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German Pages 191 [192] Year 2014
Christina Hellmich
Al-Qaida Vom globalen Netzwerk zum Franchise-Terrorismus Aus dem Englischen von Claudia Kotte
Copyright © Christina Hellmich 2011 Al-Qaeda. From Global Network to Local Franchise was fi rst published in 2011 by Zed Books Ltd 7 Cynthia Street, London N1, 9JF, UK and room 400, 175 Fifth Avenue, New York, NY 10010, USA
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ISBN 978-3-534-25596-2 Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag Umschlaggestaltung: Christian Hahn Covermotiv: Picture-alliance www.primusverlag.de
ISBN 978-3-86312-347-5 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73329-3 eBook (epub): 978-3-534-73330-9 eBook (PDF): 978-3-86312-886-9 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-86312-887-6 (Buchhandel)
Inhalt Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Der 11. September und die bange Suche nach Antworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Was ist al-Qaida? Von Afghanistan zum 11. September . . . .
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III. Heuchler, Wahhabiten und salafistische Dschihadisten: Erklärungen der Ideologie al-Qaidas nach dem 11. September . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1986 –1991: die ,Geburt‘ von al-Qaida . . . . . . . . . 1992–1996: Al-Qaida im Sudan und in Afghanistan . . 1996 –2001: das ,Erstarken‘ . . . . . . . . . . . . . . . Auf dem Prüfstand: Analysen der Struktur al-Qaidas
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Erklärungsversuche der Ideologie al-Qaidas im Schatten des ,Krieges gegen den Terror‘ . . . . . . . . . . . . Eine ,islamische‘ Erklärung für al-Qaida: die Debatte um den Wahhabismus . . . . . . . . . . . . . . . Al-Qaida: ,Die Vorhut des globalen salafistischen Dschihad‘ Der Kern von al-Qaidas Ideologie: eine Annäherung . . . . .
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IV. Die Wiederherstellung der umma: Al-Qaidas Ideologie im Kontext der panislamischen Tradition . . . . . . . . . . . .
Die Verlautbarungen Osama Bin Ladens . . . . . . . Erklärungen für die Anziehungskraft von Bin Laden Die Trennung von ,Religion‘ und ,Politik‘ und das Ideal islamischer Einheit . . . . . . . . . . . . . . Das Wetteifern um heilige Autorität . . . . . . . . . . Die Verteidigung des Islam: eine persönliche Pfl icht . Die Wiederherstellung der umma: die Ursprünge panislamischer Gesinnung . . . . . . . . . . . . . . . Panislamische Einheit oder schmerzlicher Zerfall? . .
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86 91 95
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97 101
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Inhalt
V. Al-Qaida nach dem 11. September: zerstört, geschwächt oder wiedererstarkt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Al-Qaida: zwischen widersprüchlichen Positionen . . . . Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel: ein Beleg für das Wiedererstarken von al-Qaida? . . . . . . . . . . AQAP: kleinteilig und hierarchisch? . . . . . . . . . . . . AQAP im Jemen: eins von vielen Problemen . . . . . . . Die prekäre Rolle des Jemen im Krieg gegen den Terror . Die Bedrohung durch AQAP im Jemen – eine Neubetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wiedererstarken von al-Qaida? . . . . . . . . . . . .
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103 104
. 114 . 116 . 123 . 127
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131 135
VI. Die Zukunft al-Qaidas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort Vorwort
Wer, und – vielleicht noch wichtiger – was ist al-Qaida? Auf kaum eine Frage in der aktuellen Diskussion zur internationalen Sicherheit gibt es so viele widersprüchliche Antworten. Wem oder was ist zu glauben? Auf welche Beweise stützen sich die gängigen Behauptungen? Dieses Buch ist das Ergebnis meiner langen Suche nach der ‚Wahrheit‘ über al-Qaida, ermöglicht durch die Unterstützung des Leverhulme Trust, der das Forschungsprogramm „Liberal Way of War“ an der University of Reading fördert. Andreas Behnke habe ich dafür zu danken, die Suche nach ‚Wahrheit‘ teilweise aufgegeben und den Wert ‚noch einer weiteren Geschichte‘ – selbst einer schlechten – zu schätzen gelernt zu haben. Macht es einen Unterschied ob eine Behauptung ‚wahr‘ ist oder nicht – wenn so viele daran glauben? James Piscatori, Nelly Lahoud und Ali Parchami sind der lebende Beweis dafür, dass man Einfluss nicht sinnvoll durch Maßeinheiten messen kann: nach den vielen Diskussionen über muslimische Politik und den globalen Jihad kann ich oft nicht mehr genau sagen wo Ihre Gedanken aufhören und meine eigenen beginnen. Für die deutsche Ausgabe konnten die jüngsten Entwicklungen und neue Einschätzungen berücksichtigt werden, so dass diese ,weitere Geschichte‘ nicht abgeschlossen, aber doch bis 2012 fortgeschrieben ist. Mein besonderer Dank gilt meinem Mann, Andrew, der dafür gesorgt hat, dass ich im Prozess des Schreibens die Bodenhaftung nicht verlor: ‚al-Qaida, könnte man meinen, hat viel mit einem Tumor des Herzens gemein: Die typischen Begleiterscheinungen beweisen zweifellos seine Existenz, selbst wenn man den Tumor nicht sehen kann.‘ Christina Hellmich
Reading, Juli 2012
I.
Der 11. September und die bange Suche nach Antworten Der 11. September und die bange Suche nach Antworten
Am 23. Februar 1998 sprachen Osama Bin Laden und seine Verbündeten ein islamisches Rechtsgutachten (Fatwa) aus, das alle Muslime dazu aufrief, Amerikaner – ob Zivilisten oder Soldaten – wo immer möglich zu töten, um so die Al-Aksa-Moschee und die Heilige Moschee zu befreien und die US-Truppen aus allen Gebieten des Islam zu vertreiben, bis sie besiegt oder unfähig seien, einen einzigen Muslim zu bedrohen. Dreieinhalb Jahre später, am Morgen des 11. September 2001, demonstrierte al-Qaida das wahre Ausmaß ihrer Drohung und die perfekte Umsetzung ihrer Methoden, als sie das größte terroristische Gräuel verübte, das die Welt jemals gesehen hatte: Zum ersten Mal in der Geschichte kidnappten transnationale Terror-Teams – in dem Wahn, den Islam zu verteidigen – vier Flugzeuge und nutzten sie als fl iegende Selbstmordbomben. Zwei wurden in die bekannten Zwillingstürme des World Trade Center in New York gelenkt, eins in das Pentagon; das vierte stürzte außerhalb von Pittsburgh ab, nachdem die Passagiere versucht hatten, das Flugzeug wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Was danach kam, ist Geschichte. Al-Qaida, die erste globale Terrorgruppe des 21. Jahrhunderts, verkörpert das mysteriöse neue Gesicht des globalen Terrorismus. Seit dem bislang verheerendsten terroristischen Akt am 11. September 2001 beherrscht die Organisation die Diskussionen über nationale und internationale Sicherheit in Medien, Wissenschaft und Politik. Wer tut so etwas, und warum? Zehn Jahre nach Beginn des globalen Krieges gegen den Terror würde man klare Antworten auf diese elementaren, wenngleich entscheidenden Fragen erwarten. Doch obwohl nur wenige Themen eine grundsätzlichere Debatte ausgelöst haben als Erklärungen für die Beweggründe und Anziehungskraft von spektakulären Massenmorden im Namen des Islam, grassieren Spekulationen über Stärke und Ausmaß von al-Qaida noch immer. Verwirrende Beschreibungen eines undurchsichtigen Netzwerks und verdeckter terroristischer Zellen werden von den Massenmedien gierig aufgegriffen und verbreitet; Nachrichten über neuerliche Festnahmen mutmaßlicher Terroristen sowie eindringliche Warnungen vor
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akuten Gefahren erzeugen weiter Alarmbereitschaft, bringen jedoch wenig Klärung; unterdessen sind erhöhte Sicherheitsstufen und bislang beispiellose Reisebeschränkungen in der Welt nach dem 11. September zum normalen Alltag geworden. Die Bedrohung durch den so genannten ,islamistischen‘ Terror beherrscht unübersehbar das kollektive Bewusstsein der westlichen Welt: Eine kurze Google-Recherche zum Begriff ,al-Qaida‘ liefert über 12 Millionen Links zu Artikeln, Interviews, Büchern und Kommentaren in den unterschiedlichsten Sprachen. Ein genauerer Blick auf die vorhandene Literatur zum Thema wirft jedoch mehr Fragen auf, als er Antworten liefert. Ist al-Qaida eine in sich geschlossene Organisation, ein globales Netzwerk semi-unabhängiger Zellen, ein Franchising oder einfach nur eine Idee, die den Nerv der Zeit trifft? War Osama Bin Laden Ingenieur, Absolvent einer Wirtschaftshochschule, Playboy oder Studienabbrecher? Was meint das Gerede über den ,globalen salafistischen Dschihad‘ gegen den Westen? Bei genauerer Betrachtung versinken die ,Tatsachen‘ über die Terrorgruppe, deren Name auf ewig in die Skyline von Manhattan eingebrannt ist, nur allzu schnell in einem Meer von Behauptungen, die sachlicher Grundlage entbehren. Woran liegt das? Wie kann ein Thema von solcher Wichtigkeit von so viel Ungewissheit geprägt sein? Ein erster Versuch, das diffuse Bild der bis heute berüchtigtsten Terrororganisation zu erklären, beginnt zwangsläufig mit einer genaueren Untersuchung des Informationsstandes vor dem 11. September und der unmittelbar danach einsetzenden Flut von Literatur. In den 1990er-Jahren beschäftigte sich nur eine Handvoll Forscher mit dem, was sich als eines der am breitesten diskutierten Sicherheitsthemen der kommenden Jahre erweisen sollte. So verblüffend es aus der Rückschau auch sein mag – die Welt wurde von der spektakulären Zerstörung der Zwillingstürme vor einem strahlend blauen Septemberhimmel schlicht überrumpelt: Weder Terrorismus-Experten noch Sicherheitsspezialisten noch Wissenschaftler hatten einen Anschlag solchen Ausmaßes vorhergesehen.1 Wie Magnus Ranstorp in seiner umfassenden Besprechung von Literatur zur Terrorismusforschung treffend feststellt, war die Forschung zu al-Qaida vor dem 11. September 2001 ,außerordentlich beschränkt‘.2 Verständlicherweise haben die Ereignisse des 11. September, die zugleich der spektakulärste Propagandafall aller Zeiten waren, daher ein Wechselbad an Ungewissheit, Angst und Spekulationen ausgelöst; die
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offensichtlichsten und drängendsten Fragen blieben dennoch unbeantwortet: Wer tut so etwas, und warum? Überzeugende Antworten blieb man schuldig. Erstaunlicherweise wurden die spektakulären Bilder der Zerstörung in der ersten Zeit nach dem Anschlag wieder und wieder verbreitet; sie brannten die Realität dessen, was buchstäblich aus heiterem Himmel gekommen war, in das Bewusstsein all jener ein, die sich dem Zugriff der Medien nicht entziehen konnten. Zugleich fanden Texte – Analysen und Erläuterungen der Geschehnisse – kaum oder keine Beachtung. Dass es deutlich mehr reißerische als analytische Darstellungen gab, war jedoch kein Akt von Medienpropaganda oder gar, wie manche behaupten, eine Art Regierungsverschwörung. Vielmehr war die unausweichliche Präsenz jener grauenhaften Bilder in unseren Zeitungen und auf unseren Fernsehschirmen nur der sichtbare Beweis dafür, dass sich die fassungslose westliche Welt immer mehr mit Fragen konfrontiert sah, auf die es seinerzeit keine Antworten gab. Auf die Gefahr hin, das Thema nur noch reißerischer darzustellen, könnte man sagen, dass der 11. September ein unbeschriebenes Blatt war, auf dem die Biographie von al-Qaida nun zu schreiben war. Eben weil die Umstände nach dem 11. September 2001 so verwirrend und dringlich waren, wurde blindlings versucht, das von Ground Zero hinterlassene Vakuum mit Antworten zu füllen. Die Kritikfähigkeit setzte auf breiter Front aus, während Kommentatoren sich kopfüber darauf stürzten, Erklärungen zu liefern. Entsprechend galt die größte Aufmerksamkeit jenen, die am lautesten schrien und die die eingängigsten, wenn auch nicht die überlegtesten Antworten zu geben schienen. Fast über Nacht wurden Journalisten zu den maßgeblichen Kommentatoren auf dem Gebiet – nicht etwa, weil sie über bessere Kenntnisse verfügten, sondern weil ihre Worte und Analysen der Situation die meisten Menschen als erste erreichten. Im Gegenzug gaben einige Analysten – insbesondere jene, die bald als Experten gelten sollten – auf der Basis dessen, was sie auf CNN, in der New York Times und Fox News mitbekommen hatten, ,Tatsachen‘ über al-Qaida, den wahren Charakter des Islam und die Bedeutung des Dschihad von sich. Sie sprachen von al-Qaidas Vision einer Fantasiewelt, die von religiösen Fanatikern, Heuchlern und Verrückten ausgehe. Manche behaupteten, al-Qaida sei frei von jeder Ideologie, während andere die Ursprünge von Osama Bin Ladens Ideen in islamischen Gelehrten wie Taqi ad-Din Ahmad Ibn Taymiyyah (gest. 1328), Muhammad Ibn Abd
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al-Wahhab (gest. 1792) oder Jamal al-Din al-Afghani (gest.1897) ausmachten; dabei hatten sie sich weder mit den Botschaften Bin Ladens noch mit den Schriften derjenigen, die ihn angeblich beeinflusst haben sollten, eingehender auseinandergesetzt.3 Es spielte keine Rolle, dass viele der populären Geschichten über den ,globalen Dschihadismus‘ von Personen stammten, die sich auf dem Gebiet kaum auskannten, sich auf frag würdige Quellen stützten und die üblichen wissenschaftlichen Methoden, ja sogar kritisches Denken über Bord warfen. Mit Beginn des uneingeschränkten weltweiten Krieges gegen den Terror, in dem Freiheit und Demokratie ihrem schlimmsten Feind gegenüberstanden – und in dem man eindeutig und kompromisslos für ,uns‘ oder ,sie‘ Position beziehen musste4 – wurden Bedenken über wissenschaftliche Seriosität und Methodik, Einwürfe, Differenzierungen und Verweise auf den größeren Kontext meist ausgeblendet und erhielten nicht die nötige Aufmerksamkeit. Marc Sageman weist zu Recht darauf hin, dass sich die meisten frühen Erklärungsversuche von al-Qaida auf wenig mehr belaufen als ,Argumente, mit denen man politisch punkten konnte, die jedoch in einer wissenschaftlichen Studie fehl am Platze sind‘.5 Angst und überzogene Reaktionen sind geschichtlich gesehen noch nie die beste Grundlage für rationale Überlegungen, Reflektionen und Debatten gewesen, und der 11. September und die unkritische ,kill and capture‘-Strategie, bei der mehr das Töten als die Festnahme im Vordergrund stand, bilden hierbei keine Ausnahme. So gesehen sind weder die heftige Reaktion des Westens noch das anhaltende reaktionäre Klima überraschend, galten die Anschläge doch als neue Art von Terrorismus mit beispiellosem Ausmaß an Gewalt und Zerstörung und globaler Reichweite. Um die Kontroverse um al-Qaida vollständig zu erklären, empfiehlt sich ein Blick über die unmittelbaren Umstände des 11. September hinaus auf den Stand der Terrorismusforschung und ihren Untersuchungsgegenstand – den Terrorismus als solchen. In den dreißig Jahren vor den Anschlägen des 11. September spielte die Terrorismusforschung innerhalb der Sozialwissenschaften eine eher marginale Rolle: Nur wenige Forscher gaben Bewertungen zu Terroranschlägen ab, die zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen geographischen und sozio-kulturellen Kontexten stattgefunden hatten. Das Gros der Fachliteratur widmete sich einzelnen terroristischen Anschlägen und wurde – was angesichts der Erfahrungen nach dem 11. September vielleicht nicht weiter überrascht – von Autoren verfasst, die keine oder nur geringe Hintergrundkenntnisse
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beziehungsweise Fachkompetenz besaßen.6 In Zahlen gefasst wurden von den 490 Artikeln, die in den beiden wichtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften zum Terrorismus – Studies in Conflict and Terrorism und Terrorism and Political Violence – zwischen 1990 und 1999 erschienen, insgesamt 406 (83 Prozent) von Autoren verfasst, die danach keine weiteren Beiträge publizierten.7 Eine derartige Forschungslage ist mit zahlreichen Mängeln behaftet: Den Analysen einzelner Autoren mangelte es an stringenter Argumentation und entsprechendem theoretischen Rahmen, es fehlten zuverlässiges Datenmaterial und geeignete Untersuchungsmethoden. Viele Artikel versuchten, die Ursachen von Terrorismus zu identifi zieren und die Entwicklung und Dynamik verschiedener Terrorgruppen zu erfassen; bezeichnenderweise beschäftigten sich die Autoren jedoch meist mit Ereignissen aus der jüngsten Vergangenheit und waren nicht in der Lage, diese in einen breiteren Kontext einzuordnen. Gaben sie Einschätzungen der künftigen Sicherheitsrisiken ab, ließen sie die Beweggründe der Terroristen meist unberücksichtigt, und bei Strategien zur Terrorbekämpfung tendierten sie zu Einzelfall-Lösungen statt zu langfristiger Planung. So entstand das, was Martha Crenshaws als ,Konstruktion allgemeiner Kategorien terroristischer Akteure, die ungleiche Motivationen, Organisationen, Ressourcen und Kontexte in einen Topf werfen‘, beschrieben hat.8 Die – von der US-Regierung formulierte – mittlerweile berüchtigte Verbindung von al-Qaida zur Hamas, zu den Schia-Schulen in Qum, zu den islamischen Hardlinern der traditionalistischen Deobandi-Seminare im Norden Pakistans und zu den säkularen, arabisch-nationalistischen Regimen der Baath-Partei ist nur ein aktuelles Beispiel für ein seit langem bestehendes Problem der Disziplin.9 ,Das Gros der Literatur [zum Thema Terrorismus],‘ beklagte Ted Gurr 1988, ,besteht aus naiver Beschreibung, spekulativem Kommentar und Rezepten für den Umgang mit Terrorismus, die noch nicht einmal minimalen Forschungsstandards in den etablierteren Feldern der Konfl ikt- und Politikforschung entsprechen.‘10 Die gleichen methodologischen Mängel traten in der Literatur nach dem 11. September auf. Obwohl in dem Jahr nach den Ereignissen eine Rekordzahl an Büchern zum Thema Terrorismus erschien, deutet wenig darauf hin, dass sich das Gesamtbild substanziell verändert hätte. Magnus Ranstorp weist in seiner Untersuchung zum Stand der Terrorismusforschung nach dem 11. September auf einen besorgniserregenden Trend hin; dieser ziehe nicht nur den Ruf des Faches weiter in Mitleidenschaft, son-
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dern – und dies wiegt angesichts des hier untersuchten Themas noch schwerer – verschleiere unser Wissen über al-Qaida beziehungsweise erzeuge dieses scheinbare Wissen überhaupt erst. Da es, anders als bei wissenschaftlichen Beiträgen normalerweise üblich, keinerlei Qualitätskontrolle gab, hat die Suche nach Antworten Pseudo-Wissenschaftlern und bisweilen ausgemachten Betrügern, die sich als Experten ausgeben, einen idealen Nährboden bereitet. Viele behaupten, sie hätten bevorzugten Zugang zu Informationen, oft aus vermeintlich ,geheimen‘ Quellen; bei näherer Untersuchung erweisen sich diese dann allerdings als nichtverifi zierbar, nicht zuverlässig oder nicht existent. Eins der ungeheuerlichsten Beispiele ist der Fall Alexis Debat, eines ehemaligen Journalisten, der es zu angesehenen Positionen als Direktor des ,Terrorism and National Security Program‘ am Nixon Center in Washington und als Herausgeber von The National Interest brachte – all dies auf der Basis einer vorgetäuschten Promotion an der Pariser Sorbonne und falschen Angaben zu seinem berufl ichen Werdegang, seinen Erfahrungen und Kompetenzen.11 Sein Fall ist leider keine Ausnahme. Viele der so genannten ,Experten‘, die in Wirklichkeit kaum oder keine fundierten Kenntnisse über al-Qaida besitzen, sind zufällig genau jene, auf deren Meinungen man sich größtenteils stützt, die in öffentlichen Diskussionen zitiert werden und deren Beiträge auf dem Gebiet einen signifi kanten Teil unserer ,Geheiminformationen‘ über die Organisation ausmachen. Ein typisches Beispiel ist das von Evan Kohlmann, dem Autor von Al-Qaeda’s Jihad in Europe: The Afghan–Bosnian Network; ohne irgendeine ersichtliche Fachkenntnis – abgesehen von einem Abschluss in Rechtswissenschaften und einem Praktikum – stieg er zu einem der führenden Experten über islamistischen Terror in Medien und Regierungskreisen auf. Obwohl er seine ,Sachkenntnis‘ anscheinend vor allem aus Internetquellen bezog, hinderte ihn das nicht daran, Berater des amerikanischen Verteidigungsministeriums, des Justizministeriums, des FBI, des britischen Crown Prosecution Service und der Spezialeinheit SO15, dem Kommando zur Terrismusbekämpfung von Scotland Yard, zu werden.12 Das wahre Ausmaß seiner ,Sachkenntnis‘ zeigte sich während des Prozesses Vereinigte Staaten vs. Haref und Hossein, bei dem er als Sachverständiger für die islamistische Partei Jamaat-e-Islami aus Bangladesch, die älteste religiöse Partei Pakistans, auftrat:
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Der 11. September und die bange Suche nach Antworten Im Kreuzverhör stellte sich heraus, dass [Kohlmann] nie auch nur einen einzigen Aufsatz über die Partei verfasst hatte und nie zur Gruppe befragt worden war. Er war noch nie in Bangladesch gewesen und konnte weder den Namen des Premierministers von Bangladesch noch den Namen des Führers der Jamaat-e-Islami nennen.13
2008 sagte Kohlmann als Zeuge vor der ersten Militärkommission in Guantánamo im Prozess gegen Bin Ladens Chauffeur aus. Das Büro der Militärkommission (OMC), so behauptete er, habe ihn gebeten, ein 90-minütiges Video über die Entwicklung von al-Qaida zu drehen. Kohlmann, der 45 000 Dollar für Film und Zeugenaussage erhalten hatte, gab vor dem OMC zu, dass er den geplanten Titel des Films von ,Rise of al-Qaeda‘ (,Al-Qaidas Aufstieg‘) zu ,The al-Qaeda Plan‘ abgeändert hat, um stärkere Parallelen zu ,The Nazi Plan‘ zu ziehen, einem berühmten Dokumentarfi lm, der während der Nürnberger Prozesse gedreht wurde.14
Wer sich auf solch fragwürdige Expertise verlässt, untergräbt die Glaubwürdigkeit der Verfahren. Doch trotz seiner Vorgeschichte beeinflussen Kohlmanns Thesen in Terrorismusforschung und Sicherheitskreisen weiterhin die Debatten über al-Qaida: Sein jüngster Aufsatz mit dem Titel ,Al-Qa’ida’s Yemeni Expatriate Faction in Pakistan‘, der auf Informationen aus dubiosen Internetquellen zu beruhen scheint, nahm in der Ausgabe der CTC Sentinel vom Januar 2011, der Zeitschrift von ,The Combating Terrorism Center‘ der amerikanischen Militärakademie in West Point, einen zentralen Platz ein.15 Beschäftigt man sich eingehender mit dem Stand der Wissenschaft, dann ist einer der ersten und bekanntesten al-Qaida-Experten Rohan Gunaratna. Gunaratna verfasste mit Inside Al Qaeda eins der ersten und – wie die folgenden Kapitel zeigen werden – am häufigsten gelesenen und zitierten Bücher, das Entstehung, Charakter und Innenleben der Gruppe beleuchten will. Bedauernswerterweise beruhen viele der Sachverhalte in diesem Buch auf Quellen, die geheim sind und nicht verifi ziert oder belegt werden können; das Buch stützt sich außerdem auf Interviews mit Terroristen, die nach Aussagen des Autors im Jemen, Libanon, Ägypten und Saudi-Arabien geführt worden seien – Länder, in denen er, wie er später einräumen musste, nie gewesen ist und deren Sprachen er nicht spricht.16 Als er 2007 als Hauptbelastungszeuge im Prozess Vereinigte Staaten vs.
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Hassoun Jayyousi und Jose Padilla auftrat und von Strafverteidigern gezielt danach gefragt wurde, bejahte Gunaratna ausdrücklich die Aussage, dass ,etliche Quellen in Ihrem Buch nur von anderen Behörden überprüft werden können, wenn diese Insider-Informationen von Ihnen erhalten.‘17 Was Gunaratnas Aussage für Prozesse in Zusammenhang mit al-Qaida bedeutet, sollte man auch heute noch im Kopf behalten. Es ist gelinde gesagt überraschend, dass man sich in so hohem Maße auf ihn verließ, wenn man bedenkt, dass seine Sachkenntnis schon 2003 in Frage gestellt wurde. Damals beschrieb ihn der britische Observer als ,den wahrscheinlich am wenigsten vertrauenswürdigen al-Qaida-Experten‘.18 Insgesamt sind diese Einzelpersonen nur einige Beispiele für die vielen Kommentatoren, deren Sachkenntnis heute als fragwürdig gilt, deren Aussagen aber nichtsdestotrotz kritiklos hingenommen worden sind und die unser Verständnis – beziehungsweise Missverständnis – von al-Qaida geprägt haben. Im großen Ganzen machen sie nur einen Bruchteil der infamsten Behauptungen und nicht stichhaltigen Aussagen aus, doch genau diese Äußerungen werden später zitiert, ja sie gelten oft als wichtigste Beweisquelle in Publikationen über al-Qaida wie dem Untersuchungsbericht zu den Terroranschlägen des 11. September The 9 / 11 Commission Report: The Final Report of the National Commission on Terrorist Attacks upon the United States19 und Marc Sagemans Understanding Terror Networks.20 Kraft Wiederholung haben sich viele der Behauptungen, die von Anfang an von fragwürdigem Wert waren, als Fakten festgeschrieben. In der Literatur zur Terrorismusforschung besteht ein kapitales methodologisches Problem, das Edna Reid 1997 als das ,zirkulärer Forschungssysteme‘ bezeichnet hat.21 Diese Systeme entstehen in Form eines ,Feedback-Loops‘, der sich beständig verstärkt, weil Autoren sich unkritisch aufeinander verlassen und ihre Werke gegenseitig zitieren. Der Zirkel hat sich nach dem 11. September zweifelsohne fortgesetzt und verdeutlicht so das fundamentale Problem, das sich in jeder Diskussion über al-Qaida stellt: wie die Fakten von der Fiktion unterscheiden? Wird eine Aussage wahr, nur weil wir sie x Mal gehört haben? Natürlich leiden die Terrorismusforschung im Allgemeinen und das Gros der Fachliteratur über al-Qaida im Besonderen unter zahlreichen Problemen, was die Beschaffung zuverlässiger Informationen angeht; die Problematik verkompliziert sich noch aufgrund von Schwierigkeiten, die sich bei der Defi nition des Untersuchungsgegenstands – des Terrorismus
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als solchen – ergeben. Die Literatur zur regulären (oder, wie Miller und Mills es nennen, ,orthodoxen‘) 22 Terrorismusforschung geht davon aus, dass Terrorismus nicht die Normalität und letztlich zum Scheitern verurteilt ist; diese stillschweigend vorausgesetzte Prämisse ist jedoch aus dem Blickfeld geraten, weil sich die Forschungsliteratur auf scheinbar drängendere Themen konzentriert hat und etwa besonders gewaltsame Zwischenfälle, ihre Ursachen sowie Strategien für die Vorhersage und Reaktion auf künftige Bedrohungen zu erklären sucht. Die Frage, wie dem Terrorismus ein Ende bereitet werden kann, war und ist eine Kernfrage, die ebenso viele Debatten beschäftigt wie die staatliche Finanzierung von Terrorismus. Man könnte einwenden, dass es doch signifi kante (wenngleich erfolglose) Bemühungen gegeben hat, eine akzeptable Defi nition für den Terrorismus zu fi nden und dass wir uns angesichts fortdauernder Meinungsverschiedenheiten mit einem gewissen Maß an Unschärfe abfi nden müssen. Letztlich, so die verbreitete Devise – die jedoch keineswegs unproblematisch ist – wissen wir schon, was Terrorismus ist, wenn wir ihm begegnen: Terrorismus, so heißt es, ist die vorsätzliche – oder drohende – Anwendung von Gewalt gegen Zivilisten durch nicht-staatliche Akteure, die politische Ziele verfolgen; dies ist in der heutigen Welt häufig mit dem Einsatz von Bomben und anderen Waffen verbunden, die sich auf den öffentlichen Raum, Flugzeuge oder andere Verkehrsmittel richten. Diese Defi nition, die nicht abschließend ist und erweitert werden kann, verdeutlicht, wie sehr die landläufige Auffassung von Terrorismus von den jüngsten Erfahrungen geprägt ist und wie sehr sie Terrorismus außerhalb des historischen Kontinuums verortet.23 Es ist eine Arbeitsdefi nition, die ihre Schwächen hat und keineswegs allgemein anerkannt ist; dennoch kann sie dazu beitragen, zumindest einen Diskussionsrahmen für das Phänomen zu schaffen. Abstrakter gesagt ist allein die Suche nach einer Defi nition, und sei es nur einer Arbeitsdefi nition, von vorneherein Ausdruck eines grundsätzlich liberalen Verständnisses von politischer Ordnung und staatlicher Souveränität, in dessen Rahmen der Staat als legitimer Schiedsrichter gilt, der zwischen den rivalisierenden Interessen einzelner Einwohner vermittelt.24 Diesem Verständnis nach unterliegen die Machtverhältnisse und die Anwendung von Gewalt besonderen Regeln, und ein Akt unbefugter Gewalt durch einen nicht-staatlichen Akteur, der die Rechtmäßigkeit der bestehenden Ordnung in Frage stellt, ist nicht hinnehmbar. Die Legitimi-
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tät des liberalen Staates kann nicht in Frage gestellt werden, weil sie von einem Sozialvertrag in gegenseitigem Einvernehmen ausgeht. Terroristen und Terrorismus agieren daher außerhalb der bestehenden Spielregeln und müssen um jeden Preis bezwungen werden, sofern der globale Krieg gegen den Terror ein Indikator dafür ist, wie sehr der liberale Staat Terrorismus für nicht hinnehmbar hält. Das Gros der regulären Terrorismusforschung fühlt sich mit anderen Worten nicht nur ideologisch der Macht des westlichen Staates verpfl ichtet, sondern unterstützt diese auch praktisch. Miller und Mills haben detailliert dargelegt, dass ,die in der orthodoxen Terrorismusforschung herausragenden Ideen, und häufig sogar die Theoretiker selbst, stark der Doktrin und Praxis der Aufstandsbekämpfung verhaftet sind.‘25 Die Konsequenz daraus hat James Der Derian so formuliert: ,um offi ziellen Zugang zur Terrorismusdebatte zu erhalten, muss man kritische Waffen an der Tür abgeben und sich dem Chor der Verdammung anschließen.‘26 Nach liberalem Staatsverständnis liegt Terrorismus außerhalb der Normalität und muss verurteilt werden; diese Wahrnehmung verhindert jedoch eine einfachere und wohl bedeutsamere Beobachtung: dass nämlich der Terrorismus – und damit auch die Terrorismusbekämpfung, wonach der Terrorist der unrechtmäßige Kombattant und der Terrorbekämpfer der rechtmäßige Krieger ist – im Kern eine gewaltsame Auseinandersetzung um und über politische Legitimität ist. Der springende Punkt ist mit anderen Worten folgender: Wer hat das Recht, im internationalen System Gewalt anzuwenden? Im Falle al-Qaidas bedeutete die unmittelbare Verdammung der Terroristen und ihrer Taten – so verständlich diese nach dem tragischen Massaker der Zwillingstürme auch gewesen sein mag – dass es zu keiner ernsthaften Auseinandersetzung mit der breiteren Botschaft von Osama Bin Laden gekommen ist. Bis zur Veröffentlichung seiner zentralen öffentlichen Reden, Briefe und Interviews 2005 lagen nur Teile seiner Äußerungen in englischer Übersetzung vor.27 Ähnlich wie die ehemalige First Lady Laura Bush Eltern mahnte, ihre Kinder vor den entsetzlichen Bildern des 11. September zu schützen,28 wurde das erwachsene westliche Publikum zu großen Teilen von der Stimme Bin Ladens abgeschirmt, fast so, als ob das ungehinderte Hören eine Gefahr für das nationale Wohlergehen darstelle. Anstatt seine Äußerungen detailliert und in Gänze zu zitieren, erschienen in westlichen Medien nur Auszüge, in denen vor allem von seinen kontroversen Aufrufen zur Gewalt gegen westliche Ziele die Rede
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war und die somit nur einen flüchtigen, einseitigen Einblick in sein Denken gaben. Folglich wurde Bin Laden leicht und allzu schnell als bösartiger Wahnsinniger abgetan, dessen Ideen zu radikal waren, als dass man sie hätte ernst nehmen können. Die Ziele von al-Qaida seien, so die weit verbreitete Meinung, so unrealistisch, dass sie keine nähere Beachtung verdienten. Unabhängig von Inhalt oder Kontext löste das, was von Bin Ladens Verlautbarungen verbreitet wurde, jedoch augenblicklich Angst und Schrecken aus. Verkürzt gesagt strebte Bin Laden eine militante islamistische Gruppe an, die westliche Einflüsse beseitigen und den Ruhm der umma (der Gemeinschaft aller Muslime) durch die Wiederherstellung des Kalifat – des panislamischen Staats, der politische und religiöse Macht in einem einzigen Machthaber (dem Kalifen) vereint – in der gesamten islamischen Welt, auch in Europa und der westlichen Welt einschließlich den USA, wiederherstellen sollte. Diese Agenda wird eng in Verbindung gebracht mit einer strikten Absage an westliche Werte und einen westlichen Lebensstil, mit Zwangskonvertierungen und gewaltsamer Islamisierung und dem Ende von Freiheit und Demokratie. Audrey Cronin, Autorin von How Terrorism Ends, bringt es klar zum Ausdruck: ,Man kann nicht mit einer Terrorgruppe verhandeln, die nicht weniger anstrebt als die vollständige Zerstörung all dessen, was wir sind.‘29 Ihr Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Al-Qaida ist nicht die IRA und Osama Bin Laden war nicht Gerry Adams. Es verlangt selbst dem idealistischsten Diplomaten außerordentlich viel Fantasie ab, sich auch nur annähernd so etwas wie ein in Tora Bora oder in den Bergen Pakistans ausgehandeltes KarfreitagsAbkommen vorzustellen. Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. Gerne wird übersehen, dass Bin Ladens panislamische Ambitionen nie konkret werden: Wie oder durch wen soll die umma regiert werden? Seine Ambitionen bewegen sich also eindeutig im Bereich des Idealen und stellen keinen klar umrissenen Plan, kein klar defi niertes Programm dar. Außerdem sind weder die Art der vermeintlichen Bedrohung (panislamische Ziele in unterschiedlichen Ausprägungen) noch übertriebene westliche Reaktionen auf diese Vorstellung und ihre unterschiedlichen Manifestationen neu oder spezifisch für das Auftreten von al-Qaida. Dennoch werden bislang kaum Anstrengungen unternommen, die Ziele und Ideale von Bin Laden in den größeren Kontext der Geschichte des Panislamismus zu stellen und so einen differenzierteren Blick auf die Kernpunkte zu gewinnen. Stattdessen konzentrieren sich viele Untersuchungen in der
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Terrorismusforschung darauf, die Ursprünge von al-Qaida auf etliche radikale islamische Denker aus früheren Zeiten zurückzuführen. Man mag den analytischen Wert dieses Ansatzes in Frage stellen, der nach den ideologischen Wurzeln eines höchst aktuellen Phänomens im frühen 13., 18. oder 19. Jahrhundert sucht, ganz zu schweigen davon, dass ein solches Vorgehen nicht einmal minimalen geschichtswissenschaftlichen Standards entspricht; doch die Begriffe ,salafistischer Dschihad‘ und ,salafistische Dschihadisten‘ schlossen als eigenständige Kategorien eine Lücke im Diskurs der Terrorismusforschung, denn auf ihrer Basis ließen sich Bin Laden und seine Anhänger nun eindeutig identifi zieren. So tröstlich es auch sein mag, ein Etikett und eine Defi nition für den Feind geschaffen zu haben: Der Nutzen des Wortes ,salafistisch‘ ist rein praktischer Natur und bedeutet keinerlei Erkenntnisgewinn. Was es bedeutet, ein ,salafistischer Dschihadist‘ oder ein ,al-Qaida-Mitglied oder -Anhänger‘ zu sein, bleibt letztlich jedem selbst überlassen und stellt kein verlässliches Profi l dar, mit Hilfe dessen potentielle Terroristen identifi ziert oder überwacht werden könnten. Dass man Bin Ladens Taten und Ideen an die Randzonen des Islam verbannt hat, hatte noch eine weitere unerwartete Konsequenz: Dies hat jede eingehendere Beschäftigung mit der Frage verhindert, warum gewöhnliche Muslime sich mit seinen Botschaften auf breiter Basis identifi zieren. In einem politischen Klima, das klare Bekenntnisse verlangte – ,entweder bist du für uns oder du bist für die Terroristen‘ – war es nicht möglich, Denken und Handeln zu trennen. Islamische Rechtsgelehrte sind sich weitgehend einig, dass zum Beispiel Selbstmordattentate, das wahllose Töten von Frauen und Kindern oder die Ausweisung der eigenen Glaubensbrüder als ,Ungläubige‘ (das Aussprechen des takfir) nach der Scharia nicht vertretbar sind und in der Vergangenheit katastrophale Folgen für Gruppen gehabt haben, die dies praktiziert haben.30 Dennoch stoßen die Beweggründe für derartige Aktionen bei vielen auf Anklang. Um die Gewalt im Namen des globalen Dschihad zu rechtfertigen, verweist Bin Laden auf das Leid von Muslimen im Irak und in Palästina, in Kaschmir und Bosnien, das für ihn eine direkte Folge der amerikanischen beziehungsweise westlichen Aggressionspolitik ist. Auch wenn er die Zahl der wirklichen Opfer offensichtlich übertreibt, und auch wenn diese Opfer nicht so eindeutig zuzuordnen sind, wie er es gerne hätte, ist sein Vorwurf nicht von der Hand zu weisen. Ein häufig angeführtes Beispiel ist der ausführlich dokumentierte Tod von 500 000 irakischen Kindern als Folge der
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Wirtschaftssanktionen nach dem zweiten Golfkrieg 1991.31 Dass die ehemalige amerikanische Außenministerin Madeleine Albright seinerzeit seelenruhig erklärte, die politischen Ziele der USA seien das Opfer einer halben Million irakischer Kinder wert, ist nicht nur in der arabischen Presse oft wiederholt worden; 32 die Bemerkung spielt auch in Osama Bin Ladens Äußerungen eine wichtige Rolle, denn auf Rekrutierungsvideos von al-Qaida sind Bilder von irakischen Babys zu sehen, die aufgrund von Unterernährung und fehlender medizinischer Versorgung dahinsiechen.33 Gegen Bin Ladens Darstellung der Ereignisse ließe sich natürlich sofort einwenden, es bestehe ein Unterschied zwischen einem Kollateralschaden, der aus ,rechtlichen‘ Schritten wie einem Krieg oder Wirtschaftssanktionen entstehe, und dem vorsätzlichen Zielen auf Zivilisten. Ersterer wird als ,bedauerlich‘ erachtet, letzteres gilt als unannehmbares Gräuel in der zivilisierten Welt. Um dies ganz klar zu sagen: Es ist nicht meine Intention, ,Terrorismus‘ oder die Anwendung von Gewalt zur Lösung von ansonsten legitimen Konfl ikten gutzuheißen. Mein Ziel ist vielmehr, eine andere Sicht aufzuzeigen, die über die instinktive Verurteilung von Terrorakten hinausgeht; denn die Verurteilung entsteht ja aus der Annahme, dass staatlich sanktionierte Gewalt legitim ist, während das, was die bestehende Staatsstruktur anfechtet oder unabhängig von ihr funktioniert, nicht legitim ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Staaten und Terroristen grundsätzlich gleiche Beweggründe haben: Beide sind der Überzeugung, dass der Tod von Tausenden Unschuldiger ein akzeptabler Preis ist, wenn er dem Erreichen politischer Ziele dient. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Ideen von Osama Bin Laden, die al-Qaidas globalem Dschihad zugrunde liegen – eine kritische Analyse von Ursachen und Folgen – setzt voraus, dass man zumindest vorübergehend sein Urteil über die Legitimität einer Form von Gewalt gegenüber einer anderen aussetzt. Anders gesagt: Eine Analyse der terroristischen Beweggründe muss, wenn sie etwas leisten soll, nüchtern und unbefangen sein: Sie setzt voraus, dass man sich von der gerechtfertigten Empörung über die Ereignisse des 11. September und andere Gräuel frei macht und die Perspektive der Gegenseite einnimmt. Nur dann ist es möglich, die Rolle des historischen Gefühls des Leidens und die Opferrolle der umma zu beurteilen, die für die Logik des globalen Dschihad eine zentrale Rolle spielt; und nur auf dieser Grundlage ist es möglich, al-Qaidas Rechtfertigung ihrer Taten zu untersuchen. Praktisch bedeutet dies, dass man sich nun ohne Angst vor ,Politi-
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cal Incorrectness‘ fragen kann – nicht ob der Tod von 500 000 arabischen Kindern das Töten von 3000 Amerikanern rechtfertigt, sondern warum er zumindest für eine der beiden Parteien diesen Tod gerechtfertigt hat. Das vorliegende Buch untersucht den Charakter und die Anziehungskraft von al-Qaida vor dem Hintergrund dieser methodologischen und begriffstheoretischen Überlegungen. Anstatt jedoch nur eine weitere Perspektive aus einem anderen Blickwinkel aufzuzeigen, liegt das Augenmerk hier auf den Diskrepanzen zwischen den häufigsten Erklärungen und den Grenzen dessen, was man realistisch wissen kann. Neben der oben angeführten Quellenkritik beinhaltet dies auch eine kritische Herangehensweise an das Material, das von oder im Namen von al-Qaida veröffentlicht wird. Als Gruppierung, die sich in einem grundsätzlich asymmetrischen Konfl ikt mit den USA und dem Westen befi ndet, beruht die Stärke von al-Qaida nicht auf physischer Macht im traditionellen Sinne – einer Macht also, die gemessen und quantifi ziert werden kann und der man entgegentreten kann. Die Stärke von al-Qaida liegt vielmehr in ihrer Fähigkeit, ihr Publikum zu manipulieren, es in Angst und Schrecken zu versetzen und Reaktionen zu provozieren. Dies bedeutet, dass öffentliche Aufrufe zum globalen Dschihad, sei es in Videos oder Online-Zeitschriften, nicht für bare Münze genommen werden können, sondern in erster Linie als Versuch betrachtet werden müssen, bei einem breiteren Publikum Fakten zu schaffen. Fest steht allerdings, dass die Dschihadisten versuchen, so geschlossen, fähig und mächtig wie möglich zu erscheinen. Inwieweit es sich hierbei allerdings um fromme Wünsche beziehungsweise um reine Lippenbekenntnisse handelt, ist eine andere Frage. Diese Dynamik stellt zweifellos ein besonderes Problem dar, wenn es darum geht, wer oder was al-Qaida wirklich ist. Ist sie eine Organisation, ein globales Netzwerk, ein zerstreuter und amorpher Gegner, ein wahllos zusammengewürfelter Männerbund? Besteht sie aus Zellen, Agenten, Mitgliedern und einer Führung? Ist sie mehr (manche würden sagen: weniger) als eine Organisation – eine Ideologie und ein Prozess? Kapitel 2 beginnt mit einem Überblick über die wichtigsten Diskurse zur Entstehung und den Erscheinungsformen von al-Qaida; es zeichnet die Entwicklung dessen nach, was angeblich als regionaler Machtkampf gegen die Sowjets in Afghanistan begann und schließlich zur Erklärung des globalen Dschihad und den Anschlägen des 11. September führte. Nach Fragen nach dem ,wer?‘ und ,was?‘ widmen sich die folgenden
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Kapitel einer näheren Untersuchung des ,warum?‘ Was ist die Logik des globalen Dschihad? Wie lassen sich wahllose Gewaltangriffe auf zivile Ziele im Namen des Islam erklären? Kapitel 3 beleuchtet kritisch die verschiedenen Erklärungsversuche für al-Qaidas raison d‘être. Kommentatoren haben verschiedentlich versucht, die Anhänger von al-Qaida als Wahnsinnige, religiöse Heuchler, Wahhabiten des 21. Jahrhunderts oder salafistische Dschihadisten hinzustellen; all diesen Ansätzen ist eine Art ,Outside-In-Perspektive‘ gemein, die eine grundlegende Logik von alQaida voraussetzt, ohne jedoch genügend auf primäre Beweisquellen einzugehen; sie schließen außerdem alternative Ansätze aus, die eine andere Realität offenbart hätten. Wie dieses Kapitel zeigt, haben sich gerade jene Erklärungen, die scheinbar zur Amtsweisheit über al-Qaidas Ideologie, den Wahhabismus und die Vorstellung von salafistischen Dschihadisten avanciert sind, nur innerhalb der Terrorismusforschung als eigene Richtungen etabliert; im größeren Fächerrahmen der Nahoststudien und Islamstudien werden sie äußerst kontrovers diskutiert. Auf der bangen Suche nach Erklärungen für al-Qaida ist die Terrorismusforschung von akademischen Standards abgekommen und hat sich stattdessen damit begnügt, alte und grob vereinfachte Versionen des komplexen islamischen Denkens zu recyclen, neue zu postulieren und so jenen Vergröberungen neuen Auftrieb gegeben, den sie nicht verdienen. Doch während das Etikett ,salafistischdschihadistisch‘ al-Qaida weiter anhaftet, liefert es keinerlei Erklärung für die anhaltende Popularität von Bin Ladens Botschaften unter gläubigen Muslimen; ebensowenig erklärt es, warum ihn viele normale Muslime auf der ganzen Welt zu einem muslimischen Helden erklärt haben. Kapitel 4 versucht zu erklären, warum Ideen, die mit al-Qaida und dem globalen Dschihad in größerem Zusammenhang stehen, eine solche Anziehungskraft ausüben. Ausgehend von Primärquellen, die den Kern der Ideologie von al-Qaidas globalem Dschihad betreffen, setzt sich dieses Kapitel eingehend mit den Schriften und öffentlichen Äußerungen von Osama Bin Laden zwischen 1994 und 2009 auseinander und setzt sie in Bezug zur Entwicklung des islamischen Denkens und sich wandelnden gesellschaftlich-politischen Realitäten im späten 19. und 20. Jahrhundert. Im Gegensatz zu heutigen Vorstellungen vom ,salafistischen Dschihad‘ steht, wie Kapitel 4 zeigt, eine idealistische, panislamische Gesinnung im Mittelpunkt seiner Botschaften; diese basiert nicht mehr auf den Hauptrichtungen islamischer Theologie, sondern ist vielmehr das Ergebnis der
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intellektuellen Krise des modernen Islam. Wie die geschichtliche Perspektive zeigt, sollte Bin Ladens Philosophie wohl am besten als zeitgenössischer Ausdruck von Panislamismus – einer Ideologie, die sich Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte – verstanden werden; überzogene Reaktionen des Westens auf diese vermeintliche Bedrohung bestehen ebenfalls bereits seit dieser Zeit. Kapitel 5 beschäftigt sich konkret mit dem Charakter von al-Qaida und der von ihr ausgehenden Bedrohung. Es untersucht den Stand der Organisation in einer Welt nach 11. September, setzt sich mit der Serie an Terroranschlägen seit dem September 2001 auseinander und prüft Argumente für und gegen die These, al-Qaida sei eine klar strukturierte Organisation, die eine ernsthafte Bedrohung der weltweiten Sicherheit darstelle. Ist sie, wie manche Kommentatoren behaupten, auf einen ,führerlosen Dschihad‘ reduziert worden, der je nach Situation von radikalisierten Einzelpersonen ausgeführt wird, oder ist al-Qaida ,auf dem Vormarsch‘? Formiert sich ihre Führung in den abgelegenen Gebieten von Pakistan und Afghanistan neu und kehrt sie durch lokales Franchising im Maghreb, Irak und neuerdings in der Republik Jemen auf die internationale Bühne zurück? Der Fall Jemen wird eingehender beleuchtet, da er interessante Erkenntnisse über den aktuellen Stand der dschihadistischen Bewegung in einer Region liefert, die sich aufgrund zunehmender politischer Instabilität rasant zum Mittelpunkt des internationalen Interesses entwickelt (so der Stand zur Drucklegung dieses Buches). Kapitel 6 befasst sich mit der Zukunft des globalen Dschihad – einer Zukunft, die von Einzelanschlägen geprägt ist, welche von der Ideologie des Dschihad motiviert sind, jedoch keinerlei Verbindung zu einer größeren Organisation haben; es wirft einen kritischen Blick auf die Art und Weise, wie al-Qaida in Vergangenheit und Gegenwart von der internationalen Gemeinschaft verstanden worden ist und wie die internationale Gemeinschaft auf die Organisation reagiert hat. Ist al-Qaidas Aufruf zur gewaltsamen Verteidigung der Gemeinschaft der Gläubigen überschattet worden durch friedlichere – oder zumindest demokratischere – Aktionen in Nordafrika und in Nahost? Der Tod von Bin Laden wird von manchen als Ende einer Ära betrachtet. Wird al-Qaida bald mehr denn je marginalisiert und isoliert vom islamischen politischen Mainstream dastehen?
II. Was ist al-Qaida? Von Afghanistan zum 11. September Was ist al-Qaida? Von Afghanistan zum 11. September
Al-Qaida formierte sich 1988 aus Veteranen des anti-sowjetischen Bürgerkriegs in Afghanistan, um den Sieg des Islam über die Kommunisten an andere Konfl iktherde der Welt zu exportieren. An der Spitze der neuen Bewegung standen Abdullah Assam und sein Stellvertreter, Osama Bin Laden, die möglicherweise unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, wie ihre Ziele zu erreichen waren. Als Assam 1989 getötet wurde, übernahm Bin Laden die alleinige Führung der Organisation. Zwischen 1991 und 1996 befand sich die Zentrale von al-Qaida im Sudan, wo sie freundschaftliche Beziehungen zur regierenden Nationalen Islamischen Front pflegte. Auf internationalen Druck hin kehrte Bin Laden 1996 nach Afghanistan zurück, wo al-Qaida sich mit den damals im Entstehen begriffenen Taliban verbündete. Ende 2001 wurden die meisten Trainingslager von al-Qaida zerstört und die Gruppe versprengte sich; ein Großteil der Führung zog in den Iran, in die Gebirgsregion entlang der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan oder in Städte in Pakistan. Viele derjenigen, die sich in Städten in Pakistan aufhielten, wurden festgenommen. Was aus der Führung im Iran wurde, bleibt unklar. Al-Qaidas Ziel ist es, den Dschihad durch unterschiedlichste Mittel weltweit zu verbreiten – etwa durch fi nanzielle Unterstützung und die Ausbildung von islamischen und ethnischen Guerilla-Bewegungen, durch Propaganda, die freiwillige Dschihadisten zu Terrorakten anstiften soll, und durch die Planung und Durchführung komplexer Angriffe auf vermeintliche Feindesländer. Homeland Security, 20101
So lautet die Geschichte von al-Qaidas Entstehung und Charakter. Genauer gesagt lautet so eine Version der Ereignisse. Fragen in Zusammenhang mit der Entstehung und Entwicklung von al-Qaida sowie die zunehmende Besorgnis, ihre wahre Identität nachzuweisen, haben zu den unterschiedlichsten Theorien geführt. Schon 2003 trat eine derartige Vielzahl von verschiedenen Beschreibungen und Erklärungen zutage, dass Xavier Raufer bemerkte: ,Al-Qaida schwankt zwischen widersprüchlichen Beschreibungen, Vergleichen und Metaphern.‘2 Die Kontroverse ist längst nicht gelöst, sondern hat sich im Gegenteil über die Jahre verschärft und zu verschiedenen Denkströmungen geführt, was den Auf bau von al-Qaida und damit
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die Art der von ihr ausgehenden Bedrohung betrifft. Wie eine genauere Analyse der führenden Diskurse zeigt, existiert eine Vielzahl von Diskrepanzen, unbewiesenen Behauptungen und Wahrheitsansprüchen, die häufig auf den ersten Blick plausibel erscheinen, sich bei näherer Betrachtung jedoch als unstimmig erweisen oder sachlicher Grundlage entbehren. Die Geschichte einer der größten Bedrohungen der internationale Sicherheit im 21. Jahrhundert ist zugleich eins der größten und verschwommensten Zerrbilder.
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Die meisten Darstellungen der Entstehung von al-Qaida beginnen mit dem Erbe des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan Ende 1979 zur Unterstützung der kommunistischen afghanischen Regierung. Widerstand gegen die Kommunisten führte zur Entstehung der ausführlich dokumentierten Afghan National Resistance-Bewegung, die letztlich die sowjetischen Truppen besiegte. Dem Aufruf zum Kampf folgten jedoch nicht nur einheimische Afghanen; der Konfl ikt zog bald junge Muslime aus der ganzen Welt – insbesondere aus dem Nahen Osten – an, die sich freiwillig an dem, wie sie glaubten, heiligen Krieg oder Dschihad beteiligen wollten: einem gerechten Verteidigungskrieg gegen den gottlosen Angreifer. Unter diesen Freiwilligen, auch Mudschaheddin (Kämpfer für den Dschihad, manchmal auch ,heilige Krieger‘) oder ,Afghanische Araber‘ (so die Bezeichnung für Mudschaheddin aus der arabischen Welt) genannt, war Osama Bin Laden, der Sohn eines reichen saudischen Geschäftsmanns, der der Emir (Anführer) von al-Qaida werden sollte. Unter ihnen war auch der Ägypter Dr. Ayman al-Sawahiri, ein Chirurg, Anführer des Ägyptischen Islamischen Dschihad (EIJ) und die Nummer zwei von al-Qaida, wenngleich manche ihn für den wahren Kopf und Drahtzieher der Gruppe halten; und zu ihnen zählte der jordanisch-palästinensische Dr. Abdullah Assam, Schüler des ägyptischen Schriftstellers und Islamisten Sayyid Qutb und führender Islamist seiner Generation; er hatte weite Teile der Doktrin des Dschihad gegen die Sowjets verfasst und war darüber hinaus Bin Ladens Mentor. Jeder dieser drei Männer, die sich zum Kampf gegen die Sowjets verbündeten, hatte andere Beweggründe und verfolgte langfristig andere Ziele, und jeder von ihnen brachte seine ganz persönlichen Fähigkeiten ein.
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Was ist al-Qaida? Von Afghanistan zum 11. September
Abdullah Assam war einer der ersten Araber, der sich dem Dschihad anschloss; er hatte sich schon früh durch einen Appell an die afghanischen Widerstandsführer und Oppositionsgruppen hervorgetan, in dem er dazu aufrief, sich gegen den gemeinsamen Feind zu verbünden. Sein größter Beitrag zum Gelingen des Dschihad war jedoch sein weltweiter Werbefeldzug, denn Assam verbreitete nicht nur seine Ideologie, sondern er richtete später gemeinsam mit Bin Laden auch eine Infrastruktur zur Rekrutierung von Freiwilligen ein. Seine Botschaft war simpel. Für ihn war die Verteidigung eines muslimischen Landes gegen den Angriff von nicht-muslimischen Truppen ein klarer Fall von individueller Verpfl ichtung (fard ‘ayn): Jeder Muslim hatte die Pfl icht, sich dem Dschihad anzuschließen. Manche behaupten sogar, Assam habe Afghanistan nur als ersten Schritt auf dem Weg zum weltweiten Dschihad betrachtet, um letztlich alle Gebiete des Islam zurückzuerobern, die an die Ungläubigen gefallen waren, insbesondere seine Heimat Palästina. Diese Pfl icht erlischt nicht mit dem Sieg in Afghanistan, und der Dschihad bleibt eine individuelle Verpfl ichtung, bis jedes Land, das muslimisch war, an uns zurückfällt, damit dort wieder der Islam regiert. Vor uns liegen Palästina, Buchara, der Libanon, Tschad, Eritrea, Somalia, die Philippinen, Burma, der Südjemen, Taschkent, Andalusien … Unsere jetzige Präsenz in Afghanistan, mit der wir ein Gebot des Dschihad erfüllen und unserer Pfl icht zum Kampf nachkommen, bedeutet nicht, dass wir Palästina vergessen haben. Palästina ist unser schlagendes Herz …3
Wenngleich Assam ein aggressiver Befürworter des Dschihad war und die Rückgabe von Gebieten forderte, die einst zum Islam gehörten, so sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er den Sturz säkularer muslimischer Regierungen nicht aus Gründen der Apostasie forderte und interne Konfl ikte unter Muslimen strikt ablehnte. Seine Ansichten sollten später mit den Zielen von Ayman al-Sawahiri und anderen Mitgliedern des Ägyptischen Islamischen Dschihad kollidieren, die den Sturz der ägyptischen Regierung anstrebten und in deren Vorstellung die Verurteilung der Apostasie säkularer muslimischer Staaten untrennbar mit dem wahren islamischen Glauben verbunden war.4 Assams vergleichsweise moderater Standpunkt mag sogar zu seinem frühen Tod 1989 beim zweiten von zwei Bombenangriffen gegen ihn geführt haben. Zunächst war es jedoch Assam, der starken ideologischen Einfluss auf den sehr viel jüngeren Osama Bin Laden ausübte, mit dem er gemeinsam die internationale Rekrutierung
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koordinierte. Bin Laden ergänzte ihn dabei hervorragend: Obwohl er später hohes Ansehen genoss und als tapferer Held gefeiert wurde, bestand sein Beitrag zum Dschihad zunächst darin, die weltweite Rekrutierung voranzutreiben und den Dschihad mit Hilfe des geerbten Familienvermögens fi nanziell zu unterstützen.5 Der 9 / 11 Commission Report hebt insbesondere die Rolle von Bin Laden hervor und behauptet, er habe besser als die meisten Freiwilligen begriffen, wie sehr die Fortsetzung und der letztliche Erfolg des Dschihad in Afghanistan von einer zunehmend komplexen, fast weltumspannenden Organisation abhing.6 Es besteht allgemeiner Konsens, dass die Idee von al-Qaida in dieser Phase Gestalt annahm; die Meinungen gehen jedoch darüber auseinander, wann genau, wie und von wem al-Qaida gegründet wurde. Anfangs waren sowohl Osama Bin Ladin als auch Abdullah Assam aktiv daran beteiligt, Freiwillige für den fortdauernden Kampf in Afghanistan zu rekrutieren. Gemeinsam richteten sie das Maktab al-Khidamat – das ,Afghanische Service Büro‘, auch bekannt als Dienstleistungsbüro oder MAK – ein, das internationale Rekruten und Gelder in den Konfl ikt nach Afghanistan schleuste.7 Konkrete Details zur Rolle und zum Aktionsradius des MAK liefert Gunaratna: Als Organisation, die von den Mudschaheddin personell besetzt und geleitet wurde, spielte es eine entscheidende Rolle im anti-sowjetischen Widerstand. Das MAK rekrutierte nicht nur Zehntausende arabischer und muslimischer Jugendlicher aus Ländern von den USA bis zu den Philippinen, indoktrinierte sie und bildete sie aus, sondern es verteilte auch 200 Millionen Dollar an Fördergeldern aus dem Nahen Osten und dem Westen – vor allem aus den USA und Großbritannien – an den afghanischen Dschihad. Osama stellte darüber hinaus erhebliche Mittel aus seinem Privatvermögen für den Dschihad bereit – eine Geste, die bei seinen Kämpfern Anklang fand, seine Glaubwürdigkeit erhöhte und ihm erlaubte, nur noch mehr Mittel zu beschaffen und nur noch mehr Freiwillige anzuwerben.8
Gunaratna nennt jedoch keine Quellen, um seine Behauptungen zu stützen. Der Journalist Lawrence Wright hingegen, der sich auf eine Vielzahl von persönlichen Interviews stützt, liefert eine insgesamt bescheidenere Einschätzung der Lage, wenngleich auch er seine Quellen nicht genau benennt: (Sie richteten) das so genannte Dienstleistungsbüro (Machtab al-Chadamat) ein, in einem Haus, das Bin Laden im Universitätsviertel von Peschawar
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Was ist al-Qaida? Von Afghanistan zum 11. September mietete. Bin Laden stellte pro Monat 25 000 Dollar für den Unterhalt des Büros zur Verfügung. Das Haus diente auch als Herberge für arabische Mudschahidin und als Zentrale für Azzams verlegerische Aktivitäten. Das Dienstleistungsbüro war im Grunde ein Depot für das Geld, das die beiden Männer durch ihre intensiven Sammelaktivitäten einwarben.9
Der 9 / 11 Commission Report macht nur vage Angaben zur Größe des MAK und stellt recht allgemein fest, dass ,Moscheen, Schulen und Internate in vielen Teilen der Welt, auch in den USA, als Rekrutierungsbüros dienten‘10 – er erweckt so den Eindruck einer weitläufigen, aber insgesamt eher informellen Unternehmung. Auch im Hinblick auf die Finanzierung der Operation vermittelt der Report den Eindruck eines losen Zusammenschlusses; er verweist auf ein Netzwerk bestehend aus Finanziers in SaudiArabien und den Golfstaaten sowie auf Gelder, die durch Wohltätigkeitsund Nicht-Regierungsorganisation geschleust wurden. Auch wenn er nur vage Andeutungen zum Auf bau des MAK macht, widerlegt der Commission Report recht eindeutig die weit verbreitete Ansicht, al-Qaida habe sich faktisch durch Gelder aus den USA fi nanziert. Trotz der Milliarden Dollar, die die USA insgeheim in die Unterstützung der gegen die Sowjets kämpfenden Rebellentruppen steckten, hatten ,Bin Laden und seine Weggefährten ihre eigenen Finanzierungsquellen und erhielten keine oder nur geringe Förderung von den Vereinigten Staaten.‘11 Ungeachtet der Größe des MAK gilt das Büro weithin als Vorläufer von al-Qaida. Alexander und Swetnam erklären etwa: ,Al-Qaida ging um 1989 aus dem mekhtab al khide-mat (MAK), dem afghanischen Mudschaheddin „Dienstleistungsbüro“, hervor.‘12 Als der Sieg durch den afghanischen Dschihad errungen war und die sowjetischen Truppen mit dem Rückzug aus Afghanistan begannen, machten sich ihre Anführer Gedanken darüber, was sie als nächstes tun wollten. Angeblich waren sich ,Bin Laden und Assam einig, dass die Organisation, die sie erfolgreich für Afghanistan geschaffen hatten, nicht aufgelöst werden dürfe. Sie gründeten eine – wie sie es nannten – Basis oder Fundament (al Qaida) als potenzielles Hauptquartier für den künftigen Dschihad.‘13 Sageman, der keinerlei nähere Informationen zur Größe des MAK liefert, nennt die gleichen Beweggründe, bewertet das Resultat jedoch gänzlich anders. Für ihn ,war sich der harte Kern der Mudschaheddin-Anführer einig, eine Basis (al Qaida) oder eine soziale Bewegung zu schaffen‘14 – und kein allgemeines Hauptquartier, um einen weltweiten Dschihad voranzutreiben.
