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German Pages 310 Year 2009
Managementwissen für Studium und Praxis Herausgegeben von Professor Dr. Dietmar Dorn und Professor Dr. Rainer Fischbach Lieferbare Titel: Anderegg, Grundzüge der Geldtheorie und Geldpolitik Arrenberg · Kiy · Knobloch · Lange, Vorkurs in Mathematik, 3. Auflage Barth · Barth, Controlling, 2. Auflage Behrens · Kirspel, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre, 3. Auflage Behrens · Hilligweg · Kirspel, Übungsbuch zur Volkswirtschaftslehre Behrens, Makroökonomie – Wirtschaftspolitik, 2. Auflage Bontrup,Volkswirtschaftslehre, 2. Auflage Bontrup, Lohn und Gewinn, 2. Auflage Bradtke, Mathematische Grundlagen für Ökonomen, 2. Auflage Bradtke, Statistische Grundlagen für Ökonomen, 2. Auflage Busse, Betriebliche Finanzwirtschaft, 5. Auflage Camphausen, Strategisches Management, 2. Auflage Dinauer, Grundzüge des Finanzdienstleistungsmarkts, 2. Auflage Dorn · Fischbach, Volkswirtschaftslehre II, 4. Auflage Dorsch, Abenteuer Wirtschaft · 40 Fallstudien mit Lösungen, 2. Auflage Drees-Behrens · Kirspel · Schmidt · Schwanke, Aufgaben und Fälle zur Finanzmathematik, Investition und Finanzierung, 2. Auflage Drees-Behrens · Schmidt, Aufgaben und Fälle zur Kostenrechnung, 2. Auflage Fischbach · Wollenberg, Volkswirtschaftslehre 1, 13. Auflage Götze · Deutschmann · Link, Statistik Gohout, Operations Research, 4. Auflage Haas, Excel im Betrieb, Gesamtplan Hans, Grundlagen der Kostenrechnung Heine · Herr,Volkswirtschaftslehre, 3. Auflage Koch, Marktforschung, 5. Auflage Koch, Betriebswirtschaftliches Kosten- und Leistungscontrolling in Krankenhaus und Pflege, 2. Auflage
Laser, Basiswissen Volkswirtschaftslehre Martens, Statistische Datenanalyse mit SPSS für Windows, 2. Auflage Mensch, Finanz-Controlling. 2. Auflage Peto, Grundlagen der Makroökonomik, 13. Auflage Piontek, Controlling, 3. Auflage Piontek,Beschaffungscontrolling,3. Aufl. Plümer, Logistik und Produktion Posluschny, Controlling für das Handwerk Posluschny, Kostenrechnung für die Gastronomie, 2. Auflage Rau, Planung,Statistik und Entscheidung – Betriebswirtschaftliche Instrumente für die Kommunalverwaltung Rothlauf, Total Quality Management in Theorie und Praxis, 2. Auflage Rudolph, Tourismus-Betriebswirtschaftslehre, 2. Auflage Rüth, Kostenrechnung, Band I, 2. Auflage Scharnbacher · Kiefer, Kundenzufriedenheit, 3.Auflage Schuster, Kommunale Kosten- und Leistungsrechnung, 2. Auflage Schuster, Doppelte Buchführung für Städte, Kreise und Gemeinden, 2. Auflage Specht · Schweer · Ceyp, Markt- und ergebnisorientierte Unternehmensführung, 6. Auflage Stender-Monhemius, Marketing – Grundlagen mit Fallstudien Stibbe, Kostenmanagement, 3. Auflage Strunz · Dorsch, Management Strunz · Dorsch, Internationale Märkte Weeber, Internationale Wirtschaft Wilde,Plan- und Prozesskostenrechnung Wilhelm,Prozessorganisation, 2. Auflage Wörner,Handels- und Steuerbilanz nach neuem Recht, 8. Auflage Zwerenz, Statistik, 3. Auflage Zwerenz, Statistik verstehen mit Excel – Buch mit Excel-Downloads, 2. Auflage
Abenteuer Wirtschaft 40 Fallstudien mit Lösungen
von
Dipl.-Kffr. Monique Dorsch
2., überarbeitete Auflage 3., vollständig überarbeitete Auflage
OldenbourgVerlag München
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2009 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Lektorat: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Cover-Illustration: www.sxc.hu Fotos: Monique Dorsch Karikaturen: Thomas Jandl Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Druck: Grafik + Druck, München Bindung: Thomas Buchbinderei GmbH, Augsburg ISBN 978-3-486-59059-3
Vorwort
V „All the world‘s a stage and all the men are merely players.“1
... wie Shakespeare schon sagte, in der Wirtschaft scheint dies in besonders hohem Maße zuzutreffen. Die Akteure sehen sich nicht selten mit Abenteuern konfrontiert – oft ohne ihr Zutun, manchmal auch aus eigener Schuld. Spannend ist die Welt der Wirtschaft allemal. Im vorliegenden Buch versuchen 40 Fallstudien, Facetten davon – gewissermaßen als Schnappschüsse – einzufangen. Die Fälle gehen auf die unterschiedlichsten Bereiche der Wirtschaft zurück und beziehen sowohl betriebswirtschaftliche als auch volkswirtschaftliche Themen ein, wobei bei diesen nicht selten auch die Politik eine Rolle spielt. Anspruch auf Vollständigkeit kann und will dabei natürlich in keiner Weise erhoben werden. Alle Fallstudien wurden von der Autorin selbst entwickelt und beruhen nahezu ausnahmslos auf wahren Begebenheiten.2 Für die Studierenden bietet all dies eine Menge Herausforderungen: Auseinandersetzung mit einem breiten inhaltlichen Spektrum, das die Neugier und Lust anregen möchte, den Dingen der Realität nachzuspüren. Die gewählten Beispiele weisen durchwegs eine hohe Komplexität auf. Geeignete Instrumente zur Analyse und Lösung solcher Problemstellungen bietet die Methodik des vernetzten Denkens. Daher wird einführend die Anwendung der diesbezüglichen Instrumente anhand eines Beispiels gezeigt. Übersichten am Beginn des Buches zeigen, wo die Schwerpunkte jeder Fallstudie liegen. Zu jeder Fallstudie wird ein Lösungsvorschlag angeboten, der allerdings – wie bei Fallstudien üblich – natürlich nicht die einzige mögliche Lösung ist. Grundsätzlich ist anzumerken, daß die Fragestellungen zu den einzelnen Fällen je nach Interesse und Schwerpunktsetzung durchaus auch variiert werden können, was die Fälle universeller einsetzbar bzw. anwendbar macht. Monique Dorsch 1
Shakespeare, William: As You Like It [Akt II, Szene 7], Ware, Hertfordshire 1993, 38 Der Ordnung halber sei an dieser Stelle darauf verwiesen, daß die im Buch vorkommenden existierenden Markennamen und Firmenbezeichnungen geschützt sind. 2
6
Vorwort
Inhalt
I
Einleitung
13
1
Zur Bearbeitung von Fallstudien
13
2
Instrumente des vernetzten Denkens
15
Teil A – Management
37
1
Die Anwaltskanzlei
38
2
Projekt-Mißmanagement oder Theorie vs. Praxis
42
3
Der Sommerjob
50
4
Umstieg auf Bus und Bahn
54
5
Wir bauen auf und reißen nieder ...
58
6
Einem Ingenieur ist nichts zu schwör
65
7
Krise im Museum
71
8
Veränderung um jeden Preis
78
9
Wie ein Rädchen im Getriebe
81
10 Arbeiten in Schweden
86
Teil B – Strategie
93
1
Forst- und Papierindustrie in Nordeuropa
94
2
Standortwechsel eines Straßenbahnherstellers
100
3
Eine Brauerei auf der Jagd nach Profit
104
4
Ein Hafen als Tor zum Osten
108
5
Das schwedische Möbelhaus
115
6
Gut gerüstet ist halb angekommen
124
7
Im Parallelschwung zum Erfolg
129
8
Der Fahrradkurier
134
8 9
Inhalt Der Kiosk am Gleis
141
10 Das Prinzip Hoffnung
147
Teil C – Marketing
151
1
Red Bull verleiht Flüüügel
152
2
Die zarteste Versuchung
161
3
Das Wirtshaus in Schwechat
165
4
Eine Nacht in Eis und Schnee
172
5
Tante Emma goes Internet
180
6
Tante Emma goes InterCity
187
7
Der Zoo der Zukunft
194
8
Kundenorientierung im Museum
206
9
Der Weg der 1.000 Leiden
210
10 Die Stadt gehört Dir.
215
Teil D – Öffentliche Wirtschaft
221
1
Zwischen Abriß und Aufbruch
222
2
Zukunftsfähiges Wohnen in Malmö
231
3
Die Grenzenlose Gartenschau
237
4
Schanzenbau in Klingenthal
247
5
Erlebnis Eisenbahn
254
6
Über den Tellerrand
259
7
Unter den Alpen hindurch
265
8
Hochwasserschutz in den Alpen
283
9
Vom Tagebau zum Badesee
291
10 Kiruna zieht um
301
9
Inhalt
x x
Arbeiten in Schweden
Krise im Museum
x x
Wie ein Rädchen im Getriebe
Einem Ingenieur ist nichts zu schwör
x x
Veränderung um jeden Preis
Wir bauen auf und reißen nieder ...
Umstieg auf Bus und Bahn
Der Sommerjob
Projekt-Mißmanagement
Die Anwaltskanzlei
Teil A – Management
Schwierigkeitsgrad
Umfang der Lösung
Vernetztes Denken
Themenschwerpunkte Kommunikation Zielsetzung, Planung Entscheidung Motivation, Zufriedenheit Organisation Überwachung Streß Konflikt Organisationskultur Change Management Personalmanagement Auslandseinsatz Projektmanagement Strategische Entscheidungen Umfeld Legende
x
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x
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leichte Fallstudie
schwierige Fallstudie
umfangreiche Lösung
Lösungshinweise
Nutzung des Instrumentariums zum vernetzten Denken
x
10
Inhalt
Das Prinzip Hoffnung
x
Der Kiosk am Gleis
x
Der Fahrradkurier
Gut gerüstet ist halb angekommen
x
Im Parallelschwung zum Erfolg
Das schwedische Möbelhaus
x
Ein Hafen als Tor zum Osten
Standortwechsel eines Straßenbahnherstellers
x
Eine Brauerei auf der Jagd nach Profit
Forst- und Papierindustrie in Nordeuropa
Teil B – Strategie
Schwierigkeitsgrad
Umfang der Lösung
Vernetztes Denken
Themenschwerpunkte Strategische Entscheidungen Zielsetzung, Planung Umfeld Branche Wettbewerb Standort Internationale Märkte Marketing Standardisierung Kaufverhalten Logistik Finanzierung Personalmanagement Organisationskultur Unternehmensgründung
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11
Inhalt
„Die Stadt gehört Dir.“
Der Weg der 1.000 Leiden
x
Kundenorientierung im Museum
x x x x x x
Der Zoo der Zukunft
x
Tante Emma goes InterCity
x x x x x
Tante Emma goes Internet
x
Eine Nacht in Eis und Schnee
Die zarteste Versuchung
x
Das Wirtshaus in Schwechat
Red Bull verleiht Flüüügel
Teil C – Marketing
Schwierigkeitsgrad
Umfang der Lösung
Vernetztes Denken
Themenschwerpunkte Strategische Entscheidungen Zielsetzung, Planung Umfeld Produkt-/Sortimentspolitik Dienstleistungen Werbung Verkaufsförderung Public Relations Sponsoring Distributionspolitik Kontrahierungspolitik Kundenorientierung Logistik Unternehmensgründung Projektmanagement
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12
Inhalt
Über den Tellerrand
Unter den Alpen hindurch
Hochwasserschutz in den Alpen
Vom Tagebau zum Badesee
Kiruna zieht um
Erlebnis Eisenbahn
Schanzenbau in Klingenthal
Die Grenzenlose Gartenschau
Zukunftsfähiges Wohnen in Malmö
Zwischen Abriß und Aufbruch
Teil D – Öffentliche Wirtschaft
x
x x x
x x
x x x
x x x
Schwierigkeitsgrad
Umfang der Lösung
Vernetztes Denken
Themenschwerpunkte Strategische Entscheidungen Zielsetzung, Planung Umfeld Branche Standort Infrastruktur Nachhaltige Entwicklung Regionalökonomie Angebot/Nachfrage Marketing Logistik Finanzierung Innovation Projektmanagement Tourismus
x x
x
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Zur Bearbeitung von Fallstudien
1
13
Zur Bearbeitung von Fallstudien „All the professional schools face the same difficult challenge: how to prepare students for the world of practice“.1
Wozu dienen Fallstudien? Bereits 1870 begann man in der Harvard Law School, mit Fallstudien zu arbeiten. Etwa 50 Jahre später folgte die Harvard Business School. Seitdem haben sich Fallstudien als ein höchst geeignetes, an den sich verändernden Herausforderungen stets orientiertes didaktisches Instrument bestens etabliert. Fallstudien dienen in erster Linie der Verknüpfung von (erlernter) Theorie und praxisrelevanten Problemstellungen. Darüber hinaus werden durch die gemeinsame Bearbeitung von Fallstudien Analysefähigkeiten, vernetztes Denken, Teamfähigkeit und andere (Führungs-)Kompetenzen – je nach Bedarf – gefördert. Fallstudien können eingesetzt werden, um eine neue Thematik einzuführen oder um bereits erlerntes Wissen zu vertiefen und anzuwenden.
Welche Arten von Fallstudien gibt es? Die Gestaltung von Fallstudien unterscheidet sich je nach ihrem didaktischen Ziel. Nachfolgend werden ausgewählte Arten von Fallstudien kurz charakterisiert2: • Case Method (Entscheidungsfall): Bei dieser Variante werden alle notwendigen Information bereitgestellt und das Problem genannt. Ziel ist es, das Problem zu lösen. • Case Study Method (Problemfindungsfall): Hierbei wird eine umfassende und idealerweise wahrheitsgetreue praktische Situation geschildert. Alle nötigen Informationen werden bereitgestellt, die Probleme jedoch nicht im einzelnen genannt. Ziel ist es, den Sachverhalt zu analysieren, mögliche Probleme aufzuzeigen und mögliche Lösungen zu erarbeiten. • Stated Problem Method (Bewertungsfall): Bei dieser Art der Fallstudie werden neben den Ausgangsinformationen auch Lösungen präsentiert. Dies dient dazu, einen Einblick in Entscheidungsprozesse in der Praxis zu erhalten und diese kritisch zu hinterfragen. • Case Incident Method (Informationsfall): Hierbei wird nur eine unvollständige Problembeschreibung bereitgestellt. Durch gezielte Fragen und eigenständige Recherchen wird der Sachverhalt detaillierter beschrieben. Anschließend können Lösungsvorschläge erarbeitet werden. 1 2
Garvin, David A.: Making the Case, in: Harvard Magazine, September-October 2003, 56 vgl. Brunner, Friedrich; Friedrichsmeier, Helmut: Entscheidungen sind gefragt, Wien 1999, 10
14
Einleitung
Wie löst man Fallstudien? Bei der erstmaligen Konfrontation mit einer Fallstudie ist man üblicherweise unsicher und weiß nicht so recht, wie man bei deren Lösung vorgehen soll. Dabei bietet sich folgende Schrittfolge3 an: • Konfrontation mit dem Fall: Der erste Schritt dient dazu, den Sachverhalt, die beteiligten Personen sowie die Rahmenbedingungen kennenzulernen. Je nach Gestaltung der Fallstudie könnten hier bereits die Problemstellung und Lösungsalternativen genannt werden. • Beschaffung und Auswertung von Informationen: Zur Lösung der Fallstudie ist es überlicherweise nötig, weitere Informationen zu beschaffen. Dies kann durch eigenständige Recherche oder Befragung (von Experten) geschehen. Anschließend gilt es, die zusätzlich beschafften Informationen auszuwerten und mit den bereits vorhandenen zu verknüpfen. • Entscheidungsfindung: Oft zeigt sich, daß sich zur Lösung eines Problems mehrere Möglichkeiten bieten. In diesem Schritt sollten zunächst alle Lösungsalternativen hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile sowie der sich ergebenden Konsequenzen analysiert werden. Um trotz verschiedener Lösungsmöglichkeiten letztendlich nicht handlungsunfähig zu sein, ist es notwendig, aus den Alternativen eine erfolgversprechende auszuwählen. Die Entscheidungen sollten stets schriftlich fixiert werden, so daß sie auch ein Außenstehender nachvollziehen kann. • Diskussion der Ergebnisse: Im nächsten Schritt werden die Lösungen verschiedener Arbeitsgruppen gegenübergestellt. Dabei sollten die Argumente und Ergebnisse der anderen kritisch geprüft und auch die eigenen Lösungsvorschläge hinterfragt werden. „Patentlösungen“ gibt es – wie auch in der Lebenspraxis – nicht. • Vergleich mit der Praxis: Schließlich können die Ergebnisse der Arbeitsgruppen mit Lösungsalternativen aus der Praxis (sofern vorhanden) verglichen werden. Basiert die Fallbeschreibung auf einem realen Fall, ist es interessant zu sehen, wo Übereinstimmungen und Abweichungen im Lösungsprozeß liegen. Letztlich besteht die berufliche und unternehmerische Praxis ausschließlich aus Fällen. Theoretisches (Fach-)Wissen allein hilft bei der Lösung solcher Probleme kaum. Stets geht es um die Verknüpfung von Wissen, sozialen Fähigkeiten und der richtigen Herangehensweise. Derartiges läßt sich im Rahmen des Studiums wie auch später nur über die Lösung von entsprechenden Problemstellungen erlernen und trainieren. Genau dieser Umstand mag für sich und die Fallstudienmethodik gleichermaßen sprechen.
3
vgl. Weitz, Bernd O.: Fallstudienarbeit in der ökonomischen Bildung, in: Hochschuldidaktische Schriften des Instituts für Betriebswirtschaftslehre der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Nr. 4/2000, Halle (Saale) 2000, 13
Instrumente des vernetzten Denkens
2
15
Instrumente des vernetzten Denkens
Was ist vernetztes Denken? Zur Bewältigung komplexer Problemsituationen können verschiedene Methoden angewandt werden. Eine dieser Methoden ist die Methodik des vernetzten Denkens. Unter vernetztem Denken, in einer älteren Interpretation des Begriffes auch kybernetisches Denken genannt, wird ein Denken in systematischen Mustern und gleichzeitig dynamischen Strukturen verstanden. Dies soll eine Abkehr vom reinen linearen Ursache-Wirkungs-Denken bewirken und zum Verständnis komplexer Systeme und deren Verhaltens führen. Die Methodik des vernetzten Denkens hilft, anhand verschiedener Schritte und Instrumente strukturiert bzw. systematisch vorzugehen. Sie ermöglicht es dem Problemlöser, einen gewissen Anstoß in bezug auf ein reflektiertes Denken in Zusammenhang mit zu treffenden Entscheidungen zu erlangen. Vorteil des vernetzten Denkens gegenüber anderen Problemlösungsmethoden ist, daß nicht nur schnell greifende Lösungsmöglichkeiten gesucht und implementiert werden, sondern neben der Wirksamkeit der Methoden auch Wechselwirkungen mit anderen Faktoren und Spätfolgen einkalkuliert und gegebenenfalls neue, mitunter vielleicht weniger wirksame, aber gleichzeitig weniger „schädliche“ Lösungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden können. Das dargestellte Instrumentarium zeichnet sich insbesondere durch seine analytische Kraft aus, die man nicht entwickeln kann, wenn irgendwie an eine – gerade komplexe – Problemstellung herangegangen wird. Ein weiterer Vorteil der Methodik des vernetzten Denkens ist, daß alle Instrumente und die zugrundeliegenden Gedankengänge durchaus einfach, übersichtlich und für jedermann relativ gut nachvollziehbar sind. Wenn man ein komplexes System bzw. eine komplexe Problemsituation verstehen möchte, sollte man nicht aus dem System heraus bzw. vom Problem aus auf die Umwelt schauen und von dort aus versuchen, Entwicklungen und Faktoren zu analysieren. Zielführender ist ein Blick „von außen nach innen“ – in das eigene System hinein, um dessen Struktur und Verhalten zu untersuchen. Dadurch kann festgestellt werden, mit welchen Systemteilen gesteuert werden kann, welche Teile sich nicht zur Steuerung eignen, wo sich Puffer befinden, wie flexibel das System insgesamt ist, wie seine Selbstregulation funktioniert, wo es Symbiosemöglichkeiten gibt usw. Bei der Untersuchung helfen können beispielsweise Wirkungsgefüge, Einflußmatrizen, Portfolios und Szenarien. Mithilfe dieser Instrumente sind Aussagen darüber möglich, wie sich das System bei Eintreten eines bestimmten Umweltzustandes wahrscheinlich verhalten wird, wie es auf bestimmte Veränderungen reagiert, wie sein Verhalten möglicherweise verbessert bzw. optimiert werden kann. Die möglichen Strategien zur Veränderung einer gegebenen Situation sollten also nicht von außen bestimmt, sondern durch das System selbst vorgegeben werden.
16
Einleitung
Dabei sollte stets versucht werden, daß System stabil und weniger störungsanfällig zu machen.1 Ziel dieses Instrumentariums ist nicht das Erreichen größtmöglicher Objektivität, da es sich hierbei stets um subjektive Betrachtungen handelt. Auch werden die Ergebnisse nie wirklich vollständig sein, vielmehr geht es um Facettenreichtum und das Erkennen von grundlegenden Zusammenhängen und Wirkungsweisen sowie das Betrachten eines komplexen Problems aus verschiedenen Perspektiven. Ideal ist es daher, wenn die Instrumente von verschiedenen Personen zur Problemanalyse genutzt und die dadurch gewonnenen Erkenntnisse zusammengeführt werden. Dabei sollte man sich allerdings auch bewußt sein, daß die Instrumente Werkzeugcharakter aufweisen, wobei – wie im Handwerk – gilt, daß gute Werkzeuge nicht unbedingt ein gutes Produkt garantieren. Die langjährige Praxis zeigt, daß der Einsatz des Instrumentariums bei verschiedenen ökonomischen und gesellschaftlich relevanten Problemstellungen äußerst lohnenswert ist und sich auch aufgrund der stets zu erzielenden „Aha-Effekte“ sehr bewährt hat. Zudem kann es auch Spaß machen, wenn man sich dafür begeistern läßt und eigenständig bestimmten Problemen, Sachverhalten usw. auf den Grund gehen will. Die einzelnen Instrumente2 und deren Anwendung sollen nun anhand eines konkreten, durchgängigen Beispiels und diesbezüglicher Fragestellungen verdeutlicht werden.
1
vgl. Vester, Frederic: Die Kunst vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, Stuttgart 1999, 100ff 2 Die hier dargestellte Reihenfolge muß nicht unbedingt eingehalten werden. Sollte sich bei der Problembearbeitung beispielsweise die Ausgangslage verändern, sind jederzeit Rücksprünge zu bereits angewandten Instrumenten möglich. Ebenso können – wenn es die Problemstellung rechtfertigt – auch nur bestimmte Instrumente herausgegriffen werden. Natürlich steht es dem Problemlöser ebenso frei, die beschriebenen Instrumente weiterzuentwickeln, was aufgrund der Struktur des gesamten Instrumentariums durchaus möglich ist.
17
Instrumente des vernetzten Denkens
Auf den Spuren von Tarzan und Jane Die Talsperre Pöhl, auch „Vogtländisches Meer“ genannt, ist die größte der sieben vogtländischen Talsperren. Mit ihren 27 km Ufer bietet sie vielfältige Möglichkeiten für den Wassersport. In Spitzenzeiten werden pro Saison 1 Mio. Badegäste gezählt. Das Landschaftsschutzgebiet um die Talsperre zählt mit rund 4.000 Hektar zu den größten sächsischen Sommererholungsgebieten.
Talsperre Pöhl
MS Plauen
Seit 2004 gibt es dort eine zusätzliche touristische Attraktion – einen Kletterwald. In die Region gelangt ist die Idee vom Kletterwald durch den Plauener Jörg Böhm, der in Frankreich auf das Konzept aufmerksam wurde. Dort gibt es mittlerweile rund 300 solcher Einrichtungen. Böhm war überzeugt, daß dieses Konzept auch in Deutschland funktioniert. Auch der Pöhler Bürgermeister sowie der Zweckverband Talsperre Pöhl zeigten sich begeistert, kam doch auf diese Weise eine weitere Attraktion in der Gemeinde hinzu.3 Im Herbst 2003 waren in Pöhl französische Spezialisten aktiv, die mehrere Parcours und zahlreiche Seile montierten. Eine Besonderheit des Kletterwaldes ist, daß keine zusätzlichen künstlichen Bauten geschaffen werden, sondern das eingesetzt wurde, was die Natur vor Ort bot. Das heißt, die Plattformen und Seile wurden an die im Waldstück vorhandenen Bäume montiert, ohne daß diese in irgendeiner Weise Schaden erleiden. Der Wald bleibt dabei von allen Seiten begehbar. 150.000 Euro waren für den Bau veranschlagt. Nach zweijähriger Vorbereitung – von der Objektsuche über Behördengänge bis zur Errichtung – öffneten sich im April 2004 die Tore des ersten Kletterwaldes in Deutschland für das Publikum. Seitdem können sich dort nach vorheriger Einweisung Groß und Klein wie Tarzan und Jane zwischen den Bäumen bewegen: „Einhängen, einhängen, doppelt gesichert mit Haken und Handschuhen wie ein Bergsteiger stehe ich auf der Holzplanke, los geht’s. Mit etwas zittrigen Knien wackle ich in knapp fünf Meter Höhe über den Waldboden, auf einem noch mehr wackelnden Seil zwischen zwei großen Bäumen. Dazwischen rauscht der Wind. Nach ein paar Minuten Anstrengung lande ich auf der am anderen Stamm befestigten Holzplattform. Geschafft. Nächste Hürde. Nach zwei Stunden Balancieren, Laufen, Hangeln und sich in Netze fallen lassen, wunderbar, ist der Kletterwald bezwungen.“4 Angeboten werden inzwischen sechs verschiedene Parcours: Einweisung, Spaß, Spiel, Fitness, Abenteuer, Risiko. Enthalten in diesen Parcours sind 107 Elemente5, darunter z.B. Seilwände, Strickleitern, Seilbahnen und Tarzansprünge: „Zwischen den Fichten führen ‚Wege‘ aus rostbeständigen, galvanisierten Kabeln und Holzlatten zwischen Brettergestellen, die
3
vgl. Franck, Beate: Geschäftsidee aus Frankreich im Vogtland, in: Frankenpost, 24.08.2007, 3 Blenz, Frank: Klettern wie ein kleiner Junge, in: Freie Presse, 14.10.2003, 14 5 vgl. Kletterwald Pöhl: Die Parcours, http://www.kletterwald.de, 14.04.2009 4
18
Einleitung
an die Stämme befestigt wurden. Von Station zu Station steigender Schwierigkeitsgrade [...] braucht der trainierte Kletterer ein, zwei Stunden.“6
In luftiger Höhe ...
... von Baum zu Baum
Genutzt wird der Kletterwald nicht nur von Kindern, Jugendlichen, Familien und Sportbegeisterten, sondern auch von Vereinen und Unternehmen. Selbst die Feuerwehr trainiert hier.7 Natürlich muß auch den Anforderungen an die Sicherheit der Nutzer Rechnung getragen werden. Dies wird gewährleistet durch eine umfassende Einweisung vor Beginn, eine ständige Überwachung durch geschultes Personal, eine ununterbrochene Sicherung durch ein professionelles System sowie eine regelmäßige Überprüfung durch unabhängige Prüfinstitute. Für die Saison 2009 wurden Leitern nachgerüstet, die es Helfern im Notfall gestatten, schneller vor Ort zu sein. Bislang war dies nur durch Heranklettern möglich.8 Mittlerweile gibt es zahlreiche Nachahmer, und auch von Böhm werden weitere Kletterwälder – Hohe Düne, Lützen, Schöneck und Speyer – betrieben.9 Auch auf der im Frühjahr und Sommer in Reichenbach im Vogtland stattfindenden Landesgartenschau entstand unter Böhms Regie ein Kletterwald.10
6
Blenz, Frank: Klettern wie ein kleiner Junge, in: Freie Presse, 14.10.2003, 14 vgl. Franck, Beate: Geschäftsidee aus Frankreich im Vogtland, in: Frankenpost, 24.08.2007, 3 vgl. Kertscher, Gabi: Ganz sicher durch Wald klettern, in: Markt-Platz, 04.04.2009, 8 9 vgl. Kletterwald Pöhl: Hier kannst du was erleben ..., http://www.kletterwald.de, 14.04.2009 10 vgl. o.V.: Steilbahn als i-Punkt der Landesgartenschau, in: Freie Presse, 05.03.2009, 17 7 8
Instrumente des vernetzten Denkens
19
Wie können Ziele analysiert werden? Einen der häufigsten Fehler im Umgang mit komplexen Problemsituationen stellt die unsystematische Zielsetzung dar. Ziele sollten so gesetzt werden, daß sie die Lebensfähigkeit eines Systems sichern bzw. erhöhen. Oft werden Ziele aber nur zum Selbstzweck gesetzt: Ein Unternehmen möchte z.B. größer als ein Konkurrenzunternehmen sein, es will seine Absatzmenge steigern oder eine Innovation schneller auf den Markt bringen. Dabei wird nicht selten übersehen, daß Wachstum ab einem bestimmten Punkt auch Inflexibilität mit sich bringt, höhere Absatzzahlen vom Markt abhängiger machen und Innovationen nicht zwangsläufig einen wirklichen Fortschritt bedeuten. In vielen Fällen werden Ziele nicht mit, sondern eher gegen das System gesetzt, wie beispielsweise zahlreiche Fusionsbestrebungen mit dem Ziel größerer Marktmacht und Einflußmöglichkeiten zeigen, die letztendlich aber scheiterten. Immer dann, wenn die eigenen Zielvorstellungen („Soll“) von der realen Situation („Ist“) abweichen, werden Problemlösungsprozesse veranlaßt. Ein Problem liegt demzufolge vor, wenn sich bei gleichbleibenden Zielen eine tatsächliche Situation ändert oder die Ziele bei gleichbleibender Wirklichkeit modifiziert werden. Zu Beginn eines Problemlösungsprozesses sollte man sich daher einen Überblick über die Situation verschaffen: Wie sehen die Zielvorstellungen aus? Wie stellt sich die Realität dar? Dazu ist es erforderlich, • die Ziele klar, präzise und unmißverständlich zu formulieren, • konkrete Teilziele abzuleiten, • beim Auftreten von Zielbündeln die Ziele mit Prioritäten zu versehen, • die Konsistenz der Ziele mit übergeordneten Wertvorstellungen und Normen zu überprüfen, • die Ziele unter Berücksichtigung einer größtmöglichen Objektivität zu setzen und dabei auch die Unwägbarkeiten selektiver Wahrnehmung zu berücksichtigen. Anschließend sollten die bereits formulierten bzw. gesetzten Ziele prüfend hinterfragt werden: • Ist das Oberziel klar und unmißverständlich formuliert? • Sind ausgehend von diesem Oberziel (sinnvolle) Teilziele abgeleitet worden? • Sind diese Ziele von allen Beteiligten und aus ethischer Sicht vertretbar? • Sind diesen Teilzielen Prioritäten zugeordnet bzw. sind diese Teilziele in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht worden? • Ist für alle Ziele ein realistischer Zeitrahmen festgelegt worden?11
11 vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Instrumente zum Management komplexer Problemsituationen, Hamburg 1999, 6f
20
Einleitung
· Welche Ziele könnte sich der Betreiber des Kletterwaldes im Rahmen der Bau- und Betriebsphase gesetzt haben? Welcher Zeitrahmen ist dafür realistisch? Prioritäten Ziele des Projekts Oberziel erfolgreicher Betrieb des Kletterwaldes Teilziele 1 Errichtung des Kletterwaldes an der Talsperre Pöhl 2 3 4
Bereitstellung eines attraktiven Angebots hohe Besucherzahlen, um Errichtungskosten schnell amortisieren zu können Integration der Freizeiteinrichtung in das vorhandene touristische Konzept der Region
Zeitrahmen ab April 2004 bis spätestens April 2004 ab April 2004 kontinuierlich kontinuierlich
Tabelle 2-1 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen
Welche Bedeutung hat das Umfeld? Oft werden bei der Bearbeitung komplexer Problemsituationen unterschiedliche Systemebenen – die zu betrachtende, übergeordnete und untergeordnete – vermischt. Die Datenerfassung kann sich dadurch problematisch gestalten. Die entstehende Informationsflut führt dazu, daß wichtige Vernetzungen, Wechselwirkungen, Rückwirkungen und Zeitverzögerungen übersehen werden. Deshalb ist es wichtig, die Stellung des zu untersuchenden Systems innerhalb der es umgebenden Wirtschaft und Gesellschaft einzuordnen, um die relevanten Perspektiven bzw. Sichtweisen zu erkennen. Dazu bietet sich folgende Vorgehensweise an: 1. Zunächst wird die betrachtete Systemebene identifiziert. Dabei muß es sich nicht notwendigerweise um die mittlere Ebene handeln. 2. Anschließend ermittelt man die nächsthöheren sowie die höchste noch interessierende Ebene. Gleichermaßen wird mit den tieferen Ebenen verfahren. 3. Nun bestimmt man die gleichrangigen Ebenen. 4. Abschließend wird die Umgebung des Systems identifiziert. Ist dies geschehen, untersucht man alle erfaßten Ebenen hinsichtlich ihrer Ansichten und Einstellungen zur Problemstellung. Auf diese Weise kann herausgefunden werden, ob bei der Lösung des Problems eher mit Unterstützung oder Widerstand zu rechnen ist.12
12
vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Vernetztes Denken I, Berlin 2000, 21f
21
Instrumente des vernetzten Denkens
· Wer sind im vorliegenden Fall die entscheidenden Akteure bzw. Betroffenen? Welche Ziele haben diese sich gesetzt bzw. welche Ansichten vertreten sie?
Zweckverband Talsperre Pöhl
Tourismusverband Region
Bürgermeister der Gemeinde Pöhl
Landkreis
Betreiber
andere Freizeiteinrichtungen
private Besucher
Organisationen
Abbildung 2-1 Betrachtung des Umfeldes (Hauptakteure) Hauptakteure Jörg Böhm, Betreiber
Ziele und Ansichten • • • •
erfolgreicher Betrieb des Kletterwaldes Bereitstellung eines attraktiven Angebots hohe Besucherzahlen, um Errichtungskosten schnell amortisieren zu können Integration der Freizeiteinrichtung in das vorhandene touristische Konzept der Region
Bürgermeister der Gemeinde Pöhl
• •
Schaffung einer weiteren attraktiven Freizeiteinrichtung Integration der Freizeiteinrichtung in das vorhandene touristische Konzept der Region
Zweckverband Talsperre Pöhl
• • •
Schaffung einer weiteren attraktiven Freizeiteinrichtung Integration der Freizeiteinrichtung in das vorhandene touristische Konzept der Region Synergieeffekte für andere Einrichtungen rund um die Talsperre
private Besucher
•
Nutzung einer attraktiven Freizeiteinrichtung
Organisationen
•
Nutzung einer attraktiven Trainingsmöglichkeit
Landkreis, Tourismusverband Region
• •
Schaffung einer weiteren attraktiven Freizeiteinrichtung Integration der Freizeiteinrichtung in das vorhandene touristische Konzept der Region Synergieeffekte für andere Einrichtungen in der Region
•
Tabelle 2-2 Hauptakteure, deren Ziele und Ansichten
22
Einleitung
Wie können Ideen systematisiert werden? Hierzu bietet sich die Technik des Mindmapping an, das an verschiedenen Stellen des Analyseprozesses zum Einsatz kommen kann. Es eignet sich z.B. besonders gut zur Analyse und Strukturierung komplexer Problemsituationen, zur Planung oder zur Strategiesuche. Die Technik des Mindmapping geht auf Tony Buzan13 zurück. Es handelt sich dabei um ein Instrument zur Erleichterung der Brainstorming-Technik, wobei das zu bearbeitende Problem bildlich dargestellt wird. Identifizierte Faktoren oder gefundene Ideen werden in Form von „Ästen“ (bzw. auch „Kästen“) systematisiert bzw. thematisch angeordnet. Hierbei können wichtige Aspekte besonders herausgestellt oder auch Zusammenhänge verdeutlicht werden. Durch seine offene Struktur kann ein Mindmap nach allen Seiten wachsen und jederzeit ergänzt werden. Nachteilig ist die starke Vereinfachung komplizierter Sachverhalte: So leicht, wie es sich in einem Mindmap darstellt, lassen sich komplexe Situationen nicht überschauen. Wie wird zur Erstellung eines Mindmaps vorgegangen? 1. Den Ausgangspunkt bildet das zu lösende Problem, das in der Mitte eines möglichst großen Blattes notiert wird. 2. Ausgehend davon werden die einzelnen Ideen bzw. Aspekte in Form von „Ästen“ (oder auch „Kästen“) festgehalten. Neue Aspekte und Ideen, die mit bereits notierten zusammenhängen, werden an den jeweiligen Ästen ergänzt. Auf diese Weise kann das Mindmap nach allen Seiten wachsen. 3. Zusammenhänge zwischen den einzelnen Ästen können durch Verbindungslinien oder Pfeile deutlich gemacht werden. 4. Ebenso können zur Unterscheidung bzw. Hervorhebung von Ideen bzw. Aspekten unterschiedliche Farben, Unterstreichungen, Umrandungen usw. verwendet werden. Wird ein Mindmap im Team erstellt, können sich die Beteiligten gegenseitig inspirieren. Anschließend sollten die Aufzeichnungen auf ihre Sinnhaftigkeit und Brauchbarkeit untersucht werden.14
13
siehe dazu auch Buzan, Tony; Buzan, Barry: Das Mind-Map-Buch, Heidelberg 2005; Buzan, Tony; North, Vanda: Business Mind Mapping – visuell organisieren, übersichtlich strukturieren, Arbeitstechniken optimieren, Frankfurt/M./Wien 2002; Müller, Horst: Mind Mapping, Planegg 2008 14 vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Kreativitätstechniken, Hamburg 2000, 24ff
23
Instrumente des vernetzten Denkens
· Welche betriebswirtschaftlichen Aspekte spielen beim Betrieb des Kletterwaldes eine entscheidende Rolle?
Höhe kostenorientiert
Organisationen (Vereine, Unternehmen)
nachfrageorientiert
Sportbegeisterte
Differenzierung
Klettern in freier Natur kalkuliertes Risiko genießen
Familien
nach Alter
Kinder, Jugendliche
nach Saison Touristen
nach Wochentag
Einheimische Zielgruppen/ potentielle Besucher
Kombi-Angebote Familien Gruppen
107 Elemente: Seilbahnen, Tarzansprünge, Seilwände, Strickleitern, Hängebrücken sechs verschiedene Parcours
Umsatz
verschiedene Schwierigkeitsgrade
Schulklassen Eintrittspreise
Angebot
Personal
Sommerhalbjahr
Kletterwald
Vollzeitkräfte
Winterhalbjahr
Teilzeitkräfte
Mo-Fr
saisonabhängig
Wochenende
Kompetenz
Feiertage Kosten
Öffnungszeiten
Errichtung Personal
Werbung gemeinsam mit Region
Wartung Marketing
Ergänzung des touristischen Angebots zielgruppenspezifisch
Risiken Wetterabhängigkeit Kosten/ Amortisation Sicherheitsprobleme
Abbildung 2-2 Mindmap: Wesentliche betriebswirtschaftliche Aspekte des Kletterwaldes
24
Einleitung
Welche Zusammenhänge bestehen? Ein weiterer Fehler bei der Auseinandersetzung mit komplexen Problemsituationen besteht häufig darin, daß Zusammenhänge unterschätzt bzw. gar nicht erkannt werden. Doch gerade diese Zusammenhänge und Wirkungsbeziehungen, daraus resultierende Nebenwirkungen und auftretende Rückkopplungen sind bei der Analyse einer Problemsituation von großer Bedeutung. Sind diese Zusammenhänge nicht erkannt, wird auch die Erfassung noch so detaillierter Daten nicht zum Ziel führen. Erst wenn die Zusammenhänge zwischen Systemelementen erfaßt sind, können Aussagen über Störanfälligkeit, Regelkreise, Abhängigkeit des Systems von der Umwelt usw. getroffen werden. Aus dem Zusammenspiel der Systemelemente kann abgeleitet werden, welche Teilbereiche für das System besonders wichtig sind und an welchen Stellen unbedachte Eingriffe u.U. verheerende Folgen haben könnten. Um in eine komplexe Problemsituation zielgerichtet einzugreifen, ohne jedoch den Selbstregelungsmechanismus des Systems zu zerstören, benötigt man ein genaues Bild des Wirkungsgefüges bzw. Beeinflussungsmusters. Das nachfolgende Instrument dient dazu, die Zusammenhänge zwischen Zielgrößen und Einflußfaktoren bzw. Systemelementen aufzuzeigen. Es soll untersuchen, inwieweit Faktoren und Elemente vernetzt sind, wie und wie schnell sie aufeinander wirken. Dabei geht es um die Beantwortung folgender Fragen: 1. Was sind relevante Einflußfaktoren? – Zunächst gilt es, die für das System relevanten internen und externen Faktoren und Einflußgrößen zu identifizieren. 2. Welche Einflußfaktoren wirken aufeinander? – Nun werden Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren in einem Wirkungsgefüge erfaßt. Die jeweiligen Wirkungsbeziehungen können durch Pfeile deutlich gemacht werden. 3. In welcher Richtung wirken die Einflußfaktoren? – Anschließend wird untersucht, ob es sich bei den Wirkungsbeziehungen um gleichgerichtete oder entgegen gerichtete Wirkungen handelt. Von einer gleichgerichteten Beziehung spricht man dann, wenn bei einem gegebenen Zusammenhang zwischen den Faktoren A und B der Faktor B zunimmt, wenn auch A zunimmt. Im Wirkungsgefüge wird die Wirkungsrichtung durch ein „+“ (für eine gleichgerichtete Beziehung) bzw. ein „-“ (für eine entgegen gerichtete Beziehung) gekennzeichnet. 4. Treten Wirkungen schnell oder mit zeitlicher Verzögerung ein? – Abschließend können die Fristigkeiten der Wirkungen (kurz-, mittel- oder langfristig) im Wirkungsgefüge dargestellt werden. Dies kann z.B. durch unterschiedliche Pfeildicken oder verschiedene Farben erfolgen.15
15
vgl. Strunz, Herbert; Dorsch, Monique: Internationalisierung der mittelständischen Wirtschaft, Frankfurt/M. 2001, 28
25
Instrumente des vernetzten Denkens
· Analysieren und beschreiben Sie die Zusammenhänge der für den erfolgreichen Betrieb des Kletterwaldes entscheidenden Faktoren!
Angebot
+ +
+
+
+ Öffnungszeiten
+
+
Besucher
+
+
+ Personal
+ -
+
+
+
+
-
-
+ Finanzen
Eintrittspreise -
+
+
+
+
Werbung
Abbildung 2-3 Wirkungsgefüge16
Zum besseren Verständnis des entwickelten Wirkungsgefüges oder Netzwerkes empfiehlt es sich, die einzelnen Wirkungsbeziehungen näher zu beschreiben. Dies kann z.B. wie in folgender Tabelle geschehen: Wirkung von ... Angebot
auf ... Besucher Eintrittspreise Personal Finanzen Werbung
Öffnungszeiten
Besucher Personal
Besucher
Angebot Öffnungszeiten
16
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je attraktiver das Angebot, um so mehr Besucher je umfangreicher das Angebot, um so höher müßten die Eintrittspreise angesetzt werden je umfangreicher das Angebot, um so mehr Personal ist erforderlich (vgl. Einweisung, Absicherung usw.) je umfangreicher das Angebot, um so schlechter die Finanzlage (vgl. Wartung) die Art des Angebots wird sich auf die Gestaltung der Werbemaßnahmen auswirken je günstiger die Öffnungszeiten, um so mehr Besucher werden kommen können je umfangreicher die Öffnungszeiten, um so mehr Personal wird benötigt je anspruchsvoller die Besucher, um so attraktiver muß Angebot sein nach den potentiellen Besuchern (= Zielgruppen) werden sich die Öffnungszeiten richten müssen
Auf eine Angabe der Fristigkeiten wurde bei diesem Beispiel verzichtet.
26
Einleitung
Fortsetzung
Wirkung von ... Besucher
auf ... Eintrittspreise Personal Finanzen Werbung
Eintrittspreise
Angebot Besucher Finanzen
Personal
Angebot Öffnungszeiten Besucher
Finanzen
Finanzen Angebot Eintrittspreise Personal
Werbung Werbung
Besucher Finanzen
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je höher die Preisbereitschaft der Besucher, um so höher können die Eintrittspreise angesetzt werden je mehr Besucher, um so mehr Personal wird benötigt je mehr Besucher, um so besser die Finanzlage je anspruchsvoller die Besucher, um so anspruchsvoller müssen Werbemaßnahmen sein je höher die Eintrittspreise, um so umfangreicher sollte das Angebot sein je geringer die Eintrittspreise, um so mehr Besucher je höher die Eintrittspreise, um so besser die Finanzlage (gleichbleibende Besucherzahl vorausgesetzt) je mehr Personal vorhanden, um so umfangreicher kann das Angebot sein je mehr Personal vorhanden, um so länger können die Öffnungszeiten sein je mehr Personal vorhanden, um so intensiver können Besucher betreut werden je mehr Personal vorhanden, um so schlechter die Finanzlage je besser die Finanzlage, um so mehr kann in das Angebot investiert werden je schlechter die Finanzlage, um so höher wahrscheinlich die Eintrittspreise je besser die Finanzlage, um so mehr Personal kann eingestellt werden bzw. um so besser kann Personal entlohnt werden je besser die Finanzlage, um so mehr kann in Werbemaßnahmen investiert werden je mehr Werbemaßnahmen, um so mehr potentielle Besucher werden wahrscheinlich auf Kletterwald aufmerksam je mehr Werbemaßnahmen, um so angespannter die Finanzlage
Tabelle 2-3 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Wie stark wirken Einflußfaktoren? Üblicherweise sind nicht alle Wirkungen zwischen den einzelnen Faktoren gleich stark. Über die einfache Erfassung der Wirkungszusammenhänge hinaus sollten diese deshalb auch hinsichtlich ihrer Stärke bewertet werden. Dazu kann in wenigen Schritten eine sogenannte Wirkungsmatrix17 erstellt werden: 1. Alle im Wirkungsgefüge erfaßten Faktoren werden zunächst in die Kopfspalten und -zeilen der Matrix eingetragen. 2. Anschließend schätzt man die Stärke der direkten Wirkung zwischen je zwei Faktoren anhand einer zuvor festgelegten Skala (z.B. von „0“ für keine oder ei17
vgl. den von Vester entwickelten „Papiercomputer“ (Vester, Frederic: Die Kunst vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, Stuttgart 1999, 165); während Vester den „Papiercomputer“ unabhängig vom Wirkungsgefüge einsetzt, soll die Wirkungsmatrix hier zur detaillierteren Betrachtung der zuvor festgehaltenen Vernetzungen dienen.
27
Instrumente des vernetzten Denkens
ne äußerst geringe Wirkung bis „3“ für eine starke Wirkung) ein. Der jeweilige Wert wird in das entsprechende Feld der Matrix eingetragen. 3. Sind alle Wirkungen bewertet, werden die Werte zeilen- bzw. spaltenweise addiert. Hohe Zeilensummen zeigen dabei an, daß der betreffende Einflußfaktor andere Faktoren (sehr) stark beeinflußt. Faktoren, die hohe Spaltensummen aufweisen, werden von anderen Faktoren (sehr) stark beeinflußt.18 · Wie sieht eine aus dem Wirkungsgefüge abgeleitete Wirkungsmatrix aus?
