Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt: Versuch einer begrifflichen Abgrenzung [1 ed.]
 9783428415953, 9783428015955

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D I E T E R VOLKMAR Allgemeiner Rechtesatz und Einzelakt

Schriften

zum ö f f e n t l i c h e n Band 8

Recht

Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt Versuch einer begrifflichen Abgrenzung

Von

Dr. D i e t e r V o l k m a r

D U N C K E R

& H U M B L O T

/

BERLIN

A l l e Rechte vorbehalten © 1962 Duncker & H u m b l o t , B e r l i n Gedruckt 1962 b e i H a n s W i n t e r Buchdrucker ei, B e r l i n S W 6 1 P r i n t e d i n Germany D 6

Vorwort Dies erste Werk meines liebsten Schülers muß die einzige selbständige Veröffentlichung bleiben, welche die wissenschaftliche Welt seinem klaren und scharfen Geiste zu verdanken hat. A m 22. J u n i 1961 ist Dieter Volkmar verschieden. 1931 i n Waldenburg i. Schi, als Sohn eines Facharztes geboren, wurde er als Knabe gelähmt und hat sich doch nach dem Verlust seiner Eltern schon während seiner Schulzeit i n der Fremde unter äußerlich schwierigen Umständen als kräftige Stütze seiner Stiefmutter und seines Bruders bewährt. Nach der glänzend bestandenen Reifeprüfung am GrafFriedrich-Gymnasium i n Diepholz begann er 1950 das Studium der Rechte i n Münster, das er durch ein Semester i n Freiburg unterbrach. Schon i n seinem ersten Semester ragte er durch sein Verständnis sowohl für rechtsphilosophische als auch für rechtsdogmatische Probleme und die unbeirrte, klare Methodik ihrer Bewältigung unter seinesgleichen hervor. Von der Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert, nutzte er nach Kräften die vielfältigen Möglichkeiten des Studiums, dessen Schwergewicht er auf das öffentliche, insbesondere auf das Verwaltungsrecht legte. Gleichwohl durchlief er nach gut bestandener erster Staatsprüfung die justizielle Ausbildung zur Freude derer, denen er schwierige Rückstände aufarbeitete. Nach w o h l bestandener großer Staatsprüfung übernahm er 1959 die rechtswissenschaftliche Assistentenstelle des Kommunal wissenschaftlichen Instituts der Westfälischen Wilhelms-Universität. I n all diesen Jahren seiner Vor- und Ausbildung als Student, als Angehöriger einer studentischen Wohngemeinschaft, als wissenschaftliche Hilfskraft wie als Assistent, hat er seine Arbeitskraft und seine Geistesgaben i n unermüdlicher Hilfsbereitschaft allen zugute kommen lassen, die i h m nahestanden. Ich selbst verdanke i h m unter vielem anderen weitgehend die Darstellung des öffentlichen Sachenrechts, der öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen, des öffentlichen Stiftungsrechts und des Verwaltungsverfahrens i n meinem Lehrbuch des Verwaltungsrechts. Nicht aus Hochmut, sondern aus Gewissenhaftigkeit hat er es verschmäht, seine Inaugural-Dissertation einem dieser von i h m beherrschten Bereiche zu entnehmen. Es beweist Dieter Volkmars Spürsinn für das Wesentliche, daß er die überraschende Ungeklärtheit des für die Hechtstheorie so fundamentalen Begriffes des Einzelaktes und seiner Abgrenzung vom allgemeinen Rechtssatz erkannt hat. Der erste und mindeste Ertrag dieser von der Rechts-

6

Vorwort

und Staatswissenschaftlichen Fakultät zu Münster 1960 angenommenen und prämierten Dissertation liegt i m Nachweis der Unzulänglichkeit bisher gängiger Definitionen. Der nächste, wichtigere Ertrag ist die A b stellung des Einzelfall-Begriffs bei berechtigenden bzw. verpflichtenden Hoheitsakten auf das erlaubte bzw. gebotene reale menschliche Verhalten, bei rechtsgestaltenden Verwaltungsakten auf das geregelte Rechtsverhältnis. I n Verbindung m i t konsequenten Definitionen der Bestimmtheit und der Unbestimmtheit der Adressaten ergibt sich eine klare und — wie an vielen Beispielen erläutert w i r d — verfassungs- und verwaltungsrechtlich praktikable Unterscheidung von allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt. Dieter Volkmar war dabei, seine 1959 abgeschlossene Schrift für die Drucklegung auf den neuesten Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu bringen und dabei auch meinem Hinweis auf die Eigenart intransitiver (meist sachbezogener) Hoheitsakte Rechnung zu tragen, als er auf das Krankenlager geworfen wurde, von dem er sich nicht mehr erheben durfte. Seine handschriftlichen Notizen sind nachträglich i n das Manuskript eingefügt, auf weitere Änderungen aber ist verzichtet worden, obwohl es möglich gewesen wäre, neueste Stimmen zu den behandelten Problemen anzuführen. Die Originalität der Schrift sollte durch keine fremde Hand beeinträchtigt werden, zumal solche Hinweise selbst bald veralten, der wissenschaftliche Gehalt des Werkes aber ohnedem Bestand hat. Wer sich an dieser vorbildlichen Problemerörterung erfreut hat, w i r d tief beklagen, daß Dieter Volkmar die Wissenschaft nicht noch weit mehr w i r d bereichern können und Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Broermann dankbar sein, daß er dies Vermächtnis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Münster (Westf.), i m November 1961 Hans J. Wolff

Inhaltsverzeichnis Einleitung § 1. Die Aufgabe der Untersuchung § 2. Anlage u n d Methode der Untersuchung Erster

Teil

Die Unterscheidung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt in der bisherigen Wissenschaft Erstes Kapitel: § 3. Die geschichtliche Entwicklung des Problems Zweites Kapitel: Die Lösungsversuche der neueren Wissenschaft § 4. Die das Abgrenzungsproblem m i t t e l b a r berührenden Theorien A . Die Lehre v o m „Individualgebot" (v. Ihering) I . v. Iherings Fragestellung (29) — I I . Die Bedeutung der Lehre v. Iherings (30) B. Die Lehre v o n der „ F a l l e i n h e i t " (Rosin) I. Der Begriff der Falleinheit (31) — I I . der Begriff des Einzelakts (32) C. Die Lehre v o n der „generellen N o r m " (Jerusalem) § 5. Die Theorien über das K r i t e r i u m des allgemeinen Hechtssatzes A . Die Lehre v o n der begrifflichen Allgemeinheit der betroffenen Personen (W. Jellinek) I . Die Lehre W. Jellineks (34) — I I . Die Lehre E. Jacobis (35) B. Die Lehre v o n der unbestimmten Z a h l der betroffenen Personen C. Die Lehre v o n der Fallmehrheit I . Die Fallmehrheit als Mehrzahl v o n Fällen (38) — I I . Die F a l l mehrheit als bestimmte oder unbestimmte Z a h l v o n Fällen (39) D. Die Lehre v o n der unbestimmten Vielzahl von Fällen E. Die Lehre v o n der unbestimmten Z a h l v o n Fällen u n d Adressaten Zweiter

15 17

24 24 28 29 29 31 32 33 34 36 38 40 42

Teil

Die rechtstheoretischen Grundlagen der Unterscheidung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt Erstes Kapitel: Der Adressat des befehlenden Hoheitsaktes § 6. Der Begriff des Adressaten A . Die Problemstellung B. Die maßgeblichen Gesichtspunkte I . Der Kreis der abstrakt Verpflichteten (49) — I I . Der Kreis der konkret Verpflichteten (50) C. Ergebnis § 7. Die begriffliche Allgemeinheit der Adressaten als K r i t e r i u m des a l l gemeinen Rechtssatzes

47 48 48 49 51 52

8

Inhaltsverzeichnis Α. Die Bedenken gegen die von Jellinek angewandte Methode 52 B. Die Bedenken gegen das von Jellinek gefundene Ergebnis 54 I. Der formale Charakter des K r i t e r i u m s (54) — a) Abhängigkeit der „ A l l g e m e i n h e i t " v o n der A r t der Bezeichnung (54) — b) U n brauchbarkeit dieses K r i t e r i u m s (54) — I I . Der Widerspruch zum Gesetz (56)

§ 8. Die zahlenmäßige Bestimmtheit, Bestimmbarkeit oder Unbestimmtheit der Adressaten 57 A. Der Begriff der zahlenmäßigen Unbestimmtheit 57 I. Objektiv-logische u n d subjektiv-praktische Ungewißheit über die zahlenmäßige Bestimmtheit (58) — I I . Das K r i t e r i u m der U n bestimtheit: a) Theoretische Erwägungen (59) — b) Gesichtspunkte der P r a k t i k a b i l i t ä t (61) — I I I . Definition (62) B. Der Begriff der zahlenmäßigen Bestimmtheit 63 I. Das K r i t e r i u m der Bestimmtheit (63) — I I . Zahlenmäßige u n d personmäßige Bestimmtheit (65) C. Der Begriff der zahlenmäßigen Bestimmbarkeit 67 I. Praktische Bestimmbarkeit (67) — I I . Logische Bestimmbarkeit (68) — I I I . Bestimmbarkeit nach „ A r t u n d Besonderheit" (68) — I V . Bestimmbarkeit als gattungsmäßige Bezeichnung (68)

Zweites Kapitel: Der vom befehlenden Hoheitsakt geregelte „Fall" § 9. Der F a l l als „rechtliche Betroffenheit einer Person" A. Die Lehre Obermayers I. Darstellung (72) — I I . K r i t i k (74) — a) Der Mangel der begrifflichen Selbständigkeit des „ F a l l s " gegenüber dem „Adressat" (74) — 1. Verkennung von Wesen u n d S t r u k t u r des Hoheitsaktes (77) — 2. Verkennung des adressatlosen Hoheitsaktes (78). — 3. Wegfall der Allgemeinheitsstufen (78) — 4. Außerachtlassung des positiven Rechts (80) — b) Praktische A u s w i r k u n g e n der Lehre Obermayers (80) B. Die Lehre Thomas I . Darstellung (81) — I I . K r i t i k (82) § 10. Der F a l l als „realer Lebenssachverhalt" A . Die Notwendigkeit der Präzisierung des Sachverhalts-Begriffs . . B. Die Möglichkeiten der Präzisierung des Sachverhalts-Begriffs . . A A . Die Individualisierung des „realen Lebenssachverhalts" durch den „rechtsfolgebegründenden Tatbestand" des Hoheitsaktes I. Die herrschende Lehre von Tatbestand u n d Rechtsfolge u n d ihre Bedeutung für den Fall-Begriff a) Die Verknüpfung von Tatbestand u n d Rechtsfolge (87) — b) Die „Jedesmal wenn-so"-Formel (89) I I . Die K r i t i k der herrschenden Lehre a) Die grundsätzliche K r i t i k Burckhardts b) Die Möglichkeit tatbestandsloser abstrakter Befehle 1. Die einschlägigen Äußerungen i m Schrifttum (93) — 2. Eigene Stellungnahme (94) — aa) Die Möglichkeit tatbestandsloser abstrakter Verbote (94) — a') Die Tatbestandskonstruktions Isays (95) — b') Die Bedeutung der Sanktionsdrohung für die T a t bestands-Rechtsfolge-Struktur des Verbotes (100) — c') Der Rechtssatzcharakter der tatbestandslosen abstrakten Verbote (102) — d') Ergebnis (104) — bb) Die Möglichkeit tatbestandsloser abstrakter Gebote (104) I I I . Ergebnis

70 71 71

81 84 85 87 87 87 90 91 93

105

Inhaltsverzeichnis BB. Die Individualisierung des „realen Lebenssachverhalts" durch Momente der Lebens Wirklichkeit I. Die Individualisierung des Sachverhalts durch die „ B e s t i m m t h e i t " realer Gegebenheiten a) Die Bestimmtheit der betroffenen Personen b) Die Bestimmtheit des Ortes oder Gegenstandes 1. Die Möglichkeit nicht orts- oder gegenstandsbezogener Hoheitsakte (108) — 2. Die Beziehung zwischen der Abstraktheit bzw. K o n k r e t h e i t des Hoheitsaktes u n d seiner örtlich-gegenständlichen Bestimmtheit (109) — 3. Die Problematik des Begriffs der „ ö r t lichen Bestimmtheit" (110) c) Ergebnis I I . Die Individualisierung des Sachverhalts durch den „ B e fehlsgegenstand" a) Der Wert der Unterscheidung zwischen dem „Gegenstand" u n d dem „ I n h a l t " des Befehls b) Die Untauglichkeit dieser Unterscheidung zur Lösung des Problems 1. Keine Anwendbarkeit auf alle Hoheitsakte (112) — 2. Die Möglichkeit „gegenstandsloser" Anordnungen (113) I I I . Ergebnis C. Ergebnis §11. Der F a l l als das „geregelte menschliche Verhalten" A . Das geregelte menschliche Verhalten als Ansatzpunkt für die Bestimmung des Fall-Begriffs I. Die Regelung menschlichen Verhaltens als Essentiale des Befehls (116) — I I . Das menschliche Verhalten als Gegenstand hoheitlicher Regelung (117) B. Die Individualisierung des ge- oder verbotenen Verhaltens durch den I n h a l t des Befehls I. Untersuchung der Gebote (120) — a) Das konkret-spezielle (120) — b) Das abstrakt-spezielle (120) — c) Das abstrakt-generelle (121) — d) Das konkret-generelle Gebot (122) — I I . Untersuchung der Verbote (125) — a) Das konkret-spezielle (125) — b) Das abstraktspezielle (125) — c) Das abstrakt-generelle (126) — d) Das k o n k r e t generelle Verbot (127) C. Die inneren Beziehungen zwischen dem normierten Verhalten u n d dem „geregelten Lebenssachverhalt" I . Die Lehre v o n der wesensmäßigen Verschiedenheit der Regel u n g abgeschlossener u n d der Regelung zukünftiger Sachverhalte (129) — I I . Sachverhalts- u n d Verhaltenstheorie als verschiedene Betrachtungsweisen desselben Gegenstandes (129) D. Ergebnis

106 106 107 108

111 111 112 112

114 115 115 116

119

129

132

Drittes Kapitel: Adressat und Fall beim berechtigenden und beim rechtsgestaltenden Hoheitsakt 133 §12. Der Begriff des rechtsgestaltenden u n d der des berechtigenden Hoheitsaktes A . Die Wesensverschiedenheit des rechtsgestaltenden u n d des befehlenden Hoheitsaktes B. Die Wesensverschiedenheit des rechtsgestaltenden u n d des berechtigenden Hoheitsaktes C. Ergebnis

134 135 136 139

10

Inhaltsverzeichnis

§ 13. Adressat u n d F a l l beim berechtigenden Hoheitsakt 139 A . Der Begriff des Adressaten 139 B. Der Begriff des Falles 140 I. Das geregelte Verhalten als K r i t e r i u m (140) — I I . Beispiele (140) — I I I . Definition (141) § 14. Adressat u n d F a l l beim rechtsgestaltenden Hoheitsakt 142 A . Der Begriff des Adressaten 142 B. Der Begriff des Falles 143 I . Unbrauchbarkeit des „geregelten Verhaltens" als K r i t e r i u m (144) — I I . Einzelbeispiele: Das gestaltete Rechtsverhältnis als „ F a l l " (144) — I i i . Ergebnis (147) Dritter

Teil

Die Unterscheidung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt im positiven Recht Erstes Kapitel: Der Begriff Verwaltungsakt

des Einzelfalles

§ 15. Die Lehre v o m Verwaltungsaktcharakter Hoheitsakte

148

im Sinne der Lehre vom 149 der

abstrakt-speziellen

150

§16. Der abstrakt-spezielle Hoheitsakt als Einzelfallregelung i m Sinne von § 25 V G V O 152 A . Die teleologischen Gründe f ü r die Ausweitung des Fall-Begriffs 152 I . Die Notwendigkeit des Erlasses abstrakt-spezieller A n o r d nungen (152) — I I . Der Verwaltungsaktcharakter dieser A n o r d nungen als Voraussetzung f ü r die Möglichkeit ihres Erlasses (154) B. Die dogmatisch-systematischen Gründe f ü r die Ausweitung des Fall-Begriffs 155 I . Das Problem der Inkongruenz der §§ 25 V G V O u n d 40 p r P V G (155) — I I . Die Lösung des Problems (157) — a) Die V o r - u n d Entstehungsgeschichte des p r P V G (157) — b) Die Lösung des Widerspruchs durch die extensive Auslegung des Fall-Begriffs

(160)

C. Ergebnis

160

§ 17. Der abstrakt-spezielle Hoheitsakt als Einzelfallregelung i m Sinne v o n § 29 ndsSOG A. Die Inkongruenz der §§ 29 ndsSOG u n d 40 p r P V G I . Die Problemstellung (161) — I I . Die Lehre des Schrifttums v o n der sachlichen Übereinstimmung der beiden Vorschriften (162) B. Die Auslegung des Fall-Begriffs i n § 29 ndsSOG I . Die Gründe f ü r eine restriktive Auslegung des Fall-Begriffs: Logische Interpretation (162) — I I . Die Gründe f ü r eine extensive Auslegung des Fall-Begriffs (162) — a) Genetische Interpretation (162) — b) Teleologische Interpretation (163) C. Ergebnis

163

Zweites Kapitel: Die Abgrenzung von Verordnung gung

165

und Allgemeinverfü-

161 161 162

§ 18. Der Begriff der Allgemeinverfügung 166 A . Die unterschiedlichen Auffassungen i n Wissenschaft u n d Rechtsprechung 166 I . Die Allgemeinverfügung als konkrete A n o r d n u n g f ü r eine u n bestimmte Z a h l v o n Personen (167) — I I . Die Allgemeinverfügung

Inhaltsverzeichnis als konkrete A n o r d n u n g für eine bestimmte Z a h l v o n Personen (167) B. Eigene Stellungnahme: Die zwei A r t e n der Allgemeinverfügung 167 I. Die Allgemeinverfügung als Regelung einer bestimmten Z a h l v o n Fällen durch Befehl an eine bestimmte Z a h l v o n Personen (168) — a) Die Regelung einer bestimmten Z a h l v o n Fällen als Einzelfallregelung i m Sinne von § 25 V G V O (168) — b) Die zahlenmäßige Bestimmtheit des Adressatenkreises als I n d i z f ü r die K o n k r e t h e i t der Regelung (169) — I I . Die Allgemeinverfügung als Regelung eines einzelnen Falles durch Befehl an eine u n bestimmte Z a h l von Personen (170) — a) Die konkret-generellen Anordnungen u n d i h r Charakter als Verwaltungsakt (171) — b) Die konkret-generellen Anordnungen i m Polizeirecht (171) C. Ergebnis

175

§ 19. Der Rechtscharakter umstrittener Hoheitsakte A. Der Rechtscharakter der Verkehrsanordnungen I. Die amtlichen Verkehrszeichen (176) — a) Der abstrakt-generelle Charakter der A n o r d n u n g (177) — b) Die ordnungsmäßige Verkündung der A n o r d n u n g (179) — c) Ergebnis (182) — I I . Die Verkehrsregelungen durch Polizeibeamte u n d Farbzeichen (182) — I I I . A n h a n g : Befehle f ü r das Verhalten an bestimmten Orten (183) B. Der Rechtscharakter des Fluchtlinien- bzw. Bebauungsplanes . . I. Der Streitstand (184) — a) Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (185) — b) Die K r i t i k des Schrifttums (186) — 1. Die K r i t i k Obermayers (186) — 2. Die K r i t i k Forsthoffs (187) — I I . Eigene Stellungnahme (188) — a) Der abstrakt-generelle Charakter des Planes (189) — b) Die rechtssatzmäßige V e r k ü n dung des Planes (191) — c) Ergebnis (192) C. Der Rechtscharakter gebietlicher Organisationsakte I. Der Streitstand (193) — a) Die Lehre v o m Verwaltungsaktcharakter der Gebietsänderungsakte (193) — b) Die Lehre v o m materiellen Verordnungscharakter der Gebietsänderungsakte (194) — c) Die Lehre v o m Doppelcharakter der Gebietsänderungsakte (195) — I I . Eigene Stellungnahme (196) — a) Die Gebietsänderung als Einzelfallregelung (196) — b) Die Gebietsänderung als abstrakt-generelle Regelung (198) — c) Ergebnis (199) D. Der Rechtscharakter der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages I. Der Streitstand (200) — I I . Eigene Stellungnahme (202) E. Der Rechtscharakter preisrechtlicher Anordnungen I. Die Preisfestsetzungen f ü r Waren (203) — a) F ü r gattungsmäßig bezeichnete Waren (203) — b) F ü r den bestimmten A r t i k e l eines Herstellers (204) — I I . Die Preisfestsetzungen f ü r M i e t - u n d Pachträume (205) F. Sonstige Anordnungen I. Der Rechtscharakter der viehseuchenpolizeilichen A n o r d n u n gen (208) — I I . Der Rechtscharakter der Zeitungsbeschlagnahme (210) — I I I . Der Rechtscharakter des Filmverbots (211)

Drittes Kapitel: Allgemeines Gesetz und Einzelfallgesetz Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG

176 176

184

192

200 203

208

im Sinne von 212

§ 20. Die bisherigen Abgrenzungsversuche A. Darstellung I. Die Lehre Hildegard Krügers (215) — I I . Die Lehre (216) — I I I . Die Lehre Kleins (217)

Hamanns

212 212

12

Inhaltsverzeichnis Β. K r i t i k

218

I. Die Bedenken gegen die Lehre H. Krügers (218) — I I . Die Bedenken gegen die Lehre Hamanns (220) — I I I . Die Bedenken gegen die Lehre Kleins (221) — a) Der Ansatz (221) — b) Die Auslegung des Begriffs des Einzelfallgesetzes (223) — e) Die Definition des Einzelpersongesetzes (225) — d) Ergebnis (228) § 21. Versuch einer eigenen Lösung

228

A. Die abstrakt-spezielle Anordnung Sinne von A r t . 19 I 1 GG

als

Einzelfallregelung

im

228

B. Der Begriff des Einzelfallgesetzes i m Hinblick auf die Regelung einer bestimmten Z a h l von Fällen 230 I. Die Problemstellung (231) — I I . Der Lösungsversuch (232) — a) Das K r i t e r i u m der Kenntnis von der Person der Betroffenen (233) — b) Das K r i t e r i u m des Verwaltungsaktcharakters der k o n kreten Regelung (234) C. Ergebnis

237

D. E x k u r s : Die Bedeutung von A r t . 19 I 1 GG f ü r die enteignungsrechtliche Einzeleingriffslehre 237 a) Die K r i t i k der Einzel eingriff slehr e auf G r u n d v o n A r t . 19 11 GG (237) — b) Die Nichtidentität von Einzeleingriff u n d Einzelfallregelung i. S. von A r t . 19 1 1 GG (238) § 22. Das Problem des „getarnten" Individualgesetzes

240

A. Der Streitstand 240 I. Äußerungen zu A r t . 19 1 1 GG (240) — I I . Die älteren Äußerungen zum Problem der getarnten Einzelfallregelung (243) — a) Schrifttum (243) — b) Rechtsprechung (244) B. Eigene Stellungnahme 247 I. Die Unbeachtlichkeit der Tarnung (247) — I I . Der Begriff des getarnten Individualgesetzes (248) — a) Die Frage der E i n h e i t lichkeit des Individualgesetz-Begriffs (248) — b) Die Begriffsbestimmung u n d ihre Bedeutung (250) C. Die „ l e x Schörner" als Anwendungsfall des Problems 253 I. Der Streitstand (253) — I I . Eigene Stellungnahme (255) — a) Bedenken gegen die Ansichten H. Krügers u n d Kleins (255) — b) Die „ l e x Schörner" als inhaltlich abstrakt-generelles Gesetz (256) Vierter

Teil

§23. Ergebnisse

257

S chrifttumsv erzeichnis

261

Personenregister

267

Sachregister

269

Abkürzungen ALH AöR bayGO bayLKrO BayObLG BayObLGSt bayPAG bayVf bayVfGH bayVGH bayVwBl. berlVGG BezVwG BK BVfG BVwG bwPolG bwVBl DÖV DVB1. ESVGH GastG GewO GG GrünhZ GS GVB1. heGO

Allgemeines Landrecht f ü r die preußischen Staaten A r c h i v des öffentlichen Hechts (seit 1866; bis 1910: A r chiv für öffentliches Recht) (zitiert nach B a n d u n d Seite) Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern v. 25. Januar 1952 Landkreisordnung f ü r den Freistaat Bayern v. 16. Februar 1952 Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts i n Strafsachen (zitiert nach Jahr u n d Seite) Gesetz über die Aufgaben u n d Befugnisse der Polizei i n Bayern v. 16. Oktober 1954 Verfassung des Freistaates Bayern v. 2. Dezember 1946 Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bayerische Verwaltungsblätter (NF seit 1955) (zitiert nach Jahr u n d Seite) Berliner Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit v. 8. Januar 1951 Bezirksverwaltungsgericht Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner K o m m e n tar), herausgegeben von B. Dennewitz u. a., Hamburg 1950 ff. Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Baden-württembergisches Polizeigesetz v. 21. November 1955 Baden-württembergisches Verwaltungsblatt (zitiert nach Jahr u. Seite) Die öffentliche V e r w a l t u n g (Zeitschrift seit 1947) (zitiert nach Jahr u n d Seite) Deutsches Verwaltungsblatt. Fortsetzung des Reichsverwaltungsblatts (zitiert nach Jahr u n d Seite) Amtliche Sammlung der Entscheidungen des hessischen u n d des württemberg-badischen V G H (zitiert nach Band u n d Seite) Reichs-Gaststättengesetz v. 28. A p r i l 1930 Gewerbeordnung f ü r das Deutsche Reich v. 1869 i. d. F. v. 26. J u l i 1900 Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland v. 23. M a i 1949 Zeitschrift f ü r das P r i v a t - u n d öffentliche Recht der Gegenwart, Herausgegeben v o n C. S. G r ü n h u t (1874—1916) (zitiert nach Band u n d Seite) Preußische Gesetzsammlung (1907—1945; bis 1906: Gesetzsammlung f ü r die Königlich Preußischen Staaten) Gesetz- u n d Verordnungsblatt Hessische Gemeindeordnung v. 25. Februar 1952

14

Abkürzungen

heLKrO HePolG HeVGH JZ ndsSOG

= = = = =

NJW

=

nwGO

=

nwLKrO

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nwOBG

=

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Hessische Landkreisordnung v. 25. Februar 1952 Hessisches Polizeigesetz v. 10. November 1954 Verwaltungsgerichtshof f ü r das L a n d Hessen i n Kassel Juristenzeitung (zitiert nach Jahr u n d Seite) Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung v. 21. März 1951 Neue Juristische Wochenschrift (seit 1947) (zitiert nach Jahr u n d Seite) Gemeindeordnung für das L a n d Nordrhein-Westfalen v. 1952 i. d. F. v. 28. Oktober 1952 Landkreisordnung f ü r das L a n d Nordrhein-Westfalen v. 21. J u l i 1953 Nordrhein-westfälisches Gesetz über A u f b a u u n d Befugnisse der Ordnungsbehörden — Ordnungsbehördengesetz — v. 16. Oktober 1956 Preußisches Gesetz betreffend die Anlegung u n d Veränderung von Straßen u n d Plätzen i n Städten u n d ländlichen Ortschaften v. 2. J u l i 1875 Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz v. 1. J u n i 1931 Recht der A r b e i t (Zeitschrift seit 1948) (zitiert nach Jahr u n d Seite) Landes Verwaltungsgericht (jetzt OVG) für RheinlandPfalz i n Koblenz PolizeiVerwaltungsgesetz v o n Rheinland-Pfalz v. 26. März 1954 Reichsnaturschutzgesetz v. 26. J u n i 1935 Reichs- u n d Staatsangehörigkeitsgesetz v. 22. J u l i 1913 Reichsverwaltungsblatt u n d Preußisches Verwaltungsb l a t t (seit 1927) (zitiert nach Jahr u n d Seite) Polizeigesetz f ü r das L a n d Schleswig-Holstein v. 23. März 1949 Straßenverkehrsordnung v. 1937 i. d. F. der Bekanntmachung v. 29. März 1956 u n d der V O v. 25. J u l i 1957 Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit: Bayern v. 25. September 1946; Bremen v. 5. August 1947; Hessen v. 1946 i. d. F . v . 30. J u n i 1949; Württemberg-Baden v. 16. Oktober 1946, f ü r Baden-Württemberg i. d. F. v. 12. M a i 1958 Verwaltungsgerichtshof Verordnung Nr. 165 der Militärregierung — Britisches Kontrollgebiet — über Verwaltungsgerichtsbarkeit i n der britischen Zone Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (seit 1924) (zitiert nach Heft u n d Seite) Verwaltungsarchiv (1893—1942 u n d seit 1957) (zitiert nach Band u n d Seite) Verwaltungsrechtsprechung i n Deutschland. Herausgegeben von G. Ziegler (seit 1949) (zitiert nach Band und Seite) Verwaltungsgerichtshof f ü r das (ehemalige) L a n d W ü r t temberg-Baden i n Stuttgart Verfassung des Deutschen Reiches v. 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung) Verwaltungsrechtsordnung f ü r Württemberg. E n t w u r f eines Gesetzes m i t Begründimg, Stuttgart 1931, ErgBd. 1936 Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (105. Band 1949 ff.) (zitiert nach Band u n d Seite)

Einleitung § 1.

Die Aufgabe

der

Untersuchung

Die Frage nach der begrifflichen Abgrenzung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt betrifft ein Problem von zugleich theoretischer und praktischer Bedeutung. Das Problem der Abgrenzung dieser beiden Grundtypen hoheitlicher Willensäußerungen ist insofern theoretischer Natur, als seine Wurzeln i m Bereiche der Logik und der allgemeinen Rechtslehre liegen. Das bedeutet einmal, daß es prinzipiell i n jeder Rechtsordnung unabhängig von ihrer positiven Ausgestaltung auftaucht 1 ; zum anderen, daß seine exakte Lösung auch für eine bestimmte positive Rechtsordnung n u r durch eine Klärung der rechtstheoretischen Grundlagen möglich ist. Die Abgrenzung des allgemeinen Rechtssatzes vom Einzelakt besitzt aber — jedenfalls i n unserer Rechtsordnung — zugleich auch eine außerordentliche praktische Bedeutung. I m deutschen Staats- und Verwaltungsrecht liegt der Gegensatz zwischen diesen beiden Grundformen staatlichen Handelns zwei überaus wichtigen praktischen Fragen zugrunde: Einmal ist er bestimmend für das schon sehr früh diskutierte Problem, ob zum Wesen und Begriff des Rechtssatzes und damit auch des Gesetzes i m materiellen Sinne eine irgendwie geartete „Allgemeinheit" gehöre, ob also nur i n irgendeinem Sinne „allgemeine" oder „generelle" Anordnungen als Rechtssätze anzusprechen seien. Daraus entwickelte sich die „berühmte Streitfrage des deutschen Staatsrechts" 2 nach der Zulässigkeit von Individualgesetzen, die heute wenigstens für den Bereich der Einschränkung von Grundrechten i n A r t . 19 Abs. I S. 1 GG eine ausdrückliche Regelung gefunden hat. Gerade dadurch aber, daß das Grundgesetz i n dieser Bestimmung die „allgemein" und die „ f ü r den Einzelfall geltenden" Gesetze einer verschiedenen rechtlichen Behandlung unterw i r f t , ist eine saubere und praktikable Grenzziehung zwischen beiden Arten von Gesetzen zu einer durch das positive Verfassungsrecht gestellten Aufgabe geworden, deren Lösung i n dem einen oder anderen Sinne weitreichende praktische Konsequenzen nach sich zieht. Es sei nur daran erinnert, daß i n der Diskussion über den Enteignungsbegriff Stimmen laut geworden sind, die die vom Reichsgericht i n ständiger Rechtspre1

2

Vgl. Kelsen: Allgemeine Staatslehre, S. 232.

Dürig: JZ 1954, 7.

16

Einleitung

chung vertretene und i n leicht modifizierter Form auch vom Bundesgerichtshof übernommene Einzeleingriffslehre unter Hinweis auf A r t . 19 11 GG als m i t dem Grundgesetz nicht vereinbar bezeichnen8. Der zweite praktische Hauptanwendungsfall des hier zu untersuchenden Begriffsgegensatzes ist die Unterscheidung und Abgrenzung von Verordnung und Allgemeinverfügung i m Verwaltungsrecht. Die verschiedene Regelung, die unser geltendes Recht beiden Arten hoheitlicher W i l lensäußerung insbesondere hinsichtlich ihrer Kundgabe und ihrer gerichtlichen Anfechtbarkeit zuteil werden läßt, zwingt auch hier zu einer scharfen und sauberen Grenzziehung, die jedoch oft erhebliche Schwierigkeiten bereitet. So ist ζ. B. die Einordnung der amtlichen Verkehrszeichen i n die eine oder andere Kategorie immer noch stark umstritten, und auch der Rechtscharakter des Fluchtlinienplanes ist neuerdings wieder zum Gegenstand einer lebhaften Auseinandersetzung geworden 4 . Man sollte n u n meinen, daß i n Anbetracht der großen Bedeutung der eben angedeuteten Fragen über die fundamentalen Begriffe des allgemeinen Rechtssatzes und des Einzelaktes längst Einigkeit erzielt wäre. Eine nähere Betrachtung der einschlägigen Literatur und Judikatur ergibt jedoch das Gegenteil und läßt erhebliche Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt dieser Begriffe erkennen, die durch eine unklare und uneinheitliche Terminologie teils verdeckt, teils erst w i r k l i c h oder scheinbar hervorgerufen werden. Soweit die i n Frage stehenden Begriffe überhaupt definiert oder wenigstens umrissen werden, herrscht zwar i n gewissen Punkten weitgehende Übereinstimmung. Wenn jedoch verschiedentlich ein und dieselbe praktische Frage unter Zugrundelegung ein und derselben Definition genau entgegengesetzt beantwortet wird, so zeigt das, daß diese Definition noch Unklarheiten i n sich birgt und derselbe Wortlaut mehreren sachlichen Deutungen Raum gibt 5 . Demgemäß besteht die Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung ausschließlich i n einer Klärung der Begriffe. Sie w i l l versuchen, allgemeinen Rechtssatz und Einzelakt so klar und eindeutig voneinander abzugrenzen, daß ihre verschiedenen praktischen Erscheinungsformen ohne große Schwierigkeiten als das eine oder andere erkannt und entsprechend rechtlich behandelt werden können. Die Erkenntnis, daß es sich hier nicht u m einen absoluten, sondern lediglich u m einen relativen Gegensatz handelt, steht diesem Versuch nicht entgegen, wie es gelegentlich behauptet worden ist 6 . Der Umstand, daß die Prototypen beider Katego3

Vgl. hierzu unten § 21 D u n d die dort angeführten Nachweise. Vgl. die Nachweise unten § 19 A I u n d Β I. 5 Dies g i l t etwa für die Definition der (Polizei-)Verordnung als „Befehl, der f ü r eine unbestimmte A n z a h l v o n Fällen an eine unbestimmte A n z a h l von Personen gerichtet ist." Unter einheitlicher Zugrundelegung dieser Definition werden ζ. B. die amtlichen Verkehrszeichen teüs als Verordnung, teils als Allgemeinverfügung angesehen; vgl. hierzu näher unten § 19 A I a. β Vgl. etwa Bornhak: Staatsrecht 2 , S. 468. 4

§ 2. Anlage und Methode der Untersuchung

17

rien nicht übergangslos nebeneinander stehen, sondern durch eine Vielzahl von Zwischenstufen miteinander verbunden sind, ist logisch durchaus vereinbar m i t der Möglichkeit, „irgendwo i n der M i t t e zwischen den beiden Polen die Schnittlinie zu ziehen" 7 . Wenn sich das positive Recht diese Unterscheidung zu eigen gemacht hat, so kann die Rechtswissenschaft nicht umhin, sie zu untersuchen und unter Beseitigung von Unklarheiten i n einer praktikablen Form zu verdeutlichen. Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich eine negative Abgrenzung der dieser Untersuchung gestellten Aufgabe. Was über die K l ä r u n g der Begriffe des allgemeinen Rechtssatzes und des Einzelaktes hinausgeht, liegt außerhalb ihres Rahmens. Dies gilt insbesondere von der Theorie und vom Begriff des Rechtssatzes schlechthin. Als Gegenstand der Untersuchung kommt er immer nur i n Betracht, soweit seine „ A l l gemeinheit" i n Rede steht 8 ; i m übrigen, etwa als möglicher Gegensatz zur Verwaltungsverordnung oder zur „Maßnahme" 9 , erfordert er keine Behandlung. Ebensowenig ist hier auf die Frage der Zulässigkeit von Individualgesetzen als solche einzugehen. Ziel der Untersuchung ist es nicht zu ermitteln, wo das geltende Recht die „Allgemeinheit" einer hoheitlichen Anordnung fordert und wo nicht, sondern zu klären, welches die Merkmale sind, durch die ein Hoheitsakt 1 0 als „allgemeine" oder aber als „Einzel"-Anordnung ausgewiesen wird. § 2.

Anlage

und Methode

der

Untersuchung

Durch den doppelten, sowohl die allgemeine Rechtslehre als auch das positive Recht betreffenden Charakter der Fragestellung ist auch die 7 8

Thoma: Handbuch II, S. 126.

Da es hier nur u m den Gegensatz zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt geht, liegt auch die Frage nach dem Begriff der allgemeinen Gesetze als Schranke des Grundrechts der freien Meinungsäußerung (Art. 11811 WRV, A r t . 511 GG) außerhalb der gestellten Aufgabe; siehe hierzu auch unten §20 Β I I I a. 9 Daß sich die von Forsthoff (Maßnahme-Gesetze) m i t dem Begriff „Maßnahmegesetze" aufgeworfene Problemstellung m i t der der Abgrenzung von allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt nicht deckt, ist durchweg anerkannt; vgl. außer Forsthoff selbst (Maßnahme-Gesetze, S. 2231) etwa Menger: Gesetz, S. 21 f., 24; Hans Schneider: Einzelfallgesetze, S. 161, 163; Scheuner:

DöV 1960, 602 f.; Zeidler: JZ 1960, 391 f.; Maunz in Maunz-Dürig:

GG,

Art.. 20 Rdnr. 103—107; w o h l auch das BVfG i m Urteil v. 29. 7.1959: BVfGE 10,89 (108); unklar Neumann: Wirtschaftslenkende Verwaltung, S. 57 ff. Die juristische Relevanz des Begriffs „Maßnahmegesetz" w i r d heute von der überwiegenden Ansicht m i t Recht prinzipiell i n Zweifel gezogen; vgl. ζ. B. BVfG,

a. a. O., S. 108 sowie Hans Schneider, a. a. O., S. 162; Scheuner, a. a. O.; Zeid-

ler, a. a. O., S. 392, und Maunz, a. a. O., Rdnr. 107. 10 Der Terminus „Hoheitsakt" soll i m folgenden zur Bezeichnung einer hoheitlichen Willensäußerung schlechthin gebraucht werden. Er umschließt daher sowohl den Gegensatz zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt als auch die Unterscheidung zwischen formellem Gesetz und Verordnung. 2

Volkmar

18

Einleitung

Anlage der Untersuchung und die anzuwendende Methode weitgehend vorgegeben. Eine Lösung der verschiedenen sich aus dem positiven Recht ergebenden Probleme und Streitfragen kann überhaupt nur dann m i t Aussicht auf Erfolg i n Angriff genommen werden, wenn zuvor durch eine Klärung der rechtstheoretischen Grundlagen, i n denen alle diese Einzelprobleme verwurzelt sind, eine feste und sichere Basis gewonnen ist. Es muß daher zunächst herausgearbeitet werden, worin diese rechtstheoretischen Grundlagen eigentlich bestehen. Z u diesem Zweck soll i m 1. Teil der Untersuchung nach einer kurzen geschichtlichen Einführung ein Überblick darüber gegeben werden, i n welcher Weise i n der Wissenschaft bislang eine Lösung des Abgrenzungsproblems versucht worden ist, wobei der Frage, welche Begriffselemente des Hoheitsaktes als K r i t e r i u m der Unterscheidung i n Betracht gezogen worden sind, besondere Beachtung gebührt. Neben den literarischen Äußerungen ist hier auch das Gesetz selbst zu berücksichtigen, soweit es i n einzelnen Vorschriften Legaldefinitionen des allgemeinen Rechtssatzes (ζ. B. der Polizeiverordnung) oder des Einzelaktes (ζ. B. des Verwaltungsaktes oder der Polizeiverfügung) enthält oder wenigstens ein Unterscheidungsmerkmal nennt. Diese Darstellung w i r d zeigen, daß bei der Abgrenzung von allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt sowohl von der Wissenschaft als auch vom Gesetz selbst durchweg auf die Begriffselemente „ F a l l " und „Adressat" abgestellt wird, also darauf, ob der Hoheitsakt einen einzelnen Fall oder eine Vielzahl von Fällen regelt bzw. ob er eine einzelne Person oder eine Vielzahl von Personen betrifft. Es w i r d sich ferner ergeben, daß es hinsichtlich der Zahl der Fälle bzw. Adressaten für wesentlich angesehen wird, ob es sich jeweils u m eine bestimmte, bestimmbare oder unbestimmte Anzahl handelt. Die Bestandsaufnahme w i r d jedoch zugleich auch erkennen lassen, daß über diese grundlegenden rechtstheoretischen Begriffe selbst keine hinreichende Klarheit besteht und daß hierin die meisten praktischen Schwierigkeiten und Kontroversen begründet liegen. Die rechtstheoretische Aufgabe, deren Lösung i m 2. Teil der Untersuchung versucht werden soll, geht demgemäß dahin, unter Absehung von den Besonderheiten des positiven Rechts diese elementaren Begriffe, insbesondere den des „Falles", zu klären. Dabei w i r d i m Zusammenhang m i t der Frage, wann ein Einzelfall und wann eine Vielzahl von Fällen vorliegt, zu untersuchen sein, welche Beziehung zwischen den Begriffen „Fall" und „Adressat" besteht; ob sie nämlich irgendwie derart m i t einander verbunden sind, daß der eine den anderen bedingt bzw. konstituiert, oder ob sie völlig oder teilweise voneinander unabhängig sind, so daß ein Hoheitsakt einen Einzelfall regeln und gleichwohl eine Viel-

§ 2. Anlage u n d Methode der Untersuchung

19

zahl von Adressaten betreffen kann und umgekehrt. Die Beantwortung dieser Frage w i r d ergeben, daß der typische allgemeine Rechtssatz und der typische Einzelakt nicht einen kontradiktorischen, übergangslosen Gegensatz bilden, so daß es nur schlechthin „allgemeine" und schlechth i n „nicht allgemeine" Anordnungen geben könnte, sondern daß zwischen beiden Zwischenformen existieren derart, daß sich eine Skala von verschiedenen Allgemeinheitsgraden entwickeln läßt. M i t der Klärung der erwähnten grundlegenden Begriffe und der A u f stellung der Skala als eines logischen Systems verschiedener Allgemeinheitsstufen ist die rechtstheoretische Aufgabe erschöpft. Die Entwicklung eines rein rechtstheoretischen Begriffs des „allgemeinen" Rechtssatzes, also die Absteckung einer rechtstheoretischen Grenzlinie zwischen den einzelnen Allgemeinheitsstufen, wäre zwar möglich, besitzt jedoch kaum eine praktische Bedeutung und dürfte deshalb mehr eine Frage des juristischen Geschmacks sein. Zwischen welchen Allgemeinheitsstufen die Grenzlinie zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt verläuft, ist zuvörderst eine Frage des positiven Rechts, da es dem Gesetzgeber prinzipiell unbenommen ist, nach seinem Gutdünken auf das eine oder das andere der i n Betracht kommenden Kriterien abzustellen und damit die Grenze i n verschiedenen Gesetzen verschieden zu ziehen. Die Frage, wie ein Hoheitsakt beschaffen sein muß, damit er als allgemeiner Rechtssatz oder als Einzelakt angesehen werden kann, hat daher n u r dann praktischen Sinn, wenn sie i m Hinblick auf ganz bestimmte Vorschriften des positiven Rechts gestellt wird. Sie ist daher erst unten i m 3. Teil der Untersuchung zu erörtern. Bereits hier muß jedoch schon einem möglichen Einwand gegen den Versuch begegnet werden, allgemeinen Rechtssatz und Einzelakt anhand eines rechtstheoretisch-logischen Systems voneinander abzugrenzen. Dieser Einwand ließe sich daraus herleiten, daß die Lebenswirklichkeiten, die Gesetzgeber und Verwaltung zu ordnen haben, von der mannigfachsten A r t sind und i n immer neuen Gestaltungen sich ergeben. Daraus könnte gefolgert werden, daß die Hoheitsakte, mit denen eine Regelung dieser unübersehbaren Arten von Lebenswirklichkeiten unternommen wird, hinsichtlich ihrer „Allgemeinheit" ebensowenig i n ein logischsystematisches Prokrustesbett gezwängt werden könnten, wie sich das Leben selbst nach logisch-systematischen Gesichtspunkten vollzieht. Demgemäß sind auch i m Schrifttum verschiedentlich Stimmen laut geworden, die die Möglichkeit einer logisch-begrifflichen Abgrenzung i n A b rede stellen und stattdessen allein eine rein wertende oder historischkonventionelle Unterscheidung für möglich erachten 11 . 11 So schreibt Bornhak: Staatsrecht 1 , S. 440: „ V o m einzelnen F a l l zur M e h r heit einzelner Fälle u n d zur Allgemeinheit ist der Übergang ein so allmählicher u n d unmerklicher, ist die Grenze so verschwommen, daß sich dieselbe



Einleitung

20

Daß diese Ansichten insoweit einen wahren Kern enthalten, als sie auf die eigentliche und grundsätzliche Schwierigkeit der hier zu lösenden Aufgabe aufmerksam machen, ist nicht zu verkennen. Gleichwohl müssen sie i m Prinzip zurückgewiesen werden 12 . Wie bereits hervorgehoben wurde, besitzt das Abgrenzungsproblem—seiner rein theoretischen Wurzeln ungeachtet — eine eminent praktische Bedeutung, insbesondere i m Bereiche des Verwaltungsrechts. Hier ist die Unterscheidung zwischen Verordnung und Verwaltungsakt eine der wichtigsten, die von Gesetz und Wissenschaft überhaupt vorgenommen werden. Diese beiden Grundformen des Verwaltungshandelns unterliegen einer weitgehend verschiedenen rechtlichen Regelung, vornehmlich i n bezug auf ihre Kundmachung und ihre verwaltungsgerichtliche Anfechtbarkeit. Tagtäglich ergibt sich i n der Verwaltungspraxis die Notwendigkeit, einen zu erlassenden Hoheitsakt auf diese Unterscheidung hin zu prüfen und ihn als Verordnung oder als Verwaltungsakt zu qualifizieren. Wollte die Wissenschaft den Verwaltungspraktiker hierfür auf reine „Wertung" oder auf „historisch-übereinkömmliche" Gesichtspunkte verweisen, so würde sie i h m Steine statt Brot reichen und ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit heraufbeschwören. Was notwendig ist und schlechterdings nicht entbehrt werden kann, ist ein möglichst klares begrifflich-logisches K r i t e rium. Dieses Erfordernis ist der Sache nach nicht nur seit je vom überwiegenden Teil der wissenschaftlichen Autoren 1 3 , sondern i n neuerer Zeit auch mehrfach vom Gesetzgeber selbst dadurch anerkannt worden, daß er i n verschiedenen hier einschlägigen Bestimmungen auf rationallogische Momente abgestellt hat 1 4 . Die Wissenschaft kommt somit nicht umhin, zur Lösung des Abgrenzungsproblems ein rechtstheoretisch-logisches System zu entwickeln und dabei die i n verschiedenen Gesetzen enthaltenen Ansätze weiterzuverfolgen und zu verdeutlichen. Erscheint damit die Methode der Systembildung gerechtfertigt, so soll nun noch kurz dargelegt werden, wie innerhalb dieses Rahmens bei der Untersuchung des Fall-Begriffs vorgegangen werden soll. nach rein logischen Gesichtspunkten gar nicht ziehen läßt." Ä h n l i c h auch Thoma: Gesetzesvorbehalt, S. 81 i n bezug auf den Gesetzesvorbehalt i m preußischen Verfassungsrecht: „Der Begriff der »Allgemeinheit' ist natürlich w i e der historisch-übereinkömmlich, nicht logisch." Neuerdings i n diesem Sinne Imboden: Gesetz als Garantie, S. 33: „Die Unmöglichkeit, die Kategorie der allgemeinen Normen rational-begrifflich zu umreißen, die Einsicht, daß das Allgemeine n u r eben wertend bestimmt werden kann . . . " . 12 Damit soll nicht der Frage vorgegriffen werden, ob nicht vielleicht im Rahmen eines begrifflich-logischen Systems wertende oder historisch-konventionelle Gesichtspunkte herangezogen werden müssen. 13 14

Vgl. die i n § 5 gegebene Übersicht.

Vgl. §25 V G V O ; §§24 u. 40 p r P V G ; A r t . 13 b a y P A G ; § 10 bwPolG; §§6 u. 47 hePolG; §§15 u. 29 ndsSOG; §§20 u. 28 n w O B G ; §§28 u.48 rhpfPVG; A r t . 19 1 1 GG.

§ 2. Anlage u n d Methode der Untersuchung

21

Insoweit ist die Methode dadurch näher vorgezeichnet, daß es sich hier i m II. Teil u m eine rechtstheoretische Untersuchung handelt. Das bedeutet, daß teleologische Gesichtspunkte außer Betracht zu bleiben haben. Dies wenigstens insofern, als es nicht angängig ist, den i n einer bestimmten gesetzlichen Vorschrift enthaltenen Fall-Begriff m i t Rücksicht auf die besondere Zweckbestimmung dieser Vorschrift zu analysieren. Es ist deshalb nicht möglich, beim positiven Rechte anzusetzen und durch Untersuchung der einschlägigen Bestimmungen einen allgemeinen rechtstheoretischen Fall-Begriff zu entwickeln. A u f der rechtstheoretischen Ebene kommt vielmehr allein i n Betracht, ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des geltenden Rechts 15 einen Fall-Begriff herauszuarbeiten, der i m Zweifel für alle Hoheitsakte allgemeine Geltung besitzt 16 — mag sich auch später bei der Untersuchung bestimmter Gesetzesvorschriften herausstellen, daß er jeweils i n der einen oder anderen Weise modifiziert werden muß 17 . Eine solche Erarbeitung eines rechtstheoretischen Fall-Begriffs kann freilich nur auf induktivem Wege geschehen, nämlich i n der Weise, daß von möglichst eindeutigen Beispielen eines typischen allgemeinen Rechtssatzes oder eines typischen Einzelaktes ausgegangen und geprüft wird, w o r i n der geregelte „ F a l l " besteht und welches K r i t e r i u m den Einzelfall von einer Mehrzahl von Fällen unterscheidet. Gelingt es, i n dieser Weise aus einer Reihe eindeutiger Beispiele einen allgemeinen Fall-Begriff zu abstrahieren, so kann alsdann m i t seiner Hilfe auch an eine Untersuchung von problematischen Beispielsfällen herangegangen und deren Einstufung erreicht werden. Erscheint es so theoretisch möglich, einen Begriff des „Falles" zu entwickeln, der eine völlig eindeutige und sichere Beurteilung aller 15 Dies bringt gewisse Schwierigkeiten bei der Verwertung der L i t e r a t u r m i t sich. Die wenigsten Abhandlungen sind rein rechtstheoretischer A r t . Die meisten Äußerungen zu unserem Problem betreffen bestimmte positivrechtliche Fragen, bei deren Behandlung rechtstheoretische Überlegungen angestellt werden. Da jedoch angenommen werden kann, daß die jeweiligen Autoren von einer Identität der positivrechtlichen u n d rechtstheoretischen Fragestellung ausgehen, soweit sie nicht ausdrücklich etwas Gegenteiliges vermerken, k a n n insoweit von dem besonderen Bezug derartiger Äußerungen abgesehen werden. Z u r Frage, ob für inhaltlich verschiedene A r t e n von Hoheitsakten eine unterschiedliche Behandlung geboten ist, vgl. S. 22. 17 Die eventuelle Notwendigkeit einer solchen Modifikation spricht nicht etwa gegen, sondern vielmehr f ü r die Richtigkeit des hier angewandten V e r fahrens. Denn n u r so ist es möglich, bei der Auslegung der einzelnen V o r schrift von einer festen Grundlage auszugehen und zu erkennen, ob u n d i n w i e w e i t die Zweckbestimmung der Vorschrift eine Abweichung von dem erfordert, was i m eigentlichen Sinne unter einem „ F a l l " bzw. „Einzelfall" verstanden werden kann. Dies hat große praktische Bedeutung für die Beurteilung von Zweifelsfragen sowie für die Erkenntnis des dogmatisch-systematischen Zusammenhangs solcher Vorschriften, die einen verschiedenartigen Fall-Begriff verwenden.

Einleitung

22

— gerade auch der problematischen — Hoheitsakte gestattet, so w i r d doch der Gang der Untersuchung zeigen, daß es eine Patentformel, die stets zu eindeutigen und zugleich praktisch befriedigenden Ergebnissen führt, offenbar nicht gibt. Dies erscheint angesichts der bereits erwähnten 1 8 grundsätzlichen Problematik unserer Aufgabe keineswegs verwunderlich 19 . Die Lebenswirklichkeiten und damit auch die zu ihrer Regelung ergehenden Hoheitsakte sind i n ihrer A r t zu vielgestaltig, als daß sie sich hinsichtlich ihrer „Allgemeinheit" ohne jede Schwierigkeit auf eine geringe Anzahl von Grundformen zurückführen ließen. Deshalb muß, wenn nicht überhaupt auf eine wissenschaftliche Durchdringung des Problems verzichtet werden soll, i n Kauf genommen werden, daß bei jeder eventuell i n Betracht kommenden Lösung ein Rest von Beispielsfällen übrigbleibt, der einer völlig befriedigenden Einstufung nicht zugänglich ist. Das Ziel der Untersuchung kann demgemäß nur darin bestehen, einen Fall-Begriff zu finden, der ein Optimum an Praktikabilität besitzt, der also ein Maximum an sachgerechten Ergebnissen m i t einem M i n i m u m an Subsumtionsschwierigkeiten verbindet. Gewisse Schwierigkeiten ergeben sich bei der rechtstheoretischen Untersuchung i m übrigen auch daraus, daß es mehrere inhaltlich verschiedene Arten von Hoheitsakten gibt, die möglicherweise eine unterschiedliche Struktur aufweisen. Es erscheint daher geboten, die einzelnen Arten gesondert zu behandeln. Da sich die meisten literarischen Äußerungen auf die befehlenden Hoheitsakte beziehen und dieser Gattung auch die größte praktische Bedeutung zukommt, soll sie nach dem Vorgange W. Jellineks 20 zunächst zum alleinigen Gegenstand der Untersuchung gemacht werden. Daran soll sich dann die Prüfung anschließen, ob und gegebenenfalls inwieweit sich für die erlaubenden und die rechtsgestaltenden Hoheitsakte irgendwelche Besonderheiten ergeben. I m Anschluß an die vorstehend umrissenen rechtstheoretischen Erörterungen kann sich die Untersuchung alsdann i m 3. Teil dem positiven Recht zuwenden und die Frage behandeln, wie die einschlägigen Bestimmungen 2 1 i m Hinblick auf das Allgemeinheitsproblem auszulegen sind. Die Frage w i r d sich zumeist dahin konkretisieren, ob diese Vorschriften 18

Vgl. oben S. 19/20. So bemerkt etwa auch Werner (DVB1.1957,537) bezüglich des Rechtscharakters des Fluchtlinienplanes: „Es handelt sich u m ein Grenzproblem der Abgrenzung von N o r m u n d Verwaltungsakt, u n d der Streit darüber, ob das eine oder das andere vorliegt, w i r d w i e regelmäßig i n Grenzfragen nicht zur allseitigen Uberzeugung gelöst werden können." Ä h n l i c h zum selben Gegenstand auch das B V w G (Urt. v. 10. 6.1960, DVB1.1960, 8041): „Jeder Lösung mag daher ein unbefriedigender Rest von Unklarheit anhaften", sowie i n anderem Zusammenhang das B V f G (Beschl. v. 16. 6.1959, B V f G E 9,324): „ K e i n Begriff ist so eindeutig, daß nicht i n Grenzfällen Zweifel entstehen können." 20 W. Jellinek: Gesetz, S. 142—155. 21 Vgl. oben A n m . 14. 19

§ 2. Anlage u n d Methode der Untersuchung

23

den rechtstheoretischen Fall-Begriff verwenden und der rechtstheoretischen Einteilung entsprechen, oder ob und gegebenenfalls inwieweit nach dem jeweiligen Sachzusammenhang und der jeweiligen Zweckbestimmung eine abweichende Interpretation erforderlich ist. I m Zusammenhang m i t dieser Untersuchung soll dann jeweils auch auf die einschlägigen Streitfragen eingegangen und deren Lösung versucht werden.

Erster

Teil

Die Unterscheidung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt in der bisherigen Wissenschaft Erstes § 3.

Die

geschichtliche

Kapitel Entwicklung

des

Problems

Aufgabe dieser Studie ist, wie schon erwähnt wurde, eine Klärung der Begriffe „Allgemeiner Rechtssatz" und „Einzelakt", soweit ihnen heute eine praktische Bedeutung zukommt. Die Untersuchung trägt also keinen historischen, sondern einen dogmatisch-systematischen Charakter. Gleichwohl ist es zum besseren Verständnis der eigentlichen Begriffsanalyse erforderlich, wenigstens kurz die historischen Wurzeln dieser Unterscheidung aufzuzeigen und auf ihre i m Laufe der Zeit verschiedenen Wandlungen unterworfene geistesgeschichtliche und politische Bedeutung hinzuweisen. Da diese Frage i m einzelnen schon mehrfach untersucht worden ist 1 , brauchen hier nur noch einmal kurz die wichtigsten Punkte dieser historischen Entwicklung hervorgehoben zu werden. Die Unterscheidung zwischen „allgemeinen" und „nicht allgemeinen" hoheitlichen Anordnungen ist keineswegs eine Errungenschaf t der modernen Wissenschaft oder auch nur der Neuzeit überhaupt. Sie findet sich vielmehr i m Ansatz bereits i n der Antike, beruht also auf einer alten europäischen Tradition. Noch ehe die römische Jurisprudenz zur Zeit der Zwölftafelgesetze den Gegensatz zwischen den leges, durch welche das römische Volk eine abstrakte Bestimmung, eine Norm, und den privilegia, durch welche es eine individuelle Bestimmung für oder gegen den einzelnen erließ, entwickelt 2 und i h n später i n dem bekannten Satze formuliert hatte, daß „iura non i n singulas personas, sed generaliter constituuntur" 8 , hatte auch hier schon Aristoteles den Anfang gemacht. Bereits bei i h m findet sich die Forderung, daß das Gesetz einen allgemei1 Vgl. vor allem Carl Schmitt: Verfassungslehre, S. 138—142, u n d Scheuner: Gesetz u n d Einzelanordnung, S. 190 ff.; daneben G. Jellinek: Gesetz u n d Verordnung, S. 236/37, u n d Stratenwerth: Verordnungsrecht, S. 52—54 u n d 79/80; siehe auch Menger: Gesetz, S. 8—10. Die folgende Darstellung übern i m m t i m wesentlichen die von Schmitt u n d Scheuner gefundenen Ergebnisse. 2 Vgl. v. Ihering: Zweck I, S. 329/30. 3 Ulp. Dig. 1. 3 (de legibus), 8.

§ 3. Geschichtliche Entwicklung des Problems

25

nen Inhalt haben solle, und zwar i n der auch für die weitere Entwicklung typischen Verbindung m i t dem Gedanken, daß i n der Gemeinschaft nicht der Wille eines oder vieler Menschen, sondern das Gesetz herrschen solle 4 ; eine Demokratie, i n der das Gesetz herrscht, unterscheidet er demgemäß von einer anderen A r t Demokratie, i n der Volksbeschlüsse herrschen 5 . Die Forderung nach der Herrschaft des Gesetzes aber folgt zwangsläufig aus seiner Auffassung als etwas Vernünftig-Allgemeinem. Dieser Gedanke, später auch von Marsilius von Padua vertreten 6 , w i r d dann zur Grundlage des Gesetzesbegriffs der Scholastik, i n der er seine schärfste Durchbildung und tiefste Fundierung erfährt. I h r ist das Gesetz Ausfluß der göttlichen Vernunft und Gerechtigkeit, der ratio, nicht der voluntas als des von Leidenschaften getrübten Willens 7 . Das Gesetz muß daher notwendig einen allgemeinen Inhalt haben; „ad multa respiciat, et secundum personas, et secundum negotia, et secundum tempora" fordert Thomas 6. Den Gegensatz bildet auch hier der Begriff des Privilegs, des das Gesetz i m Einzelfall durchbrechenden Sondergesetzes 9. Diese thomistische Lehre von einer ewigen gesetzlichen Ordnung der Dinge und damit auch der ethischen Ausrichtung des Gesetzes an der die Gerechtigkeit verkörpernden lex naturalis fand jedoch schon i n der Spätscholastik Widerspruch. A u f dem Voluntarismus des Duns Scotus und seiner Leugnung einer an sich bestehenden Wertordnung der Dinge fußend betont Wilhelm von Occam den Primat des göttlichen Willens und legt damit die geistesgeschichtliche Grundlage für den absolutistischen Gesetzesbegriff, wie er i m 17. Jahrhundert von Hobbes formuliert wurde: autoritas, non Veritas facit legem; das Gesetz gilt als Wille und Befehl und nicht kraft moralischer und logischer Qualitäten 1 0 . Gegenstand eines Befehls aber kann ohne weiteres auch eine Einzelregelung sein. I m Kampf gegen den Absolutismus und seinen Gesetzesbegriff gelangt der rechtsstaatlich-liberale Gesetzesbegriff zur Ausbildung, dem die A l l gemeinheit wieder ein unverzichtbares Merkmal des Gesetzes ist. Dies jedoch nicht, w e i l das Gesetz an der lex naturalis, an einer höheren Rechtsidee ausgerichtet ist, sondern w e i l die Allgemeinheit des Gesetzes als sicherer Schutz von Eigentum und Freiheit der Bürger vor der W i l l k ü r des Herrschers betrachtet w i r d 1 1 . So spricht Locke von „antecedent, Standing, positive laws" und scheidet das, was „ w h i t h o u t a rule" geschehen kann, w e i l es von der Lage der Sache abhängig ist, aus dem 4

5 6 7 8 9 10

11

Siehe hierzu auch die Nachweise bei Wehrhahn:

Gesetz, S. 37, Anm. 5.

Vgl. Carl Schmitt, a. a. O., S. 139 und Scheuner, a. a. O., S. 201. Vgl. Scheuner, a. a. O., S. 201. Vgl. Scheuner, a. a. O., S. 200 und Carl Schmitt, a. a. O., S. 139. Der Nachweis bei Scheuner, a. a. O., S. 201. Vgl. Scheuner, a. a. O., S. 201. Vgl. Carl Schmitt, a. a. O., S. 140 und den dortigen Nachweis.

Vgl. Scheuner, a. a. O., S. 204.

26

1. T e i l : Das Problem i n der bisherigen Wissenschaft / K a p .

Begriffe der Gesetzgebung aus 12 . Die Gewaltentrennungslehre Montes quieus hat die Unterscheidung von genereller Norm und individuellem Einzelbefehl geradezu zur Voraussetzung; eine Regierung, die „ i n d i v i duelle einzelne Entscheidungen treffen kann, ohne durch generelle, feste und dauernde Gesetze gebunden zu sein", ist für i h n despotisch 13 . Auch nach Rousseau kann der Gesetzgeber begriffsnotwendig nur allgemeine Normen setzen, da das Objekt der volonté générale, des allgemeinen Willens, notwendig ein allgemeines sein muß; ein Souverän, der einen Einzelakt beschließe, meint er, werde dadurch zu seinem eigenen Magistrat 1 4 . I n der deutschen Rechts-und Staatsphilosophie des 18. und 19. Jahrhunderts spielt die Unterscheidung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt eine ähnliche Rolle. Dem System des gewaltentrennenden Rechtsstaates entsprechend w i r d auch hier der Gesetzgebung die Setzung allgemeiner Anordnungen, der Exekutive hingegen die Vornahme individueller Regelungen zugewiesen. Bei Kant findet sich diese Auffassung wieder zusammen m i t dem Gedanken, daß i m Rechtsstaat „das Gesetz selbst herrschend ist und keine besondere Person", weshalb i h m eine Regierung, die zugleich Gesetzgebung wäre, und ein Gesetzgeber, der zugleich Regierungsakte vornimmt, „despotisch" sind 15 . Ähnlich auch Hegel. I h m ist das Gesetz die i n der Form des Allgemeinen vorhandene Wahrheit; die gesetzgebende Gewalt spricht die Allgemeinheit, die Exekutive hingegen die Besonderheit aus 16 . Die Auffassung des Gesetzes als einer allgemeinen Rechtsregel w i r d seit Kant i n der deutschen Staatstheorie für lange Zeit herrschend 17 . Sie findet sich auch i m positiven Recht jener Zeit. So heißt es i n § 5 E i n l A L R : „Die von dem Landesherrn i n einzelnen Fällen oder i n A n sehung einzelner Gegenstände getroffenen Verordnungen können i n anderen Fällen oder bei anderen Gegenständen als Gesetze nicht angesehen werden." Ähnlich § 60 E i n l A L R : „So wenig durch Gewohnheiten . . . oder durch die i n einzelnen Fällen ergangenen Verordnungen neue Gesetze eingeführt werden können, ebensowenig können schon vorhandene Gesetze auf dergleichen A r t wieder aufgehoben werden." Einen letzten Höhepunkt fand die Lehre von dem begriffsnotwendig allgemeinen Charakter des Gesetzes bei Georg Meyer, der das Gesetz i m materiellen Sinne als „allgemeine oder abstrakte Vorschrift" definiert und der Verfügung, die die Regelung „individueller oder konkre12

Vgl. Carl Schmitt, a. a. O., S. 140 m i t Fundstellennachweis. Siehe die vorige Anmerkung. 14 Vgl. G. Jellinek: Gesetz u n d Verordnung, S. 237 u n d Thoma: Gesetzesvorbehalt, S. 170 m i t genauen Nachweisen. 15 Vgl. Carl Schmitt, a. a. O., S. 141 m i t genauen Nachweisen. 16 Vgl. die vorige Anmerkung. 17 Vgl. i m einzelnen die Angaben bei Stratenwerth, a. a. O., S. 53 u n d Carl 18

Schmitt, a. a. O., S. 141.

§ 3. Geschichtliche Entwicklung des Problems

27

ter Angelegenheiten" zum Gegenstand hat, gegenüberstellt 18 . I h m wie auch Otto Mayer 19 ist die Unterscheidung zwischen abstrakt-allgemeinen und konkret-individuellen Maßnahmen das K r i t e r i u m für eine Grenzziehung zwischen Gesetzgebung und Verwaltung i m materiellen Sinne. Diese Auffassung findet dann jedoch heftigen Widerspruch bei Laband, der den Begriff des materiellen Gesetzes auch auf den Einzelakt ausdehnt 20 . I n dem damit ausgelösten Streit über die begriffliche Möglichkeit und verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Individualgesetzen verliert sie mehr und mehr an Boden, bis die Labandsche Lehre gegen Ende der Weimarer Zeit auch von den Opponenten als herrschend anerkannt wird 2 1 . Auch für die durch das Grundgesetz geschaffene Rechtslage hat sich inzwischen die Auffassung durchgesetzt, daß sich der i n A r t . 77 I 1 GG dem Bundestag erteilte Gesetzgebungsauftrag nicht ausschließlich auf den Erlaß abstrakt-genereller Rechtssätze erstreckt 22 .

18 Vgl. vornehmlich seine Abhandlung „Der Begriff des Gesetzes u n d die rechtliche Natur des Staatshaushaltsetats" i n : Grünhuts Zeitschrift, Bd. 8,1 ff., u n d Staatsrecht, S. 20/21 u. 483. 19 Otto Mayer: Verwaltungsrecht 1,1. Aufl., S. 91/92, 3. Aufl., S. 73/74. 20 Vgl. Staatsrecht I I , S. 2/3 und Reichsstaatsrecht, S. 115. 21 Vgl. Thoma: Handbuch I I , S. 124—126 u n d S. 146—151; siehe auch die zahlreichen Schrifttumsnachweise bei Wenzel: Gesetz, S. 134 A n m . 2. 22 Vgl. Maunz i n Maunz-Dürig: GG, A r t . 20 Rdnr. 97 m i t weiteren Nachweisen.

Zweites

Kapitel

Die Lösungsversuche der neueren Wissenschaft M i t dem kurzen historischen Überblick über die geistesgeschichtliche und politische Bedeutung unseres Begriffsgegensatzes ist nun das Fundament gelegt für eine Betrachtung der Meinungen, die i n der neueren Wissenschaft hinsichtlich der Bedeutung der Begriffe „ allgemeiner Rechtssatz" und „Einzelakt" vertreten werden 1 . Dabei verdient die Frage, welche (rechtstheoretischen) Begriffselemente des Hoheitsaktes als Unterscheidungskriterien herangezogen werden, besondere Aufmerksamkeit 2 . Vorweg ist jedoch noch zweierlei zu bemerken. Wie schon kurz angedeutet wurde 3 , ist die literarische Behandlung des Problems durch eine völlig uneinheitliche Terminologie gekennzeichnet. So werden insbesondere die Begriffe „allgemein", „allgemeingültig", „allgemeinverbindlich", „abstrakt" und „generell" einerseits und „konkret", „individuell" und „speziell" andererseits jeweils i n ganz verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Dieser an sich schon mißliche Zustand w i r d dadurch noch unerfreulicher, daß ein großer Teil der Autoren sich nicht dazu äußert, i n welchem Sinne diese Begriffe jeweils verwendet werden, ja daß sogar mitunter ein und derselbe Autor einige dieser Begriffe bald synonym, bald i n ganz verschiedener Bedeutung anwendet. Dadurch w i r d einmal die Erfassung des sachlichen Gehalts einer solchen Äußerung sehr erschwert. Zum anderen aber — und dies fällt für die vorliegende Untersuchung noch weit mehr ins Gewicht — verleitet dieser inkorrekte Sprachgebrauch verschiedene Schriftsteller dazu, das Problem einfach zu übersehen und sich keine Rechenschaft darüber zu geben, auf welches Kriterium, auf welches rechtstheoretischlogische Element bei der Frage nach der Allgemeinheit eines Hoheitsaktes nun eigentlich abzustellen ist. So kommt es, daß sich gelegentlich bei einem Autor mehrere Definitionen oder Umschreibungen des allgemeinen Rechtssatzes oder des Einzelaktes finden, die einen verschiedenen Inhalt haben oder sogar miteinander i n Widerspruch stehen. Derartige Äußerungen sollen i n der nachfolgenden, nach sachlichen Ge1

Daß diese Begriffe für die folgende Untersuchung n u r i n der Ausprägung interessieren, die sie durch die Theorie des liberalen Rechtsstaates erfahren haben, dürfte aus den vorangegangenen Ausführungen deutlich geworden sein. 2 Vgl. oben § 2, S. 18. 3 Vgl. oben § 1, S. 16.

§ 4. Die das Abgrenzungsproblem mittelbar berührenden Theorien

29

sichtspunkten gegliederten Übersicht über den Streitstand i n dem Sachzusammenhange erwähnt werden, dem sie jeweils zugehören. Wie ebenfalls schon erwähnt wurde 4 , sind die beiden Hauptanwendungsfälle unseres Problems die Frage nach der begrifflichen Möglichkeit und verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Individualgesetzen sowie die Grenzziehung zwischen Verordnung und Verwaltungsakt (Allgemeinverfügung). Demgemäß finden sich hier einschlägige begriffliche Untersuchungen ganz überwiegend nur i m Zusammenhang m i t der Behandlung des einen oder des anderen dieser Probleme. Der Begriffsgegensatz ist i m wesentlichen, worauf schon W. Jellinek m i t Recht hingewiesen hat 5 , beide Male derselbe. I n der folgenden Darstellung sollen daher gleiche Meinungen zusammengefaßt werden ohne Rücksicht darauf, ob sie i m Hinblick auf das eine oder das andere Problem geäußert wurden. § 4.

Die

das A b g r e n z u n g s p r o b l e m berührenden Theorien

mittelbar

Bei der Darstellung der Auffassungen, die bisher zur Frage der A b grenzimg von allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt vertreten worden sind, müssen zunächst drei Theorien erwähnt werden, die jeweils primär eine hier nicht interessierende Fragestellung betreffen, dabei jedoch auch das Allgemeinheitsproblem berühren. A. Die Lehre vom „Individualgebot"

(v. Ihering)

Die erste nähere Erörterung unseres Problems findet sich bei v. Ihering, der sich i n einer eingehenden Untersuchung m i t dem Begriff des Individualgebots befaßt hat®. Die Fragestellung, von der v. Ihering ausgeht, w i r d zwar zu einem wesentlichen Teil von Gesichtspunkten beherrscht, die für die hier zu lösende Aufgabe ohne Interesse sind. Gleichwohl sind seine Ausführungen auch für unser Problem von erheblicher Bedeutung, zumal sie auch seine weitere literarische Behandlung maßgeblich beeinflußt haben. I. Als Individualgebot bezeichnet v. Ihering ein Gebot, das, durch das Bedürfnis eines einzelnen Falles hervorgerufen, seine Wirksamkeit an diesem einzelnen Fall erschöpft 7 . Den eigentlichen Gegensatz zu solch einem individuellen Gebot erblickt er n u n — und hierin liegt die Be4

5

Vgl. oben § 1, S. 15 U.16 .

W. Jellinek:

Gesetz, S. 139; vgl. jetzt auch Maunz in Maunz-Dürig:

GG, A r t . 20, Rdnr. 102. 6 v. Ihering: Zweck I, S. 327—337. 7 a. a. O., S. 327.

30

1. T e i l : Das Problem i n der bisherigen Wissenschaft / Kap. 2

Sonderheit seiner Fragestellung — nicht etwa i m abstrakten, sondern i m konkreten Gebot. Den Unterschied zwischen dem Individuellen und dem Konkreten findet er i n ihrer verschiedenen Beziehung zum Abstrakten: Das Konkrete sei eine Verwirklichung des Abstrakten; das Wesen des Individuellen hingegen bestehe darin, daß es vom Abstrakten unabhängig sei, den Typus gerade i n irgendeinem i h m eigentümlichem Punkte verleugne. E i n einen einzelnen Fall regelndes Gebot der Staatsgewalt könne m i t h i n konkret oder individuell sein, je nachdem, ob die betreifende Anordnung schon abstrakt vorgesehen sei oder ob sie auf einem freien, spontanen Wollen der Staatsgewalt beruhe 8 » ö . Es bedarf n u n keiner näheren Darlegung, daß der Gegenstand der υ. Iheringschen Fragestellung von dem hier zu untersuchenden Problem wesentlich verschieden ist. Während hier nur die logische Beschaffenheit eines Hoheitsaktes als solche interessiert, die Frage, wann er als allgemeine Regel und wann als Einzelakt anzusehen ist, stellt v. Ihering i n erster Linie darauf ab, i n welchem Verhältnis eine Einzelmaßnahme — die i h m als solche begrifflich nicht sonderlich problematisch zu sein scheint — zu einem abstrakten Gesetze steht. Nicht der Gegensatz zwischen „konkret" und „abstrakt", sondern der zwischen „konkret" und „individuell" steht für i h n i m Vordergrund. Insoweit erfordern seine Ausführungen i n unserem Zusammenhang keine weitere Berücksichtigung. II. Trotz der verschiedenen Problemstellung sind die Erörterungen υ. Iherings jedoch — auch abgesehen davon, daß sie gelegentlich mißverstanden wurden und dann hier einschlägige Erörterungen beeinflußt haben — für den hier i n Rede stehenden Begriffsgegensatz keineswegs ohne Bedeutung. So beschreibt v. Ihering das abstrakte Gebot, die Norm, als einen bedingten Imperativ, der sich stets i n der Formel: wenn — so wiedergeben lasse 10 . I m übrigen geht er mehrfach auf den Einzelakt i n seiner „individuellen" oder „konkreten" Ausprägung ein. Das maß8

a. a. O., S. 328/29. Demgemäß gelangt v. Ihering, a. a. O., S. 331 zur Gegenüberstellung von Individualgesetz, Verfügimg u n d konkretem Gebot: „Das Individualgesetz teilt den Charakter der Verfügung, aber während die Verfügung i m gewöhnlichen Sinn von der Regierungsgewalt erlassen w i r d , geht jenes von der gesetzgebenden Gewalt aus. M i t dem Maßstabe des abstrakten Gesetzes gemessen stellt sich das Individualgesetz dar als ein Gebot der Staatsgewalt contra legem, die Verfügung als eines praeter legem, das concrete Gebot als eines secundum legem." 10 a. a. O., S. 336/37: „Über die N o r m habe ich nicht v i e l zu sagen, ich k a n n n u r die frühere Definition eines abstrakten Gebotes wiederholen, wobei ich den Begriff des Abstrakten als bekannt voraussetze. Jede N o r m enthält einen bedingten Imperativ, sie besteht also stets aus zwei Bestandteilen, dem Bedingenden (den Voraussetzungen d. i. dem „Tatbestand") u n d dem Bedingten (dem Imperativ, dem Gebot), sie läßt sich daher stets wiedergeben i n der Formel: w e n n — so." 9

§ 4. Die das Abgrenzungsproblem mittelbar berührenden Theorien

31

gebliche K r i t e r i u m des Einzelaktes erblickt er dabei i n der Regelung eines einzelnen Falles, nicht etwa darin, daß der Hoheitsakt eine einzelne Person oder eine bestimmte Zahl von Personen betrifft 1 1 . Daher betrachtet er die Einberufung einer bestimmten Altersklasse zum Zwecke der Aushebung als Einzelakt (Individualgebot), weil die Anordnung ihre Wirksamkeit an und m i t diesem einzelnen Fall erschöpfe und nicht für das folgende Jahr gelte 12 . Leider schweigt sich v. Ihering darüber aus, weshalb er hier das Vorliegen einer Einzelfallregelung annimmt, was überhaupt deren eigentliches Merkmal ausmachen soll. Demgemäß bleibt auch unklar, welche Bedeutung er der Adressierung des Hoheitsaktes beimißt, ob er also das Vorliegen einer Einzelfallregelung jedenfalls immer dann bejaht, wenn ein Gebot lediglich an eine einzelne Person gerichtet ist 1 3 . B. Die Lehre von der „Falleinheit"

(Rosin)

Eine ähnliche Sonderstellung wie v. Ihering nimmt auch Rosin ein. Von jenem i n verschiedener Hinsicht stark beeinflußt, ist er hier ebenfalls unter einem zweifachen Gesichtspunkt zu erwähnen. I. Rosins literarische Bedeutung beruht, was die Frage der Allgemeinheit des Gesetzes angeht, vorwiegend auf der Lehre von der Falleinheit, die er i m Hinblick auf den Streit über den allgemeinen Charakter des Rechtssatzes entwickelt hat 1 4 . Er meint, die Ursache dieser Kontroverse sei i n einer Verwechslung des Begriffs der „Allgemeinheit" mit dem der „Einheit" zu finden. Das Gesetz ziehe unter die von i h m aufgestellte Normierung begrifflich notwendig eine Tatbestands-(Fall-) Einheit, aber diese Einheit sei nicht notwendig eine abstrakte (allgemeine) 15 . Eine solche Tatbestandseinheit liege nämlich nicht nur dann vor, wenn das Gesetz eine Rechtswirkung abstrakt an einen abstrakten Tatbestand anknüpfe und damit alle konkreten, darunter begriffenen Fälle umfasse, sondern auch dann, wenn es einem individuellen Tatbestand eine Regelung i n individueller Weise zuteil werden lasse16. 11 a. a. O., S. 327: Das (Individual-) Gebot „erschöpft seine ganze W i r k s a m keit an dem einzelnen F a l l . . . Der Begriff des Individualgebots besteht nicht darin, daß es n u r eine einzelne Person treffe." 12 a. a. O., S. 327/28: „Ob die sämtlichen Dienstpflichtigen jeder einzeln oder durch Bezeichnung ihrer Kategorie mittels einer sie alle treffenden Bekanntmachung geladen werden, ist begrifflich gleichgültig." 13 Seine Feststellung, der Begriff des Individualgebots erfordere nicht, daß ps n u r eine einzelne Person treffe, läßt offen, ob eine Einzelfallregelung nicht jedenfalls immer dann anzunehmen ist, wenn n u r eine einzelne Person betroffen w i r d .

14

15 16

Rosin: Polizeiverordnungsrecht, S. 5—10.

a. a. O., S. 7. a. a. O., S. 8 u. 10.

32

1. T e i l : Das Problem i n der bisherigen Wissenschaft / Kap. 2

Diese Theorie Rosins, i n der Wissenschaft wiederholt diskutiert und i n ihrem Wert umstritten 1 7 , ist sowohl sachlich als auch terminologisch ganz offensichtlich weitgehend von v. Iherings Lehre vom Individualgebot beeinflußt und betrifft ebenso wie diese den hier interessierenden Begriffsgegensatz nur mittelbar. Sie bedarf daher i m folgenden ebenfalls keiner weiteren Berücksichtigung, war hier jedoch der Vollständigkeit halber zu erwähnen. II. Daneben hat Rosin jedoch durch eine eingehende Erörterung des Begriffs der Verfügung 1 8 auch einen unmittelbaren Beitrag zur Analyse des Einzelakts geleistet. „Die Verfügung ordnet ihrem Begriff nach einen einzelnen Fall oder doch eine Summe einzelner Fälle. I n diesem Punkte steht sie dem Individualgesetze gleich. Wie dieses erschöpft sie ihre Kraft m i t dem einzelnen Falle und kann als solche, d. h. ohne durch besondere Wiederholung eine andere zu werden, nicht auf andere Vorkommnisse erstreckt werden. Dagegen kann sie darüber hinaus sehr wohl ihrerseits einen allgemeinen Inhalt haben, d.h. es kann an den konkreten einzelnen Tatbestand ein Befehl oder Verbot geknüpft werden, welche sich nicht i n der Person eines bestimmten Adressaten oder i n einer einzelnen Handlung bzw. Unterlassung erschöpfen. Es ist also unrichtig und beruht auf einer Verwechslung des Gegenstandes der Verfügung, d. h. des von ihr geordneten Tatbestandes (Falles) m i t dem Inhalt derselben, d. h. dem Inhalt des diese Ordnimg bildenden Gebotes oder Verbotes der Behörde, wenn als begriffliches Erfordernis der Verfügung formuliert wird, daß sie an einzelne bestimmte Personen gerichtet sein müsse oder doch keinen allgemeinen Inhalt haben dürfe 1 9 ." C. Die Lehre von der „generellen Norm" (Jerusalem) Eine gewisse Sonderstellung innerhalb der Diskussion über den Begriff der Allgemeinheit des Rechtssatzes kommt schließlich auch Jerusalem zu, insofern auch seine diesbezüglichen Untersuchungen 20 von einer ganz spezifischen Problemstellung bestimmt werden. 17

Zustimmend Laband: Reichsstaatsrecht, S. 115 sowie neuestens Brohm: Bauplanungsrecht, S. 49 u n d Zeidler: JZ 1960, 393 bezüglich der Frage nach der verfassungsmäßigen Zulässigkeit von Individualgesetzen; a b l e h n e n d . . . G. Meyer: Staatsrecht, S. 21 A n m . l ; Otto Mayer: Verwaltungsrecht I, S. 91 A n m . 17; w o h l auch Loening: Verwaltungsrecht, S. 226 A n m . l . G. Meyer weist zutreffend darauf hin, Rosins Theorie laufe i m Resultat darauf hinaus, daß der Begriff des Gesetzes sich nicht auf allgemeine Vorschriften beschränke. 18

a. a. O., S. 11—18.

19

a. a. O., S. 12/13.

20

Jerusalem:

Staatsgerichtsbarkeit, S. 33—43.

§ 5. Theorien über das K r i t e r i u m des allgemeinen Rechtssatzes

33

Für Jerusalem ist „der Satz von der allgemeinen Norm lediglich die unvollkommene Formulierung des Satzes von der generellen Norm" 2 1 . Dem Begriff der „generellen" Norm aber gibt Jerusalem einen ganz besonderen, von dem üblichen Sprachgebrauch durchaus abweichenden Inhalt. Seine langen, nicht immer klaren und eindeutigen Ausführungen laufen darauf hinaus, daß eine Norm dann eine i n seinem Sinne „generelle" ist, wenn sie dem Gleichheitssatz entspricht 22 . Die allgemeine Norm i m üblichen Sinne hingegen beschreibt er beiläufig als eine solche, welche eine Reihe von Tatbeständen regelt 23 . Jerusalem hebt nun selbst m i t Recht hervor 2 4 , daß eine i n diesem Sinne „generelle" Norm mit der allgemeinen Norm i m üblichen Sinne keineswegs identisch ist. Eine allgemeine Norm braucht nicht notwendigerweise eine „generelle" zu sein, wenn auch i n der Mehrzahl der Fälle beides zusammentreffen wird. Das bedeutet aber, daß die Lehre Jerusalems zur Lösung der hier gestellten Aufgabe nicht unmittelbar beizutragen vermag, wenngleich i m Laufe der Untersuchung noch auf die Beziehung zwischen dem Gleichheitssatz und dem Problem der Allgemeinheit des Rechtssatzes einzugehen sein wird 2 5 . § 5.

D i e T h e o r i e n ü b e r das K r i t e r i u m des a l l g e m e i n e n R e c h t s s a t z e s

Nachdem i m vorstehenden verschiedene Theorien erwähnt wurden, die für die hier zu lösende Aufgabe n u r teilweise von Bedeutung sind und i m übrigen eine i n unserem Zusammenhang nicht interessierende Fragestellung betreffen, kann sich die Darstellung nunmehr den Lehren 2 6 zuwenden, die das Problem der Abgrenzung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt unmittelbar zum Gegenstand haben. 21

a. a. O., S. 33. So spricht er, a. a. O., S. 36 von dem „Satz von der Gleichheit, d. h. von dem generellen Charakter der Rechtsnorm"; davon, daß nach dem Satz von der Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz „die Rechtsnorm generellen Charakter haben, also f ü r alle gleich sein solle" (S. 37), daß „der Begriff der generellen Rechtsnorm gegeben ist, w e n n er wenigstens eine potentielle Gleichheit unter den Rechtsgenossen erzeugt" (S. 38/39) ; von dem „Prinzip der generellen Rechtsnorm, das i n der Weimarer Verfassung durch den Satz von der Gleichheit aller Deutschen zur Geltung gekommen ist" (S. 38) u n d von einem „Verstoß gegen das Prinzip des generellen Rechtssatzes, d. h. gegen das Gleichheitsprinzip (S. 39 A n m . 1). 23 a. a. O., S. 43. 24 a. a. O., S. 42/43. 25 Vgl. unten § 20 Β I I I c und § 21 D. 26 Wenn hier u n d i m folgenden jeweüs v o n einer bestimmten „Lehre" die Rede ist, so bedarf es der Klarstellung, daß es sich hierbei zumeist nicht — wie i m vorstehenden — u m näher entwickelte u n d begründete Theorien handelt. E i n erheblicher T e i l der nachstehend angeführten A u t o r e n n i m m t zu 22

3

Volkmcr

34

1. T e i l : Das Problem i n der bisherigen Wissenschaft / Kap. 2

A. Die Lehre von der begrifflichen Allgemeinheit betroffenen Personen (W. Jellinek)

der

Zunächst sei hier eine Theorie angeführt, die hinsichtlich der A l l gemeinheit eines Hoheitsaktes allein auf die A r t seiner Adressierung abstellt. Ein allgemeiner Rechtssatz soll danach immer dann vorliegen, wenn sich ein Befehl nicht an einen einzelnen, sondern an eine Mehrzahl von Personen wendet und diese Personen nicht m i t ihrem Namen genannt, sondern begrifflich allgemein nach Gattungsmerkmalen bestimmt sind, wenn sie also von dem Befehl m i t begrifflicher Notwendigkeit betroffen werden. I. Diese Auffassung ist insbesondere von W. Jellinek entwickelt worden, der eine der eingehendsten Untersuchungen des Begriffs der A l l gemeinheit der Rechtsnorm geliefert hat 2 7 . „Was den Rechtssatz augenscheinlich vor allen sonstigen staatlichen Machtäußerungen auszeichnet, ist seine Allgemeinheit. Aber nicht alles, was i n irgendeinem Punkte allgemein ist, ist darum ein Rechtssatz, und nicht jeder Rechtssatz ist i n allen Punkten allgemein. Darin besteht gerade die Schwierigkeit der ganzen Frage 28 » 29 ." Jellinek versucht, sie m i t Hilfe einer induktiven Methode zu lösen, indem er zunächst einen reinen Einzelbefehl schrittweise verallgemeinert und jeweils die Frage stellt, ob i n bestimmten praktischen Beispielen noch ein Einzelbefehl oder schon ein allgemeiner Rechtssatz vorliege. Dabei erklärt er die Zahl der anbefohlenen Handlungen, den zeitlichen und räumlichen Geltungsbereich, m i t Einschränkungen auch den Gegenstand und die Bedingtheit des Befehls für unbeachtlich und gelangt so zu dem ersten Ergebnis: „Der an eine einzelne Person gerichtete Befehl ist auch bei der größten sonstigen Allgemeinheit kein Rechtssatz, es sei denn, daß er für eine Allgemeinheit von Personen Rechte begründet oder i n ihre Rechtssphäre mittelbar eingreift, insbesondere durch Erzeugung einer Duldungspflicht 30 ." Anschließend wendet Jellinek das entsprechende Verfahren auf einen reinen Allgemeinbefehl, einen reinen Rechtssatz an. Hier scheint i h m die Zahl der angeordneten Handlungen, die zeitliche und räumliche Beunserem Problem n u r beiläufig, m i t u n t e r n u r i n einem Nebensatz Stellung. I m Interesse der Vollständigkeit sollen hier jedoch auch derartige Äußerungen Berücksichtigung finden. 27 W. Jellinek: Gesetz, S. 139—155. 28 a. a. O., S. 142. 20 A n den Anfang seiner Untersuchung stellt Jellinek den Satz, daß die Frage nach der Allgemeinheit des Rechtssatzes „ w i r k l i c h zu den schwierigsten der ganzen Rechtswissenschaft gehört" (S. 139). 80 a. a. O., S. 146.

§ 5. Theorien über das K r i t e r i u m des allgemeinen Rechtssatzes

35

schränkung, die Geltung für eine unbestimmte Anzahl von Möglichkeiten sowie m i t Einschränkungen auch die Allgemeinheit des Gegenstandes unwesentlich, so daß er zusammenfassend feststellen kann: „Der an eine Allgemeinheit von Personen gerichtete Befehl ist kein Rechtssatz, wenn seine Wirksamkeit abhängt von einem nicht obrigkeitlichen Willen; i m übrigen kann er es sein bei noch so geringem sonstigem Umfang 8 1 ." Daraus ergibt sich nun die weitere Feststellung, „daß, von den erwähnten Ausnahmen abgesehen, für die Rechtssatzeigenschaft eines Befehls entscheidend ist, ob er sich an einen einzelnen wendet oder an die Allgemeinheit" 3 2 . Der i n diesem Zusammenhang maßgebliche Begriff der Allgemeinheit bedarf nach Jellinek jedoch noch einer näheren Präzisierung. „Der einzelne, an den ein Befehl ergeht, bildet den Gegensatz zur zahlenmäßigen Allgemeinheit (Vielheit) und zur begrifflichen (Abstraktheit). Ein Befehl kann gerichtet sein an die Menschen A und Β und C oder an alle Menschen m i t dem Merkmal m. . . . A l l e i n nur die abstrakte Allgemeinheit verleiht dem Befehl die K r a f t eines Rechtssatzes Nicht die Vielheit der Personen, sondern die begriffliche Notwendigkeit, m i t der sie getroffen werden, macht die Eigenart des Rechtssatzes aus. . . . Darum ist es noch kein Beweis gegen die Allgemeinheit eines Befehls, wenn die Möglichkeit besteht, die von i h m getroffenen Personen einzeln und vollständig zu ermitteln. Ebensowenig schadet die Unmöglichkeit des Wechsels der unter den Begriff fallenden Personen: auch eine unvermehrbare Gattung von Personen kann Gegenstand einer Verordnung sein. Das, worauf es allein ankommt, ist die K r a f t des Begriffs, m i t der eine Allgemeinheit von Personen erfaßt wird 3 3 ." Nach Erörterung verschiedener, i n diesem Zusammenhang nicht interessierender Ausnahmen stellt Jellinek schließlich an das Ende seiner Untersuchung noch einmal den Satz: „Danach besteht das wesentliche Merkmal eines Rechtssatzes i n der begrifflichen Allgemeinheit der von i h m getroffenen Personen 34 ." II. Die Lehre Jellineks hat Gefolgschaft gefunden bei E. Jacobi 35. Auch für ihn steht i m Vordergrund der Unterschied zwischen „individuellen, das heißt an eine bestimmte Einzelperson gerichteten Anordnungen der Verwaltung ( . . . Verwaltungsakten ...) und generellen Anordnungen" 3 6 . Jacobi hebt hervor, daß bei diesen generellen Anordnungen 31 32 33 34 35 36

3*

a. a. O., S. 148. a. a. O., S. 148. a. a. O., S. 148/49. a. a. O. S. 155. Jacobi: Handbuch I I , S. 236—238. a. a. O., S. 236.

36

1. T e i l : Das Problem i n der bisherigen Wissenschaft / Kap. 2

zwischen solchen abstrakt genereller und konkret genereller A r t zu unterscheiden sei 37 und fährt dann unter Berufung auf Jellinek fort: „ W i l l man aber die Scheidung zwischen Hechtssatz und Verfügung (Verwaltungsakt) möglichst eindeutig gestalten, so muß man den Verwaltungsakt auf die individuelle, konkrete Anordnung beschränken, die an eine bestimmte, m i t Namen bezeichnete Einzelperson gerichtet ist, u n d einen Rechtssatz annehmen, sowie die betroffenen Personen nicht mehr nach Namen, sondern begrifflich allgemein, „nach Gattungsmerkmalen" (RGZ 128, 165 ff.) bestimmt sind, mag auch die Anordnung i m übrigen (Zeit Ort, Sache) des Kriteriums der Allgemeinheit entbeh-

B. Die Lehre von der unbestimmten

Zahl der betroffenen

Personen

Die eben dargestellte Theorie war dadurch gekennzeichnet, daß sie das K r i t e r i u m der Allgemeinheit des Rechtssatzes i n seiner Adressierung sucht und eine Allgemeinheit des Adressaten dann annimmt, wenn die betroffenen Personen begrifflich-gattungsmäßig bezeichnet sind, mögen sie auch — wie W. Jellinek ausdrücklich hervorhebt 4 1 — von vornherein feststehen und einem Wechsel nicht unterworfen, also zahlenmäßig bestimmt sein. Nunmehr ist hier eine andere Lehre zu erwähnen, die hinsichtlich der Allgemeinheit eines Hoheitsaktes ebenfalls auf seinen „Adressaten" 37 a. a. O., S. 237. W o r i n dieser Unterschied i m einzelnen besteht, w i r d von Jacobi nicht näher dargelegt. Er wiederholt lediglich die Formulierung Thomas, daß es sich bei den konkret generellen Anordnungen u m „ a l l gemeine Anordnungen en vue d'un cas donné" handele. 38 a. a. O., S. 237/38. 39 Ob die Berufung Jacobis auf die Entscheidung RGZ 128, 165 ff. (VII. Z i vilsenat) i n vollem Umfange berechtigt ist und damit auch das Reichsgericht als Vertreter der hier dargelegten Ansicht angeführt werden kann, erscheint zweifelhaft. Die Entscheidung, die i m übrigen weitgehend i m Widerspruch zu der drei Tage früher ergangenen Entscheidung des V I . Zivilsenats (RGZ 126,161 ff.) steht und, soweit ersichtlich, später auch nicht bestätigt w o r den ist, betrifft die Frage, ob das Reichsgesetz betr. die Aussetzung von Rechtsstreitigkeiten über ältere staatliche Renten v. 6. 7.1929 (Rentensperrgesetz) gegen eine Vorschrift der Reichsverfassung, insbesondere gegen A r t . 105 Satz 2 (Garantie des gesetzlichen Richters) verstößt. I n Beantwort u n g dieser Frage stellt das R G zwar darauf ab, ob es sich u m eine generelle Anordnung für alle Streitfälle einer bestimmten Gattung oder u m einen speziellen, auf bestimmte Einzelfälle abzielenden Eingriff handelt. Dabei ist j e doch offensichtlich weniger an eine Definition des allgemeinen Rechtssatzes als an eine Auslegung des A r t . 105 Satz 2 W R V gedacht — ganz abgesehen davon, daß nicht von der gattungsmäßigen Bezeichnung der Gesetzesadressaten, sondern von der der betroffenen Streitfälle die Rede ist. — Vgl. zu den genannten Entscheidungen i m übrigen auch unten § 22 A I I b. 40 I n diesem Sinne neuestens w o h l auch das B a y O b L G i m Beschl. v. 7.5.1960: DöV 1960, 763 u n d für das österreichische Recht Winkler: Bescheid, S. 83—86. 41 a. a. O., S. 149; vgl. oben A I.

§ 5. Theorien über das K r i t e r i u m des allgemeinen

echtssatzes

37

abstellt. I m Gegensatz zur eben genannten Theorie W. Jellineks kommt es ihr aber nicht auf die A r t der Bezeichnung, sondern auf die Zahl der von dem Hoheitsakt betroffenen Personen an: Ein allgemeiner Hechtssatz soll vorliegen, wenn ein Hoheitsakt an eine unbestimmte Zahl von Personen gerichtet ist. Als Vertreter dieser Auffassung ist hier zunächst wieder W. Jellinek anzuführen 42 . I n seinem Lehrbuch des Verwaltungsrechts definiert er den Rechtssatz (Gesetz i m materiellen Sinne) als „Anordnung an eine unbestimmte Vielheit von Personen" 43 . Dem entspricht es, wenn er umgekehrt als Einzelgesetze solche Anordnungen anspricht, „die für eine genau bestimmte Einzelperson Rechte und Pflichten begründen" 44 . Auch seiner K r i t i k am Entwurf des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes45 liegt dieselbe Auffassung zugrunde: „Auch ein für einen bestimmten Fall an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtetes polizeiliches Gebot oder Verbot ist eine Verordnung." M i t gleicher Deutlichkeit äußert sich Friedrichs 4e: „ E i n Rechtssatz ist ein allgemeines Urteil, das m i t Wirkung für eine ungewisse Zahl von Personen die rechtlichen Wirkungen gewisser Tatbestände i m voraus bestimmt. . . . Wenn ein Befehl gegen eine bestimmte Zahl von Personen gerichtet ist, so ist das ein Rechtsgeschäft (Rechtsakt, Verwaltungsakt, polizeiliche Verfügung), auch wenn er sich auf eine unbestimmte Zahl von Fällen bezieht. . . . E i n Rechtssatz kann sich auch auf einen einzelnen Fall . . . beziehen, vorausgesetzt, daß er für eine unbestimmte Mehrheit von Personen gilt." Ähnliche Äußerungen finden sich auch bei Röttgen* 7, Laforet Leibholz 49.

48

und

42

Z u der überraschenden Feststellung, daß W. Jellinek als Vertreter zweier verschiedener Theorien genannt werden muß, vgl. oben die Vorbemerkungen zu § 4. 48 W. Jellinek: Verwaltungsrecht, S. 8. Daß Jellinek hier nicht etwa die gattungsmäßige Bezeichnung, sondern die imbestimmte Z a h l der betroffenen Personen meint, ergibt sich schon daraus, daß er ausdrücklich zwischen der „zahlenmäßigen Allgemeinheit (Vielheit)" u n d der „begrifflichen (Abstraktheit)" unterscheidet (Gesetz, S. 148; vgl. auch vorstehend unter A 1). 44 a.a.O., S.9. 45 W. Jellinek: R u P r V w B l . 1931, 121 ft. (122). 46 47

Friedrichs: Allgemeiner Teü, S. 24.

Röttgen: Verw.Arch. 36 (1931), 176/77: „Steht m a n . . . auf dem Standpunkt, d a ß . . . die generelle Geltung kein notwendiges Charakteristikum des Rechtssatzes ist, daß es vielmehr einerseits Rechtssätze gibt, die . . . sich . . . n u r an einen von vornherein beschränkten Personenkreis wenden, u n d daß es u m gekehrt Verwaltungsakte gibt, die sich an die Allgemeinheit richten ( A l l gemeinverfügung) . . . — Daß i m übrigen das Moment der Allgemeinheit allein zur begrifflichen Abgrenzung der Polizeiverordnung gegenüber der Polizeiverfügung . . . nicht genügt, beweist allein die A l l g e m e i n v e r f ü g u n g , . . . die trotz ihres unbestimmten Adressatenkreises nicht als Rechtsnorm, sondern als V e r waltungsakt angesehen w i r d . . . " .

38

1. T e i l : Das Problem i n der bisherigen Wissenschaft / Kap. 2

C. Die Lehre von der Fallmehrheit I n Abweichung von den zuletzt angeführten Meinungen steht eine weitere Gruppe von Autoren auf dem Standpunkt, daß es für die A l l gemeinheit eines Rechtssatzes nicht auf das Element „Adressat", also auf die Bezeichnung oder die Zahl der von ihm betroffenen Personen, sondern vielmehr auf das Element „ F a l l " oder „Tatbestand" ankommt, also lediglich darauf, ob der Hoheitsakt einen einzelnen Fall oder aber eine Vielzahl von Fällen regelt. I. Demgemäß ist hier zunächst auf eine Ansicht einzugehen, die das K r i t e r i u m der Allgemeinheit des Rechtssatzes darin erblickt, daß „eine Anzahl" oder „eine Mehrzahl" von Fällen normiert wird. Bei allen Schriftstellern, die sich i n diesem Sinne geäußert haben, kann nicht m i t völliger Eindeutigkeit entschieden werden, ob sie unter der „Anzahl" oder „Mehrzahl" auch eine bestimmte, unveränderliche oder nur eine unbestimmte Anzahl von Fällen verstehen — ein Unterschied, der von großer Bedeutung ist für die Frage, ob auch die ausschließliche Regelung abgeschlossener Sachverhalte, also einer bestimmten Zahl von Fällen, als „allgemeine" Regelung anzusehen ist. Daraus, daß die hier i n Rede stehenden Autoren i m Gegensatz zu einer großen Gruppe anderer Schriftsteller auf die Verwendung des Adjektivs „unbestimmt" verzichten, darf wohl aber geschlossen werden, daß sie die Regelung einer bestimmten Zahl von Fällen zumindest auch als allgemeine Regelung ansehen. 50 schreibt etwa Schulze 50: „ E i n Befehl, eine Anordnung . . . für den einzelnen Fall ist niemals ein Gesetz, weil sich ihre K r a f t m i t dem einzelnen Fall erschöpft, w e i l sie nicht auf andere, wenn auch noch so gleichartige Vorkommnisse erstreckt werden kann. Zum Begriff des Gesetzes gehört die Allgemeinheit der Regel... Dem Begriffe der Allgemeinheit ist genügt, wenn sich der Regel eine Anzahl von Fällen unterzuordnen hat, welche ihren Merkmalen nach logisch darunter fallen." Ganz eindeutig äußert sich i n diesem Sinne auch Kelsen 51 : „Diese Bedingtheit und nicht, wie mitunter angenommen wird, die Allgemein48 Laforet: Verwaltungsrecht, S. 168: „Das Gesetz wendet sich m i t verbindlicher K r a f t an eine unbestimmte Zahl von Personen, oder es schafft bewußt eine Ausnahme von der allgemeinen Rechtsregel." Ebenso spricht er S. 235 v o n „Polizeiverordnungen, die sachlich Rechtsregeln sind, w e i l sie sich unter Androhung einer gerichtlichen Strafe m i t bindender W i r k u n g an eine u n bestimmte A n z a h l v o n Volksgenossen wenden." 49 Leibholz: DVB1.1951, 195: „Danach ist es nicht ausgeschlossen, daß unter Umständen auch ein allgemein gefaßtes Gesetz m i t dem Gleichheitssatz k o l lidieren w i e umgekehrt ein auf eine i n d i v i d u e l l bestimmbare Personenzahl sich beziehendes Gesetz Rechtsgültigkeit unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes beanspruchen kann." 60 Schulze: Staatsrecht I,S. 516/17.

51

Kelsen: Hauptprobleme, S. 514.

§ 5. Theorien über das K r i t e r i u m des allgemeinen Rechtssatzes

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heit, das heißt die Anwendbarkeit auf eine Mehrheit von Fällen ist das K r i t e r i u m des Rechtssatzes." Auch Jerusalem bezeichnet, wie schon erwähnt, als allgemeine Norm eine „solche, welche eine Reihe von Tatbeständen regelt" 5 2 . Die gleiche Auffassung w i r d i n mehr oder weniger klarer Form auch von ν . Roenne53, Loening 54, Bornhak 55 und Georg Meyer 58 vertreten. II. Die soeben angeführten Formulierungen für die Allgemeinheit des Rechtssatzes hatten sämtlich eine gewisse Unklarheit und Mehrdeutigkeit gemeinsam insofern, als sie — ohne dies eindeutig zum Ausdruck zu bringen — die Regelung sowohl einer bestimmten als auch einer unbestimmten Zahl von Fällen erfaßten. I n der von einigen anderen Autoren angegebenen Definition des allgemeinen Rechtssatzes findet dieser sachliche Gehalt auch i n der Formulierung klaren Ausdruck. I n erster Linie ist hier Laband zu nennen. Er schreibt 57 : „Es gehört zum Begriff des Gesetzes i m materiellen Sinn des Wortes, daß dasselbe einen Rechtssatz aufstellt; aber nicht, daß dieser Rechtssatz eine allgemeine Regel enthält, welche auf viele oder auch nur auf eine unbestimmte Anzahl von Fällen anwendbar i s t . . . M i t dem Begriff des Gesetzes ist es vereinbar, daß dasselbe einen Rechtssatz aufstellt, der nur auf einen einzigen Tatbestand anwendbar ist oder nur ein einzelnes Rechtsverhältnis regelt." Dieselbe Formulierung findet sich auch bei v. Roenne, der noch an der Ansicht von der begriffsnotwendigen Allgemeinheit des Rechtssatzes festhält: „ . . . ebenso w i r d auch von den meisten Staatsrechtslehrern angenommen, daß es zum Begriffe des Gesetzes gehöre, daß der aufgestellte 52

Jerusalem: Staatsgerichtsbarkeit, S. 43.

53

v. Roenne: Staatsrecht I, S. 348: „ . . . es gehört zum Begriffe des Gesetzes i m materiellen Sinne, daß es eine wirkliche Rechtsregel ausspricht, u n d daß der ausgesprochene Rechtssatz eine allgemeine Regel aufstellt, welche i n allen logisch darunter begriffenen Fällen zur N o r m dienen soll." 54 Loening: Verwaltungsrecht, S. 226: „Der Rechtssatz ist entweder eine Rechtsregel, nach welcher alle Verhältnisse, deren Tatbestandsmerkmale i n dem Rechtssatz angegeben werden, zu ordnen sind, oder er enthält die Rechtsnormen, nach welchen ein einzelnes, i n dem Gesetz angegebenes konkretes Verhältnis i n Abweichung von den bestehenden Rechtsregeln zu ordnen ist." „Verordnungen haben m i t den allgemeinen Rechtssätzen gemein, daß sie sich nicht bloß auf einen einzelnen konkreten Tatbestand b e z i e h e n . . . " (S. 228). 55 Bornhak: Staatsrecht 1,1. Aufl., S. 439: „Die durch die Rechtsnorm getroffene Regelung braucht keine allgemeine zu sein, sie k a n n sich auch auf einen individuellen F a l l beziehen." I n der 2. Auflage w i r d der Begriff der A l l gemeinheit nicht mehr näher umschrieben. 56 Georg Meyer: Grünhuts Zeitschrift, Bd. 8. 15: „ A l s einen Rechtssatz... k a n n m a n m. E. überhaupt n u r diejenige Regel bezeichnen, welche allgemein ist, das heißt, welche sich nicht bloß auf einen oder mehrere i n d i v i d u e l l bestimmte Tatbestände bezieht." 57

Laband: Staatsrecht I I , S. 2.

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1. T e i l : Das Problem i n der bisherigen Wissenschaft / Kap. 2

Rechtssatz eine allgemeine Regel enthält, welche auf viele oder auch nur auf eine unbestimmte Anzahl von Fällen anwendbar ist 5 8 ." Aus der Formulierung „viele oder auch nur eine unbestimmte Zahl von Fällen" muß geschlossen werden, daß Laband und v. Roenne die Regelung einer unbestimmten Zahl von Fällen i m Verhältnis zur Regelung von „vielen" Fällen als ein „Weniger" ansehen. Das ist zwar unrichtig und beruht auf einer Verkennung der i n Rede stehenden Begriffe 59 . Indessen kann kein Zweifel daran bestehen, daß i n dieser Wendung die „Vielzahl" die bestimmte Zahl von Fällen umfaßt und daß die genannten Autoren demgemäß beide A r t e n der Regelung als allgemeinen Rechtssatz ansehen. D. Die Lehre von der unbestimmten

Vielzahl von Fällen

Die Auffassung Labands und v. Roennes leitet bereits über zu der Ansicht, die von der größten Gruppe von Autoren vertreten wird. Bei verschiedenen terminologischen Abweichungen sachlich i m wesentlichen übereinstimmend, sieht sie das entscheidende Begriffsmerkmal des allgemeinen Rechtssatzes darin, daß er pro futuro einen hypothetischen, begrifflich bestimmten Tatbestand regelt und damit eine unbestimmte Vielzahl realer Fälle normiert. Eine der ausführlichsten Darlegungen dieser Ansicht findet sich bei Isay 60. Die wichtigsten diesbezüglichen Stellen lauten: „Die Regelung®1 kann i m voraus oder sie kann nachträglich für den einzelnen Fall erfolgen. Die Regelung i m voraus vermag nicht den Einzelfall als solchen ins Auge zu fassen; einmal w e i l sich nicht Einzelfälle m i t allen ihren Einzelheiten, sondern nur Gruppen von Fällen voraussehen lassen, die unter bestimmten Gesichtspunkten zusammengefaßt werden; und ferner w e i l die Regelung i m voraus nur m i t Begriffen arbeiten kann, die niemals ein A b b i l d der Wirklichkeit zu geben vermögen. Diese Regelung umfaßt daher eine unbestimmte und unbegrenzte Zahl von zukünftigen Fällen. Aber sie umfaßt alle Fälle, welche die gleichen Merkmale auf weisen, w i l l also allgemeingültig sein 82 ." „ I m Gegensatz zu der Regelung i m voraus erfaßt die nachträgliche Regelung den bereits historisch konkreten, also individuellen und zufälligen Tatbestand m i t sämtlichen Merkmalen 6 8 ." 58 59

v. Roenne: Staatsrecht I, S. 347 Anm. 2.

Es werden hier zwei Begriffsebenen ineinander verschoben. Dem „ V i e l " entspricht lediglich das „Weniger" bzw. „ W e n i g " ; den Gegensatz zur u n bestimmten Z a h l von Fällen aber bildet allein die bestimmte Zahl. Vgl. auch unten § 8. eo

β1

Isay: Rechtsnorm, S. 1—16.

Gemeint ist hier die die „Aufgabe des Rechts bildende" des „äußeren Verhaltens der Menschen"; vgl. a. a. O., S. 3. 82 a. a. O., S. 3. 63 a. a. O., S. 4.

Regelung

§ 5. Theorien über das K r i t e r i u m des allgemeinen Rechtssatzes

41

„Damit ist der Begriff der Rechtsnorm dargestellt: . . . Sie verknüpft nicht einen individuellen, d. h. konkret bestimmten (historischen) Tatbestand m i t einem äußeren Verhalten, also nachträglich, sondern einen generellen, d. h. abstrakt (begrifflich) bestimmten (hypothetischen) Tatbestand, also i m voraus. Hier liegt der Unterschied gegenüber der Entscheidung" 64 , der „nachträglichen Regelung des individuellen (historischen) Falles" 65 . I n klarer Form kommt dieser Gedanke auch bei Thon 6 6 zum Ausdruck: „Sollte nun eine Rechtsbildung nur erfolgen können durch eine abstrakte Norm, welche für eine unbestimmte Anzahl von Fällen Geltung beansprucht, nicht aber durch eine Individualnorm, welche nur einen Einzelfall (oder eine bestimmte Zahl einzelner Fälle) zu regeln unternimmt 6 7 ?" „Denn das Charakteristische der Individualnorm besteht nicht darin, daß sie lediglich einem Einzelwesen etwas anbefiehlt. I h r Kennzeichen ist vielmehr, daß der Tatbestand ..., an welchen Gebot oder Verbot anknüpft, bereits gegeben ist oder doch als demnächst gegeben i n Betracht gezogen w i r d und daß sich m i t h i n der Individualbefehl an diesem einen Tatbestand erschöpft. Hierin liegt der Unterschied von der abstrakten Norm, welche für die Zeit ihrer Geltung unter Voraussetzung eines bestimmten Tatbestandes, so oft sich derselbe auch verwirklichen mag, i m voraus ihren Imperativ ausspricht.. . 6 8 " Ähnlich spricht G. Jellinek 69 i m Hinblick auf die Verwaltungsverordnungen von „abstrakten Regelungen von Verwaltungsakten a priori, d. h. Vorschriften, welche ebenso eine unbestimmte Zahl von Fällen normieren wollen, wie allgemeine Rechtsregeln .. ." 7 0 , von der Lehre, wonach „die Rechtsregel notwendig eine a priori unbestimmte Zahl von Fällen normiere" 7 1 . „ . . . Deshalb gelangt die Rechtsordnung zu allgemeinen abstrakten Sätzen, deshalb kann sie pro futuro eine unbestimmte Anzahl von Fällen m i t einer und derselben Regel normieren. Die Konstanz der Lebensverhältnisse ist der Grund der Allgemeinheit der Rechtsregeln 72 ." Als Vertreter dieser Ansicht sind ferner Goeppert 73, Anschütz 74, Georg Meyer 75, Otto Mayer 79, Husserl 77, Kelsen 78, v. Brünneck 79, Forsthoff und Hans J. Wolff 81 zu erwähnen 82 . 64 65

ββ 67

a. a. O., S. 9/10. a.a.O.,S. 16.

