Althochdeutsche Grammatik II: Syntax 9783110930870, 9783484108622

In addition to Wilhelm Braune's »Old High German Grammar«, newly revised by Ingo Reiffenstein, Richard Schrodt pres

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German Pages 251 [256] Year 2004

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Table of contents :
Vorwort
Allgemeine Abkürzungen
1. Wortgruppen
1.1. Verbalgruppe
1.2. Nominalgruppe
1.3. Adjektivgruppe
1.4. Präpositionalgruppe
2. Satzglieder und Satzbaupläne (Satzmuster)
2.1. Einleitung
2.2. Übersicht über die Satzbaupläne nach der verbalen Valenz
2.3. Realisationsformen
2.4. Valenzrahmen von sizzen
2.5. Valenzvarianten und Valenzveränderungen
2.6. Prädikat
2.7. Subjekt
2.8. Akkusativ
2.9. Genitiv und Wechsel Genitiv/Akkusativ
2.10. Dativphrase
2.11. Prädikativa
3. Adverbialien
3.1. Einleitung
3.2. Adverbien
3.3. Genitiv
3.4. Dativ
3.5. Akkusativ
3.6. Instrumental
3.7. Infinitiv
4. Der minimale Satz
4.1. Einleitung
4.2. Die Grundkategorien des Verbs: Einfache und zusammengesetzte Verbformen
4.3. Aktionsarten
4.4. Aspekt und Aspektualität
4.5. Tempus
4.6. Modus
4.7. Imperativ
4.8. Satznegation
4.9. Satzadverbien und Satzpartikeln
5. Satzgefüge
5.1. Formen und Kategorien der syntaktischen Beziehungen
5.2. Inhaltsbeziehungen (Subjek-/Objektsätze)
5.3. Adverbialbeziehungen
5.4. Relativsätze
5.5. Negationssätze
5.6. Formen der verbalen Kongruenz
6. Wort- und Satzgliedstellung
6.1. Einleitung
6.2. Die Stellung des finiten Verbs
6.3. Die Verbstellung im Nebensatz
6.4. Feldgliederung
7. Besondere syntaktische Formen
7.1. Setzungen
7.2. Parenthese
Abkürzungs- und Quellenverzeichnis
Abkürzungen von Zeitschriften und Reihentiteln
Literaturverzeichnis
Sachverzeichnis
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Althochdeutsche Grammatik II: Syntax
 9783110930870, 9783484108622

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R I C H A R D SCHRODT A L T H O C H D E U T S C H E G R A M M A T I K II

SAMMLUNG KURZER GRAMMATIKEN GERMANISCHER DIALEKTE B E G R Ü N D E T VON W I L H E L M BRAUNE H E R A U S G E G E B E N VON THOMAS KLEIN,

INGO REIFFENSTEIN

U N D H E L M U T GNEUSS

A. H A U P T R E I H E NR.5/2 R I C H A R D SCHRODT ALTHOCHDEUTSCHE GRAMMATIK SYNTAX

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 2004

ALTHOCHDEUTSCHE GRAMMATIK II SYNTAX

VON R I C H A R D SCHRODT

MAX NIEMEYER VERLAG T Ü B I N G E N 2004

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-10862-2 © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2004 http://www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: Dr. Gabriele Herbst, Mössingen Druck: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Einband: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach

Inhalt Vorwort Allgemeine Abkürzungen 1. Wortgruppen 1.1. Verbalgruppe 1.2. Nominalgruppe 1.3. Adjektivgruppe 1.4. Präpositionalgruppe 2. Satzglieder und Satzbaupläne (Satzmuster) 2.1. Einleitung 2.2. Übersicht über die Satzbaupläne nach der verbalen Valenz 2.3. Realisationsformen 2.4. Valenzrahmen von sizzen 2.5. Valenzvarianten und Valenzveränderungen 2.6. Prädikat 2.7. Subjekt 2.8. Akkusativ 2.9. Genitiv und Wechsel Genitiv/Akkusativ 2.10. Dativphrase 2.11. Prädikativa 3. Adverbialien 3.1. Einleitung 3.2. Adverbien 3.3. Genitiv 3.4. Dativ 3.5. Akkusativ 3.6. Instrumental 3.7. Infinitiv

VII XI

§ S 1-S 7 § S 8-S 23 § S 24-S 27 §S28-S49

§S50

1 1 18 36 38 57 57

§ S 51-S 55 § S 56 § S 57 § S 58 §S59-S67 § S 68-S 72 §S73-S74 § S 75-S 79 §S80-S86 § S 87-S 91

62 65 65 66 67 73 77 80 85 90

§S92 §S93 §S94 §S95 §S96 § S 97 §S98

93 93 93 94 95 95 96 97

4. Der minimale Satz 4.1. Einleitung §S99 4.2. Die Grundkategorien des Verbs: Einfache und zusammengesetzte Verbformen § S 100-S 101

99 99 99

VI

Inhalt

4.3. 4.4. 4.5. 4.6. 4.7. 4.8. 4.9.

Aktionsarten Aspekt und Aspektualität Tempus Modus Imperativ Satznegation Satzadverbien und Satzpartikeln

5. Satzgefüge 5.1. Formen und Kategorien der syntaktischen Beziehungen 5.2. Inhaltsbeziehungen (SubjekWObjektsätze).. 5.3. Adverbialbeziehungen 5.4. Relativsätze 5.5. Negationssätze 5.6. Formen der verbalen Kongruenz 6. Wort-und Satzgliedstellung 6.1. Einleitung 6.2. Die Stellung des finiten Verbs 6.3. Die Verbstellung im Nebensatz 6.4. Feldgliederung 7. Besondere syntaktische Formen 7.1. Setzungen 7.2. Parenthese Abkürzungs- und Quellenverzeichnis Abkürzungen von Zeitschriften und Reihentiteln Literaturverzeichnis Sachverzeichnis

§ S 102 § S 103-S 120 § S 121-S 124 § S 125—S 129 § S 130 § S 131 § S 132

101 104 127 130 135 135 136 139

§ S 133-S 135 § S 136-S 137 § S 138-S 154 § S 155-S 164 § S 165 § S 166-S 182

139 147 150 172 181 182

§ S 183 § S 184-S 189 § S 190 § S 191-S 204

197 198 206 208 208

§S205 § S 206-S 208

221 221 222 225 227 229 241

Vorwort Die Darstellung der althochdeutschen Syntax ist ein Wagnis: Die Verschiedenartigkeit der Sprachregionen, die Abhängigkeit vom Lateinischen, die große, mehrere Jahrhunderte umfassende Zeitspanne, der mögliche Einfluss von Reim und Metrum erschweren sehr oft eine ausreichende Begründung für die Beschreibung syntaktischer Kategorien. Dazu kommt oft auch noch eine problematische Überlieferungslage. Es ist wohl kein Zufall, dass eine solche Darstellung bisher fehlte. Doch das zunehmende Interesse an syntaktischen Fragestellungen sollte ein ausreichender Grund dafür sein, dieses Wagnis unternommen zu haben - Fragestellungen, die zunehmend auch Texte berücksichtigen, bei denen man sehr bald an die Grenze der philologischen Kompetenz geraten kann. Schließlich sollte auch nicht vergessen werden, dass die Althochdeutsche Grammatik immer schon als "grammatisches hülfsbuch für den lernenden" zu dienen hatte, wie es Wilhelm Braune im Vorwort zur 3. Auflage formulierte. Wenngleich das Althochdeutsche zweifellos im akademischen Unterricht an Boden verloren hat, wie es Ingo Reiffenstein im Vorwort zum ersten Band feststellt, so kann vielleicht doch die Orientierung über die wichtigsten syntaktischen Formen das Lesen und die Analyse von althochdeutschen Texten erleichtern. Grundlegend für die Grammatiken dieser Reihe ist das deskriptive Verfahren. Doch es kann keine Deskription ohne eine methodische Grundlage geben. Diese Grundlage ist hier die Methode des Bedeutungsminimalismus (vgl. dazu Posner 1979), d.h. die Darstellung orientiert sich grundsätzlich an den sprachlichen Formen mit ihren abstrakten Grundbedeutungen. Konversationelle Ableitungen, Kontextbedeutungen und Gruppen von Verwendungsweisen werden nur dann beschrieben, wenn sie als erkennbare und etablierte Kategorien empirisch abgesichert werden können. Gelegentlich wird ein Hinweis auf prototypische Form- und Funktionszusammenhänge gegeben. Die Darstellung selbst wurde möglichst theorienneutral gestaltet. Ich habe allerdings Wert darauf gelegt, Bezüge zu neueren Syntaxtheorien aufzunehmen, wenn sie eine zureichende philologische Argumentationsbasis haben. In diesen Fällen wurde auch neuere Terminologie verwendet (sie konnte dann allerdings nicht weiter erläutert werden). Ich habe überall versucht, die Entwicklung vom Früh- zum Spätalthochdeutschen zu berücksichtigen, ich habe aber keine konsequente historische Darstellung

VIII

Vorwort

angestrebt. Zu vielen Bereichen gibt es kontroverse Meinungen, die nicht überall ausgeglichen oder endgültig entschieden werden konnten. Oft habe ich für eine bestimmte Auffassung argumentiert. Alles das wurde in Form von Anmerkungen diskutiert. Zur Zitierweise 1. Die ältere Literatur bis Behaghel wird nur dann zitiert, wenn sie methodisch in die Darstellung eingegangen ist oder einen Kernbereich des Belegmaterials geliefert hat. Universitätsschriften wurden nur dann berücksichtigt, wenn sie mir per Fernleihe zugänglich waren. So konnte ich einige Magisterarbeiten, die gelegentlich zitiert werden, nicht auswerten, weil mir die entsprechenden Bibliotheken die Benutzung nicht gestatteten. 2. Die zitierten Stellen sind grundsätzlich vollständig. Auslassungen sind immer durch Auslassungspunkte [...] bezeichnet. 3. Die Stellenangaben beziehen sich immer auf den Anfang der zitierten Stelle. 4. Die Schreibung von Wortansätzen richtet sich nach Schützeichel, Althochdeutsches Wörterbuch. 5. Die gelegentlich beigegebenen Übersetzungen dienen lediglich dazu, den syntaktischen Aufbau der Phrase zu verdeutlichen. Sie sind daher dem Sinn nach oft problematisch oder ungenau. Bei allzu entstellenden Sinnbezügen wird eine freiere Umschreibung hinzugefugt. 6. Die Schreibung der zitierten Stellen wurde behutsam vereinfacht (Beseitigung von Akzenten, Großschreibungen und satzabschließenden Punkten; beibehalten ist die Bezeichnung der vokalischen Länge bei Konjunktivformen in Notker-Texten und die Großschreibung von Eigennamen in manchen Ausgaben). 7. Die verwendeten Ausgaben sind jene, die am meisten verbreitet sind und deren Zählweise sich weit gehend durchgesetzt hat (sie ist immer auch in den neueren Ausgaben zu verfolgen). Daher wurde nicht immer nach den neuesten Ausgaben zitiert; sie wurden aber immer zum Vergleich herangezogen. Die Stellenzitate sind folgenden Ausgaben entnommen: Benediktinerregel: Daab; Isidor: Eggers; Tatian: Sievers; Otfrid: Erdmann; Notker: Sehrt/Starck (die in dieser Ausgabe nicht vorhandenen Texte nach Piper); Williram: Seemüller. Die kleineren Denkmäler werden nach Braunes Althochdeutschem Lesebuch zitiert (Lb, Nummer und Verszahl) oder, wenn sie dort nicht aufgenommen wurden, nach Steinmeyer, Die kleineren althochdeutschen Denkmäler (SD, Nummer und Verszahl). Vgl. zu den genaueren Angaben das Abkürzungs- und Literaturverzeichnis. Die Kapitel 4.3. und 4.4. beruhen auf einer Dissertation, die Silvia Kirova unter meiner Anleitung verfasst hat (Kirova 2000). Dieser Arbeit wurden auch einige Formulierungen entnommen.

Vorwort

IX

Eine Arbeit wie diese will man nach der Fertigstellung sofort wieder neu machen. Für das Zustandekommen dieses Zwischenstadiums war mir der stetige und immer freundliche Zuspruch von Ingo Reiffenstein sehr hilfreich - und nicht zuletzt auch seine gelegentlichen Korrekturen. Brigitte Bulitta von der Redaktion des Althochdeutschen Wörterbuchs in Leipzig hat einige wohlwollende grundsätzliche Bedenken beigesteuert, die in dieses Vorwort eingeflossen sind. Manche Anregungen verdanke ich auch den Diskussionen mit Ulrike Demske und Karin Donhauser. Besonders bedanke ich mich bei allen, die meinen Anfällen von Zweifel und sonstigen Unleidlichkeiten während der Arbeit an der Syntax ausgesetzt waren. Wien, im März 2004

Richard Schrodt

Allgemeine Abkürzungen Α., Akk. Akkusativ Akkusativ mit Infinitiv Acl Adjektiv Adj. Adv. Adverb ahd. althochdeutsch AKTI Aktivitätsbedeutung alem. alemannisch ASt Anfangsstellung D., Dat. Dativ Del Dativ mit Infinitiv Dekl. Deklination Det Determinantienteil ESt Endstellung feminin f., fem. fränkisch frk. Festschrift Fs G., Gen. Genitiv germ. germanisch gotisch got. GTER graduell terminative Bedeutung hg., Hg(g). herausgegeben, Herausgeber Hauptsatz HS Hs(s). Handschrift(en) I., Instr. Instrumental idg. indogermanisch Imp. Imperativ Indikativ Ind. Inf. Infinitiv Jh(s). Jahrhundert(s) Kl erster Konjunktiv K.2 zweiter Konjunktiv

lat. m., masc. mhd. MSt n., neutr. N., Nom. NG NS Opt. PI P2 Part. PI. Präp. Präs. Prät. Ps. RELA SB schw. Sg., Sing. st. SV TTER VI V2 Vf ZUST

[] §

lateinisch maskulin mittelhochdeutsch Mittelstellung neutral Nominativ Nominalgruppe Nebensatz Optativ Präsenspartizip Präteritumpartizip Partizip Plural Präposition Präsens Präteritum Person relationale Bedeutung Situationsbeschreibung schwach Singular stark Situationsveränderung total terminative Bedeutung Verberststellung Verbzweitstellung finites Verb Zustandsbedeutung Einfügung Verweise auf Bd. 1, Laut- und Formenlehre

1. Wortgruppen 1.1. Verbalgruppe Lit.: Lussky 1924; Zieglschmid 1929a, 1929b; Twaddell 1930; Mosse 1938; Bech Hermodsson 1952; Schröder 1955; Rupp 1956; Weiss 1956; Saltveit 1962; Juntune Oubouzar 1974, 1997b; Zadorozny 1974; Greule 1985; Grenvik 1986; Birkmann Eggers 1987; Lühr 1987, 1997a; Valentin 1987, 1999; Haspelmath 1989; Eroms 1992, 1997, 2000; Leiss 1992; Fritz 1994, 1997; Kuroda 1997, 1999; Vano-Cerda Kotin 1998, 2003; Seiffert 1998; Diewald 1999; Demske 2001b. Übersicht: Ebert 57-64; Wolf 1981,80-84.

1951; 1968; 1987; 1990, 1997; 1978,

1.1.1. Ü b e r b l i c k Das ahd. Verbsystem ist durch eine grundlegende Opposition Präsens Präteritum mit dem Merkmal ± [vergangen] geprägt; ein dem Nhd. vergleichbares Futur gibt es nicht. Diese Opposition ist in allen Formenreihen vorhanden. Innerhalb dieser Formenreihen bildet die g/'-Präfigierung den komplexiven Aspekt, während das unerweiterte Verb eine allgemeine Aussage ohne Anfangs- und Endpunkt bezeichnet (genauer dazu 4.2.). Die Benennung ± perfektiv wurde hier vermieden, um den Unterschied zu den Aktionsarten hervorzuheben. Im Unterschied zu den slawischen Sprachen sind die ahd. Aspektformen subjektiver und freier wählbar, was oft dazu gefuhrt hat, dass sie als grammatisches Zeichen geleugnet wurden. Dennoch ergeben sich auch feste Gebrauchsweisen, s. § S 100. Diesen einfachen Formen stehen die periphrastischen Konstruktionen gegenüber. Flektierte Partizipien deuten darauf, dass sie im Ahd. weitgehend noch als prädikative Konstruktionen gelten und daher am Rand der grammatischen Verbkategorien stehen. Ein gemeinsames inhaltliches Merkmal der periphrastischen Konstruktionen lässt sich nicht leicht ausmachen; Eroms (2000, 14) fasst sie unter "subjektzentrierte Konstruktionen", weil sie Vorgänge und Handlungen auf das Subjekt fokussieren und damit seine Verfassung ausdrücken. Innerhalb der periphrastischen Konstruktionen trägt die nächste Opposition das Merkmal ± transformativ: - transformativ sind die statalen Phrasen mit sln/wesan, welche einen Zustand wiedergeben, + transformativ sind die mutativen Phrasen mit werdan: Sie bezeichnen eine

§S1

2

§ S 1 Verbalgruppe

Zustandsveränderung oder den Übergang von einem Zustand zu einem anderen und enthalten damit ein Mehr an Information. Jede dieser periphrastischen Formen kann je nach der Aktionsart des Partizips - resultativ (Partizip I) oder + resultativ (Partizip II) sein. Damit sind die Formenkategorien des ahd. Verbs vollständig beschrieben. Bei den resultativen Phrasen ist weiters die Unterscheidung ± konvers möglich. Konvers sind die Phrasen, deren Subjekt auch das Objekt der dem Partizip entsprechenden finiten Verbalform sein kann und damit passivische Funktion haben. Streng formal wäre diese Unterscheidung nicht nötig. Ein vollständiges Schema des ahd. Verbsystems enthält folgende Kategorien (mit kleinen Änderungen nach Eroms 1997, 28 und 2000, 13, im Nhd. ungrammatische Formen stehen in Anfuhrungszeichen; die Belege stammen größtenteils aus I): Verbalgruppe

periphrastisch

einfach

durativ

konklusiv

gi-

+ transformativ

- transformativ

sm/wesan + χ

- resultativ χ = Partizip 1

werdan + χ

- resultativ χ = Partizip 1

+ resultativ χ = Partizip 2

+ resultativ χ = Partizip 2

- konvers

+ konvers ("Passiv")

konvers + konvers ("Passiv")

bin gekommen

bin gesucht

"werde suchend"

werde "gekommen"

werde gesucht

ist chichundit

werden ufstente

wiröit kumen

uuerdant bilohhan

"wurde gesucht"

Präsens: suche

"gesuche"

souhhan

chiduuingu

bin suchend sint sohhenli

ist niderquheman

Präteritum: suchte

"gesuchte"

war suchend

war gekommen

war gesucht

"wurde suchend"

"wurde gekommen"

chundita

chichundita

uuas frummendi

was queman

uuari arjullit

ward sprechanter

uuardh uuordan

uuardgiboran

1.1.2. g z - P r ä f i x 2

Dass die gz-Präfigierungen im Ahd. das grammatische Zeichen fur den komplexiven Aspekt sind, wird in 4.2. erläutert und belegt. Im Normalfall, d.h. wenn das Grundverb selbst keine terminative oder perfektive Aktionsart hat, ist das unpräfigierte Verb kursiv. Es bezeichnet einen Handlungs-

§ S 2 gi-Präfix

3

verlauf ohne Hervorhebung des Anfangs oder des Endes, eine allgemeine Aussage. Demgegenüber bezeichnen die g7-Präfigierungen regelmäßig eine punktuelle Sichtweise, in der nicht der Handlungsverlauf, sondern das Eintreten oder Aufhören eines Ereignisses fokussiert wird. Im Präteritum steht öfters die resultative Handlungsqualität im Vordergrund. Anders als in den slawischen Sprachen ist im Ahd. viel öfter eine Freiheit der Sichtweise vorhanden, die auch zum Ausdruck stilistischer Nuancen genutzt wird. Das macht die Einschätzung der Beleglage in manchen Fällen schwierig, doch ergeben sich aus dem Kontext oft genug ausreichende Hinweise fur die Beurteilung der Aspektualität einer bestimmten Ausdrucksweise. Am deutlichsten ist der Aspektunterschied bei den Verben der Wahrnehmung nachzuvollziehen. Ein komplexives gihören oder gisehan bezeichnet den Abschluss der Verbalhandlung und damit den vollzogenen Wahrnehmungsakt, der zu einem Gedächtnisinhalt fuhrt, während die kursiven unpräfigierten Verben den reinen Wahrnehmungsvorgang bezeichnen. Komplexive Verbformen bedeuten daher oft eine nachhaltigere Wahrnehmung (entsprechend können sie nhd. etwa mit vernehmen und erblicken wiedergegeben werden) und sind gelegentlich auf dem Weg zur Lexikalisierung. Wichtig ist es hier, den Sprachgebrauch innerhalb eines Denkmals zu untersuchen, weil die Gebrauchsarten der Verbformen in verschiedenen Texten auch verschiedene grammatisch-stilistische Funktionsfelder einnehmen können. In ikgihorta dat seggen, dat sih urhettun cenon muotin [...] Hl 1 ist die am Textanfang berichtete Wahrnehmung die Keimzelle der dargestellten Begebnisse. In Hl 46 wela gisihu ih in dinem hrustim, dat du habes heme herron goten, dat du noh bi desemo riche reccheo ni wurti ist nicht die bloße Anschauung der Rüstung gemeint, sondern die durch die Rüstung vermittelte Erkenntnis des Standes Hadubrands: 'Gut erkenne ich an deiner Rüstung, dass du daheim einen guten Herrn hast ...'. Die Rede von Hildebrand und Hadubrand wird in ihrer Bedeutungsschwere durch das komplexive gimahalen ausgedrückt. In anderen Zusammenhängen steht als Bezeichnung des reinen Vorgangs das kursive sagen. Besonders deutlich ist das im Konditionalsatz ibu du mi enan sages, ik mi de odre uuet Hl 12 'wenn du mir einen sagst, weiß ich mir die anderen' oder der Bericht dat sagetun mi usere liuti, [...] dat Hiltibrant hcetti min fater Hl 15/17 'das erzählten mir unsere Leute, dass Hildebrand hieße geheißen habe) mein Vater'. Τ 132.11 enthält präfigierte und unpräfigierte Formen und ist damit ein gutes Beispiel für die Interpretation der aspektuellen Formen: ni giloubtun thie ludcei fon imo thaz her blint uuari inti gisahi, unz sie gihalotun sine eldiron thiez gisahun, inti fragetun sie sus quedente: ist theser iuer sun, then ir quedet thaz er blint giboran uvari? vvuo sihit her thanne nu? Die Stelle bezieht sich auf die Heilung eines Blindgeborenen im Johannes-Evangelium (Joh. 9,18). Für die erste Verbform gisahi liegt eine perfektische Interpretation nahe:

4

§ S 2 g/-Präfix

'Die Juden glaubten von ihm nicht, dass er blind wäre (= gewesen sei) und dass er sähe (= sehend geworden sei.)' Für die zweite Verbform liegt zwar eine kursive Interpretation nahe, weil es der Vorlage folgend um die Eltern geht, die sehen konnten (parentes eius qui viderant), doch hat der Autor die Stelle anders aufgefasst und von Eltern geschrieben, die 'es (thiez) sahen'. Diese Formulierung passt nicht recht zur Bibelstelle, wo ja die Eltern behaupten, 'wie er aber jetzt sehen kann, wissen wir nicht, oder wer ihm die Augen aufgetan hat, wissen wir nicht.' (Joh. 9, 21) Möglicherweise bezieht sich der Autor auf die folgende Stelle, wo davon die Rede ist, dass die Eltern das sagten, weil sie die Juden fürchteten, und lässt damit die Möglichkeit offen, dass die Eltern die Heilung miterlebt haben. Jedenfalls belegt das Pronomen, dass hier ein Wahrnehmungsinhalt vorhanden ist. Das deutet auf eine komplexiv-resultative Verbform. Die letzte Form ist kursiv und bezeichnet den Vorgang des Sehenkönnens 'wie (auf welche Weise) kann er jetzt sehen?'

1.1.3. Infinitivkomplemente § S3

Im Ahd. steht als Komplement sowohl ein reiner Infinitiv ("O-Infinitiv") als auch ein durch die Präposition zi erweiterter Infinitiv. Der z/-Infinitiv wird überall dort gebraucht, wo das Komplement finale Bedeutung hat (nu garawemes unsih allezi themofehtanne Ο 2.3.55, inti uuio sie inan forstuontun in brehchanne thes brotes Τ 229.3, besonders deutlich bei den prädikativen Fügungen Simon, ih haben thir sihuuaz ['etwas'] ci quedanne Τ 138.8) und steht daher bei direktiven und voluntativen Verben: wer thih bitit thanne ouh hiar zi drinkanne 0 2.14.24, sie gerotun al bi manne inan zi rinanne 0 2.15.7. Doch kommen bei diesen Verben auch O-Infinitive vor, wie z.B. bei gilimphan 'sich ziemen' inti soso Moyses arhuob thie natrun in thero vvuostinnu, so arheuan gilimphit mannes sun Τ 119.8 gegenüber mit ziInfinitiv vvuo quidistu: gilinpfitzi erhefanne mannes sun? Τ 139.9, bei gerön 'begehren' dien gerot ergelih uuerden NP 169.7 und lusten/lustön 'gelüsten' lustida sie christinheidi chilaupnissa chihoran I 694. Anm. 1. Direktive und voluntative Verben haben eine finale Bedeutungskomponente, daher muss die Finalität des Komplementgeschehens nicht noch einmal durch zi bezeichnet werden. Es ist daher verständlich, dass die Präposition fakultativ ist. Wo die Finalität nicht in der Verbsemantik enthalten ist, wird obligatorisch der zMnfinitiv gebraucht, wie etwa bei den prädikativen Fügungen und bei haben/eigan. Bei verschiedenen Bedeutungsvarianten bezeichnet derz/-Infinitiv die finale, der O-Infinitiv die nicht-modale Variante, etwa bei wizzart ('wissen' - 'verstehen') und gisehan ('sehen' 'zusehen, sich kümmern um'): mittiu ir gisehet Abraham inti Isaac inti lacob inti alle uuizogon ingangan in gotes richi Τ 113.2, aruuirph zi heristen balcon fon thinemo ougen, thanne gisihis thu zi aruuerphanne fesun ['Splitter'] fon thines bruoder ougen Τ 39.6. Der O-Infinitiv bei den Modalverben und bei den Acl-Verben ist der Ausdruck

§ S 4 Verbalgruppen mit Infinity

5

des bloßen Inhalts (ther sih thes muaz frowon Ο4.15.6, then fater hört er sprechart Ο 1.25.15, trohtin, ob thuz bist, heiz mih queman zi thir ubar thisiu uuazzar Τ 81.3), ebenso bei den Phasenverben biginnan und gistandan im älteren Ahd. Doch hat hier schon Notker den zi-Infinitiv: uuara ih tihpegunnen habo ze leitenne N B 138.13. Zu bilinnan 'aufhören' hat Tatian beide Komplementarten: fon thes siu ingieng ni bilan siu cussan mine fuozi Τ 138.12, so hertho bilan zi sprehhanne Τ 19.6. Die Zusammenhänge mit den Kontrollkonstruktionen, die Demske (2001) herausgearbeitet hat, lassen sich wohl ebenso verstehen: Wenn Subjekt-, Dativ- oder arbiträre Kontrolle überwiegend mit dem z/'-Infinitiv stehen, so stützt diese Form durch ihre deutlich bezeichnete Finalität die Rolle des Agens oder der an der Handlung beteiligten Person, während bei Akkusativkontrolle das Objekt außerhalb der Handlungsrollen bleibt. Auch bei Verben mit Subjektkontrolle kann der O-Infinitiv den bloßen Inhalt angeben, wie die auffallig große Zahl von O-Infinitiven bei sih beiten 'sich bemühen' und (ge)lirnen 'lernen' zeigt. Ein Einfluss der Acl-Konstruktionen ist hier zweifellos vorhanden. Anm. 2. Die Unterscheidung zwischen substantiviertem und verbalem Infinitiv ist fragwürdig; in beiden Fällen wird der Kasus des O-Infinitivs verbtypisch zugewiesen. Die Kombinationsmöglichkeit mit Adverbien ist wohl auch bei den "substantivierten" Infinitiven möglich, doch müsste das noch genauer untersucht werden.

1.1.4. Verbalgruppen mit Infinitiv In bestimmten Verbgruppen ist das finite Verb (mit einer Tendenz zur Auxiliarisierung) durch einen Infinitiv ergänzt. Wenn das finite Verb seinen Status als Vollverb verliert, wird die ganze Phrase zum Prädikät und kann durch eine andere Ergänzung erweitert werden. Der Infinitiv kann bei finaler und konsekutiver Bedeutung durch die Infinitivpartikel zi eingeleitet werden und erscheint dann in freierer syntaktischer Verbindung zum finiten Verb; in manchen Fällen, v.a. bei Zustandsverben, ist aber dieser Bedeutungsunterschied nicht deutlich. Von den flektierten Formen des Infinitivs steht regelmäßig der Dativ auf -anne nach zi; daneben kommt noch in substantivischer Verwendung der Genitiv auf -annes/-ennes/-önnes vor. Einmal erscheint ein instrumentaler Infinitiv: thie andere iungoron mit ferennu quamun (navigio \ex\Qr\mt\ferren 'mit dem Schiff fahren') Τ 236,7. Zu den hier zitierten finiten Präteritopräsentien gibt es nicht immer den Infinitiv (vgl. §§ 370ff.). Folgende Bedeutungsgruppen können unterschieden werden: 1. Fähigkeit, Wunsch, Wille a. Modalverben im engeren Sinn (Hilfsverben) Modalverben sind "Experiencerverben": der verbale Zustand geht vom Subjekt aus und kehrt in einer reflexiven Bewegung zum Subjekt zurück. Syntaktisch verhalten sie sich oft wie "Anhebungsverben", d.h. sie haben eingebettete unpersönliche Prädikate (ther evangelio thar quit, theiz mohti wesan sexta zit Ο 2.14.9), Passivformen (ich geloube, daz ich irsterbin sol unde abir irstan sol unde mir gelonot werdin sol nach minin werchin San-

§S4

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§ S 4 Verbalgruppen mit Infinity

galler Glauben und Beichte III SD 63.16) und nicht-referenzielle Subjekte (Subjektsätze, expletive Subjekte, idiomatische Wendungen: wio meg iz io werdan war, thaz ih werde suangar? Ο 1.5.37, thaz scolta sin bi noti, thaz er in thionoti Ο 1.13.12, dar nemag ouh keskehen daz angulares [die Aussagen an den Eckpunkten des logischen Quadrats nach Aristoteles] samint uuar sagen Ν Piper 1.539.20, wio mag sin mera wuntar, thanne in theru ist thiu nan bar, thaz si ist ekord eina muater inti thiarna? Ο 2.3.7, tih nedarf nehein vuunder sin . daz ein ubeler den anderen chelet NB 311.25). Die drei Verben mugan, sculan und wellen haben bereits im Ahd. die Geltung von Modalverben. Sie können meist durch nhd. können, sollen und wollen wiedergegeben werden. Dispositionelle Modalität: mugan 'können, mögen, müssen, sollen, dürfen' er mag hören evangelion Ο L.89; giwerkon thaz io mohti Ο S.13. Die lexikalische Ausgangsbedeutung ist 'körperlich in der Lage sein', noch deutlich in inti nu uuirdist thu suigenti inti ni maht sprehhan unzan then tag, in themo thisu uuerdent Τ 2.9. Den Übergang zu 'lieben, gern haben' zeigen manege gihorente fon sinen iungiron quadun: hart ist thiz uuort, uuer mag thaz gihoren? Τ 82.11, er uueiz die starchen die daz heuue mugen NP 1041.16. Deontische Modalität: sculan 'sollen, müssen, verpflichtet sein, brauchen, dürfen, werden, wollen' (auch als Futurumschreibung) seal er gote thankon Ο L.25, 30; thaz saliga thiu alta thaz kind beran scolta Ο 1.9.2. Mit zi: waz seal es avur thanne nu so zifragenne? Ο 3.20.124. Der Infinitiv muss aus dem vorhergehenden Satz ergänzt werden: suaz imo sin lib al, so man guetemo seal! Ο L.36. Auch als Vollverb mit der Bedeutung 'schuldig sein, schulden': uuio filu scalttu minemo herren? Τ 108.3 'wieviel schuldest du meinem Herrn?'. Volitive Modalität: wellen 'wollen, wünschen' want er wolta man sin Ο L.39; Johannes druhtines drut wilit es bithihan, thaz er uns firdanen giwerdo ginadon Ο 1.7.27. Als Vollverb: ih uuili miltida, nalles bluostar Τ 56.4 'ich will Barmherzigkeit und nicht Opfer'. Oft ist die Unterscheidung zwischen Vollverb und Modalverb nicht sicher zu treffen. b. Modale Vollverben Diese Verben sind zunächst Vollverben und kommen demgemäß oft auch ohne Infinitiv vor. Der Ausdruck dispositioneller oder deontischer Modalitäten ist nur ansatzweise vorhanden: ist ther in iro lante iz alleswio nintstante, in ander gizungi firneman iz ni kunni Ο 1.1.119 'der es anders nicht verstünde, in einer anderen Sprache es nicht vernehmen könnte (zu vernehmen wüsste)'; quad tho zi imo druhtin Krist: "ther man ther githuagan ist, thie fuazi reino in wara, ni tharf er wasgan mera" 0 4.11.37 'er braucht/muss nicht mehr waschen'.

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*muozzan 'in der Lage sein, können, dürfen, mögen, müssen' (auch als Konjunktivumschreibung) (her sih thes muaz frowon joh innana biscowon! Ο 4.15.6; quedan man iz wola muaz Ο 5.17.36; negiert: sie ni muasun gan so fram zi themo heidinen man Ο 4.20.4; ni muaz si thihan wanne fora themo selben manne 0 4.14.74. Die lexikalische Ausgangsbedeutung 'Raum haben' ist noch deutlich: joh warun wir gispannan, mit seru bifangan, mit ubilu gibuntan, ni muasun unser waltan Ο 4.5.13 'wir konnten über uns nicht bestimmen', d.h. wir hatten keine Möglichkeit, keinen Raum, über uns zu bestimmen. Mit deontischer Implikatur: sie wunsgtun, muasin rinan thoh sinan tradon einan in sinen giwatin; thaz mera sie ni batin Ο 3.9.9 'sie wünschten, dass sie doch den Saum seiner Gewänder berühren dürften'. thurfan '(be)dürfen, brauchen, nötig haben' (bei Ο nur negiert): gotes geist imo anawas; ni tharft thu wuntoron thaz Ο 1.23.39; then weg man forahten ni tharf! Ο 4.5.42. bithurfan ist nur mit einem nominalen Objekt belegt: noh ist ouh hiar mera thera fronisgun lera, thero druhtines dato, thes wir bithurfun thrato Ο 5.12.51. In der Negation kann sich eine konversationelle Implikatur des Verbietens einstellen: sie sint so sama chuani, selb so thie Romani; ni tharf man thaz ouh redinon, thaz Kriachi in thes giwidaron Ο 1.1.59 'man darf auch nicht das behaupten, dass Griechen ihnen darin wetteifern'. kunnan 'können, vermögen, verstehen' (bei Ο nur negiert): iη ander gizungifirneman iz ni kunni Ο 1.1.120; ni kann inan bimidan Ο 4.5.10. Vollverb: hintarquamun innan thes thes sines wisduames joh sinero kunsti, wio er thio buah konsti Ο 3.16.6 'wie er die Bücher verstand'. giturran 'wagen': gidar ih lobon inan fram Ο 1.8.9; gidar ih zellen ubarlut: hert ist gerstun kornes hut Ο 3.7.25; negiert: ni gidorst es ruaren mera Ο 3.14.46; ni gidurrun sies biginnan Ο 1.1.76. wizzan 'wissen': oba ir, mit thiu ir ubile birut, uuizzut guot zi gebanne iuuueren kindon Τ 40.7. (gi)werdön 'für wert halten, zulassen': thaz er uns firdanen giwerdo ginadon Ο 1.7.28; giwerdo unsih, druhtin, heilen mit lioben druton thinen Ο 3.5.19; er werd unsih gibliden io zen goumon sinen, hungere biwerien joh ouh fon tode nerien! Ο 3.5.19. Anm. 1. Modalverben enstehen durch die resultative Semantik der Präteritopräsentia zusammen mit dem Infinitivkomplement. Die Diachronie der Modalverben (sie wird hier nicht dargestellt) ist Gegenstand lebhafter Forschung (Bech 1951 [problematisch], Fritz 1997, Diewald 1999). Axel (2001) konnte nachweisen, dass die oft angenommenen epistemischen Lesarten von Modalverben unbegründet sind. Krause (1997) unterscheidet zwischen "Modalisierung" als Sprechereinstellung und "Modalität" als Handlungsmöglichkeit; danach sollen sculan und mugan verbale Modalisatoren sein: wer quedent sie theih sculi sin Ο 3.12.8, after thiu in war min so mohtun thri daga sin Ο 2.8.1. In vielen Fällen ist aber dieser Unterschied nicht deutlich.

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2. Anfang biginnan 'anfangen': ih biginne redinon, wio er bigonda bredigon Ο 1.2.7; thio sluag si mit then hanton, bigan iz harto anton Ο 1.22.25; nachgestellter Infinitiv: maht lesan ouh hiar forna, wio er koson bigonda wislichen worton mit then ewarton Ο 2.3.29; tho er erist bredigon bigan Ο 4.11.6; mit zi: übe du uuissist. uuara ih tih pegunnen habo ze leitenne NB 138.13; do begonde min salbuvurz mer unte mer zestinkene Will 19.2. (gi)stän/(gi)stantan 'anfangen': her fragen gistuont fohem uuortum, hwer sin fater wari Hl 8, unz er in des biten stuont. taz er imo ondi. mit otachere ze uehtenne . unde übe er in uberuuunde . romam ioh italiam mit sinemo danche ze habenne NB 5.20, ane daz iuno . ih meino diu luft . tanne uuarmen gestat. so diu sunna in taurum gat NM 56.9. 3. Fortbewegung faran 'fahren, gehen, reisen': ih faru garawen iu sar fronisgo iu stat thar Ο 4.5.11 ,fuar Petrus fisgon in war Ο 5.13.3. lien 'eilen': mit werkon filu rehten so ilet sie gislihten Ο 1.23.28. gangan 'gehen': thie druta giangun guate mit seragemo muate zi selidon thiz ahton mit rozagen gidrahton Ο 5.15.19. queman 'kommen': tho quam ther liut mit driuon thaz seltsani scouon Ο 4.3.6. slThan 'schleichen': tho sleih therfarari irfindan wer er wari Ο 2.4.5. 4. Verben wie senten, läzan, heizan, bittan und das unpersönliche gilusten verbinden sich als Vollverben mit dem Akkusativ und dem Infinitiv, ebenso die Verben der Wahrnehmung (gi)sehan, hören und irkennen. Es genügt je ein Beispiel aus O: ih santa iuih arnon 2.14.109; mit finalem zi\ in suslicha redina so sant er zuelif thegana (ni thoh zi woroltruame·), zeichan ouh zi duanne 3.14.85; fuar er tho in thia worolt in, liaz thaz wuastweldi sin 1.23.9; er hiaz inan irwintan 2.9.52; thoh bat er nan zi note thia Steina duan zi brote 2.4.44; then lesan iz gilusti 1.1.10; thar sah si druhtin stantan 5.7.44; then fater hört er sprechan 1.25.25; ih irkanta, ih sagen thir, thia kraft hiar faran fona mir 3.14.36. Gelegentlich steht auch der einfache Infinitiv: tho santun in then stunton thie richun lantwalton [...Jirfragen wer er wari 1.27.9/12; nu heiz thes grabes waltan 4.36.9; thu sihis sun liaban zi martolonne ziahan 1.15.47. Eine Ausweitung dieses Gebrauchs in Anlehnung an das Latein der Vorlage findet sich gelegentlich bei Tatian, sehr häufig bei Notker. In den meisten Stellen ist lehnsyntaktischer Gebrauch wahrscheinlich, auch in den selbstständigen Textteilen, sodass hier eine Belegsammlung nicht sinnvoll ist (Belege bei Erdmann 1, 200ff und Wunderlich 1883, 122f; s. auch § S 73).

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Anm. 1. Umschreibungen mit mahhön + Infinitiv sind im Ahd.nicht belegt; tuon + Infinitiv kommt im älteren Ahd. nicht vor, bei Notker dagegen häufiger, z.B. tanne zelezest ketuot tiu saliga mit iro manment-sami die mennisken auuekkon fone demo uuaren guote NB 133.17.1 178,1 329 und Μ 34.24 sind Latinismen.

5. werdan mit Infinitiv als Futurumschreibung In einigen Belegen scheint diese Phrase als Futurumschreibung vorhanden zu sein, doch sind alle Stellen philologisch problematisch (s. dazu die Diskussion bei Saltveit 1962, 185ff): suntar thaz giscrib min wirdit bezira sin, buazent sino guati thio mino missodati Ο 5.25.45 'meine Schrift wird besser sein, wenn seine Güte meine Fehler verbessert'; aus den rheinfränkischen Bruchstücken der Cantica ne helle begien uuirdit dir noh dot lobot dih, Lb Nr. 17/5.1 'weder wird die Hölle dich anerkennen noch lobt dich der Tod', lebendiger lebendiger selbu begien uuirdit dir also unde ich hiude ebda. 5 'der Lebende, (nur) der Lebende selbst wird dich anerkennen wie (und) ich heute' (begien = bijehan 'bekennen, jemanden anerkennen').

