125 38 44MB
German Pages 391 Year 1991
EVA GRAUL
Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht
Strafrechtliche Abhandlungen' Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg
und Dr. Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 69
Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht
Von
Eva Graul
Duncker & Humblot . Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Dieter Meurer, Marburg Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Graul, Eva: Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht / von Eva Graul. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1991 (Strafrechtliche Abhandlungen; N. F., Bd. 69) Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-428-07103-4 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten
© 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41
Fremddatenübernahme: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-07103-4
Vorwort Abstrakte Gerahrdungstatbestände werden einerseits für besonders gerecht gehalten, weil ihnen das Zufallsmoment des Erfolgseintritts - Verletzung oder konkrete Gefahr - fehlt. Andererseits gelten sie aber auch als besonders ungerecht, da eine Bestrafung auch erfolgen muß, wenn die fragliche Handlung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise als völlig ungefährlich erscheint. Während die Diskussion um diese Problematik heute vornehmlich auf der Grundlage der herrschenden Gefahrmotivtheorie geführt wird, der zufolge die Gefährlichkeit des Verhaltens nur gesetzgeberisches Motiv, aber nicht Tatbestandsmerkmal ist, befaßt sich die vorliegende Arbeit hauptsächlich mit der noch keineswegs überholten Präsumtionstheorie, die die abstrakten Gefährdungstatbestände mit Hilfe einer unwiderleglichen oder widerleglichen gesetzlichen Gefahr- oder Gefährlichkeitsvermutung zu erklären sucht. Ziel der Arbeit ist es zum einen, dieser Theorie endgültig "den Garaus zu machen", und zum anderen, für den immer wieder geforderten Wegfall der Strafbarkeit bei ausnahmsweiser U ngefährlichkeit im Einzelfall einerseits die genauen Voraussetzungen abzuklären und andererseits die dogmatisch richtige, insbesondere verfassungsrechtlich zulässige Konstruktion zu finden. Aus diesem Grunde befaßt sich die Untersuchung hauptsächlich mit der Theorie der widerlegbaren gesetzlichen Gefahr- oder Gefährlichkeitsvermutung. Dabei zeigt sich, daß widerlegliehe gesetzliche Vermutungen im Strafrecht entweder mit der Maxime "in dubio pro reo" oder mit dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung kollidieren. Da diese Prinzipien, wie im 3. Abschnitt herausgearbeitet wird, beide am Verfassungsrang des Grundsatzes "nulla poena sine culpa" teilhaben, ergibt sich, daß widerlegliehe Präsumtionen im Strafrecht nur auf der nicht vom Schuldgrundsatz erfaßten Ebene der objektiven Strafbarkeitsbedingungen, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe verfassungsrechtlich zulässig sind. Damit erweist sich die Präsumtionstheorie als verfassungswidrig, da nach dieser Theorie die widerlegbar gesetzlich vermutete Gefahr bzw. Gefährlichkeit der Handlung Tatbestandsmerkmal ist. Daraus folgt des weiteren, daß Strafbarkeitseinschränkungen bei den abstrakten Gefährdungsdelikten, wenn sie, was sinnvoll und notwendig erscheint, nur bei erwiesener Ungefährlichkeit des Verhaltens - und nicht auch bereits bei bloßen Zweifeln an der Gefährlichkeit in concreto - eingreifen sollen, auch auf der Grundlage der Gefahrmotivtheorie von der dogmatischen Konstruktion her verfassungsrechtlich nur als Strafausschließungsgründe i. e. S. zulässig sind.
Vorwort
6
Die Arbeit hat im Wintersemester 1988/89 dem Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg als Dissertation vorgelegen. Literatur und Rechtsprechung befinden sich auf dem Stand von 1988. Vereinzelt wurden noch neuere Beiträge und Entscheidungen eingearbeitet. Die Monographie von Urs Kindhäuser "Gefährdung als Straftat, Rechtstheoretische Untersuchungen zur Dogmatik der abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikte" ist erst nach Abschluß des Manuskrips erschienen und konnte daher nicht mehr berücksichtigt werden. Dank schulde ich den Herren Professoren Dres. Reinhard von Hippel und Dieter Meurer, die die Dissertation durch permanente Kritik nachhaltig gefördert haben, sowie den Herren Professoren Dres. Eberhard Schmidhäuser und Friedrich-Christian Schroeder für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe. Das Sachregister hat Frau Assessorin Irmela Scharf erarbeitet. Auch ihr sei an dieser Stelle gedankt. Marburg, im Dezember 1990
Eva Graul
Inhaltsverzeichnis 1. Abschnitt Begriffsbestimmungen I Deliktskategorien A. Schlichte Tätigkeitsdelikte I Erfolgsdelikte
19
............... . ..............
19
B. Verletzungs- und konkrete Geflihrdungs-Erfolgsdelikte
24
C. Tat-, Handlungs- und Angriffsobjekt ...................................
25
D. Exkurs
27
I. Zur Realität unkörperlicher Gegenstände ............................
27
11. Zur Kausalität ...................................................
34
E. Abgrenzung Verletzungs- und konkrete Geflihrdungs-Erfolgsdelikte I abstrakte Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
F. Exkurs: Das Rechtsgut als realer Gegenstand oder ideeller Wert
...........
41
I. Das Rechtsgut i. S. Welzels als der durch die Norm geschützte reale Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
1. Binding
41
2. Welzel
44
3. Das Gesetz
..................................................
52
II. Das Rechtsgut als ideeller Wert ....................................
55
1. Die unbeantwortete Frage nach Grund und Nutzen einer Idealisierung
des Rechtsguts
.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
2. Die wichtigsten inhaltlichen und terminologischen Implikationen und Konsequenzen einer Idealisierung des Rechtsguts .... . . . . . . . . . . . . .
57
a) Die beiden unterschiedlichen Wortbedeutungen des Ausdrucks "verletzen" ....................................................
58
b) Das Verhältnis Rechtsgut - Realobjektl-sachverhalt (Rechtsgutsobjekt) .....................................................
60
c) Inhalt und Bedeutung des Begriffs "Rechtsgutsobjekt"
63
8
Inhaltsverzeichnis d) Die "Verletzbarkeit" des ideellen Rechtsguts auch bei Abwesenheit eines Rechtsgutsobjekts ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
e) Der Unterschied zwischen der "Verletzung" = Mißachtung des ideellen Rechtsguts (Handlungsunwert) und der kausalen Verletzung und konkreten Gefährdung des Rechtsgutsobjekts (Erfolgsunwert) ........
71
widersprüchliche Verwendung der Ausdrücke "Rechtsgut", "Rechtsgutsverletzung" und "Rechtsgutsgefährdung" bei zahlreichen Vertretern einer ideellen Rechtsgutsauffassung ..................
79
g) Die theoretische Möglichkeit einer sinnvollen Verwendung der Ausdrücke "Rechtsgutsverletzungserfolg" und "konkrete Rechtsgutsgefährdung" auf der Grundlage einer ideellen Rechtsgutstheorie
85
h) Schutz ideeller Rechtsgüter = Schutz der Geltung der Rechtsgutswerte
89
oDie
i) Fehlen eines spezifischen Zusammenhangs zwischen der "abstrakten"
Gefahrdung der Rechtsgutswertgeltung und der Deliktsform der abstrakten Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
j) Schutz der Geltung der ideellen Rechtsgutswerte = Schutz der Geltung
der Akt- oder Handlungswerte i. S. Welzels (Das ideelle Rechtsgut als der durch die Sanktion - nicht die Norm - geschützte Gegenstand)
95
III. Die Notwendigkeit der strikten Trennung zwischen einer realen oder einer ideellen Sichtweise der Rechtsgüter (Wahrung der grundlegenden Unterschiede zwischen Rechts-Gut und Rechtsguts[wert]-Geltung, [kausaler] Rechtsgutsverletzung und Geltungsmißachtung, Erfolgs- und Handlungsunwert, Güter- und Geltungsschaden) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 100 IV. Die hier zugrunde gelegte Sichtweise und verwendete Terminologie
107
G. Abgrenzung Verletzungs- und konkrete Gefährdungsdelikte im materiellen Sinne I abstrakte Gefährdungsdelikte .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 107 H. Die verschiedenen Arten abstrakter Gefährdungsdelikte
116
r. Die beiden Grundtypen, insbesondere die sog. Eignungs- oder potentiellen Gefährdungsdelikte ................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 116 Ir. Die sog. Risikodelikte
128
III. Die Absichts- und Versuchsdelikte
................................. 131
2. Abschnitt Die zum Strafgrund der abstrakten Gefährdungsdelikte vertretenen Theorien
140
A. Die Theorie der generellen Gefährlichkeit; Gefahr-/Gefährlichkeits-Motiv-
theorie
.............................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 144
r. Inhalt dieser Theorie ............................................. 144
Inhaltsverzeichnis 11. Vertreter dieser Theorie
9 145
III. Klarstellungen zum Inhalt dieser Theorie
........................... 148
B. Die Theorie der abstrakten Gefährlichkeit/Gefahr; Gefahr-/GefährlichkeitsPräsumtionstheorie(n) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 151 I. Inhalt dieser Theorie(n)
1. Allgemein
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 151
.................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 151
2. Differenzierung zwischen Gefahr als Erfolg und Gefährlichkeit der Handlung ........................................................ 152 3. Weitere Differenzierungen innerhalb dieser Theorie(n) - Die subjektive 157 Tatseite und die Frage der WiderIegbarkeit der Vermutung(en) 11. Vertreter dieser Theorie(n) Darstellung und Kommentierung der Ansichten 1. Das Preußische Obertribunal (1858)
157
........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 157
2. Siebenhaar (1884) ............................................. 159 3. Finger (1889)
159
4. Frank (1897)
172
5. Berner (1898)
174
6. Mii'icka (1903)
177
7. Umhauer (1904)
.............................................. 178
8. M. E. Mayer (1923) 9. Henckel (1930)
........................................... 180
............................................... 181
10. (Nochmals) Finger (1930)
...................................... 185
11. Rabl (1933) und Pütz (1936) .................................... 187 a) Rabl ...................................................... 188 b) Pütz ...................................................... 191 12. Michels (1963) 13. Arth. Kaufmann (1963)
195 ........................................ 197
14. Schröder (1967/1969) .......................................... 199 15. Schroeder (1981)
212
16. Ostendorf (1982)
217
17. Maurach/Zipf (1983), Zipf (1987) ................................ 219 18. Baumann/Weber (1985)
221
19. Stree (1988)? ................................................. 225
10
Inhaltsverzeichnis
20. Wesseis (1990)
226
21. Györgyi, Ungarn (1985/1987)
229
22. Spotowski, Polen (1985/1987)
230
3. Abschnitt
Das Wesen und die (verfassungs)rechtIiche Problematik der abstrakten Gefäbrdungsdelikte auf der Grundlage der Präsumtionstheorien einerseits und der Theorie der genereUen Gefährlichkeit (Gefäbrlichkeits-Motivtbeorie) andererseits
232
A. Zum Gegenstand dieses Abschnitts .................................... 232 B. Das Wesen und die (verfassungs)rechtliche Problematik der abstrakten Gefällrdungsdelikte auf der Grundlage der Präsumtionstheorien . . . . . . . . . . . . . . . .. 232
I. Grundsätzliches über gesetzliche Präsumtionen; Beispiele
232
11. Widerlegliche gesetzliche Präsumtionen und die Theorie der widerleglichen Gefahr-Präsumtion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 240
1. Unerheblichkeit des Streits um das Erfordernis einer tatbestandsfremden Vermutungsbasis (bzgl. der Beurteilung der vermuteten Tatsache als Rechtsfolgevoraussetzung) ....................... . . . . . . . . . . . . .. 240 a) Die Auffassung Rosenbergs .................................. 240 b) Widerlegung der Auffassung Rosenbergs
242
aa) "Entstehungsgeschichte" der Gefahrpräsumtionstheorien ...... 243
bb) Die Beurteilung der sog. unechten gesetzlichen Vermutungen als Beweisregeln ........................................... 245 cc) Die im Strafrecht bzgl. der Schuldpräsumtionen herrschende Auffassung ................................................ 245 dd) Ablehnung der Auffassung Rosenbergs im außerstrafrechtlichen Bereich ................................................ 246 ee) Die Beurteilung der sog. unechten widerleglichen gesetzlichen Vermutungen als Beweislastregelungen ........................ 247 a) Anknüpfung des materiellen Rechts an die Existenz von Tat-
sachen
.............................................. 248
ß) Keine Unterscheidbarkeit zwischen rechtsbegründenden und
rechtshindemden Tatsachen nach materiellem Recht ....... 249
y) Wirkungsweise von Beweislastregelungen
253
ö) Konsequenzen für die Beurteilung der Schuld- und Gefahrprä-
sumtionen im Strafrecht ............................... 256
c) Fazit
257
Inhaltsverzeichnis
11
2. Widerlegliche gesetzliche Vermutungen: Beweisregeln oder Beweislastregeln; (verfassungs)rechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 258 a) Die Wirkungsunterschiede von Beweis- und Beweislastregeln ..... 258 b) Die Einordnung der widerleglichen gesetzlichen Vermutungen als Beweisregeln 260 c) Die Einordnung der widerleglichen gesetzlichen Vermutungen als Beweislastregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 264 aa) Die Existenz von Beweislast- bzw. Entscheidungsnormen im Straf(prozeß)recht; der in dubio pro reo-Grundsatz als die Beweislast(grund)regel des Straf(prozeß)rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Der in dubio pro reo-Satz als Beweisregel ................ ß) Der in dubio pro reo-Satz als selbständige Beweislast- bzw. Entscheidungsregel; Kritik der Auffassung Sarstedts ...... . . .. bb) Konsequenzen für die Beurteilung der widerleglichen gesetzlichen Vermutungen ....... , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
266 267 273 287
d) Die widerleglichen gesetzlichen Vermutungen als Beweislastregeln und der in dubio pro reo-Satz ................................ 287 e) Die widerleglichen gesetzlichen Vermutungen als Beweisregeln und der in dubio pro reo-Satz .................................... 288
oDie widerleglichen gesetzlichen Vermutungen als Beweisregeln und
die freie richterliche Beweiswürdigung ......................... aa) Die eine Einschränkung der freien richterlichen Beweiswürdigung verneinende Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Die Unrichtigkeit dieser Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Mögliche Gründe für die Entstehung dieser unrichtigen Auffassung .................................................. a) Unrichtige Einschätzung der sog. echten widerleglichen Vermutungen ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ß) Verfehlte Übertragung dieser unrichtigen Einschätzung auf die sog. unechten widerleglichen Vermutungen .............. y) Die §§259, 245 all StGB a.F., 39511 Nr. 2 AO a.F., 37111 Nr.2 AO n.F. . ........................................... ö) Der Aufsatz Schröders in NJW 1959, 1903 e) Der Einfluß Schröders auf die Entscheidung des KG in NStZ 1986, 560 ............................................ dd) Zusammenfassung
288 289 291 293 293 297 299 308 311 320
g) Konsequenzen für die verfassungrechtliche Ausgangsproblematik von widerleglichen gesetzlichen Tatsachenvermutungen .............. 321 h) Der Verfassungsrang des Grundsatzes "in dubio pro reo" und des Prinzips der freien richterlichen Beweiswürdigung ..... . . . . . . . . . . . .. 321 i) Konsequenzen hinsichtlich der Theorie der widerleglichen Gefahr-Prä-
sumtion (unter Berücksichtigung der Theorie des Gegenbeweises der Ungefährlichkeit im Einzelfall) ............................... 349
Inhaltsverzeichnis
12
III. Unwiderlegliche gesetzliche Präsumtionen und die Theorie der unwiderleglichen Gefahr-Präsumtion .......................................... 354
c. Das Wesen und die (verfassungs)rechtliche Problematik der abstrakten Gefähr-
dungsdelikte auf der Grundlage der Theorie der generellen Gefährlichkeit (Gefährlichkeits-Motivtheorie) ........................................ 355
Literaturveneichnis ..................................................... 363 Sachveneichnis
........................................................ 382
Abkürzungsverzeichnis A. a.A. a.a.O. Abs. Abschn. abstr. AcP AE a.E. a.F. Alt. AMG Angekl. Anh. Anm. AO AöR Art. AT Aufl. BArtSchVO BayObLG BayPresseG BayVerfGH Bd. Beih. Bem. Betr. BG. BGB BGBI. BGH BGHSt BNatSchG BSeuchenG BT BT-Drucks.
Auflage anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Abschnitt abstrakt Archiv für die Civilistische Praxis (zitiert nach Band, Jahr und Seite) Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches (Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, Zweiter Halbband, vorgelegt von Gunther Arzt u.a.) am Ende alte Fassung Alternative Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) Angeklagte(r) Anhang Anmerkung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts (zitiert nach Band, Jahr und Seite) Artikel Allgemeiner Teil Auflage Verordnung über besonders geschützte Arten wildlebender Tiere und wildwachsender Pflanzen (Bundesartenschutzverordnung) Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerisches Gesetz über die Presse Bayerischer Verfassungsgerichtshof Band Beiheft Bemerkung Betroffener Berufungsgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt (Teil, Seite) Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz) Besonderer Teil Bundestag-Drucksache
14 BtMG BVerfG BVerfGE bzgl. BZRG bzw. DAR dergl. ders., dems., dens. d.h. Diss. DÖV DR DRiZ DRZ D/Tröndle EGStGB EheG Einl. EMRK
Abkürzungsverzeichnis Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite) bezüglich Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz) beziehungsweise Deutsches Autorecht (zitiert nach Jahr und Seite) dergleichen
derselbe, demselben, denselben das heißt Dissertation Die Öffentliche Verwaltung (zitiert nach Jahr und Seite) Deutsches Recht (zitiert nach Jahr und Seite) Deutsche Richterzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) Deutsche Rechts-Zeitschrift (zitiert nach Jahr und Seite) Dreher/Tröndle, Strafgesetzbuch und Nebengesetze Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Ehegesetz Einleitung (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten etc. et cetera EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift (zitiert nach Jahr und Seite) evtl. eventuell f. folgende FAG Gesetz über Fernmeldeanlagen fortfolgende ff. FG Festgabe Fn. Fußnote(n) FS Festschrift GA Goltdammer's Archiv für Strafrecht (zitiert nach Band, Jahr und Seite bzw. nach Jahr und Seite) Gedächtnisschrift GedS Gefährlichk. Gefährlichkeit Gef.del. Gefährdungsdelikte Gef.delikte Gefährdungsdelikte Gef.Erfolgsdel. Gefährdungs-Erfolgsdelikte Gef.Motivtheorie Gefährlichkeits-Motivtheorie Gef.Präs. theorie Gefahr-Präsumtionstheorie gesetzl. gesetzlich GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ggf. gegebenenfalls GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
AbkÜfzungsverzeichnis
15
Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung Großer Senat (für Strafsachen) Grundkurs Der Gerichtssaal (zitiert nach Band, Jahr und Seite), Großer Senat Gesetz- und Verordnungs blatt für Berlin hinsich tlich herrschende Meinung Halbsatz herausgegeben in dubio pro reo in der Regel im engeren Sinne insbesondere im Sinne in Verbindung im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter (zitiert nach Jahr und Seite) jeweils Jura-Kartei, Beilage der JA (zitiert nach Jahr, Paragraph, Gesetz und Nummer) JR Juristische Rundschau (zitiert nach Jahr und Seite) Juristische Ausbildung (zitiert nach Jahr und Seite) Jura JuS Juristische Schulung (zitiert nach Jahr und Seite) Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite) JW Juristenzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) JZ JZ-GD Juristenzeitung - Gesetzgebungsdienst, Beilage der JZ (zitiert nach Jahr und Seite) KG Kammergericht Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum GerichtsverfasKK sungsgesetz (mit Einführungsgesetz) KMR Kommentar zur Strafprozeßordnung, begründet von Kleinknecht, Müller und Reitberger Kriminalistik Kriminalistik, Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis (zitiert nach Jahr und Seite) konkr. konkret LB Lehrbuch Landgericht LG li. Sp. linke Spalte Literatur Lit. LK Leipziger Kommentar, Strafgesetzbuch LMG Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen (Lebensmittelgesetz) LMBG Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz) LöwejRosenberg, Die Strafprozeßordnung und das GerichtsverfassungsgeLR setz, Großkommentar Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen (zitiert nach Band und LRE Seite)
GmbHG GrS GrundK GS GVBl. Bin hinsichtl. h.M. HS hrsg. i.d.p.r. i.d.R. i.e. S. insbes. i. S. i.V. i.w.S. JA jew. JK
16 mat. m.a.W MDR m.E. MRK m. w. Hinw. m.w.Nachw. (m. w. N.) nament\. NatSchG Bin
Abkürzungsverzeichnis materiell mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht (zitiert nach Jahr und Seite) meines Erachtens s. EMRK mit weiteren Hinweisen mit weiteren Nachweisen namentlich Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege von Berlin (Berliner Naturschutzgesetz) neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite) Nummer Nummern Neue Zeitschrift für Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (zitiert nach Jahr und Seite) oder ähnliches Oberlandesgericht österreichisches Strafgesetz Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
n.F. NJW Nr. Nm. NStZ NZV o.ä. OLG österr. StG OWiG poln. StGB, polnisches Strafgesetzbuch pStGB PrCrO 1805 Allgemeines Criminalrecht für die Preußischen Staaten, Erster Theil, Criminal=Ordnung (Preußische Criminalordnung) vom 11.12.1805 Reichsabgabenordnung RAO Randnummer(n) Rdn. Randzahl(en), Randziffer(n) Rdz. rechte Spalte re. Sp. Revisionsgericht RevG. RG Reichsgericht RGBL Reichsgesetzblatt RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) RPresseG Reichsgesetz über die Presse Rechtsprechung Rspr. RStGB, (R)StGB Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich Reichsstrafprozeßordnung RStPO S. Satz, Seite(n), Siehe s. siehe scilicet scil. sogenannt sgn. Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch SK s.o. siehe oben sog. sogenannt SjS SchönkejSchröder, Strafgesetzbuch, Kommentar StA Staatsanwaltschaft Gesetz zur Änderung des Strafrechts StÄG
Abkürzungsverzeichnis
17
Strafgesetzbuch Steuerpflichtiger Strafprozeßordnung streitig Strafrecht Gesetz über Straffreiheit Gesetz zur Reform des Strafrechts Strafverteidiger (zitiert nach Jahr und Seite) Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrs-Ordnung Tierseuchengesetz und u. unter anderem, und andere u.a. ung. StGB ungarisches Strafgesetzbuch unwiderleglich unwiderl. und öfter u.ö. und so weiter usw. unter Umständen u.U. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb UWG Variante Var. VereinszollG Vereinszollgesetz VersammlG Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) VerscholVerschollenheitsgesetz lenhG vgl. vergleiche Verbindungsmann, Vertrauensmann (vgl. Anlage D der Richtlinien für das V-Mann Strafverfahren und das Bußgeldverfahren [RiStBV]) Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht (zitiert nach Jahr VOR und Seite) Vor, Vorb., Vorbemerkungen Vorbem. Voraufl. Vorauflage Verkehrsrechts-Sammlung (zitiert nach Band und Seite) VRS widerleglich widerlegl. WiStG 1949 Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz) vom 26.7.1949 WuV Wirtschaft und Verwaltung (zitiert nach Jahr und Seite) z.B. zum Beispiel Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht (zitiert nach ZHR Band, Jahr und Seite) Ziffer(n) Ziff. Zeitschrift für das gesamte Lebensmitte1recht (zitiert nach Jahr und Seite) ZLR Zivilprozeßordnung ZPO Zeitschrift für Rechtspolitik (zitiert nach Jahr und Seite) ZRP Zeitschrift für Schweizerisches Recht (zitiert nach Band, Jahr und Seite) ZSchwR Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zitiert nach Band und ZStW Seite) zum Teil z.T. zwischen zw. StGB Stpfl StPO str. StrafR StrFreihG StrRG StV StVG StVO TierSG
2 Graul
18 z. Z. ZZP
Abkürzungsverzeichnis zur Zeit Zeitschrift für Zivilprozeß (zitiert nach Band, Jahr und Seite)
1. Abschnitt
Begriffsbestimmungen I Deliktskategorien Das Strafgesetzbuch enthält weder eine Legaldefinition noch den Begriff des abstrakten Gefährdungsdelikts. Trotzdem ist dieser Terminus in Rechtsprechung! und Literatur 2 allgemein anerkannt; er dient zur schlagwortartigen Kennzeichnung einer bestimmten Erscheinungsform von Delikten, ebenso wie die - im Gesetz gleichfalls nicht vorkommenden - Bezeichnungen ,,(schlichtes) Tätigkeitsdelikt" , "Erfolgsdelikt", "konkretes Gefährdungsdelikt" , "Verletzungsdelikt"3. Die Kriterien, nach denen ein Delikt der einen oder/und anderen Kategorie zugeordnet wird, gilt es im Folgenden herauszuarbeiten, um so zu einer Bestimmung dessen zu gelangen, was genau unter einem "abstrakten Gefährdungsdelikt" zu verstehen ist.
A. Schlichte Tätigkeitsdelikte I Erfolgsdelikte Nach dem geltenden Tatstrafrecht ist die äußere (außenweltliehe) Mindestvoraussetzung eines jeden Verbrechens (i. w. S.4), d.h. einer jeden Straftat, das Vorliegen einer menschlichen HandlungS (im strafrechtlichen Sinne 6 ). Von den 1 S. BGH NJW 1982, 2329li. Sp. und NStZ 1985,408 [409]: ,,§ 306 Nr. 2 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt"; so auch bereits BGHSt26, 121 [123]. 2 S. z. B. S/S/Cramer Vorbem. §§ 306ff. Rdn. 3 (3 a u. 4); D/Tröndle Vor § 13 Rdn. 13 a; Lackner Vor § 13 Anm. 3; SK-Rudolphi Vor §306 Rdn.15 (bis 18); LK 9 -Heimann-Trosien Ein!. Rdn.69; Arzt/Weber LH 2 Bem.44, S. 13; Jescheck AT § 26 II 2, S. 237/238; Jakobs AT6/86, S.145; Blei AT §23IV2a, S.82; Bockelmann/Volk AT §19I1, S.151/152; Schmidhäuser AT 8/103, S.254, 255; Wesseis AT § 1 II 3 b, S.6; Maurach/Zipf AT 1 § 20 Rdn. 31, S. 277; Baumann/Weber AT § 12H2 by, S.135; WelzelStrafR§ 12H, S. 63; s. des weiteren z. B. die Titel der Dissertationen von Volz "Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte" und Brehm "Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts" sowie der Untersuchung von Cramer "Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt" . 3 Der Begriff "Unternehmensdelikt" findet sich als solcher zwar auch nicht im Gesetz; jedoch ist in § 11 I Nr. 6 StGB die Legaldefinition dessen aufgestellt, was unter dem "Unternehmen einer Tat" zu verstehen ist, nämlich: "deren Versuch und deren Vollendung". 4 Im Unterschied zu dem in § 12 I StGB definierten Begriff des Verbrechens i. e. S. 5 Denn Verbrechen ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte (zurechenbare) Handlung (s. z. B. S/S/Lenckner Vorbem. §§ 13ff. Rdn.12 u. 23; Maurach/Zipf AT 1 § 13 Rdn.5, S.161 u. § 19 Rdn.1, S.254), die mit Kriminalstrafe bedroht ist. Von diesem formellen Verbrechensbegriff unterscheidet sich die Ordnungswidrigkeit lediglich dadurch, daß letztere gemäß der in § 1 I OWiG aufgestellten (formalen) Begriffsbestim-
2*
20
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Wirkungen her, die eine solche - bisweilen näher umschriebene - Handlung haben oder nicht haben muß, um den Tatbestand eines Strafgesetzes zu erfüllen, lassen sich die Straftatbestände zunächst einteilen in Erfolgs- und (schlichte) Tätigkeitsdelikte. Der Unterschied zwischen diesen beiden Deliktsgruppen besteht in folgendem: Bei den Erfolgsdelikten wird im gesetzlichen Tatbestand der Eintritt eines von der Handlung raum-zeitlich 7 oder zumindest gedanklich 8 (logisch-begrifflich 9 ) abgrenzbaren Effekts/Sachverhalts (Erfolges) vorausgesetzt, der mit der Handlung durch eine Kausalkette verbunden ist 10 . Bei den (schlichten) Tätigkeitsdelikten dagegen bildet die Handlung als solche den tatbestandsmäßigen Schlußpunkt 11, ohne daß es auf den Eintritt eines Erfolges im eben gekennzeichneten Sinne ankäme 12 (Beispiel: § 316 StGB [Trunkenheit im Verkehr)). Der eben umschriebene Erfolgsbegriff ist allgemein anerkannt. Daneben wird jedoch mitunter noch ein anderer Erfolgsbegriff verwandt. So sprechen einige Autoren davon, daß jedes vollendete Delikt einen Erfolg habe 13 . Als Erfolg in diesem weiteren Sinne wird dabei die "Erfüllung des Tatbestandes" 14 bezeichnet. Auch die schlichten Tätigkeitsdelikte haben nach dieser Auffassung einen Erfolg i. w. S., nämlich die Verwirklichung der tatbestandsmäßigen Handlung. Konstruktiv beruht dieser Erfolgsbegriff i. w. S. auf der Vorstellung, daß man "die ,Handlung' als Erfolg (i. w. S.) des ,HandeIns' "15 oder (besser) als "eine Wirkung des Willensimpulses des Täters"16 auffassen könne. Dieser Begriff des Erfolges i. w. S. ist als "unfruchtbar und verwirrend"17 bzw. als dogmatisch bedeutungslos 18 bezeichnet worden. Das ist jedoch jedenfalls dann nicht richtig, wenn man z. B. im Rahmen des § 13 I StGB [Begehen durch mung "eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung [ist], die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zuläßt". 6 Womit hier ohne Festlegung auf eine bestimmte Handlungslehre und lediglich in Abgrenzung zur sog. Nichthandlung - ein vom menschlichen Willen beherrschtes oder beherrschbares Verhalten (und zwar vornehmlich ein sog. positives Tun) gemeint ist. 7 Jescheck AT § 26 II 1 a, S.234. 8 Wesseis AT § 1 II 2 a, S.5. 9 Horn, Konkrete Gefabrdungsdelikte, S.9. 10 Baumann/Weber AT § 16III 1, S.201; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S.8; Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt, S. 7. 11 Maurach/Zipj AT 1 §20 Rdn.27, S.276. 12 Jescheck AT §26II 1 b, S. 237; Jakobs AT 6/85, S.144/145. 13 Maurach/Zipj AT 1 § 20 Rdn. 27, S. 276; so der Sache nach auch Baumann/Weber AT § 16 III 1, S.201. 14 Maurach/Zipj AT 1 §20 Rdn.27, S.276. 15 Baumann/Weber AT § 16 III 1, S.201. 16 Jescheck AT § 26 II 1 a, S.234. 17 Schmidhäuser AT 8/39 Fn.12, S.213; ähnlich Stratenwerth AT I Rdn.207, S.82: " ... verwirrend, wenn nicht unzulässig". 18 Jescheck AT § 26 II 1 a, S.234.
A. Schlichte Tätigkeitsdelikte / Erfolgsdelikte
21
Unterlassen] die Auffassung vertritt, mit dem dort verwendeten Begriff des Erfolges sei nicht nur der oben umschriebene Erfolg i. S. der Erfolgsdelikte gemeint (Erfolg i. e. S.), sondern als Erfolg i. S. von § 13 I StGB sei schlicht "das tatbestandsmäßige Geschehen aufzufassen, das eine Strafbestimmung für die Vollendung der Straftat voraussetzt"19, d.h., unter Erfolg i.S. von § 13 I StGB könne man "auch die Verwirklichung eines schlichten Begehungstatbestandes verstehen"20. Denn bei einer derartigen Interpretation des Merkmals "Erfolg" in § 13 I StGB wird zumindest im Rahmen dieser Vorschrift der weite Erfolgsbegriff anerkannt und zugrunde gelegt. Die Frage nach der dogmatischen Bedeutung und Fruchtbarkeit des Erfolgsbegriffs i. w. S. kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, denn für die vorliegende Untersuchung ist dieser Begriff ohne Belang. Auch die Vertreter des weiten Erfolgsbegriffes erkennen nämlich an, daß unter Erfolg i. S. der Erfolgsdelikte nur der oben gekennzeichnete Erfolg i. e. S. zu verstehen ist, d. h. ein von der Handlung raum-zeitlich oder zumindest gedanklich trennbares Ereignis, das mit der Handlung qua Kausalität verbunden ise l .
19 S/S/ Stree § 13 Rdn. 3, wobei allerdings die - zumindest indirekte - IdentifIzierung der abstrakten Gefährdungsdelikte mit den schlichten Tätigkeitsdelikten nicht richtig ist, s. sogleich oben im Text nach Fn. 21 und in Fn. 28, des weiteren unten unter E bei Fn. 82 sowie unter G bei und nach Fn.437. 20 D/Tröndle § 13 Rdn.3 (ob Tröndle selbst dieser Auffassung ist, ist allerdings nicht völlig klar); so jedenfalls z. B. Gössel in: Maurach/Gössel/Zip! AT 2 §46 Rdn.7, S.182; BayObLG JR 1979,289 [290 li. Sp. dritter Abs., 290 re. Sp. unten/291 li. Sp. oben] bzgl. §§ 316, 13 StGB!; offensichtlich auch Horn JR 1979, 291 [292li. Sp. dritter Abs.], ebenfalls bzgl. §§ 316, 13 StGB!; konsequenterweise (s.o. bei, nach und in Fn.13 sowie in Fn.15) auch Baumann/Weber AT § 18 11 1, S. 236, allerdings mit unzutreffendem Beispiel, da das Herbeiführen (= Verursachen) einer Brandgefahr gern. § 310 a StGB eine Erfolgsverursachung i. S. der Erfolgsdelikte darstellt; Lackner § 13 Anm.3, wobei allerdings die Gleichsetzung der abstrakten Gefährdungsdelikte mit den schlichten Tätigkeitsdelikten nicht richtig ist, s. sogleich oben im Text nach Fn.21 und in Fn.28, des weiteren unten unter E bei Fn.82 sowie unter G bei und nach Fn. 437; anscheinend auch Stratenwerth AT I Rdn.1034, 1036, was jedoch in Anbetracht des in Rdn.207 Gesagten (s.o. Fn.17) inkonsequent ist; schließlich auch Arzt/Weber LH 2 Bem.158 Fn.9, S. 51, wobei diese Aussage jedoch in dem dortigen Zusammenhang fehl am Platz bzw. überflüssig ist, da Inbrandsetzen i. S. der §§ 306 ff. StGB die Verursachung eines Erfolges i. S. der Erfolgsdelikte bedeutet, s. sogleich bei und in Fn. 26. - A. A. (Erfolg i. S. des § 13 StGB nur Erfolg i.S. der Erfolgsdelikte = Erfolg i.e.S.) z.B. - konsequent (s.o. bei und in Fn.18)Jescheck AT § 58 III 2, S. 547/548; ders. in: LK § 13 Rdn.2 (dort allerdings mit [logisch] unrichtiger Einschränkung auf die lediglich eine Teilmenge der Erfolgsdelikte darstellenden Verletzungs- und Gefährdungserfolgsdelikte [so unten unter E den ersten Absatz], und zwar zudem auch noch auf solche im materiellen Sinne! [zu diesem Begriff s. unten unter G den Absatz vor Fn.436], s. unten Fn.456 a.E.); SK-Rudolphi §13 Rdn.10 u. 14; BockelmannjVolk AT § 17 A 11, S. 133; anscheinend auch - konsequent (s.o. bei und in Fn.17) - Schmidhäuser AT 16/68, S.682. 21 Maurach/Zip! AT1 §20 Rdn.27, S.276; Baumann/Weber AT §16III 1 a, S.201; Jescheck AT § 26 II 1 a, S.234, der den Erfolgsbegriff i. w. S. ja ohnehin für dogmatisch bedeutungslos erachtet (a. a. 0.).
22
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Die Beschaffenheit dieses von der Handlung abstrahierbaren Ereignisses ist für die Abgrenzung zwischen Erfolgs- und (schlichten) Tätigkeitsdelikten ohne Bedeutung. D.h.: Hat man lediglich die Unterscheidung zu den (schlichten) Tätigkeitsdelikten im Blick, dann lassen sich als Erfolgsdelikte (i. e. S.) ganz allgemein alle Delikte ansehen, bei denen im gesetzlichen Tatbestand "irgendein" von der Handlung abstrahierbares Ereignis bzw. "irgendeine" von der Handlung abgrenzbare Wirkung (an einem Handlungsobjekt) vorausgesetzt wird. Diese vorherrschende allgemeine Betrachtungsweise führt dazu, daß z. B. auch die Aussagedelikte (§§ 153 ff. StG B) wegen des - angeblichen - Erfordernisses der Wahrnehmung der Aussage durch das Gericht 22 oder die Beleidigungstatbestände der§§ 185ff. StGB wegen des Erfordernisses des Zugehens der fraglichen Äußerung23 als Erfolgsdelikte bezeichnet werden können 24 ; auch die Herstellung von Falschgeld (§ 146 1 Nr.1 1. Alt. StGB) sowie die Herstellung einer sonstigen unechten Urkunde i. S. des § 267 11. Var. StGB können hiernach als Erfolgsdelikte angesehen werden, da das Resultat der Handlung, der Erfolg, in dem (unerwünschten) Produkt, dem Falschgeld bzw. der sonstigen unechten Urkunde, besteht 2s • Und schließlich ist hiernach auch § 306 Nr. 2 StGB [Schwere Brandstiftung] ein Erfolgsdelikt, da das von der Handlung abgrenzbare Ereignis, der Erfolg, in dem Inbrandgeratensein der fraglichen Räumlichkeit, d. h. ihrem selbständigen Brennen, besteht 26 • Die §§153ff., 186, 187, 2671 1. Var. und 306 Nr.2 StGB sind jedoch anerkanntermaßen (auch) abstrakte Gefährdungsdelikte 27 • Dies zeigt, daß jene 22 So Schmidhäuser AT 8/38 Fn. 11, S. 213 und Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, S.23 mit Fn.22. 23 So Jescheck AT §26 II 1 a, S. 234 (unter Beispiele); Maurach/Zipf AT 1 § 20 Rdn. 28, S.276; Stratenwerth AT I Rdn.211, S.83; LK 9 -Heimann-Trosien Einl. Rdn.66. 24 So jeweils die in Fn. 22 und 23 Genannten a. a. 0.; bzgl. der Aussagedelikte vgl. auch Jakobs AT 6/85, S.145 und 29/2, S.646. Ganz überwiegend werden die §§153ff. StGB allerdings als (schlichte) Tätigkeitsdelikte bezeichnet (s. Haft AT 3. Teil §6 Nr.l, S.58; OUo GrundK AT §4II12, S.39; Blei AT §231Vl a, S.82; Maurach/Zipf ATl §20 Rdn.28, S.276; Baumann/Weber AT § 12 II 2 b a, S.133; Wesseis AT § 1 II 2 b, S.6; BockelmannjVolk AT § 191, S.151; Stratenwerth ATI Rdn.206, S.82; S/S/Lenckner Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 130; Lackner Vor § 13 Anm. IV 3; D /Tröndle Vor § 13 Rdn. 13; LK 9 - HeimannTrosien Ein!. Rdn.67). Dies beruht - anscheinend - darauf, daß entweder jenes Wahrnehmungserfordernis verneint wird (so Haft a.a.O.; vgl. auch z.B. S/S/Lenckner § 156 Rdn.19 u. § 153 Rdn. 6 a.E.) oder daß mehr auf die Irrelevanz weiterer Folgen (Erfolge), wie z.B. die Täuschung des Gerichts (so Wesseis a.a.O.) oder gar die Verurteilung eines anderen (vgl. Ouo a. a. 0.) oder das Entstehen eines sonstigen Nachteils für einen anderen (vgl. Blei a. a. 0.), abgestellt wird. 25 So bzgl. §2671 1. Var. StGB Jakobs AT 6/78, S.142; vgl. auch SK-Samson §267 Rdn.77: Herstellen einer unechten Urkunde = "täterschaftliche Verursachung der Existenz einer unechten Urkunde" (Hervorhebung von mir). 26 So SK-Horn §306 Rdn. 3,10,11,12,13 und 17; vgl. auch Schmidhäuser AT 8/40, S.214; Maurach/Zipf AT 1 §20 Rdn. 30, S.277 und Jakobs AT 29/2 mit Fn.1, S.646.
A. Schlichte Tätigkeitsdelikte / Erfolgsdelikte
23
allgemeine Betrachtungsweise, nach der jedes Delikt mit irgendeinem von der Handlung abstrahierbaren Ereignis als Erfolgsdelikt anzusehen ist, für die Abgrenzung zwischen Erfolgs- und abstrakten Gefahrdungsdelikten ungeeignet ist. Denn hiernach kann ein Delikt zugleich Erfolgs- und abstraktes Gefahrdungsdelikt sein 28 • Das ist zwar - bei jener allgemeinen Bestimmung des Erfolgsbegriffs - kein logischer Widerspruch, jedoch insofern verwirrend, als die abstrakten Gefährdungsdelikte häufig im Gegensatz zu den Erfolgsdelikten gesehen werden 29 • Letzteres liegt möglicherweise daran, daß bei dieser Sichtweise nicht jener allgemeine Erfolgsbegriff (i. e. S.) zugrunde gelegt, sondern das Augenmerk nur auf die beiden Untergruppen der Verletzungs(erfolgs)delikte und der konkreten Gefährdungs(erfolgs)delikte gerichtet wird 30 • 27 So (z. B.) bzgl. §§ 153ff. StGB: S/S/Lenckner Vorbem. §§ 153ff. Rdn.2 und insbes. (s.o. Fn. 22 u. 24) auch Schmidhäuser AT 8/103, S. 255 und Jakobs AT 6/86, S.145; bzgl. §§ 186, 187 StGB: S/S/Lenckner § 186 Rdn. 1, 5, 8,17 u. § 187 Rdn. 3 i. V. mit § 186 Rdn. 5 und insbes. (s.o. Fn.23 u. 24) auch Jescheck AT § 26 11 2, S.238; bzgl. § 267 StGB: Baumann/Weber AT §12II2by, S.135; bzgl. §306 Nr.2 StGB: der BGH, s.o. Fn.1; S/S/Cramer § 306 Rdn. 2 und insbes. (s.o. Fn. 26) auch SK-Horn § 306 Rdn. 2, Schmidhäuser AT 8/103, S. 255, Maurach/Zipf AT 1 §20 Rdn. 32, S. 277 und Jakobs AT 6/86, S.145. Und was schließlich § 146 1 Nr. 1 1. Alt. StGB anbelangt, so muß insofern das gleiche (abstraktes Gefährdungsdelikt) gelten wie für § 267 (11. Var.) StGB, da beide Delikte gleich strukturiert sind und die Geldfälschung (nur) ein Sonderfall der Urkundenfälschung (bezogen auf den Geldverkehr) ist. 28 So ausdrücklich Jakobs AT 6/86, S.145: "Sowohl' Tätigkeitsdelikte als auch Erfolgsdelikte können abstrakte Gefährdungsdelikte sein." Diese völlig richtige Aussage, die sich - wie sich später (s. unten unter G bei und nach Fn.437) zeigen wird - zudem noch dahin "erweitern" läßt, daß sogar auch Verletzungs- und konkrete Gefährdungsdelikte - im formellen Sinne - abstrakte Gefährdungsdelikte sein können, hat Jakobs auch genau so gemeint, wie er sie formuliert hat (s. auch Jakobs a. a. O. Fn. 174: "Daß abstrakte Gefährdungsdelikte stets Tätigkeitsdelikte seien ... [,] ist falsch"). Es handelt sich daher bei Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung, S.57 Fn.19 um eine auf seiner eigenen unrichtigen Ansicht beruhende Fehldeutung, wenn er meint, bei Jakobs a.a.O. müsse es "statt Erfolgs- wohl Unterlassungsdelikte heißen". - S. z. B. auch Schroeder ZStWBeiheft 1982, 1 [3], der der - unrichtigen - Auffassung, abstrakte Gefährdungsdelikte seien stets schlichte Tätigkeitsdelikte (s. sogleich Fn.29), zutreffend entgegenhält: "Ein abstraktes Gefährdungsdelikt kann ... durchaus einen ,Erfolg' haben (z. B. Brunnenvergiftung, §319 StGB)." 29 So ausdrücklich D/Tröndle Vor § 13 Rdn. 13 a: "Keine Erfolgsdelikte sind die abstrakten Gefährdungsdelikte"; so auch diejenigen, die - ebenfalls fälschlicherweise meinen, abstrakte Gefährdungsdelikte seien stets (schlichte) Tätigkeitsdelikte, z. B. Berz a.a.O. (Fn.28) S. 57 u. 64; BockelmannfVolk AT §191 1, S.151; Ostendorf JuS 1982, 426 [429li. Sp.]; anscheinend auch Lackner § 13 Anm.3, S/S/Stree § 13 Rdn.3, Schünemann JA 1975, 793 oberer Teil und Geidies NJW 1989, 821 [unter 11 Ziff. 2 u. 4]. Die von D/Tröndle a. a. O. verwendete Formulierung besagt zwar genau genommen nichts anderes (als daß abstrakte Gefährdungsdelikte stets Tätigkeitsdelikte seien, s. auch D/Tröndle a. a. 0.: Der Tatbestand der abstrakten Gefährdungsdelikte "verlangt nicht den Eintritt einer Gefahr, sondern beschreibt ein bloßes Tun ... "), eröffnet aber eher die Möglichkeit eines Erklärungsversuchs (s. sogleich oben im Text). 30 Dafür, daß die abstrakten Gefährdungsdelikte im Gegensatz zu den Verletzungsund konkreten Gefährdungs-Erfolgsdelikten gesehen werden, sprechen sowohl der
24
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
B. Verletzungs- und konkrete Gefährdungs-Erfolgsdelikte Verletzungs(erfolgs)delikte sind solche Erfolgsdelikte, bei denen jenes von der Handlung abstrahierbare Ereignis, der Erfolg, in der Verletzung, d.h. Schädigung = negativen Veränderung/Beeinflussung eines Handlungsobjekts besteht, während bei den konkreten Gefahrdungs(erfolgs)delikten der Erfolg im Eintritt einer konkreten Verletzungs-Gefahr für das Angriffsobjekt liegt 31 • Daß auch der Eintritt einer konkreten Gefahr ein Erfolg i. e. S. (Gefahrerfolg) ist, ist heute allgemein anerkannt 32 • Unter konkreter Gefahr, d.h. unter einem konkreten Gefahrerfolg, ist ein - durch eine Handlung 33 verursachter - Zustand/SachKontext bei D/Trändle a. a. O. (Fn.29) als auch die Ausführungen bei OstendorJ a. a. O. (Fn.29) S.426 und 428 re. Sp. unter IV, dort insbes. auch der Hinweis auf das bei den Erfolgsdelikten zu dem Handlungsunrecht (s. dazu auch S.426 re. Sp.) hinzutretende Erfolgsunrecht. 31 Vgl. z. B. Jakobs AT 6/78 u. 79, S.142; Lackner Vor § 13 Anm. IV 3; Schmidhäuser AT 8/40 u. 41, S. 214, 215; Jescheck AT § 26 II 1 cu. 2, S. 237; Wesseis AT § 1 II 3 u. 3 a u. b, S.6. 32 Z. B. Gallas, Heinitz-FS, 171 [176]; Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt, S. 7; ders. Vor§ 13 Anm. IV 3; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 7u. S.11-14, 30;ders. in: SK Vor § 306 Rdn. 4; Schmidhäuser AT 8/39, 41, 42, S. 213, 214f. u. 8/103, S.254; Küper NJW 1976, 543 [544, 545]; Meyer-Gerhards JuS 1976, 228 [229, 230 u. insbes. 231]; Backmann MDR 1976, 969 [970, 971]; Lorenzen, Erfolgsqualifizierte Delikte, S.22, 23; OstendorJ JuS 1982, 426 [428 -430]; Jakobs AT 6/79, S. 142; Jescheck AT § 26 II 1 c u. 2, S.237; S/S/Stree § 13 Rdn.3; D/Trändle Vor § 13 Rdn.13 u. 13 a; Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung, S. 55 unten; Blei AT §23 IV2, S. 82; ders. JA 1975,804 [805]; Welzel StrafR §12II, S.63; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S.220-223; Baumann/Weber AT § 12II2 by, S.134; Arzt/Weber LH2 Bem. 61, S.19; Demuth VOR 1973,436 [450]; ders., Der normative Gefahrbegriff, S.16ff.; Schünemann JA 1975, 793 oberer Teil; Volk GA 1976, 161 [172]; Reinh. v. Hippel ZStW 75 (1963), 443 [448]; ders., Untersuchungen, S. 17; ders., Gefahrurteil, S.83/84; Seiler, Maurach-FS, 75 [85]; Bockelmann, Aufsätze, S. 87 [108 unten]. A. A. anscheinend nur BGHSt26, 176 [181] = NJW 1975, 1934 [1935 re. Sp.]; hiergegen insbes. Blei (JA), Küper, Meyer-Gerhards, Backmann, Demuth (Gefahrbegriff) und Lorenzen, alle jeweils a.a.O., wobei Backmann a. a. O. S. 970 zudem anhand von Beispielen belegt, daß der BGH in anderen Entscheidungen die konkrete Gefahr durchaus als Erfolg begreift; ein weiteres Beispiel hierfür ist die Entscheidung BGHSt 26, 244, wo der BGH ausdrücklich von dem "Eintritt einer konkreten Todesgefahr für einen anderen Menschen als Folge seiner [seil. des Täters] ... Handlung" spricht (Hervorhebung von mir). Festzuhalten ist somit, daß die Entscheidung BGHSt 26, 176ff. insofern, als sie den Erfolgscharakter der konkreten Gefahr verneint, nicht überbewertet werden sollte, zumal es dem BGH in jener Entscheidung auch nicht so sehr um eine Klärung des Charakters der konkreten Gefahr ging, als vielmehr darum darzulegen, daß es sich bei der in verschiedenen Regelbeispielen und Qualifikationen vorausgesetzten konkreten Gefahr, z. B. des Todes oder einer schweren Körperverletzung i.S. des §224 StGB (s. z.B. §§113 II Nr.2, 250 I Nr.3 StGB), nicht um eine "besondere Folge der Tat" i. S. des § 18 StG B (bzw. bei Regelbeispielen i. S. des analog anzuwendenden § 18 StG B) handelt, sondern um ein "normales" Tatbestandsmerkmal, welches gern. § 15 StGB (bzw. bei Regelbeispielen entsprechend § 15 StGB) Vorsatz erfordert. 33 Selbstverständlich kann eine Gefahr (ein Gefahrerfolg) auch durch etwas anderes als eine menschliche Handlung (i. S. eines positiven Tuns), z. B. durch Naturereignisse, verursacht werden, nur ist sie dann sub specie konkretes Gefahrdungsdelikt irrelevant-
C. Tat-, Handlungs- und Angriffsobjekt
25
verhalt zu verstehen, der aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose das Urteil trägt, die Verletzung eines - wirklich vorhanden gewesenen 34 Angriffsobjekts sei wahrscheinlich gewesen bzw. habe nahegelegen 35 •
C. Tat-, Handlungs- und Angriffsobjekt Handlungs-, Angriffs- oder Tatobjekt - diese Begriffe werden synonym verwendet - ist der konkrete Gegenstand, an dem sich die tatbestandsmäßige Handlung vollzieht bzw. auf den sie sich bezieht36 • Dabei sind mit dem Begriff "Gegenstand" nicht nur körperliche Gegenstände 37, sondern auch unkörperliche (immaterielle) - aber gleichwohl seiende, real existierende und (durch menschliche Handlungen) kausal verletzbare - Gegenstände gemeint 38 , wie es sei denn, es steht eine Stralbarkeit wegen Unterlassens der (möglichen) Gefahr(erfolgs)abwendung zur Debatte. 34 S. dazu insbes. Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S.161 ff. 3S Vgl. z. B. Lackner §315c Anm. 5 a u. aa; SjSjCramer Vorbern. §§306ff. Rdn.5 und insbes. Gallas, Heinitz-FS, 171 [177-179]. 36 S. z.B. Jescheck AT §2614, S.233; WesseIs AT § 112, S.2; MaurachjZip! AT 1 § 19 Rdn. 12 u. 14, S. 259; BaumannjWeber AT § 1211 3 a, S. 140; Schmidhäuser AT 2j32, S. 38; Stratenwerth AT I Rdn. 209, S. 82; s. auch 0 tto GrundK AT § 1 113 a u. 4 d, S. 7 u. 10; Welzel StrafR § 11 1, S.5; SjSjLenckner Vorbem. §§ 13ff. Rn.9; etwas differenzierter Jakobs AT 2j6, S. 29, der unter Angriffsobjekten nur solche Handlungsobjekte versteht, die nicht - wie z. B. die unerwünschten Produkte einer Geld- oder (sonstigen) UrkundenraIschung - rechtlich negativ bewertet werden; (völlig) anders dagegen Blei AT, der zwar unter Handlungsobjekt dasselbe versteht wie die anderen Autoren (s. § 23 1112 a, S. 81) - s. die Definition oben im Text -, der jedoch im Gegensatz zu den anderen Autoren, die ausdrücklich zwischen Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekt einerseits und Rechtsgut andererseits unterscheiden, den Begriff des Angriffsobjekts nicht mit dem des Handlungsobjekts gleichsetzt, sondern - gerade umgekehrt - mit dem des Rechtsguts (§ 24 I u. 11, S. 89). 37 So aber Stratenwerth ATI Rdn. 209,210, S.82, 83; Blei AT §23III2a, S.81; MaurachjZip! AT 1 § 19 Rdn.12 u. 14, S.259; SjSjLenckner Vorbern. §§ 13ff. Rdn.9, s. demgegenüber aber z. B. SjSj Lenckner§ 166 Rdn.4, wo als Angriffsobjekt des § 166 I StGB "der Inhalt des [seil. religiösen oder weltanschaulichen] Bekenntnisses" (Hervorhebungen dort) - ein zweifellos unkörperlicher Gegenstand! - bezeichnet wird. - Die Beschränkung der Bezeichnungen "Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekt" auf körperliche Gegenstände ist zumindest vom Standpunkt derer aus, die einen "vergeistigten", "abstrakten", "ideellen" Rechtsgutsbegriffvertreten (so z.B. Blei AT §2411, S.89 und SjSj Lenckner Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 9), nicht sinnvoll, da dies u. a. dazu führt, daß häufig unkörperliche - aber auch (sogar) körperliche - reale Gegenstände im Widerspruch zur eigenen Begriffsbildung, also fälschlicherweise, als Rechtsgut bezeichnet werden; s. z. B. SjSj Lenckner, der den realen, konkret gefährdbaren öffentlichen Frieden (§ 166 Rdn. 12) als Rechts- bzw. Schutzgut des § 166 StGB bezeichnet (Vorbern. §§ 166ff. Rdn.2 u. § 166 Rdn. 1); s. des weiteren Blei AT § 23 IV 1 b u. 2 b, S.82, der davon spricht, daß bei den Verletzungs-Erfolgsdelikten die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts eingetreten sein müsse - eine kausale Verletzung, d. h. ein kausaler Verletzungserfolg, kann aber nur an einem realen Gegenstand (und nicht an einem "gedanklichen Gebilde" o.ä. [so Blei AT 2411, S. 89] eintreten, s. z.B. Schmidhäuser, Engisch-FS, 433 [445 zweiter Abs.].