Thon: AöR V (1890), 149 ff.

a. a. O., S. 152. a. a. O., S. 155. 89 G. Jellinek: Gesetz u n d Verordnung, S. 235 ff. 70 a. a. O., S. 235. 71 a. a. O., S. 236. 72 a. a. O., S. 238. 73 Goeppert: Iherings Jahrbücher Bd.22 (1884), S. 148: „ . . . a l s Rechtssatz k a n n immer n u r eine abstrakte Regel bezeichnet w e r d e n . . . Eine solche ab68

80

42

1. T e i l : Das Problem i n der bisherigen Wissenschaft / Kap. 2

E. Die Lehre von der unbestimmten

Zahl'von Fällen und Adressaten

Die zuletzt dargestellte Meinung erblickte das K r i t e r i u m des allgemeinen Rechtssatzes darin, daß er pro futuro einen gedachten, begrifflich bestimmten Tatbestand regelt und damit eine unbestimmte Anzahl strakte Regel liegt aber auch i n unseren Fällen n u r i n F o r m u n d Ausdrucksweise vor. Der Sache nach handelt es sich auch bei ihnen nicht u m eine Regel f ü r einen von vornherein begrenzten, . . . o b j e k t i v feststehenden, n u r subjekt i v nicht bekannten Kreis von einzelnen Fällen." 74 Anschütz: Studien, S. 26: „Das Wesentliche des materiellen Gesetzes ist also nicht die Allgemeinheit Die Bestimmung des Rechtssatzbegriffs als diejenige staatliche Anordnung, welche abstrakte Tatbestände i m voraus normiert, ist unrichtig u n d w i l l k ü r l i c h . " Ähnlich auch bei Meyer-Anschütz: Staatsrecht, S. 640: „ I n der Regel w i r d das Gesetz i m materiellen Sinne sich auf eine unbestimmte Vielzahl von Fällen, nämlich auf alle beziehen, i n denen der v o n i h m abstrakt bestimmte T a t bestand zutrifft, es w i r d , anders ausgedrückt, allgemein gefaßt sein. Doch d u l det diese Regel Ausnahmen Es kommen legislative A k t e vor, welche lediglich ein einzelnes Rechtsverhältnis, einen individuellen F a l l ordnen u n d ihre K r a f t an diesem F a l l erschöpfen: Individualgesetze..." 75 Georg Meyer: Grünhuts Zeitschrift, Bd. 8, S. 30: „Eine Verfügung w i r k t i m m e r n u r für einen einzelnen Fall, einerlei ob sie i n Gesetzesform a u f t r i t t oder von einer Verwaltungsbehörde ausgeht. Dagegen äußert ein Rechtssatz, eine allgemeine Regel, ihre W i r k u n g auf eine unbestimmte A n z a h l v o n F ä l len." 76 Otto Mayer: Verwaltungsrecht I 3 , S. 74: „ I m Rechtssatz erscheint den U n tertanen gegenüber die formale Gerechtigkeit der öffentlichen G e w a l t . . . U n d ihre W i r k u n g k n ü p f t sich, an allgemein i m voraus bestimmte Merkmale, geschieht nach fester Regel. Der Rechtssatz ist die schlechthin verbindliche feste Regel." Demgemäß zieht Mayer die Grenze zwischen Rechtssatz u n d V e r w a l tungsakt dahin, daß der Rechtssatz „durch seine allgemeine Regel die Pflicht i n allen Fällen entstehen läßt, i n welchen die Voraussetzungen erfüllt sind, an die er sie hat knüpfen wollen", während der Verwaltungsakt „ f ü r den Einzelfall unmittelbar ausspricht u n d bestimmt, was hier rechtens sein soll" (a. a. O., S. 228). 77 Husserl : Rechtskraft, S. 17: „ E i n Recht ist (gilt) abstrakt, w e n n es seinem I n h a l t nach nicht an einen historisch-einmaligen Sozialtatbestand geknüpft i s t . . . Die abstrakte Rechtsnorm gilt vielmehr als N o r m möglicher Tatbestände einer durch den Rechtsinhalt bestimmten W e s e n s a r t . . . Das Recht abstrakter Geltung bezieht sich p r i m ä r (seinem Rechtsinhalte nach) auf den generellen, typisch vorgezeichneten „Wenn"-Tatbestand. I m Gegensatz zum konkret geltenden Recht, das ein Stück sozialen Lebens unmittelbar e r g r e i f t . . . " Der „ k o n kreten R e c h t s n o r m . . . fehlt die Anwendbarkeit auf beliebig wiederholbare Tatbestände", die gerade das Wesen der abstrakten Rechtsnorm ausmacht (S. 30), „sie ist an diesen Tatbestand gebunden, gilt n u r i h m " (S. 28). 78 Kelsen: Allgemeine Staatslehre, S. 236: „Das Rechtsgeschäft k a n n n u n individuelle, es k a n n aber auch generelle Normen setzen, je nachdem, ob ein einmaliges oder ein unter bestimmten Bedingungen immer wiederholtes, w i e derkehrendes Verhalten der Parteien vereinbart w i r d . " 79 v. Brünneck: Privilegium, S. 26: „Dagegen besteht ein klarer Gegensatz zwischen der abstrakt allgemeinen, für eine unbestimmte Z a h l von Tatbeständen berechneten u n d einer Norm, die n u r auf einen einzelnen realen oder doch als real vorgestellten Tatbestand anwendbar ist." 80 Forsthoff: Verwaltungsrecht, S. 184: „Die Verordnimg ist abstrakt, beinhaltet Rechtssätze, die auf Dauer zu gelten bestimmt sind; der Verwaltungsakt bezieht sich auf ein einmaliges, konkretes Sach- oder Rechtsverhältnis". Den I n h a l t des (allgemeinen) Rechtssatzes hält Forst-

§ 5. Theorien über das K r i t e r i u m des allgemeinen Rechtssatzes

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von realen Fällen normiert. Typischerweise w i r d durch eine derartige Regelung zugleich auch eine unbestimmte Anzahl von Personen betroffen werden. Immerhin ist das keineswegs selbstverständlich. Wie noch zu zeigen sein wird, ist es vielmehr durchaus möglich, daß sich ein Befehl für eine unbestimmte Zahl zukünftiger Fälle lediglich an eine einzelne Person oder an eine bestimmte Zahl von Personen wendet. Es darf daher zwar wohl vermutet werden, daß die soeben angeführten Autoren — oder wenigstens ein Teil von ihnen 8 3 — unter einem allgemeinen Rechtssatz eine Regelung verstehen, die eine unbestimmte Zahl zukünftiger Fälle erfaßt und eine unbestimmte Zahl von Personen betrifft, und daß sie dies nur i n der Formulierung nicht deutlich zum Ausdruck bringen. Indessen gebietet es doch die gerade bei unserem Problem i n besonderem Maße erforderliche Exaktheit, sie von einer anderen Gruppe von Schriftstellern zu scheiden, die ausdrücklich auf beide Momente abstellt. Die Ansicht dieser letzten Gruppe von Autoren hat auch i n das Gesetz und i n die Rechtsprechung Eingang gefunden. Eine grundlegende Untersuchung, die neben der weiteren wissenschaftlichen Forschung besonders auch die Rechtsprechung maßgeblich beeinflußt hat, ist hier von Thoma geliefert worden 8 4 . Bei der A b grenzung von Verordnung und Verfügung greift er auf „die hauptsächliche, man kann sagen populäre, Vorstellung vom Wesen des Gesetzes i m materiellen Sinn, der Rechtsvorschrift" 85 , zurück. „Diese Vorhoff f ü r dadurch gekennzeichnet, daß „das A k t u e l l w e r d e n einer abstrakt getroffenen Regelung der unübersehbaren künftigen E n t w i c k l u n g der Dinge anheimgegeben ist" (S. 184 A n m . 4). I n gewissem Widerspruch hierzu meint er allerdings hinsichtlich der Sperrklausel nach dem RNaturschG, die Beurteilung hänge davon ab, ob sich diese Maßnahmen gegen bestimmte Personen bzw. einen bestimmbaren Personenkreis oder an die Allgemeinheit richteten (S. 185). 81 Hans J. Wolff : Verwaltungsrecht I , S. 87: „Durch seinen abstrakten Charakter unterscheidet sich der Rechtssatz v o n dem konkreten, einen oder mehrere Einzelfälle betreffenden Rechtsakt. Sowohl Rechtssätze als auch Rechtsakte können sich generell an eine unbestimmte Vielheit oder speziell an einzelne Subjekte wenden. Ob die abstrakten aber speziellen Anordnungen Rechtssätze oder Rechtsakte sind, ist umstritten. Versteht m a n unter „abstrakter" Regelung jede Anordnung, deren Tatbestand seinem Sinne nach nicht n u r einen oder mehrere individuelle Sachverhalte erfaßt, so sind m. E. alle abstrakten Sätze Rechtssätze, auch w e n n ihre Rechtsfolge n u r ein einziges Subjekt trifft." Noch klarer w i r d der Begriff der abstrakten Regelung, a. a. O., S. 217 h i n sichtlich der Rechtsverordnungen bestimmt: A b s t r a k t sind Anordnungen, „die imbestimmt viele Sachverhalte betreffen". 82 I n diesem Sinne jetzt w o h l auch das B V f G i m Beschluß ν. 15.12.1959 (BVfGE 10,234 ff.), w e n n es v o n einem „allgemeinen, auf eine unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten anwendbaren Rechtssatz" (S. 239) u n d dem „ f ü r eine unbestimmte Vielzahl von Fällen geltenden generellen Rechtssatz" (S. 241) spricht. Z u r Problematik des v o m B V f G hier verwandten weiteren Begriffs der „unbestimmten Vielzahl" s. u. § 8 A . 83 Etwas anderes g i l t ζ. B. für Hans J. Wolff ; vgl. die vorige Anmerkung. 84 Thoma: Polizeibefehl, S. 59—74 u. 374/75. 85 a. a. O., S. 60.

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1. Teil: Das Problem i n der bisherigen Wissenschaft / Kap. 2

Stellung erblickt i m Gesetz eine auf die Dauer berechnete, einer größeren Allgemeinheit die Norm gebende, i n unbestimmt vielen Anwendungsfällen wirksame Rechtsregel 85 ." I n seiner Untersuchung erklärt Thoma das Moment der Dauer für unwesentlich 86 , gelangt aber i m übrigen zu einem diese Vorstellung bestätigenden Ergebnis: „Die Polizeiverordnung hat ein abstrakt bezeichnetes Vorkommnis zum Gegenstand, für dessen künftige Konkretisierung sie durch A u f stellung allgemeiner Befehle Fürsorge trifft; die Polizeiverfügung hat ein bestimmtes reales Vorkommnis zum Gegenstand, aus Anlaß dessen sie unmittelbar aktuelle Befehle erläßt: entweder an die Allgemeinheit, d. h. an jedermann i m Verwaltungsbezirk, den es angeht. Diese Verfügung nenne ich Allgemeinverfügung. Oder an bestimmte einzelne Personen. Das sind die Einzelverfügungen (oder Individual- oder SpezialVerfügungen) 87." Eine kurze, aber erfreulich klare Definition gibt i n diesem Sinne neuestens auch Maunz 88: Der generell-abstrakte Rechtssatz, den eine ältere Lehre m i t dem Gesetz i m materiellen Sinne identifiziert habe, sei ein „Rechtssatz, der sich an eine unbestimmte Vielzahl von Personen zur Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Fällen wendet". Ähnliche Äußerungen finden sich auch bei Ulbrich 89, Fleiner 90, Hatschek-Kurtzig 91 und Del Vecchio 92; auch Wenzel 93 darf vielleicht i n diesem Zusammenhange genannt werden 9 4 . 86

a. a. O., S. 66. a. a. O., S. 65. 88 Maunz, i n Maunz-Dürig, A r t . 20, Rdnr. 94. 89 Ulbrich: österreichisches Staatsrecht, S. 240: „ A l l e Rechtssätze sind entweder abstrakt oder konkret, generell oder individuell. Abstrakte Rechtssätze betreffen künftige, sich möglicherweise ereignende Tatbestände, konkrete Rechtssätze dagegen bereits gegebene Tatbestände. Generelle Rechtssätze betreffen Personengattungen, individuelle Rechtssätze individuell bestimmte Personen. Regelmäßig sind die Rechtssätze abstrakt und generell zugleich." 90 Fleiner: Institutionen, S. 70: „Durch diese abstrakte, an die Allgemeinheit gerichtete Regelung, die dem Rechtssatz eigen ist, unterscheidet sich die Verordnung v o n . . . der Verfügung, die sich auf einen bestimmten vorliegenden Einzelfall bezieht und i h n gemäß der abstrakten Rechtsregel ordnet." 91 Hatschek-Kurtzig: Verwaltungsrecht, S. 138/39: „Der Polizeibefehl ist entweder Rechtssatz oder Verwaltungsakt: also entweder Polizeiverordnung oder Polizeiverfügung. . . . Die Unterscheidung muß an folgende logische Begriff sgegensätze anknüpfen: a) abstrakt-real, b) generell-individuell. Eine Polizeiverordnung ist demnach jener Polizeibefehl, welcher einen abstrakten, also bloß gedachten Tatbestand i n genereller Weise regelt Real ist der Tatbestand eines Polizeibefehls dann, wenn der Befehl seine K r a f t m i t dem einzelnen F a l l erschöpft oder besser, wenn er sich historisch w i r k l i c h zugetragen hat, nicht bloß abstrakt erdacht ist. Generell ist ein Polizeibefehl dann, wenn er sich an eine unbegrenzte Zahl von Individuen richtet, individuell, wenn er an bestimmte einzelne Personen ergeht. Demnach ist die Polizeiverfügung jener Polizeibefehl, welcher ein bestimmtes reales Vorkommnis zu regeln unternimmt. Ist er generell, so sprechen w i r von Allgemeinverfügung, ist er individuell, so sprechen w i r von gewöhnlicher Polizei Verfügung." 87

§ 5. Theorien über das K r i t e r i u m des allgemeinen Rechtssatzes

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Diese A u f f a s s u n g v o n d e r logischen S t r u k t u r der P o l i z e i v e r o r d n u n g als eines a l l g e m e i n e n Rechtssatzes h a t sich auch das preußische P o l i z e i v e r w a l t u n g s g e s e t z v o m 1. 6.1931 z u eigen gemacht. So d e f i n i e r t es i n § 24 die P o l i z e i v e r o r d n u n g e n als „ p o l i z e i l i c h e Gebote oder V e r b o t e , d i e f ü r eine u n b e s t i m m t e A n z a h l v o n F ä l l e n a n eine u n b e s t i m m t e A n z a h l v o n Personen g e r i c h t e t s i n d " , w ä h r e n d es das W e s e n d e r V e r f ü g u n g e n i n § 40 d a r i n e r b l i c k t , daß sie „ a n b e s t i m m t e P e r s o n e n oder a n e i n e n bestimmten Personenkreis ergehen". F ü r d e n B e r e i c h des preußischen Polizeirechts h a b e n diese L e g a l d e f i n i t i o n e n die D i s k u s s i o n ü b e r die B e g r i f f e d e r P o l i z e i v e r o r d n u n g u n d P o l i z e i v e r f ü g u n g z u m V e r s t u m m e n gebracht u n d n u r n o c h A u s l e g u n g s f r a g e n offengelassen, die a n dieser S t e l l e n i c h t interessieren. Das gleiche g i l t n a t u r g e m ä ß f ü r das P o l i z e i r e c h t der Nachfolgestaaten Preußens, d i e das preußische P V G m e h r oder

weniger

unverändert

übernommen

h a b e n 9 5 . I m ü b r i g e n h a t sich die i n diesen G e s e t z e s b e s t i m m u n g e n z u m Ausdruck 92

gekommene

Vorstellung

vom

Wesen

des

allgemeinen

Del Vecchio: Rechtsphilosophie, S. 386: „ I n der Regel u n d nach der i h r eigentümlichen N a t u r besitzt die Rechtsnorm den Charakter der Allgemeingültigkeit, d . h . sie w i r d k r a f t der A b s t r a k t i o n unter Zugrundelegung von typischen Fällen gestaltet, sie bezieht sich also auf eine ganze Klasse oder Reihe solcher Fälle von unbeschränkter Anzahl, nicht auf bestimmte Personen oder auf Beziehungen, die i n ihrer Besonderheit festgelegt sind." „ D a die Rechtsnorm als die Grundlage f ü r die Regelung v o n Fällen dienen muß, die i n der Z u k u n f t liegen, so k a n n sie zwingend nicht anders als i n ganz allgemein gehaltener Weise gefaßt werden. Das eigentümliche ist es j a gerade, daß die Rechtsnorm dem Einzelfalle zeitlich vorangehen muß . . . " (S. 387). 93 Wenzel: Gesetz, S. 131 bezeichnet sehr u n k l a r als allgemein eine Norm, die sich an eine Mehrzahl von Personen richtet oder auf viele oder doch eine u n bestimmte Anzahl von Fällen anwendbar ist. 94 Neben Mittelbach: B B 1955, 852 f. jetzt ebenso Hans Schneider: Einzelfallgesetze, S. 160, Bettermann: R d A 1959,254 u n d Larenz: Methodenlehre, S. 149 f., 156. Bei nicht immer eindeutiger Formulierung w o h l auch Neumann: Wirtschaftslenkende Verwaltung, S. 57, 60, Brohm: Bauplanungsrecht, S. 45— 48 u n d Imboden: Plan, S. 119—123 u. 141, die allerdings jeweils mehr oder minder deutlich noch auf zusätzliche Momente abstellen. 95 Vgl. die oben § 2 A n m . 14 genannten einschlägigen Bestimmungen. 96 Das g i l t sowohl für die Gebiete außerhalb des ehemaligen Preußen als auch überhaupt für Maßnahmen, die schon i h r e m Rechtscharakter nach v o m p r P V G oder den entsprechenden Landesgesetzen nicht erfaßt werden. So sieht der württemberg-badische V G H (Beschl. v. 7.5.1952, E S V G H 1,95 ff.) die Sperrung eines Weges nach § 4 StVO als Rechtsvorschrift i m Sinne von § 25 V G G an, w e i l sie „ f ü r nichtbestimmte Zeit u n d eine unabsehbare Z a h l von Fällen eine allgemeine abstrakte Regelung t r i f f t " (S. 97) u n d „die allgemein an Jeden, den es angeht 4 gerichtete Erklärung der anordnenden Behörde" enthält (S. 98). Vgl. auch den Beschluß v. 27. 10. 1956 (bwVBl. 1957, 25) u n d das U r t e i l v. 11. 2. 1957 (DöV 1957, 217). Das L V G — jetzt O V G — Rheinland-Pfalz (Urt. v. 12.10.1950, VwRspr. 3, 403 = J Z 1951, 372 ff. m i t A n m e r k u n g von Bachof) spricht — ebenfalls i n bezug auf Anordnungen nach § 4 StVO — ganz k l a r von nicht zu den V e r w a l tungsakten gehörigen „Rechtsnormen, d. h. Vorschriften, die nicht für einen

46

1. T e i l : Das Problem i n der bisherigen Wissenschaft / Kap. 2

Rechtssatzes auch unabhängig von ihrer gesetzlichen Fixierung i n der neueren Rechtsprechung ganz eindeutig durchgesetzt 96 .

konkreten Einzelfall, sondern für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen eine abstrakte Regelung treffen u n d an die Allgemeinheit, eine unbestimmte Anzahl von Personen, gerichtet sind. Z u r Abgrenzung des Verwaltungsaktes von den Rechtsnormen k a n n die i m preußischen P V G enthaltene Definition der V e r fügung u n d Verordnung dienen" (a. a. O., S. 405) ; s. auch den Beschluß v. 29.1.1958 (AS 6, 388). Auch der bayerische V G H (Beschl. v. 20.10.1952, A S 5, 229 ff.) steht ganz eindeutig auf diesem Standpunkt: „ Z u m Wesen der Rechtsvorschrift gehört, daß sie einen abstrakten, n u r gedachten Tatbestand, also eine imbestimmt große Anzahl von Fällen regelt u n d dabei Gebote u n d Verbote an die Allgemeinheit, also unmittelbar an jeden, auf den ein abstrakter Tatbestand zutrifft, richtet." (a. a. O., S. 230). Das O V G B e r l i n (Urt. v. 16. 7.1952, A S 1,14 ff.) gibt der gleichen Meinung Ausdruck: „Die v o m Beklagten getroffene Maßnahme ist aber ein Gebot oder Verbot, das für eine unbestimmte Anzahl von Fällen an eine unbestimmte A n zahl von Personen gerichtet ist. . . . Es handelt sich also u m eine objektive Rechtsnorm, die der Anfechtung i m Verwaltungsstreitverfahren nicht zugänglich ist." (a. a. O., S. 16). Vgl. auch das U r t e i l v. 28. 11.1958 (AS 5, 156). Die gleiche Auffassimg k l i n g t schließlich auch i n einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an (Beschl. v. 18. 9.1952, B V f G E 1, 418 ff.): „ U m der Gleichberechtigung w i l l e n ist n u r zu fordern, daß die Sonderregel ebenso wie die Grundregel nicht für einen konkreten F a l l für oder gegen eine bestimmte Person oder Personengruppe geschaffen w i r d , sondern daß sie auf sachlichen Erwägungen beruht u n d allgemein, abstrakt gefaßt ist, also auf eine unbestimmte Z a h l von Fällen paßt." (a. a. O., S. 427). Dies darf w o h l dahin verstanden werden, daß der Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz nicht gehindert ist, eine Regel durch bestimmte Ausnahmen zu durchbrechen, daß aber auch die Ausnahme ein allgemeiner Rechtssatz i n dem gekennzeichneten Sinne sein muß. Vgl. i m übrigen auch die Urteile des O V G Lüneburg v. 18.6.1952 (AS 6,267) u n d v. 26. 4.1957 (DöV 1958,549), des OVG Hamburg v. 21.11.1957 (VwRspr. 11,1016) u n d des B V w G v. 10. 6.1960 (DVB1.1960, 805).

Zweiter

Teil

Die rechtstheoretischen Grundlagen der Unterscheidung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt Erstes

Kapitel

Der Adressat des befehlenden Hoheitsaktes Die i n § 5 gegebene Übersicht über die verschiedenen AllgemeinheitsTheorien hat gezeigt, daß i n neuerer Zeit sowohl von der Wissenschaft als auch vom Gesetzgeber selbst der Adressierung des (befehlenden) 1 Hoheitsaktes für seine Qualität als allgemeiner Rechtssatz oder Einzelakt eine maßgebliche Bedeutimg zuerkannt wird. M i t wenigen Ausnahmen erblickt man das K r i t e r i u m der Unterscheidung allein oder unter anderem 2 darin, ob sich der Hoheitsakt an einen bestimmten Adressaten bzw. bestimmten oder bestimmbaren Adressatenkreis wendet oder ob er an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet ist; nach der Lehre W. Jellineks und Jacobis soll es ausschließlich darauf ankommen, ob die Adressaten des Befehls i n begrifflich-allgemeiner Weise bezeichnet sind, ob sie also m i t begrifflicher Notwendigkeit getroffen werden. Wie die Darstellung der verschiedenen Meinungen gleichfalls deutlich gemacht hat, ist trotz der fast durchweg anerkannten großen Bedeutung der Adressierung des Hoheitsaktes der hiermit zusammenhängende Fragenkreis noch nicht hinreichend geklärt. Er bedarf deshalb einer genaueren Untersuchung. Dabei ist zunächst der Begriff des Adressaten zu definieren, damit für die weiteren Überlegungen eine sichere und klare Grundlage gewonnen wird. Alsdann w i r d zu prüfen sein, ob die begriffliche Allgemeinheit der Adressaten tatsächlich als das allein ausschlaggebende K r i t e r i u m unserer Unterscheidung angesehen werden kann; wäre es möglich, insoweit der von W. Jellinek entwickelten Lehre zu folgen, so wäre unser Problem bereits i m wesentlichen gelöst. I m Anschluß daran w i r d schließlich geklärt werden müssen, welcher Inhalt den Begriffen der zahlenmäßigen Bestimmtheit, Bestimmbarkeit und Unbestimmtheit des Adressatenkreises zukommt. 1 Die Untersuchung beschränkt sich zunächst auf den befehlenden Hoheitsa k t ; vgl. oben § 2 a. E. 2 Neben dem „Adressaten" w i r d vor allem der „ F a l l " als f ü r die U n t e r scheidung maßgebliches Moment angesehen; vgl. dazu unten §§9—11. Wegen der übrigen Momente s. u. § 15.

48

2. Teil: Rechtstheoretische Grundlagen / Kap. 1

§ 6.

Der Begriff

des

Adressaten

A. Die Problemstellung Der Begriff des Adressaten erscheint auf den ersten Blick nicht sonderlich problematisch. Der Adressat eines Befehls, so läßt sich sagen, ist diejenige Person, die zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichtet wird 3 . N u n ist aber von Hans J. Wolff 4 zutreffend darauf hingewiesen worden, daß m i t der Aussage, es bestehe eine Pflicht, etwas sehr Verschiedenes gemeint sein kann. Es kann dies nämlich einmal heißen, daß jemand verpflichtet ist, wenn er einen gesetzlichen Tatbestand 5 erfüllt haben wird; zum anderen aber auch, daß er verpflichtet ist, weil er einen gesetzlichen Tatbestand bereits erfüllt hat 6. I m ersten Falle kann m i t Wolff von einer abstrakten, i m zweiten Falle von einer konkreten Verpflichtung gesprochen werden 7 . Damit ergibt sich die Frage, ob nur die Träger einer konkreten Verpflichtung als Adressaten des Hoheitsaktes anzusehen sind oder aber auch diejenigen, deren Verpflichtung nur erst abstrakt besteht. Ob also z.B. Adressaten einer Hundesteuerordnung nur die jeweiligen Hundehalter sind oder aber alle Personen, die sich i n Zukunft theoretisch irgendwann einmal einen Hund anschaffen können — praktisch also alle Rechtsgenossen. 3 M i t der Annahme, daß durch die Rechtssätze u n d sonstigen Hoheitsakte (auch) die P r i v a t - bzw. Zivilpersonen verpflichtet werden, folgt die Untersuchung der herrschenden Lehre (vgl. vornehmlich Enneccerus-Nipperdey: Allgemeiner Teil, S. 118, A n m . 10; Esser: Einführung, S. 142 f.; Larenz: Methodenlehre, S. 156, A n m . 1; Hans J. Wolff : Verwaltungsrecht I § 40 unter Ablehnung der vor allem von Binder (Der Adressat der Rechtsnorm u n d seine Verpflichtung, Leipzig 1927) vertretenen Auffassung, wonach durch die Rechtsnormen lediglich die Richter und sonstigen rechtsanwendenden Staatsorgane verpflichtet werden. Siehe hierzu auch die Formulierung i n § 24 p r P V G u n d den entsprechenden Bestimmungen der neueren Polizeigesetze. 4 Hans J. Wolff : Verwaltungsrecht I , S. 182. 5 Z u r Problematik dieses Begriffs siehe unten § 10 Β A A . 6 A l s Beispiel diene eine Hundesteuerordnung: A ist zur Zahlung von Hundesteuer verpflichtet, wenn er sich i n Z u k u n f t einen H u n d anschafft; Β ist zur Entrichtung dieser Steuer verpflichtet, weil er bereits gegenwärtig einen H u n d besitzt. Die Verpflichtung des A ist gewissermaßen aufschiebend bedingt, von i h m k a n n gegenwärtig noch nichts verlangt werden, sondern erst u n d n u r dann, w e n n er die Bedingung (Anschaffung eines Hundes) herbeiführt. Die Verpflichtimg des Β ist hingegen v o l l wirksam, er muß als Hundehalter die Steuer jetzt entrichten. 7 Die Abstraktheit oder Konkretheit der Verpflichtung darf freilich nicht verwechselt werden m i t dem abstrakten oder konkreten Charakter des H o heitsaktes selbst. Dieser hängt davon ab, ob er die Regelung einer unbestimmten oder die einer bestimmten Z a h l v o n Fällen bzw. eines einzelnen Falles zum I n h a l t hat. Auch ein abstrakter Hoheitsakt k a n n daher konkrete (unbedingte, kategorische) Verpflichtungen begründen (so z . B . das allgemeine Tötungsverbot). S. hierzu des näheren unten § 10 Β Α Α.

§ 6. Der Begriff des Adressaten

49

B. Die maßgeblichen Gesichtspunkte Diese — i n der Wissenschaft bisher nicht behandelte 8 — Frage ist einer verbindlichen Entscheidung offenbar nicht zugänglich. Ihre Beantwortung ist theoretisch nicht zwingend vorgegeben, sondern hängt weitgehend von Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit ab. Für Zweckmäßigkeitserwägungen ist aber i m Rahmen dieser rechtstheoretischen Überlegungen nur sehr wenig Raum. Immerhin läßt sich folgendes sagen: I. Es gibt gewisse Vorschriften, deren Tatbestand normalerweise von jedem Rechtsgenossen wiederholt verwirklicht wird. So z.B. ein Gesetz über die polizeiliche Anmeldung, wonach sich alle Rechtsgenossen bei einem mehr als dreitägigen Aufenthalt an einem fremden Ort bei der zuständigen Behörde anzumelden haben, oder die sämtliche Verkehrsteilnehmer betreffenden Vorschriften der StVO. Hier liegt es nahe anzunehmen, daß diese Vorschriften auch an die nur erst abstrakt Verpflichteten „gerichtet" sind, damit diese von vornherein wissen, wie sie sich i m Falle der Tatbestandsverwirklichung (also ζ. B. bei der Teilnahme am Straßenverkehr) zu verhalten haben. Daraus könnte vielleicht gefolgert werden, daß alle diejenigen, die den Tatbestand der Anordnung überhaupt verwirklichen können (also alle abstrakt Verpflichteten), bereits als Adressaten des Befehls angesehen werden müssen. Dieser Schluß ist indessen nicht schlechthin zwingend. I m übrigen könnte er wohl allenfalls für Anordnungen der eben genannten A r t gezogen werden, nicht aber ganz allgemein. Denn eine große Zahl der eine abstrakte Verpflichtung begründenden Anordnungen weist Tatbestände auf, die zwar theoretisch von allen Rechtsgenossen verwirklicht werden können, praktisch jedoch nur von ganz wenigen tatsächlich erfüllt werden 9 . Insoweit braucht die Gesamtheit der Rechtsgenossen also auch nicht von vornherein über die Rechtsfolgen einer eventuellen Tatbestandsverwirklichung unterrichtet zu sein. Sollte ζ. B. jeder (deutsche) Rechtsgenosse „Adressat" der Bestimmungen über die Buchführungspflicht der Handelsmäkler 10 , des Berufs- und Gewerbeverbots für 8 Bierling: Prinzipienlehre, S. 76 bezeichnet als Adressaten „diejenigen, an welche sie (d. s die Gebote u n d Verbote) formell sich richten". Ähnlich Somló: Grundlehre, S. 501: „Der Adressat oder die Adressaten einer Rechtsnorm sind diejenigen Untergebenen, an die sich die betreffende Rechtsnorm wendet." Dem ist für die oben gestellte Frage nichts abzugewinnen. 9 Vgl. etwa außer den i m folgenden Text genannten Beispielen die Bestimmungen über das Wettbewerbs verbot der Handlungsgehilfen (§ 60 HGB), über die Protokollunterzeichnungspflicht des Urkundsbeamten i m gerichtlichen Verfahren (§§ 163 ZPO, 271 StPO), über die Haftung des Halters von Luftfahrzeugen (§§ 19 ff. LuftVG), über die Haftung der Vorstandsmitglieder einer A G (§84 A k t G ) oder über die Vervielfältigungspflicht eines Verlegers (§ 14 VerlagsG). Diese wahllos herausgegriffenen Beispiele ließen sich beliebig vermehren. 10 Vgl. § 100 HGB. 4

Volkmar

2. Teil: Rechtstheoretische Grundlagen / Kap. 1

50

Bundeskanzler und Bundesminister 11 oder irgendwelcher Ladenschlußvorschriften i n Hintertupfingen sein — nur deshalb, w e i l er rein theoretisch den Tatbestand dieser Bestimmungen zu verwirklichen vermag 1 2 und deshalb bereits gegenwärtig den jeweiligen abstrakten Verpflichtungen unterliegt? Eine solche Annahme, die jeden einzelnen Rechtsgenossen zum Adressaten einer ungeheuren Vielzahl von Bestimmungen machen würde, die für i h n nie i m Leben Bedeutung gewinnen, erscheint bei unbefangener Betrachtung überspitzt und verfehlt. II. Die weitere oder engere Fassung des Adressatenbegriffs hat aber i n gewissem Umfange auch praktische Bedeutung. Dies nämlich dann, wenn der Hoheitsakt einen i n sich abgeschlossenen, nicht vermehrbaren Personenkreis betrifft, dessen Angehörige jedoch nicht schlechthin, sondern nur für den Fall der zukünftigen Verwirklichimg eines bestimmten Tatbestandes zu einem T u n oder Unterlassen (konkret) verpflichtet. So ζ. B. ein Gesetz, das allen ehemaligen Angehörigen der NSDAP, die sich (in Zukunft) gewisser politischer Straftaten schuldig machen, nach Verbüßung der Strafe gewisse Freizügigkeitsbeschränkungen auferlegt bzw. androht. Ob ein solches Gesetz an einen bestimmten 13 oder an einen unbestimmten 1 8 Adressatenkreis gerichtet ist — was für seine „Allgemeinheit" und damit für seinen Rechtscharakter von erheblicher Bedeutung sein kann —, hängt davon ab, ob man den weiteren oder den engeren Adressatenbegriff zugrunde legt: Die Zahl der nur abstrakt Verpflichteten, also derjenigen, die den Tatbestand der Bestimmung theoretisch überhaupt verwirklichen können, ist bestimmt, da die Zahl der ehemaligen NSDAP-Angehörigen nicht vermehrbar ist, sondern unveränderlich feststeht; die Zahl der konkret Verpflichteten hingegen, also derjenigen, die nach Verbüßung der bezeichneten Strafe dem Reiseverbot usw. effektiv unterliegen, ist unbestimmt, w e i l bei Erlaß des Gesetzes gänzlich ungewiß ist, wie viele ehemalige Parteimitglieder die genannten Straftaten begehen und zur Verurteilung gelangen werden. Es handelt sich hier also u m einen Grenzfall zwischen einem eindeutig (d. h. nach beiden Begriffen) unbestimmten 1 4 und einem eindeutig bestimmten 15 Adressatenkreis. Wesensmäßig steht er jedoch dem ersten erheblich näher. Denn ebenso wie bei diesem w i r d auch hier der11

Vgl. A r t . 66 GG. Nämlich Handelsmäkler oder Bundesminister werden oder i n H i n t e r t u p fingen ein Einzelhandelsgeschäft eröffnen kann. 13 Vgl. zu diesen Begriffen des näheren unten § 8 A u. B. 14 So z.B.: „Jeder, der wegen einer politischen Straftat verurteilt w i r d , darf keine Reisen unternehmen usw.". Hier sind sowohl die konkret als auch die abstrakt Verpflichteten unbestimmt. 15 So z.B.: „ A l l e ehemaligen N S D A P - M i t g l i e d e r dürfen keine Reisen u n ternehmen usw.". H i e r gibt es n u r konkret Verpflichtete, u n d diese sind zahlenmäßig bestimmt. 12

§ 6. Der Begriff des Adressaten

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j e n i g e e f f e k t i v v e r p f l i c h t e t , i n dessen P e r s o n d e r T a t b e s t a n d v e r w i r k l i c h t w i r d ; geschieht das n i c h t , so w e r d e n die b e t r e f f e n d e n Hechtsgenossen i n i h r e r R e c h t s s t e l l u n g e b e n s o w e n i g b e r ü h r t w i e a l l e a n d e r e n m i t einer n u r a b s t r a k t e n V e r p f l i c h t u n g Belasteten. D e m g e g e n ü b e r b e s i t z t d e r U m stand, daß d e r K r e i s d e r a b s t r a k t V e r p f l i c h t e t e n h i e r i n sich abgeschlossen u n d d a m i t b e s t i m m t ist, w e i t a u s g e r i n g e r e B e d e u t u n g , d a das r e c h t l i c h W e s e n t l i c h e b e i m (eindeutig) b e s t i m m t e n A d r e s s a t e n k r e i s ger a d e d a r i n besteht, daß er T r ä g e r e i n e r konkreten V e r p f l i c h t u n g ist, d i e ses M o m e n t h i e r aber f e h l t . Es d ü r f t e d a h e r d e m W e s e n e i n e r A n o r d n u n g d e r g e n a n n t e n A r t a m ehesten gerecht w e r d e n , sie als a n e i n e n unbestimmten A d r e s s a t e n k r e i s g e r i c h t e t anzusehen 1 ®. D a s aber ist n u r m ö g lich, w e n n m a n d e n engeren A d r e s s a t e n b e g r i f f z u g r u n d e legt, so daß sich dieser h i e r als z w e c k m ä ß i g e r e r w e i s t .

C. Ergebnis W ä g t m a n n u n die f ü r d e n w e i t e r e n u n d die f ü r d e n e n g e r e n A d r e s s a t e n b e g r i f f a n g e f ü h r t e n G r ü n d e g e g e n e i n a n d e r ab, so i s t festzustellen, daß z w a r w e d e r d i e e i n e n n o c h d i e a n d e r e n s c h l e c h t h i n durchschlagend sind, daß aber doch d e n z u l e t z t g e n a n n t e n das größere G e w i c h t z u k o m m t . Es erscheint d a h e r g e r e c h t f e r t i g t u n d geboten, d e m e n g e r e n A d r e s s a t e n b e g r i f f — j e d e n f a l l s i m rechtstheoretischen B e r e i c h 1 7 — d e n V o r z u g zu geben18. 18

Vgl. zur vorstehend erörterten Problematik auch unten § 8 Β I I . Die Möglichkeit, daß i m H i n b l i c k auf bestimmte Vorschriften des posit i v e n Rechts (vornehmlich solchen über den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz) spezielle Zweckmäßigkeitserwägungen eine Erweiterung dieses Begriffs erforderlich machen können, bleibt damit offen. Sie könnte vor allem dann akut werden, w e n n ein Befehl der zuletzt behandelten A r t (zahlenmäßige Unbestimmtheit der konkret Verpflichteten bei Bestimmtheit der abstrakt Verpflichteten) einen praktisch notwendigerweise zu verwirklichenden Tatbestand aufstellt u n d damit so erheblich i n die Rechtsstellung auch der n u r abstrakt Verpflichteten eingreift, daß es geboten erscheint, i h n als solchen der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung zu unterstellen. So etwa eine Anordnimg, daß alle gegenwärtig an der Universität Münster i m m a t r i k u l i e r ten Medizinstudenten, die i m Jahre 1959 i h r Staatsexamen ablegen, anschließend f ü r sechs Monate einen unentgeltlichen Hilfsdienst i n den K l i n i k e n abzuleisten haben. H i e r könnte vielleicht aus Rechtsschutzerwägungen ein bestimmter Adressatenkreis u n d damit i m Ergebnis eine Allgemeinverfügung angenommen werden, da die bezeichneten Studenten bereits v o r der Ablegung des Examens i n ihrer Rechtsstellung ganz erheblich beeinträchtigt werden. — I n aller Regel u n d i m Zweifel w i r d aber auch i m positiven Recht v o m engeren Adressatenbegriff auszugehen sein. 17

18 So i m Ergebnis w o h l auch Hans J. Wolff, der, a. a. O., § 40 unter I I a 2 als (im eigentlichen Sinne) „verpflichtetes" Rechtssubjekt offenbar n u r das konlaret verpflichtete Subjekt ansieht. Auch die Bemerkung Brohms, das E r fordernis der Geltung f ü r eine unbestimmte Vielzahl v o n Personen bedeute nicht, daß der Kreis der Betroffenen unbegrenzt sein müsse (Bauplanungsrecht, S. 45), hat offenbar den engeren Adressatenbegriff zur Voraussetzung.



2. Teil: Rechtstheoretische Grundlagen / Kap. 1

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Der für die weitere Untersuchung zugrunde zu legende Begriff des Adressaten kann damit nunmehr abschließend wie folgt definiert werden: Adressat eines befehlenden Hoheitsaktes ist diejenige (natürliche oder juristische) Person, die zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen konkret verpflichtet wird. § 7.

Die b e g r i f f l i c h e A l l g e m e i n h e i t der Adressaten als K r i t e r i u m des a l l g e m e i n e n R e c h t s s a t z e s

Die oben i n § 5 gegebene Übersicht über die verschiedenen Allgemeinheits-Theorien hat gezeigt, daß einige Autoren die Allgemeinheit eines Hoheitsaktes allein nach seiner Adressierung beurteilen. Nach der von Jacobi übernommenen Lehre W. Jellineks soll das ausschließliche K r i t e r i u m der Unterscheidung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt i n der „begrifflichen Allgemeinheit der betroffenen Personen" bestehen; immer dann soll ein (allgemeiner) Rechtssatz vorliegen, wenn eine Mehrheit von Personen „ m i t begrifflicher Notwendigkeit getroffen w i r d " 1 9 . Es erscheint daher angebracht, hier bei der Erörterung des m i t der Adressierung des Befehls zusammenhängenden Fragenkreises zu dieser Lehre geschlossen Stellung zu nehmen, obwohl die Aufgabe, die w i r uns für die rechtstheoretische Untersuchung gestellt haben, vorwiegend i n einer Klärung der grundlegenden Begriffe besteht 20 . I m folgenden soll deshalb geprüft werden, ob die Lehre W. Jellineks, die i n sich keiner weiteren Verdeutlichung mehr bedarf, bereits als abschließende Lösung des Problems angesehen werden kann und damit jede weitere Untersuchung entbehrlich macht. A. Die Bedenken gegen die von Jellinek angewandte Methode Zunächst erscheint es erforderlich, kurz auf die von Jellinek angewandte Methode einzugehen. Wie oben dargelegt wurde, geht Jellinek i n der Weise vor, daß er fragt, ob i n einer Reihe von nach bestimmten Gesichtspunkten ausgewählten Beispielen noch oder schon von einem allgemeinen Rechtssatz gesprochen werden könne. Z u dieser Frage nimmt er jeweils Stellung, sei es i n verneinendem oder bejahendem Sinne. Als Ergebnis gelangt er dann zu seiner oben angeführten Formel. Eine Begründung für seine einzelnen Antworten läßt Jellinek durchweg vermissen; wenigstens sagt er — von einigen Appellen an das Rechtsgefühl abgesehen — nicht ausdrücklich, weshalb er jeweils das 19 20

Vgl. oben § 5 A I a. E. Vgl. oben § 2.

§ 7. Allgemeinheit der Adressaten als K r i t e r i u m des Rechtssatzes

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Vorliegen eines allgemeinen Rechtssatzes bejaht oder verneint. Tatsächlich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Jellinek die Einzelbeispiele, deren Untersuchung das K r i t e r i u m des allgemeinen Rechtssatzes erst ermitteln soll, bereits stillschweigend an dem scheinbar erst aus dieser Untersuchung gewonnenen Ergebnis mißt, sich letztlich also einer petitio principii schuldig macht. Dies dürfte eine notwendige Konsequenz der angewandten Methode sein. Denn wie sollte sich der allgemeine Charakter einer insoweit problematischen Maßnahme anders ermitteln lassen als dadurch, daß man sie unter einen Obersatz subsumiert und damit eben an dem Begriff des allgemeinen Rechtssatzes mißt? Dieser Obersatz aber läßt sich nicht i n der Weise gewinnen, daß man beispielhaft von solchen Hoheitsakten ausgeht, deren allgemeiner Charakter gerade zweifelhaft ist. Das kann vielmehr nur dadurch geschehen, daß man eine Reihe von möglichst typischen allgemeinen Rechtssätzen und eine Reihe von möglichst typischen Einzelakten darauf untersucht, wodurch sie sich i n spezifischer Weise unterscheiden. Nur ein solches Verfahren bietet die Gewähr dafür, daß die rechtlich wirklich erheblichen Unterschiede erkannt und damit die besonderen Merkmale der einen und der anderen Kategorie als K r i t e r i u m erfaßt werden können. Erst dann hat es Sinn, an die Untersuchung solcher Hoheitsakte heranzugehen, deren Allgemeinheit zweifelhaft ist, und sie anhand der ermittelten Kriterien der einen oder anderen Kategorie zuzuweisen. Der hinsichtlich seiner Allgemeinheit problematische Hoheitsakt kann deshalb allenfalls dazu dienen, einen bereits gewonnenen Allgemeinheits-Begriff auf seine praktische Brauchbarkeit zu erproben. Für die Entwicklung dieses Begriffs selbst aber muß er außer Betracht bleiben, wenn nicht ein unscharfes oder gar falsches Ergebnis erzielt und ein rechtlich nicht erhebliches Moment als Unterscheidungskriterium ausgewiesen werden soll. N u r dann, wenn ein problematischer Hoheitsakt unter einen bereits fertigen Obersatz subsumiert werden kann, vermag auch seine Qualifizierung als allgemeiner Rechtssatz oder als Einzelakt zu überzeugen — nicht aber, wenn sie letzlich allein auf dem subjektiven Rechtsgefühl beruht; tatsächlich läßt sich denn auch eine Reihe der von Jellinek angeführten Beispiele vom Rechtsgefühl her genau entgegengesetzt beurteilen 2 1 und damit die Richtigkeit der These als solcher i n Frage stellen. 21 Das gilt vornehmlich f ü r einige der, a. a. O., S. 146/47 angeführten Beispiele. So ließe sich ein Gesetz, das eine einmalige Steuer auferlegt, durchaus als Einzelakt ansehen; ebenso das Verbot öffentlicher Aufführungen am Tage der Beisetzung des eben verstorbenen Fürsten. Auch die örtliche Beschränkung des Befehls könnte als ein einen Einzelakt konstituierendes M o ment angesprochen werden. Schließlich w i r d auch die Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Fällen als wesentliche Eigenschaft des a l l gemeinen Rechtssatzes erachtet (vgl. oben § 5 D), so daß das Lustbarkeitsverbot für den Todesfall n u r des augenblicklich regierenden Herrschers durchaus auch als Einzelakt qualifiziert werden könnte.

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2. T e i l : Rechtstheoretische Grundlagen / Kap. 1

Die von Jellinek angewandte Methode vermag demnach nicht zu befriedigen und erweckt Bedenken gegen die Richtigkeit seines Ergebnisses. B. Die Bedenken gegen das von Jellinek gefundene Ergebnis I. Betrachtet man nun das K r i t e r i u m selbst, das nach Jellinek den allgemeinen Rechtssatz vom Einzelakt unterscheidet, so fällt auf, daß es i m Gegensatz zu den von den anderen Lehren aufgestellten Merkmalen weitgehend formaler Natur ist. a) Die „begriffliche Allgemeinheit" der von einem Befehl betroffenen Personen, die „begriffliche Notwendigkeit", m i t der sie getroffen werden, hängt nämlich davon ab, wie die Adressaten des Befehls bezeichnet werden: ob namentlich als A und Β und C oder als Träger des ihnen allen gemeinsamen Gattungsmerkmals m. I m ersten Falle liegt nach Jellinek ein Einzelakt vor, i m zweiten hingegen ein allgemeiner Rechtssatz. Die A r t der Bezeichnung steht nun aber i n nicht unerheblichem Umfange i m Belieben des den Befehl erlassenden Subjekts. Das gilt zwar nicht für solche Befehle, die pro futuro eine Regelung für eine unbestimmte Anzahl von Personen treffen wie z.B. das Gesetz über die polizeiliche Anmeldung. Hier ist es nicht nur rein praktisch, sondern auch logisch unmöglich, die Adressaten einzeln aufzuführen, weil ihr Kreis ja völlig offen und laufenden Veränderungen unterworfen ist; der einzige Weg, eine unbestimmte Anzahl von Adressaten zu erfassen, ist deshalb ihre gattungsmäßige Bezeichnung. Anders aber ist es bei denjenigen Befehlen, die sich an einen unveränderlich feststehenden Personenkreis richten. Hier sind stets logisch und sehr häufig auch praktisch durchaus beide Möglichkeiten gegeben: Der Hoheitsträger kann die Adressaten nach einem Gattungsmerkmal benennen, er kann sie aber auch namentlich aufführen. Er hat es also insoweit i n der Hand, durch die Wahl der Bezeichnung seinem Befehl den Charakter eines allgemeinen Rechtssatzes oder den eines Einzelaktes zu verleihen 22 . Insoweit trägt das K r i t e r i u m der begrifflichen Allgemeinheit der Adressaten einen formalen Charakter. b) Ein i n diesem Sinne formales Moment kann nun aber nicht als das entscheidende Merkmal des allgemeinen Rechtssatzes anerkannt werden. Der Gegensatz zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt ist viel22 So könnte ζ. B. ein Befehl, der den Hauseigentümern an einer bestimmten Straße die Beseitigung des i n der letzten Nacht vor ihren Häusern gefallenen Schnees aufgibt, als allgemeiner Rechtssatz u n d als Einzelakt erlassen werden, je nachdem, ob die Eigentümer als solche oder namentlich angesprochen werden.

§ 7. Allgemeinheit der Adressaten als K r i t e r i u m des Rechtssatzes

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mehr seinem Wesen nach ein materieller 2 3 . Das bedeutet, daß eine allgemeine Normierung sich ausschließlich durch ihren Inhalt von einer Einzelanordnung unterscheidet 24 und daß demgemäß ein und dieselbe Regelung als solche stets nur entweder allgemeiner Rechtssatz oder Einzelakt sein kann — nie aber sowohl das eine als auch das andere, je nachdem, ob die Adressaten namentlich genannt oder begrifflich-gattungsmäßig bezeichnet werden. Ob ein Hoheitsakt allgemein oder nicht allgemein ist und welcher Rechtscharakter i h m damit zukommt, kann niemals von dem i h n erlassenden Hoheitsträger selbst bestimmt werden, sondern hängt ausschließlich von seinem Inhalt ab. N u r unter dieser Voraussetzung hat es überhaupt einen Sinn, wenn das positive Recht zwischen diesen beiden Arten hoheitlicher Willensäußerungen unterscheidet und sie nach Voraussetzung und Rechtsfolge verschieden behandelt. Ist ζ. B. vorgeschrieben, daß eine bestimmte Regelung nur durch ein allgemeines Gesetz oder auf Grund eines solchen Gesetzes erfolgen darf, dann kommt dieser Vorschrift nur dann ein vernünftiger Sinn zu, wenn das allgemeine Gesetz nicht nur i n der Form, sondern auch sachlich, seinem Inhalt nach etwas anderes ist als ein nicht allgemeines Gesetz 25 . Könnte ein Hoheitsträger einen an sich unzulässigen Einzelakt dadurch wirksam vornehmen, daß er i h n i n die sprachliche Form einer „allgemeinen" Regelung kleidet 2 6 , so hätte die verschiedene Behandlung, die das positive Recht dem allgemeinen Rechtssatz und dem Einzelakt zuteil werden läßt, weithin keinerlei praktischen Wert 2 7 . 23 Ebenso vornehmlich Hildegard Krüger: DVB1.1955, 792 u n d jetzt auch Brohm: Bauplanungsrecht, S. 34 f., jeweils m i t weiteren Nachweisen, offenbar auch v. Mangoldt-Klein: Grundgesetz A r t . 19 A n m . I I I 2 c; w e n n Forsthoff (Maßnahme-Gesetze, S. 222) davon spricht, daß A r t . 1911 G G die „ F o r m a l s t r u k t u r " des grundrechtseinschränkenden Gesetzes bestimme, so w i l l er dam i t nichts anderes sagen, da er, a. a. O. S. 223, ausdrücklich betont, daß die sprachliche Einkleidung f ü r den Charakter des Gesetzes nicht entscheidend sei. 24 Gewiß w i r d sie auch i n einer anderen F o r m verkündet als jene — aber eben gerade als Folge dessen, daß beide etwas inhaltlich Verschiedenes sind! 25 Vgl. A r t . 1 9 1 1 GG, etwa i. Vb. m. A r t . 2 I I GG. So wäre ζ. B. ein v o n der herrschenden Partei i m Parlament durchgebrachtes Gesetz, das (nur) eine Reihe von Oppositionspolitikern i n ihrer persönlichen Freiheit beschränkt, sie jedoch nicht namentlich, sondern gattungsmäßig bezeichnet, nach Jellinek a l l gemein u n d damit verfassungsmäßig — obwohl k e i n Zweifel daran bestehen kann, daß A r t . 1 9 1 1 nach seinem Sinn u n d Zweck derartige gegen n u r wenige Personen gerichtete Gesetze ohne Rücksicht auf ihre F o r m u l i e r i m g unmöglich machen w i l l . Was könnte die Verfassimg w o h l auch veranlassen, hier lediglich auf eine gattungsmäßige Bezeichnung der Adressaten bedacht zu sein? — Siehe zu diesem Problemkreis vor allem Carl Schmitt: Verfassungslehre, S. 151 ff., dessen Forderung nach dem „generellen" Gesetz auf der Voraussetzung basiert, daß dieses nicht n u r i n der Form, sondern gerade i n der Sache etwas anderes ist als der Einzelakt. 26 Siehe das i n der vorigen A n m e r k u n g genannte Beispiel. 27 U m dieses unhaltbare Ergebnis zu vermeiden, sieht sich Jellinek gezwungen, seine Abgrenzungstheorie durch eine komplizierte, einer einheit-

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2. Teil: Rechtstheoretische Grundlagen / Kap. 1

Eine auf ein auch nur partiell formales K r i t e r i u m abstellende Grenzziehung w i r d demnach den zwischen allgemeinen und nicht allgemeinen Anordnungen bestehenden rechtserheblichen Verschiedenheiten und dam i t auch dem Zweck und Wesen ihrer juristischen Unterscheidung nicht gerecht. Der von W. Jellinek und Jacobi vorgetragenen Lehre kann deshalb schon aus grundsätzlichen rechtstheoretischen Überlegungen nicht gefolgt werden 28 . II. Hinzu kommt aber noch ein Weiteres. Die Lehre Jellineks, die bereits i m Jahre 1913 entwickelt wurde, ist — wohl nicht zuletzt aus den vorstehend dargelegten Gründen — bisher weder vom Reichs- bzw. Bundes· noch von irgendeinem Landesgesetzgeber übernommen worden 2 9 . Dieser Umstand darf einmal wohl als Indiz gegen die Richtigkeit dieser Lehre gewertet werden. Er ist aber vor allem auch noch i n anderer Hinsicht von Bedeutung. Das Problem der Abgrenzung von allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt ist zwar i n erster Linie rechtstheoretischer A r t und deshalb unabhängig von den Einzelheiten einer bestimmten Rechtsordnung 30 . Es wurde nun aber schon oben 31 darauf hingewiesen, daß die Aufgabe dieser Untersuchung i n erster Linie darin besteht, die sich aus dem jetzt geltenden Recht ergebenden Abgrenzungsprobleme einer Lösung näherzubringen. Unsere rechtstheoretischen Überlegungen sind also nicht reiner Selbstzweck, sondern sollen eine sichere Grundlage schaffen, von der aus an die Erörterung der positivrechtlichen Problematik herangegangen werden kann. Sie müssen daher wenigstens i m Ansatz am positiven Recht orientiert sein, d.h. auf diejenigen Momente abstellen, anhand deren das positive Recht die Abgrenzung vornimmt. Diese aber bestehen nicht i n der namentlichen oder gattungsmäßigen Bezeichnung der Adressaten, sondern i n der zahlenmäßigen Bestimmtheit oder Unbestimmtheit der Adressaten wie der geregelten Fälle 3 2 . Eine Lehrlichen Konzeption w i e einer tragenden Begründung entbehrenden Lehre zum „Problem der verschleierten Verordnung u n d Verfügung" zu ergänzen; vgl. Gesetz, S. 266/67 u. 356/58. 28 Ä h n l i c h w i e hier jetzt auch Neumann: Wirtschaftslenkende Verwaltung, S. 50. 29 Die einschlägigen Legaldefinitionen stellen vielmehr ausschließlich auf die bestimmte oder unbestimmte Z a h l der betroffenen Personen und/oder der geregelten Fälle ab; vgl. oben § 2 A n m . 14. 30 Vgl. oben S. 15. Es ist deshalb durchaus denkbar, daß das positive Recht eines Staates die Unterscheidung an ein Moment anknüpft, das bei rechtstheoretischer Betrachtung nicht ausschlaggebend ist, wie ζ. B. die Geltungsdauer eines Hoheitsaktes (vgl. die diesbezüglichen Hinweise auf das französische Recht bei Thoma: Polizeibefehl, S. 234—239). Eine solche positivrechtliche Grenzziehung vermag an sich die rechtstheoretische Lösung des Problems nicht zu beeinflussen. 31 Vgl. oben § 1 u n d § 2. 32 Vgl. die oben § 2 A n m . 14 genannten einschlägigen Bestimmungen.

§ 8. Bestimmtheit, Bestimmbarkeit, Unbestimmtheit der Adressaten

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meinung, die diese Momente von vornherein unberücksichtigt läßt, vermag die dogmatische Durchdringung der einschlägigen Bestimmungen des geltenden Rechts nicht zu fördern und ist deshalb auch für unsere Problemstellung unergiebig. Die von W. Jellinek und Jacobi vertretene Auffassung könnte hier somit selbst dann nicht als Lösung unseres Problems angesehen werden, wenn sie i n sich rechtstheoretisch haltbar wäre. §8. D i e z a h l e n m ä ß i g e B e s t i m m t h e i t , B e s t i m m b a r k e i t oder U n b e s t i m m t h e i t der A d r e s s a t e n Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß die Bezeichnung der Adressaten für die Abgrenzung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt ohne Belang ist. Damit muß sich die Untersuchung nunmehr dem anderen Gesichtspunkt zuwenden, unter dem die Adressierung eines Befehls als erheblich angesehen wird. Dies ist die zahlenmäßige Bestimmtheit, Bestimmbarkeit oder Unbestimmtheit der von dem Befehl betroffenen Personen. Nach der oben 33 gegebenen Meinungsübersicht hängt die Qualität eines Hoheitsaktes als allgemeiner Rechtssatz oder Einzelakt nach herrschender Auffassung allein oder unter anderrem 3 4 davon ab, ob er sich an einen bestimmten Adressaten bzw. einen zahlenmäßig bestimmten oder bestimmbaren Adressatenkreis wendet oder ob er an eine unbestimmte Zahl von Personen gerichtet ist. Diese Begriffe der zahlenmäßigen Bestimmtheit, Bestimmbarkeit und Unbestimmtheit sollen i m folgenden auf ihren Inhalt überprüft und — soweit erforderlich — näher präzisiert werden 35 . A. Der Begriff

der zahlenmäßigen

Unbestimmtheit

Die geringsten Schwierigkeiten scheint der Begriff der zahlenmäßigen Unbestimmtheit zu bereiten 36 . Zahlenmäßig unbestimmt, so läßt sich ganz sicherlich sagen, ist ein Adressatenkreis dann, wenn die Zahl der von der Verpflichtung konkret betroffenen Personen nicht feststeht, sondern ungewiß ist. Insoweit können keine Zweifel bestehen. 33

Vgl. § 5 Β u n d E. Vgl. oben vor § 6 A n m . 2. 35 Die folgenden Ausführungen gelten übrigens entsprechend auch für die zahlenmäßige Bestimmtheit, Bestimmbarkeit u n d Unbestimmtheit der geregelten Fälle; vgl. dazu des näheren unten §§ 9—11. 36 M i t diesem Begriff zu beginnen, empfiehlt sich auch aus folgendem Grund: I n Wissenschaft und Rechtsprechung w i r d neben der zahlenmäßigen Bestimmtheit u n d Unbestimmtheit vielfach auch die Bestimmbarkeit genannt. Die juristische Berechtigung u n d der mögliche I n h a l t dieses letzten Begriffs stehen offensichtlich i n engem Zusammenhang m i t dem I n h a l t des Begriffs der Bestimmtheit, u n d dieser läßt sich wiederum am einfachsten v o m Gegenbegriff der Unbestimmtheit aus fixieren. 34

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2. Teil: Rechtstheoretische Grundlagen / Kap. 1

I. Damit ist der Begriff der zahlenmäßigen Unbestimmtheit jedoch noch nicht hinlänglich definiert. Denn alsbald ergibt sich die Frage, wann es denn ungewiß ist, wieviel Personen von dem Befehl betroffen werden. Hier sind offenbar zwei Antworten möglich: Die Ungewißheit kann nämlich einmal als objektiv-logische verstanden werden i n dem Sinne, daß die Zahl der Adressaten bei Erlaß des Befehls 37 noch nicht objektiv eindeutig und unveränderlich feststeht, sondern sich dadurch, daß während der Geltungsdauer der Anordnung immer neue Personen von der Verpflichtung konkret erfaßt werden können, laufend ändern und deshalb schon aus logischen Gründen nicht fixiert werden kann (so ζ. B. beim polizeilichen Meldegesetz oder bei der Hundesteuerordnung). Die Ungewißheit kann aber auch als subjektiv-praktische definiert werden derart, daß die Zahl der betroffenen Personen für den den Befehl erlassenden 37 Hoheitsträger ungewiß ist; das aber ist nicht nur bei der eben genannten logischen Unbestimmtheit der Fall, sondern auch dann, wenn die (an sich objektiv feststehende) Zahl der Adressaten aus rein praktischen Gründen entweder überhaupt nicht oder nur unter außergewöhnlichen Mühen ermittelt werden könnte (so ζ. B. beim Lastenausgleichsgesetz). Nach der zuletzt genannten Definition ist damit auch ein solcher Adressatenkreis als unbestimmt anzusehen, der nach der zuerst genannten noch eindeutig bestimmt wäre; sie weitet also i m Verhältnis zu dieser den Bereich des unbestimmten Adressatenkreises erheblich aus 38 . II. Die Frage, ob der Begriff der zahlenmäßigen Unbestimmtheit der Adressaten i m einen oder i m anderen Sinne zu verstehen ist 8 9 , besitzt 37 Daß es ausschließlich auf den Zeitpunkt des Befehlserlasses u n d nicht etwa den seines Außerkrafttretens ankommt, folgt schon daraus, daß die Frage nach der zahlenmäßigen Bestimmtheit oder Unbestimmtheit des Adressatenkreises i m Hinblick auf den Rechtscharakter des Befehls als allgemeine oder nicht allgemeine A n o r d n i m g gestellt w i r d u n d deshalb schon bei seinem Erlaß entschieden werden muß. 38 Wäre die Unbestimmtheit i m subjektiv-praktischen Sinn zu verstehen, so könnte es sinnvoll sein, die objektiv-logische Unbestimmtheit als „ U n bestimmbarkeit" zu bezeichnen. Es ergäben sich dann also zwei nebeneinander stehende Begriffspaare: Unbestimmtheit-Bestimmtheit (Unterscheidungsebene: Kenntnis des Hoheitsträgers) u n d Unbestimmbarkeit-Bestimmbarkeit (Unterscheidungsebene: Möglichkeit der Erweiterung des Adressatenkreises nach Erlaß des Hoheitsaktes). Die beiden Begriffspaare w ü r d e n sich dergestalt überschneiden, daß die Unbestimmtheit die Unbestimmbarkeit u n d einen T e i l der Bestimmbarkeit, die Bestimmbarkeit die Bestimmtheit u n d einen T e i l der Unbestimmtheit umfassen würde. 30 Eine weitere Auslegungsmöglichkeit gibt es nicht. Insbesondere k a n n der hier i n Frage stehende zahlenmäßig unbestimmte Adressatenkreis nicht etwa als „begrifflich-gattungsmäßig bezeichneter Adressatenkreis" i m Sinne W. Jellineks angesehen werden, w e i l eine derartige Bezeichnung m i t der Zahl der Betroffenen, auf deren Bestimmt- oder Unbestimmtheit es hier allein ankommt, i n keinem notwendigen Zusammenhang steht. Vgl. zur gattungsmäßigen Bezeichnung der Adressaten i m übrigen unten C I V .

§ 8. Bestimmtheit, Bestimmbarkeit, Unbestimmtheit der Adressaten

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demnach eine weitreichende Bedeutung. Die Entscheidung muß i n erster Linie danach getroffen werden, welche von beiden Definitionen auf das juristisch Wesentliche abstellt; i m übrigen ist zu berücksichtigen, daß ein derart elementarer Begriff ein möglichst hohes Maß an Praktikabilität aufweisen muß. a) Die Unterscheidung zwischen einem zahlenmäßig bestimmten und einem zahlenmäßig unbestimmten Adressatenkreis ist nicht rein logischer, sondern juristischer Natur, da sie j a darauf abzielt, die unterschiedenen Sachverhalte — jedenfalls i n gewissem Umfange — einer verschiedenen rechtlichen Würdigung zu unterstellen. Das bedeutet, daß sie nicht willkürlich, d. h. nach einem beliebigen, wenn n u r logisch tauglichen K r i t e r i u m getroffen werden darf, sondern n u r nach einem solchen, das gerade die rechtlich erheblichen, d.h. die die unterschiedliche rechtliche Würdigung innerlich rechtfertigenden Verschiedenheiten erfaßt und zur Geltung bringt. Unter diesem Gesichtspunkt bestehen n u n gegen den weiteren, auf das Subjektiv-Praktische abstellenden Begriff der zahlenmäßigen Unbestimmtheit erhebliche Bedenken. Denn inwiefern soll es rechtlich etwas wesentlich Verschiedenes sein, ob dem die Anordnung erlassenden Hoheitsträger die (objektiv feststehende) Zahl der Adressaten bekannt bzw. wenigstens einer genauen Feststellung praktisch zugänglich ist oder nicht? A u f den Hoheitsträger übt diese seine Kenntnis oder Unkenntnis bei dem Erlaß des Befehls i n aller Regel keinerlei Einfluß aus 40 » 41 . Für den Betroffenen selbst und seine Rechtsstellung aber ist sie erst recht ohne die geringste Bedeutung. Der einzige Gesichtspunkt, unter dem i h r überhaupt rechtliches Gewicht zukommen könnte, wäre der, daß sie möglicherweise m i t der Größe der Zahl zusammenhängt; daß also dem Hoheitsträger die Zahl der (objektiv unveränderlich feststehenden) 40 Das Lastenausgleichsgesetz ζ. B. wäre m i t Sicherheit auch dann i n genau der gleichen Weise erlassen worden, w e n n die Z a h l der Abgabepflichtigen vorher durch umfangreiche Erhebungen genau festgestellt worden wäre. U n d umgekehrt wären die Entnazifizierungsbestimmungen m i t Sicherheit auch dann ergangen, w e n n den Besatzungsmächten die Z a h l der ehemaligen Parteiangehörigen — etwa infolge Kriegszerstörung der einschlägigen K a r teien — nicht bekannt geworden wäre. 41 I m Beschluß des B V f G v. 15.12.1959: B V f G E 10,234 ff. k l i n g t jetzt der Gedanke an, es bilde eine gewisse Gewähr gegen eine w i l l k ü r l i c h e Sonderregelung, w e n n sich f ü r den Gesetzgeber „wegen der abstrakten Fassung der gesetzlichen Tatbestände nicht genau übersehen läßt, auf wieviele u n d welche Fälle das Gesetz Anwendung findet" (S. 242; vgl. auch Zeidler, J Z 1960, 392 f.). Dieser an sich richtigen Erwägung k a n n hier deshalb keine Bedeutung zukommen, w e i l der Ausschluß w i l l k ü r l i c h e r Regelungen bereits durch den a l l gemeinen Gleichheitssatz garantiert w i r d u n d deshalb bei der Bestimmung der Begriffselemente des allgemeinen Rechtssatzes keine Beachtung verdient. Dies u m so weniger, als auch ein imbestimmt viele Fälle regelndes Gesetz gegen den Gleichheitssatz verstoßen u n d umgekehrt ein Einzelfallgesetz m i t diesem durchaus vereinbar sein k a n n ; s. dazu näher unten § 15 u n d §20 Β I I I c.

2. Teil: Rechtstheoretische Grundlagen / Kap. 1

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Adressaten vielleicht immer dann nicht bekannt ist bzw. bekannt sein kann, wenn es sich u m einen besonders großen Personenkreis handelt, und umgekehrt. Eine solche Annahme wäre indessen verfehlt, da ein derartiger innerer Zusammenhang zwischen der Größe eines Adressatenkreises und der Kenntnis des Hoheitsträgers von der Zahl der i h m zugehörenden Personen tatsächlich gar nicht besteht 42 . Die Kenntnis oder Unkenntnis des Hoheitsträgers von der Zahl der betroffenen Personen kann demnach unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als rechtlich erheblich angesehen werden. Ganz anders steht es demgegenüber m i t dem objektiv-logischen Unbestimmtheits-Kriterium. Ob der Kreis der Personen, die m i t einer konkreten Verpflichtung belastet werden 43 , bereits bei Erlaß des Befehls objektiv feststeht und damit bestimmt ist oder aber i n Zukunft laufenden Veränderungen unterworfen und damit unbestimmt ist, macht rechtlich einen erheblichen Unterschied. Denn ein an einen i n diesem Sinne bestimmten Adressatenkreis gerichteter Befehl verlangt das betreffende T u n oder Unterlassen schlechthin und unabhängig vom Eint r i t t weiterer Voraussetzungen und führt damit unmittelbar m i t seinem Erlaß zu einer Einschränkung der Rechtsstellung der dem bezeichneten Adressatenkreis angehörenden Personen 44 . Der an einen objektiv-logisch unbestimmten Adressatenkreis gerichtete Befehl hingegen begründet i n der Regel 45 primär abstrakte Verpflichtungen, fordert das betreffende T u n oder Unterlassen also jeweils nur von denjenigen bei seinem Erlaß noch nicht feststehenden Personen, die während seiner Geltungsdauer seinen Tatbestand verwirklichen 4 6 . Dieser Unterschied 42

So betrafen ζ. B. die Entnazifizierungsbestimmungen einen überaus großen, i n die M i l l i o n e n gehenden Personenkreis; gleichwohl w a r aber dem alliierten Gesetzgeber die Z a h l der ehemaligen Parteimitglieder aus den erbeuteten Karteien genau bekannt. Umgekehrt k a n n dem Hoheitsträger die Z a h l der Adressaten durchaus unbekannt sein, w e n n es sich u m einen k l e i nen, n u r einige wenige Personen umfassenden Personenkreis handelt; so ζ. B. bei der Anordnung einer Stadtverwaltung, daß sich alle männlichen E i n wohner, die als Offiziere der Luftwaffe am letzten Kriege teilgenommen haben u n d seit mindestens drei Monaten i n der Stadt wohnen, melden sollen. Nach dem hier i n Frage stehenden Unbestimmtheits-Begriff wäre diese A n ordnung also an einen unbestimmten, die Entnazifizierungsgesetzgebung h i n gegen an einen bestimmten Adressatenkreis gerichtet! Das zeigt, daß gegen diesen Begriff auch v o m Ergebnis her schwerste Bedenken bestehen. 43 N u r diese sind j a nach der oben i n § 6 entwickelten Definition als Adressaten anzusehen. 44 So ζ. B. ein an die gegenwärtig i n einer Stadt lebenden Hundebesitzer gerichteter Befehl, ihre Hunde am folgenden Tage einer Musterungskommission vorzuführen. 45 Eine Ausnahme bilden vor allem die ganz allgemeinen Verbote, die allen Rechtsgenossen schlechthin die konkrete Verpflichtung zu einem bestimmten Unterlassen auferlegen, w i e ζ. B. das allgemeine Tötungsverbot; siehe hierzu des näheren unten § 10 Β A A I I b. 46 So ζ. B. die Hundesteuerordnung, die denjenigen Personen, die nach ihrem Erlaß einen H u n d halten, die Zahlung einer Steuer gebietet.

§ 8. Bestimmtheit, Bestimmbarkeit, Unbestimmtheit der Adressaten

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ist auch für die Frage der Anfechtbarkeit des Befehls von erheblicher Bedeutung, da gegenüber der Belastung m i t einer von vornherein konkreten Verpflichtung ein sehr viel stärkeres Rechtsschutzinteresse besteht als gegenüber der m i t einer nur abstrakten 47 . Es zeigt sich somit, daß die Unterscheidung zwischen einem zahlenmäßig bestimmten und einem zahlenmäßig unbestimmten Adressatenkreis nur dann zwei rechtlich wesentlich verschiedene Sachverhalte anspricht, wenn man die zahlenmäßige Bestimmt- bzw. Unbestimmtheit i m objektiv-logischen Sinne versteht. b) Dieser engere Begriff der objektiv-logischen Unbestimmtheit ist aber darüber hinaus auch der allein praktikable. Ob nach Erlaß eines Befehls immer noch neue Personen von der in i h m begründeten Verpflichtung (konkret) erfaßt werden können, läßt sich stets eindeutig feststellen. Hingegen w i r d die Frage, ob die Zahl der Adressaten für den Hoheitsträger rein praktisch „unbestimmt" war bzw. ist, ob er sie also nicht gekannt hat oder nur m i t besonderer Mühe hätte ermitteln können, vielfach nicht klar zu beantworten sein. Einmal ist es dann, wenn der Hoheitsakt von einer Kollegialbehörde oder einem Parlament erlassen wird, schon zweifelhaft, auf wessen Kenntnis es überhaupt ankommt. Muß die Zahl der Adressaten ζ. B. allen Abgeordneten bekannt gewesen sein, oder reicht es aus, daß nur ein Teil von ihnen oder gar nur ein einzelner darüber unterrichtet war? I m übrigen aber ergeben sich erhebliche Probleme aus der Frage, wo die Grenze zwischen der Unbestimmtheit und der Bestimmtheit der Adressatenzahl verläuft. Denn wann sind die Schwierigkeiten, die eine Ermittlung der Zahl der Adressaten bereiten würde, so groß, daß diese praktisch als unbestimmt anzusehen ist? Genügt es, daß sich der befehlende Hoheitsträger keine Unterlagen beschaffen kann, aus denen er die Zahl der von der Anordnung betroffenen Personen ersehen könnte, oder ist diese auch dann noch „bestimmbar", wenn er sie durch eigene Erhebungen (mit welchen M i t t e l n und i n welchem Umfange?) feststellen könnte? Diese Fragen sind einer eindeutigen und überzeugenden Entscheidung offenbar nicht zugänglich 48 . Das aber heißt nichts anderes, als daß der so überaus wichtige und grundlegende Begriff der zahlenmäßigen Unbestimmtheit i n seiner hier i n Rede stehenden Ausprägung der erforderlichen Praktikabilität entbehrt. 47 Aus diesem Grunde w a r ζ. B. i n der M R V O 165 eine abstrakte Normenkontrolle u n d damit eine „Anfechtimg" solcher Anordnungen, die p r i m ä r abstrakte Verpflichtungen begründen, nicht vorgesehen. Die V w G O überläßt ihre Einführung i n § 47 der Landesgesetzgebung. 48 Auch die vom B V f G (Beschl. v. 15.12.1959: B V f G E 10, 241 f.) zum sinnverwandten Begriff „unübersehbar" entwickelte Formel, es komme darauf an, ob sich „nicht genau übersehen läßt, auf wieviele u n d welche Fälle das Gesetz Anwendung findet", bietet hier keine befriedigende A n t w o r t , sondern nur eine andere Formulierung des Problems.

62

2. Teil:

echtstheoretische Grundlagen / Kap. 1

I I I . Der Begriff der zahlenmäßigen Unbestimmtheit des Adressatenkreises kann demnach allein i n dem zuerst genannten engeren, objektiv-logischen Sinne definiert werden. E i n Befehl richtet sich somit dann an eine unbestimmte Zahl von Personen, d.h. sein Adressatenkreis ist zahlenmäßig unbestimmt, wenn nach seinem Erlaß (Inkrafttreten) noch laufend neue Personen von der i n i h m begründeten Verpflichtung konkret erf aßt werden können 49 » 50 . 49 Bis vor kurzem hat der Begriff i n Wissenschaft und Rechtsprechung so gut wie gar keine Behandlung erfahren; aus den verhältnismäßig zahlreichen Äußerungen zum Begriff der Bestimmtheit ergibt sich aber, daß er offenbar durchweg i n dem hier dargelegten Sinne verstanden worden ist (s. u. Anm. 56 und vor allem die dort genannten Entscheidungen des OVG Rheinland-Pfalz und des OVG Lüneburg). I n jüngster Zeit ist der Begriff hingegen wiederholt erörtert und dabei ganz überwiegend ebenso wie hier bestimmt w o r den. Vgl. Hans Schneider: Einzelfallgesetze, S. 166; Brohm: Bauplanungsrecht, S. 45; Imboden: Plan, S. 119; Obermayer: Plan, S. 154; w o h l auch BVwG, Urt. v. 10.6.1960: DVB1. 1960,805 u n d OVG Hamburg v. 21.11.1957: VwRspr. 11, 1016, wo allerdings zwischen der Geltung für einen unbestimmten Personenkreis und der für „alle, die es angeht", ein kaum haltbarer Gegensatz konstruiert w i r d ; unklar B V f G v. 15.3.1960: BVfGE 11,16 f., wo eine Typenzulassung, die „eine unbestimmte Zahl von Einzelgenehmigungen" ersetzt, „also von unmittelbarer rechtlicher Bedeutung nur für den jeweiligen Betreiber einer solchen Anlage (ist), dessen Person i m Augenblick der Genehmigung der allgemeinen Ausnahme noch gar nicht feststeht", m i t der Begründung als ein Verwaltungsakt qualifiziert wird, daß sie sich auf ein bestimmtes Objekt beziehe und zu Händen des Herstellers „an eine i m Augenblick nicht feststellbare Zahl von Personen erteilt w i r d , die aber als künftige Betreiber des Kessels einen umgrenzten Personenkreis bilden." 50 Einen eindeutig abweichenden Standpunkt hat, soweit ersichtlich, nur das B V f G i m Beschluß v. 15.12.1959 über die Verfassungsmäßigkeit des viel umstrittenen § 8 des Straffreiheits-Gesetzes vom 17. 7.1954 („lex Platow") eingenommen (BVfGE 10,234 ff.). Das B V f G spricht diese Bestimmung, die gewisse vor dem 1.1.1952 begangene, eng umschriebene Straftaten schlechthin straffrei stellt, i m Rahmen der Prüfimg der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ungeachtet ihres „zahlenmäßig beschränkten Anwendungsbereichs" als „allgemeinen, auf eine unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten anwendbaren Rechtssatz" an (a. a. O., S. 239). Es führt dazu aus, nach BVfGE 2,222 sei der Bundesgesetzgeber zur Errichtung eines Hindernisses für die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung dann befugt, wenn nicht nur die Straffolgen von Einzelfällen, sondern von einer „unübersehbaren und unbestimmten, nach Typen gekennzeichneten Zahl von Straftaten" geregelt werden. Für das Merkmal „unübersehbar" komme es aber (nur) darauf an, ob sich wegen der abstrakten Fassung des gesetzlichen Tatbestandes nicht genau übersehen lasse, auf wieviele und welche Fälle das Gesetz Anwendung finde (a.a.O., S. 241 f.). Dieses Merkmal ist nach Ansicht des B V f G bei § 8 StFG erfüllt. Diese Ausführungen des B V f G vermögen nicht zu überzeugen. Es mag zwar sein, daß die von § 8 erfaßten Fälle i m Sinne des vom B V f G selbst entwickelten Merkmals unübersehbar sind. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß sie auch zahlenmäßig unbestimmt sind. Das Merkmal der unbestimmten Vielzahl w i r d zwar i n der vom B V f G zugrunde gelegten Definition ausdrücklich genannt (und zwar neben der Unübersehbarkeit!), bei der eigentlichen Deutung des § 8 aber überhaupt nicht mehr berührt. Damit w i r d klar, daß man nicht annehmen kann, das B V f G habe es einfach übersehen und stillschweigend m i t dem Merkmal „unübersehbar" identifiziert und somit i m Ergebnis ohne ein Wort der Begründung i n einer Weise ausgelegt, die eindeutig von der ganzen h. L . abweicht u n d überdies auch m i t den einschlägigen Ausführungen i m Be-

§ 8. Bestimmtheit, Bestimmbarkeit, Unbestimmtheit der Adressaten

B. Der Begriff

der zahlenmäßigen

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Bestimmtheit

I. M i t den vorstehenden Ausführungen ist der Sache nach auch schon der Begriff der zahlenmäßigen Bestimmtheit des Adressatenkreises definiert worden. Wenn die Unbestimmtheit objektiv-logisch verstanden werden muß derart, daß nach Erlaß des Befehls noch laufend neue Personen von der Verpflichtung erfaßt werden können, so kann der Begriff der Bestimmtheit des Adressatenkreises nur zum Inhalt haben, daß der Kreis der konkret betroffenen Personen bei Erlaß des Befehls bereits objektiv eindeutig und unveränderlich feststeht und einer Erweiterung i n der Zukunft nicht mehr zugänglich ist. Ein Befehl ist demgemäß nicht nur dann an eine bestimmte Zahl von Personen gerichtet, wenn er sich an Α, Β und C wendet, sondern auch dann, wenn er für einen zwar gattungsmäßig bezeichneten, aber i m Augenblick des Befehlserlasses eindeutig feststehenden, geschlossenen Kreis von Personen eine konkrete Verpflichtung begründet wie ζ. B. für die ehemaligen Angehörigen der NSDAP oder die i m Zeitpunkt des Befehlserlasses i n einer Stadt lebenden Hundebesitzer oder Hauseigentümer. Obwohl der Begriff des zahlenmäßig bestimmten Personenkreises somit logisch klar vorgegeben ist, besteht doch i m Schrifttum über seinen Inhalt keine völlige Einigkeit. I n ganz anderer Weise ist er von Franzen interpretiert worden. Franzen meint 5 1 , ein bestimmter Personenkreis setze sich zwar aus einer nach A r t und Besonderheit bestimmbaren, aber dennoch unbestimmten Anzahl von Personen zusammen, wenn man ihn als Adressaten einer Verordnung oder einer für eine bestimmte Anzahl von Fällen erlassenen Verfügung betrachte. N u r als Adressat einer A l l gemeinverfügung für einen Einzelfall setze er sich aus bestimmten Personen zusammen. I n offenem Widerspruch zu der letztgenannten These erklärt er dann jedoch wieder 5 2 , ein bestimmter Personenkreis als Adressat einer Allgemeinverfügung für einen konkreten F a l l liege dann vor, schluß v. 15.3.1960 (s. die vorige Anm.) k a u m vereinbar erscheint. Vielleicht w i r d m a n den eigentlichen G r u n d f ü r diese Auslegung i n der Erwägung suchen dürfen, daß nach dem Unbestimmtheits-Begriff der h. L . jede Amnestie für i n der Vergangenheit liegende Straftaten eine bestimmte Z a h l von Fällen zum Gegenstand hätte, was (demzufolge?) bedeutete, i h r den Charakter als allgemeinem Rechtssatz abzusprechen (so neuestens ausdrücklich Imboden, Plan, S. 119) u n d hieraus folgend die Gesetzgebungszuständigkeit zumindest des Bundes zu verneinen. Auch diese Überlegung wäre jedoch nicht durchschlagend, da es eine durchaus offene Frage ist, ob sich die Zuständigkeit des (Bundes) Gesetzgebers insoweit w i r k l i c h auf die Regelung einer „unbestimmten Vielzahl" von Fällen beschränkt. Richtiger erscheint es vielmehr, hier n u r auf die sachlich gerechtfertigte Differenzierung abzustellen u n d die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Amnestie damit n u r an die Wahrung des Gleichheitssatzes zu binden (vgl. die insoweit eindrucksvollen Ausführungen

von Zeidler: JZ 1960,392 ff.). 51 Franzen: PVG § 24 Anm. 2. 52

P V G

§ 40

A n m >

χ.

2. Teil:

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echtstheoretische Grundlagen / Kap. 1

wenn es nach den i n der Verfügung erwähnten Merkmalen einem dritten Beobachter möglich sei zu entscheiden, ob eine Person als Adressat der Verfügung anzusehen sei; das sei ζ. B. bei einer Anordnung der Fall, durch die der Verkehr i n der (bevorstehenden) Silvesternacht geregelt werde. Diese Ansicht, die auf zahlreichen MißVerständnissen beruht, läßt jede exakte Unterscheidung vermissen und verwischt damit alle klaren Grenzen zwischen den einzelnen Begriffen. Selbst wenn man von dem eben aufgezeigten Widerspruch absieht, ist sie schon deshalb nicht haltbar, w e i l sie die innere Beziehung zwischen dem Rechtscharakter eines Befehls und seiner Adressierung verkennt und damit von einer unrichtigen Fragestellung ausgeht. Denn der Inhalt des Begriffs „bestimmter Personenkreis" w i r d nicht durch den Rechtscharakter des Befehls als Verordnung, Allgemein- oder Einzelverfügung bedingt, sondern umgekehrt: Je nachdem, ob sich der Befehl an einen bestimmten oder an einen unbestimmten Personenkreis richtet, ist er als Allgemeinverfügung oder als Verordnung anzusehen 53 . Unter einem bestimmten Personenkreis kann immer nur ein und dasselbe verstanden werden, ganz gleich, ob der Befehl, von dem er betroffen wird, einen einzelnen Fall oder eine bestimmte Anzahl von Fällen regelt. „Als Adressat einer Verordnung" aber kann er — jedenfalls nach der Regelung des prPVG — schon deshalb nicht „betrachtet" werden, weil sich eine Verordnung eben gerade stets nur an einen unbestimmten Personenkreis wenden kann. Überdies aber übersieht Franzen selbst bei der Definition, die er dem bestimmten Personenkreis „als Adressaten einer Allgemeinverfügung für einen konkreten Fall" gibt, den zwischen der zahlenmäßigen Bestimmtheit und Unbestimmtheit des betroffenen Personenkreises bestehenden logischen Gegensatz: Die Kriterien, auf die er hier abstellt, treffen in der Regel i n gleicher Weise auch auf den unbestimmten Adressatenkreis zu und sind deshalb für eine Unterscheidung schon rein logisch imbrauchbar 5 4 ' 5 5 . 53

Dies wenigstens nach der eindeutigen Regelung des prPVG, auf die sich

Franzen bezieht. 54

So ist es ζ. B. auch bei der Hundesteuerordnung oder den meisten Bestimmungen der StVO nach den i n diesen Anordnungen erwähnten Merkmalen einem dritten Beobachter durchaus möglich zu entscheiden, ob eine Person als Adressat dieser Anordnungen anzusehen ist. Gleichwohl handelt es sich hier unzweifelhaft u m Verordnungen, die Befehle an einen unbestimmten Personenkreis richten. 55 Ähnliches güt f ü r das U r t e i l des hessischen V G H v. 6.10.1955 (ESVGH 6, 146 ff.), wo zwischen der „bestimmten" u n d der „begrenzten" Z a h l von Adressaten unterschieden w i r d . Die Zahl der von einem amtlichen Verkehrszeichen betroffenen Verkehrsteilnehmer, so heißt es a. a. O., S. 147, sei zwar u n begrenzt, aber nicht unbestimmt, da „derjenige, an den sich die v o m V e r kehrsschild ausgehende Weisung richtet u n d dem sie durch Wahrnehmung stets i n d i v i d u e l l zugeht, genau bestimmt ist". Dieses K r i t e r i u m trifft offensichtlich auch auf unzweifelhaft generelle Anordnungen wie die eben ge-

§ 8. Bestimmtheit, Bestimmbarkeit, Unbestimmtheit der Adressaten

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Die von Franzen vertretene Ansicht muß demnach als nicht haltbar und irreführend abgelehnt werden. Der Begriff des bestimmten Adressatenkreises kann vielmehr nur so definiert werden, wie es oben geschehen ist. Diese Definition dürfte der Auffassung entsprechen, wie sie i n Rechtsprechung und Wissenschaft — mehr oder minder klar — ganz überwiegend vertreten wird 5 6 . II. I n aller Regel werden dann, wenn bereits bei Erlaß des Befehls die Zahl der Adressaten unveränderlich feststeht, diese Adressaten auch der Person nach (objektiv) eindeutig feststehen. Man denke ζ. B. an die schon erwähnten Befehle, die alle ehemaligen Angehörigen der NSDAP oder alle i m Zeitpunkt des Befehlserlasses i n einer Stadt lebenden Hundebesitzer m i t einer konkreten Verpflichtung belasten. Als (seltene) Ausnahme von diesem Regelfall sind nun aber auch Hoheitsakte denkbar, bei denen zwar von vornherein feststeht, wieviel Personen zu dem betreffenden T u n oder Unterlassen verpflichtet sind, diese Personen selbst aber auf die eine oder andere Weise erst nachträglich „bestimmt" werden. Das wäre ζ. B. bei einem Befehl der Fall, der sich an 100 von der Gemeindebehörde auszusuchende oder an die 100 Bürger einer Gemeinde wendet, die an einem i n der Zukunft liegenden Stichtag das höchste Einkommen beziehen. Hier steht zwar jeweils fest, daß die betreffende Verpflichtung insgesamt 100 Personen auferlegt w i r d ; welche einzelnen Personen aber hierzu gehören oder besser gehören werden, hängt von der Entscheidung der Behörde oder dem Einkommen der Gemeindeangehörigen an dem betreffenden Stichtag ab. Ein i n solcher Weise nur zahlenmäßig bestimmter Adressatenkreis steht zwischen dem bestimmten und dem unbestimmten Personenkreis gewissermaßen auf der Grenze: M i t dem einen verbindet i h n die zahlenmäßige Fixierung, m i t dem anderen die individuelle Unbestimmtheit der (konkret) betroffenen Personen. Damit stellt sich die Frage, wo er begrifflich einzuordnen ist. Die Entscheidung w i r d danach zu treffen sein, nannte Hundesteuerordnung zu, da auch hier der einzelne Hundehalter, an den sich das Gebot zur Steuerzahlung richtet, durch die H a l t u n g eines Hundes stets genau „bestimmt" ist. E i n Hoheitsakt, dessen einzelne Adressaten i n diesem Sinne nicht „bestimmt" sind, der also nicht angibt, an w e n er sich überhaupt richtet, wäre von vornherein nichtig. I m übrigen ist dieser v o m V G H entwickelte Bestimmtheitsbegriff schon deshalb unbrauchbar, w e i l er auf einer Sphären Verschiebung beruht: Worauf es — auch nach dem Ausgangsp u n k t des V G H — allein ankommt, ist die Bestimmtheit der Zahl der Adressaten, während hier stillschweigend auf die Bestimmtheit des einzelnen Adressaten abgestellt w i r d . 56 A m klarsten r h p f L V G v. 12.10.1950: VwRspr. 3, 406; vgl. ferner w b V G H v. 11.6.1948: VwRspr. 1, 110; O V G Lüneburg v. 18.6.1952: A S 6, 268; siehe

ferner Drews-Lassar: PVG § 24 Anm. 3 und § 40 Anm. 1 d; Friedrichs: PVG § 40 Anm. 3; Müller-HeideiberglClauss: SOG § 29 Anm. 1 c) aa); Winkler: Be-

scheid, S. 85; Hans Schneider: Einzelfallgesetze, S. 166; Brohm: recht, S. 46; unklar v. Tur egg: Verwaltungsrecht, S. 113 und 291. 5

Volkmar

Bauplanungs-

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echtstheoretische Grundlagen / Kap. 1

durch welches dieser beiden Momente das Wesen des nur zahlenmäßig festgelegten Personenkreises am stärksten bestimmt wird. Die besondere rechtliche Eigenart eines an einen bestimmten Adressatenkreis gerichteten Befehls besteht darin, daß er unmittelbar mit seinem Erlaß einen Kreis von objektiv eindeutig feststehenden Personen m i t einer konkreten Verpflichtung belastet. Ein an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichteter Befehl hingegen begründet i n der Regel primär abstrakte Verpflichtungen, fordert das betreffende Tun oder Unterlassen also nur als Folge der Verwirklichung eines gewissen „Tatbestandes"; demgemäß haben die nur abstrakt Verpflichteten vielfach die Möglichkeit, der Konkretisierung der Verpflichtung dadurch zu entgehen, daß sie es vermeiden, den betreffenden Tatbestand zu v e r w i r k lichen. Erst durch diesen Umstand erhält die Unterscheidung zwischen einem bestimmten und einem unbestimmten Adressatenkreis ihr eigentliches Gewicht 57 . Geht man hiervon aus, so w i r d deutlich, daß der nur zahlenmäßig fixierte Adressatenkreis seinem Wesen nach dem unbestimmten Personenkreis sehr viel näher steht als dem bestimmten. Denn auch der an einen solchen Adressatenkreis gerichtete Befehl w i r d i n entscheidendem Maße gerade dadurch charakterisiert, daß er nicht unmittelbar m i t seinem Erlaß konkrete Verpflichtungen erzeugt und damit i n die Rechtsstellung von bereits eindeutig und unveränderlich feststehenden Personen eingreift, sondern daß er das betreffende T u n oder Unterlassen nur von denjenigen bei seinem Erlaß noch nicht feststehenden Personen verlangt, bei denen erst später ein gewisser „Tatbestand" verwirklicht wird. Das ist vor allem auch für die Frage des Rechtsschutzes von Bedeutung, da jedenfalls die Anfechtungsklage nur dann i n Betracht kommt, wenn eine bestimmte Person oder eine Mehrzahl bestimmter Personen durch die Belastung m i t einer konkreten Verpflichtung i n ihrer Rechtsstellung betroffen werden 58 . Gegenüber dieser inneren Verwandtschaft m i t dem an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichteten Befehl erscheint die rein zahlenmäßige Fixierung der betroffenen Personen minder gewichtig, zumal ja auch Befehle an einen unbestimmten Adressatenkreis denkbar sind, dem zahlenmäßig eine feste Grenze gesetzt ist 5 0 . Es dürfte demnach geboten sein, den seltenen Ausnahmefall des nur zahlenmäßig, nicht aber auch individuell bestimmten Adressatenkreises dem unbestimmten Adressatenkreis gleichzustellen und als „bestimmt" nur den sowohl zahlenmäßig als auch individuell feststehenden Personenkreis anzusehen 80 . 57 58 59 60

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

zum Vorstehenden oben § 6 Β I I u n d § 8 A I I a. oben § 2 A I I a m i t A n m . 47. oben § 6 Β I I . hierzu auch Böckenförde: Gesetz, S. 259 A n m . 2.

§ 8. Bestimmtheit, Bestimmbarkeit, Unbestimmtheit der Adressaten

C. Der Begriff

der zahlenmäßigen

67

Bestimmbarkeit

Aus der Notwendigkeit, die Bestimmtheit und Unbestimmtheit des Adressatenkreises jeweils als objektiv-logische zu verstehen, ergibt sich, daß diese beiden Begriffe einen kontradiktorischen Gegensatz bilden. Das bedeutet, daß es einen auf derselben Ebene liegenden dritten Begriff nicht geben kann. Die Zahl der von einem Hoheitsakt betroffenen Personen kann i m Zeitpunkt seines Erlasses stets nur entweder objektiv eindeutig feststehen oder i n Zukunft noch veränderlich sein. Daraus folgt zwangsläufig, daß auf der Ebene der Unterscheidung zwischen der bestimmten und unbestimmten Zahl von Adressaten für die i n Wissenschaft und Rechtsprechung immer wieder genannte 61 „Bestimmbarkeit" begrifflich kein Raum ist. Sofern diesem Begriff — und dem i h m entsprechenden, wenngleich bisher nur vereinzelt erwähnten 6 2 Begriff der „Unbestimmbarkeit" — überhaupt eine eigenständige Bedeutung zukommt, kann diese daher nur auf einer ganz anderen Unterscheidungsebene zu suchen sein 63 . I m folgenden soll daher noch kurz geprüft werden, was m i t diesem Begriff bzw. Begriffspaar überhaupt gemeint sein kann und ob i h m auch auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen ein juristisch wesentlicher Inhalt abzugewinnen ist. I. Von einem zahlenmäßig bestimmbaren Personenkreis könnte einmal dann gesprochen werden, wenn sich die objektiv feststehende Zahl der Adressaten auch rein praktisch „bestimmen", feststellen läßt 6 4 . Insoweit wurde schon oben 65 zu diesem Begriff Stellung genommen. Eine solche Unterscheidung innerhalb des (objektiv) bestimmten Adressatenkreises ist zwar an sich möglich, aber praktisch schwer durchzuführen und vor allem ohne juristischen Wert. Denn von der Sache her bedingt es keinen Unterschied i n der rechtlichen Würdigung, ob dem befehlenden Hoheitsträger die Zahl der (objektiv feststehenden) Adressaten bekannt ist oder nicht und ob sie i m letzten Falle wenigstens einer Feststellung praktisch zugänglich oder ihr entzogen ist. I n diesem Sinne 61 Nämlich zumeist i m Rahmen der Wendung „bestimmter oder wenigstens bestimmbarer Personenkreis"; vgl. r h p f L V G , a.a.O., S.405; O V G Lüneburg,

a. a. O., S. 267; Müller-Heidelb er g/Claus s : SOG § 29 Anm. 1 c) aa); s. im übri-

gen auch die i n den folgenden Anmerkungen genannten Nachweise. 62 Vgl. Imboden: Plan, S. 119; Obermayer: Plan, S. 154; B V w G v. 10.6. 1960: DVB1.1960, 805. 63 Vgl. dazu schon oben unter A I A n m . 38. Die dort angedeutete Möglichkeit der Sinngebung hat sich inzwischen bereits als nicht durchführbar erwiesen; denn die Geschlossenheit des Adressatenkreises bildet gerade das M e r k m a l für die Unterscheidung „bestimmt-unbestimmt", auf die es nach der h. L . u n d den Legaldefinitionen der Polizeigesetze (s. o. § 5 B-Ε) hinsichtlich der A l l gemeinheit des Rechtssatzes zumindest p r i m ä r ankommt. 64 Also i n genauer U m k e h r u n g der oben A I A n m . 38 i n Erwägimg gezogenen Terminologie. 65 Vgl. § 8 A I I . 5*

68

2. Teil : Hechtstheoretische Grundlagen / Kap. 1

verstanden ist der Begriff der Bestimmbarkeit also juristisch nichtssagend und irreführend. II. Als „bestimmbar" könnte ein Adressatenkreis zum anderen dann bezeichnet werden, wenn sich die Zahl der betroffenen Personen ungeachtet ihrer praktischen Feststellbarkeit jedenfalls rein logisch bestimmen läßt®6. Das aber ist gerade immer dann der Fall, wenn diese Personen schon bei Erlaß des Befehls unveränderlich feststehen und damit i n dem eben entwickelten Sinne bestimmt sind, so daß der Terminus „bestimmbar" hier nichts anderes wäre als ein überflüssiges und mißverständliches 67 Synonym für die Bezeichnung „bestimmt". I I I . Der Begriff der Bestimmbarkeit könnte weiterhin zum Inhalt haben, daß die betroffenen Personen „nach A r t und Besonderheit" bestimmbar seien. I n diesem Sinne, i n dem er gelegentlich bei Franzen 68 verwendet w i r d , ist er schon deshalb unbrauchbar, w e i l er keinen Gegensatz hat. Denn es ist eine elementare Gültigkeitsvoraussetzung eines jeden Hoheitsaktes, daß er angibt, an wen er sich richtet. E i n Befehl, der seine Adressaten weder namentlich noch auch n u r „nach A r t und Besonderheit" bezeichnet und damit unklar läßt, wer zu dem betreffenden T u n oder Unterlassen überhaupt verpflichtet sein soll, würde dieser Voraussetzung ermangeln und deshalb von vornherein nichtig sein. E i n solcher an einen „nicht bestimmbaren" Personenkreis gerichteter Hoheitsakt muß aber für eine brauchbare Begriffsbildung außer Betracht bleiben. IV. Als letztes könnte man daran denken, daß der Terminus „bestimmbar" eine durch die Form der Benennung gekennzeichnete A r t des bestimmten Personenkreises bezeichnen soll. Er könnte nämlich zum Ausdruck bringen, daß die objektiv feststehenden, also zahlenmäßig bestimmten Adressaten nicht namentlich genannt, sondern gattungsmäßig bezeichnet sind 69 . Auch hier stellt sich jedoch die Frage, ob m i t einer ββ M i t diesem Sinngehalt erscheint der Terminus ζ. B. bei Hans Schneider: Einzelfallgesetze, S. 166; Imboden: Plan, S. 119 u. 125; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 29.1.1958: AS 6, 388; OVG Berlin, Urt. v. 28.11.1958: AS 5,156. 67 Bezeichnend hierfür Brohm: Bauplanungsrecht, S. 46, der i m selben A b satz einmal vom „bestimmbaren und damit bestimmten" und zum andern vom „bestimmten oder doch bestimmbaren" Personenkreis spricht. (Hervorhebung vom Verf.!). 68 Franzen: PVG § 24 Anm. 2; siehe auch Eyermann-Fröhler: VwGO, § 42 Rdnr. 31. Ob Scupin: Polizeirecht, S. 631 dasselbe meint, wenn er von dem „durch ein Zusammengehörigkeitsmerkmal bestimmbaren Personenkreis" spricht, erscheint fraglich; vgl. zu dieser Wendung noch unten § 18 Β I I b Anm. 35. 69 So z.B. bei einem an die „Anlieger der x-Straße" gerichteten Gebot, ihre Häuser wegen eines soeben aufgefundenen Blindgängers unverzüglich zu räumen. — Wohl i n diesem Sinne w i r d der Begriff i m U r t e i l des OVG Münster v.20.11.1951 (AS 5,163) gebraucht; s. auch Winkler: Bescheid, S. 85;

Brohm, Bauplanungsrecht, S. 46,51; Obermayer: Maunz-Dürig: GG, Art. 20 Rdnr. 102.

Plan, S. 154; Maunz in

§ 8. Bestimmtheit, Bestimmbarkeit, Unbestimmtheit der Adressaten

69

solchen Unterscheidung eine juristisch wesentliche Verschiedenheit erfaßt wird. Hinsichtlich der Anfechtbarkeit ist das schon deshalb zu verneinen, weil es nicht gerechtfertigt wäre, wenn der befehlende Hoheitsträger den Rechtsschutz gegenüber der Auferlegung einer konkreten Verpflichtung durch die Wahl einer gattungsmäßigen Adressatenbezeichnung ausschließen könnte 70 . Anders könnte es aber hinsichtlich der Frage der Kundmachung liegen. Während ein an eine namentlich genannte Person gerichteter Hoheitsakt dem Betroffenen bekanntgegeben werden muß 7 1 , kommt bei einer Adressierung an einen gattungsmäßig bezeichneten bestimmten Personenkreis auch eine öffentliche Bekanntmachung i n Betracht 72 , ohne daß diese aber die Wirksamkeit des Hoheitsaktes schlechthin bedingt 78 . Insofern gilt also für einen Hoheitsakt, der an einen gattungsmäßig bezeichneten bestimmten Personenkreis gerichtet ist, i n der Tat eine rechtliche Besonderheit, die durch den besonderen Begriff „Bestimmbarkeit" kenntlich zu machen nicht ganz ungerechfertigt ist. Immerhin bleibt zweifelhaft, ob hierfür w i r k lich ein Bedürfnis besteht. Von einem bestimmten, gattungsmäßig bezeichneten Personenkreis zu sprechen, ist sprachlich nicht viel umständlicher, dafür aber sachlich sehr viel klarer. Hinzu kommt, daß für die Frage der Allgemeinheit des Hoheitsaktes nur die Bestimmtheit als solche von Interesse ist 7 4 . Berücksichtigt man schließlich, m i t welch schillernder und teilweise ganz verschiedenartiger Bedeutung der Terminus „bestimmbar" verwendet w i r d und gebraucht werden kann, so zeigt sich, daß die Bildung eines besonderen Begriffs der Bestimmbarkeit die Erkenntnis kaum zu fördern, sie aber durch die Anregung zu Mißverständnissen sehr leicht zu erschweren vermag. Die „Bestimmbarkeit" der durch einen Hoheitsakt betroffenen Personen bzw. geregelten Fälle soll daher aus unseren weiteren Überlegungen ausgeschieden werden. 70 Vgl. auch die oben § 7 B I gegen die Lehre W. Jellineks vorgebrachten Einwände. 71 Vgl. Forsthoff: Verwaltungsrecht I 7 , S. 202; Hans J. Wolff: V e r w a l tungsrecht I 3 , § 50 I I c 1. 72 Vgl. Forsthoff, a. a. O., bezüglich der Allgemeinverfügung. 73 Die Rechtsgeltung eines an einen unbestimmten Personenkreis gerichteten Hoheitsaktes, ζ. B. einer RechtsVO, hängt davon ab, daß er i n der gehörigen F o r m verkündet, also öffentlich bekanntgemacht w i r d (vgl. Hans J. Wolff: Verwaltungsrecht I , § 28 I a 3). E i n an einen bestimmten, gattungsmäßig bezeichneten Personenkreis gerichteter Hoheitsakt k a n n hingegen auch i m Wege der Einzelmitteilung bekanntgegeben werden. Er ist d a n n jedenfalls gegenüber denjenigen Adressaten wirksam, denen er auf diese Weise k u n d gemacht worden ist. 74 Das t r i t t auch darin i n Erscheinimg, daß die Bestimmbarkeit zumeist i m Rahmen der Wendung „bestimmter oder wenigstens bestimmbarer Personenkreis" genannt w i r d (vgl. oben A n m . 61). Gerade diese Wendung b r i n g t zum Ausdruck, daß der bestimmte und der als bestimmbar angesprochene Personenkreis hinsichtlich der Frage der Allgemeinheit des Verwaltungsakts rechtlich gleichwertig sind.

Zweites

Kapitel

Der vom befehlenden Hoheitsakt geregelte „Fall" Der i n § 5 gegebene Überblick hat gezeigt, daß sowohl das positive Recht selbst als auch die meistverbreiteten wissenschaftlichen Lehrmeinungen hinsichtlich der Allgemeinheit eines Hoheitsaktes an das Begriffselement „ F a l l " oder „Tatbestand" 1 anknüpfen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, w i r d die Frage nach der Allgemeinheit allein oder unter anderem danach entschieden, ob der Hoheitsakt einen Einzelfall bzw. eine Reihe von Einzelfällen oder ob er eine (unbestimmte) Vielzahl von Fällen (Tatbeständen) regelt. Angesichts der grundlegenden Bedeutung, die dem Element „ F a l l " im Hinblick auf das Problem der Allgemeinheit eines Hoheitsaktes zugesprochen wird, sollte man nun meinen, daß inzwischen auch hinreichende Klarheit darüber bestünde, welcher Inhalt diesem elementaren Begriff eigentlich zukommt, was unter dem von einem Hoheitsakt geregelten „Fall" überhaupt zu verstehen ist und was die Regelung eines Einzelfalles von der Regelung einer Mehrzahl von Fällen unterscheidet. Eine solche Annahme erweist sich indessen als trügerisch. Von einer gleich zu erörternden Ausnahme abgesehen, hat es offenbar noch niemand für der Mühe wert befunden, diese Frage einer näheren Prüfung zu unterziehen und einen klaren Begriff des „Falles" herauszuarbeiten. Der K r i t i k Obermayers 2 an einer gedankenlosen und vielfach rein gefühlsmäßigen Verwendung dieses vieldeutigen und schillernden Begriffs muß daher i n vollem Umfange zugestimmt werden. Diese Lücke i n der bisherigen Forschung läßt sich nicht etwa dadurch erklären, daß die Frage nach dem Fall-Begriff mehr oder minder aka1 Die T e r m i n i „ F a l l " u n d „Tatbestand" werden i n den zitierten Äußerungen vielfach synonym gebraucht. Richtiger dürfte es sein, als Tatbestand n u r den „ i m Rechtssatz zum Ausdruck gekommenen begrifflich schematisierten T y pus eines Lebenssachverhalts" (Hans J. Wolff: Verwaltungsrecht I 3 , § 36 I I I a) zu bezeichnen u n d damit unter einem „Tatbestand" den T e i l eines Hoheitsaktes, unter einem „ F a l l " hingegen einen bestimmten Ausschnitt aus der L e benswirklichkeit zu verstehen. 2 Obermayer: Verwaltungsakt, S. 74: „ W o h l den wundesten P u n k t der ganzen Lehre v o m Verwaltungsakt berühren w i r m i t der Frage, was eigentlich unter der „Regelung eines Einzelfalls" zu verstehen sei. M a n w i r d zugeben müssen, daß diese ständig wiederkehrende Formulierung nicht dazu angetan ist, den zugrunde liegenden rechtlichen Vorgang prägnant zu beschreiben. Seine Profilierung durch einwandfreie Merkmale ist dringend geboten."

§ 9. Der F a l l als „rechtliche Betroffenheit einer Person"

71

demischer Natur sei oder daß doch wenigstens trotz Fehlens einer ausdrücklichen Definition Einverständnis über den Inhalt dieses Begriffs herrsche. Wie eigentlich i m Hinblick auf § 25 VGVO und A r t . 19 I 1 GG keiner besonderen Hervorhebung bedarf, besitzt der Fall-Begriff eine überaus weitreichende praktische Bedeutung. Gleichwohl werden i h m i n Wissenschaft und Rechtsprechung mehr oder weniger stillschweigend durchaus verschiedene Inhalte beigelegt. Es sei nur an die Kontroverse über den Rechtscharakter der amtlichen Verkehrszeichen 3 erinnert, die nach der einen Ansicht einen Einzelfall 4 , nach der anderen hingegen eine bestimmte Vielzahl von Fällen regeln; eine Begründung dafür, weshalb das eine oder das andere angenommen wird, w i r d zumeist nicht gegeben. Ebensowenig läßt sich sagen, daß sich der Begriff des „Falles" wegen der ungeheuren Vielgestaltigkeit der zu regelnden Lebenswirklichkeiten einer näheren Präzisierung und potentiell allgemeingültigen Definition entziehe. Insoweit darf auf das bereits oben i n § 2 Gesagte verwiesen werden. Angesichts der überragenden praktischen Bedeutung des Begriffs ist seine nähere Bestimmung der Wissenschaft als unausweichliche Aufgabe gestellt — mag dabei auch am Ende die Erkenntnis stehen, daß es eine alle Probleme ohne Schwierigkeiten lösende Patentformel nicht gibt. Das Ziel der folgenden Untersuchung besteht demgemäß darin, einen möglichst praktikablen 5 Fall-Begriff zu erarbeiten. Dazu sollen die i n der Wissenschaft bereits vertretenen bzw. angedeuteten sowie die sonst irgendwie i n Betracht zu ziehenden Definitionen der Reihe nach durchgeprüft werden. § 9.