1.1.5. Verbalgruppen mit Partizip (Präsenspartizip = PI, Präteritumpartizip = P2) 1. wesan/sm, werdan + Partizip (Passivumschreibungen) Die im Folgenden erläuterten Konstruktionen werden gewöhnlich als "Passiv" bezeichnet, doch diese Terminologie orientiert sich an universalgrammatischen und typologischen Überlegungen (Aktantenkonversion, neutrale Thematisierung des Subjektsaktanten, Agens-Elision) und bei Übersetzungen an grammatischen Kategorien der Vorlage. Wegen der Gleichwertigkeit mit nominalen Fügungen wird der Ansatz eines eigenständigen ahd. Passivs problematisch. Ν übersetzt sowohl aktivische als auch passivische lat. Sätze mit werdan + P2. Das Verhältnis von wesan/sm und werdan ist am besten mit aktional-aspektuellen Begriffen zu beschreiben: Eine Phrase von P2 mit wesan/sm ist demnach durativ/kursiv (Zustand als Verlauf), mit werdan ingressiv/punktuell (Zustand als Übergang): so huuer so uuanit dhazs izs in salomone uuari al arfiillit I 632 gegenüber endi chisiuni ioh forasagono spei uuerdhen arfullit I 450. Abhängig von der Aktionsart und der Bedeutung bestimmter Verben sind die beiden Phrasen oft verschieden verteilt: Bei Ο stehen giscriban, gihaltan und bigraban nur mit sm (und anderen durativen Verben), hingegen kommt gisprochan auch zusammen mit werdan vor. Bei bifangan steht die durative Bedeutung 'umfassen, umgeben' mit sm, die transformative Bedeutung 'erfassen, ergreifen' mit werdan; vgl. in herzen si iz bifangan, ni laz es wiht ingangan Ο 5.15.20 gegenüber wanta es nist laba furdir, thaz giloubi thu mir, er wergin megi

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ingangan (werd er thar bifangan) Ο 5.19.15f. Dieser aktional-aspektuelle Unterschied ist ebenso im Präteritum vorhanden. Zispreiten 'zerstreuen' ist perfektiv in so war sunna lioht leitit so wurtun sie zispreitit Ο Η. 104, imperfektiv in joh unsih thiu sin guati al gisamanoti, wir io irri fuarun, zispreitite warun Ο 3.26.35f. Die Belege bei Notker und Williram zeigen kein anderes Ergebnis: Wenn temporale Bedeutungen zu unterscheiden sind, werden sie durch Partikeln und Adverbien bezeichnet. Das Verhältnis von wesan und werdan kann auch dadurch beschrieben werden, dass bei werdan die passive Bedeutung im engeren Sinn, bei wesan ein dem Subjekt zugeschriebenes inaktives Merkmal ("medial") als ständige Eigenschaft vorhanden ist: chind, in chunincriche: chud ist mir al irmindeot Hl 13 'bekannt ist mir das ganze Volk'. Bei Ν kommen schon intransitiv gebrauchte Verben in dieser Fügung vor: die aber ciuiles nesint. die sint philosophicς. tero uuirt disputando geantuuurtet N B 111.8 'die [Fragen], die aber nicht zivil(rechtlich) sind, die sind philosophisch. Derer wird diskutierend geantwortet'; unde fone diu uuard ze erest kesprochen NB 118.23 'und von denen wurde zuerst gesprochen'. Die Verabsolutierung der Handlung in diesen Fügungen macht den Weg frei zur grammatischen Kategorie des Passivs. Das Verhältnis von werden- und sein-Passiv im Vergleich zu den finiten Formen ist bei Otfrid 0,9 % : 2,0 %; im Tatian verhält sich die Gesamtzahl der entsprechenden Passivformen 170 : 270 (im Neuhochdeutschen ist das Verhältnis zwischen werden- und sein-Passiv nach den Zählungen bei Brinker textsortenunabhängig 5,1 % : 1,8 %, in literarischen Texten 1,5 % : 0,9 %). Das fast völlige Verschwinden der flektierten Formen des P2 nach werdan in den jüngeren ahd. Denkmälern mag als einsetzende Grammatikalisierung gedeutet werden, doch stehen weitere Untersuchungen v.a. bezüglich der Adjektivflexion noch aus. Tatian macht keinen Unterschied zwischen wesan und werdan: oba thin ouga uuirdit luttar, thanne ist al thin lihhamo liohter; oba thin ouga aruuertit uuirdit, thanne ist al thin lihhamo finstar Τ 36.6. a. wesan/sin (vgl. § 378 Anm. 2) + PI "Durativ" Diese Phrase (eine Prädikativkonstruktion) bezeichnet eine Handlung in ihrem Verlauf bzw. eine andauernde Handlung: manage sint sohhenti, in huuelihheru ziti gotes sunu kaboran uurti I 80. Die Aktionsart des Verbs ist irrelevant. Die Phrase ist im Ahd. gut belegt, manchmal aber in unterschiedlicher Verteilung. Bei Ο kommt sie in der Mehrzahl der Fälle (63 von 82) im ersten Buch vor und ist möglicherweise dort aus Reimgründen begünstigt; dazu kommen noch stilistische Gründe (Emphase, Bezeichnung einer intensiven Wahrnehmung) und die Hervorhebung der Aktionsart (Gervasi 1971). Gelegentlich ist das Partizip flektiert: joh altquena thinu ist

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thir kind berantu, sun füu zeizan Ο 1.4.29, ist ein thin gisibba reves (Mutterleib) umberenta Ο 1.5.59; unflektiert er ist io in noti gote thiononti Ο L.66, nu thu thaz arunti so harto bist formonanti: nu wird thu stummer sar Ο 1.4.65 (bezieht sich auf eine wiederholte Handlung), sie warun wartend wara man nan legiti Ο 4.35.24. Flektierte Formen kongruieren gelegentlich mit dem Objekt: thann er kraft wirkit, joh werk filu hebigu ist iru kundentu Ο 1.4.61, thaz ih lob thinaz si lutentaz Ο 1.2.5, Apollinis corona uuas keringtiu unde glizentiu NMC 87, 2. Die Kongruenz mit dem Partizip weist möglicherweise darauf hin, dass diese Konstruktion nicht mehr produktiv ist, und das ist ein Argument dafür, dass sie alt und nicht vom Lateinischen geprägt ist. Die Frage, ob hier eine eigenständige Fügung vorliegt, wird sonst verschieden beantwortet. In manchen Fällen ist ein Bedeutungsunterschied zu den einfachen Formen nicht leicht erkennbar; das gilt besonders für Stellen, in denen ein einmaliges Ereignis beschrieben wird: tho was er bouhnenti (durch Zeichen andeutend), nales sprechenti, thaz menigi thes Hutes fuari heimortes Ο 1.4.77. Diese Phrase ist also offensichtlich keine obligatorische grammatische Kategorie (sie findet sich auch nicht im Hildebrandslied). b. wesan/sm + P2 "Stativ" Zur Bezeichnung einer Gegebenheit ohne genaue temporale Festlegung wird wesan/sm + P2 verwendet. In dieser Fügung ist das P2 Träger einer inaktiven Semantik; sie beschränkt sich mit wenigen Ausnahmen auf transitive Verben. Das gi-Präfix des Partizips ist eine Markierung der zusätzlichen komplexiven Komponente. So kann die gegebene Verfassung ausgedrückt werden, in der sich das Subjekt befindet: dhiu [spahida] chiholan ist fona manno augom, ioh fona allem himilfleugendem ist siu chiborgan I 2,15 (sapientia absconsa est 'die Weisheit ist eine Verborgene'); ist dhanne archennit, dhazs dher allero heilegono heilego druhtin nerrendeo Christ iu ist langhe quhoman 126,11 (Christus venisse cognoscitur 'Christus ist ein Gekommener'); er [Christus] thera lera weltit fon themo ih bin gisentit Ο 3.16.14; biscoltan ist er harto joh honlichero worto 0 4.23.11 'er ist verspottet'. Wegen der durativen bzw. kursiven Handlungsqualität von wesan/sm bezeichen diese Fügungen einen Zustand als Verlauf ("Imperfektpassiv"). Obwohl eine vergangene, abgeschlossene Handlung gemeint ist, bezeichnet diese Fügung Gültigkeit in der Gegenwart ouh wiht thu thes nirknaist thaz niuenes gidan ist in thesen inheimon? thaz mugun wir iamer weinonl 0 5.9.19f. Die ^/«-Umschreibung eignet sich besonders für allgemeingültige Aussagen (oft theologischer Art): ther avur thes ni giilit, mit doufu sih ni wihit: ni giloubit thanne ouh thuruh not, so ist er ju firdamnot Ο 5.16.33f. Die Zustandsbedeutung ist weiters deutlich in dhazs dher allero heilegono heilego druhtin nerrendeo christ iu ist

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langhe quhoman I 455 'dass der von allen Heiligen heilige Herr, der rettende Christus, (fur) euch (schon) lange gekommen ist.' Das im P2 ausgedrückte Ereignis ist abgeschlossen. Im präteritalen Kontext als Bezeichnung eines Tatbestandes, der sich auf vergangene Ereignisse bezieht, mit einem zum Sprechzeitpunkt aktuellen Resultat, steht uuaz ist mir danne geskehen? arbeite unde angeste begagendon mir NP 933.17. Aus solchen Resultativkonstruktionen entstand später das heutige sezw-Perfekt. Dass es sich auch hier um Prädikativphrasen handelt, zeigen die flektierten Partizipien: uuanta arstorbana sint thie thar suohtun thes knehtes sela Τ 11.1 'weil Gestorben(e) sind die das Leben des Kindes suchten.' Auch bei Ο kommen noch einige flektierte Partizipien vor: nu birun wir gihursgte zi gotes thionoste 2.6.55 'nun sind wir eifrig Strebende zu Gottes Dienst', tharana sint giscribene urkundon manage 2.3.3. 'daran sind Geschriebene viele Urkunden' (Nähe zum adjektivischen Gebrauch), thar sint ouh gizalte bettirison alte 3.14.67 'dazu sind auch Gezählte alte Bettlägrige' = dazu gehören auch alte Bettlägrige. Temporaladverbien wie in er ist Lazarus bilibaner 3.23.50 'schon ist Lazarus [ein tot] Bleibender' beziehen sich nicht als ereignisbezügliche Temporalausdrücke auf einen zurückliegenden Zeitabschnitt, sondern auf die Sprechzeit. Ähnlich verhält es sich in nu ist er queman herasun 2.7.45. Sprechzeitbezügliche Adverbien finden sich noch bei N: mir ist aber nu fore leide ingangen diu gehuht NB 53.4 'mir ist aber jetzt vor Leid das Gedächtnis vergangen.' Das Zeitadverb ist hier sprechzeitbezüglich. c. werdan + PI "Ingressiv", Futurumschreibung Wie in den Fällen mit P2 bezeichnet diese Phrase einen Eintritt in einen Zustand oder einen Vorgang; ein Zustand/Vorgang wird beendet, die Handlung geht in einen neuen Zustand/Vorgang über. Dieser neue Zustand/Vorgang wird so deutlich hervorgehoben. Damit ist die Aktionsartbedeutung von einer temporalen Funktion überlagert; wird diese durch den kommunikativen Sinn deutlicher, entsteht eine Futurumschreibung. Diese Konstruktion steht damit in Opposition zu den Fügungen wesan/sm + PI. Die Belege sind nicht allzu häufig: daz nach warre riwe unte nach warem antlazze so gitaner werche diu werch ann iu uf stente werden Wessobrunner Glaube und Beichte II, SD Nr. 59.26; inti nu uuirdist thu suigenti inti ni maht sprehhan Τ 2.9. Ο hat einmal ein flektiertes Partizip: tho ward mund siner sar sprechanter, joh was sih losenti theru zungun gibenti 1.9.29 'da wurde sein Mund sogleich sprechend'; ein unflektiertes Partizip ist belegt in sehenti avur wurti ther blint was fon giburti 3.20.122. In dieser Funktion ist werdan + PI in den meisten ahd. Texten belegt, auch bei Ν in der gleichen Bedeutung: so uuirt er fone fluochontemo seginonte NP 216.18. Sie kommt noch im Mhd. und in manchen nhd. Dialekten vor. Als Ersatz für

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das Futur könnte gedeutet werden nu uuirdist thu suigenti inti ni maht sprehhan Τ 2.9 (weitere Belege bei Saltveit 1962, 179f). d. werdan + P2 "Mutativ" Die Phrasen mit werdan + P2 bezeichnen den Übergang von einem Zustand in einen anderen. Es wird ein präsentischer Vorgang als solcher erfasst, der zu irgendeinem Ergebnis in der Zukunft führt ("Perfektivpassiv"): I 234

endi in dhemu daghe uuerdhant manego dheodun chisamnoda zi druhtine endi uuerdhant mine liudi (adplicabuntur gentes multae). So wird auch ein

lat. Perfekt übersetzt: endi after dhes chifehtes ende uuirdhit dhar chisetzit idalnissa (et post finem belli statuta desolatio) I 473; minan kelih trinket ir

inti mina toufi in theru ih gitoufit uuirdu uuerdet gitoußte Τ 112.2. Mit dem flektierten Partizip sind diese Fügungen gleichwertig mit nominalen Ausdrücken (mit Adjektiv oder Substantiv) wie I 385 chindh uuirdit uns chibo-

ran, sunu uuirdit uns chigheban, endi uuirdit siin hqrduom oba sinem sculdrom, endi uuirdit siin namo chinemnit uundarliih. Eine futurische Bedeutungskomponente wird durch skulan ausgedrückt: dhazs ir in sines

edhiles fleische quhoman scolda uuerdan I 560; impliziert: inti uuerdent hafte geleitit in alia thiota, inti Hierusalem ist gitretan fon thioton io unz gifulto uuerdent ziti thiotono Τ 145.13. Rein präsentisch [s.u.] aufzufassen

sind auch uuanan ist thesemo thisiu spahida inti solihiu megin, thiu thuruh sino henti uuerdent gifremit (efficiuntur)? Τ 78.2 '... diese Klugheit und solche Kräfte, die durch seine Hände ausgeführt werden?', thiz cunni di-

uuolo ni uuirdit aruuorfan (eicitur) noba thuruh gibet inti fastun Τ 92.8. so auh fona des baumes obaze arcennit uuir[dit] daer bäum Μ 9.15, wirdit thaz ouh ana wan ofto in sambazdag gidan Ο 3.16.37. Auch wiederholte Handlungen können so ausgedrückt werden: (über die Beschneidung der

Neugeborenen) wirdit thaz ouh ana wan ofto in sambazdag gidan 0 3.16.37. In Wunsch- und Absichtssätzen sowie in Konditionalsätzen ist das ingressive werdan häufig: oba sie thes gigahent, zi giloubu sih gifahent: gidoufit werden alle; so ist iro laba thanne Ο 5.16.3If. Die Belege im Muspilli beweisen die Phrase als eine eigenständige, vom Lat. unabhängige

Kategorie des Ahd.: sorgen mac diu sela [...] za uuederemo herie sie gihalot uuerde 6, uuirdit denne furi kitragan daz frono chruci, dar der heligo Christ ana arhangan uuard 100. Ohne Subjekt kommt die Konstruktion vor

in enti imo after sinen tatin arteilit uuerde Musp 85 'und ihm (dem Menschen) nach seinen Taten erteilt werde'. Mit sprechzeitbezüglichem Tem-

poraladverb: du uueist dia tougeni unserro herzon . daz uuir umbe dih irsterbet uuerden allen dag NP 274.5 'du kennst das Geheimnis unserer Herzen, dass wir deinetwegen jeden Tag getötet werden'. Mit entsprechenden Temporaladverbien wie z.B. nu entsteht die Bezeichnung einer nahen

Vergangenheit: see hear nu ist fona gode chiquhedan got chisalbot I 143,

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bist thu eino ir elilente, [...] ouh wiht thu thes nirknaist thaz niuenes gidan ist in thesen inheimon? 0 5.9.17/19, nust thritto dag theiz ist gidan 0 5.9.38. Entfernte Vergangenheit: buuzssan einigan zuuiuun ist dhanne archennit, dhazs dher allero heilegono heilego druhtin nerrendeo Christ iu ist langhe quhoman I 454. Anm. 1. Bei wesan/sln + Ρ ist die präsentische bzw. bei präteritalem Prädikatsverb präteritale Zustandsbedeutung der kleinste gemeinsame Nenner der verschiedenen Funktionen dieser Phrase und damit zugleich auch die abstrakt formulierte Bedeutung der entsprechenden grammatischen Kategorie. Sie ergibt sich kompositionell aus der Tempusform des Prädikatsverbs und aus der Bedeutung des Partizips, das eine auf welche Weise auch immer zustandegekommene Eigenschaft des Subjekts wiedergibt. Die Funktionen des passivischen Präsens und des Passivperfekts sind Gebrauchsbedeutungen oder Nutzwerte, die sich je nach der kontextuellen Einbettung und dem Sinnzusammenhang einstellen. Oft sind sie von der reinen Zustandsbedeutung nicht eindeutig zu unterscheiden. Versuche, gegen die generelle Zustandsbedeutung des Stativs zu argumentieren, wie zuletzt Vano-Cerdä (1997), sind nicht überzeugend. In dhazs suohhant auur nu ithniuuues, huueo dher selbo sii chiboran, nu so ist in dheru sineru heilegun chiburdi so daucgal fater chiruni I 100 'wie derselbe geboren sei, so ist nun in dieser seiner heiligen Geburt das Geheimnis des Vaters verborgen' soll sich nach Vano-Cerdä (1997, 237) paradoxerweise Christus in der Verfassung des Geborenseins, nachdem er gestorben, aufgestanden und in den Himmel gefahren ist, befinden. Es geht aber hier nicht um die zeitliche Abfolge von Geburt, Tod und Auferstehung, sondern um die Tatsache der von Gottvater inspirierten Geburt, die ja auch nach Tod und Auferstehung bestehen bleibt. Ähnlich unschlüssig ist die Auffassung von ih uueiz thaz ir then heilant ther dar arhangan ist suochet Τ 217.5, wo es sich um keine Gegebenheit der Verfassung handeln können soll, "weil der Zustand des Gekreuzigtseins nach der Kreuzabnahme Christi und besonders nach dessen Auferstehung nicht mehr ist, nicht mehr existiert." (Vano-Cerdä 1997, 237, vgl. auch 241) Selbst nach der Kreuzabnahme und der Auferstehung bleibt Christus der Gekreuzigte, das ist sein Wesensmerkmal. Man könnte vielleicht fragen, warum dieses Merkmal (diese Zuschreibung) in Gestalt eines Relativsatzes verbal formuliert wird. Das ist aber eine Frage an die Vorlage: Hier ist lat. qui crucifixus est wörtlich übersetzt. Wahrscheinlich stand im Lat. dieser Zeit kein eigenes Wort für den "Gekreuzigten" , wie es etwa der cruciarius bei Seneca und Petronius war, zur Verfugung. Auch die Argumente gegen den nominalen Charakter des Partizips (Vano-Cerdä 1997, 237ff) sind wenig überzeugend: Die Restriktionen imNhd. (das *gelaufene/*geschwommene/*sich geschämte Kind) entfallen bei terminativem Kontext (das auf die Straße gelaufene/an den Strand geschwommene/sich geschämt habende Kind) und sind daher keine Argumente gegen den nominalen Charakter an sich. Ähnlich unschlüssig sind auch die Argumente fiir ein eindeutiges Passivperfekt, weil es von hören und finden und Verben wie stehlen, nehmen, klauen kein Zustandspassiv gebe (Vano-Cerdä 1997, 271): Zu allen diesen Wörtern gibt es ein Zustandsperfekt, und die Meinung, in Ausdrücken wie der Wagen sei gestohlen handle es sich nicht "um einen Zustand, in dem das Subjekt sich befindet, sondern eher [um] eine Klassifizierung beziehungsweise Etikettierung des Subjekts auf Grund dessen, was ihm passiert ist oder geschah" (Vano-Cerdä 1997, 272 Anm. 110), ist schwer nachvollziehbar. Anm. 2. Die Fügung sln/wesan + P2 ist gegenüber Leiss (1992, 159f, 162f) nicht primär ein Resultativum, weil auch Sätze vorkommen, die einen fortdauernden Zustand bezeichnen: in thritten tage brutloufti gitano uuarun in thero steti thiu hiez Canan Galilei Τ 45.1 'am dritten Tag wurden Hochzeiten ausgerichtet in der Stadt, die Gali-

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läische Kanah hieß'. Das Ausrichten der Hochzeiten kann besser als fortdauernder Zustand gedeutet werden. Ähnlich: milti mir, trohtin sun Dauides, min tohter ubilo fon themo tiuuale giuueigit ist Τ 85.2 'meine Tochter ist vom Teufel schrecklich gequält' (Kotin 1998, 91 ff). "Zustand" kann hier offensichtlich sowohl eine resultative als auch eine durative Komponente enthalten. Es ist aber nicht immer möglich, diese aktionalen Komponenten eindeutig bestimmten Formen zuzuweisen. Vielmehr scheint die dem Partizip zugrunde liegende Verbalsemantik ebenfalls eine Rolle zu spielen: Bei aktivischer Verbbedeutung entsteht eine resultative Fügung, bei nicht-aktivischer Verbbedeutung ein bloßer Zustand. Die vorgangspassivische Verwendung von sln/wesan + P2 ist kein falscher oder sprachwidriger Gebrauch oder eine Unsicherheit der Übersetzer (Schröder 1955, 59, 65), sondern wegen des Vorkommens auch in anderen germ. Sprachen der "letzte Ausläufer eines älteren Sprachgebrauchs [...], der um diese Zeit im Deutschen endgültig zugrundegeht, weil hier, anders als in den übrigen Sprachen, die werden-Fügung es allein übernimmt, den passiven Vorgang zu bezeichnen" (Grenvik 1986, 28). Einzelne Stellen, die das Eindringen der wm/a/i-Fügungen in den Bereich der statalen Aspektualität belegen sollen (Kotin 1998, 97; 2003, 55ff), sind oft nicht eindeutig zu interpretieren. In unde uuio sie sih einoton . fure die reges consules ze habenne . die iarliches keuuehselot uuurtin NB 113.19 'und wie sie sich einigten, anstelle von Königen Konsule zu haben, die jährlich gewechselt wurden', wird die quasi-mutative Bedeutung zwar durch das Verb wehselön ausgedrückt und nicht durch die wmfan-Phrase. Tatsächlich ergibt sich aber auch ein mutativer Sinn dadurch, dass es hier um die Ablösung einer Regierungsform durch eine andere geht. Ähnlich verhält es sich beim zweiten von Kotin zitierten Beleg so maht tu chiesen . daz tiu guoti nieht kezieret neuuirt. mit temo ambahte . nube daz ambaht uuirt kezieret. mit tero guoti NB 114.12 'dass die Güte nicht geschmückt wird mit dem Amt, es sei denn das Amt wird geschmückt mit der Güte', wo die Umkehrung der Zuschreibungen ebenfalls einen mutativen Sinn ergibt. Probleme ergeben sich auch bei angeblich mutativen wesan-Fügungen in einem werdan + P2-Kontext in wirt daz herze geserget, so ist daz leben getrübet Gen 301. Abgesehen davon, dass es sich um einen sehr späten Text handelt, ergibt eine statale Übersetzung 'so ist [auch] das Leben getrübt' einen ebenso guten Sinn. Die Mutativität bezieht sich v.a. auf das Versehrte Herz (sie wird 304 diu sele muz rumen das faz drastisch fortgeführt). Ähnlich sind wohl auch die von Kotin (2003: 56) zitierten Belege ni lag Johannes noh tho in war in themo karkare thar, tho thiz ward sus gibredigot, fon imo al so giredinot Ο 2.13.49 und thaz si alang mit giwurti gihaltinu wurti; theiz wari so gisprochan, ni wurti wiht ßrbrochan Ο 4.29.16 aufzufassen: Die werden-Fügungen bezeichnen ein beabsichtigtes oder erwartetes Geschehen mit deutlichem inchoativen Sinn, während die sein-Fügung auf eine feststehende Tatsache weist. Es ist also durchaus möglich, dass die Opposition statal : mutativ auch im Spätahd. noch vorhanden ist, wie das auch Oubouzar (1964, 30) annimmt. Die Tendenz zum Abbau der mutativen Bedeutung ist wohl nicht so deutlich, wie es Kotin (2003: 120ff, 132) darstellt. Anm. 3. Als Zeichen für die Auxiliarisierung von werdan gilt das Verschwinden der aktionalen Eigenbedeutung, also der mutativen Bedeutungskomponente. Für das Prät. gibt es dafür (im Gegensatz zu Grenvik 1986, 23f) keine eindeutigen Belege. In ni lag Johannes noh tho in war in themo karkare thar, tho thiz ward sus gibredigot, fon imo al so giredinot Ο 2.13.39 sind predigön und redinön zwar durativ, bezeichnen aber als komplexives P2 eine Handlungsänderung. S. dazu auch Kotin (2003, 88ff). Anm. 4. Wenig überzeugend sind die Argumente Granviks (1986, 52) gegen die Phasenopposition "vollzogen" - "unvollzogen", mit der Oubouzar (1974) den Gegensatz zwischen zusammengesetzten und einfachen Tempusformen beschreibt. Ein Satz wie habet er gefestenot sina gnada über die . die in furhtent NP 741.12 'er hat seine Gnade

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§ S 5 Verbalgruppen mit Partizip gefestigt über die, die ihn furchten' bezeichnet einen zum Sprechzeitpunkt noch gültigen Tatbestand, der zwar auf einen abgeschlossenen Vorgang zurückgeht, aber als Ergebnis dieses Vorgangs präsentiert und damit vergegenwärtigt wird. Auch nhd. habenFügungen von intransitiven Verben wie sie hat geschlafen bezeichnen jedenfalls in einer Lesart einen gegenwärtigen Zustand als unmittelbare Nachwirkung eines vollzogenen Geschehens, vgl. Ausdrücke wie sie hat gerade geschlafen vs. ungewöhnlicher und auffälliger sie schlief gerade. Anm. 5. Weil werden-Fügungen auch im Nordsee- und Nordgermanischen vorkommen, sind auch die intransitiven werden-Fügungen wohl altererbt, wie Granvik (1986, 22) gegen Eggers (1987) mit Recht bemerkt.

§ S6

2. haben/eigan + P2 Ausgehend von einer Resultativkonstruktion, wie sie noch im Got. zu belegen ist, stehen die haben/eigan + P2-Fügungen zwischen den Kategorien Passiv, Resultativ und Perfekt. Im älteren Ahd. ist das Verb noch deutlich semantisch eigenständig und bedeutet 'haben, besitzen', das Partizip bezeichnet einen Zustand des Akkusativobjekts: phigboum habeta sum giflanzotan in sinemo uuingarten Τ 102.2 'einer hatte einen Feigenbaum [als] gepflanzten in seinem Weingarten'. Schon bei Otfrid finden sich Sätze, in denen die Bedeutung des Besitzens nicht mehr nachvollziehbar ist: Kristes todes thuruh not ther liut sih habet gieinot Ο 4.1.2 'über Christus' Tod hat sich das Volk geeinigt', thoh habet er uns gizeigot, joh ouh mit bilide gibot, wio wir thoh duan scoltin, oba wir iz woltin Ο 3.3.3. 'doch hat er uns gezeigt und mit einem Beispiel geboten, wie ...'. Der Verlust der Eigenbedeutung von haben ist bei Notker weiter fortgeschritten: sie habent iro zunga geuuezzet also uuurme NP 1012.6 'sie haben ihre Zunge wie Würmer (Schlangen) gewetzt', deutlich auch bei satzförmigen Akkusativobjekten, Präpositionalausdrücken und Adverbien: er nehabet irgezen daz uuir stuppe bim NP 742.10 'er hat nicht vergessen, dass wir Staub sind', unde diniu uuerhreht sint ze dien ich habo geraten NP 877.15 'und deine Gesetze sind (es), zu denen ich geraten habe', uuanda Got habet mir uuola getan NP 848.19 'denn Gott hat mir Gutes getan'; in einer Phrase mit einem intransitiven ö«-Verb: uuir eigun gisundot sament unseren forderon NP 783.11 'wir haben gesündigt mit unseren Vorfahren'. Der einheitliche Charakter dieser Fügungen lässt sich am besten dadurch beschreiben, dass sich die Verbalhandlung zum Nutzen des Subjekts vollzieht. Das Subjekt hat die semantische Rolle des Benefaktivs, es wird vom Vorhandensein des Objekts in bestimmter Weise betroffen. Diese Rolle ist nicht mehr eine Besitzrelation im engeren Sinn. In zalt er in sum siban we; in einemo ist zi vilu, le; sie habetun avur thuruh not iz sus gimanagfaltot! Ο 4.6.47 'er erzählte ihnen von einigen sieben Leiden; in einem ist es zu viel, ach; sie hatten es aber in der Tat so vermehrt!' ist das Betroffensein des Subjekts deutlich. Das gilt auch bei Objektsätzen zu Verben des Denkens: In haben

§ S 6 haben/eigan + P2

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ih gimeinit, in muate bicleibit, thaz ih einluzzo mina worolt nuzzo Ο 1.5.39 'ich habe beschlossen, im Sinn festgehalten, dass ich allein meine Lebenszeit nütze' gibt der Inhalt des Objektsatzes die Absicht des Subjekts wieder, die sozusagen im geistigen Inneren festgehalten wird. Die Betroffenheit des Subjekts manifestiert sich auch in anderen Zusammenhängen. In der Stelle uns sint kind zi beranne ju daga furifarane; altduam suaraz duit uns iz urwanaz. iz habet ubarstigana in uns jugund managa, ni gibit uns thaz alta, thaz thiu jugundscolta Ο 1.4.51 ist es das 'schwere Alter', das die 'vielfaltige Jugend' überstiegen hat. Demgemäß sind die Belege v.a. in Stellen zu finden, in denen die persönliche Betroffenheit besonders herausgestellt ist, also bei Wahrnehmungsverben und Ausdrücken der persönlichen Erkenntnis, oft mit einer moralischen Wertung oder mit einem expressivemotionalem Ausdruck: thoh habet er uns gizeigot, joh ouh mit bilide gibot, wio wir thoh duan scoltin, oba wir iz woltin Ο 3.3.3 (mit Funktionsähnlichkeit zum Präteritum, ähnlich auch 0 4.15.55), then tod then habet funtan thiu hella joh firsluntan, diofo firsuolgan joh elichor giborgan Ο 5.23.265 'den Tod, den hat die Hölle geschaffen und verschlungen, tief verschluckt und fernerhin verborgen'. Ohne Objekt ähnlich dem nhd. Perfekt sind nu bigin uns redinon, wemo thih wolles ebonon, wenan thih zelles ana wan, nu gene al eigun sus gidan? Ο 3.18.35 'da nun alle jene so getan haben' = da nun allen jenen solches widerfahren ist; laz iz sus thuruh gan (geschehen), so wir eigun nu gisprochan Ο 1.25.11. An zwei Stellen bei Ο kommen noch flektierte Partizipien vor: er habet in thar gizaltan drost managfaltan fon sin selbes guati 4.15.55, sie eigun mir ginomanan liabon druhtin minan 5.7.29. Für nicht-resultative (durative) Verbalvorgänge steht das reine Verb: mit arabeitin werbent thie heiminges tharbent; ih haben iz funtan in mir, nifand ih liebes wiht in thir; nifand in thir ih ander guat, suntar rozagaz muat, seragaz herza joh managfalta smerza! Ο 1.18.27 'mit Plagen gehen die, welche der Heimat entbehren. Ich habe es an mir erkannt, nicht fand ich etwas Erfreuliches an dir, nicht fand ich an dir ein anderes Gut als tränenschweres Gemüt, verwundetes Herz und mannigfaltigen Schmerz.' In den haben-Konstruktionen sind im älteren Ahd. (1) nur perfektive transitive Verben belegt. Später (2) erscheinen sie auch bei imperfektiven Transitiva, danach (3) bei absolut (d.h. ohne Objektsergänzung) gebrauchten transitiven Verben, schließlich (4) bei intransitiven Verben und (5) bei intransitiven imperfektiven Verben (Granvik 1986, 31). (1) ist repräsentiert durch ir den christanun namun intfangan eigut Exh Lb X.5 (lat. Perfekt qui christianum nomen accepistis), (3) denne der paldet der gipuazzit hapet Musp 99 'dann fasst der Mut, der gebüßt hat'. Erst bei Ν kommen intransitive Verben (4-5) in diesen Phrasen vor: so habet er gelogen Ν De Interpret. Piper 1.544.29 [Ausgabe King 56,26], so die sint . die Gotes irgezzen habent? NP 627.8, nu habent sie dir ubelo gedanchot. daz sie eine under allen . dih

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§ S 6 haben/eigan + P2

ne-uuellen bechennen NP 537.8. Weitere Stellen bei Gronvik (1986, 37). Notker übersetzt das lat. Perfekt nicht immer mit der Perfektumschreibung, sondern meist nur dort, wo im Lat. ein konstatierendes Perfekt anzunehmen ist (Schröder 1972). Funktionelle Gemeinsamkeiten mit den komplexiven gi-Präfigierungen zeigen folgende Kontraste. Das Verbalgeschehen wird mit haben + P2 als Tatsache (Zustand) mit abgeschlossenem Vorgang wiedergegeben: Kristes (odes thuruh not ther liut sih habet gieinot Ο 4.1.2 'das Volk hat sich über Christi Tod geeinigt', do prophetς hareton . unde in baten chomen . so er geheizen habeta NP 936.13 'als die Propheten warteten und ihn baten zu kommen, wie er verheißen hatte'. Zur Wiedergabe des Handlungsverlaufs mit Blick auf die Vollendung steht der komplexive Aspekt: [sie] sih thes tho gieinotun, in fieru sie iz gideiltun Ο 4.28.2 'sie einigten sich darüber, es in vier Teile zu teilen', unde irhugeta er sinero niuuun beneimedo dia er abrahq gehiez NP 793.16 'und er erinnerte sich seiner neuen Verfügung, die er Abraham verhieß (verheißen hatte). § S7

3. Andere Verben + PI Als Objektsprädikative zu transitiven Verben kommen vor: then blinton deta sehentan Ο 3.24.77, fand sia drurenta Ο 1.5.9, als Adverbiale zu Bewegungsverben thie engila zi himile flugun singente Ο 1.12.33, ther wint thaz seif fuar jagonti, thie undon bliuenti Ο 3.8.13, zu intransitiven Verben "ih bin iz", quad er, "wizit thaz, ther blint hiar betolonti saz [...]" Ο 3.20.37.

1.2. Nominalgruppe Lit.: Carr 1933; Neumann 1967; Smith 1971; Weber 1971, 77-80; Giuffrida 1972, 16-28; Näf 1979, 383 524; Borter 1982, 210-213; Admoni 1990, 55-61; Lanouette 1996; Oubouzar 1997; Sonderegger 1998; Lötscher 1990, 14-28; Krause 2000; Lühr 2000; Demske 2001a. Determinativpronomen und Artikel: Oubouzar 1992, 2000; Glaser 2000; Haudry 2000; Übersicht: Ebert 1978, 45-50; zusammenfassend zur Diachronie innerhalb des Ahd. Wolf 1981, 86-92. Neuere Theorien zur Entstehung des Artikels: Philippi 1997; Leiss 2000, 156-197.

1.2.1. Überblick § S8

Für die Gliederung der Nominalgruppe stehen folgende Positionen zur Verfügung (Näf 1979): Präposition (Präp) + Determinantienteil (Det) + Adjektivteil (Adj) + Kern. Zum Kern werden auch prä- und postnominale Genitivattribute gezählt. Alle Positionen außer dem Kern sind fakultativ.

§ S 9 Kompakte Substantivgruppe

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Die Unterscheidung zwischen kompakten (ein festes Syntagma bildenden) und zusammengesetzten (mehrere verselbstständigte Bestimmungsglieder enthaltenden) Substantivgruppen schließt sich an Admoni an. Für die genaue Festlegung der Wortart "Artikel" gibt es unterschiedliche methodische und theoretische Ansätze. Deshalb soll mit der Benennung "Determinantienteil" ausgedrückt werden, dass es im Ahd. (mit der Ausnahme des spätahd. N) noch keinen dem Nhd. genau vergleichbaren Artikel gab, also ein obligatorisches Determinans mit den bekannten Ausnahmegruppen (Eigennamen, Kollektiva, Abstrakta, bestimmte Fälle von Appositionen, Funktionsverbgefugen, Phraseologismen, Präpositionalphrasen). Wenn als Kennzeichen des Artikels die ausschließlich adnominale Stellung gilt, so zeigt sich, dass ahd. der/diu/daz auch pronominal vorkommt und daher besser als "Determinativpronomen" zu bezeichnen ist. Als allgemeine Funktionsklasse hat sich neuerdings der Überbegriff "Artikelwörter" eingebürgert, der im Nhd. eine Vielzahl von pronominalen Elementen umfasst, im Ahd. aber im Wesentlichen nur die Determinativ- und Demonstrativpronomina enthält.

1.2.1.1. Kompakte

Substantivgruppe

1. NP mit substantivischem Kern a. NP ohne Determinantienteil Substantive, die eine unbestimmte Vielzahl von Elementen seiner Gattung bezeichnen, v.a. in negativen Sätzen: ni angil nist anaebanchiliih gote I 184; ni gibit her imo stein Ο L.72; in positiven Sätzen: chihori nu sahha bihuuiu I 488. Indefinit gebrauchte Substantive: chindh uuirdit uns chiboran, sunu uuirdit uns chigheban I 385; zimbrit mir huus I 625; gibirit thir sun Τ 2.5; teta zeihhan Τ 80.8; quemantan fon thorfT 200.5; wio meg ich wizzan thanne, thaz uns kind werde? Ο 1.4.55; namon scaftin Ο 1.9.8; er zeichan dati Ο 2.23.25; besonders nach Präpositionen, wenn es sich um Orts- oder Zeitbestimmungen handelt: er sie quamin in lant Ο 3.8.19; thiu stentit ufan berge Ο 2.17.13; ubar naht Ο 4.7.183; thia zessa drat ih unter fuaz Ο 5.14.17, in der Funktion eines Inhaltsobjekts scolta reda thar tho duan Ο 4.19.2, als Instrumentalbestimmung seal mih suasat chind / suertu hauwan Hl 53. Generische Substantive wie man 'Mensch': sambaztag thuruh man gitan ist, nalles man thuruh then sambaztag Τ 68.5; ther diufal ist iru inne, therfiant fiant ist io manne Ο 3.10.12. Ein indefinites Genitivattribut verhindert die referenzielle Bestimmung des Bezugsnomens und damit auch das Determinans in in dagon eines kuninges Ο 1.4.1; in kunne eines kuninges Ο 1.10.6. Wenn die Determinierung des Substantivs durch andere Ausdrücke (v.a. durch perfektive Verben und Partizipien mit Definitheitseffekten, also durch aspektuelle Merkmale) oder durch den Kontext

§S 9

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§ S 9 Kompakte Substantivgruppe

bezeichnet wird, kann das Determinans fehlen: her furlaet in lante [...] prut in bure / barn unwahsan Hl 20; quid minemo bruoder thaz her teile mit mir erbi Τ 105,1; gihortut ir bismarunga fon sinemo munde Τ 191,2. Deutlich ist das Fehlen des Determinans bei einem Substantiv, das durch einen Relativsatz bestimmt ist: quhad gomman, dhemu izs chibodan uuard I 265; sterro then sie gisahun in ostarlante Τ 8,5; tho quam ther saligo man in hus thaz ich nu sageta Ο 1.15.9; aber auch mit Determinans: gisahun sie thaz wort [...] thaz thie engila in irougtun Ο 1.13.13. Unika wie Himmel, Erde, Welt stehen in der Regel ohne Determinans: tho ward himil offan Ο 1.25.15; inti iz herα in worolt quam Ο 1.13.5; unde sunna neskinet NB 19.4; christo uuirt zeichenscrift ketan NP 63.17; so nahtes prunst keskihet NB 75.26; uuaz mennisko si NB 53.23. In manchen Bedeutungsbereichen ist die determinierende Kraft von Präpositionen besonders deutlich. So heißt es zwar regelmäßig ter himel NB 16.14 u.ä, aber in himele NB 45.25. Ebenso fehlt bei Sentenzen und Gleichsetzungen die Determinierung und damit auch das Determinans: unrehto fernomeniu scrift machot hereticos NP 27.1, Christus auur sus quham fona fater ziuuaare so selp so dhiu berahtnissi fona sunnun, so uuort fona munde, so uuiisduom fona herzin I 126, wuahs untar mannan so bluama thar in crute Ο 1.16.23. Bei prädikativer Nennung: thaz sih kuning heizit Ο 4.24.4; unz er sia wib hiaz Ο 5.8.34. Besonders deutlich sind referenzbildende Ausdrücke wie Superlative und Ordinalzahlen (Demske 2001a, 101: "funktionale Konzepte"). Durch sie wird ein zugehöriges Nomen determiniert, daher fehlt das Determinans: in ira barm si sazta barno bezista Ο 1.13.10; theiz mohti wesan sexta zit 0 2.14.9; andere referenzbildende Ausdrücke bei Wörtern wie Anfang, Ende, Tod, Seele, Leib: thie arma joh thie henti thie zeigont woroltenti Ο 5.1.20 (worolt); er anagengi worolti, er iuih thara holoti Ο 5.20.70 (worolt)', tho er tod ubarwant Ο 5.14.8 (er Personalpronomen); vielleicht auch der voranstehende Imperativ in ouh halt forhtet (Imp.) then thie thar mag sela inti lihhamon fliosan in hellauuizi Τ 44.19 'furchtet eher denjenigen, welcher (die) Seele und (den) Leib in die Hölle stürzen kann'. Der zerschundene Körper des Heiligen (Hippolyt) hat ein Determinans, das ungerodete Feld nicht: von demo zidenitin lichamin - vngiriuttar ager Gl 2, 438.5-14 (Meineke 1997, 76f). b. NP mit Determinantienteil Als Normalfalle sind sie hier nicht ausführlich dokumentiert. Das Determinativpronomen hat anaphorische Funktion. Es folgen einige Belege aus N. (Präp) + Det + Kern: tie mennisken NB 98.29, diu sunna NB 49.23, mit tero sunnun NB 44.11, an dien menniskon NB 105.26. (Präp) + Adj + Kern: slachiu hut NB 8.5, starchen uuig NB 20.24, under slachero hiute NB 8.7, mit starchen chetennon NB 117.22. (Präp) + Det + Adj + Kern: tines lukken

§ S 11 Kompakte Substantivgruppe

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uuanes NB 88.16, ter diezendo uuint NB 97.20, an den lukken uuan NB 56.4, fone dien dosonten uuinden NB 97.6. Determinativpronomina finden sich bei adversativen Konjunktionen: inti sar uuas thaz skef zi lante zi themo sie fuorun Τ 81.4. Eine kontinuierliche Zunahme der Determinativpronomina in genitivischen Nominalphrasen kann als Kompensation des Ausfalls von Definitheitseffekten der imperfektiven Verben und damit als Folge einer Schwächung des verbalen Aspektsystems erklärt werden (Leiss 2000,187ff). Bei Tatian erscheinen die Doppelformen anaphorisches ther und individualisierendes thie in funktionaler Differenzierung (s. § 287, Anm. la). 2. NP mit Kern aus substantivierten Wortarten § S 10 Gelegentlich kommen Nominalgruppen mit einem Kern aus substantivierten Wortarten vor. Sie verhalten sich syntaktisch genau so wie die Gruppen mit reinen Substantiven: Adjektiv alte (NB 83.2), fone unsculdigemo (NB 34.10); Partizipien tie stritenten (NB 79.21), dien lebenden (NB 101. 22); Infinitive fone spendonne (NB 99.11), an minemo gezogenlichen suigenne (NB 58.6); Possessivpronomina daz tin (NB 67.7), under dien sinen (NB 125.4).

1.2.1.2. Zusammengesetzte

Substantivgruppen

Die Grenze zwischen kompakten und zusammengesetzten Substantivgruppen ist nicht immer klar zu bestimmen. Auch Glieder kompakter Substantivgruppen können in Distanzstellung stehen: in herza, magad, thinaz Ο 1.15.27, mit Versgrenze und möglicher Intonationspause des sid Detrihhe / darba gistuontun / fateres mines Hl 23 'seitdessen dem Dietrich / Entbehrungen begannen / meines Vaters' (seither widerfuhr dem Dietrich der Verlust meines Vaters). Folgende verselbstständigte Phrasen kommen vor: 1. Mit dem Bezugsnomen kongruierende substantivische Bestimmung (Apposition): Hiltibrand [...JHeribrantes sunu Hl 7, der chuning [...JHuneo truhtin Hl 34, mit Karlemanne, bruoder sinemo Ludw 7. 2. Adjektivattribut: der eino almahtico cot, manno miltisto Wess 7, Ludouuig der snello, thes uuisduames follo Ludw 1, usere liuti, alte antifrote Hl 15. 3. Partizipialgruppe: wuntane bauga, cheisuringu gitan Hl 33, iro lintun [...] giwigan miti wabnum Hl 67 'ihre Schilde [...] zerkämpft mit Schwertern'. 4. Infinitivgruppe: craft, tiuflun za uuidarstantanne enti arc za piuuisanne enti dinan uuilleon za gauuurchanne Wess 12. 5. Relativsatz: Ohne Einleitung cot almachtico, du himil enti erda gauuorahtos Wess 10 'allmächtiger Gott, der du Himmel und Erde geschaffen

§ S 11

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§ S 11 Zusammengesetzte Substantivgruppe

hast'; mit Einleitung usere liuti, alte anti frote, dea erhina warun Hl 15 'unsere Leute, alte und weise, die früher waren'; ur lante, dar man mih eo scerita in folc sceotantero Hl 50 '[...] wo man mich schon immer zuteilte zu dem Heer der Schießenden'.