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Obwohl es seitdem zu den unterschiedlichsten Interpretationen im Hinblick auf die näheren Umstände der Gruppe gekommen ist, nennt eine Reihe von Rechtsakten und Regierungsdokumenten aus den USA konkret 1989 als das ,Geburtsjahr‘ von al-Qaida. So eindeutig und verlässlich dieses Gründungsjahr auch sein mag, so schwierig ist es, sich einen Überblick über eine ausführliche Entstehungsgeschichte zu verschaffen. Das US District Court of New York bemerkt etwa in der Anklageschrift von Bin Laden und verschiedenen Kohorten wie Ayman al-Sawahiri: ,Von etwa 1989 bis heute nannte sich die Gruppe „al Qaida“ („die Basis“). Von 1989 bis etwa 1991 befand sich das Hauptquartier der Gruppe … in Afghanistan und im pakistanischen Peschawar.‘15 Ähnlich stellt ein Kongressbericht aus dem Jahr 2005 fest: ,al-Qaida wurde 1988 von Osama Bin Laden in Afghanistan gegründet.‘16 Vor dem Hintergrund dieser Behauptungen wirft Raufer eine interessante Frage auf, wenn er folgendes Fazit zieht: selbst wenn von al-Qaida die gravierendste und unmittelbarste Gefahr für die Sicherheit der USA ausgeht und selbst wenn sie den schlimmsten Terroranschlag aller Zeiten verübt hat, scheint sich erstaunlicherweise niemand in den Vereinigten Staaten wirklich sicher zu sein, was al-Qaida ist. Schlimmer noch scheint die Frage ,Was ist al-Qaida?‘ unerheblich, ja sogar bedeutungslos für eine amerikanische Regierung, die davon überzeugt ist, dass sie schon längst weiß, was al-Qaida wirklich ist: eine allgemein bekannte Einheit, eindeutig defi niert und ohne irgendwelche Geheimnisse.17
Die Arbeitsdefi nition der US-amerikanischen Regierung von al-Qaida lautete und lautet mit anderen Worten, dass es sich um eine gefährliche terroristische Vereinigung handelt, die von Osama Bin Laden gegründet und geleitet wurde. Im Gegensatz zu dieser weit verbreiteten und, wie oben gezeigt, offiziell dokumentierten Auffassung, Osama Bin Laden sei der ,Gründer‘ von al-Qaida, scheint sich die Fachliteratur weitgehend einig zu sein, dass al-Qaida in Wirklichkeit von Assam ins Leben gerufen wurde. Wie Gunaratna anmerkt, ,entwickelte Assam, und nicht Osama, das Konzept von al-Qaida; daher trägt der Geist der al-Qaida-Führung deutlich seinen Stempel.‘18 Migaux geht hierauf näher ein und erklärt, dass es ,Abdullah Assam war, der der Organisation ihren Namen gab … er beschloss, die Armee arabischer Freiwilliger, die er über Jahre aufgestellt hatte, nicht aufzulösen, sondern eine viel umfassendere, gewaltigere Mission zu
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unternehmen – die Rückeroberung der muslimischen Welt … Hierfür prägte er den Begriff al-qaeda al-sulbah (die stabile Basis).‘19 Fast alle dieser Stimmen berufen sich auf einen Artikel, den Assam für ein an die Mudschaheddin gerichtetes Magazin – al Jihad – schrieb und in dem er erklärte: ,al-qaeda al-sulbah stellt diese Vorhut der ersehnten Gesellschaft dar.‘20 Außerdem soll Bin Laden selbst erklärt haben: ,der Name „al-Qaida“ entstand vor langer Zeit durch puren Zufall. Der verstorbene Abu Ubaida Al Bashiri richtete Trainingslager für unsere Mudschaheddin gegen den russischen Terrorismus ein. Wir nannten das Trainingslager „al-Qaida“ („die Basis“) und behielten den Namen bei.‘21 Ungeachtet der Kontroverse um die Genese von al-Qaida entsteht zum jetzigen Zeitpunkt ein Bild, wonach die Gruppe nicht so sehr ,gegründet‘ wurde im Sinne einer geplanten Organisation mit dem ausdrücklichen Ziel, gegen die USA und den Westen zu kämpfen; vielmehr entwickelte sie sich aus Strukturen, die ursprünglich dazu dienten, Freiwillige für den Kampf in Afghanistan zu rekrutieren. Einzelheiten in Bezug auf die ursprüngliche Struktur und die Einheit, die sich später daraus entwickelte, sind nach wie vor sehr umstritten. Im Wesentlichen gibt es zwei Theorien. Die eine vertritt die Ansicht, al-Qaida sei von Anfang an geplant gewesen als in sich geschlossene Organisation mit klarer Arbeitsteilung unter ihren verschiedenen Abteilungen und anerkannten Beitrittsformen wie dem heute berüchtigten Gefolgseid auf Bin Laden, dessen Existenz nach wie vor umstritten ist. Die Gegenseite behauptet, al-Qaida sei im Kern viel diffuser gewesen: ein Netzwerk an Einzelpersonen, die verschiedenen islamistischen Gruppen angehörten und die vielleicht durchaus eine straffe Organisation mit ausgeprägter Kommandostruktur anstrebten, die de facto jedoch aus viel loseren Zusammenschlüssen bestand. Während sie in Wirklichkeit also vielleicht keine zusammenhängende Struktur besitzt, profitiert die Gruppe davon, dass sie so tut oder scheint, als sei sie stärker organisiert und strukturiert, als sie wirklich ist; sie verschafft sich so ein propagandistisches Image, das nationale Regierungen und die Allgemeinheit in Angst und Schrecken versetzt, jedoch im Missverhältnis zur wahren Größe und Schlagkraft der Gruppe steht. Der 9 / 11 Commission Report, der den offi ziellen Standpunkt der USA zumindest widerspiegelt, wenn nicht gar vertritt, liefert das am schärfsten konturierte Bild der Struktur al-Qaidas:
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Zur Struktur [al-Qaidas] gehören als operative Arme eine GeheimdienstEinheit, ein Militärkomitee, ein Finanzkomitee, ein politisches Komitee und ein Komitee, das sich mit Medienangelegenheiten und Propaganda befasst. Außerdem gab es einen Beirat (Schura), der aus Bin Ladens innerem Zirkel bestand.22
Andere Kommentatoren beschreiben al-Qaida jedoch als viel weniger konkret und organisiert. Gunaratna zufolge entstand Al-Qaidas globales Netzwerk, wie wir es heute kennen, von Dezember 1991 bis Mai 1996, als die Organisation ihren Sitz in Khartum hatte. Um die offenen und geheimen Operationen angesichts ihrer zunehmenden Ambitionen und Ressourcen zu koordinieren, entwickelte al-Qaida eine dezentrale, regionale Struktur. Auch wenn ihr modus operandi auf Zellen beruht, spielen Verwandtschaftsbeziehungen eine entscheidende Rolle.23
In Sagemans Augen war, wie oben angedeutet, al-Qaida von Anfang an als Basis oder soziale Bewegung zur Unterstützung des globalen Dschihad gedacht; Sageman hat sich allerdings von seiner ursprünglichen Position distanziert und die Existenz und unverändert hohe Bedeutung der zentralen Struktur von al-Qaida eingeräumt. Für Raufer wie auch eine Reihe von anderen Wissenschaftlern stellt sich al-Qaida eher formlos dar. Seit ihrer Entstehung ist al-Qaida nicht mehr als ein Nebelfleck, ein Protoplasma ohne eindeutige Gestalt, ohne eigene Organisation; in diesem Nebelfleck gestaltet jede Gruppe (d. h. die Ägypter oder die Pakistanis) ihre eigenen Zellen ausgehend von ihrer eigenen Dschihad-Kultur und ihren eigenen Gepflogenheiten vor Ort.24
Ähnlich erklärt der Kriminologe R. T Naylor: In Wirklichkeit erscheint al-Qaida weniger als Organisation als vielmehr als loser Zusammenschluss von unabhängigen, zellen-ähnlichen Gebilden, die je nach Bedrohung und Gelegenheit ihre Form und ihr Personal verändern. Al-Qaida ist dem Anschein nach weniger eine Einheit als eine gemeinsame Geisteshaltung, weniger eine politische Organisation als ein Persönlichkeitskult.25
Wie lassen sich diese widersprüchlichen Vorstellungen erklären? Und lässt sich feststellen, welches Szenario der Wahrheit entspricht? Setzt man sich näher mit den Quellen dieser verschiedenen Meinungen auseinander,
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ergeben sich Erkenntnisse, die gleichermaßen interessant wie unbefriedigend sind. Die wohl schlüssigste Argumentation liefert Burke, der behauptet: ,Wer annimmt, sie (al-Qaida) sei eine in sich geschlossene und fest gefügte Organisation, deren „Tentakel überallhin reichen“, die über eine klar umrissene Ideologie verfüge, deren Mitarbeitern eindeutig bestimmbar seien und die sich bereits in den späten 80er-Jahren gebildet habe, der verkennt nicht nur ihren wahren Charakter, sondern auch das Wesen des damaligen und heutigen radikalen Islamismus.‘26 Burke plädiert eindringlich für seine Einschätzung, die auf einer kritischen Analyse der Beweisquellen und ihrer selektiven Verwendung durch das US Federal Bureau of Investigation gründet; seiner Ansicht nach war das US Federal Bureau of Investigation nur zu erpicht darauf, triftige Beweise für al-Qaida als gut strukturierte Organisation zu liefern. Ein weiteres schlagendes Argument von Burke ist die Beobachtung, dass der Begriff ,al-Qaida‘ damals weder von Bin Laden noch von seinen Mitarbeitern zur Bezeichnung einer Organisation benutzt wurde. Noch 1998, nach den Bombenanschlägen auf die US-Botschaften im ostafrikanischen Dar es Salaam (Tansania) und in Nairobi (Kenia), sprach der damalige US-Präsident Clinton vom ,Bin-Laden-Netzwerk‘ und nicht von der Organisation ,al-Qaida‘.27 Erst als eine Untersuchung der Bombenattentate unter Leitung des FBI stattfand, fiel der Begriff zur Beschreibung einer traditionell strukturierten Terrororganisation. Für Burke liegen die Gründe für diese Verzerrung auf der Hand: Das FBI ist bei Gerichtsverfahren bestrebt, einen Schuldspruch zu erreichen, und die Teams, die die strafrechtliche Verfolgung der für die Bombenattentate in Ostafrika Verantwortlichen betrieben, mussten sich an den vorhandenen Gesetzen orientieren, insbesondere an denen gegen Verschwörungen. Diese Gesetze aber waren auf in sich geschlossene, strukturierte kriminelle Vereinigungen zugeschnitten und nicht auf amorphe, verstreute politisch-religiöse Bewegungen, bei denen sich außerordentlich schwer ermitteln lässt, wer für eine einzelne Tat jeweils verantwortlich zu machen ist … Im Falle von al-Qaida entsteht aber durch eine derartige Zuordnung leider ein völlig verzerrtes Bild.28
Darüber hinaus basieren die meisten Berichte, die al-Qaida als straff strukturierte Einheit darstellen, die sich 1989 formierte, auf der Zeugenaussage einer einzigen Person: Dr. Jamal al-Fadl, einem sudanesischen Kämpfer, der sich in den frühen 1980er-Jahren nach dem Anwerben durch die FarouqMoschee in Brooklyn in New York den afghanischen Mudschaheddin
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angeschlossen haben soll und der später zu einem ranghohen Mitglied von al-Qaida aufstieg. Al-Fadl setzte sich vom inneren Zirkel Bin Ladens ab, nachdem man ihn dabei ertappt hatte, wie er große Mengen von al-QaidaGeldern für private Zwecke abzweigte; später wechselte er die Seiten und wurde zum Hauptinformanten der US-amerikanischen Geheimdienste. Burke zufolge ging er bei mehreren nahöstlichen Geheimdiensten mit seinem Wissen hausieren, bis die Amerikaner sich ihn 1996 schnappten. Er ist keine sonderlich verlässliche Quelle und hatte als Belastungszeuge im Fall USA vs. Osama Bin Laden in New York ganz offensichtlich ein starkes Interesse daran, die Rolle des Hauptangeklagten übertrieben darzustellen.29
Ob al-Fadl nun glaubwürdig war oder nicht – in jedem Fall diente er im Januar 2001 als Hauptbelastungszeuge im Prozess Vereinigte Staaten vs. Osama Bin Laden, der zur Verurteilung von vier Männern führte, die in die Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Ostafrika 1998 involviert waren. Die Angriffe, die mit Mitgliedern des Ägyptischen Islamischen Dschihad in Verbindung gebracht wurden, ließen Osama Bin Laden und Ayman al-Sawahiri erstmals ins Zentrum der Aufmerksamkeit der USamerikanischen Regierung rücken und veranlassten das FBI, Bin Laden auf die Liste der ,Zehn meist gesuchten Verbrecher‘ zu setzen. Zur Zeit der Verhandlung war geplant, Bin Laden in Abwesenheit unter dem Racketeer Influenced and Corrupt Organizations (RICO) Act zu belangen; dieser ermöglicht die strafrechtliche Verfolgung des Anführers einer ,kriminellen‘ Organisation, selbst wenn er oder sie mit dem ,Verbrechen‘ nicht direkt in Verbindung steht, solange nur der Staatsanwalt Beweise für die Existenz einer solchen Organisation vorlegt. Es schien in der Tat gelegen zu kommen, dass al-Fadl die von ihm verlangten Beweise erbrachte, als er zu Protokoll gab, Osama Bin Laden sei der Anführer einer großen internationalen Terrororganisation namens ,al-Qaida‘. Dass seine Behauptung zu einem späteren Zeitpunkt des Prozesses durch die Zeugenaussage von Khalfan Khamis Muhamed, einem der Attentäter, in Frage gestellt wurde, tat wenig zur Sache. Muhamed gab zu Protokoll, er habe keinen bayat (Eid) geleistet, um sich einer Gruppe namens al-Qaida anzuschließen. Er behauptete sogar, er habe nie von einer solchen Organisation gehört und bemerkte nur, ,al-Qaida sei ein System von Regeln [formula system], dem sie bei ihrer Operation folgten, das
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heißt bei dem Bombenanschlag.‘30 Angesichts dieser widersprüchlichen Aussagen hält Burke die Version eines geschlossenen Erscheinungsbild eher für einen Wunsch als für Wirklichkeit; er kommt zu dem Schluss, dass al-Qaida zum damaligen Zeitpunkt am besten als Taktik zu verstehen sei und dass Assam sie in erster Linie als eine ,Form des Aktivismus‘ und nicht als Organisation betrachtet habe.31 Ähnliche Kritik am Verständnis von al-Qaida als straff strukturierter Organisation übt Adam Curtis in dem vierstündigen Dokumentarfi lm der BBC The Power of Nightmares. Wie Burke behauptet Curtis, Osama Bin Laden und Ayman al-Sawahiri hätten sich ,am Rande der islamistischen Bewegung‘ bewegt und ihre Rolle sei aufgebauscht worden, um dem FBI zupass zu kommen, weil dieses Bin Laden in absentia zu belangen versuchte.32 Auch Curtis hält al-Fadls Zeugenaussage für zentral und zweckdienlich für das FBI, da al-Fadl den Eindruck eines eindrucksvollen terroristischen Gefüges mit Bin Laden an der Spitze erweckt habe. Sam Schmidt, der Anwalt eines der Angeklagten im Prozess Vereinigte Staaten vs. Osama Bin Laden, erklärt: ,Es gab Auszüge aus al-Fadls Aussagen, die falsch waren … [und die al-Qaida] als Gruppe identifi zierbar machten und die es daher leichter machten, eine al-Qaida nahestehende Person für Taten oder Aussagen von Bin Laden zu belangen, der viel redete.‘33 Egal, ob Burke und Curtis mit ihrer Einschätzung letztlich Recht haben oder nicht: Sie tun gut daran, hervorzuheben, dass die Indizien, die für al-Qaida als Organisation sprechen, auf einer begrenzten Zahl fragwürdiger Quellen beruhen. Neben al-Fadl und Muhamed wurde auch der Zeuge L’Houssaine Kherchtou vernommen, der sich des Mordkomplotts bei den Botschaftsattentaten schuldig bekannte, jedoch straffrei blieb und unter das Zeugenschutzprogramm fiel, weil er gegen seine ehemaligen Kollegen aussagte. Wie al-Fadl hatte er daher erhebliches Interesse daran, der Staatsanwaltschaft in die Hände zu spielen. Zusammen genommen bilden ihre Aussagen den Großteil dessen, was wir über die frühen Jahre von al-Qaida wissen. Wenngleich diese Aussagen widersprüchliche Bilder der Struktur von al-Qaida zeichnen, wird die Annahme einer strukturierten Terrororganisation heute als richtig akzeptiert. Es gibt jedoch keine eindeutigen Beweise, die dies rechtfertigen; die Aussagen von al-Fadl und Kherchtou wurden beim Prozess einfach für bare Münze genommen und fortan als Wahrheit akzeptiert. Das wahre Bild von al-Qaida, so darf man mit gutem Recht folgern, war Anfang 2001 zum Faustpfand geworden, da
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die USA entschlossen waren, Beweise gegen Bin Laden zu sammeln, koste es, was es wolle; al-Qaida wurde als komplexe terroristische Vereinigung bekannt, weil es den USA sehr gelegen kam, sie als solche hinzustellen. Von besonderem Interesse im Hinblick auf die Verlässlichkeit der Quellen ist der Fall von Enaam Arnaout (Vereinigte Staaten vs. Enaam Arnaout), einem syrischen Amerikaner und ehemaligem Leiter der Wohltätigkeitsorganisation Benevolence International Foundation (BIF) in Sarajewo, der wegen des Verdachts auf terroristische Aktivitäten verhaftet wurde; die Anklage lautete, er sei ein Mitarbeiter Bin Ladens und nutze Spenden für die BIF zur Finanzierung des Dschihad in Bosnien.34 Große Beachtung fand während des Prozesses eine Akte mit der Bezeichnung ,Tareekh Osama‘ – eine Sammlung von Aktenvermerken, Briefen und Notizen, die man in Arnaouts Büro bei der BIF sichergestellt hatte und die dem Vernehmen nach genaue Informationen über das Gründungsdatum von al-Qaida, ihre Struktur und federführenden Mitglieder enthielt. Beim Gerichtsprozess diente die Akte explizit als Beweismaterial dafür, dass es sich bei al-Qaida um eine Organisation handele. Interessanterweise kann man jedoch feststellen, dass die Belege selbst auf etwas Diffuseres als eine Organisationsstruktur hindeuten, auch wenn Gegenteiliges behauptet wird: Wie die bemerkenswerten, von der BIF archivierten Materialien beweisen, gründete Bin Laden al-Qaida 1988 zusammen mit anderen, darunter Salim (Abu Hajer) und Bayazid (Abu Rida). Al-Qaida führte Personalakten, und die Mitglieder legten einen bayat (Gefolgseid) ab und unterzeichneten einen Vertrag … Von dem Angeklagten Arnaout selbst ist nicht bekannt, dass er einen bayat leistete, auch wenn Indizien dafür sprechen, dass er für das Netzwerk al-Qaida eine wichtige Rolle spielte. Viele der federführenden Mitglieder des Netzwerkes al-Qaida, darunter auch Abu Hajer, sind möglicherweise keine offi ziellen Mitglieder geworden.35
In einer Fußnote des Protokolls ist explizit zu lesen: Die Mitglieder wussten nicht immer, wer außer ihnen einen Vertrag unterschrieb oder einen bayat schwor. Außerdem sind viele der federführenden Mitglieder des Netzwerks al-Qaida … möglicherweise keine offi ziellen Mitglieder der Gruppe durch Ableisten des bayat geworden, selbst wenn sie bei den Aktionen von al-Qaida eine Kontrollfunktion ausübten.36
Sieht man sich das Beweismaterial im Fall Arnaout genauer an, so ist dieses, wie der folgende Auszug zeigt, alles andere als eindeutig, gelegentlich
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dürftig dargestellt und schwierig zu lesen; die Angaben aus der TareekhOsama-Akte, die ebenfalls nicht immer eindeutig ist, scheinen also eher das fortgesetzte Bestreben widerzuspiegeln, eine Organisation zu schaffen, als dass sie eine bereits existierende Organisationsstruktur beschreiben. .
Die Liste behandelt nicht nur das Thema Fundraising, sondern enthält auch zahlreiche Einträge, die die Einrichtung eines Führungsrates fordern und die besten Arbeitsorte nennen. Id. Sie fordert: Eine gedruckte Erklärung, die Folgendes erklärt: a. Die Übereinkunft von Ost und West, die Gründung einer islamischen Nation, eines Stachels im Fleisch zu verhindern. b. Die einzige Lösung ist die Fortsetzung des bewaffneten Dschihad. c. Interesse an der Ausbildung und Gelegenheiten nutzen. d. Unterstützung der gläubigen Mudschaheddin und … [unleserlich]. e. Die Orte bestimmen, an denen die Brüder sein sollen. Wird unterschrieben von Yunis Khallis, Ansar Al-Jihad [,Unterstützer des Dschihad‘] f. Die Brüder dazu anhalten, geduldig, fromm, gehorsam zu sein und Abstinenz zu üben (Abu Hajir). Id. [Klammern im Original]. Gegen Ende der Liste erscheint aus unerklärlichen Gründen der folgende Eintrag: ,Den Geist des Dschihad unter Muslimen im Allgemeinen und unter Arabern im Besonderen wach halten, durch die Einrichtung von Basen für ihren Dschihad und Kontaktverbindungen zu ihnen. Empfohlen wird der Sudan.‘37
Auch wenn es schwierig ist, den Inhalt der Tareekh-Osama-Akte ausschließlich auf Grundlage der im Prozess bereitgestellten Übersetzungen und Zusammenfassungen zu beurteilen, fügt sich selbst diese Darstellung aus zweiter Hand nicht nahtlos in das Bild von al-Qaida als Organisation. Außerdem ist keineswegs klar, das die Kommentatoren, die von der Akte im Folgenden als Beweismaterial sprechen, dass Original tatsächlich gesehen haben; womöglich ziehen sie ihre Schlussfolgerungen auf der Basis dessen, was die Akte dem Vernehmen nach enthält. Der 9 / 11 Commission Report etwa stützt sich in seiner Beschreibung von al-Qaida als in sich geschlossener Organisation zu großen Teilen auf den Inhalt der Tareekh-Osama-Akte und behandelt das Gerichtsverfahren faktisch als zuverlässige Quelle.38 Um seine Behauptungen zu untermauern, erläutert der Bericht in den ,Anmerkungen zu den Kapiteln‘:
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Eine Fülle von Informationen zur Entwicklung und Geschichte von al-Qaida stammt aus Unterlagen, die in den letzten Jahren beschlagnahmt wurden, darunter Akten namens ,Tareekh Usama‘ (Usamas Geschichte) und ,Tareekh al Musadat‘ (Geschichte des Dienstleistungsbüros). Eine Beschreibung und wesentliche Auszüge aus diesen Akten sind zu fi nden in … Vereinigte Staaten vs. Arnaout.39
Ein entschiedener Befürworter der Sicht von al-Qaida als Organisation ist auch der Journalist Peter Bergen, der Burkes und Curtis’ Behauptungen als ,Unsinn‘ abtut.40 Seiner Meinung nach gibt es erdrückende Beweise dafür, dass al-Qaida in den späten 1980er-Jahren gegründet wurde und dass Bin Laden an der Spitze einer klaren Kommandostruktur stand.41 Bergen begründet seine Behauptung mit Verweis auf die Tareekh-OsamaAkte. Ohne irgendwelche Angaben darüber zu machen, ob er das Original je gesehen hat, erklärt er: Die BIF hatte in ihrem Büro in Sarajewo eine Computerdatei namens ,Tareekh Osama‘ oder ,Osamas Geschichte.‘ Die Datei enthält Scans der Dokumente, die die Chronologie von Osama Bin Ladens Aktivitäten in Afghanistan nachzeichnen, welche zur Entstehung von al-Qaida führten; sie enthält sogar spätere Berichte über die Gefahr, die Bin Laden für die USA darstellt.42
Bergen fügt außerdem hinzu, dass ,einige der Briefe am Ende der Originale Bin Ladens Unterschrift tragen‘,43 wohingegen der Prozess darauf hindeutet, dass die Bin Laden zugeschriebenen Briefe in Wirklichkeit unter einem Pseudonym geschrieben wurden. Zur Verblüffung des aufmerksamen Beobachters dreht sich die offizielle Debatte um die wahre Identität von al-Qaida also weiter im Kreis. Schlussendlich bleiben zwei divergierende Interpretationen des Charakters von al-Qaida Ende 1989 bestehen. Soll sie als eigenständige Terrororganisation mit Zellen auf der ganzen Welt betrachtet werden, oder ist sie eher formlos und gewinnt erst in den Jahren vor den Anschlägen des 11. September an Gestalt? Das wahre Bild bleibt aufgrund widersprüchlicher Interpretationen und frei erfundener Geschichten, die mangels stichhaltiger Beweise Blüten getrieben haben, weitgehend im Dunkeln. Ob sich al-Qaida nun gegen Ende des sowjetisch-afghanischen Krieges als Organisation gründete oder nicht – zu dieser Zeit tat sich sicherlich ein zunehmender ideologischer Graben zwischen Bin Laden und seinem
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Mentor Abdullah Assam auf. Dies lag an der wachsenden Bedeutung der Ägypter, insbesondere Ayman al-Sawahiris, der neue Impulse und Inhalte für den Dschihad vorsah. Gunaratna führt hierzu aus: Obwohl Osama und Assam sich grundsätzlich über die Unterstützung verfolgter Muslime einig waren, … gingen ihre Meinungen über die Taktik auseinander. Die Spannung zwischen den beiden spitzte sich schließlich zu, als ägyptische Kämpfer des MAK anboten, Mudschaheddin in Terrortechniken auszubilden. Die Ägypter waren sehr daran interessiert, eine Truppe aufzubauen und eine Kampagne im eigenen Land zu starten … [Assam], der in Ägypten gelebt hatte, wusste um die Sinnlosigkeit, Gefährlichkeit und die Grenzen einer solchen Terrorkampagne dort und verhängte daher eine fatwa, der zufolge es gegen islamisches Recht verstoße, DschihadGelder für die Ausbildung in terroristischen Taktiken zu verwenden.44
Assam lehnte in der Tat jeden Schritt kategorisch ab, der Zwietracht oder fitna unter Muslimen geschürt hätte. Bergen zufolge wollten militante Ägypter ,den gewaltsamen Umsturz von Regierungen in der gesamten islamischen Welt, die sie für ,abtrünnig‘ hielten; dieses Konzept des Dschihad lehnten Assam und viele seiner Anhänger jedoch ab, da sie mit Konfl ikten gegen Muslime nichts zu tun haben wollten.‘45 Wright stimmt Bergen zu und erklärt eindeutig, dass ,Assam … sich vehement gegen einen Krieg von Muslimen gegen Muslime aus[sprach].‘46 Abdullah Anas, ein Kommandant der Mudschaheddin und Vertrauter von Assam, behauptet, Sawahiri habe großes Interesse daran gehabt, Bin Laden aufgrund seines Geldes zu rekrutieren.47 Später beschuldigte Anas außerdem Sawahiri, eine Hetzkampagne gegen Assam zu führen, um ihn zu beseitigen und seine Autorität zu untergraben. Assam wurde im November ermordet; seine Mörder wurden nie identifi ziert. Gunaratna behauptet, Bin Laden sei in den Anschlag auf Assam involviert gewesen: ,Die Ägypter hatten, bevor sie Assam ermordeten, Osama auf ihre Seite gezogen unter der Bedingung, dass er die strategische Neuausrichtung in Richtung Terrorismus mittrage, was er voll und ganz tat.‘48 Andere stimmen dieser Einschätzung nicht zu. Abdel Bari Atwan etwa bestätigt zwar den Bruch zwischen den beiden Männern, schließt jedoch aus, dass Bin Laden bei Assams Tod seine Hände im Spiel gehabt habe.49 Wie bei so vielem in der Geschichte von al-Qaida bleiben die Umstände von Assams Tod ungeklärt. Nach Assams Tod und nach Ende des Krieges kehrte Osama Bin Laden angeblich als eine Art Volksheld nach Saudi-Arabien zurück. ,Der junge
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Idealist kehrte heim mit dem Bewusstsein, gewissermaßen einen göttlichen Auftrag zu haben. … Er war fortgegangen als Gefolgsmann eines als Helden verehrten muslimischen Kriegers und heimgekehrt als unbestrittener Führer der arabischen Afghanen.‘50 In Anbetracht seines neuen Status wurden Bin Ladens Ziele nur noch abgehobener. Wright etwa beschuldigt Bin Laden, den Guerillakrieg im neu vereinten Jemen fi nanziert zu haben, um die arabische Halbinsel von ,fremden, ausländischen Einflüssen‘ zu befreien.51 Zugleich äußerte sich Bin Laden immer deutlicher zur korrumpierenden Rolle Amerikas in der islamischen Welt. Atwan behauptet, Bin Laden sei aufgrund wachsender Besorgnis über seine Aktivitäten unter Hausarrest gestellt worden. Die saudische Regierung hatte bereits in diesem frühen Stadium Sicherheitsbedenken gegen ihn. Seine sehr unverblümten öffentlichen Reden waren auf Kassette aufgenommen und weit verbreitet worden; in ihnen warnte er die Saudis vor der Bedrohung durch das irakische Baath-Regime, das seiner Ansicht nach Pläne habe, in die gesamte Golfregion vorzudringen.52
Gilles Kepel schließt sich dieser Meinung an und erklärt, Bin Laden sei angesichts der Bedrohung durch das Baath-Regime in so großer Sorge gewesen, dass er König Fahd den Einsatz von Dschihad-Truppen angeboten habe.53 Die Invasion Kuwaits durch den Irak im Jahr 1990 markiert in der Tat so etwas wie einen Wendepunkt für Bin Laden und al-Qaida. Zunächst sah sich Bin Laden in seinen Bedenken angesichts von Saddam Husseins Expansionszielen bestätigt – was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, wenn man bedenkt, dass die USA nach dem 11. September unterstellten, Saddam und Osama hätten kooperiert. Weitaus wichtiger war jedoch, dass Saudi-Arabien Bin Ladens Angebot ablehnte, das Königreich durch Dschihad-Truppen gegen Saddams Expansionspolitik schützen zu lassen und stattdessen fi nanzielle und militärische Hilfe aus den USA anforderte. Dies, so Atwan, habe zu einem unüberbrückbaren Zerwürfnis zwischen Bin Laden und dem Königreich geführt: Wie mir Bin Laden berichtete, war die Entscheidung der saudischen Regierung, US-Truppen zur Verteidigung des Königreichs und zur Befreiung von Kuwait anzufordern, der größte Schock seines Lebens. Er konnte nicht fassen, dass das Haus Al Saud zum ersten Mal seit Bestehen des Islam die Stationierung ,ungläubiger‘ Truppen auf dem Boden der arabischen Halbinsel in unmittelbarer Nähe der heiligen Stätten begrüßt haben könne.54
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Dieser Vorfall schien den Beginn der Feindschaft und des Konfrontationskurses zwischen Bin Laden und Saudi-Arabien zu markieren; es war auch der Beginn eines neuen Kapitels in der umstrittenen Geschichte von alQaida.
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Nach dem Golfkrieg setzte sich Osama Bin Laden nach kurzem Aufenthalt in Pakistan in den Sudan ab. In der Fachliteratur scheint Konsens zu bestehen, dass er und Sawahiri auf Geheiß von Hassan al-Turabi, einem sudanesischen Islamisten und einer bekannten Persönlichkeit in dem von Präsident Omar al-Bashir geleiteten Council for National Salvation, in den Sudan eingeladen worden waren. Das neue islamistische Regime war nach einem Coup an die Macht gelangt, und Turabi war ein äußerst einflussreicher Akteur, wenngleich er später verschiedentlich wegen angeblicher Verschwörung gegen das Bashir-Regime festgenommen und inhaftiert wurde. Bergen zitiert Jamal Ismail, der im Magazin al Jihad schrieb: ,Die sudanische Regierung lud [Bin Laden] ein. Sie öffneten die Grenzen, damit Araber und Muslime investieren und den Sudan besuchen konnten … Dr. al Turabi spielte eine sehr, sehr wichtige Rolle dabei, Omar Bashir davon zu überzeugen, Osama herzubringen.‘55 Man hoffte anscheinend, dass Bin Laden große Summen in das verarmte Land investieren würde. Burke merkt sogar an: ,Die meiste Zeit scheint Bin Laden im Sudan darauf verwandt zu haben, ein blühendes und erfolgreiches Geschäftsimperium aufzubauen und zu leiten.‘56 Abgesehen von der anfänglichen Übereinstimmung hat diese Phase zu zahlreichen Spekulationen darüber geführt, wie viel Geld Bin Laden besaß, wie viel er im Sudan investierte und ob seine Unternehmungen Gewinn abwarfen oder eher massive Geldverschwendung waren. Die Meinungen über sein Gesamtvermögen gehen weit auseinander. Gunaratna, der sich auf ungenannte Geheimdienstquellen beruft, behauptet, Bin Laden habe nur 25 bis 30 Millionen Dollar geerbt.57 Am anderen Ende der Skala steht Atwan, der dagegen hält, Bin Laden habe 300 Millionen Dollar58 seines Privatvermögens im Sudan ausgegeben, von denen 200 Millionen in ,groß angelegte Bauprojekte wie den Flughafen Port Sudan und den 400 km langen „Defiance Highway“ zwischen Port Sudan und Khartum geflossen
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seien‘.59 Wright äußert sich zurückhaltender: ,Übertriebene Gerüchte über seinen [Bin Ladens] Reichtum machten die Runde; es hieß, er habe 350 Millionen Dollar oder mehr im Land [Sudan] investiert und es dadurch gerettet.‘60 Es herrscht also große Verwirrung darüber, wie viel Geld Bin Laden tatsächlich im Sudan investierte, wenngleich Einigkeit darüber besteht, dass es sich um eine hohe Summe handelte. Gunaratna beschreibt Bin Laden als ,besonnen‘61, während Burke62 und Wright63 ein weniger schmeichelhaftes Bild zeichnen. Wright geht sogar so weit zu behaupten, Bin Laden sei aufgrund der chronischen Misswirtschaft seiner sudanesischen Geschäfte und des Wegfalls der Zahlungen durch seine Familie aus SaudiArabien ,pleite‘ gewesen. Dies zeige sich darin, dass dem bereits erwähnten L’Houssaine Kherchtou, der Geld für den Kaiserschnitt seiner Frau benötigte, beschieden worden sei, es sei kein Geld da.64 Außerdem, so Wright, seien die Aktionen von Fadl, der eigenmächtig in die al-Qaida-Kasse gegriffen habe, in der ungleichen Entlohnungsstruktur zwischen ägyptischen und sudanesischen Mitarbeitern begründet gewesen.65 Es war einfach nicht genug Geld da. Osama Bin Laden investierte nicht nur in Infrastrukturen im Sudan, sondern unterstützte auch eine größere Gruppe islamischer Kämpfer. Richard Clarke, Autor von Against All Enemies und damaliger Sicherheitsberater von Bill Clinton, beschreibt ihn als ,Freund des Terrors‘66 ; Burke zufolge gebärdete sich al-Qaida wie ein ,Risikokapitalgeber‘, um zukünftige Terroristen bei ideologisch ähnlichen Anliegen zu fi nanzieren.67 Gunaratna zeichnet das Bild einer stetig wachsenden und stärker werdenden Organisation; er behauptet, al-Qaida habe 1000 bis 15 000 Kämpfer gehabt, die dank umfassender Infrastrukturen in Pakistan und Afghanistan hätten ausgebildet werden können und dann unter anderem in Bosnien gekämpft hätten.68 Richard Clarke geht ebenfalls auf die von al-Qaida geschulten Kämpfer in Bosnien ein, äußert jedoch leichte Vorbehalte: ,Wir ahnten zwar nicht, dass sie al-Qaida angehörten, aber wir wussten, dass sie internationale Terroristen waren.‘69 Gunaratna fügt hinzu, dass al-Qaida-Kämpfer auf einer al-Qaida-eigenen Farm in der Sprengstoffherstellung ausgebildet worden seien und dass die Sudanesen ihnen Land für ihre Trainingslager zur Verfügung gestellt hätten.70 Zusammen fassend kann man feststellen: ,Vom Sudan aus begann al-Qaida, sein Netz weltweit auszubreiten; sie entwickelte [ein] beispielloses Kommunikationsnetz, das die Regionalbüros in London, New York, der Türkei und anderen
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Zentren miteinander verband.‘71 Wright bewertet die Aktivitäten dieser Phase allerdings gänzlich anders und behauptet, al-Qaida habe zu dieser Zeit ,nicht viel bewegt‘ und habe ,keine richtige Führung und keine klare Richtung‘ gehabt.72 Diese widersprüchlichen Darstellungen der Entstehung und Verbreitung von al-Qaida bilden den Hintergrund für die Reaktion der westlichen Welt auf al-Qaidas ideologische Entwicklung und ihre Beteiligung an den folgenden Terroranschlägen. Auf der einen Seite erklärt der 9 / 11 Commission Report, al-Qaidas Mission sei 1992 global geworden, und bezieht sich auf eine von der Führung al-Qaidas ausgesprochene Fatwa, die zum Dschihad gegen die ,Besetzung‘ der Gebiete des Islam durch westliche Einsatzkräfte aufgerufen habe.73 Auf der anderen Seite behauptet Sageman, al-Qaidas Strategie sei zu dieser Zeit auf den ,nahen Feind‘ ausgerichtet gewesen, nämlich säkulare arabische Regime und westliche Ziele in islamischen Ländern.74 Man könne die Fatwa daher auch im Kontext eines defensiven Dschihad verstehen. Sageman merkt weiter an: ,Während des Exils im Sudan waren die Scharmützel gegen die USA noch kein zentraler Aspekt des Dschihad.‘75 Der 9 / 11 Commission Report allerdings insistiert auf der zunehmenden Bedrohung durch al-Qaida und behauptet, Bin Laden habe sich bereits zu diesem Zeitpunkt mit dem ,Schlangenkopf‘ – den USA – beschäftigt; dies belegten die Fatwa und spätere Terrorakte. Einer der ersten Terroranschläge, der al-Qaida zugeschrieben wurde, war das Bombenattentat auf ein Hotel im jemenitischen Aden 1992. Der Ausbruch einer humanitären Katastrophe in Somalia veranlasste seinerzeit die Amerikaner, eine kleinere humanitäre Mission zu entsenden (,Operation: Restore Hope‘, die ihren Einsatz im Dezember 1992 begann), um die reibungslose Lieferung von Hilfsgütern sicherzustellen. Für Bin Laden war dies ein Zeichen dafür, dass die USA in die Region vorzudringen versuchten, ihre Operationen ausweiten wollten und womöglich den Sudan ins Auge fassten. Der Anschlag auf das Hotel zielte somit auf amerikanische Truppen, die sich auf dem Weg nach Somalia befanden; allerdings hatten diese bereits zwei Tage zuvor die Stadt verlassen und waren gar nicht mehr vor Ort. Der 9 / 11 Commission Report stellt fest: ,Die Täter sollen einer Gruppe aus dem Südjemen angehört haben, an deren Spitze ein jemenitisches Mitglied von Bin Ladens islamischer Armee Schura stand; einige aus der Gruppe waren in einem Lager unter Leitung von al-Qaida im Sudan ausgebildet worden.‘76 Atwan behauptet ferner, Bin
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Laden habe ihm erklärt, ,dass seine afghanischen Araber an dem Überfall auf amerikanische Truppen im somalischen Mogadischu beteiligt gewesen‘ seien und dass er vom Rückzug der Amerikaner nach der ,Black Hawk Down‘-Episode – dem Feuergefecht von Mogadischu, bei dem 18 amerikanische Soldaten ums Leben kamen – enttäuscht gewesen sei.77 Burke widerspricht dem und behauptet, diese Einschätzung gehe ,mit ziemlicher Sicherheit an der Wahrheit vorbei‘.78 Ihm zufolge haben die ,damals in Somalia tätigen Journalisten kaum Beweise für eine Beteiligung von „al-Qaida“ an der „Black Hawk Down“-Episode gefunden.‘79 Das wohl bedeutendste Ereignis in Zusammenhang mit al-Qaida zu dieser Zeit war der Bombenanschlag auf das World Trade Center 1993 durch einen Mann namens Ramsi Yussef, auch wenn sich die Fachliteratur uneins ist, inwieweit dieses Attentat auf das Konto von al-Qaida geht. Dem 9 / 11 Commission Report zufolge ist die ,Beteiligung von al-Qaida allenfalls nebulös‘80, wenngleich Bin Laden Verbindungen zu Yussef und dem so genannten ,Blinden Scheich‘ Omar Abdel-Rahman hatte, dem angeblichen Führer der militanten ägyptischen islamischen Gruppe AlGama’a al-Islamiyya, der später wegen ,aufwieglerischer Verschwörung‘ beim Attentat auf das World Trade Center verurteilt wurde. Wright bringt Bin Laden nicht direkt mit dem Bombenanschlag in Verbindung, bemerkt jedoch, dass Yussef in Trainingslagern von al-Qaida ausgebildet worden sei.81 Für Gunaratna ist die Beteiligung Bin Ladens indes eindeutiger: Auch wenn die USA zum damaligen Zeitpunkt nicht wussten, dass der in Großbritannien ausgebildete Bombenattentäter Ramsi Ahmed Yussef von Osama fi nanziert wurde, so wussten sie durch die in Pakistan und Afghanistan ansässigen Mudschaheddin von der Bedrohung, die von ihm ausging. Da Osama seine Beteiligung an den meisten Operationen, darunter dem Bombenanschlag 1993, geheim hielt, war der multinationale Charakter seiner Organisation der Aufmerksamkeit des CIA entgangen.82
Bergen widerspricht dieser Behauptung vehement. Er weist die Vorstellung kategorisch zurück, dass Bin Laden in das Bombenattentat auf das World Trade Center beteiligt gewesen sei, wenngleich er anfangs davon überzeugt war, dass die Anschläge die Handschrift einer größeren Organisation trugen. Bergen versichert: ,Bin Laden hatte mit jenem Anschlag nichts zu tun.‘83 Einer der Terroranschläge, der nach mehr oder weniger einhelliger
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Meinung auf das Konto von al-Qaida geht, ist der Bombenanschlag auf die Khobar-Türme in Saudi-Arabien 1996. Doch bevor es dazu kam, wurde Bin Laden erneut von seinen Gastgebern, den Sudanesen, gedrängt, das Land zu verlassen. 1995 führte ein versuchter Mordanschlag auf den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak in Äthiopien zu neuerlichem Druck auf die Sudanesen, Bin Laden des Landes zu verweisen. Man vermutete, im Sudan stationierte ägyptisch-islamische Dschihad-Kämpfer seien für den gescheiterten Anschlag auf Mubarak verantwortlich. Anscheinend gab es auch anhaltende Spannungen zwischen Bin Laden und den saudischen Behörden, denn die Saudis schickten Unterhändler in den Sudan, um den Emir zur Rückkehr zu bewegen. Keiner dieser Versuche war von Erfolg gekrönt; 1994 erkannten die saudischen Behörden Bin Laden die Staatsangehörigkeit ab, und er wurde öffentlich von seiner Familie verstoßen. Bergen zitiert den Kommentar von Prinz Turki al-Faisal, dem Leiter des saudischen Geheimdienstes: [Wir beobachteten, wie Bin Laden] Personen aus verschiedenen Teilen der islamischen Welt rekrutierte … Das war eine unannehmbare Beschäftigung. Daher fielen entsprechende Bemerkungen und die [sudanesischen] Behörden wurden informiert und man versicherte uns, dass man Osama nicht erlauben werde, saudischen Interessen zu schaden.84
Es scheint also, als hätten die Sudanesen aufgrund des Drucks von außen Bin Laden zugeredet, das Land zu verlassen. Osama Bin Laden kehrte dem Sudan den Rücken und ging 1996 nach Afghanistan zurück. Zur damaligen Zeit kontrollierten die Taliban unter Mullah Omar große Teile des Landes. Migaux erläutert, wie Bin Laden die Situation – und die Schwäche – der Taliban ausnutzte, um eine symbiotische Beziehung aufzubauen: Auf der Basis von Ehrenämtern, ehelichen Verbindungen, Verwaltungsposten, fi nanzieller Unterstützung und der Beteiligung an illegalem Handel wurde Schritt für Schritt ein feines Netzwerk an Allianzen zwischen den Taliban und Bin Ladens Bewegung geknüpft. Bin Laden war Mitglied des Ältestenrates der Taliban, und Mullah Omar wurde ein Ehrenamt in alQaidas Majlis al-Shura zuteil.85
Bergen bestätigt diese Einschätzung und zitiert Vahid Mojdeh, der zuvor unter Abdullah Assam für das MAK gearbeitet hatte:
1996–2001: das ,Erstarken‘
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Osama und seine Anhänger wussten natürlich ganz genau, wie sie die Taliban beeinflussen konnten, und setzten auf ihre frühere Erfahrung mit den Führern der Mudschaheddin. … Finanzielle Unterstützung im Krieg gegen die Opposition der Taliban, insbesondere die Bestechung gegnerischer Kommandanten, erwies sich als erfolgreiche Strategie. Osama wurde so zu viel mehr als einem bloßen Gast. Osama Bin Laden positionierte sich erfolgreich unter den Taliban.86
Gunaratna erläutert konkreter: Osama festigte rasch seine Beziehungen zur Taliban-Führung und übte bald weitreichenden Einfluss auf sie aus, da er das Regime fi nanziell und materiell unterstützte. Nach einiger Zeit entwickelte al-Qaida eine spezielle Guerilla-Einheit, um die Taliban im Kampf gegen die nördliche Allianz zu entlasten. Die als Brigade 055 bekannte Guerilla-Komponente von al-Qaida bestand aus 1500 bis 2000 Arabern und wurde in die Streitkräfte der Taliban integriert. … Das Regime revanchierte sich für Osamas Unterstützung, indem es ihm und al-Qaida Unterschlupf gewährte und Waffen, Ausrüstung und Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellte. Außerdem war es al-Qaida gestattet, die nationale Luftkraft zu nutzen, um Mitglieder, Rekruten und Nachschub aus dem Ausland zu transportieren. Ihre Beziehung beruhte also auf Gegenseitigkeit.87
Dennoch lässt sich nur schwer ganz nachvollziehen, wie Bin Laden aufgrund seines Vermögens eine so immens einflussreiche Person in Afghanistan werden konnte, wenn Burke und Wright recht haben und er nach seinem Abstecher in den Sudan faktisch pleite war. Burke stellt die Situation in Afghanistan tatsächlich ganz anders dar. Er behauptet, es habe bereits etliche islamistische Gruppen und daher auch Trainingslager im Land gegeben.88 Genauer erklärt er: Bin Laden brachte eine Ideologie mit, ohne über die Mittel zu ihrer Umsetzung zu verfügen. … Doch das, was Bin Laden fehlte [Manpower und eine sichere Basis], besaßen einige Gruppen in Afghanistan im Überfluss.89
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Ungeachtet der Debatte um den inneren Zusammenhalt von al-Qaida und ihrer fragwürdigen Beteiligung an den ihr angelasteten Terrorakten wird allgemein angenommen, die ,Organisation‘ habe in den fünf Jahren vor
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den Ereignissen des 11. September an Stärke gewonnen. Selbst Burke räumt ein: ,Die Gruppe, die dem verbreiteten Bild von „al-Qaida“ noch am nächsten kommt, hat nur für eine kurze Zeit zwischen 1996 und 2001 existiert.‘90 Inwieweit sie aber je einer fest gefügten Organisation entsprach, bleibt unklar. Klar ist nur, dass es in der Phase vor den Anschlägen des 11. September zu zunehmender ,Propaganda von al-Qaida‘ kam: Bin Laden versuchte, sich durch Interviews mit westlichen Journalisten, Fatwas, Offene Briefe und Äußerungen auf al-Dschasira ein öffentliches Image zu verschaffen. Peter Bergen beschreibt ihn bei seiner ersten Begegnung mit dem ,Finanzier des islamischen Extremismus‘ als einen Mann, der wusste, wie man die Medien zu seinem Vorteil nutzte und bleibenden Eindruck hinterließ: Ich traf Osama Bin Laden 1997. … Bin Laden galt zu der Zeit nur als Finanzier des islamischen Extremismus. … Ich hatte immer geglaubt, hinter dem ersten Anschlag auf das World Trade Center 1993 … hätte möglicherweise eine größere Organisation gesteckt, angeführt vielleicht von einer Person wie Bin Laden. Dieser Verdacht sollte sich als falsch herausstellen. Bin Laden hatte mit dem Anschlag nichts zu tun, doch der Exil-Saudi stand in der Tat an der Spitze einer Terrororganisation, wie wir bei herausfinden sollten, als wir in Afghanistan mit ihm zusammentrafen. … Osama Bin Laden trat aus dem Dunkel hervor … er war nicht der Typ des Feuer speienden Terroristen, sondern trat wie ein Geistlicher auf. … Bin Laden wollte keine Fragen zu seiner Familie, seinem Vermögen oder seiner persönlichen Geschichte beantworten; er wollte einfach nur seine politische Botschaft an den Mann bringen.91
Angesichts der relativ geringen Aufmerksamkeit, die der CNN-Bericht seinerzeit fand, wurde das Ziel, ,die politische Botschaft an den Mann zu bringen‘, wohl nur teilweise erreicht. Bin Laden hatte noch nicht den internationalen Bekanntheitsgrad erreicht, den er in den folgenden Jahren haben sollte. Es ist eine traurige Ironie, dass seine Botschaft durch Gewaltakte letztlich ein größeres Publikum erreichen sollte. Bin Ladens zweiter Versuch, Medienpräsenz zu zeigen, das 90-minütige Interview mit al-Dschasira, das im Dezember 1998 nach den Anschlägen auf die Botschaften in Ostafrika gesendet wurde, war in dieser Hinsicht eindeutig erfolgreicher.92 Aus wissenschaftlicher Sicht ist zwar fraglich, ob Bin Laden zu diesem Zeitpunkt wirklich an der Spitze eines globalen Terrornetzwerkes stand; klar ist jedoch, dass genau dies das Image war, das er Journalisten und dem breiteren Publikum vermitteln wollte.