26
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Z. B. die öffentliche Sicherheit 39 (vgl. § 125 StGB), der öffentliche Frieden40 (vgl. §§ 126, 130, 166 StGB), die Wahrheitsfindung in einem konkreten Verfahren 41 (vgl. §§ 153ff. StGB), die Gefühle 42 eines anderen (vgl. § 183a StGB), die Ehre bzw. der Geltungsanspruch des Betroffenen43 (vgl. §§ 185 ff. StGB) oder der Wille 44 bzw. die Willensentschließungs- und/oder Willensbetätigungsfreiheit des Betroffenen (vgl. §§ 240, 239 StGB)4s. 38 So wohl auch die anderen Autoren, deren Definitionen oder Hinweise die Einschränkung auf körperliche Gegenstände nicht enthalten, z. B. Jescheck AT § 26 I 4, S.233 u. insbes. 234; Otto GrundK AT § 1 II 3 a u. 4d, S. 7 u. 10; Schmidhäuser AT 2/32, S.38; Wesseis AT § 1 12, S. 2; Jakobs AT 2/6, S. 29; Baumann/Weber AT § 12 II 3 a, S. 140. 39 S. LK - v. Bubnoff§ 125 Rdn. 18: (Zunächst: Darlegung, daß die öffentliche Sicherheit eine objektive und eine subjektive Komponente hat. Sodann:) "Nach der objektiven Seite ist die öffentliche Sicherheit Angriffsgegenstand des gewalttätigen, nach der subjektiven Seite Angriffsgegenstand des bedrohenden Landfriedensbruchs ( ... )." 40 S. dazu sogleich unter D I nach Fn.46. 41 S. Otto GrundK AT § 1 II 4 d bb, S. 10: ,,§ 153: Angriffsobjekt: die Wahrheitsfindung in einem konkreten Verfahren." 42 S. dazu unten Fn. 54, 129 u. 213. 43 S. Jescheck AT §26I4, S.233/234: "Das Handlungsobjekt kann in verschiedener Gestalt auftreten: ... als sozialer Wert (Geltungsanspruch des Beleidigten) ... " sowie dens. in: LK Vor § 13 Rdn.6: "Von dem Rechtsgut als ideellem Wert ist das Handlungs- oder Angriffsobjekt zu unterscheiden, das den einzelnen Strafvorschriften als Gegenstand der realen [!] Welt zugrunde liegt und in verschiedener Gestalt auftreten kann (z. B.... als Geltungsanspruch des Beleidigten, §§185ff.)."; s. auch BGHSt (GrS) 11, 67 [70/71]: "Angriffsobjekt der Beleidigung ist die dem Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommende innere Ehre, außerdem seine darauf beruhende Geltung, sein guter Ruf innerhalb der mitmenschlichen Gesellschaft ... Aus der inneren Ehre fließt der durch § 185 StGB strafbewehrte Rechtsanspruch eines jeden, daß weder seine innere Ehre noch sein guter äußerer Ruf geringschätzig beurteilt oder gar völlig mißachtet, daß er vielmehr entsprechend seiner inneren Ehre behandelt werde." - Zur Ehre s. des näheren unter D I nach Fn.53. 44 S. Schmidhäuser AT 8/127, S. 269: "In einer Reihe von Unrechtstatbeständen ist der Wille des Betroffenen (unmittelbar oder mittelbar) als Tatobjekt geschildert, nämlich bei allen Delikten, die eine Nötigung enthalten ... "; S. 270: "Tatbestandliches Tatobjekt ist der entgegenstehende Wille des Betroffenen bei der Nötigung (§240) ... " 4S Wenn die Beispiele, die die verschiedenen Autoren für das Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekt eines bestimmten Straftatbestandes geben, mitunter differieren, so liegt das zum einen an den unterschiedlichen Auffassungen von dem Begriff "Gegenstand" und zum anderen daran, daß zahlreiche Tatbestände ohnehin - auch nach dem engen (körperlichen) Gegenstandsbegriff - mehrere Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekte haben. So hat z. B. § 308 I 2. Alt. StGB (mindestens) zwei körperliche Tat-, Handlungsoder Angriffsobjekte, nämlich das in Brand gesetzte und das durch den Brand bedrohte ("abstrakt-konkret" gefährdete) Objekt. Bei § 263 StGB lassen sich dagegen nur von dem weiten Gegenstandsbegriff aus zwei Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekte ausmachen, nämlich "der unter Täuschung Verfügende" (s. Maurach/Zip! AT 1 § 19 Rdn.16 a.E., S. 260) als körperliches Handlungsobjekt (richtigerweise bzw. genauer: das Vorstellungsvermögen bzw. -bild der zu täuschenden [oder im Irrtum zu belassenden] Person als unkörperliches Tatobjekt) und das Vermögen des Geschädigten (s. Jescheck AT §26I4, S.234) als (weiteres) unkörperliches Angriffsobjekt. Und bei den §§ 153ff. und 185ff. StGB - um auf die oben angesprochenen Komplexe zurückzukommen - kann man
D. I. Zur Realität unkörperlicher Gegenstände
27
D. Exkurs Die beiden im zweiten Teil der Bestimmung des Gegenstands-Begriffs enthaltenen Hauptaussagen bedürfen zur Vermeidung von Mißverständnissen einer näheren Erläuterung.
I. Zur Realität unkörperlicher Gegenstände "Unkörperlich"j"immateriell" ist nicht gleichbedeutend mit "ideal"j "ideell", "gedanklich", "geistig", "nur in der Vorstellung vorhanden", "irreal". Ein unkörperlicherjimmaterieller Gegenstand ist also nicht ein (rein) gedankliches, geistiges Gebilde, das dementsprechend auch nur - wenn überhaupt gedanklich, geistig (durch einen entgegenstehenden Willen) "verletzt" werden kann, sondern ein immaterieller Gegenstand i. S. der obigen Definition ist eine Erscheinung der realen Welt, die zwar kein körperlicher Gegenstand ist, aber dennoch etwas Reales, das durch menschliche Handlungen kausal verändert (beeinträchtigt) werden kann46 • ebenfalls nur von dem weiten Gegenstandsbegriff her zwei Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekte ausmachen, nämlich zum einen die Person, die die fragliche Äußerung (angeblich) wahrnehmen muß (bzgl. der §§ 153ff. StGB s. Schmidhäuser AT 8/38 Fn.11, S. 213; Jakobs AT 6/85, S.145 u. 29/2, S. 646; Schürmann, Unterlassungsstratbarkeit, S. 23 mit Fn. 22 u. 23 -vgl. aber auch z. B. S/S/Lenckner§ 156 Rdn.19 u. § 153 Rdn. 6 a.E. - ; bzgl. der §§ 185 ff. StGB s. Jescheck AT § 26 11 1 a, S. 234 [unter Beispiele]; MaurachjZipj AT 1 §20 Rdn.28, S.276), als körperliches Handlungsobjekt (bzw. genauer: ihr [sinnliches] Wahrnehmungsvermögen und - i.d.R. - ihren Verstand als unkörperliche Tatobjekte) und zum anderen die Wahrheitsfindung in dem konkreten Verfahren (s. OUo GrundK AT § 1 II4d bb, S.10) bzw. die Ehre (den Geltungsanspruch) des Betroffenen (s. Jescheck AT §26 I 4, S.234) als (weitere) unkörperliche Angriffsobjekte; bei den § 185ff. StGB könnte man allerdings auch, insbesondere wenn man nur körperliche Gegenstände als Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekt akzeptiert, den Betroffenen selbst als (bei natürlichen Personen) körperliches Tatobjekt ansehen (mit dem Vorhandensein eines körperlichen Tatobjekts ist ja noch nicht unbedingt gesagt, daß sich auch die tatbestandsmäßige Handlung hieran körperlich vollziehen muß bzw. daß sich die Tathandlung auf das Tatobjekt gerade in seiner Körperlichkeit beziehen muß, wie auch das obige Beispiel des § 263 StGB zeigt, wo "die unter Täuschung verfügende Person" nicht in ihrer Körperlichkeit angegriffen wird, sondern in ihrer Fähigkeit, sich Gedanken und Vorstellungen zu machen). Nicht zuletzt dies, d. h. die Bezeichnung des Betroffenen als Tatobjekt der §§ 185ff. StGB, zeigt aber auch, daß der weite Gegenstandsbegriff - neben anderen Vorteilen - wesentlich bessere und korrektere Differenzierungsmöglichkeiten eröffnet. Denn ein bestimmter anderer Mensch ist - in dieser Allgemeinheit - Handlungsobjekt sehr vieler und (sehr) unterschiedlicher Tatbestände, z.B. der §§211/212, 223, 239, 240 StGB und eben auch der §§ 185ff. StGB. Es erscheint daher wesentlich vorteilhafter, als Handlungsobjekt dieser Tatbestände nicht nur allgemein den bestimmten Menschen, z. B. Herrn Müller, anzusehen, sondern auch genau den Bereich dieses Menschen, auf den sich die jeweilige Tathandlung bezieht, als Angriffsobjekt zu qualifizieren, also z. B. das Leben von Herrn Müller als Angriffsobjekt der §§211, 212 StGB, seine körperliche und seelische Gesundheit als Angriffsobjekte des §223 StGB, seine WillensentschIießungs- und/oder Willensbetätigungsfreiheit als Angriffsobjekte der §§240, 239 StGB und eben auch seine Ehre bzw. seinen Geltungsanspruch als Angriffsobjekt der §§ 185ff. StGB.
28
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Beispiel: Der in der Bundesrepublik Deutschland (normalerweise/überwiegend) herrschende öffentliche Frieden, ein zweifellos unkörperlicher Gegenstand 47 , ist etwas real Vorhandenes, nämlich der in der Bundesrepublik (überwiegend) herrschende Zustand des von Furcht freien Zusammenlebens der Bevölkerung48 • Dieser reale Zustand kann auch durch menschliche Handlungen kausal verändert werden. So liegt eine Störung des öffentlichen Friedens und damit ein Verletzungserfolg i. S. des § 126 StGB a. F. [Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung eines gemeingefahrliehen Verbrechens]49 z. B. dann vor, wenn die Bevölkerung der Kleinstadt X dadurch, daß jemand die oberhalb der Ortschaft gelegene Talsperre zu zerstören droht (§ 312 StGB), tagelang in Angst und Schrecken versetzt wird und sogar auch größtenteils das von der anscheinend möglichen Überschwemmung bedrohte Gebiet panikartig verläßtSo. 46 Im Rahmen der Definition des Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekts ist unter einern immateriellen Gegenstand also nicht ein von der Wirklichkeit "losgelöstes, im Reich der Werte herumschwebendes Gedankending" (i.S. einer immateriellen [Miß-]Deutung des Rechtsguts) zu verstehen (s. Salm, Das versuchte Verbrechen, S.180; zu Salm und seiner "dialektischen Fehldeutung" des Rechtsguts s. unten Fn. 374 und unter F 111 bei und in Fn. 393); sondern "immateriell" ist hier einfach nur i. S. von real, aber "nicht körperlich", "nicht aus Materie bestehend" bzw. besser: "nicht selbst Materie/Körper seiend" gemeint, was natürlich andererseits nicht ausschließt, daß diese realen Gegenstände, die selbst keine körperlichen Gegenstände sind, häufig (bzw. letztendlich immer?) an körperliche Gegenstände gebunden bzw. vom Vorhandensein körperlicher Gegenstände abhängig sind. So sind beispielsweise das Leben oder die (körperliche oder seelische [I]) Gesundheit - anders: der Körper selbst bei der körper!. Unversehrtheit i. e. S. - oder der Wille eines bestimmten Menschen (m. E.) selbst keine körperlichen Gegenstände, auch wenn sie zweifellos (unmittelbar oder mittelbar) an den Körper dieses Menschen, also einen körperlichen Gegenstand, gebunden sind; oder: der öffentliche Frieden, ein selbst zweifellos unkörperlicher Gegenstand, ist letztlich ebenfalls von körperlichen Gegenständen, nämlich dem Vorhandensein von Menschen, die frei von Furcht zusammenleben, abhängig; zum öffentlichen Frieden s. auch sogleich oben im Text. 47 S. dazu auch Fn.46. 48 S. (des näheren) z.B. LK 9 -Hübner § 126 Rdn.7 u. 8; LK-v.Bubnoff § 126 Rdn.8; S/S/Lenckner § 126 Rdn.1. 49 § 126 StGB a. F. (bis zum 30.4.1976) verlangte als Taterfolg eine tatsächliche Störung des öffentlichen Friedens, war also als Verletzungs(erfolgs)delikt ausgestaltet (s. z. B. LK 9 _ Hübner § 126 Rdn.1 unter 11). In der heutigen Fassung (des am 1.5.1976 in Kraft getretenen 14. StÄG vom 22.4.1976 mit technischen Änderungen durch das 18. StÄG vom 28.3.1980) erfordert § 126 StGB [Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten] - ebenso wie die §§ 130 StGB [Volksverhetzung] und 166 StG B [Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen] - nur noch die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, wobei streitig ist, ob es sich bei diesen Delikten um konkrete Gefährdungsdelikte (so z. B. Gallas, Heinitz-FS, 171 [182]; SK-Rudolphi§126 Rdn. 7,§ 130 Rdn. 9 unter 4 b,§ 166 Rdn.14; S/S/Lenckner§ 126 Rdn. 9, § 130 Rdn. 9, § 166 Rdn.12; ZipfNJW 1969, 1944 re. Sp.; LK-Dippel § 166 Rdn.2 u. 34) oder um sog. potentielle Gefahrdungsdelikte - eine (Spiel-)Art der abstrakten Gefährdungsdelikte (vg!. dazu z. B. Lackner Vor § 13 Anm. IV 3 und D/Tröndle Vor § 13 Rdn.13 a) - handelt (so z. B. Lackner § 126 Anm.2 c; D/Tröndle § 126 Rdn.7, § 130 Rdn.2; LK-v.BubnojJ§126 Rdn.2, §130 Rdn.1 a.E. u. 5; OLGHamburg NJW1975, 1088 [1089]; ähnlich Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 183, 188 mit Fn. 512, 189-192: potentielle Verletzungsdelikte); s. dazu unten unter HI bei und nach Fn.473, insbes. bei und nach Fn.480.
D. I. Zur Realität unkörperlicher Gegenstände
29
Ein weiteres Beispiel für einen unkörperlichen, aber gleichwohl realen, kausal veränderbaren Gegenstand, welcher durch die fraglichen Tathandlungen auch kausal in die Gefahr einer Bestandsveränderung gebracht wird, ist das konkrete Eigentumsrecht einer bestimmten Person an einer bestimmten Sache, welches durch die Tathandlungen des § 297 StGB [Schiffsgefährdung durch Bannware] in die Gefahr einer realen Beeinträchtigung (Vernichtung) durch Beschlagnahme S1 oder Einziehung 52 gebracht wird 53. Ob auch die Ehre eines bestimmten Menschen ein realer, kausal verletzbarer Gegenstand ist, scheint allerdings nicht ganz unzweifelhaft zu sein. Sie ist es zwar fraglos dann, wenn man i. S. eines faktischen Ehrbegriffs als Ehre das subjektive Ehrgefühl 54 (als Gegenstand der gegenüber dem Betroffenen selbst begangenen Beleidigung) und den guten Ruf "in seiner realen Existenz"55 (als Angriffsobjekt der - gegenüber Dritten geäußerten - üblen Nachrede und Verleumdung) ansieht S6 • Sie scheint es jedoch dann nicht zu sein, wenn man die Ehre i. S. eines (rein) normativen Ehrbegriffs 57 als den wirklichen Geltungswert einer Person definiert bzw. als Angriffsobjekt der §§ 185 ff. StGB den aus diesem Geltungswert fließenden verdienten Geltungs- oder Achtungsanspruch ansieht und die "Ehrverletzung" durch Dritte in der Zuwiderhandlung gegen diesen Achtungs9.
50
Zur Störung des öffentlichen Friedens vgl. insbes. auch LK9 -Hübner § 126 Rdn. 7 u.
51 S. § 111 c V StPO [Beschlagnahme]: "Die Beschlagnahme eines Gegenstandes nach den Absätzen 1 bis 4 hat die Wirkung eines Veräußerungsverbotes im Sinne des § 136 des Bürgerlichen Gesetzbuches; das Verbot umfaßt auch andere Verfügungen als Veräußerungen." S2 S. § 74e I StGB [Wirkung der Einziehung]: "Wird ein Gegenstand eingezogen, so geht das Eigentum an der Sache oder das eingezogene Recht mit der Rechtskraft der Entscheidung auf den Staat über." 53 Nach Schroeder ZRP 1978, 12 [13 oben] ist §297 StGB "das Eigentumsdelikt par excellence" (Hervorhebungen dort), da es sich hier um einen Tatbestand handelt, "der das Eigentum im Rechtssinne schützt und die - durchaus reale - Gefahr von dessen Vernichtung erfaßt". 54 Eine Gefühlsverletzung als kausaler Verletzungserfolg i. S. der Erfolgsdelikte (Le. S.) findet sich z. B. heute noch in§ 183 a StGB [Erregung öffentlichen Ärgernisses], s. z. B. Blei AT §23 IV 1 b u. 2 b, S. 82; Lackner§ 183a Anm. 3; Maurach/Zipj AT 1 § 19 Rdn.15 a.E., S.260; S/S/Lenckner §183a Rdn.5; D/Tröndle §183a Rdn.5; Jescheck AT §26IIla, S.234 (unter Beispiele). S5 SO die Beschreibung bei S/S/Lenckner Vorbem. §§ 185ff. Rdn.l (der jedoch selbst eine andere Auffassung vertritt). 56 Zu dieser (dualistischen) faktischen Ehrauffassung s. die Darstellung, Kritik und Nachweise bei Hirsch, Ehre und Beleidigung, S.l u. S. 14-28, insbes. S.l mit Fn.2, S.14/15 mit Fn.2 u. S.19 mit Fn.17 a. E.; vgl. hierzu auch die Beschreibung und Nachweise bei LK 9 -Herdegen Vor § 185 Rdn.3. S7 Für die (dualistische) normativ-faktische Ehrauffassung (vgl. hierzu die Darstellungen [Kritik] und Nachweise bei Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 3/4 mit Fn. 9 u. S.17 -28; LK 9 -Herdegen Vor§ 185 Rdn. 2; S/S/LencknerVorbem.§§ 185ff. Rdn.l) gelten die obigen Ausführungen zum faktischen und zum normativen Ehrbegriff entsprechend der jeweiligen Komponente ebenso.
30
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
anspruch erblickt S8 , wodurch jedoch "der Ehrumfang in seinem Bestand nicht geändert" wird S9. Der Begriff der Verletzung wird dann nämlich nicht wie bei den Verletzung-Erjolgsdelikten i. S. einer kausalen Veränderung eines realen Gegenstandes verwendet, sondern in der anderen Bedeutung der Zuwiderhandlung gegen eine Norm 60, ein Recht, einen Anspruch oder dergl. 61. Versteht man die Begriffe "Ehre" und "Ehrverletzung" so, dann stellt die Ehrverletzung durch Beleidigung also keinen kausalen Verletzungserfolg i. S. der Erfolgsdelikte (i.e.S.) dar 62 ; gleichwohl muß man aber auch dann die Ehre einer bestimmten Person bzw. ihren Geltungs- oder Achtungsanspruch als einen realen Gegenstand ansehen 63 , nicht anders als andere - wirklich existierende - (Rechts-) 58 So, mit Unterschieden im einzelnen, die wohl überwiegende Meinung, z. B. Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 3, 29-32 u. S.153 3. Abs.; WelzelStrafR §42 11, S. 303 -305; SKRudolphi Vor § 185 Rdn.5; Wesseis BT 1 § 10 11, S.94; S/S/Lenckner Vorbem. §§ 185ff. Rdn.l; s. auch LK 9 -Herdegen Vor§ 185 Rdn.l; SchmidhäuserBT 5/1, 2, S. 20.- Fast auf das gleiche kommt es heraus - so wird gesagt (s. S/S/Lenckner Vorbem. §§ 185ff. Rdn.4 i. V. mit Rdn. 2 a. E.) -, wenn man i. S. eines "normativ-faktisch-normativen Ehrbegriffs" zwar zwischen innerer und äußerer Ehre differenziert und unter innerer Ehre, praktisch gleichbedeutend mit dem (rein) normativen Ehrbegriff, den wirklichen Wert eines Menschen - bzw. den diesem entsprechenden Achtungsanspruch - versteht (normative Komponente) und die äußere Ehre in dem guten Ruf (Ansehen) einer Person sieht (faktische Komponente), diese faktische Komponente jedoch wiederum normativ dahingehend einschränkt, daß der äußere gute Ruf nur insoweit geschützt wird, als er auch verdient ist, d. h. der inneren Ehre entspricht (so anscheinend BGHSt [GrS]11 , 67 [70/71], zitiert oben in Fn.43, zu dieser BGH-Entscheidung s. auch S/S/Lenckner Vorbem. §§ 185ff. Rdn.l und Hirsch a.a.O. S. 3/4 mit Fn. 9 a.E.; ähnlich LK 9 -Herdegen Vor § 185 Rdn.4). Zu den Vor- und Nachteilen der letzteren Sichtweise s. unten Fn.73. 59 Welzel StrafR § 42 I 1 aß, S. 305; ähnlich bereits Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 32. 60 S. Amelung, Rechtsgüterschutz, S.188 Fn.70. 61 S. Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 30, der ausdrücklich erklärt, "daß der Begriff der Verletzung in einem doppelten Sinne verwandt wird. Einmal in der Bedeutung einer Substanz- oder Zustandsveränderung, was hier ausscheidet, dann aber auch im Sinne einer Zuwiderhandlung gegen ein Interesse und insbesondere eine Achtungsforderung, die von einem ideellen Objekt ausgeht." Ebenso Welzel StrafR § 42 laß, S. 304/305. - Dabei darf die von Hirsch und Welzel, jeweils a. a. 0., für die Ehre verwendete Bezeichnung als "ideelles Objekt" (s. auch Welzel StrafR § 1 I 1, S.4: "ideell-geistiges Objekt") wohl nicht dahingehend (miß)verstanden werden, daß damit etwas Irreales, in Wirklichkeit nicht Vorhandenes gemeint sei. Denn daß unter der Ehre trotz dieser Bezeichnung etwas real Vorhandenes verstanden wird, ergibt sich z. B. daraus, daß Welzel vom "vorhandenen Ehrbestand" sowie davon spricht, daß die Ehre minderungsfähig sei (StrafR §4211, S. 303), allerdings nur durch den Ehrträger selbst (StrafR § 42 I 1 aß, S. 305), was jedoch in bezug auf die damit zum Ausdruck gebrachte und anerkannte Tatsache der realen Existenz und der realen Veränderbarkeit (des Umfangs) der Ehre ohne Belang ist. Ähnlich, aber noch plastischer erklärt Hirsch, daß die Ehre, allerdings ebenfalls nur durch den Ehrträger selbst, "in ihrer Substanz" vermindert werden könne (Ehre und Beleidigung S. 32), und schließlich spricht Hirsch im Zusammenhang mit der Ehre Verstorbener auch von einem "realen Phänomen" (a.a.O. S.126 unten). 62 S. dazu auch unten Fn. 68. 63 S. dazu auch oben Fn. 61 (unterer Teil). Was für die Ehre gilt, gilt auch für den aus ihr fließenden Achtungsanspruch, dieser ist also z. B. auch - durch den Ehrträger selbst real minderungsfähig, also kausal veränderbar und damit ebenfalls ein realer Gegenstand.
D. I. Zur Realität unkörperlicher Gegenstände
31
Ansprüche, wie z. B. die Forderung des A gegen B auf Zahlung von 1.000,DM, auch. Und ebenso wie ein vertraglicher Anspruch nicht nur durch vertragswidriges Verhalten "verletzt", sondern auch, Z.B. durch Erfüllung, in seinem Bestand kausal verändert, nämlich zum Erlöschen gebracht werden kann, muß man wohl sagen, daß auch die Ehre bzw. der Achtungsanspruch einer Person, wenn auch nicht durch Beleidigung, so aber doch durch die Tötung der Person kausal verändert (vernichtet) werden kann 64.65, und zwar unabhängig davon, ob man meint, die Ehre einer Person erlösche sofort bei ihrem Tod 66, oder ob man die Auffassung vertritt, dieser Erfolg - ein (Verletzungs-)Erfolg i. e. S. - trete erst später ein 67 • Allerdings ist diese Art der kausalen Ehrverletzung nicht - unter diesem Aspekt, d. h. dem Aspekt der Ehrverletzung strafbar. Es ist daher festzuhalten, daß auch die Ehre im normativen Sinne sowie der aus ihr fließende Achtungsanspruch reale Gegenstände sind, die zwar auch kausal verändert (vermindert, vernichtet) werden können, daß jedoch die Verletzung, die der Ehre bzw. dem aus ihr fließenden verdienten Achtungsanspruch durch die Tathandlungen des § 185 StGB - Kundgabe eigener unverdienter Miß- oder Nichtachtung - zuteil wird, keine Verletzung i. S. einer kausalen Veränderung eines realen Gegenstandes, also kein Verletzungserfolg i. S. der Erfolgsdelikte ist 68 • Vielmehr handelt es sich - wie gezeigt - bei der - S. auch BGHSt (GrS) 11, 67 [71], zitiert oben in Fn. 43, wo von dem aus der (inneren) Ehre fließenden Rechtsanspruch gesprochen wird. Zu den ideellen Achtungsanspriichen i. S. des Schmidhäuserschen Rechtsgutsbegriffs, die keine realen Gegenstände sind, und ihrem Verhältnis zu dem hier behandelten realen Geltungs- oder Achtungsanspruch als Angriffsobjekt (und Rechtsgut[sobjekt]) der Ehrdelikte s. unten unter F 11 2 d bei und nach Fn. 267. 64 S. auch Binding, Normen I, S.333. 6S Daß die Ehre durch den Ehrträger selbst kausal verändert, nämlich vermindert werden kann, scheint ohnehin unzweifelhaft zu sein, s.o. Fn. 61 (unterer Teil); so z. B. auch SK-Rudolphi Vor § 185 Rdn.3 u.5. 66 So z. B. RGSt 13, 95/96; 26, 33 [34]; Binding BT 1 § 32 I A 4 b, S. 139; Blei BT § 26 III, S.102; S/S/Lenckner Vorbem. §§ 185ff. Rdn. 2; Maiwaldin: Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 § 24 Rdn. 13, S.220 und wohl auch das Gesetz: arg. §§ 185 ff. StG B einerseits, § 189 StGB andererseits (s. Kohlrausch/Lange Vorbem. III a. E. [S.449] vor § 185 sowie D/Tröndle § 189 Rdn. 1); offengelassen z. B. bei M aurach/ Schroeder BT 1 § 24 11 A 3, S. 202 und SK-Rudolphi Vor § 185 Rdn. 7. 67 SO Z. B. Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 125 ff. [128]; Schmidhäuser BT 5/1, S. 60; Welzel StrafR §421 1 b ß, S.305; LK-Herdegen § 189 Rdn. 2. 68 Daß eine "Verletzung" des Achtungsanspruchs in Form der Zuwiderhandlung gegen diesen Anspruch durch Kundgabe eigener Mißachtung (§ 185 StGB) erst dann vorliegt bzw. vollendet ist, wenn der Ehrträger selbst oder ein Dritter die Kundgabe der Mißachtung akustisch oder optisch wahrgenommen hat, also ein Erfolg i. e. S. - eben der Wahrnehmungserfolg - eingetreten ist, ändert daran nichts. Denn der Wahrnehmungserfolg ist kein Verletzungserfolg i. S. der ersten Wortbedeutung, da die sinnliche Wahrnehmung als solche (Hören, Sehen) keine Schädigung des Wahrnehmenden bzw. genauer: seiner Sinnesorgane darstellt. (Auch wenn man das geistige Erfassen des ehrenrührigen Sinns der Äußerung verlangen würde, was jedoch nach zutreffender Ansicht jedenfalls im
32
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
"Ehrverletzung" durch Kundgabe eigener unverdienter Miß- oder Nichtachtung nur um eine Verletzung i. S. der zweiten Wortbedeutung, nämlich um eine Zuwiderhandlung gegen den aus der Ehre fließenden verdienten Achtungsanspruch. Dementsprechend ist es auch unrichtig bzw. schief, wenn gesagt wird, dieser Achtungsanspruch würde durch die Verwirklichung der §§ 186,187 StGB - Ermöglichung oder Förderung fremder (möglicherweise) unverdienter Mißachtung 69 - gefahrdet1°. Denn ebensowenig wie der Achtungsanspruch Falle der Kundgabe eigener Mißachtung [§ 185 StG B] nicht erforderlich ist [so z. B. Wesseis BT 1 § 10 II 3, S. 99], läge kein Verletzungserfolg i. S. der ersten Wortbedeutung vor, da das geistige Verstehen als solches den Geist oder Verstand einer Person ebenfalls nicht schädigt.) - Es ist daher unrichtig bzw. schief, wenn Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 32 ausführt: "Auch bei der Verletzung der normativen Ehre handelt es sich um einen Erfolg! Er besteht in dem Sinngehalt, den das Zugehen der beleidigenden Erklärung hat: dem Eintreten der Verletzung des Achtungsanspruchs und damit der Verletzung der Ehre selbst." Richtig ist zwar, daß ein vollendeter Verstoß gegen den Achtungsanspruch einen Erfolg (i. e. S.), nämlich den Wahrnehmungserfolg, voraussetzt; die "Ehrverletzung" selbst ist jedoch kein (Verletzungs-)Erfolg (i.e.S.), sondern eben ein Verstoß gegen den Achtungsanspruch (welcher seinerseits eben nur das Unterlassen solcher Mißachtungskundgebungen, die andere wahrnehmen, verlangt). - Man kann daher nur sagen, die "Ehrverletzung" sei ein "Verletzungs"-Erfolg in dem Sinne, daß mit dem Erfolg i. e. S., der Wahrnehmung der Mißachtungsäußerung, eine "Verletzung" i. S. der zweiten Wortbedeutung, d. h. eine" Verletzung" i. S. der vollendeten Zuwiderhandlung gegen den Achtungsanspruch, eintritt. 69 § 186 StGB erfaßt auch Fälle der Ermöglichung oder Förderung nur möglicherweise unverdienter fremder Mißachtung, da die Strafbarkeit ja nur entfällt, wenn sich die Tatsache als erweislich wahr herausstellt. § 187 StGB erfaßt dagegen ausschließlich Fälle der Ermöglichung oder Förderung tatsächlich unverdienter fremder Mißachtung, da dieser Tatbestand nur erwiesenermaßen unwahre Tatsachen betrifft. 70 So S/S/LencknerVorbem. §§ 185ff. Rdn.1 und Wesseis BT 1 § 10r 1, S. 94. Soweit mit der Verwirklichung der §§ 186, 187 StGB neben dem Ermöglichen oder Fördern fremder unverdienter Mißachtung notwendig zugleich eine Kundgabe eigener unverdienter Mißachtung verbunden ist, was zweifellos beim Behaupten (= Als-nach-eigenerÜberzeugung-richtig-Hinstellen) erwiesenermaßen unwahrer ehrenrühriger Tatsachen gegenüber Dritten der Fall ist (= bei positiver Kenntnis der Unwahrheit §187 StGB, ansonsten § 186 StGB), liegt natürlich neben der "Ehrgefährdung" im sogleich oben im Text dargelegten Sinne auch eine "Ehrverletzung" i. S. einer (eigenen) Zuwiderhandlung gegen den Achtungsanspruch vor; diese ist allerdings nicht selbständig mit Strafe bedroht, da unter § 185 StGB, was unwahre ehrenrührige Tatsachenbehauptung anbelangt, mir deren Kundgabe gegenüber dem Betroffenen fällt. Ob auch im Behaupten ehrenruhriger Tatsachen mit zweifelhaftem/unaufklärbarem Wahrheitsgehalt gegenüber Dritten (§ 186 StGB) zusätzlich eine "Ehrverletzung" zu sehen ist, hängt davon ab, ob man eine Zuwiderhandlung gegen den Achtungsanspruch nur bei der Kundgabe eigener, erwiesenermaßen unverdienter Mißachtung annimmt (vgl. S/S/Lenckner § 185 Rdn. 6 einerseits) oder ob man eine solche Zuwiderhandlung auch bereits bei der Kundgabe eigener, nur möglicherweise unverdienter Mißachtung annehmen will (vgl. S/S/Lenckner § 186 Rdn. 21 andererseits, wo mit Blick auf§ 185 StGB [der allerdings bei reinen Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten (ohnehin) nicht anwendbar ist, s.o.] pauschal, d.h. ohne Differenzierung nach dem Wahrheitsgehalt, von "der in dem Behaupten ehrenrühriger Tatsachen notwendig enthaltenen Mißachtung" die Rede ist). Und ob schließlich nicht nur in dem Behaupten, sondern auch im Verbreiten (= Weitergeben von Mitteilungen als Gegenstand fremden Wissens) möglicherweise und/oder erwiesenermaßen unwahrer ehrenrühriger
D. I. Zur Realität unkörperlicher Gegenstände
33
durch Kundgabe eigener Mißachtung kausal verletzt, d. h. in seinem Bestand verändert (vermindert) werden kann, kann er durch Ermöglichung oder Förderung fremder Mißachtung kausal gefährdet, d.h. in die Gefahr einer Bestandsveränderung (-verminderung) gebracht werden. Gemeint ist vielmehr, daß die Gefahr geschaffen wird 71 , daß andere den Achtungsanspruch ihrerseits durch Mißachtung i. S. der zweiten Wortbedeutung "verletzen"72, was jedoch von der - durch Ermöglichung oder Förderung fremder Mißachtung gar nicht möglichen - Gefährdung des Anspruchs selbst strikt zu trennen ist13 • Tatsachen (§§ 186, 187 StGB) - zusätzlich zu oder zugleich mit der (möglichen) "Ehrgeflihrdung" - eine "Ehrverletzung" zu sehen ist, hängt davon ab, ob man hierin bereits eine irgendwie geartete Mißachtung des Betroffenen durch den Täter erblickt (so für das Verbreiten [und Behaupten] erwiesenermaßen unwahrer Tatsachen [§ 187 StGB] Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 22 unten mit Fn. 24) oder sonst in dem Ermöglichen oder Fördern fremder (möglicherweise) unverdienter Mißachtung eine Zuwiderhandlung des Täters gegen den Achtungsanspruch sieht (s. dazu unten Fn. 72). 71 Dabei ist zu beachten, daß das Auftreten einer konkreten Gefahr zwar häufig, aber nicht erforderlich ist; es handelt sich bei den §§ 186, 187 StG B bzgl. des Hervorrufens oder Förderns fremder Mißachtung nur um abstrakte Gefährdungsdelikte (s. z. B. SjSjLenckner § 186 Rdn.5, 8 [u. 17] u. § 187 Rdn. 3). 72 Man kann hierin, d.h. in der Ermöglichung oder Förderung fremder Mißachtung, auch unschwer eine "Verletzung" des Achtungsanspruchs durch den Täter selbst sehen, indem man sagt, bereits die Ermöglichung oder Förderung fremder Mißachtung stelle eine Zuwiderhandlung gegen den Achtungsanspruch dar, weil dieser eben nicht nur besage, daß man die Kundgabe eigener Mißachtung zu unterlassen habe, sondern auch, daß die Ermöglichung oder Förderung fremder Mißachtung verboten sei. - Dies zeigt, wie leicht es möglich ist, durch geringe Akzentverschiebung und ohne irgendwe1che sachlichen Änderungen aus einem (abstrakten) Gefährdungsdelikt ein Verletzungsdelikt zu konstruieren - jedenfalls dann, wenn es um eine" Verletzung" i. S. der zweiten Wortbedeutung (Zuwiderhandlung gegen einen Anspruch, ein Verbot oder dergI.) geht. 73 Nimmt man nun einmal den Fall, daß es infolge des Täterverhaltens tatsächlich zu einer (unverdienten) Mißachtung seitens anderer gekommen ist, dann ergibt sich das seltene und seltsame Phänomen eines "Verletzungs" -Erfolges i. e. S. in der Weise, daß i. S. eines von der Handlung abgrenzbaren, mit dieser qua Kausalität verbundenen Ereignisses ein Erfolg herbeigeführt wird, der darin besteht, daß andere eine Anspruchs-"Verletzung" i. S. der zweiten Wortbedeutu,ng begehen - wobei ein zweites Phänomen zudem noch darin liegt, daß die Anspruchs-"Verletzung" durch die anderen nicht durch eine Zuwiderhandlung erfolgt, sondern nur in einem Zuwiderdenken besteht [feststellbar durch Befragung oder das allgemeine Verhalten der anderen, das sich jedoch keineswegs bis zur Kundgabe eigener Mißachtung i. S. des § 185 StGB zu steigern braucht]. - Diese etwas ungewöhnliche Konstruktion läßt sich zwar in Teilbereichen dadurch vermeiden, daß man das Angriffsobjekt der §§ 186,187 StGB in dem -normativ begrenzten (= verdienten)guten Ruf, dem - verdienten - Ansehen in den Augen anderer, sieht (s. o. Fn. 58). Denn bei dieser Sichtweise tritt durch das Umschlagen der Achtung anderer in Mißachtung Entsprechendes gilt dafür, daß die Achtung anderer (nur) in Gefahr gerät (in Mißachtung umzuschlagen) - eine kausale, nämlich durch die ehrenrührige Tatsachenbehauptung verursachte Veränderung eines realen Gegenstandes, nämlich eine Ruf- bzw. Ansehensminderung, also eine Verletzung bzw. ein Verletzungserfolg i. S. der ersten Wortbedeutung ein. Diese Konstruktion funktioniert aber nur dann, wenn das tatsächliche Ansehen mit dem wirklichen Wert des Betreffenden übereinstimmt oder wenn der tatsächliche Ruf unverdient gut ist, so daß die normative Korrektur lediglich dazu führt, daß der 3 Graul
34
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
11. Zur Kausalität Mit Kausalität ist nicht nur die naturwissenschaftlich-physikalische Kausalität, sondern - selbstverständlich - auch die psychisch vermittelte Kausalität gemeint, also die Kausalität im Bereich der realen seelisch-geistigen Phänomene. Beispiele: Jemand erzählt etwas Falsches, der andere glaubt dies, unterliegt also infolgedessen einem Irrtum und nimmt infolge des Irrtums eine vermögensschädigende VerfUgung vor (§ 263 StGB). Oder, um auf die obigen Beispiele zurückzukommen: Die Bevölkerung nimmt die Drohung ernst und gerät infolgedessen in Angst und Schrecken (§ 126 StGB a. F.); andere glauben die ehrenrührige Tatsachenbehauptung und mißachten infolgedessen den Betroffenen (§§ 186, 187 StGB)14.
E. Abgrenzung Verletzungs- und konkrete GefährdungsErfolgsdelik.te I abstrakte Gefährdungsdelik.te Ob man - und damit ist der obige Gedankengang (unter A a. E. [insbes. bei Fn. 30D wieder aufzunehmen - als Definitionsgrundlage der abstrakten Gefährdungsdelikte die Erfolgsdelikte (i. e. S.) allgemein oder nur die beiden Untergruppen der Verletzungs- und konkreten Gefährdungsdelikte heranzieht, ist deshalb ein Unterschied, weil die Verletzungs- und konkreten GefährdungsErfolgsdelikte nicht identisch sind mit den Erfolgsdelikten insgesamt - weshalb auch die mitunter anzutreffende Gleichsetzung dieser Kategorien 7S nicht richtig bzw. ungenau ist. Die Verletzungs- und konkreten Gefährdungsdelikte sind mit den Erfolgsdelikten insgesamt vielmehr nur teilidentisch, da sie nur eine vorhandene gute Ruf nicht in seinem tatsächlichen Umfang, sondern nur insoweit geschützt wird, als er auch verdient ist. Sie funktioniert jedoch dann nicht, wenn der tatsächliche Ruf unverdient schlecht ist oder wenn sich überhaupt kein oder nur ein partieller, fragmentarischer Ruf gebildet hat (s. zu diesen Fallkonstellationen auch Hirsch, Ehre und Beleidigung, S.18, 20 u. 22), so daß im Wege der normativen Korrektur eine "normative Rufsteigerung" vorgenommen werden muß. Denn die Figur der "normativen Rufsteigerung" vermag nichts daran zu ändern, daß - soweit die "normative Steigerung" reicht - faktisch, real kein Ruf vorhanden ist, der kausal durch die Mißachtung anderer verändert (verletzt) werden könnte. Was in solchen Fällen durch die Mißachtung anderer "verletzt" wird, ist nichts anderes als im Falle des rein normativen Ehrbegriffs, nämlich der verdiente Achtungsanspruch des Betroffenen. Ein "normativ korrigierter faktischer Ehrbegriff" hat also den ganz entscheidenden Nachteil, daß den §§ 186, 187 StG B nicht ein in allen Fällen einheitliches Angriffsobjekt zugrunde liegt. 74 Das Eintreten eines solchen Mißachtungserfolges ist jedoch zur Deliktsvollendung ebensowenig erforderlich wie das Eintreten einer diesbezüglichen konkreten Gefahr, s.o. Fn.71. 7S S. z. B. S/S/Stree § 13 Rdn. 3: "Erfolg i. S. der Erfolgsdelikte ... , d. h. die Verletzung des Handlungsobjekts oder dessen konkrete Gefährdung"; Jescheck AT § 26 11 1 c, S. 237: "Erfolg bedeutet die von der Handlung raum-zeitlich getrennte Verletzung oder Gefährdung des Handlungsobjekts"; dens. in: LK § 13 Rdn. 2: " ... bei Erfolgsdelikten ... , d. h. bei Delikten, bei denen der Erfolg in der Verletzung oder konkreten Gefährdung des geschützten Handlungsobjekts besteht"; Schmidhäuser AT 8/47, S. 219: "Erfolg (nämlich Verletzung oder Gefährdung)".
E. Verletzungs- und konkr. Gef.-Erfolgsdel. / abstr. Gef.delikte
35
Teilmenge derselben darstellen und diese Kategorie nicht vollständig und abschließend ausfüllen. M. a. W.: Nicht alle Erfolgsdelikte sind (zugleich) entweder Verletzungs- oder konkrete Gefährdungsdelikte 76. So sind z. B. die §§153ff., 186, 187 StGB zwar - in bezug auf die Wahrnehmung der jeweils fraglichen Äußerung durch das Gericht oder einen Dritten - Erfolgsdelikte bzw. können als solche angesehen werden 77 , sie sind jedoch weder Verletzungsnoch konkrete Gefährdungs(erfolgs)delikte. Denn dadurch, daß der Adressat, d.h. z. B. der Richter bei den §§ 153fT. StGB oder der Dritte bei den §§ 186, 187 StGB, die fragliche Äußerung wahr- bzw. zur Kenntnis nimmt, wird dieser (das Tat- oder Handlungsobjekt der §§ 153fT., 186, 187 StGB, bei dem nach den o.g. Meinungen der Erfolg [d.i. die Wahrnehmung] eintritt) nicht verletzt oder (konkret) gefährdet 78 • Und auch bei den §§ 146 I Nr.1 1. Alt. und 267 I 1. Var. StGB - Herstellung von Falschgeld oder einer (sonstigen) unechten Urkunde - besteht der Erfolg nicht in einer Verletzung oder Gefährdung eines bereits vorhandenen Tatobjekts, sondern - im Gegenteil- in der Existenz eines ganz neuen (allerdings unerwünschten) Produkts 79 • Legt man der Betrachtung nun speziell die Verletzungs- und konkreten Gefährdungsdelikte zugrunde, dann lassen sich im Unterschied hierzu, d. h. im Unterschied zu den Verletzungs- und konkreten Gefährdungs-Erfolgsdelikten, als abstrakte Gefährdungsdelikte solche Delikte bezeichnen, bei denen weder 76 Nur das Umgekehrte ist richtig: Die Verletzungs- und konkreten Gef3.hrdungserfolgsdelikte sind - per definitionem (s.o. unter B) - stets Erfolgsdelikte. - Zu der sich aus einem anderen Verletzungsbegriff ergebenden Möglichkeit, auch Nicht-Erfolgsdelikte als "Verletzungs"-Delikte zu bezeichnen, s. unten unter G nach Fn. 445. 77 S.o. Fn.22, 23 u. 24. 78 S. dazu bereits oben Fn. 68 oberer Teil.-Auch wenn man bei den §§ 153ff. StGBdie Wahrheitsfindung in dem konkreten Verfahren (so DUo GrundK AT § 1 II4d bb, S.10) und bei den §§ 186, 187 StGB den guten Ruf (das Ansehen) bzw. den Achtungsanspruch des Betroffenen (s.o. unter D I bei und nach Fn. 55) als jeweiliges Angriffsobjekt in den Blick rückt, handelt es sich insofern weder um Verletzungs- noch um konkrete Gef3.hrdungs- (noch überhaupt um) Erfolgsdelikte; denn weder die §§ 153 ff. StGB noch die §§ 186, 187 StG B erfordern eine Verletzung oder konkrete Gef3.hrdung des jeweiligen eben genannten Angriffsobjekts, bzgl. der §§153ff. StGB s. z.B. S/S/Lenckner Vorbern. §§ 153ff. Rdn.2: "unerheblich ist ... , ob durch die falsche Aussage die Ermittlung des wahren Sachverhalts tatsächlich gef3.hrdet worden ist" und Schmidhäuser, OLG Celle-FS, 207 [237], der allerdings die Frage aufwirft, ob es richtig, insbesondere "krirninalpolitisch geboten ist, für die Strafbarkeit der Falschaussage keinerlei konkrete Gefahr für die einzelne betroffene Wahrheitsermittlung zu verlangen"; a. A. Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 23 Fn. 22, der - allerdings ohne nähere Begründung - die (unzutreffende) Auffassung vertritt, dadurch, daß das Gericht die falsche Aussage vernimmt, werde eine "konkrete Gefahr für die Wahrheitsfindung in dem betreffenden Verfahren begründet"; bzgl. der §§ 186,187 StGB s.o. Fn.71 u. 74 und z. B. auch Maurach/Schroeder BT 1 § 24 III A, S. 205/206 und § 25 III 2 b, S. 214; etwas anders SK -Rudolphi § 186 Rdn. 8 u. 11; s. dazu, was bei den §§ 186, 187 StG B bzgl. des Angriffsobjekts "Achtungsanspruch" unter einem möglichen, aber nicht erforderlichen "Verletzungs-" oder "Gefährdungs-"Erfolg zu verstehen ist, oben unter D I bei und nach Fn.68 sowie in Fn. 73 am Anfang. 79 S. bzgl. §2671 1. Var. StGB Jakobs AT 6/78, S. 142.
3*
36
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
die HerbeiHihrung eines Verletzungserfolgs noch der Eintritt einer - konkreten - Gefahr zum Tatbestand gehört, d. h. zu dessen Erfüllung erforderlich ist. Abstrakte Gefährdungsdelikte sind demnach Nichtverletzungs- und Nichtgefährdungs(erfolgs)delikte und umgekehrt: Nichtverletzungs- und Nichtgefährdungs(erfolgs )delikte sind abstrakte Gefährdungsdelikte 80 • Indes ist diese Begriffsbestimmung in dieser Allgemeinheit, insbesondere im Hinblick auf die oben zugrunde gelegte Definition der Verletzungs- und konkreten Gefährdungsdelikte, immer noch nicht ganz zutreffend 81. Denn nach der obigen Definition, der zufolge Verletzungs- und konkrete Gefährdungs(erfolgs)delikte solche Delikte sind, bei denen der Erfolg der Handlung in einer Verletzung oder konkreten Gefährdung des Handlungsobjekts besteht, ist auch der allgemein als abstraktes Gefährdungsdelikt anerkannte § 306 Nr.2 StGB wegen des die Substanz verletzenden (selbständigen) Brennens des Hauses (zugleich) ein Verletzungs-Erfolgsdelikt 82 - eine Konstellation, die nach der eben getroffenen Definition der abstrakten Gefährdungsdelikte, nach der sich Verletzungs- und abstrakte Gefährdungsdelikte gegenseitig ausschließen sollten, nicht vorkommen dürfte. Dieser - scheinbare - Widerspruch, daß ein Delikt - nämlich z. B. § 306 Nr.2 StGB - zugleich Verletzungs- und abstraktes Gefährdungsdelikt ist, beruht auf der obigen Definition der Verletzungs- und konkreten Gefährdungsdelikte, bei welcher als Gegenstand der Verletzung oder konkreten Gefährdung rein formal auf das Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekt abgestellt wurde, ohne nach dem geschützten Rechtsgut zu fragen. Eine Abgrenzung der abstrakten Gefährdungsdelikte von den Verletzungs- und konkreten Gefährdungsdelikten ist jedoch nur möglich, wie das Beispiel des § 306 Nr. 2 StGB zeigt, wenn man den Gegenstand des Verletzungs- und konkreten Gefährdungserfolges - ebenso wie den Begriff des abstrakten Gefährdungsdelikts - vom geschützten Rechtsgut her bestimmt. Denn nur vom geschützten Rechtsgut her läßt sich das Hir einen Tatbestand relevante Objekt ausmachen, d. h. das Objekt, das durch die der fraglichen Strafvorschrift zugrundeliegende Strafnorm geschützt werden soll und das daher der materielle 83 und damit letztlich entscheidende Orientierungspunkt Hir die Beurteilung des Deliktscharakters eines Straftatbestandes ist. 80 Vgl. Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 215 zweiter Abs.; s. aber sogleich oben im Text und die Bemerkung in Fn. 81. 81 Sie ist auch wie sich später noch zeigen wird (s. unten unter G nach Fn. 445) wegen ihrer Beschränkung auf die Abgrenzung zu den Nichtverletzungs- und Nichtgefährdungs-Erfolgsdelikten so noch nicht allgemeingültig. 82 So ausdrücklich Schmidhäuser AT 8/40, S. 214 und Maurach/Zipf AT 1 §20 Rdn. 30, S.277; so auch, im Rahmen der Behandlung der Konkurrenzen, S/S/Cramer § 308 Rdn.20. 83 Dabei ist das Wort "materiell" hier nicht im Sinne seiner ersten Wortbedeutung (= "aus Materie bestehend", "körperlich") zu verstehen, wird hier also nicht i. S. der gegensätzlichen Bedeutung zu dem oben (s. unter C nach Fn. 36 und unter D I mit Fn. 46) verwendeten Begriff "immateriell" gebraucht; die Bezeichnung "materiell" ist hier
E. Verletzungs- und konkr. Gef.-Erfolgsdel. / abstr. Gef.delikte
37
Das in diesem Sinne relevante Objekt ist z. B. in § 306 Nr.2 StGB nicht das Wohngebäude (= Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekt), sondern ein anderer Mensch bzw. genauer: dessen Leben und Gesundheit. Denn geschütztes Rechtsgut des § 306 Nr. 2 StGB ist nicht das Eigentum (an Wohngebäuden)84, sondern das Leben und die körperliche Unversehrtheit (anderer Menschen)8s. Da es jedoch zur Erfüllung des Tatbestands des § 306 Nr.2 StGB auf eine Verletzung oder konkrete Gefährdung eines anderen Menschen nicht ankommt 86 , der Tatbestand vielmehr auch dann erfüllt ist, wenn sich zur Zeit der Inbrandsetzung tatsächlich gar kein Mensch in dem Gebäude befand, handelt es sich bei § 306 Nr. 2 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt 87 . Die abstrakten Gefährdungsdelikte sind demnach nur insofern Nichtverletzungs- und Nichtgefährdungsdelikte, als es auf eine Verletzung oder konkrete Gefährdung des für den Tatbestand relevanten Objekts nicht ankommt.
vielmehr i. S. der zweiten Wortbedeutung der Begriffe "material"/"materiell", also i. S. von "inhaltlich" zu verstehen und stellt somit eher einen Gegensatz zu den Begriffen "formal"j"formell" dar. 84 Auf die Eigentumsverhältnisse an dem in Brand gesetzten Wohngebäude kommt es nämlich nicht an (s. z. B. SjSjCramer § 306 Rdn. 2), denn ein auf die Brandstiftungsobjekte bezogenes Merkmal "fremd" findet sich in § 306 Nr. 2 StGB nicht; auch wer sein eigenes Wohnhaus anzündet, erfüllt den Tatbestand des § 306 Nr. 2 StGB (wenn das Haus zur Zeit der Tat noch als bewohnt, d. h. als zur Wohnung von Menschen dienend i. S. des § 306 Nr. 2 StGB, anzusehen ist, s. dazu S/S/Cramer §306 Rdn.6 a.E. m.w.N. und unten im 2. Abschnitt Fn. 174 zweiter Abs.). 85 H. M., s. z.B. SK-Horn §306 Rdn.2. 86 Denn ein die Verursachung derartiger Folgen erforderndes Merkmal, wie z. B. " ... und dadurch Leib oder Leben eines anderen ... gefährdet", enthält § 306 Nr. 2 StGBim Unterschied etwa zu § 311 I StGB [Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion]- nicht. 87 In allen Punkten h. M., s. z. B. SK-Horn § 306 Rdn. 2; BGHSt 26, 121 [123, 124]. Interessant ist, daß zur Beschreibung dieses Phänomens, daß aufgrund bzw. infolge der gesetzestechnischen Fassung des Brandstiftungstatbestandes zur Erfüllung desselben eine konkrete Gefährdung von Menschenleben nicht erforderlich ist, bereits bei Goltdammer in den Materialien zum Straf= Gesetzbuche für die Preußischen Staaten, Berlin 1852, Theil 11, S. 642 der Ausdruck "abstrakte Gefahr" verwendet wird. Dort heißt es nämlich in bezug auf das Gesetz gewordene System der Nennung bestimmter Gegenstände als Brandstiftungsobjekte (z. B. "Gebäude, welche zur Wohnung von Menschen dienen") im Unterschied zu dem anderen System, bei welchem einerseits die Brandstiftungsobjekte mehr allgemein bezeichnet werden, z. B. "eigene oder fremde Sachen" oder "Gebäude" (schlechthin), bei dem aber andererseits durch bestimmte Merkmale, wie z. B. "mit Gefahr für das Leben Anderer", die Möglichkeit "der richterlichen Beurtheilung in concreto über das Vorhandensein der gemeinen Gefahr" eröffnet wird (s. a.a.O. S.640) -: "Eine Consequenz dieses Systems [seil. der Nennung bestimmter Gegenstände] ist es dann, daß die Gefahr für Menschenleben abstrakt aufgefaßt ist, daß es also gleichgültig ist, ob in den §.285 [entspricht weitgehend dem heutigen § 306 StG B] bezeichneten Gegenständen zur Zeit des Brandes sich wirklich Menschen befunden haben, oder nicht ( ... ), ja ob sie zur Abwendungjeder Gefahr zuvor sorgfältig daraus entfernt sind. Die Gefahr in concreto ist nicht Erforderniß des Thatbestandes, sondern nur für die Zumessung der Strafe von Einfluß." (Hervorhebung von mir).