Der F a l l als „ r e c h t l i c h e einer Person"

Betroffenheit

A. Die Lehre Obermayers Die — soweit ersichtlich — einzige nähere Untersuchung des FallBegriffs ist erst vor kurzem von Obermayer 6 angestellt worden. 3

Vgl. dazu unten § 19 A I a u n d die dort angeführten Nachweise. Z u m T e i l begnügt man sich hier sogar einfach m i t der Feststellung, es handele sich u m eine „konkrete" Regelung. Vor der gedankenlosen V e r w e n dung derartig verschwommener Begriffe (ähnlich auch abstrakt-generell usw.) k a n n nicht oft genug gewarnt werden, da hierdurch — sofern nicht der diesen Ausdrücken jeweils beigelegte Sinn ausdrücklich klargestellt w i r d — jede exakte Unterscheidung unmöglich gemacht w i r d ; vgl. hierzu schon 4

Thoma: Polizeibefehl, S. 74. 5

Vgl. oben § 2. Obermayer: Verwaltungsakt, S. 74—80; zum ganzen jetzt auch ders.: Plan, S. 153—156. 8

72

2. Teil:

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

I. A n den Anfang seiner Erörterungen stellt Obermayer den Satz: „Keinem Zweifel unterliegt es, daß ein ,Einzelfall· geregelt wird, wenn eine hoheitliche Maßnahme i n den Rechtskreis einer einzigen Person eingreift. Dann bedeutet die ,Regelung eines Einzelfalles', daß eine einzelne Person von einer rechtserheblichen Maßnahme unmittelbar betroffen wird 7 ." Obermayer w i r f t alsdann die Frage auf, ob sich der Verwaltungsakt, der j a per definitionem immer einen Einzelfall regelt, i n der A r t der Allgemeinverfügung auch an eine bestimmbare oder unbestimmte Personenmehrheit wenden könne. Die A n t w o r t auf diese Frage nach der Beziehimg zwischen „ F a l l " und „Adressat" sucht er aus einer Gegenüberstellung von Rechtssatz und Verwaltungsakt zu gewinnen 8 . Von den Funktionen dieser beiden Erscheinungsformen hoheitlichen Handelns ausgehend, bestimmt er den Rechtssatz dahin, daß dieser die Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit rechtlicher Einzelentscheidungen sicherstellen solle und deshalb an einen bestimmten Tatbestand eine bestimmte Rechtsfolge knüpfe und auf die Dauer gemünzt sei. „Sofern sich während seiner Geltung bei irgendeiner Person der jeweilige Tatbestand konkretisiert, t r i t t ohne weiteres die angekündigte Rechtsfolge ein 9 ." Diese Wirkung mache die Allgemeinverbindlichkeit des Rechtssatzes aus, die bedeute, „daß sich der Kreis der rechtlich betroffenen Personen i m Zeitpunkt des Erlasses nicht ermitteln läßt, daß sich noch fortlaufend Tatbestandsverwirklichungen ereignen können, die die gewissermaßen verhaltene Rechtserheblichkeit des Rechtssatzes i n Erscheinung treten lassen" 9 . A u f diesem Wege gelangt Obermayer zu dem wichtigen Schluß: „Wenn also behauptet wird, daß ein Rechtssatz eine unbestimmte Zahl von Fällen regle, so kann das nur heißen, daß er unbestimmt viele rechtliche Betroffenheiten — die ja immer nur Rechtssubjekte, Personen erfassen können — zur Folge hat 1 0 ." Beim Verwaltungsakt hingegen ist nach Obermayer für irgendeine spätere Tatbestandsverwirklichung kein Raum. Die Verbindlichkeit des Verwaltungsaktes trete erschöpfend i m Zeitpunkt seines Ergehens ein. Ungeachtet einer eventuellen Dauerwirkung „schlägt der rechtserhebliche 7

a. a. O., S. 74. a. a. O., S. 76—78. Z u r Vermeidung von Mißverständnissen sei darauf h i n gewiesen, daß Obermayer hier stillschweigend von der Begriffsnotwendigkeit der Allgemeinheit des Rechtssatzes ausgeht. 9 a.a.O., S.76. 10 a. a. O., S. 77. Diese Gleichsetzung von „ F a l l " und „rechtlicher Betroffenheit" w i r d i m folgenden Satze noch einmal ausdrücklich wiederholt: „Der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber k a n n wohl, falls er die Geltung des Rechtssatzes von vornherein auf eine bestimmte Zeit festlegt, ungefähr abschätzen, wieviele rechtliche Betroffenheiten sich ereignen, wieviele „Einzelfälle" somit geregelt werden." 8

§ 9. Der F a l l als „rechtliche Betroffenheit einer Person" F u n k e doch n u r i m Z e i t p u n k t

seines Erlasses a u f

73

den Staatsbürger

ü b e r " 1 1 . D e r V e r w a l t u n g s a k t äußere s o m i t eine sofortige u n d abschließende B e t r o f f e n h e i t des Staatsbürgers. D a r a u s z i e h t Obermayer rung,

die z w e i t e , d e r ersten entsprechende F o l g e -

„ d a ß die R e g e l u n g eines E i n z e l f a l l e s ( R e g e l u n g v o n E i n z e l f ä l l e n ) n u r i m S i n n e d e r r e c h t l i c h e n B e t r o f f e n h e i t e i n e r e i n z e l n e n P e r s o n oder m e h rerer, zumindest bestimmbarer einzelner Personen verstanden w e r d e n kann"12. A u f G r u n d dieser aus d e r F u n k t i o n v o n Rechtssatz u n d V e r w a l t u n g s a k t abgeleiteten Gleichsetzung v o n „ F a l l " u n d „rechtlicher Betroffenh e i t " g e l a n g t Obermayer z u g l e i c h z u e i n e r k l a r e n A b g r e n z u n g zwischen diesen b e i d e n A r t e n v o n H o h e i t s a k t e n 1 3 : „ D i e entscheidende F r a g e ist, ob e i n H o h e i t s a k t eine i m A u g e n b l i c k seines Ergehens b e s t i m m b a r e 1 4 P e r s o n e n m e h r h e i t — u n d n u r eine solche — u n m i t t e l b a r b e r ü h r t . I s t das der F a l l , d a n n k a n n es sich n i e m a l s u m e i n e n Rechtssatz h a n d e l n 1 5 . " 11

a. a. O., S. 77. a. a. O., S. 78. Demgemäß stellt Obermayer ebenda hinsichtlich der A l l gemeinverfügung fest: „Der besondere Unterschied der Allgemeinverfügung zu dem gegen eine einzelne Person gerichteten Verwaltungsakt (Einzelverwaltungsakt) besteht dann darin, daß sie eine Mehrheit, ein Büschel von Einzelverwaltungsakten darstellt. Anstatt einer einzelnen Person sind also dann mehrere Personen unmittelbar i n ihrem Rechtskreis betroffen." Diese Formulierung stellt eindeutig klar, daß Obermayer hier nicht etwa die Regelung eines Falles = eine Betroffenheit annimmt, sondern die Regelung einer solchen Z a h l v o n Einzelfällen, als Personen betroffen werden. Nach seiner Ansicht regelt ein Hoheitsakt also so viele Fälle, als er rechtliche Betroffenheiten zur Folge hat = als er Personen rechtlich betrifft. 13 a.a.O., S. 78: „ D a m i t haben w i r eine scharfe Abgrenzung zwischen Rechtssatz u n d Allgemeinverfügung gewonnen, die keineswegs durch einen an formelle K r i t e r i e n gebundenen terminologischen Geschmack' bestimmt w i r d . Die Schnittlinie zwischen den Polen eines v ö l l i g allgemeinen u n d abstrakten Rechtssatzes u n d eines v ö l l i g individuellen einmaligen Staatsaktes läßt sich auf G r u n d einer sachlichen Wesensverschiedenheit durchaus eindeut i g ziehen." 14 Z u r Klarstellung: nach Obermayers Terminologie eine „ v o n v o r n herein feststehende" (S. 78), tatsächlich also bestimmte Personenmehrheit. 15 a. a. O., S. 78. Bei dieser Präzisierung der Begriffe Fall, Rechtssatz u n d Verwaltungsakt erscheint es inkonsequent, w e n n Obermayer auf S. 79 noch einmal ausdrücklich als fraglich hinstellt, „ob es überhaupt Übergänge z w i schen Verwaltungsakt u n d Rechtssatz, etwa i n der A r t der a b s t r a k t - i n d i v i duellen A k t e , gibt". Derartige Übergänge k a n n es nach Obermayers Ansicht i n der Tat nicht geben, w e i l j a die von einem Hoheitsakt betroffenen Personen (und damit jeweils auch die geregelten Fälle) zahlenmäßig stets n u r entweder bestimmt oder unbestimmt sein können. Zwischenstufen i n der A r t der „abstrakt-individuellen" A k t e sind aber begrifflich n u r dann denkbar, w e n n m a n den „ F a l l " als ein v o m „Adressaten" begrifflich unabhängiges Moment ansieht u n d damit durch kreuzweise K o m b i n a t i o n dieser beiden Elemente (Einzelfall u n d unbestimmte Z a h l von Adressaten u n d umgekehrt) zu vier anstatt n u r zwei Allgemeinheitsstufen gelangt; vgl. dazu folgend I I a. 12

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2. Teil:

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

II. Obermayer gebührt das große Verdienst, erstmalig auf die Schwierigkeiten des Fall-Begriffs als Wurzel des Allgemeinheits-Problems aufmerksam gemacht und i n einer eingehenderen Untersuchung den Versuch ihrer Überwindung unternommen zu haben. Der von i h m entwickelte Fall-Begriff besitzt auch den Vorzug größtmöglicher Klarheit und Eindeutigkeit. Dieser Umstand bedarf u m so größerer Anerkennung, als — wie noch zu zeigen sein w i r d — die übrigen i n der Wissenschaft bislang aufgestellten oder angedeuteten Fall-Begriffe zumeist auf verschwommene und mehrdeutige Momente abstellen und deshalb i n ihrer praktischen Anwendung erhebliche, z.T. sogar kaum überwindliche Schwierigkeiten bereiten. Ein derartiger V o r w u r f kann gegen Obermayer sicherlich nicht erhoben werden. Die Frage, ob ein Hoheitsakt einen i m Zeitpunkt seines Erlasses von vornherein feststehenden oder einen i n Zukunft noch veränderlichen Adressatenkreis betrifft, w i r d sich fast immer ohne Mühe zweifelsfrei beantworten lassen. Die Theorie Obermayers eröffnet damit die Möglichkeit, einen Hoheitsakt schnell und sicher als allgemeinen Rechtssatz oder als Einzelakt einzustufen. Gleichwohl bestehen gegen diese Theorie erhebliche Bedenken. Sie ergeben sich daraus, daß die Gleichsetzung von „ F a l l " und „rechtlicher Betroffenheit einer Person" die von der Wissenschaft bisher gewonnenen Erkenntnisse außer acht läßt und deshalb trotz ihrer Klarheit i n weitem Umfange zu überaus unbefriedigenden Ergebnissen führt. a) Die besondere Eigenart der Theorie Obermayers liegt darin, daß sie dem Element „ F a l l " jede begriffliche Selbständigkeit gegenüber dem Element „Adressat" abspricht, indem sie den Fall letztlich durch den Adressaten definiert. Diese Gleichsetzung steht i m Gegensatz zu der absolut herrschenden Lehre und offensichtlich auch zu der Auffassung des Gesetzgebers 16. Beide gehen davon aus, daß es sich bei Fall und Adressat u m zwei verschiedene Dinge handelt. Nach der i n der Wissenschaft durchaus vorherrschenden Auffassung, wie sie — m i t geringen Abweichungen i m einzelnen — am klarsten bei Ulbrich 17, Somló 18, Hatschek-Kurtzig 19, Friedrichs 20, Bet16

Leider unterläßt es Obermayer, sich h i e r m i t auseinanderzusetzen. Ulbrich: österreichisches Staatsrecht, S. 240/41: „ A l l e Rechtssätze sind entweder abstrakt oder konkret, generell oder individuell. Abstrakte Rechtssätze betreffen künftige, sich möglicherweise ereignende Tatbestände, k o n krete Rechtssätze dagegen bereits gegebene Tatbestände. Generelle Rechtssätze betreffen Personengattungen, individuelle Rechtssätze i n d i v i d u e l l bestimmte Personen. Regelmäßig sind die Rechtssätze abstrakt u n d i n d i v i d u e l l zugleich. Individuelle Ausnahmebestimmungen gegenüber allgemeinen Rechtssätzen können erfolgen: 1. A l s Privüegien, welche individuelle abstrakte Rechtssätze insofern sind, als der die privilegierte Person begünstigende Rechtssatz f ü r künftige mögliche Tatbestände A n w e n d u n g zu finden hat, z. B. Steuerfreiheit, privilegierter Gerichtsstand. 17

§ 9. Der F a l l als „rechtliche Betroffenheit einer Person"

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termann 21, Bachof 2 und Hans J. WoijflF 23 Ausdruck gefunden hat, muß bei jedem — jedenfalls jedem befehlenden — Hoheitsakt unterschieden werden zwischen dem Fall, den er regelt, und dem Adressaten, an 2. A l s Dispensationen, insofern die Ausnahmebestimmung nicht n u r i n d i v i duell, sondern auch konkret ist, ζ. B. dem A w i r d die Gebühr für ein bestimmtes Hechtsgeschäft erlassen. Hier liegt eine pragmatische Verfügimg i n Gesetzesform vor." 18 Sortilo: Grundlehre, S. 64: „ E i n fernerer Unterschied ebenfalls innerhalb des Normbegriffs, den m a n jedoch gleichfalls zur Begrenzung eben dieses Begriffs bestrebt w a r zu verwenden, läuft darauf hinaus, daß eine Forderung i n d i v i d u e l l bestimmt oder mehr allgemein gehalten sein kann. Sie k a n n n ä m lich entweder an eine einzelne Person oder an Personen von bestimmter A r t überhaupt gerichtet sein u n d sie k a n n i n beiden Fällen wieder entweder auf einen konkreten F a l l oder auf eine Mehrheit von Fällen Bezug haben. Durch die K o m b i n a t i o n dieser beiden Gesichtspunkte ergeben sich nach dem Grade der Besonderheit oder Allgemeinheit einer Forderung vier Möglichkeiten zur Bestimmung des Normbegriffs." 19 Hatschek-Kurtzig: Verwaltungsrecht, S. 138/39: „Der Polizeibefehl ist entweder Rechtssatz oder Verwaltungsakt: also entweder Polizeiverordnung oder Polizeiverfügung. . . . Die Unterscheidung muß an folgende logische Begriff sgegensätze anknüpfen: a) abstrakt-real, b) generell-individuell. Eine Polizei Verordnung ist demnach jener Polizeibefehl, welcher einen abstrakten, also bloß gedachten Tatbestand i n genereller Weise regelt. . . . Real ist der T a t bestand eines Polizeibefehls dann, w e n n der Befehl seine K r a f t m i t dem einzelnen F a l l erschöpft oder besser, w e n n er sich historisch w i r k l i c h zugetragen hat, nicht bloß abstrakt erdacht ist. Generell ist ein Polizeibefehl dann, w e n n er sich an eine unbegrenzte Z a h l von I n d i v i d u e n richtet, individuell, w e n n er an bestimmte einzelne Personen ergeht. Demnach ist die Polizeiverfügung j e ner Polizeibefehl, welcher ein bestimmtes reales Vorkommnis zu regeln untern i m m t . Ist er generell, so sprechen w i r von Allgemeinverfügung, ist er i n d i viduell, so sprechen w i r von gewöhnlicher Polizei Verfügung." 20 Friedrichs: P V G §24 A n m . 2: „Polizeianordnungen können ergehen gegen eine bestimmte Person (oder einen bestimmten Personenkreis) oder gegen einen unbestimmten Personenkreis; ferner für einen bestimmten F a l l (bzw. eine bestimmte A n z a h l v o n Fällen) oder f ü r eine unbestimmte A n z a h l von Fällen. Wie sich diese zweimal zwei Möglichkeiten auf den Begriff der Verfügung u n d Verordnung verteilen, ist i m bisherigen Recht nicht unstreitig gewesen." 21 Bettermann: Preisrecht, S.92/93: „ M i t der Verfügung hat sie (d.i. die Allgemeinverfügung) gemeinsam, daß sie einen Einzelfall regelt, m i t der V e r ordnung, daß sie sich an einen unbestimmten (wenn auch meist bestimmbaren) Kreis von Addressaten wendet. Je nachdem, was man als entscheidendes K r i t e r i u m ansieht: die objektive ( = sachliche) oder die subjektive ( = persönliche) Individualität, den bestimmten F a l l (so § 25 V G V O entsprechend Otto M a y ers Definition) oder den bestimmten Adressaten (so §40 P V G u n d Jellineks Definition), ist also die Frage, ob die Allgemein Verfügung ein Verwaltungsakt ist, zu bejahen oder zu verneinen." 22 Bachof: Verwaltungsakt, S. 315: „Zwischen Verwaltungsakt und Rechtssatz gibt es Übergänge. Es gibt nicht n u r konkret-individuelle u n d abstraktgenerelle Rechtsakte, sondern auch die Mischformen des konkret-generellen (AllgemeinVerfügung!) u n d des abstrakt-individuellen A k t e s . . . I m allgemeinen pflegt man nach dem bestimmten oder unbestimmten Fall zwischen konkret u n d abstrakt, nach den bestimmten oder unbestimmten Adressaten z w i schen individuell u n d generell zu unterscheiden." 23 Hans J. Wolff: Verwaltungsrecht I § 24 I I b 1 ß) aa): „Durch seinen abstrakten Charakter unterscheidet sich der Rechtssatz von dem konkreten, einen oder mehrere Einzelfälle betreffenden Rechtsakt. Sowohl Rechtssätze als

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d e n er sich w e n d e t 2 4 . B e i d e k ö n n e n z a h l e n m ä ß i g b e s t i m m t oder u n b e s t i m m t sein. Je n a c h dieser B e s t i m m t h e i t oder U n b e s t i m m t h e i t k a n n d e r H o h e i t s a k t h i n s i c h t l i c h des g e r e g e l t e n F a l l e s als k o n k r e t oder abs t r a k t , b e z ü g l i c h des A d r e s s a t e n als speziell oder g e n e r e l l bezeichnet werden 25. A u f G r u n d der Unterscheidung v o n F a l l u n d Adressat einerseits, b e s t i m m t e r u n d u n b e s t i m m t e r Z a h l andererseits g e l a n g t die h e r r schende L e h r e z u e i n e r aus v i e r S t u f e n bestehenden S k a l a d e r A l l g e m e i n h e i t b z w . B e s o n d e r h e i t v o n H o h e i t s a k t e n , da diese sein k ö n n e n 1. a b s t r a k t - g e n e r e l l , 2. a b s t r a k t - s p e z i e l l ,

3. k o n k r e t - g e n e r e l l u n d 4. k o n k r e t - s p e z i e l l 2 6 » 2 7 .

auch Rechtsakte können sich generell an eine unbestimmte Vielheit oder speziell an einzelne Subjekte wenden." Vgl. auch die Übersicht über die A r t e n verwaltungsrechtlicher Anordnungen, a. a. O., § 45 I I c. 24 M i t Ausnahme freilich der adressatlosen Hoheitsakte; s. hierzu folgend unter 2. 25 Wie bereits mehrfach bemerkt, herrscht insoweit eine babylonische Sprachverwirrung. Vielfach werden diese Begriffe rein schlagwortartig gebraucht ohne präzise Vorstellung, welcher I n h a l t ihnen eigentlich zukommt. Aber auch i m übrigen erliegen nicht wenige Autoren der i n der Mehrdeutigkeit dieser Begriffe begründeten Gefahr, ein u n d denselben Begriff an verschiedenen Stellen i n einem verschiedenen Sinn zu verwenden. Diesem V o r w u r f setzt sich auch Hans J. Wolff (Verwaltungsrecht I 3 ) aus, w e n n er den Terminus „generell", a. a. O., S. 90 zur Bezeichnung eines unbestimmten, auf S. 236 hingegen zur Bezeichnung eines bestimmten Personenkreises gebraucht. Auch i n der Übersicht S. 230 f. w i r d der Begriff i n verschiedenem Sinne gebraucht; so bezeichnet er unter 2 a) aa) eine unbestimmte Vielheit von Subjekten, während es sich bei 2 ß) aa) sowohl u m eine bestimmte als auch eine unbestimmte Vielzahl von Personen handeln kann. Entsprechendes g i l t f ü r den Terminus „speziell", der unter 2 a) ßß) bezüglich der Sonderverordnungen (auch) einen zahlenmäßig unbestimmten Adressatenkreis erfaßt, unter 2 ß) ßß) hingegen die Betroffenheit eines bestimmten einzelnen Subjekts zum Ausdruck bringen soll. Aus diesen Gründen unterliegt die Verwendung derartiger T e r m i n i erheblichen Bedenken. Wenn sie gleichwohl m i t der oben vorgenommenen ausdrücklichen Klarstellung (!) auch hier gebraucht werden, so geschieht dies n u r wegen der Kürze des sprachlichen Ausdrucks, die wegen der hier erforderlichen häufigen Verwendung der genannten Begriffsinhalte nicht gut entbehrt werden kann. — Die obige Terminologie entspricht i m wesentlichen der von Wolff (s. A n m . 23) verwandten Nomenklatur. Z u r Vermeidung der eben genannten Mehrdeutigkeiten soll die Bezeichnung „generell" jedoch n u r für eine unbestimmte Z a h l von Adressaten, „speziell" n u r f ü r einen einzelnen bzw. eine bestimmte Z a h l von Adressaten verwandt werden. I m Schrifttum w i r d statt von „speziell" vielfach von „ i n d i v i d u e l l " gesprochen; vgl. z . B . Bachof, a. a. O., land Maunz i n Maunz-Dürig: GG, A r t . 20 Rdnr. 94 A n m . 1 u n d 102. 26 Siehe hierzu zuletzt Bettermann: RdA 1959, 254 und Maunz i n MaunzDürig: GG, A r t . 20 Rdnr. 107. I n der Möglichkeit dieser vierfachen Abstufung i m Gegensatz zu der einfachen Alternative Obermayers liegt die besondere Bedeutung der Unterscheidung von F a l l u n d Adressat; vgl. hierzu folgend 3. 27 Neuerdings zieht Imboden: Plan, S. 121 die Möglichkeit konkret-genereller Hoheitsakte i n Zweifel m i t der Begründung, eine einen nicht geschlossenen Personenkreis ansprechende N o r m motiviere zwangsläufig auch eine imbestimmte Z a h l konkreter Fälle; es sei logisch ausgeschlossen, daß mehrere Rechtsträger Handlungen vollzögen, die absolut identisch seien. Z u dem dieser Auffassung zugrunde liegenden Fall-Begriff s. u. § 11, insb. unter B i d u n d I I d.

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Die von Obermayer geleugnete begriffliche Selbständigkeit der Elemente Fall und Adressat w i r d auf dem Gebiete des Polizei- und Ordnungsrechts, für das dem Allgemeinheits-Problem besondere Bedeutung zukommt, offensichtlich auch i n verschiedenen Gesetzesbestimmungen stillschweigend vorausgesetzt. So definieren § 24 prPVG, § 10 bwPolG, § 47 hePolG, § 15 ndsSOG, § 28 nwOBG und § 28 rhpfPVG übereinstimmend die Polizei-(Ordnungs-)verordnungen als (polizeiliche) Gebote oder Verbote, „die für eine unbestimmte Anzahl von Fällen an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtet sind" 2 8 . Das Wesen der polizeilichen Verfügung besteht nach § 40 prPVG, § 6 hePolG und § 48 rhpfPVG darin, daß sie „an bestimmte Personen oder an einen bestimmten Personenkreis" ergehen 29 , während § 29 ndsSOG auch hier wieder ausdrücklich Fall und Adressat einander gegenüberstellt: „Verfügungen i m Sinne dieses Gesetzes sind Anordnungen . . . , die zur Regelung von Einzelfällen an bestimmte Personen oder an einen bestimmten Personenkreis gerichtet s i n d . . . 3 0 ." Angesichts dieser nahezu einhelligen Ansicht der Wissenschaft und der m i t ihr übereinstimmenden zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen kann einer Theorie, die sich über diesen (präsumtiven) grundlegenden Unterschied zwischen den Elementen Fall und Adressat hinwegsetzt, nur dann gefolgt werden, wenn sie den Beweis erbringen kann, daß ein derartiger Unterschied tatsächlich nicht besteht oder daß zumindest zwingende Gründe es gebieten, i h n unberücksichtigt zu lassen und den Fall-Begriff ausschließlich m i t Hilfe des Elements „Adressat" zu bestimmen 81 . Einen solchen Nachweis hat Obermayer nicht angetreten. Er dürfte auch nicht zu führen sein, da die Unterscheidung zwischen diesen beiden Begriffen i n der Tat einen guten Sinn hat und sowohl aus Gründen der Rechtslogik als auch i m Interesse sachgerechter Ergebnisse nicht entbehrt werden kann. 1. Ohne daß es hier schon eines genau präzisierten Fall-Begriffs bedarf, läßt sich zunächst einmal sagen, daß bereits nach dem normalen Wortsinn der von einem Hoheitsakt geregelte Fall etwas anderes sein muß als der Adressat, den er zur Regelung eben dieses Falles m i t einer bestimmten Pflicht belegt. Es liegt auf der Hand, daß jeder (befehlende) Hoheitsakt neben dem Adressaten als Subjekt der Verpflichtung einen „Gegenstand" haben muß, auf den sich diese Pflicht bezieht. Den Unter28 Bei anderem Wortlaut sachlich übereinstimmend A r t . 13 I I I 1 bayPAG. 29 Der Sache nach übereinstimmend § 20 n w O B G . 30 Z u r Frage, ob dieser Abweichung i n der Formulierung auch sachliche Bedeutung zukommt, vgl. unten § 17. 31 Es k o m m t also nicht darauf an, ob m a n den Fall-Begriff überhaupt m i t H i l f e des Adressaten bestimmen kann, sondern ob man i h n aus irgendwelchen Gründen so bestimmen muß.

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schied zwischen diesen beiden Momenten leugnen heißt S t r u k t u r und Wesen des Hoheitsakts verkennen, wie sie i n der Formulierung „Befehl, der zur Regelung von einzelnen oder unbestimmt vielen Fällen an bestimmte oder unbestimmt viele Personen gerichtet ist" 3 2 , treffend zum Ausdruck kommen. Daß (befehlende) Hoheitsakte die Regelung irgendwelcher Fälle zum Inhalt haben, w i r d freilich auch von Obermayer nicht geleugnet. Gerade deshalb aber erscheint seine Theorie letztlich inkonsequent, w e i l sie damit zu dem befremdlichen Ergebnis führt, daß „Hoheitsakte die rechtliche Betroffenheit von Personen regeln" — während diese Betroffenheit doch immer n u r die Folge einer hoheitlichen Regelung, niemals aber i h r Gegenstand selbst sein kann. Hier zeigt sich deutlich, daß durch die Betrachtungsweise Obermayers das Wesen des Hoheitsaktes nicht unerheblich verzerrt wird. 2. Die Unterscheidung von Fall und Adressat ist weiterhin auch deshalb geboten, w e i l zwar jeder Hoheitsakt i m einen oder anderen Sinne einen „ F a l l " regelt, sich aber keineswegs stets i m eigentlichen Sinne an einen Adressaten wenden muß. Vielmehr gibt es Hoheitsakte, jedenfalls Verwaltungsakte, die nicht an einen wirklichen Adressaten gerichtet sind 33 , wie die Widmung einer öffentlichen Sache als Schulbeispiel eines adressatlosen Verwaltungsaktes zeigt 34 » 35 . Daraus erhellt zugleich, daß Obermayer seinen als allgemeingültig ausgegebenen Fall-Begriff und damit auch die Abgrenzung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Verwaltungsakt anhand eines Momentes bestimmt, das zwar zu den naturalia, nicht aber zu den essentialia eines jeden Hoheitsaktes gehört, wie es für ein derartiges Moment erforderlich wäre. 3. Die von Obermayer vorgenommene begriffliche Gleichsetzung von Fall und Adressat erscheint auch aus einem weiteren Grunde überaus bedenklich. Wie schon oben 36 dargelegt wurde, führt sie hinsichtlich der Frage nach dem „allgemeinen" Charakter eines Hoheitsaktes zwangsläufig zu einer schlichten Alternative: A l l e Hoheitsakte sind entweder schlechthin allgemein oder schlechthin nicht allgemein, je nachdem, ob sie einen bestimmten oder einen unbestimmten Adressatenkreis betreffen. I m Gegensatz hierzu besteht nach der von der herrschenden Meinung 32

Vgl. z. B. §§ 15 und 29 ndsSOG. Dies gilt allerdings w o h l nur für nicht-befehlende Hoheitsakte. Da sich Obermayer aber nicht — wie es hier zunächst geschieht — auf die befehlenden Hoheitsakte beschränkt, sondern Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, erscheint es gerechtfertigt, bereits hier auf diesen Gesichtspunkt hinzuweisen. 33

34

Vgl. z. B. Hans J. Wolff , a. a. Ο., § 56 I I e 2; Forsthoff:

Verwaltungsrecht 7,

S.187 u. 334. 35 Demgemäß sieht sich Obermayer auch veranlaßt, den Charakter der Widmung als Verwaltungsakt — leider ohne Begründung — zu bestreiten (S. 83). Freilich ist i h m damit nicht viel geholfen, da sie ja jedenfalls ein Hoheitsakt ist und sein K r i t e r i u m gerade Geltung für alle Hoheitsakte besitzen soll. 36 Vgl. oben A I Anm. 15.

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angenommenen begrifflichen Selbständigkeit von Fall und Adressat die Möglichkeit, bezüglich der Allgemeinheit eines Hoheitsaktes vier verschiedene Stufen zu unterscheiden 37 ; zwischen dem schlechthin allgemeinen und dem eindeutig nicht allgemeinen Hoheitsakt lassen sich also noch zwei Zwischenstufen begrifflich erfassen, die je nach dem K r i t e rium, auf das i m positiven Recht abgestellt wird, entweder dem allgemeinen Rechtssatz oder dem Einzelakt zugeordnet werden können. Erinnert man sich nun daran, daß die besonderen Schwierigkeiten des Allgemeinheits-Problems darin begründet liegen, daß alle Hoheitsakte trotz der ungeheuren Vielfalt der von ihnen geregelten Lebenswirklichkeiten auf eine beschränkte Zahl von logisch-strukturellen Grundformen zurückgeführt und dabei dennoch sachgerechte Ergebnisse erzielt werden müssen 38 , so w i r d der Vorzug einer vierfachen gegenüber einer nur zweifachen Unterscheidungsmöglichkeit ohne weiteres ersichtlich. Wenn es sich schon nicht vermeiden läßt, daß sämtliche Hoheitsakte hinsichtlich ihrer logischen Struktur auf wenige Grundformeln gebracht werden, dann müssen diese Formeln i m Interesse befriedigender Ergebnisse wenigstens eine möglichst sachgerechte Differenzierung zwischen den verschiedenen Arten von Hoheitsakten ermöglichen 39 . Es wurde aber bereits angedeutet, daß Charakter und Wesen eines Hoheitsaktes nicht nur durch seine Adressierung bestimmt werden, sondern i n gleicher Weise auch durch den „Gegenstand", auf den sich die Regelung bezieht. Daher ist dieser „Gegenstand", der eben nichts anderes ist als der „Fall", als Einteilungsgesichtspunkt und Differenzierungsmoment von der gleichen Bedeutung wie der Adressat. Nur wenn diese beiden für den Charakter eines Hoheitsaktes maßgeblichen Momente zusammen als Bausteine für die zu bildenden Grundformeln berücksichtigt werden, läßt sich eine sachgerechte Differenzierung erreichen, die vernünftige Ergebnisse ermöglicht. Die Richtigkeit dieser These w i r d alsbald anhand der Ergebnisse zu zeigen sein, die Obermayers allein auf den Adressaten abstellende alternative Einteilung aller Hoheitsakte zur Folge hat. 4. Ein letzter grundlegender Einwand gegen die Deduktion Obermayers ergibt sich schließlich daraus, daß sie die erforderliche Berücksichtigung des positiven Rechts vermissen läßt. Unbeschadet der Folge37

Vgl. oben § 9 A I I a. Vgl. oben §2. Offenbar besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel, möglichst wenige u n d einfache Grundformen herauszuarbeiten, u n d der sachlichen N o t wendigkeit, dabei Differenzierungen vorzunehmen. Je weniger u n d je einfacher die Grundformen, desto leichter ihre Handhabung — aber auch desto größer die Gefahr sachfremder u n d unbrauchbarer Ergebnisse. U n d u m gekehrt: je zahl- u n d inhaltsreicher die Grundformen, desto größer die Möglichkeit, jeden Hoheitsakt richtig zu erfassen — desto schwieriger aber die Handhabung und desto geringer der Wert dieser Formen. Die von der herrschenden Meinung entwickelte Skala dürfte als die bestmögliche Resultante aus diesen beiden Komponenten anzusehen sein. 38

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2. Teil:

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echtstheoretische Grundlagen / Kap.

rungen, die sich aus dem rechtstheoretischen Charakter einer grundsätzlichen Klärung des Fall-Begriffs ergeben 40 , erscheint es doch geboten, die Beziehung zum positiven Recht wenigstens i m Ansatz soweit wie möglich zu wahren. Auch eine rechtstheoretische Untersuchung, wie sie hier und bei Obermayer aufgestellt wird, dient letztlich keinem anderen Zweck als der dogmatischen Durchdringung des geltenden Rechts. Wenn dieses aber i n zahlreichen Bestimmungen Fall und Adressat nebeneinander und damit sachlich gegenüberstellt, dann kommt die Wissenschaft nicht umhin, zunächst einmal von der begrifflichen Selbständigkeit von Fall und Adressat auszugehen und auf dieser Basis eine Klärung des Fall-Begriffs zu versuchen. Das gilt u m so mehr, als sich der Gesetzgeber m i t dieser Unterscheidung offensichtlich eine gesicherte rechtstheoretische Erkenntnis zu eigen gemacht hat. Wer sich über diese Unterscheidung ohne weiteres hinwegsetzt, muß deshalb entweder von vornherein auf eine praktische Anwendung seiner Theorie verzichten oder aber i n Kauf nehmen, daß der eindeutig zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers i n weitem Umfange mißachtet wird. b) Nach den vorstehend dargelegten grundsätzlichen Einwänden erscheint es nicht verwunderlich, daß die Theorie Obermayers i n ihrer praktischen Anwendung vielfach zu unbefriedigenden Ergebnissen gelangt. Denn diese Theorie besagt ja nach dem eben Ausgeführten letztlich nichts anderes, als daß dem Element „Fall", so wie es bisher verstanden wurde, keinerlei Bedeutung zukomme und daß für die Qualität eines Hoheitsaktes als allgemeiner Rechtssatz oder Verwaltungs-(Einzel-) akt allein entscheidend sei, ob er sich an einen bestimmten Adressaten (-kreis) oder aber an eine unbestimmte Zahl von Adressaten wende. E i n solcher Verzicht auf das Element „ F a l l " muß bei der Beurteilung einzelner Hoheitsakte zwangsläufig zu Ergebnissen führen, die von der bisherigen Beurteilung dieser Akte und wohl auch von den Vorstellungen des Gesetzgebers erheblich abweichen. Die mangelnde Berücksichtigung des Elementes „Fall", d. h. also letzten Endes des Inhalts der von einem Hoheitsakt getroffenen Regelung, w i r k t sich vor allem i n zweifacher Weise mißlich aus: Einmal zwingt sie dazu, Hoheitsakte, die für eine rechtstheoretische Betrachtung ihrem Wesen nach offensichtlich durchaus verschiedenartig sind, i n derselben Kategorie zusammenzufassen; zum anderen bewirkt sie, daß Hoheitsakte, die i n ihrer A r t augenscheinlich weitgehende Ähnlichkeit besitzen, auseinandergerissen und verschiedenen Kategorien zugewiesen werden müssen 41 . Beides sei an einem Beispiel aufgezeigt. Das preußische Polizeiverwaltungsgesetz bzw. seine einzelnen Bestimmungen wenden sich an einen unbestimmten Adressatenkreis und sind 40 41

Vgl. oben §2. siehe dazu jetzt auch Neumann:

Wirtschaftslenkende Verwaltung, S. 51 f.

§ 9. Der F a l l als „rechtliche Betroffenheit einer Person"

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deshalb nach Obermayer als allgemeine Rechtssätze anzusprechen. Einen unbestimmten Adressatenkreis weist aber auch ein Hoheitsakt auf, der eine bestimmte i n der Stadt X geplante öffentliche Demonstration verbietet oder der die Zerstörung eines bestimmten Naturdenkmals allgemein untersagt. Er müßte deshalb nach Obermayer ebenso wie das prPVG als allgemeiner Rechtssatz angesehen werden. Umgekehrt wäre zwar das eben genannte Demonstrationsverbot ein allgemeiner Rechtssatz, nicht aber die Auflösung einer Versammlung bzw. der dabei ausgesprochene Befehl an die Teilnehmer, sich alsbald zu entfernen. Denn hier ist der Adressatenkreis wieder bestimmt, so daß die Anordnung i m Gegensatz zum Demonstrationsverbot als Einzelakt (VA) zu qualifizieren wäre. Bereits mit diesen Beispielen dürfte hinreichend dargetan sein, daß die praktischen Auswirkungen der Lehre Obermayers nicht annehmbar sind. Eine Theorie, die das (präventive) Verbot einer bestimmten Demonstration auf dieselbe Stufe hebt wie das Polizeiverwaltungsgesetz, es aber i n einen grundlegenden Gegensatz zur Auflösung einer Versammlung stellt, und — was das Entscheidende ist — beides notwendigerweise t u n muß, ohne i n sich die Möglichkeit einer Korrektur dieses Ergebnisses zu bieten, offenbart damit einen Fehler i m Ansatz. Der ihr zugrunde liegende Fall-Begriff ist nicht nur rechtstheoretisch anfechtbar, sondern führt auch zu befremdlichen Resultaten, die den Sinn der vom Gesetzgeber für die einzelnen Arten von Hoheitsakten aufgestellten Form- und Rechtsmittelvorschriften i n weitem Umfange i n das Gegenteil verkehren 42 . Die Lehre Obermayers von der „rechtlichen Betroffenheit einer Person" kann nach alledem nicht als zutreffende Bestimmung des FallBegriffs angesehen werden 43 . B. Die Lehre Thomas Ein der Ob ermayer sehen Methode ähnlicher Ansatz zur Präzisierung des Fall-Begriffs findet sich bereits bei Thoma. I. Ebenso wie Obermayer geht auch Thoma davon aus, daß immer dann, wenn der Hoheitsakt eine einzige bestimmte Person betrifft, auch eine Einzelfallregelung vorliege. „Erwägt man nämlich, daß jede rechtsverbindliche Willensäußerung, welche nur ein einziges bestimmtes Indi42 So könnte ζ. B. das Demonstrations verbot n u r als Verordnimg ergehen u n d wäre damit (abgesehen von der keineswegs i n allen deutschen Ländern zulässigen abstrakten Normenkontrolle) einer verwaltungsgerichtlichen A n fechtung entzogen! 43 Gegen Obermayer zuletzt aus anderen Gründen auch Neumann: W i r t schaftslenkende Verwaltung, S. 50—52.

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Volkmar

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echtstheoretische Grundlagen / Kap.

viduum betrifft, immer zugleich zu denen gehört, welche nur einen einzelnen Fall, ein einzelnes Vorkommnis zum Gegenstand haben, so erkennt man, daß von der Begriffsbestimmung »Willenserklärung, welche ihre K r a f t an einem bestimmten Vorkommnis erschöpft 4 , auch alle die Fälle umfaßt werden, i n denen eine Willenserklärung einen bestimmten einzelnen betrifft 4 4 ." I m Gegensatz zu Obermayer führt Thoma diesen Ansatz jedoch insofern nicht konsequent durch, als er den „Fall" nicht etwa schlechthin m i t der rechtlichen Betroffenheit eines Rechtssubjektes identifiziert. Vielmehr kennt er auch Befehle, die einen einzelnen Fall, „ein bestimmtes reales Vorkommnis zum Gegenstand haben" und dennoch „an die A l l gemeinheit, daß heißt an jedermann i m Verwaltungsbezirk, den es angeht", gerichtet sind („Allgemeinverfügungen") 4 5 . Thoma erblickt also das eigentliche K r i t e r i u m des (einzelnen) „Falles" i n dem „bestimmtem realen Vorkommnis" und meint offenbar, daß dieses sowohl durch die rechtliche Betroffenheit einer bestimmten Person als auch durch andere Momente individualisiert sein könne 46 . Ob diese begriffliche Unterordnung der „Betroffenheit einer bestimmten Person" unter das „bestimmte reale Vorkommnis" zutreffend und i n sich folgerichtig ist, erscheint fraglich. Es besteht vielmehr Grund zu der Annahme, daß es sich hier um zwei auf verschiedenen Ebenen liegende Begriffe handelt und daß Thoma demgemäß dem Einzelfall tatsächlich ein zweifaches, alternatives K r i t e r i u m zuspricht. Diese Frage bedarf indessen an dieser Stelle keiner näheren Prüfung. Für den jetzigen Zusammenhang genügt es festzuhalten, daß auch für Thoma bei Betroffenheit einer bestimmten Person stets eine Einzelfallregelung vorliegt; insoweit soll seine Ansicht hier noch erörtert werden. Das K r i terium des „realen Vorkommnisses" ist hingegen an späterer Stelle zu behandeln. II. Die Besonderheit der Lehre Thomas i m Vergleich zu derjenigen Obermayers besteht darin, daß sie lediglich die begriffliche Möglichkeit von abstrakt-speziellen, nicht hingegen auch die von konkret-generellen Hoheitsakten ausschließt, da sie insoweit auf vom Adressaten unabhängige Momente abstellt, die den Einzelfall, das reale Vorkommnis konstituieren. Thoma gelangt damit zu einer aus drei Stufen bestehenden Allgemeinheits-Skala. Aus dieser Besonderheit folgt zunächst, daß Thoma von den meisten der gegen Obermayer vorgebrachten Einwände nicht getroffen wird. 44 45

Thoma: Polizeibefehl, S. 62.

a. a. O., S. 65. Leider spricht er sich nicht k l a r darüber aus, w o r i n diese Momente bestehen. Der Leser ist insoweit auf Kombinationen angewiesen. Vgl. hierzu auch unten § 10 Β BB. 46

§ 9. Der F a l l als „rechtliche Betroffenheit einer Person"

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Thoma erkennt die grundlegende Bedeutung des Elementes „ F a l l " i m wesentlichen an und hält sich dadurch die Möglichkeit offen, innerhalb der Vielfalt der generellen Hoheitsakte zwischen den konkreten und den abstrakten Anordnungen zu unterscheiden und damit die befremdenden Ergebnisse der Lehre Obermayers zu vermeiden. Indessen liegt gerade i n der —gewissermaßen asymmetrischen — Dreistufigkeit der Allgemeinheits-Skala die dogmatische Schwäche der Theorie Thomas begründet. Denn daß es zwar konkret-generelle, nicht aber auch abstrakt-spezielle Anordnungen geben soll, ist bei rein rechtstheoretischer Betrachtung nicht einzusehen. Weshalb soll eine Regelung, die eine unbestimmte Vielzahl von „realen Vorkommnissen" erfaßt, nur einem generellen A k t den Charakter der Abstraktheit verleihen körinen, i m Rahmen einer speziellen Anordnung hingegen dieser K r a f t entbehren? Inwiefern soll die „Fall-Qualität" von bestimmten realen Vorkommnissen davon abhängig sein, ob sie zum Gegenstand einer generellen oder einer speziellen Regelung gemacht werden 47 ? Und wie ist es zu erklären, daß die Betroffenheit einer einzelnen Person stets einen Einzelfall statuiert, ohne daß die Betroffenheit einer Vielzahl von Personen auch eine Vielzahl von Fällen begründet? A n diesen Fragen, auf die Thoma die A n t w o r t schuldig bleibt, t r i t t die rechtstheoretische Inkonsequenz seiner Theorie deutlich zutage. Aber auch eben nur die rechtstheoretische! Denn der scheinbar unüberwindliche Bruch i m System Thomas, auf den die obigen Fragen hinweisen, dürfte seine Erklärung darin finden, daß Thoma bei den nur eine bestimmte einzelne Person betreffenden Hoheitsakten stillschweigend von einer rein rechtstheoretischen zu einer positivrechtlich-teleologischen Begriffsbildung übergeht. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint seine These sofort i n einem ganz anderen Licht. Denn die Frage, ob i m Sinne der Lehre vom Verwaltungsakt nicht auch ein abstrakt-spezieller Hoheitsakt als Einzelfallregelung angesehen werden kann oder sogar muß, erscheint durchaus berechtigt und läßt sich m i t guten Gründen bejahen 48 . Daraus erhellt, daß Thoma hinsichtlich des Fall-Begriffs bei solchen Anordnungen, die an eine bestimmte einzelne Person gerichtet sind, offenbar von einer primär teleologischen Fragestellung ausgeht und deshalb den Boden einer rein rechtstheoretischen Untersuchung verläßt. Seine 47 Z . B . wäre ein Befehl, der allen Hauseigentümern einer Stadt aufgibt, jedesmal bei Glatteis die Zugangswege zu ihren Grundstücken zu bestreuen, nach Thoma abstrakt. Als die zahlenmäßig unbestimmten realen V o r k o m m nisse = F ä l l e müßten hier nach seiner Ansicht w o h l die unbestimmt oft eintretenden Glatteisbildungen angesehen werden. W i r d der gleiche Befehl aber an einen einzelnen Eigentümer gerichtet, so soll er n u r noch einen Einzelfall regeln —, obwohl er doch auch hier die unbestimmt vielen Vereisungen der Zugangswege betrifft. 48 Vgl. unten § 16.

6*

2. Teil:

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echtstheoretische Grundlagen / Kap.

Theorie soll daher insoweit i m I I I . Teil i m Zusammenhang m i t der Frage, was unter einem Einzelfall i m Sinne der Lehre vom V A zu verstehen ist, weiter erörtert werden 48 . § 10. D e r

Fall

als „ r e a l e r

Lebenssachverhalt"

Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß dem Fall-Begriff unter dem Gesichtspunkt der „rechtlichen Betroffenheit" nicht beizukommen ist. Der Versuch, i h n auf diese Weise vom Adressaten her zu bestimmen, ist zum Scheitern verurteilt. Die bisher einzige näher ausgeformte Theorie des Fall-Begriffs erweist sich damit als nicht haltbar. Neben den eingehenden Darlegungen Obermayers und den Bemerkungen Thomas finden sich jedoch i n Wissenschaft und Rechtsprechung noch zahlreiche andere Äußerungen zu diesem Begriff, i n denen der F a l l durchweg als ein vom Adressaten unabhängiges Moment verstanden wird 4 9 . A l l e diese Äußerungen tragen zwar einen mehr oder minder beiläufigen Charakter und haben weniger eine Definition als eine Umschreibung zum Inhalt, so daß sie schwerlich i m eigentlichen Sinne als (fundierte) Theorie des Fall-Begriffs angesprochen werden können. Immerhin liegt ihnen aber doch sämtlich eine bestimmte Vorstellung von dem wesentlichen Inhalt dieses Begriffs zugrunde: daß nämlich unter einem „ F a l l " als Gegenstand hoheitlicher Regelung ein „realer Lebenssachverhalt" zu verstehen sei. „(Lebens-)Sachverhalt" 50 , „reales Vorkommnis" 5 1 , „konkretes Ereignis" 5 2 , „konkrete Angelegenheit" 53 und „Verhältnis" 5 4 — das sind die Termini, m i t denen man ganz überwiegend versucht hat, den Inhalt des Fall-Begriffs zu erfassen. Sie 49 Insoweit übereinstimmend m i t den oben § 9 A I I a zitierten Äußerungen, i n denen der F a l l bereits ohne nähere Bestimmung seines Wesens als dem Adressaten gegenüber begrifflich selbständiges Moment angesehen w i r d .

50 Vgl. Husserl : Rechtskraft, S. 5; Esser: Einführung, S. 136; EyermannFröhler: VwGO, § 42 Rdnr. 31; Schunck-de Clerck: VGG § 15 Anm. I I 3 a) bb);

Engisch:

Einführung,

S. 34; Forsthoff:

Maßnahme-Gesetze,

S. 224;

Hans

J. Wolff : Verwaltungsrechtl 3, § 36 I I I a und 45 I I c; Menger: Gesetz, S. 7; Imboden: Plan, S. 121; Koehler: VwGO, § 42 Anm. A V; Larenz: Methoden-

lehre, S. 150, 152; ebenso auch O V G Lüneburg, Urt. v. 18. 6.1952: A S 6, 267. 51 Vgl. Thoma: Polizeibefehl, S. 62, 64 f. und passim; Rosin: Polizeiverordnungsrecht, S. 12; ebenso auch OVG Münster, Urt. v. 20. 11. 1951: AS 5, 163 u n d he V G H , Urt. v. 6.10.1955: E S V G H 6,146. 52

Vgl. Friedrichs:

PVG §24 Anm. 2; Drews-Lassar:

PVG §24 Anm. 2;

ebenso auch bad. V G H , Urt. v. 13.10.1926: J W 1928,1533. 53 Vgl. G. Jellinek: Gesetz u n d Verordnung, S. 236; G. Meyer: Staatsrecht, S. 21 u. 483 sowie Verwaltungsrecht, S. 17; Klinger: V w G O , §42 A n m . E l l („konkrete Verwaltungsangelegenheit"); Ole: VwGO, § 42 A n m . I V 2 c („konkreter Vorgang"). 54 Vgl. Loening: Verwaltungsrecht, S.226; Thon: AöR Bd. 5 (1890), 151; ähnlich auch Forsthoff: Verwaltungsrecht I 7 , S. 184 („einmaliges, konkretes Sach- oder Rechtsverhältnis") u n d OVG B e r l i n v. 28.11.1958: AS 5,156.

§ 10. Der F a l l als „realer Lebenssachverhalt" / A.

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alle seien hier m i t der Bezeichnung „realer Lebenssachverhalt" zusammengefaßt, da wohl davon ausgegangen werden darf, daß m i t ihnen sachlich durchweg das gemeint ist, was i n dieser Formulierung am klarsten zum Ausdruck kommt. A. Die Notwendigkeit

der Präzisierung

des Sachverhalts-Begriffs

Die Einmütigkeit, m i t der man sich i n Wissenschaft und Rechtsprechung m i t der Anführung einer der genannten Wendungen begnügt, könnte die Vermutung nahelegen, daß der Begriff des Falles hierm i t bereits hinreichend bestimmt sei. Bei näherem Zusehen erweist sich eine solche Annahme jedoch als verfehlt. Die Brauchbarkeit einer Definition des Falles als Grundelement der Unterscheidung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt hängt davon ab, daß sie es ermöglicht, den von einem Hoheitsakt geregelten (einzelnen) Fall als solchen eindeutig zu bestimmen und damit auch die Regelung eines Einzelfalles von der Regelung einer bestimmten und einer unbestimmten Vielzahl von Fällen klar zu unterscheiden. Diese Voraussetzungen sind bei der Formel vom realen Lebenssachverhalt nicht erfüllt. Wendet man sie nämlich auf Hoheitsakte an, deren Rechtscharakter zweifelhaft ist, so zeigt sich sofort, daß sie die Probleme nicht löst, sondern lediglich verschiebt. Der Rechtscharakter der amtlichen Verkehrszeichen ζ. B. ist deshalb immer noch umstritten, w e i l die Frage, ob die durch diese Zeichen getroffenen Anordnungen jeweils einen Einzelfall oder aber eine unbestimmte Vielzahl von Fällen regeln, bislang noch keine überzeugende A n t w o r t gefunden hat 5 5 . Fragt man nun, ob das einzelne Zeichen einen einzelnen (realen Lebenssachverhalt oder aber eine unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten betrifft, so hängt die A n t w o r t davon ab, w o r i n hier der „reale Lebenssachverhalt" zu erblicken sei: ob i n dem Vorhandensein einer bestimmten Straße bzw. Straßenstelle oder aber i n der jeweiligen konkreten Verkehrssituation, also darin, daß ein bestimmter Verkehrsteilnehmer sich anschickt, diese Straßen(stelle) zu befahren. Aber nach welchem Gesichtspunkt soll diese Frage entschieden werden? Der Begriff des realen Lebenssachverhalts als solcher vermag das für diese Entscheidung erforderliche K r i t e r i u m nicht zu liefern; er deckt sowohl die eine wie die andere Antwort, wie denn auch i n Wissenschaft und Rechtsprechung beide Standpunkte vertreten werden 55 . Ähnlich liegt es bei dem Verbot, i n einem bestimmten Teich zu baden oder an einem bestimmten Orte Schutt abzuladen. Auch hier geht die Frage dahin, ob als Sachverhalt z.B. das Vorhandensein des Teiches bzw. seine besondere Beschaffenheit (etwa Feuerlösch- oder Trinkwas55

Hinsichtlich des Streitstandes vgl. die Angaben unten § 19 A I a.

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2. Teil:

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

serteich) oder aber erst die Tatsache anzusehen ist, daß eine bestimmte Person i m Teiche badet oder baden will 5 ®. Sie ist ebenfalls aus dem Begriff des „realen Lebenssachverhalts" allein nicht zu beantworten. Dieselben Schwierigkeiten ergeben sich i n dem von Thoma 57 behandelten Beispiel, daß für die Dauer einer Weltausstellung eine „Fahrordnung für die Droschkenkutscher" erlassen wird. Thoma erblickt den Sachverhalt, die „bestimmte reale Angelegenheit", offenbar i n der Weltausstellung. Aber m i t gleichem Recht könnte man sagen, der Sachverhalt bestehe i n der jeweiligen „konkreten" Verkehrssituation, für die den Droschkenkutschern ein bestimmtes Verhalten zur Pflicht gemacht sei, oder auch i n diesem Verhalten selbst, und die Fahrordnung treffe deshalb keine konkrete, sondern eine abstrakte Regelung. Und wie wäre es schließlich, wenn allen Staatsbürgern befohlen würde, anläßlich des Todes des Staatsoberhauptes vier Wochen lang i n der Öffentlichkeit schwarze Armbinden zu tragen? Auch hier kann sowohl der Tod des Staatsoberhauptes als auch der Umstand, daß sich eine bestimmte Person auf eine öffentliche Straße begibt, als realer Lebenssachverhalt angesprochen werden. A n diesen Beispielen dürfte hinreichend deutlich werden, daß der Begriff des realen Lebenssachverhalts als solcher nicht geeignet ist, die i h m zugedachte Funktion zu erfüllen und den Fall-Begriff derart zu präzisieren, daß die Regelung eines Einzelfalles von der Regelung einer bestimmten und einer unbestimmten Vielzahl von Fällen eindeutig unterschieden werden kann. Er ist vielmehr i n seinem Inhalt und Umfang selbst derart blaß und verschwommen, daß er diejenigen Momente, die einmalig sind und deshalb als „Einzelfall" angesprochen werden könnten (Vorhandensein einer bestimmten Straße oder eines bestimmten Teiches, bestimmte Weltausstellung, Tod eines bestimmten Staatsoberhauptes), i n gleicher Weise erfaßt wie diejenigen Umstände, die unbestimmt oft vorkommen können (konkrete Verkehrssituation, A u f enthalt eines Badelustigen am Teich, Erscheinen eines Staatsbürgers i n der Öffentlichkeit). Gerade die problematischen Hoheitsakte, an denen sich eine nähere Bestimmung des Fall-Begriffs zu bewähren hat, können so anhand der Gleichung „ F a l l = realer Lebenssachverhalt" jeweils sowohl als Einzelfallregelung als auch als Regelung einer unbestimmten 56 Nicht hingegen ist es angängig, als Sachverhalt schlechthin das „Baden i m Teich" anzusprechen! Denn hier handelt es sich u m einen abstrakten Begriff u n d nicht mehr u m einen „realen Lebenssachverhalt". Diese Grenze ist v o n großer Bedeutung. W i r d sie verwischt, so könnten die meisten Rechtssätze als Einzelfallregelungen angesehen werden, w e i l sich i h r I n h a l t fast immer auf einen einzelnen abstrakten Begriff bringen läßt. So regelt z. B. § 20 p r P V G „die Polizeipflicht des Eigentümers", § 27 GewO die „Errichtung oder Verlegung geräuschvoller Anlagen", § 1 GaststG „den Betrieb von Gaststätten" usw.

57

Thoma: Polizeibefehl, S. 66 Anm. 20 im Anschluß an W. Jellinek: Ge-

setz, S. 367 A n m . 3.

§ 10. Der F a l l als „realer Lebenssachverhalt" /

. AA.

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Vielzahl von Fällen angesehen werden. M i t dieser Gleichung w i r d das eigentliche Problem deshalb nicht gelöst, sondern lediglich verschoben, da dieselben Schwierigkeiten, die sich aus dem Fall-Begriff selbst ergeben, auch m i t dem Begriff des realen Lebenssachverhalts verbunden sind. Die Interpretation des Falles als realer Lebenssachverhalt führt demnach i n dieser Form nicht weiter. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, daß sie auch bereits i m Ansatz zu einer brauchbaren und zutreffenden Bestimmung des Fall-Begriffes nicht geeignet sei. Ließen sich nämlich irgendwelche Momente finden, die den einzelnen realen Sachverhalt als solchen konstituieren und damit auch individualisieren, so wären die eben aufgezeigten Schwierigkeiten überwunden; denn wenn anhand derartiger Momente erkannt werden kann, welches der von einem Hoheitsakt geregelte (jeweilige) einzelne Sachverhalt ist, dann läßt sich auch ohne weiteres entscheiden, ob der Hoheitsakt nur einen einzigen Sachverhalt oder aber eine bestimmte oder unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten = Fällen erfaßt. B. Die Möglichkeiten der Präzisierung des Sachverhalts-Begriffs I m folgenden soll deshalb untersucht werden, ob es irgendwelche Momente gibt, die den einzelnen realen Lebenssachverhalt zu individualisieren vermögen. Solche Individualisierungsmomente könnten einmal vielleicht i m Hoheitsakt selbst gefunden werden; sie könnten aber zum anderen auch — mehr oder minder unabhängig von diesem — i n der Lebenswirklichkeit als solcher zu suchen sein. A A . Die Individualisierung des „realen Lebenssachverhaltes" durch den „rechtsfolgebegründenden Tatbestand" des Hoheitsaktes Eine i m Schrifttum weitverbreitete Ansicht läuft i m Ergebnis darauf hinaus, daß jeder Hoheitsakt den von i h m geregelten (jeweiligen) einzelnen Lebenssachverhalt selbst individualisiere, indem er klar bestimme, aus welchen tatsächlichen Umständen dieser reale Lebenssachverhalt gebildet werde. I. a) Nach dieser i n der Wissenschaft ganz herrschenden Auffassung 58 ist jeder abstrakte Hoheitsakt (Rechtssatz) so aufgebaut, daß er einen 58 Vgl. etwa die — bei Abweichungen i m einzelnen — i m wesentlichen übereinstimmenden Äußerungen bei v. Ihering: Geist I , S. 52 u n d Zweck I,

S. 336 f.; Rosin: Polizeiverordnungsrecht, S. 4 f.; Haenel: Gesetz, S. 122 und 130; Anschütz: Studien, S. 46; Thoma: Polizeibefehl, S. 73; Zitelmann: Rechtsgeschäft, S. 224; Thon: AöR 5 (1890), 154/155; W. Schulze: Tat-

bestand, S. 34—36 u. passim (mit der Einschränkung, daß an sich auch andere

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2. Teil:

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

„Tatbestand" m i t einer „Rechtsfolge" verknüpft. Der Tatbestand, so heißt es, enthält i n Gestalt eines „begrifflich schematisierten Typus eines Lebenssachverhalts" 59 die Voraussetzungen der durch den Hoheitsakt begründeten Verpflichtung (bzw. Berechtigung), während die Rechtsfolge die eigentliche Anordnung, nämlich die sich aus jenem vorausgesetzten Sachverhalt ergebende Verpflichtung (Berechtigung) selbst ausspricht. Das bedeutet n u n nichts anderes, als daß jeder abstrakte Hoheitsakt selbst genau festlegt, w o r i n der von i h m geregelte (jeweilige) einzelne Lebenssachverhalt ( = Fall) besteht: nämlich eben i n denjenigen tatsächlichen Umständen, die i n begrifflich schematisierter Weise i n seinem Tatbestand zusammengefaßt sind, die also den Tatbestand „verwirklichen" 6 0 . „ E r f ü l l t ein historisch-individueller Tatbestand 61 diese condicio legis, so liegt ein Fall vor 6 2 ." Eine derartige Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge findet sich jedoch — wie auch von einigen Vertretern dieser Lehre zumindest der Sache nach anerkannt w i r d 6 3 — nicht n u r bei den abstrakten Hoheitsakten. Sie kommt vielmehr auch bei solchen konkreten A n ordnungen vor, die eine nach Gattungsmerkmalen bezeichnete bestimmte Zahl von Fällen betreffen. W i r d z.B. i n einer Gemeinde angeordnet, daß auf allen Grundstücken, auf denen i m vergangenen Jahr Ratten festgestellt worden sind, vom Eigentümer Gift auszulegen ist, so besteht diese Verpflichtung nicht schlechthin, sondern nur unter der Voraussetzung, „daß i m vergangenen Jahr auf einem Grundstück Ratten beobachtet worden sind". Diese Voraussetzung i n Gestalt eines begrifflich typisierten Lebenssachverhalts ist aber eben nichts anderes als der „Tatbestand" der Anordnung. Da der Kreis der Grundstücke, auf denen i m vergangenen Jahr Ratten beobachtet worden sind, unveränderlich feststeht und einer Erweiterung nicht mehr zugänglich ist, erfaßt der Tatbestand hier nicht eine unbestimmte, sondern nur eine bestimmte Zahl Rechtsnormen denkbar seien); Bornhak: Staatsrecht 2 , S. 469 f.; Stammler: Rechtsphilosophie, S. 255 u. 258 f. sowie Theorie, S. 189; Laband: Reichsstaatsrecht, S. 115; Isay: Rechtsnorm, S. 3 ff.; Husserl : Rechtskraft, S. 17 u. passim; v. Hippel: Rechtstheorie, S. 22 f., 25, 27, 35 u. passim; Esser: Einführung, S. 136;

Boehmer: Grundlagen I I 1, S. 3—6; Engisch: Einführung, S. 32 f., 35, 42; Obermayer: Verwaltungsakt, S. 76; Winkler: Bescheid, S. 30; Hans J. Wolff: AöR

76 (1950), 208 und Verwaltungsrecht I 3 , § 24 I I b 1 ß) aa) und § 36 I I I a (hier mit einer Einschränkung für die „tatbestandslosen, kategorischen Gebote oder Verbote"; siehe hierzu folgend I I b ) ; Menger: Gesetz, S. 7, 16 f., 19; Larenz: Methodenlehre, S. 149 ff. Nicht ganz eindeutig K a r l Wolff: Grundlehre, S. 167. 59 So Hans J. Wolff , a. a. Ο., § 36 I I I a. 60 So besteht ζ. Β. der Tatbestand des § 985 BGB darin, daß „jemand eine i n fremdem Eigentum stehende Sache besitzt". E i n durch diese Vorschrift geregelter Lebenssachverhalt läge vor, wenn A ein dem E gehörendes Buch i n Besitz hat. 61 Lies: Lebenssachverhalt. 62 So ausdrücklich Husserl , a. a. O., S. 17.

63 Vgl. etwa Rosin, a. a. O., S. 8 f.; Isay, a. a. O., S. 4 f.; Haenel, a. a. O., S. 130; Bornhak, a. a. O., S. 469.

§ 10. Der F a l l als „realer Lebenssachverhalt" / B. A A .

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von realen Lebenssachverhalten = Fällen, so daß der Anordnung konkreter Charakter zukäme. Damit bleiben nur noch diejenigen konkreten Hoheitsakte übrig, die die von ihnen geregelten Lebenssachverhalte (Fälle) nicht i n begrifflich schematisierter Weise nach Gattungsmerkmalen, sondern ganz individuell bestimmen, also einen Tatbestand i m Sinne der obigen Definition nicht aufweisen® 4. Hierhin gehört ζ. B. eine Anordnung, die dem Grundeigentümer E gebietet, auf seinem von Ratten befallenen Grundstück Gift zu streuen, oder das Verbot einer bestimmten öffentlichen Demonstration. Bei derartigen Hoheitsakten ist der geregelte Lebenssachverhalt i n aller Regel so klar als einmalig-individueller erkennbar, daß die Anordnung ohne Schwierigkeiten als Einzelfallregelung qualifiziert werden kann. Die Lehre vom Tatbestand eröffnet demnach die Möglichkeit, den von einem Hoheitsakt geregelten (jeweiligen) einzelnen Lebenssachverhalt i n dem erforderlichen Umfange zu individualisieren. Weisen w i r k lich alle Hoheitsakte — m i t Ausnahme der zuletzt erwähnten unproblematischen Einzelfallregelungen — einen „Tatbestand" auf, von dem die Verpflichtung (Berechtigung) des Adressaten als Rechtsfolge abhängt, so sind die einzelnen Lebenssachverhalte stets eindeutig bestimmt als diejenigen tatsächlichen Umstände, durch die der begriffliche Tatbestand „ v e r w i r k l i c h t " wird. Ein Hoheitsakt regelt dann so viele Lebenssachverhalte = Fälle, als sein Tatbestand verwirklicht worden ist oder i n Z u k u n f t noch verwirklicht wird. b) Die Lehre von der Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge hat aber darüber hinaus für die Abgrenzung von allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt noch eine weitere, ganz unmittelbare Bedeutung. Da diese Verknüpfung dem abstrakten Hoheitsakt ausnahmslos eigentümlich sein soll und dieser per definitionem eine unbestimmte Zahl von Fällen regelt, muß die zahlenmäßige Unbestimmtheit der von i h m erfaßten Sachverhalte bereits i n seinem Tatbestand i n Erscheinung treten. Das geschieht nach der herrschenden Lehre i n der Weise, daß dem Tatbestand des abstrakten Hoheitsaktes das Schema „Jedesmal wenn . . . " zugrunde liegt, so daß sich der Hoheitsakt insgesamt stets auf die Formel „Jedesmal wenn — so" bringen läßt 6 5 » 6 8 . I n dem 64

65

Vgl. hierzu auch oben vor § 9 Anm. 1.

Vgl. v. Ihering: Geist I, S. 52 Anm. 20 und Zweck I, S. 337; Zitelmann,

a.a.O., S. 222; Rosin, a.a.O., S. 7; W. Schulze, a.a.O., S. 36; Thon, a.a.O., S. 155 f. u. 158; Bornhak, a.a.O., S. 469; Stammler: Rechtsphilosophie, S.258;

Isay, a. a. O., S. 4,9 u. passim; Husserl , a. a. O., S. 17; Boehmer, a. a. O., S. 3—6; Heinrich Maier: Psychologie, S. 681; Engisch: Einführung, S. 21; Winkler: Bescheid, S. 30; Hans J. Wolff:

Verwaltungsrecht I, § 24 I I b 1 ß) aa) und

§ 45 I I c; Menger: Gesetz, S. 19, Larenz: Methodenlehre, S. 152, 156, 160.

Wenn bei der Mehrzahl dieser Autoren von der Formel „Wenn — so" die Redo ist, so dürfte dies lediglich als Abweichung i n der sprachlichen Formulierung ohne sachliche Bedeutung anzusehen sein. Diese Formulierung ist indessen

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2. Teil:

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

„ Jedesmal wenn . . k o m m t klar und eindeutig zum Ausdruck, daß der hier begrifflich-gattungsmäßig bezeichnete Lebenssachverhalt unbestimmt oft Wirklichkeit werden, daß der Tatbestand unbestimmt oft erfüllt werden kann und somit eine unbestimmte Zahl von Fällen erfaßt. A n dem Schema „Jedesmal wenn — so" w i r d aber nach der herrschenden Lehre zugleich auch erkennbar, daß der abstrakte Hoheitsakt stets einen hypothetischen Charakter besitzt und damit eine ganz bestimmte logische Struktur aufweist, die n u r i h m eigen ist und i h n damit von allen anderen Hoheitsakten unterscheidet 67 . Die herrschende Lehre ermöglicht somit — ihre Richtigkeit unterstellt — nicht n u r eine Individualisierung des einzelnen Lebenssachverhalts, sondern liefert darüber hinaus auch ein Kriterium, anhand dessen ein Hoheitsakt ganz unmittelbar als abstrakt oder konkret erkannt werden kann: Läßt er sich auf die Formel „Jedesmal wenn — so" bringen und verrät er damit seine hypothetische Struktur, so kann es sich n u r um eine abstrakte Regelung handeln; ist ein Hoheitsakt hingegen einer solchen Formulierung nicht zugänglich, dann weist er sich eben dadurch eindeutig als konkrete Anordnung aus. II. Die Lehre, daß — außer einer Reihe von konkreten Regelungen — jedenfalls jeder abstrakte, also eine unbestimmte Vielzahl von Fällen regelnde Hoheitsakt durch eine Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge gekennzeichnet sei, ist demnach für die Frage nach dem Fall-Begriff und der Unterscheidung von abstrakten und konkreten Hoheitsakten von grundlegender Bedeutung. Ließen sich w i r k l i c h ausnahmslos bei jeder abstrakten Anordnung Tatbestand und Rechtsfolge unterscheiden, so wäre die hier gestellte rechtstheoretische Aufgabe praktisch gelöst. Wäre diese Unterscheidung hingegen als solche nicht haltbar, dann könnte der Lebenssachverhalt nicht als durch den jeweiligen Hoheitsakt selbst hinreichend individualisiert angesehen werden. U n d ließe sie sich auch n u r bei gewissen A r t e n von unzweifelhaft abstrakten Regelungen nicht durchführen, dann könnte der Fall-Begriff auch bezüglich der anderen, aus Tatbestand und Rechtsfolge aufgebauten Hoheitsakte nicht als der i m Tatbestand begrifflich typisierte reale Lebenssachverhalt definiert werden; denn wenn der „ F a l l " dasjenige ist, ungenau, w e i l sie auch eine i n der Vergangenheit liegende bzw. eine i n Zukunft nur einmal realisierbare „Bedingung" bezeichnen kann („Wenn jemand Angehöriger der deutschen Wehrmacht war, s o . . . " bzw. „Wenn der nächste Versuch m i t . . . gelingt, s o . . . " ) , während sie doch gerade zum Ausdruck b r i n gen soll, daß die betreffenden Voraussetzungen unbestimmt oft eintreten können. Richtig jetzt Hans J. Wolff , a. a. Ο., (anders noch i n der 1. Aufl., S. 79 u. 194). ββ So könnte z.B. §985 BGB formuliert werden: „Jedesmal, wenn jemand eine i n fremdem Eigentum stehende Sache i n Besitz hat, so soll er sie dem Eigentümer auf dessen Verlangen herausgeben." 67 Vgl. die i n Anm. 65 genannten Autoren m i t Ausnahme von Wolff und Menger sowie jetzt auch BVwG, Urt. v. 10. 6.1960: DVB1.1960, 805.

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was den jeweiligen realen „Gegenstand" hoheitlicher Regelung schlechth i n bildet, dann kann er auch nur i n einem Moment gefunden werden, das einheitlich allen Hoheitsakten ohne jede Ausnahme eigen ist 68 . I m folgenden muß deshalb untersucht werden, ob die herrschende Lehre einer kritischen Nachprüfung standhält. a) Der Lehrsatz, daß (zumindest) die abstrakten Hoheitsakte (Rechtssätze) sämtlich aus Tatbestand und Rechtsfolge bestünden, hat — soweit ersichtlich — bisher ein einziges Mal ernsthaften Widerspruch erfahren. I n einer bislang überraschend wenig beachteten eingehenden Untersuchung hat Burckhardt den Nachweis versucht, daß sich diese Unterscheidung nicht aufrechterhalten lasse, wenigstens nicht als eine solche logischer A r t 6 9 . Seine Beweisführung verläuft i m wesentlichen folgendermaßen. Ausgangspunkt ist die Feststellung, daß jeder Rechtssatz, u m vollständig zu sein, Subjekt und Inhalt der Verpflichtung bestimmen müsse 70 . Die Lehre, daß er überdies als Tatbestand auch die Voraussetzungen dieser Pflicht angeben müsse oder daß alle Rechtssätze hypothetisch seien, was auf dasselbe hinauskomme, w i r d dann an Beispielen i n Frage gestellt, i n denen es gerade an besonderen Voraussetzungen zu fehlen scheint 71 . Burckhardt nennt hier u. a. das allgemeine Verbot, andere zu töten oder den Verkehr zu stören, sowie die Anordnung einer Kopfsteuer 72 . Diese Beispiele und ihr Vergleich m i t anderen, i n denen sich die Voraussetzungen deutlich unterscheiden lassen, führen ihn zu der Frage, ob die ganze Unterscheidung am Ende nur auf einer Verschiedenheit sprachlicher Formulierung beruhe. Anhand einer näheren Analyse gibt er darauf die A n t w o r t : Was man Voraussetzung nennt, könne i n der Tat oft als die nähere Umschreibung des Verpflichteten aufgefaßt werden 7 3 ; mitunter scheine sie aber sachlich ebensogut zur Umschreibung des Inhalts, der Pflicht, zu dienen 74 . 68 Anderenfalls käme man hier zu dem Ergebnis, daß die gedachten „ t a t bestandslosen" abstrakten Hoheitsakte überhaupt keine Fälle regelten! 69 Burckhardt: Methode, S. 226—234. 70 a. a. O., S. 227. 71 a. a. O., S. 228 f. 72 a. a. O., S. 229: „Sollte zum Beispiel die Kopfsteuer unter der Voraussetzung geschuldet sein, daß jemand einen K o p f habe?" 73 a. a. O., S. 230: „ W e n n der Kreis der Verpflichteten zunächst zu w e i t u m schrieben w i r d , muß er nachträglich durch eine Bedingung eingeengt werden; w i r d diese Bedingung i n die begriffliche Umschreibung des Verpflichteten von vornherein einbezogen, so bedarf es der nachträglichen Einschränkung nicht mehr. Ich k a n n sagen: Wenn jemand ein Grundstück besitzt, hat er sich übermäßiger E i n w i r k u n g e n auf die Nachbargrundstücke zu enthalten. Die Bedingung, unter der sich jemand übermäßiger E i n w i r k u n g e n zu enthalten hat, ist der Besitz eines Grundstücks. N u r ist diese einschränkende Bedingung nicht mehr nötig, wenn ich die Verpflichteten von vornherein als Eigentümer von Grundstücken bezeichne; die Bedingung ist i n der Umschreibung des Verpflichteteten selbst enthalten. Wenn ich sage: Jedermann ist ver-

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2. T e i l :

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

Nachdem Burckhardt noch einmal ausdrücklich klargestellt hat, daß es nicht darauf ankomme, ob die sprachliche Formel eines Rechtssatzes stets einen besonderen Wenn-Satz enthalten müsse, sondern ob i n jedem Rechtssatz ungeachtet seiner Formulierung der rechtliche Inhalt i n die logischen Bestandteile des Subjekts, des Inhalts und der Voraussetzung der Verpflichtung zerlegt werden könne 75 , gelangt er auf Grund seiner Analyse zu dem Ergebnis: Die vom Gesetzgeber zu stellende Frage, unter welchen Voraussetzungen jemand zu etwas verpflichtet werden soll, sei nichts anderes als die Frage, wer zu was verpflichtet sein soll; oder die Frage nach dem Inhalt des Rechtssatzes überhaupt. Jede Voraussetzung sei die nähere Bestimmung des Satzes, daß „jemand" zu „etwas" verpflichtet sein solle; oder die nachträgliche Einschränkung des (supponierten) allgemeinen Satzes, daß „jedermann" zu „allem" verpflichtet sein solle. Jede nähere Bestimmung dieses unbestimmten Satzes könne i m Verhältnis dazu als „Voraussetzung" bezeichnet werden 76 . Die Unterscheidung von Tatbestand und Rechtsfolge sei somit als logische Unterscheidung nicht aufrechtzuerhalten, da sich nicht bestimmen lasse, welche Bestandteile des Rechtssatzes als Tatbestand und welche als Rechtsfolge anzusehen seien 77 » 78 . Es w i r d sich nicht leugnen lassen, daß die herrschende Lehre durch die Ausführungen Burckhardts ernsthaft i n Frage gestellt wird. Ob sie als i n vollem Umfange definitiv widerlegt angesehen werden kann, ließe sich nur anhand einer eingehenden Überprüfung der Burckhardtschen Beweisführung entscheiden 79 . Eine solche ist hier jedoch nach dem pflichtet, der Behörde Anzeige zu machen, w e n n er m i t einer ansteckenden K r a n k h e i t befallen w i r d , habe ich zunächst m i t jedermann den Verpflichteten zu w e i t umschrieben; jedermann ist n u r bedingt richtig. A b e r ich könnte auch sagen: Der durch Ansteckung Erkrankte ist zur Anzeige verpflichtet, u n d dann wäre i m Begriff des Verpflichteten alles enthalten." 74 a.a.O.: „Jedermann ist verpflichtet, der Behörde anzuzeigen... Was? Die ansteckenden Krankheiten, von denen er befallen w i r d ; oder: die V e r brechen, von denen er Kenntnis erhält. Oder: Jedermann ist verpflichtet, sein Grundeigentum so auszuüben, daß er nicht auf andere Grundstücke übermäßig e i n w i r k t . Jedermann ist verpflichtet, von seinem Vermögen ein Prozent als Vermögenssteuer zu bezahlen. Dieselbe Bedingung, die oben als nähere U m schreibung des Subjekts erschien, erscheint jetzt als nähere Umschreibung der Pflicht." 75 a. a. O., S. 231. 76 a. a. O., S. 231. 77 a. a. O., S. 233. 78 I n der i n 2. Auflage i m Jahre 1944 erschienenen „Organisation der Rechtsgemeinschaft" nennt Burckhardt neben der Angabe des Subjekts u n d des Inhalts der Verpflichtung auch die der Voraussetzung der Verpflichtung als notwendigen Bestandteil eines vollständigen Rechtssatzes (S. 237 u. 248). Ob er damit von seiner oben wiedergegebenen Ansicht abgehen w i l l , ist unklar, dürfte aber k a u m anzunehmen sein, da er hierauf m i t keinem Worte eingeht. 79 Dabei wäre bezüglich der h. L . der Satz zugrunde zu legen, daß „ z u m Tatbestand alles gehört, was die Situation betrifft, an die das Sollen gebunden

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oben 80 Gesagten so lange nicht erforderlich, bis geklärt ist, ob es nicht zumindest — wie von Burckhardt behauptet — gewisse Arten von abstrakten Hoheitsakten gibt, bei denen sich ein „Tatbestand" überhaupt nicht erkennen läßt, die also offensichtlich eine von dem E i n t r i t t besonderer Voraussetzungen unabhängige Verpflichtung begründen. Müßte diese Frage bejaht werden, dann wäre die Lehre vom Tatbestand für die Frage nach dem Fall-Begriff selbst dann ohne Wert, wenn Burckhardt s Argumentation i m übrigen verfehlt und die Unterscheidung von Tatbestand und Rechtsfolge als solche logisch haltbar wären. b) Die Möglichkeit „tatbestandsloser" abstrakter Befehle ist demnach i m folgenden einer näheren Prüfung zu unterziehen. 1. Die Auffassung, daß es gewisse A r t e n von abstrakten Hoheitsakten gebe, welche die i n ihnen ausgesprochene Verpflichtung nicht an einen hypothetischen Tatbestand knüpfen, sondern eine kategorische, von irgendwelchen Voraussetzungen oder Bedingungen unabhängige Verpflichtung begründen, ist i n der Wissenschaft bereits mehrfach geäußert worden 8 1 . So hat gerade kürzlich Hans J. Wolff ausdrücklich anerkannt, daß es neben den „rein definitorischen oder sonstwie ergänzenden Sätzen", bei denen es an einer Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge fehlt, auch „tatbestandslose, kategorische Gebote oder Verbote" gebe („z. B. Treu und Glauben zu wahren, den Verkehr nicht zu stören") 82 . Bereits sehr viel früher hat sich schon Bierling 83 gegen die Behauptung verwahrt, daß alle Rechtssätze hypothetischer Natur seien, d.h. ist, zur Rechtsfolge alles, was den I n h a l t dieses Sollens bestimmt" (so Engisch: Einführung, S. 33). 80 Vgl. S. 90/91. 81 Vgl. außer den i m folgenden Text angeführten Äußerungen jetzt auch Eyermann-Fröhler: V w G O , § 42 Rdnr. 31, wonach ein Verbot dem Betroffenen gegenüber immer mittelbar u n d nicht unmittelbar w i r k t , auch wenn dieser i m Augenblick eine unter das Verbot fallende Handlung noch nicht vorzunehmen beabsichtigt. S. auch Engisch: Einführung, S. 32 u n d Larenz: Methodenlehre, S. 152, w o die Möglichkeit nicht-hypothetischer Rechtsnormen nicht schlechthin ausgeschlossen w i r d . Vgl. i n diesem Zusammenhang auch Ober-

mayer: Plan, S. 163 Anm. 68.

82 Wolff: Verwaltungsrecht I , § 24 I I b 1 β) αα). I n der 1. Auflage, S. 79 ist stattdessen noch von „imperfekten Sätzen" die Rede, „die lediglich Gebote oder Verbote aussprechen, ohne Rechtsfolgen daran zu knüpfen". Diese n u n mehr zu Recht aufgegebene Formulierung ist nicht korrekt, da die Frage der Durchsetzbarkeit einer Verpflichtung m i t der Tatbestand-Rechtsfolge-Struktur des sie begründenden Hoheitsaktes nichts zu t u n hat. Auch eine Verpflichtung, an deren Verletzung keine Rechtsfolgen geknüpft sind u n d die darum nicht durchsetzbar = imperfekt ist, k a n n ihrerseits als „Rechtsfolge" an einen „ T a t bestand" geknüpft sein (ζ. B. die Wahlpflicht Rechtsfolge der Überschreitung einer bestimmten Altersgrenze). Bei Sätzen, die w i r k l i c h „lediglich Gebote oder Verbote aussprechen", fehlt es deshalb nicht an der „Rechtsfolge", sondern am „Tatbestand".

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Bierling: Prinzipienlehre, S. 77 f.

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2. Teil:

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

„ein Tun oder Lassen nur als Folge von gewissen anderen Tatsachen fordern, deren E i n t r i t t nur als ein möglicher vorausgesetzt w i r d " 8 4 . Nach seiner Ansicht gibt es vielmehr auch rein kategorische Normen, „die von ihren Adressaten . . . ein Tun oder Lassen schlechtweg, also unmittelbar als solches fordern" 8 4 . Hierzu gehörten namentlich die meisten allgemeinen Verbote, aber auch verschiedene ganz positive Gebote wie ζ. B. das dritte und vierte Gebot des Dekalogs. M i t besonderem Nachdruck hat auch Kelsen 85 gegen die Lehre von der ausnahmslos hypothetischen Natur aller Rechtssätze Stellung genommen und die Ansicht vertreten, daß es zahlreiche Rechtspflichten gebe, die sich „durchaus nicht an gewisse Bedingungen konstruieren lassen". Dies gelte regelmäßig für die Unterlassungspflichten. Es hänge m i t der rein negativen Natur der Unterlassung zusammen, daß diese — i m Gegensatz zur positiven Handlung — voraussetzungslos gedacht werden könne. Zu einem Nicht-Morden usw. sei der Untertan unter allen Umständen und bedingungslos verpflichtet. Diese Rechtspflicht sei permanent, sie entstehe nicht etwa unter bestimmten Voraussetzungen und ende nicht bei Wegfall derselben wie diejenigen Rechtspflichten, die ein positives Handeln zum Inhalt haben. 2. Bei einer Betrachtung der von den genannten Autoren erwähnten Beispiele w i r d man einräumen müssen, daß i n der Tat gewisse abstrakte Hoheitsakte denkbar sind, die eine nicht an einen hypothetischen Tatbestand geknüpfte Verpflichtung begründen und deshalb auch nicht auf die Formel „Jedesmal wenn — so" gebracht werden können. aa) Das gilt zunächst und jedenfalls für eine Reihe von ganz allgemeinen, sittlich fundierten Verboten, wie sie den meisten Bestimmungen des Strafrechts zugrunde liegen 88 . Als Beispiel diene hier das an alle i m Geltungsbereich des Gesetzes befindlichen Personen gerichtete Verbot, andere Menschen zu töten. Daß ein solches Verbot ein Höchstmaß an „Allgemeinheit" besitzt, daß es nicht einen Einzelfall, sondern eine unbestimmte Vielzahl von Fällen regelt, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Wo ist hier aber der Tatbestand, an den es angeblich geknüpft ist derart, daß es erst bei dessen konkreter Realisierung aktuelle Wirkung erlangt 87 ? Soll er etwa darin bestehen, daß jemand die Absicht oder die Gelegenheit hat, einen anderen umzubringen? 84

a.a.O., S. 76. Kelsen: Hauptprobleme, S. 262; s. auch S. 436. 86 Selbst w e n n m a n entgegen Binding (Normen I, S. 35 ff. u n d passim) davon ausgeht, daß die jeweiligen strafrechtlichen Bestimmungen n u r die A n o r d nung der Bestrafung, nicht aber auch das Verbot des zu bestrafenden V e r haltens zum I n h a l t haben, so können diese Verbote doch jedenfalls ohne w e i teres als selbständiger I n h a l t eines Hoheitsaktes gedacht werden. 87 Da der (hypothetische) Tatbestand per definitionem die Voraussetzungen bezeichnet, deren als möglich vorgestellter E i n t r i t t das Verbot als Rechtsfolge erst i n concreto auslöst, muß der Tatbestand begriffsnotwendig i n etwas an85

§ 10. Der F a l l als „realer Lebenssachverhalt" / B. A A .

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a') I m Schrifttum ist nun tatsächlich der Versuch unternommen worden, m i t einer solchen Konstruktion die Lehre von Tatbestand und Rechtsfolge auch für die auf ein allgemeines Unterlassen gerichteten Normen zu retten. Der Tatbestand sei hier der, so führt Isay 88 aus, „daß eine Situation vorliegt, welche die Gefahr der Verletzung eines fremden Rechts oder geschützten Interesses begründet; die Rechtsfolge ist die Forderung der Unterlassung dieser Verletzung" 8 9 . Hier taucht nun zunächst sofort die Frage auf, wann eine solche Gefährdungssituation als gegeben anzunehmen ist, wie sie verstanden werden soll: ob objektiv als äußere Situation, aus der heraus das geschützte Rechtsgut, hier also das Leben eines anderen Menschen, in abstracto verletzt werden könnte, oder ob subjektiv als der konkrete Wille, einen anderen tatsächlich umzubringen. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt zunächst einmal das Verbot vorsätzlicher Tötung, so zeigt sich, daß für die erste Annahme hier kein Raum ist. Die äußere Möglichkeit zur Tötung ist stets dann gegeben, wenn ich m i t einem anderen Menschen zusammen bin oder überhaupt nur irgendwie auf das Leben eines anderen einzuwirken vermag — praktisch also immer 9 0 . Wollte man diese äußere Möglichkeit zur Tötung als die den Verbotstatbestand bildende Gefährdungssituation ansehen, so hieße das demnach nichts anderes, als daß der das Verbot als Rechtsfolge auslösende Tatbestand bei allen Rechtsgenossen permanent verwirklicht wäre. Damit aber würde das Verbot der Sache nach gerade nicht mehr nur hypothetisch (abstrakt), sondern kategorisch (konkret) gelten, nämlich den einzelnen Rechtsgenossen nicht nur zeitweilig, gelegentlich des Eintritts besonderer Voraussetzungen treffen, sondern schlechthin und ununterbrochen. Zeigt somit schon diese Erwägung, daß die bloße äußere Möglichkeit zur Tötung (Rechtsverletzung) von Isay nicht gemeint sein kann, so erfährt diese Erkenntnis durch eine sinnvolle Auslegung des Begriffs derem bestehen als i n der (durch seine Rechtsfolge) verbotenen Handlung selbst. Aus diesem Grunde irreführend Thoma (Polizeibefehl, S. 72), w e n n er i n bezug auf eine Verordnung, nach der niemand Abwasser auf die Straße schütten darf, bemerkt: „So oft jetzt einer Wasser auf die Straße schüttet, hat er i n concreto den Tatbestand v e r w i r k l i c h t , an den die Polizeiverordnung i n abstracto i h r Verbot u n d überdies immer eine Strafdrohung knüpft." 88

89

Isay: Rechtsnorm, S. 14.

I m Ergebnis w o h l ebenso Boehmer: Grundlagen I I 1, S. 5 f., der jedoch i n der Begründung auf Besonderheiten des Z i v i l - u n d Prozeßrechts abstellt: Erst u n d n u r bei Gefahr einer konkreten Rechtsverletzung gewähre das positive Recht dem Gefährdeten Rechtsschutz i n F o r m der Unterlassungsklage. Dem ist einmal entgegenzuhalten, daß solchen positivrechtlichen Argumenten n u r geringe rechtstheoretische Beweiskraft zukommt. Z u m anderen, daß Bestand u n d Durchsetzbarkeit einer Verpflichtung auch nach positivem Recht durchaus verschiedene Dinge sind. 90 Eine Ausnahme gilt w o h l n u r f ü r den einsam auf seiner Insel lebenden Robinson.

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2. T e i l :

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

der Gefahr eine weitere Stütze. Von der Gefahr eines vorsätzlichen Angriffs auf mein Leben kann vernünftigerweise nicht schon dann die Rede sein, wenn ich m i t anderen Menschen überhaupt irgendwie i n Berührung komme; befindet sich unter diesen Menschen niemand, der es auf mein Leben abgesehen hat, dann bin ich unter ihnen meines Lebens insoweit ebenso sicher wie auf einer einsamen und menschenleeren Insel. Eine wirkliche Gefahr für mein Leben entsteht vielmehr erst dann, wenn einer dieser Menschen i n concreto sich m i t dem Gedanken trägt oder den Entschluß faßt, mich umzubringen. Könnte demnach für das Verbot der vorsätzlichen Tötung die tatbestandsmäßige Gefährdungssituation nur subjektiv verstanden werden als Versuchung oder Wille, einen anderen Menschen zu töten, so muß für das Verbot der fahrlässigen Tötung offensichtlich etwas anderes gelten. Da es hier an einem Tötungswillen gerade fehlt, kann eine Gefahr für das Leben eines anderen Menschen insoweit nur aus einer objektiven Gegebenheit erwachsen, nämlich einer äußeren Situation, aus der heraus durch mangelnde Sorgfalt eine voraussehbar m i t dem Tode eines Menschen endende Kausalkette i n Gang gesetzt werden kann 9 1 . Aus diesen Überlegungen ergeben sich nun bereits erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Isayschen Auffassung. Indem sie die allgemeinen Verbote einerseits an einen — i m Gegensatz zu den Geboten — einheitlichen Tatbestand („Gefährdungssituation") geknüpft sieht, zwingt sie andererseits dazu, diesen Tatbestand je nach der psychologischen Modalität der Verletzungshandlung auch i m Hinblick auf ein und dasselbe Rechtsgut i n einer gänzlich verschiedenen Weise zu fixieren und ihn einmal an ein subjektives, zum anderen an ein objektives Moment anknüpfen zu lassen; aus welchem inneren Grunde aber der durch das Tötungsverbot geregelte „Fall" verschieden sein soll, je nachdem, ob eine vorsätzliche oder fahrlässige Tötung (Rechtsverletzung) i n Betracht kommt, ist nicht recht einzusehen. I m übrigen sind 91 Es ist nicht zu verkennen, daß Isays K o n s t r u k t i o n auf das Verbot fahrlässiger Rechtsverletzungen überhaupt nicht recht paßt. Denn die durch die Gefährdungssituation ausgelöste „Forderung der Unterlassung der Verletzung" k a n n streng genommen n u r auf die Unterlassung einer bewußten Verletzungshandlung gerichtet sein, an der es hier gerade fehlt. Andererseits k a n n jedoch nicht angenommen werden, daß Isay das Verbot fahrlässiger Rechtsverletzungen gänzlich ausklammern w i l l , da das letztlich seiner ganzen Lehre den Boden entziehen würde. Als Gegenstand der Unterlassungsforderung — die j a immer n u r auf die Unterlassung eines positiven Tuns gerichtet sein k a n n — müßte daher hier w o h l die (pflichtwidrige) Setzung der ersten Ursache der potentiell voraussehbar zum Tode eines Menschen führenden Kausalkette angesehen werden, so daß die Gefährdungssituation dann gegeben wäre, w e n n die Gefahr der Ingangsetzung einer solchen Kausalreihe begründet sein würde. B e i m Dachdecken ζ. B. besteht die Gefahr, daß ein Ziegel nicht ordentlich befestigt w i r d u n d beim Herunterfallen einen Menschen tötet; der Dachdecker wäre daher verpflichtet, „das nicht ordentliche Setzen von Ziegeln zu unterlassen."

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die beiden sich derart ergebenden Tatbestandstypen m i t schwerwiegenden Unklarheiten behaftet: Bei dem Verbot der vorsätzlichen Tötung (Rechtsverletzung) besteht der Tatbestand i n der inneren Versuchung oder dem inneren Entschluß des potentiellen Täters, also einem rein subjektiven Vorgang; die geregelten „realen Lebenssachverhalte" wären also objektiv überhaupt nicht wahrnehmbar(!) 92 , und auch der Betroffene selbst würde vielfach gar nicht entscheiden können, wie viele „Fälle" sich i n i h m ereignen 93 . Bei dem Verbot der fahrlässigen Rechtsverletzung ist zwar eine objektiv wahrnehmbare Situation zum Tatbestand erhoben, doch würde es vielfach auch hier erhebliche Schwierigkeiten bereiten, den einzelnen Sachverhalt als solchen zu erkennen und von gleichartigen anderen zu unterscheiden 94 . W i r d bereits an diesen Überlegungen zum Begriff der angeblich den Tatbestand bildenden „Gefährdungssituation" deutlich, wie sehr bei der Lehre Isays gewaltsame Konstruktion an die Stelle unvoreingenommener Betrachtung getreten ist, so weist eine weitere Untersuchung auf, daß diese Lehre darüber hinaus hinsichtlich der Verbote vorsätzlicher Rechtsverletzungen auch zu unhaltbaren Ergebnissen führt. A u f eine höchst eigenartige und befremdliche Folge dieser Theorie hat bereits Kelsen i n eindrucksvoller Weise aufmerksam gemacht: „ U n d selbst wenn man . . . m i t einem Scheine von Berechtigung sagen könnte: die Verpflichtung zur Unterlassung eines Mordes entsteht i n dem Augenblick des verbrecherischen Triebes, so w i r d jedenfalls i n der konsequenten Fortsetzung dieses Gedankens dessen innere Unmöglichkeit ins Auge springen, wenn man hört, daß mangels eines verbrecherischen Triebes alle zur Unterlassung eines Mordes nicht verpflichtet seien 95 ." W i l l man die Auffassung Isays m i t diesem Argument noch nicht als hinreichend widerlegt ansehen, so w i r d ihre Unhaltbarkeit doch jedenfalls vollends deutlich, wenn man den Gedanken Kelsens umkehrt und sich vergegenwärtigt, daß jedes Verbot nach Isay so viele Fälle regelt, als Situationen der Gefährdung des geschützten Rechtsguts eintreten können. Da diese Gefährdungssituation bei der vorsätzlichen Rechtsver92 Der Entschluß zur Verletzung eines fremden Rechts k a n n zwar natürlich auch nach außen i n Erscheinimg treten, notwendig ist das jedoch nicht. I m übrigen w i r d der innere Entschluß seiner eventuellen äußeren Manifestation i n aller Regel zeitlich vorangehen. 93 W a n n hört eine Versuchung auf u n d w a n n fängt eine neue an? 94 M a n denke n u r daran, aus welcher ungeheuren Vielgestalt von ganz gewöhnlichen, aber unter sich v ö l l i g verschiedenen Lebenssituationen heraus die bezeichneten Kausalketten i n Gang gesetzt werden können (ζ. B. beim Dachdecken, bei der Herstellung von Maschinen, beim Verkauf v o n Arzneimitteln, bei der Tätigkeit i n der Küche, bei der Teilnahme am Straßenverkehr usw.). Auch hier ist vielfach die Frage: W a n n hört die eine Gefährdungssituation auf u n d w a n n fängt eine neue an?

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Kelsen: Hauptprobleme, S. 436.

Volkmar

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2. Teil:

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

l e t z u n g nach d e m eben Gesagten i n der i n n e r e n V e r s u c h u n g oder d e m i n n e r e n Entschluß des p o t e n t i e l l e n Täters besteht, bedeutet das l e t z t l i c h nichts anderes, als daß jedes V e r b o t einer solchen V e r l e t z u n g — u n d m a g es noch so k o n k r e t erscheinen — ausnahmslos eine u n b e s t i m m t e V i e l z a h l v o n F ä l l e n regelt (!). D e n n die i n n e r e V e r s u c h u n g z u r V e r l e t z i m g des geschützten Rechtsgutes k a n n auch d a n n u n b e s t i m m t o f t eintreten, der „ T a t b e s t a n d " des Verbotes k a n n also auch d a n n u n b e s t i m m t oft v e r w i r k l i c h t w e r d e n 0 - , w e n n dieses l e d i g l i c h eine e i n m a l i g e u n d genau b e s t i m m t e H a n d l u n g untersagt. W e n n m i r v e r b o t e n w i r d , die auf m e i n e m G r u n d s t ü c k stehende alte T a n n e zu f ä l l e n 9 7 , so k a n n ich ohne weiteres u n b e s t i m m t o f t i n die V e r s u c h u n g geraten, sie dennoch umzuschlagen: ich k a n n der ersten V e r l o c k u n g w i d e r s t e h e n u n d sie n i e d e r k ä m p f e n , alsdann eine neue V e r s u c h u n g i n m i r spüren, sie w i e d e r ü b e r w i n d e n usw. Dieses w i e jedes andere 9 8 einer b e s t i m m t e n Person eine b e s t i m m t e e i n m a l i g e H a n d l u n g untersagende V e r b o t 9 9 w ä r e also nach Isay e i n a b s t r a k t e r H o h e i t s a k t — e i n schlechterdings unannehmbares E r g e b n i s 1 0 0 ! 96 Gerade diese Möglichkeit unbestimmt vieler Tatbestandsverwirklichungen ist nach der Tatbestandstheorie das K r i t e r i u m des abstrakten Hoheitsaktes (s. vorstehend unter I b). 97 „Jedesmal wenn D u i n die Versuchung gerätst, diese Tanne zu fällen, so sollst D u das unterlassen!" 98 Eine Ausnahme gilt w o h l nur dann, wenn die verbotene Handlung nur zu einem unmittelbar bevorstehenden Zeitpunkt vorgenommen werden könnte, so daß gewissermaßen nur für eine „einmalige Versuchung" Zeit bleibt. Ob dergleichen praktisch jemals vorkommt, erscheint fraglich. Immerhin zeigt sich auch i n der Notwendigkeit dieser Unterscheidung, zu welchen lebensfremden und nicht praktikablen Ergebnissen die Lehre Isay s führt. 99 Hingegen wäre das Gebot, die alte Tanne zu fällen, auch nach Isay eine Einzelfallregelung. Inwiefern die Regelung ein und desselben einmaligen Verhaltens abstrakt oder konkret sein soll je nachdem, ob dieses Verhalten verboten oder geboten wird, ist ebenfalls nicht einzusehen. 100 Allerdings vertritt auch Friedrichs (PVG §24 Anm. 2) die Auffassung, daß „jedes Verbot, welches einen bestimmten (selbst auf Stunden berechneten) Zeitraum hindurch gelten soll, eine unbestimmte Zahl von Fällen betrifft". Eine Begründung für diese Behauptung bleibt er jedoch schuldig, zumal er nicht einmal angibt, von was für einem Fall-Begriff er ausgeht. Offensichtlich steht er aber nicht auf dem Boden der Isay sehen Tatbestandslehre; seiner Bemerkung könnte vielmehr entnommen werden, daß er den „ F a l l " i m geregelten menschlichen Verhalten selbst erblickt. Dann könnte i h m insoweit zugestimmt werden, als danach i n der Tat ein auch nur ganz kurze Zeit geltendes Verbot, das bestimmte Handlungen schlechthin untersagt (ζ. B. heute z w i schen 18 und 19 U h r auf die Straße zu gehen), eine unbestimmte Zahl von Fällen regelt, w e i l das verbotene Verhalten (auf die Straße zu gehen) auch innerhalb einer Stunde unbestimmt oft geübt werden könnte (s. zu diesem Fall-Begriff näher unten § 11). Es scheint so, als ob Friedrichs gerade ein derartiges Verbot i m Auge gehabt habe. Indessen gibt es aber auch nach diesem Fall-Begriff Verbote, die nur einen einzelnen F a l l regeln, nämlich nur eine einmalige Handlung als solche untersagen wie i n dem i m Text genannten Beispiel. Das hat Friedrichs offenbar übersehen. I m übrigen w i r d die praktische Tragweite seiner These dadurch ganz wesentlich gemüdert, daß sie sich augenscheinlich nur auf die polizeilichen Anordnungen nach dem prPVG bezieht.

§ 10. Der F a l l als „realer Lebenssachverhalt" / B. A A .

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D e r L e h r e Isays k a n n nach a l l e d e m n i c h t z u g e s t i m m t w e r d e n . Sie e r w e i s t sich als eine m i t n a t ü r l i c h e r B e t r a c h t u n g s w e i s e n i c h t v e r e i n b a r e l e b e n s f r e m d e K o n s t r u k t i o n , die b e r e i t s i m b e g r i f f l i c h e n A n s a t z e r h e b liche U n k l a r h e i t e n i n sich b i r g t u n d schlechthin u n b r a u c h b a r e Ergebnisse z u r F o l g e h a t . D i e a l l g e m e i n e n V e r b o t e w i e z . B . das T ö t u n g s v e r b o t k ö n n e n s o m i t n i c h t als d e r a r t a n e i n e n b e s t i m m t e n T a t b e s t a n d g e k n ü p f t angesehen w e r d e n , daß die P f l i c h t z u r U n t e r l a s s u n g j e w e i l s erst b e i m E i n t r i t t v o n besonderen, d i e G e f a h r d e r V e r l e t z u n g des geschützten Hechtsguts b e g r ü n d e n d e n U m s t ä n d e n e n t s t ü n d e . Sie v e r p f l i c h t e n d i e Rechtsgenossen v i e l m e h r schlechthin u n d u n a b h ä n g i g v o m E i n t r i t t b e sonderer Voraussetzungen, das bezeichnete T u n z u u n t e r l a s s e n 1 0 1 . Das gleiche w i e f ü r die eben b e h a n d e l t e n e l e m e n t a r e n , s i t t l i c h f u n d i e r t e n V e r b o t e g i l t auch f ü r eine erhebliche Z a h l v o n a n d e r e n V e r boten, die e i n ethisch i n d i f f e r e n t e s T u n untersagen. M a n d e n k e ζ. B . a n e i n allgemeines V e r b o t , t r i n k b a r e n A l k o h o l z u erzeugen, z u v e r b r e i t e n oder z u e r w e r b e n ; oder a n das w ä h r e n d des l e t z t e n K r i e g e s i n D e u t s c h Hier aber ist nach §§ 24,40 die Abstraktheit oder Konkretheit eines Befehls gegenüber seiner generellen oder speziellen Adressierung ohnehin n u r von sekundärer Bedeutung. Selbst w e n n das genannte Tannen-Fäll-Verbot also nach Friedrichs als Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Fällen anzusehen wäre, so würde das an seinem Charakter als Polizeiverfügimg nicht das Geringste ändern. Vgl. hierzu i m übrigen unten § 16 B. ιοί Freilich werden sie i n den positiven Rechtsordnungen w o h l immer durch irgendwelche Ausnahmen i n Gestalt von Rechtfertigungsgründen (z.B. N o t wehr, Krieg, Vollstreckung einer rechtskräftig erkannten Todesstrafe usw.) durchbrochen, bei deren Vorliegen die Tötung anderer Menschen bzw. die V e r letzung des geschützten sonstigen Rechtsgutes erlaubt ist. Hier handelt es sich u m sog. „negative Voraussetzungen", die v o n den i m T e x t allein i n Rede stehenden „positiven Voraussetzungen" streng zu unterscheiden sind. Als der von einem Hoheitsakt geregelte jeweilige Lebenssachverhalt können lediglich die i m begrifflichen Tatbestand erfaßten tatsächlichen Umstände angesehen w e r den, deren E i n t r i t t die Rechtsfolge auslöst — eben die positiven Voraussetzungen —, nicht aber auch diejenigen als negative Voraussetzung bezeichneten Umstände, deren Vorliegen den E i n t r i t t der v o m Hoheitsakt angeordneten Rechtsfolge u n d damit das Wirksamwerden der i n i h m getroffenen Regelung gerade ausschließt. Anderenfalls müßte der v o m Tötungsverbot „geregelte" jeweilige „Lebenssachverhalt" darin erblickt werden, daß „keine N o t w e h r lage", „keine Kriegshandlung" usw. gegeben ist, u n d Entsprechendes würde f ü r jedes strafrechtliche Verbot u n d sogar auch für echt hypothetische Normen w i e § 823 B G B gelten, da auch i n diesen solche negativen Voraussetzungen implicite enthalten sind. I n diesem Sinne schon Bierling: Prinzipienlehre, S. 78. — I m übrigen sind diese negativen Voraussetzungen, wie Burckhardt: Methode, S. 229, zutreffend hervorhebt, ungeachtet ihrer allgemeinen positivrechtlichen Geltung rechtstheoretisch keineswegs denknotwendig. „Das Verbot der T ö t i m g könnte ohne logischen Verstoß auch voraussetzungslos sein; w e n n nämlich jene Einschränkungen der Notwehr u n d des Krieges nicht bestünden; es wäre dann ein anderes Verbot, aber als Rechtssatz wäre es ohne Widerspruch denkbar." Schon aus diesem Grunde k o m m t den negativen Voraussetzungen für die rechtstheoretische These, daß i n jedem abstrakten Rechtssatz die V e r pflichtung hypothetisch an bestimmte, i m Tatbestand genannte Voraussetzungen geknüpft sei, keine Beweiskraft zu. — Anders als hier w o h l W. Schulze: Tatbestand, S. 36 A n m . 1 u n d Engisch: Einführung, S. 32, die diese Voraussetzungen den positiven anscheinend unumschränkt gleichstellen wollen. 7*

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2. Teil: Hechtstheoretische Grundlagen / Kap.

land erlassene Verbot, ausländische Sender abzuhören; oder an positivrechtliche Vorschriften wie § 5 Abs. 3 StVO (Verbot von Rennveranstaltungen m i t Kraftwagen auf öffentlichen Straßen) oder § 42 Abs. 2 StVO (Verbot, auf den Straßen gewerbliche Leistungen anzubieten) 102 . Auch zu derartigen Unterlassungen sind die Rechtsgenossen schlechthin verpflichtet und nicht erst beim E i n t r i t t einer besonderen Gefährdungssituation wie ζ. B. „jedesmal dann, wenn jemand i n die Versuchung gerät, einen Feindsender abzuhören" bzw. „auf den Straßen gewerbliche Leistungen anzubieten". Damit erscheint die Erkenntnis unausweichlich, daß es i n der Tat eine erhebliche Zahl von Verboten gibt, die zwar unzweifelhaft eine unbestimmte Vielzahl von Fällen regeln, aber dennoch nicht i n Tatbestand und Rechtsfolge zerlegt und damit auch nicht auf die Formel „Jedesmal wenn — so" gebracht werden können. b') Ehe hieraus für die weitere Untersuchung Folgerungen gezogen werden, ist jedoch noch kurz auf einen Einwand einzugehen, m i t dem dieses Ergebnis unter einem anderen Gesichtspunkt i n Frage gestellt werden könnte. Ließe sich nämlich nicht vielleicht sagen, daß diese anscheinend tatbestandslosen abstrakten Verbote (ζ. B. „ D u sollst andere Menschen nicht töten") überhaupt nicht isoliert, sondern stets n u r i m Zusammenhang m i t der an ihre Übertretung geknüpften Sanktionsdrohungen (ζ. B. Strafe oder Buße) gesehen werden dürften, so daß sie ihrerseits als der die Rechtsfolge der Sanktion begründende Tatbestand eines Verbot und Sanktion umfassenden einheitlichen Hoheitsaktes anzusehen wären ( „ W e r . . . tötet, w i r d . . . bestraft")? E i n solcher Einwand wäre indessen verfehlt. Zunächst einmal muß eine derartige Betrachtungsweise stets dann versagen, wenn es an einer Sanktion überhaupt fehlt, das Verbot also eine imperfekte Verpflichtung 1 0 3 begründet. Daß solche imperfekten Unterlassungspflichten ungeachtet ihrer geringen praktischen Bedeutung 1 0 4 102 Auch diese positivrechtlichen Vorschriften, die unzweifelhaft eine unbestimmte Vielzahl von Fällen regeln, ließen sich offensichtlich nur m i t Hilfe der Isay sehen Konstruktion i n Tatbestand und Rechtsfolge zerlegen, statuieren also tatsächlich kategorische, voraussetzungslos geltende Verpflichtungen. — Daneben gibt es selbstverständlich zahlreiche andere Vorschriften, bei denen sich Tatbestand und Rechtsfolge k l a r unterscheiden lassen, die also echt hypothetische Verbote begründen. So z. B. § 9 Abs. 4 Ziff. 1 StVO („Jedesmal wenn jemand innerhalb einer geschlossenen Ortschaft ein Kraftfahrzeug fährt, so soll er es unterlassen, schneller als 50 Kilometer je Stunde zu fahren") oder § 14, S. 1 StVOj der bereits i n der Formulierung dem Schema der abstrakt-hypothetischen Anordnimg entspricht („Wenn Lastfahrzeuge außerhalb geschlossener Ortschaften i n Kolonnen fahren, so dürfen diese Kolonnen bei Lastkraftwagen nicht länger als 50 M e t e r . . . sein"). 108 Vgl. Hans J. Wolff , Verwaltungsrecht I, § 40 V a. 104 I m positiven Recht könnte hier etwa auf A r t . 461 GG hingewiesen werden: Die Pflicht zur Unterlassung von Beleidigungen obliegt an sich auch einem Abgeordneten i m Bundestag. Ihre Verletzung löst für i h n aber wegen seiner Indemnität keine Rechtsfolgen aus.

§ 10. Der F a l l als „realer Lebenssachverhalt" / B. A A .

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rechtstheoretisch ohne w e i t e r e s d e n k b a r sind, steht außer Z w e i f e l . Das aber b e d e u t e t n i c h t n u r , daß j e d e n f a l l s h i n s i c h t l i c h d e r a r t i g e r V e r p f l i c h t u n g e n die M ö g l i c h k e i t tatbestandsloser V e r b o t e a n e r k a n n t w e r d e n m u ß , s o n d e r n daß e i n R ü c k g r i f f auf die — n i c h t d e n k n o t w e n d i g e — S a n k tionsnorm schlechthin unzulässig ist105. Z u m a n d e r e n aber ist eine Z u s a m m e n f a s s u n g v o n V e r b o t u n d S a n k t i o n s d r o h u n g z u e i n e r e i n h e i t l i c h e n N o r m deswegen n i c h t a n g ä n g i g , w e i l sie a u f eine S p h ä r e n v e r s c h i e b u n g h i n a u s l a u f e n w ü r d e . A l s d e r die Rechtsfolge d e r S a n k t i o n b e g r ü n d e n d e T a t b e s t a n d k a n n n ä m l i c h n i e m a l s das V e r b o t als solches, s o n d e r n i m m e r n u r dessen Übertretung in B e t r a c h t k o m m e n , w e i l a l l e i n diese als r e a l e r L e b e n s v o r g a n g die S t r a f folge u s w . auszulösen v e r m a g . V e r b o t u n d S a n k t i o n s n o r m s i n d desh a l b f ü r eine rechtstheoretische B e t r a c h t u n g z w e i ganz selbständige A n o r d n u n g e n , d i e v ö l l i g verschiedene R e g e l u n g e n z u m I n h a l t h a b e n : D i e ses schreibt v o r , daß — e n t w e d e r b e i E i n t r i t t b e s t i m m t e r V o r a u s s e t z u n g e n oder s c h l e c h t h i n — gewisse H a n d l u n g e n z u u n t e r l a s s e n seien, j e n e b e s t i m m t , daß d e r j e n i g e , der die betreffende H a n d l u n g t r o t z d e m v o r n i m m t , bestraft werde106»107. Verbot u n d Sanktionsdrohung sind demnach streng voneinander zu scheiden. I h r e Z u s a m m e n f a s s u n g z u e i n e r e i n h e i t l i c h e n N o r m ließe 105 Z u der Beziehung zwischen dem imperfekten Charakter einer Verpflichtung u n d der Tatbestand-Rechtsfolge-Struktur des sie begründenden H o heitsaktes siehe auch vorstehend unter b 1 A n m . 82. 106 Das Verbot begründet also eine hypothetische oder kategorische U n t e r lassungspflicht, die Sanktionsnorm hingegen eine stets hypothetische H a n d lungspflicht (für das zuständige Staatsorgan zur Vollziehung der Sanktion) u n d Duldungspflicht (für den Betroffenen zur D u l d u n g der Sanktion). 107 Dieser grundlegende Unterschied w i r d m i t aller Deutlichkeit sichtbar, w e n n Verbots- u n d Sanktionsnorm bereits äußerlich voneinander unabhängig sind u n d die Verbotsnorm sich ihrerseits aus Tatbestand u n d Rechtsfolge aufbaut. Auch hier liefert die StVO eindrucksvolle Beispiele. I n § 9 Abs. 4 Ziff. 1 bes t i m m t sie der Sache nach: „Jedesmal w e n n jemand innerhalb einer geschlossenen Ortschaft ein Kraftfahrzeug fährt, soll er es unterlassen, schneller als 50 km/st zu fahren"; an den Tatbestand „innerhalb einer geschlossenen O r t schaft ein Kraftfahrzeug fahren" ist also als Rechtsfolge das Verbot der Überschreitung einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/st geknüpft, so daß der v o n dieser Vorschrift geregelte jeweilige einzelne Lebenssachverhalt (nach der T a t bestandslehre) darin besteht, daß jemand innerhalb einer geschlossenen O r t schaft ein Kraftfahrzeug führt. Dieses Verbot ist — ebenso w i e jedes andere i n der StVO enthaltene Ge- oder Verbot — durch die i n § 49 normierte Strafdrohung gesichert: „Jedesmal w e n n jemand diesem Verbot schuldhaft z u w i derhandelt, so soll er m i t Geldstrafe bis zu 150 D M oder m i t H a f t bestraft w e r den". Der die Rechtsfolge der Bestrafung auslösende u n d damit „geregelte" reale Lebenssachverhalt besteht hier also darin, daß jemand i n einer geschlossenen Ortschaft schneller als 50 km/st gefahren ist. Daß dieser Tatbestand offensichtlich etwas anderes ist als das i n § 9 Abs. 4 Ziff. 1 aufgestellte Verbot als solches oder auch n u r dessen Tatbestand, liegt auf der Hand. Entsprechend k a n n auch ein voraussetzungsloses, also kategorisches Verbot — w i e etwa das i n § 5 Abs. 3 genannte — niemals als solches als der die Rechtsfolge des § 49 begründende Tatbestand angesehen werden, sondern i m m e r erst seine Übertretung.

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2. T e i l :

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

sich nicht ohne Ausnahmen durchführen und enthielte zudem einen groben Verstoß gegen die Logik, so daß auch durch eine solche Konstruktion der Erkenntnis von der Möglichkeit tatbestandsloser abstrakter Verbote nicht ausgewichen werden könnte. c') Ist damit diese Erkenntnis als solche unvermeidlich, so kann sie auch nicht etwa dadurch ihrer weittragenden Bedeutung entkleidet werden, daß man diesen tatbestandslosen abstrakten Verboten den Charakter als „Rechtssatz" abspricht und sie als „bloße Normen" oder „Grundsätze" bezeichnet 1 0 8 ' 1 0 9 . Einmal wäre m i t einer derartigen Unterscheidung nicht das Geringste gewonnen. Selbst wenn sie i n sich haltbar wäre, so hätte sie doch für die Tatsache, daß auch die abstrakt-kategorischen Verbote wie alle Hoheitsakte die Regelung von Fällen zum Inhalt haben 110 , keinerlei Bedeutung. A l l e i n darauf aber kommt es hier an. Muß anerkannt werden, daß es abstrakte Verbote gibt, die keinen Tatbestand aufweisen, dann steht damit auch fest, daß der Begriff des Falles (als eines Essentiale hoheitlicher Regelung) nicht m i t Hilfe des Tatbestandes (als eines bloßen Naturale abstrakter Regelung) bestimmt werden kann — ganz gleich, ob man diese Verbote n u n als Rechtssätze oder als bloße Normen bezeichnet. Z u m anderen aber dürfte diese Unterscheidung i n sich überhaupt nicht haltbar sein. Sie hätte nur dann Sinn und innere Berechtigung, wenn die Verschiedenheit dieser beiden Arten von Hoheitsakten auch Unterschiede i n ihrer rechtlichen Behandlung notwendig machen würde. Eine solche Notwendigkeit, ja auch nur die innere Berechtigung einer unterschiedlichen Behandlung — die sich w o h l nur auf Publikation und Anfechtbarkeit beziehen könnte 1 1 1 — ist jedoch nicht erkennbar. Inwie108 Ob die Ausführungen bei Esser: Rechtssicherheit, S. 13 i n diesem Sinne zu verstehen sind, erscheint fraglich. Esser w i l l Verboten w i e „neminem laedere" oder „ D u sollst nicht stehlen" offenbar n u r wegen ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit die „Rechtsnorm"-Qualität absprechen. Würde das letztgenannte Verbot etwa lauten: „ D u sollst nicht fremde bewegliche Sachen anderen i n der Absicht wegnehmen, sie D i r rechtswidrig zuzueignen", so dürfte die nach Esser seiner Rechtsnormqualität entgegenstehende Unbestimmtheit behoben sein; gleichwohl wäre es aber nach w i e vor tatbestandslos. 109 Eine solche Unterscheidimg müßte nach dem eben i m Text Gesagten selbstverständlich ohne Rücksicht darauf gelten, ob die Übertretung des t a t bestandslosen Verbotes m i t einer Sanktion bedroht ist oder nicht. Anderenfalls würde die mangelnde Rechtssatzqualität gerade nicht aus dem Fehlen des Tatbestandes, sondern aus dem Fehlen der Sanktionsdrohung hergeleitet werden; siehe hierzu auch unten A n m . 112. 110 Daß ζ. B. das Tötungsverbot oder das i n § 5 Abs. 3 StVO normierte V e r bot überhaupt eine „Regelung" zum I n h a l t haben, k a n n schlechterdings nicht bezweifelt werden. Der reale Gegenstand dieser Regelung aber besteht eben per definitionem gerade i n den einzelnen „Fällen". 111 Nicht hingegen ließe sich sagen, daß die kategorischen „Normen" i m Gegensatz zu den hypothetischen „Rechtssätzen" nicht (gerichtlich) „anwendbar" seien. Allerdings können kategorische Verbote w i e ζ. B. das Tötungs- oder das

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f e r n s o l l ζ. B . das i n § 5 A b s . 3 S t V O aufgestellte tatbestandslose V e r b o t v o n A u t o r e n n e n auf öffentlichen S t r a ß e n etwas w e s e n t l i c h anderes sein u n d d a m i t e i n e r a n d e r e n r e c h t l i c h e n B e h a n d l u n g b e d ü r f e n als das an einen Tatbestand geknüpfte u n d d a r u m „rechtssatz"-mäßige V e r b o t der Überschreitung einer bestimmten Höchstgeschwindigkeit i n § 9 A b s . 4 Ziff. 1 S t V O ? B e i u n b e f a n g e n e r B e t r a c h t u n g k a n n k e i n Z w e i f e l d a r a n bestehen, daß es sich h i e r beide M a l e u m Rechtssätze h a n d e l t — auch ganz u n a b h ä n g i g d a v o n , daß d e r Gesetzgeber beide V e r b o t e a b s o l u t g l e i c h b e h a n d e l t h a t . F ü r d e n Rechtssatzcharakter eines H o h e i t s a k t e s k a n n es demgemäß n i c h t als w e s e n t l i c h angesehen w e r den, ob er eine kategorische, voraussetzungslos g e l t e n d e oder aber eine hypothetische, erst b e i E i n t r i t t t a t b e s t a n d s m ä ß i g e r V o r a u s s e t z u n g e n konkret wirksam werdende Verpflichtung begründet112. Autorennverbot v o m Richter nicht i m eigentlichen Sinne „angewendet", d. h. als solche zur tragenden Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung gemacht werden (wohl aber können sie eventuell von der V e r w a l t u n g als Grundlage von Verfügungen „angewendet" werden!). Das g i l t aber ganz genauso auch für hypothetische, aus Tatbestand und Rechtsfolge aufgebaute und darum „Rechtssatz"-Verbote w i e ζ. B. das i n § 9 Abs. 4 Ziff. 1 StVO normierte. I n dem genannten Sinne anwendbar ist niemals das Verbot als solches, sondern stets n u r seine Sanktionsnorm (§ 212 StGB, § 49 StVO). D a m i t zeigt sich, daß m i t dem Gesichtspunkt der Anwendbarkeit wieder nicht auf die hier allein interessierende Tatbestands-Rechtsfolge-Struktur, sondern auf die Durchsetzbarkeit der Verpflichtung abgestellt w i r d , auf die es i n unserem Zusammenhang überhaupt nicht ankommt, siehe dazu auch vorstehend unter b 1 A n m . 82 sowie die folgende Anmerkung 112. 112 Eine ganz andere Frage ist es, ob ein abstraktes Verbot — ganz unabhängig von seinem kategorischen oder hypothetischen Charakter — vielleicht nur dann als Rechtssatz angesehen werden kann, wenn seine Übertretung m i t einer Sanktion bedroht ist, ob also seine Rechtssatzqualität nicht durch das Fehlen der Tatbestands-Rechtsfolge-Struktur, sondern durch den imperfekten Charakter der i n i h m normierten Verpflichtung ausgeschlossen wird. I n diesem Falle wäre ζ. B. dem einfachen (sanktionslosen) Verbot „ D u sollst nicht töten" der Rechtssatzcharakter nicht deshalb abzusprechen, w e i l es mangels eines T a t bestandes kategorisch, voraussetzungslos gilt, sondern deswegen, w e i l die verbotswidrig verübte Tötung eines anderen Menschen keine Rechtsfolgen auslöst; u n d dies müßte dann konsequenterweise auch gelten, wenn das Verbot seinerseits an einen Tatbestand geknüpft wäre (etwa bei einem Kannibalenstamm daran, daß die Speisekammern noch gefüllt sind). Diese Frage dürfte nach der herrschenden Lehre zu verneinen sein. So w i r d ζ. B. von Hans J. Wolff bei der (eingehenden) Erörterung des Rechtssatzbegriffs (a. a. O., § 24 I I b 1) die Frage der Durchsetzbarkeit der begründeten Verpflichtung ebensowenig erwähnt wie umgekehrt bei der Behandlung der Durchsetzbarkeit der Verpflichtungen (a. a. O., § 40 V) die Frage nach dem Rechtssatzcharakter des sie begründenden Hoheitsaktes. Binding (Normen I, S. 63 ff.) hebt darüber hinaus ausdrücklich hervor, daß die N o r m auch als lex imperfecta echter Rechtssatz sei. Die Frage bedarf hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da sie i m vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung ist. Wie bereits wiederholt erwähnt wurde (vgl. die vorige Anmerkimg), besteht zwischen der Durchsetzbarkeit einer Verpflichtung u n d i h r e m kategorischen oder hypothetischen Charakter keinerlei innere Beziehung (so ist ζ. B. sowohl das kategorische Verbot des § 5 Abs. 3 StVO als auch das hypothetische Verbot des § 9 Abs. 4 StVO durch die Sanktionsdrohung des § 49 StVO gesichert).