Finanzen
Werbung
Zeilensumme
3 3 x 3 2 0 2 13
2 2 3 0 3 0 2 3 3 x 0 3 0 x 3 2 2 x 0 0 3 6 10 15 2 = mittelstarker Einfluß 3 = starker Einfluß
1 0 1 0 0 2 x 4
11 6 13 8 10 9 5 x
Personal
0 x 2 0 3 0 0 5
Eintrittspreise
Besucher
von auf Angebot x Öffnungszeiten 0 Besucher 2 Eintrittspreise 2 Personal 2 Finanzen 3 Werbung 0 Spaltensumme 9 0 = kein oder sehr geringer Einfluß 1 = geringer Einfluß
Öffnungszeiten
Angebot
Wirkung
Abbildung 2-4 Wirkungsmatrix
Die größten Einflüsse gehen vom Angebot aus. Es entscheidet zum einen, inwieweit potentielle Besucher zum Kletterwald kommen. Zum anderen zieht es z.B. Entscheidungen im Bereich des Personals oder der Eintrittspreise nach sich. Eine große Wirkung geht auch von der Finanzlage aus, die die Basis für mögliche unternehmerische Aktivitäten bildet. Die Besucher unterliegen den stärksten Wirkungen. Neben dem Angebot wären hier insbesondere Öffnungszeiten und Eintrittspreise zu nennen.
18 vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Instrumente zum Management komplexer Problemsituationen, Hamburg 1999, 16f
28
Einleitung
Welche Kategorien von Einflußfaktoren gibt es? Die in der Wirkungsmatrix ermittelten Ergebnisse lassen sich nun in ein sogenanntes „Intensitätsportfolio“19 übertragen. Mithilfe dieses Portfolios können die Einflußfaktoren in vier verschiedene Kategorien – kritische, aktive, reaktive und träge Faktoren – klassifiziert werden. Konkret geht man dabei wie folgt vor: 1. Zunächst wird das Portfolio selbst erstellt. Die Maximalwerte der Achsen (Einflußnahme = Abszisse, Beeinflußbarkeit = Ordinate) leiten sich aus der Anzahl der Einflußfaktoren ab.20 2. Nun werden die Faktoren in das Portfolio eingetragen. Die Koordinaten der Faktoren ergeben sich aus den jeweiligen Zeilensummen (Abszissenwerte) und Spaltensummen (Ordinatenwerte) in der Wirkungsmatrix. 3. Anschließend teilt man das entstehende Portfolio in die vier Felder „kritisch“, „aktiv“, „reaktiv“ und „träge“ ein und interpretiert das Ergebnis. Ausgehend von dieser Zuordnung lassen sich Handlungsempfehlungen ableiten bzw. Aussagen über deren Auswirkungen treffen: • Kritische Faktoren wirken stark auf andere Faktoren und werden selbst auch stark von anderen Faktoren beeinflußt. Sie sind daher als eine Art „Initialzündung“ geeignet. Steuerungseingriffe sollten hierbei jedoch äußerst vorsichtig vorgenommen werden, da durch unkontrolliertes Aufschaukeln auch das gesamte System aus dem Gleichgewicht geraten kann. • Auch aktive Faktoren wirken stark auf andere Faktoren, werden allerdings selbst weniger von anderen Faktoren beeinflußt. Steuerungseingriffe sind hier gut möglich, sollten dennoch mit Bedacht erfolgen, da dies (mitunter unvorhergesehene) Auswirkungen auf das System zur Folge haben kann. • Reaktive Faktoren beeinflussen andere Faktoren nur schwach, werden aber selbst stark von anderen Faktoren beeinflußt. Steuerungseingriffe bei diesen Faktoren haben im allgemeinen keine nennenswerten Auswirkungen auf das System. Diese Faktoren eignen sich jedoch gut, um Auswirkungen von Steuerungseingriffen bei anderen Faktoren abzuschätzen. • Träge Faktoren beeinflussen andere Faktoren nur schwach und unterliegen auch geringen Einflüssen. Eingriffe bei solchen Faktoren beinhalten ein recht geringes Risiko, bewirken aber dementsprechend wenig. Faktoren, die sich im mittleren Bereich des Portfolios ansiedeln, eignen sich eher schlecht zur gezielten Steuerung des Systems. Gleichzeitig spielen sie aber für die Selbstregulation eine wichtige Rolle.21
19
Das Intensitätsportfolio wurde von Vester und von Hesler entwickelt (vgl. Vester, Frederic; von Hesler, Alexander: Sensivitätsmodell, Frankfurt/M. 1980). Anzahl der Einflußfaktoren = x; Maximalwert = (x – 1) * 3 21 vgl. Vester, Frederic: Die Kunst vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, Stuttgart 1999, 205 20
29
Instrumente des vernetzten Denkens
· Wie stellen sich die untersuchten Faktoren in einem Intensitätsportfolio dar?
18
Beeinflußbarkeit
REAKTIV
KRITISCH
16 F 14 B 12
10
P A
8
6
B
Besucher
A
Angebot
Ö
Öffnungszeiten
E
Eintrittspreise
W
Werbung
P
Personal
F
Finanzen
E Ö P
4
W
2
TRÄGE 0
2
4
AKTIV 6
8
10
12
14
Einflußnahme 16
18
Abbildung 2-5 Intensitätsportfolio Kritische Faktoren
•
•
Die Besucher sind entscheidend für den Erfolg des Kletterwaldes. Sie reagieren auf das Angebot durch Annahme oder Ablehnung. Sie können durch Hinweise und Anregungen aktiv an der Gestaltung des Angebots mitwirken. Das Personal wirkt aktiv an der Gestaltung des Kletterwaldes mit, unterliegt aber gleichzeitig verschiedensten Einflüssen, wie z.B. der finanziellen Lage.
Aktive Faktoren
•
Das hier stark zum kritischen Bereich tendierende Angebot wird von den Betreibern geschaffen, die Art des Angebots wird über dessen Akzeptanz bei den Zielgruppen entscheiden.
Reaktive Faktoren
•
Die in der Nähe des kritischen Bereichs angesiedelte Finanzlage leitet sich aus den durch den Bau des Kletterwaldes anfallenden Kosten in Höhe von 150.000 € sowie den Betriebskosten (Personalkosten, Wartungskosten, Sicherheitschecks) ab. Wesentlicher entgegen wirkender Einflußfaktor ist hier der Umsatz, der aus den Besucherzahlen und der Höhe der Eintrittspreise resultiert.
Träge Faktoren
•
Die Öffnungszeiten sollten eine gewisse Konstanz aufweisen, so daß sich die Besucher darauf verlassen können. Sie richten sich nach den Öffnungszeiten der anderen Attraktionen in der näheren Umgebung, nach der Anzahl des verfügbaren Personals sowie auch nach natürlichen Gegebenheiten (vgl. Einbruch der Dunkelheit) oder Feiertagen und Ferienzeiten.
30
Einleitung
Fortsetzung
Träge Faktoren
•
•
Die Eintrittspreise sind das Resultat verschiedener Faktoren: die dem Angebot zugrundeliegende Kosten, der Preisakzeptanz seitens der Besucher, Preise anderer Freizeiteinrichtungen. Sie sind zwar veränderbar, sollten aber nicht ständig schwanken. Werbung sollte eher aktiv wirken, positioniert sich hier aber im Rahmen der ausgewählten Faktoren als träger Faktor. Eine mögliche Erklärung wäre, daß sich die Vermarktung des Kletterwaldes in das GesamtTourismus-Konzept der Region eingliedern sollte und damit „Alleingänge“ eher kontraproduktiv wären.
Tabelle 2-4 Erläuterung der Faktoren
Welche Entwicklungen sind möglich? Die Planung und Umsetzung von Problemlösungsmaßnahmen erfordert einen enormen Zeitaufwand. Soll ein Problemlösungsprozeß erfolgreich verlaufen, müssen die in der Gegenwart entwickelten Lösungsmaßnahmen auch in Zukunft noch angemessen und wirksam sein. Dazu ist es also erforderlich, Entwicklungen zu antizipieren, künftige Veränderungsmöglichkeiten einer gegenwärtigen Problemsituation zu erfassen und zu interpretieren. Zukünftige Entwicklungen von komplexen Situationen lassen sich nicht genau vorhersagen. Dies liegt daran, daß ihre Faktoren und Wirkungen ständigen Veränderungen und wechselnden Einflußstärken unterliegen. Es können daher lediglich Szenarien für mögliche Entwicklungen aufgestellt werden. Mit Hilfe von Szenarien können künftige Entwicklungsmöglichkeiten einer gegenwärtig gegebenen Situation – anhand der momentan verfügbaren Informationen – antizipiert werden. Dadurch soll es dem Betrachter möglich werden, sich auf Veränderungen vorzubereiten und die davon betroffenen eigenen Ziele und Maßnahmen entsprechend anzupassen. Derartige Szenarien können gleichermaßen für kurz-, mittel- oder langfristige Zeiträume entwickelt werden.22 Bei der Erstellung eines Szenarios wird in folgenden Schritten vorgegangen: 1. Ausgehend vom zuvor erstellten Wirkungsgefüge werden Faktoren ermittelt, die man selbst nur bedingt bzw. nicht steuern kann. Diese (Schlüssel-) Faktoren werden in Gruppen (Umfeldsegmenten) zusammengefaßt. 2. Einen wesentlichen Schritt stellt das Aufzeigen von Entwicklungsmöglichkeiten der (Schlüssel-)Faktoren dar. Dabei ist es günstig, ein optimistisches, pessimistisches und wahrscheinliches Szenario zu erstellen. So wird eine gewisse Bandbreite abgesteckt, innerhalb derer sich die betrachteten Faktoren entwikkeln könnten. 3. Die Trendaussagen sollten aussagekräftig und knapp gehalten werden. Zudem werden sie bezüglich ihrer Wirkung auf die Zielgröße bewertet, beispielsweise
22
vgl. Strunz, Herbert; Dorsch, Monique: Internationalisierung der mittelständischen Wirtschaft, Frankfurt/M. 2001, 63
Instrumente des vernetzten Denkens
31
anhand einer Skala von „++“ (für sehr günstige Wirkung) bis „--“ (für sehr ungünstige Wirkung) erfolgen. 4. Schließlich sollte untersucht werden, inwieweit die sich im Szenario abzeichnende Entwicklung die Durchführung des Projektes bzw. Vorhabens unterstützen oder gefährden kann.23 Da die Aufstellung von Szenarien üblicherweise von Unsicherheiten gekennzeichnet ist, sollte man sich bei der Erarbeitung von Problemlösungsmaßnahmen nicht nur auf ein Szenario verlassen, sondern verschiedene Varianten erstellen. · Welche externen Faktoren könnten sich auf den Betrieb des Kletterwaldes auswirken? Wirkung auf den Kletterwald Entwicklung – Trendaussagen O) nimmt zu + P) nimmt ab W) nimmt zu + Anzahl O) über den Erwartungen ++ P) unter den Erwartungen W) den Erwartungen entsprechend + Kaufkraft O) bleibt + P) nimmt ab -W) konjunkturbeeinflußt Verkehrsanbindung O) wird verbessert + Kommune/ Landkreis P) verschlechtert sich (z.B. im Bereich ÖPNV) W) bleibt +/Tourismusmarketing O) Intensität wird verstärkt + P) bleibt W) Intensität wird verstärkt + O) bleibt +/Andere Freizeit- Anzahl angebote P) nimmt stark zu -W) nimmt zu Attraktivität O) bleibt +/P) nimmt zu W) nimmt zu Witterungsbedingungen O) lange Schönwetterperioden + Klima P) lange Schlechtwetterperioden W) nicht vorhersagbar +/O) bleiben + Rechtliches Um- Sicherheitsauflagen feld P) werden verschärft W) bleiben + O) Entwicklung bei optimistischer Betrachtung ++ (sehr günstige Wirkung) bis P) Entwicklung bei pessimistischer Betrachtung -- (sehr ungünstige Wirkung) W) Wahrscheinliche Entwicklung Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Interesse Besucher
Tabelle 2-5 Mögliche Entwicklungen
23
vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Vernetztes Denken II, Berlin 2000, 7f
32
Einleitung
Welche Steuerungsmöglichkeiten gibt es? Mithilfe der bisherigen Instrumente wurde die Problemsituation bzw. das betrachtete System hinsichtlich des Eigenverhaltens untersucht. Nun ist es von Interesse, welche Möglichkeiten des eigenen Eingreifens sich bieten. Was allerdings steuerbar ist, hängt davon ab, wer in einer vorliegenden Problemsituation der eigentliche Problemlöser ist und welche Kompetenzen bzw. Machtbefugnisse er besitzt. Zunächst gilt es also, die Entscheidungsebene bzw. Lenkungsebene zu bestimmen, da diese die Steuerungsmöglichkeiten entscheidend beeinflussen. Zudem ist es von Relevanz, ob die möglichen Steuerungseingriffe auch langfristig erfolgreich sind. Deshalb sollten geeignete Indikatoren identifiziert werden, anhand derer sich die Wirksamkeit der Steuerungsmaßnahmen beurteilen läßt. Die zuvor im Szenario identifizierten Schlüsselfaktoren werden in dem folgenden Schritt hinsichtlich ihrer Steuerbarkeit durch den Problemlöser untersucht. Dabei werden vier Kategorien von Faktoren unterschieden: • Steuerbare Faktoren sind Umfeldfaktoren, die der Betrachter generell beeinflussen kann. • Aus der Gruppe der steuerbaren Faktoren werden die sogenannten wirksam steuerbaren Faktoren ermittelt. Dabei handelt es sich um Umfeldfaktoren, die man mit einem vertretbaren Aufwand wirksam beeinflussen kann. Es sollte ebenfalls untersucht werden, welche der betrachteten Faktoren auf einen Steuerungseingriff rasch und welche mit Verzögerung reagieren. Dadurch kann man vermeiden, daß bei nicht sofortigem Eintreten der erwarteten Wirkung ungeachtet der zeitlichen Verzögerung weitere Steuerungsmaßnahmen folgen und diese dann in Verbindung mit den anfänglichen Eingriffen zu einer Übersteuerung des Systems führen. • Umfeldfaktoren, die sich durch den Problemlöser nicht oder nur unwesentlich beeinflussen lassen, stellen nicht steuerbare Faktoren dar. Oft kann auf solche Faktoren nur indirekt (d.h. über andere Faktoren) eingewirkt werden. • Frühwarnindikatoren sind jene Faktoren, die geeignet sind, frühzeitig Veränderungen im Umfeld anzuzeigen.24 · Inwieweit können die im Szenario erfaßten Schlüsselfaktoren aus Sicht des Betreibers des Kletterwaldes gesteuert werden?
Steuerbare Faktoren
24
Faktoren
Begründung
•
Interesse der Besucher
•
•
Anzahl der Besucher
Generell kann der Betreiber durch Werbemaßnahmen das Interesse potentieller Besucher wecken und die Besucherzahlen durch die Gestaltung eines attraktiven Angebots, entsprechende Öffnungszeiten und akzeptable Eintrittspreise beeinflussen.
vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Vernetztes Denken II, Berlin 2000, 10ff
33
Instrumente des vernetzten Denkens Fortsetzung
Faktoren
Begründung
Steuerbare Faktoren
•
Verkehrsanbindung
•
•
Tourismusmarketing
Die Verkehrsanbindung sowie das Tourismusmarketing im Landkreis können zumindest teilweise, z.B. über aktive Mitarbeit in entsprechenden Gremien oder über Lobbyarbeit, beeinflußt werden.
Wirksam steuerbare Faktoren
•
Interesse der Besucher
•
s.o.
•
Anzahl der Besucher •
Die Kaufkraft resultiert aus der gesamtwirtschaftlichen Lage. Vom Betreiber des Kletterwaldes läßt sie sich nicht beeinflussen. Auch die Anzahl und Attraktivität anderer Freizeitangebote können vom Kletterwald aus nicht beeinflußt werden. Die Witterungsbedingungen sind als gegeben hinzunehmen. Sicherheitsauflagen, die z.B. infolge von Vorkommnissen in anderen Kletterwäldern verschärft werden, können nicht beeinflußt werden.
Nicht steuerbare • Faktoren •
Kaufkraft der Besucher Anzahl anderer Freizeitangebote
•
Attraktivität anderer Freizeitangebote
•
Witterungsbedingungen
•
Sicherheitsauflagen
• •
Frühwarnindikatoren
•
Kaufkraft der Besucher
•
Anzahl anderer Freizeitangebote
•
Diese Faktoren entwickeln sich im Zeitverlauf. Veränderungen treten dabei nicht schlagartig, sondern allmählich auf, so daß bei kontinuierlicher Beobachtung rechtzeitig reagiert werden kann.
Tabelle 2-6 Steuerbarkeit der Faktoren
Welche Umfeldeinflüsse sind relevant? Im Rahmen dieses Instruments werden die Einflüsse der Umfeldfaktoren auf die strategischen Aktionsfelder im Rahmen der Problemsituation untersucht. Strategische Aktionsfelder sind diejenigen Bereiche, die der Betrachter innerhalb seines Systems aktiv beeinflussen und damit auf die Erfüllung seiner Ziele hinarbeiten kann. Um die Einflußintensität der Umfeldfaktoren zu analysieren, kann auf eine sogenannte Umfeldeinflußmatrix zurückgegriffen werden.25 Zur konkreten Bewertung wird wie folgt vorgegangen: 1. In der linken Spalte der Matrix werden die einzelnen strategischen Aktionsfelder, in den Kopfspalten die relevanten Umfeldfaktoren eingetragen. 2. Nun wird die Wirkungsstärke der Umfeldfaktoren auf die Aktionsfelder anhand einer Skala von 0 (kein bzw. sehr geringer Einfluß) bis 3 (sehr starker Einfluß) bewertet. 3. Anschließend addiert man die Ergebnisse zeilen- und spaltenweise. Eine hohe Zeilensumme gibt dabei an, welche der Aktionsfelder den stärksten Einflüssen 25
Diese Matrix leitet sich aus dem von Vester entwickelten „Papiercomputer“ ab (vgl. Vester, Frederic: Die Kunst vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, Stuttgart 1999, 165).
34
Einleitung von außen unterlegen sind. Eine hohe Spaltensumme zeigt, welche Umfeldfaktoren am stärksten auf die Aktionsfelder wirken.26
Wie bei allen anderen Instrumenten gilt natürlich auch hier, daß die Ergebnisse der Analyse interpretiert werden sollten. Zunächst geht es darum, Konsequenzen für die strategischen Aktionsfelder abzuleiten. Nachdem in der Umfeldeinflußmatrix die Wirkungsstärken bewertet wurden, sollte nun überlegt werden, um welche Art von Einflüssen es sich im einzelnen handelt. Schließlich gilt es, Maßnahmen ausarbeiten, um auf die strategischen Aktionsfelder wirkende positive Einflüsse effizient nutzen bzw. negative Einflüsse entsprechend abfedern zu können. Beispielsweise könnten durch positive Einflüsse bereits implementierte Maßnahmen im Rahmen der strategischen Aktionsfelder gefördert und beschleunigt werden. Andererseits ist es natürlich auch möglich, daß externe Einflüsse den Verlauf eines Vorhabens negativ beeinflussen. Gerade dieser Aspekt ist erfahrungsgemäß nicht zu unterschätzen. · Welche Einflüsse haben die betrachteten Faktoren aus dem Umfeld auf die strategischen Aktionsfelder des Kletterwaldes? Im vorliegenden Beispiel wurden als strategische Aktionsfelder Angebot, Öffnungszeiten, Eintrittspreise, Werbung und Personal identifiziert. Als relevante Umfeldfaktoren wurden die im Szenario betrachteten Schlüsselfaktoren herangezogen.
Sicherheitsauflagen
Summe
0 2 3 3 2 1 1 2 0 0 2 2 0 3 3 3 0 0 1 1 2 6 10 11 2 = mittelstarker Einfluß 3 = starker Einfluß
Witterungsbedingungen
Attraktivität anderer Freizeitangebote
Anzahl anderer Freizeitangebote
1 1 3 2 0 7
Tourismusmarketing
3 3 3 3 3 15
Verkehrsanbindung
Kaufkraft der Besucher
Strategische Aktionsfelder Angebot 3 Öffnungszeiten 3 Eintrittspreise 3 Werbung 3 Personal 2 Summe 14 0 = kein oder sehr geringer Einfluß 1 = geringer Einfluß
Anzahl der Besucher
Interesse der Besucher
Umfeldfaktoren
3 2 0 0 0 5
3 0 0 0 3 6
21 15 13 17 10 x
Tabelle 2-7 Umfeldeinflußmatrix
26 vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Instrumente zum Management komplexer Problemsituationen, Hamburg 1999, 17f
Instrumente des vernetzten Denkens
35
Aus der Matrix geht hervor, daß Zahl und Interesse der Besucher, für die der Wald ja konzipiert wurde, die stärksten Wirkungen auf die strategischen Aktionsfelder des Kletterwaldes ausüben. Gleichermaßen wirken Anzahl und Attraktivität alternativer Freizeiteinrichtungen. Den stärksten Einflüssen unterliegt das Angebot, das nicht nur an den Bedürfnissen der potentiellen Nutzer ausgerichtet, sondern z.B. auch Anforderungen an die Sicherheit gerecht werden muß. Beeinflussend wirken hier auch die Witterungsbedingungen. Obwohl eine Nutzung des Waldes bei Regen möglich wäre, werden in Schlechtwetterperioden wahrscheinlich weniger Besucher kommen.
Wie geht es weiter? Die bisherige Analyse bildet den Grundstock für die weitere Arbeit. Nachdem eine komplexe Problemsituation aus verschiedenen Blickrichtungen untersucht wurde, sollen nun verschiedene Handlungsalternativen aufgezeigt und letztendlich Handlungsempfehlungen erarbeitet werden. Dabei stehen folgende Problemkreise im Vordergrund: • Komplexe Problemsituationen lassen im allgemeinen viele verschiedene Handlungsmöglichkeiten zu. Um ein Problem zu lösen, sind oft verschiedene Maßnahmen erforderlich. Hierbei ist es von besonderer Bedeutung, daß diese Maßnahmen sowohl inhaltlich als auch zeitlich aufeinander abgestimmt sind. • Wurden verschiedene Handlungsmöglichkeiten oder Strategien entwickelt, muß die beste bzw. effektivste Strategie ausgewählt werden. Dazu werden die einzelnen Möglichkeiten bewertet und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit in der Problemsituation analysiert. • Insgesamt gilt es also, grundsätzlich mögliche Handlungsalternativen und Strategien zu identifizieren und in einem weiteren Schritt inhaltlich und zeitlich zueinander passende, möglichst effektive Maßnahmen abzuleiten.27 Komplexe Problemsituationen lassen sich durch ein einmaliges steuerndes Eingreifen nicht dauerhaft lösen. Da sie sich ständig weiterentwickeln, ist zum einen eine weitere Beobachtung, zum anderen eine Anpassung der eingeleiteten Maßnahmen notwendig. Um (mögliche) Veränderungen der Situation richtig einschätzen und die Maßnahmen entsprechend adaptieren zu können, bedarf es einer Vielzahl von Informationen. Im Rahmen einer abschließenden Betrachtung der Problemanalyse sind folgende Fragen von Bedeutung: • Wie kann sichergestellt werden, daß die Auswirkungen der Steuerungseingriffe und damit verbundene Veränderungen der Problemsituation in Zukunft wahrgenommen, erfaßt und entsprechend interpretiert werden? • Wie kann zukünftig – unter Nutzung vorhandener Regelkreise – ein selbsttätiger Ablauf von Problemlösungsprozessen gefördert werden? • Wie kann die Weiterentwicklung einer Problemlösung unterstützt bzw. die Lernfähigkeit des Systems entwickelt und forciert werden? 27
vgl. Karbach, Rolf; Dorsch, Monique: Vernetztes Denken II, Berlin 2000, 16ff
36
Einleitung
Management
A
1
Die Anwaltskanzlei
38
2
Projekt-Mißmanagement oder Theorie vs. Praxis
42
3
Der Sommerjob
50
4
Umstieg auf Bus und Bahn
54
5
Wir bauen auf und reißen nieder ...
58
6
Einem Ingenieur ist nichts zu schwör
65
7
Krise im Museum
71
8
Veränderung um jeden Preis
78
9
Wie ein Rädchen im Getriebe
81
10 Arbeiten in Schweden
86
Management
38
1
Die Anwaltskanzlei „Wenn ein Jurist den Raum betritt, muß es um ein paar Grade kälter werden.“ (Walter Hallstein3)
Adele Advokat hat vor wenigen Jahren in ihrer deutschen Heimat ihr zweites Staatsexamen in Jura abgelegt und arbeitet seitdem in einer Anwaltskanzlei. Nebenbei absolviert sie gerade ein Doktoratsstudium. Sollte es mit den diesbezüglichen Arbeiten wie geplant vorangehen, wird sie das Studium in wenigen Monaten abschließen können. Die A&B-Kanzlei, in der Adele arbeitet, hat ihren Sitz in Österreich. Die Partner der Kanzlei, die Herren Adam und Bertram, haben sich vor kurzem getrennt. Dabei blieben die Mitarbeiter, die bisher vorwiegend mit Adam zusammengearbeitet hatten, bei ihm, während die anderen Mitarbeiter zusammen mit Bertram die Kanzlei verließen. Wenig später fusionierte Adam mit der Kanzlei eines anderen Anwaltskollegen, Clemens, zur A&C-Kanzlei. Adams und Clemens‘ Kanzleien haben in der Vergangenheit verschiedene Schwerpunkte bearbeitet, wodurch das Gesamtangebot der neuen Sozietät an Attraktivität gewinnen soll. Bertram war derjenige, der stets den Überblick behalten und die Dinge gelenkt hatte. Adam wird sich nun zunehmend bewußt, daß er all jene Aufgaben, die Bertram früher bewältigte, nicht allein lösen kann. Sein neuer Partner Clemens soll von diesem Problem jedoch nichts erfahren. Er will aber auch keinen seiner Mitarbeiter ins Vertrauen ziehen und die Aufgaben neu verteilen. Auch um sich zu beweisen, akquiriert Adam – seine eigentliche Kernkompetenz – nun mit viel Geschick einen Auftrag nach dem anderen, bei deren Bearbeitung werden aber die bisherigen Kunden zunehmend vernachlässigt. Die Mitarbeiter der beiden neuen Partner haben kaum Kontakt miteinander, man kennt sich teilweise nur dem Namen nach, hat sich aber noch nicht gesehen. Allerdings sind die Mitarbeiter nicht so ahnungslos wie Adam vermutet. Beim gemeinsamen Mittagessen außerhalb der Kanzlei hat man sich schon vor einiger Zeit ausgesprochen. Da sie von ihren Kollegen ähnliche Erlebnisse und Ansichten geschildert bekamen, fühlten sich die meisten in ihren Vermutungen bestärkt: Wenn es so weiter geht, wird die Kanzlei mehr und mehr Mandanten verlieren. Mehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, hat es Adam lange Zeit versäumt, die erbrachten Leistungen seiner Mitarbeiter entsprechend zu würdigen. Im Gegenteil: Perfekte Leistung wird vorausgesetzt, beim kleinsten Fehler braust Adam auf, ohne nach den wirklichen Fehlerquellen zu fragen. Während immer mehr Kollegen nun auch offen über eine Kündigung sprechen oder bereits schon gekündigt haben, hält Adele – trotz Zweifeln – die Stellung. Als sich ihr Kollege Hermann zur Fertigstellung seiner Dissertation eine „Auszeit“ nimmt,
3
Harenberg Lexikon der Sprichwörter und Zitate, Dortmund 2001, 628
Die Anwaltskanzlei
39
werden ihr zahlreiche bisher von Hermann vertretene Holocaust-Fälle israelischer Mandanten, bei denen es um Entschädigungszahlungen geht, übergeben. Adele sieht darin eine große Chance und macht sich engagiert an die Arbeit.
Anschiß
Als Hermann kurze Zeit später die Kanzlei besucht, fragt er Adele ganz nebenbei, ob sie denn nun auch mit zur nächsten wichtigen Verhandlung nach Tel Aviv fahren würde. Adele ist erstaunt: „Tel Aviv? Wie kommst du darauf? Wer fährt denn dorthin?“ Hermann schildert ihr nun hinter vorgehaltener Hand, daß Adam bereits verschiedene Mitarbeiter (darunter auch ihn, obwohl er ja eigentlich im Prüfungsurlaub sei) gefragt habe, ob sie zu einem Mandantentreffen in Sachen HolocaustFälle mit nach Israel kommen würden. Bislang habe sich aber noch kein Mitarbeiter bereit erklärt. Adele sagt vorerst nichts dazu. Auf dem Heimweg und auch in den folgenden Tagen kann sie allerdings kaum an etwas anderes denken und wartet ständig darauf, von Adam ebenfalls angesprochen zu werden. Die Tage vergehen ... Zwei Wochen später ist sie immer noch nicht gefragt worden. Sie kann sich allerdings nicht erklä-
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ren, warum. Bisher hat sie immer ausgezeichnete Arbeit geleistet und ist, zumindest in den ersten Monaten, auch häufig dafür gelobt worden. Kurz darauf, als sie mit ihrer Kollegin Claudia gemeinsam beim Mittagessen sitzt, spricht sie diese auf den Flug nach Tel Aviv an. Auch Claudia war von Adam gebeten worden, ihn dorthin zu begleiten. Sie hatte jedoch mit der Begründung abgelehnt, daß schließlich Adele für die Betreuung der Fälle zuständig sei und ihr es doch wohl als erster zustünde, nach Israel zu fahren. Adam hatte daraufhin etwas herumgedruckst und schließlich gemeint: „Adele kann ich nicht mitnehmen, die ist zu deutsch und zu blond!“ Aufgabe 1 Wie würden Sie das allgemeine Arbeitsklima in der Kanzlei beschreiben? Aufgabe 2 Wie beurteilen Sie die Kommunikationsprozesse in der Organisation? Aufgabe 3 Wie hat Adele Ihrer Meinung nach auf Adams Äußerung reagiert? Aufgabe 4 Wie kam es zur beschriebenen Situation? Wer hat welche Fehler gemacht? Aufgabe 5 Kann man die Situation „retten“? Wenn ja, wie?
Die Anwaltskanzlei
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Lösung Aufgabe 1 In der Kanzlei herrscht eine gespannte Lage. Von einem angenehmen Arbeitsklima kann nicht mehr gesprochen werden. (Offizielle) Kommunikations- und Informationsflüsse funktionieren schlecht. Die Mitarbeiter sind demotiviert, denken an einen Arbeitsplatzwechsel. Aufgabe 2 Die Kommunikationsprozesse in der Organisation funktionieren nicht mehr richtig. Informationsflüsse sind weder von oben nach unten noch umgekehrt garantiert. Kommunikation soll im Unternehmen vier Aufgaben erfüllen: Information, Motivation, Ausdruck von Emotionen und Kontrolle. Im vorliegenden Fall werden diese Aufgaben schlecht bzw. nicht erfüllt: Über den wahren Stand der Dinge werden Mitarbeiter und Partner nicht informiert, was zu Gerüchten und falschen Schlußfolgerungen führen kann. Kommunikation wurde schon lange nicht mehr zum Zwecke der Motivation eingesetzt, was Mitarbeiter vielleicht auch als Geringschätzung ihrer Leistung interpretieren. Emotionen sind bei Adam i.d.R. nicht sichtbar, und wenn, dann in Form von cholerischen Ausbrüchen. Kontrollieren möchte Adam sicher schon, setzt dabei aber nicht immer am richtigen Punkt an. Aufgabe 3 Adele ist enttäuscht. Sie hat erwartet, daß sie Adam auf der Reise begleiten kann. Sie kann nicht verstehen, daß Adam nicht mit ihr gesprochen hat und daß er – praktisch hinter ihrem Rücken – alle anderen Mitarbeiter informiert hat. Sie interpretiert dies folgerichtig als Vertrauensbruch. Sie hat nach einiger Zeit Adam darauf angesprochen und nach einer Erklärung für sein Verhalten gesucht. Sicher wird sie nun ihre Konsequenzen aus dem Vorfall ziehen, indem sie beispielsweise die Kanzlei nach erfolgreicher Promotion verläßt. Aufgabe 4 Der vorliegende Fall ist wahrscheinlich nur ein Beispiel für schlechte Kommunikation innerhalb der Kanzlei. Nach Trennung der beiden Partner folgte sofort die Fusion mit einer anderen Kanzlei, ohne die Gründe der Trennung vom alten Partner genau zu analysieren, die Organisationsstrukturen zu überdenken und vielleicht an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen. Die Mitarbeiter der beiden neuen Partner kennen einander kaum persönlich, Kommunikationsflüsse sind nicht optimal. Es kann vermutet werden, daß zwischen anderen Mitarbeitern ebenfalls auf schlechte Kommunikation zurückzuführende Probleme bestehen. Adam hat versäumt, rechtzeitig mit Adele zu sprechen. Er hätte ihr das Problem und seine (interkulturellen) Bedenken offen darlegen sollen. Noch schlimmer ist aber, daß er alle anderen Mitarbeiter (hinter Adeles Rücken) über seine Bedenken in Kenntnis gesetzt hat. Auch für die Mitarbeiter ist dies ein schwieriger Fall: Hermann hat die geplante Reise nur beiläufig erwähnt, ohne zu wissen, daß Adele nichts von den Plänen ahnt. Er befand sich dann in einer Zwangslage, mußte ihr praktisch „reinen Wein einschenken“. Claudia rückte erst mit der Sprache heraus, als Adele sie konkret darauf ansprach. Sie hätte vielleicht auch eher etwas sagen können, nachdem sie das Reiseangebot mit einer plausiblen Begründung abgelehnt hatte. Aufgabe 5 Die Situation zu retten, wird schwierig. Adele wird das Ereignis nicht so schnell vergessen können. Beim derzeitigen Arbeitsklima ist es nur wahrscheinlich, daß sie sich auch nach einer anderen Stelle umsieht. Angesichts der Kündigungen anderer frustrierter Mitarbeiter sollte Adam um jeden fähigen Mitarbeiter kämpfen. Wenn es schon aufgrund der interkulturellen Spannungen nicht möglich ist, Adele mit zur Verhandlung zu nehmen, sollten ihr doch zumindest eine vergleichbare Chance und langfristig berufliche Aufstiegschancen geboten werden.
Management
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2
Projekt-Mißmanagement oder Theorie vs. Praxis Theorie ist, wenn jeder weiß, wie’s geht, aber nichts klappt. Praxis ist, wenn alles klappt, aber keiner weiß, warum. Uns ist es gelungen, Theorie und Praxis zu verbinden: bei uns klappt nichts, und keiner weiß, warum. (unbekannt)
Vor einiger Zeit hatte eine Gruppe von Wissenschaftlern und Praktikern aus Österreich die Idee, gemeinsam eine Studie zu den Marktgegebenheiten auf dem Gesundheitssektor im arabischen Raum durchzuführen. Finanziert werden sollte die Studie mithilfe des Studienfonds einer Bank, deren wesentliche Aufgabe darin besteht, die staatliche Exportförderung zu koordinieren. In den arabischen Ländern besteht ein großer Nachholbedarf auf dem Medizinsektor, den man für die einheimische Industrie konkretisieren wollte. Verschiedene Gutachten von Unternehmen wurden eingeholt, die die vermuteten Potentiale bestätigten. Im Herbst desselben Jahres wurde das Projekt genehmigt. Das Projektteam setzte sich wie folgt zusammen: Projektleitung Koordination
Sachbearbeiter
Konsulenten
Non-profit-Organisation G. Herr E. – 54 Jahre, Generalsekretär Ingenieurbüro A. Herr F. – 60 Jahre, Ingenieur, Geschäftsführer Herr C. – 30 Jahre, Ingenieur, Mitarbeiter des Ingenieurbüros A. Herr P. – 45 Jahre, Statistiker, Professor an einer österreichischen Universität Herr S. – 38 Jahre, Ökonom, Professor an einer deutschen Hochschule Frau D. – 26 Jahre, Betriebswirtin, Assistentin von Herrn S. Herr K. – 50 Jahre, Jurist, Geschäftsführer eines international tätigen Unternehmens der Medizintechnik Herr W. – 67 Jahre, Ingenieur, pensionierter Generaldirektor eines großen Konzerns der Medizinbranche
Tabelle 2-1 Zusammensetzung des Projektteams
Nachdem das Projekt genehmigt und die Bank die Finanzierung zugesichert hatte, wurde auf der ersten Projektsitzung die weitere Vorgehensweise beschlossen. Der Projektablauf war wie folgt geplant: 1. Definition der Projektziele
• • • •
2. Erhebung und Dokumentation der bestehenden Unterlagen
• • • •
Erhebungen und Besprechungen mit Betroffenen und Entscheidungsträgern Dokumentation und Ableitung angestrebter Lösungen Abstimmung mit den Entscheidungsträgern Formulierung der Projektziele (Was wollen wir?) Erhebungen bestehender Informationen und Statistiken Dokumentation mit funktionellem Bezug der Informationen Interpretation der Relevanz der Verwendbarkeit in Erreichung der definierten Projektziele eventuell erforderliche Rücksprachen mit den Erstellern der Unterlagen
Projekt-Mißmanagement oder Theorie vs. Praxis
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Fortsetzung
3. Örtliche Erhebungen der bestehenden Situation
•
4. Ganzheitliche Darstellung des Projektes unter Beachtung der Zusammenhänge
•
5. Ableitung von Planungsparametern in Form eines Pflichtenheftes zur Erreichung der Projektziele 6. Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen auf Basis des Pflichtenheftes
•
• • •
• •
• • •
• 7. Bewertung und • Selektion der eingeholten Lösungs- • vorschläge • • 8. Kosten-Wirksam• keits-Analysen der einzelnen Lösungs- • vorschläge 9. Definition der selektierten Lösungsvorschläge
• • • • •
Ergänzungen der Unterlagen und Informationen durch Vor-OrtErhebungen digitale Fotodokumentation relevanter Einrichtungen Erhebung bestehender Organisationsabläufe Erhebung der Aufbau- und Ablauforganisation des Gesundheitsdienstes (System und personelle Besetzung) Definition der Systemelemente (Strukturen, Abläufe, Nutzenparameter, Qualitätsparameter usw.) Bestimmung der Abhängigkeiten mittels Einflußmatrix systemanalytische Auswertung und Interpretation in bezug auf die angepeilten Projektziele Darstellung von Teilszenarien, welche die Projektziele im Zusammenhang mit der Ist-Situation aufzeigen Ableitung von Vorgaben (bzw. Empfehlungen), in Abstimmung mit den Auftraggebern, für die Planung Verfassen des Pflichtenheftes interdisziplinäre Teamarbeit für die Ideenbringung von Lösungen zur Erreichung der Projektziele unter Beachtung der Vorgaben des Pflichtenheftes evtl. Einschaltung externer Experten oder internationaler Konsulenten objektive Bewertung in Relation des Zielerreichungsgrades auf Basis des Pflichtenheftes mit den Erkenntnissen des Systemansatzes subjektive Bewertung in Abstimmung mit den Entscheidungsträgern Selektion der Lösung für die Weiterbearbeitung eventuell erforderliche Anpassung an zusätzliche Vorgaben Darstellung der Gesamtwirkungen im System und Beschreibung der sich bei der Umsetzung ergebenden Nutzenkomponenten generelle Kostenberechnung für die Abwicklung (eventuell Simulation der Varianten) Beschreibung der Maßnahmen Darstellung der Umsetzungsstrategien Darstellung des erzielbaren Gesamtnutzens Auflistung der erforderlichen Kosten politische, funktionelle und organisatorische begleitende Maßnahmen zur optimalen Erreichung der Zielvorgaben
Tabelle 2-2 Geplanter Projektablauf
Das grundsätzliche Projektziel bestand darin, Exportmöglichkeiten österreichischer Unternehmen auf dem Gesundheitssektor in den arabischen Ländern zu analysieren bzw. zu prognostizieren. Dazu sollten das Angebot der österreichischen Firmen und die Nachfrage in den arabischen Ländern gegenübergestellt und Möglichkeiten zur Intensivierung der Exporte aufgezeigt werden. Die österreichische Angebotspalette betreffend sollten dazu folgende Punkte untersucht werden: • österreichische Warenexporte – Schwerpunkt Medizintechnik und Pharmazie, • Planungs- und Beratungsleistung auf dem Gesundheitssektor (gesundheitspolitische und administrative Bereiche, z.B. Dokumentationssysteme, Finanzierungsund Abrechnungsmodelle für Gesundheitsleistungen usw.),
Management
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• Durchführung von Turn-key-Projekten für Gesundheitseinrichtungen, • Software und Know-how-Transfer speziell im Bereich der Telekommunikation im Gesundheitswesen (z.B. Krankenhausinformationssysteme, Systeme der Teleconsulting wie Teleradiologie, Teledermatologie, Telediagnostik usw.), • österreichische Investitionen für Gesundheitseinrichtungen in den arabischen Ländern. Zusätzlich wollte man sich in bezug auf die arabische Nachfrage noch folgenden Schwerpunkten widmen: • potentielle Erlöse durch Behandlung arabischer Patienten in Österreich, • etwaige Einnahmen für die österreichischen Krankenversicherungen durch gegenseitige Abkommen, • indirekte Erlöse über Umwegrentabilitäten (z.B. Kuraufenthalte), • mögliche arabische Investitionen im österreichischen Gesundheitsbereich, • eventuelle Erlöse durch den Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse. Zudem wollte man ein auf Frederic Vesters Sensitivitätsmodell3 basierendes Modell entwickeln, das Zusammenhänge und Wechselwirkungen der betrachteten Problembereiche widerspiegelt. Das zur Verfügung stehende Gesamtbudget belief sich auf etwas unter 150.000 Euro. Die Aufgabenverteilung im Team war wie folgt vorgesehen: Non-profit• Organisation G. Ingenieurbüro A. • • •
Auftragsakquisition und administrative Abwicklung Erstellung eines Fragebogens, mithilfe dessen vor Ort umfangreiche Daten zum medizinischen Status quo erhoben werden sollten Entwicklung eines Modells zur Darstellung von Zusammenhängen und Wechselwirkungen der betrachteten Problembereiche Einspeisung der erhobenen Daten
Sachbearbeiter
•
Sammlung volkswirtschaftlicher und gesundheitsspezifischer Daten zu Österreich und den einzelnen arabischen Ländern
Konsulenten
•
Bereitstellung spezifischer, mit der Abwicklung von Exporten und Direktinvestitionen in Zusammenhang stehender Informationen
Tabelle 2-3 Geplante Aufgabenverteilung
Aufgrund der großen räumlichen Distanz zwischen den einzelnen Projektmitarbeitern verließ man sich auf die moderne Technik. Das heißt, Daten und Informationen wurden nahezu ausschließlich per E-Mail ausgetauscht. Kleinere Unklarheiten wurden ab und zu in einem Telefongespräch geklärt. Zu einer wirklichen Diskussion gab es nur während der alle paar Wochen stattfindenden Projektsitzungen Gelegenheit. Daran nahmen aber nicht immer alle Projektmitarbeiter teil. Zur Abwicklung des Projekts war ein Zeitraum von sechs Monaten vorgesehen. Es zeigte sich jedoch recht schnell, daß eine Realisierung innerhalb dieser sechs Mo3
vgl. Vester, Frederic; Hesler, Alexander von: Sensitivitätsmodell, Frankfurt/M. 1980
Projekt-Mißmanagement oder Theorie vs. Praxis
45
nate aus verschiedenen Gründen nicht möglich war. So war es wesentlich schwieriger als ursprünglich angenommen, die nötigen statistischen Daten zu beschaffen. Auch funktionierte die Zuarbeit aus den Zielländern bei weitem nicht wie erhofft. Quantität und Qualität der zugelieferten Daten waren sehr unterschiedlich, so daß eine Vergleichbarkeit nicht immer gewährleistet war. Die Projektabwicklung zog sich also immer mehr in die Länge. Schon mehrmals war bei der finanzierenden Bank eine Verlängerung des Projektzeitraums beantragt worden. Nun aber stand fest, daß spätestens zwei Jahre nach Projektbeginn der Abschlußbericht abgeliefert werden sollte. Allmählich machte sich Hektik breit. In einer für ein Wochenende Ende Februar angesetzten Projektsitzung, an der erstmals alle Beteiligten teilnahmen, hoffte man, all jene Erkenntnisse zu gewinnen, zu denen man es während der letzten Monate nicht gebracht hatte. Es dauerte jedoch eine Weile, bis man zum „wirklichen Anliegen“ der Sitzung vordrang. Man hatte sich ja lange nicht gesehen und nutzte die kostbare Zeit zunächst, um Neuigkeiten auszutauschen. Man sprach über Golfhandikaps, die letzten Reisen oder begab sich gar auf die Suche nach potentiellen Kandidaten für eine neu zu besetzende Professorenstelle. Als wesentliche Voraussetzung das Gelingens bzw. Mißlingens des gegenständlichen Projekts erwiesen sich die handelnden Beteiligten, d.h. ihre Eigenschaften und ihr Verhalten. Aus diesem Grund seien im folgenden einige Charakteristika skizziert. Herr P.
• • •
Herr F.
• •
schüchtern, nervös und unsicher wurde relativ oft in dienstlichen Angelegenheiten auf seinem Handy angerufen und fand dadurch nicht die für das Projekt nötige Ruhe hatte am Tage der Sitzung mit einer Gelenkentzündung im Zeigefinger infolge übermäßiger Bedienung der Maustaste zu kämpfen, die ihn „gefechtsunfähig“ machte war relativ teilnahmslos, brachte sich zur Sache praktisch nicht ein, unterhielt sich aber gut mit alten Bekannten über seine bisherigen Erfolge vergaß, als er vorzeitig das Geschehen verließ, in der „Hektik“ seine Aktentasche
Herr C.
• •
äußerst schüchtern versteckte sich hinter seiner Computertechnik, die aber letztendlich nicht richtig funktionierte
Herr W.
•
erwartete als „Herr der alten Schule“, daß seine Anregungen kritiklos aufgenommen werden versuchte wiederholt, Frau D. – die einzige Frau im Bunde – mit seinem Charme zu beeindrucken
• Herr K.
• •
eleganter Herr in den besten Jahren traf wesentlich verspätet als Letzter ein, eine „liebenswürdige“ Eigenschaft, die ihn stets begleitet, wie Herr W. lächelnd anmerkte
Herr E.
•
versuchte abwechselnd, die Anwesenden zur Sache zu rufen, und mit seinem Charme ebenfalls zu beeindrucken
Herr S.
•
setzte sich diskret in einer wichtigen Phase der Sitzung aus nicht weiter erläuterten Gründen für längere Zeit ab
Frau D.