38
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Dieses für einen Tatbestand relevante Objekt ist, wenn man die Rechtsgüter als reale, kausal veränderbare Gegenstände (im oben 88 gekennzeichneten Sinne) auffaßt 89 , eben der durch die fragliche Strafnorm geschützte Gegenstand, d. h. das geschützte Rechtsgut (selbst); also z. B. ein konkreter anderer Mensch bzw. genauer: sein Leben (§§211, 212, 222 StGB), seine körperliche Unversehrtheit (§§ 223,224,230 StGB) oder seine Ehre bzw. sein Geltungsanspruch (§§ 185, 186, 187 StGB). Faßt man die (geschützten) Rechtsgüter oder Schutzobjekte - diese Begriffe werden synonym verwendet 90 - dagegen, wie heute anscheinend überwiegend Unter C und D I. So insbesondere Binding (s. namentlich Normen I S. 338 ff., 364/365) und Welzel (s. namentlich ZStW58 [1939],491 [511 Fn.30 (511-513)] und Kohlrausch-FS, 101 [110 Fn.10 (110/111)] sowie auch StrafR§10I2, S.500ben u. §11 111, S.620ben). -S.dazu ausführlich Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 187ff. unter der Überschrift "Das Rechtsgut i. S. Weizeis als der durch die Norm geschützte reale Gegenstand". 90 S. etwa Baumann/Weber AT § 12 11 3 a, S.139; Otto, Rechtsgutsbegriff, S.2; dens. GrundK AT §1114b u. d, S.9 u. 10; S/S/Lenckner Vorbem. §§13ff. Rdn.10; Arth. Kaufmann, Unrechtsbewußtsein, S. 120; Blei AT § 24 I u. 11, S.89 (allerdings setzen Blei und Arth. Kaufmann nicht nur die Begriffe "Rechtsgut" und "Schutzobjekt" gleich, sondern sie erklären diese Begriffe - im Unterschied zu den anderen Autoren - auch noch mit dem Begriff des Angriffsobjekts flir gleichbedeutend, s. auch oben Fn. 36); SKRudolphi Vor § 1 Rdn.4, 5, 6, 9, 9 a, 11, 11 a (Rechtsgut, Schutzgut). Davon abweichend setzt Herz, Formelle Tatbestandsverwirklichung, S. 37 den Begriff des Schutzobjekts mit dem des Rechtsgutsobjekts gleich (wobei er letzteres, das Rechtsgutsobjekt, - zu Unrecht - für "weitgehend gleichbedeutend" mit dem "Handlungs-, Angriffs- oder Tatobjekt" erachtet, a. a. O. S.35 u. 37). Trotz der weitgehenden Einigkeit, daß die Ausdrücke "Rechtsgut" und "Schutzobjekt" gleichbedeutend sind, ist gegenüber dem Ausdruck "Schutzobjekt" Vorsicht angebracht. So heißt es z. B. bzgl. § 306 Nr. 2 StGB bei S/S/Cramer § 306 Rdn. 4: "Das Gesetz will hier menschliche Wohnstätten als solche schützen"; ähnlich a. a. O. Rdn. 5, wo es heißt, § 306 Nr.2 StGB diene dem Schutz menschlicher Wohnungen; so auch Lackner §306 Anm.1: "Die Vorschrift schützt ... bestimmte menschliche Wohn- und Aufenthaltsstätten"; in diesem Sinne auch der BGH NJW 1982, 2329li. Sp.: "Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten zur Wohnung dienende Gebäude als Mittelpunkt menschlichen Lebens absolut geschützt werden, ohne im Einzelfall der Frage Bedeutung zukommen zu lassen, ob das geschützte Rechtsgut [?!] tatsächlich (konkret) gefährdet worden ist ( ... ). "; ähnlich bereits BGHSt 26, 121 [123]. Wenn in (all) diesen Ausführungen zum Ausdruck gebracht werden soll- und anders kann man diese Darlegungen kaum verstehen -, die in § 306 Nr. 2 StGB genannten Räumlichkeiten seien die Schutzobjekte, d. h. geschützten Rechtsgüter dieser Vorschrift, dann ist das nicht richtig. Denn geschützte Rechtsgüter des § 306 Nr. 2 StGB sind weder das Eigentum an Wohnraum (s.o. Fn.84) noch der Wohnraum als solcher, noch - wie möglicherweise M aurach/ Schroeder BT 2 § 52 11 1, S. 14 meinen - das fremde Hausrecht an dem Wohnraum, sondern (nur) das Leben und die körperliche Unversehrtheit anderer Menschen(s.o. unter E bei und in Fn.85). Darauf, daß die oben zitierten Ausflihrungen des BGH (NJW 1982, 2329 li. Sp.) zumindest widersprüchlich sind, hat auch bereits Bohnert JuS 1984,182 Fn.4 zu Recht hingewiesen und gefragt: "Was schützt nun § 306 Nr.2? Die Wohnung als Lebensmittelpunkt oder das Leben?" Ein weiterer Grund daflir, daß gegenüber dem Ausdruck "Schutzobjekt" Vorsicht angebracht ist, ist der, daß auch dann, wenn er richtigerweise zur Bezeichnung des wirklich geschützten "Gegenstandes" verwendet wird, noch weitere Unklarheiten bestehen (können). Denn wenn die Ausdrücke "Rechtsgut" und "Schutzobjekt" dasselbe meinen 88
89
E. Verletzungs- und konkr. Gef.-Erfolgsdel. / abstr. Gef.delikte
39
üblich, als von den realen Gegenständen abstrahierte Erscheinungen (ideelle Werte 91 der Sozialordnung92 , ideelle Sozialwerte 93 , ideelle Achtungsansprüche 94 , abstrakte Werte 9S oder ideelle Sachverhalte 96 , abstrakte, nur gedanklich faßbare Wertgattungen 97 , Rechtswerte oder Rechtsinteressen 98 , gedankliche Gebilde 99 , geistige Realitäten 100, Begriffe 101 oder dergl. 102 ) auf, dann ist das für (sollen), dann muß vom Standpunkt einer ideellen, abstrakten Rechtsgutsauffassung aus auch mit dem Ausdruck "Schutzobjekt" jener ideelle, abstrakte Gegenstand gemeint sein. Häufig scheint es jedoch so zu sein, daß auch diejenigen, die eine ideelle, abstrakte Auffassung vom Rechtsgut vertreten, mit dem Ausdruck "Schutzobjekt" - in Abweichung von der selbst erklärten oder doch üblicherweise vorauszusetzenden Übereinstimmung der Begriffe "Rechtsgut" und "Schutzobjekt" - nicht den ideellen Gegenstand meinen, sondern das geschützte Realobjekt (= Rechtsgut i. S. Welzels = Rechtsgutsobjekt bzw. geschütztes [tl Handlungsobjekt i. S. der sich von einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus ergebenden Terminologie). 91 Arth. Kaufmann, Unrechtsbewußtsein, S.120. 92 Jescheck AT, 3. Aufl. 1978, § 26 I 2 u. 4, S. 206 u. 208; ders. in: LK Vor § 13 Rdn.6; etwas anders Jescheck AT, 4. Aufl. 1988, § 26 I 2 u. 4, S. 232 u. 233: abstrakte bzw. geistige Werte der Sozialordnung. 93 Wesseis AT § 1 12, S.2. 94 Schmidhäuser AT 2/30, S.37; ders. StudB AT 5/26 u. 27, S.84. 9S Die in Fn. 96 Genannten (jew. a. a. 0.) sowie Jescheck AT § 26 I 2, S. 232 (s.o. Fn. 92). 96 Sax JZ 1976,429 [432 re. Sp.]; so auch Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung, S.35. 97 Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz, S. 14/15. Zu dieser Qualifikation der Rechtsgüter steht allerdings die von Jäger a. a. O. eine Seite zuvor (S.13 oberer Abs. a. E.) als "Zwischenbilanz" aufgestellte Beschreibung der Rechtsgüter in krassem, unauflöslichem Widerspruch: "Rechtsgüter sind werthafte Zustände, die durch menschliches Handeln verändert und die deshalb auch durch strafrechtliche Regelungen vor solchen Veränderungen bewahrt werden können. Mit anderen Worten: es sind verletzbare, schützbare Zustände." S. dazu, daß Jäger sich bei seiner Rechtsgutsbestimmung "in unentwirrbare Ungereimtheiten verstrickt", des näheren Amelung, Rechtsgüterschutz, S.302/303 [303]. 98 Baumann/Weber AT § 12 II 3 a, S.140. 99 Blei AT § 24 II, S. 89; Dtto GrundK AT § 1 II 3 a, S. 7; Arth. Kaufmann, Unrechtsbewußtsein, S.120; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S.115. 100 Dtto GrundK AT § 1 II 3 a u. 4 b, S.7 u. 9. 101 Maurach/Zipf AT 1 § 19 Rdn. 16, S. 260 (= Maurach AT, 4. Aufl. 1971, § 19 II A 2, S. 216) führen im Rahmen der Gegenüberstellung von Handlungsobjekt und Rechtsgut aus: "Bei den Vermögensdelikten [richtigerweise: Eigentumsdelikten] ist die Scheidung weiter verschärft: Handlungsobjekt von Diebstahl oder Sachbeschädigung ist die körperliche Sache, Rechtsgut sind Eigentum und Gewahrsam als Begriffe [!?]". - Diese Auffassung ist jedoch zweifellos verkehrt, "denn das Strafrecht schützt mit Sicherheit keine Begriffe" (Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 176 oberer Teil). Auf die Unhaltbarkeit einer solchen Auffassung hat bereits Keßler vor über 100 Jahren (nämlich 1887) mit aller Deutlichkeit gegenüber v. Liszt hingewiesen, der ebenfalls den Fehler begangen hatte zu behaupten, die Rechtsgüter seien bloße Begriffe. Damals hatte v. Liszt ZStW 6 (1886), 663 [674] Binding vorgeworfen, dieser verwechsle "Begriff und Ding, Vorstellung und Vorgestelltes". Sodann hatte v. Liszt die Frage aufgeworfen "Ist das Rechtsgut ein Begriff oder ein Ding?" und diese wie folgt beantwortet: "Das Rechtsgut des Eigentums ist also
40
I. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
den jeweiligen Tatbestand relevante (Real-)Objekt der reale, kausal veränderbare Gegenstand, in dem sich das geschützte Rechtsgut "verkörpert" 103, an dem es weder ein M e n s c h noch eine S ach e, sondern das Recht selbst unter dem Gesichtspunk te des Zweckgedankens, mithin ein Beg riff. Das gilt von allen Rechtsgütern ohne eine einzige Ausnahme." (A.a. 0., Hervorhebungen dort) ... "Das Verhältnis ändert sich nicht, wenn wir, von der Verschiedenheit einzelner Rechtsgüter abstrahierend, den all gern e ine n Begriff des Rechtsgutes ins Auge fassen. Auch hier muß es denn doch wohl einleuchten, daß wir es mit einem Begriffe zu thun haben" (a.a.O. S. 675, Hervorhebungen dort). Daß v. Liszt mit seiner Behauptung, die Rechtsgüter seien bloße Begriffe bzw. das Rechtsgut sei ein bloßer Begriff, genau das passiert ist - rückführbar auf den "klassischen logischen Fehler der Verwechslung der Sprachebenen" (Amelung a. a. O. S. 175 unten) - , was er Binding vorgeworfen hatte, nämlich eine Verwechslung von Begriff und Realität, d. h. von Begriff und dem durch ihn bezeichneten Gegenstand, hat Keßler GS 39 (1887), 94 [126(127] klar erkannt und wie folgt verdeutlicht (a. a. O. S. 127): "Der Begriff des Rechtsgutes ist allerdings ein Begriff, wenn auch vielleicht in manchen Köpfen ein sehr verworrener; aber, man mag sich nun unter diesem Begriffe vorstellen, was man will, das also Vorgestellte, das, was da Rechtsgut genannt wird, und was Gegenstand des Rechtsschutzes sein soll, kann nicht seinerseits wieder ein bloßer Begriff sein. Gesetze werden nicht zum Schutze von Begriffen, sondern von Realitäten [!] erlassen." Sehr richtig. - Nur der Vollständigkeit halber sei bemerkt, daß man sich bei Zugrundelegung der v. Lisztschen Thesen - die dieser im übrigen nach jener Kritik Keßlers nicht wiederholt haben soll (Amelung a. a. O. S. 176 oberer Teil) - auch von der Vorstellung, das Strafrecht diene dem Rechtsgüterschutz, verabschieden muß. Denn, so v. Liszt a.a.O. S.675, "der Begriff als solcher [- also das Rechtsgut -] ist unsterblich, mithin auch unverletzlich", also überhaupt nicht schutzbedürftig. - Zudem enthält auch die von Maurach(Zipf AT 1 § 19 Rdn. 12, S. 259 (= Maurach AT, 4. Aufl.1971, § 19 II Al, S. 215) aufgestellte allgemeine Definition des Rechtsguts die Charakterisierung desselben als Begriff. Diese auch in ihren übrigen Bestandteilen nur schwer nachvollziehbare, äußerst schwammige Definition (s. Meurer NJW 1988, 886) lautet: "Das Rechtsgut ist nicht gleichbedeutend mit dem körperlich-konkreten Angriffs- oder Handlungsobjekt ( ... ), sondern ein allgemeiner Beziehungsbegriff[!], eben das rechtlich anerkannte Interesse an einem bestimmten Gut als solchem in seiner generellen Erscheinungsart [?]." - S. schließlich auch Arth. Kaufmann, Unrechtsbewußtsein, S.120: " ... So ist bei den Körperverletzungs- und Tötungsdelikten sowohl das Tatobjekt wie das Schutzobjekt der Mensch. Aber einmal ist es der Mensch als äußerer, sinnlich wahrnehmbarer Gegenstand der Erscheinungswelt, das andermal sehen wir den Menschen als einen ideellen, der Welt der Werte angehörenden Begriff an [?!]." - "Es ist aber wohl keine übermäßig polemische Interpretation dieser Aussagen, wenn man ihnen entnimmt, daß Kaufmann damit das Schutzobjekt der Tötungsdelikte als blutleeres Gespenst beschreibt." (Amelung a. a. O. S. 265 oberer Abs.). 102 Als etwas Ideelles, Vergeistigtes, Abstraktes wird das Rechtsgut des weiteren z. B. aufgefaßt von S(S(Lenckner Vorbem. §§ 13ff. Rdn.9 (wozu allerdings der erste Satzin Rdn.9 sowie insbes. die Ausführungen a.a.O. Rdn.l1 in absolutem, unauflöslichem Widerspruch stehen); Haft AT 4. Teil § 2 Nr.2, S. 72 (mit dazu in absolutem, unauflöslichem Widerspruch stehenden Ausführungen a.a.O. 4. Teil §2 Nr.1, S.71); Langer, Sonderverbrechen, S. 287(288 (ff.); Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, S.33; Lange in: Kohlrausch(Lange System. Vorbern. III 1 vor § 1, S.13 unten u. 14 unten, dessen Ausführungen allerdings bereits im Ansatz (a. a. O. S.13) völlig unklar bzw. widersprüchlich sind (s. zu Lange auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 265(266); Mittasch, Wertbeziehendes Denken, S.87. 103 Z. B. Jescheck AT § 26 I 4, S. 234. Dabei kann der Ausdruck" verkörpert" allerdings jedenfalls insoweit, als die realen (kausal veränderbaren) Gegenstände nicht nur aus körperlichen, sondern - wie oben unter C und D I dargelegt - auch aus unkörperlichen
F. 1. Das Rechtsgut als realer Gegenstand
41
"haftet"I04-, bzw. - vom Gegenstand aus betrachtet - der reale Gegenstand, der das Rechtsgut "repräsentiert" oder der sein reales "Substrat"10S oder "Korrelat" 106 ist. Dieser reale Gegenstand (das Rechtsgut i. S. der erstgenannten Auffassung) wird dann (natürlich) nicht als Rechtsgut bezeichnet - das Rechtsgut selbst ist ja nach dieser Auffassung eine rein (?) geistige bzw. gedankliche, ideelle Erscheinung -, sondern als Rechtsgutsobjekt 107 bzw. als geschütztes [I] Handlungsobjekt 108 •
F. Exkurs: Das Rechtsgut als realer Gegenstand oder ideeller Wert I. Das Rechtsgut i. S. Welzels als der durch die Norm geschützte reale Gegenstand 109 In dem in der Überschrift gekennzeichneten Sinne, also als die durch die Norm(en) geschützten realen Gegenstände, werden die Rechtsgüter insbesondere von Binding und Welzel aufgefaßt. 1. Binding
Nach Binding ist bekanntlich die Vorstellung, der Verbrecher übertrete ein Strafgesetz, unrichtig 110; vielmehr ist es so, daß der Verbrecher, "damit er bestraft werden könne, diesem Gesetze in seinem ersten Teile gemäss, in Einklang damit gehandelt haben" muß (S. 4). Was der Verbrecher übertritt, ist Gegenständen bestehen, nur bildlich, im übertragenen Sinne gemeint sein. Wegen des Betroffenseins auch unkörperlicher Gegenstände erscheint der von Sax JZ 1976, 429 [432 re. Sp., 433 li. Sp. oben] verwendete Ausdruck, daß sich der abstrakte Wert (das Rechtsgut) in dem realen Gegenstand "konkret verwirklicht" etwas treffender. 104 Schmidhäuser AT 2/31, S.37; ders. StudB AT 5/29, S. 85. lOS Mittasch, Wertbeziehendes Denken, S.87. 106 Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, S.33. 107 So z.B. Schmidhäuser AT 2/31, S. 37/38; ders. StudB AT 5/29, S. 85; Sax JZ 1976, 429 [432 re. Sp.]. 108 So insbes. Jescheck, bei dem der Ausdruck "Rechtsgutsobjekt" nicht vorkommt, der aber der Sache nach das mit diesem Ausdruck Gemeinte, nämlich den realen Gegenstand (i. w. S.), in dem das (ideelle, abstrakte, geistige) Rechtsgut "verkörpert" ist, häufig - aber (leider) nicht immer - durch den Ausdruck "geschütztes Handlungsobjekt" kennzeichnet (s. z. B. Jescheck AT § 24 III 3, S. 215 i. V. mit § EIl 1, S.6; § 4911 1, S.461; §49I12, S.462; §49I13, S.463; §50I2, S.477; §5014, S.478. 109 Diese Bezeichnung und Formulierung geht zurück auf Amelung, Rechtsgüterschutz, insbes. S. 187 ff. 110 NormenI S.4, 5. Die in Klammem gesetzten Seitenzahlen im folgenden Text beziehen sich auf Binding Normen I. - Ungenau daher auch § 52 I u. 11 StGB (s. Binding, Normen I, S.66 unten bzgl. §73 StGB a.F.), wo davon die Rede ist, daß "Strafgesetze verletzt" werden. .
42
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
vielmehr die Norm (S.7, 45), welche dem Strafgesetz (zumindest) begrifflich vorgelagert ist (S.4, 45); denn der Verbrecher kann nur einen Satz übertreten, "der ihm die Richtschnur seines Verhaltens vorschreibt" (S.7), und das sind eben die den Strafgesetzen zugrundeliegenden Verbots- und Gebotsnormen, deren Inhalt durch Umformung aus dem ersten Teil der Strafgesetze abzuleiten ist (S.42, 45), also z. B.: Ihr sollt nicht stehlen, nicht rauben, nicht töten usw. (S.43)111! Der Zweck dieser Normen ist "präventiver Art: das Recht will, dass in Folge seines Verbotes die untersagten Handlungen künftig in möglichst weitem Umfange unterbleiben" (S. 51), und zwar nicht deshalb, weil es die Menschen Gehorsam lehren will (S.52, 397/398)112, sondern um "der Wirkung der verbotenen Handlung", "ihrem dem Rechtsleben nachteiligen Erfolge" entgegenzuwirken (S. 52), kurz: um (Rechts-)Güter vor Schädigungen zu bewahren (S.53, 54). Diese Güter, die durch die den Strafgesetzen zugrundeliegenden Normen geschützt werden sollen, sind reale Gegenstände, die durch den Verbrecher kausal verändert (s. S. 54), verletzt, ja sogar vernichtet (s. S.340, 364) werden können. Denn, so erläutert Binding unter der Überschrift "Das Rechtsgut"113: "Der Gesetzgeber sucht die tatsächlichen Bedingungen gesunden Gemeinlebens; an Personen, Dingen und Zuständen haftet sein Blick ... Er sucht weiter an jenen Bedingungen, dass ich so sage, die Wetterseite: die Eigenschaft, die den rechtsstörenden Angriff hervorlockt und anzieht. Und damit ist das Objekt des unmittelbaren Schutzbedürfnisses gefunden: diess wird zum Objekt der Norm, seine Verletzung zur Straftat gestempelt ... Jene oben charakterisirten Gegenstände nenne ich wegen ihrer Guts-Eigenschaft für das Rechtsleben Re c h t s g ü t e r. Der Inbegriff der durch Normen gesicherten Güter bildet das Güterkapital der Rechtsordnung. Es sind dieselben Rechtsgüter, um deren willen sowol die Verursachungs- als die Gefährdungsverbote als die Verbote schlechthin 114 erlassen werden. In der Schaffung von Rechtsgütem und in der Aufstellung von 111 Im sog. Nebenstrafrecht sind die Normen sogar häufig expressis verbis im Gesetz ausformuliert, s. Binding Normen I, S.66ff., insbes. S. 73 ff. - S. z. B. § 8 LMBG (Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz), der die gesetz!. Überschrift "Verbote[!] zum Schutz der Gesundheit" trägt und lautet: "Es ist verboten [!], 1. Lebensmittel für andere derart herzustellen oder zu behandeln, daß ihr Verzehr geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen; 2. Stoffe, deren Verzehr geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen, als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen." Die entsprechende Strafbestimmung (für Vorsatztaten) findet sich in §51 I Nr.l LMBG: "Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen § 8 Nr.l Lebensmittel herstellt oder behandelt oder entgegen § 8 Nr. 2 Stoffe als Lebensmittel in den Verkehr bringt"; fahrlässige Zuwiderhandlungen werden in § 51 III LMBG unter Strafe gestellt; § 51 11 LMBG ordnet die Versuchsstrafbarkeit an. - Zu diesen Vorschriften s. des näheren unten unter H I nach Fn.487 sowie nach Fn.490. 112 S. auch Normen 11/1 S.232. 113 Normen I S.338.
F. I. Das Rechtsgut als realer Gegenstand
43
Schutznormen derselben ist die Rechtsquelle nur durch ihre eigene Erwägung und durch die Logik beschränkt. Was nicht verletzt oder vernichtet werden kann, kann auch das positive Recht als verletzbar nicht anerkennen ... "115
Zusammenfassend gelangt Binding schließlich zu folgender (positivistischer)
Definition:
"Sonach ist Rechtsgut Alles, was ... in den Augen des Gesetzgebers als Bedingung gesunden Lebens der Rechtsgemeinschaft für diese von Wert ist, an dessen unveränderter und ungestörter Erhaltung sie nach seiner Ansicht ein Interesse hat, und das er desshalb durch seine Normen vor unerwünschter Verletzung oder Gefährdung zu sichern bestrebt ist." 116
Die Rechtsgüter sind somit - nach Binding - die durch die Norm(en) geschützten realen Gegenstände/Zustände körperlicher wie nicht körperlicher Art (z. B. Freiheit) 117 , die "wirklich verletzbar sind, d. h. entweder zerstört oder durch Angriff in ihrem Güterwerte gemindert werden können" 118, die also real zu beeinträchtigen sind und eben wegen dieser realen, wirklichen Verletzbarkeit vor Schädigungen und Schädigungsgefahren durch die den Strafgesetzen zugrundeliegenden Verhaltensnormen geschützt werden sollen 119 • Rechtsgutsverletzung ist demnach der an dem realen Rechtsgut eingetretene wirkliche Verletzungs- (oder Vernichtungs-)Erfolg, d.h.: die Rechtsgutsverletzung kennzeichnet das Erfolgsunrecht. 114 Das sind die Verbotsnormen, die weder die Verursachung einer Verletzung eines (realen) Rechtsguts noch die Verursachung einer konkreten Verletzungsgefahr für ein solches (reales) Rechtsgut verbieten, die vielmehr bestimmte Verhaltensweisen schlechthin untersagen, also die den sog. "Formaldelikten" bzw. - anders ausgedrückt - den abstrakten Gefährdungsdelikten (sei es des Kriminal-, sei es des Polizeiunrechts) zugrundeliegenden Normen (s. Binding, Normen I, S. 397 ff.; dens., Handbuch I, S. 170). Auch diese Normen (die Verbote schlechthin) dienen somit dem Rechtsgüterschutz. 115 Normen I S. 339/340, Hervorhebung dort. 116 NormenI S. 353-355; s. auch Handbuch I S.169. 117 S. Handbuch I S. 169. Daß Binding bei seiner "Inventarisierung der Rechtsgüter" (Normen I S. 344ff. [351]) keine übermäßig große Sorgfalt anwendet, insbes. nicht gerade selten Rechtsgut und Handlungsobjekt verwechselt und sich z. T. auch widersprüchlich äußert, ist zwar einerseits bedauerlich; andererseits zeigt sich aber die "realistische Auffassung" (Normen I S.349, 340, 339) Bindings vom Rechtsgut in dieser in der Tat "etwas tumultuarischen Aufzählung des ,Güterkapitals der Rechtsordnung'" (v. Liszt ZStW 6 [1886],663 [676]) gerade besonders deutlich; genannt werden z. B.: die der Rechtsgewalt des Berechtigten unterworfenen Personen und Sachen (Normen I S.344), "die Eier und Jungen von jagdbarem Federwild" (S.345), "der Bernstein am Ostseestrand" (S. 345), "die ta ts ächliche Möglichkeit [,] ein Recht auszuüben", "vor Allem der Besitz" (S. 346), "das Leben des ungeborenen wie des geborenen Menschen" (S. 346), "die Freiheit der Willensbetätigung" (S.346/347), "das religiöse Gefühl" und "das Naturgefühl des Menschen" (S. 347), "der Verschluss der Postpakete" (S.349). 118 Binding, Handbuch I, S. 170; s. auch dens., Normen I, S. 365 oben: "Die Rechtsgüter bilden zugleich den Bestand der wirklich verletzbaren rechtlichen Existenzen." 119 Zum Rechtsgut bei Binding s. auch ausführlich Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 73ff., 77ff.
44
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
2. Wetzel
Zu dieser Auffassung vom Rechtsgut - als dem durch die Norm geschützten realen Gegenstand - gelangt auch Wetze!, indem er sein Augenmerk der Handlung zuwendet und die Trennung von Handlungs- und Erfolgsunwert herausarbeitet, was ihn zu der Unterscheidung zwischen Norm-"Verletzung" und Guts-Verletzung und zu einer diesem Unterschied entsprechenden Bestimmung des Rechtsguts veranlaßt l20 . Welze! stellt nämlich im Laufe seiner Untersuchung 121 fest, daß es sinnvoll ist, zwischen dem durch die Strafsanktion geschützten Gegenstand, d. i. die N orm(-Befolgung), und dem durch die Norm geschützten Objekt zu unterscheiden und nur letzteres als Rechtsgut zu bezeichnen 122. Denn wenn man den Rechtsgutsbegriff zu weit ausdehnt, indem man ihn aus der Schutzfunktion der Strafe ableitet "und so das Rechtsgut zum Korrelat des allgemeinen Schutzgedankens macht"123, dann muß - so We!ze[124 - "Rechtsgut alles sein, was durch S t r a fe überhaupt geschützt wird, daher auch die ganze Norm, deren Befolgung durch Strafsanktion gesichert wird, ebenso wie die gesamte Rechtsordnung überhaupt l2S • Der Rechtsgutsbegriff verschlingt dann alles und wird dadurch als dogmatisches Einzelmoment unbrauchbar. Sein einzig übrigbleibender Inhalt ist der nackte Schutzgedanke. " "Es hat gar keinen Sinn", so fährt Welzelfort I26 ,,,zu sagen, daß die Norm: ,Du sollst nicht stehlen' Rechtsgut in §242 [StGB] sei, obwohl ihre Befolgung durch die Strafsanktion ge sc h üt z t werden soll ... Zum brauchbaren RechtsgutsbegritT kommt man überhaupt erst dann, wenn man nicht schon das, was durch Strafe geschützt werden soll, sondern nur das, was durch die Norm, d.h. durch das rechtliche Gebot oder Verbot, geschützt werden soll, als Rechtsgut bestimmt. Die Strafsanktion des § 242 [StGB] schützt die Norm: ,Du sollst nicht stehlen'; aber die Norm des §242 [StGB] schützt nur das Eigentum, nicht ein darauf bezügliches Verhalten: das ver b i e t e t sie nur um des Eigentumschutzes willen. Rechtsgut ist nur das, woraufsich das gebotene oder verbotene Verhalten als sein materielles oder ideelles 127 Handlungsobjekt bezieht, nicht aber das Verhalten selbst. Sonst kommen wir in die Nacht, wo alle Kühe schwarz sind.
Daher fehlt es am Rechtsgut, wo im Tatbestand das bloße sozialethisch unreine
120 We!ze! ZStW 58 (1939),491 tT., insbes.511 Fn. 30[512/513]; s. auch dens., Kohlrausch-FS, 1OHr., insbes.110 mit Fn.1O [110/111]. 121 ZStW 58 (1939),491 tT. 122 ZStW 58 (1939),491 [510/511 mit Fn. 30 (511-513)]. 123 We!zel ZStW 58 (1939),491 [511 Fn. 30 (512)]. 124 A.a.O. (Fn.123), Hervorhebung dort. 125 Letzteres ist allerdings etwas übertrieben und in dieser Allgemeinheit insofern nicht ganz richtig, als keineswegs alle "die gesamte Rechtsordnung" konstituierenden Normen strafbewehrt sind. 126 A.a. o. (Fn.123), gesperrt gedruckte Hervorhebungen dort, kursiv gedruckte Hervorhebungen von mir. 127 Soweit We!ze! vom Rechtsgut als einem ideellen oder ideell-geistigen Objekt spricht, ist, soweit ersichtlich, immer nur die Ehre gemeint, s. ZStW 58 (1939),491 [511 Fn.30 (511)]; StrafR§ 1 I 1, S.4 u. §42 laß, S.305; dazu, daß damit jedoch keineswegs etwas Irreales gemeint ist, s. o. Fn.61.
F. 1. Das Rechtsgut als realer Gegenstand
45
Verhalten als solches unter Strafe gestellt ist. So schützt die sittliche Norm: ,Du sollst nicht stehlen' das Eigentum. Aber die sittliche Norm: ,Du sollst nicht Blutschande treiben'128 schützt nicht die Sittlichkeit, sondern sie ist sittliche Norm, welche durch eine Strafsanktion geschützt wird. Hier ist das unsittliche Verhalten als solches ohne Verletzung eines Rechtsguts verboten 129. "
Und etwas später gelangt Welzel dann zu der Erkenntnis l30 ; "Alle Deliktsnormen verbieten unsittliches (sozialunethisches) Verhalten. Auch die Norm: ,Du sollst nicht stehlen' enthält das Verbot unsittlichen Verhaltens ... Das verbotene sozialunethische Verhalten (und nicht die Rechtsgu t sve rl etz ung) ist der ge nere 11 e Unwertgeh al t aller No rmen l31 . Aber die überwiegende Zahl der Normen betrifft nicht ein reines unsittliches Verhalten als solches, wie auch das Verhalten überwiegend nicht als bio ß e s Ver halt e n unsittlich ist, sondern weil es auf Einwirkung auf einen unabhängig von ihm bestehenden (statischen oder funktionalen) Zustand abzielt. Nur im letzteren Sinne hat es Wert, von Rechtsgut zu sprechen, und hat das Rechtsgut über den bloßen allgemeinen Schutzgedanken hinaus eine spezielle dogmatische Bedeutung im Verbrechensbegriff."
Das Rechtsgut i. S. Welzels ist also der vom Täterverhalten unabhängige, durch die Norm geschützte reale Gegenstand 132 /Zustand, das - statische oder 128 Inzestverbot, § 173 StGB [Beischlaf zwischen Verwandten]. 129 Daß man trotz dieser zutreffenden Erkenntnis, daß das Inzestverbot nicht "die Sittlichkeit" schützt, sondern sittliche Norm ist, gleichwohl ein durch das Inzestverbot geschütztes Rechtsgut ausmachen kann oder könnte, ist eine andere Sache. M. a. W.: Mit der Erkenntnis, daß "die Ungeschlechtlichkeit des Verkehrs unter den nächsten Blutsverwandten" nichts anderes bedeutet als die tatsächliche Befolgung der Norm ("Du sollst mit nahen Blutsverwandten nicht geschlechtlich verkehren!"), und mit dem Ausscheiden des Normgeltungszustands aus dem Rechtsgutsbegriff ist noch nicht notwendig gesagt, daß das Inzestverbot überhaupt kein Rechtsgut schützt (s. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 79, 114,171). Möglich ist es beispielsweise, als durch das Inzestverbot geschütztes Rechtsgut das "Scham- und Sittlichkeitsgefühl der Allgemeinheit" anzusehen und § 173 StGB als ein hierauf bezogenes abstraktes Gefährdungsdelikt aufzufassen (s. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 114, 172/173, 284/285, 340). Auch Gefühle sind schließlich real und kausal veränderbar und können somit prinzipiell, wenn der Gesetzgeber sie für schützenswert erachtet, Rechtsgut im realen Sinne sein (s. § 183 a StGB, oben Fn. 54 u. unten Fn. 213). Ob eine derartige Interpretation des Inzestverbots richtig ist, ist eine andere Frage (s. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S.114, 173, 285). - Die "angebliche Gefahr eugenischer und genetischer Schäden" (s. S/S/Lenckner § 173 Rdn. 1) ist jedenfalls als Strafgrund des § 173 StG B auszuscheiden, da dies den Kern der Sache mit Sicherheit nicht trifft; abgesehen davon, daß die Gefahr einer Empfängnis ohnehin nicht zu bestehen braucht ("Pille", Kondom, mangelnde Geschlechtsreife, Unfruchtbarkeit etc.). 130 ZStW 58 (1939), 491 [511 Fn. 30 (513)], gesperrt gedruckte Hervorhebungen dort, kursiv gedruckte Hervorhebungen von mir. 131 Gemeint ist wohl: aller Normübertretungen, d.h. aller Delikte (s. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S.167 und Krümpelmann, Die Bagatelldelikte, S.760ben); s. auch Welzel StrafR § 11 11 2, S. 62: "Der personale Handlungsunwert ist der generelle Unwert aller strafrechtlichen Delikte." 132 S. insbes. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S.187, der in seinem §9 unter 1 dem Abschnitt B die hier übernommene Überschrift gibt "Das Rechtsgut i. S. We1zels als der durch die Norm geschützte reale Gegenstand"; und auch sonst, wenn Amelung das so
46
.1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
funktionale - Schutzobjekt, gegen das sich das deliktische Verhalten richtet 133 , oder - anders ausgedrückt - der als wertvoll und (daher) schützenswert erachtete reale Sachverhalt, der sog. Sachverhaltswert l34 . In der kausalen Verletzung oder Gefährdung dieses Gegenstandes, d. h. im Rechtsgutsverletzungs- oder -gefährdungserfolg, liegt daher der Erfolgs- (oder Sachverhalts-) unwert 13S der deliktischen Handlung, während in dem normwidrigen sozialunethischen Verhalten als solchem der Handlungs- oder Aktunwert liegt 136 • Die Handlungs- oder Akt(un)werte sind - so Welze/- i. d. R. (wesensmäßig) aufSachverhalts(un)werte, also Rechtsgüter(verletzungen oder -gefährdungen), bezogen l37 ; d.h.: der Handlungs(un)wert eines Verhaltens resultiert überwiegend daraus, daß es auf einen Sachverhalts(un)wert bezogen, gerichtet o. ä. ist. M. a. W.: Das Handlungsunrecht besteht (überwiegend) in der normwidrigen, auf eine Rechtsgutsverletzung (oder -gefährdung) abzielenden 138 oder insofern (objektiv) sorgfaltswidrigen 139 Handlung, und zwar unabhängig davon, ob dieser (Rechtsgutsverletzungs- oder -gefährdungs-)Erfolg eintritt oder nicht eintritt 140. Allerdings ist die Beziehung auf einen Sachverhaltsunwert, d. h. auf eine Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung, nach Welze/- im Unterschied z. B. zu gekennzeichnete und beschaffene Rechtsgut meint, spricht er häufig vom "Rechtsgut i. S. Welzels", s. z. B. a.a. O. S.l92, 194, 195, 196,200,201,203,204,205,208,211,213,269, 275,280,283,286; s. des weiteren "Rechtsgutsverletzung i. S. Welzels" a. a.O. S.171, 193 sowie "Rechtsgutsbegriff i. S. Welzels" a. a. O. S.243, 281, 285. 133 Welzel ZStW 58 (1939),491 [514]. 134 Welzel a. a. O. (Fn.133) S. 509; ders. StrafR. § 1 I, S. 2 zweiter Abs. u. S. 4 oberer Teil; ders., Kohlrausch-FS, 101 [(104, 105) 106, 107, 108, 109, 110u.ö.]. Dabei ist mit der möglicherweise etwas mißdeutigen Formulierung "Sachverhaitswert" kein ideeller WertSachverhalt gemeint, sondern gemeint ist - wie oben im Text umschrieben - der positiv bewertete reale Sachverhalt, der ja dadurch, daß er als wertvoll erachtet wird, nichts von seiner Realität verliert. (Eine [positiv] bewertete Realität bleibt Realität [so Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 106]; ein bewertetes Realobjekt bleibt ein Reaiobjekt; m. a. W.: das "Objekt der Wertung" ist von der "Wertung des Objekts" zu trennen [vgl. auch Amelung a.a.O. z.B. S.140, 177, 181].) - Welzel insoweit mißverstehend und insofern unrichtig daher Krümpelmann, Die Bagatelldelikte, S. 83: "auch der ,Sachverhaltswert' kann nicht in naturalistischem Sinne verletzt werden". Doch! 135 Welzel StrafR. § 1 I, S. 2; § 10 I 2, S. 50; § 11 11 1 u. insbes. 2, S. 62; § 12 11, S. 63; § 18 I 2, 2 a u. b, S. 135, 136, 137; ders., Fahrlässigkeit, S. 11, 20 oben, 23 Mitte; ders., KohlrauschFS, 101 [106, 107]; ders. ZStW 58 (1939), 491[522, 523/524]. 136 WelzelZStW 58 (1939), 491 [511 Fn. 30 (511,512,513)], z. T. wiedergegeben oben im Text; ders. StrafR. § 12 11 a. E., S.63 u. § 15 III, S.106/107. 137 Kohlrausch-FS 101 [105, 106, 107, 108, 109, 110], s. auch die bereits oben im Text wiedergegebene Passage aus ZStW 58 (1939), 491 [511 Fn.30 (513)]. 138 Welzel StrafR. § 1 I, S.2, (§ 11 12, S. 60, 61) § 11 11, S. 62. 139 S. Welzel, Fahrlässigkeit, S.11, 20, 28, 31/32; dens. StrafR. § 1111 2 a. E., S.62, § 18 I 1 b, S. 135, § 18 I 2 a, S. 136. 140 Welzel StrafR. § 11 11 2 gegen Ende, S. 62; ders., Fahrlässigkeit, S.20 oberer Teil, s. auch S.21 Mitte.
F. I. Das Rechtsgut als realer Gegenstand
47
Rudolphi 141 - nicht notwendige Voraussetzung des (jeden) Handlungsunwerts, da es - wie aus den oben 142 wiedergegebenen Ausführungen 143 hervorgehtfür Welzel ja auch rechtsgutslose Delikte (z. B. § 173 StGB)144 gibt.
141 Maurach-FS 51 [55, 56, 57, 61, 65]: Ein Handlungsunwert ohne jede Intention auf einen Sachverhaltsunwert ist undenkbar (S.56). - Die von Rudolphi a. a. O. S.56 als Sachverhaltswert (Rechtsgut) des § 173 StGB (Inzest, Blutschande) genannte "Reinheit der konkreten familiären Beziehung" ist allerdings in Wirklichkeit kein Rechtsgut (i. S. Welzels), d. h. kein vom Täterverhalten unabhängiger Sachverhaltswert; "die Reinheit der konkreten familiären Beziehung" ist vielmehr nichts anderes als die konkrete Geltung/Befolgung des Inzestverbots, s.o. Fn.129 (was wohl auch Rudolphi mit seinen a. a. O. S.61 in Fn.46 geäußerten Bedenken indirekt letztlich selbst [an]erkennt). 142 Bei Fn. 128 u. 129. 143 Wetzel ZStW 58 (1939),491 [511 Fn.30(512)]. 144 Des weiteren nennt Welzel ZStW 58 (1939), 491 [511 Fn. 30 (513)] § 331 StGB (a. F.) [Einfache passive Bestechung, Vorteilsannahme (n. F.)]: "Die Treue im Amt (,Amtsreinheit') ist eine (unter Strafschutz stehende) spezielle Art sozialethischer P fl ich t e n (ähnlich wie die geschlechtliche SittJichkeit...), aber nicht ein Re c h t s gut." Die Auffassung, daß § 331 StGB kein Rechtsgut schütze, hat Welzel jedoch später - zu Recht - geändert (s. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 206 mit Fn. 144; Loos, Welzel-FS, 879 [892 Fn. 57]): "Strafgrund der Bestechungstatbestände ist die Gefährdung der Autorität der Staatsverwaltung durch die Gefährdung des Vertrauens auf ihre Integrität (auf die Nichtkäuflichkeit der Staatsdiener) ... ", Welzel StrafR § 78 A, S. 539 oben. Daß Rechtsgut der Bestechungstatbestände - allein, primär oder u. a. - das "Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes" bzw. in die Gesetzmäßigkeit und Sachlichkeit staatlicher (Verwaltungs-)Entscheidungen ist, weil die Bereitschaft der Bevölkerung zur "Abnahme" (Akzeptanz) der Entscheidungen der Verwaltung eine notwendige tatsächliche äußere Funktionsbedingung staatlicher Verwaltung darstellt, entspricht der heute h. M., z. B. BGHSt 30,46 [48]; 15, 88 [96/97]; BGH NJW 1987, 1340 [1342li. Sp. dritter Abs.]; NStZ 1985,497 [499 re. Sp. zweiter Abs. a. E.]; vgl. auch BGH NStZ 1984, 24 [25 re. Sp. oben]; Loos, Welzel-FS, 879 [887ff., insbes. 889ff.]; Geppert Jura 1981,42 [46]; SK-Rudolphi§ 331 Rdn.4; S/S/Cramer§ 331 Rdn. 5; DITröndle§ 331 Rdn. 3; Lackner §331 Anm.l; LK-Jescheck Vor §331 Rdn.17; Otto GrundK BT §99 11, S.495; Wesseis BT 1 § 25 I 2, S. 229. Das "Vertrauen des Publikums" ist, wie Loos a. a. o. S. 891 zutreffend feststellt, "ein kausal verletzbares Objekt; nur eine falsche Idealisierung von realen Vorstellungen kann deren kausale Verletzbarkeit verkennen." In bezug auf dieses Rechtsgut handelt es sich bei den §§ 331 ff. StGB um abstrakte Gefährdungsdelikte besonderer Art- (Loos a.a.O. S. 891; SK-Rudolphi §331 Rdn.4a.E.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 329 zweiter Abs. a. E.; s. auch Jakobs AT 6/86, S. 145), da das Vertrauen der Öffentlichkeit in die staatliche Tätigkeit durch die einzelne - bekannt gewordene - Bestechungs- (bzw. Bestechlichkeits)handlung nicht relevant und meßbar gestört - geschweige denn zerstört - zu werden braucht und in aller Regel - von spektakulären Extremfällen abgesehen - durch eine isolierte derartige Handlung auch gar nicht erkennbar tangiert werden kann und wird, eine ernsthafte (konkrete) Gefährdung oder gar Zerstörung dieses Vertrauens vielmehr - i. d. R. - überhaupt erst durch das gehäufte Auftreten von Bestechungsfällen herbeigeführt werden kann. (Wenn Wolter a. a. O. S.328 [Überschrift] u. 329 zweiter Abs. hier von einem das Vertrauen der Allgemeinheit als Rechtsgut betreffenden - über den bloßen Handlungsunwert hinausgehenden - ",mediatisierten Erfolgsunwert' " spricht und die §§ 331 ff. StG B gleichzeitig in bezug auf dieses Rechtsgut als "abstrakte Gefährdungsdelikte ,besonderer Art'" bezeichnet, dann ist das m. E. widersprüchlich, zumindest sehr verwirrend, wie überhaupt die
48
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Der Frage, ob von einem Handlungsunwert nur dann gesprochen werden kann oder soll, wenn das Verhalten - durch Vorsatz oder objektive Sorgfaltswidrigkeit - auf einen Sachverhaltsunwert (eine Rechtsgutsverletzung oder Redeweise von "vergeistigten Zwischenrechtsgütern" und "mediatisiertem Erfolgsunrecht" wenig klärend ist.) Da die Lauterkeit oder Reinheit der Amtsführung, wie Welzel zutreffend erkannt hat, kein Rechtsgut i. S. eines von der Innehaltung der den §§ 331,332 StGB zugrundeliegenden Normen verschiedenen Sachverhalts ist, erscheint es fraglich, ob man das diesem normgemäßen Verhalten vorgelagerte "Amtsethos" der (Mit[!]-)Beamten (s. Loos a. a. o. S. 892 Fn. 57 [So 893]), d. h. ihre (innere) Bereitschaft zur Amtsreinheit/zum Handeln "aus Pflicht" (und nicht um des persönlichen Vorteils willen), als ein durch die Verbote der Vorteilsannahme und Bestechlichkeit (§§ 331, 332 StGB) - zusätzlich - geschütztes Rechtsgut ansehen kann (so Loos a.a.O. S. 889ff. mit Fn.47 und Fn.57, SK-Rudolphi §331 Rdn. 4 und wohl auch Woltera.a.O. S. 328 Fn. 885 [So 328/329]; so auch im Rahmen des §356 StGB [parteiverrat] hinsicht!. des Berufsethos der Anwälte und sonstigen Rechtsbeistände SK-Rudolphi § 356 Rdn.3); denn der Effekt des "bösen Beispiels", in welchem der "Angriff" auf das Amtsethos der Mitbeamten zu sehen ist (Loos, Rudolphi, jew. a.a.O.), ist Kennzeichen jeder Straftat, d.h. Normübertretung, ohne daß deshalb sonst in der normspezifischen rechtstreuen Gesinnung der übrigen Rechtsgenossen ein durch die jeweilige (Straf-)Norm mitgeschütztes Rechtsgut gesehen werden kann; die jeweilige Norm richtet sichja ohnehin an alle Betroffenen (d. h. an alle Amtsträger oderbei "Jedermann-Delikten" - eben an jeden). Falls es jedoch "irgendwie" möglich sein sollte, im Amtsethos der Beamten(schaft) - als innerer Funktionsbedingung staatlicher Verwaltung - ein durch das Vorteilsannahme- und Bestechlichkeitsverbot geschütztes Rechtsgut zu sehen (und hierin nicht "nur" den durch die Stra/drohung und -verhängung geschützten "Gesinnungswert" zu erblicken), handelt es sich bei den §§ 331, 332 StGB auch insoweit um abstrakte Gefahrdungsdelikte - besonderer Art -, s. Loos a. a. O. S. 891, SK-Rudolphi § 331 Rdn.4 a. E. (s. auch bzg!. § 356 StGB SK-Rudolphi § 356 Rdn.5). Anders verhält es sich bei den §§ 333,334 StGB, hier ist die "Reinheit der Amtsführung" nach Welzel ZStW 58 (1939), 491 [511 Fn. 30 (512/513)] in der Tat - ausnahmsweise das durch die diesen Strafvorschriften zugrundeliegenden Normen (zusätzlich, d. h. neben dem Vertrauen der Allgemeinheit?) geschützte Rechtsgut; denn Schutzobjekt einer Norm kann nach Welzel (a. a. O. S.511 Fn.30 [S.512]) auch "das reale sittliche Verhalten Dritter" sein: Anzumerken ist nämlich, so Welzel a. a. 0., "daß ,Rechtsgut' nicht notwendig ein ,statisches' ... Objekt zu sein braucht, sondern auch in einem (realen) Ver hai t enDritter bestehen kann, sofern es nur nicht das bloße Verhalten des T ä t e r s selbst ist, das durch die Norm verboten, aber nicht geschützt wird" (Hervorhebungen dort). - Hieraus wird man aber allerdings wohl nicht schließen dürfen, daß nach Welzel das durch das Verbot der Anstiftung zu einer Straftat geschützte Rechtsgut das (reale) rechtstreue Verhalten des Angestifteten sei; das durch das Anstiftungsverbot geschützte Rechtsgut ist vielmehr dasjenige, welches durch die Norm, zu deren Übertretung angestiftet wird, geschützt werden soll. Aus Welzels ursprünglicher Konzeption, der zufolge die §§ 331,332 StGB kein Rechtsgut schützen, sondern sich in dem pflichtwidrigen Verhalten des Amtsträgers erschöpfen, wird man entnehmen können, daß das reale Verhalten Dritter nach Welzel nur dann Rechtsgut einer Norm ist, welche die Einwirkung auf ein Verhalten Dritter verbietet (wie z. B. - neben den §§ 333, 334 StG B - auch, so Welzela.a.O. S. 511 Fn. 30 [512], das alte Kuppeleiverbot, §§ 180 I, 11,181 I StGB a. F. [der Unzucht zw. anderen Vorschub leisten]), wenn jenes Verhalten des/der Dritten - wie bei den eben genannten Strafvorschriften (nach Welzels ursprünglicher Interpretation) nicht seinerseits auf die Beeinträchtigung eines von diesem Verhalten unabhängigen ("statischen") Rechtsguts gerichtet ist. [V g!. in diesem Zusammenhang auch den Hinweis unten in Fn. 336 u. 339.]