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d') Damit muß nunmehr als erstes Ergebnis festgestellt werden, daß es i n der Tat eine erhebliche Zahl von Verboten gibt, die unzweifelhaft ganz „allgemein" sind und eine unbestimmte Zahl von Fällen regeln, aber dennoch nicht aus Tatbestand und Rechtsfolge aufgebaut sind und deshalb auch nicht auf die Formel „Jedesmal wenn — so" gebracht werden können. bb) Bereits m i t dieser Feststellung ist die Frage nach der Bedeutung der Tatbestandslehre für den Fall-Begriff beantwortet. Wenn es tatsächlich tatbestandslose abstrakte Verbote gibt, dann heißt das, daß eben nicht alle abstrakten Anordnungen einen die Voraussetzungen der Verpflichtung umschreibenden Tatbestand aufweisen und daß es dam i t an der Bedingung fehlt, unter der allein der Fall als der i m Tatbestand begrifflich typisierte reale Lebenssachverhalt angesehen werden könnte 1 1 3 . Gleichwohl soll der Vollständigkeit halber noch kurz untersucht werden, ob die Möglichkeit tatbestandsloser abstrakter Regelungen auf die Verbote beschränkt ist oder ob sie auch für die Gebote anerkannt werden muß. Wie ist hier ζ. B. die von Burckhardt 114 genannte Kopfsteueranordnung zu beurteilen? W i r d die (jährliche) Zahlung einer solchen Steuer von den Rechtsgenossen „ n u r als Folge gewisser anderer Tatsachen gefordert, deren E i n t r i t t nur als ein möglicher vorausgesetzt w i r d " , oder aber „schlechtweg und unmittelbar als solche" 115 ? Burckhardts rhetorische Frage, ob die Voraussetzung hier etwa darin erblickt werden solle, „daß jemand einen Kopf habe" 1 1 4 , ist ganz sicherlich zu verneinen. Daß der Besitz eines Kopfes als solcher keine Tatsache ist, deren E i n t r i t t vom Gesetzgeber nur als möglich vorausgesetzt wird, bedarf keiner Begründung. Fraglich könnte allenfalls sein, ob hier nicht der Sache nach die Existenz eines Menschen als Voraussetzung angesprochen w i r d („Jedesmal wenn ein Mensch existiert, soll er alljährlich eine Kopfsteuer i n Höhe von . . . zahlen"). Aber auch eine solche Betrachtungsweise wäre nicht angängig. Denn die bloße Existenz eines Menschen als Adressat eines rechtlichen Befehls ist immer eine selbstverständliche Voraussetzung für das Wirksamwerden einer Verpflichtung; wollte man sie als „Voraussetzung" i m Sinne der Tatbestandslehre ansehen, so würde dieser Begriff bzw. der des Tatbestandes seines eigentlichen Sinnes weitgehend entleert werden und einen anderen, für seine juristische Funktion unergiebigen Inhalt erhalten. U n d sollte i m übrigen der vom Kopfsteuergesetz „geregelte" einzelne „Lebenssachverhalt" darin bestehen, daß „ein Mensch existiert"? 113

114 115

Vgl. oben § 10 Β A A I I a.

Buckhardt: Methode, S. 229. So die zutreffende Formulierung Bierlings:

Prinzipienlehre, S. 76.

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Ebensowenig kommt aber auch der E i n t r i t t des jährlichen Fälligkeitstermins (etwa Neujahr) als tatbestandsmäßige Voraussetzung i n Betracht („Jedesmal wenn der Neujahrstag eintritt, soll jedermann eine Kopfsteuer i n Höhe von . . . zahlen"). Zunächst einmal handelt es sich hier gar nicht u m eine wirkliche Voraussetzung, sondern u m eine bloße Zeitbestimmung, weil der jeweilige E i n t r i t t des Neujahrstages gewiß ist und nicht „nur als ein möglicher vorausgesetzt wird" 11 ®. Zum anderen befremdet auch hier die Vorstellung, daß der von der Kopfsteueranordnung geregelte einzelne Lebenssachverhalt i m „ E i n t r i t t des Neujahrstages" bestehen soll. Dies u m so mehr, wenn man bedenkt, daß es Fälligkeitstermine ja auch bei allen anderen Steuern (Vermögens-, Einkommen-, Umsatzsteuer usw.) gibt, hier aber ganz sicherlich nicht diese, sondern die Höhe des jeweiligen Vermögens, Einkommens usw. den Tatbestand der Steuerpflicht bilden. Und schließlich: Würde die Anordnung nicht für unbestimmte Zeit, sondern etwa für fünf Jahre erlassen, so würde sie nach dieser Anschauung fünf Einzelfälle regeln — obwohl bei Erlaß des Gesetzes völlig unbestimmt ist, wie oft (von wieviel Personen) die Steuer insgesamt erhoben werden wird, und obwohl kein Zweifel daran bestehen kann, daß z.B. ein für die gleiche Zeit erlassenes Umsatzsteuergesetz m i t den gleichen Fälligkeitsterminen als Regelung einer unbestimmten Zahl von Fällen anzusehen wäre! Ein weiteres Moment, das als Voraussetzung der Kopfsteuerpflicht i n Betracht gezogen werden könnte, ist nicht erkennbar. Damit muß auch das an alle Rechtsgenossen gerichtete Gebot zur Zahlung einer Kopfsteuer als „tatbestandslos" angesehen werden, obwohl es — jedenfalls bei unbestimmter Geltungsdauer — unzweifelhaft die Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zum Inhalt hat. Die Möglichkeit tatbestandsloser abstrakter Regelungen ist demnach nicht auf die Verbote beschränkt, sondern muß auch für den Bereich der Gebote anerkannt werden, wenngleich derartige Anordnungen hier sehr viel seltener vorkommen werden 1 1 7 . III. Die Lehre von der ausnahmslos hypothetischen (TatbestandRechtsfolge-) Struktur der abstrakten Hoheitsakte ist somit nicht zu halten. Die Gegensätze abstrakt — konkret und hypothetisch — kategorisch sind keine korrespondierenden Begriffspaare, so daß der kategorische 116 Die Notwendigkeit, die rechtslogische Unterscheidung zwischen Bedingung ( = „Voraussetzung") u n d Zeitbestimmung auch hinsichtlich des Begriffs der hypothetischen N o r m zu berücksichtigen, ist bereits von Bierling, a. a. O., S. 78 hervorgehoben worden. 117 Ob das von Hans J. Wolff, a. a. Ο., § 24 I I b 1 β) aa) genannte Gebot, Treu u n d Glauben zu wahren, tatsächlich hierher gerechnet werden kann, erscheint zweifelhaft. G i l t es nicht n u r unter der Voraussetzung, daß sich jemand i m Rechtsverkehr bewegt?

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Charakter eines Hoheitsaktes, die Unmöglichkeit seiner Umformung auf das Schema „Jedesmal wenn — so" kein sicheres Kennzeichen dafür abgibt, daß er eine konkrete Regelung zum Inhalt hat. Vor allem aber erweist es sich damit als nicht möglich, den Fall als den „ i m Tatbestand begrifflich typisierten" realen Lebenssachverhalt anzusehen 118 . Anderenfalls käme man zu dem unsinnigen Ergebnis, daß die genannten tatbestandslosen Hoheitsakte überhaupt keine Fälle regelten! Oder aber es müßte für diese Anordnungen ein besonderer Fall-Begriff aufgestellt, das Ziel eines (zumindest für die befehlenden Hoheitsakte) einheitlichen Fall-Begriffs also aufgegeben werden. Eine solche Aufspaltung des Fall-Begriffs aber wäre einzig und allein dann gerechtfertigt, wenn sie absolut unvermeidbar wäre, wenn also ganz sicher feststünde, daß die befehlenden Hoheitsakte zwei ganz verschiedene „Gegenstände" bzw. „Gegenstandsarten" regelten; diese Voraussetzung ist jedoch, wie die folgenden Darlegungen zeigen werden, nicht gegeben. Die Lehre von Tatbestand und Rechtsfolge h i l f t demnach i n der Frage nach dem Fall-Begriff nicht weiter. Selbst wenn diese Unterscheidung entgegen der Behauptung Burckhardts als solche logisch haltbar wäre, so könnte sie doch die ihr hier zugedachte Funktion nicht erfüllen, weil es jedenfalls auch tatbestandslose abstrakte Regelungen gibt und der „Fall" als realer Gegenstand hoheitlicher Regelung schlechthin infolgedessen etwas anderes sein muß als derjenige Lebenssachverhalt, der bei einem Teil der abstrakten Hoheitsakte begrifflich-typisiert zum rechtsfolgebegründenden Tatbestand erhoben ist 1 1 9 . Damit erweist es sich, daß der „reale Lebenssachverhalt", der möglicherweise den „ F a l l " bildet, durch den Hoheitsakt selbst nicht i n dem erforderlichen Umfange individualisiert wird. Die Brauchbarkeit der Gleichsetzung „ F a l l — realer Lebenssachverhalt" hängt deshalb davon ab, ob sich i n der vom Hoheitsakt erfaßten Lebenswirklichkeit selbst Momente finden lassen, die den einzelnen realen Sachverhalt konstituieren und damit auch zu individualisieren vermögen 120 . BB. Die Individualisierung des „realen Lebenssachverhaltes" durch Momente der Lebenswirklichkeit I. Als Momente, die der vom Hoheitsakt erfaßten Lebenswirklichkeit selbst eigen sind und möglicherweise den einzelnen Sachverhalt zu individualisieren vermögen, kommen zunächst solche tatsächlichen Gegebenheiten i n Betracht, die ihrerseits durch eine „Bestimmtheit" ge118

Vgl. oben I a. Die Frage, ob Burckhardts grundsätzlicher E i n w a n d gegen die logische Haltbarkeit der Tatbestandslehre richtig ist, braucht hier somit nicht entschieden zu werden. 120 Vgl. oben A a. E. und Β vor A A . 119

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kennzeichnet sein können. Eine solche Bestimmtheit kann gegeben sein hinsichtlich der betroffenen Personen, hinsichtlich des Ortes, auf den sich der Hoheitsakt bezieht, und hinsichtlich des Gegenstandes, i n bezug auf den er ein gewisses Verhalten zur Pflicht macht 121 . Läßt sich nun nicht vielleicht sagen, daß immer dann, wenn eine solche Bestimmtheit gegeben ist, ein einmaliger individueller Sachverhalt vorliegt, daß also eine derartige Bestimmtheit den einzelnen Sachverhalt konstituiert und damit individualisiert? a) Einer besonderen Betrachtung bedarf hier zunächst die Bestimmtheit der betroffenen Personen. Wollte man sie als konstituierendes Merkmal des einzelnen Sachverhaltes = Falles ansehen, so liefe das i m Ergebnis auf die Lehre Obermayers bzw. Thomas hinaus. Jeder spezielle, also an eine einzelne Person oder an eine bestimmte Zahl von Personen gerichtete Befehl enthielte dann stets die Regelung eines Einzelfalles bzw. einer bestimmten Zahl von Fällen, so daß die Möglichkeit abstrakt-spezieller A k t e begrifflich ausgeschlossen wäre. Die Möglichkeit konkret-genereller Anordnungen hinge davon ab, ob man — wie Obermayer 122 — umgekehrt bei Unbestimmtheit der betroffenen Personen stets auch eine abstrakte Regelung annimmt oder ob man — ähnlich Thoma 123 — auch einen generellen Befehl als konkret ansieht, sofern er sich auf einen bestimmten realen Ort oder Gegenstand bezieht. Es wurde n u n aber bereits oben 124 eingehend dargelegt, daß weder die Lehre Obermayers noch diejenige Thomas rechtstheoretisch haltbar sind. Fall (realer Lebenssachverhalt) und Adressat (betroffene Person) stehen rechtstheoretisch i n keinem inneren Zusammenhang, sondern sind vielmehr völlig selbständig, so daß bei rein rechtstheoretischer Betrachtung sowohl die Möglichkeit konkret-genereller als auch die abstrakt-spezieller Anordnungen anerkannt werden muß 1 2 5 . Eine Bestimmung des realen Lebenssachverhaltes (Falles) m i t Hilfe der betroffenen Personen (Adressaten), die zwangsläufig zur schlichten Zweiteilung aller Hoheitsakte i m Sinne Obermayers oder zur dreistufigen A l l 121 I m weiteren Sinne w o h l auch hinsichtlich der Zeit, während deren das befohlene Verhalten geübt werden soll. Die h i e r m i t angesprochene Geltungsdauer des Befehls ist jedoch ein von der Fallregelung (dem abstrakten oder konkreten Charakter der Regelung) logisch unabhängiges Moment, so daß sie schon aus diesem Grunde f ü r eine Individualisierung des einzelnen Sachverhalts nicht i n Betracht kommt. Vgl. zu dieser logischen Selbständigkeit der Geltungsdauer schon Thoma: Polizeibefehl, S. 61—67. — Daß die v o m Hoheitsakt erfaßte Lebenswirklichkeit noch i n anderer Weise „bestimmt" sein könnte, ist nicht ersichtlich. 122 Vgl. oben § 9 A I . 123 Vgl. oben § 9 Β V. 124 Vgl. oben § 9 A I I u. Β I I . 125 Daß die teleologische Auslegung bestimmter positiv-rechtlicher V o r schriften möglicherweise zu anderen Ergebnissen führen kann, wurde bereits oben § 9 Β I I Α. E. hervorgehoben.

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gemeinheitsskala i m Sinne Thomas führt, ist deshalb m i t einer exakten rechtstheoretischen Begriffsbildung nicht vereinbar. Die Bestimmtheit der betroffenen Personen muß demnach als Moment der Individualisierung des einzelnen Sachverhaltes von vornherein außer Betracht bleiben. b) Damit kommen als Individualisierungsmomente nur der Ort und der Gegenstand, auf die sich die getroffene Regelung bezieht, i n Frage. „Gegenstand" ist hier selbstverständlich nicht als Inbegriff der vom Hoheitsakt erfaßten Lebenswirklichkeit schlechthin zu verstehen, sondern sehr viel enger als körperliche Sache, an der oder i n bezug auf die eine bestimmte Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen ist 1 2 6 . Daraus folgt zugleich, daß Ort und Gegenstand hier begrifflich verschiedene Dinge sind, obschon sie i m Einzelfalle durchaus identisch sein können 1 2 7 . Die bejahende A n t w o r t auf die Frage, ob Ort (Raum) und Gegenstand tatsächlich die Funktion von allgemeingültigen Individualisierungsmomenten zukommt, ob also jeder von einem Hoheitsakt geregelte reale Lebenssachverhalt entweder örtlich-räumlich oder gegenständlich individualisiert ist, hängt nun von drei Voraussetzungen ab. Einmal müßte jeder hoheitlich geregelte Lebenssachverhalt irgendeinen örtlich-räumlichen bzw. gegenständlichen Bezug aufweisen. Z u m anderen müßte jede abstrakte Regelung räumlich bzw. gegenständlich unbestimmt, jede konkrete Regelung hingegen insoweit bestimmt sein. Und schließlich müßte der Begriff der räumlichen bzw. gegenständlichen Bestimmtheit selbst so klar und eindeutig sein, daß sich jeweils entscheiden ließe, ob der i n Frage stehende Sachverhalt i n diesem Sinne bestimmt ist oder nicht. 1. Bereits die erste Voraussetzung ist offensichtlich nicht erfüllt. Eine große Zahl von Hoheitsakten regelt „Lebenssachverhalte", die weder orts- noch gegenstandsbezogen sind. Man denke z.B. an das Verbot von Versammlungen und Demonstrationen, von studentischen Mensuren oder von Handlungen wie Hochverrat oder Beleidigung; oder an das Gebot, Kirchensteuer zu zahlen, den Wehrdienst abzuleisten oder drohende Verbrechen anzuzeigen usw. I n allen diesen Anordnungen, deren Aufzählung sich beliebig erweitern ließe, w i r d ein Verhalten zur Pflicht gemacht, das nicht an irgendeinen Ort gebunden ist oder irgendeinen Gegenstand betrifft. Schon damit erweist es sich, daß Ort und Gegenstand als allgemeingültige Individualisierungsmomente unbrauchbar sind. Wenn es Sach126 127

Vgl. W. Jellinek: Gesetz, S. 144

So ist ζ. B. der Befehl, ein seuchenkrankes Schwein zu töten, n u r gegenständlich bestimmt, ein Badeverbot f ü r einen bestimmten Flußabschnitt h i n gegen n u r räumlich, während das Gebot, ein baufälliges Haus abzureißen, eine sowohl gegenständliche als auch räumliche Bestimmtheit aufweist.

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verhalte gibt, die nicht orts- oder gegenstandsbezogen sind, dann kann auch die räumliche oder gegenständliche Bestimmtheit nicht dasjenige Moment sein, durch das der einzelne Lebenssachverhalt schlechthin individualisiert wird. Da aber weitere Momente, die eine Individualisierung des einzelnen Sachverhalts bewirken könnten, nicht erkennbar sind 1 2 8 , muß somit auch der Versuch, den Sachverhalt als stets durch der Lebenswirklichkeit immanente allgemeingültige Momente individualisiert anzusehen, bereits als gescheitert betrachtet werden. 2. Immerhin bleibt zu fragen, ob Ort und Gegenstand nicht wenigstens dann, wenn die Anordnung eine orts- oder gegenstandsbezogene Regelung enthält, die genannte Individualisierungsfunktion zuerkannt werden muß. Die Aufgabe wäre dann wenigstens für diesen Teil der Hoheitsakte gelöst, und i m übrigen könnte — mangels anderer Individualisierungsmomente — vielleicht eine historisch-konventionelle A b grenzung oder wertende Betrachtung weiterhelfen 1 2 9 . Insofern hat es Sinn, auch noch auf die zweite der genannten Voraussetzungen einzugehen und zu prüfen, ob innerhalb der orts- bzw. gegenstandsbezogenen Hoheitsakte die unzweifelhaft konkreten stets durch eine örtlichgegenständliche Bestimmtheit, die unzweifelhaft abstrakten hingegen stets durch eine ebensolche Unbestimmtheit gekennzeichnet sind. Auch diese Frage muß indessen verneint werden. Es gibt eine Vielzahl von Regelungen, die offensichtlich abstrakt sind, gleichwohl aber Handlungen betreffen, die nur an einem bestimmten Ort vorgenommen werden können bzw. zu einem bestimmten Gegenstande i n Beziehung stehen. So etwa die von W. Jellinek 130 angeführte Vorschrift gegen Verunstaltung der Aussicht auf das Heidelberger Schloß durch unschöne Bauwerke oder die praktisch überaus bedeutsamen Landschaftsschutzverordnungen 131 , durch die genau bestimmte Landschaftsteile einem weitgehenden Bauverbot und ähnlichen Beschränkungen unterstellt werden. Umgekehrt sind aber auch Anordnungen denkbar, die trotz ihres offensichtlich konkreten Charakters gegenständlich unbestimmt sind wie ζ. B. der Befehl an ein Industrieunternehmen, i n Zukunft nur noch Rüstungsgüter zu produzieren 132 . 128

Vgl. oben S. 106/107,1 vor a), insbesondere Anm. 121 a. E. Vgl. oben § 2, A n m . 12. Es bedarf allerdings keiner Hervorhebung, daß die Notwendigkeit, insoweit auf ein begrifflich-logisches K r i t e r i u m zu verzichten, überaus unerfreulich wäre. 130 a. a. O., S. 146. 131 Vgl. § 19 RNaturschG v. 26. 6. 1935 i. Vb. m. § 13 der DVO v. 31. 10. 1935. •Siehe auch das U r t e i l des B V w G v. 17.7.1958 (NJW 1958,1600), w o ausdrücklich ausgesprochen w i r d , daß es sich bei der Unterstellung v o n Grundflächen unter den Landschaftsschutz nicht u m einen Verwaltungs-, sondern u m einen echten Rechtssetzungsakt handele. 132 Dabei k o m m t es nicht darauf an, ob diese Rüstungsgüter ihrer A r t nach näher bezeichnet sind (ζ. B. Stahlhelme, Gewehre usw.) oder nicht. Auch i m er129

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3. Erweist es sich somit schon aus diesem Grunde als unmöglich, die örtliche bzw. gegenständliche Bestimmtheit wenigstens hinsichtlich der orts- bzw. gegenstandsbezogenen Hoheitsakte als konstituierendes Merkmal der einzelnen Lebenssachverhalte anzusehen, so w i r d dieses Ergebnis noch erhärtet, wenn man den Begriff dieser Bestimmtheit selbst einer kurzen Analyse unterzieht. Denn was ist es denn, was den „bestimmten" vom „unbestimmten" Ort unterscheidet? Wann hört ein Ort auf, bestimmt und wann beginnt er, unbestimmt zu sein? Hier erscheint es kaum möglich, logisch eine Grenze zu ziehen. Bezieht sich ein Hoheitsakt ζ. B. auf eine Straßenkreuzung oder -einmündung wie etwa ein Stop-Schild, so w i r d sich der geregelte Sachverhalt zwar ohne weiteres als örtlich bestimmt bezeichnen lassen. Wie ist es aber, wenn für eine „bestimmte" Bundesstraße oder gar für alle (ζ. Z. fertig ausgebauten) Autobahnen eine Geschwindigkeitsbeschränkung angeordnet wird? Oder wenn für die gesamte Weser ein allgemeines Badeverbot verhängt wird? Handelt es sich auch hier jeweils noch u m einen bestimmten Ort und damit u m die Regelung eines Einzelfalles 133 ? Das Rechtsgefühl drängt dazu, die Frage zu verneinen 134 . Doch wie läßt sich das begründen, da doch der räumliche Ausschnitt aus der Lebenwirklichkeit, den der jeweilige Hoheitsakt seiner Regelung unterwirft, ungeachtet seiner großen Ausdehnung 135 genau und eindeutig feststeht? Die Logik bietet hier augenscheinlich keine Möglichkeit, Straßenkreuzung einerseits und Bundesautobahnen bzw. Weser andererseits verschieden zu behandeln und damit sachgerechte Ergebnisse zu erzielen. Es zeigt sich somit, daß der Begriff der örtlichen Bestimmtheit selbst solche Unklarheiten i n sich birgt, daß er als Element einer praktikablen FallDefinition nicht brauchbar ist. Das gleiche gilt entsprechend auch für die Bestimmtheit des Gegenstandes 136 . sten Falle sind doch jedenfalls die einzelnen Gegenstände als solche u n bestimmt. 133 bzw. bei den Autobahnen u m mehrere bestimmte Orte u n d damit u m eine bestimmte Z a h l von Fällen — nämlich u m so viele, als Autobahnen v o r handen sind; wodurch aber w i r d die einzelne Autobahn individualisiert? 134 M a n denke etwa n u r an die Bekanntmachung einer solchen Anordnung. Es liegt auf der Hand, daß hier allein die Verkündung i n einem Publikationsorgan die erforderliche Unterrichtung der Betroffenen ermöglicht. 135

Daß es f ü r die örtliche Bestimmtheit nicht auf die räumliche Ausdehnung als solche ankommen kann, bedarf keiner näheren Begründung. Wie u n d w o sollte hier ohne irgendeine W i l l k ü r die Grenze gezogen werden? 136 Hier allerdings w o h l i n geringerem Umfange, da sich die I n d i v i d u a l i t ä t (und damit „Bestimmtheit") einer Sache aus ihrer körperlichen Begrenzung ergibt, an der es bei ö r t l i c h k e i t e n i n dieser Eindeutigkeit zumeist fehlt. Große Schwierigkeiten ergeben sich hier aber bei den Sachgesamtheiten. Handelt es sich z. B. u m einen bestimmten oder u m unbestimmte Gegenstände, w e n n einem K a u f m a n n befohlen w i r d , alle seine Waren m i t Preisauszeichnungen zu versehen?

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c) Als Ergebnis ist demnach i n Übereinstimmung m i t einer i n Wissenschaft und Rechtsprechung schon mehrfach vertretenen Ansicht 1 3 7 festzustellen, daß das Moment der örtlichen Bestimmtheit, der „Lokalisierung des Befehls" 1 3 8 auf einen bestimmten Ort nicht geeignet ist, den einzelnen Lebenssachverhalt und damit den einzelnen Fall zu individualisieren. Ebensowenig kommt die Bestimmtheit des Gegenstandes als Individualisierungsmoment i n Betracht. II. M i t der Erkenntnis, daß der von einem Hoheitsakt erfaßten Lebenswirklichkeit keine Momente innewohnen, die als konstituierende Merkmale des einzelnen Sachverhalts angesprochen werden können, ist die Frage nach der Möglichkeit der Individualisierung des einzelnen Lebenssachverhalts jedoch noch nicht erschöpft. Es bleibt noch ein Gesichtspunkt zu prüfen, der i n der Wissenschaft schon vor längerer Zeit von Rosin aufgezeigt worden ist. Rosin, der den Fall ebenfalls als „Vorkommnis" umschreibt, weist bei der Behandlung der Verfügung m i t Nachdruck darauf hin, daß der Gegenstand der Verfügung, d. h. der von ihr geordnete Fall, streng zu unterscheiden sei von ihrem Inhalt, d. h. dem Inhalt des diese Ordnung bildenden Ge- oder Verbotes 139 . Eröffnet nun nicht vielleicht diese Unterscheidung eine Möglichkeit, den einzelnen Sachverhalt zu individualisieren? Wenn Gegenstand und Inhalt eines (befehlenden) Hoheitsaktes zwei ganz verschiedene Dinge sind, dann kann der reale Befehlsgegenstand ( = Lebenssachverhalt) nur i n solchen tatsächlichen Umständen bestehen, die dem Befehl i n der Lebenswirklichkeit vorgegeben und ganz unabhängig von i h m existent sind, also auch dann i n ihrem Bestände unberührt bleiben, wenn man von dem Befehl und der i n i h m getroffenen Regelung völlig absieht. 137

Vgl. W. Jellinek: Gesetz, S. 146; Thoma: Polizeibefehl, S. 375; Brohm:

Bauplanungsrecht, S. 47—54; Obermayer: Plan, S. 212; K G , Urt. v. 12. 12. 1924: DJZ 1925, 439; w o h l auch B V w G , Urt. v. 10.6.1960: DVB1. 1960, 805; u n k l a r OVG Lüneburg, Urt. v. 26.4.1957: DöV 1958,549. Abweichend BVfG, Beschl. v. 15. 3.1960: B V f G E 11,16 f. hinsichtlich der Zulassung eines Dampfkesseltyps u n d der Genehmigung eines bestimmten Kesselsteingegenmittels, die wegen ihrer Beziehung auf bestimmte Objekte als V A e qualifiziert werden (schon deshalb nicht überzeugend, w e i l ein Kessel typ u n d ein Kesselsteingegenmittel doch w o h l k a u m als „bestimmte" Objekte angesehen werden können); weit(er)gehend (im einzelnen?) auch Imboden: Plan, S. 121 f., wonach eine u n bestimmte Vielzahl von Fällen ( = geregelten Handlungen) dann zu einem E i n zelfall w i r d , w e n n die einzelnen Fälle wie beim Verkehrszeichen räumlich nicht auseinander liegen (in sich nicht konsequent!). Eine abweichende Auffassung liegt auch den neuesten Äußerungen zugrunde, i n denen das amtliche V e r kehrszeichen oder ein n u r wenige bestimmte Grundstücke betreffender Bebauungsplan als V A angesprochen w i r d ; vgl. z.B. Merk: W d S t R L , Heft 18, 178/188/192 u n d Ernst: DVB1.1960,346 bzw. Gogs: b w V B l . 1957,22 u n d w b V G H v. 2. 8.1956: E S V G H 7, 199; s. auch B V w G , Urt. v. 26. 3.1955: B V w G E 2, 37. 138 139

So Thoma, a.a.O. Rosin: Polizeiverordnungsrecht, S. 12 f.; vgl. oben § 4 Β I I a. E.

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2. T e i l :

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

Diejenigen realen Umstände hingegen, die sich erst aus der Tatsache und dem Inhalt der Regelung selbst ergeben, können dann niemals zum „Sachverhalt" gehören. Die Unterscheidung zwischen Befehlsgegenstand und Befehlsinhalt führt also zu einer erheblichen Einschränkung und klaren Begrenzung der Umstände, die als „Sachverhalt" bzw. „Sachverhaltsmomente" i n Betracht kommen. Sollte der Begriff des realen Lebenssachverhalts damit nicht eine solche Präzisierung gefunden haben, daß sich stets entscheiden ließe, ob eine Regelung einen einzelnen Sachverhalt oder aber eine bestimmte oder unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten erfaßt? a) M i t Hilfe eines derart verfeinerten Sachverhaltsbegriffs können nun i n der Tat eine Reihe von bislang problematischen Hoheitsakten klar als abstrakt oder konkret bestimmt werden. Dies gilt vor allem für diejenigen, i n denen an ein einmaliges Ereignis der Befehl zu einer Vielzahl von Handlungen geknüpft wird. So ζ. B. eine Anordnung, die anläßlich des Todes des Staatsoberhauptes allen Wohnungsinhabern aufgibt, eine Woche lang halbmast zu flaggen. Nach der einfachen Gleichung „ F a l l = realer Lebenssachverhalt" ist der Rechtscharakter dieser Anordnung einer eindeutigen Bestimmung entzogen, da sowohl der Tod des Staatsoberhauptes als auch das Flaggen seitens der einzelnen (in ihrer Gesamtzahl veränderlichen) Wohnungsinhaber als geregelter Sachverhalt angesprochen werden kann 1 4 0 . Beschränkt man den „Sachverhalt" hingegen begrifflich auf den „Befehlsgegenstand", so kann er hier nur i m Tode des Staatsoberhauptes bestehen. Denn allein dieser Umstand ist es, der dem Befehl i n der Lebenswirklichkeit vorgegeben ist und auch dann unverändert bestehen bleibt, wenn man von der Anordnung und der i n ihr getroffenen Regelung völlig absieht. Das tägliche Flaggen seitens des einzelnen Wohnungsinhabers hingegen ist etwas, was durch den Befehl selbst erst herbeigeführt w i r d und deshalb ohne diesen nicht gedacht werden kann. Die Anordnung wäre damit eindeutig als konkrete Regelung ausgewiesen. b) Zeigt sich damit einerseits, daß m i t Hilfe der begrifflichen Gleichsetzung von Lebenssachverhalt und Befehlsgegenstand gewisse Zweifelsfragen geklärt werden könnten, so führt eine nähere Prüfung doch zu dem Ergebnis, daß auch diese Bestimmung des Sachverhaltsbegriffs das Problem nicht wirklich zu lösen vermag. 1. Zunächst einmal gibt es eine ganze Reihe von Hoheitsakten, bei denen auch der so präzisierte Sachverhaltsbegriff nicht weiterhilft. Dies gilt z.B. für die Verkehrszeichen, das Badeverbot und den ebenfalls schon erwähnten Armbindenbefehl 1 4 1 . Bei allen diesen Anordnungen 140 Je nachdem wäre der Befehl konkret oder abstrakt; vgl. zu dieser Problematik schon oben unter A . 141 Vgl. oben A .

§ 10. Der F a l l als „realer Lebenssachverhalt" /

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erfaßt auch der Begriff des Befehlsgegenstandes nicht nur die einmaligen Umstände, die die Annahme einer konkreten Regelung begründen könnten — die bestimmte Straße(nstelle), den bestimmten Teich oder See, den Tod des letzten Staatsoberhauptes —, sondern auch diejenigen, die i m Rahmen der einzelnen Anordnung unbestimmt oft eintreten und damit den Schluß auf deren abstrakten Charakter rechtfertigen können: daß sich nämlich jemand anschickt, die betreffende Straße zu befahren oder i n dem betreffenden Gewässer zu baden oder daß sich ein Staatsbürger auf eine öffentliche Straße begibt. Auch diese Umstände sind sämtlich vom Befehl und seinem Inhalt völlig unabhängig, gehören also zu seinem „Gegenstand", so daß auch hier die Frage, worin der geregelte Sachverhalt nun eigentlich besteht, und damit auch die Frage nach dem Rechtscharakter der Anordnung einer eindeutigen Beantwortung entzogen ist. 2. Zum anderen aber ist die Unterscheidung zwischen Befehlsinhalt und Befehlsgegenstand gar nicht immer durchführbar und schon deshalb als Grundlage einer allgemeingültigen Definition des Sachverhaltes überhaupt nicht verwertbar. Es gibt vielmehr befehlende Hoheitsakte, die eines „Gegenstandes" i m oben bezeichneten Sinne schlechthin ermangeln. Das gilt zunächst einmal für die oben 142 behandelten tatbestandslosen abstrakten Gebote und Verbote. Denn der jeweilige einzelne „Gegenstand" eines abstrakten Befehls kann i n nichts anderem bestehen als denjenigen tatsächlichen Umständen, die seinen Tatbestand v e r w i r k lichen und damit das eigentliche Ge- oder Verbot i n concreto auslösen 148 . Daraus folgt zwangsläufig, daß ein abstrakter Befehl, der keinen Tatbestand auf weist, auch keinen „Gegenstand" haben kann. Worin sollten ζ. B. beim Tötungsverbot die tatsächlichen Umstände bestehen, die dieser Anordnung i n der Lebenswirklichkeit vorgegeben sind, ganz unabhängig von ihr Bestand haben und durch das Verbot, andere Menschen zu töten, geordnet werden? Die Möglichkeit „gegenstandsloser" Anordnungen muß aber auch für den Bereich der konkreten Hoheitsakte anerkannt werden. Derartige Anordnungen kommen vor allem dann vor, wenn der Befehl unmittelbar auf die Schaffung eines neuen Zustandes gerichtet ist. Werden ζ. B. die männlichen Einwohner einer Ortschaft i m Alter von χ bis y Jahren i m Zuge der Errichtung einer Grenzbefestigung verpflichtet, vor ihrer Ortschaft einen Panzergraben auszuheben, so sind irgendwelche realen Umstände, die dem Befehl i n der Lebenswirklichkeit vorgegeben sind und 142

Vgl. Β A A I I b . So besteht ζ. B. der jeweilige reale Gegenstand des § 985 B G B darin, daß jemand eine i n fremdem Eigentum stehende Sache i n Besitz hat. Der I n h a l t des diesen Gegenstand = F a l l ordnenden Gebotes ist der, daß der Besitzer die Sache an den Eigentümer herausgeben soll. 143

β

Volkmar

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2. T e i l : Hechtstheoretische Grundlagen / Kap.

durch ihn geordnet werden, nicht erkennbar. Der Ort, an dem der Graben errichtet werden soll, kommt als Gegenstand = realer Lebenssachverhalt nicht i n Frage, weil er i m Befehl nicht genau bestimmt zu sein braucht und durch diesen auch gar nicht „geordnet" wird. Die Möglichkeit eines Krieges mit dem Nachbarstaat aber ist nicht Gegenstand der Regelung, sondern lediglich Motiv für ihren Erlaß 1 4 4 . Was hier allein als „geregelter Sachverhalt" i n Betracht kommt, ist die „Aushebung eines Panzergrabens". Das aber ist gerade ein Umstand, der nicht unabhängig vom Befehl existent ist, sondern sich gerade erst ausschließlich aus dessen Inhalt selbst ergibt 1 4 5 . I I I . Als Ergebnis muß demnach festgestellt werden: Der von einem befehlenden Hoheitsakt erfaßten Lebenswirklichkeit wohnen keine Momente inne, die den einzelnen Sachverhalt konstituieren und damit als solchen ausweisen. Dem Adressaten des Befehls kommt insoweit ebensowenig eine individualisierende K r a f t zu wie dem Ort oder dem Gegenstand, i n bezug auf den ein bestimmtes Verhalten ge- oder verboten wird. Auch eine Beschränkung auf den Befehlsgegenstand i m Gegensatz zum Befehlsinhalt vermag den Begriff des Sachverhaltes nicht i n hinreichendem Umfange zu präzisieren; sie wäre außerdem bereits i m Ansatz verfehlt, da die Unterscheidung zwischen Befehlsgegenstand und Befehlsinhalt weder bei den abstrakten noch bei den konkreten Hoheitsakten ausnahmslos durchführbar ist und der som i t nicht begriffsnotwendige „Befehlsgegenstand" nicht Inhalt eines allgemeingültigen Sachverhalts- bzw. Fall-Begriffs sein kann 1 4 8 . 144 Wollte m a n das Gegenteil annehmen, so gelangte m a n zwangsläufig zu dem unmöglichen Ergebnis, daß sämtliche Hoheitsakte, die i m Hinblick auf die Möglichkeit eines bestimmten Krieges erlassen werden, als Einzelfallregelungen anzusehen wären (ζ. B. auch ein Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht oder allgemeine wirtschaftspolitische Maßnahmen). 145 Die Tatsache, daß es Hoheitsakte gibt, bei denen es an einem Sachverhalt i m Sinne des Befehlsgegenstandes fehlt, ist offenbar bereits von Bornhak erkannt u n d zur Grundlage seiner Unterscheidung zwischen Rechtsnorm u n d t a t sächlicher Anordnung gemacht worden. Vgl. Staatsrecht 2 , S. 471: „Während die Rechtsnorm einen tatsächlichen Zustand voraussetzt u n d an diesen Rechtsfolgen anknüpft, die sie v e r w i r k l i c h t wissen w i l l , macht die tatsächliche A n ordnung keinerlei solche Voraussetzung. I h r Gegenstand ist vielmehr die u n mittelbare Herstellung eines gewissen tatsächlichen Zustandes. Die Rechtsn o r m sagt, daß unter gewissen Voraussetzungen ein bestimmter tatsächlicher Zustand hergestellt werden soll, die tatsächliche A n o r d n i m g stellt i h n u n m i t telbar her." Diese Unterscheidung von Rechtsnorm u n d tatsächlicher Anordnung ist nicht etwa gleichbedeutend m i t der Unterscheidung von allgemeinem Rechtssatz u n d Einzelakt, da nach Bornhaks Auffassung die Rechtsnorm auch einen E i n zelfall regeln kann; vgl., a. a. O., S. 468: „ . . . Folglich muß es auch Rechtsnormen f ü r den einzelnen F a l l geben. Das Erfordernis der Allgemeinheit ist daher fallen zu l a s s e n . . . " 146 Anderenfalls ergäben sich hier die gleichen unannehmbaren Folgerungen w i e bei der entsprechenden Problematik bei den tatbestandslosen Hoheitsakten; vgl. dazu oben A A I I I .

§ 11. Der F a l l als das „geregelte menschliche Verhalten"

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C. Ergebnis Die eben getroffene Feststellung führt — da auch der Hoheitsakt selbst den einzelnen Sachverhalt nicht hinreichend individualisiert 1 4 7 — zu der Erkenntnis, daß der Begriff des realen Lebenssachverhalts einer näheren Bestimmung entzogen ist. Es gibt augenscheinlich keine Möglichkeit, diesen Begriff derart zu präzisieren, daß sich ein K r i t e r i u m dafür anführen läßt, ob eine hoheitliche Regelung einen einzelnen Sachverhalt oder eine bestimmte oder unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten betrifft. Es fehlt somit an der Voraussetzung, unter der allein der Fall als realer Lebenssachverhalt bestimmt werden könnte, da m i t der Gleichsetzung von Fall und realem Lebenssachverhalt ohne die genannte Präzisierung des letzteren Begriffs die Abgrenzungsschwierigkeiten nicht gelöst, sondern lediglich verschoben werden 1 4 8 . Es mag zwar sein, daß das, was den einzelnen Fall ausmacht, i n irgendeinem Sinne als „realer Lebenssachverhalt" bezeichnet werden kann. Ein w i r k l i c h brauchbarer und praktikabler Fall-Begriff muß es jedoch ermöglichen, den von einem Hoheitsakt geregelten Fall als solchen zu erkennen und damit auch die Frage nach dem konkreten oder abstrakten Charakter der Regelung eindeutig zu beantworten. Ein solcher Fall-Begriff ist aber nach den vorstehenden Ausführungen vom Begriff des realen Lebenssachverhaltes her nicht zu gewinnen. Es muß deshalb versucht werden, einen anderen Ansatzpunkt zu finden. § 11.

Der Fall

als das „ g e r e g e l t e Verhalten"

menschliche

Bei der Suche nach einem anderen Ansatzpunkt zur Bestimmung des Fall-Begriffs kann und muß nun auf einige Erkenntnisse zurückgegriffen werden, die sich i m Laufe der bisherigen Untersuchung ergeben haben. Alle bislang unternommenen Versuche, den schillernden Begriff des Falles wenigstens für den Bereich der befehlenden Hoheitsakte i n allgemeingültiger und praktikabler Weise begrifflich zu fixieren, mußten — m i t Ausnahme der Theorie Obermayers — daran scheitern, daß sie jeweils auf Momente abstellten, die zwar bestenfalls zu den Naturalia, nicht aber zu den Essentialia der befehlenden Hoheitsakte gehören, wie es für die Definition des als allgemeingültig vorausgesetzten Fall-Begriffs erforderlich wäre 1 4 9 . Es kommt deshalb nunmehr dar147

Vgl. oben Β A A I I I . Vgl. oben A . Der Tatbestand, m i t dessen Hilfe zunächst eine Individualisierung des einzelnen Falles (Sachverhalts) versucht wurde, ist der abstrakten Regelung nicht begriffswesentlich; Ort u n d (körperlicher) Gegenstand, die des weiteren als Individualisierungsmomente i n Erwägung gezogen wurden, sind nicht ein148

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2. T e i l : Hechtstheoretische Grundlagen / Kap.

auf an, bei einem Moment anzusetzen, das wirklich ohne Ausnahme jedem befehlenden Hoheitsakt begriffswesentlich ist. A. Das geregelte menschliche Verhalten als Ansatzpunkt für die Bestimmung des Fall-Begriffs Die Richtung der auf der eben genannten Erkenntnis aufbauenden weiteren Untersuchung w i r d durch einige Teilergebnisse gewiesen, die i m Laufe der bisherigen Erörterungen gewonnen werden konnten. Die Überprüfung der Tatbestandslehre hat die Möglichkeit tatbestandsloser abstrakter Regelungen aufgezeigt, die unabhängig von irgendwelchen als „ F a l l " (Sachverhalt) ansprechbaren Voraussetzungen schlechthin, kategorisch ein gewisses Verhalten ge- oder verbieten 1 5 0 ; bei der Untersuchung der Rosinschen Unterscheidung zwischen Befehlsgegenstand und Befehlsinhalt hat sich ergeben, daß auch eine Reihe von konkreten Befehlen einen vorgegebenen realen „Gegenstand" nicht besitzen, daß sich hier der geregelte „Sachverhalt" vielmehr erst aus dem Inhalt des Befehls selbst ergibt, durch diesen gewissermaßen erst geschaffen w i r d 1 5 1 . Bei der Suche nach dem Fall-Begriff muß demnach an ein Moment angeknüpft werden, das auch diesen, offenbar nur aus den unverzichtbaren Merkmalen eines Befehls schlechthin bestehenden Regelungen eigen ist. Das aber ist — gerade i m Gegensatz zu dem sich aus der Tatbestandslehre und der Auffassung Rosins ergebenden Ansatz — allein der Befehl als solcher, die Forderung eines bestimmten Verhaltens 152 , und der geregelte Fall kann demnach i n nichts anderem zu suchen sein als i n dem ge- oder verbotenen menschlichen Verhalten selbst. Ist dies nun der A n satz, der einer kritischen Nachprüfung standhält und zur Entwicklung einer Definition des Falles geeignet ist, die den an sie zu stellenden A n forderungen gerecht zu werden vermag? I. Sucht man den von einem befehlenden Hoheitsakt geregelten Fall i n dem von i h m geregelten menschlichen Verhalten, so w i r d damit i n der Tat an dasjenige Moment angeknüpft, das ausnahmslos allen befehlenden Hoheitsakten gemeinsam ist. Denn es macht eben gerade das Wesen eines jeden Befehls aus, daß er die Pflicht zu einem bestimmten T u n oder Unterlassen begründet, also auf menschliches Verhalten einm a l typische Momente hoheitlich geregelter Lebens Verhältnisse; und schließlich ist auch ein „Befehlsgegenstand" i m Sinne von dem Befehl vorgegebenen, durch i h n geordneten u n d als „Sachverhalt" ansprechbaren realen Umständen bei einer Vielzahl von Hoheitsakten nicht vorhanden. 150 ζ. B. das Kopfsteuergesetz, das Tötungsverbot. 151 ζ. B. bei dem Befehl zur Aushebung eines Panzergrabens. 152 I m Sinne der Terminologie Rosins also gerade nicht der Befehlsgregenstand, sondern der Befehlsinhalt.

§ 11. Der F a l l als das „geregelte menschliche Verhalten" / A.

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wirken w i l l . Die Orts- oder Gegenstandsbezogenheit eines Befehls, seine Verknüpfung m i t hypothetischen Voraussetzungen oder real vorgegebenen Umständen — alles das sind Eigenschaften, die einem befehlenden Hoheitsakt zwar typischerweise zukommen mögen, jedoch nicht begriffswesentlich sind. Das Verbot von Demonstrationen ist weder orts- noch gegenstandsbezogen; das Tötungs verbot gilt unabhängig vom E i n t r i t t irgendwelcher hypothetischer Voraussetzungen; das erwähnte Gebot der Aushebung eines Panzergrabens bezieht sich nicht auf irgendwelche vorgegebenen, als Lebenssachverhalt qualifizierbare reale U m stände — aber alle diese Anordnungen regeln menschliches Verhalten, indem sie ein gewisses T u n ihrer Adressaten entweder gebietend herbeiführen (die Aushebung des Grabens) oder verbietend unterbinden (die Abhaltung von Demonstrationen, das Töten anderer Menschen). Die (intendierte) Regelung menschlichen Verhaltens durch die Forderung eines gewissen Tuns oder Unterlassens — und nur sie allein — ist das unverzichtbare, begriffsnotwendige Merkmal des Befehls 153 . A l l e i n dieses Moment ist es daher auch, anhand dessen ein wenigstens für die befehlenden Hoheitsakte allgemeingültiger Fall-Begriff entwickelt werden kann. II. Aus dem Vorstehenden ergibt sich bereits ein zweiter Gesichtspunkt, der das eben gefundene Ergebnis erhärtet. Ungeachtet dessen, daß die Frage, was den „ F a l l " eigentlich ausmacht, i m wesentlichen nach wie vor offen ist, läßt sich doch jedenfalls m i t Sicherheit eines sagen: Der Fall ist dasjenige, was jeweils geregelt wird, was den einzelnen realen „Gegenstand" hoheitlicher Regelung bildet. Das hat nirgends klareren Ausdruck gefunden als i n § 25 MRVO 165, der den Verwaltungsakt als Maßnahme definierte, d i e . . . zur Regelung eines Einzelfalles . . . getroffen wird 1 5 4 . Ist der Fall aber gerade das, was geregelt wird, so folgt auch hieraus, daß er allein i n dem ge- oder ver153 Es sei bereits schon jetzt darauf hingewiesen, daß es sich hierbei nicht u m einen Wesenszug des Rechts schlechthin, sondern eben n u r u m einen solchen der befehlenden Anordnungen handelt. Neben diesen gibt es aber noch verschiedene andere, insbesondere erlaubende u n d rechtsgestaltende A n o r d nungen; vgl. hierzu unten § 12. 154 Ebenso § 29 ndsSOG: „Verfügungen . . . sind Anordnungen, die zur Regelung von Einzelfällen a n . . . gerichtet s i n d . . . " . Siehe auch Hans J. Wolff : V e r waltungsrecht I, § 46 vor I, wo der Verwaltungsakt als „Staatsakt, der einen konkreten Einzelfall rechtsanwendend regelt", bezeichnet w i r d . — I m Gegensatz zu diesen zutreffenden Formulierungen ermangelt eine i n der Wissenschaft verbreitete Terminologie, wonach Hoheitsakte irgendwelche Fälle bzw. Sachverhalte „betreffen" oder „ i m Hinblick auf" diese ergehen, der erforderlichen Exaktheit. Der Ausdruck „betreffen" ist v ö l l i g verschwommen, u n d die Wendung „ i m Hinblick a u f . . . ergehen" erfaßt ihrem eigentlichen Sinn nach v i e l eher das M o t i v u n d den Anlaß einer Regelung als ihren Gegenstand. Auch ganz allgemeine Maßnahmen (ζ. B. Rationierung von Lebensmitteln) ergehen oft gerade „ i m Hinblick auf" ein einmaliges Ereignis (ζ. B. Kriegsausbruch).

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2. T e i l :

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

botenen Verhalten gesucht werden kann. Denn was durch einen Befehl (unmittelbar) geregelt werden kann, ist eben nichts anderes als menschliches Verhalten und n u r dieses allein. Eine vorgegebene oder als vorgegeben gedachte reale Sachlage ist als solche einer Veränderung oder Beeinflussung durch einen Befehl überhaupt nicht zugänglich. Die Gestaltung einer derartigen Sachlage kann — soweit der Befehl überhaupt auf eine solche bezogen und nicht, wie bei den tatbestands- bzw. gegenstandslosen Anordnungen, ganz unabhängig davon wirksam ist — stets nur mittelbar die Folge eines bestimmten menschlichen Verhaltens sein. N u r dieses kann daher auch den Ansatzpunkt des Befehls und damit den Gegenstand der Regelung bilden. Wollte man z.B. bei dem an E gerichteten Befehl, sein baufälliges Haus abzureißen, als Fall etwa die Baufälligkeit des Hauses ansprechen, so hätte das zwangsläufig auch die Aussage zur Folge, daß durch den Befehl die Baufälligkeit des Hauses geregelt würde. Nicht diese aber w i r d geregelt — sie kann durch den Befehl überhaupt nicht geregelt werden —, sondern der Abbruch des Hauses seitens des E, also ein bestimmtes Verhalten des Adressaten. Ähnlich liegt es bei dem Gebot an die Anlieger einer Straße, den i n der letzten Nacht gefallenen Schnee zu beseitigen; auch hier w i r d nicht „der i n der letzten Nacht gefallene Schnee" geregelt, sondern die Beseitigung dieses Schnees durch die A n lieger. Entsprechend regelt ein Meldegesetz die polizeiliche Anmeldung und nicht etwa den Zuzug oder mehr als dreitägigen Aufenthalt an einem fremden Ort. Zeigen somit schon diese Beispiele, i n denen die (konkrete) Verpflichtung jeweils an bereits vorgegebene reale Umstände geknüpft ist, daß nicht diese Umstände, sondern bestimmte Verhaltensweisen der Adressaten geregelt werden, so w i r d diese Erkenntnis noch deutlicher angesichts solcher Verpflichtungen, die nicht als Folge anderer realer Umstände begründet werden. Mag man bei den eben genannten Beispielen noch m i t einem Schein von Berechtigung sagen können, der geregelte Fall bestehe i n der Baufälligkeit des Hauses usw., so w i r d doch die Unhaltbarkeit einer solchen Betrachtungsweise vollends offenbar, wenn man z.B. den Panzergrabenbefehl oder das Tötungsverbot ins Auge faßt. Hier sind derartige dem Befehl vorgegebene und damit als Fall ansprechbare Umstände, auf die durch das befohlene Verhalten eingew i r k t wird, überhaupt nicht vorhanden. Denn der Graben, der allenfalls als Fall bzw. Sachverhalt bezeichnet werden könnte, w i r d ja durch das gebotene Verhalten gerade erst geschaffen, und das Tötungsverbot steht zu außerhalb seiner selbst liegenden realen Umständen i n keinerlei Beziehung. Was hier geregelt w i r d und damit als Fall angesprochen werden kann, ist einzig und allein das ge- bzw. verbotene jeweilige Verhalten selbst. Das gleiche muß demgemäß auch dann gelten, wenn das

§ 11. Der F a l l als das „geregelte menschliche Verhalten" /

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b e f o h l e n e V e r h a l t e n a u f d e r a r t i g e U m s t ä n d e bezogen ist. Diese m ö g e n f ü r d e n I n h a l t des b e t r e f f e n d e n V e r h a l t e n s v o n B e d e u t u n g sein — das, w a s schlechthin d e n G e g e n s t a n d e i n e r b e f e h l e n d e n A n o r d n u n g ausmacht, s i n d sie n i c h t . D i e s e r G e g e n s t a n d i s t v i e l m e h r ausschließlich das b e f o h l e n e V e r h a l t e n selbst 1 5 5 . B. Die Individualisierung des ge- oder verbotenen Verhaltens durch den Inhalt des Befehls Die vorstehenden Ausführungen dürften hinreichend erwiesen haben, daß d e r F a l l - B e g r i f f i n d e r T a t v o m b e f o h l e n e n V e r h a l t e n h e r b e s t i m m t w e r d e n m u ß 1 5 6 . D a m i t i s t das P r o b l e m j e d o c h erst z u r H ä l f t e 155 Demgemäß regelt eine Geschwindigkeitsbeschränkung für eine bestimmte Straße die Fahrweise der sie benutzenden Verkehrsteilnehmer. Dies g i l t auch dann, w e n n diese A n o r d n u n g nicht aus allgemeinen verkehrspolizeilichen Gründen, sondern aus Anlaß u n d f ü r die Dauer von vorübergehenden Bauarbeiten ergeht. Thoma (Polizeibefehl, S. 375) n i m m t hier i m zweiten Falle eine Allgemeinverfügung, also eine Einzelfallregelung an, während er die gleiche Anordnung dann, w e n n sie nicht wegen eines vorübergehenden Vorkommnisses erlassen w i r d , als Verordnung u n d damit als abstrakte Regelung beurteilt. Dem k a n n schon deshalb nicht gefolgt werden, w e i l Thoma hier offensichtlich zwei v ö l l i g verschiedene Fall-Begriffe verwendet. Wenn der geregelte F a l l einmal i n den Ausbesserungsarbeiten besteht — w o r i n sollen dann die unbestimmt vielen Fälle erblickt werden, die durch eine inhaltlich v ö l l i g gleiche, aber auf a l l gemeinen verkehrspolizeilichen Gründen beruhende Verkehrsbeschränkung geregelt werden? Thoma denkt hier augenscheinlich an die konkrete Verkehrssituation, also den Umstand, daß ein Verkehrsteilnehmer diese Straße befährt bzw. zu befahren sich anschickt. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb diese Verkehrssituation ihre F a l l - Q u a l i t ä t dann einbüßen soll, w e n n die Beschränkung wegen vorübergehender Bauarbeiten angeordnet w i r d . Die Frage, w e l cher F a l l bzw. welche Fälle durch die Beschränkung geregelt werden, k a n n vielmehr n u r einheitlich beantwortet werden. Tatsächlich sind die Ausbesserungsarbeiten oder ähnliche Vorkommnisse lediglich bloßer Anlaß der Regelung. I h r e n Gegenstand bildet das eine w i e das andere M a l ausschließlich das befohlene Verhalten selbst, also die verlangsamte Fahrweise der Verkehrsteilnehmer. 158 Diese Auffassimg ist i n der Wissenschaft bisher noch nicht ausdrücklich vertreten worden. Einige i n diese Richtung gehende schwache Ansatzpunkte fanden sich bislang lediglich bei Jahrreiss: Gewaltenteilung, S. 128—131, Kelsen: Allgemeine Staatslehre, S. 236 u n d Friedrichs: PVG, § 40 A n m . 3, S. 211. Jüngstens hat n u n Imboden: Plan, S. 121 f. Gedanken zum I n h a l t des F a l l Begriffs vorgetragen, die sich i m entscheidenden Punkte m i t der hier e n t w i k kelten Auffassung praktisch decken: Eine N o r m brauche, u m eine Vielzahl von Einzelfällen zu erfassen, nicht beim nämlichen Adressaten eine Vielheit von Handlungen zu motivieren; eine einen nicht geschlossenen Personenkreis ansprechende N o r m m o t i v i e r t zwangsläufig auch eine imbestimmte Zahl k o n kreter Fälle, da es logisch ausgeschlossen sei, daß mehrere Rechtsträger absolut identische Handlungen vollzögen; die durch generell-abstrakte Normen erfaßten Einzelfälle müßten eine hinlängliche äußere Streuung aufweisen, das Zusammenziehen der durch eine Vorschrift bestimmten Handlungen stelle den Rechtssatzcharakter i n Frage. Diese durchgängige Identifizierung von geregeltem F a l l u n d dabei normierter Handlung ergibt eindeutig, daß auch nach Imbodens Ansicht der Fall-Begriff v o m befohlenen Verhalten her bestimmt

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2. T e i l :

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

gelöst, da sich n u n zwangsläufig auch hier die entscheidende Frage stellt, welches die Merkmale des einzelnen Falles sind, nach welchen Gesichtspunkten also die Regelung eines einzelnen Falles von der Regelung einer Vielzahl von Fällen begrifflich unterschieden werden kann. I m folgenden muß deshalb versucht werden, diese Gesichtspunkte herauszuarbeiten. Z u diesem Zweck sollen verschiedene, möglichst klare und eindeutige Beispiele von abstrakten und konkreten Befehlen darauf untersucht werden, wodurch sie sich i n spezifischer Weise unterscheiden. Dabei sollen zunächst die Gebote und alsdann die Verbote ins Auge gefaßt werden. I. a) Betrachten w i r zunächst das Gebot an den E, sein baufälliges Haus abzureißen. Nach den bisherigen Erörterungen w i r d durch diesen Befehl ein Verhalten des E, nämlich das Abbrechen des Hauses geregelt. Weshalb handelt es sich n u n hier — was außer Zweifel stehen dürfte — u m eine Einzelfallregelung? Die A n t w o r t ist einfach: Das Verhalten, zu dem E verpflichtet wird, ist seiner Natur nach einmalig; es w i r d nur von E gefordert und kann von diesem, wenn er das Haus einmal abgebrochen hat, nicht mehr wiederholt werden. Der Befehl regelt somit ein einmaliges Verhalten und damit einen einzelnen Fall. Das gleiche gilt z. B. für das an den X gerichtete Gebot, sich bei der Polizei zu melden. Dieses Verhalten ist zwar als solches seiner Natur nach wiederholbar — X kann sich rein logisch unbestimmt oft bei der Polizei melden —, es w i r d jedoch nur als einmaliges von X verlangt. A l l e i n darauf aber kann es ankommen. Auch das Meldegebot gebietet daher ein einmaliges Verhalten und regelt somit einen einzelnen Fall. b) Anders liegen die Dinge hingegen bei dem Gebot an den Müller M, jedesmal bei Hochwasser seine Schleusen zu öffnen 157 . Hier handelt es sich dem Rechtsgefühl nach u m eine abstrakt-spezielle Anordnung 1 5 8 . Aber weshalb? Das Verhalten, das durch diesen Hoheitsakt gefordert und damit geregelt w i r d — das öffnen der Schleusen bei Hochwasser — ist nicht einmalig, sondern wiederholbar: Nach dem Inhalt des Befehls soll M seine Schleusen nicht nur einmal, bei dem gegenwärtigen oder bevorstehenden Hochwasser öffnen, sondern immer dann, wenn der Wasserstand des betreffenden Flusses die Hochwassergrenze überschreitet. Der Befehl fordert also nicht ein einmaliges, sondern ein unbestimmt oft zu wiederholendes Tun; deshalb regelt er als abstrakt-spezielle A n werden muß. — Siehe auch die i n dieselbe Richtung gehende Bemerkung bei Brohm: Bauplanimgsrecht, S. 45, eine an einen einzelnen gerichtete A n o r d nung sei auch dann ein V A , w e n n sie auf die wiederholte Vornahme einer bestimmten Handlung (!) gehe u n d damit die Züge einer allgemeinen Regelung an sich trage. 157 Beispiel von Thoma: Polizeibefehl, S. 237. 158 Siehe auch Hans J. Wolff: Verwaltungsrecht I, § 24 I I b 1 ß) aa).

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Ordnung eine unbestimmte Vielzahl von Fällen 1 5 9 . Ebenso wäre ein Gebot zu beurteilen, das den X verpflichtet, sich bis auf Widerruf wöchentlich bei seiner Polizeibehörde zu melden. Das Verhalten, das dieser Hoheitsakt von X verlangt, ist die Meldung auf der Polizeibehörde. Dieses Tun ist so, wie es vom Befehl gefordert wird, nicht einmalig, sondern ebenfalls unbestimmt oft zu wiederholen; denn X soll sich — anders als i n dem eben unter a) genannten Beispiel — nicht nur ein einziges M a l bei der Behörde melden, sondern allwöchentlich bis zum Widerruf der Anordnung. Auch hier w i r d also nicht ein einzelner Fall, sondern eine unbestimmte Vielzahl von Fällen geregelt. c) Wie wäre es nun bei einem Gesetz, das alle männlichen Personen unter 18 Jahren verpflichtet, sich bei Vollendung des 18. Lebensjahres zur Musterung zu melden? I m Gegensatz zu den beiden soeben erörterten Befehlen w i r d hier von jedem Adressaten ein einmaliges Verhalten gefordert; jeder Adressat soll sich nur einmal, eben bei Vollendung des 18. Lebensjahres, zur Musterung melden. Der Befehl wendet sich jedoch nicht an einen einzelnen, sondern an einé unbestimmte Vielzahl von Adressaten, nämlich alle männlichen Personen, die nach Inkrafttreten des Gesetzes 18 Jahre alt werden. Es regelt deshalb insgesamt nicht ein einmaliges, sondern ein unbestimmt oft wiederkehrendes Verhalten, weil er die betreffende Handlung nicht nur dem A, sondern A i bis A x anbefiehlt. Auch dieser Hoheitsakt hat somit — wie schon vom Rechtsgefühl angezeigt — die Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zum Inhalt, besitzt also einen abstrakten und — weil auch an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet — generellen Charakter 1 6 0 ' 1 β 1 . 159 I n diesem Sinne auch Friedrichs: Allgemeiner Teil, S. 24, der es als Regelung einer imbestimmten Z a h l von Fällen ansieht, „ w e n n einem einzelnen Unternehmer befohlen w i r d , ständig etwas zu t u n oder zu unterlassen". — Derartige Befehle gibt es i n großer Zahl. M a n denke ζ. B. an den Befehl an einen Gastwirt, jedesmal bei Glatteis die Zugangswege zur Gaststätte zu bestreuen (W. Jellinek: Gesetz, S. 145), oder an den Befehl an einen Fürsorgeempfänger, jede Änderung i n seinen wirtschaftlichen Verhältnissen anzuzeigen. A l l e solche Befehle regeln eine unbestimmte Vielzahl von Fällen u n d t r a gen damit einen abstrakten Charakter. Es sei jedoch ausdrücklich hervorgehoben, daß es sich hier u m eine rein rechtstheoretische Aussage handelt (die sich übrigens auch aus der T a t bestandslehre ergeben würde: „Jedesmal w e n n der Fluß Hochwasser führt, soll der M ü l l e r M seine Schleusen öffnen"!). Ob derartige abstrakt-spezielle Regelungen nach positivem Recht als Verordnungen oder als Verwaltungsakte anzusehen sind, ist damit i n keiner Weise entschieden. Wie bereits mehrfach hervorgehoben wurde, ist es durchaus möglich, daß eine teleologische A u s legung des Einzelfall-Begriffs i m Sinne der Lehre v o m V A gewisse Abweichungen v o m rechtstheoretischen Fall-Begriff erforderlich macht. Vgl. oben § 2 m i t A n m . 17 und § 9 Β I I a. E. sowie unten §§ 16/17. 160 Daß es für die Abstraktheit ausreicht, w e n n das Gesetz insgesamt eine unbestimmte Z a h l von Fällen (Handlungen) normiert, w i r d von Imboden, Plan, S. 121 ausdrücklich betont. 161 Demgemäß w i r d durch die Einberufung einer bestimmten Altersklasse entgegen der Ansicht v. Iherings (Zweck I, S. 327 f.) nicht ein einzelner Fall,

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Erst recht erweist sich demnach ein solches Gebot als abstrakt, das sich an eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten wendet und von jedem einzelnen Adressaten imbestimmt viele Handlungen verlangt. Man denke ζ. B. an das Gesetz über die polizeiliche Anmeldung. Das von dem Befehl gebotene T u n ist hier zahlenmäßig i n doppelter Weise unbestimmt: Jeder der unbestimmt vielen Adressaten soll sich polizeilich anmelden, wenn er sich länger als drei Tage an einem fremden Orte aufhält; und jeder einzelne soll dies nicht nur einmal tun, sondern er soll jede der unbestimmt vielen Änderungen seines Aufenthaltsortes anzeigen 162 . Hier handelt es sich um einen typischen allgemeinen, abstrakt-generellen Hoheitsakt. d) I n den bisherigen Beispielen hat es durchweg keine Schwierigkeiten bereitet, den von einem (gebietenden) Hoheitsakt geregelten Fall als solchen zu erkennen und zu individualisieren. Der einzelne F a l l war jeweils i n demjenigen Verhalten einer einzelnen Person zu erblicken, das der Hoheitsakt zur Pflicht machte. Bedeutet das n u n etwa, daß der geregelte Fall stets nur i n dem bestimmten Verhalten einer einzelnen Person besteht? Das hätte zur Folge, daß es keine Einzelfälle gäbe, an denen eine Vielzahl von Personen beteiligt wäre. Es gäbe dann also zwar abstrakt-spezielle, nicht aber auch konkret-generelle Hoheitsakte; diese wären vielmehr begrifflich ausgeschlossen163. Oder ist es auch möglich, daß ein Hoheitsakt einer Vielzahl von Personen ein bestimmtes T u n gebietet, das ungeachtet der Vielzahl der Adressaten als ein einziges, einmaliges Verhalten anzusehen ist, das also gewissermaßen eine aus einer Summe von verschiedenen Teilhandlungen bestehenden Verhaltenseinheit bildet? Derartige Verhaltenseinheiten als Gegenstand hoheitlicher Regelungen sind nun i n der Tat denkbar und auch i n der Praxis keineswegs selten 164 . Betrachten w i r z.B. noch einmal den an die männlichen Einwohner einer bestimmten Ortschaft i m A l t e r von χ bis y Jahren gerichteten Befehl, vor der Ortschaft einen Panzergraben auszuheben. Hier w i r d eine (bestimmte) Vielzahl von Adressaten zu einem bestimmten T u n verpflichtet. Der Befehl ähnelt also insoweit der eben 165 erwähnten Einsondern eine bestimmte Vielzahl v o n Fällen geregelt, nämlich eine solche A n zahl, als Angehörige dieser Altersklasse vorhanden sind. Vgl. hierzu auch den folgenden Text unter d. 162 Diese „doppelte Unbestimmtheit" besteht hier übrigens auch dann, w e n n m a n den F a l l als Sachverhalt (hier Zuzug) bestimmt. Sie ist also nicht etwa eine Besonderheit der „Verhaltens"-Theorie. 163 So i n der Tat Imboden: Plan, S. 121 m i t der Begründung, es sei logisch ausgeschlossen, daß mehrere Rechtsträger Handlungen vollzögen, die absolut identisch seien. 164 Vgl. auch die unten I I d angeführten Beispiele. 165 Vgl. A n m . 161.

§ 11. Der F a l l als das „geregelte menschliche Verhalten" /

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berufung einer Altersklasse. Gleichwohl besteht aber ein ganz grundlegender Unterschied. Bei der Einberufung w i r d jeder Adressat für sich zu einem einmaligen, i n sich klar abgegrenzten T u n — der Meldung bei der Erfassungsstelle — verpflichtet, das seiner Natur nach als solches zu dem entsprechenden Verhalten der anderen Adressaten i n keinem inneren Zusammenhang steht 160 . Es macht für den einzelnen Jahrgangsangehörigen nicht den geringsten Unterschied, ob er zugleich m i t allen anderen Jahrgangsangehörigen oder aber nur allein zur Gestellung verpflichtet wird. M i t der Meldung bei der Erfassungsstelle hat er die i h m obliegende Verpflichtung erfüllt — vollkommen unabhängig davon, ob auch die anderen Adressaten dem Befehl nachgekommen sind. Von ihm kann auch dann nichts mehr verlangt werden, wenn alle anderen m i t der Gestellung i m Verzuge sind; das Verhalten und die eventuelle Widersetzlichkeit der anderen ist für das i h m obliegende T u n ohne jede Bedeutung. Das von dem Einberufungsbefehl geregelte Verhalten besteht demnach i n der Gestellung seitens des einzelnen Jahrgangsangehörigen, so daß die Anordnung — weil an eine bestimmte Zahl von Adressaten gerichtet — eine bestimmte Zahl von Fällen regelt. Ganz anders hingegen der Befehl zur Aushebung des ..Grabens. Jeder Adressat w i r d hier nicht als einzelner zu einem i n sich selbständigen T u n verpflichtet, sondern als Glied einer Gesamtheit zur M i t w i r k u n g an einem Verhalten, das seiner vom Hoheitsakt gewollten Natur nach i m Zusammenwirken einer Personenmehrheit besteht. Keiner soll den Graben für sich alleine, jeder soll ihn zusammen m i t den anderen ausheben. Das T u n jedes einzelnen ist abhängig von dem der anderen, steht zu diesem i n engster Beziehung: Jeder muß — w i l l er die Verpflichtung durch Erfüllung zum Erlöschen bringen — desto mehr arbeiten, je weniger es die anderen tun. Keiner kann das Gebot m i t Wirkung für sich alleine erfüllen, jeder bleibt so lange verpflichtet, bis der ganze Graben fertig ist — ganz unabhängig von dem Ausmaß seiner persönlichen Arbeitsleistung. Erst m i t der Fertigstellung des ganzen Grabens w i r d der einzelne von seiner Verpflichtung frei, aber dann auch zugleich m i t allen anderen. Diese gegenseitige innere Abhängigkeit des Tuns der einzelnen Adressaten ist es, die das vom Befehl gebotene Verhalten aller Adressaten hier zu einer Einheit zusammenf aßt 167 . ΐ6β Freilich steht die Gestellung seitens der einzelnen Adressaten insofern i n einem gewissen Zusammenhang, als durch die Einberufung eben dieser Jahrgang als ganzes den Streitkräften eingereiht werden soll. Das ist jedoch eine Beziehung, die sich lediglich aus dem Zweck der Anordnung, nicht jedoch aus dem Charakter des gebotenen Verhaltens selbst ergibt; s. hierzu den folgenden Text. 187 Daraus folgt zugleich, daß sich diese Einheit nicht etwa daraus ergibt, daß das Verhalten aller Adressaten hier auf einen körperlich-gegenständlichen E r folg bezogen ist. Eine solche Erfolgsbezogenheit k a n n vielmehr auch bei ab-

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Es zeigt sich s o m i t , daß auch d a n n , w e n n m a n d e n F a l l - B e g r i f f v o m b e f o h l e n e n V e r h a l t e n h e r b e s t i m m t , a n d e m e i n z e l n e n F a l l durchaus eine ( b e s t i m m t e oder u n b e s t i m m t e 1 6 8 ) V i e l z a h l v o n P e r s o n e n b e t e i l i g t sein k a n n . B e s t e h t n ä m l i c h das befohlene V e r h a l t e n , so w i e es v o n d e m G e b o t g e w o l l t ist, i n d e m Z u s a m m e n w i r k e n m e h r e r e r d e r a r t , daß die e i n z e l n e n „ T e i l h a n d l u n g e n " i n n e r l i c h v o n e i n a n d e r a b h ä n g i g u n d deshalb n i c h t f ü r sich als solche, s o n d e r n als u n s e l b s t ä n d i g e T e i l e eines „ G e s a m t v e r h a l t e n s " g e w o l l t sind, d a n n b i l d e t dieses G e s a m t v e r h a l t e n eine E i n h e i t u n d d a m i t e i n e n e i n z i g e n F a l l . O b e i n solches G e s a m t v e r h a l t e n v o r l i e g t , l ä ß t sich p r a k t i s c h d a r a n e r k e n n e n , daß der B e f e h l e n t w e d e r ü b e r h a u p t n i c h t 1 6 0 oder doch j e d e n f a l l s n u r m i t der W i r k u n g auch a n eine einzelne P e r s o n g e r i c h t e t w e r d e n k ö n n t e , daß er dieser e i n anderes V e r h a l t e n a b v e r l a n g t 1 7 0 ; ließe sich e i n a n eine P e r s o n e n m e h r h e i t adressierter B e f e h l h i n g e g e n auch a n eine einzelne P e r s o n r i c h t e n , ohne d a m i t z w a n g s l ä u f i g f ü r diese seinen I n h a l t z u ä n d e r n 1 7 1 , so h a t er n i c h t e i n G e s a m t v e r h a l t e n u n d d a m i t e i n e n e i n z i g e n F a l l , s o n d e r n eine M e h r z a h l strakten Anordnungen gegeben sein. M a n denke ζ. B. an einen an einen u n bestimmten Adressatenkreis gerichteten Befehl zur M i t w i r k u n g bei der H e r stellung eines Werkes, dessen Errichtung mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte i n Anspruch n i m m t w i e ehemals der B a u der Pyramiden oder des K ö l n e r Domes. Das hier jeweils gebotene Verhalten ist ganz sicherlich auf einen k ö r perlich-gegenständlichen Erfolg gerichtet. Gleichwohl regelt eine solche A n ordnung nicht einen Einzelfall, sondern eine unbestimmte Vielzahl von Fällen. Denn i m Gegensatz zum Panzergraben-Befehl, w o von jedem Adressaten die Herstellung des Grabens i m Zusammenwirken m i t den anderen verlangt w i r d , w i r d hier die bloße M i t w i r k u n g , die bloße Dienstleistung als solche gefordert. Diese aber steht zu den entsprechenden Dienstleistungen der anderen Adressaten nicht i n der oben beschriebenen inneren Abhängigkeit u n d bildet daher einen selbständigen Fall. Es k o m m t also immer darauf an, welches V e r halten gefordert w i r d , was durch genaue Auslegung der Anordnung zu e r m i t teln ist. — s. hierzu auch A n m . 171. 168 Bei dem der obigen Untersuchimg zugrunde gelegten Beispiel handelte es sich u m einen bestimmten Adressatenkreis. Er könnte jedoch ebensogut unbestimmt sein; der Befehl könnte sich ζ. B. an alle männlichen Personen des betreffenden Alters richten, die sich innerhalb der Bauzeit i n der Ortschaft aufhalten. Hier könnte sich der Adressatenkreis nach Erlaß des Befehls noch verändern, ohne daß dadurch dessen Charakter als Einzelfallregelung irgendw i e berührt würde. 169

Vgl. hierzu folgend unter I I d 2. Der Panzergraben-Befehl könnte zwar auch an eine einzelne Person ergehen; er würde dann aber v o n dieser nicht n u r die M i t w i r k i m g bei der gemeinsamen Aushebung des Grabens fordern, sondern diese selbst u n d schlechthin, also wesentlich mehr. πι füp den Wehrpflichtigen X macht es nicht den geringsten Unterschied, ob er allein oder gleichzeitig m i t seinem ganzen Jahrgang einberufen w i r d ; i n beiden Fällen hat er sich i n genau der gleichen Weise bei der Erfassungsbehörde zu melden. Die Einberufung eines bestimmten Jahrgangs regelt daher k e i n Gesamtverhalten, sondern eine bestimmte Z a h l von Fällen. — Entsprechendes gilt f ü r die M i t w i r k u n g beim B a u der Pyramide: Auch für den Dienstpflichtigen Y macht es keinen Unterschied, ob er alleine oder gleichzeitig m i t anderen χ Tage oder Wochen lang Steine für die Pyramide bearbeitet. 170

§ 11. Der F a l l als das „geregelte menschliche Verhalten" /

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von i n sich selbständigen Handlungen und damit eine (bestimmte oder unbestimmte) Vielzahl von Fällen zum Gegenstand. Damit dürften bezüglich der gebietenden Hoheitsakte die Merkmale gefunden sein, durch die der einzelne Fall individualisiert w i r d und nach denen demgemäß entschieden werden muß, ob ein Hoheitsakt einen einzelnen Fall oder eine Vielzahl von Fällen regelt: Es kommt darauf an, ob das vom Hoheitsakt gebotene Verhalten, so wie es von i h m der Sache nach gekennzeichnet wird, einmalig ist oder bestimmt oder unbestimmt oft geübt werden soll; dabei ist zu beachten, daß das geforderte T u n auch i n dem eine Einheit bildenden Gesamtverhalten einer Personenmehrheit bestehen kann. II. Es bleibt n u n noch zu prüfen, ob diese Grundsätze auch für die verbietenden Hoheitsakte zutreffen oder ob sich hier irgendwelche Besonderheiten ergeben. a) Nehmen w i r ζ. B. an, dem E würde verboten, die auf seinem Grundstück stehende hundertjährige Tanne zu fällen, weil es sich dabei u m einen Gegenstand des Naturschutzes handele. Dieser Befehl untersagt dem E ein einmaliges Tun, da die betreffende Tanne nur einmal gefällt werden kann. Die Anwendung der soeben erarbeiteten Grundsätze führt hier also zu dem offensichtlich zutreffenden Ergebnis, daß das Verbot einen Einzelfall regelt. Das gleiche gilt etwa für ein von einem Verkehrspolizisten an einen Passanten gerichtetes Verbot, die Straße zu überqueren, da auch hier ein einmaliges, nicht wiederholbares T u n verhindert werden soll 172 . b) Wie wäre es nun, wenn dem E verboten würde, den auf seinem Grundstück befindlichen Brunnen zu benutzen? W i r d auch durch dieses Verbot ein einzelner Fall geregelt? Das Tun, das dem E hier untersagt wird, besteht darin, daß er aus dem Brunnen Wasser schöpft und für sich verwendet. Dieses (schlechth i n untersagte) Verhalten ist nicht einmalig, sondern unbestimmt oft wiederholbar, da E ja unbestimmt oft Wasser schöpfen kann. Das Ver172 Der Passant k a n n die Straße zwar an sich imbestimmt oft überqueren. Den Gegenstand des Verbotes bildet aber nach dessen I n h a l t gar nicht dieses Uberqueren schlechthin. Was verhindert werden soll, ist allein, daß der Pas-

sant die Straße jetzt, in diesem Augenblick überschreitet. Dieses Tun aber ist

einmalig u n d nicht wiederholbar. E i n Verbot regelt also nicht n u r dann ein einmaliges Verhalten, w e n n die untersagte Handlung schon ihrer Natur nach nicht wiederholbar ist (das Fällen eines bestimmten Baumes), sondern auch dann, w e n n ein logisch an sich wiederholbares T u n (die Überquerung einer Straße) als einmaliges (als Überquerung hier und jetzt) verhindert werden soll — w i e umgekehrt j a auch ein Gebot ein einmaliges Verhalten regelt, w e n n ein logisch wiederholbares T u n (die Meldung des X bei der Polizeibehörde) n u r ein einziges M a l geübt werden soll.

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bot regelt also nach unserem K r i t e r i u m eine unbestimmte Vielzahl von Fällen 1 7 3 . Dieses Ergebnis mag zunächst überraschend erscheinen. Gleichwohl spricht es nicht etwa gegen, sondern vielmehr für die Richtigkeit des hier entwickelten Fall-Begriffs. Wie schon bemerkt wurde, hat bereits Friedrichs — allerdings über das Ziel hinausschießend — ausdrücklich die Auffassung vertreten, daß praktisch jedes Verbot eine unbestimmte Vielzahl von Fällen betreffe 174 . Das ist zwar insofern nicht korrekt, als — wie soeben gezeigt wurde — auch ein Verbot durchaus einen einzelnen Fall regeln kann, nämlich dann, wenn es ein einmaliges Verhalten untersagt. Immerhin kommen derartige Verbote verhältnismäßig selten vor. Die meisten Verbote betreffen ein bestimmtes Verhalten schlechthin, wollen also Handlungen verhindern, die nicht nur einmal vorgenommen werden können, sondern beliebig oft wiederholbar sind. Hier w i r d — wie von Friedrichs richtig erkannt worden ist — tatsächlich jeweils eine unbestimmte Vielzahl von Fällen geregelt. Diese Tatsache i n Zweifel ziehen hieße den charakteristischen Unterschied zwischen Gebot und Verbot verkennen. Denn das an eine einzelne Person gerichtete Gebot befiehlt zumeist die Vornahme einer einzelnen, einmaligen Handlung, die bei Erfüllung des Gebots real i n Erscheinung t r i t t , während das Verbot regelmäßig schlechthin alle, d. h. eben die unbestimmt vielen Handlungen einer bestimmten A r t untersagt und damit gerade (der Intention nach) verhindert, daß eine oder mehrere dieser Handlungen real zur Erscheinung gelangen. Diese Eigenart des Verbots läßt seinen abstrakten Charakter, die Vielzahl der geregelten Handlungen naturgemäß weniger deutlich sichtbar werden. Hat man jedoch diese Besonderheit eines Verbots von der A r t unseres BrunnenBeispiels einmal erkannt, so w i r d sich sein abstrakter (abstrakt-spezieller) Charakter nicht ernsthaft bezweifeln lassen. Es zeigt sich somit, daß unser Fall-Begriff auch insoweit zu zutreffenden Ergebnissen führt und innerhalb der speziellen Verbote eine klare Unterscheidung zwischen konkreter und abstrakter Regelung ermöglicht. c) Die eben herausgearbeiteten Besonderheiten des verbietenden Hoheitsaktes w i r k e n sich naturgemäß auch bei solchen Verboten aus, die an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet sind wie ζ. B. das Verbot, andere Menschen zu töten oder ausländische Sender abzuhören. 178 Es sei auch hier noch einmal daran erinnert, daß i m vorliegenden Z u sammenhang ausschließlich der rechtstheoretische Fall-Begriff i n Rede steht. Ob das Brunnen-Verbot etwa i m Sinne der Lehre v o m Verwaltungsakt als Einzelfallregelung angesehen werden muß, ist eine ganz andere Frage; s. dazu unten § 16. 174 Vgl. oben § 10 Β A A A n m . 100. I m Allgemeinen Teil, S. 24 heißt es richtiger, daß die Regelung einer unbestimmten Z a h l von Fällen dann vorliege, „ w e n n ζ. B. einem einzelnen Unternehmer befohlen w i r d , ständig e t w a s . . . zu unterlassen" ; vgl. hierzu schon oben I Β A n m . 159.

§ 11. Der F a l l als das „geregelte menschliche Verhalten" / B.

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Auch diese Verbote regeln eine unbestimmte Vielzahl von Fällen, w e i l sie nicht eine bestimmte einmalige Handlung (ζ. B. die Tötung des X), sondern alle, also unbestimmt viele Handlungen einer bestimmten A r t unterbinden wollen. Das Verbot, andere Menschen zu töten, ist deshalb i n jedem Falle abstrakt — ganz gleich, ob es sich an eine bestimmte Person oder an einen unbestimmten Adressatenkreis richtet. Die generelle Adressierung des Verbots hat insoweit lediglich die Bedeutung, daß die Zahl der geregelten Fälle nunmehr i n doppelter Weise unbestimmt ist, so wie es schon oben für abstrakt-generelle Gebote wie das polizeiliche Meldegesetz dargelegt wurde 1 7 5 : Jeder der unbestimmt vielen Adressaten ist verpflichtet, jede Tötungshandlung (das ist eben auch für jeden einzelnen Adressaten gleichbedeutend m i t unbestimmt vielen Tötungshandlungen) zu unterlassen. Entsprechendes gilt auch für das Verbot, ausländische Sender zu hören. Derartige Verbote sind also ohne Schwierigkeiten als abstrakte (abstrakt-generelle) Regelungen zu erkennen 176 . d) Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß sich m i t unserem Fall-Begriff auch bei den Verboten konkret-spezielle, abstrakt-spezielle und abstrakt-generelle Anordnungen unterscheiden lassen und daß die einzelnen beispielhaft erwähnten Verbote jeweils einer ihrem Wesen entsprechenden Einstufung zugänglich sind. Wie steht es nun hier m i t der vierten Gruppe, den konkret-generellen Anordnungen? Kann auch ein Verbot einen einzelnen Fall regeln und zugleich an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet sein? 175

Vgl. oben I c a. E. D a m i t w i r d zugleich auch deutlich, daß der Lokalisierung eines Verbots auf einen bestimmten O r t keinerlei Bedeutung f ü r seinen Rechtscharakter zukommen kann. Das Verbot, eine bestimmte Straße zu befahren, regelt ebenso eine imbestimmte Vielzahl v o n Fällen wie das Verbot, i n einem bestimmten Teich zu baden. Denn das durch diese Hoheitsakte unterbundene T u n — j e mand befährt die Straße oder badet i n dem Teich — ist nicht einmalig, sondern beliebig oft wiederholbar. Die herrschende Auffassung, die derartige A n o r d nungen schon i m m e r — mehr i n s t i n k t i v als auf G r u n d klarer begrifflicher Vorstellungen — als abstrakt-generelle Regelungen qualifiziert hat (s. die Nachweise unten § 19 A I a u n d I I I ) , w i r d hier also durch unseren Fall-Begriff bestätigt u n d dogmatisch unterbaut. Dieser Fall-Begriff stellt ferner klar, daß die Straßensperre auch dann einen abstrakt-generellen Charakter besitzt, w e n n sie wegen vorübergehender B a u arbeiten angeordnet w i r d (vgl. dazu schon oben A I I A n m . 155). Denn der allein maßgebliche I n h a l t des Verbots — die Untersagung unbestimmt vieler Handlungen — w i r d durch diesen Umstand i n keiner Weise berührt. Die B a u arbeiten erweisen sich damit als reines M o t i v der Anordnung, dem für die Frage nach dem abstrakten oder konkreten Charakter des Verbots keine Bedeutung zukommt. — Dieses Ergebnis steht auch durchaus i m Einklang m i t den praktischen Erfordernissen, da auch die A n o r d n u n g derartiger akut erforderlicher Straßensperren usw. nach positivem Recht nicht — w i e sonst bei abstrakt-generellen Anordnungen normalerweise üblich — durch den (langwierigen) Erlaß einer formellen Verordnung, sondern einfach durch A n b r i n g u n g von amtlichen Verkehrszeichen bzw. -einrichtungen getroffen w i r d ; siehe § 3 Abs. 1 , 3 a u n d § 4 StVO sowie Ziff. A l b i u n d A I V bis A V I der Anlage zur StVO. Vgl. auch unten § 19 A I b. 176

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2. Teil: Rechtstheoretische Grundlagen / Kap. 2

1. Nach der hier entwickelten Definition regelt ein Verbot einen einzelnen Fall, wenn es ein einmaliges, nicht wiederholbares T u n untersagt. Als Beispiel wurde schon oben das Verbot genannt, eine bestimmte hundert Jahre alte Tanne zu fällen. Dieses Verbot muß nicht notwendigerweise an den Eigentümer des betreffenden Grundstücks gerichtet sein, sondern kann sich ebensogut an die unbestimmte Vielzahl derer wenden, die m i t der Tanne irgendwie i n Berührung kommen. Bildet man das obige Beispiel i n diesem Sinne um, so läge ein konkret-generelles Verbot vor. Denn das verbotene T u n besteht i n einer nur einmal ausführbaren Handlung, da die Tanne nur ein einziges M a l gefällt werden kann; Adressat des Befehls aber ist die unbestimmte Vielzahl derjenigen Personen, die die Tanne eventuell schlagen könnten. Derartige Verbote, die einer unbestimmten Vielzahl von Personen die Vornahme einer einmaligen Handlung untersagen, gibt es i n nicht geringer Zahl. Hierher gehören ζ. B. das an eine nach einem Unfall sich versammelnde Menschenmenge gerichtete Verbot, an der Unfallstelle irgend etwas zu verändern; das an alle Passanten gerichtete Verbot, ein bestimmtes Plakat abzureißen usw. 2. Neben dieser A r t von konkret-generellen Verboten gibt es aber auch noch eine andere, die ebenso wie ein konkret-generelles Gebot ein Gesamtverhalten betrifft. Man denke ζ. B. an das Verbot einer bestimmten für den folgenden Tag geplanten öffentlichen Demonstration oder Versammlung. Ein solches Verbot kann von vornherein nur an eine Personenmehrheit, nicht aber auch an eine einzelne Person gerichtet werden 177 . Denn das untersagte T u n besteht seiner Natur nach nicht i n der Handlung eines einzelnen, sondern i n dem Zusammenwirken einer Personenmehrheit. Was hier unterbunden wird, ist nicht eine Mehrheit von i n sich selbständigen und i n keinem inneren Zusammenhang stehenden Handlungen der einzelnen Adressaten wie etwa beim allgemeinen Tötungsverbot, sondern ein Verhalten, das von vornherein nur von einer Personenmehrheit geübt werden kann, eben der Zusammenschluß zur Versammlung oder zum Demonstrationszug. Das so untrennbar aufeinander bezogene und voneinander abhängige Verhalten der einzelnen Teilnehmer bildet daher eine Einheit, so daß das Verbot ein Gesamtverhalten und damit einen einzigen Fall regelt und nicht etwa so viele Fälle, wie Teilnehmer vorhanden sind. Da es sich aber präventiv an die unbestimmte Zahl derer richtet, die als Teilnehmer i n Frage kommen, ist es zugleich auch generell 178 » 179 . 177 Dies ist gerade das K r i t e r i u m dafür, daß nicht eine Mehrzahl selbständiger Handlungen, sondern ein Gesamtverhalten geregelt w i r d ; vgl. oben I d . 178 Bei Erlaß des präventiven Verbots einer öffentlichen Demonstration oder Versammlung steht der Kreis der Betroffenen nicht eindeutig u n d unveränderlich fest, da das Verbot auch diejenigen erfaßt, die sich erst nach seinem Erlaß zur Teilnahme entschlossen hätten. Anders beim Verbot einer bestimm-

§ 11. Der F a l l als das „geregelte menschliche Verhalten" / C.

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C. Die innere Beziehung zwischen dem normierten Verhalten und dem „geregelten Lebenssachverhalt" Nach den bisherigen Erörterungen sieht es so aus, als ob auf die Frage nach dem Fall-Begriff nunmehr endlich eine befriedigende A n t w o r t gefunden sei. Die vom geregelten Verhalten her entwickelte Definition dieses Begriffs scheint i n der Tat den an sie zu stellenden theoretischen und praktischen Anforderungen zu genügen. Ehe diese Definition jedoch endgültig formuliert und der weiteren Untersuchung zugrunde gelegt wird, ist noch kurz auf einen Einwand einzugehen, der unter einem anderen Gesichtspunkt dem hier entwickelten Fall-Begriff entgegengehalten werden könnte. I. I m bisherigen Schrifttum ist wiederholt die Auffassung vertreten worden, es bestehe ein fundamentaler Unterschied zwischen der Regelung abgeschlossener und der Regelung zukünftiger Fälle 1 8 0 . Die erste erfolge nachträglich und erfasse deshalb den bereits historisch konkreten Fall m i t seinen sämtlichen Merkmalen. Die andere hingegen erfolge i m voraus und erfasse daher eine unbestimmte Zahl von zukünftigen Fällen; sie vermöge deshalb nicht den Einzelfall als solchen ins Auge zu fassen, sondern müsse notwendigerweise auf bestimmte begriffliche Merkmale abstrahieren. Beide Arten der Regelung seien demgemäß wesensmäßig grundlegend voneinander verschieden. II. Dieser Ansicht w i r d man m i t einer gewissen Einschränkung 181 zustimmen müssen 182 . Zwingt das n u n aber nicht zugleich auch zu der ten geschlossenen Versammlung, da hier der Teilnehmerkreis v o n vornherein unveränderlich feststeht. Erst recht besitzt ein Verbot (konkret-)speziellen Charakter, das sich nicht an die Teilnehmer wendet, sondern lediglich dem Veranstalter die Durchführung der v o n i h m geplanten Veranstaltung u n t e r sagt. 179 Daraus folgt zugleich, daß ein Hoheitsakt, der nicht eine bestimmte V e r sammlung, sondern irgendwelche Versammlungen schlechthin verbietet, eine unbestimmte Z a h l von Fällen regelt, u n d zwar auch dann, w e n n sich das V e r bot auf einen kurzen Zeitraum (ζ. B. den Tag vor einer Wahl) beschränkt. A n derer Ansicht offenbar Klein i n v. Mangoldt-Klein: Grundgesetz, A r t . 19 A n m . I I I 2 c, der aber nicht angibt, was hier den einzelnen F a l l ausmachen soll. Der bestimmte Tag k a n n es nicht sein, w e i l sonst jede Anordnung so viele Fälle regeln würde, als sie Tage hindurch gilt, also jede Anordnung m i t bestimmter Geltungsdauer auch konkret wäre; ebensowenig aber auch die W a h l als solche, w e i l sonst auch dann eine Einzelfallregelung vorläge, w e n n das Verbot für drei oder sechs Monate vor der W a h l gelten würde. Beide E r gebnisse wären schon rein praktisch nicht annehmbar. 180 Vgl. statt vieler Isay: Rechtsnorm, S. 3 f. u n d passim, der auf diesem Gesichtspunkt seine Unterscheidung v o n Rechtsnorm u n d Entscheidung aufbaut; siehe auch Jahreiss: Gewaltenteilung, S. 128—131, der die Verschiedenheit dieser beiden A r t e n hoheitlicher Regelung zur Grundlage einer neuen Staatsfunktionenlehre machen w i l l . 181 Diese Einschränkung ist deshalb geboten, w e i l auch dann, w e n n man den F a l l i n dem oben i n § 10 erörterten Sinne als „Sachverhalt" versteht, die k o n 9

Volkmc r

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2. Teil: Rechtstheoretische Grundlagen / Kap. 2

Feststellung, daß der hier entwickelte Fall-Begriff diese grundlegende Unterscheidung völlig außer acht läßt? Denn wenn der Fall i n dem geregelten Verhalten zu erblicken ist, dann kann er j a immer nur i n etwas Zukünftigem bestehen; bereits abgeschlossenes, i n der Vergangenheit liegendes Verhalten kann nicht mehr geregelt werden, und folglich kann es nach unserer Theorie offenbar auch keine „nachträgliche Regelung abgeschlossener Fälle" geben, sondern immer nur eine „ i m voraus erfolgende Regelung zukünftiger Fälle". Dieser Einwand wäre indessen nur dann erheblich, wenn es sich bei dem geregelten Verhalten und dem „geregelten Sachverhalt" u m zwei völlig verschiedene Dinge handelte, die i n keinerlei Beziehung zueinander stünden; denn nur unter dieser Voraussetzung würden die „abgeschlossenen Sachverhalte" nach der Verhaltenstheorie sachlich ohne Bedeutung sein. N i m wurde aber bereits an früherer Stelle der Hinweis Burckhardts erwähnt, daß das, was bei der einen Betrachtungsweise als Voraussetzung der Verpflichtung und damit als „Sachverhalt" angesehen werden kann, unter einem anderen Gesichtspunkt als Inhalt der Verpflichtung und damit als Kennzeichnung des geregelten Verhaltens selbst erscheint 183 . Diese Erkenntnis ist durch die i m Laufe der Untersuchung behandelten Beispiele wiederholt bestätigt worden. Denn es hat sich gezeigt, daß überall dort, wo sich überhaupt ein dem Befehl vorgegebener „Sachverhalt" finden läßt, dieser Sachverhalt auch i n der Verpflichtung selbst angesprochen w i r d und damit zur Kennzeichnung des geregelten Verhaltens dient 1 8 4 . Das bedeutet aber, daß bei der Verhaltenstheorie der „Sachverhalt" keineswegs unberücksichtigt bleibt, sondern daß er m i t dem geregelten Verhalten selbst erfaßt wird. Der Unterschied zwischen der Sachverkrete, also die Einzelfallregelung keineswegs notwendigerweise einen „ a b geschlossenen", historisch-realen Sachverhalt zum Gegenstand haben muß. Sie k a n n vielmehr durchaus auch i m voraus f ü r einen noch i n der Z u k u n f t liegenden einzelnen Sachverhalt erfolgen; so etwa i n den schon von Franzen (PVG § 40 A n m . 1) u n d Friedrichs (PVG § 24 A n m . 2) genannten Beispielen, daß die Polizei für die bevorstehende Landung eines Luftschiffes oder für ein bevorstehendes Sängerfest irgendwelche Anordnungen erläßt. Es gehört somit auch nach der Sachverhaltstheorie nicht zu den Essentialia, sondern n u r zu den Naturalia der i m voraus erfolgenden Regelung, daß sie eine unbestimmte Vielzahl von Fällen erfaßt. Die Gleichung: Regelung zukünftiger Sachverhalte i m voraus = Regelung einer bestimmten Vielzahl von Fällen ist demgemäß i n dieser F o r m nicht haltbar, w e i l sie nicht eine begriffsnotwendige, sondern eine n u r typische Beziehung zum Ausdruck bringt. 182 "Worin diese grundlegende Verschiedenheit besteht, braucht i m vorliegenden Zusammenhang nicht näher dargelegt zu werden. 183 Vgl. oben § 10 Β A A I I a. 184 So k a n n beim Befehl an E, sein baufälliges Haus abzureißen, als Sachverhalt die Baufälligkeit des Hauses angesehen werden; andererseits gehört die Baufälligkeit aber auch zum Befehlsinhalt u n d kennzeichnet damit das geregelte Verhalten, w e i l die Verpflichtung des E eben gerade dahin geht, „sein baufälliges Haus abzureißen". I m Müller-Beispiel, i n dem M jedesmal bei

§ 11. Der F a l l als das „geregelte menschliche Verhalten" / C.

131

halts- und der Verhaltenstheorie läuft insoweit also lediglich darauf hinaus, daß derselbe Gegenstand unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet w i r d : Das eine M a l werden die die (konkrete) Verpflichtung begründenden Umstände als solche ins Auge gefaßt, das andere M a l das ge- oder verbotene Verhalten, das sich auf diese Umstände bezieht und durch sie allererst gekennzeichnet und inhaltlich bestimmt wird; der „abgeschlossene Sachverhalt" w i r d also hier zwar nicht ausdrücklich als solcher ausgewiesen, jedoch der Sache nach i n vollem U m fange erfaßt. Es gibt nach der Verhaltenstheorie zwar keine „abgeschlossenen" Fälle, wohl aber Fälle = ge- oder verbotene Handlungen, die auf i n der Vergangenheit liegende und darum „abgeschlossene", unveränderliche Umstände bezogen sind. Dem entspricht es, daß — sofern sich der geregelte „Sachverhalt" überhaupt eindeutig identifizieren läßt — beide Theorien durchweg zu denselben Ergebnissen führen und dort, wo nach der einen abgeschlossene Sachverhalte und damit zahlenmäßig bestimmte Fälle geregelt werden, auch nach der anderen eine konkrete Regelung gegeben ist; entsprechendes gilt für die abstrakten Hoheitsakte 185 . Als Ergebnis ist damit festzustellen, daß die Unterscheidung zwischen der Regelung abgeschlossener und der Regelung zukünftiger „Sachverhalte" bei der Verhaltenstheorie zwar nicht ausdrücklich i n Erscheinung t r i t t , der Sache nach jedoch i n gleicher Weise zur Geltung gelangt wie bei der Sachverhaltstheorie. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Theorien besteht nicht darin, daß die Verhaltenstheorie — i m Gegensatz zur Sachverhaltstheorie — die dem Befehl i n der Lebenswirklichkeit vorgegebenen, als Sachverhalt ansprechbaren Umstände unberücksichtigt ließe, sondern daß sie sie auf dem Umweg über das geregelte Verhalten erfaßt und damit auch dort eine Identifizierung des geregelten Falles ermöglicht, wo es an einem derartigen Sachverhalt schlechthin Hochwasser seine Schleusen öffnen soll, mag m a n den geregelten Sachverhalt i m Hochwasser erblicken; andererseits besteht aber das dem M anbefohlene Verhalten i n nichts anderem als dem „ ö f f n e n der Schleusen bei Hoch wasser". Den durch das polizeiliche Meldegesetz geregelten Sachverhalt w i r d man i n dem mehr als dreitägigen Aufenthalt einer Person an einem fremden Orte finden; zu welchem Verhalten aber werden die Adressaten verpflichtet? Eben dem, „jeden mehr als dreitägigen Aufenthalt an einem fremden Orte anzuzeigen" usw. 185 Das zeigen schon die i n der vorigen A n m e r k i m g genannten Beispiele. Der dort zuerst angeführte Befehl ist konkret, w e i l sowohl der Sachverhalt (die Baufälligkeit des Hauses) als auch die gebotene Handlung (das Abbrechen des baufälligen Hauses) einmalig sind. Der Müller-Befehl und das Meldegesetz sind nach beiden Theorien abstrakt, w e i l hier jeweils sowohl der Sachverhalt als auch das anbefohlene Verhalten unbestimmt oft wiederholbar sind. Z u einer abweichenden Beurteilung führen beide Theorien hingegen offenbar i n dem oben Β I b genannten Beispiel eines Gebots, das eine bestimmte Person verpflichtet, sich wöchentlich bei der Polizei zu melden; nach der Sachverhaltstheorie dürfte hier w o h l eine Einzelfallregelung vorliegen.

9*

132

2. Teil:

echtstheoretische Grundlagen / Kap. 2

fehlt oder die Frage, welche von mehreren i n Betracht kommenden U m ständen den einzelnen Sachverhalt bilden, einer eindeutigen Entscheidung entzogen ist. D. Ergebnis Zusammenfassend kann nach alledem festgestellt werden: Der vom geregelten Verhalten her bestimmte Fall-Begriff vermag den einzelnen Fall zu individualisieren und ermöglicht es damit, die Regelung eines einzelnen Falles m i t hinreichender Sicherheit von der Regelung einer Vielzahl von Fällen zu unterscheiden. Er bietet ferner die Möglichkeit, sowohl bei Geboten als auch bei Verboten vier verschiedene Allgemeinheitsstufen zu unterscheiden, da er es vermöge seiner logischen Selbständigkeit gegenüber dem Element „Adressat" gestattet, außer den abstrakt-generellen und den konkret-speziellen auch abstrakt-spezielle und konkret-generelle Befehle anzuerkennen. Augenscheinlich führt er auch durchweg zu sachgerechten Ergebnissen. Nach seiner Erprobung an zahlreichen Beispielen kann unser FallBegriff nunmehr endgültig wie folgt definiert werden: Der von einem befehlenden Hoheitsakt geregelte (einzelne) F a l l ist das i n i h m gebotene oder verbotene (potentiell) reale menschliche Verhalten; es besteht zumeist i n dem T u n einer einzelnen Person, mitunter aber auch i n dem aufeinander bezogenen, voneinander abhängigen und darum eine Einheit bildenden Verhalten einer Personenmehrheit (Gesamtverhalten). Ob der Hoheitsakt einen Einzelfall oder eine (bestimmte oder unbestimmte) Anzahl von Fällen regelt, hängt davon ab, ob dieses Verhalten, so wie es vom Hoheitsakt der Sache nach gekennzeichnet wird, einmalig ist oder ob es bestimmt oder unbestimmt oft geübt werden soll (Gebot) bzw. geübt werden kann (Verbot) 186 .

186 D a m i t können n u n auch, soweit dies noch nicht geschehen ist, die i m Laufe der Untersuchimg erwähnten problematischen Beispiele entschieden werden. Die f ü r die Dauer der Weltausstellung erlassene Fahrordnung ist abstrakt, w e i l das f ü r bestimmte Verkehrssituationen vorgeschriebene Verhalten nicht einmalig ist, sondern unbestimmt oft geübt werden soll. Entsprechendes g i l t f ü r das f ü r den Kriegsfall erlassene Verbot, Lebensmittel ohne die Entgegennahme von M a r k e n zu verkaufen. Auch das an alle Hauseigentümer gerichtete Gebot, anläßlich des Todes des Staatsoberhauptes vier Wochen lang halbmast zu flaggen, ist abstrakt u n d generell. Auch hier ist das gebotene V e r halten (ein Hauseigentümer flaggt halbmast) nicht einmalig, sondern zahlenmäßig unbestimmt, da sich j a die Z a h l der Hauseigentümer während der Geltungsdauer des Gebots ändern k a n n ; würde die Beflaggung hingegen n u r f ü r einen bestimmten Tag vorgeschrieben, so läge eine bestimmte Vielzahl ( = der Z a h l der Hauseigentümer) v o n Fällen vor.

Drittes

Kapitel

Adressat und Fall beim berechtigenden und beim rechtsgestaltenden Hoheitsakt Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Begriffe „ F a l l " und „Adressat" möglicherweise einer allgemeingültigen Definition nicht zugänglich sind, w e i l die jeweiligen Besonderheiten der (inhaltlich) verschiedenen A r t e n von Hoheitsakten schon i m Inhalt dieser grundlegenden Begriffe selbst zum Ausdruck gelangen können 1 . Die Erkenntnisse, die i m vorstehenden für die befehlenden Hoheitsakte gewonnen wurden, können deshalb nicht ohne weiteres auch auf die anderen A r t e n von Hoheitsakten übertragen werden. Es bedarf vielmehr jeweils näherer Prüfung, inwieweit die Besonderheiten der anderen Gattungen bei der Definition der hier i n Frage stehenden Begriffe Berücksichtigung verlangen. N u n werden zwar über die Einteilung der Hoheitsakte nach ihrem Inhalt 2 i m Schrifttum verschiedene Auffassungen vertreten. Immerhin besteht aber i m wesentlichen darüber Einigkeit, daß neben den befehlenden 3 und den feststellenden 4 die rechtsgestaltenden Hoheitsakte als die wichtigste Gruppe anzusehen sind 5 ' 6 . Die letzteren sollen deshalb i m 1

Vgl. oben § 2 a. E. A l l e i n diese ist f ü r unser Problem v o n Interesse. Die anderen U n t e r scheidungsmöglichkeiten, ζ. B. nach der A r t der Ermächtigung, dem Grad der Rechtsgebundenheit oder der rechtlichen W i r k i m g (vgl. dazu die Übersicht bei Hans J. Wolff: Verwaltungsrecht I, § 47 I I — V I I I ) können hier außer Betracht bleiben. 3 Die befehlenden werden verschiedentlich als Unterart der rechtsgestaltenden Hoheitsakte angesehen; vgl. dazu den folgenden Text. 4 V o n den i m eigentlichen Sinne feststellenden können wiederum noch die streitentscheidenden Hoheitsakte unterschieden werden; vgl. dazu Wolff, a.a.O., § 4 7 1 c 2 u n d Forsthoff: Verwaltungsrecht I 7 , S. 194. Beide A r t e n kommen aber — w e n n nicht überhaupt ausnahmslos, so doch zumindest i n der Regel — von vornherein n u r als Einzelakte (Verwaltungsakte) vor, so daß sie f ü r das Abgrenzungsproblem ohne Interesse sind u n d deshalb hier unberücksichtigt bleiben können. 5 Vgl. W. Jellinek: Verwaltungsrecht, S. 254—260; Giese: Verwaltungsrecht, S. 85 f.; Peters: Verwaltung, S. 152 f.; Adamovich: Verwaltungsrecht, S. 96—101; Antonioiii: Verwaltungsrecht, S. 201—205; v. Turegg: Verwaltungsrecht, S. 117—120; Forsthoff: Verwaltungsrecht I 7 , S.197f.; Hans J. Wolff: Verwaltungsrecht I , § 47 I. β Verschiedentlich werden freilich auch ganz andere Einteilungen vorgenommen. So nennt Friedrichs: Allgemeiner Teil, S. 24 als möglichen I n h a l t eines Rechtssatzes neben Befehl u n d Gestaltung „Verheißung" u n d „Ermächtigung", 2

134

2. T e i l :

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

folgenden noch einer kurzen Untersuchung unterzogen werden. Dafür ist es erforderlich, zunächst Klarheit über den Begriff des gestaltenden Hoheitsaktes zu schaffen, wobei insbesondere zu prüfen sein wird, ob die i m Schrifttum unter diesem Begriff zusammengefaßten Hoheitsakte tatsächlich i m wesentlichen gleichartig sind oder ob hier nicht vielleicht noch weitere Unterscheidungen vorgenommen werden müssen. § 12.

Der

B e g r i f f des r e c h t s g e s t a l t e n d e n u n d des b e r e c h t i g e n d e n H o h e i t s a k t e s

der

Die begriffliche Bestimmung des rechtsgestaltenden Hoheitsaktes steht i n enger Beziehung zur Einteilung der Hoheitsakte überhaupt 7 . Hier lassen sich i m wesentlichen zwei Ansichten unterscheiden. Die eine Gruppe von Autoren, zu der vornehmlich Giese, Forsthoff und Hans J. Wolff gehören, nimmt eine Dreiteilung vor und unterscheidet neben dem feststellenden zwischen dem befehlenden und dem rechtsgestaltenden Hoheitsakt 8 . Dabei werden als befehlend solche Hoheitsakte bezeichnet, die ein Gebot oder Verbot ausdrücken, während die rechtsgestaltenden Hoheitsakte (Verwaltungsakte) definiert werden als diejenigen, die ein Rechtsverhältnis begründen, abändern oder aufheben oder eine (neue) Gestaltung versagen 9 . Ein anderer Kreis von Autoren, der insbesondere durch W. Jellinek, Peters, Adamovich, Antonioiii und v. Turegg repräsentiert wird, faßt die befehlenden als Unterfall der gestaltenden Hoheitsakte auf und unterscheidet demgemäß nur zwischen den beiden Hauptgruppen der rechtsgestaltenden und der feststellenden Hoheitsakte 10 . Auch hier werden aber als gestaltend solche Hoheitsakte bestimmt, durch die Rechtsverhältnisse begründet, geändert oder aufgehoben werden 11 . während Esser: Einführung, S. 138 f. zwischen Verhaltens-, Verteilungs- u n d Organisationsnormen unterscheidet. 7 Die literarischen Äußerungen beziehen sich ganz überwiegend auf die Einteilung der Verwaltungsakte (s. A n m e r k u n g 5). Die dabei genannten Gesichtspunkte gelten jedoch i m wesentlichen auch für die allgemeinen Rechtssätze (so i m Ergebnis auch W. Jellinek: Verwaltungsrecht, S. 256 u n d 258) ; vgl. auch die Widerlegung der von der Imperativtheorie vertretenen Auffassung, daß jeder vollständige Rechtssatz den Charakter eines Gebots- oder Befehlssatzes habe, bei Larenz: Methodenlehre, S. 152—156. 8 Siehe die Nachweise i n A n m . 5. Forsthoff nennt außerdem noch die beurkundenden Verwaltungsakte, die hier aus den i n A n m . 4 angeführten G r ü n den ebenfalls ohne Interesse sind. 9 So Wolff: Verwaltungsrecht 1,1. Aufl., S. 202 i n sachlicher Übereinstim-

mung mit Giese, a. a. O., S. 86 und Forsthoff,

a. a. O., S. 192 f. In den späteren

Auflagen ergänzt Wolff diese Definition des rechtsgestaltenden VAs durch den Zusatz „ . . . ohne ein Gebot oder Verbot auszudrücken" (§ 47 I b). Siehe hierzu den folgenden Text. 10 Vgl. die Nachweise i n A n m . 5. 11

Vgl. Peters, a. a. O., S. 152; Adamovich, a. a. O., S. 96 und 100; Antonioiii,

a.a.O., S.201; bei unklarer Formulierimg w o h l sachlich übereinstimmend

§ 12. Rechtsgestaltender und berechtigender Hoheitsakt

135

A. Die Wesensverschiedenheit des rechtsgestaltenden und des befehlenden Hoheitsaktes Die beiden eben angeführten Ansichten stimmen i m Wortlaut der Definition des rechtsgestaltenden Hoheitsaktes überein. I n der Sache weichen sie aber dadurch voneinander ab, daß nach der zweitgenannten Ansicht der befehlende Hoheitsakt von der Definition umfaßt werden soll, während er nach der erstgenannten Auffassung dem gestaltenden Hoheitsakt nebengeordnet ist. Geht man vom Wortlaut der Begriffsbestimmung aus, so muß der Befehl i n der Tat als Unterfall der Rechtsgestaltung angesehen werden. Denn auch durch eine befehlende Anordnung w i r d ein Rechtsverhältnis begründet, nämlich eine Verpflichtung von Zivilpersonen gegenüber einem Hoheitsträger geschaffen. Diese durch einen Befehl begründete Rechtsbeziehung nicht als Rechtsverhältnis zu qualifizieren, besteht keinerlei Grund. Der befehlende Hoheitsakt ist deshalb rein rechtslogisch gesehen nichts anderes als eine Erscheinungsform des rechtsgestaltenden Hoheitsaktes. Gleichwohl dürfte die von den erstgenannten Autoren vorgenommene Nebenordnung von Befehl und Rechtsgestaltung dem wirklichen Wesen dieser beiden Kategorien sehr viel besser gerecht werden. Zwischen dem Befehl und den Fällen der Rechtsgestaltung i m engeren Sinne wie ζ. B. der Begründung eines Statusverhältnisses 12 bestehen so erhebliche Unterschiede, daß es geboten erscheint, beide Gruppen klar voneinander abzuheben. Der rechtsgestaltende Hoheitsakt i. e. S. erschöpft sich darin, das Rechtsverhältnis zu begründen. Die einzelnen Rechte und Pflichten, die den Inhalt dieses Verhältnisses ausmachen, ergeben sich nicht aus dem Gestaltungsakt selbst, sondern haben ihre Quelle i n anderen, von diesem ganz unabhängigen Rechtssätzen wie ζ. B. den Beamtengesetzen. Der gestaltende Hoheitsakt als solcher w i l l also kein menschliches Verhalten beeinflussen, er begründet i n sich keine Rechte und Pflichten, sondern ruft diese nur mittelbar hervor, indem er den Tatbestand oder das Element eines Tatbestandes verwirklicht, m i t dem das objektive Recht gewisse Pflichten und Rechte verknüpft 1 8 . Der Befehl hingegen v. Tur egg, a. a. O., S. 117. Jellinek verzichtet auf eine zusammenfassende Definition u n d begnügt sich m i t einer Aufzählung der einzelnen Unterarten. 12 z.B. Beamtenernennung oder Einbürgerung. 13 So hat ζ. B. die Gehorsams- u n d Residenzpflicht des Beamten ihre G r u n d lage nicht i n seiner Ernennung, sondern i n den allgemeinen Vorschriften des Beamtenrechts, denen er m i t der Ernennung unterstellt w i r d ; das Wahlrecht oder die Wehrpflicht eines Eingebürgerten ergeben sich nicht aus dem E i n bürgerungsakt, sondern aus den f ü r alle Staatsbürger geltenden Gesetzen, denen der Eingebürgerte unterworfen w i r d ; die Pflicht einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, A k t e der Rechtsaufsicht zu dulden, wurzelt nicht i n der Verleihung der öffentlich-rechtlichen Rechtsfähigkeit, sondern i n den a l l gemeinen Vorschriften, nach denen öffentliche Körperschaften der Rechtsaufsicht unterliegen usw.

