: Revolution (1970), Bd. I, S. 188f. 13 Microfilm Roll 161: Consular Dispatches, NARA [Berichte Schwendler an Buchanan, 2.4.1848]. 14 J.B. Moore: James Buchanan (1960), Bd. VIII, S. 130 [Buchanan an Donelson, 24.7.1848].

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Am 24. Juli 1848, bereits zwei Tage bevor Buchanan die Anweisung dazu aus den USA abschickte, fand in Frankfurt ein inoffizielles Treffen zwischen dem Außenminister der Nationalversammlung Schmerling und Donelson statt.15 Donelson erinnerte sich vielleicht daran, dass sein Amtskollege in Paris, Richard Rush, im Februar 1848 für sein unvermitteltes, selbstständiges Handeln bei der direkten Anerkennung der neuen französischen Regierung von seinen Dienstherren in Washington viel Lob erhalten hatte.16 Er war jedenfalls offenbar aus eigener Initiative heraus bereits nach Frankfurt gereist und so bedacht darauf, seine Sympathiebekundungen zu übermitteln, dass er am Tag darauf noch eine schriftliche Version des Gesagten an das Frankfurter Außenministerium sandte. Ohne die ausdrückliche Anweisung seiner Regierung wagte er es zwar nicht, eine offizielle Anerkennung auszusprechen, aber er reichte „the hand of friendship“ und versicherte neben „cheering anticipation“ und „felicitations“ in ausführlichster Weise: „Germany will find in the United States of America her firm and steady friend. […] The great movement of the German States […] will be accorded by no country in the world with more cordiality than by the people of the United States.“17 In seinem Dankesschreiben bestätigte Außenminister Anton Schmerling, dass gerade in der gegenwärtigen Situation, da man in Deutschland „nach einer Erhöhung der bürgerlichen Freiheit und zugleich nach einer Entwicklung einer stärkeren Bundes Gewalt“ strebe, „die Sympathie keines Volkes von größerem Werthe“ sei, „als Jene Ihres ruhmreichen Vaterlandes“. Um wie vieles leichter würde die Aufgabe werden, die man sich vorgenommen hatte, „wenn bei den ersten Schritten, welche wir auf dieser neuen Bahn thun, eine so edle und starke Nation uns die Hand bietet“.18 Schon am Ende dieser ersten, noch unverbindlichen Korrespondenzen deutete Schmerling an, dass er sich auf „fortgesetzte und vertrauensvolle Beziehungen“ mit dem Gesandten Donelson freue und dass der Reichsverweser schon bald einen Gesandten nach Washington schicken werde. Für ihn war der Beginn offizieller diplomatischer Verbindungen folglich nur noch eine Formalität. Die Anweisungen aus Washington an den Gesandten in Berlin waren jedoch um einiges verhaltener, selbst als man kurz darauf Donelson mit der Gesandtschaft bei der provisorischen Zentralgewalt betraute. Er wurde seiner Stelle in Preußen keineswegs entbunden, sondern hatte von nun an eine Doppelmission zu erfüllen. Man wollte jede Gefahr eines Missverständnisses mit Preußen vermeiden, um die Regierung in Berlin nicht

15 DB 53-87-11-13, BA Koblenz [Donelson an Schmerling, 24.7.1848]. 16 G. Moltmann: Pinzipienkonflikt (1969), S. 31. 17 DB 53-87-13, BA Koblenz [Donelson an Schmerling, 24.7.1848]. 18 DB 53-87-16/17, BA Koblenz [Reichsaußenministerium an Donelson, 29.7.1848].

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zu verärgern. Buchanan forderte ausdrücklich, Donelson möge nicht nach Frankfurt ziehen, sondern nur zu gegebenem Anlass dorthin reisen. 19 Darüber hinaus wies er ihn mehrfach innerhalb nur eines Briefes dazu an, Preußen gegenüber deutlich zu machen, dass die USA ihre diplomatische Vertretung in Berlin erst aufgeben würden, wenn die Autorität der Frankfurter Versammlung klar geregelt, bestätigt und in einer Verfassung festgelegt sei.20 Nachdem die Formalitäten der Doppelmission geklärt waren, konnte Donelson Anfang September 1848 die provisorische deutsche Nationalversammlung endlich im Namen seiner Regierung offiziell anerkennen. Die Nachricht wurde in der Paulskirche mit Bravorufen gefeiert. 21 Donelson schrieb an Johann Gustav Heckscher, der inzwischen Schmerling als Außenminister abgelöst hatte: „Sir, the President, as soon as he was informed of the organization of the existing Government at Frankfort, determined at once to recognize it, and tender it the sincere wishes which are felt by the American people for the success of its patriotic course.“22 Auch wenn die Nationalversammlung bereits seit fast vier Monaten in der Paulskirche tagte, darf nicht übersehen werden, dass die Anerkennung durch die Vereinigten Staaten die erste offizielle internationale Kreditierung darstellte. Die USA beabsichtigten, mit dieser bekräftigenden Geste Unterstützung zu signalisieren. Die Bedeutung, die sie dieser beimaßen, zeigte sich in den Bemühungen, schon früh eine volle diplomatische Anerkennung auf inoffiziellem Wege einzuleiten. Sie kamen dann sogar der öffentlichen Anzeige durch den Reichsverweser zuvor, was man in Deutschland als einen „offenbaren und völlig freien Beweis der Teilnahme von diesem großen Volke“ auslegte und die „Zuvorkommenheit der amerikanischen Regierung“ pries, die die „glückliche Freundschaft und Übereinstimmung zwischen beiden Nationen“ stärke.23 Die Doppelmission des amerikanischen Gesandten in Berlin und Frankfurt warf die Frage auf, ob und wie die provisorische Zentralgewalt umgekehrt in Washington vertreten sein sollte. Buchanan hatte schon zu Beginn der inoffiziellen Kommunikation vorgeschlagen, eine parallele Stelle zu schaffen und Friedrich von Gerolt, der bereits als preußischer Gesandter in Amerika war, ebenfalls eine Doppelmission zu übertragen.24 Auf Grund von verschiedenen Umständen

19 Microfilm Roll 77-65, NARA [Buchanan an Donelson, 7.8.1848]. 20 Ebd. 21 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. III, S. 1822 [1.9.1848, 70. Sitzung]. 22 DB 53-87-22/23, BA Koblenz [Donelson an Heckscher, 5.9.1848]. 23 DB 53-87-26/27, BA Koblenz [Reichsaußenministerium an Donelson, 8.9.1848]. 24 Microfilm Roll 77-65, NARA [Buchanan an Donelson, 7.8.1848].

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kam es dazu jedoch nicht. Die Nationalversammlung bestimmte aus ihrer Mitte heraus einen eigenen Gesandten, Friedrich von Rönne, der selbst früher bereits einmal preußischer Gesandter in Washington gewesen war und ursprünglich auch jetzt von der preußischen Regierung aus vorgesehen war, den Botschafter Gerolt, dessen Amtszeit gerade zu Ende ging, abzulösen. Dieser verließ seinerseits in dieser Annahme Washington.25 Die Lage wurde weiter kompliziert durch die Zeitverzögerung des transatlantischen Nachrichtenaustausches. Während Frankfurt noch mit Berlin darum rang, wer die Kompetenz haben sollte, Gesandte abzubestellen, brach Rönne nach Amerika auf – offenbar in der Absicht, eine Doppelmission zu erfüllen. Er war so plötzlich abgereist, dass er nicht einmal „bei der Nationalversammlung um Urlaub nachgesucht hatte“, was in den Debatten missbilligend Erwähnung fand.26 Die Bestätigung seiner Mission ausschließlich im Auftrag der Nationalversammlung erhielt er erst, während er in England auf seine Überfahrt wartete.27 In Washington angekommen, konnte Rönne nicht sofort bei der amerikanischen Regierung vorsprechen, weil seine Beglaubigungsunterlagen noch nicht eingegangen waren. Solange aber die amerikanische Regierung keine Klarheit darüber hatte, ob Rönne als preußischer, als gesamtdeutscher oder als Diplomat in einer Doppelmission kreditiert werden sollte, zögerte man, Donelson anzuweisen, endgültig nach Frankfurt zu ziehen, da man noch immer fürchtete, die Regierung in Berlin vor den Kopf zu stoßen. In der Paulskirche hatte man jedoch für diese Vorbehalte wenig Verständnis. Man ging davon aus, dass Rönnes Gesandtschaft für die Zentralgewalt außer Zweifel stand und drängte Donelson, seine Residenz zu verlegen. Aus dem Frankfurter Ministerium des Handels hieß es sogar, Donelson bringe die preußische Regierung durch seinen fortgesetzten Aufenthalt in Berlin in Verlegenheit, weil das diplomatische Protokoll dann einen preußischen Gesandten in Washington verlange, was jedoch einen Kompetenzkonflikt mit der Nationalversammlung bedeuten würde. 28 Tatsächlich war diese Kompetenzverteilung jedoch noch gar nicht endgültig geklärt. Der preußische Minister Otto von Camphausen hatte erneut eine Doppelmission vorgeschlagen, auf die man in der Nationalversammlung allerdings nicht eingehen

25 J. Hawgood: Beziehungen (1928), S. 20. 26 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5014 [3.2.1849, 163. Sitzung]. 27 Microfilm Roll 58 T2, NARA [Rönne an Buchanan, 16.12.1848]; DB-60-33-59, BA Koblenz. 28 DB 53-87-32 u. DB 58-30-19, beides BA Koblenz [Reichsministerium des Handels an US-Konsul Graebe u. an Donelson, 27.10.1848].

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wollte. Donelson und seine Regierung wussten um die innerdeutschen Souveränitätsstreitigkeiten; auch wenn sie nicht jedes Detail kannten, konnten sie die Problematik nicht zuletzt dank ihrer eigenen Geschichte und Politik lebhaft nachvollziehen. In einem Schreiben an Handelsminister Duckwitz erklärte Donelson seine Lage ganz offen: „To do so [move to Frankfurt] would perhaps injure rather than benefit the effort of the Central Power to consolidate the union of the German states, in as much as Prussia might construe it as the attempt of a foreign state to interfere with the question exclusively belonging to her as one of the parties in this union. “29

Dieses Zitat verdeutlicht auch die abwartende Stellung, die die amerikanische Regierung in der Angelegenheit eingenommen hatte. Erst wenn Preußen explizit bestätigen würde, dass es seine Kompetenz, Gesandte zu berufen, an die Zentralgewalt abgegeben hatte, würde man handeln. In diesem Sinne interpretierte Buchanan auch Rönnes Zögern, sich als Gesandter der Zentralgewalt in Washington vorzustellen: „[H]e will most probably not present himself in this character without the consent of the Prussian Government“.30 In seinen Briefen und Berichten fragte Rönne zunehmend ungeduldiger nach den Beglaubigungsunterlagen. Gelegentlich klang auch eine leichte Unsicherheit an, ob sich etwas an der Situation geändert haben könnte: „Ich sitze hier wie auf Kohlen und ich weiß gar nicht, was ich daraus machen soll“.31 Es zeugte jedoch nichts davon, dass er sich – anders als Buchanan offensichtlich annahm – noch in irgendeiner Weise der preußischen Regierung verpflichtet fühlte. Auch in der privaten Notiz, die Rönne am 16. Dezember 1848 an Buchanan schrieb, stand nur: „The delay in forwarding the credentials to me must be owing to some accident as to the disturbed State of my country“.32 Der Zentralregierung in Frankfurt versicherte er sogar ausdrücklich, wie stolz er darauf sei, „der erste Vertreter der gemeinsamen deutschen Angelegenheiten“ in den USA zu sein.33 Nicht alle von Rönnes Bekannten teilten seine Zuversicht und Begeisterung über die neue

29 DB 53-87-34, BA Koblenz [Donelson an Handelsminister Duckwitz, 31.10.1848]. 30 J.B. Moore: James Buchanan (1960), Bd. VIII, S. 275 [Buchanan an Donelson, 8.1.1849]. 31 DB 58-30-20/21, BA Koblenz [Rönne an das Reichsaußenministerium, 20.12.1848]. 32 Microfilm Roll 58 T2, NARA; 60-33-59, BA Koblenz [Rönne an Buchanan, 16.12.1848]. 33 O 11 Nr. 44 FN 7V Nachlass Gagern, Hessisches Staatsarchiv Darmstadt [Friedrich Rönne an Heinrich von Gagern, o. D. (Dezember oder Januar) 1848/49].

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Autorität der Zentralgewalt. Anfang Dezember mahnte ein Freund aus Berlin: „[V]ersuchen Sie preußisch zu bleiben, wenn es noch in der Möglichkeit liegt“.34 Ende November war Rönne nach Amerika gereist. Seine Beglaubigungsunterlagen waren jedoch statt auf den Postdampfer auf ein Segelschiff geraten, so dass sie statt zwei Wochen zwei Monate unterwegs waren.35 Die Verzögerung wertete man in Washington vielleicht politischer als sie tatsächlich war. Jedenfalls dauerte es, selbst nachdem Rönne am 26. Januar endlich bei Präsident Polk als Gesandter der Nationalversammlung akkreditiert war, noch über einen Monat bis Donelson am 19. März 1849 endgültig die Weisung erhielt, nach Frankfurt zu ziehen und zukünftig die USA nur noch bei der Zentralgewalt zu vertreten.36 Diese definitive Bestätigung der Frankfurter Autorität von außen kam jedoch schon zu spät, denn im März 1849 hatte sie nach innen schon ihre Wirkungskraft weitestgehend eingebüßt. Die Instruktionen für die beiden Gesandten, Donelson und Rönne, verdeutlichen im Vergleich, wie verschieden die beiden Regierungen die Situation in Deutschland und die Rolle der diplomatischen Vertretung darin einschätzten. Rönne erhielt sehr konkrete Anweisungen. Er sollte vor allem einen vorteilhaften Handelsvertrag erwirken und die Amerikaner dazu bewegen, Deutschland beim Aufbau einer Marine zu beraten und zu unterstützen.37 Donelson hingegen wurde ermahnt, ohne ausdrückliche Anweisung seiner Regierung keinerlei Abkommen mit der provisorischen Zentralgewalt zu schließen oder auch nur zu diskutieren, solange keine Verfassung verabschiedet sei, die in jedem Punkt die Kompetenzen regle und klar zwischen der Bundesgewalt und den Einzelstaaten aufteile.38 „Your position at Frankfort, will, for the present, be only that of a vigilant, […] you will confine yourself, till further instructions, to the duty of transmitting to your Government regular and full accounts of all you witness.“39 Auch der amerikanische Vertreter am Habsburger Hof, William H. Stiles, hatte die Anweisung erhalten, im Sinne der Nichteinmischung beobachtend abzuwarten. Das Verhältnis der USA zu Österreich war reservierter als zu Preußen.

34 VI HA NL Rönne, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin [Magnus an Rönne, 9.12.1848]. 35 DB 60-34, BA Koblenz [Rönne, Politische Berichte, Post Scriptum zum 22.1.1849]. 36 Microfilm Roll 77-65, NARA [Clayton an Donelson, 19.3.1849]. 37 DB 60-33-10-15, BA Koblenz [Instructionen für den Herrn Reichsgesandten, 20.10.1848]. 38 J.B. Moore: James Buchanan (1960), Bd. VIII, S. 237 [Buchanan an Donelson, 6.11.1848]. 39 Microfilm Roll 77, NARA [Clayton to Donelson, 19.3.1848].

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Es fällt auf, dass offensichtlich ebenso wenig zur Debatte stand, die Stelle in Frankfurt dem Gesandten Stiles, der seit 1845 in Wien war, zu übertragen, wie ihn von dort abzuberufen, auch nicht nachdem Donelson seine Position in Preußen aufgegeben hatte. In Washington begegnete man der als autokratisch geltenden Metternich-Regierung mit Misstrauen, was von Wien aus der jungen Republik gegenüber erwidert wurde. Gerade hier hofften die Revolutionäre auf Unterstützung vonseiten der USA. Wie sehr man sich unter den Wiener Aufständischen amerikanische Zustimmung wünschte und welche Bedeutung einer solchen Bestätigung beigemessen wurde, bewies die Aktion zweier Studenten: Sie gaben sich als amerikanische Delegation aus und verkündeten, sie seien gekommen, um den Revolutionären Glückwünsche zu überbringen. Stiles enttarnte die „political adventurers“ und stellte die Situation richtig, ohne der darin ausgedrückten Ehre für sein Land im Report dazu weiter Beachtung zu schenken. In seiner Sorge, Missverständnisse ob der amerikanischen Neutralität zu vermeiden, war Stiles sehr viel souveräner und nüchterner als Donelson, der sich zumindest in seinen Berichten immer wieder zu euphorischen Sympathiebekundungen aufschwang.40 Das Spannungsverhältnis zwischen Nichteinmischung und Unterstützung spiegelt sich auch im Engagement der USA beim Aufbau einer deutschen Flotte. Das Vorhaben stieß durchaus auf Zustimmung, denn in Washington erhoffte man sich davon auch einen besseren Ausbau und Schutz der deutschen Handelsschifffahrt und des transatlantischen Warenaustauschs. 41 Andererseits kompromittierte eine Unterstützung der deutschen Flotte die amerikanische Neutralität im Konflikt zwischen Deutschland und Dänemark. Trotzdem kam der amerikanische Kapitän Hiram Paulding, während seine Fregatte St. Lawrence im Herbst 1848 in Bremerhaven lag, nach Frankfurt, um sich mit Vertretern der neu gegründeten Marinekommission zu treffen. Auf deutscher Seite maß man der Tatsache, dass ein amerikanischer Kapitän sich die Zeit für eine solche Unterredung nahm, sehr hohe Bedeutung bei. Neben der englischen war die amerikanische Flotte ein viel gerühmtes Vorbild. Carl Möring referierte in der Paulskirche aus-

40 Papers of A.J. Donelson LOC, Microfilm Reel 10 u. Reel 77, NARA [Zuweilen waren die Berichte so überschwänglich, dass Buchanan Donelson am 28.9.1848 zu Sachlichkeit und Kürze mahnte]. 41 „The United States has always contended for the freedom of the sea, and will be happy to see every nation maintain a sufficient naval force to protect their commerce, and sustain those liberal principles of the Laws of Nations, which are founded on the equal rights of independent Governments.“ DB 60-36-67, BA Koblenz [Parker an das USNavy Department, 16.12.1848].

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führlich über technische Details und fortschrittliche Industrie der US-Marine.42 Es lag also nahe, sich in Fragen der Organisation und Ausstattung an die USA zu wenden. Durch den viel versprechenden Besuch Pauldings fühlte man sich darin bestätigt. Für den Kapitän selbst war es jedoch ein eher unverbindliches Treffen. Trotz des sehr ausführlichen Gespräches hielt er eine deutsche Marine unter den gegebenen Umständen für unmöglich, was er allerdings in Frankfurt nicht offen aussprach.43 In seinem Tagebuch schrieb er über die Pläne, die Prinz Adalbert von Preußen, der Vorsitzende der Marinekommission, ihm vorgelegt hatte: „[I]n the present state of Germany and for its present wants, his [Prinz Adalberts] theories sometimes amount to absurdities“. 44 Die Nationalversammlung in Frankfurt aber war von der Idee einer deutschen Marine überzeugt. Flugschriften und Traktate propagierten die Flottenpläne nicht nur ob des militärischen Prestiges, sondern auch als wichtigen Faktor der nationalen Einigung und des eigenen Selbstverständnisses.45 Der Marineausschuss bat Donelson, bei seiner Regierung zu erwirken, dass einige amerikanische Offiziere und Ingenieure vorübergehend für die deutsche Marine verpflichtet werden könnten. In Washington fühlte man sich zwar geehrt, war aber besorgt, ob eine solche Mission mit nationalem und internationalem Recht vereinbar sei.46 Commodore Foxall A. Parker erhielt den Auftrag, die Situation in Deutschland zu begutachten. Er kam jedoch zu einem ähnlichen Schluss wie schon Paulding und empfahl seiner Regierung, sich auf beratende Tätigkeiten zu beschränken. Vor allem warnte er, dass die für eine deutsche Marine notwendige nationale Einigung nur durch einen Bürgerkrieg erreicht werden könne, aus dem die USA sich unter allen Umständen heraushalten sollten. „I can see no field for any American officer doing credit to himself or his country in the German Navy of this time. […] In this state of things it seems to me it would be unwise for the Officers of the American Navy to have anything to do with Germany until the Centralpower is established, except in the way of advice.“47

42 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 305ff. [Carl Möring, 14.6.1848, 16. Sitzung]. 43 W. Hubatsch: Reichsflotte ( 1981), S. 29-40, hier S. 29. 44 G. Moltmann: Blockpolitik (1973), Quellenanhang S. 395 [Pauldings Travel Journal]. 45 F.L. Müller: Weltmacht (1997), S. 164. 46 DB 60-36-22, BA Koblenz [US-Secretary of the Navy John Mason an Rönne, 6.2.1849]. 47 DB 60-36-69, BA Koblenz [Parker an Mason, 24.1.1848].

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Die Unsicherheit der diplomatischen Situation und die Prämissen der USAußenpolitik wirkten sich auch auf das Verhalten Parkers gegenüber der Marinekommission aus. Wie zuvor schon Paulding hatte er seine Vorbehalte während seines Besuches in Frankfurt nicht offen dargelegt. Im Reichsministerium des Handels war man daher über das „perfide Benehmen des Commodore Parker“ empört. Er habe in Deutschland „die entgegengesetzte Sprache geführt als in Amerika“ und fälschlicherweise „eine Willfähigkeit seiner Seits [sic] und Seitens der Regierung der Vereinigten Staaten ausgedrückt“. 48 Das politische Potenzial dieser Angelegenheit war nicht zu übersehen. In seiner schriftlichen Ablehnung des deutschen Ansinnens auf amerikanische Unterstützung hielt der US-Marineminister John Mason es daher für notwendig, deutlich zu machen, dass diese Entscheidung aus gesetzlichen Gründen zwingend sei, aber keineswegs die amerikanische Anerkennung für die politischen Bemühungen der Nationalversammlung mindere: „The earnest desire for the success of the noble effort to establish a German Confederation is unabated – and I trust that the course which the Constitution, laws and policy of the United States require us to pursue, will not be regarded as inconsistent with the feeling.“49 In Amerika kam Friedrich von Rönne seinen Instruktionen nach und sammelte Informationen über Organisation, Struktur und Handhabung der amerikanischen Flotte. Er sandte Baupläne von Hafenanlagen, Verpflegungslisten und Zeichnungen verschiedener Schiffstypen an das Reichsministerium des Handels in Frankfurt.50 Vor allem aber widmete er sich seinem wichtigsten Auftrag in diesem Zusammenhang, dem Ankauf einer Dampffregatte. Die Marinekommission hatte bereits zwei Schiffe in England erstanden. Die United States – später Hansa – sollte nun das Flaggschiff werden. Unabhängig von der Frage, ob amerikanische Offiziere in deutsche Dienste treten könnten oder die USA in irgendeiner anderen Weise tatkräftige Hilfe beim Aufbau der deutschen Flotte leisten würden, hatten Präsident Polk und sein Marineminister Mason dem Geschäft zugestimmt. Zunächst schien nichts dagegen zu sprechen, den Dampfer nach Deutschland zu verkaufen, aber während er im Dock in New York fertig gestellt und ausgestattet wurde, entbrannte eine öffentliche Diskussion. Der Verkauf eines für den Krieg ausgerüsteten Schiffes an die deutsche Zentralgewalt, die nach wie vor mit Dänemark in Konflikt stand, lieferte konkreten Stoff für die sonst eher abstrakte Debatte über Neutralität, umso mehr im Wahljahr 1848, in dem die ohnehin interventionsskeptischen Whigs die Regierung der Demokraten

48 DB 60-36-133/134, BA Koblenz [Duckwitz an Rönne, 8.5.1849]. 49 DB 60-36-64, BA Koblenz [Mason an Rönne, 1.3.1848]. 50 DB 60-36, BA Koblenz [„Marine“].

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herausforderten.51 Die Gefährdung von wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen mit Dänemark war dabei nur ein Argumentationspunkt unter vielen. Angesichts der unsicheren, revolutionären Situation in den deutschen Staaten, so argumentierte ein Journalist der Whig-freundlichen Tageszeitung National Intelligencer, stünde sogar zu befürchten, die Fregatte könne im Kampf gegen das Volk verwandt werden.52 Von welcher Seite man es auch betrachten mochte, die sich mehr und mehr herauskristallisierende öffentliche Meinung hielt den Verkauf des Dampfers United States für eine unverantwortbare Überschreitung der Neutralität. Daraufhin distanzierte sich die Regierung Polk von dem Verkauf und hätte ihn am liebsten rückgängig gemacht. Die neu gewählte Whig-Administration unter Präsident Zachary Taylor vertrat dann diese Einstellung noch vehementer. In einem ausführlichen Briefwechsel zwischen Rönne und dem neuen amerikanischen Außenminister John Clayton schwang der Vorwurf mit, die provisorische Zentralgewalt habe den wahren Verwendungszweck des in New York gebauten Dampfers absichtlich verschwiegen.53 Nun sollte Rönne sich offiziell dafür verbürgen, dass das Schiff nicht gekauft und ausgestattet worden sei, um kriegerische Aktionen gegen irgendein Land auszuführen, mit dem die Vereinigten Staaten friedlichen Handel trieben.54 Rönne antwortete, dass er keinen Einfluss darauf habe, was mit dem Schiff geschehe, wenn es in Bremerhaven anlege, merkte aber spitz an: „In fitting out and arming a war-vessel it is certainly always intended to use her for war-purposes, at some future time should occasion require it.“55 Das Flottenvorhaben war ein längerfristigeres Anliegen als nur für den Krieg mit Dänemark gedacht, aber das Ende des Waffenstillstandes war immanent. Dass Rönne nicht wusste, was der erste Auftrag einer neuen deutschen Marine sein würde, ist daher ebenso unglaubwürdig wie die Behauptung der amerikanischen Regierung, ihr wären die deutschen Absichten hinter dem Geschäft erst nachträglich klar geworden. Commodore Parker hatte schon in seinem Bericht darauf hingewiesen, dass mit Ende des Waffenstillstandes Dänemark ein erster Feind der deutschen Marine würde.56 Durch ihre Einwände erreichten die Amerikaner zumindest, dass sich die Überfahrt des Dampfers United States, inzwischen Hansa, so verzögerte, dass er

51 G. Moltmann: Prinzipienkonflikt (1969), S. 29f. u. S. 32. 52 DB 60-34, BA Koblenz [Rönnes Bericht an das Reichsaußenministerium , 9.6.1849]. 53 DB 60-36-88ff., BA Koblenz [Clayton an Rönne, 10.4.1849]. 54 Ebd., Microfilm Roll 58 T2, NARA [Rönne an Clayton, 14.4.1849]. 55 Ebd. 56 DB 60-36-69, BA Koblenz [Parker an Mason, 24.1.1849].

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erst in Bremerhaven einlief, als die Nationalversammlung bereits in Auflösung begriffen war. Die Flottenpläne wurden vorerst vertagt. Die Neuanschaffung aus Amerika lag über zwei Jahre in Bremerhaven vor Anker und ging dann unter dem Namen Barbarossa in preußischen Besitz über.57 Eine einzige Dampffregatte hätte ohnehin kaum einen entscheidenden Unterschied im Kampf gegen die gut ausgestattete dänische Flotte gemacht. Im Grunde war das Ringen um die amerikanische Unterstützung der deutschen Marine nur ein Nebenschauplatz der diplomatischen Bühne, auf dem sich die US-interne Auseinandersetzung um Non-Entanglement und Manifest Destiny reproduzierte. In ihrer Konsequenz aber hatten diese Ereignisse entschieden Einfluss auf das Amerikabild in der Paulskirche. Die Sorge um ihre Neutralität war in den Berichten der amerikanischen Gesandten sehr präsent. Andererseits verspürten sie Begeisterung für die neuen Entwicklungen und fühlten sich dadurch geschmeichelt, dass ihr föderatives System immer wieder als positives Beispiel herangezogen wurde. Besonders aus diesem Grund hielten sie es für ihre Verantwortung, Ratschläge zu erteilen und zu einem erfolgreichen Gelingen der Umgestaltung beizutragen.58 Gerne beriefen sie sich auf ihre Geschichte, um ihre Erfahrungen und Expertise zu unterstreichen.59 Günter Moltman spricht von einem „pädagogischen Moment“ in der amerikanischen Haltung gegenüber den europäischen Veränderungen. 60 In der „Grunddirektive für das Verhalten amerikanischer Diplomaten bei europäischen Revolutionen“ heißt es: „[Y]ou will be often called upon in conversation for information respecting our political system, State and National, which they seem to have adopted as a model“.61 Es war den Amerikanern bewusst, dass ihr Regierungssystem das nahe liegende Beispiel einer föderativen Struktur war und es war ihnen daran gelegen, die Vorteile zu vermitteln. Theodore Fay, Sekretär von

57 W. Hubatsch: Deutsche Flotte (1981), S. 26. 58 In Donelsons Report vom 11.1.1848 heißt es: „[O]ur system of government must have a greatly extended influence on European forms“. Am 8.3.1848 berichtet Donelson weiter: „It is a conception growing out of an increasing knowledge of our institutions, and may in the end lead to the adoption of that system.” Vgl. Donelson Papers Reel 10, LOC. 59 Donelson Papers Reel 10, LOC [Donelson Report vom 8.4.1848]. 60 G. Moltmann: Blockpolitik (1973), S. 87; desr..: Amerikanische Beiträge (1967), S.206. 61 G. Moltmann: Blockpolitik (1973), S. 212 und Quellenanhang S. 364-368 [Grunddirektive für das Verhalten amerikanischer Diplomaten bei europäischen Revolutionen 1848/49].

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Donelson in der amerikanischen Botschaft in Berlin, schrieb euphorisch an Buchanan: „They who before admired, now despair of being able to imitate, those who used to sneer, at least acknowledge the superiority of our institutions.“62 Zufrieden merkte auch Donelson selbst den „salutary influence“ der Verbreitung und Übersetzung amerikanischer Staatstexte an.63 Dennoch bemühte er sich besonders deutschen Freunden gegenüber, klar zu stellen, dass die amerikanischen Sympathien nicht an eine direkte Übernahme der politischen Institutionen geknüpft seien: „Our confidence in this movement is increased also, because it seeks a Federal system – a system which has been tried in the United States – and which has been found to add to the security of public order and individual right […] But we are not too proud of our work in this respect, as to imagine that if Germany varies the model of realizing the same blessing, she will deserve less of our sympathies.“64

Gerade dem preußischen König gegenüber versicherte er, „that the United States although attached to the scheme of Federal Union, did not obtrude their example or experience on other Sovereigns“.65 So enthusiastisch die Berichte der verschiedenen amerikanischen Vertreter in den deutschen Staaten zu Beginn der Revolution klangen, so enttäuscht und vernichtend fiel ihr Urteil nach dem Scheitern der Nationalversammlung aus. Im März 1848 schwärmte Donelson in seinem Bericht: „So wonderful a change has never been exhibited in the world. It is pregnant with great consequences“.66 Zwei Jahre später urteilte Stiles: „Not only was the change to sudden a one, but the people were not adapted for it either in education or habit“.67 Als im Laufe des Jahres 1849 das Scheitern der Nationalversammlung immer deutlicher wurde, erhielt Donelson ein Schreiben des Außenministers Clayton. Er bedauerte zwar die „distracted condition of Germany“, ließ jedoch gleichzeitig durchscheinen, dass er das Verhalten der vorherigen Regierung, der Donelson persönlich wie politisch sehr nahe gestanden hatte, nicht billigte:

62 H.-J. Grabbe: Weary of Germany (1997), S. 79. 63 J. Hawgood: Beziehungen (1928), Quellenanhang [Donelson Report vom 5.5.1848 u. Maximilian Schele de Vere an Robert T. Hunter im Frühjahr 1848]. 64 DB 53-87-36, BA Koblenz [Donelson an Duckwitz, 22.10.1849]. 65 G. Moltmann: Blockpolitik (1973), Quellenanhang S. 389-393 [Donelsons Report vom 3.11.1848]. 66 Donelson Papers Reel 10, LOC [Donelson Report vom 23.3.1848]. 67 W. Stiles: Austria (1852), S. 177.

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„We as a Nation, have ever been ready and willing, to recognize a Government, de facto, which appeared capable of maintaining its power. […] if no further advance be made, during the present summer, towards the establishment of a German Confederation, on a durable basis, you shall be recalled. […] We shall probably not renew the experiment of sending a Minister to another Government, before it shall be organized and capable of treating with us […]“.68

Knapp zwei Monate später wurde Donelson offiziell zurückbeordert. Rönne blieb noch bis Dezember im Dienst der Zentralgewalt und wechselte dann zurück auf den preußischen Gesandtschaftsposten, auf dem er bis 1850 in Washington blieb.69 Damit waren die kurzen diplomatischen Beziehungen zwischen Frankfurt und Washington beendet. Obgleich sie geprägt waren von Unklarheiten und Verunsicherungen, hatten sie doch für beide Seiten besondere Bedeutung. Abgesehen von der Schaffung einer Grundlage für Handel und Seefahrt boten sie den einen die Möglichkeit zu Sympathiebekundung und den anderen eine Unterstützung ihrer Legitimation nach innen und außen.

AMERIKABEZÜGE

IN DER

V ERFASSUNGSDEBATTE

Im April 1848 ging bei der Nationalversammlung eine Geldsendung hauptsächlich deutschstämmiger Bürger aus New York ein. 70 Der Postdampfer hatte in Bremerhaven neben dem Sternenbanner die schwarz-rot-goldene Fahne gehisst, um deren offizielle Anerkennung auf internationalen Gewässern noch gerungen wurde.71 Euphorisch ließ man in Frankfurt die Spender hochleben. Später folgte eine vergleichbare Sendung aus Boston.72 Das positive Bild und die prominente Stellung Amerikas in den Vorstellungen vieler Abgeordneter wurden durch derartige Ereignisse gefestigt. Auf ähnliche Weise wirkten auch die rasche Anerkennung der Frankfurter Regierung und – jedenfalls zu Beginn – die Bemühungen um die Marine. Die Vereinigten Staaten waren folglich in den Debatten der Paulskirche weitgehend positiv konnotiert, wie schon ein kurzer Blick in die

68 Microfilm Roll 77, NARA [Clayton an Donelson, 8.7.1849]. 69 J. Hawgood: Beziehungen (1928), S. 14; DB 60-33-120, BA Koblenz [Rönne an Clayton, 19.2.1850]. 70 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 162 [29.5.1848, 9. Sitzung]. 71 J. Hawgood: Beziehungen (1928), S. 2 u. S. 24f. 72 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 3511 [23.11.1848, 121. Sitzung].

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Protokolle beweist.73 Wenn man darüber hinaus das zunehmende Interesse der Wissenschaft an den USA schon während des Vormärz bedenkt, liegt es nahe zu fragen, ob es auch Anknüpfungspunkte an das amerikanische Verfassungsdenken gab und welche Auswirkungen dieser Umstand auf die Verhandlungen oder ihre Ergebnisse hatte. Wiederholte Bezugnahme lässt sich jedoch nicht mit nachhaltigem Einfluss gleichsetzen.74 Zweifelsohne war die Mitte des 19. Jahrhunderts, abgesehen von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, eine der intensivsten Phasen in der deutschen Auseinandersetzung mit den politischen Prinzipien der USA.75 Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass die Frage nach dem gedanklichen, strukturellen oder auch nur stilistischen Einfluss der amerikanischen auf die deutsche Verfassung von 1848/49 viel Stoff zur Diskussion bietet, weil es sich um einen schwer greifbaren Prozess handelt.76 Es ist natürlich, dass in den Beratungen zu einer neuen Verfassung bereits bestehende Regierungssysteme als Orientierungshilfe herangezogen werden. 77 Die Verfassung der Vereinigten Staaten war 1848/49 nicht die einzige und auch nicht unbedingt die am häufigsten beschworene fremde Ausarbeitung einer Regierungsform. 78 Mindestens ebenso häufig wurden Frankreich und Großbritannien zitiert und dargelegt, gelegentlich auch die norwegische, die belgische und die niederländische Verfassung. 79 Bestimmte Grundgedanken waren so weit verbreitet, dass sie gar nicht geographisch verortet werden konnten.80 Eine alle Lebensbereiche so vollkommen umfassende Isolierung von intellektuellen Traditionen und Entwicklungen war selbst im Zeitalter vor der Massenkommunikation unmöglich, so dass jede neue Verfassung zumindest unterschwellig Einflüsse und Ideen aus anderen Zeiten und Ländern in sich aufnahm. 81 Bodo Pieroth entwickelt den Begriff des „Verfassungsex-

73 E. Angermann: Frühkonstitutionalismus (1974), S. 10. 74 M. Dreyer: Modell (1993), S. 225. 75 J. Heideking: Modell Amerika (1997), S. 14. 76 R. Engelsing: Periodisierung (1958), S. 139; J. Heideking: Modell Amerika (1997), S.10-13. 77 C.J. Friedrich: Constitutionalism Abroad (1967), S. 11; H. Steinberger: Einflüssen (1987), S. 16. 78 G. Moltmann: Amerikanische Beiträge (1967), S. 207; H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 40. 79 T. Bromme: Beantwortung (1848), S. XIII; H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 9 u. S. 40; ders.: Vorbild Amerika? (1995), S. 181. 80 R. Ullner: Föderalismus (1965), S. 8. 81 J.-D. Kühne: Bundesverfassung (1991), S. 166.

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ports“, um den Konflikt zwischen ‚Funktionalisten‘ und ‚Diffusionisten‘ zu umgehen. Diese Auseinandersetzung bezieht sich auf die Frage, ob Verfassungen sich aus allgemeinen Traditionen heraus so entwickeln, dass sie den speziellen lokalen Bedingungen und zeitlichen Anforderungen funktional entsprechen, oder ob sie immer auf einen aktiven Transfer, eine Diffusion, zurückzuführen sind, wobei auch hier offen bleibt, ob es sich um einen bewussten Prozess handelt.82 Pieroth will mit seinem Begriff „sowohl (gewalt-)tätige als auch rein geistige Einflussnahme von einem zum anderen Land“ zusammenfassen.83 Er verbindet darin also die natürlich auftretende geistige Beeinflussung, wie sie die Funktionalisten beschreiben, mit der aktiven Verbreitung, die die Diffusionisten für notwendig halten. Die Wortwahl „Verfassungsexport“ mag verwirren, da sie Assoziationen von Akteuren hervorruft, die Waren oder Ideen über Landesgrenzen bringen. Im Falle der Verbreitung der amerikanischen Verfassung in Deutschland während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts müsste man ohnehin wohl eher von ‚Verfassungsimport‘ sprechen. Zwar waren die Amerikaner stolz darauf, ihr politisches System zu präsentieren, aber der aktivere Transfer wurde von Deutschland aus betrieben.84 Die Verfassungen anderer Staaten, so Traugott Bromme, enthielten „Stoff genug […], der wohl von denen berücksichtigt zu werden verdient, die jetzt berufen sind, eine entscheidende Stimme bei der Ausbildung unseres staatlichen Gebäudes abzugeben.“85 Wissenschaftliche Studien wurden zu politischen Entwürfen. Eine zentrale Rolle spielte das amerikanische Modell zum Beispiel in der Diskussion um das Konzept Föderalismus. Gerade hier hatten die Staatswissenschaftler während des Vormärz mit einem besonderen praktischen Interesse die amerikanische Verfassung studiert.86 Unter ihnen waren nicht wenige der politischen Professoren in Frankfurt, die nun hofften, ihre Bemühungen könnten endlich Früchte tragen und Umsetzung finden.87 Unabhängig von der Quantität der Referenzen oder einem konkreten Einfluss auf das Ergebnis, lässt sich so anhand einzelner Themenfelder das Ineinandergreifen wissenschaftlicher Untersuchungen und politischer Funktionalität nachvollziehen.

82 B. Pieroth: Verfassungsexport (1989), S. 1333. 83 Ebd. 84 H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 12. 85 T. Bromme: Beantwortung (1848), S. XIII. 86 T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 151; G.C. Unruh: Nordamerikanische Einflüsse (1976). 87 C.J. Friedrich: Constitutionalism Abroad (1967), S. 52f.

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Der Hinweis auf Amerika konnte in gewissen Zusammenhängen auch eine rein rhetorische Funktion erfüllen. Die große Anziehungskraft auf Auswanderer, die blühende Wirtschaft und der vermeintlich ruhige Ablauf des politischen Lebens in der jungen Republik jenseits des Atlantiks hatten so positive Assoziationen zur Folge, dass ein Hinweis auf die dortigen Verhältnisse ausreichte, um eine These zu untermauern oder einen Vorschlag zu stärken.88 Amerika wurde zu einem „Arsenal von Argumenten für eigene Absichten“, aus dem man sich je nach Bedarf bediente.89 In dieser Weise funktionierte die Bezugnahme auf die USA quer durch das politische Spektrum, was ebenfalls einen eher oberflächlichen Gebrauch dieser Referenz vermuten lässt.90 Die liberale Mitte nutzte das Beispiel Amerika zwar regelmäßiger und selbstverständlicher, aber auch die Konservativen wie etwa der Staatswissenschaftler Friedrich Julius Stahl beriefen sich darauf. 91 Die unterschiedlichen politischen Lager hatten verschiedene Schwerpunkte in ihren Amerikabezügen. Die Konservativen führten die USA gegen Radikalismus ins Feld, die extrem Linken forderten die demokratische Republik. Der große Teil der gemäßigten Liberalen argumentierte für eine klare freiheitliche Verfassung.92 Gerade in der Paulskirche hatte es einen besonders rhetorischen Effekt, Argumente in wissenschaftlichem Stil zu präsentieren. Im Fall von Amerika sei die allgemeine Kenntnis bei den meisten Abgeordneten so oberflächlich und beschränkt gewesen, argumentiert Thomas Ellwein, dass wenig fundierte Ausführungen zu den USA, die im Bezug auf Frankreich oder England kaum beeindruckt hätten, leichter den gewünschten Zweck erfüllten, wissenschaftlich und daher fundiert zu wirken.93 Einige Referenzen ließen jedoch durchaus ein umfassenderes Wissen erahnen, besonders wenn der Referent sich auf amerikanische Texte oder akademische Untersuchungen zum jeweiligen Thema berief. Es gilt zu unterscheiden, welche Argumente auf detaillierten Kenntnissen der transatlantischen Verhältnisse aufbauten, so dass die Berufung auf Amerika als substanziell angesehen werden kann, und bei welchen es sich um oberflächliche

88 R. Engelsing: Periodisierung (1958), S. 146; H. Dippel: Vorbild Amerika? (1995), S.194f. 89 E. Angermann: Frühkonstitutionalismus (1974), S. 4. 90 M. Dreyer: Modell (1993), S. 232. 91 E.G. Franz: Problem der Übertragung (1958), S. 126; G. Moltmann: Amerikanische Beiträge (1967), S. 220. 92 J. Heideking: Modell Amerika (1997), S. 15-17. 93 T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 68.

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Assoziationsanreize handelte, die im Grunde „austauschbar“ blieben.94 Ein wichtiges Indiz, wenn auch nicht ohne Ausnahme, stellt die jeweilige Ausführlichkeit der Bezugnahme dar. Ein kurzer Nebensatz, der den Bogen von den eigenen Forderungen zu den USA zog, oder auch eine rasche Auflistung verschiedener fremder Verfassungen erweckt eher den Eindruck einer rhetorischen Stilisierung als einer konkreten Darlegung bestimmter gesetzlicher oder sozialer Gegebenheiten. Erich Angermann vertritt, ähnlich wie Ellwein, die Ansicht, dass die Repräsentanten in der Nationalversammlung „die komplizierten Zusammenhänge und die Ausgewogenheit der amerikanischen Verfassung“ nicht in ihrer ganzen Tiefe verstehen konnten, weil ihnen die „staatsmännische Klugheit der amerikanischen Founding Fathers“ gefehlt habe.95 Während es durchaus Missverständnisse gegeben hat, lassen sich bestimmte Umgewichtungen bei der Auslegung der USVerfassung in Deutschland ebenso gut aus der politischen Situation heraus erklären. Schon Murhards Artikel zu dieser Thematik im Staats-Lexikon habe, so Norbert Fuchs, „mehr über seine Ideale und seine Vorstellungen als über die wirklichen Verhältnisse“ ausgesagt.96 Letztendlich von Bedeutung für die Debatten war nicht das korrekte Verständnis der amerikanischen Konzepte, sondern die situationsbezogene Interpretation, die aus dem Versuch einer Anwendung der theoretisch untersuchten Vorlage auf die praktischen Begebenheiten im eigenen Land entstanden war. Michael Dreyer argumentiert, dass „die Übernahme von praktischen Details“ nicht automatisch bedeute, dass der „Geist“ der Verfassungen sich gleiche.97 Entscheidend war also die Akzeptanz bestimmter Grundsätze, wie etwa des Föderalismus.98 Die amerikanische Verfassung beinhaltete aber auch Prinzipien und Konzepte wie Volkssouveränität, Republik und Demokratie, denen man Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa skeptisch gegenüberstand. Wer sie beschwor, stand vor einem Dilemma und musste genau selektieren. Diese Problematik war symptomatisch für die gesamte Paulskirchenverfassung. Man orientierte sich an Idealen, die zu erreichen man sich oft in letzter Konsequenz scheute.99 Hartwig Brandt weist darauf hin, dass ein „Spiel mit dem Möglichen, wiewohl nur halb und im

94 H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 42. 95 E. Angermann: Frühkonstitutionalismus (1974), S. 30f.; H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 45. 96 N. Fuchs: Theorie Friedrich Murhards (1973), S. 306. 97 M. Dreyer: Modell (1993), S. 231. 98 G.C. Unruh: Nordamerikanische Einflüsse (1976), S. 457. 99 H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 12, S. 35 u. S. 46.

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Letzten vielleicht gar nicht Gewollten“ den „Charakter“ und das „Schwungrad“ des klassischen Konstitutionalismus im Vormärz und während der Debatten in der Paulkirche ausmachte.100 Einige Abgeordnete hatten, zum Teil durch persönliche Erfahrungen, vor allem aber durch wissenschaftliche Vorarbeit, Zugang zu Wissen über die Vereinigten Staaten.101 Es mag geringer gewesen sein als die Kenntnisse über das britische oder französische Staatssystem, einige Facetten wurden falsch verstanden oder eigenwillig interpretiert, aber diese Grundlage ermöglichte es ihnen dennoch, während der Debatten die US-Verfassung als „Prüfstein und Wegweiser“ in ihrer Argumentation zu verwenden. Erst durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem fremden System, konnten sie es sich so zu Nutze machen, dass es über bloße Rhetorik hinausging.102 „Es ist nicht genug, bloß die Staatsformen – die Verfassungen – alle zu kennen und sich von irgend woher entlehnten Gedanken leiten zu lassen, um die Gegenwart, und einen bestimmten Staat in dieser, mit einer vermeintlich besseren Verfassung zu beglücken. Sie müssen auch die ganze Wissenschaft vom Staate im Allgemeinen und alle Verwaltungszweige ins Besondere ihrer inneren Natur nach erforscht haben.“103

Für eine Einschätzung der Bezugnahme auf die Vereinigten Staaten in den Kontroversen um eine deutsche Verfassung sind neben den Debatten in der Nationalversammlung eine Vielzahl von Verfassungsentwürfen relevant, die meist in Form von Flugschriften oder Sendschreiben, zuweilen auch als Zeitungsartikel in Umlauf waren. 104 Wolfgang Dippel spricht von einer „Hochkonjunktur“ der „Staatslehren – gleich welcher Couleur […] fühlte sich doch jeder Staatslehrer aufgerufen, seinen ganz persönlichen akademischen Beitrag in Form einer ideal konstituierten Staatslehre“ dazulegen. 105 Die Nähe zur Paulskirche war in der Regel gegeben; nicht selten waren die Verfasser dieser Schriften selbst Abgeordnete, wie etwa Johann Ludwig Tellkampf, Johann

100 H. Brandt: Konstitutionalismus (1994), S. 271. 101 G. Moltmann: Amerikanische Beiträge (1967), S. 207f.; H.-J. Grabbe: Weary of Germany (1997), S. 79. Vgl. auch oben bes. Friedrich von Raumer und Robert von Mohl, S. 77ff. 102 J. Heideking: Modell Amerika (1997), S. 20. 103 A. Arnold: Staatslehre (1849), S. IV. 104 A. Scholl: Unionsverfassung (1913), S. 32 u. S. 67. 105 W. Dippel: Wissenschaftsverständnis (1990), S. 1.

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Gottfried Eisenmann, Franz Josef Buß oder Julius Fröbel. 106 Noch bevor er selbst Ende Mai in die Nationalversammlung gewählt wurde, verfasste Carl Josias von Bunsen ein Sendschreiben an die zum Parlamente berufene Versammlung mit ergänzenden Vorschlägen zum Siebzehner Entwurf, die er unter Zuhilfenahme der englischen und der amerikanischen Verfassung präsentierte, wobei er unter den in Deutschland gegebenen Umständen die US-Bundesverfassung für passender hielt.107 Bunsen ging davon aus, dass sein Schreiben an exponierter Stelle öffentlich würde und damit einen wichtigen Beitrag zur Verfassungsdiskussion in Frankfurt leisten könne. Um politische Missverständnisse zu vermeiden, fühlte er sich daher als prominenter preußischer Beamter verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass das, „was ich sage, meine Privatansicht, meine persönliche Überzeugung ausspricht. […] Ich habe weder Auftrag noch Beruf, noch Mittel, die meiner Regierung auszusprechen.“108 Schwerpunkt seines Entwurfs war die Organisation des Bundesstaates, besonders die Repräsentation der Einzelstaaten. Themen, die auch in anderen Schriften von zentraler Bedeutung waren, beispielsweise in dem zweiseitigen Flugblatt von Johann Ludwig Tellkampf aus dem Jahr 1848. Neben praktischen Fragen wie dem Wahlmodus, der Ratifizierung einer Verfassung oder der Organisation des Bundesstaats fanden auch abstraktere Grundsätze wie Freiheit, Tugend oder Gewaltenteilung in den wissenschaftlichen und politischen Publikationen des Vormärz Beachtung.109 „Wir dürfen von den vielen rein utopischen, idealistischen Plänen dieser Zeit gern absehen“, schreibt Ellwein, denn es habe genügend andere gegeben, „die auf dem Boden der realen Verhältnisse erwachsen waren“.110 Überlegungen zur Übertragbarkeit und Nützlichkeit fremder Konzepte gingen allen Entwürfen voran. Schon die Flugschriften des Vormärz hatten diesem Punkt besondere Aufmerksamkeit gewidmet. In der Paulskirche wurden die einschlägigen Argumente wieder angeführt.111 Weitere Ansatzpunkte, die hinzukamen, waren die schwierige realpolitische Situation der Nationalversammlung und die unterschiedliche Ausgangslage – verglichen etwa mit dem Zweiten Kontinentalekongress in Philadelphia. Donelsons Vorgänger Konsul Charles Graebe bedauerte, dass Erzher-

106 J.L. Tellkampf: Bundesversammlung (1848); J.G. Eisenmann: Reichsverfassung (1848); J. Fröbel: Grundzüge (1848). 107 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848). 108 Ebd., S. 5. 109 E. Angermann: Frühkonstitutionalismus (1974), S. 32. 110 T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 71. 111 E.G. Franz: Problem der Übertragung (1958), S. 125.

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zog Johann nicht ein „zweiter Washington“ geworden sei.112 Alexander Ziegler sah das Problem ebenfalls genau darin, dass sich in Deutschland keine Persönlichkeit wie der erste amerikanische Präsident fände, „der die natürlichen Verhältnisse des Landes so vortrefflich zu benutzen und die Herzen der Menschen so glücklich zu leiten verstand“.113 Später, als die kalifornische Verfassung verhältnismäßig schnell geschrieben und ratifiziert wurde, wies Mohl darauf hin, dass bestimmte Grundsätze in Amerika so allgemein verbreitet und akzeptiert seien, dass sie keiner zeitaufwändigen Diskussion bedürften. „Während z. B. der Frankfurter Reichstag sich über endlose Erörterungen der ‚Grundrechte‘ in den Sand verlief, wurden in der californischen Versammlung dieselben in Einer [sic] Abendsitzung abgemacht.“114 Der preußische Minister Hansemann glaubte, es sei den Amerikanern leichter gefallen, einen Bundesstaat zu gründen, weil die Gesandten der Einzelstaaten nicht auf jahrhundertealte Traditionen ihrer Souveränitäten bestanden hätten.115 Im Allgemeinen waren die Einschätzungen der föderativen Schwierigkeiten bei der Gründung der USA zwar realistischer, aber das Argument historisch gewachsener Unwägbarkeiten war dennoch weit verbreitet und nicht von der Hand zu weisen. Hermann Abeken gab zu bedenken, dass nur in einer jungen Nation die Gesetzgebung „logisch und konsequent sein“ könne, sobald aber „die Geschichte Boden gewonnen“ habe, erzeuge „menschliche Unvollkommenheit auch Widersprüchliches“, das man bei politischen Umgestaltungen nicht außer Acht lassen dürfe, da es „zwar getadelt aber nicht mehr beseitigt werden kann“.116 Neben den zahlreichen Entwürfen deutscher Publizisten, Politiker und Wissenschaftler trafen auch vereinzelt Vorschläge von Amerikanern ein. Man hatte schnell erkannt, wie eng wirtschaftliche und politische Angelegenheiten miteinander verknüpft waren, und sah in den Handelskonsulen eine Art halboffizielle Botschafter. Dudley Mann war der bekannteste und aktivste unter ihnen. Er fertigte 1848 sogar einen Verfassungsentwurf an. Schon während des Vormärz hatte er sich in verschiedenen deutschen Staaten aufgehalten, wo er im Auftrag der amerikanischen Regierung als Handelsreisender unterwegs war. 1842-45 war er Konsul in Bremen für Präsident Tyler, anschließend verhandelte er im Auftrag Polks mit

112 G. Moltmann: Blockpolitik (1973), S. 65 [Charles Graebe an James Buchanan 16.6.1849] 113 A. Ziegler: Licht- und Schattenseiten (1848), S. 66. 114 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 515. 115 D. Hansemann: Verfassungsfrage (o. J), zit. nach A. Scholl: Unionsverfassung (1913), S. 29. 116 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 154f.

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Hannover, Mecklenburg-Schwerin und einigen weiteren deutschen Kleinstaaten Zollabkommen und Handelsverträge. Ab 1847 bereiste er Westeuropa, um Informationen zur Auswanderung zu sammeln, die den USA helfen sollten, eine Imigrationspolitik zu formulieren. Gleichzeitig erstattete er regelmäßig Bericht nach Amerika – sowohl auf offizieller Ebene an Außenminister Buchanan als auch an die amerikanische Presse. Unter dem Pseudonym ‚Americanus‘ veröffentlichte er in der den Democrats nahe stehenden Zeitung The Daily Union Artikel, die von einem klarem Sendungsbewusstsein zeugten.117 Am 26. 11.1846 etwa hieß es dort: „The God of the battles is with us […] Crowned heads may be terrified at the extension of our territory, because it will be followed by an extension of political freedom; but their subjects – oppressed and distressed members of the human family – will be benefited by the occurrence.“118

Als inoffizieller Repräsentant der amerikanischen Regierung war Mann nicht an das strenge diplomatische Protokoll gebunden. Er konnte seiner Überzeugung und Begeisterung auch in Deutschland frei Ausdruck verleihen. Seinen Verfassungsentwurf verfasste er schon Ende März 1848. Im Anschluss reiste er direkt nach Frankfurt, um die Sitzungen des Vorparlaments und dann der Nationalversammlung zu verfolgen.119 Dort habe er, nach eigenen Angaben, eine Abschrift seines Textes einem „Freund Amerikas“ gegeben. Offiziell veröffentlicht wurde der Entwurf nicht, aber er fand einen Übersetzer und zumindest Auszüge kamen durch ein Flugblatt in Umlauf.120 Mann selbst sprach nur sehr schlecht deutsch.121 Er war so überzeugt von dem amerikanischen Regierungssystem, dass er in seinem Enthusiasmus dazu tendierte, die Problematik der Übertragbarkeit, die in deutschen Entwürfen eine so zentrale Rolle spielte, zu unterschätzen. Dennoch folgte er „nicht sklavisch seiner Vorlage“.122 In den nächsten Monaten musste Mann allerdings erkennen, dass seine republikanischen Ideale in Deutschland nicht auf die Weise verwirklicht werden konnten, die er in seinem Verfassungsentwurf vorgeschlagen hatte. Voller Empörung über die Radikalisierung nannte

117 G. Moltmann: Blockpolitik (1973), S. 47f. 118 G. Moltmann: Prinzipienkonflikt (1969), S. 49 [Daily Union, 26.11.1846, „From Our European Correspondent Nr. XVI Frankfort-on-the Main“]. 119 G. Moltmann: Blockpolitik (1973), S. 216. 120 Ebd., S. 217 u. Quellenanhang S. 371-375, hier S. 371. 121 J. Hawgood: Beziehungen (1928), Quellenanhang [Maximilian Schele de Vere an Robert T. Hunter]. 122 G. Moltmann: Blockpolitik (1973), S. 218f.

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er den Badischen Aufstand „ill-advised“ und „ill-intentioned“.123 Dudley Mann geriet in ein Dilemma, mit dem sich viele Amerikaner in Deutschland zu jener Zeit konfrontiert sahen.124 Sie mussten zwischen zwei Idealen, die in ihrer Heimat problemlos vereinbar waren, sich in Europa aber zu widersprechen schienen, wählen. Das amerikanische Verständnis von Republikanismus als politische Überzeugung des gemäßigten Bildungsbürgertums ließ sich in Europa nicht anbringen. Das republikanische Gedankengut war in den USA durch die enge Verflechtung mit der Staatengründung zu einer patriotischen Prämisse geworden. Es entbehrte jeder Radikalität und gehörte zum politischen Selbstverständnis aller gesellschaftlichen Kreise. Das Gegenteil war in Europa der Fall. Eine Republik bedeutete für viele die Zerstörung wichtiger monarchischer Traditionslinien und wurde nur von einer radikalen Minderheit betrieben. Dudley Mann wandte sich schließlich resigniert von der Nationalversammlung ab, weil er keine Möglichkeit sah, das Dilemma zu lösen. Stattdessen zog auch er die auf beiden Seiten des Atlantiks weit verbreitete Rechtfertigungsrhetorik heran und argumentierte, es mangele den Deutschen an politischer Reife und Erfahrung.125 Dieses Defizit an politischer Geschicklichkeit gestanden sich sogar die Abgeordneten selbst ein. In der Diskussion um die Geschäftsordnung gleich zu Beginn der Verhandlungen in der Paulskirche, wies Jacob Grimm darauf hin, „dass wir noch viel zu lernen haben“ im Bezug auf Parlamentarismus.126 Diese Ansicht teilte auch Johann Ludwig Tellkampf. Er beklagte, dass es kein einheitliches Verständnis von parlamentarischem Recht gebe und die Versammlung diesbezüglich Klarheit schaffen müsse, denn nur so könne das nötige Verständnis auch im Volk verbreitet werden. Sein Vorschlag war eine Orientierung an Jeffersons A Manual of Parliamentary Practice. Den Rückgriff auf dieses Werk begründete er zum einen damit, dass es in Übersetzung vorliege, und zum anderen mit den von Jefferson verwandten traditionsreichen Wurzeln im englischen Parlamentarismus, der sich über Jahrhunderte entwickelt habe.127 Die Übersetzung des 1812 in Georgetown erschienenen Textes hatte der Heidelberger Jurist Leopold Dorotheus von Henning bereits 1819 vorgelegt.128

123 H. Reiter: Amerikabilder (1992), S. 89 Anm. 29 u. S. 90 Anm. 34. 124 Ebd., S. 80; G. Moltmann: Blockpolitik (1973), S. 214 u. S. 224. 125 Ebd., S. 213. 126 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 166 [Jakob Grimm, 29.5.1848, 9. Sitzung]. 127 Ebd., Bd. I, S. 167f. [Johann Ludwig Tellkampf, 29.5.1848, 9. Sitzung]. 128 S. Howell: Jeffersons Parliamentary Writings (1988), S. 35f.

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Es handelte sich dabei jedoch nicht nur um eine rein linguistische Arbeit, denn die besondere Schwierigkeit bestand darin, dass bestimmte Konzepte erst eingeführt werden mussten. Entsprechend erklärte der Übersetzer in seinem Vorwort: „Da wo ich fürchten musste durch die Übertragung der fremden Ausdrücke ins Deutsche den Sinn zweifelhaft zu machen, habe ich vorgezogen dieselben unverändert in die Übersetzung aufzunehmen.“129 Darüber hinaus wies er darauf hin, dass es durchaus der üblichen Praxis entsprach, „fremden Sprachen entlehnte Ausdrücke und Wendungen“ in Regularien für Ständeversammlungen und dergleichen zu integrieren.130 Die Notwendigkeit, sowohl bei der Ausarbeitung einer Geschäftsordnung als auch bei der Verfassung selbst die Erkenntnisse anderer Nationen in Betracht zu ziehen, wurde nicht bestritten. Man bestand jedoch darauf, „keiner Nachäfferei des Fremden, als solchen, zu frönen“, sondern sich die „zum Theile jahrhundertelange[r] Erfahrung“ – etwa im Falle Englands – zu Nutze zu machen.131 Die Berufung auf ein einzelnes Standardwerk aber, wie es Tellkampf gefordert hatte, war vielen zu eingeschränkt und Johannes Fallati erwiderte darauf: „Dieses Werk [Jeffersons Manual] enthält ganz gewiss höchst Treffliches; allein es ist ganz speciell auf die englischen und amerikanischen Einrichtungen gegründet; es sind die englischen und nordamerikanischen Einrichtungen zwar auch bei uns mit berücksichtigt; allein wir wollen hier […] für diese unsere constituierende Versammlung das unmittelbar Practische finden.“132

Würde man bei Unklarheiten im parlamentarischen Ablauf ein anglo-amerikanisches Handbuch verwenden, so würde es nur zusätzliche Fragen aufwerfen, weil es einzelne Bestimmungen enthalte, die für deutsche Verhältnisse kaum anwendbar seien, während es andere Probleme, die in einer deutschen Versammlung auftreten könnten, nicht behandele. Phillip Schwarzenberg schloss sich seinem Vorredner an und fügte hinzu, dass „jene Gebräuche, die bei anderen Nationen vorzufinden seien, erst im Laufe der Zeit sich herausbilden mussten“.133 Die Debatte über die Geschäftsordnung reflektiert die grundsätzliche Auseinandersetzung um die Übertragbarkeit fremder Konzepte. Die Bedeutung beson-

129 L. Henning: Vorwort (1819), S. 8. 130 Ebd. 131 R. Mohl: Geschäfts-Ordnung (1848), S. VI. 132 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 169 [Johannes Fallati, 29.5.1848, 9. Sitzung]. 133 Ebd.

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derer nationaler Eigenheiten versuchten aber auch gerade diejenigen für sich zu nutzen, die für eine Übertragung – zumindest in Maßen – eintraten. Es sei besonders wichtig, effektive „Verhandlungsregeln“ zu haben, wenn man sich anschicke, eine gute Verfassung zu gestalten, schrieb der Jefferson-Übersetzer Henning: Aber „[d]en Deutschen scheint bei ihrem Streben nach Gründlichkeit, die Lösung dieser Aufgabe besonders schwer zu werden“.134 Jacob Grimm wiederholte diese Einschätzung in der Paulskirche: „Wir Deutschen, das wird niemand bestreiten, sind ein geschäftiges und ordentliches Volk […] Allein jene löblichen Eigenschaften schlagen auch bei uns oft in Fehler um. Wir haben, ich muss es sagen, eine große entschiedene Anlage zur Pedanterie.“135 Der Vorwurf, man habe sich bei der Überorganisation der Nationalversammlung in der Paulskirche verzettelt, war nicht selten, weder zu Zeiten der Verhandlungen noch in den Jahren danach. „How German!“ rief der amerikanische Besucher Maximilian Schele de Vere im Bezug auf den komplexen Aufbau des provisorischen Parlaments aus.136 Die Diskussionen um die Einzelheiten der Geschäftsordnung bestätigten dieses Bild. Der entsprechende Ausschuss beriet sich auf der Grundlage eines Vorschlags, den Mohl vorher in „ruhige[r] Arbeit am Schreibtische“ entworfen hatte, statt „im Sturme der Leidenschaften einer zahlreichen Versammlung“. 137 Nachdem der Bericht im Plenum von Mohl selbst dargelegt worden war, folgte eine zeitaufwändige Auseinandersetzung – wohl gemerkt unter ständigen Hinweisen auf die Zeitknappheit. Erst nachdem einzelne Paragraphen, Gültigkeitsdauer, ja sogar der Aufbau des Entwurfs kommentiert und die Entscheidung einige Male vertagt worden war, einigte man sich darauf, die Geschäftsordnung – zumindest provisorisch – anzunehmen. Am stärksten tritt in dieser provisorischen Geschäftsordnung die Orientierung am englischen Unterhaus hervor. Nach Amerika hingegen sah man besonders im Zusammenhang mit föderativen Aspekten, wie den konkurrierenden Kompetenzen zwischen Zentralgewalt und Einzelstaaten während des politischen Entscheidungsfindungsprozesses. Um sowohl einen rein schematischen Verfassungsvergleich als auch eine bloße Auflistung verschiedener Bezugnahmen zu vermeiden, bietet es sich an, in der Analyse Schlüsselbegriffe herauszugreifen. Vor dem Hintergrund der zeitge-

134 L. Henning: Vorwort (1819), S. 3. 135 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 166 [Jacob Grimm, 29.5.1848, 9. Sitzung]. 136 J. Hawgood: Beziehungen (1928), Quellenanhang [Maximillian Schele de Vere an Robert T. Hunter]. 137 R. Mohl: Geschäfts-Ordnung (1848), S. V.

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nössischen wissenschaftlichen Amerikaforschung sowie der politischen Flugschriften, die sich auf das transatlantische Beispiel bezogen, lässt sich nachvollziehen, wie einzelne politische Konzepte in der Paulskirche verstanden, umgedeutet und argumentativ angewandt oder verworfen wurden.

Defensive Revolution

R EVOLUTIONSTHEORIE (- EN ) Friedrich Schiller bezeichnete die Unabhängigkeit der Niederlande im 17. Jahrhundert als eine „große Revolution“, bezog sich dabei jedoch nicht auf den eigentlichen Aufstand, sondern vielmehr auf die tatsächliche Abtrennung vom Mutterland Spanien.1 Die Parallele zu dem Verhältnis zwischen England und den Vereinigten Kolonien in der Neuen Welt liegt nahe. Diese Interpretation basiert auf einem Verständnis von Revolution als einer politischen Veränderung, die regelmäßig und natürlich auftritt, ohne prinzipielle soziale Umgestaltungen oder tief greifende ideologische Grundlagen. Entsprechend sah man in der amerikanischen Unabhängigkeit eine primär praktische Veränderung. Anfangs mögen die Auflehnung der Kolonien gegen das Mutterland und die republikanische Staatengründung als erste institutionalisierte Manifestation der Aufklärung gefeiert worden sein, doch mit Beginn der theoretisch durchbildeten Französischen Revolution trat diese Interpretation in den Hintergrund.2 Die Französische Revolution, die einige der unter dem Begriff ‚Revolution‘ lose zusammengefassten Konzepte bündelte und nachhaltig formte, andere überlagerte, brachte entscheidende Veränderungen des allgemeinen Verständnisses von Revolution mit sich. Die intellektuelle Verwurzelung politischer Bewegungen und Ereignisse, wie sie in Frankreich eindeutig gegeben waren, wurde zu einem wichtigen Faktor bei der revolutionstheoretischen Einordnung. Im Staats-Lexikon hieß es ausdrücklich: „Revolutionen haben nicht bloß einen materiellen, sondern auch einen ideellen Ausgangspunkt.“3

1

K. Griewank: Revolutionsbegriff (1992), S. 178.

2

O. Vossler: Revolutionsideale (1929).

3

W. Schulz: Revolution (1848), S. 550.

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Das Zusammenspiel von Theorie und Praxis als ein definitorischer Aspekt von revolutionären Ereignissen und Bewegungen ist bis heute ein wichtiger Punkt in der Auseinandersetzung mit dem Phänomen ‚Revolution‘. Der Hinweis auf theoretische Kohärenz, zuweilen auch Ideologie, dient als unterscheidendes Kriterium zwischen einer einfachen Rebellion und einer Revolution. Mark Hagopian formuliert die These, „greater explicitness and coherence of ideology distinguishes revolution from mere revolt“.4 Ideen oder Ideologien sind nicht die einzige Ursache für Revolutionen, aber als charakteristischer Faktor dürfen sie nicht vernachlässigt werden.5 Auch die Erklärung von Chalmers Johnson, eine Revolution bedürfe schon allein auf Grund ihrer Ausrichtung auf die Zukunft einer entsprechenden Ideologie oder zumindest einer durchdachten Zukunftsvision, hat weiterhin Gültigkeit.6 Spätestens seit der Feststellung Reinhart Kosellecks, dass der Begriff ‚Revolution‘ in seiner heutigen Bedeutung „streng genommen erst seit der Französischen Revolution üblich geworden“ ist, gibt es eine klare Trennung zwischen dem neuzeitlichen und dem vormodernen Revolutionsbegriff.7 Gerade in der deutschen Forschung wird die amerikanische Unabhängigkeit heute eher dem vormodernen Verständnis von Revolution, wie Schiller es auf den Abfall der Niederlande bezogen hatte, zugeordnet.8 Der vorherrschenden anglo-amerikanischen Interpretation zufolge fallen die Ereignissen von 1776 entweder in eine Übergangszeit und lassen sich nicht eindeutig in vormodernen oder neuzeitlichen Begrifflichkeiten verorten, oder aber der Unabhängigkeitskampf wird in den Kontext der kolonialen Freiheitskämpfe eingeordnet, die sich in den Jahrzehnten danach besonders in Lateinamerika ereigneten.9 Die prototypische Bedeutung der Französischen Revolution als eine Wende in der Beurteilung und Interpretation aller Umwälzungsbewegungen, die ihr folgten, ist jedoch allgemein anerkannt. 10 Schon früh diente sie sogar zur nachträglichen Konturierung derer, die ihr vorangegangen waren.11

4

M. Hagopian: Revolution (1975), S. 258.

5

Ebd., S. 280.

6

C. Johnson: Revolutionstheorie (1970), S. 162, „Heilserwartung“. Vgl. R. Koselleck:

7

R. Koselleck: Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg (1984), S. 653.

8

S. Rowan: Verfassungstradition (1991), S. 149.

9

L.D. Langley: Age of Revolution (1996), S. 3f.

Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg (1984), S. 736.

10 O. Vossler: Revolutionsideale (1929); F. Schmidt: Metamorphose (1988), S. 28. 11 R. Koselleck: Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg (1984), S. 745; H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 15.

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Ursprünglich hatte der Begriff ‚Revolution‘ die unaufhaltsam kreisende Bewegung der Planeten bezeichnet und Verbreitung durch die Astronomie gefunden. Spätestens seit der Glorious Revolution in England 1688 wurde er dann ein fester Bestandteil der politischen Terminologie.12 Eng am ursprünglichen Verwendungsfeld orientiert, bezeichnete er während des 17. und 18. Jahrhunderts ganz allgemein „Veränderung[en], die mit der Unbeeinflussbarkeit einer Sternenumdrehung sich vollzogen“.13 So schloss er zum Teil selbst Naturkatastrophen mit ein.14 Das politische Verständnis lässt sich grob in zwei Kategorien aufteilen. Im konkreten Sprachgebrauch findet man den Begriff zunehmend als Synonym für Aufstand, Aufruhr und sogar Bürgerkrieg. Der metahistorische Ansatz versuchte mit Bezug auf die antike Lehre vom Kreislauf der Verfassungen, Revolutionen in einen weiteren Kontext zu stellen. Auch noch im 21. Jahrhundert gilt: „Beide Begriffe […] färben sich in der Alltagsprache natürlich gegenseitig ein.“15 Voltaire verstand Revolution zunächst noch als natürliche Veränderung. Seine Gedanken zur Englischen Revolution, die in seinen Augen anderorts nicht mehr als eine „sédition“ gewesen wäre, veranlassten ihn jedoch gegen Mitte des 18. Jahrhunderts, erstmals Überlegungen zu dem Konzept der Révolution des Esprits, einer „Revolution der Geister“ anzustellen.16 Diese Voraussetzung sah er 1688 in England zwar nicht gegeben, dafür aber ansatzweise bei der Reformation im 16. Jahrhundert. Auf dieses Konzept beriefen sich auch immer wieder spätere Forderungen nach theoretischer Kohärenz und intellektueller Grundlage einer wirklichen Revolution. Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand die neue Revolutionstheorie noch am Anfang. Das ältere Konzept von Revolution als natürliche Veränderung war noch nicht gänzlich verschwunden. Dieses traditionelle Verständnis und die konkretere, stark an den Erfahrungen von 1789 orientierte Interpretation schoben sich immer wieder übereinander. Anhand von lexikalischen Quellen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich nachvollziehen, dass sich die politische Auslegung des Revolutionsbegriffs zwar immer mehr in den Vordergrund drängte, aber die übrigen Aspekte des Konzepts, also die wissenschaftliche, religiöse und selbst die astronomische Revolution, durchaus präsent blieben.17 In einem Politischen Taschenwörterbuch heißt es noch 1849 zu diesem

12 K. Griewank: Revolutionsbegriff (1992), S. 148. 13 Ebd., S. 145. 14 Ebd., S. 150. 15 R. Koselleck: Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg (1984), S. 719. 16 Ebd. 17 Ebd., S. 775.