1.2.1.3. Wortstellung in Substantivgruppen; Klammerbildungen § S 12

attributive

In kompakten Substantivgruppen konnte seit Alters her das attributive Adjektiv sowohl in Präposition als auch in Postposition stehen. Das Adjektiv kommt sowohl in flektierter Form als auch in Kurzform vor. Präposition: so friuntlaos man Hl 24; fohem uuortum Hl 9 'mit wenigen Worten'; Postposition: barn unwahsan Hl 21, herron goten Hl 47, kind niuuiboranaz Ο 1.12.20, ein man alter Ο 1.15.1. Das gilt auch für Genitivattribute. Präposition: ther gotes boto Ο 1.12.7, himilriches hohl Ol.12.23, sunnun fart, sterrono girusti Ο 1.17.9, sumaro enti wintro sehstic Hl 50 'der Sommer und Winter Sechzig (d.h. dreißig Jahre)'; Postposition: folc sceotantero Hl 51 'das Heer der Schießenden', zi theru giburti thes kindes Ο 1.14.6. Ebenso verhält es sich bei Possessivpronomina. Präposition: min fater Hl 17, iro suert Hl 5, usere liuti Hl 15, sin githigini Ο 1.15.39 'seine Gefolgschaft' in dinem hrustim Hl 46; Postposition: fateres mines Hl 24, sun min Ο 1.25.22, namo thiner Ο 2.21.28, ginadon thinen Ο 2.21.40, ginadon sinen Ο L.27. Im Ganzen sind vorangestellte Elemente deutlich häufiger, besonders bei I und Τ (ca. 40 : 1 nach den Zählungen von Carr 1933). Bei Ν (und ähnlich bei Will) ändert sich das Verhältnis zu 3 9 : 5 1 bei unpersönlichen Genitiven (persönliche Genitive bleiben vorangestellt). Abweichungen vom lat. Original zeigen die Tendenz zur Voranstellung: rehtnissa garda (uirga qquitatis) I 138 'der Zepter der Grechtigkeit', iobes boohhum (libro iob) I 110, dauides sunu (filius dauid) I 208, fona manno augom (ab oculis hominum) I 112, menniscon chint (filii hominum) NP 10.13, kotes guotlichi (gloriam dei) NP 16.4, uzer thero chindo munde (ex ore infantum) NP 29.10. Die Wortstellung des Originals bleibt in ze zeswun dinis fater (at dexteram patris) NP 29.8, dia herti dero altun eo (ueteris testamenti) NP 26.15. Bei Auflösung eines Wortes des Originals in eine Substantivgruppe steht der präpositive Genitiv: kotes prut (ecclesia) NP 14.17. Bei mehreren Genitivattributen kommt Nachstellung bei syntaktisch andersartiger Konstruktion des Lat. vor: gotes chiruni dhera gotliihhun Christes chiburdi (christi diuinae natiuitatis mysterium) I 132. Ebenso bei Possessivpronomina: Präpositionen gegen das Lat. minemu christe (christo meo) I 173, unseres druhtines (domini nostri) I 175, dhinan uuillun (voluntatem tuam) I 295, siin uuort (uerbum suum) I 286; minen uueg (uiam meam) NP 17.13, dinen Hut (populum tuum) NP 10.3, iro herza (cor

§ S 13 Klammerbildungen

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eorum) Ν 17.17; Postpositionen mit dem Lat.: druhtin got dhin (dominus deus tuus) 1 257; truhten got min (dominus deus meus) NP 23.8. Auch genitivische Attribute kommen sowohl pränominal als auch postnominal vor, wobei Personenbezeichnungen im Genitiv auch gegen die lat. Vorlage öfters vorangestellt sind als das unpersönliche Attribut. Anm. 1.: Eine generativistische Erklärung versucht Lanouette (1996): Der vorangestellte Genitiv erhält seinen Kasus von POSS in D°, der nachgestellte durch den Prädikatsstatus. Der semantische Unterschied hängt mit dem Status der Person als Subjektsrolle zusammen. Das Verschwinden des pränominalen Genitivs ist entweder auf den Verlust der SPEZ-Position von DP zurückzuführen oder darauf, dass diese Position keine volle NP mehr enthalten konnte. Die Ursachen für diese kategoriellen Unterschiede bleiben offen. Die diachronische Verschiebung zeichnet Oubouzar (1997) genauer nach: Die determinierten (durch ein Determinativpronomen eingeleiteten) Genitivgruppen machen gegenüber den reinen genitivischen Nomen bei Isidor und Tatian etwas über 30% aus, bei Otfrid schon 52%, bei Notker stark zunehmend ca. 78%. Im älteren Ahd. bleibt die determinierende Funktion des adnominalen Genitivs erhalten, bei Otfrid stehen schon Phrasen mit und ohne Determinativpronomen ohne erkennbaren Funktionsunterschied nebeneinander (gotes kraft neben then gotes willori). Durch die zunehmende Grammatikalisierung des Determinativums zum definiten Artikel kommt es zu einer vermehrten Rechtsverschiebung, besonders bei Erweiterungen wie Adjektive oder Relativsätze. Die rechtsgestellten Genitive verlieren zunehmend ihre determinative Funktion (bei Notker nur noch in Präpositionalgruppen und Prädikativen).

Die Grammatikalisierung des Determinativpronomens als Artikel (s. unten § S 14) fuhrt zu Klammerbildungen im Bereich der Substantivgruppe. Auch dort, wo man noch nicht von einem grammatikalisierten Artikel sprechen kann, kommen Klammerbildungen vor: der eino almahtico cot Wess 7; in dhemu aldin heileghin chiskribe I 262. Klammerbildungen kommen dann besonders häufig bei Ν vor: din heilig hus NP 559.3, alle menniscon sune NP 646.12. Ein Genitivattribut mit Bestimmungswort wird ausgeklammert: daz unreht dines folches NP603.11; gleichzeitige Einklammerung eines adjektivischen und eines genitivischen Attributs: diu uzuuertiga menniscen heili NP393.11; Einklammerung erweiterter Adjektive und Partizipien: alliu unmez tiefiu uuazer NP 1048.14, diu fone in beregenota erda NP 695.15. Nachgestelltes (und erweitertes) Attribut: demo dorne stechontemo NP 170.7, din hant ufen mih kelegetiu NP 170.4, mit zymbon uuola skellenten . unde guoten chlang habenten NP 1053.16; gegen das Lat.: die mih ana-uuellenten (insurgentes in me) NP 86.21. Ausklammerung von Phrasenteilen des attributiven Partizips: diu chomenta doctrina fone spiritu sancto NP 171.8 ; v.a. bei partizipialem Kern: dero suochenten gotes anasiune NP 122.14. Borter (1982, 212f) fasst die Befunde bei NP zusammen: "Adjektivische Attribute stehen nur mit wenigen Ausnahmen in der Klammer; nachgestellt sind fast nur lateinische Attribute. Genitivattribute sind nur eingeklammert, wenn sie nicht selbst einen Begleiter bei sich haben. Ist das Attribut ein Partizip, das seinerseits durch zusätzliche Wörter erweitert

§ S 13

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§ S 13 Klammerbildungen

ist, kann der ganze Ausdruck nachgestellt werden, er wirkt dann gleichsam als Apposition; besteht die Erweiterung aus einem "leichten Glied" (Pronomen, Adverb), so ist Einklammerung "normal". Ist der Satzgliedkern ein Partizip, ist Ausklammerung des Attributs - es steht in dem Kasus, den das Verb regiert - nicht unüblich."

1.2.1.4. Determinativpronomen § S 14

und Artikel

1. Bestimmter Artikel Unter der Voraussetzung, dass Artikel ausschließlich adnominal auftreten, muss man die entsprechenden Formen im frühen Ahd. zu den Determinativpronomina stellen. Von einem grammatikalisierten Artikel kann man erst dann sprechen, wenn alle definiten Nominalphrasen mit einem Artikelwort stehen, also auch Phrasen, die allein durch ihre Referenz als identifizierbare und abgrenzbare Einheiten ausgewiesen sind, wie die Unika sunna und himil. Solange beim Determinativpronomen noch die deiktische, textsyntaktische Funktion deutlich ist, liegt noch kein grammatikalisierter Artikel vor. So ist bei Isidor die schwach deiktische Funktion des Determinativpronomens deutlich. Bei kommunikativ besonders wichtigen Nominalphrasen steht regelmäßig das Determinativpronomen, besonders bei anaphorischem Bezug: Auf den dreifachen Ruf der Engel heilac, heilac, heilac! bezieht sich mit dhem dhrifaldin quhide I 364 und dhea dhri sanctus chiquhedan I 365. Die deiktische Funktion ist noch deutlich beim Gegensatz zwischen nicht determinierter und determinierter Nominalphrase in ir almahtic got sih chundida uuesan chisendidan fona dhemu almahtigin fater I 225 'er, [der] allmächtige Gott [Christus] ... von dem allmächtigen Vater'; deutlich deiktisch ist dhes/dhemu auch in doh christus in dhes fleisches liihamin sii davides sunu, oh ir ist chiuuisso in dhemu heilegin gheiste got ioh druhtin I 207 'wenn auch Christus in der leiblichen Gestalt der Sohn Davids ist, so ist er doch in dem heiligen Geist Gott und Herr.' Deixis wird gegenüber der lat. Vorlage hinzugefügt in arliudit uph gardea von iesses uurzom endi biomo arstigit fona dheru sineru uurzun (flos de radice eius) I 657. Ein undeterminiertes lat. Substantiv wird nicht mit dem Determinativpronomen, sondern mit dem Possessivpronomen übersetzt in duo dhina hant undar miin dheoh (Schenkel) (pone manum sub femore meo) I 558 und erweist dadurch die (hier nicht passende) deiktische Funktion des Determinativpronomens. Individualisierende Ausdrücke wie bestimmte Präpositionalphrasen (v.a. in den Steigerungsformen), Adjektive oder Partizipien (v.a. das Partizip II) bewirken die Setzung des Determinativpronomens: dhazs chind uuas gerondi fona muoter brustum I 691, so dhiu berahtnissi fona sunna I 127; mit dheru smelerun dheodu I 689 'mit dem geringerem Volk', mit dhem hohistom salidhom 1489 'mit der höchsten Glückseligkeit' (die ent-

§ S 14 Bestimmter Artikel

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sprechenden unerweiterten Abstrakta stehen ohne Determinativ). Nur beschreibende Adjektive bewirken keine Determinierung: erino portun ih firchnussu, iisnine grindila firbrihhu endi dhiu chiborgonun hört ih dhir ghibu endi ih uuillu dhazs dhu firstandes heilac chiruni I 157 'eherne Pforten zerstöre ich, eiserne Riegel zerbreche ich, und ich gebe dir die verborgenen Schätze, und ich will, dass du das heilige Geheimnis verstehst'. Nominalphrasen mit genitivischen Attributen sind bei textueller Herausstellung determiniert: in dhemu druhtines nemin I 279 (bezieht sich auf druhtines uuordu I 278), dher allero heilegono heilego I 455 (Bezug auf dhero heilegono heilego 1451). Genitivische Nominalphrasen mit einem Adjektiv sind determiniert: fater dhera zuohaldun ['künftigen'] uueralti I 388, auch bei Voranstellung: dhes heileghin chirunes chiliihnissa I 544. Rechtsstellung mit Determinativ: in zeihne dhero liudeo I 705, Linksstellung bei Wiederaufnahme ohne Determinativ: in liudeo zeihne I 707. Die Entwicklung zur Grammatikalisierung des Determinativs zeigen bei Tatian fakultative Determinierungen von fater und sun für Gott und Christus, zunehmend determinierte restriktive Relativsätze thaz lioht, thaz thar in thir ist Τ 34.4 und determinierte Gattungsbezeichnungen in genereller Verwendung wie nio mag ther man iouuiht intphahen, noba ... Τ 21.5 'der Mensch kann nichts empfangen, wenn nicht...'. Erweiterte Determinierung findet sich bei Otfrid fakultativ bei Unika wie sunna, mano, himil, worolt: er mano rihti thia naht joh wurti ouh sunna so glat 0 2.1.13 gegenüber duit mano joh thiu sunna mit finstere unwunna Ο 4.7.35, anstelle eines Possessivums bei Nominalphrasen mit persönlichem Bezug wie then fingar thenita er Ο 2.3.38 und fakultativ bei durch ein Adjektiv/Partizip oder einen Relativsatz erweiterten Nominalphrasen: then druhtines willon Ο 2.23.2. In genitivischen Nominalphrasen stehen einander determinierte Wortgruppen wie thero manno fravili 0 3.19.38 'den Frevel des Menschen' und mannes herza Ο 2.11.66 'das menschlische Herz, das Menschenherz' gegenüber. Bei Notker bestehen für das Determinativ keine semantischen Beschränkungen mehr, auch Abstrakta ohne Kontextbezug wie nebesturzet niomer mit luginen dia uuarheit NB 34.8 sind determiniert. Schwach-deiktisch und daher akzentuiert steht das Determinativpronomen noch bei Textreferenz, bei restriktivem Relativsatz (appositive Relativsätze sind durch eine nicht-akzentuierte Konjunktion eingeleitet) und in komplexen Nominalphrasen mit nachgestellter genitivischer Nominalphrase (Akzentuierung nur bei Textreferenz). In Präpositionalphrasen ist bereits der nhd. Zustand erreicht (Umstandsangabe ohne Determinativ: ane ende NB 126.13, identifizierbare Größe mit Determinativ: ze dero uuiti dero euuigheite NB 125.26 'zu der Weite der Ewigkeit'). Die Artikelfunktion zeigt sich bei Ν auch daran, dass der ohne anaphorische oder kataphorische Funktion nicht akzentuiert ist.

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§ S 14 Bestimmter Artikel

Anm. 1. Oubouzar 1992, 85 spricht von einem "Übergangsstadium" bei N, weil anstelle des bestimmten Artikels auch noch linksgestellte Genitivphrasen vorkommen (wie nhd. des Menschen Hörigkeit). Da aber in dieser Stellung das Determinativpronomen mit der Genitivphrase eine paradigmatische Klasse bildet, ist das Stadium des grammatikalisierten definiten Artikels bei Ν bereits erreicht. Anm. 2. Nach Neumann 1967 steht thie im Tatian (Schreiber α, β) bei schwachen Adjektiven und Substantiven als älteste Form des entstehenden Artikels.

§ S 15

2. Unbestimmter Artikel Im älteren Ahd. finden sich keine sicheren Belege für den unbestimmten Artikel in der hier vertretenen Artikeldefinition. Bei Isidor und Tatian ist ein überall Zahlwort. In den vier Belegen ohne lat. Entsprechung bei Tatian, die in der älteren Literatur als unbestimmte Artikel gelten (ein centenari Τ 47.1, eines tages uueg Τ 12.3, einan murboum Τ 114.1, eina esilin Τ 116.1), kann ebenfalls noch das Zahlwort vorliegen. Einer Nominalgruppe in I mit dem Indefinitpronomen sum oder einer nicht-erweiterten Nominalgruppe entspricht bei Ο ein + NP: sumer biscof Τ 2.1. - ein ewarto Ο 1.4.2, sum rihtari Τ 55.1 - ein kuning Ο 3.2.3; brutloufti Τ 45.1 - eino brutloufti Ο 2.8.3, quam in burg Samariae Τ 87.1 - zi einera bürg er thar tho quam Ο 2.14.5; ein bezeichnet damit zwar immer noch die Einermenge, dient aber dazu auch der Spezifizierung ("quantifizierendes spezifizierendes Determinativ" nach Oubouzar 2000, 262). Ein so spezifiziertes Substantiv kann durch ther oder duch ein anderes Determinativ wieder aufgenommen werden: ein wib Ο 3.10.1 - thaz wib 0 3.10.19, ein man fruater Ο 2.12.1 - ther guato man Ο 2.12.21. Wenn die spezifische Einermenge nicht bezeichnet werden soll, fehlt das Determinativ: thu ni habes gomman Ο 2.14.51 'du hast keinen Mann', η ist bürg thaz sih giberge, thiu stentit ufan berge Ο 3.17.13 'nicht ist [eine] Stadt, die sich verbergen kann, welche auf [einem] Berg steht' = 'eine Stadt, die auf einem Berg steht, kann sich nicht verbergen', thaz thu forasago sis 0 2.14.55 'dass du ein Prophet bist', so fisg in themo wage Ο 3.7.34 'wie ein Fisch in der Woge (in dem Wasser)'. Wegen seiner spezifizierenden Bedeutung steht ein auch gelegentlich im Gegensatz zum Nhd. bei abstrakten Substantiven: iz ward ... zi einen gihugtin getan Ο 3.15.9 'es wurde zum Gedenken getan'. Bei Notker erweitert sich der Gebrauch von ein. Es steht nun auch in Nominalphrasen als Prädikativ, die bei Ο nicht determiniert sind: abacus ist ein descriptio . daz chit ein bilde an einem brete aide an einero pagina NB 27.8 'Abacus ist ein descriptio, das bedeutet eine Zeichnung auf einem Brett oder auf einer pagina.' In erzählenden Passagen und in enger Verbindung mit dem Verb kommen aber auch noch undeterminierte Nominalphrasen vor: sie nehabeton federbette NB 107.22 'sie hatten keine Federbetten'. Auch bei Gattungsbezeichnungen kommt noch kein unbestimmtes Deter-

§ S 16 Determinantienteil und Deklination des Adjektivs

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minativ vor, nur fakultativ der definite Artikel: ter mennisko ist keskoffert ad imaginem ... dei NB 39.25, chanst tu mir danne gesagen . uuaz mennisko si? NB 53.23. Deshalb wird man auch bei Notker noch nicht von einem indefiniten Artikel sprechen dürfen. Zu den Vorformen des Artikels vgl. AWB 3, 158ff.

1.2.1.5. Determinantienteil und Deklination des Adjektivs (Präp) + Det + X + Kern Die Deklination des Adjektivteils ist syntaktisch bedingt: Nach dem Determinativpronomen bzw. Artikel steht die schwache Form, sonst wird die starke Form gebraucht (besonders prädikativ und attributiv). Bei Notker findet sich die schwache Adjektivflexion auch nach dem Possessivpronomen in Sg. (min arbeitsamo lib NB 8.22). Die starke Adjektivflexion tritt vor allem bei Nominalphrasen ohne Artikel ("Nullartikel") sowie nach dehein- und nehein- auf. Bei Nullartikel ist das Adjektiv im N. Sg. häufig unflektiert (übel man NB 36.14). Bei Notker findet sich nach dem Indefinitartikel ein sowohl unflektiertes wie auch (stark oder schwach) flektiertes Adjektiv: ein vuib NB 9.8, ein michel geuualt NB 160.13, einen toten mennisken NB 259.29, ufen einemo Manchen rosse NB 84.22, pe einemo smalemo fademe NB 166.1, in einero churzero uuilo NB 65.29. Einzelne Gruppen von Determinantien deser/desiu/deso 'dieser/-e/-es': tisiu uuerlt NB 111.20, in disemo mere NB 22.19, dise uuerlt-lichen geskihte NB 51.9, disiu murfara salda NB 95A2,fone dirro luzzelun uernumiste NB 55.24. Pronomina min-, din-, sin-, unser-, iuuer-: miniv ougen NB 7.11, innan thines herzen kust Ο 1.18.41, sinen bruoder NB 119.6, uzer unseren seldon NB 59.19, iuuer rihtuom NB 99.20. Steht eine NG im Nominativ als Anrede, so wird das Possessivpronomen (l.P.Sg.) meistens hinter den substantivischen Kern gestellt: druhtin min Ο 1.2.1, scalc thin Ο 1.2.1 ,friunt mine NB 8.23. Besonders häufig finden sich NG im N. in der Psalmenübersetzung (Anrufung Gottes): Got min NP 124.10, Got miner NP 106.10, truhten got min NP 23.8, chuning min unde got min NP 598.1. Nachstellung bei Otfrid: fingar thinan Ο 1,2.3 mund minan Ο 1.2.3. iro (G. Sg.f.; G PI.): iro uuat NB 10.11, mit iro tugede NB 61.1, iro uueinonten ougen NB 8.14, mit iro suozun scundedo NB 60.11. uuelih(er), uueder(er): uuelih liument NB 42.1, mit uuelemo rehte NB 89.5, fone uuelichen leidaren NB 31.10.

§ S 16

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§ S 16 Determinantienteil und Deklination des Adjektivs

dehein-, nehein-, sumelih-, etelih-, manig-, To-gelih-, ϊο-uueder-, ne-uueder-, so-uuelJh-, all(er): deheinen man NB 66.17, nehein zuiuel NB 95.4, sumeliche not-nunftara NB 11.21, etelichen teil NB 126.2, manige liute NB 5.7, iogelichen ubelen NB 43.1, io-uuederiu micheli NB 126.3, neuuederer irredo NB 341.12, so uuelih loz NB 93.18, allero uuerlte NB 87.20. Nachstellung bei Otfrid: mennisgon alle Ο 1.1.79 Kombinationsmöglichkeiten all- + der/diser/Poss.: alle die liute NB 119.23, in allen disen riehen NB 5.8, in allemo minemo guote NB 8.16. der/dieser/jener + Poss.: thaz min kind Ο 1.6.12, der iro kuning jungo Ο 1.20.31, daz iro ding NB 219.20, dise unseren zite NB 108.16, hara in disses unseres libes skenam NB 86.13. nehein + der/Voss.: nehein diu sconi NB 103.4, neheina dia «o/NB 362.7. manig, etelih, sumelih + Definitartikel bzw. Possessivpronomen: manigiu siniu gemah NB 185.5, umbe manige . unde manigfalte iro undriuua NB 31.23, mit etelichen dien listen NB 142.2, sumeliche iro lide NB 119.19.

1.2.2.1. Adjektivteil mit einem Adjektiv § S 17

Unter den im Adjektivteil einsetzbaren Wortklassen werden die folgenden fünf Gruppen unterschieden: Adjektive, Partizip I, Partizip II, Zahladjektiv, Restgruppe. 1. Attributive Adjektive Im Ahd. ist die Stellung des attributiven Adjektivs in Bezug auf den nominalen Kern grundsätzlich frei: Sowohl Voranstellung wie Nachstellung des einzelnen attributiven Adjektivs war möglich. Schon in den frühesten ahd. Quellen überwiegt die Voranstellung des Adjektivs. Bei Notker ist die Nachstellung einfacher Adjektive bereits spürbar im Abnehmen begriffen. Die Voranstellung des einzelnen attributiven Adjektivs ist das Normale (Näf 1979, 411). Wenn der der- oder ein-Artikel (Determinans) beim Substantiv vorkommt, steht das begleitende Adjektiv ebenfalls vor dem Substantiv. Ausnahmen sind aber nicht ganz selten. a. Voranstellung: (Präp) + (Det) + Adj + Kern fona dhemu almahtigin fater I 99, dher aerloso man I 169; thes hohlsten gotes Τ 53.6, in thiu uzarun finstarnessi Τ 124.36; sconi fers Ο 1.1.48, in managemo agaleize Ο 1.1.1, in sconeru slihti Ο 1.1.36, rozagaz muat Ο 1.18.29, mit bizenten suerton Ο 1.19.10, in frenkisga zungun Ο 1.1.114, richemo manne Ο 1.13.8, then liobon drost 0 3.2.34, thio argun gilusti

§ S 17 Adjektivteil mit einem Adjektiv

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Ο 3.7.84, zemo hohen himilriche Ο 3.26.62; salig tod NB 8.9, ter baro namo NB 88.20, mit festen triuuon NB 135.11. Im Hildebrandslied (doch s. unten): heroro man Hl l,fohem uuortum Hl 9,friuntlaos man Hl 24. b. Nachstellung: (Präp) + Kern + Adj Außer in den Fällen, in denen das Adjektiv von größerem Umfang ist, finden sich einzelne Belege, in denen die Adjektive dem Substantiv nachgestellt werden. Isidor hat nur zwei Belege für die Nachstellung: gotes stimna hluda I 255, after moysise dodemu I 533. Im Tatian sind keine Belege zu finden. In Otfrids Evangelienbuch finden sich nachgestellte attributive Adjektive häufiger als vorangestellte, wahrscheinlich aus stilistischen und/oder rhytmischen Gründen, vielleicht auch in Nachbildung der lateinischen Vorlage: buah frono Ο 1.3.1, kinde zeizemo Ο 2.2.35. Vereinzelte Belege auch bei Notker (möglicherweise stilistische Nachstellungen, vgl. Sonderegger 2002, 358): sines libes unentliches NB 383.5, ze handen guoten NB 114.8. Nachgestelltes Adjektiv in einem verkürzten Nebensatz: daz ouga timbereta . follez trano NB 14.13, min analutte . traglichez fone vuuofte NB 14.21. Häufiger sind Nachstellungen im Hildebrandslied: degano dechisto Hl 26, herron goten Hl 47, at burc enigeru Hl 52. c. Freie Stellungen Attributives Partizip I: daz sueibonta rad NB 65.2, in ane gaenda / anagandanaht NB 43.23. Attributives Partizip II: bam unwahsan Η 21 (aber: wuntane bauga Hl 33); mit kesamenotemo merze NB 108.4, daz kemiskelota uuazer NB 338.1. Attributives Zahladjektiv (Kardinal- und Ordinalzahlen): untar heriun tuem Hl 3; after thrin tagun Τ 12.4, fimf brotun Τ 80.6, zweiero manno Τ 131.5, thriio stunt Τ 161.4; zuene chuninga NB 5.12, ßer behefteda des muotes NB 57.7, ter fierdo teil NB 121.26, die uerte dero siben uuallonton sternon NB 27.1. Bei Otfrid sind die Beispiele der Nachstellung stets rhythmisch und metrisch bedingt, mit Ausnahme von mit knehton sibinin 0 5.14.24. Attributive Restgruppe {ander-, solih-, selb- und gnuoge) mit weitgehend freier Stellung zum Kernteil: die anderen Sternen NB 43.19, über daz ander leid NB 41.13, solichero sculde NB 39.1, casus solih NB 334.22, tes selben tages NB 32.10. Quantifizierer stehen normalerweise vor dem Kern: so manac coot Wess 10, alero lido Musp 92. Im Muspilli kommen oft auch nachgestellte Quantoren vor: hilfa kinuk Musp 17, reht allaz Musp 83, gelegentlich auch sonst liuto filu Ο 1.1.1. (füu könnte hier aber auch Subst. sein).

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§ S 17 Adjektivteil mit einem Adjektiv

2. (Präp) + Det + Adj + Kern Nach dem Possessivpronomen kann das Adjektiv stark (unflektiert) oder (häufiger) schwach sein; nach iro ist es stets schwach. Wenn ein Substantiv durch ein Adjektiv und Possessivpronomen zugleich ergänzt wird, sind verschiedene Stellungen möglich: a. (Präp) + Det =Possessivpron. + Adj + Kern sinan einegan sun Ο 1.2.34, min liobo sun Τ 14.5, ther iro kuning jungo 0 1.20.31, tines lukken uuanes NB 88.16, fone dien dosonten uuinden NB 97.6. b. Adj + Det =Possessivpron. + Kern lieba sin uuirten NMC 53.2, in guotemo dinemo uuillen NP 334.3. Ausnahmen bei Otfrid reimbedingt: thiu arma muater min Ο 1.2.2, in thia zungun mina Ο 1.2.4, Hub kind min Ο 1.9.16, sinan drut einan Ο 2.2.2.

1.2.2.2. Adjektivteil mit zwei oder mehr Adjektiven § S 18

Die Belege, in denen zwei oder (sehr selten) mehr Adjektive das Kernsubstantiv bestimmen, weisen syndetisch oder asyndetisch aneinandergereihte Adjektive bzw. Partizipien auf. Das Adjektiv kommt in drei möglichen Stellungen vor. Nach einem c/er-Determinativpronomen oder Possessivpronomen ist das darauf folgende Adjektiv schwach, sonst ist es stark flektiert. 1. (Präp) + (Det) + Adjx (+) Adjy + Kern Beide Attribute gehen dem Substantiv voraus (selten): sinuuelbe spizze bouma NB 52.19, unersame . unde unreine gelüste NB 271.16, mit lenen unde mezigen gebahedon NB 56.6. Vor dem zweiten Adjektiv wird das Determinans oder die Präposition wiederholt: ter grimmo unde der zurlustigo nero NB 164.4,fone alten . ioh fone niuuen ziten NB 164.25. 2. (Präp) + Kern + Adjx + Adj y Beide attributiv gebrauchten Adjektive werden nachgestellt (sehr selten): allero saldolih vuunnesamiu . ioh arbeit-samiv NB 318.3. Wo jedoch attributiv gebrauchte Adjektive auf das Substantiv folgen, unterscheiden sie sich von den vorausgehenden: Entweder werden sie als Apposition gebraucht oder sie kommen in verkürzten Nebensätzen mit anderen Beifügungen vor. In der Apposition: ih neuuile des nieht choson . daz tu iunger (d.h. als junger Mann) guunne die herscaft. die alte guunnen nemahton. tu uuurte iunger (d.h. als junger Mann) consul NB 83.1.

§ S 19 Quantoren als Adjektivteile

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3. (Präp) + (Det)+ Adj x + Kern + (Präp) + (Det) + Adj y Das erste Adjektiv steht im nominalen Mittelfeld, das zweite ist ausgeklammert. Eine asyndetische Gruppe kann gespaltet werden; ein Adjektiv wird vorangestellt und das andere nachgestellt: ein suoze fisg luzzeler NB 180.14, ein lebende ding . zuibeine . redohafte (3 Adj.) NB 370.5, anderes kuotes . ferlornes NB 134.5. In Gruppen, die mit und verbunden sind, steht der gleiche Kasus ("Fernstellung" von attributiven Adjektiven): in thesemo furleganen cunne inti suntigemo Τ 44.21, ubil scalc inti lazzo Τ 149.7, sundigis munt unde unchustigis Ν 2. 468.24. Mehrere Adjektivpaare in einem Satz: tarazu uueiz ih taz er zouferlicha . ioh lieblicha seltsam malennes uobet . unde samoso lebendiu ioh keseliu bilde uuurchet. eriniu unde marmoriniu NP 810.12. In Ausdrücken dieser Art sind alle Adjektive stark flektiert, außer wenn das Possessivpronomen oder ein c/er-/em-Detreminativ vorkommen. 4. (Präp) + Det=Possesivpronomen + Adj x + Adj y + Kern iro unuerlazeno . unde unselbuualtig muotuuillo NB 350.18. Attributive Adjektive durch einfache (z.B. verstärkende) Adverbien modifiziert: Der feste Platz für solche adverbiale Modifikationen scheint die Stelle vor dem Adjektiv gewesen zu sein, wie in gouma filu reini Ο 1.1.20, mit filu hohen mahtin Ο 2.14.71.

1.2.2.3. Quantoren als Adjektivteile Als Adjektivteile sind auch Quantoren zu verstehen. Ihre syntaktischen BeSonderheiten sind die Möglichkeiten der Distanzstellungen (in neuerer Terminologie "quantifier splitting" oder "quantifier floating"). Im Ahd. kommen auch einige Distanzstellungen vor, die im Nhd. nicht grammatisch wären. 1. Allquantor Normalstellung: al then liut Ο 3.26.28, allen sinen kindon Ο L.83, Distanzstellung Subjekt/Objekt: thaz wir sin al giliche gibriefte in himilriche Ο 1.11.56, horngibruader ... thie heilt er sar io alle Ο 3.14.64; Det + Substantiv vor- und nachgestellt: al thie selbun redina Ο 5.9.54, ther liut al Ο 4.24.29; Possessivum: sinu kind ellu 0 2.14.32, gidriwen sinen allen Ο 1.3.45, alle thie forasagon sine O l . l 0 . 7 . 2. Existenzquantor Normalstellung mit endungslosem Quantor: ist ein thin [Gen.] gisibba reves umberenta Ο 1.5.59 'es ist eine von dir Verwandte [Elisabeth] unfruchtbar', Distanzstellung: sin drut ouh stuant thar einer mit thiarnuduam

§ S 19

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§ S 19 Quantoren als Adjektivteile

reiner Ο 4.32.5 'von ihm ein Jünger stand auch da einer [Johannes], jungfräulich rein', mit adjektivischer Flexion: tho santa got giwaran gomon filu maran, man mit uns gimeinan, sinan drut einan [Akk. Sg. m.] Ο 2.2.1 'von ihm einen Jünger einen', Nachstellung David, thero gomono ein Ο 1.3.17. flektiert thero forasagano einer 0 3.12.18. Das flektierte adjektivische Possessivum stand ursprünglich im Genitiv und war ein Personalpronomen. 3. Indefiniter Quantor Voranstellung: in sumilicha burgilun Τ 111.1 'in irgendeine Stadt', Nachstellung andern thioto sum Τ 128.8. 'einer aus einem anderen Volk'. Präpositionalgruppe: sume fan Hierusalem Τ 104.7. Distanzstellung: ouh suma sint fon iu thie dar ni giloubent Τ 82, I I a 'auch gibt es einige von ihnen', sume ouh thie einoza druagun stangun groza Ο 4.16.21 'einige der Gefährten', genau 'einige die G e f ä h r t e n s p r e c h e n t hiar in riche thie liuti ouh sumiliche Ο 3.12.17 'von den Leuten auch einige', genau 'die Leute auch einige'. Im Ahd. sind die nominalen Bezugsausdrücke thie ginoza und thie liuti partitiv (nhd. nur mehr mit der Präposition von).

1.2.3. Erweiterte Adjektiv- und Partizipialattribute § S 20

Erweiterte Adjektiv- und Partizipialattribute bezeichnen Konstruktionen, bei denen attributive Adjektive oder Partizipien nominale oder adverbiale Ergänzungen im weitesten Sinn zu sich nehmen: 1. Det + Adjektivgruppe [Erweiterungen +Adj.-Kern] + Kern In den früheren ahd. Denkmälern kommen vorangestellte erweiterte Attribute nur ganz vereinzelt vor. Wahrscheinlich sind solche Fügungen stilistisch bedingt und wurden auch aus metrischen Gründen gewählt: siechero manno menigi, bifangan mit ummahtin ioh missilichen suhtin Ο 2.15.9, mihil uuerda salz therera erda Ο 2.17.1. Das erweiterte Adjektiv- und Partizipialattribut in seiner heutigen Form wird von Notker zum ersten Mal gebraucht. In Anlehnung an Näf (1979, 472) lassen sich die erweiterten Adjektiv- und Partizipialattribute folgendermaßen gruppieren: 2. Det + Erw + Adj + Kern Notker verwendet diesen Typ nur mit einteiligen Erweiterungen, wohl aus psychologisch-funktionalen und stilistischen Gründen (Lötscher 1990, 18): daz ze herzen geslagena ser NB 81.25 'der ins Herz eingedrückte Schmerz'.

§ S 20 Erweiterte Adjektiv- und Partizipialattribute

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3. Det + Adj + Kern + Erw diu nider-rinnenta aha aba demo berge NB 56.24 'der vom Berg herabfließende Bach', die uzer erdo geuualzten ronen fone dero aho NB 337.24. 4. Det + Kern + Erw + Adj Wohl aus stilistischen Gründen: einen boum in stete standen NB 53.15 'einen an seinem Standort verwurzelten Baum'. 5. Det + Kern + Adj + Erw dehein muot keuestenotez . mit redo 'eine durch den Verstand gestärkte Seele' NB 115.6. Zum größten Teil entsprechen sie der lat. Vorlage: diu sestunga . anahaftentiu allen uuehsellichen dingen (dispositio inherens . rebus mobilibus) NB 297.22 (weitere Beispiele bei Weber 1971, 78). Notker verwendet das erweiterte Attribut auch unabhängig von der lat. Vorlage. In den meisten Fällen steht es anstelle anderer lat. Konstruktionen: diu dar-inne io noh tanne loskenten bilde (quiescentes interim intrinsecus formas) NB 375.18. Er stellt die Erweiterungen dar-inne io noh tanne vor das Partizip. Mehrfach übersetzt Notker ein nachgestelltes lat. Partizip mit voranstehendem erweitertem Attribut: gladii pendentis supra uerticem: des obe houbete hangenten suertes NB 165.25, tantalus longa siti perditus: der fore durste ercheleto [gequälte] tantalus NB 241.18. Sonst: quis est igitur iste deus unctus a deo?: huuer ist dhanne dhese chisalbodo got fona gote? I 142. Erweitertes Attribut unabhängig von der Vorlage: rem solidissime ueritatis: tero so mit syllogismo gestarhtun uuarheite NB 389.22. In einigen Fällen stellt Notker das Partizip vor das regierende Substantiv, lässt aber die Erweiterungen nachfolgen: oculos assuetos tenebris: iro geuueneten ougen dero finstiri NB 4.205.11, basilius olim depulsus regio ministerio: ter nu lango uerstozeno basilius aba des chuninges ambahttieneste NB 31.14. Anm. 1. Voran- und Nachstellung des erweiterten Attributs sind gleich häufig. Die Voranstellung des flektierten attributiven Adjektivs oder Partizips war noch nicht obligatorisch. Die Voranstellung schließt sich nur in sieben Fällen der lat. Vorlage an. In 22 Fällen ist sie von der Vorlage nicht abhängig und in 7 Fällen wird sogar eine nachgestellte lat. Partizipialkonstruktion durch vorangestelltes erweitertes Attribut übersetzt. Das weist nach Weber (1971, 80) daraufhin, dass die Voranstellung einen höheren Grad von Grammatikalität hat als die Nachstellung. Tendenziell steht das flektierte Attribut auch dann voran, wenn es mit Erweiterungen belastet ist. Anm. 2. Distanzstellungen wie enti dar uuarun auh manake mit inan cootlihhe geista Wess 8 'viele gütige Geister', poum ni kistentit enihc in erdu Musp 50 'kein einziger Baum', her furlaet in lante luttila sitten prut in bure Hl 20 'er ließ im Land die junge Frau sitzen, die Braut im Haus' sind Zeugnisse poetischer Wortstellungstypen (Sonderegger 1998).

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§ S 20 Erweiterte Adjektiv- und Partizipialattribute Anm. 3. Über die Numeruskongruenz der Subjektsnominalgruppe mit dem Prädikatsverb kann wegen der beschränkten Beleglage und nicht auszuschließender lehnsyntaktischer Einflüsse nichts Sicheres gesagt werden. Bei Otfrid findet sich die Kongruenzabweichung in den Singular wie im Nhd. bei vorangestelltem Verb: ist uns hiar gizeinot ... unserero zuhto dati OH.117, sliumo floz tharuz sar bluat inti wazar Ο 4.33.31. Eine Tendenz zur Inkongruenz findet sich bei ihm weiters in subjektlosen Konstruktionen und bei abstrakten Substantiven: ioh ward thero aleibo, thero fisgo ioh thero leibo, (nifrazun sie iz allaz) sibun korbi ubar thaz! Ο 3.6.55, ist uns hiar gizeinot in bethen io thuruh not, in ubili inti in guati, unserem zuhto dati Ο H.l 17,joh quedemes in rihti, thaz iz lobosamaz si, alio sino dati. thoh si in si unthrati Ο 3.26.13.

1.2.4. Formen des nominalen Attributs 1.2.4.1. Der attributive Genitiv § S 21

In seiner adnominalen Funktion ist der Genitiv das Zeichen dafür, dass einem substantivischen Begriff ein anderer zugeordnet wird. In dieser Funktion ist der Genitiv der Kasus des Attributs. Die genaue Art der attributiven Beziehung wird nicht durch den Genitiv bezeichnet, sondern sie ist eine Folge der Bedeutungen der aufeinander bezogenen Substantive. Die herkömmlichen Klassifikationen des attributiven Genitivs - in der Literatur finden sich über 30 solcher Genitivbedeutungen - sind nichts Anderes als Kontextbedeutungen, die zudem noch meist nicht scharf voneinander abgegrenzt werden können. Genannt werden vor allem folgende Arten (in alphabetischer Folge): (Genitivus) auctoris, causae, comparationis, criminis, definitivus (oder appositivus), explicativus, materiae, obiectivus, partitivus, possessivus (auch possessoris), pretii, qualitatis, subiectivus. Abgesehen von der mangelnden begrifflichen Schärfe (z.B. wird der Terminus "Genitivus possessivus" meist fur Zugehörigkeiten aller Art verwendet) ist es in Korpussprachen auf Grund der Textsortengebundenheit der Vorkommensweisen unmöglich, sich ein vollständiges Bild von allen diesen Verwendungsweisen zu machen, und das gilt besonders für kurze Texte. Deshalb werden hier nur die allgemeinsten Verwendungsweisen summarisch angeführt. 1. Der wichtigste Bedeutungsbereich ist jener der Zugehörigkeit (G. possessivus): gotes sun Ο 3.8.50, (hie kristes altmaga Ο 1.3.2, thes dages druhtin Ο 3.5.10, managero thioto namon Ο 1.1.11, sluzila himiles Ο 3.12.37, marines muat Ο 5.22.9, abulges dag Ο 5.19.23; mehrfach: gerstun kornes hut Ο 3.7.25; sinero lendino gurdil I 675, spahida dhes gotliihin fater 1111; mines truhtines muoter Τ 4.3, uuizago thes hohlsten Τ 4.17, ubar obanentiga thekki thes tempales Τ 15.4, stegon stuofa NB 11.15, iro urouuun gout NB 72.7. 2. Phrasen, in denen der Genitiv den Inhalt des Bezugsnomens näher erklärt oder Merkmale des Bezugsnomens angibt (G. explicativus/defini-

§ S 22 Das Präpositionalattribut

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tivus): in sunnun analiche Ο 3.13.42, kristes guati 0 3.16.71, dhasz gheistliihhe chiruni dhera himiliscun chiburdi in christe I 378, taga sinero subarnessi Τ 7.2, in diz einote minero ihseli (Verbannung) NB 19.27. 3. Adverbiale Angaben zum Basissubstantiv. Temporal: thesses dages fristi Ο 3.25.37, therazitifrist Ο 2.14.67. Lokal: in waldes einote Ο 1.10.28. Bestimmte Art, Beschaffenheit: thes helliwizes wewon 0 5.19.18, zi thes kruzonnes heile Ο 4Α.26, fonfleiskes luste Τ 13.6. Kausal: fon suntono suhti Ο 2.24.22. Umschreibungen: dua mih wis, oba thu nan namis, joh wara thiu thin guati [= du] then minan liobon dati Ο 5.7.49, thiu wihi gotes geistes 'der heilige Geist' Ο 1.15.8. Ist das Bezugswort eine verbale Ableitung, kann der Genitiv das Subjekt- oder Objektverhältnis bezeichnen, wobei das genaue Verhältnis oft nur im Kontext eindeutig wird. 4. Agens oder Patiens einer zugrundeliegenden Verbalhandlung. Subjekt: sunnun fart 'Lauf der Sonne' Ο 1.17.9, druhtines dati Ο 3.5.17. Objekt: thuruh gotes minna 'durch Liebe zu Gott' Ο 4.5.47, thiu maht thes wiges 'die Macht über den Kampf Ο 4.12.59. 5. Das Bezugswort ist eine Eigenschaft, der adnominale Genitiv bezeichnet den Eigenschaftsträger: in dheru Christes lyuzilun I 391, mit scuonin dhera gotliihhun chiliihnissa I 490, spahida Salomones Τ 57.5, erda tiufi Τ 71.3, des charchares eigeslichi NB 26.11, an dero hohi des perges NB 97.10. 6. Restliche Gruppen. Zahl- und Maßangaben: thiu faz thiu namun lides zuei odo thriu mez Ο 2.9.95, sibunta zit thes dages Ο 3.2.31, thero warun sibini Ο 5.14.20, thero jaro was ju wanne in themo zimboronne (thiu zala ist uns giwissu) fiarzug inti sehsu Ο 2.11.37. Teil eines Ganzen: thaz ih giscrib in unser heil evangeliono deil 0 5.25.10. Nach Pronomen: thes gidua thu nu unsih wis, wer thoh manno thu sis Ο 1.27.37, (thie liuti) warun fragenti, waz zeichono er in ougti Ο 2.11.31. Der Genitiv steht weiters bei den qualitativen Adverbien wiht, iawiht, filu, mer(a), ginuag(i), meist, luzilfin), görag 'wenig', al, niaman.

1.2.4.2. Das

Präpositionalattribut

Im Ahd. ist die adverbielle Herkunft der Präpositionen noch so deutlich, dass sichere Belege für den adnominalen Gebrauch nur beim Partizip und beim Infinitiv vorkommen. Attributive Konstruktionen sind nur bei zi etwas häufiger: thia mina minna zi thir Ο 5.15.32, si tharben bigan thes Hobes zi iro gomman Ο 1.16.5, theist gibot minaz zi iu 0 4.15.51. In Ausdrücken wie habet sinan gingon (Verlangen) io zi thes liebes thingon Ο 5.23.42 kann die Präpositionalphrase auch adverbiell sein, ebenso in zi themo lante in gahe ouh jamar gifahe Ο 1.18.32 'ergreift uns [Schmerz nach dem Land]' oder 'ergreift uns Schmerz [nach dem Land]', worauf die Voranstellung des Präpositionalausdrucks und der Einschub in gahe deuten. In Fällen

§ S 22

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§ S 22 Das Präpositionalattribut

wie ih sah thih, er thih holotijoh Philippus giladoti, untar themo loube zi themo figboume Ο 2.7.64 kann zi themoßgboume ebenfalls auch adverbiell gedeutet werden. Partizip: uuanda so bin ich kelih tien sih soufenten in den se NP 141.8, der die haftenten in dien sundon nimet NP 438.11, nach Pronomen habent in ze-zocchot alle after uuege farente NP 644.13. Ausdrücke wie uuanda sie [Gotes uuerh an christo] nebenchandon NP 142.13 scheinen erst bei Notker etwas häufiger zu werden. Die zahlreichen Ausklammerungen (Borter 1982, 104, 154ff) deuten möglicherweise auch auf syntaktische Autonomie.