•
versuchte von Anfang an, der Sache mit dem nötigen Ernst zu begegnen, was sich durch die allgemeinen Umstände aber als schwieriges Unterfangen erwies
Tabelle 2-4 Charakteristika der Beteiligten
46
Management
Als sich endlich alle mit dem eigentlichen Diskussionsgegenstand befassen konnten, traten bisher unterdrückte Probleme ans Tageslicht. Im Projektverlauf hatte sich gezeigt, daß die geplante Erstellung eines Modells mit den spärlich vorhandenen Daten gar nicht realisierbar war. Kurzerhand wurde daher beschlossen, das vom Ingenieurbüro A. erstellte Modell zu kippen, wodurch das Projekt einen erheblichen Teil seiner Grundlage verlor. Übrig blieb lediglich eine mehr oder weniger vollständige Ansammlung statistischer Daten, die durchaus auch von einer einzigen Person mit Hilfe verschiedener Quellen hätte zusammengetragen werden können. Einige entscheidende Erkenntnisse wurden von den externen Konsulenten Herrn K. und Herrn W. beigetragen, die aus ihren langjährigen Erfahrungen im Export schöpfen konnten. Herr E. ließ schließlich seine umfassenden Kontakte spielen und trug in den Tagen nach der Sitzung per Telefon und Fax noch schnell einige Informationen aus den Zielländern zusammen. Herr S. und Frau D. verarbeiteten diese Informationen dann schließlich innerhalb kürzester Zeit zu einem 250 Seiten zählenden Abschlußbericht, der einige Tage später der Bank vorgelegt, von dieser abgenommen und etwas später einem interessierten Fachpublikum auch erfolgreich präsentiert wurde. Da das beabsichtigte Modell letztendlich nicht entwickelt wurde und sich das Ingenieurbüro A. in den letzten Phasen des Projekts auch nicht unbedingt kooperativ zeigte, beschloß Herr E. schließlich (auch vor dem Hintergrund der finanziell mißlichen Lage seiner Non-profit-Organisation), deren Honorar um die Hälfte zu kürzen. Herr F. vom Ingenieurbüro A. ist nun gerade dabei, den ihm seiner Meinung nach noch zustehenden Restbetrag einzuklagen. Während mittlerweile auch Herr P. einen Teil seiner zugesprochenen Vergütung erhalten hat, warten Herr S. und Frau D. noch immer auf ihr Geld. Aufgabe 1 Arbeiten Sie die wesentlichen Projektschritte heraus! Aufgabe 2 Wer hätte welche Beiträge leisten können bzw. sollen? Aufgabe 3 Wer hat welche Fehler gemacht? Versuchen Sie, die Ursachen des Mißerfolges im Verlauf der Bearbeitung der Studie zu erklären! Aufgabe 4 Wie hätte man die Erhebungen in den Zielländern optimal organisieren können? Aufgabe 5 Wie hätte man den Prozeß effektiver gestalten können? Wie könnte man eine derartige Studie optimal durchführen?
Projekt-Mißmanagement oder Theorie vs. Praxis
47
Lösung Aufgabe 1 Geplanter Ablauf
Tatsächlicher Ablauf
• •
• • • •
• • • • • • •
Definition der Projektziele Erhebung und Dokumentation der bestehenden Unterlagen Örtliche Erhebungen der bestehenden Situation Ganzheitliche Darstellung des Projektes unter Beachtung der Zusammenhänge und Synergien Ableitung von Planungsparametern in Form eines Pflichtenheftes zur Erreichung der Projektziele Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen auf Basis des Pflichtenheftes Bewertung und Selektion der eingeholten Lösungsvorschläge Kosten-Wirksamkeits-Analysen der einzelnen Lösungsvorschläge Definition der selektierten Lösungsvorschläge
• • • •
Zusammenstellen des Projektteams Verteilung der Aufgaben Festlegen der Ziele Sammlung statistischer Daten (allerdings langsam und unvollständig) Neudefinition der Ziele, da Modell nicht realisierbar „Feuerwehreinsätze“ nach Überziehung des Zeitrahmens Zusammenstellung der vorhandenen Daten zu einem Abschlußbericht Präsentation der Ergebnisse
Tabelle 2-5 Geplanter vs. tatsächlicher Ablauf des Projekts
Aufgabe 2 Non-profitOrganisation G. – Projektleitung
Sollen
Können
•
• •
Auftragsakquisition und administrative Abwicklung
• • Ingenieurbüro A. • – Koordination
•
•
Erstellung eines Fragebogens, mithilfe dessen vor Ort umfangreiche Daten zum medizinischen Status quo erhoben werden sollten Entwicklung eines Modells zur Darstellung von Zusammenhängen und Wechselwirkungen der betrachteten Problembereiche Einspeisung der erhobenen Daten
• • • • • •
Planen und Koordinieren Fristen setzen und auf deren Einhaltung drängen Setzen von Teilzielen und Erfolgskontrolle in Zusammenarbeit mit der Koordination vorhandene Kontakte früher nutzen Projektkoordination effektiver gestalten effektive Kommunikation mit Team Termineinhaltung kontrollieren mehr Engagement zeigen Entsendung von Vertretern in die Zielländer zur Absicherung der Zuarbeit aus diesen Ländern Feedback an alle Beteiligten
Sachbearbeiter
•
Sammlung volkswirtschaftlicher und • gesundheitsspezifischer Daten zu Österreich und den einzelnen ara• bischen Ländern
bessere Verteilung der Aufgaben untereinander regelmäßige Zuarbeit einfordern: Nachfragen nach Materialien, die zugearbeitet werden sollten
Konsulenten
•
Bereitstellung spezifischer, mit der • Abwicklung von Exporten und Di• rektinvestitionen in Zusammenhang stehender Informationen
mehr Engagement und Beteiligung Zeitablauf beschleunigen (wie es sich zeigte, konnten wichtige Informationen in relativ kurzer Zeit beschafft werden)
Tabelle 2-6 Erwartete bzw. mögliche Beiträge der Beteiligten
Management
48 Aufgabe 3 Fehler und Ursachen des Mißerfolgs • •
Allgemein
• • • • • •
späte Reaktion aller Beteiligten räumliche Distanz: Kommunikation und Interaktion hätte effektiver gestaltet werden müssen; vorhandene Kommunikationsmittel wurden nicht optimal genutzt Mitarbeiter arbeiteten nicht konsequent genug an Zielerreichung bei Projektsitzungen nie alle Teammitglieder anwesend mangelnde Zuarbeit, fehlendes Feedback mangelhafte Koordination und Kooperation Nichteinhaltung der Zeitvorgaben keine Konsequenzen bei Nichterfüllung, erst am Ende droht Honorarkürzung
Non-profitOrganisation G. – Projektleitung
Herr E.
• • • •
exakte und verbindliche Zeitvorgaben fehlten kein Feedback mehr Konzentration auf das Projekt hätte energischer eingreifen müssen, als große Abweichungen vom Plan sichtbar waren
Ingenieurbüro A. – Koordination
Herr F.
• •
wirkt zerstreut, unkonzentriert, teilweise desinteressiert fehlendes Engagement, keine Teamarbeit
Herr C.
• • • •
Einzelkämpfer, Analytiker, kein Teamarbeiter wirkt passiv, kann sich nicht wirklich durchsetzen technische Probleme lenken von der eigentlichen Sache ab von Herrn F. im Stich gelassen
Sachbearbeiter
Herr P.
• • •
nicht konzentriert, läßt sich leicht ablenken nicht sehr kommunikativ, kein Teamarbeiter fehlendes Engagement
Herr S.
• • •
wirkt desinteressiert setzt andere Prioritäten wird zu spät aktiv
Frau D.
• •
hätte sich besser durchsetzen sollen hätte andere Beteiligte motivieren können
Herr W.
• •
erst sehr spät aktiv bei der Sache hätte wichtige Informationen eher liefern können
Herr K.
• • •
erst sehr spät aktiv bei der Sache hätte wichtige Informationen eher liefern können Probleme mit eigenem Zeitmanagement
Konsulenten
Tabelle 2-7 Fehler und Ursachen des Mißerfolgs
Aufgabe 4 Zunächst hätte man sich informieren müssen, ob die benötigten Daten schon in irgendeiner Form vorhanden sind. Auch Informationen über die Dateninfrastruktur in den Zielländern wären hilfreich gewesen. Zu prüfen gewesen wären auch Qualität und Quantität der vorhandenen bzw. zu erhebenden Daten, d.h. deren Zugang, Verwendbarkeit, Vergleichbarkeit. Zur Koordination vor Ort hätte man landesspezifisch erfahrenen Vertreter bzw. ein solches einsetzen und Einheimische stärker in den Datengewinnungsprozeß einbeziehen können. Die vorhandenen Kontakte hätten schon eher und besser genutzt werden können.
Projekt-Mißmanagement oder Theorie vs. Praxis
49
Aufgabe 5 Eine effektive Gestaltung bzw. Durchführung wäre durch folgende Maßnahmen möglich gewesen: •
gründliche Planung und Gestaltung des Projekts, so daß bei Nichterfüllbarkeit einzelner Teilaufgaben nicht das gesamte Projekt „stirbt“;
•
klare Definition von Zielen;
•
optimale Zusammensetzung des Teams;
•
Sicherstellen einer effektiven Kommunikation → Informationsfluß muß gewährleistet sein;
•
Einplanung und Festlegung regelmäßiger Besprechungstermine zum Zweck der Zwischenergebniskontrolle und Motivation schon zu Beginn;
•
Erstellen eines Zeit- und Finanzplans;
•
konkrete Aufgabenverteilung;
•
Diskussion möglicher Konsequenzen bei Nichterfüllung;
•
Durchführung von Motivationsmaßnahmen;
•
regelmäßige Überprüfung der (Zwischen-)Ergebnisse, Zwischenberichte;
•
sofortige Diskussion von zwischen den Projektsitzungen auftauchenden Probleme (effektivere Kommunikation)
•
effektivere Nutzung der Erfahrungen und Kompetenzen der Mitarbeiter;
•
Möglichkeit, flexibel auf Unvorhergesehenes zu reagieren; Erstellung eines Notfallplans.
Management
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3
Der Sommerjob „Der Papa wird’s schon richten, das gehört zu seinen Pflichten.“ (Gerhard Bronner3)
Freie Stellen Das Museum in Waldwinkel sucht Sommerpersonal (Mai bis September).
Wir suchen folgendes Sommerpersonal: • Museumswächter im Schloßmuseum, im Freilichtmuseum und im Alten Gefängnis (Teilzeit) • Verkäufer im Schloßmuseum und im Freilichtmuseum (Teilzeit) • Schloßführer im Schloßmuseum (Stundenlohn ca. 11 €/Stunde) • Reinigungspersonal für das gesamte Museumsgebiet von Anfang April bis Ende September (Teilzeit und Vollzeit) • Nachtwächter für das gesamte Museumsgebiet (Teilzeit) Anforderungen für alle Stellen • Mindestalter 18 Jahre • gute Kenntnisse in Englisch, idealerweise auch Französisch (keine Voraussetzung bei Reinigungspersonal und Nachtwächter) • gutes Ausdrucksvermögen, Teamfähigkeit und Kundenfreundlichkeit Interesse an und Kenntnisse in Geschichte sowie Kenntnisse in anderen als den genannten Sprachen sind förderlich. Senden Sie Ihre Bewerbung mit Lebenslauf (Zeugnis muß nicht beigelegt, beim Vorstellungsgespräch aber vorgewiesen werden) an: Museum Waldwinkel Sommerpersonal Waldstraße 11 12345 Waldwinkel oder an: [email protected]
Achtung: Das Museum kann keine Unterkünfte für Sommerpersonal bereitstellen, hilft aber gerne bei der Suche.
Wie jedes Jahr sucht das Museum Waldwinkel auch für diese Saison wieder Sommerpersonal, um den Museumsbetrieb während des großen Ansturms in den Som3
Der Qualtinger – ein kabarettistisches Porträt (CD), Preiserrecords 1987
Der Sommerjob
51
mermonaten aufrechterhalten zu können. Ähnliche wie die vorliegende Anzeige wurden in verschiedenen Zeitungen und im Internet geschaltet, die Resonanz war zufriedenstellend. Björn Bär, verantwortlicher Bereichsleiter des Museums, ist für die Durchführung der Vorstellungsgespräche verantwortlich. Bei diesen Gesprächen sah er auch einige aus den Vorjahren bereits bekannte Gesichter wieder. Eine der Bewerberinnen hat bereits mehrere Male im Museum gearbeitet, allerdings waren dabei ihre Arbeitsleistungen und ihr Engagement immer schlechter geworden. Außerdem war sie mehrmals äußerst unfreundlich mit den Museumsbesuchern umgegangen. Björn beschloß daraufhin, die Bewerberin für dieses Jahr nicht zu engagieren. Allerdings ist der Vater der Bewerberin im Parlament der Landesregierung vertreten. Wenige Tage nach der Ablehnung der Bewerberin rief der Vater bei Björn an und drohte mit Konsequenzen, falls seine Tochter nicht eingestellt würde. Björn Bär ließ sich von den Drohungen der Parlamentsabgeordneten nicht erweichen. Um sich allerdings abzusichern, meldete er diesen Vorfall seinem Vorgesetzten, dem Leiter des Museums in Waldwinkel. Dieser wiederum leitete den Akt an die höchste Instanz, den Kultusminister, weiter. Aufgabe 1 Wie könnte man nun vorgehen, um zu einer Entscheidung zu kommen? Nutzen Sie für Ihre Überlegungen den Entscheidungsbaum von Vroom & Yetton! Aufgabe 2 In welchen Schritten laufen die Entscheidungsprozesse ab? Welche Probleme können bei Entscheidungsprozessen im allgemeinen auftreten? Aufgabe 3 Woraus kann Macht resultieren? Wie versucht der Parlamentsabgeordnete im vorliegenden Fall, seine Ziele zu erreichen?
Management
52
Lösung Aufgabe 1 A
B
C
D
E
F
G
N J
J
N J
N J
J N
J
N J
J
N N
J N
J
N
N
J
N
N
N J
N
N J
J N
J
J J N
1
AI, AII, BI, BII, GII
2
GII
3
AI, AII, BI, BII, GII
4
AI, AII, BI, BII
5
GII
6a
BII
6b
BI, BII
7
AII, BI, BII
8
AII, BI, BII, GII
9
BII
10
BII, GII
11
GII
12
BII
Fragen zur Strukturierung des Entscheidungsproblems A Gibt es ein Qualitätserfordernis: Ist vermutlich eine Lösung rationaler als eine andere (spielen juristische, technische oder wirtschaftliche Sachverhalte eine Rolle)? B Habe ich genügend Informationen, um eine qualitativ hochwertige Entscheidung zu treffen (sind die benötigten Informationen beschaffbar)? C Ist das Problem strukturiert (weiß ich, wie ich vorgehen muß)? D Ist die Akzeptierung der Entscheidung durch die Mitarbeiter für die effektive Ausführung und deren Folgen wichtig? E Wenn ich die Entscheidung selbst treffen würde, würde sie dann von Mitarbeitern akzeptiert werden? F Teilen die Mitarbeiter die Organisationsziele, die durch die Lösung des Problems erreicht werden sollen? G Werden die bevorzugten Lösungen vermutlich zu Konflikten unter den Mitarbeitern führen?
Abbildung 3-1 Analyse des Falls mit Hilfe des Entscheidungsbaums von Vroom und Yetton4
Es zeigt sich, daß im vorliegenden Fall jeder Entscheidungsstil angewandt werden könnte. In bezug auf die Auswahl der Entscheidungsstrategie ist die Angelegenheit nicht so heikel. Aufgabe 2 Der Prozeß der Entscheidung besteht auch hier – wie im allgemeinen – aus folgenden Schritten: Formulierung des Problems, Präzisierung der Ziele, Erforschung der Alternativen
4
Vroom/Yetton 1973, zit. in: Steyrer, Johannes: Theorien der Führung, in: Kaspar, H.; Mayrhofer, Wolfgang (Hrsg.): Personalmanagement – Führung – Organisation, Wien 2003, 196ff
Der Sommerjob
53
des Handelns, Ermittlung der Restriktionen für mögliche Alternativen, Prognose der Ergebnisse und Auswahl einer Alternative. Mögliche Probleme können folgende sein: •
fehlende Entscheidungsfreude der einzelnen Mitarbeiter,
•
fachlich unrichtige Entscheidungen (wirtschaftlicher und technischer Art),
•
mangelnde Möglichkeit der Übernahme von mehr Eigenverantwortung,
•
häufig umständliche und langwierige Entscheidungsprozesse,
•
Beeinflussung von Entscheidungsprozessen durch „politische“ Versprechungen und Interventionen.
Aufgabe 3 Mögliche Quellen der Macht: •
Positionsmacht entsteht, wenn ein Individuum durch seine Stellung die Möglichkeit erhält, wichtige Ressourcen oder Informationen zu kontrollieren (vgl. Firmenhierarchie).
•
Persönlichkeitsmacht beruht auf Persönlichkeitsmerkmalen eines Individuums. Es kann ein dominantes, autoritäres, selbstsicheres Individuum andere Personen leichter manipulieren als jemand, der eher schüchtern ist.
•
Expertenmacht basiert auf der Möglichkeit, eigene Erfahrungen und Kenntnisse zur Manipulation anderer Individuen zu benutzen.
•
Gelegenheitsmacht entsteht, wenn jemand „zur richtigen Zeit am richtigen Ort“ ist. Sie kann auch ohne eine einflußreiche Position oder spezifisches Wissen ausgeübt werden.
Der Abgeordnete setzt auf seine Positionsmacht und versucht, Druck auf den Entscheidungsträger auszuüben, um sein Anliegen – koste es, was es wolle – durchzusetzen.
Management
54
4
Umstieg auf Bus und Bahn „Wir vermochten das Bedürfnis nach neuen Parkplätzen schlicht nicht mehr zu befriedigen.“ (Projektleiter Mobilitätsmanagement3)
Den Anfang bildete ein scheinbar unlösbares Verkehrsproblem: Die Mitarbeiterzahlen eines in einer Grenzregionen gelegenen Technologiekonzerns waren innerhalb von fünf Jahren um 400 angestiegen. Die Parkflächen an den beiden Unternehmensstandorten wurden aber nicht vergrößert. Die Folge: Die Wildparkerei nahm ständig zu, die Beschwerden von Gemeinden und Umweltverbänden häuften sich – bis die Situation eskalierte. Man hatte sich im Konzern auch schon bisher mit Fragen der Mobilität beschäftigt. Allerdings kam der Stein erst durch einen Anstoß von außen ins Rollen. Der geplante Ausbau der Parkflächen wurde zwar genehmigt, allerdings unter der Auflage, eine Lösung für das akute Verkehrsproblem auszuarbeiten. Dazu wurde ein „Projektleiter Mobilitätsmanagement“ ernannt, der sich der Problematik gemeinsam mit dem Umweltbeauftragten widmen sollte.
Der Umstieg auf Bus oder Bahn gestaltete sich nicht immer leicht
Der Neubau eines Parkhauses hätte den Konzern über 15 Mio. Euro gekostet, die man aber lieber in neue Produktionsflächen investieren wollte. Im Rahmen einer laufenden Umweltmanagement-Zertifizierung stellte sich heraus, daß der Individualverkehr als Umweltfaktor eine große Rolle spielte. So sprachen neben den finanziellen Aspekten auch noch ökologische gegen den Bau neuer Parkhäuser.
3
Kaletsch, Thorsten: Unaxis – mehr Mitarbeiter, weniger Verkehr, Via 5/2001, 43
Umstieg auf Bus und Bahn
55
Um die Mitarbeiter zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel zu bewegen, wurden verschiedene Neuerungen eingeführt. So wurde beispielsweise ein MobilitätsClub gegründet: • Wer sich verpflichtete, wöchentlich maximal 2x mit dem Privatauto zur Arbeit zu fahren, erhielt eine sog. „Plus-Card“-Mitgliedskarte. • Wer sich verpflichtete, monatlich maximal 2x mit dem Privatauto zur Arbeit zu fahren, erhielt eine sog. „Top-Card“-Mitgliedskarte. Club-Mitglieder erhalten gratis ein Abo des öffentlichen Nahverkehrs. Top-CardInhaber können zudem den firmeneigenen Fuhrpark kostenlos nutzen. Darüber hinaus werden weitere Vergünstigungen gewährt. Mittlerweile konnten bereits 600 der insgesamt 1.600 Mitarbeiter zum Wechsel auf öffentliche Verkehrsmittel überzeugt werden. Durch umfangreiche Investitionen seitens des Konzerns in den öffentlichen Nahverkehr sowie eine neue Kooperation zwischen den einzelnen Verkehrsunternehmen konnten 19 zusätzliche Verbindungen geschaffen und drei neue Buslinien eingerichtet werden. Durch den bisherigen Erfolg optimistisch gestimmt, bemühte sich der Konzern, mit den Verkehrsunternehmen Sondertarife auszuhandeln. Zudem wollte man die Bahn dazu bewegen, eine zusätzliche Station in unmittelbarer Unternehmensnähe einzurichten. Ziel des Unternehmens ist es, mittelfristig 55 % der Mitarbeiter zum Wechsel auf öffentliche Verkehrsmittel zu überzeugen. In Zukunft will man nur noch 45 % der Belegschaft einen Parkplatz zur Verfügung stellen. Wie die Verteilung der Parkplätze konkret aussehen soll, war zunächst aber unklar. Dem Unternehmen war bewußt, daß dies einen heiklen Eingriff in die persönliche Freiheit seiner Mitarbeiter darstellte. Nach Meinung des Mobilitätsmanagers waren dazu Transparenz, klare Vorgaben und Unnachgiebigkeit vonnöten.4 Aufgabe 1 Wie ist das vorliegende Problem strukturiert? Versuchen Sie, die oben beschriebene Problematik in einem Wirkungsgefüge darzustellen! Aufgabe 2 Welche Ziele hat sich der Konzern gesetzt? Aufgabe 3 Der Projektleiter Mobilitätsmanagement wurde beauftragt, die Aufteilung der verfügbaren Parklätze anzugehen. Vor einer konkrete Aufteilung wollte er sich aber erst über die Ansichten der einzelnen Beteiligten klar werden und herausfinden, wie sich das Problem lösen läßt.
4
vgl. Kaletsch, Thorsten: Unaxis – mehr Mitarbeiter, weniger Verkehr, Via 5/2001, 43
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56
Lösung Aufgabe 1
+ +
Konzern
Verkehrsbetriebe
Mitarbeiter
-
+
vorhandene Parkflächen
+
"wilde Parkplätze" +
+
Umweltverbände
Neubau von Parkflächen
+
Gemeinden
Bauamt
Abbildung 4-1 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Mitarbeiter
vorhandene Parkflächen „wilde“ Parkplätze
Gemeinden Bauamt Konzern
Verkehrsbetriebe
auf ... vorhandene Parkflächen „wilde“ Parkplätze Neubau von Parkflächen Neubau von Parkflächen Gemeinden
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je mehr Mitarbeiter, um so weniger reichten die vorhandenen Parkflächen aus je mehr Mitarbeiter, um so öfter wurde „wild“ geparkt
je knapper die vorhandenen Parkflächen wurden, um so dringender wurde der Neubau von Parkflächen je mehr die Wildparkerei zunahm, um so dringender wurde der Neubau von Parkflächen je mehr die Wildparkerei zunahm, um so mehr drängten die Gemeinden auf eine Lösung des Problems Umweltverbände je mehr die Wildparkerei zunahm, um so mehr drängten die Umweltverbände auf eine Lösung des Problems Bauamt mit dem Ziel, eine Lösung des akuten Verkehrsproblems herbeizuführen, hat die Gemeinde auf das Bauamt eingewirkt Neubau von Genehmigung nur unter der Auflage, daß vom Konzern eine Parkflächen Lösung für das Verkehrsproblem ausgearbeitet wird Verkehrsbetriebe je mehr der Konzern die Verkehrsbetriebe unterstützt, um so eher werden diese bereit sein, spezielle Angebote zu unterbreiten bzw. Zusatzleistungen (wie zusätzliche Linien, Stationen usw.) anzubieten Mitarbeiter je attraktiver die Leistungen bzw. das Angebot der Verkehrsbetriebe, um so eher bzw. häufiger werden Mitarbeiter auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen
Tabelle 4-1 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Umstieg auf Bus und Bahn
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Aufgabe 2 Prioritäten Oberziel Teilziele 1 2 3 4 5 6
Ziele Lösung des Verkehrsproblems Schaffung zusätzlicher Parkflächen 55 % der Mitarbeiter zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel bewegen Vereinbarung von Sondertarifen mit Verkehrsunternehmen Einrichtung einer zusätzlichen Bahnstation Verteilung der verfügbaren Parkplätze auf die Mitarbeiter Kein Neubau von Parkhäusern
Tabelle 4-2 Ziele und Prioritäten
Aufgabe 3 Beteiligte Konzernleitung
Ansichten/Situation • •
Abteilungsleiter
• •
Mitarbeiter
•
den Mitgliedern der Konzernleitung muß sicherlich ein Parkplatz zur Verfügung gestellt werden es sei denn, besonders umweltbewußte Mitglieder möchten mit gutem Beispiel vorangehen ähnlich gestaltet sich die Situation bei den Abteilungsleitern es könnte sein, daß man aufgrund seiner Position auf einen Parkplatz besteht
sicherlich werden viele der Mitarbeiter, die sich noch nicht für den Mobilitätsclub entschieden haben, auf einem Parkplatz bestehen Möglichkeiten der Verteilung: • Entscheidung „von oben“ → möglicherweise Akzeptanzprobleme • Einbeziehung der Mitarbeiter, die sich noch nicht für den Mobilitätsclub entschieden haben → wahrscheinlich größere Akzeptanz der Entscheidung • Verlosung der Plätze → Gefahr der Manipulation • verhältnismäßige Verteilung pro Abteilung → innerhalb der Abteilung muß geklärt werden, wer einen Parkplatz erhält → erneute Diskussion • Parkplatz-Rotation → keine Dauerlösung
Tabelle 4-3 Beteiligte und deren Ansichten/Situation
Vor der letztendlichen Verteilung der Parkplätze sollte auch geklärt werden, wer beispielsweise aufgrund einer ungünstigen Lage des Wohnortes oder besonderer familiärer Umstände auf die Nutzung des Privatfahrzeuges angewiesen ist.
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Wir bauen auf und reißen nieder ... „... so haben wir Arbeit immer wieder.“ (unbekannt)
Nach der Wende erlebte die Bauindustrie im Osten Deutschlands einen wahren Bauboom. Tausende von Wohnungen wurden neu gebaut, umgebaut oder saniert. So auch in Blumenstadt. Neben zahlreichen anderen Investoren und Bauherren vergab auch die kommunale Wohnungsgesellschaft fleißig Aufträge. Mittlerweile ist der größte Teil der Wohnungen aus ihrem Bestand saniert, was sich allerdings auch in den finanziellen Reserven widerspiegelt. Förderprogramme boten zwar viele Möglichkeiten, setzten aber gleichzeitig auch Grenzen. So großzügig, wie man den Umbau zu Beginn der Sanierungswelle angegangen war, konnte man schon längst nicht mehr vorgehen. War es zu Beginn beispielsweise noch Standard, Küchen und Bäder in den Wohnungen neu zu fliesen, mußten jetzt die Mieter – sofern sie Wert auf neu geflieste Küchen oder Bäder legten – einen Großteil der Kosten selbst übernehmen. Bei der Auftragsvergabe im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung an sich schon an bestimmte Vorschriften gebunden, achtete man nun zunehmend auf besonders günstige Angebote. Man war zwar bestrebt, vor allem Firmen aus der Region bei der Auftragsvergabe zu berücksichtigen, doch letztendlich entschied dann doch allein der Preis. Als die Sanierung eines bislang noch „verschonten“ Wohnblocks mit 50 Mieteinheiten anstand, entschloß sich der Vermieter aus Kostengründen zu einer Teilsanierung, die unter bewohntem Zustand durchgeführt werden sollte. Mit der Projektierung und Durchführung wurde ein Ingenieurbüro aus der Region beauftragt, mit dem man auch schon bei früheren Aufträgen zusammengearbeitet hatte. Geplant war • die Anbringung eines Fassadenvollwärmeschutzes, • die Sanierung der Dächer, • die Errichtung von Aufzugsanlagen, • der Einbau neuer Haus- und Hoftüren, Briefkästen, • der Einbau einer neuen Klingelanlage mit Wechselsprechfunktion, • die Renovierung der Treppenhäuser, • die Erneuerung der Elektroinstallation im Kellergeschoß, • die Zentralisierung der Elektrozählerplätze, • die Erneuerung der Elektrosteigleitung, • die Sanierung der vorhandenen Loggien und der Neubau von Balkonen, • der Einbau neuer Fenster,
Wir bauen auf und reißen nieder ...
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• der Einbau neuer Wohnungseingangstüren, • die Demontage der Stadtgasleitungen und • die Umstellung der Warmwasserversorgung von Gas- auf Elektrodurchlauferhitzer.
Sanierung in bewohntem Zustand ...
... ist für keinen der Beteiligten leicht
Die geplanten Kosten der Baumaßnahmen setzten sich wie folgt zusammen: Maßnahmen Gerüst Fassade Außenanlagen Treppenhaus/Trockenbau Aufzugsanlagen Tischler Dachdeckung Wärmedämmung Gebäudereinigung Malerleistung Gesamtsumme
Baukosten in Euro 16.000 21.000 33.000 26.000 476.000 242.000 59.000 160.000 4.000 44.000
Maßnahmen Bodenbelag Treppenhaus Elektroinstallation Sanitär Heizung Schlosser Balkonanbau Balkonsanierung Honorar Baukostenzuschüsse
Baukosten in Euro 10.000 137.000 59.000 10.000 2.000 101.000 46.000 112.000 20.000 1.578.000
Tabelle 5-1 Zusammensetzung der Gesamtkosten
Daraus ergab sich eine Kostenbelastung pro Quadratmeter von rund 539 Euro. Anfang des Jahres fand eine Versammlung statt, auf der alle betroffenen Mieter über die bevorstehenden Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen informiert wurden. Das Sanierungskonzept wurde grob vorgestellt, Verantwortliche und Ansprechpartner genannt. Für die Zeit des Baus wurde in einer freien Wohnung ein Baubüro eingerichtet, in dem die Mieter während der Maßnahmen direkt vor Ort einen Ansprechpartner vorfinden sollten. Aus einem ähnlichen Projekt im Vorjahr, das sich aufgrund verschiedenster Probleme im Ablauf bis in die Adventszeit hineingezogen hatte, hatte man inzwischen
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Konsequenzen gezogen und den Baubeginn um einen Monat nach vorn verlagert. Baubeginn war nun Mitte März. Die Arbeiten in den Wohnungen sollten maximal 15 Wochen dauern, wobei sich die Arbeiten in einer Wohnung selbst auf sieben – allerdings nicht notwendigerweise zusammenhängende – Werktage konzentrieren sollten. Für die Arbeiten am Gebäude waren insgesamt 26 Wochen vorgesehen.
März Wochen
April
Mai
Juni
Juli
Aug.
Sep.
1111111222222222233333333334
Keller/Treppenhaus Installation Keller Elektroinstallation Treppenhaus Trockenbau Treppenhaus Deckendämmung Keller Malerarbeiten Keller Bodenbelagssanierung Malerarbeiten Treppenhaus Wohnungen Heizungsrückbau (bei Balkon neu) Betonschneiden für Balkontüren Fensteraus- und -einbau Elektroinstallation Sanitärinstallation Einbau Elektroherde Einbau Trockenbaudecke Flur Malerreparaturarbeiten Einbau Wohnungseingangstüren Außen Abbruch Balkonbrüstungen Gerüstaufstellung Betonsanierung Loggien Fassadendämmung Dachdeckung Provisorische Hauseingänge Aufzugsbau/-montage Gerüstabbau Fundament/Montage neue Balkone Hauseingänge Außenanlagen
Abbildung 5-1 Geplante Abfolge der Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten (Projektplan)
Arbeiten direkt in den Wohnungen sollten den betroffenen Mietern jeweils 14 Tage vorher per Aushang an der Wohnungstür angekündigt werden. Außerdem waren
Wir bauen auf und reißen nieder ...
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vorherige Wohnungsbegehungen geplant, durch die geklärt werden sollte, inwieweit Flächen frei geräumt bzw. Inventar zum Schutz vor Beschädigung und Schmutz abzudecken wäre. Tatsächlich sahen die Mieter einen einzigen derartigen Aushang. Die Lage stellte sich nicht selten so dar, daß man lange Zeit auf die Handwerker wartete und langsam die Geduld verlor; oder aber, daß die Handwerker – ohne eine vorherige Information – mit ihrem Handwerkszeug einfach vor der Tür standen. Glück hatte, wer dann auch zu Hause war. Dadurch ergaben sich natürlich Verzögerungen im Bauablauf. Hinzu kam, daß einzelne Firmen zeitgleich an anderen, größeren Projekten arbeiteten und deshalb hier und da Handwerker von der Baustelle abgezogen wurden. Nach nur wenigen Wochen konnte der Projektplan nur noch als grobe Richtschnur, nicht aber als solide Basis der Bauausführung gesehen werden. Ungereimtheiten waren die Folge: So kam es, daß beispielsweise nach Abschluß der Malerarbeiten in den Wohnungen plötzlich noch Telefonkabel in bereits verschlossene und überklebte Kabelschächte verlegt oder in bereits fertige Wände Löcher gebohrt werden sollten. Außerdem zeigte sich in einem schon recht frühen Stadium, daß die Ausführung qualitativ zu wünschen übrig ließ: Die Dämmplatten an den Kellerdecken lösten sich reihenweise, weil aus Zeitgründen auf die Verdübelung verzichtet wurde. Zur neu eingesetzten Haustür lief nach einem heftigen Regenguß das Wasser in Strömen herein, weil beim Bau des davor befindlichen Podests scheinbar keine Wasserwaage verfügbar gewesen war. Auf den Fußböden der neu beschichteten Loggien bildeten sich häßliche Blasen, die Schmutz magisch anzogen. Vorfälle dieser Art führten dazu, daß die durch die Modernisierungsmaßnahmen an sich schon gestreßten und hoch sensibilisierten Mieter tatsächliche Baufortschritte nicht mehr würdigen konnten und bei jedem noch so kleinen Problem die Mücke zum sprichwörtlichen Elefanten machten.
Anbau des Aufzugs
Sanierung und Anbau der Balkone
Katalysator für all den aufgestauten Frust auf seiten der Mieter und mit der Zeit auch auf seiten der beteiligten Unternehmen war der Bauleiter, der zu vermitteln versuchte, wo es ging und aufgrund seiner ausgeglichenen Art manche Flutwelle
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abschwächen konnte. Doch trotz seines Einsatzes konnte er manchmal nichts ausrichten – wenn kein Handwerker zu sehen war, war eben keiner da!
Eingang wieder begehbar
Geschafft!
Bei Bauabnahme im Herbst wurden vermehrt Mängel in der Ausführung festgestellt. Die verantwortlichen Firmen wurden zur Nachbesserung veranlaßt, was sich nicht immer unproblematisch darstellte. Arbeiten an den Loggien waren beispielsweise aufgrund der Jahreszeit – inzwischen war der Winter eingekehrt – nicht mehr möglich. Als die Nachbesserungen im Frühjahr durchgeführt werden sollten, stellte sich heraus, daß die eine oder andere beteiligte Firma bereits pleite war. Diese Unternehmen hatten zwar vor Projektbeginn aufgrund ihrer günstigen Angebote den Zuschlag bekommen, sich durch ihr Preisdumping aber selbst ruiniert. Die Bauleitung stand nun vor dem Problem, kurzfristig neue Firmen für die noch anstehenden Arbeiten zu finden. Der Auftraggeber wiederum mußte diese Unternehmen für Leistungen bezahlen, die eigentlich unter die Garantie gefallen wären, allerdings gab es jetzt niemanden mehr, bei dem man die Garantieansprüche hätte anmelden können ... Aufgabe 1 Welche Fehler bzw. Probleme sind aufgetreten? Wer wäre dafür zur Verantwortung zu ziehen gewesen? Aufgabe 2 Welche Schritte kennzeichnen in einem derartigen Fall ein erfolgreiches Projektmanagement? Aufgabe 3 Analysieren Sie die entstandenen Konflikte! Wie würde ein erfolgreiches Konfliktmanagement aussehen? Aufgabe 4 Welche Erkenntnisse können aus dem – nicht atypischen – Fall gezogen werden? Was könnte zukünftig besser gemacht werden?
Wir bauen auf und reißen nieder ...
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Lösung Aufgabe 1 •
Es sind Probleme im Ablauf und mit den ausführenden Firmen aufgetreten. Das Ingenieurbüro hätte dabei härter durchgreifen müssen.
•
Die Mieter waren während der Maßnahmen schlecht informiert. Die ausführenden Unternehmen hätten Informationen bereitstellen, das Ingenieurbüro (und die Wohnungsgesellschaft) hätte(n) besser steuern müssen.
•
Der Bauleiter wurde von Ingenieurbüro allein gelassen.
•
Das Konfliktmanagement hing einzig und allein am Bauleiter; eine einzelne Person kann dies bei einem Projekt solchen Ausmaßes aber gar nicht allein bewältigen.
•
Da es sich beim Auftraggeber um ein kommunales Unternehmen handelt, müssen die Aufträge normalerweise an die preisgünstigsten Anbieter vergeben werden. (Qualität der Leistungen und Finanzkraft der Unternehmen spielen dabei eine nachrangige Rolle.)
Aufgabe 2 Projektmanagement läuft üblicherweise in folgenden Schritten ab: •
Projektvorbereitung,
•
Projektgestaltung (Ziele, Prozeß, Organisation),
•
Projektplanung (Leitung, Team, Termine, Finanzen, Qualität, Risiken),
•
Projektauslösung (Entscheidung, Auftragsvergabe),
•
Projektdurchführung (Kommunikation, Entscheidung, Motivation, Steuerung, Überwachung, Konfliktmanagement, Berichte und Dokumentationen),
•
Projektabschluß (Übergabe, Abnahme).
Aufgabe 3 Beteiligte Parteien
Auftraggeber = Wohnungsgesellschaft = Vermieter
Projektleitung = Ingenieurbüro
Auftragnehmer = verschiedene Firmen
Interessenlagen
•
qualitativ einwandfreie Durchführung der Arbeiten in der vorgesehenen Zeit ohne zusätzliche Kosten
•
qualitativ einwandfreie Durchführung der Arbeiten in der vorgesehenen Zeit ohne zusätzliche Kosten
•
Qualität vs. preiswerte Angebote und schneller Abschluß
•
Qualität vs. schneller Abschluß
•
• •
Konflikte
•
• •
• •
Mieter
qualitativ ein• wandfreie Durchführung der Arbeiten in der vorgese- • henen Zeit gleichzeitige Wahrnehmung weiterer, größerer Projekte
qualitativ einwandfreie Durchführung der Arbeiten in der vorgesehenen Zeit
„kleine“ Bau• stelle vs. „große Baustelle“ •
lästige Bauarbeiten Handwerker zu langsam fehlende Ansprechpartner
•
Management
64 Fortsetzung
Lösung
•
nicht Preis allein • entscheidet • •
aus Fehlern vorheriger Aufträge lernen besser planen, mehr Pufferzeiten Beschwerdemanagement
• •
vorher Prioritäten setzen „mit ganzem Herzen“ bei der Sache sein
• • •
Erwartungen nicht zu hoch setzen mit Problemen rechnen, gelassener reagieren aktiv an Konfliktlösung mitarbeiten
Tabelle 5-2 Beteiligte, Interessenlagen, Konflikte und Lösungsansätze
Aufgabe 4 •
Nicht allein der Preis sollte bei der Auftragsvergabe entscheiden.
•
Die Einhaltung des Projektplans ist konsequenter zu überwachen, gegebenenfalls müssen mehr Pufferzeiten eingebaut werden.
•
Die Zusammenarbeit der beteiligten Firmen sollte besser koordiniert werden und eine effektive Qualitätskontrolle stattfinden.
•
Der Projektleiter sollte vor Ort mehr personelle Unterstützung bekommen (z.B. durch Projektteam).
•
Die Mieter müssen besser und regelmäßig informieren werden.
•
Man sollte sich um ein effektives Konfliktmanagement bemühen.
Einem Ingenieur ist nichts zu schwör
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Einem Ingenieur ist nichts zu schwör „Wenn ich nicht bald von den 08/15-Planungen loskomme, bin ich mein Leben lang darauf festgelegt.“ (Isolde Igelberg)
Isolde Igelberg ist seit dem Abschluß ihres Studiums vor fünf Jahren als DiplomIngenieur in einem Ingenieurbüro tätig. Nach dem Studium froh, diese Arbeitsstelle gefunden zu haben, macht sich nun zunehmend Unmut breit. An sich gefällt ihr die Tätigkeit als Ingenieur ganz gut, mit den Kollegen kommt sie auch einigermaßen zurecht, wenngleich das Arbeitsklima nicht optimal ist. Isolde, ledig und kinderlos, hatte bisher beispielsweise äußerst selten das Glück, Urlaub in der Hauptsaison genehmigt zu bekommen. Da ihr Lebenspartner als Lehrer tätig ist und folglich nur während der Schulferien für längere Zeit verreisen kann, sind gemeinsame Urlaube spärlich gesät. Auch die Wochenenden werden regelmäßig für die Firma „geopfert“. Können Projekte unter der Woche nicht erledigt werden, ist es üblich, die Vorgänge zu Hause weiter zu bearbeiten. Vergütet werden die Überstunden nicht. Offiziell sind die Mitarbeiter berechtigt, Überstunden „abzufeiern“, in der Praxis sieht dies jedoch anders aus.
Kleine Ursache, große Wirkung
Die in der Stellenbeschreibung angepriesene Eigenverantwortung hatte sich Isolde auch etwas anders vorgestellt: Jedes ausgehende Schreiben muß vom Vorgesetzten genehmigt werden. Wenn Isolde also ein Gutachten, Konzept oder eine Stellungnahme angefertigt hat, wird dies dem Chef vorgelegt. Dieser achtet dann allerdings nicht auf inhaltliche Richtigkeit, sondern korrigiert den Ausdruck und Stil des Schreibens. Darüber hinaus läßt er sich mit dem Abzeichnen der Schriftstücke
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Management
meist reichlich Zeit. Nicht selten wurden dadurch schon Fristen versäumt, was er aber regelmäßig den Mitarbeitern anlastet. Isolde sieht sich durch die Art der Arbeit kaum mehr gefordert. Sie glaubt, wenn sie nicht bald von den „08/15-Planungen“ wegkommt, ihr Leben lang darauf festgelegt zu sein. Dazu kommt, daß es viele interne „Machtspiele“ gibt: Diese werden hauptsächlich über die Kommunikation ausgetragen – nicht miteinander reden, Informationszurückhaltung und Desinformation sind an der Tagesordnung. Schon seit Monaten schaut Isolde regelmäßig im Internet und in Tageszeitungen nach einer anderen Stelle, findet aber kaum interessante und lohnenswerte Angebote. Inzwischen sind schon zahlreiche Ingenieurbüros in der Umgebung pleite gegangen. Dadurch drängen natürlich Ingenieure im besten Alter, mit entsprechender Berufserfahrung und Spezialkenntnissen auf dem Arbeitsmarkt. Von den Absolventen findet dort kaum noch jemand eine Stelle. Seit kurzem kursieren im Unternehmen Gerüchte über etwaige Entlassungen, die mit der schlechten Finanzlage des Unternehmens begründet werden. Isolde schwant Schlimmes ... Aufgabe 1 Welche Faktoren können Arbeitszufriedenheit bzw. Arbeitsunzufriedenheit bewirken? Aufgabe 2 Welche Faktoren bestimmen derzeit Isoldes Lage? Wie wirken sich diese auf Isoldes Arbeitszufriedenheit aus? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 3 Wie schätzen Sie den Leiter des Ingenieurbüros und die Mitarbeiter ein? Aufgabe 4 Welche Ziele wird sich Isolde angesichts der derzeitigen Lage setzen? Welcher Zeitrahmen wäre zur Erfüllung dieser Ziele denkbar? Aufgabe 5 Wie würden Sie Isoldes Ziele in Zusammenhang mit Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie bzw. Maslows Bedürfnishierarchie beschreiben? Aufgabe 6 Woraus könnte ein Vorgesetzter die Unzufriedenheit seiner Mitarbeiter ableiten? Aufgabe 7 Wie könnte sich die Situation weiterentwickeln?
Einem Ingenieur ist nichts zu schwör
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Lösung Aufgabe 1 Arbeitszufriedenheit fördernde Faktoren
Arbeitszufriedenheit dämpfende Faktoren
• • • • • • •
• • • • • • •
ansprechende Tätigkeit optimales Arbeitsumfeld attraktives Gehalt angenehmes soziales Umfeld Aufstiegsmöglichkeiten Kommunikation am Arbeitsplatz private Zufriedenheit
Unterforderung Streß nicht leistungsgemäße Entlohnung soziale Spannungen zu viele (unbezahlte) Überstunden Urlaubssperre privater Streß
Tabelle 6-1 Arbeitszufriedenheit fördernde bzw. dämpfende Faktoren
Aufgabe 2 keine Vergütung keine Aufstiegsmöglichkeiten
"Abfeiern" nicht möglich Überstunden
unbefriedigende Tätigkeit
nicht miteinander reden fehlende Informationen
Arbeitsumfeld nicht optimal
Urlaubssperre
Machtspiele
Arbeitsunzufriedenheit
Kommunikation
Isoldes Lage fehlende Motivation
Streß
privater Streß
Wochenendarbeit
unkooperativer Chef
nicht selbst verschuldeter Termindruck Arbeitsmarktlage
Anerkennung? materiell immateriell Perspektiven? Veränderungen im Unternehmen? Firma verlassen?
Tabelle 6-2 Mindmap: Isoldes Lage bestimmende Faktoren
Isolde ist frustriert und demotiviert. Sie empfindet ihren Job nicht mehr als ansprechende Tätigkeit. Das Arbeitsumfeld ist nicht (mehr) optimal, die Kommunikation im Unternehmen
Management
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funktioniert nicht. Aufstiegsmöglichkeiten sind derzeit nicht gegeben. Die zur Steigerung der Motivation nötige Anerkennung der Leistungen bleibt aus. Sie möchte die ihr übertragenen Aufgaben gewissenhaft erfüllen, scheitert dabei aber z.T. an der Organisation. Zudem plagen sie Ängste wegen eines möglichen Jobverlusts. Da sie weder verheiratet ist noch Kinder hat, rechnet sie als eine der ersten mit einer Kündigung. Weil das Unternehmen keine Perspektiven bietet, plant sie einen Wechsel des Arbeitsplatzes, was sich aber angesichts der aktuellen Arbeitsmarktlage als schwierig herausstellt. Auch die private Zufriedenheit könnte – sollte sich an der Lage langfristig nichts ändern – gefährdet sein: Arbeit am Wochenende, kaum gemeinsame Urlaube. Aufgabe 3 Der Leiter des Ingenieurbüros wirkt ein wenig orientierungslos. Er weiß nicht, was unter den Mitarbeitern gespielt wird. Zudem scheint er Probleme bei der Planung, dem Setzen von Prioritäten und dem Management allgemein zu haben. Bei den Kollegen ist sich jeder selbst der nächste. Mögliche Kündigungen sorgen für Unsicherheit. Jeder versucht, seinen Platz – auch auf Kosten der anderen – zu sichern. Aufgabe 4 Prioritäten Ziele Oberziel angemessene und befriedigende neue Stelle finden 1 bis dahin Arbeitsklima so angenehm wie möglich gestalten 2 Arbeitszufriedenheit steigern 3 persönliche Weiterentwicklung 4 netter Kollegenkreis und gutes Betriebsklima 5 „Luftveränderung“ 6 Lebensqualität verbessern 7 Familienplanung berücksichtigen 8 andere Interessen verfolgen können
Zeitrahmen mittelfristig kurzfristig kurz-, mittel- und langfristig mittel- bis langfristig mittel- bis langfristig mittelfristig kurz-, mittel- und langfristig langfristig mittel- bis langfristig
Tabelle 6-3 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen
Aufgabe 5 Einordnung der Ziele nach Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie: Motivatoren Arbeit selbst Anerkennung übertragene Kompetenzen Entscheidungsspielraum/Verantwortung persönliche Weiterentwicklung
-
Hygienefaktoren Gehalt Beziehungen zu Kollegen, Vorgesetzten Gestaltung des Arbeitsplatzes Atmosphäre am Arbeitsplatz Sicherheit des Arbeitsplatzes
Tabelle 6-4 Isoldes Ziele vor dem Hintergrund von Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie
Einordnung der Ziele nach Maslows Bedürfnishierarchie:
+ + -
Einem Ingenieur ist nichts zu schwör
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Bedürfnis nach Selbstverwirklichung: persönliche Weiterentwicklung, Entscheidungsspielraum Bedürfnis nach Anerkennung: übertragene Kompetenzen, Gehaltshöhe Soziale Bedürfnisse: nette Kollegen, angenehme Atmosphäre, mitarbeiterorientierte Vorgesetzte Sicherheitsbedürfnisse: sicherer Arbeitsplatz Physiologische Bedürfnisse: Entgelt, Gestaltung des Arbeitsplatzes
Tabelle 6-5 Isoldes Ziele vor dem Hintergrund von Maslows Bedürfnishierarchie
Aufgabe 6
Konstruktiv
Passiv Loyalität Eine weitere Möglichkeit ist, passiv auf eine Verbesserung der Bedingungen zu warten bzw. öffentlicher Kritik an der Organisation entgegenzutreten.