F. I. Das Rechtsgut als realer Gegenstand
49
-gefährdung) bezogen ist, braucht hier jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden. Denn wesentlich ist hier zunächst einmal nur, daß Wetze! zwischen dem durch die Strafsanktion geschützten Gegenstand, d. i. die Normgeltung bzw. die "reale Geltung (Befolgung) der Aktwerte rechtlicher Gesinnung"145, und dem durch die Norm geschützten Gegenstand, d.i. das Rechtsgut (oder der Sachverhaltswert), unterscheidet und letzteres als die realen, konkreten Güter, Objekte, Zustände, Sachverhalte usw. auffaßt, "die Gegenstand des positiven Werturteils sind, das der Norm zugrundeliegt" 146. "Das kann", wie Amelung 147 zutreffend ausführt, "ein einzelnes Objekt, etwa der Staat, das kann aber auch eine Klasse von Objekten, etwa die Klasse aller Menschenleben, sein. Im zuletzt genannten Fall ist regelmäßig die Klasse aller positiv bewerteten Gegenstände gemeint, wenn man von ,dem Rechtsgut' einer Norm (in abstracto) spricht. Diese Redeweise darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß jeder einzelne Gegenstand dieser Klasse vom Recht positiv bewertet wird und damit (konkretes) Rechtsgut ist." 148 Aufgrund dieser m. E. äußerst sinnvollen Unterscheidung - zwischen dem durch die Norm geschützten Gegenstand (Rechtsgut) und dem durch die Sanktion geschützten Gegenstand (Normgeltung, Geltung der Aktwerte) gelangt Welze! dann auch zu einer Bestimmung der Aufgabe des Strafrechts, die beiden Teilen der Strafrechtssätze, nämlich den ihnen im ersten Teil zugrundeliegenden (Ver- und Gebots-)Normen und der im zweiten Teil angedrohten Strafe, eine jeweils eigenständige bzw. spezifische Bedeutung beimißt: "Aufgabe des Strafrechts ist der Schutz der elementaren sozialethischen Gesinnungs(Handlungs-)werte und erst darin eingeschlossen der Schutz der einzelnen Rechtsgüter." 149
Welzel StrafR § 1 I, S. 3. Amelung, Rechtsgüterschutz, S.193. 147 A.a.O. (Fn.146). 148 Wie Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 93 oben, 110, 175, 193, 204oben, 302 des weiteren zutreffend ausführt, liegt ein möglicher Grund für die "Vergeistigung" des Rechtsguts in dem ungenauen Sprachgebrauch, der aus der Erkenntnis resultiert, daß z. B. das den §§ 211 , 212, 222 StGB zugrundeliegende Tötungsverbot nicht nur das Leben von Herrn X, sondern "das Menschenleben überhaupt" schützt. Denn diese Ausdrucksweise kann möglicherweise dazu verführen, "dieses ,Menschenleben überhaupt' zum Rechtsgut zu erheben und es als etwas spirituelles Allgemeines aufzufassen, das sich in Herrn X ,verkörpert' " (a. a. O. S. 175). Richtigerweise ist jedoch "das Menschenleben überhaupt", wie Amelung mehrfach zu Recht betont, "nichts anderes als die Klasse aller individuellen Menschenleben" (a. a. O. S. 110, 175,93 oben), mithin nichts "Ideelles" oder "Abstraktes", sondern eine Ansammlung von Realitäten (s. a. a. O. S.175, 302). M. a. W.: "Etwas Zutreffendes drückt der Satz, das Tötungsverbot schütze ,das Leben überhaupt', nur insoweit aus, als er besagt, daß diese Bestimmung nicht allein die Existenz des X oder Y sichert, sondern eben alle Menschenleben." (Amelung a.a.O. S.110, Hervorhebungen dort). 149 Welzel StrafR § 1 I, S.4. 145
146
4 Graul
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
50
Oder anders ausgedrückt: "Aufgabe des Strafrechts ist der Rechtsgüterschutz durch den Schutz der elementaren sozialethischen Handlungswerte."lso
Das Strafrecht hat also nach Wetze! eine doppelte bzw. gestufte Schutzfunktion l51 : die Normen schützen zwar unmittelbar (aktuell, situationsgebunden) die "konkreten einzelnen Rechtsgüter"1S2; "Strafdrohung und Strafe für den wirklich betätigten Abfall von den Grundwerten rechtlichen Handelns"153 haben aber letztlich eine tiefere Aufgabe (als den aktuellen RechtsgüterschutZ)IS4, sie dienen der Sicherstellung der unverbrüchlichen GeltungiSS der in der Achtung vor den Rechtsgütern bestehenden sozialethischen Akt- oder Handlungswerte 156.157 und (erst) mittelbar dadurch dem Schutz der Rechtsgüter, "auf die jene Aktwerte Ci. d. R.] bezogen sind" 158. Aufgrund dieser Trennung - unmittelbarer, aktueller Schutz der konkreten Rechtsgüter durch die Normen, mittelbarer Rechtsgüterschutz über den Schutz der (auf die Rechtsgüter bezogenen) Aktwerte durch die Strafsanktion wendet sich Welze! auch ausdrücklich gegen jene Auffassungen, die die Rechtsgüter selbst nicht als Realitäten, sondern als etwas Abstraktes, als Idee oder Institution begreifen. "Aller reine Rechtsgüterschutz ist notwendig augenblicksverhaftet und lagegebunden: Er ist auf den effektiven Erfolg abgestellt", sagt Welze[159 und fährt in der entsprechenden Fußnote l60 fort: "Dieser Konsequenz des Güterschutzgedankens kann man nicht dadurch entgehen, daß man den Güterschutz nicht auf die konkreten Rechtsgüter, z.B. auf die einzelnen Eigentumsobjekte l61 , sondern auf die ,Institution' oder die ,Idee' des Welzel StrafR § 1 12, S. 5. S. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 194, 202, 204. IS2 S. Welzel StrafR § 1 I, S.3 oberer Teil. 153 Welzel StrafR § 1 I, S.2 dritter Abs. 154 Welzel StrafR § 1 I, S. 3 oberer Teil. Denn dazu kommt das Strafrecht ja gerade dort, wie Welzel a.a.O. zutreffend bemerkt, wo es durch die Strafverhängung [im Unterschied zur Strafandrohung] "real in Aktion tritt, regelmäßig zu spät". ISS Welzel StrafR § 1 I, S. 2 dritter Abs. u. S.3 oberer Teil a. E.; ders., Kohlrausch-FS, 101 [114 Mitte]. 156 S. Welzel StrafR § 1 I, S. 3 vorletzter Abs. a. E. 157 "Denn", so erläutert Welzel diesen wesentlich(st)en Aspekt des Strafrechts, "die wichtigste Funktion vollzieht das Strafrecht - was der Jurist allzuleicht vergißt - nicht in jenen Konfliktsfällen, in denen der Strafrichter in Aktion tritt und Strafe verhängen muß, sondern in den unvergleichlich zahlreicheren Fällen, in denen seine Normen von selbst, gleichsam lautlos befolgt werden, weil es durch seine Existenz die Geltung der rechtlichen Gesinnungswerte als der selbstverständlichen Richtschnuren des Handelns in Kraft hält." (Kohlrausch-FS 101 [113 zweiter Abs. a. E.]) 158 Welzel StrafR § 1 I, S. 3 oben. 159 Kohlrausch-FS 101 [110]. 160 A.a.O. (Fn.159) S.110 Fn.10 [S.110j111], Hervorhebungen dort. ISO
ISI
F. I. Das Rechtsgut als realer Gegenstand
51
Eigentums bezieht. Real schützen kann man nicht eine Institution oder Idee, sondern auf der Güterseite - nur die wirklichen Güter. Die ,Idee' oder ,Institution' des Eigentums kann man nur schützen, indem man den Aktwert der Ehrlichkeit aufrecht erhält. In der verfehlten Vorstellung vom Schutz der Eigentumsidee und dgl. steckt in Wahrheit der Gedanke vom Schutze der Gesinnungswerte. Das Gleiche gilt gegen die ,abstrakte' Ausdeutung des Güterschutzgedankens bei Li s z t, der den kriminellen Gehalt der falschen Aussage in der ,abstrakten' Gefährdung der richtigen Entscheidung sieht ( ... ). Der Schutz vor der ,abstrakten' Gefährdung ist nichts anderes als der Schutz des Gesinnungswertes wahrheitsgemäßen Aussagens l62 • Und doch ist das Verkennen dieses Gesinnungswertes und seine Umdeutung in den Gütergefährdungsgedanken folgenschwer genug: ein wir k I ich ,materielles' Güterschutzdenken [- womit Welzel ein allein am Erfolgsunrecht (bzw. dessen unmittelbarer Verhinderung) orientiertes Denken meint l63 - ] wird eben nur in der wirklichen (konkreten) Gefährdung der richtigen Entscheidung das materielle Unrecht sehen ... "
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Mit den im zweiten Teil der oben wiedergegebenen Passage enthaltenen Ausführungen ist natürlich nicht gemeint, daß der Schutz des Aktwertes wahrheitsgemäßen Aussagens vor Gericht (usw.) Selbstzweck sei, also keinem Rechtsgut (i. S. Welzels) diene; vielmehr schützt die Norm "Du sollst vor Gericht (usw.) als Zeuge oder Sachverständiger nicht falsch aussagen!" - wie aus den obigen Darlegungen Welzels deutlich hervorgeht - "die richtige Entscheidung" bzw. besser: die Findung der richtigen tatsächlichen Entscheidungsgrundlage in dem in Rede stehenden konkreten Verfahren. Was Welzel mit seinen Ausführungen erklärt und rechtfertigt, ist primär nicht die Norm, die (unter allen Umständen) zu wahrheitsgemäßem Aussagen verpflichtet, um der Möglichkeit einer Gefährdung oder Verhinderung der - konkreten - Wahrheitsfindung vorzubeugen, sondern die Strafe, die auch dann eintritt (verhängt wird), wenn es weder zu einer definitiven Verhinderung der Wahrheitserkenntnis noch zu einer (ohnehin nur schwer - wenn überhaupt - nachweisbaren) konkreten Gefährdung der Wahrheitsfindung in dem fraglichen Verfahren gekommen ist. Diese (die Strafe),
161 Damit hat Welzel allerdings das konkrete Rechtsgut der §§242, 246 StGB nicht getroffen. Das einzelne Eigentumsobjekt, d. h. die (fremde) Sache, ist nur das Handlungsobjekt. Geschütztes Rechtsgut in den §§242, 246 StGB ist "das Eigentum"; aber - und insofern hat Welzel, was hier das Entscheidende ist, völlig recht - nicht "das Eigentum" als Institution (vgl. Art. 141 1 GG) oder als "Idee" oder dergl., sondern das einzelne konkrete Eigentum(srecht), und zwar in seinem sich aus § 903 BGB ergebenden Inhalt und (hauptsächlich) im Hinblick auf eine Beeinträchtigung der dem Eigentümer damit - d. h. mit dem in § 903 1. HS BGB ausgesprochenen Grundsatz - eröffneten tatsächlichen und rechtlichen Nutzungsmöglichkeiten (aber auch hinsichtl. seiner "schlichten" Befugnis, andere von jeder Einwirkung auszuschließen [§903 2. HS BGB]). 162 Diesbezüglich hatte Welzel a. a. O. (Fn. 159) zuvor auf S. 109 ausgeführt: "Indem es [scil. das Strafrecht] den Meineid und die uneidliche falsche Aussage ohne Rücksicht auf die Bedeutung des Aussageinhalts bestraft, hält es die uneingeschränkte Geltung des Aktwertes der Wahrhaftigkeit der Beweisaussage vor Gericht aufrecht." 163 S. a.a.O. (Fn.159) S.107 mit Fn. 7 a.
4*
52
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
so meint Welzel, kann nicht- bzw. nur bei Umdeutung-mit der Behauptung, "die [konkrete?] Wahrheitsfindung" sei "abstrakt" in Gefahr geraten, gerechtfertigt werden, sondern - und das ist der primäre Sinn seiner Darlegungen nur damit, daß der durch die Falschaussage dem "Aktwert der Wahrhaftigkeit der Beweisaussage vor Gericht" 164 zugefügte Geltungsschaden durch die Strafe "kompensiert" werden muß, um so die unverbrüchliche (rechtliche und faktische) Geltung dieses Aktwertes zu bestätigen und auf diese Weise zukünftigen Falschaussagen und damit möglichen Gefährdungen der Wahrheitsfindung in anderen (konkreten) Verfahren vorzubeugen. Nur so könne auch die These von der "abstrakten" Gefährdung sinnvoll verstanden werden. - Ein Aspekt, auf den später noch näher einzugehen sein wird 165.
3. Das Gesetz Bevor die Auffassungen, die das Rechtsgut als abstraktes, ideelles Gebilde ansehen, behandelt werden, ist - last, not least - noch hervorzuheben, daß auch das Gesetz in den wenigen Fällen, in denen es vom "Rechtsgut" spricht, dieses als realen Gegenstand/Zustand/Sachverhalt etc. auffaßt. Von "Rechtsgütern" ist zunächst einmal in den gesetzlichen Überschriften der
§§ 5 StGB [Auslandstaten gegen inländische Rechtsgüter] und 6 StGB [Aus-
landstaten gegen international geschützte Rechtsgüter] die Rede. Daß sich die in § 5 StGB genannten Straftaten auf reale Rechtsgüter und nicht auf "staatenlose ideelle Werte" beziehen, ist offensichtlich. Das gleiche gilt aber auch für § 6 StGB166; wenn Schmidhäuser dies in bezug auf die in §6 Nrn.4 u. 6 StGB genannten Straftaten der "Förderung der Prostitution in den Fällen des § 180a Abs.3 bis 5 [StGB]" und der "Verbreitung pornographischer Schriften in den Fällen des § 184 Abs. 3 [StG B]" bestreitet 167, so ist das unrichtig und anscheinend zum einen dadurch bedingt, daß nach Schmidhäuser Sachverhalte immer schon dann, wenn sie etwas komplexer sind 168 - insbesondere "nicht ... als einzelne handfeste [!] Objekte verletzt werden können"169 - , ideell gesehen werden müssen 170; zum anderen könnte die gegenteilige Auffassung Schmidhäusers aber auch auf einer Verkennung der mit den genannten Strafvorschriften verfolgten Schutzzwecke beruhen; diese schützen nämlich keineswegs "die
S.o. Fn. 162. S. unten unter F II 2 h und insbes. j, namentl. nach Fn. 380 und bei Fn. 391. 166 So auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S.194 (bzgl. §§5, 6 StGB wie auch in bezug auf den "Schutz ,ausländischer Rechtsgüter' durch deutsche Strafnormen, wie er in der Theorie des Internationalen Strafrechts ... vorausgesetzt wird" [so Jescheck AT § 18 III 8, S. 158/159]). 167 AT 2/37, S.4O; StudB AT 5/36, S. 86/87. 168 AT 2/30, S.37; StudB AT 5/26, S. 84. 169 StudB AT 5/26, S.84; ganz ähnlich AT 2/30, S.37. 170 A.a.O. (Fn.168). 164 165
F. I. Das Rechtsgut als realer Gegenstand
53
Sittlichkeit"17l; § 180a III StGB (Anwerbung zur Prostitution) beispielsweise dient dem Schutz der zwecks Veranlassung zur Prostitutionsausübung (in einem fremden Land) angeworbenen bzw. anzuwerbenden Personen "vor den mit der Prostitution für sie und ihre persönliche Freiheit verbundenen Gefahren"172; geschützt werden also reale Personen vor möglichen Gefahren, die sich in bezug auf ihre sexuelle Selbstbestimmung, persönliche und wirtschaftliche Freiheit/Unabhängigkeit usw. ergeben können, kurz: bestimmte reale Rechtsgüter der potentiellen realen Opfer. Besonders deutlich tritt die Auffassung des Gesetzes vom Rechtsgut als realem Gegenstand/Zustand/Sachverhalt etc. in den §§34 StGB, 160WiG [Rechtfertigender Notstand] zutage. §34 StGB lautet 173 : "Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden."174
"Das Rechtsgut, von dem das Gesetz hier spricht, ist nicht das Rechtsgut als Institution", führt Amelung 175 zutreffend aus, und auch nicht - so ist zu ergänzen - das Rechtsgut als "Idee" oder als "ideeller Sozialwert" , "abstrakte Wertgattung" oder dergl.1 76 , "sondern das Rechtsgut i. S. Welzels, denn nur 171 S. zur Sittlichkeit (als "Scheinrechtsgut") bereits oben unter F I 2 bei Fn. 128 u. 129 (WelzeT) sowie in Fn. 129 u. 141; s. des weiteren Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 208. - Sie schützen auch nicht die "Ordnung des Sexuallebens als Rechtsgut" (wie Schmidhäuser BT 13/31, S.163 meint) - oder den hiervon ausgehenden Achtungsanspruch, das ("eigentliche") Rechtsgut i. S. Schmidhäusers -. Die "Ordnung des Sexuallebens" ist im übrigen ebensowenig ein Rechtsgut i. S. eines von der Norm (bzw. den Normen) geschützten Gegenstandes/Sachverhaltes etc. wie "die Sittlichkeit"; sie ist vielmehr nichts anderes als der Komplex der diese Ordnung konstituierenden, d.h. regelnden Normen (abstrakte Betrachtungsweise) sowie das diesen Normen entsprechende tatsächliche Verhalten der Bevölkerung (reale Betrachtungsweise). Sieht man also im wesentlichen "die Sittlichkeit" oder die "Ordnung des Sexuallebens" durch die bzw. einige der im 13. Abschnitt des BT des StGB enthaltenen Strafvorschriften als geschützt an, dann hat man es nicht mehr mit einem Rechtsgut i. S. Welzels zu tun, sondern mit einem ganz anderen Gegenstand strafrechtlichen Schutzes; dann geht es nämlich um den Schutz der Normgeltung oder der Geltung der Aktwerte i. S. Welzels, und dann und insoweit könnte man einer Kennzeichnung des geschützten Gegenstandes als "abstrakt" oder "ideell" in der Tat schon eher nähertreten. - Vgl. grundsätzlich auch Jakobs AT, der die Normen bzw. die - praktizierte - Normgeltung als Strafrechtsgut und den Schutzgegenstand der Norm als Rechtsgut bezeichnet (2/1, 2, S.27/28 u. 2/7, S.30). 172 S/S/Lenckner § 180 a Rdn. 1. 173 § 16 OWiG ist fast wortgleich mit §34 StGB; der einzige Unterschied besteht darin, daß es dort, wo in §34 StGB von "Tat" die Rede ist, in §160WiG "Handlung" heißt. 174 Hervorhebungen von mir. 175 Rechtsgüterschutz S.206. 176 S. o. unter E bei Fn. 91-102.
54
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
dieses kann in ,gegenwärtige Gefahr' geraten I77 [,] und nur dieses, nicht aber die Geltung von Rechtsnonnen [oder dergI.] darf der im Notstand Handelnde retten." 178 Dies erkennt im übrigen auch Schmidhäuser an: "In § 34 (Rechtfertigender Notstand) wird die ,Gefahr für ein Rechtsgut' vorausgesetzt; hier ist eindeutig die Gefahr für ein Rechtsgutsobjekt gemeint. "179 - Natürlich meint das Gesetz auch "Rechtsgut" , wenn es "Rechtsgut" sagt. Was Schmidhäuser sagen will, ist, daß das Gesetz unter "Rechtsgut" eindeutig den realen Gegenstand versteht, den er "Rechtsgutsobjekt" nennt, weil er, Schmidhäuser, in Abweichung von der Auffassung und Terminologie des Gesetzes unter "Rechtsgut" nicht den realen Gegenstand, sondern den von diesem "ausgehenden" "ideellen Achtungsanspruch" versteht - ein Umstand, der Amelung zu der berechtigten Bemerkung veranlaßt hat, daß es 180 fraglich sei, "ob Schmidhäuser dem pädagogischen Erfolg seines doch für Studenten bestimmten Lehrbuches 181 dient, wenn er sehenden Auges vom Sprachgebrauch des Gesetzes abweicht" 182 • Diese terminologische wie sachliche Diskrepanz zwischen dem Standpunkt des Gesetzes einerseits und demjenigen Schmidhäusers andererseits besteht natürlich - nach wie vor fort, da zwischenzeitlich auf keiner Seite Änderungen eingetreten sind. Geändert hat sich nur die Darstellungsweise Schmidhäusers, da er inzwischen erkannt hat, daß auch andere reale Sachverhalte/Zustände etc., die nicht unter seine enge Auffassung vom "Rechtsgutsobjekt" fallen, in die "gegenwärtige Gefahr" einer negativen Veränderung/Beeinflussung geraten können. Die dies berücksichtigende neue Fonnulierung, mit der Schmidhäuser in seinem Studienbuch 183 unter der Rubrik "Der Ausdruck ,Rechtsgut' in Gesetz und Wissenschaft" zu § 34 StGB Stellung nimmt, hebt den sehr wesentlichen, geradezu elementaren Unterschied zwischen der realen Betrachtungsweise des Rechtsguts durch das Gesetz und der ideellen Rechtsgutsauffas177 S. hauptsächlich in bezug auf die (mit der gegenwärtigen nicht identische) konkrete Gefahr (den konkreten Gefahrerfolg) - ausführlich unten unter F 11 2 (punkt 2), F 11 2 e bei und nach Fn. 298 sowie F 11 2 g, insbes. nach Fn. 339, nament!. bei und in Fn.340 u. 341. 178 Amelung a. a. o. (Fn. 175). Die Bestätigung der Geltung von Rechtsnormen bzw. der (empirischen) Geltung der Rechtsordnung (selbst, im ganzen), Rechtsbewährungsprinzip, ist - wegen des dort vorausgesetzten rechtswidrigen AngrifTs - eine spezifische Besonderheit des Notwehrrechts, s. Amelung a. a. O. in Fn. 148; Schmidhäuser AT 9/84,86, 87; S.339, 340fT.; S/S/Lenckner § 34 Rdn. 1, 40, § 34 Rdn.1. 179 AT 2/37, S.40. 180 Auch in Anbetracht des weiteren Gesichtspunktes, daß auch "der überwiegende Teil der ,traditionellen' Lehre" doch wohl eher der RechtsgutsaufTassung des Gesetzes und Welzels nahesteht, wie in den Fällen der Kennzeichnung der Rechtsgutsverletzung als Erfolgsunrecht deutlich wird (Amelung, Rechtsgüterschutz, S.212). 181 Hier verweist Amelung auf Schmidhäusers Vorwort zur ersten Auflage seines Lehrbuchs; das gleiche gilt für das Vorwort zur zweiten Auflage. 182 Rechtsgüterschutz S. 212. 183 StudB AT, 1. Aufl.1982, 5/36, S.84; StudB AT, 2. Aufl.1984, 5/36, S.86/87.
F. ll. Das Rechtsgut als ideeller Wert
55
sung Schmidhäusers leider nicht mehr so deutlich hervor wie die oben 184 zitierten Ausführungen in seinem Lehrbuch. Klar wird der - auch gar nicht hinwegzudiskutierende - Unterschied aber später wieder bei den Darlegungen zu § 34 StGB herausgestellt: "Rechtsgut ist hier [scil. in § 34 StGB] als das konkrete Objekt 185 verstanden oder als der konkrete, positiv bewertete Sachverhalt l86 , nicht als der ideelle Achtungsanspruch als solcher" 187 (letzterer ist das Rechtsgut i. S. Schmidhäusers).
11. Das Rechtsgut als ideeller Wert Die Auffassung, die Rechtsgüter seien nicht die realen, positiv bewerteten Güter selbst, sondern von diesen Gütern (den realen konkreten Einzeldingen/ Sachverhalten etc.) unabhängige ideelle Werte oder dergI., ist weit verbreitet l88 • 1. Die unbeantwortete Frage nach Grund 189 und Nutzen einer Idealisierung des Rechtsguts
Allzu präzise Aussagen darüber, wie man sich das Wesen dieser ideellen Werte vorzustellen hat, finden sich allerdings nicht. Faßt man sie als etwas zeitlos Allgemeines (als Sein höherer Ordnung) auf, begreift man sie, wofür die unverkennbar von Platons Ideenlehre inspirierte Formulierung leschecks l90 Bei Fn.179. Das ist das Rechtsgutsobjekt i. S. Schmidhäusers; z. B. "das Leben eines konkreten Menschen" (s. AT 2/31, S. 37). 186 Hierfür hat Schmidhäuser keinen Ausdruck. D.h.: Wenn das, was das Gesetz und Welzel "Rechtsgut" nennen, nicht mehr oder weniger unmittelbar mit einem körperlichen Gegenstand zusammenhängt, sondern in einem "komplexeren" Sachverhalt/Zustand/ Prozeß etc. besteht (wie z. B. das Vermögen einer bestimmten Person, die Wahrheitsermittlung und -erkenntnis in einem konkreten Verfahren, die "gesunde" körperliche und psychische Entwicklung einer [konkreten] Person unter 16 Jahren [§ 170d StGB], derreale - öffentliche Friede [so Schmidhäuser BT 13/22, S. 161]), dann gibt es in der Sprache Schmidhäusers hierfür keinen terminus technicus (s. des näheren unten unter F II 2c). Dieser Umstand führt bei Schmidhäuser (BT, nicht: AT) auch häufig zu Fehlaussagen. So ist z. B. die a. a. O. verwendete Formulierung, § 166 StGB sei "als konkretes Gefährdungsdelikt auf den öffentlichen Frieden als Rechtsgut bezogen", nach Schmidhäusers Verständnis und Terminologie unrichtig. Denn konkret gefährdet werden können, wie Schmidhäuser selbst zutreffend betont (Engisch-FS 433[446]), nur reale Gegenstände und Sachverhalte, "nicht aber ein ideeller Anspruch". Rechtsgut i. S. Schmidhäusers ist aber der öffentliche Friede als "ideeller Achtungsanspruch" (d.h. der von dem realen, positiv bewerteten Sachverhalt "öffentlicher Friede" - s.o. unter D I bei und nach Fn.46 ausgehende "ideelle Achtungsanspruch"). 187 Schmidhäuser StudB AT, 1. Aufl., 6/37, S.14O; StudB AT, 2. Aufl., 6/37, S.142. 188 S.o. unter E bei und in Fn.91-102. 189 Zu einem möglichen, aber nicht tragfähigen Grund für eine "Vergeistigung" des Rechtsguts s. bereits oben Fn.148. 190 AT, 3.Aufl.(1978), §2614, S.208. In bezug auf die Beziehung Rechtsgut Handlungsobjekt wie Idee und Erscheinung ebenso AT, 4. Aufl. (1988), §26I4, S.234 184 185
56
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
sprechen könnte, als unvergängliche Ideen, also als ein sich niemals änderndes, sich immer gleichbleibendes Seiendes, dann ist offensichtlich, daß sie (die ideellen Werte) des strafrechtlichen Schutzes nicht bedürfen, da sie dem Zugriff des Täters völlig entzogen sind 191. Aber auch wenn man sich die ideellen Werte nicht als zeitlos gültig, als objektiv für sich selbst bestehend vorzustellen hat, sondern ihr ideales oder irreales Sein als vom menschlichen Denken abhängig auffaßt, indem man ihre "Existenz" und ihre Inhalte als das Produkt von Allgemeinvorstellungen begreift 192 ,so sind sie doch auch bei diesem Verständnis in ihrem idealen oder irrealen Sein einer kausalgesetzlichen Verletzung durch die reale Handlung des Täters entzogen, und es stellt sich wiederum die Frage, warum sie eigentlich geschützt werden müssen 193. Plausible Gründe hierfür sind kaum ersichtlich 194 und werden von den Vertretern einer ideellen Rechtsgutsauffassung auch nicht 195 genannt l96 , obwohl die Beweislast für Sinn und Nutzen dieser doch offensichtlich äußerst problematischen Konstruktion bei ihnen liegt 197 • (hier wiedergegeben unten unter F 11 2 b bei Fn. 215); da Jescheck die Rechtsgüter jedoch in der 4. Auflage (a. a. O. S. 233) nicht mehr als ideelle (so die 3. Aufl. a. a. 0.), sondern als geistige Werte der Sozialordnung bezeichnet, erinnern seine Ausführungen jetzt nicht mehr ganz so stark an Platon, sondern sprechen mehr für die zweite Sichtweise (s. sogleich oben im Text u. Fn. 192). 191 S. bereits oben Fn. 101, wo darauf hingewiesen wurde, daß v. Liszt die Rechtsgüter = Begriffe als "unsterblich, mithin auch unverletzlich" bezeichnete. 192 In diesem Sinne anscheinend Schmidhäuser AT 6/6, S.142: "So wird auch das Rechtsgut Leben in jedem Willensverhalten, das sich gegen das Leben eines Menschen richtet, nur ,verletzt'., mag auch dieses konkrete Leben vernichtet werden; der ideelle Anruf hinsichtlich aller anderen Leben und damit das Rechtsgut Leben besteht fort, solange es im Objektiv-Geistigen des lebendigen Wertbewußtseins eines Gemeinwesens anerkannt ist." S. des weiteren auch Schmidhäusers Ausführungen a.a.O. 6/19-23, S.151-154, wo er von der "Geltung" der Werte "des objektiv-allgemeinen Geistes", der "fortdauernde(n) soziologische(n) Geltung der Werte", dem "objektiven Geiste" ["Der Begriff des objektiven Geistes ist nicht etwa der eines zeitlos objektiv Gültigen", a.a. 0.6/16, S. 149], der "objektiv-geistigen Idee des Guten" spricht und in Fn.11 aufS. 151 daraufhinweist: "Diese Darstellung hat nichts mit der Frage zu tun, ob es ein ,an sich seiendes Reich der Werte', einen absoluten Wertehimmel oder dergl. gibt." - So (jetzt) wohl auch Jescheck (s.o. Fn. 190) AT, 4. Aufl. (1988), § 26 I 4, S. 233: "Die Rechtsgüter sind ... geistige Werte der Sozialordnung" . 193 S. bereits Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 106, 175, 199, 344. 1~ Bis auf den der Norm- bzw. Wertgeltungsschädigung bzw. -gefährdung, s. dazu unten unter F 11 2 h. Dieser Aspekt erklärt jedoch gleichwohl nicht, warum man die Normbzw. Wertgeltung zum (eigentlichen) Rechtsgut erheben sollte. Vielmehr kann das Rechtsgut seine für die Strafrechtsdogmatik und -gesetzgebung bedeutsamen Funktionen nur erfüllen, wenn es nicht mit einer diffusen "Wertgeltung" gleichgesetzt, sondern i. S. Welzels als eben der wirklich verletzbare und daher durch die Strafnorm(en) geschützte reale Gegenstand aufgefaßt wird. 195 Jedenfalls nicht im Rahmen der Rechtsgutsdefinition. 196 Bis auf Sax JZ 1976, 429 [432 re. Sp./433 li. Sp. mit Fn.32], der auf die eben in Fn.194 angesprochene Wert- bzw. Rechtsgutsgeltungsgefährdung abstellt und damit immerhin überhaupt eine irgendwie geartete Beeinträchtigungsmöglichkeit jener ideellen Werte, aus der sich dementsprechend auch eine Schutzbedürftigkeit ableiten läßt, nennt.
F. 11. Das Rechtsgut als ideeller Wert
57
Kein Grund für eine "Vergeistigung"198 des Rechtsguts ist jedenfalls die häufig angeführte Behauptung, man dürfe bei der Bestimmung des Rechtsguts(begriffs) "nicht in einem materialistischen Denken befangen bleiben" 199. Denn erstens ist nicht einzusehen, warum man z. B. die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit (d.h. die Verwundung) von Herrn X oder die Verunreinigung des Starnberger Sees (s. §324I StGB) nicht "materialistisch" begreifen soll. Wie denn sonst? Und zum anderen folgt aus der zutreffenden Erkenntnis, daß nur die wenigsten Rechtsgüter (unmittelbar) der bio-physikalischen Körperwelt angehören und damit "naturwissenschaftlich-kausal"200 verletzt werden können, nicht, daß deshalb - um auch andere schützenswerte Phänomene durch den Begriff "Rechtsgut" zu erfassen - gleich zu einer "Vergeistigung" oder "Idealisierung" gegriffen werden müßte 201 . Denn die Alternative lautet nicht: "materiell" (körperlich) oder "ideell" (nur in der Vorstellung vorhanden, irreal) mit der Folge, daß alles, was kein körperlicher Gegenstand ist, der Sphäre des Ideellen angehört. Die Alternative zu "ideell" (irreal) ist vielmehr "real" (tatsächlich, wirklich), und die Realität ist mehr als eine bloße Ansammlung beziehungslos nebeneinanderstehender körperlicher Gegenstände. Menschen und Sachen kommen vielmehr die vielfältigsten Eigenschaften zu, und sie stehen unter- und miteinander in den mannigfaltigsten Beziehungen; diese durch das "Sich-Verhalten" der Sachen und Menschen gebildeten Sachverhalte sind, da reale Gegenstände betreffend, real. Ebenso real und nicht im Reich des Metaphysisch-Ideellen angesiedelt ist auch die "Kausalität im Bereich der seelisch-geistigen Phänomene"202 (sog. psychische Kausalität). Ein Grund für die "Vergeistigung" und "Idealisierung" des Rechtsguts ist mithin aus der Erkenntnis, daß das Strafrecht nicht nur körperliche Gegenstände in ihrer Körperlichkeit schützt, nicht abzuleiten.
2. Die wichtigsten inhaltlichen und terminologischen Implikationen und Konsequenzen einer Idealisierung des Rechtsguts Faßt man die Rechtsgüter gleichwohl als von den realen Gegenständen und Sachverhalten losgelöste ideelle Werte oder dergl. auf, dann erfordert dies die unbedingte Beachtung der folgenden zwei Punkte, da andernfalls entweder (bei
199
S. bereits Amelung, Rechtsgüterschutz, S.175. BleiAT §2411, S.89. Blei a.a.O. (Fn.198); s. ferner z. B. Kohlrausch/Lange System. Vorbem. III 1, S.13
200
Schmidhäuser, Engisch-FS, 433 [444].
197 198
unten.
201 Diesen Eindruck erwecken aber z. B. die Ausführungen von Blei AT § 24 11, S. 89/90,
für den "Gewahrsam" schon etwas "Vergeistigtes" zu sein scheint (s. a. a. O. S.90), und von Schmidhäuser a.a.O. (Fn. 200) S.442-445 sowie AT 2/30,34, S.36/37 u. S.38/39. 202 Schmidhäuser a. a. O. (Fn. 200), der diese sog. psychische Kausalität anscheinend als Argument für die "Vergeistigung" und "Idealisierung" des Rechtsguts benutzen will, s. auch a.a.O. S.442/443.
58
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Nichtbeachtung von Punkt 1) die ganze Konstruktion ad absurdum geführt wird oder (bei Nichtbeachtung von Punkt 2) widersprüchliche bzw. unverständliche Aussagen gemacht werden, was nicht gerade selten ist. 1) Zu jedem Rechtsgut im abstrakten, ideellen Sinne gibt es, wenn die fragliche Strafvorschrift ein Rechtsgut i. S. Welzels schützt 203 , ein Rechtsgutsobjekt. Oder anders ausgedrückt: Das Rechtsgutsobjekt i. S. der abstrakten Rechtsgutstheorie ist identisch mit dem Rechtsgut i. S. Welze/s. 2) Kausal verletzt und konkret gefährdet werden kann nur ein realer Gegenstand/Sachverhalt etc., also das Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekt und das Rechtsgutsobjekt; die ideellen Rechtsgüter dagegen gehören einer Sphäre an, in der die Kausalgesetze nicht gelten, sie sind daher dem (unmittelbaren) Zugriff des Täters entzogen. In bezug auf sie kann man nur im übertragenen Sinne (nämlich i. S. von Mißachtung/Zuwiderhandlung) von einer Rechtsguts" verletzung" sprechen; die Verwendung des Ausdrucks "Rechtsgutsgefährdung" in bezug auf das ideelle Rechtsgut ist prinzipielP04 dogmatisch und logisch falsch, da damit ein unmöglicher Vorgang bezeichnet wird. Im einzelnen: a) Die beiden unterschiedlichen Wortbedeutungen des Ausdrucks "verletzen"
Die Begriffe "Verletzung" und "Gefahr"/"Gefährdung" sind "Relationsbegriffe" 205 , d. h.: sie beziehen sich auf "etwas". Es gibt weder eine Verletzung noch eine Gefahr "an sich", sondern nur eine Verletzung" von etwas" und eine Gefahr "für etwas". Der Begriff der Verletzung bezieht sich auf einen - realen oder ideellen - Gegenstand/Sachverhalt, der verletzt wird; der Begriff der Gefahr bezieht sich auf ein Ereignis und einen Gegenstand/Sachverhalt, nämlich auf eine Verletzung, die an einem Gegenstand/Sachverhalt einzutreten droht bzw. die wahrscheinlich, möglich oder dergl. ist. Verletzung i. S. der ersten Wortbedeutung, also i. S. eines Verletzungserfolges als Resultat eines (verletzenden) Geschehens, ist die kausale - negative Veränderung eines (realen) Gegenstandes/Sachverhaltes etc., d. h. der qua Kausalität herbeigeführte - negative - Veränderungserfolg, der als ein von der Handlung abtrennbarer Sachverhalt/Zustand etc. an einem (realen) Gegen203 Mit dieser Einschränkung wird (lediglich) dem Umstand Rechnung getragen, daß möglicherweise - je nach Auffassung - nicht alle Strafvorschriften Rechtsgüter i. S. Welzels schützen, s.o. unter FI2 bei Fn.128 u. 129 (Welze/) und in Fn.129 u. 141 sowie nach Fn.140 und in Fn.144u. 171, s. des weiteren unten im2. Abschnitt nach Fn. 6 sowie Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 281 ff. ~ Bis auf die unten unter F II 2 g und h genannten Ausnahmen, die jedoch entweder unergiebig und nicht gemeint (F II 2 g) oder nur in den seltensten Fällen gemeint sind und durch andere, treffendere Ausdrücke ersetzt werden sollten, z. B. den der "Rechtsgutsgeltungsgefährdung" (F II 2 h, insbes. bei Fn.358). 205 Für den Begriff der Gefahr s. Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 75, 143 u. 199.
F. II. Das Rechtsgut als ideeller Wert
59
stand/Sachverhalt etc. eingetreten ist. Verletzbarkeit in diesem Sinne setzt daher begriffsnotwendig voraus, daß der fragliche Gegenstand/Sachverhalt etc. real und kausal- wie sonst? - veränderbar ist. All dies trifft zweifellos, nämlich per definitionern, auf die Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekte sowie die Rechtsgutsobjekte zu. Denn diese wurden, was ihre Beschaffenheit anbelangt, definiert als reale, kausal veränderbare Gegenstände/Sachverhalte etc. 206 Demgegenüber sind jene ideellen Rechtsgüter keine Bestandteile der realen Welt 207 , sondern "kausaler Einwirkung entrückte Gedankengebilde" 208 . Sie können daher nur in einem langfristigen und umfassenden gesamtgesellsehaftliehen Prozeß "umgewertet", d. h. - wenn man sie als vom menschlichen Denken abhängig auffaßt - abgeschafft, also vernichtet oder - wenn man sie sich als solche als unveränderlich und ewig denkt - in ihrer Geltung außer Kraft gesetzt werden 209 . Der unmittelbaren kausalen Beeinflussung durch den einzelnen Täter sind sie jedoch entzogen 210 . Als "irreale Sinngebilde"211 können die ideellen Rechtsgüter vom Täter nur im übertragenen Sinne, nämlich durch Mißachtung/Zuwiderhandlung, "verletzt" werden 212 . Dies sowie weitere Einzelheiten und Konsequenzen einer ideellen Auffassung vom Rechtsgut sollen im Folgenden, insbesondere anhand der Ausführungen von Jeseheek und Sehmidhäuser, näher dargestellt werden.
206 Hinsicht!. des Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekts s.o. unter C und D I; hinsicht!. des Rechtsgutsobjekts s. o. unter F II 2 (punkt 1) i. V. mit den Ausführungen unter E bei und nach Fn. 90 (insbes. bei Fn.107)und F I (1-3) sowie ausführlich sogleich unter F II 2 b und insbes. c (nament!. bei Fn.252): Rechtsgutsobjekt = Rechtsgut i. S. Welze/s = der durch die Norm geschützte reale, kausal veränderbare Gegenstand/Sachverhalt etc. 207 S.Jescheck AT, 3.Aufl. (1978), §2614, S.208: "Die Rechtsgüter sind nicht als greifbare Gegenstände der realen Welt zu verstehen, sondern sie sind ideelle Werte der Sozialordnung ... " (in der 4. Aufl. [1988] §2614, S. 233/234, wiedergegeben sogleich oben im Text [unter F II 2 b bei Fn. 215], nicht mehr ganz so deutlich); s. auch dens. in: LK Vor § 13 Rdn. 6: "Von dem Rechtsgut als ideellem Wert ist das Handlungs- oder Angriffsobjekt zu unterscheiden, das den einzelnen Strafvorschriften als Gegenstand der realen Welt zugrunde liegt... " 208 Amelung, Rechtsgüterschutz, S.302. 209 Vg!. Sax JZ 1976, 429 [432 re. Sp./433 li. Sp. mit Fn.32]; Schmidhäuser AT 6/6, S. 142; dens., Engisch-FS, 433 [446 Fn. 45]; dens. StudB AT 5/37, S.87. 210 Sachlich unzweifelhaft; s. Jescheck AT §2614, S.234; dens. in: LK Vor § 13 Rdn. 6; Schmidhäuser, Engisch-FS, 433 [444-446 mit Fn.45], jeweils teilweise wiedergegeben unten unter F II 2 e am Anfang. Gleichwohl werden von Vertretern einer abstrakten, ideellen Auffassung vom Rechtsgut immer wieder dieser Tatsache widersprechende Aussagen gemacht. 2ll S. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 302. 212 S.die in Fn.210 Genannten jeweils a.a.O. sowie z.B. Mittasch, Wertbeziehendes Denken, S.87/88.
60
I. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien b) Das Verhältnis Rechtsgut -
Realobjekt/-sachverhalt (Rechtsgutsobjekt)
Jescheck beschreibt die ideellen Güter und ihren Bezug zur Realität folgendermaßen: "Die Rechtsgüter sind nicht als der Sinneswahrnehmung zugängliche Gegenstände 213 zu verstehen, sondern sie sind [ideelle 214 bzw.] geistige Werte der Sozialordnung ... Der reale Gegenstand, an dem sich die tatbestandsmäßige Handlung vollzieht, heißt dagegen Handlungs- (oder Angriffs)objekt ... Rechtsgut und Handlungsobjekt sind wie Idee und Erscheinung aufeinander bezogen, aber [selbstverständlich!] begrifflich auseinanderzuhalten."215 Diese Behauptung über das Beziehungsverhältnis von Rechtsgut und Handlungsobjekt216 ist allerdings in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Denn zwar ist das Leben von Herrn Müller (= Handlungsobjekt in §212 StGB) die konkrete Erscheinung der Idee des menschlichen Lebens (= ideell verstandenes Rechtsgut der §§ 212,306 Nr. 2 StGB), jedoch trifft das auf sein Wohnhaus (= Handlungsobjekt in § 306 Nr.2 StGB) keineswegs zu; das Wohnhaus von Herrn Müller ist zweifellos nicht die konkrete Erscheinung der Idee des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (= ideell verstandene Rechtsgüter des § 306 Nr. 2 StGB). - Die Tatsache, daß Handlungsobjekt und Rechtsgutsobjekt bzw. geschütztes Handlungsobjekt 217 keineswegs immer identisch sind, ist gerade im Blick auf die abstrakten Gefährdungsdelikte von größter Bedeutung.
Nach Schmidhäuser können die Güter, also "das, was für jemanden wertvoll ist, seien es nun einfache Dinge, seien es komplexe Sachverhalte"218, einerseits, nämlich "soweit es sich um einfachere Sachverhalte handelt, sehr real gesehen 213 Bei Jescheck AT, 3. Aufl. (1978), §26 14, S.208 hieß es, daß die Rechtsgüter nicht "als greifbare Gegenstände der realen Welt" zu verstehen seien. - Warum hier "körperlich" ("greifbar") bzw. "der Sinneswahrnehmung zugänglich" und "real" einerseits und "ideell" bzw. "geistig" andererseits gegenübergestellt werden, was prinzipiell "verdächtig" ist (s.o. unter FII 1 nach Fn. 197), ist nicht ganz klar, da Jescheck zu den der realen Welt angehörenden Handlungsobjekten (s.o. Fn.207 sowie bereits Fn.43) - zu Recht - auch unkörperliche bzw. nicht der Sinneswahrnehmung zugängliche Gegenstände/Sachverhalte etc. zählt, nämlich z. B. den Geltungsanspruch des Beleidigten und das Vermögen (zu dem ja z. B. auch nicht sinnlich wahrnehmbare Forderungen gehören), jeweils a. a. o. (Fn.207, z. T. wiedergegeben oben in Fn.43); des weiteren sind als reale, aber nicht der Sinneswahrnehmung zugängliche Gegenstände/Sachverhalte etc. z. B. zu nennen: die Gefühle eines anderen (§ 183 a StGB) - diese Vorschrift stellt entgegen Jescheck AT (4.Aufl.) §26I3a, S.232 kein "reines Aktverbrechen" (= schlichtes Tätigkeitsdelikt) unter Strafe, sondern ein Verletzungserfolgsdelikt im engeren und materiellen Sinne (reales Rechtsgut [i.S. Welzels] = Rechtsgutsobjekt: die Gefühle eines [bestimmten] anderen), s. o. Fn. 54 (richtig daher Jescheck a. a. o. § 26 11 1 a, S. 234) -, das Hausrecht (§ 123 StG B), der Wille eines anderen (§ 240 StG B) und die seelische Gesundheit (§ 223 I 2. Alt. StGB). 214 So Jescheck AT, 3. Aufl., §2614, S.208. 215 AT (4. Aufl.) §2614, S.233/234. 216 Das ist der "konkrete Gegenstand, an [I] dem sich die tatbestandsmäßige Handlung vollzieht", Jescheck AT §2614, S.233. 217 So prinzipiell- die Terminologie Jeschecks, s.o. Fn.l08. 218 AT 2/30, S.36.
F. 11. Das Rechtsgut als ideeller Wert
61
werden"219. Andererseits - so Schmidhäuser - "können diese Güter aber auch rein ideell gesehen werden: als der Achtungsanspruch, der von ihnen [?] gegenüber jedermann ausgeht. Dann paßt der Ausdruck des Gutes auch aufjene komplexen Sachverhalte, die für das Gemeinwesen und die Gesellschaft wertvoll sind und nicht als einzelne Objekte verletzt werden können, sondern die verletzt werden als eben jene ideellen Achtungsansprüche, denen zuwidergehandelt wird ,Rechts 'gut ist ein solches ideell gesehenes Gut (also der Achtungsanspruch) " 220 • Darauf, daß Schmidhäuser an der oben mit einem Fragezeichen gekennzeichneten Stelle "eine erstaunliche sprachlogische Nachlässigkeit" unterlaufen ist, hat bereits Amelung 221 in bezug auf die insofern gleichlautende FornlUlierung in der ersten Auflage des Schmidhäuserschen Lehrbuchs 222 hingewiesen. Denn wenn nach Schmidhäuser die Güter, wenn sie "rein ideell gesehen werden", die Achtungsansprüche sein sollen, die von "ihnen" ausgehen 223 , dann ist zunächst einmal unklar, wie Amelung224 zutreffend bemerkt, ob "das Rechtsgut nun der Ursprung der Emanation des Achtungsanspruches oder dieser Achtungsanspruch selbst" ist. Gemeint ist letzteres, wie sich aus den oben im Folgenden zitierten Sätzen ergibt. Aber es besteht noch eine weitere, mit der ersteren unmittelbar zusammenhängende Unklarheit, nämlich die, ob das, wovon die Achtungsansprüche "ausgehen", nun die im ersten Teil des Satzes genannten "rein ideell gesehenen"225 oder die zuvor angesprochenen realen Güter sind. Auch hier ist letzteres gemeint, wie aus Schmidhäusers Ausführungen in seinem StudB AT hervorgeht: "Es können die Güter aber auch ideell gesehen werden: als der jeweilige Achtungsanspruch, der von den wertvollen Sachverhalten gegenüber jedermann ausgeht"226 ... "Rechtsgut ist nun ein solches ideell gesehenes Gut, also der von den wertvollen Sachverhalten ausgehende Achtungsanspruch"227. Da die Ausgangspunkte der ideellen Achtungsansprüche demnach - eindeutig 228 - die realen wertvollen Gegenstände und Sachverhal219 AT 2/30, S.37, Hervorhebung dort. Wieso man "einfachere Sachverhalte", nicht aber auch komplexe Sachverhalte "sehr real" sehen kann, sagt Schmidhäuser allerdings nicht. Dazu, daß man auch jene komplexen Sachverhalte, auf die sich das Strafrecht häufig bezieht, sogar real sehen muß, und zwar sowohl nach Schmidhäusers eigener Prämisse als auch aus Gründen eines sinnvollen Strafrechtsverständnisses, s. unten unter F 112 c, insbes. den vorletzten u. letzten Absatz. 220 A.a.O. (Fn.219), Hervorhebungen dort. 221 Rechtsgüterschutz S. 269 unten. 222 AT, 1970, 2/31, S.25. Der einzige Unterschied zwischen der Formulierung in der 1. Aufl. und der in der 2. Aufl. besteht darin, daß man die Güter in der 1. Aufl. lediglich mehr ideell sehen konnte, während man sie nunmehr in der 2. Aufl. rein ideell sehen kann bzw. muß. 223 Die Aussage lautet ja: Die (ideell gesehenen) Güter sind die von den (ideell gesehenen [?]) Gütern (!?) ausgehenden Achtungsansprüche. 224 A.a.O. (Fn.221). 225 S. o. Fn.223. 226 5/26, S.84, Hervorhebungen dort; s. auch sogleich Fn.227. 227 5/27, S.84, Hervorhebungen dort. - Zwar gibt es auch ideelle Sachverhalte, und nach Sax JZ 1976, 429 [432 re. Sp.] beispielsweise sind die "Rechtsgüter ... ideelle Sachverhalte",jedoch sind hier, in den oben wiedergegebenen Ausführungen Schmidhäusers, eindeutig die wertvollen realen Sachverhalte gemeint.
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
62
te, also die realen Güter sind, handelt es sich um ein - allerdings von Schmidhäuser selbst provoziertes 229 - Mißverständnis, wenn es bei Lenckner 2J1J heißt, Schmidhäuser bezeichne die Rechtsgüter "als die von den ideell zu verstehenden Gütern ausgehenden ,Achtungsansprüche' ".