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Thema: „Revolution bedeutet eigentlich Umwandlung, Veränderung, besonders eine große gewaltsame Welt-, Erd- oder Staatsumwälzung.“ Die „politische Revolution“ sei nur ein spezieller Fall.18 Die „Große Revolution“ in Frankreich hatte den Ereignissen jenseits des Atlantiks ihr epochales Gewicht genommen. 19 Zuweilen tat man sich schwer damit, dass ein einzelnes Konzept tatsächlich gleichzeitig die Liberty Bell und die Guillotine umfassen sollte, dennoch sprach man den amerikanischen Vorgängen ihren revolutionären Charakter nicht grundsätzlich ab. Im Staats-Lexikon hieß es: „Mit Recht bezeichnet man diese Regierung, welche ohne Zuthun und Mitwirkung des noch anerkannten legitimen Souveräns, ja gegen dessen Willen entstand und in’s Leben trat, und bis ins Jahr 1776, lediglich vom amerikanischen Volke anerkannt, in Wirksamkeit verblieb, als r e v o l u t i o n ä r ; aber welch’ ein Unterschied zwischen dieser revolutionären Regierung in Amerika und derjenigen welche ungefähr 20 Jahre später, im letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts in Frankreich ihr Wesen und Unwesen trieb!“20

Das Ringen um klare Kategorien und eine umfassende Theorie im Spannungsfeld zwischen der amerikanischen und der französischen Variante war zentral in der revolutionstheoretischen Literatur während des Vormärz, gerade in den deutschen Staaten. Immer häufiger wurde auch eine soziale Umwälzung an die Vorstellung einer ‚wirklichen‘ Revolution geknüpft und auch in diesem Falle blieb die amerikanische Unabhängigkeit, bei der es kaum einen Austausch von Eliten oder gar eine Umverteilung von Besitz gegeben hatte, hinter den französischen Ereignissen zurück. Es gab jedoch genügend Stimmen, die gerade im egalitären Ideenfundus der Französischen Revolution die Ursache für Radikalisierung und Terror sahen und eben daher den – wie sie meinten – praktisch orientierten, moderaten Revolutionsansatz der Amerikaner lobten und als Herangehensweise bevorzugten. Es darf nicht vergessen werden, dass der Wandel des politischen Konzepts ‚Revolution‘ nicht eine plötzliche Erscheinung der späten 1780er Jahre war. Die Französische Revolution in ihrer ganzen Bedeutung war weniger der Anfangspunkt als vielmehr Bestätigung und Endpunkt in der zunehmenden Konkretisierung des politischen Konzepts von ‚Revolution‘. Sie wirkte von da an diachron Sinn gebend, sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit hinein. Otto Vossler argumentiert: „Frankreich erst macht die amerikanische Revolution zu

18 C. F. L. Hoffmann: Wörterbuch (1849), S. 199. 19 R. Koselleck: Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg (1984), S. 737; F. Schmidt: Metamorphosen (1988), S. 30; K. Griewank: Revolutionsbegriff (1992), S.187. 20 F. Murhard: Nordamerikanische Revolution (1848), S. 346.

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einer Revolution auch auf geistigem Gebiete und von universaler Bedeutung.“ Die philosophische Beschäftigung mit dem Unabhängigkeitskampf, die in Frankreich auf die theoretische Grundlage der Aufklärung getroffen sei, habe den Ereignissen jenseits des Atlantiks nachträglich die Kohärenz verliehen, die eine Revolution ausmache.21 „Scholars rationalized the political events in North America into an ideology“, analysiert Hans-Jürgen Grabbe den Prozess,22 und schon Ranke hatte von der „Abstraktion“ des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes gesprochen, die in der Französischen Revolution „auf Europa überging“.23 Griewank weist darauf hin, dass in Frankreich ‚Revolution‘ erstmals „nicht nur nachträglich festgestellt, sondern bewusst erlebt und in langen Kämpfen durchgesetzt“ wurde.24 In Amerika, entwickelt Howard die These weiter, erhielten die Ereignisse ihre intellektuelle Kohärenz dank „einer Theorie, die zuallererst auf der vorpolitischen Ebene gelebt, dann auf der Ebene des Gesellschaftlichen begriffen und schließlich in einer Verfassung reflektiert wurde“.25 Schon Pölitz hatte 1826 festgestellt, dass die Unabhängigkeitserklärung, im Gegensatz zur späteren Verfassung, noch von einer „gewissen Unsicherheit, Breite und Unbehülflichkeit“ geprägt gewesen sei.26 Der graduelle Prozess, in dem sich das theoretische Bewusstsein in den Kolonien von einer Stufe zur nächsten steigerte, nahm im Grunde vorweg, was Wilhelm Schulz später im Staats-Lexikon für die Entwicklung der Revolutionen weltweit konstatierte, „die sich mehr und mehr vergeistigten“.27 In diesem Punkt war folglich die französische Bewegung entschieden weiter ausgebildet als die amerikanische, aber doch auf der gleichen Traditionslinie.

„D AS B EISPIEL VON F RANKREICH

SCHRECKT MICH “

28

Die ähnliche Natur der beiden Ereignisse, fand Daniel Ebeling, ermögliche es, synthetisierend Lehren zu ziehen, die den Umgang mit ähnlichen Herausforderungen erleichtern würden. Gerade für Deutschland sei es daher wichtig, sich

21 O. Vossler: Revolutionsideale (1929), S. 55 u. S. 65. 22 H.-J. Grabbe: Weary of Germany (1997), S. 67. 23 L. Ranke: Epochen der Geschichte (1854), S. 409. 24 K. Griewank: Revolutionsbegriff (1992), S. 187. 25 D. Howard: Grundlagen (2001), S. 320. 26 K.H.L. Pölitz: Staatensysteme (1826), S. 99. 27 W. Schulz: Revolution (1848), S. 560. 28 Francis Lieber Papers, Box 58, Huntington Library Pasadena [Robert von Mohl an Francis Lieber, 13.2.1854].

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auch mit der Amerikanischen Revolution auseinanderzusetzen. „Wird nicht dort [in den USA] das fürchterliche Rätsel, das die französischer Revoluzion [sic] dem mit Nordamerika noch immer so unbekannten Europa aufgegeben hat, nicht schon seit Jahren immer deutlicher und weit glücklicher aufgelöst?“29 Neben dem politischen Interesse scheint hier auch die Vorstellung durch, dass anhand von Analogien gewisse Regelmäßigkeiten festgestellt werden könnten. Auch Gustav Droysen zollte in seinen 1846 veröffentlichten Zeitgeschichtlichen Vorlesungen dieser Analogielinie Respekt.30 Die Überlegung zur Wiederholbarkeit bestimmter Grundstrukturen von Revolution steht in der Tradition der Vorstellung einer wiederkehrenden Abfolge von Staatssystemen, die schon Thomas Hobbes dazu veranlasst hatte, in der Glorious Revolution eine „circular motion“ zu erkennen.31 Der Terminus ‚Amerikanische Revolution‘ fußt auf genau diesem angelsächsisch geprägten Revolutionsprinzip. In den Augen deutscher Interpreten entsprachen die Forderungen der Kolonien der Idee von einer natürlichen Kreisbewegung. Der konservative Friedrich Gentz betonte, „dass ursprünglich die Amerikaner nicht neue Rechte erstreiten, sondern nur die längst besessenen verteidigen wollten“.32 Das klar eingegrenzte Ziel war nur die Behauptung und Aufrechterhaltung bereits verbriefter Rechte.33 Man habe „nie mit den sittlichen Mächten gebrochen“. 34 Auf die englische Traditionslinie verwies Friedrich Murhard zu Beginn seines Artikels im Staats-Lexikon: „Mit eben dem Rechte, ja mit noch größerem, wie die Engländer ihre Revolution im siebzehnten Jahrhundert, könnten die Nordamerikaner die ihrige im achtzehnten glorreich nennen.“35 Entsprechend war ‚Revolution‘ in der vormodernen Bedeutung positiv besetzt gewesen oder zumindest wertfrei verwandt worden. Johann Gottfried Herder hatte sie als „Entwicklungserscheinungen und insofern notwendig und sinnvoll“ erachtet.36 Aber die Ereignisse in Frankreich stellten dieses Verständnis in Frage. Der Terror in Paris und die Revolutionskriege hatten Bedrohung, Nutzen

29 C.D. Ebeling: Erdbeschreibung (1795), Bd. I, S. VIII. 30 J.G. Droysen: Freiheitskriege [1846] (1886); R. Koselleck: Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg (1984); M. Botzenhart: Geschichtsschreibung (1991), S. 179192, hier S. 182. 31 R. Koselleck: Begriffsgeschichten (2006), S. 243. 32 F. Gentz: Washington (1800), S. 5. 33 K. Griewank: Revolutionsbegriff (1992), S. 151. 34 F. Murhard: Nordamerikanische Revolution (1848), S. 327. 35 Ebd., S. 324. 36 K. Griewank: Revolutionsbegriff (1992), S. 182.

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und Legitimation von Revolutionen besondere Brisanz verliehen. Zeitgenossen waren sich der Gefahr durchaus bewusst, dass „eine sehr natürliche Verwechslung der Theorie mit der schändlichen Anwendung, welche durch die Bosheit und blinde Leidenschaft ins Leben gerufen war, in entscheidende Abscheu überging“,37 und dass die Exzesse in Frankreich mit den folgenden Revolutionskriegen die Validität der zu Grunde liegenden Ideen auf Dauer diskreditieren könnten. Der in Deutschland geboren und aufgewachsene dänische Hofrat Conrad Friedrich von Schmidt-Phiseldeck klagte, „dass der erste Freiheitszunder in Frankreich fiel – ein Unglück für Europa“.38 Auch Herder relativierte seine positive Wertung später mit dem Verweis darauf, dass auf Grund „der neueren Revolution, der französischen Revolution“ das Konzept neu überdacht werden müsse.39 Herders Aussage unterstreicht, wie mit den Ereignissen, die dem Jahr 1789 folgten, eine nachhaltige Umdeutung des Revolutionsbegriffs einherging. Die prägenden begrifflichen Veränderungen gingen über das Revolutionsverständnis hinaus. Eine anonyme Flugschrift richtete sich schon 1799 gegen die neu entstandene „Revolutionssprache“, die den Einfluss des revolutionären Frankreichs verdeutliche. Der Autor empörte sich über eine „Rotte Afterphilosophen“, die „ein paar Zauberworte“ erfunden habe, woraufhin „die französischen Taschenspieler eine ganz neue Sprache abgeleitet“ hätten, „und Millionen der Menschen verlieren durch diesen Wortschall Leben und Eigenthum“.40 Es folgte eine Liste von Worterklärungen, die alle ins Negative gewendet und gegen Frankreich gerichtet waren. Aber auch jenseits von Propaganda waren sich Zeitgenossen wie Georg Christoph Lichtenberg der französischen Auswirkungen auf Sprache und Begriffsverständnis bewusst: „Die Französische Revolution hat durch die allgemeine Sprache, zu der es mit ihr gekommen ist, nun ein gewisses Wissen unter die Leute gebracht, das nicht leicht wieder zerstört werden wird.“41 Diese Äußerung ist auch in der Tradition der Wortmissbrauchsdebatte zu verstehen, die Rolf Reichardt für Frankreich diagnostiziert und damit die formative Funktion von Begriffen bestätigt, weil „Wortmißbrauch […] nicht als bloße Irreführung, sondern als gesellschaftlich mitbedingte Korrumpierung des Denkens überhaupt“ wahrgenommen wurde.42

37 C.F. Schmidt-Phiseldeck: Europa und Amerika (1820), S. 60. 38 Ebd. [Inhaltsverzeichnis des 3. Kapitel]. 39 K. Griewank: Revolutionsbegriff (1992), S. 186. 40 Anonym: Revolutionssprache (1799), S. 4. 41 G.C. Lichtenberg: Zeitgeschichte [um 1790], zit. n. R. Koselleck: Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg (1984), S. 732. 42 R. Reichardt: Grundbegriffe (1985), S. 3.

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In den Theorien der Aufklärung hatte man stets versucht, ‚Bürgerkrieg‘ klar aus dem ursprünglich verwandten Bedeutungsfeld von ‚Revolution‘ auszuklammern, aber spätestens 1792 war man von der Realität in Frankreich eingeholt worden. 43 Für die Mehrheit des gemäßigten Bildungsbürgertums in den deutschen Staaten war das abstrakte Ideal einer friedlichen, ‚stillen Revolution‘ verloren gegangen. Der Ruf nach Revolution war nicht länger nur Streben nach abstrakter Freiheit und positiven Veränderungen, sondern beschwor eine unübersichtliche Flut abschreckender Assoziationen herauf, von Chaos bis Königsmord. Durch den starken Einfluss des französischen Beispiels bei der Definition des Konzepts wurde ‚Revolution‘ durch die Radikalisierung in Paris und mit dem Beginn der Revolutionskriege bis hin zu den politische Wirren der Zweiten Republik in immer stärkerem Maße zu einem negativ konnotierten Begriff – besonders für die gemäßigten Liberalen, die 1848 die Mehrheit in der Paulskirche ausmachten. ‚Bürgerkrieg‘ blieb weiterhin eine negative Steigerung zu ‚Revolution‘, und trat in Kontexten wie „Bürgerkrieg und Fürstenmord“ auf.44 Es entwickelte sich jedoch bald auch ein positives Pendant zu ‚Revolution‘. Gustav Droysen erklärte 1846 in der Einleitung zu einer Veröffentlichung seiner einflussreichen Vorlesungen über Das Zeitalter der Freiheitskriege, er habe absichtlich statt ‚Revolutionen‘ den Begriff der ‚Freiheitskriege‘ für seinen Titel gewählt, weil dieser „den positiven Inhalt der umgestaltenden Bewegungen jener fünfzig Jahre [etwa 1770 bis 1820] andeutet“.45 Nicht zuletzt wurde die Gegensätzlichkeit der beiden Konzepte dadurch bestärkt, dass sich die so genannten deutschen ‚Befreiungskriege‘ gegen Napoleon gerichtet hatten, der seinerseits beanspruchte, Legitimation aus der [großen Französischen] Revolution zu ziehen. Georg von Vincke erklärte seinen Kollegen in der Paulskirche, es sei der „höchste Beruf dieser Versammlung […], sobald als möglich aus dem Stadium der Revolution herauszukommen“.46 Selbst die Radikaleren in und um die Nationalversammlung sahen sich in bei der Verwendung des Terminus ‚Revolution‘ sehr vor, da er eng an das Begriffs- und Erfahrungsfeld des gefürchteten ‚Bürgerkriegs‘ gerückt war. Hecker und Struve vermieden es in ihren Reden während der Badischen Aufstände, von Revolution zu sprechen, obwohl gerade in den Grenzgebieten eine höhere Akzeptanz für die französischen Bewegungen

43 R. Koselleck: Begriffsgeschichten (2006), S. 64. 44 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 106 [Brief vom 19.6.1848]. 45 G. Droysen: Freiheitskriege (1886), S. 13. 46 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 137 [Georg von Vincke, 28.5.1848, 8. Sitzung].

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vorhanden war.47 Friedrich Christoph Schlosser war einer der wenigen, die eine Trennung der revolutionären Ideale von der oft gewalttätigen Realität als Doppelmoral verurteilten.48 Die Unklarheit und Vielschichtigkeit des Revolutionskonzepts schürte sowohl die Angst davor als auch gleichzeitig den Drang, es genauer, möglichst wissenschaftlich, zu definieren. Amerika bot das willkommene Gegenbeispiel zu dem direkten Nachbarland; ein Garant dafür, dass Revolution auch anders möglich war als auf dem Schafott. Über Frankreich mochte man erschrecken, schrieb Raumer, „was aber in der amerikanischen Geschichte so Entsetzliches sei, ist schwerer nachzuweisen“.49 Der gut sechs Jahre andauernde Unabhängigkeitskrieg fand in den meisten Schriften höchstens Erwähnung als ein heroischer Freiheitskrieg mit einendem Charakter. Heinrich Zachariä wies zwar darauf hin, dass die Revolutionskriege in Amerika „dem monarchischen Princip nicht vorteilhaft“ gewesen seien, betonte aber trotzdem, dass sie mit denen „in Frankreich in keiner wesentlichen Verbindung standen“.50 Meist richtete sich der Fokus ohnehin nur auf die Bewunderung von militärischen Persönlichkeiten wie George Washington. Als gewaltsame, bürgerkriegsartige Auseinandersetzung fand er keine Beachtung. Friedrich Gentz widmete nur knapp eine Seite den grausameren Ereignissen der Revolution und des Krieges in den Kolonien. Abschließend bemerkte er dazu: „Was sind aber all diese einzelnen Beispiele der Unterdrückung gegen die allgemeine Flut von Elend und Verderben, welche die Französische Revoluzion [sic] über Frankreich und alle benachbarten Länder einbrechen ließ.“51 In der Beschreibung der Boston Tea Party, die Friedrich Murhard im StaatsLexikon lieferte, wird das verzückte Bild der geordneten Revolution in der neuen Welt besonders deutlich: Nachdem man sich friedlich versammelt und ordnungsgemäß einen „Vorsteher“ gewählt hätte, seien die Teekisten, „ohne im Geringsten die Fahrzeuge oder das Eigenthum der Mannschaft zu beschädigen“, über Bord geworfen worden. Anschließend „kehrten sie, als wäre nichts vorgefallen, ruhig in ihre Wohnungen zurück“. 52 Dieses Ereignis verlief zwar selbst

47 I.G. Olenhusen: Mythos (1998), S. 81 u. S. 85; „[d]er Weg ist derselbe, auf welchem alle Völker ihre Freiheit errangen: die Schweizer, die Nordamerikaner, die Franzosen. Es ist der Aufstand gegen einen Tyrannen.“ Vgl. G. Struve: Grundrechte (1848). 48 M. Botzenhart: Geschichtsschreibung (1991), S. 186. 49 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 272. 50 C.S. Zachariä: Europa’s Zukunft (1832), S. 338. 51 F. Gentz: Ursprung und die Grundsätze (1800), S. 134. 52 F. Murhard: Nordamerikanische Revolution (1848), S. 338.

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tatsächlich ohne Blutvergießen, ereignete sich jedoch während einer Phase, als es wiederholt zu gewalttätigen Ausschreitungen in den Straßen Bostons kam. In Europa mag dieser Kontext nicht in allen Einzelheiten bekannt gewesen sein; trotzdem erscheint die Wortwahl betont antirevolutionär. Auch die ein paar Seiten später folgende Aussage, „der bürgerliche Rechtszustand blieb unverletzt, der Eigenthumsbesitz unangetastet“, überspielt negative und gewalttätige Vorkommnisse der amerikanischen Revolution.53 Die Enteignung, Vertreibung und gelegentlich auch Hinrichtung der Loyalisten etwa passte nicht in das Bild der vorbildlichen Revolution. In den idealisierten Vorstellungen der Ereignisse in der Neuen Welt lebte das abstrakte und romantisierte Revolutionsbild der Aufklärung weiter. Ungeachtet aber der Tatsache, dass man in der Amerikanischen und der Französischen Revolution ein vorbildliches und ein abschreckendes Beispiel zu erkennen glaubte, blieb das Problem bestehen, dass beide unter dem Begriff ‚Revolution‘ vereint schienen. Trotz der Unterschiede, die in den Analysen und Darstellungen wiederholt als gravierend dargestellt und besonders betont wurden, ließ sich ein Zusammenhang kaum leugnen. Friedrich Gentz bestand im Jahre 1800 dennoch darauf, „dass zwischen beiden doch nicht ein einziger Zug einer wesentlichen Ähnlichkeit obwaltet“.54 Er sah sich genötigt, warnend auf die Gefahr einer Verwechslung hinzuweisen: „[W]eil die vorbereitende Stimmung, welche diese [amerikanische] Revoluzion allenthalben in Europa erzeugt und hinterlassen hatte, jedes ähnliche, oder auch nur ähnlich scheinende Unternehmen begünstigte, wurde es denen, die ein einleuchtendes Interesse dabei fanden, die Französische Revolution mit der Amerikanischen oberflächlich vergleichen, [sic] und eben dadurch vermengt und verwechselt zu sehen, so leicht, die große Mehrheit des Publikums in diese grundfalsche Ansicht der Sache hinein zu ziehen.“55

Im gleichen Jahr räumte er zwar an anderer Stelle ein, dass die Amerikanische Revolution „die nächste Nachbarin der Französischen gewesen“ sei. Es war jedoch die zeitliche Nähe, auf die er hier abzielte, denn diese habe die Franzosen dazu verleitet, die Amerikanische Revolution „zugleich als Modell, und als Rechtfertigung für ihre eigene zu betrachten“. Tatsächlich habe es grundsätzliche Gemeinsamkeiten nicht gegeben – außer der Auflistung von Menschenrechten, die später ein Hauptanliegen in Frankreich darstellten, und sich ebenso in

53 Ebd., S. 346; F. Gentz: Ursprung und die Grundsätze (1800), S. 134. u. S. 100. 54 F. Gentz: Washington (1800), S. 5. 55 F. Gentz: Ursprung und die Grundsätze (1800), S. 5.

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den Verfassungen der einzelnen US-Staaten fanden. Es sei aber „höchst ungerecht, nicht anzuerkennen, dass dieser Einfluß nur zufällig gewesen ist“.56 Auch Raumer ereiferte sich in einem Brief aus Paris über eine Rede des französischen Präsidentschaftskandidaten, Alphonse Lamartine, der die Zweite Französische Republik mit der amerikanischen verglichen hatte.57 Seinem politischen Idol Jefferson sah er einen Vergleich mit der Revolution von 1789 jedoch nach. Er verteidigte den Amerikaner dafür, dass er sich während seines Aufenthalts in Paris von der „rosige[n] Hoffnung […], deren Erfüllung das beglückte Amerika bereits zeigte“, habe anstecken lassen.58 Entsprechend zeigte er, dass „sich einzelne Aehnlichkeiten zwischen der amerikanischen und der französischen Revolution nachweisen lassen“, fuhr jedoch fort mit dem Hinweis, dass „die Verschiedenheiten und Gegensätze noch viel größer“ seien. 59

L EGITIMITÄT Das Besondere am Verlauf der amerikanischen Ereignisse, so wie sie in Deutschland wahrgenommen und dargestellt wurden, war, dass sie auf Prinzipien beruhten, „deren Rechtmäßigkeit evident“ gewesen sei.60 Gerade im konservativen und rechtsliberalen Lager war die Schwierigkeit der Legitimität eine Kernfrage der Revolutionstheorie im 19. Jahrhundert. Bedenkt man, dass in Frankreich die Revolution selbst zur Rechtfertigung für politische Entscheidungen bis hin zu Kriegen geworden war, lässt sich nachvollziehen, dass Friedrich Gentz den Mangel an Reflexion über gewaltsame Umwälzungen beklagte: „Die Frage über die Rechtmäßigkeit einer Revolution ist durch die leichtsinnige Denkungsart, durch die seichte Sophisterei, und selbst durch die gehäuften Zerrüttungen, und die daraus entstandene stumpfe Gleichgültigkeit dieses revolutionären Zeitalters, beinahe unter die müßige Belustigung der Schul-Pedanten verwiesen worden: viele die sich für Staatsmänner halten, finden es nicht mehr der Mühe wert, sie aufzuwerfen; gleichwohl wird sie in den Augen der Denkenden, der Weisen und der Guten allemal die erste und die letze seyn.“61

56 Ebd., 2. Teil (1800), S. 133 u. S. 102. 57 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 407 [69. Brief vom 5.10.1848]. 58 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 170. 59 Ebd., Bd. II, S. 271. 60 F. Gentz: Ursprung und die Grundsätze (1800), S. 48. 61 Ebd., 1. Teil (1800), S. 48f.

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Es herrschte großes Interesse daran zu betonen, dass die Unabhängigkeitsbewegung in den Kolonien zwar zulässig gewesen sei, aber bei Weitem nicht Revolutionen im Allgemeinen rechtfertige – besonders nicht in dem Ausmaß, wie sie in Frankreich stattgefunden hatten.62 Im Vorwort seiner Übersetzung der Schriften Edmund Burkes ereiferte sich Friedrich Gentz über die „Revolutionswuth, welche Europa ergriffen hat […] diese Krankheit unserer Tage“.63 Von dieser Position aus klagte er auch die Wissenschaft an, denn in seinen Augen konnte ein „Übermaß an Wissen […] der Menschheit so verderblich werden, als es die Unwissenheit war“. Er richtete sich besonders gegen die Staatswissenschaften: „Das Studium der Politik hat in einem Lande, wo jede Art von wissenschaftlicher Industrie aufs höchste getrieben war, gleich einem barbarischen Eroberer alles, was sich in seiner Nachbarschaft fand, angefallen und ausgerottet.“64 Dieses Zitat deutet auch darauf hin, wie Gentz die Konjunktur der politischen Wissenschaft wahrnahm. Ihn beschäftigte die Angst vor einem Chaos zu vieler Theorien bei gleichzeitigem Mangel an wirklich fundiertem Wissen. „[W]er sich mit einer handvoll Kunstwörtern vertraut gemacht hat“, spottete er, „schreitet mutig und unverzagt zu Entwürfen neuer Regierungsformen“.65 Diese Angst vor dem Theoretisieren, das später so oft gerade den Abgeordneten der Paulskirche vorgeworfen wurde, bestärkte Gentz noch in seiner Bewunderung für die an der Praxis orientierte Amerikanische Revolution. Entlang dieser historisch-praktischen Prämisse argumentierten viele für die Legitimität der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung. Es sei natürlich, dass sich Kolonien, „das mündig gewordene Kind“,66 früher oder später von ihrem Mutterland lossagen müssten, wie auch „eine reife Frucht, wenn sie nicht gepflückt wird, vom Baum abfällt“.67 Ein Ansatz, der in dem vormodernen Verständnis von Revolution wurzelte, das die Umwälzungen für natürliche, notwendige Entwicklungsschritte hielt. Als Beispiele dienten vor allem die Kolonien Athens oder Korinths, zuweilen auch die Vereinigten Niederlande.68 Außerdem sei es rein praktisch äußerst problematisch, ein Gebiet von der Größe Nordamerikas auf die Entfernung von London aus zu regieren.69

62 Ebd., 2. Teil (1800), S. 113. 63 F. Gentz: Betrachtungen (1836), S. 15. 64 Ebd., S. 3. 65 Ebd. 66 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 154f. 67 F. Murhard: Nordamerikanische Revolution (1848), S. 325. 68 Ebd., S. 333. 69 Ebd., S. 324.

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Wie sein Vorbild Edmund Burke sah Gentz die Schuld ohnehin bei den Engländern. Großbritannien habe durch sein unkooperatives und kriegerisches Verhalten die Nordamerikaner zu dem radikalen Schritt in die Unabhängigkeit getrieben. Tatsächlich habe man in den gut zehn Jahren zwischen Stamp Act 1765 und der Unabhängigkeitserklärung 1776 „nicht gegen England sondern gegen die Revolution gekämpft“.70 Der antirevolutionäre Charakter, den man den Amerikanern häufig zuschrieb, wird in dieser Äußerung ebenso deutlich, wie die Schuldzuweisung an England. Murhard interpretierte im Staats-Lexikon die Ereignisse sehr ähnlich. England habe nur seinen eigenen Handelsinteressen gemäß agiert und durch „Missgriffe über Missgriffe“ die Situation verschlimmert. Er kritisierte die ablehnende Reaktion auf die Bittschrift der Kolonisten, die doch „fern aller Anmaßung, die Rechte der Krone zu schmälern, nur Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden im Namen der Amerikaner“ erbeten habe und „in den versöhnendsten Ausdrücken abgefasst“ gewesen sei.71 Alles in allem sei England seinen Pflichten als Mutterland nicht nachgekommen.72 Es ist beachtlich, dass im Hinblick auf die Legitimation der Amerikanischen Revolution, die Argumentation des konservativen Gentz, der später in den Dienst Metternichs trat, und des linksliberalen Murhard, der immer wieder mit der Zensur in Konflikt geriet, derart auffallende Parallelen aufwies. Daraus lässt sich schließen, dass die Einschätzung der Amerikanischen Revolution als politisch relevant wahrgenommen wurde, ohne jedoch kontrovers zu sein. Von einer staatstheoretischen Warte aus stellte Robert von Mohl Überlegungen an, unter welchen Umständen – ganz grundsätzlich – der Widerstand gegen ein Staatssystem gerechtfertigt sei. Er führte in seiner Enzyklopädie der Staatswissenschaft vier Gründe auf, die eine aktive Veränderung des Regierungssystems zuließen.73 Entweder ein Staat „sei immer schon ungenügend gewesen, wegen mangelhafter Grundlagen“ oder es im Laufe seines Bestehens langsam geworden. Entsprechende Maßnahmen könnten außerdem dann ergriffen werden, wenn der notwendige Aufwand zur Erhaltung der alten Staatsform unverhältnismäßig hoch würde oder der „Lebenszweck des Volkes“ sich geändert habe. Für den letzten Fall führte Mohl das Beispiel der amerikanischen Unabhängig-

70 F. Gentz: Ursprung und die Grundsätze (1800), S. 89. 71 F. Murhard: Nordamerikanische Revolution (1848), S. 344. 72 Ebd., Bd. XI (1848), S. 333. 73 Ganz ähnlich argumentierte Zachariä schon 1836. Vgl. H.A. Zachariä: Constitution (1836), S. 15ff.

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keit an.74 Um die Gefahren einer tatsächlichen Revolution zu vermeiden, selbst wenn eine Änderung des Staatssystems notwendig würde, empfahl Mohl Vorschriften für entsprechende Verfahren in der Verfassung beziehungsweise den Regierungsgrundsätzen zu verankern.75 Sein bewundernder Blick richtete sich in diesem Zusammenhang auf das Petitionsrecht in England, das von dort auch nach Nordamerika gelangt war. Er führte die Unabhängigkeit im Wesentlichen auf die dadurch gegebenen Möglichkeiten zurück: „Welchen Gebrauch dessen Einwohner von ihrem Petitionsrechte zu machen wussten, ist aus der Geschichte der Selbstständigwerdung der Vereinigten Staaten sattsam bekannt.“ Folglich war es in seinen Augen ganz natürlich, dass die Petitionsregelungen in der amerikanischen Verfassung „dem Bürger selbst noch mehr Freiheit einräumen als die englischen Gesetze“.76 Für den Fall, dass Petitionen und Reformen erfolglos blieben, stipulierte Mohl, welche Voraussetzungen gegeben sein sollten, um die „gewaltsame Umgestaltung des Staates“ zu rechtfertigen. Zunächst müsse man fragen, ob tatsächlich das Regierungssystem und nicht nur das gegenwärtig amtierende Oberhaupt ein Problem darstelle. Wenn dann alle übrigen Mittel ausgeschöpft seien und auch die Mehrheit der Bevölkerung hinter einer Veränderung stehe, sei der Schritt zur Revolution legitim.77 Diese rechtfertigenden Prämissen hatte Murhard im Staats-Lexikon auf die Situation in Amerika bereits angewandt. In seiner Darstellung der Ereignisse unmittelbar vor der Unabhängigkeitserklärung arbeitete er explizit heraus, dass „den Nordamerikanern keine andere Wahl übrig gelassen war, als zwischen Unterjochung und Freiheit“ zu wählen, und darüber hinaus der Kongress als Vertreter der „allgemeinen Volksstimmung“ gehandelt habe. 78 Schon Ludwig Feuerbach hatte darauf verwiesen, dass eine politische Veränderung nur zulässig sei, wenn die „Pluralität des Volkes“ zustimme.79 Im Zusammenhang mit dieser Forderung stand die Sorge elitär geprägter Kreise, das Volk sei politisch zu unerfahren und daher nicht gefeit vor politischen Demagogen. Carl Anton Mittermaier klagte diese Bedenken seinem in South Carolina lebenden Freund Francis Lieber: „Unser Unglück bilden jene exzentrischen Menschen, die eilig Blüthe u. Früchte zugleich wollen, die voll Eitelkeit u. Hochmuth nur ihre Ansichten für Weisheit halten, u. eine beständige Aufregung des Volkes

74 R. Mohl: Enzyklopädie (1859), S. 158ff. u. S. 167 Endnote. 75 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1862), Bd. II, S. 318f. 76 Ebd. Bd. I (1860), S. 235f. 77 R. Mohl: Enzyklopädie (1859), S. 164. 78 F. Murhard: Nordamerikanische Revolution (1848), S. 350. 79 R. Koselleck: Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg (1984), S. 732.

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verlangen.“80 Später, in seinen juristischen Schriften, entschied er, dass derartige „Gesinnungstäter, die wissentlich einen Bürgerkrieg mit all seinen Gräueln herbeiführten“, Hochverrat begingen.81 Abgesehen von der grundsätzlichen Legitimität der Ereignisse in den nordamerikanischen Kolonien wurden auch die besonderen Umstände, unter denen sie eingetreten waren, immer wieder thematisiert. Dahinter verbarg sich zum einen ein weiterer Versuch der Erklärung und Rechtfertigung, zum anderen aber auch die Absicht, klar zu zeigen, dass eine Nachahmung in Europa unmöglich sei.82 Zuweilen berief man sich sogar auf Gott, der die Amerikanische Revolution „schirmte und triumphierend machte“.83 Der Hinweis auf die „schrecklichen Ausschweifungen“ in Frankreich, die aus einem offensichtlichen Übertragungsversuch erwachsen waren, lag nahe. „Gleiche Veranlassungen erzeugen nicht immer gleiche Folgen“, mahnte Raumer und verglich verschiedene Revolutionen und Aufstände der jüngeren Geschichte, die in seinen Augen alle aus finanzieller Not heraus entstanden waren, aber ganz unterschiedliche Resultate hervorgebracht hatten. So hatte die dänische Revolution 1660 dem König uneingeschränkte Macht geschenkt, die französische hingegen einen König hingerichtet und die amerikanische einen freien Staat begründet.84 Bei der Beschreibung der Umstände, die zur Unabhängigkeit geführt hatten, dienten praktische Zusammenhänge eher als Hintergrundinformation. Man erkannte an, dass der Sieg Englands über die Franzosen in Kanada die Kolonisten von einer territorialen Bedrohung befreite, die sie zuvor eng an das Mutterland gebunden hatte. Die Details der steuerlichen Streitigkeiten und die Besonderheiten des Lebens an der Frontier fanden in Bezug auf die spezielle Situation in den nordamerikanischen Kolonien alle Erwähnung. Dennoch lag das Hauptaugenmerk auf einem anderen Aspekt. Johann Ludwig Tellkampf vertrat in der Paulskirche die Ansicht, dass die Amerikanische Revolution „einen regelmäßigeren und ich möchte sagen geschäftsmäßig[er]en Charakter gehabt habe, als die französische“, weil schon die Kolonisten mit der Handhabung von parlamentarischem Recht vertraut gewesen seien. Die amerikanische Bevölkerung galt als fähig, sich selbst zu regieren, als politisch reif und mün-

80 Francis Lieber Papers, Box 57, Huntington Library Pasadena [Carl Anton Mittermaier an Francis Lieber, 23.9. 1833]. 81 R. Koselleck: Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg (1984), S. 781. 82 F. Gentz: Ursprung und die Grundsätze (1800), S. 6f. 83 F. Murhard: Nordamerikanische Revolution (1848), S. 380. 84 F. Raumer: Historisch-politische Briefe (1860), S. 281.

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dig.85 Revolutionen, hieß es im Staats-Lexikon, seien schließlich „Früchte vom Baume der Erkenntnis“.86 Es erschien den deutschen Zeitgenossen selbstverständlich, dass die freiheitlichen Regierungsgrundsätze, die man an England immer so bewundert hatte, auch an die Kolonien übergegangen waren.87 Dort hatten sie sich auf Grund der günstigen Umstände, die es verlangten, fernab von Parlament und König, selbstständig die Administration großer Flächen zu organisieren, weiter entwickelt.88 Die zu diesem Zweck entstandenen Chartas, Freibriefe und verfassungsähnlichen Urkunden wurden oft als direkte Vorläufer der amerikanischen Verfassung dargestellt, 89 die zum Teil schon republikanische Grundzüge aufgewiesen hätten: „Wirklich hat auch die Revolution in den alten, republikanischen Gewohnheiten der Amerikaner, während der Zeit als sie noch Colonisten waren, sehr wenig Veränderungen hervorgebracht, weit weniger als es bei irgend einer Nation Europa’s der Fall ist.“90 Im Grunde sah man die Entstehung des amerikanischen Freistaates als die natürliche Fortsetzung der englischen Freiheit unter anderen Voraussetzungen, die auf die Gesellschaft keinen tieferen Einfluss hatte.91 Friedrich Bülau konstatierte: „Das Staatswesen Englands und der vereinigten Staaten von Nordamerika ist aus denselben Grundwurzeln erwachsen.“ 92 In Deutschland war man sich durchaus bewusst, was es für die Kolonisten bedeutet hatte, „freie Engländer“ zu sein.93 So sehr man auch die Briten für ihr Verhalten während des Unabhängigkeitskampfes tadelte, so sehr war man doch gleichzeitig der Meinung, es werde „England stets zur Ehre gereichen, bereits in die Wiege seiner Colonien den Keim der Freiheit gelegt zu haben“.94

85 F. Murhard: Nordamerikanische Revolution (1848), S. 334 u. S. 347. 86 W. Schulz: Revolution (1848), S. 550. 87 H.A. Zachariä: Constitution (1836), S. 6 u. S. 15. 88 W. Schulz: Revolution (1848), S. 553. 89 F. Murhard: Nordamerikanische Revolution (1848), S. 329. 90 Amerika dargestellt durch sich selbst 3. (1918). 91 L. Ranke: Epochen der Geschichte (1854), S. 416. 92 F.L. Bülau: England (1845), S. 1. 93 F. Murhard: Nordamerikanische Revolution (1848), S. 353. 94 Ebd., S. 378.

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M ÄSSIGUNG Neben der Legitimität ihres Ursprungs und Zieles, der historischen Lage und den äußeren Umständen gab es einen weiteren Erklärungsansatz für den positiven Verlauf der Amerikanischen Revolution. Deutschen Schriften zufolge zeichnete sich die amerikanische Bevölkerung nicht nur durch ihre fortgeschrittene politische Bildung aus, sondern auch durch den vorherrschenden „Volkscharakter“.95 In dieser Hinsicht sind zwei verschiedene Aspekte von Interesse. Einerseits war man bemüht, darauf hinzuweisen, dass die Amerikaner, als Nachkommen der Briten, „germanisch“,96 und allein schon dadurch nicht mit den „revolutionssüchtige[n]“ Franzosen zu vergleichen seien.97 Raumer führte die Identifikation so weit, dass er in der Vorrede zu seinem Werk über Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sogar von der „germanisch-amerikanische[n] Revolution“ sprach.98 Auf diese Weise beabsichtigte er allerdings nicht nur eine direkte Anbindung an die bewunderte erfolgreiche Revolution jenseits des Atlantiks zu schaffen, sondern auch sich noch weiter von den französischen Ereignissen zu distanzieren, mit deren Volkscharakter man nichts gemein zu haben glaubte. Es wurde jedoch gänzlich übersehen, dass diese Denkweise streng genommen eine beachtliche Schwächung genau desjenigen Arguments bedeutete, das Frankreich als abschreckendes Beispiel anführte, wenn es darum ging, die Übertragung amerikanischer Konzepte in Europa abzuwehren. Wäre der „germanische Volkscharakter“ tatsächlich dem amerikanischen so viel ähnlicher als dem französischen gewesen, hätte eine Nachahmung entsprechend weniger Probleme beschert als im Nachbarland. Unabhängig von dieser hauptsächlich ideologisch-rhetorisch postulierten Allianz sprach man dem amerikanischen Volk einen weiteren entscheidenden Charakterzug zu, auf den der positive Verlauf ihrer Revolution zurückzuführen sei. Die Bevölkerung sei im Ganzen „zufrieden und antirevolutionär“, schwärmte Raumer. Die Amerikaner seien im Vergleich zu den Europäern das „ruhigste, beharrlichste und conservativste“ Volk.99 Friedrich von Rönne bestätigte diese Einschätzung; man sei „überhaupt in Amerika stets sehr conservativ“ und handle „mit Klugheit und Mäßigung“.100 In einem Gesandtschaftsbericht aus Washing-

95

W. Schulz: Revolution (1848), S. 553.

96

Ebd., S. 553; F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 1112 [Herrmann von Beckerath, 22.7.1848, 45. Sitzung].

97

T. Bromme: Beantwortung (1848), S. VIII.

98

F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, Vorrede.

99

F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 326 u. S. 332.

100 F.L. Rönne: Constitution (1835), S. 90.

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ton schrieb er: „In der That ist es eine erfreuliche Erscheinung, dass der gesunde Sinn der Amerikaner meistens der Stimme der Vernunft Gehör gibt, und es nur selten zum Ausbruch der rohen Gewalt kommen läßt.“101 Diese Beobachtung hatte schon Tocqueville gemacht, sie allerdings auf die demokratische Staatsform im Allgemeinen zurückgeführt. „Nicht nur begehren die Menschen der Demokratien von Natur keine Revolutionen, sie fürchten sie“, schrieb der Franzose in seinem Buch Über die Demokratie in Amerika.102 Mäßigung sah Raumer bei den Amerikanern auch darin, dass niemand den Anspruch stelle, alle seine Forderungen sofort verwirklicht zu sehen, ganz anders als „der Pöbel von Paris“, fügte er hinzu.103 Entsprechend positiv wurden auch die führenden Persönlichkeiten des Unabhängigkeitskampfes beurteilt. Man hielt sie für zielsicher, taktvoll und bescheiden, weil sie „von Anfang an genau wussten, wohin sie zu gehen hatten, und wo sie still stehen mussten“.104 Die Agitation „einer phantastischen Willkür und einer bodenlosen Anarchie“ sei nicht, wie in Frankreich, so lange weitergegangen, „als es noch Gegenstände, die sie angreifen konnte und Kräfte zum Angriff gab“.105 Diese Bescheidenheit wirke sich auch im Verhältnis zum Rest der Welt aus. Sowohl Raumer als auch Gentz, die beide die Revolutionskriege und die Befreiungskriege erlebt hatten, monierten, dass die Franzosen sich anmaßten, „die neuen Apostel“ zu sein und ihre Grundsätze „ohne Rücksicht auf Ort, Zeit, Volksthümlichkeit, als ganz unbedingte Vorbilder“ hinstellten.106 Den Amerikanern hingegen läge es fern, „die ganze Welt im strengsten Sinne des Wortes zu reformieren“.107 Der Disposition der amerikanischen Bevölkerung entsprechend galt auch die Amerikanische Revolution in Ursprung, Ziel und Verlauf als gemäßigt und sogar konservativ. „Die eigenthümliche Lage und der eigenthümliche Charakter der Nordamerikanischen Amerikaner befestigte und sicherte diesen gemäßigten und wohltätigen Gang ihrer Revolution.“108 Diese Einschätzungen zur amerikanischen Staatsgründung lagen auf einer Linie mit der sich entfaltenden Whig-Tradition zeitgenössischer Geschichtsschreibung in den USA. Später bis weit ins 20. Jahrhundert, im Gefolge von

101 DB 60/34, BA Koblenz [Rönnes Bericht vom 10.1.1849]. 102 A. d. Tocqueville: Demokratie in Amerika [1835] (1985), S. 284. 103 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 326 u. S. 332. 104 F. Gentz: Ursprung und die Grundsätze (1800), S. 101. 105 Ebd., 1. Teil (1800), S. 96. 106 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 151. 107 F. Gentz: Ursprung und die Grundsätze (1800), S. 101. 108 Ebd., 2. Teil (1800), S. 98.

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Louis Hartz, prägten ähnliche Interpretationen die Historiographie der Amerikanischen Revolution als „legalistic, moderate, nonregicidal and largely nonterroristic“.109 Für die gemäßigten Liberalen des deutschen Vormärz zählte, dass sie so die Revolution als Prinzip anerkennen konnten. Allerdings – immer unter bestimmten Voraussetzungen – nur als mögliches Mittel für eine Veränderung des Regierungssystems, nicht als automatische Legitimation.110 Im Zusammenhang mit dem Streben nach Veränderungen im eigenen Land, für die man nach Vorbildern, Modellen und Orientierung suchte, bekamen die Beurteilungen der Ereignisse von 1776 und 1789 einen stark politischen Charakter. Schon der „Begriff selbst [‚Revolution‘] nötigte zu einer Parteinahme“.111 Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich die Grundpositionen klar herauskristallisiert. Sie brachen sich später immer wieder Bahn, auch wenn sich die Auslegungen weiter differenzierten. Bewunderung und Dankbarkeit schwangen mit, wenn radikale Linke sich auf das französische Vorbild, auf die Revolution beriefen.112 Voller Enthusiasmus schauten sie nach Frankreich und drängten auf eine Revolution in den deutschen Staaten. Die Liberalen und Konservativen in der Nationalversammlung hingegen waren besorgt, dass eine direkte Anknüpfung an die Französische Revolution die eigene Arbeit für Veränderung diskreditieren würde.113 Raumer betonte immer wieder, dass die Dankbarkeit den Franzosen gegenüber dafür, dass sie „uns die Freiheit geschenkt“ hätten, völlig ungerechtfertigt sei, denn selbst von den Napoleonischen Besetzungen abgesehen, könne man einem „Volke so wenig die Freiheit schenken […], als einem Manne die Tapferkeit, oder einer Frau die Keuschheit“.114 Die deutschen Staaten müssten selbstständig ihren eigenen Weg finden. „Sollten denn die Deutschen weniger Kraft besitzen von ihren politischen und geselligen Krankheiten wieder zu erstehen, wie die Franzosen?“, fragte er 1848 in seinen Briefe[n] aus Frankfurt und Paris.115 Er warnte etwas ironisch vor der „Abschaffung der deutschen Geschichte“, denn es sei wichtig, sich auf die eigenen Traditionen zu berufen, anstatt immer nach Frankreich zu schauen, als läge

109 R. Hofstaeder: Progressive Historians (1992), S. 13. 110 W. Schwentker: Erben (1998), S. 141. 111 R. Koselleck: Begriffsgeschichten (2006), S. 245. 112 I.G. Olenhusen: Mythos (1998), S. 92. 113 U. Ruttmann: Wunschbild – Schreckbild (2001), S. 279. 114 F. Raumer: Reden (1848), S. 8. 115 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 193f. [Brief vom 12.7.1848].

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der Anfang der deutschen Geschichte „nicht in Deutschland sondern in Paris“.116 Ein Grund mehr, auf die „germanisch-amerikanische Revolution“ zu verweisen.117 Raumers gesamte Schriften zeigen beispielhaft, wie gerade die Liberalen und Konservativen das in vielerlei Hinsicht weit entfernte Beispiel der Amerikanischen Revolution nutzten, um Mäßigung zu fordern und die Ereignisse in Frankreich zu brandmarken. Die Ereignisse in Amerika wurden jedoch immer stärker von den neueren, greifbareren und direkter erfahrbaren Entwicklungen in Frankreich überlagert. Als ernstzunehmendes Vorbild schienen Erstere ohnehin der Mehrheit der Deutschen geographisch, ökonomisch und in ihrer sozialen Struktur zu weit entfernt von der eigenen Situation. Andererseits beschrieb Karl Biedermann 1858 sehr treffend, dass es „[g]erade die Entfernung des Schauplatzes und die Ungleichartigkeit der Verhältnisse“ gewesen seien, die „der amerikanischen Revolution in den Augen des denkenden freisinnigen Theils der deutschen Nation einen gewissen idealen Nimbus“ gegeben habe, „welcher dem deutschen Geiste mehr imponierte, als es vielleicht damals ein näher liegendes […] Ereignis zu thun vermocht hätte“. 118 Biedermann argumentierte weiter, dass die Amerikanische Revolution in den deutschen Staaten neue Denkanstöße angeregt habe, so dass dann, dank des auf diese Weise ausgeprägten politischen Bewusstseins, zum Zeitpunkt des Ausbruchs der revolutionären Ereignisse in Frankreich bereits eine höhere Reflexionsebene und Urteilsfähigkeit verbreitet gewesen sei.119 So gab es gerade vonseiten der Konservativen, aber auch unter den Liberalen, immer wieder Versuche, der amerikanischen Unabhängigkeit die entscheidende Rolle einer „Epochenschwelle“ zuzuordnen und damit die Bedeutung der Französischen Revolution herunterzuspielen. Es sei eine „fixe Idee“ zu behaupten, „an Allem, was seit 30-40 Jahren in der Welt irgend geschehe, sey die franz. Revolution Schuld“, schrieb Robert von Mohl in einer empörten Rezension über das amerikakritische Werk Georg Johann Hülsemanns. 120 „[I]m Namen der Geschichte und des gesunden Menschenverstandes“ möge der Verfasser ihm erklären, forderte Mohl weiter, „was denn die französische Revolution mit der

116 F. Raumer: Briefe aus Frankfurt und Paris (1849), Bd. I, S. 276 [Brief vom 10.8.1848]. 117 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, Vorrede. 118 C. Biedermann: Rückwirkungen (1858), S. 486. 119 Ebd., S. 193f. 120 J.G. Hülsemann: Geschichte der Democratie (1823).

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Geschichte der Verfassung der V. St. zu thun hat“.121 Friedrich von Raumer fasste 1848 seine Meinung zu diesem Thema in einem kurzen Aphorismus zusammen: „Nicht die französische sondern die nordamerikanische Revolution ist die Epoche einer inhaltsreichen, wahrhaft neuen politischen Weltentwicklung.“122 In einem privaten Brief an seinen Bruder Karl hatte er sich noch offener ausgedrückt: „Die vernachlässigte, unbeachtete amer. Revolution ist unendlich großartiger u[nd] folgenreicher als die französische. […] Das französische Getriebe erscheint dagegen nur wie eine Krankengeschichte und Miserabilität.“123 Viele der konservativeren Stimmen orientierten sich an dem englischen Politiker Edmund Burke, der voller Überzeugung die amerikanischen Kolonisten gegenüber dem englischen Parlament verteidigt hatte, um dann aber die Französische Revolution, besonders in ihren Exzessen, zu verdammen. Friedrich Gentz lieferte zwar nicht die erste deutsche Übersetzung von Burkes Schriften, aber aufgrund seines sehr umfangreichen, interpretativen Kommentars die einflussreichste jener Zeit. Trotz seiner eigenen anfänglichen Skepsis gegenüber dem englischen Autor124 verteidigte er die Parteinahme für die Amerikaner ebenso wie dessen Ablehnung der französischen Umwälzungen.125 Beides war für ihn klar nachvollziehbar, und mit einer direkten Gegenüberstellung der beiden Revolutionen entwickelte er diese Position in einem eigenen Aufsatz weiter. Darin konstatierte er einen Unterschied zwischen ‚erlaubter‘ und ‚unerlaubter‘ Auflehnung und formulierte seine Theorie von der amerikanischen „DefensivRevolution“, wie er sie nannte.126 In den Kolonien sei der Widerstand gegen das Mutterland als eine Behauptung bedrohter historischer Rechte „in allen Epochen dieses unglücklichen Streites dem Angriff angemessen“ gewesen und nur aus „Notwehr“ erfolgt.127 Im Gegensatz dazu stand für Gentz die französische „Offensiv-Revolution“, deren Motive auf die Zukunft projizierte Ideale waren, die

121 „Cf. Ff“ [Robert von Mohl]: Rezension zu Hülsemann (1825), S. 426. 122 F. Raumer: Spreu (1848), S. 244 [Nr. 774]. 123 Private Briefe Familie Raumer, Universitätsbibliothek Münster [Raumer an seinen Bruder Karl, 22.12.1844]. 124 G. Kronbitter: Gentz (1994), S. 324 [Gentz am 19.4.1791: „Ich lese dieses Buch, so sehr ich auch gegen die Resultate desselben bin (ich habe es noch nicht ganz zu Ende)“]. 125 F. Gentz: Betrachtungen (1936), S. 21-28. 126 G. Kronbitter: Gentz (1994), S. 357. 127 F. Gentz: Ursprung und die Grundsätze (1800), S. 74 u. S. 89.

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einen Angriff auf traditionelle Formen und Gesetze bedeuteten.128 Während die eine „ein Muster der Mäßigung“ sei, liefere die andere „ein unerhörtes Beispiel von Heftigkeit und unerbitterlicher Wuth“.129 Seine Schriften waren ein wichtiger Beitrag zur Revolutionstheorie des Vormärz und darüber hinaus. Otto Vossler orientierte sich im Bezug auf diese Thematik noch in den 1920er Jahren sehr eng an Gentz, und auch Dick Howard setzt sich 1989 in seiner Untersuchung des politischen Denkens der Amerikanischen Revolution mit der Genz’schen „These von den zwei Revolutionen“ auseinander.130 Die Positionen in der Paulskirche rechts und links der Mitte, unter ihnen die meisten der politischen Professoren, veranschaulicht das Rotteck/Welcker’sche Staats-Lexikon. Gerade mit Blick auf Revolution und Veränderung wollte es zwei Aufgaben zugleich erfüllen: „Einerseits den Wunsch nach Aktion schüren, andererseits auch den Weg zur Umsetzung zur Diskussion stellen.“131 Auch hier wurden beide Revolutionen voneinander getrennt. Trotz des latenten „Revolutionspessimismus“ 132 fanden die französischen Ereignisse nicht so eine harte Verurteilung wie es in der Burke’schen Tradition üblich war.133 Sie bildeten allerdings eine eindeutige Warnung vor Übertreibung und Extremismus, die viele der Beiträger noch als Zeitzeugen zum Teil direkt in Frankreich beobachtet hatten.134 Die Amerikanische Revolution hingegen, die keiner von ihnen aus eigener Anschauung kannte, erschien vorbildlich. Die prägende Bedeutung Frankreichs für das moderne Revolutionsverständnis ließ sich schon im Staats-Lexikon deutlich erkennen. Die „französische Revolution, als der Ausgangspunkt einer neuen Reihe von Erschütterungen“ erschien als eine der „Hauptmarken der Weltgeschichte“. 135 Während es zwar einen speziellen Artikel über die Amerikanische Revolution gab, boten die französischen Ereignisse den Hauptinhalt und Interpretationsrahmen für den grundsätzlichen Eintrag Revolution, als bestünde kein Zweifel, dass eine Revolution, sofern nicht näher definiert, immer die französische sei.136 Dieser Umstand ist ein Indiz für den Unikatcharakter, den die Französische Revolution schon in der

128 Ebd., S. 74. 129 Ebd., S. 89. 130 D. Howard: Grundlegung (2001), S. 31. 131 C. Igelmund: Staatslexikon (1987), S. 75. 132 M. Botzenhart: Geschichtsschreibung (1991), S. 180. 133 W. Schulz: Revolution (1848), S. 554. 134 C. Igelmund: Staatslexikon (1987), S. 87; I.G. Olenhusen: Mythos (1998), S. 91. 135 W. Schulz: Revolution (1848), S. 551. 136 C. Ingelmund: Staatslexikon (1987), S. 217.

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zeitgenössischen Wahrnehmung hatte. Die Umwälzungen in Frankreich waren für viele, besonders auch für die Autoren des Staats-Lexikons, von einer Heftigkeit, die höchstens mit der Reformation vergleichbar schien und selbst diese an Vollständigkeit noch übertraf. 137 Gleichzeitig hieß es im Staats-Lexikon aber auch, dass „selbst Revolutionen, dieses scheinbar Willkürliche und Unordentliche in der Geschichte, ihre Gesetzmäßigkeit haben“.138 Diese Diskrepanz, die somit eine französische Einmaligkeit gegenüber dem Konzept von wiederholbaren Grundstrukturen und zirkulärer Bewegung einer Revolution heraufbeschwor, hat dazu geführt, dass bis heute in der Revolutionstheorie diese beiden „Gewichtungen immer wieder neu einander zugeordnet“ werden müssen.139 Hier griffen nun die Konzepte ‚Revolution‘ und ‚Fortschritt‘ ineinander. 140 Die Idee von einer spiralförmigen Bewegung der Geschichte, um wiederkehrende Strukturen mit der Einmaligkeit einzelner Ereignisse zu vereinbaren, wurde schon 1795 explizit formuliert: „Die Revolution hat sich im Kreise gedreht aber sie ist eine Spirale, aus der sie sich bewegt, und folglich kehrt sie nur scheinbar auf den nämlichen Punkt zurück, indem sie wirklich vorwärts wandert, und der menschliche Geist mit ihr.“141

F AZIT Im Erfahrungshorizont der Revolutionstheorie des Vormärz lag mit der amerikanischen Unabhängigkeit das letzte Beispiel einer vormodernen Revolution und mit der Französischen Revolution der Prototyp des neuen Begriffsverständnisses vor. Auch wenn diese klare Differenzierung den Zeitgenossen nicht direkt bewusst gewesen ist, so wurden doch die Unterschiede sowie der epochale Charakter der französischen Umwälzung wahrgenommen. Die resultierenden Unklarheiten boten einen weiten Interpretationsspielraum, der die Hoffnungen auf Veränderung im eigenen Land tränkte. Eine Flugschrift mahnte: „Wir wollen aber die Reform nicht die Revolution, denn wir wollen mit Ruhe und Würde über die ernsten Fragen des Tages miteinan-

137 J. Voss: Rotteck (1991), S. 176 u. S. 193; C.S. Zachariä: Europa’s Zukunft (1832), S. 333. 138 W. Schulz: Revolution (1848), S. 552. 139 R. Koselleck: Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg (1984), S. 748. 140 Ebd., S. 745. 141 Konrad Engelbert Oelsen [Paris 1795], zit. n. R. Koselleck: Begriffsgeschichten (2006), S. 249.

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der zu Rathe gehen, und nicht in Uebereilung und blinder Leidenschaft die heiligen Interessen der Nation […] den Zufällen einer aufgeregten Masse anheim stellen.“142 Vereinzelt gab es die Hoffnung, 1848/49 könne die Revolution „von den Ausschweifungen der Vergangenheit belehrt, Maß haltender sich entwickeln“ und „das wirkliche Heil“ bringen.143 Generell, mit Ausnahme nur des radikalen linken Flügels, hielt man es jedoch für erstrebenswerter, eine alle Lebensbereiche umfassende, „totale Revolution“, wie Gentz sich ausdrückte, möglichst zu vermeiden.144 Die Alternative sah man darin, „die Keime und Anfänge der Bewegung genau zu erkennen und zur rechten Zeit zu lenken und zu beherrschen“.145 Ein Drängen auf rechtzeitige Reformen und das Konzept der ‚Revolution von oben‘, das Friedrich Wilhelm von Stein und Karl August von Hardenberg in den Preußischen Reformen vertraten, entsprachen dieser Einstellung. „Dem Revolutionieren entgegen steht das Reformieren“, hatte Raumer 1815 seinen Studenten erklärt.146 An anderer Stelle wies er darauf hin, dass ein Staat veränderbar bleiben müsse, um sich erhalten zu können.147 Diese Denkweise erinnert an Robert von Mohl, der die Amerikaner und die Engländer dafür bewunderte, dass sie einen Modus zur Veränderung des Regierungssystems rechtlich fixiert hatten. Auch Friedrich Murhard war der Meinung, dass sich „alle Revolutionen durch zeitgemäß ausreichende Reformen verhüten“ ließen, und mahnte gleich im Anschluss, dass im Gegensatz zu Reformen, die kontrollierbar blieben, Revolutionen „sich nicht machen lassen, sondern dass sie werden“. 148 Eine Interpretation, die noch das ursprüngliche Konzept von Revolution als natürliche Veränderung erahnen lässt, der Heftigkeit der französischen Ereignisse aber bereits Rechnung trägt. Für deutsche Staatswissenschaftler waren die Revolutionen in Frankreich und den USA wichtige Bezugspunkte in der Darlegung ihrer politischen Positionen. Das transatlantische Beispiel bot Veränderung in geregelten Bahnen unter Vermeidung von radikalen Auswüchsen. Es galt die Legitimität der dortigen Entwicklungen nachzuweisen, um diese für Deutschland anwendbar zu machen. In der Paulskirche musste entschieden werden, wie weit man in Deutschland zu

142 F. Hundshagen: Parlament (1848), S. 6. 143 A. Arnold: Staatslehre (1849), S. III. 144 R. Koselleck: Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg (1984), S. 737f. 145 F. Raumer: Historisch-politische Briefe (1860), S. 280. 146 F. Raumer: Lebenserinnerungen (1861), Bd. I, S. 277 [Vorlesungsfragment (1815)]. 147 F. Raumer: Recht, Staat und Politik (1832), S. 115. 148 W. Schulz: Revolution (1848), S. 550.

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gehen bereit war. Frankreich hatte die Angst vor Anarchie geschürt. Eine „defensiven“ Revolution, wie man sie den Amerikanern bescheinigte, hielt an Traditionen fest, während sie notwendige Neuerungen zuließ und sogar vorantrieb; ihr konnte man sich ohne weiteres verschreiben.

Republikanische Monarchie „Gesetzt aber auch, wir wüssten Alle, auch die Herren Republikaner, […] was mit einer Republik gemeint sei, so müssten wir offen und ehrlich eingestehen, dass wir dafür nicht taugen.“ F RIEDRICH H UNDSHAGEN (1848) 1

Die Ambivalenz von wissenschaftlicher Interpretation und politischer Verwendung lässt sich am Konzept von ‚Republik‘ besonders anschaulich verdeutlichen. In den staatswissenschaftlichen Theorien des Vormärz und der Revolution war ‚Republik‘ ein sehr formaler Begriff. Er wurde entweder als Kategorisierung von Aristokratien und Demokratien genutzt oder, noch umfassender, zur Bezeichnung eines rechtsstaatlichen Regierungssystems im Allgemeinen, unabhängig davon, ob es sich um eine Demokratie, eine Aristokratie oder gar eine Monarchie handelte.2 Im alltäglichen politischen Sprachgebrauch dagegen waren die mit dem Begriff verbundenen Assoziationen entschieden emotionaler. Hier bedeutete ‚Republik‘ für die einen Freiheit und Gleichheit, für die anderen das Ende der gesellschaftlichen Ordnung. Die enge Verknüpfung mit der sozialen Frage trug weiter dazu bei, dass auf die Republik sowohl Wunsch- als auch Schreckvorstellungen projiziert wurden. 3 1848 fasste Herrmann Abeken die vielfache Ideologisierung des Terminus zusammen: „Ueberhaupt liegt in dem Wort Republik seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts, seit dem Nordamerikanischen Freiheitskriege und der ersten Französischen Revolution, wel-

1

F. Hundshagen: Reform nicht die Republik (1848), S. 11.

2

W. Mager: Republik (1984), S. 620.

3

Ebd., S. 630ff.; D. Langewiesche: Republik und Republikaner (1993), S. 36.

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che Freiheitsbestrebungen leider in einer demokratisch-republikanischen Verfassung entdeckte, ein eigener Zauber für den weniger Nachdenkenden.“4

Für Männer wie Abeken wurde das klassische Republikverständnis durch demokratische Einflüsse verdorben und war mit ernsthaften Gefahren verbunden, die in den politischen Parolen unterzugehen drohten. Mittermaier klagte in einem Brief an Francis Lieber: „Unsere Leute schwätzen von Republik aber sie wissen nicht wie sie ist […] Wenn man bei uns von Republik schwätzt so denkt unser Volk nur an das Wohlfeile dieser Staatsform, ohne zu bedenken, dass die Republik größere Opfer fordert.“5

D IE R EPUBLIK ZWISCHEN E UROPA

UND DEN

USA

Als während des Vormärz die allgemeine, zum Teil stark verklärte Begeisterung für Amerika wuchs, übertrugen sich schnell die Hoffnungen, die man in die Neue Welt setzte, auch auf die dortige Staatsform. Gerade der extreme Gegensatz zu der zunehmenden Unterdrückung während der Restauration in Europa verstärkte das positive Bild des politischen Lebens in Amerika. Johann Joseph Rossbach schrieb 1848, dass über den USA seit ihrer Unabhängigkeit „nur ein heiterer Himmel gewaltet“ habe.6 Mit ihnen verband man Ideale von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit.7 In Anbetracht der historischen Umstände, die zu der Entstehung der USA geführt hatten, musste das dortige Verständnis von Republik ursprünglich antimonarchisch sein. Nachdem jedoch einmal dem ohnehin weit entfernten monarchischen Oberhaupt sein Einfluss genommen worden war, konnte sich das republikanische Staatssystem etablieren, ohne, wie in Europa, fortwährend „gegen verkrustete Feudalgesellschaften“ ankämpfen zu müssen.8 Darüber hinaus hielt sich die revolutionäre Elite der so genannten Founding Fathers und ihrer Anhänger bis in das beginnende 19. Jahrhundert an der Macht. So konnte die von ihnen geprägte, mehr elitäre als egalitäre Vorstellung einer Republik Verbreitung fin-

4

H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 8.

5

Francis Lieber Papers, Box 57, Huntington Library Pasadena [Carl Anton Mittermaier

6

J.J. Roßbach: Bundesverfassung (1848), S. 126.

7

T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 111.

8

D. Langewiesche: Republik und Republikaner (1993), S. 12.

an Francis Lieber, 05. 03.1848].

R EPUBLIKANISCHE M ONARCHIE

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den und sich dank der relativen Kontinuität des politischen Lebens etablieren. Eine Demokratisierung im modernen Sinne entwickelte sich erst langsam.9 Dank dieses vergleichsweise ruhigen Verlaufs der Politik in der amerikanischen Republik wurde das zu Grunde liegende Konzept zu einem selbstverständlichen Teil der amerikanischen Mentalität, „in keiner Weise mit dem Geruch von Radikalität behaftet“.10 Schon Abeken hatte diese Zusammenhänge erkannt und betonte in seiner Flugschrift, die gegen eine zu große Republikbegeisterung argumentierte: „Wir müssen es nochmals aussprechen: Die Vereinigten Staaten stehen nicht in so beneidenswerter Blüte, weil sie eine Republik sind, sondern weil die Republik eine nationale, aus eigenem Grund und Boden, aus den eigensten Tiefen hervorgerufene Schöpfung ist.“11 Hinzu kam, dass selbst die radikaleren Auslegungen, die sich auf Staatenebene, etwa in der Pennsylvanischen Verfassung von 1776, zuweilen durchsetzten, das Gleichheitspostulat und die sozialen Aspekte stets ausklammerten.12 Vor allem im Gegensatz zu Frankreich bot Amerika daher eine Alternative, die den gemäßigten Liberalen und den Konservativen in Deutschland sehr viel sympathischer anmutete als die Radikalität der direkten Nachbarn. Carl Möring fragte 1848 seine Kollegen in der Nationalversammlung: „[W]issen Sie, meine Herren, wer diese amerikanische Republik gegründet hat? Männer mit grauen Haaren, Männer die großes Vermögen, ein reiches Einkommen auf dem Spiele hatten.“13 Gerade diese elitären Grundlagen schätzte man an den USA. Die Pariser Republik war das Modell für „wilde Demokraten“ und „rote Republikaner“,14 die meisten anderen aber setzten sie mit Anarchie gleich. „Der noch unentwickelte, wenig geordnete Zustand Frankreichs bietet freilich wenig ermunternde Anhaltspunkte“, stellte Abeken fest.15 Robert von der Goltz war daher in seinem 1848 als Flugblatt veröffentlichten Verfassungsentwurf auch darauf bedacht, sich „möglichst fern von dem französischen System“ zu halten und stattdessen die US-Constitution zum Vorbild zu nehmen.16 Wie bei dem Konzept ‚Revolu-

9

H. Dippel: Wurzeln (1999), S. 37.

10 D. Langewiesche: Republik und Republikaner (1993), S. 12. 11 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 26f. 12 H. Dippel: Wurzeln (1999), S. 37 u. S. 39. 13 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 433 [Carl Möring, 21.6.1848, 21. Sitzung]. 14 F. Raumer: Briefe aus Frankfurt und Paris (1849), Bd. I, S. 365 [22.9.1848]; ders.: Historisch-politische Briefe (1860), S. 353. 15 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 8. 16 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 48.

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tion‘ blickten wieder diejenigen nach Amerika, denen das französische Verständnis von ‚Republik‘ zu radikal und zu gefährlich erschien. Die „langen Schatten […] der Zeit des jakobineschen Terrors“17 beeinflussten die Auseinandersetzung mit dem Republikkonzept. Der unmittelbare „Anstoß“ für die Prominenz von ‚Republik‘ in der Staatstheorie des Vormärz waren zwar „die letzten Vorgänge in unserem Nachbarlande“, aber die Angst vor der allzu nah erlebbaren Realität dieses „Taumel[s] des Republikanismus“ ließ das ferne Beispiel jenseits des Atlantiks für viele attraktiver erscheinen,18 „um diese[s] zur Nachahmung empfehlen zu wollen“.19 Die Bewunderung der amerikanischen Republik machte einen Europäer noch nicht zum Republikaner, denn meist galt „die Bewunderung nur einer Republik, die in Amerika blieb“.20 Francis Lieber, der dank seiner transatlantischen Biographie große „effectiveness as an interpreter of American society“ in Deutschland hatte, 21 erinnerte noch Ende der 1850er Jahre seine Zeitgenossen daran, dass selbst in Amerika niemand die Ansicht vertrete, Freiheit sei nur in einer Republik möglich, noch dass allein die Abschaffung des Königtums Freiheit gewähre.22 Aber die reale Existenz einer modernen Republik eröffnete neue Perspektiven. Karl Heinrich Ludwig Pölitz betonte schon 1826, dass die Vereinigten Staaten „einen ganz anderen Einfluss auf die Ereignisse in Europa“ gehabt hätten, „wenn der erste selbstständige Staat in Amerika eine Monarchie und keine Republik gewesen wäre“.23 Welchen Effekt die zunehmend antizipatorische Beschäftigung mit dem republikanischen System der Vereinigten Staaten schon früh haben konnte, zeigt die Antwort des Herausgebers der Zeitschrift Amerika, dargestellt durch sich selbst. Auf die 1819 in einem Leserbrief gestellte Frage, ob er tatsächlich beabsichtige angesichts der verstärkten Pressezensur, seine Arbeit fortzusetzen, versicherte er, stets bemüht zu sein, die alltäglichen Gefahren und Probleme einer Regierung in einem republikanischen Staat zu zeigen und so darzulegen, dass sie ähnlich virulent seien wie in einer Monarchie. Von der Zensur habe er daher nichts zu befürchten, denn durch die Darstellung der „Verhältnisse des amerikanischen Freistaates“ beabsichtige er schließlich nicht, „die Unterthanen monarchischer Staaten zu republikanischen Grundsätzen [zu]

17 H. Fenske: Tendenzen (1999), S. 121. 18 C.F. Schmidt-Phiseldeck: Europa und Amerika (1820), S. 90. 19 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 7. 20 V. Depkat: Amerikabilder (1998), S. 131. 21 H.-J. Grabbe: Weary of Germany (1997), S. 77. 22 F. Lieber: Civil Liberty (1859), S. 261. 23 K.H.L. Pölitz: Staatensysteme (1826), S. 125.

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verleiten“. Vielmehr bemühe er sich um ein realistisches und ausgewogenes Bild der fremden Staatsform. „Jeder Leser dieses Blattes“, hieß es weiter, „wird auch in der Folge sehen, dass der Bürger eines republikanischen Staates ebenso wohl Lasten zu tragen hat als der Bürger in einem monarchischen Staate“.24 Stimmen wurden laut, die in der Republik eine Lösung für den wachsenden Pauperismus sahen. Gegen diese utopistisch anmutende Vorstellung wandte sich Mohl in seiner anonymen Flugschrift Republik oder nicht? An die Arbeiter. Er machte darin deutlich, dass die offenbare Prosperität der USA nicht – wie viele es glaubten – durch das republikanische Regierungssystem zu erklären sei, sondern durch die weiten Flächen freien Landes: „Wenn wir hier am Rhein auch ein so großes leeres Land hinter uns hätten, so ginge es uns eben so gut.“25 Viele Autoren des Vormärz betonten, wie Mohl, die anderen geographischen Gegebenheiten in Europa und Amerika, um damit auch die politischen Unterschiede zu rechtfertigen. Francis. Grund hingegen sah den Zusammenhang umgekehrt. Er war der Ansicht: „Ohne die politischen und civilen Einrichtungen würden die ungeheuren Hülfsquellen America’s [„Reichthum seines Bodens“] noch nicht entwickelt seyn.“26 Die Analyse der staatswissenschaftlichen Interpretation sowohl des Republikbegriffs als auch des Verständnisses von ‚Monarchie‘ im Vormärz muss stets vor dem Hintergrund der emotionalen Aufladung im politischen Sprachgebrauch geschehen. Die „rothe Republik“, wie sie aus Frankreich in die deutschen Staaten drang, war für Liberale und Konservative gleichermaßen ein Schreckgespenst, das es abzuwehren galt. Samuel Ludwigh versuchte zwar, der negativen Konnotation von ‚Republik‘ entgegenzuwirken, indem er mahnte: „[D]ie Republik beschimpfen hieße den ersten Sieg der Demokratie über die Despotie verkennen“, man würde so „zum Feinde des Fortschritts der Völker“, fuhr er fort.27 Aber seine Bemühungen fanden kaum Resonanz. Die Französische Revolution hatte das monarchische System im neuzeitlichen Europa erstmals ernsthaft herausgefordert. ‚Republik‘ war zu einem „Kampfbegriff“ geworden.28 In den folgenden Jahrzehnten wurde der Antagonismus der Konzepte ‚Republik‘ und ‚Monarchie‘ so stark, dass einige sogar vor einem Glaubenskrieg warnten, vergleichbar mit dem Dreißigjährigen Krieg. 29 So wurde ‚Republik‘, neben den

24 Amerika dargestellt durch sich selbst 96 (1819), S. 2. 25 E. Angermann: Republikanismus (1961), S. 190. 26 F.P. Grund: Americaner (1837), S. 147. 27 S. Ludwigh: Licht und Schattenseiten (1848), S. 341f. 28 D. Langewiesche: Republik und Republikaner (1993), S. 33 u. S. 37. 29 K. Rotteck: Monarchie (1848), S. 165f.; F. Raumer: Reden (1848), S. 17.

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staatstheoretischen Bedeutungen, zusätzlich ein emotional aufgeladenes Synonym für radikale Volksherrschaft, zuweilen sogar Revolution oder gar Anarchie.30 Mit dieser Interpretation vor Augen warnte Carl Biedermann 1849 in der Paulskirche vor den Gefahren einer Republik: „Wenn wir damit angefangen hätten, […] die Republik zu proclamieren, wenn wir den Sturmwind der Revolution von Neuem über Deutschland hätten hinbrausen lassen, um reines Feld zu machen, meine Herren, so wäre jedenfalls auf lange Zeit hinaus die Ordnung, Gesetz, Wohlstand, ich glaube auch bürgerliche Freiheit unseres Volkes sehr gefährdet, wenn nicht verloren gewesen.“31

D IE R EPUBLIK ZWISCHEN M ONARCHIE

UND

D EMOKRATIE

Die wissenschaftliche Verortung der Begriffe ‚Republik‘ und ‚Monarchie‘ im System der verschiedenen Staatsformen geschah auf unterschiedliche Weise. In der klassischen, aristotelischen Dreiteilung – Monarchie, Aristokratie, Demokratie – war kein Platz für die Republik. Erst indem sie als ein Überbegriff für Aristokratie und Demokratie verwandt wurde, erhielt sie ihre Position als Gegenstück zur Monarchie. Damit war die Republik genauer definiert und in verschiedenen Ausprägungen möglich. Die Monarchie aber bedurfte erst noch einer „inhaltlichen Konkretion“, indem sie mit „zeittypische[n] Konzeptionen […] aufgefüllt, typologisch gegliedert und politischen Zielvorstellungen angepasst wurde“, etwa als ‚absolute‘ oder ‚konstitutionelle‘ Monarchie.32 Montesquieu schuf eine neue Triade, die alle Regierungsformen in Despotie, Monarchie oder Republik einteilte.33 Kant aber, der das staatswissenschaftliche Verständnis von ‚Republik‘ gerade in Deutschland mitbestimmte, fasste sie allgemeiner; als einen freiheitlichen, konstitutionell regierten Staat.34 Während die aristotelische Dreiteilung die „Form der Beherrschung“ beschreibe, handele es sich bei dem Gegensatz zwischen Republik und Despotie um die „Form der Regierung“, bei der das Oberhaupt verschiedener Art sein könne, solange die Ver-

30 F. Hundshagen: Reform nicht die Republik (1848), S. 16; D. Langewiesche: Grundprobleme (1980), S. 542. 31 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VI, S. 4710 [Carl Biedermann, 15.1.1849, 152. Sitzung]. 32 H. Boldt: Monarchie (1978), S. 173. 33 Ebd., S. 181. 34 W. Mager: Republik (1984), S. 608.