2. Teil: Rechtstheoretische Grundlagen / Kap.

136

hat gerade die Begründung einer Verpflichtung zum eigentlichen und alleinigen Inhalt, er ist unmittelbar auf die Regelung menschlichen Verhaltens gerichtet. Oder m i t anderen Worten: Gestaltungswirkung und Verhaltensnormierung stehen bei beiden Kategorien i n einem umgekehrten Verhältnis: Der rechtsgestaltende Hoheitsakt i. e. S. hat die Begründung eines Rechtsverhältnisses zum Inhalt und führt damit mittelbar zur Entstehung gewisser Pflichten (Rechte); der Befehl hat die Forderung eines gewissen menschlichen Verhaltens zum Inhalt und begründet damit ein Rechtsverhältnis. Gerade diese der Rechtsgestaltung i. e. S. fehlende Verhaltensbezogenheit des Befehls aber bringt, wie i m vorangegangenen Kapitel deutlich geworden ist, so viele rechtliche Besonderheiten m i t sich, daß es geboten erscheint, den Befehl schon systematisch aus der Gruppe der rechtsgestaltenden Hoheitsakte herauszuheben. Wolff trägt dieser Erkenntnis nunmehr auch bereits i n der Definition der rechtsgestaltenden Verwaltungsakte Rechnung, indem er die Gebote und Verbote ausdrücklich ausscheidet14. B. Die Wesensverschiedenheit des rechtsgestaltenden und des berechtigenden Hoheitsaktes Die eben angestellten Überlegungen werfen die Frage auf, ob der Begriff des rechtsgestaltenden Hoheitsaktes darüber hinaus nicht noch einer weiteren Einschränkung bedarf. Der Befehl mußte deshalb aus dem Begriff der rechtsgestaltenden Hoheitsakte ausgeklammert werden, w e i l er sich durch seine unmittelbare Verhaltensbezogenheit, die weitreichende rechtliche Konsequenzen m i t sich bringt, i n ganz spezifischer Weise von der Rechtsgestaltung i. e. S. unterscheidet. Sind nun aber die übrigen von der herrschenden Lehre als rechtsgestaltend bezeichneten Hoheitsakte i n sich gleichartig, erschöpfen sie sich also — soweit sie nicht Rechtsverhältnisse abändern oder aufheben — ebenso wie die Beamtenernennung oder die Einbürgerung i n der bloßen Begründung von Rechtsverhältnissen, ohne selbst unmittelbar menschliches Verhalten zu beeinflussen? Oder gibt es hier nicht vielleicht noch gewisse andere Anordnungen, die ähnlich wie die Befehle verhaltensbezogen, also i n irgendeiner Weise unmittelbar auf die Regelung menschlichen Verhaltens gerichtet sind? Die letzte Frage muß i n der Tat bejaht werden. Die herrschende Lehre nennt als Beispiele von rechtsgestaltenden Hoheitsakten unter anderem die Erteilung von Erlaubnissen, Dispensen und Konzessionen 15 . Durch 14

15

Vgl. vorstehend A n m . 9.

Vgl. Giese, a. a. O., S. 86; Adamovich, a. a. O., S. 100 f.; Antonioiii, a. a. O., S. 204; v. Tur egg, a.a.O., S. 117 f.; Forsthoff, a. aO, S. 193; Wolff, a.a.O.,

§ 47 I b.

§ 12. Rechtsgestaltender u n d berechtigender Hoheitsakt

137

derartige Hoheitsakte werden zwar — rechtslogisch gesehen — sicherlich Rechtsverhältnisse begründet, wie dies ja auch für die Befehle festgestellt wurde. Aber darin erschöpft sich i h r Inhalt nicht. Dieser reicht vielmehr über die bloße Begründung von Rechtsbeziehungen w e i t hinaus, indem er der Intention nach unmittelbar das Verhalten der Adressaten beeinflußt. Ebenso wie die Befehle sind Erlaubnis und Dispens darauf angelegt, daß ihre Adressaten i n ihrem Verhalten auf sie reagieren. Jene verpflichten, diese berechtigen zu einem bestimmten Verhalten; die einen sollen befolgt, von den anderen kann Gebrauch gemacht werden. Der befehlenden steht somit als Spiegelbild die berechtigende Anordnung gegenüber. Beiden ist gemeinsam, daß sie unmittelbar auf die Regelung menschlichen Verhaltens gerichtet sind. Nur die A r t der Verhaltensbezogenheit ist verschieden: Der befehlende Hoheitsakt schränkt die natürliche Handlungsfreiheit des Adressaten ein, der berechtigende erweitert sie bzw. stellt sie i n gewissem Umfange wieder her 1®»17. Demnach stehen die berechtigenden Hoheitsakte ihrem Wesen nach den befehlenden sehr viel näher als den i m eigentlichen Sinne rechtsgestaltenden. Dieselben Momente, die Befehl und Rechtsgestaltung i. e. S. unterscheiden, bestimmen auch das Verhältnis zwischen dieser und der berechtigenden Anordnung. Die i m engeren Sinne rechtsgestaltenden 16 Daraus folgt zugleich, daß hier lediglich die v o n Wolff, a.a.O., § 40 I I I a 1 so genannte Berechtigung i m weiteren Sinne i n Rede steht, die sich auf ein gewisses tatsächliches Verhalten bezieht. Sie beruht auf der allgemeinen Handlungsfreiheit u n d hängt deshalb an sich nicht v o n einem gewährenden Rechtssatz ab (Wolff, a. a. Ο.). Gleichwohl gibt es eine Vielzahl von A n o r d nungen, die derartige Berechtigungen begründen, indem sie gewisse unter ein Verbot fallende Handlungen ausnahmsweise zulassen w i e ζ. B. eine B a u erlaubnis oder der Dispens; daneben sind außer Vorschriften w i e § 903 BGB, §§ 1, 64 I u n d 67 I GewO auch die Grundrechtsbestimmungen der Verfassung berechtigende Anordnungen i m hier gemeinten Sinne, woraus zugleich erhellt, daß derartige Berechtigungen gerade i m öffentlichen Recht v o n besonderer Bedeutung sind (vgl. Wolff : a. a. Ο., § 431 a 1). — Demgegenüber liegt eine Berechtigimg i m engeren Sinne dann vor, w e n n u m einer bestimmten menschlichen Interessen Verfolgung w i l l e n ein bestimmtes anderes Subjekt oder alle anderen Subjekte zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen v e r pflichtet werden (Wolff: a. a. Ο., § 40 I I I a 2). Da i h r somit i m m e r eine V e r pflichtung entspricht, k a n n sie sich stets n u r aus einer A n o r d n u n g m i t Befehlscharakter ergeben (vgl. hierzu zutreffend auch Engisch: Einführung, S. 26 f.) ; sie verlangt f ü r unsere Untersuchung daher keine besondere Berücksichtigung. 17 I m Schrifttum w i r d statt von berechtigenden vielfach von erlaubenden oder von gewährenden Hoheitsakten (Rechtssätzen) gesprochen, ohne daß der I n h a l t dieser Begriffe immer ganz k l a r wäre. Vgl. etwa Anschütz: Studien,

S. 46; Stammler: Rechtsphilosophie, S. 256; Enneccerus-Nipper dey: Allgemei-

ner Teil, S. 119. Lehmann: Allgemeiner Teil, S.33 sieht als Unterart der „erlaubenden" diejenigen Bestimmungen an, die die Befugnis zur Begründung von Rechtswirkungen geben (ζ. B. Verfügungsbefugnis, Vertrags- u n d Testierfreiheit); sie dürften jedoch eher der Rechtsgestaltung zuzurechnen sein, w e i l sie nicht ein gewisses Verhalten als solches erlauben, sondern einem von v o r n herein erlaubten Verhalten rechtsgestaltende W i r k u n g beilegen.

138

2. Teil: Rechtstheoretische Grundlagen / Kap.

Hoheitsakte 18 erschöpfen sich i n der Begründung, Abänderung oder Aufhebung von Rechtsverhältnissen; ihre unmittelbare Wirkung ist i m Augenblick ihres Erlasses abgeschlossen, da sie ihrem Inhalte nach lediglich auf die Veränderung von Rechtsbeziehungen, nicht aber auf die Beeinflussung menschlichen Verhaltens gerichtet sind 19 . Die berechtigenden Hoheitsakte hingegen zielen ihrem Inhalt nach darauf ab, über die Veränderung von Rechtsbeziehungen hinaus — die ebenso wie bei den Befehlen gewissermaßen nur eine notwendige Nebenwirkung ihres Erlasses ist, nicht aber ihren eigentlichen Gegenstand bildet — unmittelbare Wirkungen i m Bereiche des Tatsächlichen zu entfalten, nämlich ein bestimmtes Verhalten der Adressaten auszulösen. Der eigentliche Sinn der berechtigenden Anordnung liegt darin, daß von ihr Gebrauch gemacht, daß das erlaubte Verhalten auch tatsächlich geübt wird. Deshalb kann das positive Recht ihre Rücknahme oder ihr Erlöschen vorsehen, wenn der Adressat ihrer eigentlichen Bestimmung zuwider keinen Gebrauch von ihr macht 20 . Bei der eigentlichen Rechtsgestaltung hingegen kommt eine solche Möglichkeit schon logisch nicht i n Betracht. Es zeigt sich somit, daß die von der herrschenden Lehre der Kategorie der Rechtsgestaltung zugewiesenen Hoheitsakte auch dann, wenn man die Befehle ausscheidet, keineswegs i n sich gleichartig sind. Es werden hier vielmehr zwei Gruppen zusammengefaßt, die zwar durch ein gemeinsames rechtslogisches Merkmal miteinander verbunden sind, ihrem rechtlichen Wesen nach jedoch erhebliche Verschiedenheiten auf weisen. Für eine dogmatisch fruchtbare Systematisierung kommt es aber nicht auf irgendwelche rechtslogischen Gesichtspunkte, sondern auf solche Momente an, die das Wesen des betreifenden Gegenstandes bestimmen. Für die Frage nach der Allgemeinheit eines Hoheitsaktes — und das ist nach den bisherigen Erörterungen vor allem die Frage nach dem Fall-Begriff — ist n u n der eben aufgezeigte Unterschied zwischen den berechtigenden und den i. e. S. rechtsgestaltenden Anordnungen von essentieller Bedeutung 21 . Der für den Befehl gefundene Fall-Begriff steht i n untrennbarem Zusammenhang m i t der Verhaltensbezogenheit 18 V o n den von der h. L . angeführten Beispielen sind hier außer den Statusbegründungen (Beamtenernennung, Einbürgerung) etwa zu nennen die W i d m i m g einer öffentlichen Sache, die (durch Rechtsentzug erfolgende) E n t eignimg, die Bestätigung neuer Verwaltungsträger m i t eigener Rechtspersönlichkeit sowie die Genehmigung von Satzungen u n d ähnliche Aufsichtsakte; rechtsgestaltende allgemeine Rechtssätze sind z. B. § 5 R S t A n g G (Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Legitimation) u n d § 275 B G B (Erlöschen des Schuldverhältnisses bei nicht zu vertretendem Unmöglichwerden der L e i stung). 19 Vgl. oben A . 20 Vgl. z. B. § 4 GaststättenG. 21 I n welcher Beziehung dieser Unterschied sonst noch rechtlich bedeutsam ist, braucht hier nicht erörtert zu werden. Es sei n u r noch einmal auf § 4 GaststättenG hingewiesen.

§ 1.

Adressat u n d F a l l beim

echtgenden H o h e i t s a k t 1 3 9

der Gebote und Verbote. Entsprechendes w i r d demnach auch für die berechtigende Anordnung zu gelten haben. Bei der Rechtsgestaltung hingegen w i r d der Fall-Begriff i n anderer Weise bestimmt werden müssen, da es ja bei dieser gerade an einer Verhaltensbezogenheit fehlt. Es läßt sich deshalb schon jetzt sagen, daß die Frage nach der Allgemeinheit für die berechtigenden Hoheitsakte nach anderen Gesichtspunkten zu beantworten ist als für die i m eigentlichen Sinne rechtsgestaltenden Anordnungen. C. Ergebnis Aus dem Vorstehenden ergibt sich die Notwendigkeit, auch die berechtigenden Anordnungen aus der Gattung der rechtsgestaltenden Hoheitsakte auszuscheiden und sie als besondere Kategorie neben diese und die Befehle zu stellen. Dies führt zu folgenden Begriffsbestimmungen: Berechtigende Hoheitsakte sind solche, die die Erlaubnis zu einem bestimmten tatsächlichen Verhalten begründen. Rechtsgestaltend sind diejenigen Hoheitsakte, die Rechtsverhältnisse 22 begründen, abändern oder aufheben oder eine (neue) Gestaltung versagen, ohne ein Gebot oder Verbot oder eine Berechtigung auszudrücken. § 13. A d r e s s a t

und Fall beim Hoheitsakt

berechtigenden

A u f der Grundlage der vorstehenden Erörterungen kann nun untersucht werden, wie Adressat und Fall beim berechtigenden Hoheitsakt begrifflich zu bestimmen sind. A. Der Begriff

des Adressaten

Die Definition des Adressaten-Begriffs bereitet keine Schwierigkeiten. Wenn der Adressat des Befehls i n derjenigen Person erblickt wurde, die zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen konkret verpflichtet wird, so 22 Unter einem Rechtsverhältnis ist die rechtlich geregelte soziale Beziehung einer Person zu anderen Personen oder zu Gegenständen (Sachen oder Rech-

ten) zu verstehen; vgl. Enneccerus-Nipperdey,

a. a. O., S. 271 und Lehmann,

a. a. O., S. 67. Wolff: a. a. Ο., § 32 V a w i l l n u r die Beziehung „zwischen einzelnen Personen" als Rechtsverhältnis anerkennen. Das erscheint aber zu eng, da es — w i e Enneccerus-Nipperdey, a. a. O., zutreffend hervorheben — beim Eigentum und bei den beschränkten dinglichen Rechten auch unmittelbare Rechtsbeziehungen zu Rechtsobjekten gibt. Sollte Wolff dahin zu verstehen sein, daß zwischen „Rechtsverhältnissen" (zwischen Personen) u n d „Rechtsbeziehungen" (zwischen Personen u n d Sachen) zu unterscheiden sei, so müßte der Begriff des rechtsgestaltenden Hoheitsaktes jedenfalls auch auf die Gestaltung von Rechtsbeziehungen erstreckt werden; anderenfalls wäre ζ. B. eine (Voll-) Enteignung insoweit begrifflich überhaupt nicht zu erfassen.

140

2. Teil: Rechtstheoretische Grundlagen / Kap.

muß der Adressat des berechtigenden Hoheitsaktes bestimmt werden als Person, die zu einem gewissen Verhalten konkret berechtigt wird. Die berechtigenden Hoheitsakte richten sich überwiegend an bestimmte Personen. Man denke ζ. B. an die Bau- und die Gewerbeerlaubnis oder an die Gebrauchserlaubnis des öffentlichen Sachenrechts. Hier ist Adressat stets derjenige, dem die Erlaubnis erteilt wird. Aber auch dann, wenn die berechtigende Anordnung nicht an eine bestimmte Person gerichtet ist, w i r d sich i n aller Regel ohne Schwierigkeiten feststellen lassen, welche und damit wieviel Personen sie betrifft, ob i h r also ein spezieller oder genereller Charakter zukommt. So wäre ζ. B. ein Gesetz, das das Tragen von Kriegsauszeichnungen aus dem zweiten Weltkrieg zuläßt, an die ehemaligen Angehörigen der deutschen Wehrmacht, also an eine bestimmte Zahl von Personen gerichtet. Hingegen müßte die Bestimmung, daß alle Angehörigen der Bundeswehr nach Dienstschluß Z i v i l kleidung tragen dürfen, als generelle Anordnung qualifiziert werden, w e i l sie eine unbestimmte Vielzahl von Personen, nämlich alle jetzigen und künftigen Angehörigen der Bundeswehr betrifft. B. Der Begriff

des Falles

I. Bei der Bestimmung des Fall-Begriffs muß von drei Feststellungen ausgegangen werden, die i m Laufe der bisherigen Erörterungen getroffen werden konnten: Die befehlenden und die berechtigenden Anordnungen sind gleichermaßen auf menschliches Verhalten bezogen. Der von einem befehlenden Hoheitsakt geregelte Fall muß i n dem von i h m ge- oder verbotenen Verhalten erblickt werden. Die berechtigende A n ordnung ist das Spiegelbild des Befehls, insofern sie an Stelle der Verpflichtung die Berechtigung zu einem bestimmten Verhalten begründet. M i t diesen Erkenntnissen ist bereits klar vorgezeichnet, wie der von einem berechtigenden Hoheitsakt geregelte Fall definiert werden muß. Er ergibt sich gewissermaßen als Schlußfolgerung: Wenn der berechtigende Hoheitsakt als Spiegelbild des Befehls ebenso wie dieser verhaltensbezogen ist und der „Fall" beim Befehl gerade i m geregelten Verhalten erblickt werden muß, so muß auch der von einem berechtigenden Hoheitsakt geregelte Fall i n dem durch i h n geregelten, also i m erlaubten Verhalten gefunden werden. Für die Frage, ob die Anordnung einen einzelnen Fall oder eine bestimmte oder unbestimmte Vielzahl von Fällen regelt, kommt es entsprechend den für den Befehl gewonnenen Erkenntnissen darauf an, ob das erlaubte Verhalten, so wie es vom Hoheitsakt der Sache nach gekennzeichnet wird, einmalig ist oder ob es bestimmt oder unbestimmt oft geübt werden kann. II. Dieses gewissermaßen deduktiv gewonnene Ergebnis w i r d bestätigt, wenn man eine Reihe von Beispielen betrachtet. Die entsprechende A n -

§ 1 . Adressat u n d F a l l beim

echtgenden Hoheitsakt

141

wendung der für den Befehl gefundenen Erkenntnisse führt hier stets zu klaren und befriedigenden Lösungen. So ist es z.B. bei der Bauerlaubnis. Sie erweist sich deshalb als Einzelfallregelung, w e i l dem Antragsteller ein einmaliges Verhalten erlaubt wird, nämlich die Errichtung des geplanten Bauwerks. Entsprechendes gilt für eine Gebrauchserlaubnis, durch welche ein Betrieb eines Verkaufsstandes auf einer öffentlichen Straße genehmigt w i r d ; sie hat ein länger andauerndes, gleichwohl aber einheitliches und einmaliges Verhalten zum Gegenstand. Hier handelt es sich also jeweils u m konkret-spezielle Hoheitsakte. Die berechtigende Anordnung kann aber auch einen abstrakt-speziellen Charakter besitzen. Wandelt man ζ. B. das schon mehrfach erwähnte Müller-Beispiel dahin ab, daß dem Müller das Recht eingeräumt wird, jedesmal bei Hochwasser seine Schleusen zu öffnen, so w i r d ein Verhalten erlaubt, das so, wie es vom Hoheitsakt gekennzeichnet wird, unbestimmt oft geübt werden kann. Ebenso wäre es bei einer einem A r z t erteilten Erlaubnis, i m Notfalle Einbahnstraßen i n der gesperrten Richtung zu befahren. Wandelt man das ebenfalls schon erörterte Beispiel des Demonstrationsverbotes i n die Genehmigung einer Demonstration um, so erhält man einen Hoheitsakt, der einer unbestimmten Vielzahl von Personen ein einmaliges Gesamtverhalten erlaubt. Es handelt sich hier somit u m eine konkret-generelle Anordnung. Die gleiche Struktur weist ein Hoheitsakt auf, der es den Einwohnern einer Ortschaft und allen sonstigen Interessenten erlaubt, eine alte Ruine zu Feuerungszwecken abzureißen. Das Gesetz schließlich, das den Angehörigen der Bundeswehr das Recht gibt, nach Dienstschluß Zivilkleidung zu tragen, wäre deshalb abstraktgenerell, weil es einer unbestimmten Vielzahl von Personen ein unbestimmt oft wiederholbares Verhalten erlaubt. Das gleich träfe für eine Anordnung des Inhalts zu, daß alle Ärzte notfalls Einbahnstraßen i n der gesperrten Richtung befahren dürfen. Erst recht handelt es sich bei Bestimmungen wie § 903 BGB oder A r t . 51, 8 1 und I I I GG u m Anordnungen m i t abstrakt-generellem Charakter. I I I . Es zeigt sich somit, daß der für den Befehl entwickelte Fall-Begriff i n der Tat auch für den berechtigenden Hoheitsakt Geltung besitzt. Die einzige Abweichung besteht darin, daß hier naturgemäß an Stelle des geoder verbotenen Verhaltens auf das erlaubte Verhalten abgestellt werden muß. Für die Kategorie der berechtigenden Hoheitsakte kann der Fall-Begriff demnach wie folgt definiert werden: Der von einem berechtigenden Hoheitsakt geregelte (einzelne) F a l l ist das von i h m erlaubte (potentiell) reale menschliche Verhalten. Ob der

142

2. Teil: Rechtstheoretische Grundlagen / Kap.

Hoheitsakt einen Einzelfall oder eine bestimmte oder unbestimmte Vielzahl von Fällen regelt, hängt davon ab, ob dieses Verhalten, so wie es vom Hoheitsakt der Sache nach gekennzeichnet wird, einmalig ist oder ob es bestimmt oder unbestimmt oft geübt werden kann. § 14.

Adressat

und Fall beim rechtsgestaltenden Hoheitsakt

Beim rechtsgestaltenden Hoheitsakt ergeben sich nun hinsichtlich des Adressaten- und des Fall-Begriffs gegenüber dem Befehl erhebliche A b weichungen. A. Der Begriff

des Adressaten

Der Begriff des Adressaten wurde für den Befehl definiert als Person, die zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen konkret verpflichtet wird 2 3 . Da diese Definition an das Wesen des Befehls, an die Regelung menschlichen Verhaltens durch die Auferlegung von Verpflichtungen anknüpft, kann sie, wie ohne weiteres ersichtlich ist, für den gestaltenden Hoheitsakt keine Geltung beanspruchen, da dieser ja als solcher weder Pflichten begründet noch i n sonstiger Weise auf die Regelung menschlichen Verhaltens gerichtet ist. Das bedeutet indessen nicht, daß es beim rechtsgestaltenden Hoheitsakt an einem Adressaten überhaupt fehlt. Wenn dieser auch nicht gewissen Personen ein bestimmtes Verhalten befiehlt oder erlaubt, so ist er doch gleichwohl i n aller Regel 24 derart an irgendwelche Personen gerichtet, daß er diese i n anderer Weise i n ihrem Rechtskreis betrifft. Der gestaltende Hoheitsakt hat die Begründung, Aufhebung oder A b änderung von Rechtsverhältnissen zum Inhalt; ein Rechtsverhältnis muß aber begriffsnotwendig irgendeine (natürliche oder juristische) Person als Subjekt haben 25 . Eben diese die Subjekte der betreffenden Rechtsverhältnisse bildenden Personen werden daher durch den gestaltenden Hoheitsakt i n ihren Rechtsbeziehungen betroffen und sind deshalb m i t der herrschenden Terminologie 26 als seine Adressaten zu bezeichnen 27 » 28 . 23

Vgl. oben § 6 C. Z u r Ausnahme vgl. unten A n m . 28. 25 Vgl. oben § 12 c A n m . 22. 28 I m Schrifttum werden hinsichtlich des Adressaten zwischen den verschiedenen A r t e n v o n Hoheitsakten üblicherweise keine Unterschiede gemacht, sondern diejenigen Personen, an die sich irgendein Hoheitsakt „richtet" oder „wendet", schlechthin als seine Adressaten angesprochen; vgl. Obermayer: Verwaltungsakt, S. 76,78 u n d passim; Wolff: a. a. Ο., § 45 I I c. 27 So ist ζ. Β . Adressat der Einbürgerung oder der Beamtenernennung j e weils eine einzelne Person, nämlich eben diejenige, der die betreffende Staatsbürgerschaft verliehen oder die i n das Beamtenverhältnis übernommen w i r d . Hingegen betrifft eine Bestimmung wie § 5 RStAngG eine unbestimmte Z a h l 24

§ 14. Adressat u n d F a l l beim rechtsgestaltenden Hoheitsakt

143

Der Begriff des Adressaten erhält damit für den Bereich der rechtsgestaltenden Hoheitsakte einen wiederum anderen Inhalt als für den der befehlenden und der berechtigenden Anordnungen. Das begründet indessen keinen Einwand gegen die Richtigkeit der hier entwickelten Definitionen. Es wäre an sich ohne weiteres möglich, den Begriff des Adressaten für alle drei Kategorien einheitlich zu bestimmen als Person, an die ein Hoheitsakt gerichtet ist oder die durch i h n i n ihrem Rechtskreis betroffen w i r d 2 9 . Eine solche Formel entbehrt jedoch der für unsere Aufgabe erforderlichen Exaktheit, da sie verschiedentlich keine eindeutige Aussage darüber ermöglicht, ob eine Person Adressat einer Anordnung ist oder nicht 3 0 . Es ist deshalb geboten, bereits i n der Definition des Adressatenbegriffs den inhaltlichen Verschiedenheiten der einzelnen Kategorien Rechnung zu tragen und damit anzugeben, i n welcher Weise die jeweils als Adressat zu bezeichnende Person i n ihrem Rechtskreis betroffen wird. Als Ergebnis kann demnach folgende Definition aufgestellt werden: Adressat eines rechtsgestaltenden Hoheitsaktes ist diejenige (natürliche oder juristische) Person, die Subjekt des gestalteten Rechtsverhältnisses ist und deshalb i n ihrer Rechtsstellung konkret betroffen wird. B. Der Begriff

des Falles

Wenn eben gesagt wurde, daß für die befehlenden, die berechtigenden und die rechtsgestaltenden Hoheitsakte an sich ohne weiteres ein gemeinsamer Adressatenbegriff gebildet werden könnte, so gilt für den Begriff des Falles offenbar etwas anderes. v o n Personen, nämlich den bei Erlaß des Gesetzes noch v ö l l i g offenen Kreis derjenigen Personen, die während der Geltungsdauer des Gesetzes als K i n d von einem Deutschen legitimiert werden. 28 Aus den obenstehenden Ausführungen folgt zugleich die begriffliche Möglichkeit von adressatlosen rechtsgestaltenden Hoheitsakten. Das Schulbeispiel hierfür ist die (durch Verwaltungsakt erfolgende) W i d m u n g einer öffentlichen Sache (ζ. B. eines öffentlichen Weges), die nach der ganz herrschenden Ansicht sowohl rechtsgestaltend als auch ohne Adressaten ist (vgl. Wolff, a.a.O., § 47 I b u n d §56 I I e 2; Forsthoff, a.a.O., S. 187, 193 u n d 334). Diese scheinbar i n sich widerspruchsvolle u n d zumeist nicht näher erläuterte Behauptung erweist sich nach den obigen Ausführungen deshalb als zutreffend, w e i l das durch die W i d m u n g begründete Rechtsverhältnis i n der öffentlichrechtlichen Sachherrschaft zu erblicken sein dürfte u n d Subjekt dieses sich unmittelbar auf die Sache beziehenden Rechtsverhältnisses gerade der (ggfls. unter M i t w i r k u n g des Eigentümers u n d des Unterhaltungspflichtigen) w i d mende Hoheitsträger selbst ist (vgl. Wolff, a. a. Ο., § 55 I V b u n d § 56 I I I a 1); diesen aber als Adressaten seiner eigenen Anordnung zu bezeichnen, wäre unsinnig. Entsprechendes g i l t für den Fall, daß sich ein Hoheitsträger durch Hoheitsakt eine herrenlose Sache aneignet. 29 Vgl. A n m . 26. 30 Vgl. die oben § 6 zum Begriff des Befehlsadressaten angestellten Überlegungen.

144

2. T e i l : Rechtstheoretische Grundlagen / Kap.

I. Bei der Erörterung der befehlenden und der berechtigenden Hoheitsakte hat sich gezeigt, daß der Fall-Begriff dort an das Essentiale dieser Anordnungen anknüpfen und der geregelte Fall demgemäß i n dem geregelten Verhalten gefunden werden muß. Daraus folgt zwangsläufig, daß dieser Begriff für den rechtsgestaltenden Hoheitsakt keine Geltung beanspruchen kann, da dieser j a nicht menschliches Verhalten normiert, sondern ausschließlich die Gestaltung von Rechtsverhältnissen zum Inhalt hat. Der Fall muß daher hier i n einem anderen Moment gesucht werden. Das kann nach den bei der Untersuchung des Befehls gewonnenen Erkenntnissen nur dasjenige sein, das für den rechtsgestaltenden Hoheitsakt ebenso begriffswesentlich ist wie die Regelung menschlichen Verhaltens für die befehlende und die berechtigende Anordnung. Das aber ist hier die Gestaltung von Rechtsverhältnissen. Ebenso wie der Befehl ausnahmslos menschliches Verhalten normiert, ist es das Wesen des gestaltenden Hoheitsaktes, daß er irgendwelche Rechtsverhältnisse begründet, abändert oder aufhebt. Bedeutet das nun, daß der von einem gestaltenden Hoheitsakt geregelte Fall i n dem von i h m gestalteten Rechtsverhältnis erblickt werden kann? II. Versuchen w i r wiederum, der A n t w o r t durch die Betrachtung einer Reihe von Beispielen näherzukommen. a) Wie ist es etwa bei der Beamtenernennung? Daß es sich hier u m die Regelung eines Einzelfalles handelt, ist noch nie bestritten worden. Fragt man nun, weshalb dieser Hoheitsakt eine Einzelfallregelung darstellt, so kann die A n t w o r t nur lauten: w e i l er ein einzelnes Rechtsverhältnis begründet. Eine andere Begründung gibt es nicht; die Adressierung an eine einzelne Person ist nach dem oben 31 Gesagten für die Frage nach dem geregelten Fall ohne Bedeutung, und sonstige Momente, die die Ernennung eines Beamten zur Einzelfallregelung machen könnten, sind nicht ersichtlich 32 . Das gleiche gilt ζ. B. auch für die Enteignung eines bestimmten Grundstücks, deren Charakter als Einzelfallregelung ebenfalls von niemandem bezweifelt wird. Auch hier kommt als Grund für diese Beurteilung nur der Umstand i n Betracht, daß ein einzelnes Rechtsverhältnis aufgehoben bzw. neu begründet wird 3 3 . 81

Vgl. § 9 u n d § 10 Β B B I a. Der Hinweis, daß hier ein „einzelner Sachverhalt" geregelt werde, wäre keine befriedigende A n t w o r t . Denn auch hier bliebe j a die Frage offen, weshalb es sich denn u m einen „einzelnen" Sachverhalt handele, durch welche Momente dieser konstituiert werde. Es g i l t hier genau dasselbe, was schon oben bei der Erörterung des Befehls zur Individualisierung des einzelnen Sachverhalts ausgeführt wurde. 33 Entsprechend dem i n der vorigen A n m e r k u n g Gesagten ist die „ B e s t i m m t heit des Grundstücks" als solche nicht ausschlaggebend. 32

§ 14. Adressat u n d F a l l beim rechtsgestaltenden Hoheitsakt

145

G i l t nun Entsprechendes auch für diejenigen rechtsgestaltenden Hoheitsakte, die zweifelsfrei eine imbestimmte Vielzahl von Fällen regeln? Eine Vorschrift zum Beispiel, die ganz allgemein den automatischen Verlust der Staatsangehörigkeit für den Fall der Verheiratung m i t einem Ausländer vorsieht, ist sicherlich abstrakt. Welches sind nun aber die einzelnen Fälle, die von i h r geregelt werden? Oder anders formuliert: Weshalb regelt eine solche Vorschrift eine unbestimmte Vielzahl von Fällen? Die A n t w o r t kann auch hier nur lauten: w e i l sie unbestimmt viele Rechtsverhältnisse gestaltet, nämlich bei unbestimmt vielen Personen deren ursprüngliche Staatsangehörigkeit aufhebt 34 . Der einzelne Fall, der hier jeweils geregelt wird, ist nichts anderes als die Staatsangehörigkeit des X oder des Y, die bei seiner Verheiratung m i t einem Ausländer aufgehoben wird. I n gleicher Weise wäre eine gesetzliche Bestimmung zu beurteilen, die für gewisse A r t e n von Verträgen bestimmte Entgelte verbindlich festsetzt 34 . Eine solche Vorschrift trägt jedenfalls insoweit einen rechtsgestaltenden Charakter, als sie den Inhalt von Verträgen, die ein tarifwidriges Entgelt vorsehen, i n diesem Punkte abändert 35 , und regelt auch zweifellos eine unbestimmte Zahl von Fällen. Als die einzelnen Fälle können auch hier wieder nur die jeweils gestalteten Rechtsverhältnisse angesehen werden, also die einzelnen Verträge, i n denen ein tarifwidriges Entgelt vereinbart worden ist. Da bei Erlaß der Vorschrift noch keineswegs feststeht, wie viele solcher Verträge i n Zukunft geschlossen, wie viele Rechtsverhältnisse also gestaltet werden, w i r d der abstrakte Charakter der Bestimmung durch unseren Fall-Begriff ganz klar bestätigt. Die Überprüfung des auf das gestaltete Rechtsverhältnis abstellenden Fall-Begriffs an Beispielen von zweifelsfrei konkreten oder abstrakten Rechtsgestaltungen weist somit auf, daß die oben gestellte Frage zu bejahen ist: Der von einem gestaltenden Hoheitsakt geregelte Fall muß i n der Tat i n dem von ihm gestalteten Rechtsverhältnis erblickt werden. b) Bei den soeben erörterten Beispielen handelte es sich jeweils u m abstrakt-generelle oder konkret-spezielle Rechtsgestaltungen. Wie steht es n u n aber hier m i t den beiden Zwischenstufen der abstrakt-speziellen und konkret-generellen Regelungen? Kann auch ein rechtsgestaltender Hoheitsakt eine unbestimmte Zahl von Fällen regeln und sich gleich34 Die Abstraktheit der Vorschrift beruht nicht etwa darauf, daß sie eine u n bestimmte Vielzahl von Personen betrifft, da j a nach dem oben § 9 A I I Gesagten F a l l u n d Adressat begrifflich unterschieden werden müssen. Allerdings besteht hier zwischen beiden eine Kongruenz, w e i l jeweils jedes einzelne Rechtsverhältnis an eine einzelne Person geknüpft ist. 35 Vgl. z. B. §§ 22 u n d 23 des Güterkraftverkehrsgesetzes v o m 17.10.1952 (BGBl. I. S. 697). 10

Volkmar

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2. Teil:

echtstheoretische Grundlagen / Kap.

zeitig an eine einzelne Person wenden oder umgekehrt einen Einzelfall regeln und an eine unbestimmte Zahl von Adressaten gerichtet sein 36 ? Betrachten w i r zunächst die Möglichkeit abstrakt-spezieller Rechtsgestaltungen. Gegen ihre Anerkennung bestehen offenbar keine Bedenken, da ein Hoheitsakt begrifflich durchaus eine unbestimmte Zahl von (zukünftigen) Rechtsverhältnissen gestalten kann, deren Subjekte stets dieselben Personen sind. Ein solcher Hoheitsakt läge ζ. B. vor, wenn dem X auf Lebenszeit ein gewisser Steuerfreibetrag zuerkannt w i r d ; hier werden die unbestimmt vielen Steuerschuldverhältnisse, die sich i n Zukunft nach den Steuergesetzen zwischen X und dem Staat ergeben, jeweils ihrem Inhalt nach i n bestimmter Weise abgeändert. Auch i n der (nach früherem Recht möglichen) Verleihung eines privilegierten Gerichtsstandes an eine bestimmte Person dürfte eine abstrakt-spezielle Rechtsgestaltung, nämlich die Begründung einer unbestimmten Zahl von zukünftigen Rechtsverhältnissen zwischen dieser Person und dem betreffenden Gericht zu erblicken sein, die jeweils bei Führung eines Prozesses seitens dieser Person zur Entstehung gelangen und für das Gericht die Pflicht zur Ausübung der Gerichtsbarkeit zum Inhalt haben 37 » 38 . Abstrakt-spezielle Rechtsgestaltungen sind demnach begrifflich durchaus möglich. Praktisch werden sie jedoch sehr viel seltener vorkommen als abstrakt-spezielle Anordnungen m i t befehlendem oder berechtigendem Charakter. Etwas anderes gilt nun aber offenbar für die Möglichkeit konkretgenereller Rechtsgestaltungen. Wenn es richtig ist, daß der geregelte Fall i n dem gestalteten Rechtsverhältnis besteht, dann folgt daraus zwangsläufig, daß von der Regelung eines Falles immer nur eine bestimmte Zahl von Personen betroffen werden kann. Denn es gehört zum Wesen des Rechtsverhältnisses, daß es an bestimmte Personen geknüpft ist. Ein Rechtsverhältnis, an dem eine unbestimmte Vielzahl von Personen beteiligt ist, gibt es nicht 3 9 . Rechtsverhältnisse können immer nur 36 Keinem Zweifel unterliegt es, daß ein an eine einzelne Person gerichteter Hoheitsakt mehrere Rechtsverhältnisse gestalten k a n n u n d daß umgekehrt durch die Gestaltung eines Rechtsverhältnisses mehrere Personen betroffen werden können. W i r d z.B. dem A durch ein u n d denselben Hoheitsakt eine bestimmte Sache beschlagnahmt u n d eine Forderung entzogen, so werden zwei Rechtsverhältnisse aufgehoben u n d damit auch zwei Fälle geregelt. Andererseits w i r d bei der Enteignung eines Grundstücks, das i m Eigentum einer Erbengemeinschaft steht, ein einzelnes Rechtsverhältnis aufgehoben, an dem mehrere Personen beteiligt sind. I n beiden Beispielen handelt es sich aber nach der oben § 9 A I I a vorgenommenen Begriffsbestimmung immer noch u m konkret-spezielle Regelungen, da j a immer n u r eine bestimmte Z a h l von F ä l len oder Adressaten gegeben ist. 37 Vgl. Schönke: Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., 1951, S. 145. 38 I m Ergebnis ebenso Ulbrich: österreichisches Staatsrecht, S. 240 f. 39 Hier k a n n auch nicht etwa auf die Auslobung (§ 657 BGB) verwiesen w e r den. Die Auslobung begründet als einseitiges Rechtsgeschäft eine bedingte V e r -

§ 14. Adressat u n d F a l l beim rechtsgestaltenden Hoheitsakt

147

zwischen bestimmten Personen bestehen 40 . Sollte es w i r k l i c h Rechtsgestaltungen geben, die einen konkret-generellen Charakter zu besitzen scheinen, so w i r d näheres Zusehen zeigen, daß es sich tatsächlich entweder u m eine unbestimmte Vielzahl von Rechtsverhältnissen und damit u m eine abstrakte Regelung oder aber u m eine spezielle Adressierung handelt 4 1 . I I I . Als Ergebnis ist somit festzustellen: Der von einem rechtsgestaltenden Hoheitsakt geregelte (einzelne) Fall besteht i n dem von i h m gestalteten Rechtsverhältnis; ob der Hoheitsakt einen einzelnen Fall oder eine bestimmte oder unbestimmte Vielzahl von Fällen regelt, hängt demgemäß davon ab, ob er ein einziges Rechtsverhältnis oder eine bestimmte oder unbestimmte Vielzahl von Rechtsverhältnissen gestaltet. Aus dem Wesen des Rechtsverhältnisses ergibt sich, daß konkret-generelle Rechtsgestaltungen nicht möglich sind, da an ein und demselben Rechtsverhältnis stets n u r eine bestimmte Zahl von Personen beteiligt sein kann.

pflichtung des Auslobenden (vgl. Larenz: Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. 2 3 1959, S. 191). Diese bedingte Verpflichtung aber besteht nicht gegenüber der unbestimmten Zahl der Personen, die die Bedingimg herbeiführen können, sondern gegenüber der unbestimmten, d. h. noch nicht feststehenden einzelnen Person, die die betreifende Handlung v o r n i m m t . — Auch das Eigentum ist nicht etwa ein Rechtsverhältnis, das zwischen dem Eigentümer und der u n bestimmten Z a h l derer besteht, gegen die aus dem Eigentum Ansprüche erwachsen können, sondern eine Beziehung des Eigentümers unmittelbar zur Sache; s. o. § 12 C A n m . 22. 40 Wolff bringt dies, a. a. O., § 32 V a dadurch zum Ausdruck, daß er von einer „rechtlich geregelten sozialen Beziehung zwischen einzelnen Personen" spricht.

(kursiv 41

vom Verfasser).

Als Beispiel einer möglicherweise konkret-generellen Rechtsgestaltung ließe sich vielleicht die Auflösung einer Partei oder eines Vereins anführen, die sicherlich rechtsgestaltenden Charakter besitzt. Tatsächlich liegt hier aber gerade keine generelle, sondern eine spezielle Maßnahme vor, w e i l ihre Adressaten die i m Zeitpunkt der Auflösung vorhandenen Partei- oder Vereinsmitglieder sind; deren Zahl aber steht objektiv fest. 10*

Dritter

Teil

Die Unterscheidung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt im positiven Recht I n den vorangegangenen Kapiteln ist versucht worden, die für das Allgemeinheits-Problem bedeutsamen Grundbegriffe rechtstheoretisch zu erfassen und zu klären sowie die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen aufzuzeigen. A u f dieser Grundlage kann nunmehr an eine Untersuchung der Zweifelsfragen herangegangen werden, die sich aus den verschiedenen einschlägigen Bestimmungen des positiven Rechts ergeben. Bei der Lösung dieser Aufgabe muß, wie schon eingangs erwähnt wurde 1 , i n methodischer Hinsicht teleologisch vorgegangen werden. Das gilt vor allem für die Behandlung des Verwaltungsaktes, der nach allgemeiner Ansicht als Zweckbegriff anzusehen ist 2 , nicht minder aber auch für die Untersuchung der Frage, was als Einzelfallgesetz i m Sinne von A r t . 19 Abs. I S. 1 GG zu verstehen sei. Es muß deshalb jeweils versucht werden, aus der Zweckbestimmung der verschiedenen Vorschriften Hinweise dafür zu gewinnen, ob die i n ihnen verwandten Begriffe i n ihrem rechtstheoretischen Sinne verstanden werden können oder ob i n der einen oder anderen Hinsicht eine hiervon abweichende Auslegung geboten ist. A u f diese Weise soll zunächst untersucht werden, welcher Inhalt dem Begriff des Einzelfalles i m Sinne der Lehre vom Verwaltungsakt zukommt. Alsdann w i r d zu prüfen sein, was nach dem geltenden deutschen3 Verwaltungsrecht unter einer Allgemeinverfügung zu verstehen ist und durch welche Merkmale sie sich von der Verordnung unterscheidet; hierbei muß insbesondere auch eine Lösung der verschiedenen praktischen Streitfragen versucht werden. Zum Abschluß kann sich die Untersuchung alsdann der verfassungsrechtlichen Seite des Abgrenzungsproblems zuwenden und die Frage der Auslegung von A r t . 19 I 1 GG behandeln. 1

Vgl. oben S. 23. Vgl. Forsthoff: Verwaltungsrecht, S. 176 u n d 180 sowie B V w G E 3,262. Die Berücksichtigung des Verwaltungsrechts aller deutschen Länder würde die Gefahr der Zersplitterung m i t sich bringen u n d den dieser A r b e i t gezogenen Rahmen überschreiten. Die Untersuchung soll sich deshalb i m w e sentlichen auf das Verwaltungsrecht des ehemaligen Preußen u n d seiner Nachfolgestaaten beschränken. 2

3

Erstes

Kapitel

Der Begriff des Einzelfalles im Sinne der Lehre vom Verwaltungsakt I m rechtstheoretischen Teil dieser Untersuchung hat die Klärung des Fall-Begriffs einen breiten Raum eingenommen. Der Grund dafür liegt nicht allein i n den m i t diesem Begriff verbundenen Schwierigkeiten. Die eingehende Erörterung des Fall-Begriffs war auch deshalb erforderlich, weil i h m nach geltendem Recht für die Abgrenzung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Verwaltungsakt eine zentrale Bedeutung zukommt. I n § 25 VGVO und ebenso auch i n § 23 berlVGG hat der Gesetzgeber die „Regelung eines Einzelfalles" ausdrücklich als das entscheidende K r i terium des Verwaltungsaktes anerkannt. Die Verwaltungsgerichtsgesetze der süddeutschen Länder enthalten zwar keine Legaldefinition, gehen aber von demselben Begriff aus4. Die Abgrenzung zwischen Verwaltungsakt und Verordnung hängt damit i n allererster Linie davon ab, was i m Sinne von § 25 VGVO unter einem Einzelfall zu verstehen ist. Insoweit kann nun zunächst auf die i n §§ 11, 13 und 14 angestellten Untersuchungen verwiesen werden. Der dort entwickelte rechtstheoretische Fall-Begriff gilt — i n seiner verschiedenen Ausprägung für befehlende, berechtigende und rechtsgestaltende Anordnungen — grundsätzlich auch hier. Danach liegt also eine Einzelfallregelung dann vor, wenn ein Hoheitsakt ein einmaliges Verhalten gebietet, verbietet oder erlaubt bzw. wenn er ein einzelnes Rechtsverhältnis gestaltet 5 . Es fragt sich jedoch, ob dieser Begriff m i t Rücksicht auf die Funktion, die er als entscheidendes Merkmal des Verwaltungsaktes zu erfüllen hat, nicht irgendeiner Modifikation bedarf. Eine solche kommt nun zunächst i n einer Richtung i n Betracht, die schon i m Laufe der bisherigen Erörterungen mehrfach aufgezeigt worden ist. Es besteht nämlich Grund zu der Annahme, daß der rechtstheoretische Fall-Begriff i m Rahmen der Lehre vom Verwaltungsakt aus teleologischen Gründen derart erweitert werden muß, daß jeder an eine bestimmte einzelne Person gerichtete Hoheitsakt als Regelung eines Einzelfalles anzusehen ist — ganz unabhängig davon, ob er auch i m rechtstheoretischen Sinne einen einzelnen Fall oder aber eine unbestimmte Vielzahl von Fällen regelt. 4 5

Vgl. B V w G E 2, 273; 3,259. Vgl. i m einzelnen oben § 11 a. E., § 13 I I I und § 14 Β I I I .

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3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 1

§ 15.

Die Lehre vom V e r w a l t u n g s a k t c h a r a k t e r der a b s t r a k t - s p e z i e l l e n Hoheitsakte

Die Ansicht, daß ein an eine bestimmte einzelne Person gerichteter Hoheitsakt stets die Regelung eines Einzelfalles i m Sinne der Lehre vom Verwaltungsakt zum Inhalt habe, hat i m Schrifttum bereits mehrfach Ausdruck gefunden. Z u m ersten Male ist sie, wie bereits erwähnt, von Thoma vertreten worden. „Erwägt man nämlich, daß jede rechtsverbindliche Willensäußerung, welche nur ein einziges bestimmtes Individuum betrifft, immer zugleich zu denen gehört, welche nur einen einzelnen Fall, ein einzelnes Vorkommnis zum Gegenstand haben, so erkennt man, daß von der Begriffsbestimmung ,Willensäußerung, welche ihre K r a f t an einem bestimmten Vorkommnis erschöpft 4 , auch alle die Fälle umfaßt werden, i n denen eine Willenserklärung einen bestimmten einzelnen betrifft®." M i t einer noch größeren Selbstverständlichkeit w i r d dieselbe These von Obermayer vorgetragen: „Keinem Zweifel unterliegt es, daß ein ,Einzelfair geregelt wird, wenn eine hoheitliche Maßnahme i n den Rechtskreis einer einzelnen Person eingreift. Dann bedeutet die Regelung eines Einzelfalles', daß eine einzelne Person von einer rechtserheblichen Maßnahme unmittelbar betroffen wird 7 ." I n leicht modifizierter Weise hat sich schließlich auch Hans J. Wolff zu dieser Auffassung bekannt: „Der Sprachgebrauch der Gesetze versteht ferner unter ,Einzelfall· auch sich wiederholende Ereignisse, wenn sie eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personenkreis i n stets gleicher Weise betreffen (ζ. B. wenn Schnee fällt, soll A ihn vor seinem Grundstück wegräumen) 8 ." Bei allen drei Autoren fällt auf, daß sie für ihre nach den bisherigen Erörterungen keineswegs selbstverständliche Behauptung keine Begründung angeben. Immerhin läßt der jeweilige Zusammenhang ihrer Ausführungen erkennen, daß sie von ganz verschiedenen Erwägungen geleitet werden. Für Obermayer ist diese These eine logisch notwendige Folgerung 9 aus seiner Grundkonzeption, nach der der geregelte Fall i n der rechtlichen Betroffenheit einer Person zu erblicken ist; hierdurch werden Fall und Adressat praktisch identifiziert, so daß ein an eine einzelne 6 7 8

Thoma: Polizeibefehl, S. 62. Obermayer: Verwaltungsakt, S. 74. Wolff: Verwaltungsrecht I, S. 222 f.

9 Die Anlage seiner Darstellung erweckt zwar den Eindruck, daß es sich hier u m eine keines Beweises bedürftige Grundvoraussetzung handele, aus der alles weitere erst entwickelt werde. Tatsächlich liegt hier jedoch eine petitio p r i n c i p i i vor, m i t deren Hilfe Obermayer sein offenbar als erstrebenswert empfundenes Ergebnis zu erreichen sucht.

§ 15. Abstrakt-spezieller Hoheitsakt als Verwaltungsakte

151

Person gerichteter Hoheitsakt m i t begrifflicher Notwendigkeit stets als Einzelfallregelung angesprochen werden muß 10 . Ganz andere Gründe hat es hingegen, wenn Thoma zu demselben Ergebnis gelangt. Er definiert den Fall als „reales Vorkommnis" und geht damit von einem Fall-Begriff aus, der der Anerkennung abstrakt-spezieller Kegelungen durchaus Raum läßt. Wenn Thoma gleichwohl die begriffliche Möglichkeit derartiger Regelungen i m Ergebnis verneint und damit die innere Geschlossenheit seines Systems sprengt 11 , so muß dies andere als rechtstheoretische Gründe haben 12 . Es wurde schon oben angedeutet, daß sie offenbar i m Bereiche rechtspolitisch-teleologischer Erwägungen zu suchen sind. Ähnliches wie für Thoma gilt für Hans J. Wolff, jedoch m i t der gewichtigen Abweichung, daß Wolff die versteckte begriffliche Sphärenverschiebung Thomas vermeidet, indem er — wenigstens der Sache nach — von vornherein zwischen rechtstheoretischer und positivrechtlich-teleologischer Begriffsbildung unterscheidet. I n der auf den Elementen Fall („Sachverhalt") und Adressat aufbauenden und damit auf die verschiedenen Allgemeinheitsgrade abstellenden Übersicht über die Arten verwaltungsrechtlicher Rechtshandlungen 13 , die i n der Anlage offenbar als rechtstheoretisches System verstanden werden soll, w i r d — nach dem zugrunde gelegten Fall-Begriff folgerichtig — die begriffliche Möglichkeit abstraktspezieller Anordnungen ausdrücklich anerkannt 14 . Bei der Behandlung des Verwaltungsaktes hingegen erklärt Wolff i n seiner eben zitierten Äußerung derartige (im rechtstheoretischen Sinne) abstrakt-spezielle Anordnungen für Einzelfallregelungen, wobei er m i t der Berufung auf den „Sprachgebrauch der Gesetze" offensichtlich zum Ausdruck bringen w i l l , daß hier nach dem Willen des Gesetzes etwas als Verwaltungsakt behandelt werden soll, was seinem rechtstheoretischen Charakter nach keine Einzelfallregelung ist. Da Thoma die für ihn offenbar maßgeblichen teleologischen Überlegungen nicht offenlegt und auch Wolff seine These vom Sprachgebrauch 10

Vgl. oben § 9 A I I a. Vgl. oben § 9 Β I I . Daß der Thomasche Fall-Begriff bei einer rein rechtstheoretischen Betrachtungsweise überhaupt nicht zu halten ist, ist bereits oben § 9 Β I I dargelegt worden. 13 a. a. O., S. 217 f. 14 Allerdings ist das von Wolff hierfür angeführte Beispiel der Sonderverordnungen unzutreffend, da diese — w i e v o n Wolff, a. a. O., S. 98 selbst anerkannt w i r d — an eine unbestimmte Zahl von Personen gerichtet u n d damit gerade nicht speziell, sondern generell sind (sie unterscheiden sich j a von den Gemeinverordnungen nicht i n der logischen Struktur, sondern lediglich dadurch, daß sie i m besonderen Gewaltverhältnis ergehen); vgl. dazu schon oben § 9 A I I a A n m . 25. — Tatsächlich könnte hier als Beispiel lediglich eine A n ordnung von der A r t des Müller-Befehls angeführt werden, die von Wolff aber aus teleologischen Gründen gerade (zutreffend) als Verwaltungsakt, also als konkrete (Einzelfall-)Regelung angesehen w i r d ; s. den folgenden Text. 11

12

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3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 1

der Gesetze nicht näher begründet oder erläutert 1 5 , muß i m folgenden untersucht werden, welche Erwägungen die Auffassungen dieser Autoren zu stützen vermögen. § 16. D e r a b s t r a k t - s p e z i e l l e H o h e i t s a k t a l s E i n z e l f a l l r e g e l u n g i m S i n n e v o n § 25 V G V O Die eben dargestellte Lehre ist i n erster Linie für die Auslegung des § 25 VGVO von Bedeutung. Diese für unseren Zusammenhang grundlegende Bestimmung soll deshalb als erste ins Auge gef aßt werden. A. Die teleologischen Gründe für die Ausweitung

des Fall-Begriffs

Die Gründe für die Annahme, daß ein an eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personenkreis gerichteter Hoheitsakt stets als Einzelfallregelung i m Sinne von § 25 VGVO 1 6 anzusehen sei, müssen nach dem bisher Gesagten i n allererster Linie i n Zweckmäßigkeitserwägungen gesucht werden. Die i n Frage stehende Ausweitung des Fall-Begriffs wäre demnach gerechtfertigt und geboten, wenn sie einem praktischen Bedürfnis Rechnung trüge; das wäre dann der Fall, wenn der Erlaß abstrakt-spezieller Anordnungen für eine ordnungsmäßige Erfüllung der der öffentlichen Verwaltung gestellten Aufgaben erforderlich wäre und wenn derartige Anordnungen nach geltendem Recht nur als Verwaltungsakte ergehen könnten. I. Für den Erlaß von abstrakt-speziellen Anordnungen besteht n u n für die öffentliche Verwaltung i n der Tat eine unabweisliche Notwendigkeit. Dies gilt zunächst einmal für den Bereich der Gebote. Mag auch der bereits mehrfach beispielhaft genannte Müller-Befehl praktisch nur sehr selten vorkommen, so gibt es doch eine große Zahl von Anordnungen, die genau die gleiche Struktur aufweisen. Man denke etwa an den schon von W. Jellinek 17 genannten Befehl an einen Gastwirt, jeweils bei Glatteis die Zugangswege zu seiner Gaststätte zu bestreuen; an das an eine Hebamme gerichtete Gebot, die Geburten unehelicher Kinder, bei denen sie zugegen war, dem Standesbeamten anzuzeigen; an den Befehl an einen Fürsorge- oder Rentenempfänger, der Behörde von jeder Ände15 Z u r Fall-Theorie Obermayers wurde bereits oben (§ 9 A II) eingehend Stellung genommen, so daß seine i m Text zitierte Äußerung hier keine weitere Berücksichtigung verlangt. 18 u n d damit i m Sinne der Lehre v o m Verwaltungsakt schlechthin, vgl. oben vor § 15.

17

W. Jellinek: Gesetz, S. 145.

§ 16. Der abstrakt-spezielle Hoheitsakt nach § 25 V G V O

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rung i n seinen wirtschaftlichen Verhältnissen unverzüglich Mitteilung zu machen. Noch sehr viel häufiger müssen i m Bereich der Verbote abstrakt-spezielle Anordnungen getroffen werden; denn durch ein Verbot soll ja — wie schon oben 18 aufgezeigt wurde — zumeist nicht eine einmalige Handlung als solche, sondern ein bestimmtes Verhalten schlechthin verhindert werden, so daß auch die an eine einzelne Person gerichteten Verbote überwiegend die Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zum Inhalt haben. Das gilt für das schon oben genannte Verbot an E, den auf seinem Grundstück befindlichen Brunnen zu benutzen, wie für eine große Zahl anderer Anordnungen; so ζ. B. für das Verbot an einen Unternehmer, i n einer bestimmten Abteilung seines Betriebes weibliche Arbeitskräfte zu beschäftigen; für das Verbot an einen Landwirt, seinen Stalldung i n einer die Gesundheit der Nachbarn gefährdenden Weise zu lagern oder während der Dauer einer Seuche sein Vieh über öffentliche Wege zu treiben; für das Verbot an X , sein Radiogerät i n einer die Nachbarn störenden Lautstärke zu benutzen usw. Schließlich muß die öffentliche Verwaltung auch auf dem Gebiete der berechtigenden Hoheitsakte eine Vielzahl von abstrakt-speziellen Anordnungen treffen. Hier ist vor allem die Erteilung von Jagd-, Fischerei-, Wandergewerbe- und ähnlichen Scheinen zu nennen, die jeweils die Erlaubnis zur unbestimmt oft wiederholbaren Ausübung des i n ihnen bezeichneten Verhaltens zum Inhalt haben. Auch die einem Handwerker erteilte Erlaubnis zur Anleitung von Lehrlingen regelt eine unbestimmte Vielzahl von Fällen; das gleiche gilt für die einem Kaffeehausinhaber gewährte Erlaubnis, den Bürgersteig für das Aufstellen von Tischen und Stühlen zu benutzen usw. Bei allen diesen jeweils an eine bestimmte Person gerichteten Hoheitsakten handelt es sich i m rechtstheoretischen Sinne um abstrakte Anordnungen, weil sie sämtlich ein Verhalten gebieten, verbieten oder erlauben, das nicht nur einmal, sondern unbestimmt oft geübt werden kann. Derartige Anordnungen müssen von der öffentlichen Verwaltung i m Rahmen einer ordnungsmäßigen Erfüllung der ihr obliegenden A u f gaben auch tagtäglich getroffen werden. Die hier abstrakt normierten Fälle jeweils einzeln durch eine besondere Anordnung zu regeln, ist praktisch schlechterdings unmöglich; denn das liefe ζ. B. darauf hinaus, daß die jeweils zuständige Behörde ständig die Zugangswege zu der betreffenden Gaststätte kontrolliert, damit sie jeweils sofort bei der B i l dung von Glatteis den Streubefehl geben kann; daß sie laufend die Einkommensverhälnisse sämtlicher Fürsorgeempfänger überwacht, u m die Unterstützung bei Eintritt einer wesentlichen Änderung sofort von sich aus neu festsetzen zu können; daß sie, wenn E das eine einmalige Be18

Vgl. §11 Β I I b .

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3. Teil: Allg.

echtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 1

nutzung des Brunnens untersagende Verbot übertreten hat, sofort ein neues Verbot erlassen müßte, weil das erste ja m i t der Übertretung seine K r a f t erschöpft hat; daß sie jedesmal, wenn jemand auf die Jagd oder zum Angeln gehen w i l l , eine besondere Erlaubnis erteilen müßte usw. A l l e diese Maßnahmen aber würden, sofern sie nicht überhaupt von vornherein unmöglich sind, einen so ungeheuren und unrationellen A u f wand erfordern, daß sie i m Rahmen einer gesunden, ordnungsmäßig funktionierenden Verwaltung schlechterdings nicht durchführbar sind. Der Erlaß (rechtstheoretisch) abstrakt-spezieller Anordnungen ist demnach für die öffentliche Verwaltung der einzige und auch legitime Weg, den ihr hier jeweils gestellten Aufgaben gerecht zu werden 19 . II. Derartige Anordnungen, wie sie von der öffentlichen Verwaltung auf Grund des objektiven Rechts tagtäglich zu Hunderten erlassen werden und erlassen werden müssen, können nun aber nur als Verwaltungsakte ergehen. Das geltende Recht kennt an Arten externer Rechtsanordnungen nur die Verordnung bzw. Satzung und den Verwaltungsakt. Als Verordnungen können die genannten Hoheitsakte auf keinen Fall angesehen werden, weil eine Verordnung niemals an eine bestimmte einzelne Person gerichtet sein kann 2 0 . Sie können somit allein den Charakter von Verwaltungsakten besitzen 21 . Das aber bedeutet, daß der Begriff des Einzelfalles i m Sinne von § 25 VGVO so gefaßt bzw. ausgelegt werden muß, daß er auch derartige Anordnungen als Einzelfallregelungen ausweist 2 2 . Der rechtstheoretische Fall-Begriff muß demnach i m Rahmen der Lehre vom Verwaltungsakt aus zwingenden praktischen Gründen dahin 19 F ü r den Bereich des Polizeirechts w i r d diesem Umstand vom p r P V G u n d den meisten neueren Polizeigesetzen von vornherein dadurch Rechnung getragen, daß die PolizeiVerfügung als „ a n eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personenkreis gerichtete Anordnung" definiert w i r d und damit ohne weiteres auch eine i m rechtstheoretischen Sinne abstrakt-spezielle Regelung zum I n h a l t haben kann. Siehe hierzu ausführlich unten B. 20 Das ergibt sich f ü r den Bereich des Polizei- u n d Ordnungsrechts z w i n gend aus der i n § 25 p r P V G u n d den entsprechenden Bestimmungen der neueren Polizeigesetze getroffenen Legaldefinition der Verordnung. Soweit i m ü b r i gen von diesen Definitionen abweichende Lehrmeinungen vertreten werden, besteht doch jedenfalls hinsichtlich dieses Grundsatzes absolute Einigkeit. 21 I n aller Regel w i r d es sich hier u m „Verwaltungsakte m i t D a u e r w i r k u n g " handeln; vgl. dazu u n d zu den hier nicht interessierenden rechtlichen Besonderheiten dieser Kategorie neuestens Haueisen: N J W 1958, 1065—1069. 22 Diese Auslegung steht auch m i t der Rechtsschutzfunktion des § 25 V G V O i n Einklang. Die hier getroffene Legaldefinition des Verwaltungsaktes ist bew u ß t w e i t gefaßt, u m die hoheitlichen Maßnahmen der V e r w a l t u n g i n möglichst weitem Umfange anfechtbar zu machen (vgl. Wolff, a. a. O., S. 219). Es dürfte daher durchaus i m Sinne dieser Vorschrift liegen, daß auch die (rechtstheoretisch) abstrakt-speziellen Anordnungen der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung zugänglich sind, zumal diese — wie die hier genannten Beispiele zeigen — auf G r u n d ihrer D a u e r w i r k u n g i n der Regel noch tiefer i n die Rechtsstellung der Betroffenen eingreifen als konkret-spezielle Anordnungen.

§ 16. Der abstrakt-spezielle Hoheitsakt nach § 25 V G V O

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erweitert werden, daß ein an eine bestimmte einzelne Person gerichteter Hoheitsakt stets auch einen Einzelfall regelt, ohne daß es darauf ankommt, ob er auch i m rechtstheoretischen Sinne die Regelung eines Einzelfalles oder aber die einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zum Inhalt hat 2 3 . B. Die dogmatisch-systematischen Gründe für die Ausweitung des Fall-Begriffs Das eben auf rein teleologischem Wege gefundene Ergebnis erfährt durch eine Untersuchung der dogmatisch-systematischen Seite des Problems eine wesentliche Stütze. Es zeigt sich nämlich, daß nur bei der hier befürworteten Auslegung des für § 25 VGVO maßgeblichen Einzelfall-Begriffs ein für alle Bereiche des Verwaltungsrechts einheitlicher Einzelakt- bzw. Verwaltungsakt-Begriff anerkannt werden kann. I. Vergleicht man nämlich die Legaldefinition des Verwaltungsaktes i n § 25 VGVO mit der Legaldefinition der Polizeiverfügung i n § 40 prPVG 2 4 , so fällt auf, daß beide auf ganz verschiedene Momente abstellen. Während § 25 VGVO das Merkmal des Verwaltungsaktes i n der Regelung eines Einzelfalles erblickt, w i r d die Verfügung in § 40 prPVG allein von der Adressierung her definiert als Anordnung, die an eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personenkreis gerichtet ist. Dieser Umstand erscheint um so bemerkenswerter, als auch das prPVG selbst i n § 24 dem Element „Fall" für die Unterscheidung von Verordnung und Verfügung Bedeutung beimißt, indem es die Verordnungen hier als Gebote oder Verbote definiert, die für eine unbestimmte Anzahl von Fällen an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtet sind 25 . Angesichts dieser Verschiedenheit 26 stellt sich die Frage, wie § 40 prPVG dogmatisch zu beurteilen und zu § 25 VGVO i n Beziehung zu setzen ist. Die A n t w o r t hängt davon ab, welche Auslegung § 25 VGVO zuteil wird. Insgesamt gibt es drei Möglichkeiten: Geht man davon aus, daß die VGVO aus den eben dargelegten Gründen den Thomaschen Fall-Begriff übernommen hat, dann wäre die 23 M i t dieser Erweiterung w i r d nicht etwa der Obermayersehe Fall-Begriff übernommen, da sie i m Rahmen v o n § 25 V G V O lediglich die begriffliche Möglichkeit abstrakt-spezieller, nicht aber auch die konkret-genereller A n o r d n u n gen ausschließt. 24 Zumindest sachlich übereinstimmende Definitionen enthalten § 6 hePolG, § 20 n w O B G u n d § 48 r h p f P V G ; leicht abweichend A r t . 13 I bayPAG; § 19 b w P o l G spricht einfach von „Einzelanordnungen". 25 Entsprechendes g i l t f ü r A r t . 13 I I I bayPAG, § 10 bwPolG, § 47 hePolG, § 15 ndsSOG, § 28 n w O B G u n d § 28 rhpfPVG. 26 Sie w i r d i m Schrifttum zumeist stillschweigend übergangen. Eine A u s nahme macht lediglich Bettermann (Preisrecht, S. 92), der — allerdings ebenfalls ohne nähere Erörterung — davon ausgeht, daß es sich hier u m einen Unterschied i n der Sache u n d nicht n u r i n der Formulierung handelt.

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3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 1

Polizeiverfügung immer zugleich auch Einzelfallregelung, selbst wenn sie — wie etwa i m Müller-Beispiel — bei rein rechtstheoretischer Betrachtung eine abstrakt-spezielle S t r u k t u r aufwiese. Die Nichterwähnung des Einzelfalls i n § 40 prPVG erklärte sich dann ganz einfach daraus, daß die Polizeiverfügung ohnehin schon wegen ihrer bestimmten Adressierung stets als Einzelfallregelung und damit auch stets als Verwaltungsakt anzusehen wäre. N i m m t man hingegen an, daß die V G V O vom rechtstheoretischen FallBegriff ausgeht, dann wäre ζ. B. der Müller-Befehl, der zweifellos als Verfügung ergehen könnte, auch nach der Vorstellung dieses Gesetzes eine abstrakt-spezielle Regelung, beträfe also eine unbestimmte Vielzahl von Fällen. Damit ergäbe sich n u n aber ein überraschendes Dilemma; denn entweder wäre dann eine abstrakt-spezielle Verfügung überhaupt kein Verwaltungsakt; das wäre gleichbedeutend m i t der Einsicht, daß die Polizeiverfügung nicht, wie einhellig angenommen w i r d 2 7 , eine Unterart des Verwaltungsaktes ist, sondern zu diesem i m Verhältnis zweier sich schneidender Kreise steht 2 8 ; oder aber man müßte annehmen, daß zwar das prPVG selbst die Verfügung stets als Verwaltungsakt ansieht, daß es aber einen Begriff des Verwaltungsaktes vorausgesetzt und legalisiert hat, der — w e i l auf den bestimmten Adressaten und nicht auf die Einzelfallregelung abstellend — zu dem i n § 25 VGVO definierten und auch für die anderen Verwaltungsprozeßordnungen maßgebenden Begriff des Verwaltungsaktes i n erheblichem Widerspruch steht 29 . Oder anders formuliert: Hält man an der bisher für selbstverständlich gehaltenen These fest, daß unserer heutigen Rechtsordnung ein einheitlicher, nämlich der i n § 25 VGVO definierte Begriff des Verwaltungsaktes zugrunde liegt, dann müßte man die Möglichkeit von Polizeiverfügungen anerkennen, die keine Verwaltungsakte sind. W i l l man aber die bislang ebenfalls nie bestrittene Ansicht aufrechterhalten, daß alle Polizeiverfügungen immer und ausnahmslos Verwaltungsakte sind, dann 27

Vgl. Thoma: Polizeibefehl, S.62f.; Fleiner:

Institutionen, S. 183; W. Jel-

linek: RuPrVwBl. 1931, 123; Hatschek-Kurtzig: Verwaltungsrecht, S. 138; Franzen: PVG §40 Anm. 7; v.Turegg: Verwaltungsrecht, S. 291; Rietdorf: OBG § 20 Anm. 2; Wolff , a. a. O., S. 226.

28 Freilich ergibt sich hier die Frage, als was dann die Polizeiverfügung überhaupt anzusehen sein soll, da ja eine externe verwaltungsbehördliche Anordnung nach geltendem Recht nur Verordnung (Satzimg) oder Verwaltungsakt sein kann. 29 Das ist eine Annahme, die zwar für das vor den Verwaltungsprozeßordnungen erlassene prPVG einiges für sich haben mag, für die späteren Polizeigesetze jedoch kaum möglich erscheint. Was sollte die betreffenden Gesetzgeber ver anlaß t haben, bewußt von dem für das Verwaltungsstreitverfahren maßgebenden Verwaltungsakt-Begriff abzuweichen und damit einen der elementarsten Begriffe des gesamten Verwaltungsrechts aufzuspalten?

§ 16. Der abstrakt-spezielle Hoheitsakt nach § 25 V G V O

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müßte man sich zu der Einsicht bequemen, daß i m heutigen positiven Recht zwei verschiedene, einander teilweise widersprechende Begriffe des Verwaltungsaktes nebeneinanderstehen. II. Es zeigt sich somit, daß der Frage nach dem Fall-Begriff der VGVO nicht nur eine große praktische, sondern auch eine ganz erhebliche dogmatisch-systematische Bedeutung zukommt. Der weitere Begriff i m Sinne Thomas würde zu einer klaren und glatten Lösung führen, während der engere rechtstheoretische Begriff auch hier kaum zu überwindende Schwierigkeiten m i t sich brächte 80 . Diese mißlichen Auswirkungen des rechtstheoretischen Fall-Begriffs legen nun den Schluß nahe, daß der Fall-Begriff der VGVO auch aus dogmatisch-systematischen Gründen i m Sinne Thomas verstanden werden muß. Es fragt sich jedoch, ob nicht vielleicht die Entstehungsgeschichte und die bisherige wissenschaftliche Behandlung des prPVG selbst noch irgendwelche Hinweise enthalten, die für eine abschließende Entscheidung des Problems Berücksichtigung verlangen. a) Eine Betrachtung der Vor- und Entstehungsgeschichte des prPVG führt n u n zu einem überraschenden Ergebnis. Sie zeigt nämlich, daß man seinerzeit den entscheidenden Unterschied zwischen Polizeiverordnung und -Verfügung tatsächlich allein i n der Adressierung des Befehls erblickt, die zahlenmäßige Bestimmt- oder Unbestimmtheit der geregelten Fälle aber praktisch für unwesentlich angesehen hat. Soweit die Fall-Regelung i n der Erörterung eine Rolle gespielt hat, ist der FallBegriff offenbar i m engeren rechtstheoretischen Sinne verstanden worden. So bezeichnet es Friedrichs, einer der führenden preußischen Polizeirechtler, i m Jahre 1928 i n einer Urteilsanmerkung als für Preußen herschende Lehre, „daß die Polizeiverordnung sich an die Gesamtheit der Untertanen, eine unzählbare, unendliche Zahl von Personen richtet, daß eine Verordnung sich auch auf einen einzelnen Fall ..., aber eine Verfügung sich auch auf eine unbegrenzte Anzahl von Fällen beziehen kann" 3 1 . Nach der Veröffentlichung des Entwurfs des prPVG wies W. Jellinek i n einer kritischen Besprechung 32 darauf hin, daß zwischen der Legaldefinition der Verordnung und der der Verfügung eine Lücke bestünde, weil Befehle, die sich für eine bestimmte Anzahl von Fällen an eine 30 Dies erweist indessen nicht etwa die rechtstheoretische Begriffsbildung als unrichtig, sondern beruht auf der Verschiedenheit der i n § 25 V G V O u n d § 40 p r P V G aufgestellten Legaldefinitionen. 31 Friedrichs: J W 1928, 1533; das ablehnend besprochene U r t e i l des badischen V G H hatte das Wesen der Verfügung i n der Regelung eines bestimmten Einzelfalles erblickt. 32 W. Jellinek: R u P r V w B l . 1931,121 ff. (122).

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3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 1

unbestimmte Anzahl von Personen richten, nicht berücksichtigt seien. Er schlug vor, i n § 24 die Worte „ f ü r eine unbestimmte Anzahl von Fällen" zu streichen, da auch ein für einen bestimmten F a l l an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtetes Ge- oder Verbot eine Verordnung sei. I n einer Stellungnahme zu dieser K r i t i k betonte Kerstiens 33 als zuständiger Referent des Innenministeriums, daß eine solche Änderung des Entwurfs seiner einschränkenden Tendenz hinsichtlich des Polizei Verordnungswesens zuwiderlaufen würde. „Praktisch sind Polizeiverordnungen dieser A r t durchaus entbehrlich 34 ." Diese Kontroverse und insbesondere der eben zitierte Satz dürften keinen Zweifel daran lassen, daß i n l§ 24 m i t den Worten „ f ü r eine unbestimmte Anzahl von Fällen" nach damaliger Auffassung nicht etwa ein Wesensmerkmal der Polizeiverordnung bezeichnet wurde; diese Worte sollten vielmehr lediglich aus rechtspolitischen Gründen den Erlaß genereller Polizeibefehle für einen bestimmten F a l l (bzw. für eine bestimmte Anzahl von Fällen) unmöglich machen, die man begrifflich ebenfalls als Polizeiverordnungen und nicht etwa als Verfügungen ansah. Diese Auffassung hat auch i n der amtlichen Begründung des Gesetzes Ausdruck gefunden. So w i r d i n der Begründung zu .§§ 24 ff. der Unterschied zwischen Verordnung und Verfügung ausdrücklich dahin bestimmt, daß diese an bestimmte Personen, jene hingegen an einen unbestimmten Personenkreis gerichtet sei; die Fall-Regelung w i r d m i t keinem Wort erwähnt 3 5 . Entsprechend bezeichnet es auch die Begründung zu § 40 als wesentliches Merkmal der Verfügung, daß sie an bestimmte Personen gerichtet ist. Daneben w i r d hier zwar — i n gewissem Widerspruch zu der Begründung zu § 24 — auch die Beschränkung auf bestimmte Fälle genannt, jedoch i n einem solchen Sinne, daß diesem Moment als Wesensmerkmal der Verfügung allenfalls sekundäre Bedeutung zukommt 3 6 . 33 34

Kerstiens: RuPrVwBl. 1931, 310 ff.

a. a. O., S. 312. Amtliche Begründung zu §§24 ff. PVG, abgedruckt bei Franzen: P V G §24 S. 7: „Über den wesentlichen Unterschied zwischen Polizeiverordnung u n d Polizeiverfügung gehen die Meinungen stark auseinander. Die einen sehen i n der Polizeiverordnung i m Gegensatz zu der polizeilichen Verfügung als einer an bestimmte Personen gerichteten polizeilichen Anordnung eine an einen unbestimmten Personenkreis gerichtete polizeiliche Anordnung . . . Die anderen sehen i n der Polizeiverordnung i n erster L i n i e ein i m Wege der Delegation erlassenes Strafgesetz . . . Der E n t w u r f schließt sich der ersteren Auffassung an." 36 Amtliche Begründung zu § 40, bei Franzen, a. a. O., § 40 S. 115: „ E i n wesentliches M e r k m a l der polizeilichen Verfügung besteht darin, daß sie an bestimmte Personen — Einzelpersonen oder Personengruppen — gerichtet i s t . . . Weiterhin gehört es zum Wesen der polizeilichen Verfügung, daß sie sich auf bestimmte Fälle oder eine bestimmte A n z a h l v o n Fällen beschränkt. Die Z a h l braucht allerdings nicht i m einzelnen bezeichnet zu sein. Es genügt, w e n n die Beschränkimg der Fälle darin zum Ausdruck kommt, daß es sich u m eine vorübergehende Regelung handelt." Durch diesen letzten Satz w i r d das E r fordernis der bestimmten Z a h l praktisch wieder aufgegeben, da j a auch eine 35

§ 16. Der abstrakt-spezielle Hoheitsakt nach § 25 V G V O

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Von der i n der Entstehungsgeschichte des prPVG hervorgetretenen Auffassung w i r d auch die Auslegung der beiden Legaldefinitionen i m zeitgenössischen Schrifttum beherrscht. I n seinem Kommentar zum PVG stellt Friedrichs i n den Erläuterungen zu § 24 hinsichtlich des Gegensatzes zwischen Verordnung und Verfügung ausschließlich darauf ab, ob der betreffende Polizeibefehl an eine bestimmte oder an eine unbestimmte Zahl von Personen gerichtet ist 3 7 . I n den Erläuterungen zu § 40 weist er sogar — insoweit über die amtliche Begründung noch hinausgehend — ausdrücklich darauf hin, daß sich die Verfügung nicht auf einen einzelnen Fall zu beziehen brauche 38 . Auch Franzen 39 macht sich offenbar die i n der amtlichen Begründung enthaltene Auffassung zu eigen, während Drews-Lassar i0 noch besonders betonen, daß die Verordnung als Hechtssatz an sich auch einen Einzelfall normieren könne; dies sei aber durch § 24 ausgeschlossen, „ u m den Erlaß von Polizeiverordnungen i n engen Grenzen zu halten". Angesichts dieser Äußerungen ist die Erkenntnis unvermeidbar, daß der Gesetzgeber des prPVG i n Übereinstimmung m i t der seinerzeit herrschenden Rechtslehre die begriffliche Abgrenzung zwischen Verordnung und Verfügung nicht nach der zahlenmäßigen Bestimmtheit oder Unbestimmtheit der geregelten Fälle, sondern nach der der betroffenen Personen vornehmen wollte. Die Einzelfallregelung ist nach damaliger Auffassung kein wesentliches Begriffsmerkmal der Verfügung; man sah vielmehr auch die Regelung einer unbestimmten Zahl von Fällen als möglichen Inhalt einer Verfügung an. Die Entstehungsgeschichte des prPVG läßt somit keinen Zweifel daran, daß sowohl der Gesetzgeber als auch die seinerzeit herrschende Rechtslehre die Verfügung zwar als Verwaltungsakt angesehen, das entscheidende Begriffsmerkmal des Verwaltungsaktes jedoch nicht i n der Einzelfallregelung, sondern i n der speziellen Adressierung erblickt haben und daß sie somit von einem anderen als dem i n § 25 VGVO formulierten Verwaltungsakt-Begriff ausgegangen sind; die Entstehungsgeschichte läßt ferner erkennen, daß der Fall-Begriff — soweit er i n den damaligen Überlegungen überhaupt eine Rolle gespielt hat — durchweg i m rechtstheoretischen und nicht i m Sinne Thomas verstanden worden ist. vorübergehende Regelung durchaus eine unbestimmte Z a h l von Fällen betreffen k a n n (ζ. B. die Fahrordnung f ü r die Dauer der Weltausstellung). Tatsächlich w i r d hier zur Kennzeichnung der Verfügung auf ein systemfremdes M o ment, nämlich die zeitliche Geltungsdauer abgestellt. 87

88

Friedrichs:

PVG § 24 Anm. 4.

a. a. O., § 40 A n m . 3: „Die Verfügung braucht sich nicht auf einen einzelnen F a l l zu beziehen, sie k a n n auch den I n h a l t haben, daß jemand etwas immer oder bei jeder Gelegenheit t u n oder lassen solle." Dieser Satz hat n u r dann Sinn, w e n n man den Fall-Begriff nicht i m Thoma sehen, sondern i m rechtstheoretischen Sinne versteht. 89 40

Franzen: PVG § 24 Anm. 1. Drews-Lassar: PVG § 24 Anm. 2.

160

3. Teil: A l l g .

echtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 1

b) Welche Folgerungen ergeben sich nun aus dieser Erkenntnis für die Auslegung des § 25 VGVO und für seine dogmatische Beziehung zu § 40 prPVG? Zwingt sie dazu, auch den Fall-Begriff der VGVO i m rechtstheoretischen Sinne auszulegen und damit alle die oben 41 aufgezeigten dogmatisch-systematischen Konsequenzen heraufzubeschwören? Hierzu ist zunächst festzustellen, daß die VGVO den Begriff des Verwaltungsaktes durch die i n § 25 getroffene Legaldefinition für den gesamten Bereich des Verwaltungsstreitverfahrens verbindlich festgelegt hat. Das bedeutet einmal, daß für das positive Recht allein dieser Begriff maßgebend sein muß, soweit nicht irgendein anderes Gesetz ausdrücklich einen hiervon abweichenden Begriff aufgestellt hat. Z u m anderen aber ergibt sich aus der zentralen Bedeutung und präsumtiven Allgemeingültigkeit dieser Legaldefinition zugleich die Notwendigkeit, sie i m Interesse der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung so auszulegen, daß i n anderen Gesetzen enthaltene Legaldefinitionen gewisser Unterarten des Verwaltungsaktes von ihr umfaßt werden 42 . A u f unser Problem angewandt heißt dies, daß der i n § 25 VGVO definierte Begriff des Verwaltungsaktes auch für das prPVG Geltung besitzt, da der hiervon abweichende Verwaltungsakt-Begriff, von dem bei der Vorbereitung und beim Erlaß des Gesetzes ausgegangen wurde, nicht als solcher i n das Gesetz Eingang gefunden hat. A u f der anderen Seite aber muß der Begriff des Einzelfalles i m Sinne von § 25 VGVO nach Möglichkeit so ausgelegt werden, daß er auch die Verfügimg i m Sinne von § 40 prPVG stets als Einzelfallregelung ausweist. Das aber ist gerade dann der Fall, wenn er — i n Übereinstimmung m i t den praktischen Bedürfnissen — nicht i m rechtstheoretischen, sondern i m Sinne Thoma s verstanden wird. Daß man beim Erlaß des prPVG vom rechtstheoretischen Fall-Begriff ausging, steht dieser Auslegung nicht entgegen, da die Entstehungsgeschichte des prPVG keine verbindlichen Hinweise für die Auslegung der VGVO zu liefern vermag und sogar auch die i n § 40 prPVG aufgestellte Legaldefinition selbst sehr wohl auch i m Sinne Thomas verstanden werden kann. I m übrigen bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, daß der Begriff des Verwaltungsaktes i n § 25 VGVO enger gefaßt werden sollte als der i n § 40 prPVG definierte Begriff der Verfügung. C. Ergebnis Das schon i m Wege der teleologischen Interpretation des § 25 VGVO gefundene Ergebnis w i r d somit durch die systematische Interpretation dieser Bestimmung eindeutig bestätigt. Anordnungen, die i m rechts41 42

Vgl. §16 Β I . Vgl. zum Wesen u n d zur Aufgabe der systematischen Interpretation i m

allgemeinen Wolff,

a. a. O., S. 111.

§ 17. Der abstrakt-spezielle Hoheitsakt nach § 29 ndsSOG

161

theoretischen Sinne einen abstrakt-speziellen Charakter aufweisen, sind also i m Sinne von § 25 VGVO stets als Einzelfallregelung anzusprechen. Als Ergebnis ist demnach festzustellen: I m Sinne von § 25 VGVO regelt ein Hoheitsakt einen einzelnen Fall, wenn er an eine bestimmte einzelne Person gerichtet ist oder wenn er ein einmaliges Gesamtverhalten einer Personenmehrheit zum Gegenstand hat 4 3 . §17. D e r a b s t r a k t - s p e z i e l l e H o h e i t s a k t als E i n z e l f a l l r e g e l u n g i m S i n n e von §29 n d s S O G I m positiven Verwaltungsrecht ist § 25 VGVO zwar sicherlich die wichtigste, jedoch nicht die einzige Vorschrift, i n der der Begriff des Einzelfalles eine Rolle spielt. Auch i n § 29 I des niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung w i r d i m Rahmen einer Legaldefinition auf die Regelung eines Einzelfalles abgestellt. Diese Vorschrift bestimmt: „Verfügungen i m Sinne dieses Gesetzes sind Anordnungen der Verwaltungs- und Polizeibehörden, die zur Regelung von Einzelfällen an bestimmte Personen oder an einen bestimmten Personenkreis gerichtet s i n d . . . " A. Die Inkongruenz

der §§ 29ndsSOG und 40 prPVG

I. Das ndsSOG hat die i m prPVG getroffene Definition der Polizeiverfügung übernommen, jedoch u m das Merkmal der Einzelfallregelung ergänzt. Dieser Unterschied i m Wortlaut der beiden Legaldefinitionen w i r f t die Frage auf, wie sie sich sachlich zueinander verhalten, ob — wie es auf den erstenBlick den Anschein hat — § 29 ndsSOG den i n § 40 prPVG definierten Verfügungsbegriff einschränkt oder ob er vielleicht trotz seines anderen Wortlautes inhaltlich m i t diesem übereinstimmt. Die Entscheidung dieser Frage hängt allein davon ab, was unter einem Einzelfall i m Sinne von § 29 ndsSOG zu verstehen ist. Hält man hier den rechtstheoretischen Fall-Begriff für maßgebend, so wäre der Verfügungsbegriff des ndsSOG i n der Tat wesentlich enger als der des prPVG, da er dann nur die konkret-speziellen, nicht aber auch die abstrakt-speziellen Anordnungen umfassen würde. Stellt man sich hingegen auf den Standpunkt, daß der Fall-Begriff des SOG der gleiche ist wie der der VGVO, der auch die rechtstheoretisch abstrakt-speziellen Anordnungen als Einzelfallregelungen ausweist, so hätten § 29 ndsSOG und § 40 prPVG ungeachtet ihres unterschiedlichen Wortlauts sachlich den gleichen Inhalt. 43 I m zweiten Falle handelt es sich u m einen Verwaltungsakt i n der Form der Allgemein Verfügung. Siehe hierzu des näheren unten § 18.

11

Volkmar

162

3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 1

II. Die Frage der Auslegung des Einzelfall-Begriffs i n § 29 ndsSOG ist i n Wissenschaft und Rechtsprechung bisher noch nicht ausdrücklich behandelt worden. Immerhin finden sich i m Schrifttum einige Äußerungen, die dieses Problem wenigstens mittelbar berühren. So vertritt Müller-Heidelberg, der als zuständiger Referent des niedersächsischen Innenministeriums an der Ausarbeitung des Gesetzes maßgeblich beteiligt war, i n seinem Kommentar zum SOG die Ansicht, daß § 29 i m wesentlichen dem § 40 prPVG entspreche 44 ; darüber hinaus bemerkt er ausdrücklich, der Begriff der Verfügung sei aus dem prPVG übernommen worden 45 . I n demselben Sinne äußert sich auch Wacfce 48. Diese Auffassung, daß die beiden Legaldefinitionen sachlich übereinstimmen, setzt aber nach dem eben Gesagten voraus, daß der Begriff des Einzelfalles i n § 29 ndsSOG i n demselben Sinne zu verstehen ist wie i n § 25 VGVO. Die genannten Autoren dürfen daher wohl als Vertreter einer extensiven Auslegung des Fall-Begriffs i n § 29 ndsSOG angesehen werden. B. Die Auslegung des Fall-Begriffs

in § 29 ndsSOG

I. Der extensiven Auslegung des Fall-Begriffs i n § 29 ndsSOG scheint zunächst der Umstand entgegenzustehen, daß die Verfügung hier sowohl durch die Einzelfallregelung als auch durch die spezielle Adressierung definiert wird. Diese Ergänzung des i m prPVG aufgestellten VerfügungsBegriffs durch das Merkmal der Einzelfallregelung legt den Schluß nahe, daß die Verfügimg i m Sinne des SOG durch ein weiteres, zu dem der speziellen Adressierung hinzukommendes Merkmal gekennzeichnet sein soll, daß das SOG also nicht schlechthin alle an eine bestimmte Person bzw. an einen bestimmten Personenkreis gerichteten Anordnungen als Verfügungen verstanden wissen w i l l , sondern nur diejenigen, die außerdem auch einen Einzelfall regeln. So betrachtet aber könnte m i t dem „Einzelfall" nur ein vom Adressaten begrifflich unabhängiges Moment gemeint sein, so daß der Fall-Begriff hier ganz eindeutig i m engeren rechtstheoretischen Sinne verstanden werden müßte. II. Diese Deduktion ist indessen nicht schlechthin zwingend. a) Zunächst einmal erscheint es nämlich als durchaus möglich, daß der niedersächsische Gesetzgeber das Merkmal der Einzelfallregelung lediglich deshalb i n die Definition der Verfügung aufgenommen hat, u m diese auch rein äußerlich der Legaldefinition des Verwaltungsaktes i n § 25 VGVO anzupassen. Diese Vermutung findet eine gewisse Stütze bei Müller-Heidelberg, der betont hervorhebt, daß Verfügungen i m Sinne 44 Müller-Heidelberg: Das Gesetz über die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung, 1. Aufl., 1951, vor den Erläuterungen zu § 29; ebenso die 2. Auflage. 45 a. a. O., § 29 A n m . 1 a).

48

Drews-Wacke: Polizeirecht, S. 104.

§ 17. Der abstrakt-spezielle Hoheitsakt nach § 29 ndsSOG

163

des SOG n u r Verwaltungsakte, d. h. Anordnungen zur Regelung eines Einzelfalles seien, und dabei ausdrücklich auf § 25 VGVO verweist 4 7 . Diese Äußerung des für den Gesetzentwurf verantwortlichen Referenten rechtfertigt die Annahme, daß der Begriff der Verfügung durch das Merkmal der Einzelfallregelung nicht enger als der des Verwaltungsaktes gefaßt, sondern diesem vielmehr auch schon i m Wortlaut der Definition angeglichen werden sollte. b) Führt demnach bereits die genetische zu einem von dem der logischen Interpretation abweichenden Ergebnis, so weist die letztlich entscheidende teleologische Interpretation auf, daß der Begriff des Einzelfalles i n § 29 SOG i n der Tat nur i m selben (weiteren) Sinne verstanden werden kann wie i n § 25 VGVO. Wollte man nämlich den Fall-Begriff i n § 29 SOG restriktiv i m rechtstheoretischen Sinne auslegen, so würde ein Befehl, der einer bestimmten Person ein unbestimmt oft wiederholbares Verhalten ge- oder verbietet, vom Verfügungsbegriff des SOG nicht mehr erfaßt werden. Das hieße nichts anderes, als daß er nach niedersächsischem Polizeirecht überhaupt nicht mehr ergehen könnte. E i n solches Ergebnis aber wäre unhaltbar, w e i l es zu den Erfordernissen des praktischen Lebens i n einem krassen Widerspruch stehen und der Polizei bzw. Ordnungsverwaltung die i h r obliegende Gefahrenabwehr weithin unerträglich erschweren oder sogar unmöglich machen würde. Die Polizei muß schlechterdings die Möglichkeit haben, einer Person nicht n u r ein einmaliges, sondern auch ein unbestimmt oft wiederholbares Verhalten zu gebieten oder zu untersagen, wenn sie der ihr gestellten Aufgabe der Gefahrenabwehr gerecht werden w i l l ; es sei nur an die bereits mehrfach beispielhaft genannten Befehle erinnert, durch die dem Grundeigentümer E die Benutzung seines verseuchten Brunnens untersagt oder dem Gastwirt G geboten wird, jedesmal bei Glatteis die Zugangswege zu seiner Gaststätte zu bestreuen 48 . Die hier abstrakt normierten Fälle jeweils einzeln durch eine besondere (konkrete) Anordnung zu regeln, ist praktisch schlechthin unmöglich. Es gilt insoweit alles das, was bereits oben 49 bei der teleologischen Auslegung des § 25 VGVO ausgeführt wurde. C. Ergebnis Damit zeigt sich, daß der Fall-Begriff auch i n § 29 ndsSOG aus einem zwingenden praktischen Bedürfnis heraus extensiv ausgelegt werden 47 48

Müller-Heidelberg,

a. a. O., § 29 Anm. 1 b) aa).

Z u r Vermeidung von Mißverständnissen sei darauf hingewiesen, daß die Frage, ob derartige Befehle begrifflich Verfügungen sind, nicht m i t der Frage verwechselt werden darf, ob eine solche Verfügung unter dem Gesichtspunkt der konkreten Gefahr auch ergehen darf. H i e r f ü r ist nicht § 29, sondern § 30 SOG maßgebend. 49 Vgl. §16 A I .

11 ·

164

3. Teil: Allg.

echtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 1

muß, so daß er auch die i m rechtstheoretischen Sinne abstrakt-speziellen Anordnungen als Einzelfallregelungen ausweist und diese Anordnungen somit von dem i n § 29 aufgestellten Begriff der Verfügung umfaßt werden. Die besondere Erwähnung der Einzelfallregelung i n § 29 besitzt m i t h i n keine sachliche, sondern lediglich eine rein deklaratorische Bedeutung, so daß § 29 ndsSOG und § 40 prPVG sachlich übereinstimmen. Zusammenfassend kann nach alledem i n sachlicher Übereinstimmung m i t Thoma und Hans J. Wolff festgestellt werden: Der rechtstheoretische Fall-Begriff bedarf i m Rahmen des positiven Verwaltungsrechts einer Erweiterung. I m Sinne der Lehre vom Verwaltungsakt liegt auch stets dann eine Einzelfallregelung vor, wenn ein Hoheitsakt an eine bestimmte Person gerichtet ist, so daß auch die i m rechtstheoretischen Sinne abstrakt-speziellen Anordnungen stets als Verwaltungsakte anzusehen sind.

Zweites

Kapitel

Die Abgrenzung von Verordnung und Allgemeinverfügung Die Untersuchung ist nunmehr so weit vorgeschritten, daß sie sich dem ersten praktischen Hauptanwendungsfall des Abgrenzungsproblems zuwenden kann, nämlich der verwaltungsrechtlichen Unterscheidung zwischen Verordnung und Allgemeinverfügung. Die Rechtsverordnung (im formellen und materiellen Sinne) 1 ist nach der i n der neueren Wissenschaft 2 herrschenden und auch von den geltenden Polizeigesetzen 3 übernommenen Auffassung durch ihren abstrakt-generellen Charakter gekennzeichnet und stellt damit unbestritten eine Erscheinungsform des allgemeinen Rechtssatzes dar. Die A l l gemeinverfügung andererseits w i r d von der heute absolut herrschenden Ansicht 4 als Verwaltungsakt angesehen; sie ist damit dem Bereiche des Einzelakts zuzuordnen, wenngleich sie als „Mischform" 5 bereits gewisse Elemente des allgemeinen Rechtssatzes enthält. Die Abgrenzung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt ist demnach auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts gleichbedeutend m i t der Aufgabe, eine 1 A l l e i n diese ist i n unserem Zusammenhang von Interesse u n d soll daher stets gemeint sein, w e n n hier u n d i m folgenden schlechthin von der Verordnung gesprochen w i r d . Bei der „Verordnimg i m n u r formellen Sinne" handelt es sich u m einen Hoheitsakt, der gerade keine allgemeine Regelung trifft, sondern i n (gesetzlich vorgeschriebener!) F o r m der Verordnung einen oder mehrere Einzelfälle regelt; vgl. Hans J. Wolff: Verwaltungsrecht I, S. 97 u n d zur Problematik dieses Begriffs neuestens Schach: DöV 1958, 273 ff. 2 Vgl. statt vieler Fleiner: Institutionen, S. 70; Hatschek-Kurtzig: Verwaltungsrecht, S. 138; Peters: Verwaltung, S. 74; Nebinger: Verwaltungsrecht,

S. 164; Forsthoff:

Verwaltungsrecht, S. 118; Wolff,

a. a. O., S. 94 und 217. —

Die vornehmlich von W. Jellinek (vgl. R u P r V w B l . 1931, 122) vertretene Lehre, daß der Verordnung lediglich die generelle Adressierung begriffswesentlich sei u n d daß sie daher auch einen einzelnen F a l l regeln könne, hat sich nicht durchgesetzt. 8 Vgl. § 24 prPVG, § 10 bwPolG, A r t . 13 I I I bayPAG, § 47 hePolG, § 15 ndsSOG, § 28 n w O B G u n d § 28 rhpfPVG. 4 Vgl. zuletzt B V w G v. 3.5.1956: B V w G E 3, 259 sowie v. 6. 6. 1958: N J W 1958, 1795 u n d i m übrigen die Nachweise i n den Anmerkungen 9 u. 10. A u s nahmen bilden die Urteile des BezVwG B e r l i n v. 5.1.1950 (DöV 1950,151 ff.) u n d des h e V G H v. 17. 8.1951 (DVB1. 1951, 737 ff.). Während i n letzterem ausgeführt w i r d , die Allgemeinverfügung sei kein Verwaltungsakt, geht das erstgenannte stillschweigend davon aus, daß die Allgemeinverfügung auch Rechtsverordnung sein könne. Beide Entscheidungen sind i n der Begründung verfehlt. Vgl. auch die K r i t i k bei Menger: System, S. 103 und Drews-Wacke: Polizeirecht S. 104. 5 Der Ausdruck bei Nebinger: Verwaltungsrecht, S. 164.

166

3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

klare Grenzlinie zwischen Verordnung und Allgemeinverfügung zu ziehen. Daß es überhaupt Hoheitsakte gibt, die sich einerseits von der Verordnung, andererseits aber auch von der „Normalform" des Verwaltungsaktes unterscheiden und deshalb zweckmäßigerweise als „Allgemeinverfügungen"® zu bezeichnen sind, w i r d zwar hin und wieder noch bestritten 7 , bildet aber eine gesicherte Erkenntnis der verwaltungsrechtlichen Wissenschaft und Rechtsprechung. Gleichwohl ist der Problemkreis der Allgemeinverfügung dogmatisch noch keineswegs hinreichend geklärt. Die von Bettermann 18 geführte Klage, daß dieses wichtige Rechtsinstitut i n der Verwaltungsrechtslehre recht stiefmütterlich behandelt werde, ist i n vollem Umfange berechtigt, vor allem wieder i n begrifflicher Hinsicht. Die folgenden Erörterungen sollen sich deshalb zunächst m i t der Begriffsklärung beschäftigen und alsdann die Frage behandeln, ob verschiedene i n ihrem Rechtscharakter umstrittene Hoheitsakte jeweils als Verordnung oder als Allgemeinverfügung zu beurteilen sind. § 18. D e r B e g r i f f

der

Allgemeinverfügung

Bei der Untersuchung des Begriffs der Allgemeinverfügung ist zweckmäßigerweise wieder von den bisher i n Wissenschaft und Rechtsprechung hervorgetretenen Meinungen auszugehen. Danach kann versucht werden, auf der oben i m rechtstheoretischen Teil erarbeiteten Grundlage eine eigene Stellung zu beziehen. A. Die unterschiedlichen Auffassungen Wissenschaft und Rechtsprechung

in

Vollkommene Einigkeit besteht zunächst darüber, daß es sich bei der Allgemeinverfügung u m eine konkrete Anordnung handelt, die nicht an eine einzelne Person, sondern an eine Mehrzahl von Personen gerichtet ist. I m übrigen aber w i r d die Behandlung, die dem Begriff der Allgemeinverfügung i n der Judikatur und i m wissenschaftlichen Schrifttum 6 Der Begriff bzw. Terminus ist von Thoma (Polizeibefehl, S. 65) geprägt worden. 7 W. Jellinek (Gesetz, S. 140) meint, m a n werde „die Unterscheidung w o h l überhaupt fallen lassen können". Dies dürfte f ü r i h n eine Konsequenz seiner Grundkonzeption sein, nach der es n u r „allgemeine" u n d „nicht allgemeine" Hoheitsakte, aber keine Zwischenstufen geben k a n n ; vgl. oben § 5 A I. — Nach Nebinger (Verwaltungsrecht, S. 164) ist die Allgemeinverfügung „als eine i m bestehenden Recht nicht begründete u n d verwirrende Mischform abzulehnen, da i n den i n Betracht kommenden Fällen entweder eine Verordnung zu erlassen ist oder aber eine Reihe von Einzelanordnungen zu treffen sind". Dieser A n sicht liegt augenscheinlich eine Verkennung des Wesens der Allgemeinverfügung zugrunde.

8

Bettermann: Preisrecht, S. 92.

§ 18. Der Begriff der Allgemeinverfügung

167

bislang zuteil geworden ist, von dem Gegensatz zwischen zwei Grundanschauungen bestimmt, auf die sich nahezu alle bisherigen Äußerungen zu diesem Problem zurückführen lassen. I. Die eine, vorwiegend i n der Wissenschaft vertretene Ansicht 9 versteht unter Allgemeinverfügungen solche Hoheitsakte, die einen einzelnen Fall oder eine (zahlenmäßig bestimmte) Gruppe von Einzelfällen regeln und an eine unbestimmte Zahl von Personen gerichtet sind — also die nach unserer Terminologie konkret-generellen Hoheitsakte. II. Demgegenüber geht die herrschende Rechtsprechung 10 von einem wesentlich engeren Begriff der Allgemeinverfügung aus. Hinsichtlich der Regelung eines Einzelfalles oder einer Gruppe von Einzelfällen stimmt sie zwar m i t der Wissenschaft über ein; bezüglich der Adressaten verlangt sie jedoch, daß der betroffene Personenkreis bereits bei Erlaß des Hoheitsaktes eindeutig und unveränderlich feststeht. Allgemeinverfügungen i m Sinne der Rechtsprechung sind also nur solche Hoheitsakte, die zur Regelung eines einzelnen Falles bzw. einer Gruppe von Einzelfällen an eine bestimmte Zahl von Personen ergehen und somit nach unserer Terminologie noch als konkret-speziell zu bezeichnen sind. B. Eigene Stellungnahme:

Die zwei Arten der Allgemeinverfügung

Es stellt sich nun zunächst die Frage, wie der Gegensatz zwischen diesen beiden jeweils nicht näher begründeten Auffassungen zu erklären ist. Denn nur aus der Kenntnis der für sie jeweils maßgeblichen Erwägungen heraus läßt sich entscheiden, welche von beiden als die nach positivem Recht zutreffende angesprochen werden kann. Auffällig ist der Umstand, daß beide Theorien bisher einträchtig nebeneinander bestanden haben, ohne ein einziges M a l i n bezug auf ein 9

B e i unterschiedlichen Formulierungen sachlich i m wesentlichen übereinstimmend: Thoma: Polizeibefehl, S. 65; Fleiner: Institutionen, S. 186 f.; H a t schek-Kurtzig: Verwaltungsrecht, S. 138 f.; w ü E V R O Begründung zu A r t . 61

S. 214; Röttgen: Verwaltungsarchiv 1931, 176 f.; Franzen: PVG § 40 Anm. 1; Forsthoff: Verwaltungsrecht, S. 180; v. Turegg: Verwaltungsrecht, S. 113 u. 291 (nicht eindeutig); Klinger:

V G V O § 25 A n m . Β 1; Eyermann-Fröhler:

W G

§ 22 Anm. A l l a ) bb), S. 67; Schunck-de Clerck: VGG § 15 Anm. I I 3 a) bb), S. 63; Bettermann: Preisrecht, S. 92; Bachof: Verwaltungsakt, S. 315; Men-

ger: System, S. 103; Wolff: Verwaltungsrecht I , S. 222; w o h l auch Scupin: Polizeirecht, S. 631 u n d Ule: Verwaltungsakt, S. 263; ebenso anscheinend auch der h e V G H i n den (in der Begründimg sehr problematischen) Urteilen v. 13.10.1950: VwRspr. 4,113 ff. u n d v. 6.10.1955: E S V G H 6,146 ff. 10 Vgl. w b V G H v. 11. 6. 1948: VwRspr. 1, 108 ff. u. v. 24. 11. 1950: E S V G H 1,68 ff.; r h p f L V G v. 12. 10. 1950: VwRspr. 3,403 ff. = J Z 1951, 372 ff. m i t ablehnender A n m e r k u n g von Bachof; O V G Münster v. 20.11.1951: A S 5, 162 ff.; O V G Lüneburg v. 18. 6. 1952: A S 6, 265 ff.; neuestens anscheinend auch B V w G v. 6. 6. 1958: N J W 1958, 1795. Ebenso auch Hildegard Krüger: DVB1. 1955,

762 f.; Schoen: Normenprüfung, S. 415; Drews-Wacke: Rietdorf: OBG § 20 Anm. 2 und § 28 Anm. 3.

Polizeirecht, S. 104;

168

3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

und dasselbe praktische Problem miteinander i n Konflikt geraten zu sein; i n keiner der veröffentlichten Entscheidungen hat die Rechtsprechung Veranlassung gehabt, sich m i t der i n der Wissenschaft vertretenen weitergehenden Auffassung auseinanderzusetzen. Das legt die Vermutung nahe, daß sich die beiden Theorien auf verschiedene Gegenstände beziehen, daß es also — wie bereits von Franzen 11 angedeutet w i r d — zwei verschiedene Arten von Allgemeinverfügungen gibt. I. Betrachten w i r zunächst die i n der Rechtsprechung herrschende A u f fassung. I n allen Entscheidungen, die sich m i t dem Begriff der Allgemeinverfügung befassen, handelt es sich u m Hoheitsakte, durch die nicht ein einzelner Fall, sondern eine (bestimmte oder unbestimmte) Vielzahl von Fällen geregelt wurde 1 2 . Dieser Umstand ist von erheblicher Bedeutung. a) Obwohl § 25 VGVO nur von der „Regelung eines Einzelfalles" spricht, besteht doch der Sache nach volle Einigkeit darüber, daß der Begriff des Verwaltungsaktes auch die Regelung „einer Reihe" oder „einer Gruppe von Einzelfällen" umfaßt 13 . Damit ergibt sich aber zwangsläufig die Frage, wodurch sich die durch Verwaltungsakt zu regelnde „Gruppe von Einzelfällen" von der „unbestimmten Vielzahl von Fällen" unterscheidet, die nur einer Regelung durch Verordnung zugänglich ist. Die A n t w o r t kann nach unseren obigen Darlegungen 14 nur lauten: Unter einer Gruppe bzw. Reihe von Einzelfällen, die für § 25 VGVO einem einzelnen Fall gleichzustellen ist, kann immer nur eine bestimmte Zahl von Fällen verstanden werden. Die Regelung einer unbestimmten Zahl von Fällen 1 5 , also die abstrakte Regelung, ist der Verordnung vorbehalten, und innerhalb der Regelung einer bestimmten Zahl von Fällen ist eine weitere Unterscheidung m i t dem Ziele, nur einen Teil derartiger Hoheitsakte als Verwaltungsakt zu qualifizieren, nicht durch11 12

Franzen: PVG § 24 Anm. 2.

Vgl. die Nachweise i n A n m . 10. Die Entscheidungen des w b V G H betreffen die Beschlagnahme der T r ü m m e r der i n einem Stadtgebiet durch den K r i e g zerstörten Gebäude u n d die Belegung einer bestimmten Personenklasse m i t einer Abgabepflicht. Das U r t e i l des r h p f L V G behandelt die Beschränkung des Verkehrs auf zwei Bundesstraßen, das U r t e i l des OVG Münster die Offenlegung eines Fluchtlinienplanes. Das OVG Lüneburg hatte sich m i t der A n o r d nung einer Stadtverwaltung zu befassen, wonach Eigentümer von Grundstücken, auf denen i n der Vergangenheit malariakranke Personen gewohnt hatten, i n i h ren Gebäuden eine Mückenvernichtung durchführen sollten. Die Entscheidung des B V w G betrifft die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages. 13 Vgl. § 18 A I u n d die dort angeführten Nachweise. — Noch weitergehend meint Menger (System, S. 103 A n m . 3) unter unzutreffender Berufung auf die herrschende Ansicht, der „Einzelfall" könne auch eine unbestimmte Vielzahl von Fällen sein; dem kann, sofern der Begriff der unbestimmten Vielzahl i n u n serem Sinne verstanden w i r d , nicht gefolgt werden. 14 Vgl. §8. 15 Diese betrifft j a nach dem i m vorangegangenen K a p i t e l entwickelten u n d hier stets zugrunde gelegten positiv-rechtlichen Fall-Begriff immer zugleich auch einen unbestimmten Adressatenkreis.

§ 18. Der Begriff der Allgemeinverfügung

169

führbar 1 6 . Der Begriff der Einzelfallregelung i m Sinne von § 25 VGVO umfaßt demnach sowohl die Regelung eines einzigen Falles als auch die Regelung einer bestimmten Zahl von Fällen. Beide Male handelt es sich u m Verwaltungsakte. Durch diese Überlegung haben w i r nun zugleich auch die erste A r t der Allgemeinverfügung ermittelt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht einen einzigen Fall, sondern eine bestimmte Vielzahl von Fällen regelt und sich aus diesem Grunde an eine Vielzahl von — meist gattungsmäßig bezeichneten — Adressaten richtet. Da die von einer solchen Anordnung geregelten Fälle jeweils i n dem Verhalten einer einzelnen Person bzw. i n einem an einzelne Personen gebundenen Rechtsverhältnis bestehen, betrifft der Hoheitsakt ebensoviel Personen, als er Fälle regelt — also einen bestimmten Adressatenkreis. Das typische Schulbeispiel für diese A r t der Allgemeinverfügung ist der an die Anlieger einer Straße gerichtete Befehl, den i n der vergangenen Nacht gefallenen Schnee vor ihren Häusern zu beseitigen; auch die i n der Rechtsprechung behandelte Trümmerbeschlagnahme und der Befehl zur Mückenvernichtung sind hier zu nennen 17 . b) Damit eröffnet sich nun auch eine Möglichkeit der Erklärung dafür, daß die Rechtsprechung, für die i n den genannten Entscheidungen stets Allgemeinverfügungen der hier behandelten A r t i n Frage standen, so großes Gewicht auf die Bestimmtheit des Adressatenkreises legt. A u f den ersten Blick w i r k t es ja doch ausgesprochen überraschend und befremdlich, daß die Rechtsprechung gerade der Adressierung der Anordnung eine solche Bedeutung beimißt, obwohl § 25 VGVO allein auf die Fall-Regelung abstellt und das Moment des Adressaten m i t keinem Wort erwähnt. Soweit es sich u m Allgemeinverfügungen polizeirechtlichen Charakters handelt, ergibt sich das Erfordernis des bestimmten Adressatenkreises freilich aus § 40 prPVG bzw. den entsprechenden Bestimmungen der neueren Polizeigesetze 18 . Indessen betreffen die meisten der angeführten Entscheidungen gerade nicht polizeirechtliche Anordnungen, sondern solche aus anderen Rechtsgebieten 19 , für die sich hinsichtlich der Adressierung aus dem Gesetz selbst nichts entnehmen läßt. Wie konnte also die Rechtsprechung hier dazu kommen, für die Allge16 Als Gesichtspunkt für eine derartige Unterscheidung käme w o h l überhaupt n u r die namentliche oder gattungsmäßige Bezeichnimg der Adressaten i n Betracht. Indessen ist es — von der Lehre Jellineks abgesehen — noch nie bezweifelt worden, daß auch bei gattungsmäßiger Adressatenbezeichnung ein Verwaltungsakt vorliegen kann. Vgl. auch oben § 8 C. 17 Vgl. § 18 Β I a A n m . 12. 18 Ob dieses Erfordernis insoweit uneingeschränkte Geltung besitzt, w i r d noch zu erörtern sein. 19 Nämlich aus dem Aufbau-, Preis-, Fluchtlinien- u n d Arbeitsrecht; vgl. § 18 Β I a A n m . 12.

170

3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap.

meinverfügung das Erfordernis des bestimmten Adressatenkreises aufzustellen 20 ? Die Beantwortung der Frage stößt auf erhebliche Schwierigkeiten, wenn man sich auf eine isolierte Betrachtung der Adressierung beschränkt; denn angesichts des klaren und eindeutigen Wortlauts von § 25 VGVO ist nicht ersichtlich, weshalb nicht auch ein an einen unbestimmten Personenkreis gerichteter Hoheitsakt eine Allgemeinverfügung sein kann, sofern er nur einen Einzelfall bzw. eine bestimmte Zahl von Fällen regelt. Die A n t w o r t ergibt sich jedoch fast von selbst, wenn man sich vergegenwärtigt, welche nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten es bereitet, anhand der herkömmlichen Definitionen bzw. Umschreibungen des FallBegriffs die Regelung eines Einzelfalles bzw. einer bestimmten Zahl von Fällen von der einer unbestimmten Zahl von Fällen zu unterscheiden 21 ; und wenn man sich ferner vor Augen hält, daß ein an einen bestimmten Adressatenkreis gerichteter Hoheitsakt nach dem positivrechtlichen Fall-Begriff 2 2 stets nur eine bestimmte, nicht aber auch eine unbestimmte Zahl von Fällen regeln kann. Berücksichtigt man diese beiden Momente, so drängt sich die Annahme geradezu auf, daß es auch der Rechtsprechung tatsächlich weniger auf die bestimmte Zahl der betroffenen Personen als auf die der geregelten Fälle ankommt, daß sie jedoch i n Ermangelung eines klaren Fall-Begriffs die Bestimmtheit des Adressatenkreises als Indiz dafür verwendet, daß der Hoheitsakt (nur) eine bestimmte Zahl von Fällen regelt, also eine konkrete Regelung enthält. Man w i r d demnach die Behauptung wagen dürfen, daß auch die Rechtsprechung die Bestimmtheit des Adressatenkreises i m Grunde gar nicht als unverzichtbares Wesensmerkmal der Allgemeinverfügung ansieht, sondern daß sie dieses Bestimmtheits-Erfordernis der Sache nach lediglich als eine A r t Hilfskonstruktion aufstellt, die eine klare Unterscheidung zwischen konkreter und abstrakter Regelung ermöglichen soll. II. Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, daß die i n der Wissenschaft vorherrschende Definition augenscheinlich eine andere A r t der Allgemeinverfügung betrifft. Sie ist nämlich offensichtlich auf solche Hoheitsakte abgestellt, die nicht eine (bestimmte) Vielzahl von Fällen, 20 Eine etwaige Analogie zu § 40 p r P V G muß hier schon deshalb außer Betracht bleiben, w e i l diese Vorschrift i n den einschlägigen Entscheidungen überhaupt nicht erwähnt w i r d . 21 Vgl. oben §10. 22 Den einschlägigen Entscheidungen liegt zwar durchweg k e i n klarer u n d festumrissener Fall-Begriff zugrunde. Es k o m m t i n diesem Zusammenhang j e doch lediglich darauf an, daß ein an eine bestimmte Person gerichteter Hoheitsakt i m Sinne der Lehre Thomas stets als Einzelfallregelung angesehen w i r d . Von dieser Auffassung w i r d aber offenbar i n allen Entscheidungen ausgegangen. Vgl. ζ. B. die ausdrückliche Bezugnahme auf Thoma i n den Entscheidungen des w b V G H : VwRspr. 1,110 u n d des O V G Lüneburg: A S 6,267. 23 Vgl. oben § 11 Β I d u n d I I d.

§ 18. Der Begriff der Allgemeinverfügung

171

sondern einen einzigen F a l l regeln, dabei aber eine Vielzahl von Personen betreffen. a) Wie schon oben i m rechtstheoretischen Teil der Untersuchung verschiedentlich angedeutet wurde 2 3 , kommen Hoheitsakte, die sich zur Regelung eines einzigen Falles an eine unbestimmte Vielzahl von Personen wenden, verhältnismäßig häufig vor. Es handelt sich hier insbesondere u m die an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichteten Verbote, die die Vornahme einer einmaligen Handlung untersagen wie ζ. B. das Verbot, ein bestimmtes Plakat abzureißen oder einen unter Naturoder Denkmalsschutz stehenden Gegenstand zu zerstören; daneben um diejenigen Verbote, die auf die Verhinderung eines einmaligen Gesamtverhaltens gerichtet sind, wie ζ. B. das präventive Verbot einer öffentlichen Demonstration oder Versammlung. Solche konkret-generellen Hoheitsakte sind aber nicht auf den Bereich der Verbote beschränkt, sondern kommen auch bei den Geboten vor; es sei hier nur an eine Anordnung wie den bereits mehrfach erörterten Panzergraben-Befehl erinnert. A l l e diese Hoheitsakte haben m i t der erstgenannten A r t der A l l gemeinverfügung gemein, daß sie eine konkrete Regelung enthalten und an eine Vielheit von Personen gerichtet sind; diese Betroffenheit einer Personenvielheit beruht hier aber anders als bei jener nicht darauf, daß auch eine Vielzahl von Fällen geregelt wird, sondern ist eine Folge dessen, daß der eine einzige Fall i n dem Gesamtverhalten eines unbestimmten Personenkreises besteht oder daß irgend jemand aus einer unbestimmten Vielheit als Täter der untersagten einmaligen Handlung in Betracht kommt. Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß auch diese A r t der A l l gemeinverfügung von der Legaldefinition des § 25 VGVO gedeckt w i r d und damit nach geltendem Recht eine Unterart des Verwaltungsaktes darstellt. Da § 25 VGVO allein auf die Einzelfallregelung abstellt, ohne das Moment der Adressierung auch nur zu erwähnen, besteht nicht der geringste Grund für die Annahme, daß solch ein konkret-genereller Hoheitsakt wegen seiner Richtung an einen unbestimmten Personenkreis kein Verwaltungsakt sei und deshalb überhaupt nicht ergehen dürfe 24 . Auch i n der Rechtsprechung ist bisher noch niemals bezweifelt worden, daß es sich bei derartigen Anordnungen u m Verwaltungsakte i m Sinne von § 25 VGVO und damit um Allgemeinverfügungen handelt. b) Wie steht es nun aber i n dieser Hinsicht i m Polizei- bzw. Ordnungsrecht? Können auch hier konkret-generelle Allgemeinverfügungen ergehen, oder müssen diese etwa deshalb als unzulässig angesehen werden, w e i l sich polizeiliche Verfügungen nach § 40 prPVG und den ent24 A l s Verordnung könnte er nicht erlassen werden, w e i l j a das Wesen der Verordnung nach § 25 V G V O gerade i n der Abstraktheit, also der Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Fällen besteht.