Der Bezug dieser ideellen Achtungsansprüche zu den realen Gegenständen/Sachverhalten besteht nach Schmidhäuser - abgesehen davon, daß die ideellen Achtungsansprüche ja von den realen Gütem 231 "ausgehen" - darin, daß diese ideellen Achtungsansprüche an den realen Gegenständen und Sachverhalten (?) "haften". Diese realen Gegenstände und Sachverhalte (?), an denen der ideelle Rechtsguts- bzw. Achtungsanspruch "haftet", bezeichnet Schmidhäuser als "Rechtsgutsobjekte": "Rechtsgutsobjekt ist das einzelne konkrete Objekt, an dem der Rechtsgutsanspruch haftet [?] und das seinerseits in seinem Bestand verletzt oder gefährdet werden kann: das Leben dieses Menschen, diese einem anderen gehörende Sache 232 ; das Geldstück, das nicht verändert werden darf233 usw. Das Rechtsgutsobjekt ,entsteht' [?] also dadurch, daß es jenen Achtungsanspruch gibt [?], der generell von dem als wertvoll erlebten Sachverhalt ausgeht und der sich nun jeweils auf das einzelne Objekt verdichtet [?]. "234
Auch diese Ausführungen entbehren allerdings der nötigen Klarheit. Wer "entsteht" denn nun aus wem? Die Achtungsansprüche aus den Rechtsgutsobjekten (den wertvollen realen Gegenständen und Sachverhalten)235 oder die Rechtsgutsobjekte aus den Achtungsansprüchen 236 ? Und wie kann ein (rein) ideeller Achtungsanspruch an einem realen Gegenstand (oder Sachverhalt) "haften"?237 Diese Redeweise vom "Haften" jener ideellen Achtungsansprüche S.o. Fn. 227. S.o. Fn. 223. 2JIJ In: S/S Vorbem. §§ 13ff. Rdn.9, Hervorhebung von mir. 231 S. obigen Einschub. 232 Hier verwechselt Schmidhäuser allerdings ebenso wie Welzel (s. o. Fn.161) Handlungs- und Rechtsgutsobjekt (= Rechtsgut i. S. Welzels). Vom Standpunkt einer abstrakten, ideellen Rechtsgutsauffassung aus richtig Sax JZ 1976,429 [432 re. Sp. mit Fn. 28]: "Der durch eine Straftat getroffene konkrete Wert [mißdeutiger Ausdruck], etwa das Leben dieses in Tötungsabsicht angegriffenen Menschen oder das Eigentum [tl dieses bestimmten Menschen an dieser ihm gestohlenen beweglichen Sache, ist nicht selbst das geschützte Rechtsgut, sondern nur das ,Objekt', in dem sich die abstrakten Werte ,Leben' und ,Eigentum' konkret verwirklichen, also das ,Rechtsgutsobjekt' [- Fn.28: Es darf selbstverständlich nicht mit dem ,Handlungsobjekt', etwa der weggenommenen Sache selbst, verwechselt werden. -]." (Hervorhebung dort) 233 Auch hier nennt Schmidhäuser wieder nur das Tatobjekt. 234 Schmidhäuser AT 2/31, S. 37/38, Hervorhebung dort. 235 Indem sie (die Achtungsansprüche) von diesen (den Rechtsgutsobjekten, d.h. den wertvollen Gegenständen/Sachverhalten) "ausgehen". 236 Indem sich diese (die Achtungsansprüche) an die Realobjekte "anheften" oder sich "auf sie verdichten". 228
229
F. 11. Das Rechtsgut als ideeller Wert
63
an den wirklichen Dingen und Sachverhalten - aber auch die nicht näher spezifizierte These vom "Ausgehen" jener Achtungs"ansprüche" von den Gütern 238 - verschleiert nur die wirklichen Zusammenhänge: daß nämlich "die Achtung vor Rechtsgütern keine ontologische Qualität dieser Objekte, sondern ein Element der Setzung, der Norm-Setzung ist. Mag der (Kriminal-)Strafgesetzgeber auch an tief verinnerlichte Normen anknüpfen, die Achtung vor bestimmten wertvollen Objekten fordern - die Auswahl unter solchen Normen ist doch allemal ein politischer Akt. "239 Diese durch die Schmidhäusersche Darstellung vernachlässigte politische Dimension wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß z. B. "die grünen Bäume, das blaue Wasser und die munteren Fischlein"240 erst neuerdings durch das (rechts)güterkonstituierende Werturteil des Gesetzgebers (§§ 324ff. StGB) von einfachen Dingen zu "Achtung heischenden" Rechtsgütern (bzw. Rechtsgutsobjekten) erhoben worden sind. c) Inhalt und Bedeutung des Begriffs "Rechtsgutsobjekt"
Was den Begriff "Rechtsgutsobjekt" und die Bedeutung des Rechtsgutsobjekts selbst anbelangt, so wird ersterer von Schmidhäuser zu eng aufgefaßt und letztere viel zu gering eingeschätzt. Zwar bezeichnet der Begriff "Rechtsgutsobjekt" auch nach dem Verständnis Schmidhäusers nicht nur körperliche Gegenstände, sondern auch reale Zustände/Sachverhalte, wie sich insbesondere 241 daraus ergibt, daß er als Beispiel auch "das Gefangensein des einzelnen Strafgefangenen" als "Rechtsgutsobjekt für die Straftat der Gefangenenbefreiung" nennt 242 • Jedoch gibt es nach Schmidhäuser keineswegs zu jedem ideellen Rechtsgut ein reales "Rechtsgutsobjekt"243 - eine inakzeptable Konstellation, 237 S. dazu Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 141 mit Fn.72 (u. 73) u. S.269 unten/270 oben, hier wiedergegeben unten in Fn.265. 238 Vgl. auch Amelung a.a.O. (Fn.237) S.196unten, s. unten bei Fn.265. 239 Amelung a. a. O. (Fn. 237) S. 270 oben, Hervorvebung dort; s. auch dens. a. a. O. S.209 Mitte und S. 210 mittlerer Abs. a. E. 240 Armin Kaufmann JZ 1971, 569 [575 re. Sp. zweiter Abs.]. 241 D.h. abgesehen von der Bezeichnung des Lebens eines konkreten Menschen als Rechtsgutsobjekt, s. o. unter F II 2 b bei bzw. vor Fn.232; s. dazu auch oben Fn.46. 242 Schmidhäuser StudB AT 5/29, S.85. 243 S. Schmidhäuser StudB AT 5/29, S. 85, hier wiedergegeben sogleich oben im Text bei Fn.246, sowie dens., Engisch-FS, 433 [444]: "Soweit ein Rechtsgut überhaupt solch ein Objekt [seil. ein Rechtsgutsobjekt] zur Grundlage hat ... " - Wie Schmidhäuser auch Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung, S. 35 (der im übrigen a. a. O. im Text und in Fn. 20 in bezug auf §242 StGB [und §246 StGB] ebenso wie Welzel [s.o. unter FI2 bei und in Fn.161] und Schmidhäuser [s.o. unter FII2b bei und in Fn.232] ebenfalls das Rechtsgutsobjekt mit dem Handlungsobjekt verwechselt): "Allerdings entspricht nicht jedem anerkannten Rechtsgut auch ein Rechtsgutsobjekt; vielmehr gibt es durchaus Straftatbestände, die zwar ein Rechtsgut schützen, ohne aber ein diesem entsprechendes Rechtsgutsobjekt aufzuweisen. So ist das Rechtsgut der §§ 153fT. StGB die staatliche
64
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
die auf einer grundlegenden Verkennung dessen beruht, was der Begriff "Rechtsgutsobjekt" vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus zu leisten hat: nämlich die realen, wirklich veränderbaren und daher wirklich schutzbedürftigen Gegenstände/Sachverhalte/Prozesse etc. zu bezeichnen, die nach einer ideellen Auffassung vom Rechtsgut dessen reales "Substrat" oder "Korrelat" darstellen. Von dieser sowohl aus terminologischen wie auch insbesondere aus sachlichen Gründen dringend erforderlichen IdentifIzierung des Rechtsgutsobjekts mit dem Rechtsgut i. S. Welzels ist Schmidhäuser aber - entgegen der Darstellung Amelungs 244 - weit entfemt 245 • Schmidhäuser gelangt vielmehr unter dem Stichwort "Rechtsgutsobjekt" zu der folgenden abschließenden Beurteilung: "Die Feststellung dieses Begriffs ist nicht sonderlich bedeutsam; sie ist auch nicht für jedes Delikt möglich. So fehlt es z. B. bei der Herstellung einer ganz neuen Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr an einem konkreten Rechtsgutsobjekt. "246
Bei Zugrundelegung der im letzten Teil dieser Ausführungen zum Ausdruck gebrachten Vorstellung - Rechtsgutsobjekt bei der Urkundenfälschung ist, wenn vorhanden, die Urkunde 247 - ist die erste Aussage unbestreitbar richtig; denn mit diesem Inhalt ist der Begriff "Rechtsgutsobjekt" in der Tat sinnlos, da die von ihm erfaßten Gegenstände weitgehend mit den Tatobjekten identisch, von diesen jedenfalls nicht durch nachvollziehbare Kriterien zu unterscheiden sind 248 • Rechtspflege, dem kein im Tatbestand konkretisiertes Rechtsgutsobjekt gegenübersteht." Insbesondere letztere Aussage ist unrichtig; das konkrete, reale Rechtsgutsobjekt, das die den §§153ff. StGB zugrundeliegenden Normen schützen, ist die Wahrheitsermittlung/ -findung - d. h. die Ermittlung des der Entscheidung zugrunde zu legenden wahren Sachverhalts - in dem konkreten Verfahren, in dem die Beweisperson in Gemäßheit der §§ 153 ff. StGB aussagt, schwört oder an Eides Statt versichert; s. dazu bereits oben unter C bei und in Fn. 41 (dort unter dem Aspekt des Angriffsobjekts, welches aber in diesem Falle mit dem Rechtsgutsobjekt identisch ist) und unter F I 2 den letzten Absatz sowie insbes. unten Fn. 263; wie hier auch Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, S.33/34, hier wiedergegeben unten in Fn. 252. 244 Rechtsgüterschutz S.174, 196, 269, 275 u.ö. Nach Amelung entspricht das Rechtsgutsobjekt i. S. Schmidhäusers dem Rechtsgut i. S. Welzels, was jedoch leider offensichtlich keineswegs der Fall ist. 24S Deshalb kann auch der Beurteilung Amelungs, Rechtsgüterschutz, S.187 Fn.68, daß sich Schmidhäuser "mit seiner Gegenüberstellung von ,immateriellem' [= ideellem] Rechtsgut und ,Rechtsgutsobjekt' um eine angemessene Berücksichtigung des Standpunktes von Welzef' bemühe, nicht gefolgt werden. 246 StudB AT (2. Aufl.1984) 5/29, S.85; die Worte "ganz neuen" fehlen in der Vorauflage. 247 Arg. Fn. 246. S. auch bereits oben unter F II 2 b bei Fn. 232 u. 233 (Schmidhäuser AT 2/31, S.37): Rechtsgutsobjekt bei der Geldfälschung ist, wenn vorher vorhanden, das Geldstück; Rechtsgutsobjekt bei Diebstahl und Unterschlagung ist die fremde Sache (selbst). 248 Tat- oder Handlungsobjekt ist nach Schmidhäuser (StudB AT 5/30, S.85) "der Mensch oder Gegenstand, auf den sich die konkrete Tat bezieht, ohne daß man vom
F. II. Das Rechtsgut als ideeller Wert
65
Richtigerweise ist als Rechtsgutsobjekt der Urkundenfälschung jedoch nicht die (vorhandene) Urkunde anzusehen, sondern, und zwar - selbstverständlich - bei allen Varianten des § 267 I StGB gleichermaßen, der real- tagtäglichstattfindende "Interaktionsprozeß des ,Rechtsverkehrs' "249 (und damit - da dieser kein zusammenhängender einheitlicher Vorgang ist - alle einzelnen [gegenwärtigen und zukünftigen] rechtsgeschäftIichen und rechtserheblichen HandlungenjVerhaltensweisen)25o. Denn gäbe es den realen "Rechtsverkehr"die tagtäglich stattfindenden rechtserheblichen Handlungen - nicht oder wäre er nicht der real schutzbedürftige "komplexe Sachverhalt" (von dem bzw. von denen Schmidhäuser immer spricht, ohne sie allerdings näher darzustellen), dann gäbe es auch nicht das entsprechende Rechtsgut i. S. Schmidhäusers, nämlich den "vom (realen) Rechtsverkehr ausgehenden ideellen Achtungsanspruch" 251 , welcher gebietet, bei Teilnahme an ihm Täuschungen anderer Teilnehmer mit Hilfe unechter Urkunden zu unterlassen, bzw. verbietet, auf solche Täuschungen durch Urkundenfälschungen hinzuarbeiten. Entsprechendes gilt für alle anderen Straftatbestände: Das Rechtsgutsobjekt ist immer identisch mit dem Rechtsgut i. S. Welzels und kennzeichnet den geschützten einfacheren oder komplexeren wertvollen realen Gegenstandj SachverhaltjZustandjProzeß etc., von dem der ideelle Achtungsanspruch i. S. Schmidhäusers "ausgeht" (und an den er sich auch wieder "anheftet")252. Rechtsgutsobjekt sprechen könnte". "Beide können", was richtig ist, "im selben Objekt zusammenkommen, so das Leben eines Menschen als Rechtsgutsobjekt und dieser lebende Mensch als Tatobjekt." (Schmidhäuser AT 2/32, S. 38) - Die von Schmidhäuser als Rechtsgutsobjekte bezeichneten Gegenstände - Urkunde, Geldstück, Sache - sind jedoch in Wirklichkeit nur die Tatobjekte, s. o. Fn.232, 233 und sogleich oben im Text. 249 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 199 unterer Teil. 250 Dies sieht im übrigen der Sache nach wenn auch nicht unter dem Aspekt "Rechtsgutsobjekt" - auch Schmidhäuser (StudB AT 5/36, S. 87), wenn er bei §34 StGB [Rechtfertigender Notstand] hinsichtlich des Merkmals "gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut" ausfUhrt, damit sei "nicht nur die (reale) Gefahr für ein konkretes Rechtsgutsobjekt [in der engen Schmidhäuserschen Sichtweise] gemeint, sondern die Gefahr, daß ein dem Achtungsanspruch entgegenstehender Unwertsachverhalt herbeigefUhrt wird (z. B. bei der Urkundenfalschung, die das Rechtsgut der Sicherheit des Rechtsverkehrs betrifft, die Gefahr, daß jemand der ,Urkunde' vertraut, auf die Täuschung hereinfallt und eine rechtserhebliche Handlung vornimmt)"; zu der Ausdrucksweise "HerbeifUhrung eines dem Achtungsanspruch entgegenstehenden Unwertsachverhalts" s. unten Fn. 381. 251 Diese Formulierung wie auch die folgenden Formulierungen finden sich soweit ersichtlich - so bei Schmidhäuser nicht, sie stellen jedoch die konsequente Umsetzung seiner sonstigen AusfUhrungen dar. 252 In diesem Sinne nämlich: zu jedem ideellen Rechtsgut gibt es ein Rechtsgutsobjekt, und dieses entspricht dem, was hier als Rechtsgut i. S. Welzels bezeichnet wird ausdrücklich auch Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, S.33/34 (mit Distanzierung von der zu engen Schmidhäuserschen Auffassung vom Rechtsgutsobjekt in Fn. 52 a. E. [So 34]): " ... mit dem Begriff ,Rechtsgut' [ist] ein fUr die Rechtsgemeinschaft besonders wertvoller Zustand gemeint ... , der rein ideell zu verstehen ist [- Fn. 48: Vgl. leseheck, AT, §24I2 und§26I; Schmidhäuser, AT 2/30; Langer, Sonderverbrechen, S.286ff. -] ... Das so verstandene Rechtsgut hat jeweils ein reales Korrelat ... Das Rechtsgut als ideeller Wert 5 Graul
66
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Demgegenüber hat Schmidhäuser zur Kennzeichnung jener wertvollen komplexeren Sachverhalte, die ja notwendige Grundlage der angeblich von ihnen
"ausgehenden" ideellen Achtungsansprüche sind, überhaupt keinen terminus technicus 2s3 • Darin liegt mehr als die bloße Verkennung der dem Begriff "Rechtsgutsobjekt" vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus notwendig zufallenden "formalen" Funktion, nämlich zur Benennung und sachlichen Kennzeichnung sämtlicher realen "Wertsubstrate" - seien es einfache, seien es komplexe reale Gegenstände/Sachverhalte etc. - zu dienen. In dem Fehlen eines Ausdrucks zur Kennzeichnung jener komplexen wertvollen realen Sachverhalte, d.h. der "eigentlichen", "wirklichen" Schutzobjekte des Strafrechts, zeigt sich vielmehr auch, daß diesen realen Sachverhalten selbst eine viel zu geringe Bedeutung beigemessen wird: denn wofür man noch nicht einmal einen Begriff, eine Bezeichnung hat, das kann ja wohl auch nicht für sonderlich wichtig gehalten werden! Zu einer Vernachlässigung der realen Sachverhalte darf eine "Vergeistigung" des Rechtsguts jedoch keinesfalls führen. Denn ein strafrechtlicher Schutz ideeller Werte/ Achtungsansprüche läßt sich - wenn überhaupt - nur rechtfertigen, wenn und insoweit jene ideellen Werte/ Achtungsansprüche ein "Substrat" oder "Korrelat" in der Wirklichkeit haben 2S4 • Denn nur unter der Vorausset-
ist somit streng zu unterscheiden von den in der Wirklichkeit vorhandenen ,Realobjekten' , aus denen im Wege gedanklicher Abstraktion der Begriff des betreffenden Rechtsguts gewonnen worden ist. Diese ,Realobjekte' , die zur Verdeutlichung ihrer Beziehung zu den von ihnen verkörperten jeweiligen ideellen Rechtsgütern als ,Rechtsgutsobjekte' ... bezeichnet werden können, werden in jedem einzelnen StraJtatbestandvorausgesetzt. [Sehr richtig, denn der Schutz eines ideellen Wertes ohne "reales Korrelat" wäre absurd.] Injeder Strafvorschrift wird eine Rechtsgutsverletzung [d.i. die vorsätzliche oder (objektiv) sorgfaltswidrige Zuwiderhandlung gegen den ideellen (Rechtsguts-)Wert] normiert, die als Angriff oder auch nur als vorgestellter Angriff [z. B. beim Verletzungsversuch eines in Wirklichkeit gar nicht anwesenden Rechtsgutsobjekts] auf das reale Korrelat des betreffenden Rechtsguts, also auf das Rechtsgutsobjekt, beschrieben ist. [Dies ist allerdings in dieser Allgemeinheit nicht ganz richtig, wie die Problematik des subjektiven und objektiven "Ausschlusses einer konkreten Gefahr (für ein Rechtsgutsobjekt) im Einzelfall" bei den abstrakten Gefährdungsdelikten zeigt.] Die in den einzelnen Tatbeständen geschützten Rechtsgutsobjekte sind unterschiedlich schwer darzustellen, was mit der Einfachheit bzw. Komplexität ihrer Strukturierung zusammenhängt. Jedenfalls handelt es sich bei ihnen meistens nicht um ein einfaches, greifbares Objekt im engen Sinne ... , sondern um einen umfassenderen Sachverhalt ... Wird als Rechtsgut der Aussagedelikte (§§ 153ff.) das Interesse [unglückliche Formulierung] der staatlichen Rechtspflege an der Wahrheitsfindung (als ideeller Gemeinschaftswert) verstanden, so ist davon als geschütztes Rechtsgutsobjekt das konkrete Interesse [unglückliche Formulierung] eines einzelnen Rechtspflegeorgans an der Wahrheitsfindung in einem bestimmten Verfahren zu unterscheiden." (Hervorhebungen von mir) - In dem oben beschriebenen Sinne offensichtlich auch Sax JZ 1976, 429 [432 re. Sp. und insbes. 433 li. Sp.], der allerdings aus der zutreffenden Feststellung a. a. O. S.433 li. Sp. (hier wiedergegeben sogleich unten in Fn.255) eine unzutreffende Schlußfolgerung zieht (a. a. o. S.432 re. Sp.j433 li. Sp.), s. unten unter F III den ersten u. zweiten Absatz und insbes. bei u. nach Fn. 411 und nach Fn.419. 253 S. bereits oben Fn. 186.
F. H. Das Rechtsgut als ideeller Wert
67
zung, daß der Schutz jener ideellen Werte zumindest mittelbar dem Schutz von Realitäten zu dienen bestimmt und geeignet ist, kann er als sinnvolle und zulässige Aufgabe des Strafrechts gedacht werden 2S4 • Wenn und soweit jedoch ein reales "Wertsubstrat" oder ,,-korrelat" nicht nachgewiesen wird, führt die Annahme, das Strafrecht schütze ideelle Werte, zu der Behauptung, diese ideellen Werte würden um ihrer selbst willen, d. h. bloß wegen ihrer Eigenschaft, ideelle Werte zu sein, geschützt - eine zweifellos unrichtige These 2ss , der der alte Einwand Keßlers gegen v. Liszt entgegensteht, daß Strafgesetze nicht zum Schutze von Schimären, sondern von Realitäten erlassen werden 256.257. Man kommt daher - soll die Auffassung, die strafrechtlich geschützten Rechtsgüter seien ideelle Werte, nicht ad absurdum geführt werden - auch vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus nicht umhin, die realen (komplexen) Sachverhalte/Prozesse etc. - und die Art ihrer realen Beeinflußbarkeit - so genau wie möglich zu erfassen und darzustellen. Das gilt insbesondere für die Auffassung Schmidhäusers, nach dessen eigener Prämisse jene ideellen Achtungsansprüche ja von den wirklichen Gegebenheiten (erst) "ausgehen", mithin ohne diese nicht denkbar und ohne deren genaue Darstellung und Analyse auch in ihrem Inhalt gar nicht faßbar sind. "Eine Phänomeno254 Einzig mögliche Ausnahme: Anerkennung der Existenz(berechtigung) einiger weniger sog. "rechtsgutsloser Delikte", d. h. solcher Straftatbestände, deren zugrundeliegende Norm kein Rechtsgut i. S. Welzels schützt (s. hierzu oben unter F I 2 bei Fn.128 u. 129 [Welze~ und in Fn.129 u.141 sowie nach Fn. 140 und in Fn. 144 u. 171, des weiteren unten im 2. Abschnitt nach Fn.6 sowie Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 281 ff.). 255 Vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus sehr richtig daher Sax JZ 1976,429 [433 li. Sp.]: " ... die Rechtsgüter sind ja nicht um ihrer selbst willen, nicht wegen ihrer Eigenschaft, abstrakte Werte zu sein, sondern deshalb rechtlich geschützt, weil sie zufolge ihrer Konkretisierung in den ,Rechtsgutsobjekten' des einzelnen Lebens, Eigentums usw. die Grundlage menschlicher Existenz und Persönlichkeitsentfaltung bilden." - Die Schlußfolgerungen und Konsequenzen, die Sax aus dieser zutreffenden Erkenntnis glaubt ziehen zu können (a. a. O. S.432 re. Sp.j433 li. Sp.), sind jedoch unzutreffend und nicht akzeptabel, s. unten unter F III den ersten u. zweiten Absatz und insbes. bei u. nach Fn.411 und nach Fn.419. 256 GS 39(1887), 94 [127], hier wiedergegeben oben in Fn.101; Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 183 unten. 257 Beispiel: Zum Schutz einer seltenen Vogelart werden in und auf dem und um den See X herum während der Monate A, Bund C (= übliche Brutzeit) sämtliche Freizeitaktivitäten bei Strafe verboten. Bleibt das Verbot fortbestehen, obwohl die fragliche Vogelart ihren Brutplatz gewechselt hat oder sogar ausgestorben ist, liegt ein Fall des sinnlosen Schutzes ideeller Werte (= Leben der Vogelart Z [als ideeller Wert]) vor. Eine ideelle Rechtsgutstheorie, die die realen "Substrate" vernachlässigt, leistet der Gefahr, daß es zu solch sinnlosen strafrechtlichen Schutzgesetzen kommt, Vorschub. - Sog. "rechtsgutslose Delikte" - so es sie überhaupt gibt (s. die Verweisungen oben in Fn.254) -, also Straftatbestände, deren zugrundeliegende Norm kein Rechtsgut i. S. Welzels schützt (wie z. B. der alte § 175 StGB, wenn man ihm nicht "das Scham- und Sittlichkeitsgefühl der Allgemeinheit" als Schutzgut unterlegt), müssen daher die absolute Ausnahme bleiben und bedürfen der ständigen Überprüfung dahingehend, ob sich ihre Aufrechterhaltung (in der bisherigen Form) noch rechtfertigen läßt.
5*
68
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
logie jener ,komplexen Sachverhalte', die als Güter in Betracht kommen 258 , versucht Schmidhäuser Uedoch] noch nicht einmal ansatzweise" 259, weshalb seine viel zu enge (und [daher] häufig auch unzutreffende 2(0 ) Auffassung vom "Rechtsgutsobjekt" eben nicht nur ein "terminologischer Fauxpas" ist, sondern Ausdruck einer grundlegenderen Fehleinschätzung (der den realen Sachverhalten zukommenden Bedeutung). d) Die" Verletzbarkeit" des ideellen Rechtsguts auch bei Abwesenheit eines Rechtsgutsobjekts
Die ideellen Rechtsgüter und die ihnen jeweils korrespondierenden Rechtsgutsobjekte gehören völlig verschiedenen Sphären an, weshalb sie auch nie miteinander identifiziert werden dürfen 261 • Eine ganz wesentliche Konsequenz der völligen Losgelöstheit der ideellen Rechtsgüter von den Rechtsgutsobjekten ist die, daß jene ideellen Rechtsgüter auch dann - durch Mißachtung/Zuwiderhandlung - "verletzt" werden können, wenn gar kein reales, "wirklich" verletzbares Rechtsgutsobjekt da (anwesend/zugegen) ist oder wenn das vorhandene Rechtsgutsobjekt nicht verletzt wird und möglicherweise, z. B. wegen der Untauglichkeit des Tatmittels, auch gar nicht verletzt werden konnte. So ausdrücklich Schmidhäuser: "Das Rechtsgut als Achtungsanspruch ist 262 auch dann verletzt, wenn gar kein verletzbares ,Objekt' da ist oder wenn das Objekt nicht verletzt wird."263
258 Und damit die Grundlage für die von ihnen "ausgehenden" Achtungsansprüche darstellen, s. o. unter F II 2 b nach Fn. 219, insbes. den Einschub nach Fn.220. 259 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 269 unten. 260 S.o. unter F II 2 b bei und in Fn. 232 u. 233 und F II 2 c bei und nach Fn. 246 sowie unten Fn.263 u. 267. 261 Näheres dazu unten unter F III. 262 Gemeint ist: kann auch dann verletzt worden sein oder verletzt werden. 263 AT 2/34 a. E., S.39. Das von Schmidhäuser in seinem StudB AT 5/32, S.85 angeführte Beispiel dafür, daß gar kein verletzbares (Rechtsguts-)Objekt da war/ist, nämlich der Meineid, § 154 StGB, ist allerdings unzutreffend (und der Sache nach eigentlich auch nicht mit Schmidhäusers [zu] enger Vorstellung vom "Rechtsgutsobjekt" zu erklären). Denn das, um dessen mögliche wirkliche, d. h. (psychisch) kausale Verletzung - über Täuschung und Irrtum - es hier, beim Meineid, geht, nämlich die Wahrheitsermittlung/-findung in dem konkreten Verfahren, in dem der Meineid geleistet wird (also das durch das Meineidsverbot geschützte Rechtsgutsobjekt; "die einzelne betroffene Wahrheitsermittlung", Schmidhäuser, OLG Celle-FS, 207 [237]), ist zwangsläufig immer "da"! - Zutreffende Beispiele für eine" Verletzung" (Mißachtung) des ideellen Achtungsanspruchs, ohne daß ein reales Rechtsgutsobjekt da war/ist, sind z. B. der Abtreibungsversuch an einer Scheinschwangeren; der mit Tötungs- oder Verletzungsvorsatz abgegebene Schuß, dessen Zielobjekt, der vermeintliche Mensch, sich hinterher als Schaufensterpuppe "entpuppt"; "der Griff des Taschendiebes in die leere Tasche" (Wetzet StrafR § 1, S. 2 oben) etc.; aber auch z. B. das Schneiden einer unübersichtlichen Linkskurve, wenn zufallig niemand entgegenkam; s. des weiteren oben im Text bei und nach Fn.270.
F. H. Das Rechtsgut als ideeller Wert
69
Allerdings ist die "Verletzbarkeit" des ideellen Achtungsanspruchs trotz Abwesenheit eines Rechtsgutsobjekts gerade nach Schmidhäusers These vom "Ausgehen" der ideellen Achtungsansprüche "von" und ihrem "Haften an" den realen Gegenständen/Sachverhalten etc. nicht unmittelbar einleuchtend. Erklärbar ist die "Anwesenheit" eines ideellen Achtungsanspruchs trotz Abwesenheit eines Realobjekts, von dem er "ausgeht" und an dem er "haftet", nur - um in Schmidhäusers bildhafter Sprache fortzufahren -, wenn der Zusammenhang zwischen dem "Ausgehen" und "Haften" nicht so zu verstehen ist, daß die ideellen Achtungsansprüche, die von den realen Gegenständen "ausgehen", dann sogleich - quasi als "Aura" - an diesen "haften bleiben", sondern wenn man sich das "Ausgehen" und "Haften" so vorzustellen hat, daß sich die von den realen Gütern "ausgehenden" ideellen Achtungsansprüche, bevor sie sich wieder an die einzelnen Realobjekte "anheften" oder "auf sie verdichten", zunächst völlig von diesen (den realen Gütern) lösen, sich "verallgemeinern" und sozusagen über das ganze Bundesgebiet und zum Teil auch über das Ausland 264 "verbreiten" und sich dann erst wieder teilweise, soweit Realobjekte da sind, an diese "anheften" . - Die" übliche" Vorstellung, daß das - strafrechtlich relevante - Gebot, (Rechts-)Güter zu achten, nicht auf einem von diesen "ausgehenden" Achtungsanspruch beruht - "eine These, deren Erkenntnisvoraussetzungen Schmidhäuser" ohnehin "nicht näher darlegt"26S -, sondern auf den den (Straf-)Gesetzen zugrundeliegenden - ausgewählten - Ge- und Verbotsnormen, durch die der Gesetzgeber sein (rechts)güterkonstituierendes Werturteil für verbindlich erklärt und die Reichweite der hieraus folgenden Achtungsgebote festgelegt hat, ist offensichtlich unkomplizierter. (Denn den in den Normen zum Ausdruck gebrachten Handlungsge- und -verboten kann jeder, für den diese Normen gelten, ohne weiteres zuwiderhandeln, unabhängig davon, ob der durch die fragliche Norm geschützte Gegenstand da (anwesend/zugegen) ist oder nicht. Auch bei den von den anderen Autoren genannten ideellen Werten, welche ohne komplizierte Konstruktionen einfach "per definitionern" von den realen 264 Vgl. §§5, 6 und 7 StGB und Schmidhäuser AT 2/37, S.40; wobei sie u.U. die Nationalität wechseln (?). - S. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S.268 oben bzgl. Jescheck: "Ebenso rätselhaft bleibt, wie man sich ausländische Rechtsgüter als ,ausländische Wertideen' und Rechtsgüter des Einzelnen als ,Wertideen des Einzelnen' vorstellen soll. " 265 Amelung, Rechtsgüterschutz, S.196unten. Zum "Haften" s. Amelunga.a.O. S.141: Die "Hypostasierung des güter konstituierenden Werturteils zum ,geltenden' oder ,ideellen' ,Wert' ... findet sich nicht nur bei dem Kantianer Rickert, sondern auch bei den phänomenologischen Ethikern Scheler und Nicolai Hartmann und wird dadurch zum Kennzeichnen der wertphilosophisch orientierten Güterlehre überhaupt. ,Güter' erscheinen nach dieser Auffassung nicht eigentlich als Gegenstände eines positiven Werturteils, sondern als reale Gegebenheiten, an denen ein idealer Wert ,haftet'. [- Fn. 72: ... Nach Stegmüller beruht die Lehre vom ,Haften' ideeller Werte an realen Objekten auf einer zu engen Vorstellung von der Funktion der Sprache. Er hält Scheler vor, dieser kenne nur den deskriptiven Gebrauch der Sprache, die Verwendung zum Sprechen über einen Gegenstan~, nicht aber zum Ausdruck von Einstellungen eines Subjektes. Daher muß die Einstellung eines Subjektes zu einem Gegenstand als an diesem Gegenstand ,haftende' Qualität bestimmt werden. -] Daß dieses ,Haften' eines idealen Wertes an einem wirklichen Objekt mit den Mitteln der Logik nicht zu fassen ist, hat Rickert offen zugegeben. Folglich hat man versucht, diese Beziehung als eine ,dialektische' zu beschreiben ... " Speziell zu Schmidhäuser s. Amelung a. a. O. S.269/270: "Daß solche Ansprüche an Rechtsgutsobjekten ,haften', wie Schmidhäuser ... sagt, überzeugt aber auch nur den, der noch an die ethische Erkenntnislehre NicolaiHartmanns glaubt."
70
I. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien Gegenständen unabhängig sind, ist die "Verletzbarkeit" ohne Anwesenheit eines Rechtsgutsobjekts ohne weiteres einleuchtend.)
Dieser Umstand, daß die ideellen Werte und Achtungsansprüche auch bei Abwesenheit eines realen Rechtsgutsobjekts - durch Mißachtung/Zuwiderhandlung -"verletzt" werden können, macht auch den durchaus "praktischen" Unterschied deutlich, der zwischen dem oben 266 behandelten realen Achtungsanspruch einer PerSon als Angriffsobjekt der Ehrdelikte und dem (von diesem realen Gut [Rechtsgutsobjekt] "ausgehenden") ideellen Achtungsanspruch, der das Rechtsgut i. S. Schmidhäusers darstellt, besteht. Und es zeigt sich an diesem Umstand sehr eindrucksvoll, daß man sich auch bei den unkörperlichen Angriffsobjekten, und zwar auch dann, wenn sie ebenso wie die ideellen Rechtsgüter durch die Tathandlung nUr im übertragenen Sinne (nämlich durch Mißachtung/Zuwiderhandlung) "verletzt" werden können, stets über den Unterschied zwischen dem in der Realität vorhandenen und dem nUr im Reich des Ideellen "wesenden" Gegenstand klar sein muß. Speziell in bezug auf die Ehrdelikte ergibt sich nämlich folgendes: Sieht man als Angriffsobjekt und reales Gut (Rechtsgutsobjekt) der Ehrdelikte den realen/konkreten Achtungsanspruch einer Person an 267 , dann ist das entsprechende Rechtsgut i. S. Schmidhäusers in dem von diesem realen Achtungsanspruch 268 "ausgehenden" ideellen Achtungsanspruch zu erblicken. Auch wenn diese Konstruktion, die die logische Konsequenz der Schmidhäuserschen Sichtweise darstellt 269 , in diesem Falle (besonders) schwer nachvollziehbar erscheint, so sind diese beiden Achtungsansprüche gleichwohl begrifflich und sachlich streng voneinander zu trennen. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Achtungsansprüchen besteht nämlich - wie sich aus dem Vorangehenden ergibt - darin, daß der reale/konkrete Achtungsanspruch einer Person nUr dann (i.S. der zweiten Wortbedeutung) "verletzt", d.h. Unter C bei und in Fn.43 und insbes. unter D I nach Fn.53. Schmidhäuser selbst sieht allerdings infolge seiner viel zu engen und auch im wahrsten Sinne des Wortes sinn-losen (s. o. unter F 11 2 c bei Fn.248) Auffassung vom Rechtsgutsobjekt nicht den konkreten Achtungsanspruch einer Person (Behörde etc.) als Rechtsgutsobjekt der Ehrdelikte an, sondern den Geweiligen) Träger des Ehranspruchs, also den Menschen, die Behörde etc. (Schmidhäuser BT 5/5, S. 62). Nach welchen Kriterien allerdings einmal das geschützte Gut selbst, nämlich das Leben eines konkreten Menschen, und nicht der" Träger" dieses Gutes, also der Mensch, und ein andermal nur der Träger des geschützten Gutes und nicht das Gut selbst (der konkrete Ehranspruch) Rechtsgutsobjekt sein soll, ist unerfindlich. 268 Bzw. von diesen realen Achtungsansprüchen. 269 Wenn Schmidhäuser selbst (BT 5/1, S. 60) demgegenüber unter der Überschrift "Das verletzte Rechtsgut" ausführt: "Ehre ist der jedem Menschen zukommende unverlierbare Anspruch auf Achtung als Person, der aus der Würde der Persönlichkeit fließt und der eine gewisse Zeit über den Tod hinaus fortbesteht", dann ist das unverständlich bzw. inkonsequent. Denn mit dieser Formulierung hat Schmidhäuser zwar das (reale) Gut der jedem Menschen konkret zukommenden Ehre beschrieben, nicht aber den aus diesem Gut (bzw. diesen Gütern) "fließenden" ideellen Achtungsanspruch, der erst das Rechtsgut i. S. Schmidhäusers darstellt. 266
267
F.1I. Das Rechtsgut als ideeller Wert
71
mißachtet werden kann, wenn eine Person und damit ein realer/konkreter Achtungsanspruch wirklich "da" ist, wohingegen jener ideelle Achtungsanspruch auch dann (i. S. der zweiten Wortbedeutung) "verletzt" werden kann, wenn es die gemeinte Person als Träger des Achtungsanspruchs und damit einen sich auf sie beziehenden realen/konkreten Achtungsanspruch gar nicht gibt. Beispiel: Jemand vernimmt zu nächtlicher Stunde vor seinem Haus beträchtlichen Lärm, der durch das Umfallen metallener Mülltonnen hervorgerufen wurde 270 • In der Annahme einer menschlichen Urheberschaft des Lärms beschimpft der in seiner Nachtruhe Gestörte die vermeintlichen "Rowdies" mit unflätigen Ausdrücken, die auch von seinem (ebenfalls wach gewordenen) Nachbarn vernommen werden. In Wirklichkeit wurden die Mülltonnen jedoch durch das ungeschickte Verhalten eines Hundes, der einer Katze nachjagte, umgeworfen. In rechtlicher Hinsicht ergibt sich aus diesem Sachverhalt folgendes: Zwar liegt eine Äußerung der Miß- oder Nichtachtung vor, die auch ein Dritter, nämlich der Nachbar, wahrgenommen hat. Da jedoch eine beleidigungsfähige Person und damit ein realer/konkreter Achtungsanspruch, dem hätte zuwidergehandelt werden können, nicht vorhanden war, liegt eine "Verletzung" eines realen Achtungsanspruchs - und damit eine vollendete Beleidigung - nicht vor. Gleichwohl wurde jener ideelle Achtungsanspruch, der eben auch dann "verletzt" werden kann, wenn gar kein realer Achtungsanspruch vorhanden ist, durch Mißachtung/Zuwiderhandlung ([also] i. S. der zweiten Wortbedeutung) "verletzt". Der Sache nach liegt also - vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus - eine "Rechtsgutsverletzung" in der Form des (untauglichen) Versuchs vor, was allerdings im Falle des § 185 StGB nicht strafbar ist (da das Gesetz hier keine Versuchsstrafbarkeit anordnet). e) Der Unterschied zwischen der"Verletzung" = Mißachtung des ideellen Rechtsguts (Handlungsunwert) und der kausalen Verletzung und konkreten Gerährdung des Rechtsgutsobjekts (Erfolgsunwert)
Aus dem Umstand, daß jene abstrakten oder ideellen Rechtsgüter keine Erscheinungen der realen Welt sind und somit auch nicht einer Sphäre angehören, in der die irdischen Kausalgesetze gelten 271 , folgt logischerweise, daß sie durch eine Handlung des Täters auch nicht kausal verletzt werden können. Deshalb ist als weitere wesentliche Konsequenz der völligen Losgelöstheit der ideellen Rechtsgüter von den Realobjekten unbedingt folgendes zu 270 Das Beispiel ist zugegebenermaßen nicht mehr ganz aktuell, da die Mülltonnen heute überwiegend aus K unststofT sind. Jedoch können auch diese - je nach Inhalt und je nach Anzahl der unmittelbar an- und umgestoßenen Tonnen und des Ausmaßes der beim Umfallen derselben ausgelösten Kettenreaktion - erheblichen Lärm verursachen. 271 S. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S.344: "Sind Güter nur ideelle Werte, so gehören sie einer Sphäre an, die dem Gesetz von Ursache und Wirkung überhaupt enthoben ist."
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
72
beachten, und zwar in sachlicher wie terminologischer Hinsicht: Ein VerletzungserJolg i.S. der (Verletzungs-)ErJolgsdelikte kann nur an den Tat-, Handlungs- oder AngrifJsobjekten und den Rechtsgutsobjekten eintreten, nie jedoch an den ideellen Rechtsgütern. In bezug auf die ideellen Rechtsgiiter kann nur im übertragenen Sinne von einer "Verletzung" gesprochen werden, indem nämlich "Verletzung" i. S. der zweiten Wortbedeutung als Mißachtung des ideellen Wertes oder Achtungsanspruchs bzw. als Zuwiderhandlung gegen diese verstanden wird. Dann ist die Rechtsgutsverletzung aber keine (kausale) Folge der Handlung, sondern die Handlung (selbst) ist Rechtsgutsverletzung. Über diesen entscheidenden Unterschied zwischen kausal verletzbarem Handlungs- und Rechtsgutsobjekt und nur durch Mißachtung/Zuwiderhandlung verletzbarem ideellen Rechtsgut sind sich - im Unterschied zu anderen Autoren - vor allem Jescheck und Schmidhäuser auch völlig im klaren. (Jedenfalls im Prinzip.) So führt Jescheck aus: "Das Rechtsgut als Teil der geistigen Welt ist dem unmittelbaren Zugriff des Täters entzogen, eine ,Verletzung des geschützten Rechtsguts' bedeutet demgemäß allein die Mißachtung des Geltungsanspruchs, der dem im Tatbestand geschützten Wert von der Gemeinschaft durch die Aufnahme in die Rechtsnorm beigelegt ist. Tatbestandsmäßiger Erfolg (z. B. Tötung eines Menschen) und Rechtsgutsverletzung (Mißachtung des Lebens) sind also nicht dasselbe. "272 Und in seinem Lehrbuch beschreibt Jescheck diesen Unterschied folgendermaßen: "Die Rechtsgutsverletzung bedeutet die Beeinträchtigung des Geltungsanspruchs eines ideellen Wertes, das Erfolgsunrecht besteht dagegen in der Schädigung des realen Handlungsobjekts der Tat 273 . "274 •.. "Der Erfolgsunwert der Tat liegt in der realen Beeinträchtigung des Handlungsobjekts 27s • Das Rechtsgut ist dagegen als ideeller Wert dem unmittelbaren Zugriff des Täters entzogen. Die Verletzung des geschützten Rechtsguts besteht in der Mißachtung des besonderen Lebensinteresses der Gemeinschaft, das sich in dem Handlungsobjekt lediglich verkörpert 276 ."277 •.. "Der tatbestandsmäßige Erfolg muß von In: LK Vor § 13 Rdn.6. Letzteres ist allerdings nur richtig, wenn das Handlungsobjekt mit dem geschützten Handlungsobjekt, d. h. dem Rechtsgutsobjekt, identisch ist; kein Erfolgsunrecht (wohl aber ein Erfolg) ist daher z. B. im Falle des § 306 Nr.2 StGB der am eigenen Haus des Täters durch die Inbrandsetzung desselben eingetretene Sachschaden. (Der bei einer Brandstiftung an einem fremden Wohnhaus an diesem eintretende Sachschaden ist auch kein Erfolgsunrecht i. S. des § 306 Nr.2 StGB - diese Strafvorschrift ist ja ein auf die Rechtsgutsobjekte "Leib und Leben anderer Menschen" bezogener abstrakter Gefährdungstatbestand -, sondern nur Sachbeschädigungserfolgsunrecht i. S. des § 308 I 1. Alt. StGB.) 274 AT§2611 a.E., S.231 unterer Teil. 275 S.o. Fn.273. 276 Nicht immer! S.o. unter F 11 2 b den Einschub nach Fn.215. 272 273
F. 11. Das Rechtsgut als ideeller Wert
73
der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts unterschieden werden. Erfolg bedeutet die von der Handlung raum-zeitlich getrennte Verletzung oder Gefährdung des Handlungsobjekts, während die Rechtsgutsverletzung die Beziehung der tatbestandsmäßigen Handlung zu dem Achtungsanspruch des durch die Strafvorschrift geschützten Werts betrifft. Auch Tätigkeitsdelikte enthalten also eine Rechtsgutsverletzung. "278 Ebenso betont auch Schmidhäuser ausdrücklich, daß man sich "über den Unterschied von in seiner Integrität kausal verletzbarem Objekt und ideell verletzbarem Rechtsgut"279 klar sein müsse und daß die Rechtsgutsverletzung als "Verletzung des vom Rechtsgut ausgehenden Achtungsanspruchs 280 durch ein Willensverhalten"281 - im Unterschied zu der kausalen "Veränderung eines greifbaren Objektes"282 - ein "geistiges Phänomen" sei 283 . 277 AT § 26 I 4, S. 234. S. auch Jeschecks "Definition" der Rechtsgutsverletzung a. a. O. § 24 I 2, S.210: "Dabei ist der Ausdruck ,Verletzung' nicht naturalistisch als Schädigung eines bestimmten Handlungsobjekts zu verstehen (z. B. als Tötung eines Menschen oder Beschädigung einer Sache), sondern als Zuwiderhandlung gegen den ideellen Wert, der durch die Rechtsnorm geschützt werden soll (Rechtsgutsverletzung). " (Hervorhebung dort) 278 AT §26II1c, S.237. 279 Engisch-FS 433 [445]. 280 Diese Formulierung ist nicht korrekt, da der Achtungsanspruch nach Schmidhäuser- das Rechtsgut ist und nicht von diesem (dem Rechtsgut) "ausgeht", sondern von dem realen Gut, das ja gerade nicht selbst das Rechtsgut ist, s. o. unter F 11 2 b nach Fn. 219, insbes. den Einschub nach Fn. 220 (s. aber auch Schmidhäuser, Engisch-FS, 433 [444 unterer Teil u. 445 unten]). Diese bei Schmidhäuser sehr häufig vorkommende Redeweise von dem "vom Rechtsgut ausgehenden Achtungsanspruch" ist - wegen der damit verbundenen Implikation, daß das Rechtsgut auf einmal doch bzw. auch ein realer Gegenstand/Sachverhalt etc. ist (s. Schmidhäuser a. a. 0.) - nicht akzeptabel, s. unten unter F 111, insbes. bei und nach Fn.401. 281 Engisch-FS 433 [445]. 282 A. a. O. (Fn. 281): "Wo man aber von ,kausaler' ,Rechtsguts' -Verletzung spricht, da meint man die Veränderung eines greifbaren Objektes ... " Das ist zwar im Prinzip richtig, aber viel zu eng; ein greifbares Objekt ist keineswegs erforderlich. Eine kausale Rechtsguts(objekts)verletzung stellt z. B. auch die Vermögensschädigung beim Betrug dar (Täuschung -+ [dadurch bedingter] Irrtum -+ [dadurch bedingter] Vermögensschaden = Erfolg der nachteiligen Veränderung der Vermögensmasse); des weiteren liegt eine kausale Rechtsguts(objekts)verletzung z. B. auch vor, wenn das Gericht der (beschworenen) falschen Aussage des (Alibi-)Zeugen glaubt (und aufgrund des falschen Alibis [fälschlicherweise] freispricht). 283 Engisch-FS 433 [444 unten]. Noch krasser als die Aussage a.a.O. (Hervorhebungen dort): "Diese Rech tsgu ts verle tzung ist ein ge i s tige s Phän omen." ist die von Schmidhäuser in seinem Lehrbuch (AT 3/2, S.43, Hervorhebungen dort) aufgestellte Behauptung, "daß Verbrechen ein geistiges Phänomen ist"(!) - demnach also die Kriminal-Polizei, wenn sie ihrer Aufgabe, Verbrechen aufzuklären, nachgeht, "geistigen Phänomenen" hinterherjagt? - Diesen griffigen, aber gefährlichen Kurzformeln ist natürlich - energisch zu widersprechen. Verbrechen spielen sich nicht im Kopf des "Täters(!)" ab - die Gedanken sind frei -, sondern in der Außenwelt; jedenfalls nach dem (z.Z.) geltenden Tatstrafrecht. Treffender wäre die Formulierung: Verbrechen ist
74
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Noch deutlicher als Jescheck hebt Schmidhäuser jedoch die sich aus diesem Unterschied in bezug auf Handlungs- und Erfolgsunwert ergebenden Konsequenzen hervor, indem er ausführt: "Bezieht man die so gewonnene Unterscheidung auf die heute geläufige Trennung von Handlungs- und Erfolgsunwert, so ist die Rechtsgutsverletzung also gleichbedeutend mit dem Handlungs- oder Unterlassungsunwert, wogegen die Verletzung des Rechtsguts- oder Tat-Objektes 284 zum Erfolgsunwert gehört und den herbeigeführten Schaden mitbestimmt. "285 Diese logische Konsequenz, daß die "Rechtsgutsverletzung als Zuwiderhandlung gegen den ideellen Wert, der durch die Rechtsnorm [?] geschützt werden soll"286, Handlungsunrecht ist und daß demgemäß auch der - taugliche wie der untaugliche - Versuch eines Verletzungsdelikts (im materiellen Sinne287 ) eine Rechtsgutsverletzung beinhaltet 288 , da eine Zuwiderhandlung gegen den ideellen Handlungs- (oder Unterlassungs)unrecht (also Verhaltensunrecht). Daß Schmidhäuser die obigen - so unrichtigen und gefahrlichen - Formulierungen vorgezogen hat, ist möglicherweise ein weiteres Zeichen für die Tendenz Schmidhäusers, das Geistige, Ideelle überzubetonen und die Realität zu vernachlässigen (s. bereits oben unter F 11 2 c nach Fn. 252). - S. auch Schmidhäusers Formulierung a. a. O. S.445 oben: "Dieser Anspruch [seil. der Achtungsanspruch] richtet sich an den menschlichen Willen; er ist überall dort verletzt, wo ein Wille ihm nicht entspricht." - von Handlung (wiederum - expressis verbis -) keine Rede! 284 Der Zusatz "oder Tatobjekt" ist unrichtig. Ein Erfolgsunwert bzw. -unrecht liegt nur vor, wenn der Verletzungs- (oder Gefahrdungs-)Erfolg am Rechtsgutsobjekt (im hier verstandenen Sinne [d. h. am Rechtsgut i. S. Welzels], nicht i. S. Schmidhäusers) eintritt, s. o. Fn.273. 285 Engisch-FS 433 [445], Hervorhebungen von mir. 286 Vgl. Jescheck AT §24I2, S.210, hier wörtlich wiedergegeben oben in Fn.277, s. dazu auch unten unter F 11 2j bei und in Fn.368. 287 S. zu diesem Begriff unten unter G den Absatz vor Fn. 436; d. h.: es muß sich um ein Verletzungs(erfolgs)delikt handeln, bei dessen Vollendung der Verletzungserfolg am Rechtsgutsobjekt eintritt (wie z. B. bei den §§223, 212 StGB), nicht an "irgendeinem" Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekt. Der Versuch eines Verletzungserfolgsdelikts imformellen Sinne (s. unten unter G den Absatz vor Fn.436) beinhaltet nämlich nicht notwendig eine (vorsätzliche) Mißachtung des geschützten ideellen Rechtsgutswertes (oder eine auf das geschützte Rechtsgutsobjekt bezogene Sorgfaltswidrigkeit [= ebenfalls Zuwiderhandlung gegen den ideellen RechtsgutswertD, wie der Fall der versuchten Inbrandsetzung eines einräumigen Hüttchens oder Häuschens i. S. des § 306 Nr. 2 StGB nach sorgfaltigster Vergewisserung über die Abwesenheit von Menschen (und sorgfaltigster Vorkehrungen gegen ein Betreten wahrend des Brandes) zeigt. 288 Sax JZ 1976, 429 [432 Fn. 31 (433)] versteht das Wesen der Rechtsgutsverletzung nach der (auch von ihm vertretenen) ideellen Rechtsgutstheorie offensichtlich miß, wenn er a. a. O. ausführt, nach Schmidhäuser habe "auch der Versuch eine Rechtsgutsverletzung im Gefolge [!]". Das ist nicht richtig. Die Rechtsgutsverletzung (d. h. die "Verletzung"jMißachtung des ideellen WertesjAchtungsanspruchs) ist - weder beim Versuch noch sonst - Folge der Handlung, sondern die Versuchshandlung (selbst) ist Rechtsgutsverletzung (d.h. Mißachtung des ideellen WertesjAchtungsanspruchs). Zu den unterschiedlichen Betrachtungsweisen von Sax und Schmidhäuser s. des näheren unten unter F 11 2 h bei und nach Fn.354.
F. 11. Das Rechtsgut als ideeller Wert
75
Wert ja auch dann vorliegt, wenn es zu einer Verletzung des realen Rechtsgutsobjekts als Folge dieser Zuwiderhandlung (!) nicht gekommen ist (und beim untauglichen Versuch auch gar nicht kommen konnte), wird zwar - soweit ersichtlich - von Jescheck nicht in dieser Deutlichkeit ausgesprochen wie von Schmidhäuser 289 • Es ist aber anzunehmen, daß Jescheck insoweit jedenfalls der Sache nach prinzipiell mit der Auffassung Schmidhäusers übereinstimmt, die ja, wie gesagt, die logische Konsequenz des ideellen Verständnisses vom Rechtsgut und seiner Verletzung darstellt. Zeichen dieser prinzipiellen sachlichen Übereinstimmung ist z. B., daß Jescheck im Zusammenhang mit seiner bereits oben 290 zitierten Äußerung, daß "die Rechtsgutsverletzung die Beziehung der tatbestandsmäßigen Handlung zu dem Achtungsanspruch des durch die Strafvorschrift geschützten Werts betrifft", zur näheren Erläuterung (u. a.) auf Schmidhäuser 291 verweist 292 , welcher an der in Bezug genommenen Stelle die Rechtsgutsverletzung als Unwert der Handlung beschreibt und in diesem Zusammenhang auch auf das Versuchsdelikt hinweist 293 • Wichtiger als diese sachliche Übereinstimmung in der Charakterisierung der ideellen Rechtsgutsverletzung (als Handlungsunrecht) ist aber zunächst einmal, daß sich auch Jescheck - ebenso wie Schmidhäuser 294 - ausdrücklich darüber 289 S. Engisch-FS 433 [445], wiedergegeben gerade eben oben im Text. Des weiteren führt Schmidhäuser in seinem Lehrbuch (AT 8/28, S.205) unter der Überschrift "Die Rechtsgutsverletzung als Unwert der Handlung" u. a. aus: Nunmehr geht es "um die Darstellung der Rechtsgutsverletzung, die den Unwert der Handlung ausmacht (oder: des Rechtsgutsverletzenden der Handlung)." ... Das Rechtsgut wird "dadurch verletzt, daß dem von ihm[?] ausgehenden Achtungsanspruch zuwider gehandelt (oder im Falle des Unterlassens: nicht durch Handeln entsprochen) wird; das bedeutet nicht etwa notwendig auch die Verletzung eines Objekts ... So kann zwar bei der Verletzung des Rechtsguts Leben ein lebender Mensch getötet werden; aber der Achtungsanspruch kann auch verletzt sein, ohne daß ein Mensch ums Leben kommt (- was beim Versuchsdelikt eine Rolle spielt; vgl. 15. Kap.)". Und indem in Bezug genommen 15. Kap. heißt es u.a. (15/4, S. 588): "Die Straftat bestimmt sich nach Form und Gehalt ( ... ): Form ist die gesetzliche Schilderung im Straftatbestand, Gehalt der Unwert des rechtsgutsverletzenden Willensund geistigen Verhaltens. Die Besonderheit des Versuchsdelikts im Vergleich zum Vollendungsdelikt liegt nicht im Gehalt, sondern in der Form." Und weiter (15/6, S. 589): Zuvor "ist die Rechtsgutsverletzung im Willensverhalten als Kern des Unrechtstatbestandes dargestellt worden; sie ist die Verletzung des Achtungsanspruchs, der von dem in Frage stehenden Rechtsgut[?] ausgeht. Dieser Kerngehalt des Unrechts ist auch beim Versuchsdelikt gegeben." (Die Aussage, der Achtungsanspruch gehe vom "Rechtsgut" aus, ist allerdings nicht akzeptabel, s. bereits oben Fn.280 sowie insbes. unten unter F 111, nament!. bei und nach Fn.401.) 290 Bei Fn.278. 291 AT (8/28) S.205. 292 Jescheck AT § 26 11 1 c, S.237 Fn.38. 293 S. o. Fn.289. 294 Der seine ideale Auffassung vom Rechtsgut - bis auf die unrichtige Redeweise, der Achtungsanspruch gehe vom (realen) Rechtsgut aus (s. o. Fn.289 a. E.) - in seinem Lehrbuch (AT) im übrigen geradezu vorbildlich durchhält, was man allerdings von seinen Ausführungen in seinem BT nicht gerade sagen kann (s. z. B. oben Fn. 186 u. 269).