Destruktiv
Aktiv Mitarbeit Durch Verbesserungsvorschläge und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Vorgesetzten kann ein Mitarbeiter versuchen, unbefriedigende Umstände zu verändern. Austritt Durch aktives Suchen nach einem neuen Arbeitsplatz oder durch den Rücktritt von einer verantwortungsvollen Position kann ein Mitarbeiter seinen Willen zum Verlassen der Organisation ausdrücken.
Gleichgültigkeit Schließlich kann der Mitarbeiter ein gleichgültiges Verhalten gegenüber der Organisation zeigen. Dies drückt sich z.B. in verstärkter Abwesenheit und verringertem Engagement aus.
Tabelle 6-6 Möglichkeiten der Mitarbeiter, Unzufriedenheit auszudrücken
Aufgabe 7 Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Arbeitsumfeld Zufriedenheit
Arbeitsaufgabe
Entscheidungsspielräume
Entwicklung – Trendaussagen (O) verbessert sich (P) wird schlechter (W) wird schlechter (O) gegeben (P) nicht gegeben (W) nicht gegeben (O) werden größer (P) bleiben (W) bleiben
Wirkung auf Isoldes Lage + + + -
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Management
Fortsetzung
Wirkung auf Entwicklung – Trendaussagen Isoldes Lage (O) mehr + (P) weniger -(W) bleibt* Kommunikation (O) verbessert sich + (P) wird schlechter (W) wird schlechter -Flexibilität (O) verbessert sich + (P) wird schlechter -(W) bleibt Überstunden (O) weniger + (P) mehr -(W) bleibt* Urlaubsplanung (O) verbessert sich + (P) wird schlechter -(W) bleibt* Anerkennung (O) mehr + Motivation (P) weniger -(W) bleibt* Perspektiven (O) bessere + (P) schlechtere -(W) bleiben gleich* Termindruck (O) weniger + Streß (P) größer -(W) bleibt* Wochenendarbeit (O) weniger + (P) mehr -(W) bleibt* Konkurrenz zu Kollegen (O) entschärft sich + (P) verschärft sich (W) verschärft sich Kooperation seitens (O) besser + des Vorgesetzten (P) schlechter -(W) bleibt* (O) besser + Angebot am Arbeitsmarkt (P) schlechter -(W) schlechter -Allgemeine Situation (O) verbessert sich + der Baubranche (P) wird schlechter (W) wird schlechter Private Spannungen (O) weniger + (P) mehr -(W) bleiben* * Wenn die Lage bleibt wie sie ist, entsteht für Isolde keine Verbesserung, sondern verstärkt die schlechte Stimmung. Deshalb wurde hier mit „-“ bewertet. Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Aufstiegsmöglichkeiten Zufriedenheit
Tabelle 6-7 Mögliche Entwicklungen
Das Szenario zeigt, daß sich nichts zugunsten von Isolde entwickelt. Ihr wäre also dringend anzuraten, sich aktiv um eine Veränderung ihrer Situation zu bemühen – sei es durch Aussprache mit den Kollegen oder, sofern sich eine Stelle findet, Jobwechsel.
Krise im Museum
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Krise im Museum „Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht.“ (Deutsches Sprichwort3)
In einem zu einem Museumsverbund gehörigen Museum in Südfinnland brennt seit Wochen die Luft. Die Mitarbeiter gehen sich gegenseitig aus dem Weg. Jeder ist froh, wenn er einigermaßen in Ruhe seiner Arbeit nachkommen kann. Wie es zu der derzeitigen angespannten Lage kommen konnte, ist keinem so recht klar. Früher haben sich ja auch alle untereinander verstanden. Irgendwie hat sich das Klima aber mehr und mehr verschlechtert, bis letztendlich jeder in jedem eine Art „Feind“ sah. Bei Gesprächen wird jede Äußerung in der schlimmstmöglichen Weise ausgelegt. Jeder Rat oder Hinweis wird als persönlicher Angriff interpretiert. Besonders augenscheinlich sind die Antipathien zwischen der Museumsleiterin und zwei Archäologen.
Schuld sind immer die anderen
Mittlerweile sind die Querelen im Museum bis zum Leiter des Museumsverbundes, Anders Karlsson, vorgedrungen, der nun Abhilfe schaffen will. Zur Lösung des Problems hat er die Bildung einer sechsköpfigen Kommission angeordnet, die den 3
Zitate, http://www.zitate-online.de, 30.04.2009
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Management
Ursachen der angespannten Atmosphäre auf den Grund gehen soll. In die Kommission berufen wurden neben zwei Mitarbeitern aus dem Museumsverbund vier Mitarbeiter des betroffenen Museums: die Leiterin Pernilla Bergström, der Verantwortliche für Werbung und PR Pekka Lahti, die Archäologin Charlotte Bright sowie die Mitarbeiterin der archäologischen Abteilung Signe Eriksson. Zum Stammpersonal des Museums gehören 15 Mitarbeiter. Daneben ist man insbesondere während der Sommermonate auf Saisonkräfte angewiesen. Vor eineinhalb Jahren übernahm die relativ junge Pernilla Bergström die Leitung des Museums. Unter ihrer Leitung wurden bereits zahlreiche, sehr erfolgreiche Ausstellungen und Veranstaltungen organisiert. John und Charlotte Bright, zwei britische Archäologen, sind seit etwa drei Jahren im Museum in der archäologischen Abteilung, John als deren Leiter, tätig. Den anderen Mitarbeitern des Museums waren die beiden schon von Anfang an etwas eigen vorgekommen. An sich war mit ihnen aber gut auszukommen. Nun aber ließen sie öfter verlauten, Pernilla Bergström würde gegen sie intrigieren und das gesamte Personal würde dies – durch Stillschweigen – unterstützen. Pernilla weist alle Vorwürfe von sich und wirft den beiden Archäologen im Gegenzug vor, ihre Position untergraben zu wollen. Charlotte, die unter den gegebenen Bedingungen angeblich sehr leidet, hatte sich schon mehrmals krankschreiben lassen. Pekka Lahti arbeitet seit etwas mehr als vier Jahren im Museum und wird von den Kollegen als ruhige und sachliche Person sehr geschätzt. Aus diesem Grund wurde er mit der Leitung der Kommission beauftragt. Aufgabe 1 Wie entstehen Konflikte? In welchen Phasen läuft ein Konflikt ab? Aufgabe 2 Pekka stand noch nie vor einem solchen Problem und weiß nicht recht, wie er die Sache angehen soll, ohne daß der Aussöhnungsversuch von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Bevor er eine gemeinsame Aussprache anberaumt, möchte er mit jedem persönlich sprechen und dessen Ansichten festhalten. Welche Ansichten vertreten bzw. welche Ziele verfolgen die beteiligten Personen bezüglich ihrer beruflichen Tätigkeit? Welche Absichten könnten diese Personen bei der Konfliktbewältigung verfolgen? Aufgabe 3 Wie könnte sich die Situation entwickeln, wenn keine Aussöhnungsversuche unternommen werden? Wie könnte sich dies auf das Image des Museums als Touristenattraktion bzw. als Arbeitgeber auswirken? Aufgabe 4 Wie kann die Museumsleitung in die Situation eingreifen? Was kann die Leitung nicht steuern? Welche Faktoren können als Frühwarnindikatoren dienen?
Nachdem verschiedene Gespräche mit den Betroffenen stattgefunden haben und die Situation ausgiebig analysiert wurde, wird Pernilla Bergström in ein anderes Museum versetzt. Man glaubt, damit das Problem gelöst zu haben.
Krise im Museum
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Ende des Jahres beschließt man – auch zur Festigung des Zusammenhalts unter den Mitarbeitern –, eine gemeinsame Weihnachtsfeier zu veranstalten. Dazu begibt man sich, wie in den Küstenregionen der nordischen Länder üblich, auf eine gemeinsame Kreuzfahrt mit einem Fährschiff. Pekka Lahti, vom „neuen Frieden“ noch nicht ganz überzeugt und irgendwie mit einer unguten Vorahnung belastet, nimmt an den Feierlichkeiten nicht teil. Auch andere Mitarbeiter verzichteten aus den unterschiedlichsten Gründen auf diese Feier. Schließlich betreten zwei Wochen vor Weihnachten zehn Mitarbeiter das gebuchte Fährschiff. Nach dem gemeinsamen Abendessen wird auch einiges getrunken. Die Witze werden derber, schließlich zieht man auch über die Kollegen her. Ziemlich schnell haben sich wieder die beiden „alten Lager“ gebildet, die einstigen Anhänger Pernillas auf der einen und die Unterstützer von John und Charlotte auf der anderen Seite. Schließlich werden zwei der Mitarbeiter handgreiflich. Das Ergebnis dieser Rangelei sind zahlreiche blaue Flecke, Prellungen und ein gebrochenes Bein. Aufgabe 5 Nun ist guter Rat teuer. Wie kann unter den gegebenen Umständen überhaupt wieder eine Atmosphäre geschaffen werden, in der man gerne arbeitet und auch die erforderlichen Leistungen bringt?
Management
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Lösung Aufgabe 1 Für die Entstehung von Konflikten können verschiedene Gründe verantwortlich sein, beispielsweise sprachliche Mißverständnisse, unterschiedliche Interessen und Ziele, eine unklare Definition der Arbeitsaufgaben, unklare Kompetenzbereiche, als unangemessen empfundene Entlohnungs- und Aufstiegssysteme, Abhängigkeit oder auch persönliche Merkmale, wie etwa das persönliche Wertesystem. Konflikte können in folgenden Phasen ablaufen: Phase 1. Potentielle Widersprüchlichkeit bzw. Unvereinbarkeit 2. Ausbruch des Konflikts
Ereignisse •
in Kommunikation, Struktur, persönlichen Merkmalen
•
durch Wahrnehmung und Personifizierung der Bedrohung
3. Festlegung der Ziele der Konfliktparteien
• • • • •
Erfüllung der eigenen Interessen Erfüllung der Interessen beider Parteien Unterdrückung des Konfliktausbruchs Anpassung der Ziele an die Konfliktparteien Kompromiß zur teilweisen Zielerfüllung der Parteien
4. Handlungsphase
•
als dynamischer, interaktiver Prozeß
5. Ergebnis
• •
konstruktiv und leistungsfördernd destruktiv und funktionsstörend
Tabelle 7-1 Ablauf eines Konfliktprozesses
Aufgabe 2
Museumsbesucher
Leiter Museumsverbund Anders Karlsson
Zentrum der Krise
Leiterin Museum Pernilla Bergström
Abteilung Werbung + PR Pekka Lahti
Archäologische Abteilung John + Charlotte Bright
weitere Abteilungen
Mitarbeiter
Mitarbeiter, darunter Signe Eriksson
Mitarbeiter
Abbildung 7-1 Beteiligte
Krise im Museum
Pernilla Bergström
Anders Karlsson
Ansichten
Motivation, Engagement und • Qualität der Arbeit werden durch • Konflikt dauerhaft in Mitleidenschaft gezogen
•
sieht sich angeblich durch John und Charlotte Bright in ihrer Position gefährdet ist sich ihrer bisherigen Erfolge bewußt
•
sehen in Pernilla eine Intrigantin werfen dem Personal vor, diese Intrigen durch Stillschweigen zu unterstützen können die von ihnen gemachten Vorwürfe aber nicht anhand von Beispielen belegen hegen vielleicht Neidgefühle gegen Pernilla, die nach ihrer kurzen Tätigkeit im Museum bereits ansehnliche (Ausstellungs-) Erfolge verbuchen kann Charlotte läßt sich krankschreiben; entweder ist sie vom Konflikt wirklich betroffen oder will sich nur für eine Zeitlang aus der Affäre ziehen
• • • •
ist nicht direkt in Konflikt involviert ist als Leiter der Kommission unsicher, wie er nun vorgehen soll will zunächst in Einzelgesprächen die Ansichten der Beteiligten ergründen
•
bislang eher desinteressiert, sollte als Kommissionsmitglied aber auf Konfliktlösung hinarbeiten es ist nicht klar, inwieweit sie von John und Charlotte beeinflußt wird
•
•
John und Charlotte Bright
• •
•
• Pekka Lahti
Ziele
•
• •
• •
• Signe Eriksson
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•
• •
•
•
• •
Lösung des Konfliktes regte deshalb die Bildung einer Kommission an, die zur Klärung der Streitigkeiten beitragen soll
Absichten Zusammenarbeit (Lösung zugunsten beider Parteien)
Vermeidung (Unwünscht sich sicher ein angeterdrückung des nehmes Arbeitsklima im MuseKonflikts) um Festigung der eigenen Position scheint bisher aber nicht wirklich an einer Konfliktlösung interessiert gewesen zu sein, setzt sich jedenfalls nicht aktiv für eine Klärung der Situation ein Konkurrenz (zielt angenehmes Arbeitsklima Festigung der eigenen Position auf die Erfüllung der eigenen Intereventuell Aufstiegschancen? essen) sind scheinbar nicht an einer Lösung des Konfliktes interessiert, treten jedenfalls nicht aktiv für Konfliktlösung ein
beitragen zur Konfliktlösung, daß bald wieder Ruhe einzieht möchte dabei aber keine vorschnellen Schlüsse ziehen, sondern sachlich und ruhig an das Problem herangehen Wiederherstellung eines angenehmen Arbeitsklimas Sichern des eigenen Arbeitsplatzes es kann sein, daß sie in den Konflikt nicht direkt hineingezogen werden will es kann aber auch sein, daß sie durch die ständige Streiterei um die eigene Abteilung mehr und mehr genervt ist und in Zukunft umso aktiver an der Konfliktlösung mitarbeitet
Zusammenarbeit (Lösung zugunsten beider Parteien) oder Kompromiß (ein Teil der Ziele wird zugunsten der Interessen des Gegners geopfert) Vermeidung (Unterdrückung des Konflikts)
Abbildung 7-2 Beteiligte, deren Ansichten und Ziele
Wie es scheint, hat der Konflikt zwischen Pernilla Bergström und John und Charlotte Bright auf das gesamte Personal übergegriffen. Werden die Anschuldigungen weiterhin wie Bälle hin und her gespielt, wird der Konflikt sicher nicht gelöst werden.
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Die Mitarbeiter hätten schon viel früher miteinander reden sollen. Doch auch jetzt ist die einzige Möglichkeit: aussprechen, zuhören und diskutieren. Ob fremde Hilfe (Kommissionsmitglieder aus dem Museumsverbund) zielführend ist, hängt davon ab, ob die Beteiligten das akzeptieren bzw. wollen. Aufgabe 3 Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Arbeitsleistung/ Motivation Arbeitsklima
Gesundheit/ Wohlbefinden
Museumsbesucher
Entwicklung – Trendaussagen (O) bleibt (P) nimmt stark ab (W) nimmt ab Engagement (O) bleibt (P) nimmt stark ab (W) nimmt ab Qualität der geleisteten (O) bleibt Arbeit (P) nimmt stark ab (W) nimmt ab Wahrscheinlichkeit des (O) bleibt Auftretens von Mobbing (P) nimmt stark zu (W) nimmt zu Wahrscheinlichkeit von (O) bleibt Kündigungen/ (P) nimmt stark zu Fluktuation (W) nimmt zu Zahl interessierter Sai- (O) bleibt sonarbeitskräfte (P) nimmt stark zu (W) nimmt zu Streßempfinden (O) bleibt (P) wird viel stärker (W) wird stärker Negative psychische (O) bleiben Auswirkungen auf Or(P) nehmen stark zu ganismus (W) nehmen zu Negative physische (O) bleiben Auswirkungen auf Or(P) nehmen stark zu ganismus (W) nehmen zu Zahl der Fehltage der (O) bleibt Mitarbeiter/Kranken(P) nimmt stark zu stand (W) nimmt zu Freundlichkeit zu Besu- (O) bleibt chern (P) nimmt stark ab (W) nimmt ab Qualität der Ausstellun- (O) bleibt gen und Aktivitäten (P) nimmt stark ab (W) nimmt ab Qualität der Führungen (O) bleibt (P) nimmt stark ab (W) nimmt ab
Wirkung auf Image +/-+/-+/-+/-+/-+/-+/-+/-+/-+/-+/-+/-+/--
Abbildung 7-3 Mögliche Entwicklungen
Insgesamt zeigt sich, daß Schlichtungs- und Aussöhnungsversuche unbedingt notwendig sind, da nicht nur das Klima unter den Mitarbeitern und deren Gesundheit, sondern auch der
Krise im Museum
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Ruf des Museums aus Touristenattraktion und Arbeitgeber (z.B. auch für Saisonkräfte) gefährdet ist. Aufgabe 4 Kategorien Durch Museumsleitung steuerbar
Allgemeine Faktoren
Konfliktbezogene Faktoren
• •
Qualität der Arbeit Qualität der Ausstellungen und Aktivitäten Qualität der Führungen Freundlichkeit zu Besuchern
• •
Streßempfinden Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Mobbing negative physische Auswirkungen auf den Organismus negative psychische Auswirkungen auf den Organismus Zahl interessierter Saisonarbeitskräfte
• •
• •
Durch die Muse- • umsleitung nicht • oder nur unwesentlich steuer• bar • • Frühwarnindikatoren
• • • •
• • •
• • •
Dialogsuche, Einzelgespräche Unterbreiten von Lösungsvorschlägen Androhen von Versetzungen Androhen von Entlassungen Durchsetzung von (Teil-)Lösungen (z.B. Versetzungen) Reaktionen der Beteiligten tatsächlicher Verlauf des Konfliktprozesses Kündigungen seitens der Mitarbeiter Image des Museums in der Öffentlichkeit Kommunikation und Kooperation nach Lösung des Konfliktes
Motivation Engagement Fehltage Fluktuation
Abbildung 7-4 Von der Museumsleitung beeinflußbare und nicht beeinflußbare Faktoren
Aufgabe 5 Die Situation ist mittlerweile so „verfahren“, daß sich die Mitarbeiter allein wahrscheinlich nicht mehr helfen können. Sinnvoll wäre hier der Einsatz eines neutralen Dritten, z.B.: •
ein Vermittler, der den Verhandlungsprozeß vereinfachen soll, indem durch geschicktes Argumentieren und Überzeugen sowie durch Vorschlagen von Lösungsalternativen die endgültige Lösung gefunden wird;
•
ein Schiedsrichter, der den Konfliktparteien eine Übereinkunft vorschreiben kann (vgl. Gericht);
•
ein Schlichter, der die Konfliktparteien auch bei der Suche und Interpretation von Informationen sowie bei der Überzeugung der Kontrahenten unterstützt;
•
ein Berater oder Mediator, der versucht, den Problemlösungsprozeß durch Kommunikation sowie eigene Erfahrungen und Fertigkeiten bei der Aushandlung von Konflikten zu vereinfachen; Aufgabe des Beraters bzw. Mediators ist dabei nicht die Problemlösung an sich, sondern die gegenseitige Annäherung der Konfliktparteien, so daß diese aus eigenen Kräften eine Einigung zu erzielen.
Management
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8
Veränderung um jeden Preis „Die Dinge werden in Wahrheit niemals besser oder schlechter, nur eben anders.“ (Sebastian Haffner1)
Ein südfinnisches Museum führt derzeit eine umfassende Umstrukturierung der Organisation durch. Als Nachteil erwies sich bisher, daß das Museum über verschiedene Außenstellen verfügt, die mehr oder weniger autonom gearbeitet haben. Um die Arbeitsabläufe effektiver zu gestalten, sollen nun verschiedene Abteilungen zusammengefaßt werden. Im Zuge dessen erhielten viele Mitarbeiter ein neues Büro, wodurch schon seit Tagen die meisten Mitarbeiter mit der Überführung ihrer Habseligkeiten an ihre neue Wirkungsstätte beschäftigt sind. John Bright, leitender Archäologe, hat ein neues, größeres Büro erhalten, wodurch dessen altes Büro im Hauptgebäude frei wurde. In dieses Büro kann nun die bisher in einer Außenstelle tätige Archäologin Signe Eriksson ziehen. Der Verantwortliche für Werbung und PR Pekka Lahti kann sich über ein zentraler gelegenes Büro mit entsprechenden Möglichkeiten zum Empfang von Gästen freuen. Vom Raumtausch abgesehen, finden auch verschiedene personelle Veränderungen statt. Es wurde zwar garantiert, daß keiner seinen Arbeitsplatz verlieren wird, eine gewisse Unsicherheit unter dem Mitarbeitern bleibt dennoch. Erst vor wenigen Monaten wurde Emil Ekdal als neuer Museumsleiter ins Amt eingeführt. Nach der Umorganisation sollte dieser als „Abteilungsleiter für Ausstellungen und Information“ für Haupt- und Nebenstandorte verantwortlich sein. Mit der Begründung, sich in Zukunft wieder mehr seiner eigentlichen Leidenschaft, der Kunst, widmen zu wollen, hat Emil Ekdal bereits gekündigt. Hinter den Kulissen werden jedoch andere Kündigungsgründe kolportiert. Selbst die Lokalpresse griff den Rücktritt auf und wertete diesen als Protest gegen die neue Organisationsform. Pekka Lahti, der bisher sehr gut mit Emil Ekdal zusammengearbeitet hat, ist enttäuscht, daß er schon wieder einen neuen Vorgesetzten bekommen soll, und wartet skeptisch, was nun auf ihn zukommt. Anders sieht die Lage für John Bright aus, dem die Beförderung zum stellvertretenden Museumsleiter ins Aussicht gestellt wurde. Aufgabe 1 Welche Elemente innerhalb einer Organisation sind veränderbar? Aufgabe 2 Welche Formen von Widerstand gegen derartige Veränderungen können auftreten? Wie könnte man den Widerstand bewältigen? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 3 Insbesondere Emil Ekdal scheint im Rahmen der Umorganisation der Leidtragende zu sein. Welche weiteren Akteure sind von der Umstrukturierung betroffen? Erläutern Sie deren Ansichten bzw. Probleme!
1
Harenberg Lexikon der Sprichwörter und Zitate, Dortmund 2001, 1270
Veränderung um jeden Preis
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Lösung Aufgabe 1 •
Struktur
•
Anpassung der Strukturen und Prozesse an sich ändernde Umweltbedingungen Modifizierung einzelner Elemente oder der gesamten Struktur möglich; z.B. Zusammenlegung von Abteilungen, Beseitigung von Hierarchieebenen, Aufteilung von Entscheidungskompetenzen
Technologie
• •
bedingt durch Wettbewerb und/oder Innovationen z.B. Automatisierung der Produktionsprozesse, Modifizierung der Maschinen und/oder Werkzeuge
Arbeitsplatz
• •
Anpassung der physischen Arbeitsumwelt Motivations- und Leistungssteigerung durch ansprechende Gestaltung des Arbeitsumfeldes (vgl. Ergonomie) und die Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten Arbeitsplatzlayout und Raumaufteilung
• •
Mitarbeiter
•
Optimierung der Zusammenarbeit durch Veränderung von Einstellungen, Fähigkeiten, Erwartungen, Wahrnehmungen und Verhalten der Organisationsmitglieder z.B. durch eine Modifizierung der Kommunikationsprozesse, verstärkte Einbeziehung der Mitarbeiter oder Übertragung von Verantwortung
Tabelle 8-1 Veränderbare Elemente innerhalb einer Organisation
Aufgabe 2 Gewohnheit
strukturelle Trägheit
Sicherheit ökonomische Faktoren
individueller Widerstand
organisationaler Widerstand
Einfluß der Gruppe
Furcht vor Ungewißheit selektive Informationsverarbeitung
Kommunikation Partizipation
eingeschränktes Blickfeld
Widerstand gegen Veränderungen
Bewältigung des Widerstandes
Unterstützung
Abbildung 8-1 Widerstand gegen Veränderungen
Furcht vor Machtverlust Bedrohung der Ressourcenverteilung
Verhandlung Manipulation Zwang
Management
80 Aufgabe 3
(ehem.) Museumsleiter Emil Ekdal
Leiter Archäologie John Bright
Leiter Marketing Pekka Lahti
andere Abteilungen
Kooperationspartner
Signe Eriksson und weitere Mitarbeiter
Mitarbeiter
Mitarbeiter
Besucher
Abbildung 8-2 Akteure Akteure Emil Ekdal
Ansichten zur bzw. Probleme durch Umorganisation • • • •
wurde durch Umstrukturierung degradiert sieht seine bisherigen Leistungen nicht gewürdigt es fehlen Entwicklungsmöglichkeiten im Museum protestiert durch Kündigung
John Bright
• •
ist sicher – zumindest vorerst – mit neuer Organisationsform glücklich Beförderung in Aussicht gestellt
Signe Eriksson
•
wird sich sicher über neues Büro freuen; nicht mehr in Außenstelle, sondern am Hauptsitz des Museums an Arbeitsaufgaben scheint sich nicht viel geändert zu haben
Pekka Lahti
• • •
hat zwar ein günstiger gelegenes Büro erhalten ist aber enttäuscht, daß sein bisheriger Vorgesetzter, mit dem er gut auskam, die Organisation verläßt ist unsicher, was nun auf ihn zukommt
übrige Mitarbeiter
• •
gewisse Unsicherheiten im Zuge der Umstrukturierung Jobgarantie wurde zwar gegeben, aber man weiß ja nie ...
Besucher
•
für Besucher ist es an sich uninteressant, wie die Organisation strukturiert ist, solange sie ihren Aufgaben gerecht werden kann sollten von Problemen durch die interne Umstrukturierung nichts mitbekommen, sondern nur deren positive Auswirkungen spüren
•
• Kooperationspartner
•
sollten von der nun effektiver arbeitenden Organisation (sofern die Umstrukturierung die gesetzten Ziele erreicht) profitieren
Tabelle 8-2 Ansichten und Probleme der Akteure
Wie ein Rädchen im Getriebe
9
81
Wie ein Rädchen im Getriebe „Das Personal von McDonald’s und Starbucks verdient oft weniger als die Arbeitskräfte in selbständigen Restaurants oder Cafés. Dies erklärt, warum McDonald’s weltweit für die Erfindung des Wegwerfjobs verantwortlich gemacht wird, des ‚McJobs‘, den inzwischen die ganze Fastfood-Branche kopiert.“3
Über mehr als 940 Mio. Gäste, die in den 1.333 Restaurants mehr als 2,8 Mrd. Euro ausgaben, konnte sich McDonald’s Deutschland im Jahr 2008 freuen. Weltweit bieten über 31.000 Filialen bzw. Franchiseunternehmen Burger & Co. an.4 McDonald’s ist in den USA der größte Abnehmer „für Rindfleisch, Schweinefleisch und Kartoffeln sowie der zweitgrößte Abnehmer für Hühnerfleisch. Das Unternehmen besitzt die meisten Immobilien im Einzelhandel, [...] gibt mehr Geld für Reklame und Marketing aus als jedes andere Unternehmen und hat mittlerweile Coca-Cola als bekannteste Marke der Welt abgelöst. Es betreibt mehr Spielplätze als jede andere private Organisation in den USA und ist einer der größten Einkäufer von Spielwaren.“5 Auch in Deutschland spielt McDonald’s als Abnehmer eine große Rolle. 2008 wurden 34.000 t Weizen, 140.000 t Kartoffeln, 35,7 Mio. l Milch, 40.000 t Rindfleisch und 4.000 t Salat von etwa 95.000 inländischen Zulieferern bezogen. Dies entspricht rund 80 % des Einkaufsvolumens von McDonald’s.6 Zudem übt McDonald’s auch einen großen Einfluß auf den Arbeitsmarkt aus. Allein in den USA werden jährlich etwa eine Million Mitarbeiter eingestellt, womit der Konzern zu den größten Arbeitergebern zählt. Viele junge Menschen treten ihre erste Stelle bei McDonald’s an.7 In Deutschland waren 2008 rund 58.000 Mitarbeiter beschäftigt.8 Aufgrund der niedrigen Löhne, die nicht dazu taugen, eine Familie zu ernähren, der niedrigen Mindestanforderungen, die ein Mitarbeiter mitbringen muß, und der ansturmabhängigen Arbeitszeiten scheinen Jugendliche oder Zusatzverdiener für diese Art von Job prädestiniert. Um nicht in zeitlich und finanziell intensive Schulungen investieren zu müssen, müssen die Geräte einfach zu bedienen sein. Die Beschäftigungspraktiken in der Systemgastronomie gehen auf die Fließbandproduktion zurück, die – entwickelt von Taylor und erstmals in großem Stil umgesetzt von Henry Ford – Anfang des 20. Jahrhunderts in amerikanischen Unternehmen Einzug hielt. 1958 stellte Fred Turner (späterer McDonald’s-Präsident) ein Handbuch für Ausbildung und Betrieb zusammen, welches jeden zu erledigenden Handgriff exakt regelt. Es beschreibt, wie die einzelnen Geräte zu bedienen sind, wie dick Pommes Frites zu sein haben, wie Hamburger auf den Grill zu legen und wie die Kunden zu grüßen sind.9 Jeder 3
Klein, Naomi: No Logo!, München 2002, 247 vgl. McDonald’s Deutschland Inc.: Jahresbericht 2008, München 2009, 2ff Schlosser, Eric: Fast Food Gesellschaft, München 2002, 13f 6 vgl. McDonald’s Deutschland Inc.: Jahresbericht 2008, München 2009, 12 7 vgl. Schlosser, Eric: Fast Food Gesellschaft, München 2002, 13 8 vgl. McDonald’s Deutschland Inc.: Jahresbericht 2008, München 2009, 3 9 vgl. Schlosser, Eric: Fast Food Gesellschaft, München 2002, 101f 4 5
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Arbeitsschritt ist also genau geregelt. Das Arbeitsergebnis hängt nicht mehr von den Fertigkeiten und Kenntnissen des Mitarbeiters ab. Der Mitarbeiter wird somit austauschbar. Die Neubesetzung von Stellen ist kein Problem mehr.
Alle vier Stunden eröffnet irgendwo auf diesem Planeten ein neues McDonald’s-Lokal.10
Günter Wallraff hat die Arbeit bei McDonald’s in seinem Buch „McDonald’s beißt kräftig zu“ stark kritisiert und als „das ekelhafteste System, das ich erlebt habe“11 beschrieben. Er begründete dies z.B. damit, daß Betriebsratswahlen oft verhindert und häufige Personalwechsel mit dem Ziel niedriger Löhne forciert wurden.12 Schlosser zufolge arbeiten McDonald’s-Mitarbeiter rund 30 Stunden pro Woche, wobei nur die wenigsten fest angestellt sind. Managern und Assistant Managern bieten sich Karrierechancen im Unternehmen, jedoch müssen Wochenarbeitszeiten von bis zu 70 Stunden und zahlreiche Überstunden in Kauf genommen werden. Eine hohe Fluktuation ist oft die Folge.13 In der Hand der Manager liegt es, den Mitarbeiter die Arbeiten zuzuteilen, sie einzustellen und zu entlassen. Ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit ist die Motivation der Mitarbeiter. Angesichts der eher schlechten Bezahlung wird hierbei besonderer Wert auf eine Entwicklung von „Teamgeist“ gelegt. An einer unternehmenseigenen „Universität“ werden jedes Jahr mehrere tausend Manager, leitende Angestellte und Franchisenehmer in zweiwöchigen Kursen in Sachen Teamarbeit, Mitarbeitermotivation, gemeinsame McDonald’s-Sprache und -Kultur geschult.14 10
Pater, Siegfried: Zum Beispiel McDonald’s, Göttingen 1996, 8 Wallraff, Günter, zit. in: Pater, Siegfried: Zum Beispiel McDonald’s, Göttingen 1996, 44f vgl. ebd. 13 vgl. Schlosser, Eric: Fast Food Gesellschaft, München 2002, 109 14 vgl. ebd., 47 11 12
Wie ein Rädchen im Getriebe
83
Anders als bei den Mitarbeitern und der Arbeitsweise in den Restaurants deutlich wird, lehnte McDonald’s-Vater Ray Kroc jegliche Uniformität unter den Männern in seiner Führungsriege ab.15 Ebenso wurde und wird von den Führungskräften Kreativität und Flexibilität erwartet. „Das McDonald’s-Management ist stolz auf seine Fähigkeit, sich jeder Situation anzupassen. Man ist bereit, sorgfältig ausgearbeitete Pläne buchstäblich über Nacht fallenzulassen, wenn Veränderungen am Markt es erfordern. Man scheut sich nicht, zu experimentieren und dabei auch Fehler einzukalkulieren.“16 Angesichts der weltweiten Erfolge hält man an den „überlieferten Franchising-Prinzipien und an [...] unerschütterlichen Forderungen in bezug auf Qualität, Service und Hygiene fest: Markenzeichen einer Kette, die durch systemkonforme Leistung besticht. Aber unter dem Mantel der Konformität verbirgt sich eine Unternehmenskultur, die Flexibilität in den Mittelpunkt stellt.“17 Nunmehr engagiert sich McDonald’s aber auch stärker in der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter. Seit rund zehn Jahren wird eine dreijährige Ausbildung zum Fachmann bzw. zur Fachfrau für Systemgastronomie angeboten. In Zusammenarbeit mit Privathochschulen ist es möglich, eine Fachwirtausbildung zu absolvieren bzw. an einem Bachelorstudiengang teilzunehmen.18 Aufgabe 1 Was beinhaltet eine Organisationskultur? Wodurch kann eine Organisationskultur den Mitarbeitern verinnerlicht werden? Aufgabe 2 Wie würden Sie die Organisationskultur von McDonald’s beschreiben? Aufgabe 3 Erläutern Sie, warum McDonald’s als mechanistische Organisation bezeichnet werden kann! Aufgabe 4 Auf welche Komponenten der Arbeitsmotivation können sich die Mitarbeiter stützen? Aufgabe 5 Versuchen Sie, die Entscheidungsstrukturen, Entscheidungsabläufe und Entscheidungsspielräume der einzelnen Mitarbeiter zu beurteilen! Aufgabe 6 Welche aus der Tätigkeit von McDonald’s resultierende Auswirkungen sind hinsichtlich des Arbeitsumfeldes, der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Umwelt festzustellen?
15
vgl. Love, John F.: Die McDonald’s Story, München 1996, 133 Ray Kroc, zit. in: Love, John F.: Die McDonald’s Story, München 1996, 106 17 ebd. 18 vgl. McDonald’s Deutschland Inc.: Jahresbericht 2008, München 2009, 5f 16
Management
84
Lösung Aufgabe 1 Organisationskultur kann als System von Wertvorstellungen, Verhaltensnormen, Denk- und Handlungsweisen, die von den Organisationsmitgliedern erlernt und akzeptiert werden, verstanden werden. Sie bewirkt, daß sich eine Gruppe von Individuen von einer anderen unterscheidet, und kann gezielt als Steuerungs- und Führungsinstrument eingesetzt werden. Sie wird durch Geschichten, Anekdoten, Sprache, Rituale, Zeremonien, Symbole verinnerlicht. Aufgabe 2 Die Organisationskultur ist gekennzeichnet durch: •
Uniformität (trotz unterschiedlicher Layouts ähneln sich Lokale stark, einheitliche Kleidung der Mitarbeiter in einem Restaurant),
•
Sprache (Bezeichnung der Speisen und Getränke überall gleich),
•
Symbole/Figuren („Golden Arches“, Ronald McDonald),
•
Standardisierung der Arbeitsabläufe,
•
Flexibilität und Kreativität wird im höheren Management besonders gefordert, ist an der Basis aber kaum möglich,
•
ein junges Team.
Aufgabe 3 Ein Vergleich mit einer „Maschine“ bietet sich aus verschiedenen Gründen an: •
Die Arbeitsabläufe sind genau geregelt (vgl. Handbuch) und damit sehr effektiv.
•
Es herrscht eine hohe Standardisierung. Dafür notwendig sind eine stabile Umgebung, eine Aufgabe bzw. ein Produkt mit geringer Komplexität, wenige Produkte sowie große Mengen.
•
Die Mitarbeiter müssen „funktionieren“ wie das sprichwörtliche Rädchen im Getriebe.
•
Das Ergebnis hängt nicht mehr von den Fertigkeiten bzw. Kenntnissen des Mitarbeiters ab, der Mitarbeiter wird austauschbar.
Eine Organisation als Maschine funktioniert immer noch nach dem klassischen „Taylorismus“19 bzw. „Fordismus“ (technische, wirtschaftliche und sozialpolitische Grundlagen, die Henry Ford in seinen Automobilfabriken anwendete und die dem Gedankengut von F. W. Taylor sehr nahe stehen). Aufgabe 4 Komponenten der Motivation sind Teamgeist und Dazugehörigkeitsgefühl, immaterielle „Entlohnung“ (z.B. Auszeichnungen) und Geld (Entlohnung allerdings vergleichsweise niedrig). Allerdings sind sowohl Hygienefaktoren als auch Motivatoren (vgl. Frederick Herzberg) in oft nur geringem Ausmaß erfüllt.
19 siehe dazu auch Taylor, Frederick W.: Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, München/Berlin 1913
Wie ein Rädchen im Getriebe
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Aufgabe 5 Die Mitarbeiter haben kaum Raum für eigene Entscheidungen. Arbeitsabläufe sind genau festgelegt, Abweichungen von der Norm nicht vorgesehen. Individualität spielt praktisch keine Rolle. Das Einbringen spezieller persönlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten ist kaum gefragt. Aufgabe 6 Auswirkungen im Arbeitsumfeld
Auswirkungen auf die Wirtschaft
soziale Auswirkungen
•
McDonald’s als „Maschine“, ausschließlich Orientierung am Leistungsprinzip • absolute Austauschbarkeit der Mitarbeiter bestimmt Stellung des Einzelnen • gleichzeitig Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung (Berufsausbildung, Studium) Aufgrund der Größenverhältnisse und Mengen Auswirkungen auf • Beschaffung • Preisniveau • Gastronomiebranche • Bildungs- und Qualitätsstandards • Arbeitsmarkt • • • •
Auswirkungen auf die Umwelt
• •
„McJobs“ als unzureichende Grundlage persönlicher Existenzsicherung aufgrund der Größenordnung auch vielfältige Auswirkungen auf die Gesellschaft weltweit Einfluß auf die Gesellschaft in bezug auf Konsumverhalten und kulturelle Aspekte, die sich aus der Organisationsphilosophie ableiten Engagement im sozialen Bereich: McDonald’s Kinderhilfe Stiftung, Sportförderung20 Ressourcenverbrauch Engagement im Umweltschutz: Seit 1991 existiert eine Umweltabteilung, die sich z.B. auch für den Verwendung nachwachsender Rohstoffe bei Verpackungsproduktion und Biodiesel in der Lkw-Flotte sowie die Unterstützung des nachhaltigen Kaffeeanbaus, Rainforest Alliance einsetzt21
Tabelle 9-1 Aus der Tätigkeit von McDonald’s resultierende Auswirkungen
20
vgl. McDonald’s: Wer erfolgreich ist, muss sich auch engagieren, http://www.mcdonalds.de, 07.04.2009 21 vgl. McDonald’s: McDonald’s in Zahlen und Fakten, http://www.mcdonalds.de, 07.04.2009; McDonald’s: Umweltschutz ist für uns selbstverständlich, http://www.mcdonalds.de, 07.04.2009
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10
Arbeiten in Schweden „Deutsche Ärzte sind in Schweden gefragt, weil die Ausbildung einen guten Ruf hat, sich die beiden Völker kulturell und geografisch nahe sind und auch die Sprachen nicht zu weit auseinander liegen.“1
Seit Jahren werden in Schweden dringend Ärzte gesucht. Grund für den anhaltenden Ärztemangel ist die strikt bedarfsorientierte Zulassung zum Medizinstudium, wobei man in den letzten Jahren den tatsächlichen Bedarf aber weit unterschätzt hat. Gleichzeitig wandern viele schwedische Ärzte nach Norwegen aus, der besseren Bezahlung wegen. Durch Pensionierungen wird die Situation verschärft.2 Die Folgen sind lange Wartezeiten für die Patienten.3 Im Jahr 2008 fehlten etwa 1.000 Ärzte, große Engpässe bestehen derzeit in der Allgemeinmedizin und in der Psychiatrie.4 Schwedische Regionen werben deshalb massiv um Ärzte aus dem Ausland und führen dabei auch Rekruting-Veranstaltungen in Deutschland durch.5
Was wäre Schweden ohne falunrote Holzhäuser ... oder Elche?
Es wird geschätzt, daß inzwischen über 1.000 deutsche Ärzte in Schweden tätig sind.6 Im Jahr 2007 gingen über 60 % der ausgegebenen Arztlegitimationen an einen Arzt mit ausländischer Ausbildung. 8,7 % davon nahmen deutsche Ärzte ein.7 Für den schwedischen Ärzteverband8 ist es in diesem Zusammenhang besonders
1
Röbke, Thomas: Sprechstunde in Bullerbü (15.05.2008), http://www.zeit.de, 02.04.2009 vgl. ebd. 3 vgl. Bruckenmeier, Claudia: Operation nötig? Ab ins Ausland!, Weltspiegel, BR, 22.03.2009; Bührig, Agnes; Budde, Alexander: Schweden – Eine Nachbarschaftskunde, Berlin 2007, 114 4 vgl. Anwar, André: Deutsche Ärzte in Schweden: Viel Licht, ein wenig Schatten, in: Deutsches Ärzteblatt, http://www.aerzteblatt.de, 02.04.2009; Samnordisk Arbetsgrupp för Prognos- och Specialistutbildningsfrågor: Den framtida läkararbetsmarknaden i de nordiska länderna, Københaven u.a. 2008, 35 5 vgl. Röbke, Thomas: Sprechstunde in Bullerbü (15.05.2008), http://www.zeit.de, 02.04.2009 6 vgl. Anwar, André: Deutsche Ärzte in Schweden: Viel Licht, ein wenig Schatten, in: Deutsches Ärzteblatt, http://www.aerzteblatt.de, 02.04.2009 7 vgl. o.V.: Schweden: 2007 mehr als die Hälfte aller Neuapprobationen an Ausländer – viele deutsche Ärzte (09.09.2008), http://www.gesundheitsmarkt-aktuell.de, 02.04.2009 8 vgl. Sveriges Läkarförbund, http://www.slf.se 2
Arbeiten in Schweden
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wichtig, daß die ausländischen Ärzte möglichst schnell mit der Landessprache vertraut werden und deren Integration am Arbeitsplatz zügig vorangetrieben wird. Seit Schweden EU-Mitglied ist, gestaltet sich ein Arbeitsaufenthalt im Land wesentlich einfacher als zuvor. Eine Arbeitserlaubnis ist für EU-Bürger nicht mehr erforderlich. Lediglich eine Aufenthaltserlaubnis muß bei einem über drei Monate hinausgehenden Aufenthalt – entweder vorher in Deutschland oder vor Ort – beantragt werden. Wird ein Stellenangebot kurzfristig angenommen, ist es sogar möglich, die Stelle ohne eine solche Erlaubnis anzutreten, da diese in solchen Fällen stets nachträglich erteilt wird. Diese Chance möchte nun auch Erik Sommer nutzen. Erik hat in Deutschland Medizin studiert und war nach Abschluß des Studiums eine Zeitlang in Deutschland tätig. Allerdings war er nicht so recht zufrieden mit dieser Situation. Als sich die Gelegenheit bot, eine Stelle in Mora, in der Provinz Dalarna, anzunehmen, sagte er zu. Das Land ist für Erik nicht völlig unbekannt. Während seiner Studienzeit führten ihn bereits mehrere Reisen nach Skandinavien. Doch noch so viele Urlaubsreisen können natürlich nicht vermitteln, wie das Leben im fremden Land dann tatsächlich ist. Aufgabe 1 Worauf ist der derzeitige Ärztemangel in Skandinavien zurückzuführen? Aufgabe 2 Welche Gründe können generell für bzw. gegen einen Auslandseinsatz sprechen? Aufgabe 3 Da Erik nicht von seinem bisherigen Arbeitgeber ins Ausland entsandt wird, sondern sich den neuen Arbeitsplatz auf eigene Initiative gesucht hat, kommt er nicht in den Genuß sonst üblicher Vorbereitungs- und Trainingsprogramme. Wie kann sich Erik dennoch auf die neuen Rahmenbedingungen und die neue Kultur vorbereiten? Aufgabe 4 Welche persönlichen Maßnahmen zur Vorbereitung bzw. Planung sollte Erik vorab konkret treffen? Aufgabe 5 Inwieweit könnte eine Analyse des neuen Umfeldes bei der Vorbereitung helfen? Wie könnte eine derartige Umfeldanalyse aussehen? Aufgabe 6 Welche Probleme könnten bei der Rückkehr aus dem Ausland auftreten?
Management
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Lösung Aufgabe 1 Ursache ist die strikt bedarfsorientierte Zulassung zum Medizinstudium, wobei in den letzten Jahren der tatsächliche Bedarf weit unterschätzt wurde. Die längere Dauer des Medizinstudiums läßt Änderungen in der Planung nicht sofort wirksam werden. Zahlreiche schwedische Ärzte gehen nach Norwegen, was aber die Situation in Schweden noch verschärft. Aufgabe 2 Pro • • • • •
Contra Schritt auf der Karriereleiter größere Verantwortung übernehmen Ausdehnung des Aufgabenbereiches Wunsch, Neues kennenzulernen bessere Bezahlung
• • • •
persönliche Gründe Familie, insbesondere Partner Abneigung gegenüber Rahmenbedingungen im Gastland Angst vor Karriereknick nach Rückkehr
Tabelle 10-1 Pro und Contra Auslandsaufenthalt
Aufgabe 3 Die Vorbereitung setzt sich aus verschiedenen „Bausteinen“ zusammen: Besuch eines Sprachkurses, insbesondere medizinisches Fachvokabular; Literaturstudium; Gespräche mit Nicht-Schweden, die bereits in Schweden arbeiten bzw. dort eine Zeitlang gearbeitet haben; Lokalaugenschein, um die aktuellen Entwicklungen einzufangen; Besuch interkultureller Trainingskurse; Anschluß finden an evtl. schwedische Institutionen in der Heimat bzw. Besuch von deren Veranstaltungen. Aufgabe 4 Vorbereitung: Die Sammlung von Informationen zum Land und der dortigen Lebensweise hilft, sich auf das neue Lebens- und Arbeitsumfeld einzustellen. Obwohl Englisch in Schweden weit verbreitet ist, ist die Absolvierung eines Sprachkurses unumgänglich. Ob dieser vorab in Deutschland, parallel zum Einsatz in Schweden (oder auch kombiniert) stattfindet, hängt höchstwahrscheinlich von der Kurzfristigkeit des Einsatzes und der Verfügbarkeit in Deutschland ab. Familie: Ist Erik gebunden, sollte ein derartiger Entschluß nicht ohne Einbeziehung der Partnerin bzw. die Familie getroffen werden. In Abhängigkeit von der geplanten Dauer des Auslandseinsatzes stellt sich die Frage, ob die Partnerin zu Hause bleibt oder ins Gastland mitkommt. Zeitraum: Es sollte auf jeden Fall geklärt werden, ob es sich um einen befristeten oder unbefristeten Einsatz handelt. Davon hängt beispielsweise ab, ob die Wohnung in Deutschland ganz aufgegeben wird, die Partnerin mit übersiedelt. Umzug: Angesichts der geographischen Entfernung will vorher gut überlegt sein, was beim Umzug mitgenommen werden soll. Es muß entschieden werden, ob die Übersiedelung auf einmal oder etappenweise (beispielsweise wenn die Partnerin vorerst in Deutschland bleibt oder die Wohnungseinrichtung in Deutschland vorübergehend eingelagert wird) erfolgen soll. Wird ein Kleintransporter gemietet (und soll die Strecke nicht mehrfach zurückgelegt werden), ist das Transportvolumen von vornherein begrenzt. Doch auch, wenn der Umzug einer darauf spezialisierten Firma überlassen wird, sollte das Transportgut überlegt zusammengestellt werden. Üblicherweise werden die Transportkosten nach belegter Ladefläche berechnet. Hinzu kämen noch die Kosten für die Fähre (bzw. für die Nutzung der Öresundbrücke).