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fassung „aus dem reinen Quell des Rechtsbegriffs entsprungen“ sei.35 Das Definitorische einer Republik war demnach die Rechtsstaatlichkeit, die durch das repräsentierte Volk sichergestellt werden sollte.36 Damit kontrastierte Kant die Republik mit der auf dem „Privatwillen“ der Regierung beruhenden Despotie, ungeachtet, ob Letztere von einem Monarchen, einem Präsidenten, der Aristokratie oder dem Volk ausgehe.37 In dieser Tradition argumentierte auch Mohl: „Die Demokratie hat so viel oder so wenig Recht zu sein, als die Monarchie oder die Aristokratie.“38 Bereits Aristoteles hatte in seiner politischen Theorie davor gewarnt, dass jede Staatsform jeder Zeit drohe, zu degenerieren und respektive in einer Tyrannei, Oligarchie oder Pöbelherrschaft zu enden. Gerade in den Interpretationen des 19. Jahrhunderts kam hierbei den äußeren Umständen besondere Bedeutung zu. Friedrich von Raumer war etwa der Ansicht, dass in „dem überreizten und doch abgelebten Europa jede Demokratie zur Despotie“ führe, doch „nicht so im jugendlichen, natürlichen, kräftigen, gesunden Nordamerika“. 39 Das Diktat der Majorität bzw. die Pöbelherrschaft fürchtete man nicht minder als die Übermacht des Monarchen. Nicht selten orientierte sich die politische Einstellung daran, welches Degenerationsszenario man für gefährlicher hielt. Carl Theodor Welcker nahm in seinem Artikel zum Thema Staatsverfassung im Staats-Lexikon den von Kant aufgeworfenen Gegensatz von Rechtsstaat und Despotie auf, setzte allerdings Republik nicht mit Rechtsstaat oder Konstitution gleich, sondern hielt an dem Gegensatz von Monarchie und Republik, der auf Machiavelli zurückgeführt werden kann, fest. Gleichzeitig aber betonte Welcker, dass beide rechtsstaatlich verfasst sein könnten. Entsprechend bestünde auch bei beiden die Möglichkeit – wenn sie nicht ausreichend beschränkt würden – in eine Despotie auszuarten, sprich in Tyrannei oder Pöbelherrschaft. Im Allgemeinen ließ sich das Verständnis auf die Formel bringen, eine Republik sei als notwendige Bedingung rechtsstaatlich organisiert, andernfalls sei sie eines der drei degenerierten Systeme. Nicht jedoch jeder Rechtsstaat musste eine Republik im demokratischen Sinne sein, sondern konnte auch monarchisch oder aristokratisch konstituiert sein. Die Aristokratie allerdings war in staatswissenschaftlichen Kreisen so diskreditiert, dass hier

35 I. Kant: Frieden (1795), S. 14f. [1. Definitivartikel]. 36 W. Mager: Republik (1984), S. 610f. 37 I. Kant: Frieden (1795), S. 15. 38 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 526. 39 F. Raumer: Spreu (1848), S. 119 [Nr. 392].

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gemeinhin ein einzelner Herrscher bevorzugt wurde.40 Eher die Angst vor der adeligen Oligarchie als eine besondere Zuneigung zum Volk machte die meisten Akademiker, die sich selbst als bildungsbürgerliche Elite wahrnahmen, für republikanische Ideen empfänglich.41 Der demokratischen Republik standen die Liberalen mindestens ebenso skeptisch gegenüber wie der absoluten Monarchie. 42 Die Entwicklungen in Frankreich und besonders die französische Außenpolitik waren für Georg Friedrich Rebemann Beweis genug dafür, dass republikanische Regierungen sich nicht minder anmaßten, „über alle Grundsätze der Moral und des Rechts erhaben zu sein“, als ein Monarch.43 Das kriegerische Gebaren der französischen Republik führte dazu, dass in den deutschen Staaten dieser Staatsform noch zusätzlich Misstrauen entgegengebracht wurde. So warnte Carl Möring seine Kollegen in der Paulskirche vor dem „ungewisse[n] Freund“ Frankreich. „Ich sage das deshalb“, fuhr er fort, „weil Frankreich eine Republik ist, weil im Allgemeinen große Republiken zu allen Zeiten ganz anderen Gesetzen gehorchen mussten“.44 Die Angst vor einem fremden Staatssystem, das man für schwer einschätzbar hielt – sei es, weil man nicht genügend darüber wusste oder weil man es von den Launen des Volkes abhängig glaubte – schloss die amerikanische Republik nicht aus. Auch Amerika, erinnerte Möring, habe schließlich entgegen seinen offiziellen Erklärungen „Texas und Mexiko verschlungen“.45 Eine Republik, die einen Atlantik weit entfernt war, stellte allerdings kaum die gleiche Bedrohung dar, wie ein solches politisches System direkt an der eigenen Landesgrenze. Ungeachtet dieser grundsätzlichen Skepsis gegenüber der republikanischen Staatsform wurde das Gefüge von Checks and Balances, das in den USA an Stelle der strikten Gewaltenteilung herrschte, in Deutschland sehr positiv wahrgenommen.46 Es galt als ein weiterer Beweis für den bewunderten Praxissinn der amerikanischen Politik. Mohl orientierte sich an dem austarierten System der Vereinigten Staaten und forderte auch in der deutschen Verfassung müssten

40 C.F L. Hoffmann: Republik (1848), S. 522. 41 N. Fuchs: Theorie Friedrich Murhards (1973), S. 320. 42 W. Mager: Republik (1984), S. 621. 43 G.F. Rebemann: Nachtrag (1798), zit. n. W. Mager: Republik (1984), S. 617. 44 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 113 [Carl Möring, 22.7.1848, 45. Sitzung]. 45 Ebd. 46 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 336.

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„Schranken […] gegen […] Irrthum oder üblen Willen“ gezogen werden.47 Mohl legte in seiner Staatstheorie großen Wert auf „Angemessenheit“. 48 Auf diese Weise war es ihm möglich – dank „einer umsichtigen wissenschaftlichen Prüfung“ der Gegebenheiten – abstrakte Systematik mit tägliche Politik zu verbinden. „Jede denkbare Staatsart hat ihre Schattenseiten“, erklärte er, aber durch eine genaue Untersuchung aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten könne eine Entscheidung getroffen werden, resümierte er 1860 – auch wenn er in seiner politischen Laufbahn immer wieder hatte erfahren müssen wie schwierig eine Einigung selbst bei staatswissenschaftlichen Argumentationen bleib.49 Otto Zirckel, der schon längere Zeit in den USA lebte, hielt wenig von theoretischen Überlegungen. In einem öffentlichen Brief nach Deutschland kurz nach dem endgültigen Scheitern der Revolution, argumentierte er, dass in der gespannten politischen Lage, in der sich die deutschen Staaten befänden, praktische Erfahrungen notwendig seien. Am besten eigneten sich Männern, „die das Wesen und die sehr zusammengesetzte Maschinerie einer constitutionellen Regierung leidenschaftslos, vorurtheilsfrei und mit der tiefsten Aufmerksamkeit durch eine Reihe von Jahren haben arbeiten sehen“. Zu diesem Zweck schlug er vor, „helle Köpfe auf einige Zeit nach Washington und London“ zu senden.50 Die Frage, ob eine (konstitutionelle) Monarchie oder eine Republik die richtige Regierungsform für den neuen deutschen Staat sei, spaltete alle politisch Aktiven vom Vormärz bis über die Revolution hinaus und wurde so auch wahrgenommen, sowohl in der öffentlichen Meinung als auch von den Politikern.51 In der Paulskirche formulierte Alexander Falk diese Situation etwas pathetisch: „Diese Versammlung […] soll das Endwort sprechen in dem gewaltigen Streit, der ganz Deutschland aufregt, von dem einen Ende bis zum anderen, von den Alpen bis an die Küste des Meers.“52 Dieser direkte Gegensatz der beiden Staatsformen setzte voraus, dass die beiden Konzepte sich klar ausschlossen. Gerade das suchten jedoch viele Schriften des Vormärz zu widerlegen. Raumer argumentierte schon 1828, es sei „[n]ach so viel theoretischen und praktischen Erfahrungen der neueren Zeit […]

47 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 495f. 48 M. Henkel: Mohl (2002), S. 368. 49 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 534. 50 O. Zirckel: Brief (1850), S. 176 u. S. 180. 51 D. Langewiesche: Grundprobleme (1980), S. 538; W. Mager: Republik (1984), S.363; H. Reinalter: Republikbegriff (1999), S. 23. 52 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VI, S. 4700 [Alexander Falk, 15.1.1849, 152. Sitzung].

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für jeden Privatmann leichter als je, sich von einseitigem Götzendienst mit dem unbedingt Monarchischen oder Republikanischen loszumachen“.53 Friedrich Daniel Bassermann trat in der Nationalversammlung ebenfalls ausdrücklich für gemischte Verfassungen ein.54 Man strebte eine Vereinigung von zwei „einander entgegen gesetzten Verfassungen“ an.55 Zu diesem Zweck schaffe man Komposita wie ‚konstitutionelle‘ oder ‚repräsentative Monarchie‘, die „weniger den allgemeinen Begriff auf seine Arten hin entfalten, als den Versuch darstellen, die Monarchie mit ihren Gegensätzen terminologisch zu vermitteln“.56 Bülau, in einer Rückbesinnung auf die klassische Dreiteilung in Demokratie, Aristokratie und Monarchie, hielt es für „zwecklos und inkonsequent“, dass die Republik zwei der drei Konzepte einschließen sollte und sich dem dritten entgegenstellte. 57 Die Möglichkeit einer „monarchischen Republik“, trotz des staatstheoretisch tief verwurzelten Antagonismus von Monarchie und Republik, basierte auf der kantschen Deutung von Republik als Gemeinwesen und Rechtsstaat, als konstituierte Regierungsform, im Gegensatz zu einer willkürlichen Herrschaft, sprich Despotie.58 „Unbeschränkte Monarchien“, so Raumer 1848, „sind ein Zeichen der Unreife oder des Veraltens“.59 Absolute Herrscher seien seiner Ansicht nach nur denkbar, wenn entweder das Volk sich nicht selbst regieren könne oder aber das System bereits überaltert und zu einer Despotie degeneriert sei. Eine wirklich rechtsstaatlich verfasste und funktionierende Monarchie sei immer eine „weise, durch Grundgesetze geregelte“ Monarchie, betonte auch Rotteck.60 Die drei Kernfragen bezogen sich dabei auf die Legitimation des Königs, sein Verhältnis zu den Gesetzen und die Schranken seiner Macht.61 Ein Konzept, das in diesem Zusammenhang zu einem „epochalen Begriff“ wurde, war das ‚monarchische Prinzip‘. 62 Diese Terminologie konnte einerseits die Grundsätzlichkeit, das Prinzipielle der monarchischen Maxime betonen. In die-

53 F. Raumer: Städteordnung (1828), S. 15. 54 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VI, S. 4734 [Friedrich Daniel Bassermann, 16.1.1849, 153. Sitzung]. 55 C.S. Zachariä: Bücher vom Staate (1839-43), zit. n. H. Boldt: Monarchie (1978), S. 192. 56 H. Boldt: Monarchie (1978), S. 189. 57 W. Mager: Republik (1984), S. 620. 58 H. Boldt: Monarchie (1978), S. 190; W. Mager: Republik (1984), S. 620. 59 F. Raumer: Spreu (1848), S. 252 [Nr. 802]. 60 K. Rotteck: Monarchie (1848), S. 162. 61 H. Boldt: Monarchie (1978), S. 176ff. 62 H. Boldt: Staatslehre (1974), S. 77-100, hier S. 80.

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ser Funktion nutzte sie vor allem die Heilige Allianz und die Reaktion im Allgemeinen. 63 Andererseits aber brach die Umwandlung von Staatsformen in ‚Prinzipien‘ oder auch ‚Elemente‘ große Konzepte auf kleine Bausteine herunter – neben dem ‚monarchischen‘ besonders auch auf das ‚demokratische‘ oder das ‚republikanische Prinzip‘, die sich leichter kombinieren ließen. Karl von Rotteck erklärte im Staats-Lexikon: „Das republikanische Princip also nicht weniger als das monarchische bedarf der Veredelung durch das mit ihnen zu vereinbarende demokratische“. 64 Dieser Lösungsansatz folgte der Tradtion der ‚Mischverfassung‘, einer Kombination von zwei oder allen drei der typischen Staatsformen als notwendiger Schutzmechanismus vor Machtmissbrauch. Seit der Antike hatte sich eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten entwickelt, die damit gänzlich verschiedene Staatsformen einschlossen.65 Rotteck vertrat die Ansicht, dass auf diese Weise die Gefahren der „reinen“ Verfassungen, die stets zu degenerieren drohten, gebannt werden könnten.66 So sah es auch Murhard und lobte gerade in diesem Zusammenhang das amerikanische System. Auch Raumer sah in der US-Verfassung eine Mischform und im präsidialen Veto einen „monarchischen Bestandtheil“.67 Der Demokrat Jacob Venedey erklärte in der Paulskirche, dass die Exekutive „an sich monarchischer Natur“ und die Legislative „republikanischer Natur“ sei. Im Falle von Gewaltenteilung seien so beide Elemente vertreten.68 Venedy erkannte hier den Zusammenhang zwischen Mischverfassung und Gewaltenteilung an, der während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusehends in Vergessenheit geraten war. Seit der Verbreitung von Repräsentationstheorien, die in der amerikanischen Verfassung einen entscheidenden Aufschwung erhalten hatten, wurden Mischverfassungen auf ihren (geburts-) ständischen Ursprung reduziert und als solche besonders von den Demokraten gemeinhin verworfen.69 Dieser Prozess wurde durch die anti-britische Argumentation in der Ratifikationsdebatte zur US-Verfassung verstärkt. Die „berühmteste Mischverfassung der Neuzeit“ hatte in England ihren theoretischen Unterbau im republikanischen Gedankengut James Harringtons, der seinerseits in der Tradi-

63 K. Rotteck: Monarchie (1848), S. 173. 64 K. Rotteck: Demokratisches Prinzip (1848), S. 261. 65 A. Riklin: Mischverfassung (2006), S. 353f. 66 U. Backes: Liberalismus und Demokratie (2000), S. 253. 67 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 285. 68 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VI, S. 4730 [Jacob Venedey, 16.1.1849, 153. Sitzung]. 69 A. Riklin: Mischverfassung (2006), S. 366.

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tion Machiavellis und der italienischen Stadtrepubliken stand.70 Aus diesem Erbe war auch die amerikanische Verfassung entstanden. 71 John Adams hatte in A Defence of the Constitution of Government of the United States erklärt: „The constitution of England is in truth a republic. […] A limited monarchy, therefore, […] may with strict propriety be called by that name.“72 Dennoch herrschte eine anti-monarchische Stimmung im Land vor, die in der englischen Regierungsform ein „Beispiel der Degeneration“ sah, genau wie Aristoteles es vorhergesagt hatte.73 Zwar als Bürgerpartizipation konzipiert, habe das englische Parlament schließlich inzwischen bewiesen, dass es fähig sei, ‚taxation without representation‘ zu erheben. Die rhetorisch notwendige Distanzierung vom politischen System des einstigen Mutterlandes, das letztendlich klar die Vorlage für die eigenen politischen Institutionen bot, verlangte den Federalists folglich eine komplizierte Gratwanderung ab. Hamilton verwandt viel Aufmerksamkeit darauf, das präsidiale System von der Monarchie zu unterscheiden, und Madison konzentrierte sich darauf, den ständischen Mischcharakter im Britischen Modell herauszuarbeiten und mit dem gewaltenteiligen System der USA zu vergleichen, das gänzlich vom Volk ausging und in seinen Augen somit „unmixed“ war.74 Auch in Deutschland gab es schon Ende des 18. Jahrhunderts Stimmen, die entlang dieser Linien argumentierten. Heinrich Christoph Albrecht hielt die Staatsverfassung Großbritanniens für eine unglückliche Kombination von Republik und Monarchie. Er zog die Organisation des amerikanischen Staates vor, weil sich in seinen Augen dort das Volk selbst regiere und „wirklich frei“ sei.75 Es ist jedoch bezeichnend, dass Männer wie Raumer stärker den Mischcharakter der amerikanischen Verfassung betonten, denn mit einer Argumentationslinie, die eher John Adams als James Madison folgte, war es einfacher für den deutschen Zusammenhang eine konstitutionelle Monarchie zu begründen. Während des Vormärz blieb die konstitutionelle Monarchie die am häufigsten geforderte Staatsform. Sie galt als eine sinnvoll beschränkte Monarchie, obgleich es keine Standarddefinition gab, die allgemeingültig festlegte, wie eine solche Beschränkung auszusehen hatte. Benjamin Constant stellte das Konzept erstmals 1815 in den Principes Politiques dar. Ins Deutsche gelangte der Begriff

70 J.G.A. Pocock: Machiavellian Moment (1975). 71 H. Dippel: Wurzeln (1999) S. 32f. 72 J. Adams: Defence [1787], zit. n. W. Mager: Republik (1984), S. 592. 73 H. Dippel: Wurzeln (1999), S. 33. 74 J. Madison: Federalist Nr. 14 [30.11.1787] (1982), S. 75. 75 H.C. Albrecht: Versuch über Patriotismus [1793], zit. n. W. Mager: Republik (1984), S. 618.

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gut fünf Jahre später in den Schriften Georg Wilhelm Friedrich Hegels und Ludwig Heerens, aber erst Carl Salomon Zachariä arbeitete konturiert heraus, was sich hinter dieser Staatsform verbarg.76 Ein wichtiger Teil der Machtbeschränkung des Monarchen lag in der Selbstregierung des Volkes. Raumer hatte am amerikanischen Volk beobachtet, wie diese Eigenverwaltung „Selbstachtung der eigenen Stellung“ und verantwortungsbewusstes Handeln zur Folge hatte.77 Nirgendwo werde „so wenig von oben herab regiert, und so viel der eigenen Entscheidung des Volkes überlassen, wie in den vereinigten [sic] Staaten von Amerika“.78 Diesem Umstand sei es zu verdanken, dass in Amerika der Bürger „mit allen öffentlichen Angelegenheiten besser vertraut und zu ihrer Leistung und Beurtheilung fähiger“ sei.79 In Europa hingegen, wo man „von oben herab immer regiert und gegängelt wird, lernt niemand sich selbst regieren“.80 Mohl merkte allerdings an, dass in Europa eine solche Handhabung der politischen Angelegenheiten nicht denkbar sei, da die Notwendigkeit von Polizeigewalt und Verwaltungshierarchie zu tief in den staatstheoretischen Vorstellungen verwurzelt sei. Er gestand jedoch gleichzeitig ein, welchen positiven Einfluss eine lokale Administration auf die politische Bildung des Volkes habe, da so „der Geist der Volksherrschaft auf das lebendigste aufgeregt und in beständiger Thätigkeit und Kraft erhalten“ bleibe:81„Der Bürger gewöhnt sich dabei und zwar im täglichen Leben so, dass es recht in seine Sitten und Bedürfnisse übergeht, an der Leitung öffentlicher Angelegenheiten Theil zu nehmen“.82 Es lag den meisten Theoretikern im Vormärz fern, eine republikanische Staatsverfassung zu fordern, aber viele Stimmen wünschten sich auch in den deutschen Staaten freiheitliche Munizipalverfassungen, um die bürgerliche Beteiligung auszuweiten. Die Gemeindeordnung etwa, die 1832 in Baden eingeführt wurde, war ein Resultat dieser Strömungen, zeigt aber auch, dass gerade hier das klassische Verständnis von Republikanismus als auf bürgerlicher Partizipation beruhendes Gemeinwesen noch stark vorherrschte. Es handelte sich um „Republikanismus aus Erfahrung“, nicht um die klare Vorstellung eines Staatssystems.83 Der preußische Gesandte in London, Carl Josias von Bunsen, der spä-

76 H. Boldt: Monarchie (1978), S. 192. 77 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 35 u. S. 335. 78 Ebd., Bd. I (1845), S. 536. 79 Ebd., Bd. I (1845), S. 551. 80 Ebd., Bd. II (1845), S. 334. 81 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 384. 82 Ebd. 83 P. Nolte: Bürgerideal (1992), S. 644.

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ter auch für die Paulskirche diese Funktion übernahm, war aber der Ansicht, dass eine freie Selbstregierung „mit Nothwendigkeit zur freien Verfassung“ führe.84 Es war durchaus eine verbreitete Vorstellung, dass man zunächst damit anfangen solle, in der Gemeindeverwaltung das auszuprobieren und zu lernen, was deutschlandweit einzuführen noch unmöglich schien. „Hauptsächlich ist die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, in welcher sich der Gemeindebürger stolz fühlt, die Hälfte des Weges zu ähnlichen Gesinnungen als Staatsbürger“, schrieb Mohl in einem Artikel über das amerikanische Staatsrecht.85 Den vorbereitenden Charakter der Erfahrungen auf lokaler Ebene fasste Tocqueville treffend zusammen: „Les institutions communales sont à la liberté ce que les écoles primaires sont à la sience“.86 Der „oppositionelle Grundkonsens“ hatte den Gegensatz zwischen Demokraten und Liberalen lange überdeckt, doch mit der Um- und Neudeutung des Republikbegriffs begann er immer schroffer hervorzuteten.87 Paul Nolte argumentiert, dass mit der zunehmenden Emotionalisierung des Republikbegriffs dieser „vormärzliche Erfahrungsrepublikanismus“ sich gezwungen sah, zwischen dem neuen „dogmatischen“ und dem klassischen Republikverständnis zu wählen. Wer sich für Ersteres entschied, schloss sich den neuen Demokraten an; die anderen tendierten zur konstitutionellen Monarchie.88 Eine Mischung wurde immer schwieriger. Ein Beispiel dieses Zwiespalts lieferte etwa Freiherr von Knigge, der sich grundsätzlich als Demokrat bezeichnete, aber in seinen Ansichten doch eher einer konstitutionellen Monarchie nahe stand. 89 Ähnlich erging es Franz Josef Buß, der als junger Mann noch voller Begeisterung für den demokratischen Liberalismus gewesen war. Als er kurz nach seiner Ernennung zum ordentlichen Professor 1837 über die „Démocratie nouvelle“90 reflektierte, war diese jugendliche Begeisterung der Neigung zu einer konstitutionellen Monarchie gewichen. Er resümierte: „Sie [die Demokratie] hat die Sklaverei, die Kastenherrschaft und das Lehnswesen gebrochen, sie […] ist materiell und moralisch in Überzeugung, Gefühl, Willen tiefer gedrun-

84 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 11. 85 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 384. 86 A..d. Tocqueville: Démocratie [1835] (1963), S. 57. 87 U. Backes: Liberalismus und Demokratie (2000), S. 109. 88 P. Nolte: Bürgerideal (1992), S. 654. 89 W. Mager: Republik (1984), 615. 90 F. Dor: Buß (1911), S. 23.

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gen; sie hat die Waffen ergriffen, ist dadurch aber an ihre Grenzen gelangt, welche sie nicht überspringen kann, nicht überspringen soll.“ [Unterstreichung im Original] 91

Republikaner gab es folglich sowohl unter den Demokraten als auch unter den Liberalen. Daher wurde der Begriff ‚Republik‘ je nach Kontext definiert und umgedeutet. Eine vergleichbare Ausdifferenzierung, wenn auch anderen Ursprungs, vollzog sich in den USA während der Ratifikationsdebatte zur Verfassung und in den folgenden Jahrzehnten. Um Jefferson kristallisierte sich eine politische Richtung heraus, die in Anlehnung an den klassischen Republikanismus, der auf der Beteiligung und Selbstverantwortung tugendhafter Bürger basierte, für eine breitere Partizipation argumentierte – nicht zuletzt weil diese die Macht der Zentralgewalt ausgleichen würde. Ihnen entgegen standen die Föderalisten, später die (amerikanischen) Whigs und Nationalisten, die sich in ihrem Republikverständnis an den Traditionen des britischen Liberalismus orientierten. Der vorherrschende republikanische Sprachgebrauch schloss Elemente beider Traditionen ein, so dass sie auch in Amerika niemals gänzlich getrennt voneinander existierten, sondern eher einem ständigen Prozess der internen (Um-) Gewichtung unterlagen. Jefferson selbst etwa, war trotz seines klassischen Ideals keineswegs einer demokratischen Republik zugeneigt und Hamilton betonte neben der starken Exekutive immer auch das Volk als Quell republikanischer Macht. Gerade aber in der Anfangsphase der USA herrschte ein Republikverständnis vor, das weit entfernt war von wirklicher Demokratie.92 James Madison hatte bereits in den Federalist Papers erkannt, dass der Republikbegriff sehr viel Interpretationsspielraum bot. „These examples [of republics i.e. Netherlands, Venice, Poland and England], which are as dissimilar to each other as they are to a genuine republic, shew [sic] the extreme inaccuracy with which the term has been used in political disquisition”.93 Die Feststellung, dass selbst in den USA auch Mitte des 19. Jahrhunderts noch der Begriff ‚Republik‘ kontinuierlich neu ausgehandelt wurde, lässt erahnen, welche Probleme diese Unklarheit für deutsche Beobachter nach sich ziehen musste, die hofften mit Hilfe des transatlantischen Anschauungsmaterials Klarheit in einen fast schon überreizten politischen Komplex zu bringen. Die unterschiedliche Verwendung des Konzepts in den verschiedenen Schriften in Deutschland zeugt davon, dass das Verständnis von Republik sich Mitte des 19. Jahrhunderts in einem „Schwebezustand zwischen seiner klassischen und seiner modernen Bedeutung“

91 Ebd., S. 32. 92 H. Dippel: Wurzeln (1999) S. 38. 93 J. Madison: Federalist Nr. 39 [1788] (1982), S. 228.

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befand.94 Zeitgenossen war die „babylonische[n] Sprachverwirrung“95 bewusst: „Man versteht dieses Wort [‚Republik‘] nicht und eben deshalb, weil man es nicht versteht, wird es zur Förderung vielen Unsinns missbraucht.“96 Ungeachtet der minuziös definierten Zusammenhänge der einzelnen Staatsformen und Regierungssysteme verlor sich die klassische Interpretation von ‚Republik‘ als ein auf Bürgerpartizipation beruhendes, rechtsstaatliches Gemeinwesen.97 Im politischen Sprachgebrauch wurde ‚Republik‘ immer häufiger mit ‚Demokratie‘ gleichgesetzt. Beide glaubte man in Amerika – dem „Hauptsitze der [demokratischen] Staatsform“ – am besten verwirklicht, 98 wodurch mindestens eine Zusammengehörigkeit, wenn nicht sogar eine Deckungsgleichheit der beiden Konzepte nahe zu liegen schien. Wer also Demokrat war, war auch Republikaner, dass es aber auch Republikaner gab, die nicht zwingend Demokraten waren, ging in der öffentlichen Wahrnehmung schnell unter. Julius Fröbel war in seiner 1848 veröffentlichten Flugschrift Königthum und die Volkssouveränität oder Giebt es eine demokratische Monarchie? sehr darauf bedacht, den genauen Unterschied von Demokratie und Republik darzulegen. Sein langfristiges Ziel war eine demokratische Republik, aber den Weg über eine monarchische Republik hielt er für sinnvoll, jedoch sei diese nicht mit einer „monacheische[n] Democratie“ zu verwechseln, denn ein solches Konzept sei widersprüchlich und müsse sich in der Realität auflösen, weil entweder das demokratische oder das monarchische Element überwiege. Er schloss mit den Worten: „Denn diese monarchische Democratie, wäre wirklich eine Democratie, und, obschon nicht jede Republik eine Democratie ist, so ist doch jede Democratie eine Republik.“99 Ursprünglich galt nur die direkte Demokratie, etwa nach dem Vorbild Athens, als wirkliche Demokratie. Die amerikanische Staatsgründung bot einen neuen Ansatz.100 Mit der repräsentativen Demokratie entstand ein neues Demokratieverständnis, das den klassischen Begriff relativierte. 101 In den Federalist Papers nutzte man den Terminus ‚Republik‘, um diese neue Demokratieform von der klassischen abzugrenzen, was die verwirrende Vermischung der beiden

94

P. Nolte: Bürgerideal (1992), S. 645.

95

F. Raumer: Staatsverfassung (1848), S. 165; K. Rotteck: Demokratisches Prinzip (1848), S. 252.

96

A. Ziegler: Licht- und Schattenseiten (1848), S. 71.

97

Ebd., S. 618.

98

R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 500.

99

J. Fröbel: Königthum und die Volkssouveränität (1848), S. 15.

100 H. Dippel: Wirkung (1976), S. 114f. 101 J. Madison: Federalist Nr. 14 [1787] (1982), S. 75.

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Begrifflichkeiten weiter verkomplizierte. 102 „[A] pure Democracy by which I mean a small number of citizens who assemble and administer the Government in person, […]. A republic, by which I mean a Government where the scheme of representation takes place.“103 In Deutschland blieben die genauen Definitionen noch lange Zeit nicht eindeutig geklärt. 1845, nach seiner Rückkehr aus den USA, schrieb Raumer an seinen Bruder: „Die amerikanische Demokratie ist ganz etwas anderes, als was man in Europa darunter versteht, oder was unsere Demokraten in die Welt setzen möchten.“ 104 Er mahnte, diese „sehr merkwürdige Ausnahme (Nordamerika)“ lasse sich nicht übertragen.105 Aus Frankfurt berichtete er besorgt: „Viele reden von Nordamerika und meinen, wenn sie notdürftige Kenntnis einiger Formen jenes Freistaats kennen gelernt haben, sie und ihre Städte und Länder wären dann leicht in Republiken umzuwandeln. Wenn ein hässliche, schiefe Familie in das Museum geht und […] die Aphrodite sehr genau von hinten und von vorne besieht; wird sie hierdurch schön, kommt sie verwandelt nach Hause?“106

Mohl forderte eine genauere Beschäftigung mit Schriften zu den USA. Das Urteil vieler Demokraten sei „instinctmäßig, ohne sich über Zweck oder Mittel klare Rechenschaft zu geben“.107 Im Mangel an wissenschaftlichen Erkenntnissen über die neuartige Form der Demokratie respektive Republik sah er die Gefahr, dass man „beim Abwägen ihrer Folgen und somit bei seinem Entschlusse, sie nach Kräften zu fördern oder zu hindern, […] eine sehr wichtige Rücksicht vernachlässige“.108 Alexis de Tocqueville hatte mit seinem Werk De la Démocratie en Amérique zum europäischen Verständnis von Demokratie im Allgemeinen ebenso viel beigetragen wie zum Wissen über die amerikanische Variante dieser Staatsform. Obgleich er beteuerte, „Amerika war nur mein Rahmen; Demokratie war der Gegenstand“,109 führte die weite Verbreitung seiner Darstel-

102 U. Backes: Liberalismus und Demokratie (2000), S. 112. 103 J. Madison: Federalist Nr. 10 u. Federalist Nr. 39 [1788] (1982), S. 55 u. S. 228. 104 Private Briefe Familie Raumer, Universitätsbibliothek Münster [Raumer an seinen Bruder Karl von Raumer, 22.3.1845]. 105 F. Raumer: Historisch-politische Briefe (1860), S. 110f. 106 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 158f. [Brief vom 2.7.1848]. 107 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 370. 108 Ebd., S. 385; ders.: Entwicklung der Demokratie (1844), S. 308 u. S. 310. 109 G. Pierson: Tocqueville (1938), S. 15 u. S. 74 Endnote 19 [Alexis de Tocqueville an John Stuart Mill].

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lungen vor allem dazu, dass die beiden Konzepte ‚Demokratie‘ und ‚amerikanische Republik‘ noch enger miteinander verschmolzen und die Vereinigten Staaten sich als selbstverständliches Beispiel einer demokratischen Republik etablierten.110 In Deutschland, so fürchtete nicht nur Raumer, würde Demokratie gezwungenermaßen mit „Terrorismus“ einhergehen, 111 Amerika hingegen galt als „die Blüthe des friedlichen Demokratismus“.112 An der amerikanischen Verfassung bewunderte man jedoch gerade den elitäreren Republikanismus, der auf der Partizipation einer sehr genau definierten Gruppe von Bürgern basierte. Die zunehmend breitere Demokratisierung im modernen Sinne sah man mit Sorge.113 Hundshagen hielt diese neuen Tendenzen für Anzeichen einer Degeneration und fragte in einer Flugschrift 1848 mit Blick auf die Amerikaner und ihre Republik: „Sind sie nicht gesunken seit der Zeit, wo die Männer Jefferson, Washington, Franklin gelebt haben?“114 Die radikaleren Republikaner in den USA hatten ihre Ziele nicht aufgegeben, obwohl sie zunächst hatten zurückstecken müssen, als man sich in Philadelphia zwar für ein repräsentatives System, aber ein trotzdem eher limitiertes Wahlrecht entschieden hatte.115 Ereignisse wie die Whiskey Rebellion forderten die politische Auslegung der Verfassung direkt heraus. Oppositionelle Kräfte, etwa in den democratic societies, versuchten immer wieder, Einfluss zu gewinnen, um ihre Vorstellungen von ‚Republik‘ durchzusetzen. Friedrich Heckers Reise nach Amerika im Herbst 1848 bot dafür eine günstige Gelegenheit. Den europäischen, radikaleren Republikvorstellungen sollte auch in den USA Auftrieb verschafft werden. Ein kritischer Beobachter des Hecker-Empfangs in New York berichtete in der Allgemeinen Zeitung: „Endlich ist auch uns der Schamane der deutschen Social-Republik aufgeführt worden […] Warum Hecker hierher, warum er gerade jetzt kam? Dies sind Fragen, die das Wort ‚importiert‘ genügend löst.“116 Diese neuen demokratischen Tendenzen im amerikanischen Republikanismus lehnten in Deutschland freilich gerade diejenigen ab, die Amerika so gern als Beispiel von Mäßigung evozierten. Sie assoziierten derartige Entwicklungen mit dem Chaos der Zweiten Französischen Republik, bei der die ‚übertriebene‘ Volkssouveränität die Wurzel des Übels sei. Zu dem aufgereizten Rahmen des

110 T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 109. 111 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 112 [Brief vom 22.6.1848]. 112 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 372. 113 Ebd.; ders.: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I. 114 F. Hundshagen: Reform nicht die Republik (1848), S.16. 115 Ebd., S. 30. 116 Anonym: Hecker (1848), S. 4874f.

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Hecker-Besuchs, bei dem es zu einigen Unruhen gekommen war, bemerkt der Berichterstatter: „Es setzte blutige Köpfe, blaue Augen, kurz es ging her, als ob das Reich der rothen Republik schon begonnen hätte“.117 Der „von Hecker zusammengetrommelte[n] Crethi und Plethi“, der sein „zu Bürgerkrieg hinweisende[s] Manifest“ bejubelte, hatte Männern wie Raumer und seinen Kollegen schon in Frankfurt große Sorge bereitet.118 Rotteck versuchte in seinem Artikel über das Demokratische Prinzip im Staats-Lexikon zu erklären, dass die Demokratie nicht mit der Republik gleichzusetzen sei, denn Letztere dulde schließlich „die Aristokratie in ihrem Schoß“. Die Aristokratie aber sei das genaue Gegenteil der Demokratie. 119 Hier wird noch einmal deutlich, wie stark das populistische und das staatswissenschaftliche Verständnis von Republik divergieren konnten. Während etwa Rotteck in der Theorie noch immer ‚Republik‘ als Überbegriff für Aristokratie und Demokratie definierte, hatten die so genannten ‚Republikaner‘ – eigentlich ‚demokratische Republikaner‘ – auf den Straßen längst eine explizit „antiaristokratische Stoßrichtung“ entwickelt.120 Sie orientierten sich weder an Großbritannien noch an den Vereinigten Staaten, sondern am französischen Republikverständnis. Dort untermauerte das Gleichheitspostulat die demokratische Auslegung des Republikbegriffs, verlieh den sozialen Aspekten besonderes Gewicht und wandte sich gegen jegliche Art von fürstlicher oder monarchischer Autorität, aber auch gegen die so genannte ‚Geldaristokratie‘ in Amerika.121 Besonders durch die europäischen Einwanderer der 1820er und 30er Jahre gelangte diese Vorstellung einer sozialen Republik verstärkt auch in die Vereinigten Staaten. Hier ging sie entweder in der politischen Bewegung auf, die nach einer breiteren Partizipation strebte, oder aber manifestierte sich in radikalen Auswüchsen. Der Autor, der in diesen Kreisen gerne zitiert wurde, war Thomas Paine. So veröffentlichte John Greis 1849 in Chicago eine Flugschrift mit dem Titel Republik oder Monarchie? Beantwortet durch Thomas Paine’s ‚gesunder Menschenverstand‘ und ‚Menschenrechte‘. 122 Flugblätter wie dieses schickten Einwanderer in Briefen mit nach Hause. Der Einfluss auf Freunde und Familie, den sie damit ausüben konnten, war nicht zu unterschätzen, und daher wurde gerade den radikaleren Bewe-

117 Ebd. 118 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 89, S. 133 u. S. 106f. [Briefe 15., 27., 19.6.1848]. 119 K. Rotteck: Demokratisches Prinzip (1848), S. 256. 120 W. Mager: Republik (1984), S. 626 u. S. 628. 121 H. Reinalter: Republikbegriff (1999), S. 23. 122 J. Greis: Republik oder Monarchie? (1849).

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gungen in Amerika, die nicht selten explizit revolutionäre Aktionen für Europa und Deutschland forderten, in der Wahrnehmung deutscher Regierungen sehr viel mehr Aufmerksamkeit beigemessen als sie in der politischen Realität der USA tatsächlich hatten. Der Korrespondent der Allgemeinen Zeitung, der über Heckers Amerikabesuch berichtete, war sehr darauf bedacht, deutlich zu machen, dass es leicht sei, mit der richtigen Rhetorik die Stimmung gegen die europäischen Fürsten aufzuheizen, so dass die Menge am Abend nach Hause ginge und sich „des in effigie und par distance vergossenen Tyrannenblutes“ erfreuen könne. Handfeste Konsequenzen seien jedoch nicht zu erwarten, denn „Geschrei […], Hurrahs, Beifallssturm und all dieses massenweise hier zu habende politische Handwerkszeug ist ohne alle Bedeutung“, versicherte er und betonte abschließend: „Die einflussreichen deutschen Bürger haben sich von dem Hecker Humbug durchaus fern gehalten.“123 Eine seltsame Bekanntmachung, die am 10. Januar 1849 in der deutschsprachigen US-Zeitung Philadelphia Demokrat erschien, schlug in den politischen Kreisen der deutschen Staaten ähnliche Wellen wie die Reise Heckers. Ludwig Wollenweber, Autor und Herausgeber des Blattes, klagte wortreich die „ungerechten Gewalthaber, Kaiser, Könige und Fürsten aller Art“ an und erklärte, er „sehe kein anderes Mittel, diese Todfeinde der Menschheit zu vertilgen, als dass wir Deutsch-Amerikaner und unsere gleichgesinnten Freunde denjenigen Belohnungen aussetzten, welche auf irgendeine Weise die Regenten unschädlich machen werden.“ Daran anschließend versprach er: „Die Preise welche auf die Königsköpfe gesetzt werden sollen Folgende sein Auf den Kaiser Franz Josef setzen wir einen Preis von

25.000 Fl.

Auf den König Friedrich Wilhelm 4.

20.000 ’’

Auf jeden König, Churfürsten, Herzog

10.000 ’’ “124

Mehrere Exemplare dieser Ausgabe des Philadelphia Demokrat gelangten in Briefen nach Deutschland und fielen dort den Behörden in die Hände. Aus Württemberg und Hannover sind Schreiben der lokalen Regierungen überliefert, die sich besorgt an die Frankfurter Zentralgewalt wandten.125 Man forder-

123 Anonym: Hecker (1848), S. 4874f. 124 L.A. Wollenweber (Hg.): Philadelphia Demokrat (1849). 125 E50/01, Hauptarchiv Stuttgart [Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten betr. Württembergische Bundesgesandtschaft in Frankfurt a. M. 1806-1866]; Ha Des. 104a. II.9. 11.5a., Nr. 18., Nr. 51 u. Nr. 52, Preussisches Staatsarchiv Hannover [nur noch auf Mikrofilm in der LOC].

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te eine genaue Untersuchung der Zusammenhänge durch den deutschen Gesandten in den USA und regte außerdem an, die Verbreitung amerikanischer Zeitschriften in den deutschen Staaten grundsätzlich zu unterbinden oder zumindest strenger zu kontrollieren.126 Auf den letzteren Vorschlag ging man in Frankfurt nicht ein. Aus dem Reichsministerium des Inneren hieß es, man sei der Ansicht, „dass auf dem Wege der Öffentlichkeit solche schädliche Ausschreitung der Partheiwuth am wirksamsten in den Augen des Volkes selbst gerichtet und vollkommen unschädlich gemacht“ würde.127 Dennoch wurde der Gesandte der Zentralgewalt in Washington, Friedrich Ludwig von Rönne, angewiesen, die Hintergründe in Amerika genauer zu ergründen, was er ohnehin auf eigene Initiative hin bereits getan hatte. Er berichtete, „Herr Wollenweber soll ein ganz obskurer Mann in Philadelphia seyn“, und beruhigte seine Vorgesetzten, dass Derartiges bei „Saufgelagen in den Bierhäusern als gemeine Späße aufs Tapet“ gebracht würde und „beinahe kein einziges anständiges Blatt“ in Amerika auf die Proklamation eingegangen sei. Selbst ein „leidenschaftliches republikanisches Blatt“ aus Cincinnati habe die Angelegenheit nur missbilligend erwähnt. Alles in allem, schloss Rönne, habe Wollenweber, der ein „ganz gemeiner Mensch“ sei, hauptsächlich darauf abgezielt, „in den deutschen Blättern Lärm damit zu machen“.128 Anders als viele der radikaleren Deutsch-Amerikaner hofften, propagierte in Deutschland nur eine Minderheit unter den Demokraten, Welcker nannte sie „Neurepublikaner“, 129 die schnelle und bedingungslose Einführung einer antimonarchischen, demokratischen Republik.130 Beim Demokratenkongress im Juni 1848 war man darauf bedacht, dieses Ziel begrifflich sehr genau zu definieren und von der „demokratischen Republik“131 oder der „konsequenten Demokratie“ zu sprechen. 132 In der Paulskirche führte der Abgeordnete Friedrich Jacob Schütz, später Politiker in den USA, den mangelnden Rückhalt seiner Partei in der deutschen Bevölkerung darauf zurück, dass in Deutschland republikanisches Gedankengut so lange unterdrückt worden sei, dass man keine weit verbreitete Kenntnis des Konzepts erwarten könne. Tatsächlich wolle das Volk eine Repu-

126 E50/01 (93) Hauptarchiv Stuttgart [Erlaß an d. k. Gesandtschaft in Frankfurt vom 10.3.1849]. 127 E50/01 (94), Hauptarchiv Stuttgart [Bericht der kgl. Gesandtschaft vom 18. 3. 1849]. 128 DB-60/34, BA Koblenz [Rönnes Bericht vom 17. 3. 1849 u. 19. 5. 1848]. 129 C.T. Welcker: Nachtrag (1848), S. 525. 130 W. Mager: Republik (1984), 626. 131 G. Becker: Demokratenkongresses (1973), S. 388. 132 H. Fenske: Tendenzen (1999), S. 134.

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blik, argumentierte er, es könne nur „nicht den richtigen Ausdruck für seine Wünsche finden“.133 Ähnlich argumentierte 1849 auch das Politische Taschenwörterbuch unter dem Eintrag Demokratie. Der Autor schwärmte, mit dem Jahr 1848 sei nun aber „diesem Verdummungssystem ein Ende“ gemacht und „ein so gewaltiger Funke der Aufklärung ins Volk geschleudert […], der nun unaufhaltsam fortlaufen wird“.134 Mohl stellte schon 1836 Überlegungen zu den demokratischen Tendenzen in Europa an, als er sich in der Kritischen Zeitschrift mit Alexis de Tocquevilles Studie De la Démocratie en Amérique auseinandersetzte. 135 Darin unterschied er zwischen einerseits dem Republikverständnis, dem die USA bei ihrer Gründung entsprachen, und andererseits dem zunehmend demokratisierten System, das Tocqueville beschrieb. Ersteres lobte und bewunderte er, Letzteres hingegen hielt er für gefährlich, besonders mit Blick auf Europa. Der Versuch, an der klassischen staatstheoretischen Konzeption von Republik festzuhalten, wurde zu einem Problem der Revolution in Deutschland, denn in Amerika, das man als Beispiel nutzen wollte, hatte sich das Verständnis gewandelt und war damit der demokratischen Republik näher gekommen, die für Europa zu radikal erschien. Mohl erkannte rückblickend in der Abfolge der amerikanischen Präsidenten von Jefferson bis Jackson und in der Ausweitung des Wahlrechts eine Radikalisierung in der Tendenz, „dem demokratischen Strome zu folgen, und möglichst die ihm entgegenstehenden Dämme zu beseitigen, kurzer persönlicher Beliebtheit wegen“.136 Diese Entwicklung beobachtete er sehr kritisch und merkte an anderer Stelle an, dass „der Gedanke der Volksherrschaft in den Vereinigten Staaten“ sich seit der Unabhängigkeit entschieden gewandelt habe: „[Der] neuen Auffassung von Demokratie ist bereits eine ganze Reihe von Staatseinrichtungen zum Opfer gefallen, welche die Gründer […] für unerlässlich, und zwar zum Schutze einer vernünftigen und gesetzlichen Freiheit, erachtet hatten“. 137 Eine Entwicklung, die auch Robert von der Goltz nicht entgangen war. 1848 in einem als Flugschrift veröffentlichten Verfassungsentwurf, der sich stark an dem amerikanischen Modell orientierte, räumte er ein, „dass die Institutionen dieses Landes [USA] seinen besonderen Verhältnissen zwar nicht mehr so vollständig wie

133 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VI, S. 4704 [Friedrich Jacob Schütz, 15.1.1849, 153. Sitzung]. 134 C.F L. Hoffmann: Wörterbuch (1849), S. 51. 135 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 359ff. 136 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 496f. u. S. 508. 137 Ebd.; S. 506f.

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vor 40 und 60 Jahren“ entsprächen, „für jetzt aber noch Fortschritt und Freiheit seiner Bevölkerung“ gewährleisteten.138 Die Einstellungen der Founding Fathers, die einst als vorbildliche Republikaner gegolten hatten, muteten angesichts der neuen „neudemokratischen Elemente“139 eher elitär an, was jedoch vielen deutschen Liberalen im Grunde zusagte. Man hielt am (alten) amerikanischen Republikverständnis fest, das jeder Radikalität entbehrte, und beurteilte die neuen Entwicklungen der Jacksonian Democracy kritisch.140 Auf dem Demokratenkongress 1848 in Berlin war man hingegen gerade von den neuen Tendenzen in den USA begeistert. Das Sternenbanner wehte neben der französischen Flagge und deutsch-amerikanische Vertreter waren aus Cincinnati, New York und Philadelphia angereist.141 Generell lässt sich sagen, dass die deutschen Demokraten Amerika demokratischer, viele der Liberalen und Konservativen es elitärer einschätzten als es zu jener Zeit tatsächlich war.142

„V OR

DER H AND IST ES NOCH ETWAS UTOPISCH , VON EINER R EPUBLIK IN D EUTSCHLAND ZU SPRECHEN “ Die Liberalen, die darauf bedacht waren, die öffentliche Ordnung zu sichern, warnten vor einer überstürzten Einführung der Republik oder gar der Demokratie und vertraten stattdessen die konstitutionelle Monarchie oder auch – staatstheoretisch definiert – die „republikanische Monarchie“. 143 Einigen schien es schlichtweg die beste Möglichkeit, Monarchie und Volkssouveränität zu vereinen, andere sahen darin eine Übergangslösung bis das Volk die politische Reife erlangt habe, sich selbst zu regieren. Daraus resultierte allerdings umso mehr Verwirrung, als sich komplexe Verfassungsentwürfe und implizite Zeitvorstellungen nicht auf gängige Schlagworte reduzieren ließen, wie sie in der aufgeheizten Stimmung zur Mitte des Jahrhunderts immer gefragter wurden. In der Öffentlichkeit mussten die Fronten plakativer gezogen werden. Heckers Freund Gustav Struve etwa, der seinen privaten Unterlagen zufolge durchaus der konstitutionellen Monarchie als Übergangslösung zustimmte, äu-

138 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 4. 139 Anonym: Bruchstücke (1848), S. 4895. 140 E. Angermann: Frühkonstitutionalismus (1974), S. 21. 141 G. Becker: Demokratenkongresses (1973). 142 H. Reiter: Amerikabilder (1992), S. 80. 143 D. Langewiesche: Grundprobleme (1980), S. 542.

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ßerte sich bekanntermaßen in Flugschriften und Zeitungsartikeln entschieden radikaler und gab sich explizit demokratisch.144 Zum Zeitpunkt der Revolution arbeitete die große Mehrheit aller Abgeordneten der Paulskirche auf eine konstitutionelle Monarchie hin. Eduard Strache gestand 1849 in der Paulskirche seinen Kollegen ein: „[M]eine Herren, vor der Hand ist es noch etwas utopisch, von einer Republik in Deutschland zu sprechen.“145 In der Nationalversammlung seien sie berufen, „nicht Ideale zu realisieren, sondern als praktische Männer zu handeln“, mahnte Vincke, selbst wenn „in der Abstraction die Republik die idealste Staatorganisation“ sei, müsse man sich „an das halten, was überhaupt möglich ist“.146 Viele versuchten auch den Begriff der ‚Republik‘, besonders auf Grund der hauptsächlich durch Emotionalisierung bedingten Ungenauigkeit, zu umgehen oder zumindest zu relativieren, was wiederum für amerikanische Beobachter nur schwer nachzuvollziehen war. Der amerikanische Botschafter in Wien, William Stiles, erinnerte sich etwas verwundert: „The word republic was studiously avoided.“147 Möring legte seine Position in der Paulskirche dar: „Wenn ich einmal diese Genien [wie die amerikanischen Founding Fathers] in Deutschland finden werde, dann, aber erst dann will auch ich die Republik unterschreiben; […] Ich verstehe die Republik, bin aber kein Republikaner.“148 Carl Salomon Zachariä erklärte bereits in einem 1832 erschienenen Artikel, die Verfechter einer konstitutionellen Monarchie als Übergangslösung müssten sich vor allem von der „Parthei der Republikaner“ abgrenzen, während es in seinen Augen für sie durchaus legitim sei, sich so zu gerieren, als ob sie „mit der [Partei] der Royalisten gemeinsame Sache machte“.149 Wer aber politische Veränderung forderte, ohne sich grundsätzlich und langfristig für eine konstitutionelle Monarchie auszusprechen, der wurde in der öffentlichen Wahrnehmung schnell zum radikalen Republikaner, egal ob er diese Staatsform unmittelbar einführen wollte oder nur in der Zukunft nicht für ausgeschlossen hielt. Dabei zeigte sich die Vielfältigkeit der so genannten ‚Republikaner‘ beispielsweise bei der Wahl des Reichsoberhaupts in der Paulskirche, bei der die eigentlich republika-

144 H. Fenske: Tendenzen (1999), S. 134. 145 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VI, S. 4746 [Eduard Strache, 16.1.1849, 153. Sitzung]. 146 Ebd., Bd. V, S. 4088 [Georg von Vincke, 4.12.1848, 128. Sitzung]. 147 W. Stiles: Austria (1852), S. 152. 148 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 433 [Carl Möring, 21.6.1848, 20. Sitzung]. 149 C.S. Zachariä: Europa’s Zukunft (1832), S. 356.

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nische Linke keineswegs einheitlich stimmte.150 Aber zu groß war die Angst vor einer Entgleisung der Demokratie, zu eng die Assoziation von ‚Republik‘ mit ‚Revolution‘, als dass differenzierte Schattierungen in der Öffentlichkeit berücksichtigt worden wären. Die Republik sei „der Wuwutz, den man den politischen Kindern an die Wand gemalt hat“, klagte Vogt in der Nationalversammlung, aber er hoffe, „wenn die politischen Kinder einmal mündig geworden sind, werden sie sich vor dem Wuwutz nicht mehr fürchten“.151 Ebenso wie Mitte des 19. Jahrhunderts die Begriffe ‚Demokratie‘ und ‚Republik’ emotionalisiert wurden und visionäre Assoziationen hervorriefen, hatte jenseits von staatswissenschaftlicher Ausdifferenzierung auch das Konzept ‚Monarchie‘ einen festen Platz in den verschiedenen Weltvorstellungen der Deutschen. Wenn Raumer von ‚Monarchie‘ sprach, hatte er stets das Beispiel Preußens vor Augen. Trotz der früheren Unstimmigkeiten war er voll Sympathie, Bewunderung und Vertrauen für den preußischen König Friedrich Wilhelm IV.152 Vor diesem Hintergrund argumentierte er, die Qualität einer Monarchie hänge nicht vom „objektiven Werthe der Form“ ab, sondern vom Charakter des Monarchen und seinem „subjektiven Verhältnis zu den Personen“.153 Vehement verneinte er darüber hinaus die Möglichkeit einer Monarchie in den USA.154 Die amerikanischen Staaten seien in dem gleichen Maße tief republikanisch geprägt wie die meisten deutschen Staaten eindeutig monarchisch. Diese Bindung Raumers an das preußische Königshaus und seine Einschätzung der Situation in Deutschland, ist bezeichnend für eine weit verbreitete Grundeinstellung, die in Deutschland durch das 19. Jahrhundert hindurch die Monarchie aufrechterhielt. Abeken arbeitete in seiner 1848 veröffentlichten Flugschrift vor allem heraus, welche Bedeutung die Mentalität eines Volkes für seine Staatsform habe. Er schloss, dass „das was durch die ganze deutsche Geschichte hin als Norm gegolten hat auch jetzt wieder aufgefasst und erweitert werden muss“.155 Für einen rechtstaatlich konstituierten Staat sei letztlich nicht entscheidend, argumentierte er weiter und folgte dabei der staatstheoretischen Definition von ‚Republik‘, ob die Exekutive mit einem Monarchen oder einem Präsidenten besetzt würde.

150 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd VII, S. 4800ff. [19.1.1849, 155. Sitzung]; H. Fenske: Tendenzen (1999), S. 121. 151 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 506 [Carl Vogt, 23.6.1848, 22. Sitzung]. 152 F. Raumer: Städteordnung (1828); ders.: Lebenserinnerungen (1861). 153 F. Raumer: Spreu (1848), S. 238 [Nr. 758]. 154 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. II, S. 5 [Brief vom 14.10.1848]. 155 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 34.

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Raumer sprach sich gegen die Bezeichnung ‚Präsident‘ für das zukünftige Oberhaupt aus, weil ihm „das fremde Wort und der republikanische Hintergrund missfiel“. 156 Die Bedeutung von Terminologien verkannte auch Abeken nicht und fragte: „Hat denn das bloße Wort König oder Krone eine solche Gewalt, um alle Freiheit zu vernichten?“ Zur Illustration seines Arguments verwies er geschickt auf England. 157 Mittermaier erklärte einem Freund in Amerika: „Das deutsche Volk ist durchaus dem monarchischen Prinzip ergeben u. alle Kämpfe von denen Sie hören gehen nicht auf die Republik sondern nur auf die Begründung einer wahren Constitutionellen Monarchie.“158 Die historische, emotionale Bindung an das Konzept ‚Monarchie‘, wie etwa Abeken und Mittermaier sie betonten, war ein entscheidender Faktor für die Durchsetzung der konstitutionellen Monarchie gegenüber der Republik. Auch wenn Vogt versuchte, seine Kollegen in der Paulskirche zu überzeugen, „wir sind geborene Republikaner und bilden uns ein Monarchisten zu sein“.159 Angesichts der Tatsache, dass, abgesehen von der kleinen Gruppe Demokraten, während der Revolution selbst die so genannten ‚Republikaner‘ zum großen Teil eine konstitutionelle Monarchie favorisierten, drohte dem monarchischen Prinzip, anders als etwa in Frankreich, zu jener Zeit in Deutschland nie eine ernsthafte Gefahr.160

P ARTIZIPATION Eine Vertretung des Volkes gehörte zum modernen Verständnis von ‚Republik‘ eindeutig dazu. Murhard wies explizit darauf hin, dass durch das Beispiel der USA „die Lehre der Volkssouveränität, die in Europa nur ein abstracter, staatsrechtlicher Begriff war, ihre feste sowohl geschichtliche als rechtliche Begründung“ erhalten habe.161 Die Möglichkeit, die königliche Gewalt vertraglich so-

156 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I (1849), S. 140 [Brief vom 28.6.1848 – an dieser Stelle war allerdings eher Frankreich der Referenzrahmen]. 157 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 34. 158 Francis Lieber Papers, Box 57, Huntington Library Pasadena [Carl Anton Mittermaier an Francis Lieber, 18.11.1832]. 159 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 506 [Carl Vogt, 23. 6. 1848, 22. Sitzung]. 160 H. Brandt: Repräsentation (1968), S. 36; D. Langewiesche: Republik und Republikaner (1993), S. 43. 161 F. Murhard: Volkssouveränität (1832), S. 310.

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wohl zu legitimieren als auch zu beschränken, war seit Hobbes und Pufendorf in Deutschland eine verbreitete Theorie, dennoch konnte sie „den für sie [damals noch] tödlichen Verdacht, dem antimonarchischen Prinzip der Volkssouveränität Vorschub zu leisten, nie völlig von sich abstreifen“.162 Während des 18. Jahrhunderts hatte sich die Monarchie zwischen der absoluten und der durch die Generalsstände beschränkten Variante bewegt. 163 In einem Rekurs auf diese vormodernen Repräsentationsvorstellungen versuchte Bromme noch 1848 eine Verbindung zwischen einer monarchischen Exekutive und der Volkssouveränität herzustellen: Die deutschen Fürsten seien schließlich für das Volk „die personifizierte, die verkörperte Idee dieser Souveränität […] sie sind über jede Revolution erhaben, denn sie sind die Leiter, die Vollführer des Volkswillens“.164 Die Zeit der ständischen Vertretungen aber war vorbei. Rotteck unterschied explizit zwischen den früheren, feudalen Ständevertretungen und den neuzeitlichen Volksvertretungen.165 Damit war jedoch nicht zwingend eine breite demokratische Repräsentation gemeint, denn wer das Volk war, wie es seine Vertreter wählen sollte und welche Autorität es diesen übertrage konnte, waren die Fragen, an denen sich die Geister schieden. Hier verlief eine zentrale Trennlinie zwischen demokratischen und liberalen Republikanern – obgleich die Grenzen fließend blieben.166 Julius Fröbel merkte 1848 an, dass sich spätestens durch die revolutionären Bewegungen eine „Anerkennung des Gedankens der Volkssouveränität“ in Deutschland durchgesetzt habe, man jedoch jetzt „auf sein richtiges Verständnis den größten Nachdruck legen“ müsse, um zu vermeiden, dass die politische Gegenseite sich den Begriff zu eigen mache und damit das revolutionäre Potenzial verloren ginge.167 Für Friedrich von Raumer war Volkssouveränität ein „verworrene[s]“ Konzept, das er jedoch nicht gänzlich ablehnte.168 Es bedeute nicht, schrieb er 1848, wie es die „Maul- und Fausthelden“ in Europa – besonders in Frankreich – definierten, „daß ihr Belieben das höchste täglich aufzustellende, abzuändernde, wegzuwerfende Gesetz sei“. Diese „so genannte französische Volkssouveränität“ sei der „vollkommene Gegensatz der ameri-

162 H. Boldt: Monarchie (1978), S. 208. 163 Ebd., S. 176. 164 T. Bromme: Beantwortung (1848), S. X. 165 V. Hartmann: Repräsentation (1979), S. 89. 166 D. Langewiesche: Grundprobleme (1980), S. 542 u. S. 544; W. Mager: Republik (1984), S. 623; D. Langewiesche: Republik und Republikaner (1993), S. 44. 167 J. Fröbel: Königthum und die Volkssouveränität (1848), S. 4. 168 F. Raumer: Historisch-politische Briefe (1860), S. 77.

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kanischen“.169 Die negative Beurteilung der amerikanischen Politik, die sich in so vielen Berichten europäischer Reisender fände, erklärte Raumer in seiner Nordamerikastudie, rühre daher, dass sie, „wenn von Souveränität des Volkes die Rede ist, nicht an die wohlgeordnete, bewährte in den Vereinigten Staaten; sondern an die Pöbelaufstände in einigen europäischen Hauptstädten“ dächten. 170 Ähnliche Vorkommnisse in Amerika, wie etwa das Auftreten von Lynchjustiz in New York, verharmloste er als vereinzelte Ausnahmen „frecher Anmaßung“.171 Noch 1868 verwies Raumer auf die „steigende demokratische Bedeutung der Massen“. 172 Voraussetzung war aber auch für ihn schon 1848 eine politische Mündigkeit des Volkes, die er in Deutschland nicht sah, wo man an der „französischen“ Auslegung festhielte und „Fenster zum Beweise der Volkssouveränität eingeworfen“ würden. 173 Gegen diese Einstellung vieler Abgeordneter wandte sich Friedrich Rödinger in der Nationalversammlung und erntete Beifall besonders vonseiten der Linken: „In jeder Bewegung, in jedem Crawall den Ausdruck der Volkssouveränität, die Anmaßung der Volkssouveränität zu sehen, scheint mir sehr unrichtig und ein Verkennen der Revolution zu sein, von der wir leben, weben und sind!“174 Die politische Reife im Volk war eine zentrale Prämisse für ein höheres Maß an Partizipation. Auch in Amerika hatte sich diese während der Kolonialzeit erst entwickeln müssen, so Tocqueville.175 In Europa jedoch, diesbezüglich war sich die Mehrheit der Staatstheoretiker des Vormärz einig, war diese Reife noch nicht ausreichend gegeben. Rotteck riet daher, „nach dem heutigen Zustande der europäischen Civilisation, die Einherrschaft überhaupt in diesem Weltteile noch für die Länge zu erhalten“.176 Die äußeren Gegebenheiten hielten Männer wie Mohl für nicht ganz unbedeutend im Blick auf die politische Reife eines Volkes. Wie sonst sei es möglich,

169 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 159 [Brief vom 2.7.1848]. 170 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 269. 171 Ebd., Bd. I, (1845), S. 489. 172 F. Raumer: Nachlaß (1869), Bd. I, S. 288. 173 F. Raumer: Briefe aus Frankfurt und Paris (1849), Bd. II, S. 380 [Brief vom 9.4.1849]. 174 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 4078 [Friedrich Rödinger, 4.12.1848, 128. Sitzung]. 175 A. d. Tocqueville: Demokratie in Amerika [1835] (1985), S. 47. 176 K. Rotteck: Monarchie (1848), S. 164.

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fragte Mohl, dass die deutschen Einwanderer in Amerika problemlos am dortigen politischen Leben teilnehmen konnten.177 Ebenso wichtig aber war die politische Bildung eines Volkes, die allerdings kontrovers diskutiert wurde, da manche Staatswissenschaftler und Politiker bei einer breiteren Volksbildung problematische Folgen befürchteten. Nach der Einschätzung Carl Anton Mittermaiers wurde diese Gefahr bereits in der Paulskirche erkennbar: „[D]as Dasein so vieler Abgeordneter, die keine politische Bildung mitbringen, erweckt große Besorgnisse.“178 Mit Blick auf Amerika warnte Mohl vor zu viel Gleichheit in der Bildung, denn eine Nivellierung der Eliten könne zu dem Verlust hierarchischer Ordnungsstrukturen führen.179 Bei einer zu breiten Basis der Bildung, fügte Mohl hinzu, müsse außerdem auf Dauer das Niveau Schaden nehmen.180 Er kam zu dem Schluss, dass in Amerika „eine Hauptstütze der demokratischen Gleichheits- und Freiheitsideen“ in der „intellectuellen Gleichheit und in der weder sehr tiefen noch idealen Bildung“ des amerikanischen Volkes zu finden sei, was er Deutschland, das sich seiner Kultur und Wissenschaft rühmte, nicht wünschen wollte. Bei den Erwägungen zu einer Ausweitung der Partizipation sahen die gemäßigten Staatstheoretiker in ihren Betrachtungen des amerikanischen Beispiels zum Teil grundsätzliche, auf jeden Fall aber für Deutschland unüberwindbare Probleme und Gefahren. Mahnend mögen auch die Worte Tocquevilles geklungen haben, der aus seinen Studien zur amerikanischen Demokratie folgendes Fazit zog: „Je mehr man das Wahlrecht erweitert, um so größer wird das Bedürfnis, es noch weiter auszudehnen; denn jedes neue Zugeständnis stärkt die Kräfte der Demokratie und ihre Forderungen wachsen mit neuer Macht.“181 Die Frage, ob mit Hilfe von Repräsentation die „Neigung zur allmählichen Uebertreibung des Grundsatzes der Volksherrschaft“ zu zügeln sei, beschäftigte Mohl in einem Artikel, den er erstmals 1844 veröffentlichte.182 Er legte zunächst zwei Punkte dar, in denen Repräsentation tatsächlich vor radikalen Ausartungen der Volksherrschaft schützen könne. Die Vertreter seien weniger zahlreich, was

177 K. Beyme: Mohl. Politische Schriften (1966), S. XXXVIIf. 178 Francis Lieber Papers, Box 57, Huntington Library Pasadena [Brief an Lieber, 3.8.1848]. 179 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik(1860), Bd. I, S. 499. 180 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 377. 181 A.d. Tocqueville: Demokratie in Amerika [1835] (1985), S. 48. 182 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S.493 [überarbeitete Version des Artikel: Entwicklung der Demokratie in Nordamerika und der Schweiz (1844)].

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die Verhandlungen effektiver und übersichtlicher mache und die Gefahr von „leidenschaftlichen, unüberlegten und selbst schreiend ungerechten Beschlüssen“ verringere. Die Macht der Vertreter werde ihnen nur temporär übertragen, wodurch ihr Zuständigkeitsbereich klar eingegrenzt sei und sie sich in ihren Handlungen dem Volk gegenüber verantwortlich zeigen müssten.183 Die Gefahren aber hielt Mohl für gravierender. Die Abhängigkeit von den Wahlen etwa führe dazu, dass die Kandidaten der Menge nach dem Mund redeten. Die Macht der Mehrheit sei folglich nicht wirklich gebrochen. Die Presse als ein zentrales Instrument der Meinungsbildung erhalte in diesem Zusammenhang ein Potenzial, das Mohl gefährlich erschien. Er schloss daher, dass die repräsentative Demokratie „keine genügende Sicherheit gegen einen gewaltthätigen Missbrauch der Gewalt durch ihre Inhaber, nämlich die Mehrheit“, sein könne.184 Die Souveränität des Volkes in den Vereinigten Staaten, wo sie „lauter Gutes, nicht das mindeste Böse oder Verkehrte bewirkt“ habe, wurde gerne herangezogen.185 Hier, glaubten viele Staatswissenschaftler wie gemäßigte Politiker, sei die erforderliche Reife vorhanden, die den Deutschen noch fehle. Duden glaubte beobachtet zu haben, dass sich die Bevölkerung in den USA „nicht nur besser betrage als die Mehrheit irgend eines anderen Volkes, sondern auch bessere Einsichten habe“.186 Georg von Vincke vertrat in Frankfurt die Meinung, dass nicht einmal „in Jahrhunderten in Europa eine Republik möglich ist“. Anders in den USA, dort habe man schließlich „seit Jahrhunderten einen angeerbten Sinn für Recht und Gesetzlichkeit“.187 Die Bürger der Vereinigten Staaten seien es „gewohnt, Gesetze zu befolgen“, hatte auch Raumer zu berichten und lobte besonders die verbreitete Akzeptanz der Maxime, dass man sich auch einer Verfassung „unterordnen“ müsse. Kurz, er war der Ansicht, „[i]n dem staatsrechtlichen Sinne in dem es in Amerika ein Volk gibt, ist noch niemals eins auf Erden da gewesen“.188 Montesquieus These, es sei nur möglich, in kleinen Staaten Republiken zu gründen, die direkte Bürgerpartizipation gewährleisteten, sah man durch das amerikanische Beispiel widerlegt. 189 In Europa begann man, sich mit dem

183 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 498. 184 Ebd., S. 499. 185 F. Murhard: Volkssouveränität (1832), S. 308. 186 G. Duden: Selbstanklage (1837), S. 23f. 187 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 442 [Georg von Vincke, 21.7. 1848, 21. Sitzung] 188 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 334. 189 „S.“ [möglicherweise Wilhelm Schulz]: Demokratie (1848), S. 244.

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Schlüsselkonzept ‚Repräsentation‘ auseinanderzusetzen.190 Ranke legte dar, dass – im amerikanischen Sinne interpretiert – das Konzept bedeute, dass „jeder meinte dazu ein Recht zu haben, der Regierung zu widerstehen, in welcher er nicht repräsentiert sei“. Eine solche Auslegung untermauerte die enge Verknüpfung mit der Republik, denn „von dieser Idee der Repräsentation bis zur Republik war [es in den USA] nur noch ein Schritt“.191 Friedrich Christoph Dahlmann stellte fest, dass die Repräsentation noch nicht ausreichend theoretisch untersucht sei, und man sich daher an praktisch funktionierende Beispiele halten müsse.192 Für ihn war Großbritannien in diesem Fall das beste Modell. Eine nahe liegende Wahl, wenn man bedenkt, dass der englische Staatstheoretiker James Harrington als „Erfinder der reinen und gleichen Repräsentation“ gelten kann.193 Andere aber blickten auch hier über den Atlantik.194 Carl Theodor Welcker hatte 1831 auf Amerika verwiesen, als er im badischen Landtag „Nationalrepräsentation beim Deutschen Bund“ gefordert hatte. Ebenso seine Kollegen Friedrich Daniel Bassermann, 1848 ebenfalls in Baden, und Heinrich von Gagern im hessischen Landtag.195 Viele der Frühliberalen sahen in der Volksrepräsentation eine Absicherung der bürgerlichen Freiheit, für den Fall, dass die Regierung ihre Macht missbrauche. Rotteck legte zwei Kernfunktionen fest. Zum einen galt es, den Willen des Volkes zu artikulieren, zum anderen, ihn aktiv gegenüber der Regierung, zu der er nach wie vor in einem schwer aufzulösenden Dualismus stand, zu vertreten.196 Damit sollte sichergestellt werden, dass „eine dem entschiedenen Volkswillen und Volksinteresse beharrlich widerstrebende Regierung nicht mehr möglich ist“.197 Ursprünglich waren die Repräsentanten des Volkes gegenüber den Herrschern nur mit „negativen“ Rechten versehen.198 Die direkte Beteiligung an der Regierung wurde ihnen nicht zugestanden, sondern ihre Rolle auf eine beratende Funktion beschränkt. Der Monarch behielt weiterhin die „gesamte Staatsgewalt

190 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 20. 191 L. Ranke: Epochen der Geschichte (1854), S. 413. 192 V. Hartmann: Repräsentation (1979), S. 63. 193 A. Riklin: Mischverfassung (2006), S. 18. 194 N. Fuchs: Theorie Friedrich Murhards (1973), S. 307. 195 E. Angermann: Frühkonstitutionalismus (1974), S. 19f. 196 V. Hartmann: Repräsentation (1979), S. 89. 197 P.A. Pfizer: Liberal, Liberalismus (1840) [ältere Ausgabe zit. n. H. Boldt: Monarchie (1978), S. 196]. 198 R. Mohl: Württemberg (1840), zit. n. V. Hartmann: Repräsentation (1979), S. 99.

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und ihre Anwendung im einzelnen Falle“.199 Ein Mandat wurde folglich nicht als imperativ verstanden, denn wenn der Volksvertretung nur ex negativo definierte Rechte zukamen, sie also nur beriet, aber nicht entschied, gab es keine Handlungen, für die ein imperatives Mandat notwendig gewesen wäre. 200 Dieses Verständnis des politischen Mandats hielt sich auch nachdem die Volksvertreter tatsächlich Entscheidungsgewalt übernommen hatten. Im März 1849, als Raumer sich gegenüber einem seiner Wähler verteidigen musste, erklärte er, „das Geschäft, das Mandat des Wahlmannes ist lediglich zu wählen, nicht aber einzelne Aufträge zu erteilen“. Andernfalls, so argumentierte er weiter, würde man „Begriff und Nutzen der Repräsentation aufheben und die Volkssouveränität auf eine Weise geltend machen, die selbst Demokraten nicht wollen“. 201 Er wies zwar an dieser Stelle nicht ausdrücklich auf die Verhältnisse in Amerika hin, aber in seinem Buch hatte er das Prinzip der dortigen Repräsentation in ganz ähnlichen Worten erörtert. Es sei nicht notwendig, dass die Wähler „Anweisungen“ gäben, denn die „Ansichten und Grundsätze des Erwählten“ sollten ihnen bekannt sein, bevor sie ihre Stimme abgäben.202 Die Unruhen im Sommer 1848 hielt er für ein Indiz mangelnder Akzeptanz der Nationalversammlung im Volk. Fast sarkastisch setzte er nun in seinen Briefen die „breiteste Grundlage“, auf der die Wahl der Repräsentanten beruhen solle, in Anführungszeichen, leitete daraus jedoch keineswegs einen Legitimationsverlust ab.203 In seinem ständisch-liberalen Weltbild konnte das Volk komplexe politische Zusammenhänge nicht nachvollziehen und musste daher wirkliche Entscheidungen seinen Vertretern überlassen. Er bleib bei seiner Ansicht: „Die Menge fühlt in der Regel richtig das Dasein von Uebeln und ihre Klagen sind deshalb ernstlich zu berücksichtigen“, sie kenne jedoch meistens nicht „den Grund und die Heilmittel“.204 Während des Vormärz hatte man noch großes Vertrauen in die Fähigkeiten der Repräsentanten, die, in den Worten Murhards, einen „Brennpunkt der Nationalintelligenz“ darstellten, und von denen man erwartete, dass sie ihre Eigeninteressen zurückstellen und primär im Sinne des Volkes handeln würden.205 Vor diesem Hintergrund war ein freies Mandat völlig selbstverständlich.