76
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
(prinzipiell) im klaren ist, daß vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus die kausalen FoIgen 295 der Tat dem Handlungs- (oder Rechtsguts)objekt 296 und nicht dem Rechtsgut zuzuordnen sind 297 und daß dementsprechend auch das Erfolgsunrecht der Tat nicht in der (ideellen) Rechtsgutsverletzung, sondern in der (kausalen) Verletzung des geschützten Handlungsobjekts liegt, daß also - anders als vom Standpunkt einer realen Rechtsgutsauffassung aus - Rechtsgutsverletzung und Erfolgsunwert nicht dasselbe sind. Die sich aus einer ideellen Rechtsgutsauffassung notwendig ergebende Konsequenz, daß die kausalen FoIgen 298 der Tat dem Handlungs- oder Rechtsgutsobjekt und nicht dem ideellen Rechtsgut zuzuordnen sind, gilt aber nicht nur für den kausalen Verletzungserfolg, sondern gleichermaßen auch in bezug aufden konkreten Gefahrerfolg. Und zwar zunächst einmal deshalb, weilja auch der konkrete Gefahrerfolg - ebenso wie der kausale Verletzungserfolg eine Folge der Handlung ist 299 und somit über die bereits in der (Zuwider-) Handlung als solcher liegende Rechtsguts" verletzung" hinausgeht und von dieser mithin zu unterscheiden ist. Zum anderen ist der konkrete Gefahrerfolg 295 Der Ausdruck "kausale Folge" ist an sich zwar ein Pleonasmus (da der einfache Ausdruck "Folge" bereits das Moment der Kausalität beinhaltet); ihm kann jedoch auch eine spezifische, über den bloßen Verdopplungseffekt hinausgehende Bedeutung beigemessen werden, indem man nämlich das Wort "kausal" auch auf den "Inhalt" der Folge bezieht und damit eine kausale Veränderung (bzw. die Gefahr einer solchen) meint, was hier der Fall ist; zu einer möglichen anderen Sichtweise s. unten unter F II 2 g. 296 Jescheck selbst spricht nicht vom "Rechtsgutsobjekt" , sondern vom "geschützten Handlungsobjekt", s.o. Fn.108; allerdings ist der Zusatz "geschützt" leider keineswegs überall, wo erforderlich, vorhanden. 297 Entsprechend dieser Einsicht (s. seine oben bei und nach Fn. 272 wiedergegebenen Ausführungen) ist Jescheck auch sehr bemüht, dem bei seinen sonstigen Ausführungen Rechnung zu tragen (was man leider von verschiedenen anderen Vertretern einer ideellen RechtsgutsautTassung nicht behaupten kann). Jedoch gelingt ihm die erforderliche Differenzierung nicht immer, d.h.: auch Jescheck hält seine ideale Auffassung vom Rechtsgut nicht konsequent durch, wie diverse Ausführungen zeigen, die nur bei Zugrundelegung einer realen Rechtsgutsauffassung sinnvoll sind, z. B. Jescheck AT § 22 VI 1, S. 193: Erfolg, also die eigentliche Rechtsgutsverletzung ... "; § 24 III 4 c, S. 218; § 26 II 2, S. 237 unten/238 oben (s. unten im 2. Abschnitt unter All nach Fn. 22 und in Fn.24); § 33 IV 3 a letzter Abs. u. 3 b, S.324; § 54 I 4 b, S. 511 unten/512 oben; § 55 11 letzter Abs., S. 521 unten (bzgl. der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt): "Maßgebend ist danach, was in der Gemeinschaft an Vorsicht und Aufmerksamkeit ,erforderlich' ist, um Rechtsgutsverletzungen [tl zu vermeiden ... "; § 55 I 2 a, S. 522: "Die erste Pflicht ... besteht darin, die Gefahr für das geschützte Rechtsgut [tl zu erkennen ... "; § 61 II 1, S. 584 (gegen den Einheitstäterbegrifl): "Einmal geht durch die Umdeutung sämtlicher Tatbeiträge in die Verursachung [tl von Rechtsgutsverletzungen [tl das spezifische Handlungsunrecht des jeweiligen Tatbestandes verloren." - All diesen Ausführungen (auch den hier nicht im Wortlaut wiedergegebenen) ist - wie gesagt - gemeinsam, daß die Rechtsgüter, von deren Gefährdung oder Verletzung die Rede ist, hier entgegen Jeschecks Prämisse offensichtlich nicht ideell (oder geistig), sondern real aufzufassen sind. 298 S. o. Fn.295. 299 S.o. unter B mit Fn. 32 u. 33. W
••
F. II. Das Rechtsgut als ideeller Wert
77
aber auch wegen des "Inhalts" jenes Zustands/Sachverhalts (jener Situation/Lage), der (die) als Gefahrerfolg bezeichnet wird, (nur) auf die realen Handlungs- oder Rechtsgutsobjekte und nicht auf die ideellen Rechtsgüter (Werte/Achtungsansprüche) zu beziehen. Denn unter einem konkreten Gefahrerfolg ist ja ein - durch eine Handlung verursachter - Zustand/Sachverhalt bzw. eine - durch eine Handlung herbeigeführte - Situation/Lage zu verstehen, der bzw. die das Urteil trägt, der Eintritt einer Verletzung sei wahrscheinlich gewesen 3OO • Das über den durch die Handlung verursachten Zustand/Sachverhalt (bzw. die herbeigeführte Situation/Lage) gefällte Gefahrurteil, welches diesen Zustand/Sachverhalt (diese Situation/Lage) als Gefahrzustand/-sachverhalt (bzw. Gefahrsituation/-Iage) qualifiziert, stellt also ein Wahrscheinlichkeitsurteil 301 dar, nämlich das Urteil über die Wahrscheinlichkeit eines Kausalverlaufs 302 im Hinblick auf den Eintritt einer Verletzung, S. o. unter B nach Fn. 32. S. Z. B. BGH NStZ 1985,263 [264li. Sp.]: "Ein solches ,Gefahrurteil' ist aufgrund einer ,objektiv nachträglichen Prognose' zu fallen (Lackner, StGB, 15.Aufl., §315b Anm.4 und §315c Anm.5aaa). Es handelt sich insoweit um ein nachträgliches Wahrscheinlichkeitsurteil über die naheliegende Möglichkeit des Eintritts eines schädlichen Erfolges, der aber in Wirklichkeit nicht eingetreten ist (BGHSt26, 176 [181])." [Hervorhebung von mir]- Auf die Frage, ob und inwieweit das Gefahrurteil aufgrund einer (im nachhinein vorgenommenen) ex ante- oder aufgrund einer uneingeschränkten ex post-Betrachtung zu fallen ist oder ob und inwieweit das Gefahrurteil eine Kombination von ex ante-Beurteilung (Prognose) und ex post-Beurteilung (im Hinblick auf das der Prognose als Basis zugrunde zu legende ontologische und/oder nomologische Wissen) darstellt, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (zur Kombination von ex ante- und ex post-Beurteilung s. Gallas, Heinitz-FS, 171 [177 -179]). Hervorzuheben ist jedoch, daß sich das den Gefahrerjolg betreffende Gefahrurteil auf keinen Fall auf den Zeitpunkt der Handlung(svornahme) bezieht - mithin eine reine, uneingeschränkte ex ante-Betrachtung auf jeden Fall ausscheidet -, sondern auf eine dieser (zeitlich/logisch) nachfolgende Situation (eben die des "Gefahrerfolges" / "Gefahreintritts" , wenn nämlich ein "Zusammenhang" zwischen der "Gefahrenquelle" und einem bestimmten verletzbaren "Gegenstand" hergestellt worden ist), s. z. B. Welzel, Fahrlässigkeit, S.22/23; dens. StrafR § 18 I 2 b, S.137; Gallas a. a.O. S.177, 178. Mit dem zeitlichen/situationsmäßigen (von der "isolierten" Handlung als solcher zu unterscheidenden) Bezugspunkt des Gefahrurteils und der Frage, inwiefern die Prognosebasis um ex post gewonnene Kenntnisse und Erkenntnisse zu erweitern ist, hängt auch zusammen, ob von Gefahr nur dann gesprochen werden kann, wenn der schädigende Erfolg "in Wirklichkeit nicht eingetreten ist" (s. BGH a.a.O.), oder ob nicht vielmehr auch bzw. erst recht im Falle des tatsächlichen Verletzungseintritts auf eine der Verletzung (notwendigerweise) vorausgegangene Verletzungsgejahr geschlossen werden kann oder sogar muß. Daß die Verletzung das vorgängige Vorhanden(gewesen)sein einer entsprechenden (Verletzungs-)Gefahr (unwiderleglich) beweise, da der Gefahrzustand ein notwendiges Durchgangsstadium auf dem Wege zum Verletzungserfolg sei, wird heute zunehmend - und zwar im Prinzip zu Recht angenommen (was ebenfalls eine reine ex ante-Betrachtung als unrichtig disqualifiziert), s. ausführlich Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 51 ff.; des weiteren z. B. Spendel, Stock-FS, 89 [104]; Schröder ZStW 81 (1969), 7 [12]; Schünemann JA 1975, 794. 302 Daß es um die Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit eines Kausa/ver/aujs geht, wird z. B. in folgenden Äußerungen klar zum Ausdruck gebracht (wobei es auf die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Darlegungen im übrigen, insbes. bzgl. der ex ante-/ex post-Frage 300
301
78
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
d. h. eines Verletzungserfolges, als Endpunkt jenes möglichen Kausalverlaufs. Soll somit die in Frage stehende Verletzung der Endpunkt eines für wahrscheinlich gehaltenen Kausalverlaufs sein, so kann folglich auch der Gegenstand, an dem dieser Verletzungserfolg einzutreten droht, nur ein solcher sein, der einer Sphäre angehört, in der die Kausalgesetze gelten, der also kausal verletzbar, d. h. kausal veränderbar ist 303 • Das aber trifft nur auf die Handlungs- und Rechtsgutsobjekte zu, nicht jedoch auf die ideellen Rechtsgüter. In konkrete Verletzungsgefahr geraten kann daher (grundsätzlich) nur ein Handlungs- oder Rechtsgutsobjekt, nicht aber ein ideelles Rechtsgut. Somit gilt für den konkreten Gefahrerfolg dasselbe wie für den Verletzungserfolg 304 : Ein konkreter Gefahrerfolg i. S. der konkreten Gefährdungs ( erfolgs)delikte kann nur in bezug auf die Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekte und die Rechtsgutsobjekte eintreten, nie jedoch in bezug auf die ideellen Rechtsgüter. Denn mit dem Eintritt eines konkreten Gefahrerfolgs i. S. der konkreten [so o. Fn. 301], hier nicht ankommt): Lackner, Das konkrete Gefahrdungsdelikt, S. 16(17: "Die Feststellung der Gefahr setzt ein Gefahrurteil voraus, und zwar ein Urteil, das nicht einen wirklichen, sondern einen nur gedachten, hypothetischen Kausalverlaufunter dem Gesichtspunkt bewertet, ob er nach menschlicher Erfahrung möglich erscheint." ... Das Gefahrurteil ist ein "Möglichkeitsurteil über den mutmaßlichen künftigen Kausalverlauf'; Blei AT §44III2, S.164: "Damit wird zugleich deutlich, daß Gefahr nur durch ein ex-ante-Urteil [nein] über den wahrscheinlichen Kausalverlauf begründet sein kann"; Armin Kaufmann JZ 1971, 569 [575 re. Sp.]: "Denn der tradierte und herrschende GefahrbegrifT fordert bei allem Streit im einzelnen jedenfalls auch das eine: die Existenz des Kausalgesetzes, das sich zu verwirklichen droht, die ,generelle Kausalität' für den Erfolgseintritt."; Bassenge, Der allgemeine strafrechtliche Gefahrbegriff, S.19: "Die Feststellung, daß der Täter eine Gefahr herbeigeführt hat, ist also eine Aussage über die (mögliche) kausale Beziehung zwischen einem gegenwärtigen und einem zukünftigen Zustand der Außenwelt." 303 Darauf weist namentlich Amelung, Rechtsgüterschutz, wiederholt nachdrücklich hin, s. z. B. S.106, 150, 199,265(266,267(268 u.ö.; S. 265 unten: "Das Gefährdungsurteil ist ... ein Wahrscheinlichkeitsurteil, das Urteil über die Wahrscheinlichkeit eines Kausalverlaufs. Gefahrden kann man daher nur ein Objekt, das eine Sphäre angehört, die vom Kausalgesetz beherrscht wird ... ", S. 142: Der ideelle Wert gehört "einem Bereich an, der ... nicht dem Kausalgesetz unterliegt. Folglich kann er weder [,wirklich'] ,verletzt' noch ,gefahrdet' werden; denn das Gefahrdungsurteil ist ein auf Erfahrung gegründetes Urteil über die Wahrscheinlichkeit eines Kausalverlaufs.", S. 268 oben: "Über Erfolge im Reiche der Ideen dürften auch kaum nachprüfbare Aussagen möglich sein." - Des weiteren wird hierauf auch von Schmidhäuser, Engisch-FS, 433 [446] ausdrücklich hingewiesen (Hervorhebungen dort): Wer die Rechtsgüter als etwas Ideelles begreift, "der sollte nie h t me h r von Rechtsguts g e f ä h r dun g reden, denn gefährdet werden kann nur ein konkretes Tatobjekt, nicht aber ein ideeller Anspruch [- Fn.45: ... Eine Rechtsguts,gefahrdung' wäre i. S. des Textes allenfalls bei einer Umwertung der Werte anzunehmen, also z. B. eine Gefahrdung des Wertes Eigentum durch die Idee [? - diese ist rein als solche völlig ungefahrlich -] des Kommunismus [gemeint ist wohl: durch Menschen, die diese Idee ,verinnerlichen' und durch ihre HandlungenfVerhaltensweisen zu verbreiten und zu verwirklichen suchen]. -]; es kann nur noch von Rech t s gu tsver let z u n g in dem Sinne die Rede sein, daß der Achtungsanspruch, der von einem Rechtsgut[?] ausgeht, durch das Willensverhalten eines Menschen verletzt wird." 304 S. o. nach Fn.271.
F. II. Das Rechtsgut als ideeller Wert
79
Gefährdungs(erfolgs)delikte ist der Eintritt der konkreten Gefahr des Eintritts eines Verletzungserfolges i. S. der Verletzungserfolgsdelikte gemeint JOs . Aber auch wenn man von "Gefahr" spricht und nicht die konkret eingetretene Gefahr für ein aktuell anwesendes Rechtsgutsobjekt meint, sondern eine nur mögliche, potentielle Gefahr im Auge hat, ist der Ausdruck "Gefahr" grundsätzlich auf die realen Gegenstände/Sachverhalte etc. und deren mögliche Verletzung/negative Veränderung/Beeinflussung bezogen. Das gilt insbesondere bei der sog. folgenlosen Fahrlässigkeit im Hinblick auf die nur mögliche Gefahr, die als Folge einer sorgfaltswidrigen (d. h. gefährlichen) Handlung hätte eintreten können, tatsächlich aber nicht eingetreten ist. Auch hier ist der Gefahrbegriff - selbstverständlich - auf die Realobjekte (i. w. S.) bezogen; d.h., sorgfaltswidrig (und damit gefährlich) kann ein (konkretes) Verhalten immer nur in bezug auf eine mögliche Verletzung oder Gefährdung eines realen Gegenstandes/Sachverhaltes etc. sein. So z. B., wenn A eine unübersichtliche Linkskurve schneidet und zufälliger- und glücklicherweise kein anderer Verkehrsteilnehmer entgegenkam; dieses Verhalten war sorgfaltswidrig und gefährlich in bezug auf eine mögliche (konkrete) Gefährdung - oder gar Verletzungeines anderen Verkehrsteilnehmers (genauer: dessen Leib, Leben und Eigentum), der hätte entgegenkommen können, tatsächlich aber nicht entgegengekommen ist. f} Die widersprüchliche Verwendung der Ausdrücke "Rechtsgut", "Rechtsgutsverletzung" und "Rechtsgutsgef"ahrdung" bei zahlreichen Vertretern einer ideellen Rechtsgutsauffassung
Festzuhalten ist somit, daß sowohl von einer Rechtsgutsverletzung als Folge der Handlung wie auch von einer Rechtsgutsgefährdung (als Folge der Handlung) korrekterweise nur gesprochen werden kann, wenn man die Rechtsgüter als reale, kausal veränderbare Gegenstände/Sachverhalte etc. auffaßt. Gleichwohl sprechen jedoch viele Autoren, die eine ideelle, abstrakte Auffassung vom Rechtsgut vertreten, von "Rechtsgutsgefährdung" und verwenden auch den Ausdruck "Rechtsgutsverletzung" zur Bezeichnung eines Handiungserfolges 306 • Besonders eklatant ist die widersprüchliche Verwendung des Ausdrucks "Rechtsgut" z. B. bei Lenckner307 • Nach Lenckner sind "die Rechtsgüter nicht als greifbare Gegenstände der Außenwelt zu verstehen ... Auf die allgemeinste Formel gebracht, sind ,Rechtsgüter' vielmehr die von ihrer konkreten Erschei305 Diese Formulierung ist zwar sprachlich nicht schön, der Mangel an stilistischer Eleganz muß aber im Interesse der sachlichen Richtigkeit und Deutlichkeit in Kauf genommen werden. 306 S. bereits die Jescheck betreffenden Darlegungen und Zitat- u. Fundstellenbeispiele oben in Fn.297. 307 In: SjS Vorbem. §§ 13 ff. Rdn.9 einerseits und Rdn. 11 andererseits.
80
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
nungsform in bestimmten Gütern, Zuständen, Lebensbeziehungen usw. abstrahierten ,Rechtswerte' (Baumann-Weber 140) ... Lediglich eine andere Sichtweise ist es, wenn die Rechtsgüter z. T. auch als die von den ideell zu verstehenden Gütern ausgehenden ,Achtungsansprüche' (Schmidhäuser 37, I 84)308 bezeichnet werden oder als die ,rechtlich anerkannten Interessen an bestimmten Gütern als solchen in ihrer generellen Erscheinungsart' (M-Zipf 1255) ... Allen diesen Umschreibungen gemeinsam ist die ,Vergeistigung' des Rechtsgutsbegriffs 309 (Blei I 90 31°), womit auch die Rechtsgutsverletzung zu einem geistigen Phänomen wird (Schmidhäuser, Engisch-FS 444)."311 Mit diesen Ausführungen vertritt Lenckner eindeutig eine ideelle, abstrakte Auffassung vom Rechtsgut. Zu dieser ideellen, abstrakten Rechtsgutsauffassung, der zufolge auch die Rechtsgutsverletzung ein geistiges Phänomen ist, stehen die Darlegungen in der übernächsten Randnummer in krassem Widerspruch. Denn nur bei Zugrundelegung einer realen Auffassung vom Rechtsgut ist es zu verstehen, wenn Lenckner312 ausführt: "Das Verbrechen ist zugleich Pflichtverletzung. Durch die Rechtsgutsverletzung [?)313 allein kann die Straftat noch nicht hinreichend gekennzeichnet werden 314 • Denn einmal ... Zum anderen kann ein Verhalten auch strafbar sein, obwohl es im Einzelfall an der Verletzung oder Gefährdung [!] eines Rechtsguts [!] fehlt (z. B. untauglicher Versuch [!]). Endlich genügt umgekehrt für das Strafrecht in keinem Fall schon die bloße Rechtsgutsverlet308 Dazu, daß nach Schmidhäuser nicht die Güter, sondern (nur) die (von den Gütern "ausgehenden") AchtungsanspTÜche ideeller Natur sind, s. o. unter F II 2 b den Einschub nach Fn.220. 309 In der vorangegangenen, hier ausgelassenen Passage beruft sich Lenckner u. a. noch auf Rudolphi, Jakobs und Stratenwerth; diese Autoren vertreten (m. E.) jedoch (eindeutig) eine reale und keine vergeistigte Auffassung vom Rechtsgut. 310 Richtigerweise muß es heißen: S.89. 311 In: S/S Vorbem. §§ 13 ff. Rdn.9. 312 In: S/SVorbem. §§13ff. Rdn.11, Hervorhebung dort. 313 In welchem Sinne? 314 Vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus erklärt demgegenüber Schmidhäuser, Engisch-FS, 433 [445]: "Rechtsgutsverletzung ist also die Verletzung des vom Rechtsgut [?] ausgehenden Achtungsanspruchs durch ein Willensverhalten. In diesem Sinne ist Rechtsgutsverletzung und Pflichtverletzung dasselbe. Rechtsguts- und Pflichtgedanke gehen in eines: So wie die Pflichtverletzung das Nichterfülien einer ideellen Anforderung ist, so ist es auch die derart verstandene Rechtsgutsverletzung. "; ebenso ders. StudB AT 5/33, S.86. S. auch Jescheck AT § 26 11 a. E., S.231 unterer Teil: "Die Rechtsgutsverletzung bedeutet die Beeinträchtigung des Geltungsanspruchs eines ideellen Wertes ... Die Pflichtverletzung ist im Grunde nur die ins Personale gewendete Rechtsgutsverletzung" (s. auch dens. AT § 1 III 2 erster Abs. a. E., S. 7). - Auf die (gesamten) oben im Text wiedergegebenen Ausführungen Lenckners trifft exakt folgende (allgemeine) Beschreibung Schmidhäusers (AT 2/36, S. 40) zu: "In der Strafrechtsdogmatik bestand lange Zeit die Auffassung [zu Recht], Rechtsgutsverletzung und Pflichtverletzung seien etwas völlig Verschiedenes (- wobei man freilich unter Rechtsgutsverletzung meistens die kausale Erfolgsherbeiführung verstand)." - was auch die hier vertretene Auffassung ist (s. unten unter F IV).
F. 11. Das Rechtsgut als ideeller Wert
81
zung [!] i. S. der Verursachung [!] eines negativ bewerteten Zustandes [!] ("Erfolgsunwert" [!] ... ). So hat z. B. auch der völlig korrekt fahrende Kraftfahrer, dem ein Kind in das Auto läuft, ein Rechtsgut [!] verletzt [!]; gleichwohl fehlt es hier an einer wesentlichen Verbrechensvoraussetzung ... es [ist] vielmehr gerade die in der Mißachtung der Norm [!] liegende Pflichtverletzung, welche die bloß kausale [!] Herbeiführung der Rechtsgutsverletzung [!] zum Verbrechen macht." Diesen Ausführungen liegt - wie gesagt - eindeutig eine reale Rechtsgutsauffassung zugrunde, denn nur wenn die Rechtsgüter als reale, kausal verletzbare Gegenstände etc. aufgefaßt werden, kann von kausaler Rechtsgutsverletzung sowie davon die Rede sein, beim untauglichen Versuch fehle es an einer Rechtsgutsverletzung und -gefahrdung315 . Dadurch, daß Lenckner hier eindeutig von einer realen Rechtsgutsauffassung ausgeht, setzt er sich mit diesen Ausführungen aber ebenso eindeutig in Widerspruch zu seiner Grundauffassung, der zufolge die Rechtsgüter ideeller, abstrakter Natur sind 316 . Ebenso "aufsehenerregend" wie bei Lenckner ist die widersprüchliche Verwendung des Ausdrucks "Rechtsgut" auch bei Haft 317 • Nach Haft ist der "Begriff Rechtsgut ... ein gedanklicher, werthafter Begriff, der vom Begriff des Handlungsobjektes scharf[!] getrennt werden muß. "318 Die dies verdeutlichende Abbildung (17)319, betreffend die "Struktur des Rechtsgutes" , charakterisiert das Handlungsobjekt als die "Verkörperung" des Rechtsguts und umgekehrt das Rechtsgut als die "Vergeistigung" des Handlungsobjekts. In bezug auf das "vergeistigte" Rechtsgut heißt es dementsprechend: "Verletzung = geistige Mißachtung". Und erläuternd fügt Haft hinzu: "Beim untauglichen Versuch fehlt beispielsweise ein konkret gefährdetes Handlungsobjekt; gleichwohl ist das geschützte Rechtsgut durch den Angriff mißachtet [d. h., so ist zu ergänzen, ,verletzt'] worden, weshalb der untaugliche Versuch strafbar ist."320 In krassem Widerspruch zu dieser Beschreibung des Rechtsguts als etwas "Vergeistigtes", das durch - betätigte - "geistige Mißachtung" "verletzt" wird S. auch SjSjLenckner § 32 Rdn. 12. Ebenso stehen die Ausführungen Lenckners in SjS Vorbem. §§ 13ff. Rdn.9 am Anfang im Widerspruch zu der von ihm vertretenen ideellen (vergeistigten) Rechtsgutstheorie; dort heißt es: "Der Begriff Rechtsgutsbeeinträchtigung bezeichnet die Verletzung oder Gefahrdung [!] eines als sozial wertvoll erkannten und deshalb vom Recht durch entsprechende Verhaltensnormen [!] geschützten Lebensguts [!]." 317 AT 4. Teil § 2 Nr. 2, S.72 einerseits und 4. Teil § 2 Nr. 1, S.71 andererseits. 318 AT 4. Teil § 2 Nr. 2, S. 72. Daß Haft hier nur auf die jeweiligen Begriffe abstellt und nicht auf die durch diese bezeichneten Gegenstände - das Rechtsgut und das Handlungsobjekt - selbst, ist nicht nur unvorteilhaft, sondern auch "gefahrlich", s.o. Fn.101. 319 A.a.O. (Fn.318). 320 A. a. O. (Fn. 318); ebenso, aber etwas pointierter, ders. AT 9. Teil § 3, S. 225: "Zwar fehlt es an der Gefahrdung eines konkreten Handlungsobjekts; doch ist das geschützte Rechtsgut durch den im Versuch manifestierten Geltungsangriff mißachtet." - d.h. "verletzt" (Ergänzung von mir). 315
316
6 Graul
82
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
(und auch nur so "verletzt" werden kann), erklärt Haft eine Seite vorher 321 : "Straftaten verletzen oder gefährden [!] Rechtsgüter [tl. Insoweit ist auf das Erfolgsunrecht [!] zu achten ... Beide Positionen - die des Handlungsunrechts und die des Erfolgsunrechts - dürfen jedoch nicht einseitig vertreten werden. Sie sind vielmehr zu einer Synthese zu bringen. Das Verbrechen ist ,Rechtsguts- und Pflichtverletzung in einem' (Jescheck). Das Handlungsunrecht kennzeichnet die mißbilligte Handlung (Tun, Unterlassen). Das Erfolgsunrecht [!] kennzeichnet die Rechtsgutsverletzung[!]322 ... Würde man einseitig auf die Handlung und damit auf den Pflichtgedanken abstellen ... Würde man andererseits einseitig auf den Erfolg[!] und damit auf die Rechtsgutsver/etzung (bzw. -gefährdung)[!] abstellen ... Allein die äußere [!] Verletzung oder Gefährdung [f] von Rechtsgütern [!] hätte zu entscheiden ... " Derart widersprüchliche Aussagen ein und desselben Autors - ein, wie gesagt (und gezeigt), bei den Vertretern einer ideellen, abstrakten Rechtsgutsauffassung (sehr) häufiges Phänomen - zeigen nicht nur, daß die immer wieder beschworene "Vergeistigung" des Rechtsguts offenbar einer "natürlichen" Auffassung vom Rechtsgut widerspricht 323 , sondern sie machen auch deutlich, daß man sich nicht nur im wissenschaftlichen Dialog [so auch Haft Jescheck 324 ] immer (umständlich) des mit den Ausdrücken "Rechtsgut" und "Rechtsgutsverletzung" Gemeinten vergewissern muß, sondern eben auch häufig noch nicht einmal bei ein und demselben Autor sicher sein kann, daß er mit diesen Ausdrücken auch immer einheitlich dasselbe meint - ein für die Strafrechtswissenschaft höchst bedenklicher Zustand. Wobei, wie man sich leicht denken kann, noch erschwerend hinzukommt, daß nicht selten - wenn nämlich der Zusammenhang keine eindeutigen Hinweise gibt - überhaupt nicht klar ist, was eigentlich gemeint ist, das Gesagte also weder verstanden noch verifiziert oder falsifiziert werden kann. Auch bei Blei - um ein weiteres Beispiel zu geben - ist die zu seiner "vergeistigten" Rechtsgutsauffassung in Widerspruch stehende Verwendung AT 4. Teil §2 Nr.1, S. 71, Hervorhebungen dort. Wie insbesondere die letztere, vom Standpunkt einer" vergeistigten" Rechtsgutsauffassung aus unrichtige Aussage zeigt, hat Haft die oben zitierte Aussage Jeschecks, das Verbrechen stelle sich "als Rechtsguts- und Pflichtverletzung in einem dar" (AT § 1 111 2 erster Abs. a.E., S.7, Hervorhebungen dort), offenbar gründlich mißverstanden. Denn mit der in dieser Aussage genannten Rechtsgutsverletzung ist die (bei Jescheck a.a.O.) zuvor angesprochene betätigte Mißachtung des "Geltungsanspruch[s] des Rechtsguts" gemeint (s. auch die oben in Fn. 314 wiedergegebenen Ausführungen Jeschecks) und nicht der Erfolgsunwert, der - wie Jescheck ausdrücklich betont - in "der Verletzung oder Gefährdung eines Handlungs- (oder Angriffs-) objekts ( ... ), das die Strafvorschrift als äußere Erscheinungsform oder Träger des geschützten Rechtsguts sichern will, liegt" (a.a. O. § 1111 1, S. 6, Hervorhebungen von mir) und der von der Rechtsgutsverletzung (als Mißachtung des Geltungsanspruchs des ideellen [Rechtsguts-]Wertes) streng zu unterscheiden ist! S. oben unter F 11 2 e bei und nach Fn.272. 323 Vgl. dazu auch oben Fn.180. 324 S. o. Fn. 322. 321
322
F.II. Das Rechtsgut als ideeller Wert
83
der Ausdrücke "Rechtsgutsverletzung" und "Rechtsgutsgefährdung" unübersehbar. Blei325 beschreibt das Wesen des Rechtsguts wie folgt: "Rechtsgut (Schutzobjekt, Angriffsobjekt 326) ist nicht, wie das früher erwähnte ,Handlungsobjekt' , ein greifbarer Gegenstand der Außenwelt. Es ist vielmehr ein gedankliches Gebilde, es ist der auf seine einfachste Formel gebrachte objektive Wert, den das geschützte Gut in sich schließt [?], oder die in Gedanken vollzogene Zusammenfassung (Synthese) dessen, was der Tatbestand seinem Sinne nach im ganzen umfaßt [?]327 ... Man darf daher nicht in materialistischem Denken befangen bleiben und eine ,Vergeistigung' dieses Rechtsgutsbegriffs ablehnen." Mit dieser "vergeistigten" Rechtsgutsauffassung ist es nicht zu vereinbaren, wenn Blei328 ausführt: "Innerhalb der Erfolgsdelikte [!] läßt sich ( ... ) weiterhin unterscheiden zwischen Gefährdungsdelikten und Verletzungsdelikten ... Bei den Verletzungsdelikten muß die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts [!] eingetreten sein, so etwa der Tod in §§211, 212, 222, die Gewahrsamsverschiebung in §242 329 , die Gefühlsverletzung in § 183 a usw." Diese Ausführungen stehen zu der "vergeistigten" Rechtsgutsauffassung Bleis in offensichtlichem Widerspruch, da sich die hier beschriebenen Rechtsgutsverletzungserfolge eindeutig auf reale Erscheinungen (wirkliches Leben, tatsächliche Sachherrschaft, wirkliches Gefühl) und nicht auf "vergeistigte gedankliche Gebilde" beziehen 330 • Diese Beispiele lassen sich "beliebig" vermehren. Abgesehen von Jescheck, Lenckner, Haft und Blei halten ihre ideale, abstrakte Auffassung vom Rechtsgut z. B. auch Wessels 331 , Lange 332 und Baumann/Weber 333 nicht durch. AT § 24 11, S.89, Hervorhebungen dort. Dazu, daß Blei (damit) den Begriff "Angriffsobjekt" anders verwendet als die anderen Autoren, s. bereits oben Fn. 36 u. 90 erster Abs. 327 Mit diesem "methodologischen" Rechtsgutsbegriff (s. auch die ausdriickliche Bezugnahme Bleis a. a. O. [Fn.325] auf Honig) "dürfte allerdings die Begriffsnacht, die alle Unterschiede verschlingt, bereits erreicht sein!" (so Welzel ZStW 58 (1939), 491 [511 Fn.30] über die Ausweitung des Rechtsgutsbegriffs bei Mezger). 328 AT §23 IV2 u. 2 b, S.82. 329 Daß (auch) der Gewahrsam "Rechtsgut" des § 242 StGB ist, betont Blei AT § 24 11, S.90, wobei jedoch unklar ist, in welcher Form der Gewahrsam Rechtsgut sein soll, als "gedankliches Gebilde" oder als realer, tatsächlicher Zustand/Sachverhalt. 330 In Widerspruch zu seiner "vergeistigten" Rechtsgutsauffassung stehende Aussagen zur "Rechtsgutsgefährdung" o. ä. finden sich bei Blei z. B. an folgenden Stellen: AT §29 11 2, S. 108 (die dort gegebene Definition der Gefahr [als Urteil] ist - abgesehen von ihrer nach Blei fehlerhaften Bezogenheit auf das Rechtsgut - auch im übrigen unrichtig; s. dazu ausführlich Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 31 ff.); §44 11, S. 161: drohende "Schädigung eines Rechtsgutes"; §44III, S.163: "Gefahr für irgendein Rechtsgut"; § 44 IV 1, S. 166: "erhebliche Rechtsgutsgefährdung"; § 44 IV 2, S. 168: in Gefahr befindliches Rechtsgut; § 44 IV 5, S. 169: gefahrbedrohtes Rechtsgut; § 85 11, S. 313: "Beschützer des bedrohten Rechtsgutes"; § 87 11, S.323: es ist "genau zu prüfen, ob der Pflichtige bestimmte Rechtsgüter ,rundum' oder gegen bestimmte Gefahren zu schützen hat". 331 AT § 1 12, S.2: "Rechtsgüter sind ideelle Sozialwerte" (Hervorhebung dort). Dem steht z. B. entgegen § 1 15, S. 4 (Hervorhebung dort): "Erfolgsunwert der Tat (= Verletzung 325
326
6*
84
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
oder Gefährdung des jeweiligen Schutzobjekts)" - sofern "Schutzobjekt" gleichbedeutend mit "Rechtsgut" ist (s.o. Fn.90 erster u. insbes. dritter Abs.) -; §8IV1, S.88: "gefahrdrohender Zustand von längerer Dauer, der ( ... ) jederzeit in eine Rechtsgutsbeeinträchtigung umschlagen kann, ohne aber die Möglichkeit auszuschließen, daß der Eintritt des Schadens noch eine Zeitlang auf sich warten läßt"; § 8 IV 1 a. E., S. 88 (unklar bzw. mehrdeutig); § 8 IV 3 b, S. 89 (z. B. "Inhaber des bedrohten Rechtsguts"), 90; § 8 IV 5, S.92: "unterschiedliche Risiken für ein bedrohtes Rechtsgut"; § 8 V 1, S. 94: bevorstehender "Eintritt einer Rechtsgutsverletzung[!) in Gestalt des Erfolgsunwertes [!]", Hervorhebung dort; § 8 V 2, S.96 (nicht ganz klar, mehrdeutig); § 14 11, S. 172, 173 (nicht vollkommen klar); § 14 II 2, S. 175: "Erreichen eines Stadiums ... , in welchem das betroffene Rechtsgut aus der Sicht des Täters bereits unmittelbar gefährdet erscheint", "objektive Gefährdung des geschützten Rechtsguts" , Hervorhebungen dort; § 14 II 4, S. 180: "konkrete Gefahr for das geschützte Rechtsgut" , Hervorhebungen dort; § 15 II 3 a, S. 201: "Inhalt der Sorgfaltspflicht ist es vor allem, die aus dem konkreten Verhalten erwachsenden Gefahren for das geschützte Rechtsgut zu erkennen ... ", Hervorhebungen dort; § 15 II 4, S.203: Verletzung oder Gefährdung eigener Rechtsgüter. 332 In: Kohlrausch/Lange System. Vorbem. III 1 vor § 1, S.13, dessen Ausführungen bereits im Ansatz völlig unklar bzw. widersprüchlich sind, indem er nämlich von Rechtsgutsgefährdungen und von der Rechtsgutsverletzung als Erfolgsunrecht spricht und in unmittelbarer Anknüpfung an den Hinweis auf den "Sinn des Unrechts begriffs als Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung" ausführt: "Doch ist ,Rechtsgut' nicht materialistisch, sondern als Unverletzlichkeit von Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre usw. zu verstehen. Nicht das verletzte Einzelinteresse ist entscheidend ... ", und a. a. O. S. 14 unten heißt es: "Die Rechtsnormen knüpfen in der Regel an die vorgefundenen, im Gemeinschaftsleben wirkenden Werte an wie die Unverletzlichkeit von Leben und Gesundheit", was Lange als Sicherung des "traditionellen Bestand[es) der Rechtsgüter" bezeichnet. Zu dieser offenbar abstrakten, ideellen Auffassung vom Rechtsgut (s. auch unten unter F II 2j nach Fn.375, insbes. bei und nach Fn.378) stehen nicht nur die oben genannten Ausführungen in Widerspruch, sondern (z. B.) auch die den Versuch betreffenden Darlegungen a.a.O. Vorbem. II7 (S.145), III3 u. 3a (S.146), 4d (S.147) u. 4e (S.147/148) vor §43, wobei die Ausführungen in Vorbem. 4e vor §43 schon mehr zur Unklarheit hinsicht!. der Beschaffenheit der Rechtsgüter tendieren; s. zu Lange auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S.265/266. 333 AT § 12 II 3 a, S.140: "Jeweils darf das Rechtsgut nicht zu konkret gesehen werden. Wenn in § 242 das Eigentum als Rechtsgut geschützt wird, so heißt das nicht, daß irgendein spezielles und konkretes dingliches Recht irgendeiner bestimmten Person geschützt werde!" Infolge dieser - wie gesagt äußerst befremdlichen Auffassung - wollen Baumann/Weber den Begriff "Rechtsgut" daher i. S. von "Rechtswert oder Rechtsinteresse" verstehen (a.a.O.). Demgegenüber heißt es z.B. a.a.O. §12II2by, S.134 unter der Überschrift "Verletzungsdelikte - Gefährdungsdelikte": "Ein Verletzungstatbestand ist z. B. § 212. Zur Tatbestandsmäßigkeit der Handlung gehört die Verletzung des Rechtsgutes Leben." (vgl. dazu die obigen Ausführungen zum Eigentum!); § 22 II 1 a, S. 346: "Eine Gefahr für ein Rechtsgut besteht dann, wenn der Eintritt eines Schadens naheliegt. ", S. 347: "Gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut besteht auch dann, wenn die Verzögerung des rettenden Eingriffs nicht zur sofortigen Rechtsgutsverletzung führen ... würde. "; § 32 I 2 c, S. 471 (bzg!. Versuch): "Stellt man bei der Gefährdung der Rechtsgüter auf das objektive Geschehen ab, so käme es darauf an, wie nahe das objektive Geschehen der vollendeten Tatbestandserfüllung = Rechtsgutsverletzung kommt. "; ... es "kann z. B. nicht gesagt werden, der keine Rechtsgutsgefährdung herbeiführende Versuch erschüttere das Rechtssicherheitsempfinden nie".
F. 11. Das Rechtsgut als ideeller Wert
85
g) Die theoretiscbe Möglichkeit einer sinnvollen Verwendung der Ausdrücke "Recbtsgutsverletzungserfolg" und "konkrete Recbtsgutsgeflibrdung" auf der Grundlage einer ideellen Recbtsgutstheorie
Dieser Befund, daß viele derjenigen, die das Rechtsgut als etwas "Vergeistigtes", "Abstraktes", "Ideelles" auffassen, gleichwohl von der "Gefahr für ein Rechtsgut" sprechen und auch den Ausdruck "Rechtsgutsverletzung" zur Kennzeichnung einer Folge der Handlungen verwenden, ist aus mehreren Gründen mißlich. Nämlich nicht nur deshalb, weil in vielen Fällen im Widerspruch zur eigenen Auffassung auf einmal das reale Rechtsgut (also das Rechtsgutsobjekt i. S. einer ideellen Rechtsgutstheorie) gemeint ist (bzw. sein muß oder müßte), sondern auch deswegen, weil infolge dieser "beliebigen", d.h. wechselhaften Verwendung des Ausdrucks "Rechtsgut" grundsätzlich bei der Beurteilung von Aussagen eine permanente Unsicherheit hinsichtlich des mit dem Gesagten jeweils Gemeinten besteht und sich mitunter auch gar nicht klären läßt, was eigentlich gemeint ist bzw. ob das Gemeinte einen verstehbaren Inhalt hat; denn es ist ja nicht prinzipiell auszuschließen, daß der Ausdruck "Gefahr für ein Rechtsgut" bisweilen tatsächlich auf das abstrakte, ideelle Rechtsgut bezogen wird, und zwar in einer unklaren, nicht nachvollziehbaren Weise. Denn - und das macht die Redeweise vom "Rechtsgutsverletzungserfolg" und von der "Gefahr für ein Rechtsgut" zusätzlich mißlich - die vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus einzig334 sinnvolle, d. h. widerspruchslose Verwendung dieser Ausdrücke ist jedenfalls offensichtlich nicht gemeint. Es gibt nämlich in der Tat eine Möglichkeit, auch vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus von einer Rechtsgutsverletzung als Folge der Handlung, also von einem Rechtsgutsverletzungserfolg - sowie der konkreten Gefahr eines solchen - zu sprechen. Allerdings natürlich nicht in dem Sinne, daß sich die Ausdrücke "Verletzungserfolg" und "Verletzungsgefahr" unmittelbar auf die ideellen Rechtsgüter als solche beziehen und den Eintritt eines kausalen Veränderungserfolges im Reiche der Ideen bzw. die Gefahr eines solchen meinen. Denn kausale Bestandsveränderungen im Reiche der Ideen als direkte Folge einer realen Handlung des Täters sind ja nicht möglich, jedenfalls - sofern das jemand behaupten sollte - nicht (prozessual) nachprüfbar. Sinnvoll werden diese Ausdrücke aber, wenn man die jeweiligen Bestandteile dieser Ausdrücke (Verletzung, Erfolg, Gefahr [einer Verletzung]) in einer dem jeweiligen Bereich bzw. Gegenstand entsprechenden Weise versteht, nämlich "Verletzung" als Mißachtung des ideellen Rechtsgutswertes und Erfolg als Folge der Handlung (und "Verletzungsgefahr" dementsprechend als Gefahr der Mißachtung). Dann bedeutet nämlich "Rechtsgutsverletzungserfolg": Mißachtung eines ideellen Rechtsgutswertes als Folge der Handlung; da die Handlung des Täters aber schon selbst eine Rechtsgutsmißachtung, also eine Rechtsguts334
Zur "abstrakten Rechtsgutsgefährdung" s. unten unter F II 2 h.
86
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
verletzung darstellt, besagt dieser Ausdruck, daß es als Folge des rechtsgutsverletzenden (= -mißachtenden) Verhaltens des Täters - im Wege psychisch vermittelter Kausalität - zu einer weiteren Rechtsgutsverletzung i. S. einer Mißachtung des (eines) ideellen Wertes gekommen ist. Etwas Derartiges ist z. B. bei der (vollendeten) Anstiftung 335 der Fall, und zwar insbesondere auch dann, wenn die Haupttat - namentlich wegen Untauglichkeit des Mittels oder Objekts - im Versuchsstadium steckengeblieben ist. Denn da der Anstifter die vom Angestifteten zu bewirkende Rechtsgutsobjektsverletzung will 336 und durch seine Anstifterhandlung diesen rechtsgutsmißachtenden Willen betätigt, stellt seine Anstiftungshandlung eine Rechtsgutsverletzung (-mißachtung) dar, welche in Form der durch die Anstiftung - qua geistig-psychischer Kausalität - verursachten Haupttat, d. h. dem untauglichen Verletzungs(erfolgs)-Versuch 337 , zu einer weiteren Rechtsgutsverletzung i. S. der Rechtsgutsmißachtung geführt hat, denn auch der vom Haupttäter begangene untaugliche Versuch der Verletzung eines Rechtsgutsobjekts stellt ja bereits eine Rechtsgutsverletzung i. S. der Rechtsgutsmißachtung dar 338 . Der Ausdruck "Rechtsgutsverletzungserfolg" bezeichnet also vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus, wenn man ihn nicht - wie es die Vertreter einer ideellen RechtsgutsaufTassung häufig tun - inkonsequenterweise auf das Rechtsgutsobjekt, sondern konsequent auf das ideelle Rechtsgut bezieht, nicht einen durch die Handlung des Täters verursachten Sachverhaltsunwert (also den Erfolg der kausalen Veränderung/Beeinflussung des durch die Norm geschützten realen Gegenstandes/Sachverhaltes etc. [d. h. des Rechtsgutsobjekts]), sondern einen durch die Handlung des Täters bewirkten weiteren Handlungs- oder Aktunwert (einer anderen Person)339. Entsprechendes gilt für den Ausdruck "konkrete Rechtsgutsgefährdung". Dieser besagt vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus, daß es infolge der rechtsgutsverletzenden (d.h. -mißachtenden) Handlung des Täters zu einer Situation gekommen ist, die das Urteil trägt, eine weitere Zuwiderhandlung gegen den ideellen Rechtsgutswert (d. h. eine Rechtsgutsverletzung) sei wahrscheinlich gewesen. D.h.: "Verursachung einer konkreten Gefahr für ein Rechtsgut" bedeutet, wenn man diesen Terminus konsequent auf das ideelle Rechtsgut und seine Verletzung bezieht, daß infolge der Zuwider-Handlung des Täters eine - äußere und innere (psychische) - Situation bestanden hat, die es 335 Zu einem Verletzungs(erfolgs)delikt im materiellen Sinne, s. dazu bereits oben Fn. 287 sowie unten unter G den Absatz vor Fn. 436. 336 Zum agent provocateur s. Rudolphi, Maurach-FS, 51 [66/67]. 337 Also dem untauglichen Versuch des Bewirkens einer wirklichen, kausalen Rechtsgutsobjektsverletzung. 338 S. o. unter F II 2 e nach Fn. 285 und in Fn. 287 u. 289. 339 Vgl. vom Standpunkt einer realen RechtsgutsaufTassung aus - auch Rudolphi a. a. o. (Fn.336) bzgl. des Erstrebens lediglich eines Personenunwertes, d. h. eines Handlungs- oder Aktunwertes des HaupUäters, seitens des agent provocateur.
F. 11. Das Rechtsgut als ideeller Wert
87
als wahrscheinlich erscheinen ließ, daß im Wege psychisch vermittelter Kausalität eine weitere Zuwiderhandlung gegen den ideellen Rechtsgutswert durch einen anderen erfolgen werde. Etwas Derartiges kann z. B. - es kommt auf die tatsächliche Lage des konkreten Falles an - bei der versuchten Anstiftung (zu einem Verbrechen, § 30 I StGB) der Fall sein. Eine konkrete Rechtsgutsverletzungsgefahr in diesem Sinne liegt aber z. B. auch dann vor, wenn jemand in einem Kaufhaus den Diebstahl eines anderen beobachtet und sich dadurch selbst zu einem solchen Verhalten animiert fühlt und mit sich kämpft, es dem anderen nachzutun, was er dann aber letztlich unterläßt. Eben war von der "Gefahr für ein Rechtsgut" als Folge einer bereits vorgenommenen Handlung des Täters die Rede. Es ist aber natürlich auch möglich, die Ausdrücke "konkrete Gefährlichkeit für ein Rechtsgut" oder "gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut" im Zusammenhang mit einem erstmaligen Bevorstehen einer Zuwiderhandlung gegen einen ideellen Rechtsgutswert zu verwenden. Bezieht man also z. B. im Rahmen der §§ 32, 34 StGB die diese und ähnliche Formulierungen verwendenden Ausführungen von Vertretern einer ideellen Rechtsgutsauffassung tatsächlich auf das ideelle Rechtsgut und die ihm drohende Verletzung = Mißachtung - was nur konsequent, aber sachlich natürlich unrichtig 340 ist -, so kann bzw. muß man die entsprechenden Ausführungen - soweit sie sich auf von Menschen ausgehende Gefahren beziehen - dahin verstehen, daß - nur - gemeint ist, eine Zuwiderhandlung gegen den ideellen Rechtsgutswert stehe unmittelbar bevor, ohne daß es auf deren wirkliche Gefährlichkeit für das diesen ideellen Wert repräsentierende Rechtsgutsobjekt ankäme. Eine "gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut" und ein "gegenwärtiger, in bezug auf das (ideelle) Rechtsgut konkret gefährlicher Angriff" liegen bei dieser Sichtweise z. B. auch dann vor, wenn in bezug auf das reale Rechtsgutsobjekt lediglich ein untauglicher (Verletzungs-)Versuch unmittelbar bevorsteht 341 • - Auch hier zeigt sich also wieder, wie "gefährlich" und mißlich eine unrichtige Terminologie ist. Man kommt vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus eben nicht umhin, will man die Verständigung nicht unnötig erschweren, stets vom Rechtsgutsobjekt (oder geschützten Handlungsobjekt o. ä.) zu sprechen, wenn man das Rechtsgut i. S. Welzels meint.
Festzuhalten ist somit, daß es zwar auch vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus begriffiich möglich ist, in einer sinnvollen Weise von einer "Rechtsgutsverletzung" und einer "konkreten Rechtsgutsgefährdung" als Folge der Handlung zu sprechen, daß jedoch diese Ausdrücke dann - wenn sie 340 Dies schon deshalb, weil dann alle Gefahren für Rechtsgutsobjekte, die nicht unmittelbar - auf ein menschliches Verhalten, sondern z. B. auf Naturereignisse zurückgehen oder bei denen sich das menschliche Verhalten nicht als drohende Rechtsmißachtung darstellt, nicht von § 34 StGB erfaßt wären. S. im übrigen bereits oben unter F I 3 bei und nach Fn. 173. 341 Wobei es auch im Hinblick auf das Merkmal "Gefahr für das ideelle Rechtsgut" nach keiner Gefahrtheorie auf die Erkennbarkeit der Untauglichkeit der bevorstehenden Handlung hinsichtlich der Verletzung des Rechtsgutsobjekts ankommt, denn die in der drohenden Mißachtung liegende Gefahr für das ideelle Rechtsgut ist ja absolut echt.