Arbeiten in Schweden
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Wohnen: Auch die Suche nach einer Unterkunft wird sicher von der Aufenthaltsdauer abhängig sein. Darüber hinaus ist es sicher von Bedeutung, wie gut Wohnung oder Haus an die vorhandene Infrastruktur angebunden sind. Finanzen: Finanzielle Belastungen erwachsen allein schon aus dem Umzug. Werden nur Teile der Wohnungseinrichtung mitgenommen, gilt es, diese in Schweden zu komplettieren, was wiederum Kosten nach sich zieht. Interessant ist vor solch einem Schritt sicher auch ein Vergleich von Gehalt und Lebenshaltungskosten im Heimat- und im Gastland. Formalitäten: Schließlich müssen eine Reihe von Formalitäten geklärt werden: Ist es beispielsweise aufgrund der Aufenthaltsdauer notwendig, eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen? Wenn ja, soll dies bereits in Deutschland oder erst in Schweden erfolgen? Unabdingbar ist in Schweden die Beantragung der sogenannten personnummer, die jeder Schwede mit der Geburt erhält und ohne die in Schweden keinerlei Amtsgeschäfte abgewickelt werden können.
Formalitäten
Kindergarten/Schule
zum Land
Arbeitsplatz
über Arbeitgeber
Partner/Kinder kommen gleich mit
Transporter mieten
über Region/Stadt
selbst Umzugsfirma
Partner/Kinder kommen nach
Wohnungsmarkt
Kosten
wie transportieren?
Informationen Familie vorab
was mitnehmen?
vor Ort Umzug Sprachkurs Vorbereitung
Finanzen Umzug
Zeitraum
Arbeiten in Schweden
Miete
Zeitpunkt der Abreise
Lebenshaltungskosten
Dauer ingesamt
länger als drei Monate
Formalitäten Aufenthaltserlaubnis (auch für mitreisende Angehörige)
Beantragung in Deutschland
Gehalt
Wohnen provisorische Unterkunft
Beantragung in Schweden Arbeitserlaubnis entfällt für EU-Bürger Personennummer
Wohnung Haus Infrastruktur
Abbildung 10-1 Mindmap: Arbeiten in Schweden – Was vor dem Umzug zu berücksichtigen ist
90
Management
Aufgabe 5 Eine derartige Analyse hilft, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Heimatland zu erkennen und u.U. (übermäßige) Vorfreude bzw. Bedenken und Ängste zu relativieren. Politisch-rechtliches Umfeld politische • Staatsform: parlamentarische Monarchie Situation • Hauptstadt: Stockholm • Verwaltungsgliederung: 21 Provinzen (Län), die sich teilweise mit den 25 Landschaften decken; staatliche Verwaltungsbehörden der Regierung unterstellt • politisches System: repräsentative Demokratie; schwedischer Reichstag, der nur durch direkte Wahlen gewählt wird, besteht aus einer Kammer, der wiederum 349 Mitglieder angehören; Legislaturperiode vier Jahre; Reichstag ernennt Ministerpräsidenten, der mit Regierungsbildung beauftragt wird; Staatsoberhaupt ist König bzw. Königin des Landes • Parteiensystem: galt lange Zeit als eines der stabilsten der westlichen Welt; im Reichstag vertreten sind Sozialdemokratische Arbeiterpartei, Moderate Sammlungspartei (Konservative), Liberale Partei, Zentrumspartei, Linkspartei, Umweltpartei Die Grünen, Christlich-Demokratische Partei, Neue Demokratie • Neutralität: Schweden führte seit 1814 keinen Krieg mehr; blieb auch im Ersten und Zweiten Weltkrieg neutral • Sicherheitspolitik: lange Zeit Politik der Bündnisfreiheit, Beitritt zur EU führt in der Sicherheitspolitik zu keiner Veränderung; Unterstützung der UN-Friedensmissionen • Mitgliedschaften: seit 1995 Mitglied der EU, nimmt jedoch nicht am Euro teil rechtliche • Rechtsordnung: Verfassung besteht aus vier Grundgesetzen: Gesetz über die ReSituation gierungsform, Thronfolgegesetz, Pressegesetz und Grundgesetz über die Freiheit der Meinungsäußerung; Gesetzgebung basiert auf starker einheimischer Tradition; Verzicht auf eine umfassende Kodifikation wie Bürgerliches Gesetzbuch in Deutschland oder Code Civil in Frankreich; Rechtssystem zwischen denen des europäischen Kontinents und denen des anglo-amerikanischen Raums anzusiedeln; Besonderheit Ombudsman • Rechtssicherheit: gewährleistet, u.a. durch Verwaltungsgesetz von 1986, welches insbesondere die Wahrung der Rechtssicherheit der Bürger gegenüber Verwaltungsbehörden zum Ziel hat • Wirtschaftsordnung: sozial-liberale Marktwirtschaft • Steuern: hohe Besteuerung; Steuereinnahmen rund 48 % des BIP (2007) • Amtssprache: Schwedisch, als Geschäftssprache Englisch weit verbreitet Ökonomisches Umfeld Wirtschaft • Währung: Schwedische Krone • Wirtschaftspolitik: liberale Handelspolitik zur Förderung von Importen, Wettbewerb und Strukturwandel; in den letzten Jahren umfangreiche Strukturreformen • Zusammensetzung des BIP: Dienstleistung 70 %, Industrie 28 %, Landwirtschaft 2 % (2000) • öffentliche Finanzen: Einkommen und Wohlstand relativ gleichmäßig verteilt; große Bedeutung des öffentlichen Sektors • Industrie: stark differenzierte Volkswirtschaft, in der auch traditionelle Industriezweige noch eine große Rolle spielen; große Bedeutung der metallverarbeitenden und Hochtechnologiebranchen; Unternehmen bzw. Marken mit weltweiter Bedeutung: Volvo, Saab, Ericsson, ABB, AstraZeneca, Electrolux, Ikea, H&M, Hasselblad, Absolut • Außenhandel: stark vom internationalen Handel abhängig; Exporte 52 % des BIP (2007), wichtigste Exportmärkte in Westeuropa sowie Norwegen und Finnland; über die Hälfte der Exporte geht in die EU, rund 23 % in die nordischen Länder; 35 Jahre Mitglied der EFTA, Mitgliedschaft endete 1995 mit EU-Beitritt • wichtigste Exportprodukte: Elektrowaren, Telekom, Maschinen, Pkws, Papier, Arzneimittel, Eisen und Stahl; wichtigste Importprodukte: Elektrowaren und Telekom, Maschinen, Lebensmittel, Rohöl, Textilwaren, Schuhe, Pkw
Arbeiten in Schweden
91
Fortsetzung
Kaufkraft
•
• •
Arbeitsmarkt
• •
Soziales
•
Höhe der Preise: hohe Lebenshaltungskosten; Mehrwertsteuer (moms) 25 % auf alle Waren, ausgenommen Lebensmittel, Hotels, Campingplätze und Personenverkehr (12 %) sowie Bücher, Nachrichtenzeitungen und bestimmte Waren und Dienstleistungen (6 %); darüber hinaus 16 verschiedene Warensteuern, z.B. auf Kraftstoff, Elektrizität, Alkohol, Tabak Inflation: 1,7 % (2007) Höhe der Einkommen: stark abhängig von der steuerlichen Situation; Besteuerung von Einkommen (aus abhängiger Beschäftigung) über Kommunalsteuer (je nach Gemeinde 26-35 %) und staatliche Einkommensteuer (20 bzw. 25 %); Durchschnittseinkommen 24.300 Kronen (brutto) Arbeitslosigkeit: 6,2 % (2007); Bemühungen um aktive Arbeitsmarktpolitik; Arbeitskräftemangel insbesondere für qualifizierte Tätigkeiten in den Ballungsgebieten Erwerbsquoten: lange Zeit hatte Schweden eine der höchsten Erwerbsquoten der Welt; hohe Erwerbsquote der Frauen
Soziale Sicherheit: Sozialversicherung ist für alle geltende Pflichtversicherung; Staat zahlt Grundrenten, Kindergeld, Wohngeld; Gemeinden zahlen Sozialhilfe; gute Kinderbetreuung: jedes Kind ab 12 Monaten hat Anspruch auf Betreuungsplatz • Gleichstellung: eines der Länder mit der höchsten Gleichstellungsrate weltweit; Anteil der Frauen an Erwerbstätigen 79% (2007) • Gesundheitswesen: dezentrale Organisation; Bereitstellung und Finanzierung der Gesundheits- und Krankenpflege ist Aufgabe der öffentlichen Hand; Ausgaben im Gesundheitssektor 9,2 % des GDP (2006); ca. 350 Ärzte und 85 Zahnärzte pro 100.000 Einwohner (2006); Gesundheitswesen überlastet, oft lange Wartezeiten • Wohnungspolitik: Ziel ist Bereitstellung einer guten und finanzierbaren Wohnung für alle; Wohngeld für bedürftige Familien • Schwedisches Modell: eine Besonderheit Schwedens, die Idee des Wohlfahrtstaates erwies sich jedoch als nicht finanzierbar; verschiedene Elemente davon wurden aufgegeben bzw. reformiert Technologisches Umfeld For• Schweden ist eines der führenden Länder in F&E (Ausgaben 2006: 3,7 % des BIP) schungs• bemerkenswert ist der hohe Anteil der F&E-Ausgaben im universitären Bereich aktivitäten (2007 ca. 45 % der Gesamtausgaben) Gesellschaftliches Umfeld sozio• Lebensweise: Mittelklassegesellschaft, die versucht, soziale Unterschiede zu minikulturelle mieren; nur wenige sichtbare Anzeichen von Armut oder Reichtum; Nationalstolz geht Faktoren über soziale Differenzen hinweg; weitgehend homogene Gesellschaft; Schweden gelten als reserviert, kühl, sachlich und gleichzeitig als demokratisch und fortschrittlich • Grund- und Sekundärwerte: nach Hofstede ist die schwedische die femininste aller Kulturen; hoher Stellenwert von interpersonellen Aspekten, Lebensqualität, physische Umgebung und Sicherheit; Unsicherheitsempfinden wird durch ein starkes soziales System reduziert • Feste: Pflege des Brauchtums (Valborgsmässafton/Walpurgisnacht, Midsommar/Mittsommer, Kräftskiva/Krebs-Festessen, Lucia usw.) • Medien: abwechslungsreiche Medienlandschaft; Vielzahl von (teils unabhängigen, teils politisch orientierten) Zeitungen und Zeitschriften; verschiedene öffentliche und private Rundfunk- und Fernsehsender sozio• Einwohner: ca. 9,1 Mio., davon Großraum Stockholm ca. 1,9 Mio. (2006) demogra- • Bevölkerungsdichte: ca. 22,4 Einwohner/km² (2008); dicht besiedelt sind das Dreiphische eck Stöckholm-Göterborg-Malmö sowie der nordwärts verlaufende Küstenstreifen Faktoren • ethische und religiöse Zusammensetzung: bedeutende ethnische Minderheit – Samen im Norden Schwedens; 85 % gehören der Schwedischen Kirche an; überwiegend Lutheraner, auch Katholiken und andere Religionen • Schulbildung: neunjährige obligatorische Grundschule, anschließende Sekundarstufe; landesweit einheitliche Lehrpläne für Pflichtschule und Gymnasialstufe
Management
92 Fortsetzung
soziodemographische Faktoren
•
Universitäten: 14 staatliche Universitäten, mehrere staatliche Hochschulen, verschiedene Hochschulen mit anderem Träger; Ausbildung in staatlichen Schulen kostenlos; Gemeinden sind verpflichtet, Schwedischunterricht für Einwanderer anzubieten Natürliches Umfeld Geogra• Fläche: ca. 450.000 km² phie • Ausdehnung: Nord-Süd 1.574 km, Ost-West 499 km • Oberflächenstruktur: Fjällhochflächen, Hügelland, Mittelschwedische Senke, Schären; lange Küsten; große Wald- und Seengebiete • Infrastruktur: trotz großer Ausdehnung des Landes gut ausgebaut Flora, • große Flächen von Nadelwäldern bedeckt; im Süden auch Mischwälder Fauna • Tierleben durch Klima, geschichtliche Entwicklung und Eingriffe durch den Menschen bestimmt; im ganzen Land Elche, Rehe, Füchse, Hasen; im Norden Bären, Luchse; im Sommer Zugvogel aus dem Süden; reichhaltiges Tierleben im Wasser • Schweden richtete als erstes Land Europas Nationalparks ein Klima • langgestrecktes Land, das sich über mehrere Klimazonen ausdehnt; Lage hoch im Norden führt zu ausgeprägten jahreszeitlichen Unterschieden in Sonneneinstrahlung, Helligkeit und Temperatur • Nordschweden: kontinentales Borealklima; lange, sehr kalte und schneereiche Winter; Vegetationsdauer von 100-150 Tagen • Mittelschweden: subkontinentales Klima; sehr kalte Winter mit ausgeprägter Winterruhe; mäßig warme Sommer, Vegetationsdauer von 160-210 Tagen • Südschweden: subozeanisches Klima; mäßig kalte Winter; mäßig warme Sommer; Vegetationsdauer über 200 Tage Allemans- • Recht zum Gemeinbrauch: gestattet allen, in Wald und Flur zu wandern, Beeren und rätten Pilze zu sammeln, zu zelten, zu picknicken, Fahrrad zu fahren, Ski zu laufen, ohne Eigentümer zu fragen Umwelt• neue Umweltgesetzgebung seit Herbst 1999, nach der die Emissionen nicht größer schutz sein sollen, als Mensch und Umwelt vertragen, und schädliche, naturfremde Mittel auf Sicht nicht mehr in der Umwelt vorkommen; Schutz der biologischen Vielfalt und der Kulturlandschaften Tabelle 10-2 Umfeldanalyse Schweden9
Aufgabe 6 Nach der Rückkehr ist (erneut) eine Anpassung an ein neues Umfeld erforderlich. Persönliche Bindungen, die vor Ort geknüpft wurden, können darunter leiden. Arbeitsbedingungen und Entlohnung sind im Heimatland möglicherweise schlechter. Im Laufe des Auslandsaufenthaltes können sich Interessen, Sichtweisen geändert haben. Das Heimatland wird mit anderen Augen gesehen. Auch bei der Wiedereingliederung müssen Bindungen reaktiviert werden; vielleicht existiert der alte Freundeskreis in der bisherigen Form nicht mehr. 9
vgl. Svenska Institutet (Hrsg.): Die schwedische Industrie, Stockholm 2007; Svenska Institutet (Hrsg.): Das schwedische Gesundheitswesen, Stockholm 2007; Svenska Institutet (Hrsg.): Die schwedische Ausbildung, Stockholm 2007; Agerskov, Ulla; Statistics Denmark (Eds.): Nordic Statistical Yearbook 2008/Nordisk statistisk årsbook 2008, Copenhagen 2008; Statistiska centralbyrån: Statistisk årsbook för Sverige, Stockholm 2008; zum Weiterlesen siehe auch Rávic Strubel, Antje: Gebrauchsanweisung für Schweden, München 2008; Findeisen, Jörg-Peter: Schweden – Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Regensburg 1997; Tuchtenhangen, Ralph: Kleine Geschichte Schwedens, München 2008; Bünz, Tilmann: Wer die kälte liebt – Skandinavien für Anfänger, München 2008; Nordis – Das Nordeuropa-Magazin; Virtual Sweden – The Official Gateway to Sweden, http://www.sweden.se; Schwedische Botschaft, Berlin, http://www.schweden.org; Swahn, Jan-Öjvind: Maibaum, Flußkrebse und Lucia – So lebt und feiert man in Schweden, Stockholm 1999
Strategie
B
1
Forst- und Papierindustrie in Nordeuropa
94
2
Standortwechsel eines Straßenbahnherstellers
100
3
Eine Brauerei auf der Jagd nach Profit
104
4
Ein Hafen als Tor zum Osten
108
5
Das schwedische Möbelhaus
115
6
Gut gerüstet ist halb angekommen
124
7
Im Parallelschwung zum Erfolg
129
8
Der Fahrradkurier
134
9
Der Kiosk am Gleis
141
10 Das Prinzip Hoffnung
147
Strategie
94
1
Forst- und Papierindustrie in Nordeuropa „Sie sind fast so namenlos wie viele ihrer Produkte, die unbekannten Unternehmensriesen aus der Forst- und Papierindustrie. Dabei zählen UMP Kymene, Norske Skog und Stora Enso zu den großen Exporteuren ihres Landes.“1
Ob bewußt wahrgenommen oder nicht – skandinavische Produkte gehören mittlerweile zu jedem Haushalt, auch wenn man kein Nokia-Handy und keinen Volvo besitzt. Zahlreiche Papierprodukte, aber auch Möbel oder Baumarktartikel werden aus Holz aus nordeuropäischen Wäldern hergestellt: „Der Großteil des Angebots an Holz- und Papierprodukten auf dem europäischen Markt stammt von finnischen und schwedischen Unternehmen der Forst- und Papierindustrie. Zu dieser Branche gehören Waldbesitzer und Sägewerke, vor allem aber die Hersteller von Papier und Zellstoff.“2 Geht man nach dem Umsatz, lassen die großen nordischen Papierproduzenten Unternehmen wie Saab oder SAS hinter sich. Anders aber als z.B. Saab, IKEA oder H&M sind die Namen der Papierproduzenten kaum bekannt. Das liegt vor allem daran, daß der Kunde nicht das Papier an sich, sondern ein Produkt, dem das Papier als Grundlage dient, kauft. Die Papierhersteller aus dem Norden produzieren Hightech-Produkte, aber das spielt für den Endverbraucher beim Lesen eines Buches oder bei der Verwendung von Druckerpapier anscheinend keine Rolle.3 Die größten Papierhersteller in Europa (2008) Unternehmen Land Kapazitäten* Stora Enso Finnland 12,5 Mio. t /Jahr UMP Finnland 10,3 Mio. t /Jahr Smurfit Kappa Finnland 6,1 Mio. t /Jahr SCA Schweden 5,7 Mio. t /Jahr M-Real Finnland 5,0 Mio. t /Jahr Norske Skog Norwegen 3,6 Mio. t /Jahr Burgo Italien 3,2 Mio. t /Jahr Holmen Schweden 2,8 Mio. t /Jahr
Die größten Papierhersteller weltweit (2008) Unternehmen Land Kapazitäten Stora Enso Finnland 13,5 Mio. t /Jahr International USA 13,0 Mio. t /Jahr Paper UMP Georgia-Pacific Oji Nippon Paper Group
Finnland USA Japan Japan
* der Fabriken in Europa
APP/Sinar Mas AbitibiBowater
Indonesien Kanada
11,5 Mio. t /Jahr 9,7 Mio. t /Jahr 9,2 Mio. t /Jahr 8,9 Mio. t /Jahr 8,0 Mio. t /Jahr 8,0 Mio. t /Jahr
Tabelle 1-1 Bedeutung der nordischen Forstindustrie4
Als besonders günstig für die Forst- und Papierindustrie erweisen sich, insbesondere in Schweden und Finnland, die Bedingungen des natürlichen Umfelds. Die beiden Län1
Bomsdorf, Clemens: Nicht von Pappe, in: Nordis, Januar/Februar 2003, 58 ebd. vgl. ebd.; Aittokoski, Heikki: König Wald ohne Krone, in: Nordis, Januar/Februar 2003, 63 4 modifiziert nach Meissl Årebo, Ingrid: Das Pfeifen im Walde – Krisenstimmung in der nordischen Papierindustrie, in: Nordis, 4/2008, 50 2 3
Forst- und Papierindustrie in Nordeuropa
95
der verfügen über eine große Fläche, sind aber dünn besiedelt – ideal für die Holzproduktion. Über drei Viertel der Landesflächen sind bewaldet. Etwa 10 % der Bevölkerung verdienen ihren Lebensunterhalt direkt oder indirekt in der Forst- und Papierindustrie bzw. damit zusammenhängenden Unternehmen.5 Da sich in diesen Ländern mehr als 50 % des Waldes in privatem Besitz befindet, ist die Forst- und Papierindustrie gezwungen, große Teile ihres Ausgangsstoffes von Privatleuten zu kaufen. In Norwegen gestaltet sich die Situation etwas anders. Dort sind nur etwa 40 % der Fläche bewaldet, was aber nicht heißt, daß die Holz- und Papierindustrie dort weniger bedeutend wäre. In den letzten Jahren kauften verschiedene Papierproduzenten Konkurrenten auf, oder aber wurden selbst gekauft.6 Insgesamt sind die Kapazitäten der nordischen Papierfabriken – trotz bereits durchgeführter Schließungen – sehr hoch, so daß der Rohstoffbedarf nicht mit Holz bzw. Zellstoff aus dem eigenen Land gedeckt werden kann. Bislang bezog beispielsweise Finnland große Mengen an Rohholz aus Rußland.7 Allein die finnische Forstindustrie führt 20 % ihrer Produktion nach Deutschland aus.8 Der Papierbedarf der Deutschen steigt ständig: Nicht nur in Büros wird immer mehr Papier verbraucht, auch bei den Printmedien herrscht großer Bedarf.9 Allerdings ist auch die Papierindustrie nicht vor konjunkturellen Abschwüngen gefeit, auch wenn man davon ausgehen kann, daß Papier eigentlich immer gebraucht wird. Doch ist z.B. die Heftstärke von Magazinen und Zeitungen stark vom Anzeigenmarkt abhängig. Wenn die Unternehmen hier sparen, spürt das auch die Papierindustrie.10 Unternehmen Stora Enso UPM SCA M-Real Norske Skog Holmen
Umsatz (Mio. Euro) 13.374 (-66 %) 10.035 (-10 %) 11.456 (+21 %) 4.440 (-229 Mio.) 3.363 (-313 Mio.) 2.033 (+23 %)
Reingewinn (Mio. Euro) 72 (-90 %) 81 (-76 %) 775 (+31%) -195 (-399 Mio.) -77 (-348 Mio.) 160 (+3 %)
Beschäftigte 38.000 26.000 50.000 9.500 7.600 5.000
Tabelle 1-2 Die größten nordischen Papierkonzerne 2008 (Veränderung gegenüber 2007)11
Zu schaffen machen den Unternehmen auch steigende Rohstoff-, Energie- und Lohnkosten. Seit 2005 ist hier eine Steigerung von ca. 20 % zu verzeichnen, auf die 5
vgl. Meissl Årebo, Ingrid: Das Pfeifen im Walde – Krisenstimmung in der nordischen Papierindustrie, in: Nordis, 4/2008, 48 vgl. Bomsdorf, Clemens: Nicht von Pappe, in: Nordis, Januar/Februar 2003, 58f 7 vgl. Meissl Årebo, Ingrid: Das Pfeifen im Walde – Krisenstimmung in der nordischen Papierindustrie, in: Nordis, 4/2008, 48f; Salge, Oliver: Finnlands Urwälder: Kahlschlag auch für deutsches Papier, http://www.greenpeace.org, 18.03.2009 8 vgl. Bomsdorf, Clemens: Nicht von Pappe, in: Nordis, Januar/Februar 2003, 59; Salge, Oliver: Finnlands Urwälder: Kahlschlag auch für deutsches Papier, http://www.greenpeace.org, 18.03.2009 9 vgl. Mascher, Caroline: Brennpunkt – Papiermarkt, in: Focus, 05.02.2001, 192 10 vgl. Bomsdorf, Clemens: Nicht von Pappe, in: Nordis, Januar/Februar 2003, 60 11 modifiziert nach Meissl Årebo, Ingrid: Das Pfeifen im Walde – Krisenstimmung in der nordischen Papierindustrie, in: Nordis, 4/2008, 49 6
96
Strategie
die Unternehmen mit Preiserhöhungen reagieren.12 Auch Wechselkursschwankungen beeinflussen das Wohl der nordischen Papierkonzerne. Während deren Kosten in Euro bzw. Kronen anfallen, werden die Einnahmen hauptsächlich in US-Dollar erzielt, was bei einem schwachen Dollar zu entsprechenden Ergebnissen führt.13 Holz ist der weltweit wichtigste nachwachsende Rohstoff. Nach Prinzipien der Nachhaltigkeit zu wirtschaften heißt bezogen auf die Holzproduktion, daß weniger eingeschlagen wird als nachwächst. Bei Diskussionen um übermäßige Abholzung denken die meisten zuerst an den tropischen Regenwald. Doch auch im Norden wurde jahrelang Raubbau betrieben.14 Quasi als Rettung in der Not erwies sich die Etablierung verschiedener – aber teils konkurrierender – Öko-Siegel. Zu den einflußreichsten zählt mittlerweile das Siegel des Weltforstrates FSC15. Die aus der Fehlbewirtschaftung entstandenen Schäden konnten zwar verringert, aber nicht völlig beseitigt werden.16 Aufgabe 1 Versuchen Sie, eine Branchenanalyse für papierproduzierende Unternehmen durchzuführen! Gehen Sie dabei auf Ziele, Strategien sowie Stärken und Schwächen der Unternehmen ein! Aufgabe 2 Erläutern Sie Besonderheiten des Käuferverhaltens in industriellen Märkten am Beispiel der Papierindustrie! Aufgabe 3 Woraus könnte die Verhandlungsmacht des Abnehmers resultieren? Worin könnten dabei – bezogen auf ein papierproduzierendes Unternehmen – mögliche Einschränkungen bestehen? Aufgabe 4 Was beinhaltet das Konzept der nachhaltigen Entwicklung? Was bedeutet dies bezogen auf die Forstwirtschaft? Aufgabe 5 In papierproduzierenden Unternehmen wird der Hauptproduktionsfaktor Holz unter Nutzung weiterer Umweltmedien zu Papier verarbeitet. Dabei entstehen Abprodukte und Abfälle. Inwieweit können diese Prozesse durch die Umweltpolitik beeinflußt werden? Erläutern Sie die einzelnen Möglichkeiten in Bezug auf das Fallbeispiel!
12
vgl. o.V.: Die Papierindustrie in Nöten, in: Druckmarkt, September 2008, 2 vgl. Meissl Årebo, Ingrid: Das Pfeifen im Walde – Krisenstimmung in der nordischen Papierindustrie, in: Nordis, 4/2008, 49 14 Erst im Frühjahr 2009 berichtete Greenpeace über die Abholzung finnischer Urwälder in Lappland (vgl. Salge, Oliver: Finnlands Urwälder: Kahlschlag auch für deutsches Papier, http://www.greenpeace.org, 18.03.2009). 15 Forest Stewardship Council: gegründet 1993; Ziel: weltweit verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung 16 vgl. Wolff, Reinhard: Fünf Minuten vor zwölf – Das FSC-Zertifikat soll die Wälder retten, in: Nordis, Januar/Februar 2003, 61 13
Forst- und Papierindustrie in Nordeuropa
97
Lösung Aufgabe 1 Zu untersuchende Aspekte Ziele Prestige- und Imageziele
Strategien
Stärken
Schwächen
beinhalten ... positive Beeinflussung des Verbrauchers
bezogen auf den Papiermarkt ... von einem Unternehmen aus schwer möglich, da Unternehmen kaum bekannt; möglich ist dies aber vom Papiermarkt als Gesamtheit finanzielle Ziele Maßnahmen zur Umsatzerweitere Umsatz- und Gewinnrückhöhung, Optimierung des gänge vermeiden bzw. ausgleiCash-flows, der Liquidität, der chen Rentabilität produktionspoliti- Maßnahmen zur Senkung von möglich; in bezug auf energiespasche Ziele Produktions- und Lagerhalrendere und umweltfreundlichere tungskosten; Just-in-time, Verfahren sehr wünschenswert neue Produktionsverfahren produkt- und Produktqualität; DifferenzieQualität spielt große Rolle; auch rung; Marktsegmente marktpolitische unterschiedliche Produktarten Ziele (z.B. Recyclingpapiere usw.) internationale Schritte in Richtung GlobaliUnternehmen sind bereits interZiele sierung in Produktion, Zuliefe- national tätig, sowohl in Hinblick rung, Absatz auf Zulieferer als auch Absatz verschiedene Papierproduzenten kauften Konkurrenten auf bzw. wurden selbst aufgekauft personalpolitische gute Mitarbeiterqualität, Perhohe Mitarbeiterzahlen Ziele sonalauswahl Marketing-Mix Marketingmaßverschiedene Papiersorten unternahmen schiedlicher Qualität und Preise; allgemeines Problem: Fehlen einer Marke Fertigung Organisation, Kostensituation, Papiermaschinen sehr teuer; technologischer Stand lange Amortisationszeiträume; erfordert entsprechendes Produktionsvolumen; Gefahr fallender Papierpreise F&E-Tätigkeit Intensität der Tätigkeit, BudPapier und Papierprodukte sind get, Patentrechte mittlerweile Hightech-Artikel, entsprechende F&E-Aktivitäten sind erforderlich Beschaffungswe- Lieferfristen, Transportwege, Großteil der nordischen Wälder in ge Marktmacht der Lieferanten Privatbesitz Marktanteile hoch: dominieren europäischen Markt; auch international auf vorderen Rängen vertreten Kapazitäten hoch; europaweit dominierend; international mit großen Herstellern vergleichbar Umsatz teilweise starke Umsatzrückgänge von 2007 auf 2008; auch abhängig von Wechselkursschwankungen Gewinn teilweise hohe Gewinneinbußen von 2007 auf 2008 Kosten steigend aufgrund steigender Rohstoff-, Energie- und Lohnkosten Image beim Endverbraucher nahezu unbekannte Unternehmen → es fehlt eine Marke
Tabelle 1-3 Aspekte der Branchenanalyse papierproduzierender Unternehmen
Strategie
98 Aufgabe 2 Bezogene Güter
•
Papierhersteller beziehen sowohl Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe für die Papierproduktion als auch Maschinen und Anlagen.
Entscheidungskriterien
•
Bei Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen stehen i.d.R. Aspekte wie Preis, Menge und Qualität im Vordergrund. Ferner wird auf Lieferpünktlichkeit und Lieferqualität geachtet. Einkäufer sind häufig an bestimmte Kontingente seitens ihrer Unternehmen gebunden; je preiswerter eingekauft wird, um so höher ist später die Gewinnspanne des Unternehmens. Bei Maschinen und Anlagegütern spielen neben Qualität und Preis Aspekte wie Funktionalität, Kompatibilität, Bedienbarkeit eine entscheidende Rolle. Eine Papiermaschine ist das Kernstück einer Papierfabrik; sie entscheidet über Erfolg und Existenz eines Unternehmens. Da eine Papiermaschine sehr kostenintensiv ist, muß eine Neubeschaffung gut überlegt sein. Außerdem wird durch die Inbetriebnahme einer neuen Anlage soviel zusätzliches Papier auf den Markt gebracht, daß der Papierpreis deutlich fallen kann.
• • •
Kaufentscheider
• • •
Anzahl Nachfrager Zusammenspiel AnbieterNachfrager Nachfrage
Bei Maschinen und Anlagegütern handelt es sich meist um hohe Investitionssummen, daher sind i.d.R. mehrere Personen aus verschiedenen Unternehmensbereichen an der Kaufentscheidung beteiligt. Bei Vertragsgestaltung richten industrielle Abnehmer ihr Augenmerk besonders auf gute Konditionen und spezielle Zugeständnisse, Serviceleistungen oder ähnliches. Vorhandensein eines professionellen Beschaffungsmanagements (genaue Kenntnis der Branche, der Produkte und der in Frage kommenden Lieferanten, Strategieanwendung in der Beschaffung, hohe Beziehungswirkung)
•
In industriellen Märkten gibt es weniger, dafür aber oft größere Nachfrager.
•
Es besteht eine enge Kooperation zwischen Auftraggeber und Lieferanten, i.d.R. geht es um Sonderanfertigungen.
•
Die Nachfrage wird stark von konjunkturellen Schwankungen, Währungseinflüssen, Zinsentwicklungen, Nachfrageschwankungen seitens der Konsumenten, technologischen Wandel und anderen makroökonomischen Komponenten beeinflußt.
Tabelle 1-4 Besonderheiten des Käuferverhaltens in industriellen Märkten am Beispiel der Papierindustrie
Aufgabe 3 Verhandlungsmacht resultiert aus Anteil der Abnehmer am Gesamtumsatz des Lieferanten
Bedeutung der gelieferten Produkte für das Endprodukt des Abnehmers und deren mengenmäßiger Anteil am Endprodukt Standardisierungsgrad der gelieferten Produkte (bei hoher Standardisierung lassen sich leichter neue Lieferanten finden) Differenzierungsgrad der Produkte: stark differenzierte Produkte tragen zur Vertiefung der Lieferanten-AbnehmerBeziehung bei, da die Umstellung auf neuen Lieferanten schwierig ist
Mögliche Einschränkungen Es kann sein, daß nur wenige Abnehmer vom selben Anbieter beziehen; die Anteile sind dann entsprechend hoch. Holz als Rohstoff hat eine sehr große Bedeutung, ohne Holz geht es nicht. Es besteht ein hoher Standardisierungsgrad. Es liegt keine starke Differenzierung vor.
Forst- und Papierindustrie in Nordeuropa
99
Fortsetzung
Verhandlungsmacht resultiert aus Gewinnsituation: erzielt der Abnehmer geringe Gewinne, wird er empfindlicher auf Preiserhöhungen reagieren und somit den Druck auf den Lieferanten erhöhen Rückwärtsintegration: Wahrscheinlichkeit, daß Abnehmer dazu übergeht, die bisher fremdbezogenen Einzelteile selbst zu fertigen
Informationsgrad: inwieweit ist Abnehmer über Produktionsbedingungen des Lieferanten, Herstellungskosten und aktuelle Marktpreise informiert; Verhandlungsdruck nimmt mit steigendem Informationsgrad zu
Mögliche Einschränkungen Die Gewinnsituation ist konjunkturabhängig. Beeinflussend wirken Weltmarktpreise und die Börse. Aufgrund der langen Vorlaufzeiten (Wachstumszeit eines Waldes) ist dies unwahrscheinlich. Es ist nur möglich, indem Waldstücke von Papierherstellern gekauft werden. Es kann davon ausgegangen werden, daß hier der Informationsgrad hoch ist.
Tabelle 1-5 Verhandlungsmacht der Abnehmer
Aufgabe 4 Eine Entwicklung wird dann als nachhaltig bezeichnet, wenn künftige Generationen mindestens jene Qualitäten vererbt bekommen, wie sie ihre Vorgänger hatten. Dabei geht es um die Vereinbarung der Grunddimensionen Ökonomie, Ökologie und Gerechtigkeit. Ökonomisches Ziel ist die Bereitstellung der Mittel zur ausreichenden Befriedigung der Bedürfnisse. Ökologisches Ziel ist die Erhaltung der Ökosysteme. Das Gerechtigkeits-Ziel besteht darin, angemessene Lebensbedingungen für alle Menschen und für die zukünftigen Generationen zu sichern. Nach Prinzipien der Nachhaltigkeit zu wirtschaften heißt bezogen auf die Holzproduktion, daß weniger eingeschlagen wird als nachwächst. Aufgabe 5 Möglichkeiten Bezug zum Beispiel Beschränkung des Verbrauchs • bedarfsorientierte Herstellung, keine Überproduktion mit dem Ziel natürlicher Ressourcen der Preissteuerung • Preisgestaltung entsprechend tatsächlicher Kosten • Verwendung zertifizierten Holzes (Öko-Siegel) Beschränkung der Abgabe • z.B. total chlorfreies Bleichen des Papiers (vgl. TCF-Papier [total unerwünschter Reststoffe an chlorfrei gebleicht] vs. ECF-Papier [elementarchlorfrei gebleicht]) das ökologische System Verbesserung der natürlichen • gezieltes Eingreifen und Gegensteuern, wenn ökologisches SyRegenerationsfähigkeit des stem durch Einleitung von Stoffen in großem Maße beeinträchtigt ökologischen Systems ist • besser: vorher „Notbremse“ ziehen! Aufbau von Stoffkreisläufen, • Entlasten des natürlichen Systems Recycling • z.B. Papierproduktion verstärkt aus Recyclingmaterial und nicht aus Frischholz • z.B. Wasserkreisläufe in der Produktion Tabelle 1-6 Möglichkeiten zur Schonung der Umweltmedien bei der Papierproduktion
Strategie
100
2
Standortwechsel eines Straßenbahnherstellers „Der Bau des neuen Werks ist nicht nur ein deutliches Bekenntnis zum Standort Wien, sondern sichert auch den Verbleib dieses renommierten Unternehmens in der Bundeshauptstadt und die damit verbundenen rund 500 Arbeitsplätze.“1
Im März 2008 weihte Bombardier nach nur 14 Monaten Bauzeit ein neues Straßenbahnwerk in Wien-Donaustadt ein. Bisher hatte man in Floridsdorf produziert. Am dortigen Standort boten sich jedoch keine Möglichkeiten zur Modernisierung und Erweiterung. Man hatte sogar überlegt, das Werk in Wien komplett zu schließen. Daß das Werk innerhalb der Stadt einen neuen Standort gefunden hat, ist dem Engagement von Stadt und Land zu verdanken, die sich intensiv für den Erhalt der Arbeitsplätze einsetzten und Bombardier letztendlich von den Vorteilen des Standorts Wien, wie z.B. günstige Arbeits- und Produktionskosten sowie die Nähe zu den osteuropäischen Märkten, überzeugen konnten.2 Hinzu kommt, daß Wien schon immer ein bedeutender Standort in der Straßenbahnproduktion war und somit Fachwissen vorhanden ist. Überzeugungsarbeit leistete letztendlich auch das Finanzierungsmodell des Wiener Wirtschaftsförderungsfonds zur Errichtung der Produktionshallen.3 Insgesamt fielen Investitionskosten in Höhe von ca. 30 Mio. Euro an, wovon Bombardier 6 Mio. Euro übernahm.4 Das neue Areal in Donaustadt umfaßt 37.500 m², die neuen Produktions-, Lagerund Büroflächen sind 20.000 m² groß.5 Während das alte Produktionsgelände inmitten eines Wohngebiets lag, befindet sich der neue Standort in einem ausgewiesenen Industriegebiet.6 Nachdem der Wiener Wirtschaftsförderungsfonds die Hallen im Oktober 2007 übergeben hatte, erfolgte ein schrittweiser Umzug bei laufendem Betrieb: 500 Mitarbeiter und alle Produktionsanlagen wechselten an den neuen Standort. Nach erfolgreicher Durchführung der Anlauf- und Probephase ging man zum Normalbetrieb über.7
1 Wiener Wirtschaftsförderungsfonds: In Wien entsteht modernstes Straßenbahnwerk Europas (31.08.2006), http://www.wwfv.gv.at, 07.04.2009 2 vgl. Wiener Wirtschaftsförderungsfonds: Europas modernstes Straßenbahnwerk in Wien offiziell eröffnet (26.03.2008), http://www.wwfv.gv.at, 07.04.2009; o.V.: Bombardier-Standort in Wien gerettet (14.07.2006), http://oesterreich.orf.at, 07.04.2009 3 vgl. Tim Schulz: Hub mitten in Europa, in: Regionalverkehr 5/2008, 18f 4 vgl. o.V.: Neuer Standort in der Donaustadt geplant (28.10.2005), http://oesterreich.orf.at, 07.04.2009 5 vgl. Wiener Wirtschaftsförderungsfonds: Europas modernstes Straßenbahnwerk in Wien offiziell eröffnet (26.03.2008), http://www.wwfv.gv.at, 07.04.2009 6 vgl. Wiener Wirtschaftsförderungsfonds: In Wien entsteht modernstes Straßenbahnwerk Europas (31.08.2006), http://www.wwfv.gv.at, 07.04.2009 7 vgl. Wiener Wirtschaftsförderungsfonds: Neues Bombardier-Werk nimmt Betrieb auf (22.11.2007), http://www.wwfv.gv.at, 07.04.2009
Standortwechsel eines Straßenbahnherstellers
101
Das Donaustädter Werk, an dem alle in Österreich vertretenen BombardierDivisionen an einem Standort gebündelt sind, stellt ein Kompetenzzentrum für den Geschäftsbereich Straßen- und Stadtbahnen dar, wobei man hier im Fertigungsverbund mit den Werken in Bautzen, Siegen und Mannheim arbeitet.8 Am neuen Produktionsstandort werden – wie bereits in Floridsdorf – Dach- und Kabinenmodule montiert, Seitenwände hergestellt, Fahrzeuge vernietet und ausgebaut.9 Alle vorgefertigten Komponenten unterzieht man intensiven Tests, bevor sie endmontiert werden. Die statische Erprobung und erste Inbetriebnahme kann an vier Arbeitsständen erfolgen. Für die dynamische Erprobung wird ein 160 m langes, normalspuriges Testgleis genutzt, das um die Produktionshallen herumführt. Dieses Gleis verfügt über eine Verknüpfung mit den Endmontage- und Inbetriebnahmeständen sowie mit einer Schiebebühne. Darüber ist auch das neue Anschlußgleis zur An- und Auslieferung von Bahnkomponenten eingebunden.10 Jährlich werden in Wien etwa 70 Straßen- und Stadtbahnen produziert. Die Abnehmer kommen aus Österreich und anderen europäischen Ländern, beispielsweise aus Wien, Linz, Innsbruck, Köln, Bonn, Genf, Stockholm und Porto.11 Aufgabe 1 Wien-Donaustadt war nicht von vornherein die erste Wahl zur Produktionsverlagerung. Erst durch intensiven Einsatz von Stadt und Land sowie zahlreichen Gesprächen entschied man sich bei Bombardier für diesen Standort. Welche Faktoren waren für die Wahl des neuen Standorts in Wien entscheidend? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 2 Die Standortverlagerung fand bei laufender Produktion statt. Welche Probleme sind damit verbunden? Aufgabe 3 Welchen Stellenwert hat die Straßenbahn im ÖPNV in der heutigen Zeit? Welche Chancen und Risiken resultieren daraus für Bombardier? Aufgabe 4 Welche Anforderungen werden heute an moderne Straßenbahnen, die in Großstädten und Metropolen eingesetzt werden, gestellt?
8
vgl. ebd.; Tim Schulz: Hub mitten in Europa, in: Regionalverkehr 5/2008, 18 vgl. o.V.: Bombardier-Standort in Wien gerettet (14.07.2006), http://oesterreich.orf.at, 07.04.2009 10 vgl. Tim Schulz: Hub mitten in Europa, in: Regionalverkehr 5/2008, 19 11 vgl. o.V.: Neuer Standort in der Donaustadt geplant (28.10.2005), http://oesterreich.orf.at, 07.04.2009 9
Strategie
102
Lösung Aufgabe 1
Fläche zur Werkserweiterung
Fläche für Teststrecke
Parkmöglichkeiten (500 Mitarbeiter, Gäste)
Sitz mitten in Europa zwischen Ost und West
Kundennähe
Raumbedarf
Konkurrenzsituation Gewerbefreundlichkeit
Förderung: finanzielle Unterstützung bei Bau der Produktionshalle (Wiener Wirtschaftsförderungsfonds)
günstige Arbeitsund Produktionskosten
Kunden kommen vor Ort
einige wenige Hersteller in Europa
Bürobauten, Lagerflächen
intensives Bemühen der Stadt um Erhalt des Werkes vor Ort
Kunden aus ganz Europa
Standortfaktoren Bombardier/Wien
Personalbedarf
Nähe zu Osteuropa (Tagesoder Wochenpendler aus der Slowakei, Tschechien und Ungarn möglich)
Know how vorhanden, Wien als traditioneller Standort
Infrastruktur
Straßenanbindung
Parkmöglichkeiten
vergleichbare Produkte Verlagerung innerhalb der Stadt, keine Veränderung in räumlicher Nähe zu Konkurrenten Produktionserweiterung: Verschiebung bei Marktanteilen möglich
Gleisanschluß Be- und Entlademöglichkeiten
Abbildung 2-1 Mindmap: Standortfaktoren Bombardier/Wien
Aufgabe 2 Die Verlagerung erfolgt produktionsstufenweise, d.h., daß z.B. die letzte Stufe zuerst am neuen Standort errichtet wird (hier: Endmontage und Teststrecke). Bis zu dieser Stufe wird zunächst weiterhin am alten Standort produziert. Durch schrittweises Vorgehen wird Stufe um Stufe verlagert, bis die Komplett-Produktion am neuen Standort möglich ist. Probleme bereitet dabei die Logistik, da immer andere Teile (als Endprodukt einer bestimmten Produktionsstufe) transportiert werden müssen. Hierdurch entsteht zusätzlicher innerbetrieblicher Transportaufwand: Es besteht die Möglichkeit, dies selbst durchzuführen oder auszulagern. Dazu müssen entsprechende Wege geschaffen werden (vgl. Schwerlastverkehr). Auch die Zulieferung von außerhalb ist je nach Verlagerungsfortschritt umzustellen. Zudem ist das Personal (Produktion und Verwaltung) umzusetzen, gleichzeitig die Kommunikation zwischen den beiden Standorten zu gewährleisten. Insgesamt läßt sich der diesbezügliche Aufwand durch eine Minimierung der Bauzeit reduzieren.