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Die Phase vor dem 11. September ist auch insofern bedeutsam, als sich der eher regionale Fokus von al-Qaidas Ideologie zu einem globalen Anspruch ausweitet. Besonders bemerkenswert ist, dass sich die Liste der legitimen Ziele nun erweitert. Im August 1996 verhängte Bin Laden eine Fatwa mit dem Titel ,Erklärung des Dschihad gegen Amerikaner, die das Land der Zwei Heiligen Moscheen besetzen‘; diese Fatwa autorisierte einen Verteidigungskrieg (Dschihad) gegen die amerikanische Regierung, insbesondere das US-Militär, aufgrund ihrer anhaltenden Präsenz oder ,Besetzung‘ von Saudi-Arabien. Bin Laden machte dies in dem oben erwähnten Interview mit CNN sehr deutlich: Wir haben unsere Erklärung darauf gerichtet, auf die [US-] Soldaten in Saudi-Arabien zu zielen. … Auch wenn amerikanische Zivilisten in unserem Plan nicht im Visier stehen, müssen sie gehen. Wir garantieren nicht für ihre Sicherheit.93
Die Fatwa erweitert zudem den Radius von Bin Ladens Aufrufen, denn diese richten sich nun nicht mehr nur an Muslime auf der arabischen Halbinsel, sondern an Muslime auf der ganzen Welt; daneben erinnert sie an das von Amerikanern verursachte Leid vom Balkan bis nach Südostasien. An dieser Stelle konzentriert sich Bin Laden weiter auf Saudi-Arabien, dessen Besetzung er als ,die größte Katastrophe für Muslime seit dem Tod des Propheten‘ beschreibt.94 Die Situation im Königreich sei so verheerend, dass das Land ,einem riesigen Vulkan ähnelt, der zu explodieren und Unglauben und Verderbnis zu zerstören droht‘.95 Um den wachsenden Widerstand vor Augen zu führen, verweist er konkret auf zwei Bombenanschläge in Riad im November 1995. Beim ersten, der Explosion einer Autobombe, kamen fünf Amerikaner ums Leben. Der zweite und weitaus gravierendere Bombenanschlag galt im Juni 1996 den Khobar-Türmen; in einer Wohnanlage für Mitglieder der US-Streitkräfte explodierte damals ein massiver 1500 kg schwerer Sprengsatz, der 19 Soldaten in den Tod riss und Menschen verschiedenster Nationalitäten verletzte. In der Fatwa beschreibt Bin Laden diese beiden Bombenanschläge als bloße ,Warnsignale‘. Dass er insinuierte, al-Qaida sei in irgendeiner Weise für die beiden Anschläge verantwortlich, scheint ein gewiefter propagandistischer Schachzug gewesen zu sein, und in der Tat scheinen al-Qaidas Versuche, sich als aufstrebende Organisation zu positionieren, davon profitiert zu haben, dass die Anschläge häufig al-Qaida zugeschrieben wurden. Atwan
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zum Beispiel interpretiert Bin Ladens Äußerung als Geständnis und konstatiert: ,Bin Laden bestätigte, dass al-Qaida hinter dem Bombenanschlag auf die amerikanische Basis bei den Khobar-Türmen im saudi-arabischen Dharan im Juni 1996 steckte.‘96 Fünf Jahre nach dem Attentat wurden jedoch dreizehn Mitglieder der saudi-arabischen Hisbollah in den USA des Anschlags angeklagt. Burke zufolge wurde der Anschlag Osama Bin Laden zu Unrecht angelastet: ,Obwohl sich der Verdacht zunächst auf Afghanistanveteranen im Land richtete … stellte sich bei den Untersuchungen schnell heraus, dass eine vom Iran unterstützte schiitische Gruppe aus Saudi-Arabien dafür verantwortlich war.‘97 Ähnlich bestritt Bin Laden später direkte Verantwortung für die Anschläge in Riad und schrieb sie stattdessen seiner Rolle als Anstifter zum Dschihad zu. Ob nun al-Qaida direkt verantwortlich war oder nicht – in jedem Fall häuften sich die Anzeichen, dass al-Qaida eine gefährliche Organisation war. Ihr Geschick, Terrorakte als ihr Machwerk zu deklarieren oder zumindest als Übeltäter aufzutreten, ist bis heute ein geschickter Schachzug der Organisation – sofern al-Qaida überhaupt als solche bezeichnet werden kann – um unter ihren Anhängern und weltweit für sich zu werben. Fast allen Darstellungen zufolge machten al-Qaidas Bemühungen, sich als Global Player aufzustellen, 1998 deutliche Fortschritte. Am 23. Februar kündigte die neu gegründete World Islamic Front einen ,Dschihad gegen die Juden und Kreuzfahrer‘ an, der besonders bekannt geworden ist und gemeinhin als ,die Fatwa von 1998‘ bezeichnet wird. Anders als in früheren Fatwas wurde sie von vier weiteren Personen neben Bin Laden unterzeichnet: Ayman al-Sawahiri, Führer des Ägyptischen Islamischen Dschihad (EIJ); Abu-Yasir Rif ’ai Ahmad Taha, ein Vertreter von al-Gamaa al-Islamiyya (einer weiteren islamistischen Bewegung aus Ägypten); Mir Hamzah, Generalsekretär von Jamiat Ulema-e-Pakistan (einer politischen Partei in Pakistan, Teil der islamischen Muttahida Majlis-e-Amal, die die Parlamentswahlen am 20. Oktober 2002 gewann); und Falzur Rahman, Anführer der DschihadBewegung in Bangladesch.98 Zahlreichen Quellen zufolge war der Dschihad gegen die Juden und Kreuzfahrer das Ergebnis des Zusammenschlusses von Bin Ladens al-Qaida und Ayman al-Sawahiris EIJ. Richard Clarke, der damalige Sicherheitsberater von Bill Clinton, bemerkt dazu:
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Zu Beginn des Jahres 1998 wurde al-Qaida stärker, weil sie sich mit dem ägyptischen Islamischen Dschihad zusammenschloss. … Im Februar 1998 waren Islamischer Dschihad und al-Qaida unter den zahlreichen Gruppen, die gemeinsam Ägypten, den USA und anderen Staaten den Krieg erklärten.99
Clarke interpretiert dies als Ergebnis des harten Vorgehens gegen den EIJ und ihm nahestehende Dschihadisten, denn ihnen wurden Gräuel wie der Anschlag von Luxor 1997 zur Last gelegt,100 der verheerende Auswirkungen auf den ägyptischen Tourismus hatte.101 Obwohl viele Sawahiri als Drahtzieher hinter dem Anschlag vermuten, behauptet Bergen, dass sich nach dem Zusammenschluss der Einfluss von Bin Laden auch auf seinen ägyptischen Mitstreiter ausgeweitet habe. Sawahiri habe in Wirklichkeit internen Widerstand seitens der Mitglieder seines EIJ überwinden müssen, um sich al-Qaida anzuschließen.102 Sawahiri gilt vielen als der wahre Kopf von al-Qaida, da er Bin Laden die politisch-theologischen Argumente geliefert habe, die den Anschlägen der Organisation zugrunde lagen. Dies mag in gewisser Weise richtig sein, allerdings war es Bin Laden, der Sawahiris Hauptaugenmerk vom ,nahen Feind‘ in Ägypten auf den ,fernen Feind‘, die USA, verlagerte.103 Wright teilt diese Auffassung und behauptet, Bin Laden sei der internen Machtkämpfe zwischen den ägyptischen Fraktionen und ihrer wirkungslosen Operationen in Ägypten überdrüssig gewesen.104 Ein Assistent von Sawahiri wird mit folgenden Worten zitiert: ,Ich hörte Bin Laden sagen, dass unser Hauptziel nun ein einziger Staat sei, die Vereinigten Staaten, und dass wir einen Guerillakrieg gegen alle amerikanische Interessen führen müssten – nicht nur in der arabischen Region, sondern in der ganzen Welt.‘105 Atwan widerspricht diesem Kalkül und behauptet, Sawahiri habe hinter den Anschlägen auf Amerikaner gesteckt und dem Vernehmen nach gesagt: ,Lasst die Amerikaner zu euren persönlichen Medienagenten werden – sie besitzen die größte PR-Maschine auf der ganzen Welt.‘106 Atwan behauptet sogar, Bin Laden habe das wahllose Vorgehen gegen amerikanische und jüdische Interessen abgelehnt, und es habe Mühe gekostet, ihn dazu zu überreden.107 Wenngleich die Meinungen über die innere Dynamik auseinandergehen, ist man sich generell über die neue Stoßrichtung einig, die die neu aufgestellte al-Qaida jetzt einschlug. In der Fatwa von 1996 ging es noch vorrangig um die unrechtmäßige Besetzung Saudi-Arabiens, wie etwa die
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rechtswidrige Präsenz amerikanischer Truppen und den Verfall moralischer Werte in gesellschaftlich-politischen Angelegenheiten im Königreich. Die Fatwa von 1998 stellt jedoch die Sünden der Vereinigten Staaten in den Mittelpunkt; sie verurteilt die Nahostpolitik der USA als Kriegsführung gegen Gott, seinen Propheten und die Gemeinschaft der Gläubigen. Islamische Religionsgelehrte seien sich zu allen Zeiten einig gewesen, so beharrt sie, dass der Dschihad die Pfl icht eines jeden Gläubigen sei, falls ein Feind ein islamisches Land angreife; besonders hervorgehoben wird der Irak als Ziel sich verschärfender Angriffe. Die Fatwa warnt explizit vor der Entschlossenheit der USA, den Irak zu zerstören und alle weiteren Länder in der Region zu schwächen: Seit sieben Jahren besetzt Amerika das Land der zwei heiligen Stätten … und macht aus seinen Militärbasen auf der Halbinsel Speerspitzen im Kampf gegen benachbarte muslimische Völker. Es gibt keinen eindeutigeren Beweis als die exzessiven Aggressionen Amerikas gegen die irakische Bevölkerung. … Trotz der über eine Million zählenden Opfer aus dem Irak … sind sie mit den langfristigen Sanktionen nicht zufrieden. … Es gibt keinen besseren Beleg als die eifrigen Bemühungen der Amerikaner, den Irak zu zerstören … und ihre Bemühungen, alle Staaten in der Region … auf dem Papier zu zerstückeln, so dass ihre Schwäche und Instabilität das Überleben Israels garantieren wird. All diese Verbrechen und Sünden der Amerikaner sind eine klare Kriegserklärung an Gott, Seinen Propheten und alle Muslime. Und ulema aus allen Perioden des Islam haben einstimmig beschlossen, dass der Dschihad eine Pfl icht für jeden Einzelnen ist, wenn ein Feind ein muslimisches Land zerstören will. … Wir müssen uns gemeinsam darüber verständigen, wie man das Problem am besten regelt.108
Der darauf folgende Schiedsspruch109 erklärt, es sei die Pfl icht eines jeden Gläubigen, einen Dschihad gegen die Amerikaner – sowohl gegen das Militär als auch gegen Zivilisten – zu führen, bis das Land der umma befreit sei: Das Urteil lautet: Die Amerikaner und ihre Verbündeten zu töten, ob Zivilisten oder Soldaten, ist die Pfl icht jedes Muslims, der dazu fähig ist, egal in welchem Land er die Möglichkeit dazu hat … Wir rufen jeden, der an Gott glaubt und von ihm belohnt werden möchte, dazu auf, dem Befehl Gottes Folge zu leisten, die Amerikaner zu töten und ihren Besitz zu plündern. Wo auch immer er sie fi ndet, und wann immer er kann.110
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Der Inhalt der Fatwa von 1998 stellt eine signifi kante ideologische und theologische Abkehr von Osama Bin Ladens früheren Erlassen dar. Es kann gar nicht genug betont werden, wie sehr sich hier das Visieren der amerikanischen Regierung und ihrer in Saudi-Arabien stationierten Truppen strategisch verlagert hin zur Anwendung von Gewalt gegen alle USBürger, Militärangehörige genauso wie Nichtkombattanten, und dies alles unter dem Banner der individuellen religiösen Pfl icht. Sageman betrachtet die Fatwa als die Konsolidierung des ,globalen salafistischen Dschihad‘ und als Abschluss des Übergangs vom ,nahen‘ zum ,fernen‘ Feind.111 Was also in den Worten der Fatwa von 1996 als Kampf gegen die militärische Präsenz der Amerikaner in Saudi-Arabien begann und nur auf die ,Besatzungskräfte‘ zielte, wurde nun zu einem globalen Kampf aller Muslime gegen alle Amerikaner überall auf der Welt. In der Fatwa von 1998 kamen zu den amerikanischen Streitkräften amerikanische Zivilisten weltweit hinzu – nicht nur in Ländern, die Schauplatz militärischer Aktionen waren – und wurden zum legitimen Feind erklärt; die ganze Welt wurde zum Schlachtfeld, auf dem der gerechte Krieg zur Befreiung der umma geführt werden konnte. Der 9 / 11 Commission Report beschreibt diese Entwicklung im Hinblick auf die Struktur und Organisation von al-Qaida wie folgt: Die Fatwa vom Februar 1998 scheint daher nach anderthalbjährigen Anstrengungen eine Art öffentlicher Auftakt einer erneuerten und stärkeren al-Qaida gewesen zu sein. Bin Laden hatte sein Spendennetzwerk neu aufgestellt und war erneut der reiche Mann der Dschihad-Bewegung geworden. Er hatte Verbindungen zu Terroristen an anderen Orten der Welt gewahrt oder wiederhergestellt. Und er hatte die internen Bindungen innerhalb seiner eigenen Organisation gestärkt.112
Der Bericht behauptet im Folgenden, Bin Laden habe einen harten Kern treuer Anhänger um sich geschart, die ihm gegenüber den bayat abgelegt hätten; er sei aber auch von einem veränderlichen äußeren Zirkel unterstützt worden. Der innere Kern wird hier beschrieben als ,hierarchische Gruppe mit einer Kommandokette von oben nach unten, klar defi nierten Positionen, Aufgaben und Gehältern‘.113 Migaux zufolge modifi zierte al-Qaida zu dieser Zeit ihre Struktur, um Angriffe auf die USA zu begünstigen.114 Auch Gunaratna geht auf diesen Punkt näher ein:
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Was ist al-Qaida? Von Afghanistan zum 11. September Um das islamistische Projekt weiter voranzutreiben, wurde al-Qaida 1998 in vier separate, jedoch miteinander verbundene Einheiten umstrukturiert. Die erste war eine Pyramidenstruktur, um die strategische und taktische Lenkung zu erleichtern; die zweite war ein globales Terrornetzwerk; die dritte war eine Basistruppe für den Guerrillakrieg in Afghanistan; und die vierte war eine lose Koalition transnationaler Terroristen und Guerillagruppen.115
Obwohl diese Behauptungen sowohl bei Migaux als auch bei Gunaratna auftauchen, liefert weder der eine noch der andere Literaturhinweise oder gewährt anderweitige Einblicke in die Quellen, auf die sich seine Behauptungen stützen; von dieser Umstrukturierung ist ansonsten an keiner Stelle die Rede. Dennoch zitiert der 9 / 11 Commission Report die Bombenanschläge auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Dar es Salaam 1998 als Beweis für den Strategiewechsel und die neue Rolle von al-Qaida, da die Attentate von der Gruppe und ihren federführenden Mitgliedern ausgeführt worden seien.116 Sageman scheint sich dem 9 / 11 Commission Report insofern anzuschließen, als er die Botschaftsattentate als Auftakt zu einer weltweiten Kampagne gegen die USA deutete: ,Die Operationen in Ostafrika, die eine weltweite Welle an Bombenanschlägen und Verschwörungen gegen westliche Ziele einleiteten, erforderten ein hohes Maß an zentraler Planung durch hauptamtliche al-Qaida-Mitarbeiter.‘117 Wrights Ansicht nach wies der Anschlag zwar ,alle wichtigen Merkmale der zukünftigen Aktionen‘ von al-Qaida auf; er verriet jedoch auch ,al-Qaidas Mangel an Erfahrung‘: Wright behauptet, der Angriff habe erhebliche Schwächen aufgewiesen, unter anderem seien die Attentäter gefasst worden.118 Burkes Ansicht nach interpretiert Wright die Situation indes völlig falsch; er zitiert seinerseits Bill Clinton, um deutlich zu machen, dass die Anschläge vom ,Bin-Laden-Netzwerk‘ und nicht von ,al-Qaida‘ fi nanziert worden seien.119 Richard Clarke behauptet demgegenüber, dass die Suche nach und versuchte Anklage von al-Qaida den Botschaftsattentaten 1998 vorausgegangen sei. Er zitiert den Leiter des CIA, der unmissverständlich gesagt haben soll: ,Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, Mr. President. […] Es besteht kein Zweifel daran, dass dies eine Operation der al-Qaida war. Wir und das Bureau haben viele Hinweise.‘120 Im Gesamtzusammenhang scheint ein Großteil der Kontroverse über die Zuweisung gewisser Terrorakte an al-Qaida aus dem mangelnden Konsens darüber zu rühren, was al-Qaida eigentlich ist. Was Burke als das ,Bin-Laden-Netz-
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werk‘ bezeichnet, ist in Clarkes Version ,al-Qaida‘. Insgesamt sind die Anschläge auf die Botschaften in Ostafrika mehr als jedes frühere Attentat ganz eindeutig al-Qaida zugeschrieben worden, auch wenn al-Qaidas Identität nicht genau defi niert worden war. Auf die Botschaftsattentate folgte eine Reihe von Terroranschlägen, die mit al-Qaida in Verbindung gebracht wurden. Sageman gibt allerdings zu bedenken: ,In den nächsten zwei Jahren fanden eher dezentrale Operationen statt, die vor allem in Eigenregie vor Ort geplant wurden. Al-Qaidas Beteiligung bestand nicht in der direkten Mitwirkung, sondern in der Ausbildung potenzieller Terroristen …‘121 Beispiele für diese Strategie sind Sageman zufolge der Anschlag auf die USS The Sullivans 1999 sowie das Attentat auf die USS Cole in Aden im Oktober 2000, die Anschläge auf Kirchen in Indonesien am Heiligabend 2000 sowie die Bomben, die am 30. Dezember 2000 – dem Tag des philippinischen Nationalhelden José Rizal – an fünf Orten in Manila explodierten.122 Bergen zitiert Bin Ladens Leibwächter Abu Jandal mit den Worten: ,al-Qaida verfolgt eine Methode beziehungsweise ein Prinzip, das die Zentralisierung von Entscheidungen und die Dezentralisierung ihrer Ausführung verlangt. Die Entscheidung fiel zwar zentral, doch Methode und Ausführung des Angriffs lagen in der Verantwortung des Befehlshabers.‘123 Seine Äußerung untermauert Sagemans Schlussfolgerungen, was den modus operandi von al-Qaida zu dieser Zeit angeht. Es scheint also, als ob sich al-Qaida in der Phase zwischen 1998 und 2001 in ihrer organisiertesten und schlagkräftigsten Form gezeigt habe. Sie war dem Anschein nach fi nanzstark und hatte ihre Reichweite auf etliche Staaten ausgeweitet. Osama Bin Ladens Kontrolle über den globalen Dschihad schien unanfechtbar: ,Durch den Anschlag auf die USS Cole behauptete Bin Laden seine Position an der Spitze des globalen islamistischen Dschihad … Ja es entwickelte sich sogar so etwas wie ein Bin-Laden-Kult.‘124 Es ließ sich also alles gut an für al-Qaidas bislang vermessensten und blutigsten Anschlags auf die USA, als am 11. September 2001 vier Flugzeuge amerikanischer Fluglinien entführt wurden, zwei gezielt in die Zwillingstürme des Word Trade Center in New York und eins in das Pentagon gelenkt wurden und das vierte Flugzeug auf einem Feld in der Nähe von Shanksville in Pennsylvania abstürzte, als Passagiere versuchten, die Terroristen zu überwältigen. Der 9 / 11 Commission Report schildert die Ereignisse in allen Einzelheiten und beschreibt, wie die Operation von
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al-Qaida und Osama Bin Laden gesteuert wurde.125 Bergen zufolge lässt ,die Verschwörung des 11. September deutlich die zentrale Bedeutung erkennen, die Bin Laden für al-Qaida spielt. Obwohl Bin Laden sich nicht an den Details der Operation vom 11. September beteiligte, war er letztlich [ihr] Einsatzleiter.‘126 Auch wenn Burke den außergewöhnlichen Charakter von Bin Laden und der al-Qaida-Truppe betont, kam das Ereignis für ihn nicht sonderlich unerwartet. ,Im Hinblick auf ihre Zielsetzung, die Komplexität der Durchführung und ihre spektakuläre Natur stellten [die Anschläge des 11. September] weniger den radikalen Bruch mit vorherigen Entwicklungen dar, sondern eher deren konsequente Zuspitzung.‘127 Richard Clarke, der den Werdegang von al-Qaida über Jahre hinweg beobachtete, warnte die neue Bush-Regierung vor den Gefahren von al-Qaida, behauptet jedoch, seine Warnungen seien seinerzeit nicht ernst genug genommen worden.128 Ob die Anschläge des 11. September nun völlig unerwartet kamen oder einfach der Höhepunkt früherer Aktivitäten waren: Das Ausmaß der Operation, die Zerstörung und das Blutvergießen brannten die Realität al-Qaidas in all ihren verschiedenen mutmaßlichen Formen und Gestalten in das Bewusstsein von Zuschauern auf der ganzen Welt ein. Für einige war es die Tat einer strukturierten globalen Terrororganisation, die entschlossen war, die USA und ihre Verbündeten zu besiegen; für andere war es der spektakuläre und wohl eher unvermutete Erfolg einer amorphen Allianz von gleich gesinnten Individuen, die sich alle einer Sache verschrieben hatten.
Auf dem Prüfstand: Analysen der Struktur al-Qaidas Auf dem Prüfstand: Analysen der Struktur al-Qaidas
Obwohl die Anschläge des 11. September häufig mit der Vorstellung von al-Qaida als Terrororganisation mit straffen Strukturen in Verbindung gebracht werden, hält diese Vorstellung einer gründlichen Prüfung nicht stand. Von den frühen Anfängen al-Qaidas in den 1980er-Jahren in Afghanistan bis hin zu den spektakulären Anschlägen 2001 bleibt der genaue Auf bau der Gruppe, die offenbar eins der größten Sicherheitsrisiken der westlichen Welt darstellt, unklar. Analysten haben sich von unterschiedlichen Interessen und Prioritäten leiten lassen – von der Notwendigkeit, die Existenz einer klar defi nierten Organisation nachzuweisen, um den Gesetzesauflagen der USA nachzukommen und Bin Laden in absentia
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verurteilen zu können, bis hin zum schlichten Glauben, Verdacht oder vielleicht auch der Angst, dass es da noch etwas Schlimmeres gab, das aufgedeckt werden müsse; jeder von ihnen stand vor der schwierigen Aufgabe, das Phänomen durch das Aufspüren von Beweisquellen wie Zeugenaussagen, Handbüchern, Briefen und so weiter zu erklären, und diese Beweisquellen mussten nicht nur das Bestehen, sondern auch die Identität und den Charakter von al-Qaida schlüssig nachweisen. Dies erwies sich jedoch als Unterfangen, das dem Fischen nach einem Stück Seife in der Badewanne ähnelt: Al-Qaida entzog sich beharrlich allen Versuchen, sie klar und eindeutig einzuordnen. Das soll nicht heißen, dass die einzelnen Diskurse für sich betrachtet nicht logisch kongruent und überzeugend sind, wenngleich das Beweismaterial, auf das sie sich stützen, bisweilen dürftig, wenn nicht gar unglaubwürdig gewesen ist. Das Problem liegt vielmehr in ihrer Inkompatibilität und in der Unmöglichkeit, die Validität eines dieser Diskurse zweifelsfrei nachzuweisen. Angesichts der Art von Einheit, mit der man es zu tun hat, dürfte dies nicht überraschen: Al-Qaida muss ihre Existenz nicht beweisen. Bin Laden und seine Verbündeten brauchen die Größe ihrer Organisation nur anzudeuten, und schon gerät ihr Publikum in Panik und versucht verzweifelt, das zu besiegen, was vielleicht gar nicht existiert. Dies stellt Analysten vor ein doppeltes Problem: Sie mögen durchaus Quellen fi nden, die für die Existenz einer strukturierten Organisation sprechen, und diese Funde geben jenen, die von der Bedrohung überzeugt sind, ein greif bares Indiz, an das sie sich zur Untermauerung ihrer Behauptungen festklammern können. Es ist jedoch unmöglich, das Nichtvorhandensein von etwas auf die gleiche Weise zu beweisen: Denjenigen, die von der Theorie der großen Organisation nicht überzeugt sind, bleibt nichts anderes übrig, als die Verlässlichkeit des Beweismaterials der ,Organisations‘-Theoretiker in Frage zu stellen. Andreas Behnke hat sehr treffend festgestellt: ,Der gespenst-ähnliche Charakter von al-Qaida, der so viele unergiebige Diskussionen über ihre genaue Struktur (Organisation, Franchise, Netzwerk, Ideologie …) ausgelöst hat, verweigert und entzieht sich jeglicher Festlegung.‘129 Vereinfacht ausgedrückt stellt al-Qaida ein epistemologisches Problem dar – ein Wissensproblem – das vielleicht nie gelöst werden wird.130 Während sich die Theoretiker vielleicht damit zufrieden geben, die Ontologie von al-Qaida zu erörtern und ohne weiteres akzeptieren, dass sie den wahren Charakter von al-Qaida womöglich nie eruieren werden,
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sind ihre kritischen Analysen – bei aller Relevanz – dafür prädestiniert, nicht über den Elfenbeinturm der akademischen Welt hinaus zu gelangen und nie in die Welt der praktischen Politikgestaltung vorzudringen. Sie können nicht die einfachen Antworten wie etwa eine Beschreibung des ,Gegners‘ liefern, die zur rationalen Begründung eines globalen Krieges gebraucht werden. Gibt es Spielraum für einen Kompromiss – eine gründliche, kritische Bewertung des Auf baus von al-Qaida, die ihre theoretischen Bedingungen eingesteht, aber dennoch ein Arbeitskonzept liefert, mit Hilfe dessen sich das Phänomen erfassen lässt? Ein Mittelweg zwischen einer Organisation und einer wahllosen Gruppe von Akteuren, die gemeinsame ideologische Ziele verfolgen, aber gänzlich eigenverantwortlich handeln? Burke bietet einen guten Ausgangspunkt für einen solchen Ansatz, wenn er argumentiert, dass al-Qaida aus drei verschiedenen Elementen bestanden habe: erstens einem ,harten Kern‘, der aus Bin Laden und ,etwa einem Dutzend Getreuen, die ihn seit den späten 80er-Jahren begleitet hatten‘; zweitens einem ,Netz aus verbündeten Gruppen‘ weltweit, die auf die eine oder andere Weise mit Mitgliedern des harten Kerns in Verbindung standen; und drittens einer Ideologie, der Vorstellung vom globalen Dschihad, die disparate und ansonsten nicht miteinander in Beziehung stehende Anhänger erfolgreich miteinander vernetzt und die in der Ära nach dem 11. September von überragender Bedeutung sein sollte.131 Diese ganzheitliche Sicht des Auf baus von al-Qaida bietet ein Maß an Variabilität, das dem Anspruch auf Präzision gerecht wird und dennoch Raum für Spekulationen und Ungewissheit lässt. Eine Analyse des Auf baus und der wechselnden Mitglieder, des Aktionsradius und der Dynamik des Kerns oder der zentralen Führung ist vielleicht nie ganz korrekt. Ganz gleich, wie dieser Kern jedoch aussah, der nach allgemeiner Auf fassung einen herben Rückschlag infolge des Krieges gegen den Terrors erleiden musste, so bedeutet selbst seine totale Niederlage nicht das Ende von ,al-Qaida‘. Ihre Ideologie – die Vorstellung, dass etwas mit dem Zustand der umma fehlgelaufen ist und dass sie um jeden Preis wiederhergestellt werden muss, zur Not mit Gewalt – bleibt davon unberührt und beseelt weiter Muslime, dem Aufruf zum Dschihad zu folgen. Es herrscht einhellige Übereinstimmung, dass die Welt nach dem 11. September radikaler ist als zuvor – paradoxerweise, so möchte man hinzufügen, als direkte Folge des anhaltenden Krieges gegen den Terror. Die Kriege in Afghanistan und im Irak, die Misshandlung von Gefangenen in Abu Ghraib
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und die orangefarbenen Overalls in Guantánamo sind nur einige Beispiele für Vorfälle und Verhaltensweisen, die uns noch eindrücklich in Erinnerung sind; sie haben Öl in das Feuer islamischer Feindseligkeit gegenüber dem Westen gegossen und haben durch die Kränkung junger Muslime terroristischen Anwerbern in die Hände gespielt. Trotz – ja gerade wegen – des harten Vorgehens zur Terrorprävention sind die Motive für Terrorismus verlockender denn je. Burke zufolge ,leuchtet [Bin Ladens Botschaft] Millionen von Menschen ein.‘132 Er prophezeit, dass Einzelne unter diesen Millionen künftig Anschläge im Namen des Islam verüben werden. Und obwohl sie ,freie Mitarbeiter‘ sind, die offenbar keinerlei Verbindung zu irgendeiner zentralen Gruppe im üblichen Sinne haben, sehen sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach als Teil eines größeren Plans oder einer größeren Bewegung, die die umma aus der Unterdrückung befreien und den wahren Islam wiederherstellen will. So gesehen besteht al-Qaida in der Wahrscheinlichkeit – oder besser gesagt in der Angst vor einer solchen Möglichkeit, – dass es etwas gibt, das wieder zuschlagen wird. Es ist die Vorstellung von einer Art Organisation, einem Netzwerk an gleich gesinnten Individuen, das die Bewegung des globalen Dschihad durch das Ausarbeiten von Ideen und Propaganda sowie materielle Unterstützung wo immer möglich nährt. In den Handlungen Einzelner, in Anschlagsversuchen oder einfach nur der Gefahr solcher Angriffe und ihren Folgen in Form von zunehmenden Sicherheitsmaßnahmen und einem dauerhaften Klima der Angst vor Terrorismus fi ndet al-Qaida ihren sichtbaren Ausdruck – ein Ausdruck, der für Hunderte Millionen Menschen in den letzten zehn Jahren zur täglichen Realität geworden ist. Bevor wir den Zustand von al-Qaida in der Welt nach dem 11. September genauer untersuchen, ist es nur konsequent, sich mit der Idee von al-Qaida als solcher zu beschäftigen. Was sind die ideologischen Grundlagen des weltweiten Dschihad, der zu den verheerendsten Terrorakten aller Zeiten geführt hat? Was sind die Beweggründe, die solch willkürliche Gewalt im Namen von Allah und zur Verteidigung des Islam rechtfertigen? Was sind ihre Ursprünge, und worauf gründet sich ihre Autorität?
III. Heuchler, Wahhabiten und salafistische Dschihadisten: Erklärungen der Ideologie al-Qaidas nach dem 11. September Al-Qaida nicht ideologisch motiviert. Ergebnis eines Geheimdienst-Teams des Pentagon, Washington Times, 5. Juni 2003
Al-Qaida entstellt, verfälscht und missdeutet den Text des Koran. Rohan Gunaratna, Inside Al Qaeda
Ideologie von al-Qaida auf Ursprünge des Wahhabismus zurückführen. Stephen Schwartz, The Two Faces of Islam
Der Globale Salafistische Dschihad ist eine weltweite religiöse Erneuerungsbewegung mit dem Ziel, die glorreiche Vergangenheit der Muslime in einem großen islamistischen Staat von Marokko bis zu den Philippinen wiederherzustellen und gegenwärtige nationale Grenzen abzuschaffen. Al-Qaida ist die Vorhut dieser Bewegung. Die salafistische Ideologie defi niert ihre Aufgabe, bestimmt ihre Ziele und lenkt ihre Taktik. Marc Sageman, Understanding Terror Networks
,Wer tut so etwas – und warum?‘ ,Warum hassen sie die Vereinigten Staaten und den westlichen Lebensstil so sehr?‘ ,Warum waren sie bereit, für ihre Ziele ihr Leben zu opfern?‘ Seit den Anschlägen des 11. September sind wenige Themen so eindringlich und breit diskutiert worden wie Erklärungen für das massive Blutvergießen und die Gewalttaten, die in jüngster Zeit im Namen des Islam geschehen sind; entsprechend hat sich eine Vielzahl von Interpretationen herausgebildet. Unter anderem wird behauptet, die Terrorakte seien irrational und ließen möglicherweise auf verschiedene psychische Krankheiten schließen; die religiöse Rhetorik sei nur ein Deckmantel für politische Ziele; oder die Taten lägen in verschiedenen Theorien des islamischen Extremismus begründet. ,Al-Qaida nicht ideologisch motiviert‘ lautet das Fazit eines Geheimdienst-Teams des Pentagon,1 wohingegen Stephen Schwartz behauptet: ,Osama Bin Laden
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und seine Anhänger hängen einer puritanischen Variante des Islam namens Wahhabismus an, einer extremen und intoleranten islamischfaschistischen Sekte, die zur Staatsreligion Saudi-Arabiens wurde.‘2 Andere sehen Al Qaida als eine Gruppe von Heuchlern oder gar Faschisten – die Verkörperung des Bösen. So schreibt Rohan Gunaratna: ,in dem Bestreben, den Geist ihrer Anhänger zu entflammen, entstellt al-Qaida den Text des Koran, verfälscht und missdeutet ihn.‘3 In jüngster Zeit scheint ein gewisser Konsens zu herrschen, dass al-Qaida die Vorhut des ,globalen salafistischen Dschihad ist, einer weltweiten religiösen Erneuerungsbewegung, mit dem Ziel, die glorreiche Vergangenheit der Muslime in einem großen islamistischen Staat wiederherzustellen.‘4 Die Vorstellung des salafistischen Dschihad ist mittlerweile in das Alltagsvokabular eingegangen und taucht regelmäßig in Zeitungsartikeln, Regierungsberichten und Fernsehtalkshows auf, in denen die ideologischen Grundfesten von al-Qaida erörtert werden. Der Begriff vermittelt den Eindruck, als habe man erhebliche Anstrengungen unternommen, um die religiösen, philosophischen und historischen Einflüsse im Kern von al-Qaidas Logik zu analysieren und zu begreifen. Seine Griffigkeit verleiht dem Etikett zweifellos eine gewisse Popularität: Es erweist sich als brauchbares Hilfsmittel in Medien und Politik und beruhigt letztlich die Öffentlichkeit. Beunruhigend ist hingegen, dass einerseits eine Defi nition der Ideologie von al-Qaida vorzuliegen scheint, sich der Charakter der Organisation aber andererseits einer Klassifi kation entzieht. Kann es sein, dass der ,salafistische Dschihad‘ ähnlich wie ,al-Qaida‘ nur ein Name oder ein Etikett ist, das entweder inhaltslos ist oder kaum Bezug zur Realität hat? Bietet irgendeins der bislang entworfenen Modelle eine umfassende und glaubwürdige Erklärung der Logik und Anziehungskraft von Osama Bin Ladens globalem Dschihad? Heuchler, Wahhabiten und salafistische Dschihadisten
Erklärungsversuche der Ideologie al-Qaidas im Schatten des ,Krieges gegen den Terror‘ Erklärungsversuche der Ideologie al-Qaidas
Um substanzielle Antworten auf diese Fragen zu erhalten, empfiehlt es sich, sich den Informationsstand zu al-Qaida vor dem 11. September und die darauf einsetzende Flut von Informationen in Erinnerung zu rufen. Was die nun folgenden Erklärungen und Strategien prägte, waren nicht
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nur mangelnde Informationen über die Beweggründe der Attentäter; es war auch die Art des politischen Kontextes. Denn kaum waren die Gräuel in New York und Washington ausgeführt, da riefen die Vereinigten Staaten auch schon einen ,Krieg gegen den Terror‘ mit ungewissem Ende aus.5 Es handelte sich vermutlich um eine ungeplante instinktive Reaktion, die sich jedoch zu einer globalen militärischen, politischen, juristischen und ideologischen Kampagne gegen Individuen und Organisationen ausweiten sollte, die man als ,Terroristen‘ bezeichnete; ebenso richtete sich diese Kampagne gegen Regime, denen man vorwarf, die ,Terroristen‘ zu unterstützen oder anderweitig eine Bedrohung für die USA und ihre Verbündeten darzustellen. Im Kontext dieser weit gefassten Defi nition des Feindes sprach der damalige amerikanische Präsident George W. Bush bald von einem ,terroristischen Untergrund‘ (,a terrorist underworld‘), zu dem Gruppen wie die Hamas, die Hisbollah, der Islamische Dschihad und Jaish-i-Mohammed zählten und der ,in entlegenen Dschungeln und Wüsten operiert und sich in den Zentren großer Städte versteckt‘; dieser Untergrund werde von Regimen wie Nordkorea und dem Irak unterstützt, die versuchten, Terror zu exportieren und Amerika zu bedrohen.6 ,Staaten wie diese und ihre terroristischen Verbündeten bilden eine Achse des Bösen, die sich bewaffnet, um den Frieden auf der Welt zu bedrohen.‘7 Zu den potentiellen Zielen des ,Krieges gegen den Terror‘ sollten bald eine Vielzahl von islamistischen Gruppen und Akteuren sowie Regime mit gänzlich unterschiedlichen Weltanschauungen und politischen Zielen gehören – sie alle einte nur die Tatsache, dass man sie mit Recht oder recht bequem einer Verbindung zu al-Qaida beschuldigen konnte. Auf den ersten Blick erstaunt es zwar, dass die amerikanische Regierung mit all ihren Geheimdienstquellen al-Qaida in einen Topf warf mit so unterschiedlichen Gruppierungen wie der Hamas, den ,streitbaren Geistlichen von Qom‘, den Deobandi Seminaren im Norden Pakistans, die die Taliban ausbildeten, und dann wiederum an anderer Stelle al-Qaida mit Regimen der säkularen arabisch-nationalistischen Baath-Partei in Verbindung brachte; im Nachhinein nimmt dies allerdings weniger Wunder. Denn vor dem Hintergrund eines politischen Klimas, das die Welt in ,gut‘ und ,böse‘ einteilte, unterstellte die US-amerikanische Regierung ein islamistischterroristisches Programm und konzentrierte sich auf oberflächliche Ähnlichkeiten wie Selbstmordattentate und Flugzeugentführungen, die irgendwie mit dem Nahen Osten und dem Islam in Verbindung standen.
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Es handelte sich gewissermaßen um eine Neuauflage orientalistischer Stereotype, nur dass der Nahe Osten und der Islam diesmal nicht in Form von Harems und Schleiern, sondern in Form von bärtigen Selbstmordattentätern wahrgenommen wurden, welche in einer geographischen Wiege des Antiamerikanismus geboren und aufgewachsen waren. Diese neue Form von Orientalismus ist von Wissenschaftlern heftig kritisiert und mit Verweis auf die Arbeiten des verstorbenen Edward Said als ,neoorientalistischer Terrordiskurs‘ bezeichnet worden; Said kritisierte den westlichen Blick auf Denken und Welt des Orients als voreingenommen und monierte, er basiere auf einem mangelnden Verständnis östlicher und islamischer Kultur.8 Neo-Orientalismus wurzelt daher zutiefst in klassischorientalistischen Vorstellungen wie etwa ,der arabischen Seele‘ und ,dem Wesen des Islam‘ – Vorstellungen, die die Konstruktion eines ,arabischislamischen terroristischen Anderen‘ erst ermöglichen; dieses ,Andere‘ wiederum, so wird behauptet, wolle – ganz im Sinne von Huntingtons Theorie des Kampfes der Kulturen – Kultur und Werte des Westens zerstören.9 Dag Tuastad hat in dem neo-orientalistischen Narrativ ein Instrument ,symbolischer Macht‘ ausgemacht und erklärt, es unterstütze neokoloniale Interessen durch ,Darstellungen politischer Gewalt, die politische und wirtschaftliche Interessen und Kontexte ausblenden … und Gewalt so präsentierten, als ergäbe sie sich zwangsläufig aus den Eigenheiten lokaler Kulturen‘.10 In diesem schwarzweißmalerischen Modell unterscheidet sich al-Qaida nicht wesentlich von der Hamas, der Hisbollah, dem Islamischen Dschihad oder der Moro Islamic Liberation Front (MILF): Sie alle sind zuvorderst und vor allem Feinde der USA und der zivilisierten westlichen Welt. Besonders bezeichnend für diese Weltsicht sind psychologische Bestrebungen, Täterprofi le zu erstellen, wobei dies meist auf weniger erhellende als vielmehr erniedrigende Weise für die betroffenen Subjekte und Objekte geschieht; entsprechende Bemühungen haben ein Bild von islamischen Terroristen als ,Verrückten‘ geschürt, die unter dem Einfluss psychologischer Störungen und ohne rational-logischen Bezug zu gesellschaftlichen, politischen oder religiösen Umständen agieren. Auf den ersten Blick scheint eine psychische Erkrankung eine unmittelbare und akzeptable wissenschaftliche Erklärung für den Terror zu liefern – und dies zu einem Zeitpunkt, da klare Antworten sehr gefragt sind. Die Logik ist simpel: Normale, gesunde Menschen haben nicht den Drang, Massen an Menschen zu töten.11 Wer
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jedoch an einer ernsthaften psychischen Erkrankung leidet, verspürt gelegentlich diesen Drang. Andererseits sind ,Verrückte‘ in der Regel schlechte Kandidaten, um komplexe technische Operationen zu leiten; sie sind sogar noch schlechtere Kommunikatoren – denn eine tatsächliche schwerwiegende psychische Erkrankung würde aller Wahrscheinlichkeit nach Menschen eben jener Fähigkeiten berauben, die sie bräuchten, um erfolgreiche Terroristen zu werden.12 Und doch hat die Vorstellung von ,verrückten Terroristen‘ mitsamt der Beschreibung des Verhaltens bestimmter Einzelpersonen nicht nur ein eingängiges Erklärungsmodell, sondern auch eine Diagnose geliefert, die die Legitimationsgrundlage zur Diskriminierung einer ganzen Gesellschaft schafft; sie erinnert in dieser Beziehung an das Bild orientalischer Kultur als ,krankem Mann‘, der am ,westlichen Wesen genesen‘ soll.13 Eine namhafte Verfechterin dieser Theorie ist Joan Lachkar, der zufolge Selbstmordattentäter unter Borderline-Persönlichkeitsstörungen leiden, verursacht durch „islamische Kindererziehung“.14 Von Islamisten verübte Terrorakte erscheinen so als das Endstadium einer allgemeinen Krankheit unter Muslimen, wobei al-Qaida ein besonders bösartiges Stadium dieses Leidens darstellt. Dem kritischen Beobachter ist natürlich klar, dass diese stereotype und verkürzte Auffassung, extremes oder pathologisches Verhalten sei quasi ein Wesenszug arabisch-islamischer Kultur (ergänzend kommt die Vorstellung von fundamental inkompatiblen, geographisch verteilten Idealen hinzu) in Wirklichkeit nur die gesellschaftlich-politische und religiöse Vielfalt verschleiert, die jede kulturübergreifende Analyse notwendigerweise berücksichtigen muss. Denn solange sich die Aufregung an Ground Zero legte, war es verzeihlich, dass die internationale Gemeinschaft die Komplexität der Situation nicht völlig überblickte. Wie Bernhard Lewis eloquent darlegt, sind Kontakte zwischen Zivilisationen häufig schwierig.15 Wenn man jedoch die komplizierte Dynamik, Problematik und Perspektiven einer ganzen Region weiterhin in Form eines Konfl ikts zwischen dem Islam und dem Westen betrachtet, dann lässt man zumindest eine Seite der Medaille völlig außer Acht. Das neo-orientalistische Erklärungsmodell trägt nur so lange, so lange es nicht mit lokalen und spezifischen Gegebenheiten in Berührung kommt. Die Vorstellung eines homogenen islamistischen Terrorfeinds löst sich nämlich in Wohlgefallen auf, wenn man den Charakter und die Ziele von al-Qaida auch nur flüchtig mit denen anderer fundamentalistischer Gruppen vergleicht.16 Im Gegensatz etwa zu palästi-
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nensischen Widerstandsbewegungen, die einen territorialen Kampf gegen einen konkreten Feind führen, ist al-Qaidas Mission in erster Linie transnational; weder beschränkt sie sich auf einen speziellen nationalstaatlichen Kontext noch richtet sie sich an den Bedürfnissen und Bestrebungen bestimmter Völker aus. Den Anhängern von al-Qaida, so Olivier Roy, ,sind ihre eigenen Nationalitäten egal. Manche haben mehrere … sie defi nieren sich als muslimische Internationalisten und verknüpfen ihre Militanz mit keinem speziellen nationalen Anliegen.‘17 Sie haben sich mit anderen Worten allen muslimischen Anliegen verschrieben und streben nach dem Ende allen Leids, das Muslime durch den ultimativen Feind des Islam erfahren: die USA und ihre Verbündeten, die so genannte Allianz aus Zionisten und Kreuzfahrern. In gewisser Weise beteiligen sich also beide Seiten an der gleichen Stereotypenbildung. Al-Qaidas Ideologie wird weiter mit der verbreiteten Vorstellung erklärt, ihre Mitglieder seien Verbrecher, religiöse Heuchler oder politische Akteure; sie nutzten die Religion mit vollem Kalkül aus, um die Gefühle anderer zu manipulieren und verfolgten statt religiösen nur politische Ziele.18 Rohan Gunaratna behauptet, Bin Laden berufe sich absichtlich auf islamische Symbolik und Rhetorik, um sich das Image einer religiösen Autorität zu verschaffen; Al-Qaida habe, so seine Schlussfolgerung, ,in dem Bestreben, den Geist ihrer Anhänger zu mobilisieren, den Text des Korans entstellt, verfälscht und missdeutet.‘19 Gunaratnas Inside Al Qaeda war eine der ersten umfangreichen Publikationen zu al-Qaida, die nach dem 11. September erschienen – mit dem Ergebnis, dass sich Gunaratnas Sicht auf Bin Laden und seine Anhänger auf breiter Front durchsetzte; dem Autor zufolge waren sie politische Akteure, deren vorgebliches Bekenntnis zum Islam in Wirklichkeit nur ein cleveres Propaganda-Instrument war, um für Unterstützung in der Bevölkerung zu werben und Terrorismus zu rein politischen Zwecken zu legitimieren. Man sollte jedoch beachten, dass keineswegs nur Osama Bin Laden an religiöse Gefühle appelliert, sondern dass dies im fortdauernden Ringen um religiöse und politische Legitimität vielmehr ein typisches Merkmal islamischer Politik ist.20 Ein wichtiger Aspekt, der gerne übersehen wird – und der ausführlich im folgenden Kapitel behandelt wird – ist die Tatsache, dass sich Bin Laden und seine Anhänger als die wahren Gläubigen betrachten und keinerlei Widerspruch zwischen ihren religiösen Ansichten und ihrem politischen Handeln sehen.
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Andere Analysten stellen islamische Terroristen als religiöse Heuchler dar, die sich zwar als überzeugte Muslime geben, ihrer Botschaft aber, wenn nötig, mit Bomben Ausdruck verleihen; wieder andere Kommentatoren bestreiten schlichtweg die Existenz eines ideologischen Überbaus. 2003 kam ein Geheimdienst-Team des Pentagon zu dem Ergebnis, al-Qaida sei keiner speziellen Weltsicht verpfl ichtet und kooperiere ,über ideologische, philosophische Grenzen hinweg‘.21 Eine solche Logik ist in vielerlei Hinsicht genauso praktisch und trügerisch wie die ,Verrückten‘-Hypothese, denn beide implizieren dieselbe Lösung: Man ergreife oder vernichte einfach die wenigen Fehlgeleiteten, und schon ist das Problem beseitigt. Dass jedoch der endgültige Erfolg im Krieg gegen den Terror ausbleibt, könnte ein Indiz dafür sein, dass dieses Erklärungsmodell nicht ganz greift. Eher ist davon auszugehen, dass die Attentäter des 11. September, die sich so bereitwillig in den Tod begaben, idealistischere Motive hatten als rationale politische Akteure im Allgemeinen. Selbst ein flüchtiger Blick auf die anthropologische Forschung zeigt, dass sich religiöse Fundamentalisten weltweit (einschließlich der Anhänger von al-Qaida) einer streng defi nierten Gemeinschaft von wahren Gläubigen zugehörig fühlen, geleitet vom Willen Gottes und mit dem Recht auf göttliche Belohnung für ihren Gehorsam.22
Eine ,islamische‘ Erklärung für al-Qaida: die Debatte um den Wahhabismus Eine ,islamische‘ Erklärung für al-Qaida
Wissenschaftler wie Stephen Schwartz erkennen hinter der Ideologie von al-Qaida einen größeren Sinnquell als ,diesseitige Anreize‘ und behaupten, Osama Bin Laden und seine Anhänger gehörten einer puritanischen Form des Islam an, dem Wahhabismus, einer angeblich extremen und intoleranten islamisch-faschistischen Sekte, die auch Staatsreligion in Saudi-Arabien sei.23 Ihnen zufolge ist der Wahhabismus eine extremistische und latent gefährliche monolithische Denkrichtung. Dieser Eindruck bestätigt sich sofort, wenn man im Internet den Begriff ,Wahhabismus‘ eingibt: Die Suche liefert Tausende von Links, die vor allem auf anti-wahhabitische Webseiten verweisen. Eine erheblich seriösere Quelle ist in dieser Beziehung allerdings die Encyclopedia of Islam; ihr zufolge ist der Begriff ,Wahhabismus‘ eine von Außenstehenden geprägte Bezeichnung für eine religi-
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öse Strömung im Islam, die von dem Gelehrten Muhammad Ibn Abd al-Wahhab im 18. Jahrhundert ins Leben gerufen wurde. Seine Anhänger, so die Encyclopedia, betrachten sich als Sunniten, folgen der Schule von Ibn Taymiyya und vertreten eine streng wörtliche Auslegung des Koran, den sie als die primäre Legitimationsquelle ansehen. Das wahhabitische Manifest ist einfach: den Islam von allen Neuerungen (bida’) befreien, die nach dem 3. Jahrhundert der Zeitrechnung stattfanden. Auch bestätigt das Manifest, dass Wahhabiten rücksichtslose Kampagnen gegen Sufisten und Schiiten geführt haben; diejenigen, die eine andere Sicht vertraten, wurden als Häretiker und Apostaten bezeichnet, was die Anwendung von Gewalt gegen sie rechtfertigte.24 Der sanktionierten Anwendung von Gewalt gilt das Augenmerk all jener, die einen Bezug zwischen Wahhabismus und al-Qaida sehen; diese Betrachtungsweise scheint jedoch kurzsichtig, denn sie blendet nicht nur fundamentale Unterschiede zwischen den beiden Ideologien aus, sondern lässt auch die komplexe Entwicklung des Wahhabismus in den Jahrhunderten seit seiner Entstehung außer Acht. Ganz grundsätzlich kann man sich nur fragen, was Abd al-Wahhab von der vergleichsweise toleranten Rhetorik des Panislamismus von Osama Bin Laden gehalten hätte, der ungeachtet zwangsläufiger religiöser Unterschiede die gesamte umma aus fremder Unterdrückung befreien will.25 Der streng am tauhid ausgerichtete Abd al-Wahhab behauptete dagegen, ,die überwältigende Mehrheit der Muslime … sei in einen Zustand religiöser Unkenntnis verfallen, der nicht besser als der der Dschahiliyya war‘.26 Trotz seines Erbes gewalttätiger Kampagnen gegen Andersdenkende hat der Wah habismus seine traditionellen, fundamentalistischen Anfänge hinter sich gelassen und seine Regeln im Laufe der letzten hundert Jahre in gewissem Maße gemäßigt. Osama Bin Laden und andere islamische Fundamentalisten mögen von der Tradition der Gewalt und von der Geisteshaltung von Muhammad Ibn Abd al-Wahhab inspiriert sein; wahhabitische Scheichs in Saudi-Arabien haben Selbstmordattentate jedoch ganz klar als un-islamisch bezeichnet.27 Diese wenn auch nur kurzen Beobachtungen werfen eine entscheidende Frage auf: Was wissen diejenigen, die das wahhabitische Denken für den zentralen Aspekt von al-Qaidas Leitbild halten, wirklich über die Ursprünge und spätere Entwicklung dieses Denkens? 28 Und wie zutreffend ist unser Verständnis von islamischer Geschichte?
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Es ist sinnvoll, hierzu auf die Debatte über den Einfluss von Ibn Taymiyya zurückzukommen, dessen angeblich radikale Interpretationen des Islam nicht nur ‘Abd al-Wahhab, sondern auch moderne islamische Fundamentalisten wie Osama Bin Laden inspiriert haben sollen. Die Argumente für diese These liegen auf der Hand: Delong-Bas kritisiert Ibn Taymiyya dafür, dass er sich für die Einteilung der Welt in zwei absolute und sich gegenseitig ausschließende Sphären ausspricht: das Gebiet des Islam (dar al Islam) und das Gebiet der Ungläubigen (dar al-kufr), welches für ihn nicht nur einen Status (den als Muslim oder Ungläubigen) beschreibt, sondern auch eine zwangsläufig feindselige Beziehung zwischen den beiden.29 Bernhard Haykel zufolge besteht ,die Bedeutung Ibn Taymiyyas darin, dass er bereit war, muslimische Glaubensbrüder, die seine Auffassung nicht teilten, als Häretiker zu verurteilen, und dass er darüber hinaus erklärte, der Krieg gegen muslimische Herrscher, die nicht die Scharia anwendeten, sei zulässig.‘30 Milson geht in seinen Überlegungen noch einen Schritt weiter und behauptet: ,Laut Ibn Taymiyya ist ein muslimischer Machthaber, der schwere Sünden begeht oder fremde Gesetze anwendet, nicht besser als ein Apostat (murtadd) und sollte hingerichtet werden. Es ist daher eine religiöse Pfl icht, einen Dschihad gegen solche Machthaber zu führen.‘31 Guy Sorman schließt sich dieser Argumentation an und kommt zu dem Ergebnis, dass Ibn Taymiyya ,eine theologische und politische Revolution eingeleitet hat: Es gibt keine fundamentalistische islamische Bewegung, die sich nicht auf ihn bezieht.’32 Im Gegensatz zu dem, was anscheinend Alltagswissen über die Ursprünge des Wahhabismus geworden ist, liefert Yahya Michot eine sehr viel ausgewogenere Sicht der Dinge. In seiner minuziösen und unaufgeregten Lektüre untersucht er Ibn Taymiyyas Mardin-Fatwa, die diese Debatte ausgelöst hat, und vergleicht unterschiedliche Interpretationen unter anderem von Muhammad Abd al-Salam Faraj und Shaykh Abd Allah Yusuf ‘Azzam.33 Michots Analyse ist eine wichtige Mahnung daran, dass eine Lektüre von Ibn Taymiyya heute aus dem damaligen historischen Kontext heraus verstanden werden muss. Michot tut genau das und macht einen Gelehrten lebendig, der keineswegs der Erzradikale war, zu dem ihn viele Analysten und Kommentatoren gerne machen möchten. Auch macht er klar, dass heutige Autoren, deren Interpretationen von Ibn Taymiyyas Mardin-Fatwa Michot im Folgenden untersucht, ,(mindestens) die Sünde des Anachronismus begehen, indem sie den Worten von Ibn Tay-
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miyya moderne Konnotationen geben oder, genauer gesagt, indem sie ihre Version von Ibn Taymiyya auf heutige Umstände übertragen‘.34 Wenn also Ibn Taymyya möglicherweise nicht der Ausgangspunkt radikalislamischen Denkens war, dann lautet die unmittelbar darauf folgende Frage: Wann und mit wem begann es? 35 Der offensichtlichste Kandidat ist natürlich Muhammad ‘Abd al-Wahhab.36 Bei genauerem Hinsehen erweist sich jedoch einmal mehr, dass – ungeachtet der Arbeiten von Henri Laoust, Thomas Michel und Bashier N. Nafi – eine systematische historische Untersuchung der Entwicklung islamischen Denkens in den Jahrhunderten vor dem Erscheinen von ‘Abd al-Wahhab und seiner weiteren Entwicklung noch immer aussteht.37 Die Antwort auf die Frage, ob die Ideologie al-Qaidas aus ,einer puritanischen Variante des Islam, dem Wahhabismus‘, hervorgeht, kann also wenig mehr als ein entschiedenes ,vielleicht‘ sein. In der Debatte um die Ideologie al-Qaidas entwickelte sich die wahhabitische These jedoch bald zum Bestandteil einer Theorie, die viel breitere Anerkennung fand.
Al-Qaida: ,Die Vorhut des globalen salafistischen Dschihad‘ Al-Qaida: ,Die Vorhut des globalen salafistischen Dschihad‘
Vor diesem Hintergrund bildete sich schließlich ein gewisser Konsens innerhalb der Terrorismusforschung heraus, wonach al-Qaida die Vorhut des ,globalen salafistischen Dschihad‘ sei.38 Der Begriff, der zur Beschreibung von al-Qaidas Ideologie weit verbreitet ist, vermittelt den Eindruck, als stehe er für eine eindeutige Denkrichtung innerhalb der islamischen Tradition. Obwohl er häufig verwendet wird, um den Charakter von al-Qaidas Ideologie zu beschreiben, ist nicht klar, was er wirklich bedeutet – klar ist nur die vage Vorstellung, dass diese Ideologie besonders radikal ist. Die Bezeichnung ist daher eine Art Schönfärberei von Konzepten, die noch nicht hinreichend untersucht worden sind; sie ist keine charakteristische Bezeichnung eines eindeutig und verlässlich identifi zierten Phänomens. Auch wenn sich nur schwer ermitteln lässt, wann der Begriff das erste Mal verwendet wurde, wird Marc Sagemans Buch Understanding Terror Networks besonders häufig zitiert; das Buch soll Einblick in den salafistischen Dschihad geben. Sageman betrachtet al-Qaida als
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Heuchler, Wahhabiten und salafistische Dschihadisten eine weltweite religiöse Erneuerungsbewegung mit dem Ziel, die glorreiche Vergangenheit der Muslime in einem großen islamistischen Staat von Marokko bis zu den Philippinen wiederherzustellen und gegenwärtige nationale Grenzen abzuschaffen. Sie predigt salafiyyah (von dem arabischen Wort salaf, das soviel wie ,Altvordere‘ bedeutet und sich auf die Gefährten des Propheten Mohammed bezieht), die Wiederherstellung des authentischen Islam, und plädiert für eine Strategie des gewaltsamen Dschihad, der in einem Ausbruch von Terror endet, um das auszumerzen, was als lokale Irrlehre betrachtet wird. Die globale Version dieser Bewegung tritt für die Niederlage der Westmächte ein, da diese die Errichtung eines wahrhaft islamistischen Staates verhindern.39
Um die Bedrohung weiter zu verdeutlichen, erklärt Sageman, der Westen stehe einer großen Bewegung gegenüber, ,zu der viele andere Terrorgruppen gehören, die bei ihren Aktivitäten zusammenarbeiten und eine breite Anhängerschaft haben‘.40 Die Namen dieser anderen Terrororganisationen nennt Sageman allerdings nicht; auch macht er keine näheren Angaben zu den Quellen, aus denen er seine Informationen bezieht. Der weitere Teil seiner Untersuchung zur „Entstehung des Dschihad“ gibt keine Einblicke, die von irgendwelchem Wert wären, und enthält ebenso wenig eine Arbeitsdefi nition des „salafistischen Phänomens“. Sageman behauptet, dass Mohammad ibn Abd‘ al-Wahhab, der „in vielen seiner Koraninterpretationen von den Fatwas von Ibn Taymiyya ausgeht“, entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung radikalislamischen Denkens gehabt habe, das auch das ideologische Fundament von al-Qaida bilde.41 Leider verweist er nicht auf die konkreten Fatwas, die dies belegen könnten. Die folgende Beschreibung der Umstände des Vorfalls, nämlich während ,einer der stürmischsten Phasen der islamischen Geschichte – der Eroberung der Gebiete des Islam durch die Mongolen … als Ibn Taymiyya gefragt wurde, ob es für Muslime legitim sei, einen Dschihad gegen andere Muslime zu erklären‘ – lässt vermuten, dass sich Sageman auf die Mardin-Fatwa bezieht, die im vorigen Abschnitt besprochen wurde. Sein Fazit lautet: ,die Mongolen waren keine wirklichen Muslime … sondern Apostaten, die gemäß der Scharia mit dem Tode bestraft werden sollten‘; ,Muslime hatten das Recht, ja die Pfl icht, Dschihad gegen sie zu führen‘. Sagemans Schlussfolgerungen gehen also mit der Auffassung anderer, oben erwähnter heutiger Wissenschaftler konform.42 Doch die unbequeme Frage bleibt bestehen: Wird eine Behauptung wahr, nur weil
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sie x Mal wiederholt wurde? Noch wichtiger ist allerdings das Fazit, das man selbst nach gründlicher Lektüre von Sagemans erstem Kapitel ziehen muss: dass nämlich die Vorstellung vom ,globalen salafistischen Dschihad‘ – die für viele zum Credo in Bezug auf al-Qaidas Ideologie geworden zu sein scheint – allenfalls vage bleibt. Ein Blick auf Wiktorowicz‘ Aufsatz ,Anatomie der salafistischen Bewegung‘ verspricht ein gewisses Maß an Klärung. Wiktorowicz erklärt, dass ,die salafistische Bewegung (die häufig als die Wahhabiten bezeichnet wird) eine bunt gemischte Gemeinschaft repräsentiert‘, zu der ,so unterschiedliche Figuren wie Osama Bin Laden und der Mufti von SaudiArabien zählen und die ein breites Spektrum an Positionen in Bezug auf Politik und Gewalt reflektiert‘.43 Trotz zahlreicher Unterschiede vereine Salafisten jedoch ,eine gemeinsame religiöse Überzeugung‘, die die strikte Einhaltung des Konzepts des tauhid (Glaube an die Einheit Gottes) und die vehemente Ablehnung einer Rolle von menschlichem Verstand, Logik und Verlangen beinhalte.44 Genauer erklärt Wiktorowicz: ,Salafisten glauben, dass sie die Vorbehalte menschlicher Subjektivität und menschlichen Eigennutzes ausschalten, indem sie sich streng an die Regeln und Anleitung des Korans und der Sunna (den Weg oder das Beispiel des Propheten Mohammed) halten und so die eine Wahrheit von Gottes Geboten erkennen‘.45 So gesehen existiert nur eine rechtmäßige religiöse Deutung, für islamischen Pluralismus ist kein Platz. Weiter teilt Wiktorowicz die vielfältigen Ausrichtungen innerhalb der salafistischen Bewegung in drei Hauptkategorien ein: die puristische, die politische und die dschihadistische. Diese Kategorisierung scheint auf den ersten Blick die Möglichkeit zu bieten, die Vielfalt einer Bewegung, die sich seit ihren Anfängen erheblich weiterentwickelt hat, begriffl ich zu fassen. Wiktorowicz steht jedoch auf der Suche nach einer Defi nition der salafistischen Bewegung nicht allein da. Andere Autoren sprechen von ,neo-traditionellen Salafisten‘, ,konservativen Reformisten‘ und ,radikalen Säkularisten‘, um nur einige Bezeichnungen zu nennen.46 Obwohl ein eingehender Vergleich dieser verschiedenen Ansätze den Rahmen dieses Buches sprengen würde, wirft die Beobachtung zwei interessante Fragen auf. Inwieweit besteht erstens überhaupt ein Konsens über den salafistischen Diskurs? Und was bedeuten dann zweitens die Begriffe ,salafistisch‘ und ,Salafismus‘? Die Encyclopedia of Islam beschreibt die Entwicklung salafistischen Denkens als äußerst komplex und häufig widersprüchlich. Nicht zuletzt
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sei ,die Frage, wer als Mitglied des salaf gilt, umstritten‘.47 Etymologisch stammt das Wort salafiyyah vom arabischen Stamm salaf ab, der ,vorangehen‘ bedeutet. Während salaf im Koran auf die Vergangenheit verweist, sind salaf nach arabischer Lexik die rechtschaffenen Vorfahren (al-salaf al-salih), wobei der Salafist derjenige ist, der sich auf den Koran und die Sunna als die einzigen Quellen religiöser Vorschriften bezieht. Obwohl sich die meisten muslimischen Gelehrten einig sind, dass das salaf die ersten drei Generationen Muslime umfasst, die sich über drei Jahrhunderte erstrecken und zu denen die Gefährten des Propheten, ihre Anhänger al-Tabi’in sowie die Anhänger ihrer Anhänger, Tabi’ al-Tabi’i, zählen, sind weder die wörtliche noch die chronologische Defi nition hinreichend, um den Begriff vollständig zu erklären. Die Encyclopedia weist ausdrücklich darauf hin, dass die ,salaf sich nicht auf eine bestimmte Gruppe oder eine gewisse Epoche beschränken‘.48 Vielmehr gelten berühmte Gelehrte und unabhängige Persönlichkeiten aus späteren Zeiten als Mitglieder des salaf, darunter Ahmad ibn Hanbal, Abu Hamid al-Ghazali, Ibn Taymiyyah, Ibn Qayyim al-Jawziyah, Muhammad Ibn Abd al-Wahhab, Jamal al-Din al-Afghani, Muhammad ‘Abduh und andere. An dieser Stelle ist zu betonen, dass die Ansichten selbst der ersten Generationen von Muslimen alles andere als homogen waren; außerdem wandelten sich die ideologischen Elemente der Salafiyyah im Laufe der Zeit und als Reaktion auf die zahl losen Herausforderungen, mit denen die muslimische Gemeinschaft in ihrem Bemühen um Reformen und Erneuerung konfrontiert war.49 Die verbreitete Annahme, der salafistisch-dschihadistische Diskurs sei eine klar defi nierte monolithische Denkrichtung ist also mit einem großen Fragezeichen zu versehen; ebenso lässt sich über die Art und Weise streiten, wie der Salafismus in der Literatur zum Terrorismus im Allgemeinen und zur Ideologie al-Qaidas im Besonderen dargestellt wird.50 Um diesen Aspekt zu verdeutlichen, ist es sinnvoll, das häufig vorgebrachte Argument näher zu untersuchen, wonach Salafisten logisches Denken und menschliches Verlangen mehr als andere meiden – wobei man in Erinnerung behalten sollte, dass jede Interpretation automatisch Teil des tafsir (der Koranexegese) ist. Auf den ersten Blick bestätigt die Encyclopedia of Islam, dass zum Beispiel Ahmad Ibn Hanbal für das Primat des offenbarten Textes über die Vernunft eintrat, obwohl er keinen Widerspruch zwischen der Vernunft und den Schriften sah.51 Die Encyclopedia
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bestätigt außerdem, dass die moderne Salafiyyah, wie sie von Jamal al-Din al-Afghani und Muhammad ‘Abduh begründet wurde, die Überzeugung teilt, dass der Koran das unerschaffene Wort Gottes ist – das heißt, es ist von Gott inspiriert und nicht einfach von Menschenhand aufgeschrieben – und die Deutung seiner Verse ablehnt. Für sie standen darüber hinaus Offenbarung und Vernunft in völligem Einklang; wenn die beiden im Widerspruch zu stehen schienen, interpretierten die Begründer den Text auf der Basis logischen Denkens.52 Bedeutet dies, dass der menschliche Verstand unter gewissen Umständen zulässig ist? Wenn dem so ist, unter welchen Umständen? Ist die Art von Subjektivität, die zwangsläufig mit menschlichem Nachdenken über göttliche Konzepte einhergeht, erlaubt? Und wenn schließlich nur das Göttliche wahrhaft für das Göttliche sprechen kann, wer hat dann das Recht, für den ,wahren Islam‘ zu sprechen? An diesem Punkt lohnt es sich, noch einmal auf Sagemans Argumentation zurückzukommen, in der es unter anderem heißt: ,der Einfluss des [ägyptischen Autors und Islamisten] Sayyid Qutb auf den salafistischen Dschihad war entscheidend.‘53 Bevor man diesen Gedanken weiter entwickelt, muss man zunächst defi nieren, unter welchen Gesichtspunkten Qutb als Salafist bezeichnet werden könnte. Wie der erste Treffer der oben erwähnten Internetrecherche ergibt, ,lehnen die meisten Salafisten den Qutbismus als Abweichung vom wahren Salafismus ab‘.54 Der Artikel verrät jedoch nicht, wer diese ,Salafisten‘ sind oder wo sie derartige Meinungen von sich geben; genauso wenig vermittelt er ein Gefühl von Sachlichkeit, da er den ,wahren Salafismus‘ von Qutbs Kritikern nicht defi niert. Wiktorowicz‘ Argumentation, der zufolge die Salafisten menschlichem Verstand und menschlicher Interpretation jegliche Rolle absprechen, lässt Sagemans Versuch, Qutb und al-Qaida mit dem Salafismus in Verbindung zu bringen, nur noch dürftiger aussehen: Das Ablehnen des Verstandes und die gleichzeitige Demonstration der kognitiven Anpassung des Korantextes an die Realität – die sich angeblich gegenseitig ausschließen – sind zum Beispiel in Sayyid Qutbs bekannter politischer Interpretation des Koran, Fi Zilal al-Qur’an (Im Schatten des Koran), ganz offenkundig. Obwohl wie gesagt ein gewisses Maß an Interpretation in jedem tafsir steckt, ist beim Lesen von Qutbs Kommentar das Zusammenspiel seiner eigenen Gedanken und dem Korantext immer wieder augenfällig; es zeigt, dass Qutb in der Schrift als solcher keine Wahrheit fand, sondern eher in dem, was er für ihre Bedeutung hielt.55
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Das Gleiche gilt, wenn Bin Laden seine Glaubensbrüder dazu aufruft, einen Dschihad gegen die Feinde des Islam zu führen und wenn ihm die Entstehung von etwas vorschwebt, das der modernen Vorstellung eines islamischen Staates ähnelt: Er hat die Worte der heiligen Schriften auf die aktuelle politische Situation übertragen und ihre Bedeutung innerhalb dieses neuen Kontextes gedeutet. Bin Laden konstruiert seine Vorstellung des Islam im Sinne einer alternativen Interpretation, die die ideologischen Gräben innerhalb des Islam überwindet und die vermeintliche Glaubensgemeinschaft (umma) weit oberhalb einzelner Staaten und Regierungen und außerhalb des Einflusses aller un-islamischen Elemente ansiedelt. Es mag ihm an einem stimmigen Konzept fehlen, wie diese Glaubensgemeinschaft praktisch organisiert werden soll, doch diesen Mangel macht er durch glühenden Eifer wett. Die Logik dieses Eifers lässt sich wie folgt zusammenfassen: Als erstes müssen wir die Feinde des Islam, namentlich das Eindringen der Zionisten-Kreuzfahrer, überwinden, dann wird sich alles andere auf natürliche Weise oder gegebenenfalls durch göttliche Intervention fügen. Mit dieser Logik bleibt Bin Laden hinter anderen Panislamisten zurück, die ihre Vision des Islam, insbesondere das Organisieren und Regieren der Gemeinschaft der Gläubigen, wesentlich konkreter zum Ausdruck gebracht haben.56 Wie allerdings in der vorangehenden Diskussion über den fraglichen Status als Organisation klar geworden ist, liegt al-Qaidas wahre Stärke in ihrer Ideologie. Wenn es darum geht, Einzelne zu motivieren, den physischen Kampf auf sich zu nehmen, anstatt sich beim Nation-Building zu engagieren, ist ein ideeller Schwerpunkt von großer Bedeutung. Abgesehen von ihrer relativen Simplizität ist Bin Ladens Vision vor allem idealistisch, und es spricht einiges dafür, dass diese Art von Idealismus an den Kern der Solidarität unter Muslimen rührt und somit gerade jene anspricht, die mit Bin Laden und al-Qaida sympathisieren. Es wäre daher angebracht, die ideologischen Ursprünge und die breite Anziehungskraft von al-Qaida im größeren Kontext der Entstehung des Panislamismus zu betrachten; dies ist das Thema des folgenden Kapitels. Die Validität dieses alternativen Ansatzes zeigt sich einmal mehr, wenn man Bin Laden mit dem Etikett ,Salafist‘ versieht. Gemäß welcher Defi nition wird Bin Laden zu einem Salafisten? Weil er bestreitet, dass die menschliche Vernunft bei der Interpretation islamischer Schriften eine Rolle spielen sollte, sofern das ein legitimes Kriterium ist, und ob-
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wohl er in völligem Widerspruch zu diesem Verbot handelt, weil er in seiner Argumentation seine eigene Interpretation auf die Schriften anwendet? Weil es sein erklärtes Bemühen und seine Absicht ist, auf die fundamentalen Prinzipien (ususl) des Islam zurückzukommen? Oder resultiert diese Kategorisierung eher aus der Tatsache, dass er sich wie viele andere islamische Fundamentalisten als wahren Gläubigen – oder Salafisten – wahrnimmt, der sich streng an die göttliche Weisung des Propheten hält und die elementaren Grundlagen des Islam wiederherstellt, sich aber zugleich des fortlaufenden Prozesses seiner eigenen Interpretation nicht bewusst zu sein scheint? Wenn Bin Laden und seine Anhänger aus einem oder mehreren dieser Gründe als salafistische Dschihadisten eingestuft werden, dann lautet die vielleicht passendere Frage: ,Wer ist kein „moderner“ Salafist?‘ Es würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen, die Vielfalt der salafistischen Bewegung zu untersuchen oder die Entwicklung des Wahhabismus vollständig nachzuzeichnen. Dennoch sei angemerkt, dass es sich nicht lohnt, das Konzept islamischer Zersplitterung mit dem orientalistischen Bade ausschütten. Der Eindruck, der salafistische Diskurs sei eine homogene Einheit, wird von unterschiedlichen Denkrichtungen und abweichenden Interpretationen konterkariert, insbesondere in einer Zeit kontinuierlicher Zersplitterung religiöser Autorität, ,in der die Bedeutung der Schrift nicht mehr durch ein religiöses Establishment interpretiert werden muss, sondern vielmehr im Ermessen jedes Einzelnen liegt‘.57 Grundlage dieser Argumentation ist die Beobachtung, dass die muslimische Welt weder von Modernisierungsprozessen noch vom Zugang der breiten Masse zur Bildung unberührt geblieben ist, was unter anderem die Entwicklung neuer politischer Gesellschaften sowie die Entstehung von Ungerechtigkeit, Identitäten und Chancen beeinflusst und ermöglicht hat. Während viele Muslime vehement darauf insistieren würden, dass die langjährige Entwicklung der islamischen Rechtslehre und Koranexegese einen defi nitiven Leitfaden für Gläubige bietet, ,steht diese Tradition nun einer ausufernden Zahl von Individuen mit moderner Bildung gegenüber, die direkten Zugang zu den fundamentalen religiösen Texten haben und die infrage stellen, warum sie sich automatisch der religiösen Klasse beugen sollen.‘58 Angesichts dieser anhaltenden Entwicklung ist es immer schwieriger geworden, Islamisches von Un-Islamischem zu trennen. Und es sind sowohl diese immer neuen Spielregeln als auch die Leichtigkeit,
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Heuchler, Wahhabiten und salafistische Dschihadisten
mit der Menschen sich anmaßen können, an die muslimische Tradition zu erinnern und sie zu verteidigen, die es Menschen wie Osama Bin Laden überhaupt erst möglich gemacht haben, vorgeblich im Namen des Islam zu sprechen. Aber bedeutet dies im Umkehrschluss, dass jeder Muslim, der sich um die tatsächliche Bedeutung des Islam bemüht, als Salafist bezeichnet werden kann? 59 Hassan al-Turabi, der an der Sorbonne ausgebildete Anführer der Muslimbrüder im Sudan, hat erklärt: ,weil alles Wissen göttlich und religiös ist, sind ein Chemiker, ein Ökonom und ein Jurist alle ulama‘; er würde die Frage also bejahen. Und James Piscatori erklärt: ,Meinungen zu Themen wie Bürgerbeteiligung oder sozialer Gerechtigkeit sind permanent im Umbruch und die Bedeutung des Koran ist mehr als vieldeutig.‘60 Dem ,salafistisch-dschihadistischen‘ Diskurs, der allem Anschein nach zur ideologischen Grundlage von al-Qaida geworden ist, fehlt es mit anderen Worten an einer defi nitorischen Grundlage, so dass er allenfalls vage bleibt. Wenngleich man die Bezeichnung als praktisches Etikett für radikale Islamisten im weitesten Sinne betrachten könnte, wirft sie das Problem der Verallgemeinerung und der Vermengung unterschiedlicher Bewegungen mit verschiedenen geo-spezifischen Zielen und Prioritäten auf, denn ihre Betonung liegt ausschließlich auf der Anwendung von Gewalt zum Erreichen dieser unterschiedlichen Ziele. Es scheint daher nicht sonderlich lohnend, den Begriff zur Erklärung der Logik von al-Qaidas globalem Dschihad zu verwenden.