199 R. Mohl: Verantwortlichkeit (1837), zit. n. H. Boldt: Monarchie (1978), S. 194. 200 G. Goderbauer: Volksvertretungen (1989), S. 133. 201 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. II, S. 352 [Brief vom 21.3.1849]. 202 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 309. 203 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 89 u. S. 172 [Brief vom 15.6.1848 u. Brief vom 6.7.1848]. 204 F. Raumer: Spreu (1848), S. 149 [Nr. 498]. 205 R. Schöttle: Politische Theorien (1994), S. 288.

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Der demokratische Republikaner Bleyer sprach sich ebenfalls für ein freies Mandat aus, denn man könne schließlich „annehmen, dass der Repräsentant von dem ihm gewordenen Auftrage ganz durchdrungen sei“.206 Sein eigentliches Anliegen war es jedoch, zu betonen, dass die Souveränität trotzdem immer beim Volk bleiben müsse. Seiner Definition zufolge war die Souveränität nicht nur „unveräußerlich“, also auch nicht übertragbar auf Repräsentanten, sondern vor allem „unteilbar“.207 Entweder der Monarch oder das Volk könne souverän sein, wobei für ihn freilich nur Letzteres legitim war. Aus dieser Überzeugung heraus wetterte er in einer Flugschrift von 1848, die konstitutionelle Monarchie sei nichts weiter als „ein aus Lappen und Flicken zusammengestoppeltes Ganzes, worin man zwei alte Tyranneien mit einigen neuen republikanischen Materialien versetzt hat“. Daraufhin verwarf er alle konstitutionell-monarchischen Entwürfe der Nationalversammlung als „sinnlose Fabel[n]“ und empörte sich, in Deutschland sei die Volkssouveränität nur eine „zu Papier gebrachte Lüge“.208 Das exekutive Oberhaupt müsste dem Volk verantwortlich sein, forderte er: „Die Regierung muss Eigentum des Volkes nicht das Volk das Eigentum der Regierung sein“.209 Für ihn war folglich das Repräsentativsystem an sich schon problematisch, weil er stets die Gefahr sah, dass das Volk „Sklave seiner Vertreter“ werden könnte. In seiner Flugschrift ereiferte er sich: „Womit will z. B. das Parlament [in Frankfurt] seine Ursupation der Volkssouveränität entschuldigen? […] Das kann nur Leuten einfallen, gegen welche alle Tyrannen der Welt Engel sind. Das Parlament hat bewiesen, dass es oft selbst einer großen fast überstudierten Versammlung wie einem einzelnen Menschen geht, bei dem gewöhnlich die Nichtbeachtung seiner Rechte mit der Nichtbeachtung seiner Pflichten zusammenfällt.“210

Nur unter Idealbedingungen wie in den USA, schwärmte er, wo seiner Ansicht nach „alle Interessen der einzelnen Volksklassen, alle Meinungsschattierungen, alle Vorurteile sogar“ Vertretung fänden, sei ein parlamentarisches Repräsentativsystem möglich. Politische Partizipation verlangte auch Überlegungen zum Wahlrecht. Friedrich von Raumer hielt eine seiner wenigen Reden in der Nationalversammlung für den Antrag der Casino-Fraktion zum Wahlgesetze. Sie verwahrte sich gegen

206 E. Bleyer: Republik (1848), S. 150. 207 Ebd., S. 13. 208 Ebd., S. 147f. u. S. 139f. 209 Ebd., S. 139. 210 Ebd.

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ein allgemeines Stimmrecht, aber befürwortete ebenso wenig den grundsätzlichen Ausschluss einzelner Klassen oder Berufsgruppen. Am Tag vor der Rede gestand Raumer in einem privaten Brief, dass es letztlich auf das hinaus liefe, „was jetzt als Census verrufen ist“.211 Im Plenum bediente er sich dann des amerikanischen Beispiels, um seine Zuhörer, besonders auf der linken Seite, dennoch für den Vorschlag zu gewinnen. Während er in seinen Studien die Existenz eines „Census“ in den USA noch gänzlich abgestritten hatte,212 formulierte er in seiner Rede vor der Nationalversammlung das Konzept geschickt um. Der „amerikanische Census“ beziehe sich nicht auf ein Vermögen, sondern auf das Zahlen von Steuern; nicht wie viel jemand zahle, sondern nur, ob er dieser seiner Pflicht nachkomme, sei für das Stimmrecht von Bedeutung.213 Dieser Argumentationslinie folgend, hatte er bereits im Jahr zuvor die Wahlgesetzgebung von Berlin kritisiert, man habe „mit Siebenmeilenstiefeln selbst über das amerikanische [Wahlgesetz] hinausschreiten“ wollen. Die Voraussetzungen für ein Stimmrecht waren in seinen Augen „wenigstens […] Ansiedlung und Steuerzahlung“.214 Der berühmte amerikanische Wahlspruch, der keine Besteuerung ohne Repräsentation zuließ, kehrte sich in Raumers Argumentation faktisch um. Deutsche Staatswissenschaftler und Politiker verkannten die Ambivalenz im amerikanischen Wahlsystem. Volkssouveränität war zwar das stützende Element, wurde aber gleichzeitig durch die Autorität der Institutionen beschränkt. 215 Den Erfolg des amerikanischen Wahlrechts führten viele vor allem darauf zurück, dass es dort keinen Pöbel gebe. „[A]llein war und ist ein Proletariat unbekannt“, 216 schrieb Herrmann Abeken, und Raumer legte in seinem Werk über Nordamerika dar: „In den Vereinigten Staaten, wo so viele Erwerbsquellen zur Hand sind, giebt es keinen Pöbel, oder er kann (sofern er sich in einzelnen Seestädten einfindet) von der großen Zahl rechtlicher Bürger geleitet und beherrscht werden.“217 Auch in der Nationalversammlung kam diese Vorstellung, „dass es in Amerika kein Proletariat gibt“, zum Ausdruck.218 Diese kühn anmutende Behauptung

211 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. II, S. 242 [Brief vom 15.2.1849]. 212 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 301. 213 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5284 [Friedrich von Raumer, 17. Februar 1849, 172. Sitzung]. 214 F. Raumer: Briefe (1849), S. 170 [Brief vom 6.7.1848]. 215 H. Dippel: Wurzeln (1999), S. 40; D. Howard: Grundlegung (2001), S. 314. 216 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 31. 217 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 302f. 218 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5260 [August Reichensperger, 17.2.1849, 170. Sitzung].

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ging mit der Vorstellung einher, dass „jenes politische Gewicht“, das durch die Beteiligung am Regierungsgeschehen bewirkt würde, wie ein „Ausgleichsmittel gegen die großen verletzenden Verschiedenheiten des Reichtums“ wirke. Wenn also auch nicht jeder materiell gleich sei, so doch zumindest politisch gesehen, was eine beruhigende Wirkung in den benachteiligten Gesellschaftsschichten habe. 219 Eine Einschätzung, die auch Tocqueville teilte. 220 Für Amerika gelte, dass selbst „diejenigen, die wenig haben, dennoch etwas sind“.221 Für Johann Adam Bergk, der die Repräsentation eines möglichst breit definierten Volkes als ein Charakteristikum der Republik stipulierte, ging auch das amerikanische System nicht weit genug. Er wies darauf hin, dass Geld und Eigentum in der US-Gesellschaft eine ganz ähnliche Bedeutung habe wie in Europa, diese nur nicht auf die gleiche Weise institutionalisiert sei. Die resultierenden Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten seien aber durchaus vergleichbar.222 Auch für Mohl war die überall beschworene Gleichheit des Wahlrechts ein „fauler Flecken in dem Systeme der Volksregierung, wie sich dieses in Amerika ausgebildet hat“; 223 allerdings aus Bergks Vorbehalten entgegengesetzten Gründen, denn in „diesem Punkt bleib Mohl zweifellos in einem bürgerlichen Klassenegoismus befangen“.224 Er war der Ansicht, es sei praktisch unmöglich, die Einflussnahme der Parteien und Demagogen auf das Volk zu verhindern. Die „Besten der Nation“ aber, so hatte er schon in seinen ersten Betrachtungen zu Amerika gefolgert, seien nur selten bereit, sich auf einen Wettbewerb einzulassen, bei dem es darum ginge, die Menge für sich zu gewinnen. Zum einen, weil wirkliches Talent bei der Allgemeinheit meist nur Neid und Missgunst hervorrufe, und zum anderen, weil ohnehin „sich nichts schneller abnutzt, als die Gunst des großen Haufens“.225 Amerika beweise, wie leicht das allgemeine Wahlrecht zu „Mittelmäßigkeit“ unter den Regierenden führe. Er sprach sogar von „Pöbelhaftigkeit im Congresse“.226 Auch Rossbach stimmte

219 F. Raumer: Spreu (1848), S. 33f. [Nr. 111]. 220 J. Hayward: Six Critics (1991), S. 166. 221 Raumer räumt ein, dass die Sklaven, und die „der Gemeinde zur Last fallende[n] Arme[n]“ hier nicht mit eingeschlossen seien. Vgl. F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 303. 222 W. Mager: Republik (1984), S. 613f. 223 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 528. 224 M. Henkel: Mohl (2002), S. 362 225 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 374. 226 R. Mohl: Entwicklung der Demokratie (1844), S. 284.

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zu, dass das amerikanische Wahlsystem eine „große Betrügerei“ sei, weil dadurch nicht sichergestellt werden könne, dass „ehrenhafte Männer“ die Regierungsgeschäfte führten. Es sei sogar schon vorgekommen, berichtete er – und bezog sich dabei wohl auf die Fehde zwischen Alexander Hamilton und Aaron Burr – „dass man sich in Sitzungen zu Duellen herausforderte oder noch gröbere Exzesse beging“.227 Es war charakteristisch für den Republikbegriff des Liberalismus, dass er auf einen „Ausgleich von Bürgerfreiheit und staatlicher Ordnung“ abzielte.228 Um Forderungen nach einer zu radikalen Volkssouveränität vorzubeugen, bot es sich an, die elitären Strukturen im ursprünglichen amerikanischen System herauszuheben und die neueren Entwicklungen möglichst zu tadeln. Mohl warnte daher vor den „gewalttätigen Republicanern“, für die eine Republik darin bestehe, „dass sie selbst regieren, zwar im Namen des Volkes, allein sehr nach eigenen Plänen und zum eigenen Vortheile“.229 Des Weiteren empörte er sich „über das ekelhafte Hofieren gegen die Menge, und über die kaum durch ihre Lächerlichkeit erträgliche werdende Eitelkeit derselben“.230 Die Angst vor machthungrigen Demagogen und der Verführbarkeit der Menge wurde dadurch gesteigert, dass man die Übermacht der Mehrheit oder die „aus dem Staub sich emporschwingenden Fractionshäupter“, wie Rotteck es ausdrückte, im Grunde noch mehr fürchtete als die Übermacht eines einzelnen Herrschers. 231 Aus diesem Grund prangerte Mohl „die Tyrannei der öffentlichen Meinung“ an.232 Eine Mahnung des Republikaners Carl Hagen in der Nationalversammlung musste Mohls Befürchtung bestärkt haben: „Wir [die „Republikaner“] hatten auch einmal die Macht, obwohl uns nichts zu Gebote stand als die öffentliche Meinung; aber sie ist es, welche immer und ewig die meiste Macht gibt.“ 233 Mohl wies darauf hin, dass es in Amerika fast unmöglich sei, „eine von der Mehrzahl des Volkes verworfene Geistesrichtung zu verfolgen“.234 In dieser Einschätzung orientierte er sich an Tocquevilles Beobachtungen, der ganz ähnlich

227 J.J. Roßbach: Bundesverfassung (1848), S. 126 u. S. 127. 228 W. Mager: Republik (1984), S. 620. 229 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 361. 230 Ebd., S. 373. 231 K. Rotteck: Monarchie (1848), S. 162f. 232 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 509. 233 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VI, S. 4716 [Carl Hagen, 15.1.1849, 152. Sitzung]. 234 R. Mohl: Entwicklung der Demokratie (1844), S. 289.

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beschrieb, wie schwierig es in einer demokratischen Gesellschaft sei, „an das zu glauben, was die Masse verwirft, und zu lehren, was sie verdammt“.235 Im aufkommenden Individualismus in Amerika, „der jeden Staatsbürger geneigt macht, sich von der Masse zu isolieren“, identifizierte Tocqueville jedoch gleichzeitig eine Gegenentwicklung, die seiner Meinung nach erst recht eine Gefahr für die Gesellschaft barg.236 „Der Individualismus erstickt zunächst nur die Keime der staatsbürgerlichen Tugend, später jedoch greift er auf die Dauer alle anderen an und zerstört sie.“237All diese Kritikpunkte am amerikanischen Wahlrecht nutzten die Autoren in erster Linie als Argumente gegen ein zu demokratisches Wahlrecht für Deutschland.

R EPUBLIKANISCHE T UGEND Eine Voraussetzung für ein breites Stimmrecht waren entsprechende Tugenden, ohne die eine republikanische Gesellschaft „nur eine Räuberhorde“ sei,238 denn „[a]lle politische Kunst und Verfassung, alle Weisheit […] ist umsonst, ohne Bürgertugend“.239 Raumer schrieb 1848 bedauernd aus Frankfurt: „Wenn man (wie ich) die nordamerikanischen Freistaaten bewundert, möchte man verzweifeln, wenn man sieht aus welchen Bestandteilen man hier Freistaaten errichten will. Tugenden gehören dazu, welche unsere Raisonneure am wenigsten besitzen: Mäßigung und strenge Achtung der Gesetze.“240

Andere Theoretiker des Vormärz versuchten mit Hilfe des Bürgertugendkonzepts den Bogen zurück zur konstitutionellen Monarchie zu schlagen, weil sie dieselben Bürgertugenden hervorbringe, „Ordnung und Freiheit“ verbinde und durch die Volkssouveränität den Gesamtwillen verwirkliche. So sah es zum Beispiel Johann Christoph von Aretin, der auch von einer „republikanische[n] Monarchie“ sprach.241

235 Tocqueville: Demokratie in Amerika [1835] (1985), S. 296. 236 Ebd., S. 238. 237 Ebd., S. 239. 238 C.T. Welcker: Nachtrag (1848), S. 525. 239 C.T. Welcker: Bürgertugend (1846), S. 763. 240 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 90f. [Brief vom 15.6.1848]. 241 J.C. Aretin: Staatsrecht (1824); C.S. Zachariä: Bücher vom Staate (1839-43), beides zit. n. W. Mager: Republik (1984), S. 622f.].

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Das amerikanische Republikverständnis, wie es zur Zeit der Staatsgründung vorherrschte, und die Interpretation des Begriffs in der „politisch-sozialen Erfahrungswelt des kleinen und mittleren Bürgertums“ der deutschen Staaten, besonders im Südwesten, trafen sich im klassischen Republikanismus.242 Im StaatsLexikon hieß es: „Gemeingeist ist der eigentliche Lebensatem der Republik.“243 In der Ausgabe von 1848 bemerkte Welcker jedoch in einem Nachtrag: „[W]elch trauriges Gegenbild […] bieten uns die meisten unserer neuen Republikaner. […] ihrer Republik fehlt vor allem das Wesen der Republik – die republikanische Tugend und Bildung“.244 Mohl monierte das Anspruchsdenken einiger seiner Zeitgenossen, das sie mit politischen Schlagwörtern zu rechtfertigen suchten, ohne bereit zu sein, entsprechende Verpflichtungen zu übernehmen: „Wenn ein Staat von ihnen keine Steuern verlangt, keine Kriegsdienste, keine Geheimdienste, kein Gehorsam, kurz wenn sie von ihm gar nichts wüssten und fühlten, so wäre der ihr Ideal, vorausgesetzt, dass er dennoch Mittel fände, sie vor Dieben, Blattern und Glatteis zu schützen […] Ihre höchste Anstrengung für das öffentliche Wesen ist […] der Beitrag von einem guten Groschen zu einem silbernen Pokal für einen Redner, über dessen parlamentarische Niederlage sie sich selbst heimlich freuen, weil er ihnen doch zu weit gegangen war.“245

Raumer mahnte: „Der Staat ist keine Zwangsanstalt“, dennoch müsse klar sein, dass an Bürgerrechten auch Bürgerpflichten gekoppelt seien, wie auch Welcker betonte.246 Es gelte sich selbstständig und aktiv am Staatswesen zu beteiligen. „Jetzt aber ist es am Volke seine Mündigkeit zu beweisen“, forderte Bromme 1848, „selbst mitzuwirken mit aller Kraft […] nicht, wie es unter dem jetzt gestürtzten Bevormundungssystem gewöhnt worden ist, Alles, selbst das Unmögliche, von der Regierung von seinen Fürsten zu erwarten!“247 Mit dem Ausweichen auf den Bürgerbegriff war allerdings nur der Fokus der Diskussion verlagert worden, denn nun stellte sich nicht mehr die Frage, wer das Volk, sondern wer die Bürger waren.

242 P. Nolte: Bürgerideal (1992), S. 614 u. S. 628. 243 C.F.L. Hoffman: Republik (1848), S. 522. 244 C.T. Welcker: Nachtrag (1848), S. 525. 245 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 360f. 246 F. Raumer: Historisch-politische Briefe (1860), S. 66. Vgl. auch: C.T. Welcker: Bürgertugend (1848), S. 763; S. [möglicherweise Wilhelm Schulz]: Demokratie (1848), S. 245. 247 T. Bromme: Beantwortung (1848), S. XIV.

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Im klassischen, antiken Republikanismus war der Gegensatz von „Bürgertugend“ und „Korruption“ ein zentrales Konzept.248 In Amerika hatte Tocqueville eine Bürgergesellschaft beschrieben, wie man sie sich in Deutschland kaum vorstellen konnte.249 Zum einen waren die gesetzlichen Strukturen gar nicht gegeben, denn es war vor den Revolutionsjahren nicht möglich, politische Vereine zu gründen, und die Zensur schränkte nach wie vor den freien Meinungsaustausch und Informationsfluss entschieden ein. Darüber hinaus aber war man an Partizipation kaum gewöhnt und vielfach wurde es dem Volk auch (noch) nicht zugetraut, sich als Bürger einzubringen. Strache bedauerte: „Aus diesen Stoffen fürchte ich, bringen wir keine Republik zu Stande.“250 Es gab jedoch einen entscheidenden Unterschied im republikanischen Tugendverständnis, der die gesamte Argumentation für die Tugendhaftigkeit der amerikanischen Bürgergesellschaft in Frage stellte: Während man in Amerika schon sehr früh das individuelle Streben nach Reichtum durchaus positiv bewertete, weil es die Summe das Gemeinwohls steigere, galten in Europa „Profitinteressen“ gemeinhin als unmoralisch und somit als eine Bedrohung für die Bürgertugend.251 Nur wenige teilten die Meinung Tellkampfs, der erklärte: „Je wohlhabender ein Volk durch seine redliche und freie Tätigkeit wird, desto allgemeiner verbinden sich Erziehung und Bildung, desto mehr beginnen sich die Anlagen der sittlichen und geistigen Natur zu entfalten.“252 Der Hauptkritikpunkt an den Amerikanern blieb ihr Gewinnstreben, das, wie man befürchtete, die Gesellschaft und das Regierungssystem auf Dauer korrumpieren würde. Nicht selten wurde der Vergleich mit dem Verfall republikanischer Tugenden im alten Rom herangezogen. Für den amerikanischen Fall gab es zwei Erklärungsansätze zu dem kausalen Zusammenhang von Materialismus und einem verdorbenen politischen System. Die einen führten den Mangel an Tugend auf „die unheilvollen, flachen, materialistischen Theorien aus der Schule der Volkssouveränität“ zurück.253 Die anderen lasteten es dem materialistischen Volkscharakter der Amerikaner an, die so ihr im Grunde gutes System zerstörten. Beide Ansätze traten in ähnlicher Weise auch in der antiamerikanischen Kapitalismuskritik des 20. Jahrhunderts wieder hervor.

248 P. Nolte: Bürgerideal (1992), S. 611. 249 S.L. Hoffmann: Geselligkeit (2003), S. 16. 250 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VI, S. 4746 [Eduard Stanche, 16.1. 1849, 153. Sitzung]. 251 P. Nolte: Bürgerideal (1992), S. 638f. 252 J.L. Tellkampf: Bundesversammlung (1848), S. 2. 253 F.L. Bülau: England (1845), S. 12.

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R EGIERUNGSOBERHAUPT Das Dilemma, einen republikanischen Staat als Vorbild für das Streben nach einer konstitutionellen Monarchie zu verwenden, erforderte umständliche Argumentationswege und aufwändige Definitionen. Dennoch, so konstatiert Carl Friedrich 1967, habe sich kaum eine andere europäische Verfassung im 19. Jahrhundert so eng am amerikanischen Modell orientiert wie diejenige der Paulskirche. Zwar habe man eine monarchische Spitze beibehalten, aber „[It] placed the ruler in the perspective of the American presidency.“254 Einige demokratische Republikaner hätten vermutlich eingewilligt, die Bezeichnung ‚König‘ oder ‚Monarch‘ für den höchsten Beamten im Staate beizubehalten, seine Rolle aber sollte dem amerikanischen Präsidenten entsprechen, dessen untergeordnete Position schon 1818 in der Zeitschrift Amerika, dargestellt durch sich selbst – und auch in noch früheren Darlegungen der USVerfassung in Deutschland – ausdrücklich hervorgehoben worden war.255 In der Paulskirche forderte Vogt: „Ich will einen Präsidenten, der verantwortlich ist, wie der nordamerikanische Präsident.“256 Alexander Ziegler hingegen unterstrich gerade die reale Macht des amerikanischen Präsidenten, um die amerikanische Präsidialregierung als eine brauchbare Perspektive für die deutsche konstitutionelle Monarchie zu präsentieren. Er behauptete sogar, man brauche „wahrlich nur die Wahl des Präsidenten in eine programmatische Sanction umzuändern, ihm eine eiserne Krone aufsetzen und das constitutionelle Königthume in den vereinigten [sic] Staaten würde fertig sein.“257 Auch Murhard versuchte, die Position des amerikanischen Präsidenten als unabhängig und selbstständig darzustellen.258 Diese Beispiele verdeutlichen, dass die amerikanischen Verhältnisse mit entgegengesetzten Absichten interpretiert werden konnte. Die einen zielten darauf, die Autorität des Königs zu limitieren und ihn so in die Verantwortung zu nehmen, die anderen argumentierten im Sinne einer starken Exekutive, wie man sie eigentlich von einem Monarchen erwarten würde. Die Liberalen und Konservativen, für die die monarchische Regierung eine „ordnungsstiftende Funktion“ erfüllte, warnten, dass durch mangelnde Unabhän-

254 C J. Friedrich: Constitutionalism Abroad (1967), S. 26. 255 Amerika, dargestellt durch sich selbst 1 u. 2 (1818). 256 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 508 [Carl Vogt, 23.6.1848, 22. Sitzung]. 257 A. Ziegler: Licht- und Schattenseiten (1848), S. 65f. 258 N. Fuchs: Theorie Friedrich Murhards (1973), S. 339.

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gigkeit die Exekutive zu sehr geschwächt werde.259 Eine Sonderstellung des königlichen Oberhaupts hingegen war für viele selbstverständlich und diente sogar als zusätzliches Argument für eine monarchische Spitze, denn ausschließlich ein Monarch, der nur Gott und der öffentlichen Meinung gegenüber verantwortlich sei, habe als Exekutive genügend Autonomie und Macht, um „die Staatszügel der Ordnung“ zu führen.260 Die von Benjamin Constant 1815 vorgeschlagene pouvoir neutre, die neutrale Macht des Monarchen, fand in der Staatstheorie des Vormärz kaum Zustimmung. Im Fazit seines Artikels über das amerikanische Staatsrecht und den demokratischen Geist mit Referenz zu Tocqueville forderte Mohl 1836 in der Kritischen Zeitschrift, man solle darauf achten, „dem Bürger zwar möglichste Garantien gegen den Missbrauch der Staatsgewalt zu geben, diese selbst aber in voller Kraft zu lassen und zu erhalten“.261 Wenn der König keine „eigene Gewaltsphäre“ habe, argumentierte Rotteck, könne er in politischen Konflikten unmöglich effektiv vermitteln. 262 Diese Einwände zeugten ebenfalls von dem Anspruch an den Monarchen, ausgleichender und Ordnung wahrender Faktor in politisch unruhigen Zeiten zu sein. Aus diesem Grund lehnten die Liberalen es ab, einer „demokratischen Monarchie“ zuzustimmen, in der ein König nur noch dem Namen nach existierte, seinen Eigenschaften nach aber eher dem amerikanischen Präsidenten ähnelte.263 Inspiriert wohl von den ersten Anklängen der Flottenbegeisterung waren nautische Vergleiche besonders beliebt. Jacob Bernhard Eisenstuck zeichnete seinen Abgeordneten-Kollegen in der Paulskirche ein anschauliches Bild: „[…]es ist ein stürmisch bewegtes Meer, auf dem eine Anzahl irrer Fahrzeuge treibt, ohne dass ein einziges sich eines festen Steuerruders oder einer sicheren Leitung erfreut. Thun Sie Alles, um diese Schiffe zusammenzuführen zu einer großen mächtigen Flotte.“264 Bedenkt man die Hoffnung auf eine mächtigere Stellung in der Welt, die mit dem Aufbau einer deutschen Flotte verknüpft war, so muss diese Analogie einen besonderen Effekt gehabt haben. Sie lässt weiter darauf schleißen, wie eng die Oberhauptsfrage auch mit den Entwürfen zur föderalen Ordnung des zukünftigen

259 H. Boldt: Monarchie (1978), S. 196. 260 J.J. Roßbach: Bundesverfassung (1848), S. 128. 261 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 385. 262 K. Rotteck: Verfassungsrecht (1830), S. 196. 263 D. Langewiesche: Grundprobleme (1980), S. 545. 264 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 433 [Jacob Bernhard Eisenstuck, 21.6.1848, 20. Sitzung].

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Staates verknüpft war. Es gab unter den Abgeordneten einige, die – real und nicht nur als Metapher – eine gemeinsame Flotte als ersten Schritt zur Einigung der deutschen Staaten sahen. 265 Ganz auf der Linie der nautischen Metapher merkte Raumer dazu an: „Fehlt der Steuermann, so segelt man in alle Winde und in alle Richtungen – schlecht.“266 Durch Mohls Schriften erhielt das Konzept des ‚Parlamentarismus‘ in der Staatstheorie des Vormärz zunehmende Aufmerksamkeit. 267 Auf konservativer Seite war man skeptisch. Theoretiker wie Friedrich Julius Stahl befürchteten, hinter der Idee von der parlamentarischen Regierung verberge sich eine antimonarchische Tendenz.268 Es war aber gerade Mohls Anliegen, den Dualismus zwischen Volk und Oberhaupt aufzulösen.269 Goltz verwies in seiner Bewunderung für den Parlamentarismus auf Amerika, indem er feststellte, dass das dortige Staatssystem sogar parteipolitische Gegensätze auszugleichen, wenn auch nicht gänzlich aufzulösen vermochte.270 In der Verfassung der USA aber, so argumentierten sowohl Mohl als auch Raumer, sei dank des Repräsentativsystems eine „feindliche Spaltung zwischen dem Volk und den Gesetzgebern“ von Anfang an gar nicht gegeben.271 Es bot daher wenig Anschauungsmaterial für Lösungsansätze und Mohl wandte sich, um den Antagonismus aufzulösen und „Einheit im Staate“ zu schaffen, nicht nach Amerika, sondern dem englischen Parlamentarismus zu.272 Hier war die Verantwortung auf die Minister übergegangen und der König damit aus der Gleichung herausgelöst. So war er unabhängig, und statt seiner wurde das Ministerium Ziel der Angriffe vonseiten der Opposition. Es wurde praktisch ein „dienliche[r] Blitzableiter“ geschaffen. 273 Diese Diskussionsplattform bot allen Parlamentariern – nicht nur der Mehrheit, die Möglichkeit einer aktiven Beteiligung an der Staatsregierung. 274 Das parlamentarische System Großbritanniens gleiche somit den Dualismus erfolgreich aus. 275 Auf

265 P. Heinsius: Deutsche Marine (1981), S. 73-77, hier S. 77. 266 F. Raumer: Spreu (1848), S. 66 [Nr. 208]. 267 G. Goderbauer: Volksvertretungen (1989), S. 130. 268 H. Boldt: Staatslehre (1975), S. 258. 269 R. Mohl: Württemberg (1840), S. 198. 270 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 49. 271 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 305; R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 457. 272 V. Hartmann: Repräsentation (1979), S. 100; H. Boldt: Monarchie (1978), S. 199. 273 R. Mohl: Repräsentativsystem (1852). 274 V. Hartmann: Repräsentation (1979), S. 106. 275 Ebd., S. 107.

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diese Weise hielt man einerseits einen ausgewogenen parlamentarischen Prozess für möglich, und das Oberhaupt konnte andererseits, sollten die Auseinandersetzungen zu weit gehen, als „Bollwerk der Bürgerlichen Ordnung“ einschreiten.276 Trotz des ausgeglichenen Verhältnisses zwischen Oberhaupt und Volksvertretung in den USA – oder gerade deshalb – mangelte es dem Amt des amerikanischen Präsidenten in den Augen vieler deutscher Staatswissenschaftler an Autorität. Selbst Julius Fröbel in seinem Streben nach einer demokratischen Republik gab zu bedenken, dass die exekutive Gewalt einem Einzelnen übertragen werden müsse und nicht zu knapp bemessen sein dürfe, „denn die Macht, welche sie [die republikanische Regierung] durch die Freiheit Aller verliert, muß durch Concentration der ausübenden Gewalt wieder ersetzt werden“. 277 Durch das Misstrauen gegenüber der Macht des Präsidenten, klagte Rossbach 1848, würde in den USA die Exekutive „verkümmern“.278 Goltz gab dagegen zu bedenken, dass auf Grund der geographischen Lage in den USA „die Notwendigkeit einer starken, systematisch auf ein Gewisses hinstrebenden Regierung“ nicht in gleichem Maße gegeben sei wie in Europa.279 Mohl untersuchte die amerikanischen Gemeindeversammlungen, deren „Selbstständigkeit und beinahe Unabhängigkeit“ er durchaus bewunderte, kam aber zu dem Schluss, dass „bei fast übermächtiger Macht der Gesetzgebenden Gewalt […] dem Staate fast gar keine ausübende […] zustehe“. 280 Ein Beweis für die Schwäche der Exekutive sah Mohl in der Ausbreitung von Lynchjustiz, die Raumer nur verharmlost hatte.281 Die amerikanische Exekutive, sei es der Gouverneur oder der Präsident, hatte aus deutscher Sicht nicht genügend Macht, um Ordnung zu garantieren. Offenbar lenkten hier jedoch die neueren politischen Entwicklungen in den USA davon ab, welch starke Rolle die Federalists einst der Exekutiven zugedacht hatten. Ein Vergleich mit den Federalist Papers zeigt, dass die deutschen Liberalen in ihrem Streben nach einer starken Exekutive auf einer Argumentationslinie mit Alexander Hamilton, einem der einflussreichsten amerikanischen Founding Fathers, lagen: „A feeble executive implies a feeble execution of the government. A feeble execution is but another phrase for bad execution. And a government ill

276 H. Boldt: Monarchie (1978), S. 200; D. Langewiesche: Grundprobleme (1980), S.541. 277 J. Fröbel: Königthum und die Volkssouveränität (1848), S. 9. 278 J.J. Roßbach: Bundesverfassung (1848), S. 127f. 279 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 30. 280 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 383. 281 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 517.

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executed whatever it may be in theory, must be, in practice, a bad government.“282 Über das Vetorecht debattierte man ebenfalls mit Blick auf eine Stärkung der Exekutive. Wieder verglich man mit England und Amerika.283 Bunsen definierte das königliche – oder das präsidiale – Veto „als eine Gewissensmacht, gegenüber der unverantwortlichen Mehrheit“.284 Goltz sah darin die Garantie, dass sich das Oberhaupt der Exekutive nicht zum „Sklaven des Kongresses herabwürdigen“ lasse.285 Ein Veto biete die Möglichkeit, so Raumer, „ohne zum schroffen Nein seine Zuflucht zu suchen“, Kammern und Ministerien zu ändern.286 Auf diese Weise sorge es für einen reibungsloseren Ablauf von Entscheidungsprozessen, „eine der stärksten Stützen der Freiheit und Ordnung, gegen Einseitigkeit, Leidenschaft und Uebereilung der gesetzgebenden Versammlungen“.287 Die breite Debatte über die genaue Art des Vetos hielt Raumer allerdings für überflüssig, denn es sei „in der Praxis […] fast gleichgültig“, ob es eine unbedingte oder nur eine suspensive Wirkung habe. Diese Auffassung habe er in den Vereinigten Staaten gewonnen, erklärte er, denn dort habe „der Präsident (trotz seines nur suspensiven Veto) jedes Mal obsiegt; weil er es nur auf vernünftige Weise einlegte“. 288 Er sehe nicht ein, dass „die Halbgebildeten laut gegen ein unbedingtes Veto [auftraten], während sie sich das suspensive gefallen lassen, obwohl dies in der Regel (z.B. in Amerika) ebensoviel wirkt“.289 Mohl sah in dem nur aufschiebenden Veto eine Gefahr für die „notwendige Würde des Staatsoberhaupts“, denn es sei für den Präsidenten oder Monarchen weniger demütigend, stillschweigend ein „privatim missbilligtes Gesetz“ auszuführen, „ohne einen vergeblichen Widerstand öffentlich geleistet zu haben“, als von einem Parlament überstimmt zu werden.290 Darüber hinaus schien ihm die suspensive Regelung „für stürmische Zeiten und bedenkliche Fälle nicht hinreichend“. Für ihn zeigte Amerika aber dennoch, wie wichtig es war, dem Oberhaupt „die nöthige Freiheit zu einer heilsamen Kraftentwicklung“ zuzugestehen,

282 A. Hamiltion: Federalist Nr. 70 [1788] (1982), S. 427. 283 H. Boldt: Federalism (1990), S. 272. 284 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 15. 285 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 49. 286 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. II, S. 328 [Brief vom 14.3.1849]. 287 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 286. 288 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. II, S. 328 [Brief vom 14.3.1849]. 289 Ebd., S. 338 [Brief vom 16. 3. 1849]. 290 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 338-340.

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um der für die Ordnung gefährlichen Schwäche vorzubeugen.291 So stimmte er, was die Effektivität des präsidialen Vetos in Amerika anging, letztendlich Raumers Einschätzung zu. Abgesehen vom Veto sollte die Exekutive durch Erblichkeit weitere Stärkung erfahren. In den Erläuterungen zu seinem Verfassungsentwurf betonte Goltz, die „Unabhängigkeit [des Oberhaupts] ist von der Erblichkeit der Würde unzertrennlich“.292 Raumer warnte vor Grundsätzlichkeit und gab zu bedenken, dass der in seinen Augen bewiesene „Vorzug des Erbkönigthums vor dem Wahlkönigthum“ keineswegs bedeute, „dass es erbliche Päpste und erbliche nordamerikanische Präsidenten geben solle“. Dennoch stand es für ihn außer Frage, dass für Deutschland nur ein erblicher Kaiser denkbar sei.293 Die stabilisierende Funktion von Erblichkeit war eine weit verbreitete Überzeugung, der man nicht leichtfertig widersprach. In der Paulskirche ging der Abgeordnete Friedrich Schüler sogar so weit, zu behaupten, „die Erblichkeit der höchsten Würde ist mit dem demokratischen Prinzip, welchem ich huldige, nicht unvereinbar“. Er erntete dafür Bravorufe.294 In der Staatswissenschaft des Vormärz war an die Frage nach der Erblichkeit des Oberhauptes nicht unbedingt eine Entscheidung für oder gegen eine Republik geknüpft, vorausgesetzt man hielt an der theoretischen Interpretation von ‚Republik‘ als rechtsstaatliches Gemeinwesen fest, bei dem der Initiationsmodus des Oberhaupts nicht entscheidend war. 295 „[D]er wahre Begriff Republik schließt die Erblichkeit der obersten Würde keineswegs aus“,296 erklärte Bülau, und an anderer Stelle konstatierte er: „[D]ie sogenannte Republik hat eigentlich nur ein negatives Merkmal: dass sie keine Erblichkeit der obersten Würde kennt. […] Versteht man aber die Republik als freies Gemeinwesen, den Staat, der die beste Lösung seiner Zwecke und dem weisesten Aufschwunge des Volkes beste Bahn bietet, so ist der rechte constitutionell-monarchische Staat die treffliche Ausführung derselben, die wahre Republik.“297

291 Ebd., S. 338. 292 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 30. 293 F. Raumer: Spreu (1848), S. 36 [Nr. 118]. 294 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VI, S. 4695 [Friedrich Schüler, 15.1.1849, 152. Sitzung]. 295 W. Mager: Republik (1984), S. 620. 296 F.L. Bülau: England (1845), S. 10. 297 F.L. Bülau: Constitution (1843), S. 620.

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Bülau glaubte darüber hinaus sogar, dass wenn das politische Leben in den USA zum Zeitpunkt ihrer Gründung schon so komplex gewesen wäre wie in Europa, dann wäre auch dort die Entscheidung zu Gunsten einer erblichen Monarchie ausgefallen. In einer Fußnote schrieb er, man habe George Washington ohnehin praktisch „die Krone“ dargeboten. Je länger die Republik nun aber jenseits des Atlantiks bestehe, desto deutlicher träten die Nachteile eines gewählten Oberhaupts hervor. Als eine „Quelle von Erschütterungen, Umtrieben, Intriguen und Partheiungen“ lenke es nur von den wirklichen Staatsgeschäften ab. Erklärend fügte er hinzu, in den USA sei es ohnehin eher zufällig nicht zu einem monarchischen System gekommen, „ohne dass man sagen könnte, dasselbe sey dort aus Hass dawider verdrängt und die Republik sey aus republikanischer Gesinnung gegründet worden“.298 Diese Argumentation lief der Linie, die etwa Abeken vertrat, zuwider, weil sie nicht auf einer tiefen Verwurzelung der Republik in den amerikanischen Gegebenheiten und der amerikanischen Mentalität basierte, sondern die Zufälligkeit des dortigen Staatssystems betonte. Trotzdem beschrieb auch Bülau die Staatsgründung der USA als einen organischen Prozess, der in einer natürlichen Folgerichtigkeit verlaufen war. Die verbreitete Vorstellung, das Staatssystem der USA sei die Folge einer natürlichen Entwicklung, unterstreicht nochmals die vormoderne Deutung der Amerikanischen Revolution. Indem die aktive, bewusste Entscheidung seitens der Kolonisten für ihre spezielle Staatsform marginalisiert wurde – sei es durch Zufall oder durch Mentalität – kam es darüber hinaus zu einer Entideologisierung der ihr zu Grunde liegenden politischen Konzepte. Es war für die Staatswissenschaftler des Vormärz und für die Abgeordneten in der Paulskirche etwas ganz anderes, ob in Amerika eine Republik eingeführt würde oder aber in Europa, speziell in Frankreich oder Deutschland, wo es den Umsturz bestehender Staatsordnungen bedeutet hätte. Schließlich habe in den ehemaligen englischen Kolonien jenseits des Atlantiks „Demokratie […] ihrem eigentlichen Wesen nach“ schon lange vorher bestanden, argumentierte auch Abeken, und es „wäre töricht anzunehmen, […] dass man auch nur die demokratische Verfassung gewählt habe“.299 Noch in den 1870er Jahren betonte Friedrich Kapp, den Founding Fathers sei die tatsächliche Staatsform „ziemlich gleichgültig“ gewesen. Eine Republik habe sich „ganz von selbst ergeben“, denn man habe Rücksicht darauf genommen, dass im Volk eine antimonarchische Stimmung vorherrschte, weil es „die Monarchie nur vom Hörensagen kannte“.300 Trotzdem, selbst wenn

298 F.L. Bülau: England (1845), S. 8. 299 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 23. 300 F. Kapp: Literatur (1874), S. 245.

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man die Gründung einer repräsentativen Republik in den USA als eine logische Folge aus der Geschichte der Kolonien deutete, handelte es sich um eine Neuerung, deren direkter und indirekter Effekt auf das politische Denken nicht unterschätzt werden darf.301 „Jetzt“, so formulierte es Leopold von Ranke, „tauchte die Idee auf, dass die Gewalt von unten aufsteigen müsse“.302 Obwohl immer wieder Versuche unternommen wurden, die Bedeutung von Erblichkeit oder Wahl des Oberhaupts, besonders des amerikanischen Präsidenten, herunterzuspielen, blieb es ein zentrales Thema der Diskussionen. Bunsen zufolge war es sogar die „schwierigste und bedrohlichste aller schwebenden Fragen“.303 Carl Biedermann erklärte in der Nationalversammlung, er und eine „große Mehrzahl meiner politischen Freunde“ würden gegen jeden Vorschlag stimmen, der nicht die Erblichkeit einschließe.304 Ziegler zeigte 1848 in seinem Flugblatt anhand eines kurzen Rechenexempels, dass die mit einer demokratischen Wahl verbundenen Kosten den Unterhalt einer erblichen Monarchie weit überstiegen.305 Außerdem warnte er, dass ein gewähltes Oberhaupt keineswegs davor gefeit sei, seine Macht zu missbrauchen, und da „das höchste Streben eines Republikaners der Stuhl des Präsidenten“ sei, es bei jeder Wahl zu „Intriguen, Verleumdungen und Beschimpfungen“ kommen würde.306 Ein deutscher Exilant in Amerika rief seinen Landsleuten zu: „Laßt Euch eine tüchtige Constitution geben […] aber sammelt Euch dann um den erblichen, constitutionellen Thron und verteidigt ihn mit Eurem Bluthe.“ Wenn schon in Amerika die Präsidentschaftswahl „Uebel ohne Zahl“ nach sich ziehe, müsse ein „Wahlreich […] in der Alten Welt zu endlosen Zwistigkeiten führen“.307 Auch Raumer leugnete nicht, dass es jenseits des Atlantiks während der Präsidentschaftswahlen zu „großer Aufregung“ kommen könne, doch gefährde diese nicht die allgemeine Ordnung, sondern stärke vielmehr das „Nationalgefühl“.308 Während etwa in Frankreich „Alles noch mal in Frage gestellt“ würde, seien in den USA „[n]irgens Umwälzungen, Gefahren, oder große Gegensätze“ auszu-

301 H. Dippel: Germany and the American Revolution (1978), S. 113. 302 L. Ranke: Epochen der Geschichte (1854), S. 417. 303 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 32. 304 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VI, S. 4708 [Carl Biedermann, 15.1.1849, 152. Sitzung]. 305 A. Ziegler: Licht- und Schattenseiten (1848), S. 72f. 306 Ebd., S. 63. 307 O. Zirckel: Demokratie (1849), S. 8. 308 F. Raumer: Vereinigten Staaten, (1845), Bd. II, S. 277; ders.: Briefe (1849) Bd. I, S.414 [Brief vom 10.10.1848].

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machen.309 Pointiert wies er darauf hin, dass „während der Zeit, wo jene trefflichen Präsidenten friedlich erwählt wurden, ihrem Amte würdig vorstanden und es ruhig niederlegten; in Europa mehr wie noch einmal mehrere Könige abgesetzt und wieder eingesetzt, fortgejagt, enthauptet und ermordet wurden.“310 In der Tat hatten die Autoren der amerikanischen Verfassung besonders darauf geachtet, bei dem Verfahren der Präsidentschaftswahlen „as little opportunity as possible for turmult and disorder“ zu geben.311 Die zunehmende Aufregung bei den Präsidentschaftswahlen der 1840er Jahre war für deutsche Beobachter jedoch ein weiterer Hinweis darauf, dass durch die breitere Partizipationsbasis das ursprünglich geschaffene, bewundernswerte Staatssystem in den USA zu degenerieren drohe und sie fühlten sich in ihrer Angst vor zu viel Volksbeteiligung bestätigt. Der Republikbegriff wurde durch die emotionale Aufladung und die unzähligen verschiedenen Verwendungen und Auslegungen im Vormärz und während der Revolution dermaßen überstrapaziert, dass er in der Zeit nach 1848/49 zunehmend an Bedeutung verlor. ‚Demokratie‘ und bald darauf ‚Sozialismus‘ lösten die ‚Republik‘ in ihrer Funktion als Zukunftsutopie ab.312 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts aber war ‚Republik‘ ein zentrales Konzept des politischen Diskurses in Deutschland. Das klassische Verständnis der Staatswissenschaft widersprach antimonarchischen, demokratischen Auslegungen in der politischen Öffentlichkeit. Das Beispiel der Vereinigten Staaten spielte zwar eine zentrale Rolle bei der Suche nach einer einheitlichen Definitionen von ‚Republik‘, aber eine endgültige Auflösung des Gegensatzes zwischen wissenschaftlicher Deutung und politischer Assoziation blieb aus. Verfechter beider Interpretationen wussten die USA für sich zu verwenden. Die Amerikanische Revolution etwa wurde in ihrem vormodernen Charakter als rechtmäßig wahrgenommen, hatte allerdings trotzdem eine klar antimonarchische Ausrichtung, wie sie die meisten Deutschen fürchteten. Die Volkssouveränität in den USA war von den Founding Fathers in der Verfassung noch sehr limitiert worden, begann sich aber im 19. Jahrhundert zu demokratisieren, bot also ebenfalls Anknüpfungspunkte für klassische wie für demokratische ‚Republikaner‘. Auf Grund dieser breiten Anwendungsmöglichkeiten war die Auseinandersetzung der Autoren des Vormärz mit dem Republikmodell jenseits des Atlantiks ambivalent. Unter keinen Umständen wollten die klassischen Republikaner, die

309 Ebd., Bd. II, S. 32 [Brief vom 29.10.1848]. 310 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 281f. 311 A. Hamiltion: Federalist Nr. 68 [1788] (1982), S. 414. 312 D. Langewiesche: Republik und Republikaner (1993), S. 19 u. S. 46.

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eine konstitutionelle Monarchie favorisierten, den gefürchteten radikalen Demokraten in die Hände spielen – und umgekehrt. So wurde Amerika für beide Seiten das Anschauungsobjekt in der Abwägung bestimmter Prinzipien und einzelner Elemente. Kritik an den Wahlgesetzen oder an der Profitgier ging nicht selten einher mit der Bewunderung für Bürgergesellschaft und politische Reife. Die Mehrheit der Staatswissenschaftler, die sich als gemäßigte liberale und konservative Politiker während des Vormärz und später in der Paulskirche äußerten, war klar monarchisch sozialisiert. Sie glaubten an die Bedeutung einer starken, unabhängigen Exekutive und fürchteten eine zu breite Volksbeteiligung. Den klassischen Republikbegriff, der auf Bürgertugend beruhte und auch einer konstitutionellen Monarchie nicht widersprach, sahen sie für die moderne Welt in der Gründungsverfassung der USA verwirklicht. Gleichzeitig dienten ihnen die jüngeren demokratischen Tendenzen und Entwicklungen in den USA als abschreckendes Beispiel gegen die gefürchteten demokratischen Republikaner. Mit dieser Argumentation konnten die Liberalen und die Konservativen sich das amerikanische Beispiel einer Republik zu Nutze machen, um eine konstitutionelle Monarchie in Deutschland zu fordern. Johann Ludwig Tellkampf, der in der Paulskirche immer wieder auf seine Erfahrungen in den USA verwies, schlug 1848 in einem Flugblatt vor: „Die historische Entwicklung, jetzige Constitution und bisherige Erfahrung der Centralregierung in Washington sind der Art, dass das als Gutbefundene auch von den jetzt sämtlich konstitutionellen Monarchien des freien vereinigten Deutschlands benutzt werden kann.“313

313 J.L. Tellkampf: Bundesversammlung (1848).

Föderativer Einheitsstaat „Eine der schwierigsten Aufgaben sowohl für das Staatsrecht, als für die Staatsklugheit ist ohne Zweifel eine Bundesverfassung.“ R OBERT VON M OHL (1824)1

In den Diskussionen um den Bundesstaat während des Vormärz wurden viele der Kernfragen und politischen Konzepte aufgegriffen und miteinander verknüpft. Ähnlich wie ‚Republik‘ oder ‚Demokratie‘ wurde auch ‚Bundesstaat‘ semantisch schnell zu einem Erwartungs- und „Kampfbegriff“, mit dem Befürworter wie Gegner in die Zukunft blickten und ihm damit eine „ideologisierbare Komponente“ verliehen.2 Aspekte wie Volkssouveränität, Gewaltenteilung oder die Erblichkeit des Oberhaupts wurden auch in der Kontroverse um den Föderalismus relevant. Die zentrale Frage aber war die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Einzelstaaten, die sich vor allem im „Definitionsstreit“ äußerte, in dem es um eine klare Unterscheidung von Staatenbund und Bundesstaat ging.3 Alle organisatorisch-praktischen Abwägungen waren eng verbunden mit den ihnen zu Grunde liegenden Ideen. Die wissenschaftlichen Publikationen und mehr noch die Debatten in der Nationalversammlung, etwa zu der Einführung des Zweikammersystems oder der Einrichtung eines Bundesgerichtshofes, reflektierten die breite Palette von Einschätzungen und Meinungen über die Souveränität der Einzelstaaten, die Stärke der Bundesgewalt, die Natur des zu schaffenden Bundes und sein Verhältnis zum Volk.

1

R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. III.

2

R. Koselleck: Bund (1972), S. 649 u. S. 642.

3

Ebd., S. 652.

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W ISSENSCHAFTLICHE E NTWICKLUNG Für die Definition und das Verständnis von Föderalismus war der Blick nach Amerika „auf die vollkommenste Föderativ-Verfassung, welche die Geschichte kennt“, so Robert von der Goltz 1848, nahe liegend.4 Die großen europäischen Vorbilder England und Frankreich waren zentralistisch organisiert, die Schweiz befand sich während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbst in einer Phase des Umbruchs und der Reorganisation. Die Eidgenossenschaft von 1815 galt für Robert von Mohl noch als einer der „am schlechtesten eingerichteten Staatenbünde […] eine wahre Warntafel für andere Völker, welche zu einer Bundesverfassung genötigt oder geneigt seyn möchten“. 5 In seinen Schriften wetterte er gegen den „Kantönli-Geist“.6 Die föderalen Systeme, die später dort und in Belgien entstanden, mussten sich erst bewähren und in der deutschen Staatswissenschaft bekannt werden. Darüber hinaus waren auch sie vom amerikanischen Modell beeinflusst.7 Amerika war für den Föderalismusdiskurs des Vormärz von so entscheidender Bedeutung, weil es, wie Mohl hervorhob, „die in der Erfahrung bei weitem seltenere und in der Ausführung ungleich schwierigere der beiden Bundesarten, nämlich einen förmlichen Bundesstaat uns darbietet“.8 Zweifelsohne gab es gerade in Deutschland eine reiche Tradition an föderalistischem Gedankengut, das sich spätestens seit dem 17. Jahrhundert entwickelt hatte. Sowohl das Heilige Römische Reich als auch der Deutsche Bund gaben Anlass für immer neue staatsrechtliche Betrachtungen zu dieser Thematik. Trotzdem darf der Effekt, den die praktische Konstituierung der Vereinigten Staaten als Bundesstaat auf den deutschen Diskurs hatte, nicht unterschätzt werden. Sie „stellte das föderative Prinzip […] zur allgemeinen Diskussion“. Vertreter einer bundesstaatlichen Lösung für Deutschland bezogen das praktische Beispiel USA in ihre Argumentationen mit ein und „werteten stets dessen Erfahrungen und Erkenntnisse aus“.9 Die USA wurden sehr schnell zum „Standardbeispiel“ für den Bundesstaat.10 Dies galt sowohl für die staatswissenschaftlichen Untersuchungen als auch für

4

R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 37.

5

R. Mohl: Entwicklung der Demokratie (1844), S. 302.

6

R. Mohl: John Marshall (1840), S. 166.

7

E. Richter: Leitbilder (1982), S. 168.

8

R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. VIII.

9

E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 65.

10 T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 87; C.J. Friedrich: Constitutionalism Abroad (1967), S.43.

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die weniger von akademischem Interesse geleiteten Publikationen. Im Wahlprogramm einiger hessischer Bürger für die Wahlen zur constitutionierenden Nationalversammlung hieß es 1848, für die künftige Organisation Deutschlands hielte man „das Muster des einzigen großen Föderativstaats (Bundesstaats), der bisher existiert hat, Amerika’s für maaßgebend [sic]“.11 Der Publizist Carl August Mebold fragte in einem Artikel über die Deutsche Verfassungspolitik, der 1846 erschien: „Darf man nun das deutsche mit dem amerikanischen Bundessystem vergleichen? Warum nicht? […] Sind doch die vereinigten Staaten von Nordamerika fast so viele als die vereinigten Staaten von Deutschland.“12 Im Januar 1849 sprach die Augsburger Allgemeine Zeitung von den USA als dem „grossen Vorbilde“ für „das neue deutsche Reich“.13 Auch in der Nationalversammlung war die Bezugnahme eindeutig: „Gern weilt dagegen der Blick Desjenigen, dem die Form eines wahren Bundesstaates am Herzen liegt, bei der Verfassung der nordamerikanischen Staaten. In jenem Land ist die Aufgabe gelöst, die Macht einer Centralregierung […] mit der vollsten Möglichkeit einer wohltätigen Entwicklung der Einzelstaaten in Harmonie zu bringen.“14 Nicht zuletzt war es die amerikanische Staatsgründung, in deren Kontext ‚Föderalismus‘ erstmals als normativer Begriff verwandt wurde.15 „Das föderative Prinzip ist Voraussetzung, Grundlage und Mittel der Konstituierung der Vereinigten Staaten von Amerika.“16 Die aus der realen Erfahrung des Widerspruchs zwischen Einzel- und Gesamtinteresse entstandene US-Verfassung prägt das moderne Föderalismusverständnis bis heute.17 Neben den antiken Republiken hatten die amerikanischen Founding Fathers auch den mittelalterlichen Bund der deutschen Staaten, die Schweiz und die Niederlande in ihre Überlegungen und Erklärungen einbezogen.18 Die amerikanische Bundesstaatstheorie basiert daher ebenso wie das deutsche Staatsdenken auf diesen Traditionen. Wellenreuter merkt an: „Der Gelehrte partizipierte […] mit seinen amerikanischen Zeitgenossen […] an einer gemeinsamen Kultur, […] Kurz, amerikanische und deutsche politische Konzepte zum Wesen von Staat

11 E. Briel: Wahlprogramm (1848). 12 C.A. Mebold: Verfassungspolitik (1846), S. 41f. 13 J. Hawgood: Diplomat (1948), S. 16. 14 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2724 [Carl Anton Mittermaier §1-20/Gustav Droysen §21-61, 19.10.1848, 99. Sitzung]. 15 E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 47. 16 Ebd., S. 64. 17 E. Angermann: Frühkonstitutionalismus (1974), S. 11. 18 J.-D. Kühne: Bundesverfassung (1991), S. 177.

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und Herrschaft waren gegen Ende des 18. Jahrhunderts nicht grundsätzlich verschieden.“19 Die Autoren der Federalist Papers fühlten sich allerdings, dank ihres Fortschrittsglaubens, auch in der Staatswissenschaft, gerade im Bezug auf die Antike überlegen: „The efficacy of various principles is now well understood, which were either not known at all or imperfectly known to the ancients.“20 In diesem Sinne verstanden sie auch ihre eigenen Publikationen nicht nur als eine Erläuterung zu der neuen US-Verfassung, sondern auch als einen Beitrag zur Föderalismustheorie im Allgemeinen.21 Bis heute werden diese Schriften von Alexander Hamilton, John Jay und James Madison als ein Kanontext des amerikanischen Föderalismus betrachtet, der auch auf die europäische Bundesstaatslehre maßgeblich einwirkte.22 In der Zeit des Vormärz erhielten sie ihre besondere Bedeutung gerade durch die Realitätsnähe und Aktualität. Die Federalist Papers boten die erste umfassende Begleiterläuterung einer modernen, wirklichen Föderativverfassung.23 Mohl lobte diesen amerikanischen Text schon in seinen frühen Publikationen zu Amerika, äußerte allerdings zunächst noch Bedenken, ob sie angesichts der zahlreichen Änderungen im amerikanischen Verfassungsrecht fünfzig Jahre nach ihrem Erscheinen noch von praktischem Nutzen sein könnten.24 Später kam er dann jedoch zu dem Schluss, dass dieses „Meisterwerk von Klarheit und Gemeinfasslichkeit, von staatsmännischem Bewusstsein des Zwecks und der Mittel“ ein Werk „von einem für alle Zeiten bleibenden wissenschaftlichen Wert“ sei, der über historische Anschaulichkeit hinausging.25 Ernst Deuerlein ist zwar der Ansicht, die Federalist Papers seien während des Vormärz „unberücksichtigt und unerwähnt“ geblieben, hauptsächlich weil es noch kein Übersetzungen ins Deutsche gegeben habe.26 Das war jedoch nicht der Fall. Während es richtig ist, dass erst in den 1860er Jahren Auszüge des Textes auf Deutsch veröffentlicht wurden, lagen durchaus schon seit Ende des 18. Jahrhunderts französische Übersetzungen vor, die in Deutschland ebenso zugänglich waren wie Originalausgaben in englischer Sprache. Darüber hinaus fanden sich

19 H. Wellenreuther: Verfassungsdenken (1990), S. 17. 20 A. Hamilton: Federalist Nr. 9 [1787] (1982), S. 45f. 21 J.N. Rakove: Original Meanings (1997), S. 189. 22 E. Richter: Leitbilder (1982), S. 117. 23 T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 113. 24 R. Mohl: Nordamerikanisches Staatsrecht (1835) S. 4. 25 R. Mohl: Staatswissenschaften (1855), Bd. I, S. 251 u. S. 548. 26 R. Ullner: Föderalismus (1965), S. 11; E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 50, S. 56 u. S. 61.

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zu jener Zeit bereits in fast allen größeren deutschen Publikationen zu Amerika und selbst in vielen allgemeiner gehaltenen Texten zur Bundesstaatslehre, explizite Bezüge auf speziell diese amerikanische Quelle.27 Sie wurden ergänzt von den Werken der Bundesrichter John Marshall und Joseph Story sowie anderen Kommentatoren der Verfassung, die ebenfalls unter deutschen Staatswissenschaftlern bekannt waren. Rezensionen in Fachzeitschriften, Übersetzungen und Interpretationen von Professoren wie Carl Anton Mittermaier, Franz Josef Buß und allen voran Robert von Mohl beweisen die wissenschaftliche Rezeption dieser Schriften während des Vormärz, die bis in die Paulskirche hineinwirkte, wo man sich explizit auf diese amerikanischen Autoren berief: „Kein Land kann sich rühmen, dass seine theoretisch wie praktisch gleich großen Staatsmänner in ihren Werken das Wesen der Bundesverfassung in ihren Einzelheiten so herrlich erörtert haben, als dieß von Männern wie Hamilton, Jefferson, Story, Kent, Rawle, Sergant geschehen ist.“28 Bezeichnenderweise betont Mohl hier explizit nicht nur die theoretische, sondern auch die praktische Seite des amerikanischen Staatsdenkens. Ergänzend zu den amerikanischen Veröffentlichungen und Dokumenten, die in Deutschland rezipiert wurden, gab es auch persönliche Kontakte zu amerikanischen Politikern und Wissenschaftlern, die das Angebot an Informationen erweiterten und zumindest punktuell relativierende Akzente setzten. Friedrich von Rönne hatte während seiner Zeit als preußischer Gesandter in Washington in den 1830er Jahren mit dem US-Vizepräsidenten und späteren Senator John Caldwell Calhoun korrespondiert, dessen politische Ansichten sich gerade in Bezug auf föderative Machtverteilung im Verlauf seiner politischen Aktivität geradezu umkehrten. Dies verlieh seinem pointierten Kommentar zu den Entwicklungen in Deutschland besonderes Gewicht. 1812 hatte der junge Politiker aus South Carolina noch eine starke Zentralgewalt favorisiert, die sich im Krieg mit England behaupten sollte, doch ab Mitte der 1820er Jahre wurde er der Bundespolitik gegenüber skeptischer. Er erkannte, dass den Interessen seines Heimatstaates, die nicht zuletzt die Sklaverei betrafen, nur entsprochen werden könnte, wenn den Einzelstaaten die entscheidenden Autoritäten zugestanden würden. Zu einem Meinungsführer in dieser Auseinandersetzung entwickelte er sich im Zuge der nullification-Debatte. Die Argumentationslinie zu nullification beanspruchte für

27 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. XI, S. 179, 252 u. 333; N. Julius: Zustände (1839), S. 440; F.J. Buß: Story’s Commentaries (1844), S. XXVIII; C.T. Welcker: Bund (1846), S. 712. 28 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2724 [Carl Anton Mittermaier §1-20/Gustav Droysen §21-61, 19.10.1848, 99. Sitzung].

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die Einzelstaaten das Recht, Bundesgesetze nicht anerkennen zu müssen, indem sie diese für nicht verfassungsmäßig erklärten. Akut war diese Diskussion 18281832 geworden, als South Carolina sich weigerte, die Steuergesetze des Bundes anzuerkennen. Calhoun hatte voller Überzeugung für seinen Heimatstaat Stellung bezogen. Dieser Wandel schlug sich besonders auch in Calhouns wirtschaftspolitischen Ansichten nieder. Die Begeisterung für hohe Einfuhrzölle zu Gunsten eines starken amerikanischen Nationalstaates, wie er sie zu Beginn seiner politischen Karriere noch vehement vertreten hatte, wich klar freihändlerischen Neigungen, die den Vorstellungen seines einst guten Freundes Rönne zuwider liefen, weil dieser sich zunehmend für die protektionistischen Ideen Friedrich Lists einsetzte. 29 Die rege Korrespondenz der beiden war daher in den 1840er Jahren zwar zum Erliegen gekommen, doch auf Bitten von Rönnes Nachfolger, Baron Friedrich von Gerolt, schrieb Calhoun dennoch im Mai 1848 seine Einschätzung der föderativen Möglichkeiten für Deutschland auf.30 Zu diesem Zeitpunkt gehörte Calhoun in den USA bereits zu denjenigen, die immer wieder öffentlich und aus exponierter Stellung heraus die starke nationale Einheit der Bundesgewalt in Frage stellten. Als leidenschaftlicher Verfechter der Einzelstaatensouveränität wurde der frühere amerikanische Vizepräsident auch in Deutschland rezipiert. In seinen Schriften ebenso wie in dem Brief an Gerolt lieferte er damit einen etwas anderen Blick auf den Bundesstaat, der nicht dem üblichen ‚Modell Amerika‘ entsprach.31 Aus seiner eigenen Erfahrung und Überzeugung heraus riet er auch den Deutschen, einer Zentralgewalt „too little rather than too much power“ zu geben.32 Calhouns Argumente wurden Ende des 19. Jahrhunderts wieder aufgegriffen, als sich Max Seydel 1872 von Bayern aus gegen die Bismarck’sche Staatsgründung publizistisch verwehrte. 33 Aber auch in der Paulskirche wurden sie vereinzelt als ein „amerikanische[s] Votum gegen die zentralistischen Neigungen“ angeführt.34 Carl Anton Mittermaier zitierte in der Paulskirche eine lange Passage aus einem Brief des amerikanischen Senators Edward Livingston, der ihm in umfassender Weise auf seine Fragen zu einem deutschen Bundesstaat geantwortet hat-

29 VI HA NL Rönne, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin; G. Moltmann: Deutschland-Korrespondenz (1969), S. 161. 30 M. Curti: Calhoun (1935), S. 476; C. Wiltse: Critical Suotherner (1949), S. 299 u. S.308. 31 M. Seydel: Bundesstaatsbegriff (1872), S. 198ff. 32 M. Curti: Calhoun (1935), S. 478. 33 E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 55. 34 G. Moltmann: Amerikanische Beiträge (1967), S. 220.

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te.35 Leider finden sich weder das Original dieses Briefes noch andere Korrespondenz mit Livingston im Nachlass Mittermaiers. Alexis de Tocqueville, der das europäische Verständnis von Amerika weitreichend geprägt hatte, wurde von deutschen Staatswissenschaftlern mit seinen Ausführungen über den dortigen Föderalismus weniger zu Rate gezogen. Es war ihm wichtiger gewesen, die nationale Einheit zu betonen als das föderative System, das er jedoch durchaus berücksichtigte.36 Mohl aber übte direkte Kritik an dieser Fokussierung, indem er in seiner Rezension zu De la Démocratie en Amérique schrieb, dass Tocquevilles Ausführungen über den Bundesstaat „im Ganzen als minder geglückt, jedenfalls als der schwächste Theil“ anzusehen seien.37 Aus deutscher Sicht hatte der aus dem zentralistischen Frankreich stammende Autor zwar den demokratisch-republikanischen Aufbau auf herausragende Weise dargestellt, aber dem polyzentralen System des amerikanischen Bundesstaats nicht ausreichend Aufmerksamkeit gezollt. Auf Grund der eindeutigen Beispielfunktion der USA in den Föderalismusdefinitionen bestand die Gefahr, dass gerade in der deutschen Staatswissenschaft eine einseitige Interpretation der US-Verfassung vorgenommen wurde, die sich nur auf die Elemente des amerikanischen Bundesstaats konzentrierte, auf den „Wunderbau des Bundes“,38 weil man sich hier konkrete Hilfe für die eigenen politischen Umgestaltungen versprach.39 Horst Dippel sieht in Mohls Werk über das Bundesstaatsrecht von Nordamerika eine typische Ausprägung dieses einseitigen Ansatzes. Dippel ist außerdem der Ansicht, dass Mohl zwar die Macht der Bundesgewalt klar dargestellt habe, aber die Ausarbeitung der „Verhältnisse zwischen Bund und Einzelstaaten […] überaus vage“ sei, „ein Versäumnis, das tiefe Spuren bis in die Verfassungsberatungen der Paulskirche hinterlassen sollte“.40 Die Empörung Mohls in seiner äußerst negativen Rezension zu dem Werk Johann Georg Hülsemanns, der „nicht einmal den Unterschied zwischen Bundesstaat und Staatenbund bemerkte“,41 spricht dafür, dass er den Föderalismus durchaus als ein Kernstück des politischen Lebens in den USA ansah. Weitere Arbeiten von ihm zeigen jedoch, wie ihn andere Aspekte der dortigen Verfas-

35 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 4786 [Carl Anton Mittermaier, 19.1.1849, 155. Sitzung]. 36 E. Richter: Leitbilder (1982), S. 168. 37 R. Mohl: Entwicklung der Demokratie (1844), S. 282. 38 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 320. 39 J. Heideking: Modell Amerika (1997), S. 18. 40 H. Dippel: Verfassung in Deutschland (1994), S. 27 u. S. 29. 41 Cf. Ff. [Mohl]: Rezension (1825), S. 427.

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sung ebenso beschäftigten, etwa die demokratischen Entwicklungen. Auch der Republikaner Eduard Bleyer listete in einer Flugschrift 1848 insgesamt drei zentrale Elemente der US-Verfassung auf, die er nacheinander genauer untersuchte: das demokratische, das repräsentative und das föderative. 42 Dennoch war die Bundesstaatlichkeit zweifelsohne im Zentrum des deutschen Interesses. Dippels Einschätzung von Mohls Amerikaverständnis bestätigt zwar den Vorwurf Dreyers, dass die deutsche Staatswissenschaft nur fehlerhafte Kenntnisse des US-Systems hatte, widerlegt aber zugleich sein Urteil, Mohl habe kaum Einfluss gehabt, weil seine Arbeit zu Amerika rasch vergessen worden sei.43 Wäre dies der Fall gewesen, hätte ein mögliches Versäumnis seinerseits wohl kaum weitreichende Folgen in der Verfassungsdiskussion hinterlassen. Von der Bedeutung der Amerikaschrift Mohls für das deutsche Verständnis des Bundesstaatsrechts zeugen nicht nur die wiederholten Verweise darauf in der Nationalversammlung,44 sondern auch zahlreiche Referenzen in wissenschaftlichen Werken. Friedrich von Raumer etwa, der seine eigenen Beobachtungen in den USA durch eine sehr umfangreiche Lektüre von europäischen wie amerikanischen Studien ergänzte, stützte seine Untersuchung der Bundesverfassung fast ausschließlich auf Mohls Schrift.45 Schon 1826 berief sich Pölitz in seinem umfassenden Werk über die Staatssysteme Europa’s und Amerika’s seit dem Jahre 1783 ebenfalls auf Mohl.46 Erst 1872 übte Max Seydel ernsthafte Kritik an Mohl und dem gesamten Bundesstaatskonzept. 47 Gegen Preußen gerichtet argumentierte der Bayer Seydel, dass die den Bundesstaat tragende Idee von geteilter Souveränität zwischen Zentralgewalt und Einzelstaat eine Illusion der Staatswissenschaft sei. ‚Bundesstaat‘ sei nur ein „Zwitterbegriff“. Was kein Staatenbund mehr sei, müsse wohl oder übel zu einem Einheitsstaat werden – und das, so Seydel weiter, sei schließlich auch die eigentliche Absicht Preußens.48 Diese fortdauernde Prominenz der Schrift Mohls, obwohl sie – eigentlich auf zwei Bände angelegt – unvollendet blieb und noch stark von jugendlichem Enthusiasmus geprägt war, rührte aber auch daher, dass er zu den ersten Autoren gehörte, die Amerika aus einem staatswissenschaftlich-analytischen Blickwinkel

42 E. Bleyer: Republik (1848), S. 138. 43 H. Dippel: Kommentar (1990), S. 387. 44 Vgl. F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2724 [Carl Anton Mittermaier, 19.10.1848, 99. Sitzung]. 45 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 128. 46 K.H.L. Pölitz: Staatensysteme (1826), S. 462f. 47 M. Seydel: Bundesstaatsbegriff (1872), S. 197f. 48 Ebd., S. 196ff. u. S. 208.

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beleuchteten. So schrieb er 1825 an seinen Freund, den amerikanischen Konsul Warden in Paris, der ihm für die Arbeit über Amerika seine Bibliothek zur Verfügung gestellt hatte, es sei von Anfang an sein Anspruch gewesen, „à faire mieux connaitre à mes compatriotes les institutions de ce pays mémorable, dont ils n’ont pas des idées trop nettes“.49 Unter den politischen Professoren der Paulskirche ragen neben Robert von Mohl besonders zwei andere heraus, die sich bereits in den Jahren zuvor intensiv sowohl mit dem Begriffsfeld von Bund, Bundesstaat und Staatenbund als auch mit dem amerikanischen System beschäftigt hatten: Carl Anton Mittermaier und Carl Theodor Welcker. Ersterer versicherte seinen Kollegen in der Paulskirche, dass er sich „seit mehr als 40 Jahren“ wissenschaftlich mit dem Staatssystem Amerika auseinandergesetzt habe. Es war zwar keine einschlägige Monographie erschienen, doch als Berichterstatter für den Verfassungsausschuss konnte er seine Kenntnisse anbringen – vor allem bei den Begründungen des Entwurfs zum Abschnitt I Vom Reich und der Reichsgewalt und mehr noch in seinen Ausführungen zum Bundes- beziehungsweise Reichsgericht.50 Carl Theodor Welcker hatte sich im Vormärz in diesem Themenfeld besonders durch seinen Artikel Bund, Bündnis, Bundesstaat im Staats-Lexikon hervorgetan. Bei der Unterscheidung des Bundesstaats vom Staatenbund war Amerika eindeutig und explizit sein Leitmodell gewesen. So hatte Welcker entschieden zur Prägung des Bundesbegriffs und des Föderalismusverständnisses in Deutschland beigetragen.51 Er verstand es, die komplexe Debatte um Staatenbund und Bundesstaat neu und verständlich zusammenzufassen, dabei war das Bespiel der Vereinigten Staaten ihm ein nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel. 52 Welcker konnte dies leisten, weil sein umfassendes Verständnis der amerikanischen Verfassung über formalistisches Beschreiben hinausging.53 In der Paulskirche äußerte er sich jedoch weniger ausführlich als Mittermaier. Aus einem anderen Zusammenhang heraus argumentierte der spätere Emissär der Nationalversammlung in Washington, Friedrich von Rönne, der als preußischer Gesandter schon früher dort gelebt hatte. Für ihn waren besonders wirtschaftliche Belange von Bedeutung. Er engagierte sich für den Zollverein, der

49 Papers of Baily Warden, LOC [Mohl an Warden, 4.2.1825]. 50 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2982 [Carl Anton Mittermaier, 19.10.1848, 99. Sitzung]. Vgl. Eingangszitat der Einleitung dieser Studie. 51 R. Koselleck: Bund (1972), S. 664. 52 M. Dreyer: Föderalismus (1987), S. 114. 53 T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 95.