Standortwechsel eines Straßenbahnherstellers
103
Aufgabe 3 Vielerorts erfolgt eine Rückbesinnung der Kommunen auf die Straßenbahn. Mögliche Gründe dafür sind: Energieeffizienz, die Abhängigkeit der Busflotten von Erdölprodukten, Umweltfreundlichkeit (Minderung der Feinstaubbelastung), Personaleinsparung gegenüber Busverkehr. Vielerorts werden vorhandene Netze ausgebaut, z.T. erfolgt sogar der Aufbau neuer Netze. Auch die Wagenparks werden modernisiert (vgl. Niederfluranteile). Für die Straßenbahnhersteller ergeben sich dadurch europaweit Marktchancen. Absatzchancen lassen sich verbessern, wenn flexible Lösungen geboten werden (vgl. z.B. modulares Triebfahrzeugsystem). Der Einsatz neuer Bahnen hängt vom Zustand bzw. Modernisierungsgrad bestehender Netze ab (neue Bahnen sind mit maroden Netzen i.d.R. nicht kompatibel). Aufgabe 4 Kriterien Ansprechendes Erscheinungsbild und angemessener Fahrgastkomfort
Erläuterung • • • • • • • •
Raumgestaltung Anzahl und Anordnung der Sitzplätze, Qualität der Sitze Raumklima (Klimatisierung, Heizung) Sonnenschutz niedriges Geräuschniveau gute Beleuchtung zweckmäßige Informationssysteme geeignete Gestaltung der Einstiege → erleichtert allen Kundengruppen, insbesondere Gehbehinderten, Behinderten im Rollstuhl sowie Fahrgästen mit Kinderwagen das Betreten und Verlassen der Fahrzeuge → guter Fahrgastfluß verkürzt zudem die Haltezeiten
allgemeine Sicherheit der Fahrgäste
• • •
gute Durchsicht durch die Wagen Einbau von Überwachungs- und Notrufsystemen moderne Brandschutzanlage
Kundengruppen
• •
Erfüllung der Forderungen zur Gleichstellung von Behinderten Mehrzweckabteile für Fahrgäste mit Fahrrädern, Kinderwagen sowie mit sperrigem Gepäck
Modell
•
Stand der Technik: Moderner bestehender Fahrzeugtyp oder abgeleitet aus bestehender Fahrzeugfamilie Offenheit für „Experimente“ oder Prototypen vs. Verzicht darauf soweit möglich und sinnvoll: Kompatibilität mit anderen Fahrzeugen aus der Flotte
• • Betriebliche Flexibilität
•
z.B. automatische Kupplung, um Züge auf einfache Weise verstärken zu können (bestimmte Anzahl von Einheiten)
Niedrige Betriebskosten
• • • • •
durch geringen Energieverbrauch (niedriges Fahrzeuggewicht) hohe Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit lange Einsatzzeiten der Verschleißteile, insbesondere auch der Räder niedrige Unterhaltungskosten Instandhaltung (Kosten, Zugänglichkeit der einzelnen Baugruppen, Austauschrhythmen usw.)
Personal
• •
Fahrzeugbedienung ergonomische Gestaltung des Fahrersitzes
Umweltverträglichkeit
• •
niedriger Energieverbrauch niedriger Geräuschpegel nach außen
Tabelle 2-1 Anforderungen an moderne Straßenbahnen
Strategie
104
3
Eine Brauerei auf der Jagd nach Profit „Auf die Arbeit schimpft man nur so lange, bis man keine mehr hat.“ (Sinclair Lewis1)
Einer der wenigen „großen“ Arbeitgeber auf einer strukturschwachen Inselgruppe, die hauptsächlich vom Tourismus lebt, ist eine Brauerei. An zwei relativ weit auseinander liegenden Produktionsstandorten werden zwei hauptsächlich regional vertriebene Biermarken produziert, die in der Bevölkerung sehr beliebt sind. Eine Produktionsstätte befindet sich in Villa blanca in einem dicht bebauten Gebiet, in unmittelbarer Nähe zu einem großen Wohngebiet. Die Produktionsstätte Villa negra ist auf der Nachbarinsel am Rand einer Stadt gelegen. Insgesamt sind im Unternehmen etwas mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigt, die überwiegend aus der Region stammen. Konkurrierende Bierhersteller in unmittelbarer Nähe gibt es nicht; die beiden regionalen Marken stehen allerdings mit verschiedenen überregional vertriebenen Biersorten in Wettbewerb.
Wir streiken!
Die Lage der Brauerei, die zu einem internationalen Konzern gehört, stellte sich insgesamt positiv dar – man schrieb in den letzten Jahren schwarze Zahlen und erwirtschaftete gute Gewinne. Dennoch kursierten bereits seit Monaten Gerüchte, daß das Unternehmen wahrscheinlich Schwierigkeiten habe. Verstärkt wurden diese Gerüchte dadurch, daß Vertreter aus der Konzernzentrale häufiger als üblich mit dem Chef der Brauerei gesichtet wurden. Zu Beginn des Jahres wurden Gerüchte über mögliche Entlassungen erstmals von der Unternehmensleitung bestätigt. Nach 1
Harenberg Lexikon der Sprichwörter und Zitate, Dortmund 2001, 53
Eine Brauerei auf der Jagd nach Profit
105
ungewissen Wochen des Wartens wurde im Rahmen einer Mitarbeiterversammlung mitgeteilt, daß im Laufe des Jahres 130 Mitarbeiter entlassen werden sollen, um die Produktion im Unternehmen insgesamt rentabler zu gestalten. Besonders pessimistisch blickte man in der Produktionsstätte Villa blanca in die Zukunft. Wurde hier doch, im Gegensatz zur Produktionsstätte auf der Nachbarinsel, seit Jahren nicht mehr in die technische Ausstattung investiert. Außerdem vermutete man, daß die dichte Bebauung um die Produktionsstätte einer zukünftigen Expansion im Wege stehen würde und man sich deshalb eher um den Ausbau in Villa negra bemüht. Zudem sind in Villa blanca zahlreiche Ehepaare beschäftigt, wo nun beide Partner befürchten, den Arbeitsplatz zu verlieren. Dies wäre angesichts der Arbeitsmarktsituation in der Region besonders dramatisch. Nach weiteren bangen Wochen des Wartens veröffentlichte die Geschäftsleitung eine Liste der zu streichenden Stellen in den Abteilungen, freilich ohne Namen zu nennen. Mitarbeiter, die sich als „Opfer“ auf den Listen zu erkennen glaubten, begannen nun mit der Organisation von Streiks. Die Presse hat bereits mehrfach berichtet, nun wurde auch das Fernsehen aufmerksam. Am Vorabend des ersten Streiktages wurden verschiedene Gebäude auf dem Unternehmensgelände von Villa blanca und in der Stadt mit managementfeindlichen Parolen besprüht. Der erste Streiktag verlief friedlich, doch scheinbar befürchtete das Management Schlimmeres – anders ist es jedenfalls nicht zu erklären, daß am zweiten Tag Spezialkräfte der Polizei auf dem Firmengelände im Einsatz waren. Aufgabe 1 Welche Ziele verfolgt das Brauerei-Management? Aufgabe 2 Wie beurteilen Sie die Vorgehensweise des Managements? Aufgabe 3 Welche Konsequenzen hat die Schließung der Produktionsstätte Villa blanca für die Region? Aufgabe 4 Das Management der Brauerei hat sich bereit erklärt, über „sozialverträgliche“ Varianten des Personalabbaus zu diskutieren. Wie sollten die Verhandlungen aus Sicht von Gewerkschaft und Betriebsrat vorbereitet werden? Aufgabe 5 Aufgrund der in den letzten Wochen in den Medien veröffentlichen Mitteilungen über die Entwicklungen in der Brauerei ist auch die lokale Bevölkerung – die ja den größten Teil der Kundschaft der Brauerei stellt – sehr aufgebracht und erklärt sich großteils mit der Belegschaft solidarisch. Inwieweit könnten die Brauerei-Mitarbeiter durch die Bevölkerung Unterstützung erfahren? Aufgabe 6 Welche Möglichkeiten des Widerstandes bzw. gewerkschaftliche Aktivitäten haben die Mitarbeiter, um sich für den Erhalt der Arbeitsplätze einzusetzen?
Strategie
106
Lösung Aufgabe 1 Im Zielsystem des Brauerei-Managements stehen derzeit finanzielle Ziele im Vordergrund. Das Unternehmen beabsichtigt die Erzielung einer umfassenden Kostensenkung durch personalpolitische Maßnahmen. Durch verringerten Personaleinsatz (und damit geringere Personalkosten) sollen die Produktionskosten gesenkt und damit insgesamt die Rentabilität erhöht werden. Zudem wird vermutet, daß weitere Einsparungen durch Konzentration auf eine Produktionsstätte angestrebt werden. Aufgabe 2 Reines Profitdenken: Die vom Unternehmen erwirtschafteten Gewinne werden als nicht hoch genug eingeschätzt. Die Verbesserung der bereits guten Gewinnlage wird als wichtiger erachtet, als der Erhalt von Arbeitsplätzen; der „Wert“ der Arbeitskraft wird nicht geschätzt. Mit den Ängsten und Befürchtungen der Mitarbeiter wird fahrlässig umgegangen: lange Zurückhaltung von Informationen; Preisgabe von Informationen erst dann, wenn nicht mehr vermeidbar; Informationen teils vage bzw. ungenau, was zu weiteren Spekulationen führt. Die „Hinhaltetaktik“ führt zu Spannungen und schlechter Motivationslage im Unternehmen. Das Management scheint sich der ungeeigneten Vorgehensweise durchaus bewußt und befürchtet Eskalationen, sonst hätte man nicht Unterstützung durch die Polizei herbeigeholt. Aufgabe 3 In der Region wird die Arbeitslosigkeit ansteigen. Die Chancen auf Neuvermittlung der freigesetzten Arbeitskräfte sind eher gering, da es sich um eine strukturschwache Region mit nur wenigen Industriebetrieben handelt. Mittel, die in die Ausbildung der freigesetzten Arbeitskräfte investiert wurden, amortisieren sich nicht. Die Kaufkraft wird geschwächt. Die Steuereinnahmen gehen zurück (Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Kapitalertragsteuer, Lohnsteuer usw.). Dadurch stehen auch weniger finanzielle Mittel für den Ausbau der Infrastruktur und sonstige staatliche bzw. kommunale Investitionen zur Verfügung. Aufgabe 4 Vorbereitung Analyse der eigenen Ziele und Chancen
Im Fall der Brauerei •
•
• Ausfindigmachen von Informationen über Verhandlungspartner
•
•
Bestimmung der eigenen Ziele, Ziele genau definieren und in Worte fassen: Zahl der entlassenen Mitarbeiter möglichst gering halten; Alternativlösungen finden, z.B. Vorruhestandsregelungen, Versetzungen in andere Produktionsstätte untersuchen, ob es Übereinstimmungen zwischen den eigenen und den Zielen des Verhandlungspartners gibt: Ziele von Management und Belegschaft gehen weit auseinander; Management will 130 Mitarbeiter entlassen; Belegschaft kämpft um den Erhalt der Arbeitsplätze überlegen, welche der eigenen Ziele evtl. aufgegeben werden können und welche absolute Priorität besitzen Ziele, Werte, Einstellungen und Interessen, Prioritäten, Vorlieben und Abneigungen: finanzielle Aspekte stehen bei Management im Vordergrund; Einzelschicksale scheinen vor dem Hintergrund der Rentabilitätssituation keine Rolle zu spielen Strategien, mit denen man beim Partner erfolgreich sein könnte: Kompromisse wahrscheinlich nur durch Aufzeigen alternativer Kostensenkungspotentiale möglich
Eine Brauerei auf der Jagd nach Profit
107
Fortsetzung
Vorbereitung Ausfindigmachen von Informationen über Verhandlungspartner
Im Fall der Brauerei •
Kommunikationsstil des Partners: Kommunikationsstil des Managements bisher von Informationszurückhaltung geprägt; Informationen werden erst dann weitergegeben, wenn nicht mehr vermeidbar
Untersuchung der Rahmenbedingungen
•
langfristige Planung aufgrund der Brisanz der Situation nicht möglich; nun muß schnell, aber überlegt reagiert werden Störungen angesichts der laufenden Streiks möglich Medien einbeziehen!
• •
Tabelle 3-1 Vorbereitung der Verhandlungen
Aufgabe 5 Die beiden Biermarken werden größtenteils in der Region abgesetzt. Wenn sich die Bevölkerung solidarisch erklärt und die beiden Marken boykottiert, trifft dies das Unternehmen an der empfindlichsten Stelle – beim Profit, der ja im Zuge der derzeitigen Entlassungsmaßnahmen erhöht werden soll. „Unter den heutigen Konkurrenzbedingungen im Handel bringen oft schon 10 bis 15 Prozent Umsatzverlust rote Zahlen. Und darauf kommt es an: Drohende rote Zahlen machen Manager gesprächs- und verhandlungsbereit.“2 Während der drohende Arbeitsplatzverlust bei den Mitarbeitern Ängste schürt und sie vielleicht von einer Teilnahme am Streik abhält, sind bisherige Konsumenten der beiden Biermarken keinen existentiellen Bedrohungen ausgesetzt. „Unternehmer und Manager haben keine Macht über das Kaufverhalten. Kunden können nicht abgemahnt, gekündigt, ausgesperrt oder erpresst werden. Auch Lohn und Gehalt kann ihnen nicht gekürzt werden. Das Erpressungsargument ‚draußen stehen Millionen Arbeitslose‘ wirkt gegenüber Kunden nicht. Es gibt keine ‚kaufkräftige Reservekundenarmee‘, die auf Einlass und Einkauf wartet.“3 Aufgabe 6 Kommunikation
• •
Gespräch suchen Entwicklung von Alternativen hinsichtlich Lohnkosten, Überkapazitäten
Initiative und Solidarität
• •
Eigeninitiative der Mitarbeiter Widerstand nur durch Solidarität möglich, es müssen alle „an einem Strang ziehen“ Zusammenarbeit mit Betriebsrat ausführliche Information aller Mitarbeiter über Arbeitnehmerrechte
• • Streiks
• •
Unterstützung durch Gewerkschaft notwendig, beispielsweise durch Bezahlung der Streikstunden Unterstützung durch nicht-staatliche Organisationen
Öffentlichkeit und Medien
• • • •
Öffentlichkeit aufmerksam machen Medieninteresse wecken Flugblattaktionen Demonstrationen
Staat
• •
Druck auf Staat ausüben Standort- und Arbeitsplatzsicherung in den Vordergrund stellen
Tabelle 3-2 Möglichkeiten des Widerstandes
2 3
Kobel, Anton: Die große Macht der kleinen Leute, in: Publik, Mai 2005, 16 ebd.
108
4
Strategie
Ein Hafen als Tor zum Osten „Sassnitz-Mukran hat als Transithafen für Russlandverkehre und zunehmend auch als Industriestandort große Chancen. Das Entwicklungspotenzial dieses Hafens ist beträchtlich.“ (Otto Ebnet, ehemaliger Infrastrukturminister, Mecklenburg-Vorpommern)1
Der Fährhafen Sassnitz-Mukran ist an der östlichen Seite der Insel Rügen gelegen. Aufgrund der geographischen Lage sind von hier aus die kürzesten Seeverbindungen von Deutschland nach Schweden, Dänemark/Bornholm, Finnland, Rußland und ins Baltikum möglich. Mit Wassertiefen von 10,50 m stellt er den östlichsten Tiefwasserhafen Deutschlands dar und eignet sich für alle im Ostseeraum fahrenden Schiffstypen. Der Fährhafen Sassnitz hat sich auf die Abwicklung kombinierter Fährverkehre spezialisiert. Am Standort befindet sich ein sowohl auf Normalspur als auch auf die russische Breitspur ausgelegtes Bahnareal mit entsprechenden Umschlageinrichtungen: „Für das Umladen der verschiedenen Güter in die russischen Breitspurwaggons stehen auf dem 340 ha großen Bahnhofsgelände von Sassnitz-Mukran, bestückt mit zusammen rund 40 km Breitspur- und 70 km Normalspur-Gleisanlagen insgesamt 5 separate Hallen, 4 Freikrananlagen und eine Umachsanlage zur Verfügung. Der Umschlag der Güter wird sicher und zuverlässig durch qualifiziertes Personal nach russischen Verladevorschriften mit deutschem Qualitätsstandard abgewickelt.“2 Der Hafen ist damit der einzige Standort Mitteleuropas, an dem Eisenbahnwaggons russischer Breitspur umgeschlagen werden können. Deshalb bezeichnet er sich selbst auch als „westlichster Cargo-Bahnhof der Transsibirischen Eisenbahn“3. Als weitere Vorteile erweisen sich seine Lage an der offenen See und die damit verbundene unkomplizierte Ansteuerung, weshalb aufwendige Revierfahrten nicht notwendig sind und keine Lotsenpflicht herrscht. Zudem bestehen Ausbau- und Erweiterungsmöglichkeiten in der Industriezone.4 Mit dem Hinterland ist der Hafen über die zweigleisige, elektrifizierte Hauptstrecke Stralsund–Sassnitz verbunden. Aufgrund einer zu geringen Nachfrage war der Standort, der längst nicht mehr an die Umschlagszahlen aus DDR-Zeiten anknüpfen konnte, von der Deutschen Bahn vor Jahren schon einmal abgeschrieben worden. In DDR-Zeiten war der Hafen – eines der letzten großen Verkehrsprojekte der DDR – der wichtigste Umschlagplatz im Handel mit der Sowjetunion. Damals arbeiteten hier 2.200 Menschen. Täglich gingen rund 40.000 Waggons auf Seereise, jährlich wurden ca. 3 Mio. t Güter umgeschlagen. Der Fährverkehr nach Klaipeda wurde 1986 aufgenommen, bis 1989 fuhren auf dieser Relation fünf Eisenbahnfähren. Als sich nach der Wende der Gü1 o.V.: Infrastrukturoffensive für Fährhafen, http://www.regierung-mv.de, 30.04.3009 2 o.V.: Bahnverkehre, http://www.faehrhafen-sassnitz.de, 14.07.2008 3 Fährhafen Sassnitz, http://www.faehrhafen-sassnitz.de, 14.07.2008 4 vgl. ebd.
109
Ein Hafen als Tor zum Osten
terverkehr zunehmend auf die Straße verlagerte und der Rußlandhandel weggebrochen war, kam dem Hafen der Abzug der Sowjetarmee zu Hilfe. Ein Drittel der Truppentechnik wurde hier bis 1994 verschifft.5 Heute arbeiten etwa 100 Bahn-Mitarbeiter im Warenumschlag, und die Chancen, daß der Hafen besseren Zeiten entgegensieht, stehen nicht schlecht. Nachdem die Bahn bereits einen Teil des Geländes verkauft hatte, hat man beschlossen, dem Standort Entwicklungsperspektiven zu geben.6 Ein umfangreiches Investitionsprogramm sollte dem Hafen zur Neupositionierung verhelfen. 1998 wurde das Skandinavienterminal in Betrieb genommen, seitdem gilt der Hafen als größter deutscher Umschlagplatz im Eisenbahnfährverkehr.7 Wettbewerbsvorteile will man außerdem durch eine kundenorientierte Konzeption von Kontroll- und Abfertigungseinrichtungen sowie die Schaffung leistungsfähiger Infra- und Suprastrukturen8 sowie Seehafendienstleistungen rund um die Uhr erlangen.9 • • • • •
RoRo-Fährverkehre (Lkw, Pkw, Eisenbahn) KLV-Umschlag Containerhandling Stückgutumschlag Schüttgutumschlag
• • • •
Gefahrgutumschlag, Lagerung Logistikdienstleistungen offenes Zoll-Lager seemäßige Verpackung
• • • • •
Modulbauplätze Ladungssicherung Schiffsreparatur Ver- und Entsorgung Klarierung Trailerchecking
Tabelle 4-1 Hafenleistungen10
In den vergangenen Jahren beliefen sich die Gütermengen bereits auf 4,8 bis 5,6 Mio. t jährlich. Railion zufolge fehlt dem Hafen nur noch eine höhere Frequenz an Fährverbindungen nach Schweden und ins Baltikum: Ideal wäre dabei alle zwei Stunden nach Skandinavien und sechs Mal pro Woche ins Baltikum. In der Hoffnung, daß zukünftig mehr Güter in Mukran umgeschlagen werden, ist eine neue Fährlinie bereits in Planung. Ab 2009 soll der russische Hafen Ust-Luga (150 km von St. Petersburg entfernt) angefahren werden.11
5
vgl. Franke, Jan-Dirk: Ein fast vergessener Hafen in Aufbruchstimmung, in: Freie Presse, 13.05.2008, 3 vgl. ebd. 7 vgl. o.V.: Fährhafen Mukran, http://www.faehrhafen-sassnitz.de, 14.07.2008 8 Infrastruktur = Hafenbecken, Piere, Kais; Suprastruktur = Umschlag- und Lagereinrichtungen, Anlagen für den Hinterlandverkehr 9 vgl. o.V.: Fährhafen Mukran, http://www.faehrhafen-sassnitz.de, 14.07.2008 10 vgl. o.V.: Leistungen, http://www.faehrhafen-sassnitz.de, 14.07.2008 11 vgl. Franke, Jan-Dirk: Ein fast vergessener Hafen in Aufbruchstimmung, in: Freie Presse, 13.05.2008, 3 6
110 Zielländer Schweden Dänemark Rußland Rußland Litauen
Strategie Zielhäfen Trelleborg Rønne St. Petersburg Baltijsk Klaipeda
Reeder Scandlines Bornholmstrafiken TransRussiaExpress DFDS LISCO DFDS LISCO
Frequenz 5x täglich bis zu 2x täglich 2x wöchentlich 1x wöchentlich 2x wöchentlich
Fahrzeit 3,5 Stunden 3,5 Stunden 48 Stunden 16 Stunden 18-20 Stunden
Tabelle 4-2 Liniendienste ab Sassnitz12
Diese Pläne korrespondieren mit ehrgeizigen Wachstumsplänen der baltischen Häfen. Die Häfen Litauens, Lettlands und Estlands sind klassische Transithäfen und nach wie vor stark abhängig von den Güterströmen nach und von Rußland und der GUS. In Riga (Lettland) beträgt der Anteil des Transitaufkommens dieser Länder am Gesamtumschlag etwa 80 %. Die Abhängigkeiten beruhen allerdings auf Gegenseitigkeit. Positiv für die baltischen Staaten erweist sich der Umstand, daß die Häfen Klaipeda sowie Ventspils und Liepaja (beide Lettland) als eisfrei gelten. Dies trifft lediglich noch auf den russischen Hafen von Kaliningrad zu. Zudem sind die russischen Ostseehäfen derzeit noch nicht in der Lage, den zunehmenden seewärtigen Außenhandel zu bewältigen. Schließlich weisen vor allem die baltischen Häfen leistungsfähige Hinterlandverbindungen von/nach Rußland und der GUS auf. Von großer Bedeutung ist dabei auch das Eisenbahnnetz, das in allen drei Ländern weiterhin in russischer Breitspur ausgelegt ist.13 Aufgabe 1 Was sind grundsätzlich wichtige Wettbewerbsdeterminanten von Häfen? Unterscheiden Sie dabei in hafenbezogene, wasserseitige und hinterlandbezogene Aspekte! Aufgabe 2 Welche dieser Faktoren sind besonders für Sassnitz-Mukran von Bedeutung? Stellen Sie deren Zusammenwirken in Form eines Wirkungsgefüges dar! Aufgabe 3 Welche Umfeldfaktoren können die strategischen Aktionsfelder des Hafens Sassnitz-Mukran beeinflussen? Erstellen Sie dazu eine Umfeldeinflußmatrix! Aufgabe 4 Wie schätzen Sie die Perspektiven des Hafens Sassnitz-Mukran ein?
12
erstellt nach o.V.: Liniendienste, http://www.faehrhafen-sassnitz.de, 14.07.2008; o.V.: Linieninformationen, htpt://www.faehrhafen-sassnitz.de, 14.07.2008 13 vgl. Arndt, Eckhardt-Herbert: Häfen des Baltikums haben ehrgeizige Wachstumspläne, in: Internationales Verkehrswesen, 1+2/2008, 40
111
Ein Hafen als Tor zum Osten
Lösungen Aufgabe 1 Anlagen und Gebäude zur Lagerung Anlagen und Gebäude zum Umschlag Kräne
Hafenbecken
Kais Infrastruktur
Anlagen zur Abfertigung der Güterströme (Suprastruktur)
Produktivität von Hafen- und Verkehrsbetrieben
Hafenbezogen
Wettbewerbsdeterminanten von Häfen
Attraktionskraft bestehender Liniendienste
Hafenkosten
Betriebszeiten
Qualität der Hinterlandverbindung Hinterlandbezogen
Wasserseitig Flexibilität für Verlader
Quell- und Senkenpotential
Paarigkeit der Hinterlandrelationen
Paarigkeit der Schiffsrelationen
Transportkosten
wasserseitige Erreichbarkeit
Wassertiefe von Zufahrten und Hafenbecken
Tidenhub
Ver- und Entsorgungsbetriebe
Produktivität von öffentlichen Institutionen
Kapazitätsauslastung
Möglichkeit der Auslastung der Schiffe
Pack- und Ladungsbetriebe
Sonstige
Kapazitätsreserven
Verkehrsaufkommen
Umschlagbetriebe (Terminals)
geographische Erreichbarkeit
ökonomische Erreichbarkeit
Nähe zu Hauptschiffahrtsrouten
Eisfreiheit
Transportzeit
Transportzuverlässigkeit
Abbildung 4-1 Wettbewerbsdeterminanten von Häfen14
14
erstellt nach: Kummer, Sebastian: Einführung in die Verkehrswirtschaft, Wien 2006, 113ff; Schieck, Arno: Internationale Logistik, München/Wien 2008, 198ff
112
Strategie
Aufgabe 2
+ wasserseitige Erreichbarkeit
Hinterlandanbindung
+
+
+
+
+
+ Spezialisierung
+
+
Hafeninfra- und Suprastruktur
+
Nachfrage
+
+ Betriebszeiten
Dienstleistungen
+
+ +
+
+
+
+
Kapazitäten
+
+ +
+
+
Warenumschlag
Abbildung 4-2 Wirkungsgefüge
Wirkung von ... wasserseitige Erreichbarkeit
auf ... Hafeninfra- und Suprastruktur Nachfrage
Hinterlandanbindung
Hafeninfra- und Suprastruktur Nachfrage
Spezialisierung
Hafeninfra- und Suprastruktur Dienstleistungen Warenumschlag
Hafeninfra- und Suprastruktur
15 16
Nachfrage wasserseitige Erreichbarkeit
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je besser die wasserseitige Erreichbarkeit, um so geringer die Aufwendungen zur Errichtung der Hafeninfrastuktur15 je besser die wasserseitige Erreichbarkeit, um so größer die Nachfrage je vielseitiger die Hinterlandanbindung (bimodal vs. trimodal), um so größer die Aufwendungen zur Gestaltung der Suprastruktur16 je besser die Hinterlandanbindung, um so größer die Nachfrage entsprechend der Spezialisierung müssen geeignete Infra- und Suprastrukturen bereitgehalten werden je stärker die Spezialisierung ausgeprägt, um so besser müssen die Dienstleistungen darauf zugeschnitten sein entsprechend der Spezialisierung werden dafür typische Waren umgeschlagen Spezialisierung beeinflußt Art der Nachfrage je besser die Hafeninfrastruktur (z.B. Tiefe der Hafenbecken, Länge der Kais) ausgebaut, um so besser die wasserseitige Erreichbarkeit
Suprastruktur wird davon nicht berührt Infrastruktur wird davon nicht berührt
113
Ein Hafen als Tor zum Osten Fortsetzung
Wirkung von ... Hafeninfra- und Suprastruktur Hafeninfra- und Suprastruktur
auf ... Hinterlandanbindung Spezialisierung Dienstleistungen Kapazität Warenumschlag Nachfrage
Betriebszeiten
Kapazität Nachfrage
Dienstleistungen Nachfrage Kapazität
Hinterlandanbindung Hafeninfra- und Suprastruktur Betriebszeiten Warenumschlag Nachfrage
Warenumschlag
Hinterlandanbindung Kapazität
Nachfrage
Hinterlandanbindung Spezialisierung Hafeninfra- und Suprastruktur Betriebszeiten Dienstleistungen Warenumschlag Kapazität
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je besser die Suprastruktur ausgebaut, um so besser die Hinterlandanbindung Hafeninfra- und Suprastruktur bestimmt Rahmenbedingungen für Spezialisierungsmöglichkeiten je besser Hafeninfra- und Suprastruktur ausgebaut, um so bessere Bedingungen für die Erbringung von Dienstleistungen je leistungsfähiger die Hafeninfra- und Suprastruktur, um so größer die Kapazität je leistungsfähiger die Hafeninfra- und Suprastruktur, um so höher der mögliche Warenumschlag je leistungsfähiger die Hafeninfra- und Suprastruktur, um so größer die Nachfrage je länger die Betriebszeiten, um so größer die Kapazität je länger die Betriebszeiten, um so mehr Nachfrage ist zu erwarten je besser das Dienstleistungsangebot, um so größer die Nachfrage je größer die Kapazität, um so leistungsfähiger sollte die Hinterlandanbindung sein erforderliche Kapazität beeinflußt Ausbau der Hafeninfra- und Suprastruktur je größer die Kapazität sein soll, um so längere Betriebszeiten sind erforderlich je größer die Kapazität, um so größer kann der Warenumschlag sein je größer die Kapazität, um so größere Nachfrage kann bewältigt werden je höher der Warenumschlag, um so leistungsfähiger sollte die Hinterlandanbindung sein je höher der Warenumschlag, um so größer sollte die Kapazität sein je größer die Nachfrage, um so besser sollte die Hinterlandanbindung sein Nachfrage beeinflußt die Spezialisierung Nachfrage beeinflußt Ausbau der Hafeninfra- und Suprastruktur je größer die Nachfrage, um so längere Betriebszeiten sind erforderlich in Abhängigkeit von der Art der Nachfrage können Dienstleistungen spezialisiert bzw. differenziert sein je größer die Nachfrage, um so höher der Warenumschlag je größer die Nachfrage, um so größer sollte die Kapazität sein
Tabelle 4-3 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
114
Strategie
Aufgabe 3
Strategien der Reedereien
Strategie der beteiligten Bahnunternehmen
Ausbauzustand der Verkehrsnetze
Eigenschaften der Verkehrsmittel
Investitionsfördermaßnahmen
Warenströme
Konkurrenz
Zeilensumme
Strategische Aktionsfelder wasserseitige Erreichbarkeit Hinterlandanbindung Spezialisierung Hafeninfra- und Suprastruktur Betriebszeiten Dienstleistungen Warenumschlag Kapazität Spaltensumme
Strategien der Zielhäfen
Umfeldfaktoren
0
0
0
3
3
1
0
0
7
0 3
0 1
3 0
3 0
0 3
1 0
0 3
0 2
7 12
0
1
1
0
3
3
0
1
9
2 2 0 2 9
3 2 0 2 9
1 1 0 0 6
0 0 1 0 7
0 1 0 3 13
0 0 0 3 8
0 0 3 3 9
3 2 1 3 12
9 8 6 16 x
Abbildung 4-3 Umfeldeinflußmatrix
Die stärksten Einflüsse gehen von den Eigenschaften der Verkehrsmittel aus. Die Bauweise der Schiffe ist entscheidend für die Spezialisierung des Hafens. Ebenso müssen Umschlagsanlagen entsprechend ausgelegt sein. Zudem hängt beispielsweise von den Schiffsgrößen ab, ob der Hafen überhaupt angelaufen werden kann. Die Konkurrenz wirkt hier insofern beeinflussend, als der Hafen bewußt auf eine von der Konkurrenz im Schiffsverkehr nicht bediente Nische setzt. Weitere Konkurrenten wären Straßen- und Schienenverkehr. Um hiermit konkurrieren zu können, muß der Schiffsverkehr über Mukran mindestens ebenso effizient abgewickelt werden. Ebenfalls stark beeinflussend wirken die Strategien der Zielhäfen und der Reedereien. Nur wenn deren Strategien jene von Mukran ergänzen, kann der Hafen erfolgreich arbeiten. Schließlich sind die Warenströme entscheidend für die Orientierung in Richtung Baltikum. Den stärksten Einflüssen unterliegt die Kapazität. In Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen wird diese beibehalten, ausgebaut oder ggf. reduziert. Auch die Spezialisierung unterliegt relativ großen Einflüssen, wobei die Strategien der Zielhäfen, die Eigenschaften der Verkehrsmittel sowie die Warenströme im Vordergrund stehen. Aufgabe 4 Der Hafen hat im Prinzip gute Entwicklungsperspektiven, da er der einzige mitteleuropäische Hafen mit Breitspuranschluß ist. Von hier aus kann der Ostseeraum erschlossen werden, wobei Eisenbahntransporte durch Polen mit anschließender Umladung auf Breitspurwaggons Richtung Rußland vermieden werden können. Durch Waggonverladung in Sassnitz ist es möglich, Waren durchgängig (ohne Umladen) von hier zu Empfängern in Rußland, den Staaten der GUS und der Mongolei zu versenden. Ausbau- und Erweiterungsmöglichkeiten sind vorhanden, wodurch günstige Voraussetzungen für Investoren gegeben sind. Konkurrenz existiert von seiten des Straßenverkehrs, insbesondere im Baltikum.
Das schwedische Möbelhaus
5
115
Das schwedische Möbelhaus „Für die breite Masse ist IKEA ein Unternehmen, das Möbel verkauft, die man selbst nach Hause schaffen und dann, meist mit einem kleinen merkwürdigen Schlüssel, selbst zusammenbauen muß. [...] und Tausende von Diskussionen haben sich in maßlosen Beschreibungen vom Kampf mit der Montageanleitung und fehlenden Schrauben und diesem Schlüssel, der nicht richtig paßt, ergeben.“ 1
1943 ließ der damals 17jährige Ingvar Kamprad IKEA als Firma registrieren. Der Name IKEA setzt sich aus den Initialen Kamprads sowie des Hofes Elmtaryd, auf dem er aufgewachsen ist, und der Gemeinde Agunnaryd zusammen. 1947 wurde IKEA zum Versandunternehmen, 1950 wurde der erste Katalog gedruckt. 1958 erfolgte die Eröffnung des ersten Einrichtungshauses mit einer Fläche von 6.700 m² in Älmhult.2 Grundlegende Vision Kamprads war es, ein breites Sortiment an funktionellen, gut gestalteten Möbelstücken zu niedrigen Preisen zu verkaufen. Um die Preise möglichst gering zu halten, hatte er eine Idee: Er überließ den Kunden die abschließende Montage der Möbel. So gelang es, Preise, die rund 30 % unter denen konkurrierender Produkte gleicher Qualität liegen, zu realisieren. Das erste Einrichtungshaus außerhalb Schwedens wurde 1963 in Oslo eröffnet, 1973 das erste Haus außerhalb Skandinaviens in Spreitenbach/Schweiz. Innerhalb der nächsten sechs Jahre gründete man 22 neue Möbelhäuser, zehn davon allein in Deutschland.3 Mittlerweile gibt es 253 IKEA-Einrichtungshäuser in 39 Ländern. Für 2009 ist die Eröffnung von rund 20 neuen Häusern geplant. Daneben werden 32 Einrichtungshäuser, die außerhalb des Konzerns von Franchisenehmern betrieben.4 Auf dieses Prinzip hat man in kleinen oder unsicheren Märkten zurückgegriffen. Franchisenehmer können dabei vom Erfahrungsschatz von IKEA profitieren, erhalten Ausbildung und Managementhilfe. Zudem werden ihnen Handbücher zur Verfügung gestellt, „die manchmal konkret oder mit nachdrücklichen Empfehlungen angeben, wie ein komplettes Möbelhaus auszusehen habe, um optimal zu sein, wie die Kundenströme durch den Laden geführt werden müssen, welche Einrichtung dazugehört und wie sie zu plazieren ist.“5 Im Gegenzug zahlt jeder Franchisenehmer 3 % des Umsatzes an Inter IKEA Systems B.V. Abweichungen vom Konzept, wie z.B. das Weglassen der klassischen Spielzone am Eingang oder des Restaurants, bedürfen der Genehmigung. Setzt sich der Franchisenehmer nicht nachhaltig für die Umsetzung des Konzepts ein, so kann ihn IKEA ersuchen, das IKEASchild von der Verkaufsstelle zu entfernen.6 1
Torekull, Bertil; Kamprad, Ingvar: Das Geheimnis von IKEA, Hamburg 1998, 65 vgl. IKEA: Om IKEA, http://www.ikea.com, 01.04.2009 vgl. Torekull, Bertil; Kamprad, Ingvar: Das Geheimnis von IKEA, Hamburg 1998, 134 4 vgl. IKEA: Daten & Fakten – Der IKEA Konzern 2008, o.O. 2008, 2f 5 Torekull, Bertil; Kamprad, Ingvar: Das Geheimnis von IKEA, Hamburg 1998, 144 6 vgl. ebd., 144f 2 3
Strategie
116
IKEAs Zielgruppe sind junge, gebildete Leute mit liberalen kulturellen Werten, die keinen besonderen Wert auf Statussymbole legen. IKEA verfolgt eine standardisierte Produktpolitik. Das Sortiment umfaßt rund 9.500 Produkte7, die vom Tisch und Sofa bis hin zu Glühbirne und Besteck reichen. Dabei sind etwa 60 % Möbel und 40 % andere Produkte, mit denen mittlerweile ein höherer Anteil am Umsatz erzielt wird als mit Möbeln.8 In den Einrichtungshäusern sind zahlreiche Zimmer mit den IKEA-Produkten eingerichtet, um den Kunden auch Ideen zu geben und Kombinationskäufe anzuregen. Die Produkte haben keine Artikelnummern, sondern Namen: Vornamen, Städtenamen, Eigenschaften. Was sich für nicht-schwedische Ohren eigenartig anhört, gehört zum Konzept: Es klingt exotisch, und das wiederum wirkt anziehend. Produkte Polstermöbel, Couchtische, ... Betten, Kleiderschränke, ... Eßtische, -stühle Badezimmerartikel Küchenutensilien Stühle, Schreibtische Stoffe, Gardinen Teppiche Bettwäsche Kinderartikel
Ideengeber schwedische Ortsnamen norwegische Ortsnamen finnische Ortsnamen skandinavische Seen, Flüsse ... Gewürze, Kräuter, Funktionen ... männliche Vornamen weibliche Vornamen dänische Ortsnamen Blumen, Pflanzen, Edelsteine Säugetiere, Vögel, Adjektive
Beispiele Eksjö, Henriksdal, Strömstad Mörkedal, Tromsö, Dalselv Risti, Lantula, Hakko Vänern, Baren, Björken Försluta, Sallad, Fjärran, Malt Anton, Herman Mari, Ingert Hove, Mejrup, Ringum Fjärding, Sandlilja Mammut, Måne, Sömnig, Duktig
Tabelle 5-1 Wie die Namen der IKEA-Produkte bestimmt werden (Auswahl)9
Obwohl IKEA bestrebt ist, weltweit dieselben Produkte zu vertreiben, mußten doch schon in mancher Hinsicht Adaptionen durchgeführt werden. So erwiesen sich z.B. in den USA IKEAs Küchen- und Kleiderschränke als zu flach, was man in der Folgeproduktion berücksichtigte. Die Kommunikationspolitik konzentriert sich auf den jährlich neu erscheinenden Katalog. Der IKEA-Katalog wird in einer Auflagenhöhe von 198 Mio. Stück in 27 Sprachen und 52 Ausgaben10 publiziert. Mit innovativer Werbung, die den schwedischen Lebensstil und Traditionen nahebringen soll (Beispiel Midsommar), ruft sich IKEA ins Gedächtnis der deutschen Kunden. Zudem setzt man auf Mund-zuMund-Propaganda. Für die Rentabilität ist der Standort entscheidend. Die Einrichtungshäuser befinden sich meist in peripherer Lage, außerhalb der (teuren) Stadtzentren, sind aber verkehrsgünstig gelegen und gut erreichbar. Um den Kunden den Transport der Einkäufe organisieren zu helfen, kooperiert das Unternehmen mit Autovermietern. 7
vgl. IKEA: Daten & Fakten – Der IKEA Konzern 2008, o.O. 2008, 2 vgl. Mr. IKEA – Der Mann, der die Welt möblieren wollte! (Film von Malcolm Dixelius und Christian Schulz), 2009 9 vgl. IKEA: So kommen die IKEA Produkte zu ihren Namen – Waren Sie schon mal in KLIPPAN?, http://www.ikea.com, 01.04.2009; Herrmann, Sebastian: Wir Ikeaner, München 2009, 99f 10 vgl. IKEA: Daten & Fakten – Der IKEA Konzern 2008, o.O. 2008, 3 8
Das schwedische Möbelhaus
117
Außerdem kann – gegen Aufpreis – ein Montageservice in Anspruch genommen werden. Die Preise liegen etwa 30-50 % unter denen fertig montierter, konkurrierender Produkte. Möglich ist dies vor allem aufgrund der großen Einkaufsmengen, kostengünstiger Logistik, der Vorstadt-Lage der meisten Einrichtungshäuser und der „Do it yourself“-Orientierung. Auch die ursprüngliche Geschäftsidee Kamprads, den Versandhandel, können die Kunden heute nutzen: mit IKEA Homeshopping. Umsatzentwicklung 2008
Umsatz nach Region 15%
21.200
2004
Umsatzstärkste Länder
3%
15%
12.800
1994
10%
3.821
52% 1984
1.216
1974
169
1964
25
1954
1
10%
7% 6%
82% Asien in Mio. EUR
Europa
Nordamerika
Umsatz nach Region
Größte Lieferländer
Deutschland
USA
Frankreich
Großbritannien
Schweden
Sonstige
Mitarbeiter nach Region
3%
7.650
16.800
21%
30% 42%
17%
67% 6%
Asien
Europa
Nordamerika
6%
8%
China
Polen
103.350 Asien/Australien
Italien
Schweden
Europa
Deutschland
Sonstige
Nordamerika
Abbildung 5-1 IKEA – Zahlen und Fakten11
Um dem Kunden das Einkaufserlebnis so angenehm wie möglich zu gestalten, verfügen die meisten IKEA-Einrichtungshäuser über eine Spielzone und ein Restaurant. Im „Kinderparadies“ können sich die Kinder beschäftigen, während die Eltern in aller Ruhe durch die Ausstellung schlendern. Im Restaurant kann man während oder nach dem Einkaufen smålandische Hausmannskost (z.B. köttbullar med lingonsylt – Fleischbällchen mit Preiselbeeren) genießen. Außerhalb der Kassenzone findet man meist einen „Sweden Shop“, in dem man typische schwedische Lebensmittel, wie Knäckebrot, Lachs, Käse oder Schokolade kaufen kann.
11
erstellt nach: ebd.
Strategie
118
Wie zahlreiche andere Unternehmen auch ist IKEA bestrebt, seine Kunden langfristig an das Unternehmen zu binden. So gründete man den Einkaufs- und Vorzugsklub „Family“ und gibt viermal jährlich für Clubmitglieder das Magazin „Live“ heraus. Aus einer Not heraus – der schwedische Markt konnte IKEAs Nachfrage, auch aufgrund eines Lieferboykotts, nicht mehr befriedigen – sah sich Kamprad nach Zulieferern im Ausland um. Fündig wurde er in Polen, das 1961 zum ersten Lieferantenland außerhalb Schwedens wurde.12 Mittlerweile sind die Zulieferer überall auf der Welt ansässig, auch in solchen Ländern, in denen Kinderarbeit noch verbreitet ist. Gemeinsam mit UNICEF hat IKEA in Indien ein Projekt ins Leben gerufen, im Rahmen dessen Tausenden Kindern die Möglichkeit einer guten Schulbildung gegeben werden soll.13 Heute bezieht IKEA seine Waren von rund 1.380 Zulieferern aus 54 Ländern und unterhält darüber hinaus 41 Einkaufsbüros in 30 Staaten.14 Die Zulieferer transportieren ihre Waren zu einem der verschiedenen Zentrallager, wie sie beispielsweise in Älmhult (Schweden) und in vielen anderen, geographisch günstig gelegenen Orten zu finden sind. Artikel
Herkunftsland
Aufbewahrungsbehälter Polen
Artikel
Herkunftsland
Kuscheltiere
China, Indien, Indonesien, Polen, Thailand China, Israel
Badzubehör
Indien
Bettlaken
Indien
Lampen
Bettvorleger
Indien
Lampenschirme
Sri Lanka
Bettwäsche
Pakistan
Matratzen
Niederlande
Blechbehälter
Taiwan
Möbel
Bürozubehör
China, Italien
China, Indonesien, Malaysia, Polen, Rußland, Schweden, Thailand, Vietnam
Computerzubehör
China, Taiwan
Decken
Griechenland, Italien
Personenwaage
Frankreich
Geschenkpapier
Großbritannien
Pfannen
Italien, Finnland
Gläser
Frankreich, Niederlande, Portugal, Ungarn
Platzsets
Tschechien, Malaysia
Polstermöbel
Slowenien
China
Porzellan
Handtücher Kabel
Griechenland
Portugal, Türkei, Vietnam
Kerzen
Deutschland, Dänemark Schüsseln
Rumänien
12
vgl. Torekull, Bertil; Kamprad, Ingvar: Das Geheimnis von IKEA, Hamburg 1998, 74; Mr. IKEA – Der Mann, der die Welt möblieren wollte! (Film von Malcolm Dixelius und Christian Schulz), 2009; Strid, Steve; Andréasson, Claes: Die Wikinger kommen! – Marketing auf Skandinavisch, München 2008, 114 13 vgl. IKEA: Daten & Fakten – Der IKEA-Konzern 2008, o.O. 2008, 3 14 vgl. ebd.