Der Kern von al-Qaidas Ideologie: eine Annäherung Der Kern von al-Qaidas Ideologie: eine Annäherung
Wie oben gezeigt, scheinen die bisherigen Untersuchungen der Ideologie von al-Qaida einer Krisensituation und einem Forschungsklima entsprungen zu sein, das angesichts der plötzlichen Wirren auf der politischen und sicherheitspolitischen Bühne von Dringlichkeit beherrscht war. Egal, ob man die Anhänger al-Qaidas als Verrückte, religiöse Fanatiker, Wahhabiten des 21. Jahrhunderts oder als salafistische Dschihadisten charakterisiert: All diesen Darstellungen ist eine Art ,Outside-In‘-Ansatz gemein, das heißt, sie konzentrieren sich bei dem Versuch, die betreffenden Phänomene zu erklären, auf das äußere Erscheinungsbild von al-Qaida und verwenden bestehende Paradigmen. Da sie ihr Augenmerk auf die Anwendung von Gewalt legen, haben Terrorismusforscher zur Erklärung der
Der Kern von al-Qaidas Ideologie: eine Annäherung
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Beweggründe von al-Qaida zu Modellen wie dem Wahhabismus oder dem salafistisch-dschihadistischen Diskurs gegriffen – Konzepten also, die, wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, an sich mehr als komplex sind, äußerst kontrovers diskutiert werden und keineswegs so einfache monolithische Denkrichtungen sind, wie manche gerne hätten. Es scheint also, als ob ein Großteil der Analysen von den bewährten Untersuchungsverfahren abgekommen sei und eher magere und oberflächliche Etikette erfunden habe, die den Anschein einer Antwort geben, letztlich aber wenig Gehaltvolles aussagen. Wer auf diese Weise vorgeht, setzt sich nicht nur der Gefahr aus, die komplexe Geschichte und Entwicklung islamischen Denkens zu verkennen, sondern riskiert wichtiger noch, den Untersuchungsgegenstand zu missdeuten. Auch wenn die Bezeichnung salafistischer Dschihadist vielleicht zutreffend die Anwendung von Gewalt beschreibt, liefert sie keinerlei Erkenntnisse über die Beweggründe, Ziele, Rechtfertigung oder die Anziehungskraft von al-Qaidas globalem Dschihad. Es wäre sachdienlicher, sich bei der Untersuchung der Mechanismen von al-Qaidas Politik der Gewalt insbesondere auf die Fragen zu konzentrieren, die sich mit dem komplexen Zusammenspiel von Religion und Politik in der islamischen Tradition auseinandersetzen. Konkreter gefragt: Wie fügt sich Bin Ladens globaler Dschihad in die moderne politische Landschaft des Islam ein? Wie sieht die Verbindung zwischen religiösen und politischen Rahmenbedingungen aus, die Bin Ladens Rhetorik verwischt? Wie sind diese Rahmenbedingungen durch den globalen gesellschaftlich-politischen Wandel erschüttert oder beeinflusst worden? Eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen wirft ein neues Licht auf die Logik und breitere Anziehungskraft von Bin Ladens globalem Dschihad und auf die Bedrohung, die er für die internationale Sicherheit darstellt.
IV. Die Wiederherstellung der umma: al-Qaidas Ideologie im Kontext der panislamischen Tradition Die Wiederherstellung der umma
Muslime in aller Welt leiden unter Unterdrückung, Feindseligkeit und Ungerechtigkeit durch die jüdisch-christliche Allianz und ihre Anhänger. Dies zeigt sich in der Überzeugung unserer Feinde, dass das Blut von Muslimen das billigste ist und darin, dass ihr Eigentum und Reichtum geplündert werden. Euer Blut wurde in Palästina und im Irak vergossen, und die entsetzlichen Bilder des Massakers von Qana im Libanon sind den Menschen noch lebhaft in Erinnerung. Die Massaker in Tadschikistan, Burma, Kaschmir, Assam, auf den Philippinen, in Fatani, Ogaden, Somalia, Eritrea, Tschetschenien und Bosnien-Herzegowina lassen uns Schauer über den Rücken laufen und rütteln das Bewusstsein auf. All dies hat vor den Augen und Ohren der Welt stattgefunden, doch die schreiende imperiale Arroganz Amerikas, unter dem Deckmantel der unmoralischen Vereinten Nationen, hat die Enteigneten daran gehindert, sich zu bewaffnen. …
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Wir werden dafür sorgen, dass die Ungerechtigkeit, die unserer umma durch die jüdische Kreuzfahrer-Allianz widerfahren ist, beseitigt wird. Osama Bin Laden, Dschihad-Erklärung, 23. August 19961
Im Gegensatz zum verbreiteten Bild von al-Qaida als einer Gruppe radikaler Islamisten, die sich am Rande, wenn nicht gar außerhalb des Schoßes des Islam bewegt, genießen weite Teile von Bin Ladens Programm (wenn auch nicht unbedingt seine gewaltsamen Mittel) breite Zustimmung und fi nden bei Muslimen auf der ganzen Welt Anklang. Wie eine Umfrage des Pew Global Attitudes Projekts vom Juli 2005 ergab, setzt eine überraschend hohe Zahl von Muslimen Vertrauen in Bin Ladens weltpolitisches Vorgehen, auch wenn die Unterstützung für Selbstmordattentate und andere Formen des Terrors insgesamt zurückgeht und die Folgen des Krieges gegen den Terror zunehmend Sorge bereiten.2 Während die öffentliche Unterstützung für Bin Laden in Marokko und Indonesien 20 beziehungsweise 37 Prozent betrug, was einer rückläufigen Entwicklung seit 2003 entspricht, bestätigt sich dieser Trend in anderen Ländern nicht. In Pakistan etwa setzte eine knappe Mehrheit von 51 Prozent ein gewisses
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Maß an Vertrauen in Bin Laden, was einem moderaten Anstieg von 45 Prozent im Jahr 2003 entspricht. In Jordanien stieg die Unterstützung für den Anführer von al-Qaida im gleichen Zeitraum von 55 auf 60 Prozent; von ihnen gaben 25 Prozent an, großes Vertrauen in ihn zu setzen.3 Bemerkenswerterweise waren der Irak und Saudi-Arabien nicht unter den befragten 16 Ländern; in ihnen dürfte die Unterstützung für Bin Laden nur noch höher als in anderen Ländern der Region ausfallen. Ein Bericht aus dem Jahr 2007 ergab – manche würden sagen: bestätigte – dass in der gesamten islamischen Welt tiefe und zunehmende Ressentiments gegenüber den Vereinigten Staaten bestehen. Nur 21 Prozent der Ägypter erklärten zum Beispiel, sie hätten ein positives Bild der USA; in Pakistan bewegte sich ihre Zahl bei 15 Prozent, und in der Türkei betrug sie nur magere 9 Prozent.4 Die überwältigende Mehrheit der Menschen in islamischen Ländern setzt wenig oder gar kein Vertrauen in die Art und Weise, wie Amerika auf der Weltbühne agiert. Dass das öffentliche Image der Vereinigten Staaten schwer angeschlagen ist, ist nicht nur die Bilanz des Pew Global Attitudes Report, sondern einer Reihe von Umfragen vergleichbarer Art. 2004 ergab zum Beispiel eine Umfrage von Zogby International, dass nur 12 Prozent der Befragten in sechs arabischen Ländern ein positives Bild der USA hatten; ein beachtlicher Anteil von 65 Prozent wies die Vorstellung zurück, die Demokratie sei ein genuines Ziel der USA im Nahen Osten.5 Ihre Ablehnung galt indes nicht der Demokratie und liberalen Werten; ganz im Gegenteil kam eine Gallup-Umfrage unter zehn mehrheitlich islamischen Ländern zu dem Ergebnis, die überwältigende Mehrheit unterstütze westliche Freiheits- und Demokratiestandards.6 Einer der Hauptkritikpunkte ist vielmehr die Doppelmoral der amerikanischen Außenpolitik – ein Thema, das im Zentrum von Bin Ladens Kritik steht. Die amerikanischen Kampagnen, so heißt es, würden zwar im Namen von Freiheit und Demokratie geführt; für die Betroffenen hätten sie jedoch gänzlich andere Folgen. Die Regierung von Präsident Barack Obama hat, wenn überhaupt, nur zu einer temporären Verbesserung des Amerika-Bildes in Umfragen geführt: Die Zustimmung für die amerikanische Führung in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas bewegte sich Ende 2010 auf einem ähnlich niedrigen oder niedrigeren Niveau als 2008 und büßte die Zuwächse ein, die nach der Ablösung der Bush-Regierung durch die Obama-Regierung zunächst zu verzeichnen waren.7
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In diesem Klima des Antiamerikanismus ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Unterstützung für al-Qaida zugenommen hat. Die Botschaften Osama Bin Ladens leuchten nicht nur einer erheblichen Anzahl von Muslimen auf der ganzen Welt ein, sondern sie sind mit ihren besonderen Aussagen auch Vorbild für andere Fundamentalisten, wie bereits in Ver weisen auf anthropologische Untersuchungen in den vorhergehenden Kapiteln erwähnt: Sie verstehen sich als die wahren Gläubigen und demonstrieren ihr Bekenntnis nicht nur durch ihren Glauben, sondern auch durch Taten.8 In dem Belagerungszustand, in dem sich ein Großteil des Islams heute befi ndet oder zu befi nden glaubt – belagert von ausländischen Mächten und unter penetrantem Beschuss von weltlichen Werten – werden Gruppen und Individuen, die aufgrund religiöser Prinzipien Widerstand leisten und so den Glauben mutig gegen seine Feinde verteidigen, zu einer großen Inspirationsquelle für diejenigen, die diese permanenten Übergriffe leid sind. Auf diese Weise haben al-Qaida und Bin Laden die Sympathien der Bevölkerung gewonnen, denn sie haben dem Goliath Amerika Paroli geboten. ,Für Millionen seiner Glaubensbrüder gilt Bin Laden … als islamischer Held,‘ so Scheuer.9 Wie kam es dazu?
Die Verlautbarungen Osama Bin Ladens Die Verlautbarungen Osama Bin Ladens
Wer die ideologischen Grundlagen von al-Qaidas globalem Dschihad und seine Anziehungskraft verstehen will, muss sich zunächst intensiv mit Bin Ladens Programm auseinandersetzen. Wie die Diskussion über die Entstehung al-Qaidas im ersten Kapitel angedeutet hat, buhlte Osama Bin Ladin seit den frühen 1990er-Jahren um Aufmerksamkeit, allerdings mit mäßigem Erfolg; er verbreitete seine Auffassungen und Absichten in der Öffentlichkeit, bevor er sie in die Tat umsetzte. Seine ersten Interviews mit westlichen Medien fanden wenig Beachtung, und Bin Laden wurde zu diesem Zeitpunkt nicht ernst genommen. Bergen hat als Reaktion auf das Interview mit CNN 1997 bemerkt: [Bin Laden] sagte: ,Ich sage einen schwarzen Tag für Amerika voraus; ein Tag, nach dem Amerika nie mehr so sein wird wie vorher und die Staaten nicht vereint sein werden‘ und er erklärte recht ausführlich, dass dies ein fortwährender Kampf sein werde.
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Und dann ging er auf eine der Antworten ein, die wir schließlich oft brachten, und die besagte, er habe diese Nachricht für Amerika – und sie kam mir immer in den Sinn, weil sie damals übertrieben klang: ,Ich erkläre den Vereinigten Staaten den Krieg. Ich werde euer Land angreifen.‘ Und ich dachte: ,Ja, du ganz allein, was?‘ Würde man diese Worte am 12. September 2001 statt zum Beispiel am 9. September 2001 senden, dann klängen sie gar nicht mehr übertrieben, sondern so, als ob er es uns ja schon immer gesagt hätte.10
Wenn Bin Ladens Stimme vor dem 11. September 2001 weitgehend ohne Gehör blieb, so waren die Anschläge jenes Tages der ultimative Beweis dafür, dass Taten mehr sagen als Worte. Erst die Anschläge beschieden Bin Ladens Suche nach öffentlicher Anerkennung schließlich Erfolg11 – auch wenn es wohl nicht die Art der Anerkennung war, auf die er gehofft hatte, nämlich eine Auseinandersetzung mit seinen politischen Botschaften. Während die Bilder der einstürzenden Zwillingstürme sogleich um die Welt wanderten und zum ultimativen Symbol des Angriffs auf die Freiheit wurden, erreichten in den folgenden Jahren nur Bruchteile von Bin Ladens Botschaften ein breiteres westliches Publikum. Wie oben erwähnt, stellten die Auszüge aus seinen Äußerungen, die westliche Medien nach dem 11. September sendeten, gewöhnlich seine kontroversen Aufrufe zur Gewaltanwendung gegen amerikanische beziehungsweise westliche Ziele in den Mittelpunkt und gaben daher nur begrenzten Einblick in seine Agenda. Erst 2005 erschien schließlich eine Sammlung der wichtigsten Äußerungen Bin Ladens zwischen 1994 und 2004 in englischer Übersetzung.12 Inwieweit die seit langem erwartete Publikation jedoch eine kritische und unvoreingenommene Auseinandersetzung mit der Logik von al-Qaidas globalem Dschihad ermöglichte, bleibt fraglich. Die Fest nahme und Inhaftierung eines Master-Studenten, der zum Thema terroristische Taktiken recherchierte, und die eines Mitarbeiters der Nottingham University, der ein Trainingshandbuch von al-Qaida aus dem Internet herunterlud, das als Forschungsthema für ,ungeeignet‘ befunden wurde, lassen berechtigte Bedenken aufkommen, inwieweit man sich frei mit den Gedanken von al-Qaida auseinandersetzen kann.13 Dass die betreffende Handreichung (das Al Qaeda Training Manual, dessen Autor als ,al-Qaida‘ gelistet wird) auch vom Internethändler Amazon.com für 14,95 Dollar angeboten wurde, spielte keine Rolle.14 Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass Bin Laden gemeinhin
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als radikaler Islamist, als Personifi zierung des Bösen und als Stellvertreter einer ,Gruppe‘ oder ,Organisation‘ gilt, die den Westen aufgrund seiner liberalen Denk- und Lebensweise abgrundtief hasst und die entschlossen ist, das Goldene Zeitalter des Islam wiedererstehen zu lassen, koste es, was es wolle. Wenn jedoch al-Qaida nicht die fest gefügte Organisation ist, für die man sie hält, und wenn ihre primäre Existenz, ihre größte Stärke und ihr hauptsächliches Potenzial letztlich in der Strahlkraft der Idee liegen – der Fähigkeit, zu Gewalt anzustiften, sie zu radikalisieren und sie zu entfesseln – dann ist die kritische Auseinandersetzung mit ihren Ideen nicht nur wünschenswert, sondern elementar notwendig. Da der größte Teil von Bin Ladens Botschaften für ein arabischsprachiges Publikum leichter verfügbar ist, scheint es derzeit angebracht, von der Existenz von (mindestens) zwei Bin Ladens zu sprechen: dem bösen Feind von Freiheit und Demokratie auf der einen Seite, und dem frommen Muslim, der den Glauben verteidigt, auf der anderen Seite.15 Bei näherer Betrachtung von Bin Ladens Botschaften offenbart sich entgegen dem verbreiteten Bild indes bald, dass sein Krieg weniger eine Reaktion darauf ist, was der Westen ist (nämlich Freiheit und Demokratie, was ebenfalls eine zumindest fragwürdige Kurzfassung ,des Westens‘ ist), als vielmehr eine Reaktion darauf, was der Westen macht. In einer Erklärung aus dem Jahr 2003 betonte er ausdrücklich: Das Weiße Haus verfälscht die Wahrheit, … es behauptet, wir verachteten ihren Lebensstil – doch die Wahrheit, die der Pharao des Jahrhunderts [Präsident Bush] verheimlicht, ist die, dass wir sie angreifen, weil sie sich uns gegenüber in der islamischen Welt, insbesondere in Palästina und im Irak, ungerecht verhalten und weil sie Saudi-Arabien besetzen.16
Schon 1997 machte Bin Laden einem westlichen Publikum in dem oben erwähnten Interview mit CNN unmissverständlich klar, dass er den USA aufgrund ihrer Außenpolitik und deren Konsequenzen den Krieg erklärt habe. Obwohl Bin Ladens größte Sorge seinerzeit der Präsenz von USTruppen in Saudi-Arabien galt, gab es weitere Gründe für seine feindselige Haltung, so etwa die damaligen Sanktionen gegen den Irak sowie die amerikanische Unterstützung Israels – Vorgänge also, die zum Leid von Muslimen an verschiedenen Orten beitragen. Bin Laden zufolge messen die USA mit zweierlei Maß, indem sie bei der Durchsetzung ihrer eigenen
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Interessen Terror säen und dann jene als ,Terroristen‘ bezeichnen, die Widerstand leisten. Wir haben der Regierung der USA den Dschihad erklärt, weil die Regierung der USA … – sowohl direkt als auch indirekt – durch ihre Unterstützung der israelischen Besatzung des Landes der Nachtreise des Propheten17 (Palästina) in äußerst ungerechter, abscheulicher und verbrecherischer Weise gehandelt hat. Und wir glauben, dass die direkte Verantwortung für die in Palästina, im Libanon und im Irak Getöteten bei den USA liegt. Die Erwähnung der USA erinnert uns vor allem an jene unschuldigen Kinder, die verstümmelt wurden, denen bei den jüngsten Explosionen Köpfe und Arme abgetrennt wurden. … Diese US-Regierung hat mit diesen abscheulichen Verbrechen humanitären Gefühlen entsagt. Sie hat alle Grenzen überschritten und sich in einer Weise verhalten, wie es keine Macht – auch keine imperialistische Macht – der Welt je getan hat. Sie hätten sensibel dafür sein sollen, dass die qibla18 der Muslime (Saudi-Arabien) die Gefühle der gesamten islamischen Welt weckt. Infolge ihrer Untertänigkeit gegenüber den Juden gingen die Arroganz und der Hochmut des US-Regimes so weit, dass sie die qibla der Muslime besetzt haben, die heute mehr als eine Milliarde Menschen weltweit ausmacht.19
Auch wenn Bin Laden in seiner Argumentation im Laufe der Zeit gesellschaftspolitische Veränderungen und Entwicklungen mitberücksichtigte, bleiben die Gründe, wegen derer er die USA attackiert, dieselben. Das zentrale Thema, das Osama Bin Laden in all seinen Äußerungen – von offenen Briefen und Videobotschaften bis hin zu Interviews und Trainingshandbüchern vom Ende der 1980er-Jahre bis heute – ins Feld führt, ist das Leid und die Erniedrigung der umma, der weltweiten Gemeinschaft aller Muslime, welche ihr von den Ungläubigen, nämlich den USA und ihren Verbündeten, zugefügt wird. Im Zentrum von Bin Ladens Botschaften steht eine panislamische Weltanschauung, der zufolge Gottes bevorzugte Gemeinschaft durch die modernen Erzfeinde des Islam existenziell bedroht wird: die Vereinigten Staaten und Israel, die so genannte Allianz aus Zionisten und Kreuzfahrern. Um dies zu vermitteln, listet er vor allem die Qualen von Muslimen auf und verweist auf symbolische Situationen wie etwa in Palästina, dem Irak, Tschetschenien, Kaschmir und vor allem Saudi-Arabien, wo – laut Bin Laden – amerikanische Truppen die heiligen Stätten des Islam besetzten und kontrollierten. Der ultimative Grund für den miserablen, ja unerträglichen Zustand der umma, der sich sowohl im physischen Leid von Mus-
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limen wie auch im weit verbreiteten Verfall islamischer Werte und Umgangsformen innerhalb der Gemeinschaft bekunde, liege daher in der doppelten Realität militärischer Besetzung und kultureller Hegemonie durch die Amerikaner. So erklärt Bin Laden: Die Arabische Halbinsel ist – seit Gott sie flach ausgebreitet hat, die Wüste erschuf und sie mit Meeren umgab – noch nie von Armeen wie denen der Kreuzfahrer gestürmt worden, die sich auf ihr wie Heuschrecken ausbreiten. Seit über sieben Jahren besetzen die Vereinigten Staaten die Länder des Islam, die heiligsten Stätten, die Arabische Halbinsel, plündern ihre Schätze, diktieren ihren Herrschern, was sie zu tun haben, erniedrigen ihre Menschen, terrorisieren ihre Nachbarn. … Die Welt steht in Flammen. Endloses Leid, zunehmende Korruption, entsetzlicher Missbrauch. Seht euch nur den Irak an. Seht euch Palästina an. Seht euch Kaschmir an. Gegen unsere Brüder und Schwestern werden Gräuel begangen. Doch sie sind Teil unserer Gemeinschaft und verdienen unser Mitgefühl und unsere Unterstützung.20
Der einzige Weg, die umma gegen diese so empfundene Aggression zu verteidigen, ist eine militärische (genauer gesagt: paramilitärische) Auseinandersetzung mit Amerika, die Bin Laden in höchst gefühlsgeladenen Worten als den rechtmäßigen Dschihad der Gegenwart gegen den Hauptfeind von Gottes bevorzugter Gemeinschaft und damit den Islam als solchen darstellt. Ultimatives Ziel dieses Dschihad ist es, die umma vom schmerzlichen Zugriff der USA zu befreien. Die inzwischen berüchtigte Fatwa von 1998 ließ keinen Zweifel daran, wie dieses Ziel erreicht werden sollte: Die Amerikaner und ihre Verbündeten zu töten – ob Zivilisten oder Soldaten – ist die Pfl icht eines jeden Muslims, egal in welchem Land, um die Al-Aksa-Moschee und die Heilige Moschee aus ihrer Gewalt zu befreien und ihre Armeen aus allen Gebiet des Islam zu vertreiben, besiegt und unfähig, einen einzigen Muslim zu bedrohen.21
Erklärungen für die Anziehungskraft von Bin Laden Erklärungen für die Anziehungskraft von Bin Laden
Es ist in vielerlei Hinsicht verständlich, dass Kommentatoren und Analysten sich auf die Gewalt in Bin Ladens Rhetorik und auf die Verfolgung seines Dschihad konzentriert haben; schon ein kurzer Blick auf die Ge-
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schichte des Islam zeigt, wie viele radikale Splittergruppen sich von den etablierten Denkrichtungen abgewendet und durch die Anwendung von Gewalt gegen Anhänger anderer religiöser Vorstellungen und Praktiken Berühmtheit erlangt haben. Jenen Gruppen war indes kein langes Leben beschieden, da sie nicht in der Lage waren, ausreichend Unterstützung zu gewinnen und an sich zu binden.22 Die Manifeste dieser Splittergruppen waren entweder so radikal oder so ausgrenzend, dass sie die große Mehrheit derjenigen, die sie zu repräsentieren behaupteten, verständ licherweise befremdeten. Im Gegensatz dazu legte Bin Laden eine Ideologie vor, der etwas gelang, was den Kampagnen früherer radikaler Gruppierungen nicht gelungen war: Sie traf einen Nerv im Herzen ganz gewöhnlicher Muslime. Die Anziehungskraft von Bin Ladens Botschaft liegt nicht in ihrer Radikalität, sondern in ihrer Überzeugungskraft, weil er etwas anspricht, was in den Herzen seiner Zuhörer bereits existiert. Darüber hinaus nehmen viele Muslime auf der ganzen Welt Bin Laden als aufrechten Gläubigen wahr, und nicht als jemanden, der zu extrem ist, um ernst genommen zu werden, oder zu radikal, als dass es sich lohnte, ihm zu folgen. Ein junger Pakistani drückte es in einem Interview auf al-Dschasira so aus: ,Bin Laden ist kein Terrorist. Das ist amerikanische Rhetorik. Er ist ein guter Muslim, der für den Islam kämpft. Ich haben meinen Sohn Osama genannt – ich will, dass er genau wie Bin Laden ein Gläubiger wird.‘ Bedeutet das, dass Millionen einfacher Muslime die Anwendung von Gewalt gegen Zivilisten als den gerechten Dschihad unseres Zeitalters dulden, oder steckt etwas anderes hinter Bin Ladens Botschaft, das ihre ungeheure Anziehungskraft erklären könnte? In seinen Äußerungen steht Bin Laden zu den Gewaltakten, die im Namen des globalen Dschihad verübt wurden, und hält klar an einer Fortsetzung dieses Kampfes in der Zukunft fest. Allerdings weist er dezidiert darauf hin, dass seine Form von Gewalt reaktiv ist – ein Vergeltungsschlag für das, was er als viel größere Form der Aggression über einen viel längeren Zeitraum von Seiten des Westens gegen die islamischen Welt begreift. Wie er immer wieder betont, zeichnet sich der Westen dadurch aus, viel größere Zahlen an muslimischen Zivilisten getötet und der islamischen Welt größeres Leid angetan zu haben als irgendeine andere Macht. Bin Laden hat die Macht der Geschichte auf seiner Seite; das macht es schwierig, seinen Argumenten ihre prinzipielle Legitimität abzusprechen, wenn er die Auswirkungen des Kolonialismus beschreibt, angefangen von der
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ersten französischen Invasion in Ägypten bis zur Schaffung künstlicher Staatsgrenzen, die die Landkarte des Nahen Osten neu gestaltet haben; oder wenn er den Verrat an den Arabern, die bedingungslose Unterstützung Israels durch den Westen sowie die amerikanische Kontrolle der gesamten Region anprangert. Mit einem ausgeprägten Sinn für das Prinzip der Gegenseitigkeit geht Bin Laden nachdrücklich auf die Ungeheuerlichkeit des Leids von Muslimen durch ausländische Invasoren ein: Der ungehemmte Einsatz von Giftgas durch Churchill in den 1920er-Jahren, die blutige Niederschlagung palästinensischer Aufstände von den 1930erJahren bis heute, das Sterben irakischer Kinder aufgrund von Mangelernährung und Krankheit in den 1990er-Jahren, die steigende Zahl an zivilen Opfern in Afghanistan und im Irak und die jüngsten Gräuel in Gaza sind nur einige Beispiele aus der Fülle der dargestellten Fälle.23 Bin Laden drückt es so aus: Euer (Muslimisches) Blut wurde in Palästina und im Irak vergossen, und die entsetzlichen Bilder des Massakers von Qana im Libanon sind den Menschen noch lebhaft in Erinnerung. Die Massaker in Tadschikistan, Burma, Kaschmir, Assam, auf den Philippinen, in Fatani, Ogaden, Somalia, Eritrea, Tschetschenien und Bosnien-Herzegowina lassen uns Schauer über den Rücken laufen und rütteln das Bewusstsein auf. All dies hat vor den Augen und Ohren der Welt stattgefunden.24
In ihrer Gesamtheit machen die vielen Beispiele, die das ungerechte Leid der umma vor Augen führen, zusammen mit dem ultimativen Ziel, eben jene umma vom gottlosen Unterdrücker zurückzufordern und den Islam von seinem Stillstand zu heilen, die Eckpunkte von Bin Ladens Programm aus. Bin Laden greift die zunehmende Solidarität unter Muslimen auf, die zu einem wesentlichen Bestandteil der modernen globalisierten Welt geworden ist.25 Was ihn von anderen unterscheidet, ist sein Idealismus und sein wahrhaft transnationaler Ansatz, der an kein spezifisches nationalistisches Projekt gebunden ist, sondern das gesamte Spektrum der Klagen von Muslimen in einem einzigen Anliegen vereint. Und obwohl noch nicht einmal die legitimste Klage das vorsätzliche Töten von Zivilisten durch Bin Laden rechtfertigen kann – wenn überhaupt, diente die Bruta lität seines Vorgehens nur dazu, den moralischen Anspruch seines Aufrufs auszuhöhlen – so erklären die Universalität seines Appells an den islamischen Sinn für Ungerechtigkeit und die Gleichgültigkeit des Westens gegenüber den von ihm
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verübten Gräueln zumindest teilweise, warum er von einfachen Muslimen weiterhin so bewundert wird, so sehr sie das Töten Unschuldiger auch ablehnen mögen. Bin Laden nutzte das wachsende Gefühl der Solidarität unter Muslimen geschickt als Sprungbrett für Gewaltakte. Wie der Kairoer Journalist Yosri Fouda konstatiert hat, ,gibt es nur sehr wenige Menschen im Nahen Osten, die sich mit seiner Botschaft nicht identifi zieren.‘26 Hieraus ergibt sich automatisch die Frage, ob die Unterstützung für Bin Laden ausschließlich auf der Zustimmung zu seinem politischen Programm beruht. Erklärt mit anderen Worten seine ehemalige Position als radikalster Anti-Imperialist des 21. Jahrhunderts seine Anziehungskraft? Dafür gibt es durchaus gute Gründe. Dem Soziologen Michael Mann zufolge ist Bin Laden ,trotz der religiösen Rhetorik und blutigen Mittel … ein rationaler Mensch. Der Grund, weswegen er die USA angriff, liegt auf der Hand: der amerikanische Imperialismus. So lange Amerika versucht, den Nahen Osten zu kontrollieren, werden er und Menschen wie er ihr Feind sein.‘27 In einem Interview mit dem amerikanischen Sender ABC setzt sich Bin Laden auf ausgesprochen säkulare Weise mit dem Begriff des Terrorismus auseinander: Terrorismus kann lobenswert sein, und er kann verwerfl ich sein. Eine unschuldige Person in Angst zu versetzen und zu terrorisieren ist unanständig und ungerecht, und Menschen zu Unrecht zu terrorisieren, ist inakzeptabel. Dagegen ist es notwendig, Unterdrücker und Kriminelle und Diebe und Räuber zu terrorisieren, um die Sicherheit der Menschen und den Schutz ihres Eigentums zu wahren. Daran besteht kein Zweifel. Jeder Staat, jede Zivilisation und Kultur muss sich unter gewissen Umständen des Terrorismus bedienen, um Tyrannei und Korruption abzuschaffen. Jedes Land auf der Welt hat sein eigenes Sicherheitssystem und seine eigenen Sicherheitskräfte, seine eigene Polizei und seine eigene Armee. Sie alle sollen diejenigen terrorisieren, die nur daran denken, das jeweilige Land oder seine Bürger anzugreifen. Der Terrorismus, den wir praktizieren, gehört zur Kategorie der lobenswerten, denn er zielt auf die Tyrannen und die Angreifer und die Feinde Allahs, die Tyrannen und Verräter, die Verrat gegen ihr eigenes Land und ihren eigenen Glauben und ihren eigenen Propheten und ihre eigene Nation begehen. Sie zu terrorisieren und zu strafen ist ein notwendiges Mittel, um die Dinge zu richten und wieder ins Lot zu bringen.28
Bin Laden hinterfragt hier die Bedeutung von ,Terrorismus‘ im breiteren Kontext der Frage, wer das Recht hat, im internationalen System Gewalt
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anzuwenden – ein Argument, das an sich vermutlich schon viele anspricht. Wer allerdings Bin Ladens Anliegen als eine Frage der politischen Philosophie versteht, die nichts mit religiösen Belangen zu tun hat, der versteht nur die eine Seite der Medaille. Wer sich ausschließlich auf die politische Dimension von Bin Ladens Botschaften konzentriert, blendet die grundsätzlich religiöse Dimension seiner Mission aus. Da dieser Ansatz implizit auf der säkularen Logik der Trennung von Staat und Religion basiert, muss die Anwendung dieser Logik zu dem Schluss führen, dass der Gedankengang von Bin Ladens Botschaften nicht wirklich religiös sein kann, weil er in erster Linie politisch ist. Diese Position verkennt jedoch den intrikaten Zusammenhang zwischen Religion und Politik in der Geschichte des Islam sowie die damit verbundene anhaltende oder sich sogar verschärfende Kontroverse um Fragen der Interpretation islamischer Schriften und den Zerfall religiöser Autorität.
Die Trennung von ,Religion‘ und ,Politik‘ und das Ideal islamischer Einheit Die Trennung von ,Religion‘ und ,Politik‘
In den meisten Diskussionen zu diesem Thema – und dies gilt sowohl für westliche als auch in erheblichem Maße für islamische Wissenschaftler – wird unterstellt, dass der Islam nicht zwischen Religiösem und Politischem unterscheide. Dieser schlichten Sicht zufolge sollten alle Aspekte des Lebens von Muslimen dem Willen Allahs entsprechen, folglich fehle Muslimen jedes Gefühl für staatliche Angelegenheiten, die außerhalb des Bereichs der Religion liegen. Diese weit verbreitete Auffassung der Untrennbarkeit von religiöser und politischer Sphäre wird in der Tat von über vierzig Verweisen im Koran und in der Sunna des Propheten, der geistiger Führer und Oberhaupt einer politischen Gemeinschaft zugleich ist, gestützt.29 Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch rasch heraus, dass es sich hierbei um eine idealisierte Version des Islam handelt, die das bezeichnet, was getan werden sollte, anstatt genau zu beschreiben, was der Islam ist oder tatsächlich einmal war. In der Praxis teilten sich, wie verschiedene Autoren ausgeführt haben, die beiden Sphären kurz nach dem Tod des Propheten, wenngleich ein gewisses Maß an Koabhängigkeit weiter bestand. Die Einheit von Politik und Religion bestand nur zu Lebzeiten des Propheten, als er der stetig wachsenden Zahl an Gläubigen
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direkte Orientierungshilfe für die alltägliche Lebensführung auf der Basis göttlicher religiöser Weisungen geben konnte. Mit seinem Tod stürzte die Gemeinschaft der Muslime in eine politische und religiöse Führungskrise; die völlige Einheit von religiöser und politischer Sphäre sollte so nie wieder existieren, selbst wenn rückblickend gewisse Phasen in der Geschichte des Islam dem Ideal näherzukommen scheinen als andere. Ungeachtet der historisch komplexen Beziehung zwischen den beiden Sphären galt das fundamentale Prinzip, dass alle Muslime nach dem Willen Allahs leben sollen und dass die umma zwingend von den im Koran und der Sunna des Propheten vorgeschriebenen islamischen Prinzipien regiert werden soll, schon immer als legitim und wichtig. Das Ideal legt also fest, dass es keinen Widerspruch zwischen Religion und Politik gibt, auch wenn dies in der Praxis nie ganz so war. Die islamische Welt ist von den globalen gesellschaftspolitischen Entwicklungen nicht verschont geblieben und hat sich daher mit der Zeit immer mehr vom Ideal der islamischen Einheit entfernt und gespalten. Angesichts dieses Trends zunehmender Säkularisierung und Spaltung ist das Ziel heutiger Islamisten die Erfüllung dessen, was als authentischster und erstrebenswertester Daseinszustand erscheint: die Rückkehr zum goldenen Zeitalter des Islam, die sich politisch ausdrückt als Wiederherstellung des Kalifats, in dem die beiden Sphären so wenig wie möglich voneinander abweichen. Auch wenn es nicht die Absicht dieses Buches ist, die persönlichen Ziele von Bin Laden zu beurteilen, um die Logik und Wirkung seiner Botschaft zu würdigen, so muss man anerkennen, dass er eine Auffassung des Islam propagierte, die nicht nur keinen Widerspruch zwischen religiöser Überzeugung und politischem Handeln sieht, sondern die politisches Handeln sogar als notwendige Umsetzung des Glaubens betrachtet. Es ist leicht ersichtlich, dass Bin Laden selbst seine Mission in erster Linie als islamische verstand (wie bereits erwähnt, betrachten sich religiöse Fundamentalisten jedweder Couleur als die wahren Gläubigen) 30 ; warum sich andere jedoch dieser Sichtweise anschließen sollten, ist eine problematischere Frage. Das politische Klima nach dem 11. September, das die Welt in gute und böse Mächte einteilte – ,Wenn du nicht für uns bist, bist du für sie!‘ – hat jede inhaltliche Diskussion von Anfang an beschnitten und damit nur eine legitime Antwort zugelassen auf die Frage, ob Bin Laden den Islam repräsentiere: ein entschiedenes ,nein‘. Doch erneut entspricht die Realität nicht dieser absolut defi nierten Dicho-
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tomie. Die einzige defi nitive Aussage, die man überhaupt über den Begriff ,Islam‘ machen kann, ist, dass er unscharf ist und für unterschiedliche Menschen Unterschiedliches bedeutet. Muslime bekennen sich zu dem Credo ,Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet‘, das keine andere Auslegung zulässt; die Bedeutung, Bestreitbarkeit und Unveränderlichkeit vieler, wenn nicht gar aller anderen Prinzipien und Ideen ist jedoch eine ganz andere Frage. Die naheliegende und in der Tat häufig anzutreffende Antwort wäre, doch in den Koran zu schauen, doch wie bei allen Grundsatzdokumenten liegt seine Bedeutung im Ermessen des Einzelnen. Und während die Exegese heiliger Schriften in allen Religionen problematisch ist, ist sie im Falle des Islam besonders schwierig.31 In diesem Zusammenhang muss man zunächst anmerken, dass der Koran selbst ein gewisses Maß an Skepsis befördert, indem er Zweifel an der Unabänderlichkeit der Offenbarung sät (auch wenn Generationen von islamischen Rechtsgelehrten behaupten, es seien angesichts der defi nitiven Weisungen des Koran keine weiteren Rechtsvorschriften möglich). Im Koran ist ausdrücklich davon die Rede, dass gewisse Verse unklar sind und dass nur Gott ihre wahre Bedeutung kennt.32 Auch wird die Idee der Unveränderlichkeit der Offenbarung in Zweifel gezogen, wenn es heißt, dass die Botschaft sich je nach göttlicher Willkür ändern könne: ,Und wenn Wir wollten, würden Wir ganz gewiss wegnehmen, was Wir dir (als Offenbarung) eingegeben haben‘.33 Die Skepsis wird nur noch größer, wenn man bedenkt, dass der Koran systematisch überarbeitet wurde, wie man an den Versen 2:106, 13:37, 16:101 und 22:52 sieht. Außerdem besteht unter Muslimen nahezu allgemeine Übereinstimmung, dass der auf dem Beispiel des Propheten basierende Brauch (Sunna) die Interpretation des Koran nicht nur erhellt, sondern auch ergänzt. Allerdings impliziert eben jener Pragmatismus der Sunna, dass sich in der Praxis höchst unterschiedliche und sogar sich gegenseitig ausschließende Positionen rechtfertigen lassen. Auch wenn diese Veränderlichkeit und Inkonsequenz Unmut erregen,34 akzeptiert die große Mehrheit der Muslime die Autorität der Sunna in ihrer Gesamtheit und fi ndet es nicht verwerfl ich, dass der Prophet seine Positionen und Prinzipien je nach Sachlage geändert hat. Derartige Präzedenzfälle bestärken die allgemeine Vorstellung in der islamischen Rechtslehre, das alles, was daruri (nötig) und maslaha (im öffentlichen Interesse) ist, als islamisch erachtet werden kann. Auch auf die Gefahr hin, die Dinge zu verkürzen, dürfte die Frage, ob etwas ,islamisch‘ ist, davon abhängen,
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ob es im Interesse der umma ist; damit ist klar, dass die Auslegung wiederum den Interessen und Vorurteilen des Einzelnen oder der Gruppe anheimfallen kann, die für politische Entscheidungen zuständig ist. Ungeachtet der Flexibilität, die sich in der Praxis des Propheten und der Interpretation des Koran widerspiegelt, stellt sich weiterhin die Frage, wie und wer darüber entscheidet, was ,notwendig und im öffentlichen Interesse‘ ist. Das Problem, wer entscheidet, wird nur noch komplizierter, denn ,auch wenn die Zugehörigkeit des Einzelnen zur Gemeinschaft der Gläubigen betont wird, fehlt das Gefühl einer defi nitiven geistlichen Autorität, die über ihm steht‘.35 Die islamische Rechtswissenschaft baut mit dem Begriff der ibaha, die die Handlungsfreiheit des Einzelnen außerhalb des Bereichs spezieller göttlicher Gebote anerkennt, auf diesem Gedanken auf. Solange der Einzelne also glaubt, dass es nur einen Gott gibt und Mohammed sein Prophet ist, und solange er die expliziten Anordnungen der Schriften befolgt, wird dieser Mensch letztlich zum Schiedsrichter über seinen eigenen Glauben. Auch wenn die ‘ulama (die Rechtsgelehrten des Islam) vielleicht bereit sind, sich ein unabhängiges Urteil (idschtihad) zu bilden und festzulegen, was die Schrift bedeutet – und dabei stets demselben Prinzip folgen, dass es keinen Mittler zwischen Gott und dem Menschen gibt – so existiert keine kirchliche Autorität, die Konfl ikte zwischen ihnen lösen könnte. Es überrascht daher nicht, dass die Suche nach dem wahren Weg des Islam – von der angemessenen Lebensführung bis hin zur Einrichtung formeller Formen der Governance für die wachsende Zahl an Gläubigen – eine Aufgabe war, die nach dem Tod des Propheten zu Kontroversen und Turbulenzen führte. Die Geschichte des Islam zeugt von den vielen Differenzen, die noch immer nicht beigelegt sind: Nicht nur haben sich die sunnitischen von den schiitischen ‘ulama getrennt, sondern innerhalb jeder Gruppe hat es weitere Aufspaltungen gegeben. Unter den Sunniten gibt es mit den Hanafisten, Malikiten, Schafi iten und Hanbaliten vier wesentliche Rechtsschulen; die Schiiten unterteilen sich in Imamiten, Ismailiten, Zaiditen und ihre Ableger. Die Frage, wer verbindlich für den Islam spricht, ist noch lange nicht gelöst, sondern hat sich mit Prozessen der Modernisierung und dem Zugang der breiten Masse zur Bildung nur noch verschärft. Diese globalen Tendenzen bringen vielfältige Konsequenzen mit sich, angefangen von der Entwicklung moderner politischer Gesellschaften bis hin zur Schaffung neuer Identitäten, Chancen und
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Ungleichheiten. Zwei miteinander zusammenhängende Themen sind für die Bewertung von Bin Ladens Denken jedoch von besonderer Bedeutung. Das eine ist der anhaltende und zunehmende Zerfall religiöser Autorität. Da die verbindlichen Quellen, die einst auf die gebildete Elite beschränkt waren, nun allen offen stehen, die lesen können, muss die Bedeutung der heiligen Schrift nicht mehr von den ‘ulama interpretiert werden, sondern kann von jedem Einzelnen ausgelegt werden.36 Hassan al-Turabi, der Anführer der Muslimbrüder im Sudan, beschreibt es so: ,weil alles Wissen göttlich und religiös ist, sind ein Chemiker, ein Ingenieur, ein Wirtschaftsexperte und ein Jurist alle „ulama“‘.37 Diese neuen ‘ulama kompensieren ihre mangelnde formelle religiöse Ausbildung durch einen Eifer, der sich in ständigen Versuchen der Meinungsäußerung niederschlägt – in gedruckter Form, auf dem arabischen Nachrichtensender al-Dschasira oder auf Islamonline; sie äußern sich zu allgemeinen Prinzipien und aktuellen Anliegen, ohne konkret auf die Prinzipien der etablierten sunnitischen Rechtsschulen (madhhabs) der Hanafiten, Malikiten, Schafi iten oder Hanbaliten zu verweisen, und sie berufen sich kaum auf die Klassiker der Rechtslehre. Die logische Konsequenz dieser Entwicklung hat Hallaq als das ,Ende der Scharia‘ bezeichnet.38 Wo einzelne Muslime den Islam zunehmend für sich auslegen, entsteht ein breites Spektrum an Interpretationen, die alternative Meinungen zu denen des traditionellen religiösen Establishments bilden und die es immer schwerer machen, mit beruhigender Endgültigkeit zu sagen, was islamisch ist und was nicht. Dies scheint nicht nur das größte Dilemma, sondern auch die größte Herausforderung für den Islam in der modernen globalisierten Welt zu sein. Verbunden mit dieser Kombination aus einem allmählichen Verfall traditioneller Strukturen, der Entwicklung neuer Identitäten als Folge der Globalisierung und dem zunehmenden Zerfall religiöser Autorität ist ein Phänomen, das Eickelman und Piscatori als die ,Vergegenständlichung des Bewusstseins von Muslimen‘ bezeichnet haben; bei diesem Prozess treiben so grundlegende Fragen wie die eigentliche Bedeutung des Islam und wie er das Verhalten beeinflussen sollte das Bewusstsein der Gläubigen um.39 Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen der Anwendung islamischer Prinzipien; was bedeutet es zum Beispiel, Muslim in einer Welt zu sein, die der aus der Zeit des Propheten in keinster Weise ähnelt? In der modernen Welt kann die Suche nach dem wahren Islam nur, wie der vorhergehende Abschnitt gezeigt hat, zu einer Fülle unterschiedlicher Antworten über das
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gesamte Spektrum bestehender Interpretationen führen, die sich einer leichten Klassifi kation entziehen. Da der Islam keinen Papst kennt, liegt es im Ermessen jedes Einzelnen, ein endgültiges Urteil zu fällen. Alles in allem führen diese Beobachtungen zwangsläufig zu der vielleicht unbequemen Schlussfolgerung, dass es in der Praxis und womöglich sogar in der Theologie genau so viele Islame wie Muslime gibt.