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für ihn, wie für viele andere – wenn auch hauptsächlich Preußen – durchaus ebenfalls ein Beispiel föderativer, allerdings eher staatenbündischer Organisation in Deutschland darstellte.54 Aber auch Rönne sah in der amerikanischen Bundesverfassung, die „sich nun 75 Jahre lang bewährt hat“, das beste Vorbild für eine Umgestaltung der deutschen Verhältnisse.55 In der Paulskirche sprach er gar von den „Vereinigten Staaten von Deutschland“.56 Durch seine eigenen Kenntnisse, „best informed and most persuasive“ in seinen Empfehlungen, war er darauf bedacht, seinen Kollegen das amerikanische Modell nahe zu bringen.57 Als Mitglied des Volkswirtschaftlichen Ausschusses meldete er sich im Plenum hauptsächlich bei den Überlegungen zu einer allgemeinen Gewerbeordnung zu Wort, bei der gerade die USA kein Äquivalent boten. Bezeichnenderweise fußte allerdings seine Argumentation zu einem großen Teil darauf, dass die Amerikaner „als durchaus praktische Leute“ eine solche hätten, wäre sie dort – wie in Deutschland der Fall – nötig gewesen.58 Die deutschen Staatswissenschaften bezogen ihr Wissen über Föderalismus und ihre Bundesstaatstheorien freilich keineswegs ausschließlich aus der USVerfassung. Die föderativen Systeme gerade der deutschen Geschichte hatten eine reiche Literatur hervorgebracht. Als erster Klassiker gilt heute Johannes Althusius mit seinem Werk Politica Methodice Digesta aus dem Jahr 1604. Ihm folgten im 18. Jahrhundert besonders Johann Stephan Püttner und Johann Jakob Moser. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren diese prominenten Theoretiker jedoch in Vergessenheit geraten und mussten erst „von neuem entdeckt“ werden.59 Eine wichtige Rolle spielten hierbei Johann Ludwig Klüber, der zwei Jahre nach dem Wiener Kongress 1817 Das öffentliche Recht des Deutschen Bundes und der Bundesstaaten herausgab, und Wilhelm Josef Behr, dessen Arbeiten sich besonders auf den Rheinbund konzentrierten. Hinter der Referenz auf Amerika verbarg sich folglich nicht die Absicht, einen Rückgriff auf die durch den Deutschen Bund unliebsam gewordenen deutschen Traditionen zu vermeiden, denn diese wurden parallel weiter diskutiert. Michael Dreyer sieht eine „paradoxe

54 T. Nipperdey: Föderalismus (1984), S. 7. 55 FSg 1/157 Nachlass Rönne, BA Koblenz [Friedrich Rönne an seine Wähler, 20.8.1848]. 56 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 195 [Friedrich von Rönne, 3.6.1848, 11. Sitzung] 57 J. Hawgood: Beziehungen (1928), S. 32; ders.: Diplomat (1948), S. 16. 58 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 962 [Friedrich von Rönne, 17.7.1848, 40. Sitzung]. 59 M. Dreyer: Föderalismus (1987), S. 39.

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Komik“ in der Bezugnahme auf Amerika, die er in der Föderalismustheorie für ein rein rhetorisches Mittel hält. In seinen Augen war die Bundesstaatstheorie des Vormärz nur eine Fortsetzung der „Doktrien [...], die ursprünglich für das alte Reich entwickelt worden waren“. Den wirkmächtigen Effekt eines realen, zeitgenössischen und erfolgreichen Bundesstaates als Anschauungsmaterial lässt er nicht gelten.60 Dabei war der Blick in andere Länder – nicht ausschließlich über den Atlantik – bei der Argumentation für eine föderative Lösung ebenso üblich und argumentativ wichtig wie schon in den Kontroversen zu Republik und Wahlkaisertum. Buß warnte allerdings davor, die verschiedenen Beispiele von Föderativverfassungen „in den gleichen Tiegel“ zu werfen und daraus den „Zwerg der Abstraction“ entstehen zu lassen.61 Er selbst wollte sich in seiner 1844 erschienenen Studie nur die damaligen Verfassungen der USA, der Schweiz und des Deutschen Bundes vornehmen, denn damit seien die „drei Hauptformen, welche die staatliche Cultur der neuen Zeit der Föderation auszuprägen vermocht hat“, abgedeckt. Der einzige der drei Bände, der erschien, befasste sich mit Amerika als Beispiel einer republikanischen Föderation, der Deutsche Bund sollte die monarchische Variante abdecken und die Schweiz „die Verbindung zwischen dem historischen und dem rationalistischen Republikanismus“ erklären. Auf dieser Grundlage wollte er dann die „schöpferischen Principien“ folgern, die für jede Bundesart gelten sollten.62 Der soeben zum ordentlichen Professor berufene Buß hatte dieses Projekt offenbar explizit als Lehrbuch angelegt, denn anders als bei den meisten seiner anderen Schriften fügte er hier einen Quellenteil und ein Sachregister an.63 In der politischen Wissenschaft während des Vormärz war man von den USA angetan, weil sie „das beste praktische Muster“ eines Bundesstaates boten, und weil die „Erfahrung der Weltgeschichte“ in Argumentationen meist mehr als „hohle Theorien“ galten. 64 Mohl konstatierte später: „Kurz, die Tatsache der neuen Regierungsform [eines Bundesstaats in den USA] hat die Wissenschaft um die Lehre von ihr bleibend erweitert“.65 Mohl und seine Kollegen waren sich durchaus darüber im Klaren, dass der Föderalismus keineswegs eine „amerikani-

60 M. Dreyer: Föderalismus ( 1987), S. 157. 61 F.J. Buß: Verfassungs-Urkunde (1838), S. XVII. 62 Ebd., S. XXI u. S. XXV. 63 D.K. Petri: Buß (2007), S. 141. 64 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 510 [Carl Stedmann, 23.6.1848, 22. Sitzung]. 65 R. Mohl: Staatswissenschaften (1855), Bd. I, S. 250.

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sche Erfindung“ war.66 Sie alle hatten sich zur Genüge mit den verschiedenen Theorien befasst. Trotzdem bot die US-Variante eine Neuerung. Bleyer fasste diese Erkenntnis 1848 in einer Flugschrift zusammen: „Offenbar kann man in dieser Beziehung die amerikanische Regierung nicht mehr als eine föderale bezeichnen (wie man dieses Wort in der alten Welt nimmt) […] für eine solche Regierungsform, die weder ganz national noch ganz föderal ist, als einer neuen Erscheinung in der politischen Welt, fehlt es noch an einem sie genügend charakterisierenden Eigennamen.“67

Letztlich erfuhr jedoch in der Bundesstaatsdebatte ein bereits existierendes Konzept eine ‚Vergegenwärtigung‘, eine Umdeutung und damit letztlich auch eine Ergänzung. Erich Angermann bezweifelt, ob die deutschen Staatswissenschaftler den amerikanischen Föderalismus in seiner vollen Ausprägung richtig interpretieren konnten, da sie, seiner Meinung nach, vor allem übersahen wie eng das Konzept mit republikanischen Grundlagen verbunden war.68 Die zentrale Frage darf aber nicht sein, ob jedes Detail der amerikanischen Konstruktion in seinem vollen Ausmaß erkannt und nachvollzogen wurde und ob die Europäer den amerikanischen Föderalismus „in seiner ganzen Kompliziertheit verstanden“, 69 denn in Deutschland war man vielmehr darauf bedacht, das transatlantische Modell für sich nutzbar zu machen und hatte bei den Studien des fremden Systems die deutsche Situation vor Augen. Direkte eigene Erfahrungen, zunächst mit dem Rheinbund und dann mit dem Deutschen Bund, selbst Erinnerungen an das Heilige Römische Reich, spielten eine erhebliche Rolle für die deutschen Interpretationen.70 In dem Spannungsfeld zwischen Theorie, wissenschaftlicher Auslegung, Weiterentwicklung und Systematisierung sowie der eigenen realen politischen Erfahrung entwickelten sich die Bundesstaatslehre des Vormärz und das Föderalismusverständnis der Abgeordneten in der Paulskirche.71 Abgesehen von der bereits nachgewiesenen Funktion des amerikanischen Beispiels als Anschauungsmaterial, Argumentationshilfe und Kontrastfolie war den Zeitgenossen durchaus bewusst, dass sich die theoretische wie praktische

66 E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 65. 67 E. Bleyer: Republik (1848), S. 152. 68 E. Angermann: Frühkonstitutionalismus (1974), S. 16 u. S. 25. 69 Ebd., S. 13. 70 T. Nipperdey: Föderalismus (1984), S. 3. 71 E. Richter: Leitbilder (1982), S. 122-124.

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Grundlage des deutschen Föderalismus von der amerikanischen Ausgestaltung unterscheiden musste. Carl Salomon Zachariä erkannte in seinen Studien zum Bundesstaatsrecht, dass es problematisch sei, „Konsequenzen aus Schulbegriffen zu ziehen und ein bestehendes gewissen Bedürfnissen entsprechendes Bundesverhältnis in einen solchen Begriff hineinzuzwängen“.72

P OLITISCHE P ERSPEKTIVEN Mit der Gründung des Rheinbundes 1806 wurde die Frage akut, was einen Staatenbund und was einen Bundesstaat ausmache.73 An den frühen Publikationen zum Rheinbund ist zu erkennen, dass eine klare Abgrenzung sich noch nicht durchgesetzt hatte, da er sowohl als Staatenbund als auch als Bundesstaat bezeichnet wurde. 74 1807 definierte Carl Salomon Zachariä den Rheinbund als „eine Gemeinschaft verbündeter Staaten“ (societatum civitatum foederatarum) und nannte als Gegenteil die USA, „ein Staat in dem mehrere Staaten zusammengefasst werden“ (civitatem, qua plures civitates continentur). 75 Emanuel Richter weist nach, dass ein Jahr zuvor, 1806, in der Herbstausgabe der Winkopp’schen Zeitschrift, erstmals der Begriff ‚Bundesstaat‘ auftauchte – und zwar im Bezug auf den Rheinbund.76 Auch die Zeitschrift Der Rheinische Bund folgte dieser Terminologie. 77 Thaddäus Gönner hatte 1805 sein Werk Deutsches Staatsrecht veröffentlicht, in dem er für das, was bis dahin seit der frühen Neuzeit als ‚zusammengesetzter Staat‘ bezeichnet worden war, den Begriff ‚Staatenbund‘ prägte.78 Diese beiden Begriffe trugen besonders einem Erhalt von Souveränität für die einzelnen Glieder Rechnung.79 Als Überbegriff, der sowohl einen Staatenbund als auch einen Bundesstaat bezeichnen konnte, setzte sich der Begriff ‚Bundesverein‘ durch. 80 1818 versuchte Friedrich Wilhelm Tittman eine genauere Erklärung des Konzeptes ‚Bundesstaat‘ zu formulieren: „[…] wornach

72 F.W. Zachariä: Staats- und Bundesrecht (1841-1845), zit. n. T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 103. 73 R. Koselleck: Bund (1972), S. 652. 74 Ebd., S. 653. 75 C.S. Zachariä: Jus Publicum (1807), S. 71 [§60]. 76 E. Richter: Leitbilder (1982), S. 116. 77 E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 66. 78 T. Gönner: Staatsrecht (1805), S. 633. 79 D. Langewiesche: Kleinstaaten (2007), S. 101ff. 80 C.T. Welcker (Hg.): Urkunden (1844), S. 35.

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[sic] der Bundesstaat den Charakter des Staates hat, für die einzelnen Staaten des Bundes ist, was der Staat für die Bürger. (Staat verbündeter Staaten, Staat durch Bund der Staaten. Man gebraucht auch das Wort Völkerstaat. Der angemessenste Ausdruck wäre Staatenstaat.)“81 Dem eigentlichen ‚Definitionsstreit‘ wurde 1820 mit der Terminologie der Wiener Schlussakte, die einen „völkerrechtlichen Verein […] unter sich unabhängiger Staaten“ stipulierte, ein formales Ende gesetzt. Diese Formulierung der Schlussakte, mit der Betonung auf ‚völkerrechtlich‘ und damit auf die staatenbündische Natur des Deutschen Bundes, richtete sich gegen jede Form von Zentralisierung und das Streben nach mehr Einheit.82 Die Thematik aber blieb präsent und intensivierte sich noch im Zuge einer erhofften Reform des Deutschen Bundes um 1830. Die Begriffsverwirrung zog sich durch den gesamten Föderalismusdiskurs in der ersten Jahrhunderthälfte und darüber hinaus.83 Immer wieder fand sich aber auch die Meinung, dass ein so theorielastiges Konzept nie gänzlich verstanden werden könne, wenn der praktische Bezug nicht gegeben sei. So erhielt das reale Beispiel jenseits des Atlantiks besonderes Gewicht in der Argumentation. In einer Rezension zu Welckers 1834 erschienenen Studie Ueber Bundesverfassung und Bundesreform hieß es, dass eine „große Annäherung und Ausgleichung unter den Theoretikern“ unmöglich sei, solange nicht „die Praxis in dem bestehenden Staatenbunde Teutschlands, so wie in den neuen Bundesstaaten Amerika’s zu einer festen politischen Form sich ausgeprägt haben wird“.84 Der Plural „Bundesstaaten“ zeugt von der noch unsicheren Verwendung dieses neuen Begriffs, der sowohl den einzelnen Staat in einer Föderation als auch das gesamte Gebilde bezeichnen konnte. Publizisten versuchten, das verhältnismäßig neue Konzept vom ‚Bundesstaat‘ in einer verständlichen Sprache für eine breitere Öffentlichkeit zu verdeutlichen und es von dem des ‚Staatenbundes‘ zu trennen.85 Allerdings stießen sie damit nicht nur auf positive Reaktionen. Franz Josef Buß etwa befürchtete hinter derartigen Schriften den „schimmernden Tand des scheinwissenschaftlichen Schachers“, der „nur zu oft die Beute sich als Sachverständig geberdender [sic] neuerungssüchtiger Marktschreier“ werde. In der Folge forderte er:

81 F.W. Tittmann: Darstellung (1818), S. 5. 82 R. Koselleck: Bund (1972), S. 658. 83 T. Nipperdey: Föderalismus (1984), S. 2f.; M. Dreyer: Föderalismus (1987), S. 107. 84 Anonym: Rezension Welcker (1834), S. 284. 85 T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 91f.; J.C. Friedrich: Constitutionalism Abroad (1967), S. 43.

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„Diesem publicistischen Frevel muss gestreut werden. Wehren sollen voran die Regierungen im pflichtmäßigen Bewusstsein ihrer Würde, sodann die Wissenschaft, deren Entartung den Fehl herangezogen hat. […] Nur auf diese Weise sühnt die Wissenschaft ihre Schuld […] im Bundesstaatsrecht und in der föderalen Politik, wo die Schule um so mehr irre gegangen, als Bundbildungen verwickelter sind.“86

Die Staatswissenschaft hatte mehrere Kriterien zu entwickeln versucht, die eine klare Bestimmung und Einordnung des Bundesstaatskonzepts ermöglichen sollten. Schon die Untersuchungen der Frühen Neuzeit hatten sich im Zuge des Westfälischen Friedens mit dem ‚ius foederis‘ befasst und Kriterien für eine Systematisierung gesucht, die für die spätere Bundesstaatstheorie nicht unterschätzt werden dürfen.87 Sie hatten nach Zweck, Ziel und Legitimation der Verbindungen gefragt sowie sich über starke und schwache, gleiche und ungleiche Bündnisse Gedanken gemacht. Auf diese Weise hatte „die Theorie des alten deutschen Reichsstaatsrechts der Bundesstaatslehre entschieden vorgearbeitet“. 88 Welcker legte in seinem Artikel im Staats-Lexikon erstmals eine umfassende Liste verschiedener Kriterien zur Unterscheidung von Staatenbund, Bundesstaat und Staatenbündnis vor. 89 Er fasste darin viele der wichtigen Argumente der zeitgenössischen Staatswissenschaft zusammen und beeinflusste seinerseits die folgenden Untersuchungen und Diskussionen auf diesem Themenfeld. Gerade in den rechtswissenschaftlichen Untersuchungen wurde die Unterscheidung häufig an formalisiert juristischen Konzepten von Staatsrecht und Völkerrecht festgemacht.90 Es war zwar möglich, den Staatenbund als eine rein völkerrechtliche Verbindung darzustellen, obgleich es dann immer schwieriger wurde, ihn von einem bloßen Staatenbündnis, dem dritten Konzept, das begriffsgeschichtlich eng mit den beiden anderen verbunden war, zu unterscheiden. Wenn man jedoch die Rechtslage in einem Bundesstaat auf eine rein staatsrechtliche Ebene reduzierte, sprach man den Einzelstaaten so viel Souveränität ab, dass es im Grunde auf einen Einheitsstaat mit mehreren Provinzen hinauslief. So stellte Rotteck auch 1834 fest, dass die Unterscheidung der beiden Konzepte anhand von Rechtszuständigkeit keine logisch haltbare Prämisse sei.91 Sie wurde jedoch, bis über die Revolution hinaus, noch Ende des 19. Jahrhunderts immer

86 F.J. Buß: Verfassungs-Urkunde (1838), S. XVIIf. u. S. XXI. 87 E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 67. 88 R. Koselleck: Bund (1972), S. 629 u. S. 627. 89 C. T. Welcker: Bund (1846), S. 714-729. 90 F.J. Buß: Verfassungs-Urkunde (1838), S. IXff. 91 K. Rotteck: Lehrbuch (1834), S. 655.

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wieder als Kriterium aufgegriffen. Eine Möglichkeit, diese Diskrepanz zu umgehen, war die Unterscheidung zwischen einem Vertrag einerseits, den einzelne Staaten in der Sphäre des Völkerrechts miteinander schlossen, und einer Verfassung andererseits – einem „Fundamentalgesetz“, das sowohl den völkerrechtlichen als auch den staatsrechtlichen Status bestimmte.92 Welcker machte die juristische Unterscheidung nicht an der Ausrichtung der Gesetze fest, sondern an ihrer Erschöpflichkeit. Ein Staatenbündnis und ebenso ein Staatenbund erlege seinen Mitgliedern explizit bezeichnete Rechte und Pflichten auf, im Bundesstaat hingegen würden derartige Bestimmungen im Voraus nicht festgesetzt.93 Ebenfalls immer wieder angeführt wurde die Frage nach dem Zweck eines Bundes. Auch hierin erkannte Welcker ein definitorisches Kriterium. Bis zu einem bestimmten Grad ging diese Überlegung mit dem juristischen Ansatz über das Völker- und das Staatsrecht konform, der besagte, dass ein Staatenbündnis sowie ein Staatenbund nur zu einem nach außen hin gerichteten Zweck begründet würden, während ein Bundesstaat zwar auch nach außen wirkte, in seiner Gründungsabsicht aber vor allem eine innere Komponente aufwies. Buß widersprach und vertrat die Auffassung, dass es falsch sei, die verschiedenen Föderativsysteme dem Zweck nach als „generisch verschieden“ einzustufen, worauf Welcker im Staats-Lexikon bestanden hatte.94 Vielmehr läge der Unterschied in der Art der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Zentralgewalt und Gliedstaaten – wobei das Staatenbündnis bei dieser Definition ausgenommen bleiben musste oder wiederum kaum von einem Staatenbund zu unterscheiden war. In diesem Zusammenhang erhielt die Dauer eines Bundes als Kriterium Bedeutung, denn hierin unterschieden sich nun endlich Staatenbund und Bundesstaat vom Staatenbündnis. Welcker war im Staats-Lexikon sehr darum bemüht, die temporal begrenzte Natur zwischenstaatlicher Bündnisse herauszustellen, in der sie sich sowohl vom Bundesstaat als auch vom Staatenbund unterschieden. Selbst Wilhelm von Humboldt, der sich eigentlich nicht mit einer „ängstliche[n] Wortbestimmung“ aufhalten wollte, erklärte 1816 in einem Brief an Hardenberg, dass der deutsche Staatsverein sich „von gewöhnlichen Bündnissen“ unterscheide, weil er „auf ewige Zeiten“ geschlossen worden sei.95 Ungeachtet der minutiösen Distinktionskriterien der wissenschaftlichen Abhandlungen waren in der politischen Wirklichkeit Mischformen ein natürlicher Ausdruck der vorherrschenden Begriffsverwirrung. Die genaue Unterscheidung

92 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 121; F.L. Rönne: Constitution (1835), S. 120. 93 C.T. Welcker: Bund (1846), S. 715. 94 F.J. Buß: Verfassungs-Urkunde (1838), S. X; C.T. Welcker: Bund (1846), S. 731. 95 R. Koselleck: Bund (1972), S. 656 u. S. 658 [Humboldt an Hardenberg, 30.9.1816].

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war noch während der Verfassungsverhandlungen 1848/49 nicht ganz geklärt und so fanden sich zwischen den vier Hauptrichtungen Einheitsstaat, unitarischer Bundesstaat, föderativer Bundesstaat und Staatenbund zusätzlich die verschiedenartigsten Abstufungen.96 Rönne stellte bedauernd fest: „Unglücklicherweise herrscht über das Wesen und die Bedeutung des Bundesstaates noch eine große Unklarheit der Begriffe bei uns, dass alle Tage dagegen gesündigt wird“.97 Gerade bei den Bestimmungen zur Souveränität der Einzelstaaten mangelte es an eindeutigen Schlüssen, was in den politischen Diskursen umso mehr spürbar wurde.98 In der Paulskirche beteuerte Rönne: „Ich will ebenso wenig einen Staatenbund; ich will einen Bundesstaat, und hätte gewünscht, dass wir mit der Definition des Bundesstaats unsere Berathung angefangen hätten.“99 Reinhart Koselleck konstatiert in den Geschichtlichen Grundbegriffen, dass letztlich beide Begriffe „dauernd definitionsbedürftig [blieben], ohne dass es jemals zu einer einhelligen Meinung gekommen wäre“.100 Dennoch wurden beide zunehmend instrumentalisiert und ideologisiert. So gab es dann auch neben den Erläuterungen zum Verfassungsentwurf nicht nur ein „Minoritätserachten“, das den Einzelstaaten mehr Souveränität lassen wollte, sondern auch ein „Minderheitengutachten“, das mehr Einheit forderte, obgleich sie alle sich dem Bundesstaat verschrieben hatten. „Es ist nämlich“, so hieß es in der Begründung des Letzteren, „der Begriff des Bundesstaats ein nicht ganz fest bestimmter und begrenzter“.101 Kritiker rügten die Ungenauigkeit des so vagen Begriffs und es gab Meinungen, die den Bundesstaat gar für eine „Erfindung der Professoren“ hielten. Mittermaier verwehrte sich jedoch entschieden gegen diese Auslegung.102 Bei einem Bundesstaat handele es sich nicht, betonte er, um das Konstrukt von Theoretikern, die – mit den Gegebenheiten in Deutschland konfrontiert – verzweifelt versucht hätten, nationale Einheit mit der Souveränität der Einzelstaaten zu verein-

96

E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 81.

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FSg 1/157 Nachlass Rönne, BA Koblenz [Rönne an seine Wähler, 20.8.1848].

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M. Dreyer: Föderalismus (1987), S. 109.

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F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 962 [Friedrich von Rönne, 17.7.1848, 40. Sitzung].

100 R. Koselleck: Bund (1972), S. 649. 101 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2739 u. S. 2742 [Minoritätserachten von Scheller, Detmold, Mühlfeld, v. Lassaulx und v. Rotenhan; Minderheitsgutachten von Blum, Wigard und Schüler aus Jena, 19.10.1848, 99. Sitzung]. 102 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 4786 [Carl Anton Mittermaier, 19.1.1849, 155. Sitzung].

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baren. Es sei vielmehr gerade die Flexibilität in der Anwendung, durch die sich dieses föderative Konzept auszeichne. Friedrich Christoph Dahlmann erklärte in seinem Bericht für den Verfassungsausschuss, dass diese „politische Lebensform von allerdings sehr verschiedenartiger Dehnbarkeit“ die Chance böte, „zwei miteinander kämpfenden Grundrichtungen unsers Volkslebens [„Reichseinheit“ und „Volksfreiheit“] durch einen Act der Versöhnung zu entsprechen“.103 Wie später die Debatten war schon der vormärzliche Diskurs über die Möglichkeiten einer bundesstaatlichen Organisation Deutschlands nicht frei von Polemik, die bis in die wissenschaftlichen Texte hineinsickerte. 104 Die zunehmende Enttäuschung über den restaurativen Charakter des Deutschen Bundes, die Stagnation und Repression ließ in der Bevölkerung Unmut über den „Fürstenbund“ aufkommen, dem es vor allem an nationaler Einheit fehlte. 105 Der „Staatenbund, [ist die Staatsform] bei welcher Deutschland in den letzten 30 Jahren so tief gesunken ist“, definierte 1849 ein politisches Wörterbuch.106 Welcker führte im Staats-Lexikon den Deutschen Bund als Beispiel eines Staatenbundes an, den er mit dem amerikanischen Bundesstaat kontrastierte. 107 Während des Vormärz wurde so die Anbindung des Begriffs ‚Staatenbund‘ an den heftig kritisierten Deutschen Bund derart eng, dass er bald ein Synonym für den Status quo in Deutschland wurde, ‚Bundesstaat‘ hingegen, als Projektionsfläche für nationale Einigungsbestrebungen, eine zukunftsweisende Funktion erhielt.108 Man dürfe nicht alle föderativen Systeme über einen Kamm scheren, mahnte Paul Achatius Pfizer im Staats-Lexikon, denn es sei ein Irrtum anzunehmen: „[D]ie föderative Verfassung ist das einzig passende für Deutschland und die hat das deutsche Volk“. Der Autor fuhr fort: „Das Erste ist so richtig als das Zweite falsch, so lange nicht aus dem deutschen Staatenbund ein nationaler Bundesstaat geworden ist“.109 Mit der Revolution von 1848/49 war zwar „die Stunde des Bundesstaats“ gekommen, doch die politisch aufgeladene und nach wie vor ungenaue Terminologie bleib problematisch.110 Die negative Assoziation zu ‚Staatenbund‘ färbte die

103 Ebd., Bd. V, S. 3803 [Friedrich Christoph Dahlmann, 4.12.1848, 128. Sitzung]. 104 T. Ellwein: Einfluß (1950), S. 108. 105 T. Nipperdey: Föderalismus (1984), S. 3; G.A. Ritter: Föderalismus (2005), S. 7f. 106 C.F.L. Hoffmann: Wörterbuch (1849), S. 28. 107 C.T. Welcker: Bund (1846). 108 T. Nipperdey: Föderalismus (1984), S. 9; R. Koselleck: Bund (1972), S. 659 u. S. 662. 109 P.A. Pfizer: Autonomie (1845), S. 15. 110 T. Nipperdey: Föderalismus (1984), S. 10. Vgl. auch: H. Boldt: Föderalismus (1990), S. 297-333 u. S. 297.

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Wahrnehmung des gesamten Begriffsfeldes und so haftete selbst dem Bundesstaatskonzept ein Makel an. 111 In den Debatten bedienten sich darüber hinaus zum Teil auch diejenigen des Bundesstaatsbegriffs, die sich für den Deutschen Bund in seiner gegenwärtigen Form aussprachen, und trugen so weiter zu der Begriffsverwirrung bei – sei es als rhetorischer Kunstgriff oder auf Grund der nicht eindeutigen Definition.112 Im Verfassungsentwurf entschied man sich daher mit Rückgriff auf das Mittelalter, von ‚Reich‘ zu sprechen.

P RAKTISCHE ARGUMENTATION Ein großer Teil der staatswissenschaftlichen Studien zum Föderalismus während des Vormärz waren sehr viel mehr als theoretische Beiträge zu einer abstrakten Forschungsdebatte. Welcker warnte im Staats-Lexikon vor Unklarheit und Verwirrung in der Bundesstaatslehre. Man müsse schließlich bedenken, merkte er an, „dass falsche verworrene Begriffe im Wissen auch eine falsche verworrene Ausbildung erzeugen“.113 Die politischen Professoren, wie Welcker, Mohl und Mittermaier, hatten immer die Umgestaltung der Verhältnisse im eigenen Land vor Augen. Selbst wer sich „bloß aus gelehrtem Interesse“ mit der Thematik befasse, schrieb Mebold 1846, sehe „eine Aufgabe der deutschen Wissenschaft“ darin, „das Bundesrecht nach vermögen ausbilden zu helfen“.114 1822 hatte Johann Ludwig Klüber in seinem Standardwerk Oeffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten zwar eingeräumt, dass seine Ausführungen „jetzt mehr noch nicht seyn [können] als Einleitung oder Vorbereitung […] als Begriffs- und Formellehre“, fuhr jedoch fort, indem er seine Leser daran erinnerte: „Nächst der Bundesversammlung, müssen die politischen Machthaber in den Bundesstaaten [i.e. hier Einzelstaaten], gleich den Lehrern und Schriftstellern, stets des hohen Berufs eingedenk seyn, von dessen Erfüllung das Vaterland Heilung seiner zahllosen Wunden, und einen fest und zweckmäßig geordneten Rechtszustand des Gemeinwesens erwartet.“115

Die Bundesstaatslehre war so schon früh nicht nur wissenschaftlich von Interesse, sondern auch politisch von Brisanz. Mitte der 1830er Jahre war Mohl noch

111 E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 83. 112 Ebd., (1972), S. 73. 113 C.T. Welcker: Bund (1846), S. 736. 114 C.A. Mebold: Verfassungspolitik (1846), S. 44. 115 J.L. Klüber: Oeffentliches Recht (1822), S. VIIIf.

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sehr vorsichtig bei seinen Ausführungen zum obersten Gerichtshof. Er empfahl zwar das amerikanische Beispiel zur „aufrichtigen Betrachtung“ und „des ernstesten Studiums jedes Publicisten würdig“, betonte aber, dass es sich dabei nicht um eine unbedingte Einrichtung eines jeden Rechtsstaates handele, und dass er die „positive Nachahmung der amerikanischen Einrichtung keineswegs anrathen [wolle]; allein zu den interessantesten und kühnsten Versuchen des neueren Staatsrechts“ rechnete er es dennoch.116 Knapp zehn Jahre später in dem Artikel Staatsgerichtshof in der ersten Ausgabe des Staats-Lexikons, die 1842 erschien, klagte der Verfasser Friedrich Murhard unter dem Vorwand, das ehemalige deutsche Reichsgericht zu untersuchen, vor allem sehr ausführlich über den traurigen Mangel einer vergleichbaren Institution im Deutschen Bund. 1845 wurde er für diesen Text festgenommen. Die kurhessische Regierung verhängte vier Monate Haft und 300 Reichstaler Geldstrafe.117 In der Paulskirche sahen die Wissenschaftler, die sich mit den Fragen des Föderalismus auseinandergesetzt hatten, endlich die Chance, das Konzipierte politisch umzusetzen.118 Der föderative Gedanke widersprach keineswegs dem nationalen Ideal. Goltz wies in seiner Flugschrift 1848 darauf hin, dass das „föderative System, welches durch geschichtlich entstandene und begründete Verhältnisse bedingt, als notwendiges Element eines kräftigen deutschen Staatslebens allgemein anerkannt“ sei. Im deutschen Verständnis während des Vormärz war beides eng miteinander verwoben.119 Von den Extremen auf beiden Seiten des Parteienspektrums abgesehen, war man sich in Frankfurt grundsätzlich einig, dass es in der gegenwärtigen Situation für Deutschland am sinnvollsten sei, eine bundesstaatliche Verfassung zu erarbeiten. Der Einwand Friedrich Rödingers, der sich zwar nicht ausdrücklich dagegen aussprach, aber seine Kollegen ermahnte, dass diese Lösung keineswegs die „Letzte und Einzige“ sei, verdeutlicht, wie dominierend die Idee eines wie auch immer gearteten deutschen Bundesstaates in der Nationalversammlung gewesen sein muss.120 Der kontinuierliche Definitionszwang aber wurde ihr zum Verhängnis.121 Gerhard Ritter hält die Begriffsverwirrung in der Bundesstaatslehre des deutschen Vormärz für einen bedeutenden Grund dafür, dass der Bundesstaat,

116 R. Mohl: Nordamerikanisches Staatsrecht (1835), S. 21-23. 117 H. Schäfer: Murhard (o. J), S. 14. 118 E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 79 u. S. 80. 119 D. Langewiesche: Föderative Nation (2000), S. 217 u. S. 222. 120 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 4076 [Friedrich Rödinger, 4.12.1848, 128. Sitzung]. 121 E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 80f.

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der eigentlich dem Doppelziel der Revolution, Freiheit und Einheit zu schaffen, genau entsprochen hätte, nicht realisiert wurde.122 Obgleich Mittermaier in der Paulskirche schwärmte: „Dieser Bundesstaat beruht auf einer herrlichen Vereinigung von zwei Elementen, dem nationalen Element der Gemeinsamkeit und dem Elemente particularer Eigenthümlichkeit. […] Jene Form des Bundesstaats die wir erstreben, sichert als Entschädigung für einzelne Opfer, die an den bisherigen Rechten das particulare Element bringen muss, jedem Einzelstaate eine Macht, welche durch die innere Verbindung von Kräften wächst, die sonst nur vereinzelt und daher schwächer wirkten.“123

In den wissenschaftlichen wie politischen Publikationen zur Bundesstaatslehre während des Vormärz kristallisierten sich verschiedene Tendenzen heraus. Die einen verstanden den Bundesstaat als eine Mischform: „Der Bundesstaat steht also zwischen dem einfachen Staat und dem Staatenbund in der Mitte“, erklärte Friedrich von Gagern 1833.124 Auf dieser Einstellung basierte auch die äußerst positive Einschätzung des Konzepts ‚Bundesstaat‘, das Mäßigung und Kompromissbereitschaft signalisierte. Mittermaier erklärte in der Begründung zu dem Entwurf des Verfassungsausschusses: „Eine neue Bundesform, die zwischen der Einheitsregierung und der bisherigen Form des Staatenbundes in der Mitte steht, die Form des Bundesstaats […] nur sie kann zunächst den bestehenden Verhältnissen und Interessen Deutschlands entsprechen.“125 Mittermaiers Einschränkung, der Bundesstaat sei „zunächst“ die beste Lösung, deutet auf einen zusätzlichen Aspekt dieser Lesart des Konzepts hin. Neben den Verortungen von ‚Bundesstaat‘ und ‚Staatenbund‘ auf der Skala zwischen Zentralismus und Föderalismus gab es auch einen Lösungsansatz durch Verzeitlichung. Buß sprach von „transitorischen Formen“. 126 Tittman beschrieb, wie ein Bundesstaat bei übermächtigen Einzelstaaten sich leicht zu einem Staatenbund entwickeln könne, während umgekehrt eine mächtige Bundesgewalt aus einem Staatenbund rasch einen Bundesstaat werden ließe. 127

122 G.A. Ritter: Föderalismus (2005), S. 11f. 123 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2723 [Carl Anton Mittermaier §1-20/Gustav Droysen §21-61, 19.10.1848, 99. Sitzung]. 124 F. Gagern: Unitarier (1833), S. 75. 125 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2722 [Carl Anton Mittermaier §1-20/Gustav Droysen §21-61, 19.10.1848, 99. Sitzung]. 126 F.J. Buß: Verfassungs-Urkunde (1838), S. XI. 127 F.W. Tittmann: Darstellung (1818), S. 7.

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Man hielt folglich entweder den Bundesstaat für eine Übergangserscheinung vom Staatenbund zum Einheitsstaat oder aber man stellte den Staatenbund als ein temporäres Phänomen dar, weil er entweder ein zerfallender oder ein werdender Bundesstaat sei.128 „In einem jeden Staatenbund“, so erklärte Zachariä, liege „ein Keim der Auflösung“.129 Die Verbreitung derartiger Interpretationen führte dazu, dass föderativ organisierte Staatsformen generell eher als „unvollkommen und unbeständig“ galten, selbst der positiver eingeschätzte Bundesstaat.130 Friedrich von Gagern war ein Vertreter der Ansicht, dass der Bundesstaat eine sinnvolle Übergangslösung sei, um die Gefahr eines Bürgerkriegs bei der Bildung eines zentralistischen Einheitsstaates zu minimieren. Auf lange Sicht kam aber in seinen Augen für das monarchisch geprägte Deutschland nur Letzterer in Frage. 131 Buß sprach vom Bundesrecht als dem „Grenzhüter des Uebergangs der politischen Gegenwart auf der Brücke zur Zukunft“.132 In diesem Zitat verbirgt sich sowohl die Sichtweise, die im Bundesstaat nur eine Übergangslösung sah, als auch die hoffnungsvoll auf die Zukunft gerichtete Verzeitlichung des Bundesrechtsbegriffs. Aurel Popovici argumentierte noch 1906 entlang denselben begrifflichen Trennlinien wie seine Vorgänger. Als er ein Föderalismuskonzept zur Entwicklung eines Entwurfs für die „Vereinigten Staaten von Groß-Österreich“ nutzte, berief er sich auf Männer wie Buß, Klüber oder Dahlmann und schrieb: „Wir sind heute wieder genau dort, wo wir in den Vierziger und sechziger Jahren waren, nämlich bei der Kernfrage: Zentralismus oder Föderalismus? […] Nun gibt es aber zwischen dem extremen Zentralismus und dem extremen Föderalismus einen Mittelweg, das ist der, welcher zum Bundesstaate führt.“133

Während die einen also den Bundesstaat als eine Art Kompromiss oder „Brücke“ zwischen Einheitsstaat und Staatenbund sahen, war für die anderen ein bundesstaatliches System das einheitlichste, was für Deutschland überhaupt denkbar schien. So rückte der Bundesstaat näher an den Einheitsstaat und wurde zum klaren Gegenstück des Staatenbundes. Damit entwickelte sich langsam der „föderative Nationalismus“, der sich zum Ende des Jahrhunderts durchset-

128 P.A. Pfizer: Autonomie (1845), S. 16. 129 H.A. Zachariä: Constitution (1836), S. 11. 130 E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 69. 131 T. Nipperdey: Föderalismus (1984), S. 10. 132 F.J. Buß: Verfassungs-Urkunde (1838), S. XXIX. 133 A. Popovici: Groß-Österreich (1906), S. 242.

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zen sollte. Das Streben nach einem starken, nationalen Einheitsstaat, dessen föderative Tradition aber „Politik, Gesellschaft und Kultur gleichermaßen durchdrang“.134 Der Staatenbund hingegen geriet wieder in das Bedeutungsfeld des Staatenbündnisses. Marquard Adolph Barth erklärte seinen Kollegen in der Paulskirche, dass das, „was die Nation von uns verlangt, […] nicht jene ideale Einheit [sei], die sich als loses Band um eine große Ländermasse schlingt, sondern eine organische, eine wahre eine praktische Einheit“. Darin sah er die einzige Möglichkeit für Deutschland, seine nationalstaatlichen Bestrebungen zu verwirklichen: „Nur wenn es hervortritt, dass Deutschland aufgehört hat ein Durcheinander zu sein, und ein Bundesstaat geworden ist, […] nur dann wird unser Werk glauben finden beim Auslande, wie beim eigenen Volk, nur dann werden wir Ansehen haben und Credit.“135 Johann Ludwig Tellkampf schrieb dazu 1848: „Die lebenskräftigste aller Staatsformen ist ein Bundesstaat […] die schwächste ist ein Staatenbündniß.“136 Diejenigen, die von diesem diametralen Gegensatz von ‚Bundesstaat‘ und ‚Staatenbund‘ überzeugt waren, forderten eine „vollständige Verwirklichung und folgerichtige Durchführung“, dass man die eine oder die andere Staatsform „erwählen und jede[n] ganz und rein und consequent durchführen“ solle.137 Eine Vermischung schien unzulässig und gefährlich. Welcker ereiferte sich in einer Publikation von 1844: „Nichts ist seichter und praktisch verderblicher als die Halbheit, als die Schwäche mancher Staatsmänner und Theoretiker, die sich damit trösten, dass man Mischungen zwischen Staatenbund und Bundesstaat […] rechtfertigen könne.“138 Noch in der Paulskirche prangerte Wilhelm Michael Schaffrath die „sogenannte Mitte, jene Halbheit, die nicht consequent ist“, an.139 Tittman wandte sich gegen den Anspruch, unbedingt eines der beiden Systeme ausschließlich anzuwenden, denn, so erklärte er, „die Berührung verschiedener Elemente ist das Lebensprinzip der Welt“ und „weder Mangel an Reinheit und Klarheit der Verhält-

134 D. Langewische: Föderative Nation (2000), S. 215f. 135 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VI, S. 4755 [Marquard Adolph Barth, 18.1.1849, 154. Sitzung]. 136 J.L. Tellkampf: Bundesverfassung (1848), S. 1. 137 C.T. Welcker (Hg.): Urkunden (1844), S. 43. 138 Ebd., S. 43. 139 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 434 [Wilhelm Schaffrath, 21.6.1848, 20. Sitzung].

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nisse, noch die Unmöglichkeit strenger Ausführung entscheidet über die Verwerflichkeit jener Formen gesellschaftlichen Lebens“.140 Um die Gegenüberstellung der beiden föderativen Varianten zu untermauern, wurden auch die Parteikämpfe der amerikanischen Gründerzeit herangezogen. Mebold erinnerte seine Leser: „Auch in Amerika gab es widerstrebende Interessen […] Unwissende die von einer starken Centralgewalt den Untergang der republikanischen Freiheit fürchteten, Uebelgesinnte denen schon das Föderalband lästig war, weil sie die Freiheit mit Zügellosigkeit verwechselten.“141

Sowohl ungenaue Kenntnisse der frühen Parteikämpfe während der amerikanischen Verfassungsdiskussion, als sich die zentralistisch orientierten Federalists und die auf Einzelstaatsrechte insistierenden Anti-Federalists gegenüberstanden, als auch das oft nur bruchstückhaftes Wissen über neuere Entwicklungen der politischen Landschaft in den USA, wie der Hartford Convention, als eine Gruppe Federalists angesichts des War of 1812 mit der Sezession drohte, verwirrten die deutschen Beobachter und führten zu gegenteiligen Aussagen. Zachariä etwa beschrieb die Federalists völlig verzerrt als Vertreter eines Staatenbundes, für Mohl hingegen erschien ihre Position besonders lobenswert, weil sie einen realisierbaren Bundesstaat forderten.142 Bei aller Begeisterung für den dortigen Bundesstaat im Allgemeinen wurden gegen den amerikanischen Föderalismusentwurf auch Vorbehalte laut. Selbst seine Bewunderer räumten ein, dass es Gefahren gab, die noch nicht gänzlich gebannt seien, allerdings habe die amerikanische Union „sich, wie kein Staat der Welt […] mit schützenden Institutionen gegen den Verfall umgeben“. 143 Am häufigsten waren Warnungen vor einer Zersplitterung durch die Uneinigkeit über die Sklaverei, dicht gefolgt von der Sorge um eine sich entwickelnde Geldaristokratie und eine „Aristokratie des Geistes“. 144 Auch die Größe des amerikanischen Staates, der sich rapide über den Kontinent ausbreitete und daher ohnehin begann bedrohlich zu wirken, wurde problematisiert.145 Neben den rein prakti-

140 F.W. Tittmann: Darstellung (1818), S. 8. 141 C.A. Mebold: Verfassungspolitik (1846), S. 41 [Kommata sic]. 142 H.A. Zachariä: Constitution (1836), S. 14; R. Mohl: John Marshall, (1840) S. 175. 143 J.J. Roßbach: Bundesverfassung (1848), S. 123. 144 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 29; ders.: John Marshall (1840), S. 184; F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 320ff. 145 J. Rönne: Hauptzüge (1867), S. 4 [Rönne an Ancillon, 1.8.1835].

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schen Schwierigkeiten einer effektiven Administration hielt man es bei einer zu weiten Ausdehnung auch für unwahrscheinlich, dass die Interessen des gesamten Volkes noch auf einen Nenner gebracht werden könnten.146 Diese Sorgen waren freilich auch den Amerikanern selbst nicht fremd. Der Föderalismus und die damit verbundenen Fragen und Diskussionen blieb trotz der verschiedenen Vorbehalte das Konzept, bei dem am häufigsten offen, direkt und uneingeschränkt das Vorbild Amerika evoziert wurde. Mohl stellte begeistert fest: „Sie [die USA] haben alle diese allgemeinen und besonderen Schwierigkeiten glücklich beseitigt“, und fügte dann hinzu: „freilich reichlich belehrt und ermuntert durch die üblen Erfahrungen während des Staatenbundes von 1781-1789“.147 Diese Sichtweise auf die erste amerikanische Staatenverbindung teilten viele von Mohls Zeitgenossen. Die Verbindung der Kolonien zwischen 1781 und 1789 unter den Articles of Confederation sei ein Staatenbund gewesen, nachdem aber die Schwächen und Mängel hervorgetreten waren, hätten die Amerikaner erkannt, dass „ihre Conföderation ein Werk der Eile und der Umstände“ gewesen sei. So siegte „der Gute Genius“ und „der Staatenbund wurde in einen Bundesstaat verwandelt“.148 Einen vergleichbaren Weg sollte der Deutsche Bund gehen. 149 1836 hatte Zachariä konstatiert, dass die Articles of Confederation „ohngefähr das, was der deutsche Bund seiner ursprünglichen Gestalt nach war“, gewesen seien.150 In der Folge erhielten nicht nur das Ergebnis, die amerikanische Bundesverfassung, sondern auch der Entwicklungsprozess, der ihr vorangegangen war, einen illustrativen und durchaus auch inspirierenden Charakter in der deutschen Staatstheorie. 151 Rönne erklärte im April 1848: „Ich glaube nämlich, dass wir uns bei der Bildung der deutschen Bundesverfassung die amerikanische Bundesconstitution als Muster und Vorbild dienen lassen müssen. […] Die Vereinigten Staaten unter den Conföderationsarticeln boten im Wesentlichen dasselbe Bild wie die deutschen Bundesstaaten unter der bisherigen Bundesverfassung.“152

146 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 79. 147 R. Mohl: Nordamerikanisches Staatsrecht (1835), S. 21; ders.: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1862), Bd. II, S. 358. 148 C.A. Mebold: Verfassungspolitik (1846), S. 41. 149 C.T. Welcker (Hg.): Urkunden (1844), S. 35; A. Scholl: Unionsverfassung (1913), S.1f. 150 H.A. Zachariä: Constitution (1836), S. 14 u. S. 11. 151 J. Hawgood: Beziehungen (1928), S. 30. 152 Ebd., S. 32 [Rönne, 28.4.1848].

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Diese Parallele verdeutlicht, wie die Unzufriedenheit mit den Zuständen im Deutschen Bund und die Zukunftshoffnungen für einen Bundesstaat, getragen von der zeitlichen Dimension eines Entwicklungsprozesses, mit der Bewunderung für das amerikanische System in einer Argumentationslinie zusammengebracht wurden. Die Frage nach der Einheit des Volkes erhielt in der deutschen Staatswissenschaft viel Aufmerksamkeit. Friedrich Rödinger war der Meinung, dass in Deutschland eine Einigung auch dadurch erschwert werde, dass nicht einzelne Staaten sich vereinen sollten, sondern verschiedene Stämme.153 Er gehörte dem Flügel der Demokraten an, der nicht unbedingt für einen zentralistischen Einheitsstaat nach französischem Vorbild eintrat, sondern unter Umständen das föderative Grundkonzept für Deutschland als sinnvoll erachtete, aber darauf abzielte die herrschaftlichen Grenzen der Einzelstaaten zu marginalisieren oder abzuschaffen und eine regionale Gliederung anhand der historischen Wurzeln zu kreieren.154 Daraus ließ sich ein weiterer Unterschied zu den USA folgern, der eine Übertragung erschwerte. Hartwig Brandt sieht in der wachsenden Bedeutung des „ethnische[n] Nationalverständnis[es]“, das die „demokratisch-liberalen Grundsätze[n]“ in den Hintergrund drängte, einen zentralen Grund für die Schwierigkeiten der deutschen Verfassungsdiskussion während des Vormärz gerade im Bezug auf Repräsentation.155 „[W]ir können noch nicht sagen: Wir sind Eine deutsche Nation!“, klagte von Vincke in der Nationalversammlung, stattdessen existierten „38 verschiedene[n] deutsche[n] Nationen“.156 Es sei folglich entschieden einfacher, bestätigte im gleichen Jahr eine Flugschrift, unter den amerikanischen Voraussetzungen, „nicht beirrt durch die Geschichte“, ein föderatives System auszuhandeln.157 Dieser Einwand ging jedoch aus zwei Gründen nicht auf. Die Territorien der deutschen Einzelstaaten stimmten mit den fließenden Grenzen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen kaum überein, so dass auch in Deutschland Staaten, nicht Stämme die politische Handlungseinheit blieben. Auch bei der Gründung der USA wurde auf das Heftigste diskutiert zwischen großen und kleinen Staaten, Gebieten an der Küste und im Landesinneren, Vertretern des Südens und des Nordens. Die deutschen Beobachter aber

153 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 4076 [Friedrich Rödinger, 4.12.1848, 128. Sitzung]. 154 T. Nipperdey: Föderalismus (1984), S. 8. 155 L. Brandt: Repräsentation (1968), S. 34. 156 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 136 [Georg von Vincke, 27.5.1848, 8. Sitzung]. 157 D. Hansemann: Verfassungsfrage (1848), S. 29.

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nahmen diesen Teil des Gründungsprozesses nur marginal wahr und führten das Gelingen der Bundesverfassung auf „die vermittelnde, das Ganze erfassende Weisheit eines Washington, Jefferson, Madison usw.“ zurück.158 Die Bedeutung dieser ‚Helden‘ der Revolution übernahm man von den USA selbst, die auf genau diese Weise eine nationale Tradition und emotionale Bindung zu begründen suchten, die ihnen als Einwanderernation fehlte und die deutschen Beobachtern unentbehrlich schien. Besondere Bedeutung erhielten in diesem Prozess auch einzelne Kerndokumente. Statt kultureller Verwurzelung war das Bekenntnis zu den Ideen und Konzepten – etwa zu der Unabhängigkeitserklärung und vor allem der Verfassung – der Bezugspunkt, über den sich amerikanische Bürger definierten.159 Für Deutsche war es schlicht unvorstellbar, dass man zu einem in ihren Augen nüchternen, bürokratisch entstandenen Staat ohne nennenswerte historische Traditionen eine ähnliche emotionale Verbundenheit empfinden könne wie zu ihren heimatlichen Staaten oder zu der Idee einer Nation. Dass die USBürger, trotz der trockenen und formalistischen Grundlage ihres Staates, sowohl auf der lokalen Ebene als auch auf den ganzen Bund bezogen, einen ausgeprägten und leidenschaftlichen Patriotismus an den Tag legten, überraschte viele Europäer. Schmidt-Phiseldeck war davon beeindruckt, wie „ein Aggregat fremdartiger Massen“ in den verschiedenen Staaten der USA zu einer Einheit wurde, „welche nicht das Gemüth, sondern das allgemeine Gesetz untereinander verknüpft“.160 Francis P. Grund berichtete von seinen Beobachtungen in den USA, wo sich ein für ihn kaum nachvollziehbarer Verfassungspatriotismus zeigte: „Die Amerikaner geben ein seltsames Schauspiel eines Volkes, durch keine Bande zusammengehalten, als die gemeinsame Beschäftigung und das gemeinsame Gesetz. […] Sie lieben die Theorie ihrer Verfassung, und verpflanzen auf sie die Liebe zur Heimath oder zum Vaterlande.“161 In einigen deutschen Texten fanden sich Anklänge einer weiteren Diskussion, die auch in den USA selbst immer wieder aufflammte, nämlich um die Frage, ob die amerikanischen Einzelstaaten vor ihrem Zusammenschluss souveräne Einheiten gewesen waren, oder ob sie, aus der Abhängigkeit von Großbritannien kommend, direkt im Bund aufgegangen waren, ohne den sie nicht handlungsfähig gewesen wären.162 Weiter verbreitet war auf beiden Seiten des Atlantiks allerdings die Meinung, dass die souveränen Einzelstaaten dem Bund vorausge-

158 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 24. 159 J. Sheehan: Ausnahme (1994), S. 240. 160 C.F. Schmidt-Phiseldeck: Europa und Amerika (1820), S. 254. 161 F.P. Grund: Americaner (1837), S. 144. 162 J.N. Rakove: Original Meanings (1997), S. 163.

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gangen seien, was man besonders an der schon außergewöhnlich stark ausgeprägten Selbstständigkeit der Provinzen noch unter britischer Herrschaft festmachte. Diese Sichtweise untermauerte für amerikanische Politiker wie Calhoun die Forderungen nach mehr Kompetenzmacht für die Bundesstaaten. In Deutschland erleichterte sie den Vergleich mit der eigenen Situation. Wer aber der Ansicht war, dass die amerikanischen Bundesstaaten ohnehin nie eine – den deutschen Staaten vergleichbare – Autonomie besessen hatten, konnte unter Anderem damit den Beweis führen, dass eine Übertragung des Systems keinen Erfolg haben könne, es folglich nicht einmal als Beispiel tauge und die Argumentation hinfällig werde. Ludwig Heeren monierte bereits 1817, man solle doch den Deutschen Bund als das akzeptieren, was er sei, und „die Vergleichungen, die man zwischen ihm und Nordamerika […] stillschweigend anstellte“, unterlassen. 163 Aber der Blick über den Atlantik wurde nur selten „stillschweigend“ unternommen und die Schwächen und Mängel der eigenen Situation umso schmerzlicher gefühlt. Es sei „keine leichte Sache, ein Bundesstaat zu gründen“, urteilte Welcker im Staats-Lexikon. Die zentrale Problematik in jedem föderativen System war die Aufteilung und Zuordnung der Kompetenzen von Bundesgewalt und Gliedstaaten. Welcker fuhr fort: „Es bleibt schwer, selbst wenn die ganze öffentliche Meinung schon darüber entschieden wäre, dass er am besten die erste und letzte Aufgabe aller Staatenvereine einer Nation löse, namentlich die möglichste Freiheit mit der Einheit dauernd zu verbinden, dieser Grundsatz der Staaten, welcher eigentlich mit dem der Schöpfung oder dem der ‚Harmonie der Mannigfaltigkeit‘ zusammenfällt.“164

Hinsichtlich der Lösung, für die man sich in den USA entschieden hatte, erklärte Hamilton in den Federalist Papers, er könne sich kaum vorstellen, dass die Rechte, welche bei den Staaten belassen worden seien, für die Bundesregierung überhaupt von Interesse seien, selbst wenn man von „the utmost latitude to the love of power, which any reasonable man can acquire“ ausginge.165 In Deutschland stand man vor dem Dilemma nicht zum ersten Mal. „Wir sind ein Bundvolk durch Geschichte und Wirklichkeit“, konstatierte Bunsen.166 Mohl stellte in einer Rezension der Schriften John Marshalls fest, dass es „wohl

163 L. Heeren: Eröffnung (1817), S. 72. 164 C.T. Welcker: Bund (1846), S. 734. 165 A. Hamilton: Federalist Nr. 17 [1787] (1982), S. 95. 166 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 12.

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vor Allem in Deutschland nicht nöthig [ist], die Schwierigkeiten hervorzuheben, welche jede Art von Bundesverfassung hinsichtlich der richtigen Stellung der Gesammtheit zu den Gliedstaaten“ ergebe. „Müht sich doch auch bei uns die Staatskunst vergeblich ab“.167 Raumer urteilte mit der in seinen Schriften häufigen Spitze gegen Frankreich: „Nordamerika hat dieselbe vollständig zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst, und dort ist für Deutschland mehr zu lernen als in Paris“.168 Diese Erkenntnis hatte Mohl schon 1823 in seiner jugendlichen Euphorie dazu gebracht zu fragen: „Kann es daher einen zur aufmerksamen Betrachtung tauglicheren Gegenstand geben, als eine in der Wirklichkeit bestehende Bundesverfassung? Denn selbst ganz abgesehen von dem Nutzen, welchen der Staatsmann aus der Durchforschung des verwickeltsten und schwierigsten Puncte seiner Wissenschaft für sich ziehen mag, muss nicht der Versuch diese Schwierigkeiten zu besiegen, diese inneren Widersprüche auszugleichen den großen Reitz der Lösung eines schwierigen Problems, von dessen richtiger oder unrichtiger Behandlung das Glück von Millionen abhängt, für jeden Menschen haben?“169

Rheinbund und Deutscher Bund hatten gezeigt, dass es notwendig war, der Bundesgewalt ausreichend Macht zuzuteilen, um sich gegen die Einzelstaaten durchsetzen und die Einheit wahren zu können. Gleichzeitig fürchtete man sich vor zu starker Zentralisation, die man an Frankreich aufs schärfste kritisierte. 170 Tellkampf plädierte dafür, man solle der „deutschen Centralregierung […] ähnliche Rechte übertragen […], wie diejenigen, welche der Centralregierung in Washington zugetheilt sind“.171 Ihr eigener Lokalpatriotismus ließ die Abgeordneten jedoch gleichzeitig mit Stolz von den vielfältigen Traditionen der verschiedenen deutschen Staaten sprechen. Schaffrath verkündete leidenschaftlich: „Ich liebe die Einheit; aber noch mehr liebe ich die Freiheit und diese werde ich nie verkaufen für eine ungewisse Einheit“, woraufhin er Bravorufe erntete.172 Um einer „Zerfleischung Deutschlands“ vorzubeugen, mahnte Bluntschli, müsse man schon bei der Ausarbeitung der Grundprinzipien sowohl der Bundesgewalt als

167 R. Mohl: John Marshall (1840), S. 165. 168 F. Raumer: Reden (1848), S. 8. 169 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. VIf. 170 G.A. Ritter: Föderalismus und Parlamentarismus (2005), S. 6. 171 J.L. Tellkampf: Bundesversammlung (1848), S. 1. 172 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 436 [Wilhelm Schaffrath, 21.6.1848, 20. Sitzung].

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auch den Einzelstaaten ausreichend Respekt zollen.173 Damit trat in aller Heftigkeit der innere Widerspruch zu Tage, der sich gezwungenermaßen bei dem Zusammenschluss mehrerer Staaten ergeben musste, die gleichzeitig eine starke Gesamtmacht anstrebten, aber so wenige als möglich von ihren eigenen Rechten aufzugeben bereit waren, „also die immer zugleich wollen und nicht wollen“.174 Mohl stellte im Vorwort zu seiner Studie über Das Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika die Verbindung dieser praktischen Herausforderung zu der theoretischen Diskussion her: „In diesem Zwiespalt liegt denn auch das Princip der verschiedenen Gattungen von Staats-Verbindungen, […] dem Staatenbunde oder dem Bundesstaate.“175 Bei der Machtbemessung für den Bund sei man praktisch gezwungen, kommentierte Tellkampf 1848 das Problem, „zwischen Schwäche und Anmaßung von Gewalt zu wählen“.176 Angesichts dieses Dilemmas klagte der praktische Rönne, man habe die Gelegenheit verpasst, „den ersten Augenblick der Begeisterung“ zu nutzen, um den Einzelstaaten die erforderlichen Opfer abzuringen.177 Gut möglich, dass er dabei auch an die amerikanische Geschichte dachte. Bülau lobte die US-Verfassung ob des „richtigen politischen Tacts“, mit dem sie die Souveränität der Einzelstaaten, soweit als möglich, erhielte. Auch für Raumer als einen Vertreter Preußens, der die Mannigfaltigkeit der deutschen Staaten schätzte, war die Frage nach der Eigenständigkeit der Einzelstaaten am wichtigsten.178 Ihre Rechte, aber auch die des Bundes müssten gesichert bleiben, „gleichheilig, gleichunantastbar“. Auf dieser „wechselseitigen Anerkennung“ beruhe der Fortschritt in „steter, ungetrübter Einheit“, den man in Nordamerika beobachten könne.179 Von einem föderativen Staat erhofften sich die Liberalen einen gesunden Wettstreit der verschiedenen Einzelstaaten, der Kultur und Wissenschaft nur förderlich sein konnte. Auch dies sei „durch die Erfahrung von Nordamerika nachgewiesen“.180 Allerdings konnte dieses letzte Beispiel als Argument gerade in ihren eigenen Kreisen nur sehr wenig Bestand haben, da sich

173 J.C. Bluntschli: Bemerkungen (1848), S. 87. 174 R. Mohl: Nordamerikanisches Staatsrecht (1835), S. 21. 175 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. IV. 176 J.L. Tellkampf: Bundesversammlung (1848). 177 FSg 1/157 Nachlass Rönne, BA Koblenz [Rönne an seine Wähler, 20.8.1848]. 178 F. Raumer: Reden (1848); W. Friedrich: Raumer (1930), S. 40. 179 W. Friedrich: Raumer (1930), S. 21f. 180 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2723 [Carl Anton Mittermaier §1-20/Gustav Droysen §21-61, 19.10.1848, 99. Sitzung].

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das deutsche Bildungsbürgertum in seinem kulturellen und wissenschaftlichen Überlegenheitsgefühl gegenüber den USA einig war. In ihren Studien zu föderativen Strukturen fragten deutsche Staatswissenschaftler immer wieder, ob Staaten trotz ihrer Unterordnung unter eine Bundesgewalt souverän bleiben könnten. Vielen von ihnen erschien dies als ein Widerspruch in sich, vor allem weil das aufkommende Nationalgefühl zu einem immer stärkeren Argument in den Überlegungen zu der zukünftigen Organisation Deutschlands wurde.181 Diese Ambivalenz war Thema zahlreicher Beiträge zum staatswissenschaftlichen Diskurs, trat aber auch in den politischen Debatten immer wieder hervor. Dreyer moniert, die Liberalen hätten schlicht „ihr ‚Vorbild‘ solange interpretiert, bis es tatsächlich die Schablone für gänzlich anders gelagerte Verhältnisse […] abzugeben schien“.182 Damit weist er zu Recht darauf hin, dass die Argumentation mit Hilfe des amerikanischen Beispiels Umdeutungen erforderte; Ziel war es jedoch nicht, einfach eine Schablone zu erhalten. In theoretischen Fragestellungen lieferten amerikanische Quellen Denkanstöße und praktische Optionen. Dies galt auch für die Machtbemessung der Bundesgewalt. Die Mehrheit der staatswissenschaftlichen Kommentare hielt es für eine richtige Entscheidung der Amerikaner, die negativen Rechte bei den Staaten zu belassen und dem Bund nur die explizit aufgezählten Kompetenzen zuzugestehen.183 In diesem Sinne war auch Mittermaiers enge Orientierung am Amendment X der US-Verfassung zu verstehen. 184 Buß jedoch kritisierte, es sei falsch „nur den einen [Aufgaben-]Kreis zu umschreiben“, da so suggeriert werde, dass die Bundesgewalt weniger Selbstständigkeit habe und damit auch weniger Macht als die Glieder. Diese Denkweise verbarg sich auch hinter Claussens Antrag in der Nationalversammlung, den Einzelstaaten nur die Rechte zu lassen, „welche die Reichsgesetzgebung übrig lässt“. Mittermaier aber entgegnete darauf schlicht: „Fragen Sie in Amerika, ob nicht eine Gefahr da ist, wenn der Reichsgewalt zu viel und auf unbestimmte Weise eingeräumt ist.“185 Das Austarieren der Gewaltenbalance in der Realität war und ist stark von lokalen Gegebenheiten abhängig und lässt sich kaum rein theoretisch entwer-

181 R. Koselleck: Bund (1972), S. 634. 182 M. Dreyer: Kommentar (1990), S. 382. 183 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 26. 184 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2729 [Carl Anton Mittermaier, 19.10.1848, 99. Sitzung]. 185 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2980 u. S. 2983 [Hans Claussen und Carl Anton Mittermaier, 19.10.1848, 99. Sitzung].

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fen.186 Es ist außerdem schwierig, komplexe Konzepte, wie etwa den Föderalismus, nur in Teilen anzuwenden, da es bei mangelnder Vollständigkeit oder Umdeutung einzelner Grundsätze zu unvorhersehbaren Folgen kommen kann.187 Das Hauptargument gegen die Übertragbarkeit fremder Systeme – die äußeren Umstände – fiel also hier noch mehr ins Gewicht als bei den meisten anderen Konzepten. Kosmann fasste die Unterschiede in einer Rede vor der Nationalversammlung zusammen, die in folgendem Bild kulminierten: „Nun, meine Herren, sie nehmen ihr gesamtes Capitalvermögen zusammen, […] und geben es einem Baumeister ihnen ein Haus zu bauen, und hören von diesem Manne […] er wolle ihnen ein Haus bauen, nach einem Systeme, das bisher hier nicht üblich gewesen, dass er zwar zugestehen müsse, der Boden sei nicht passend, klimatische und andere Verhältnisse könnten ihm Hindernisse in den Weg legen, indessen glaubte er doch das Haus werde stehen, obwohl er auch zugeben müsse, dass es einstürzen könne, was würden sie zu einem solchen Baumeister sagen?“188

Mittermaier wies in seinem Bericht aus dem Verfassungsausschuss über Abschnitt I und II Das Reich und Die Reichsgewalt explizit darauf hin, dass man sich sehr eng an den Grundsätzen der nordamerikanischen Verfassung und der Schweizer Bundesakte orientiert habe. 189 Auch bei Detailfragen, etwa Einschränkungen und Sonderfällen, blicke man auf die amerikanischen Regelungen. Zur Bekräftigung berief sich Mittermaier außerdem immer wieder auf Joseph Story.190 Diese ausdrückliche Nähe zu dem fremden System verschärfte die Fragen der Übertragbarkeit. Dreyer ist weiterhin der Ansicht, dass nicht einmal eine korrekte Rezeption der amerikanischen Verhältnisse möglich gewesen sei, geschweige denn ein richtiges Verständnis der notwendigen Voraussetzungen für das amerikanische System.191 Die Aufmerksamkeit, die die Abgeordneten in der Paulskirche und ihre Wissenschaftlerkollegen gerade der Übertragbarkeit zollten, beweist jedoch ihr eindeutiges Problembewusstsein bezüglich der äußerst

186 J.N. Rakove: Original Meanings (1997), S. 168. 187 R. Ullner: Föderalismus (1965), S. 11. 188 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 510 [Wilhelm Albert Kosemann, 23.6.1848, 22. Sitzung]. 189 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2727 [Carl Anton Mittermaier §1-20/Gustav Droysen §21-61, 19.10.1848, 99. Sitzung]. 190 Ebd., Bd. IV, S. 2729. 191 M. Dreyer: Blueprint (1990), S. 336.

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unterschiedlichen Voraussetzungen. Dies war nur möglich, weil eine reflektierte Analyse der amerikanischen Umstände vorausgegangen war. Murhard mahnte zu bedenken, dass es in den USA keinen vergleichbaren Dualismus innerhalb der Union gebe wie zwischen Preußen und Österreich.192 Welcker betonte außerdem in seiner Kriterienliste, dass einzelne Bundesstaaten keine Territorien haben könnten, die außerhalb der Union lägen. Bei einem deutschen Staat, der Teile des Habsburgerreiches einschlösse, träte aber genau das ein. Ebenso wenig sei es zulässig, wenn ein Einzelstaat über seine Regierung mit einem anderen Staat verbunden war, wie etwa Hannover mit Großbritannien.193 Die isolierte Lage des amerikanischen Bundesstaats, der sich nicht gegenüber „mächtigen, einheitlich constituierten Nachbarstaaten“ behaupten müsse, wurde ebenfalls angeführt.194 Überhaupt stünden die Staaten dort in einem tragbaren Größenverhältnis zueinander, was etwa zwischen Preußen und Vaduz nicht gegeben sei.195 Dieser letzte Punkt zog eine lange Diskussion über die mögliche Mediatisierung einiger Klein- und Kleinststaaten nach sich, die von der eigentlichen Frage der föderativen Organisation wegführte.196 Ganz davon abgesehen, dass es auch in Amerika entscheidende Größenunterschiede zwischen den einzelnen Staaten gab. Die Vertreter der kleinen Staaten forderten, den Einfluss nicht an Größe zu knüpfen, sie favorisierten auch meist eine stärkere Bundesgewalt, von der sie sich Schutz vor den übermächtigen großen Staaten erhofften. Vor allem in Preußen sah man dies jedoch völlig anders. Friedrich Römer aus dem württembergischen Göppingen ironisierte im Verfassungsausschuss, dass er selbst mit einer Zentralisation um Preußen zwar „durchaus zufrieden sein“ würde, aber dennoch bezweifle, „dass die anderen deutschen Volksstämme in Preußen aufzugehen Neigung haben möchten.“197 Raumer wetterte fast verbittert gegen die „unsinnigen Eiferer aus Süddeutschland“, die sich gegen Preußen wandten. In einem Brief aus Frankfurt empörte er sich: „Viel Gerede von Deutschlands Macht und Einigkeit, während kaum eine Million, sechzehn Millionen hochmütig ab-

192 R. Schöttle: Politische Theorien (1994), S. 267. 193 C.T. Welcker: Bund (1846), S. 721. 194 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2743 [Minderheitengutachten von Blum, Wigard und Schüler aus Jena vom 19.10.1848, 99. Sitzung]. 195 Ebd., Bd. IV, S. 2743f. [Johann Ludwig Tellkampf, 19.10.1848, 99. Sitzung]; C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 24; R. Hübner (Hg.): Aktenstücke (1924), S. 150. 196 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2779ff. [19.10.1848, 99. Sitzung]. 197 R. Hübner (Hg.): Aktenstücke (1924), S. 144.

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weist!“198 Auch die Einschätzung des Gesandten Rönne zur Rolle Preußens in einem deutschen Bundesstaat veränderte sich entlang typischer Bahnen. Anfang der 40er Jahre war er noch der Ansicht, seine Wahlheimat – eigentlich kam er aus Holstein – solle „an der Spitze der deutschen Bewegung“ stehen. 1859 schrieb er an einen Freund, „dass ganz Deutschland in Preußen aufgehen, dass die preußische Regierung die deutsche Nationalregierung werden soll“.199 Territoriale Überlegungen waren auch in einem anderen Zusammenhang für die Gründung eines Bundesstaats relevant. Man begebe sich in „mancherlei verwickelte Beziehungen“, merkte von Wydenbrugk an und verwies auf die Stellung von Limburg und Schleswig. 200 Im Verfassungsausschuss zog Reißer in diesem Zusammenhang eine Parallele zu Amerika, die nicht ganz trug. Die Bundesgewalt sollte in seinen Augen entscheiden, „ob ein Territorium auch ein Staat ist, wie die Analogie ja in Nordamerika ist“.201 An dieser Stelle scheint die Bezugnahme auf die USA sehr oberflächlich, sei es aus rhetorischen Beweggründen oder auf Grund von mangelndem Wissen. Aus den knappen Aufzeichnungen zum Verfassungsausschuss geht allerdings nicht hervor, ob Reißer die Unterschiede thematisierte, die zwischen den gänzlich neu sich gründenden und dann als Staaten anerkannten amerikanischen Territorien und den verschiedenen europäischen Gebieten, deren Zugehörigkeit zu Deutschland diskutiert wurde, bestand. Buß versuchte darzulegen, dass in Deutschland einst Einigkeit geherrscht habe und nur auf Grund der „Absorption der Einheit durch die Glieder“ sei das föderative System entstanden. Im Gegensatz dazu habe in Nordamerika eine Bewegung „von der Peripherie zur Mitte“ stattgefunden.202 Tatsächlich ließe sich aber der Unterschied zwischen der Schaffung des amerikanischen Bundesstaats und dem deutschen Versuch in Frankfurt 1848 auch genau umgekehrt interpretieren, was den Zeitgenossen jedoch vielleicht weniger bewusst war. Für die Amerikaner waren die Einzelstaaten in ihrer gerade erst erkämpften Unabhängigkeit unantastbare Einheiten, ihre Rechte sollten so wenig als möglich beschnitten werden. In Deutschland, nach den Erfahrungen im Deutschen Bund, lag vielen eine starke, einende Zentralgewalt am Herzen. Obgleich die einzelnen Staaten ihre Souveränität weiterhin verteidigten und parallel lokale verfassungs-

198 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 30f. [Brief vom 30.5.1848]. 199 J. Rönne: Hauptzüge (1867), S. 6. 200 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 1115 [Oskar Wydenbrugk, 22.7.1848, 45. Sitzung]. 201 R. Hübner (Hg.): Aktenstücke (1924), S. 147. 202 F.J. Buß: Verfassungs-Urkunde (1838), S. XII.

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gebende Versammlungen tagten, wurden in der Paulskirche immer wieder Stimmen laut, die sogar eine Mediatisierung gerade der kleineren Staaten forderten.203 Buß blickte in seiner Auslegung auf die amerikanischen Staaten zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges, als der Schutz nach außen erste Priorität hatte. Die Entstehung der Verfassung von 1783, als man die Articles of Confederation aufgegeben hatte, um eine ‚more perfect union‘ zu kreieren, eignete sich jedoch besser für den Vergleich mit der deutschen Situation, wie es etwa Rönne dargelegt hatte. Dies jedoch hätte Buß, dem „Vorkämpfer der Ultramontanen“,204 wie seine Gegner ihn nannten, nicht in die Argumentationslinie gepasst, hielt er doch den Deutschen Bund grundsätzlich für ausreichend und wandte sich gegen diejenigen, die „leichtsinnig die Reform des Bundes“ forderten.205 Für den Katholiken Buß fehlte der US-Verfassung darüber hinaus die göttliche Inspiration. 206 „[D]iese politischen Rationalisten“, so schrieb er 1844, hätten „die reiche Welt der Moralität der Völker mit dem Lattenwerk des Begriffs“ gebaut.207

D IE E XEKUTIVE In der Diskussion zur Übertragbarkeit wurden die Unterschiede in den Regierungssystemen der Mitglieder des Deutschen Bundes als die gravierendsten Faktoren problematisiert. Waren doch die amerikanischen Einzelstaaten alle republikanisch, während es sich in Deutschland, von einigen kleinen Stadtstaaten abgesehen, um monarchische Regierungen handelte, die noch dazu in ihrem Konstitutionalisierungsprozess unterschiedlich weit fortgeschritten waren. Raveaux warnte in der Nationalversammlung vor einer Orientierung an den USA: „W]ir haben etwas noch nie Dagewesens. Wo haben sie ein Beispiel in der Geschichte, dass acht und dreißig Staaten, welche theils republikanisch, theils constitutionell, theils absolutistisch regiert wurden, sich plötzlich vereinigten zu einem großen Ganzen? Das haben sie nirgendwo. Sie finden es nicht in Amerika.“208

203 H. Boldt: Federalism (1990), S. 264. 204 G. Hildebrandt (Hg.): Opposition (1981), S. 257 [Abschrift Parteikorrespondenz der Linken vom 20.3.1849]. 205 F.J. Buß: Verfassungs-Urkunde (1838), S. XVII. 206 D.K. Petri: Buß (2007), S. 141 207 F.J. Buß: Story’s Commentary (1844), S. IX. 208 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 515 [Franz Raveaux, 22.6.1848, 20. Sitzung].