Das schwedische Möbelhaus
119
Fortsetzung
Artikel
Herkunftsland
Artikel
Herkunftsland
Kerzenhalter
Vietnam
Stoffe
Kissenbezüge
China, Dänemark, Deutschland, England, Griechenland, Indien, Ungarn
Finnland, Indien, Pakistan, Rußland
Stühle
Taiwan
Teppiche
Belgien, Indien, Iran, Vietnam
Kleiderbügel
China
Türgriffe
Malaysia
Klobürsten
Tschechien
Übertöpfe
Indonesien
Kochlöffel
China
Vasen
Vietnam
Korbgegenstände
Indonesien, Vietnam
Weihnachtslichterketten Polen
Korbstühle
China
Wischtücher
Küchenherde
Italien
Tschechien
Tabelle 5-2 Bei IKEA verkaufte Artikel und deren Herkunftsland (Auswahl)15
Nachdem IKEA lange Zeit seine Produkte nur entwarf, aber nicht selbst produzierte, stellt man seit 1991 verschiedene Artikel auch in Eigenproduktion in der Tochterfirma Swedwood her. Zur Produktionsgruppe Swedwood gehören 38 Unternehmen in elf Ländern.16 Im Jahr 2000 führte IKEA einen Verhaltenskodex für Arbeitsbedingungen und Umweltschutz, „Einkauf von Einrichtungsprodukten – The IKEA Way“, bei seinen Lieferanten ein. Darin sind die Mindestanforderungen hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Sozialstandards, Umwelt, Forstwirtschaft und Kinderarbeit festgelegt. So verlangt IKEA beispielsweise von seinen Lieferanten, daß das für die Produkte verarbeitete Massivholz nicht aus Urwäldern oder Wäldern mit hohem Naturschutzwert stammen darf (ausgenommen zertifiziertes Holz). In diesem Zusammenhang unterstützt IKEA auch Global Forest Watch, ein weltweites Projekt zur Kartierung aller Urwälder. IKEA erwartet von seinen Lieferanten die Achtung der Menschenrechte und die faire und respektvolle Behandlung der Mitarbeiter.17 2006 wurde der Verhaltenskodex „Einkauf von Distributions- und Transportleistungen“ eingeführt, der für die Distributionszentren und alle Transportdienstleister gilt. Ziel ist die Realisierung nachhaltiger Transporte. IKEA-Produkte werden derzeit – weltweit betrachtet – noch zu 69 % auf der Straße, zu 17 % per Schiff, zu 5 % auf der Schiene und zu 8 % im kombinierten Verkehr transportiert.18 In Schweden finden jedoch bereits rund 40 % der Warentransporte auf der Schiene statt. Der Konzern ist bestrebt, den Anteil der Schienentransporte insgesamt weiter auszubauen, stößt dabei aber auch auf Probleme, insbesondere in Hinblick auf die Flexibilität des Verkehrs15
Ermittelt in einer Feldstudie im Rahmen der Lehrveranstaltung „Internationale Unternehmensführung“ an der Westsächsischen Hochschule Zwickau. 16 vgl. Swedwood, http://www.swedwood.com, 04.04.2009; IKEA: Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt, o.O. 2006, 65; Mr. IKEA – Der Mann, der die Welt möblieren wollte! (Film von Malcolm Dixelius und Christian Schulz), 2009 17 vgl. IKEA: Verantwortungsvoll handeln, o.O. 2008, 8ff 18 vgl. IKEA: Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt, o.O. 2006, 36; IKEA: Social & Environmental Responsibility, o.O. 2007, 30
120
Strategie
trägers Schiene. Steigende Absatzzahlen in den Möbelhäusern führen zu höheren Umschlagfrequenzen. Diese erfordern kontinuierliche und zuverlässige Lieferungen aus den Zentrallagern.19 Im Jahr 2000 hatte IKEA eine eigene Eisenbahngesellschaft, IKEA Rail AB, für den Gütertransport gegründet, um damit das bestehende Distributionsnetzwerk zu optimieren. 2004 gliederte man diesen Bereich allerdings aus dem Unternehmen aus.20 IKEA beschäftigt weltweit etwa 127.800 Mitarbeiter. Die IKEA-Organisation ist gekennzeichnet durch flache Hierarchien. Großer Wert wird innerhalb der Organisation auf die Übernahme von Verantwortung, die Einräumung von Handlungsund Entscheidungsspielräumen und Vertrauen gelegt. Um eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen und Barrieren abzubauen, sprechen sich alle Mitarbeiter mit „Du“ an. 1976 entwickelte Ingvar Kamprad neun Thesen, die die Philosophie von IKEA widerspiegeln – das „Testament eines Möbelhändlers“. Diese Thesen wurden unter dem Motto „to create a better everyday life for the majority of people“ an alle Mitarbeiter verteilt:
Testament eines Möbelhändlers21 1. Das Sortiment – unsere Identität. IKEA möchte ein breites Sortiment formschöner Möbel anbieten, die funktionsgerecht sind und die sich möglichst viele Menschen leisten können. Dabei sollte das Sortiment so gestaltet sein, daß es überschaubar bleibt und daß man die einzelnen Artikel als „typisch IKEA“ bzw. „typisch Schweden“ identifiziert. Die Produkte müssen leicht handhabbar, widerstandsfähig und langlebig sein. Die Qualität muß dem Zweck des Benutzers entsprechen. Angestrebt werden niedrige Preise, die Preisgestaltung darf aber nicht auf Kosten der Qualität geschehen. 2. Der IKEA-Geist – eine starke und lebendige Wirklichkeit. Der IKEA-Geist baut auf Tatendrang, Freude an der Arbeit, Interesse an Neuem, Kostenbewußtsein, Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung und Hilfsbereitschaft. Diesen Geist gilt es zu pflegen, zu fördern und weiterzuentwickeln. 3. Gewinn gibt uns Mittel. Die Aufbringung von Ressourcen ist nur auf zwei Wegen möglich: durch Gewinne oder Unterstützung. IKEA will sich bei der Aufbringung von Mitteln auf sich selbst verlassen. Voraussetzung dafür ist, langfristig gute Ergebnisse zu erzielen. Dies ist wiederum nur möglich, wenn Preis und Qualität stimmen. 4. Mit wenigen Mitteln gute Ergebnisse erzielen. Problemlösungen werden erst dann interessant, wenn man weiß, was sie kosten. Ressourcenverschwendung ist unbedingt zu vermeiden. 5. Einfachheit ist eine Tugend. Komplizierte Regeln erschweren die Zusammenarbeit im Unternehmen. Komplizierte Planung lähmt. Wo möglich und nötig sollen Verstand und Vernunft die Planung begleiten. Vereinfachung dient der Beschleunigung von Prozessen, der Erhöhung der Effektivität. 6. Die „Linie anders“. Experimentierfreude und der Mut, etwas anders zu machen, sind der Schlüssel zum Erfolg. Ideen, Prozesse und Ansichten sollen hinterfragt werden. Erst das „Warum?“ bringt weiter.
19
vgl. Wiechel-Kramüller, Christian: Billy fährt Bahn, in: Prima 2/2007, 25 vgl. IKEA: Om IKEA, http://www.ikea.com, 01.04.2009 21 vgl. Torekull, Bertil; Kamprad, Ingvar: Das Geheimnis von IKEA, Hamburg 1998, 275ff 20
Das schwedische Möbelhaus
121
7. Kraftsammlung – wichtig für unseren Erfolg. Die Ressourcen sollen auf das Wesentliche konzentriert werden. Dies gilt für die Gestaltung und Vermarktung von Produkten ebenso wie die Erschließung von neuen Märkten. 8. Verantwortung übernehmen zu können – ein Vorteil. Verantwortung übernehmen kann man unabhängig von Ausbildung, finanzieller Lage oder Position. Verantwortungsbewußtsein ist in allen Unternehmensbereichen notwendig. Es muß erlaubt sein, Fehler zu machen. Und Fehler kann nur jemand machen, der aktiv ist. 9. Das meiste ist noch nicht getan. Wunderbare Zukunft. Wenn ein Unternehmen glaubt, es habe sein Ziel erreicht, stagniert es. Die ständige Frage wie das, was jetzt getan wird, besser gemacht werden kann, bringt vorwärts. Zeit ist eine wichtige Ressource, die nicht verschwendet werden sollte. Die Mitarbeiter werden aufgefordert, ihr Leben in 10-Minuten-Abstände einzuteilen und so wenig Zeit wie möglich davon zu vergeuden.
In Älmhult finden regelmäßig Schulungen zum „IKEA Way“ statt. Den Teilnehmern werden dabei gemäß den Hauptbestandteilen des IKEA-Konzepts Empfehlungen hinsichtlich Einkaufspolitik, Produktionssteuerung, Sortiment, Preispolitik, Design, Einfachheit vermittelt.22 Aufgabe 1 Warum ist IKEA so erfolgreich? Was sind mögliche Grenzen des Konzepts? Aufgabe 2 Analysieren Sie IKEAs Marketing-Mix! Aufgabe 3 Wie wird den Mitarbeitern von IKEA die Organisationskultur nahegebracht? Aufgabe 4 Inwieweit finden sich die Werte des „Testaments eines Möbelhändlers“ in der Organisationskultur bzw. in der Produktpalette von IKEA wieder? Aufgabe 5 Inwieweit wird bei IKEA die Unternehmenskultur von der Gesellschaft Schwedens geprägt? Gehen Sie bei Ihrer Diskussion auf das Modell von Hofstede ein! Aufgabe 6 Informieren Sie sich über Zulieferer, Produktionsmodalitäten und -standorte sowie die Distributions- und Logistikkanäle bei IKEA! Aufgabe 7 Informieren Sie sich über soziale und Umweltprojekte, die IKEA ins Leben rief bzw. an denen IKEA beteiligt ist!
22
vgl. ebd., 153
Strategie
122
Lösung Aufgabe 1 Der Erfolg resultiert aus einem profitablen Netzwerk von Möbelhäusern in der ganzen Welt. Die Produkte wirken jung, dynamisch, interessant und werden zu vergleichsweise niedrigen Preisen angeboten. Grenzen des Konzepts könnten darin bestehen, daß die Zielgruppen eingegrenzt sind und Marktsättigung eintritt. Konzerne derartiger Größenordnung nehmen sich tendenziell die Nachfrage selbst. Aufgabe 2 Produktpolitik
• • • • • •
standardisierte Produktpolitik Sortiment umfaßt rund 9.500 Produkte funktionelle Produkte in modernem Design, verschiedene Stilrichtungen Artikel sollen als „typisch IKEA“ bzw. „typisch Schweden“ identifiziert werden die meisten Produkte müssen vom Kunden endmontiert werden in den Einrichtungshäusern sind zahlreiche Zimmer mit den IKEA-Produkten eingerichtet, um den Kunden Ideen zu geben (evtl. Kombinationskäufe)
Kommunikationspolitik
• •
gelb-blaues Logo: schwedische Landesfarben konzentriert sich auf jährlich neu erscheinenden IKEA-Katalog; derzeitige Auflagenhöhe 198 Mio., erscheint in 27 Sprachen zudem setzt man auf Mund-zu-Mund-Propaganda bringt schwedischen Lebensstil nahe (Beispiel Midsommar) Nutzung der Medien kann je nach Markt unterschiedlich sein
• • • Distributionspolitik
• • •
Kontrahierungspolitik
• • •
verfügt über eigenes Distributionsnetzwerk Einrichtungshäuser befinden sich meist in peripherer Lage, außerhalb der (teuren) Stadtzentren, aber verkehrsgünstig und gut erreichbar IKEA kooperiert mit Autovermietern, um den Kunden den Transport der Einkäufe organisieren zu helfen niedrige Preise Preise liegen etwa 30-50% unter denen fertig montierter, konkurrierender Produkte möglich vor allem aufgrund der großen Einkaufsmengen, kostengünstiger Logistik, der Vorstadt-Lage der meisten Einrichtungshäuser und der „Do it yourself“-Orientierung
Tabelle 5-3 Marketing-Mix bei IKEA
Aufgabe 3 Mitarbeiter erlernen die Kultur durch tagtägliches „Erleben“. Man überträgt ihnen Verantwortung, räumt Handlungs- und Entscheidungsspielräume ein, schenkt ihnen Vertrauen. Es herrscht eine angenehme Arbeitsatmosphäre durch ungezwungenen Umgang miteinander (Mitarbeiter per Du). Die Thesen aus dem „Testament eines Möbelhändlers“ spiegeln die Philosophie von IKEA wider. In Schulungen werden die Inhalte des „IKEA Way“ vermittelt. Aufgabe 4 Im wesentlichen basiert alles auf Einfachheit und einer Niedrigkosten-Orientierung. Die Möbel sollen keine Wegwerf-Möbel sein und zeichnen sich durch Funktionalität aus. Es findet eine regelmäßige Erneuerung des Möbelstils statt, ohne aber den alten Stil völlig aufzugeben. Zudem sind die Möbelhäuser familienfreundlich eingerichtet.
Das schwedische Möbelhaus
123
Aufgabe 5 Schweden
IKEA
Individualismus vs. Kollektivismus
• •
Individualismus stark ausgeprägt eigene Interessen stehen im Vordergrund
• • •
gering ausgeprägt Respekt des Einzelnen dieselbe Produktpalette auf der ganzen Welt
Machtdistanz
• •
gering ausgeprägt machtbezogene Unterschiede stark abgeschwächt Titel spielen keine große Rolle Gleichberechtigung
• •
gering ausgeprägt flache Hierarchien; einfache Kommunikation zwischen den Hierarchien einfacher Kleidungsstil Autorität basiert nicht auf Titeln oder Positionen, sondern auf Wissen und Erfahrung Mitarbeiter sind per Du
• •
• •
• • •
Vermeidung von Unsicherheit
• •
gering ausgeprägt Menschen fühlen sich kaum von unvorhergesehenen Einflüssen bedroht
Maskulinität
• •
gering ausgeprägt • große Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen und des Wohlergehens Menschen vor Profit
•
gering ausgeprägt gehen in jedes Land, auch wenn Umfeld unsicher gering ausgeprägt
Tabelle 5-4 Kulturelle Dimensionen nach Hofstede
Aufgabe 6 •
Lieferanten: in 54 Ländern rund 1.380 Lieferanten; größte Lieferländer: China, Polen, Italien, Schweden, Deutschland; 40 Einkaufsbüros in 30 Ländern, 27 Distributionszentren
•
Produktionsmodalitäten und -standorte: kostengünstige Produktion; IKEA kauft bei Herstellern keine Produkte, sondern Produktionskapazitäten; Flexibilität gewünscht, aber Aufrechterhaltung langfristiger Beziehungen zu Herstellern; Unterstützung der Hersteller in finanzieller und technischer Hinsicht; seit 1991 auch Eigenproduktion, zur Produktionsgruppe Swedwood gehören 38 Fabriken in 11 Ländern
•
Distributions- und Logistikkanäle: Zentrallager an strategisch günstigen Standorten; Bemühung um Verlagerung der Transporte von der Straße auf die Schiene, alle Zentrallager verfügen über Eisenbahnanschluß; Forcierung der Transporte per Schiff
Aufgabe 7 •
Verhaltenskodex „Einkauf von Einrichtungsprodukten – The IKEA Way“: Mindestanforderungen hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Sozialstandards, Umwelt, Forstwirtschaft und Kinderarbeit
•
Verhaltenskodex „Einkauf von Distributions- und Transportleistungen“: Realisierung nachhaltiger Transporte
•
Zusammenarbeit mit verschiedenen NGO, wie UNICEF, CREDA, „Save the Children“, Global Forest Watch
Strategie
124
6
Gut gerüstet ist halb angekommen „Ein Berggipfel ist so attraktiv, daß nicht für ihn geworben werden muß.“ (Reinhold Messner1)
Vor knapp zehn Jahren schlossen sich 20, teils konkurrierende, skandinavische Outdoor-Firmen zur Scandinavian Outdoor Group zusammen. Zweck dieses Zusammenschlusses ist es zum einen, etwas Bewegung in den Tourismus-, und dabei insbesondere in den Outdoor-Markt zu bringen. Zum anderen verspricht man sich dadurch einen dynamischeren Auftritt auf den Exportmärkten, insbesondere in Europa2: „S.O.G. is a co-operation between leading Scandinavian outdoor brands to grow export business and strengthen our image as reliable partners for high quality and service through joint projects supporting trade and retail customers on export markets outside Scandinavia. S.O.G. activities are aimed at increasing recognition and trust for Scandinavian outdoor products, our outdoor traditions and activities as well as our respect for nature.“3 Unterstützt werden sie dabei von der schwedischen Außenhandelskammer. Derzeit gehören der Scandinavian Outdoor Group rund 30 Unternehmen und Marken an.4 Obwohl sich einige der Unternehmen erst in den letzten Jahren am Markt etabliert haben, können etliche – auch im restlichen Europa gut bekannte Firmen – bereits auf eine lange Tradition zurückblicken: Unternehmen
Herkunft
Tätig seit
Produkte
Bergans
Norwegen
1908
Rucksäcke, Bekleidung
Craft
Schweden
1977
Bekleidung
Dale of Norway
Norwegen
1879
Bekleidung
Fjällräven
Schweden
1962
Outdoor-/Trekking-Bekleidung, Ausrüstung
Haglöfs
Schweden
1914
Bekleidung, Schuhe, Zelte, Schlafsäcke
Helsport
Norwegen
1964
Norrøna
Norwegen
1929
Outdoor-/Trekking-Bekleidung, Zelte, Schlafsäcke Outdoor-/Trekking-Bekleidung
Reima
Finnland
1944
Outdoor-/Freizeit-Bekleidung
Tabelle 6-1 Skandinavische Unternehmen der Outdoor-Branche (Auswahl)5
1
Messner, Reinhold: Berge versetzen – Das Credo eines Grenzgängers, München/Wien/Zürich 1996, 131 vgl. Krämer, Thomas: Umsatz dank Naturliebe, in: Nordis, 04/2002, 43 3 Scandinavien Outdoor Group: About S.O.G., http://www.scandinavianoutdoors.com, 04.04.2009 4 vgl. Scandinavien Outdoor Group: Members, http://www.scandinavianoutdoors.com, 04.04.2009; Scandinavian Outdoor Group: S.O.G. Brands, http://www.scandinavianoutdoors.com, 04.04.2009 5 erstellt nach: Bergans, http://www.bergans.no, 04.04.2009; Craft, http://www.craft.se, 04.04.2009; Dale of Norway, http://www.dale.no, 04.04.2009; Fjällräven, http://www.fjallraven.com, 04.04.2009; Haglöfs, http://www.haglofs.se, 04.04.2009; Helsport, http://www.helsport.no, 04.04.2009; Norrøna, http://www.norrona.com, 04.04.2009; Reima, http://www.reima.fi, 04.04.2009 2
Gut gerüstet ist halb angekommen
125
Die Scandinavian Outdoor Group führt keine an den Endverbraucher gerichteten Aktionen durch, sondern wendet sich ausschließlich an Händler und Medien. Darüber hinaus konzentrieren sich alle Anstrengungen auf den Exportmarkt. Zunächst stand dabei Europa im Mittelpunkt. Es sind aber auch Projekte bezüglich des russischen, asiatischen und US-amerikanischen Marktes geplant. Finanziert wird der Zusammenschluß durch jährliche, umsatzabhängige Mitgliedsbeiträge sowie einen Gesellschafteranteil, den jedes Mitgliedsunternehmen erwerben muß.6 Saisonweise verleiht die Scandinavian Outdoor Group den „Scandinavian Outdoor Award“ an das beste skandinavische Outdoor-Produkt. Ausschlaggebende Kriterien sind dabei Funktionalität, Qualität, Innovation und Design. Es wird gleichzeitig aber auch Wert auf Umwelt- und Ethikaspekte gelegt.7
Gipfelsturm
Skandinavien kann als relativ kleiner Markt bezeichnet werden, auch wenn der Anteil derjenigen, die derartige Produkte nutzen, vergleichsweise hoch ist. Angebotsseitig gilt der skandinavische Markt als der mit der höchsten Dichte an Herstellern von Outdoor-Equipment. Es liegt also nahe, daß immer mehr skandinavische Unternehmen auf andere Exportmärkte ausweichen wollen. In Europa treffen sie dabei aber bereits auf starke Konkurrenz – europäische und amerikanische Hersteller und auch skandinavische Firmen, die diesen Schritt schon eher gewagt ha-
6
vgl. Scandinavian Outdoor Group: About SOG, http://www.scandinavianoutdoors.com, 04.04.2009 vgl. Scandinavian Outdoor Group: Scandinavian Outdoor Award, http://www.scandinavianoutdoors.com, 04.04.2009
7
126
Strategie
ben. Erfolg versprechen sich die Anbieter teilweise durch das Bedienen von Nischen oder das Ausweichen auf hochpreisige Marktsegmente.8 Insbesondere der Exportmarkt Deutschland bietet für skandinavische Produkte ein hohes Absatzpotential. Nach Einschätzung skandinavischer Hersteller würden die Deutschen trotz der geographischen Nähe in diesem Sektor allerdings ein anderes Kaufverhalten an den Tag legen: Sie wären einerseits anspruchsvoller als die Skandinavier und würden mehr auf das Preis-Leistungs-Verhältnis achten. Anderseits gehen sie Kaufentscheidungen nicht so praxisorientiert wie ihre nordischen Nachbarn an.9 Aufgabe 1 Welche Gründe veranlassen die skandinavischen Outdoor-Unternehmen zur Ausweitung ihrer Geschäftstätigkeit auf Auslandsmärkten? Unterscheiden Sie dabei in aktive und passive Gründe! Aufgabe 2 Wie würden Sie die Outdoor-Branche in Europa charakterisieren? Gehen Sie dabei insbesondere auf die Aspekte Angebot und Nachfrage, Wettbewerber, Marktattraktivität sowie Markteintrittsbarrieren ein! Aufgabe 3 Zur Erschließung des europäischen Marktes könnten die betreffenden Hersteller versuchen, ihre Produkte bei bereits existierenden Händlern listen zu lassen oder aber eine eigenständige Absatzorganisation aufbauen. Welche Vor- bzw. Nachteile weist der direkte Vertrieb gegenüber dem Einsatz von Händlern auf? Aufgabe 4 Analysieren Sie die Vorteile des EU-Binnenmarktes für schwedische, dänische und auch finnische Unternehmen!
8 9
vgl. Krämer, Thomas: Umsatz dank Naturliebe, in: Nordis, 04/2002, 43 vgl. ebd.
Gut gerüstet ist halb angekommen
127
Lösung Aufgabe 1 Aktive Gründe
Passive Gründe
• •
•
• • •
Unterstützung durch schwedische Außenhandelskammer dynamischerer Auftritt auf Exportmärkten, insbesondere in Europa, Intensivierung der Exporte Stärkung des Images als zuverlässiger Partner mit hoher Qualität und gutem Service; Stärkung des Vertrauens in skandinavische Produkte Synergieeffekte, Realisierung gemeinsamer Projekte Bekanntmachung skandinavischer Outdoor-Traditionen und -Aktivitäten, Erhöhung des Respekts vor der Natur
•
Internationalisierung der Wettbewerber Marktgröße: Marktsättigungserscheinungen in den Heimatmärkten
Tabelle 6-2 Gründe der skandinavischen Outdoor-Unternehmen
Aufgabe 2 Nachfrage nachgefragte Produkte
•
qualitativ hochwertige Outdoor-Bekleidung und -Equipment mit angemessenem Preis-Leistungs-Verhältnis
geographisches Absatzgebiet Vertriebszeitraum
•
weltweit, zunächst insbesondere Europa
•
ganzjährig
Marketingmaßnahmen
•
gemeinsamer Marktauftritt im Rahmen der Scandinavian Outdoor Group mit Unterstützung der schwedischen Außenhandelskammer
Produktlebenszyklus
•
langlebige Produkte, verschiedene Hersteller gewähren auf ihre Produkte weit über die gesetzliche Garantiefrist hinausgehende Garantien (teilweise lebenslange Garantie) allerdings ist Bekleidung, zumindest psychologisch, den der Modebranche eigenen Gesetzmäßigkeiten unterworfen, z.B. sind in einem Jahr aktuelle Farbkombinationen im nächsten Jahr eben nicht mehr „in“, was allerdings nichts mit der eigentlichen Qualität der Erzeugnisse zu tun hat
•
Nachfrager
Angebot angebotene Produkte Kapazität/ Lieferfähigkeit Infrastruktur
• •
verschiedene Gruppen von Nachfragern vom Extrembergsteiger bis zum Freizeitsportler; „Outdoor-Fans“ quer durch alle Schichten und unabhängig von geographischer Ansiedlung
•
qualitativ hochwertige Outdoor-Bekleidung und -Equipment
• •
zahlreiche Unternehmen produzieren für diesen Sektor Kapazitätsprobleme müssen nicht auftreten, insbesondere dort, wo Kunde nicht auf eine bestimmte Marke festgelegt ist und Produkte substituierbar sind
• • •
relativ kurze Distanzen von Skandinavien nach Europa gut ausgebaute Infrastruktur Transporte per Schiene oder Straße problemlos möglich; Schnellieferungen auch per Flugzeug machbar
Anforderungen an • Distribution und Service • • Transportkosten •
aufgrund der langen Garantiefristen muß Gewährleistung auch nach längerer Zeit abgesichert sein evtl. Servicezentrum in jedem Land einrichten, das Reklamationen abwickelt ebenfalls günstig: Info-Telefon in Landessprache abhängig vom Transportmittel, aufgrund der geringen Distanzen aber moderat
Strategie
128 Fortsetzung
Wettbewerber Verhalten
•
expansionswillig
Wettbewerbsklima
• •
Markt schon relativ dicht dennoch Marktwachstum abzusehen
Variabilität der Wettbewerbsbedingungen
• •
relativ sicheres Umfeld, Gefahr unvorhergesehener Veränderungen gering Änderung der Bedingungen nur bei Fusion/Aufkauf von Wettbewerbern (vgl. Ajungilak/Mammut)
Marktattraktivität Marktwachstum • • Marktgröße •
in Skandinavien eher mäßig bis gar nicht im übrigen Europa gute Chancen großer Markt (die fünf größten EU-Nationen haben zusammen ca. 300 Mio. Einwohner: Deutschland 82,4 Mio., Großbritannien 60,4 Mio., Frankreich 62,2 Mio., Italien 58,8 Mio., Spanien 43,8 Mio.10)
Umfeld
•
günstig, risikoarm
Ertragspotential
•
mittel bis hoch
Eintrittsbarrieren Marktzugang • • Kapitalbedarf
•
Listung durch Handel erforderlich evtl. Aufbau eines eigenen Vertriebsnetzes (z.B. eigene Ladenkette [kostenintensiv], Internet [über zentralen Versand realisierbar]) bei Export nicht allzu hoch
Tabelle 6-3 Branchenanalyse Outdoor-Markt
Aufgabe 3
Nachteile
Vorteile
• • • •
• • •
Direkter Vertrieb exklusiver Vertrieb möglich direkter Kontakt zum Markt und zum Kunden Informationen aus erster Hand Reklamationen können direkt abgewickelt werden kosten- und aufwandsintensiv Funktionen, die sonst der Händler übernimmt, müßte der Hersteller selbst wahrnehmen zahlreiche Kontakte zum Endverbraucher, die über den Handel gebündelt werden könnten
• •
• • • •
Indirekter Vertrieb Handel verfügt über Erfahrungen und zahlreiche Kontakte übernimmt zudem verschiedene Funktionen: Verkauf und Absatzförderung, Einkaufserleichterung durch Sortimentszusammenstellung, Mengenauflösung, Lagerhaltung, Finanzierung, Risikoübernahme, Bereitstellung von Marktinformationen, Schulung und Beratung Produkte werden neben denen der Wettbewerber angeboten Händler kennt sich durch Vielzahl der Produkte nicht mit allen gleich gut aus nur bedingt Einfluß auf Preisgestaltung des Händlers möglich kein direkter Kontakt zum Markt
Tabelle 6-4 Direkter vs. indirekter Vertrieb
Aufgabe 4 Vorteile ergeben sich in Form von (administrativen und zolltechnischen) Handelserleichterungen und rechtlichen Erleichterungen. Die Handelspartner in der EU nehmen überwiegend am Euro teil. Im Falle Finnlands entfällt jegliche Währungsproblematik. Eventuell kann auf Kooperationen wirtschaftlicher Art zwischen den Ländern zurückgegriffen werden. 10 vgl. Europäische Union: Fakten und Zahlen über Europa und die Europäer, http://europa.eu, 14.04.2009
Im Parallelschwung zum Erfolg
7
129
Im Parallelschwung zum Erfolg „Schifahr’n is der größte Hit, olle samma superfit. Irgendwo, da gibt’s immer Schnee, ja, Schifahr’n des is schee.“ (Wolfgang Fierek1)
Beat Bärli und Urs Aeschli, von Kindesbeinen an dicke Freunde, sind in den Schweizer Alpen aufgewachsen. Von klein auf begeisterte Skifahrer, waren sie auf einer Sportschule und später recht erfolgreich als Profi-Skisportler aktiv. Langsam neigt sich ihre sportliche Laufbahn aber dem Ende zu. Nun sind beide auf der Suche nach einer neuen Aufgabe. Da sie sich ein Leben ohne Skisport kaum vorstellen können, tragen sie sich mit dem Gedanken, eine eigene Skischule zu eröffnen. Beide waren schon als Skilehrer in einer Skischule2 tätig, so daß sie wissen, was ihnen solch eine Tätigkeit abverlangt.
Egal, wohin man schaut, Berge überall
Die Konkurrenz schläft nicht ...
Das für die Skischule favorisierte Gebiet galt zumindest in der Vergangenheit von Anfang Dezember bis Ende März als absolut schneesicher. Allerdings scheint auch diese Region vom Klimawandel nicht ganz unberührt zu bleiben. Experten befürchten, daß sich die Schneegrenze im Alpenraum innerhalb der nächsten zwanzig Jahre um bis zu 300 m – d.h. von etwa 1.200 m auf 1.500 m – verschieben könnte, wobei regional starke Unterschiede möglich sind. Als schneesicher wurden Skigebiete bislang bezeichnet, wenn an mindestens 100 Tagen ausreichend Schnee für den Skisport lag – d.h. mindestens 30 cm. In der Schweiz gelten bisher 85 % aller Skigebiete als schneesicher, in Zukunft wären es Prognosen zufolge nur noch 63 %.3 1
aus: „Schifahr‘n is der größte Hit“ von Wolfgang Fierek, Songtextarchiv, http://www.lyricsdownload.com, 02.04.2009 In der Schweiz ist es erforderlich, eine mehrstufige Ausbildung zum Skilehrer zu absolvieren (siehe dazu auch Swiss Snowsports [Hrsg.]: Dein Beruf Schneesportlehrer/in mit eidg. Fachausweis, Belp o.J., http://www.snowsports.ch, 02.04.2009) 3 vgl. Müller, Hansruedi: Tourismus und Ökologie, München 2007, 127; siehe dazu auch Zängl, Wolfgang; Hamberger, Sylvia: Gletscher im Treibhaus, Steinfurt 2004; Bätzing, Werner: Bildatlas Alpen – 2
Strategie
130
Es lebe der Sport! Aufgabe 1 Welche Aspekte sollten Beat und Urs vor der Gründung ihrer Skischule überdenken? Aufgabe 2 Welche Probleme könnten bei der Gründung der Skischule auftreten? Was könnten Beat und Urs außerhalb der Skisaison tun? Aufgabe 3 Wie könnte sich das Umfeld der Skischule mittelfristig entwickeln? Welche Auswirkungen hätte dies auf die Skischule? Aufgabe 4 An welchen Stellen können Beat und Urs steuernd in die Entwicklung eingreifen, an welchen nicht? Was wären mögliche Frühwarnindikatoren?
eine Kulturlandschaft im Portrait, Darmstadt 2005; Bätzing, Werner: Die Alpen – Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft, München 2003
Im Parallelschwung zum Erfolg
131
Lösung Aufgabe 1 Formalitäten
was vorhanden?
Genehmigungen?
was notwendig?
Kinder
Fortgeschrittene
woher fehlende Mittel bekommen?
Erwachsene
geübte Fahrer
Senioren
Könner
Geschäftsgründung
zu welchen Konditionen?
BGA/Grundausstattung
Anfänger
Zielgruppe
Skigebiet
Finanzen Ausstattung Geschäftsräume
Frequentierung
"Lehrmittel"
Pisten
Ski + Ausrüstung zum Ausleihen Kooperation mit Sportgeschäften
Schwierigkeitsgrad
Skischule
Standort
Vielfalt Anzahl
Kooperation mit Pistenbetreibern
Länge
Angebotsumfang
Betreiber
Skifahren
Wetter-/ Schneelage
Snowboard Kommunikationspolitik
Kooperation mit Hütten, z.B. Skikurs + Verpflegung
Werbemittel, Werbeträger Botschaft, Slogan? Image? Budget? Verkaufsförderung? PR?
Kooperation mit Hotels + Pensionen, z.B. Unterkunft + Skikurs Kooperation mit Liftbetreibern, z.B. Skipass + Skikurs Sonderpakete für Gruppen, z.B. Schulklassen
Image Lehrgänge zum Umgang mit "Lawinen-Verschütteten-Suchgeräten"
Erreichbarkeit; Anschluß an vorhandene Infrastruktur
Ausleih o.g. Geräte geführte Skitouren Einzelskilehrer
Geschäftsräume Lage
Skikindergarten
Kosten
"Feiertags-Pakete"
Ausstattung
Abbildung 7-1 Mindmap: Wichtige Aspekte bei der Gründung der Skischule
Aufgabe 2 Als mögliche Probleme könnten sich die Standortsuche (schon zu viele Skischulen/Skilehrer vorhanden; keine geeigneten Geschäftsräume; Geschäftsräume zu teuer), Finanzen (Aufbringung der benötigten Mittel; Fehlkalkulationen), Zeitablauf/Planung (zu geringe Vorlaufzeit vor Saisonbeginn), Kunden (Fehleinschätzung des Potentials; andere Ansprüche) und/oder die Konkurrenz (größer als erwartet; „geschickter“ bei der Vermarktung; attraktiveres Angebot) erweisen.
132
Strategie
Außerhalb der Skisaison bieten sich folgende Möglichkeiten: •
Berg- und Wanderführer in der Region; ähnliche Komplettangebote wie im Winter, z.B. Unterkunft und Wanderungen; Wandertouren in anderen Regionen);
•
„Trockenskikurse“, z.B. mit Rollerblades oder speziellen Rollenski; Grasskilauf (Pisten); Trainingslager; Gletscherskifahren (dafür evtl. im Sommer Standortwechsel → allerdings sehr große Konkurrenz);
•
Animateur, z.B. auch in südlichen Ländern;
•
Wasserskikurse.
Aufgabe 3
Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Anzahl Konkurrenten
Entwicklung – Trendaussagen (O) bleibt (P) nimmt stark zu (W) bleibt Angebot (O) bleibt (P) wird ausgebaut (W) wird ausgebaut Preis-Leistungs(O) bleibt Verhältnis (P) wird besser (W) wird besser Image (O) bleibt (P) wird besser (W) wird besser Anzahl (O) nimmt zu Kunden (P) nimmt ab (W) bleibt Ansprüche (O) bleiben (P) nehmen zu (W) nehmen zu Kaufkraft (O) nimmt zu (P) nimmt ab (W) bleibt Hotels und Pensionen, (O) wird ausgebaut Touristisches Angebot Umfeld/ (P) wird schlechter Dienstleistungen (W) wird ausgebaut Gasthäuser/ (O) wird ausgebaut Kneipenszene, Angebot (P) wird schlechter (W) wird ausgebaut (O) wird ausgebaut Beauty/Wellness, Angebot (P) wird schlechter (W) wird ausgebaut Kulturelles Angebot (O) wird ausgebaut Umfeld/Dienstleistungen (P) wird schlechter (W) wird ausgebaut Infrastrukturelle Anbin- (O) wird ausgebaut dung der Region (P) wird schlechter (W) bleibt gleich
Wirkung auf Umsatz/ Absatz +/-+/+/+/+/+ +/+/+ +/+ + + + + + + + + +/-
Im Parallelschwung zum Erfolg
133
Fortsetzung
Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Medizinische VersorUmfeld/Dienstgung leistungen Klima/Wetter
Entwicklung – Trendaussagen (O) wird ausgebaut (P) wird schlechter (W) bleibt gleich Temperaturverhältnisse (O) bleiben (P) es wird wärmer (W) bleiben Schneeverhältnisse (O) bleiben (P) Schneelage unsicherer (W) bleiben
Wirkung auf Umsatz/ Absatz + +/+/+/+/+/-
Tabelle 7-1 Mögliche Entwicklungen
Aufgabe 4 Kategorien steuerbare Faktoren
Faktoren • • • • • •
wirksam steuerbare Faktoren
• •
nicht steuerbare Faktoren
• • • • • • • • •
Frühwarnindikatoren
• • • • •
Erläuterung Alle vor Ort tätigen touristischen Dienstleister sollten den Kunden ein „Komplettpaket“ bieten können. Dazu gehört nicht nur ein erstklassiger Skikurs, sondern eben beispielsweise auch die Erreichbarkeit der Destination oder die Unterbringung und Verpflegung vor Ort. Die Dienstleister treten somit nicht als Konkurrenten zueinander auf, sondern sollten sich abstimmen, um eine bestmögliche Gesamtleistung zu erbringen. Insbesondere im Bereich der Hotellerie Hotel und Pensionen, Angebot Gasthäuser/Kneipenszene, Angebot und Gastronomie bietet sich eine derartige Zusammenarbeit an. Von der Skischule können zwar WirAnzahl der Konkurrenten kungen auf die Konkurrenz ausgehen Angebot der Konkurrenten (vgl. Angebotsgestaltung, Preisniveau). Preis-Leistungs-Verhältnis der KonFaktoren wie Kaufkraft oder Kundenankurrenten sprüche sind durch die Skischule selbst Image der Konkurrenten allerdings nicht steuerbar. Ebenso weAnsprüche der Kunden nig steuerbar sind die natürlichen Bedingungen. Kaufkraft der Kunden Temperaturverhältnisse Schneeverhältnisse medizinische Versorgung Bei den genannten Faktoren lassen sich Anzahl der Konkurrenten Entwicklungen beobachten, was die Angebot der Konkurrenten Betreiber der Skischule auch kontinuierKaufkraft der Kunden lich tun sollten. So können sie VerändeTemperaturverhältnisse rungen rechtzeitig feststellen und entSchneeverhältnisse sprechend darauf reagieren. Hotel und Pensionen, Angebot Gasthäuser/Kneipenszene, Angebot Beauty/Wellness, Angebot kulturelles Angebot infrastrukturelle Anbindung der Region Anzahl der Kunden
Tabelle 7-2 Von der Skischule steuerbare und nicht steuerbare Faktoren
Strategie
134
8
Der Fahrradkurier „Nur nicht gleich, nicht auf der Stell‘, denn bei der Post geht’s nicht so schnell!“1
Andreas Blitz ist leidenschaftlicher Radfahrer und gehört seit seinem neunten Lebensjahr dem örtlichen Radsportverein an. Er ist sportlich gut in Form und liebt insbesondere die langen Strecken.
Jo, mir san mit’m Radl do ...
Durch Freunde ist er auf die Idee gekommen, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen und in seiner 70.000 Einwohner zählenden Heimatstadt einen Fahrradkurierdienst einzurichten. Ein Unternehmen dieser Art gab es dort bisher noch nicht. Vielleicht lag dies auch daran, daß die Stadt sehr hügelig gelegen ist und sich vom tiefsten bis zum höchsten Punkt auf bis zu 200 Metern Höhenunterschied erstreckt. Aufgabe 1 Welche Wettbewerbsvorteile weist solch ein Fahrradkurierdienst gegenüber dem klassischem Postversand auf? Aufgabe 2 Listen Sie in einem Mindmap wichtige Aspekte während der Gründungsphase des Fahrradkurierdienstes auf!
1
aus der Operette „Der Vogelhändler“, Musik von Carl Zeller, Texte von M. West; L. Held, Uraufführung 1891
Der Fahrradkurier
135
Aufgabe 3 Überlegen Sie, welche internen und externen Faktoren bei Andreas‘ Fahrradkurierdienst von besonderer Bedeutung sind! Stellen Sie die Wirkungsbeziehungen zwischen diesen Faktoren in einem Wirkungsgefüge dar! Aufgabe 4 Erstellen Sie ausgehend von den im Wirkungsgefüge untersuchten Faktoren eine Wirkungsmatrix und erläutern Sie die Ergebnisse kurz! Aufgabe 5 Stellen Sie Ihre Ergebnisse in einem Intensitätsportfolio dar und interpretieren Sie das Ergebnis!
Strategie
136
Lösung Aufgabe 1 Innerhalb der Stadt ist die Lieferung am selben Tag (innerhalb von Stunden) möglich. Die Zustellung ist sicher. Sendungen können vor Ort abgeholt werden. Der Kurierdienst ist als Unternehmen klein und daher flexibel in jeder Hinsicht (z.B. bei Sonderpreisen für regelmäßige Aufträge). Das Eingehen auf Kundenwünsche ist hier eher möglich. Der Fixkostenblock ist niedrig. Aufgabe 2
geeignetes Fahrrad
Tasche zur Beförderung
geeignete Kleidung
Mindestausstattung PC
Mobiltelefon
Betriebs- und Geschäftsausstattung
Fahrradersatzteile
Post Preispolitik
Kosten
Konkurrenz
Fahrradkurier
Handzettel städtische Werbezeitungen regionale Zeitungen in ansässigen Geschäften
Gewerbe anmelden Formalitäten
Bekanntmachung/ Kundengewinnung
sonstige Kurierdienste
Werbung
notwendige Versicherungen Fördermittel?
Briefpapier, Visitenkarten usw.
bei potentiellen Kunden
Rechtsformwahl Einzelunternehmer
Unternehmen öffentliche Einrichtungen
z.B. Stadtverwaltung, Arbeitsamt, Energie- und Wasserversorger, Schulen
Abbildung 8-1 Mindmap: Wichtige Aspekte während der Gründungsphase
Der Fahrradkurier
137
Aufgabe 3 + Finanzen
+
+
Werbung
+
+
+
+
Wettbewerbsvorteile +
Umsatz
+ +
-
+ kurzfristig
+ +
Konkurrenz
+
+ +
Kunden
mittelfristig langfristig
Abbildung 8-2 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Wettbewerbsvorteile
auf ... Konkurrenz
Umsatz Finanzen Kunden
Werbung
Finanzen
Kunden Werbung
Umsatz
Finanzen
Werbung
Umsatz
Wettbewerbsvorteile Finanzen
Kunden
Werbung
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je größer die eigenen Wettbewerbsvorteile, um so besser die eigene Position im Vergleich zur Konkurrenz je größer die eigenen Wettbewerbsvorteile, um so höher wahrscheinlich der Umsatz je größer die Wettbewerbsvorteile, um so besser die finanzielle Lage je größer die eigenen, für die Kunden wahrnehmbaren Wettbewerbsvorteile, um so mehr Kunden werden wahrscheinlich die Leistungen des Unternehmens in Anspruch nehmen je mehr in Werbemaßnahmen investiert wird, um so mehr werden die Finanzen beansprucht je mehr geworben wird, um so mehr Kunden werden auf das Unternehmen aufmerksam je effektiver die Werbemaßnahmen, um so größer wahrscheinlich der Umsatz je besser die finanzielle Lage, um so mehr kann geworben werden je günstiger die Kostenstruktur, um so höher die Wettbewerbsvorteile je höher der Umsatz, um so besser die finanzielle Lage (gleichbleibende Kosten vorausgesetzt) je anspruchsvoller die Kunden, um so anspruchsvoller müssen die Werbemaßnahmen sein
Fristigkeiten mittelfristig
mittelfristig mittelfristig mittelfristig
mittelfristig
kurz- bis mittelfristig langfristig kurzfristig mittelfristig kurzfristig
kurz- bis mittelfristig
Strategie
138 Fortsetzung
Wirkung von ... Kunden
auf ... Finanzen Umsatz Wettbewerbsvorteile Konkurrenz
Konkurrenz
Werbung
Umsatz
Kunden
Wettbewerbsvorteile
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je mehr Kunden, um so besser die finanzielle Lage je mehr Kunden, um so höher der Umsatz je mehr zufriedene Kunden die Leistungen des eigenen Unternehmens wiederholt nutzen, um so höher die Wettbewerbsvorteile je mehr potentielle Kunden, um so attraktiver wird der Markt für die Konkurrenz sein je effektiver die Werbemaßnahmen der Konkurrenz, um so ausgefeilter müssen die eigenen Maßnahmen sein je mehr potentielle Kunden zur Konkurrenz gehen, um so weniger wird im eigenen Unternehmen umgesetzt je mehr Aktivitäten der Konkurrenz bzw. je besser das Angebot der Konkurrenz, um so mehr Kunden könnten sich dadurch angesprochen fühlen je besser die Position der Konkurrenz am Markt, um so schlechter die eigenen Wettbewerbsvorteile
Fristigkeiten kurzfristig kurzfristig mittelfristig
langfristig langfristig
mittelfristig
langfristig
mittelfristig
Tabelle 8-1 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Aufgabe 4 Wettbewerbsvorteile
Umsatz
Finanzen
Kunden
Konkurrenz
Zeilensumme
von auf Werbung Wettbewerbsvorteile Umsatz Finanzen Kunden Konkurrenz Spaltensumme
Werbung
Wirkung
X 0 0 3 1 1 5
0 X 0 3 2 3 8
3 1 X 0 3 1 8
2 2 3 X 3 1 11
3 2 0 0 X 3 8
1 2 0 0 3 X 6
9 7 3 6 12 9 X
Tabelle 8-2 Wirkungsmatrix
Im vorliegenden Fall beeinflussen die Kunden alle übrigen Faktoren am stärksten. Den geringsten Einfluß auf die restlichen Faktoren übt der Umsatz aus. Die Finanzen wiederum werden von allen anderen Faktoren am stärksten beeinflußt. Am geringsten beeinflußt wird die Werbung.
Der Fahrradkurier
139
Aufgabe 5
Beeinflußbarkeit REAKTIV
14
F
KRITISCH
12 F 10
8
U
V
Ku
6
Finanzen
Ko
Konkurrenz
Ku
Kunden
U
Umsatz
V
Wettbewerbsvorteile
W
Werbung
Ko W
4
2 TRÄGE 0
2
4
AKTIV 6
8
10
12
Einflußnahme 14
Abbildung 8-3 Intensitätsportfolio Kritische Faktoren
•
Kunden: Die Kunden sind heutzutage kritischer in ihrem Urteil und weniger loyal einem Anbieter gegenüber. Kleinste Verschlechterungen im Service können bereits das Wechseln zur Konkurrenz bewirken, wohingegen kleine Verbesserungen nicht unbedingt wahrgenommen werden müssen, sondern vom Unternehmen kommuniziert werden müssen, damit sie dem Kunden bewußt werden (vgl. Werbung).
Aktive Faktoren
•
Werbung: Dieser Faktor beeinflußt alle anderen Faktoren. Folglich müssen geeignete Werbemaßnahmen und -strategien gefunden werden. Umfang und Gestaltung der eigenen Werbemaßnahmen hängen sowohl von der Zahl und der Haltung der Kunden, als auch von den Maßnahmen der Konkurrenz ab. Schließlich gibt das Budget vor, inwieweit überhaupt in Werbung investiert werden kann. Konkurrenz: mit Tendenz sowohl zum trägen, als auch zum aktiven Bereich – die Einschätzung der Konkurrenz als aktiven Faktor ist vor allem in Zusammenhang mit den zahlreichen anderen Kurierdiensten; viele dieser Servicedienstleister sind ebenfalls noch nicht allzu lange am Markt und bemühen sich aktiv um Kundschaft.
•
Reaktive Faktoren
•
•
Finanzen: Dieser Faktor wird stark von den anderen Faktoren beeinflußt; die Finanzausstattung hängt im wesentlichen davon ab, wie das Angebot bei der Kundschaft ankommt und inwieweit sie das Angebot nutzt. Ebenfalls beeinflussend wirken die Ausgaben für Marketingaktivitäten. Umsatz: Der Umsatz wird stark von den übrigen Faktoren beeinflußt; einerseits hängt er davon ab, wie gut das eigene Angebot bei den Kunden ankommt und genutzt wird, andererseits hängt er davon ab, inwieweit die Kunden ihre Bedürfnisse bei anderen Anbietern befriedigen.
Strategie
140 Fortsetzung
Reaktive Faktoren
•
Wettbewerbsvorteile: relativ zentral angesiedelt; wirken nahezu auf alle anderen Faktoren, werden z.T. auch relativ stark von diesen beeinflußt. Um sich am Markt behaupten zu können, muß ein Unternehmen einen gewissen Vorsprung gegenüber seinen Konkurrenten aufweisen. Wird dieser Vorsprung auch für den Kunden deutlich, und legt der Kunde auf diesen Vorsprung großen Wert, so wird er wahrscheinlich Leistungen dieses Anbieters denen der Konkurrenz bevorzugen. Ein Unternehmen sollte folglich vor allem in den Bereichen Stärken aufweisen, die dem Kunden von Bedeutung sind. Liegen die Stärken des Unternehmens gemessen am Branchenniveau deutlich höher, dann hat das Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil.