Das Wetteifern um heilige Autorität Das Wetteifern um heilige Autorität
Die zunehmende Zahl an wissenschaftlichen – und weniger wissenschaftlichen – Meinungen darüber, was der Islam zum derzeitigen Stand des Weltgeschehens zu sagen hat, bietet jenen auf der Suche nach geistiger Orientierung eine noch nie dagewesene Vielfalt. Dies wiederum bedeutet, dass diejenigen, die ihre Sicht als den tieferen Sinn des Islam mit anderen teilen und festschreiben möchten (‘ulama wie Islamisten), in direkter Konkurrenz um heilige Autorität stehen; sie wetteifern um die ,Herzen und Köpfe‘ derjenigen, die sie von der Rechtschaffenheit ihrer jeweiligen Mission und Agenda überzeugen wollen. Jeder von ihnen versucht, sein Publikum mittels einer religiösen Symbolik, mit der sich alle Muslime identifi zieren können, davon zu überzeugen, dass seine Auslegung der heiligen Schriften dem wahren Willen Allahs entspricht. Bin Laden war vielleicht kein überaus origineller Denker und kein formell ausgebildeter Rechtsgelehrter, doch er war rhetorisch brillant, und diese Brillanz verwandelt seine Botschaften in ,ein Meisterwerk eloquenter, bisweilen sogar poetischer arabischer Prosa‘, um mit Lewis zu sprechen.40 Zu seinem religiösen Image trugen auch die traditionellen Gewänder eines strenggläubigen Muslim bei, in denen er auftrat, während Geschichten vom reichen Geschäftsmann, der auf die Vergnügungen eines privilegierten Lebens in der modernen Welt um des Glaubens willen verzichtet, ihm den Nimbus des Heroischen und der persönlichen Aufopferung verliehen. In der heutigen schnelllebigen Welt, in der oberflächliche Eindrücke allzu oft differenzierte, tiefgründige Urteile verdrängen, vereint er all die Eigenschaften eines inspirierenden religiösen Führers: Er sieht wie ein wahrer Gläubiger aus, er klingt wie ein wahrer Gläubiger – er muss ein wahrer Gläubiger sein. Dies zeigt nicht nur an der Oberfläche Wirkung. Die Botschaften von Bin Laden reichen tief in das kollektive Bewusstsein von Muslimen auf der
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ganzen Welt. ,Saudi-Arabien‘ und ,Palästina‘, die zentralen wiederkehrenden Motive in seinen zahlreichen Äußerungen, sind zum Beispiel in der politischen Imagination von Muslimen emotional und symbolisch stark aufgeladen. Hier befi nden sich die heiligsten Stätten des Islam (Mekka und Medina in Saudi-Arabien, Jerusalem in Israel / Palästina), die den Rahmen für das Leben des Propheten bilden und an denen der Islam entstand. In Mekka wurde der Prophet geboren, hier empfi ng er die Offenbarung; Mekka ist auch das Ziel der haddsch (Pilgerfahrt), einer der fünf Säulen des Islam, die jeder Muslim antreten sollte, sofern er die Möglichkeit dazu fi ndet. Medina, die Stadt, in der der Prophet und seine frühen Anhänger Zuflucht fanden, um einem Mordkomplott zu entgehen, wurde zum Sitz der ersten islamischen Regierung, während das Jahr seines Exodus (hidschra) das erste Jahr des islamischen Kalenders bezeichnet. Im Laufe der Zeit ist Medina zu einem besonderen Ort der Verehrung geworden, und die Tradition ermuntert Gläubige, die Prophetenmoschee zu besuchen (wenngleich dies keine Pfl icht ist). Ähnlich nimmt Jerusalem eine zentrale Stellung im Islam ein, da die Stadt mit zwei besonderen Reisen des Propheten verbunden ist: der isra oder Nachtreise, während der der Prophet auf einem geflügelten Pferd von Mekka nach Jerusalem gelangt sein soll, und der miradsch, der Himmelfahrt des Propheten. Piscatori erläutert: ,sowohl arabische als auch palästinensische Gebiete sind besondere Schutzgebiete; ihnen kommt somit eine besondere Bedeutung zu, insbesondere in dem Wettstreit um Legitimität, der die Politik im Nahen Osten prägt.‘41 Wenn Bin Laden also zur Befreiung der Al-Aksa-Moschee und der Heiligen Moschee aufruft und fordert, ausländische Armeen aus den Gebieten des Islam zu vertreiben, rührt er an die Seele seines muslimischen Publikums. Es wäre jedoch abwegig, ihn zu beschuldigen, diese emotional aufgeladenen Symbole für andere Zwecke instrumentalisiert zu haben. Anders als Saddam Hussein, der die Palästinenserfrage vor allem aus strategischen Gründen mit seinem Rückzug aus Kuwait verknüpfte, um so in der gesamten arabischen Welt für ansonsten unwahrscheinliche Unterstützung zu werben,42 betrachtete Osama Bin Laden die Befreiung der heiligen Gebiete des Islam als einen bedeutenden Meilenstein auf dem Weg zu seinem ultimativen Ziel: der Wiederherstellung der umma und der Herrlichkeit des Islams. Palästina steht nicht zufällig auf seiner Agenda – es ist die Agenda. Dies geht aus seinen Verlautbarungen
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und Anwerbevideos ganz klar hervor: Ein Brief, der als Bin Ladens erste, an ein breiteres Publikum gerichtete öffentliche Erklärung gilt, trägt den Titel ,Der Verrat an Palästina‘ und ist gerichtet an den Obermufti von Saudi-Arabien, Abdul Aziz ibn Abdullah ibn Baz; Bin Laden prangert hier die Unterzeichnung des Osloer Abkommens 1993 als ,einen Verrat am Wort Gottes und der Gemeinschaft der Gläubigen‘ an.43 Hintergrund des Briefes ist ein Klima breiterer Kritik an der Entscheidung der ‘ulema, die Stationierung amerikanischer Truppen im Königreich 1991 zu billigen; dies führte zum Eindringen westlicher Werte, zur Korrumpierung der Monarchie, zur letztlichen Abhängigkeit von den USA und somit zum Ausverkauf der Palästinenserfrage, nur um Washington zufrieden zu stellen. Bin Ladens Worte vermitteln diese Botschaft in weitaus emotionalerer und beredsamerer Manier: Es bleibt niemandem verborgen, wie weit sich die Korruption verbreitet und in alle Aspekte des Lebens eingeschlichen hat. … Die politischen und wirtschaftlichen Krisen, unter denen [Saudi-Arabien] leidet, und die Verbrechen, die sich wie ein Flächenbrand im Land verbreitet haben, sind eine Strafe Gottes … Als die Truppen des aggressiven Bündnisses der Juden und Kreuzfahrer während des Golfkrieges beschlossen, das Land mit Zustimmung des Regimes im Namen der Befreiung Kuwaits zu besetzen, rechtfertigten Sie dies mit einem willkürlichen Rechtsurteil, das diese schreckliche Sünde entschuldigte. Dies beleidigte den Stolz unserer umma und befleckte ihre Ehre. Außerdem beschmutzte es unsere beiden heiligen Stätten. … Und es schien, als habe es Ihnen noch nicht gereicht, Saudi-Arabien, das Land der beiden heiligen Stätten, den Besatzertruppen der Allianz der Juden und Kreuzfahrer zu überlassen. Nein, Sie mussten auch noch eine Katastrophe über Jerusalem, das dritte Heiligtum, bringen, indem sie die Kapitulationsverträge mit den Juden für rechtmäßig erklärten, die feige und verräterische arabische Tyrannen unterzeichnet hatten … Was Palästina und unsere Angehörigen dort – diese armen Männer, Frauen und Kinder, die dort in der Falle sitzen – angeht, so ist es unsere gesetzliche Pfl icht, im Namen Gottes Dschihad zu führen und unsere umma zum Dschihad aufzurufen, damit Palästina vollständig befreit wird und wieder unter islamischer Souveränität leben kann.44
Saudi-Arabien und Palästina waren alles andere als nachträgliche Zusätze oder Vorwände, sondern sie waren von Anfang an ganz klar die zentralen Themen. Während die Liste an Ursachen immer länger wurde, Beispiele
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für das Leid von Muslimen auf der ganzen Welt anführte, den Hauptfeind – die Wurzel allen Übels – immer genauer identifi zierte (zunächst die USA und dann die ,Allianz der Juden und Kreuzfahrer‘), blieben Saudi-Arabien und Palästina die wichtigsten Punkte auf Bin Ladens Agenda. Bin Ladens Brief vom 23. August 1996, der auch als die ,Dschihad-Erklärung von 1996‘ bezeichnet wird und nachdrücklich dazu aufrief, ,die Polytheisten von der arabischen Halbinsel zu vertreiben‘, macht klar, welche Entwicklung stattgefunden hat.45 Dieser Brief beschränkt sich nicht länger auf ein Publikum aus dem Nahen Osten, sondern wendet sich an ,meine muslimischen Brüder auf der ganzen Welt‘ und erweitert das Spektrum von Bin Ladens Appellen, da er an muslimisches Leid unter der ,unverhohlenen imperialen Arroganz der USA‘46 vom Nahen Osten, Zentralasien und dem Horn von Afrika bis in den Kaukasus, auf den Balkan und nach Südostasien erinnert. Es ist indes bezeichnend, dass Bin Laden mitten in dieser Litanei der Trostlosigkeit ein sogar noch besorgniserregenderes Thema herausgreift – die anhaltende Besetzung von Saudi-Arabien: Die größte Katastrophe, die seit dem Tod des Propheten Mohammed über die Muslime hereingebrochen ist, ist die Besetzung von Saudi-Arabien, das der Eckpfeiler der islamischen Welt ist, der Ort der Offenbarung, die Quelle der Mission des Propheten und Land der heiligen Kaaba, auf die Muslime ihre Gebete richten. Trotzdem wurde es von den Truppen der Christen, der Amerikaner und ihrer Verbündeten besetzt.47
Es geht Bin Laden um nicht weniger als die Befreiung der weltweiten umma, Gottes auserwählter Gemeinschaft, und die Befreiung der heiligen Gebiete des Islam, Saudi-Arabien und Palästina, vom Zugriff der gottlosen Eindringlinge; diese Befreiung ist die moralische und vor allem religiöse Pfl icht aller Gläubigen. Ist der Islam erst im Namen Gottes wieder vereint, kann und wird er wieder in altem Glanz erstrahlen: Ich sage meinen muslimischen Brüdern in aller Welt: Eure Brüder in SaudiArabien und Palästina rufen euch um Hilfe und bitten euch, euren Beitrag zum Dschihad gegen die Feinde Gottes, gegen Eure Feinde, die Israelis und die Amerikaner zu leisten. Sie bitten euch, ihnen die Stirn zu bieten, wie es euch nur möglich ist, um sie besiegt und gedemütigt von den heiligen Stätten des Islam zu vertreiben. Gott der Allmächtige hat gesagt: Wenn sie bei Verfolgung euren Beistand suchen, dann ist es eure Pfl icht, ihnen Beistand zu leisten.48
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In Interviews und Briefen, die im weiteren Verlauf der Jahre 1996 und 1997 erschienen, bekräftigte Bin Laden diese Punkte in aller Deutlichkeit und führte sie weiter aus. Im Februar 1998 verurteilte die neu gebildete ,WeltIslam-Front‘ unter der Leitung von Bin Laden die US-Politik offi ziell als klare Kriegserklärung an Gott, seinen Propheten und die Muslime; um höchstmögliche religiöse Autorität zu erlangen,49 verhängte sie die Fatwa zur Unterstützung des Dschihad gegen Amerika, die zur Tötung von ,amerikanischen Militärs und Zivilisten, wo immer möglich‘ aufrief.50 Den Worten folgten im August desselben Jahres Taten in Form von zeitgleichen Anschlägen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania; sie gaben bereits einen Vorgeschmack auf den Terror, der Amerika 2001 bis ins Mark treffen sollte. Und während sich Bin Ladens Botschaften den veränderten Umständen auf der internationalen Bühne sowie der Entwicklung des umstrittenen Krieges gegen den Terror anpassten, blieb seine panislamische Logik im Kern unverändert. In einer seiner letzten Audio-Botschaften, die er als Reaktion auf die Tragödie in Gaza im März 2009 abgab, tauchen die inzwischen sattsam bekannten Themen noch einmal auf.51 Bin Laden spricht erneut von der Befreiung der ,heiligen Erde‘, die dem Leid des palästinensischen Volkes, ,unseren Brüdern und Schwestern im Islam‘, ein Ende setzen soll und davon, die eigentliche Wurzel dieser Übel, das Bündnis aus ,Kreuzfahrern und Zionisten‘ durch einen Dschihad zu besiegen. Während der gesamten Rede spricht Bin Laden sein Publikum wiederholt mit ,meine umma‘ an und macht so seine transnationalen, panislamischen Ambitionen unmissverständlich klar.
Die Verteidigung des Islam: eine persönliche Pflicht Die Verteidigung des Islam
Sein pathetisches Vokabular ist höchstwahrscheinlich kein Zufallsprodukt und kein bloßes Zeichen persönlicher emotionaler Betroffenheit, sondern vielmehr ein intelligentes und letztlich probates rhetorisches Mittel, mit Hilfe dessen Bin Laden den Aufruf zur Verteidigung der umma und des Islam gegenüber einem Publikum aus Muslimen verschiedenster Nationalitäten und Milieus individualisiert. Er interpretiert die wahre Bedeutung des Islam also im aktuellen gesellschaftspolitischen Kontext – nämlich den kläglichen Zustand der umma infolge der Repressionspolitik der USA – und konfrontiert sein Publikum so mit einer Gewissensfrage. Bin Laden
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vermittelt mit anderen Worten geschickt das Konzept persönlicher Verantwortung, dem zufolge es jedem einzelnen Gläubigen obliegt, das zu tun, was er (oder sie) tun kann, um diese untragbare Situation zu beheben: O ihr, die ihr glaubt! Was ist mit euch, dass ihr euch schwer zur Erde sinken lasset, wenn euch gesagt wird: ,Ziehet aus auf Allahs Weg‘ Würdet ihr euch denn mit dem Leben hienieden, statt mit jenem des Jenseits, zufrieden geben? Doch der Genuss des irdischen Lebens ist gar klein, verglichen mit dem künftigen (9:38). O Muslime, wollt ihr den geraden Weg gehen und Gott gefallen? Beugst du dich dem Willen Allahs? 52
Die Formulierung der Frage deutet bereits die Bedeutung des moralischen Unterfangens an, zu dessen Teilnahme jeder Einzelne im Publikum aufgefordert ist. Der erste Teil der Frage richtet sich an die gesamte Zuhörerschaft, während der zweite gezielt an den Einzelnen gerichtet ist. Bin Laden wechselt also den Adressaten und verwickelt so jeden einzelnen Zuhörer in ein moralisches Dilemma. Die Betonung des Persönlichen und des Defensiven, die hier zu beobachten ist, ist nicht nur ein rhetorisches, sondern auch ein praktisches Mittel, um die gesetzlichen Vorgaben für den Dschihad zu erfüllen. In der islamischen Tradition unterteilt sich die Doktrin des Dschihad in zwei Kategorien: den ,defensiven‘ und den ,offensiven‘ Dschihad. Der offensive Dschihad ist eine kollektive Verantwortung, neue Gebiete für den Islam zu erobern und neue Völker zum Glauben zu bekehren; zu diesem Dschihad muss allerdings der Kalif, das anerkannte Oberhaupt der Weltgemeinschaft der Muslime, aufrufen. In Abwesenheit des Kalifen in der heutigen Welt übernahm Bin Laden – anders als manche erwarteten – nicht die Rolle des neuen Oberhaupts der Gemeinschaft. Seine Ambitionen waren viel bescheidener, denn er handelte nur, um seine Glaubensbrüder an den ,persönlichen‘ Dschihad zu erinnern; dieser beschränkt sich nicht auf das bloße Bestreben, ein besserer Muslim zu sein, sondern verlangt ebenso die Verteidigung des islamischen Glaubens, der Gemeinschaft und des Territoriums der Muslime gegen Angriffe von Nicht-Muslimen. Für dieses Vorgehen wird keine offi zielle Kriegserklärung benötigt, da es qua Doktrin jedem einzelnen Muslim obliegt, zum Kampf gegen den Angreifer nach Kräften beizutragen. Bin Laden benötigte daher nicht die Autorität einer anderen Person, um seinen Aufruf für gültig zu erklären; die Doktrin und
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die historische Praxis machen alle Einwände nichtig, er sei nicht ausreichend qualifi ziert, um in Ermangelung eines religiösen Mandats einen Dschihad zu führen. Für Michael Scheuer besteht ,Bin Ladens Genialität nicht in seinem Aufruf zu einem defensiven Dschihad, sondern in der Entwicklung und Artikulation einer stimmigen und überzeugenden Argumentation, dass ein Angriff auf den Islam bevorstehe und von Amerika angeführt und gesteuert werde.‘53 Angesichts von Bin Ladens rhetorischer Gewandtheit könnte man zu dem Schluss kommen, dass dies nur bedingt zutrifft. Seine Darstellung der ,umma, die unter Beschuss sei und gerettet werden müsse‘ ist nur der erste Schritt; seine wahre Genialität bestand in der Fähigkeit, dies auf eine Weise zu kommunizieren, die die schlagzeilenträchtigen, weltweit bedeutenden Ereignisse internationaler Beziehungen in ein persönliches Dilemma verwandelt, das jeden Gläubigen angeht. Die Wiederherstellung der umma, und sei es unter Lebensgefahr, wird somit zur Pfl icht eines Jeden, der sich als guten Muslim oder gute Muslimin bezeichnet – und diese Botschaft wirkt in einer säkularisierten modernen Welt ohne klare religiöse Leitlinien auf manche nur noch bindender.
Die Wiederherstellung der umma: die Ursprünge panislamischer Gesinnung Die Ursprünge panislamischer Gesinnung
Bin Laden sprach also zeitgemäße Themen von tiefer Besorgnis für die islamische Welt an; er formalisierte die Rückkehr zu den Traditionen des goldenen Zeitalters als einfache Lösung und wandte sich gebieterisch an die Gesamtheit der Muslime. Auf diese Weise klagte er islamische Gesellschaften nicht nur eindringlich der Verwahrlosung an, sondern er legte auch einen einfachen Aktionsplan vor. Die Wahrscheinlichkeit, sein ultimatives Ziel zu erreichen und die Einheit des Islam (tawhid al umma) durch einen Dschihad wiederherzustellen – mit all der Zerstörung und dem Blut vergießen, die das von ihm befürwortete wahllose Töten impliziert – ist allenfalls fragwürdig, selbst in den Köpfen derer, die mit seinen Zielen sympathisieren; Bin Laden gelang es jedoch, gegen den modernen Islam zu polemisieren. Er verlangte mit großem Nachdruck nach einer Rückkehr zu fundamentalen islamischen Traditionen und Werten und versuchte sie derart auszulegen, dass sie auf die jeweilige Situation erfolgreich anwendbar waren; damit legte Bin Laden mit beachtlicher Offenheit einen
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Bezugspunkt fest, an dem der Status Quo gemessen und kritisiert werden konnte. Er stellte also nicht nur religiöse Leitlinien für die Gläubigen auf, sondern fällte auch ein religiöses – und für seine Verhältnisse rechtschaffenes – Urteil über eine Welt, die keinerlei Ähnlichkeit mit der Vision der goldenen Tage des Kalifats hatte. So gesehen wäre es zur Bestimmung der ideologischen Ursprünge sinnvoller, al-Qaida im Kontext der Ereignisse zu betrachten, die zur Entstehung des Panislamismus beigetragen haben.54 Der Panislamismus entwickelte sich Ende des neunzehnten Jahrhunderts als Reaktion auf den doppelten Angriff auf das Osmanische Reich in Form von Imperialismus und Dezentralisierung. Während Befürworter wie Sultan Abdulhamid (1842–1918), Polemiker wie Jamal al-Din al-Afghani (1838–1897) und westliche Apologeten wie Wilfred Blunt (1840 – 1922) dazu beitrugen, eine vage Vorstellung von islamischer Einheit zum Symbol des modernen islamischen Befi ndens zu machen, war es die Große Türkische Nationalversammlung, die Gläubige und Nicht-Gläubige gleichermaßen brüskierte, als sie im März 1924 das Kalifat abschaffte. Kemalisten sagten die unweigerliche Säkularisierung muslimischer Gesellschaften voraus; gläubige Muslime meinten, die Abschaffung würde Muslime in ihren Beziehungen mit dem Westen schwächen; Kolonialämter befürchteten, sie würde einen breiten Aufstand der internationalen Gemeinschaft der Muslime entfachen. Nichts dergleichen geschah, doch der bleibende Reiz der Vorstellung von Solidarität unter Muslimen machte sich zunehmend bemerkbar und nahm schließlich in der Bildung moderner islamischer Staaten einen festen Platz ein – in jüngster Zeit auch in Versuchen, diese auszuhöhlen.55 In den folgenden Jahren kristallisierten sich verschiedene Auffassungen darüber heraus, inwieweit die fortdauernde Bedeutung des Kalifats eine notwendige Bedingung für die Einheit unter Muslimen oder Ausdruck dieser Einheit ist; das Spektrum reichte dabei von denjenigen, die eine geläuterte religiös-politische Institution wiederherstellen wollten, bis zu jenen, die die Verschmelzung von religiöser und politischer Macht für kontraproduktiv oder gar gefährlich hielten, und Kompromisslern, die die Schaffung einer internationalen Organisation unter souveränen ,islamischen Staaten‘56 als den besten Weg erachteten, sich auf die Nachkriegsverhältnisse einzustellen. Angesichts dieser Vielfalt an Meinungen und in Ermangelung einer prominenten politischen Führung, die die panisla-
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mische Gesinnung zu einer Realität hätte werden lassen, ,schien der Panislamismus an seinem Tiefpunkt angelangt‘.57 Paradoxerweise, so beobachtet Landau, ,waren unter den wenigen, die den Panislamismus für eine mächtige Kraft hielten, ausländische Beamte und Militäroffi ziere, deren Pfl icht es war, eine panislamische Bedrohung abzuwenden.‘58 Obwohl die Einheits-Verfechter kaum Einigung erzielten, wie die umma gestaltet werden sollte, blieb der Eindruck einer spirituellen Einheit der umma bestehen und setzte sich als selbstverständliche Tatsache durch, die in Einklang mit Koran-Verweisen auf die umma wahida (eine Gemeinschaft; z. B. 5:48 / 53, 16:93 / 95) bereitwillig akzeptiert wurde. In geistiger Hinsicht wurde die Idee (und das Ideal) der ,Einheit‘ (ittihad-i Islam, al-wahda al-islamiyya) zu einem essenziellen Teil des Islam erklärt, der Islam selbst nun als ganzheitlich und fundamental gesetzt und weitgehend getrennt von der kanonischen Formulierung von Begriffen wie khilafa (das Kalifat), dar al-islam (Gebiete, in denen das islamische Recht praktiziert wird) und dhimma (nicht-muslimische Schutzbefohlene). Die Gelehrten setzten sich mit diesen Themen erstaunlich wenig auseinander, wie Piscatori in Erinnerung ruft.59 In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts schwand der politische Auftrag des Kalifats zusehends, nicht jedoch die Vorstellung vom politischen Auftrag des Islam. In den Augen vieler verlangte die umma nach einer Form von politischem Ausdruck. Doch dieses mehr oder weniger breite Bewusstsein der Notwendigkeit islamischer Solidarität konkurrierte mit dem zögerlichen, aber erkennbar entstehenden Nationalismus (wataniyya) in muslimischen Gesellschaften oder zumindest der Konsolidierung dynastischer Regeln und Regime. In Zusammenhang mit diesen strukturellen Entwicklungen wurde das politische Ziel eines einheitlichen islamischen Staates, der dem Kalifat ähnelt, ersetzt durch das Ziel einer einheitlichen Politik in den verschiedenen islamischen Staaten.60 Und obwohl der Islam immer eine globale Dimension gehabt hat, entstand an diesem Punkt der Begriff islamischer – oder vielleicht besser muslimischer – Solidarität: Selbst wenn die Muslime nicht unter einem einzelnen Herrscher vereint werden sollten, so wurde die Sorge, ja eine Form von Verantwortung gegenüber dem Wohlergehen aller Mitglieder der Glaubensgemeinschaft ungeachtet ihrer Nationalität, ein Glaubensgrundsatz des modernen islamischen Befi ndens. Wenn Bin Laden also das weltweite Leid von Muslimen anprangerte, traf er einen Nerv im Bewusstsein von Muslimen.
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In der politischen Sphäre drückte sich der neue Sinn für islamische Solidarität in der Entwicklung von staatengestützten Organisationen wie dem Islamischen Weltkongress, der Islamischen Weltliga und der Organisation der Islamischen Konferenz aus. Doch obwohl nationale Eliten nach außen ihre Unterstützung für das hehre Ideal islamischer Solidarität signalisierten, beriefen sie sich, wie sich bei kritischer Untersuchung zeigt, in Wirklichkeit aus allen möglichen, nicht aber aus panislamischen Gründen auf den Panislamismus. Einerseits das einheimische Publikum, andererseits riva lisierende Staaten im Blick wollten sie als die neuen Schutzherren des Islam amtieren, um ihre persönlichen Ansprüche auf nationale Macht und internationale Führung zu festigen. Die Rivalität zwischen Saudi-Arabien, Iran und Pakistan ist nur ein Beispiel für diese Dynamik. Obwohl islamistische Bewegungen wie die Muslim-Brüderschaft, Hamas und die Front Islamique du Salut (FIS) ihre jeweiligen nationalen Führer scharf für ihre ,unislamische Art‘ kritisierten, taten sie weitgehend das Gleiche; sie bemühten sich nicht so sehr um die Wiederherstellung des Kalifats, sondern vielmehr um die Festigung ihrer eigene Machtposition im Rahmen der inzwischen fest etablierten Form des Nationalstaats. Der politische Ausdruck des Panislamismus geriet also nach und nach in den Hintergrund, bis er wenig mehr als ein Alibi-Bekenntnis zur Einheit des Glaubens war. Landau, der diese Veränderungen in internationalen politischen Organisationen nachzeichnet und breitere gesellschaftspolitische Entwicklungen bewertet, sagt einen erneuten Anstieg des Panislamismus voraus. Ende 1989 kam er zu dem Ergebnis: ,Da große Teile der Welt sich auf konkretere Formen des Zusammenschlusses hinbewegen, könnte es durchaus sein, dass auch die Panislamisten den 120 Jahre alten Traum von der Utopie, zu der er scheinbar geworden ist, in eine politische Realität verwandeln.‘61 Piscatori wirft in seiner Analyse aus dem Jahr 2004 einen Blick auf das neue Millennium und erklärt: Obwohl die panislamische Dimension zurückzugehen schien, haben einige wenn man so will ,Radikale‘ versucht, die Lücke zu schließen. Ihr Ziel ist die, wie sie meinen, Befreiung der umma vom Nationalstaat und von dynastischen Regimen. Offensichtliche Beispiele hierfür sind Hizb al-Tahrir al-Islami (die Islamische Befreiungspartei), die Muhadschirun (ein Ableger der Hizb al-Tahrir in Großbritannien), Osama Bin Laden und Ayman al-Sawahiri (die Anführer von al-Qaida). Der Panislamismus ging in den Untergrund, kehrte in
Panislamische Einheit oder schmerzlicher Zerfall?
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spektakulärer Weise auf die Bühne zurück und attackiert in ausgesprochen scharfer Weise den gegenwärtigen Zustand unter Berufung auf eine ,Tradition‘, die erst seit kurzem existiert. Nach Bin Ladens Äußerung vom 7. Oktober 2001 resultieren die gegenwärtigen Probleme der islamischen Welt aus der Zeit vor 80 Jahren. Auch wenn er seinen Bezugspunkt nicht genau nennt, bezieht er sich wahrscheinlich auf das Ende des Kalifats 1924. Diese Interpretation steht in Einklang mit Berichten, die europäische, insbesondere britische, Interventionen mit lokalen säkularisierenden Regimen – hier Atatürk – in Verbindung bringen, um den Zerfall islamischer Einheit zu erklären. Heute ist es die amerikanische Präsenz im Nahen Osten und an anderen Orten, die besonders schädlich ist, da sie sowohl wirtschaftlicher als auch ideologischer Art ist; ihr Bestreben, den Markt zu beherrschen, steht und fällt mit der Verkürzung des Islam auf eine Art sicheren, konservativen und größtenteils privatisierten Islam, wie ihn die herrschenden Eliten der islamischen Welt praktizieren.62
Al-Qaida und der globale Dschihad waren vielleicht nicht genau das, was Landau vor Augen hatte, als er von der Entschlossenheit der Panislamisten sprach, ihren utopischen Traum zu verwirklichen. Doch die Vision vom Wiederaufleben des Kalifats, die sich heute in der permanenten Bedrohung durch terroristische Gewalt manifestiert, scheint ein fester Bestandteil des Lebens im 21. Jahrhundert geworden zu sein. Obwohl al-Qaida nicht der gängigen Vorstellung einer politischen Organisation entspricht, ist sie heute zu einer politischen Realität geworden. Der Schlüssel zu dieser Erkenntnis ist, zu verstehen, was Ideen bewirken können. In der globalen Welt, in der sich virtuelle Realitäten und Identitäten zunehmend mit ,realen‘ überlagern und letztere verdrängen, dürfte es nicht überraschen, dass die größte – reale oder so empfundene – Bedrohung der Sicherheit in der realen Welt aus dem Bereich der Einbildung und der Angst stammt. Doch wohin soll das führen?
Panislamische Einheit oder schmerzlicher Zerfall? Panislamische Einheit oder schmerzlicher Zerfall?
Osama Bin Laden, so darf man schließen, war weder ein Religionsgelehrter, dessen Denkweise einer spezifischen Strömung entsprang, noch war er ein besonders innovativer Denker. Die Logik seines Aufrufs zum globalen Dschihad liegt vielmehr im Kontext der breiteren gesellschaftspolitischen Entwicklungen begründet, die das Bild des modernen Islam verändert
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Die Wiederherstellung der umma
haben. Setzt man sich mit seinen Äußerungen näher auseinander, so wird schnell klar, dass seine Vision der Befreiung der umma aus den Händen der gottlosen Unterdrücker mit dem ultimativen Ziel der Wiederherstellung des Kalifats ein aktueller Ausdruck von Panislamismus ist. Bin Laden gestaltet seine Vorstellung des Islam im Sinne einer alternativen persönlichen Interpretation, die die ideologischen Gräben innerhalb des Islam überwindet und die Gemeinschaft der Gläubigen weit oberhalb einzelner Staaten und Regierungen und außerhalb des Einflusses von allem Unislamischem ansiedelt. Wenn es dieser Vision an stimmigen defi nitiven Plänen zur praktischen Organisation der Glaubensgemeinschaft mangelt, so macht sie diesen Mangel durch glühenden Eifer wett. Ihre Logik ist folgende: Zunächst müssen wir die Feinde des Islam, nämlich die Invasion der Zionisten und Kreuzfahrer, bezwingen; dann wird sich alles auf natürliche Weise oder eventuell durch göttliche Fügung ergeben. Mit dieser Logik bleibt Bin Laden etwas hinter den konkreteren Visionen anderer Panislamisten zurück, die ihre Vorstellung des Islam und der Organisation des ,neuen Kalifats‘ in einer Weise Ausdruck gegeben haben, die der Realität des Hier und Jetzt näher kommt. Die Stärke und Anziehungskraft von Bin Ladens Botschaft liegt jedoch in der festen Überzeugung, dass diese Utopie erreichbar ist, wenn sich nur alle Muslime redlich bemühen und ihren Beitrag dazu leisten, die umma aus der Unterdrückung der Zionisten-Kreuzfahrer zu befreien. So simpel diese Botschaft auch sein mag – es ist genau diese Art von Idealismus, die das wachsende Bewusstsein der Solidarität unter Muslimen in ihrem Innersten aufgreift und so im Endeffekt nicht nur jene inspiriert, die mit Bin Ladens Zielen sympathisieren, sondern auch jene, die den globalen Dschihad aus vollem Herzen unterstützen und ihn leibhaftig ausführen. Al-Qaida und der globale Dschihad sind vor allem durch das in Erscheinung getreten, was wohl eine übertriebene Angst vor transnationalen islamistischen Netzwerken ist, die das gemeinsame Ziel haben, den Westen zu zerstören, um ein neues goldenes Zeitalter des Islam zu begründen – ein Nachhall der europäischen Angst vor panislamischem Anti-Kolonialismus im 19. Jahrhundert. Doch ist es möglich, eine konkretere, reale Präsenz aus etwas zu schaffen, das seinem Wesen nach unbestimmt ist und seinen Ausdruck im Handeln, in nichts Geringerem als einem Akt der Zerstörung fi ndet? Anders gesagt: Wie sieht die Erfolgsbilanz von al-Qaida bei der Wiedergewinnung der umma aus? Eine Antwort auf diese Frage erfordert einen genaueren Blick auf die Realität von al-Qaida in der Welt nach dem 11. September.
V. Al-Qaida nach dem 11. September: zerstört, geschwächt oder wiedererstarkt? Al-Qaida nach dem 11. September
Alle abschätzigen Annahmen über al-Qaida, von denen man vor dem 11. September ausging, lagen falsch. Genauso verhält es sich mit der Vermutung, dass sie sich heute in irgendeiner Form zurückziehe: Sie stellt noch immer die größte Bedrohung der internationalen Sicherheit in der westlichen und der islamischen Welt dar. Osama Bin Laden ist nicht in den Untergrund getrieben worden und hat den Kontakt zu seinen Anhängern nicht verloren. Al-Qaida nutzt das Internet auf breiter Front, um mit ihren Anhängern zu kommunizieren und um ihr Ziel voranzutreiben, neue Basen für die Organisation von Terroranschlägen zu schaffen. Es gibt Vermutungen, sie sei in eine Art ,ideologische‘ oder ,inspirierende‘ Organisation übergegangen, die junge muslimische Trittbrettfahrer nur dazu anstifte, ihren größten ,Erfolgen‘ nachzueifern; diesen Vermutungen widerspricht jedoch der stete Strom an Instruktionen, die die al-Qaida-Führung ihren Anhängern erteilt … al-Qaida wird ihre ursprünglichen Ziele weiterentwickeln, den Westen zu besiegen, einen Regimewechsel in der islamischen Welt herbeizuführen und die Armeen von Anhängern weltweit zu verstärken, um den Beginn ihres Traums eines weltweiten Kalifats – eines von al-Qaida regierten Moslemstaates – zu beschleunigen. Ahmed Rashid, 20061
Seit Beginn des Krieges gegen den Terror haben Meldungen von ,Erfolgen‘ und ,Fehlschlägen‘ immer wieder für Schlagzeilen in westlichen Medien gesorgt – erstere vorwiegend in Form von Festnahmen oder Tötungen von Schlüsselpersonen, deren Zugehörigkeit zu al-Qaida bekannt war; letztere in Form von inhaftierten al-Qaida-Mitgliedern, die aus dem Gefängnis entkommen konnten, oder Terroranschlägen von Gruppen, die al-Qaida nahestehen sollen. Trotz des konstanten Informationsflusses lässt sich nur schwer einschätzen, wie genau es al-Qaida in der Welt nach dem 11. September ergangen ist. Wurde sie derart geschwächt, dass sie fast zerschlagen und zu keiner größeren Operation mehr in der Lage ist? Oder ist sie wieder auf dem Vormarsch, stärker und gefährlicher denn je?
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Al-Qaida nach dem 11. September
Al-Qaida: zwischen widersprüchlichen Positionen Al-Qaida: zwischen widersprüchlichen Positionen
Wie in Kapitel 2 dargelegt, gilt die Phase, in der die Anschläge des 11. September 2001 stattfanden, gemeinhin als der Höhepunkt von al-Qaidas Einfluss und Schlagkraft. Obwohl die Anschläge des 11. September nach allgemeiner Auffassung den größten Erfolg darstellen, relativiert Sageman sie im Hinblick auf spätere Ereignisse: Der Erfolg der Anschläge vom 11. September erwies sich als Eigentor für al-Qaida. Es gibt Hinweise darauf, dass die Führung von al-Qaida mit einer begrenzten Reaktion der USA rechnete … Dies erwies sich als grobe Fehleinschätzung; die Regierung Bush beschloss, al-Qaida-Gelder einzufrieren und in Afghanistan einzumarschieren, um einen Regimewechsel herbeizuführen und al-Qaida jegliche Zufluchtsmöglichkeit zu verweigern. Den USTruppen gelang es jedoch nicht, die Führung al-Qaidas aus dem Weg zu räumen, sie entkam während der Operation Anaconda durch die Reihen der verbündeten Afghanen.2
Es ist in der Tat gut möglich, dass Bin Laden und die zentrale Führung bzw. der ,harte Kern‘ in Burkes Terminologie nicht damit gerechnet hatten, dass der 2001 einsetzende Krieg gegen den Terror fast zehn Jahre später noch immer anhalten sollte. Unmittelbar nach den Anschlägen des 11. September stellte die Invasion Afghanistans die wohl besorgniserregendste Entwicklung für al-Qaida dar. Die wohlgesonnene Heimstatt, die sie sich geschaffen hatte, ging mitsamt dem System an Trainingslagern und völliger Freizügigkeit fast über Nacht verloren. Burke behauptet: ,Anfang 2020 waren die materiellen Aktiva vernichtet, das Personal zerstreut, und es lag auf der Hand, dass der militante Islamismus in eine neue Phase eintrat. Der ,harte Kern Al Qaidas‘, der erste von drei konzentrischen Kreisen Al Qaidas, hatte eine Schlappe einstecken müssen.‘3 Dies belege die eher geringe Zahl an Anschlägen, die al-Qaida zugeschrieben wurden, so etwa der Bombenanschlag auf zwei Nachtclubs auf Bali am 12 Oktober 2002, verübt durch Mitglieder von Jemaah Islamiyah. Burke wie auch Sageman4 argumentieren, diese Anschläge seien vor Ort initiiert und nicht vom Kern al-Qaidas aus dirigiert worden. Zugleich propagierte die amerikanische Regierung jedoch weiter die Vorstellung von der immensen Bedrohung durch eine zentralisierte, globale Organisation.
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Wie sah al-Qaida also nach den Rückschlägen aus, die sie im Laufe des Kriegs gegen den Terror hatte einstecken müssen? Die Frage ist Gegenstand zahlreicher Kontroversen. Analysten beharren entweder auf der anhaltenden Bedrohung durch eine organisierte Gruppe oder aber behaupten, der Charakter von al-Qaida habe sich grundlegend gewandelt. Seit etwa 2005 haben sich in der Tat ,zwei scheinbar unterschiedliche und widersprüchliche Positionen herausgebildet, was die Fähigkeiten, die Positionierung und die operative Strategie von al-Qaida angeht‘.5 Einerseits haben zahlreiche Regierungschefs und Terrorbekämpfungsexperten erklärt, al-Qaida verliere zusehends an Macht und sei nicht mehr in der Lage, groß angelegte Angriffe zu planen und durchzuführen. Vertreter dieser Position verweisen auf die sinkende Zahl an al-Qaida-Kämpfern in Afghanistan als Resultat der anhaltenden Kampagne gegen Aufständische, die Tatsache, dass ihre fi nanziellen Mittel so gut wie versiegt seien, und vor allem den ihrem Eindruck nach Mangel an operativen Kapazitäten, um Anschläge gegen die USA und den Westen von der Größenordnung der vom 11. September auszuführen. Zu den führenden Vertretern dieser Position gehören Marc Sageman mit seiner Vorstellung vom ,führerlosen Dschihad‘ sowie Jason Burke mit seiner Theorie der ,freien Mitarbeiter‘; beide vertreten den Standpunkt, dass die größte Bedrohung nicht mehr von der Organisation namens al-Qaida ausgehe, sondern von unten, nämlich von radikalisierten Einzelpersonen und Gruppen, die sich in ihrem Stadtteil oder über das Internet träfen und geheime Pläne ausheckten, die unabhängig und ohne irgendwelche Verbindungen zu einer zentralen Organisation jenseits einer gemeinsamen Weltanschauung handelten.6 Auf der anderen Seite heißt es, al-Qaida sei auf dem Vormarsch. Dafür spreche ihre beständige Fähigkeit, auf kleinere Anschläge erfolgreich einzuwirken und sie zu begünstigen, was durch zahlreiche Beispiele belegt werde. Am 5. November 2009 eröffnete der Major der US-Armee Nidal Hasan auf dem Militärstützpunkt Fort Hood in Texas das Feuer auf seine Kameraden; 13 Menschen starben, 30 wurden verletzt. Der 1. Weihnachtstag 2009 wird vielen für den fehlgeschlagenen Bombenanschlag von Umar Farouk Abdulmuttalab auf eine Passagiermaschine von Amsterdam nach Detroit in Erinnerung bleiben: Dem Attentäter gelang es, Sprengstoff in seiner Unterhose an Bord zu schmuggeln; als die Bombe nicht zündete, ein Feuer ausbrach und sein Plan aufflog, konnte er jedoch überwältigt werden. Am 29. Oktober 2010 wurde der Plan vereitelt, zwei Verkehrsflug-
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zeuge in die Luft zu sprengen; zuvor war ein Warnhinweis eingegangen und versteckter Sprengstoff in den Tonerkartuschen von zwei Laserdruckern gefunden worden, die als Frachtgut vom Jemen in die USA gehen sollten. Zu den Vertretern der Fraktion, dass al-Qaida höchst vital sei, gehören Analysten wie Peter Bergen und Bruce Hoffman, die Sagemans Vorstellung von einem führerlosen Dschihad zurückweisen; sie beharren darauf, dass al-Qaida sich in den abgelegenen Regionen Afghanistans und Pakistans neu formiert habe und nicht nur weiter aktiv, sondern wiedererstarkt und gefährlicher denn je sei.7 Bruce Riedel beschreibt al-Qaida als ,einen Feind, der heute gefährlicher ist als je zuvor.‘8 Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch schnell heraus, dass diese beiden Positionen nicht so unvereinbar sind, wie es auf den ersten Blick scheint. Weder Hoffman noch Riedel leugnen den sich wandelnden Charakter der Gruppe. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel aus dem Jahre 2006 erklärt Hoffman: Es sind neue Strukturen entstanden. … Heute sind nicht nur neue, von al-Qaida inspirierte Zellen aktiv, sondern auch echte al-Qaida-Terroristen. Daher ist al-Qaida meiner Ansicht nach gefährlicher als am 11. September 2001. Weil wir jetzt ein riesiges Heer an selbst-radikalisierten Muslimen an vielen Orten der islamischen Welt haben, die nicht unbedingt mit al-Qaida in Verbindung stehen, aber bereit sind zu handeln. Wir haben also nach wie vor eine Organisation al-Qaida, die unabhängig operiert, die aber auch versucht, sich diese Unzufriedenheit und Entfremdung zunutze zu machen.9
Ähnlich argumentiert Riedel in Foreign Affairs, wenn er schreibt: [Al-Qaida] hat seit dem 11. September 2001 einige Rückschläge erlitten: Sie hat ihren Staat im Staat in Afghanistan verloren; verschiedene hochrangige Mitarbeiter wurden getötet; ihre Bemühungen, die Regierungen in Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien zu stürzen, sind gescheitert. Dass sie heute eine solide Operationsbasis im Ödland von Pakistan und ein erfolgreiches Franchising im westlichen Irak besitzt, verdankt die Organisation jedoch vor allem dem Eifer Washingtons, in den Irak einzumarschieren, anstatt sich auf die Suche nach den Anführern von al-Qaida zu konzentrieren. Ihr Aktionsradius hat sich über die gesamte islamische Welt ausgeweitet, wo sie einen großen Stab an Mitarbeitern entwickelt hat, und über Europa, wo sie die Unterstützung von entrechteten einheimischen Muslimen und Mitgliedern der arabischen und asiati-
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schen Diaspora für sich beanspruchen kann. Osama Bin Laden hat erfolgreich eine Propaganda-Kampagne auf die Beine gestellt, um sich und seine Bewegung zu den wichtigsten Symbolen des weltweiten islamischen Widerstands zu machen. Seine Ideen ziehen heute mehr Anhänger an als je zuvor.10
Es besteht in der Tat Einvernehmen darüber, dass sich der Charakter al-Qaidas in eine losere Ansammlung von Gruppen und Individuen verwandelt hat, die nicht von formellen, organisatorischen Bindungen zusammengehalten wird, sondern von persönlichen Beziehungen und dem gemeinsamen Ziel, dem Aufruf zum Dschihad zu folgen. Außerdem sind sich beide Fraktionen über die Schwere der Bedrohung durch die zersplitterte globale Dschihad-Bewegung einig, und sie stimmen überein, dass diese unmöglich zu lokalisieren und grundsätzlich nicht vorhersehzusehen ist. Ihre Meinungsverschiedenheiten konzentrieren sich – und dies dürfte angesichts der Kontroverse um den Auf bau von al-Qaida vor dem 11. September 2001 kaum überraschen – vor allem auf die Art der Organisationsstruktur. Umstritten sind insbesondere folgende Fragen: Besteht noch ein zentraler Kern oder eine Führung? Hat sich al-Qaida neu gebildet oder ist sie an einem bestimmten Ort wieder im Entstehen begriffen, um Anschläge zu unterstützen? Oder ist die Bewegung nun komplett lokal, führerlos und zersplittert? Burke lehnt die Vorstellung einer wie auch immer gearteten Kern-Organisation ab: Die gute Nachricht ist, dass diese al-Qaida gar nicht existiert. Die schlechte Nachricht ist, dass die Bedrohung, der sich die Welt heute gegenübersieht, weit gefährlicher ist als irgendein einzelner Terroristenführer mit einer Armee von treuen Kadern, so groß diese Armee auch sein mag. Die Bedrohung, vor der wir stehen, ist neu und anders, komplex und vielgestaltig, dynamisch, wandelbar und äußerst schwer zu beschreiben.11
Doch selbst die Differenzen über die Existenz eines zentralen Kerns sind nicht so substanziell, wie es scheinen mag. In dem heftigen Schlagabtausch, der sich als Reaktion auf Hoffmans Besprechung von Sagemans Leaderless Jihad entspann, änderte Sageman letztlich seine Meinung, ohne dass es hierfür einen ersichtlichen Grund gab – höchstens den, Hoffman gegenüber einzulenken, da sich dieser auf Geheimdienstquellen stützte und auf dem Wiederaufleben einer Kern-Führung von al-Qaida insistierte. So untergräbt Sageman faktisch die zentrale These seines Buches, wenn er
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versichert, er habe nie sagen wollen, dass das Zentralbüro von al-Qaida nicht mehr existiere oder nicht gefährlich sei. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass die Debatte um das Schicksal von al-Qaida nach dem 11. September nur die Fortsetzung des Streits um die Struktur von al-Qaida vor dem 11. September ist; allerdings hat sich dieser Streit nun zu einem sehr öffentlichen Schlagabtausch darüber entwickelt, wer die Diskurshoheit hat. In dieser politisierten Debatte scheinen Indizien für einen zentralen Kern sekundär zu sein – und im übrigen sind diese Indizien heute genauso dürftig wie eh und je, wenn nicht sogar dürftiger. Zum Beispiel beruht Hoffmans These, dass das ,Zentrum weiter bestehe‘ auf Warnungen des National Intelligence Estimate (NIE), al-Qaida habe sich neu konstituiert; wie oben gezeigt, spiegelt sich diese Sicht auch in der Einschätzung durch andere Analysten wieder. Doch wie verlässlich sind diese Informationen? Das National Intelligence Estimate repräsentiert ein Dossier gemeinsamer Analysen der US-Nachrichtendienste und gibt Auskunft darüber, welche Ereignisse auf der sicherheitspolitischen Bühne in bestimmten Teilen der Welt vermutlich auftreten werden oder nicht. Doch obwohl die Erkenntnisse der Geheimdienste unverzichtbar sind und Vorhersagen ein sinnvolles Instrument sein können, bleibt das NIE eine Einschätzung ohne allgemeinen Wahrheitsanspruch; es hat in der Vergangenheit tatsächlich oft sehr fehlerhafte Analysen abgegeben. Eine der kontroversesten Analysen der letzten Jahre war das Geheimdienstdossier vom Oktober 2002, in dem es um das unerlaubte Waffenprogramm des Irak ging. Ein Bericht des Senats zog später die Bilanz: ,Die meisten der wichtigsten Schlüsselentscheidungen des Berichts haben die zugrundeliegende Berichterstattung der Geheimdienste entweder aufgebauscht oder aber ignoriert.‘12 Wenngleich die Möglichkeit einer neu entstehenden Kern-Führung von al-Qaida nicht ausgeschlossen werden kann – und es ist in der Tat wahrscheinlich, dass sowohl die ursprüngliche Gruppe als auch die nächste Generation weiterhin den Drang nach Höherem verspüren – so darf man nicht vergessen, dass es hierfür keinerlei zweifelsfreie Beweise gibt. Fest steht allerdings, dass sowohl die ehemaligen Anführer als auch die jüngeren, aufstrebenden Mitglieder des globalen Dschihad starkes Interesse daran haben, so geschlossen wie möglich zu erscheinen; daher sollte man alle Äußerungen in diese Richtung, die nicht hinreichend untermauert werden können, mit einer gewissen Portion Skepsis betrachten.
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Leichter gelangt man an Belege – oder vielmehr Beispiele – für die Zersplitterung von al-Qaida und des globalen Dschihad. Burke behauptet etwa, der führerlose Dschihad sei zum Teil eine Folge von Bin Ladens Rat an seine Gefolgsleute, sich zu zerstreuen und Einzelanschläge wo immer möglich auszuführen; er verweist auf die hohe Zahl an kleinen, eher unauffälligen Anschlägen, zu denen es seit Ende 2001 gekommen ist. Dazu zählen unter anderem das Selbstmordattentat in einer Synagoge in Tunis 2002, die Bombenanschläge auf zwei Synagogen, das Britische Konsulat und die türkische Zentrale der HSBC-Bank in Istanbul 2003, die Terroranschläge auf Hotels in Amman 2005, die Explosionen in Algier 2007 sowie der bereits erwähnte Amoklauf in Ford Hood und die Schießerei vor dem Rekrutierungsbüros in Little Rock 2009. Beschäftigt man sich eingehender mit den näheren Umständen dieser Anschläge, so fällt auf, dass man es mit ganz unterschiedlichen Akteuren, Beweggründen und Zuweisungen zu tun hat. Einige wurden von Einzelpersonen verübt, um das Fortbestehen von al-Qaida und der von ihr ausgehenden Bedrohung zu unterstreichen; andere wurden von Einzelpersonen verübt, die keine offensichtliche Verbindung zur Organisation hatten oder mit lokalen Franchises wie der al-Qaida-Organisation im Islamischen Maghreb in Verbindung standen und auf spezifische lokale Missstände reagierten; Osama Bin Ladens ursprüngliches Programm stand für sie jedoch nicht im Vordergrund. Im Zusammenhang mit den Bombenanschlägen auf die Synagoge in Tunesien berichtete die BBC: Ein Sprecher von Osama Bin Ladens Netzwerk al-Qaida sagte, die Organisation stände hinter dem Selbstmordanschlag auf eine tunesische Synagoge vom April, bei dem 19 Menschen ums Leben kamen. In einer Tonband-Aufzeichnung, die vom arabischen Fernsehsender al-Dschasira ausgestrahlt wurde, sagte Sulaiman Abu Ghaith, ein Vertreter al-Qaidas, der Anschlag sei ein Racheakt für den Tod von Palästinensern. Mr. Abu Ghaith lobte die Anschläge auf Amerika vom 11. September und warnte vor weiteren Anschlägen ,in den kommenden Tagen und Monaten.‘ Nach Angaben des in Kuwait geborenen Klerikers sind 98 Prozent der Anführer von al-Qaida, darunter auch Bin Laden, am Leben, und Bin Laden werde im Fernsehen eine Erklärung abgeben.13
Oberflächlich besehen könnte diese Ankündigung durchaus amtlich wirken, bezeichnend für eine Organisation, die noch immer imstande ist, im großen und globalen Stil Unheil anzurichten. Bei genauerer Unter-
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suchung entsteht jedoch nicht nur durch die Verlautbarung, sondern auch durch den Anschlag selbst der Eindruck, als befände sich al-Qaida in einer gewissen Panik; sie möchte ihren Anhängern und Feinden gegenüber unbedingt ihr Fortbestehen und den Ernst der Lage demonstrieren, doch das aktuelle Attentat hält dem Vergleich mit der Größenordnung der Anschläge in New York nur sieben Monate zuvor kaum stand. Ist al-Qaida den Ansprüchen von Abu Ghaith gerecht geworden? Ja und nein. Es ist zu weiteren Anschlägen gekommen; doch während manche Schockwellen in den Reihen der Zuschauer ausgelöst haben, ist zum Glück keiner dem berüchtigen Vorbild des 11. September nahegekommen, an dem nun alle gemessen werden. Auch wenn Folgeanschläge im Geiste des globalen Dschihad ausgeführt wurden, so untermauern sie nicht die These von ,al-Qaida, der Organisation / dem Kern‘ als zentraler treibender Kraft. Ein solches Attentat sind die Zuganschläge von Madrid: Bei der Serie von koordinierten Bombenexplosionen am Morgen des 11. März 2004 kamen 191 Menschen ums Leben, 1800 wurden verletzt. Während sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die zeitgleiche Detonation der Sprengsätze richtete, machte sich schnell die Vermutung breit, die Anschläge trügen die Handschrift von al-Qaida; diese Annahme wurde um so williger akzeptiert, da man überzeugt war, eine größere Gruppe müsse hinter einem Anschlag solchen Ausmaßes stehen. Der anfängliche Verdacht einer Verbindung zu al-Qaida wurde allerdings nie völlig erwiesen. Der Anthropologe Scott Atran nahm in einem Artikel des Guardian über den ,schlimmsten islamistischen Anschlag in der Geschichte Europas‘ hierzu Stellung: ,Es gibt nicht den geringsten Beweis für irgendeine operative Beziehung zu al-Qaida‘, so Atran. ,Wir haben die Lage über Jahre genau untersucht und uns bei allen nur erdenklichen Personen informiert und … es verbindet sie nichts. Die überwältigende Mehrheit an [Terrorzellen] in Europa hat außer einer vagen ideologischen Beziehung nichts mit al-Qaida zu tun. Und selbst diese Ideologie ist relativ oberflächlich – es ist im Grunde eine Reaktion darauf, was sie als weltweiten Krieg gegen den Islam betrachten.‘ Die Menschen bräuchten jedoch die Überzeugung, so Atran, dass eine höhere Macht im Spiel sei; sie könnten sich nur schwer damit abfi nden, dass eine kleine, lose verbundene Gruppe junger Männer einen Anschlag diesen Ausmaßes ohne Unterstützung von außen verüben könne. Diese jungen Männer hätten sich jedoch selbst radikalisiert.14
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Die Zuganschläge von Madrid scheinen den Übergang zu einem fragmentierten Dschihad zu illustrieren, der von Einzelpersonen ohne direkte Verbindung zu einer Organisation oder einem Netzwerk ausgeführt wird und über den Glauben an Dschihad als Lösung der von Muslimen empfundenen Missstände hinausgeht. Die Anschläge veranschaulichen auch die zerstörerische und beängstigende Schlagkraft dessen, was man vielleicht zutreffender als Einzelanschläge beschreiben könnte. Andere Terroranschläge sind Franchise-Partnern von al-Qaida zugeschrieben worden: Es handelt sich hierbei um Gruppen von Personen mit relativ engen Verbindungen zu Mitgliedern des Kerns von al-Qaida, die vermutlich Bin Ladens Ideologie des globalen Dschihad teilen, jedoch hauptsächlich in ausgesprochen lokal geprägten geopolitischen Kontexten agieren. Eine solche Gruppe ist al-Qaida im Maghreb, vormals bekannt als die GSPC (Groupe Salafi ste pour la Prédication et le Combat – SalafistenGruppe für Predigt und Kampf). Wie sich herausstellte, war sie für die Explosionen in Algier 2007 und weitere Anschläge in Algerien verantwortlich. Auch wenn sie ihren Verlautbarungen zufolge Osama Bin Laden unterstützt, scheint sich die Gruppe mehr damit zu beschäftigen, die algerische Regierung zu stürzen und einen islamischen Staat einzuführen, als das Kalifat und die Einheit der weltweiten umma wiederherzustellen. Und obwohl es durchaus Anknüpfungspunkte zu den Zielen von bin Ladin and Sawahiri gibt, handelt es sich trotz allem um eine Rückbesinnung auf den ,nahen Feind‘, der die Islamisten schon zu Zeiten von Hassan al-Banna beschäftigte; der explizite Fokus auf dem ,fernen Feind‘ bleibt dagegen ein Spezifi kum von al-Qaida. Die beispiellosen Proteste zu Beginn des Arabischen Frühlings gaben zu weiteren Aktivitäten der Gruppe Anlass: Im Januar 2011 brachte al-Qaida im Maghreb ihre Unterstützung für die Demonstrationen gegen die tunesische Regierung zum Ausdruck in der Hoffnung, die Revolution werde auf Algerien übergreifen. In einem 13-minütigen Video bot der derzeitige Anführer der Gruppe, Abu Musab Abdul Wadud, den Demonstranten militärische Hilfe und Ausbildung an und appellierte an sie, ,das korrumpierte, kriminelle und tyrannische‘ Regime zu stürzen und die Scharia einzuführen.15 Die Ereignisse in Tunesien waren kein Ablenkungsmanöver, sondern dienten vielmehr der Vision von al-Qaida im Maghreb; schließlich verschafften sie der Gruppe eine günstige Gelegenheit, die Instabilität in der Region anzuheizen und zum Umsturz des algerischen Präsidenten Abdelaziz Boutefl ika aufzuhetzen.16
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Obwohl sich diese Gruppen auf den lokalen Kontext fokussieren, gelten sie Analysten wie etwa Riedel als Beweis für al-Qaidas neue Stärke. Die Gruppe, der bis Ende 2009 die meiste Aufmerksamkeit zuteil wurde, ist al-Qaida im Irak (AQI). Sie soll sich 2003 unter der Führung des militanten Jordaniers Abu Musab al-Zarqawi gegründet haben, der im Oktober 2004 Osama Bin Laden den Gefolgseid leistete. In Anbetracht der nicht enden wollenden Nachrichten über blutige Anschläge und Explosionen, die der Gruppe angelastet werden, ist es unmöglich, so zu tun, als existiere al-Qaida im Irak nicht. Auf der anderen Seite sollte man jedoch auf der Hut sein und nicht gleich jede Gewalttat al-Qaida anlasten. Clark Hoyt warnt davor, ,al-Qaida an allen Ecken und Kanten zu sehen‘ überhöhe eher die Vorstellung von der Gruppe, als dass es zu einer sinnvollen Bewertung ihres Einflusses und ihrer Fähigkeiten führe.17 In der Tat widerlegt ein genauerer Blick auf die erklärten Ziele und den modus operandi von AQI die Vorstellung, es könne sich um eine Gruppe nach dem traditionellen Bild von al-Qaida handeln, die einen sinnvollen Beitrag zur Verwirklichung ihrer Ziele leiste. Die Ziele von AQI waren von Anfang an eindeutig lokal begrenzt: Die Gruppe wollte den Rückzug der US-geführten Streitkräfte aus dem Irak erzwingen, die irakische Übergangsregierung stürzen, Kollaborateure der Besatzer töten, die schiitische Bevölkerung an den Rand drängen, ihre Milizen besiegen und daraufhin einen rein islamischen Staat gründen.18 Mit dieser Agenda dürfte Bin Laden größtenteils einverstanden gewesen sein; was an dem Programm jedoch auffällt, ist der gezielte Aufruf zur Auseinandersetzung mit den irakischen Schiiten. Dieser Aufruf verwandelte das, was als Kampagne zur Befreiung des Irak und zur Gründung eines islamischen Staates innerhalb der Grenzen des Irak begonnen hatte – und was im größeren Zusammenhang als Schritt auf dem Weg zur Gründung des globalen Kalifats gewertet werden könnte – in einen blutigen sektiererischen Konfl ikt, mit dem sich AQI weder bei der irakischen Öffentlichkeit noch bei der Führung des al-Qaida,Zentralbüros‘ beliebt machte. Auf Zarqawis Erklärung eines totalen Krieges gegen die Schiiten, verbunden mit dem Bekenntnis zum Bombenattentat in einer schiitischen Moschee im Jahr 2005, folgte umgehend ein Brief, angeblich geschrieben vom zentralen al-Qaida-Führer Ayman al-Sawahiri, der die Taktik wahlloser Anschläge auf irakische Schiiten in Frage stellte:
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Viele eurer muslimischen Bewunderer aus dem einfachen Volk machen sich Gedanken über eure Anschläge auf die Schiiten. Sie stellen diese nur noch heftiger in Frage, wenn es sich um Anschläge auf eine ihrer Moscheen handelt … Meiner Meinung nach wird diese Angelegenheit für die muslimische Bevölkerung nicht hinnehmbar sein, so sehr ihr euch auch um Erklärungen bemüht haben mögt.19
Im Dezember 2007 betonte Sawahiri in einer Videobotschaft erneut, dass er die Anschläge auf muslimische Glaubensbrüder verurteile; zwar verteidigte er die Idee, den Irak zu einem islamischen Staat zu machen, er distanzierte sich allerdings von den Verbrechen gegen Zivilisten, die von ,Heuchlern und Verrätern aus den eigenen Reihen‘ begangen worden seien.20 Die Meinungsverschiedenheiten über diese Taktik beschränkten sich jedoch nicht auf interne Streitigkeiten unter den Anhängern alQaidas. Zur gleichen Zeit machten einheimische sunnitische Stämme und Aufständische, darunter die bekannte islamistisch-nationalistische Gruppe Islamische Armee im Irak, ihrem Unmut über die Methoden von AQI Luft und kritisierten die Kämpfer offen für die gezielten Angriffe auf irakische Zivilisten. Im Juni 2007 führten die zunehmenden Anfeindungen zwischen der vom Ausland beeinflussten al-Qaida und sunnitischen Nationalisten zu offenen Feuergefechten. Die Auseinandersetzungen nahmen eine solche Schärfe an, dass verschiedene Kommentatoren zu dem Schluss kamen, AQI sei ,auf der Flucht‘.21 Bei genauerer Betrachtung untermauert die reale al-Qaida im Irak nicht die Vorstellung von einer weltweit einheitlichen Organisation, die im Wiedererstarken begriffen ist; vielmehr demonstriert sie, dass al-Qaida in ihrer Gesamtheit geschwächt wird durch interne Streitigkeiten sowie Angriffe von anderen radikalen islamischen Gruppierungen, die genauso gut ihre Verbündeten hätten sein können.22 Diese Kombination aus Uneinigkeit unter den al-Qaida-Filialen und der Empörung vergleichbarer Gruppierungen hat den Zusammenhalt der Gruppe aufgeweicht und zu einem deutlichen Rückgang an Unterstützung vor Ort geführt. Der Eindruck des Wiedererstarkens scheint daher eher das Ergebnis eines Prozesses zu sein, bei dem al-Qaida wahllos mit jedweder Art von Gewalt in Verbindung gebracht wird. De facto hat jedoch die Tatsache, dass einige von al-Qaidas lokalen Ablegern zu gewalttätigen Mitteln gegen muslimische Zivilisten gegriffen haben, die Fähigkeit der Bewegung geschwächt, ihren Einfluss auszubauen oder sich als führender globaler und lokaler Player zu positionieren.
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Anfang 2009 schien al-Qaida – und gemeint ist hier sowohl das irakische Franchise als auch die Gruppe in ihrer Gesamtheit – daher ihren Tiefpunkt erreicht zu haben. Die Organisation war intern zersplittert, sie verlor kontinuierlich an öffentlicher Unterstützung und machte durch keine Aufsehen erregenden Angriffe von sich reden, um das amerikanische und westliche Publikum an die anhaltende Bedrohung zu erinnern. Diejenigen, die behauptet hatten, al-Qaida sei wieder auf dem Vormarsch, konstituiere sich neu und gewinne an Stärke, schienen an Boden zu verlieren. Diese Einschätzung sollte sich jedoch mit dem Beinahe-Anschlag auf eine amerikanische Passagiermaschine von Amsterdam nach Detroit am 1. Weihnachtstag 2009 ändern. Der Anschlagsversuch fachte nicht nur die Kontroverse um die anhaltende Bedrohung durch al-Qaida neu an, sondern katapultierte auch die Republik Jemen ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, nachdem Afghanistan und der Irak bereits im Mittelpunkt des Interesses gestanden hatten. Aktuellen Theorien zufolge ist es al-Qaida gelungen, sich in den entlegenen Stammesgebieten des Jemen neu zu formieren und von ihrer neuen Basis aus Angriffe auf den Westen zu planen. Im Dezember 2010 bestätigte der Anti-Teror-Berater der amerikanischen Regierung John Brennan, dass die im Jemen ansässige al-Qaida-Gruppe eine größere Bedrohung für die Amerikaner darstelle als alle anderen Gruppierungen, die Osama Bin Laden Gefolge leisteten, einschließlich der in Pakistan und im Irak. Brennan zufolge ist die jemenitische Gruppe ,zunehmend aktiv‘ in ihren Bemühungen, neue Terroristen zu rekrutieren, und wirke sogar in die USA hinein: ,Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel ist heute der operativ aktivste Knotenpunkt des al-Qaida-Netzwerks.‘23 Verschiedene Kommentatoren haben in der Tat angedeutet, dass al-Qaida im Jemen den neuen Kern der Organisation darstelle. Ist der Fall von al-Qaida im Jemen wirklich so radikal anders als alle anderen, oder ist er nur ein weiterer Versuch, die ,Zentrale‘ der Organisation ausfi ndig zu machen?
Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel: ein Beleg für das Wiedererstarken von al-Qaida? Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel
Zu einer Zeit, da al-Qaida schon fast von den Radarschirmen verschwunden zu sein schien, rief der Anschlag vom 1. Weihnachtstag – der, wenn er
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nicht vereitelt worden wäre, zu Hunderten von Opfern geführt hätte – besonders unangenehm in Erinnerung, was für eine potenzielle Gefahr die Bewegung noch immer darstellte. In vielerlei Hinsicht war es die perfekte Kulisse, um das westliche Publikum davon zu überzeugen, dass al-Qaida nicht von der Bildfläche verschwunden, sondern einsatzbereit und unverändert bedrohlich war. Wie schnell bekannt wurde, hatte der Täter, der 23 Jahre alte Nigerianer Umar Farouk Abdulmutallab, der am University College London studiert hatte, gestanden, während eines längeren Aufenthalts im Jemen für den Anschlag ausgebildet worden zu sein. Sein Geständnis wurde noch dadurch untermauert, dass sich eine im Jemen ansässige Gruppe namens AQAP, al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (Al-Qaeda in the Arabian Peninsula) 24 zu dem Anschlag bekannte, während Osama Bin Ladin den Beinahe-Märtyrer wie einen seiner eigenen Männer feierte.25 Zugleich stellte sich heraus, dass es bei früheren Anschlägen wie dem Amoklauf in Fort Hood ebenfalls eine Verbindung zum Jemen gegeben hatte; verbindendes Element war der starke Einfluss, den allem Anschein nach die Reden und Ideologie des inzwischen getöteten radikalen Klerikers Anwar al-Awlaki auf die Attentäter hatten; al-Awlaki, ein Jemenit mit amerikanischem Pass, war 2004 zurück in den Jemen gegangen und angeblich zu einer Schlüsselfigur von AQAP geworden. Der Jemen, so die Schlussfolgerung, sei kurz davor, das neue Afghanistan zu werden, und die Angst vor einem erneuten 11. September wurde plötzlich zu einer realen Möglichkeit. Die Situation schien derart bedrohlich, dass man umgehend aktiv wurde. Für den 27. Januar 2010 wurde ein internationales Treffen in London anberaumt, bei dem eine Strategie zur Unterstützung der jemenitischen Regierung im Kampf gegen die drohende Terrorgefahr ausgearbeitet werden sollte. Auf der Konferenz forderte die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton die Regierung des damaligen jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh auf, politische und wirtschaftliche Reformen durchzusetzen und AQAP zu bekämpfen; für diese wichtige Aufgabe sagte sie wirtschaftliche und militärische Hilfe zu. Neun Monate nach dem ursprünglichen Vorfall galt Analysten des CIA AQAP als die akuteste Bedrohung der amerikanischen Sicherheit, und hohe Beamte riefen zu einer Ausweitung der amerikanischen Operationen im Land auf; unter anderem schlugen sie vor, Drohnen des CIA zusätzlich zur geheimen Kampagne von amerikanischen Militärschlägen einzusetzen und 1,2 Milliarden Dollar an Militärhilfe zur Verfügung zu stellen.26 Der
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Umfang der Kampagne machte Schlagzeilen, als Präsident Obama am 30. September 2011 die Tötung von Anwar al-Awlaki und drei weiteren Mitgliedern der Gruppe verkündete und ihren Tod als einen ,schweren Schlag‘ für AQAP bezeichnete. Dieser Schlag beendete jedoch nicht die Jagd auf al-Qaida. Vielmehr ebnete er den Weg für eine noch umstrittenere Kampagne zur Terrorbekämpfung im Jahr 2012, in der das CIA und das US-Militär befugt sind, selbst dann Drohnenangriffe im Jemen durchzuführen, wenn die Zielpersonen nicht eindeutig identifi ziert werden können.27 Angesichts der zunehmenden Kritik am Einsatz von unbemannten Drohnen im Kampf gegen al-Qaida schien die Nachricht vom Tod Awlakis endlich einmal eine gute Nachricht zu sein, denn sie bot sowohl Kritikern als auch Unterstützern den Trost, dass der Zweck die Mittel heiligt. In Anbetracht dieser Reaktion und der jüngsten Anschlagswelle scheinen die Zukunftsaussichten ausgesprochen besorgniserregend. Doch kann al-Qaidas Selbstinszenierung im Jemen als zuverlässiger Indikator für ihre Fähigkeiten verstanden werden, und ist diese Selbstinszenierung tatsächlich ein handfestes Indiz für das Bestehen einer wirklich vorhandenen Organisation, die abermals an Stärke und Potenzial zulegt? Gereicht der fragile Charakter des Jemen der Gruppe nur zum Vorteil? Und hat die Reaktion der USA, die fi nanzielle Hilfen an eine aggressive Kampagne zur Terrorbekämpfung koppelt, das Potenzial, die Stärke und Anziehungskraft von al-Qaida zu schwächen? Um substanzielle Erkenntnisse über diese Fragen zu gewinnen, sollte man sich genauer mit der AQAP im Jemen auseinandersetzen. Obwohl es im größeren Zusammenhang ungerecht wäre, sich ausschließlich auf den Jemen zu konzentrieren und alle anderen Manifestationen von al-Qaida außer Acht zu lassen, gibt die Situation im Jemen einen guten aktuellen Überblick über al-Qaida als solche; sie ist darüber hinaus ein gutes Beispiel dafür, wie die internationale Gemeinschaft mit Geheimdienstinformationen und der von al-Qaida verkörperten Bedrohung umgeht.
AQAP: kleinteilig und hierarchisch? AQAP: kleinteilig und hierarchisch?
Wie ein Überblick über die jüngsten Medienberichte und politischen Beiträge zum Thema al-Qaida im Jemen zeigt, besteht allgemeiner Konsens,
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was den Auf bau der Gruppe angeht.28 Die besser unter dem Namen ,alQaida auf der Arabischen Halbinsel‘ bekannte, neu gegründete Gruppe gilt als ganz und gar ,kleinteilig und hierarchisch organisiert mit klarer Arbeitsteilung‘.29 Als ihr Führer gilt der aus dem Jemen stammende Nasir Abd al-Karim al-Wahayshi (alias Abu Basir). Im Januar 2009 kündigte er auf einem Video mit dem Titel ,Wir beginnen hier und werden uns an der al-Aksa treffen‘ den Zusammenschluss der verschiedenen Ableger von al-Qaida in Saudi-Arabien und im Jemen unter seinem Kommando an. In dem Video tauchten drei weitere Männer auf: Qasim bin Mahdi al-Raymi, der angebliche Militärchef der AQAP, der ebenfalls aus dem Jemen stammt, sowie die beiden Saudis Said al-Shihri, al-Wahayshis Stellvertreter, und Mohammed al-Awfi, der als Feldkommandeur identifi ziert wird. In getrennten Statements verkündeten sie, AQAP werde den nahen Feind in Sanaa und Riad, westliche Interessen in der Region und den Westen als solchen ins Visier nehmen.30 In einem Interview mit al-Dschasira am 27. Januar 2010 klang diese Gesinnung erneut an, als al-Wahayshi erklärte, die ,Kreuzzüge [des Westens] gegen Palästina, den Irak, Afghanistan und Somalia‘ seien von der Arabischen Halbinsel aus in Gang gesetzt worden, daher sollten alle westlichen Interessen in der Region und darüber hinaus ins Visier genommen werden. Die Welle von Anschlagsversuchen und erfolgten Anschlägen auf Jemeniten, die im In- und Ausland der Regierung und Ausländern nahestehen, sowie die jüngste Publikation Inspire, die als englischsprachige Online-Zeitschrift der AQAP gilt und konkrete Handreichungen zur Tötung von Amerikanern auf amerikanischem Boden gibt, gelten vielen als Beleg für die ernsthafte Bedrohung durch die Gruppe.31 Wie bei allen Behauptungen über al-Qaida sind die Informationen jedoch kurzlebig, widersprüchlich und häufig umstritten.32 Selbst das Ermitteln einfacher Fakten wie etwa der Abgleich von Namen der in Guantánamo Inhaftierten oder ein Überblick über die Reisen und Aufenthaltsorte von Schüsselpersonen ist ein ungewisser Prozess, da viele Informationsquellen umstritten sind. Betrachten wir etwa folgenden Fall: Am 19. Februar 2009 verkündeten Schlagzeilen, dass sich Mohammed al-Awfi, eben jener ranghohe Feldkommandeur, der nur einen Monat zuvor in dem Video zum AQAP-Zusammenschluss aufgetaucht war, den jemenitischen Behörden gestellt habe.33 Al-Awfi behauptete dem Vernehmen nach, er habe ,in dem Video vom 24. Januar nicht auftreten wollen‘; man habe dies
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jedoch trotz seiner Einwände angeordnet. Wenn man ihm und den Berichten über seine Kapitulation Vertrauen schenken darf, ,handelte es sich bei der Botschaft [die er im Video vorlesen musste] nicht um seinen Standpunkt oder seine Vorstellungen‘; vielmehr sei er ,angewiesen worden, sie ohne Änderungen vorzulesen, denn der Wortlaut der Botschaft sei genau bedacht worden‘. Die Richtigkeit von al-Awfis Behauptungen wurde erwartungsgemäß in Frage gestellt, da man mit gutem Grund den Verdacht hatte, er tische Lügen auf, um sich reinzuwaschen. Es verwundert daher nicht, dass AQAP seine Version der Ereignisse daraufhin dementierte und stattdessen behauptete, al-Awfi sei von den jemenitischen Behörden gefasst und im Gegenzug nach Saudi-Arabien ausgeliefert worden.34 Die Spekulationen wurden nur noch weiter angeheizt, als in der Printausgabe der panarabischen Londoner Tageszeitung Al-Hayat, die in saudischem Besitz ist, am 23. Juni 2010 ein Artikel des Riad-Korrespondenten Nasser Al-Hakbani erschien; gut informierte Sicherheitskreise, so hieß es, hätten Al-Hayat gegenüber berichtet, dass Qasim al-Raymi, der offi ziell an 69. Stelle der meistgesuchten Verbrecher im Jemen stand, der wahre Anführer von AQAP sei. Jene Quellen berichteten weiter, der angebliche Führer, der im Jemen geborene Nasir al-Wahayshi, und sein Stellvertreter, Said al-Shihri aus Saudi-Arabien, von denen man annahm, sie hätten aufgrund ihres Auftritts in dem oben erwähnten Video das Sagen, seien in Wirklichkeit nur Strohmänner und bloße Theoretiker, die nichts mit dem Alltagsgeschäft der Organisation zu tun hätten.35 Ob die oben zitierten Behauptungen und Anschuldigungen der Wahrheit entsprechen oder nicht – die Tatsache, dass derartige Diskrepanzen und Widersprüche existieren, ist bezeichnend, wenn es um die Bewertung des Charakters von AQAP und der von ihr ausgehenden Bedrohung geht. Öffentliche Erklärungen im Namen von AQAP, von Videos bis zu OnlineZeitschriften, können nicht für bare Münze genommen werden, sondern müssen in erster Linie als Versuch gewertet werden, für ein breiteres Publikum im Jemen und im Ausland Fakten zu schaffen. Thomas Heghammer macht dies überzeugend deutlich, wenn er zu dem Ergebnis kommt, die auffällige und unter großer medialer Beachtung erfolgte Fusion von AQAP sei vielleicht nur ein Versuch, darüber hinwegzutäuschen, dass al-Qaidas Präsenz in Saudi-Arabien weitgehend gescheitert sei.36 Fest steht, dass AQAP versuchen wird, so geschlossen, kompetent und schlagkräftig wie möglich aufzutreten. Inwieweit dies ein frommer
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Wunsch bzw. ein bloßer Vorwand ist, ist eine ganz andere Frage. Das asymmetrische Erscheinungsbild der Auseinandersetzung zwischen AQAP auf der einen Seite und der jemenitischen Regierung und dem Westen auf der anderen täuscht über den wahren Charakter der Gruppe hinweg: Wie im Falle von al-Qaida im Jahr 2001 basiert ihre Stärke nicht auf physischer Macht, sondern auf Ideen; nicht auf Waffengewalt oder der Zahl getreuer Fußsoldaten, sondern auf ihrer nicht greif baren, alles beherrschenden, perfiden Fähigkeit, andere zu manipulieren, sie in Angst und Schrecken zu versetzen und Reaktionen zu provozieren. Aus diesem Grund kann sogar der vereitelte Anschlag vom 1. Weihnachstag als substanzieller Erfolg gelten. Wenn es sich schon schwierig gestaltet, aussagekräftige und verlässliche Erkenntnisse über die Führung von AQAP zu gewinnen, dann ist es nur noch schwieriger, ihre Größe und Mitgliedschaft im Sinne von aktiven Teilnehmern zu bestimmen. Nach Angaben der jemenitischen Regierung hatte die Organisation 2009 zwischen 200 und 300 Mitgliedern; die meisten Einschätzungen im Westen gehen von ähnlichen Zahlen aus.37 Unklar ist jedoch, auf welchen Informationen diese Einschätzungen beruhen; dass die meisten Bewertungen relativ übereinstimmende Zahlen nennen, könnte zudem darauf hindeuten, dass sie in Ermangelung empirischer Beweise von einer Arbeitshypothese ausgehen. Als Shari Villarosa, stellvertretender Koordinator für Regionale Angelegenheiten im Büro zur Koordination der Terrorbekämpfung, während einer Podiumsdiskussion mit den Jemen-Experten Christopher Boucek und Gregory Johnson zum Stand der Geheimdienstinformationen zur Zahl der AQAP-Mitglieder befragt wurde, räumte er ein: ,Mir liegen keine vor. (…) Es ist sehr schwer, an konkrete Zahlen zu kommen. … es gibt keine Reisedaten. Ich denke, unsere Sorge ist das Potenzial.‘38 Da keine konkreten Zahlen vorliegen und wichtiger noch grundlegende Fragen nach der Identifi zierung von AQAP-Mitgliedern und der Art der Angaben, die zuverlässige Erkenntnisse über den Aktionsradius von AQAP liefern könnten, nicht konstruktiv debattiert werden, sind Schätzungen nur bedingt aussagekräftig. Die Regierung des verarmten jemenitischen Staates, die auf Finanzhilfen der USA angewiesen ist, welche wiederum an die Bekämpfung von AQAP gekoppelt sind, profitiert eindeutig davon, die Bedrohung hochzuspielen.39 Außerdem müsste man angesichts der hohen Zahl an Berichten von Festnahmen Militanter, die angeblich mit AQAP in Verbindung stehen, zu
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dem Schluss kommen, die wirkliche Zahl der aktiven Mitglieder sei heute erheblich niedriger als zur Zeit der ursprünglichen Schätzung. Dass die Zahlen jedoch unverändert geblieben sind und heute bisweilen höher als ursprünglich geglaubt liegen, lässt vermuten, dass die Festgenommenen entweder nicht die AQAP-Mitglieder waren, als die sie hingestellt wurden, oder aber dass die Strategie, die zu ihrer Festnahme geführt hat, neue Rekruten hervorgebracht hat. Wie schwierig es ist, sich ein klares Bild der Mitgliedschaft von AQAP zu verschaffen, zeigt sich sehr gut am Falle von Anwar al-Awlaki, der bei einem amerikanischen Drohnenangriff getötet wurde, da er als größte Ikone und einflussreichster Ideologe von AQAP galt.40 Trotz seiner angeblichen Kontakte zu radikalen Islamisten, darunter auch den Entführern des 11. September, hat sich Awlaki selbst nie explizit mit der Organisation in Verbindung gebracht und hat davon Abstand genommen, seine Äußerungen über die Medienkanäle von AQAP zu verbreiten.41 Sein Vater, ein ehemaliger Landwirtschaftsminister und Präsident der Universität Sanaa, hat alle Anschuldigungen, die seinen Sohn mit der Gruppe in Verbindung bringen, mit Entschiedenheit zurückgewiesen. Das soll nicht heißen, dass das Fehlen einer klaren Verbindung zu AQAP automatisch die Nicht-Mitgliedschaft von Awlaki bedeutet. Sein Fall ist vielmehr eine Erinnerung daran, dass eine direkte Verbindung zu AQAP einigen zum Nachteil gereichen mag, während es für andere durchaus vorteilhaft sein kann, eben jene Verbindung für sich zu reklamieren.42 Der kürzlich verstorbene Herausgeber von Inspire, Samir Khan, der in einem selbstherrlichen Artikel gestand, ein stolzer Verräter der USA zu sein, verkörpert letzteren Fall. In der Schilderung seiner ,genau überwachten‘ Ausreise aus den USA in den Jemen macht er sich wiederholt über die scheinbare Unfähigkeit der USGeheimdienste lustig; diese hätten seine wichtige Rolle nicht erkannt, obwohl offenkundig war, dass er ,bis ins Mark al-Qaida‘ war; beim Lesen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich um einen verzweifelten jungen Mann handelt, der nach Aufmerksamkeit lechzt. Wie immer wird die Beurteilung der Struktur, Mitglieder und potenziellen Bedrohung durch AQAP durch den Mangel an positivem Wissen erschwert, weshalb man sich in hohem Maße auf Einschätzungen und Spekulationen verlässt. Was bedeutet dies für Versuche, Awlakis Position zu AQAP zu bewerten und für die heikle Frage der Mitgliedschaft im Allgemeinen? Fest
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steht, dass Awlakis öffentliche Verlautbarungen viele der Themen und Denkweisen Osama Bin Ladens widerspiegeln, so zum Beispiel die Unterstützung eines gewalttätigen globalen Dschihad und die scharfe Kritik an der amerikanischen Außenpolitik. Dies mag aus amerikanischer Perspektive vielleicht extremistisch erscheinen; Antiamerikanismus ist jedoch tief im öffentlichen Bewusstsein des Jemen verwurzelt – aus Gründen, denen man in der anhaltenden Debatte keine große Aufmerksamkeit geschenkt hat. Dies zeigt auch die folgende Äußerung: Unsere Brüder und Schwestern im Irak leiden unter der amerikanischen Invasion. Der Irak steht in Flammen. Die gesamte islamische Welt steht in Flammen. Die Truppen der Kreuzfahrer kontrollieren das Heilige Land, laben sich an seinen Reichtümern und überwachen seine Menschen. Und all dies geschieht, während Muslime in aller Welt angegriffen werden. Oh Gläubige, der Tag wird kommen, da die irakischen Kinder wiederauferstehen und fragen, für welches Verbrechen sie sterben mussten. Was werdet ihr ihnen antworten?
Diese Worte könnte man leicht für Äußerungen von Bin Laden oder Awlaki halten. Schließlich war, wie das vorhergehende Kapitel gezeigt hat, das Elend der Iraker unter Saddam – verursacht durch die Invasion der Zionisten und Kreuzfahrer, durch Sanktionen und die jüngsten Kriege – ein beliebtes Motiv in Bin Ladens Rhetorik.43 Das Zitat stammt in Wirklichkeit aus einer Rede, die im Frühjahr 2003 während des Freitagsgebets in einer Moschee in Sanaa gehalten wurde, an einem Ort, der ansonsten nicht als radikal bekannt ist.44 Betrachtet man diese Äußerungen im Kontext der öffentlichen Empörung und der Demonstrationen gegen den Krieg im Irak und vor dem Hintergrund der anhaltenden Krise in Gaza, so geben sie eine Vorstellung davon, welch großen Anklang einige der zentralen Botschaften von al-Qaida bei der breiten jemenitischen Öffentlichkeit fi nden. Awlakis Programm ist erstaunlich ähnlich, ergänzt die Agenda jedoch um eine jemen-spezifische Komponente, da er die jemenitische Regierung dafür kritisiert, Einmischung von außen zuzulassen: Ja, ich unterstütze das, was Umar Farouk getan hat, nachdem ich seit über 60 Jahren mit ansehe, wie meine Brüder in Palästina und andere im Irak und in Afghanistan umkommen. Auch in meinem Stamm haben US-Raketen 17 Frauen und 23 Kinder getötet, fragt mich also nicht, ob al-Qaida nach all diesen Dingen eine US-Passagiermaschine zerstört oder in die Luft ge-
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sprengt hat. Die 300 Amerikaner sind nichts im Vergleich zu den Tausenden von Muslimen, die ums Leben gekommen sind. Die jemenitische Regierung verkauft ihre Bürger an die USA, um an die unrechtmäßig erworbenen Gelder zu kommen, um die sie den Westen im Gegenzug für Blut anbettelt. Die jemenitischen Beamten erklären den Amerikanern, sie könnten angreifen, was sie wollten, und bitten sie, keine öffentliche Verantwortung für die Anschläge zu übernehmen, um die Menschen nicht in Rage zu bringen, und dann eignet sich die jemenitische Regierung schamlos diese Angriffe an. Zum Beispiel haben die Menschen in Schabwa, Abyan und Arhab die Cruz [sic] Missiles gesehen, und einige sahen Streubomben, die nicht explodierten. Der Staat lügt, wenn er dafür Verantwortung übernimmt, und er tut es, um die Kollaboration zu leugnen. Permanent fl iegen US-Drohnen über den Jemen. Was ist das für ein Staat, der seinem Feind erlaubt, seine Menschen auszuspionieren und dies dann als ,anerkannte Zusammenarbeit‘ betrachtet? 45
Diese Beispiele führen zu dem fundamentalen Problem, das sich bei der Bewertung und Bekämpfung von AQAP stellt: Wie lassen sich wirkliche Mitglieder oder Aktivisten von Sympathisanten unterscheiden? Und – ebenso wichtig – wie lässt sich verhindern, dass sich Sympathisanten radikalisieren und zu Aktivisten werden? So unbefriedigend es auch sein mag, doch es gibt keine zuverlässige Methode, um festzustellen, wer ein Mitglied von al-Qaida im Jemen ist und wer nicht. Sa’id al-Jamhi, Autor des Buches Al-Qaeda fi al-Yaman (al-Qaida im Jemen), führt dies auf die Politik von AQAP zurück, ,die Privatsphäre ihrer Mitglieder zu wahren. Nur die Identitäten des Anführers, des stellvertretenden Vorsitzenden, des Militärchefs, des Chefs der Legislative und des Medienchefs sind öffentlich bekannt‘ (und selbst diesen ist, wie oben gezeigt, mit gewisser Skepsis zu begegnen), während ,die gefährlichsten und wichtigsten Personen unbekannt sind‘.46 Dass AQAP-Mitglieder schwer zu identifi zieren sind und ihre wahre Zahl streng geheim gehalten wird, bestätigt die Aussage eines angeblichen AQAP-Mitglieds, der vom Guardian interviewt wurde. Der junge Mann Mitte 20 wohnte in einer Kleinstadt in einer armen Region im Süden des Landes und war nie über die Hauptstadt hinaus gelangt. Auf die Frage, ob er sich als Teil der Organisation al-Qaidas im Jemen betrachte, antwortete er: ,Wir sind alle miteinander verbunden, alle Dschihadisten sind miteinander verbunden‘, er breitete seine Arme aus und zeigte auf uns drei, die wir auf dem Boden saßen. ,Einer von uns ist Qaida‘, und er deutete auf sich selbst;
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,der andere schützt ihn‘, und er zeigte auf mich; ,und der dritte übernimmt die Logistik.‘ Und er deutete auf den Jugendlichen, der mich dorthingeführt hatte. ,Die beiden‘ – er deutete auf uns – ,kennen nur die Qaida-Person, mit der sie in Kontakt sind, und jene Qaida-Person [er deutete auf sich selbst] ist die einzige Person in der Gruppe, die die Führung kennt.‘47
So entsteht erneut der Eindruck eines großen, schattenhaften Netzwerks von Dschihadisten, dessen Mitglieder ein gemeinsames Anliegen und eine Form von zentraler Führung verbindet; diese Führung bleibt selbst jedoch im Verborgenen und lenkt die Anschläge in gewissem Abstand von denjenigen, die sie verüben. Doch ist das tatsächlich der Fall? Bedenkt man, wie erfolgreich die Organisation außer ihrem Namen keinerlei Informationen von sich preisgegeben hat, so ist es äußerst schwierig, die Richtigkeit der verschiedenen Berichte und Zeugenaussagen zu ermitteln; es ist darüber hinaus unmöglich festzustellen, inwieweit sie repräsentativ sind. Lassen sie auf die Zahl von Einzelpersonen schließen, die sich wie dieser junge Mann dem Dschihad verschrieben haben und sich wie er als ,Qaida‘ per se engagieren? Oder stammen sie von Einzelpersonen, die sich gewissermaßen am Rande befi nden, aber dennoch für die Strategie von AQAP unentbehrlich sind: ein Schutzmann, ein Logistiker oder der nächste Gefolgsmann, der nur darauf wartet, sich zu radikalisieren und zum Selbstmordattentäter zu werden? Die tatsächliche Schlagkraft von AQAP wird also ersetzt von Behauptungen, Gegenbehauptungen und ungewissen Theorien, die im Kampf um Glaubwürdigkeit allesamt von einem Mangel an verbürgten Tatsachen profitieren. Für die Dschihadisten besteht der Vorteil darin, dass al-Qaida im Jemen ihrem Publikum mangels unwiderlegbarer Beweise weismachen kann, was sie will.
AQAP im Jemen: eins von vielen Problemen AQAP im Jemen: eins von vielen Problemen
Anstatt sich auf AQAP selbst zu konzentrieren, sollte die Gefahr, die von der Gruppe ausgeht, sinnvollerweise im Kontext der breiteren gesellschaftspolitischen Situation im Jemen untersucht werden. Lange bevor der Arabische Frühling das Land erreichte, stand der Jemen für Analysten auf der Kippe und war ein fragiler, ,failing state‘ bzw. ein kurz vor dem Scheitern stehender Staat. Auch wenn es hierfür durchaus stichhaltige Gründe gibt48, ist es gleichwohl hilfreich, die Analyse zu konkretisieren:
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Die Staatlichkeit der Republik Jemen wird derzeit von verschiedenen Akteuren angefochten, und dies sowohl im Hinblick auf ihre Identität als auch auf ihre territorale Ausdehnung.49 Der neu gewählte Präsident Abdu Rabbu Mansur al-Hadi, der sein Amt am 25. Februar 2012 antrat, erbte eine Reihe von verflochtenen Problemen, die sinnvollerweise nicht isoliert voneinander angegangen werden können. Das erste Problem ist das der wirksamen und nachhaltigen Governance, anders gesagt: die schwierige Aufgabe von Präsident Hadi, seine Macht zu konsolidieren. Obwohl seine Wahl sowohl von der Regierungspartei als auch von der Opposition getragen und von der internationalen Gemeinschaft als Erfolg für die Demokratie gefeiert wurde, deutet die Tatsache, dass er der einzige Kandidat war, darauf hin, dass der Jemen auf dem Weg zur politischen Reife noch ein gutes Stück vor sich hat. Hadi muss nicht nur das zunehmend zersplitterte Land einen, sondern er muss sich auch mit den Überresten des Vorgängerregimes auseinandersetzen, die nur unwillig ihren endgültigen Abgang von der politischen Bühne machen. Es wäre jedoch irreführend, die Politik im Jemen nur nach westlichen Maßstäben zu beurteilen und sie durch die Brille moderner Staatlichkeit zu betrachten. Die Republik Jemen ist in erster Linie ein Zusammenschluss disparater Gebiete, denen es an tragfähigen Institutionen mangelt, um staatliche Angelegenheiten zu regeln und ihren Bürgern gegenüber Versorgungsleistungen zu erbringen. Die Politik im Jemen ist stattdessen geprägt von Rivalitäten unter der Elite des Landes sowie weitreichenden Patronagenetzwerken, die politische Loyalität und Stabilität faktisch bestimmen und dort Dienstleistungen anbieten, wo die Regierung versagt.50 In großen Teilen des Landes verhandelt die Regierung mit mächtigen Stämmen, um eine zunehmend unzufriedene und verarmte Bevölkerung zu kooptieren und ein gewisses Maß an politischer Ordnung und Kontrolle zu wahren. In der Praxis bedeutet dies, dass den Stämmen Gelder, Geschäftsmöglichkeiten und Posten im Staatsdienst zur Verfügung gestellt werden; im Gegenzug unterstützen sie die Regierung und ergreifen für sie Partei. Auch wenn so ein gewisses Maß an Funktionalität entsteht, bleibt es im Grunde ein ständiges Geben und Nehmen, bei dem die Regierung Gefahr läuft, Einfluss und Kontrolle zu verlieren, falls ihre Ressourcen nicht ausreichen, um sich Unterstützung zu erkaufen.51 Zweitens untergraben zwei separate Konfl ikte im Norden und Süden des Landes die Wirksamkeit und Legitimität der Regierung. Der eine ist
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der Huthi-Konfl ikt in der nördlichen Provinz Saada an der Grenze zu Saudi-Arabien, der seit 2004 immer wieder unterschiedlich stark aufflammt.52 Da die Medien keinen Zugang zur Region haben, gibt es wenige Berichte über den Konfl ikt aus erster Hand, und das volle Ausmaß an militärischen und zivilen Opfer ist unklar.53 Berichte von humanitären Hilfsorganisationen sprechen jedoch von 250 000 bis 350 000 Binnenvertriebenen und geben so eine vage Vorstellung vom Ausmaß des Konfl ikts.54 Der zweite Konfl iktherd ist die sezessionistische Bewegung in den südlichen Provinzen des Landes, die auch als ,Südjemen-Aufstand‘ bezeichnet wird. Sie hat durch eine Reihe von immer gewaltsameren Protesten und Anschlägen auf Regierungstruppen seit dem 27. April 2009 (dem Unabhängigkeitstag des Südjemen) von sich reden gemacht und ist Ausdruck der zunehmenden Spannungen im gesamten Süden des Landes.55 Die tieferen Beweggründe hinter der Bewegung sind fi nanzieller Natur, denn als ehemalige Militäroffi ziere des Südens zwangspensioniert wurden, verlangten sie höhere Renten von der Regierung. Die Protestler beschuldigten den ehemaligen Präsidenten Saleh der Korruption und verlangten offen die Unabhängigkeit von seiner Regierung. Es ist eine traurige Ironie, dass die Regierung auf das Militär angewiesen war (und aller Wahrscheinlichkeit nach weiter angewiesen sein wird), um die Revolte ehemaliger Armeeangehöriger über die ungerechte Verteilung von Geldern niederzuschlagen; dies zehrt an den ohnehin immer knapper werdenden Ressourcen, die die Regierung den Menschen im Jemen vorenthält, und gießt Öl in das Feuer öffentlicher Frustration. Angesichts der schweren Haushaltskrise, die im Folgenden genauer beleuchtet wird, braucht man nicht besonders viel Fantasie, um sich die möglichen Konsequenzen auszumalen – etwa den Zerfall des Landes in verschiedene Konfl iktgebiete – falls der Regierung das Geld ausgeht, um das Militär zu bezahlen, denn von ihm scheint der fragile Zusammenhalt des Landes abzuhängen. Drittens gibt es eine Reihe von strukturellen Herausforderungen, die den Jemen zu einem der Länder mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen gemacht haben und die sich auf die Gouvernementalität des Landes auswirken; hierzu zählen etwa die wirtschaftliche Rezession, extreme Armut, schwindende Öl- und Wasservorräte, starkes Bevölkerungswachstum und hohes Analphabetentum. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt von weniger als 2 US-Dollar am Tag; die Arbeitslosenquote beträgt 40 Pro-
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zent; weniger als 40 Prozent aller Haushalte haben Zugang zu sauberem Wasser und Strom; 50 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten.56 Die rohe Sterbeziffer und Geburtenrate im Jemen liegen Schätzungen zufolge bei 9,0 und 39,7 pro 1000 Einwohner; die Geburtenziffer von 4,1 zählt zu den höchsten in der Region.57 Das staatliche Gesundheits- und Bildungswesen ist katastrophal. Korruption und Ineffi zienz, für die das Land berüchtigt ist, sind gekoppelt mit der Unfähigkeit der Regierung, ein Minimum an angemessenen Sozialleistungen bereitzustellen. Ein kürzlich vorgelegter Bericht der Vereinten Nationen beschrieb die gegenwärtige Situation als eine ,sich verschärfende humanitäre Krise‘, das Ergebnis von ,chronischem Mangel, der durch anhaltende Gewalt verschlimmert wird, mit einer der höchsten Raten an Unterernährung, einem Zusammenbruch der Versorgung mit lebenswichtigen Diensten und einer sich abzeichnenden Gesundheitskrise.‘58 Mehr als eine halbe Million Kinder im Jemen drohen 2012 infolge von Unterernährung oder künftiger Hungersnot zu sterben. Ohne die komplexe Dynamik der zahlreichen miteinander verflochtenen Probleme des Jemen allzu sehr vereinfachen zu wollen, schwächt der Mangel an Ressourcen den Machterhalt des Präsidenten: Ob er imstande ist, politische Unterstützung zu erkaufen, Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen und so den Unmut der Menschen zu verringern und die Konfl ike im Land wirksam anzugehen, hängt von den begrenzten fi nanziellen Mitteln ab, die ihm zur Verfügung stehen. Die aktuelle Krise und die ungewisse Zukunft des Landes lassen Zersplitterung und Chaos nur allzu realistisch am Horizont aufschimmern. In diesem fragilen politischen Klima stellt AQAP eine zusätzliche – und einigen Analysten zufolge stetig wachsende – Herausforderung dar. Das bestätigt auf den ersten Blick der jüngste Anstieg an Anschlägen auf Regierungsziele sowie die aufflammende Anti-Regierungs-Rhetorik aus AQAP-verwandten Quellen. Am 30. Oktober 2010 räumte der ehemalige Präsident Saleh die von AQAP ausgehende Gefahr öffentlich ein; in einer Presseerklärung ging er auf die vermeintliche Paketbombe in einem Frachtflugzeug des Paketdienstes UPS ein, das im Jemen gestartet war: Wir haben ein Problem mit dem Terrorismus, genauer gesagt mit der Präsenz von al-Qaida, und wir zahlen dafür weiter einen hohen Preis. Wir haben ungeheure Verluste im Investment- und Tourismussektor und in anderen Sektoren erlitten. Die Republik Jemen hat über 70 Märtyrer verloren,
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mutige Mitglieder unserer Sicherheits- und Streitkräfte, die während ihres Dienstes an Sicherheitskontrollpunkten von al-Qaida attackiert wurden.59
Während die Terrorgefahr dem Land, das ohnehin schon vor zahlreichen Herausforderungen steht, einen weiteren Schlag zu versetzen droht, ist die Auseinandersetzung zwischen AQAP und der jemenitischen Regierung mit Vorsicht zu betrachten. Anders als andere arabische Regime hieß die Regierung des Jemen die rückkehrenden Kämpfer aus Afghanistan Anfang der 1990er-Jahre ausdrücklich willkommen; die Rückkehrer, die auch als die ,erste Generation‘ von al-Qaida im Jemen bezeichnet werden, gliederten sich auf allen Ebenen in die Gesellschaft ein und erwiesen sich als nützliche Verbündete im Kampf gegen den Einfluss von ,ungläubigen‘ Kommunisten im Süden und ,ungläubigen‘ Schiiten im Norden.60 Sicherlich änderte sich die Art der Beziehung, als die jemenitische Regierung nach dem Sprengstoffanschlag auf die USS Cole und den Ereignissen des 11. September 2001 die USA rückhaltlos unterstützte. Doch trotz der jüngsten Konfrontationen bestehen die persönlichen Verbindungen und Beziehungen weiter fort, die die Regierung mit den Dschihadisten im Laufe der Jahre geknüpft hat; sie lassen Spielraum zum Verhandeln und Aushandeln, der Basis aller politischen Entscheidungen im Jemen. Selbst wenn die Beziehungen sich verschärfen sollten, hängt die jemenitische Regierung de facto von der anhaltenden Bedrohung durch AQAP ab, um sich die Finanzhilfen der USA und des Westens zu sichern, denn ohne diese Einnahmen könnte das Land langfristig politisch nicht überleben.
Die prekäre Rolle des Jemen im Krieg gegen den Terror Die prekäre Rolle des Jemen im Krieg gegen den Terror
Der Jemen, so wird in den Medien immer wieder betont, war und ist ein treuer Verbündeter im Krieg gegen den Terror: Als Reaktion auf den Anschlag auf die USS Cole in Aden und die Ereignisse des 11. September hat die jemenitische Regierung keine Mühen gescheut, ihre Unterstützung für die USA zu demonstrieren. Betrachtet man diese Unterstützung jedoch nur als Loyalitätsbeweis oder gar als Zustimmung zur Position der USA, würde man die strategischen Beweggründe übergehen, die hinter diesem politischen Schachzug stehen. Die jemenitische Unterstützung der USA ist in erster Linie als Wunsch zu sehen, nicht den Fehler von 1990 zu wieder-
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holen, als der Jemen Mitglied im UN-Sicherheitsrat war und einen hohen Preis für seine fehlende Unterstützung der USA beim Werben für den zweiten Golfkrieg zahlte. Ein hochrangiger amerikanischer Diplomat soll seinem jemenitischen Amtskollegen offi ziell gesagt haben – Minuten, nachdem der Jemen infamerweise gegen eine militärische Intervention im Irak gestimmt hatte: ,Das war das teuerste Nein, das ihr je abgegeben habt.‘61 Binnen Tagen stoppten die USA ihre Hilfsprogramme für den Jemen in Höhe von 70 Millionen Dollar, die Weltbank sowie der IMF stellten ihre Kredite an das Land ein. Bis Anfang 1991 mussten über 2 Millionen jemenitische Arbeiter Saudi-Arabien und den Arabischen Golf verlassen. 1992 war der Milchpreis um das Vierfache gestiegen. 1993 versank die neu gegründete Republik im Bürgerkrieg. Zu einem Zeitpunkt, da sich das Land mit der Vereinigung des ehemaligen Nord- und Südjemen auf das egalitärste Demokratie-Experiment in der arabischen Welt einließ, zog die amerikanische Vergeltungsmaßnahme für eine von ihnen unerwünschte politische Entscheidung (die unter der UN-Charta völlig legitim war) den liberalen Reformern des Jemen den politischen Boden unter den Füßen weg und verstärkte das Leid der jemenitischen Bevölkerung ganz unmittelbar.62 Auch wenn der Vorfall rasch in Vergessenheit geriet und inzwischen sicherlich vom politischen Radarschirm des Westens verschwunden ist, hat sich eine Vorstellung von der amerikanischen Doppelmoral tief ins nationale Bewusstsein des Jemen eingebrannt. Die Bemühungen der jemenitischen Regierung, 2001 Solidarität mit den USA zu zeigen, erwiesen sich daher als dramatisches Eigentor, ironischerweise sowohl für die Interessen des Jemen als auch für die der USA. In dem verzweifelten Versuch, einen Vergeltungsschlag und eine militärische Intervention der USA zu vermeiden, verhaftete die Regierung all jene, die sie der Sympathie für al-Qaida verdächtigte. Binnen kürzester Zeit waren die Gefängnisse des Jemen mit jungen Männern aus allen Teilen des Landes gefüllt, die im Verdacht standen, den Terrorismus zu unterstützen. Wenn sie al-Qaida nicht vor ihrer Festnahme unterstützten, so taten sie es wahrscheinlich bei ihrer Freilassung.63 Hinter den Verhaftungen steckte eine doppelte Strategie: Erstens musste der Jemen zeigen, dass er Maßnahmen zur Terrorbekämpfung ergriff, und dies rasch, um die USA zu beschwichtigen. Zweitens waren Eindämmung und Bekämpfungsmaßnahmen das Gebot der Stunde: Je mehr Menschen man fest-
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nahm, ob mit oder ohne belastende Beweise, umso weniger Menschen konnten einen Anschlag gegen amerikanische Interessen verüben und umso geringer war das Risiko, dass der Jemen selbst zur Zielscheibe von Anfeindungen der Amerikaner werden würde. Es mangelt nicht an Parallelen zu überzogenen Terrorbekämpfungsmaßnahmen und Verhaftungsprogrammen in anderen Ländern. Allerdings haben Überreaktionen im Allgemeinen und übereifrige Festnahmen im Besonderen die Radikalisierung in keinster Weise eingedämmt – ganz im Gegenteil. Die Zusammenarbeit des Jemen mit Washington beschränkte sich nicht auf Unterstützungsbekundungen und öffentliche Festnahmen. Der Jemen unterstützte im November 2002 stillschweigend auch den Schlag einer unbemannten Drohne des CIA gegen Abu Ali al-Harithi, den damaligen Anführer von al-Qaida im Jemen. Misslicherweise kam die Geschichte ans Licht, als die USA ihr Image in Form eines Sieges im Kampf gegen den Terror aufpolieren mussten – so stand die jemenitische Regierung gebeutelt da und musste ihr Vorgehen gegenüber einer zunehmend frustrierten einheimischen Öffentlichkeit rechtfertigen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass das Ereignis nicht nur das öffentliche Image der Regierung spürbar schwächte, sondern AQAP direkt in die Hände spielte, denn AQAP verurteilt in ihrer Rhetorik die (geheime) Zusammenarbeit der Regierung mit den USA als Verrat am jemenitischen Volk. Die Art und Weise, wie die USA derzeit ihre Militäroperationen im Jemen durch führen, hat zu zunehmenden öffentlichen Protesten gegen die Komplizenschaft der neuen Regierung an den Drohnenangriffen der USA geführt; auch untergräbt sie die öffentliche Unterstützung für die neue Führung und setzt letzen Endes die politische Stabilität des Landes aufs Spiel.64 Als al-Harithi Ende 2002 getötet worden war und die Amerikaner einen wichtigen Sieg gegen al-Qaida verbuchen konnten, schien eine weitere Beteiligung der USA im Jemen nicht erforderlich. Al-Qaida, so glaubte man, sei größtenteils bezwungen, und die gedemütigte jemenitische Regierung habe nur ihre Pfl icht getan und gewiss nichts, was Anerkennung oder eine Belohnung verdient hätte. Dieses Denken erklärt vielleicht, warum die USA den Jemen 2005 faktisch fallen ließen, als sie ein 20 Millionen Dollar Hilfsprogramm aussetzten; zu diesem Rückschlag kam erschwerend die Entscheidung der Weltbank hinzu, ihr Hilfspaket von 420 Millionen Dollar auf 280 Millionen zurückzufahren.65 Niemand
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sah seinerzeit die von AQAP später ausgelöste Krise voraus. In strategischer Hinsicht schien es unterdessen so, als würden die Ressourcen der USA dringender im Irak und in Afghanistan benötigt, um die dortige militärische Präsenz zu verstärken. Auch wenn es nicht die Absicht dieses Buches ist, für wirtschaftliche Entwicklung als Mittel zur Terrorismusbekämpfung zu plädieren,66 hat eine Geschichte, die die Bedürfnisse und das Wohlergehen der jemenitischen Bevölkerung ignoriert und sich nur dann engagiert, wenn dieses Engagement sich mit entscheidenden politischen Interessen überlappt, wenig dazu beigetragen, die USA bei den Jemeniten beliebt zu machen; die Bevölkerung des Jemen spricht völlig zu Recht von Heuchlerei und Doppelmoral. Es war also nur zu erwarten, dass die jemenitische Öffentlichkeit für die Kritik von AQAP an der Regierung und den USA empfänglich sein würde. Heute weiß man, dass al-Qaida 2002 zu keinem Zeitpunkt kurz vor der Niederlage stand. Die Flucht von 23 angeblichen al-Qaida-Kämpfern aus einem Gefängnis des Jemen könnte man sogar als frühes Anzeichen dafür deuten, dass die Gruppe in den Reihen der jemenitischen Regierung Fuß fasste. Nach einer Kampagne von relativen Tiefangriffen auf jemenitische und westliche Ziele im Jemen, unter anderem auf die Botschaft der USA am 17. September 2008, kehrte al-Qaida mit der Gründung von AQAP durch den Zusammenschluss der jemenitischen und saudischen Ableger von al-Qaida mit einem Paukenschlag auf die internationale Bühne zurück; mit dem Anschlag vom 1. Weihnachtstag 2009 galt ihr die ungeteilte internationale Aufmerksamkeit. Wie die jüngsten Anschläge bzw. Anschlagsversuche und Erklärungen im Namen von AQAP andeuten, haben die Aktivitäten der Gruppe heute dem Anschein nach einen neuen Höhepunkt erreicht: Die Gruppe verfolgt ein ehrgeiziges Programm, das sowohl lokal als auch global ausgerichtet ist, und strebt danach, den Feind – die USA und ihre Verbündeten, die jemenitische Regierung und andere arabische Führer – im Jemen und international anzugreifen. Der gebeutelte Jemen, so nimmt man derzeit an oder befürchtet man, wird zur neuen Hochburg von AQAP werden. Nichtstun, das haben verschiedene Analysten erklärt, ist keine Option.67
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Die Bedrohung durch AQAP im Jemen – eine Neubetrachtung Die Bedrohung durch AQAP im Jemen
Auch wenn man sich davor hüten sollte, das Thema herunterzuspielen, ist es wichtig, die Problematik von AQAP in den breiteren Kontext islamistischer Politik im Jemen zu stellen.68 Wenngleich Antiamerikanismus weit verbreitet ist, wird Gewalt im Allgemeinen nicht befürwortet, insbesondere dann nicht, wenn sie Opfer unter Jemeniten fordern könnte. Ähnlich ist die Stimmung im ganzen Land regierungsfeindlich – dieses Thema hat nicht nur AQAP besetzt. Im umkämpften Staat Jemen beteiligt sich AQAP effektiv an einem Wettstreit um politische Legitimität und konkurriert dabei mit einer Reihe unterschiedlicher Akteure. Die sezessionistische Bewegung im Südjemen ist in erster Linie eine Konfrontation mit der Regierung, die zuvor die Dschihadisten benutzt hat, um die ,sozialistischen Ungläubigen‘ in Schach zu halten. Daher bedarf es nicht allzuviel Fantasie, um sich vorzustellen, dass sie wenig Verständnis für AQAP und ihre besonderen Lesarten des Islam auf bringt. Auf al-Dschasira war unlängst eine Sendung zu sehen, in der Kämpfer – angebliche AQAP-Mitglieder – sich mit Erklärungen gegenüber den Separatisten überschlugen; ihr Krieg, so behaupteten sie, richte sich gegen die USA und ihre Verbündeten und nicht gegen die jemenitische Armee oder muslimische Glaubensbrüder. ,Wir tragen Bomben für die Feinde Gottes; Soldaten, ihr sollt wissen, dass wir nicht gegen euch kämpfen wollen.‘69 Diese Worte mögen angesichts der Reihe von gewalttätigen AQAPAngriffen auf das Militär vielleicht kein großes Gewicht haben. Es müsste schon deutlich mehr verhandelt werden, um die Sezessionisten (und genauer gesagt das breitere hier angesprochene Publikum) davon zu überzeugen, sich mit AQAP zusammenzuschließen; ein gemeinsames Ziel ist außerdem noch zu defi nieren, und um es zu erreichen, sollte man im Verhandlungsprozess vielleicht eher auf Qat als auf Waffen setzen.70 Höchstwahrscheinlich wäre ein Wandel oder eine moderatere Lesart der derzeit engen Islam-Interpretation von AQAP vonnöten, um die ehemals sozialistischen Ungläubigen von der neuen Freundschaft zu überzeugen. Ähnlich ist der schiitische Huthi-Konfl ikt im Norden primär eine Auseinandersetzung mit der Regierung, die von religiösen Differenzen über die Legitimität der Governance im Jemen befeuert wird. Die Huthi möchten ein Imamat im Jemen einführen, haben jedoch kein stimmiges politisches Programm vorgelegt. Dasselbe gilt für AQAP, die im Sinne
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einer politischen Strategie außer dem Eintreten für einen gewalttätigen Dschihad wenig zu bieten hat. Doch trotz des gemeinsamen Feindes haben AQAP und die jungen Rebellen bzw. die ,Gläubige Jugend‘ wenig füreinander übrig, und es liegen Welten zwischen ihren Ideologien. Ein Bericht in The Long War Journal behauptet sogar, die jemenitische Regierung habe Hunderte von al-Qaida-Kämpfern in eine Miliz eingebunden, die seit 2004 im nördlichen Saada-Krieg operiere; unlängst habe Ayman al-Sawahiri dem Präsidenten des Jemen mehr Kämpfer im Gegenzug für die Freilassung seiner Leute aus dem Gefängnis versprochen.71 Auch wenn sich die Richtigkeit dieser Verlautbarungen nur schwer bestätigen lässt, ist davon auszugehen, dass AQAP und auf Gewalt (und nicht die Kunst strukturierten, politischen, kompromissbereiten Verhandelns) spezialisierte Rebellen in einem Kontext, in dem sich sektierische Unterschiede verschärfen, kaum nach Gemeinsamkeiten suchen werden. Die vor kurzem bestätigte Meldung über den Tod von 24 sunnitischen Muslimen (,Salafisten‘) durch Huthi-Rebellen scheint den Eindruck nur zu verstärken, dass die Huthi-Rebellen ihren Schwerpunkt auf Gewalt statt auf Diplomatie legen.72 Die jüngste Entwicklung in der islamistischen Politik des Jemen ist der Aufstieg von Ansar al-Scharia (,Anhänger der Scharia‘), einer Gruppe, die sich im Süden des Landes entwickelt hat und Städte in den Gouvernements Abyan and Schabwa kontrolliert. Obwohl die jemenitischen Behörden und Beamten betonen, die Gruppe sei mit al-Qaida identisch, vertreten die meisten Analysten die Ansicht, Ansar al-Scharia sei so etwas wie eine Mischung aus AQAP und anderen Gruppen und Fraktionen, wahrscheinlich eine Gruppierung von AQAP, die sich aufgrund interner Streitigkeiten über die Taktik und Zukunft der Gruppe abgesplittert habe.73 Sie machte Schlagzeilen, als sie dort Versorgungsdienste anbot, wo die Regierung versagte, was manche Beobachter zu der Bemerkung veranlasst hat, al-Qaida beteilige sich nun wohl am Nation Building. Auch wenn das genaue Ausmaß der Beziehung zwischen AQAP und Ansar al-Scharia bislang unklar ist, markieren der symbolisch aufgeladene Name der neuen Gruppe sowie ihre Aktionen eine klare Abkehr vom gewalttätigen Vorgehen der AQAP, obwohl sie sich in ihrer ideologischen Ausrichtung ähneln. Vor allem deutet das angebliche Erstarken von Ansar al-Scharia darauf hin, dass nicht nur der Aktionsradius von AQAP, sondern auch ihr innerer Zusammenhalt umstritten ist.
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Diese drei Gruppierungen repräsentieren jedoch nur die sichtbarsten Akteure im islamistischen Streit um politische Legitimität im Jemen.74 Nähere Beachtung verdienen die Anhänger der zaiditischen Erweckungsbewegung, moderate, tolerante Schiiten, die von allen sunnitischen Sekten den sunnitischen Muslimen in ihren Überzeugungen am nächsten stehen – nicht zu verwechseln mit den Huthi-Rebellen, die nur einen Bruchteil des breiteren Spektrums von Oppositionsgruppen ausmachen. Diese Gruppen stellen eine vielschichtige Reaktion auf die anti-zaiditische Politik der Regierung dar, welche das zaiditische Erbe des Jemen Schritt für Schritt ausmerzt. Es gibt Zaiditen mit engen Verbindungen zum Iran, die eine ideologische Abkehr vom jemenitischen Zaidismus darstellen, und es gibt zumindest im Irak Zaiditen, die bereits gewaltsam mit al-Qaida aneinandergeraten sind. Der Zaidismus hat einen traditionellen religiösen Flügel, der den Schwerpunkt auf Bildung legt und sunnitisch-wahhabitischen Einflüssen entgegenwirken will, die von Saudi-Arabien aus in den Jemen strömen. Die verschiedenen Gruppierungen innerhalb der zaiditischen Erweckungsbewegung, die untereinander ebenfalls unterschiedlich stark zerstritten sind, haben kaum etwas mit AQAP gemein. Jüngste Berichte aus dem Jemen deuten sogar auf eine steigende Zahl an gewalttätigen Zusammenstößen zwischen radikalen Sunniten hin, die AQAP nahestehen sollen, und erste Vergleiche mit den Anfängen eines sektiererischen Konfl ikts ähnlich dem im Irak machen sich breit.75 Zur Vielfalt islamistischer Stimmen im Jemen tragen darüber hinaus die Salafisten bei, eine Laurent Bonnefoy zufolge apolitische Gruppe um den kürzlich verstorbenen Muqbil al-Wadi’i, die sich durch die Ablehnung von Gewalt auszeichnet.76 Konkret soll al-Wadi’i ein erklärter Kritiker der Strategien der Dschihadisten gewesen sein und Bin Laden beschuldigt haben, lieber in Waffen als in Moscheen zu investieren. Muhammad al-Imam, ein weiteres charismatisches Mitglied der Gruppe, der an dieser Position festhält, verurteilte die Gewalt der Dschihadisten gegen die amerikanisch-geführte Besetzung des Irak.77 Jemenitische Salafisten stehen also in direkter Opposition zur Gewalt von AQAP im Namen des Islam. Eine Gruppe, die gut in das soziale Gefüge des Jemen integriert ist, sind die Muslimbrüder, die auf der politischen Bühne durch die größte Oppositionspartei im Jemen, die Jemenitische Kongregation für Reformen (Yemeni Congregation for Reform) oder Islah, vertreten sind. Islah kämpft für eine Vielzahl von Themen, angefangen von der Rolle der Frau in der
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Gesellschaft bis hin zur Anwendung von Gewalt – Themen also, die häufig kontrovers diskutiert werden.78 Eins ihrer radikalsten und nebulösesten Mitglieder ist Abd al-Majid al-Zindani; er soll sich in den 1980er-Jahren um die Entsendung jemenitischer Kämpfer nach Afghanistan gekümmert und Bin Laden verschiedene Male persönlich getroffen haben. Auch wenn die USA ihn als engen Partner von Bin Laden und als Anhänger von al-Qaida betrachten, genießt er als populäre Figur der Mitte großen Respekt; viele in der Partei halten hingegen nichts von gewaltsamer Militanz.79 Die sufistische Bewegung hat seit den späten 1990er-Jahren eine deutliche Renaissance erfahren und spielt in der islamistischen Politik des Jemen eine immer wichtigere Rolle. Ihren Einfluss macht sie vor allem auf zwei Wegen geltend: durch die Vermittlung und Lehre ihrer religiösen Glaubenssätze und durch Partizipation auf der politischen Bühne, auf der sie die Islah-Partei bei den vergangenen Wahlen herausgefordert hat.80 Die Gruppe ist dabei gewaltsam mit anderen Lagern zusammengestoßen, was viele Analysten zu dem Kommentar veranlasst hat, die Sufisten seien ,durch die Politik der Regierung und andere islamistische Gruppen von allen Seiten bedroht.“81 In ihrer Gesamtheit repräsentieren diese Akteure eine Vielzahl von Standpunkten zur Frage der Governance und politischen Legitimation im Jemen und legen tragfähige Alternativen zur engen, gewaltsamen Logik des Dschihad vor, wie sie von AQAP vertreten wird. In dem Machtvakuum, das sich nach dem Rückzug der Führung Salehs und mit dem Bemühen Hadis um Einigkeit aufgetan hat, werden sich die Differenzen wohl klarer defi nieren. Ein charakteristisches Merkmal der Landschaft des heutigen Jemen ist gerade die Betonung von Differenz: die Selbstidentifi kation und übergreifende Identifi kation von Jemeniten als Salafisten, Zaiditen, Sufisten, Dschihadisten oder als eine von vielen Variationen unter diesen Identitäten. Dieser Prozess hat sich durch die anhaltenden Proteste in Sanaa und im gesamten Land nur noch verschärft; die Regierung hat mit aller Brutalität und einem gesellschaftlichen und politischen Ausnahmezustand reagiert, der die einst bewährten – oder zumindest vermuteten – Loyalitäten und Bündnisse in Frage gestellt hat. Wo das alte Regime verschwunden ist, muss die neue Führungsriege die Weichen für das stellen, was aller Voraussicht nach ein langes Ringen um Vorherrschaft werden wird. In diesem Kontext wird die Zukunft von AQAP von der Qualität der internen Debatte bestimmt – der Bildung einer neuen Füh-
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rung in der jemenitischen Gemeinschaft, die von außen schwer zu beeinflussen ist. Die Fähigkeit von AQAP, sich im Land zu etablieren, wird daher wesentlich von ihrer Fähigkeit abhängen, bei politischen Verhandlungen strategisch klug vorzugehen – eine Aufgabe, für die sie mit der ausschließlichen Verwendung von semiprofessionellen Sprengkörpern schlecht gerüstet ist. Dem Fall von al-Qaida im Irak nach zu urteilen, ist es nicht sinnvoll, sich zur Schaffung einer breiten Basis einzig auf Gewalt zu verlassen; dies würde AQAP eher an den Rand drängen, anstatt sie ins Zentrum des öffentlichen und politischen Lebens zu befördern.
Das Wiedererstarken von al-Qaida? Das Wiedererstarken von al-Qaida?
Was bedeutet dies für die Bewertung von al-Qaida in der Ära nach dem 11. September? Unmittelbar nach den Anschlägen des 11. September und in den ersten Jahren des Krieges gegen den Terror schien die zentrale Struktur der Organisation einen herben Rückschlag erlitten zu haben. Während einige der Folgeanschläge den Ruch einer gewissen Verzweiflung haben und grundsätzlich als Versuche gewertet werden können, die anhaltende Schlagkraft der Gruppe unter Beweis zu stellen, schien alQaida gleichwohl nicht in der Lage, ein weiteres Ereignis von signifi kanter Größe zu inszenieren. Nachdem sich die Situation beruhigt hatte und weitere Anschläge weitgehend ausblieben, hat sich die Debatte inzwischen allerdings wieder einmal auf die Vorstellung kapriziert, al-Qaida sei wiedererstarkt. Ausgelöst durch den Anschlag vom 1. Weihnachtstag und weiter befeuert durch den ähnlich erfi nderischen ,Druckerpatronen‘Komplott hat sich das Augenmerk der internationalen Gemeinschaft rasch auf den Jemen verlagert; dort, so nimmt man an, habe sich der jüngste Franchise-Partner, al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, in eine formell strukturierte Organisation verwandelt, die gefährlicher sei als der ursprüngliche al-Qaida-Kern und womöglich seinen Platz eingenommen habe. Derartige Einschätzungen scheinen jedoch weniger das Ergebnis empirischer Forschung als vielmehr das Produkt einer voreiligen Bewertung einer Reihe spektakulärer Vorfälle zu sein; denn Analysten, die eine größere Kraft hinter den Kulissen vermuteten oder befürchteten, waren bemüht, die Existenz einer Organisation an einem Ort nachzuweisen, dem zuvor wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden war, der den meisten
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unbekannt war und der zum Gegenstand orientalistisch geprägter Spekulationen geworden ist. Bei genauerer Betrachtung erweist sich die Vorstellung von AQAP als gut strukturierter, kleinteiliger Organisation jedoch als fraglich, denn Berichte über ihre Führung, ihre Mitgliederstruktur und ihre Position im Jemen sind widersprüchlich und missverständlich; de facto spielt AQAP in der Auseinandersetzung um islamistische Politik im Jemen nur eine Nebenrolle. Aus wissenschaftlicher Sicht scheint sich bei der Bewertung von alQaida durch die internationale Gemeinschaft ein Muster abzuzeichnen: Bewertungen orientieren sich nicht konsequent an empirischen Beweisen und kritischer Analyse, sondern tendieren zu reaktionären Positionen. Sie folgen den Anschlagsversuchen von al-Qaida in Ad-Hoc- und Post-HocManier, was zwangsläufig zu oberflächlichen und simplistischen Schlussfolgerungen führt: Al-Qaida existiert und ist gefährlich, so heißt es dann, weil sie offenkundig zu Aktionen und Anschlägen imstande ist. Analysen, die darauf hindeuten, dass al-Qaida fälschlicherweise mit den Ereignissen in Verbindung gebracht wurde, werden dagegen nur selten aufgedeckt. Eher blendet man Nuancierungen in der Terrorbewegung und ihrem komplexen geopolitischen Umfeld aus und setzte übermäßiges Vertrauen in Erfahrungen und Theorien aus der Vergangenheit, die sich aus vorangehenden Missverständnissen ergeben haben; auf dieser Basis entstehen dann neue Hypothesen. Derartige Analysen beruhen unbedacht auf dem besonderen Seinsmodus von al-Qaida und nähren diesen; es ist ein Seinsmodus, der Schülern des Existenzialismus nicht unbekannt ist: Die Organisation fi ndet nicht nur Anerkennung, indem sie Anschläge verübt, sondern ihre Existenz besteht in eben jenen Gewalttaten. Daher lassen der Anschlag vom 1. Weihnachtstag wie auch die Folgeanschläge al-Qaida wiedererstehen als Einheit, die sowohl für ihre Anhänger als auch für Analysten und Beobachter im Westen noch etwas zu melden hat. Außerdem haben es der Fall von Umar Farouk Abdulmutallab und Awlakis angebliche Rolle ,jenseits des Jemen‘ einmal mehr möglich gemacht, einen geographischen Ort zum erzählerischen Zentrum der Untersuchung von al-Qaida zu stilisieren. Trotz des zweifelhaften und widersprüchlichen Charakters empirischer Beweise erklärten Massenmedien und Sicherheitsanalysten den Jemen zur neuen Zentrale von alQaida und behaupteten, von hier würden die Aktionen gesteuert. Dem Mangel an empirischer Grundlage ist dabei wenig Beachtung geschenkt
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worden, so dass sich die populäre Auffassung von al-Qaida auf traditionelle ontologische Grundannahmen gründen kann. Katapultierte die Theorie des ,führerlosen Dschihad‘ die Quelle von Terror und Ungewissheit noch in die Mitte westlicher Gesellschaften, so dass der Terrorist im Grunde genommen unidentifi zierbar – da ein Mitglied dieser Gesellschaften – war, so erlaubt die ,Entdeckung‘ des Jemen als neuem Zentrum von al-Qaida einmal mehr, die Wurzeln al-Qaidas und ihrer Ideologie im besonderen ,orientalischen‘ – das heißt, östlich-islamischen – Charakter dieser Orte begründet zu sehen. Al-Qaida läuft somit einmal mehr Gefahr, nicht länger als primär ideologische Bedrohung gesehen zu werden, die durchaus ,in uns selbst‘ – das heißt, in westlichen Gesellschaften – liegen kann, sondern sie wird gefahrlos ausgesondert und als Thema behandelt, das einem bestimmten geographischen Kontext zu eigen ist; sie wird somit begriffen als Teil von Gesellschaften, denen westliche Werte fremd sind und die diesen Werten womöglich sogar feindlich gegenüberstehen.