1.2.4.3. Weitere attributive § S 23

Formen

Attributiv werden noch folgende Formen gebraucht: selbstständige kongruierende substantivische Bestimmungen Hiltibrand[...] Heribrantes sunu Hl 7, der chuning [...] Huneo truhtin Hl 34, mit Karlemanne, bruoder sinemo Ludw 7; selbstständige Adjektivattribute der eino almahtico cot, manno miltisto Wess 7, Ludouuig thersnello, thes uuisduames follo Ludw 1; selbstständige Partizipialgruppen wuntane bauga, cheisuringu gitan Hl 33 'aus Kaisermünzen verfertigt'; selbstständige Inifinitivkonstruktionen craft, tiuflun za uuidarstantanne enti arc za piuuisanne enti dinan uuilleon za gauurchanne Wess 12 'die Kraft, dem Teufel zu widerstehen und Böses zu vermeiden und deinen Willen zu bewirken'. Zu den Relativsätzen als Attribut s. § S 155.

1.3. Adjektivgruppe Lit.: Baldauf 1938; N ä f 1979; Lötscher 1990.

1.3.1. Überblick § S 24

Die Adjektivgruppe besteht aus einem einfachen Adjektiv (auch in Gestalt eines Partizips) und ihren Erweiterungen, wobei diese Erweiterungen der traditionellen Grammatik als Adverbien bzw. als adverbielle Phrasen (besonders als Präpositionalphrasen) gelten. Einigermaßen verständlich ist diese Terminologie nur bei partizipialen Adjektiven, wo eine infinit dargestellte Verbalhandlung charakterisiert wird; für die anderen Fälle liegt eine andere Klassifikation näher (z.B. "Graduativ" als Wortart nach Glinz). Die Erweiterungen zu einem Adjektiv haben einen anderen syntagmatischen und paradigmatischen Status als das Kernadjektiv, obwohl sie ggf. auch die Stelle eines Kernadjektivs einnehmen können (das gilt Glinz geradezu als ein Kriterium für diese Klasse). Da sich aber eine alternative Terminologie noch

§ S 27 Erweiterte Adjektive

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nicht durchgesetzt hat, bleibt es hier bei der traditionellen Benennung. Der abweichende kategoriale Status wird hier durch Anführungszeichen bezeichnet. Adjektive können natürlich syndetisch oder asyndetisch gereiht werden; da sie aber auch in der Reihung eine paradigmatische Klasse bilden, werden sie nicht eigens als syntaktisch komplexe Konstruktionen beschrieben.

1.3.2. Einfaches Adjektiv Attributive Adjektive werden in der Regel dem Bezugsnomen vorangestellt: heroro man Hl l,fohem uuortum Hl 9, so friuntlaos man Hl 24. Nachstellungen sind meist metrisch und rhythmisch bedingt: herfurlaet in lante ... barn unwahsan Hl 21. Sonst oft in der Reimstellung: thaz rihtit, so ih thir zellu, thiu sin giwalt ellu Ο LA; mit Apposition: Ludowig ther snello, thes wisduames follo Ο 1.1. Bei Isidor nur zwei Nachstellungen: gotes stimna hluda 14.1, after moysise dodemu 16.1, bei Notker nur bei umfangreicheren Adjektiven: sines libes unentliches NB 383.5, in einem felde sconemo Ν 1.722.16 . Nachstellungen in der Anrede: trohtin almahtiger Otl 1, aber auch Voranstellung möglich: thu unsuboro geist Τ 53.7; vgl. § S 17.

§ S 25

1.3.3. Koordinierte Adjektive Gereihte Adjektive scheinen im Ahd. nicht vorzukommen. Koordinierte Adjektive: mid manmentsamero unde lindero anasihte Ν 1.755.26, Nachstellung: sine hente guldin unte sineuuelle . uuaron vol iechando Will 92.10.

§ S 26

1.3.4. Erweiterte Adjektive Schon aus den älteren Sprachstufen ererbt ist die Möglichkeit von "adverbialen" Erweiterungen in der Stelle vor dem Adjektiv. Es ergibt sich dadurch eine zum Bezugsnomen zentripetale Anordnung: rehto paluuic dink Musp 26, gouma filu reino 0 1.1.20, ebenso nach Präposition mit ßlu hohen mahtin 0 2.14.71. Im Einzelnen sind vier Konstruktionstypen belegt, wovon 1.3.4.2. und 1.3.4.4. wohl als Extrapositionen zu 1.3.4.1. und 1.3.4.3. zu verstehen sind (Lötscher 1990), wenn es sich nicht um Übernahmen der lat. Wortstellung der Vorlage handelt (s. auch oben § S 20): 1. Vorangestellte Adjektivgruppe mit zentripetaler (links vom Phrasenkern ausgerichteter) Wortfolge: daz ze herzen geslagena ser NB 81,25.

§ S 27

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§ S 27 Erweiterte Adjektive

2. Vorangestelltes Adjektiv, Erweiterungen dem Bezugsnomen nachgestellt: diu nider-rinnenta aha aba demo berge NB 56,23; die uzer erdo geuualzten ronen fone dero aho NB 337,24. Notkers Nachstellungen sind hier wohl von der lateinischen Vorlage beeinflusst. 3. Nachgestellte Adjektivgruppe mit zentripetaler Wortfolge: einen boum in stete standen NB 53,15. 4. Nachgestellte Adjektivgruppe mit zentrifugaler Wortfolge: dehein muot keuestenotez . mit redo NB 115,6. 5. Komparativ: Bezugsnomen und komparativisches Adjektiv stehen oft getrennt. Lehnsyntaktisch hat das Bezugsnomen den Genitiv (thie thar iuuuer mera ist Τ 141.9 qui maior est vestrum), sonst den Dativ (dativus comparationis): furira Abrahame Ο 3.18.33 'älter als Abraham', [dhazs ir ...]furiro uuari andrem gotes chiscaftim 1492 'dass er weiter wäre den anderen Geschöpfen Gottes' = dass er über den anderen Geschöpfen Gottes wäre; her-fogil ist mera allen fogilin NP 757. 5 'der Vogel Herodius ist größer als alle Vögel'.

1.4. Präpositionalgruppe Lit.: Graff 1824; Krömer 1914/1959/1960/1961/1962/1964; Schröbler 1942; Kessler 1948; Matzel 1968; Eroms 1987, 1997; Wolfrum 1970; Marcq 1972, 1978, 1980, 1992, 1997; Krause 1992.

§ S 28

Präpositionen sind ein Sonderfall von Adpositionen. Sie sind mit wenigen Ausnahmen aus Ortsadverbien entstanden, die mit der zugehörigen Nominalphrase in eine feste Verbindung eingetreten sind. Die auf diese Weise entstandene Rektionsbeziehung hat bei manchen Präpositionen zu einer mehrfachen Rektion je nach verschiedenen Bedeutungen geführt, worin man einen Rest des zu Grunde liegenden verbalen Kasusbezugs sehen kann. Adverbien behalten sehr oft die Langform bei, Präpositionen treten oft in einer Kurzform auf (aba/ab, miti/mit), ein formaler Unterschied, der sich im Deutschen zunehmend verschärft, bis auch die adverbialen Langformen akzentbedingt verkürzt werden. Präpositionalgruppen können syntaktische Funktion eines Attributs und verschiedener Satzglieder haben und werden an den entsprechenden Stellen beschrieben. Da die gleichen Wörter mit gleicher Funktion auch nachgestellt werden können (Postpositionen), bietet sich als übergeordneter Terminus "Adposition" an - hier bleibt es bei der traditionellen Begrifflichkeit. Präpositionen bilden tendenziell eine geschlossene Klasse von Funktionswörtern mit grammatischer Funktion, doch kann sich das Inventar von Formen durch Wortklassenänderungen (Konversionen) immer wieder erneuern. Durch metaphorische Weiterbildung

§ S 29 Präpositionen: in

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entstehen neue sachlogische Relationen, die die ursprüngliche lokale Bedeutung verdrängen können. Der Unterschied zwischen lokalem und direktivem Bezug (bestehendes und entstehendes lokales Verhältnis oder in anderer Terminologie ± vektorial) wird im Deutschen durch den Kasusunterschied Dativ - Akkusativ bezeichnet. Präpositionen geben komplexe Raumbeziehungen wieder, die nicht in ein einfaches Schema von Lokalisierungen gebracht werden können. Die folgende semantische Klassifizierung berücksichtigt durch ihre Ausdrucksbezogenheit eine nur sehr abstrakte, allgemeine topologische Klassifizierung und orientiert sich an der maßgebenden Arbeit von Graff 1824. Eine systematische Gliederung schließt unten 1.4.2. an.

1.4.1. Präpositionen nach Bedeutungsklassen 1.4.1.1. Im Inneren, innerhalb (einer Zeitstrecke); das Innere als Ziel einer Bewegung; 'in' in und Nebenformen in(n)an(a), inin, innar, inne(n(e)), innena: lokal mit Dativ 'im Inneren' (innan bei Τ und Ο nur in dieser Funktion) hwer sin fater wari fireo in folche Hl 9, nisi untar in thaz thulte, thaz kuning iro walte, in worolti niheine Ο 1.1.93, in iro ruouuet er. also der man in sinemo bette Will 51.7; direktiv mit Akkusativ 'ins Innere hinein': kert er tho [...] in eina bürg ziara Ο 1.21.13, der hals der treget daz ezzan in den buch Will 116.2. Abgeschlossene bzw. vollzogene Handlungen (ausgedrückt mit komplexiven und perfektiven Verbalformen) referieren auf bestehende Lokalisierungsrelationen, daher findet sich hier auch der Dativ: gisaztun alle thie iz gihortun in iro herzen Τ 4.13, thaz wir tharzua huggen, in herzen uns iz leggen Ο 2.24.31, so innelicho becherest du sie ze dir . daz din fuoz in demo bluote martiro getunchot uuerde sament in NP 447.14 (Glosse). Temporale Bedeutung: Zeitpunkt (komplexivperfektive Verben) mit Dativ er tod sih anawentit, in themo thritten dage irstentitO 1.15.34, gistuantun in thera nahi thes gotes huses wihi Ο 3.22.1; Zeitersteckung mit Akkusativ (v.a. bei kursiven Verben und Verbgefugen) alio ziti guato so leb er io gimuato Ο L.33.95, thaz man tho firoti eina wechun Ο 3.15.5. Ähnlich ist auch der Kasusgebrauch in begrenzten Zeiträumen geregelt. In der Perspektivierung auf die Grenze, ausgedrückt durch Zahlangaben oder in der Bedeutung 'bis wann', steht der Dativ irsezz ih iz mit lusti in thrio dago fristi 0 2.11.34, ebenso bei einem bestimmten Zeitraum salida ist in ewu mit thineru selu Ο 1.5.44; in der Bedeutung 'eine Zeit hindurch' der Akkusativ oba er in thia wila firliusit sina sela 0 3.13.33. Als Bezeichnung unbestimmter Zeiträume ist wohl

§ S 29

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§ S 29 Präpositionen: in

auch zu verstehen diin sedhal, got, ist fona euuin in euuin I 17.137, sin samo ardot in ceuuin I 67.613. Die allgemeine Richtung ist ebenfalls durch den Akkusativ bezeichnet: giengun tho zi imo sine iungiron, inti ufarhabanen sinen ougon in sie Τ 22.7, anastantent kind in iro eldiron Τ 44.14, thes kruces horn thar obana thaz zeigot uf in himila 0 5.1.19. Im manchen Wendungen sind beide Kasus ohne erkennbaren Bedeutungsunterschied möglich: Elisabeth uuas unberenti inti beidu framgigiengun in iro tagun Τ 2.2, min quena fram ist gigangan in ira tagun Τ 2.8; thiu [Anna] gigienc fram in managa taga Τ 7.9. Instrumentale und kausale Gebrauchsbedeutungen im Dativ sind häufig: er [...] reinot iuih sare in skinentemo fiure Ο 1.27.61, er spenit unsih alle zi mihilemo falle in worton joh in werkon Ο 2.4.87, ebenso die Bezeichnung eines Geltungsbereichs: in wizes snewen farawi so was al sin gigarawi Ο 5.4.32, er was in sitin fruater Ο 1.8.10. Ziel und Zweck stehen im Akkusativ: iz ist gifuagit al in ein Ο 1.1.16, sie ni gilouptun in then gotes einogon sun Ο 2.12.85, thiz kind ist [...Jin zeichan filu hebigaz Ο 1.15.29 (aber Dativ standit dhiu iesses uurza in zeihne dhero liudeo I 704). In bestimmten Bedeutungsbereichen mit instrumentaler Färbung kommen Dativ und Akkusativ ohne erkennbaren Bedeutungsunterschied vor: tho sprah er zi imo in thesa wis Ο 2.4.39, firnim in thesa wisun thaz ih thir zalta bi then sun Ο 2.9.87. Mit Genitiv: si (die Liebe) ist in war min druhtines drutin, ist furista innan huses sines thionostes 0 5.25.15. Mit pronominalem Instrumental steht in in der Konjunktionalphrase in thiu (- thaz): in thiu ist vvuntar thaz ir ni uuizit uuanan her si Τ 132.18, ni si thiot thaz thes gidrahte, in thiu iz mit in fehte Ο 1.1.85, und weiters irougta si tho seraz muat, so wib in sulichu [in solcher Lage] ofto duat Ο 3.24.49 (F sulichiu). Im adverbiellen Gebrauch steht der Genitiv innan thes 'währenddessen, indes, inzwischen'. Der weite Bedeutungsbereich (er umfasst auch oft den Bedeutungsbereich von an(a)) ist möglicherweise lehnsyntaktischer Einfluss aus dem Lat.

1.4.1.2. Im Äußeren, außerhalb; das Äußere als Ursprungsort einer Bewegung; 'aus' § S 30

1. ir nur mehr im älteren Ahd. (bis Otfrid): lokal mit Dativ ur deru taufi Exh Lb 41, ar flinse R (I 137.4), uuarhafti er herzin indi munde frampringan Β 22.1, thaz man zukke thaz maz then kindon ir then hanton Ο 3.10.33, sie giangun ir then grebiron zen liutin in thia bürg Ο 4.34.5; aus einem Bereich tho sprachun sumiliche ouh ir themo riche Ο 3.24.73, mit kausaler Gebrauchsbedeutung er euu kisezzit Κ (ex lege constitutum) Β 80.21. ir steht mit pronominalem Instrumental in der Konjunktionalphrase ir diu 'dadurch' SchAWB 176.

§ S 31 Präpositionen: an

41

2. üz, uz lokal mit Dativ 'von innen nach außen (und umgekehrt), heraus, hinaus': thie dar uz themo lante sin Τ 145.12, sihet uz den uenstron. unte uuartet uz uon den linebergon Will 37.1 3. üzzar lokal mit Dativ 'von innen nach außen (und umgekehrt), heraus,

hinaus: gibarg er sih zi ware joh giang ouh uz tho sare uzar iro hanton fon sinen fianton Ο 3.18.74, uuio gnoto iz tanne ilet. uzer demo liehte . in dia uinstri NB 15.4. Bereich: also man cristallum ziehet . uzer ise ze steine irhartet NP 1046.3, ich scenkon dir gepimenteten uvin: unte most uzzen roten epfelen geduhtan Will 132.1. 4. üzzan(a) 'von außen nach innen, außen, außerhalb': lokal mit Genitiv ir

reinet thaz dar uzzana ist thes keliches inti thes scenkifazzes Τ 140.19, [Maria] stuant uzana thes grabes Ο 5.7.1, in der Bedeutung 'heraus' wie bei üz mit Dativ thaz her sie ni tribi uzan thero lantskefi Τ 53.8, vvurphun uzan themo uuingarten Τ 124.4, in der Bedeutung 'ausgenommen, ohne'

meist mit Akkusativ thero giuuelih thie furlazit sina quenun, uzan sahha huores, tuot sia furligan Τ 29.2, thie aftoro arstarb uzan kind Τ 127.2, sie sih westin reinan uzana then einan Ο 4.12.21.

1.4.1.3. An die/der Oberßäche von, an einem anliegenden Ort (oft Berührung); Ort, an dem oder von dem aus sich eine Handlung vollzieht; 'an' Im älteren Ahd. ist die Präposition an(a(n)) selten, erst bei Notker ist sie im vollen Gebrauch. Im ursprünglichen lokalen Sinn ist eine Bedeutungskomponente der Berührung fassbar, doch gibt es weit verzweigte metaphorische Bedeutungserweiterungen, die im AWB vollständig verzeichnet sind. Der Gegensatz zwischen dem Dativ als Ruhe- und dem Akkusativ als Richtungskasus ist auch hier deutlich. Lokal mit Dativ: thu weist thir selbo anan

mir thia mina minna zi thir Ο 5.15.32, sie zalatun siu [die Kinder] io ubar dag, thar iz in theru wagun lag, joh anan themo barme thera muater zi härme Ο 1.20.14, gotes geist imo anawas; ni tharft thu wuntoron thaz, want iz was imo anan henti zi sineru giwelti Ο 1.16.27, du mir bildotost an dero ascun . mit tinero zeigo-ruoto . die uerte dero siben uuallonton sternon NB 26.23. Übergang in die instrumentale Bedeutung 'in Form, in Gestalt

von': der sunden die ich ie getet an danchen an Worten an werchen Wessobrunner Glaube und Beichte II (SD 59.37), ein uuise man machot anderen

uuisen . an dero stimmo dinero leron . nals sinero NP 258.5. Richtung mit Akkusativ: thaz he sina hant anan inan legiti Τ 86.1, sazta anan rora Τ 208.3,fingar thinan dua anan mund minan Ο 1.1.3, nu ist iz [...] braht anan enti Ο 5.25.19, die fehtenten flihendo . hinder sih an die sih iagonten skiezent NB 337.16. Mit Instrumental nur in den Fügungen an thiu 'da-

§ S 31

42

§ S 31 Präpositionen: an

durch' (durch einen Zustand wird ein anderer Zustand mitgesetzt, durch ein Geschehen wird ein anderes verdeutlicht oder ausgelöst) und an (h)uuiu 'wodurch' bei Notker an diu skein sin ernest. taz er noh tero tohter neborgeta . echert er sinen namen gerache NB 323.16, fierzeg iaro uuas ih nahe dirro geburte. an uuiu? an zeichenen unde uuunderen NP 69.9.

1.4.1.4. An einem nahe liegenden Ort, in der Nähe; 'neben, bei' § S 32

1. az 'zu, an, in': nur im älteren Ahd.; lokal mit Dativ sitzi azs zesuun halp miin I 207; mit Akkusativ nur in Verbindung mit Superlativadverbien, mit Instrumental nur in Fügungen mit der Bedeutung 'nahe daran, wodurch, womit' (s. AWB). 2. nah, nah 'nahe, bei; nach': lokal mit Dativ sumu fielun nah themo uuege inti vvurdun furtretanu Τ 71.2, er gesazta die marcha dero saligon liuto nah dero manigi dero angelorum NP 1089.14; weiters in temporaler Bedeutung und in der Bedeutung 'gemäß, entsprechend': scuofe du iz al nah tero uuisun . unde nah temo euuigen bilde dines muotes NB 190.5; mit Instrumental nur in der Fügung nah tiu (so) '(gleich so) wie'. Ein Akk. der Richtung findet sich erst bei N: die nah dien ubelen ne-fahent NP 965.12. 3. in eban 'auf einer Höhe mit, an der Seite von': univerbierte Formen (i)neben mit Dativ Seres [die Serer, ein Volk] sizzent hina uerro ostert ineben india NB 107.10. 4. bT, bi und Nebenformen 'nahe, bei': Auch hier entsprechen die Ruheund Richtungskonstruktionen den Kasusformen Dativ und Akkusativ (Belege s. AWB). Die lokale Bedeutung im Dativ 'nahe bei' kann zur Bezeichnung abstrakter Verhältnisse temporale, instrumentale und im weiten Sinn kausale Funktionen annehmen; im Akkusativ als Bezeichnung des Gebietes einer Verbalhandlung stellen sich abstrakte Bedeutungen 'hinsichtlich, betreffend, gegenüber' (mit Übergang in den kausalen Bereich dhazs ir bi mittingardes nara chirista chimartirot uuerdhan 1515) ein. Mit Instrumental erscheint bi in den Fügungen bT thiu 'dabei, daran, dadurch, deswegen, daher' usw. und bT (h)uuiu mit Nebenformen 'wegen'. Ein Beleg ist mit Instrumental in der Bedeutung 'in der Nähe von' vorhanden: thiu [segina] uznemente inti bi stedu sizente arlasun thie guoton in faz Τ 77.3 'die das Netz Herausnehmenden und am Gestade Sitzenden sammelten die Guten in ein Gefäß' (in den Monseer Fragmenten 10.9. mit dem Dativ bi Stade wiedergegeben). Distributiv: man bi manne Ο 3.14.33. Mit Dativ ergeben sich die abstrakten Bedeutungen 'im Verhältnis zu, verglichen mit; an Stelle von, anstatt'; mit Akkusativ 'in Hinsicht auf, betreffend'. Noch in adverbialer Funktion: iniustitiq uuaren sie bi. iusticiq ferro. [...] du truhten uuis uns pi NP 937.17. Vgl. auch die Belege im AWB Bd. 1, Sp. 960.

§ S 34 Präpositionen: vor

43

5. Wegen der nominalen Herkunft regiert die erst bei Notker erscheinende Präposition halb 'bei (von Seiten), wegen, gemäß nach' den Genitiv: nu

solta ih aber dero anderro halb . so uilo sin sichurero NB 31.3, der rihtuom der sie gnuhtige tuon solta . iro selbero halb . ter tuot sie dürftige anderro helfo NB 154.17.

1.4.1.5. Allgemeiner Bezug, Begleitumstände, 'gemeinsam, zusammen, mit' 1. mit '(zusammen) mit' meist lokal mit Dativ: fuar thanne mit then knehton in then oliberg Ο 4.7.91; der gleich bedeutende Akkusativ kommt nur vereinzelt vor: ih simblum mit dih Β 33.23, mit qrcna euua 'mit festem Gesetz' I 92. Im instrumentalen Gebrauch ist mit auch öfters mit dem Instrumental belegt: [nu seal mih suasat chind] breton mit sinu billiu Hl 54, santun inan mit thiu bettu in mitti furi then heilant Τ 54.3, thie sehs ziti worolti (in guates nio ni wangta) mit wisduamu drankta Ο 2.10.5. Sonst steht der Instrumental nur in der Fügung mit thiu. Gelegentlich ist noch der adverbiale Gebrauch belegt: thaz kind thaz druag thaz witu mit Ο 2.9.43, uuanda sundige habent alegaro iro strala in iro chochere . daz sie tougeno mite 'damit' skiezen . die rehte sint in iro herzen NP 50.10, die lengent iro unreht also seil. uuanda sie io ein ze andermo heftent. unde umbe-fahent mite iustos NP 897.1 (Wiener Ν da mite), da sint ouh mite 'dabei' uituosi et misericordes Will 70.6. Im Wiener Notker stehen dafür gelegentlich die ausdrucksstärkeren Fügungen da mite und dir mit. 2. samant 'mit, bei, zusammen' mit Dativ: häufig nur bei Notker sie nefuorin sament mir NB 7.14.

§ S 33

1.4.1.6. Vom Betrachtstandpunkt gesehen auf der Vorderseite bzw. auf die Vorderseite hin, 'vor, voraus' Beide Präpositionen fora/furi gehen mit verschiedener Ablautstufe (fora < *pera [Instr. Sing.],y«n < *p°ri- [Dat., mit "Schwa secundum"]) auf idg. *per- (IEW 810) zurück und unterscheiden sich etymologisch nicht in ihrer Bedeutung. Eine semantische Differenzierung stellt sich im Ahd. dadurch ein, dass fora öfters mit dem Dativ der Ruhelage, furi mit dem Akkusativ der Richtung verbunden ist, doch sind auch Belege fur den umgekehrten Gebrauch vorhanden, fora mit lokalem Dativ: ih antluuhhu duri fora imu

I 155, stantan fora themo mannes sune Τ 146.5, sie avur tho ginoto eiscotun thero dato fon themo selben werke fora themo folke Ο 3.20.119, so si gesah fore minemo bette stan . tie meter-uuurchun [Gedichtverfertigerin] NB 12.10; mit Richtungsakkusativ her ferit fora inan in geiste inti in megine Heliases Τ 2.7; furi mit lokalem Dativ als Bezeichnung des räumlichen

§ S 34

44

§ S 34 Präpositionen: vor

Verhältnisses nur ein Glossenbeleg fur murin AWB 3, 1382, sonst Gegenwart, Anwesenheit einer Person utgietit furi imo herta iuua AWB ebd.; mit

Richtungsakkusativ ηι sentet iuuara merigrozza furi suin Τ 39.7, wio se scoltun fahan, zi herizohon ziahan, gibuntan furi kuninga thie sine liobun thegana 0 4.7.17, nieht hinder sih kehugendo . noh füre sih tenchendo NB 357.9. Andere Kasus: fora mit Genitiv nur pronominal und temporal

fora thes 'vorher, früher' die uuitiuun, die sih mit got is helfa inziehint dere uuerltlichen vuunne, in der sie fordis lebetin zärtlichen AWB 3, 1139 (11. Jh.), mit Instrumental fora allu 'vor allem' fora allu thurft ist, thaz er habe allicha gilauba AWB 3, 1145; fora thiu 'vorher, deshalb' sehs dagon fora thiu quam er zi Bethaniu Ο 4.2.5, er [...] sie thar lerta filu fram, io gidago fora thiu thaz sie irkantin thoh bi thiu Ο 4.1.11. Bei temporalen Relationen ist fora die geläufigste Präposition: thiz ist ther fan demo ih iu quad, thie dar after mir quementi ist, fora mir gitan ist, uuanta her er mir uuas Τ \3.S;furi nur einmal in der Bedeutung 'über ... hinaus': dhuo bilunnun dhiu blostar iro ghelstro, dhiu sie eomaer furi dhazs in iro samnunghe dhar haldan ni mahtun 1478 'da beendeten sie die Spenden ihrer Opferstätten, die sie nicht mehr über das hinaus in ihrer Gemeinschaft dort abhalten konnten'. Eine Differenzierung ergibt sich dadurch, dass fora nach Verben des Schützens, Helfens, Standhaltens, der Flucht und in Ausdrücken wie '(keine) Furcht haben vor' gebraucht wird, furi hingegen im Bereich der Bezeichnungen von 'Stellvertretung', 'Anstatt', 'Nutzen von' vorkommt, doch gibt es auch Ansätze zur Durchlässigkeit der beiden Gebrauchsberei-

che wie etwa ubil fora ubile nikeltan Β 22.3 (vgl. ouga furi ouga inti zan furizan Τ 31.1).

1.4.1.7. Vom Betrachtstandpunkt aus gesehen auf der Hinterseite bzw. auf die Hinterseite hin, 'hinter, nach' § S 35

1. after 'hinter, nach' und abgeleitete Bedeutungen; lokal mit Dativ bigin-

net anascowon thio fronisgon bluomon, thar liuti after wege gent, thie in themo akare stent Ο 2.22.13, mit der Sache als Ziel quad her in: quemet after mir Τ 19.2. Die häufigsten Belege finden sich für den temporalen und modalen Gebrauch ('nach'; 'gemäß, entsprechend, in Übereinstimmung mit'). Lokal mit Richtungsakkusativ: faruurfi uuort miniu after dih Β 16.24 (9. Jh); temporale und modale Bedeutungen sind unsicher und möglicherweise vom Lat. beeinflusst. Mit Instrumental kommt after nur in der Fügung after thiu/thisu in der Funktion einer Konjunktion vor, mit Genitiv nur im temporalen after thes und in einem Beleg in dero chuoli after untornes AWB 1,45. 2. hinter 'hinter, bei' (nur bei Notker, Notker-Glossator, Williram): lokal

mit Dativ tero folget bootes . uuanda er hinder iro gat NB 291.18, niet

§ S 38 Präpositionen: um

45

unreines ne dolet hinter imo beliban Will 132.15; lokal mit Richtungsakkusativ sunder dannan gestieze du siu hinder dih NB 103.15.

1.4.1.8. Im oberen Bereich, von unten nach oben, in einen oberen Bereich, 'auf, hinauf, über, gegenüber, über ... hinaus' und abgeleitete Bedeutungen Grundlage für ob(a)/uba(r)/üfan sind die verwandten Bildungen idg. *upo (IEW 1106) > ahd. oba, idg. *uperi (IEW 1105) > ahd. ubari und germ. *üf-ana > ahd. üfan. Zwischen oba und ubar stellt sich ansatzweise eine ähnliche Verteilung wie zwischen fora und furi (oben 1.4.6., möglicherweise mit gegenseitigem lautlichen Einfluss) ein. Lokal mit Dativ giang er after in tho sar oba themo wazare thar, fasto oba ther undu Ο 3.8.17, höh er oba mannon suebeta in then undon Ο Η.63, so uuaz thu gibintis ubar erdu, daz uuirdit gibuntan in himile Τ 90.3, η ist burg thaz sih giberge, thiu stentit ufan berge 0 2.17.13, mit Richtungsakkusativ (fast immer bei uba(rj) er fiiar ouh thanne ubar himila alle, ubar sunnun lioht joh allan thesan woroltthiot Ο 1.2.13, er ufan einan berg giang Ο 2.15.14.

§ S 36

1.4.1.9. Im unteren Bereich, von oben nach unten, in einen unteren Bereich, 'unter' Die Präposition unta(r) ist aus einem Zusammenfall zweier verschiedener idg. Formen *ndher 'unter' und *enter/*nter 'zwischen - hinein', als Adverb 'innerlich', entstanden. Der Unterschied dieser beiden Bedeutungen ist oft noch klar erkennbar. Lokal mit Dativ 'unter' ih sah thih [...] untar themo loube 0 2.7.63, nist [...] winkil untar himile Ο 1.5.53, 'zwischen' untar heriun tuem Hl 3, quam thuruh Sidonem zemo seuue Galileq untar mitte marca zehen burgo Τ 86.1; mit Richtungsakkusativ nim gouma waz thaz meinit, theiz untar erda zeinit Ο 5.1.26 'dass es (das Kreuz) unter die Erde zeigt'; auch in der Bedeutung 'zwischen' thaz kind wuahs untar mannon so lilia untar ihornon Ο 1.16.23; mit Instrumental in untar thiu 'unterdessen, indessen'.

§ S 37

1.4.1.10. Bewegung um eine Mitte als Bezugspunkt herum, 'um' umbi mit Akkusativ: sih fuarun thrangonti umbi man tho thie liuti Ο 4.30.1, auch bei gedachter Bewegung bigan tho druhtin redinon then selben zuelif theganon, then thar umbi inan sazun Ο 4.10.1 (ebenso in den Bedeutungen 'dafür, deshalb'). Kausale Bedeutung: hear quhidit umbi dhazs christus got

§ S 38

46

§ S 38 Präpositionen: um

endi druhtin ist I 130, ni giang in strit umbi thaz Ο 1.27.17, umbe iro unreht sint sie ferloren NP 503.8.

1.4.1.11. Seite § S 39

halb 'bei, -seits', formal ein Substantiv mit vorangestelltem genitivischen Attribut (nur bei Notker und Notker-Glossator, auch in Zusammensetzungen anderhalb usw.): nu solta ih aber dero anderro halb . so uilo sin sichureroNB 31.3.

1.4.1.12. Im gegenüber liegenden Bereich, in Richtung auf etwas, in einer gegenläufigen Bewegung, 'gegen' und abgeleitete Bedeutungen § S 40

1. widar lokal mit Dativ nu sculun wir unsih rigilon [...] widar fianton Ο 5.2.1, allgemeines Verhältnis deta er iz sconara [...] so win ist widar brunnen 0 2.10.11, mit Richtungsakkusativ mit thiu giduet ir widar got, thaz er iu ginadot Ο 1.24.11, mit Instrumental in der Fügung widar thiu 'andrerseits, dem gegenüber, im Gegenteil'. Die Bedeutungsbereiche von Dativ und Akkusativ sind oft nicht klar voneinander geschieden. 2. gagen lokal mit Dativ: so gnoto . daz ter mano uuilon foller gaendo gagen dero sunnun . tunchele die anderen Sternen NB 43.17; sichere Belege mit dem Akkusativ nur bei Williram: habe iedoh gegen mih den sito dero reion Will 47.7; mit Genitiv in der Fügung gagen des 'in welcher Richtung, weil, sofern' AWB, ähnliche Verhältniss bei ingagan.

1.4.1.13. Durchdringung eines umgrenzten Raumes, Überwindung eines größeren Raumes, Erstreckung über einen Raum § S 41

thuru(c)h lokal mit Akkusativ fuar er thuruh Samariam Ο 2.14.5 und weitere abgeleitete Bedeutungen (temporal, instrumental, kausal, final s. AWB).

1.4.1.14. Von einem Ort weg § S 42

1. aba mit Bezug auf einen Punkt der Trennung, lokal mit Dativ wettu irmingot obana ab hevane Hl 30, sonst häufiger erst bei Notker: diu nider rinnenta aha aba demo berge NB 56.23, ih habo daz stuppe dero irdiskon gedanko abo mir mit uuirdegero ruiuuon zäheren geflozzet Will 78.8. Mit kausalem Sinn: dar [in die Hölle] choment sie aba iro guollichi NP 316:10.

§ S 43 Präpositionen: zi, unz

47

2. fon(a) mit Bezug auf eine Richtung oder Erstreckung von einem Punkt aus und abgeleitete Bedeutungen, besonders 'von einer Person/Sache weg' und dann als Bezeichnung der Abstammung und Herkunft, lokal mit Dativ neo nist zi chilaubanne dhazs fona dhemu salomone sii dhiz chiforabodot I 638, brot gotes ist thaz thar nidarstigit fan himile Τ 82.6, siu fuarun fon theru bürg uz zi themo druhtines hus Ο 1.14.19, tia uuat si iro selbiu uuorhta ! so ih after des fone iro uernam NB 10.20; als Resultat einer Bewegung: argangfon mir Τ 19.8; mit anderen Kasus in Fügungen (fone thes 'seitdem, da', fone thanan 'von da an, daher, darum', fona thiu 'durch, deshalb, dadurch', fona thesiu 'daraus, von daher'); im temporalen Sinn: fon giburti Τ 132.1, fon anagenge worolti Τ 3.35, fon jugendi Ο 1.4.34, blint was fon giburti Ο 3.20.122; in festen Verbindungen bei reden, erzählen: fona imu quhad der psalmscof I 567, for as agon sungun fon thir Ο 1.5.19 (älter ist hier der Genitiv: ich fragen iuuih ouh eines uuortes Τ 123.2.); mit kausaler Bedeutung: fon im selbemo ni quad Τ 135.30, sprichis sulih thu fon thir? 0 4.21.7; in passivischen Sätzen zur Bezeichnung des Agens: gisentit uuard engil Gabriel fon gote in thie bürg Galilei Τ 3.1; nach Ausdrücken wie leer, lose, lösen bei Personen: er unsih tho gidrosti, fon fianton irlosti Ο 3.2.4. (bei Sachen gebraucht Otfrid den Genitiv, s. § S 75.). Notker hat hier nur mehr die Präpositionalphrase: lose mih fone dien noten . die mih umbe fangen habent NP 172.6. Bei den Verben des Errettens und den Präfixverben mit separativem ir- und int- steht die Präposition: fon tode nerien Ο 3.7.90, nere mih fone minen fienden NP 22.12, arstanti fon slafe Τ 5.10, er stuant fon then restin Ο 4.11.38. Partitive Fügungen wie gebet uns fon iuuueremo ole Τ 148.5 sind wohl lehnsyntaktisch. 3. fram lokal mit Dativ sicher nur in sela fram hello kihalota Gl 4, 8.26 (Je).

1.4.1.15. Zu einem Ort hin In einer Verbalhandlung, die eine Bewegung zu einem Ort hin bezeichnet, kann der Ort entweder als statische Größe und daher mit dem Dativ der Ruhe ausgedrückt werden oder es wird die Bewegungsrichtung hervorgehoben, in der der Ort nur als Grenze des Verbalvorgangs in Erscheinung tritt und dementsprechend der Akkusativ. Die Bezeichnung des Unterschieds zwischen Ziel und Erstreckung ist aber im Ahd. durch verschiedene Präpositionen festgelegt, daher ist die Kasusvarianz innerhalb dieser Präpositionen deutlich eingeschränkt. 1. zi lokal als Zielbedeutung (Richtung) mit Dativ: chisendit uuard chiuuisso zi dheodum I 2, quad Zacharias zi themo engile Τ 2.8, zi imo er ouh tho ladota thie wisun man Ο 1.17 tiu inblandena rihtet sie aber ze uuege

§ S 43

48

§ 43 Präpositionen: zi, unz

NB 133.19, mit Instrumental in den Fügungen zi thiu (thaz) 'damit, dazu', zi etewiu 'in einer Beziehung', zi wiu /zi hiu /ziu 'warum, weshalb' und zi wihtu iz sid ni hilfit 'zu etwas hilft es (das verdorbene Salz) danach nicht' 0 2.17.9, zi guatu ir min ni machet 0 4.16.40 'aus guter Absicht'. Der Akkusativ kommt nur in Glossen und in der Benediktinerregel vor: ze inan Β 8.32, ze dih Β 9.2. 2. unz (< unt-zi), untaz(s) (< unt-az oder < und-pat nach Matzel) 'bis, während' als Erstreckung mit Akkusativ, oft verstärkt durch an(a), in, zi: untazs dhea chumft Christes chiburdi I 581, unzan hiutlihhan tag Τ 193.5, unz selban mitten then dag Ο 4.24.23, unz ende uuerlte NP258.11. Mit lokalem Dativ: then iro mihilan haz then druagun sie io in ware unz themo ßarzegusten jare Ο H.89; hier liegt die Perspektive weniger auf dem zeitlichen Verlauf als auf dem Zeitpunkt, an dem das Geschehen zu Ende ist: Die Juden trugen ihren großen Hass gegen Moses bis zum vierzigsten Jahr (vgl. Erdmann, Anmerkungen). Weitere Fügungen: untazs in mit Akkusativ, untasz zi mit Dativ, untasz mit Adverb. 3. Zusammengesetzte Präposition mit dem Genitiv iagiwedarhalb: thie sceidit er in war min iagiwedarhalb sin Ο 5.20.31. Die folgenden Präpositionen haben keine ursprünglich lokale Bedeutung, unterscheiden sich aber in ihrer syntaktischen Funktion nicht wesentlich von den anderen Präpositionen.

1.4.1.16. Präpositionen mit temporaler Bedeutung §S44

1. er 'vorher, bevor, früher' mit Dativ: er tage Gl I 378.23, qr dauides dode I 644, mittiu danne ih quimu, ander eer mir nidarstigit Τ 88.2, er sines dages enti Ο 1.15.6, er dero uuerlte bist du fater min NP 108.7. Andere Kasusformen sind selten: Genitiv e tages '(noch) vor Tageseinbruch', e zltis (nicht in allen Handschriften), Instrumental in den Fügungen er thiu 'vorher, zuvor', er allu 'vor allem' (AWB 3,345). 2. sid 'nachher, seit' mit Dativ: er saz sid themo gange in themo oliberge Ο 4.7.5, sid minero muoter brüsten . uuare du min gedingi NP 108.6.

1.4.1.17 'ohne' § S 45

Die Präposition änu 'ohne, außer' nimmt aus einer Verbalhandlung eine Größe aus und bezeichnet damit in Abhängigkeit von Behauptung oder Negation eine Beschränkung der Satzaussage. Als Bestimmung eines Satzteiles oder des ganzen Satzes werden verschiedene Eigenschaften oder Satzmodalitäten bezeichnet, die in ihrer Vielfältigkeit hier nicht genau dargestellt werden können (vgl. die Übersicht im AWB). Die entsprechenden Präpositionalphrasen kommen in einer großen Vielzahl von syntakti-

§ S 46 System der lokalen und temporalen Präpositionen

49

sehen Funktionen vor (adverbial, attributiv, prädikativ usw.). In seinen Rektionseigenschaften unterscheidet sich änu von den anderen Präpositionen dadurch, dass hier der Gegensatz zwischen Ruhe und Richtung nicht relevant ist. Es erscheint wie im Nhd. in allen Bedeutungen mit ganz wenigen Ausnahmen der Akkusativ. Einige wenige Beispiele aus Otfrid mögen hier genügen: zellet thaz ana wane ai in iuweran thanc Ο S.26, iz mizit ana baga al io sulih waga 0 1.1.26, thar lisist scona gilust ana theheiniga akust Ο 1.1.30. Ganz selten kommen andere Kasusformen vor. Mit dem Genitiv ist bei Notker eine Einschränkung eines Satzglieds bezeichnet: ebenmichel sint ane des mittelosten (bezogen auf die sieben Sterne des Großen Bären) nach AWB 1, 599, wofür Grimm (Gr 4, 963) den "conjunctionellen gebrauch" verantwortlich macht; ganz sicher gilt das jedenfalls für den einen Beleg aus Otfrid ist uns in thir giwissi ouh thaz irstantnissi, thaz unser stubbi fulaz werde avur sulih soso iz was. thu weltist ouh ana thes thes selben urdeiles Ο 5.24.11, wo sich ana thes auf den ganzen vorangegangenen Textausschnitt bezieht. Die Stellen mit dem Dativ sind Nachbildungen der lateinischen Ablativkonstruktion (AWB ebd.).

1.4.2. System der lokalen und temporalen Präpositionen Die räumlichen und zeitlichen Dimensionen geben ein Strukturgefüge vor, das eine Gliederung in Oppositionen und damit eine strukturalistische Darstellung möglich macht. In einer solchen Darstellung werden auch Veränderungen im Ausdruckssystem innerhalb des Ahd. deutlich sichtbar. Es gibt verschiedene gleich berechtigte Möglichkeiten, räumliche Verhältnisse in Oppositionen zu gliedern. Die hier verwendete Gliederung richtet sich nach den einzelsprachlichen Ausdrucksformen. Die wichtigsten Dimensionen werden im Folgenden in Tabellenform dargestellt; die Darstellung orientiert sich an den Forschungen von Philippe Marcq und Maxi Krause. In diachronischer Sicht sind Unterschiede in drei Textgruppen erkennbar: Die älteste Gruppe umfasst Isidor, Tatian und Otfrid, die mittlere Notker und die jüngere Williram. Da gelegentlich auch in der ältesten Textgruppe Unterschiede zwischen den einzelnen Texten erkennbar sind, werden grundsätzlich alle Texte eigens angeführt. So werden auch die Fälle deutlich, wo keine Belege ausgewertet werden können (bezeichnet durch ?, unsichere Belege in Klammern).

§ S 46

50

§ S 47 Erstes Hauptsystem

1.4.2.1. Erstes Hauptsystem: Räumliche Einteilung in Bezug auf einen orientierten Gegenstand § S 47

In diesem System sind drei Achsen vorhanden: Eine vertikale Achse {oben unten), ausgehend vom stehenden Menschen; eine horizontale Achse {vorn - hinten), die der Blickrichtung und dem normalen Gehen entspricht; eine weitere horizontale Achse senkrecht zur den beiden anderen {neben, links - rechts). Innerhalb dieses Systems bestehen vier Relationen: 1. lokativ - direktiv (z.B. innerhalb - hinein), 2. innen - außen, 3. im äußeren Raumbereich: Kontakt - Distanz {an/auf - andere Präpositionen), 4. im Raumbereich Distanz: weitere Oppositionen nach den drei Achsen (vertikal unter - über, horizontal 1 vor - hinter, horizontal 2 neben). Eine Präposition wie auf enthält als zusätzliche Information "Kontakt nach dem Ansatzpunkt der Schwerkraft'. Bestimmte Oppositionen können auch neutralisiert sein. Wie gewöhnlich kommen auch polyseme und synonyme Ausdrücke vor. 1. Zentrum und Bereich oberhalb in vertikaler Richtung Text

innen

außen

neutral

Kontakt

Distanz

alle Stellungen

Ansatzpunkt der Schwerkraft

Isidor

in

?

in/ubar + Akk.

ubar + Akk.

oba

Tatian

in, innan

in, anan

in/anan/ufan/ubar + Akk.

ubar + Akk.

oba

Otfrid

in, innan

in, anan

in/anan/ufan

ubar + Akk.

oba

Notker

in

in/an

in/an/ufen

über + Akk.

obe

Williram

in

an

an/üffe

über + Akk.