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
88
korrekt verwendet werden - nicht den Eintritt eines kausalen Veränderungserfolges an einem realen Gegenstand/Sachverhalt etc. bzw. die konkrete Gefahr eines solchen, also einen Sachverhaltsunwert, bezeichnen, sondern ein völlig anderes Phänomen, nämlich den Eintritt einer weiteren Zuwiderhandlung gegen den ideellen Rechtsgutswert bzw. die konkrete Gefahr einer weiteren Zuwiderhandlung, also die Realisierung eines erneuten Handlungsunwerts bzw. die konkrete Gefahr der erneuten Verwirklichung eines solchen. Festzuhalten ist daher ebenfalls, daß es bei den oben 342 getroffenen Feststellungen bleibt, daß nämlich von einem Verletzungs- und Gefährdungserfolg i. S. der Verletzungsund konkreten Gefährdungsdelikte, d. h. im Sinne eines kausalen Verletzungs= Veränderungserfolges 343 bzw. der Gefahr eines solchen, nur in bezug auf Realobjekte, also die Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekte und die Rechtsgutsobjekte, gesprochen werden kann, nicht jedoch in bezug auf die ideellen Rechtsgüter. Und nochmals hervorzuheben ist schließlich auch, daß der Ausdruck "Gefahr", auch wenn er nicht den konkreten Gefahrerfolg i. S. der konkreten Gefährdungs(erfolgs)delikte meint, sondern in anderen Zusammenhängen verwendet wird - nicht nur, aber namentlich auch, wenn er Sachverhalte der in § 34 StGB angesprochenen und ähnlicher Art bezeichnet - , stets auf die Realobjekte (i. w. S.) und deren mögliche oder wahrscheinliche (kausale) Verletzung bezogen ist und nicht auf die ideellen Werte und eine ihnen als solche möglicherweise drohende Mißachtung. Diese Bezogenheit des Gefahrbegriffs auf die wirklichen Güter bedeutet zwar meistens, daß es um die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer kausalen Verletzung i. S. eines kausalen Veränderungs- oder Beeinflussungserfolges geht. Das ist jedoch nicht notwendig der Fall. Auch solche Güter, die ähnlich wie die ideellen Werte nur durch Mißachtung/Zuwiderhandlung "verletzt" werden können 344 , Unter F II 2 e nach Fn. 271 sowie bei und nach Fn. 298, insbes. bei und nach Fn. 304. Ein solcher kausaler Veränderung- oder Beeinflussungserfolg kann, wie gesagt, nicht nur an (mehr oder weniger) körperlichen Gegenständen - wie z. B. Leib, Leben und fremden Sachen - eintreten; ein kausaler Veränderungserfolg liegt vielmehr z. B. auch bei der Vermögensschädigung i.S. §263 StGB vor. Des weiteren führen z.B. auch die uneidliche Falschaussage und der Meineid einen kausalen Beeinflussungserfolg herbei, wenn das Gericht aufgrund der falschen Angaben einen unrichtigen Sachverhalt feststellt. Daß die §§ 153, 154 StGB keine Verletzungserfolgsdelikte, sondern abstrakte Geflihrdungsdelikte sind, ändert an der kausalen Verletzbarkeit bzw. Beeinflußbarkeit der Wahrheitsfindung nichts, und es sollte auch nur verdeutlicht werden, daß auch so geartete ProzessejVorgänge und damit die durch sie erst zu schaffenden Ergebnisse (die Feststellung des" wahren" Sachverhalts) real- negativ - beeinflußbar sind - wären sie es nicht, bräuchten sie ja auch gar nicht durch die Pönalisierung falscher Aussagen geschützt zu werden; oder anders ausgedrückt: die §§ 153, 154 StGB wären unzulässig, würden sie den Zweck haben, einen (nachweisbar) gar nicht beeinflußbaren Vorgang vor negativen Beeinflussungen zu schützen. 344 Genau genommen muß es heißen: die in einer strafrechtlich selbständig relevanten Weise nur durch Mißachtung/Zuwiderhandlung "verletzt" werden können. Denn das Hausrecht einer Person kann ja z. B. auch - ohne Betreten der Räumlichkeit/des Grundstücks - durch die Zerstörung des Wohnwagens/Schiffes/Hotels/Mietobjekts/Hauses (einschließlich der Grundstücksumfriedung) etc. verletzt, d. h. vernichtet 342 343
F. H. Das Rechtsgut als ideeller Wert
89
können in die Gefahr einer solchen "Verletzung" geraten. So ist z. B. das Hausrecht des X in Gefahr, durch Zuwiderhandlung "verletzt" zu werden, wenn eine "Besetzung" seines Hauses (unmittelbar) bevorsteht/droht; und der Ehranspruch des Y ist in Gefahr, durch eine vollendete Zuwiderhandlung 34S "verletzt" zu werden, wenn Z einen Brief beleidigenden Inhalts an ihn abgeschickt hat oder wenn Z bei Anwesenheit des Y, weil dieser ihn permanent reizt, kurz davor ist, sich mittels geeigneter Schimpfworte Luft zu machen. h) Schutz ideeUer Rechtsgüter = Schutz der Geltung der Rechtsgutswerte
Oben Wi war bereits davon die Rede, wie man sich eine konkrete Gefahr für das ideelle Rechtsgut als unmmittelbare - allerdings nur in den seltensten Fällen nachweisbare - Folge einer rechtsgutsmißachtenden Handlung des Täters denken kann, nämlich i. S. der konkreten Gefahr des Auslösens eines Nachahmungseffekts durch das in dem rechtsgutsmißachtenden Verhalten des Täters liegende "böse Beispiel". Bezieht man diesen Gedanken nicht - wie oben beschrieben - unmittelbar auf die konkrete Tatsituation, sondern stellt man sich die entfernteren, mehr sozialpsychologisch betrachteten Folgen vor, die eintreten könnten, wenn die fragliche Tat - wie auch weitere (bekannt gewordene) Taten der fraglichen Art - nicht bestraft würde(n), dann zeigt sich endlich, was es mit dem Schutz jener ideellen Werte eigentlich auf sich hat und um welche Art von Schäden und Gefahren es einer ideellen Rechtsgutsauffassung zufolge primär geht: nämlich um die Schädigung bzw. Schwächung bzw. Gefährdung 347 der Wertgeltung durch die Mißachtung des Geltungsanspruchs des Wertes durch den Täter. D.h.: Schutz der ideellen Werte bedeutet Schutz der Wertgeltung durch die Sanktionierung geltungsgefährdender Zuwiderhandlungen 348 , also: Bestätigung der Geltung der Werte durch die Bestrafung ihrer Mißachtung349 und damit "Neutralisierung" der durch die Mißachtung bewirkten Geltungsschwächung bzw. -gefährdung. Diese durch das (bekannt gewordene) rechtsgutsmißachtende Verhalten des Täters bewirkte - jedenfalls nicht auszuschließende - Gefährdung der Geltung des Rechtsgutswertes ist das vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus mit dem - allerdings nicht sehr glücklichen - Ausdruck ("objektive" oder "abstrakte") "Rechtsgutsgefährdung" eigentlich, d. h. bei korrekter Begriffsverwendung gemeinte Phänomen. werden; und mit dem Tod eines Menschen erlischt früher oder später auch sein Ehranspruch (s. o. unter D I bei und nach Fn.64, 65). 34S S. o. Fn.68. 346 Unter FH2gnach Fn.339. 347 Der Sache nach ist immer das gleiche gemeint. 348 Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, S.185. 349 S. Krümpelmann, Die Bagatelldelikte, S. 84, hier wiedergegeben unten unter F 11 2 j nach Fn. 385 (genauer: nach Fn. 390).
90
I. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Das wird besonders deutlich von Sax 350 bei seinen Ausführungen zum Strafgrund des untauglichen (Verletzungs-)Versuchs 351 ausgesprochen. Nach Sax sind die Rechtsgüter "abstrakte Werte" oder "ideelle Sachverhalte"352. "Sie können daher", fährt Sax 353 fort, "durch den Einzelangriff eines Straftäters im eigentlichen Wortsinne gar nicht verletzt, nämlich nicht ,umgewertet' oder gar außer Kraft gesetzt, sondern lediglich in ihrer Geltung mißachtet und daher immer nur gefährdet werden." An dieser Stelle muß kurz eingehalten werden, um Mißverständnisse zu verhindern bzw. aufzuklären. Wie Sax in der die obige Passage betreffenden Fußnote 354 im Prinzip zutreffend bemerkt, kommt Schmidhäuser zu dem - hier entschieden befürworteten 355 - "genau umgekehrten Ergebnis, daß es keine Rechtsgutsgefährdung, sondern immer nur eine Rechtsgutsverletzung geben könne. Denn ein ideeller Anspruch könne nicht gefährdet werden, vielmehr werde der ,Achtungsanspruch' durch jede Mißachtung verletzt und führe [nein!] daher immer zu [nein!] einer Rechtsgutsverletzung."356 Hier, nämlich in dem Wort" verletzen", liegt der bzw. ein Grund dafür, warum Schmidhäuser und Sax zu scheinbar entgegengesetzten Aussagen kommen und z. T. auch aneinander vorbeireden. Während nämlich Schmidhäuser das Wort "verletzen" in seiner zweiten Bedeutung, nämlich i. S. von "mißachten", "zuwiderhandeln", verwendet - weshalb die Rechtsgutsverletzung auch keine Folge, sondern, wenn man so will, eine Eigenschaft der Handlung ist -, geht Sax auf diese Verwendungsmöglichkeit des Wortes "verletzen" überhaupt nicht ein, sondern faßt als eine mögliche Verletzung von vornherein nur einen der "Materie" entsprechenden "sichtbaren" Verletzungs-, d.h. Veränderungserfolg ("Umwertung" der Werte, [völlige] Außerkraftsetzung der Wertgeltung 357 ) ins Auge. Einen solchen VerletJZ 1976,429 [432 re. Sp.j433]. Genauer: des untauglichen Versuchs eines Verletzungserfolgsdelikts im materiellen Sinne (s. dazu bereits oben Fn. 287 sowie unten unter G den Absatz vor Fn. 436) bzw. des untauglichen Versuchs der Verletzung eines Rechtsgutsobjekts - s. Sax JZ 1976, 429 [432 Ii. Sp., 433] -, was nicht notwendig dasselbe ist, da auch der untaugliche Versuch eines abstrakten Gefahrdungsdelikts mit der Absicht der Verletzung des geschützten Rechtsgutsobjekts begangen werden kann - aber nicht muß - (z. B.: A bezeugt in der Absicht, das Gericht zur Feststellung eines unrichtigen Sachverhalts zu bringen, etwas vermeintlich Falsches, was jedoch in Wirklichkeit der Wahrheit entspricht, und beginnt auch mit dem Sprechen der Eidesworte). 352 JZ 1976, 429 [432 re. Sp.]. 353 JZ 1976, 429 [432 re. Sp. unten], Hervorhebungen dort. 354 JZ 1976, 429 [432 Fn.31 (432/433)]. 355 S. o. unter F 11 2 (Punkt 2) und F 11 2 e bei und nach Fn. 298; die oben unter F 11 2 g nach Fn.339 beschriebene und in dem Absatz nach Fn.341 nochmals genannte Möglichkeit ist nicht gemeint und daher gegenstandslos; s. des weiteren sogleich oben im Text. 356 Sax a. a. O. (Fn. 354); auf die auf derselben Linie liegende Fehlerhaftigkeit des hieran anschließenden Satzes wurde bereits oben in Fn.288 hingewiesen. 357 Was der Unterschied zwischen "Umwertung" oder "gar Außerkraftsetzung" sein soll, ist nicht ganz klar. 350
351
F. 11. Das Rechtsgut als ideeller Wert
91
zungserfolg kann ein einzelnes Verbrechen natürlich nicht herbeiführen, insofern kann es selbstverständlich immer nur einen winzigen Beitrag i. S. einer geringfügigen Geltungsschädigung/-schwächung/-gefährdung leisten.
Trotz gleicher Worte ("verletzen", "gefährden" üa/nein]) geht es also bei Schmidhäuser und Sax um ganz verschiedene Dinge bzw. ganz verschiedene Aspekte, nämlich einmal um den Wert in seinem Inhalt, bestimmte Verhaltensanforderungen in bezug auf die Rechtsgutsobjekte zu stellen und damit (auch) zur Bewertung von Handlungen zu dienen, und zum anderen um den Wert unter dem Aspekt des ihm durch die begangene Zuwiderhandlung zugefügten Geltungsschadens bzw. der durch die Zuwiderhandlung bewirkten Schwächung oder Gefährdung seiner faktischen Geltung. Zwischen den unterschiedlichen Aussagen von Schmidhäuser und Sax besteht daher kein sachlicher Widerspruch, sie sind vielmehr in ihren unterschiedlichen Bedeutungsinhalten beide richtig und ergänzen einander. - Allerdings ist der Ausdruck "Rechtsgutsgefährdung" zur Bezeichnung des von Sax Gemeinten - nämlich "Rechtsgutsgeltungsgefährdung" - entschieden abzulehnen, da er nur zu Mißverständnissen führt und das Gemeinte mit dem eben genannten Ausdruck ja auch viel treffender gekennzeichnet wird 358. In bezug auf die Rechtsguts(geltungs)gefährdung in diesem Sinne erklärt Sax 359 zunächst: Führt ein bewußt auf die Verletzung eines Rechtsgutsobjekts gerichtetes Verhalten "nicht zu einer Verletzung des angegriffenen ,Rechtsgutsobjekts' , so bleibt immer noch die Mißachtung der Geltung des in diesem ,Rechtsgutsobjekt' konkret verkörperten Rechtsguts, also die objektive Rechtsgutsgefährdung durch Gefährdung seiner Geltung. Das ist der Strafgrundfür den Versuch . .. "360 Diese Geltungsgefährdung erläutert Sax sodann in der entsprechenden Fußnote 361 u. a. wie folgt: 358 S. auch den letzten Absatz in diesem Gliederungspunkt (d.h. den Absatz bei Fn.363). 359 JZ 1976,429 [433 li. Sp.], Hervorhebungen dort. 360 Insbesondere für den untauglichen Versuch: "Denn auch das untaugliche Versuchsverhalten offenbart die Mißachtung der Geltung des Rechtsgutes, das der Täter in einem bestimmten ,Rechtsgutsobjekt' zu verletzen glaubt, und fohrt daher zu einer objektiven Rechtsgutsgefährdung. Tauglicher und untauglicher Versuch unterscheiden sich mithin nicht der Art nach ... , sondern im Grade: beim tauglichen Versuch kommt zur Mißachtung und damit Gefährdung des je geschützten Rechtsgutes noch die Gefährdung des konkreten ,Rechtsgutsobjekts' hinzu." (Sax JZ 1976, 429 [433 li. Sp. unten/re. Sp. oben], Hervorhebungen dort) - Diese Sichtweise hat, worauf auch Sax im Folgenden hinweist, den Vorteil, daß der Strafgrund des untauglichen (Verletzungs-)Versuchs nicht mehr in einer diffusen "Auflehnung gegen die Rechtsordnung" gesehen wird, sondern der Bezug zu der intendierten Rechtsgutsobjektsverletzung gewahrt bleibt. Dieses erstrebenswerte Ziel kann man allerdings auch ohne Idealisierung des Rechtsguts erreichen, indem man nämlich auf die Gefährdung der Geltung des gerade auf diese Art Rechtsgutsobjekte bezogenen Handlungswerts abstellt, was nämlich dasselbe ist wie die Geltung des fraglichen ideellen Wertes oder Achtungsanspruchs, s. unten unter F 11 2j. - Darauf, daß Sax hier nur den Versuch eines Verletzungsdelikts im materiellen Sinne im Auge hat,
92
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien " ... unberechtigt wäre der Einwand, daß die hier angenommene abstrakte ,Rechtsgutsgefährdung' durch Mißachtung der Rechtsgutsgeltung gar keine echte Gefährdung des Rechtsgutes begründe. Denn da ,Gefährdung' die Herbeiführung einer Verletzungsgefahr ist, ein Einzelangriff aber - wie festgestellt ( ... ) - das Rechtsgut nicht zu verletzen, nicht außer Geltung zu setzen, vermag, bringe er das Rechtsgut nicht in die Gefahr der Verletzung und gefährde es daher auch nicht. Das gilt sicherlich für den isoliert gesehenen Einzelangriff. Aber eine Vielzahl solcher Einzelangriffe ist, wenn sie ungeahndet bleiben [I], durchaus geeignet, die Geltung des ... betroffenen Rechtsgutes 362 zu schwächen oder gar aufzuheben ... Es ist daher durchaus berechtigt, auch in der Mißachtung eines Rechtsgutes durch einen Einzelangriff auf ein (wirkliches oder vermeintliches) ,Rechtsgutsobjekt', in dem es sich konkret verkörpert, eine echte objektive Gefährdung dieses Rechtsgutes zu sehen."
Diese Ausführungen von Sax zum Gedanken der Geltungsgefährdung sind im Prinzip richtig; nicht einsehbar und unrichtig ist jedoch, daß Sax die Gefährdung des Rechtsguts(wertes) selbst noch gesondert neben die Gefährdung seiner Geltung stellt. Auf das abstrakte Rechtsgut selbst als ideales oder irreales Sinngebilde, das womöglich als solches "unsterblich, mithin auch unverletzlich" ist 363 , kommt es überhaupt nicht an. Was allein zählt, ist die reale wurde bereits oben in Fn.351 hingewiesen, denn der taugliche Versuch der Inbrandsetzung eines Wohngebäudes i. S. des § 306 Nr. 2 StGB beispielsweise gefährdet ja keineswegs notwendig ein geschütztes Rechtsgutsobjekt, nämlich Leib und Leben anderer Menschen, eine Infragestellung der Geltung der Rechtsgutswerte "Leben" und "körperliche Unversehrtheit" muß er auch nicht notwendig enthalten (s. o. Fn. 287); abgesehen davon muß auch der taugliche Versuch der Verletzung eines Rechtsgutsobjekts - namentlich, aber nicht nur wegen des in §22 StGB aufgestellten subjektiven Maßstabs - keineswegs zwingend zu einer (konkreten) Gefährdung des gemeinten Rechtsgutsobjekts führen (s. unten unter HIlI bei, nach und in Fn. 563). 361 JZ 1976,429 [433Ii. Sp. Fn. 32]; diese Fußnote bezieht sich auf den mit "Gefährdung seiner Geltung" endenden Satz(teil). 362 Die oben verkürzt wiedergegebene Passage lautet vollständig: "die Geltung des wirklich oder vermeintlich betroffenen Rechtsgutes"; das ist jedoch unrichtig, denn in seiner Geltung betroffen sein und geschwächt werden kann nur das ideelle Rechtsgut (Sax bezeichnet unzulässigerweise mitunter auch das reale Rechtsgut, also das Rechtsgutsobjekt, als Rechtsgut [so dazu unten unter F 111 den ersten u. zweiten Absatz und insbes. bei u. nach Fn.411 und nach Fn.419]), und dieses, das ideelle Rechtsgut, ist auch beim untauglichen Verletzungsversuch (im materiellen Sinne) nie nur vermeintlich, sondern stets "wirklich" betroffen. 363 So v. Liszl ZStW 6 (1886), 663 [675] über das Rechtsgut als Begriffbzw. den Begriff als Rechtsgut, s. o. Fn.101. S. auch v. Liszl a. a. O. S.683: "Und wenn einern Dutzend Verbrecher die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt werden, das Rechtsgut der Ehre [als Begriff? als ideeller Wert? als ,Institution'?] leidet darunter nicht." - Trotz der ausdrücklichen Bekundung, daß die Rechtsgüter unsterbliche Begriffe seien, gibt es allerdings Anzeichen, daß v. Liszl "in Wirklichkeit" eine andere Vorstellung von den Rechtsgütern hatte, daß er sie nämlich als "rechtliche Institutionen" (Komplex der einen "künstlichen" oder "natürlichen" "Gegenstand" konstituierenden und/oder schützenden Rechtsnormen) auffaßte (s. bereits Amelung, Rechtsgüterschutz, S.92, 93 u. S. 185 mit Fn. 50); denn anders ist die folgende, in Widerspruch zu der angeblichen Unsterblichkeit und Unverletzlichkeit der Rechtsgüter stehende Aussage nicht zu verstehen: "Es gibt nur ein e Möglichkeit, das Rechtsgut als solches zu treffen: Wenn dem Interesse der
F. II. Das Rechtsgut als ideeller Wert
93
- (rechts)tatsächliche, empirische - Geltung (Befolgung) der in den ideellen Werten enthaltenen Verhaltensanforderungen = Handlungswerte. i) Fehlen eines spezifischen Zusammenhangs zwischen der "abstrakten" Gefährdung der Rechtsgutswertgeltung und der Deliktsform der abstrakten Gefahrdungsdelikte
Bevor die eben vorgenommene Gleichsetzung erläutert wird, ist noch darauf hinzuweisen, daß die hier behandelte Gefährdung der Geltung des Rechtsgutswertes, die Sax in der oben wiedergegebenen Passage als "abstrakte ,Rechtsgutsgefährdung' " bezeichnet, nichts mit der Deliktsform der abstrakten Gefährdungsdelikte zu tun hat - wenngleich auch insbesondere der untaugliche Versuch eines Verletzungsdelikts im materiellen Sinne, wie auch überhaupt der untaugliche Versuch einer jeden Straftat, (aus anderen Gründen) ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist 364 - . Diese "abstrakte" Rechtsgutsgeltungsgefährdung ist nämlich der (mutmaßliche) "Erfolg" jeder (bekannt gewordenen) Straftat, die sich als Mißachtung der Geltung eines Rechtsgutswertes darstellt 36S, vom untauglichen über den tauglichen Verletzungsversuch 366 bis hin Rechtsschutz entzogen, also durch Gesetz etwa das Privateigentum an Grund und Boden aufgehoben oder die freie Liebe [damit dürfte das Rechtsgut ,Familie' bzw. ,Ehe' angesprochen sein (s. Amelung a.a. O. S. 92 oberer Teil)] eingeführt wird." (v. Liszt a. a. O. S.675, Hervorhebung dort; s. auch v. Liszt a. a. O. S.683 Mitte und unten.) 364 S. unten unter H III den ersten Absatz und den zweiten Absatz am Anfang sowie nach Fn. 557, insbes. bei und in Fn.561. 365 Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, S.164; Krümpelmann, Die Bagatelldelikte, S. 70 oben. Dieser "Erfolg" hat demgemäß auch nichts - nicht das geringste - mit dem zu tun, was man unter Erfolgsunwert oder -unrecht versteht, denn damit ist ja die kausale Verletzung oder konkrete Gefährdung eines Rechtsguts i. S. Welzels, d. h. eines Rechtsgutsobjekts i. S. einer ideellen Rechtsgutstheorie, gemeint. Ob demgegenüber möglicherweise Salm, Das versuchte Verbrechen, S. 183 unterer Teil mit "Erfolgsunwert" nur die Herbeiführung eines Geltungsschadens meint, läßt sich aufgrund seiner völlig unklaren Darlegungen (a.a.O. S.179ff., 183ff.) nicht sagen. Allerdings scheinen Baumann/Weber AT § 16 III 1 a, S. 202 ihre ideelle Rechtsgutstheorie dahingehend auf die Spitze treiben zu wollen, daß in der Tat der bloße (mutmaßliche) Geltungsschaden oder sogar allein "die ,Handlung' als Erfolg (i. w. S.) des ,Handeins' " als "Erfolgsunwert" der Handlung anzusehen sein soll. Bei Baumann/Weber a.a.O. heißt es: Es darf "nicht übersehen werden, daß das Begriffspaar Erfolgsunwert - Aktunwert nicht [!?] auf den Erfolg i. e. S., sondern auf den oben gekennzeichneten weiteren Außenwelterfolg abstellt." Mit diesem ist gemeint (a.a.O. § 16 III 1, S.201) "das nach außen hin in Erscheinung getretene Verhalten des Täters, also in weitestem Sinne ein Außenwelterfolg ... In diesem Sinne hat also jede Handlung einen Erfolg. Man könnte auch die ,Handlung' als Erfolg (i. w. S.) des ,Handeins' bezeichnen." Wenn dieser "Erfolg" den "Erfolgsunwert" ausmachen soll, wie Baumann/Weber sagen, dann ist zwischen Aktund Erfolgsunwert überhaupt nicht mehr zu unterscheiden, dann sind beide vielmehr identisch! Ob das wirklich so gemeint ist, läßt sich nicht genau sagen, da die a. a. O. § 16 III 1 a, S.202 folgenden Aussagen unklar sind, insofern nämlich, als beim untauglichen Versuch kein "Erfolg" in diesem Sinne oder im Sinne eines ja auch hier gegebenen Geltungsschadens erwähnt wird, beim Meineid dagegen auch ohne konkrete (Gefahr-) Fallkonstellation ein "Erfolgsunwert" (i. S. eines Geltungsschadens/einer Geltungsgefährdung?) behauptet wird: "Aktunwert kommt auch dem Griff des Taschendiebes in die leere
94
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
zum vollendeten Verletzungserfolgsdelikt im materiellen Sinne, z. B. §§ 212, 222 StGB367. Eine spezifische Besonderheit, die zur Unterscheidung von Deliktsformen dienen könnte, liegt in diesem Kriterium mithin nicht.
Tasche ... zu, wie umgekehrt [!] auch der Meineidige durch sein schlichtes Tun [!] einen Erfolgsunwert[!] (Gefahrdung des Rechtsgutes der Sicherheit der Rechtspflege) herstellt. Richtig ist lediglich, daß der Erfolgsunwert bei den Erfolgsdelikten stärker ins Auge fällt[!]. Für unsere Auffassung von der Dominanz des Erfolgsunwerts ist auch bei den schlichten Tätigkeitsdelikten Strafgrund nicht etwa der Abfall von der Rechtsgesinnung, sondern die Beeinträchtigung eines für das soziale Zusammenleben wichtigen Rechtsgutes. Nicht die Rechtsgesinnung des Meineidigen (er mag gesinnt sein, wie er will, wenn er nur richtig schwört[? - wer richtig schwört, ist kein Meineidiger]), sondern die in seiner Tat liegende Störung der Sozialordnung, dieser Erfolg i. w. S. interessiert uns." Dazu ist folgendes zu sagen: Auch bei den Aktwerten rechtstreuer Gesinnung i. S. Welzels kommt es nur auf das dem Recht gemäße Handeln, d. h. hier: das richtige Aussagen und Schwören, an, die Gründe/Motive sind gleichgültig und können auch schlicht in der Angst vor Strafe liegen (s. Welzel, Kohlrausch-FS, 101 [110]). Und auch nach Welzel hat die "Strafe für den wirklich betätigten Abfall von den Grundwerten rechtlichen Handeins" die generalpräventive Funktion, der mit der Straftat verbundenen Geltungsschwächung der Akt- oder Handlungswerte rechtlicher Gesinnung entgegenzuwirken (= Erfolg i. w. S. nach Baumann/Weber [?]); ein anderer "Erfolg" als die Schwächung der Geltung der "Rechtswerte" (= Rechtsgut i. S. von Baumann/Weber) ist aber auch bei Baumann/Weber nicht ersichtlich, weder im Falle der bei "den" schlichten Tätigkeitsdelikten angeführten Beeinträchtigung (?) eines wichtigen Rechtsgutes noch speziell bei der zuletzt genannten Störung(?) der Sozialordnung(?). Speziell zu dem nach Baumann/Weber beim Meineid eintretenden "Erfolgsunwert" der "Gefahrdung des Rechtsgutes der Sicherheit der Rechtspflege" ist noch zu ergänzen: Ob die Ermittlung/Feststellung des wahren Sachverhalts in dem konkreten Verfahren, in dem der Meineidige falsch ausgesagt und geschworen hat, konkret gefahrdet war, ist Tatfrage und kann nicht allgemein als generelle Folge jedes Meineids behauptet werden (was Baumann/Weber wohl auch nicht tun wollen, da sie den Meineid als schlichtes Tätigkeitsdelikt bezeichnen und von den Erfolgsdelikten [i. e. S.] unterscheiden); die "Sicherheit" der Wahrheitsermittlung in dem konkreten Verfahren ist durch die Falschaussage nicht bloß gefährdet, sondern bereits beeinträchtigt (Beschreibungen, welche die Rechtsgüter nicht als die [einzelnen]- realen - Güter selbst, sondern als die Sicherheit derselben oder gar - erweitert - als die Sicherheit eines "komplexen Geschehens" [z. B. Straßenverkehr] bezeichnen, sind nicht nur wenig hilfreich, sondern z. T. auch unrichtig [so Brehm, Abstraktes Gefährdungsdelikt, S. 33 sowie unten Fn. 445]); als beim Meineid stets bzw. fast immer eintretender "Erfolgsunwert" der "Gefährdung des Rechtsguts der Rechtspflege" kann daher nur die Gefährdung der realen Geltung (Befolgung) des "Aktwertes der Wahrhaftigkeit der Beweisaussage vor Gericht" (Welzel, s.o. Fn.162) behauptet werden; das ist jedoch, wie gesagt, keineswegs das, was üblicherweise unter Erfolgsunwert i. S. der Unterscheidung Handlungsunwert-Erfolgsunwert verstanden wird, weshalb die Gefährdung der Rechtsgutswertgeltung auch nicht so, nämlich als " Erfolgsunwert" , bezeichnet werden darf, da andernfalls die Gefahr totaler Begriffs- (und Sach)verwirrung besteht. In Betracht kommt allenfalls, um den sachlichen Unterschied zum Erfolgsunwert i. S. der Verletzung oder konkreten Gefahrdung eines Rechtsgutsobjekts auch terminologisch zu wahren, daß man die Gefährdung/Schwächung der realen Geltung des ideellen Rechtsgutswertes ausdrücklich als "Erfolgsunwert im weiteren Sinne" oder als "abstrakten Erfolgsunwert" oder in ähnlicher Weise bezeichnet. 366 Im materiellen Sinne, d. h. Versuch der Verletzung eines Rechtsgutsobjekts, s. o. Fn.287.
F.II. Das Rechtsgut als ideeller Wert
95
j) Schutz der Geltung der ideellen Rechtsgutswerte
= Schutz der Geltung der Akt- oder Handlungswerte i. S. Welzels
(Das ideelle Rechtsgut als der durch die Sanktion geschützte Gegenstand)
nicht die Norm -
Die Geltung der ideellen Rechtsgutswerte, die durch die (betätigte) Mißachtung gefährdet und durch die Strafe (Strafandrohung und Strafverhängung) geschützt wird, ist - und damit schließt sich der Kreis - nichts anderes als die Geltung der in der Achtung vor den Rechtsgutsobjekten bestehenden Akt- oder Handlungswerte i. S. Welzels. Die ideellen Rechtsgutswerte und ihre Geltung sind nämlich zum einen - entgegen einem häufig erweckten Eindruck - nicht der durch die Norm, sondern der durch die Sanktion geschützte Gegenstand 368 , wie schon der Umstand zeigt, daß ihre "Verletzung" nicht der ZuwiderHandlung nachfolgt - oder auch nicht nachfolgt ~69, sondern in dieser selbst inbegriffen ist und daher den Unwert der Handlung ausmacht, und wie auch die generalpräventive Argumentation von Sax 370 zur Begründung der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs hinreichend deutlich macht. Und zum anderen sind die ideellen Rechtsgutswerte auch nicht, wie man aus manchen Äußerungen schließen könnte, eine bloße gedankliche Abstraktion oder "Verallgemeine367 Die von Krümpelmann, Die Bagatelldelikte, S. 83 aufgestellte These, der Geltungsschaden, den das Rechtsgut als Rechtsinstitut (oder ideeller Wert) durch die Mißachtung erleidet, werde bei einem konkreten Verletzungserfolg "nur besonders betont", d. h. "noch besonders verstärkt" (Amelung, Rechtsgüterschutz, S.202) - s. auch Baumann/Weber oben in Fn. 365 mittlerer Abs. -, wird von Amelung a. a. O. S.203 zutreffend wie folgt erläutert und kommentiert: "Ein vollendeter Totschlag würde hiernach die Geltung des Tötungsverbots stärker in Frage stellen als ein versuchter. Ob diese Behauptung zutrifft, kann letztlich nur erfahrungswissenschaftliche Kontrolle erweisen; eine gewisse Plausibilität wird man einer solchen ,Eindruckstheorie' des Erfolges kaum absprechen können." 368 Äußerst unklar und mißdeutig wenn nicht unrichtig - daher Jescheck AT § 24 1 2, S. 210: Rechtsgutsverletzung ist die "Zuwiderhandlung gegen den ideellen Wert, der durch die Rechtsnorm [?] geschützt werden soll"; ders. in: LK Vor § 13 Rdn.6: ,,,Verletzung des geschützten Rechtsguts' bedeutet ... die Mißachtung des Geltungsanspruchs, der dem im Tatbestand [?] geschützten Wert von der Gemeinschaft durch die Aufnahme in die Rechtsnorm [?] beigelegt ist." 369 Wie z. B. der Tod eines Menschen der Mißachtung des Tötungsverbots nachfolgt oder auch nicht nachfolgt (wie im Falle des Versuchs oder der folgenlosen Fahrlässigkeit). D.h.: Die Norm "Du sollst dich nicht so verhalten, daß du für den Tod eines anderen ursächlich werden könntest!" schützt nicht einen von ihr verschiedenen ideellen Wert "Leben", der durch den Normübertritt verletzt oder auch nicht verletzt werden könnte, sondern der ideelle Wert "Leben" ist- abgesehen von dem als solchem folgenlosen Urteil, welches wirkliches Leben als wertvoll qualifiziert - die Achtungsanforderung, sich wirklichem Leben gegenüber in der eben genannten Weise zu verhalten, weshalb er eben auch schon durch die Zuwiderhandlung als solche verletzt ist, unabhängig davon, ob ein wirkliches Leben, d. h. der durch die Norm geschützte bzw. von dem ideellen Achtungsanspruch betroffene Gegenstand, verletzt (d. h. vernichtet) wurde oder nicht. 370 JZ 1976,429 [432 re. Sp./433 mit Fn. 32], teilweise wiedergegeben oben unter F 11 2 h nach Fn.361.
96
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
rung" der realen Gegenstände/Sachverhalte/Zustände etc. 371 - dann wären sie nämlich letztlich nichts anderes als "wertvolle (Allgemein-)Begriffe " 372 , was jedoch unsinnig ist 373 - ; sie sind auch nicht lediglich die - idealisierten Werturteile oder Wertmaßstäbe, durch welche die Realobjekte (i. w. S.) von Menschen - d. h. hier: "dem Strafgesetzgeber" - als wertvoll qualifiziert und damit vom "einfachen Ding (Sachverhalt etc.)" zum (Rechts-)Gut erhoben werden. Die wesentliche Seite der ideellen Rechtsgutswerte ist vielmehr die, daß sie an den Menschen als handelndes Wesen gerichtete Verhaltensanforderungen enthalten, d. h. Anforderungen an das Tun und Lassen der Menschen dahingehend, sich in bestimmter Weise, nämlich "wertorientiert", zu verhalten, d.h. so, daß die" Wertsubstrate" möglichst erhalten und nicht geschädigt werden 374.375. 371 Eine solche Vorstellung legt nicht nur der Ausdruck "Vergeistigung" nahe, sondern z. B. auch die Bezeichnung der wertvollen Realobjekte als "Wertsubstrat(e)" oder "Wertkorrelat(e)"; des weiteren wird ein solcher Eindruck auch durch die "Verkörperungstheorie", der zufolge sich die ideellen Werte in den Realobjekten "verkörpern" oder "konkret verwirklichen", vermittelt, ebenso auch durch die Darstellung Jeschecks (AT § 26 I 4, S. 234), Rechtsgut und Rechtsgutsobjekt (= geschütztes Handlungsobjekt) seien "wie Idee und Erscheinung aufeinander bezogen". S. des weiteren auch Krümpelmann, Die Bagatelldelikte, S. 69 oben: Das Rechtsgut ist "ein ,Rechtswert' , nicht aber das ,im Einzelfall geschützte Objekt', dessen Verallgemeinerung [I] es sein kann, von dem es sich in manchen Tatbeständen aber auch unterscheidet", S. 69 unten ("Allgemeinbegrifl" [I]), S. 70 dritter Abs.: " ... auch das Rechtsgut ist zwar ein Allgemeinbegriff[!], aber immer der Konkretisierung auf ein bestimmtes Substrat[!] hin fähig ... " 372 S. Krümpelmann oben in Fn.371 a. E. sowie die oben in Fn.101 Genannten. 373 S.o. Fn.101. 374 Vgl. auch Salm, Das versuchte Verbrechen, S.182. Salms "dialektische", alle Unterschiede verwischende, doppelspurige und letztlich völlig unklare Sichtweise des Rechtsguts im übrigen (a.a.O. S.179ff., 183ff.) ist jedoch ganz entschieden abzulehnen, s. unten unter F III mit Fn. 393; s. zu Salm auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 266/267 u. S. 179 oben; infolge der völlig unklaren Darlegungen Salms läßt sich auch nicht sagen, ob die von Amelung gegebene (dementsprechend auch nicht ganz klare) Darstellung der Auffassung Salms völlig richtig ist; es spricht zwar fast alles dafür, jedoch könnten Salms Ausführungen a.a.O. S.183 unterer Teil auch - entgegen seiner ausdrücklichen Ablehnung einer "einseitig vergeistigten Rechtsgutsauffassung" (a. a. O. S.180) - dahin verstanden werden, daß er den Erfolgsunwert lediglich in der Herbeiführung eines Geltungsschadens sieht; das ist jedoch - wie gesagt - völlig unklar. 375 Die hier in Rede stehenden Verhaltensanforderungen (Akt- oder Handlungswerte) als eigentlich relevante Komponente des strafrechtlichen Schutzes ideeller Werte haben nichts mit der von Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 178 ff. erörterten Frage zu tun, ob jedes Werturteil, durch welches ein Gegenstand/Sachverhalt etc. zum Gut erhoben wird, automatisch eine - universelle und uferlose - Gebots- (oder Verbots)seite hat. Das ist natürlich nicht der Fall. Hier geht es vielmehr ausschließlich darum, den eigentlichen Inhalt einer ideellen Rechtsgutstheorie aufzudecken, d. h. um die Erkenntnis, daß, wenn und soweit das Strafrecht (nämlich durch Strafandrohung und Strafverhängung [für wertwidriges Verhalten]) "ideelle Werte" schützt, dieser Schutz nicht den ideellen Werten als solchen gilt, sondern eben den sich aus diesen ergebenden positiven Verhaltensanforderungen, deren Einhaltung durch die Strafandrohung und -verhängung gesichert werden soll. Diese Verhaltens- oder Achtungskomponente wird im übrigen auch von denen vorausgesetzt, die sie nicht in dieser Deutlichkeit aussprechen; denn gäbe es sie (die
F. II. Das Rechtsgut als ideeller Wert
97
Diese Gebots- (oder Verbots)seite der ideellen Rechtsgutswerte kommt am besten in der von Schmidhäuser verwendeten Bezeichnung "Achtungsanspruch" und der von Lange 376 gegebenen Beschreibung z. B. des Rechtsguts "Leben" als "Unverletzlichkeit von Leben" zum Ausdruck. Mit der Bestimmung des Rechtsguts als einen auf die als wertvoll qualifizierten Gegenstände/Sachverhalte etc. bezogenen ideellen Achtungsanspruch ist nämlich klar gesagt, daß sich dieses ideelle Rechtsgut an den menschlichen Handlungs-Willen richtet 377 und ein Verhalten fordert, das sich eben als Achtung und nicht als Mißachtung jener wertvollen Gegenstände/Sachverhalte etc. darstellt, das also auf Erhaltung/F örderung dieser Gegenstände/Sachverhalte etc. und insbesondere auf Vermeidung von Schädigungen derselben gerichtet ist. Das gleiche gilt für die Kennzeichnung des "immateriellen" (d. h. abstrakten, ideellen)378 Rechtsguts "Leben" als "Unverletzlichkeit von Leben"; denn damit soll ja keine unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt, sondern - entsprechend der Formulierung: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." (Art. 1 I 1 GG)379 - gesagt werden, daß wirkliches Leben - möglicherweise - verletzende Handlungen unterbleiben und drohende Verletzungen abwendende Handlungen vorgenommen werden sollen 380 . Das Wesen der ideellen Rechtsgutswerte besteht also nicht lediglich darin, daß sie sich in Realobjekten (i. w. S.) "verkörpern" oder dergl. und diese dadurch zu positiv bewerteten Gegenständen/Sachverhalten etc., d. h. zu Rechtsgutsobjekten machen mit der Folge, daß der an diesen (den Rechtsgutsobjekten) verursachte Schaden negativ bewertet, also als Sachverhalts- oder Erfolgsunwert qualifiziert werden kann; denn damit sind die ideellen Rechtsgutswerte als selbständige Schutzobjekte des Strafrechts neben den - mittelbar - geschützten Real- = Rechtsgutsobjektenja noch gar nicht in Erscheinung getreten. Viel wichtiger ist vielmehr - wie dargelegt - die in den ideellen Rechtsgutswerten enthaltene, auf die Rechtsgutsobjekte bezogene Achtungskomponente, welche es erst ermöglicht, in den auf Schädigung der Rechtsgutsobjekte gerichteten Handlungen eine Mißachtung der ideellen Rechtsgutswerte zu sehen und damit ein Unwerturteil (auch) über die wertwidrige, d. h. das ideelle Achtungsgebot Achtungskomponente) nicht, könnten die ideellen Rechtsgutswerte ja auch nicht durch MijJachtung "verletzt" werden. Und gerade die Möglichkeit, ein (Un-)Werturteil (auch) über die Handlung zu fällen, ist ja das Entscheidende. 376 In: Kohlrausch/Lange System. Vorbem. IIl1 vor § 1, S.13 unten u. S.14unten. 377 So Schmidhäuser auch ausdrücklich, z. B. in: Engisch-FS 433 [445 oben]: "Dieser Anspruch richtet sich an den menschlichen Willen". 378 S.o. Fn. 332 sowie Amelung, Rechtsgüterschutz, S.265 unten. 379 Dieser "Kernsatz" ist ja ebenfalls nicht als unwahre Tatsachenbehauptung sondern als Verletzungsverbot - gemeint, ebensowenig wie z. B. die Redeweise von gewissen "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten" (Art. 1 II GG) und die Ausführungen in Art. 2 II 2 GG: "Die Freiheit der Person ist unverletzlich." und Art. 13 I GG: "Die Wohnung ist unverletzlich." 380 S. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 179 oben mit Fn. 28 c. 7 Graul
98
I. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
mißachtende Handlung zu fällen. Erst in dieser Eigenschaft treten die ideellen Rechtsgutswerte und ihre Geltung auch als selbständige Gegenstände strafrechtlichen Schutzes in Erscheinung 381 • Damit zeigt sich auch, daß Schutz der Geltung der ideellen Rechtsgutswerte bedeutet: Sicherstellung der realen Geltung (Befolgung, Ausübung) der den auf die Rechtsgutsobjekte bezogenen Achtungsgeboten gemäßen (und damit) werthaften Verhaltensweisen durch Strafandrohung und Strafverhängung für wertwidriges, die auf die Rechtsgutsobjekte bezogene Achtungsanforderung mißachtendes Verhalten. Und das wiederum ist - wie oben 382 gesagt - nichts anderes als die Sicherstellung der realen Geltung (Befolgung, Realisierung) der in der Achtung vor den Rechtsgütern 383 bestehenden Akt- oder Handlungswerte i. S. Welzels durch Strafdrohung und Strafe für den wirklich betätigten Abfall von den (Grund-)Werten rechtlichen Handelns 384 • Diese inhaltliche Übereinstimmung wird z. B. auch von Krümpelmann 38s deutlich hervorgehoben: "Die Geltung der Rechtswerte 386 und die Geltung der auf die Sachverhaltswerte 387 bezogenen Gesinnungswerte 388 als des eigentlichen Schutzobjektes des Strafrechts 381 Da nach Schmidhäuser das ideelle Rechtsgut, soweit ersichtlich, ausschließlich in der Achtungskomponente, nämlich dem an den menschlichen Handlungswillen gerichteten ideellen Achtungsanspruch, besteht (was der Sache nach nicht zu beanstanden ist), ist es auf dieser Basis (jedoch) sachlich und terminologisch unrichtig, wenn Schmidhäuser häufig, um den Erfolg der kausalen Verletzung eines (realen) Rechtsguts i. S. Welzels zu umschreiben, von einem "dem Achtungsanspruch bzw. Rechtsgut [= Achtungsanspruch] entgegenstehenden Unwertsachverhalt" spricht (s. z. B. Schmidhäuser StudB AT 5/36, S. 87 [hier wiedergegeben oben in Fn.250], 5/38, S. 87, 5/39 u. 40, S. 88; AT 8/43, S. 216, ganz unrichtig 8/44, S. 217: Unwertsachverhalt, der der Rechtsgutsverletzung entspricht). Denn dem Achtungsanspruch kann nur ein menschliches (Willens-) Verhalten entgegenstehen (z. B. die in Tötungsabsicht erfolgende Schußabgabe), nicht ein Sachverhalt (z. B. "das Erlöschen des Lebens eines Menschen", Schmidhäuser AT 8/44, S.217). Die aus Schmidhäusers viel zu enger Auffassung vom Rechtsgutsobjekt (s. o. unter F II 2 c) resultierende Ausdrucksweise "Herbeiführung eines dem Achtungsanspruch entgegenstehenden Unwertsachverhalts" - statt "Verletzung eines Rechtsgutsobjekts" - ist somit nicht nur unnötig kompliziert, sondern darüber hinaus auch unrichtig. 382 Unter F II 2 h ganz am Ende und im ersten Satz dieses Gliederungspunktes (= F II2j). 383 1. S. Welzels, d. h. den Rechtsgutsobjekten i. S. einer ideellen Rechtsgutstheorie. 384 Welzel StrafR § 1 I, S.2 u. 3. 385 Die Bagatelldelikte S. 83/84. 386 Das sind die ideellen, abstrakten Rechtsgüter. 387 Das sind die realen Rechtsgüter i. S. Welzels, s. o. unter F I 2 bei und nach Fn. 132 und in Fn.134; Krümpelmanns Äußerung a.a.O. (Fn. 385) S. 83 "auch der ,Sachverhaltswert' kann nicht in naturalistischem Sinne verletzt werden" ist (daher) falsch. 388 Das sind die "in der beständigen rech tlichen (d.h. legalen, nicht notwendig moralischen) Gesinnung wurzelnden Werte rechtmäßigen Handeins" (Welzel StrafR § 1 I, S.2, Hervorhebung dort; zur Abgrenzung von der reinen Ethik s. auch Welzel a. a. O. S. 2 unten sowie dens., Kohlrausch-FS, 101 [109/110]); mit diesen Gesinnungswerten sind
F. II. Das Rechtsgut als ideeller Wert
99
unterscheiden sich inhaltlich nicht, vielmehr wird der Gedanke von beiden Lehren aus einer verschiedenen Richtung entwickelt ... Hier aber, nämlich im Schutzgedanken, besteht im Prinzip Übereinstimmung. Auch die traditionelle Lehre 389 kommt ja nicht um den Einwand herum, daß das Strafrecht als aktueller Rechtsgüterschutz 390 verstanden immer zu spät kommt, und sie will dies auch gar nicht. Auch bei ihr ist der Rechtsgüterschutz die Bestätigung der Geltung der Rechtswerte durch die Bestrafung ihrer Mißachtung; auch hier liegt die Wirksamkeit des Schutzes in seiner ,Fernwirkung', ebenso wie der Schutz der Sachverhaltswerte im Wege der Aufrechterhaltung und Bestätigung der Gesinnungswerte. "
Die Auffassung Welzels 391 , daß der Schutz ideeller Rechtsgüter vor abstrakten Gefahren nichts anderes ist als der Schutz der in der Achtung vor den wirklichen Gütern liegenden Gesinnungs-, Akt- oder Handlungswerte (i. S. Welzels), hat sich somit als zutreffend erwiesen. Mit dieser infolge terminologischer Diskrepanzen nur mühsam aufzudeckenden sachlichen Übereinstimmung hat es aber auch sein Bewenden. In bezug auf terminologische und inhaltliche Klarheit sowie insbesondere hinsichtlich der dogmatischen Brauchbarkeit des als Rechtsgut gekennzeichneten Gegenstandes ist die Konzeption Welzels den ideellen Rechtsgutstheorien weit überlegen. Denn ein Rechtsgut, das sich in einer diffusen (Rechts-)Wertgeltung und dem allgemeinen Schutzgedanken erschöpft, wie es bei den ideellen Rechtsgutsauffassungen vom Prinzip her der Fall ist, ist dogmatisch unbrauchbar 392 •
also die Aktwerte rechtlicher (rechtstreuer) Gesinnung gemeint bzw. die sozialethischen Gesinnungs- oder Handlungswerte oder eben die in der Achtung vor den Rechtsgütern bestehenden Akt- oder Handlungswerte (s. Welzel StrafR § 1 I, S. 3 unten); mit all diesen Formulierungen ist im großen und ganzen dasselbe gemeint. 389 Daß die (gesamte) "traditionelle Lehre" die Rechtsgüter als "Rechtswerte" oder ,,(Rechts-)Institute" auffaßt, wie Krümpelmann meint (Die Bagatelldelikte S.68/69, 71, 88 dritter Abs.), muß allerdings (stark) bezweifelt werden, s. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 212 u. 268. Völlig unklar ist bei diesem Verständnis die Aussage Krümpelmanns (a.a.O. S.70 unten), nach der "traditionellen Lehre" liege der materielle Gehalt jeden Verbrechens in der Rechtsgutsverletzung und damit (?) im Erfolgsunwert (?). 390 Welche Art Rechtsgüter (die realen oder die abstrakten) mögen hier wohl gemeint sein? 391 Kohlrausch-FS101 [110 Fn.10 (110/111)], s.o. unter FI2 nach Fn.160. 392 So zutreffend Welzel ZStW 58 (1939),491 [511 Fn. 30 (512, 513)], s. o. unter F I 2 nach Fn. 122 und nach Fn. 130. 7'
100
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Irr. Die Notwendigkeit der strikten Trennung zwischen einer realen oder einer ideellen Sichtweise der Rechtsgüter (Wahrung der grundlegenden Unterschiede zwischen Rechts-Gut und Rechtsgutslwert)-Geltung, (kausaler) Rechtsgutsverletzung und Geltungsmißachtung, Erfolgs- und Handlungsunwert, Güter- und Geltungsschaden)
Wie auch immer man aber die Rechtsgüter sehen will, ob real oder ideell, es gibt nur dieses Entweder-Oder, ein Sowohl-Als-auch ist ausgeschlossen 393 ; denn die grundlegenden Unterschiede zwischen Rechts-Gut und Rechtsguts(wert)Geltung, (kausaler) Rechtsgutsverletzung und Geltungsmißachtung, Erfolgsund Handlungsunwert, Güter- und Geltungsschaden müssen gewahrt werden. "Sonst kommen wir in die Nacht, wo alle Kühe schwarz sind."394 Ginge es nach Schmidhäuser 39s , Sax 396 und Berz 397 , dann wäre "allerdings die Begriffsnacht, die alle Unterschiede verschlingt, bereits erreicht"398. Die Ausführungen dieser Autoren führen nämlich dazu, daß als "Rechtsgut" sowohl der ideelle Wert/Achtungsanspruch als auch das Rechtsgutsobjekt angesehen werden kann. Das Rechtsgut wird damit "zu einem wahren Proteus ... , der sich unter den Händen, die ihn festzuhalten glauben, sofort in etwas anderes verwandelt" 399. Bei solch einem janusköpfigen Rechtsgut sind natürlich auch die auf dieses bezogenen Aussagen beliebig deutbar; "Rechtsgutsverletzung" kann Mißachtung des Geltungsanspruchs eines ideellen Wertes und damit Handlungsunwert und Geltungsschaden bedeuten, dieser Ausdruck kann dann
393 Was nicht heißen soll, daß so etwas nicht vertreten wird oder wurde; so anscheinend Salm, Das versuchte Verbrechen, S. 179 ff., 183 ff.; s. dazu Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 266: "Salms Lehre von der ,dialektischen' Natur des Rechtsgutes ist aber nicht mehr als eine positive Bezeichnung für den logischen Widerspruch, den man in Kauf nimmt, wenn man Rechtsgüter aus wirklichen Gegenständen und ,geltenden' Werten zusammenfügt. "; s. zu Salm auch oben Fn. 365 erster Abs. u. 374; ob Salms Ausführungen wegen dieses Sowohl-Als-auch oder aus anderen Gründen unklar und widersprüchlich sind, läßt sich eben wegen ihrer Unklarheit nicht genau sagen. - Ob es theoretisch völlig ausgeschlossen (und zwangsläufig widersprüchlich) ist, die Rechtsgüter sowohl als ideel1en Wert als auch als "Wertsubstrat" zu sehen, kann dahinstehen; denn eine solche Vermischung ist jedenfal1s aus "praktischen" Gründen von vornherein zu verwerfen, da dies nur zu völliger Verwirrung führt. 394 Welzel ZStW 58 (1939), 491 [511 Fn. 30 (512)](in [etwas] anderem Zusammenhang), s. o. unter F I 2 nach Fn. 126 (genauer: nach Fn. 127). 395 Engisch-FS 433 [444, insbes. 445 unten]. 396 JZ 1976,429 [432 re. Sp.(433 li. Sp.]. 397 Formelle Tatbestandsverwirklichung S. 37,41 u. 115. 398 Welzel ZStW 58 (1939), 491 [511 Fn.30 (511)] (über die Ausdehnung des Rechtsgutsbegriffs bei Mezger). 399 Welzel a. a. O. (Fn.398) S. 509 (auch in bezug auf "das Rechtsgut", aber in etwas anderem Zusammenhang).
F. III. Trennung zwischen realer und ideeller Rechtsgutsbetrachtung
101
aber ebensogut auch kausale Veränderung eines realen Gegenstandes und damit Erfolgsunwert und Güterschaden meinen. Es ist schon mißlich genug, daß viele Vertreter einer ideellen, abstrakten Rechtsgutsauffassung diese nicht durchzuhalten vermögen und "aus Versehen" oder aus welchen Gründen auch immer mit "Rechtsgut" nicht selten auch das reale Rechtsgut i. S. Welzels meinen 400 • Geradezu fatal wäre es jedoch, wenn man zunehmend dazu überginge, ideelles Rechtsgut und Rechtsgutsobjekt mit vermeintlicher Berechtigung gleichzusetzen oder/und den Ausdruck "Rechtsgut" "wahlweise" für beide Erscheinungen zu benutzen. Denn dann würden die Aussagen beliebig, und von Strafrechtswissenschaft könnte insofern keine Rede mehr sein. Schmidhäuser identiftziert zwar nicht - wie Sax und möglicherweise auch Herz - das ideelle Rechtsgut mit den Realobjekten/-sachverhalten, er bezeichnet jedoch in seinem Beitrag in der Engisch-F estschrift 401 die realen (komplexen) Sachverhalte als Rechtsgüter, von denen "Achtungsansprüche" (also [laut Lehrbuch 402 ] ideelle Rechtsgüter i. S. Schmidhäusers) ausgehen, und bereitet damit den Weg für eine beliebige, wechselhafte Sichtweise des Rechtsguts. So spricht Schmidhäuser zunächst "vom Rechtsgut als dem komplexen wertvollen Sachverhalt"40J, sodann erläutert er: "Von den Rechtsgütem (das sind - wie gesagt - jene als wertvoll erlebten Sachverhalte) geht an jedermann der Anspruch auf Achtung aus 404 , entsprechend wertvolle Sachverhalte40S nicht zu beeinträchtigen und, wo eine Beeinträchtigung droht, diese abzuwehren. "406 Und schließlich heißt es: "Rechtsgutsverletzung ist also Verletzung des vom 400 S. o. Fn.297 (Jescheck), unter F II 2 f (Lenckner, Haft, Blei), Fn.331 (Wesseis), Fn. 332 (Lange) u. Fn. 333 (Baumann/Weber). 401 S.433 [444, 445]. 402 AT 2/30, S. 37; s. o. unter F II 2 b bei und nach Fn.218. 403 Engisch-FS433 [444]. Der vollständige Satz, aus dem obiges Zitat stammt, ist ziemlich unverständlich; er lautet: "Wir müssen also vom Rechtsgut als dem komplexen wertvollen Sachverhalt deutlich die Rechtsguts- oder Tatobjekte unterscheiden, an denen sich die gedachte [?] Rechtsgutsverletzung in einer sichtbaren Veränderung ,niederschlägt'." Wieso es dann, wenn die Rechtsgüter die realen Sachverhalte sind, noch Rechtsgutsobjekte als etwas von den Rechtsgütern Verschiedenes geben soll und warum die den realen Sachverhalt betreffende Rechtsgutsverletzung nur eine gedachte sein soll, ist, wie gesagt, unklar. 404 Diese Achtungskomponente, bei der es sich natürlich nicht um von den Realobjekten und -sachverhalten etc. irgendwie "ausgehende" "Ansprüche" handelt, sondern um ideelle Achtungsgebote als Ausfluß des idealisierten Werturteils über die Realobjekte und -sachverhalte etc. (s. o. unter F II 2j mit Fn. 369 u. 375, insbes. bei Fn. 374, 375 und nach Fn.380), ist allerdings nicht, wie Schmidhäuser zu meinen scheint, allumfassend, sie verlangt nicht von jedermann in jeder Situation und unter allen Umständen gleichermaßen "achtungsvolles" Verhalten gegenüber den als wertvoll qualifizierten realen Gegenständen/Sachverhalten etc. S.dazu Amelung, Rechtsgüterschutz, S.178ff., insbes. S.181; s. auch oben Fn.375. 405 Wieso es hier "entsprechend [?] wertvolle Sachverhalte" heißt, ist unklar. Geht es denn jetzt um andere Sachverhalte als die, von denen die Achtungsansprüche "ausgehen"? 406 Engisch-FS 433 [444 unten/445 oben].