VI. Die Zukunft al-Qaidas Die Zukunft al-Qaidas
Zwar ist der harte Kern – die Vorhut – inzwischen zerstreut und die Basis zerstört, aber das Verlangen nach dem Dschihad, das Zehntausende junger Männer in die afghanischen Terrorcamps trieb, blüht nach wie vor. Bin Ladens Botschaft leuchtet Millionen von Menschen ein. Und aus den Reihen dieser Millionen wird eine neue Welle des Terrorismus hervorgehen. Die Attentäter werden als ,freie Mitarbeiter‘ auftreten, die keine Verbindung zu existierenden Gruppen pflegen. Oft werden sie vor ihrer Tat nicht als Terrorismusverdächtige aufgefallen sein. Auch wenn sie nicht über technisch anspruchsvolle Sprengstoffe, Automatikwaffen oder Raketen verfügen, werden sie sich, sobald sie die dschihadorientierte salafistische Weltsicht übernommen haben, die nötigen Ressourcen beschaffen, um auf eigene Faust ihren heiligen Krieg zu führen, und zwar mit vielfältigen Mitteln – seien es Rizinusbohnen, aus denen in einer Londoner Wohnung Gift extrahiert wird, sei es ein Küchenmesser in der Brust eines Polizisten in Manchester, ein LKW gefüllt mit irakischem Sprengstoff oder ein Passagierflugzeug mit vollem Tank. Für diese Leute ist der Dschihad eine tief empfundene religiöse Pfl icht. Er gibt ihnen etwas, das sie sonst nirgends fi nden, und sie lassen sich nicht durch ein paar zusätzliche Sperrpfosten vor dem Botschaftsgelände oder die Zerstörung eines Trainingcamps in einem fernen Land davon abbringen. Jason Burke, 20071
Eine Reihe einzelner Vorfälle spricht für Burkes Prognose, dass neuere Manifestationen des islamischen Terrors von Einzeltätern ausgehen, die für sich reklamieren, Dschihad zu führen: Da ist zunächst der Fall von Nidal Malik Hasan, einem Psychiater und Major in der US-Armee, der auf dem Militärstützpunkt Fort Hood im November 2009 13 Menschen tötete und 30 verletzte; dann gibt es den Fall der 21-jährigen Studentin Roshonara Choudhry, die im Mai 2010 den Abgeordneten der britischen LabourPartei Stephen Timms während seiner wöchentlichen Sprechstunde in den Unterleib stach als Rache dafür, dass er für den Irak-Krieg gestimmt hatte; und da ist der Fall des 28-jährigen irakischstämmigen Schweden Taimour Abdulwa-hab al-Abdaly, dem ersten Selbstmordattentäter Schwedens, der im Dezember 2010 im vorweihnachtlichen Einkaufstrubel auf einer belebten Stockholmer Straße starb, als einer von mehreren Sprengsätzen an seinem Körper explodierte. Sie sind nur einige der bekanntesten
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Beispiele für freie Dschihadisten, einem immer weiter verbreiteten Typ von Terroristen, der sich im Grunde selbst mit Hilfe des Internets radikalisiert hat, ohne Unterstützung internationaler Netzwerke agiert und keine Grenzen überwinden muss, um das gewünschte Ziel zu treffen. In einem Interview mit der New York Times bestätigte Bruce Hoffman im November 2009 nach dem Attentat in Fort Hood, dass derartige Fälle zahlenmäßig zunähmen; an den meisten von ihnen seien Menschen beteiligt, die keine direkten Verbindungen zu Terrororganisationen hätten: ,Der Trend zur Selbstradikalisierung, den die Anführer und Verbündeten von al-Qaida durch einen steten Strom an Hetzpropaganda im Internet befeuert haben, gewinnt an Dynamik‘, so Hoffman. ,Und es gibt sie in den unterschiedlichsten Formen und Größen, was die strafrechtliche Verfolgung erschwert.‘ Mr. Hoffman verwies auf den Amoklauf vor einem Rekrutierungsbüro des Militärs in Little Rock sowie Anschlagspläne auf Synagogen in der Bronx und vereitelte Attentatspläne unter anderem in Illinois und Texas.2
Die Vorstellung, diese Terroristen seien Einzelgänger, die auf eigene Faust handelten, sollte allerdings bald Gegenstimmen auf den Plan rufen. Bei Ermittlungen zum Privatleben und den Lebensumständen der Attentäter stellte sich rasch heraus, dass sie unter dem Einfluss ausländischer Quellen und Personen standen, die allem Anschein nach mit al-Qaida in Verbindung standen. Sowohl Hasan als auch Choudhry hatten den Untersuchungsergebnissen zufolge Kontakt zu dem kürzlich im Jemen getöteten Anwar al-Awlaki: Hasan hatte mit dem angeblichen AQAP-Mitglied per e-mail korrespondiert, während Choudhry gestand, die Predigten des Geistlichen im Internet angehört zu haben; die Entscheidung zum Attentat ging ihren Aussagen zufolge auf den Einfluss Awlakis zurück. So entstand der Verdacht, es bestehe eine Verbindung zwischen den Anschlägen und dem Jemen. Die Anzeichen verdichteten sich, als während der Untersuchung des Anschlags vom 1. Weihnachtstag klar wurde, dass sich die Radikalisierung des Attentäters Abdulmutallab auf Awlaki und die neu entstandene al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel zurückverfolgen ließ. Ähnlich wurde der Anschlag von Abdaly mit al-Qaida im Irak in Verbindung gebracht. Ranstorp erklärt: Dass Al-Abdaly in seiner Abschiedsbotschaft offenbarte, er sei oft in den Nahen Osten gereist, um Dschihad zu führen, ließ darauf hoffen, dass er Verbindungen zu stärker organisierten Terrornetzwerken in der Region
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hatte. Dieser Verdacht erhärtete sich aufgrund seiner Affi nität zum Islamischen Staat des Irak, die er auf seiner Facebook-Seite zu erkennen gab, sowie Postings von Scheich Muhammad al-Maqdisi und zahlreichen glaubwürdigen Behauptungen radikaler, al-Qaida nahestehender Webseiten, die darauf hindeuteten, dass er dem Islamischen Staat des Irak angehörte.3
Es ist nicht die Absicht dieser Studie, das Potenzial größerer Organisationen in Abrede zu stellen, die vom Irak und dem Jemen aus operieren und zur Radikalisierung von Muslimen beitragen, die daraufhin Gewaltakte verüben. Eins muss jedoch betont werden: Die Überzeugung, dass erstens solche Organisationen existieren und weiter aktiv auf den Prozess der Radikalisierung und Rekrutierung einwirken und dass zweitens die Ursprünge dieser Radikalisierung leicht in gewissen Winkeln der Welt auszumachen sind, beruht auf Zusammenhängen, die in Wirklichkeit sehr dünn sind und anders gedeutet werden können. Ein genauerer Blick auf die Fälle der oben erwähnten Attentäter macht klar, wie schablonenhaft die Radikalisierung der Täter einer bestimmten Quelle zugeordnet wurde. Im Falle von Hasan beruht die Verbindung zu AQAP einzig und allein auf dem Austausch von etwa einem Dutzend E-Mails mit Awlaki; in Choudhrys Fall ist die Tatsache, dass sie die Predigten des Geistlichen im Internet hörte, ein sogar noch mageres Indiz. In beiden Fällen ist es plausibler, von einem vorherigen Prozess der Radikalisierung auszugehen. Menschen wachen in der Regel nicht mit dem plötzlichen Bedürfnis auf, Terroristen zu werden oder sich für den globalen Dschihad zu opfern, sondern haben stattdessen einen Prozess durchgemacht, in dessen Verlauf sie mit radikalen Ideen in Kontakt gekommen sind und sich mit ihnen nach und nach identifi ziert haben.4 Untersuchungen zufolge beschäftigte sich Hasan längere Zeit vor dem Amoklauf und vor der ersten Kontaktaufnahme zu Awlaki tatsächlich immer mehr mit islamistischen Ideen. Aus den Akten geht zum Beispiel hervor, dass er seine Kommilitonen im letzten Jahr seines Medizinstudiums 2003 mit einer offi ziellen Vorlesung verblüffte; in dieser Vorlesung ging es jedoch nicht um ein medizinisches Thema, sondern um den Islam, insbesondere die Notwendigkeit, den Islam zu verteidigen und das Dilemma, das dies für Muslime in den Streikräften wie ihn bedeute.5 Es gibt in der Tat eine langes Protokoll über den Prozess seiner Radikalisierung, in dessen Verlauf er Berichten zufolge immer mehr zu einem gläubigen Muslim wurde; er betete mehrere Male pro Woche in der Moschee und verfasste Artikel
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etwa zu der Frage, ob der Krieg gegen den Terror ein Krieg gegen den Islam sei, wobei er eine Form des Widerstands von Muslimen andeutete. Doch trotz dieses gut dokumentierten Prozesses scheint die Interaktion mit Awlaki aus irgendwelchen Gründen eine zentrale Rolle zu spielen, wenn es um die Gründe geht, die Hasan zu einem Terroranschlag veranlassten. Auch wenn die Kommunikation mit dem Geistlichen letztlich vielleicht durchaus der Auslöser für seine Gewalttat war, war es unter Umständen auch seine unmittelbar bevorstehende Entsendung nach Afghanistan oder ein anderes privates, den Medien und Ermittlern nicht bekanntes Motiv, das Hasan zum Mörder werden ließ. Es ist bemerkenswert, dass der eigentliche Radikalisierungsprozess von Hasan – seine zunehmende Hinwendung zum Islam verbunden mit seiner beständigen Auseinandersetzung mit radikalem Gedankengut – im Vergleich dazu wenig Beachtung fand. Von einem ähnlichen Radikalisierungsprozess, der im Attentat auf den Labour-Abgeordneten gipfelte, muss im Fall von Choudhry ausgegangen werden, auch wenn relativ wenig über ihre persönlichen Lebensumstände bekannt wurde: Sie war eine begabte Studentin, die aus bescheidenen Verhältnissen stammte; sie studierte am Londoner King’s College Englisch, sprach mehrere Sprachen und arbeitete ehrenamtlich für islamische Wohltätigkeitsorganisationen. Zu den Gründen für ihre Radikalisierung schrieb der Guardian: Die deutlichsten Hinweise für Choudhrys ideologischen Wandel und ihre Hinwendung zum gewalttätigen Dschihad tauchen Ende 2009 auf. Nach ihrer Festnahme beschlagnahmte die Polizei ihre Computer und durchsuchte sie nach Kontakten zu Dschihadisten, die nicht feststellbar waren, und nach Informationen zu den von ihr besuchten Webseiten. Sie hatte keinerlei aktenkundige Verbindungen zu irgendeiner islamistischen Gruppe, und es gab keinerlei Indizien dafür, dass sie Versammlungen besucht hatte oder irgendwelche potenziell extremistische Literatur besaß. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass Choudhry in den letzten drei Monaten des Jahres 2009 begonnen hatte, Internetpredigten und Material von Anwar al-Awlaki herunterzuladen, dem islamistischen Geistlichen, der nach Einschätzung westlicher Behörden der geistige Führer von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel ist. Er forderte in seinen Predigten, die Gräuel des Westens gegen Muslime in aller Welt mit Gewalt zu bekämpfen, und mahnte seine Anhänger, alles nur in ihrer Kraft Stehende zu tun, wann immer möglich, und sei es noch so unbedeutend.6
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Die vielleicht aufschlussreichste Beobachtung in dieser Kurzdarstellung betrifft das Fehlen jedweder aktenkundiger Verbindung zu islamistischen Gruppen oder anderen Quellen radikaler Unterweisung. Betont wird hingegen Awlakis Rolle. In einem Bericht der BBC hieß es: ,die muslimische Studentin [die allein und aus freien Stücken handelte] hatte sich radikalisiert, nachdem sie Online-Predigten von Anwar al-Awlaki gehört hatte, einem radikalislamischen amerikanischen Geistlichen jemenitischer Abstammung.‘7 Man sollte indes meinen, dass es mehr Themen und Einflüsse gibt, die einen Menschen potenziell radikalisieren, als nur die, die leicht von Außenstehenden nachzuvollziehen sind. Man könnte zum Beispiel darauf verweisen, dass Choudhry direkt neben der Hochschule studierte, an der der Unterhosenbomber, der in Nigeria geborene Umar Farouk Abdulmutallab, studierte; er war Präsident der dortigen Islamischen Studentenvereinigung, die für die Verbreitung von radikalen, extremistischen Ideen bekannt ist – eine Tatsache, der man in Choudhrys Fall keine weitere Beachtung geschenkt hat. Ist es so abwegig zu vermuten, eine Studentin könnte bei Gesprächen mit anderen Studierenden in der Bibliothek oder auf dem Weg zum Seminar oder bei Nachrichtensendungen im Fernsehen leicht einer Vielzahl von Ideen begegnet sein, die den Boden der Radikalisierung bereiteten? Dies sind natürlich reine Mutmaßungen, und vielleicht gab es nie derartige Verbindungen. Es geht hier nicht darum, das Fehlen von Zusammenhängen zu beweisen oder den wahrscheinlichsten Prozess anzudeuten, der vermeintlich zur Radikalisierung der Attentäter geführt hat. Vielmehr geht es darum, zu verdeutlichen, dass sich der Entwicklungsprozess der Anschauungen und Überzeugungen eines Menschen nicht so simpel und verlässlich nachzeichnen lässt; es ist unmöglich, klare und eindeutige Auslöser zu identifi zieren außer denen, die allgemeinen Trends geschuldet sind, wobei diese Trends ihrerseits nur bedingt Einfluss haben. Trotz dieser komplexen Gemengelage wimmelt es vor einfachen ,Lösungen‘. Im öffentlichen Bewusstsein haben sich neue Zentren herausgebildet, von denen aus al-Qaida potenzielle Terroristen radikalisiert und für den globalen Dschihad rekrutiert. Der Jemen ist ein typisches Beispiel, doch haben sich in öffentlichen und Sicherheitskreisen auch andere spekulative Sub-Zentren entwickelt, so etwa die Angst, britische Universitäten können zu einer Brutstätte für Extremisten werden.8 Bei genauerer Betrachtung stellt sich die Situation jedoch nicht so klar dar. Selbst wenn
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die Radikalisierung der oben erwähnten Attentäter in erster Linie auf Awlaki zurückzuführen war, ist es schwierig, den Prozess der Radikalisierung auf den Jemen einzugrenzen. Awlaki verbrachte den größten Teil seines Lebens in den USA und kehrte erst 2002 in den Jemen zurück. Seine Kontakte zu Hasan und Choudhry liefen über e-mails beziehungsweise im Falle der Predigten über Online-Streamings, die von praktisch jedem Ort der Welt aus abruf bar sind – ironischerweise nicht so sehr aus dem Jemen, da Elektrizität und Internet hier häufig ausfallen. Die Reichweite Internetbasierter Medien wie Blogs oder Instant Messaging und die Kontakte und Freundschaften auf Facebook und Twitter, die die Bindungen und Beziehungen in der realen Welt zunehmend ersetzen, lassen sich nicht lokalisieren. Awlakis Präsenz und die Reichweite seiner Ideen ist nicht lokal, sondern global. Generell schwankt die Vorstellung des Westens von al-Qaida noch immer zwischen der eines vagen, zerfaserten Netzwerks von gleich gesinnten Einzelnen, die einzig ihre Ideologie verbindet, und dem Glauben an eine strukturierte, geographisch eingrenzbare Organisation mit einer defi nierten Kern-Führung. Wie die Ausführungen der vorangehenden Kapitel gezeigt haben, ist dies kein neues Phänomen, sondern ein Charakteristikum, das seit Beginn der Auseinandersetzung mit al-Qaida im Westen besteht. Schon zu Zeiten des MAK, dem angeblichen Vorläufer von al-Qaida, war die Auseinandersetzung mit al-Qaida immer mal mehr, mal weniger eine Suche nach al-Qaida, befeuert von der Überzeugung oder Befürchtung, es müsse doch etwas Gewaltigeres dahinter stecken. Ob diese Suche nun dadurch motiviert war, dass man Bin Laden in absentia verurteilen wollte, wie im Prozess Vereinigte Staaten vs. Osama Bin Laden nach den Bombenanschlägen auf die US-Botschaften 2001, oder ob es nach dem 11. September um den viel weitgehenderen, uneingeschränkten Krieg gegen den Terror ging: Beide Diskussionen haben der Debatte nur geringfügig andere Bedeutungsnuancen und mögliche Kausalitäten hinzugefügt. In beiden Fällen folgte die Auseinandersetzung, die im Kern die Existenz von al-Qaida vermünftig begründen und beweisen will, einem ad-hoc / post-hoc-Schema: Wann immer ein Anschlag stattfand, stürzten sich Analysten und Entscheidungsträger kopfüber in Versuche, den Feind – die Ursache des Problems – zu identifi zieren. Dabei haben sich Theorien verschiedener Zentren herausgebildet, um den ansonsten schwer fassbaren Charakter von al-Qaida geographisch festzumachen: zunächst in
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Afghanistan, dann im Irak, daraufhin im Jemen und neuerdings in neuen Zentren in Afrika.9 So gesehen scheint sich die anhaltende Debatte um al-Qaida durch ein gewisses Maß an Widerstand und Widerwillen gegen die Vorstellung auszuzeichnen, der Feind könnte ,unter uns‘ statt ,da draußen‘ sein. Derartige Beobachtungen zur Konzeptualisierung von al-Qaida sind mehr als bloß abstrakte theoretische Überlegungen, die kaum etwas mit der realen Welt oder den praktischen Möglichkeiten aktueller Kampagnen zur Terrorismusbekämpfung zu tun haben. Eine Analyse der Spannung zwischen globalen und lokalen Räumen lässt sich sogar zu dem erweitern, was wohl einen der fundamentalsten Widersprüche der heutigen Terrorbekämpfung darstellt. Denn wenn al-Qaida in der Tat ein globales und systemisches virales Problem darstellt, sind Versuche, die Organisation in einem zentralen Kern zu lokalisieren, von fragwürdigem Wert. Bei der Bekämpfung dieser Art von Bedrohung sind räumlich begrenzte Interventionen zwangsläufig ohne Wirkung. Dennoch haben die alliierten Streitkräfte seit Beginn des Kriegs gegen den Terror und der Intervention in Afghanistan eine mühsame Kampagne verfolgt, die, wie weitere Terroranschläge gezeigt haben, al-Qaida nur temporär beeinträchtigt hat, anstatt sie und ihre Filialen entscheidend zu zerschlagen. Die Führung oder der Kern wurde genau genommen nur zersprengt, um andernorts neu in Erscheinung zu treten, etwa im Irak, im Mahreb, im Jemen oder in verschiedenen Ländern Afrikas – ganz zu schweigen von der weitaus nebulöseren Dimension von al-Qaida, die weit mehr mit Ideologie und der Verbreitung von Ideen zu tun hat und die sich von vornherein allen Versuchen widersetzt, sie geographisch zu fassen. Obwohl al-Qaida also neu im Entstehen begriffen ist und auf prinzipiell unvorhersehbare, globale und versprengte Weise ihren Standort verändert, besteht in Verteidigungs- und Sicherheitskreisen nach wie vor die Auffassung, es gäbe einen Kern, der vernichtet werden müsse. Verbunden mit dieser Auffassung ist das (Miss-)Verständnis, dass gescheiterte oder scheiternde Staaten Brutstätten oder sichere Zufluchtsorte für al-Qaida seien und dass zu ihrer Bekämpfung ein umfassendes Sicherheitskonzept angewandt werden müsse, das die Verflechtungen zwischen Sicherheit und gesellschaftlichen beziehungsweise politischen Bedingungen berücksichtige.10 Die Diagnose von Terrorismus als systemische und virale Bedrohung wird daher nicht so sehr entschärft, sondern vielmehr verschärft durch einen
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Behandlungsplan, der eine etatistische nomatische Ontologie wiederbelebt. Auch wenn der Diskurs des Bündnisses al-Qaida in Form einer globalisierten Ideologie und nicht in Form einer Organisationsstruktur darstellt, beruht er nach wie vor auf der Vorstellung von einem ,Zentrum‘, von dem aus Anschläge konzipiert und dirigiert werden und das daher besiegt und zerstört werden kann. Die Kontrolle über dieses Zentrum wird also verstanden als Kontrolle über die Dissemination und das ,Spiel‘ des Terrorismus. Daher gilt die Maxime: Um die Sicherheit des Westens zu gewährleisten und den Terrorismus durch al-Qaida wirkungsvoll zu bekämpfen, müssen Maßnahmen ergriffen werden, die die Quelle der Anschläge angehen – den Kern von al-Qaida. Wie die Analyse von al-Qaida in den Kapiteln dieses Buchs gezeigt hat, trifft die Vorstellung von einem Zentrum jedoch nicht zu. Die real existierende al-Qaida entzog und entzieht sich allen Versuchen, sie klar und eindeutig zu bestimmen; sie verläuft sich in Schatten, wenn sie zu intensiv verfolgt wird, nur um dann in Form eines erneuten Anschlags, eines Fusions-Videos oder einer Ankündigung im Internet wiederaufzutauchen. Um die Fahne al-Qaidas hochzuhalten, braucht es nur wenige Menschen, die Anschläge im Namen des globalen Dschihad ankündigen oder unternehmen und so die internationale Gemeinschaft an ihr Fortbestehen und die stets lauernde Gefahr erinnern. Die Reaktion derjenigen, die sich mit der Terrorbekämpfung beschäftigen, ist vorhersehbar geworden, denn sie sind darauf eingeschworen, dem Kern von al-Qaida nachzujagen und ihn in die Flucht zu schlagen: Ihre Reaktion ist grundsätzlich reaktiv und defensiv, sie verfolgen die Bestie immer nur dann, wenn diese ihr hässliches Haupt erhebt. Dieses reaktive Verhaltensmuster beschränkt sich nicht auf ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem der Jäger am Ende womöglich aufgibt. Auch wenn häufig die Kritik geäußert wurde, die Reaktion der USA und der Krieg gegen den Terror insgesamt spielten Bin Laden in die Hände, da dieser angeblich die Absicht habe, die USA ausbluten zu lassen, so sind die realen Kosten im Sinne von fi nanziellen Mitteln und Verlusten an Menschen – die gerade im Kontext einer Wirtschaftskrise erheblich sind – nur die eine Seite der Medaille. Der andere womöglich sogar bedeutendere Aspekt ist folgender: Die Reaktion auf al-Qaida in Form eines uneingeschränkten Krieges ist auch insofern kontraproduktiv, da sie das Bild der USA und ihrer Verbündeten als repressiver Besatzungsmacht, die Leid über Muslime bringt und mit
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der islamischen Welt auf Kriegsfuß steht, nur noch verstärkt. Bilder der Gewalt aus Afghanistan und dem Irak beherrschen die Medien und überschatten bei weitem die wenigen ,guten‘ Nachrichten wie etwa die Befreiung afghanischer Frauen und den Auf bau essenzieller Infrastrukturen wie Schulen und Kliniken, die manche ohnehin nur als Propaganda abtun. Eine der Lehren, die man aus dem Globalen Krieg gegen den Terror gezogen haben sollte, ist die, dass aggressive Konfrontationen mit dem Feind – sei es in Form von willkürlichen Verhaftungen, Inhaftierungen auf unbestimmte Zeit oder militärischen Interventionen – wenig dazu beitragen, die USA und den Westen vor dem Zorn und den gewalttätigen Überfällen radikaler Dschihadisten zu schützen. Der Fall von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, der jüngsten Manifestation des Feindes in relativ organisierter Form, sowie der neuerliche Anstieg an Anschlagsversuchen machen dies klar. Erneut stellt die amerikanische Intervention im Jemen und die Manipulation der jemenitischen Regierung eins der schlagendsten Argumente für AQAP dar, um die Gunst eines ansonsten nicht sonderlich geneigten Publikums zu gewinnen, und man braucht kein Militärstratege zu sein, um das politische Potenzial des Begriffs ,gemeinsamer Feind‘ einzusehen. AQAP hat sich nicht nur auf die sich rasch wandelnde Lage im Land eingestellt, sondern sie nutzt das Erbe der amerikanischen Intervention im Jemen geschickt aus, um ihre eigene Legitimität zu stützen; angesichts der aggressiven Art der amerikanischen Reaktion, die anscheinend eine Situation vom Typ Schlag – Gegenschlag geschaffen hat, ist davon auszugehen, dass AQAP dazu in absehbarer Zukunft nur noch effektiver in der Lage sein wird. Gerade weil die Stärke der Bewegung von ihrer Fähigkeit abhängt, die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen und an sich zu binden, profitiert AQAP von der Fortsetzung des amerikanischen Kill-or-Capture-Ansatzes, der den Jemen bereits in den vergangenen Jahren für den Einfluss von al-Qaida anfällig gemacht hat. Ted Koppel, der sich 2010 zur Situation im Jemen äußerte, drückte es so aus: ,Lasst uns neun Jahre nach dem 11. September endlich aufhören, Bin Laden in die Hände zu spielen.‘11 Ein erheblicher Teil des Krieges gegen al-Qaida ist ein Kampf der Ideen, der militärisch nicht gewonnen werden kann. Was bedeutet dies für die Analyse von al-Qaida? Die Idee der globalen umma – ein Gefühl von Solidarität unter Muslimen und die panislamistische Vorstellung, diese wiederherzustellen – wird in absehbarer Zeit nicht
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verschwinden. Doch während Bin Laden keine Mühen scheute, eine Art generischen Islam und idealistische Vorstellungen von Einheit zu fördern, indem er das Augenmerk auf einen gemeinsamen Feind richtete, hat die Uneinigkeit unter Muslimen mit der Verhärtung sektiererischer und theologischer Differenzen in der Praxis zugenommen. Der Kampf von al-Qaida im Irak ist zum Mittelpunkt blutiger Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten geworden. Die Brutalität und das Ausmaß der Auseinandersetzung haben in manchen Fällen sogar zu dem Fazit geführt, das Sektierertum sei zum besonderen Kennzeichen des modernen Islam geworden.12 In der Geschichte des Islam ist die Schia von Fraktionen innerhalb der Gemeinschaft sunnitischer Muslime immer wieder als Irrlehre gebrandmarkt worden, und man stellt sich ihr bis heute auf so emotionale Weise entgegen, dass sich jegliches Gefühl der Einheit der umma in Luft aufzulösen scheint. Die aktuelle Situation im Irak und darüber hinaus könnte man als bloß ein weiteres Auflodern der Anfeindungen deuten, die bereits seit längerem schwelen. Doch erneut gestaltet sich die wirkliche Lage noch komplexer. Wie Nelly Lahoud in ihrer ausführlichen Analyse von dschihadistischen Ideologen anschaulich zeigt, verläuft die Front nicht ausschließlich entlang der Trennlinien zwischen Sunniten und Schiiten. Vielmehr wird sie durch Grundsatzdiskussionen innerhalb der Reihen von al-Qaida weiter verkompliziert, und dies sowohl auf der Führungsebene als auch unter den Dschihadisten auf den Schlachtfeldern der verschiedenen Orte.13 Für Alia Brahimi ist diese zunehmende Zersplitterung das sicherste Anzeichen dafür, dass al-Qaida den Kampf der Ideen verlieren dürfte. Mit dem Aufstieg der al-Qaida-Filialen in verschiedenen Ländern und ersten Erfahrungen mit der äußerst blutigen Realität sektiererischer Gewalt werden Bin Ladens Autorität und sein Ziel der Wiederherstellung und Ausweitung der umma durch lokale Ziele und zunehmend gewalttätige Mittel in Frage gestellt. Während die Entwicklung oder Rückentwicklung al-Qaidas in ein diffuses Netzwerk von angegliederten Gruppen vorübergehend taktische Beweglichkeit mit sich bringt, stellt sie zugleich eine Quelle signifi kanter Schwäche für den Kampf der Herzen und Köpfe dar. Die ,operative Langlebigkeit‘ und ,formbare Unverwüstlichkeit‘, die so häufig von Bruce Hoffman postuliert wird, haben das Überleben von al-Qaida garantiert, aber um den Preis, dass die Gruppe an die eher radikalen Ränder der umma verwiesen wurde.14
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Wie sehr al-Qaida-Dschihadisten von den Rändern her operieren, anstatt in der allgemeinen Bevölkerung Fuß zu fassen, verdeutlichen andere Entwicklungen im Nahen Osten. Während man allgemein beobachten kann, dass die Region einen Schwenk in Richtung Islam und Konservatismus vollzieht, ist der gewalttätige globale Dschihad nur eine von vielen aktuellen Tendenzen. Es wird häufig übersehen, dass die gesamte Region in einer Umbruchphase ist, deren wahrscheinlicher Ausgang schwer vorherzusagen ist. Und wenn man der Situation in Afghanistan und im Irak beziehungsweise dem Fall des Iran Ende der 1970er-Jahre glauben darf, sind die aktuellen Geschehnisse im Nahen Osten äußerst schwer von außen zu beeinflussen und zu steuern. Ohne Zweifel ist Religion eine wesentliche Komponente der sich entfaltenden Dynamik, doch diese religiöse Komponente ist nicht unbedingt radikal und extremistisch. Die Volksaufstände gegen repressive Regimes, die seit dem Januar 2011 die gesamte Region von Tunesien bis nach Ägypten und in den Jemen erfasst haben, lassen eine völlig andere Weltsicht erkennen, die nicht nur die gängigen Klischees über den Islam, sondern auch eine autoritäre, religiöse, mit liberalen Ideen und demokratischen Bestrebungen inkompatible Kultur in Frage stellt. Trotz des laizistischen Charakters der Aufstände ist das Bild der Revolution, das vielleicht am meisten um die Welt ging, das vom Menschengedränge auf dem Tahrirplatz in Kairo: Zum Gebet verneigt umschließen die Menschen die Panzergruppen, die entstandt wurden, um die Autorität der ägyptischen Regierung geltend zu machen. Dies ist ein radikal anderes Bild des Islam als jenes, welches die meisten Menschen im Westen gewöhnlich vor Augen haben: Hier stellt sich der Islam staatlicher Gewalt durch friedlichen Protest, eine Art friedlichen Dschihad. Es wäre nicht das erste Mal, dass es einen fried lichen Aufstand in der islamischen Welt gegeben hat. Frühere Beispiele haben jedoch in viel kleinerem Rahmen stattgefunden und sind nicht ins Blickfeld der internationalen Medien gerückt. Nun da sich diese Dynamik gewaltlosen Widerstands gegen die Gewalt unbeugsamer Regime manifestiert, sei daran erinnert, dass Osama Bin Laden und sein ägyptischer Stellvertreten Ayman al-Sawahiri zunächst ausgesprochen wenig zur Revolution in Ägypten und der Region insgesamt zu sagen hatten. Es ist ihnen nicht gelungen, die Flammen des weltweiten Dschihad mit einer Ideologie der Rückkehr zu einem mythischen und reinen Anfang – dem so genannten ,Goldenen Zeitalter des Islam‘ – zu
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entfachen; ebensowenig ist es ihnen gelungen, den Anbruch eines neuen Kalifats durch eine Strategie menschlicher Bomben, improvisierter Sprengsätze und in Raketen verwandelte Flugzeuge einzuleiten. Einer disziplinierten, vorausdenkenden, wenn auch amorphen Gruppe junger muslimischer Aktivisten ist dies jedoch gelungen: Sie haben den Nahen Osten mit dem universellen Diskurs von Freiheit, Demokratie und Menschenrechen angesteckt, haben eindrücklich seine Herausforderungen dargelegt und die Strategie eines zunehmend kalibrierten Chaos verfolgt, das auf die Ablösung einiger der dienstältesten Diktatoren der Region zielt. So skandierten die Protestler in Ägypten in Anspielung auf den traditionellen Slogan der Islamisten, der Islam sei die Lösung: ,Tunesien ist die Lösung.‘ Auf den ersten Blick schienen die Straßenproteste in Nahost und Nordafrika, die durchaus den Übergang zu einer pluralistischeren Gesellschaft bereiten könnten, das breitere Bild al-Qaidas erheblich zu untergraben; denn dieses Bild besteht darauf, dass autoritäre, pro-amerikanische Regierungen durch einen gewalttätigen Dschihad abgesetzt und durch eine Art von strenger islamischer Herrschaft ähnlich der des Kalifats abgelöst werden sollten. Die Dschihadisten sind inmitten der gewaltigen Revolution von Muslimen, die einen friedlichen, demokratischen Wandel in der Region fordern, immer weiter in den Hintergrund getreten. Es war dennoch vorhersehbar, dass al-Qaida auf eine Gelegenheit warten würde, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit durch eine Art sorgfältig geplanter Intervention wieder auf sich zu lenken. Der tödliche Anschlag auf zwei US-Soldaten auf dem Frankfurter Flughafen am 2. März 2011 und das Attentat von Toulouse im März 2012 – die jüngsten Vorfälle einer Reihe von Anschlägen kleineren Ausmaßes – waren eine Erinnerung daran, dass die Dschihadisten nach wie vor ein ernstzunehmender Machtfaktor sind. Genauso vorhersehbar war natürlich die sich anschließende Untersuchung sowie weit verbreitete Mutmaßungen – die sich auf Beweise wie etwa Statusaktualisierungen und Kommentare auf Facebook beriefen – denen zufolge im Falle des Frankfurter Anschlags der 21-jährige Täter aus dem Kosovo Verbindungen zu islamistischen Gruppen in Deutschland wie auch zum Netzwerk al-Qaida hatte.15 Die fünfte Ausgabe des englischsprachigen Online-Magazins Inspire, angeblich veröffentlicht von der Presseabteilung von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, widmete sich kurz darauf speziell dem Thema des ,Individuellen Terrorismus‘.16 Der Schwerpunkt der Artikel lag jedoch auf den Aufständen im Nahen Osten
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und in Nordafrika. Die Titelgeschichte ,Der Tsunami des Wandels‘, angeblich verfasst von Anwar al-Awlaki, wehrt sich gegen den immer stärkeren Eindruck, die Aufstände seien ein Anzeichen für die schwindende Relevanz al-Qaidas. Awlaki zufolge ,riss die Revolution die Mauer der Angst in den Herzen und Köpfen ein, die Tyrannen könnten nicht beseitigt werden … Unabhängig vom Ausgang werden unsere Mudschaheddin-Brüder in Tunesien, Ägypten, Libyen und dem Rest der islamischen Welt nach 30 Jahren des Erstickens wieder atmen können.‘17 Al-Sawahiri schließt sich dieser Logik an und geht auf die ,langfristigen und kurzfristigen Pläne‘ nach den Protesten ein. Die wahrscheinlich direkteste Erklärung der Position al-Qaidas zu den Protesten liefert Yahya Ibrahim. In seinem Leitartikel bringt er die Haltung der Bewegung unmissverständlich zum Ausdruck: Al-Qaida ist nicht gegen Regimewechsel durch Proteste, sondern sie ist gegen die Idee, dass Wandel nur durch friedliche Mittel unter Ausschluss von Gewalt vonstatten gehen sollte. Scheich Ayman al-Sawahiri hat sich für die Proteste ausgesprochen, die 2007 in Ägypten um sich griffen, und er hat darauf verwiesen, dass selbst wenn die Proteste friedlich wären, die Menschen sich dennoch militärisch rüsten müssen. Wie sehr er Recht hatte, beweisen die Geschehnisse in Libyen. Hätten die Demonstranten in Libyen nicht die Flexibilität gehabt, zur Not Gewalt anzuwenden, wäre der Aufstand niedergeschlagen worden. Nach unserem Dafürhalten sind die Revolutionen, die die Throne der Diktatoren derzeit erschüttern, gut für die Muslime, gut für die Mudschaheddin und schlecht für die Imperialisten des Westens und ihre Schergen in der islamischen Welt. Wir sind äußerst optimistisch und haben hohe Erwartungen an die Zukunft.18
Ibrahim hatte in seinem Optimismus sicherlich nicht mit dem gerechnet, was kurz darauf noch viel mehr an al-Qaidas Rolle im aktuellen Geschehen erinnern und Schlagzeilen machen sollte. Am 2. Mai 2011 verkündete Präsident Barack Obama, dass Osama Bin Laden durch amerikanische Spezialkräfte getötet worden sei. Die Meldung löste anfänglich spontane Freudenausbrüche und Feiern in den USA aus. Endlich war der Gerechtigkeit genüge getan, da der Anführer von al-Qaida und meistgesuchte Terrorist der Welt den verdienten Tod gefunden hatte. Für manche markierte Bin Ladens Tod das Ende einer Ära, den letztendlichen Erfolg im Krieg gegen den Terror und den Anfang vom Ende der gefährlichsten Terrororganisation aller Zeiten. Doch der Triumph währte nicht lang. Die triumphale Stimmung wurde bald von
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kritischen Stimmen überschattet, die die Rechtmäßigkeit der amerikanischen Kill-or-Capture-Mission in Frage stellten; sie behaupteten, al-Qaida stelle nach wie vor eine erhebliche Bedrohung dar und prophezeiten eine Anschlagswelle als Rache für Bin Ladens Tod. Diese Prognosen scheinen durchaus vernünftig, wenn al-Qaida in erster Linie als Organ eines führerlosen Dschihad aufgefasst wird, dessen Stärke ideologisch und nicht strukturell begründet ist und der somit naturgemäß nicht krisenanfällig ist für den Fall, dass ein einzelnes Individuum beseitigt wird, ganz gleich, wie herausragend es war. Doch wie zu erwarten konzentrierten sich viele der Zeitungsmeldungen zu dem Ereignis auf die Erklärung der amerikanischen Regierung, Osama Bin Laden sei selbst ein Terrorist und in seiner Funktion der Anführer von al-Qaida; er habe die Organisation faktisch von seiner Residenz in Abbottabad aus geleitet. Diese wohlbekannte Begründung wurde – zumindest auf den ersten Blick – weiter untermauert durch eine Erklärung der ,al-Qaida-Organisation – Allgemeine Führung‘; sie bestätigte den Tod von Bin Laden, schwor Rache und drohte mit einer Intensivierung des globalen Dschihad, der die USA bald die Lebzeiten von Osama herbeisehnen ließe. Nasir al-Wahayshi (alias Abu Basir), der angebliche Anführer der im Jemen angesiedelten al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, ließ verlauten: ,Was euch erwartet, ist weitaus größer und gefährlicher (…) Denjenigen, die die Tötung unseres Scheichs feierten, (…) sagen wir: Wir werden sehen, ob ihr das feiert, was euch die Söhne und Studenten des Scheichs schicken werden.‘19 Doch wie glaubwürdig ist diese Drohung? Sind wir als Publikum nun verpfl ichtet, an die Existenz einer hierarchisierten, jederzeit potenten Organisation zu glauben, die in den unverhofftesten Momenten zum Schlag ausholt? Es lag nahe, dass al-Qaida, oder jene, die gerne als al-Qaida bekannt sein möchten, auf die Tötung Bin Ladens lautstark reagieren sollten, um so Anspruch auf Relevanz anzumelden; schließlich war das globale Profi l der Bewegung im Schatten des Arabischen Frühlings und des relativen Ausbleibens von Terroranschlägen erheblich verblasst. Für al-Qaida waren – abgesehen von einem reinen Terroranschlag – Racheerklärungen und Warnungen vor nur noch grausigeren Anschlägen die einzige Option, um ein Minimum an Glaubwürdigkeit zu wahren. Ein groß angelegter Anschlag hätte diese Botschaft sicherlich weitaus überzeugender vermittelt. Die Tatsache, dass dies über ein Jahr nach dem Tod von Bin Laden nicht geschehen ist – zumal die Führer des vermeintlich neuen Zentrums
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von al-Qaida im Jemen keine Mühen gescheut haben, Sympathisanten zu ,selbstgemachten‘ individualisierten Anschlägen aufzurufen – gibt gewisse Aufschlüsse über die Dringlichkeit der Misere, in der sich die Gruppe befi ndet. Inmitten der anhaltenden Kontroverse um das Erbe von Osama Bin Laden und die ständig steigende Zahl an Sicherheitsbewertungen bleibt eine Frage bestehen: Was genau ist al-Qaida?
Anmerkungen
I. Der 11. September und die bange Suche nach Antworten Anmerkungen Der 11. September und die bange Suche nach Antworten
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Besonders harsche Kritik an dem Versagen, die Ereignisse des 11. September vorherzusagen, übt Martin Kramer in Ivory Towers on Sand: The Failure of Middle Eastern Studies in America (Washington DC: Washington Institute for Near East Policy, 2001). Magnus Ranstorp, Mapping Terrorism Studies After 9 / 11: An Academic Field of Old Problems and New Prospects, in Richard Jackson, Marie Breen Smyth und Jeron Gunning (Hg.), Critical Terrorism Studies: Framing a New Research Agenda (London 2008), S. 23. Vgl. auch Magnus Ranstorp Mapping Terrorism Research: State of the Art, Gaps and Future Directions (London 2007). Christina Hellmich, Creating the Ideology of Al Qaeda: From Hypocrites to Salafi-Jihadists, Studies in Conflict and Terrorism, Bd. 32, Nr. 2, 2008, S. 111–25. Eine kritische Analyse liefert Richard Jackson in Writing the War on Terrorism: Language, Politics and Counter-Terrorism (Manchester 2005). Marc Sageman, Leaderless Jihad, Terror Networks in the Twenty-First Century (Philadelphia 2008), S. 13. Zu Rezensionen und Bewertungen der Forschungslage, siehe Alex Schmid und Albert Jongman, Political Terrorism: A Guide to Actors, Authors, Concepts, Databases, Theories and Literature (Amsterdam 1988); Ariel Merari, Academic Research and Government Policy on Terrorism, Terrorism and Political Violence, Vol. 3, Nr. 1, 1991, S. 88–102; Andrew Silke, Research on Terrorism: Trends, Achievements and Failures (London 2004) Silke, Research on Terrorism, S. 188. Martha Crenshaw, The Psychology of Terrorism: An Agenda for the 21st Century, Political Psychology, Vol. 21, Nr. 2, 2000, S. 405. Juan Cole betrachtet dieses Problem ausführlicher in: A Treatment for Radical Ignorance about Islamic Radicalism, Chronicle of Higher Education, 3. März 2006, http: // chronicle. com / article / A-Treatment-for-Radical / 26858. Ted Gurr, zitiert in Ranstorp, Mapping Terrorism Studies after 9 / 11, S. 20. Eine ausführlichere Darstellung fi ndet sich in Ted Gurr, Empirical Research on Political Terrorism: The State of the Art and How It Might Be Improved, in R. O. Slater und M. Stohl (Hg.), Current Perspectives on International Terrorism (New York 1988). Ranstorp, Mapping Terrorism Studies after 9 / 11, S. 26.
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Anmerkungen Ibid., S. 27. Tom Mills, zitiert in ibid., S. 27. Siehe auch David Miller und Tom Mills, The Terror Experts and the Mainstream Media: The Expert Nexus and Its Dominance in the News Media, Critical Studies on Terrorism, Vol. 2, Nr. 3, Dezember 2009, S. 414–43. Muhammad Ally, zitiert in Ranstorp, „Mapping Terrorism Studies after 9 / 11“, S. 28. Evan Kohlmann, al-Qa’ida’s Yemeni Expatriate Faction in Pakistan, CTC Sentinel, Vol. 4, Nr. 1, Januar 2011, S. 11–15. Ranstorp, Mapping Terrorism Studies after 9 / 11, S. 28–30. Ibid., S. 29. Martin Bright, On the Trail of Osama Bin Laden, Observer, 11. Mai 2003, www.guardian.co.uk / theobserver / 2003 / may / 11 / society.politics. The 9 / 11 Commission Report: The Final Report of the National Commission on Terrorist Attacks upon the United States (New York 2004). Siehe etwa Marc Sageman, Understanding Terror Networks (Philadelphia 2004). Edna Reid, Evolution of a Body of Knowledge: An Analysis of Terrorism Research, Information Processing and Management, Vol. 33, Nr. 1, 1997, S. 91– 106. Miller und Mills, The Terror Experts and the Mainstream Media, S. 414. Obwohl manche Verfechter der traditionellen Terrorismusforschung diese Charakterisierung bestreiten (siehe etwa John Horgan und Michael Boyle, A Case against Critical Terrorism Studies, Critical Studies on Terrorism, Bd. 1, Nr. 1, 2008, S. 51– 64), gelangt man auf der Basis von Beweisen nur schwer zu einem anderen Schluss. Während der Französischen Revolution erklärten sich die Jakobiner des Wohlfahrtsausschusses zu ,Terroristen‘ und lösten ,la grande terreur‘ aus; ihre Terrorherrschaft galt als kontingente Notwendigkeit, als Teil des Alltags. Seitdem hat sich die Bedeutung des Wortes ,Terrorismus‘, das ursprünglich die Ausübung von Staatsgewalt bezeichnete, in ihr genaues Gegenteil verkehrt – die Anwendung von Gewalt gegen den Staat. Alain Badiou, Infinite Thought: Truth and the Return to Philosophy (London 2005), S. 108–110. Andrew Heywood, Political Theory: An Introduction, 3. Auflage (Basingstoke 2004), S. 79. Für ein breiteres Verständnis des liberalen Staates treten Anhänger des ,contrat social‘ wie John Locke und Jean-Jacques Rousseau ein. Miller und Mills, The Terror Experts and the Mainstream Media, S. 14. James Der Derian, The Terrorist Discourse: Signs, States, and Systems of Global Political Violence, in James Der Derian, Critical Practices in International Theory (London 2009), S. 69.
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Erst 2005 erschien schließlich eine Sammlung der wichtigsten Äußerungen Bin Ladens zwischen 1994 und 2004. Diese Sammlung mit dem Titel Messages to the World: The Statements of Osama bin Ladin, herausgegeben und kommentiert von Bruce Lawrence (London 2005), stellt bis heute einen der wertvollsten Einblicke in die Denkweise von al-Qaida dar, wird jedoch überraschend wenig genutzt. Dies mag teilweise an der Überzeugung liegen, man verstehe das Phänomen von Bin Ladens globalem Dschihad bereits gut genug. Krista Hunt und Kim Rygiel, (En)Gendering the War on Terror: War Stories and Camouflaged Politics (Aldershot 2006), S. xiii. Audrey Cronin, How Al-Qaeda Ends, Vortrag auf den 4. Jornadas Internacionales Sobre ,Los Finales del Terrorismo‘, Zaragoza, Spanien, 10. November 2010. Für eine eingehendere Diskussion siehe How al-Qaida Ends: The Decline and Demise of Terrorist Groups, International Security, Vol. 31, Nr. 1, Sommer 2006, S. 7–48. Für eine ausgezeichnete Besprechung des globalen Dschihad und des Aussprechens des takfir, siehe Nelly Lahoud, The Jihadis’ Path to Self-Destruction (London 2010). Für eine eingehendere Beurteilung siehe Geoff Simmons, The Scourging of Iraq: Sanctions, Law and Natural Justice (London 1996); Irwin Abrams und Wang Gungwu (Hg.), The Iraq War and Its Consequences: Thoughts of Nobel Peace Laureates and Eminent Scholars (Singapore 2004). Auszüge aus dem Interview sind auf beliebten Internetseiten wie YouTube zu fi nden. Vgl. etwa: www.youtube.com / watch? v=v36_zbIQebM. Für eine detaillierte Analyse eines Rekrutierungsvideos von al-Qaida, siehe Christina Hellmich, Al-Qaeda – Terrorists, Hypocrites and Fundamentalists? The View from Within, Third World Quarterly, Vol. 26, Nr. 1, 2005, S. 39–54.
II. Was ist al-Qaida? Von Afghanistan zum 11. September Was ist al-Qaida? Von Afghanistan zum 11. September
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Profi l von al-Qaida, Homeland Security, www.globalsecurity.org / security / profi les / al-qaeda.htm. Xavier Raufer, Al-Qaeda: A Different Diagnosis, Studies in Conflict and Terrorism 26, 2003, S. 393. Gilles Kepel, Das Schwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus (München 2002), S. 184. Siehe zum Beispiel Marc Sageman, Understanding Terror Networks (Philadelphia 2004), S. 2 f.; Rohan Gunaratna, Inside Al Qaeda: Global Network of Terror (London 2002), S. 17 f.
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Anmerkungen Biographische Informationen zu Osama Bin Laden, darunter sein Geburtsdatum und die Höhe seines persönlichen Vermögens, sind Gegenstand von Kontroversen und Spekulationen. The 9 / 11 Commission Report. The Final Report of the National Commission on Terrorist Attacks upon the United States (New York 2004), S. 55. Sageman, Understanding Terror Networks, S. 35. Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 18 f. (eigene Hervorhebung). Lawrence Wright, Der Tod wird euch finden. Al-Qaida und der Weg zum 11. September (München 2008), S. 145. 9 / 11 Commission Report, S. 55. Ibid., S. 56. Yonah Alexander und Michael S. Swetnam, Usama Bin Laden’s al-Qaida: Profile of a Terrorist Network (Ardsley NY 2001), S. 1. 9 / 11 Commission Report, S. 56. So tröstlich es auch sein mag, endlich ein Gefühl der Klarheit zu haben: Das allgemeine Einvernehmen über die Entstehung von al-Qaida ist mit Vorsicht zu betrachten. Bei genauerem Hinsehen führen die oben genannten Quellen, auf die sich diese Darstellung der Entstehung von al-Qaida soweit stützt, zu einer Reihe beunruhigender Beobachtungen. Marc Sageman schildert unter der Überschrift ,Die afghanische Phase und die Entstehung von al-Qaida‘ auf sechs Seiten seine Version, die auf insgesamt nur sechs verschiedenen Quellen beruht; drei dieser Quellen sind Artikel, die in Al-Sharq al Awsat veröffentlicht wurden; ein weiterer, die umstrittene Zeugenaussage von al-Fadl, erschien im Observer; Sagemans Darstellung ähnelt bemerkenswert der detaillierteren Schilderung in dem entsprechenden Abschnitt von Gunaratnas Inside Al Qaeda, auf das er explizit Bezug nimmt. Auf denselben Abschnitt nimmt auch der 9 / 11 Commission Report Bezug, der, wie oben gezeigt, die gleichen Argumente vorbringt. Der entsprechende Abschnitt in Gunaratnas Buch liefert zugegeben eine überzeugende und plausible Darstellung des betreffenden Zeitraums. Das Problem ist, dass viele der Quellen, auf die der Autor sich stützt, aus Interviews mit ungenannten Geheimdienstmitarbeitern bestehen, einem angeblichen Mitglied von al-Qaida und einem Manuskript mit dem Titel The Jihad Fixation, zu dem es keine weiteren bibliographischen Angaben gibt. Sageman, Understanding Terror Networks, S. 36 (eigene Hervorhebung). Vereinigte Staaten vs. Osama Bin Laden – Anklageschrift, http: // fi ndlaw. com / news.fi ndlaw.com / cnn / docs / binladen / usbinladen-1a.pdf. Kenneth Katzman, AQ: Profi le and Threat Assessment: Congressional Research Service, 10. Februar 2005, http: // www.fas.org / irp / crs / RS22049. pdf. Raufer, Al-Qaeda: A Different Diagnosis, S. 393.
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Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 93. Philippe Migaux, Al Qaeda, in: Gerard Chaliand und Arnaud Blin, The History of Terrorism: From Antiquity to Al Qaeda (San Francisco 1997), S. 314. Ibid., S. 315. Brad K. Berner, The World According to Al Qaeda (New Delhi 2005), S. 8. 9 / 11 Commission Report, S. 56. Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 95 f. Raufer, Al-Qaeda: A Different Diagnosis, S. 394. R. T. Naylor, zitiert in ibid., S. 394. Jason Burke, al-Qaida. Wurzeln, Geschichte, Organisation (Düsseldorf und Zürich 2005), S. 33 (Hervorhebung im Original). Ibid., S. 31. Ibid., S. 31. Ibid., S. 31. Ibid., S. 32 (Kursiv im Original). Ibid., S. 26. The Power of Nightmares: The Rise of the Politics of Fear, Adam Curtis, Dokumentarfi lm der BBC, Herbst 2004. Sam Schmidt in The Power of Nightmares. Vereinigte Staaten von Amerika vs. Enaam Arnaout, der vollständige Text ist zu fi nden unter http: // fl1.fi ndlaw.com / news.fi ndlawcom / hdocs / docs / bif / usarnaout10603prof.pdf. Ibid., S. 21. Ibid. Ibid., S. 33 f. 9 / 11 Commission Report, S. 56. Ibid., S. 467. Peter Bergen, The Osama Bin Laden I Know: An Oral History of Al Qaeda’s Leader (New York 2006), S. 76. Ibid. Vereinigte Staaten von Amerika vs. Enaam Arnaout. Bergen, The Osama Bin Laden I Know, S. 76. Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 22. Bergen, The Osama Bin Laden I Know, S. 74. Wright, Der Tod wird euch finden, S. 180. Abdullah Anas in dem Film The Power of Nightmares: The Rise of the Politics of Fear. Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 23. Abdel B. Atwan, The Secret History of al Qa’ida (London 2007), S. 68. Wright, Der Tod wird euch finden, S. 200. Ibid., S. 210.
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Anmerkungen Atwan, The Secret History of al Qa’ida, S. 37. G. Kepel, Jihad: The Trail of Political Islam, 4. Auflage (London 2008), S. 316. Atwan, The Secret History of al Qa’ida, S. 38. Bergen, The Osama Bin Laden I Know, S. 122. Burke, al-Qaida, S. 189. Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 19. Atwan, The Secret History of al Qa’ida, S. 23. Ibid., S. 39. Wright, Der Tod wird euch finden, S. 228 Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 33. Burke, al-Qaida, S. 190. Wright, Der Tod wird euch finden, S. 229. Ibid., S. 267, 269. Ibid., S. 267 f. Richard Clarke, Against all Enemies. Der Insiderbericht über Amerikas Krieg gegen den Terror (Hamburg, 2004), S. 183. Burke, al-Qaida, S. 13. Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 31. Clarke, Against All Enemies, S. 188. Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 32. Ibid., S. 35. Wright, Der Tod wird euch finden, S. 270. 9 / 11 Commission Report, S. 59. Sageman, Understanding Terror Networks, S. 40. Ibid., S. 40. 9 / 11 Commission Report, S. 60. Atwan, The Secret History of al Qa’ida, S. 28. Burke, al-Qaida, S. 43. Ibid., S. 193 9 / 11 Commission Report, S. 60. Wright, Der Tod wird euch finden, S. 241. Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 36. Bergen, The Osama Bin Laden I Know, S. 179. Ibid. Migaux, Al Qaeda, S. 321. Bergen, The Osama Bin Laden I Know, S. 156. Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 40 f. Burke, al-Qaida, S. 213 f. Ibid., S. 212. Ibid., S. 21. Bergen, The Osama Bin Laden I Know, S. 179.
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Eine Analyse und ein Transkript des Interviews sind zu fi nden in Bruce Lawrence, Messages to the World: The Statements of Osama bin Ladin (London 2005), S. 65–94. Ibid., S. 47. Ibid., S. 25. Eine eingehendere Untersuchung der Fatwa von 1996 unternimmt Rosalind Gwynne in Al-Qa’ida and al-Qur’an: The ,Tafsir‘ of Usamah bin Ladin, 18. September 2001, http: // web.utk.edu / ~warda / bin_ ladin_ and_quran.htm. Lawrence, Messages to the World, S. 27. Atwan, The Secret History of al Qa’ida, S. 29. Burke, al-Qaida, S. 200. Osama Bin Laden, Fatwa von 1998: ,Jihad against Jews and Crusaders. Statement by the World Islamic Front‘, www.fas.org / irp / world / para / docs / 980 223–fatwa.htm. Clarke, Against All Enemies, S. 205 f. Das Massaker von Luxor fand am 17. November 1997 in Deir el-Bahri statt, einer Ausgrabungsstätte auf der anderen Seite des Nils gegenüber der Stadt Luxor in Ägypten. Bewaffnete Männer von Al-Gama’a al-Islamiyya und Jihad Talaat al-Fath verkleideten sich als Teil der Sicherheitskräfte, griffen am helllichten Tag an und töteten und verstümmelten 62 Touristen, die innerhalb des Hatschepsut-Tempels gefangen waren. Clarke, Against All Enemies, S. 206. Bergen, The Osama Bin Laden I Know, S. 194. Ibid., S. 197. Wright, Der Tod wird euch finden, S. 351 f. Ibid., S. 352 Ayman al-Sawahiri, zitiert in Atwan, The Secret History of al Qa’ida, S. 72. Ibid. Lawrence, Messages to the World, S. 59 f. Insbesondere verwendet Bin Laden das Wort hukm, ,Rechtsentscheid‘, oder noch genauer ,wohl überlegtes Urteil‘, das weniger bindend ist als ein ,Rechtsurteil‘ ( fatwa). Lawrence, Messages to the World, S. 61. Marc Sageman, Leaderless Jihad: Terror Networks in the 21st Century (Philadelphia 2008), S. 43 f. 9 / 11 Commission Report, S. 67. Ibid. Migaux, ,Al Qaeda‘, S. 321. Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 57. 9 / 11 Commission Report, S. 67. Sageman, Understanding Terror Networks, S. 48.