Die Präposition üfan (auch üfin geschrieben) ist wohl eine Zusammensetzung aus üf + an/in 'im Kontakt mit dem oberen Teil des Bezugsgegenstandes'. Lat. ascendit in montem wird übersetzt steic in berg Τ 80.8, steic ufan berg Τ 22.5. 2. Unterer Bereich einer vertikalen Achse Text

lokativ

direktiv

Isidor

?

undar + Akk.

Tatian, Otfrid

untar + Dat.

untar + Akk.

Notker

unter + Dat.

unter + Akk.

Williram

unter + Dat.

?

51

§ S 47 Erstes Hauptsystem

3. Ende einer Linie lokativ

Text

direktiv

vome

hinten

vome

hinten

Isidor

fora + Dat.

7

7

7

Tatian

fora + Dat.

?

furi + Akk.

after + Dat.

Otfrid

fora + Dat.

7

furi + Akk.

after + Dat.

Notker

fore + Dat.

hinder + Dat.

füre + Akk.

hinder + Akk.

Williram

füre + Dat.

hinder + Dat.

7

?

4. Seitlich einer Linie Text

lokativ

direktiv

Weingartner Reisesegen

nebin + Dat.

?

7

Isidor Tatian

nah + Dat.

nah + Dat.

Otfrid

?

?

Notker

neben + Dat.

unter + Akk.

Williram

Zu diesem Hauptsystem kommen noch zwei Subsysteme, die perlative Relation (Übergang: durch) und die ablative Relation (Ausgang: aus). Ein weiteres Subsystem enthält Neutralisierungsfalle.

5. Perlatives Subsystem Text

innen

außen oben unten

Isidor

dhuruh

seitlich

?

7 Tatian

thuruh

ubar 7

(umbi)

Otfrid

thuruh

ubar 7

7

Notker

durh

über 7

umbe

Williram

durh

über 7

(iumbe)

52

§ S 47 Erstes Hauptsystem

6. Ablatives Subsystem Text

innen

außen/Kontakt

Isidor

? (fona+ Dat.)

ab + Dat.

Tatian

uzan + Dat.

/on + Dat.

Otfrid

ir/uzar + Dat.

fan + Dat.

Notker

uzer + Dat.

ab + Dat.

Williram

üze + Dat.

abe + Dat.

7. Subsystem der Kookkurrenz zu lokativ/direktiv mit Neutralisierung von 'vorne - hinten' und 'links - rechts' Text

lokativ

direktiv

Neutralisierung aller Oppositionen

Neutralisierung von 'vorne hinten' und 'links - rechts'

Neutralisierung aller Oppositionen

Neutralisierung von 'vorne hinten' und 'links - rechts'

Isidor

ze

azs

zi

?

Tatian

zi

bi

zi

bl

Otfrid

zi

bT

zi

bT

Notker

ze

bi

ze

bT

Williram

ze

bT

ze

bT

1.4.2.2. Zweites Hauptsystem: System mit zwei Beteiligten § S 48

Hier sind die drei Achsen aus dem ersten Hauptsystem nicht relevant. Es ist ein System, das nur nach dem Prinzip der Relativität in Stellung und Bewegung aufgebaut ist. 1. Raumbereich zwischen zwei oder mehreren Beteiligten Text

zwei Beteiligte

mehr als zwei Beteiligte

Isidor

undar

undar

Tatian

untar zuisgen

untar

Otfrid

undar

undar

Notker

under zuisgen

under

Williram

in zwischen

unter

§ S 48 Zweites Hauptsystem

53

2. System des Folgens (Ortsveränderung zweier Beteiligter in der gleichen Richtung) Text

Beteiligter 1 geht vor 2

Beteiligte 1 und 2 folgen

Tatian

fora + Akk. fiiri + Akk.

after + Dat.

Otfrid

fora + Dat.

?

Notker

fore + Dat. füre + Akk.

näh + Dat.

Williram

?

näh + Dat.

3. System der Annäherung a. statisch Phase

Isidor

Tatian

Otfrid

Notker

Williram

1 gegenüber

?

widar + Dat.

7

uuider + Dat.

7

2 Kontakt

7

anan + Dat.

anan + Dat.

an + Dat.

an + Dat.

3 bedeckend bedeckt

7

ubar + Akk.

7

über + Akk.

über + Akk.

7

7

untar + Dat.

7

?

7

umbi + Akk. in + Dat.

umbi + Akk. in + Dat.

umbe + Akk. in + Dat.

umbe + Akk. in + Dat.

4 umgebend umgeben

in + Dat.

b. dynamisch Phase

Isidor

Tatian

Otfrid

Notker

Williram

1 Annäherung: 1 und 2 sind beweglich 1 oder 2 ist beweglich

widar + Dat.

widar + Dat.

uuider + Dat.

(in)gegen + Dat.

2 Kontaktnahme

anan + Akk.

anan + Akk.

an + Akk.

an + Akk.

ubar + Akk.

ubar + Akk.

ubar + Akk.

über + Akk.

über + Akk.

?

7

7

7

7

7

3 bedeckend bedeckt

ingegin + Dat. ingegin + Dat.

(in)gegen + Dat.

4 umgebend umgeben

in + Akk.

umbi + Akk. in + Akk.

umbi + Akk. in + Akk.

umbe + Akk. in + Akk.

umbe + Akk. in + Akk.

5 Weggang Ausgang

fona + Dat. fona + Dat.

fona + Dat. üzan + Dat.

fona + Dat. üzar + Dat.

fone + Dat. üz + Dat.

uone + Dat. üzze + Dat.

6 Kontaktverlust

ab + Dat.

fon + Dat.

fona + Dat.

ab + Dat.

abe + Dat.

Das in den ahd. Texten nicht nachweisbare Oppositionsglied 'bedeckt' ist ab dem Mhd. durch unter + Akk. besetzt.

54

§ S 48 Zweites Hauptsystem

4. System des Ausweichens a. Die Beteiligten bewegen sich in parallelen Ebenen Nur bei Tatian furi + Akk. b. Die Beteiligten weichen einander aus Text

Umgehung

Kollision

Durchdringung

Isidor

?

?

dhuruh

Tatian

?

widar

thuruh

Otfrid

?

widar

thuruh

Notker

umbe

?

durh

Williram

?

gegen

durh

1.4.3. System der temporalen Präpositionen § S 49

Man kann zwei Systeme unterscheiden: 1. Eine Achse, welche dem Zeitverlauf von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entspricht, und 2. eine Achse innerhalb eines linearen Bezugsraumes mit verschiedenen Realisationsphasen (prospektiv 'etwas wird geschehen', kursiv 'etwas ist dabei zu geschehen', resultativ 'etwas ist geschehen'). In der 1. Achse liegt ein Bezugspunkt, von dem aus man die Zeiträume in 'vorher' und 'nachher' gliedern kann. 1. System des Zeitverlaufs mit Bezugspunkt vorher

nachher

Ausgangspunkt

Zielpunkt

er + Dat. fora + Dat. fora + Instr.

after + Dat. öfter + Instr. sld + Dat.

fon + Dat.

unzart + Dat.

er + Dativ und after + Dativ sind die häufigsten Ausdrücke: so was io wort wonanti er allen zitin worolti; thaz wir nu sehen offan, thaz was thanne ungiscafan. er alleru anagifti theru druhtines giscefti, so wes iz mit gilusti in theru druhtines brusti Ο 2.1.5, after then tason intfieg Elisabeth Τ 2.11, Ο 3.17.1. Seltener ist fora + Dativ: was tho garotag fora ostron Τ 198.3, giwisso wizzun wir thaz theiz fora then ostoron was, tho druhtin wolt es waltan, fon themo grabe irstantan Ο 3.7.5. Bei bekanntem Bezugstermin steht in beiden Zeiträumen der Instrumental thiu: sehs_dagon fora thiu quam er zi Bethaniu Ο 4.2.5, er_ahlo_dqgpn after thiu [...] er ufan einan berg giang 0 3.13.43. Die Distanz zum Bezugstermin wird durch einen

55

§ S 49 System der temporalen Präpositionen

Dativ oder durch er_± Dativ bezeichnet. Wenn der Prozess von der Bezugsperson aus gesehen in der Vergangenheit liegt, steht sid + Dativ: fuar tho druhtin thanana sid tho therera redina, sid tho themo thinge zi themo heiminge Ο 2.15.1 (nhd. nicht 'seit', sondern 'nach'). Bei neutralisierter Opposition von Zeitverlauf und Zeitpunkt steht bei fortdauerndem Prozess ablativ (Ausgangspunkt) fori + Dativ (nhd. 'seit'): was tho giheilit iro tohter fon thero ziti Τ 85.4, her was iu gerontifon manageru ziti inan gisehan Τ 196.4, ist er [Johannes] ouh fon jugendi filu fastenti Ο 1.4.34, direktiv (Zielpunkt) was thar unzan hinafart Herodes Τ 9.9., fon theru sehstun ziti finstarnessu warun ubar alia erda unzan niuntun zit Τ 207.1, ni nimit se [die Jünger] mennisgen haz (giwisso wizit ir thaz) unz anan woroltenti fon mines fater hentil Ο 3.22.27. 2. System des Segments statisch

perlativ

direktiv

Zeitspanne: in + Dat. (häufig), in + Akk. (selten), in(nan) + Gen., Instr. Prozess mit Agens des Bezugsprozesses = die Bezugsperson und reinem Sein: in + Gerundium im Dat.

ubar + Akk. untar + Dat.

unz(an) + Akk. unz + in + Akk. unz + anan + Akk. unz + Adverb fon + Dat. + hina fon /zi + Dativ (+ ablativ)

Neutralisation statisch - perlativ (Ko-Okkurenz): zi + Dat., bi + Dat., mit + Instr.

Beispiele: Statisch - Zeitspanne - in + Dativ: minen wortun, thie thar gifultu werdent in iro ziti Τ 2.9, in dagon eines kuninges, joh harto ßrdanes, was ein ewarto Ο 1.4.1, in + Akkusativ: ther evangelio thar quit, theiz wari in wintiriga zit Ο 3.22.3, beides ir ni wizzut wanne truhtin cumit, spato oda in mitteru naht, oda zi hanacrati, oda in morgan T147.7, innan + Genitiv: (nur thes) zaltun imo ouh innan thes thrato filu liebes Ο 3.2.27, innan + Instrumental (nur thiu): sprah tho druhtin innan thiu, quad [...] Ο 3.8.29, Gerundium: er ouh Jacobe ni sueih, tho er themo bruader insleih, was io mit imo thanne in themoßiahanne Ο Η.81; perlativ: ubar + Akkusativ: gieng in berg beton inti was ubar naht betonti Τ 70.1, rihta gener scono thie gotes liuti in frono: so duit ouh therer ubar jar Ο L.59, untar + Dativ: untar thesen ahton joh managen gidrahton ni wan ih, imo brusti grozara angusti Ο 2.4.35; direktiv unz + Akkusativ: erda hialt uns tho in war scazzo diuroston thar, dreso thar giborgan unz sunnun dag in morgan Ο 4.35.42, unz + in + Akkusativ: int uns ist iz in ther elti binoman unz in enti Ο 1.4.56, unz + anan + Akkusativ: ni nimit se [die Jünger] mennisgen haz (giwisso wizit ir thaz) unz anan woroltenti fon mines fater hentil Ο 3.22.27, unz + Adverb: ja

56

§ S 49 System der temporalen Präpositionen

gisparatos avur thu then guaton win unz in nu! Ο 2.8.51, direktiv + ablativ: fon anagenge worolti unz anan ira ziti zeli thu thaz kunni, so ist einlif stunton sibini Ο 1.3.35,joh wir thar muazin untar in blide fora gote sin fon ewon unz in ewon mit then heilegon selon! Ο 1.28.20, fon alten zitin hina forn so sint thie buah al theses fol Ο Η. 126, fon worolti zi worolti sin thih iamer lobonti! Ο 2.24.46. In so warun se [Elisabeth und Zacharias] unzan elti thaz lib leitendi Ο 1.4.10 ist der Kasus nach unzan nicht zu erkennen; mit Präpositionalphrase lazet iogiwedar wahsen unzan zi arni Τ 72.6. Neutralisation statisch - perlativ: zi + Dativ fragetun se thuruh not, wer ther wari theiz gibot; er sar zi thera fristi quad es wiht ni westi Ο 3.4.39, bi + Dativ: joh sprechent hiar in riche thie liuti ouh sumiliche, thu sis giwisso heiler thero forasagono einer, thie ju bi alten woroltin then liutin wuntar zelitin Ο 3.12.17, mit + Instrumental (nur thiu): mit thiu her tho arsteig in skef bat in ther man Τ 53.13. Grenzbezogen erscheint bei Tatian noch umbi: umbi thia niuntun zit riof ther heilant Τ 207.3. Zu den entsprechenden reinen Kasusformen s. § S 93ff. Anm. 1. Ursprüngliche Richtungskonstruktionen bei Verben (oft zi + Dativ) werden im Lauf der Sprachgeschichte durch andere Konstruktionen ersetzt. Am besten belegt sind folgende Verbgruppen: Wollen, Wünschen (gerön: ecchert eines tinges kereta ih ze gote . daz forderen ih NP 136.14 'begehrte ich von Gott'; thiggen: dote man irquiket thar irzi mir es thigget Ο 5.16.39, ni lazet ni ir gihugget joh mir ginada thigget mit minnon füu fallen, zi selben sancti Gallen! Ο Η. 153); thingen: mir iagilih io wangta thes ih in iuih thingta Ο 5.12.109 'das ich von euch erhoffte'; beton: suoze demo . der an dih petot fone herzen NP 610.6; threwen 'drohen': unde daz sie daz fanden . darazuo in Got treuta . nals daz in diabolus ke-hiez NP 660.1 'sie fanden das, wozu ihnen Gott drohte, nicht das, was ihnen der Teufel verhieß'; muoten: taz teta si mit tien defensionibus . daz ze iro bezeren uuan nesi. noh ze iro nioman bezeren muoten nesule NB 109.10), Fragen (eiscön: er eischota avur sar tho zi in, wenan sie thar suahtin 0 4.16.44), Gemütsbewegung (frewen: ni mugun sih frewen herasun 0 5.23.46; sih belgan: sih zi iamanne ni beige 0 2.18.15; biogen [metaphorisch] 'böse auf jmdn. sein': er bieget zemo guate Ο 5.25.61; huggen: tharazua er hugita Ο 4.8.26, rätan: riatun io ubar thaz in thaz ferah sinaz Ο H.91; ßrneman: sid gab er nan [den Heiligen Geist] fan obana, thaz manßrnami thanana Ο 5.12.96 'dass der Mensch von dort toben] erkenne'). Alte Ruhekonstruktionen sind bei neman belegt: ther puzz istfilu diofer; war nimist thu thanne ubar thaz wazarßiazzantaz? Ο 2.14.29 'woher nimmst du das fließende Wasser?' Bei perfektivem Gebrauch stehen Ruheangaben für das Ziel: arstant inti gistant in mitten! Τ 69.3 'steh auf und tritt in die Mitte!', quam thara gotes engil inti gistuont nah in Τ 6.1. Die heute gebräuchliche Konstruktion denken an (älter mit dem Genitivobjekt) findet sich im Ahd. erst bei Notker: an dero stilli dahta ih an die alten daga. die nu irgangen sint NP 532.12.

2. Satzgliederund Satzbaupläne (Satzmuster) 2.1. Einleitung Lit.: Desportes 1997.

Sätze sind aus Komplexen zusammengesetzt, die herkömmlicherweise als Satzglieder bezeichnet werden. Satzglieder sind die Komplexe zwischen Wort und Satz unterhalb der Satzebene, wobei innerhalb von Satzgliedern ebenfalls Komplexe unterschieden werden können. Einheiten aus mehren Wörtern nennt man herkömmlicherweise Wortgruppen oder in strukturalistischer Sicht Konstituenten. Die valenztheoretische Vorstellung, dass das finite Verb als strukturelles Zentrum des Satzes die einzelnen Satzgliedstellen festlegt, fuhrt dazu, dass man das Verb selbst nicht als Satzglied, sondern als satzorganisierendes Element betrachtet. Satzglieder sind zunächst nur durch ihre syntaktische Funktion bestimmt und können daher verschiedene Formen annehmen: einzelne Wörter (Substantive, Adverbien), Nominal- und Präpositionalphrasen, satzförmige Phrasen (Nebensätze). Alle diese Formen können durch Attribute, die selbst nicht als Satzglied gelten, erweitert sein. Satzbaupläne entstehen dadurch, dass die Vielzahl der möglichen Sätze auf eine beschränkte Zahl von Strukturmustern zurückgeführt wird, die sich aus der semantisch-syntaktischen Funktion der Prädikatsverben ableiten lassen. Diese Strukturmuster sollen dabei auch bestimmten inhaltlichen Kategorien entsprechen. Schon die traditionelle Unterscheidung von transitiven und intransitiven Verben erlaubt eine Unterscheidung zwischen Vorgangssätzen und Handlungssätzen; dazu kommen noch die Prädikativa, die substantivisch eine Identifizierung und adjektivisch eine Beurteilung oder eine Charakteristik bezeichnen. Während für die Beschreibung und Klassifizierung von Satzgliedern ein Verfahren zur Verfügung steht, das traditionell-grammatische und strukturalistische Konzepte aufgreift und sich in wesentlichen Bereichen zu einer weitgehend einheitlichen theoretischen Grundlage verdichtet, ist das im Bereich der Satzbaupläne nicht so. Schon die sehr unterschiedliche Zahl von Grundmustern in den grammatischen Beschreibungen des Nhd. (4 36) zeigt die große methodische Verschiedenheit der Beschreibungsansätze; zudem ist auch die Verbindung von formalen Merkmalen und inhaltli-

§ S 50

58

§ S 50 Satzglieder und Satzbaupläne

chen Leistungen nicht immer eindeutig nachzuvollziehen. Strukturmuster entstehen durch feste Verbindungen ihrer Elemente, und das bedeutet, dass alle freien (weglassbaren) Elemente im Grund nicht zu diesen Mustern gehören. Frei sind diese Elemente dann, wenn sie autonome syntaktischsemantische Funktionen haben und im Prinzip zu jedem Prädikat hinzutreten können. Im "VerbumgebungsmodeH" geht man von der Auffassung aus, dass der kategorielle Status von Satzgliedern sich in der Sprachgeschichte ändert, alle Satzglieder zunächst frei sind und erst im Lauf der Sprachentwicklung in feste Verbindungen treten und damit ihre Autonomie verlieren; dann sind auch Satzbaupläne Ergebnisse sprachgeschichtlicher Entwicklungen. Man kann dann voraussetzen, dass in älteren Sprachstufen Satzglieder prinzipiell autonom und daher frei sind und dass man daher für die Beschreibung dieser Sprachstufen ohne das Konzept (bzw. mit einem minimalen Konzept) von Satzbauplänen auskommen kann bzw. muss. Tatsächlich kann sich die traditionelle Syntax der klassischen Sprachen weitgehend auf eine ausgebaute Kasussyntax beschränken. Das Gegenmodell ("Verbzentrumsmodell") besteht darin, dass man durch universalgrammatische und komparatistische Erwägungen eine bestimmte Zahl und Art von Mustern gewinnt, die, wenn sie sich an handlungslogischen Unterscheidungen orientiert, ein sprachübergreifendes Konzept darstellen und zugleich auch inhaltliche Kategorien berücksichtigen. Dieses Verfahren, das vornehmlich im Bereich der valenztheoretischen Ansätze üblich ist, kann dann genauso gut auf lebende Sprachen wie auch auf ältere und rekonstruierte Sprachstufen angewendet werden. Eine Beschreibungsmöglichkeit, die die syntaktische Organisation des Satzes von der Verbumgebung her darstellt und somit als Alternative zum Valenzkonzept verstanden werden kann, hat Jean Haudry vorgestellt und Yvon Desportes für das Ahd. ausgeführt (Desportes 1997). Nach Haudry leiten sich alle transitiven Sätze der idg. Sprachen von einem Ur-Modell mit drei Aktanten her: einem Subjekt im Nominativ, einem Objekt in Kontaktbeziehung zum Subjekt (äußerer Kontakt als gehaltener, getragener oder gebrauchter Gegenstand oder interner Kontakt als unveräußerlicher Besitz, Glied oder Eigenschaft, formal eine Nominalgruppe im Instrumental) und einem Zielobjekt außerhalb der Sphäre des Subjekts (formal im Akkusativ mit direktiv-vektorieller Bedeutung). Im Ahd. hat sich diese Grundstruktur nicht erhalten: Der Instrumental ist kaum noch vertreten, der Akkusativ hat seine direktiv-vektorielle Bedeutung verloren und tritt in zwei semantischen Klassen auf, 1. dem affizierten Gegenstand, der schon vor dem Verbalvorgang existiert, von der Tätigkeit ergriffen ist oder eine Ortsveränderung erfährt (dua huldi thino ubar mih Ο 1.2.48) und 2. dem effizierten Gegenstand, der erst durch die vom Verb angegebene Tätigkeit hervorgebracht wird (laz sia [...] duan thiu werk Ο 4.2.31). Bei 1 enthält

§ S 50 Satzglieder und Satzbaupläne

59

duan eine Bedeutungskomponente der Bewegung und demgemäß eine Präpositionalgruppe mit direktivem Wert, bei 2 die Bedeutungen 'tun, machen, zustandebringen, hervorbringen'. Hier kann auch das Objekt weggelassen werden: druhtin deta soso zam Ο 2.12.71. Die direktiv-vektorielle Komponente des Akkusativs ist hier in das Verballexem integriert (Desemantisierung des Akkusativs). Beide Akkusativklassen und mit ihnen beide Verbgruppen entsprechen verschiedenen Entwicklungsmodellen: Bei 1 bleiben die Beziehungen zwischen den Aktanten des Ur-Modells erhalten, nur ändert sich die Ausdrucksform: An der Stelle des idg. Instrumentals steht der Akkusativ, statt des Akkusativs mit vektorieller Beziehung eine direktive Präpositionalgruppe, ein direktives Adverb oder ein Dativ. Bei 2 ist der Akkusativ zur Bezeichnung des grammatischen Objekts geworden. Als Zwischenstufen sind Strukturen mit Akkusativ und Dativ und doppeltem Akkusativ vorhanden. In der Struktur "Akkusativ (effiziertes Objekt) + Dativ" hat der Dativ die Funktion eines prospektiven Objekts: zi honidu imo iz datun Ο 4.22.29, in Akkusativ + Akkusativ ist der frühere vektoriale Akkusativ noch erhalten, was sich daran zeigt, dass er auch durch eine vektoriale Präpositionalphrase ersetzt werden kann: altduam suaraz duit uns iz urwanaz Ο 1.4.52, nu duent iz man ginuage zi scahero luage 0 2.11.23. Dieses Verbumgebungsmodell berücksichtigt die Wechselwirkung zwischen den syntaktischen Strukturen und den Elementen, die sie erfüllen: Beide sind als sprachliche Zeichen Bedeutungsträger. Im Verbzentrumsmodell eröffnet das Verb als strukturelles Zentrum des Satzes mit seinen zu füllenden Leerstellen (Ergänzungen) und mit frei hinzutretenden Angaben verschiedene syntaktische Strukturen, die zur Unterscheidung grundlegender Satzbaupläne mit spezifischer semantischer Leistung herangezogen werden können. Im Normalfall werden im Nhd. bis zu drei oder vier (obligatorische) Ergänzungen und dementsprechend viele Satzbaupläne unterschieden. Prädikative Adjektive können als sekundäre Valenzträger wiederum Ergänzungen binden, wobei meistens drei solcher Ergänzungen als oberster Rahmen angesetzt werden. Wenn man die prädikativen Phrasen als funktionsgleich mit einfachen verbalen Prädikaten auffasst {Er ist seinen Kollegen eine Antwort schuldig - Er schuldet seinen Kollegen eine Antwort), ergibt sich ein Grundmodell von drei (oder vier) Satzbauplänen. Durch weitere formale Aufgliederung der einzelnen Valenzstellen und mancher attributiver Phrasen ("sekundäre Satzglieder") können noch mehr Arten von Satzbauplänen unterschieden werden. Valenztheoretisch gelten manche Adverbialbestimmungen als Ergänzungen, wenn sie von der Bedeutung des Prädikatsverbs gefordert werden (z.B. die Richtungsbestimmungen bei Bewegungsverben). Vom eigentlichen Dativobjekt als Ergänzung wird ein "freier Dativ" unterschieden, der (mit unterschiedlichen Kriterien) meist als Angabe verstanden wird. Präpositional-

60

§ S 50 Satzglieder und Satzbaupläne

phrasen sind meist Adverbiale, bei vom Prädikatsverb festgelegter Präposition aber Ergänzungen ("Präpositionalobjekte"). Sonst haben Ergänzungen meist die Form eines reinen Kasus, sodass diese Form als (wenigstens prototypisches) Zeichen für den Valenzstatus betrachtet werden kann. Daneben gibt es aber auch "adverbielle Kasusformen" wie der temporale Akkusativ (den ganzen Tag), die wegen der Kommutationsmöglichkeit mit Adverbien (heute) zu den (nicht valenzgebundenen) Angaben gezählt werden. Wörter im adverbialen Genitiv wie rings, flugs, abends gelten meist nicht als Nomen sondern als Adverbien. Dazu kommt noch das seltene Genitivobjekt. Den einzelnen Valenzstellen können verschiedene semantische Rollen zugeteilt werden, sodass sich auf diese Weise ein überschaubares Muster von Satzbauplänen und Handlungsstrukturen ergibt. Problematisch an allen valenztheoretischen Ansätzen ist, dass die Valenzbestimmung eine genaue semantische Analyse des Prädikatsverbs und damit gegebenenfalls die Unterscheidung verschiedener Bedeutungsklassen (polyvalente Verben oder gar verschiedene Verben) voraussetzt, eine Analyse, fur die man die syntaktische Umgebung berücksichtigen muss. Für die Deskription mögen Zirkelschlüsse unerheblich sein, für die methodische Stringenz des Verfahrens sind sie es nicht. Dazu kommen noch spezifische Probleme der Korpusanalyse. In Korpussprachen kann der Bereich der Ergänzungen nicht mit strukturalistischen Proben ermittelt werden. Daher ist der Ansatz von Valenzstellen entweder nur auf Grund einer quantitativen Auswertung der Belegstellen möglich oder auf Grund eines typologischen Vergleiches mit einem in Form von konkreten semantischen Rollen aufgebauten Handlungsmuster, meist in Anlehnung an das Nhd. Quantitative Bewertungen können aber nur an einer zureichend großen Beleganzahl getroffen werden, wobei es unklar ist, wann diese zureichende Beleganzahl erreicht wird (vgl. dazu die Kritik bei Thornton 1984, 123). Daz;u kommen noch Beschränkungen durch das inhomogene Belegmaterial (verschiedene Textsorten und Dialekte) und den ggf. unsicheren Überlieferungszustand. Jeder Bezug auf einen bestimmten Prozentsatz als Kriterium der Unterscheidung zwischen Ergänzung und Angabe ist letztlich willkürlich. Nur die ausnahmslose Realisierung einer Valenzstelle kann (unter Beachtung der üblichen philologischen Unsicherheiten) als Zeichen für den Status einer Ergänzung gewertet werden. Auf diese Weise können nur einwertige und zweiwertige Satzbaupläne sicher unterschieden werden, weil ab der dritten Valenzstelle nur fakultative Konstituenten belegt sind (Greule 1992, 208), die aber valenztheoretisch als Komplemente gelten können. Die Unterscheidung zwischen Ergänzungen und Angaben wird auf der Grundlage verschiedener formaler und semantischer Kriterien getroffen, die nur teilweise zum gleichen Ergebnis fuhren. Das zeigt schon die Unterschiedlichkeit in der Terminologie. In der folgenden Tabelle sind die wich-

§ S 50 Satzglieder und Satzbaupläne

61

tigsten Entsprechungen aus verschiedenen methodischen Bereichen zusammengefasst, wobei oft keine genaue Übereinstimmung vorhanden ist: Objekt Ergänzung Komplement Argument Term

Adverbialbestimmung Angabe Adjunkt Modifikator Nicht-Term

Term-Relationen

oblique Relationen

obligatorisch

nicht-obligatorisch

subkategorisierend regiert sinnnotwendig sachverhaltsbeteiligt

nicht-subkategorisierend nicht-regiert nicht-sinnnotwendig nicht-sachverhaltsbeteiligt

Für die deskriptive Praxis der Untersuchung von Korpussprachen ist es erforderlich, argumentierbare Prinzipien anzuwenden. So ist die Unterscheidung zwischen rektionalem und autonomem Kasusgebrauch wichtig, obgleich diese beiden syntaktischen Funktionen einander nicht ausschließen. Der Bezug auf eine "Kernprädikation", an der Aktanten beteiligt sind und die durch Zirkumstanten spezifiziert wird, ist wohl unerlässlich. Dazu gehören auch allgemeine handlungslogische Erwägungen, wie etwa die, dass Verben der Bedeutungsgruppe des Gebens Sachverhalte der sozialen Interaktion zu Grunde liegen, die einen Adressaten und einen übermittelten Gegenstand voraussetzen. Insofern gehören beide Positionen zur Kernprädikation und daher zum Valenzrahmen. Auch ontologische Argumente mögen entscheidend sein: Ortsbestimmungen werden bei Verben mit lokaler Bedeutungskomponente (wohnen in, fahren nach) meist als Ergänzungen angesetzt, während Zeitbestimmungen grundsätzlich Angaben sind. Das folgt daraus, dass Orte Entitäten, Zeitbestimmungen und Maßangaben hingegen Nicht-Entitäten sind. Indefinite Objekte können mitverstanden oder aus dem Kontext ergänzt werden, daher wird man sie als Ellipsen (und damit nicht als Valenzerniedrigung) verstehen können - doch ändert sich damit oft auch die Verbsemantik (z.B. als generelle Handlungsmöglichkeit), was zum Ansatz einer Valenzvariante fuhren könnte. Dazu kommen noch prototypische Argumentationen und die Unterscheidung zwischen Grundvalenz und erweiterter Valenz. Lehnsyntaktische Einflüsse sind nicht immer so leicht zu erkennen wie bei der Wendung girate giganganemo Τ 193.5, wo man unberechtigt auf ein transitives gangan schließen könnte (es liegt der lat. Ablativ consilio inito zu Grunde). Die Bestimmung des Valenzrahmens einzelner Verben muss auf einer genauen Analyse der Interaktion von semantischen, syntaktischen und ausdrucksseitigen Merkmalen aufbauen. Das alles macht valenztheoretische Ansätze bei der Beschreibung von Korpussprachen mit vhm. geringer Textbasis zu einem

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§ S 50 Satzglieder und Satzbaupläne

Unternehmen, das im Einzelfall mehr Fragen aufwirft als ausreichend begründete Antworten ermöglicht. Vgl. dazu die kritischen Bemerkungen bei Thornton (1984, 118ff). Für Vergleichszwecke werden hier dennoch die wichtigsten Satzbaupläne mit ihren Realisationsformen anhand der Sprache Otfrids zusammengefasst. Die Beschränkung auf diesen Text folgt aus dem vhm. großen Umfang des Textes; außerdem sollen so lehnsyntaktische Einflüsse möglichst ausgeschlossen werden. Die zahlreichen Arten von Valenzbeziehungen zu infiniten Verbformen betreffen den Innenaufbau der Verbalgruppe und nicht die Satzmuster selbst; daher werden sie hier nicht dargestellt.

2.2. Übersicht über die Satzbaupläne nach der verbalen Valenz Lit.: Juntune 1968; Johnk 1979; Blum 1977; Greule 1982a, 1982b, 1987, 1992, 1997, 1999; Thornton 1984; Wolf 1986; Eichinger 1987b, 1993; Bajewa 1997.

§ S 51

1. Nullstellige Satzmuster Zu den 0-stelligen Verben werden gewöhnlich die Witterungsverben gezählt. Das expletive es (ahd. iz) gilt nicht als valenzwertig, weil es nicht durch ein Substantiv ersetzt werden kann. Zu diesen Verben gehören reganön, wagön '(im Wind) schwanken', wäen, wolchenön (nicht thonarön, das immer mit personalem Subjekt steht). Dazu kann man auch valenzwertige Fügungen aus Kopula + prädikativem Adjektiv wie iz ist kalt usw. stellen, vielleicht auch Zeitausdrücke wie äbanden (s. § S 70, 2.).

§ S 52

2. Einstellige Satzmuster Die größte Gruppe bilden Zustandsverben mit einem Subjekt als Zustandsträger wie thursten, hungaren, släfan, zwehön/zwivolön 'zweifeln', liuhten, scman (teilweise mit Präfixbildungen). Dazu kommen noch Verben für Tätigkeiten wie swJgen, wahhen, fasten, suntön und thorren 'verdorren'. Einstellig sind auch munizön 'Geld wechseln' (O 2.11.13) und leben 'nicht tot sein' (in der Bedeutung 'das Leben in einer bestimmten Weise verbringen' ist leben zweistellig). Verben wie ezzan und trinkan, die ein Objekt im Akkusativ oder im Genitiv haben, kommen auch ohne Objekt vor: drank er tho, so nan lusta Ο 2.8.39. Normalerweise beschreibt man solche Verben als zweistellig; die einstellige Verwendung enthält dann ein mitverstandenes, implizites Objekt. Ob auch missifahan 'fehlgehen' so beschrieben

§ S 53 Zweistellige Satzmuster

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werden kann, scheint fraglich (einstellig im Finalsatz thaz wir ni missifiangin Ο 2.11.41, zweistellig thaz sie zi imo ouh giangin, sin ni missifiangin 0 2.3.37).

3. Zweistellige Satzmuster Zu dieser Gruppe gehört die größte Zahl der Verben. Im Normalfall erscheint das Subjekt in der semantischen Rolle des Agens. In der zweiten Stelle sind folgende Rollen belegt: Adressat (giberehtön 'verherrlichen', thionön, ruogen, salbön, tiuren/tiurisön 'preisen, verherrlichen', wTsen/wlsön 'aufsuchen, sich hinwenden', zilen/zilön 'streben nach, sich bemühen um etwas', rehhan, scirmen); Patiens (bergan, bouten, thennen 'etwas ausstrecken', thwingan/thwengen 'bändigen', fiUen 'schlagen' (als Züchtigung), fremmert 'ausführen', fuot(i)ren, heilagön, sllzzan 'zerreißen, zerbrechen', stelan, tilön 'tilgen'); Inhalt (v.a. verba dicendi et sentiendi, dazu noch fergön, thiggen 'bitten', lernen 'sich aneignen', lougnen '(ver)leugnen', weizzen zeigen, hinweisen'); Resultat (frummen, sitön 'ausführen', zimberen 'bauen'), Lokativ (thingen/thingön 'sich hinwenden zu etwas'). Verschiedene semantische Rollen (Agens, Vorgangsträger, Zustandsträger als Subjekt; Adressat, Resultat und Bereich in der zweiten Stelle) haben tarön/terren 'schädigen', beran 'etwas hervorbringen' und twalön/twellen 'verzögern, verweilen'. Subjekte als Zustandsträger und Adressat in der zweiten Stelle haben tharben, hazzön, llhhen 'gefallen', lusten, mitlen, inträtan 'sich fürchten', trüen und weinön\ Inhalt und Verursachung an zweiter Stelle kommen bei thunken 'glauben' und (sih) menden 'sich freuen' vor. Die zweite Stelle wird meist als Akkusativobjekt realisiert, daneben auch als Genitivobjekt (s. § S 75). Herkömmlicherweise wird auch ein Dativobjekt bei Verben der persönlichen Anteilnahme angesetzt wie bei thionön 'dienen': ni mag thaz man duan nihein, thaz thiono hereren zwein Ο 2.22.1, doch ist die Unterscheidung zwischen Objektsdativ und freiem Dativ gerade bei älteren Sprachstufen problematisch (s. § S 80). Valenzwertig könnte auch der Dativ bei intslupphen 'entschlüpfen' sein: thaz er iu nintslupfe Ο 4.16.28 'so dass er euch nicht entschlüpfe'. Das typische Verb für diese Bedeutungsgruppe ist helfan. Es steht zwar meist mit einer Nominalphrase im Dativ (ja hilfist thu io mit willen thesen liutin allen Ο 3.10.21), doch kommt es auch absolut vor: ni hilft gotowebbi ('feines Gewebe') thar Ο 5.19.46 (Thornton 1984, 168ff, weitere Stellen bei Greule 1999, 126f; s. dazu auch die Bermerkungen bei Erdmann 2, 194ff). Der Instrumental in gibit thir thia wist thu hungiru nistirbist Ο 2.22.22 wird wohl entgegen Juntune 1968, 109f (der sich hier allerdings unklar ausdrückt) als valenzwertig gelten können.

§ S 53

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§ S 53 Zweistellige Satzmuster

Ein eigener Satzbauplan enthält Ergänzungen im (prädikativen) Nominativ bei den Verben wesan, werdan und heizan (ja bin ih scalc thin Ο 1.2.1, in jugundi ward si witua Ο 1.16.14, Petrus scalt thu heizen Ο 2.7.37). Häufiger ist ein prädikatives Adjektiv an der zweiten Stelle {er was in sitin fruaterjoh heilag inti guater Ο 1.8.10, s. auch § S 87).

§ S 54

4. Dreistellige Satzmuster In keinem Fall sind alle drei Stellen obligatorisch belegt; die Dreistelligkeit ist mehr eine Folge des Analyseverfahrens (Orientierung an einer logischsemantischen Tiefenstruktur) als eine Erscheinung, die sich am Belegmaterial ablesen lässt. Die Subjektsrolle ist Agens, an den weiteren Stellen kommen verschiedene semantische Rollen vor wie Adressat (haren/heren 'rufen', thankön, lonön, beiten 'drängen', spanan 'antreiben, überreden, mahnen', bifelahan, lihan, retten), Patiens (bifelahan, lihan, retten), irfirren 'wegnehmen', fuogen 'hinzufugen', Inhalt (haren/heren, jehan) und in traditioneller Terminologie adverbiale Rollen. Eine Stelle wird meist als Akkusativ realisiert. Die zweite Stelle kann ein Nominativ (gab er tho antwurti thaz Ρetrum thuhta herti Ο 3.13.19), ein Genitiv (thin kind thih bitte brotes Ο 2.22.32, sie sih thes gifrewetin Ο 4.4.26) und ein Dativ (got gibit imo wiha Ο 1.5.27) sein. Neben dem Nominativ kann noch ein Dativ vorkommen (soso imo rat thunkit Ο 2.12.42), neben dem Dativ noch ein Genitiv (joh brast in thar thes wines Ο 2.8.11) und ein zweiter Dativ (der aber traditionell meist als "freier Dativ" gilt: thaz suht ni derre uns mera lidin joh thera sela Ο 3.5.6).

§ S 55

5. Vierstellige Satzmuster Das zu den dreistelligen Satzmustern Vorgebrachte gilt auch hier. Die Verben des BefÖrderns und des Besitzwechsels sind insofern logischsemantisch vierwertig, als beim Befördern Agens, Patiens, Ausgangsort und Zielort, beim Besitzwechsel Agens, Adressat und 2mal Patiens für Gegenstand und Zahlungsmittel oder Gleichwertiges vorhanden sein muss. Im Normalfall sind aber nicht alle diese Positionen realisiert. Eine vollständige Realisierung weisen folgende Belege auf: parentes CHRISTI bringent in ze ierusalem fone bethleem NP 1077.7, metaphorisch du brahtost mih fone inperfectione ze perfectione NP 120.3; thanana er nan fuarta in eina bürg guata Ο 2.4.51 'von dort weg führte er ihn in eine heilige Stadt', mit realisierter Passage (die aber kaum zum Valenzrahmen gehört) to leita cato fone egypto daz here . io cqsare nahfarentemo . allen den /reisigen uueg NB 130.3 'da führte Cato das Heer von Ägypten, während Cäser immerfort hinterherzog, den ganzen gefährlichen Weg (entlang)', daz in daz got ver-

§ S 57 Valenzrahmen von sizzen

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gelte mit dem zehenzicvaltigesten lone Süddeutscher Glauben und Beichte SD 349.105. Ahd. koufen ist in verschiedenen Strukturvarianten belegt: coufit man zuene sparon mit scazzu? Τ 44.20. Die hier nicht realisierte Adressatenposition ist vorhanden in couftun fon then accar Τ 193.5. Auf ähnliche Weise lassen sich die vier Positionen von antwurten rekonstruieren. Alle Positionen sind realisiert in daz sie mir guotes mit ubele lonoton NP 196.3.

2.3. Realisationsformen Manche Valenzstellen werden abhängig von ihrer semantischen Funktion nicht nur durch reine Kasusformen, sondern auch durch Präpositionalphrasen ausgedrückt. Statt einer Dativphrase stehen Ausdrück mit fon und widar in Pilatus wolta sliumo sar fon imo neman tho then wan Ο 4.21.9, nist ther widar herie so hereron sinan werie Ο 4.17.7 'es gibt nicht einen, der seinen Herren so gegen ein Heer beschützt', statt eines Genitivobjekts Präpositionalausdrücke wie frageta avur noti bi sinaz heroti Ο 4.21.26, thaz sie unsih muadon funtin, fon ungiloubu inbuntin Ο 4.5.27. In diesen Fällen könnte man von einem Präpositionalobjekt sprechen, doch ist das zumindest bei den Varianten zum Dativ fraglich. Besonders variantenreich ist die Inhaltsvalenz von spreh(h)an, einem ursprünglichen intransitiven Verb der Lautäußerung, das transitiv als Aussageverb gebraucht wird: Hier sind die Präpositionen fon + Dativ, bi + Akkusativ belegt. Die Adressatenposition wird durch zi und bi + Dativ besetzt. Adverbiale Ergänzungen bei lokalen und direktionalen Verben: iz in theru wagun lag Ο 1.20.13, in Aesvpto wis thu sar Ο 1.19.5, so si in ira hus giang Ο 1.6.3. Hier ist gangan besonders variantenreich {in + Akkusativ, innan + Akkusativ, zi + Dativ, ufan + Akkusativ, furi + Akkusativ und Adverbien wie wara, thara und heimortes). Direktivergänzungen können wohl generell nicht nur durch Adverbien, sondern auch durch Päpositionalphrasen besetzt sein.

§ S 56

2.4. Valenzrahmen von sizzen Als ein Beispiel für die unterschiedlichen Methoden der Valenzbestimmung soll hier die Wertigkeit von sizzen erläutert werden. Das Verb kommt meist mit einer Präpositionalphrase vor, die den Ort der Verbalhandlung angibt, wobei dieser Ort sowohl die Ruhelage als auch die Richtung ange-

§ S 57

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§ S 57 Valenzrahmen von sizzen

ben kann: thie in demo grase sazun Ο 3.6.43, batun sar thie jungoron then meistar, thaz er thar gisazi zi dagamuase inti azi Ο 2.14.95. Ahd. sizzen entspricht also nhd. sitzen (sizzenl) und (sich) setzen (sizzenl). Dieser Unterschied zeigt sich auch in der Gestalt der 2. Valenz: Bei sizzenl kommen auch Adverbien (und nach Greule 1999, 230 auch Nominalphrasen im Dativ) vor (thar sizzent druta sine Ο 5.20.17), bei sizzenl nur Präpositionalphrasen. Dem entsprechen die beiden Valenzeinträge bei Greule (1999, 230ff); wegen abweichender Bedeutung ausdrücklich nicht berücksichtigt sind dort aus Otfrid die Bedeutungsgruppen 'passen, angemessen sein' {er thahta, iz imo sazi, ob er sia firliazi Ο 1.8.12), 'verweilen' (so thu io in thia redina thar langor sizis obana: so ... 03.7.81) und einige feste Wendungen. Alternativ (Thornton 1984, 157ff) könnte man auch zu folgendem Ergebnis kommen: 1. In Sätzen wie ther selbo kuning richo sizzit guallicho Ο 5.20.13 und gibot sie stillo sazin Ο 4.11.15 gehören die Adverbien nicht zum Valenzrahmen (sie sind freie Angaben), daher sind das Beispiele für eine reduzierte Valenz (sizzenO). 2. In [thaz folk] mammonto sazi Ο 3.26.30 ist mammonto 'angenehm, sicher' eine (nicht weglassbare) Artergänzung und begründet damit einen weiteren Valenzrahmen. 3. In Sätzen wie thaz uns iz wola sizze Ο 2.24.17 ist iz nicht austauschbar, daher zeigt sich hier ein eigener Valenzrahmen Dativ-NP - Artergänzung und 4. in si iz allaz gimaz so Kristes lichamen saz Ο 4.29.29 'wie es für den Körper Christis passte' nur Dativ-NP. Dazu kommt noch 5. der Normalfall der lokativen oder direktiven Präpositionalphrase. Man hat auf diese Weise durch stärkere Berücksichtigung der morphologischen und syntaktischen Realisationsformen fünf Satzmuster gewonnen, wobei alle Bedeutungsvarianten von sizzen bei Otfrid gleichermaßen berücksichtigt werden konnten.