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3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

sprechenden Bestimmungen der anderen Polizeigesetze 25 nur an einen „bestimmten Personenkreis" wenden können? Nach dem, was oben i m rechtstheoretischen Teil zum Begriff des bestimmten Personenkreises gesagt wurde 2 6 , müßte die letzte Frage bejaht, eine konkret-generelle Polizeiverfügung m i t h i n als nach den geltenden Polizeigesetzen unzulässig angesehen werden. Es kommt somit auch hier darauf an, ob dieser i n den Legaldefinitionen verwandte Begriff i n seinem rechtstheoretischen Sinne zu verstehen ist oder ob nicht teleologische Gesichtspunkte eine abweichende Auslegung gebieten. Schrifttum und Rechtsprechung bieten für die Beantwortung dieser Frage nur verhältnismäßig wenig Anhaltspunkte. Eine klare und einhellige Meinimg hat sich bislang überraschenderweise noch nicht herausgebildet. Soweit die Rechtsprechung Veranlassung gehabt hat, zum Begriff des bestimmten Personenkreises i m Sinne dieser Legaldefinitionen Stellung zu nehmen, handelte es sich durchweg u m Allgemeinverfügungen der erstgenannten, ihrer Natur nach an einen bestimmten Personenkreis gerichteten A r t 2 7 , so daß hier unser Auslegungsproblem gar nicht auftauchen konnte. Das wissenschaftliche Schrifttum beschränkt sich zumeist auf beiläufige Äußerungen, die zwar überwiegend zu einer Auslegung i m rechtstheoretischen Sinne tendieren, jedoch eine klare und eindeutige Stellungnahme vermissen lassen 28 . Die einzige nähere Erörterung findet sich bei Franzen, der — wie bereits erwähnt wurde — dem Begriff des bestimmten Personenkreises einen je nach der A r t der Anordnung verschiedenen Inhalt beilegt 29 . I m Sinne von § 40 prPVG soll ein bestimmter Personenkreis dann vorliegen, wenn es nach den i n der Polizeiverfügung erwähnten Merkmalen einem dritten Beobachter möglich ist zu entscheiden, ob eine Person als Adressat der Verfügung anzusehen ist 3 0 . Daß der Lehre Franzens i n rechtstheoretischer Hinsicht nicht beigetreten werden kann, wurde bereits erwähnt 3 1 . Aber auch seine Auslegung des § 40 prPVG vermag nicht zu befriedigen, weil hier der bestimmte Personenkreis durch Merkmale definiert wird, die i n aller Regel auch dem unbestimmten Personenkreis zukommen; auch bei diesem w i r d es einem „dritten Beobachter" fast immer möglich sein, an Hand der i n dem Hoheitsakt genannten Merkmale zu entscheiden, ob eine Person von i h m betroffen w i r d oder nicht 3 1 . Indessen verdient 25 26 27

Vgl. oben § 16 Β I A n m . 24. Vgl. oben § 8 B. Vgl. oben § 18 Β I a A n m . 12.

28 Vgl. Friedrichs: PVG §40 Anm. 3; Drews-Lassar: PVG § 40 Anm. 1 d und § 24 Anm. 3; Müller-Heideiber g/Clauss: SOG § 29 Anm. 1 c) aa); v. Tu-

regg: Verwaltungsrecht, S. 291; eindeutig für den rechtstheoretischen stimmtheitsbegriff Drews-Wacke: Polizeirecht, S. 104. 29 Franzen: P V G § 24 Anm. 2 u n d § 40 A n m . 1 ; vgl. auch oben § 8 Β I. 30

31

Franzen, a. a. O., § 40 Anm. 1.

Vgl. oben § 8 Β I.

Be-

§ 18. Der Begriff der Allgemeinverfügung

173

Franzen wenigstens insoweit Zustimmung, als er hervorhebt, daß der Begriff des bestimmten Personenkreises i n § 40 prPVG nicht zu eng ausgelegt werden dürfe 30 , und damit jedenfalls dem Sinne nach darauf aufmerksam macht, daß unumgängliche praktische Bedürfnisse dazu zwingen, diesem Begriff i m Rahmen der positivrechtlichen Legaldefinitionen einen über seine rechtstheoretische Bedeutung hinausgehenden Inhalt beizulegen. Daß eine streng rechtstheoretische Auslegung zu untragbaren Ergebnissen führen würde, w i r d ohne weiteres deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es sich bei der hier i n Rede stehenden konkret-generellen A r t der Allgemeinverfügung vornehmlich u m Anordnungen wie das Verbot, eine alte denkwürdige Tanne zu fällen, oder das präventive Verbot einer öffentlichen Demonstration oder Versammlung handelt. Würde man die genannten Legaldefinitionen i m streng rechtstheoretischen Sinne auslegen, so könnten solche Anordnungen nach den betreffenden Polizeigesetzen überhaupt nicht erlassen werden, da sie weder Verfügungen noch Verordnungen wären: Für das eine fehlte es an dem bestimmten Personenkreis, für das andere an der Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Fällen 3 2 . Es bedarf n u n aber keiner näheren Ausführung, daß ein solches Ergebnis m i t den praktischen Bedürfnissen schlechterdings nicht zu vereinbaren wäre. Wenn die Polizei bzw. Ordnungsverwaltung den ihr gestellten Aufgaben wirklich gerecht werden soll, so muß sie einfach die Möglichkeit haben, eine Demonstration zu untersagen, einer unbestimmten Vielheit von Personen die Zerstörung eines bestimmten Gegenstandes zu verbieten und ähnliche konkret-generelle Anordnungen zu erlassen. M i t anderen Worten: Die Polizei kommt bei der Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben häufig einfach nicht umhin, zur Regelung eines einzigen Falles einen Befehl an eine unbestimmte Vielzahl von Personen zu erlassen. Diesen Gegebenheiten muß eine vernünftige Auslegung des Gesetzes Rechnung tragen 33 . Erwägungen rechtstheoretischer A r t müssen hinter 32 Die Ursache hierfür liegt wieder i n der bereits erwähnten „Lücke i m P V G " (vgl. oben § 16 Β I I a), die — m i t Ausnahme des bay Ρ A G — auch in den neueren Polizeigesetzen nicht geschlossen worden ist. Allerdings hat man hier seinerzeit immer n u r an diejenigen generellen Befehle gedacht, die eine bestimmte Zahl von Fällen regeln, wozu ζ. B. vor allem die Regelung des V e r kehrs i n der Sylvesternacht gerechnet wurde; die Ausschaltung derartiger Maßnahmen mag angehen, da sie zur Not durch eine Verordnung oder durch eine Reihe von Einzelverfügungen ersetzt werden können. Hingegen hat man diejenigen generellen Polizeibefehle, die einen einzigen F a l l regeln, offehbar übersehen oder jedenfalls i n ihrer Eigenart nicht erkannt; derartige Befehle wie ζ. B. das Demonstrationsverbot lassen sich nicht durch irgendwelche andere Maßnahmen ersetzen. 33 Das bay P A G berücksichtigt sie bereits i m Wortlaut, indem es i n A r t . 13 I I I 2 „Anordnungen, die sich i n einem bestimmten F a l l an eine unbestimmte Anzahl von Personen richten", (als Verfügung) ausdrücklich für zulässig erklärt.

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3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

teleologischen Überlegungen zurücktreten, wenn anders sich sinnvolle und praktisch brauchbare Ergebnisse nicht erzielen lassen. Das bedeutet, daß der bestimmte Personenkreis i m Sinne des § 40 prPVG und der insoweit gleichlautenden Legaldefinitionen nicht schlechthin als „bereits bei Erlaß des Hoheitsaktes unveränderlich feststehender Personenkreis" verstanden werden, sondern daß er i n gewissem Umfange auch einen (im rechtstheoretischen Sinne) unbestimmten Personenkreis umfassen kann. Damit stellt sich die Frage, inwieweit es erlaubt ist, eine unbestimmte Vielzahl von Personen als bestimmten Personenkreis i m Sinne der i n Rede stehenden Legaldefinitionen anzusehen; denn daß eine solche Gleichstellung n u r i n engem Rahmen zulässig ist, wenn die vom Gesetz gezogene Grenze nicht völlig verwischt werden soll, liegt auf der Hand 3 4 . Die A n t w o r t ist n u n durch die bisherigen Erörterungen weitgehend vorgezeichnet: Polizeiverfügungen können n u r dann an einen bei ihrem Erlaß noch nicht eindeutig feststehenden Personenkreis ergehen, wenn die Regelung eines einzelnen Falles unvermeidbar i n die Rechtssphäre einer unbestimmten Personenvielheit eingreift; wenn also der generelle Charakter der Verfügung darauf beruht, daß der geregelte F a l l i n dem Gesamtverhalten einer unbestimmten Zahl von Personen besteht oder daß irgend jemand aus einer unbestimmten Vielheit als Täter der untersagten oder anbefohlenen einmaligen Handlung i n Betracht kommt. Ist hingegen die Betroffenheit eines unbestimmten Personenkreises eine Folge dessen, daß eine unbestimmte Vielzahl von Fällen geregelt wird, so kann nur eine Verordnung ergehen. Damit dürfte eine Lösung gefunden sein, die befriedigende praktische Ergebnisse ermöglicht, dabei aber auch m i t dem Gesetz zu vereinbaren ist. Denn es widerspricht weder dem Sinn noch dem Wortlaut des Gesetzes, wenn man den Begriff des bestimmten Personenkreises auf solche (zahlenmäßig unbestimmte) Personenvielheiten erstreckt, die durch ihre Beteiligung an einem einzelnen Fall „bestimmt" sind. Derartige Deutungen sind j a aüch i n der Literatur schon verschiedentlich vorgenommen worden 3 5 . Als Ergebnis kann somit festgestellt werden, daß auch i m Bereiche des Polizeirechts konkret-generelle 3 6 Allgemeinverfügungen ergehen können. 84

Vgl. die K r i t i k an Franzen oben § 8 Β I. Vgl. außer Franzen, a.a.O., z.B. Fleiner: Verwaltungsrecht, S. 186f.; Forsthoff: Verwaltungsrecht, S. 180 und vor allem Wolff , a. a. O., S. 218. Auch Scupin darf w o h l hier genannt werden, wenn er den „durch ein Zusammengehörigkeitsmerkmal bestimmbaren Personenkreis" als möglichen Adressaten der Polizeiverfügimg bezeichnet (Polizeirecht, S. 631). 36 Es w i r d sich hier meist u m solche generellen Verfügungen handeln, die einen einzigen F a l l regeln; ausnahmsweise kommen jedoch auch generelle Verfügungen vor, die mehrere Fälle regeln wie ζ. B. das Verbot von drei bestimmten Demonstrationen. 85

§ 18. Der Begriff der Allgemeinverfügung

175

C. Ergebnis Zusammenfassend läßt sich nunmehr zum Begriff der Allgemeinverfügung folgendes sagen: Das Wesen der Allgemeinverfügung besteht darin, daß sie eine konkrete Regelung enthält, dabei aber an eine Vielheit von Personen gerichtet ist. Die Betroffenheit einer Personenvielheit kann zwei ganz verschiedene Ursachen haben. Sie kann nämlich einmal darauf beruhen, daß die Verfügung nicht einen einzigen Fall, sondern eine bestimmte Vielzahl von Fällen regelt und jeder Fall i n dem Verhalten einer einzelnen Person besteht; die Betroffenheit einer Personenvielheit ist hier lediglich die Folge der Regelung einer Vielzahl von Fällen. Sie kann sich zum anderen aber auch daraus ergeben, daß die Verfügung einen einzigen Fall regelt, dieser aber i n dem Gesamtverhalten einer Personenmehrheit oder i n einem Verhalten besteht, das von irgend jemand aus einer Vielheit von Personen ausgeübt werden kann. Demgemäß lassen sich zwei Arten von Allgemeinverfügungen unterscheiden: Die erste A r t regelt eine bestimmte Vielzahl von Fällen, die jeweils i n dem Verhalten einer einzelnen Person bestehen, und wendet sich deshalb an eine bestimmte Vielzahl von Adressaten. Die andere A r t regelt einen einzigen Fall, greift dabei aber i n die Rechtssphäre einer unbestimmten Vielheit von Personen ein und ist aus diesem Grunde an eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten gerichtet. Beide Arten können als Mischform auftreten dergestalt, daß eine bestimmte Zahl von Fällen der letztgenannten A r t geregelt w i r d ; eine solche Allgemeinverfügung regelt eine bestimmte Zahl von Fällen durch Befehl an eine unbestimmte Zahl von Personen. Beide Arten der Allgemeinverfügung werden sowohl von der Legaldefinition des Verwaltungsaktes i n § 25 VGVO als auch von der der Polizeiverfügung i n § 40 prPVG und den gleichlautenden Bestimmungen der neueren Polizeigesetze erfaßt. Sie sind somit nach geltendem Recht i n gleicherweise zulässig. Die von der Rechtsprechung geforderte Bestimmtheit des Adressatenkreises ist deshalb für die Allgemeinverfügung nicht begriffswesentlich, sondern vermag lediglich als Indiz für das Vorliegen einer konkreten Regelung zu dienen. Die Unterscheidung zwischen den zwei A r t e n der Allgemeinverfügung besitzt demgemäß lediglich Wert für die wissenschaftliche Erkenntnis, ist aber nach positivem Recht ohne praktische Bedeutung, da beide denselben rechtlichen Grundsätzen unterliegen. Es läßt sich deshalb folgender einheitliche Begriff der Allgemein Verfügung aufstellen:

176

3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / K a p .

Eine Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der einen einzelnen Fall oder eine bestimmte Zahl von Fällen regelt und an eine bestimmte oder unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtet ist. § 19.

Der

Rechtscharakter Hoheitsakte

umstrittener

Nach der Klärung des Begriffs der Allgemeinverfügung kann nun an die Untersuchung herangegangen werden, ob es sich bei einer Reihe von i n ihrem Rechtscharakter umstrittenen Hoheitsakten jeweils u m Verordnungen oder um Allgemeinverfügungen handelt 37 . A. Der Rechtscharakter der Verkehrsanordnungen Als erstes sei hier ein Problem erörtert, das trotz seiner außerordentlichen praktischen Bedeutung bislang noch immer keine überzeugende Lösung gefunden hat: der Rechtscharakter der Verkehrszeichen. I. Den Hauptgegenstand des heutigen Meinungsstreits bilden die amtlichen Verkehrszeichen nach §§ 3, 4 StVO. Während sie bzw. die durch sie getroffenen Anordnungen von der fast einhelligen Rechtsprechung 38 und dem überwiegenden Teil der Wissenschaft 39 als Rechtsverordnungen qualifiziert werden, spricht ihnen eine Reihe von Autoren 4 0 den Charak37 Z u den meisten dieser Streitfragen existiert eine reiche Fülle von Rechtsprechung u n d Literatur. Eine eingehende Auseinandersetzung hiermit würde die dieser Untersuchung gezogenen Grenzen bei weitem überschreiten. Es k a n n deshalb jeweils i m wesentlichen n u r der Streitstand aufgezeigt u n d n u r zu den wichtigsten neueren Äußerungen näher Stellung genommen werden. 38 Vgl. r h p f L V G , U r t . v. 12. 10. 1950: VwRspr. 3, 403 = J Z 1951, 372 ff. m i t ablehnender A n m e r k u n g von Bachof; w b V G H , Beschl. v. 7.5.1952: ESVG H 1, 95 ff.; O V G Berlin, U r t . v. 16. 7. 1952: A S 1, 14 ff.; bayObLG, Urt. v. 27. 5. 1952: BayObLGSt 1952, 102; O L G Hamm, Urt. v. 30. 8. 1954: N J W 1954, 1735 u n d Urt. v. 1. 8.1957: N J W 1958, 111; BGH, Beschl. v. 25. 9.1957: BGHSt 11, 11; ebenso w o h l neuestens B V w G , Urt. v. 24. 4. 1958: N J W 1958, 1248 f., wo verkehrsbeschränkende Anordnungen gemäß § 4 I 1, I V StVO auf ihre G ü l tigkeit bzw. Ungültigkeit (und nicht auf ihre Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit!) h i n überprüft werden. 39 Müller: Straßenverkehrsrecht, A n m . 2 zu § 3 StVO (S. 758) u n d A n m . 18

zu §4 StVO (S. 779); Obermayer: Verwaltungsakt, S. 81 f; Müller-Heidelberg/

Clauss: SOG § 15 A n m . 1 (allerdings i n sachlichem Widerspruch zu § 33 A n m . 1 c). Ebenso auch die ältere Literatur, soweit sie sich ohne Bezug auf die StVO m i t derartigen Verkehrsanordnungen befaßt; vgl. Thoma: Polizeibefehl, S. 375 (differenzierend je nachdem, ob ein „vorübergehendes Vorkommnis" den A n laß bildet); Otto Mayer: Verwaltungsrecht I 3 , S. 236 A n m . 13; w o h l auch

Drews-Lassar: PVG § 40 Anm. 1 d. 40

Bachof: J Z 1951, 375; Wolff: Verwaltungsrecht I , S. 223; w o h l auch Vie: DVB1. 1956, 696. I n der älteren L i t e r a t u r w o h l ebenso Franzen: P V G § 40 A n m . 1 („vorübergehende Straßensperrungen") und Laforet: Verwaltungsrecht, S. 235. I n der Rechtsprechung w i r d diese Ansicht lediglich vom h e V G H i m U r t . v. 6.10.1955: E S V G H 6,146 ff. vertreten.

§ 1 9 . Α. Der Rechtscharakter der Verkehrsanordnungen

177

t e r v o n A l l g e m e i n v e r f ü g u n g e n zu. E i n e n ä h e r e B e g r ü n d u n g w i r d i n dessen w e d e r f ü r d i e eine n o c h d i e andere A n s i c h t gegeben. a) D a sich die V e r k e h r s z e i c h e n a n a l l e (zu der j e w e i l s angesprochenen K a t e g o r i e 4 1 gehörenden) V e r k e h r s t e i l n e h m e r w e n d e n , d i e d i e b e t r e f fende S t r a ß e n s t e l l e passieren, s i n d sie u n z w e i f e l h a f t a n eine i m b e s t i m m t e A n z a h l v o n Personen gerichtet 42. I h r e B e u r t e i l u n g k a n n demnach n u r d a v o n abhängen, ob sie e i n e n e i n z e l n e n F a l l oder eine u n b e s t i m m t e V i e l z a h l v o n F ä l l e n regeln. G e r a d e i n diesem entscheidenden P u n k t e lassen s o w o h l die z i t i e r t e n E n t s c h e i d u n g e n als auch d i e a n g e f ü h r t e n A u t o r e n eine n ä h e r e B e g r ü n d u n g v e r m i s s e n 4 3 . Das S c h r i f t t u m g e h t ü b e r diese F r a g e s t i l l s c h w e i g e n d h i n w e g 4 4 , w ä h r e n d es i n d e r e i n g e h e n d s t e n S t e l l u n g n a h m e der Rechtsprechung bezeichnenderweise h e i ß t : „ E s u n t e r l i e g t aber k e i n e m Z w e i f e l u n d b e d a r f k e i n e r n ä h e r e n A u s f ü h r u n g , daß d i e angefochtene A n o r d n u n g gerade n i c h t f ü r e i n e n b e s t i m m t e n E i n z e l f a l l g i l t , s o n d e r n f ü r eine u n a b s e h b a r e Z a h l v o n F ä l l e n u n d f ü r eine n i c h t b e s t i m m t e Z e i t eine a l l g e m e i n e , a b s t r a k t e R e g e l u n g t r i f f t 4 5 ' 4 β . " 41 ζ. Β . Kraftfahrer, Führer von Lastwagen über 5 to, Radfahrer, Fußgänger usw. 42 Anderer Ansicht lediglich der h e V G H a. a. O.; vgl. hierzu oben § 8 Β I A n m . 55. 43 Die Ursache hierfür ist ganz offensichtlich darin zu suchen, daß es auf beiden Seiten an einer klaren Vorstellung darüber fehlt, wodurch der einzelne F a l l eigentlich charakterisiert w i r d . Die Entscheidung w i r d demnach mehr oder weniger ausschließlich aus dem (auf beiden Seiten verschiedenen) Rechtsempfinden hergeleitet. 44 Eine Ausnahme bildet Obermayer, dessen H a l t u n g sich zwangsläufig aus seinem Fall-Begriff (Regelung einer unbestimmten Z a h l von Fällen = rechtliche Betroffenheit einer unbestimmten Z a h l von Personen) ergibt; s. o. § 9 A I . 45 r h p f L V G : VwRspr. 3, 407. Die i n dieser Entscheidung behandelten V e r kehrsbeschränkungen waren zwar zusätzlich auch i m Gesetz- u n d Verordnungsblatt verkündet worden. Dies macht jedoch f ü r die rechtliche Beurteilung keinen Unterschied. 46 Den Versuch einer Begründung u n t e r n i m m t der h e V G H i m U r t . v. 6. 10. 1955 (ESVGH 6, 146 ff.), wo das Verkehrszeichen als Allgemeinverfügung angesprochen w i r d : Das M e r k m a l der Verfügung, die Regelung eines „bestimmten realen Vorkommnisses" (S. 146), sei hier deshalb gegeben, w e i l durch das Verkehrsschild eine „konkrete Gefahrenlage" geregelt werde (S. 147). Diese Gleichsetzung v o n „realem Vorkommnis" u n d „konkreter Gefahrenlage" ist jedoch verfehlt. Zunächst erscheint es zweifelhaft, ob i n bezug auf eine Straße schlechthin, also unter Absehung von den auf i h r sich ergebenden einzelnen Verkehrssituationen, überhaupt v o n einer konkreten Gefahr gesprochen werden kann. Z u m anderen aber k a n n das „reale Vorkommnis" stets n u r i n der einzelnen realen Verkehrssituation, nicht aber i n der bloßen Möglichkeit solcher Situationen erblickt werden. Das erkennt auch der V G H selbst der Sache nach an, w e n n er davon ausgeht (S. 148), daß das Verkehrszeichen nicht eine einzige Verfügung verkörpere, sondern vielmehr an jeden einzelnen von i h m angesprochenen Verkehrsteilnehmer jeweils eine neue, insgesamt also u n bestimmt viele einzelne Verfügungen aussende. Da aber jede dieser Verfügungen begriffsnotwendig einen einzelnen Fall, ein „reales Vorkommnis" regeln muß, hätte gerade diese (zutreffende) Erwägung den V G H konsequenterweise zu der Erkenntnis führen müssen, daß das Verkehrszeichen eben nicht einen einzelnen Fall, sondern eine unbestimmte Vielzahl von Fällen regelt.

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Volkmar

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3. Teil: Allg.

echtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap.

A n dieser Oberflächlichkeit, m i t der beide Ansichten das entscheidende dogmatische Problem behandeln bzw. gerade nicht behandeln, w i r d i n aller Deutlichkeit sichtbar, daß sich eine Frage wie die nach dem Rechtscharakter der Verkehrszeichen überhaupt nur unter Zugrundelegung eines klaren Fall-Begriffs beantworten läßt. N u r wenn feststeht, was eigentlich den einzelnen Fall ausmacht und damit eine Subsumtion unter einen Obersatz möglich ist, kann i n sich folgerichtig entschieden werden, ob die Verkehrszeichen eine abstrakte oder konkrete Regelung enthalten. Der eigene Lösungsversuch muß demnach notwendigerweise von den Ergebnissen ausgehen, die oben i m II. Teil bei der Untersuchung des Fall-Begriffs gefunden wurden. Für die richtige Beurteilung der Verkehrszeichen kommt es m i t h i n darauf an, ob das i n ihnen enthaltene Ge- oder Verbot ein einmaliges 47 oder ein unbestimmt oft wiederholbares Verhalten betrifft. Von diesem Ansatz aus bereitet nun die Lösung des Problems keine besonderen Schwierigkeiten mehr. A l l e n Verkehrszeichen ist gemeinsam, daß sie nicht nur eine einzelne konkrete Verkehrssituation zu regeln bestimmt sind, sondern daß sie für die Dauer ihrer Geltung, d. h. solange sie an der betreffenden Straßenstelle aufgestellt sind, immer wieder von neuem das Verhalten aller durch sie angesprochenen Verkehrsteilnehmer bestimmen, die diese Straße oder Straßenstelle jeweils benutzen oder zu benutzen sich anschicken. Durch das Zeichen „Verkehrsverbot für Fahrzeuge aller A r t " 4 8 ζ. B. w i r d nicht eine einmalige Befahrung der Straße durch ein einzelnes Fahrzeug oder eine Gruppe von Fahrzeugen untersagt, sondern eine unbestimmte Vielzahl von Fahrten, nämlich alle, die sonst während der Geltungsdauer der Anordnung erfolgen könnten; durch das Überholverbot für Kraftfahrzeuge untereinander 49 soll nicht ein bestimmter realer Überholungsvorgang verhindert werden, sondern alle Überholmanöver, die die diese Strecke i n Zukunft befahrenden Fahrzeuge hier vornehmen könnten; das Zeichen „Halt! Vorfahrt achten! 5 0 " soll nicht ein bestimmtes Fahrzeug zum Anhalten veranlassen, sondern jedes einzelne der unbestimmt vielen Fahrzeuge, die sich zukünftig der vorfahrtberechtigten Straße nähern werden usw. A l l e diese Verkehrszeichen regeln m i t h i n nicht ein einmaliges Verhalten und damit einen einzelnen Fall, sondern normieren jeweils ein Verhalten, das so, wie es von den Anordnungen gekennzeichnet wird, unbestimmt 47 Der Kürze des Ausdrucks wegen w i r d hier u n d i m folgenden n u r v o m einmaligen Verhalten gesprochen, obwohl nach den obigen Ausführungen auch die Regelung einer bestimmten Z a h l von Fällen, also eines bestimmt oft w i e derholbaren Verhaltens als konkret anzusehen ist. 48 Anlage zur Straßenverkehrsordnung v. 13. 11. 1937 i. d. F. der Bekanntmachung v. 29. 3.1956, T e i l C, B i l d 11. 49 a. a. O., B i l d 21 b. 50 a. a. O., B i l d 30 a.

§ 19. Α . Der Rechtscharakter der Verkehrsanordnungen

oft geübt werden kann, betreifen also eine unbestimmte Zahl Fällen.

179

von

Die amtlichen Verkehrszeichen besitzen demnach einen abstrakt-generellen Charakter und weisen damit inhaltlich die Merkmale eines allgemeinen Rechtssatzes auf. b) Bedeutet das nun, daß die durch die amtlichen Verkehrszeichen getroffenen Anordnungen i n Übereinstimmung m i t der herrschenden Rechtsprechung als allgemeine Rechtsnormen anzusehen sind? Ehe diese Folgerung gezogen werden kann, bedarf noch eine weitere Frage der Klärung. Wenn die Verkehrszeichen inhaltlich die Struktur von allgemeinen Rechtsnormen besitzen, so könnten sie nur Verordnungen sein 51 . Nun bildet es aber eine gesicherte, i n das positive Recht übergegangene Erkenntnis der verwaltungsrechtlichen Wissenschaft, daß Rechtsverordnungen ordnungsmäßig verkündet, d.h. i n aller Regel i m Gesetzblatt oder einem ähnlichen Publikationsorgan abgedruckt werden müssen 52 . Läßt sich daraus etwa herleiten, daß den i n Rede stehenden Anordnungen allein deshalb kein Verordnungscharakter zukommen kann, weil sie nicht i n einem amtlichen Publikationsorgan verkündet, sondern durch die Aufstellung der amtlichen Zeichen getroffen und bekanntgemacht werden 53 ? Einer solchen Folgerung 54 wäre zunächst entgegenzuhalten, daß bei einem Auseinanderklaffen von Form und Inhalt nicht notwendigerweise die Form für den Rechtscharakter eines Hoheitsaktes maßgebend ist. Diese muß jedenfalls dann hierfür als unbeachtlich angesehen werden, wenn sich sonst ein Widerspruch zum Gesetz ergäbe. Das aber wäre hier der Fall. Denn wenn die Verkehrszeichen keine Verordnungen sind, dann können sie nur Allgemeinverfügungen und damit Verwaltungsakte sein. Das für unsere Fragestellung entscheidende K r i t e r i u m des Verwaltungsaktes besteht aber nach der eindeutigen Legaldefinition des § 25 VGVO darin, daß er einen Einzelfall (bzw. eine Gruppe von Einzelfällen) regelt, während die Verkehrszeichen gerade die Regelung einer 51 Daß sie weder formelle Gesetze noch Satzungen sind — diese Möglichkeiten kämen sonst allein i n Betracht —, bedarf w o h l keines weiteren Wortes. 52 Vgl. statt vieler Forsthoff: Verwaltungsrecht, S. 123 u n d Hans J. Wolff : Verwaltungsrecht I , S. 108; siehe ferner § 35 p r P V G u n d die entsprechenden Bestimmungen i n den an die Stelle des p r P V G getretenen neueren Landesgesetzen sowie das Bundesgesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen v o m 30.1.1950 (BGBl. I , S. 23). 53 Vgl. § 3 I StVO u n d Müller: Straßenverkehrsrecht, A n m . 6 zu § 3 StVO (S. 760). 54 Z u i h r neigt offenbar Bachof: J Z 1951, 375. Seine zusätzliche Berufung auf den allgemeinen Sprachgebrauch ist ohne Beweiskraft, u n d der von i h m außerdem betonte Unterschied i n der Adressierung besteht überhaupt nicht. Sowohl die typische Verordnung als auch das Verkehrszeichen wenden sich an eine unbestimmte, also bei Erlaß der Anordnung noch nicht feststehende Z a h l von Personen.

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3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap.

unbestimmten Vielzahl von Fällen zum Gegenstand haben. Die Verkehrszeichen aus formalen Gründen als Allgemeinverfügungen qualifizieren hieße also, sich bewußt über die klare Legaldefinition der V G V O hinwegsetzen. Würde demnach die Beurteilung der Verkehrszeichen als Allgemeinverfügungen m i t dem Gesetz nicht zu vereinbaren sein, so bereitet es umgekehrt trotz der fehlenden Veröffentlichung i n einem Publikationsorgan keine besonderen Schwierigkeiten, den Rechtscharakter der Zeichen als durch ihren sachlichen Gehalt bestimmt anzusehen. Dies w i r d ohne weiteres deutlich, wenn man einen kurzen Blick auf die frühere Rechtslage vor Erlaß der StVO w i r f t . Nach § 30 Abs. I I I der Verordnung über Kraftfahrzeugverkehr vom 10.5.1932 55 hatten die Verkehrszeichen nämlich lediglich eine rein deklaratorische Bedeutung; die eigentliche Anordnung wurde durch eine förmlich zu verkündende Polizeiverordnung (!) getroffen, auf die durch das Zeichen lediglich hingewiesen wurde 5 6 . Demgegenüber werden die entsprechenden Anordnungen nach den heutigen § § 3 Abs. 1 und 4 Abs. 4 StVO ausschließlich „durch" die Verkehrszeichen selbst getroffen, so daß diesen nimmehr eine konstitutive Bedeutung zukommt 5 7 . Diese Gesetzesänderung kann n u n zwei verschiedene, einander ausschließende Ursachen haben: Entweder hat sich die Vorstellung des Gesetzgebers vom Rechtscharakter der Verkehrsanordnungen gewandelt derart, daß er sie nicht mehr als allgemeine Rechtsnormen, sondern als Verwaltungsakte ansieht; oder aber er hat unbeschadet der bisherigen rechtlichen Beurteilung lediglich eine besondere Form ihrer Bekanntgabe, ihrer Verkündimg schaffen wollen. Die erste Möglichkeit muß außer Betracht bleiben. Es liegen nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür vor, daß sich die Ansicht des Gesetzgebers i n diesem Punkte grundlegend geändert hätte. Eine solche A n nahme wäre eine durch nichts begründete Unterstellung. Sie w i r d demgemäß i m Schrifttum nicht einmal von denjenigen Autoren zugrunde gelegt, die die Verkehrszeichen als Allgemeinverfügung ansprechen. Damit bleibt nur die zweite Möglichkeit bestehen. Es ist auch kein Grund ersichtlich, der den Gesetzgeber daran hätte hindern können, hinsichtlich der Verkehrsanordnungen vom Grundsatz der Verkündung i n einem Publikationsorgan abzuweichen und eine besondere, den speziellen sachlichen Gegebenheiten angepaßte Form der Bekanntmachung vorzusehen. Denn die Verkündungsform des Abdrucks i m Gesetzblatt oder einem ähnlichen Organ ist kein Selbstzweck, sondern dient lediglich da55

RGBl. I, S. 201. Vgl. auch Müller: (S. 758 f.). 56

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Straßenverkehrsrecht, A n m . 2 u n d 4 zu §3 StVO

Vgl. Müller, a. a. O., Anm. 6 zu § 3 StVO (S. 760); Bachof, a. a. O.; bayOb-

L G S t 1952,103; BGHSt 11,9.

§ 19. Α. Der Rechtscharakter der Verkehrsanordnungen

181

zu, den von der Verordnung Betroffenen die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen 58 . Es steht dem Gesetzgeber daher frei, für bestimmte A r t e n von Verordnungen eine andere Publikationsform zu bestimmen, sofern n u r gewährleistet bleibt, daß die Norm hinreichend bekannt w i r d 5 9 . Dieser Erfolg w i r d aber bei den Verkehrsanordnungen durch die Aufstellung der amtlichen Zeichen i n weit höherem Maße erzielt als durch die übliche Verkündungsform. Weitaus deutlicher und unmittelbarer, als es eine förmlich verkündete Verordnung t u n könnte, sagen die Zeichen den angesprochenen Verkehrsteilnehmern, wie sie sich auf der betreffenden Straße oder an der betreffenden Straßenstelle zu verhalten haben. Aus diesem Grunde muß te j a auch schon nach früherem Recht durch die Verkehrszeichen auf die eigentliche Verordnung, die einem großen Teil ihrer Adressaten gar nicht bekannt sein konnte 0 0 , hingewiesen werden. Daran w i r d aber i n aller Deutlichkeit offenbar, daß es für die praktische Wirksamkeit der Verkehrsanordnungen bereits nach früherem Recht letztlich nicht auf die förmliche Verkündung des Verordnungstextes, sondern auf die Aufstellung der amtlichen Zeichen ankam und rein von der Sache her auch allein hierauf ankommen kann. Es erscheint daher durchaus folgerichtig und lebensnah, daß der Gesetzgeber aus diesen Gegebenheiten die Konsequenzen gezogen und auf das Erfordernis der — i n der Sache letzten Endes „leerlaufenden" — förmlichen Verkündung eines Verordnungstextes überhaupt verzichtet hat 6 1 . Die §§ 3 I, 4 I V StVO müssen deshalb i n Übereinstimmung m i t der bisher schon herrschenden Ansicht 6 2 als eine bundesrechtliche Sonder58 Vgl. auch BVwG, Beschl. v. 21. 5. 1957: DVB1. 1957, 536: „Der Zweck der Veröffentlichung ist allein der, dem Bürger zur Kenntnis zu bringen, was für i h n verbindlich sein soll." 59 So ausdrücklich Werner i n der zustimmenden Anmerkimg zu dem vorgenannten Beschluß des BVwG, a. a. O., S. 537. Ebenso w o h l auch Wolff , a. a. Ο., S. 108: „Die Verkündung darf nicht beliebig, z.B. durch Rundfunk, erfolgen, sondern muß i n der durch objektives Recht (ggf. Gewohnheitsrecht) vorgeschriebenen Form geschehen." 80 M a n denke etwa an den Durchgangsverkehr i n einer kleinen Ortschaft oder an die auswärtigen Verkehrsteilnehmer i n einer Großstadt. 61 Inwiefern durch diese bloße Änderung der Verkündungsform der Rechtscharakter der Verkehrsanordnungen hätte berührt werden können, wie Bachof, a. a. O., anzunehmen scheint, ist nicht ersichtlich. I m übrigen hätte die Annahme, die bloße Aufstellung der amtlichen Zeichen sei für die rechtssatzmäßige Publikation der Verkehrsanordnungen nicht ausreichend, lediglich zur Folge, daß die §§ 3 I u. 4 I V StVO wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz der gehörigen Publikation einer Norm ungültig wären, nicht aber, daß die Verkehrsanordnungen deshalb als Allgemeinverfügungen anzusprechen wären; vgl. B V w G : DVB1.1957, 536. 62 Vgl. Müller, a. a. O., Anm. 6 zu § 3 StVO (S. 760) und Anm. 8 u. 19 zu § 4 StVO (S. 776 u. 779); Obermayer: Verwaltungsakt, S. 82; bayObLG, a. a. O., S. 103; die oben § 19 A I A n m . 38 zitierten Entscheidungen gehen stillschweigend von derselben Auffassung aus; das r h p f L V G (a. a. O., S. 407) läßt die Frage wegen mangelnder Entscheidungserheblichkeit offen, neigt aber offenbar ebenfalls zu ihrer Bejahung.

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3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

regelung für den Erlaß von abstrakt-generellen Anordnungen auf dem Gebiete des Verkehrsrechts angesehen werden, die die Anwendung der sonst zu beachtenden (landesrechtlichen) Formvorschriften ausschließt 63 . Daß der Reichs- bzw. Bundesgesetzgeber zu einer solchen Durchbrechung landesrechtlicher Grundsätze i n der Lage war, kann keinem Zweifel unterliegen 64 . c) Zusammenfassend kann demnach insoweit i n Übereinstimmung mit der herrschenden Ansicht festgestellt werden, daß den nach §§ 3 und 4 StVO durch die amtlichen Verkehrszeichen getroffenen Anordnungen nicht der Charakter von Allgemeinverfügungen, sondern der von abstrakt-generellen Rechtssätzen und damit von Rechtsverordnungen zukommt. II. Anschließend müssen w i r uns nun noch kurz m i t der Verkehrsregelung durch Polizeibeamte und Farbzeichen nach §§ 2, 2a StVO befassen. Der einfachste Fall ist hier der, daß ein einzelnes Fahrzeug von einem Polizeibeamten angehalten wird. Das ist ganz sicherlich ein Verwaltungsakt, denn der Befehl gebietet ein einmaliges Verhalten, regelt also einen einzelnen Fall. Ähnlich liegt es, wenn durch einen Beamten oder durch ein Farbzeichen (Ampel) einer zahlenmäßig bestimmten Gruppe von Fahrzeugen bzw. Verkehrsteilnehmern ein bestimmter Befehl, etwa zum Anhalten oder zum Weiterfahren erteilt wird. Hier handelt es sich u m eine Allgemeinverfügung, w e i l sich der Befehl an einen bestimmten Adressatenkreis richtet und eine bestimmte Zahl von Fällen regelt. Wie steht es n u n aber, wenn ein Farbzeichen oder das Zeichen eines Beamten für längere Zeit gegeben wird, so daß der davon betroffene Adressatenkreis beim „Erlaß" des Zeichens noch nicht abschließend feststeht, w e i l sich während seiner Dauer noch unbestimmt viele andere Verkehrsteilnehmer der betreff enden Straßenstelle nähern können? Liegt hier etwa aus diesem Grunde eine abstrakt-generelle Anordnung vor? Und wenn ja, wo verläuft dann die Grenze, bei deren Überschreitung der Verwaltungsakt i n eine Rechtsnorm umschlägt? „Hier scheint uns ein schier unlösbares Problem aufgegeben zu sein", bemerkt Obermayer 65 zu diesen Fragen 66 . Zugleich zeigt er aber den Weg zu einer brauchbaren Lösung auf. Obermayer weist zutreffend dar63 Das gilt auch für § 58 p r P V G u n d die Parallelvorschriften der neuen Polizeigesetze, da die §§ 3 I, 4 I V StVO dem hier ausdrücklich getroffenen V o r behalt zugunsten einer anderweitigen gesetzlichen Regelung unterfallen. 64 F ü r das heutige Recht ergibt sich das schon eindeutig aus A r t . 31 GG; vgl. auch Müller, a. a. O., A n m . 19 zu § 4 StVO (S. 779).

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Obermayer: Verwaltungsakt, S. 82.

Die Rechtsprechung hat bisher keine Veranlassung gehabt, sich hiermit auseinanderzusetzen.

§ 19. Α . Der Rechtscharakter der

Verkehrsanordnungen183

auf hin, daß zwischen den amtlichen Verkehrszeichen und der Verkehrsregelung durch Polizeibeamte und Farbzeichen ein ganz grundlegender Unterschied bestehe: Die durch die amtlichen Verkehrszeichen getroffenen Anordnungen seien Maßnahmen, die m i t der Aufstellung der Zeichen abgeschlossen, „erlassen" seien; die Zeichen der Polizeibeamten und Verkehrsampeln hingegen seien mangels irgendeines förmlichen Verfahrens noch nicht i n dem Augenblick, i n dem der Beamte die Hand erhebt oder das rote Licht zu leuchten beginnt, i n sich abgeschlossen. Es sei vielmehr ohne weiteres möglich, i n der erhobenen Hand oder dem roten Licht eine ständige Wiederholung des Haltegebotes gegenüber jedem neu herankommenden Verkehrsteilnehmer zu sehen. „Stellen w i r uns vor, die Haltezeichen würden — ohne Einschieben anderer . . . Zeichen — immer wieder auf kurze Augenblicke unterbrochen, so könnte niemand bezweifeln, daß eine Folge von Verwaltungsakten (Allgemeinverfügungen) gegeben wäre. . . . Auch wenn n u n diese gedachten Unterbrechungen fehlen, so hindert uns nichts daran, die Haltezeichen bei längerer Dauer als eine aufeinanderfolgende Reihe von Verwaltungsakten (Allgemeinverfügungen) anzusehen, die immer wieder zur Kenntnis der jeweils betroffenen Personengruppen gelangen 67 ." Diese Ausführungen Obermayers dürften zutreffen. Seine Konstruktion erscheint daher als durchaus gangbarer Weg, auf dem sich der Problematik der Frage beikommen läßt, so daß ihr ohne Bedenken zugestimmt werden kann. Die Verkehrsregelungen durch Polizeibeamte und Farbzeichen sind demnach auch unter Zugrundelegung des hier entwickelten Fall-Begriffs ausnahmslos als Verwaltungsakte (Einzel- oder Allgemeinverfügungen) zu qualifizieren. I I I . I m Zusammenhang m i t den Verkehrsanordnungen ist hier noch kurz auf eine andere A r t von Hoheitsakten einzugehen, die ihrem Wesen nach mit jenen eine weitgehende Ähnlichkeit besitzen, insofern auch sie Befehle für das Verhalten an bestimmten Orten zum Inhalt haben. Als typische Beispiele seien die Verbote, i n einem bestimmten Teich zu baden oder i n einer bestimmten Grube Schutt abzuladen, genannt. Derartige Befehle weisen sachlich die gleiche Struktur auf wie die Verkehrsanordnungen. Sie sind an eine unbestimmte Zahl von Personen gerichtet, und sie regeln ebenfalls eine unbestimmte Anzahl von Fällen. Denn das von ihnen verbotene Verhalten ist so, wie es von ihnen gekennzeichnet w i r d — Schutt abzuladen oder i m Teich zu baden — nicht einmalig, sondern unbestimmt oft wiederholbar. Derartige Hoheitsakte sind deshalb abstrakt-generelle Anordnungen, tragen also ungeachtet 67

Obermayer y a. a. O., S. 82.

184

3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

ihrer Beschränkung auf einen bestimmten Ort 8 8 Verordnungscharakter 69 . Damit stellt sich die Frage nach der Form ihres Erlasses. I n der Praxis werden solche Anordnungen vielfach durch die Aufstellung beschrifteter Schilder 70 getroffen. Es fragt sich jedoch, ob das möglich ist oder ob es hier nicht vielmehr des Erlasses einer förmlichen Verordnung bedarf, auf die durch die Schilder lediglich hingewiesen wird. I n diesem Punkte zeigt sich nun ein wesentlicher Unterschied gegenüber den amtlichen Verkehrszeichen. Bei diesen ist die Verkündung einer förmlichen Verordnung deshalb entbehrlich, weil die i n den §§ 3, 4 StVO enthaltene bundesgesetzliche Sonderregelung die Anwendung der landesrechtlichen Formvorschriften ausschließt. Für die jetzt hier i n Rede stehenden Anordnungen hingegen gibt es eine solche Sonderregelung nicht. Sie unterliegen daher den allgemeinen Grundsätzen über den Erlaß und die Verkündung von Rechtsverordnungen. Das bedeutet, daß ζ. B. ein Badeverbot, das lediglich durch Aufstellung eines Schildes getroffen wird, aus formellen Gründen unwirksam ist. Es kann vielmehr nur i m Wege einer förmlichen Verordnung erlassen werden, auf die zweckmäßigerweise durch die Anbringung von Schildern hinzuweisen ist 71 . B. Der Rechtscharakter des Fluchtlinien-

bzw. Bebauungsplanes

Ein anderer Hoheitsakt, dessen Qualifizierung als Verordnung oder Verwaltungsakt (Allgemeinverfügung) Wissenschaft und Rechtsprechung seit langer Zeit erhebliche Schwierigkeiten bereitet, ist der Fluchtlinien- bzw. Bebauungsplan. I. Das preußische OVG vertrat i n ständiger Rechtsprechung die Auffassung, der Fluchtlinienplan schaffe örtliches öffentliches Baurecht, sei also nicht Verwaltungsakt, sondern allgemeine Rechtsnorm 72 . Diese 68 69

Vgl. oben § 10 Β B B I b u n d § 11 Β I I c A n m . 176. So für das Badeverbot ausdrücklich auch Müller-Heidelb

SOG § 15 Anm. 1; im Ergebnis ebenso Rietdorf:

er g/Clauss:

OBG § 20 Anm. 2 und Drews-

Wacke: Polizeirecht, S. 104. — Nach S cupin (Polizeirecht, S. 632) läßt sich eine solche Anordnung, sofern sie einfach durch Aufstellung eines Schildes getroffen w i r d , nicht als Polizeiverordnung ansprechen, „ w e i l sie deren bindenden Formbestimmungen u n d anderen Merkmalen nicht entspricht, aber auch k a u m als Allgemeinverfügung, w e i l der Kreis der Betroffenen trotz eines gewissen Zusammengehörigkeitsmerkmals nicht bestimmbar ist". Scupin w i l l solche A n ordnungen deshalb offenbar dem § 58 p r P V G bzw. den entsprechenden Bestimmungen der anderen Polizeigesetze unterstellen. Dem k a n n jedoch nicht gefolgt werden, w e i l diese Anordnungen nicht „auf Grund eines besonderen Reichs-(Bundes-) oder Landesgesetzes" erlassen werden. I m übrigen müßten sie selbst dann als „allgemeinverbindliche Vorschriften" i m Sinne von § 58 Abs. b) angesprochen u n d deshalb gemäß § 35 p r P V G gleich einer Polizeiverordnung förmlich verkündet werden. 70 Baden verboten! Schutt abladen verboten! usw. 71 Vgl. A n m . 69.

§ 19. Β. Der Rechtscharakter des Fluchtlinien- bzw. Bebauungsplanes 185

Judikatur wurde nach dem Kriege von der überwiegenden Mehrheit der Verwaltungsgerichte fortgeführt 73 . Das B V w G ist ihr i n den grundlegenden Entscheidungen vom 3.5.1956 74 , die es i m Beschluß vom 21. 5.1957 75 gegen zwischenzeitliche Angriffe der Wissenschaft ausdrücklich bestätigt hat, i m Ergebnis beigetreten und hat hierbei auch die Gefolgschaft des B G H 7 6 gefunden. Damit dürfte die Frage für die Rechtsprechung eine abschließende Antwort erfahren haben 77 . Für die Wissenschaft freilich scheint die Diskussion durch die Begründung, die das B V w G für seine Ansicht anführt, i n ein neues Stadium getreten zu sein. a) Das B V w G geht davon aus 78 , daß sich für die Frage nach dem Rechtscharakter des Fluchtlinienplanes weder vom betroffenen Personenkreis noch vom Gegenstand der Regelung her eine Entscheidung gewinnen lasse. Je nachdem, ob der Plan eine Vielzahl von Grundstücken betreffe oder auf einige wenige oder gar auf ein einzelnes Grundstück beschränkt sei, könne er an Hand dieser Merkmale als allgemeine Rechtsnorm oder als Verwaltungsakt angesprochen werden. Es müsse deshalb auf den Sinn und Zweck des Begriffs des Verwaltungsaktes zurückgegangen und untersucht werden, ob der m i t der Verwendung dieses Begriffs durch den Gesetzgeber gemeinte Sachverhalt beim Fluchtlinienplan tatsächlich gegeben sei 79 . Für die Zweckbestimmung des Begriffs des Verwaltungsaktes i m Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit sei das Rechtsschutzinteresse des Bürgers wesentlich. Von diesem Gesichtspunkt aus sei es nicht erforderlich, den Fluchtlinienplan als Verwaltungsakt anzusehen, vielmehr gerechtfertigt, ihn als ortsrechtliche Norm zu betrachten. Denn der Fluchtlinien-bzw. Bebauungsplan habe die Rechtswirkung, daß die Bebaubarkeit des Grundstücks beschränkt und 72

Vgl. p r O V G 25, 390; 57, 479; 61, 387; 68, 437. Vgl. die Übersicht i n B V w G E 3, 260 f.; hier auch Hinweise auf den Streitstand i m Schrifttum. 74 B V w G E 3, 258 ff. für den Ortsbau- bzw. Bebauungsplan nach w ü r t t e m b e r gischem Recht und B V w G E 3, 265 ( = N J W 1956, 1849 m i t A n m . v. Obermayer) für den Fluchtlinienplan nach dem prFluchtlG; die beiden Urteile stimmen i n der tragenden Begründung fast wörtlich überein. F ü r den Baulinienplan nach der bayerischen Bauordnung abweichend B V w G E 4, 68 f. unter Berufung auf die besondere verfahrensmäßige Ausgestaltung des bayerischen Β aulinien Verfahrens. 75 N J W 1957,1083 f. = DVB1.1957, 535 ff. m i t A n m . v. Werner. 78 Urt. v. 17.10.1956: B G H Z 22, 32 ff. 77 Der w b V G H hat allerdings inzwischen i m Beschluß v. 8. 5. 1957 (ESVGH 6, 200 ff.) dem B V w G für den Bereich des württembergischen Rechts die Gefolgschaft verweigert und aus vorwiegend landesrechtlichen sowie Rechtsschutzerwägungen an der Auffassung festgehalten, daß der Bebauungsplan nach dem wbAufbauG i m Regierungsbezirk Nordwürttemberg jedenfalls verfahrensrechtlich wie ein Verwaltungsakt zu behandeln sei. Hiergegen eingehend Grauvogel: Zentral- und Randprobleme zur Rechtsnatur gemeindlicher Bebauungspläne und zur Revisibilität dieser Fragen, DVB1. 1958, 73—83; siehe hierzu auch unten I I a Anm. 98. 78 B V w G E 3, 261. 79 a. a. O., S. 262. 73

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3. Teil: A l l g .

echtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap.

nach dem Plan i n die Straßen fallende Flächen enteignet werden könnten. Er sei den Betroffenen gegenüber nicht unmittelbar wirksam, sondern bilde nur die Rechtsgrundlage für spätere Baugenehmigungs- und Enteignungsverfahren. Werde i n diesen Verfahren i n die Rechte des einzelnen eingegriffen, so habe dieser die Möglichkeit, alle Einwendungen gegen den Plan vorzubringen, die i h m i n einem gesondert gegen den Plan zulässigen Verwaltungsstreitverfahren offenstünden. Ergebe sich dann bei der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung des Baubescheides oder der Enteignungsverfügung, daß der der angefochtenen Verfügung zugrunde liegende Plan unwirksam sei, so müßten die angefochtenen Verfügungen als rechtswidrig aufgehoben werden, die bezeichneten Wirkungen des Fluchtlinienplanes würden dann also den Betroffenen gegenüber nicht wirksam werden 80 . b) Die Deduktion des B V w G hat i m Schrifttum heftigen Widerspruch erfahren. 1. Unter Anerkennung des vom B V w G gefundenen Ergebnisses wendet sich Obermayer 81 gegen den Ansatz seiner Beweisführung. Er meint, die Einordnung einer Maßnahme i n diese oder jene Kategorie von Hoheitsakten dürfe nicht davon abhängen, ob sie unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes erforderlich sei. Eine solche Erwägung könne zwar für die Formung eines Rechtsbegriffs und die Festlegung seiner allgemeinen Merkmale maßgebend sein. Die Frage aber, ob ein bestimmter A k t von einem Begriff erfaßt werde, lasse sich nur i n der Weise lösen, daß man das Vorliegen der dem Begriff zugehörigen Kriterien prüfe. Diese Prüfung ergebe hier, daß dem Fluchtlinienplan — ungeachtet seiner landesrechtlichen Ausgestaltung i m einzelnen — der Charakter einer Rechtsnorm zukomme. Denn entscheidend sei, daß sich nach dem Erlaß bei jedem Baubewerber das Gebot konkretisiere, bei Errichtung eines Bauwerks die festgesetzten Linien zu beachten. Damit entfalte der Fluchtlinienplan als Rechtsnorm eine W i r k u n g gegenüber einem unbestimmten Personenkreis 82 . Demgegenüber komme der verfahrensmäßigen Ausgestaltung des Planverfahrens, die vom B V w G als grundsätzliches Indiz für das Vorliegen einer Rechtsnorm gewertet werde, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Ebensowenig könne es auf die Zahl der von dem Plan betroffenen Grundstücke ankommen. Die Festsetzung des Planes für wenige oder für ein einziges Grundstück 80

Das B V w G legt dann dar, daß demgemäß auch der noch i m Planverfahren begriffene Planentwurf kein Verwaltungsakt, sondern i m Werden begriffenes Ortsrecht sei, da sich die Rechtswirkungen des Planentwurfs lediglich i m U m fang, nicht aber i h r e m Wesen nach von denen des förmlich festgestellten Planes unterschieden (S. 262 f.). 81 Urteilsanmerkung N J W 1956,1849 ff. 82 Ebenso schon i n : Verwaltungsakt, S. 80 m i t weiteren Literaturnachweisen.

§ 19. Β . Der Rechtscharakter des Fluchtlinien- bzw. Bebauungsplanes 187

könne i h m seinen normativen Gehalt nicht nehmen; es könne ja auch ein einziges, räumlich sehr begrenztes Naturdenkmal durch eine Rechtsnorm unter Schutz gestellt werden mit der Folge, daß seine Beeinträchtigung jedermann — jetzt und späterhin — verboten sei. 2. Über Obermayer hinausgehend hat Forsthoff 83 nicht nur die Begründung, sondern vor allem auch das Ergebnis der Entscheidung des B V w G einer ausführlichen K r i t i k unterzogen. Forsthoff geht davon aus 84 , daß der Bebauungsplan i m heutigen Sinne seinem eigentlichen Wesen nach weder Rechtsverordnung noch Verwaltungsakt, sondern ein aliud, ein Rechtsinstitut völlig sui generis sei, das außerhalb der Handlungsformen des Rechtsstaates stehe. Er sei kein Gesetz, w e i l er keine generellen und abstrakten Festlegungen enthalte, sondern konkret sei, nämlich genau und zweifelsfrei über jeden Quadratmeter der Planungsfläche verbindlich verfüge. Gleichwohl sei der Bebauungsplan kein Verwaltungsakt, da es nicht sein Sinn sei, nur konkrete Rechtsverhältnisse zwischen Bürger und Verwaltung zu regeln; Funktion und Zielsetzung des Planes gingen vielmehr über die individuellen Rechtsverhältnisse hinaus 85 . Dieser allgemeinen Feststellung ungeachtet müsse der Plan jedoch i n die bestehende Formtypik rechtsstaatlichen Handelns, wie sie m i t den Begriffen Norm und Verwaltungsakt gekennzeichnet sei, eingeordnet werden 86 . Dabei falle entscheidend ins Gewicht, daß die Qualifizierung der Fluchtlinienfestsetzung und des Bebauungsplanes als Norm ein der Normsetzung adäquates Verfahren voraussetze, also die Beschlußfassung durch ein zur Normsetzung befugtes Organ und die Verkündung. Denn es gebe keine Norm, die nicht verkündet, d. h. i n gehöriger Weise der Öffentlichkeit mitgeteilt worden sei. Derartige Pläne aber würden ihrer Eigenart gemäß nicht verkündet, sondern ausgelegt, und nur die Auslegung werde öffentlich bekanntgemacht. Der Auffassung des BVwG, dieses Verfahren lasse auf den normativen Charakter des Planes schließen, könne nicht gefolgt werden, da bei Normsetzungen ausnahmslos auf die gehörige Verkündung nicht verzichtet werden könne und die 83 84

Forsthoff:

DVB1.1957,113 ff.

a. a. O., S. 114. 85 Es sei schon hier darauf hingewiesen, daß der i n diesen Thesen liegende Widerspruch — der Plan sei konkret u n d deshalb k e i n Gesetz, aber gleichwohl kein Verwaltungsakt — seine Ursache offenbar i n einer mangelnden K l a r h e i t der i n Rede stehenden Begriffe findet. Diese t r i t t bereits i n der v o n Forsthoff gegebenen Definition zu Tage (S. 113): „Deshalb ist das rechtsstaatliche Gesetz generelle, abstrakte Norm. Generell, das heißt: allgemeine Tatbestände regelnd, nicht gegen einzelne, bestimmte I n d i v i d u e n gerichtet; abstrakt, das heißt: nicht aus gegebenem Anlaß ergangen u n d nicht auf ein konkretes Sachverhältnis bezogen." Hier werden i m Begriffe des Generellen Fallregelung u n d Adressierung miteinander vermengt, während das Abstrakte praktisch als „nicht k o n k r e t " umschrieben w i r d . 86 a. a. O., S. 117.

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3. T e i l : A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / K a p .

öffentlich bekanntgemachte Planauslegung keine gehörige Verkündung sei. Wenn aber der Fluchtlinien- und Bebauungsplan aus den dargelegten Gründen keine Norm sei, so biete sich seine Qualifizierung als Verwaltungsakt an. Der Schritt von der Norm zum Verwaltungsakt sei zwangsläufig. Auch unterliege die Ansicht des BVwG, daß unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes keine Veranlassung bestehe, den Bebauungsplan als Verwaltungsakt anzuerkennen, erheblichen Bedenken. Denn die benachteiligende Wirkung eines Bebauungsplanes trete nicht erst m i t der späteren Ablehnung eines Baugesuches ein, sondern sofort, da der Grundstückswert entscheidend durch die Bebaubarkeit bestimmt werde 87 . Deshalb trete m i t dem ablehnenden Bescheid keine zusätzliche Beschwer des Antragstellers über das m i t dem Bebauungsplan als rechtens Festgestellte hinaus ein 88 . Die Bebauungs- und Fluchtlinienpläne seien demnach i m System unseres Rechtsschutzes als Verwaltungsakte zu behandeln 89 . Dieses Ergebnis führe zwar zu mißlichen Folgerungen für die Bauplanung, da der einzelne durch das m i t dem Suspensiveffekt ausgestattete förmliche Rechtsmittel die Rechtsmacht habe, nicht nur die i h n betreffenden Festsetzungen anzugreifen, sondern sich dem gesamten Bebauungsplan entgegenzustellen und damit eine weit über den Bereich seiner schutzwürdigen Interessen hinausgreifende Rechtsw i r k u n g hervorzubringen. Diese Konsequenz sei aber nicht zu vermeiden 90 . Denn die Schwierigkeiten, die die Qualifizierung des Bebauungsplanes aufgebe, seien so grundsätzlicher A r t wie nur möglich, beruhten nämlich auf der Inkongruenz zwischen Plan und rechtsstaatlicher Formtypik und könnten deshalb nur durch den Gesetzgeber selbst aus der Welt geschafft werden. II. Das Bemerkenswerte sowohl an der Beweisführung des B V w G als auch an der Argumentation Forsthoffs liegt darin, daß beide davon ausgehen, dem Rechtscharakter des Fluchtlinien- bzw. Bebauungsplanes sei auf dem üblichen Wege der Prüfung, ob er die materiellen Begriffsmerkmale des Verwaltungsaktes oder der allgemeinen Rechtsnorm erfülle, nicht beizukommen. Das B V w G meint, daß sich sowohl unter dem Gesichtspunkt des betroffenen Personenkreises als auch dem der Fallregelung (des „Gegenstandes der Regelung") unterschiedliche Resultate 87

a. a. O., S. 116. Forsthoff f ü h r t dann aus (S. 117), die Rechtsprechung des B V w G trage die Gefahr i n sich, daß sie den subsidiären Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten eröffne. Denn es sei unbezweifelbar, daß die Aufstellung von Bebauungsplänen unter der Rechtsweggarantie des A r t . 19 I V GG stehe. Das sei ebenfalls ein wichtiges Argument dafür, dem Plan den Rechtscharakter des Verwaltungsakts zuzuerkennen. 89 a. a. O., S. 117. 90 a. a. O., S. 118. Eine gewisse A b h i l f e biete allerdings die Anordnung der Vollziehbarkeit nach § 51 V G G u n d § 51 VGVO. 88

§ 19. Β . Der Rechtscharakter des Fluchtlinien- bzw. Bebauungsplanes 189

ergäben je nachdem, ob sich der Plan auf viele oder nur auf einige wenige Grundstücke beziehe 91 . Und Forsthoff ist der Ansicht, der Plan sei weder Verordnung noch Verwaltungsakt, sondern ein aliud, da er weder generelle und abstrakte Festlegungen enthalte noch andererseits nur konkrete Rechtsverhältnisse regele 92 . Die eigene Stellungnahme muß demgemäß an diesem Punkte ansetzen und von der Prüfung ausgehen, ob sich der Fluchtlinienplan tatsächlich einer eindeutigen Qualifizierung als abstrakt-generelle Norm oder als konkreter Einzelakt entzieht; denn nur dann wäre, wie Obermayer m i t Recht betont 93 , Raum für die Überlegung, ob er aus Gründen seiner verfahrensmäßigen Ausgestaltung oder unter dem teleologischen Gesichtspunkte des Rechtsschutzes wie ein Verwaltungsakt oder wie eine allgemeine Rechtsnorm zu behandeln sei. Dabei sei vorweg daran erinnert, daß nach dem Ergebnis unserer rechtstheoretischen Untersuchung jeder Hoheitsakt entweder abstrakt oder konkret ist; eine dritte Möglichkeit gibt es nicht, weder derart, daß ein Hoheitsakt weder abstrakt noch konkret ist, noch i n dem Sinne, daß er sowohl eine bestimmte als auch eine unbestimmte Zahl von Fällen regelt. Die These Forsthoffs, der Plan sei ein Rechtsinstitut völlig sui generis, erscheint also von vornherein fragwürdig. a) Eine nähere Nachprüfung führt denn auch zu dem Ergebnis, daß der Fluchtlinien- und Bebauungsplan tatsächlich eine abstrakt-generelle Struktur aufweist. Der generelle Charakter ergibt sich ohne weiteres daraus, daß der Plan „alle gegenwärtigen und zukünftigen Eigentümer, Pächter und sonstigen Nutzungsberechtigten" betrifft, „ m i t anderen Worten alle, die i n der meist beträchtlichen Zeit der Gültigkeit des Bebauungsplanes i n irgendeine Rechtsbeziehung zu den von dem Plan umfaßten Grundstücken treten, konkret also heute nicht feststellbar sind" 9 4 . Der Plan betrifft aber nicht nur eine unbestimmte Zahl von Personen, sondern regelt auch eine unbestimmte Zahl von Fällen, wie sich selbst aus den Ausführungen des B V w G ergibt. „Der Fluchtlinienplan nach dem pr.FluchtlG hat die Rechtswirkung, daß die Bebaubarkeit des Grundstücks beschränkt und nach dem Plan i n die Straßen fallende Flächen enteignet werden können 95 ." Er begründet also für alle als Straßengelände, Grünflächen oder i n sonstiger Weise nicht als Baugebiet ausgewiesenen Grundstücke ein allgemeines Bauverbot und untersagt damit ein Verhalten, daß nach der A r t seiner Kennzeichnung — das Bauen auf diesen Grundstücken — nicht nur einmal, sondern unbestimmt 91

Vgl. B V w G E 3, 261 und oben I a (S. 185). Vgl. oben l b 2. 93 Vgl. oben I b i . 94 B V w G a. a. O., S. 261. 95 B V w G N J W 1956, 1851; entsprechendes gilt für den Bebauungsplan nach württembergischem Recht, s. B V w G E 3, 262. 92

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3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / K a p .

oft 9 8 geübt werden kann 9 7 » 9 8 . A n diesem Ergebnis w i r d auch nichts geändert, wenn man dem Plan mit dem B V w G eine unmittelbare W i r k samkeit gegenüber den Betroffenen abspricht und ihn lediglich als Rechtsgrundlage für die Bescheidung zukünftiger Bauanträge ansieht; denn die (unbestimmt vielen) einzelnen Versagungen von Baugenehmigungen sind ja lediglich Konkretisierungen des m i t dem Plan aufgestellten allgemeinen Bauverbots. Auch soweit der Plan die Rechtsgrundlage für spätere Enteignungen bildet, trägt er einen abstrakten Charakter, da er hier die Gestaltung einer imbestimmten Zahl von Rechtsverhältnissen regelt 99 . Diese abstrakt-generelle Struktur des Fluchtlinien- bzw. Bebauungsplanes w i r d entgegen der Ansicht des B V w G auch dann nicht berührt, wenn sich der Plan nur auf einige wenige oder gar nur auf ein einzelnes Grundstück beschränkt. Für den generellen Charakter folgt dies daraus, daß der Plan eben nicht nur den augenblicklichen, sondern auch alle zukünftigen Eigentümer betrifft sowie überhaupt alle die unbestimmt vielen Personen, die während der Geltungsdauer des Planes i n irgendeine auf Nutzung gerichtete Rechtsbeziehung zu dem Grundstück treten. Die abstrakte Struktur des Planes aber w i r d durch die Beschränkung auf einige wenige Grundstücke deshalb nicht beeinträchtigt, w e i l er nicht die Errichtung eines bestimmten Bauwerks, sondern jedwede Bebauung schlechthin verbietet, also auch hier ein unbestimmt oft wiederholbares Verhalten untersagt 100 . 96 Nämlich so viele Male, als auf diesen Grundstücken Bauwerke errichtet werden könnten; deren Z a h l hängt aber entscheidend v o n der A r t u n d Größe der potentiellen Gebäude ab u n d ist deshalb v ö l l i g unbestimmt. 97 Obermayer (NJW 1956, 1850) faßt den I n h a l t des Planes insoweit nicht als Verbot, sondern als Gebot auf: „Denn entscheidend ist, daß sich nach seinem Erlaß bei jedem Bauwerber das Gebot konkretisiert, bei Errichtung eines Bauwerks die festgesetzten L i n i e n zu beachten." Diese Würdigung erscheint bedenklich, zeitigt aber dasselbe Ergebnis. 98 Diesen entscheidenden Umstand übersieht auch der w b V G H (ESVGH 6, 203), wenn er zur Begründung seiner These, der württembergische Ortsbauplan regele die Verhältnisse jedes betroffenen Grundstücks „ k o n k r e t u n d speziell", darauf abstellt, daß jedes Grundstück „durch Zeichnung i n d i v i d u e l l ausgewiesen u n d speziell behandelt" werde u n d daß die Unbestimmtheit der Z a h l der gegenwärtigen u n d zukünftigen Eigentümer usw. deshalb belanglos sei, w e i l sich hier die dingliche W i r k u n g des Verwaltungsaktes äußere. Dieser A u f fassung liegt offensichtlich ein verfehlter F a l l - u n d Adressatenbegriff zugrunde. 99 Die i n die Straßen fallenden Flächen stehen zwar als solche eindeutig fest. Nicht aber steht bei Erlaß des Planes auch von Rechts wegen fest, daß sie sämtlich enteignet werden. I m übrigen wäre selbst dann noch ungewiß, w i e viele Rechtsverhältnisse — auf die es j a allein ankommt — hiervon betroffen w e r den, da sich j a die Eigentumsverhältnisse an diesen Flächen bis zum Vollzug der Enteignung noch laufend ändern können. 100 Es mag zwar sein, daß sich das betreffende Grundstück m i t einem ein« zigen Gebäude vollständig bebauen ließe. I n aller Regel würde sich jedoch auch eine unbestimmte (wenngleich geringe) Z a h l von Bauwerken errichten lassen. Das muß für die rechtliche Bewertung entscheidend sein.

§ 19. Β . Der Rechtscharakter des Fluchtlinien- bzw. Bebauungsplanes 191 b) I s t der F l u c h t l i n i e n - b z w . B e b a u u n g s p l a n d e m n a c h entgegen der A n s i c h t Forsthoffs 101 u n d t e i l w e i s e auch d e r des B V w G 1 0 2 schlechthin als a b s t r a k t - g e n e r e l l e r H o h e i t s a k t anzusehen 1 0 3 , so e r g i b t sich d i e Frage, ob er dieser seiner i n h a l t l i c h e n Q u a l i t ä t entsprechend m i t d e m B V w G als a l l g e m e i n e R e c h t s n o r m g e w e r t e t w e r d e n k a n n oder ob dem, w i e Forsthoff m e i n t , das F e h l e n seiner f ö r m l i c h e n V e r k ü n d u n g i n e i n e m a m t l i c h e n P u b l i k a t i o n s o r g a n entgegensteht. I n s o w e i t k a n n i m w e s e n t l i c h e n a u f die entsprechenden A u s f ü h r u n g e n h i n s i c h t l i c h der Verkehrszeichen verwiesen w e r d e n 1 0 4 . D o r t w u r d e bereits dargelegt, daß d i e Q u a l i f i z i e r u n g eines a b s t r a k t - g e n e r e l l e n H o h e i t s a k t e s als V e r w a l t u n g s a k t i m W i d e r s p r u c h z u § 25 V G V O stehen w ü r d e u n d daß der Gesetzgeber n i c h t g e h i n d e r t sei, f ü r b e s t i m m t e A r t e n v o n R e c h t s n o r m e n eine i h r e r E i g e n a r t angepaßte F o r m d e r V e r k ü n d u n g vorzusehen. Diese Ü b e r l e g u n g e n g e l t e n auch h i e r . D a die f ü r die a l l g e m e i n e R e c h t s n o r m e r f o r d e r l i c h e V e r ö f f e n t l i c h u n g n i c h t Selbstzweck ist, s o n d e r n d a z u d i e n t , d e n v o n der R e c h t s n o r m B e t r o f f e n e n die M ö g l i c h k e i t d e r K e n n t n i s n a h m e z u verschaffen, k o m m t es l e d i g l i c h d a r a u f an, ob d i e v o m Gesetzgeber g e w ä h l t e V e r k ü n d u n g s f o r m z u r E r z i e l u n g dieses E r f o l g e s geeignet i s t 1 0 5 » 1 0 6 . Das aber m u ß h i e r ohne w e i t e r e s b e j a h t w e r d e n 1 0 5 . D e r 101 Der Fehler Forsthoff s liegt, w i e bereits erwähnt wurde, i n seiner u n klaren u n d ungenauen Begriffsbildung. Wenn Forsthoff, a. a. O., S. 114 feststellt, der Plan enthalte keine generellen u n d abstrakten Festlegungen, w e i l er über jeden Quadratmeter der Planimgsfläche verbindlich verfüge u n d deshalb konkret sei, andererseits aber meint, der Plan regele seinem Sinn nach nicht n u r konkrete Rechtsverhältnisse, sondern gehe i n F u n k t i o n u n d Zielsetzung „über die individuellen Rechtsverhältnisse hinaus", so ist nicht recht verständlich, was damit n u n eigentlich über die logische S t r u k t u r des Planes ausgesagt sein soll. Offenbar geht Forsthoff davon aus, daß es einen zweifachen Gegensatz zum Konkreten gebe, nämlich einmal das Abstrakt-Generelle, zum anderen aber das „Überindividuelle"; dabei bleibt freilich v ö l l i g unklar, wodurch sich das eine v o m anderen unterscheiden soll. — I m übrigen hätte w o h l auch Forsthoff den Rechtsnormcharakter des Planes bejahen müssen, w e n n er i h n — was er eigenartigerweise gar nicht versucht — unter die v o n i h m selbst aufgestellten Definitionen des „ A b s t r a k t e n " u n d „Generellen" subsumiert hätte. 102 Die Schwäche i n der Deduktion des B V w G liegt i n der Annahme, daß ein auf wenige Grundstücke beschränkter Fluchtlinienplan nicht mehr die begrifflichen Merkmale eines allgemeinen Rechtssatzes aufweise. Diese Auffassung beruht offensichtlich darauf, daß die v o m Gericht zugrunde gelegten K r i terien — insbesondere das des „abstrakten Sachverhalts" als Gegenstand der von der Rechtsnorm getroffenen Regelung — der erforderlichen begrifflichen Schärfe entbehren. Hierdurch w i r d das B V w G dazu verleitet, auf Momente abzustellen, die — w i e Obermayer, a. a. O., S. 1850 m i t Recht hervorhebt — für die Frage nach dem Rechtscharakter des Fluchtlinienplanes nicht entscheidend sind. 103 So auch Wolff, a. a. O., S. 223. 104 Vgl. oben Α I b . 105 So gegen Forsthoff nunmehr (sinngemäß) auch B V w G v. 21. 5. 1957: N J W 1957,1083 u n d Werner: DVB1.1957, 537. 106 Hier liegt offensichtlich ein weiterer Fehler i n der Beweisführung Forsthoff s. Denn unbeschadet der Richtigkeit seiner These, „es gibt keine Norm, die nicht verkündet, d. h. i n gehöriger Weise der Öffentlichkeit mitgeteilt worden

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3. T e i l : A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

Zweck der Unterrichtung der Öffentlichkeit w i r d i n vollem Umfange auch dadurch erreicht, daß der Plan zu jedermanns Einsicht öffentlich ausgelegt w i r d und daß sowohl die Auslegung als auch die Feststellung des Planes öffentlich bekanntgemacht werden 1 0 7 . Jedem Betroffenem oder sonstwie Interessierten ist damit die Möglichkeit gegeben, sich von dem Inhalt des Planes Kenntnis zu verschaffen. Das muß ausreichen, u m das Erfordernis der Verkündung m i t dem B V w G und der herrschenden Rechtsprechung als erfüllt anzusehen. Der mangelnde Abdruck des ganzen Planes i n einem amtlichen Publikationsorgan steht seiner Beurteilung als Rechtsnorm somit nicht entgegen. c) Der Fluchtlinien- bzw. Bebauungsplan erfüllt demnach sowohl inhaltlich als auch formell die Merkmale eines allgemeinen Rechtssatzes. A u f die Frage, ob es unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes erforderlich 1 0 8 oder nicht erforderlich 1 0 9 sei, i h n als Verwaltungsakt anzuerkennen, kommt es deshalb nicht mehr an, da sie überhaupt n u r dann auftauchen könnte, wenn sich der Plan weder unter den einen noch unter den anderen Begriff subsumieren ließe 110 . Da der Plan aber, wie gezeigt, alle Merkmale einer allgemeinen Rechtsnorm erfüllt, könnte er selbst dann nicht als Verwaltungsakt behandelt werden, wenn dies aus Gründen des Rechtsschutzes geboten erschiene. Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß der Fluchtlinien- bzw. Bebauungsplan m i t der herrschenden Rechtsprechung als allgemeine Rechtsnorm anzusehen ist. C. Der Rechtscharakter

gebietlicher

Organisationsakte

Eine weitere Gruppe von Hoheitsakten, deren Einstufung als Verordnung oder Verwaltungsakt i n jüngerer Zeit zu erheblichen Schwierigkeiten geführt hat, bilden die gebietlichen Organisationsakte i m Bereiche des Gemeinderechts. Die Frage nach dem Rechtscharakter kommunaler Gebietsänderungsakte hat i n den letzten Jahren — durch die jeweiligen landesrechtlichen Besonderheiten bedingt — vor allem die bayerische und hessische Rechtspraxis beschäftigt. ist", läßt sich doch nicht bezweifeln, daß es verschiedene Formen der V e r k ü n dung gibt; das w i r d auch v o n Forsthoff selbst implicite anerkannt, w e n n er von der „normalen F o r m " der Verkündung durch Abdruck i n einem amtlichen Publikationsorgan spricht (a. a. O., S. 115). Die entscheidende Frage geht deshalb dahin, ob die Auslegung des Planes u n d deren öffentliche Bekanntmachung als taugliche F o r m der Verkündung angesehen werden können. Diese Frage w i r d aber von Forsthoff überhaupt nicht näher untersucht, sondern durch die einfache Behauptung beantwortet, „daß die öffentlich bekanntgemachte Planauslegung keine gehörige Verkündung ist". 107 Vgl. §§ 7 u n d 8 prFluchtlG.

los Wie Forsthoff

109 110

meint.

So die Ansicht des B V w G . So m i t Recht schon Obermayer,

a. a. O., S. 1850.

§ 19. C. Der Rechtscharakter gebietlicher Organisationsakte

193

Nach A r t . 9 I I bayVf, A r t . 7 I, 8 I bayLKrO w i r d die Einteilung des Staatsgebietes i n Landkreise und damit auch die Auflösung oder die Änderung des Gebietsumfanges von Landkreisen durch — m i t Zustimmung des Landtages ergehende — „Rechtsverordnung der Staatsregierung" geregelt; einer solchen Rechtsverordnung bedurfte es nach A r t . 11 I I I bayGO vor deren Änderung durch das Gesetz v. 9.7.1956 außerdem auch für die Neubildung und die Auflösung von Gemeinden gegen deren Willen, während i n allen übrigen Fällen Änderungen i m Bestände von Gemeinden nach A r t . 12 durch Verfügung der Behörde erfolgten 1 1 1 . I n Hessen muß nach A r t . 15 I I heGO jedes Grundstück zu einer Gemeinde gehören; die bisher gemeindefreien Grundstücke mußten deshalb aufgelöst und eingemeindet werden, und zwar gemäß A r t 17 I I heGO bei Einverständnis der beteiligten Gemeinden durch „Ausspruch" (Beschluß) der Landesregierung, anderenfalls durch Gesetz. Da von den betroffenen Gemeinden bzw. Grundeigentümern gegen diese „Rechtsverordnungen" bzw. „Beschlüsse" verschiedentlich Anfechtungsklage erhoben wurde, stellte sich alsbald die Frage, ob diese Anordnungen inhaltlich als Verwaltungsakte anzusehen und damit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung unterworfen oder als materielle Verordnungen nur der abstrakten Normenkontrolle nach § 25 VGG zugänglich seien 112 . I. Die Frage hat i n Rechtsprechung und Schrifttum eine sehr unterschiedliche Beantwortung gefunden. a) Der bayerische V G H vertritt i n seinem Urteil vom 20.1.1956 113 unter Bezugnahme auf den nicht veröffentlichen Vorlagebeschluß vom 31.3.1953 den Standpunkt, es handele sich bei den genannten Hoheitsakten um Verordnungen nur i m formellen Sinne; materiell seien sie als Verwaltungsakte zu erachten, so daß gegen sie die Anfechtungsklage gegeben sei 114 . Zur Begründung dieser Auffassung führt der V Q H aus 115 , eine organisatorische Verordnung besitze dann den Charakter einer allgemeinverbindlichen Rechtsvorschrift, wenn durch sie eine neue A r t von Behörden m i t hoheitlichen Befugnissen eingerichtet oder bereits be111 Nach der durch das Gesetz v. 9. 7. 1956 geänderten Fassung der A r t . 11, 12 bayGO erfolgen heute alle Änderungen i m Bestand von Gemeinden i m Wege der „Verfügung". 112 I n Nordrhein-Westfalen ist die Frage bislang nicht aufgetaucht, da die Ä n d e r i m g des Gemeindegebiets nach § 16 n w G O i n aller Regel durch (formelles) Gesetz erfolgt u n d n u r i n Fällen von geringer Bedeutung durch „Entscheidung des Innenministers" getroffen w i r d ; die Änderung des Gebietes eines Landkreises erfolgt nach § 14 n w L K r O ausnahmslos durch Gesetz. 113 BayVBl. 1956,121 ff. m i t A n m e r k u n g von Obermayer. 114 I n der auf G r u n d des Vorlagebeschlusses ergangenen Entscheidung v. 27. 11.1954 (VwRspr. 7, 782) hat der b a y V f G H diese Ansicht beiläufig gebilligt. 115 a. a. O., S. 122.

13 Volkmar

194

3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

stehende Behörden m i t neuen Zuständigkeiten ausgestattet würden; dieser Rechtscharakter sei aber zu verneinen, wenn innerhalb einer bestehenden allgemeinen Behördenorganisation und Zuständigkeitsregelung lediglich eine Einzelbehörde neu errichtet oder nur der örtliche Zuständigkeitsbereich bestehender Behörden anderweitig abgegrenzt werde. Sofern eine organisatorische Maßnahme zugleich i n den Gebietsstand einer Gemeinde oder eines Landkreises eingreife, liege — wovon auch die bayGO selbst ausgehe — ein gestaltender Verwaltungsakt vor. Für solche A k t e könne zwar eine Rechtsverordnung vorgeschrieben werden, doch besitze eine derartige Verordnung den Charakter einer Rechtsverordnung nur i m formellen Sinne, d. h. einer Verordnung, die zwar nach der formellen Seite hinsichtlich der Zuständigkeit, des Zustandekommens und der Veröffentlichung alle Merkmale einer Rechtsverordnung erfülle, aber keine objektiven Rechtsnormen enthalte. Wegen dieses Fehlens einer Rechtsvorschrift, einer allgemeinverbindlichen Norm, könne sie nicht der Normenkontrolle nach § 25 V G G unterliegen; sie müsse daher i m Interesse des durch die Verfassung (Art. 83 Abs. 5, 6 und 93 bayVF) gebotenen verwaltungsgerichtlichen Schutzes der betroffenen Gebietskörperschaften i m Einklang m i t ihrem materiellen Rechtscharakter auch verfahrensmäßig als Verwaltungsakt behandelt und der Anfechtungsklage nach §§ 22, 35 ff VGG unterstellt werden. b) I m Gegensatz zu dieser Auffassung spricht der hessische V G H die genannten „Beschlüsse" der Landesregierung als normensetzende Akte der Staatsgewalt, also als echte Rechtsverordnungen an. I n der Entscheidimg vom 28. 3. 1956 lle w i r d hierzu dargelegt, bereits der Umstand, daß der Gesetzgeber bei fehlendem Einverständnis der beteiligten Gemeinden ein Gesetz für erforderlich gehalten habe, spreche dagegen, daß es sich bei der Änderung des Gemeindegebietes u m einen Verwaltungsakt handele 117 . Insbesondere stehe dem Vorliegen eines Verwaltungsaktes auch entgegen, daß gemäß § 17 I I heGO der Beschluß die Änderung des Gemeindegebietes und den Tag der Rechtswirksamkeit dieser Änderung ausspreche. Hieraus ergebe sich, daß der Beschluß sich nicht an einen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis, sondern an die Allgemeinheit richte. Dem Beschluß werde auch nicht etwa dadurch der Charakter eines Verwaltungsaktes verliehen, daß als eine der verschiedenen Folgen dieses Beschlusses die Übertragung der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben i n dem gemeindefreien Gebiet an den Grundstückseigentümer ihr Ende finde 118 . Der Beschluß über die Eingemeindung bisher gemeindefreier Grundstücke sei vielmehr seinem Gesamtinhalt nach zu beurteilen; danach stelle er sich nicht als ein auf die 118 117 118

E S V G H 6, 87 ff. a. a. O., S. 88. a. a. O., S. 89.

§ 19. C. Der Rechtscharakter gebietl'icher Organisationsakte

195

Regelung eines oder mehrerer konkreter Einzelfälle abzielender Verwaltungsakt dar, sondern als normensetzender A k t der Staatsgewalt, der die Grenzänderungen einzelner Gemeinden und damit zugleich auch die Rechtsgrundlage für die zahlreichen Folgen schaffe, die sich aus der Zugehörigkeit bestimmter Grundstücke zu bestimmten Gemeinden ergäben. Über einzelne i n bezug auf den Grundstückseigentümer eingetretene Folgen dieses Aktes sei, soweit erforderlich, erst später i n dem anschließenden Auseinandersetzungsverfahren zu befinden. I m Beschluß vom 20.8.1957 119 setzt sich der hessische V G H m i t den Argumenten des bayerischen V G H auseinander und erklärt sie für nicht zutreffend. Der V G H lehnt insbesondere die Auffassung ab, die Neubildung einer Gemeinde durch eine Verordnung, durch die lediglich innerhalb einer bestehenden allgemeinen Behördenorganisation und Zuständigkeitsregelung eine einzelne Behörde neu errichtet oder nur der örtliche Zuständigkeitsbereich bestehender Behörden anderweitig abgegrenzt werde, sei nur formell als Rechtsverordnung, materiell aber als Verwaltungsakt anzusehen. Die Eingemeindung eines bisher gemeindefreien Grundstücks könne keineswegs nur unter dem Gesichtspunkt der Behördenorganisation und der Abgrenzung von Behördenzuständigkeiten betrachtet werden. Sie gestalte die Gebietskörperschaft m i t einem bestimmten gesetzlichen Aufgabenkreis und greife tief i n das Leben der Bewohner der gemeindefreien Grundstücke ein, sie schaffe nicht n u r für den allgemeinen Behördenaufbau, sondern viel wesentlicher für das Leben der einzelnen Bewohner völlig neue Zuständigkeiten; so verleihe sie den Bewohnern u. a. das Wahlrecht für die Gemeindevertretung ihrer neuen Gemeinde und ändere u. U. auch die gerichtliche Zuständigkeit. Der V G H hält deshalb an seiner Auffassung fest, daß es sich bei dem Ausspruch der Änderung des Gemeindegebietes durch Eingemeindung bisher gemeindefreier Grundstücke u m eine Rechtsverordnung handele. c) Eine dritte, i m Schrifttum vertretene Auffassung schließlich geht dahin, daß die gebietlichen Organisationsakte sowohl Verwaltungsakte als auch echte Rechtsverordnungen seien, daß ihnen also eine Doppelnatur zukomme. Diese zuerst von Schweiger 120 vorgetragene Lehre, der auch Schack 121 zuzuneigen scheint, ist zuletzt von Obermayer 1 2 2 zusammenfassend formuliert worden. Danach erfüllen die kommunalen Gebiets- wie auch Statusänderungen 123 einmal die Merkmale des Verwaltungsaktes. Sie berührten m i t un119

274.

120 121 122

123

13 "

Nicht veröffentlicht, auszugsweise wiedergegeben bei Schack: DöV 1958,

Schweiger: DöV 1955, 360 ff.

Schack: DöV 1958, 273 ff. (276 f.) m i t weiteren Literaturnachweisen. Obermayer: BayVBl. 1958,69; anders noch i n DöV 1955,364 ff. ζ. B. U m w a n d l u n g einer kreisangehörigen Gemeinde i n eine kreisfreie.

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3. Teil: Allg. Rechtssatz u. E n z e l a k t i m positiven Recht / Kap.

mittelbarer Rechtserheblichkeit die Rechtssphäre einzelner (juristischer) Personen, nämlich der beteiligten Gebietskörperschaften. Diese würden begünstigt, soweit sie neues Gebiet oder einen höheren Rang erhielten oder überhaupt zur Entstehung gelangten; sie würden belastet, soweit sie Gebiet oder Rechte verlören oder ganz aufgelöst würden. Z u dieser Einzelwirkung trete aber eine normative W i r k u n g gegenüber der Allgemeinheit hinzu, da auch alle diejenigen Personen rechtlich betroffen würden, die sich nach der Gebiets- bzw. Statusänderung i n dem von der Neuordnung berührten Gebiet aufhielten. Für sie ergebe sich ein Wechsel i n der örtlichen Zuständigkeit gewisser Behörden. Diese unbestimmte Personenmehrheit werde aber durch den Zuständigkeitswechsel i n ihren Rechten berührt, da ein Recht des Staatsbürgers auf ein Handeln der örtlich zuständigen Behörde bestehe 124 » 125 . Stünden aber bei einer Änderung der örtlichen Zuständigkeit Rechte des Staatsbürgers auf dem Spiel, so habe auch jeder eine solche Änderung bewirkende Hoheitsakt einen rechtssatzmäßigen Charakter 1 2 8 . Die m i t obrigkeitlicher Gewalt vorgenommenen kommunalen Gebiets- und Statusänderungen könnten deshalb nur als Rechtsverordnungen ergehen. Diese seien für die von der Zuständigkeitsänderung betroffenen Personen Verordnungen i m materiellen Sinne, für die beteiligten Gebietskörperschaften jedoch Verordnungen i m n u r formellen Sinne. I I . Bei dem Versuch einer eigenen Stellungnahme ist zweckmäßigerweise von der Frage auszugehen, ob die gebietlichen Organisationsakte — ausschließlich oder unter anderem — eine Einzelfallregelung enthalten; daran soll sich dann die Prüfung anschließen, ob ihnen — ggf. auch — der Charakter einer abstrakt-generellen Regelung zukommt. a) F ü r die Frage, ob die i n Rede stehenden Hoheitsakte einen einzelnen F a l l zum Gegenstand haben, kommt es nach unserem Fall-Begriff zunächst darauf an, als was sie sich ihrem Inhalt nach darstellen. Insoweit kann kein Zweifel daran bestehen, daß es sich hier weder u m befehlende noch u m berechtigende, sondern u m rechtsgestaltende Anordnungen handelt. Entscheidend ist also, ob sie — jedenfalls hinsichtlich ihrer unmittelbaren W i r k u n g gegenüber den betroffenen Gebietskörperschaf124 Die Anerkennimg eines solchen Rechts ist nach Obermayer zwingende Voraussetzung der heute einhellig vertretenen Auffassung, daß auch die von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassenen Verwaltungsakte u n d Verordnungen rechtswidrig seien. 125 Schweiger, a. a. O., S. 362 w i l l darüber hinausgehend bereits die Gemeindeangehörigkeit als solche als Rechtsbeziehung auffassen u n d daraus den abstrakten Charakter der A n o r d n u n g herleiten. 128 Allerdings nicht den eines vollständigen Rechtssatzes m i t fertiger Tatbestands· u n d Rechtsfolgeseite, w o h l aber den eines Teilrechtssatzes, insofern er alle (Blankett-)Normen ausfülle, die den einschlägigen örtlich zuständigen Behörden Kompetenzen einräumten.

§ 19. C. Der Rechtscharakter gebietlicher Organisationsakte

197

ten — ein einzelnes Rechtsverhältnis bzw. eine bestimmte Zahl von Rechtsverhältnissen gestalten 127 . Hier ergeben sich n u n alsbald gewisse Schwierigkeiten. Denn was für ein (einzelnes) Rechtsverhältnis der Gemeinde ist es, das durch die Änderung ihres Gebietsstandes berührt werden könnte? Daß der Gemeinde an ihrem Gebiet kein irgendwie geartetes Eigentum zusteht, bedarf keiner weiteren Darlegung. Als Rechtsverhältnis, das durch die Gebietsänderung einer rechtlichen Gestaltung unterworfen wird, könnte also nur die Gebietshoheit der Gemeinde i n Betracht gezogen werden. Diese ist jedoch keine zwischen der Gemeinde und ihrem Gebiet bestehende Rechtsbeziehung, sondern die umfassendste Form der örtlichen Zuständigkeit 1 2 8 . Die m i t dem Gebietsänderungsakt erfolgende Übertragung der Gebietshoheit über den betreifenden Raumteil von einer Körperschaft auf eine andere kann demgemäß auch nicht als Abänderung zweier Rechtsverhältnisse bzw. als Aufhebung eines Rechtsverhältnisses unter gleichzeitiger Neubegründung eines anderen charakterisiert werden. Ein durch den Gebietsänderungsakt einer rechtlichen Gestaltung unterworfenes (einzelnes) Rechtsverhältnis der betroffenen Gebietskörperschaft(en) ist also nicht ersichtlich. Gleichwohl dürfte es geboten sein, der hoheitlichen Einwirkung auf den Gebietsstand einer Gemeinde oder sonstigen Gebietskörperschaft den Charakter eines rechtsgestaltenden Einzelaktes zuzusprechen. Denn sie geht über die Gestaltung eines Rechtsverhältnisses, also einer rechtlichen Beziehung zwischen zwei Rechtssubjekten bzw. einem Rechtssubjekt und einem Rechtsobjekt noch hinaus, indem sie unmittelbar auf die Rechtspersönlichkeit eines Subjekts selbst einwirkt, j a dieses sogar vielfach erst schafft oder es umgekehrt gänzlich vernichtet 1 2 9 . Ein solcher Vorgang muß der Rechtsgestaltung i m oben 127 bezeichneten Sinne zumindest gleichgestellt werden 1 3 0 . Da er genau bestimmte Subjekte betrifft, kann auch kein Zweifel daran bestehen, daß die Gebietsänderung als solche einen einzelnen Fall bzw. eine genau bestimmte Zahl von Fällen zum Gegenstand hat, also die Qualität eines Einzelaktes besitzt. 127

Vgl. oben § 14 Β I I I . Nämlich diejenige, die sich auf alle Zivilpersonen erstreckt, die sich i n dem betreffenden Bereiche aufhalten (Totalität); vgl. Hans J. Wolff : V e r w a l tungsrecht I I (Manuskript), § 72 I I I b 1. 129 So bei Neugründung bzw. Auflösung einer Gemeinde. 130 Diese Feststellung w i r f t die Frage auf, ob der oben i m Anschluß an Wolff formulierte Begriff des rechtsgestaltenden Hoheitsaktes nicht vielleicht überhaupt noch einer Erweiterung bedarf, etwa i m Sinne einer Einbeziehung sämtlicher Statusveränderungen. Die Frage k a n n jedoch hier dahingestellt bleiben. I m vorliegenden Zusammenhang genügt es festzustellen, daß die i n Rede stehende E i n w i r k u n g auf die Rechtspersönlichkeit juristischer Personen der Rechtsgestaltung jedenfalls gleichgestellt werden muß. 128

198

3. T e i l : A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / K a p .

Die herrschende Ansicht, daß die gebietlichen Organisationsakte eine Einzelf allregelung zum Inhalt haben, verdient somit Zustimmung. b) Damit stellt sich die zweite Frage dahin, ob die besagten Hoheitsakte daneben etwa auch eine abstrakte Regelung enthalten, also außer dem eben gekennzeichneten Einzelfall auch eine unbestimmte Vielzahl von Fällen regeln. Soweit den gebietlichen Organisationsakten i n Literatur und Rechtsprechung ein abstrakter Inhalt zugesprochen wird, geschieht dies i m Hinblick darauf, daß die durch sie bewirkten Zuständigkeitsveränderungen eine unbestimmte Vielheit von Personen betreifen. Ob dieser U m stand tatsächlich den Schluß auf den abstrakten Charakter der Anordnung zuläßt, hängt davon ab, ob diese zugleich auch eine unbestimmte Vielzahl von Rechtsverhältnissen berührt. Versteht man m i t der herrschenden Ansicht unter einem Rechtsverhältnis eine rechtlich geregelte soziale Beziehung zwischen einzelnen Subjekten (bzw. zwischen einem Subjekt und einem Rechtsobjekt) 131 , so dürfte die Frage zu bejahen sein. Denn die Beziehung zwischen einer Zivilperson und der für sie örtlich zuständigen Behörde muß i n diesem Sinne w o h l schon deshalb als Rechtsverhältnis qualifiziert werden, w e i l die Behörde — bei gleichzeitig gegebener sachlicher Zuständigkeit — von Rechts wegen verpflichtet ist, i n ihrem Zuständigkeitsbereich anfallende Vorgänge sachlich zu bearbeiten 182 . Die m i t der Gebietsänderung einhergehende Änderung der örtlichen Zuständigkeit enthält somit die Aufhebung bzw. Begründung einer unbestimmten Vielzahl von Rechtsverhältnissen, nämlich eben aller derjenigen, die zwischen den jeweiligen Gemeinden und den unbestimmt vielen — jetzt oder i n Zukunft — von der Gebietsänderimg betroffenen Personen auf Grund der örtlichen Zuständigkeit bestehen 153 . Dürfte dem Gebietsänderungsakt demnach schon wegen der aus i h m sich ergebenden Zuständigkeitsänderung ein abstraktes Moment inne131

Vgl. oben § 12 C A n m . 22. Aus diesem Grunde k a n n es hier dahingestellt bleiben, ob der Z i v i l p e r son, w i e Obermayer, a. a. O., meint, darüber hinaus ein Recht auf ein H a n deln der örtlich zuständigen Behörde zusteht. iss Es vermag daher nicht zu überzeugen, w e n n der bayVGH, a. a. O., der Neuabgrenzung des örtlichen Zuständigkeitsbereichs bestehender Behörden i m Gegensatz zur Ausstattung bestehender Behörden m i t neuen Zuständigkeiten den Charakter einer „allgemeinverbindlichen Rechtsvorschrift" absprechen w i l l . Unter dem hier maßgeblichen Gesichtspunkt besteht zwischen beiden Regelungen kein Unterschied. I m übrigen besteht G r u n d zu der Annahme, daß der V G H bei dieser Unterscheidung gar nicht den Gegensatz zwischen Rechtsverordnung und Verwaltungsakt, sondern den zwischen Rechtsverordnung u n d Verwaltungsverordnung i m Auge hat. Träfe diese Annahme zu, so würde der V G H zwei verschiedene Gesichtspunkte miteinander vermengt haben. Außerdem könnte seiner These auch sachlich nicht gefolgt werden, da der Charakter einer Organisationsverordnung als Rechts- oder Verwaltungsverordnung nach richtiger Auffassung allein davon abhängt, ob sie nach außen oder aber n u r i m Verhältnis der Behörden zueinander wirkende Zuständigkeiten betrifft; vgl. Forsthoff: Verwaltungsrecht 7 , S. 386. 132

§ 19. C. Der Rechtscharakter gebietlicher Organisationsakte

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wohnen, so w i r d diese Erkenntnis noch erhärtet, wenn man seinen weiteren Inhalt ins Auge faßt. So bestimmt etwa A r t . 13 I bayGO, der insoweit keine Besonderheiten gegenüber den Gemeindeordnungen anderer Länder enthält, daß zugleich mit der Gebietsänderung auch die m i t ihr zusammenhängenden Rechts- und Verwaltungsfragen einschließlich des Ortsrechts zu regeln seien. Das bedeutet, daß i n dem Gebietsänderungsakt zugleich auch über das Außerkrafttreten von abstrakt-generellen Rechtssätzen bzw. über die Ausdehnung ihres räumlichen Geltungsbereichs befunden wird. Daß dieser damit insoweit auch selbst eine abstrakt-generelle Regelung trifft, dürfte keinem ernstlichen Zweifel unterliegen 134 . c) Es zeigt sich somit, daß die kommunalen Gebietsänderungsakte i n der Tat, wie von der i m Schrifttum herrschenden Ansicht angenommen wird, sowohl eine Einzelfallregelung als auch die Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zum Inhalt haben. Allerdings bedarf die herrschende Lehre insoweit einer gewissen Modifizierung, als sie diesen Akten deshalb einen Doppelcharakter zuschreibt. Die vorangegangenen Ausführungen dürften nämlich deutlich gemacht haben, daß es bei rechtslogischer Betrachtung nicht ein und derselbe A k t ist, der als konkret und als abstrakt angesprochen wird, sondern daß sich diese Aussage — genau betrachtet — auf zwei verschiedene, wenngleich miteinander verbundene Hoheitsakte bezieht: jene auf die bloße Änderung der Gebietsgrenzen als solche, diese hingegen auf die Übertragimg von Zuständigkeiten und die Einwirkung auf das bestehende Ortsrecht. Beide sind zwar typischerweise, nicht aber denknotwendig miteinander verbunden. Für die Regelung der die Geltung des Ortsrechts betreffenden Fragen erhellt dies daraus, daß derartige Bestimmungen ohne weiteres auch i n einem äußerlich verselbständigten A k t getroffen werden könnten. Aber auch die Zuständigkeitsänderung ist nicht untrennbar m i t der Gebietsänderung verbunden. Daß eine Änderung kommunaler Zuständigkeiten ohne Änderung des Gebietsstandes der betreffenden Gemeinden möglich ist, bedarf keiner weiteren Darlegung 1 3 5 ; es ist jedoch auch durchaus denkbar, daß der Gebietsstand bestimmter Gemeinden geändert wird, ohne daß damit eine Änderung von Zuständigkeiten einhergeht 1 3 6 . 134

Vgl. hierzu auch das U r t e i l des B V w G v. 6.6.58: N J W 1958,1794 f. Dies wäre etwa der Fall, w e n n bestimmte gemeindliche Zuständigkeiten auf einen Zweckverband übertragen werden. 136 So etwa, w e n n ein bisher zur Gemeinde A gehörendes Waldstück i n die Gemeinde Β umgemeindet u n d dabei vereinbart w i r d , daß die Zuständigkeit zur Erhebung der Grundsteuer noch für die Dauer eines Jahres bei der Gemeinde A verbleiben soll. Wenn ein solcher F a l l auch praktisch k a u m v o r kommen mag, so ist er doch jedenfalls — worauf es hier allein ankommt — durchaus denkbar. 135

200

3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

Die i n Rede stehenden gebietlichen Organisationsakte sind nach alledem als Anordnungen zu charakterisieren, die i n einem äußerlich einheitlichen Gewände zwei dogmatisch selbständige Hoheitsakte — einen Verwaltungsakt gegenüber den betroffenen Gebietskörperschaften und eine echte Rechtsverordnung gegenüber den von der Gebietsänderung betroffenen Zivilpersonen — i n sich vereinen 137 . D. Der Rechtscharakter der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages Ein weiterer Hoheitsakt, dessen Rechtscharakter i n den vergangenen Jahren den Gegenstand einer lebhaften Diskussion gebildet hat, ist die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages nach § 5 Abs. 4 des Tarifvertragsgesetzes vom 9.4.1949 138 . I. Nach der i m Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung handelt es sich bei der Allgemeinverbindlicherklärung u m einen Verwaltungsakt. Die hierfür angeführte Begründung ist nicht einheitlich. So geht etwa Hub er 139 davon aus, daß sich die Allgemeinverbindlicherklärung nicht unmittelbar m i t einer rechtlichen Anordnung an die bisher i n Außenseiterstellung befindlichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wende. I h r Gegenstand sei vielmehr der Tarifvertrag als solcher, der i n seinem bisherigen Bestände betroffen werde derart, daß er einen erweiterten persönlichen Geltungsbereich erlange. Persönliche Adressaten der Allgemeinverbindlicherklärung seien nicht die Außenseiter, sondern die Tarifparteien, da der zwischen diesen bestehende Tarifvertrag i n seinem rechtlichen Bestände verändert werde. Die A l l gemeinverbindlicherklärung sei somit ein Staatsakt m i t konkretem Gegenstand und individuell bestimmten Adressaten, also ein Verwaltungsakt. Demgegenüber sind Hueck-Nipperdey U0 der Auffassung, die Allgemeinverbindlicherklärung habe die Tarifgebundenheit an einen bestimmten Tarifvertrag zum Gegenstand. Insbesondere äußern sie Bedenken gegen die Ansicht, diese Anordnung wende sich nur an die Tarif Vertragsparteien. Sie betreffe vielmehr die durch den Geltungsbereich des Tarifs bestimmten Außenseiter und damit einen bestimmbaren Personenkreis. Aus diesem Grunde sei sie als Allgemeinverfügung anzusehen. 137 Welche Folgerungen sich daraus für die Anfechtbarkeit ergeben, bedarf i n unserem Zusammenhang keiner näheren Untersuchung. Es sei nur angedeutet, daß vieles dafür spricht, der betroffenen Gebietskörperschaft ungeachtet der für den ganzen A k t erforderlichen Verordnungsform die Anfechtungsklage zuzubilligen. 138 Gesetzblatt der V e r w a l t u n g des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, S. 55. 139 Huber: Wirtschaftsverwaltungsrecht I I , S. 449—451, insb. S. 450. 140 Hueck-Nipperdey: Arbeitsrecht I I , S. 471—473, insb. A n m . 10; dort auch eine eingehende Darlegung des Streitstandes.

§ 19. D. Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages

201

Nach einer anderen, zuletzt von Hildegard Krüger ul vertretenen Lehre kommt der Allgemeinverbindlicherklärung hingegen der Charakter einer Hechtsverordnung zu. I n eingehender Auseinandersetzung m i t den Argumenten der Gegenmeinung legt Hildegard Krüger dar, daß es für die Beurteilung der Allgemeinverbindlicherklärung nicht auf die Bestimmtheit des Tarifvertrages, sondern auf die Zahl der betroffenen Rechtssubjekte, d. h. der Außenseiter ankomme 142 . Diese aber sei unbestimmt, nämlich i m Zeitpunkt des Erlasses unbekannt und nicht feststellbar. Da der Hoheitsakt damit auch eine unbestimmte Zahl von Arbeitsverhältnissen erfasse, regele er auch eine unbestimmte Anzahl von Fällen, so daß er alle Merkmale einer Verordnung erfülle 1 4 3 . I n einer jüngst ergangenen Entscheidung 144 hat nunmehr auch das B V w G zu der Frage Stellung genommen und sie i m Sinne der letztgenannten Auffassung beantwortet. Das B V w G geht bei seiner Beweisführung vom Wortlaut des § 5 Abs. 4 T V G (§ 5 Abs. 3 Berliner TVG) aus, wonach m i t der Allgemeinverbindlicherklärung die Rechtsnormen des Tarifvertrages i n dessen Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfassen. Daraus ergebe sich, so meint das BVwG, daß die Allgemeinverbindlicherklärung — anders als nach dem Recht der TarifVO vom 1. 3.1928 — die Außenseiter den auf Grund gesetzlicher Ermächtigung von den Tarifvertragsparteien i m Tarifvertrag gesetzten Rechtsnormen unterwerfe. Es werde also der persönliche Geltungsbereich der Rechtsnormen des Tarifvertrages, die zwischen den Tarifgebundenen unmittelbar und zwingend gelten und abweichende Vereinbarungen zuungunsten der Arbeitnehmer ausschließen, auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer erweitert, auf deren arbeitsrechtliche Beziehungen sie nicht bereits als für Mitglieder der Tarifvertragsparteien anwendbar seien. Aus diesem Grunde könne die fragliche Anordnung nicht deshalb als Einzelfallregelung angesprochen werden, weil sie einen bestimmten Tarifvertrag erfasse. Denn der Tarifvertrag sei nicht ihr Objekt, vielmehr mache sie seine Rechtsnormen zum Inhalt einer Regelung, die die arbeitsrechtlichen Verhältnisse der bisherigen Außenseiter zum Gegenstand habe. Auch Hubers Auffassung, die Allgemeinverbindlicherklärung wende sich allein an die Tarifpartner und regele deshalb einen Einzelfall, sei unzutreffend, da i n deren Rechtssphäre überhaupt nicht eingegriffen werde. Sie unterstelle vielmehr eine unbestimmte Vielzahl von arbeitsrechtlichen Beziehungen — nämlich auch diejenigen, die erst nach ihrem Erlaß zur Entstehung gelangen — den tarifvertraglichen Normen und regele des141 142 143 144

Hildegard Krüger: RdA 1957,46 ff. m i t zahlreichen Nachweisen. a. a. O., S. 48. a. a. O., S.49. U r t e i l v. 6. 6.1958: N J W 1958, 1794 f.

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3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

halb eine unbestimmte Vielzahl von Fällen, so daß sie als Rechtsverordnung anzusprechen sei 145 . II. Die von Hildegard Krüger und nunmehr auch vom B V w G vertretene Auffassung verdient Zustimmung, und zwar nicht nur i m Ergebnis, sondern i m wesentlichen auch i n der Begründung. M i t Recht gehen Hildegard Krüger und das B V w G von der Frage aus, was den Inhalt der Allgemeinverbindlicherklärung ausmacht, welchen Gegenstand sie regelt. Das ist, wie zutreffend hervorgehoben wird, nicht der Tarifvertrag als solcher. Denn dieser w i r d durch die Anordnung nicht „geregelt", die i n i h m gesetzten Normen sind als solche auch gar kein Rechtsverhältnis, das einer Regelung zugänglich wäre. Ähnliches gilt für die von Hueck-Nipperdey genannte „Tarifgebundenheit an einen bestimmten Tarifvertrag". Auch hierbei handelt es sich i m technischen Sinne nicht u m ein bestimmtes Rechtsverhältnis, sondern u m den Inbegriff einer Vielzahl von Rechtsbeziehungen, nämlich der nunmehr den Rechtsnormen des Tarifvertrages unterstellten arbeitsrechtlichen Beziehungen der Außenseiter. Daraus folgt zugleich, daß es eben diese Rechtsbeziehungen, die zwischen den bisher nicht tarif gebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestehenden einzelnen Arbeitsverhältnisse sind, die den Gegenstand der m i t der Allgemeinverbindlicherklärung getroffenen Regelung bilden. Denn sie erfahren dadurch, daß sie den zwingenden Normen des Tarifvertrages unterstellt werden, eine rechtliche Gestaltung. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie bereits bisher diesen Normen inhaltlich entsprachen bzw. ihnen von vornherein entsprechen oder nicht; denn sie werden durch die Allgemeinverbindlicherklärung auch insoweit, als sie m i t den Normen i m Einklang stehen, doch jedenfalls dadurch i n ihrem Inhalt abgeändert, daß die betreffenden Verpflichtungen und Berechtigungen nunmehr zu zwingendem Recht erstarken und damit der Parteidisposition entzogen werden. Bewirkt aber die Allgemeinverbindlicherklärung eine inhaltliche Modifizierung der zwischen den Außenseitern bestehenden einzelnen Arbeitsverhältnisse, so regelt sie auch eine unbe145 Das B V w G weist alsdann noch darauf hin, daß die gegenteilige A n nahme auch zu praktisch überaus unbefriedigenden Folgen führen würde. So müßte i m Interesse des Rechtsschutzes der erst später v o n der Anordnung Betroffenen fingiert werden, daß ihnen gegenüber der L a u f der Rechtsmittelfrist erst beginne, w e n n sie die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllten, an deren Vorliegen die Anwendbarkeit der Allgemeinverbindlicherklärung geknüpft sei. Damit würde aber die zeitlich unbegrenzte Möglichkeit einer Anfechtung gegeben sein. Außerdem würde sich auch i n einem erfolgreichen Anfechtungsprozeß auf G r u n d der subjektiv beschränkten Rechtskraftwirkung des Urteils eine relative U n w i r k s a m k e i t der Anordnung ergeben, was m i t i h r e m Sinn u n d Zweck schlechthin unvereinbar sein würde.

§ 19. E. Der Rechtscharakter preisrechtlicher Anordnungen

203

stimmte Vielzahl von Fällen 1 4 6 . Denn die Zahl dieser Arbeitsverhältnisse ist — wie Hildegard Krüger m i t Recht hervorhebt — deshalb unbestimmt, w e i l sie bei Erlaß der Allgemeinverbindlicherklärung nicht unveränderlich feststeht, vielmehr auch alle die unbestimmt vielen Arbeitsverhältnisse von der Anordnung erfaßt werden, die erst nach ihrem Erlaß begründet werden. Da die Allgemeinverbindlicherklärung m i t den Partnern dieser Arbeitsverhältnisse zwangsläufig zugleich eine unbestimmte Vielzahl von Personen betrifft, besitzt sie somit einen sowohl abstrakten als auch generellen Charakter. Die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages erfüllt demnach alle Merkmale eines allgemeinen Rechtssatzes und ist damit als Verordnung anzusehen. E. Der Rechtscharakter preisrechtlicher

Anordnungen

Noch nicht hinreichend geklärt ist ferner auch der Rechtscharakter von preisrechtlichen Anordnungen, durch die für bestimmte Waren, Leistungen oder Miet- u n d Pachträume Fest- oder Höchstpreise festgesetzt werden. Derartige Anordnungen können einen sehr unterschiedlichen Inhalt haben und unterliegen je nachdem auch einer verschiedenen rechtlichen Beurteilung. I. Betrachten w i r zunächst die Preisfestsetzungen für Waren.

bestimmte

a) Einer der einfachsten Fälle ist hier der, daß ein Preis für eine bestimmte gattungsmäßig bezeichnete Ware festgesetzt wird, etwa für das Pfund Margarine i m Einzelhandel 1 47 . Eine solche Anordnung enthält den Befehl an alle Einzelhändler, bei dem Verkauf — oder besser: bei jedem einzelnen Verkauf — von Margarine den festgesetzten Preis einzuhalten. Sie wendet sich damit zur Regelung einer unbestimmten Zahl von Fällen an eine unbestimmte Zahl von Personen, hat also einen abstrakt-generellen Charakter und muß deshalb als Verordnung erlassen werden 1 4 8 . Ebenso einfach liegt der umgekehrte — praktisch allerdings w o h l kaum vorkommende — Fall, daß ein Hoheitsakt einen ganz bestimmten Gegenstand einer Preisbindung unterwirft, etwa eine von der Firma X 146 Es sei darauf hingewiesen, daß sowohl Hildegard Krüger als auch das B V w G bei der Anerkennung dieses Umstandes offensichtlich von einem F a l l Begriff ausgehen, der genau unserem f ü r die rechtsgestaltenden Hoheitsakte entwickelten Fall-Begriff entspricht. 147 Beispiel von Bettermann: Preisrecht, S. 93. 148 Ebenso auch Bettermann, a. a. O., u n d Obermayer: Verwaltungsakt, S. 81. Das gleiche gilt, w i e Bettermann darlegt, auch f ü r die Preisfestsetzung für eine gattungsmäßig bezeichnete Leistung, z. B. ein Kilometergeld für die Autodroschken.

204

3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

hergestellte Spezialmaschine. Hier liegt ganz sicherlich ein konkret-spezieller Verwaltungsakt vor, da der Befehl ein einmaliges Verhalten — die Festsetzung des Preises beim Verkauf der Maschine — regelt und an eine bestimmte Person gerichtet ist. b) Erhebliche Schwierigkeiten hat hingegen i m bisherigen Schrifttum die Frage nach dem Rechtscharakter solcher Preisfestsetzungen bereitet, die den bestimmten A r t i k e l eines einzelnen Herstellers betreffen, etwa das Waschmittel „Persil" der Henkel-Werke 1 4 9 . Ist eine solche Anordnung — wie es w o h l i n der Regel geschieht — unmittelbar an den Hersteller gerichtet, so spricht dies für ihre Qualifizierung als Verwaltungsakt; aber „da sie auch die Abnehmer trifft, deren Zahl aber unübersehbar ist, so trägt auch eine solche Preisfestsetzung insoweit generellen Charakter, als eine unbestimmte Zahl von Rechtsgeschäften und eine Unzahl von Geschäftspartnern betroffen w i r d " 1 5 0 . Demgemäß stellt sich das Problem, welches Moment für die rechtliche Beurteilung ausschlaggebend sein soll. Obermayer 151 n i m m t hier einen Verwaltungsakt an, indem er die Adressierung an den Hersteller, also eine bestimmte einzelne Person, als entscheidend betrachtet und die Auswirkungen auf die unbestimmte Zahl der Abnehmer als lediglich mittelbare Folgen ansieht, denen für die Frage nach dem Rechtscharakter der Anordnung keine Bedeutung zukomme. Demgegenüber mißt Bettermann 152 der „preisrechtlichen Bindung" der Geschäftspartner ein wesentlich größeres Gewicht bei, läßt aber die Frage i n der Sache letztlich offen und beschränkt sich auf die Feststellung, es werde niemand bezweifeln, daß eine solche Festsetzung „ i n Form der Verfügung" ergehe. Das Problem des Rechtscharakters derartiger Anordnungen läßt sich nur lösen, wenn Klarheit darüber besteht, ob sie lediglich den Hersteller verpflichten oder ob der i n ihnen enthaltene Befehl zugleich auch an die unbestimmte Vielzahl der zukünftigen Geschäftspartner gerichtet ist, so daß auch diese i m technischen Sinne als Adressaten anzusehen sind. Denn da solche Anordnungen ein unbestimmt oft wiederholbares Verhalten — nämlich die Preisbildung bei den i n Zukunft über diesen A r t i k e l abzuschließenden Kaufverträgen — und damit i m streng rechtstheoretischen Sinne eine unbestimmte Vielzahl von Fällen regeln, könnte ihnen nur dann die Qualität von Verwaltungsakten zukommen, wenn sie jeweils lediglich an eine bestimmte einzelne Person gerichtet wären 1 5 3 . Bei der Prüfung ihrer Adressierung t r i t t nun eine interessante Wechselbeziehung zwischen Form und sachlichem Inhalt zutage: Die Beantwortung der Frage, ob solche Preisfestsetzungen nur den Hersteller oder 149 150 151 152 153

Beispiel von Bettermann, a. a. O. Bettermann, a. a. O., S. 94. Obermayer, a. a. O., S. 81. Bettermann, a. a. O., S. 94.