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Anmerkungen Wright, Der Tod wird euch finden, S. 364 f. Burke, al-Qaida, S. 31. Clarke, Against All Enemies, S. 240. Sageman, Leaderless Jihad, S. 48. Ibid., S. 48. Abu Jandal, zitiert in Bergen, The Osama Bin Laden I Know, S. 253 Ibid., S. 258. 9 / 11 Commission Report, Kapitel 1 und 2. Bergen, The Osama Bin Laden I Know, S. 282. Burke, al-Qaida, S 285. Clarke, Against All Enemies, S. 374. Andreas Behnke, Recognizing the Enemy: Terrorism as Symbolic Violence, in: Thomas Lindemann und Erik Ringmar (Hg.), The Struggle for Recognition in International Relations (Boulder CO 2011). Eine detailliertere Darstellung fi ndet sich in Christina Hellmich und Andreas Behnke, Knowing Al-Qaeda: The Epistemology of Terrorism (London 2011). Burke, al-Qaida, S. 33. Ibid., S. 330
III. Heuchler, Wahhabiten und salafistische Dschihadisten: Erklärungen der Ideologie al-Qaidas nach dem 11. September Heuchler, Wahhabiten und salafistische Dschihadisten
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Ergebnis eines Geheimdienst-Teams des Pentagon, Washington Times, 5. Juni 2003, www.washingtontimes.com / news / 2003 / jun / 05 / 20030605– 011655– 2131r. Stephen Schwartz, The Two Faces of Islam (New York 2002), S. 1. Rohan Gunaratna, Inside Al Qaeda (New York 2002), S. 14. Marc Sageman, Understanding Terror Networks (Philadelphia 2004), S. 1. George W. Bush, Radioansprache des Präsidenten an die Nation, 15. September 2001; Transkript auf www.whitehouse.gov. George W. Bush, Bericht zur Lage der Nation, 29. Januar 2002; Transkript auf www.whitehouse.gov. Ibid. Dag Tuasted beleuchtet den neo-orientalistischen Diskurs zum Terrorismus in: Neo-Orientalism and the New Barbarism Thesis: Aspects of Symbolic Violence in the Middle East Confl ict(s), Third World Quarterly, Vol. 24, Nr. 4, 2003, S. 591–599. Ein sehr lesenswertes Resümee dieser Logik ist auch in der Einleitung von Anders Strindberg und Mats Wärn zu fi nden: Realities
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of Resistance: Hizballah, the Palestinian Rejectionist and Al-Qa’ida Compared, Journal of Palestine Studies, Vol. 34, Nr. 3, Frühjahr 2005, S. 25. David W. Brannan et. al. liefern eine Übersicht und eine Kritik dieser Hypothese, siehe Talking to Terrorists: Towards an Independent Analytical Framework of Sub-State Activism, Studies in Conflict and Terrorism, Vol. 24, Nr. 1, Januar 2001, S. 3–24. Tuastad, ,Neo-Orientalism and the New Barbarism‘, S. 595. Für Tuastad besteht ,symbolische Macht‘ nicht nur in der Macht, Versionen der Realität zu erzeugen, sondern auch in den Mitteln, verzerrte Bilder zu produzieren. Ähnlich argumentieren Richard A. Falkenrath, Robert D. Newman und Bradley A. Thayer in America’s Achilles Heel (Cambridge MA 1999), S. 61. Sageman zieht ein ähnliches Fazit. Siehe Understanding Terror Networks, S. 80 –83. Strindberg und Wärn, Realities of Resistance, S. 25. Joan Lachkar, The Psychological Make-up of a Suicide-Bomber, Journal of Psychohistory 20, 2002, S. 349–367. Zum vermeintlichen Zusammenhang mit anderen Pathologien, siehe etwa John Rosenberger, Discerning the Behavior of the Suicide Bomber, Journal of Religion and Health, 42, Nr. 1, Frühjahr 2003, S. 13–20; Raphael Israeli, Islamikaze and their Significance, Terrorism and Political Violence, Vol. 9, Nr. 3, Herbst 1997, S. 96 –121; P. McHugh, A Psychiatrist Looks at Terrorism: There’s Only One Way to Stop Fanatical Behavior, Weekly Standard, 12. Dezember 2001; Jerrold Post, Terrorist Psycho-logic: Terrorist Behaviour as a Product of Psychological Forces, in Walter Reich (Hg.), Origins of Terrorism (Cambridge 1990); Hervey Cleckley, The Mask of Sanity (New York 1941). Bernard Lewis, What Went Wrong? Western Impact and Middle Eastern Response (New York 2002). Wissenschaftler wie Lewis, Fouad Ajami und Barry Rubin werden häufig beschuldigt, den Nahen Osten nach Maßgabe westlicher Vorstellungen zu defi nieren, die der Logik des fortdauernden Kriegs gegen den Terror zugrunde liegen. Siehe zum Beispiel Barry M. Rubin, The Tragedy of the Middle East (New Haven CT 2003); Fouad Ajami, Iraq and the Arab’s future, Foreign Affairs, Vol. 82, Nr. 1, Januar–Februar 2003, S. 2–28. Einen Vergleich zwischen Hamas, Hisbollah und al-Qaida nehmen Strindberg und Wärn vor, siehe Realities of Resistance. Obwohl die Autoren korrekt territoriale Unterschiede benennen, verorten sie die ideologischen Grundlagen von al-Qaida letztlich in der wahhabitischen Theologie. Olivier Roy, Fundamentalists without a Common Cause, Le Monde Diplomatique, 2. Oktober 1998. Vgl. zum Beispiel Ruth Wedgwood und Kenneth Roth, Combatants or Criminals? How Washington Should Handle Terrorists, Foreign Affairs, Mai / Juni 2004. Die Vorstellung von Terroristen als rationalen Entschei-
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Anmerkungen dungsträgern erörtert Martha Crenshaw ausführlich in The Logic of Terrorism: Terrorist Behaviour as a Product of Strategic Choice, in Walter Reich (Hg.), Origins of Terrorism (Cambridge 1990). Gunaratna, Inside Al Qaeda, S. 14. Eine qualifi ziertere Auseinandersetzung mit der Dynamik muslimischer Politik liefern Dale Eickelman und James Piscatori in Muslim Politics (Princeton NJ 1996). Al-Qaeda Not Driven by Ideology, Washington Times, 5. Juni 2003. Siehe unter anderem William O. Beeman, Fighting the Good Fight: Fundamentalism and Religious Revival, in J. MacClancy, Anthropology for the Real World (Chicago 2001); Niklas Luhmann, Funktion der Religion (Frankfurt 1977). Schwartz, The Two Faces of Islam, S. 1. Weitere Verfechter der wahhabitischen Hypothese sind: Charles Allen, God’s Terrorists: The Wahhabi Cult and the Hidden Roots of Modern Jihad (New York 2006); Strindberg und Wärn, Realities of Resistance; Gregory Gause, Wahhabism, Bin Ladenism and the Saudi-Arabia Dilemma, Vorlesung vom 25. Mai 2006, University of California, Los Angeles, www.international.ucla.edu / article.asp?parentid=25057; Stephen Schwartz, Wahhabism and Al-Qaeda in Bosnia Herzegovina, Terrorism Monitor, Vol. 2, Nr. 20, Oktober 2004. ,Wahhabiyya‘, The Encyclopedia of Islam (Leiden 1960), S. 40. Christina Hellmich, Al-Qaeda – Terrorists, Hypocrites and Fundamentalists? The View from Within, Third World Quarterly, Vol. 26, Nr. 1, 2005, S. 39–54. ,Wahhabiyya‘, The Encyclopedia of Islam, S. 40. Siehe auch Maha Azzam, Al-Qaeda: The Misunderstood Wahhabi Connection and the Ideology of Violence, Royal Institute of International Affairs, Briefi ng Paper Nr. 1, Februar 2003. Eine andere Sicht der Dinge liefert Natana De Long-Bass in ihrer umfassender Studie über den Gründungsvater des Wahhabismus; sie lehnt die übliche Vorstellung ab, die Bewegung stelle eine radikale Abkehr vom Mainstream des Islam dar. Natana Delong-Bas, Wahhabi Islam: From Revival and Reform to Global Jihad (London 2004). Ibid., S. 248 Bernard Haykel, Radical Salafism: Osama’s Ideology, Dawn, 2001, www. muslim-canada.org / binladindawn.html. Menahem Milson, Reform v. Islamism in the Arab World Today, Special Report 34, 15. September 2004, Middle East Media Research Institute (MEMRI), www.memri.org / bin / articles / cgi?Page / archivesArea /srIDSR3404. Guy Sorman, Les enfants de Rifaa: musulmans et modernes (Paris 2003), S. 62. Yahya Michot, Mardin: Hégire, fuite du péché et ,demeure de l’Islam‘ (Albouraq, 2004).
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James Piscatori, ,Preface‘, in ibid., S. xiv. Siehe auch Michot, Mardin, S. 130. Siehe etwa Daniel Benjamin und Steven Simon, The Age of Sacred Terror (New York 2002); Henri Laoust, Essai sur les doctrines sociales et politiques de Taòkåi-dDåin Aòh- mad b. Taimåiya, canoniste òhanbalite, né á Harråan en 661 / 1262, mort á Damas en 728 / 1328 (Cairo: Imprimerie de l’Institut francais d’archâeologie orientale, 1939); Johannes Jansen, De radicaal-islamistische ideologie: van Ibn Taymiyya tot Osama ben Laden, Rede, Geisteswissenschaftliche Fakultät, Universität Utrecht, 3. Februar 2004; David Zeidan, The Islamic Fundamentalist View of Life as a Perennial Battle, Middle East Review of International Affairs, Vol. 5, Nr. 4, 2001, S. 251–269. Laoust, ,Essai sur les doctrines sociales et politiques‘ und ,L’influence d’Ibn Taymiyya, in A. Welch und P. Cachia (Hg.), Islam: Past Influence and Present Challenge (Edinburgh 1979), S. 15–33; T. Michel, Ibn Taymiyya, Islamic Reformer, Studia Missionalia,: Reformateurs religieux, Christianisme et les autres religions (Rom 1985), S. 213–232; Basheer M. Nafi, Abu al-Thanna‘ al-Alusi: An Alim, Ottoman Mufti and Exegete of the Qur’an, International Journal of Middle East Studies 34, 2002, S. 465–494, sowie Tasawuf and Reform in PreModern Islamic Culture: In Search of Ibrahim al-Kurani, Die Welt des Islam, Vol. 42, Nr. 3, Leiden, 2002, S. 307–355. Quintan Wiktorowicz, Anatomy of the Salafi Movement, Studies in Conflict and Terrorism 29, 2006, S. 207–239; Anders Strindberg, The Enemy of my Enemy, The American Conservative, 2. September 2006; Katharina von Knop, The Female Jihad: Al-Qaeda’s Women, Studies in Conflict and Terrorism 30, 2007, S. 397–414; Sageman, Understanding Terror Networks; Haykel, Radical Salafism: Osama’s Ideology; Quintan Wiktorowicz und John Kaltner, Killing in the Name of Islam: Al-Qaeda’s Justification for September 11, Middle East Policy Council Journal, Vol. 10, Nr. 2, 2003; Jeffery Cozzens und Ian Conway, The 2005 Los Angeles Plot: The New Face of Jihad in the US, Terrorism Monitor, Vol. 4, Nr. 2, 26. Januar 2006. Sageman, Understanding Terror Networks, S. 1. Ibid., S. 1 Ibid., S. 8. Ibid., S. 9. Wiktorowicz, Anatomy of the Salafi Movement, S. 207. Ibid. Ibid. Mit der Vielfalt innerhalb des Salafismus setzt sich Roel Meijer ausführlich auseinander: Global Salafi sm: Islam’s New Religious Movement (London 2009). Siehe zum Beispiel Adis Duderija, Islamic Groups and their Worldviews and Identities: Neo-Traditional Salafis and Progressive Muslims, 2006, www. understanding-islam.com / related / text.asp?type=rarticle&raid=442.
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Anmerkungen ,Salafiyah‘, The Encyclopedia of Islam (Leiden 1960), S. 463. Ibid. Ibid. Siehe zum Beispiel Jeffery B. Cozzens, ,Identifying Entry Points of Action in Counter Radicalization – Countering Salafi-Jihadi ideology through Development Initiatives‘, DIIS Working Paper Nr. 2006 / 6, 2006, Danish Institute of International Studies, Kopenhagen, Dänemark; Quintan Wiktorowicz, ,The New Global Threat: Transnational Salafis and Jihad‘, Middle East Policy Council, vol. 8, Nr. 4, 1. Dezember 2001; Haykel, ,Radical Salafism: Osama’s Ideology‘. ,Salafiyah‘, The Encyclopedia of Islam, S. 463. Ibid., S. 465. Sageman, Understanding Terror Networks, S. 9. ,Salafism and Qutbism‘, http: // en.wikipedia.org / wiki / Wahhabi; Zugriff am 12. Februar 2007. Sayyid Qutb, Fi Zilal al-Qur’an (In the Shade of the Qur’an), übersetzt von M. A. Salahi und A. A. Shamis (London 1979). Eine interessante Auseinandersetzung mit Qutbs Interpretation liefert Ronald Nettler in: Guidelines for the Islamic Community: Sayyid Qutb’s Political Interpretation, Journal of Political Ideologies, Vol. 1, Nr. 2, 1996, S. 183–96. Zur Geschichte des Panislamismus, siehe Jacob M. Landau, The Politics of Pan-Islam (Oxford 1994). James Piscatori, The Turmoil Within, Foreign Affairs, Mai / Juni 2002, www. foreignaffairs.org / 2002 / the-turmoil-within.html. Ibid. Hassan al-Turabi, zitiert in Dale Eickelman und James Piscatori, Muslim Politics (Princeton NJ 1996), S. 43. James Piscatori, Islam, Islamists and the Electoral Principle in the Middle East, ISIM Papers (Leiden 2000), S. 46.
IV. Die Wiederherstellung der umma: al-Qaidas Ideologie im Kontext der panislamischen Tradition Die Wiederherstellung der umma
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Der gesamte Text der Erklärung fi ndet sich in englischer Übersetzung in Bruce Lawrence, Messages to the World (London 2005), S. 23–30. Pew Global Attitudes Project, Islamic Extremism: Common Concern for Muslim and Western Publics, 14. Juli 2005, http: // pewglobal.org / reports / display.php?ReportID=248. Ibid.
Die Wiederherstellung der umma 4
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Pew Global Attitudes Project, Global Unease with Major World Powers and Leaders, 27. Juni 2007, http: // pewresearch.org / pubs / 524 / global-uneasewith-major-world-powers-and-leaders. Zogby International, Impressions of America 2004: How Arabs in 6 Countries View America, Juni 2004, www.zogby.com / features / features. cfm?ID=218. Eine eingehendere Analyse liefern John L. Esposito und Dalia Mogahed in Who Speaks For Islam? What a Billion Muslims Really Think (New York 2007). Gallup-Umfrage, U.S. Approval Gains Nearly Erased in Middle East / North Africa, 30. September 2010, www.gallup.com / poll / 143294 / ApprovalGains-Nearly-Erased-Middle-East-North-Africa.aspx. Siehe etwa William O. Beeman, Fighting the Good Fight: Fundamentalism and Religious Revival, in Jeremy MacClancy (Hg.), Anthropology for the Real World (Chicago 2001). Zitiert in Bruce Lawrence, Messages to the World: The Statements of Osama bin Ladin (London 2005), S. xvii. Peter L. Bergen, The Osama Bin Laden I Know: An Oral History of Al Qaeda’s Leader (New York 2006), S. 216. Für Behnke ging es bei den Anschlägen des 11. September in erster Linie darum, sich endlich Anerkennung zu verschaffen. Vgl. seine ausführliche Analyse: Recognizing the Enemy: Terrorism as Symbolic Violence, in Thomas Lindemann und Erik Ringmar (Hg.), The Struggle for Recognition in International Relations (Boulder CO 2011). Bruce Lawrence, Messages to the World: The Statements of Osama bin Ladin (London 2005). Polly Curtis und Martin Hodgson, Student Researching al-Qaida Tactics Held for Six Days, Guardian, 4. Mai 2008, www.guardian.co.uk / education / 2008 / may / 24 / highereducation.uk. w w w.a ma zon.com / A l- Qaeda-Tra i n i ng-Ma nua l / dp / 141450710 0 / ref=sr_1_1s=books&ie= UTF8&qid=1294942028&sr=1–1; Zugriff am 12. Januar 2011. Es muss erneut betont werden, dass dies keine ausschließenden Kategorien sind und dass letzteres nicht für die Wahrnehmung aller Muslime gilt. Auszüge aus Bin Ladens Äußerungen vom 14. Februar 2003 (dem Islamischen Opferfest). Das 53-minütige Tonband wurde über verschiedene Webseiten verbreitet, und Auszüge wurden in Al-Hayat abgedruckt, einer Zeitung, die im Besitz von Saudis ist. Eine englische Übersetzung ist zu fi nden in Lawrence, Messages to the World, S. 187–206. Der islamischen Tradition zufolge wurde der Prophet nachts von Mekka zum Felsendom (oder miraj) in Jerusalem gebracht, von wo aus er in den Himmel aufstieg.
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Anmerkungen Die qibla ist die Richtung, der sich ein Muslim beim Gebet zuwenden sollte. Dass alle Muslime in die gleiche Richtung beten, gilt traditionell als Symbol der Einheit von Muslimen weltweit unter dem Gesetz Gottes. Auszug aus Bin Ladens Interview mit dem CNN-Reporter Peter Arnett im März 1997. Das Zitat stammt aus Lawrence, Messages to the World, S. 46 f. Peter L. Bergen schildert diese Begegnung ausführlich in Heiliger Krieg Inc. Osama Bin Ladens Terrornetzwerk (Berlin 2002), S. 32. Rezension von Berichten aus dem Jahr 1998 über Drohungen von Osama Bin Laden, Terroranschläge gegen die USA und / oder ihre Verbündeten zu verüben, S. 3 von 43, www.danmahony.com. Welt-Islam-Front, Dschihad-Erklärung, abgedruckt in Lawrence, Messages to the World, S. 61. Nelly Lahoud setzt sich in The Jihadis‘ Path to Self-Destruction (London und New York 2010) differenziert mit dem Aufstieg und Fall der Kharijiten auseinander und vergleicht die innere Dynamik mit dem aktuellen Phänomen des globalen Dschihadismus. Zum breiteren historischen Hintergrund, vgl. etwa Wael B. Hallaq, The Origins and Evolution of Islamic Law (Cambridge 2005). Vgl. auch Lawrence, Messages to the World, S. xix. Dschihad-Erklärung, ibid., S. 25. Für eine eingehendere Analyse der ,globalen umma‘, vgl. Peter Mandaville, Transnational Muslim Politics: Reimagining the Umma (London 2003). Interview mit Yosri Fouda, 24. November 2008. Michael Mann, Incoherent Empire (London 2003), S. 169, zitiert in Lawrence, Messages to the World, S. xx. ABC, Interview: Osama Bin Laden, Mai 1998, Frontline: Hunting Bin Laden, www.pbs.org / wgbh / pages / frontline / shows / binladen / who / interview. html#video. Dale Eickelman und James Piscatori geben einen kurzen Überblick über die Trennung von Religion und Politik in der Geschichte des Islam, vgl. Dale Eickelman und James Piscatori, Muslim Politics (Princeton NJ 1996), S. 51– 53. Einen ausführlicheren Überblick liefert M. Q. Zaman, Religion and Politics under the Early Abbasids (Leiden 1997), S. 1–32. Siehe zum Beispiel William O. Beeman, Fighting the Good Fight: Fundamentalism and Religious Revival, in J. MacClancy, Anthropology for the Real World (Chicago 2001). James Piscatori, Islam in a World of Nation States (Cambridge 1986). Koran 3:7. Koran 17:86. Zu den kritischen Stimmen zählen Wissenschaftler wie Mu’tazila im 8. Jahrhundert, Sayyid Ahmad Khan im 19. Jahrhundert und Ghulam Ahmad Parwez im 20. Jahrhundert. Ausführlicher wird diese Thematik
Die Wiederherstellung der umma
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u. a. behandelt von Richard C. Martin, Mark R. Woodward und Dwi S. Atmaja in Defenders of Reason in Islam: Mutazilism from Medieval School to Modern Symbol (Oxford 1997); George F. Graham, The Life and Work of Sir Syed Ahmed Khan (Karachi 1974). Piscatori, Islam in World of Nation States, S. 4. Eickelman und Piscatori, Muslim Politics, S. 37–45. Turabi, zitiert in ibid., S. 43. Hallaq, The Origins and Evolution of Islamic Law. Zur Vergegenständlichung des Bewusstseins von Muslimen, vgl. Eickelman und Piscatori, Muslim Politics, S. 37–42. B. Lewis, License to Kill, Foreign Affairs, November–Dezember 1998. James Piscatori, Islamic Fundamentalism and the Gulf Crisis (Chicago 1991), S. 5. Für eine differenziertere Betrachtung von Saddam und dem politischen Symbolismus des Islam, vgl. ibid., S. 1–27. Lawrence, Messages to the World, S. 3. Auszüge aus Bin Ladens Brief an bin Baz, The Betrayal of Palestine, in ibid., S. 6 –9. Deutsch: Die Reden des Osama Bin Laden. Hg. Von Marwan AbouTzaam und Ruth Bigalke. München 2006. S. 32, 33–34, 35–36. (Der Titel des Briefes lautet in der deutschen Ausgabe ,Kein Frieden mit den Juden‘ und die Übersetzung lässt viele Teile aus.) Ibid., S. 23. Ibid. Ibid., S. 25. Ibid., S. 30. Die Vorstellung von ,religiöser Autorität‘ ist mit Vorsicht zu behandeln. Nach allgemeinem Verständnis mangelt es Bin Laden an den nötigen religiösen Voraussetzungen, um verbindliche Rechtsgutachten auszustellen. Genau genommen, ist dies richtig; genauso wichtig ist es jedoch, diese Äußerung vor dem Hintergrund breiterer Entwicklungen zu betrachten wie etwa dem allmählichen Untergang der Scharia und der zunehmenden Zahl an Menschen, die meinen, sie müssten die heiligen Quellen selbst interpretieren. Und obwohl Bin Ladens Fatwa nicht im Einklang mit der traditionellen Obrigkeit steht, liegt die endgültige Deutung in praktischer und weniger in theologischer Hinsicht im Ermessen jedes Einzelnen. Lawrence, Messages to the World, S. 61. Der gesamte Text seiner Audio-Botschaft ist auf dem Jihadica-Blog abrufbar, http: // worldanalysis.net / modules / news / article.php?storyid=368; Zugriff am 7. April 2009. Zitiert in Christina Hellmich, Al-Qaeda – Terrorists, Hypocrites and Fundamentalists? The View from Within, Third World Quarterly, Vol. 26, Nr. 1, S. 48 f.
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Anmerkungen Michael Scheuer, Imperial Hubris (Dulles 2004), S. 138. Die umfassendste Darstellung des Panislamismus fi ndet sich in Jacob M. Landau, The Politics of Pan-Islam: Ideology and Organization (Oxford 1990). Eine hervorragende Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklungen und eine differenzierte Beurteilung des Panislamismus im neuen Millennium liefert James Piscatori in ,Imagining Pan-Islam‘, in Shahram Akbarzadeh und Fethi Mansouri (Hg.), Islam and Political Violence (London 2007). Eine ausführliche Darstellung ist zu fi nden in Piscatori, Imagining PanIslam, S. 27 f. Ibid., S. 28. Die konservative Position vertrat Muhammad Rasid Rida (1865– 1935), der in seinem Sammelwerk al-Khilafa wa’l-imama al-uzma [Das Ka lifat oder das größte Imamat] (Cairo 1923) für eine Wiederherstellung plädierte. Die radikale Position vertrat ‘Ali ‘Abd al-Raziq (1888–1966), der in seinem Buch al-Islam wa usul al-hukum [Der Islam und die Grundlagen der Regierung] (Sousse / Tunis 1999), Zweifel äußerte, ob ein Kalifat notwendig sei. Für eine realistische Position sprach sich Abd al-Raziq Sanhoury aus in Le Califat: son évolution vers une société des nations orientales (Paris 1926). Landau, Jacob M. Landau, The Politics of Pan-Islam (Oxford 1994), S. 217. Ibid., S. 216. Piscatori, Imagining Pan-Islam, S. 29. Ibid., S. 248 f. Landau, The Politics of Pan-Islam, S. 311. Piscatori, Imagining Pan-Islam, S. 32 f.
V. Al-Qaida nach dem 11. September: zerstört, geschwächt oder wiedererstarkt? Al-Qaida nach dem 11. September
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Ahmed Rashid, Don’t Think al-Qaeda is on the Back Foot, It Will Be on the March in 2007, Telegraph, 31. Dezember 2006, www.telegraph.co.uk / news / worldnews / 1538251 / Dont-think-al-Qaeda-is-on-the-back-foot-it-will-beon-the-march-in-2007.html. Marc Sageman, Understanding Terror Networks (Philadelphia 2004), S. 52. Jason Burke, Al-Qaida. Wurzeln, Geschichte, Organisation, S. 314. Sageman, Understanding Terror Networks, S. 52. Alex Gallo, Understanding al-Qaeda’s Business Model, CTC Sentinel, Vol. 4, Nr. 1, Januar 2011, S. 15. Die entscheidenden Vertreter dieser Position sind Marc Sageman, Leaderless Jihad: Terror Networks in the 21st Century (Philadelphia 2008); und Burke, AlQaida.
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Bruce Hoffman, The Myth of Grass-Roots Terrorism, Foreign Affairs, Mai / Juni 2008. Siehe auch Elaine Sciolino und Eric Schmitt, A Not Very Private Feud over Terrorism, New York Times, 8. Juni 2008, www.nytimes. com / 2008 / 06 / 08 / weekinreview / 08sciolino.html. Bruce Riedel, Al-Qaeda Strikes Back, Foreign Affairs, Mai / Juni 2007, www. foreignaffairs.com / articles / 62608 / bruce-riedel / ‘al-qaeda-strikes-back. Yassin Musharbash, al-Qaida Is More Dangerous Than it Was on 9 / 11, Interview mit dem Terrorismus-Experten Bruce Hoffman, Der Spiegel, 10. Oktober 2006, http: // www.spiegel.de / international / 0,1518,441695,00.html. Riedel, Al-Qaeda Strikes Back. Burke, Al-Qaida. Wurzeln, Geschichte, Organisation, S. 25. Zitiert in Times Topic: National Intelligence Estimate, New York Times, http: // topics.nytimes.com / top / reference / timestopics / organizations / i / us_ intelligence_community / national_intelligence_estimates / index. html?inline=nyt-classifier. Al-Qaeda Claims Tunisia Attack, BBC News, 23. Juni 2002, http: // news.bbc. co.uk / 1 / hi / world / middle_east / 2061071.stm. Paul Hamilos, The worst Islamist attack in European history, Guardian, 31. Oktober 2007, www.guardian.co.uk / world / 2007 / oct / 31 / spain. Ennahar Online, Al-Qaeda Supports the Events in Tunisia and Algesria, 14. Januar 2010, www.ennaharonline.com / en / news / 5541.html. Eine nuancierteren Blick auf die AQIM und den Erbfolgekrieg liefert Oliver Guitta, Al Qaeda’s War of Succession in the Maghreb, Atlantic Community Organization, 19. Januar 2011, www.atlantic-community.org / index / articles / view / Al_Qaeda%27s_War_of_Succession_in_the_Maghreb. Seeing Al-Qaeda Around Every Corner, New York Times, 8. Juli 2007, www. nytimes.com / 2007 / 07 / 08 / opinion / 08pubed.html?_r=2&oref=login. Die führenden Köpfe von al-Qaida haben den Irak zur Hauptfront ihrer globalen Terrorkampagne erklärt. Office of the Director of National Intelligence, 9. Juli 2005; der vollständige Text in englischer Übersetzung ist abruf bar unter www.dni.gov / press_releases / letter_in_english.pdf. Ibid. Einige der besten Beispiele für Kommunikationsschwierigkeiten, die zu strategischen Fehltritten beitragen, sind die verschiedenen Briefe der Führer des al-Qaida-Zentralbüros an Kommandanten im Irak sowie Vermerke der Anführer von al-Qaida im Irak an ihre Kommandanten, als die interne Kommunikation Anfang 2007 zusammenbrach. Vgl. Ayman al-Sawahiri, Letter from al-Zawahiri to al-Zarqawi, dated 9 July 2005, veröffentlicht vom Büro des Direktors des Nationalen Geheimdienstes, 11. Oktober 2005, www.globalsecurity.org / security / library / report / 2005 / zawahiri-zarqawi-letter_9jul2005. tm; Atiyah abd al-Rahman, Note to Zarqawi, 12. November 2005, www.ctc.
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Anmerkungen usma.edu / harmony / pdf / CTC-AtiyahLetter.pdf; Abu Yahya al-Libi (Yunus al-Sahrawi), A Message to Mujahid Leader Abu Mus’ab Al-Zarqawi from AbuYahya Yunis Al-Sahrawi, Jihadi Websites, 20. November 2005; Bill Roggio, Letters from al-Qaeda Leaders Show Iraqi Effort is in Disarray, Long War Journal, 11. September 2008, www.defenddemocracy.org / index.php?option= com_content&task=view&id=11782255&Itemid=353. Joe Klein, Is al-Qaeda on the Run in Iraq?, Time Magazine, 23. Mai 2007, www.time.com / time / nation / article / 0,8599,1624697,00.html. Eine ausgezeichnete Abhandlung dieses Themas und der Verfassung von al-Qaida im Allgemeinen liefern Assaf Moghadam und Brian Fishman (Hg.) in Self-Inflicted Wounds: Debates and Divisions within Al-Qa’ida and its Periphery (New York 2010), www.ctc.usma.edu / Self-Infl icted per cent20Wounds.pdf. Larry Shaughnessy, U.S. Official: Al Qaeda in Yemen Bigger Threat than in Pakistan, CNN, 17. Dezember 2010, http: // articles.cnn.com / 2010 –12–17 / us / al.qaeda.yemen_1_aqap-al-qaeda-yemen?s=PM:US. In diesem Kapitel bezieht sich die Abkürzung AQAP auf ,al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel‘ und bezeichnet den Zusammenschluss des jemenitischen und des saudischen Ablegers von al-Qaida 2009. Brian Ross und Richard Esposito, Abdulmutallab: More Like Me in Yemen. Accused Northwest Bomber Says More Bombers On the Way, ABC News, 28. Dezember 2009, http: // abcnews.go.com / Blotter / abdulmutallab-yemen-northwest-fl ight-253–terror-suspect / story?id=9430536; Jason Keyser, ,Bin Laden Endorses Bomb Attempt on US Plane‘, ABC News, 24. Januar 2010, http: // abcnews. go.com / International / wireStory?id=9647388. Eric Schmitt und Scott Shane, Aid to Fight Qaeda in Yemen Divides U.S. Officials, New York Times, 15. September 2010, www.nytimes.com / 2010 / 09 / 16 / world / middleeast / 16yemen.html. US expands Yemen drone strikes policy, Al-Jazeera, 27. April 2012, Zugriff am 30. April 2012, http: // www.aljazeera.com / news / middleeast /2012 /04 / 201242665054283749.html. Vgl. etwa Murad al-Shishani, An Assessment of the Anatomy of al-Qaeda in Yemen: Ideological and Social Factors, Terrorism Monitor, Vol. 8, Nr. 9, März 2010; Jane Novak, ,Arabian Peninsula Al-Qaeda Groups Merge‘, The Long War Journal, 26. Januar 2009, www.longwarjournal.org / archives / 2009 / 01 / arabian_peninsula_al.php; Leela Jacinto, Key Figures in Al-Qaeda’s Yemeni Branch, France 24, 5. Januar 2010; Stephen Kurcy, Five Key Members of Al-Qaeda in Yemen, Christian Science Monitor, www.csmonitor. com / World / Middle-East / 2010 / 1102 / Five-key-members-of-Al-Qaeda-in-YemenAQAP / Nasir-al-Wuhayshi-head-of-AQAP. Barak Barfi, Yemen on the Brink? The Resurgence of Al-Qaeda in Yemen,
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New America Foundation, Januar 2010, S. 2, www.newamerica.net / publications / policy / yemen_on_the_brink. Gesendet auf al-Dschasira, 29. Januar 2009. Zur jüngsten Anschlagswelle, vgl. etwa Saeed al-Batati, Al-Qaeda Renews Attacks in Yemen, Arab News, 12. Oktober 2010, http: // arabnews. com / middleeast / article159019.ece. Die gesamte Ausgabe von Inspire ist zu fi nden auf http: // info.publicintelligence.net / Inspire-Fall2010.pdf. Selbst vage Vermutungen werden häufig als Tatsachen hingestellt. Zum Beispiel wurde Anwar al-Awlakis Tod im Mai 2010 weithin bekanntgegeben, die Meldung kurz darauf aber zurückgezogen (www.hurriyetdailynews. com / n.php?n=al-qaeda-in-yemen-announces-new-leader-ex-gitmo-prisoner). Die mit al-Qaida verbundenen epistemologischen Herausforderungen werden eingehend analysiert in Christina Hellmich und Andreas Behnke, Knowing Al-Qaeda: The Epistemology of Terrorism (London 2011). Yemen Captures Al Qaeda Commander, a Former Guantanamo Detainee, Associated Press und Fox News, 17. Februar 2009, www.foxnews.com / story / 0,2933,494784,00.html; Saudi Al-Qaeda Leader Outlines New Strategy and Tactics of Al-Qaeda in the Arabian Peninsula, Terrorism Monitor, Vol. 7, Nr. 9, April 2009. Munir Mawari, Uncertainty Surrounds the Arrest of al-Qaeda Financier in Yemen, Terrorism Monitor, Vol. 7, Nr. 19, Juli 2009. Nasser al-Hakbani, Al-Rimi is the Real Leader of Al-Qa’idah in Yemen, Al-Hayat, 23. Juni 2010. Thomas Heghammer, Jihad in Saudi Arabia and Yemen, Vortrag am IISS, London, 30. September 2010. Der Autor beschäftigt sich in seinem Buch Jihad in Saudi Arabia (Cambridge 2010) eingehend mit dem Dschihadismus in Saudi-Arabien. Eine kurze Suche ergibt Schätzungen zwischen 200 und 1500 Mitgliedern oder Zellen. Vgl. etwa David Sanger und Mark Mazetti, New Estimate of Strength of Al Qaeda Is Offered, New York Times, 30. Juni 2010, www.nytimes.com / 2010 / 07 / 01 / world / asia / 01qaeda.html; Jane Merrick und Kim Sengupta, Yemen: The Land with More Guns than People, Independent, 20. September 2009, www.independent. co.uk / news / world / middle-east / yemen-the-land-with-more-guns-than-people-179. Shari Villarossa, Al-Qaeda in Yemen, Podiumsdiskussion mit Gregory Johnsen und Christopher Boucek am Carnegie Endowment for International Peace, Washington DC, 7. Juli 2009. Das vollständige Protokoll ist abruf bar unter http: // carnegieendowment.org / fi les / 0708carnegie-yemen. pdf (Zugriff am 17. November 2011). Die Regierung des Jemen ist wiederholt beschuldigt worden, Geständnisse von Inhaftierten zu erpressen. Zu Zwangsgeständnissen und Folter im
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Anmerkungen Jemen, vgl. zum Beispiel den Bericht der International Federation for Human Rights, Yemen: In the name of national security-human rights violations in Yemen, Zugriff am 16. November 2011, http: // www.fidh.org / IMG / pdf / Yemen.pdf, oder den Bericht von Amnesty International (AI), Yemen: The Rule of Law Sidelined in the Name of Security September 2003, Zugriff am 16. November 2011, http: // www.amnesty.org / en / library / asset / MDE31 / 006 / 2003 / en / 084dc66b-d6a7–11dd-ab95-a13b602c0642 / mde310062003en. html. Zu genaueren Informationen über Anwar al-Awlaki, vgl. Katherine Zimmerman, Militant Islam’s Global Preacher: The Radicalizing Effect of Sheikh Anwar al Awlaki, Critical Threats Project, 12. März 2010, Zugriff am 16. November 2010, www.criticalthreats.org / yemen / militant-islams-global-preacher-radicalizing-effect-sheikh-anwar-al-awlaki. Seine Interpretation der ,Mardin-Fatwa‘, eines kontroversen Textes, der ebensoviel Aufmerksamkeit von Islamisten wie von Religionsgelehrten erfahren hat, ist in einer der jüngsten Ausgaben von Inspire zu lesen; sie scheint aus einer anderen Quelle ausgewählt bzw. kopiert und von den Herausgebern mit aufgenommen worden zu sein. Eine ausgezeichnete Analyse der verschiedenen Interpretationen der Mardin-Fatwa liefert Yahya Michot, Mardin: Hégire, fuite du péché et ‘demeure de l’Islam (Beirut 2004). Die Tatsache, dass er in absentia verurteilt wurde, sollte nicht unbedingt als ,Beweis‘ für seine Verbindung zu AQAP gedeutet werden, sondern muss als Teil der Regierungsbestrebungen gesehen werden, ihre Zusammenarbeit mit den USA zu demonstrieren; die USA hatten ihn auf die Kill-or-CaptureListe von Terroristen gesetzt. Englische Übersetzungen von Bin Ladens Botschaften sind zu fi nden in Bruce Lawrence, Messages to the World: The Statements of Osama Bin Laden (London 2005). Christina Hellmich, The Khutba as Medium for the Communication of Islamic Fundamentalism: The Case of Yemen, M. St. Thesis, Oxford University, 2003. Anwar al-Awlaki in einem Interview mit al-Dschasira, 7. Februar 2010. Der vollständige Wortlaut ist abruf bar unter http: // english.aljazeera.net / focus / 2010 / 02 / 2010271074776870.html. Sa‘id Ubayd al-Jamhi, al-Qa‘ida fi al-Yaman (Sana’a 2008). Eine englischsprachige Zusammenfassung seiner Ergebnisse verfasst von Zaid al-Alaya’a, AlQaeda in Yemen, 20. Juli 2010, Yemen Today, ist abruf bar unter www.yementoday.com / go / special_reports / 5327.html. Ghaith Abdul-Ahad, al-Qaida in Yemen: Poverty, Corruption and an Army of Jihadis Willing to Fight, Guardian, 22. August 2010, www.guardian. co.uk / world / 2010 / aug / 22 / al-qaida-yemen-ghaith-abdul-ahad.
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Es besteht keine Einigkeit in der Frage, ob der Jemen kurz vor dem Zusammenbruch steht oder nur eine weitere Phase politischer Unruhen erlebt. Zur theoretischen Diskussion offener Staatlichkeit, vgl. Deon Geldenhuys, Contested States in World Politics (London 2009). Eine hervorrangende Analyse der Art der Politik im Jemen ist Sarah Phillips‘ Yemen’s Democracy Experiment in Regional Perspective (Basingstoke 2008). Es sei außerdem daran erinnert, dass die häufig erwähnten ,gesetzlosen Regionen‘ des Jemen nicht die verwilderten, leeren Räume sind, als die sie oft hingestellt werden, sondern Gebiete, in denen das Stammesrecht (urf) gilt. Zum Stammessystem im Jemen, vgl. Paul Dresch, Tribes, Government and History in Yemen (Oxford 1989); R. B. Serjeant, Studies in Arabian History and Civilisation (London 1981), und R. B. Serjeant, Society and Trade in South Arabia (Brookfield 1996). Eine jemenitische Darstellung der Stämme und ihrer gesellschaftlichen Rolle ist zu fi nden in Fuad al-Salahi, Thulathiyya al-Dawla w’al-Qabila w’al-Mujtama‘ al-Madani (Taiz 2001). Zum Huthi-Konfl ikt, vgl. Samy Dorlian, Les Filières Islamistes Zaydites au Yémen, unveröffentlichte Masterarbeit, Université Paul Cézanne, 2005; und Yemen: Defusing the Saada Time Bomb, International Crisis Group 27. Mai 2009. Zum Zaidismus, vgl. Rudolf Strothman, Kultus der Zaiditen (Strasbourg 1912) und Das Staatsrecht der Zaiditen (Strasbourg 1912); Cornelis van Arendonk, Les Débuts de L’Imamate Zaidite au Yemen (Leiden 1960); Wilferd Madelung, Der Imam al-Qasim ibn Ibrahim und die Glaubenslehre der Zaiditen (Berlin 1965); und Bernard Haykel, Revival and Reform in Islam: The Legacy of Muhammad al-Shawkani (New York 2003). Maysaa Shujaal-Deen, Media Absent from Yemen’s Forgotten Confl ict, Arab Media Society 8, Frühjahr 2009, Zugriff am 23. November 2010, http: // www. arabmediasociety.com / ?article=714. UNHCR, UNHCR struggles to help the internally displaced in northern Yemen, 18. September 2009, Zugriff am 5. Dezember 2011, http: // www. unhcr.org / 4ab3a7d49.html. Stephen Day, The political challenge of Yemen’s southern movement, Carnegie Paper, 29. März 2010, Zugriff am 16. November 2011, http: // carnegieendowment.org / publications / index.cfm?fa=view&id=40414. Eine kurze Übersicht über die strukturellen Herausfoderungen liefert die NATO-Webseite: Yemen: 10 reasons to worry, Zugriff am 5. Dezember 2011, http: // www.nato.int / docu / review / 2010 / Yemen / Yemen_10_reasons_ to_worry / EN / index.htm. Die Gesundheitsindikatoren des Jemen variieren je nach Quelle erheblich. Die hier vorgelegten Daten, die einen Mittelwert darstellen, stammen von der Website der Weltgesundheitsorganisation WHO, Zugriff am 16. November 2011, www.208.48.190.WHO / WHD / Countryprofi le-Yem.htm. Zum
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Anmerkungen Vergleich, siehe die Gesundheitsindikatoren von UNICEF, ,Jemen‘, Zugriff am 16. November 2011, http: // www.unicef.org / infobycountry / yemen_ statistics.html. UN News Center, Yemenis facing deepening humanitarian crisis, UN relief official warns, Zugriff am 29. November 2011, http: // www.un.org / apps / news / story.asp?NewsID=40553&Cr=yemen&Cr1. Botschaft der Republik Jemen, Washington DC, Pressestelle: Situation in Yemen, Pressebericht, 2. November 2010. Ein Beispiel ist Tariq al-Fadli, der Anführer der mujahidin (Kämpfer) in Afghanistan, der später vom Präsidenten in die Majlis al-Shura, das Oberhaus des Parlaments, berufen wurde. Geoff Simons, The United Nations (London 1995), S. 168. Ibid. Zur Radikalisierung in Gefängnissen, vgl. etwa Peter Neumann, Prisons and Terrorism Radicalisation and De-radicalisation in 15 Countries, in M. Cuthbertson, Prisons and the Education of Terrorists, Policy Report des International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence (ICSR), London 2010, http: // icsr.info / publications / .papers / 1277699166 PrisonsandTerrorismRadicalisationandDeradicalisationin15Countries.pdf; oder James Beckford, Daniele Joly und Farhad Khosrokhavar, Muslims in Prison: Challenge and Change in Britain and France (Basingstoke 2005). Anas Rawi, ,American drones strikes provoke Yemenis against interim government,‘ Yemen Times, 12. Februar 2012, Zugriff am 1. Mai 2012, http: // yementimes.com / en / 1543 / news / 269 / American-drone-strikesprovoke-Yemenis-against-interim-government.htm. 2008 belegte der Jemen den 13. Platz im ,Failed State Index‘ des Fund for Peace, der die politischen und ökonomischen Faktoren misst, welche die Zentralgewalt bedrohen; zu diesen Faktoren zählen die Fähigkeit eines Staates, eine Grundversorgung zu garantieren, die Korruption der Regierung, wirtschaftliche Entwicklung und Menschenrecht. Vgl. Fund for Peace, ,Failed State Index‘, www.fundforpeace.org / web / in-dex.php?option=com_ content&task=view&id=99&Itemid=140. Zur Entkopplung von Terrorismusbekämpfung und dem Auf bau staatlicher Strukturen, siehe Karin von Hippel, The Roots of Terrorism: Probing the Myths, Political Quarterly, Vol. 73, Nr. 1, 2002, S. 25–39. Christopher Boucek, Yemen: Avoiding a Downward Spiral, Carnegie Paper, September 2009, www.carnegieendowment.org / publications / index.cfm?fa= view&id=23827. Während sich diese Diskussion auf islamistische Akteure beschränkt, sollte man im Hinterkopf behalten, dass weitere Akteure im Jemen um politische Legitimation kämpfen.
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Längere Auszüge aus der Sendung sind auf YouTube abruf bar: www. youtube.com / watch?v=G7RElWMRdRk. Das Video gibt auch Aufschluss über die Reaktion der Öffentlichkeit auf den Bombenanschlag, der vom Jemen und den USA gemeinsam genehmigt wurde und bei dem jemenitische Kinder ums Leben kamen. Jane Novak, Yemeni al-Qaeda leader: State Conducts Terror Attacks, The Long War Journal, 3. Dezember 2008, http: // www.longwarjournal.org / archives / 2008 / 12 / yemeni_al_qaeda_lead_2.php. Mohammed Hatem, Yemen Shiite Houthis Fight Salafists Near Saudi Arabia’s Border, Bloomberg Businessweek, 27. November 2011, http: // www.businessweek.com / news / 2011–11–27 / yemen-shiite-houthis-fight-salafists-nearsaudi-arabia-s-border.html. Vgl. etwa Murad Batal al-Shishani, Profi le: Ansar al-Sharia in Yemen, BBC, 18. März 2012, Zugriff am 1. Mai 2012, http: // www.bbc.co.uk / news / worldmiddle-east-17402856; Fares Anam, Aden governor warns of the extension of al-Qaeda in South Yemen, Yemen Observer, 1. Mai 2012, Zugriff am 1. Mai 2012, http: // www.yobserver.com / local-news / 10021996.html. Einen ausführlichen Überblick über die verschiedenen islamistischen Akteure im Jemen gibt Laurent Bonnefoy, Varieties of Islamism in Yemen: The Logic of Integration under Pressure, Middle East Review of International Affairs, 13, Nr. 1 (2009). Jeffrey Fleishman, Yemen: Car bomb targeting Shiite Tribesmen kills 17, Los Angeles Times, 24. November 2010, Zugriff am 16. November 2011, http: // latimesblogs.latimes.com / babylonbeyond / 2010 / 11 / a-car-bomb-explodedalong-a-procession-of-shiite-muslims-in-northern-yemen-killing-at-least-15people-and-raising-concerns.html. Genauere Informationen zu dieser Gruppierung liefert Laurent Bonnefoy in Les relations religieuses transnationales contemporaines entre le Yémen et l’Arabie Saoudite: un salafisme importé? Dissertation, IEP, Paris, 2007. Zu al-Wadi’is Kritik an Osama Bin Laden, vgl. auch Brynjar Lia, Destructive Doctrinarians: Abu Musab al-Suri’s Critique of the Salafis in the Jihadi Current, Norwegian Defence Research Institute (2007), 4. Für eine eingehende Untersuchung der Islah, vgl. Jillian Schwedler, The Yemeni Islah Party: Political Opportunities and Coalition Building in a Transitional Polity, in Quintan Wiktorowicz (Hg.), Islamist Activism: A Social Movement Theory Approach (Bloomington 2003), S. 205–229, und Jillian Schwedler, Faith in Moderation: Islamist Parties in Jordan and Yemen (Cambridge 2007). Nähere Angaben zu Zindani sind zu fi nden in Gregory Johnsen, Profi le of Sheikh Abd al-Majid al-Zindani, Terrorism Monitor, 4, Nr. 7 (2006), S. 3–5. Alexander Knysh, The Tariqa on a Landcruiser: The Resurgence of Sufism in Yemen, Middle East Journal, 55, Nr. 3 (2001), S. 399–414.
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VI.
Anmerkungen Bonnefoy, Les relations religieuses transnationales contemporaines entre le Yémen et l’Arabie Saoudite. Vgl. auch Contextualizing the Salafi-Sufi Confl ict (from the Northern Caucasus to Hadramawt), Middle Eastern Studies, 43, Nr. 3 (2007), S. 503–530.
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Register Abd al-Salam Faraj, Muhammad 66 Abd Allah, Yusuf ‘Azzam 66 al-Abdaly, Taimour Abdulwahab 138 f. ‘Abduh, Muhammad 70 f. Abdulhamid, Sultan 98 Abdulmuttalab, Umar Farouk 105 Abu Basir (Nasir al-Wahayshi) 117, 151 Abu Ghaith, Sulaiman 109 f. Abu Hajer (Salim) 35 Abu Jandal 53 Abu Rida (Bayazid) 35 Aden, Bombenanschläge 42, 53, 127 Afghanistan# 21, 23–30, 37, 41, 43–46, 52, 54, 56, 84, 104 ff., 114 f., 117, 121, 127, 130, 134, 141, 144, 146, 148 Ägypten 14, 38, 48 f., 84, 106, 148 ff. Ägyptischer islamischer Dschihad (EIJ) 25 f., 33, 48 f. Al Bashiri, Abu Ubaida 30 Al Dschasira 46 Albright, Madeleine 20 Alexander, Yonah 28 Algerien 111 Allianz aus Juden und Kreuzfahrern 48, 63, 72, 76, 81 f., 93 ff., 102, 121 Amman, Anschlagserie auf Hotels 109 Anas, Abdullah 38 Anschläge vom 11. September 8–12, 15, 17, 20 f., 23, 37, 39, 46 f., 53 f., 56 –59, 63 f., 79, 87, 102–110, 112, 115, 120, 127, 135, 143, 146 Arabischer Frühling 111, 123, 151 Arnaout, Enaam 35, 37; siehe auch Tareekh-Osama-Akte
Register
Atran, Scott 110 Atwan, Abdel Bari 38 ff., 42, 47, 49 al-Awfi, Mohammed 117 f. al-Awlaki, Anwar 115 f., 120, 139 ff., 150 Assam, Abdullah 24–30, 38, 44, 76, 84 Baath-Partei-Regime 12 Bangladesch, Dschihad-Bewegung 13 f., 48 bayat (Gefolgseid) 33, 35, 51 Behnke, Andreas 7, 55 Benevolence International Foundation (BIF) 35 Bergen, Peter 37 f., 40, 43 f., 46, 49, 53 f., 78, 106 Bin Laden, Osama 8–11, 14, 17–20, 22–35, 37–49, 51–59, 63– 66, 69, 72–87, 90 –97, 99–104, 107, 109, 111 f., 114, 121, 133 f., 138, 143, 145–148, 150 ff. Blunt, Wilfred,#98 Bosnien 19, 35, 41, 76, 84 Brahimi, Alia 147 Brennan, John 114 Burke, Jason 32 ff., 37, 40 f., 43, 45 f., 48, 52, 54, 56 f., 104 f., 107, 109, 138 Bush, George W. 54, 60, 77, 80, 104 Bush, Laura 17 Choudhry, Roshonara 138–143 CIA 43, 52, 115 f., 129 Clarke, Richard 41, 48 f., 52 ff. Clinton, Bill 32, 41, 48, 52 Clinton, Hillary 115 CNN 10, 46 f., 78, 80 Crenshaw, Martha 12
Register Cronin, Audrey, How Terrorism Ends 18 Curtis, Adam, 34, 37 Debat, Alexis 13, Delong-Bas, Natana 66 Deobandi-Seminare 12, 60 Der Derian, James 17 Deutschland, Attentat am Frankfurter Flughafen 149 al-Din al-Afghani, Jamal 11, 70 f., 98 Dschihad 9 ff., 19–28, 31, 33, 35 f., 38 f., 42, 44, 47–51, 53, 56 – 61, 66 –70, 72–76, 78 f., 81 ff., 93–97, 101 f., 105–111, 121 ff., 127, 131–134, 137–142, 145–149, 151 f. Eickelman, Dale 90 Encyclopedia of Islam 64, 69 f. al-Fadl, Jamal 32 ff. al-Faisal, Prinz Turki 44 Fatwas 46, 48, 68 Federal Bureau of Investigation (FBI) 13, 32 ff. Final Report of the National Commission on Terrorist Attacks upon the United States, The 15 Flugzeuge 8, 16, 53, 60, 149 Fort Hood, Amoklauf 105, 115, 138 f.; siehe auch Hasan, Nidal Malik Fouda, Yosri 85 Frankfurt, Attentat am Flughafen 149 Front Islamique du Salut (FIS) 100 al-Gamaa al-Islamiyya 48 Gaza 84, 95, 121 al-Ghazali, Abu Hamid 70 Gewalt 11, 16 f., 19 f., 22, 46, 51, 56 ff., 61, 65, 69, 74 ff., 79 f., 82 f., 85, 101,
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112 f., 119, 121, 125 f., 131–136, 140 f., 146 –150 Golfkrieg (1990) 20, 40, 93, 128 Gunaratna, Rohan 14 f., 27, 29, 31, 38, 40 f., 43, 45, 51 f., 58 f., 63 Gurr, Ted 12 al-Hakbani, Nasser 118 Hamas 12, 60 f., 100 Hamzah, Mir 48 al-Harithi, Abu Ali 129 Hasan, Nidal Malik 105, 138–141, 143; siehe auch Fort Hood, Amoklauf Haykel, Bernhard 66 Heghammer, Thomas 118 Hisbollah 48, 60 f. Hoffman, Bruce 106 ff., 139, 147 Homeland Security 24 Hoyt, Clark 112 Hussein, Saddam 39, 92 Ibn Abd al-Wahhab, Muhammad 65, 68, 70 Ibn Hanbal, Ahmad 70 Ibn Qayyim al-Jawziyah 70 Ibn Taymiyyah, Taqi ad-Din Ahmad 10, 70 Ibrahim, Yahya 150 Indonesien 53, 76 Irak 19 f., 23, 39, 50, 56, 60, 76 f., 80 ff., 84, 106, 108, 112 ff., 117, 121, 128, 130, 133, 135, 138 ff., 144, 146 ff. Islam 8, 10, 19, 22 ff., 26, 39, 42, 50, 57 ff., 61– 68, 71–78, 80 –84, 86 –97, 99–102, 110, 131, 133, 140 f., 147 ff.; siehe auch Koran Islamistische Bewegungen 13, 18, 30, 34, 45, 48, 52, 60, 100, 102, 113, 140 ff., 149 Islamistischer Terror 9, 13, 62, 110 Ismail, Jamal 40
190
Register
al-Jamhi, Sa’id 122 Jamiat Ulema-e-Pakistan 48 Jemen 14, 23, 26, 39, 42, 106, 114–137, 139 f., 142 ff., 146, 148, 151 f. Jerusalem 92 f. Jordanien 77, 106
Moro Islamic Liberation Front (MILF) 61 Mudschaheddin 25, 27 f., 30, 32, 36, 38, 41, 43, 45, 150 Muhamed, Khalfan Khamis 33 f. Muslimbrüder 74, 90, 133
Kenia 32, 95 Kepel, Gilles 39 Khan, Samir 120 Kherchtou, L’Houssaine 34, 41 Khobar-Türme 44, 47 f. Kohlmann, Evan 13 f. Kolonialismus 83, 102 Koppel, Ted 146 Koran 58 f., 63, 65, 68–71, 73 f., 86 –89, 99 Krieg gegen den Terror 17, 60, 64, 104, 127, 141, 143, 145 f., 150 Kuwait 39, 92 f., 109
Nafi, Bashier N. 67 Naher Osten 25, 27, 60 f., 77, 84 f., 92, 94, 101, 139, 148 f. National Intelligence Estimate (NIE) 108 Naylor, R. T. 31 9 / 11 Commission Report 15, 27 f., 30, 36, 42 f., 51 ff.
Lachkar, Joan 62 Lahoud, Nelly 7, 147 Landau, Jacob M. 99 ff. Laoust, Henri 67 Lewis, Bernhard 62, 91 Libyen 150 Madrid 110 f. MAK (Maktab al-Khidamat / Afghanisches Dienstleistungsbüro) 27 f., 38, 44, 143 Mann, Michael 85 Marokko 58, 68, 76 Michel, Thomas 67 Michot, Yahya 66 Migaux, Philippe 29, 44, 51 f. Miller, David 16 f. Mills, Tom 16 f. Milson, Menahem 66 Mojdeh, Vahid 44
Obama, Barack 77, 116, 150 Omar, Mullah Mohammed 44 Oslo, Vertrag von 93 Pakistan 12 ff., 18, 23 f., 29, 31, 40 f., 43, 48, 60, 76 f., 83, 100, 106, 114 Palästina 19, 26, 76, 80 ff., 84, 92 ff., 117, 121 Panislamismus 18, 22 f., 65, 72, 76, 81, 95, 97–102, 146 Pentagon 8, 53, 58, 64 Philippinen 26 f., 58, 68, 76, 84, Piscatori, James 7, 74, 90, 92, 99 f. al-Qaida 7–15, 17– 65, 67–72, 74–80, 98, 100, 106 –124, 126 –130, 132–152 Qutb, Sayyid 25, 71 Rahman, Falzur 48 Ranstorp, Magnus 9, 12, 139 Raufer, Xavier 24, 29, 31 al-Raymi, Qasim bin Mahdi 117 f. Reid, Edna 15 Religion 59, 63 f., 75, 86 ff., 148
Register Riedel, Bruce 106, 112 Riad 47 f., 117 f. Sageman, Marc 11, 15, 28, 31, 42, 51 ff., 58, 67 ff., 71, 104–107 Said, Edward 61 Salafismus 9, 19, 22, 51, 58 f., 67–75, 111, 132 ff., 138 Saleh, Ali Abdullah 115, 125 f., 134 al-Sawahiri, Ayman 25 f., 29, 33 f., 38, 48, 100, 112, 132, 148, 150 Saudi-Arabien 14, 28, 38–41, 44, 47 ff., 51, 59, 64 f., 69, 77, 80 f., 92 ff., 100, 106, 117 f., 125, 128, 133 Schmidt, Sam 34 Schwartz, Stephen 58, 64 Schweden 138 Scharia 19, 66, 68, 90, 111, 132 Schiiten 48, 65, 89, 112 f., 127, 131, 133, 147 al-Shihri, Said 117 f. Somalia 26, 42 f., 76, 84, 117 Sorman, Guy 66 Sudan 24, 32, 36, 40 –45, 74, 90 Sufismus 65, 134 Sunniten 65, 89 f., 113, 132 f., 147 Swetnam, Michael S. 28 Taha, Abu-Yasir Rif ’ai Ahmad 48 Taliban 24, 44 f., 60 Tansania 32, 95 Terror 8 f., 11–20, 22 ff., 29 f., 32–35, 37 f., 41 ff., 45 f., 48, 51–54, 56 – 64, 67 f., 70, 74, 76, 79, 81 ff., 85, 95, 101, 103–107, 109 ff., 114 ff., 119, 126 –130, 135–146, 149 ff.
191
Timms, Stephen 138; siehe auch Choudhry, Roshonara Trainingslager 24, 30, 41, 43, 45, 104 Tuastad, Dag 61 Tunesien 109, 111, 148 ff. al-Turabi, Hassan 40, 74, 90 Türkei 41, 77 umma 18, 20, 50 f., 56 f., 65, 72, 76, 81 f., 84, 87, 89, 92–95, 97, 99 f., 102, 111, 146 f. USA 18, 20 f., 27–31, 33, 35, 37, 39, 41 ff., 48–51, 53 f., 60 f., 63, 77, 80 ff., 85, 93 ff., 104 ff., 114, 116, 119 f., 122, 127–131, 134, 143, 145 f., 150 f. US-Botschaften 32 f., 95, 143 Villarosa, Shari 119 al-Wahayshi, Nasir Abd al-Karim (Abu Basir) 117 Wahhabismus 22, 58 f., 64– 67, 69, 73 ff., 133 Welt-Islam-Front 95 Wiktorowicz, Quintan 69, 71 World Trade Center 8, 43, 46 Wright, Lawrence 27, 38 f., 41 ff., 45, 49, 52 Yussef, Ramsi 43 Zaiditen 89, 133 f. al-Zarqawi, Abu Musab 112 al-Zindani, Abd al-Majid 134
Informationen Zum Buch Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 steht al-Qaida für einen Terrorismus, der alle nationalen und internationalen Diskussionen über Sicherheit beherrscht. Doch trotz der hohen Aufmerksamkeit, die auf diese Gruppierung gerichtet ist, bleiben die Annahmen darüber, wer oder was sich hinter al-Qaida verbirgt, höchst vage und widersprüchlich. Handelt es sich um eine straff strukturierte Organisation, ein globales Netzwerk oder unabhängige Zellen einer Art ›Franchise-Unternehmen‹? Was sind die Beweggründe, was die Ziele des Terrornetzwerkes? Was ist nach dem Tod von Osama bin Laden zu erwarten? Christina Hellmich analysiert in ihrem Buch mit forensischem Scharfsinn die heute verbreiteten Thesen über Ursprünge und Manifestationen von al-Qaida und wagt einen Blick in die Zukunft.
Informationen Zum Autor Christina Hellmich ist Dozentin für Internationale Beziehungen an der University of Reading, Großbritannien. Sie ist Spezialistin für die Politik des Nahen Ostens mit einem besonderen Schwerpunkt auf dem Politischen Islam und der Internationalen Sicherheit. Bei Feldstudien im Irak und Jemen leitete sie ein Forschungsprojekt über den Zusammenhang zwischen den islamischen Predigten und dem Prozess der Radikalisierung.