2.5. Valenzvarianten und Valenzveränderungen § S 58

Valenzvarianten können textsortenbedingt sein. In Frage-Antwort-Folgen kommt in der Antwort regelmäßig eine kontextbedingte Ellipse: forsahhistu unholdun? ih fursahu Fränk. Taufgelöbnis 1. In manchen Fällen erscheinen Varianten Akkusativ / in + Akkusativ in der Realisierung der obligatorischen zweiten Valenzposition ohne erkennbaren Grund: gilaubistu in heilagan geist? Fränk. Taufgelöbnis 7, gilaubistu heilaga gotes chirichun? Fränk. Taufgelöbnis 9. Weiters ist nicht zu erwarten, dass die verbalen Valenzen in allen Texten gleichermaßen vertreten sind. Selbst im Frühahd. gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Texten (Wolf 1986). Eine systematische Untersuchung solcher Unterschiede und diachronischer Valenzänderungen liegt noch nicht vor. Am Beispiel von spreh(h)an würde

§ S 60 Absolute Verben

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sich etwa ergeben, dass bei Notker die Belegung der Inhaltsvalenz mit dem Genitivobjekt und mit bi + Akkusativ nicht (mehr) belegt ist; dafür kommen neben fon + Dativ noch andere Präpositionalphrasen vor.

2.6. Prädikat Lit.: Vogt 1953; Juntune 1968; Relleke 1974; Schrodt 1982; Blum 1986.

Als "Prädikat" wird je nach sprachwissenschaftlicher Theorie sowohl das finite Verb allein als auch die ganze Konstruktion ohne dem Subjekt bezeichnet. Hier wird unter "Prädikat" nur das finite Verb verstanden; auch prädikative Ausdrücke gelten als Ergänzungen des Prädikats. Sichere Beispiele für verblose Sätze des Typs "ein Mann ein Wort" gibt es im Ahd. nicht; Ersparung von wesan: so sie sin mer tho wialtun, thaz grab ouh baz bihialtun: so wir io mer giwisse in themo irstantnisse 0 4.36.21 'je mehr sie seiner mächtig waren, je besser sie das Grab bewachten, desto sicherer [sind] wir über die Auferstehung', an dien zornlichen uersen . pate du ze lezest. taz frido in erdo . samo so in himele NB 48.25. Zu den prädikatslosen Ausdrücken gehören auch Interjektionen und vokativisch gebrauchte Substantivgruppen wie druhtin min, druhtin min! Ο 4.33.17, mit dem Imperativ lango, liobo druhtin min, laz imo thie daga sin Ο L.35 und schließlich auch die Herausstellung, der Nominativus pendens: Adam er firkos mih joh selbon ouh firlos sih Ο 1.25.19, wizit, quad er, thesa dat, thaz si in iuih gigat 0 4.11.43, nid filu hebigan then ßrdruag er allan 0 3.14.117, dir argo der ist der ubelo Ν 1.593.29 (Lb 23, 18.3).

§ S 59

2.6.1. Absolute Verben (intransitive Prädikate) Absolute Verben umfassen nur eine Teilmenge der intransitiven Prädikate. Sie haben weder ein Akkusativobjekt noch ein anderes obligatorisches Satzglied. Ihre semantische Rolle ist meist ein Zustandsträger, es handelt sich also v.a. um Zustandsverben. Das Subjekt erscheint nicht als Agens, ist aber sonst nicht semantisch eingeschränkt. Einige Beispiele: wesan: was ein ewarto Ο 1.4.2, welih wib so wari Ο 1.14.11. hungaren: bithiu uuanta ir hungeret Τ 23.2, in morgan uuerbenti in bürg hungirita Τ 121.1, hungeret mih . daz nechlagon ih dir NP 323.15. thursten: mih hungrita inti ir ni gabut mir ezzan, mih thursta inti ir ni gabut mir trincan Τ 152.6, quad: ih thurstu Τ 208.1.

§ S 60

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§ S 60 Absolute Verben

slafan: tuuuala tuonti themo brutigomen naffezitun alio inti sliefun Τ 148.3, tho er in themo skife sliaf Ο 3.14.59, ther unser friunt guato slafit nu gimuato Ο 3.23.43. intsläfan: tho thie man intsliefun Τ 72.2. zwehön/zwTvolön: sume giuuesso zuuehotun Τ 241.1, thaz sie ni zwivolotin 0 5.11.22. liuhten: inti thaz lioht in jlnstarnessin liuhta Τ 1.4, thaz iz liuhte ubar al Ο 2.17.18. inliuhten: inliuhte imo io thar wunna, thiu ewiniga sunnal Ο L.96 soman·, thanne rehte skinent samaso sunna in rihhe iro fater Τ 76.5, danne schinant zeihhan mannes sunes in himile Μ 19.5, lioht thaz thar scinit inti alia worolt rinit Ο 1.15.19 In anderen Fällen ist zwar ein Agens-Subjekt vorhanden, die Tätigkeit erscheint aber nicht als zielgerichtet. sxvTgen: ther heilant swigeta Τ 189.4, er stuant, suigeta joh mammonto githageta Ο 4.23.33, so bechandi. übe du suigetist NB 127.21. wahhen: uuahhet giuvesso in ziti giuuelihha betonti Τ 146.5, er wacheti bi noti thanne in theru ziti Ο 4.7.57, ih uuachen in uohtun ['in der Morgendämmerung'] ze dir NP 402.14. fasten: thanne thu fastes, salbo thin houbit Τ 35.2, si alio stunta betota joh filu ouh fasteta Ο 1.16.11, mit Inhaltsobjekt ih fasteta chlagelicha fastun NP 196.11. (gi)suntön'. ih suntota in himil inti fora thir Τ 97.3, thaz er ni suntoti Ο 3.5.3, vbe ander man sundot. Gote unde chuninge sundot. vbe chuning sundot. einemo Gote sundot NP 327.17. (fur/ir)thorren: tho sar sliumo arthorreta thie figboum Τ 121.1, tie sar danne dorrent NP 327.17. Nicht-zielgerichtete Tätigkeiten erscheinen auch bei normalerweise transitiven Verben, etwa sus bi thesa redina so duent thie gotes thegana, sie wirkent thiz gimuati thuruh thio iro guati; sus duent thie io alle thes guaten willen falle 0 5.25.51 'so handeln die Leute Gottes ... so verhalten sich alle, die voll des guten Willens sind', niscaltu io nu so giduan Ο 5.10.7.

2.6.2. Komplexe Konstruktionen § S 61

Transitivität und Intransitivität sind syntaktische Ausdrucksformen verbsemantischer Eigenschaften. Daher sind viele Verben sowohl als transitive als auch als intransitive Varianten belegt, die man je nach theoretischen Erwägungen entweder als polyseme Varianten oder als homonyme Verben

§ S 61 Komplexe Konstruktionen

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klassifizieren kann. Oft zeigt sich eine diachrone Dynamik, die zur Transitivierung/Intransitivierung führen kann. Ein Beispiel dafür ist der Bereich der Lautäußerung. Hier gibt es zwei Verbgruppen: Die sprechen-Verben bezeichnen zunächst nur die Lautäußerung selbst und sind intransitiv, die sagen-Verben bezeichen den Aussageinhalt und eröffnen damit eine entsprechende syntaktische Stelle. Durch diachrone Entwicklungen können im Lauf der Sprachgeschichte immer wieder aus sprechen-Verben Aussageverben werden. Diese Entwicklungen fuhren entweder zur Transitivität oder zu einer schwachen Transitivität, z.B. in Gestalt einer obligatorischen Stelle für ein Präpositionalobjekt, wie das bei nhd. sprechen (über) entstanden ist. Nach Ausweis der lat.-ahd. Übersetzungsgleichungen und anderer syntaktischer Merkmale wie die Stellung vor der direkten Rede gehören quedan und sprehhan zum sprechen-Typ, jehan, sagen, redinön/rediön und zellen zum sagen-Typ. Da der Aussageinhalt meist als Nebensatz (Objektsatz) oder in Form der direkten Rede erscheint, wird der Transitivitätsunterschied nicht immer deutlich. Ein eindeutiges Zeichen sind hier die Akkusativobjekte bei den sagen-Verben, etwa sagata er in fro no thaz arunti scono Ο 1.5.72 'er [der Engel] verkündete ... die Botschaft', in droume sie in zelitun then weg sie faran scoltun Ο 1.17.74, thiu thing wir hiar nu sagetun joh thir ouh hiar gizelitun Ο 5.9.37. Zu jehan kommt einmal bei Ο der Aussageinhalt als Genitivobjekt vor: quam siu forahtalu sar joh zalta mo thiu werk thar, jah tho thar gimuato sines selbes dato Ο 3.14.41 'sie trat sogleich schüchtern vor und erzählte ihm die Werke und sprach da dort herzergreifend von ihrer eigenen Tat'. Bei Ο kommt quedan nach dem sprechen-Typ als Einleitung der direkten Rede vor (ir quedet in alawari, thaz manodo sin noh fiari, thaz thanne si, so man quit, reht arnogizit Ο 2.14.103), aber auch nach dem sagen-Typ mit pronominalem Akkusativ (waz er selbo hiar nu quit, thaz eigut ir gihorit 0 4.19.67), nominalem Akkusativ (im folgenden Beleg durch duan begünstigt: selb so druhtin quati, joh er iz zi thiu dati, thia botascaf sus suntar, theiz wari mera wuntar Ο 5.8.53) und Inhaltssatz mit dem Konjunktiv als Dependenzzeichen, auch wenn es sich um eine Tatsache handelt (sume quedent ouh in war, thaz es warin zuei jar Ο 1.19.24). Ähnlich verhält es sich bei sprehhan, nur dass hier die Belege mit absolutem Gebrauch weitaus häufiger sind. Für die Lautäußerung sind charakteristisch then fater hört er sprechan, joh zalt er thar gimuati thes selben sunes guati Ο 1.25.15 (der Redeinhalt ist Objekt zu zellen) und adverbiale Bestimmungen wie ni gidorsta sprechan luto Ο 4.12.34. Die sagen-Konstruktion ist belegt mit pronominalem Akkusativ, an den sich ein Relativsatz anschließen kann {tho sprah Pilatus avur thaz 0 4.21.25; sin selbes stimma sprah uns thaz, theiz sun sin einogo was Ο 2.3.49), mit nominalem Akkusativ (sie sprachun thio unthultijoh waz si thara wolti 0 5.7.17 'sie sprachen ihre Betrübnis aus') und durch einen

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§ S 61 Komplexe Konstruktionen

Inhaltssatz im Konjunktiv (thu sprachi in war nu so zam, thu ni habes gomman Ο 2.14.51). Als Inhaltsobjekte sind wort und lob belegt: sprah druhtin zi imo sinaz wort, thaz er fuari

heimort,

thaz er fuari

tharasun

Ο 3.2.21, ufzi himile er tho sah joh selben gotes lob sprah Ο 4.15.61.

2.6.2.1. Transitive Prädikate § S 62

Der Objektsakkusativ, ein Kasus ohne generelle Kasusbedeutung, ist der gewöhnlichste Fall bei transitiven Prädikaten, "er bezeichnet die einwirkung des im verbo enthaltnen begrifs der thätigkeit auf einen andern, persönlichen oder sächlichen, gegenständ [...]. der acc. gewährt die einfachste und leichteste obliquierung des nom. und beide casus stehn in Wechselbeziehung" (Grimm Gr 4, 692; Näheres s. unten § S 73). Die wichtigsten Bedeutungsgruppen sind (Beispiele nur aus Otfrid): tun/machen: det er werk maru in mir armeru Ο 1.7.10, ther ni thuingit sinaz muat joh thaz ubil al giduat Ο 2.12.91, nu thie ewarton bi noti machont thaz girati Ο 4.1.1, si [...] gotes willen huatta joh thionost sinaz uabtaO 1.16.11. bereiten/bewirken: worahtun sie tho follon

then iro muatwillon

Ο 4.24.38

und viele spezielle Tätigkeiten wie garetun sie sin muas thar Ο 4.2.7. haben: wir eigun zuei suert hiar Ο 4.9.7, sie habetun

thar selbon

Krist

Ο 2.8.10. Zu haben in Funktionsverbgefügen s. unten § S 64. geben/nehmen: wio

harto

mihiles

mer gibit

druhtin

iuer guat

[...]?

0 2.22.39, namun sie tho Steina 0 3.18.69, spezielle Tätigkeiten wie kaufen: thaz ferah bi inan seilen Ο 4.5.50. (aus)sprechen/sagen: sprachun tho zi noti thaz iro heizmuati sagata er in frono thaz arunti scono Ο 1.5.72.

§ S 63

Ο 4.30.8,

Ein doppelter Akkusativ (Objektsakkusativ und "prädikativer" Akkusativ eines Adjektivs) ist für Ο belegt bei den Verben duan,findan, firläzan und wizzan. Flektiertes Adjektiv: altduam suaraz duit uns iz urwanaz Ο 1.4.52

'das hohe Alter macht es uns hoffnungslos', unflektiertes Adjektiv ih duan es, quad er, redina, inti oug iu mino selida joh iuih unfarholan duan minan suasduam 0 2.7.19, in mihilan unwan thaz ketti fundun Ο 5.4.20, er thar niheina stigilla ni flrliaz ouh unfirslagana 'keinen ließ er auch unabgeschlagen', wir wizun inan dato firdanan filu Ο 3.20.108, thoh sie sih westin reinan uzana then einan Ο 4.12.21.

allan indan Steig thrato

§ S 65 haben als Funktionsverb

2.6.2.2.

71

Funktionsverbgefüge

Funktionsverbgefüge enthalten ein desemantisiertes Verb und ein abstraktes Nomen actionis, das eine Handlung, einen Vorgang oder einen Zustand bezeichnet und selbst wieder durch eine weitere Phrase ergänzt werden kann. Neben dem Funktionsverbgefüge bestehen gleichbedeutende und aus der gleichen Wurzel abgeleitete Vollverben oder Fügungen aus Kopulaverb + Adjektiv. Syntaktisch kann man zwei Typen unterscheiden, 1. Nominalphrase + Verb (angust giduan, ein girati duan), 2. Präpositionalphrase + Verb (in bäga gigangan, in thia ahta neman). Beim zweiten Typ kann das Substantiv durch ein Adjektiv oder Pronomen erweitert werden (ther heilant ni gab iru nihhein antuurti Τ 85.3). Die Präposition ist meist in oder zi mit Verlust der ursprünglichen lokalen Bedeutung. Folgende semantische Gruppen lassen sich unterscheiden:

§ S 64

1. Ingressive Fügungen mit bringan, gifahan, gän, gangan, gigangen, haben, becheren, queman, neman, sezzen, sin (in gedaht sin 'in den Sinn kommen'), tuon, giduan, werden, wenten, zihen. 2. Kausative Fügungen mit bringan, anabringan, haben, becheren, läzen, leiten, firleiten, gileiten, mahhön, sezzen, gesezzen, tuon, betuon, giduan, wesan. 3. Intensive Fügungen mit haben, läzen, sin, tuon, wesan, wizan. 4. Resultative Fügungen mit bringan, frumman, irgangan, geban, haben, queman, mahhön, gesezzen, tuon, wesen, wer dan. Manche Verben kommen je nach dem nominalen Teil in mehreren Bedeutungsgruppen vor. Besonders vielfaltig sind die Bedeutungsbeziehungen bei haben: Hier kann man erwarten, dass in diesen Gefügen nicht die Relation des Besitzens ausgedrückt wird, sondern ein allgemeiner (durativer) Zustand oder Vorgang; das Verb bezeichnet eine Zuordnung zu einem Handlungs- oder Zustandsträger: thu weist [...] thaz ich minna haben thin Ο 5.15.5 entsprechend lat. tu scis quia amo te Joh. 21,15; tes iahe du dar fore . tih neheinen zuiuel haben NB 227.19 entsprechend lat. minime dubitandum putabas. Doch ist die Grenze zum Vollverb oft fraglich, etwa bei so waz so in erdu habe lib Ο 5.16.30 'Leben hat'. Der nominale Teil kann ein reines Nomen oder seltener eine Präpositionalgruppe sein (meist zi): zi hue habetun inan Ο 4.22.25 'sie hatten ihn zum Spott', alliv dei imu anakimahhoot abbas selbun habee untar ruahhun sineru Β 55 'alles, was ihm der Abt aufträgt, habe er er unter (in) seiner Fürsorge'. Mit Ergänzung: ni nag thiu worolt [...] haben in iu theheinan haz Ο 3.15.29 'Hass gegen euch', habeta sin suorgun Τ 128.9 'hatte Fürsorge fur ihn'; als Passivumschreibung thes er nu [...] habet fora gote thanc Ο H.l 14 'dafür hat er nun vor Gott Dank' = dafür wird ihm nun bei Gott gedankt, in therru uueralti habet

§ S 65

72

§ S 65 haben als Funtionsverb

ir thrucnessi Τ 176.5 'in dieser Welt habt ihr Bedrängnis' = werdet ihr in Bedrängnis sein, bedrängt sein. In allen diesen Fällen zeigt sich keine spezifische Aktionsart. Ingressiv oder resultativ ist enti haben 'zu Ende kommen, enden', kausativ in gewoneheite haben 'sich etwas zur Gewohnheit machen', intensiv in githähtlhaben 'an jemanden denken'. Anm. 1. Die von Blum (1986, 89) beschriebene modale Komponente von Funktionsverbgefiigen ist eine Folge der Bedeutung des nominalen Teils und nicht eine spezifische Funktion des Gefuges.

2.6.2.3. Prädikate mit nicht-akkusativischen Ergänzungen § S 66

1. Nominativ ("Prädikativa") In dieser Gruppe werden alle Ergänzungen mit nominativischen Substantiven zusammengefasst. Traditionell gelten Phrasen aus "Kopulaverben" + Ergänzungen im Nominativ oder entsprechende Konstruktionen mit Adjektiven, Adverbialien, Präpositionalphrasen, Infinitiven und Prädikativsätzen als "prädikative Fügungen". Wegen der Gleichartigkeit der Satzstruktur sollte man aber auch die anderen Verben berücksichtigen und den Ansatz einer Sonderklasse von Kopulaverben vermeiden. Am häufigsten sind die Verbindungen mit den Verben sein und werden: sln/wesen: want er wolta man sin Ο L.39, thu therero liuto kuning bist Ο 4.22.27, abstrakte Begriffe: ther in drost was io sar, then woltun se ofto irslahan thar! Ο Η.92, ih bin irstantnissi, thaz wizist thu in giwissi; bin lib ouh filu festi zi ewinigeru fristi Ο 3.24.27. Prädikatives Adjektiv: Abraham ther maro ther ist dot giwaro Ο 3.18.29. werdan: thaz er wardgithiuto kuning thero liuto Ο 1.3.20, in jugundi ward si witua Ο 1.16.14. Als nicht-nominale Ergänzungen sind anzuführen: unflektiertes Adjektiv: thaz si unreini thera giburti fiarzug dago wurti Ο 1.14.12, flektiertes Adjektiv: nu wird thu stummer sar, unz thu iz gisehes alawar Ο 1.4.66, unflektiertes Partizip: sehenti avur wurti ther blint was fon giburti Ο 3.20.122; flektiertes Partizip: tho ward mundsiner sar sprechanter Ο 1.9.27, prädikatives Pronomen: Wer ist iz, quad er, druhtin, theih mit giloubu werde sin? Ο 3.20.175, prädikatives Adjektiv: nu wird thu stummer sar, unz thu iz gisehes alawar Ο 1.3.66. heizan: ther heizit avur Ludowic Ο L.18, sie gotes kind heizent Ο 2.16.26, iz ouh nu wola weizent joh biscofa heizent Ο 2.10.14; mit Akkusativ der Person: ir heizet allaz thaz jar mih druhtin inti meistar Ο 4.11.45. Prädikative Adjektive im Nominativ kommen bei Bewegungsverben und Verben der Ruhelage vor. Bei Otfrid sind solche Fügungen belegt für stän, sizzan, liggan, bilTban, haltan, giberan, gangan, faran und queman,

§ S 68 Subjektlose Konstruktionen

73

z.B. thaz wir gangen heile fon themo bade reine Ο 1.26.13, gelegentlich auch mit verblasster Verbbedeutung arme joh riche giangun imo al giliche Ο 1.27.8. Lokale und quantitative Bestimmungen kommen als prädikative nominativische Adjektive auch bei anderen Verben vor, desgleichen Adjektive, die körperliche oder geistige Zustände bezeichnen: nu riazen [wir] elilente in fremidemo lante Ο 1.18.16, sie quadun sume sare: "waz duast thu man hiare [...]?" 04.18.13, er blider thana wanta Ο 3.14.78, thaz ir intfliahet heile themo gotes urdeile Ο 1.23.38. Ein prädikatives Substantiv im Nominativ erscheint in den Pudentiusglossen dar er giverto Gl 2, 440.12 'dazu möge er als Gefahrte [folgen]' (für lat. ut comes sequatur).

2. Prädikate mit satzförmigen Ergänzungen

§ S 67

Wenn das Objekt einen Sachverhalt bezeichnet, etwa bei Verben des Denkens, Sprechens, Wahrnehmens usw., dann kann es die Gestalt einer Infinitivgruppe oder eines Inhaltssatzes haben. Näheres dazu unten 5.2.1.

2.7. Subjekt 2.7.1. Subjektlose Konstruktionen, expletives iz Lit.: Hennig 1957; Eggenberger 1961; Bishop 1977; Lenerz 1992; Dittmer 1993; Abraham 1993; Harbert 1999.

Es ist fraglich, ob es mit Ausnahme der §§ S 69ff angeführten Formen ausreichend sichere Belege für den Ausfall des Subjektpronomens und damit für entsprechende subjektlose, Konstruktionen außerhalb der Imperativischen, adhortativischen und passivischen Fügungen gibt. In den Interlinear-Texten wird das Subjektspronomen genau nach der lateinischen Vorlage gesetzt. "Es sind nicht die ältesten Texte, die das S[ubjekts]P[ronomen] vermissen, sondern die lateinischsten." (Eggenberger 1961, 167) In den Original-Texten ist das Subjektpronomen fast immer vorhanden; Auslassungen resultieren meist aus metrischen und stilistischen Gründen. Sie kommen im Hauptsatz öfter als im Nebensatz, bei der 3. Pers. Sg./Pl. öfter als bei 1. und 2. Pers. Sg./Pl. vor. Subjektlos sind weiters Passivformen wie so uuirt iro geagezot NB 11.5 'so wird ihrer vergessen' = so werden sie vergessen, also dar fore gesaget ist NB 85.11. Nicht-gesetztes Subjekt kommt in folgenden Stellen aus Original-Texten vor: "gimachon", quad, "in wara, thaz thar nist manno mera" Ο 4.8.21, mit thir bin garo, druhtin,

§ S 68

74

§ S 68 Subjektlose Konstruktionen

mit muate joh mit mahtin" Ο 4.13.23, giang io in morgan thanan uz thara zi themo gotes hus Ο 4.6.3. Bei Otfrid ist das Verhältnis von gesetztem zu nicht-gesetztem Subjektspronomen etwa 8 : 1 . Sätze wie in dhemu heilegin daniheles chiscribe ist umbi dhea Christes chumft qrnustliihho araughit endi iaar arzelidiu I 436 sollten wegen des unpersönlichen Passivs nicht als Argument für ein fehlendes Subjektspronomen in aktivischen Sätzen angeführt werden. Im Tatian ist in etwa 1000 Fällen das Subjektpronomen gegen die lat. Vorlage eingesetzt (Dittmer 1993, 255). Sprachhistorisch ist für die unpersönlichen Konstruktionen das "präparative if wichtig: quadun, iz so zami, er sinan namon nami Ο 1.9.13, iz ist in alanahi thaz thu nan gisahi Ο 3.20.177, oba iz arloubit si in sambaztag uuola tuon oda ubilo, sela heila tuon oda furliosan Τ 69.4. § S 69

Abseits von metrisch und stilistisch begründeten Auslassungen kommen folgende Formen oft ohne Subjekt vor: quedan: "ist druhtin", quad, "gilumplih" Ο 4.11.21, "ir ni thurfut", quad, "bi thiu" Ο 4.15.45, quad, after thera fristi Ο 4.15.57 (sie suohton ouh in elicone monte archadiς .) unde in delo insula suohton NMC 23.1. mugan (vielleicht aber auch apokopiert): maht lesan, wio iz wurti Ο 2.3.11, then buachon maht thar warten Ο 5.11.3, thar mahtu ana findan Ο 3.14.5. wänen: ni wanu, thaz si iz wessi Ο 1.11.34, wanu, sie iz intriatin Ο 1.27.11, ni wanu si ouh thes thahti, thaz siu sia thara brahti 0 3.11.10. wizzan: wizist ana baga Ο 2.11.35, wizist thaz in alawar Ο 3.4.9,joh gereta (P: giereta) inan, wizist thaz Ο 3.12.28, neuueiz uuaz tünchet mir. dir gebresten NB 52.2. gibiatan: gibot, man afaloti Ο 1.23.21, gibot, thaz er irsluagi Ο 2.9.33, gibot, thaz sie firnamin Ο 3.14.89. Zu den subjektlosen Verben des Mangeins s. § 70, 3.

§ S 70

Ein expletives iz kommt in folgenden Bedeutungsklassen vor; gelegentlich ist das Expletivum ausgelassen: 1. Witterungsverben reganön: [Der Name] Ydathides uuirt kegeben aquario und februario uuanda iz tanne filo regenot NMC 95.9. wagön 'schwanken': soz regenot so nazzent ti bouma . so iz uuat so uuagot izN Piper 1.595.13 (Lb 23, 18.8). wäen: s. oben. wolchenön: suenne iz wolchenote / unte der regen böge / uns suebet obe WG 1446.

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§ S 70 Expletives iz

Kopula + Adjektiv

heitar. diu uuolchen recchende fone ende dero erdo . so iz heitar ist. unde man iro minnest uuanet. so sügent siu alles kahes «/NP 134.7. heiz (kein Expletivum): vnde so tuondo brahtost du unsih in dia chuoli dero euuigun rauuo . dar neuueder ist. ze heiz nih zu chalt. neuuederiu temptatio .fiures nih uuazeres NP 65.12. kalt: thar was fiur thuruh thaz / wanta iz filu kalt was 0 4.18.11. lioht (auch ohne Expletivum): vbe tag ist. lieht ist. ist quisso tag. pe diu ist ouh lieht Ν Piper 1.608.29, übe tag ist. lieht ist. nu neist iz lieht, so neist iz ouh tag Ν Piper 1.609.8.

sköni (ohne Expletivum): wio sconi that in himile ist, / thu es io giloubo ni bist Ο 5.22.11. gestirnef. aide samo-manige Sternen in himile skinent . thero naht . so iz kestirnet ist NB 72.8. wunnisam: nist man nihein in worolti ther al io thaz irsageti, alio thio sconi, wio wunnisam thar wari Ο 5.23.19. 2. Zeitausdrücke (in manchen Fällen kann iz auch referierend sein) äbanden: uuone Τ 228.2.

mit uns, uuanta iz abandet inti intheldit ist iu ther tag

nahten: unde iz nahtet. er an himile Sternen skinen NB 1.19.5. tagen (auch ohne Expletivum): so mir fone dir taget. unde du mich ueritatem tuost pechennen . so uuirdo ih uuacher ze dir NP 62.2, so diu naht vergat. unde iz hina tagen behinnet NP 48.15. Kopula + Adjektiv

späti: liaf er nah in thrati, thoh iz wari spati Ο 5.5.8. 3. Verben des Mangels

tho zigiang thes Ildes joh brast in thar thes wines Ο 2.8.11, bristet in manigeskuotes NB 152.14. 4. Verben der Bezeichnung von körperlichen oder geistigen Zuständen

nirthroz se thero worto Ο 1.27.44, wirdit imo baz Ο 3.23.45, tih aber suozes sanges

langet

N B 314.23. Besonders deutlich ist der unpersönliche

Gebrauch von Verben wie thursten, hungaren: mih hungrita inti ir gabut mir ezzan, mih thursta inti ir gabut mir trincan Τ 152.3. Weitere Verben: bazen

'bessern' (T 55.7), bi-/ir-driozan,

egisön

'erschrecken' (O 5.4.39),

ir-/gigangan, irlouben, jamerön, lusten, missegän, gilingan, misselingen, unmahten, nöten, släphön 'schläfrig sein' (NP 879.13), smerzan, (gi-) spüoen 'gelingen', troumen, wegan 'bekümmert, bedrückt sein', unwillön 'übel werden', zawen

'glücken'.

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§ S 70 Expletives iz Anm. 1. Verben mit der Endung -mes der 1. Pers. PI. kommen auch in zweifelsfrei indikativer Funktion bei Isidor etwas öfter ohne Subjekt vor: in dhemu druhtines nemin archennemes chiuuisso fater I 280, in dhemu uuorde chilaubemes sunu I 281, in sines mundes gheiste instandemes chiuuisso heilegan gheist 1281, see chunnemes nu fona huueliihhemu cedhile christ chiboran uuerdhan scoldi I 606 gegenüber mit Subjektspronomen dhes martyrunga endi dodh uuir findemes mit urchundin dhes heilegin chiscribes I 516, dhanne uuir in andreidim dhurahfaremes dhazs hear aer dhiu zi sagenne ist I 518, dhazs uuir [...] dhera alosnin uuidhar sinemu dodhe bi sculdim dheru stedi cerliihho qra beremes 1711. Im Freisinger Paternoster stehen in beiden Handschriften Formen mit und ohne Subjektspronomen gegenüber: Hs. A (9. Jhdt.) uzzan des dikkames, Β (9. Jhdt., jüngere Bearbeitung) uzzen daz uuir des dickem Lb XII (34.7), SD 8.14. Im Weißenburger Katechismus kommt 8 mal die kurzen Endung -m mit Subjektspronomen, 6 mal die lange Endung -mes ohne Subjektspronomen vor. Die Herleitung der längeren Form ist nicht eindeutig (s. § 307/Anm. 1); es steht eine Kontraktion mit einem Pronomen oder mit einer zusätzlichen Pluralendung in Diskussion. Anm. 2. Nach Eggenberger (1961) gibt es keine völlig sicheren Belege für nicht gesetzte Expletiva in Originaltexten, die nicht metrisch oder stilistisch begründet sind. Ausgenommen sind natürlich unpersönliche Konstruktionen, bei denen ein Pronomen im obliquen Kasus vorangestellt wird: Hier kann bis zum Mhd. das Expletivum fehlen. Allgemein gilt auch schon im Wesentlichen für das Ahd., dass das Vorfeld besetzt sein muss. Die von Lenerz (1992, 105f gesammelten Belege fiir ein nicht gesetztes Expletivum sind teilweise problematisch, besonders für "themalose" Sätze wie uuarun tho hirta in thero lantskeffi uuahhante (et pastores erant, Τ 6.1): Tatian übersetzt oft die lat. Phrase "(et + ) Nomen + esse" mit vorangestelltem uuarun. Das Fehlen des expletiven iz ist daher im Ahd. eher die Ausnahme als die Regel. Lenerz (1992) erklärt die Generalisierung des Expletivums durch Reanalyse eines (basisgenerierten) Topik-es bei syntaktisch subjektlosen Sätzen in ein Subjekt-es, letztlich eine Folge der zunehmenden funktionalen Festlegung der Verbzweitstellung als Bezeichnung der AussageIllokution; das ist durch das Aufkommen eines expletiven da durchaus plausibel. Abraham (1993) fuhrt diesen Gedanken durch die Annahme einer Veränderung von IPStruktur zu CP-Struktur weiter. Die Problematik verschärft sich in der Sicht Bishops (1977): Nach Bishop gibt es bei Witterungsverben und Zeitausdrücken überhaupt keine subjektlosen Sätze, weil deiktische Pronomina grundsätzlich inhaltsleer sein können und fehlende Pronomina auch durch Tilgung resultieren können. Auf Grund einer solchen tiefensyntaktischen Argumentation wird der Unterschied zwischen Topik-es und Subjekt-ey fraglich: Auch ein Topik-es kann die Funktion eines Subjekts haben, was einer logizistischen Subjektsauffassung entspricht. Anm. 3. Für die Frage, ob das Ahd. eine pro-drop-Sprache ist (Möglichkeit eines verdeckten Subjekts mit reicher Verbalflexion), sind die Belege für eine begründete Antwort nicht ausreichend. Die vorhandenen Fälle von pro-drop reichen auch für Harbert (1999) nicht aus, um dem Ahd. die typologische Geltung einer pro-drop-Sprache zuzuweisen, v.a. deswegen, weil pro drop eher morphologisch bedingt ist (lange Endung der 1. Pers. PI.). Suchslands (2000, 369) Beispiele fur pro drop sind alle fraglich: Die Sätze mit Anfangsstellung des finiten Verbs entsprechen einem stilistischen Muster bis hin zum Nhd., sunufatarungo Hl 3 kann durchaus ein Subjekt sein, staimbort [Lb staim bort] chludun Hl 65 und Hl 26 sind philologisch so problematisch, dass man mit diesen Stellen nicht argumentieren sollte (vgl. zu Hl 26 MSD 8ff.).

§ S 73 Akkusativ

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2.7.2. Nominalgruppe oder Pronomen im Nominativ Der Subjektsnominativ ist der häufigste Fall; eine ausfuhrliche BeispielSammlung erübrigt sich. Umbi diz quad der forasago dar after I 9.68; In anaginne uuas uuort inti thaz uuort uuas mit gote inti got selbo uuas thaz uuort Τ 1.1; in sines selbes brusti ist herza filu festi Ο L.15; ih machon nu note chara-sang NB 7.6. Nominalgruppe und appositionelles Substantiv im Nominativ: unser fater Jacob Ο 2.14.31, ther kuning Herod Ο 1.21.1, andere Folge Herod ther kuning Ο 1.20.1, Ludowig ther snello Ο L.l. Zu den Formen der Nominalgruppe s. oben § S 8ff. Notker hat ein schwierig zu interpretierendes doppelt gesetztes Subjektspronomen si do samo so ze einemo anderes sindes anafahende . sprah si sus NB 296.11 (weitere Belege und Diskussion bei Näf 1979, 137f).

§ S 71

Anm. 1. Ein absoluter Nominativ, letztlich wohl doch eine lehnsyntaktische Erscheinung, kommt vor in funtan auh ein tiurlih mariereoz genc enti forchaufta al daz aer hapta Μ 10.14 'eine kostbare Perle nämlich gefunden, ging er ...' = als er nämlich eine kostbare Perle gefunden hatte, ging er ... (Grimm Gr 4, 1085; Piirainen 1969, 455). Nicht sicher ist Τ 135.26 (das Prädikatsverb kann wohl ergänzt werden).

2.7.3. Nominalgruppe im Genitiv Analog der got. Fügung ni was im barne Ludw 1.7 könnte man auch im Ahd. ein partitives Subjekt (Behaghel 1, 563; 3, 469f, Paul 3, 349f) erwarten, doch es gibt dafür keine eindeutigen Belege. Einige Verbgruppen sind wohl eher als subjektlose Konstruktionen aufzufassen (s. oben § S 51, vgl. Erdmann 2, 154/Anm. 1), können aber formal auch als Phrasen mit Genitivsubjekt gesehen werden: in guates nio ni wangta Ο 2.10.6, tho zigiang thes lides joh brast in thar thes wines 0 2 . 8 . 1 1 , muases iu ni bristit Ο 2.22.5, ni girinnit mih thero worto Ο 1.18.4, so imo des kahes kebristet. so uuiget iz imo NB 15.9, bristet in maniges kuotes NB 152.13.

§ S 72

2.8. Akkusativ Lit.: Johnk 1979, Dentschewa 1987, Speyer 2001.

Als Objektskasus hat der Akkusativ keine spezifische semantische Funktion. Die Problematik der Beschreibung einer Grundbedeutung des Akkusativs zeigt sich deutlich in der traditionellen Syntax. Jacob Grimm gilt der Akkusativ als "vollste, entschiedene Bewältigung eines Gegenstandes durch den im Verbo des Satzsubjekts enthaltenen Begriff', "er bezeichnet

§ S 73

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§ S 73 Akkusativ

die Einwirkung des im Verbo enthaltenen Begriffs der Tätigkeit auf einen anderen, persönlichen oder sächlichen Gegenstand" (Deutsche Grammatik), nach Berthold Delbrück tritt in den Akkusativ "derjenige Substantivbegriff, welcher von dem Verbalbegriff am nächsten und vollständigsten betroffen wird." Weitere Versuche der Beschreibung nähern sich einem sehr abstrakten, inhaltsleeren Konzept: "Der A[kkusativ] bezeichnet an sich nur, dass das Wort nicht Subjekt ist, gibt übrigens (wie der Nominativ) kein besonderes Verhältnis an." (Madvig). In diese Reihe fugt sich auch Hermann Paul: "Der A[kkusativ] bezeichnet überhaupt jede Art von Beziehung eines Substantivums zu einem Verbum, die sich außer der des Subjekts zu seinem Prädikate denken lässt." (Prinzipien der Spachgeschichte) Auch aus sprachvergleichender Sicht bietet sich keine konkretere Bedeutung an. Für den idg. Akkusativ soll als "Urbedeutung" gelten, "dass er gegenüber der Nominativform von Haus aus bei einem passiven, energielosen Verhalten des Substantivbegriffs verwendet wurde." (Brugmann; alle Zitate nach Knobloch 1986, 67f) Allen diesen Versuchen einer semantischen Beschreibung ist gemeinsam, dass das Akkusativ gegenüber anderen Kasusformen eine Art von "voller Betroffenheit" des Objekts bezeichnet. In dieser sehr allgemeinen Begrifflichkeit kann nicht einmal der Unterschied zwischen direktem und indirektem Objekt abgeleitet werden (sofern die Rede von einem "indirekten Objekt" überhaupt berechtigt ist, s. unten § S 80). Daher wird in dieser Darstellung auf eine Zusammenfassung der syntaktischen Funktionsbereiche des Objektsakkusativs verzichtet, weil hier nur die Klassen der transitiven Verben selbst angeführt hätten werden können (eine Übersicht findet sich bei Grimm Gr 4, 692ff). Auch der Gegensatz zwischen innerem und äußerem Objekt, an dem Erdmann (2, 75) als grundlegende Unterscheidung festhält, ist eine Folge der Verbalsemantik und nicht eine syntaktische Differenzierung des Objekts. Zum Vorkommen des Akkusativobjekts in den syntaktischen Grundmustern ("Satzbauplänen") s. oben § S 50, zum Funktionsunterschied zwischen Objektsakkusativ und Objektsgenitiv s. unten § S 75, zu den adverbialen Akkusativen § S 96. § S 74

Als besondere Formen können festgehalten werden: 1. Doppelter Akkusativ (Person und Sache) bei Verben wie riuwan, irbarmen, smerzan, ρϊηδη, abohön 'ablehnen, missdeuten': ni det er iz bi

guati, odo inan thie armuati wiht irbarmeti Ο 4.2.27 'er tat es nicht aus guter Absicht oder weil ihm (ahd. Akk.) die Amut erbarmte.' 2. Person und adjektivischer Prädikatsakkusativ bei den Verben duan, machön, läzan, ßrläzan, haben, eigan, fuaren 'in einem bestimmten Zustand fortfuhren', Verben der Wahrnehmung, Geistestätigkeit und Rede und eine Restklasse wie gigarawen 'vorbereiten, zubereiten, machen': zi

thiu thaz er gigarawe thie liuti wirdige Ο 1.4.45.

§ S 74 Besondere Formen des Akkusativs

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3. Inneres und äußeres Objekt bei leren und helan 'verbergen' (unsicher bei heizan und nennen, weil die Kasusform in den Belegen nicht vom Nominativ unterschieden werden kann), bei Fügungen mit Lokaladverbien ana und ubari'. nist boum nihein in worolti, nist er fruma beranti, suntar siu nan suente inti fiur anawente Ο 1.23.43 'dass sie das Feuer ihm (dem Baum, ahd. Akk.) zuwende', iro sito bilidi sie thih gileggent ubari Ο 4.5.33 'ihrer Sitten Bild legen sie dir (ahd. Akk.) über'. 4. Reflexive Akkusative: Sie entsprechen meist einem normalen Objekt und werden daher hier nicht eigens angeführt. Folgende sonst intransitive Verben kommen bei Otfrid mit einem reflexiven Akkusativ vor: wacharön 'wachsam sein', warnön 'sich hüten', irmeginön 'mächtig werden', niotön, frouwön, (ir)belgan 'zornig werden', gifnehan 'sich ein Herz fassen' und seamen. 5. Akkusativ mit Infinitiv ("Acl"): Der gesamte Acl kann eine Objektkonstituente in Objektsposition sein wie bei den Aussageverben und in den meisten Fällen des Lat., oder der Subjektsakkusativ und der Infinitiv sind jeweis eigene Argumente des Trägersatzverbs (bzw. können als solche verstanden werden) wie bei den Wahrnehmungsverben. V.a. bei Verben des Tuns, der Aussage, der Wahrnehmung und des Gedächtnisinhalts erscheinen Acl-Konstruktionen, wobei die Konstruktionen mit Verben des Meinens, des Wissens und der Aussage sicher lehnsyntaktische Formen sind: then fater hört er sprechan Ο 1.25.15, ih irkanta, ih sagen thir, thia kraft hiar faran fona mir Ο 3.14.36, tho sah si sizzan scone thar engila zuene Ο 5.7.13, gisah er gangan tharasun then selben druhtines sun Ο 2.7.6 (respiciens iesum ambulantem); lehnsyntaktisch nube got uueiz ih flegen sines uuerches NB 51.16 (verum scio deum conditorem . pr?sidere operi suo), ih nechido nieht arge site geandot uuerden . unde mit puozo gerihtet uuerden NB 278.26. An einigen wenigen Stellen scheint im Frühahd. der Acl indigen zu sein: do lettun se cerist asekim scritan Hl 63, her furlaet in lante luttila Sitten Hl 20, enti si den lihhamun likkan lazzit Musp 3. Bei Otfrid findet sich der Acl auch bei den Verben (gi)duan, heizzan und lazan: thio buah duent unsih wisi, er Kristes altano si Ο 1.3.15, er thaz giweizit, thaz er sa lesan heizit Ο L.88, lango, liobo druhtin min, laz imo thie daga sin Ο L.35, doch kommen bei lazan und mehr noch bei (gi)duan auch thazSätze (und bei (gi)duan auch nicht-eigeleitete Inhaltssätze) vor. Nicht alle Verben des Tuns sind bei Otfrid mit dem Acl belegt: gibietan hat nie einen Acl. Notkers Acl gilt meist als "schulsprachliche" Erscheinung und damit nicht als eigenständiges Ahd., selbst wenn sie gelegentlich ohne lat. Vorlage erscheinen: er chad sih finden sin herza NP 610.14, an dero zungun ouget er guot. so er sih saget cot sin NP 44.3, ane daz min herza iehe . sih fone dir haben sina guoti . unde fone imo selbemo sina ubeli NP 134.4, Remigius leret unsih tisen auetorem in alenamen uuesen geheizen martia-

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§ S 74 Besondere Formen des Akkusativs

num NMC 1.5 'Remigius lehrt uns, dass dieser Autor mit ganzem (eigentlichem) Namen Martianus geheißen hat'. An manchen Stellen wird ein lat. Verb mit einer kausativen Konstruktion und einem Acl übersetzt: freuui unde mendi tuost du mih kehoren NP 329.17 (auditui meo dabis gaudium et lQtitiam). Anm. 1. Weitere Stellen bei Johnk 1979, 194 und Speyer 2001, doch s. zu Johnk die Bemerkungen 5.2.1. Die Belege mit Partizip Präteritum nach Dentschewa 1987 sind unsicher; die Analyse als elliptischer Inifinitv Passiv ist nach der lat. Vorlage wahrscheinlicher: zi hiu giengut ir uz in wuostunna sehan? rora fort uuinte giuuegita? Τ 64.4 (quid existis in deserto videre? harundinem vento moveri?), mit diu ir gisehet umbigeban fori here Hierusalem Τ 145.11 (cum autem videritis circumdari ab exercitu Hierusalem) 'wenn ihr seht Jerusalem von einem Heer umgeben' = dass Jerusalem von einem Heer umgeben ist.