Vgl. oben § 16.

§ 19. E. Der Rechtscharakter preisrechtlicher Anordnungen

205

auch die Abnehmer verpflichten und ob sie demgemäß Verwaltungsakte oder allgemeine Rechtssätze sind, hängt nämlich wesentlich davon ab, ob sie als (an den Hersteller gerichteter) Verwaltungsakt oder als Rechtsverordnung erlassen werden. Das ergibt sich daraus, daß durch einen lediglich an den Hersteller gerichteten Hoheitsakt keine Rechtspflichten für dritte Personen begründet werden können, daß es vielmehr des Erlasses einer Rechtsverordnung bedarf, wenn auch der Kreis der noch unbestimmten Abnehmer zur Beachtung des festgesetzten Preises verpflichtet werden soll 1 5 4 . Diese werden zwar durch einen n u r an den Hersteller gerichteten Hoheitsakt insofern mittelbar berührt, als die Preisfestsetzung auch ihnen gegenüber Auswirkungen entfaltet, wenn der Hersteller sie befolgt; allein dies sind eben, wie Obermayer m i t Recht betont, n u r mittelbare Folgen der Anordnung, die es noch keineswegs rechtfertigen, die Geschäftspartner als deren Adressaten anzusehen. Adressaten der Anordnung wären sie n u r dann, wenn sie selbst zur Beachtung des festgesetzten Preises verpflichtet wären, und eine solche Verpflichtung kann für sie als unbestimmte Personenvielheit nur durch den Erlaß einer Rechtsverordnung begründet werden. Die Lösung des Problems besteht also überraschenderweise darin, daß der Rechtscharakter von Preisfestsetzungen für den A r t i k e l eines einzelnen Herstellers entscheidend von der Form abhängt, i n der der Hoheitsakt erlassen wird. Ergeht er — wie es praktisch die Regel sein w i r d — als Anordnung an den Hersteller, so regelt er — w e i l an eine bestimmte einzelne Person gerichtet — einen Einzelfall i m Sinne von § 25 VGVO und ist deshalb ein Verwaltungsakt. W i r d er hingegen als Rechtsverordnung erlassen derart, daß er auch den unbestimmten Kreis der Abnehmer zur Einhaltung des festgesetzten Preises verpflichtet, so hat er einen abstrakt-generellen Inhalt und ist deshalb auch der Sache nach eine Verordnung. II. Ähnliche Grundsätze wie für die Preisfestsetzungen für Waren gelten auch für die Festsetzung von Höchst- oder Festpreisen für Mietund Pachträume. Keinem Zweifel unterliegt es, daß eine solche Anordnung inhaltlich eine abstrakt-generelle Maßnahme ist und deshalb auch n u r als Verordnung ergehen kann, wenn sie sich auf die zukünftigen Verträge über alle Räume einer bestimmten Gattung bezieht. Ebenso sicher liegt ein Verwaltungsakt vor, wenn die Mietfestsetzung ein bestimmtes Mietverhältnis zwischen zwei bestimmten Parteien betrifft. Schwierigkeiten bereitet hingegen auch hier eine Anordnimg, die die Miete oder Pacht für einen bestimmten Raum oder eine bestimmte Zahl 154

Das w i r d offenbar von Bettermann,

a. a. O., S. 94 nicht k l a r erkannt.

206

3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

von Räumen festsetzt 155 , jedoch nicht n u r für die augenblicklichen Mietparteien, sondern auch für deren sämtliche Rechtsnachfolger gelten soll. Obermayer 156 geht hier davon aus, daß die unmittelbaren Wirkungen einer solchen Festsetzung n u r die derzeitigen Mietparteien treffen und daß sich die bindende W i r k u n g der Anordnung gegenüber den Rechtsnachfolgern n u r daraus ergibt, daß die Festsetzung den betreffenden Raum m i t einer „öffentlichen Last" belegt; die Festsetzung sei deshalb als Verwaltungsakt anzusehen. Demgegenüber rechnet Bettermann 157 auch die Rechtsnachfolger zu den Adressaten der Anordnung, zieht aber daraus keine klaren Konsequenzen, sondern beschränkt sich auch hier auf die Feststellung, daß eine solche Festsetzung „ i n Form der Verfügung" ergehe. Ähnlich wie bei der Preisfestsetzung für den A r t i k e l eines einzelnen Herstellers kommt es auch hier entscheidend darauf an, wen die Anordnung ihrem Inhalt nach verpflichten w i l l . Ist es n u r der derzeitige Vermieter, der für alle von i h m über den betreffenden Raum zukünftig abzuschließenden Verträge preisrechtlich gebunden sein soll, so handelt es sich u m eine Einzelfallregelung i m Sinne von § 25 V G V O und damit u m einen Verwaltungsakt. Sollen hingegen auch sämtliche Nachfolger des jetzigen Vermieters bzw. der jetzigen Mietparteien zur Einhaltung des festgesetzten Preises verpflichtet werden, so betrifft die Anordnung den Abschluß einer unbestimmten Zahl von Verträgen zwischen einer unbestimmten Zahl von Personen, besitzt also einen abstrakt-generellen Charakter. Sie kann deshalb die beabsichtigten Wirkungen n u r entfalten, wenn sie als Verordnung erlassen und damit durch Abdruck i n einem amtlichen Publikationsorgan öffentlich verkündet wird, da es hier — anders als bei den Verkehrsanordnungen u n d beim Fluchtlinienplan — an besonderen gesetzlichen Verkündungsvorschriften fehlt. Würde eine solche inhaltlich abstrakt-generelle Anordnung lediglich den augenblicklichen Mietparteien zur Kenntnis gebracht, so könnte sie niemals eine Verpflichtimg für deren Nachfolger begründen, da es diesen gegenüber an der erforderlichen Kundmachung fehlen würde 1 5 8 . Fraglich kann allein sein, ob eine solche nur den derzeitigen Mietparteien bekanntgemachte Anordnung als wegen Formmangels nichtige Ver155

ζ. B. für alle Wohnungen eines bestimmten Hauses.

156

Obermayer, a. a. O., S. 81.

157

Bettermann, a. a. O., S. 94.

158

Die diesbezüglichen Ausführungen Obermayers, a. a. O., S. 81 sind nicht recht verständlich. Einerseits geht er offenbar davon aus, daß auch die Nachfolger an die Preisfestsetzung gebunden seien, wobei er es (unzutreffend) für ausreichend hält, daß diese sich nach dem festgesetzten Preis „erkundigen" k ö n nen. Andererseits erklärt er jedoch, eine unmittelbare W i r k u n g gegenüber den Rechtsnachfolgern müsse schon deshalb ausscheiden, „ w e i l es an einer entsprechenden Kundmachung fehlt".

§ 19. E. Der Rechtscharakter preisrechtlicher Anordnungen

207

Ordnung und damit als schlechthin wirkungslos angesehen werden muß, oder ob sie wenigstens als gegenüber den derzeitigen Mietparteien w i r k samer Verwaltungsakt aufrechterhalten werden kann. I m Hinblick darauf, daß sie vorerst nur diese treffen soll und ihnen auch persönlich kundgemacht ist, w i r d man hier letzteres annehmen dürfen. Als Ergebnis ist somit festzustellen, daß die Festsetzung des Mietpreises für bestimmte einzelne Räume, die außer den gegenwärtigen auch die zukünftigen Mietparteien binden soll, nur i m Wege der Verordnung erfolgen kann; eine lediglich an die derzeitigen Mietparteien gerichtete Preisfestsetzung vermag allein diese, nicht aber ihre Nachfolger zu binden und ist deshalb zweifelsfrei als Verwaltungsakt zu beurteilen 159 . Abschließend sei n u n noch kurz zu dem Fall Stellung genommen, daß aus Anlaß einer Messe oder eines Kongresses i n einer bestimmten Stadt die Preise und sonstigen Bedingungen für die Vermietung von Privatquartieren festgelegt werden. Bettermann m spricht hier von einem typischen Fall von Allgemeinverfügung, während Obermayer 161 danach differenzieren w i l l , ob die Regelung für jedermann gilt, der während der Veranstaltung — einmal — ein Zimmer vermietet, oder ob sie sich auf mehrere bereits ermittelte Quartiere beschränkt: I m ersten Fall liege ein allgemeiner Rechtssatz, i m anderen eine Allgemeinverfügung vor. Die Ansicht Obermayers ist zutreffend. Ergeht die Anordnung an die unbestimmte Zahl derer, die während der Veranstaltung eine Unterkunft vermieten wollen, so ist sie nicht konkret, sondern abstrakt und generell, w e i l sie den Abschluß einer unbestimmten Zahl von Verträgen seitens einer unbestimmten Zahl von Personen, also eine unbestimmte Zahl von Fällen regelt. Betrifft sie hingegen nur eine Reihe von bereits feststehenden Vermietern, so regelt sie eine bestimmte Zahl von Fällen 1 6 2 und ist deshalb Allgemeinverfügung. 159 Der Erlaß derartiger Verordnungen w i r d allerdings, worauf Bettermann, a. a. O., S. 94 zutreffend hinweist, „bei der riesigen Menge solcher Preisfestsetzungen praktisch undurchführbar" sein. Die sich daraus de facto ergebende Unmöglichkeit, den für einen bestimmten Raum zulässigen Mietpreis ein für allemal m i t W i r k u n g gegenüber sämtlichen Rechtsnachfolgern festzusetzen, ist indessen nicht so mißlich, w i e es zunächst den Anschein hat; denn es bleibt der Behörde unbenommen u n d ist auch praktisch ohne weiteres angängig, die Festsetzung bei einem Wechsel der Mietparteien bzw. des Vermieters jeweils zu erneuern.

160 161

Bettermann, a. a. O., S. 93. Obermayer, a. a. O., S. 81.

162 Dies gilt unabhängig davon, ob diese Vermieter während der Veranstaltung jeweils n u r einen oder mehrere Verträge abschließen, da sich der konkrete Charakter der Anordnung schon daraus ergibt, daß sie an eine bestimmte Zahl von Personen gerichtet ist.

208

3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p .

F. Sonstige

Anordnungen

Zum Abschluß dieses Fragenkomplexes soll nun noch kurz auf einige Hoheitsakte eingegangen werden, deren Behandlung i n der Praxis wegen ihres problematischen Rechtscharakters ebenfalls zu Schwierigkeiten führen kann. I. Zunächst seien hier die viehseuchenpolizeilichen nach den §§ 18 ff. des Viehseuchengesetzes163 genannt.

Anordnungen

Bis zur Einführung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel bereiteten diese Anordnungen i n der Praxis keinerlei Schwierigkeiten, da die beiden Fragen, hinsichtlich deren dem Rechtscharakter eines Hoheitsaktes praktische Bedeutung zukommt — nämlich die der Form des Erlasses und die der Anfechtbarkeit — eine klare gesetzliche Regelung gefunden hatten: Hinsichtlich des Erlasses schreibt § 3 des preußischen Ausführungsgesetzes 164 vor, daß Anordnungen, die verbindliche K r a f t für eine unbestimmte Zahl von Personen erlangen sollen, öffentlich bekanntzumachen sind, daß hingegen für solche Anordnungen, die an eine bestimmte Person gerichtet sind, mündliche Bekanntgabe genügt. Die Anfechtbarkeit aber war i n § 4 dahin geregelt, daß gegen sämtliche auf Grund des Viehseuchengesetzes erlassenen Anordnungen unter Ausschluß der Klage lediglich die Beschwerde bei den vorgesetzten Polizeibehörden zulässig war. Nachdem aber durch die Einführung der Generalklausel des § 22 VGVO sämtliche Verwaltungsakte der verwaltungsgerichtlichen Anfechtimg auch insoweit unterworfen worden sind, als sie nach früheren Vorschriften nicht vor einem Gericht angefochten werden konnten, ergibt sich nunmehr die Notwendigkeit, innerhalb der Gesamtheit der auf Grund des Viehseuchengesetzes getroffenen Anordnungen zwischen Verwaltungsakten und Verordnungen eine klare Abgrenzung zu treffen. Einen gewissen Anhaltspunkt bietet hier die vom Gesetz selbst vorgenommene Unterscheidung zwischen den an eine bestimmte Person und den an eine unbestimmte Zahl von Personen gerichteten Anordnungen, den „viehseuchenpolizeilichen Anordnungen" i m engeren Sinne. Indessen bleibt zu prüfen, ob es sich bei letzteren tatsächlich durchweg u m Verordnungen oder nicht möglicherweise auch u m Allgemeinverfügungen handelt 1 6 5 . 163

Viehseuchengesetz v o m 26. J u n i 1909, RGBl. I, S. 519. Preußisches Ausführungsgesetz zum Viehseuchengesetz v o m 25. J u l i 1911 (GS, S. 149) i. d. F. v. 28. März 1928 (GS, S. 45). 185 Daß die an eine bestimmte Person gerichteten Anordnungen stets einen Einzelfall regeln u n d damit auch immer Verwaltungsakte sind, wurde bereits oben i n § 16 ausführlich begründet u n d bedarf hier deshalb keiner näheren Darlegung mehr. 184

§ 19. F. Sonstige Anordnungen

209

A l s solche k ö n n t e n h i e r v o r n e h m l i c h A n o r d n u n g e n gemäß § 22 V i e h seuchenG i n B e t r a c h t z u z i e h e n sein, d u r c h die e i n G e h ö f t , e i n O r t oder eine Weidefläche gegen d e n V e r k e h r m i t T i e r e n u n d m i t Gegenständen, d i e T r ä g e r des Ansteckungsstoffes sein k ö n n e n , g e s p e r r t w e r d e n . D i e B e s c h r ä n k i m g des V e r b o t s a u f e i n e n g e n a u b e s t i m m t e n , eng u m g r e n z t e n R a u m k ö n n t e z u d e m Schluß v e r l e i t e n , daß es d i e R e g e l u n g eines E i n z e l f a l l e s z u m I n h a l t habe. Indessen w u r d e b e r e i t s o b e n 1 6 6 i m R a h m e n d e r rechtstheoretischen U n t e r s u c h u n g a u s f ü h r l i c h d a r g e l e g t , daß eine i n diesem S i n n e ö r t l i c h e „ B e s t i m m t h e i t " eines H o h e i t s a k t e s f ü r die F r a g e n a c h s e i n e m a b s t r a k t e n oder k o n k r e t e n C h a r a k t e r ohne B e d e u t u n g ist. Sie a l l e i n k a n n deshalb d e n A n o r d n u n g e n n i c h t d e n C h a r a k t e r v o n Allgemeinverfügungen verleihen. Derartige Verbote sind vielmehr i n d e r T a t V e r o r d n u n g e n , w e i l sie e i n u n b e s t i m m t o f t w i e d e r h o l b a r e s V e r h a l t e n — das E i n b r i n g e n oder A u s f ü h r e n v o n T i e r e n u s w . i n d e n b z w . aus d e m S p e r r b e z i r k — u n d d a m i t eine u n b e s t i m m t e Z a h l v o n Fällen regeln167. Entsprechendes g i l t auch f ü r die i n § 47 V i e h s e u c h e n G g e n a n n t e n A n 186

Vgl. oben § 10 Β B B I b u n d § 11 Β I I c A n m . 176. Ä h n l i c h w i e bei den Verkehrszeichen u n d beim Fluchtlinienplan ergibt sich auch hier die Frage, ob der Beurteilung dieser Anordnungen als Verordnungen etwa der Umstand entgegensteht, daß sie zu einem erheblichen T e i l nicht durch Abdruck i n einem amtlichen Publikationsorgan verkündet werden. § 3 p r A u s f G bestimmt zwar, daß die Anordnungen des Ministers u n d der Regierungspräsidenten i m Reichs- u n d preußischen Staatsanzeiger bzw. i n den Amtsblättern der Regierungen zu veröffentlichen sind; hingegen w i r d „ f ü r A n ordnungen der Landräte u n d der Ortspolizeibehörden die A r t der Veröffentlichung v o m Regierungspräsidenten bestimmt". Nach § 5 der Ausführungsbestimmungen zum A u s f G v. 12. 4.1912 „ist f ü r diesen Zweck regelmäßig, sofern nicht eine anderweite F o r m der ortsüblichen Bekanntmachung (durch A u s hang, Ausrufen usw.) als genügend anzusehen ist, die Veröffentlichung n u r i n einem Blatte vorzuschreiben". Es k a n n also nach dieser Regelung durchaus vorkommen, daß eine abstrakt-generelle A n o r d n u n g nicht einmal durch V e r öffentlichung i n einer Tageszeitung, sondern n u r durch Aushang oder A u s r u fen öffentlich bekanntgemacht w i r d . Nach den bei der Behandlung der Verkehrszeichen u n d des Fluchtlinienplanes dargelegten Grundsätzen (vgl. oben A l b u n d Β I I b) rechtfertigt es dieser Umstand indessen nicht, derart bekanntgemachte Anordnungen als A l l gemeinverfügungen zu qualifizieren. Fraglich ist lediglich, ob sie dem f ü r abstrakt-generelle Anordnungen geltenden Erfordernis der ordnungsmäßigen Veröffentlichung genügen oder aber wegen Verstoßes gegen dieses Erfordernis u n g ü l t i g sind (vgl. B V w G v. 21. 5. 1957: DVB1. 1957, 536 u n d Werner, ebenda, S. 537). Bezüglich der Veröffentlichung durch Abdruck i n einer Tageszeitung oder durch Aushang an der Gemeindetafel dürften insoweit keine Bedenken bestehen, da die Anordnungen hier hinreichend bekannt werden u n d von jederm a n n eingesehen werden können. Die Verkündung durch bloßes Ausrufen k a n n jedoch nicht mehr als ordnungsmäßige Veröffentlichung angesehen w e r den, da hier nicht gewährleistet ist, daß alle von der Anordnung Betroffenen von i h r e m ganzen I n h a l t Kenntnis nehmen können (a. M. anscheinend Wolff: Verwaltungsrecht I, S. 108). Aus diesem Grunde muß § 5 der Ausführungsbestimmungen, der eine solche Verkündungsform zuläßt, insoweit wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz der gehörigen Publikation einer N o r m als ungültig angesehen werden (vgl. B V w G , a. a. O.). 187

14

Volkmar

210

3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap.

Ordnungen, durch die der Verkehr von Personen i n Räumlichkeiten (Stall, Hofraum, Marktplatz usw.), i n denen sich für die Seuche empfängliche Tiere befinden, beschränkt oder ausgeschlossen wird. Die übrigen der i n den §§ 18 ff. vorgesehenen Anordnungen regeln, soweit sie an eine unbestimmte Zahl von Personen gerichtet sind, offensichtlich auch stets eine unbestimmte Zahl von Fällen. Es kann also davon ausgegangen werden, daß den an eine unbestimmte Zahl von Personen gerichteten viehseuchenpolizeilichen Anordnungen durchweg der Charakter von Rechtsverordnungen zukommt, so daß sie der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung nach wie vor entzogen sind168'169. II. Gewisse Schwierigkeiten bereitet auch der Rechtscharakter der Beschlagnahme einer Zeitung oder sonstigen Druckschrift. Diese Schwierigkeiten ergeben sich daraus, daß die Beschlagnahme zwar einerseits eine bestimmte „Sache" betrifft und unmittelbar an eine bestimmte Person gerichtet ist, andererseits aber — vor allem durch das m i t ihr typischerweise verbundene Verbreitungsverbot — Rechtswirkungen gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Personen äußert. Hinsichtlich des Ergebnisses besteht zwar i m Schrifttum 1 7 0 darüber Einigkeit, daß die Beschlagnahme als Verwaltungsakt anzusehen sei, doch fehlt es bislang an einer zufriedenstellenden Begründung 1 7 1 . Das für die Beurteilung des Rechtscharakters der Beschlagnahme nach dem Reichspressegesetz 172 entscheidende Moment ist darin zu erblicken, daß die Beschlagnahmeanordnung nach herrschender Ansicht 1 7 3 mittels schriftlicher, dem Betroffenen 174 zuzustellender Verfügung erfolgt. Be168 w i e stets i n solchen Fällen ist selbstverständlich auch hier die Möglichk e i t gegeben, durch Übertretung der Verordnung den Erlaß einer auf diese gestützten Verfügung herbeizuführen u n d durch deren Anfechtung auch die V e r ordnung selbst der inzidenten gerichtlichen Überprüfimg zu unterstellen. 169 Dieses Ergebnis w i r d bestätigt durch § 55 nwOBG. Nach dieser V o r schrift tragen i m Geltungsbereich des Gesetzes die an eine unbestimmte Z a h l v o n Personen gerichteten „Viehseuchenpolizeilichen Anordnungen" die Bezeichnung „Viehseuchenverordnung". Der Gesetzgeber geht also offensichtlich dav o n aus, daß es sich bei solchen Anordnungen durchweg u m echte Verordnungen handelt. 170 171

Vgl. Rosin: Polizeiverordnungsrecht, S. 13 f.; W. Jellinek:

Gesetz, S. 151.

Während sich Rosin auf die Behauptung beschränkt, die Beschlagnahmeverfügung regele einen einzelnen Fall, meint Jellinek i n Anwendung seiner Allgemeinheits-Theorie, die v o n der Beschlagnahme betroffene unbestimmte Personenvielheit werde k r a f t ihrer Beziehung zur Sache — nämlich der durch das einzelne beschlagnahmte Exemplar verkörperten Auflage — zu einer Einheit zusammengefaßt. 172 Reichsgesetz über die Presse v. 7. 5. 1874 (RGBl. I , S. 65); zur teilweisen Aufhebung dieses Gesetzes vgl. Schwarz: Strafgesetzbuch, 19. A u f l . 1956, S. 982 A n m . 2. 178 Vgl. Löffler: Presserecht, Vorb. §§ 23—29 RPresseG A n m . 21 u n d § 27 A n m . 23. 174 w e r dies ist, läßt sich dem Geetz selbst nicht k l a r entnehmen. I n der Regel dürfte es sich u m den Herausgeber oder den Verleger handeln.

§ 19. F. Sonstige Anordnungen

211

reits aus diesem Umstand ergibt sich, daß sie nur als Verwaltungsakt angesehen werden kann, da, wie oben 175 ausführlich dargelegt wurde, ein an eine bestimmte Person gerichteter Hoheitsakt stets auch einen einzelnen F a l l (im positivrechtlichen Sinne) regelt. Das Verbreitungsverbot, das einer unbestimmten Vielzahl von Personen die Verbreitung oder den Wiederabdruck der beschlagnahmten Druckschrift untersagt und damit abstrakt-generellen Charakter besitzt, gehört demgegenüber nicht zum Inhalt der Beschlagnahmeanordnung; es ist vielmehr i n einem allgemeinen Rechtssatz 176 als Rechtsfolge an den Tatbestand der Beschlagnahme geknüpft und muß deshalb für die Beurteilung des Rechtscharakters der Beschlagnahmeanordnung selbst außer Betracht bleiben 177 . Es zeigt sich somit, daß der Beschlagnahmeanordnung nach dem Reichspressegesetz 178 i n der Tat der Rechtscharakter eines Verwaltungsaktes zukommt. I I I . I m Zusammenhang m i t der Beschlagnahme von Druckschriften soll schließlich noch das Verbot eines Films erwähnt werden. Anders als bei der Beschlagnahme ist hier eine einheitliche Beurteilung nicht möglich. Denn ein solches Verbot kann i n verschiedener Gestalt auftreten derart, daß auch die Frage nach seinem Rechtscharakter unterschiedlich beantwortet werden muß. Es kann sich nämlich einmal an eine bestimmte Person oder an eine bestimmte Zahl von Personen wenden; so etwa, wenn den (augenblicklichen) Kinobesitzern eines Ortes untersagt wird, einen bestimmten F i l m aufzuführen 179 . Es kann aber auch i n einem größeren Bereich, etwa einem ganzen Land, die A u f führung eines Films ein für allemal untersagen und deshalb an eine unbestimmte Zahl von Personen gerichtet sein. I m ersten Fall handelt es sich u m einen Verwaltungsakt, da infolge der Adressierung an eine bestimmte Zahl von Personen eine konkrete Regelung vorliegt 1 7 5 . I m anderen Fall hingegen besitzt das Verbot einen abstrakt-generellen Charakter, da es einer unbestimmten Zahl von Personen ein unbestimmt oft wiederholbares Verhalten untersagt; es kann hier also nur als Verordnimg erlassen werden 1 8 0 . 175

Vgl. oben §16. §28 RPresseG: „Während der Dauer der Beschlagnahme ist die V e r breitung der von derselben betroffenen Druckschrift oder der Wiederabdruck der die Beschlagnahme veranlassenden Stellen unstatthaft." 177 Vgl. zu dieser „Tatbestandswirkung" auch Menger: Gesetz, S. 13 f. 178 Das gleiche g ü t auch f ü r die Beschlagnahme nach den verschiedenen neuen Pressegesetzen der Länder, da diese insoweit keine Besonderheiten aufweisen. 179 Vgl. etwa den „Sünderin"-Fall, w i e er der Entscheidung B V w G E 1, 303 ff. zugrunde liegt. wo D e r gleiche Erfolg läßt sich freilich auch dadurch erreichen, daß der H e r steller- oder Verleihfirma verboten w i r d , den F i l m i n Verkehr zu bringen. Bei diesem Verfahren wäre das Verbot wieder als Verwaltungsakt anzusprechen. 176

14·

Drittes

Kapitel

Allgemeines Gesetz und Einzelfallgesetz im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG Das Problem der Abgrenzung von allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt ist, wie bereits erwähnt wurde 1 , nicht nur auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts von erheblicher praktischer Bedeutung. Es stellt sich vielmehr — obschon vielleicht nicht i n dem gleichen Umfange — auch auf der Ebene des Verfassungsrechts als eine von der Rechtspraxis zu bewältigende Aufgabe. Nachdem bereits während der Weimarer Zeit ein heftiger Streit u m die Frage der Zulässigkeit von Individualgesetzen geführt worden war 2 , hat das GG nunmehr i n A r t . 19 Abs. 1 Satz 1 „ f ü r den Einzelfall geltende Gesetze" für den Bereich der Grundrechtseinschränkung ausdrücklich für unzulässig erklärt und damit zwar insoweit diese Streitfrage nachträglich entschieden, zugleich aber auch eine klare begriffliche Erfassung und Umgrenzung derartiger Einzelakte i n Gesetzesform zu einem Problem des positiven Verfassungsrechts erhoben. Daß dieses Problem nicht nur von wissenschaftlichem Interesse ist, sondern durchaus auch i m Hinblick auf positive Gesetze bedeutsam werden kann, hat jüngst die Diskussion über die Gültigkeit der „lex Schörner" 3 m i t aller Deutlichkeit aufgezeigt. Desto überraschender mutet es an, daß es — wie ein Überblick über das einschlägige Schrifttum 4 erweist — von einer abschließenden oder auch nur halbwegs befriedigenden Lösung noch weit entfernt ist. §20.

Die bisherigen

Abgrenzungsversuche

A. Darstellung Bei einer Betrachtung der literarischen Äußerungen, die sich m i t A r t . 19 I 1 GG befassen, fällt zunächst auf, daß sich ein erheblicher Teil 1

Vgl. oben §1. Vgl. oben § 1 ; i m übrigen siehe statt vieler Thoma: Handbuch I I , S. 147 bis 151 u n d Carl Schmitt: Verfassungslehre, S. 138—157. 3 Vgl. Hildegard Krüger: DVB1. 1955, 758—763 u. 791—796 m i t weiteren Nachweisen. 4 Die Rechtsprechung hat zur Problematik des A r t . 19 I 1 GG bisher noch nicht näher Stellung genommen. Auch i m Beschluß des B V f G v. 16. 10. 1957 (BVfGE 7,129 ff.) finden sich hierzu n u r sehr oberflächliche Bemerkungen. 2

§ 20. Die bisherigen Abgrenzungsversuche zu A r t . 1911

G G 2 1 3

von ihnen nicht einmal i m Ansatz u m die entscheidende Frage der begrifflichen Abgrenzung der dort genannten Gesetze bemüht, sondern sich m i t der Anführung des mehr oder minder abgewandelten Gesetzestextes begnügt oder aber allenfalls grobe und oberflächliche Umschreibungen gibt. Dies gilt vornehmlich für Nawiasky 5, Giese e, Herbert Krüger 7, Maunz 8, Dürig 9 und v. Mangoldt 10, aber auch für Wernicke 11 und 5

Nawiasky: Grundgedanken, S. 23: „Hinzugefügt w i r d noch begrüßenswerterweise, daß das Gesetz allgemein u n d nicht n u r f ü r den Einzelfall gelten muß." 6 Giese: Grundgesetz, A r t . 19 A n m . 2: „ F ü r solche Fälle sind sog. „ I n d i v i dualgesetze" verboten, so namentlich auch bei der Materie des A r t . 15 Übrigens ergibt sich dieses Verbot i n aller Regel schon aus dem Gleichheitsprinzip des A r t . 3." 7 Herbert Krüger: DVB1. 1950, 626: „ I s t der Gesetzgeber hiernach zu dem Eingriff i n ein Grundrecht ermächtigt, so k a n n dies n u r i n Gestalt eines allgemeinen, nicht n u r f ü r einen Einzelfall geltenden Gesetzes geschehen... Auch i n einem ganz besonders gelagerten Einzelfall darf i n ein Grundrecht nicht eingegriffen werden, w e i l dies n u r i n der F o r m eines Einzelgesetzes geschehen könnte, die A r t . 191 ausnahmslos ausschließt." 8 Maunz: Staatsrecht, S. 107: „ V o m Verbot der individuellen Durchbrechung k a n n schon jetzt unschwer prophezeit werden, daß es nicht die erhoffte Hilfe bringen w i r d . Die Gesetzgebungstechnik ist heute so k u n s t v o l l ausgebildet, daß jedes Gesetz i n der F o r m eines ,für alle geltenden Satzes* ergehen kann, a u d i w e n n es sich bewußt auf die Regelung von Einzelfällen beschränken w i l l . " 9 Dürig: J Z 1954, 7: „ A r t . 19 Abs. 1, S. 1 verweist den Gesetzgeber wieder i n seinen ureigensten Aufgabenbereich der generellen u n d abstrakten Normier u n g u n d verbietet eine V e r w a l t u n g durch Gesetz, w e n n es sich u m G r u n d rechtskollisionen handelt." 10 v. Mangoldt: Grundgesetz, 1. Aufl., A r t . 19 A n m . 3: „Nicht wie die V e r w a l t u n g . . . darf der Gesetzgeber durch Einzeleingriff i n die gewährleisteten Grundrechte eingreifen oder zu einem Einzeleingriff ermächtigen. Er darf v i e l mehr Grundrechte entweder n u r selbst generell, d. h. für alle unter den gesetzlichen Tatbestand fallenden Fälle i n gleicher Weise, einschränken oder m i t a l l gemeiner W i r k u n g vorsehen, daß, w o sich ein bestimmter Tatbestand v e r w i r k licht, i n Grundrechte eingegriffen werden kann. Das ist insbesondere f ü r den Sozialisierungsartikel von Bedeutung, da dadurch die Sozialisierung eines E i n zelunternehmens durch Gesetz ausgeschlossen w i r d . " 11 Wernicke: Bonner Kommentar, A r t . 19 A n m . I I 1 c u n d d: „Halbsatz 2 enthält eine, u n d zwar die sachliche Gültigkeitsvoraussetzung. I n den Fällen des 1. Halbsatzes nämlich ,muß das Gesetz allgemein u n d nicht n u r f ü r den Einzelfall gelten 4 . Die Doppelgleisigkeit dieser Gültigkeitsvoraussetzung dürfte jedoch n u r scheinbar sein, da dem negativen Erfordernis w o h l n u r die Bedeutung einer — authentischen — Interpretation des positiv gefaßten Erfordernisses zukommt (umgekehrt g i l t dasselbe)... Diese Gültigkeitsvoraussetzung bestätigt bzw. verstärkt die grundsätzlich schon aus dem Gleichheitssatz herzuleitende Ausschließung nicht ,allgemein' geltender Gesetze. Erfaßt sind dam i t insbesondere jene Fälle, w o der Gleichheitssatz nicht ausreichen sollte, denn A r t . 19 I 1 verbietet ausnahmslos jegliche Einzelaktgesetzgebung w i e ζ. B. Enteignung oder Sozialisierung eines bestimmten U n t e r n e h m e n s . . . (Zum Begriff „allgemeine Gesetze" vgl. auch Rothenbücher u n d Smend i n VeröffVDStRL. Heft 4, 1928, S. 18 ff., 51 f.: . . . ) . . . F ü r das sachliche Erfordernis des Abs. I 1 ist danach als Ergebnis festzuhalten, daß die Legislative gehalten ist, Gesetze, die Einschränkungen von Grundrechten selber festlegen („durch Gesetz") oder solche Einschränkungen durch die anderen beiden öffentlichen Ge-

214

3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 3

Forsthojf 12 sowie — allerdings i n erheblich geringerem Maße — für Menger 1*. Daneben ist die Problematik des A r t . 19 I 1 GG jedoch bereits auch verschiedentlich einer eingehenderen Untersuchung unterzogen worden. w a l t e n . . . für zulässig erklären („auf G r u n d eines Gesetzes"), n u r m i t ,allgemeiner' Geltungskraft zu erlassen." Es sei bereits hier darauf hingewiesen, daß die Verweisung Wernicke s auf die Referate von Rothenbücher u n d Smend überaus irreführend ist. Angesichts des Inhalts dieser Referate k a n n kein Zweifel daran bestehen, daß der Begriff der „allgemeinen Gesetze" als Schranke der freien Meinungsäußerung eine ganz spezifische Bedeutung besitzt u n d m i t A r t . 19 1 1 i n keinerlei Zusammenhang steht. H i e r geht es u m die logische S t r u k t u r des Gesetzes, dort h i n gegen u m seine Beziehung zum Grundrecht der freien Meinungsäußerung (vgl. v. Mangoldt-Klein: Grundgesetz, A r t . 5 A n m . I X 3 a). Die Erörterungen zum Begriff der „allgemeinen Gesetze" als Schranke des Grundrechts der freien Meinungsäußerimg sind deshalb f ü r A r t . 19 I 1 ohne jede Bedeutung (im E r gebnis ebenso v. Mangoldt-Klein: Grundgesetz, A r t . 19 A n m . I I I 2 a). 12 Forsthoff: Maßnahme-Gesetze. Forsthoff berührt hier den A r t . 19 I 1 n u r am Rande, ohne auf seine Problematik näher einzugehen. Seine Ausführungen sind deshalb für unsere Frage wenig ergiebig u n d bieten lediglich einige karge Hinweise. So etwa der Satz, es liege nahe, hinsichtlich des Begriffs des Maßnahmegesetzes von der Unterscheidung der generellen N o r m u n d des individuellen Befehls auszugehen, doch gebe es auch singuläre Sachverhalte, die der gesetzlichen Regelung bedürften (S. 223) ; daraus könnte gefolgert w e r den, daß Forsthoff unter dem allgemeinen Gesetz eine „generelle N o r m " u n d unter dem Einzelfallgesetz die Regelung eines „singulären Sachverhalts" v e r steht, doch ist damit schon deshalb wenig anzufangen, w e i l er die Begriffe „generell" u n d „singulär" nicht näher bestimmt. I m folgenden hebt Forsthoff dann zwar selbst hervor, daß „schon die Frage, was ein Einzelfall ist, der K l ä r u n g bedarf", da alle Menschen u n d alle Lebensverhältnisse verschieden seien u n d „sich deshalb jede Angelegenheit zum Einzelfall machen läßt" (S. 226); i n dessen geht er dieser entscheidenden Frage nicht näher nach, sondern f ü h r t lediglich ein Gesetz über das frühere Reichsfilmvermögen als Beispiel f ü r eine (zulässige) gesetzliche Einzelfallregelung an. A l s weiteres Beispiel f ü r ein I n dividualgesetz nennt Forsthoff das Straffreiheitsgesetz 1954, „das i n § 8 trotz genereller u n d abstrakter sprachlicher Einkleidung den Charakter eines Maßnahme-Gesetzes hat. . . . Die N o r m ist ein Individualgesetz, denn sie ist auf einen bestimmten, individuellen Personenkreis h i n zugeschnitten, sie ist eine A k t i o n des Gesetzgebers zugunsten dieses Personenkreises" (S. 227). 18 Auch Menger behandelt i n seiner Untersuchung über das Gesetz als N o r m u n d Maßnahme ( W D S t R L Heft 15, S. 3 — 34) den A r t . 19 I 1 GG n u r am Rande, da er ebenso w i e Forsthoff davon ausgeht, daß der Begriff des Maßnahmegesetzes m i t dem des Individualgesetzes nicht identisch sei (S. 21 f. u n d 24). Indessen m i ß t er dem Individualcharakter des Gesetzes f ü r die Frage nach seiner Maßnahme-Qualität eine wesentlich größere Bedeutung zu als Forsthoff; demgemäß t r i f f t er insoweit einige verhältnismäßig klare Begriffsbestimmungen, die zwar i n erster L i n i e als rechtstheoretische Aussagen gemeint sind, j e doch auch für die Auslegung des A r t . 19 I 1 Geltung beanspruchen. So u n t e r scheidet Menger, S. 18 f., i n erfreulich klarer Weise zwischen dem Einzelpersongesetz („der Tatbestand des Gesetzes betrifft n u r eine einzelne Person oder einen k l a r umgrenzten Personenkreis"), dem Einzelfallgesetz („er betrifft n u r einen einzelnen F a l l oder einen k l a r abgegrenzten Kreis von Fällen") u n d dem Zeitgesetz („er erfaßt n u r Fälle eines bestimmten, nach Daten festgelegten Zeitraumes"). Die Einzelperson- u n d die Einzelfallgesetze faßt Menger unter der Bezeichnung „Individualgesetze" zusammen (S. 22). Demgemäß muß aus seiner Wendung von den „nach A r t . 19 Abs. 1 G G verbotenen Individualgesetzen" (S. 29) geschlossen werden, daß er unter einem Einzelfallgesetz i m Sinne

§ 20. Die bisherigen Abgrenzungsversuche zu A r t . 19 1 1 GG

215

I . A l s erste h a t H i l d e g a r d Krüger 14, i m H i n b l i c k a u f d i e „ l e x S c h ö r n e r " versucht, d e n sachlichen G e h a l t dieser V o r s c h r i f t h e r a u s z u a r b e i t e n u n d die h i e r m a ß g e b l i c h e n B e g r i f f e des a l l g e m e i n e n u n d des E i n z e l f a l l Gesetzes n ä h e r z u b e s t i m m e n . A n d e n A n f a n g i h r e r A n a l y s e v o n A r t . 1 9 1 1 G G s t e l l t H i l d e g a r d Krüger eine k u r z e B e s i n n u n g a u f das W e s e n des Gesetzes i m „ r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e n " S i n n e . „ I m rechtsphilosophischen S i n n e i s t Gesetz ü b e r h a u p t n u r e i n Rechtssatz, der a l l g e m e i n g i l t . I m Gegensatz z u d e n a l l g e m e i n e n Gesetzen stehen die I n d i v i d u a l g e s e t z e , die m a n w i e d e r i h r e m Inhalt n a c h i n f ü r d e n E i n z e l fall erlassene u n d gegen oder f ü r E i n z e l p e r s o n e n e r lassene Gesetze e i n t e i l e n k a n n 1 5 . " A u f dieser k u r z e n G r u n d l e g u n g a u f b a u e n d u n t e r n i m m t H . a l s d a n n d e n V e r s u c h e i n e r Exegese v o n A r t . 1 9 1 1 G G :

Krüger

„ I n A r t . 19 A b s . 1 S. 1 G G v e r b i e t e t also das G G m i t seiner F o r d e r u n g , das g r u n d r e c h t s e i n s c h r ä n k e n d e Gesetz müsse »allgemein 4 sein, I n d i vidualgesetze. D a A r t . 19 A b s . 1 S. 1 G G a u ß e r d e m v e r l a n g t , daß das ,allgemeine' Gesetz n i c h t n u r f ü r d e n E i n z e l f a l l g e l t e n d ü r f e , v e r b i e t e t es d a m i t auch k o n k r e t e Gesetze u n d f o r d e r t e i n a b s t r a k t e s G e setz 1 8 . R e g e l m ä ß i g s i n d die Gesetze, auch i n s o w e i t sie n i c h t G r u n d r e c h t e einschränken, a l l g e m e i n u n d a b s t r a k t 1 7 . W e r n i c k e sieht i n d e m z w e i t e n dieser Vorschrift sowohl das Einzelfall- als auch das Einzelpersongesetz i n dem eben dargelegten Sinne verstanden wissen w i l l . 14 Hüdegard Krüger: DVB1.1955, 758—763 u. 791—796. 15 a. a. O., S. 761. H. Krüger hebt alsdann die Notwendigkeit einer weiteren Unterscheidung hervor: „Der Form nach muß m a n zwischen ,konkreten 4 oder ,offenen' Individualgesetzen, die sich als solche zu erkennen geben u n d diese Eigenschaft gleichsam an der S t i r n tragen u n d solchen, die ihre Geltung für den Einzelfall oder f ü r u n d gegen eine Einzelperson hinter einer abstrakten Fassung verbergen, unterscheiden. Die letzten wären als ,abstrakte* oder getarnte 4 Individualgesetze zu bezeichnen." — Z u m Problem des getarnten Individualgesetzes siehe unten § 22. 16 Der Sinn dieses Satzes ist nach den vorangegangenen Ausführungen schwer verständlich. Da der Begriff des Individualgesetzes vorher ausdrücklich als Oberbegriff f ü r Einzelperson- u n d Einzelfallgesetze bestimmt worden ist, ist das Verbot des Einzelfallgesetzes bereits i n dem (im vorangegangenen Satz erwähnten) Verbot des Individualgesetzes enthalten. Das Verbot des (konkreten) Einzelfallgesetzes ergibt sich also nach den eigenen Darlegungen H. Krügers schon aus dem Erfordernis des (stets abstrakten) allgemeinen Gesetzes, nicht aber daraus, daß A r t . 19 dies „außerdem" verlangt. Aus diesem Grunde ist auch die (im folgenden Text zitierte) Polemik H. Krügers gegen Wernicke nicht recht verständlich. 17 Auch der sachliche Gehalt dieses Satzes ist nicht recht erkennbar. Nach H. Krügers eigenem Ausgangspunkt, nach dem das allgemeine Gesetz den Gegensatz zum Einzelfall- bzw. Einzelpersongesetz bildet, ist das M e r k m a l der Abstraktheit bereits i n dem der Allgemeinheit enthalten. Was ist also i n der Sache gemeint, w e n n das Moment der Abstraktheit n u n plötzlich selbständig neben dem der Allgemeinheit genannt wird? Die Annahme, der Terminus „ a b strakt" solle hier die „abstrakte Fassung" bezeichnen (vgl. die i n A n m . 15 zitierte Unterscheidung zwischen „konkreten = offenen" u n d „abstrakten = getarnten" Individualgesetzen), scheitert schon daran, daß ein allgemeines, also abstrakt-generelles Gesetz ohnehin notwendigerweise n u r „abstrakt", d. h. u n ter Verwendung von Gattungsmerkmalen formuliert sein kann.

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3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p . 3

Erfordernis, der Abstraktheit, lediglich eine authentische Interpretation der »Allgemeinheit 4 . Das ist nicht richtig, die Verwechslung geschieht jedoch häufig. Denn es gibt für den Einzelfall geltende generelle Gesetze wie das Haushaltsgesetz . . . und . . . § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954 — lex Platow —, der generell ist, abstrakt gefaßt wurde, sich aber nur auf den ,Platow-Kreis' b e z i e h t 1 8 . . . Die nicht allzu gut gelungene Formulierung des A r t . 19 Abs. 1 S. 1 GG »allgemein und nicht nur für den Einzelfair geltend ist also dahin auszulegen, daß Allgemeinheit i n persönlicher und sachlicher Hinsicht und Abstraktheit 1 7 für das grundrechtseinschränkende Gesetz gefordert wird 1 9 » 2 0 ." A m Ende ihrer begrifflichen Untersuchung stellt H. Krüger alsdann noch einmal zusammenfassend fest: „ A l l e auf den Einzelfall oder gegen die Einzelperson gemünzten Gesetze, seien sie konkrete oder abstrakte — ,getarnte 4 — Individualgesetze, wollte Art. 19 Abs. 1 S, 1 GG treffen 21 » 22 ." II. Unter einem etwas anderen Gesichtspunkt als H. Krüger hat sich Hamann 23 m i t der Problematik des A r t . 1911 GG befaßt. Auch Hamann behandelt zunächst — wie eine Reihe der bereits erwähnten anderen Autoren 2 4 — die Beziehung zwischen A r t . 19 I 1 und dem Gleichheitssatz und schließt sich der Auffassung an, daß durch 18 Die i n diesem Satz enthaltene Aussage ist ebenfalls überaus u n k l a r u n d gibt erneut Anlaß zu der Feststellung, daß es H. Krüger bei der Verwendimg der grundlegenden Begriffe an der erforderlichen Exaktheit fehlen läßt. I n wiefern bzw. i n welchem Sinne die lex Platow „generell" sein soll, ist nicht ersichtlich. Da sie nach H. Krügers eigener Ansicht f ü r einen Einzelfall gilt, könnte sich i h r „genereller" Charakter n u r aus ihrer Adressierung ergeben. Sie bezieht sich aber, w i e H. Krüger selbst darlegt, gerade n u r auf einen ganz bestimmten Personen- (den „ P l a t o w " - ) K r e i s ! 19 a. a. O., S. 762. 20 Es w i r k t überraschend, w e n n H. Krüger i m Anschluß an diese A u s f ü h rungen, m i t denen sie doch offenbar das Problem der begrifflichen Abgrenzung gelöst zu haben glaubt, i m H i n b l i c k auf das „getarnte" Einzelpersongesetz die Frage nach dem Begriff des allgemeinen Gesetzes noch einmal neu aufrollt u n d nach einem Überblick über Schrifttum u n d Rechtsprechung feststellt: „Nach alledem ist die Resignation von Maunz i m H i n b l i c k auf die Bedeutung v o n A r t . 19 Abs. 1 S. 1 GG n u r zu verständlich" (a. a. O., S. 763). Die E r k l ä r u n g hierfür dürfte darin zu finden sein, daß H. Krüger die eigentliche Problemat i k des A r t . 19 1 1 offenbar i m „getarnten" Individualgesetz erblickt u n d davon ausgeht, daß sich dieses nicht n u r i n der Formulierung, sondern auch i n h a l t lich, i n seiner logischen S t r u k t u r v o m „offenen" Individualgesetz unterscheide. Das ist unrichtig; vgl. hierzu unten § 22 Β I I a. 21 a. a. O., S. 794. 22 Ob m i t dieser Formulierung n u r solche Gesetze gemeint sind, die einen einzigen F a l l bzw. eine einzige Person betreffen, w i e Klein ( ν . Mangoldt-Klein A r t . 19 A n m . I I I 2 c) annimmt, oder auch solche, die sich auf eine Mehrzahl von Fällen oder Personen beziehen, ist nicht ganz klar.

28

24

Hamann: Grundgesetz, Art. 19 Anm. C 3 u. 4.

Vgl. oben vor I .

§ 20. Die bisherigen Abgrenzungsversuche zu A r t . 19 1 1

G G 2 1 7

A r t 19 I 1 Grundrechtseinschränkungen durch Einzelgesetze auch dann verboten werden, wenn sie nicht dem Gleichheitssatz zuwiderlaufen 25 . Alsdann geht er — i m bisherigen Schrifttum erstmalig — näher auf den Begriff des Einzelfalles ein: „Der Begriff ,Einzelfair ist nicht i n dem Sinne zu verstehen, daß hier nur die Beschränkimg der Grundrechte eines bestimmten Individuums verboten wäre: das Gegenstück zur Regelung des Einzelfalles bildet die generelle, d. h. einen unbestimmten und nicht bestimmbaren Kreis von Personen oder Gegenständen betreffende Norm. Daher kann ,Einzelfair i m Sinne des A r t . 19 Abs. 1 S. 1 auch eine konkret feststellbare Mehrzahl von i m Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes gegebenen Tatbeständen bedeuten. Hier ist der Grundsatz der,Gruppengleichheit' zumindest sinngemäß anzuwenden 2 e ." . . . I I I . Die ausführlichste Untersuchung des Art. 19 1 1 GG ist i n jüngster Zeit von Klein 27 angestellt worden, der dem Problem auf eine überaus eigenwillige Weise beizukommen versucht. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Feststellung, daß „Satz 1 ein allgemein geltendes, nicht dagegen ein allgemeines Gesetz i m Sinne der Formulierung bei verschiedenen verfassungsunmittelbaren Vorbehaltsschranken 28 erfordert. Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Gesetzen . . . ist der zwischen Geltung und Inhalt. Stellt das allgemeine Gesetz auf den Inhalt und nur auf diesen ab, so bestimmt sich der Charakter des allgemein geltenden Gesetzes — wie der Name schon besagt — nach der Geltung des Gesetzes für alle. . . . Es wäre deshalb unrichtig, zur Bildung des Begriffs ,allgemein geltendes Gesetz' i m Sinne des Satzes 1 auch die Erörterungen über die ,allgemeinen Gesetze' als Schranken des Grundrechts der Freiheit der Meinungsäußerung . . . heranzuziehen (... Α. M. anscheinend Wernicke i n BK)" 2 9 > 3 0 . Die begriffliche Abgrenzung zwischen dem „allgemein geltenden" und dem „nur für den Einzelfall geltenden" Gesetz i m Sinne von A r t . 19 I 1 w i r d nun von Klein i n folgender Weise vorgenommen: 25

a. a. O., Anm. C 3. a. a. O., Anm. C 4. Wegen der Ausführungen Hamanns zum Problem des „getarnten" Individualgesetzes vgl. unten § 22 A I. 26

27

28

v. Mangoldt-Klein:

Grundgesetz,Art. 19 Anm. I I I 2.

Gemeint sind hier vornehmlich die „allgemeinen Gesetze" i m Sinne des A r t . 5 Abs. 2 GG. 29 a. a. O., Anm. I I I 2 a. 30 Es sei bereits hier darauf hingewiesen, daß die Kleinsche Unterscheidung von allgemeinen und allgemeingeltenden Gesetzen offensichtlich auf dem Bestreben beruht, gegen Wernicke die unterschiedliche Bedeutung des Wortes „allgemein" i n A r t . 5 I I einerseits und A r t . 19 I andererseits hervorzuheben u n d die beiden (gänzlich verschiedenen) Problemkreise k l a r voneinander zu trennen. Vgl. hierzu oben Anm. 11 und näher unten Β I I I a.

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3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p . 3

„ E i n allgemein geltendes Gesetz ist ein Gesetz, das auf alle Grundrechtsinhaber in gleicher Weise anwendbar ist, soweit diese den gesetzlichen Tatbestand erfüllen. Insoweit ist der Satz Ausdruck des Organisations-Gleichheitsgedankens i n A r t . 3 1 . . . Das allgemein geltende Gesetz muß also generell sein. Dabei ist aber zu beachten, daß sich die allgemeine Geltung des allgemein geltenden Gesetzes nur auf den angesprochenen Adressatenkreis, nicht dagegen auf den zu regelnden Sachverhalt bezieht. Das bedeutet, daß der Satz 1 — entgegen seinem auch insoweit (...) mißglückten Wortlaut — nur Einzelpersongesetze (Individualgesetze), nicht aber EinzelfaiZgesetze (Spezialgesetze) schlechthin verbietet. Demgemäß muß das allgemein geltende Gesetz generell sein, nicht dagegen braucht es abstrakt zu sein (...). Deswegen sind Einzelfallgesetze 31 nur dann nach Satz 1 unzulässig, wenn sich der gesetzlich zu regelnde ,Fair nur i n einer Person oder i n nur so wenigen Personen konkretisiert, daß eine Verletzung des Gleichheitssatzes anzunehmen ist, wenn also das Einzelfallgesetz auch ein Einzelpersonengesetz ist 8 2 ." B.

Kritik

Die vorstehend dargelegten Lehren vermögen — jedenfalls ohne erhebliche Weiterentwicklung und Verfeinerung — nicht zu befriedigen. I. Dies gilt zunächst für die Ansicht Hildegard Krügers. Daß ihre Darlegungen bereits i n sich unklar und widerspruchsvoll sind, wurde schon oben 33 verschiedentlich hervorgehoben. Darüber hinaus lassen sie aber auch entscheidende Fragen unbeantwortet. I n einer Hinsicht allerdings bringen sie i n der Diskussion über A r t . 19 I 1 einen bemerkenswerten Fortschritt: H. Krüger erkennt, daß die logische Struktur eines Hoheitsaktes von den Elementen „Fall" und „Adressat" bestimmt w i r d und daß deshalb innerhalb der nicht all31 Was unter einem „Einzelfallgesetz" genau zu verstehen sei, w i r d von Klein nicht näher dargelegt; vgl. jedoch die folgende Anmerkung. 32 a. a. O., A n m . I I I 2 c. I m Anschluß an den oben zitierten T e x t geht Klein dann ganz kurz auf den Begriff des Einzelfallgesetzes u n d auf die Bedeutimg des A r t . 19 1 1 für „Maßnahmegesetze" ein: „ D i e Mehrzahl aller Gesetze, die nach der Kodifikation der großen Rechtsgebiete erlassen werden, sind i n dem Sinne Einzelfallgesetze, daß sie zwar nicht der für die Dauer bestimmten, langfristigen Regelung der Rechtsbeziehungen der einzelnen untereinander u n d zum Staate dienen, w o h l aber f ü r eine größere Z a h l v o n Personen vorübergehend Erscheinungen des täglichen Lebens ordnen, die i n kurzer Zeit entweder überhaupt nicht mehr der Regel u n g oder aber einer erneuten (anderen) Regelung bedürfen, w e i l sich die t a t sächlichen Verhältnisse inzwischen gewandelt haben. I n diesem Sinne ist der größte T e i l der von Forsthoff, a. a. O., untersuchten sog. ,Maßnahmegesetze* als auch nach Satz 1 zulässige Einzelfallgesetze anzusehen. Der Satz 1 verbietet nach alledem nicht grundrechtseinschränkende Maßnahmegesetze schlechthin, sondern n u r dann, w e n n sie Einzelpersongesetze sind." 33 Vgl. § 20 A I A n m . 16—18, 20 u. 22.

§ 20. Die bisherigen Abgrenzungsversuche zu A r t . 19 1 1

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gemeinen Gesetze zwischen Einzelfall- und Einzelpersongesetzen unterschieden werden muß 3 4 . U n d sie erkennt weiter, daß das von A r t . 19 I 1 ausgesprochene Verbot beide A r t e n von Individualgesetzen 35 umfaßt, daß also der Begriff des Einzelfalles hier nicht i m engeren rechtstheoretischen Sinne, sondern ebenso wie i n § 25 VGVO dahin zu verstehen ist, daß bei der (ausschließlichen) Geltung des Gesetzes für eine bestimmte Person stets auch eine Einzelfallregelung vorliegt. Zwar führt sie für die Gleichsetzung der „auf den Einzelfall" und der „gegen die Einzelperson gemünzten Gesetze" 86 keine Begründung an, doch erscheint diese Auslegung aus alsbald näher darzulegenden Gründen 3 7 zutreffend. Hingegen gibt H. Krüger insoweit Anlaß zu K r i t i k , als die anderen Fragen i n Betracht kommen, die bei einer exakten Auslegung des A r t . 19 I 1 zu beantworten sind: Einmal nämlich, was überhaupt unter einem Einzelfall i m Sinne dieser Bestimmung zu verstehen ist; zum anderen, ob durch diese Vorschrift nur die Regelung eines Einzelfalles oder aber einer bestimmten Zahl von Fällen schlechthin oder vielleicht einer nach anderen Kriterien zu bestimmenden Gruppe von Fällen verhindert werden soll. A u f die erste Frage bleibt H. Krüger — damit gewissermaßen alter Tradition i m einschlägigen Schrifttum folgend — die A n t w o r t schlechtweg schuldig. Was die Einzelfallregelung kennzeichnet und von der Regelung einer bestimmten oder unbestimmten Zahl von Fällen unterscheidet, w i r d nicht einmal andeutungsweise erörtert. Noch bedauerlicher ist es, daß H. Krüger auch auf die zweite Frage keine klare A n t w o r t gibt. Zwar w i r d man annehmen dürfen, daß sie auch ein für eine kleinere Zahl von Fällen bzw. Personen geltendes Gesetz als Individual- und nicht als allgemeines Gesetz ansieht, doch fehlt es ihren Ausführungen insoweit an der erforderlichen Klarheit. Die praktische Bedeutung des A r t . 19 I 1 hängt aber gerade weitgehend davon ab, ob — ähnlich wie bei § 25 VGVO — schlechthin jedes konkrete, also eine bestimmte Zahl von Fällen regelnde Gesetz als Einzelfallgesetz anzusehen ist oder ob hier nach Sinn und Zweck der Bestimmung innerhalb der konkreten Gesetze irgendeine Differenzierung ge34

Vgl. oben § 20 A I . Der Ausdruck „Individualgesetz" soll hier u n d i m folgenden i n Übereinstimmung m i t H. Krüger als Oberbegriff f ü r Einzelfall- u n d Einzelpersongesetze gebraucht werden, da dies w o h l der bisher üblichen Terminologie entsprechen dürfte (vgl. etwa Menger: Gesetz, S. 19 u. 22); auch erscheint es zweckmäßig, diese beiden A r t e n v o n Gesetzen unter einer Bezeichnimg zusammenfassen zu können. Klein verwendet die Bezeichnung „ I n d i v i d u a l gesetz" demgegenüber n u r für das Einzelpersongesetz u n d bezeichnet das E i n zelfallgesetz als „Spezialgesetz" (vgl. oben A I I I ) ; ob damit der terminologischen K l a r h e i t gedient oder nicht eher geschadet w i r d , erscheint fraglich. 36 Vgl. oben A I. 37 Vgl. §21 Α. 85

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3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p . 3

troffen werden muß, so daß auch gewisse konkrete gesetzliche Grundrechtseinschränkungen als zulässig anzusehen wären. I n dieser entscheidenden Frage führen auch die Ausführungen H. Krügers nicht weiter. II. Dieses von H. Krüger ausgesparte Problem w i r d von Hamann erkannt, der es — wenigstens i m Ansatz — i m Sinne einer extensiven Auslegung zu lösen versucht. Der Gedanke, daß die verbotene Einzelfallregelung begrifflich nicht auf die Einschränkung der Grundrechte eines bestimmten Individuums beschränkt werden könne, w i r d von i h m allerdings nicht begründet. Er w i r d auch i m übrigen nicht näher durchgeführt, sondern lediglich durch eine zweite, ebenfalls nicht begründete These dahin ergänzt, daß das „Gegenstück" zur Einzelfallregelung i n der „generellen, d.h. einen unbestimmten und nicht bestimmbaren Kreis von Personen oder Gegenständen betreffenden N o r m " 3 8 zu finden sei. Hamann gibt für den Begriff des Einzelfallgesetzes also keine ausdrückliche, positive Definition, sondern bestimmt i h n negativ als Gegensatz zur (in unserem Sinne) abstrakten oder generellen Norm 3 9 . Daraus ergibt sich aber — wie er auch selbst ausspricht —, daß das i n A r t . 19 I 1 aufgestellte Verbot auch die Regelung einer „konkret feststellbaren Mehrzahl von . . . Tatbeständen" 38 erfaßt. Diese Darlegungen Hamanns verdienen i m Ergebnis weitgehend Zustimmung. Es ist i n der Tat kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, die Einschränkung der Grundrechte von drei oder zehn bestimmten Personen i m Hinblick auf A r t . 19 I 1 anders zu behandeln als die Einschränkung der Grundrechte einer bestimmten Person. Es liegt auch auf der Hand, daß das Unterscheidungskriterium zwischen allgemein und nur für den Einzelfall geltenden Gesetzen überhaupt nicht i n einer bestimmten Zahl der betroffenen Personen als solcher — etwa fünfzig oder hundert oder tausend — gefunden werden kann. Was diese beiden A r t e n von Gesetzen begrifflich voneinander unterscheidet, kann vielmehr i m Prinzip — d.h. vorbehaltlich des Hinzutritts eines weiteren Merkmals — nur der Umstand sein, daß entweder eine bestimmte oder aber eine unbestimmte Zahl von Personen bzw. Fällen betroffen werden. Gleichwohl können die Ausführungen Hamanns noch nicht als befriedigende Lösung des Problems angesehen werden. Zunächst einmal läßt Hamann i m Gegensatz zu H. Krüger die klare Unterscheidung der Elemente „Fall" und „Adressat" vermissen, was sich dahin auswirkt, daß er das Einzelfallgesetz zunächst ohne weiteres m i t dem Einzelpersongesetz gleichsetzt, dann aber als Gegensatz die einen unbestimmten Kreis 38

Vgl. oben A I I . Nämlich eben der einen unbestimmten Kreis von Personen (generellen) oder Gegenständen (abstrakten, da m i t „Gegenstand" w o h l „ F a l l " gemeint ist) betreifenden Norm. 39

§ 20. Die bisherigen Abgrenzungsversuche zu A r t . 1911

G G 2 2 1

von Personen oder Gegenständen (Fällen) betreffende Norm ansieht. Das bedeutet, daß nach Hamann eine konkret-generelle, also einen Einzelfall regelnde, aber einen unbestimmten Personenkreis betreffende Grundrechtseinschränkung als zulässig betrachtet werden müßte, was weder m i t dem Wortlaut noch m i t Sinn und Zweck von A r t . 19 I 1 vereinbar erscheint. Z u m anderen aber läßt Hamann der Sache nach die Frage offen, ob jede konkret-spezielle, also eine bestimmte Zahl von Fällen und Personen betreffende Grundrechtseinschränkung vom Verbot des Einzelfallgesetzes erfaßt w i r d oder ob hier nicht vielleicht irgendwelche Ausnahmen gemacht werden müssen 40 ; gerade diese Frage aber erweist sich als überaus schwerwiegend, wenn man bedenkt, daß auch Gesetze wie das Kriegsfolgenschlußgesetz konkret-spezielle Grundrechtseinschränkungen enthalten. Es zeigt sich somit, daß Hamann zwar i n seinem Ansatz zugestimmt werden kann, daß er jedoch die Problematik des A r t . 19 I 1 weniger löst als eigentlich erst freilegt. Seine Thesen bedürfen deshalb noch einer erheblichen Verfeinerung und näheren Ausformung. I I I . A u f ganz andere Weise als H. Krüger und Hamann versucht Klein dem Begriff des Einzelfallgesetzes beizukommen. Seine Ausführungen erwecken jedoch sowohl hinsichtlich der A r t der Beweisführung als auch bezüglich des Ergebnisses erhebliche Bedenken. a) Problematisch erscheint zunächst der Ansatz, von dem aus Klein an den sachlichen Gehalt von A r t . 19 I 1 heranzukommen sucht, nämlich die Unterscheidung zwischen „allgemeinen" und (den von dieser Vorschrift angeblich allein geforderten) „allgemein geltenden" Gesetzen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Gesetzen, so meint Klein, sei der zwischen Inhalt und Geltung 4 1 . Diese von Klein vorgenommene Unterscheidung beruht, wie bereits erwähnt wurde 4 2 , offensichtlich auf dem Bestreben, die von Wernicke 43 verwischte unterschiedliche Bedeutung des Wortes „allgemein" i n A r t 5 I I GG einerseits und A r t . 19 1 1 GG andererseits hervorzuheben und diese beiden von Wernicke miteinander verquickten, jedoch gänzlich verschiedenen Problemkreise klar voneinander zu trennen. Insoweit verdient Klein uneingeschränkte Zustimmung. Die bisherigen Forschungsergebnisse zu A r t . 5 I I GG bzw. A r t . 118 WVf. sind für die Auslegung des A r t . 19 I 1 GG völlig unergiebig; die von Wernicke befürwortete Heranziehung der Erörterungen zu A r t . 118 WVf. hilft hier deshalb nicht 40 Vgl. seine Formulierung: „Daher kann »Einzelfall' . . . auch eine konkret feststellbare Mehrzahl v o n . . . Tatbeständen bedeuten." 41 Vgl. oben A I I I . 42 Vgl. oben A I I I A n m . 30.

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3. Teil: Allg.

echtssatz u. Einzelakt i m positiven

echt/Kap. 3

nur nicht weiter, sondern ist nur geeignet, das Problem zu verdunkeln und Mißverständnisse zu erzeugen 43 . Soweit sich Klein jedoch, über die Distanzierung von Wernicke hinausgehend, zu einer ganz grundsätzlichen Unterscheidung zwischen „ a l l gemeinen" und „allgemein geltenden" Gesetzen veranlaßt sieht, kann i h m nicht gefolgt werden. Diese Unterscheidung erscheint vielmehr als rechtstheoretische Aussage — und als solche ist sie von Klein offensichtlich gemeint — nicht haltbar 4 4 . Zunächst einmal ist i h r entgegenzuhalten, daß sich „Geltung" und „ I n h a l t " eines Gesetzes, die nach Klein die Grundlage dieses Begriffsgegensatzes bilden, überhaupt nicht klar trennen lassen, sondern vielmehr i n enger Wechselbeziehung stehen. Einerseits bestimmt der Inhalt eines Gesetzes weitgehend auch seinen persönlichen Geltungsbereich; man denke etwa an Gesetze wie das Mutterschutz-, das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz oder das Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer, wo der Gegenstand der gesetzlichen Regelung stets zugleich auch eine Beschränkung ihrer Geltung auf eine bestimmte Gruppe von Rechtsgenossen bedingt. Umgekehrt ist der Umfang der (personellen) Geltung eines Gesetzes auch von erheblicher Bedeutung für seinen (möglichen) Inhalt, w e i l ein nur für einen Teil der Rechtsgenossen geltendes Gesetz (ζ. B. das HGB oder ein Beamtengesetz) nur solche Gegenstände regeln kann, die m i t den jeweiligen Besonderheiten dieser Rechtsgenossen i n Zusammenhang stehen (ζ. B. die Buchführungspflicht des Kaufmanns oder die Gehorsamspflicht oder die Pensionsberechtigung des Beamten). Infolge dieser engen inneren Beziehung zwischen Geltung und Inhalt des Gesetzes läßt sich die Frage, ob i n den angeführten Beispielen jeweils eine Beschränkung der „allgemeinen Geltung" oder eine solche der „Allgemeinheit des Inhalts" vorliegt, augenscheinlich gar nicht eindeutig beantworten. 43

Vgl. oben A vor I A n m . 11. Sie findet auch i n A r t . 5 I I einerseits u n d A r t . 19 I 1 andererseits keine Grundlage. Der Unterschied zwischen den i m Sinne dieser beiden Vorschriften „allgemeinen" Gesetzen ist nicht dadurch bestimmt, daß die einen i h r e m „ I n h a l t " u n d die anderen ihrer „Geltung" nach allgemein sind. Es handelt sich hier vielmehr u m zwei voneinander v ö l l i g unabhängige, auf gänzlich verschiedenen Ebenen liegende Begriffe von „Allgemeinheit", die sich nicht durch rechtstheoretische Kategorien w i e „ I n h a l t " u n d „Geltung" zueinander i n Beziehimg setzen lassen: I m Sinne v o n A r t . 5 I I , w o der Begriff i n einer ganz spezifischen Bedeutung gebraucht w i r d , ist ein Gesetz „allgemein", w e n n es sich nicht speziell gegen das Grundrecht der freien Meinungsäußerung richtet (so selbst v. Mangoldt-Klein, Vorbem. Β X V 3 b u n d A r t . 5 A n m . I X 3 a), während i n A r t . 1 9 1 1 die Allgemeinheit der logischen S t r u k t u r des Gesetzes i n Rede steht. M i t dem Begriff der „Geltung" läßt sich diese Verschiedenheit nicht erfassen; auch i m Sinne von A r t . 5 I I „ g i l t " das Gesetz allgemein und nicht speziell gegenüber dem dort genannten Grundrecht, während es sich bei dem „allgemein geltenden" Gesetz i m Sinne von A r t . 1 9 1 1 gerade u m das i m Sinne der üblichen Terminologie „allgemeine" Gesetz handelt. 44

§ 20. Die bisherigen Abgrenzungsversuche zu A r t . 1 9 1 1

G G 2 2 3

Z u m anderen aber ist die auf den Gesetzesinhalt bezogene Unterscheidung zwischen „allgemeinen" und „besonderen" Gesetzen bereits als solche rechtstheoretisch nicht haltbar. Sie setzt nämlich insoweit voraus, daß es ein rechtstheoretisches K r i t e r i u m gibt, an Hand dessen sich der Inhalt eines jeden Gesetzes als „allgemein" oder „nicht allgemein = besonders" qualifizieren läßt. Klein selbst entwickelt und verwendet diesen Begriffsgegensatz aber ausschließlich i m Rahmen seiner Lehre von den Grundrechtsschranken unter Zugrundelegung des K r i t e riums, ob es ein grundrechtseinschränkendes Gesetz speziell m i t dem Rechtsgebiet der betreffenden Grundrechtsbestimmung zu t u n hat („besonderes" Gesetz) oder nicht („allgemeines" Gesetz)45. Die Fragenach der (inhaltlichen) „Allgemeinheit" eines Gesetzes kann demgemäß nach der von Klein selbst aufgestellten Definition immer nur i n bezug auf solche Gesetze gestellt werden, die irgendeine Grundrechtsbestimmung einschränken, während ihr hinsichtlich aller anderen Gesetze keinerlei Sinn zukommt. Daraus folgt einmal, daß die Unterscheidung zwischen „allgemeinen" und „besonderen" Gesetzen an das positive Verfassungsrecht gebunden ist, zum anderen, daß sie selbst i m Rahmen einer bestimmten Verfassung stets nur einen Teil aller positiven Gesetze zu erfassen vermag. Die obengenannte Voraussetzung, unter der allein diese Unterscheidung rechtstheoretische Geltung beanspruchen könnte, ist m i t h i n nicht gegeben. Ist aber demnach eine auf den Gesetzesinhalt bezogene rechtstheoretische Unterscheidung zwischen „allgemeinen" und „besonderen" Gesetzen nicht durchführbar, so erweist sich auch die hierauf aufbauende (rechtstheoretische) Unterscheidung zwischen „allgemeinen" und „allgemein geltenden" Gesetzen als nicht angängig. Das bedeutet aber letztlich, daß Klein seine Exegese des A r t . 19 I 1 auf einer nicht tragfähigen Grundlage aufbaut. b) Dieser verfehlte Ansatz hat für die eigentliche Auslegung des A r t . 19 I 1 verhängnisvolle Folgen. Er verleitet Klein dazu, den Schlüssel zum Verständnis dieser Vorschrift nicht i n dem Begriff des Einzelfalles, sondern i n dem Worte „gelten" zu suchen, obwohl ihr Akzent schon rein sprachlich nicht hier, sondern auf den Worten „allgemein" und „Einzelfall" liegt. Den Begriff der Geltung aber interpretiert Klein zwar ohne nähere Begründung, jedoch offensichtlich als vermeintliche Konsequenz seiner rechtstheoretischen Prämisse i m personellen Sinne, den des „allgemein geltenden" Gesetzes infolgedessen als generelles Gesetz. Damit gelangt er zu einem überraschenden Ergebnis: A r t . 1911 verlange für die Grundrechtseinschränkimg lediglich eine generelle Adressierung, nicht aber auch, daß sie (als abstrakte Regelung) eine unbe45 υ. Mangoldt-Klein: I X 3 a.

Grundgesetz, Vorbem. Β X V 3 b Abs. 4; A r t . 5 A n m .

224

3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p . 3

stimmte Zahl von Fällen erfasse; das i n i h m aufgestellte Verbot richte sich demgemäß nicht — wie es nach dem Wortlaut den Anschein hat — gegen Einzelfallgesetze, sondern vielmehr gegen Einzelpersongesetze und betreffe die ersteren nur insoweit, als sie zugleich Einzelpersongesetze seien. M i t dieser Auslegung des Begriffs des allgemein geltenden Gesetzes setzt sich Klein zunächst einmal i n Widerspruch zur herrschenden Terminologie, da der Ausdruck „allgemein geltend" bzw. „allgemeingültig" i m Schrifttum durchweg zur Bezeichnung einer abstrakt-generellen, also (auch) eine unbestimmte Vielzahl von Fällen erfassenden Regelung verwandt wird 4 8 . Schwerer noch aber wiegt es, daß sich Klein m i t seiner Interpretation auch über den Wortlaut des A r t . 19 I 1 selbst hinwegsetzt, der ja als Gegensatz des allgemein geltenden Gesetzes gerade nicht das für die Einzelperson, sondern das für den Einzelfall geltende Gesetz nennt und damit klar zum Ausdruck bringt, daß m i t dem Worte „gelten" nicht allein die personelle, sondern vor allem die sachlichgegenständliche (abstrakte oder konkrete) Geltung des Gesetzes gemeint ist 47 . Demgemäß sieht sich Klein genötigt, den Wortlaut als „insoweit mißglückt" zu bezeichnen. Eine so schwerwiegende These könnte indessen nur i n Verbindung m i t dem Nachweis überzeugen, daß eine wortgetreue Auslegung zu unhaltbaren, dem wirklichen Sinn und Zweck des Gesetzes schlechterdings widersprechenden Ergebnissen führen w ü r de. Dieser Beweis w i r d jedoch von Klein nicht erbracht und als solcher auch gar nicht versucht, da er den zentralen Begriff des Einzelfalls überhaupt keiner näheren Untersuchung unterzieht. Lediglich i m Hinblick auf die sog. „Maßnahmegesetze" kommt Klein kurz auf diesen Begriff zu sprechen: Die meisten der von Forsthoff untersuchten „Maßnahmegesetze" seien „ i n dem Sinne Einzelfallgesetze", daß sie für eine größere Zahl von Personen vorübergehend Erscheinungen des täglichen Leben ordneten, die i n kurzer Zeit entweder überhaupt nicht mehr der Regelung oder aber einer erneuten Regelung bedürften, weil sich die tatsächlichen Verhältnisse inzwischen gewandelt hätten; derartige Maßnahmegesetze 46 Vgl. Isay: Rechtsnorm, S. 3 u. 15; Del Vecchio: Rechtsphilosophie, S. 386; Fleiner: Institutionen, S. 130. 47 Klein übersieht offenbar, daß sein Begriffssystem der Frage nach der Abstraktheit oder Konkretheit des Gesetzes überhaupt keinen Raum läßt. F ü r den Begriff des „allgemein geltenden" Gesetzes ist sie ohne Bedeutimg, w e i l dieser (infolge der einschränkenden Interpretation des „Geltungs"-Begriffs) allein von der generellen Adressierung her bestimmt w i r d . Der Begriff des „allgemeinen" Gesetzes aber betrifft die Beziehung der gesetzlichen Regelung zur Einschränkung gewisser Grundrechtsbestimmungen u n d hat deshalb m i t der (abstrakten) logischen S t r u k t u r des Gesetzes von vornherein nichts zu tun. Auch diese Lücke i m begrifflichen System macht deutlich, daß Klein von einem zu engen Begriff der „Geltung" ausgeht.

§ 20. Die bisherigen Abgrenzungsversuche zu A r t . 1 9 1 1 GG

225

seien durch A r t . 1911 nicht schlechthin, sondern nur dann verboten, wenn sie Einzelpersongesetze seien 48 . Diesen Ausführungen könnte nun allerdings der Gedanke entnommen werden, daß die Zulässigkeit solcher Maßnahmegesetze nicht auf Grund von A r t . 19 I 1 i n Frage gestellt werden dürfe; da sie aber — i n dem genannten Sinne — Einzelfallgesetze seien, müsse A r t . 1911 u m eines haltbaren Ergebnisses w i l l e n dahin verstanden werden, daß er nicht solche Einzelfallgesetze, sondern eben nur Einzelpersongesetze verbiete. Selbst wenn aber die genannte Äußerung Kleins i n diesem Sinne zu verstehen sein sollte, so könnte doch seiner Auslegung contra legem gleichwohl nicht beigetreten werden. Denn die Beweiskraft dieses Gedankenganges hängt von der Voraussetzung ab, daß es sich bei den i n Rede stehenden Maßnahmegesetzen tatsächlich um Einzelfallgesetze handelt. Diese Voraussetzung ist jedoch nicht erfüllt. Klein kann diese Gesetze nur deshalb als Einzelfallgesetze ansprechen, w e i l er stillschweigend einen nicht näher überprüften, völlig unscharfen und fast untechnischen Einzelfall-Begriff zugrunde legt. Eine am Sinn und Zweck von A r t . 19 I 1 orientierte Analyse dieses Begriffs weist hingegen auf, daß i h m die bezeichneten Gesetze nicht unterfallen und deshalb auch bei einer wortgetreuen Auslegung der Bestimmung von dem hier normierten Verbot nicht erfaßt werden 49 . Es besteht daher auch kein Bedürfnis, den A r t . 19 I 1 u m der Zulässigkeit der Maßnahmegesetze w i l l e n i n der von Klein dargelegten Weise zu interpretieren. Die Kleinsche Definition des Einzelfallgesetzes als „Einzelpersongesetz" steht demnach i n Widerspruch zum Wortlaut des A r t . 1911, ohne i n dessen Sinn und Zweck eine Stütze zu finden. I h r kann deshalb nicht zugestimmt werden. c) Bei dieser Sachlage kommt es nun für die Frage, ob 'Klein vielleicht wenigstens i m Ergebnis zugestimmt werden kann, entscheidend darauf an, was unter einem Einzelpersongesetz verstanden werden soll. Dieser Begriff kann offensichtlich i n verschiedener Weise bestimmt werden, so daß der bisher erörterte Gedankengang Kleins trotz der gegen ihn bestehenden Bedenken nicht notwendigerweise zu einem nicht annehmbaren Ergebnis zu führen braucht. Klein gibt dem Begriff des Einzelpersongesetzes indessen eine Definition, die ihrerseits erhebliche Bedenken hervorruft und ein Ergebnis zeitigt, das m i t dem Sinn und Zweck des A r t . 1911 nicht vereinbar erscheint. Die maßgebende Stelle bei Klein lautet: „Deswegen sind Einzelfallgesetze nur dann nach Satz 1 unzulässig, wenn sich der gesetzlich zu 48 49 50

15

Vgl. oben A I I I A n m . 32. Vgl. unten § 21 Β I I b. Vgl. oben A I I I .

Volkmar

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3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 3

regelnde ,Fair nur i n einer Person oder i n nur so wenigen Personen konkretisiert, daß eine Verletzung des Gleichheitssatzes anzunehmen ist, wenn also das Einzelfallgesetz auch ein Einzelpersongesetz ist 5 0 ." Dieser Satz kann nur dahin verstanden werden, daß das Einzelpersongesetz begrifflich durch die geringe Größe des Adressatenkreises gekennzeichnet sein und eine solche dann vorliegen soll, wenn das Gesetz gegen den Gleichheitssatz verstößt. Gegen diese Begriffsbestimmung sind zunächst einmal deshalb Bedenken zu erheben, w e i l sie auf der Annahme beruht, daß zwischen der Wahrung oder Verletzung des Gleichheitssatzes und der Größe des Adressatenkreises ein notwendiger (und nicht nur typischer) Zusammenhang bestehe, daß also ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nur, aber auch stets dann gegeben sei, wenn die gesetzliche Regelung nur eine geringe Zahl von Personen betrifft. Dem kann nicht beigetreten werden. Denn einerseits kann ein solcher Verstoß auch dann vorliegen, wenn das Gesetz eine große, unbestimmte Zahl von Personen betrifft wie ζ. B. ein Gesetz, das die Höhe der Besteuerung vom Geschlecht des Steuerpflichtigen oder das Wahlrecht einer Person von ihrer Konfession abhängig macht; andererseits kann ein Gesetz, das nur eine einzige Person betrifft, sehr w o h l m i t dem Gleichheitssatz vereinbar sein, wie etwa das Reichsgesetz vom 27.8.1933 betr. die Befreiung des Reichspräsidenten von Hindenburg von der Steuerpflicht für das Rittergut Neudeck 51 . Demgemäß ist auch i m Schrifttum anerkannt, daß weder ein eine einzelne Person betreffendes Gesetz notwendigerweise dem Gleichheitssatz widerspricht noch ein generelles Gesetz notwendigerweise m i t diesem Grundsatz i n Einklang steht 52 . 51

RGBl. I , S. 595. Vgl. außer W. Jellinek: Verwaltungsrecht, S. 9 vornehmlich Herbert Krüger: DVB1.1950,626: „ A u s dem Gleichheitssatz läßt sich das Verbot des E i n zelgesetzes nicht ableiten. E r verbietet lediglich, daß eine Mehrzahl gleichgelagerter Sachverhalte ohne sachlichen G r u n d einer verschiedenen Behandl u n g durch den Gesetzgeber unterworfen w i r d . Er schließt es jedoch nicht aus, einen einmaligen u n d einzigartigen F a l l durch Einzelgesetz zu regeln." Ebenso Leibholz: DVB1.1951,195: „ A u c h ein Gesetz, das nach außen eine w i l l k ü r l i c h e D i s k r i m i n i e r u n g vermeidet u n d einen abstrakt-allgemeinen Geltungsbereich hat, widerspricht dem Gleichheitssatz, w e n n sich aus der praktischen A u s w i r k u n g des Gesetzes sein politisch tendenziöser u n d damit sein w i l l k ü r l i c h e r Charakter ergibt. Nicht die formelle, sondern die wirkliche materielle Gleichheit ist das Entscheidende. Danach ist es nicht ausgeschlossen, daß unter U m ständen auch ein allgemein gefaßtes Gesetz m i t dem Gleichheitssatz kollidieren w i e umgekehrt ein auf eine i n d i v i d u e l l bestimmbare Personenzahl sich beziehendes Gesetz Rechtsgültigkeit unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes beanspruchen kann." Ä h n l i c h neuestens auch das B V f G (Urt. v. 24.6. 1958: N J W 1958,1131 f.) unter Berufung auf Leibholz: „ A b e r auch ein Gesetz, das i n seinem Wortlaut eine ungleiche Behandlung vermeidet u n d seinen Geltungsbereich abstrakt-allgemein umschreibt, widerspricht dem Gleichheitssatz dann, w e n n sich aus seiner praktischen A u s w i r k u n g eine offenbare U n gleichheit ergibt u n d diese ungleiche A u s w i r k u n g gerade auf die rechtliche Gestaltung zurückzuführen ist." 52

§ 20. Die bisherigen Abgrenzungsversuche zu A r t . 1911 GG

227

Besteht aber demnach zwischen der geringen Größe des Adressatenkreises und der Verletzung des Gleichheitssatzes kein notwendiger Zusammenhang, so ergibt sich die Frage, ob n u n i m Sinne Kleins das eine oder das andere dieser beiden Momente das entscheidende Begriffsmerkm a l des Einzelpersongesetzes bilden soll. Diese Frage, für die sich aus den Ausführungen Kleins nichts entnehmen läßt, kann hier jedoch offenbleiben, da weder der einen noch der anderen A n t w o r t zugestimmt werden könnte. F ü r das Merkmal der geringen Größe des Adressatenkreises ergibt sich dies ohne weiteres daraus, daß die große oder geringe Zahl der Gesetzesadressaten als solche als Begriffs- und Abgrenzungsmerkmal schlechthin unbrauchbar ist. Denn die Frage, von welcher Grenze an die Zahl der betroffenen Personen nicht mehr „gering" und das Gesetz deshalb nicht mehr Einzelperson-, sondern schon „allgemein geltendes" Gesetz ist — ob bei fünf oder zehn oder fünzig oder hundert —, ist einer sachlich begründeten A n t w o r t überhaupt nicht zugänglich, sondern könnte n u r rein w i l l k ü r l i c h entschieden werden 5 3 . Das Einzelpersongesetz ( = Einzelfallgesetz i m Sinne von A r t . 1911) kann aber auch nicht durch die Verletzung des Gleichheitssatzes definiert werden. Dies zeigt sich m i t aller Deutlichkeit daran, daß A r t . 1911 bei dieser Auslegung keinerlei selbständige Bedeutung besitzen, sondern lediglich ein überflüssiger und inhaltsleerer Anhang von A r t . 3 GG sein würde. Denn das Gebot der „generellen" Grundrechtseinschränkung wäre dann nichts anderes als das Gebot, bei einer solchen Einschränkung den Gleichheitssatz zu beachten, und ein Verstoß gegen das Gebot des allgemeinen bzw. allgemein geltenden Gesetzes läge stets, aber auch n u r bei solchen Gesetzen vor, die zu A r t . 3 i n Widerspruch stehen. Das bedeutet aber nicht nur, daß A r t . 19 1 1 völlig leerlaufend wäre, sondern daß i h m darüber hinaus — i m Rahmen dieses Leerlaufs — ein Anwendungsbereich zukäme, der i h m weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Sinn und Zweck zugedacht sein dürfte. So wäre etwa das soeben beispielhaft genannte Steuer- oder Wahlgesetz ein verbotenes „Einzelfallgesetz", während umgekehrt A r t . 1911 der Legalenteignung eines bestimmten Unternehmens nicht entgegenstünde, sofern sie n u r m i t dem Gleichheitssatz vereinbar w ä r e 5 4 ' 5 5 . 53

Vgl. schon oben I I . Gerade die durch Gesetz erfolgende Enteignung oder Sozialisierung bestimmter Unternehmen und ähnliche gesetzliche Einzelfallregelungen, denen der Gleichheitssatz nicht entgegensteht, sollten aber durch A r t . 191 verhindert werden. Vgl. Wernicke : Bonner Kommentar, A r t . 19 A n m . I I 1 c; Herbert 54

Krüger, a. a. O., S. 26; Hamann: Grundgesetz, Art. 19 Anm. C 3.

55 Klein setzt sich übrigens zu seiner Auslegung des A r t . 1911 selbst i n Widerspruch, w e n n er i n den Erläuterungen zu A r t . 14 G G (Anm. V I I 4) der Einzeleingriffslehre beitritt. Denn der Einzeleingriff, der nach dieser Theorie das K r i t e r i u m der Enteignung bildet, ist gerade durch den Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gekennzeichnet. E i n solcher seitens des Gesetzgebers er-

15*

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3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p . 3

d) Zusammenfassend ist demnach festzustellen: Die von Klein zur Grundlage seiner Exegese von A r t . 19 I 1 gemachte rechtstheoretische Unterscheidung zwischen „allgemeinen" und „allgemein geltenden" Gesetzen ist nicht haltbar. Durch diesen verfehlten A n satz w i r d Klein dazu verleitet, den Begriff des „allgemein geltenden" Gesetzes als „generelles" Gesetz und den des „ f ü r den Einzelfall geltenden" Gesetzes als „Einzelpersongesetz" zu interpretieren. Damit setzt er sich i n Widerspruch zum klaren Wortlaut des Gesetzes, ohne daß dies durch dessen Sinn und Zweck gerechtfertigt wäre. Die von Klein für den Begriff des Einzelpersongesetzes selbst aufgestellte Definition beruht auf der unzutreffenden Annahme eines notwendigen Zusammenhanges zwischen Gleichheitssatzverletzung und geringer Größe des Adressatenkreises; diese i n ihr kombinierten Merkmale sind auch jedes für sich als K r i t e r i u m des Einzelpersongesetzes nicht verwertbar. Der Auslegung Kleins kann deshalb nicht gefolgt werden. § 21.

Versuch einer eigenen

Lösung

Der Versuch einer eigenen Lösung muß demnach auf den von Hildegard Krüger und vornehmlich von Hamann aufgezeigten Grundlagen aufbauen und bei der Frage ansetzen, was unter dem Einzelfall i m Sinne von A r t . 1911 zu verstehen ist. Diese Frage stellt sich i n doppelter Richtung: einmal nämlich, ob der Fall-Begriff hier i m rechtstheoretischen Sinne interpretiert werden muß oder ob er — ähnlich wie i n § 25 VGVO — einer gewissen Modifizierung bedarf; zum anderen, ob auch die Regelung einer bestimmten Zahl von Fällen, also jede konkrete Regelung schlechthin als Einzelfallregelung anzusehen ist oder ob hier vielleicht — anders als i n § 25 VGVO — irgendeine Einschränkung geboten ist. A. Die abstrakt-spezielle Anordnung als Einzelfallregelung im Sinne von Art. 1911 GG A u s g a n g s p u n k t f ü r die U n t e r s u c h u n g des F a l l - B e g r i f f s müssen d i e i m rechtstheoretischen T e i l dieser U n t e r s u c h u n g g e w o n n e n e n Ergebnisse bilden 5 ®. Das g r u n d r e c h t s e i n s c h r ä n k e n d e Gesetz g i l t also j e d e n f a l l s d a n n n u r f ü r e i n e n e i n z e l n e n F a l l , w e n n es e i n einzelnes R e c h t s v e r h ä l t n i s gestaltet (ζ. B . die E n t e i g n u n g eines b e s t i m m t e n e i n z e l n e n G r u n d s t ü c k s b e w i r k t oder v o r s i e h t ) oder e i n n a c h seiner gesetzlichen K e n n z e i c h n u n g e i n m a l i g e s V e r h a l t e n ge- oder v e r b i e t e t (ζ. B . die A u s w e i s u n g des A ausfolgender Eingriff müßte also von Klein als gegen A r t . 19 I 1 verstoßend u n d damit als nichtig angesehen werden, so daß die Frage seines Enteignungscharakters gar nicht auftauchen könnte. Vgl. hierzu unten § 21 D. M Vgl. oben § 11 D u n d § 14 Β I I I .

§ 21. Versuch einer eigenen Lösung zu A r t . 1911 GG

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spricht oder dem Β untersagt, an einem bestimmten Orte seinen Wohnsitz zu nehmen); da ein solches einmaliges Verhalten auch i n dem Gesamtverhalten einer Personenmehrheit bestehen kann, werden auch solche Gesetze vom Verbot des A r t . 1911 erfaßt, die auf Grund der Regelung eines Gesamtverhaltens eine unbestimmte Vielzahl von Personen betreifen, also konkret-generell sind (ζ. B. präventives Verbot einer bestimmten öffentlichen Demonstration). Fraglich kann hier lediglich sein, ob der rechtstheoretische Fall-Begriff i m Rahmen von A r t . 1911 auch insoweit Geltung beansprucht, als er auf Grund seiner Unabhängigkeit vom Adressaten zur Anerkennung abstrakt-spezieller Hoheitsakte führt 5 7 , oder ob nicht auch hier — ähnlich wie i n § 25 VGVO — jedes nur eine einzelne Person betreffende Gesetz als Einzelfallgesetz angesehen werden muß ohne Rücksicht darauf, ob dieser Person ein einmaliges oder ein unbestimmt oft wiederholbares Verhalten ge- oder verboten wird. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift kann die Frage nur i m letztgenannten Sinne beantwortet werden. Die Ratio des A r t . 1911 besteht darin, daß der Gesetzgeber auf dem Gebiete der Grundrechtseinschränkung nicht durch Einzelfallregelungen i n den Funktionsbereich der Verwaltung eingreifen, nicht i n Form des Gesetzes materiell verwaltende Tätigkeit ausüben soll 58 . Es wurde aber bereits oben 59 dargelegt, daß nach geltendem positiven Recht jedem an eine bestimmte einzelne Person gerichteten Hoheitsakt einer Verwaltungsbehörde der Rechtscharakter eines Verwaltungsaktes zukommt, mag er gleich ein unbestimmt oft wiederholbares Verhalten zum Gegenstand haben. Demgemäß muß auch jedes die Grundrechte nur eines bestimmten I n d i v i duums einschränkende Gesetz als nach A r t . 1911 unzulässiges Einzelfallgesetz angesehen werden; hier danach zu unterscheiden, ob der betreffenden Person nur ein einmaliges oder ein unbestimmt oft wiederholbares Verhalten ge- oder verboten wird, wäre durch nichts gerechtfertigt. Jedweder Eingriff i n die Grundrechte eines bestimmten einzelnen Individuums ist dem Gesetzgeber nach Sinn und Zweck des A r t . 1911 schlechthin untersagt und der (auf Grund eines „allgemeinen" Gesetzes handelnden) Exekutive vorbehalten. Das Verbot des nur für den Einzelfall geltenden Gesetzes beschränkt sich demnach nicht, wie es bei oberflächlicher und am Wortlaut haftender Betrachtungsweise scheinen könnte, auf Einzel/aligesetze i m engeren rechtstheoretischen Sinne, sondern erfaßt vielmehr nach dem Inhalt des vom Gesetz verwandten Fall-Begriffs i n gleicher Weise auch Einzelper57

58

Vgl. oben § 11 Β I b u n d I I b sowie § 14 Β I I b.

Vgl. v. Mangoldt: Grundgesetz1, Art. 19 Anm. 3 und v. Mangoldt-Klein:

Grundgesetz, A r t . 19 A n m . I I I 1 u n d 2 b ; Dürig: DVB1.1955, 791. 59 Vgl. §§ 16 u n d 17.

J Z 1954,7; Hild.

Krüger:

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3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p . 3

songe setze 60 » β1 . Das bedeutet zugleich, daß — wie Wernicke 62 m i t Recht hervorhebt — A r t . 19 I 1 für das grundrechtseinschränkende Gesetz nicht etwa zwei selbständige, voneinander unabhängige Gültigkeitsvoraussetzungen aufstellt, sondern daß dem negativen Erfordernis („nicht für den Einzelfall geltend") lediglich die Bedeutung einer authentischen Interpretation des positiven Erfordernisses („allgemein geltend") zukommt und umgekehrt. Denn wenn sich die Unzulässigkeit des Einzelfall- wie des Einzelpersongesetzes bereits aus dem Verbot des „ f ü r den Einzelfall geltenden" Gesetzes ergibt, dann ist nicht ersichtlich, welcher über dieses Verbot hinausgehende Inhalt dem Gebot des „allgemein geltenden" Gesetzes noch zukommen könnte. B. Der Begriff des Einzelfallgesetzes im Hinblick auf die Regelung einer bestimmten Zahl von Fällen Ein grundrechtseinschränkendes Gesetz, das nur einen einzigen Fall regelt, w i r d i n der Praxis überaus selten vorkommen. Ganz abgesehen davon, daß der Gesetzgeber nur ganz ausnahmsweise zu solchen Regelungen Veranlassung haben wird, sind derartige Gesetze — sofern sie nicht „getarnt" werden 6 3 — so deutlich als Einzelfallgesetze erkennbar, daß ihr Erlaß ein offener Verstoß gegen die Verfassung wäre und deshalb wohl stets von vornherein außer Betracht bleiben wird. Weitaus häufiger und deshalb praktisch bedeutsamer sind die grundrechtseinschränkenden Gesetze, die eine bestimmte, größere oder geringere Vielzahl von Fällen erfassen. Praktisch wesentlich schwerwiegender als die eben erörterte ist deshalb die Frage, ob der Einzelfallbegriff des A r t . 1911 GG dem des § 25 VGVO auch insoweit gleichgestellt werden kann, als dieser schlechthin auch eine bestimmte Zahl von Fällen erfaßt, also jede konkrete Regelung als Einzelfallregelung ausweist 64 . Kann auch für A r t . 1911 die Gleichung „Einzelfallgesetz = konkretes Gesetz" aufgestellt werden, oder müssen hier nicht vielleicht nach Sinn und Zweck der Vorschrift irgendwelche Einschränkungen gemacht werden derart, daß gewisse Arten von konkreten Regelungen vom Begriff und damit auch vom Verbot des Einzelfallgesetzes ausgenommen sind? Das ist das eigentliche Kernproblem der Bestimmung. 60

So i m Ergebnis auch die herrschende Lehre; vgl. Hildegard

Krüger,

a.a.O., S. 761 f. und 794; Hamann, a.a.O., Anm. C 4; v. Mangoldt-Klein, a. a. O., Anm. I I I 2 c; Menger: Gesetz, S. 22 u. 29.

61 I m folgenden soll deshalb m i t dem Terminus „Einzelfallgesetz" i m Z w e i fel stets sowohl das Einzelfall- als auch das Einzelpersongesetz i m engeren rechtstheoretischen Sinne gemeint sein. 62 Wernicke: Bonner Kommentar, A r t . 19 A n m . I I 1 c; a. M. Hildegard

Krüger, a. a. O., S. 762, s. o. § 20 A I. 63

64

Siehe hierzu unten § 22. Vgl. oben § 18 Β I a.

§ 2 1 . Versuch einer eigenen Lösung zu A r t . 1911 GG

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I. Es liegt auf der Hand, daß i m Prinzip auch ein für eine bestimmte Zahl von Fällen geltendes Gesetz dem Begriff und dem Verbot des Einzelfallgesetzes unterstellt werden muß. Einmal kann es nach der Ratio des A r t . 1911 keinen Unterschied machen, ob der Gesetzgeber i n die Grundrechte einer bestimmten Person oder i n die von drei oder zehn bestimmten Personen eingreift, ob er eine einzige Demonstration oder fünf bestimmte Demonstrationen verbietet; stets trifft er damit Maßnahmen, die sich inhaltlich als Verwaltungsakte darstellen und deshalb einen Eingriff i n die Kompetenzen der Exekutive bedeuten 65 . Z u m anderen aber kann die Grenze zwischen dem Einzelfall- und dem allgemeinen Gesetz überhaupt nicht bei einer bestimmten Zahl von Fällen als solcher — etwa zehn oder hundert oder tausend — gezogen werden, da jede solche Grenzziehung rein w i l l k ü r l i c h wäre 6 6 . Das bedeutet aber, daß die Unterscheidung zwischen diesen beiden Gesetzesarten auch i m Rahmen von A r t . 1911 jedenfalls i m Prinzip nur danach getroffen werden kann, ob das Gesetz für eine bestimmte oder aber für eine unbestimmte Zahl von Fällen gilt, ob es also konkret oder abstrakt ist 67 . Die uneingeschränkte Durchführung dieses Prinzips begegnet indessen schwerwiegenden praktischen Bedenken. Untersucht man nämlich das positive Recht auf konkrete Gesetze, so zeigt sich, daß bei dieser Auslegung eine Reihe höchst bedeutsamer Gesetze der Kategorie des Einzelfallgesetzes zugerechnet werden müßte. Das gilt ζ. B. für das Lastenausgleichsgesetz vom 14. 8.1952 (LAG) 6 8 , das i n den §§ 16, 91 und 161 die Abgabepflicht einem Personenkreis auferlegt, der nach einem i n der Vergangenheit liegenden Stichtag bestimmt ist, also unveränderlich feststeht 69 ; das gleiche trifft auch auf das Investitionshilfegesetz vom 7.1.1952 70 zu (vgl. §2); auch das Allgemeine Kriegsfolgengesetz vom 5.11.1957 71 hat i n § 1 die Gestaltung einer unveränderlich feststehenden Zahl von Rechtsverhältnissen zum Gegenstand, regelt also eine bestimmte Zahl von Fällen. Alle diese Gesetze 65 Aus diesem Grunde k a n n hier W. Jellinek (Verwaltungsrecht, S. 9) nicht beigetreten werden, w e n n er das Einzelgesetz als A n o r d n u n g definiert, „die f ü r eine genau bestimmte Einzelperson Rechte u n d Pflichten begründet". Ob auch die Äußerungen v o n Merk u n d Hans Schneider auf der Mainzer Staatsrechtslehrertagung 1956 (VVDStRL Heft 15, S. 79 u. 90) i n diesem Sinne zu v e r stehen sind, erscheint fraglich. ββ Vgl. oben § 20 Β I I I c. 67 So w o h l auch Menger: Gesetz, S. 18 f. i. Vb. m. S. 29. Bei dem v o n i h m S. 21 genannten Gesetz zur Förderung der deutschen Eierwirtschaft v. 31.3. 1956 dürfte es sich jedoch gerade nicht u m ein konkretes, sondern u m ein abstraktes Gesetz handeln. 68 BGBl. I, S. 446. eö Anderer Ansicht offenbar Wehrhahn: Gesetz, S. 35, der das L A G als „ e i n wandfrei abstraktes Maßnahmegesetz" bezeichnet. 70 BGBl. I, S. 7. 71 BGBl. I, S. 1747.

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3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p . 3

wären, soweit sie Grundrechte einschränken 72 , nach der Gleichung „Einzelfallgesetz = konkretes Gesetz" wegen Verstoßes gegen A r t . 1911 verfassungswidrig. E i n solches Ergebnis aber wäre schlechterdings unhaltbar. Einmal erscheint es schon nach dem normalen Sprachgebrauch befremdlich, daß ein Gesetz wie das L A G , das mehrere Millionen Menschen betrifft, ein „Einzelfallgesetz" sein soll. Z u m andern und vor allem aber wäre ein solches Ergebnis gleichbedeutend m i t der Erkenntnis, daß dem Gesetzgeber die rechtsethisch wie praktisch gleich dringend erforderliche Regelung der Kriegsfolgen, die den Hauptgegenstand der bisherigen Bundesgesetzgebung bildet, durch A r t . 1911 i n weitem Umfange schlechthin unmöglich gemacht wäre 7 3 . Das aber kann fürwahr nicht i m Sinne dieser Bestimmung liegen. I h r Zweck ist allein der, den Gesetzgeber auf dem Gebiete der Grundrechtseinschränkung an Maßnahmen zu hindern, die ihrem Wesen nach nicht zur Gesetzgebung gehören, sondern der Verwaltung vorbehalten sind; nicht aber w i l l sie Gesetzgebungswerke vereiteln, die — ungeachtet ihrer Bezogenheit auf eine konkret gegebene Sachlage — vom öffentlichen Wohl gebieterisch gefordert werden. Damit ist die Problemstellung präzisiert: Der Begriff des Einzelfallgesetzes i m Sinne von A r t . 1911 kann einerseits nicht auf die gesetzliche Regelung eines einzigen Falles beschränkt werden, sondern muß vielmehr i m Prinzip jedes konkrete, also jedes für eine bestimmte Zahl von Fällen geltende Gesetz umfassen. Andererseits würde aber die uneingeschränkte Geltung dieses Grundsatzes zu völlig unhaltbaren Ergebnissen führen. II. Die Lösung dieses Problems kann nur darin bestehen, daß die begriffliche Abgrenzung zwischen dem allgemeinen und dem nur für den Einzelfall geltenden Gesetz zwar grundsätzlich nach dem abstrakten oder konkreten Charakter des Gesetzes vorgenommen wird, daß aber die eben genannten und die ihnen vergleichbaren konkreten Gesetze aus dem Begriff des Einzelfallgesetzes ausgeschieden und dem des allgemein geltenden Gesetzes zugewiesen werden. Es gilt also, ein zusätzliches K r i t e r i u m zu finden, das diese Gesetze von den anderen konkreten Ge72 Das dürfte f ü r das L A G u n d das Investitionshilfegesetz i n bezug auf A r t . 2 1 GG, jedenfalls aber f ü r das Kriegsfolgengesetz i n bezug auf A r t . 14 GG zu bejahen sein. 78 Denn der Ausgleich der i n der Vergangenheit, also bei einem unveränderlich feststehenden Personenkreis eingetretenen mannigfachen Kriegsschäden k a n n rechtsethisch w i e praktisch n u r dadurch erfolgen, daß diesen Personen i m Zuge der gesetzlichen Schadensregelung auch gewisse Verzichte auferlegt werden (z. B. durch § 1 Kriegsfolgengesetz) oder daß der durch den K r i e g nicht oder n u r weniger schwer betroffene Bevölkerungsteil, also ebenfalls ein unveränderlich feststehender Personenkreis, m i t bestimmten L e i stungspflichten belastet w i r d (ζ. B. durch §§ 16,91 u. 161 L A G ) . E i n solches Gesetz muß also notwendigerweise konkret sein.

§ 21. Versuch einer eigenen Lösung zu A r t . 1911 GG

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setzen wie etwa dem Demonstrationsverbot unterscheidet und ihre Qualifizierung als allgemein geltendes Gesetz i m Sinne von A r t . 1911 zu rechtfertigen vermag. a) Dieses K r i t e r i u m könnte zunächst einmal i n der psychologischen Beziehung des Gesetzgebers zu den von der Grundrechtseinschränkung betroffenen Personen gesucht werden. Vergleicht man ein Gesetz wie das L A G m i t einem echten Einzelfallgesetz wie ζ. B. der Sozialisierung eines Familienunternehmens oder der Ausweisung von drei bestimmten Personen, so zeigt sich i n dieser Hinsicht ein deutlicher Unterschied: Beim Sozialisierungs- oder Ausweisungsgesetz sind dem Gesetzgeber die Betroffenen der Person nach bekannt, hat er bestimmte Individuen vor Augen; bei einem Gesetz wie dem L A G hingegen hat der Gesetzgeber von der Individualität der einzelnen Adressaten keinerlei Vorstellung, sondern erfaßt diese — schon wegen ihrer großen Zahl — von vornherein nur als Personengattung. Ist dies vielleicht das Merkmal, nach dem die beiden A r t e n von konkreten Gesetzen voneinander unterschieden werden können 74 ? Erscheint es schon fraglich, ob diese logisch an sich mögliche Unterscheidung überhaupt i n einem inneren Zusammenhang m i t dem Sinn und Zweck des A r t . 19 I 1 steht 75 , so muß sie doch jedenfalls deshalb verworfen werden, w e i l sie zu unbrauchbaren Ergebnissen führt. Wollte man nämlich n u r solche Gesetze als Einzelfallgesetze ansehen, bei denen dem Gesetzgeber die Adressaten ihrer Person nach bekannt sind, so würde der Begriff des Einzelfallgesetzes ungebührlich eingeengt werden. Man denke etwa an ein Gesetz, durch das eine an sich zulässige, aber dem Gesetzgeber wegen ihrer Zielsetzung nicht genehme Vereinigung m i t 300 Mitgliedern aufgelöst wird. Hier sind dem Gesetzgeber die einzelnen Mitglieder sicherlich nicht individuell bekannt, zumindest w i r d es i h m darauf gar nicht ankommen. Sollte ein solches Gesetz aber als „allgemein geltend" und damit als nach A r t . 19 I 1 zulässig anzusehen sein? Noch deutlicher aber zeigt sich die praktische Unbrauchbarkeit des genannten Kriteriums am Beispiel eines Gesetzes, durch das eine bestimmte öffentliche Demonstration verboten wird. Hier richtet sich das Verbot an eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten, so daß der Gesetzgeber nicht nur aus praktischen, sondern schon aus logischen Gründen gar nicht wissen kann, welche Personen i m einzelnen von dem Verbot betroffen werden. Es dürfte aber keinem Zweifel unterliegen, daß ein 74 Dieses M e r k m a l dürfte w o h l auch Böckenförde (Gesetz, S. 101 A n m . 12, 340 u. passim) vor Augen haben, w e n n er v o n der „ A b s t r a k t i o n von der i n dividuellen Bestimmtheit des Falles" spricht. 75 A u f einen solchen Zusammenhang k a n n aber nicht verzichtet werden, da der Wortlaut der Bestimmung f ü r eine Unterscheidung innerhalb der k o n kreten Gesetze keinen Ansatzpunkt bietet, diese also ihre innere Rechtfertigung n u r aus dem Sinn u n d Zweck der Bestimmung empfangen kann.

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3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 3

solches, einen einzigen (!) F a l l regelndes Gesetz sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn des A r t . 1911 als unzulässiges Einzelfallgesetz anzusehen ist. Eine Unterscheidung danach, ob dem Gesetzgeber die der Grundrechtseinschränkung unterworfenen Personen individuell bekannt sind oder nicht, führt demnach zu m i t A r t . 19 I 1 nicht zu vereinbarenden Ergebnissen und muß deshalb außer Betracht bleiben. b) Ausgangspunkt für die Frage nach dem K r i t e r i u m der gebotenen Unterscheidung kann vielmehr n u r die Ratio des A r t . 1911 sein. Wie oben 76 schon hervorgehoben wurde, besteht der Zweck dieser Bestimmung darin, den Gesetzgeber auf dem Gebiete der Grundrechtseinschränkung auch insoweit, als i h m der Gleichheitssatz Raum lassen würde, daran zu hindern, durch Einzelfallregelungen i n den Funktionsbereich der Verwaltung einzugreifen, i n der Form des Gesetzes materiell verwaltende Tätigkeit auszuüben 77 . Demgemäß kann auch das hier normierte Verbot seinem Inhalt nach n u r soweit reichen, als es zur V e r w i r k lichung dieses Zweckes erforderlich ist. Das bedeutet, daß es dem Gesetzgeber durch das Verbot des für den Einzelfall geltenden Gesetzes (nur) untersagt ist, eine Grundrechtseinschränkung vorzunehmen 77 , die der Sache nach i n derselben Weise auch von einer Verwaltungsbehörde durch Verwaltungsakt getroffen werden könnte 7 8 . Dies g i l t ζ. B. für die eben erwähnte Auflösung einer Vereinigimg oder das Verbot einer bestimmten Demonstration, ebenso auch für die Ausweisung einer bestimmten Person bzw. Familie oder die Enteignung eines bestimmten Grundstücks. Ein solcher Eingriff i n den Funktionsbereich der Verwaltung ist aber trotz der Konkretheit des Gesetzes nicht gegeben, wenn die i n i h m getroffene Regelung einen Gegenstand betrifft, der seiner Natur nach einer Regelung durch die Verwaltung entzogen ist. Das ist stets dann der Fall, wenn der geregelte Tatsachenkomplex einen solchen Umfang und eine solche Bedeutung für das Staatsganze besitzt, daß er trotz seiner Konkretheit von einer Verwaltungsbehörde rein faktisch gar nicht geregelt werden könnte. Macht der Gesetzgeber einen solchen Tatsachenkomplex zum Gegenstand eines Gesetzes, so t u t er nicht etwas, was an sich der Verwaltung vorbehalten ist, sondern etwas, was allein er t u n 76

Vgl. § 21 A . Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Gesetzgeber die grundrechtseinschränkende Einzelfallregelung selbst v o r n i m m t oder ob er lediglich die V e r w a l t u n g zu ihrer Vornahme ermächtigt; vgl. Mangoldt: Grundgesetz, 77

1. Aufl., Art. 19 Anm. 3 und Mangoldt-Klein Anm. I I I 2 b.

78 Die Frage der gesetzlichen Ermächtigung muß i n diesem Zusammenhang stets außer Betracht bleiben. Nicht darauf k o m m t es an, ob die V e r w a l t u n g nach den bestehenden Gesetzen die Grundrechtseinschränkung vornehmen dürfte, sondern ob sie sie ohne Rücksicht auf ihre Zulässigkeit rein tatsächlich

vornehmen könnte.

§ 21. Versuch einer eigenen Lösung zu A r t . 1911 GG

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kann und i m Interesse des Gemeinwohls vielfach auch t u n muß. Ein solches Gesetz kann deshalb von dem i n A r t . 1911 aufgestellten Verbot nicht betroffen werden. Gerade um solche Tatsachenkomplexe handelt es sich aber bei Gesetzen wie dem L A G und dem Kriegsfolgengesetz. Die Vorstellung, daß die i n ihnen getroffene Regelung i n der Form der Allgemeinverfügung eines Bundesministers hätte ergehen können, erscheint geradezu absurd. Selbst wenn man davon ausgeht, daß ein einzelner Bundesminister i n der Lage wäre, eine solche Regelung zu erarbeiten bzw. i n seinem Minister i u m erarbeiten zu lassen, so wäre es doch m i t ihrem Umfang und ihrer Bedeutung für das gesamte Volk schlechterdings unvereinbar, wenn sie i n seiner alleinigen Zuständigkeit und unter seiner alleinigen Verantwortung i n der Form eines einfachen Verwaltungsaktes getroffen und damit überdies der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung ausgesetzt würde 7 9 . A l l e i n der Gesetzgeber ist berufen, die weitreichenden sachlichen und vielfach auch politischen Entscheidungen zu treffen, die es bei derartigen Maßnahmen zu fällen gilt, mag auch die Ministerialbürokratie i n der Lage sein, ihre sachlichen Grundlagen zu erarbeiten. Auch ist dem Umfang und der Bedeutung solcher Regelungen allein die Form des Gesetzes angemessen; nur sie führt zu einer sachgerechten Veröffentlichung 80 und entzieht den Hoheitsakt der Gefahr einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtung, die wegen ihres Suspensiveffektes unter Umständen auf lange Zeit zu einer unerträglichen Rechtsunsicherheit führen kann 8 1 . Damit zeigt sich, daß sich von der Frage aus, ob das konkrete und deshalb präsumtiv gegen A r t . 19 I 1 verstoßende grundrechtseinschränkende Gesetz i n Übereinstimmung m i t den Regeln einer ordnungs79 Hinzukommt, daß selbst bei dieser Handhabung der Gesetzgeber nicht der Notwendigkeit enthoben wäre, ein konkretes Gesetz zu erlassen. Denn der die eigentliche Regelung enthaltende Verwaltungsakt bedürfte j a auf jeden F a l l der gesetzlichen Ermächtigung, die hier vernünftigerweise n u r auf den jetzt anstehenden Lastenausgleich u n d nicht auf die Vornahme v o n L a stenausgleichsregelungen nach verlorenen Kriegen schlechthin bezogen sein könnte. Ganz anders als sonst müßte hier also das ermächtigende Gesetz selbst notwendigerweise konkret sein. Wollte m a n also die Regelung des Lastenausgleichs usw. als eine wegen ihrer Konkretheit der V e r w a l t u n g vorbehaltene Maßnahme ansehen, so könnte sie mangels einer abstrakt-generellen gesetzlichen Ermächtigung überhaupt nicht vorgenommen werden! 80 Würde die Regelung des Lastenausgleichs usw. durch Verwaltungsakt getroffen, so könnte sie nicht i m Bundesgesetzblatt publiziert werden, da dieses n u r für die Verkündung von Gesetzen u n d Rechtsverordnungen bestimmt ist (vgl. A r t . 82 I GG). Die Veröffentlichung i n einem Ministerialblatt könnte nicht als hinreichende Bekanntmachimg angesehen werden, da diese Blätter nur der Publikation verwaltungsinterner Anordnungen dienen. Es bliebe also praktisch n u r die Veröffentlichung i m Bundesanzeiger oder i n den Tageszeitungen übrig! 81 Daß der Suspensiveffekt stets durch die Anordnung der sofortigen V o l l ziehung ausgeschaltet würde, k a n n nicht ohne weiteres unterstellt werden.