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Klaus von Beyme geht von einem zwingenden „Korrelat“ des präsidialen Systems zum Föderalismus aus, das seiner Meinung nach in der deutschen Staatswissenschaft des 19. Jahrhunderts kaum anerkannt worden sei.209 Rudolf Ullner vertritt eine ähnliche These. Seiner Ansicht nach bedingen ‚Föderalismus‘ und ‚Demokratie‘ einander, weil sie über gemeinsame Grundprinzipien wie ‚Volkssouveränität‘, ‚Repräsentativsystem‘ und ‚individuelle Unabhängigkeit‘ miteinander verknüpft seien. 210 Auf dieser grundsätzlichen Annahme fußt auch die Kritik Dreyers und Angermanns, man habe in Deutschland den Zusammenhang von ‚Föderalismus‘ und ‚Demokratie‘ beziehungsweise ‚Republik‘ nicht in seiner ganzen Tiefe verstanden, was ein Ausspruch Carl Stedmanns in der Paulskirche zu unterstreichen scheint. Man habe sich nicht im Bezug auf die republikanische Staatsform an den USA orientiert, sondern nur mit Blick auf die föderative Organisation. „[I]ch halte die Republik nicht einmal für den entscheidenden Charakter der vereinigten Freistaaten,“ beteuerte er weiter, „der einzige Unterschied ist der, dass Nordamerika ein reiner Bundes- oder Föderativstaat ist, Deutschland aber ein gemischter und noch wenig ausgebildeter Staatenbund“.211 In der amerikanischen Verfassung war die Verbindung der beiden Konzepte tatsächlich unumgänglich, wie auch Hamilton in den Federalist Papers betonte.212 Die föderative Struktur in Amerika zusammen mit der Idee der Repräsentation war Bahn brechend gewesen für die von Montesquieu noch für utopisch gehaltene Möglichkeit einer Ausweitung von Republiken über größere Flächen. Mittermaier aber gestand, er habe sich seit Langem darüber Gedanken gemacht, ob man Monarchien überhaupt föderativ vereinen könne. 213 In einem Brief an Lieber Anfang März 1848 hatte er jedoch bereits erklärt: „Meine Blicke sind viel auf Nordamerika […] gewendet. Ich studiere die Zustände […] indem ich glaube, dass wir amerikanische Werthe der Ideen nach noch der Monarchie aneignen könnten“.214 Der Zusammenhang ‚Föderalismus‘, ‚Republik‘, ‚Volkssouveränität‘ und ‚Repräsentation‘ wurde folglich durchaus reflektiert und die Frage, ob man diese Konzepte voneinander trennen könne, beschäftigte die

209 K. Beyme: Vorbild (1986), S. 97. 210 R. Ullner: Föderalismus (1965), S. 26f. 211 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 510f. [Carl Stedmann, 23.7.1848, 22. Sitzung]. 212 A. Hamilton: Federalist Nr. 9 [1787] (1982), S. 46f. 213 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 4786 [Carl Anton Mittermaier, 19.1.1849, 155. Sitzung]. 214 Francis Lieber Papers, Box 57, Huntington Library Pasadena [Carl Anton Mittermaier an Francis Lieber, 5.3.1848]. Einige Worte sind leider nicht lesbar.

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Staatswissenschaft vor und nach 1848.215 In den politischen Auseinandersetzungen der Revolution prallten unterschiedliche Antworten auf diese Frage aufeinander. Rödinger konstatierte: „[D]ie Lehre der Erhaltung der einzelnen Staaten und von dem monarchischen Bundesstaate ist eine Irrlehre“.216 Robert von der Goltz hingegen teilte die Einschätzung Mittermaiers und schrieb 1848 in seinem Flugblatt Ideen über die Reorganisation des deutschen Bundes und der deutschen Staats-Verfassung, in den USA fänden sich „zahlreiche Elemente, welche dem deutschen Boden durchaus zusagen und nur mit dem monarchischen Prinzip in geeignete Verbindung gebracht“ werden müssten.217 In der Nationalversammlung zitierte Mittermaier den Brief von Livingston. Der amerikanische Senator musste ihn bereits Mitte der 30er Jahre, kurz vor seinem Tod, geschrieben haben. Er überlegte darin: „Ja, ein Bundesstaat in ihrem Vaterlande ist möglich, […] wenn die Fürsten, […] ihre rein fürstlichen Interessen zu opfern wissen, wenn sie sich nur mit den Interessen ihres Landes innig verbinden“.218 Sich darauf berufend schloss folglich auch Mittermaier nicht aus, dass sich Monarchien unter bestimmten Bedingungen zu einem Bundesstaat zusammenschließen könnten. Welcker hatte schon im Staats-Lexikon ausdrücklich erklärt: „Es kann in den Bundesvereinen die monarchische, aristokratische, demokratische Form […] vorherrschen.“219 Erst 1872 konstatierte Robert von Mohl im Rückblick: „So lässt sich denn mit aller Bestimmtheit dem traurigen Geschicke Deutschlands die theoretische Lehre entnehmen, dass von monarchischen Staaten eine freiwillige, das heisst nicht durch unmittelbare Übergewalt erzwungene Verwandlung eines Staatenbundes in einen Bundesstaat niemals zu erwarten ist, sei auch der Zustand des ersteren noch so ungenügend und gefahrdrohend.“220

Ebenso wie diskutiert wurde, ob monarchische Regierungen in den Einzelstaaten erhalten bleiben könnten, wenn eine bundesstaatliche Ordnung geschaffen würde, stellte sich auch die Frage, ob an der Spitze des Bundes ein Monarch stehen sollte.

215 K. Beyme: Vorbild (1986), S. 101. 216 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd V, S. 4076 [Friedrich Rödinger, 4.12.1848, 128. Sitzung]. 217 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 4. 218 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 4786 [Carl Anton Mittermaier, 19.1.1849, 155. Sitzung]. Ein genaues Datum wird nicht genannt, aber Mittermaier erklärte, er habe den Brief kurz vor Livingstons Tod (1836) erhalten. 219 C.T. Welcker: Bund (1846), S. 709. 220 R. Mohl: Enzyklopädie (1859), S. 55.

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Nur vor einem gewählten Oberhaupt an der Spitze eines Bundesstaats würden die Einzelstaaten ausreichend Respekt haben, um sich zu unterwerfen, argumentierte Carl Hagen in der Nationalversammlung.221 Dagegen wandte Biedermann ein, dass sich Monarchien beziehungsweise monarchische Herrscher kaum einem vom Volk gewählten Bundesoberhaupt fügen würden, wie ja schon die Differenzen gezeigt hätten, die die Nationalversammlung mit den einzelnen Fürstenhäusern gehabt habe.222 Eine gewählte Spitze aber, meinten wieder andere, sollte als Gegengewicht zu den Dynastien der Einzelstaaten fungieren. „[W]ir haben in Deutschland bereits 34 erbliche Monarchen; ich dächte das sei doch einstweilen genug“, rief Schüler in der Paulskirche aus. „Gerade deßhalb [sic], weil die deutschen Einzelstaaten Monarchien sind, kann nicht noch eine Monarchie oben drüber bestehen.“ 223 Das Bundesoberhaupt sollte daher, selbst nach Meinung Mittermaiers, gewählt sein. „Mir scheint, meine Herren, welche für die Erblichkeit sprechen, verwechseln den Einheitsstaat und den Bundesstaat“, erklärte er in der Paulskirche. Denjenigen, die ein erbliches Oberhaupt wünschten, gestand er allerdings zu, dass als Garant für Ruhe und Stabilität in einem noch sehr vage definierten föderalen System eine Wahl immer auf Lebenszeit sein müsse.224 Eisenstuck kommentierte diese Auseinandersetzung zusammenfassend mit den Worten: „Der Bundesstaat mit veränderlicher Spitze, meine Herren, der ist da. Er hat sich bewährt mächtig und glanzvoll nach Innen und Außen. Darüber will ich kein Wort mehr verlieren. Ich verweise in dieser Beziehung auf die Nordamerikanischen Freistaaten. Der Bundesstaat mit einer Obermonarchie ist noch nicht vorhanden gewesen. Ich nehme daher das bereits Gegebene.“225

Carl Josias von Bunsen brachte in seinem Sendschreiben an die Nationalversammlung genau die entgegengesetzte Argumentationsweise vor. Nachdem er die Vorzüge der amerikanischen Bundesverfassung ausführlich erklärt und dargelegt hatte, wies er darauf hin, dass man dort den republikanischen Bundesstaat perfektioniert habe, während hingegen Deutschland jetzt prädestiniert sei, dieses System für einen Bundesstaat konstitutioneller Monarchien zu entwickeln:

221 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VI, S. 4726 u. Bd. VII, S. 4786f. [Carl Hagen, 15.1.1849, 152. Sitzung u. Carl Anton Mittermaier, 19.1.1849, 155. Sitzung]. 222 Ebd., Bd. VI, S. 4708 [Carl Biedermann, 15.1.1849, 152. Sitzung]. 223 Ebd., Bd. VI, S. 4696 [Friedrich Schüler, 15.1.1849, 152. Sitzung]. 224 Ebd., Bd. VII, S. 4787 [Crl Anton Mittermaier, 19.1.1849, 155. Sitzung]. 225 Ebd., Bd. VI, S. 4757 [Jacob Bernhard Eisenstuck, 18.1.1849, 154. Sitzung].

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„Deutschland hat offenbar den Beruf, die constitutionelle Monarchie in der Form des Bundesstaates zu entwickeln, und dadurch den Typus derselben zu verallgemeinern und zu einer höheren Geltung zu erheben.“226 Bunsen erkannte also durchaus, dass für das amerikanische System ein zwingender Zusammenhang zwischen dem demokratisch-republikanischen und dem föderativen Prinzip bestand, hielt es jedoch nicht für eine Grundsätzlichkeit des Bundesstaats im Allgemeinen. Auch Rönne argumentierte in diese Richtung und betonte in einer Wahlrede, dass nicht die Republik das Ziel sei, sondern „das Wesen und die Grundzüge der amerikanischen Bundesconstitution […] auch in einem, aus Monarchien mit demokratischen Grundlagen gebildeten Bundesstaate“ anzuwenden.227 Entscheidend war, dass sowohl Bunsen als auch Rönne ausdrücklich von konstitutionellen Monarchien mit demokratischen Grundlagen sprachen, wodurch der Volksbeteiligung Rechnung getragen wurde, die in einem Bundesstaat – anders als bei einem Staaten- oder gar einem Fürstenbund – eine zentrale Funktion erhielt.

D IE L EGISLATIVE Die deutschen Staatstheoretiker stellten immer wieder heraus, dass jeder Amerikaner auf doppelte Weise am politischen Leben der Union teilnahm, nämlich zum einen als Angehöriger eines Einzelstaates und zum anderen, was viel wichtiger war, als direkter Bürger des Bundes.228 Das entscheidende Bürgerrecht bezog sich also auf den Bund. Im Nullifikationsstreit habe sich gezeigt, erklärte Rönne, dass durch diese Einheit „in den Herzen des amerikanischen Volks“ auch die Gefahr des Zerfalls verringert würde.229 Daher war ihm dieser Aspekt besonders wichtig. Er wandte sich gegen das „Princip der deutschen Ausländerei“, bei dem jeder Staat sein eigenes Bürgerrecht habe.230 Dieses sei, so bestätigte auch Mohl, „ein mächtiger Grund von Nationalhass und wechselseitiger Eifersucht“. 231 Schon in kolonialen Zeiten, erinnerte Rönne, als die Bewohner der

226 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 19. 227 J. Hawgood: Beziehungen (1928), S. 35 [Rönnes Wahlrede, o. D.]. 228 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 122f. u. S. 380f.; F.L. Rönne: Constitution (1835), S. 111. 229 Ebd., S. 128. 230 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 962 [Friedrich von Rönne, 17.7.1848, 40. Sitzung] 231 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 374.

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einzelnen Provinzen Amerikas untereinander nur über das Mutterland in Verbindung gestanden hätten, seien sie durch gemeinsame Handelsbestimmungen und ein allgemeines Ansiedlungsrecht „in manchen Beziehungen […] doch als ein Volk anzusehen“ gewesen.232 Die Darlegung des Bundesbürgerrechts war besonders hilfreich, um die Einheit des Volkes im Gegensatz zu der Vielheit der Staaten zu unterstreichen.233 Selbst Neuankömmlinge seien hier inbegriffen, merkte Mohl in einer frühen Allegorie des Melting-Pot an, denn so „verschmelzen sich die neuen Bundesbürger unmerklich in die Nation“.234 Der Bezug, den in den USA jeder einzelne Bürger sowohl zur obersten richterlichen als auch zur obersten gesetzgebenden Gewalt hatte, konstituierte ein zusätzliches definitorisches Unterscheidungsmerkmal zu einem Staatenbund, in dem nur die einzelnen Staaten politische Akteure waren, nicht aber die Bürger.235 Die Bedeutung, die man diesem Phänomen beimaß, verdeutlicht darüber hinaus, wie sehr man sich der zentralen Rolle des Volkes bewusst war und diese auch als wichtigen Faktor eines Bundesstaates wahrnahm. Mohl hatte das bereits 1823 erkannt und deutlich gemacht: „Eine der bemerkenswerthesten Einrichtungen des Nordamerikanischen Bundesstaates, zugleich eine Einrichtung, welche unwidersprechlich den Unterschied zwischen einem Staatenbund und einem Bundesstaat beweist, ist das Bundes-Bürgerthum.“236 Angesichts der großen Bedeutung, die man dem Staatsbürgertum für die Bundespolitik zuerkannte, kam es jedoch bei der Anwendung des Konzepts auf die deutschen Verhältnisse schnell zu der Vereinfachung, dass die Volksgewalt mit dem Bund und die Fürstengewalt mit den Einzelstaaten assoziiert wurden. Aus dieser Wahrnehmung heraus verzerrte sich auch die Debatte über das Zweikammersystem. Es stellte sich die Frage, wie viel Einfluss und welche Rechte den Fürsten gegenüber der Volksvertretung eingeräumt werden sollten. Eine einzelne Kammer vertraten zum einen diejenigen, die mit dem bereits bestehenden Bundestag in Frankfurt zufrieden waren, entweder weil sie ihn für mächtiger hielten als er tatsächlich war und sie die deutschen Staaten eigentlich nur als „Abteilungen und Gliedmassen des Reichskörpers“ ansahen oder aber

232 F.L. Rönne: Constitution (1835), S. 84. 233 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 743 [Carl Anton Mittermaier, 4.7.1848, 31. Sitzung]. 234 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 420. 235 F.L. Rönne: Constitution (1835), S. 109; P.A. Pfizer: Autonomie (1845), S. 16; C.T. Welcker: Bund (1846), S. 717f. 236 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 380.

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gerade weil er ihrer Ansicht nach nicht mehr Macht haben sollte. Grundsätzlich sei der Status quo richtig, argumentierte Maximilian Grävell, und es sei in Zukunft nicht nötig, den einzelnen Gliedern mehr Vertretung einzuräumen als sie bis dato hatten.237 Konservative wie Buß urteilten noch 1844, dass es „in Teutschland völlig unzulässig“ sei, dem amerikanischen Modell zu folgen, weil die Autorität des Bundestags auf den Gesandten der einzelnen Regierungen basieren müsse.238 Wohlgemerkt scheute sich Buß dennoch nicht, Amerika in seine Argumentationsstränge einzuflechten. Hier wird einmal mehr deutlich, dass die USA auch ohne das nachzuahmende Vorbild zu sein, entscheidende Bedeutung für den Diskurs hatte. Die andere Seite des politischen Spektrums bevorzugte ebenfalls nur eine Kammer, weil man sonst aristokratische Tendenzen befürchtete, die in einer konstitutionellen Regierung nicht zulässig schienen. Diese Sorge speiste sich vor allem aus der Vorstellung, dass in einer zweiten Kammer – wie Buß es ja auch gefordert hatte – nur direkte Abgesandte der Fürsten sitzen würden. Selbst unter denjenigen, die von der Notwendigkeit einer zweiten Kammer überzeugt waren, gab es diesen Vorbehalt, was ebenfalls verdeutlicht, wie sehr die deutschen Politiker von ihren Erfahrungen geprägt waren. Als Einzelinteressen in einem Staatenbund galten für sie immer die Interessen der regierenden Fürsten. Tellkampf erkannte das Problem und thematisierte es in einer Rede vor der Nationalversammlung: „Es würde kaum nöthig sein, nach allen Erfahrungen der größeren constitutionellen Länder, welche überzeugend für das Zweikammersystem sprechen, auf diese Frage einzugehen, existierte nicht […] in Deutschland eine große Abneigung gegen das Zweikammersystem. Diese Abneigung beruht auf der irrthümlichen Ansicht, dass man mit dem Staatenhause, die Idee der Aristokratie verbindet.“239

Schaffrath betonte, dass eine Vertretung der Staaten nicht zwingend eine Vertretung der Staatsfürsten sein müsse, ja es gar nicht sein dürfe, denn in konstitutionellen Staaten – wie es jeder einzelne deutsche Staat werden solle – ginge die Gewalt schließlich vom Volke aus.240 Römer argumentierte ähnlich, als er ver-

237 M. Grävell: Schluß! (1849), S. 12. 238 F.J. Buß: Verfassungs-Urkunde (1838), S. XVI. 239 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 3807 [Johann Ludwig Tellkampf, 4.12.1848, 128. Sitzung]. 240 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 434 [Wilhelm Schaffrath, 21.6.1848, 20. Sitzung].

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wundert feststellte: „Es ist seltsam, dass man noch immer Furcht vor den Regierungen habe, diese können nur mit der öffentlichen Stimme kongruent sein.“241 Er setzte allerdings hier eine Realität konstitutioneller Monarchien in Deutschland voraus, die so zu jenem Zeitpunkt keineswegs gegeben war. Der Deutsche Bund – so wurde immer wieder hervorgehoben – sei ein ‚Fürstenbund‘ gewesen, in dem die „Macht vereinigter Fürsten gegen getrennte Völker“ gewirkt habe.242 Jetzt aber sollte er durch einen „Volksverein“, einen Bundesstaat ersetzt werden, in dem die Fürsten nicht zu viel Macht haben durften. Das Minderheitengutachten zum Verfassungsentwurf, dessen Unterzeichner einen republikanischen Bundesstaat favorisierten, erklärte sogar, Monarchien seien „zu einem Bundesstaat zu störrig und zu spröde“. Sie seien „ihrer Natur nach zu selbstsüchtig, zu eifersüchtig dazu“. Dies dürfte gerade aus der Feder eines Franz Wigard oder Robert Blum nach einer indirekten Charakterisierung der Fürsten geklungen haben.243 In der Folge forderte das Minderheitengutachten, auch die Einzelstaaten dürften „sowohl dem Auslande als den übrigen deutschen Staaten und der Gesammtheit gegenüber nicht mehr als Mächte erscheinen“.244 Andererseits gab es jedoch auch Stimmen, die, gerade weil in einer zweiten Kammer nicht die Fürsten, sondern die vom Volk getragenen Regierungen der Einzelstaaten vertreten waren, eine Art dritte Kammer forderten, den ‚Reichsrat‘ oder auch „Fürsten Collegium“, 245 in dem die Fürsten an der Regierung des Bundes teilnehmen könnten. „Fürsten sind bei uns eine große Wirklichkeit“, argumentierte Bunsen, und Zirckel empörte sich: „[F]reie Völker und geknechtete Fürsten geht ebenso wenig wie das Gegentheil“.246 In seinem Versuch, den Bundesstaat mit der Monarchie zu vereinen, stellte Bunsen seinen Vorschlag so vor, als handle es sich nach wie vor um ein bi-kammerales System, bei dem nur das zweite Haus noch einmal aufgeteilt sei.247 Diese Möglichkeit wurde aber von der Mehrheit abgelehnt. Zu sehr fühlte man sich an den Bundestag des Deutschen Bundes erinnert, der nur aus instruierten Diplomaten bestanden hatte. Von Vin-

241 R. Hübner (Hg.): Aktenstücke (1924), S. 165. 242 Ebd., Bd. IV, S. 2742 [Minderheitsgutachten Blum, Wigard und Schüler aus Jena, 19.10.1848, 99. Sitzung]; R. Mohl: Rechtspflege (1822), S. 60. 243 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2743 [Minderheitsgutachten Blum, Wigard und Schüler aus Jena, 19.10.1848, 99. Sitzung]. 244 Ebd. 245 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 26. 246 Ebd., S. 27; O. Zirckel: Demokratie (1849), S. 4. 247 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 27.

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cke mahnte zwar seine Kollegen in der Paulskirche, dass sie als Vertreter des Volkes „auch die Rechte der Fürsten zur Geltung zu bringen“ hatten, denn auch diese vertrete man in Frankfurt.248 Vogt aber erwiderte verärgert, die Fürsten hätten das Volk „verrathen und betrogen“. Auch jeden Vergleich des ehemaligen Bundestags mit dem amerikanischen Senat lehnte er ab, denn schließlich handele es sich dabei nicht um eine „Exekutivbehörde […] wie der Bundestag wirklich eine executive ist“.249 Murhard hielt es zwar für gerechtfertigt, dass das für ihn vorbildliche Amerika an zwei Häusern festhielt, schloss jedoch ebenfalls davon nicht zwingend auf Deutschland, für das er immer wieder die Möglichkeit nur einer Kammer verteidigte.250 Das aristokratische Element, das die Gegner einer zweiten Kammer kritisierten, erschien anderen als das entscheidende Argument dafür. Entweder sie beriefen sich auf das britische System, das ihnen in diesem Zusammenhang nahe liegender erschien, weil es die aristokratischen Strukturen aufwies, mit denen man auch im eigenen Land konfrontiert war und die Amerika fehlten, oder sie interpretierten das Konzept von Aristokratie um. Die neue Definition fußte nicht auf der erblichen Aristokratie der Fürstenhäuser, sondern auf der Art der Wahl, der Autorität des Hauses und der Kompetenz der Vertreter. Mit Blick auf Amerika legten sie es als einen stabilisierenden Faktor aus, der „das Ungestüm des Volkes und des Volkshauses“ breche.251 Diese Argumentationsweise ging in die Richtung einer weit verbreiteten Überzeugung, die Welcker im Staats-Lexikon ausformulierte. Ein gut funktionierender Bundesstaat müsse drei „Hauptorgane“ aufweisen, erklärte er. Eine „mehr oder minder monarchische Behörde“, um Einheit und Ordnung zu sichern, was jedoch einen gewählten Präsidenten nicht ausschloss; dazu eine demokratische Vertretung als Garant für das „Volkselement“ und letztendlich, als Vertretung der Einzelstaaten, einen Senat, der auf Grund der Art und Weise seiner Wahl „auch in Nordamerika […] mehr aristokratischer Natur“ sei.252 Damit griff das Staats-Lexikon in seiner Argumentation die bekannte Tradition der Mischverfassung auf. In einem anderen Artikel erklärte er, dass eine zusätzliche Kammer auch eine vermittelnde Funktion erfüllen könne, wenn es zu Konflikten zwischen Volk und

248 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 440 [Georg von Vincke, 21.6.1848, 20. Sitzung]. 249 Ebd., Bd. I, S. 507 [Carl Vogt, 23.6.1848, 22. Sitzung]. 250 R. Schöttle: Politische Theorien (1994), S. 338. 251 Ebd., S. 164 [Carl Anton Mittermaier]. 252 C.T. Welcker: Bund (1846), S. 720.

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Regierung komme.253 So verstand und lobte er das System von checks and balances. Tellkampf stimmte zu und mahnte seine Kollegen in der Nationalversammlung, dass ein Staat mit nur einer Kammer „zur Willkür und zum Despotismus“ neige.254 Um für ein Zweikammersystem zu argumentieren, musste man es als ein tragendes Element des Bundesstaates darstellen und so die verkürzte Wahrnehmung der zweiten Kammer, als schiere Vertretung der Fürsten, auflösen. Beseler erinnerte im Verfassungsausschuss ausdrücklich daran, dass es sich durch die Entscheidung für einen Bundesstaat „gleichsam von selbst“ ergebe, dass es ein „Haus der Bundesstaaten“ geben müsse. 255 Dies bestätigte auch Jahn, der die Debatte über das Staatenhaus zusammenfassend mit den Worten kommentierte: „[W]ir haben die Vereinigung von mehreren Staaten zu stiften, […] denn alle diese wollen ihr besonderes Leben vertreten haben. Also der deutsche Reichstag muss unumgänglich nothwendig ein Staatenhaus haben; ob er ein Volkshaus haben soll, das ist eine neue Frage. […] Das Volkshaus ist eine Neuerung, und auch eine wichtige Neuerung […] als Träger der Einheit des Volkes.“256

Nicht fürstliche Partikularinteressen gegenüber einer demokratischen Volksvertretung, sondern die Mannigfaltigkeit der Einzelstaaten gegenüber dem einheitlichen Bund mussten Vertretung finden. Der Föderalismus verlangte eine Vertretung der Einzelstaaten. Der amerikanische Senat sei, so erklärte Bunsen, „das eigenthümliche Organ des Bundesstaats als solches […] im Gegensatz zum Einheitsstaat“.257 Gottlieb Freudentheil hingegen erschien eine solche zweite Kammer überflüssig. An der Nationalversammlung könne man schließlich sehen, argumentierte er, dass auch die Abgeordneten der Volksvertretung die Partikularinteressen ihrer Herkunftsstaaten ausreichend verträten. 258 In einem Flugblatt hielt Tellkampf dagegen, es werde zweifellos den Einzelstaaten leichter fallen, bestimmte Rechte an die Bundesgewalt abzutreten, wenn sie sich darin vertreten

253 C.T. Welcker: Adelstheorie (1845), S. 325. 254 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 3808 [Johann Ludwig Tellkampf, 4.12.1848, 128. Sitzung]. 255 R. Hübner (Hg.): Aktenstücke (1924), S. 142. 256 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 3810 [Friedrich Ludwig Jahn, 4.12.1848, 128. Sitzung]. 257 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 15. 258 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 3810 [Gottlieb Freudentheil, 4.12.1848, 128. Sitzung].

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wüssten.259 „In dieser Beziehung befinden wir uns nun auf dem Wege von NordAmerika“, urteilte Dahlmann in der Paulskirche zufrieden.260 Die Verwirrung darüber, ob eine der Volkskammer zur Seite stehende zweite Kammer ein aristokratisches oder ein föderatives Element sei, zeigte sich auch in der Auseinandersetzung um ihre Benennung. Nicht eine „erste Kammer“ wolle er, betonte Friedrich Zell im Verfassungsausschuss, sondern ein „Staatenhaus“.261 Ahrens hingegen war der gegenteiligen Ansicht und forderte einen Senat, kein Staatenhaus.262 Während also die einen für den Terminus ‚Senat‘ plädierten, der sowohl in der Antike als auch in Belgien und Amerika die zweite Kammer bezeichnete, bestanden die anderen darauf, von einem ‚Staatenhaus‘ zu sprechen. Bunsens Argumentationsweise schien diese Sichtweise zu bestätigen. Er forderte, den deutschen Fürsten gegenüber dem Monarchen ebenso ein Veto einzuräumen, wie es die US-Senatoren gegenüber ihrem Präsidenten hatten.263 Diese Parallele zwischen Senatoren und Fürsten trug weiter dazu bei, dass der Senat als eine elitäre Kammer gesehen wurde. Lieber bemerkte 1848 in einem offenen Brief an Mittermaier, dass das Zweikammersystem in Deutschland so unbeliebt sei, „weil man ohne weitere Erörterung sich unter einem Senate oder Oberhause sogleich ein aristokratisch zusammengesetztes Haus denkt. Dies ist irrig!“264 ‚Senat‘ bedeutete tatsächlich gemeinhin, dass die Mitglieder bestimmte Voraussetzungen erfüllen mussten und besondere Privilegien genossen, was jedoch nicht zwingend aus erblichen Traditionen hervorgehen musste, sondern auch durch Wahl erlangt werden konnte, wie dies etwa in Belgien der Fall war.265 Bei einem Staatenhaus hingegen war die föderative Funktion explizit und es ging eindeutig darum, den einzelnen Staaten Beteiligung zu gewähren. Auch wenn Waitz, „er weiß nicht zum wievielten Mal“ betonte, dass es sich um eine „Begriffsverwirrung“ handele und Tellkampf darlegte, dass auch dem amerikanischen Senat die „Idee der Versöhnung“ zu Grunde liege und er nichts anderes

259 J.L. Tellkampf: Bundesverfassung (1848), S. 1. 260 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 3812 [Friedrich Christoph Dahlmann, 4.12.1848, 128. Sitzung]. 261 R. Hübner (Hg.): Aktenstücke (1924), S. 144 [Friedrich Zell]. 262 Ebd., S. 144 u. S. 150. 263 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 27. 264 K. Bernhardi/K.H. Jürgens/F. Löw, Friedrich (Hg.): Flugblätter (1848) [„Ein Brief an Herrn Mittermaier, Parlamentsmitglied von Franz Lieber“]. 265 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 3804f. [Friedrich Christoph Dahlmann, 4.12.1848, 128. Sitzung].

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sei als ein Staatenhaus, entschied man sich letztlich gegen die Bezeichnung ‚Senat‘ und für das eindeutigere ‚Staatenhaus‘.266

D IE J UDIKATIVE Die „Zierde der nordamerikanischen Verfassung“ war für Mittermaier der Oberste Bundesgerichtshof, den er als den „Hort des Rechts und der Verfassung“ pries.267 Tellkampf postulierte, dass eine starke und umfangreiche oberste Judikative eine jeden Bundesstaat bedingende Einrichtung sei. 268 Mehr noch, wie Mohl seinen Leser in Erinnerung rief, „selbst also der am losesten geknüpfte Staatenbund hat eine Einrichtung nöthig, durch welche die zwischen den Gliedern der Verbindung entstehenden Streitigkeiten auf eine gütliche Art entschieden werde“.269 Durch die Errichtung ihres Bundesgerichtshofes hatten die Vereinigten Staaten, so Mohl bereits 1823, „das Beispiel zu einer Bestimmung gegeben, über deren Thunlichkeit und Möglichkeit im deutschen Bund so vieler und noch unentschiedener Streit geführt wird“.270 Die Argumente für einen obersten Gerichtshof waren zahlreich und fanden in Deutschland viele Anhänger, die darin den „Grundfels des ganzen Baus“ und den „Kern des Bundesstaates“ erkannten.271 „Ja es ist etwas Herrliches“, schwärmte Mittermaier, „wenn wir ein Reichsgericht bekommen“.272 Es sei schließlich, so erklärte er, nicht das Ziel einer guten Verfassung, „dass alle Reibungen, alle Differenzen gemieden werden“, denn das sei ohnehin nicht möglich. Wichtig sei vielmehr, „dass den Streit weder Gewalt noch Willkür noch Sonderinteresse entscheide“.273

266 R. Hübner (Hg.): Aktenstücke (1924), S. 148 u. S. 163. 267 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2982 u. Bd. V, S. 361 [Carl Anton Mittermaier §1-20/Gustav Droysen §21-61, 19.10.1848, 99. Sitzung u. 27.11.1848, 123. Sitzung]. 268 Ebd., Bd. V, S. 3610 [Johann Ludwig Tellkampf, 27.11.1848, 123. Sitzung]. 269 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 287. 270 Ebd., S. 294. 271 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 15 u. 20. 272 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2982 [Carl Anton Mittermaier, 19.10.1848, 99. Sitzung]. 273 Ebd., Bd. IV, S. 2720 [Carl Anton Mittermaier §1-20/Gustav Droysen §21-61, 19.10.1848, 99. Sitzung].

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Zunächst einmal kam dem Bundesgerichtshof eine neutrale Vermittlerrolle bei Konflikten der Staaten untereinander oder mit der Bundesgewalt zu. 274 Außerdem wurde durch „ein selbstständiges Organ“ auch auf Bundesebene die Gewaltenteilung gewährleistet. 275 Dies war besonders von Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit, da sonst „das Volksleben […] einer moralischen Verwilderung anheim [zu] fallen“ drohe.276 Jeder Bürger hatte so die Möglichkeit, gegen die Verletzung seiner Rechte durch eine untergeordnete Behörde bei einer obersten Instanz zu klagen.277 Eine Möglichkeit, die beim Deutschen Bund nicht gegeben war, worauf Mohl schon 1822 in seiner allerersten Veröffentlichung ausdrücklich hingewiesen hatte.278 Aber nicht alle teilten Mittermaiers und Mohls Begeisterung für den Supreme Court und schon gar nicht für eine solche Institution in Deutschland. Gerade die Entscheidungshoheit über die Verfassungsmäßigkeit einzelner Gesetze gab Anlass zu Skepsis. Man fürchtete, damit der Bundesgewalt zu viel Einfluss auf die Gesetzgebung der Einzelstaaten zu überlassen. Zachariä aber legte seinen Kollegen in der Nationalversammlung dar, dass gerade das Gegenteil der Fall sei: „Meine Herren bedenken Sie in welchem Zusammenhange besonders in der Zukunft die einzelnen Landesverfassungen mit der Reichsverfassung stehen werden! Wollen wir den einzelnen Landes-Gerichten über die Anwendung der Landesverfassung das Urtheil zusprechen, […] so wird dadurch indirect ein gefährlicher Einfluss auf die Reichsverfassung geübt werden.“279

Die Verfassungseinheit und Auslegungshoheit war in Deutschland von besonderer Relevanz, da noch lange nicht alle Einzelstaaten Verfassungen aufweisen konnten.280 Mohl schlug vor, dem Bundesgericht das Recht einzuräumen, Gesetze zu empfehlen.281 Mittermaier orientierte sich einmal mehr am Vorbild Ameri-

274 Ebd., Bd. V, S. 3596 [Carl Anton Mittermaier, 27.11.1848, 123. Sitzung]. 275 C.T. Tittmann: Gerichtsbarkeit (1850), S. 10. 276 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 3601 [Carl Anton Mittermaier, 27.11.1848, 123. Sitzung]. 277 Ebd., Bd. V, S. 3616 [Carl Anton Mittermaier, 27.11.1848, 123. Sitzung]. 278 R. Mohl: Rechtspflege (1822), S. 58ff. 279 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 3611 [Friedrich Wilhelm Zachariä, 27.11.1848, 123. Sitzung]. 280 Ebd., Bd. I, S. 134 [Herrmann von Beckerath, 27.5.1848, 8. Sitzung]. 281 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 90f.

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kas und hielt es für völlig gerechtfertigt, dass Bundesrichter Maßnahmen bei der Gesetzgebung der Einzelstaaten ergriffen.282 Gegen die freie Interpretation der Bundesverfassung durch die Regierungen der Einzelstaaten führten viele Befürworter des Bundesgerichtshofes außerdem die „berüchtigte Lehre von der Nullification“ ins Feld.283 Die Lösung war gegen South Carolina und zu Gunsten der Union ausgefallen, doch der Vorfall führte den „tiefen Abgrund“ vor Augen, der auch die amerikanische Verfassung noch bedrohte. So empfand es Raumer in seinem Werk über Nordamerika, und Tittmann bediente sich vier Jahre später derselben Formulierung.284 Darüber hinaus, so bemerkte Mohl, habe diese Einheitlichkeit auch eine nationale Funktion, weil die Bürger „durch die Gleichheit ihrer Regierungen […] wieder zu einem einzigen Volke zusammengeschlossen sind“.285 Grävell ging noch weiter. Er räumte zwar ein, dass die Organisation des amerikanischen Bundesgerichtshofs in die richtige Richtung gehe, aber sowohl die norwegische als auch die sächsische Verfassung seien bereits sehr viel weiter in ihrer Entwicklung. Die Wahlgesetzgebung beispielsweise, stellte auch Mohl tadelnd fest, bleibe in den USA den Einzelstaaten überlassen, was „eine große Ungleichheit der Bedingungen“ zur Folge habe. 286 Nur Bunsen argumentierte vehement gegen diese „ganz unnöthige (also schändliche) Einförmigkeit“ der Gesetzgebung, weil er der Ansicht war, sie werde „mehr theoretischen Lieblingsideen zu Gefallen, als durch praktische Bedürfnisse gefordert“.287 Die Richtlinien zur Vereinheitlichung von Gesetzen, die der Verfassungsentwurf der Paulskirche letztendlich beinhaltete, gingen allerdings tatsächlich über die amerikanischen Bestimmungen hinaus.288 Grävell monierte weiter die Vermischung von juristischen und politischen Fragen und bezweifelte, dass ein Richter die Kompetenz besitze, politische Entscheidung zu treffen, zumal von solch historischer Tragweite, wie die Auslegung der Verfassung und die damit verbundene Schaffung von Präzedenzfällen es erfordern.289 Mittermaier hielt dagegen, es sei besonders wichtig, dass diese rich-

282 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2983 [Carl Anton Mittermaier §1-20/Gustav Droysen §21-61, 19.10.1848, 99. Sitzung]. 283 C.T. Tittmann: Gerichtsbarkeit (1850), S. 13. 284 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 436; C.T. Tittmann: Gerichtsbarkeit (1850), S. 13. 285 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 356. 286 Ebd., S. 152. 287 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 30. 288 H. Boldt: Federalism (1990), S. 267. 289 M. Grävell: Schluß! (1849), S. 11.

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terliche Degression veranschlagt werde, um den „Unbestimmtheiten in der Verfassung“ zu begegnen, die eine „nothwendige Fortbildung“ und Weiterentwicklung gewährleisten. 290 Auch Tellkampf unterstrich, dass so durch das oberste Bundesgericht „die Verfassung gestützt“ werde und Tittman stellte fest: „Eine Rechtspflege ist anders nicht denkbar“.291 Die Kompetenz der Richter sollte durch den Ernennungsmodus gewährleistet werden, der sich auf Mittermaiers Anraten ebenfalls am amerikanischen Modell orientieren sollte. Vorbildliche Beispiele für den Erfolg dieser Vorgehensweise waren seines Erachtens etwa Joseph Story oder John Marshall. Über Letzteren schrieb Mohl: „Während er nämlich in vollem Sinne des Wortes Jurist war und das Gesetz nur auslegte, wie die strengsten technischen Auslegungsregeln es forderten; so war er doch auf der anderen Seite hinreichend Staatsmann, um den ganzen Sinn und Zweck der Bundesverfassung aus dem richtigen Gesichtspunkte aufzufassen.“292 Kritik am Konzept des Bundesgerichtshofs übten aber nicht nur diejenigen, die für mehr Souveränität der Einzelstaaten eintraten, sondern auch die andere Seite. Die Vertreter einer starken Bundesgewalt wollten die Gerichtsbarkeit des Bundes nicht einer eigenen Institution übertragen, sondern die Entscheidungsgewalt in den Händen der das Volk direkt repräsentierenden Legislative belassen. Wenn die Bundesgewalt gegenüber den Einzelstaaten nicht einmal über ihre eigenen Kompetenzen befinden dürfe, so argumentierten sie, fehle es ihr an Durchsetzungskraft, weil jeder unzufriedene Einzelstaat sie vor dem Bundesgericht angreifen könne.293 Dieser Punkt führte zurück zum Streitpunkt der Macht für die Fürsten. In Amerika, so argumentierte Moritz Mohl gegen seinen Bruder Robert von Mohl in Frankfurt, berge es keinerlei Gefahr, den Einzelstaaten die Möglichkeit zu geben, gegen die Zentralgewalt zu prozessieren, da überall die letzte Autorität beim Volk selbst liege, in Deutschland aber drohe ein Missbrauch des obersten Gerichtshofs durch die fürstlichen Einzelregierungen, die sich dort ihre Macht abzutrotzen hofften.294 Mittermaier aber tat diesen Einwand als völlig irrelevant ab: „Der Grund, aus dem ein oberstes Gericht entscheiden

290 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 3614 [Carl Anton Mittermaier §1-20/Gustav Droysen §21-61, 19.10.1848, 99. Sitzung]. 291 J.L. Tellkampf: Bundesverfassung (1848), S. 1; C.T. Tittmann: Gerichtsbarkeit (1850), S. 12. 292 R. Mohl: John Marshall (1840), S. 175. 293 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. IV, S. 2979 u. Bd. V, S. 3609 [27.11.1848, 123. Sitzung u. 19.10.1848, 99. Sitzung]. 294 Ebd., Bd. V, S. 3609 [Moriz Mohl, 27.11.1848, 123. Sitzung].

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kann, wird der nämliche bei uns wie in Amerika sein.“295 Immer wieder drängte er seine Kollegen in der Paulskirche: „An die Erfahrungen Amerika’s, meine Herren bitte ich Sie, sich zu wenden. […] Folgen wir dem Beispiel Amerika’s und dann werden wir die herrlichen Früchte davon erndten [sic]. Ich bitte Sie auch, unser Gesetz nach den Erfahrungen von Amerika zu ergänzen.“296 Auf die grundlegenden Unterschiede zwischen dem anglo-amerikanischen Common Law und der auf römischem Recht basierenden Gerichtsbarkeiten Kontinentaleuropas ging an dieser Stelle niemand ein – es hätte auch die Argumentation geschwächt.

F AZIT Thomas Nipperdey erkennt das Haupthindernis bei der Durchsetzung eines funktionierenden Bundesstaats im praktisch gelebten Föderalismus selbst, der auch die Revolution „polyzentral“ auftreten ließ. Die Möglichkeit eines deutschen Bundesstaats blieb zwar auch nach 1848 auf der Tagesordnung, aber mit dem wachsenden Einfluss Preußens fand der unitarische Einheitsstaat immer mehr Anhänger und die föderalistischen Traditionen wurden überlagert.297 Die Regionalverbundenheit der Bevölkerung aber blieb erhalten und wurde zu einem stärkenden Faktor des entstehenden Nationalstaates, denn die lokalen Eigenheiten verstand man nicht als Bedrohung für die Nation, sondern vielmehr als wertvolle Vielfältigkeit.298 In der zeitgenössischen Öffentlichkeit aber wurde dieses Phänomen zwar immer wieder betont, jedoch kaum reflektiert oder theoretisch untermauert. Deuerlein weist darauf hin, dass in Amerika, angefangen mit den Federalist Papers, aber nach der Staatsgründung auch weiterhin, sowohl Politiker als auch Staatswissenschaftler – nicht selten ohnehin dieselben Personen – daran interessiert waren, der Bevölkerung das System ihres Föderalismus weiter zu erklären und nahe zu bringen. In Deutschland hingegen betraf die Beschäftigung mit der Bundesstaatslehre während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen immer kleiner werdenden Kreis von Gelehrten.299

295 Ebd., Bd. V, S. 3614 [Carl Anton Mittermaier, 27.11.1848, 123. Sitzung]. 296 Ebd. 297 T. Nipperdey: Föderalismus (1984), S. 12ff. u. S. 16; D. Langewiesche: Föderative Nation (2000), S. 215. 298 D. Langewiesche: Föderative Nation (2000), S. 241. 299 E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 89.

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Nachdem der Versuch der Paulskirche, einen Bundesstaat zu erschaffen, nicht fruchtete, waren viele der einst überzeugten Vertreter, die in ihren Plädoyers gern und oft die amerikanische Union evoziert hatten, ernüchtert. Der Sohn Friedrich von Rönnes verteidigte dabei seinen Vater. Er habe trotz seiner Begeisterung für das amerikanische Beispiel „nie einen Hehl aus seinen Bedenken gegen die Ausführbarkeit in Deutschland gemacht“.300 1850 beschrieb Tittman, welche positiven Umstände die Entstehung der amerikanischen Verfassung begünstigt hatten, und reflektierte dabei indirekt mit, was Deutschland in seinen Augen gefehlt hatte. In Amerika habe „ungekünstelte Gesinnung, biedere Gesinnung und natürliche Lebenskraft“ vorgeherrscht, schrieb er, darüber hinaus sei „Kleinmuth und Eigennutz der Einzelnen, und Thorheit der Menge unter dem ueberwiegenden Einflusse gediegener und kräftiger Charaktere von jeder gemeinschädlichen Entwicklung abgehalten“ worden.301 Als aber 1861 mit dem Civil War die latenten Gefahren des amerikanischen Bundesstaats akut wurden und er auseinander zu brechen drohte, büßte er an Überzeugungskraft ein. Obgleich sich die Union letztlich behauptete, wurde der US-Föderalismus nie wieder so enthusiastisch gepriesen. 1872 schrieb Seydel: „Es klebt Blut an der amerikanischen Verfassungsfrage.“302 Erst bei der Weimarer Verfassung und noch mehr nach dem Zweiten Weltkrieg hielt man das föderative System der USA wieder für ein ausreichend bewährtes Modell, mit dem man argumentieren konnte.

300 J. Rönne: Hauptzüge (1867), S. 5. 301 C.T. Tittmann: Gerichtsbarkeit (1850), S. 1f. 302 M. Seydel: Bundesstaatsbegriff (1872), S. 224.

Geordnete Freiheit „Freiheit! Schmeichelndes doch vieldeutiges Wort, gehasst von den Tyrannen und Despoten, den Knechten unverständlich, von Thoren vielfach missverstanden, von Fanatikern schrecklich missbraucht, und dennoch die Losung aller Guten.“ K ARL VON ROTTECK (1847) 1

In der politischen Argumentation war und ist ‚Freiheit‘ ein Kernbegriff. Die Vielschichtigkeit zwischen metaphysischer, idealistischer, juristischer und praktischer Definition macht daraus immer ein tragendes, aber zugleich ein oft kaum greifbares Konzept. Von der Aufklärung über die Revolutionen des ausgehenden 18. und während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann ‚Freiheit‘ zunehmend einen Legitimierungsanspruch für Umgestaltungen und Machtverschiebungen. So einfach, wie es dank der abstrakten Natur dieses Konzepts war, sich dafür zu begeistern, so schwierig war es, klare Prinzipien zu formulieren. Die Ode an die Freiheit Amerikas, die im Epochenjahr 1789 in der Berlinischen Monatschrift erschien, zeugte einerseits von der überschwänglichen Begeisterung für die fernen Ereignisse und die mit ihnen verbundene Freiheitsidee, aber andererseits von der nüchternen Resignation über die eigene Situation: „Wer nie gejauchzt hat, jauchze! Dein Beispiel ruft Laut den entferntesten Nationen: Frei ist, wer’s sein will und werth zu sein ist! […]

1

K. Rotteck: Freiheit (1847), S. 179.

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Doch die eiserne Fessel klirrt Und mahnt mich Armen, dass ich ein Deutscher bin. Euch seh ich, holde Scenen, schwinden Blicke zurück in den Schacht und weine.“2

Nach 1789 war es einer Regierung kaum noch möglich, sich nicht als freiheitlich darzustellen. 3 Zu diesem Zweck wurde der Begriff allerdings äußerst unterschiedlich angewandt und interpretiert. Eine so umfassende Verbreitung in allen auch einander widersprechenden politischen Überzeugungen, trotz der in der Regel damit verbundenen starken emotionalen Aufladung, war nur möglich mit einem abstrakten Konzept wie ‚Freiheit‘, das für jeden ausreichend Interpretationsspielraum zuließ. 4 Eng verbunden mit dem Freiheitsverständnis waren Überlegungen zu Ursprung, Legitimation und Auslegung der natürlichen Menschenrechte, den natürlichen ‚negativen‘ Rechten im Gegensatz zum positivistischen Rechtssystem. Die amerikanische Unabhängigkeit hatte das Verständnis von Freiheit in mehrfacher Hinsicht geprägt. Zum einen erhielt die Idee von staatlicher, oder genauer von kolonialer Autonomie neue Impulse, die daraufhin besonders für den ‚Freiheitskampf‘ in Lateinamerika relevant wurden, zum anderen aber hob die Organisation der jungen Republik das Konzept des self-government, das man von den Briten kannte, auf eine neue Ebene. Die Idee eines Gesellschaftsvertrags, das hypothetische Postulat philosophischer Staatstheorien der Aufklärung – von Hobbes über Rousseau bis Locke – hatte mit der Gründung der USA erstmals eine tatsächliche Entsprechung in der Realität.5 Vor allem aber wurde damit die Theorie der dem Staat vorausgehenden Naturrechte bestätigt, was eine Herausforderung für die auf historischem Recht basierenden Zustände der feudalen Gesellschaft in Europa bedeutete, obgleich man nicht leugnen konnte, dass die Behandlung der Schwarzen und der Indianer in scharfem Widerspruch zu dem gerühmten freiheitlichen System der USA und der Idee der natürlichen Menschenrechte stand.

2

C. Biedermann: Rückwirkungen (1858), S. 189f.

3

C. Dipper: Freiheit (1975), S. 489.

4

W. Conze: Freiheit (1975), S. 539.

5

M. Hochgeschwender: Menschenrechte (1999), S. 39.

G EORDNETE F REIHEIT

F REIHEIT (- EN )

UND

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R ECHT (- E )

Die innere Freiheit, Paul Achatius Pfizer sprach dabei von „Autonomie“, stand weniger zur Debatte. Sie war ohnehin unantastbar und von politischen und sozialen Umständen unabhängig.6 Die äußere Freiheit aber definierte sich über das Verhältnis der Menschen zueinander und zu dem Staat, in dem sie lebten. Viele fürchteten sie bedroht, vor allem durch die Regierungen, denn im Feudalismus waren ‚Freiheiten‘ Vorrechte oder Privilegien, die von den Autoritäten explizit gewährt und jederzeit wieder genommen werden konnten. Diese Terminologie dominierte das Verständnis, und erst langsam setzte sich durch, dass Recht und Freiheit nicht als etwas vom Staat Geschenktes, sondern als etwas natürlich Gegebenes zu sehen sei, und dass folglich der Staat auch diese Rechte nicht beschneiden dürfe und es vielmehr Staatszweck sein sollte, sie zu schützen.7 Die Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution war ein entscheidender Wendepunkt, mit dem die naturrechtliche Interpretation von Freiheit im Sinne eines unveräußerlichen Rechts Verbreitung fand.8 Francis Lieber verstand unter „praktischer Freiheit der Neuzeit“, wie er 1849 erklärte, die Anwendung „unserer neuen, breitgebauten, volksmäßigen Freiheit“ im Gegensatz zu „der mittelalterlichen, welche sich durch absondernde staatliche Unabhängigkeit mit verbrieftem Vorrecht der Freiheit auszeichnete“.9 In der Einheitsbewegung wurde die negativ besetzte Pluralform ‚Freiheiten‘ zusätzlich rhetorisch genutzt, was Ludwig Börne 1833 auf den Punkt brachte: „Die Regierungen erfinden eine badische, eine württembergische, eine Darmstädter Freiheit, damit nur keine deutsche sich bilde.“10 In den folgenden Jahrzehnten existierten die verschiedenen Verständnisse von Freiheit(-en) parallel nebeneinander.11 Es entwickelte sich eine polemische Antithese zwischen ‚Freiheit‘ und ‚Freiheiten‘. 1844 forderte Glasbrenner: „[M]it den alten Freiheiten ist’s vorbei/Die Freiheit muss uns werden.“ 12 Auch 1848 wurden in einigen Flugblättern noch die „sogenannten Freiheiten“ angeprangert, die man dem Volk hinwerfe, „wie einem Hunde die fleischlosen Knochen vom Tische seines

6

P.A. Pfizer: Autonomie (1846), S. 11f.; K. Rotteck: Freiheit (1847), S. 184.

7

G. Struve: Menschenrechte (1847), S. 69f.

8

C. Dipper: Freiheit (1975), S. 488f.

9

F. Lieber: Freiheit (1849), S. 23-40, hier S. 28.

10 L. Börne: Briefe (1833), S. 507. 11 H.-W. Hahn: Formierungsprozessen (2006), S. 517. 12 A. Glasbrenner: Geschichtlinge (1844), S. 491.

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Herrn“.13 In den Motiven zum Entwurf der Grundrechte in der Paulskirche hieß es dann auch, man wolle, „im Gegensatz zu den Rechtszuständen des Mittelalters statt der Freiheiten die Freiheit, statt der Rechte das Recht gewähren“.14 Erst nach der Abschaffung des Feudalismus Mitte des 19. Jahrhundert, als die mittelalterlich-frühneuzeitlichen ‚Freiheiten‘ zunehmend aus der politischen Realität verschwanden, verlor auch die Kontrastierung ihren provokativen Effekt.15 Die Verknüpfung von Freiheit und Menschenrecht ergab sich aus der neuen naturrechtlichen Auslegung von selbst. Mit dem Verschwinden der positivistischen, explizit gewährten Freiheiten und Vorrechte verbreitete sich das Konzept, das Isiah Berlin später als „negative Freiheit“ definierte.16 Jeder war frei zu tun, was nicht explizit verboten war, hatte also von Natur aus das Recht dazu. Im Staats-Lexikon wies Karl von Rotteck nach, dass es redundant sei, ein „Recht zur Freiheit“ zu fordern – man könne ebenso gut von einem „Recht zum Rechte“ sprechen, denn die „äußere Freiheit“ zu haben, etwas zu tun, sei gleichbedeutend mit einem Recht.17 Warum vor diesem Hintergrund dennoch die Forderung nach einer expliziten Manifestation der Menschenrechte laut wurde, erklärt sich aus dem Einfluss der Französischen Revolution, als „die Völker Europas sich ihrer ewigen und unveräußerlichen Rechte bewusst geworden sind“. 18 Das Konzept der angeborenen Naturrechte erhielt 1789 eine politische Komponente und bezog die Individuen wieder auf den Staat. In der Folge wurde es auch notwendig, die Rechte der Bürger gegenüber der Regierung, aber auch gegenüber einander, zu definieren und zu schützen.19 Die Déclaration des Droits de l’Homme et du Citroyen, die den beiden französischen Verfassungen von 1791 und 1793 vorangestellt war, unterschied erstmals zwischen Menschen- und Bürgerrechten, wie es in der englisch-amerikanischen Tradition nicht üblich war.20 Andreas Michelsen sah darin jedoch keinen wirklichen Gewinn für die Praxis. In einer Rede vor der Nationalversammlung räumte er zwar ein, dass die französische Déclaration als Denkan-

13 E. Bleyer: Republik (1848), S. 145. 14 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 685 [Motiven zum Entwurf der Grundrechte, 3.7.1848, 13. Sitzung]. 15 C. Dipper: Freiheit (1975), S. 490-492. 16 I. Berlin: Liberty (1969), S. 122. 17 K. Rotteck: Freiheit (1847), S. 183. 18 G. Struve: Menschenrechte (1847), S. 68. 19 K. Rotteck: Freiheit (1847), S. 184ff.; F. Lieber: Freiheit (1849), S. 23. 20 M. Hochgeschwender: Menschenrechte (1999), S. 40.

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stoß und theoretischer Unterbau für die geforderten Veränderungen nicht zu unterschätzen sei, man allerdings bereits „über diesen abstracten Standpunkt hinaus“ sei und sich auf die praktischen Bürgerrechte konzentrieren solle.21 So verfestigte sich im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter deutschen Staatswissenschaftlern die Ansicht, dass die Bürgerrechte eine Konkretisierung der natürlichen Menschenrechte seien. 22 Friedrich Murhard war ohnehin der Auffassung, dass Menschenrechte nur innerhalb einer staatlichen Ordnung gesichert werden könnten und daher unauflöslich an Bürgerrechte geknüpft seien, so dass er die Begriffe synonym verwandte.23 Diese unterschiedlichen Interpretationen hatten zur Folge, dass sich eine genaue Unterscheidung zwischen Menschen- und Bürgerrechten nie gänzlich durchsetzte. In den USA gab es bereits früh Überlegungen zu einer Kodifizierung der Menschenrechte, die dann die französische Déclaration auch entschieden beeinflusst hatten. Die US-Verfassung beinhaltete keine eigene Liste von Rechten, einzelne konkrete Bestimmungen wurden erst in den ergänzenden Paragraphen, den Amendments, festgelegt. Alexander Hamilton hatte in den Federalist Papers auf die Diskrepanz hingewiesen, dass trotz des negativen naturrechtlichen Freiheitsverständnisses, wie es der amerikanischen Verfassung zu Grunde lag, eine Menschenrechtserklärung für notwendig erachtet wurde. „[B]ills of rights are in their origin, stipulations between kings and their subjects, abridgements of prerogatives in favour of privilege, […] they have no application to constitutions professedly founded upon the power of the people, and executed by their immediate representatives and servants.”24 Die Verfassungen der US-Einzelstaaten enthielten dennoch Menschenrechtsbestimmungen, nicht zuletzt, weil sie zum Teil auf den Kolonialverfassungen aufbauten, die nach englischem Recht aufgesetzt worden waren. Die Virginia Bill of Rights etwa, vom 26. Mai 1776, die später auch andere Bundesstaaten übernahmen, basierte – wie schon die Benennung deutlich macht – auf der englischen Bill of Rights von 1689, mit der erstmals die Rechte des Königs beschränkt und den Bürgern – damals noch in Form der Ständeversammlungen – entscheidende Freiheiten gewährt worden waren.25 Die Virginia Bill of Rights stand folglich noch klar in der Tradition des positivistischen Rechtsverständnis-

21 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 1314 [Andreas Michelsen, 1.8.1848, 52. Sitzung]. 22 R.-J. Grahe: Meinungsfreiheit (1981), S. 88. 23 R. Schöttle: Politische Theorien (1994), S. 264. 24 A. Hamilton: Federalist Nr. 84 [1788] (1982), S. 523. 25 M. Dümpelmann: Grenzgänger (1990), S. 121f. u. S. 123.

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ses, war aber dennoch ein zentrales Dokument für die Verfasser der französischen Déclaration, wie Textparallelen und wörtliche Übersetzungen erkennen lassen.26 Gerade aber in Europa war es die französische Menschenrechtserklärung, die zur Verbreitung des naturrechtlichen Freiheitsverständnisses beitrug, obgleich die Virginia Bill of Rights durchaus bekannt war. Letztere setzte erstmals bei dem einzelnen Bürger, nicht beim Staat an. Die Grenzen der Regierungsgewalt wurden durch die Rechte des Einzelnen definiert, anstatt die Regierung durch Übertragung einzelner Freiheiten auf das Volk zu beschränken. Dümpelmann spricht daher mit Blick auf diese „amerikanische Menschenrechtserklärung“ von einem „ersten Triumph des Individualismus“.27 Als man Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland begann, sich mit dem Konzept von natürlichen Rechten zu beschäftigen, um es für die eigenen politischen Entwürfe nutzbar zu machen, bekannte man sich zu den Vorgängern und Traditionen auf beiden Seiten des Atlantiks. Carl August Mebold erklärte in der Allgemeinen Zeitung, dass „die Lehre von den unveräußerlichen Menschenrechten […] durch die amerikanische und die französische Revolution als Vorrede eines neuen Staatsrecht[s] verkündigt wurde“.28 Wie schon bei der Auseinandersetzung mit dem Konzept von ‚Revolution‘, war es gerade der Mangel an theoretischen Ausformulierungen, die das amerikanische Beispiel reizvoll machten. Das „alte Europa“, schrieb Struve 1847 im Staats-Lexikon, liege noch „im Kampfe mit dem Absolutismus, welcher keine Rechte des Menschen und des Bürger anerkennt“. Dagegen habe „die jugendliche und kräftige nordamerikanische Union der Welt gezeigt, zu welchem praktischen Resultate die Anerkennung der Menschenrechte führt“.29 Aber es gab auch Stimmen, denen die Anlehnung an die USA zu weit ging. 1847 hatte Otto Zirckel aus Amerika geschrieben, er würde niemals in einem europäischen Staat leben wollen, „welcher auf eine der unseren [amerikanischen] ähnlichen Art regiert würde“, denn in der Alten Welt seien die Voraussetzungen dafür nicht gegeben und „von der Sicherheit des Lebens und des Eigentums wäre da wohl keine Rede“. 30 Zirckels Herausgeber, der den Text 1849 kommentierte, merkte dazu in einer Fußnote an:

26 G. Jellinek: Menschen- und Bürgerrechte (1919), S. 15-16; K. Stern: Verfassungsstaatlichkeit (1984), S. 11 [keine gedruckten Seitenzahlen]; M. Hochgeschwender: Menschenrechte (1999) S. 43. 27 M. Dümpelmann: Grenzgänger (1990), S. 125. 28 C.A. Mebold: Verfassungspolitik (1846), S. 40f. 29 G. Struve: Menschenrechte (1847), S. 67. 30 O. Zirckel: Demokratie (1849), S. 4.

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„[W]enn man dann ferner diese Aussprüche […] mit der von der Nationalversammlung oktroyierten deutschen Verfassung vergleicht, einer Verfassung, die […] an Ungebundenheit, oder wie man sich jetzt auszudrücken beliebt, ‚an Freiheit‘, weit die Bestimmungen der Verfassung und der Grundrechte der Vereinigten Staaten überholt, – so möchten dieselben zu einem entsetzlichen Prophetenworte gesteigert werden.“31

Bei der Gründung des Staates in Amerika und bei der Reorganisation des Regierungssystems in Frankreich war das vorrangige Ziel der Staatswissenschaftler und Politiker, trotz der größtmöglichen Freiheit aller, Ordnung zu gewährleisten. Ein Spannungsfeld, mit dem sich auch die Abgeordneten der Paulskirche 1848/49 konfrontiert sahen. Viele verstanden die Lösung dieses Problems als eine treibende Kraft hinter den Diskussionen um die Grundrechte.32 Unter den Abgeordneten entwickelten sich verschiedene Positionen. Eine kleine Minderheit setzte nach wie vor große Hoffnung in die bestehende staatliche Ordnung, während auf der anderen Seite eine ebenfalls eher kleine Gruppe den völligen Umsturz der bisherigen Verhältnisse forderte. Die Mehrheit aber bewegte sich zwischen diesen beiden Extremen. Sie hoffte, durch Umsetzung und Einbindung von Konzepten wie Menschen- und Bürgerrechte den Staat gerade soweit zu reformieren, dass sich ein freiheitlicheres System entfalten konnte, ohne Gefahr zu laufen, dass es außer Kontrolle geraten würde.33 Die fortwährenden Unruhen besonders in Baden rückten die Angst vor Radikalisierung weiter in den Mittelpunkt, und später notierte Friedrich von Raumer, als er die preußischen Truppen auf dem Weg nach Rastatt durch Frankfurt ziehen sah: „[I]ch zweifele nicht, dass sie die Willkür, welche sich Freiheit nennt, brechen und Maß und Recht herstellen werden.“34 Mittermaier schwärmte einmal mehr von Großbritannien und Amerika, wo „die Regierung Kraft hat, […] aber auch die Freiheit wahrhaft geschützt ist“.35 Aus der Sorge heraus, zu viel Freiheit bedeute eine Gefahr für die Ordnung und damit für den Staatszweck, entwickelte sich der Ansatz einer organisierten Freiheit, der bis heute einen Rechtsstaat charakterisiert.36 Raumer erinnerte sich

31 Ebd. 32 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5260ff. [16.2.1849, 171. Sitzung];C. Dipper: Freiheit (1975), S. 525 u. S. 529. 33 L. Krieger: Freedom (1972), S. 275. 34 F. Raumer: Nachlaß (1869), Bd. I, S. 203 u. Bd. II, S. 203 [Brief vom 18.6.1849] 35 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5016f. [Carl Anton Mittermaier, 3.2.1849, 163. Sitzung] 36 K. Rotteck: Freiheit (1847), S. 181; C. Dipper: Freiheit (1975), S. 513 u. S. 526.

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an einen Trinkspruch, den er bei einer Einladung in Philadelphia gehört hatte und der ihm offensichtlich so aussagekräftig erschien, dass er ihn in seinem Werk über Nordamerika wiedergab: „[E]s möge wachsen, grünen, blühen und Früchte tragen, in Deutschland und den vereinigten Staaten, die wahre Freiheit, welche immer mit Gesetz und Ordnung Hand in Hand geht, und die wahre Wissenschaft, welche nie der ächten Religion und Sittlichkeit widerspricht!“37 Wenn die Freiheit aller nicht ausreichend organisiert sei, würde die Freiheit des Einzelnen gefährdet. Ziel müsse es sein, „der Freiheit Organe zu gründen“, so Rödinger in der Nationalversammlung. 38 Die angestrebte Staatsform müsse jedoch nicht zwingend, wie in der amerikanischen Variante, eine rein demokratische oder republikanische sein, sondern könne ebenso gut, oder gar noch besser, in einer konstitutionellen Monarchie Verwirklichung finden.39 Die Abgeordneten der Paulskirche entschieden sich dafür, nach dem Vorbild der französischen Verfassungen, mit einer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte „– wir haben sie Grundrechte genannt –“ zu beginnen.40 Wie sehr aber dennoch die anglo-amerikanische Konzeption präsent blieb, beweist ein Brief Mittermaiers an seinen deutschen Freund Lieber in den USA. Statt von einer Menschenrechtserklärung zu sprechen, beschrieb er den Katalog der Grundrechte als „eine Art bill of rights“.41 Wilhelm Beseler legte dar, man habe es für sinnvoll erachtet, mit der Beratung über die Menschenrechte die Ausarbeitung der Verfassung zu beginnen, um auf diese Weise einen Einstieg zu finden. Hier bestünde bereits ein grundsätzlicher Konsens unter den Abgeordneten und es seien schnelle Ergebnisse zu erwarten, die dem aufgeregten Volk präsentiert werden könnten.42 Friedrich Römer war offensichtlich so überzeugt von einer raschen Einigung gewesen, dass er sogar eine Wette darüber abgeschlossen hatte, dass man sich in „nicht ganz drei Wochen“ auf einen Entwurf verständigt haben werde.43 Als die Debatten

37 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 487f. 38 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. V, S. 4078 [Friedrich Rödinger, 4.12.1848, 128. Sitzung]. 39 C. Dipper: Freiheit (1975), S. 517; U. Scheuner: Traditions (1978), S. 20. 40 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 700 [Wilhelm Beseler, 3.7.1848, 30. Sitzung]. 41 Francis Lieber Papers, Box 57, Huntington Library Pasadena [Carl Anton Mittermaier an Francis Liber, 19.1.1849]. 42 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 701 [Wilhelm Beseler, 3.7.1848, 30. Sitzung]. 43 R. Hübner (Hg.): Aktenstücke (1924), S. 149.

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sich immer länger hinzuziehen begannen, drängte er daher seine Kollegen im Verfassungsausschuss auf einen zügigen Abschluss, jedoch ohne Erfolg. Raumer formulierte seine Sorgen und Gedanken zur Grundrechtsdiskussion in einem Brief aus Frankfurt Anfang Juli 1848: „Hauptgefahr dabei ist, dass man geneigt wird, aus Zorn über das frühere Zuwenig, jetzt ein Zuviel zu fordern und zu bewilligen […] Ein anderer Irrtum ist der, die Freiheit bedürfe gar keiner gesetzlicher Schranken, und könne (als reines, unbedingtes Gut) gar nicht missbraucht werden.“44 Zwar herrschte Einigkeit über die grundsätzlichen Punkte, aber das Spannungsfeld zwischen der Angst vor zu viel unorganisierter Freiheit einerseits und einem zu mächtigen, anmaßenden Staat andererseits hatte zur Folge, dass die Debatten sich immer wieder in Detailfragen verloren. Es gab vereinzelt Stimmen, die der Menschenrechtserklärung nicht den idealistischen Wert vom „goldenen Zeitalter“ beimaßen,45 den die Mehrheit damit verband, sondern darin einen Teil der praktischen Gesetzgebung sahen, die jedoch auch später hätte festgelegt werden können. Dieser pragmatische Ansatz war auch von den Autoren der Federalist Papers in Bezug auf die USVerfassung vertreten worden. Alexander Hamilton hatte erklärt, dass die ersten Worte der Präambel – „We the people“ – ohnehin die bessere Gewährleistung für die Rechte des Volkes seien und nicht „volumes of those aphorisms […] which would sound much better in a treatise on ethics than in a constitution of government“.46 Aus diesem Grund, so Otto Vossler, hatten die Menschenrechte in Amerika nicht den „universalen, prophetischen und messianischen“ Charakter, den man ihnen in Frankreich zumaß und der einen großen Teil ihres revolutionären Potenzials ausmache.47 Auch Robert von Mohl hielt eine eher nüchterne Herangehensweise für sinnvoll. Schon in seiner Beschreibung der amerikanischen Bundesverfassung hatte er diese dafür gelobt, dass sie keine „sogenannte Erklärung der Menschen- und Bürger-Rechte“ enthalte, sondern stattdessen, „die Leerheit, Unbestimmtheit und zugleich gefährliche Anwendung solcher allgemeinen Sätze umgehend“, sich nur auf konkrete und genau eingegrenzte Fragen bezog, die eine direkte Anwendung fänden.48 Friedrich Rönne, der sich selbst als praxisorientierten Staatsmann verstand und darin gerne den Amerikanern nacheiferte, hätte es begrüßt, wenn zu Beginn der Verhandlungen in Frankfurt andere

44 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 158f. [Brief vom 2.6.1848]. 45 G. Struve: Menschenrechte (1847), S. 72. 46 A. Hamilton: Federalist Nr. 84 [1788] (1982), S. 524. 47 O. Vossler: Revolutionsideale (1929), S. 20. 48 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 885.

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Prioritäten gesetzt worden wären, wie etwa die Definition des Bundesstaates. Die Rechte könne dem Volk ohnehin niemand mehr nehmen „so lange in ihm überhaupt der Sinn für Freiheit lebt“, erklärte er seinen Wählern.49 Die meisten Abgeordneten waren jedoch der Überzeugung, dass eine „dringende Nothwendigkeit“ bestünde, die Grundrechte als „die kostbarsten Güter“ des Volkes „zu stabilisieren“.50 Raumer sah darin einen „wichtigen Theil unserer Aufgabe“, 51 die Aufmerksamkeit verdiene, nicht zuletzt, weil es sich um Bestimmungen von langer Dauer handeln sollte, ein „Gesetz für Jahrhunderte“, wie Beseler es feierlich in der Paulskirche formulierte.52

„AMERIKA

LASSEN WIR NICHT GELTEN , ES HAT NOCH S CLAVEN “ Selbst wenn die Vereinigten Staaten für die Verteidigung von Freiheit und unveräußerlichen Menschenrechten eine wertvolle Bezugsquelle boten, gab es ein unübersehbares Stigma. Johann Georg August Wirth forderte zwar 1832 „mit einem Worte Freiheit, volle Freiheit, nach Art der nordamerikanischen Freistaaten“,53 doch keiner der Beobachter konnte seine Augen vor dem „Brandmal der Nation“ 54 verschließen, dem „Schandflecken der Sklaverei“. 55 In eindeutigem Gegensatz zu den großen Idealen war die Sklaverei ein „Grund der Schaam[sic] […] ein täglich tiefer fressender Krebsschaden“.56 Angesichts der Situation der Schwarzen warf Mohl der amerikanischen Bundesgesetzgebung „Inconsequenz“ vor und war der Überzeugung, „dass sich […] diese grässliche Folgewidrigkeit in den Behauptungen über angeborene Menschenrechte schwer rächen wird“.57 Man war sich der Diskrepanz also durchaus bewusst und sah in diesem Zusam-

49 FSg 1/157 Nachlass Rönne, BA Koblenz [Rönne an seine Wähler, 20.8.1848]. 50 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 704 [Adolph Lette, 3.7.1848, 30. Sitzung]. 51 F. Raumer: Briefe (1849), S. 158 [Brief vom 2.6.1848]. 52 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 708 [Wilhelm Beseler, 3.7.1848, 30. Sitzung]. 53 J.G.A. Wirth: Wiedergeburt (1832), S. 516. 54 C. T. Welcker: Bund (1846), S. 713. 55 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. IX. 56 Private Briefe der Familie Raumer, Universitätsbibliothek Münster [Raumer an seinen Bruder Karl, 13.8.1843]; C.T. Welcker: Bund (1846), S. 713. 57 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 377ff.

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menhang mit kritischem Auge auf die USA. „Die Redensart ‚Alle Menschen sind gleich geboren‘, klingt schön“, erklärte Ziegeler, fügte dann aber im Hinblick auf die Sklaverei und auch auf die Behandlung der Indianer hinzu: „Auf meiner Reise durch Nordamerika habe ich nirgends Gleichheit wohl aber unzählige Beweise dafür gefunden, dass der Begriff einer praktischen Gleichheit nur Chimäre ist.“58 In den verschiedensten thematischen Zusammenhängen war für Gegner des amerikanischen Modells der Hinweis auf die Sklaverei ein willkommenes Gegenargument, das keinen Widerspruch erlaubte, und durch das jegliche Bezugnahme auf vorbildliche Aspekte der USA abgewendet werden sollte. „Amerika lassen wir nicht gelten, es hat noch Sclaven“, fasste Carl Mathy in der Paulskirche diese Argumentationsweise zusammen.59 August Arnold machte in seinem Sammelband von „sieben neueren Verfassungen“ ebenfalls klar, dass ein „Staat, der Sclaven, oder gleicher Rechte beraubte, unterdrückte Stände oder Provincen in sich schließt“, niemals ein „wahrer guter, freier“ Staat sein könne, ungeachtet dessen, „wie viel auch andere Bewohner oder Theile sich der Freiheit und besten Gesetze und Einrichtungen erfreuen mögen“.60 Diese Problematik war in der staatswissenschaftlichen Literatur Mitte des 19. Jahrhunderts allerdings trotzdem nicht von zentraler Bedeutung. Gottfried Duden mahnte in diesem Zusammenhang schlicht, „die Erde so zu nehmen […], wie sie ist“, und verlangte statt Abschaffung: „Die Herren sollen edler werden, dann wird die Sklaverei von selbst ihren rauen Charakter verlieren.“61 Einer der wenigen unter den bekannteren europäischen Autoren der Zeit, die sich dem Thema ausführlicher widmeten, war Alexis de Tocqueville. 62 Dennoch waren auch Männer wie Friedrich von Raumer, Robert von Mohl oder Friedrich Murhard, die viele Aspekte der politischen und auch gesellschaftlichen Zustände in den

58 A. Ziegler: Licht- und Schattenseiten (1848), S. 25. 59 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd.VII, S. 5299 [Carl Mathy, 19.2.1849, 173. Sitzung]. Der Redner selbst teilte diese Ansicht nicht. Er war der Auffassung, dass es durchaus nützlich sein könne, in staatstheoretischen Überlegungen andere Länder als Anschauungsmaterial zurate zu ziehen. Mit seiner Aufzählung der üblichsten Gegenargumente für die verschiedenen Länder wies er nur darauf hin, dass man gegen jedes Beispiel etwas einwenden könne, sich davon aber nicht abschrecken lassen dürfe. 60 A. Arnold: Staatslehre (1849), S. 4. 61 G. Duden: Selbstanklage (1837), S. 61 u. S. 66. 62 C. Stokes: Racial Inequality (1990), S. 4.