2.9. Genitiv und Wechsel Genitiv/Akkusati ν Lit.: Winkler 1896; Milligan 1960; Raposo 1982; Donhauser 1990, 1991, 1998; Schrodt 1992a, 1996; Abraham 1995.

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Dem Objektsakkusativ vergleichbar wird bei einer Reihe von Verben der Genitiv als Objektskasus gebraucht. Diese Verben gehören folgenden Bedeutungsklassen an (dazu einige ausgewählte Beispiele): Tätigkeit und Bemühen (biginnan, fllzan, Tlen, waltan, firwesan, gebart, firlThan), Streben und Begehren (gerön, ähten, zilöri), Wahrnehmung {sehan, fualen, hören, warten, goumen), geistige Tätigkeiten (thenken, huggen, machen, wänen, gilouben), Rede und Mitteilung (giwahan, manön), Frage und Bitte (fragen, eiscön, bitten, thiggen), psychische Erscheinungen (frewen, irqueman, hintarqueman 'erschrecken', sorgen), Trennung (tharben, wenken, midan). Auffällig ist das Genitivobjekt bei Verben mit der Bedeutungskomponente einer Negierung (z.B. gi-/fir-lougnen, lougnen). Bei vielen Verben wechselt das Genitivobjekt mit dem Akkusativ, bei einigen auch mit dem Dativ. Grundlage für den Objektsgenitiv ist die schon für die idg. Grundsprache vorauszusetzende ablativische Funktion des Genitivs, wie sie schon Winkler (1896) formuliert hat: "Das indogermanische zeigt in verschiedenen zweigen die eigenthümliche neigung, eine object-handlung nicht nach ihrer richtung auf das object hin, sondern wie eine beziehung, die vom object ausgeht und gewissermassen auf das subject zurückgeht, zu betrachten; ebenso wird oft bei rein örtlichen Verhältnissen nicht das subject in seinem Verhältnis zu dem in rede stehenden object, sondern von diesem aus das Verhältnis zum subject berücksichtigt. [...] Ich bin überzeugt, dass auch bei den verben mit dem genitiv dieser gesichtspunct eine rolle spielt; so ist das warten auf nach gotischer auffassung ein warten von

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her, das bitten, fragen um, nach ein bitten, fragen von dem erbetenen, gefragten object aus." Milligan (1960) beschreibt den Unterschied zwischen Genitivobjekt und anderen Konstruktionen als Vorstellungsunterschied verbativ - komplementiv. Im Ausdruck ich denke deiner hat mein Denken seinen Ursprung in dir, es stammt von dir, du bist die Quelle meiner Gedanken (verbativ), während bei ich denke an dich der Inhalt gegen das Komplement strukturiert ist (meine Gedanken richten sich gegen dich = komplementiv). Dazu kommt noch ein adverbial gebrauchter Genitiv mit eigenständiger, modaler Funktion. Die so beschriebene Verbsymbolik muss als verschiedene Sichtweise verstanden werden: Bei der verbativen Vorstellung erscheint der Referent des Objekts in irgendeiner Weise bereits vor dem Ende der Verbalhandlung als präsent, während er sich bei der komplementiven Vorstellung erst als Ergebnis der Verbalhandlung darstellt. Besonders deutlich wird die verbative Vorstellung bei den Verben mit negierender Bedeutungskomponente und beim partitiven Objekt, wo der Objektinhalt bereits als bekannt vorausgesetzt werden muss. Ebenso deutlich ist die verbative Sichtweise bei den Verben der psychischen Anteilnahme wie (sich) freuen oder fürchten, wo das Objekt als Auslöser der Verbalhandlung gesehen werden kann. Unterschiedliche Sichtweisen sind Formen subjektiver Kategorien (ebenso wie Aspektunterschiede) und daher philologisch im Einzelfall nicht eindeutig nachzuweisen. Sie konkretisieren sich in oft subtilen textgrammatischen Unterschieden und im Objektbereich (Definitheit, konkretes/abstraktes Nomen). Am deutlichsten sind folgende Unterschiede: 1. Verben des Denkens Genitiv: ih weiz sie filu harto thahtun thero worto, thiu in thar warun meista thes sines lodes drosta, fon Moyseses selben joh forasagon allen Ο 5.10.9. Die Rede ist hier von den Jüngern von Emmaus: Sie erinnerten sich an die Worte, die ihnen der höchste Trost über seinen Tod waren. Die Worte Christi werden durch die Erinnerung zum Motiv: Der Gedanke, daß Christus nach den Prophezeiungen den Tod überwinden wird, gibt ihnen die Zuversicht, Jesus zu ihrem abendlichen Mahl zu laden, thie buah duent tho mari, theiz sambaztag tho wari, tho Krist thes wolta thenken, thiz selba wuntar wirken Ο 3.20.55. An dieser Stelle ist eine besondere volitive Bedeutungskomponente deutlich (es handelt sich hier um die Heilung eines Blindgeborenen nach J 9, 14ff). Die beabsichtigte Wundertat ist kein bloßer Gedächtnisinhalt, sondern ein fester Vorsatz, dessen Verwirklichung außer Zweifel gestellt wird. Die Komponente der Verinnerlichung, Erinnerung und Vergegenwärtigung (länger zurückliegender Vorgänge) ist typisch fur den ursprünglichen Gebrauch von denken, da ja das Erinnerte und Vergegenwärtigte in seiner (einstmals vorhandenen und nun auf geistige Weise wie-

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der hervorgerufenen) Existenz vorausgesetzt wird. Das erklärt auch die u.a. von Erdmann (2, 167f) beschriebenen Zusammenhänge von Genitivsetzung und Vergangenheitstempus. Akkusativ: er thahta imo ouh in gahi thia managfaltun wihi, joh thia hohun wirdi; ni wolta thaz iz wurdi Ο 1.8.13. Erst durch den Kontext wird diese Stelle verständlich: Die Schwangerschaft Marias war Josef nicht nach seinem Sinn (ungimuati 'unwillkommen'). Aber er war ein kluger, rechtschaffener und heiliger Mann (O 1.8.10: er was in sitin fruater joh heilag inti guater) und dachte daher auch an (bedachte das) Heil, das sich durch die Schwangerschaft Marias zeigte, und er blieb daher bei ihr. Hier liegt also keine Verinnerlichung eines Tatbestandes vor, sondern ein geistiges Ergreifen eines Sachverhaltes, dessen Existenz und Wirksamkeit sich erst erweisen muß. Diese Art von subjektiver Überlegung, die auf die Persönlichkeit Josefs ein doch recht deutliches Licht wirft, wird sonst durch thunken + Akk. ausgedrückt, z.B. waz er selbo hiar nu quit, thaz eigut ir gihorit; mannilih nu thenke waz inan thesses thunke! 0 4.19.67. Die Stelle bezieht sich auf die Verurteilung Jesu durch den Hohen Rat nach Mt 26, 59ff. Der Sinn des vom Hohepriester geäußerten Satzes ist: 'was er selbst hier sagt, das habt ihr nun vernommen. Jetzt soll jeder selbst überlegen, was er davon halten soll.' Vgl. dazu Mt. 26, 66: quid vobis videtur?

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2. Verben des Sehens Bei den Verben des Sehens ist das Objekt der Verbalhandlung normalerweise immer das Ergebnis einer geistigen und körperlichen Aktivität, daher steht hier typisch als Resultatsobjekt der Akkusativ. Doch auch der Genitiv kommt vor, allerdings nur dann, wenn das Objekt Anlass für eine Aktivität des Handlungsträgers ist. Daraus resultiert eine Bedeutungskomponente des Beachtens, Berücksichtigens, für etwas Sorgens: gibot sie then sar gahun then thes lides sahun Ο 2.8.25 'sie (Maria) gebot denen, die für das Getränk sorgten'. Die Präfixkomposita far-/gi-/obar-sehan haben als reine Wahrnehmungsverben nur den Akkusativ.

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3. Textsemantische Unterschiede In manchen Fällen zeigt sich die verbative Sichtweise darin, dass das Objekt im Text schon vorher erwähnt ist. So steht bei Otfrid ezzan meist (d.h. in 7 von insgesamt 9 Fällen als transitives Verb) mit dem Akkusativ. In den beiden Belege mit dem Genitivobjekt ist das Objekt bereits vorher erwähnt: nam er tho selbo thaz brot, bot in iz gisegenot, gibot thaz sies azin, al so sie thar sazin Ο 4.10.9; tho nam er thaz er leibta, mit thiu er in ouh tho liubta;

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gab in thaz zi suazi, thaz iagilih thes azi Ο 5.11.43. Anders verhält es sich in den Belegen mit Akkusativobjekt. Hier ist das Objekt außerhalb des Satzes nicht vorerwähnt - im Matrixsatz kann es freilich erwähnt sein: thes muases gerota ih bi thiu thaz ih iz azi mit iu Ο 4.10.3. Auf die oben zitierte Stelle mit dem Genitiv 0 4.10,10 folgt: "ir ezet", quad er, "ana wan lichamon minan ["] Ο 4.10,11. Im ersten Fall war in Ο 4.10.9 bereits vom Brot die Rede. Jetzt aber weist Christus darauf hin, daß es eben nicht (nur) Brot ist, sondern sein Leib. Dieser neue Inhalt ist nicht vorerwähnt und steht daher im Akkusativ. Bis auf eine Stelle enthalten alle anderen Fälle (O 3.6.35; Ο 4.9.2; 02.5.15; 0 2.6.14) keine vorerwähntes Referenzobjekt des Akkusativs. Diese eine Ausnahme ist: quad, ob er iz azi, imo ubilo iz gisazi, joh ob er iz firslunti, fon dothe ni irwunti Ο 2.6.7. Das verbotene Obst ist vorher im V. 4 und danach durch pronominale Wiederaufnahme in V. 6 erwähnt. Durch den folgenden Vers wird deutlich, dass ezzan hier parallel zu firslintan, also im Sinn von 'verschlingen, aufessen' gebraucht wird; firslintan steht immer mit dem Akkusativ. Der semantische Unterschied zwischen essen und aufessen mag vom Standpunkt des Neuhochdeutschen gering sein; doch erweist das Gotische, daß der Aktionsartunterschied auch im Objektbereich kodiert sein kann: itan steht immer mit dem Genitiv, hingegen fra-itan immer mit dem Akkusativ. In diesem Fall gibt also der Akk. den Inhalt der Verbalhandlung an. Deutlich ist dieser textsemantische Unterschied auch bei fragen·. Der erfragte Gegenstand oder Sachverhalt ist meist in irgendeiner Weise bereits vorerwähnt oder kategorial bekannt. Demgemäß steht dieses Verb bei Otfrid in den meisten Fällen mit dem Genitiv: "ziu ist, druhtin!" quad tho Petrus, "thaz thu es eiscos nu sus.joh thu therero dato frages nu so thrato? [...]. " Ο 3.14.31. In der Frage nach etwas Unbekanntem steht hingegen das Akkusativobjekt: druhtin avur zi imo sprah, thaz man er ni gisah thaz er eino dati so thiko frageti Ο 5.15.11.

4. Unterschiede im Objektbereich In der Mehrzahl der Fälle besteht bei niazan der Unterschied zwischen den beiden Kasus nur mehr in der semantischen Kategorie des Objekts: Bei einem abstrakten Nomen steht der Akkusativ, bei einem konkreten Nomen der Genitiv. Akkusativ: ewininga drutscaf ['Genossenschaft, vertrauter Umgang'] niazen se iamer, soso ih quad, in himile zi ware mit Ludowige thare! Ο L.85; thara leiti, druhtin, mit thines selbes mahtin zi themo sconen übe thie holdun scalka thine, thaz wir thaz mammunti in thinera munti niazen uns in muate in ewon zi guate! Ο 5.23.27; nu niazen wir thio guati joh fridosamo ziti sines selbes werkon, thes sculun wir gote thankon Ο L.29.

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§ S 79 Unterschiede im Objektbereich

Genitiv: so thu thara heimwisti niuzist mit gilusti, so bistu gote liober, ni intratist scadon niamer Ο 1.18.45. heimwist ist hier als konkrete Heimat gemeint, als Ort des Aufenthalts, niaz er ouh mammuntes, ni breste in ewon imo thesl Ο L.82; nuzzi thera guati, zi thiu er iz gihialti Ο 2.6.12. Auch hier besteht ein Gegensatz abstrakt - konkret: mammunti in Ο 5.23.29 ist hier die durch den Schutz Christi ermöglichte Seligkeit, welche die Menschen im Himmel erreichen können; in Ο L.82 ist hingegen ein Heil, ein konkretes Wohlergehen gemeint, das mit den herrscherlichen Machtansprüchen verbunden ist, wie richiduam im unmittelbaren Kontext (O L.83) ausweist. Ebenso verhält es sich mit guati'. In Ο L.29 ist von einem Wohlergehen die Rede, das in friedlichen Zeiten durch die Taten des Herrschers möglich wird, während Ο 2.6.12 konkrete Güter, nämlich die Früchte des Feldes im Paradies, gemeint sind. Anm. 1. Wegen der Vielfalt der an diesem Funktionsunterschied beteiligten grammatischen Kategorien kann die Kausalität der interagierenden Formen verschieden beurteilt werden. Schrodt (1992a) stellt diesen Unterschied vom Objekt ausgehend dar: Das Genitivobjekt (wie die späteren Ersatzformen in Gestalt von Präpositionalphrasen) verändert eine zunächst vom Verb aus gesehen nicht aktional festgelegte Verbalhandlung zu einer Handlung, in der die Dauer nicht zum wesentlichen Moment der Aussage über den Objektsbereich wird. Vielmehr bezeichnet das genitivische Nomen oft einen Ausgangspunkt für einen weiteren Aussagekern. Das entspricht in sprachvergleichender Sicht der ursprünglichen autonomen (semantischen) Funktion des Genitivs (Herkunftskasus oder Randkasus) und einer ursprünglichen Funktionseinheit mit dem adverbialen Genitiv. Donhauser (zuletzt 1998) hält daran fest, dass sich im Regelfall die terminativen Lesarten eines Verbs auf die Verb-Akkusativ-Verbindung konzentrieren, während nicht-terminative Lesarten mit der Genitivsetzung verbunden sind (73f)Terminativ kongruiert bei ihr mit resultativ, punktuell, semelfaktiv usw., nichtterminativ mit irresultativ, durativ, habituell. Diese Aktionsarten sind dann letztlich Eigenschaften der ganzen Verbalphrase oder des ganzen Satzes, wenn man auch die Adverbien berücksichtigt. Aktionsarten sind aber oft schwer zu bestimmen. Der Unterschied zwischen 'sich eine große Arglist ausdenken' (thaht er sar ...mihhilo unkusti [Akk.] Ο 1.17.40) und 'nicht weiter daran denken, sich ihr nicht zu nähern' (thes ni thahti, ni er sih itu nahti Ο 1.8.21) ist problematisch: In beiden Fällen ist die Arglist bzw. die Näherung der Endpunkt der Verbalhandlung und die einzelnen Verbalhandlungen selbst haben jedenfalls eine Dimension der Dauer. 'Einen Stern sehen' (sie ...sterron einan sahun / wir sahun sinan sterron Ο 1.17.19,21) dauert jedenfalls eine gewisse Zeit, so lange nämlich, bis die Heiligen Drei Könige das Christuskind finden, hingegen ist das Moment der Dauer bei 'nicht auf die Liebe (zu seinem Sohn) sehen' (gibot thaz ...thera liubi ni sahi Ο 2.9.36) bezüglich der Liebe nicht wichtig: Die Liebe ist bloßer Inhalt der Wahrnehmung und hat keine zeitlich begrenzte Dimension. Anm. 2. Abraham (1995, 220ff) hat einen systematischen Erklärungsversuch vorgelegt: Das Althochdeutsche und zum größten Teil auch das Mittelhochdeutsche kannten nur lexikalische, inhärente Kasuszuweisung. Der Genitiv war als Objektskasus ein lexikalischer Rektionskasus. Das Nhd. entwickelte strukturelle, syntaktisch regierte Kasus, zuerst den Nominativ, dann den Akkusativ. Wichtig ist der Zusammenhang zwischen Aspekt/Aktionsart und Objektskasus: Ergative ("unakkusativische") Verben und ergative Konstruktionen sind prinzipiell Terminativa und sind wie Kausativa und Kausativkonstruktionen syntaktisch als Sekundärprädikationen (mit Kurzsatzanalyse) dar-

§ S 80 Dativphrase

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zustellen. In solche Objektprädikationsstrukturen gehen nur Akkusative, nie aber lexikalische Kasus ein, möglicherweise deswegen, weil die Objektprädikatstrukturen perfektive Simplexverben ausschließen (228). Anm. 3. Der Genitiv übersetzt bei Isidor, der Isidor-Gruppe und Tatian den lat. nichtinstrumentalen Ablativ: kebet uns iuuares oles Μ 20.1, ziu sorget ir thanne thes andares? Τ 38.3, bei Notker sowohl den instrumentalen als auch den nicht-instrumentalen Ablativ: aber disen chriechiskero meisterskefte . unde achademiskero durh-lerten NB 13.24, taz ih tir doh nu eteuuaz crunde des kotelichen dinges . so filo mannes sin wag NB 307.6.

2.10. Dativphrase Lit.: Soeteman 1948; Lippert 1974 (145ff "absoluter Dativ"); Raposo 1982; Schmid 1988; Schrodt 2003.

Im germ. Dativ vereinen sich idg. Dativ, Instrumental, Lokativ und Ablativ. Im Ahd. sind noch alle diese Funktionen belegt, während in den späteren Sprachstufen die nicht-dativischen Funktionen mit Präpositionalphrasen bezeichnet werden. Es ist weitgehend üblich, den Objektsdativ von einem "freien Dativ" zu unterscheiden, der selbst wieder in verschiedene Arten gegliedert werden kann. Es gibt aber gute Argumente dafür, dass die Auffassung vom Dativ als "indirektem Objekt" und der Unterschied zwischen "Objektsdativ" und "freiem Dativ" methodisch problematisch ist. Die semantisch-syntaktischen Funktionsbereiche des Dativs lassen sich besser so darstellen, dass dafür in der Konstituentenstruktur eine Stelle in einer erweiterten Prädikatsgruppe für die entsprechenden inhaltlichen Rollen (Nutznießer, Geschädigter, Richtung, Teil usw.) vorgesehen ist, die fakultativ besetzt wird. In Sätzen mit Verben, deren Sememe die gleichen inhaltlichen Rollen bezeichnen {helfen, schaden, Bewegungsverben usw.), ist diese Stelle besonders oft realisiert, doch nicht obligatorisch wie etwa beim Akkusativobjekt. In diesem Sinn ist der Dativ "autonom kodiert", d.h. sein semantisches Verhältnis zum Satzrest ist aus der Dativphrase selbst zu entnehmen (und eben nicht aus einem regierenden Element welcher Art auch immer). Prinzipiell können also Dativphrasen in jedem Satzmuster vorhanden sein, und das lässt auch ihre Nähe zu den Adverbialbestimmungen erkennen. Durch Verfestigung von Kollokationen können manche Dativgruppen obligatorisch werden, ohne es im Sinn einer logischen Valenz zu sein. Nur wenn der Dativ bei Richtungs- und Bewegungsverben die valenzgebundene Stelle eine Adverbialphrase einnimmt, kann man in eigentlichem Sinn von einem "adverbalen Dativ" sprechen, doch auch hier nicht von einem "Dativobjekt", denn auch für die anderen Adverbialien ist

§ S 80

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§ S 80 Dativphrase

keine Objektsrolle vorgesehen. Durch Gliederungsverschiebung und Verfestigung der Serialisierung können Dativgruppen Attributstatus zu Substantiven und Adjektiven erhalten. In der Literatur zeigt sich die Problematik der Funktionsbereiche durch große Verschiedenheiten in der Gliederung der Funktionsbereiche und durch häufige Hinweise auf die Problematik ihrer Unterscheidung. Gegenüber stark gliedernden Darstellungen, die sich an den entsprechenden Funktionsbereichen des Nhd. orientieren, hat sich in der älteren Literatur die Darstellung Erdmanns bewährt, wo dem "eigentlichen Dativ" die vom Idg. aus gesehen nicht-dativischen Funktionsbereiche entgegengestellt werden. In der folgenden Zusammenstellung wird die Einheitlichkeit der Dativfunktion ernst genommen, so dass sich die Gliederung Erdmanns auch aus diesem Aspekt wieder bewährt.

2.10.1. Beteiligte Person § S 81

Schon im Ahd. ist der Dativ der beteiligten Person der weitaus größte Funktionsbereich. Die Art der Beteiligung an der Verbalhandlung kann sehr verschieden sein: Die Verbalhandlung kann sich im Interesse (oder Desinteresse) einer Person vollziehen, sie kann aber auch von einer Person bewertet und eingeschätzt werden. Weiters wird im Dativ der Empfanger oder Besitzer eines Gegenstandes genannt. Auch sprechaktbezogene Funktionen können vorhanden sein. Eine feste Beziehung zu bestimmten Verbgruppen ist nicht vorhanden, es zeigen sich lediglich Unterschiede in der Häufigkeit. Eine in der älteren Literatur angenommene lokale Bedeutung im Sinn eines "Nebenzieles" ist nicht belegbar. Im Folgenden wird nur eine grobe Gliederung der am besten belegten Bedeutungsgruppen gegeben. Bewegung: boton quement mine thir 'zu dir' 0 4.31.25, ther engil imo nahta Ο 1.8.19, gagantun imo blide thie holdun scalka sine Ο 3.2.26, ni si imo folgeti Ο 3.11.22. Aussage, Rede, Lautäußerung (oft neben einem Akkusativ, der den Inhalt der Äußerung bezeichnet): thaz zellent evangelion al so ih thir redion 0 4.34.13, sprah imo thero worto in muat tho filu harto Ο 4.13.12, so ih thir zellu Ο L. 12, dhiz quhad druhtin minemu christe eyre I 152, ter-dir chat NB 60.22, aber auch mit Präposition (so regelmäßig in den Psalmen): ze demo selben chit si NP 10.8; Zeigen und Hinweisen: er selbo [...] jungoron sinen zeinta, [...] wio egislih iz wesan seal Ο 5.20.3, nu la dir gnuoge geouget sin lukkero saldon bilde NB 181.7; Helfen: druhtin half imo sar Ο L.24 (helfan bei Ο oft auch ohne Dativ), mit rehte hilfet er mir NP26.3. Kopulaverben sm/wesen, werdan: si zi gote ouh minna thera selbun kuninginna! Ο L.84, ward mir we mit minnu Ο 5.7.37, taz

§ S 82 Adverbiale Funktionen

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temo undurft ist NB 183.13, er uuirt temo oratori ze geougenne N B 80.13. Nach Erdmann (2, 202) steht bei Ο neben neutralem Substantiv die Präposition mit (salida ist in ewu mit thineru selu Ο 1.5.44), doch hat Ν auch hier den Dativ: taz ist allez rehtiu reisunga [Ordnung] dien dingen . unde aber unrehtiu feruuorreni dinemo uuane NB 307.22. Der Dativ kommt weiters bei Verben vor, die Handlungen oder Geschehnisse bezeichnen, welche im oder gegen das Interesse einer beteiligten Person gerichtet sind, also bei den Verben des Empfangens oder Wegnehmens, wie bringan, beran, getan, geltan, und schließlich auch bei Verben, die eine Bedeutungskomponente der psychischen Beteiligung haben (irbelgan 'erzürnen', frawöri). Wenn Bewegungsverben eine solche Bedeutungskomponente haben oder durch ein eigenes Wort erhalten, stehen sie ebenfalls mit dem Dativ: so quimit iz wola manne 'kommt es jemanden gut zu' Ο 3.7.80, nirgeit imo iz zi guate 'es bekommt ihm nicht gut' Ο 2.19.6.

2.10.2. Im Vergleich zum Idg. nicht-dativische (adverbiale) Funktionen In manchen dativischen Ausdrücken ist eine im Vergleich zum Idg. nichtdativische Funktion zu erkennen, doch viele in der älteren Literatur dafür angeführten Belege sind nicht eindeutig. So kann der Dativ bei neman auf einen idg. Ablativ zurückgeführt werden, doch ist immer auch ein personaler Dativ möglich. Einem idg. Lokativ entspricht möglicherweise der Dativ bei klTban 'anhaften, festhalten an etwas', v.a. dann, wenn es sich um eine Sache handelt: sinen [Gottes] werkon er io kleib Ο Η.30. Instrumentale Funktion hat hanton joh ouh ougon biginnent sie nan scowon 'mit Händen und Augen' Ο 5.20.63, mit und ohne Präposition: mit snabulu ni winnit, ouh fuazin ni krimmit 'sie [die Taube] kämpft nicht mit dem Schnabel, auch verletzt sie nicht mit den Füßen' Ο 1.25.28. Kausal-instrumentale Funktion ist bei abstrakten Begriffen deutlich: thu hungiru nirstirbist 'dass du nicht durch Hunger stirbst' Ο 2.22.22, bigondun sie nan ruegen, thingon filu hebigen joh sunton fdu managen 'sie begannen ihn zu beschuldigen wegen vieler wichtiger Dinge und sehr vieler Sünden' Ο 4.12.15. Einige ablativische Dative bei O, wie frew ih mih in muate gote heilante 'über Gott Heiland' Ο 1.7.6 oder nam Maria nardon filu diuren werdon 'von sehr teuren Werten' Ο 4.2.15 sind lehnsyntaktische Erscheinungen, ebenso temporale Dative wie thionomes imo in heilagnesse inti in rehte fora imo allen unsaren tagun 'in allen unseren Tagen' Τ 4.16 und ju manageru ziti ist daga leitenti Ο 1.5.60. Lokativische, ablativische und instrumentale Funktionen sind auch fur den Dativ nach entsprechenden Präpositionen angenommen worden.

§ S 82

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§ S 83 Reflexiv

2.10.3. Reflexiv § S 83

In den meisten Fällen hat der reflexive Dativ die gleichen Funktionen wie der nicht-reflexive und muss daher nicht besonders beschrieben werden. In einigen Fällen ergeben sich eigene Funktionsbereiche dadurch, dass sich die Verbalhandlung im besonderen Interesse oder Tätigkeitsbereich des Subjekts vollzieht. Deutlich ist dieser Gebrauch bei den Verben des Affekts wie forahten, liehen 'gefallen', menden 'sich freuen' und (gi)liuben: ni forihti thir, biseof Ο 1.4.27, harto foraht er mo thoh Ο 1.4.47, in imo liehen ih mir al Ο 1.28.18, [ich] bin mir menthenti in Stade stantenti Ο 5.25.100 (sonst mit reflexivem Akkusativ), then thu afur nu uabis joh thir zi thiu liubis 'mit dem du danach umgehst und den du dir als Mann liebst' Ο 2.14.53. Doch auch bei Verben des Strebens und der geistigen Tätigkeit sind solche Dative belegt: oba thu in rehtredina thir wirkes elemosyna Ο 2.20.9, zi hiun er mo quenun las 'zur Gattin erwählte er sich eine Frau' Ο 1.4.3, thaz thu thir selbo leses thar thaz seltsana wuntar Ο 3.13.44. Auch bei manchen Tätigkeiten, die an sich selbst vollzogen werden, kommen solche Formen vor: thaz thu thir selbo gurtos Ο 5.15.40 (doch auch Akkusativ in so gurtit anderer thih Ο 5.15.42 und reflexiver Akkusativ gurtun sih iro suert ana Hl 5). Als Saxonismus gilt der Dativ in du bist dir alter Hun, ummet spaher 'du bist dir ein alter Hunne, ein unmäßig schlauer' Hl 39, wo es um das innere Wesen im Gegensatz zum äußeren Schein geht.

2.10.4. Dativ bei prädikativen Adjektiven § S 84

Bei prädikativen Adjektiven, die zusammen mit dem Kopulaverb ein eigenes Prädikat bilden, kommt der Dativ in den gleichen Funktionen wie bei den Vollverben vor: bitherbi ist thir thaz furuuerde ein thinero Udo halt Τ 28.2, guot ist thir zi libe ingangen Τ 95.4, soso ih thir milti uuas Τ 99.4, warun siu bethu gote filu drudu Ο 1.4.5, wanta imo was iz heizaz Ο 4.21.25.

2.10.5. Absolut § S 85

Gelegentlich findet sich ein absoluter Dativ (genauer eine absolute Partizipialkonstruktion im Dativ) in Nachbildung des Lateinischen: selbemu dhemu gotes sune quhedhendemu 1319 (temporal-konditional 'wenn derselbe Gottessohn sagt'), so chiuuisso ist dhazs imu arsterbandemu sin fleisc ni chisah enigan unuuillun 1718 'wie gewiss ist, dass, als er starb, sein

§ S 86 Gerundium

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Fleisch keinerlei Verwesung sah', imo tho thaz thenkentemo Τ 5.8, bin gote helphante thero arabeito zi ente 'ich bin, indem Gott mir half, mit der Arbeit zu Ende (gekommen)' (Erdmann 2, 259) Ο 5.25.7, fone dero einliftun cham diu uuilsalda . unde uuilmaht. unde fabor der hirte . dien unholden feruuorfenen . uuanda die nemahton chomen füre iovem NMC 71.15 'aus der elften (Landschaft) kam Fortuna und Valetudo und Fabor der Hirt, während die feindlichen Götter verstoßen waren, denn diese konnten nicht vor Iovis treten', daz ich dir anasehentemo sus ketorsta getuon NP 327.20; kouche ferlornemo uuizzet der uuiso NP 377.6 (in Anlehnung an die lat. Vorlage), unde imo lebendemo . über sigenota sin meister socrates ten dot. mir zuosehentero? NB 20.27. Möglicherweise als bewusst eingesetzte Stilfigur findet sich der absolute Dativ in der "Augustinischen Predigt": er **** unseremo truhtine · ihü xpe eiscontemo · huuenan inan man · meinitin daz aer uuari · enti mislihhero **** ment * manno uuarun dea -iungirun · antuurtente, auuar · unsaremo truhtine · fragentemo enti quedantemo inu huuenan meinit • ir • daz ih sii Μ 37.26 'als unser Herr Jesus Christus danach forschte ... als unser Herr fragte'.

2.10.6. Gerundium Im Dativ steht oft ein flektierter Infinitiv auf -anne/-enne, eine westgerm. jBildung unklarer Herkunft (doch vgl. Haudry 1994), der manchmal auch Gerundium genannt wird (s. § 315; es gibt auch Formen im Genitiv und Instrumental). Viele Belege mit dativischem Gerundium haben prospektive Bedeutung. Sie geben bei Notker lat. Finalsätze wieder oder stehen in mo-

dalen Ausdrücken: Got uuarteta hara-nider fone himele an dero menniscon chint. zu gesehenne . übe deheiner Got pechenne NP 341.15, daz habet er sie geleret füre uuunder ze ahtonne NP 64.14, tara lustet mih ze chomenne NP 136.22. Anm. 1. Der Dativ übersetzt bei Isidor, der Isidor-Gruppe und Tatian den lat. instrumentalen Ablativ: muotes blinde I 594, mannan ungaueritan bruthlauftiges kauuates Μ 15.26, iudea liuti nides falle Μ 31.10; neben einer gleichwertigen Präpositionalphrase inti mittiu see gisahun sume fon sinen iungoron mit unsubren hantun, thaz ist ni giuuasganen hantun, ezzan brot Τ 84.1, doch auch mit dem Genitiv hungerente gifulta euoto Τ 4.7. Ein sehr seltener Dativ mit Infinitiv ist belegt in ni ghibis dhinemu heileghin zi chisehanne unuuillun I 721.

§ S 86

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§ S 87 Prädikativa

2.11. Prädikativa Lit.: Blum (1982).

§ S 87

Substantivische Prädikativa sind Ausdrücke, welche mit einem Subjekt oder Objekt referenzgleich sind. Prädikative Adjektive und gleichwertige Phrasen bezeichnen Eigenschaften des Subjekts oder Objekts bei Kopulaverben. Im Nominativ kommen Prädikativa bei den Kopulaverben sln/wesan und werdan vor, prädikative Adjektive auch bei anderen Verben. Prädikative Attribute sind Substantive oder Adjektive, die sich auf das Subjekt oder das Objekt beziehen. In Einzelfällen ist die grammatische Klassifikation umstritten: Bei nennen z.B. kann man den referenzgleichen Akkusativ als zweites Objekt bezeichnen. Adjektivische Gleichsetzungsergänzungen und gleichwertige Phrasen (machen + [zu +] Adjektiv) werden hier nicht als Prädikativa verstanden. Manche ahd. prädikativen Substantive können allerdings im Nhd. mit solchen Phrasen übersetzt werden.

2.11.1. Prädikative Substantive § S 88

er wolta man sin Ο L.39, er wardgithiuto kuning thero liuto Ο 1.3.20; mit abstrakten Substantiven: thaz in iz ni wari zala 0 3.15.50 'dass es ihnen nicht eine Gefahr würde', thiz ist todes giwalt Ο 5.23.85. Begriffliche Komplexe: ih bin irstantnissi, thaz wizist thu in giwissi;bin lib ouh filu festi zi ewinigeru fristi 0 3.24.27 'ich bin die Auferstehung ... ich bin auch das Leben', wanta er ist thisu woroltzuht Ο 3.9.14 'weil er diese Welterhaltung ist'. Bei heizan: ther heizit avur Ludowic Ο L.18, Johannes seal er heizan Ο 1.4.30, er gotes sun hiazi Ο 4.20.17, iz ouh nu wola weizent joh biseofa heizent Ο 2.10.14; neben einem Akkusativ der Person: er giheilit thiz lant, heiz inan ouh heilant Ο 1.8.27, unz er sia wib hiaz Ο 5.8.34. Vereinzelt stehen prädikative Substantive, die man im Nhd. mit als + NP übersetzen kann: thu bist [...] herasun queman druhtines sun Ο 2.7.67 'du bist hierher als des Herren Sohn gekommen', er richisot githiuto kuning therero liuto Ο 1.5.29 'herrscht als König', witua gimuati gihialt si fram thio guati Ο 1.16.4, kind uuarth her faterlos Ludw 3.

2.11.2. Prädikative Adjektive § S 89

ther iro fiant ther ist dot Ο 1.21.7, wio meg iz io werdan war, thaz ih werde suangar? Ο 1.5.37. Als prädikative Attribute (s. unten § S 90) sind sie in folgenden Konstruktionen belegt. Ruhe- und Bewegungsverben: ther hiar

§ S 90 Prädikative Attribute und Objektsprädikative

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saz blinter ubar jar 0 3.20.31, unflektiert ther blint hiar betolonti saz Ο 3.20.37, thar Krist lag doter Ο 5.7.15, thaz wir gangen heile fon themo bade reine Ο 1.26.13, want er giloubig zi imo quam Ο 2.12.12. Lokal: nu riazen [wir] elilente in fremidemo lante Ο 1.18.16; quantitativ sprechent hiar in riche thie liuti ouh sumiliche Ο 3.12.13, starke Deklination sin drut ouh stuant thar einer Ο 4.32.5 'einer seiner Trauten', schwache Deklination wanana sculun Frankon einon thaz biwankon Ο 1.1.33; körperliche und geistige Zustände er blider thana wanta Ο 3.14.78 'er ging fröhlich weg'.

2.11.3. Prädikative Attribute und Objektsprädikative Beide Prädikativa haben die gleiche syntaktische Struktur. Prädikative Attribute geben eine Eigenschaft des Objekts an (ich fand sie schlafend), Objektsprädikative bezeichnen diese Eigenschaft als Ergebnis einer Verbalhandlung (ich fand sie reizend) und sind daher obligatorische Konstituenten von Verben der entsprechenden Bedeutungsklasse (meist Verben des Nennens, Sagens und Bewirkens). Prädikative Attribute bezeichnen einen Zustand, der auf die Aktzeit der Verbalhandlung beschränkt ist. 1. Prädikatives Attribut: [der Hauptmann] fand then scalc thie thar sioh uuas heilan Τ 47.9, after thrin tagun fundun inan in themo temple sizzantan untar mitten then lerarin Τ 12.4, [Petrus] zoh thaz nezzi in erda fol michilero fisgo Τ 237.3, daz ibu fundaner ist einic desan ubartuan dera suuikalii rehtungu Β 65 'wenn einer gefunden wird übertreten dieses Gebot des Schweigens', findest tu io uuar daz eina . daz ander lugi Ν De Interpret. (Piper) 524.28. 2. Objektsprädikativ: nißndu ih [...] thesan man in niheinen sachon firdan Ο 4.22.6 'ich finde nicht diesen Mann in irgendwelchen Sachen verworfen', salisa mih quedent allu cunnu Τ 4.6, thaz mez, wir ofto zellen joh sextari iz nennen Ο 2.8.31; uuanta her sinaz folc heilaz tuot fon iro sunton Τ 5.8, sie machont iz so rehtaz joh so filu slehtaz Ο 1.1.15, thaz er gigarawe thie liuti wirdise Ο 1.4.45 'dass er die Leute würdig mache', daz ih nemisse-fahe . noh unreht ne-finde füre reht NP 68.22. Unflektiert: thaz duent buah festi Ο 2.3.2 ' das machen die Bücher [die Bibel] fest' (das bestätigt die Bibel). Flektiertes und unflektiertes Adjektiv nebeneinander: uuanta thu ni maht ein har thes fahses uuizaz gituon odo suarz Τ 30.4. Die Entwicklung zum Verbzusatz zeigt thar lasun sie tho alle zuelif korbi folle Ο 3.6.48 'da sammelten sie alle zwölf Körbe voll'.

§ S 90

92

§ S 91 Prädikative Adverbien

2.11.4. Prädikative Adverbien § S 91

Vereinzelt: lango, liebo

druhtin

iagilicho

liebo

druhtin

min, laz imo thie daga

min, laz thia kestiga

ungisewanlicho

befinden': thir wolast

lindo,

[Züchtigung] sin Ο 3.1.31, sin kunft

ist

0 2 . 1 2 . 4 4 . Mit besonderen Bedeutungen: 'sich [= wola

Ο 5 . 2 2 . 1 6 , ze dien di liebo uuas thes selben

sin Ο L.35,

«·/] mit giwurti

thaz thu io giboran

si N P 7 8 2 . 1 2 , Zeitbestimmung mittiu

wurti! iz

spato

tages Τ 230.1.

Anm. 1. Problematisch sind Prädikative in Nominalsätzen wie ein Mann, ein Wort: Hier deutet nur die semantische Beziehung auf die syntaktische Funktion. Ähnlich könnten bei Otfrid Ausrufe wie mahtig druhtin, wih namo siner Ο 1.7.9 gedeutet werden (Erdmann 2, 69), doch können auch zwei gereihte Nominative vorliegen. Verblose Fügungen kommen vor in Seligpreisungen (salige thie milte joh muates mammunte Ο 2.16.5) und gelegentlich in zusammengesetzten Sätzen (so sie sin mer tho wialtun, thaz grab ouh baz bihialtun: so wir io mer giwisse in themo irstantnisse Ο 4.36.21 'je besser sie seiner da walteten, das Grab auch bewahrten, so sicherer [sind] wir immer in der Auferstehung'), doch kann das Verb meist aus dem Textzusammenhang ergänzt werden.

3. Adverbialien Lit.: Ferrell 1928; Piirainen 1969; Dentschewa 1986; Krause 1992 (temporale Kasus); Gebhardt 2000.

3.1. Einleitung Adverbialien charakterisieren ein Geschehen, einen Sachverhalt oder eine Relation näher oder spezifizieren sie. Sie sind grundsätzlich auf das Verb als Träger des Ausdrucks für die Verbalhandlung bezogen. Valenztheoretisch kann man obligatorische, fakultative und freie Adverbialien unterscheiden; dazu kommen noch die Satzadverbialien - sie beziehen sich auf den ganzen Satz. In einer strukturalistischen Darstellung erscheinen sie unter verschiedenen Einbettungstiefen, angefangen von der tiefsten Stufe der valenzgebundenen Adverbialien als Komplement des Prädikatsverbs bis hin zu den Satzadverbien. Mit dieser Einbettungstiefe korrelieren Stellungsmöglichkeiten und semantisch-syntaktische Formklassen. Da im Ahd. die Einbettungstiefe nicht zweifelsfrei bestimmt werden kann und lehnsyntaktische Einflüsse meist nicht ausgeschlossen sind, wird keine Zuordnung zu verschiedenen adverbialen Ebenen versucht. Lediglich die Satzadverbien (s. § S 132) scheinen deskriptiv einigermaßen fassbar. Wie in den anderen Teilen der Syntax wird hier von Formklassen ausgegangen. Die semantische Kategorisierung orientiert sich an den fürs Deutsche üblichen traditionellen Kategorien und ist daher nur ein sehr grobes Einteilungsschema. Die adverbialen Phrasen mit finiten Verben werden in 5.3. dargestellt.

§ S 92

3.2. Adverbien Adverbien bestimmen nicht nur das Verb, sondern in traditionell grammatischer Sicht auch das Substantiv, das Adjektiv (ummet spaher Hl 39) und ein anderes Adverb (dara zua, wara in, wara zua; garo ziero Ο 1.4.19). Versuche zur begrifflichen Trennung dieser verschiedenen syntaktischen Beziehungen haben sich bisher nicht durchgesetzt. Zur Bildung der ahd. Adverbien vgl. § 267, zu den prädikativen Adverbien s. § S 91. Durch die

§ S 93

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§ S 93 Adverbien

Bestimmung der Verbalhandlung ergibt sich oft auch eine Aussage über andere nominale Satzglieder, z.B. über das Subjekt: er zalt in iz ouh harto ofonoro worto [instrumental], thia salida iogilicho filu suazlicho [auf das Subjekt bezogen] Ο 4.1.17.