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3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p . 3

mäßigen Verwaltung rein tatsächlich auch als Verwaltungsakt hätte ergehen können, eine sinnvolle und brauchbare Unterscheidung innerhalb der konkreten Gesetze gewinnen läßt. Dieses Kriterium, das sich vielleicht als das des „Verwaltungsaktcharakters des Gesetzes" bezeichnen läßt, entspricht dem Sinn von A r t . 1911, w e i l es den Begriff des verbotenen Einzelfallgesetzes auf solche Gesetze beschränkt, durch die der Gesetzgeber der Ratio dieser Bestimmung zuwider i n die K o m petenzen der Verwaltung eingreift. Es führt deshalb zu vernünftigen Ergebnissen, indem es Regelungen, die ungeachtet ihres konkreten Charakters ihrem Wesen nach tatsächlich nur vom Gesetzgeber vorgenommen werden können und i m Interesse des öffentlichen Wohls vielfach auch getroffen werden müssen, dem verfassungsrechtlichen Verbot des Einzelfallgesetzes begrifflich entzieht. Dieses K r i t e r i u m genügt schließlich auch dem Erfordernis der Praktikabilität. Die Frage, ob die i n einem Gesetz(entwurf) enthaltene Regelung (bei Unterstellung einer gesetzlichen Ermächtigung) auch von einer Verwaltungsbehörde durch Verwaltungsakt getroffen werden könnte, kann sowohl vom Gesetzgeber als auch vom Richter m i t hinreichender Sicherheit beantwortet werden. Die Schwierigkeiten, die sie möglicherweise auf w i r f t , liegen jedenfalls durchaus i m Rahmen derer, die Gesetzgeber und Rechtsprechung auch hinsichtlich anderer verfassungsrechtlicher Probleme zu bewältigen haben 82 . Es ist nicht zu verkennen, daß m i t dem K r i t e r i u m des Verwaltungsaktcharakters des Gesetzes der Boden einer rein oder zumindest ganz überwiegend logisch-strukturellen Betrachtung des Allgemeinheits-Problems verlassen und insoweit auf ein i n gewissem Umfange wertendes Moment abgestellt wird. Dies dürfte jedoch kein Nachteil, sondern eher ein Vorzug der vorstehend entwickelten Auffassimg sein. Die erste Frage geht ja auch hier stets dahin, ob das Gesetz abstrakt oder konkret ist, und zielt damit auf seine logische Struktur ab. Erst wenn der Standort des Gesetzes i m logischen System der verschiedenen Allgemeinheitsstufen bestimmt, wenn es als konkretes Gesetz ausgewiesen ist, t r i t t die Frage nach seinem Verwaltungsaktcharakter als ein von Sinn und Zweck des A r t . 1911 gefordertes Korrektiv hinzu. N u r dieses materielle Korrektiv aber macht es möglich, die Spannungen zwischen der Starrheit eines logischen Systems und der Vielfalt der Lebenswirklichkeit zu überwinden und zu brauchbaren Ergebnissen zu gelangen. Nur bei seiner Berücksichtigung kann die Auslegung des A r t . 1911 der der Rechtswissenschaft als praktischer Wissenschaft gestellten Aufgabe gerecht werden, nicht logische Unterscheidungen u m ihrer selbst w i l l e n zu treffen und sich der Logik als Selbstzweck zu bedienen, sondern prak82 Es sei hier n u r daran erinnert, welche Schwierigkeiten vielfach die Frage bereitet, ob ein Gesetz Enteignungscharakter besitzt.

§ 2 1 . Versuch einer eigenen Lösung zu A r t . 1911 GG

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tische Interessenkonfiikte i n einer gerechten und lebensnahen Weise zu lösen. Daß das K r i t e r i u m des Verwaltungsaktcharakters des Gesetzes einerseits eine gewisse Elastizität besitzt und damit eine den Besonderheiten des jeweiligen Falles angepaßte Entscheidung ermöglicht, andererseits aber der anzustellenden Wertung einen hinreichend bestimmten Maßstab liefert und damit auch feste Grenzen setzt, dürfte i m Verlaufe der bisherigen Ausführungen genügend deutlich geworden sein. C. Ergebnis Damit lassen sich für A r t . 1911 GG folgende Definitionen aufstellen: Ein für den Einzelfall geltendes Gesetz ist ein Gesetz, das i m Sinne des weiteren, positivrechtlichen Fall-Begriffs, der jeden an eine bestimmte einzelne Person adressierten Hoheitsakt als Einzelfallregelung einschließt, einen einzigen Fall oder eine bestimmte Zahl von Fällen regelt; letzterenfalls jedoch nur dann, wenn das Gesetz den Charakter eines Verwaltungsaktes besitzt, d.h. wenn die i n i h m getroffene Regelung — eine gesetzliche Ermächtigung vorausgesetzt — nach Umfang und Bedeutung ihres Gegenstandes für das Staatsganze i m Einklang m i t den Erfordernissen einer ordnungsmäßigen Verwaltung rein faktisch auch von einer Verwaltungsbehörde durch Verwaltungsakt getroffen werden könnte, wenn sie also nicht nur hinsichtlich ihrer logischen Struktur, sondern auch hinsichtlich der praktischen Möglichkeit ihres Erlasses durch eine Verwaltungsbehörde der Sache nach ein Verwaltungsakt ist. Allgemein geltend ist dementsprechend jedes Gesetz, das eine unbestimmte Zahl von Fällen regelt (und eine unbestimmte Zahl von Personen betrifft), also abstrakt-generell ist; darüber hinaus auch ein eine bestimmte Zahl von Fällen regelndes Gesetz, das ungeachtet seiner Konkretheit nicht den Charakter eines Verwaltungsaktes besitzt. D. Exkurs: Die Bedeutung von Art. 1911 GG für die enteignungsrechtliche Einzeleingriffslehre Aus der vorstehend entwickelten Ansicht ergeben sich gewisse Folgerungen für die i m Enteignungsrecht nach wie vor heftig umstrittene Frage nach dem Begriff der Enteignung 8 8 und damit nach dem Merkmal, das bei gesetzlichen Eigentumsbeschränkungen die Enteignung von der bloßen Inhaltsbestimmung unterscheidet. a) Der Bundesgerichtshof v e r t r i t t bekanntlich i m Anschluß an die Judikatur des Reichsgerichts 84 seit dem Beschluß des Großen Zivilsenats 83

309.

84

Vgl. i m einzelnen die Nachweise bei Wolff: Vgl. RGZ 105, 251; 109, 310; 116,268; 150, 9.

Verwaltungsrecht I, S. 307 bis

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3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p . 3

vom 9.10.1952 85 i n ständiger Rechtsprechung 86 die Auffassung, das die Enteignung von der Inhaltsbestimmung unterscheidende Merkmal sei i m Einzeleingriff zu erblicken. „Bei der Enteignung handelt es sich nicht u m eine allgemeine und gleichwirkende, m i t dem Wesen des betroffenen Rechts vereinbarte inhaltliche Bestimmung und Begrenzung des Eigentumsrechts, sondern u m einen gesetzlich zulässigen zwangsweisen staatlichen Eingriff i n das Eigentum..., der die betroffenen Einzelnen oder Gruppen i m Vergleich zu anderen ungleich, besonders trifft und sie zu einem besonderen, den übrigen nicht zugemuteten Opfer für die A l l gemeinheit zwingt, und zwar zu einem Opfer, das gerade nicht der Inhalt und die Grenzen der betroffenen Rechtsgattung allgemein und einheitlich festlegt, sondern das aus dem Kreise der Rechtsträger Einzelne oder Gruppen von ihnen unter Verletzung des Gleichheitssatzes besonders trifft. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz kennzeichnet die Enteignung 8 7 ." Diese Rechtsprechung hat i m Schrifttum überwiegend Zustimmung, daneben jedoch auch heftige K r i t i k gefunden 83 . Unter den verschiedenen ablehnenden Stellungnahmen interessieren hier lediglich die Angriffe, die von Herbert Krüger 88 und von Dürig 89 unter Berufung auf A r t . 1911GG gegen die Einzeleingriffslehre geführt worden sind. Krüger ist der Auffassung, daß das i n A r t . 1911 ausgesprochene Verbot des Individualgesetzes die Einzeleingriffslehre gegenstandslos mache. „Sie setzt nämlich voraus, daß ein solches Einzelgesetz zwar verfassungsmäßig sei, aber, als Enteignung i n der Form des Gesetzes, die Entschädigungspflicht auslöse. Heute wäre ein derartiges Gesetz wegen Verstoßes gegen A r t . 191 von vornherein verfassungswidrig 90 ." Dürig t r i t t dieser Ansicht m i t Nachdruck bei. „ N u n ist aber die ganze Einzeleingriffslehre gerade i m Hinblick auf spezielle Legalenteignungen entwickelt worden Heute aber ist ein solches Einzelgesetz nichtig, und der von der Einzeleingriffstheorie angesprochene Tatbestand ist als Enteignungstatbestand von vornherein unmöglich 91 ." b) Können n u n diese Angriffe, die der bisherigen Enteignungsjudikatur des B G H den Boden zu entziehen drohen, als berechtigt angesehen werden? Die A n t w o r t hängt offensichtlich davon ab, ob die von Krüger und Dürig zugrunde gelegte Prämisse zutrifft, daß ein Einzeleingriffsgesetz i m Sinne des B G H stets auch ein Einzelfallgesetz i m Sinne von A r t . 1911 GG sei. 85 86 87 88

89 90 91

B G H Z 6, 270 ff. Zuletzt B G H Z 23, 32. B G H Z 6,279 f. Herbert Krüger: DVB1.1950, 625 ff.

Dürig: JZ 1954,4 ff. Krüger: a. a. O., S. 626. Dürig: a. a. O., S. 7.

§ 21. Versuch einer eigenen Lösung zu A r t . 1911 GG

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Diese Prämisse erweist sich jedoch nach den vorangegangenen Ausführungen als nicht haltbar. Einzeleingriffsgesetze i m Sinne des Enteignungsrechts und Einzelfallgesetze i m Sinne von A r t . 1911 sind begrifflich keineswegs identisch, sondern bilden vielmehr zwei sich schneidende Begriffskreise. Das ergibt sich ohne weiteres daraus, daß diese beiden Begriffsbildungen an zwei verschiedene Momente anknüpfen: einerseits an den Verstoß gegen den Gleichheitssatz, andererseits an die (verwaltungsaktgleiche) Konkretheit des Gesetzes. Es wurde aber bereits dargelegt, daß das Verhältnis eines Gesetzes zum Gleichheitssatz von seiner logischen Struktur anerkanntermaßen weitgehend unabhängig ist, daß also einerseits ein abstrakt-generelles Gesetz dem Gleichheitssatz widersprechen wie umgekehrt ein nur einen einzigen Fall regelndes Gesetz m i t diesem durchaus i m Einklang stehen kann 9 2 . Das i n A r t . 1911 aufgestellte Verbot des Einzelfallgesetzes läßt demnach für Einzeleingriffe i m Sinne des Enteignungsrechts, also für gesetzliche Gleichheitssatzverletzungen, durchaus noch Raum. Der von der Einzeleingriffstheorie angesprochene Tatbestand ist keineswegs, wie Dürig behauptet, als Enteignungstatbestand von vornherein unmöglich. Er w i r d vielmehr durch A r t . 1911 lediglich i n gewissem Umfange eingeschränkt, nämlich insoweit, als die Gleichheitssatzverletzung durch ein verwaltungsaktgleiches konkretes Gesetz erfolgt; ein solches Gesetz kann heute i n der Tat kein Enteignungsgesetz i m Sinne von A r t . 14 I I I GG mehr sein, w e i l es bereits wegen Verstoßes gegen A r t . 1911 verfassungsw i d r i g und damit nichtig ist. Soweit der Gesetzgeber aber i n einem abstrakt-generellen oder i n einem nicht verwaltungsaktgleichen konkreten Gesetz eine gegen das (materielle) 93 Gleichheitsgebot verstoßende Regelimg trifft 9 4 , erfüllt er den Tatbestand der Enteignung, ohne daß A r t . 1911 der Verfassungsmäßigkeit und Wirksamkeit eines solchen Gesetzes entgegenstünde. Das Verbot des grundrechtseinschränkenden Einzelfallgesetzes macht demnach die Einzeleingriffslehre keineswegs gegenstandslos. Es w i r k t sich insoweit allein dahin aus, daß der von dieser Lehre als Enteignung charakterisierte Verstoß gegen den (materiellen) Gleichheitssatz lediglich durch ein abstrakt-generelles oder nicht verwaltungsaktgleiches konkretes Gesetz erfolgen kann — ebenso wie auch nach den anderen Lehren als Enteignungsgesetz stets nur ein i n diesem Sinne „allgemeines" 92

Vgl. oben § 20 Β I I I c. Z u r Unterscheidung zwischen formellem u n d materiellem Gleichheitsgebot siehe Hans J. Wolff: Verwaltungsrecht I , S. 296 f. 94 Daß dies möglich ist, w i r d v o n Krüger u n d Dürig offenbar übersehen. Die Ursache dafür dürfte zumindest bei Dürig i n der unkritischen Verwendung des vieldeutigen Begriffes „speziell" zu erblicken sein; dadurch, daß Dürig den Einzeleingriff i m Sinne des B G H unzulässigerweise als „speziell" bezeichnet, w i r d er augenscheinlich zur Annahme der Identität von Einzeleingriffs- u n d Einzelfallgesetz verleitet. 93

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3. Teil: Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p . 3

Gesetz i n Betracht kommt. Die von Herbert Krüger und Dürig auf Grund von A r t . 1911 gegen die Einzeleingriffstheorie erhobenen Einwendungen sind somit nicht haltbar 9 5 . § 22.

Das P r o b l e m des „ g e t a r n t e n " Individualgesetzes

A u f der Grundlage der i m vorstehenden gewonnenen Erkenntnisse über den Begriff des Einzelfall- (Individual-)gesetzes kann nun auch an das Problem des „getarnten" Individualgesetzes 96 herangegangen werden. Darunter ist hier die Frage zu verstehen, ob und gegebenenfalls inwieweit sich der Gesetzgeber dem i n A r t . 1911 GG aufgestellten Verbot dadurch entziehen kann, daß er einem der Sache nach für einen Einzelfall geltenden Gesetz die Form eines „allgemeinen" Gesetzes verleiht. A. Der Streitstand Das Problem des getarnten Individualgesetzes ist — wenngleich m i t unterschiedlicher Akzentuierung — i n Wissenschaft und Rechtsprechung bereits wiederholt behandelt worden. I. Nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes hat als erster Herbert Krüger unter Hinweis auf Versuche der „Verfassungsumgehung" i n der Weimarer Zeit darauf aufmerksam gemacht, daß i m Zusammenhang m i t A r t . 1911 „eines Tages das Problem des Mißbrauchs von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des öffentlichen Rechts akut werden könnte" 9 7 . Derselbe Gedanke findet sich alsbald auch bei Maunz 9*, der dem Verbot des Einzelfallgesetzes sogar eine weitgehende praktische Wirkungslosigkeit prophezeit. Die Gesetzgebungstechnik sei heute so kunstvoll ausgebildet, daß jedes Gesetz i n der Form eines „ f ü r alle geltenden Gesetzes" ergehen könne, auch wenn es sich bewußt auf die Regelung von Einzelfällen beschränken wolle; dies gelte insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber nicht einen konkreten Einzelfall, sondern eine bestimmte Gruppe von Einzelfällen treffen wolle. Die gründlichste neuere Untersuchung zum Problem des getarnten Individualgesetzes ist von Hildegard Krüger 99 angestellt worden. 95

I m Ergebnis ebenso Hans J. Wolff : a. a. O., S. 307 u n d die dort Zitierten. Der Ausdruck stammt, soweit ersichtlich, v o n Hildegard Krüger (DVB1. 1955, 761). Die v o n i h r als synonym vorgeschlagene Bezeichnung „abstraktes Individualgesetz" ist abzulehnen, da sie zu Mißverständnissen Anlaß g i b t ; gegen diesen Ausdruck auch Menger: Gesetz, S. 19 A n m . 65. 97 Herbert Krüger: DVB1.1950, 626. 98 Maunz: Deutsches Staatsrecht, 1. Aufl. 1951, S. 92; 7. Aufl. 1958, S. 107. 99 Hildegard Krüger: DVB1.1955, 791—796 (792—795). 98

§ 22. Das Problem des „getarnten" Individualgesetzes

241

Bei ihren Erörterungen geht Hildegard Krüger von folgendem Grundsatz aus: „Der Inhalt eines Staatsaktes bedingt seine Form. E i n nicht allgemeiner — also nur für den Einzelfall geltender — Hoheitsakt, durch den ein Grundrecht eingeschränkt wird, ist nach A r t . 19 Abs. 1 GG kein ,Gesetz'. Z u seinem Erlaß ist nach der dem A r t . 19 Abs. 1 S. 1 GG immanenten Zuständigkeitsverteilung nicht die Legislative, sondern nur die Exekutive zuständig. E i n solcher A k t ist daher aus doppeltem Grunde nichtig, nichtig wegen Unzuständigkeit und nichtig wegen ,Formmißbrauchs' bzw. ,Formentarnung 4 . Die Vertauschung von Staatsakten hat bereits nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen Unwirksamkeit zur Folge. A r t . 19 Abs. 1 S. 1 GG ist der verfassungsrechtliche Niederschlag dieses Grundsatzes 100 ." A u f dieser Grundlage aufbauend, wendet sich Hildegard Krüger alsdann der entscheidenden Frage zu, unter welchen Voraussetzungen der Nachweis einer solchen Vertauschung als erbracht anzusehen ist 1 0 1 . Nach Anführung zahlreicher älterer und neuerer Äußerungen i n der in- und ausländischen Wissenschaft und Rechtsprechung, die die verschiedensten Erscheinungsformen der Vertauschimg von Staatsakten oder der Gesetzesumgehung ganz allgemein 1 0 2 betreffen, stellt sie hier schließlich folgende These auf: „Beschließt der Gesetzgeber also ein Gesetz, dessen Ziel und Zweck es ist, eine bestimmte Person i n bestimmter Richtung zu entrechten, so genügt dies, u m das Gesetz wegen Verfassungsumgehung verfassungswidrig zu machen, ohne Rücksicht darauf, ob seine allgemeine Fassung es möglich oder sogar wahrscheinlich sein läßt, daß außer diesem bestimmten Rechtssubjekt, auf das das Gesetz gemünzt wurde, auch noch einige andere Rechtssubjekte unbestimmter Anzahl, deren Zahl jedoch äußerst klein zu denken ist, betroffen werden und weiter davon auszugehen ist, daß der Gesetzgeber auch beabsichtigte, diese an sich noch denkbaren Fälle gleichfalls zu treffen. Es bedarf also keineswegs, um die Verfassungswidrigkeit des A r t . 19 Abs. 1 S. 1 GG zu begründen, eines nach außen als Individualnorm kenntlich gemachten Gesetzes, das seinen Individual-Charakter gleichsam an der Stirne trägt. . . . Nichts zwingt zu der Annahme, daß dem A r t . 19 Abs. 1 S. 1 GG ein formal abstrakt gefaßtes Gesetz genüge. . . . Alle auf den Einzelfall oder gegen die Einzelperson gemünzten Gesetze, seien sie konkrete oder abstrakte — »getarnte 4 — Individualgesetze, wollte A r t . 19 Abs. 1 S. 1 GG treffen 103 ." 100

a. a. O., S. 792; zur Erhärtung dieses Grundsatzes werden i m folgenden zahlreiche Zitate aus Wissenschaft u n d Rechtsprechung angeführt. 101 a. a. O., S. 793. 102 „Die Vertauschung von Staatsakten ist ein Spezialfall der Gesetzesumgehung" (a. a. O., S. 793). 103 a. a. O., S. 794. 16

Volkmar

242

3. Teil: Allg.

echtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p . 3

Diese Ausführungen Hildegard Krügers haben i n unterschiedlichem Umfange die Zustimmung von Hamann und Klein gefunden. Hamann behandelt das Problem des getarnten Individualgesetzes unter dem Stichwort „Einzelgesetze" 104 . Typisch für diese Gesetze sei, daß äußerlich die Form einer abstrakt-generellen Norm gewählt werde, daß sie aber ihrem Inhalt nach nur ein konkretes tatsächliches Verhältnis beträfen. A r t . 19 I 1 spreche ausdrücklich aus, daß solche Einzelgesetze keine Grundrechte einschränken dürften 1 0 5 . Hamann bekennt sich ausdrücklich zu der Auffassung Hildegard Krügers, daß es sich hier i n W i r k lichkeit u m Verwaltungsakte handele und daß deshalb die Wahl der Gesetzesform einen die Unwirksamkeit begründenden Formmißbrauch darstelle. A n anderer Stelle 1 0 6 spricht er — ebenfalls unter Berufung auf Hildegard Krüger — aus, es verstehe sich von selbst, daß die scheinbar generelle Ausgestaltung eines nur auf einen oder mehrere Einzelfälle gemünzten Gesetzes i h m nicht den Charakter einer „allgemeinen" N o r m verleihen könne; entscheidend sei nicht die Formulierung, sondern der Inhalt. Auch Klein 107 ist der Auffassung, daß A r t . 19 1 1 nach Sinn und Zweck nicht nur das „offene", sondern auch das „getarnte" Einzelpersongesetz 108 verbiete. Das grundrechtseinschränkende Gesetz müsse also nicht nur nach seiner Formulierung, sondern auch nach seinen tatsächlichen und gerade beabsichtigten Rechtswirkungen allgemeine Geltung haben. Demgemäß müsse es nicht n u r seinem Wortlaut nach formal für alle gelten, „sondern auch seinem Inhalt nach darauf angelegt sein, daß es nicht von vornherein auf einen bestimmten Personenkreis, bestimmte Personen oder gar nur eine bestimmte Person zugeschnitten ist". Wenn nur eine Person getroffen werden solle, so sei die Frage der Zulässigkeit des Gesetzes einfach zu entscheiden. Wenn hingegen eine Gruppe von Personen getroffen werden solle, erfordere die Entscheidung „ v i e l Takt von dem m i t ihr Befaßten. Es hat den Anschein, als ob sich diese Frage i n das Gebiet rationell nicht mehr greifbarer Gerechtigkeitsvorstellungen verflüchtigt" 1 0 9 . Klein hält es jedenfalls für sicher, daß sich das Problem 104 Hamann: Grundgesetz, Einführung I D 7 a 2, S. 49. Der Ausdruck „Einzelgesetz" als Bezeichnung f ü r das getarnte Individualgesetz erscheint wenig glücklich, da er n u r auf den I n h a l t des Gesetzes abstellt, den entscheidenden Widerspruch zwischen F o r m u n d I n h a l t also gerade nicht zum Ausdruck bringt. 105 Die Richtigkeit dieses Satzes erscheint zweifelhaft, da A r t . 19 das getarnte Individualgesetz gerade nicht ausdrücklich erwähnt. Er dürfte auch m i t der i m folgenden Satz zitierten Äußerung nicht ganz vereinbar sein. 106 A r t . 19, A n m . C 3.

107

108

Mangoldt-Klein: Grundgesetz, Art. 19 Anm. I I I 2 c.

Unter „Einzelpersongesetz" versteht Klein auch hier das von A r t . 19 11 verbotene Einzelfallgesetz; vgl. oben § 20 A I I I . 109 Dieser Satz w i r d von Klein anschließend folgendermaßen verdeutlicht: „ W e n n etwa i n A b w a n d l u n g des früheren Beispiels des sowjetischen Staatsbesuches eine bestimmte Gruppe von anonymen oder bekannten Attentätern

§ 22. Das Problem des „getarnten" Individualgesetzes

nicht m i t Hildegard Krügers akten lösen lasse.

243

Lehre von der Vertauschung von Staats-

I I . Das Problem der getarnten Einzelfallregelung ist jedoch nicht etwa erst unter der Geltung der Bonner Grundgesetzes zutage getreten. Es hat vielmehr i n verschiedenen Erscheinungsformen — vornehmlich auch i n Gestalt des Problems der „Verfügung i n Verordnungsform" — bereits die ältere Lehre und Rechtsprechung beschäftigt. Demgemäß findet sich hier eine Reihe von Äußerungen, die zwar überwiegend keine systematische Behandlung des Problems zum Gegenstand haben und auch teilweise untereinander i n Widerspruch stehen, gleichwohl aber zum Teil auch für die Auslegung von A r t . 1911 noch von Bedeutung sind. a) Bereits Otto Mayer 110 weist auf die für die Praxis mitunter auftretende Versuchung hin, eine als solche unzulässige Verfügung unter Wahrung der Formen der (zulässigen) Verordnung zu erlassen. I n einem solchen Falle läge lediglich der äußere Schein einer Verordnung vor. Die Verordnung sei wesentlich durch ihren Inhalt bestimmt, der ein Rechtssatz sein müsse, während eine solche „Verordnung" durch ihren Inhalt gerade selbst beweise, daß es damit nicht auf die Ausübung des Verordnungsrechts abgesehen sei. Verhältnismäßig eingehend hat sich Walter Jellinek 111 m i t dem Problem befaßt. Da er dabei jedoch von seinem hier abgelehnten Rechtssatz- bzw. Allgemeinheits-Begriff 1 1 2 ausgeht, sind seine Erörterungen für unseren Zusammenhang n u r wenig ergiebig 113 . I m m e r h i n finden sich bei i h m auch einige noch heute bedeutsame Bemerkungen. So etwa seine i m Anschluß an das preußische OVG 1 1 4 vertretene These, eine Verordnung könne auch gültig sein, wenn sie lediglich auf eine bestimmte u n d Marodeuren, denen jedes M i t t e l recht zu sein scheint, losschlagen w i l l , ist das Gesetz zulässig, w e i l das entsprechende Handeln der Demonstranten schon nach der allgemein verfassungsunmittelbaren Vorbehaltsschranke der ausgeübten Grundrechte gemäß A r t . 2 Abs. 1, S. 1 unzulässig ist. Wenn aber irgendeine Gruppe nur demonstrieren w i l l , dann muß der freiheitliche demokratische Rechtsstaat, wenn es nicht mehr u m anonyme Kreise, sondern u m der Person oder der Gruppe nach bekannte Personen geht, alle M i t t e l der Verwaltung ausschalten, w i l l er nicht ,sein Gesicht verlieren'." 110 Otto Mayer: Verwaltungsrecht I, l . A u f l . , S.275, 3. Aufl., S. 231. 111 Walter Jellinek: Gesetz, S. 266 f. und 356—358. 112 Vgl. oben § 5 A I und § 7. 113 Eine Konsequenz seines Rechtssatzbegriffs ist z.B. seine Behauptung (a. a. O., S. 267), eine Verordnung sei nicht deswegen ungültig, w e i l sie tatsächlich nur auf eine oder mehrere bestimmte Personen Anwendung finde; sobald die Personen m i t begrifflicher Notwendigkeit erfaßt würden, sei die Verordnung an sich Rechtssatz und als solcher möglicherweise gültig. Sofern Jellinek — was nach der Formulierung nicht ganz eindeutig ist — hier eine Verordnung meint, die ihrem Inhalt nach nur auf eine bestimmte Zahl von Personen Anwendung finden kann, steht diese Auffassung i n offenem Widerspruch zu den heutigen Legaldefinitionen der Verordnung (ζ. B. i n § 24 prPVG). 114 Siehe hierzu unten I I b. 16*

244

3. T e i l : A l l g .

echtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 3

Person zugeschnitten wird, so lange nur die Möglichkeit bestehe, daß auch andere Personen von ihr erfaßt würden 1 1 5 . Ebenso noch heute von Interesse ist seine Ansicht zur Frage der Wirksamkeit einer Verordnung, die zwar durch einen Einzelfall veranlaßt, jedoch wirklich an die Allgemeinheit gerichtet ist und nur nebenbei noch den Zweck verfolgt, auch den veranlassenden Einzelfall mitzutreffen. Eine solche Verordnung ist nach Jellinek gültig, da sie eben nicht nur für den Einzelfall (für eine Einzelperson) gilt, sondern gegen eine begriffliche Allgemeinheit von Personen gerichtet ist 1 1 6 . Auch Jacobi 117 erkennt an, daß die äußere Form allein einem Hoheitsakt nicht die Qualität eines Rechtssatzes (Gesetz oder Verordnung) zu verleihen vermag. Erfolge die Bezeichnung der betreffenden Personen „nach Gattungsmerkmalen" nur zum Schein, während die Anordnung i n Wahrheit konkrete Einzelpersonen treffen wolle, so liege kein Rechtssatz vor. Dagegen sei es für die Annahme eines Rechtssatzes gleichgültig, ob die begrifflich allgemeine Regelung praktisch nur auf einen einzigen Tatbestand oder überhaupt nicht zur Anwendung gelange 118 . b) Neben diesen Autoren aus dem Bereich der Wissenschaft hat auch die ältere Rechtsprechung mehrfach zum Problem des getarnten Individualgesetzes bzw. der Verfügung i n Verordnungsform Stellung genommen. Bereits i n einer älteren Entscheidung des preußischen OVG 1 1 9 werden hierzu Gedanken entwickelt, die auch heute noch sorgfältige Beachtung verdienen. Das OVG hatte sich hier m i t einer Gewerbesteuerordnung 115 a.a.O., S.267. Eine solche Verordnung ist aber nach Jellinek dann „wegen zu geringen Umf anges" ungültig, w e n n die Polizei zur näheren Bezeichnung der v o n i h r ins Auge gefaßten Einzelperson Beschränkungen i n die Verordnung bringt, die m i t den polizeilichen Zwecken nichts zu schaffen haben. So ζ. B., w e n n i n einem kleinen Ort der einzige Bierbrauer daran gehindert werden soll, m i t seinen schweren Bierwagen über das holprige Pflaster zu fahren u n d damit die Leute aus dem Schlafe zu wecken; hier könne eine V e r ordnung ergehen gegen das Fahren m i t lärmenden Wagen überhaupt, nicht aber könne sie sich „gegen die Bierbrauer" des Ortes richten. Dem ist zuzustimmen, jedoch handelt es sich insoweit offensichtlich nicht mehr u m das Problem des Formenmißbrauchs. 116 a. a. O., S. 357 f. Die von Jellinek i m Zusammenhang h i e r m i t behandelte Besonderheit, daß die V e r w a l t u n g einen bereits gestellten A n t r a g einer P r i vatperson so lange nicht bescheidet, bis sie durch den Erlaß einer solchen V e r ordnung die Rechtsgrundlage f ü r seine Ablehnung geschaffen hat, liegt außerhalb unserer Problemstellung u n d braucht hier deshalb nicht berücksichtigt zu werden.

117

118

Jacobi: Handbuch I I , S. 238 Anm. 4.

Dieser Satz darf w o h l dahin verstanden werden, daß eine (auch) i n h a l t lich allgemeine Regelung nicht dadurch i n i h r e m Rechtscharakter oder ihrer Wirksamkeit berührt werde, daß i h r abstrakter Tatbestand i n concreto n u r ein einziges M a l oder überhaupt nicht v e r w i r k l i c h t werde. Das ist sicherlich richtig, da hier eine „ T a r n u n g " oder ein Formenmißbrauch überhaupt nicht i n Frage steht. 119 Urt. v. 22. 2.1901 : prOVGE 39, 71 ff. (77 f.).

§ 22. Das Problem des „getarnten" Individualgesetzes

245

zu befassen, die allgemeine Voraussetzungen der Steuerpflicht aufstellte, so daß alle Gewerbebetriebe, bei denen diese Voraussetzungen zutrafen, steuerpflichtig wurden; tatsächlich wurde von diesem Ortsgesetz nur der Gewerbebetrieb der Klägerin erfaßt, und nach der Klagebehauptung sollte auch er allein davon betroffen werden. Das OVG erklärte diese Steuerordnung für gültig, und zwar selbst für den Fall, daß die städtischen Körperschaften bei ihrem Erlaß tatsächlich nur den Gewerbebetrieb der Klägerin i m Auge gehabt haben sollten, w e i l sie wußten, daß damals nur er unter ihre Bestimmungen falle, und w e i l sie annahmen, daß dies auch künftig der Fall sein werde. Es sei zwar unzulässig, für einen einzigen bestimmten Gewerbebetrieb eine besondere Steuerordnung zu erlassen. Verschieden hiervon sei aber eine Ordnung, die Voraussetzungen aufstelle, unter denen alle Gewerbebetriebe steuerpflichtig seien, auf welche jene Voraussetzungen zuträfen. Der Erlaß einer Steuerordnung, die gewissermaßen auf den Leib eines einzelnen Gewerbetreibenden zugeschnitten sei, möge vielleicht als Mißbrauch der kommunalen Gesetzgebungsgewalt bezeichnet werden können; ungültig sei aber eine solche Steuerordnung deswegen nicht, so lange nur die Möglichkeit bestehe, daß auch andere Gewerbetreibende als derjenige, der hat getroffen werden sollen, unter die Voraussetzungen fielen, von denen sie die Besteuerung abhängig mache. I n ähnlicher Weise hat das OVG i n einer späteren Entscheidung 120 die Behauptung des Klägers, die angegriffene Polizeiverordnung sei lediglich erlassen, u m sein Bauvorhaben zu vereiteln, als verfehlt abgetan. A l l e r dings sei das Bauprojekt des Klägers der äußere Anlaß gewesen, aus dem die Behörde die Baufreiheit für die i n den betreffenden Straßen belegenen Grundstücke i n besonderer Weise beschränkt habe. Ihrem I n halt nach aber regele die Verordnung diese Frage nicht etwa nur für das Grundstück des Klägers, sondern allgemein für alle Grundstücke, die dabei zur Erzielung eines wirksamen Schutzes des öffentlichen Interesses i n Betracht gekommen seien. Schließlich hat sich auch das Reichsgericht m i t dem Problem des getarnten Individualgesetzes befaßt, und zwar i m Hinblick auf das Reichsgesetz betr. die Aussetzung von Rechtsstreitigkeiten über ältere staatliche Renten vom 6. 7.1929 121 . Dieses Gesetz betraf eine Reihe von i m einzelnen genau aufgezählten, vom Lande Preußen zu zahlenden älteren (d. h. i n der Vergangenheit entstandenen) Renten und schrieb vor, daß „Rechtsstreitigkeiten, die zwischen dem Verpflichteten und Berechtigten bei deutschen Gerichten, Aufwertungsstellen oder Schiedsgerichten anhängig sind oder anhängig werden, auf Antrag einer Partei bis zum Inkrafttreten einer reichsgesetzlichen Regelung auszusetzen" seien. 120 121

Urt. v. 10. 5.1904: p r O V G E 45,393 ff. (401). RGBl. I, S. 131.

246

3. Teil: A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven R e c h t / K a p . 3

Die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes — vor allem i m Hinblick auf die Garantie des gesetzlichen Richters i n A r t . 105 S. 2 WVf. — wurde der Nachprüfung des Reichsgerichtes unterstellt, und zwar einmal, soweit es die Aussetzung des Verfahrens vor Schiedsrichtern betraf, zum anderen hinsichtlich der sonstigen Verfahren. Hinsichtlich der Schiedsverfahren erklärte der VI. Zivilsenat des RG i m Schiedsspruch vom 30.11.1929 122 das Gesetz für verfassungswidrig, w e i l es sich insoweit als „Ausnahmegesetz" gegen zwei bestimmte Personen richte. „Denn wenn es sich auch der Form nach gegen alle Rentenberechtigten richtet, die sich vertraglich m i t den Schuldnern auf Schiedsgerichte geeinigt haben, so kann es sich i n Wirklichkeit doch n u r auf die Schiedsverträge vom November 1925 beziehen, da unstreitig irgendwelche anderen Gläubiger von älteren staatlichen Renten keine Schiedsverträge geschlossen haben 123 ." Daher sei die Annahme begründet, „daß insoweit, als das Gesetz die Rechtsverfolgung vor Schiedsgerichten sperrt, es ausschließlich gerade auf die beiden hier i n Frage kommenden Gläubiger, also auf zwei Einzelfälle, berechnet war" 1 2 3 . Dieses Verfahren aber sei m i t den Vorschriften des A r t . 105 S. 2 und auch des A r t . 109 S.l WVf. nicht i n Einklang zu bringen. Demgegenüber wurde das Gesetz bezüglich der anderen Verfahren i m Beschluß des V I I . Zivilsenates vom 3.12.1929 124 als verfassungsmäßig angesehen. Insoweit handele es sich u m eine zulässige allgemeine Regelung, da „die Ansprüche, die getroffen werden sollen, nach A r t und Gattungsmerkmalen allgemein bestimmt, nicht etwa aus ihrer Gattung durch Einzelbezeichnung besonders herausgenommen sind" 1 2 5 . Der Senat erkennt allerdings ebenfalls an, daß die allgemeine Fassung der Tatbestandsmerkmale das Sperrgesetz dann nicht vor dem V o r w u r f eines verfassungswidrigen Sondereingriffs i n die gesetzliche Regelung des Rechtsschutzes bewahren würde, „wenn diese Fassung nur zu dem Zwecke gewählt wäre, einen nur auf bestimmte Einzelfälle gerichteten Zugriffswillen zu verdecken" 126 . Zur Begründung einer solchen A n nahme genüge aber nicht der Umstand, daß die Einbringung des Gesetzes durch bestimmte Klagen einzelner ehemaliger Standesherren veranlaßt worden sei, da der Gesetzgeber das Vorgehen dieser Gläubiger nicht zum Anlaß genommen habe, ein gerade auf ihre Ansprüche gerichtetes Gesetz zu erlassen. Er habe vielmehr einesteils rein sachliche Merkmale aufgestellt, die auf Renten von Personen der verschiedensten Herkunft zutreffen könnten, zum anderen habe er die Renten einer ganzen Gruppe von Familien und zugleich die Renten ihrer, möglicherweise ganz 122 123 124 125 128

RGZ 126,161 ff. a. a. O., S. 163 f. RGZ 128,165 ff. a. a. O., S. 168. a. a. O., S. 169.

§ 22. Das Problem des „getarnten" Individualgesetzes

247

anderen Bevölkerungskreisen angehörenden, jedenfalls ganz unbestimmten Rechtsnachfolger getroffen. Zum Nachweis der Behauptung, daß der Wille des Gesetzgebers i m Widerspruch zu dieser allgemeinen Fassung nur auf bestimmte einzelne Rentenansprüche ziele, hätten aber die K l ä ger nichts weiteres als den Hinweis auf jenen Anlaß des Gesetzes beigebracht 126 . B. Eigene Stellungnahme Die vorstehende Ubersicht über die i n Wissenschaft und Rechtsprechung vertretenen Ansichten läßt erkennen, daß eine systematische Untersuchung des Problems des getarnten Individualgesetzes zwei verschiedene Fragen zu unterscheiden hat: einmal, ob das i n A r t . 1911 aufgestellte Verbot überhaupt auch solche Gesetze erfaßt, die der Sache nach einen Einzelfall regeln, ihrer formalen Fassung nach aber den Charakter eines allgemeinen Gesetzes aufweisen; "bejahendenfalls, unter welchen Voraussetzungen ein formal allgemeines Gesetz dem Vorw u r f der getarnten Einzelfallregelung ausgesetzt werden kann. I. Wie die vorstehende Meinungsübersicht zeigt, sind sich Schrifttum und Judikatur hinsichtlich der ersten Frage i m Ergebnis darin einig, daß der Charakter eines Gesetzes als Einzelfall — oder als allgemeines Gesetz nicht durch seine Form, sondern durch seinen Inhalt bestimmt wird 1 2 7 . „Entscheidend ist nicht die Formulierung, sondern der Inh a l t " 1 2 8 — das ist die Auffassung, die nahezu sämtlichen einschlägigen Äußerungen zumindest zugrunde liegt. Gewisse Meinungsverschiedenheiten bestehen lediglich hinsichtlich der Begründung dieses Satzes. Hildegard Krüger w i l l hier augenscheinlich den Gedanken der Vertauschung von Staatsakten heranziehen 129 . Demgegenüber meint Hamann 1 2 8 , die Unbeachtlichkeit der bloßen äußeren Form verstehe sich von selbst, während Klein 130 sich ausdrücklich auf Sinn und Zweck des A r t . 1911 beruft. I n der Tat dürfte sich die Unzulässigkeit des getarnten Individualgesetzes bereits unmittelbar aus A r t . 1911 selbst ergeben, ohne daß es insoweit der Heranziehung irgendwelcher allgemeiner Rechtsgrundsätze bedürfte. Ob ein Gesetz nur einen Einzelfall regelt, w i r d eben ausschließlich durch seinen Inhalt bestimmt. Die Einschränkung der Grund127 Die einzige Ausnahme bildet hier offenbar Maunz (vgl. oben § 22 A I), der augenscheinlich davon ausgeht, daß dem Erfordernis der „Allgemeinheit" durch eine entsprechende F o r m des Gesetzes genügt werden könne. 128 Hamann A r t . 19 A n m . C 3; ähnlich auch Menger: Gesetz, S. 19. 129 a.a.O., S. 792. Allerdings lassen ihre Ausführungen nicht k l a r erkennen, ob sie hier n u r das getarnte oder nicht vielmehr das Individualgesetz schlechthin i m Auge hat. 130 a. a. O., A r t . 19 A n m . I I I 2 c.

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3. Teil : Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 3

rechte einer bestimmten Person ζ. B. mag noch so abstrakt und generell formuliert sein — dies ändert doch nicht das geringste daran, daß das Gesetz einzig und allein die Grundrechte eines bestimmten I n d i v i duums einschränkt und damit n u r für einen Einzelfall gilt. Gegenüber dieser Erkenntnis bedürfte die Annahme, daß dem A r t . 19 I 1 ein formal abstrakt-generell gefaßtes Gesetz genüge, einer besonderen Rechtfertigung. Eine solche Annahme w i r d aber nicht nur, wie Hildegard Krüger zutreffend bemerkt 1 3 1 , durch nichts geboten, sondern würde vielmehr m i t Sinn u n d Zweck der Bestimmung schlechterdings unvereinbar sein und sie i n der Tat praktisch nahezu wirkungslos machen. I I . Ist demnach m i t der herrschenden Ansicht davon auszugehen, daß sich das i n A r t . 1911 aufgestellte Verbot auch auf das getarnte Einzelfallgesetz erstreckt, so stellt sich nunmehr die Frage, w a n n ein formal allgemeines Gesetz dem V o r w u r f der verschleierten Einzelfallregelung unterliegt, m. a. W. also die Frage nach dem Begriff des getarnten Individualgesetzes. a) Diese Frage mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen. Man sollte meinen, daß es nur einen einzigen Begriff des Individualgesetzes geben könne, daß dieser immer ein und derselbe sei, ganz gleich, ob das Gesetz seinen Individualcharakter offen zu erkennen gibt oder i h n hinter einer allgemeinen Fassung zu verbergen trachtet. Das ist jedoch keineswegs allgemein anerkannt. Vielmehr gehen einige Autoren stillschweigend davon aus, daß der Begriff des Individualgesetzes, soweit dessen „getarnte" Erscheinungsform i n Betracht kommt, einer besonderen Bestimmung bedürfe. Dies gilt zunächst einmal für Hildegard Krüger. Denn während das offene Individualgesetz auch nach ihrer Auffassung dadurch gekennzeichnet ist, daß es — äußerlich ohne weiteres erkennbar — für einen Einzelfall oder für oder gegen bestimmte (namentlich genannte) Einzelpersonen erlassen 132 , immer also konkret ist, erfaßt sie m i t ihrer Definition des getarnten Individualgesetzes auch inhaltlich abstrakt-generelle Gesetze. Hier soll es — gerade i m Gegensatz zur Auffassung des preußischen OVG — allein darauf ankommen, ob das Gesetz auf ein bestimmtes Rechtssubjekt „gemünzt" wurde ohne Rücksicht darauf, ob daneben auch eine unbestimmte Zahl von anderen Rechtssubjekten bzw. Fällen davon betroffen w i r d 1 3 3 , das Gesetz also auch der Sache nach abstrakt-generell ist. Auch Klein greift bei der Behandlung des getarnten Individualgesetzes nicht einfach auf den zuvor entwickelten Begriff des Einzelfall181 132 138

a. a. O., S. 794. Hildegard Krüger, a. a. O., S. 794.

a. a. O., S. 761.

§ 22. Das Problem des „getarnten" Individualgesetzes

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(Einzelperson-)Gesetzes 184 zurück, sondern sieht sich hier zu erneuten deflatorischen Ausführungen veranlaßt, die von den vorangegangenen nicht unwesentlich abweichen 185 . So bleibt hier insbesondere die Verletzung des Gleichheitssatzes, die zuvor als wesentliches Merkmal des Einzelfall-(Einzelperson-)Gesetzes genannt wurde, völlig unerwähnt. Statt dessen heißt es lediglich, das formal generell gefaßte Gesetz dürfe nicht inhaltlich von vornherein auf einen bestimmten Personenkreis, bestimmte Personen oder gar nur eine bestimmte Person zugeschnitten sein 136 . Ob dies der Fall ist, sei, soweit nur eine Person getroffen werden solle, einfach zu entscheiden. Was aber die Frage nach dem K r i t e r i u m des bestimmten Personenkreises angeht, so erklärt Klein hier durch seine Verweisung auf „ T a k t " und „rationell nicht mehr greifbare Gerechtigkeitsvorstellungen" praktisch eine präzise, logisch fundierte Begriffsbestimmung für unmöglich 1 8 7 und überantwortet die Entscheidung damit letztlich dem Rechtsgefühl. Diesen Auffassungen kann nicht nur i m Ergebnis, sondern auch bereits i m Ansatz nicht beigetreten werden. Die hier stillschweigend vorgenommene Aufspaltung des Begriffs des Individualgesetzes erscheint — ganz abgesehen davon, daß sie auch zu wenig praktikablen Ergebnissen führt 1 8 8 — durch nichts gerechtfertigt. Wenn das Grundgesetz schlechth i n von dem „ f ü r den Einzelfall geltenden Gesetz" spricht, so muß davon ausgegangen werden, daß es hiermit eine einheitliche Vorstellung verbindet — sofern nicht zwingende Gründe eine andere Beurteilung gebieten. Derartige Gründe sind jedoch nicht ersichtlich und werden auch von den beiden Autoren nicht dargetan. I m übrigen setzt sich zumindest Hildegard Krüger hier i n Widerspruch zu dem (zutreffenden) begrifflichen Ausgangspunkt ihrer eigenen Überlegungen. Denn danach handelt es sich bei der Begriffsbildung „offenes" und „getarntes" Individualgesetz u m eine auf die Form abgestellte Unterscheidung innerhalb „der Individualgesetze" 139 , also u m die Be134

Vgl. oben § 20 A I I I . 135 v g l . oben A I. Klein stellt allerdings dem Wortlaut seiner Ausführungen nach i n erster L i n i e auf die Frage der Zulässigkeit des getarnten E i n zelpersongesetzes ab. Diese läßt sich jedoch v o n der Frage nach dem Begriff eines solchen Gesetzes nicht trennen: E i n Gesetz ist dann unzulässig, w e n n es begrifflich als getarntes Einzelpersongesetz anzusprechen ist, u n d umgekehrt. Die Ausführungen Kleins enthalten daher der Sache nach auch eine Stellungnahme zum Begriff des getarnten Einzelpersongesetzes. 138 Dieser Satz s t i m m t zwar insofern m i t der zuvor aufgestellten Definition überein, als beide Male ein i n gewisser Weise beschränkter Adressatenkreis i n Rede stehen dürfte. Aus der Nichtheranziehung des Gleichheitssatzes muß jedoch geschlossen werden, daß Klein die Frage der Gleichheitssatzverletzung hier f ü r imbeachtlich ansieht. 137 Dies eben i m Gegensatz zu seinen vorangegangenen Ausführungen über den Begriff des (offenen) Individualgesetzes u n d der dort entwickelten Definition. 138 Vgl. hierzu unten S. 252. 139 Vgl. a. a. O.. S. 761.

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3. Teil : Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 3

Zeichnung von zwei Erscheinungsformen ein und derselben Sache. Der Begriff des Individualgesetzes w i r d somit von Hildegard Krüger zwar als einheitlich vorausgesetzt, dann aber stillschweigend zur Bezeichnung von zwei (zumindest teilweise) verschiedenen Dingen gebraucht. b) Es ist demnach davon auszugehen, daß der Begriff des Einzelfallgesetzes stets ein und derselbe ist, ganz gleich, ob das Gesetz seinen Individualcharakter offen zu erkennen gibt oder ihn hinter einer abstrakt-generellen Fassung zu verbergen sucht 140 . Daraus ergibt sich für den Begriff des „getarnten Individualgesetzes" folgendes: Auch als getarntes Individualgesetz kommt stets nur ein konkretes Gesetz m i t Verwaltungsaktcharakter i n Betracht, also ein Gesetz, das seinem Inhalt nach für einen einzigen Fall oder für eine bestimmte Zahl von Fällen eine Regelung trifft, die sich nach A r t und Umfang als Eingriff i n den Funktionsbereich der Verwaltung darstellt und deshalb rein faktisch auch von einer Verwaltungsbehörde durch Verwaltungsakt getroffen werden könnte. Ein solches Gesetz ist dann „getarnt", wenn es sich den Anschein eines allgemeinen Gesetzes gibt, wenn also die konkrete Regelung i n das Gewand einer abstrakt-generellen 141 Formulierung gekleidet ist. Das Merkmal des getarnten Individualgesetzes ist also die Diskrepanz zwischen der „allgemeinen", d. h. abstrakt-generellen 1 4 1 Formulierung und dem (verwaltungsaktgleichen) konkreten Inhalt. Eine solche Diskrepanz w i r d jedoch praktisch — wenn überhaupt — nur sehr selten vorkommen, da es überaus schwierig ist, ein konkretes Gesetz abstrakt zu formulieren, ohne daß es dadurch auch inhaltlich eine unbestimmte Zahl von Fällen erfaßt 142 . Häufiger mag es 140

Sachlich übereinstimmend w o h l Hamann: a. a. O., A r t . 19 A n m . C 3 (o. § 22 A I); W. Jellinek: Gesetz, S. 267 u. 357 f. (o. § 22 A I I a); prOVGE 39,77 f. u. 45,401 (o. § 22 A I I b). 141 Der Schein eines allgemeinen Gesetzes würde allerdings rein theoretisch auch dann erweckt, w e n n sich ein verwaltungsaktgleiches konkretes Gesetz formal den Charakter einer (zwar nicht abstrakt-generellen, w o h l aber) nicht verwaltungsaktgleichen konkreten Regelung zu geben suchte. Dies dürfte i n dessen praktisch k a u m möglich sein, da der mangelnde Verwaltungsaktcharakter gerade ein M e r k m a l des Gesetzesinhalts bzw. -gegenständes, insbesondere seines Umfanges u n d seiner staatspolitischen Bedeutung ist u n d deshalb allein durch die sprachliche Formulierung schwerlich vorgetäuscht werden kann. Diese Möglichkeit soll deshalb i m Text unberücksichtigt bleiben. 142 M a n versuche etwa, das Gesetz über die Befreiimg des Reichspräsidenten v. Hindenburg von den Steuern für das Rittergut Neudeck unbeschadet seines konkreten Charakters i n eine abstrakt-generelle Fassung zu kleiden. Soll das Gesetz w i r k l i c h als Regelung einer unbestimmten Z a h l von Fällen erscheinen, so müßte i n seiner Fassung jedwede A n k n ü p f u n g an einmalige Gegebenheiten unterbleiben. Es müßte sich dann also etwa auf „Reichspräsidenten" beziehen, „die Eigentümer von (überschuldeten, mehr als χ ha großen) Rittergütern sind". D a m i t wäre das Gesetz aber bereits zu einer auch inhaltlich abstrakten Regelung geworden, da j a die Möglichkeit besteht, daß diese Voraussetzungen auch von späteren Reichspräsidenten erfüllt werden. Würde aber zur Vermeidung dessen die Person des Reichspräsidenten v. Hindenburg durch scheinbare Gattungsmerkmale näher umschrieben etwa derart, daß das Gesetz f ü r

§ 22. Das Problem des „getarnten" Individualgesetzes

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sein, daß für die betroffenen Fälle (Personen) statt der an sich möglichen individuellen bzw. namentlichen Benennung eine Bezeichnung nach (scheinbaren) Gattungsmerkmalen gewählt wird, dabei aber auch der Formulierung nach erkennbar bleibt, daß das Gesetz nur eine bestimmte Zahl von Fällen regelt 1 4 3 . Hier handelt es sich i m eigentlichen Sinne nicht u m ein getarntes, sondern u m ein offenes Individualgesetz, w e i l das Gesetz ungeachtet der sprachlichen Verwendung von Gattungsmerkmalen auch nach seiner formalen Fassung eine konkrete Regelung trifft; w i l l man ein solches Gesetz gleichwohl der Kategorie des „getarnten" Individualgesetzes zuweisen, w e i l es seine Adressierung an eine bestimmte einzelne Person durch deren gattungsmäßige Bezeichnung zu verschleiern sucht, so könnte hier vielleicht von einem „unechten" getarnten Individualgesetz oder einem getarnten Individualgesetz i m weiteren Sinne gesprochen werden 1 4 4 . Hingegen kann von einer Tarnung i n keinem Sinne mehr die Rede sein, wenn die gattungsmäßige Bezeichnung der betroffenen Personen allein darauf beruht, daß diese wegen ihrer großen Zahl rein praktisch gar nicht namentlich genannt werden könnten 1 4 5 . Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, daß ein Gesetz, das zwar auf eine bestimmte Person „gemünzt" ist, gleichwohl aber inhaltlich eine abstrakt-generelle Regelung trifft und deshalb neben dieser einzelnen Person auch noch eine unbestimmte Zahl von anderen Personen erfassen kann, nicht als getarntes Individuai-, sondern als allgemeines Gesetz anzusehen ist. Dem Versuch Hildegard Krügers, auch derartige Gesetze begrifflich dem Bereich der Individualgesetze zuzuweisen, stehen einmal die Einwände entgegen, die oben14® gegen die Aufspaltung des Individualgesetz-Begriffs ganz allgemein vorgebracht wurden. Er dürfte deshalb m i t A r t . 1911 GG nicht vereinbar sein. Denn ein abstrakt-generelles, wenngleich auf eine Einzelperson gemünztes Gesetz „ g i l t " eben nicht „ n u r für den Einzelfall", sondern gerade für eine unbestimmte (wenn auch geringe) 147 Zahl von Fällen. „Reichspräsidenten" gilt, „die i m Kriege 1914—1918 den Rang eines Generalfeldmarschalls bekleidet haben", so wäre das Gesetz auch der Formulierung nach als Individualgesetz erkennbar, da diese Voraussetzung bei späteren Reichspräsidenten gar nicht gegeben sein konnte. 143 So etwa die i n der vorigen A n m e r k u n g genannte zweite Alternative. 144 Es handelt sich hier u m eine rein terminologische Frage ohne sachliche Bedeutung. 145 So z. B. ein Gesetz, das alle Generäle der früheren deutschen Wehrmacht betrifft, ihnen etwa das Recht der Freizügigkeit oder das Recht der M i t g l i e d schaft i n politischen Parteien versagt oder beschränkt. 146 Vgl. oben I I a . 147 Daß die geringe Z a h l der von einem abstrakten Gesetz erfaßten Fälle dieses nicht zu einem Individualgesetz machen kann, dürfte außer Zweifel stehen. Anderenfalls müßten z.B. alle Rechtssätze über die Besteuerung ganz

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3. Teil : A l l g . Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 3

Die Definition Hildegard Krügers würde aber überdies auch praktisch zu erheblichen Schwierigkeiten führen, da es vielfach überaus zweifelhaft sein kann, ob ein Gesetz auf eine Einzelperson „gemünzt" ist oder ob es lediglich durch diesen Einzelfall (diese Einzelperson) veranlaßt worden ist. Denn nach welchem K r i t e r i u m soll hier die Grenze gezogen werden? Diese Frage w i r d von Hildegard Krüger zwar wohl erkannt, jedoch nicht beantwortet. Lediglich der Bemerkimg, „ohne Rückwirkung wäre der Fall Schörner nur der Anlaß für das Gesetz vom 5. 8.1955 gewesen" 148 , könnte vielleicht entnommen werden, daß Hildegard Krüger den Einzelfall (nur) dann als bloßen Anlaß des Gesetzes angesehen wissen w i l l , wenn er von dem Gesetz nicht mehr erfaßt wird. Eine solche Unterscheidung würde jedoch jeder inneren Begründung entbehren, da nicht einzusehen ist, weshalb bei einer bestimmten Einzelperson vorliegende Umstände nicht auch dann bloßer Anlaß des Gesetzes sein können, wenn diese Person von dem Gesetz noch m i t erfaßt wird. Anderenfalls wäre es dem Gesetzgeber schlechthin versagt, gewisse dauernde Gegebenheiten, die zunächst nur bei einer bestimmten Person vorliegen, ihrer Natur nach jedoch auch bei unbestimmt vielen anderen Personen eintreten können, einer gesetzlichen Regelung zu unterwerfen — ein Ergebnis, das von A r t . 1911 schlechterdings nicht gewollt sein kann 1 4 9 . Es ist demnach der herrschenden Ansicht 1 5 0 darin beizutreten, daß ein inhaltlich abstrakt-generelles Gesetz nicht deshalb als (getarntes) Individualgesetz angesehen werden kann, w e i l es auf eine bestimmte Einzelperson „gemünzt", auf sie „zugeschnitten" 151 ist. Sofern nur ein Gesetz eine unbestimmte Anzahl von Fällen regelt und i n Zukunft Personen betreffen kann, die bei seinem Erlaß noch nicht feststehen, ist es kein Individuai-, sondern ein allgemeines Gesetz — ohne jede Rücksicht darauf, ob es durch einen bestimmten und m i t erfaßten Einzelfall veranlaßt worden und die Zahl der abstrakt geregelten Fälle verhältnismäßig gering ist. Damit zeigt sich, daß dem getarnten Individualgesetz eine wesentlich geringere praktische Bedeutung zukommt, als es nach manchen literarischen Äußerungen den Anschein hat. Was i n der Praxis zu Schwierigkeiten führen kann, ist die Frage, ob eine konkrete gesetzliche Regelung, die sich auf eine größere Zahl von Fällen erstreckt, den Charakter eines Verwaltungsaktes besitzt oder nicht, ob das Gesetz also i m Sinne außergewöhnlich hoher u n d deshalb n u r ganz selten erzielter Einkommen als Individualgesetze angesehen werden! 148 a. a. O., S. 795; bei diesem Gesetz handelt es sich u m die „ l e x Schörner". 149 M a n denke etwa an ein Gesetz, das die Errichtung u n d den Betrieb von A t o m k r a f t w e r k e n der öffentlichen H a n d vorbehält. Soll dieses Gesetz deshalb gegen A r t . 1 9 1 1 verstoßen, w e ü es durch die Gründung einer privaten A t o m k r a f t w e r k - A G veranlaßt u n d diese von dem Verbot miterfaßt wird? 150 Vgl. oben A n m . 140. 151 p r O V G E 39, 78.

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von A r t . 1911 als Einzelfall- oder als allgemeine Regelung anzusehen ist; hier dürften die eigentlichen Probleme liegen, die das Individualgesetz i n der Rechtswirklichkeit hervorrufen kann. Das getarnte I n d i vidualgesetz hingegen w i r d i n der Praxis einen seltenen Ausnahmefall bilden und als solches ohne größere Schwierigkeiten zu erkennen sein. C. Die „lex Schörner" als Anwendungsfall

des Problems

Z u m Abschluß sei n u n noch kurz auf ein Gesetz eingegangen, dessen Erlaß die Diskussion über A r t . 1911 GG erheblich befruchtet und i h r ein praktisches Beispiel aus der jüngsten Gesetzgebung an die Hand gegeben hat, an dem die verschiedene Tragweite der einzelnen IndividualgesetzTheorien deutlich i n Erscheinung t r i t t : die sog. lex Schörner 152 . M i t diesem inzwischen eingebürgerten Namen w i r d i m Schrifttum das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Dienststrafrechts vom 5.8.1955 153 bezeichnet, dessen § 1 Ziff. 2 dem Gesetz zur Änderung und Ergänzimg des Dienststraf rechts vom 28.11. 1952 154 als A r t . 14 a folgende Bestimmung 1 5 5 einfügt: „Einbehaltung v o n Bezügen bei Disziplinarverfahren gemäß § 9 des Gesetzes zu A r t . 131 GG. (1) W i r d gegen eine Person, auf die K a p i t e l I oder § 62 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter A r t i k e l 131 des Grundgesetzes fallenden Personen A n w e n d u n g findet, wegen eines vor dem I n k r a f t t r e t e n des Gesetzes begangenen Dienstvergehens oder einer vor I n k r a f t t r e t e n des Gesetzes begangenen als Dienstvergehen geltenden Handlung das förmliche Disziplinarverfahren nach § 9 des Gesetzes eingeleitet, so gelten die nach dem Gesetz zu zahlenden Bezüge i n voller Höhe als einbehalten. Die E i n leitungsbehörde kann jederzeit zur Vermeidung besonderer Härten die E i n behaltung der Bezüge anderweit regeln.

(2) ... Nach § 3 ist diese Änderung rückwirkend, nämlich am 1.1.1953 i n K r a f t getreten. I. Alsbald nach Erlaß des Gesetzes ist i m Schrifttum die Frage aufgeworfen worden, ob diese Bestimmung m i t A r t . 1911 GG vereinbar sei oder nicht vielmehr eine nur für einen Einzelfall geltende Grundrechts152 I n der L i t e r a t u r w i r d m i t Recht a u d i § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954 („lex Platow") als neueres Beispiel eines getarnten Individualgesetzes angeführt (vgl. Forsthoff: Maßnahme-Gesetze, S. 227; Hildegard Krüger: DVB1. 1955, 794; Menger: Gesetz, S. 20). Diese Bestimmung enthält jedoch keine Grundrechtseinschränkung u n d ist deshalb i m Hinblick auf A r t . 19 1 1 GG ohne unmittelbares Interesse. 153 B G B l . I , S. 497. 154 BGBl. I, S. 749. 155 Z u r Stellung dieser Bestimmung i m Rahmen des Dienst straf rechts vgl. Hildegard Krüger: DVB1.1955, 758 f.

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3. Teil : Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 3

einschränkung 156 enthalte 157 » 158 . Anlaß hierfür war der Umstand, daß die Vorschrift durch den Fall des Generalfeldmarschalls Schörner veranlaßt worden war 159 » 16 °. Demgemäß ist i m Schrifttum die Ansicht geäußert worden, daß das Gesetz speziell gegen Schörner gerichtet und deshalb als unzulässiges Individualgesetz anzusehen sei. So hat insbesondere Hildegard Krüger nachzuweisen versucht, daß es sich bei der „lex Schörner" um den Fall eines getarnten Individualgesetzes handele. Ihre Argumentation läßt sich i m wesentlichen dahin zusammenfassen, daß das Gesetz auf Schörner „gemünzt" sei; obwohl es an sich eine unbestimmte Zahl von Rechtssubjekten betreife, sei es doch sein Ziel und Zweck, eine bestimmte Person, nämlich eben Schörner, i n bestimmter Richtung zu entrechten. Dieser Umstand mache das Gesetz wegen Verf assungsumgehung verfassungswidrig 161 . Dieselbe Ansicht vertritt i m Ergebnis auch Klein 1 6 2 , wenn auch m i t anderer Begründung. I m Gegensatz zu Hildegard Krüger geht Klein offenbar davon aus, daß das Gesetz inhaltlich nicht abstrakt-generell sei, sondern ausschließlich Schörner betreffe; es sei deshalb eindeutig ein getarntes Individualgesetz und somit nichtig 1 6 3 . Gegenüber diesen Angriffen hat das Bundesverfassungsgericht i m Beschluß vom 16.10.1957 164 die Verfassungswidrigkeit der lex Schörner verneint, sich hierbei allerdings m i t A r t . 1911 nur sehr flüchtig auseinandergesetzt. Das B V f G bezeichnet die Annahme, daß es sich bei der lex Schörner u m ein Einzelfall- oder Einzelpersongesetz handele, als unzutreffend. „Die amtliche Auskunft des Bundesministers des Innern über die praktische Anwendung des Gesetzes ergibt das m i t aller Deutlichkeit 1 6 5 ." Aber selbst wenn man unterstelle, daß der „ F a l l Schörner" den Anstoß zur gesetzlichen Regelung gegeben habe, so folge daraus doch nur, daß sich der Gesetzgeber erst aus Anlaß dieses Einzelfalles bewußt geworden sei, daß die ursprüngliche Regelung eine ausfüllungs156 Nämlich eine Einschränkung der sich aus A r t . 33 Abs. 5 GG ergebenden Rechte. 157 So vor allem v o n Hildegard Krüger: DVB1. 1955, S. 758—763 u. S. 791 bis 796; s. auch die dortigen Nachweise. 158 Die anderen Gesichtspunkte, unter denen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes angezweifelt worden ist, können hier außer acht bleiben. 159 Schörner hatte nach seiner späten Rückkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft die Rechte aus dem Gesetz zu A r t . 131 GG geltend gemacht, die i h m i n einem Disziplinarverfahren möglicherweise wieder abzuerkennen waren. ιβο z u r Entstehungsgeschichte des Gesetzes vgl. Hild. Krüger, a. a. O., S. 760. 161 Vgl. a. a. O., S. 794.

162

Mangoldt-Klein: Art. 19 Anm. I I I 2 c.

les v g l . a.a.O.: „ W e n n n u r eine Person getroffen werden soll (vgl. etwa die sog. lex Schörner), ist die Frage der Zulässigkeit eines einschränkenden Gesetzes einfach — i m Sinne der Nichtigkeit des Gesetzes — zu entscheiden." 164 B V f G E 7,129 ff. 165 a. a. O., S. 150 f.

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bedürftige Lücke auf wies; die Nachholung dieser zunächst übersehenen Regelung sei aber nicht zu beanstanden 166 . II. a) Diese Ansichten vermögen nicht zu befriedigen, und zwar teils wegen des Ergebnisses, teils wegen der Begründung. Die Beurteilung, die Hildegard Krüger der lex Schörner zuteil werden läßt, basiert unmittelbar auf ihrer Individualgesetz-Theorie. Es wurde jedoch bereits oben 167 dargelegt, daß diese Lehre nicht haltbar ist. Die lex Schörner kann daher nicht allein deswegen als Einzelfallgesetz angesehen werden, w e i l sie auf die Person Schörners „gemünzt" ist. Der These Kleins von der Nichtigkeit des Gesetzes liegt augenscheinlich ein I r r t u m über den Gesetzesinhalt zugrunde. Klein meint, daß durch das Gesetz „ n u r eine Person getroffen werden soll", eben Schörner. Dies ist jedoch unrichtig. Nach dem Inhalt der Bestimmung kann kein Zweifel daran bestehen, daß sie eine Personengruppe betrifft, nämlich alle die unter das Gesetz zu A r t . 131 GG fallenden Personen, gegen die wegen eines vor Inkrafttreten des Gesetzes begangenen Dienstvergehens pp. ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet wird. Diese Voraussetzungen sind aber nicht ausschließlich i n der Person Schörners erfüllt, sondern können vielmehr auch bei einer Mehrzahl anderer Personen gegeben sein 168 . Die Ansicht Kleins beruht demnach auf einer unzutreffenden Voraussetzung und ist deshalb i n dieser Form ebenfalls nicht haltbar. Schließlich hält aber auch die vom B V f G gegebene Begründung einer kritischen Nachprüfung nicht stand. Ob die lex Schörner ein Einzelfallgesetz i m Sinne von A r t . 19 11 ist, hängt nicht von ihrer „praktischen Anwendung", sondern ausschließlich von ihrem Inhalt, der in ihr getroffenen Regelung ab. Eine Untersuchung der „praktischen Anwendung" des Gesetzes kann allenfalls darüber Auskunft geben, wie viele Personen bisher von dem Gesetz erfaßt worden sind, ob es realiter eine einzelne Person oder eine Mehrzahl von Personen betroffen hat. Daraus läßt sich jedoch für die Frage nach dem Individualcharakter des Gesetzes nicht das geringste entnehmen, da ja eine Einzelfallregelung auch bei der Betroffenheit einer Personenmehrzahl gegeben sein kann 1 6 9 und i m übrigen völlig offenbleibt, ob nicht i n Zukunft noch unbestimmt viele weitere Personen von der gesetzlichen Regelung erfaßt werden können. Das Argument der „praktischen Anwendung" entbehrt demnach 168

a. a. O., S. 152. Vgl. §22 Β I I b . Daß dies auch tatsächlich der F a l l ist, ergibt sich k l a r aus der v o m BVfG, a. a. O., S. 137 angeführten amtlichen A u s k u n f t des Bundesinnenministers, w o nach bis zur Entscheidung des B V f G die Bezüge von insgesamt 34 Personen auf G r u n d der lex Schörner einbehalten wurden, während zu diesem Z e i t p u n k t noch 326 weitere Fälle i n Bearbeitung waren. 189 Vgl. oben § 21 c. 187

168

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3. Teil : Allg. Rechtssatz u. Einzelakt i m positiven Recht / Kap. 3

der i h m vom B V f G beigelegten Beweiskraft. Das gleiche gilt aber auch für die vom Gericht angestellte Hilfserwägung. Denn der Umstand, daß sich der Gesetzgeber erst aus Anlaß des „Falles Schörner" des Bestehens einer ausfüllungsbedürftigen Gesetzeslücke bewußt geworden ist, ist für die Frage nach dem Individualcharakter des Gesetzes ebenfalls ohne Bedeutung. Entscheidend ist allein, ob das Gesetz inhaltlich eine abstraktgenerelle bzw. eine nicht verwaltungsaktgleiche konkrete Regelung enthält oder ob es eine konkrete Regelung m i t Verwaltungsaktcharakter zum Inhalt hat. Gerade diese Kernfrage ist aber vom B V f G überhaupt nicht berührt worden. b) Die eigene Prüfung der Vereinbarkeit der lex Schörner m i t A r t . 1911 GG kann demnach n u r bei eben dieser — auch i n den bisherigen literarischen Äußerungen nicht gebührend berücksichtigten — Frage ansetzen. Hier ergibt sich n u n folgendes: Der Kreis der Personen, die von dem Gesetz überhaupt betroffen werden können, steht unveränderlich fest, ist also bestimmt; denn das Gesetz richtet sich insgesamt n u r gegen solche Personen, die durch ein i n der Vergangenheit erworbenes Merkmal, nämlich durch die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes liegende Begehung eines Dienstvergehens pp., charakterisiert sind. Diese Personen werden jedoch von der statuierten Rechtsfolge nicht schlechthin betroffen, sondern nur dann, wenn jeweils noch ein besonderer Umstand hinzutritt: daß nämlich gegen sie ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet wird. Bei wie vielen Personen aber diese weitere Voraussetzung erfüllt ist, stand bei Erlaß des Gesetzes noch keineswegs abschließend fest, sondern w a r vielmehr, w e i l es sich hier u m etwas Zukünftiges handelt, noch völlig ungewiß u n d davon abhängig, bei welchen Personen der Dienstherr von einem Dienstvergehen Kenntnis erlangen und die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens für angezeigt halten würde. Die Zahl der Adressaten, d. h. der von dem Gesetz konkret betroffenen Personen ist deshalb unbestimmt 170. Demgemäß regelt das Gesetz auch eine unbestimmte Zahl von Fällen, da es durch die F i k t i o n der Einbehaltung der Dienstbezüge die Gehaltsansprüche dieser unbestimmt vielen Personen aufhebt und damit eine unbestimmte Zahl von Rechtsverhältnissen gestaltet 171 . Die lex Schörner erweist sich somit als ein auch inhaltlich abstraktgenerelles Gesetz, als eine Regelung für eine bei seinem Erlaß noch nicht feststehende und damit unbestimmte Zahl von Fällen u n d Personen. Sie ist demnach kein Einzelfall-, sondern vielmehr ein allgemeines Gesetz, so daß das B V f G einen Verstoß gegen A r t . 19 1 1 GG i m Ergebnis zutreffend verneint hat. 170 171

Vgl. oben § 6 Β I I . I m Ergebnis w o h l ebenso Schulz, Blick i n die Zeit: M D R 1955,337.

Vierter

Teil

§ 23. Ergebnisse Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen: A. Bei der begrifflichen Abgrenzung von allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt muß i n Übereinstimmung m i t der herrschenden Auffassimg i n Wissenschaft und Praxis von den typischen Grundelementen eines Hoheitsaktes ausgegangen werden. Diese Grundelemente sind der „ F a l l " als der reale Gegenstand der hoheitlichen Regelung und der „ Adressat" als die von ihr betroffene Person. B.

I. Fall und Adressat bedürfen als rechtstheoretische Grundbegriffe einer möglichst exakten Definition, die die jeweiligen Besonderheiten des positiven Rechts außer acht zu lassen hat, jedoch nicht ohne Berücksichtigung der Verschiedenheit des möglichen Inhalts eines Hoheitsaktes (Befehl, Erlaubnis, Rechtsgestaltung) getroffen werden kann. Diese Begriffsbestimmungen lassen sich wie folgt vornehmen: a) Adressat eines Hoheits'aktes ist diejenige (natürliche oder juristische) Person, die zu einem gewissen Verhalten (Tun, Dulden oder Unterlassen) konkret verpflichtet oder konkret berechtigt oder die als Subjekt des gestalteten Rechtsverhältnisses i n ihrer Rechtsstellung konkret betroffen wird. b) Der von einem befehlenden oder berechtigenden Hoheitsakt geregelte (einzelne) Fall ist das i n i h m gebotene, verbotene oder erlaubte (potentiell) reale menschliche Verhalten; es besteht zumeist i n dem T u n einer einzelnen Person, mitunter aber auch i n dem aufeinander bezogenen, voneinander abhängigen und darum eine Einheit bildenden Verhalten einer Personenmehrheit (Gesamtverhalten). Ob der Hoheitsakt einen einzelnen F a l l oder eine (bestimmte oder unbestimmte) Anzahl von Fällen regelt, hängt davon ab, ob dieses Verhalten, so wie es vom Hoheitsakt der Sache nach gekennzeichnet wird, einmalig ist oder ob es 17a

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4. T e i l : Ergebnisse

bestimmt oder unbestimmt oft geübt werden soll (Gebot), kann (Verbot) oder darf (Erlaubnis). Der von einem rechtsgestaltenden Hoheitsakt geregelte (einzelne) Fall besteht i n dem von i h m gestalteten Rechtsverhältnis; ob der Hoheitsakt einen einzelnen Fall oder eine bestimmte oder unbestimmte Vielzahl von Fällen regelt, ist demgemäß davon abhängig, ob er ein einzelnes Rechtsverhältnis oder eine bestimmte oder unbestimmte Vielzahl von Rechtsverhältnissen gestaltet. II. Für die Allgemeinheit eines Hoheitsaktes kommt es darauf an, ob die von i h m geregelten Fälle bzw. die von i h m betroffenen Adressaten zahlenmäßig bestimmt oder unbestimmt sind. a) Die Adressaten eines Hoheitsaktes bzw. die von i h m geregelten Fälle sind dann zahlenmäßig bestimmt, wenn sie bei Erlaß des Hoheitsaktes objektiv eindeutig und unveränderlich feststehen und einer Erweiterung i n der Zukunft nicht mehr zugänglich sind. Unbestimmt ist die Zahl der Adressaten bzw. Fälle demgemäß dann, wenn sie bei Erlaß des Hoheitsaktes noch nicht objektiv eindeutig feststeht, sondern während der Geltungsdauer des Hoheitsaktes noch laufend neue Fälle bzw. Personen von der i n i h m getroffenen Regelung erfaßt werden können. b) Die Begriffe der zahlenmäßigen Bestimmtheit und Unbestimmtheit bilden demnach einen kontradiktorischen Gegensatz. Für einen auf derselben Ebene liegenden, logisch selbständigen Begriff der „Bestimmbarkeit" ist deshalb kein Raum. c) Die i n einem Hoheitsakt getroffene Regelung kann je nach der Bestimmtheit oder Unbestimmtheit der geregelten Fälle als konkret oder abstrakt und je nach der Bestimmt- oder Unbestimmtheit der Adressaten als speziell oder generell bezeichnet werden. I I I . Hinsichtlich der Allgemeinheit eines Hoheitsaktes sind somit je nach der Bestimmt- oder Unbestimmtheit der Adressaten bzw. Fälle rechtstheoretisch vier verschiedene Stufen zu unterscheiden, da eine hoheitliche Regelung nach den gewonnenen Definitionen nicht n u r abstrakt-generell bzw. konkret-speziell, sondern auch abstrakt-speziell bzw. konkret-generell sein kann. Rechtstheoretisch ergibt sich also die folgende Skala von Allgemeinheitsstufen: abstrakt-generell abstrakt-speziell konkret-generell konkret-speziell

§ 23. Ergebnis

259

Eine allgemeinverbindliche rechtstheoretische Aussage darüber, von welcher der beiden mittleren Stufen ab ein Hoheitsakt als „allgemeiner Rechtssatz" bzw. als „Einzelakt" anzusprechen ist, ist nicht möglich. Der Verlauf dieser Grenzlinie ist vielmehr eine Frage des positiven Rechts. C. I. a) I m Rahmen des geltenden deutschen Verwaltungsrechts bedarf der rechtstheoretische Fall-Begriff aus zwingenden teleologischen und dogmatisch-systematischen Gründen einer Erweiterung. I m Sinne der Lehre vom Verwaltungsakt liegt auch stets dann eine Einzelfallregelung vor, wenn ein Hoheitsakt an eine bestimmte Person gerichtet ist, so daß auch die i m rechtstheoretischen Sinne abstrakt-speziellen Anordnungen stets als Verwaltungsakte anzusehen sind. Demgemäß stellt sich auch die Polizeiverfügimg im Sinne von § 40 prPVG immer als Einzelfallregelung i m Sinne von § 25 VGVO dar; zwischen diesen beiden Vorschriften besteht daher sachlich kein Widerspruch. Da die weitere Auslegung des Fall-Begriffs auch für § 29 ndsSOG Geltung beansprucht und dem Merkmal der Einzelfallregelung hier deshalb nur deklaratorische Bedeutung zugesprochen werden kann, stimmen auch § 40 prPVG und § 29 ndsSOG trotz ihres unterschiedlichen Wortlautes sachlich überein. b) Die Abgrenzung von allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt ist i m Bereiche des positiven Verwaltungsrechts gleichbedeutend m i t der A b grenzung von Rechtsverordnung und Allgemeinverfügung. 1. Das Wesen der Rechtsverordnung besteht darin, daß sie eine unbestimmte Vielzahl von Fällen regelt und an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtet ist. Die Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der einen einzelnen Fall oder eine bestimmte Zahl von Fällen regelt und an eine bestimmte oder unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtet ist. 2. Bei Anwendung der gewonnenen Definitionen auf eine Reihe von i n ihrem Rechtscharakter umstrittenen Hoheitsakten lassen sich das amtliche Verkehrszeichen, der Fluchtlinien- bzw. Bebauungsplan, die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages und die viehseuchenpolizeiliche Anordnung klar als Rechtsverordnungen qualifizieren. Bei den gebietlichen Organisationsakten i m Bereiche des (bayerischen und hessischen) Gemeinderechts handelt es sich u m Anordnungen, die i n einem äußerlich einheitlichen Gewände einen Verwaltungsakt und eine Rechtsverordnung i n sich vereinen. Die Preisfestsetzungen für Waren und für Miet- und Pachträume können je nach ihrer Ausgestaltung Rechtsverordnungen oder Allgemeinverfügungen sein. 17 Volkmar

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4. T e i l : Ergebnisse

II. I m positiven Verfassungsrecht findet sich die Unterscheidung zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt i n A r t . 19 Abs. I S. 1 GG. a) Die hier i n Frage stehenden Begriffe des „allgemein" bzw. des „ f ü r den Einzelfall" geltenden Gesetzes bedürfen ebenfalls einer an dem besonderen Sinn und Zweck der Vorschrift orientierten und darum von der rechtstheoretischen Definition teilweise abweichenden Bestimmung, die wie folgt vorgenommen werden kann: Ein für den Einzelfall geltendes Gesetz ist ein Gesetz, das i m Sinne des weiteren, positivrechtlichen Fall-Begriffs, der jeden an eine bestimmte einzelne Person adressierten Hoheitsakt als Einzelfallregelung einschließt, einen einzigen Fall oder eine bestimmte Zahl von Fällen regelt; letzterenfalls jedoch nur dann, wenn das Gesetz den Charakter eines Verwaltungsaktes besitzt, d. h. wenn die i n i h m getroffene Regelung — eine gesetzliche Ermächtigung vorausgesetzt — nach Umfang und Bedeutung ihres Gegenstandes für das Staatsganze i m Einklang m i t den Erfordernissen einer ordnungsmäßigen Verwaltung rein faktisch auch von einer Verwaltungsbehörde durch Verwaltungsakt getroffen werden könnte, wenn sie also nicht nur hinsichtlich ihrer logischen Struktur, sondern auch hinsichtlich der praktischen Möglichkeit ihres Erlasses durch eine Verwaltungsbehörde der Sache nach ein Verwaltungsakt ist. Allgemein geltend ist dementsprechend jedes Gesetz, das eine unbestimmte Zahl von Fällen regelt (und eine unbestimmte Zahl von Personen betrifft), also abstrakt-generell ist; darüber hinaus auch ein eine bestimmte Zahl von Fällen regelndes Gesetz, das ungeachtet seiner Konkretheit nicht den Charakter eines Verwaltungsaktes besitzt. b) Aus den gewonnenen Definitionen folgt zugleich, daß Einzelfallregelung i m Sinne von A r t . 19 I 1 GG und Einzeleingriff i m Sinne des Enteignungsrechts nicht identisch sind und daß sich deshalb aus A r t . 19 1 1 ein Einwand gegen die enteignungsrechtliche Einzeleingriffslehre nicht herleiten läßt. c) Der Charakter eines Gesetzes als Einzelfallgesetz hängt nach Wortlaut, Sinn und Zweck des A r t . 1911 ausschließlich von seinem Inhalt ab. Das i n dieser Bestimmung aufgestellte Verbot erfaßt daher auch das u „getarnte Einzelfall-(Individual-)Gesetz , das seinen (verwaltungsaktgleichen) konkreten Inhalt hinter einer abstrakt-generellen Fassung zu verbergen sucht. Andererseits kann ein auch inhaltlich abstrakt-generelles Gesetz nicht deshalb als „getarntes Individualgesetz" angesehen werden, weil es auf eine bestimmte Person „gemünzt" ist; die „lex Schörner" ist daher vom B V f G zutreffend als allgemein geltendes Gesetz qualifiziert worden.

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Schrifttumsverzeichnis

Enneccerus, L u d w i g : Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 14. Aufl. bearbeitet von Hans Carl Nipperdey, Erster Halbband, Tübingen 1952 (zit.: Allgemeiner T e i l I) Esser, Josef: Einführung i n die Grundbegriffe des Redites und Staates, Wien 1949 (zit.: Einführung). — Realität und Ideologie der Rechtssicherheit i n positiven Systemen, i n : Festschrift für Theodor Rittler, Innsbruck/Aalen 1957, S. 13—20 (zit.: Rechtssicherheit). Eyermann, Erich u n d Fröhler, L u d w i g : Verwaltungsgerichtsgesetz für Bayern, Bremen, Hessen und Württemberg-Baden — Kommentar, München und Berlin 1950 (zit.: VGG). Fleiner, Fritz: Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., T ü bingen 1928 (zit.: Institutionen). Forsthoff, Ernst: Über Maßnahme-Gesetze, i n : Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, München 1955, S. 221—236 (zit.: Maßnahme-Gesetze). — Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, Allgemeiner Teil, 6. Aufl., München und Berlin 1956 (zit.: Verwaltungsrecht) und 7. Aufl. 1958 (zit.: Verwaltungsrecht 7 ). — Norm und Verwaltungsakt i m geltenden u n d künftigen Baurecht, i n : DVB1.1957, 113—118. Franzen, Wilhelm: Lehrkommentar zum Polizeiverwaltungsgesetz, Band I I (§§ 24—54), Greifswald 1934 (zit.: PVG). Friedrichs, K a r l : Der Allgemeine T e i l des Rechts, Berlin u. Leipzig 1927 (zit.: Allgemeiner Teil). — Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. J u n i 1931, Berlin 1932 (zit.: PVG). Giese, Friedrich: Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Tübingen 1952 (zit.: Verwaltungsrecht). — Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949, 4. Aufl., Frankfurt a. M. 1955 (zit.: Gründgesetz). Goeppert, H.: Gesetze haben keine rückwirkende K r a f t , i n : Iherings Jahrbücher Bd. 22 (1884), 1—206. Haenel, Albert: Das Gesetz i m formellen und materiellen Sinne, Leipzig 1888 (zit.: Gesetz). Hamann, Andreas: Das Grundgesetz — E i n Kommentar für Wissenschaft und Praxis, Berlin-Neuwied-Darmstadt 1956 (zit.: Grundgesetz). Hatschek, Julius: Lehrbuch des deutschen u n d preußischen Verwaltungsrechts, 7. u. 8. Aufl. herausgegeben von Paul Kurtzig, Leipzig 1931 (zit.: Verwaltungsrecht). Hippel, Ernst von: Einführung i n die Rechtstheorie, 2. Aufl., Bonn 1947 (zit.: Rechtstheorie). Huber, Ernst Rudolf: Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., Zweiter Band, Tübingen 1954. Hueck, Alfred und Nipperdey, Hans Carl: Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl., Zweiter Band, Berlin u. Frankfurt 1957 (zit.: Arbeitsrecht). Husserl, Gerhart: Rechtskraft und Rechtsgeltung, Berlin 1925 (zit.: Rechtskraft). Ihering, Rudolph von: Geist des römischen Rechts, Erster Teil, 2. Aufl., Leipzig 1866 (zit.: Geist I). — Der Zweck i m Recht, Erster Band, Leipzig 1877 (zit.: Zweck I). Imboden,Max: Das Gesetz als Garantie rechtsstaatlicherVerwaltung, Basel und Stuttgart 1954 (zit.: Gesetz als Garantie).

Schrifttumsverzeichnis Imboden, M a x : Der Plan als verwaltungsrechtliches Institut, i n : W D S t R L 18 (1960), 113 if. (zit.: Plan). Isay, Hermann: Rechtsnorm u n d Entscheidung, B e r l i n 1929 (zit.: Rechtsnorm). Jahrreiss, Hermann: Die Wesensverschiedenheit der A k t e des Herrschens u n d das Problem der Gewaltenteilung, i n : V o m Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift z u m 75. Geburtstag v o n Hans Nawiasky, München 1956, S. 119—139 (zit.: Gewaltenteilung). Jellinek, Georg: Gesetz u n d Verordnimg. Anastatischer Neudruck der Ausgabe von 1887, Tübingen 1919. Jellinek, Walter: Gesetz, Gesetzesanwendung u n d Zweckmäßigkeitserwägung, Tübingen 1913 (zit.: Gesetz). — Kritische Bemerkungen zum E n t w u r f eines preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes, i n : R u P r V B l . 1931,121—123. — Verwaltungsrecht, 3. Aufl., B e r l i n 1931, unveränderter Neudruck Offenburg 1948 nebst Nachtrag 1950. Jerusalem, Franz: Die Staatsgerichtsbarkeit, Tübingen 1930. Kelsen, Hans: Hauptprobleme der Staatsrechtslehre entwickelt an der Lehre v o m Rechtssatz, Tübingen 1911 (zit.: Hauptprobleme). — Allgemeine Staatslehre, B e r l i n 1925. — Reine Rechtslehre, Leipzig u. Wien 1934. Kerstiens, — : Z u r K r i t i k des Entwurfes eines Polizeiverwaltungsgesetzes, i n : R u P r V B l . 1931, 310—313. Klinger, Hans: Die Verordnung über die Verwaltungsgerichtsbarkeit i n der britischen Zone, 3. unveränderte Aufl., Göttingen 1954 (zit.: VGVO). Klug, Ulrich: Juristische Logik, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1951. Köttgen, A r n o l d : Die thüringische Landesverwaltungsordnung unter besonderer Berücksichtigung der Verwaltungsreform des Sommers 1930, i n : V w A r c h Bd. 36 (1931), 162—205. Krüger, Herbert: Die Einschränkimg v o n Grundrechten nach dem G r u n d gesetz, i n : DVB1.1950, 625—629. Krüger, Hildegard: Die Verfassungswidrigkeit der lex Schörner, i n : DVB1. 1955,758—763 u. 791—796. — Die Rechtsnatur der Allgemeinverbindlicherklärung, i n : Recht der A r b e i t 1957, 46—51. Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, 5. Aufl., Bd. I I , Tübingen 1911 (zit.: Staatsrecht I I ) . — Deutsches Reichsstaatsrecht, 6. Aufl., Tübingen 1912 (zit.: Reichsstaatsrecht) Laforet, W i l h e l m : Deutsches Verwaltungsrecht, München 1937 (zit.: V e r w a l tungsrecht). Larenz, K a r l : Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1960. Lehmann, Heinrich: Allgemeiner T e i l des Bürgerlichen Gesetzbuches, 10. Aufl., B e r l i n 1957 (zit.: Allgemeiner Teil). Leibholz, Gerhard: Die Gleichheit vor dem Gesetz u n d das Bonner G r u n d gesetz, i n : DVB1.1951,193—200. Loening, Edgar: Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, Leipzig 1884 (zit.: Verwaltungsrecht). Löffler, M a r t i n : Presserecht, München u. B e r l i n 1955. Maier, Heinrich: Psychologie des emotionalen Denkens, Tübingen 1908 (zit.: Psychologie). Mangoldt, Hermann von: Das Bonner Grundgesetz, B e r l i n u n d F r a n k f u r t 1953, 2. Aufl., neu bearbeitet von Friedrich Klein, Band I, B e r l i n u n d F r a n k f u r t 1957 (zit.: Grundgesetz).

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Schrifttumsverzeichnis

Maunz, Theodor: Deutsches Staatsrecht, 7. Aufl., München u n d B e r l i n 1958 (zit.: Staatsrecht). Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 1. A u f l . Leipzig 1895, 3. A u f l . München u n d Leipzig, 1924 (zit.: Verwaltungsrecht P/Verwaltungsrecht I 3 ) . Menger, Christian-Friedrich: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Tübingen 1954 (zit.: System). — Das Gesetz als N o r m u n d Maßnahme, i n : W D S t R L Heft 15 (1957), 3—34 (zit.: Gesetz). Meyer, Georg: Der Begriff des Gesetzes u n d die rechtliche N a t u r des Staatshaushaltsetats, i n : Grünhuts Zeitschrift Bd. 8 (1881), 1—53. — Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts, 2. Aufl., T e i l I, Leipzig 1893, 4. Aufl., bearbeitet v o n Bochow, München u n d Leipzig 1913 (zit.: V e r w a l tungsrecht I). — Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, 4. Aufl. Leipzig 1895, 7. Aufl. bearbeitet von Gerhard Anschütz, München u n d Leipzig 1919 (zit.: Staatsrecht). Müller, F r i t z : Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl., B e r l i n 1957, 21. Aufl. 1959. Müller-Heidelberg, K . : D a s niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung v o m 21. März 1951, Stuttgart-München-Hannover 1951, 2. Aufl. bearbeitet von H. W. Clauss, Hannover 1956 (zit.: SOG). Nawiasky, Hans: Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart u n d K ö l n 1950 (zit.: Grundgedanken). Nebinger, Robert: Verwaltungsrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Stuttgart 1949 (zit.: Verwaltungsrecht). Neumann, Franz L . : Z u m Begriff der politischen Freiheit, i n : ZgesStW Bd. 109 (1953), 25—53. Obermayer, Klaus: Rechtsverordnung i m formellen Sinn? i n : DöV 1955, 364— 366. — Verwaltungsakt u n d innerdienstlicher Rechtsakt, Stuttgart-München-Hannover 1956 (zit.: Verwaltungsakt). — Über die Rechtsnatur u n d Anfechtbarkeit kommunaler Gebiets- u n d Statusänderungen, in: B a y V w B l . 1958, 69—71. — Der Plan als verwaltungsrechtliches Institut, i n : W D S t R L 18 (1960), 144 ff. (zit.: Plan). Peters, Hans: Lehrbuch der Verwaltung, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1949 (zit.: Verwaltung). Rietdorf, Fritz: Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden — Ordnungsbehördengesetz für das L a n d Nordrhein-Westfalen v o m 16. Oktober 1956, Kommentar, Stuttgart-München-Hannover 1957 (zit.: OBG). Roenne, L u d w i g von: Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, l . B a n d , 1. Abteilung, 4. Aufl., Leipzig 1881 (zit.: Staatsrecht I). Rosin, Heinrich: Das Polizeiverordnungsrecht i n Preußen, 2. Aufl., B e r l i n 1895 (zit.: Polizeiverordnungsrecht). Schack, Friedrich: Rechtsverordnungen i m formellen Sinn? i n : DöV 1958, 273—278. Scheuner, Ulrich: Gesetz und Einzelanordnung, i n : Festschrift f. Rudolf Hübner zum 70. Geburtstag, Jena 1935, S. 190—217. Schmitt, Carl: Verfassungslehre, München u n d Leipzig 1928, Unveränderter Neudruck B e r l i n 1954. Schneider, Hans: Über Einzelfallgesetze, i n : Festschrift für Carl Schmitt, B e r l i n 1959.

Schrifttumsverzeichnis Schoen, X a v e r : Die Normenprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof, i n : Forschungen u n d Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, München 1955, S. 407—418 (zit.: Normenprüfung). Schulze, Hermann: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, Erstes Buch: Das deutsche Landesstaatsrecht, Leipzig 1881 (zit.: Staatsrecht I). Schulze, Werner: Tatbestand u n d Rechtsfolge, B e r l i n u n d Leipzig 1909 (zit.: Tatbestand). Schunck, Egon u n d De Clerck, Hans: Das Landesgesetz über die V e r w a l tungsgerichtsbarkeit für Rheinland-Pfalz, Siegburg — St. Goar 1952 (zit.: VGG). Schweiger, K a r l : Rechtsverordnung i m formellen Sinn? i n : DöV 1955, 360—364. S cupin, Hans Ulrich: Das Polizeirecht i n der Bundesrepublik Deutschland, i n : Handbuch der kommunalen Wissenschaft u n d Praxis, herausgegeben von Hans Peters, Zweiter Band, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1957, S. 606—666 (zit.: Polizeirecht). Seydel, M a x von: Bayerisches Staatsrecht, Zweiter u. dritter Band, 2. Aufl., Freiburg u. Leipzig 1896 (zit.: Staatsrecht). Somló, Felix: Juristische Grundlehre, 2. Aufl., Leipzig 1927 (zit.: Grundlehre). Stammler, Rudolf: Lehrbuch der Rechtsphilosophie, B e r l i n u. Leipzig 1922 (zit.: Rechtsphilosophie). — Theorie der Rechtswissenschaft, 2. Aufl., Halle 1923 (zit.: Theorie). Stratenwerth, F r i t z : Verordnung u n d Verordnungsrecht i m Deutschen Reich, B e r l i n 1937 (zit.: Verordnungsrecht). Thoma, Richard: Der Polizeibefehl i m badischen Recht, Erster Teil, T ü b i n gen 1906 (zit.: Polizeibefehl). — Der Vorbehalt des Gesetzes i m preußischen Verfassungsrecht, i n : Festgabe f ü r Otto Mayer, Tübingen 1916, S. 165—221 (zit.: Gesetzes vorbehält). Thon, August: Das Gesetz i m formellen u n d materiellen Sinne m i t Beziehung auf die gleichbenannte Abhandlung von Dr. A l b e r t Hänel, i n : AöR Bd. 5 (1890), 149—168. Turegg, K u r t Egon von: Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 3. Aufl., B e r l i n 1956 (zit.: Verwaltungsrecht). Ulbrich, J. : Das österreichische Staatsrecht, 4. Aufl., Tübingen 1909. XJle, Carl Hermann: Die Lehre v o m Verwaltungsakt i m L i c h t der Generalklausel, i n : Recht — Staat — Wirtschaft, herausgegeben von Hermann Wandersieb, D r i t t e r Band, Düsseldorf 1951, S. 260—299 (zit.: Verwaltungsakt). Wenzel, M a x : Juristische Grundprobleme, Erste Abhandlung: Der Begriff des Gesetzes, B e r l i n 1920 (zit.: Gesetz). Windscheid, Bernhard: Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. A u f l . bearbeitet von Theodor Kipp, F r a n k f u r t 1906 (zit.: Pandektenrecht). Winkler, Günter: Der Bescheid, Ein Beitrag zur Lehre v o m Verwaltungsrecht, Wien 1956. Wolff, Hans J.: Der Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Recht, i n : AöR 76 (1950), 205—217. — Verwaltungsrecht I, 2. Aufl., München u n d B e r l i n 1958, und 3. Aufl., 1959 (zit.: Verwaltungsrecht I 3 ) . Wolff, K a r l : Grundlehre des Sollens, zugleich eine Theorie der Rechtserkenntnis, Innsbruck 1924. Zachariä, Heinrich A l b e r t : Deutsches Staats- u n d Bundesrecht, Zweiter Teil, 3. Aufl., Göttingen 1867 (zit.: Staatsrecht I I ) .

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Schrifttumsverzeichnis

Zitelmann, Ernst: I r r t u m u n d Rechtsgeschäft, Leipzig 1879 (zit.: Rechtsgeschäft). Die 7. Auflage des „Lehrbuches des Verwaltungsrechts" v o n Forsthoff, die 3. Auflage des „Verwaltungsrechts I " von Wolff sowie der Aufsatz von Hans Schneider „Über Einzelfall-Gesetze" i n der Festschrift für Carl Schmitt sind erst während der Fertigstellung des Manuskripts erschienen u n d konnten n u r noch teilweise berücksichtigt werden.

Personenregister I m nachfolgenden Register sind Namen n u r dann aufgeführt, w e n n der entsprechende A u t o r zu einem Sachproblem direkt Stellung genommen hat oder w e n n sich der Verfasser m i t seiner Auffassung auseinandersetzt. Seitenzahlen i m Normaldruck verweisen auf den Text, Zahlen i m Kursivdruck auf Fußnoten.

Adamovich 134 Anschütz 41 A n t o n i o i i i 134 Aristoteles 24 Bachof 75, 179, 181 Bettermann 74, 155, 166, 203, 204, 205, 206, 207 B i e r l i n g 49, 93, 105 B i n d i n g 94, 103 Böckenförde 233 Boehmer 95 Bornhak 19, 39, 114 B r o h m 51, 68, 120 v. Brünneck 41 Burckhardt 91 ff., 99, 104, 106, 130 Del Vecchio 44 Drews-Lassar 159 Duns Scotus 25 D ü r i g 213, 238 ff. Engisch 99 Esser 102, 134 Eyermann-Fröhler 93 Fleiner 44 Forsthoff 17, 41, 55, 134, 187 ff., 191, 214, 224 Franzen 63, 64, 65, 68, 130, 159, 168, 172 f. Friedrichs 37, 74, 98, 119, 121, 126, 130, 133, 157, 159

Giese 134, 213 Goeppert 41

H a m a n n 216 f., 220 f., 228, 242, 247 Hatschek-Kurtzig 44, 74 Hegel 26 Hobbes 25 Huber 200, 201 Hueck-Nipperdey 200, 202 Husserl 41

v. I h e r i n g 29 ff., 121 Imboden 20, 76, 111, 119, 121, 122 Isay 40, 95 ff., 129 Jacobi 35, 36, 47, 52, 56, 57, 244 Jahrreis 119, 129 Jellinek, Georg 41 Jellinek, Walter 22, 29, 34 ff., 47, 52 ff., 58, 109, 134, 135, 152, 157, 165, 166, 169, 210, 231, 243 f. Jerusalem 32 f., 39 K a n t 26 Kelsen 38, 41, 94, 97, 119 Kerstiens 158 K l e i n 217 f., 221 ff., 242,247 ff., 254 f. Röttgen 37 Krüger, Herbert 213, 226, 238 ff., 240 Krüger, Hildegard 201,202, 203,215 f., 218 ff., 228, 240 ff., 247 ff., 254 f. Laband 27, 39, 40 Laforet 37 Larenz 93, 134 Leibholz 37, 226 L e h m a n n 137 Locke 25 Loening 39 v. Mangoldt 213 Marsilius v o n Padua 25 Maunz 44, 213, 240, 247 Mayer, Otto 27, 41, 243 Menger 168, 214, 231 M e r k 231 Meyer, Georg 26, 32, 39, 41 Montesquieu 26 Müller-Heidelberg 162 Nawiasky 213 Nebinger 166

268

Personenregister

Obermayer 70, 71 ff., 76, 77 ff., 82, 83, 84, 107, 115, 150, 152, 155, 177, 182, 183, 186, 187, 189, 190, 195, 196, 204, 205, 206, 207 Occam, W i l h e l m von 25 Peters 134 v. Roenne 39, 40 Rosin 31 f., 111, 116, 210 Rothenbucher 214 Rousseau 26 Schack 195 Scheuner 24 Schmitt, Carl 24, 55 Schneider, Hans 231 Schulze 38, 99 Schweiger 195, 196 Scupin 68, 174, 184

Smend 214 Somló 49, 74 Thoma 20, 36, 43, 44, 81 ff., 84, 86, 95, 107, 108, 119, 150 f., 155, 157, 159, 160, 164, 166, 170 Thomas (von Aquin) 25 Thon 41 v. Turegg 134 Ulbrich 44, 74 Wacke 162 Wehrhahn 231 Wenzel 44 Werner 22, 181 Wernicke 213, 215, 217, 221, 222, 230 Wolff, Hans J. 41, 43, 48, 51, 75, 93, 103, 105, 117, 134, 136, 137, 139, 147, 150 f., 164, 181, 197

Sachregister Das nachfolgende Register soll i n erster L i n i e der Auffindung der verschiedenen i m Text dargestellten, zu den einzelnen Sachproblemen vertretenen Lehren u n d der gewonnenen Erkenntnisse dienen. Es ist deshalb vornehmlich nach systematischen, u n d nicht lediglich nach register-technischen Gesichtspunkten zusammengestellt. Seitenzahlen i m Normaldruck verweisen auf den Text, Zahlen i m Kursivdruck auf Fußnoten. Abstrakt, Begriff 76 Adressat — beim befehlenden Hoheitsakt 47 ff. — Begriff 52 — rechtstheoretischer — u n d positives Recht 51 — als abstrakt oder konkret V e r pflichteter 48 ff. — praktische Bedeutung der Unterscheidung 50 f. — beim berechtigenden Hoheitsakt 139 f. — beim rechtsgestaltenden Hoheitsakt 142 f. Allgemeines Gesetz — Abgrenzung v o m Einzelfallgesetz 212 ff. (Schrifttum), 215 f. (Hildeg. Krüger), 216 f. (Hamann), 217 f. (Klein), 228 ff. (eigene Stellung-

nahme)

— Gegensatz zum allgemein geltenden Gesetz 217 — Gegensatz zum Individualgesetz 215 — als Schranke der freien Meinungsäußerung 17, 214, 217, 222 A l l g e m e i n geltendes Gesetz — Begriff 218, 237 — Gegensatz zum allgemeinen Gesetz 217 — Kritik — rechtstheoretische Prämisse 221 ff. — praktische Ergebnisse 223 ff. — als generelles Gesetz 223 Allgemeiner Rechtssatz — Abgrenzung v o m Einzelakt — Erforderlichkeit eines materiellen Unterscheidungsmerkmals 54 — historisch-konventionelle M e thode 19 f. — wertende Methode 19 f.

— als praktisches Problem 15 f. — als theoretisches Problem 15 — nach der Tatbestandslehre 89 f. — Gegensatz zur Maßnahme 17 — Gegensatz zur Verwaltungsverordnung 17 — als an eine begrifflich-gattungsmäßig bestimmte Personenmehrheit gerichteter Hoheitsakt 34 f. (Jellinek), 35 f. (Jacobi) — K r i t i k 52 ff. — die angewandte Methode 52 ff. — das gefundene Ergebnis 54 ff. — Verhältnis zum positiven Recht 56 ff. — als an eine unbestimmte Personenmehrheit gerichteter Hoheitsakt 37 — als an unbestimmt viele Personen gerichteter Hoheitsakt zur Regel u n g unbestimmt vieler Fälle 42 ff. — als Regelung mehrerer Fälle 38 ff. — als Regelung unbestimmt vieler Fälle 40 f. — Theorie des — 17 Allgemeinheit eines Hoheitsaktes s. auch allgemeiner Rechtssatz — als Wesensmerkmal des Rechtssatzes 15 Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages s. Tarifvertrag Allgemeinverfügung 166 ff. — Begriff 176 — konkret-generelle — i m Polizeirecht 171 ff. — als Regelung einer bestimmten Vielzahl von Fällen bei bestimmtem Adressatenkreis 167 (Rechtsprechung), 169, 175 — als Regelung einer bestimmten Vielzahl von Fällen bei unbestimmtem Adressatenkreis 167 (Wissenschaft), 170 f., 175

270

register

— Wesen 175 Auslobung 146 Bade verbot, Rechtscharakter 183 Bauerlaubnis 140, 141 Beamtenernennung 144 Bebauungsplan — Rechtscharakter 184 ff. — Rechtsinstitut sui generis (Forsthoff) 187 — allgemeine Rechtsnorm 184 f., 185 f. (BVwG), 186 f. (Obermayer), 189 ff., 192 (eigene Stel-

lungnahme)

— Verwaltungsakt (Forsthoff) 188 — V e r k ü n d u n g 191 ff. Bedingung bei hypothetischen N o r men 105 Behörde, R e d i t auf Handeln der ö r t lich zuständigen — 196, 198 Berechtigung 137 Beschlagnahme von Druckschriften s. Druckschrift Besonderes Gesetz 223 Bestimmbarkeit, zahlenmäßige 67 ff. — als Bestimmbarkeit nach „ A r t u. Besonderheit" der Adressaten 68 — als Feststellbarkeit gattungsmäßig bezeichneter, zahlenmäßig bestimmter Adressaten 68 f. — als logische Feststellbarkeit der Adressaten 67 f. — als praktische Feststellbarkeit der Adressaten 67 f. — Verhältnis zur Bestimmtheit bzw. Unbestimmtheit 67 Bestimmtheit, zahlenmäßige 63 ff. — Begriff 63 — Zusammentreffen von — m i t i n dividueller Unbestimmtheit 65 f. Dispens 136, 137 Druckschrift, Rechtscharakter der Beschlagnahme v o n — 210 f. Einzeleingriffslehre, Verhältnis zu A r t . 19 GG 238 (Schrifttum), 239

(eigene Stellungnahme)

Einzelfallgesetz s. auch I n d i v i d u a l gesetz — Abgrenzung v o m allgemeinen Gesetz 212 ff., 215 f. (Hildeg. Krüger), 216 f. (Hamann), 217 f. (Klein),

228 ff. (eigene Stellungnahme)

— als nicht allgemein geltendes Gesetz (Klein) s. auch allgemein geltendes Gesetz 217 f. — als abstrakt-spezielle Anordnung 228 ff. — als konkrete Anordnung m i t V e r -

waltungsaktcharakter 230 ff., 234 — Begriff 237 — als Einzelfall- u n d Einzelpersongesetz (Hildeg. Krüger) 215 f. — K r i t i k 218 ff. — als Einzelpersongesetz (Klein) s. auch allgemein geltendes Gesetz 217 f. — K r i t i k 223 ff. — getarntes 240 ff. — Begriff 250 — als Einzelgesetz (Hamann) 242 — als getarntes Einzelpersongesetz (Klein) 242 f. — K r i t i k 248 f. — Identität des Begriffs m i t dem des Einzelfallgesetzes 249 — praktische Bedeutung 252 — als auf ein bestimmtes Rechtssubjekt gemünztes Gesetz (Hildeg. Krüger) 241 — K r i t i k 248 ff. — unechtes 251 — Unzulässigkeit des — 247 f. — Verhältnis zur Einzeleingriffslehre 237 ff. — Verhältnis zum Gleichheitssatz 225 f. Einzelfallregelung — bei A r t . 19 GG 228 ff. — abstrakt-spezielle A n o r d n u n g als — 228 ff. — konkrete A n o r d n u n g als — 230 ff. — Kenntnis der Betroffenen durch Gesetzgeber als K o r r e k t i v 233 f. — Verwaltungsaktcharakter des Gesetzes als K o r r e k t i v 234 ff. — bei Verwaltungsakten 149 ff. — abstrakt-spezielle Anordnungen als — 150 ff. — i. S. v. § 29 nds. SOG 161 ff. — i. S. V. § 25 V G V O 152 ff. — dogmatische Notwendigkeit solcher Auslegung 155 ff. — praktische Notwendigk e i t solcher Auslegung 152 ff. Einzelgesetz — als Hoheitsakt an eine bestimmte Einzelperson (Jellinek) 37 — als getarntes Einzelfallgesetz (Hamann) 242 Einzelpersongesetz als Einzelfallgesetz 214 (Menger), 215 f. (Hildeg. K r ü ger), 217 f. (Klein), 229 f. (eigene

Stellungnahme)

Sachregister Enteignung s. auch Einzeleingriffslehre 238 Erlaubnis 136, 137 Fall, Fallbegriff — beim befehlenden Hoheitsakt 70 ff. — als konkrete Angelegenheit 84 — als Befehlsgegenstand (Rosin) Ulf. — K r i t i k 112 ff. — Unterscheidung v o m Befehlsinhalt 113 — Begriff 132 — als rechtliche Betroffenheit einer Person (Obermayer) 71 ff., 73 — K r i t i k 74 ff., 107 f. — Ergebnisse bei praktischer A n w e n d u n g 80 f. — Gleichsetzung v o n „ F a l l " u. „Adressat" 74 ff. — Schwierigkeiten bei adressatlosen Hoheitsakten 78 — Verhältnis zum positiven Recht 74 f., 79 — als konkretes Ereignis 84 — als realer Lebenssachverhalt 84 ff. — Unbestimmtheit des Sachverhaltsbegriffs 85 ff. — Individualisierung durch rechtsfolgebegründenden Tatbestand s. auch Tatbestandslehre 87 ff. — Individualisierung durch d. betroffenen Ort 108 ff. — Individualisierung durch d. betroffenen körperlichen Gegenstand 108 ff. — als geregeltes menschliches Verhalten s. auch Verhalten 115 ff. — Individualisierung bei Geboten 120 ff. — Individualisierung bei V e r boten 125 ff. — als Verhältnis 84 — als bestimmtes reales V o r kommnis (Thoma) 81 f. — K r i t i k 82 ff. — beim berechtigenden Hoheitsakt 140 ff. — Begriff 141 — beim rechtsgestaltenden Hoheitsa k t 143 ff. —Begriff 147

271

Falleinheit, Lehre von der — (Rosin) 31 f. Filmverbot, Rechtscharakter 211 Fluchtlinienplan, Rechtscharakter s. auch Bebauungsplan 16, 184 ff. Gebietshoheit einer Gemeinde 197 Gebrauchserlaubnis des öff. Sachenrechts 140, 141 generell, Begriff 76 Generelle N o r m (Jerusalem) 32 f. — Begriff 33 Gesamtverhalten bei konkret-generellen Hoheitsakten — bei Geboten 124 — bei Verboten 128 — beim Einzelfallgesetz 229 Geschwindigkeitsbeschränkung 119 Gewerbeerlaubnis 140 Gleichheitssatz, Verhältnis zum E i n zelfallgesetz 225 f. Hoheitsakt — abstrakt-spezieller — als Einzelfallregelung s. auch Einzelfallregel u n g 150 ff., 228 ff. — adressatloser, begriffliche M ö g lichkeit 143 — berechtigender 136 ff. — Unterschied zum rechtsgestaltenden Hoheitsakt 138 — Wesen 137 — beurkundender 134 — rechtsgestaltender 134 ff. — Begriff 134 f. — Unterschied zum befehlenden Hoheitsakt 136 — Wesen 135 — streitentscheidender 133 Imperativtheorie 134 Individualgebot, Lehre v o m — (v. Ihering) 29 ff. — Begriff 29 Individualgesetz s. a. Einzelfallgeseti — abstraktes 215 — Gegensatz zum allgemeinen Gesetz 215 — getarntes 215, 240 ff. — konkretes 215, 240 — als Oberbegriff 214, 219 — offenes 215 — Zulässigkeit v o n — 15, 17, 212 Kategorische Rechtssätze 93 ff. konkret, Begriff 76 Konzession 136 L e x Platow 62, 216, 253 L e x Schörner 212, 215, 253 ff.

272

register

— Bezeichnung des Gesetzes 253 — als getarntes Einzelfallgesetz 254 — K r i t i k 255 — als allgemeines Gesetz 254 (BVfG),

256 (eigene Stellungnahme)

Maßnahmegesetz 17, 218, 224, 225 Negative Voraussetzungen eines T a t bestandes 99 Norm — als bedingter I m p e r a t i v (v. Ihering) 30 — generelle s. auch generelle N o r m 32 Organisationsakte, Hechtscharakter gebietlicher 192 if. — Verwaltungsakte (bay. VGH) 193 f. — Rechtsverordnung (hess. VGH) 194 f. — Hoheitsakt m i t Doppelcharakter 195 f. (Schrifttum), 196, 199 (eigene

Stellungnahme)

— abstrakte Regelung 198 f. — konkrete Regelung 196 ff. Planentwurf, Rechtscharakter 186 Polizeiverfügung als bestimmtes reales Vorkommnis (Thoma) 44 Polizeiverordnung als abstrakt bezeichnetes Vorkommnis (Thoma) 44 positive Voraussetzungen eines T a t bestandes 99 preisrechtliche Anordnungen, Rechtscharakter 203 ff. — Preisfestsetzungen für M i e t - u n d Pachträume 205 f. — aus vorübergehendem Anlaß 207 — Preisfestsetzungen für Waren 203 ff., 205 Privatpersonen als von Hoheitsakten Verpflichtete 48 Privilegien 74 Rechtsschutzfunktion des V e r w a l tungsaktbegriffs 154 Rechtsverhältnis, Begriff 139 Schuttabladeverbot, Rechtscharakter 183 Spezialgesetz 219 speziell, Begriff 76 Straßensperre, Rechtscharakter 127 Tatbestandseinheit s. auch Falleinheit 31 Tatbestandslehre 87 ff. — K r i t i k (Burckhard) 91 ff.

— u n d tatbestandslose Rechtssätze 93 ff. — Verbotsnormen s. auch V e r botsnormen 94 ff. — Gebotsnormen 104 f. tatbestandslose Rechtssätze s. auch Tatbestandslehre 93 ff. Tarifvertrag, Allgemeinverbindlicherklärung eines — — als Rechtsverordnung 201 (Hildeg. Krüger), 202 f. (eigene Stellung-

nahme)

— als Verwaltungsakt (Huber, HueckNipperdey) 200 Unbestimmbarkeit 58, 67 Unbestimmtheit, zahlenmäßige 57 ff. — Begriff 62 — objektiv-logische 58, 60 — P r a k t i k a b i l i t ä t 61 — subjektiv-praktische 58 Bedenken 59 Unübersehbarkeit i. S. d. B V f G 61, 62 Verbotsnormen, tatbestandslose 94 ff. — gerichtliche „ A n w e n d b a r k e i t "

102 f.

— Gefährdungssituation als T a t bestand (Isay) 95 f. — K r i t i k 96 — Rechtscharakter der — 102 ff., 103 — Verhältnis zur Sanktionsdrohung 100 ff. Verfügung — als Einzelfallregelung (Rosin) 32 — i n Verordnungsform 244 f. — verschleierte (Jellinek) 56 Verhalten 115 ff. — als allen Befehlen gemeinsames M e r k m a l 116 f. — Beziehung zum Lebenssachverhalt 129 ff. — als Gegenstand der Regelung i n Hoheitsakten 117 ff. — Individualisierung des — — bei Geboten 120 ff. — bei konkret-generellen A n ordnungen 122 ff. — bei Verboten 125 ff. — bei konkret-generellen A n ordnungen 127 f. Verhaltenseinheit s. auch Gesamtverhalten 122 ff. Verkehrsbeschränkung 119 Verkehrsregelung, Rechtscharakter der — — durch Farbzeichen 182 f. — durch Polizeibeamte 182 f. Verkehrszeichen — Rechtscharakter 16, 85, 176 ff.

Sachregister — Rechts Verordnung 176 (Rechtsprechung, ζ. T. Schrifttum), 178

(eigene Stellungnahme)

— als Allgemein Verfügung 177 — Verkündung 179 ff. Verordnung, verschleierte (Jellinek) 56 Verwaltungsakt, Rechtsschutzfunkt i o n des Begriffs 154 Verwaltungsaktcharakter eines Gesetzes 234 ff., 236

273

viehseuchenpolizeiliche Anordnungen — Rechtscharakter 208 ff. — Veröffentlichung 209 W i d m u n g 143 Zeitbestimmung

bei

hypothetischen

Normen 105 Zivilpersonen als v o n Hoheitsakten Verpflichtete 48