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USA lobten und exemplarisch anführten, bemüht, das Problem der Sklaverei gebührend zu behandeln und zu erklären. Die moralische Komponente dieser Thematik war unmöglich aus den Argumentationen herauszuhalten. Alle begannen mit einer umfassenden Verurteilung der Institution der Sklaverei und bekundeten ihr Mitleid und ihre Sympathie mit „jener unglücklichen Kaste […] blos als Sache und als Werkzeug betrachtet [,] im Lande der Freiheit“. 63 Trotzdem versuchten sie dann meist, die Situation möglichst nüchtern zu erklären oder gar zu rechtfertigen. In der Regel bedienten sie sich daher einer zweigleisigen Herangehensweise, die neben dem moralischen Argumentationsstrang bemüht war, eine unabhängige, pragmatische Sichtweise zu präsentieren. Raumer verwehrte sich gegen Vorwürfe seiner Kritiker, die ihn tadelten, „weil ich über die Sklaverei nach der mühsamsten u[nd] vielseitigsten Prüfung, sprach wie eine Staatsmann, u[nd] nicht wie unwissende Mamsells u[nd] Pastoren“. Schon früher hatte er angemerkt: „Viele urtheilen wie der Blinde von der (schwarzen) Farbe.“64 Ein solcher doppelschichtiger Ansatz war nicht unüblich auch unter den Zeitgenossen in Amerika selbst, sowohl in den Nord- als auch in den Südstaaten.65 Eine scharfe Trennlinie gelang jedoch nicht. Robert von Mohl formulierte das Dilemma 1844: „Allerdings ist die Sklaverei ein verdammenswerther Zustand, nicht zu rechtfertigen vor dem Richterstuhle des natürlichen Rechts, der Sittenlehre und der Religion. Allein sie war bisher positives Recht; der Staat hat sie gebilligt, geschützt, selbst gefördert.“66 Auch Raumer wollte das positive Recht nicht völlig von der Hand weisen und beschäftigte sich sehr genau mit der Problematik einer materiellen Entschädigung der Sklavenhalter im Falle einer Freilassung. Trotzdem betonte er: „Aus dem bloßen geschichtlichen Dasein der Sklaverei folgt keineswegs ihre Natürlichkeit und Rechtlichkeit“.67 Von einem religiösen und ethischen Standpunkt wandte auch er sich entschieden gegen die Sklaverei, die „für den Philosophen, Staatsmann, Geschichtsforscher und Christen“ gleichermaßen „verdammlich“ sei. 68 In seinem Erklärungsansatz begann Raumer – wie damals üblich – mit einem Exkurs in die Antike. Er hielt aber etwa die Sklaverei der Griechen und

63 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 407. 64 Private Briefe der Familie Raumer, Universitätsbibliothek Münster [Raumer an seinen Bruder Karl, 22.3.1845 u. 22.12.1844]. 65 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 415-417. 66 R. Mohl: Aufhebung der Sklaverei (1844), S. 482f. 67 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 219. 68 Ebd., S. 224.

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Römer, die nicht auf Hautfarbe oder Rasse basierte, für eine temporäre Erscheinung, die vergleichsweise „kinderleicht“ aufzuheben sei, weil diese nur eine organisatorische Gesellschaftsstruktur sei und nicht durch Vorurteile getragen würde.69 Von diesem Punkt aus verfiel er jedoch in eine Argumentationsweise, die sich auf Begriffe wie „Menschenstamm“ und „Race“ stützte und all jene Vorurteile aus diesen Begriffsfeldern wieder unkritisch mitführte.70 In der Folge blieb Raumer skeptisch, was die Möglichkeit einer Abschaffung der Sklaverei in Amerika betraf. Diese Sorge teilte auch Murhard, der daran erinnerte, dass „in diesen Vorurtheilen, die ihren Grund in einem rohen Stolz haben“, die Institutionen der Unterdrückung stets „eine mächtige Stütze“ fänden.71 Auch Tocqueville stellte in seinen Schriften die eher finstere Prognose auf, dass zwar die Gleichheit unter den Weißen immer weiter wachsen werde, analog dazu aber die Ungleichheit zwischen den Schwarzen und Weißen sich ebenso weiter ausbilden müsse.72 Raumer war letzten Endes optimistischer als sein französischer Kollege: Er hoffte auf Gott und die Vorsehung was die „endliche Versöhnung mit den Weißen“ betraf. Es handele sich dabei um „etwas so Großartiges, Folgereiches und Erhabenes“, dass Gott diese Aufgabe „[w]äre sie wahrhaft unlösbar […] nie für seine allzuschwachen Geschöpfe hingestellt“ hätte.73 Das Vertrauen auf Gott oder die „heilende Hand“ der Zeit war ein verbreiteter Ausweg für viele europäische Staatswissenschaftler, wenn sie sich mit dem Problem der Sklaverei konfrontiert sahen.74 Auch Murhard teilte einen gewissen Fortschrittsoptimismus in Bezug auf die Aufhebung der Sklaverei in Amerika.75 Obgleich auch er der Ansicht war, dass der „weiße Menschenstamm […] durch seine geistigen und moralischen Vorzüge stets eine entscheidende Ueberlegenheit über den farbigen“ behalten müsse,76 blieb seine Argumentation doch insgesamt mehr von ethischen Grundsätzen geleitet als die der meisten anderen Staatswissenschaftler. Er war sehr viel rigoroser in seinen Forderungen nach Lösungsansätzen. Zwar erwähnte auch er die Problematik einer plötzlichen kollektiven Freilassung aller Sklaven sowie die wirtschaftlichen Faktoren einer solchen Maßnahme, sah darin jedoch keine Rechtfertigung für die gegebene Situation

69 Ebd., S. 231. 70 Ebd., S. 218ff. 71 F. Murhard: Sklaverei (1848), S. 233. 72 C. Stokes: Racial Inequality (1990), S. 8 u. S. 11. 73 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 278. 74 K. Rotteck: Aristokratie (1845), S. 639. 75 F. Murhard: Sklaverei (1848), S. 233. 76 Ebd., S. 234.

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und bemühte sich außerdem, die üblichen Argumente, die auch einige seiner deutschen Kollegen, etwa Raumer, angeführt hatten, zu entkräften. 77 Für ihn blieb die Sklaverei eine „unerhörte Verletzung aller Gesetze der Humanität, eine Anomalie, für die es keine Entschuldigung gibt“.78 Gleichzeitig aber wollte er das Unrecht nicht dem amerikanischen Staat oder dessen Bürgern anlasten, die er in so vielerlei Hinsicht für vorbildlich hielt. Er half sich daher mit dem Hinweis, dass es sich um das schreckliche Erbe der englischen Kolonialherren handele, ein den Amerikanern „wider ihren Willen aufgedrungene[s] Uebel“, mit dem die junge Republik jetzt umzugehen habe.79 Auch Mohl suchte Rechtfertigungen in den situationsbedingten Sachzwängen. Man dürfe der amerikanischen Bundesverfassung keinen Vorwurf machen, argumentierte er, es sei schließlich „klüger und Pflicht gemäßer, das Unvermeidliche zu dulden, in der Hoffnung es nach und nach bessern zu können,“ statt „sich von demselben, aber auch von einer großen Menge der wichtigsten Vortheile, zu trennen“. Er war nämlich der Auffassung, dass die Sklavenproblematik die größte Gefahr für den amerikanischen Bund darstelle, aber dessen Einigkeit keinesfalls aufs Spiel gesetzt werden dürfe. Das Versäumnis, die Sklaverei abzuschaffen, war in seinen Augen „somit kein Fehler, sondern ein schweres Unglück“.80 Francis Grund beurteilte die Situation ähnlich. Er lobte die USA ob „der moralischen Gerechtigkeit ihrer Regierung“ und hielt die Sklaverei nicht für einen Makel, sondern vielmehr für einen „mächtigen Feinde“ der Union, den es zu überwinden galt.81 Die Komponente der Sklavereiproblematik, die den Bestand des Bundes bedrohte, war in Deutschland sehr präsent. Rönne hatte auch in seinen Gesandtschaftsberichten aus Washington immer wieder darauf hingewiesen.82 Einer der wenigen Staatswissenschaftler seiner Zeit, die direkte Verbindungslinien zwischen der amerikanischer Sklaverei und dem europäischem Feudalismus zogen, war Friedrich Murhard. Auch der Feudalismus war für ihn „eine eigene Art von Sklaverei“. Trotzdem räumte er ein, das „neue Sklavensysteme“, das sich seit der Entdeckung Amerikas dort entwickelt habe, gehöre „gewiß zu einem der unmenschlichsten“.83 Er wies aber auch daraufhin, dass die Verteidigung der Sklaverei in Amerika eine gewohnheitsrechtliche Argumentationsweise

77 Ebd., S. 227ff. 78 Ebd., S. 224. 79 Ebd., S. 232. 80 R. Mohl: Nordamerikanisches Staatsrecht (1835), S. 21, S. 23 u. S. 20. 81 F.P. Grund: Americaner (1837), S. 414. 82 DB-60/34, BA Koblenz [Friedrich von Rönne: Politische Berichte]. 83 F. Murhard: Sklaverei (1848), S. 216.

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sei. Wenn man sich darauf einließe, laufe man Gefahr, in der Konsequenz auch dem Feudalismus in Europa Rechtfertigung einräumen zu müssen.84 Für die Linken in der Paulskirche bot die Situation der Sklaven eine willkommene Gelegenheit, vor den Gefahren einer großen, politisch unmündigen Bevölkerungsgruppe zu warnen, wie sie auch das Proletariat in Europa ihrer Meinung nach zu werden drohte oder bereits war.85 Andere, die auf die europäischen Verhältnisse des Feudalismus fixiert waren, ließen das amerikanische Bespiel völlig außen vor. In seinem Artikel über Menschenrechte im Staats-Lexikon schrieb Gustav Struve: „Solange es noch Sklaven und Leibeigene gab […] war es kaum möglich, dass die Frage nach den Rechten des Menschen als solchen mit Tiefe ergründet werden konnte.“86 Die Staatswissenschaftler des Vormärz waren vor allem darauf bedacht zu betonen, dass es nicht in der Natur der republikanischen Staatsform liege, dass in den Südstaaten der USA noch Sklaverei existiere, 87 vielmehr bedrohe diese „Schatten- ja Nachtseite der amerikanischen Verhältnisse“ die republikanischen Tugenden.88 Bei einem Sklavenhalter stumpfe zwangsläufig der „natürliche Gerechtigkeitssinn“ ab, wenn er auf seinen Plantagen Willkür üben könne – ungeachtet der Frage, ob er es tue –, argumentierte Raumer.89 Auch der amerikanische Korrespondent der Zeitschrift Amerika, dargestellt durch sich selbst hatte schon 1818 beobachtet, dass „die Erscheinung eines antirepublikanischen Geistes“ in den Südstaaten der Union ein „wahrer Nachtheil“ der Sklaverei sei. 90 Diese Argumente richteten sich gegen die Behauptung, Republiken seien nur auf dem Rücken von Sklaven zu verwirklichen, wie es viele vor allem in Referenz zur Antike zu beweisen suchten. In der oben genannten Zeitschrift legte der Autor außerdem die Überlegungen dar, für die befreiten Sklaven eine Kolonie in Afrika zu gründen. Er wählte, wie es sich eingebürgert zu haben schien, den Einstieg über die ethische Verwerflichkeit und gab zu: „In Europa ist man allgemein der Meinung, dass Sklaverei gegen alle Gesetze der Religion und Moral sei“, lenkte dann jedoch seine Überlegungen auf Sicherheit, Wirtschaft und Politik.91 Der Vorschlag, eine afri-

84 Ebd., S. 224f. 85 R. Hübner (Hg.): Aktenstücke (1924), S. 381f. [Christian Schüler]. 86 G. Struve: Menschenrechte (1847), S. 65. 87 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 231. 88 Ebd., S. 218. 89 Ebd., S. 238. 90 Amerika, dargestellt durch sich selbst 26 u. 27 (1820). 91 Ebd.

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kanische Kolonie zu organisieren, wurde während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in den USA durchaus ernsthaft diskutiert. Man fürchtete die Gefahr und Belastung für die amerikanische Gesellschaft, wenn eine große Zahl Sklaven plötzlich befreit würde. Der Autor des Artikels in Amerika, dargestellt durch sich selbst beschrieb diese Problematik sehr ausführlich, legte jedoch auch großen Wert darauf zu erwähnen, welche Vorteile die schwarze Bevölkerung von einem solchen Staat, der nach dem Vorbild der USA mit dem „Licht der Aufklärung“ und durch die „heilsame Lehre des Christenthums“ organisiert sei, zu erwarten habe. Zu dem gegenwärtigen Zeitpunkt nämlich seien sie „von dem freien Bürger so weit entfernt als die beiden Pole der Welt“, daher sei es „unumgänglich nöthig erst aus dem Sklaven einen Menschen zu machen“, bevor man ihn in einen eigenen Staat entlassen könne. Zu diesem Zwecke müsse man von Amerika aus die Gründung einer Kolonie veranlassen: „Wir theilen mit ihnen, was unter unserem Himmel frei gedieh und blühte: unsere Cultur, unsere weisen [sic] Einrichtungen, unsere Vaterlandsliebe. Wir geben ihnen eine Verfassung, die ihre Menschenrechte sichert, und Alle gleich macht vor dem Gesetz.“92 Raumer schlug vor, die Gefahren einer plötzlichen Freilassung aller Sklaven zu umgehen, indem man ihnen nicht in Afrika, sondern in Amerika langsam Land überlasse und damit eine „Schollenbindung“ herstelle, nicht unähnlich dem europäischen Feudalismus – wenn er diese Verknüpfung auch bestritt.93 Auf diese Weise, so Raumer weiter, würde der Rechtsstand der Schwarzen verbessert werden, aber das „heilsame Patronat“ beibehalten, denn, so glaubte er, anders seien die Schwarzen nicht in der Lage zu leben.94 Er hielt aus genau diesem Grund auch den Plan einer afrikanischen Kolonie für die befreiten Sklaven Nordamerikas für „täuschend, verführerisch, unausführbar, gefährlich“, allein schon aus logistischen Erwägungen.95 Außerdem argumentierte er, es mangele an ‚politischer Reife‘. Eine Anforderung, die auch für die Übertragung politischer Ideen aus Amerika auf Europa immer wieder als Voraussetzung angebracht wurde. Sich darauf berufend, hielt er es für problematisch, „dem Neger, der meist unfähig ist, sich selbst zu regieren, nicht die Bürgerrechte eines Europäers, sondern plötzlich alle politischen und Regierungsrechte eines Nordamerikaners zu verleihen“. Diese Argumentationslinie zeigt Raumers Weltbild, das der Glauben an eine stufenweise politische Entwicklung prägte. Er war der Meinung, dass keineswegs überall und bei allen Völkern die-

92 Ebd. 93 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 275f. 94 Ebd., S. 276f. 95 Ebd., S. 241.

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ser Prozess gleich schnell voranschreite. Die Europäer hatten demnach das Zeitalter des Feudalismus überwunden, reichten jedoch in ihrer politischen Reife noch keineswegs an die Amerikaner heran. Die Schwarzen wiederum waren in seinen Augen noch einen Schritt weiter zurück.96 Mohl vertrat einen ähnlichen Ansatz, für ihn waren aber nicht rassistische Ansichten ausschlaggebend, sondern er argumentierte – nicht minder herablassend – mit einer angeblichen Gewöhnung an das Unterdrücktsein: „Der Begriff eines gegenseitigen Rechtsverhältnisses; einer durch Gesetze beschränkten Freiheit ist ihnen fremd; sie kennen nur Gehorsam gegen physischen Zwang […] Solche Menschen denke man sich nun gegenüber von unseren künstlichen staatlichen Einrichtungen, von Pressfreiheit, repräsentativen Formen und Befugnissen, […] überhaupt in einer Gesellschaft, welche nach dem Principe der modernen negativen Freiheit gebildet ist.“97

Der Blick deutscher Staatswissenschaftler auf die Sklaven in den Vereinigten Staaten war davon geprägt, die diskrepanten Implikationen dieser Institution im Vorbildland zu reflektieren und zu erklären. Anders war es bei der Beschäftigung mit den Ureinwohnern des amerikanischen Kontinents. Hier ging es weniger um Menschen- oder Bürgerrechte im Allgemeinen, als vielmehr um ihr Recht auf Land, im weiteren Sinne also um ihr Recht auf Eigentum. Raumer zeichnete ein sehr negatives Bild der Indianer, was der in vielen europäischen Texten seit der Aufklärung verbreiteten Vorstellung vom ‚edlen Wilden‘ widersprach.98 Indem er von ‚Faulheit‘ und ‚Laster‘ berichtete, glaubte er beweisen zu können, dass es den weißen Siedlern zugestanden habe, sich das Land zu eigen zu machen. „Die Wilden und die Thiere müssen sich von Rechtswegen vor gebildeten Menschen zurückziehen.“99 Abgesehen davon, dass Raumer sich auf den Willen Gottes berief, argumentierte er, dass nur durch Arbeit und Nutzung der Anspruch auf Land gerechtfertigt werden könne. Darüber hinaus fehle den Indianern ohnehin das Konzept von Eigentum.100 Im Bezug auf die Cherokee, die auf Grund ihrer hohen Assimilierung auch in den USA als die so genannten civilized tribes galten, machte Raumer eine Ausnahme. Sie „unterscheiden sich wesentlich von den übrigen indianischen Stämmen“, räumte er ein, und machten außerdem „unerwartet große, überraschende Fortschritte“. Folglich

96

Ebd., S. 254f.

97

R. Mohl: Aufhebung der Sklaverei (1844), S. 481f.

98

F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, S. 282 u. S. 287.

99

Ebd., S. 283.

100 Ebd.

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habe man ihnen auch entsprechenden Rechtsstatus gewährt. Auf Grund dieser Beobachtung glaubte Raumer vorhersagen zu können, dass einige Stämme doch noch von den weißen Siedlern profitieren könnten, während er „den Untergang der wilderen für unvermeidlich“ hielt.101 Franz Josef Buß befasste sich ebenfalls mit der Frage, ob die Ureinwohner rechtmäßigen Anspruch auf ihr Land hätten, kam jedoch zu keinem klaren Schluss. Zum einen versuchte auch er durch eine komplexe Besitz- und Nutzrechtsargumentation das Handeln der Eroberer zu rechtfertigen, zum anderen aber betonte der überzeugte Katholik noch stärker den segnenden Effekt der Christianisierung und fand so für sich einen Ausweg aus dem Dilemma. 102 Mohl war auf Grund seines Forschungsschwerpunktes, dem amerikanischen Bundesstaatsrecht, hauptsächlich an dem Verhältnis der Indianer zur Bundesgewalt interessiert. Es wunderte ihn, dass man die Stämme weder als unabhängige Staaten noch als Mitglieder der Union anerkennen wollte, obschon ihnen ein Landstrich zugewiesen worden war. In diesem Ausschluss sah er das eigentliche Unrecht. 103 In Bezug auf die Verdrängung aus ihren angestammten Gebieten stimmte Mohl durchaus zu, dass man das Schicksal der Indianer – „das Loos dieser Herren der Wälder“ – als ein „Aggregat von schreienden Ungerechtigkeiten“ sehen könne, zumindest „mit dem Massstabe der philosophischen Rechtslehre gemessen“.104 Allerdings setzte er dem eine Sichtweise entgegen, die die Rechtfertigungen Raumers auf die Spitze trieb: „Und selbst der Menschenfreund mag auf einen höheren Standpunkt sich erheben, von welchem aus er das Verschwinden eines wesentlich barbarischen Stammes zum Vortheile eines gesittigten Volkes, und die Verwandlung von öden Jagdbezirken in reichbebaute Gefilde als einen Vorschritt der Menschheit betrachten kann.“ 105

Mohls Argumentationsweise über die Behandlung der Indianer verdeutlicht, dass der zweigleisige Ansatz, den viele europäische Staatswissenschaftler im Bezug auf die Sklaverei vertraten, auch griff, wenn es um eine Beurteilung des Schicksals der Indianer ging. Es war selbstverständlich, moralisch den Makel zu verdammen, doch handlungsbestimmend sollten nur pragmatische Überlegungen sein, die allerdings nicht selten auf fragwürdigen Prämissen basierten. Carl Au-

101 Ebd., S. 291-298. 102 D.K. Petri: Buß (2007), S. 142. 103 R. Mohl: John Marshall (1840), S. 173. 104 Ebd., S. 172 u. S. 170. 105 Ebd., S. 172.

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gust Mebold stellte als einer der wenigen in der Allgemeinen Zeitung diese Haltung seiner Zeitgenossen mit scharfen Worten bloß: „Ach, was sind das für nüchterne Philantropen geworden! […] sie achten die wohlerworbenen Rechte auch in dem Eigentum des Sklavenzüchters, und lassen sich von ihren Staatswissenschaftlern vorrechnen, dass die farbige Hälfte unseres Geschlechts zur Knechtschaft geboren sey, weil sonst Zucker, Kaffee und Baumwolle im Preis steigen würden.“106

P RESSEFREIHEIT Ungeachtet des moralischen Dilemmas, das durch die Behandlung der Indianer und vor allem durch die Fortführung der Sklaverei in Nordamerika aufgeworfen wurde, boten die Zustände der „freisten Nation“ USA Anschauungsmaterial für zwei besonders heftig diskutierte Fragen: die Pressefreiheit und die Religionsfreiheit. Anhand dieser beiden Beispiele lässt sich nachvollziehen, wie die Kenntnisse über Amerika zu Argumenten in der Debatte um die Fassung der Grundrechte wurden. „Preßfreiheit“ war für viele der Abgeordneten schon während des Vormärz ein wichtiger Diskussionspunkt gewesen. Viele von ihnen publizierten selbst und waren direkt von der Zensur betroffen. 1848 vermutete Heinrich Karl Jaup im Staats-Lexikon, dass über die Pressefreiheit „verhältnismäßig vielleicht mehr, als über irgend einen anderen Gegenstand der sogenannten Tagespolitik“ gedruckt worden sei.107 In den Forderungen nach mehr Freiheit nahm dieses spezielle Anliegen schon früh eine exponierte Position ein. 108 Umstritten war daher auch nicht die Frage, ob es eine freie Presse geben sollte, sondern vielmehr, wie die genauen Regelungen und Vorkehrungen gegen Missbrauch auszusehen hatten, denn man war sich ebenso einig, dass auch hier zu viel Freiheit der öffentlichen Sicherheit zwangsläufig gefährlich werde. Schon Tocqueville hatte darauf hingewiesen, wie sich der ambivalente Charakter von Freiheit im Falle der Publizistik besonders deutlich zeige: „[Die Presse ist] die außerordentliche Macht, die sich aus Gutem und Bösem so seltsam zusammensetzt, dass man die Pressefreiheit ohne sie, und die Ordnung mit ihr kaum aufrechterhalten kann.“109 Auf den

106 C.A. Mebold: Verfassungspolitik (1846), S. 41. 107 H.K. Jaup: Pressfreiheit (1848), S. 3. 108 D. Klippel: Freiheit (1975), S. 481; H. Scholler (Hg.): Grundrechtsdiskussion (1982), S. 29. 109 A.d. Tocqueville: Demokratie in Amerika [1835] (1985), S. 209.

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ersten Blick schienen die Zustände der Presselandschaft in Amerika dies zu bestätigen und sie dienten vielen als abschreckendes Beispiel. Verbreitung von Verleumdungen, falschen Informationen und voreingenommenen Darstellungen seien dort an der Tagesordnung, ganz zu schweigen von den negativen Einflüssen auf die öffentliche Moral, die durch Sensationslust und Profitgier korrumpiert wurde. 110 „Beim bunten Durcheinanderlesen verschiedener Blätter, wird einem bisweilen zu Muthe als gäbe es gar keine Wahrheit“, klagte Raumer.111 Andererseits stellten die meisten Autoren trotzdem immer wieder heraus, dass bei näherer Untersuchung die Vorteile, die „glänzende[n] Gründe, […] welche jeder vorurtheilsfreie Beobachter gewiß nicht in Abrede stellen wird“, deutlich überwogen. 112 Die beiden Sichtweisen auf die amerikanische Presselandschaft fasste Raumer in seinem Werk zu Nordamerika zusammen: „Während die Meisten in ihr [Tagespresse] das Palladium aller Wahrheit und Freiheit erblicken, leiten Einige fast alles Uebel in Amerika von den Zeitungen ab.“113 Jaup gestand ein, dass „die Abscheu gegen die Missbräuche der Presse und gegen die, wo Preßfreiheit besteht, nicht immer abzuwendende Preßfrechheit“ durchaus gerechtfertigt sei.114 Aber er, wie auch viele seiner Kollegen und Zeitgenossen, verließ sich auf die selbstregulierende Funktion der Pressefreiheit. Zensur beruhe „auf Furcht und Mangel des Glaubens an die Kraft der Wahrheit“, erklärte Raumer. Sie biete keine Lösung, denn aus ihr erwachse nur „Faulheit und Dummheit“. Stattdessen riet er, man solle hoffen, dass „mit der Zeit ein besserer Geschmack und eine würdigere Haltung“ eintrete. Außerdem könne man durch „Nichtlesen schlechter Blätter und eine steigende Bildung der freien, selbstherrschenden Bürger“, den negativen Tendenzen in der Presse aktiv entgegenwirken.115 Die USA seien das beste Beispiel, so Raumer weiter, dass sich „die ungehemmte Kraft der Wahrheit und des Rechts […] über kurz oder lang immer geltend“ mache.116 Auch Tocqueville war der Ansicht, dass eine gänzlich freie Presse all ihre eigenen negativen Aspekte selbst neutralisieren könne, vor allem, wenn die Zahl der Publikationen weiter steige. 117 In der Nationalver-

110 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 55f. 111 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 102. 112 H.K. Jaup: Preßfreiheit (1848), S. 5. 113 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 98. 114 H.K. Jaup: Preßfreiheit (1848), S. 4. 115 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 102 u. S. 106. 116 Ebd., S. 107. 117 A.d. Tocqueville: Demokratie in Amerika [1835] (1985), S. 211.

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sammlung fand sich diese Einschätzung wieder.118 In ihrer Argumentation gegen die Zensur beriefen sich einige sogar auf Napoleon, der von deutschen Staatswissenschaftlern sonst meist dämonisiert wurde. Im Staats-Lexikon, in dem Carl Theodor Welcker an anderer Stelle noch den „Napoleonismus“ in einem Atemzug mit der „Sklaverei“ verurteilt hatte,119 rühmte Jaup die liberale Einstellung des französischen Kaisers, und zitierte ihn mit den Worten: „Die Presse heilt die Wunden, welche sie schlägt.“120 Der konservative Franz Josef Buß stand der Problematik skeptischer gegenüber. Die selbstregulierende Wirkung einer freien Presse könne nur dort funktionieren, „wo noch ein fester Volksglaube als richtendes Maaß besteht“, erklärte er und fuhr fort: „[W]o aber eine wirre Fluth von Tagesmeinungen diese Richtmaaß umgestürzt [hat], hat die schlechte Meinung mehr Aussicht auf den Sieg, als die gute, der Staat aber die doppelte Pflicht, ihr die Beschädigung abzuwehren.“121 In Deutschland hatte das Volk in den Augen der meisten Frankfurter Abgeordneten noch nicht die politische Reife erlangt, um eine freie Presse von amerikanischem Ausmaß richtig zu handhaben und zu genießen. Ausgerechnet Raumer, der sonst stets gegen die „Streich- und Verschneideanstalt“ der Zensur schrieb,122 räumte 1848 ein, dass in Europa „in diesem Augenblicke neben einer ganz unbeschränkten Presse […] keine Regierung bestehen kann“.123 Es bedurfte also einer klaren Gesetzgebung, um den negativen Konsequenzen, die man in Amerika beobachtete und in Deutschland noch mehr befürchtete, beizukommen. Wo aber lag die Grenze zwischen solchen funktionalen Einschränkungen und der die Freiheit bedrohenden Zensur? Mittermaier mahnte, dass „unbestimmte und unjuristische“ Regelungen verheerender seien als gar keine Pressefreiheit, und dass ein misslungenes Gesetz, wie in seinen Augen das 1835 in Frankreich verabschiedete Pressegesetz, nur noch „schrecklicher als der Zustande der Censur“ sei.124 In der amerikanischen Staatstheorie gab es andere Stimmen: „What is the liberty of the Press?“, hatte

118 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. III, S. 1612 [Carl Anton Mittermaier, 18.8.1848, 62. Sitzung]. 119 C.T. Welcker: Adelstheorie (1845), S. 318. 120 H.K. Jaup: Preßfreiheit (1848), S. 8; C.F.L. Hoffmann: Wörterbuch (1849), S. 175. 121 F.J. Buß: Story’s Commentary (1844), S. XXI. 122 F. Raumer: Recht, Staat und Politik (1832), S. 182; ders.: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 105f. 123 F. Raumer: Briefe (1849), Bd. I, S. 340 [Brief vom 12.9.1848]. 124 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. III, S. 1610 [Carl Anton Mittermaier, 18.8.1848, 62. Sitzung].

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Hamilton in den Federalist Papers gefragt und darauf hingewiesen, dass es unmöglich sei, die genauen Bestimmungen in einem allgemeingültigen Recht zu fixieren, weil sie immer in engem Zusammenhang mit der öffentlichen Meinung und dem Geist der Regierung stehen müssten. 125 Entsprechend war das erste Amendment zur US-Verfassung, das sich mit der Pressefreiheit befasste, zwar sehr klar formuliert, aber doch so allgemein angelegt, dass es nach der üblichen gewohnheitsrechtlichen Praxis erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte seine tatsächliche Prägung und Auslegung erhielt.126 In Deutschland wurde vor allem darüber verhandelt, ob die Möglichkeit, die Pressefreiheit in Krisenzeiten zu suspendieren, ein zu rechtfertigender Weg der Absicherung sein könne. Im Staats-Lexikon hatte Jaup diese Handhabe zwar nicht völlig ausgeschlossen, mit Blick auf die vorausgegangenen Jahre der Restauration aber vor Missbrauch dieser Notfallregelung gewarnt.127 Die Rolle der Pressefreiheit in den Konfrontationen mit der Reaktion während des Vormärz, als etwa Baden gezwungen war, seine liberalen Pressegesetze zurückzunehmen, führten dazu, dass man sehr darauf bedacht war, den Regierungen möglichst keinen Ansatzpunkt zur Machtausübung in diesem Bereich zu lassen. Zu viele erinnerten sich, wie einfach es für die Regierungen gewesen war, mit den Karlsbader Beschlüsse die provisorischen Pressegesetze zu suspendieren. Bleyer verwies auf den amerikanischen Kongress, der keinerlei Möglichkeit habe, die Meinungsfreiheit in irgendeiner Weise durch neue Gesetze zu beschränken.128 Franz Wigard, Friedrich Römer, Robert Blum, Heinrich Simon und Christian Schüler beantragten in einem Minoritätserachten zu §10, in den Grundrechten ausdrücklich zu vermerken, dass die Pressefreiheit „unter keinen Umständen und in keiner Weise […] beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden“ dürfe. Durch diesen Zusatz beabsichtigten sie, dem befürchteten Missbrauch vorzubeugen, den man während des Vormärz hatte erleben müssen.129 Letztlich wurde die Möglichkeit einer Suspension jedoch nicht ausgeschlossen als eine „Repression […] im Sinne der Freiheit“, wie Beseler es ausdrückte.130 Durch derartige Einschränkungen werde die Freiheit der Presse „parodiert“, beklagte daraufhin der Repu-

125 A. Hamilton: Federalist Nr. 84 [1788] (1982), S. 525. 126 M. Dreyer: Meinungsfreiheit (2000), S. 28ff. 127 H.K. Jaup: Preßfreiheit (1848), S. 12, S. 29ff. u. S. 37f. 128 E. Bleyer: Republik (1848), S. 144. 129 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 688 u. Bd. III, S. 1611 [Minoritätserachten zu §10, 3.7.1848, 30. Sitzung, u. Friedrich Römer, 18.8.1848, 62. Sitzung]. 130 Ebd., Bd. III, S. 1614 [Wilhelm Beseler, 18.8.1848, 62. Sitzung].

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blikaner Eduard Bleyer in einem Flugblatt. Männer wie er waren schon früh enttäuscht und ernüchtert über das Ergebnis der „beratenen und oft missratenen deutschen Grundrechte“.131 Für Murhard war „jede Verfassung, die ganze und volle Preßfreiheit entbehrt“, nichts weiter als eine „Quasiverfassung“ und eine „Täuschung“. 132 Robert von der Goltz beschäftigte sich in seiner Flugschrift 1848 ausführlich mit den vermeintlichen Gefahren und Problemen der freien Presse, dennoch betonte er, dass er „schon unter dem absoluten Systeme“ dafür gewesen sei.133 Er legte dar, dass die „ängstliche Ueberwachung der Zeitungsschreiber“ einer „starken, d. h. sich auf das Vertrauen des Volkes stützenden Regierung […] unwürdig“ sei, denn eine fähige Regierung müsse „stark sein, trotz der Preßfreiheit“.134 In der Paulskirche vertrat unter Anderem Wilhelm Joseph Behr diese Argumentationslinie und ermahnte die Versammlung: „Gerechte und gute Regierungen bedürfen der Zensur nicht.“135 Mohl hielt sich bei seinen Äußerungen zur Pressefreiheit zurück. Er wies darauf hin, welche Rolle die freie Presse bei dem Prozess der Demokratisierung spielte, den er keineswegs vollends befürwortete.136 Er war sehr bedacht darauf, nicht als Fürsprecher der Zensur zu gelten, ließ jedoch immer wieder durchblicken, dass er zu viel Öffentlichkeit für gefährlich hielt. Zu diesem Zweck beschrieb er auch detailliert die Auswüchse der Meinungsfreiheit in den USA.137 Amerikanische Beobachter waren erstaunt darüber, dass die Pressefreiheit in Deutschland die Gemüter dermaßen erhitzte. Theodore Fay, Gesandtschaftssekretär in Berlin, bemerkte: „It is difficult for an American, to comprehend the importance which European statesmen sometimes attach to a newspaper paragraph. It is equally difficult for many European statesmen to conceive the indifference, contempt, and even amusement with which the American government and people regard, when unjust, the most violent newspaper articles. “138

131 E. Bleyer: Republik (1848), S. 145. 132 F. Murhard: Handbuch (1835), S. 318. 133 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 56. 134 Ebd., S. 56f. 135 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. III, S. 1613 [Wilhelm Joseph Behr, 18.8.1848, 62. Sitzung]. 136 R. Mohl: Amerikanisches Staatsrecht (1836), S. 378ff. 137 R. Mohl: Entwicklung der Demokratie (1844), S. 291. 137 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 195. 138 T. Fay: 1848 in Berlin (1873), S. 249 u. S. 362-374.

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Die Angst vor der Macht und folglich den Gefahren, die damit verbunden seien, wenn die ‚falschen‘ Ideen im Druck zirkulierten, konnte der Amerikaner nur schwer nachvollziehen. Diese Gelassenheit rührte zum einen daher, dass die Presselandschaft in den USA sich an Inhalt und Anspruch von der europäischen unterschied. Dank der kaum vorhandenen Vorschriften konnte beinahe jeder, der dies wollte, mit verhältnismäßig geringem Aufwand eine Zeitung herausgeben. In Deutschland oder Frankreich hingegen galt die Presse als „der Hebel welcher die politische Welt bewegt“.139 Den Amerikanern war die Bedeutung der freien Publizistik vielleicht auch deshalb nicht in gleicher Weise bewusst, weil sie sich dieses Recht nie wirklich hatten erkämpfen müssen. Die freie Pressegesetzgebung des Mutterlandes Großbritannien war schon Ende des 18. Jahrhunderts geradezu sprichwörtlich. Bereits 1776 beklagte der kaiserliche Postminister Clemens von Kurzrock bei einem Besuch in Hamburg, dass dort „eine gewisse Englische Freiheit der Presse“ herrsche.140 In der Nationalversammlung wies Mittermaier darauf hin, dass man einen „wesentlichen Fehler“ beginge, bei der Ausarbeitung eines Pressegesetzes „das große Vorbild England[s]“ nicht zu beachten, „dorthin und nach Nordamerika müssen Sie blicken“, forderte er seine Kollegen auf.141 Die Bedeutung von Öffentlichkeit, als „Hüterin der politischen Freiheit“ und als Voraussetzung für Partizipation der Bürger wurde immer ausdrücklich betont. „Der Grundsatz der Öffentlichkeit geht aus der Volkssouveränität wie der schönste Strahl aus der Sonne hervor“, schrieb Bleyer in einem republikanischen Flugblatt. 142 Goltz wies darauf hin, dass es „selbst einer absoluten Regierung […] heut zu Tage“ kaum gelingen dürfte „in ihrer Handlungsweise schnurstracks gegen die öffentliche Meinung zu laufen. Dies würde eine Kraft voraussetzen, welche eben nur die Unterstützung der öffentlichen Meinung verleihen kann.“143 Die freie Presse als vierte Gewalt im Staat sollte nicht nur als Korrektiv und Kontrolle der Regierungen fungieren, sondern gleichzeitig sicherstellen, dass den Bürgern die Voraussetzung zur Partizipation gegeben würde.144 Tocqueville sprach von „dem Gericht der öffentlichen Meinung“, gab aber zu, dass er im Grunde die vollkommene Pressefreiheit nicht aus tiefster Überzeugung befür-

139 C.S. Zachariä: Europa’s Zukunft (1832), S. 335. 140 Presse in Deutschland (1987), S. 15. 141 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. III, S. 1610 [Carl Anton Mittermaier, 18.8.1848, 62. Sitzung]. 142 E. Bleyer: Republik (1848), S 144. 143 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 10. 144 D. Klippel: Freiheit (1975), S. 481f.

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worte, sondern eher als ein notwendiges Übel dulde, um eine freiheitliche Regierung zu ermöglichen.145 Carl Josias von Bunsen erkannte den wichtigen regulativen Charakter der Pressefreiheit an, warnte jedoch davor, darin einen Wert an sich zu sehen: „Die Freiheit alles zu reden und zu schreiben ist nur die formelle Bedingung: an sich kann sie eben so gut zur Anarchie und zum Despotismus führen, als zur geordneten Freiheit.“146

R ELIGIONSFREIHEIT Während die Pressefreiheit mehr als ein Mittel zur Gewährleistung eines freiheitlichen Regierungssystems gesehen wurde, war für viele die Gewissensfreiheit oder Religionsfreiheit eine der zentralsten Konsequenzen daraus. Peter Knoodt legte der Nationalversammlung dar, dass Gewissensfreiheit im Grunde Teil der inneren Freiheit sei, auf die ohnehin kein Staat oder irgendein äußerer Faktor Einfluss haben könne.147 Erst mit der Institutionalisierung einer Kirche trete die Religion in die Sphäre des Staates ein und es werde nötig, eine Regelung für diese Wechselwirkung zu treffen.148 In der Folge konzentrierte sich die Diskussion um die Rolle von Religion statt auf persönliche Gewissensfreiheit besonders auf die Frage eines institutionalisierten Glaubens und damit auf die Trennung von Staat und Kirche.149 Hier war eine grundsätzliche Einigkeit, wie im Falle der Pressefreiheit, nicht gegeben. Der erste Entwurf des Ausschusses hatte nicht explizit gefordert, Staat und Kirche auseinander zu dividieren, weil man befürchtete, damit in konfessionelle Verwicklungen zu geraten. Stattdessen hatte man sich damit beholfen, „einige Bestimmungen vorzuschlagen, welche die wichtigsten Consequenzen des allgemeinen Princips [Trennung von Staat und Kirche] enthalten, dieses selbst aber nicht ausdrücklich auszusprechen“.150

145 A.d. Tocqueville: Demokratie in Amerika [1835] (1985), S. 213; K.H. Jaup: Preßfreiheit (1848), S. 13. 146 C.J. Bunsen: Sendschreiben (1848), S. 11. 147 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. III, S. 1729 [Peter Knoodt, 25.8.1848, 66. Sitzung]. 148 Ebd., Bd. III, S. 1725 [Joseph Behr, 25.8.1848, 66. Sitzung]. 149 H. Scholler (Hg.): Grundrechtsdiskussion (1982), S. 32. 150 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 685 [Entwurf der ‚Grundrechte‘ vom 3.7.1848, 30. Sitzung].

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Das Konzept einer nationalen Staatskirche fand nur wenige Fürsprecher. Eine einzelne Gruppierung auf diese Weise zu bevorzugen, hielt man für „vernunfts- und rechtswidrig“.151 Aber es gab allein schon darüber unterschiedliche Meinungen, welche Glaubensrichtungen als Religionen zu verstehen seien. Während die meisten Redner von ‚protestantisch und katholisch‘ sprachen, schlossen andere auch alle christlichen Sekten mit ein. Goltz, der in seiner Flugschrift nicht einmal ‚christlich‘ als Kriterium sah, sondern vorschlug, der Staat müsse „allgemeinmenschlich“ sein, war allerdings eine Ausnahme.152 Obgleich auch Friedrich Thinnes in der Nationalversammlung zu bedenken gab: „Bis jetzt war der Staat ein katholischer oder ein protestantischer, oder wenigstens ein christlicher […] allein von jetzt an soll das anders werden.“153 Allerdings dürfte er hier eher eine völlige Säkularisierung des Staates als eine zusätzliche Einbindung anderer Glaubensrichtungen im Sinn gehabt haben. Die USA wurden in jener Zeit als die einzige Nation wahrgenommen, in der eine Trennung von Kirche und Staat existierte, „eine auch in Beziehung auf Europa’s Zukunft interessante Thatsache“, urteilte Zachariä 1832.154 Man blickte daher über den Atlantik, um die Konsequenzen eines solchen Schrittes abzuschätzen. Mohl resümierte: „Die Vereinigten Staaten sind der erste Staate gewesen, und bis jetzt auch der einzige Staat geblieben, welcher es gewagt hat, die Kirche und den Staat, religiösen Glauben und bürgerlichen Gehorsam als zwei ihrer Natur, ihrem Zweck und ihrer Folge nach ganz verschiedene Sachen in der Wirklichkeit voneinander [zu] scheiden.“155

Einige zweifelten jedoch die tatsächliche Realität dieser Trennung trotzdem an. In der Zeitschrift Amerika, dargestellt durch sich selbst erklärte der amerikanische Autor eines Artikels über die US-Verfassung, dass es Unterschiede zwischen der Gesetzgebung der einzelnen Staaten gebe. So sei in Massachusetts, New Hampshire, Maryland und North Carolina „die christliche Religion durch die Verfassung eingeführt“. In allen anderen Staaten hingegen sei es kein Hinderungsgrund, sich etwa für ein öffentliches Amt zu bewerben, „wenn der Candidat ein Jude, oder selbst ein Muselmann wäre“. Allerdings müsse jeder, der sich

151 R. Schöttle: Politische Theorien (1994), S. 319. 152 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 59. 153 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. III, S. 1724 [Friedrich Thinnes, 25.8.1848, 66. Sitzung]. 154 C.S. Zachariä: Europa’s Zukunft (1832), S. 336. 155 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 195f.

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wählen lassen wollte, seinen Glauben an „[irgend]einen Gott und an eine Bestrafung und Belohnung in dem zukünftigen Leben“ bekennen, denn nur dann habe ein Amtseid Verbindlichkeit.156 Trotzdem blieb das amerikanische System Anschauungsmodell bei der Diskussion um eine Absonderung der Kirche vom Staat. Hermann Abeken argumentierte, „in der Trennung aber lag Einheit“, denn alle Glaubensrichtungen vereine die Gleichheit in ihrer unabhängigen Stellung zum Staat.157 Mohl hingegen blieb skeptisch. Die „gesetzliche Unbekümmertheit“ der amerikanischen Regierung in Bezug auf die Religion habe zwar bisher „nicht den mindesten politischen Nachtheil gezeigt“, allerdings sei die moralische Situation doch sehr fragwürdig, wenn man bedenke, dass eine große Zahl der US-Bürger „jeder religiösen Ordnung und jedes Gottesdienstes entbehrten“.158 Goltz aber wandte ein, dass Amerika zeige, wie die Möglichkeit, sich frei verschiedenen religiösen Gruppen anzuschließen, die „wahre Religiosität“ steigere, da das Bekenntnis aus wirklicher Überzeugung heraus geschehe und nicht durch staatlichen Zwang.159 Raumer berichtete von ähnlichen Beobachtungen und stellte fest, es sei „grundfalsch zu behaupten: es gäbe da keine Religion, wo es keine bevorzugte und privilegierte giebt [sic].“160 Biederman griff diese Argumente in der Nationalversammlung auf und erklärte: „Wo Staat und Kirche getrennt sind, da sehen wir das politische Leben in der höchsten Entwicklung, […] aber wir sehen auch andererseits das religiöse Leben in seiner größten Innigkeit.“161 Mit dieser Feststellung berührte Biedermann auch einen weiteren Streitpunkt in der Diskussion um den Zusammenhang von Staat und Kirche, nämlich die Auswirkungen religiöser Bekenntnisse auf das politischen Leben und die staatsbürgerlichen Pflichten. Eine klare Abtrennung bei gleichzeitigem Schutz „für jede Überzeugung, so lange sie nicht durch die That hemmend dem Staate selbst entgegen tritt“ sollte sicherstellen, dass die Kirchen nicht zu mächtig würden, der Staat aber auch keinen Zwang auf die religiösen Überzeugungen seiner Bürger ausüben könne.162 Franz Tafel wandte jedoch ein: „Ich kann in der Kirche mein Bürgerthum nicht ablegen, und ich kann als Staatsbürger meinen Glauben nicht

156 Amerika, dargestellt durch sich selbst (1818). 157 H. Abeken: Nord-Amerika (1848), S. 23. 158 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 195f. 159 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 59f. 160 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. II, S. 149. 161 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. III, S. 1643 [Carl Biedermann, 21.8.1848, 63. Sitzung]. 162 Ebd., Bd. III, S. 1645 [Adolph Xaver Paur, 21.8.1848, 63. Sitzung].

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ablegen.“163 Eduard Wedekind pflichtete ihm bei und erinnerte seine Kollegen in der Paulskirche daran, dass man bei der Staatsgründung in Amerika „de novo“ habe beginnen können, wodurch die klare Trennung möglich gewesen sei. In Europa hingegen seien Staat und Kirche aufs Engste miteinander verwachsen – nicht zuletzt durch Fürsorgeinstitutionen, Sozialdienste und Lehranstalten.164 Um zu verdeutlich, dass es in Deutschland unmöglich sei, Politik und Religion zu trennen, bedienten sich viele der Analogie von „Leib“ und „Seele“.165 Diese Sichtweise, für die Kirche und Religion eine ergänzende und sogar lebenswichtige Komponente des Staatslebens war, prallte während der Debatten in der Nationalversammlung auf die säkularisierte Einstellung, für die etwa Carl Vogts Äußerungen beispielhaft sind: „Für mich ist jede Kirche […] ein Hemmschuh der Civilisation […] eine Zwangsanstalt.“ 166 Andererseits erklärte der amerikanische Korrespondent der Zeitschrift Amerika, dargestellt durch sich selbst, dass „in einem Lande, wo die Duldsamkeit so weit getrieben wird, als in diesem, die Ungläubigen auch die Gläubigen dulden müssen“.167 Diese Toleranz fiel aber den Kirchengegnern in Europa schwerer, da sie sich, anders als die amerikanischen Vertreter rein säkularer Ansichten, in Abgrenzung zur Kirche, und den jeweils verwandten Parteien als politische Kraft verstanden.168

B ÜRGERGESELLSCHAFT Tocqueville hatte in seiner Beobachtung der Démocratie en Amérique aufgezeigt, wie sich das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Gleichheit zunehmend in Richtung Letzterer verschob. Während der frühen Jahre der Vereinigten Staaten, als noch der Kampf um Freiheit – im Sinne von Unabhängigkeit – ausschlaggebend war, prägte eine politische Elite, eine intellektuelle und finanzielle ‚Aristokratie‘ die politische Welt der USA, hier konnte von Gleichheit im weiteren Sinne also kaum die Rede sein. Im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich jedoch gerade mit Blick auf die Ausweitung des Wahlrechts unter Präsident Andrew Jackson eine zunehmende Tendenz zu mehr

163 Ebd., Bd. III, S. 1654 [Franz Tafel, 21.8.1848, 63. Sitzung]. 164 Ebd., Bd. III, S. 1650 [Eduard Wedekind, 21.8.1848, 63. Sitzung]. 165 Ebd., Bd. III, S. 1704 u. Bd. III, S. 1790 [Johann Förster, 24.8.1848, 65. Sitzung, u. Leonhard Friedrich, 29.8.1848, 68. Sitzung]. 166 Ebd., Bd. III, S. 1668 [Carl Vogt, 21.8.1848, 63. Sitzung]. 167 Amerika, dargestellt durch sich selbst (1818). 168 J. Sheehan: Vorbildliche Ausnahme (1994), S. 238.

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Gleichheit. Tocqueville, und mit ihm viele der liberalen deutschen Staatswissenschaftler, sahen darin eine große Gefahr für die Freiheit. August Reichensperger etwa stützte sich bei seiner Argumentation in der Nationalversammlung auf Tocqueville und schloss, dass „selbst für Amerika das allgemeine Stimmrecht […] eine sehr zweifelhafte Wohltat“ sei.169 Robert von Mohl griff dessen Argumentation später auf, als er sich mit den demokratischen Tendenzen in den USA beschäftigte und auch für Deutschland vor den Gefahren einer zu starken Demokratisierung warnte. Auch in Amerika gab es Mitte des 19. Jahrhunderts Stimmen, die diese Befürchtung teilten und ihrerseits auf „Europe in its present anarchical condition“ verwiesen. Calhoun ging 1848 sogar so weit zu beklagen, dass man in der Declaration of Independence „so great an error“ zugelassen hatte, wie die Behauptung, alle Menschen seien gleich erschaffen.170 In Europa wurde durch die Erinnerung an die Radikalisierung des Gleichheitspostulats während der Französischen Revolution die Angst vor der Gleichheit weiter verstärkt. Rotteck erkannte zwar die Gefahr, dass die „unvernünftigen Gleichheitsprediger […] durch ihr fanatisches Geschrei manchen Wohldenkenden einschüchtern“, aber auch er warnte vor egalitärer Übertreibung.171 Die Grundidee der Déclaration wollte er durchaus anerkennen, war aber immer darum bemüht, genau zu differenzieren: „‚Die Menschen werden gleich an Rechten geboren‘ ist eine unumstößliche Vernunftswahrheit, die, obgleich sie an der Spitze der gleich verhaßten als verhängnißreichen ‚Erklärung der Menschenrechte‘ stand, und so heilloser Missbrauch aus Aberwitz, Fanatismus und Heuchelei damit getrieben, früher oder später sich den Triumph verschaffen wird über Vorurtheil, Engherzigkeit und trotziger Anmaßung.“172

In der Ausgabe des Brockhaus von 1817 schloss sich an die Darlegungen der positiven Errungenschaften der frühen Französischen Revolution sogleich eine Warnung vor den späteren Ausschweifungen von zu viel Gleichheit an.173 Übertriebene Gleichheit beschrieb Friedrich Bülau als die „Fiction einer Befähigung Aller zu Allem, […] Wegdenken aller Verschiedenheiten, welche Talent, Charakter,

169 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5260 [August Reichensperger, 17.2.1849, 170. Sitzung]. 170 C.M. Wilts: Calhoun (1949) [Calhoun in einer Rede vor dem Congress, 27.6.1848]. 171 K. Rotteck: Aristokratie (1845), S. 641. 172 Ebd., S. 632. 173 C. Dipper: Freiheit (1975), S. 533.

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Glückslage, Lebensgang und Lebensstellung erzeugen“.174 Auch Heinrich Ahrens erinnerte seine Kollegen in der Nationalversammlung: „Meine Herren! Es handelt sich hier allein um die bürgerliche Gleichheit, nicht um jene materialistischkommunistische Gleichheit.“ 175 Die „communistische Zerstörung auch jeglicher zulässigen und heilsamen Gleichheit“ war eine Schreckensvision, die das Bürgertum schon während des Vormärz beschäftigt hatte.176 Heinrich Heine graute es vor dem amerikanischen „Freiheitsstall/Der bewohnt von Gleichheitsflegeln“.177 Die Angst vor dem Verlust der Freiheit durch zu viel Gleichheit war sogar größer als die Angst vor dem Verlust der Ordnung durch zu viel Freiheit. In der Folge wurde in der Paulskirche der Zielkonflikt zwischen Freiheit und Gleichheit zu Gunsten der Freiheit entschieden und aus der Gleichheit wurde ‚Gleichheit vor dem Gesetz‘.178 Die Legitimation dieser Rangfolge lieferte Rotteck im Staats-Lexikon, indem er nach John Stuart Mill darlegte, dass die Freiheit eines jeden auf die gleiche Weise eingeschränkt sei – nämlich nur durch die Gewährleistung der gleichen Freiheit für alle anderen. In der Folge sah er die Gleichheit direkt in der Freiheit verankert. Es bedürfe folglich darüber hinaus keiner ausdrücklichen Einführung der Gleichheit.179 Das Bestehen auf Gleichheit vor dem Gesetz war allerdings trotz alledem so stark ausgeprägt, dass selbst über die formale Immunität der Abgeordneten eine längere Debatte geführt wurde, weil jegliche Art von Vorrechten mit negativen Assoziationen verbunden war. „Ich will für mich und meine Collegen kein Privilegium“, beteuerte Adolph Lette in der Paulskirche. Wilhelm Zimmerman entgegnete ihm jedoch, dass man auf die Immunität der Abgeordneten nur verzichten könne, „wenn wir eine freie, neue Reichsgesetzgebung in dem Geiste der Zeit hätten“, und man nicht befürchten müsse, dass die „alten Erläuterer und alten Handhaber“ die Gesetze nach ihrem Gutdünken interpretierten. Mittermaier stimmte zu: „Ich würde erröthen,“ leitete er seine Rede ein, „mit einer Zeit welche dringend verlangt, dass keine Vorrechte stattfinden in Widerspruch zu treten“, allerdings, fuhr er fort, seien selbst in der US-Verfassung derartige Vorkehrungen getroffen worden, obgleich die Amerikaner längst „alle Fesseln des Feudalismus abgestreift“ hätten. Umso mehr also müsse man in Deutschland Sorge tragen, dass die Abge-

174 F.L. Bülau: England (1845), S. 6. 175 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 1293 [Heinrich Ahrens, 1.8.1848, 52. Sitzung]. 176 C.T. Welcker: Adelstheorie (1845), S. 329. 177 H. Heine: Jetzt wohin? [1851] (1985), S. 101. 178 C. Dipper: Freiheit (1975), S. 531-536. 179 K. Rotteck: Freiheit (1847), S. 183ff.

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ordneten abgesichert seien, denn er bezweifele, dass diejenigen, „die vor dem März Lust gehabt hätten, Leute zu verfolgen“ – und in der Paulskirche saßen einige, die dies am eigenen Leib erfahren hatten – „durch den März wie durch ein Zauberwort umgewandelt worden wären“.180 Der lebhafte Zuspruch, den er auf diese Äußerungen hin erhielt, zeugte von der allgemeinen Stimmung in der Nationalversammlung. Lettes Einwand wertete die Mehrheit als übertrieben, man strebte nach grundsätzlicher Rechtsgleichheit, die jedoch funktionale Vorrechte nicht ausschloss – besonders wenn es um die eigene Sicherheit ging. Mit dem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz, Abschnitt II §6 der Grundrechte, wurden alle Adelsvorrechte abgeschafft, aber der Minderheitenantrag von Wigard, Blum, Simon und Schüler, der eine völlige Auflösung des Adels geforderte hatte, wurde abgelehnt.181 Im Staats-Lexikon legte Welcker dar, dass nicht die Tatsache, dass der Adel einen speziellen Stand bilde oder Titel führe, problematisch sei, sondern vielmehr, dass eine Hierarchie der Stände vorausgesetzt würde. Dass man durch Verlust eines Adelstitels aus unehrenhaften Gründen zum Bürger werde, war für ihn eine „Beleidigung des Bürgerstandes“. Darin sah er die entscheidende Gefahr für das Prinzip der Gleichheit.182 Für Mohl war hauptsächlich die Erblichkeit das Unrecht des Adels. 183 Im Erbadel aber sahen die meisten nur eine bestimmte Art von Aristokratie, mit deren Abschaffung noch lange nicht alle Ungleichheit aufgehoben sei. Joseph Schneider wies in der Nationalversammlung darauf hin, dass ungeachtet aller Bestrebungen für Gleichheit, die Bildung von Aristokratien ein natürlicher Prozess sei, wie man auch in den Vereinigten Staaten sehe, wo zwar keine dynastischen Titel existierten, stattdessen aber eine Geistesaristokratie und mehr noch eine sehr ausgeprägte Geldaristokratie.184 Einige Autoren fügten hier auch die so genannte „Aristokratie der Hautfarbe“ an, hielten sich jedoch in ihren Ausführungen dazu sehr bedeckt, um sich nicht mit der Problematik der Sklaverei auseinandersetzen zu müssen.185

180 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. III, S. 2352, S. 2353 u. S. 2355 [Adolph Lette, Carl Anton Mittermaier u. Wilhelm Zimmermann, 29.9.1848, 88. Sitzung]. 181 Ebd., Bd. I, S. 688 [Minoritätserachten zu §6, 3.7.1848, 30. Sitzung]. 182 C.T. Welcker: Adelstheorie (1845), S. 327. 183 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 1295 [Robert von Mohl, 1.8.1848, 52. Sitzung]. 184 Ebd., S. 1313 [1.8.1848, 52. Sitzung]. 185 K. Rotteck: Aristokratie (1845), S. 639; F. Murhard: Sklaverei (1848), S. 215.

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Die Geldaristokratie war ein Konzept, an dem sich die Geister schieden. Duden behauptete, in den USA gebe es auf Grund der höheren sozialen Mobilität weniger Dünkel. Zwar werde „wer keinen ordentlichen Rock kaufen kann […] so wenig in Amerika als in Europa in einer sogenannten guten Gesellschaft“ gerne gesehen, allerdings müsse man bedenken, „dass es in Amerika leichter ist, einen guten Rock zu erwerben“. 186 Die Art des Adels in Amerika, wo man durchaus einen „Geschmack für gesellschaftliche Distinktion“ habe, beschrieb das anonyme Tagebuch eines deutschen Edelmanns, das Francis Grund 1839 im Auftrag eines ausgewanderten Freundes herausgab. Im Vorwort erklärte er, der Autor sei zwar „von adliger Geburt“, jedoch so klug gewesen, „in Amerika den Edelmann in die Geschäftsjacke zu stecken“. 187 Damit sollte deutlich werden, dass die Idee des selbstverdienten Vermögens in Amerika sehr viel mehr Ansehen brachte als geerbte Titel. Bedenkt man die weit verbreitete europäische Kritik an der amerikanischen „Profitgier“, leuchtet ein, warum viele diese „unedelste Abart“ der Aristokratie als ebenso oder „noch bösartiger“ als den Erbadel verdammten.188 Letzterer habe zumindest in der Vergangenheit „eine edle Quelle“, argumentierte Zirckel.189 Dieser Ansicht war auch Bülau, der die Geldaristokratie für „die Unerträglichste von allen“ hielt. Im Vergleich zu dem an Traditionen geknüpften englischen Adel, war die amerikanische Oberschicht in seinen Augen geprägt von „kindische[r] Eitelkeit […] Nachäfferei“ und „Windbeutelei“.190 Andere hielten die Geldaristokratie für durchaus gerechtfertigt, vorausgesetzt jeder habe die Chance, sich eine solche Position zu erarbeiten. Rotteck warnte daher vor einer „künstlichen Beförderung der Geldaristokratie“, da diese sich schon ganz von alleine entwickeln würde.191 Es bedurfte vielmehr der Unterstützung durch Staat und Gesetzgebung, um Chancengleichheit sicherzustellen, „weil nicht jeder Mensch von Natur aus dieselben Mittel erhält, von seinen Rechten Gebrauch zu machen“.192 Wenn diese Voraussetzungen gegeben seien, so Rotteck, könne der Schritt in eine selbstständigere Bürgergesellschaft erfolgen, die aristokratischen Strukturen von Natur aus zuwider laufe. „Das beste, ja

186 G. Duden: Selbstanklage (1837), S. 33. 187 F.P. Grund: Aristokratie (1839), Bd. I, S. 2. 188 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 1308 [Mutius Aloysius Ottow, 1.8.1848, 52. Sitzung]. 189 O. Zirckel: Demokratie (1849), S. 15. 190 F.L. Bülau: England (1845), S. 13 u. S. 6. 191 K. Rotteck: Aristokratie (1845), S. 638. 192 E. Bleyer: Republik (1848), S. 140.

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einzige Heilmittel gegen die aristokratische Anmaßung besteht hiernach in der geistigen und moralischen Bildung des Volkes“, folgerte er im Staats-Lexikon.193 Jeder Einzelne müsse selbst seine Möglichkeiten nutzen können, um sich eine Position zu erarbeiten. Die so beförderte individualistische Gesellschaftsvorstellung, wie sie sich in ihrer romantisierten Form im so genannten ‚Amerikanischen Traum‘ wiederfand, mündete auf politischer Ebene in das Ideal des selfgovernment oder auch civil-governement. Ein Konzept von Staat und Regierung, das nicht allein auf Institutionen basierte, sondern auf der politischen Verantwortung jedes Einzelnen. Zu diesem Zweck war eine weite Partizipation der Bürger notwendig, jedoch nicht nur in Form von Volkssouveränität und Repräsentation, sondern auch mit Hilfe von Munizipalverwaltungen sowie politischer, sozialer und kultureller Aktivität und Initiative auf lokaler Ebene. Diesen Ansatz bewunderte man bei den Briten und umso mehr bei den Amerikanern. Durch die föderative Staatsform hatte die lokale Administration dort noch mehr Bedeutung gewonnen als in Großbritannien und die demokratischen Grundstrukturen unterstützten die Identifikation des Einzelnen mit dem Ganzen, das er aktiv mitzugestalten aufgefordert war. Beeindruckt registrierten deutsche Beobachter den Bürgerstolz und das Selbstbewusstsein der Bürger in der angelsächsischen Welt, gepaart mit einem hohen Identifikationsbezug zu ihrer Regierung. Der „freie Engländer, der sein God Save the King neben dem Rule Britannia mit Begeisterung singt“,194 wurde ebenso beschrieben, wie die „Lebendigkeit und Vollständigkeit mit welcher in Amerika das Volk […] an der Berathung der Nationalbeschlüsse Teil nimmt“.195 Adolph Wiesner beteuerte, dass „in Nordamerika wie in England die Staatsbürger stolz seien, Steuern zu bezahlen“.196 Dies war für ihn ein Zeichen dafür, dass Briten und Amerikaner sogar bereitwillig ihr Eigentum zum Wohle der Bürgergesellschaft hergaben. Resigniert stellte man fest, dass etwas Vergleichbares in Deutschland nicht zu erwarten sei, solange das „Volk sich nicht selbst empfindet […] in sich Werth und Würde fühlt“. 197 Vogt beklagte in der Nationalversammlung: „Wir haben noch nicht in jedem Bauern den Stolz, den jeder gemeine Matrose in England

193 K. Rotteck: Aristokratie (1845), S. 643. 194 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 441 [Georg Vincke, 27.5.1848, 8. Sitzung]. 195 C.T. Welcker: Bund (1846), S. 721. 196 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5201 [Adolph Wiesner, 19.2.1849, 173. Sitzung]. 197 E. Bleyer: Republik (1848), S. 140.

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hat, und womit er seine Zeitung liest.“198 Diese Bedeutung der Presse für den Bürgerstolz wurde immer wieder diskutiert. Für Rotteck war sie der Garant politischer Freiheit.199 Goltz aber wies darauf hin, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Funktionen einer freien öffentlichen Meinung gar nicht nachvollziehen könne und ihre Bedeutung nicht erkenne. Selbst im „erleuchteten Baden“ sei es vorgekommen, dass „die Bauern die Gewährung der, für das Volk und durch das Volk erstrittenen Preßfreiheit als eine Befreiung von alle dem, was sie ‚presste‘ ansahen“.200 Ein Artikel, den der schon in den 1820er Jahren nach Amerika ausgewanderte Francis Lieber 1849 in Deutschland veröffentlichte, stellte die Vermutung an, dass nicht für jede bürgerliche Gesellschaft die gleichen Institutionen als notwendig und passend erscheinen mochten, „vielleicht weil sie noch nicht die gleiche Stufe bürgerlicher Entwicklung erreicht haben“.201 In die Liste der Grundrechte wurde das Wahlrecht nicht aufgenommen, obwohl es für einige der Abgeordneten eigentlich dazu gehört hätte. Die Implikationen eines allgemeinen Grundrechtes auf Wahl waren jedoch der Mehrheit zu demokratisch und damit – ihrem Verständnis nach – zu radikal. August Reichensperger von der Casino Partei war äußerst bemüht, darauf hinzuweisen, dass nicht einmal in den USA das Wahlrecht als Grundrecht oder gar als „Menschenrecht“ gelte, „denn bekanntlich sind dort allwärts die Weiber, die doch wohl auch Menschen sind, […] und endlich eine ganze Masse Farbiger von diesem ‚Menschenrechte‘ ausgeschlossen. […] Diese Argumentation dürfen wir daher wohl auf sich beruhen lassen.“202 Um diese Einstellung auch theoretisch zu untermauern und zu rechtfertigen, verwandte Rotteck das Konzept der „politischen Freiheit […], worauf den Bürgern jedoch weder ein so allgemeiner noch so unbedingter Anspruch zustehet, als auf die rein menschliche und bürgerliche [Freiheit]“.203 Sie war folglich nicht mit den Menschen- oder Bürgerrechten gleichzusetzen. In gewisser Weise bewegte er sich mit dieser Argumentationsweise wieder im Bereich der Freiheiten, denn politische Freiheit konnte nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt werden. Allerdings bezog sie sich nicht auf die politische Souveränität des Ein-

198 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. I, S. 508 [Carl Vogt, 23.6.1848, 22. Sitzung]. 199 K. Rotteck: Freiheit (1847), S. 186. 200 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 40. 201 F. Lieber: Freiheit (1849), S. 24f. 202 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5261 [August Reichensperger, 17.2.1849, 170. Sitzung]. 203 K. Rotteck: Freiheit (1847), S. 186.

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zelnen, sondern auf die des ganzen Volkes. Diese Denkweise teilten viele der Abgeordneten in der Paulskirche, als es darum ging, das Wahlrecht aus dem Grundrechte-Katalog auszuschließen. Im Grunde nämlich waren die Neuerungsforderungen noch stark von einem Elitenverständnis des Bürgertums geprägt.204 Mohl hielt es für „sehr bedenklich“, dass in Amerika „Armmuth Bürgerstand nicht ausschließe“.205 Die geforderten Voraussetzungen für mehr politische Freiheit im Allgemeinen und konkret für das Wahlrecht variierten. Einige schlugen vorsichtig einen Zensus vor. Das Konzept des Zensuswahlrechts war sehr umstritten, so dass es meist nur unter großen Vorbehalten in die Diskussion eingebracht wurde.206 Aber Rotteck plädierte im Staats-Lexikon ebenfalls für einen als zweckmäßig anzuerkennenden Census“, fügte dann jedoch gleich im Anschluss hinzu: „Besser ist es übrigens, man bestimmt es zu niedrig als zu hoch. Ja, besser ist’s, man habe gar keinen Census als einen, der zu hoch ist“.207 Andere setzten, wie bei der Bekämpfung erblicher Ungleichheitsstrukturen, mehr Hoffnung auf eine weiter verbreitete politische Bildung in der Bevölkerung, die zu schaffen in der Verantwortung der Regierung liege. Das „Voranschreiten des Volkes zur politischen Mündigkeit“ zu befördern, sah man folglich als Aufgabe des Staates.208 Wie solle das Volk allein mit den „Partikelchen von Freiheit“ umgehen, die es nach und nach erhielte, „so lange in den unteren Schichten Nichts geschieht um diese Speise, wären es auch nur Brocken, verdaulich zu machen“. 209 Goltz stellte sogar die Behauptung auf, dass „die unteren Volksklassen in Deutschland vor 300 Jahren mindestens ebenso reif für gewisse politische Institutionen waren, wie jetzt [1848]“.210 Bleyer bestätigte: „Es gehören in der Tat bewundernswerte Staatseinrichtungen und Gesetze dazu, den Menschen zu diesen Höhen des Selbstgefühls, der Würde und der Freiheit zu erheben.“211 Rotteck andererseits verlangte auch Eigenverantwortung vom Volk. Solange es in „Servilität“ verharre und sich „dergestalt verderben und herabwürdigen lässt“, habe es weder die Fähigkeit noch den Anspruch auf eine freiheitli-

204 D. Klippel: Freiheit (1975), S. 487. 205 R. Mohl: Bundes-Staatsrecht (1824), S. 387. 206 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5284 [Friedrich von Raumer, 17.2.1849, 172. Sitzung]. 207 K. Rotteck: Aristokratie (1845), S. 638. 208 K. Rotteck: Freiheit (1847), S. 187. 209 R. Goltz: Reorganisation (1848), S. 41. 210 Ebd. 211 E. Bleyer: Republik (1848), S. 147.

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che Regierungsform.212 Genau darin aber sah Mohl ein Problem, das er später in einem Brief an Francis Lieber beschrieb: „Wir drehen uns in einem fehlerhaften Kreise. Weil wir nicht politisch gebildet genug sind, sind wir zur Freiheit nicht reif, und die politische Bildung bekommen wir nicht, weil wir nicht frei sind.“213 Wiesner war einer der wenigen in der Nationalversammlung, der aus dem Zusammenhang von aktiver Beteiligung und politischem Selbstbewusstsein die Konsequenz zog, ein allgemeines Wahlrecht zu fordern, welches er als „heiligstes Grundrecht der Freiheit“ bezeichnete.214 Auch wenn viele seiner Kollegen diesen Zusammenhang erkannt haben mögen, das Vertrauen in die politischen Fähigkeiten des Volkes als ersten Schritt auf dem Weg zu staatsbürgerlichem Stolz und politischer Reife fehlte noch. Julius Fröbel schrieb später aus seinem amerikanischen Exil: „Man hat in Deutschland darüber gestritten ob Freiheitsliebe oder Vaterlandsliebe das höhere Gefühl sei. Ich sehe jetzt wie unerfahren wir damals waren indem wir uns mit dieser Frage beschäftigten. Allerdings ist es die Freiheit, welche hauptsächlich ein Volk der Liebe würdig macht.“215

E NGLISCHE ,

FRANZÖSISCHE , DEUTSCHE ODER AMERIKANISCHE F REIHEIT Im Zuge der Französischen Revolution hatte es viel Polemik gegen die „französische Freiheit“ gegeben.216 „Libre“ hieße nicht mehr als „vogelfrei“, postulierte schon 1799 eine anonyme Flugschrift und der Ausruf: „La Liberté ou la Mort“, bedeute übersetzt, dass man dem Volk die Wahl lasse, „sich gleich todt schießen zu lassen, oder am schleichenden Freiheitsfieber zu sterben“.217 In einem 1849 in Deutschland veröffentlichten Artikel wollte Francis Lieber von seinem amerikanischen Exil aus die Unterschiede in staatswissenschaftlicher Tiefe ausloten.218 Er unterschied sorgfältig zwischen der englisch-

212 K. Rotteck: Aristokratie (1845), S. 643; ders.: Freiheit (1847), S. 188. 213 Francis Lieber Papers, Box 58, Huntington Library Pasadena [13.2.1854]. 214 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5301 [Adolph Wiesner, 19.2.1849, 173. Sitzung]. 215 J. Fröbel: Amerika (1857), Bd. I, S. 4. 216 D. Klippel: Freiheit (1975), S. 483. 217 Anonym: Revolutionssprache (1799) S. 18 u. S. 17. 218 F. Lieber: Freiheit (1849), S. 34.

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amerikanischen Freiheit einerseits und der französischen Freiheit andererseits, wenngleich er die französische Lösung eindeutig für die schlechtere hielt und eher einseitig argumentierte. Mit seinen Ausführungen traf er in Deutschland auf viel Zustimmung. Sein Übersetzer Franz Mittermaier, Sohn des in der Paulskirche aktiven Carl Anton Mittermaier, lobte Lieber im Vorwort einer späteren Ausgabe als den „einflussreichsten Mittler Deutscher Wissenschaft und Amerikanischen freien Bürgerthums“.219 Darüber hinaus sei es Liebers Verdienst, „die Hohlheit jenes Trugbildes von Freiheit, welchem seither fast ausnahmslos unsere Nachbarn, die Franzosen, nachgestrebt haben“, enthüllt zu haben.220 Die Rolle des Staates war der Dreh- und Angelpunkt in Liebers Argumentation. Bei den Franzosen gingen Entscheidungen und Entwicklungen durch „einsaugende Zentralisation“ von mehr oder minder freiheitlichen staatlichen Institutionen aus, deren Aufgabe es sei, das politische und gesellschaftliche Leben zu organisieren.221 Die Bürger seien es daher gewohnt, vom Staat Hilfestellungen und Richtungsweisungen zu erwarten. In den angelsächsischen Ländern hingegen seien die Bürger gerade darauf bedacht, sich selbst möglichst unabhängig vom Staat zu organisieren, um ihre individuelle Freiheit zu wahren – wenn nötig auch gegen Eingriffe vonseiten der Regierung.222 „[D]en Engländern und Amerikanern ist Einmischung des Staates zuwider“, erklärte er und bezeichnete die Unabhängigkeit und Selbstverantwortung der einzelnen Bürger als ‚anglican liberty‘ im Gegensatz zu der institutionalisierten ‚french liberty‘: 223 „In englisch-amerikanischer Freiheit beginnt nicht nur die Bewegung beim Volke, sondern auch die praktische Durchführung; in Frankreich erwartet man, dass die Freiheit praktisch mit Organisation durch die Regierung beginne und zum Volke herabsteige.“224 Zusätzlich zu dieser Unterscheidung wies Lieber auch auf den Pragmatismus im amerikanischen Politikverständnis hin, der in Europa ohnehin viel bewundert wurde. In einem historischen Vergleich legte er dar, die Amerikaner seien selbstständig, „Einrichtung-liebend und Einrichtung-bauend, wie die Römer“, während die Franzosen als „philosophierende, oft glänzende Organisierer […] mehr den Griechen“ glichen.225 Schon Tocqueville hatte in seinem Werk De la Démo-

219 F. Mittermaier: Vorwort (1860), S. III. 220 Ebd., S. IV. 221 F. Lieber: Freiheit (1849), S. 34. 222 D. Klippel: Freiheit (1975), S. 478. 223 F. Lieber: Freiheit (1849), S. 30. 224 Ebd., S. 35. 225 Ebd., S. 38f.