102
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Rechtsgut [!] ausgehenden Achtungsanspruchs durch ein Willensverhalten. "407 Das merkwürdige Phänomen, daß die realen Rechtsgüter durch Mißachtung verletzt werden können sollen - daß der Achtungsanspruch selbst (auch) Rechtsgut sei, wurde in diesem Beitrag bis jetzt noch nicht gesagt -, interessiert hier zunächst noch nicht weiter. Primär erstaunlich ist vielmehr, daß Schmidhäuser nunmehr "die saubere Terminologie" fordert 408 und auch auf die Notwendigkeit ihrer Einhaltung hinweist, "wenn wir unsere Wissenschaft und als deren Voraussetzung eine saubere Terminologie ernst nehmen"409, daß er dann aber meint, "wir" dürften "allenfalls [aber immerhin] Rechtsgut i. S. des wertvollen Sachverhalts und i. S. des hiervon ausgehenden Achtungsanspruchs gleichsetzen [!?], weil im Rechtsgut eben der Rechtsgutsanspruch verletzt wird [?]"410. Was mit dem letzten Satzteil im einzelnen gemeint ist, kann dahinstehen, denn es ist durch nichts hinwegzudiskutieren, daß die Rechtsgüter dann, wenn sie auch - real sind, auch real und kausal verletzt werden können. Und damit sind der Möglichkeit eines Sowohl-AIs-auch Tür und Tor geöffnet. Wie man den Umstand, daß das Rechtsgut sowohl Realsachverhalt als auch ideeller Achtungsanspruch sein kann, mit der Forderung nach sauberer Terminologie in Einklang bringen soll, ist unerfindlich, noch unerfindlicher ist allerdings, wie gesagt, wie das reale Rechtsgut einerseits durch (bloße) Mißachtung "verletzt" werden können soll und andererseits aber trotz seiner Realität - angeblichnicht kausal verletzbar sein soll. Im Unterschied zu Schmidhäuser, der jedenfalls selbst keine Konsequenzen aus der Wechselhaftigkeit seines Rechtsguts zieht, nehmen Sax und Berz Gleichsetzungen und Schlußfolgerungen vor, die ganz entschieden zurückgewiesen werden müssen. Sax - dem zufolge die Rechtsgüter "abstrakte Werte" oder "ideelle Sachverhalte" sind 411 - hält es f"ür "gerechtfertigt, in der Verletzung etwa des Lebens oder des Eigentums dieses bestimmten Menschen, also in der Verletzung eines ,Rechtsgutsobjektes', in dem sich die abstrakten Werte Leben und Eigentum konkret verwirklichen, eine Verletzung412 dieses Wertes selbst, also eine Rechtsgutsverletzung zu sehen"413. D.h.: Wenn ein Rechtsgutsobjekt Engisch-FS433 [445]. Engisch-FS433 [445 unterer Teil]. 409 A. a. O. (Fn.408). 410 A.a.O. (Fn.408). 411 JZ 1976,429 [432 re. Sp.]. 412 In welchem Sinne? 413 JZ 1976, 429 [432 re. Sp.j433 li. Sp.], Hervorhebungen dort. Zur "Begründung" führt Sax (im folgenden Satz) die - als solche im Prinzip zutreffende - bereits oben in Fn.255 wiedergegebene Feststellung an, daß "die Rechtsgüter ja nicht um ihrer selbst willen, nicht wegen ihrer Eigenschaft, abstrakte Werte zu sein, sondern deshalb rechtlich geschützt [sind], weil sie zufolge ihrer Konkretisierung in den ,Rechtsgutsobjekten' des einzelnen Lebens, Eigentums usw. die Grundlage menschlicher Existenz und Persönlichkeitsentfaltung bilden." 407 408
F. 1lI. Trennung zwischen realer und ideeller Rechtsgutsbetrachtung
103
verletzt wird, meint Sax, "so ist es terminologisch wie sachlich unbedenklich, das betroffene Rechtsgut selbst als verletzt anzusehen"414. Während Sax die Verletzung von Gut und Wert einfach qua "begründeter Behauptung"41S gleichsetzt, versucht Berz, dieses Ergebnis durch pseudologisehe Schlußfolgerungen herzuleiten. Berz, der die Rechtsgüter ebenfalls als "abstrakte Werte" oder "ideelle Sachverhalte" ansieht 416 , meint, eine "Beeinträchtigung" - d.h. eine "Verletzung oder konkrete Gefahrdung"417 - eines Rechtsgutsobjekts stelle auch "stets [I] eine Rechtsgutsbeeinträchtigung dar. Dies folgt [I] schon aus der Definition des Begriffs Rechtsgutsobjekt als die Verkörperung des Rechtsgutes im konkreten Einzelfall. Mit einer Verletzung oder Gefährdung des Objektes muß [I] daher [I] auch das Rechtsgut selbst beeinträchtigt sein. "418 Etwas später wiederholt Berz diese Schlußfolgerung nochmals wie folgt: "Stellt aber das Rechtsgutsobjekt die Verkörperung des Rechtsgutes im Einzelfall dar, so muß [I] mit dessen Gefahrdung auch das ideelle Rechtsgut beeinträchtigt sein. "419 Eine derartige Betrachtungs- und Argumentationsweise - das gilt für Sax und Berz gleichermaßen - ist nicht nur hochgradig irreführend, sondern auch sachlich unrichtig. Denn dadurch werden falsche Vorstellungen erweckt und alle Unterschiede verwischt. Die Aussage, mit der Verletzung eines Rechtsgutsobjekts könne zugleich auch der ideelle Wert selbst als "verletzt" (?) angesehen werden, bedeutet nämlich in dem von Sax - und möglicherweise auch von Berz - gemeinten Sinne, daß in dem am Rechtsgutsobjekt eingetretenen kausalen Verletzungserjolg, also z. B. dem Tod eines Menschen, zugleich eine irgendwie geartete "Verletzung" (?) des ideellen Wertes selbst, im Falle des Todes eines Menschen also des ideellen Wertes "Leben", gesehen werden könne. Das ist jedoch verkehrt. Denn der Umstand, daß das Rechtsgutsobjekt - wie gesagt wird - eine" Verkörperung" oder "Konkretisierung" des ideellen Rechtsgutswertes darstellt, ändert ja nichts daran, daß das Rechtsgut als ideeller Wert weiterhin der Sphäre des Ideellen angehört und mit der kausalen Verletzung des Rechtsgutsobjekts eben nur der reale Gegenstand betroffen ist, nicht aber das Rechtsgut als ideeller Wert. Wenn der Dackel "Waldi" stirbt, läßt das den Begriff "Dackel" völlig unberührt; 414 JZ 1976, 429 [433 li. Sp.], im Anschluß an die in Fn.413 wiedergegebenen Ausführungen. - Da Sax jetzt - im nächsten Satz - anfängt, von Rechtsgutsverletzung auch i. S. von Rechtsgutsobjektsverletzung zu reden, wurde oben unter F 11 2 h nach Fn.359 der Anfangsteil der Ausführungen von Sax nicht wörtlich wiedergegeben. 415 S. die obigen Zitate i. V. mit Fn.413. 416 Formelle Tatbestandsverwirklichung S. 35 u. 42. 417 A.a.O.(Fn.416) S.37 Fn.32. 418 A.a.O.(Fn.416) S.37. 419 A.a.O. (Fn.416) S.41, wobei auch hier die Bezeichnung "Beeinträchtigung" erstaunlicherweise wieder für "Verletzung und konkrete Gefährdung" stehen soll, a. a. O. Fn.53.
104
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
ebenso (bzw. ähnlich) verhält es sich mit den ideellen Werten und ihren realen "Substraten" oder "Korrelaten". Eine irgendwie geartete Gleichsetzung von "Wert" und "Wertsubstrat" ist daher unzulässig. Aber auch wenn man bei der Aussage, mit der Verletzung eines Rechtsgutsobjekts, also dem Verletzungserfolg, könne zugleich der ideelle Wert als "verletzt" angesehen werden, die Geltungsschwächung des Wertes im Sinn hätte - die möglicherweise durch den am Rechtsgutsobjekt eingetretenen Verletzungserfolg verstärkt wird 420 -, würde diese Aussage nicht nur die wahren Zusammenhänge verdecken, sondern sie wäre auch bei diesem Verständnis letztlich unrichtig. Denn die Geltungsschwächung beruht nicht - auch wenn der tatsächliche Verletzungserfolg möglicherweise verstärkend wirkt 420 - auf dem kausalen Verletzungserfolg (als solchem), sondern auf der Zuwider-Handlung. Das in den ideellen Werten enthaltene Gebot der Achtung der Rechtsgutsobjekte wird in seiner Geltung nämlich nicht durch die schlichte Tatsache der Schädigung eines "Wertsubstrates" geschwächt, sondern nur durch Schädigungen, die auf wertwidrigem menschlichen Handeln beruhen, weshalb eben auch z. B. unter dem Aspekt der Geltungsschwächung des Tötungsverbots (d.h. des Aktwertes der Achtung vor dem menschlichen Leben) ein "Unterschied besteht zwischen einer Blitzleiche und einer Giftleiche"421 . Die Tatsache, daß die Geltungsschwächung des Rechtsgutswertes - primär oder ausschließlich - auf der wertwidrigen Handlung beruht und daß es zur Herbeiführung dieses "Verletzungserfolges" (d. h. der Geltungsschwächung) der wirklichen Verletzung eines Rechtsgutsobjektes gar nicht bedarf422 , würde aber nicht nur völlig verschleiert, sondern sogar geleugnet, wenn man die Beeinträchtigung der Wertgeltung durch das Ineinssetzen von Rechtsgutsobjekts- und Rechtsgutsverletzung als von der Rechtsgutsobjektsverletzung abhängig hinstellt. Deshalb ist die Gleichsetzung von Objekts- und Wertverletzung auch unter diesem Aspekt unrichtig und unzulässig - ganz abgesehen davon, daß solche Gleichsetzungen nur Unklarheit und Verwirrung produzieren. Und schließlich geht die Gleichsetzung von Objektsverletzungj-gefährdung und Wertverletzungj-gefährdung auch und erst recht in der pseudo-Iogischen Betrachtungsweise von Berz gänzlich fehl. Das ist nach dem eben Gesagten selbstverständlich, wenn die Wert" verletzung" und -"gefährdung" irgendwie als S.o. Fn.367. Salm, Das versuchte Verbrechen, S. 182; s. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 203 mit Fn. 125; in diesem Sinne (wohl) auch Jescheck AT § 1 III 2, S. 6/7: "Rechtlich ist es ein fundamentaler Unterschied, ob ein Unwetter Schaden anrichtet oder eine vorsätzlich ausgelöste Explosion, obwohl der Erfolg in beiden Fällen der gleiche sein kann. Im ersten Fall handelt es sich um eine Naturkatastrophe, die die Begrenztheit unserer technischen Hilfsmittel ... offenbart, im zweiten um ein Werk des menschlichen Willens, der den Geltungsanspruch des Rechtsguts mißachtet und damit [tl die notwendige Vertrauensbasis im Zusammenleben der Menschen erschüttert." (Hervorhebungen dort) 422 So ja auch ausdrücklich Sax JZ 1976, 429 [433 mit Fn. 32]; s. o. unter F 11 2 h nach Fn. 359 und in Fn. 360. 420
421
F. III. Trennung zwischen realer und ideeller Rechtsgutsbetrachtung
105
unmittelbar zusammenhängend mit und abhängig von den das Objekt betreffenden Ereignissen aufgefaßt wird. Aber auch wenn "man" (Autor [?] und [I?] Leser) sich bei dieser Betrachtungsweise des Unterschieds zwischen "ideeller Verletzung" des Rechtsgutswertes und kausaler Verletzung und Gefährdung des Rechtsgutsobjekts bewußt bliebe, ist die Aussage, die Verletzung oder Gefährdung des Rechtsgutsobjekts stelle stets auch eine "Beeinträchtigung" des ideellen Rechtsguts(wertes) dar, nicht nur deshalb unzulässig, weil sie die sachlichen Unterschiede völlig verschleiert (a), sondern darüber hinaus auch deswegen, weil sie inhaltlich unrichtig ist, da eine Verletzung oder Gefährdung des Rechtsgutsobjekts nicht notwendig ("stets") mit einer "Beeinträchtigung" des ideellen Rechtsguts verknüpft ist (b). a) Die aus der "Verkörperungstheorie" abgeleitete pseudo-Iogische Schlußfolgerung, da das Rechtsgutsobjekt die Verkörperung des ideellen Rechtsguts im Einzelfall darstelle, müsse mit dessen Verletzung oder Gefährdung auch das ideelle Rechtsgut "beeinträchtigt" sein 423 , stellt zunächst eine ganz gravierende und gefährliche Verwischung der sachlichen Unterschiede und Verschleierung der wahren Zusammenhänge dar. Denn unter der "Beeinträchtigung" des ideellen Rechtsguts ist ja die "Verletzung" des das Rechtsgut darstellenden ideellen Wertes bzw. genauer: des diesem Wert beigelegten Achtungsgebotes durch Mißachtung/Zuwiderhandlung - unter Schwächung/Gefährdung der faktischen Geltung dieses Wertes bzw. genauer: des in ihm enthaltenen Gebotes der Achtung der ihn "verkörpernden" Rechtsgutsobjekte - zu verstehen 424 • Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung, S. 37 u. 41; s.o. nach Fn.414. So im Prinzip auch Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung, S.42: "Da das ,Rechtsgut' in der hier verwendeten Bedeutung des Wortes einen ,abstrakten Wert' oder einen ,ideellen Sachverhalt' darstellt, kann es nicht wie das konkrete Angriffsobjekt in seiner körperlichen Substanz verletzt, beschädigt oder gefährdet werden. Es besteht daher keine andere Möglichkeit, als die Beeinträchtigung eines Rechtsguts als Mißachtung seiner Geltung, seines Geltungsanspruchs oder als Verletzung des von ihm [?] ausgehenden Achtungsanspruchs zu definieren, die durch das Strafgesetz garantiert sind [mißlungener Satzbau]. Ob man dabei von einer Gefährdung oder von einer Verletzung des Rechtsgutes sprechen will, erscheint mir als eine primär terminologische Frage; in ihrem sachlichen Aussagegehalt wird mit allen verwendeten Umschreibungen jedenfalls derselbe Bedeutungskern gekennzeichnet [- Fn. 65: Deshalb soll hier vorwiegend der neutrale Begriff der ,Rechtsgutsbeeinträchtigung' verwendet werden. -]: ... " Hierzu ist folgendes zu sagen: Ob man in bezug auf das ideelle Rechtsgut von "Rechtsgutsverletzung" oder "Rechtsgutsgefährdung" - womit die Rechtsgutsgeltungsgefährdung gemeint ist - spricht, ist nicht eine "primär terminologische Frage", vielmehr geht es um ganz verschiedene Dinge bzw. ganz verschiedene Aspekte, s. o. unter F 11 2 h bei und nach Fn. 354; dieser Unterschied wird z. B. beim untauglichen Versuch "aus grobem Unverstand", § 23111 StGB, relevant, wo zwar stets eine Rechtsgutsverletzung i. S. einer Mißachtung des ideellen Rechtsgutswertes vorliegt, eine Eignung zur Geltungsgefährdung aber u. U. völlig verneint und (daher) von Strafe abgesehen werden kann. - Im übrigen scheint (auch) in den folgenden Ausführungen von Berz a. a. O. möglicherweise gedanklich schon etwas schief zu laufen, denn diese Ausführungen können den Eindruck erwecken, die Beeinträchtigung des ideellen Rechtsguts liege bei einem vollendeten und bei einem versuchten (vorsätzlichen) Verletzungs- (oder Gefährdungs)erfolgsdelikt in (völlig) unterschiedlichen Aspekten, was jedoch nicht der Fall ist. 423
424
106
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Die "Rechtsgutsbeeinträchtigung" kennzeichnet also den Handlungsunwert und die Geltungsschwächungj-gefährdung -, während die Verletzung oder Gefährdung des Rechtsgutsobjekts den in dem Güterschaden bzw. der Gütergefährdung liegenden Erfolgs- oder Sachverhaltsunwert ausmacht. Diese sachlichen Unterschiede werden jedoch völlig zugedeckt, wenn von der Beeinträchtigung des Objekts auf die Beeinträchtigung des Wertes geschlossen bzw. gesagt wird, die Verletzung oder konkrete Gefährdung des Rechtsgutsobjekts stelle zugleich eine Beeinträchtigung des ideellen Rechtsgutes dar. Die Berzsche Betrachtungsweise ist daher, wie gesagt, schon aus diesem Grunde als völlig unangemessen zurückzuweisen. b) Abgesehen von der Verwischung der sachlichen Unterschiede zwischen Erfolgs- und Handlungsunwert - und Güter- und Geltungsschaden - ist die Aussage, die Verletzung oder konkrete Gefährdung eines Rechtsgutsobjekts stelle stets zugleich 42s auch eine Beeinträchtigung des ideellen Rechtsguts dar, aber auch inhaltlich unrichtig und damit auch sachlich nicht haltbar. Denn keineswegs jede in irgendeiner Weise durch irgendein menschliches Verhalten 426 verursachte Verletzung oder konkrete Gefährdung eines Rechtsgutsobjekts beruht auf einer Mißachtung des Geltungsanspruchs des ideellen Rechtsgutswertes 427 ; nicht jeder Erfolgsunwert wird denknotwendigerweise durch einen Handlungsunwert vermittelt. So verursacht beispielsweise der sich vorschriftsmäßig verhaltende Kraftfahrer, der ein Kind anfährt, das unvermittelt hinter einem geparkten Fahrzeug hervor- und ihm vor den Wagen springt428 , zwar die Verletzung eines Rechtsgutsobjekts und führt damit einen Erfolgsunwert herbei, eine Mißachtung des in dem ideellen Rechtsgutswert "körperliche Unversehrtheit" enthaltenen Gebots des achtsamen Verhaltens in bezug auf die körperliche Unversehrtheit anderer und damit eine Rechtsgutsbeeinträchtigung liegt hierin jedoch nicht, es fehlt an jeglichem Handlungsunwert429 • S. auch Berz a.a.O. (Fn. 424) S.115 zweiter Abs.: "immer zugleich". Durch Naturereignisse oder Tiere verursachte Rechtsgutsobjektsverletzungen, die durch die Formulierung von Berz ebenfalls erfaßt werden, scheiden als Rechtsgutsbeeinträchtigung - Mißachtung des GeltungsanspruchsjZuwiderhandlung gegen das Achtungsgebot des ideellen Rechtsgutswertes - natürlich von vornherein aus. 427 Oder anders ausgedruckt: Keineswegs jedes menschliche Verhalten, das irgendwie - i. S. der Äquivalenztheorie - ursächlich ist für die Verletzung oder konkrete Geflihrdung eines Rechtsgutsobjekts, stellt sich als Mißachtung des Geltungsanspruchs des durch dieses "verkörperten" ideellen Rechtsgutswertes dar. 428 S. den Fall 15 [al bei Wesseis AT § 15, S. 198; s. auch die oben unter F 11 2 f nach Fn.312 (genauer: nach Fn.314) wiedergegebenen Ausführungen von Lenckner in: SjS Vorbem. §§ 13ff. Rdn.l1. 429 Wesseis AT § 15 II 5, S.203; s. auch die oben unter F 11 2 f nach Fn. 312 (genauer: nach Fn. 314) wiedergegebenen Ausführungen von Lenckner; des weiteren z. B. Welzel StrafR § 18 I 1 b, S. 135. Eine derartige unvermeidbare ErfolgsverursachungjRechtsgutsobjektsverletzung ist ein Unglück, aber kein - zur Geltungsschwächung des ideellen Rechtsgutswertes bzw. der ideellen Achtungsforderungjder Normjdes Aktwertes i.S. Welze/s führendes - Unrecht, s. Wesseis a.a.O.; Welzel a.a.O.; dens., Fahrlässigkeit, 425
426
G. Verletzungs- u. konkr. Gef.del. im mat. Sinn / abstr. Gef.del.
107
Wegen der Unrichtigkeit des Schließens von einer Rechtsgutsobjektsverletzung auf eine Rechtsgutsbeeinträchtigung, d. h. von einem Erfolgsunwert auf einen Handlungsunwert, sind auch die auf diesem Schlußfolgerungsschema beruhenden Ausführungen von Berz zur "Rechtsgutsbeeinträchtigung" bei den abstrakten Gefährdungsdelikten 430 - jedenfalls in dieser Form (dogmatischen Konstruktion) - nicht haltbar. Denn sie beinhalten die Behauptung, daß das Vorliegen einer Rechtsgutsbeeinträchtigung, d. h. eines Handlungsunwerts, vom Eintritt oder Nichteintritt eines Erfolgsunwerts abhängen könne; das ist jedoch logisch ausgeschlossen. Die Gefährlichkeit und Unrichtigkeit jenes pseudologischen Schlußfolgerungsverfahrens und der damit verbundenen Verwischung der Unterschiede von Gutsverletzung und Geltungsmißachtung haben sich somit prompt in einem "dogmatischen Konstruktionsfehler" realisiert431 •
IV. Die hier zugrunde gelegte Sichtweise und verwendete Terminologie Im Folgenden ist mit "Rechtsgut" das Rechtsgut i. S. Welzels gemeint, d. h. der durch die Norm geschützt reale Gegenstand/Sachverhalt/Zustand/Prozeß etc. Die gelegentliche Verwendung des Ausdrucks "Rechtsgutsobjekt" oder der Schreibweise "Rechtsgut(sobjekt)" dient nur der KlarsteIlung (des Realitätscharakters), besagt jedoch nicht, daß im Unterschied hierzu das Rechtsgut etwas Ideelles, Abstraktes sei. "Rechtsgut" ist vielmehr stets, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes gesagt wird, das Rechtsgut i. S. Welzels.
G. Abgrenzung Verletzungs- und konkrete Gefährdungsdelikte im materiellen Sinne I abstrakte Gefährdungsdelikte Das für die Beurteilung des Deliktscharakters eines Straftatbestandes relevante Objekt ist das Rechtsgut i. S. Welzels, welchem das Rechtsgutsobjekt i. S. einer ideellen Rechtsgutstheorie (voll) entspricht432 • Von entscheidender Bedeutung ist, daß das unmittelbar betroffene Handlungsobjekt mit dem geschützten Rechtsgut = Rechtsgutsobjekt zusammentreffen, d. h. identisch433 sein kann wie z. B. im Falle des § 212 StG B (Handlungsobjekt: ein konkreter anderer Mensch bzw. sein Leben, geschütztes Rechtsgut = Rechtsgutsobjekt: das Leben S.29; Niese, Streik und Strafrecht, S. 30/31; dens. JZ 1956,457 [460 re. Sp. zweiter Abs. a. E.]; Nipperdey NJW 1957, 1777 [1778 li. Sp. unten/re. Sp. oben u. unter III]. 430 Formelle Tatbestandsverwirklichung S. 114, 11 5 (i. V. mit S. 116, 117). 431 S. hierzu auch unten im 3. Abschnitt unter C bei und nach Fn.646. 432 S.O. unter FII2 (punkt!) und FII2c. 433 Ob man von Identität oder nur von Zusammentreffen sprechen kann, hängt davon ab, wie detailliert man das Handlungsobjekt sieht, d.h., ob man z.B. in §212 StGB als Handlungsobjekt speziell das (reale) Leben oder mehr pauschal den (lebenden) Menschen ansieht, s. o. Fn.45 gegen Ende.
108
l. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
dieses Menschen) -, aber nicht muß, wie z. B. § 306 Nr.2 StGB zeigt (Handlungsobjekt: ein Wohngebäude, geschütztes Rechtsgut = Rechtsgutsobjekt: das Leben und die körperliche Unversehrtheit anderer Menschen). Es ist daher nicht richtig, wenn Jescheck - vom Standpunkt einer ideellen Rechtsgutsauffassung aus - im Sinne einer Allaussage formuliert: "Rechtsgut und Handlungsobjekt sind wie Idee und Erscheinung aufeinander bezogen"434. Dies kann, muß aber nicht so sein. Ist dem aber so, d.h., treffen Handlungs-, Tat- oder Angriffsobjekt - bzw. eines der Handlungs-, Tat- oder Angriffsobjekte 43S - und geschütztes Rechtsgut = Rechtsgutsobjekt zusammen und sind sie in dem durch die tatbestandsmäßige Handlung betroffenen Bereich identisch (wie z.B. im Falle des §212 StGB in Form des Lebens eines anderen Menschen), dann ist der am - an diesem - Handlungs-, Tat- oder Angriffsobjekt eintretende Verletzungs- oder konkrete Gefährdungserfolg nicht nur ein formaler, d. h. nur das Handlungs-, Tat- oder Angriffsobjekt betreffender, sondern auch ein materieller, d. h. ein auch das geschützte Rechtsgut = Rechtsgutsobjekt beeinträchtigender Erfolg. Da dies jedoch, wie gezeigt, keineswegs immer der Fall ist, d. h., da Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekt und geschütztes Rechtsgut = Rechtsgutsobjekt zwar zusammentreffen, d. h. identisch sein können, aber nicht müssen, ist es notwendig, innerhalb der Verletzungs- und konkreten Gefährdungs(erfolgs)delikte zu differenzieren, nämlich nach Verletzungs- und konkreten Gefährdungs(erfolgs)delikten im formellen und im materiellen Sinne. Verletzungs- und Gefährdungs-Erfolgsdelikte im nur formellen Sinne sind solche, bei denen der von der Handlung abgrenzbare Erfolg in einer Verletzung oder konkreten Gefährdung des (eines) Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekts besteht, wobei das (dieses) Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekt nicht zugleich mit dem geschützten Rechtsgut = Rechtsgutsobjekt identisch ist (Beispiel: § 306 Nr.2 StGB). Verletzungs- und Gefährdungs-Erfolgsdelikte im materiellen Sinne sind dagegen solche, bei denen der formelle Verletzungs- oder Gefährdungserfolg, d. h. die Verletzung oder konkrete Gefährdung des Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekts, zugleich eine Verletzung oder konkrete Gefährdung des geschützten Rechtsguts = Rechtsgutsobjekts darstellt (Beispiele: § 212 StGB, Verletzungserfolgsdelikt im materiellen Sinne; § 315 c StGB, konkretes Gefährdungserfolgsdelikt im materiellen Sinne). Erst aufgrund dieser Differenzierung ist es möglich, die abstrakten Gefährdungsdelikte von den Verletzungs- und konkreten Gefährdungsdelikten abzugrenzen: Abstrakte Gefährdungsdelikte sind solche Delikte, die keine Verletzungs- oder konkreten Gefährdungsdelikte im materiellen Sinne sind, d. h. solche, bei denen die Verletzung oder konkrete Gefährdung des geschützten AT §2614, S.234; s.o. unter FII2 b nach Fn.215. Es lassen sich ja mitunter durchaus mehrere Handlungs-, Tat- oder Angriffsobjekte ausmachen, z. B. beim Betrug "der unter Täuschung Verfügende" und das Vermögen des Geschädigten, s. o. Fn.45. 434
435
G. Verletzungs- u. konkr. Gef.del. im mat. Sinn / abstr. Gef.del.
109
Rechtsguts = Rechtsgutsobjekts kein (objektives) Tatbestandsmerkmal ist 436 , bei denen es also zur Erfüllung des (objektiven) Tatbestandes auf eine Verletzung oder konkrete Gefährdung des geschützten Rechtsguts = Rechtsgutsobjekts nicht ankommt. Abstrakte Gefährdungsdelikte können aber durchaus Erfolgsdelikte 437 , sogar Verletzungs- oder konkrete Gefährdungsdelikte imformellen Sinne sein. So ist, wie gesagt, z. B. § 306 Nr. 2 StGB Verletzungs-Erfolgsde1ikt im formellen Sinne, da das Tat-, Handlungs- oder Angriffsobjekt, nämlich das Wohngebäude, durch den vom Täter verursachten Brand beschädigt, also verletzt wird; der Sache nach, d. h. materiell, ist § 306 Nr. 2 StGB jedoch ein abstraktes Gefährdungsdelikt, da es auf die Verletzung oder konkrete Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit eines anderen Menschen (= geschützte Rechtsgüter = Rechtsgutsobjekte des § 306 Nr. 2 StGB) nicht ankommt438 • Ein Beispiel für ein formell konkretes, materiell aber abstraktes Gefährdungsdelikt ist § 310 a StGB [Herbeiführen einer Brandgefahr], wenn das Angriffsobjekt dem Täter gehört und als geschützte Rechtsgüter = Rechtsgutsobjekte Leben, Gesundheit und fremdes Eigentum angesehen werden 439 • Denn erforderlich ist nur, daß eines der in § 310 a StGB genannten Objekte in konkrete Brandgefahr versetzt worden ist; steht dieses Objekt aber im Eigentum des Täters440 , dann handelt es sich nur formell um ein konkretes Gefährdungsdelikt, da das konkret gefährdete Angriffsobjekt nicht mit einem der geschützten Rechtsgüter = Rechtsgutsobjekte (Leib, Leben, fremdes Eigentum) identisch ist und eine über die konkrete Gefährdung des - in diesem Falle eigenen - Tatobjekts hinausgehende 436 Jedenfalls kein zur vollen Überzeugung des Gerichts nachzuweisendes Tatbestandsmerkmal, wie mit Rücksicht auf die Präsumtionstheorien einschränkend hinzuzufügen ist. 437 S. o. unter A bei und nach Fn. 22. 438 S. dazu auch oben Fn. 273. Das gleiche - Verletzungserfolgsdelikte im formellen, abstrakte Leibes- und Lebensgefährdungsdelikte iIn materiellen Sinne - gilt im übrigen auch für § 306 Nm. 1 u. 3 StGB. Die in bezug auf § 306 Nr. 1 StGB abweichende Meinung von Horn in: SK § 306 Rdn.2, durch die dieser Bestimmung zugrundeliegende Norm würden "nicht Leib und Leben, sondern allein und unmittelbar das sich in einem ,Gotteshaus' manifestierende religiöse Tabu gegen Brandanschläge geschützt", überzeugt nicht. 439 So bzgl. der geschützten Rechtsgüter ausdrücklich und im übrigen der Sache nach SK-Horn§310a Rdn. 2 u. 3; so aber wohl auch SjSjCramer§310a Rdn.1, wie sich aus der Beschreibung des Rechtsguts und der befürworteten Einschränkung der Anwendbarkeit dieser Vorschrift entnehmen läßt (auffallend hier wieder die merkwürdige Diskrepanz zwischen Rechtsgut und Schutzobjekt, s. bereits oben Fn.90 mittlerer Abs.). Das gleiche gilt aber auch, wenn man - wie (wohl) LK -W oiff § 310 a Rdn. 1 m. w. N. - zusätzlich "die Volks- und Ernährungswirtschaft" als geschützte Rechtsgüter ansieht; denn dadurch ändert sich ja am Deliktscharakter hinsichtlich der o. g. Rechtsgüter nichts; aber auch hinsichtlich "der Volks- und Emährungswirtschaft" selbst kann wohl nur von einem abstrakten Gefährdungsdelikt die Rede sein. 440 Mangels eines auf die in §310a I Nm. 1 u. 2 StGB bezeichneten Gegenstände bezogenen Merkmals "fremd" kommt es auf die Eigentumsverhältnisse an den konkret gefährdeten Objekten ja nicht an, so daß auch die Gefährdung eigener Sachen unter §310aI StGB fällt, s. auch SjSjCramer §310a Rdn.1.
110
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
Verletzung oder konkrete Gefährdung fremder Sachen oder von Leib und Leben anderer zur Erfüllung des Tatbestandes nicht erforderlich ist 441 • Die nicht selten anzutreffende Gleichsetzung der abstrakten Gefährdungsdelikte mit den schlichten Tätigkeitsdelikten442 , d. h. den Delikten, bei denen überhaupt kein Erfolg (i. e. S.) zum Tatbestand gehört, ist somit falsch; und zwar aus zwei Gründen: Zunächst einmal deswegen, weil, wie eben 443 gezeigt, abstrakte Gefährdungsdelikte durchaus Erfolgsdelikte im formellen Sinne sein können, also keineswegs stets schlichte Tätigkeitsdelikte sind, weshalb auch bei Zugrundelegung des Erfolgsbegriffs i. e. S. in § 13 StGB die mitunter geäußerte Auffassung, abstrakte Gefährdungsdelikte seien nicht durch Unterlassen begehbar444 , in dieser Allgemeinheit nicht richtig ist"44. Zum anderen ist jene Gleichsetzung aber auch deshalb unrichtig, weil auch umgekehrt schlichte Tätigkeitsdelikte nicht immer abstrakte Gefährdungsdelikte sind 44s • Es gibt nämlich auch rechtsguts(objekts)verletzende (schlichte) Tätigkeitsdelikte. Das sind solche Tätigkeitsdelikte, bei denen das bloße Tun selbst das geschützte Rechtsgut = Rechtsgutsobjekt "verletzt", ohne daß man von einem von der Handlung abgrenzbaren Verletzungs-Erfolg (i.e. S.) sprechen könnte. So etwas ist häufig dann der Fall, wenn das geschützte Rechtsgut = Rechtsgutsobjekt in einem subjektiven Recht besteht, welches - ähnlich 446 wie die ideellen 441 Daran, daß materiell nur ein abstraktes Gefährdungsdelikt vorliegt, ändern im übrigen auch die von S/S/ Cramer § 310 a Rdn. 1 und SK-H om § 310 a Rdn. 3 vorgeschlagenen Strafbarkeitseinschränkungen nichts, da die als Vergleichskriterien herangezogenen Inbrandsetzungserfolgsdelikte i. S. der §§ 306, 308 I 2. Alt. StGB ebenfalls nur abstrakte Gefährdungsdelikte sind. Zu §308 I 2. Alt. StGB s. unten nach Fn.459. 442 S.o. Fn.29. 443 S. auch oben unter A bei und nach Fn.22. 444 S. unten Fn.456. 44S Schlichtes Tätigkeits- und abstraktes Gefährdungsdelikt ist z. B. § 316 StGB [Trunkenheit im Verkehr], da es zur Erfüllung des Tatbestands auf eine Verletzung oder konkrete Gefährdung der durch das Verbot des betrunkenen Fahrens geschützten Rechtsgüter = Rechtsgutsobjekte "Leib, Leben anderer, fremdes Eigentum" nicht ankommt. - Geschütztes Rechtsgut, d. h. der durch die Norm (das Verbot der Teilnahme am Straßenverkehr in fahrunsicherem oder -untüchtigem Zustand) geschützte Gegenstand/Zustand/Sachverhalt etc., ist nicht, wie mitunter gesagt wird (z. B. D/Tröndle § 316 Rdn.1, Lackner§ 316 Anm. 1), "die Sicherheit des Verkehrs". Denn: "Die Verkehrssicherheit ist kein (Rechts-),Gut'; sie ist nur Ausdruck für normgerechtes Verhalten" (SK-Hom Vor §306 Rdn.1 a), also der durch die Strafe geschützte Zustand der Normgeltung, d.h. -befolgung (s. o. unter F I 2); "die Sicherheit des Verkehrs" ist - dementsprechend dadurch, daß ein fahrunsicherer oder -untüchtiger Fahrer an ihm ("dem Verkehr") teilnimmt, auch bereits "verletzt" und nicht bloß "abstrakt gefährdet", s. Binding, Normen I, S.393/394; Brehm, Abstraktes Gefährdungsdelikt, S.33. 446 Diese "Ähnlichkeit" bezieht sich nur auf die Art der "Verletzbarkeit"; im übrigen geht es natürlich bei den ideellen Rechtsgütern (als den durch die Strafe geschützten Gegenständen) und den hier in Rede stehenden Rechtsgütern i. S. Welzels, d. h. den Rechtsgutsobjekten i. S. einer ideellen Rechtsgutstheorie (als den durch die Norm [und die ideellen Achtungsgebote] geschützten Gegenständen), um völlig verschiedene Dinge; zu einem "praktisch" äußert relevanten Unterschied s. z. B. oben unter F 11 2 d bei und nach Fn. 267, insbes. bei und nach Fn.270.
G. Verletzungs- u. konkr. Gef.dei. im mat. Sinn / abstr. Gef.dei.
111
Achtungsanspruche i. S. Schmidhäusers und die ideellen Rechtsgüter überhaupt - schlicht durch Zuwider-Handlung "verletzt" wird. Ein solches rechtsguts(objekts)verletzendes Tätigkeitsdelikt ist z. B. der Hausfriedensbruch in Form des Eindringens gem. § 123 11. Alt. StGB. Denn das Betreten der in § 123 I 1. Alt StGB genannten Räumlichkeiten gegen den Willen des Berechtigten (= Eindringen) "verletzt" zugleich - uno actu - das Hausrecht des Hausrechtsinhabers (= geschütztes Rechtsgut = Rechtsgutsobjekt des § 123 StGB), nämlich das Recht, andere von der Anwesenheit in den genannten Räumlichkeiten auszuschließen. Bei der 2. Alternative des § 123 I StGB, dem Sichnichtentfernen trotz Aufforderung des Berechtigten, handelt es sich dementsprechend um ein rechtsguts( objekts)verletzendes schlichtes (echtes) Unterlassungsdelikt. Ein weiteres Beispiel für ein rechtsguts(objekts)verletzendes Tätigkeitsdelikt ist §248 b StGB [Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs], da mit der Ingebrauchnahme eines Fahrzeugs gegen den Willen des Berechtigten untrennbar eine Verletzung des Gebrauchsrechts des Berechtigten (= geschütztes Rechtsgut = Rechtsgutsobjekt in § 248 b StGB), nämlich des Rechts, andere von der Benutzung des Fahrzeugs (als Fortbewegungsmittel) auszuschließen, verbunden ist. Das gleiche gilt für § 290 StG B [Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen], wenn man auch hier - ebenso wie bei § 248 b StGB - "das dem Eigentümer [Gebrauchsberechtigten] zustehende Recht auf ausschließliche Benutzung der Sache"447, d. h. das Recht, andere von der Benutzung des Gegenstandes auszuschließen, als geschütztes Rechtsgut (sobjekt) ansieht. Daß der unbefugte Gebrauch eines Fahrzeugs sowie derjenige einer Pfandsache jeweils schlichte Tätigkeitsdelikte sind, erscheint - bei Zugrunde1egung der genannten Rechtsgüter (Rechtsgutsobjekte) - unzweifelhaft. Denn der Umstand, daß ein vollendetes Ingebrauchnehmen, das ja nicht mit einem Gewahrsamsbruch verbunden sein muß448 bzw. im Falle des § 290 StGB gar nicht sein 447 So auch MaurachjSchroeder BT 1 §38 I 1, S. 344. A. A. LK-Schäfer§290Rdn.1,der "das öffentliche Vertrauen" als geschütztes Rechtsgut(sobjekt) ansieht; bei Zugrunde1egung dieses Rechtsguts(objekts) wird man §290 StGB wohl- ähnlich wie die §§331ff. StGB (s. o. Fn. 144) und § 356 StGB (s. SK-Rudolphi § 356 Rdn. 3, 4 u. insbes. 5) - als abstraktes Gefährdungsdelikt (und nicht als "Verletzungs"delikt) ansehen müssen, da eine einzelne - bekannt gewordene - Zuwiderhandlung das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität (des Berufsstandes) der öffentlichen Pfandleiher i. d. R. weder mindert noch ernstlich (konkret) gefährdet ("schwarze Schafe" [bzw. ein "schwarzes Schar'] gibt es schließlich immer und überall einmal). Sieht man hingegen das konkrete persönliche Vertrauen des Verpfänders als geschütztes Rechtsgut(sobjekt) an, so kann man dieses Vertrauen entweder als durch die Zuwiderhandlung "automatisch" - uno actu - "verletzt" (mißbraucht) ansehen oder aber sagen, daß eine reale, wirkliche Vertrauensverletzung als Erfolg der Zuwiderhandlung erst dann eintreten kann und eintritt, wenn der Verpfänder von dem unbefugten Gebrauch Kenntnis erlangt (hat), was jedoch weder erforderlich noch zwangsläufig der Fall ist, da der Verpfänder ja auch vor Bekanntwerden der Straftat nach §290 StG B - so sie überhaupt entdeckt wird - sterben kann, so daß wiederum von einem abstrakten Gefährdungsdelikt auszugehen wäre. 448 S. z. B. SjSjEser §248 b Rdn.1, 4a u. 7.
112
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
kann, nur vorliegt, wenn die Ingebrauchnahme auch gelungen ist, macht das unbefugte Ingebrauchnehmen nicht zu einem Erfolgsdelikt i. e. S. Die Ingebrauchnahme und der Gebrauch sind nämlich nur i. w. S. ein Erfolg des Ingebrauchnehmens, nämlich insofern, als die Erfüllung des Tatbestandes, d. h. die Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlung, als Erfolg i. w. S. verstanden wird 449 • Nur unter diesem Blickwinkel des Erfolges i. w. S. ist es im übrigen auch zu verstehen, wenn bei den Dauerdelikten als Untergruppe der Eifolgsdelikte als Beispiel die Trunkenheitsfahrt gem. § 316 StGB genannt wird 450 ; denn diese ist zweifellos ein schlichtes Tätigkeitsdelikt451 und setzt als solches lediglich den gelungenen Fahrtantritt, also das Fahren, als Erfolg i. w. S. voraus. Nicht ganz unzweifelhaft ist allerdings, ob auch der Hausfriedensbruch gem. § 123 I 1. Alt. StGB ein schlichtes Tätigkeitsdelikt ist 452 . Dies ist zwar nicht deshalb zweifelhaft, weil ein Eindringen ein gelungenes Betreten voraussetzt; denn daß die tatbestandsmäßige Handlung auch wirklich vorgenommen wird, ist ja nur der Erfolg i. w. S. Zweifel könnten aber insofern bestehen, als es nicht ausgeschlossen erscheint, das - wenn auch mitunter nur flüchtige ",Darinnensein' als Erfolg des Eindringens"453 anzusehen 454 . S. o. unter A bei und nach Fn. 13. SO Z. B. Jescheck AT §26 II 1 a, S. 236 und Jakobs AT 6/80, S. 143, beide freilich ohne jeglichen Hinweis darauf, daß in diesem Zusammenhang ausnahmsweise auch schlichte Tätigkeitsdelikte als Erfolgsdelikt ~ i. w. S.! ~ aufgefaßt werden. 451 H. M., insbes. auch (s.o. Fn.450) Jakobs AT 6/85, S.145. 452 Als schlichtes Tätigkeitsdelikt wird der Hausfriedensbruch z. B. bezeichnet von Jescheck AT §26II1 b, 237; Maurach/Zipj AT 1 §20 Rdn.28, S.276; LK 9 -HeimannTrosien Einl. Rdn.67; Roxin TuT S. 407; Schmidhäuser AT, 1. Aufl., 8/39 u. 40, S. 174 u. 175. 453 Jakobs AT 6/85, S. 145. 454 Dieses ~ wenn auch äußerst kurzfristige ~ Dasein an einer bestimmten Stelle / an einem bestimmten Ort als zwangsläufig mit der Tätigkeit einer räumlichen Fortbewegung ~ einem Be-treten ~ verbundene Erscheinung ist jedenfalls etwas anderes als der Wahrnehmungserfolg [nicht richtig insofern Jakobs a.a. O. (Fn. 453) bzgl. der angeblichen Zwangsläufigkeit eines Kommunikationserfolges(!) bei den §§153ff.] z.B. bei der Beleidigung, denn dieser kann, obwohl die Tätigkeit des Kundgebens der Miß- oder Nichtachtung als solche abgeschlossen ist, je nach Kausalverlauf eintreten oder nicht eintreten, wenn nämlich z. B. der Brief beleidigenden Inhalts nicht ankommt oder nicht gelesen wird oder wenn ~ bei Abwesenheit Dritter ~ die Zielperson die beleidigende Geste wegen Blindheit nicht sieht oder die beleidigenden Worte wegen Taubheit oder Schwerhörigkeit nicht vernimmt etc.; demgegenüber ist ein Eindringen ohne ~ kurzfristiges und teilweises ~ Darinnensein nicht denkbar (was nicht besagt, daß der Täter persönlich eindringen und darinnen sein müßte), und dieses (das Darinnensein) rallt auch nur dann besonders ins Auge, wenn es länger andauert; es ist daher schwer zu sagen, ob man das Darinnensein als einen besonderen, vom vollendeten Eindringen gedanklich ablösbaren Erfolg i. e. S. ansehen kann oder sollte; falls der in der unterschiedlichen Verweildauer liegende unterschiedliche Unwertgehalt nur über die Qualifizierung des Darinnenseins und damit des Verweilens als Erfolgs- (oder Sachverhalts)unwert erfaßbar sein sollte (so [anscheinend] Jakobs a. a. O. [Fn.453]), wäre dieser Sichtweise vom Darinnensein als Erfolg des Eindringens beizutreten. 449
450
G. Verletzungs- u. konkr. Gef.deI. im mat. Sinn I abstr. Gef.deI.
113
Die Frage, ob der Hausfriedensbruch in Form des Eindringens als schlichtes Tätigkeitsdelikt zu qualifizieren oder ob ihm ein gewisser Erfolgscharakter im engeren Sinne nicht abzusprechen ist, kann hier jedoch dahinstehen. Entscheidend ist vielmehr, daß einerseits auch schlichte Tätigkeits- und schlichte Unterlassungsdelikte 455 - oder jedenfalls (häufig) dieser Kategorie zugeordnete Delikte - nicht notwendig abstrakte Gefährdungsdelikte sein müssen 456 und daß andererseits - was damit zusammenhängt - Verletzungsdelikte im materiellen Sinne nicht notwendigerweise Verletzungs-Erfolgsdelikte i. S. der Herbeiführung eines kausalen Veränderungserfolges an dem geschützten Rechtsgut(sobjekt) sind. An der Richtigkeit der oben 457 aufgestellten Definition der abstrakten Gefährdungsdelikte hat sich dadurch nichts geändert; denn dort wurde bewußt nur von Verletzungs- und nicht speziell von Verletzungserfolgsdelikten gesprochen. Festzuhalten ist somit: Sowohl Erfolgsdelikte i. e. S. - insbesondere auch Verletzungs- und konkrete Gefährdungs-Erfolgsdelikte - als auch schlichte Tätigkeitsdelikte können abstrakte Gefährdungsdelikte sein. Sie sind es dann, wenn der objektive Tatbestand weder eine Verletzung - im kausalen oder übertragenen Sinne - noch eine konkrete Gefährdung des geschützten Rechtsguts = Rechtsgutsobjekts als voll nachzuweisendes 458 geschriebenes oder ungeschriebenes 459 Tatbestandsmerkmal erfordert (abstrakte Gefährdungsdelikte im materiellen Sinne). 455 Nämlich § 123 I 2. Alt. StGB - es sei denn, man sähe auch hier - entsprechend der oben im Text und in Fn.454 bzgI. § 123 I 1. Alt. StGB erwähnten Möglichkeit - das weitere Darinnensein als Erfolg i. e. S. des Sichnichtentfernens an (was m. E. jedoch nicht richtig wäre, da das weitere Darinnensein vielmehr als dauerndes Unterlassen des Sichentfernens aufzufassen ist [ähnlich wie bei § 316 StGB die ganze Trunkenheitsfahrt in der dauernden (schlichten) Tätigkeit des Fahrens besteht]). 456 Insofern richtig daher Ostendorf JuS 1982, 426 [429 li. Sp.]: "Während somit die Verletzungsdelikte sowohl Erfolgs- als auch Tätigkeitsdelikte erfassen [richtig], stellen sich die konkreten Gefährdungsdelikte nur als Erfolgs- [richtig], die abstrakten Gefährdungsdelikte nur als Tätigkeitsdelikte dar [falsch]." - Die Gefährlichkeit der letzteren, auf ungenauer Analyse beruhenden Fehldeutung hat sich bei Ostendorfa.a.O. auch gleich in einer weiteren falschen Aussage realisiert: "Bei abstrakten Gefährdungsdelikten scheidet mangels eines Tatbestandserfolges ein ,unechtes' Unterlassungsdelikt aus." Das ist in dieser Allgemeinheit deshalb verkehrt, weil z. B. die abstrakten Gefährdungsdelikte der schweren Brandstiftung gern. § 306 Nm. 1- 3 StGB als Verletzungserfolgsdelikte im engeren und formellen Sinne zweifellos, nämlich auch wenn man unter Erfolg i. S. des § 13 I StGB nur den Erfolg i. e. S. oder sogar nur speziell einen Verletzungs- oder konkreten Gefährdungserfolg versteht, durch Unterlassen begehbar sind; unbedacht und unrichtig insofern allerdings auch Jescheck in: LK § 13 Rdn.2, auf den sich Ostendorfbezieht und der die von § 13 StGB seiner Meinung nach nur betroffenen Erfolgsdelikte zu Unrecht dahingehend einschränkt, daß Delikte gemeint seien, "bei denen der Erfolg in der Verletzung oder konkreten Gefährdung des geschützten [!] Handlungsobjekts [= Rechtsgutsobjekts] besteht". 457 Bei Fn.436. 458 Mit diesem Kriterium wird den Präsumtionstheorien Rechnung getragen. 459 Damit wird berücksichtigt, daß z. B. § 221 I StGB [Aussetzung] erst durch Auslegung zu einem konkreten Lebens- (oder Leibes)gefährdungsdelikt gemacht wird, s.
8 Graul
114
1. Abschn.: Begriffsbestimmungen / Deliktskategorien
In diesem Zusammenhang ist noch auf das interessante Phänomen hinzuweisen, daß es auch abstrakte Gefährdungsdelikte im formellen Sinne gibt, die aber auch - erst recht - abstrakte Gefährdungsdelikte im materiellen Sinne sind. Ein solches abstraktes Gefährdungsdelikt im formellen wie im materiellen Sinne ist z. B. die sog. mittelbare Brandstiftung gern. § 308 I 2. Alt. 1. Fall StGB. Diese Variante des § 308 I StGB setzt voraus, daß das in Brand gesetzte tätereigene 460 - Objekt 461 nach seiner Beschaffenheit und Lage geeignet ist, das Feuer einer der in § 306 Nm.1- 3 StGB bezeichneten Räumlichkeiten mitzuteilen. Da die Frage, ob eine Eignung zum Übergreifen des Feuers von dem in Brand gesetzten Objekt auf ein Objekt des § 306 StGB bestanden hat, allein aufgrund der Beschaffenheit und Lage der beiden Objekte 462 zu beurteilen ist und andere Umstände, wie z. B. die - zur Tatzeit möglicherweise entgegenstehenden - Wetter- und/oder Windverhältnisse, bei der Eignungsfeststellung außer Betracht zu bleiben haben, kommt es zur Erfüllung des Tatbestandes des § 308 I 2. Alt. 1. Fall StGB nicht darauf an, ob im Einzelfall tatsächlich eine konkrete Eignung zur Übertragung des Feuers, mithin eine konkrete Brandgefahr für eine Räumlichkeit i.S. des §306 StGB bestanden hat. §3081 2.Alt. 1. Fall StGB ist daher bzgl. der Räumlichkeiten des § 306 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt 463 • SjSjEser § 221 Rdn.1 u. 8. Des weiteren ist es z. B. auch bei §223 a StGB eine Frage der Auslegung, ob die geflihrliche Körperverletzung mittels einer das Leben geflihrdenden Behandlung als konkretes oder abstraktes Lebensgeflihrdungsdelikt anzusehen ist, s. SjSjStree §223 a Rdn.12. Auch bei § 229 I StGB [Vergiftung] hängt es von der Auslegung ab, ob man eine konkrete Gefahr der Gesundheitszerstörung zur Erfüllung des Tatbestandes für erforderlich hält, so z. B. SK-Horn § 229 Rdn.2 u. 3 und Vor § 306 Rdn.18. 4