3.3. Genitiv § S 94

Ein lokaler Genitiv ist jedenfalls in folgenden Stellen belegt: se uuara se geloufan uualdes ode uueges ode heido Wiener Hundesegen 3, unde diu harto heuiga liumendigi. samo so euuigiu . diu uuirt peduungen inlendes 'und der sehr herrliche Leumund, der gleichsam ewige, der wird eingeengt im Inland (im eigenen Land)' NB 125.6, wahrscheinlich auch in do dar niuuiht ni uuas enteo ni uuenteo 'weder am Ende noch an der Wende (Anfang)' Wess 6. Bei Verben der Fortbewegung: thes ganges sie iltun gahun Ο 5.4.19, gang ouh thines sindes! Ο 3.4.28. Bereichsangabe: breitit siu [die Rede] sih harto geistlichro worto 'auf dem Gebiet geistlicher Worte', d.h. hat viele geistliche Bedeutungen Ο 2.9.2, ih bin wuastwaldes stimma ruafentes 'ich bin die Stimme des durch die Wüste Rufenden' Ο 1.27.41. Temporal: quam er zi imo nahtes Ο 2.12.5, öfter: thes dages, järo; alle zite . tages ioh nahtes NP 482.15. Instrumental: dua, so ih thir zellu, thiu selbun thing ellu giborgenero werko 'mit verborgenem Werk', irrechit uns sin guati [...] managero thingo 'in vielen Dingen' = auf vielfaltige Weise Ο 2.14.78, er zalt iz in ouh harto ofonoro worto 'mit sehr offenen Worten' 0 4.1.17. Kausal: thero selbun missidato thig ih, druhtin, thrato ginada thina in wara 'wegen dieser Missetaten erflehe ich' Ο 5.25.35. Adverbiale Genitive mit allgemeiner oder modaler Bedeutung sind z.B. dankes, Undankes, fluges, gahes, niuwes, frammortes 'weiter, weiterhin'. Notker erweitert den Gebrauch des Genitivs in diesem Bereich: er uuolta er uuare geuualtes nah imo . meisteronnes fore imo 'bezüglich der Gewalt' NP 474.9, des touues lebeen 'vom Tau leben' NP 1042.2. Ein temporaler Genitiv erscheint in perlativer Funktion ('vorüber, vorbei'): ther dag ist sines sindes 'der Tag ist seinen Weg gegangen, vorbei' Ο 5.10.8, mit Bezug auf eine Zeitspanne (bei Otfrid nur dag, naht, morgan, sunnunaband): gilinfit ther mannes sun [...] arhangen werdan inti thritten tages arstantan Τ 218.4, dases inti nahtes fleiz si thar thes rehtes Ο 1.16.13, mit Bezug auf eine prozesshafte Zeitspanne thera ferti er ward irmuait, so ofto farantemo duit Ο 2.14.3, gibot er tho in then notin, thaz sie sih warnotin, thaz nihein thes fartes tho tharbeti thar suertes Ο 4.14.7 (doch könnte in diesen Sätzen auch der lokale Bezug gemeint sein). In manchen Fällen ist nicht deutlich, ob es sich um einen Bezug auf eine Zeitspanne oder einen Zeitpunkt handelt, so

§ S 96 Akkusativ

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schon bei 01.16.13 oben, aber auch bei er zalta ouh dages wuntar then jungoron sus io suntar Ο 4.1.19 'jeden Tag'. Zu gleichbedeutenden temporalen Präpositionen s. § S 49.

3.4. Dativ Instrumentaler Dativ: bigondun sie antwurten worton filu herten 0 3.18.11, biginnit er sie gruazen worton filu suazen, mit mihileru minnu sines selbes stimnu Ο 5.20.65; temporaler Dativ: irkanta ih thino guatiju manageru ziti Ο 2.7.65. Ein Dativ mit lokaler Bedeutung steht bei kllban 'anhaften, anhängen': ungilonot ni bileip ther gotes wizzode kleip Ο S.20, übertragen in temporaler Bedeutung manageru ziti ist sie daga leitendi 'in vieler Zeit ist sie ihre Tage führend' = sie ist schon sehr alt Ο 1.5.60, wolt er sar then wilon gerno iz firdilon 'damals in diesen Zeiten' Ο 5.25.62. Ausdruck einer Frequenz: lougnis thrin stunton mit thines selbes worton 0 4,13.37, mit einer Zahl im Akkusativ ther thria stunton jahi, so thiko inflohan wari Ο 5.15.25. Lokal-instrumental: er ingiang ungimerrit duron so bisperrit 'durch Türen so verschlossen' 0 5.12.26, als Bezeichnung einer Eigenschaft ingiang er tho skioro, goldo garo ziero 'mit Goldstücken zierlich ausgerüstet' Ο 1.4.19. Der absolute Dativ steht lehnsyntaktisch in Nachbildung des lat. Ablativus absolutus (normalerweise wird ein Nebensatz gebraucht): leohte akepanemu (luce reddita) Η 8.1.1 (Daab S. 45), selbemu dhemu gotes sune quhedhendemu (dicente eodem filio) 1319, allem sundono chunnum ardribenem (omnibus uitiorum gentibus expulsis) I 538, imo tho thaz thenkentemo (haec autem eo cogitante) Τ 5.8, kouche ferlornemo uuizzet der uuiso (stulto pereunte sapiens astutior fit) NP 377.6 (Glosse); ohne lat. Vorbild: daz leidot mih . daz ih dir anasehentemo sus ketorsta getuon NP 327.19. Temporal als Angabe der reinen Dauer: sehs dagon fora thiu quam er zi Bethaniu Ο 4.2.5, morgane giwortanemo quamun alle Τ 189.1, imo stigentanemo in skef folgetun imo sine iungiron Τ 52.1. Zu gleichbedeutenden temporalen Präpositionen s. § S 49.

§ S 95

3.5. Akkusativ Im älteren Ahd. sind die Belege selten und die adverbiale Geltung ist meist fraglich, v.a. dann, wenn die akkusativische Nominalphrase syntaktisch als (oft inneres) Objekt vorkommt. Wenn die mangelnde Subjektsfähig im Passiv das Kriterium des adverbialen Akkusativs ist, so können Orts- und

§ S 96

96

§ S 96 Akkusativ

Zeitbestimmungen wie tho fuar er thuruh suorga mit imo hohe berga Ο 2.4.81, tho inthabet [hielt sich auf] er sih sar giwisso zuene daga thar Ο 3.23.26 als adverbiale Kasusformen gelten, etwas deutlicher vielleicht bei Ausdrücken für Erstreckungen wie floug er [der Engel Gabriel] sunnun pad, sterrono straza, wega wolkono zi theru itis frono 'zu der Jungfrau des Herren' Ο 1.5.5. Modale Geltung können Ausdrücke wie mman willon, thia meina (bei Ο nur in Ausrufen), maniga wTsa haben, doch stehen sie ebenfalls meist in Objektsposition. Deutlich adverbial ist dieder cheinnin wlsun vonna mir giwirsirit odo ungitröstit wurtin Otl (Lb) 54. Von den Nominalstämmen gilt filu als adverbial, doch lassen sich alle Stellen mit allein stehendem filu in Objektsposition bei Ο auch rein nominal auffassen. Davon unabhängig kommt filu in adverbialer Funktion vor anderen Adverbien vor. Manche Nomina stehen an der Schwelle zu Adverbien wie alia fart in sie bifiang iz alia fart 'es umfasste sie überall' Ο 2.1.49 und heim in ob uns in muat gigange, thaz unsih heim lange 'dass es uns nach der Heimat (heimwärts) verlange' Ο 1.18.31. Mit temporaler Bedeutung steht der Akkusativ in festen Fügungen mit sar und sar io: tho ward sar thia wila mihil erdbiba 0 5.4.21, siu wuntun ernustin, mit grozen angustin sar io thia wila Ο 1.22.27, mit Verweis auf ein Bezugssegment wizit nu, kindilin minu, theih bin mit iu in wara luzila wila Ο 4.13.3, als Bezeichnung einer reinen Dauer was siu after thiu mit iru sar thri manodo thar Ο 1.7.23, wonetun mit imo then tag Τ 16.2. Zu gleichbedeutenden temporalen Präpositionen s. § S 49.

3.6. Instrumental § S 97

Der Instrumental des Substantivs findet sich nur bei den starken Maskulina und Neutra im Singular. Seine Verwendung beschränkt sich im Ahd. zunehmend auf die Stellung nach Präposition. Hl 53 zeigt die Verwendung ohne und mit Präposition: nu seal mih suasat chind suertu hauwan, breton mit sinu billiu 'mit dem Schwert, mit seiner Axt', weiters wili mih dinu speru werpan Hl 40, ingiang er tho skioro, goldo garo ziero 'mit Gold zierlich geschmückt' Ο 1.4.19, dher quhad heilegu gheistu I 599, druhtines uuordu sindun himila chifestinode I 278. Als Ausdruck der Beschaffenheit: wuntane bauga, cheisuringu gitan 'gewundene Ringe, aus Kaisermünzen gemacht' Hl 33, mit kausalem Sinn suilizot lougiu der himil Musp 53, gibit thir thia wist thu hungiru nirstirbist Ο 2.22.22, wir duen iz mer thiu halt wanta sprichist thaz ni scalt 'wir tun es umso mehr, weil du sprichst, was du nicht sollst' Ο 3.22.44. In erstarrten Formeln: theheino mezzo 'in keiner Weise' 0 4.12.46; neben Adjektiven und Adverbien iz ist gilih filu thiu

§ S 9 8 Infinitiv

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Ο 2.14.90, bist garo ouh thiu gilicho Ο 4.22.28. Auch hiutu (< hiu tagu) 'heute' und hiuru (< hiu jaru) 'heuer' sind Instrumentale. Bis ins Mhd. erhält sich der Instrumental in den neutralen Pronomina diu und (h)wiu. Sie beziehen sich auf Abstrakta und stehen nach Präpositionen, die normalerweise den Dativ verlangen, z.B. after thiu 'danach' (T). Oft sind die Pronomina mit den Präpositionen verschmolzen (mittiu < mit diu, ziu < zi hwiu).

3.7. Infinitiv Ein Infinitiv mit finaler Bedeutung, das Gerundium (s. § 3 1 5 , § S 86), kommt im Dativ sowohl als Einbettung unter entsprechenden Trägersatzverben als auch als freies Adverbial vor. Ein vorangestelltes oder fehlendes zi scheint sich auf die Bedeutung des Gesamtgefüges nicht auszuwirken. Einbettung (gleichwertig einem Inhaltssatz): in thero euuu gibot uns Moyses in thesa uuisun zi steinonne Τ 120.3 'gebot uns ... zu steinigen', suohtun inan in zi traganne inti zi sezenne furi then heilant Τ 54.2; freies Adverbial: samaso zi thiobe giengut ir mit suerton inti mit stangon mih zi fahanne Τ 185.7, far er zi gisuonenne thih mit thinemo bruoder Τ 27.1, santa sie zi predigonne gotes rihhi Τ 44.3. Zu den adverbialen Präpositionalphrasen s. § S 28ff.

§ S 98

4. Der minimale Satz Lit.: Gerring 1927; Dirks 1934, 16-22; Biener 1940; Stolle 1947; Senn 1949; Scherer 1956; Raven 1958, 1963; Zatoöil 1959; Lawson 1958, 1959, 1965, 1968a, 1968b, 1969, 1970; Ertzdorff 1966; Bech 1970; Wedel 1970, 1974a, 1974b, 1976, 1987; Krämer 1971, 1974, 1976; Schröder 1972; Oubouzar 1974, 1992, 1997b; Coombs 1976, 74^116; Kotin 1977; Valentin 1979, 1987, 1997; Scaffidi-Abbate 1981; Breu 1985, 1988, 1994; Schwarz 1986; Eichinger 1987a; Donhauser 1988; Morris 1991; Leiss 1992; Dordevic 1994; Hewson/Bubenik 1997; Riecke 1997; Vano-Cerda 1997; Eroms 1990, 1992, 1994, 2000; Abraham 1999; Meier-Brügger 2000; Kirova 2000.

4.1. Einleitung Die Frage, welche Verbalkategorien für das Althochdeutsche anzunehmen sind, fuhrt mitten in die Grundprobleme der diachronischen und synchronischen Beschreibung des Deutschen. Immer wieder haben neue Beschreibungsansätze zu neuen Kategorisierungen gefuhrt, die je nach grammatischer Beschreibungsmethode zu sehr unterschiedlichen Resultaten fuhren. Das beste Beispiel dafür ist die Diskussion um die neuhochdeutschen Tempuskategorien und um die Zahl und Art der Verbalkategorien überhaupt, wo die differenziertesten Kategorisierungsansätze eine dreistellige Zahl erreichen. Es kann nicht die Aufgabe einer deskriptiven Syntax sein, mit zusätzlichen Vorschlägen Kategorien zu begründen, die letztlich am Korpus nicht ausreichend dargestellt werden können. Vielmehr soll hier strikt am methodischen Postulat der Formbezogenheit festgehalten werden: Die Grundlage der Beschreibung sind Formkonstanten, also Ausdrucksformen, die im Prinzip bei jedem Verb vorkommen können und damit grammatischen Status erhalten - und das Grundprinzip ist das der minimalem Kategorienzahl. Es wird im Folgenden kurz erläutert.

§ S 99

4.2. Die Grundkategorien des Verbs: Einfache und zusammengesetzte Verbformen Die Grundlage jeder grammatischen Beschreibung, die sich nicht an einem fremdsprachigen oder universal grammatischen Modell orientiert, muss sich zunächst auf die einfachen Formen beziehen. Zusammengesetz-

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§ S 100 Grundkategorien des Verbs

te Formen kommen erst dann in Betracht, wenn diachronische Entwicklungen beschrieben werden sollen und wenn das Konzept von grammatikalisierten, also semantisch "leeren" Form- und Funktionswörtern zur Verfügung steht. Zur Verdeutlichung ein Beispiel aus dem Neuhochdeutschen. Ein Zustandspassiv wie das Haus ist gebaut ist formal nichts Anderes als das Haus ist neu, also nach der traditionellen Syntax eine Fügung mit prädikativem Attribut, das in einem Fall aus dem Präteritumpartizip, im anderen Fall aus einem Adjektiv besteht (wobei man noch diskutieren könnte, ob nicht überhaupt alle Partizipien Adjektive sind). Im Sinn einer rein formbezogenen Analyse gibt es keine Notwendigkeit, ein Zustandspassiv als eigene Kategorie anzusetzen. Das ist nur dann berechtigt, wenn ein paradigmatischer Zusammenhang mit einer Aktivkonverse jc baut das Haus angenommen werden kann, sodass der Sprecher bei der Produktion dieses Satzes eine Wahlmöglichkeit zwischen diesen verschiedenen Perspektivierungen erkennt und ausnützt. In Korpussprachen kann natürlich diese Wahlmöglichkeit nicht operationalisiert werden. Nach dem Prinzip der minimalen Kategorienzahl fällt hier daher das Zustandspassiv als deskriptive Kategorie weg. Dass diese Kategorie aber auch im Nhd. problematisch ist, zeigen Sätze wie das Haus ist aus Holz gebaut, wo die funktionale Nähe zu attributiven Konstruktionen viel deutlicher ist als zu einem Aktivsatz χ baut das Haus aus Holz. Ausdrucksformen wie das Haus ist verfallen können sowohl als Perfekt (das Haus verfiel) als auch als attributive Fügung (das Haus ist alt) analysiert werden. Eine Analyse als Zustandspassiv ist nur deshalb ausgeschlossen, weil die Aktivkonverse χ verfällt das Haus unmöglich ist. Würde man das Nhd. als Korpussprache beschreiben, wäre nach den genannten Prinzipien grundsätzlich nur eine prädikative Phrase aus Prädikatsverb + Adjektiv anzusetzen (vorausgesetzt, der Kopulastatus des Prädikatsverbs ist gesichert). Nur das gemeinsame Vorkommen mit präteritalen Formen in einem Text würde darauf deuten, dass manche dieser Phrasen möglicherweise Tempusfunktion haben. Im Ahd. verschärft sich die Problematik der grammatischen Beschreibungsmethode noch dadurch, dass meist davon ausgegangen wird, dass sich die Ausdifferenzierung des ahd. Verbalsystems auf der Grundlage des lat. Formeninventars entwickelte. Danach liegt es nahe, bestimmten ahd. Verbformen genau die grammatischen Inhalte der lat. Vorlage zuzuschreiben, selbst wenn dafür im Ahd. keine Ausdrucksform vorhanden ist - ein deskriptiver Fehlschluss, der hier strikt vermieden wird. Es muss dabei in Kauf genommen werden, dass der Unterschied zwischen Lehnsyntax und Erbsystax in vielen Bereichen nicht deutlich gemacht werden kann.

§ S 102 Aktionsarten

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Anm. 1. Der lehnsyntaktische Einfluss auf das Entstehen der ahd. periphrastischen Verbformen ist umstritten und wohl überbewertet worden. Vgl. dazu zuletzt Morris (1991).

Der Unterschied zwischen einfachen und zusammengesetzten Formen ist leicht zu erkennen, aber schwer funktional zu fassen. Eroms (1997, 14) sieht in den periphrastischen Konstruktionen subjektzentrierte Formen, die Vorgänge und Handlungen auf das Subjekt fokussieren und seine "Verfassung" ausdrücken. Bei den Periphrasen mit sm/wesan und werdan fuhrt das zu einer prädikativen Gesamtinterpretation, die den agentivischen Charakter der Verben zurücknimmt und involitive, "intransitive" Interpretationen begünstigt. Das stimmt gut damit zusammen, dass periphrastische Fügungen oft deutlich expressiv und möglicherweise überhaupt aus expressiven Formen entstanden sind. In dynamischer Ausdrucksweise geht die Deagentivierung mit der Fokussierung auf die Ausdrucksbedürfnisse des Sprechers einher: Die Verbalhandlung wird nicht unter der Perspektive des Agenssubjekts, sondern des Sprecherinteresses dargestellt. Usualisierung, Grammatikalisierung und Univerbierung als letzter, oft nicht erreichter Schritt machen dann den Weg frei für eine neuerliche Agentivierung.

§ S 101

4.3. Aktionsarten Da syntaktische und semantische Eigenschaften oft untrennbar verbunden sind, wird hier eine Übersicht über die formalen und inhaltlichen Merkmale des ahd. Verbs gegeben, obwohl eine solche Beschreibung eigentlich zur Wortbildungslehre gehört. In Anlehnung an die Termini Modalität und Temporalität ist auch der Terminus "Aspektualität" gebildet worden. Es handelt sich um eine semantisch-funktionale Kategorie, die alle Funktionen im Bereich der Verlaufsweise einer Verbalhandlung umfasst. Aspektualität muss als eine universale Kategorie aufgefasst werden, die in den verschiedenen Sprachen auf sehr unterschiedliche Art und Weise ausgedrückt werden kann. Aspektualität bezeichnet eine grammatische Funktion, die auf der Ebene der grammatischen Kategorien (Aspekt), auf der lexikalischgrammatischen Ebene (Aktionsarten) und der lexikalischen Ebene (Verbalcharakter) zum Ausdruck kommt. Aspektualität überschreitet den verbalen Bereich und erstreckt sich bis zu solchen Kategorien wie Definitheit, Zählbarkeit, Kasus usw. Sie schließt auch Ausdrucksmöglichkeiten der in verschiedener Form realisierbaren lexikalischen, nonverbalen und sogar textlinguistischen Mittel ein.

§ S 102

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§ S 102 Aktionsarten

Grundlegend für die syntaktische Beschreibung des Ahd. ist hier die Unterscheidung zwischen Aktionsart und Aspekt. Aktionsart ist eine lexikalische Verbkategorisierung, die sich auf den semantischen Eigenschaften des Verbs gründet und die Art und Weise des Verbalgeschehens näher beschreibt. Demgegenüber ist Aspekt eine binäre grammatische Verbkategorie, die in einer Einzelsprache vorliegt, wenn dort eine oder mehrere Oppositionen systematisch realisiert werden (Weiteres s. unten § S 103). Aktionsarten sind objektiv gegebene Verlaufsarten der Verbalhandlung; demgegenüber sind Aspektunterscheidungen abhängig von der Auffassung und dem Ausdrucksbedürfnis des Sprechers. Da sich aber auch hier regelhafte Gebauchsweisen feststellen lassen, sollte man auch hier nicht von vornherein von einer "subjektiven" grammatischen Kategorie sprechen, gelegentlich wird eine weitere Differenzierung zwischen Aktionsart und Verbalcharakter getroffen. Danach sind nur formal markierte semantische Gruppen Aktionsarten, d.h. wenn die Aktionsart am Verb morphologisch ausgedrückt ist, in der Regel in der Form von Präfixen, seltener durch modifizierende Suffixe oder Infixe. Verben, bei denen die Art und Weise des Verbalgeschehens nicht morphologisch markiert wird, sind dann Verbalcharaktere (singen, lachen, sterben, öffnen, kommen, lieben). Da hier vom Formmerkmalen ausgegangen wird, wird dieser Begriff im Folgenden nicht verwendet. Für die Unterscheidung und Beschreibung von Aktionsarten stehen mehrere konkurrierende Modelle zur Verfugung. Es werden hier nur die wichtigsten Kategorien beschrieben, die syntaktische Eigenschaften und Beziehungen zur Folge haben. Die wichtigste Unterscheidung ist die zwischen durativer und terminativer Aktionsart. Durativ wird weiter in iterativ und semelfaktiv unterteilt, während terminativ in punktuell und nicht-punktuell unterschieden wird. Die durativen Verben lassen sich in zwei Gruppen einteilen: eine Gruppe mit dem Merkmal statisch und die andere mit dem Merkmal dynamisch. Statische Verben oder Zustandsverben sind intern nicht gegliedert, es lassen sich keine aufeinanderfolgenden Phasen feststellen. Statische Verben drücken einen Zustand aus, etwas, das existiert, nicht etwas, das sich ereignet oder abläuft. Bei dynamischen Verben lassen sich sukzessive Phasen feststellen. Dynamische Verben drücken einen Vorgang aus, den Ablauf eines Ereignisses oder einer Tätigkeit. Die terminativen Verben lassen sich ebenfalls in zwei Gruppen einteilen: punktuell (oder momentan) und nicht-punktuell. Punktuelle Verben {finden, treffen, erblicken, erreichen, gewinnen, entdecken) beschreiben ein Ereignis, das ohne zeitliche Ausdehnung punkthaft geschieht. Sie sind mit dem Eintritt des Vorgangs gleichzeitig auch vollendet. Nicht-punktuelle Verben (untergehen, durchschneiden, aufblühen, ausklingen, aufmachen, weglaufen) haben eine wenn auch noch so kurze zeitliche Ausdehnung, begrenzt durch Hin-

§ S 102 Aktionsarten

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zufügung des Anfangs- oder Endpunkts eines Ereignisses. Die Begriffe "terminativ" und "punktuell" benennen also nicht das Gleiche. Alle nichtpunktuellen Terminativa beschreiben Prozesse, die im Hinblick auf ein Ziel ablaufen, sie sind telisch. Telische Verben beschreiben ein Ziel, das erreicht werden kann, einen Vorgang oder eine Tätigkeit, die abgeschlossen werden können oder die abgeschlossen sein müssen. Da telische Verben auf ein Ziel gerichtet sind, implizieren sie eine mögliche Veränderung und werden daher manchmal auch mutative Verben genannt. Terminative Verben lassen sich weiterhin in Verben einteilen, die den Beginn eines Vorgangs oder einer Tätigkeit beschreiben, also ingressive oder inchoative (entflammen, erblühen, abfahren), und solche, die das Ende eines Vorgangs oder einer Tätigkeit in den Blickpunkt rücken, also egressiv (synonym zu egressiv auch effektiv, finitiv, konklusiv, resultativ) wie verblühen, aufessen, ausklingen sind. Als Träger von einigermaßen festen Aktionsartbedeutungen kommen im Ahd. die Klassen der schwachen Verben in Frage. Dabei ist zu beachten, dass Aktionsartbedeutungen vom Vorhandensein formal-semantischer Oppositionen abhängen: Nur dort, wo im Germ, ein70«-Verb und ein wurzelverwandtes nan- Verb einander gegenüberstehen, ist das /an-Verb eindeutig kausativ/faktitiv, das nan-Verb rein inchoativ. Bei fehlender Opposition sind die Verben aktionell nicht festgelegt (Krämer 1971, 79). Im Westgerm, treten die na«-Verben in die 2. oder 3. Klasse über, die Verben der 1. Klasse werden zunehmend nicht mehr produktiv. Im Ahd. löst sich die Bindung der Aktionsartbedeutungen an bestimmte Morpheme mehr und mehr auf. Ein Sprichwort wie soz regenot so nazzent ti bouma. so iz uuat so uuagot iz 'Wenn es regnet, so sind die Bäume nass. Wenn es weht, so schwankt es' (so gerät alles in Bewegung) Ν Piper I, 595.13 zeigt mit seinem Gegensatz zwischen δη- und en-Verben einerseits diese Auflösung, andrerseits aber auch, dass die schwachen Verbalklassen noch bedeutungsmodifizierende Funktion haben (Krämer 1971, 55). Bei den janVerben gibt es eine Restklasse von kausativ-faktitiven Verben wie swemmen (zu swimman), feilen (zu fallan), fuoren (zu faran). Andere Verben haben sich lautlich schon deutlich von ihren Grundwörtern entfernt, sodass sie wohl kein gemeinsames Paradigma mehr bilden (leiten zu lTdan, beizen zu bizan 'stechen; verzehren'). In manchen Fällen liegt eine denominative Ableitung näher als eine deverbale (z.B. rouh(h)en 'Weihrauch opfern' zu rouh oder riochan), sodass diese Verben in die Nähe der ö-Verben geraten. In stammverwandten Verben der 1. und 3. Klasse wie firren - ferren, heften - haften, kuolen - kuolen, magaren - magaren sind die jan-Verben transitiv, die e-Verben intransitiv. Hier ist die Aktionsartbedeutung noch deutlich. In anderen Fällen ist der Unterschied schwerer zu fassen. Bei huggen - hogen, Winnen - winen 'weiden', angusten - angusten 'ängsti-

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gen', härmen - härmen könnte der Sprecher mit den e-Formen die Vorstellung der Dauer, mit den jan-Formen die Vorstellung von Ziel der Verbalhandlung verbinden (etwa hogen 'im Gedächtnis behalten, denken' gegenüber huggen 'über etwas nachdenken', Krämer 1971, 125 Anm. 383). Bei Verbpaaren wie beiten 'drängen, nötigen; sich bemühen' - beitön 'warten', Huben 'lieb machen' - liubön 'lieben' ist die kausativ-faktitive Aktionsart der jan- Verben noch vorhanden, doch die ö- Verben zeigen keine gemeinsame Aktionsartbedeutung. Keinen Aktionsartunterschied mehr zeigen Paare wie dingen 'hoffen' - dingön 'vor Gericht bringen'. In Paaren wie halsan/helsen - halsön, küssen - chossön, lusten - lustön 'umarmen - beim Hals fassen, küssen/herzen - abküssen, gelüsten - begehren' sind die ÖVerben sinnlich belebter und stehen in einem konkreteren, innigeren Verhältnis zum entsprechenden Nomen (Krämer 1971, 69). Manche intransitive e-Verben stehen transitiven ö-Verben gegenüber: areinen 'vereinzelt werden' - einön 'einigen, vereinen', meren 'mehr sein' - merön 'mehren', sculdigen 'schulden' - skuldigön 'beschuldigen'. Anm. 1. Krämer fasst diese Bedeutungsnuancen als Aspekte im Sinn von "subjektiven Anschauungsformen", eine Terminologie, die den Arbeiten von Renicke und Raven nahe steht, hier aber nicht in diesem Sinn verwendet wird. Raven (1963) ordnet die Aktionsarten zu "Phasenaktionsarten" und unterscheidet zwischen prospektiven (ingressiv - progressiv - egressiv - perfektisch/resultativ) und sukzessiven (inchoativ kontinuativ - konklusiv - perfektisch/resultativ) Aktionsarten, s. die ahd. Beispiele bei Raven (1963, 174-178). Wegen der zu starken Ausrichtung an das andersartige Aspektsystem der slawischen Sprachen ist die Aspektkritik von Bordevic (1994) unberechtigt; s. dazu die ausgewogene Diskussion der Forschungslage bei Riecke (1997) und die Bemerkungen von Senn (1949,407f).

4.4. Aspekt und Aspektualität (unter Mitarbeit von Sylvia Kirova)

4.4.1. Aspektualität § S 103

Wenn Aspektualität eine universalgrammatische Erscheinung ist, dann hat der einzelsprachliche Aspekt ebenfalls ein universalgrammatisches Fundament. Wie oben schon angedeutet, können sich Aspektoppositionen aber mit sehr verschiedenen Formmerkmalen und auch mit Textmerkmalen verbinden. Hier werden ausschließlich Aspektverhältnisse dargestellt, die sich am finiten Verb zeigen. Um den Gegensatz zur Aktionsartterminologie deutlich zu machen, wird als Begriffspaar "kursiv - komplexiv" verwendet (anstelle der üblichen Bezeichnungen "imperfektiv perfektiv"). "Durativ"

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ist der Aspekt, unter dem eine Handlung in ihrer Dauer gesehen wird; Anfang und Ende der Verbalhandlung kommen nicht in das Blickfeld. Demgegenüber ist "komplexiv" der Aspekt, unter dem eine Verbalhandlung als unteilbare Ganzheit gesehen wird. Im Nhd. ist der Aspektunterschied nicht grammatikalisiert; er kann durch Fügungen wie etwa einen Pullover stricken (kursiv) und einen Pullover fertig stricken (komplexiv) verdeutlicht werden (Wortpaare wie etwas das bekannte jagen - erjagen geben hingegen einen Aktionsartunterschied wieder). Aspektunterschiede können durch eine Vielzahl von grammatischen Formen kodiert sein. Im Nhd. stehen auch Formunterschiede wie an einem Brief schreiben / einen Brief schreiben und den Brief schreiben zur Verfügung: Im ersten Fall ist eine andauernde Handlung bezeichnet, die zwar Anfang und Ende hat, aber ohne dass diese Begrenzung kommunikativ wichtig wäre. Deshalb kann sich diese Phrase mit durativen Zeitadverbien wie stundenlang verbinden. Im letzten Fall ist das Ergebnis der Handlung, der geschriebene Brief, wichtig. Zeitadverbien wie heute beziehen sich auf die Gesamtheit der Verbalhandlung. In sie schreibt stundenlang den Brief (besser: sie schreibt den Brief stundenlang) überlagert das durative Zeitadverb den komplexiven Verbalhandlungskern mit dem Ergebnis einer kursiven Verbalphrase (daher steht auch das Zeitadverb in Ausdrucksstellung am rechten Satzrand). Objektiv liegt der selbe Sachverhalt vor, nur die Sichtweise ist eine Andere. Insofern kann man tatsächlich davon ausgehen, dass der Aspekt eine subjektive grammatische Kategorie ist. Es gibt aber grammatische Erscheinungen, die bestimmte Aspektformen begünstigen, sodass auf diese Weise eine Grammatikalisierung angebahnt sein kann. In nhd. Kausalsätzen z.B. ist in der Standardsprache das (aspektuelle) Perfekt üblicher als das Präteritum, weil die Verbalhandlung nicht in ihrem Verlauf und in ihrer Ausdehnung, sondern nur als punktuell gesehenes kausales Moment wichtig ist. Ein Kausalsatz im Präteritum ist aber keineswegs falsch: Gelegentlich ist gerade der Handlungsverlauf das kausal wichtige Moment, etwa in Sie war damals sicher zu Haus, weil in ihrer Wohnung die ganze Zeit das Licht brannte. Die Beschreibung von subjektiven grammatischen Kategorien ist für Korpussprachen besonders schwierig, weil grammatische Funktionen, Kontextbedingungen, stilistische Nuancen und pragmatische Gebrauchsweisen auf einen Nenner gebracht werden müssen. Oft wird aber das Motiv der Aspektbezeichnung durchaus deutlich. In fone diu ist mir guot. daz du mih kenidertost . daz ich so filo gnotor lirnee dine rehtunga NP 901.15 'deswegen ist es gut für mich, dass du mich erniedrigt hast, damit ich so viel eifriger dein Gesetz lerne' wird der Verbalvorgang des Objektsatzes, die Erniedrigung, als abgeschlossene Tatsache komplexiv dargestellt. Kommt es dagegen auf die Handlung an sich an, kann die kursive unpräfi-

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§ S 103 Aspektualität

gierte Form gewählt werden, wie die Stelle einige Zeilen später zeigt: uuanda der daz kuot neahtot. daz du in nidertost NP 901.17 'weil der das nicht (für) gut erachtet, dass du ihn erniedrigtest'. Im Folgenden wird daher nur das Präfix ahd. gi- als grammatikalisiertes Zeichen für den komplexiven Aspekt beschrieben. Andere Formen des komplexiven und kursiven Aspekts weisen kein grammatikalisiertes Zeicheninventar auf.

4.4.2. gi- als Aspektzeichen § S 104

Bei einfachen Verben markiert das Präfix gi- den komplexiven Aspekt. Bei vielen Verben ist das auch durch die lat. Vorlage ausreichend gesichert (Raven 1958, 65f). So bedeutet hören etwa 'die Fähigkeit des Hörens anwenden', gihören dagegen das Ergebnis des Hörens 'vernehmen'. Das zeigen auch die lat. Verben, welche durch gihören wiedergegeben werden: accipere, percipere, exaudire, cognoscere. Doch gibt es auch Fälle, wo die lat. Vorlage keine unterschiedlichen Verbformen hat. Aus der Zusammenstellung der Tatian-Stellen von Scherer (1956, 430) seien einige Beispiele herausgegriffen. Lat. audire - ahd. hören und gihören taga uuas her lerenti in themo temple, nahtes uuoneta in themo berge thie dar ginemnit ist Oliueti, inti al thaz folc fruo in morgan quam ci imo in temo temple inan hören Τ 140.2; - tho antlingita in: ih quad ϊύ iu, inti ir gihortut: uuaz uuollet ir abur gihören? uuellet ir iungiron sine uuesan? Τ 132.16. Der Aspektunterschied ist hier deutlich: Im ersten Fall ist das bloße Hören gemeint, im zweiten Fall das Aufnehmen einer Botschaft: manage quamun fon ente erdun hören spahida Salamones Τ 57.5 'sie kamen ... die Weisheit Salomos zu hören'; sulihhen ratissun managen sprah her [Christus] in uuort, so sie mohtun gihören, inti uzan ratissa ni sprah her in Τ 74.2 'mit solchen vielen Gleichnissen sprach er ihnen das Wort, wie sie es aufnehmen konnten [prout poterant audire], und außerhalb der Gleichnisse sprach er nichts zu ihnen.' Im zweiten Fall ist das Ergebnis der Rede, das Aufnahmevermögen, wichtig. Der Kontrast ist weiters deutlich in daz auga nikisah noh oora hoorta noh in herza mannes ufsteic, dei karata cot diem, die minnoont inan Β 23.35 'das, was das Auge nicht erblickte noch das Ohr hörte noch in das Herz des Menschen einging, das bereitete Gott denen, die ihn lieben' und denne keuuisso intfrahetomes truhtinan, fratres, fona puarre des huses sines, kehortomees des puentin kipot Β 13.2 'als aber wir den Herrn nach dem Bewohner seines Hauses fragten, vernahmen wir das Gebot des [dort] Wohnenden'. Sehen ist gegenüber Hören

§ S 104 gi- als Aspektzeichen

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eine Tätigkeit, die stärker auf das Ergebnis einer Wahrnehmung zielt und daher auch konsequent mit dem Präfix bezeichnet ist. Lat. videre - ahd. sehan und gisehan zi hiu giengut uz sehan? Τ 64.5 'wozu gingt ihr aus zu sehen?' (sed quid existis videre?) - meistar, uuir uuollen fon thir zeichan gisehan Τ 57.1. Auch hier ist der Unterschied deutlich: Im ersten Fall ist das Sehen als unspezifische Aktion gemeint, im zweiten Fall als Erblicken von Zeichen. In du in pruader dines augin halm kesahi, in dinemu kepret nikisahi Β 199.22 (Daab S. 16) 'du hast den Halm im Auge deines Bruders erblickt, in dem deinigen [aber] hast du den Balken nicht wahrgenommen' ist der lat. Aktionsartunterschied (videbas - vidisti) unterschiedlos durch die komplexive Präfixbikdung wiedergegeben, weil es sich um das Wahrnehmen eines konkreten Gegenstands handelt und nicht um den Akt des Sehens selbst. Die Bezeichnung des Aspekts ist eine eigenständige grammatische Leistung des Ahd. Zweifellos ist der Aspektunterschied bei den Wahrnehmungsverben am deutlichsten zu fassen, doch auch bei anderen Verben kann er nachgewiesen werden: Lat.facere - ahd. tuon und gituon ni mag guot boum ubilan uuahsmon tuon noh ubil boum guotan uuahsmon tuon Τ 41.4 - thu ni maht ein har thes fahses uuizaz gituon odo suarz Τ 30.4. Hier ist der Unterschied zwischen dem kursiven und dem komplexiven Aspekt ganz deutlich: Im ersten Fall geht es um eine Verbalhandlung, bei der Anfang und Ende kommunikativ nicht wichtig sind, im zweiten Fall um eine Zustandsveränderung. Der durch gi- bezeichnete Aspektunterschied ist noch bis Notker deutlich. Bei Notker überwiegt bei hören der komplexive Gebrauch bei Weitem. Das ist durchaus verständlich, denn meist ist das bewusste Vernehmen und Wahrnehmen gemeint. Die Stellen mit kursiven hören beschränken sich wie bei Tatian auf das reine Geschehen: so sia singen höret . so ist iz iro lustsam NB 374.12, tero sibeno ist grammatica diu erista . diu unsih leret rectiloquium . daz chit rehto sprechen . taz ioh chint kelirnen mugen . so uuir tagoliches hören NB 73.23, daz ist tiu pildunga . des muotes . ane diu corpora . also getaniu . so diu ougen an in sahen . aide diu oren horton NB 366.20. Bei tuon verhält es sich umgekehrt: Hier sind die Stellen im Sinn eines komplexiven Fertigstellens oder Veränderns deutlich seltener. Aber auch hier ist der Aspektunterschied klar erkennbar. In übe ouh ter uuint miskelot tia cessa ['Woge, Wallung'] . unde den mere getuot uuellon NB 56.17 ist die Zustandsveränderung im Blickfeld, ebenso in si [die Rhetorik] gibet mestis [den Trauernden] consolationem . unde incredu-

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§ S 104 gz'-als Aspektzeichen

lis fidem . unde unsinnige . getuot si sinnige NB 60.25 'und Unverständige ändert sie zu Verständigen'. Lat. ducere - ahd. leitan und geleitan In enger uuec ist, der leitit ze übe Β 207.35 (Daab S. 25) 'ein enger Weg ist, der zum [ewigen] Leben führt' gegenüber der farfluahhanan diubil [...] keleitta ze neouuehti Β 194.15 (Daab S. 11) 'derjenige, der den verfluchten Teufel [...] zu nichts hingeführt hat' entspricht der Unterschied lat. ducit deduxit. Der Weg zum ewigen Leben ist als Richtung aufgefasst, die eine bestimmte Erstreckung einnimmt, während das Führen ins Nichts ein deutliches Ziel und Ergebnis hat. Anm. 1. Viele Arbeiten, in denen die Aspektfunktion von gi- als grammatisches Zeichen geleugnet wird, gehen ausschließlich von den Lexemen und grammatischen Kategorien der lat. Vorlage aus und erfassen daher die eigenständigen ahd. Aspektunterschiede nicht (z.B. Lawson 1968b, 1970). Das aspektuelle gi- muss auch keineswegs immer die Funktion eines perfektivierenden Futurs haben, wie Lawson (1965) voraussetzt. Der Aspektunterschied wird in seinem Kommentar (93 f) zu thiu kind therro uuerolti gihiuuent inti uuerdent furselit zi brutlouftin: thie thar uuirdige gihabete sint therro uuerolti inti urrestifon toten, noh sie ni hiuuent noh quenun ni holont noh elihor arsterban mugun Τ 127.3, wo in beiden Fällen nubent übersetzt wird, genau beschrieben: "The prefixed gihiuuent seems to affirm: 'The sons of this world will certainly enter into and consummate marriage, each in his time.' On the other hand the unprefixed hiuuent, surrounded by negatives, would imply: 'Those who are worthy of having that world will throughout the ages be in a situation in which marriage is out of the question.'" Der Unterschied kann durch nhd. verheiraten - heiraten deutlich gemacht werden. Das dass komplexive gihiuuent eine Zustandsänderung bezeichnet, geht aus dem Kontext (furselit zi brutlouftin) klar hervor. In anderen Fällen mag der Aspektunterschied weniger deutlich sein, besonders dann, wenn der Kontext keine Anhaltspunkte dafür gibt. Lawson diskutiert die folgenden Stellen: seno nu inphahis in reue inti gibiris sun inti ginemnis sinan namon Heilant Τ 3.4, thin quena Elysabeth gibirit thir sun, inti nemnis thu sinan namon Iohannem Τ 2.5, wo beide Stellen die gleiche Vorlage haben {et vocabis nomen eius Ihesum/Iohannem). Den Aspektunterschied zeigt aber siu gibirit sun, inti thu ginemnis sinan namon Heilant, bithiu uuanta her sinaz folc heilaz tuotfon iro sunton Τ 5.8 (auch Lawson 1966,236; 1968b, 274). Heilant ist ein sprechender Name, die Verpflichtung zu diesem Akt der Namensgebung ist daher größer und wird hier durch den Kausalsatz eigens begründet. Das komplexive ginemnis kann hier modal übersetzt werden 'und du musst seinen Namen "Heiland" nennen" = er erhält den Namen "Heiland". Die sich sehr eng ans Lat. anschließende Benediktinerregel ist wohl keine gute Zeugin für autochthones Ahd.; aber auch hier wird auditum fuerit mit kihortaz/kehorit wirdit übersetzt (B [Daab] Glossar S. 158). Anm. 2. Zum Mhd. hin schwindet die Präfigierung zunehmend (Lawson 1968a). Aber die altalemannischen Lukasglossen zeigen entgegen Lawson (1970, 572f) deutlich einen Aspektunterschied zwischen dem transitiven dea inan kehorton Ausg. Daab 26.56 und dem intransitiven sazton alle dea hör. ton Ausg. Daab 2.12: 'Jemanden hören' bezieht sich auf einen im Ganzen gesehenen Akt gegenüber dem intransitiven 'alle, die hören'. Die von Lawson (1970, 574) als aspektproblematisch bewerteten Präsenspartizipformen kesehante Daab 26.3 und kasehante Daab 58.7.3 sind transitiv. Ein Transitivitätsunterschied trennt auch kasehante Daab 60.4.2 und sehanti Daab 70.13.5 in den Murbacher Hymnen. In manchen Fällen ist der Unterschied durch eine subjektive An-

§ S 105 Aspektbereiche bei Otfrid

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schauungsweise begründet. In druhtines gheist chideda mih endi adum dhes almahtighin chiquihhida mih. See endi mih deda got so selp so dhih I 245 'der Geist des Herrn verfertigte mich und der Atem des Allmächtigen belebte mich. Sieh, und mich schuf Gott so gleich wie dich' ist chideda konklusiv mit der Betonung des Resultats, deda kursiv. Beides sind vollendete Handlungen, aber der Sprecher kann sich seiner Herkunft und seiner Inspiration sicher sein, während der Angesprochene noch überzeugt werden muss. S. dazu auch Wedel (1974, 51).

4.4.3. Aspektbereiche bei Otfrid Die Beschreibung von Aspektfunktionen ist nur an längeren, einheitlichen Texten möglich. Daher wurde hier als Grundlage nur der Text Otfrids herangezogen. Im Folgenden wird die universalgrammatische Aspekttheorie von Walter Breu (1985, 1988, 1994) zu Grunde gelegt. Als lexikalische Grundlage für den Verbalaspekt werden nicht die Verben klassifiziert, sondern die Bedeutungen, die in den Verben versprachlicht werden (siehe unten). Im Mittelpunkt dieses Ansatzes steht die Interaktion der lexikalischen Bedeutungen von Verbgruppen mit den grammatischen Bedeutungen des Aspekts. Es wird ein geschlossenes System von Aspektoppositionen aufgebaut, die als "Aspektdimensionen" bezeichnet werden. Das unterschiedliche Verhalten der einzelnen Verben gegenüber der Aspektkategorie erklärt sich ganz allgemein aus der unterschiedlichen Wahrscheinlichkeit für die Begrenzung des durch sie ausgedrückten verbalen Sachverhalts. Die typischen inhärentlexikalischen Grenzen einer Handlung lassen eine aspektsensitive Klassifikation von Verblexemen mit klassenspezifischem Verhalten der Aspektpartner zueinander zu. Der perfektive Aspekt drückt diejenigen Grenzen obligatorisch aus, die für den imperfektiven Partner wahrscheinlich (weil fur die Handlung typisch) sind. Die Aktualisierung aller typischen Grenzen einer Handlung entspricht der Ganzheitlichkeitsfiinktion des perfektiven Aspekts. In Opposition zum perfektiven Aspekt erhält der imperfektive Aspekt die Bedeutung, dass nicht alle Grenzen, d.h. nur eine oder gar keine, vorliegen. Er ist das unmarkierte Glied in der privativen Aspektopposition. Diese abstrakte inhaltliche Opposition äußert sich im zusammenhängenden narrativen Kontext in der Weise, dass der perfektive Aspekt die Veränderung einer gegebenen Situation durch die betreffende Verbhandlung ausdrückt, der imperfektive Aspekt hingegen der Beschreibung einer gegebenen Situation zusätzliche Information hinzufügt. Der perfektive Aspekt drückt eine Situationsveränderung (SV) aus, der imperfektive Aspekt eine Situation (