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cratie en Amérique einen ähnlichen Unterschied formuliert, ihn jedoch eher aus den historischen Sachzwängen hergeleitet: „Die Amerikaner bilden ein demokratisches Volk, das die öffentlichen Angelegenheiten immer selbst geführt hat, und wir [die Franzosen] sind ein demokratisches Volk, das sich lange Zeit nur in Gedanken mit der besten Art ihrer Führung befassen konnte.“226 In der deutschen Staatswissenschaft der damaligen Zeit stellte man der bürgerlichen Freiheit die so genannte ‚politische Freiheit‘ gegenüber und es kam zu unterschiedlichen Ausprägungen des Freiheitsbegriffs. Während man sich grundsätzlich einig war, was die Rechtsgleichheit der Bürger anging, so unterschieden sich doch die Auslegungen und Bemessungen der politischen Freiheit, die sich nicht auf einzelne Bürger bezog, sondern von der Organisation des gesamten Staates abhing, zum Beispiel dem Wahlgesetz.227 Trotzdem verlangte ein freiheitlicher Staat sowohl bürgerliche als auch politische Freiheit. Beide bedingten sich gegenseitig. Entscheidend war jedoch, worauf der Schwerpunkt lag. Für Liebers „anglican liberty“ hatte die bürgerliche Freiheit eindeutig Priorität, während eine Betonung der politischen Freiheit seiner Interpretation von „french liberty“ entsprach. Bis heute finden sich in einigen Vergleichen von Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft Kontinentaleuropas und in den USA ähnliche Unterscheidungskriterien.228 Insbesondere in Verbindung mit der Ausweitung des Wahlrechts musste entschieden werden, inwiefern diese Souveränität des Volkes gegeben war und gegeben werden konnte.229 Es durfte schließlich nicht vergessen werden, dass „gewisse Völker […] wegen Mangel an Verstandsreife, einen hohen Grad an politischer Freiheit nicht“ ertrügen.230 Die Engländer, postulierte Georg Hülsemann, genößen „einen höheren Grad an politischer Freiheit, als irgend ein anderes Volk, mit Außnahme der Americaner“, und er fügte gleich hinzu, dass auch nur sie „ganz allein, mit den Americanern, dieser Freiheit“231 fähig seien. Die auf der Selbstständigkeit der englischen und amerikanischen Bürger basierende zivilgesellschaftliche Sphäre neben der politischen wurde besonders dann als vorbildlich hervorgehoben, wenn es darum ging, für Vereinsfreiheit zu argumentieren. Männer wie Tocqueville prägten das Verständnis von Vereinen

226 A.d. Tocqueville: Demokratie in Amerika II [1840] (1962), S. 30. 227 H.-W. Hahn: Formierungsprozesse (2006), S. 515. 228 U. Scheuner: Traditions (1978), S. 22. 229 D. Klippel: Freiheit (1975), S. 479f. 230 K. Rotteck: Freiheit (1847), S. 186. 231 J.G. Hülsemann: Geschichte der Democratie (1823), S. 7.

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als „Übungsstube“ der Demokratie.232 Erfahrungen mit Pressezensur, Polizeigewalt und staatlicher Willkür in der Zeit der Reaktion prägten viele der Abgeordneten in der Paulskirche und ihre Wissenschaftlerkollegen. Lieber war noch 1849, als er bereits seit 20 Jahren in Amerika lebte, der Ansicht, „nothwendig droht den Bürgern von dieser [Staats-]Gewalt die größte Gefahr oder der schwerste Eingriff in das ungehemmte Handeln“.233 Die Begeisterung für den bürgerlichen Individualismus der angelsächsischen Tradition lag daher nahe. Darüber hinaus ließ sich auf diese Weise eine zu enge Anlehnung an Frankreich vermeiden. Andererseits aber drohte die bürgerliche Freiheit durch eine starke Besetzung und Beanspruchung des Konzepts vonseiten der Gemäßigten und vor allem der Konservativen in den Augen der breiteren Öffentlichkeit ihr veränderndes Potenzial einzubüßen.234 Hinzu kam eine gewisse Skepsis, dass bei der starken „Vereinzelung der Interessen“ im Individualismus die gemeinschaftliche Gesellschaft auf der Strecke bleiben könnte.235 Vor dieser Gefahr warnte auch Tocqueville wiederholte Male.236 Lieber fühlte sich verpflichtet, explizit herauszustellen, dass auch in Amerika die „Sammtverbindlichkeit“ existiere, ohne die „kein Volk ein Volk, kein Staat ein Staat sein“ könne.237 Heinrich Gagern plädierte ebenfalls eher für eine gemeinschaftliche Freiheit. 1836 schrieb er an seinen Bruder Maximilian: „So sehr mich die hierländische Zivilisation anekelt, so habe ich doch von der amerikanischen noch weit schlechtere Begriffe. Was habe ich von dieser individuellen Freiheit? Eine vernünftige Volksfreiheit ist es, die wir im Vaterlande anstreben.“238 In einer Rezension zu Liebers Werk On Civil Liberty and Selfgovernment äußerte Mittermaier sich in der Kritischen Zeitschrift ebenfalls zurückhaltender über die politische Wirkungskraft des self-government. Er wies darauf hin, dass auch Amerika „noch mit vielen Hindernissen zu kämpfen und manche kranke Elemente zu überwinden“ habe, und mutmaßte, ob nicht Lieber „zuweilen das, was nach seinen Grundlagen Amerika sein könnte, mit dem verwechselt, was freilich ist“. 239 Er bestritt nicht, dass der englisch-amerikanische Ansatz viele

232 S.L. Hoffmann: Geselligkeit (2003), S. 16. 233 F. Lieber: Freiheit (1849), S. 25. 234 D. Klippel: Freiheit (1975), S. 485. 235 C.F. Schmidt-Phiseldeck: Europa und Amerika (1820), S. 252. 236 A..d. Tocqueville: Demokratie in Amerika [1835] (1985), S. 113ff. 237 F. Lieber: Freiheit (1849), S. 36. 238 P. Wentzcke/W. Klötzer: Gagern Briefe (1959), S. 169f. [Heinrich von Gagern an seinen Bruder Maximilian, 25.11.1836]. 239 C.A. Mittermaier: Selbstregierung (1854), S. 386.

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Vorteile mit sich bringe, gab aber zu bedenken, dass die „Gefahren, die mit der Zuvielregierung von Oben und der französ. Centralisation verbunden sind“ oft übertrieben würden.240 Abgesehen davon hatte Frankreich sein Prestige als Vorbild der Freiheit keineswegs völlig verloren, nicht zuletzt gerade weil die gesellschaftliche Gemeinschaft hier ausdrücklich betont wurde. Durch seine geographische Nähe blieb Frankreich außerdem der Hoffnungsträger für Europa. Vogt legte seinen Kollegen in der Nationalversammlung dar, „dass in dem Herzen dieser edelmütigen Nation [Frankreich], welche Europa die Freiheit schon einmal geschenkt hat, und die sie diesem Welttheile hoffentlich zum zweiten Male unverkümmert schenken wird, kein Hinterhalt ist.“241 In den Argumentationen von 1848 spielte auch die ‚germanische Freiheit‘ eine Rolle, die jedoch auf einem diffusen mittelalterlichen Ideal mit dem zentralen Aspekt von Gefolgschaft fußte. Sie bot argumentativ die Möglichkeit, eine Staatsform auch ohne absolute Volkssouveränität zu legitimieren.242 Das historische Konzept der „deutschen Freiheit“ hatte besonders im Krieg gegen die französische Revolutionsarmee und gegen Napoleon an Bedeutung und Schlagkraft gewonnen. Es verschmolz rasch mit einem neuen Streben nach Freiheit im Inneren, das jedoch nicht weniger diffus war als der mittelalterliche Ursprung des Konzepts und daher ebenso von fast allen politischen Richtungen genutzt werden konnte.243 Ein historischer Bezugspunkt war immer ein starkes Argument für Maßnahmen der Reform, so dass Beseler in der Paulskirche gerade in dieser Hinsicht die Bedeutung der Wissenschaft für die Politik heraushob: „Ich glaube, dass die Prinzipien der germanischen Freiheit von uns zu erforschen sind, [und] wenn wir sie richtig erkannt haben, […] in allen Konsequenzen zur Anwendung zu bringen sind.“244 Franz Mittermaier, der den Text Liebers über die englische und die französische Freiheit übersetzte, schlug in einer Fußnote vor, „anglican liberty“ statt mit „englisch-amerikanischer Freiheit“ mit „germanischer Freiheit“ zu übersetzen.245 Das Konzept von bürgerlicher Selbstständigkeit mit ‚germanischer Freiheit‘ zusammenzubringen, widersprach im Grunde dem mittelalterlichen Gefolgschafts-

240 Ebd., S. 388. 241 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 1105 [Carl Vogt, 22.7.1848, 45. Sitzung]. 242 C. Dipper: Freiheit (1975), S. 498. 243 H.-W. Hahn: Freiheit (2006), S. 520ff. 244 F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. VII, S. 5497 [Wilhelm Beseler, 27.2.1849, 178. Sitzung]. 245 F. Lieber: Freiheit (1849), S. 28 [Anmerk. des Übersetzers Franz Mittermaier].

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gedanken und damit der sonst üblichen Assoziation zu dieser Terminologie. Mittermaiers Wortwahl war hier jedoch eher davon motiviert, dass er in den Briten und ihren Nachkommen jenseits des Atlantiks einen den Deutschen, beziehungsweise den Germanen verwandten ‚Volksstamm‘ sah – anders als etwa in den Franzosen. Ein Denken, das auch Raumer von der „germanisch-amerikanische[n] Revolution“ 1776 hatte sprechen lassen.246 Heinrich Luden vertrat die Ansicht, dass es nur den äußeren Umständen zuzuschreiben sei, dass sich in Deutschland keine den englischen und amerikanischen Zuständen vergleichbare, freiheitliche Regierungsform entwickelt habe, denn „in den Uranfängen unserer Geschichte“ seien „die Keime sämmtlich zu finden“.247 Mittermaier erschien es folglich einleuchtend, semantisch eine Verbindung herzustellen. „This is an error“, merkte Lieber zu diesem Vorschlag seines Übersetzers an, als er in einer späteren Veröffentlichung genauer darauf einging. In seiner Erklärung zur germanischen Freiheit stützte er sich allerdings weder auf das mittelalterliche Gefolgschaftskonzept noch auf die Auslegung nach „Volkscharakter“, sondern orientierte sich an den Darstellungen der germanischen Freiheit als Abgrenzung gegen römische Besetzer während der Antike. Der „original Teutonic spirit of individual independence“ sei zwar durchaus ein Aspekt dessen, was er unter „anglican liberty“ verstehe, aber die zentrale Bedeutung von bürgerlicher Freiheit, „civil liberty“, kreiere ein neues, völlig eigenständiges Konzept. Darüber hinaus befürchtete er, der Terminus „germanische Freiheit“ könne zu Verwirrungen führen, was angesichts der vielschichtigen Auslegungen durchaus berechtigt war. Außerdem gab er mit Blick auf die damaligen Verhältnisse zu bedenken, dass „the Germans, who ought to be supposed the most Germanic of the Germanic tribes, have nothing, except what may remain of the late attempt at engrafting anew principles or guarantees on their politics, which had become more and more a copy of French centralisation.“248 Wie unklar die verschiedenen, nationalisierten Freiheitsbegriffe waren, beweist auch Pfizers Artikel Autonomie im Staats-Lexikon, in dem er genau entgegen der Ansichten Mittermaiers und Liebers erklärte, dass „die spanische und auch die deutsche Freiheit in älteren Zeiten mehr Freiheit der Cooperationen, der Genossenschaften und Landschaften war, umgekehrt die französische mehr eine Freiheit der Individuen“. Die kontinentaleuropäischen Verfassungen allerdings, darin stimmte auch Pfizer mit Mittermaier und Lieber überein, stünden „der eng-

246 F. Raumer: Vereinigten Staaten (1845), Bd. I, Vorrede [vgl. oben S. 154]. 247 H.-W. Hahn: Freiheit (2006), S. 524. 248 F. Lieber: Civil Liberty (1859), S. 55.

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lischen und nordamerikanischen nach, welche Beides [Kooperation und Individualismus] vermitteln und vereinigen“.249 „[R]epublicanism, federalism, strict separation of the state from the church, greater equality and acknowledgement of abstract rights in the citizens, and a more popular or democratic cast of the whole polity.“ Dies waren Lieber zufolge die Merkmale von „American libery“.250 Die überwiegende Mehrheit der deutschen Staatswissenschaftler des Vormärz aber verband die ‚amerikanische Freiheit‘ mit dem Freiheitsbegriff der Amerikanischen Revolution, bei dem – ihrem Verständnis nach – nur die Behauptung gesetzmäßiger Rechte im Mittelpunkt stand. In den USA selbst war diese Lesart bereits mit dem beginnenden 19. Jahrhundert immer mehr zu einer vergleichsweise ‚konservativen‘ Auslegung von ‚Freiheit‘ geworden.251 Schon Männer wie Thomas Payne hatten durchaus radikalere Ansätze propagiert, und mit den Demokratisierungsschüben unter Präsident Jackson fanden diese Forderungen graduelle Umsetzung. Robert von Mohl sah diese „Weiterentwicklung des demokratischen Princips“ in den USA mit großer Sorge, und die Schriften Thomas Paynes wurden eher kritisch gesehen.252 Noch 1929 warf Otto Vossler Payne vor, er habe „im Sinne des europäischen Revolutionsgeist[es]“ argumentiert.253 Diese Sichtweise ging zurück auf Friedrich Gentz, an dem sich Vossler sehr eng orientierte. Gentz hatte die „wilden, ausschweifenden rhapsodischen Declamationen“ Paynes verurteilt. 254 Edmund Burke dagegen hatte er gelobt, weil dieser „die Lehre der vernünftigen und gemäßigten, also nicht der modernen Freiheit“ vertreten habe.255 Dabei ist besonders zu bedenken, dass für den Konservativen Gentz „modern“ nicht zwingend positiv konnotiert war. Die ‚moderne Freiheit‘, ähnlich wie der ‚moderne‘ Revolutionsbegriff, orientierte sich an Frankreich, während der traditionelle mit den von England geprägten Regionen assoziiert wurde.

249 P.A. Pfizer: Autonomie (1846), S. 14. 250 F. Lieber: Civil Liberty (1859), S. 261. 251 F. Schmidt: Metamorphosen (1988), S. 29. 252 R. Mohl: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik (1860), Bd. I, S. 493. 253 O. Vossler: Revolutionsideale (1929), S. 35. 254 F. Gentz: Ursprung und die Grundsätze (1800), S. 109. 255 F. Gentz: Betrachtungen (1836), S. 25.

Schluss

Die Vereinigten Staaten von Amerika erhielten seit ihrer Unabhängigkeit in der europäischen Öffentlichkeit immer mehr Aufmerksamkeit. Das Exotische und Neue, das der ferne Kontinent zu bieten hatte, gepaart mit den bekannten Wurzeln und Grundsätzen, die in der von europäischen Auswanderern dominierten Gesellschaft erkennbar geblieben waren, machten den besonderen Reiz einer Beschäftigung mit den nordamerikanischen Staaten aus. Dies hatte eine Vielschichtigkeit, nicht nur der belletristischen und Ratgeberliteratur, sondern vor allem auch des wissenschaftlichen Forschungsinteresses zur Folge. Nachdem grundlegende geographische, botanische und zoologische Arbeiten vorlagen, traten im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Fragen juristischer und staatswissenschaftlicher Art in den Vordergrund. Politische Konzepte, die dem amerikanischen System zu Grunde lagen, wurden analysiert und auf die eigene Erfahrungswelt bezogen. In der angespannten Atmosphäre zwischen Revolution und Reaktion musste sich daraus eine politische Dimension für die Amerikaforschung ergeben. Am Vorabend der Revolution von 1848/49 hatte sich eine Politisierung des Amerikaverständnisses vollzogen, so dass jede wissenschaftliche Arbeit davon tangiert wurde, wenn nicht vom Autor beabsichtigt, dann doch in der Rezeption und Assoziation der Leser und Zensoren. Der Transformationsprozess von Wissenschaft zu Politik war für die Amerikastudien während des Vormärz unvermeidlich. Das Aufkommen der Amerikastudien fiel zusammen mit einem neuen Wissenschaftsverständnis, das gerade von Fächern wie Geschichte und Staatswissenschaft mehr Praxisbezug verlangte. Dieser Anspruch verstärkte die Tendenz, wissenschaftliche Untersuchungen zu den USA politisch einzustufen und in ihnen eine wirksame Relevanz zu erkennen. Darüber hinaus kam dem Beispiel ‚Amerika‘, gerade in diesem Zusammenhang, besondere Bedeutung zu. In der deutschen Beschäftigung mit den USA während des Vormärz und der Revolution 1848/49 trat das Spannungsverhältnis zwischen Theorie und Pra-

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xis, das ideengeschichtliche Untersuchungen grundlegend bestimmt, in besonderer Weise hervor. Wissenschaft und Politik standen sich gegenüber und analog dazu die Deutschen, das „philosophische Volk“,1 und die Amerikaner, deren Staatssystem „kein Regiment von Theorien“ war. 2 Man fühlte sich in Europa einerseits durch lange wissenschaftliche Traditionen den Amerikanern überlegen, andererseits beneidete man sie für ihre politische Unbefangenheit. In der deutschen Wahrnehmung fehlte es den Vereinigten Staaten an wissenschaftlicher und theoretischer Untermauerung ihrer politischen Realität, das System schien aber dennoch – oder gerade deswegen – zu funktionieren. In Deutschland hingegen sah man sich mit dem gegenteiligen Problem konfrontiert. Die deutsche „Gewohnheit, dem Gedanken die Ehre zu geben“, erklärte Ruge 1848, rühre daher, dass das Volk „bisher nichts hatte, als Gedanken, und weil ihm die Realität des Staatslebens fehlte“.3 Dieser den Deutschen zugeschriebene Charakterzug wurde im Verlauf des Vormärz immer deutlicher als negativ wahrgenommen, und gerade der Vergleich mit den Vereinigten Staaten schien das Defizit in besonderem Maße hervortreten zu lassen. So erklärt sich, dass Heinrich von Gagern schon 1827 klagte: „[U]nd mit unserer ganzen deutschen Gelehrtenrepublik sind wir eine politische Null geblieben, während die jungen, amerikanischen Staaten fast durch alle Kategorien hindurch uns jeden Tag beschämen“.4 Eine direkte Übertragung der politischen Ideale aus Amerika auf die deutschen Verhältnisse war nicht beabsichtigt. Die Argumente, die gegen eine solche praktische Anwendung sprachen, waren so gut wie allen Akteuren zu Genüge bekannt, gleichgültig, ob sie die geographischen, historischen oder soziologischen Umstände für ausschlaggebend erachteten. Die Vereinigten Staaten sollten nicht „politischen Gaffern den Gegenstand einer unvorsichtigen Nachahmung“ bieten,5 sondern der Garant für die mögliche Realität theoretischer Ideale sein. Dies galt sowohl für wissenschaftliche Abhandlungen als auch für politische Darlegungen, wie etwa in den Reden vor der Nationalversammlung, als es darum

1

F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 1106 [Friedrich Daniel Bassermann, 22.7.1848, 45.Sitzung].

2

G. Duden: Selbstanklage (1837), S. 26.

3

F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 1101 [Arnold Ruge, 22.7. 1848, 45. Sitzung].

4

P. Wentzcke/W. Klötzer: Gagern Briefe (1959), S. 81 [Heinrich von Gagern an seine Brüder Maximilian und Moritz, 29. 11. 1827].

5

F.J. Buß: Story’s Commentary (1844), S. XVII.

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ging, „endlich einmal praktisch [zu] werden“.6 Gerade im Ringen mit Begrifflichkeiten war praktisches Anschauungsmaterial willkommen. Mit Hilfe des Modells USA konnten politische Konzepte analysiert, geprüft und konturiert werden und boten so den theoretischen Ausführungen eine Verankerung in der Praxis. Der nachhaltige Effekt, den ein Bezug auf Amerika in politischen Zusammenhängen hatte, ließ sich auch rhetorisch instrumentalisieren. So finden sich in den Protokollen zu den Debatten der Nationalversammlung mehrere Beispiele für eine solche Verwendung, die von den wissenschaftlichen Analysen und Untersuchungen des Vormärz weit entfernt war. Dennoch wäre es entschieden zu kurz gegriffen, die Bedeutung der Amerikabezüge auf diese Funktionalisierung zu beschränken. Die Unterschiede in Zugriff und Auslegung, die sich bei den in dieser Arbeit untersuchten politischen Konzepten feststellen lassen, zeigen ein differenziertes Amerikaverständnis, das durchdacht eingebracht wurde. In der Diskussion über das Thema Revolution boten die USA einen Gegenpol zu der sonst auf Frankreich fixierten Auslegung der zentralen Terminologie. Die Amerikanische Revolution stand für Mäßigung und wurde entsprechend dargestellt. Zu diesem Zweck wurden die Ereignisse von 1776 gerechtfertigt, um dann ihrerseits als Legitimation für Umwälzungen im eigenen Land gelten zu können. Dahinter verbarg sich das Anliegen, gegen allzu radikale Forderungen vorgehen zu können, ohne jedoch als Gegner des Fortschritts zu erscheinen. Komplexer stellt sich die Differenzierung von ‚Republik‘, ‚Monarchie‘ und ‚Demokratie‘ dar. Alle diese Begriffe hatten in Europa bereits eine so vielfältige Auslegung erfahren, dass ihre Nutzung eine genaue Definition verlangte. In der Betrachtung der Vereinigten Staaten war es daher schwierig, diese Konzepte unbefangen zu verwenden, denn zu den verschiedenen argumentativen Interpretationen kamen durch die gespannte politische Situation auch emotionalisierte Assoziationen hinzu, die nicht unterschätzt werden dürfen. Zwar erschwerten diese Voraussetzungen einerseits das Sprechen über die amerikanischen Verhältnisse, andererseits aber war gerade in diesem Kontext der direkte Bezug auf die Praxis besonders hilfreich. Sei es in einer Fachzeitschrift oder in einem Flugblatt – sich am amerikanischen Beispiel abzuarbeiten, war eine effektive Methode für die Klärung und Entwirrung begrifflicher Verflechtungen, etwa von ‚Republik‘ und ‚Demokratie‘. In der Entwicklung des Föderalismuskonzepts kam den Vereinigten Staaten eine besonders prägende Rolle zu. Der Bundesstaat, der sich erst zu Beginn des

6

F. Wigard: Stenographische Berichte (1848/49), Bd. II, S. 1106 [Friedrich Daniel Bassermann, 22.7.1848, 45. Sitzung].

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19. Jahrhunderts als Konzept im Spannungsfeld zwischen Staatenbund und Einheitsstaat herauskristallisierte, hatte in der amerikanischen Staatsorganisation eine prototypische Entsprechung. Wer sich in diesem Themenfeld bewegte, konnte die US-Verfassung nicht außer Acht lassen und umgekehrt analytische Schriften zum amerikanischen System mussten diesem Bereich besonderes Interesse widmen, etwa Robert von Mohls 1823 erschienenes Nordamerikanisches Bundes-Staatsrecht oder die Werke von Franz Josef Buß Über die VerfassungsUrkunde der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika aus dem Jahr 1838 und sechs Jahre später, 1844, die Analyse über Das Bundesstaatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, der erste Band seines deutsch-amerikanischschweizerischen Verfassungsvergleichs. Auch Welckers Artikel im Staats-Lexikon unter dem Stichwort Bund griff ausführlich auf das Regierungssystem der USA zurück. Anders als bei den Konzepten von ‚Republik‘ oder ‚Demokratie‘ ging es in den Studien zum amerikanischen Bundesstaat nicht darum, einen vielschichtigen Begriff zu erklären, sondern eine neu entwickelte Idee zu verstehen, darzulegen und nutzbar zu machen. Im Umgang mit dem amerikanischen Freiheitsverständnis finden sich einige der bereits in anderen Zusammenhängen identifizierten Motivationen wieder. Ähnlich wie bei ‚Revolution‘ wurde die „amerikanische“ gegen die „französische“ Freiheit abgewogen, um gleichzeitig Rechtfertigung und Mäßigung zu propagieren. Andere versuchten anhand des amerikanischen Beispiels, dem an Konnotationen und Assoziationen überbordenden Freiheitsbegriff Tiefenschärfe und Klarheit zu verleihen. Für die konkrete Ausprägung von Freiheit, etwa bei der Pressefreiheit oder der Glaubensfreiheit, fungierten die USA als Anschauungsobjekt, wobei in diesem speziellen Kontext nicht ausschließlich positive Schlüsse gezogen wurden, sondern auch immer wieder die amerikanischen Verhältnisse als abschreckendes Beispiel ins Feld geführt wurden. Ähnlich uneinheitlich war die Bezugnahme auf Amerika bei der Frage nach den Menschenrechten, insbesondere dem Gleichheitspostulat. Durch die Sklavenproblematik und die Behandlung der Indianer war es hier besonders heikel, die Vereinigten Staaten als Vorbild zu evozieren. Darüber hinaus war man sich unter den deutschen Beobachtern nicht einig, ob in der amerikanischen Gesellschaft tatsächlich die Gleichheit gegeben war, die in der Unabhängigkeitserklärung formuliert worden war. Die Entscheidung dieser Frage hing stark davon ab, wo in dem Spannungsfeld zwischen Chancengleichheit, Rechtsgleichheit und völliger materieller Gleichheit man seinen Anspruch ansetzte und inwieweit man das entsprechende Ideal in den USA verwirklicht sah. Einmal mehr trugen so die in Amerika als politische Realität wahrgenommenen Verhältnisse zu einer klareren Ausdifferenzierung der Begrifflichkeiten in Deutschland bei, nicht zuletzt

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weil sie eine Auseinandersetzung mit Terminologien erforderlich machten, die in Parolen ihre Aussagekraft einzubüßen drohten. Die zusätzliche Dimension politischer Konzepte in Deutschland, die sich durch die wissenschaftliche Erforschung der USA entwickelte, ist für die Ideenund Begriffsgeschichte von Vormärz und Revolution nicht zu unterschätzen. Eine direkte Übertragbarkeit war von vornherein ausgeschlossen, diese Tatsache sowie die Entfernung der Vereinigten Staaten, die jenseits des Atlantiks, anders als etwa Frankreich und England, keine direkte geopolitische Gefahr darstellten, verhalf den USA zu einem besonderen Status unter den Ländern, die als Beispiele herangezogen wurden. Darüber hinaus übertrug sich der verklärte Blick aus der Belletristik und Reiseliteratur teilweise auch auf das Bild des politischen Lebens. Trotz der immer präziser werdenden konkreten Analysen behielt das Beispiel Amerika einen Rest des unwirklichen, idealen Charakters einer Utopie, die den Wissenschaftler herausforderte und den Politiker inspirierte. Die Amerikastudien in ihrer Bedeutung für das Verständnis von politischen Konzepten und Begriffen während des Vormärz und der Revolution von 1848/49 reflektierten das für diese Zeit typische Ineinandergreifen von Wissenschaft und Politik. Nach dem Scheitern der Revolution, als sich die politischen Professoren resigniert zurückzogen, verlor auch die Amerikathematik an praktischer Relevanz und Sprengkraft. In den Jahren unmittelbar nach der Revolution wurde das Beispiel USA immer wieder zum Vergleich herangezogen, um aufzuzeigen, wie verschieden die Voraussetzungen in Philadelphia und in Frankfurt gewesen seien. Die Schaffung einer vergleichbar erfolgreichen Verfassung sei daher praktisch unmöglich gewesen, lautete der Versuch einer Rechtfertigung. Als sich während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die enge Verbindung von Wissenschaft und Politik zu lösen begann, verblieb die Amerikaforschung in der akademischen Sphäre und fiel damit politisch immer weniger ins Gewicht. Trotzdem wurden einige der durch die Amerikastudien des Vormärz angestoßenen und entwickelten Einsichten, gerade im Bereich der Bundesstaatslehre, noch 1871 diskutiert, beschränkten sich jedoch auf die Theorie, da sie durch den amerikanischen Bürgerkrieg an Überzeugungskraft verloren hatten. Nach 1848 verlagerte sich das Forschungsinteresse vom politischen System und Staatsaufbau der USA zunehmend auf gesellschaftliche Verhältnisse und Einrichtungen, zum Beispiel auf das Gefängniswesen. Diese neue Zielsetzung der akademischen Amerikastudien fand zwar durchaus auch praktische Anwendung in Deutschland, diente allerdings nicht mehr dem Streben nach politischer Umsetzung und Veränderung. Was schon für die Jahre der Reaktion gegolten hatte, als eine politische Anwendung akademischer Analysen in weiter Ferne schien, bewies sich erneut nach der gescheiterten Revolution. Francis Lieber

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formulierte es zugespitzt in einem Brief an Robert von Mohl: „Sie in Deutschland, wo alles einen diagnostischen Charakter hat, können sich immer mit der Wissenschaft trösten.“7

7

Nachlass Robert von Mohl Md 613-515, Universitätsbibliothek Tübingen [Francis Lieber an Robert von Mohl, 1.7.1856].

Literaturverzeichnis

ABKÜRZUNGEN HZ JAS Krit. Zeitsch.

Historische Zeitschrift Jahrbuch für Amerikastudien Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslands

U NVERÖFFENTLICHTE Q UELLEN Bundesarchiv Koblenz [BA] Nachlass Friedrich Ludwig von Rönne FSg 1/57 Rönne an seine Wähler (Mai bis Oktober 1848) Akten der Frankfurter Nationalversammlung DB-53 Reichsministerium der Auswärtige DB-58-14 Reichsministerium des Handels – Errichtung von Reichskonsulaten DB-58-16 Konsulate und Konsulatsbeamte der Bundesstaaten im Inland und Ausland DB-58-30 Ernennung von Gesandten in den Vereinigten Staaten von Amerika, Spanien und der Türkei DB-60 Reichsgesandtschaft [Washington] DB-60-33 [Allgemeines] DB-60-34 Politische Berichte DB-60-35 Handel und Zölle DB-60-36 Marineangelegenheiten DB-60-37 Verschiedenes

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Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin VI HA NL Rönne Nachlass Friedrich Ludwig von Rönne Hessisches Staatsarchiv Darmstadt O11-Nr. 44 FN 7V Friedrich von Rönne an Heinrich von Gagern [1849?] Hauptstaatsarchiv Stuttgart ES 50/01- Bü 628 (-92 bis 95) Akten des Königlichen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten betr. Württembergische Bundesgesandtschaft in Frankfurt a. M.1806-1866 „Verbreitung amerikanischer Blätter revolutionären Inhalts“ John Hopkins University, Baltimore, MD The Sheridan Libraries; The Milton S. Eisenhower Library Special Collections Francis Lieber Papers MSS Collection No. 71/Lieber Box I Correspondence Library of Congress [LOC] Papers of Andrew Jackson Donelson Reel 6 [Container 11] Reel 100 [Container 19 part II] Papers of David Bailie Warden Bd. 15 Nr. 3242-3272 Briefe Robert von Mohl an David Bailie Warden Facsimiles from German Archives Ha.Des.104a II. 9. 11. 5a (Nr. 18, 51 und 52) [Preußisches Staatsarchiv Hannover; Original in Deutschland verloren] Ministerium des Innern. Sicherheitspolizeisachen. – Betr. Die angeblich in den Nordamerikanischen Freistaaten unter den daselbst sich niedergelassenen Deutschen bestehenden Vereine zur Einführung der republicanischen Verfassung in Deutschland.

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National Archives and Record Administration [NARA] auf Mikrofilm, Universitätsbibliothek Köln M58 Roll 1: Notes from the Prussian Legislation in the United States (1817-1848) Roll 2: Notes from the Legislations of the German States and Germany in the United Sates to the Department of State (1817-1906) Roll T-2: Prussia (1848-1860) M48 Roll 1: Notes from the Austrian Legislation in the United States (1820-1848) M 77 Diplomatic Instructions of the Department of State 1801-1906 Roll 13 Vol. 1: Austria 1837-187 Roll 65 Vol. 14: German States Prussia 1835-1869 u.A. Dudley Mann 1849-61 M161 Consular Dispatches Roll T-1 Vol. 1: Frankfurt a. M. (1829-1851) M99 Notes to Foreign Legislations in the United States Roll 27: German States (1834-1853) M44 Roll 5: Dispatches from United States Ministers, Prussia (1846-1848) The Huntington Library, Pasadena, CA The Francis Lieber Papers (1815-1888) mssLI-5222 Briefe an Lieber Box 3 Bunsen, Bluntschli, Calhoun Box 7 Friedrich Wilhelm IV., K. Follen Box 11 Hitzig Box 15 Julius Box 35 Matilda Lieber Box 52 Tocqueville Box 55 Oscar Lieber Box 57 Mohr, Mittermaier, Mohl Box 58 Mohl Box 60-62 Rönne, Schurz, Sparks, Story Briefe von Lieber Box 24 an Bunsen, Bluntschli, Calhoun Box 26 an Wilhelm IV. Box 37 an Oscar Lieber Box 38 an Mittermaier

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Box 52 an Tocqueville Box 54 an Matilda Lieber Universitätsbibliothek Göttingen Bibliotheksarchiv Manual 1830 1846/47/48 Abt. Handschriften und seltene Drucke Handschriftlicher Bibliothekskatalog Verzeichnis der Vorlesungen, welche für den künftigen Winter des Jahres 1830/31 auf der hiesigen Universität sowohl von den öffentlichen Professoren als von Privat-Lehrern angekündigt sind (Göttingen, 1830). Universitätsbibliothek Heidelberg Nachlass Carl Anton Mittermaier Heid. Hs. 2746 Franz Lieber an Carl Mittermaier (1832-1867) [Auszüge in englischer Übersetzung vermutlich durch Matilda Lieber in der Huntington Library: Francis Lieber Papers (1815-1888) mssLI-5222 Box 38] Universitäts- und Landesbibliothek Münster Private Briefe der Familie Raumer 1841-1845 University of South Carolina at Columbia, SC South Caroliniana Library The Francis Lieber Collection 1820-1851 Universitätsarchiv Tübingen Nachlass Robert von Mohl Md Handschriften 613: Briefe an Robert von Mohl -515 Francis Lieber -864 Joseph Story -946 David Bailie Warden

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V ERÖFFENTLICHTE Q UELLEN Abeken, Hermann: Die Republik in Nord-Amerika und der Plan einer demokratisch republikanischen Verfassung in Deutschland, Berlin: 1848. Abdr. in H. Dippel: Amerikanische Verfassung (1994), Quellenanhang S. 153-161. Arnold, August: Einleitung in die Staatslehre durch tabellarische und vergleichende Darstellung von sieben neueren Verfassungen, der englischen von …[sic], nordamerikanischen von 1787, französischen von 1791, spanischen von 1812, französischen von 1814, norwegischen von 1814, belgischen von 1831 und Untersuchungen über die wichtigsten Fragen, die bei den neueren Verfassungsentwürfen zur Sprache kommen, Berlin: Mittler & Sohn 1849. Biedermann, Carl: Die Nordamerikanische und die französische Revolution in ihren Rückwirkungen auf Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Geistes der Deutschen im vorigen Jahrhundert. In: Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte. Bilder und Züge aus dem Leben des deutschen Volkes 3 (1858), S. 483-495. Bleyer, Eduard: Die Republik, ihre Grundsätze und Verfassung nach dem Vorbilde Nordamerikas’s mit Berücksichtigung der deutschen Zustände dargestellt, Villingen: 1848. Abdr. in H. Dippel: Amerikanische Verfassung (1994), Quellenanhang S. 138-152. Bernard, O: Noch ein Wort an die deutsche constituierende Nationalversammlung, Frankfurt a. M.: Carl Adelmann 1848. Bernhardi, Karl/Jürgens, Heinrich/Löw, Friedrich (Hg.): Flugblätter aus der deutschen Nationalversammlung, Frankfurt a. M.: 1848. Beaumont, Gustave de: Nordamerikanische Bilder und Zustände. o. O.: B.F. Voight 1836. Bluntschli, Johann Casper: Bemerkungen über die neusten Vorschläge zur deutschen Verfassung. Eine Stimme aus Bayern (1848). Nach: E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 87. Börne, Ludwig: Aphorismen. In: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. IV, Hamburg, 1826. Ders.: Briefe aus Paris (1833). Nach: C. Dipper: Freiheit (1975), S. 507. Brauns, Ernst Ludwig: Das liberale System oder das freie Bürgerthum in seiner höchsten Entfaltung. In einem Gemälde des Bundesstaats von Nordamerika praktisch dargestellt, 2 Bände, Potsdamm: Vogler 1833. Briel, Engelhard: Wahlprogramm einiger hessischer Bürger für die Wahlen zur constituierenden Nationalversammlung, Marburg: 1848. Bromme, Traugott: Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, der Freistaaten Pennsylvania und Texas, der Königreiche Belgien und Nor-

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wegen, die Bundesverfassung der Schweiz und die Englische Staatsverfassung zur Beantwortung der Frage ob Republik, ob konstitutionelle Monarchie? Stuttgart: Hoffmann 1848. Bülau, Friedrich Ludwig: Constitution und Constitutionell (1843). Nach: W. Mager: Republik (1984), S. 620. Ders.: Ein Blick auf England und die vereinigten Staaten von Nordamerika, in: Neue Jahrbücher der Geschichte und Politik (1845), S. 1-13. Ders. (Hg.): Jakob Naumann’s Reise nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika, siebenjähriger Aufenthalt in denselben und Rückkehr nach Deutschland. Mittheilungen für Auswanderungslustige, mit besonderer Beziehung auf Ackerbau, Handel und Gewerbe, Leipzig: J.C. Hinrichs 1850. Bunsen, Christian Carl Josias von: Die Deutsche Bundesverfassung und ihr eigenthümliches Verhältnis zu den Verfassungen Englands und der Vereinigten Staaten. Zur Prüfung des Entwurf des Siebzehn. Sendschreiben and die zum Parlamente berufene Versammlung, Frankfurt a. M.: Hermann 1848. Buß, Franz Josef: Über die Verfassungs-Urkunde der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika. Historischer Theil, nach Story’s Commentarien bearbeitet, Leipzig: J.C. Hinrichs 1838. Ders.: Vergleichendes Bundesstaatsrecht von Nordamerika, Teutschland und der Schweiz. Das Bundesstaatsrecht der vereinigten Staaten Nordamerika’s nach J. Story’s Commentaries in the Constitution of the United States, Karlsruhe: 1844. [Donelson, Andrew J.]: The American Minister in Berlin, on the Revolution of March 1848. Documents, in: American Historical Review 23.2 (1918), S. 355-373. Droysen, Johann Gustav: Vorlesung über das Zeitalter der Freiheitskriege [1846], Leipzig: Brandstetter 1917. Ders.: Aktenstücke und Aufzeichnungen zur Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung aus dem Nachlass von Johann Gustav Droysen, herausgegeben von Rudolf Hübner, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1924. Duden, Gottfried: Bericht über eine Reise nach den westlichen Staaten Nordamerikas, Elberfeld: Lucas 1829. Ders.: Die nordamerikanische Demokratie und das v. Tocqueville’sche Werk darüber, als Zeichen des Zustandes der theoretischen Politik & Duden’s Selbstanklage wegen seines amerikanischen Reiseberichts, zur Warnung vor fernerem leichtsinnigen Auswandern, Bonn: Weber 1837. Ebeling, Christoph Daniel: Erdbeschreibung und Geschichte von Amerika. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika, 7 Bände, Bd. I, Hamburg: Bohn 1795.

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Everett, Edward [Anonym]: The Prospect of Reform in Europe. In: North American Review 33 (1831), S. 154-190. Fay, Theodore: The Revolution of 1848 in Berlin. In: The Galaxy. A Magazine of Entertaining Reading 16 (1873), S. 244-251 u. S. 362-274. Follen, Paul/Münch, Friedrich: Aufforderung und Erklärung in Betreff einer Auswanderung im Grosen aus Teutschland in die nordamerikanischen Freistaaten, Giessen: Ricker 1833. Follen, Karl: Die Gründung einer deutsch-amerikanischen Universität. Eine Denkschrift (um 1820). Abdr. in J. Goebel: Gründung (1922/23), S. 61-76. Fröbel, Julius: Grundzüge zu einer republikanischen Verfassung für Deutschland. Der constituierenden Versammlung in Frankfurt vorgelegt, Mannheim: Hoff (1848). Ders.: Königthum und die Volkssouveränität, oder Giebt es eine demokratische Monarchie?, Berlin: 1848. Ders.: Aus Amerika. Erfahrungen, Reisen und Studien, Leipzig: Dyk 1856 u. 1857. Gagern, Heinrich von: Unitarier (1833). Nach: E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 75. Gentz, Friedrich von: Betrachtungen über die französische Revolution nach dem Englischen des Herrn Burke neu bearbeitet, Stuttgart/Leipzig: Vieweg 1836. Ders.: Der Ursprung und die Grundsätze der Amerikanischen Revoluzion [sic], verglichen mit dem Ursprunge und den Grundsätzen der Französischen. In Historisches Journal (Mai u. Juni 1800), S. 1-96 u. S. 98-140. Ders.: General Washington. Abdr. in H. v. Eckardt: Gentz (1921), S. 3-15. Glasbrenner, Adolf: Die Geschichtlinge (1844). Nach: C. Dipper: Freiheit (1975), S. 491 Gönner, Taddäus: Deutsches Staatsrecht, Augsburg: 1805. Nach: R. Koselleck: Bund (1972), S. 633. Göschen, Georg Joachim (Hg.): Amerika, dargestellt durch sich selbst, 3 Bände, Leipzig: Göschen 1818-1820. Goethe, Johann Wolfgang von: Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. I: Gedichte und Epen I, München: Beck 1988. Goltz, Robert von der: Ideen über die Reorganisation des Deutschen Bundes und der deutschen Staats-Verfassungen, nebst einer Skizze zu einer VerfassungsUrkunde für den Deutschen Bund, Berlin: 1848. Greis, John: Republik oder Monarchie? Beantwortet durch Thomas Paine’s „gesunder Menschenverstand“ und „Menschenechte“, 2. Auflage, Chicago: C. Petersen 1849.

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Grisson, Wilhelm: Beiträge zur Charakteristik der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, Hamburg: Perthes-Besser & Mauke 1844. Grävell, Maximilian: Schluß! Schluß! Schluß! (1849). Nach: A. Scholl: Unionsverfassung (1913), S. 12. Grund, Francis P.: Die Americaner in ihren moralischen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, Stuttgart/Tübingen: Cotta 1837. Ders.: Die Aristokratie in Amerika. Aus dem Tagebuch eines deutschen Edelmanns, Stuttgart, Tübingen: Cotta 1839. Hansemann, David: Verfassungsfrage (o. J). Nach: A. Scholl: Unionsverfassung (1913), S. 29. Hegewisch, Dietrich Hermann/Ebeling, Christoph Daniel (Hg.): Amerikanisches Magazin oder authentische Beiträge zur Erdbeschreibung, Staatskunde und Geschichte von Amerika, besonders aber der vereinten Staaten, 4 Bände, Hamburg: C.E. Bohn 1795-97. Hamilton, Alexander/Jay, John/Madison, James: The Federalist Papers, herausgegeben von Gerry Wills, New York, NY: Bantam 1982. Haßler, Konrad Dietrich: Verhandlungen der Deutschen verfassungsgebenden Reichsversammlung zu Frankfurt am Main. Herausgegeben auf Beschluß der Nationalversammlung durch die Redactions-Commission, Frankfurt a. M: M. Horstmann 1848-49. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Werke, Bd. XII: Vorlesungen über Philosophie der Geschichte [1837], herausgegeben von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1970. Hecker, Friedrich: Hecker’s Abschied vom Deutschen Volke, Berlin: Vereinsbuchdruck 1848. Ders. [?]: Republikanischer Verfassungsentwurf aus dem Hecker Nachlass. Abdr. in W. Brauneder: Rechtsbeziehungen (1991), S. 260-268. Heeren, Ludwig: Der Deutsche Bund in seinem Verhältnisse zu dem Europäischen Staatensystem; bei der Eröffnung des Bundestags dargestellt (1817). Nach: E. Deuerlein: Föderalismus (1972), S. 72. Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften. 6 Bände, herausgegeben von Klaus Briegleb, München: 1985, S. 101. Henning, Leopold: Vorwort. In: T. Jefferson: Handbuch (1819). Herder, Georg Friedrich: Vom Einfluss der Regierung auf die Wissenschaften und der Wissenschaften auf die Regierung, Berlin: 1781. Hoffmann, C.F.L.: Republik. In: C.T Welcker/K. Rotteck: Staats-Lexikon (1848). Hülsemann, Johann Georg: Geschichte der Democratie in den Vereinigten Staaten von Nord-America, Göttingen: 1823.

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Ders.: Vollständiges politisches Wörterbuch. Ein Handbuch zur leichten Verständigung der Politik der Staatswissenschaften und Rechtskunde so wie überhaupt eine ausführliche Erklärung aller politischen und sozialen Fragen, constitutionellen und staatsrechtlichen Begriffe, Ausdrücke, Parteinamen und Fremdwörter, Leipzig: Sechtling 1849. Hummel, Albrecht: Über den gegenwärtigen Zustand der Gelehrtenrepublik und der akademischen Lehranstalten, Berlin: Unger 1802. Hundshagen, Friedrich: Das deutsche Parlament. An das deutsche Volk und seine Vertreter in Frankfurt a. M., Frankfurt a. M.: Brönner 1848. Ders.: Die Reform nicht die Republik. Ein Wort an das deutsche Volk und zunächst an die Bewohner Badens, Frankfurt: Brönner 1848. Jacobi, Victor: Die Republik, wie in Nordamerika, so in Deutschland? In: Zweite Beilage des Leipziger Tageblatt 265 (1848). Jaup, Heinrich Karl: Preßfreiheit. In: C.T. Welcker/Rotteck, K.: Staats-Lexikon (1848). Jefferson, Thomas: A Manual of Parliamentary Practice for the Use of the Senate of the United States, Washington City: Davis & Force 1820. Ders.: Handbuch des Parlamentarrechts oder Darstellung der Verhandlungsweise und des Geschäftsganges beim englischen Parlament und beim Congress der vereinigten Staaten von Nordamerika, herausgegeben u. übersetzt und mit Anmerkungen von Leopold von Henning, Berlin: Dümmler 1819. Ders.: The Papers of Thomas Jefferson. Jeffersons Parliamentary Writings, herausgegeben von Samuel Howell, Princeton: University of Princton 1988. Julius, Nikolaus Heinrich: Nordamerikas sittliche Zustände. Nach eigenen Anschauungen in den Jahren 1834, 1835 und 1836, Leipzig: Brockhaus 1839. Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden [1795], herausgegeben von Karl Kehrbach, Leipzig: Reclam o. J. Klüber, Johann Ludwig: Oeffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten Erste Abtheilung, Frankfurt a. M.: Andreäische Buchhandlung 1822. Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Amerikanisches Kulturbild, Frankfurt a. M.: Meidinger 1855. Laube, Heinrich: Das erste deutsche Parlament, Leipzig: Weidmann 1849. Lieber, Francis: Manual of Political Ethics, Bd. I, Boston, MASS: Charles C. Little & James Brown 1838. Ders.: Englische und französische Freiheit. In: C. Mittermaier: Staatsverfassung (1849). Ders.: On Civil Liberty and Self-Government, Philadelphia PA, London: Lippincott 1859.

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Ders.: Über die bürgerliche Freiheit und Selbstverwaltung, Heidelberg: Mohr 1860. Lips, Alexander: Statistik von Amerika oder Versuch einer historischpragmatischen und raisonierten Darstellung des politischen und bürgerlichen Zustandes der neuen Staatenkörper von Nord-Amerika, Frankfurt a. M.: Heinrich Wilmans 1828. Ludwigh, Samuel: Licht- und Schattenseiten Republikanischer Zustände. Skizziert von Samuel Ludwigh während seiner Reise in den Vereinigten Staaten von Nordamerika 1846/47, Leipzig: Wilhelm Jurany 1848. Mebold, Carl August: Deutsche Verfassungspolitik. In: Monatsblätter zur Ergänzung der Allgemeinen Zeitung (Januar 1846), S. 40-54. Meineke, Friedrich: Drei Generationen von Gelehrtenpolitik. In: HZ 125 (1922), S. 248-283. Mittermaier, Carl Anton: Die englische Staatsverfassung in ihrer Entwicklung nach der neusten Schrift von E.S. Creasy. Mit einem Anhange von Dr. Franz Lieber, in Nordamerika über die englische und französische Freiheit, Heidelberg: Mohr 1849. Ders.: Freiheit und Selbstregierung in England und Nordamerika [Rezension zu: F. Lieber: Civil Liberty (1853)]. In Krit. Zeitsch. 26 (1854), S. 374-389. Mittermaier, Franz: Vorwort. In: F. Lieber: Selbstverwaltung (1860). Mohl, Robert von: Die öffentliche Rechtspflege des deutschen Bundes. Ein publicistischer Versuch, Tübingen, Stuttgart: Cotta 1822. Ders.: Das Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, Stuttgart, Tübingen: Cotta 1824. Ders.: Rezension zu: Laws of the United States of America from the 4th of March 1789 to the 4th of March 1815, Jena 1825. In: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 48 (1825), S. 382-384. Ders. [alias: Cf. Ff.]: Rezension zu: G. Hülsemann: Demokratie in den Vereinigten Staaten (1823). In: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 174 (1825), S. 425-431. Ders.: Rezension zu: J.Gales/W.W. Seaton: Constitutional Law (1820). In: Ergänzungsblätter zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung 8 (1826), S. 57-59. Ders.: Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg, Tübingen: Laupp 1829. Ders.: Rezension zu: W.G. Gouge: A Short History of Paper Money and Banking in the United States (1833). In: Archiv der politischen Oekonomie und Polizeiwissenschaft 2 (1835), S. 382-388. Ders.: Nordamerikanisches Staatsrecht [Rezension zu: Story, Joseph: Commentaries on the Constitution of the United States, Boston 1833]. In: Krit. Zeitsch. 7 (1835) S. 1-26.

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Ders.: Amerikanisches Staatsrecht [Rezension zu: Olivier, Benjamin: The Rights of an American Citizen, Boston, 1832 und Tocqueville, Alexis de: De la Démocratie en Amérique, Paris 1835]. In: Krit. Zeitsch. 8 (1836), S. 359387. Ders.: Juristische Encyklopädie aus Nordamerika [Rezension zu: Hoffmann, David: A Course of Legal Study Addressed to Students and the Professors Generally, Baltimore 1836]. In: Krit. Zeitsch. 10 (1838), S. 76-85. Ders.: Neuste Schrift über politische Ethik in Nordamerika [Rezension zu: Lieber: Political Ethics (1838)]. In: Krit. Zeitsch. 12 (1840), S. 141-150. Ders.: Nordamerikanisches Staatsrecht [Rezension zu: The Writings of John Marshall, Late Chief Justice of the United States, upon the Federal Constitution, Boston 1839]. In: Krit. Zeitsch. 12 (1840), S. 161-185. Ders.: Politische Ethik in Nordamerika [Rezension zu: F.Lieber: Legal and Political Hermeneutics, Boston 1839]. In: Krit. Zeitsch. 13 (1841), S. 265-283. Ders.: Politische Ethik in Nordamerika [2. Rezension zu: Lieber, Francis: Legal and Political Hermeneutics, Boston 1839]. In: Krit. Zeitsch. 14 (1842), S. 95104. Ders.: Entwicklung der Demokratie in Nordamerika und der Schweiz[Rezension zu: Tocqueville, Alexis de: De la Démocratie en Amérieque, Teil I, Paris 1835 und Cherbuliez, Antoine: De la Démocratie en Suisse, Genf 1843]. In: Krit. Zeitsch. 16 (1844), S. 275-310. Ders.: Die Aufhebung der Sklaverei in den englischen und französischen Kolonien. In: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft 1 (1844), S. 478518. Ders.: Der deutsche Reichstag. In: Deutsche Zeitung 89 (29. März 1848), Beilage, S. 1. Ders.: Vorschläge zu einer Geschäfts-Ordnung des verfassunggebenden Reichstags, Heidelberg: C. Winter 1848. Ders.: Die erste deutsche Reichsversammlung und die Schriften darüber. In: Deutsche Vierteljahrsschrift 2.1 (1850), S. 1-75. Ders.: Das Repräsentativsystem. Seine Mängel und Heilmittel (1852). In: H. Boldt: Monarchie (1978), S. 200. Ders.: Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, 3 Bände (18551858), o.O: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1855. Ders.: Staatsrecht. Völkerrecht und Politik, Tübingen: Mohr, Bd. I: Staatsrecht und Völkerrecht (1860). Bd. II: Politik I (1862). Bd. III: Politik II (1869). Ders.: Encyklopädie der Staatswissenschaften [1859], Tübingen: Laupp 1872.

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Ders.: Lebenserinnerungen 1799-1875, herausgegeben von Dietrich Kerler, Stuttgart/Leipzig: Deutsche Verlagsanstalt 1902. Murhard, Friedrich: Volkssouveränität im Gegensatz der sogenannten Legitimität, Kassel: Scientia 1832. Ders.: Sklaverei. In: C.T. Welcker/K. Rotteck: Staats-Lexikon (1848). Ders.: Nordamerikanische Revolution. In: C.T. Welcker/K. Rotteck: StaatsLexikon (1848). Ders.: Die kurhessische Verfassung, erläutert und beleuchtet nach Massgabe ihrer einzelnen Paragraphen. Ein Handbuch für Landstände, Geschäftsmänner, konstitutionelle Staatsbeamte und Staatsbürger (1835). Nach: R. Schöttle: Politische Theorien (1994), S. 318. Pfeffer, Hans: Die Frankfurter Schule, oder: Die unartigen Kinder. Tragikomisches Genre-Bild nach Hasenclever, Berlin: Löwenherz 1849. Pfizer, Paul Achatius: Liberal, Liberalismus. In: C.T. Welcker/K. Rotteck: Staats-Lexikon (1848). Ders.: Autonomie. In: C.T. Welcker/K. Rotteck: Staats-Lexikon (1845). Pölitz, Karl Heinrich Ludwig von: Die Staatensysteme Europa's und Amerika's seit dem Jahre 1783, Bd. I: 1783-1806, Leipzig: J.E. Heinrichs’sche Buchhandlung 1826. Popovici, Aurel: Die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich – Politische Studien zur Lösung der nationalen Frage und staatsrechtlichen Krisen in Österreich-Ungarn, Leipzig: B. Elischer 1906. Ranke, Leopold von: Aus Werk und Nachlass, Bd. II: Über die Epochen der Geschichte [1854], herausgegeben von Walther Peter Fuchs und Theodor Schieder, München/Wien: Oldenbourg 1971. Ders.: Eine Gedächtnisrede bei Eröffnung der vierzehnten Plenarversammlung der historischen Commission. Maurer – Raumer – Liebig – Stälin. In: HZ 31 (1874), S. 149-156. Raumer, Friedrich von: Ueber die Verfassung der Behörden im preußischen Staate (1811). Abdr. in: Ders.: Vermischte Schriften (1854) Bd I, S. 221-227. Ders.: Ueber die preußische Ständeordnung nebst einem Vorwort über bürgerliche Freiheit nach französischen und deutschen Begriffen, Leipzig: Brockhaus 1828. Ders.: Briefe aus Paris und Frankreich in dem Jahre 1830. Leipzig: Brockhaus 1831. Ders.: Über die geschichtliche Entwicklung der Begriffe von Recht, Staat und Politik, Leipzig: Brockhaus 1832. Ders.: Polens Untergang, Leipzig: Brockhaus 1832. Ders.: England im Jahre 1835, Leipzig: Brockhaus 1836.

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Ders.: (Hg.): Leben und Briefwechsel Georg Washingtons nach dem Englischen des Jared Sparks, 2 Bände, Leipzig: Brockhaus 1839. Ders.: Die Vereinigten Staaten von Nordamerika, 2 Bände, Leipzig: Brockhaus 1845. Ders.: Über die römische Staatsverfassung, Berlin: Königliche Akademie der Wissenschaften in Berlin 1848. Ders.: Spreu, Leipzig: Brockhaus 1848. Ders.: Reden die in Frankfurt nicht gehalten wurden, Leipzig: Brockhaus 1848. Ders.: Briefe aus Frankfurt und Paris 1848-1849, 2 Bände, Leipzig: Brockhaus 1849. Ders.: Vermischte Schriften, 3 Bände, Leipzig: Brockhaus 1852-1854. Ders.: Historisch-Politische Briefe über die geselligen Verhältnisse der Menschen, Leipzig: Brockhaus 1860. Ders.: Lebenserinnerungen und Briefwechsel, Leipzig: Brockhaus 1861. Ders.: Litterarischer Nachlaß, Berlin: Mittler 1869. Rezensionen zu: F. Raumer: Die Vereinigten Staaten von Nordamerika (1845): - In: Monatsblätter zur Ergänzung der Allgemeinen Zeitung (September 1845), S. 426-432. - In: Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur 35 (1845), S. 460-465. - In: Neue Jahrbücher der Geschichte und Politik 2 (1846), S. 458-463. - In: Blätter für literarische Unterhaltung S. 240-242, S. 285- 288 u. S. 310312 (1845). Rezension zu: Welcker, Karl Theodor: Ueber Bundesverfassung und Bundesreform, über Bildung und Grenzen der Bundesgewalt, Stuttgart 1834. In: Jahrbücher der Geschichte und Staatskunst 2 (1834), S. 284. Rönne, Friedrich: Über die Natur der Constitution der Vereinigten Staaten von Nordamerika (1835). Abdr. in J. Rönne: Hauptzüge (1867). Rönne, Julius: Friedrich von Rönne – Hauptzüge aus seinem Leben und dessen Abhandlung über die Verfassung der Vereinigten Staaten, Berlin: Heymann 1867. Roßbach, Johann Joseph: Die Bundesverfassung in historisch-politischer Entwicklung, Würzburg 1848. Abdr. in H. Dippel: Amerikanische Verfassung (1994), Quellenanhang S. 123-128. Rotteck, Karl von/Welcker, Carl Theodor (Hg.): Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, 12 Bände, Altona: Johan Friedrich Hammerich 1845-1848. Rotteck, Karl von: Monarchie. In: C.T. Welcker/K. Rotteck: Staats-Lexikon (1845).

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Ders: Demokratisches Prinzip. In: C.T. Welcker/K. Rotteck: Staats-Lexikon (1848). Ders: Lehrbuch des Vernunftsrechts (1834). Nach: R. Koselleck: Bund (1972), S. 655. Ders: Freiheit. In: C.T. Welcker/K. Rotteck: Staats-Lexikon (1847). Ders: Aristokratie. In: C.T. Welcker/K. Rotteck: Staats-Lexikon (1845). Ders: Verfassungsrecht (1830). Nach: H. Boldt: Monarchie (1978), S. 196. Rüttimann, Johann: Kirche und Staat in Nordamerika. Festschrift für Robert von Mohl, Zürich: Bürkli 1871. „S.“ [möglicherweise Wilhelm Schulz]: Demokratie. In: C.T. Welcker/K. Rotteck: Staats-Lexikon (1848). Scheidler, Karl Heinrich: Rezension zu: F. Raumer, Die Vereinigten Staaten von Nordamerika (1845). In: Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 189192 (1846), S. 753-756, S. 757-760, S. 761-764 u. S. 765. Schmidt-Phiseldeck, Conrad Friedrich: Europa und Amerika oder die künftigen Verhältnisse der civilisierten Welt, Kopenhagen: 1820. Schubert, Friedrich Wilhelm (Hg.): Die Verfassungsurkunden und Grundgesetze der Staaten Europa’s, der Nordamerikanischen Freistaaten und Brasiliens, welche gegenwärtig die Grundlage des öffentlichen Rechts in diesen Staaten bilden, Bd. I: Großbritannien und Irland, Nordamerikanischen Freistaaten. Frankreich, Königsberg: Adolph Samter 1848. Schulz, Wilhelm: Revolution. In: C.T. Welcker/K. Rotteck: Staats-Lexikon (1848). Stenographische Berichte über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main und Stuttgart, herausgegeben von Franz Wigard, Frankfurt a. M.: Sauerländer 1848-49. Stiles, William Henry: Austria 1848-49, London: Arno 1852. Story, Joseph: Über Amerikanisches Staatsrecht. In: Krit. Zeitsch. 9 (1837), S. 140. Struve, Gustav: Die Grundrechte des deutschen Volkes, Birsfelden: J.U. Walser 1848. Ders.: Menschenrechte. In C.T. Welcker/K. Rotteck: Staats-Lexikon (1847). Seydel, Max: Der Bundesstaatsbegriff. Eine staatsrechtliche Untersuchung. In: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft 28 (1872), S. 185-256. Sybel, Heinrich von: Über das Verhältnis unserer Universitäten zum öffentlichen Leben, Marburg 1847. Tellkampf, Johann Ludwig: Die künftige deutsche Bundesversammlung zu Frankfurt, o. O.: Heinrich Richter 1848.

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Friedrich und Karl Murhard. Gelehrte Schriftsteller und Stifter in Kassel, Kassel: Weber und Weidemeyer 1988. Landesausstellung, 1848/49 Revolution der deutschen Demokraten in Baden, Ausstellungskatalog, Baden-Baden: Nomos 1998.* Männer und Ideen der Achtundvierziger Bewegung. Vorträge gehalten am Dies Akademikus, Frankfurt a. M. 1948. Bei den mit einem Sternchen (*) gekennzeichneten Werken handelte es sich um Literaturangaben, die den weiteren Kontext beleuchten, aber nicht direkt im Text zitiert werden.

Dank

Prof. Dr. Dieter Langewiesche, Tübingen, gilt mein besonderer Dank für die Betreuung dieser Arbeit, die er wohlwollend begleitete. Seine wissenschaftlichen Ratschläge waren mir wertvolle Hilfestellung, und den eingehenden Gesprächen mit ihm verdanke ich wichtige Erkenntnisse. Prof. Dr. Georg Schild, Tübingen, danke ich, dass er die Aufgabe des Zweitgutachters übernommen hat. Beim Überarbeiten und Vorbereiten der Veröffentlichung haben mir die fachlichen Gespräche mit Prof. Dr. Michael Hochgeschwender, München, und seine weiterführenden Hinweise sehr geholfen. Auch ihm möchte ich an dieser Stelle danken. Für ein dreijähriges Promotionsstipendium und für die Unterstützung meiner Forschungsreisen danke ich der Konrad Adenauer Stiftung und ich bin dem Lasky Center for Transatlantic Studies in München für einen Zuschlag zu den Druckkosten verbunden. Dank gilt hier auch besonders Prof. Dr. Christof Mauch, München, für seine Empfehlung und Vermittlung bei der Publikation. Den Damen und Herren in den Archiven und Bibliotheken bin ich dankbar für ihre freundliche und fachkundliche Beratung bei meinen Recherchen, besonders hervorheben möchte ich die Bibliothekarinnen und Bibliothekare im allgemeinen Lesesaal der Universitätsbibliothek Tübingen und Dr. Stephan Bialas von der Universitäts- und Landesbibliothek Münster. Für Hilfe bei der Entzifferung und Übersetzung schwer lesbarer Originalquellen schulde ich Eva Beck, Weimar, sowie Barbara Heineberg, Dr. Wolfgang Knackstedt und Dr. Siegfried Kessemeier, Münster, meinen Dank. Ich danke Barbara Ketterle, Tübingen, für ihren zeitlichen Einsatz bei der Korrektur. Für anregende Gespräche über mein Thema bin ich Dr. Frank Lorenz Müller, St. Andrews, und Dr. Richard Wetzell, Washington DC, sehr verbunden. Dies gilt auch für alle Kollegen und Freunde, die mir während des Fortgangs meiner Arbeit beistanden, ob im fachlichen Austausch oder mit Soforthilfe bei Computernotfällen. Abschließend möchte ich meiner Mutter, Sabine Schiller-Lerg, danken, die mir immer mit Geduld und voll Vertrauen den Rücken gestärkt hat

Namensregister

Abeken, Herrmann 88, 162, 195ff., 219f., 228, 240, 323 Adams, John 112, 206 Adams, John Quincy 51 Ahrens, Heinrich 289, 326 Arnold, August 52, 61, 63, 89f., 160, 192, 307 Bancroft, George 54, 95, 112 Barth, Marquard Adolph 267 Bassermann, Friedrich Daniel 204f., 225, 340, 341 Beckerath, Hermann von 185, 291 Beecher-Stowe, Herriet 45 Behr, Wilhelm Joseph 254, 319 Beseler, Wilhelm 288, 304, 306, 318, 336 Biedermann, Carl 188, 200, 241, 282, 298, 323 Bleyer, Eduard 227, 252, 256, 318ff., 331 Bernhardi, Karl 289 Beaumont, Gustave de 84 Blum, Robert 261, 277, 286, 318, 327 Bluntschli, Johann-Casper 273f., 347

Börne, Ludwig 89f., 103, 299 Brauns, Ernst Ludwig 32f. Briel, Engelhard 247 Bromme, Traugott 43, 83f., 89, 156f., 185, 221, 232 Buchanan, James 142ff., 154, 163f. Bülau, Friedrich Ludwig 32f., 184f., 204, 233, 239f., 274, 325, 328 Bunsen, Christian Carl Josias von 26, 32, 45, 65, 71, 84, 161, 207, 238, 241, 272, 277, 282f., 286, 288ff., 321, 347 Buß, Franz Josef 26, 79, 81, 161, 208, 249, 255, 258f., 265f., 275, 278f., 285, 314ff., 340, 342 Calhoun, John Caldwell 111f., 249f., 272, 325, 347 Cass, Lewis 142 Claussen, Hans 275 Clay, Henry 112 Clayton, John 148f., 152, 154 Constant, Benjamin 206, 235

388 | A MERIKA ALS ARGUMENT

Dahlmann, Friedrich Christoph 65ff., 136, 225, 262, 266, 289 Detmold, Johann Herman 261 Donelson, Andrew Jackson 141ff., 153ff., 161, 346 Droysen, Johann Gustav 26, 67, 136, 174, 176, 247, 249, 265, 274, 276, 290, 292f. Duckwitz, Arnold 36, 147, 151, 154 Duden, Gottfried 28, 40ff., 46, 48, 224, 307, 328, 340 Ebeling, Christoph Daniel 53ff., 73, 93, 95, 173 Eichhorn, Johann Friedrich 12, 102, 111 Eisenstuck, Jacob Bernhard 235, 282 Everett, Edward 54, 90f., 129 Falk, Alexander 203 Fallati, Johannes 165f. Fay, Theodore 153, 319 Follen, Paul 32f. Follen, Karl 27, 33f., 59, 60, 64, 347 Fontane, Theodor 40 Franklin, Benjamin 52, 80 Freudentheil, Gottlieb 288 Fröbel, Julius 69, 71, 161, 210, 221, 237, 332 Gagern, Hans Christoph von 35 Gagern, Heinrich von 47, 147, 225, 265f., 335, 340, 346 Gentz, Friedrich von 174, 177ff., 181, 186f., 189f., 192, 338

Gerolt, Friedrich von 145f., 250 Glasbrenner, Adolf 299 Gönner, Taddäus 257 Göschen, Georg Joachim 93 Goethe, Johann Wolfgang von 40, 88f. Goltz, Robert von der 88, 91, 197, 216, 236ff., 246, 264, 281, 316, 319f., 320f., 330f. Greis, John 81, 213 Grävell, Maximilian 285, 292 Grimm, Jacob 67, 164ff. Grisson, Wilhelm 42f. Grund, Francis [auch Friedrich] 199, 271, 310, 328 Hagen, Carl Heinrich 230, 282 Hansemann, David 162, 270 Hartmann, Moritz 65 Hegewisch, Dietrich Hermann 58, 93 Hamilton, Alexander 132, 206, 209, 230, 237, 248f., 272, 280, 301, 305, 318 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 47, 72f., 207 Hecker, Friedrich 85, 143, 176, 212ff., 214 Heeren, Friedrich Ludwig 80, 207, 272 Heine, Heinrich 40, 103, 326 Heineken, Friedrich Wilhelm 38 Henning, Leopold Dorotheus 78, 164f. Herder, Georg Friedrich 59, 77, 174 Hülsemann, Johann Georg Friedrich 55, 188, 251, 334 Hummel, Albrecht 62

N AMENSREGISTER

Hundshagen, Friedrich 195, 200, 212

85f., 192,

Jacobi, Victor 86 Jackson, Andrew 15, 216, 217, 324, 338 Jahn, Friedrich Ludwig 288 Jaup, Heinrich Karl 315ff., 321 Jay, John 109, 248 Jefferson, Thomas 78, 80, 98f., 112, 130, 132, 164f., 179, 209, 212, 216, 249, 271 Julius, Nikolaus Heinrich 76, 249, 347 Kant, Immanuel 200f., 204 Klüber, Johann Ludwig 14f., 66, 254, 263, 266 Knoodt, Peter 321 Kosemann,Wilhelm Albert 276 Kürnberger, Ferdinand 43, 46 LaFayette, Marie Joseph de 51 Lassaulx, Peter Ernst von 261 Laube, Heinrich 69, 86, 118 Lette, Adolph 306, 326f. Lieber, Francis [auch Franz] 27, 31, 45, 68, 94, 118, 123, 173, 182, 196, 220, 223, 280, 289, 299f., 304, 330, 332ff., 343, 346ff. Lips, Alexander 72 Livingston, Edward 250f., 281 Ludwigh, Samuel 74, 199 Madison, James 206, 209ff., 248, 271 Marshall, John 11, 27, 81, 123, 246, 249, 268, 272, 293, 314

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Mason, John 150f., 152 Mathy, Carl 307 Mebold, Carl August 247, 263, 268f., 302, 315 Metternich, Clemens von 55, 71f., 149, 181 Michelsen, Andreas 300 Mittermaier, Carl Anton 11, 15, 27, 35, 68, 94, 118, 126, 138, 182, 196, 220, 223, 247ff., 261, 263, 265, 274ff., 280, 281ff., 287, 289ff., 303, 304, 317, 320, 326f., 333, 335f. Mittermaier, Franz 333, 336f., 347 Mohl, Moritz 293 Mohl, Robert von 11ff., 20, 26f., 35, 58, 65f., 69, 78, 80f., 84, 94, 97f., 106, 112f., 117ff., 160, 162, 165f., 173, 181, 188, 192, 199, 201f., 207ff., 216, 222ff., 229ff., 235, 236, 237f., 245f., 248ff., 260, 263f., 268f., 272f., 281ff., 290ff., 305ff., 313f., 319, 322f., 325, 327, 331f., 338, 342ff. Möring, Carl 149, 197, 202, 218 Monroe, James 55, 71, 112, 141 Mühlfeld, Eugen von 136, 261 Murhard, Friedrich 26, 79, 88, 91, 159, 172, 174, 177, 180ff., 192, 202, 205, 220, 225ff., 234, 264, 277, 287, 301, 307, 309f., 319, 327 Nauwerck, Carl 84, 117 Niebuhr, Barthold Georg 108

390 | A MERIKA ALS ARGUMENT

Österreich, Johann von (Reichsverweser) 144f. Ottow, Mutius Alysius 328 Parker, Foxall 149ff., 152 Paulding, Hiram 149f. Pfeffer, Hans 103, 115 Pfizer, Paul Achatius 225, 262, 266, 284, 299, 337 Pölitz, Karl Heinrich Ludwig von 32, 68, 79, 82f., 91, 95, 173, 198f., 252 Popovici, Aurel 266 Preußen, Adalbert 150 Preußen, Friedrich Wilhelm IV von 104ff., 137, 214, 219, 347 Ranke, Leopold von 72, 74, 91, 101, 107, 173, 184, 225, 241 Raumer, Friedrich von 20, 26, 55, 68, 69, 76, 80, 84, 88, 95, 97ff., 128, 129f., 132ff., 160, 176f., 179, 183ff., 192, 197, 199, 201, 203ff., 219, 220, 221, 222ff., 236ff., 241, 242, 251f., 268, 273f., 277, 278, 292, 303ff., 323, 331, 337, 348 Raveaux, Franz 84, 279 Reichensperger, August 28, 228, 325, 330 Rödinger, Friedrich 222, 264, 270, 281, 304 Römer, Friedrich 277, 285, 304, 309, 318 Rönne, Friedrich Ludwig von 12, 32, 74, 111, 141, 143, 146ff., 151ff., 155, 185, 215, 249f., 253, 254, 260f., 268f., 274,

278f., 283f., 295, 305, 306, 310, 345ff. Roßbach, Johann Joseph 196, 230, 235f., 268 Rotenhan, Hermann von 261 Rotteck, Karl [auch Carl] von 15, 27, 64ff., 75, 127, 190f., 199, 204f., 210, 213, 221f., 225, 230f., 235, 259, 297ff., 303, 309, 325ff., 332 Ruge, Arnold 340 Schaffrath, Wilhelm Michael 267, 273, 285 Scheller, Friedrich Ernst 261 Schleiermacher, Friedrich 64 Schlözer, August Ludwig 55, 95 Schiller, Friedrich 50, 169f. Schmidt-Phiseldeck, Conrad Friedrich 31, 65, 72f., 175, 198, 271, 335 Schubart, Christoph Daniel 50 Schüler, Christian 261, 277, 286, 311, 318, 327 Schüler, Friedrich 239, 282 Schulz, Wilhelm 169, 173, 184, 185, 190f., 192, 224, 232 Schütz, Friedrich Jacob 215 Schurz, Carl 347 Simon, Heinrich 318, 327 Sparks, Jerad 347 Stahl, Friedrich Julius 63, 67, 158, 236 Stedmann, Carl 255, 280 Stiles, William Henry 148, 154, 218 Story, Joseph 27, 79, 81f., 94, 120f., 249, 276, 279, 293, 317, 340, 347f.

N AMENSREGISTER

Strache, Eduard 218f., 233 Struve, Gustav 176, 217, 299f., 302, 305, 311 Sybel, Heinrich von 59 Seydel, Max 250, 252, 295 Taylor, Zachary 142, 152 Tellkampf, Johann Ludwig 76, 85, 129, 160, 164, 183, 233, 243, 267, 273f., 277, 285, 288f., 293 Thinnes, Friedrich 322 Tittmann, Carl Theodor 291ff., 295 Tittmann, Friedrich Wilhelm 258, 265, 268 Tocqueville, Alexis de 18, 27f., 76, 84, 112, 121, 123, 186, 208, 211, 214, 222f., 229, 230, 231, 233, 251, 307, 309, 315, 316, 320, 321, 324, 325, 333, 334, 335, 347, 348 Tyler, John 162 Varnhagen von Ense, Karl August 102 Van Buren, Martun 142f. Venedey, Jacob 205 Vincke,Georg von 176, 218, 224, 270, 287f., 329

| 391

Vogt, Carl 219ff., 234, 287, 324, 329f., 336 Washington, George 51, 80, 87, 104, 115, 132, 141, 162, 177, 212, 240, 271 Welcker, Carl Theodor 26f., 35, 64, 65, 67, 127, 190, 201, 215, 225, 231f., 249, 253, 257ff., 267, 269, 272, 277, 281, 284, 287, 306, 317, 326ff., 342 Wesendonck, Hugo 84 Wiesner, Adolph 329, 332 Wigard, Franz 286, 318, 327 Wirth, Johann Georg August 306 Wollenweber, Ludwig 214f. Wydenbrugk, Oskar 278 Zachariä, Carl 204, 218, 257, 322 Zachariä, Friedrich Wilhelm 257, 291 Zachariä, Heinrich Albert 27, 78, 81f., 90f., 94, 113, 129, 177 Zirckel, Otto 86ff., 203, 241, 286, 302, 328 Ziegler, Alexander 47, 86f., 162, 210, 234f., 241, 307 Zimmermann, Eberhard August Wilhelm 53 Zimmermann, Wilhelm 327