Träge Faktoren
•
bei dieser Faktorenauswahl keine
Tabelle 8-3 Erläuterung der Faktoren
Der Kiosk am Gleis
9
141
Der Kiosk am Gleis1 „Der Kiosk [...] ist wie in den Dörfern der Lebensmittelladen, die Post, der Bahnhofskiosk oder die Dorfbeiz: ein eminent wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens.“2
Nach einem Gewinneinbruch im ersten Halbjahr des Jahres 2005 gab der Handelskonzern Valora bekannt, mindestens 100 seiner insgesamt 1.200 Kioskfilialen zu schließen und dabei 200 Stellen abzubauen. Auch wenn man beim Stellenabbau vor allem auf natürliche Fluktuation setzten wollte, schloß man Kündigungen nicht aus. Ein großer Teil der bereits geschlossenen Kioske wurde von Privatpersonen weiter betrieben.3 Anders aber als dem Marktführer im Kioskgeschäft gelang es den privaten Betreibern erstaunlicherweise, an denselben Standorten profitabel zu arbeiten. Während man an vielen Standorten noch um die Wiedereröffnung der Kioske bangte, war man im Kanton Appenzell schon einen Schritt weiter. In Trogen, einem Dorf mit 1.500 Einwohnern, haben Schüler des ansässigen Gymnasiums und der Berufsschule den Bahnhofskiosk übernommen, nachdem dieser zum Verkauf stand. Dieses Experiment galt schweizweit als einzigartig.4 Die Kantonsschule Trogen ist weit über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt und anerkannt, insbesondere in bezug auf die Ausbildung in Wirtschaft und Recht. 1821 gegründet, bildete sie viele Schülergenerationen aus. Durchschnittlich lernen 600 Schülerinnen und Schüler dort, die aber in der Mehrzahl nicht mehr wie früher im Internat wohnen, sondern täglich mit dem Zug oder dem Bus anreisen und abends wieder nach Hause fahren. Unabhängig vom gewählten Schwerpunktfach erhalten alle eine wirtschaftliche Grundausbildung. Zudem kann Wirtschaft als Schwerpunktfach gewählt werden. Eben jene Schülerinnen und Schüler waren es, die in der Abschlußklasse die Leitung des Kiosks übernommen haben. Die Schule nahm außerdem am Projekt „Young Entreprises Switzerland“ teil, im Rahmen dessen virtuelle Unternehmen gegründet wurden, die zueinander in Wettbewerb treten. Die Übernahme des Kiosks stellte damit einen weiteren Schritt in diese Richtung dar.5 Mit Hilfe privater Geldgeber aus dem Ort konnten die Schüler die „Kiosk am Gleis GmbH“ mit Sitz in Trogen gründen. Die jeweilige Wirtschaftsmaturaklasse sowie die Abschlußklasse der Berufsschule leiteten den Betrieb gemeinsam. Dabei war die Maturaklasse mit dem Schwerpunkt Wirtschaft für das Management, die Sorti1
Name des von Schülern in Trogen geführten Kiosks am Bahnhof Blatter, Werner: Private verhindern des grosse Kiosksterben in Kleinbasel, in: Vogel Gryff – Die Zeitung für das Kleinbasel, 09.12.2005, 1 3 vgl. Brunnschweiler, Sabina: Ein Kiosk macht Schule (08.12.2005), in: WOZ, Die Wochenzeitung, http://www.woz.ch, 30.01.2006 4 vgl. Blatter, Werner: Private verhindern des grosse Kiosksterben in Kleinbasel, in: Vogel Gryff – Die Zeitung für das Kleinbasel, 09.12.2005, 1f; o.V.: Ein belebter Bahnhof (08.11.2005), in: St. Galler Tagblatt, http://www.tagblatt.ch, 04.04.2009 5 vgl. Brunnschweiler, Sabina: Ein Kiosk macht Schule (08.12.2005), in: WOZ – Die Wochenzeitung, http://www.woz.ch, 30.01.2006 2
142
Strategie
mentsgestaltung und das Marketing verantwortlich, die Schüler der Handelsmittelschule führten die Buchhaltung. Die ehemalige Teamleiterin des Trogener Kiosks sowie die beiden anderen Mitarbeiter wurden von der Schülerfirma zu den gleichen Bedingungen, unter denen sie zuvor gearbeitet haben, übernommen.6 Mit ihrer neuen Strategie wollten die Jungunternehmer vor allem der von der Valora AG eingeführten Standardisierung der Kioske entgegentreten. Dazu gehörte auch ein der Kundschaft angepaßtes Sortiment, das nur noch teilweise von der Valora bezogen wurde. Ein Teil der Produkte kam nun auch vom Bäcker und vom Metzger aus dem Ort. Im Rahmen der Sortimentsplanung setzten die Schüler vor allem auf die Erfahrung der übernommenen Mitarbeiterinnen. Diese wiederum schätzten das Engagement und die Unvoreingenommenheit der Schüler.7 Vor zwei oder drei Jahrzehnten gab es in Trogen noch zahlreiche Geschäfte. Inzwischen findet man dort nur noch einen Bäcker und einen Metzger.8 Die Schüler und Lehrer der Schulen im Ort haben dazu beigetragen, daß ein wesentlicher Bestandteil des dörflichen Lebens erhalten bleibt. Aufgabe 1 Welche Stellenwert hat ein solcher Kiosk in einem Schweizer Dorf? Entwickeln Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 2 Welche Ziele verfolgten die Beteiligten? Aufgabe 3 Stellen Sie das Zusammenwirken entscheidender betriebswirtschaftlicher Faktoren in einem Wirkungsgefüge dar! Erläutern Sie diese Beziehungen auch verbal! Aufgabe 4 Leiten Sie aus Ihrem Netzwerk eine Wirkungsmatrix ab! Aufgabe 5 Entwickeln sie ausgehend von der Wirkungsmatrix ein Intensitätsportfolio und interpretieren Sie dieses kurz! Aufgabe 6 Worin sehen Sie die Ursachen dafür, daß der Kiosk-Betreiber Valora eine Vielzahl seiner Kioske wegen Unwirtschaftlichkeit aufgibt, andererseits aber Privatpersonen bzw. Branchenfremde diese Kioske mit Gewinn betreiben können?
6
vgl. Heinze, Fritz: Ein Kiosk schreibt Geschichte (05.11.2005), in: Appenzeller Zeitung, http://www.appenzellerzeitung.ch, 04.04.2009 vgl. Blatter, Werner: Private verhindern des grosse Kiosksterben in Kleinbasel, in: Vogel Gryff – Die Zeitung für das Kleinbasel, 09.12.2005, 2 8 vgl. ebd. 7
Der Kiosk am Gleis
143
Lösung Aufgabe 1 Presse
Zielgruppen
Drogerieartikel
Einwohner Pendler (auch Schüler)
stark differenziertes Angebot
Lebensmittel
Grundversorgung: oft einzige Einkaufsmöglichkeit
Touristen
Versorgungsfunktion
Soziale Funktion
Kooperationsfunktion
Stellenwert eines Kiosks in einem Schweizer Dorf
gehört zum Dorfleben Treffpunkt
Absatzmöglichkeit der eigenen Produkte für Bäcker und Fleischer
belebt Bahnhof Arbeitgeberfunktion wenige Mitarbeiter intensiver Kontakt der Mitarbeiter zu Kunden
Abbildung 9-1 Mindmap: Stellenwert eines Kiosks in einem Schweizer Dorf
Aufgabe 2 Beteiligte Valora
Ziele • • •
unprofitable Kioske abstoßen nur rentable Standorte weiterführen Personal versetzen oder entlassen
bisherige ValoraMitarbeiter
• •
Sicherung des Arbeitsplatzes Verbleib im gewohnten Umfeld
neuer Betreiber
• • •
Ziele der Gemeinde, der Einwohner und der Schüler unterstützen praktische Anwendung der vermittelten theoretischen Kenntnisse eigene Erfahrungen sammeln
Einwohner
•
Erhalt der Einkaufsmöglichkeit, da viele Geschäfte bereits geschlossen (selbst kleine Dinge wie Zeitungen nur noch im Nachbarort erhältlich)
Schüler
•
Erhalt der Einkaufsmöglichkeit → Pausenversorgung bzw. für pendelnde Schüler vor und nach der Schule
Gemeinde
•
Erhalt der Einkaufsmöglichkeit → Erhalt der Wohn- und Lebensqualität, Kiosk mit sozialer Funktion
lokale Wirtschaftsförderung übrige Einzelhändler
•
Kioskprojekt der Schulen finanziell unterstützen
•
Kooperation → Sortimentsergänzung (Bäcker, Fleischer)
• •
Vermietung der Flächen attraktiver und belebter Bahnhof
Bahn
Tabelle 9-1 Ziele der Beteiligten
Strategie
144 Aufgabe 3 Sortiment
+
+
+
-
+ +
Marketing
Kunden
+
-
+
+ +
Finanzen
+
Personal
+
+ Management
+ +
+
Einkaufsalternativen
-
Abbildung 9-2 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Sortiment
auf ... Kunden Marketing Einkaufsalternativen Finanzen
Kunden
Sortiment Marketing Einkaufsalternativen Finanzen
Marketing
Sortiment Kunden Einkaufsalternativen Finanzen
Finanzen
Sortiment Marketing
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je umfangreicher bzw. vielfältiger das Sortiment, um so mehr Kunden werden angesprochen Sortiment bestimmt Inhalt der Werbemaßnahmen je besser das Sortiment zusammengestellt, um so weniger sind Einkaufsalternativen notwendig je differenzierter das Sortiment, um so kleinere Mengen pro Sorte werden durch den Kioskbetreiber eingekauft → d.h., um so höher liegen wahrscheinlich die Einkaufspreise pro Stück je durchmischter die Kunden, um so vielfältiger sollte das Sortiment sein je weniger Kunden, um so mehr Marketingmaßnahmen sind notwendig je durchmischter die Kunden, um so eher sind Einkaufsalternativen notwendig je mehr Kunden, um so besser die finanzielle Lage (durch Umsatz) alle Maßnahmen müssen auf das Sortiment ausgerichtet sein je zielgerichteter die Marketingmaßnahmen, um so mehr Kunden fühlen sich angesprochen je erfolgreicher die eigenen Marketingmaßnahmen, um so mehr Kunden der Einkaufsalternativen können wahrscheinlich abgeworben werden je mehr Marketingmaßnahmen, um so mehr werden die Finanzen beansprucht je besser die finanzielle Lage, um so umfangreicher kann Sortiment sein je besser die finanzielle Lage, um so mehr kann in Marketingmaßnahmen investiert werden
Der Kiosk am Gleis
145
Fortsetzung
Wirkung von ... Finanzen
auf ... Management Personal
Personal
Sortiment Kunden Marketing Management
Management
Einkaufsalternativen
Finanzen Sortiment Marketing Personal Finanzen Sortiment Kunden Marketing Management
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je schlechter die finanzielle Lage, um so mehr ist Management gefordert, gegensteuernde Maßnahmen zu ergreifen je besser die finanzielle Situation, um so mehr Personal kann eingestellt werden bzw. um so besser kann Personal entlohnt werden Erfahrungen des Personals in bezug auf die Gängigkeit des Sortiments sollten bei dessen Planung einfließen je freundlicher das Personal, um so zufriedener die Kunden Erfahrungen des Personals in bezug auf Erfolg von Marketingmaßnahmen sollten bei dessen Planung einfließen je engagierter und motivierter das Personal, um so zufriedener das Management je mehr Personal, um so höher Personalkosten Management bestimmt das Sortiment Management bestimmt Marketingmaßnahmen Management sucht Personal aus und beeinflußt dessen Arbeitsweise je effektiver das Management, um so besser die finanzielle Lage je mehr Alternativen vorhanden, um so enger kann das Sortiment sein je besser bzw. zahlreicher die Einkaufsalternativen, um so weniger Kunden am Kiosk je intensiver zw. effektiver Maßnahmen der Konkurrenz, um so mehr sollte man sich selbst bemühen Marktaktivitäten der Einkaufsalternativen sollten vom Management beobachtet werden
Tabelle 9-2 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Aufgabe 4
Kunden
Marketing
Management
Personal
Einkaufsalternativen
Finanzen
Zeilensumme
von auf Sortiment Kunden Marketing Management Personal Einkaufsalternativen Finanzen Spaltensumme
Sortiment
Wirkung
x 3 1 3 1 2 3 13
3 x 3 0 2 2 0 10
3 2 x 3 1 2 3 14
0 0 0 x 2 1 3 6
0 0 0 3 x 0 2 5
2 3 1 0 0 x 0 6
3 3 3 3 3 0 x 15
11 11 8 12 9 7 11 x
Tabelle 9-3 Wirkungsmatrix
Die stärksten Wirkungen gehen vom Management aus. Ähnlich große Einflüsse haben das Sortiment, die Finanzlage und die Kunden des Kiosks. Gleichzeitig unterliegen Sortiment und Finanzlage, ebenso das Marketing, starken Einflüssen.
Strategie
146 Aufgabe 5
18
Beeinflußbarkeit REAKTIV
KRITISCH
16 F 14 S Mt
12
K
10
8
E
6
S
Sortiment
K
Kunden
Mt
Marketing
M
Management
P
Personal
E
Einkaufsalternativen
F
Finanzen
M P
4
2 TRÄGE 0
2
4
AKTIV 6
8
10
12
14
Einflußnahme 16
18
Abbildung 9-3 Intensitätsportfolio Kritische Faktoren
• • •
Sortiment: entscheidet darüber, ob Kunden den Kiosk als Einkaufsstätte annehmen Kunden: ohne Kunden kann der Kiosk nicht überleben Finanzen: mit der Finanzierung steht und fällt der erfolgreiche Betrieb des Kiosks
Aktive Faktoren
•
Management: trifft Entscheidungen, gestaltet Geschäftsbetrieb aktiv
Reaktive Faktoren
•
Marketing: trägt dazu bei, das Angebot bekannt zu machen und aktiv um die Kundschaft zu werden
Träge Faktoren
•
Personal: mit Tendenz zum aktiven Bereich; ausführendes Organ des Managements; aktiv im Rahmen der Bedienung und beim Einbringen eigener Erfahrungen Einkaufsalternativen: gibt es schon seit Jahrzehnten im Ort, werden Geschäftsgebaren nicht schlagartig ändern
•
Tabelle 9-4 Erläuterung der Faktoren
Aufgabe 6 Bei Valora scheint kurzfristiges Denken vorzuherrschen. Gewinnorientierung steht im Vordergrund. Die Bedeutung der Kioske für die Standorte spielt keine Rolle. Es besteht kein Interesse an Weiterbetrieb der weniger rentablen Standorte bzw. keine Bereitschaft zur Quersubventionierung („Herauspicken der Rosinen“). Privatbetreiber zeigen wesentlich höhere Motivation und Engagement sowie persönliche Verbundenheit mit dem Standort. Sie sind eher bereit, sich an den jeweiligen Standort und die dortige Kundschaft anzupassen.
Das Prinzip Hoffnung
10
147
Das Prinzip Hoffnung1 „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen.“ (Ernst Bloch2)
Die Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen (GÖAB)3 wurde ursprünglich auf Initiative von Bundeskanzler Kreisky zur Wahrnehmung von politischen Aufgaben außerhalb der offiziellen österreichischen Außenpolitik gegründet. Diese umfaßten die Förderung der österreichisch-arabischen Beziehungen und insbesondere auch die Durchführung von ausgewählten humanitären und Entwicklungsprojekten im arabischen Raum. Dem Verein GÖAB steht ein Kuratorium vor, das aus dem „Who‘s who“ der österreichischen Politik und Wirtschaft besteht. Zu Beginn finanzierte sich die Gesellschaft über ihre Mitgliedsbeiträge und Spenden hinaus hauptsächlich durch öffentliche Subventionen, die im Rahmen der Sparmaßnahmen im Laufe der Zeit mehr und mehr eingeschränkt wurden. Aus diesem Grund war man gewissermaßen zu einer Erweiterung der Betätigungsfelder gezwungen. Der ursprüngliche Zweck der Gesellschaft lag auf der humanitären Seite. Man war in arabischen Dritte-Welt-Ländern tätig, in denen verschiedene Projekte durchgeführt wurden. Zu früheren Projekten zählen beispielsweise • der Aufbau und das vorübergehende Betreiben des österreichischen Hospitals in Ost-Jerusalem, • Hilfslieferungen in den Jemen im Gefolge des Bürgerkrieges zwischen Nordund Südjemen, • laufende kleinere humanitäre Aktionen, die überwiegend Einzelpersonen aus allen „Zielländern“ zugute kommen (medizinische Versorgung, Organisation von Operationen in Österreich, Weiterbildung von arabischen Ärzten in Österreich). Auch heute noch ist man in erster Linie im humanitären Bereich tätig. Ein nach wie vor aktuelles Projekt ist beispielsweise „Aladins Wunderlampe“, das sich der Kinderkrebshilfe im Südirak widmet.4
1
Titel des Hauptwerks des deutschen Philosophen Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt/M. 1959 2 ebd., 1 3 vgl. Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen, http://www.saar.at 4 Nach dem 2. Golfkrieg stieg dort die Krebsrate bei Kindern enorm an, was vermutlich auf angereichertes Uran zurückzuführen ist; siehe dazu auch Schmidt, Peter; Hobiger, Eva-Maria; Strunz, Herbert; Dorsch, Monique: Irak – 10 Jahre nach dem Embargo, Schriftenreihe der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen, Heft 32, Wien 2001
Strategie
148
Humanitäre Projekte schlossen (und schließen) jedoch nicht selten mit Defiziten ab und haben zur mißlichen finanziellen Lage der Gesellschaft beigetragen. Derartige Gebarungsfragen sind aber kein Einzelfall, sondern gehören zu den Problemen, mit denen praktisch jede NGO laufend zu kämpfen hat.
Wie finanzieren?
Aus der Not der Dinge heraus sind deshalb mit der Zeit kommerzielle Dienstleistungen hinzugekommen, die vor allem der Unterstützung der österreichischen Exportwirtschaft in den arabischen Raum dienen. Nach einer längeren Anlaufphase kann man heute auf eine durchaus gelingende Kooperation mit der österreichischen Wirtschaft verweisen. Die GÖAB bietet sich als Spezialist bzw. als Partner von exportorientierten Unternehmen im Nahen Osten und in Nordafrika an. Das Angebot umfaßt regelmäßige Wirtschaftsinformationen, die Erstellung von Länder- und Marktstudien, die Veranstaltung von politischen und wirtschaftlichen Missionen in verschiedene arabische Staaten sowie weitergehende gezielte Beratung und Unterstützung bei der Marktbearbeitung. Auf Wunsch werden Kontakte mit Ansprechpartnern aus den Zielländern hergestellt, darüber hinaus ist die Begleitung bei speziellen Reisen möglich; im Auftrag werden spezifische Marktstudien durchgeführt. Die Aktivitäten der Gesellschaft sind untrennbar verknüpft mit der Person ihres Generalsekretärs; Hilfe zu geben und humanitär tätig zu sein, ist für ihn seit vielen Jahren ein besonderes persönliches Anliegen. Sein unermüdlicher Einsatz und seine
Das Prinzip Hoffnung
149
vielfältigen exzellenten Kontakte – die aus einer jahrzehntelangen Tätigkeit in der Politik resultieren – tragen zum wesentlichen Gelingen der Tätigkeiten und Projekte bei. Zum Aktionsradius der Gesellschaft gehören auch verschiedene andere Aktivitäten: so z.B. das Österreichisch-Arabische Forschungs- und Dokumentationszentrum sowie die Zeitschrift für internationale Politik „International“, die in größtenteils ehrenamtlicher Tätigkeit entsteht und seit nunmehr 30 Jahren erscheint. Betriebswirtschaftlich und managementspezifisch betrachtet, stellt sich der Alltag der Gesellschaft seit vielen Jahren wie folgt dar: Die Arbeitsbelastung ist aufgrund der Vielzahl von Projekten, Ideen und Anfragen außerordentlich hoch. Ein sehr kleiner Personalstamm (zwei Beschäftigte und gelegentlich Aushilfen) erledigt trotzdem ein immenses Arbeitspensum. Hinzu tritt die Kompliziertheit vieler Prozesse (insbesondere schwierige Kontakte mit Behörden im In- und Ausland), angesichts derer ohnehin relativ viel bewegt wird, wobei häufig allerdings lange Zeiträume notwendig sind. Das behindert in der Folge oft den Fluß der entsprechenden Gelder sowie die Durchführung und Vollendung von Aktionen. Währenddessen laufen aber die Kosten in voller Höhe auf, was mitunter zu bedrohlichen Liquiditätsengpässen führt. Aufgabe 1 Aus welchen Beweggründen entscheidet sich jemand für so eine Art von Tätigkeit? Aufgabe 2 In welcher Weise kann eine derartige Organisation ihre Tätigkeit in wirkungsvoller Weise entfalten? Aufgabe 3 Wie kann man finanziell in Zeiten von Sparbudgets überleben? Aufgabe 4 Welche organisatorischen Maßnahmen könnten die Situation verbessern? Aufgabe 5 Gibt es Möglichkeiten, die finanzielle Situation nachhaltig auf solidere Beine zu stellen?
150
Strategie
Lösung Aufgabe 1 Jemand entscheidet sich für so eine Art von Tätigkeit •
weil er ein Idealist ist,
•
weil er ein politischer Mensch ist, der immer politisch gedacht hat und in der Politik aktiv war,
•
weil er davon überzeugt ist, etwas bewirken zu können,
•
weil ihm „Verdienen“ und kommerzielle Gedanken nicht unbedingt nahe liegen, was sich zur Führung der Gesellschaft wieder nachteilig auswirkt,
•
weil er nicht mehr anders kann, weil es ihm an Alternativen fehlt.
Aufgabe 2 Man braucht dazu •
Leute, die Ideen umsetzen samt idealistischer Infrastruktur (ehrenamtliche Mitarbeiter, Sponsoren usw.),
•
ausreichende finanzielle Mittel,
•
Kontakte,
•
Überzeugungskraft,
•
die richtigen Ansatzpunkte sowie
•
Probleme, die von einer solchen Organisation bewältigt werden können.
Aufgabe 3 Möglich ist dies durch viele ehrenamtliche Mitarbeiter und effektives Fundraising. Aufgabe 4 Verbesserungen wären möglich, indem viele freiwillige Helfer rekrutiert werden, was auch von der Persönlichkeit des Generalsekretärs abhängt. Zudem könnte man stärker Prioritäten setzen. Hinzu kommt, daß die zwangsläufige Beschäftigung mit den finanziellen Problemen sehr viel Kapazität bindet, die im günstigeren Fall sehr viel nutzbringender eingesetzt werden könnte. Aufgabe 5 Zu überlegen wäre, inwieweit innovative Finanzierungsmodelle bzw. moderne Finanzierungsinstrumente zur Lösung der finanziellen Problematik herangezogen werden könnten.
Marketing
C
1
Red Bull verleiht Flüüügel
152
2
Die zarteste Versuchung
161
3
Das Wirtshaus in Schwechat
165
4
Eine Nacht in Eis und Schnee
172
5
Tante Emma goes Internet
180
6
Tante Emma goes InterCity
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7
Der Zoo der Zukunft
194
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Kundenorientierung im Museum
206
9
Der Weg der 1.000 Leiden
210
10 Die Stadt gehört Dir.
215
Marketing
152
1
Red Bull verleiht Flüüügel1 „Red Bull ist seit der Erfindung von Leitungswasser und Coca-Cola die erfolgreichste Markteinführung auf dem Getränkesektor.“ (Dietrich Mateschitz, Red-Bull-Gründer)2
Dietrich Mateschitz, Salzburger Unternehmer, erfand 1987 den Energy Drink „Red Bull“ und beliefert damit inzwischen 140 Länder.3 Der Geschmack von Red Bull ist überall gleich, lediglich für Asien wurde die Rezeptur geringfügig geändert. 2007 wurden 3,5 Mrd. Dosen verkauft und damit ein Umsatz in Höhe von über 3 Mrd. Euro erwirtschaftet. Für 2010 ist eine Steigerung der Verkaufszahlen auf 6 Mrd. Dosen geplant.4 Jeder Österreicher trinkt im Durchschnitt 16 Dosen Red Bull pro Jahr, die USA weisen einen Pro-Kopf-Verbrauch von drei Dosen auf.5 Der globale Marktanteil liegt bei 70 %.6 Gemessen am Bekanntheitsgrad kann Red Bull durchaus mit Marken wie Coca-Cola oder Pepsi verglichen werden. Die Idee zum Energy Drink kam Mateschitz 1982 in Hongkong, wo er auf einen in Japan äußerst erfolgreichen Softdrink namens Lipovitan stieß, der seinen Erfinder zum größten Steuerzahler Japans machte. Mateschitz, bis dahin Marketingmanager bei Blendax, kündigte seinen Job und überlegte, wie man solch einen Erfolg in Österreich wiederholen könnte. Wenig später traf er in Thailand auf den Softdrinkhersteller Chalero Yoovidhya, der sein Getränk bislang als Billigprodukt an Tankstellen vertrieb. Zusammen mit dessen Sohn Chalerm Yoovidhya reifte die Idee, ebenfalls ins Geschäft mit den Energy Drinks einzusteigen.7 Nach einigen Niederlagen und Fehlversuchen stand 1987 schließlich das Konzept einschließlich dem bekannten Werbeslogan „Red Bull verleiht Flügel“. Doch bevor der Soft Drink den österreichischen Markt erobern konnte, galt es, einige Hürden der Bürokratie zu überwinden. Zwei Jahre dauerte es, bis das Getränk in Österreich zugelassen wurde. Dann weigerte sich der Handel, das im Vergleich zu Limonaden viel teurere Getränk zu listen. Auch einen Abfüller für das Getränk zu finden, war nicht leicht. Der jetzige und alleinige Abfüller Rauch gab dem Getränk nicht sofort eine Chance, ließ sich von Mateschitz aber schließlich doch zur Kooperation überreden. In den Anfangsjahren blieben die erhofften Erfolge aus. Viele Skeptiker sprachen dem Modeprodukt keine allzu lange Lebensdauer zu.8
1
Red-Bull-Werbeslogan; Red Bull, http://www.red-bull.com zit. in: Graber, Renate; Schreiber, Renate: Der Name der Dose, in: Format, 24.07.2000, 74 3 vgl. Fürweger, Wolfgang: Die Red Bull Story, Wien 2008, 23 und 188f 4 vgl. o.V.: Neue Rekorde bei Red Bull (19.02.2008), http://www.diepresse.at, 03.04.2009 5 vgl. Fürweger, Wolfgang: Die Red Bull Story, Wien 2008, ebd., 188 6 vgl. o.V.: Neue Rekorde bei Red Bull (19.02.2008), http://www.diepresse.at, 03.04.2009 7 vgl. Riffert, Karl: Mann des Jahres 2000: Dietrich Mateschitz, Red Bull, in: Trend 1/2001, 87f 8 vgl. ebd., 89 2
Red Bull verleiht Flüüügel
153
Erstmalig schwarze Zahlen schrieb man 1990. Zwei Jahre später war Ungarn der erste ausländische Markt, auf dem Red Bull verkauft wurde. Damals wurden 36 Mio. Dosen verkauft und ein Umsatz von umgerechnet 27,6 Mio. Euro erzielt.
Roter Ochse
Durstiger Löwe
Blauer Esel
Schwarze Witwe
Red Bull beschäftigt mittlerweile in 144 Ländern rund 4.600 Mitarbeiter, die Hälfte davon in den USA9, ca. 240 in der Zentrale in Fuschl am See (Salzburg).10 Dort trifft man strategische Entscheidungen, entwickelt Ideen und Konzepte bis zu deren letztendlicher Umsetzung. Des weiteren werden Märkte und Distribution koordiniert, wobei man darauf bedacht ist, alles – abgesehen vom Marketing – über 9
vgl. Fürweger, Wolfgang: Die Red Bull Story, Wien 2008, 191 vgl. Red Bull GmbH, http://www.firmenabc.at, 03.04.2009
10
154
Marketing
Outsourcing abzuwickeln. Das Unternehmen verfügt weder über Produktions-, noch über Abfüllanlagen. Auch Logistik und Auslieferung übernehmen Vertragspartner. Abgefüllt wird ausschließlich in Österreich beim Fruchtsafthersteller Rauch in Vorarlberg11, Ausstoß rund 2 Mrd. Dosen pro Jahr.12 Das Speditions- und Logistikunternehmen Quehenberger transportiert Red Bull in alle Welt. Lediglich in Asien hat der Partner Chalerm Yoovidhya den Vertrieb übernommen. Dietrich Mateschitz ist an Red Bull mit 49 % beteiligt, weitere 49 % liegen bei der Hongkonger TC Agro Trading Company, 2 % bei Chalerm Yoovidhya. Bislang wurde noch keine Dividende an die Eigentümer ausgezahlt.13 Mateschitz verfügt über eine Generalvollmacht, die ihn ermächtigt, die Geschäfte eigenständig zu führen. Mateschitz „möchte die Freiheit haben, auch scheinbar irrationale Entscheidungen treffen zu können“14. Sechs Jahre lang wurde Red Bull ausschließlich in Österreich vertrieben. Eine Auslandsexpansion war finanziell aus eigener Kraft nicht realisierbar. Von Krediten einer Bank wollte sich Mateschitz aber nicht abhängig machen. Nach Ungarn wollte man Red Bull auf dem britischen Markt einführen, was sich als äußerst problematisch erwies. Zunächst fand man keinen geeigneten Distributeur, so daß man eine eigene Vertriebsmannschaft zusammenstellen mußte. Selbst nach zwei Jahren Marktpräsenz glaubten die Briten immer noch, bei Red Bull handele es sich um ein Bier. Inzwischen hatte man rund 11 Mio. Euro ohne jegliche Gewinnaussicht aufgewendet. Zudem hatte man Probleme mit der Produktbezeichnung. „Energy Drink“ war in Großbritannien bereits rechtlich geschützt, so daß dort bis heute die Bezeichnung „stimulation“ auf der Produktverpackung geführt wird. 1994 ging man nach Deutschland, ein Jahr später in die Schweiz. Die Produktionsmenge verdreifachte sich innerhalb eines Jahres auf 114 Mio. Dosen, der Umsatz stieg auf 100 Mio. Euro. Doch auch hier gab es bei der Markteinführung Probleme: Zunächst wollte Deutschland die Einführung von Red Bull verbieten. Dank der EU-Gesetzgebung, wonach ein Produkt, wenn es in einem EU-Land zugelassen ist (damals Großbritannien), in allen EU-Ländern vertrieben werden darf, mußte der Verkauf in Deutschland gestattet werden. Der Handel erklärte sich zwar sofort bereit, Red Bull zu listen, und auch die Absatzzahlen sahen vielversprechend aus. Doch gerade diese hohen Absatzzahlen wurden Red Bull zum Verhängnis. Plötzlich gab es keine leeren Dosen mehr, die Aluminiumdosen-Hersteller kamen mit der Produktion nicht mehr nach. Nur drei Monate nach der Markteinführung konnte man den Handel nicht mehr beliefern und mußte den Markt dem Konkurrenten Flying Horse überlassen.15 Mittlerweile ist Red Bull in ganz Europa – teilweise allerdings als Medikament eingestuft – erhältlich, lediglich Frankreich verbot
11
vgl. Clef, Ulrich: Marketing verleiht Flüüügel, in: Absatzwirtschaft, Sonderausgabe Oktober 2001, 23 vgl. Fürweger, Wolfgang: Die Red Bull Story, Wien 2008, 42 vgl. Riffert, Karl: Mann des Jahres 2000: Dietrich Mateschitz, Red Bull, in: Trend 1/2001, 89 14 Graber, Renate; Schreiber, Renate: Der Name der Dose, in: Format, 24.07.2000, 70 15 vgl. Riffert, Karl: Mann des Jahres 2000: Dietrich Mateschitz, Red Bull, in: Trend 1/2001, 89f 12 13
Red Bull verleiht Flüüügel
155
lange Zeit den Verkauf. Erst seit dem Frühjahr 2008 darf Red Bull auch dort verkauft werden.16 In Brasilien hatte man mit einer Vielzahl von Mitbewerbern zu kämpfen. In den USA erwies sich die Größe des Landes als Problem.17 Weitere Expansionsbestrebungen richten sich auf die Märkte Rußland, Indien und Japan.18 Mateschitz begründet den Unternehmenserfolg mit sehr engagierten und überdurchschnittlich guten Mitarbeitern, einer sehr flachen Hierarchie und der Übertragung von möglichst viel Verantwortung. Darüber hinaus werden sämtliche Investitionen aus Eigenkapital finanziert. Dazu Mateschitz: „Die Gewinnmaximierung als oberstes Unternehmensziel ist schlichtweg falsch. Unsere Priorität ist nicht maximaler Profit, sondern die Internationalisierung der Marke.“19 Das Unternehmen konzentriert sich auf die Werbung und dabei insbesondere auf langfristige Imagewerbung. Ein Großteil der Mitarbeiter des Unternehmens arbeitet in der Werbeabteilung. Ein Drittel des Umsatzes wird in Marketing investiert. Die Marketingausgaben fließen je etwa zur Hälfte ins Sponsoring und in die klassische Werbung.20 Davon wiederum werden 60 % für Fernsehspots, 30 % für Radiowerbung und der Rest für Kinoreklame ausgegeben.21 Für den Vertrieb von Red Bull werden verschiedene Distributionskanäle genutzt. Die verkauften Drinks werden etwa zu einem Drittel in der Gastronomie, davon die Hälfte in der Nachtgastronomie, zu einem Drittel im Handel und zu einem Drittel an Tankstellen und sonstigem abgesetzt.22 Daß diese Strategie insgesamt aufgeht, zeigen die Verkaufszahlen. Für 2005 wurde ein Reingewinn nach Steuern von 141,5 Mio. Euro ausgewiesen.23 Red Rooster, ein weiterer Softdrink, sollte zum zweiten Standbein der Firma werden, entpuppte sich aber als teurer Flop. Seit 1997 ist eine weitere neue Kreation, Kombucha, am Markt, die aber mit großen Akzeptanzprobleme zu kämpfen hatte. Seit 2001 gibt es die Getränke Ginkgo und Kefir, die aber ebenso wenig wie Kombucha bezüglich ihres Erfolgs mit Red Bull vergleichbar sind.24 Der Erfolg von Red Bull und die Tatsache, daß der Doseninhalt nicht patentierbar ist, locken viele Nachahmer auf den Markt. Zeitweise wurden über 140 Me-tooProdukte25 angeboten. Der Lebenszyklus der meisten dieser Nachahmerprodukte endete aber bereits nach rund acht Monaten.
16
vgl. Fürweger, Wolfgang: Die Red Bull Story, Wien 2008, 28f und 191 vgl. Riffert, Karl: Mann des Jahres 2000: Dietrich Mateschitz, Red Bull, in: Trend 1/2001, 90 vgl. o.V.: Red Bull-Umsätze haben große Flügel (19.02.2008), http://www.wirtschaftsblatt.at, 03.04.2009 19 zit. in: Riffert, Karl: Mann des Jahres 2000: Dietrich Mateschitz, Red Bull, in: Trend 1/2001, 79 20 vgl. Fürweger, Wolfgang: Die Red Bull Story, Wien 2008, 57 21 vgl. Riffert, Karl: Mann des Jahres 2000: Dietrich Mateschitz, Red Bull, in: Trend 1/2001, 83 22 vgl. ebd., 92 23 vgl. Fürweger, Wolfgang: Die Red Bull Story, Wien 2008, 54 24 vgl. ebd., 124 25 vgl. ebd., 136; Riffert, Karl: Mann des Jahres 2000: Dietrich Mateschitz, Red Bull, in: Trend 1/2001, 85 17 18
156
Marketing
Aufgabe 1 Beschreiben Sie das Produkt Red Bull! Aufgabe 2 Betrachten Sie das Produkt vor dem Hintergrund der Produktlebenszyklusanalyse! Aufgabe 3 Beschreiben Sie die Strategie von Red Bull! Wie ging man bei der Erschließung von Auslandsmärkten vor? Aufgabe 4 Welche Probleme traten bei der Erschließung der Märkte bzw. bei der Vermarktung des Produktes auf? Wie versuchte man, diese Schwierigkeiten zu meistern? Aufgabe 5 Worin unterscheidet sich das Marketing dieses Unternehmens von dem anderer Genußmittelhersteller? Aufgabe 6 Worin liegen die Vor- und Nachteile eines Einproduktunternehmens gegenüber großen Matrixorganisationen, wie man sie bei Procter & Gamble oder Nestlé findet? Aufgabe 7 Inwieweit trägt die Person Dietrich Mateschitz zum Erfolg des Unternehmens bei? Versuchen Sie, ihn als Unternehmer zu charakterisieren, und wagen Sie eine Einschätzung seines Führungsstils!
Red Bull verleiht Flüüügel
157
Lösung Aufgabe 1 Faktoren Name Geruch Geschmack Farbe Aggregatszustand Inhaltsstoffe
Verpackung Verpackungsdesign Preis Wirkung Verwendungszweck
Eigenschaften von Red Bull Red Bull, Anglizismus, der auf Taurin hinweisen soll; Name leicht aussprechbar, international einsatzfähig, mit hohem Wiedererkennungswert süßlich, künstlich, nach Gummibärchen sehr süß, wie aufgelöste Gummibärchen gelblich-durchsichtig flüssig Koffein (wie 1 Tasse Mokka pro Dose), Zucker (7-8 Stück Würfelzucker pro Dose), Taurin (organische Aminosäure, aus Stierhoden gewonnen, Geschmacksverstärker), Glurolacton, Wasser, Aromen, Zitrussäure, Kohlensäure, Inosit (Vitamin) in länglichen, schmalen 250ml-Aludosen, seit 2007 auch in der Größe 330ml blau-silberner Untergrund mit rotem Logo eher hochpreisig, ca. 1,30-1,50 Euro pro Dose, teuerstes alkoholfreies Getränk verspricht schnellen Abbau von Schadstoffen und schnelle Zuführung von Energie, Wirkung von Taurin wird angezweifelt, Energie durch Koffein und Zucker Konsumgut, Verbrauchsgut; kurzlebig, weist kurze Wiederbeschaffungszyklen auf
Tabelle 1-1 Merkmale des Produkts Red Bull
Aufgabe 2 Insgesamt betrachtet, könnte man das Produkt in die späte Wachstumsphase einordnen. Die Gewinnschwelle ist längst überschritten, es werden sehr hohe Stückgewinne erzielt. Der Wendepunkt, d.h. der Übergang zur Reife- und Sättigungsphase, ist noch nicht erreicht. Verschiedene Imitatoren haben ähnliche Produkte auf den Markt gebracht. Allerdings betrug deren Lebensdauer selten mehr als acht Monate. Red Bull konnte sich dagegen seit der Produkteinführung behaupten. Das Produkt genießt einen hohen Bekanntheitsgrad. Dennoch werden nach wie vor hohe Summen in die Werbung investiert, die jetzt nicht mehr – wie in der Einführungsphase – hauptsächlich der Bekanntmachung des Produktes dient, sondern vielmehr der weiteren Betonung der positiven Eigenschaften und der weiteren Förderung des Kaufes. Für Werbung, Sponsoring und die Erschließung neuer Märkte werden hohe Summen aufgewendet. Das Produkt beinhaltet noch ein großes Potential für weiteres starkes Wachstum, das insbesondere durch einen höheren Pro-Kopf-Verbrauch in den einzelnen Ländern erreicht werden könnte. Es muß allerdings berücksichtigt werden, daß sich Red Bull aufgrund des internationalen Wettbewerbs sowie durch unterschiedlich Produkteinführungszeitpunkte und verschiedene ökonomische Voraussetzungen in den einzelnen Ländern an verschiedenen Stellen des Produktlebenszyklus befindet und nicht automatisch in jedem Land dem selben Entwicklungsmuster folgen muß.
Marketing
158 Aufgabe 3 Strategie Marketing
• •
•
intensive Kommunikationspolitik, vor allem langfristige Image-Werbung weltweit gleiche Kampagnen: etwa die Hälfte des Etats für Sponsoring, die andere Hälfte für klassische Werbung (davon rund 60 % für Fernsehspots, 30 % für Radiowerbung und 10 % für Kinowerbung) Werbeslogan „Red Bull verleiht Flügel“ soll Freiheitsgefühl verbunden mit guter Stimmung und Energie vermitteln verschiedene Distributionskanäle, z.B. Gastronomie, Einzelhandel und Tankstellen höherpreisiges Produkt
Organisation
•
Marketingabteilung = Schwerpunkt im Unternehmen
Finanzierung
• • •
Vermeidung von Fremdkapital Gang an die Börse nicht vorgesehen Gewinnmaximierung steht nicht im Vordergrund
Produktion
•
Abfüllung bei Fruchtsafthersteller Rauch in Vorarlberg/Österreich
Zielgruppen
• •
Jugendliche, junge Erwachsene, Junggebliebene Partygänger, Insider, Trendsetter
Konkurrenten
• •
zahlreich, in Spitzenzeiten über 140 Me-too-Produkte Red Bull kann sich dennoch in der Führungsposition behaupten
Auslandsmärkte
•
weltweit gleiche Strategie, lokale Besonderheiten werden jedoch berücksichtigt hoher Markenwert, hoher Bekanntheitsgrad, auch durch Sportsponsoring landesspezifische Webseiten in der jeweiligen Landessprache
• •
• •
Tabelle 1-2 Komponenten der Strategie von Red Bull
Aufgabe 4 Land Generell
•
Produkt an sich (Zusammensetzung des Getränks) ist nicht patentierbar
Österreich
•
langes Warten auf Zulassung des Produkts
•
•
Finden eines Abfüllers
•
Fruchtsafthersteller Rauch
•
Handel verweigerte Listung
•
durch die „Hintertür“ über Gastronomie
•
zweites Produkt Red Rooster gefloppt
•
Produkt vom Markt genommen
•
zeitweise über 140 Me-too-Anbieter
•
Durchhaltevermögen, Inkaufnehmen kurzzeitiger Marktanteilsverluste
•
Markteinführung, Finden eines Distributeurs
•
Einrichten eigener Vertriebsstelle
•
Bezeichnung „Energy Drink“ bereits patentrechtlich geschützt
•
Bezeichnung „Stimulation“
•
Vorstellung von Produkt falsch ver- • mittelt (Briten glaubten, es sei ein Bier); große Absatzprobleme, ca. 11 Mio. Euro Verlust
Großbritannien
Probleme
Lösung
Geduld
Produkt vom Markt genommen, neue, erfolgreiche Einführungskampagne
Red Bull verleiht Flüüügel
159
Fortsetzung
Land Deutschland
Probleme
Lösung
•
Zulassung nicht erteilt
•
Einführung dank EU-Recht
•
während Einführungskampagne gingen Aludosen aus; Lieferunfähigkeit; von Konkurrent Flying Horse überholt
•
langfristig aufholen
Brasilien
•
bereits verschiedene Me-tooProdukte auf dem Markt
•
innovative Kampagne
USA
•
Landesgröße
•
Testmarkt
Frankreich
•
Red Bull dufte lange Zeit nicht ver- • kauft werden: erst seit April 2008 ist es hier im Handel
Geduld
Tabelle 1-3 Probleme bei der Markterschließung und Lösungsansätze
Aufgabe 5 Marketing-Mix Produktpolitik
Kommunikationspolitik
Unterschiede zu anderen Genußmittelherstellern Red Bull Milka • •
ein Hauptprodukt • Versuch mit zweitem Standbein Red Rooster mißlang; Kombucha, Ginkgo, Kefir nicht mit Red Bull vergleichbar
•
hoher Etat für Marketing: etwa zu gleichen Teilen Sponsoring und klassische Werbung (davon 60 % Fernseh-, 30 % Radio-, 10 % Kinowerbung) Konzentration auf langfristige Image-Werbung lustige, einprägsame Spots, animierte Handzeichnungen junges, bzw. jung gebliebenes Publikum wird angesprochen
•
anfangs nur in Österreich, mittlerweile in 140 Ländern kein Direktverkauf im Einzelhandel, an Tankstellen, in Diskotheken/Bars Abfüllung ausschließlich bei Fruchtsafthersteller Rauch
• • •
relativ hoher Preis, möglich durch gutes Image und scheiternde Metoo-Anbieter
•
• • • Distributionspolitik
• • • •
Kontrahierungspolitik
•
Tabelle 1-4 Marketing Red Bull vs. Marketing Milka
• •
•
umfangreiche Produktpalette: neben verschiedenen Tafelschokoladen auch Pralinen, Riegel, Figuren usw. ebenfalls Sportsponsoring, aber nicht im dem großen Ausmaß wie bei Red Bull mehr Fernsehwerbung richtet sich an alle Altersgruppen
weltweit kein Direktverkauf im Einzelhandel, an Tankstellen, in Lokalen Produktion an verschiedenen Standorten (z.B. Lörrach, Bludenz) mittlere Preisklasse (billiger: z.B. Alpia; teurer: z.B. Lindt, Marabou)
Marketing
160 Aufgabe 6 Vorteile Einproduktunternehmen
• •
• • •
• • • Mehrproduktunternehmen
• • • •
Nachteile
Konzentration auf ein Produkt, Übersichtlichkeit, Standardisierung einfache Unternehmensstruktur möglich: leichtere Steuerung und Koordination, leichtere Überwachung keine Konflikte zwischen Produktlinien intensive Marktforschung für dieses Produkt alle Marketingmaßnahmen konzentrieren sich auf dieses Produkt; Gesamtetat muß nicht auf verschiedene Produkte verteilt werden Bekanntheit für ein Produkt leichter herzustellen weniger erfolgreiche Produkte müssen nicht quersubventioniert werden Identifikation des Kunden mit dem Unternehmen leichter
•
größere Flexibilität keine Abhängigkeit von einem einzelnen Produkt, kalkulatorischer Ausgleich möglich verschiedene Produkte in verschiedenen Lebenszyklusphasen Liquidität kann dauerhaft gesichert werden
•
• • • •
• •
•
Abhängigkeit von diesem Produkt; Aufstieg und Fall des Unternehmens hängt von Erfolg des einzigen Produktes ab keine Stars oder Question Marks im Portfolio, die nachrücken können kalkulatorischer Ausgleich nicht möglich schwierig, ein zweites Produkt mit ähnlichem Erfolg auf den Markt zu bringen Kunde hat keine Auswahl beim Unternehmen, sondern kann nur zur Konkurrenz gehen
Steuerung und Überwachung schwierig mögliche Konflikte zwischen den verschiedenen Produktlinien es werden auch weniger erfolgreiche Produkte „durchgeschleppt“, um beispielsweise das Angebot komplett zu halten Gesamtetat muß auf verschiedene Produkte verteilt werden
Tabelle 1-5 Vor- und Nachteile von Ein- und Mehrproduktunternehmen
Aufgabe 7 Mateschitz steht hinter seiner Idee, die er mit seinem Produkt vermarktet. Er ist selbstsicher, lebensfroh, genießerisch, unabhängig, sportlich und kann sich mit seiner Zielgruppe gut identifizieren. Er wirkt dynamisch und strahlt Optimismus aus. Er ist bereit, unkonventionelle Wege zu gehen und das damit verbundene Risiko auf sich zu nehmen. So verzichtet er in seinem Unternehmen beispielsweise auf den Einsatz von Fremdkapital und lehnt den Gang an die Börse ab. Sein Oberziel ist nicht die Gewinnmaximierung, sondern die weltweite Verbreitung. Mißerfolge oder Probleme schrecken ihn nicht ab, sondern stellen eher eine Herausforderung dar. Besonderen Wert legt er auf eine angenehme Arbeitsatmosphäre. Sein Führungsstil kann als eher locker bezeichnet werden; Hierarchien spielen im Unternehmen keine große Rolle, dafür erwartet er von seinem Mitarbeitern, daß sie sich mit dem Unternehmen identifizieren. Als Folge seiner starken Marketingorientierung agiert sein Unternehmen eher wie eine riesige Marketingabteilung.
Die zarteste Versuchung
2
161
Die zarteste Versuchung1 „Man schickte mich zum Apotheker nach Neuenburg, um auf ärztliche Verordnung für meine kranke Mutter ein Pfund Schokolade zu holen. Der Preis war gesalzen: sechs Franken! Auf dem Heimweg malte ich mir aus, wenn ich einmal selbst Schokolade herstellen könnte, Himmel, welche Reichtümer würden mir da erblühen!“ (Philippe Suchard2)
Die Marke Milka ist untrennbar mit dem Namen Suchard verbunden. Philippe Suchard wurde 1797 in Boudry (Schweiz) geboren. 1814 begann er in der Berner Confiserie seines Bruders die Lehre zum Zuckerbäcker. Nach einem fehlgeschlagenen Versuch als Händler von Schweizer Uhren und Stickereien eröffnete er 1825 in Neuchâtel eine eigene Confiserie. Dort stellte er auch erstmals ein neues Dessert, „au chocolat fin de sa fabrique“, her. Wie die Schokolade damals produziert wurde, ist nicht überliefert, vermutlich aber alles in Handarbeit. 1826 mietete er im benachbarten Dorf Serrières eine alte Mühle samt Wasserrechten. Dort konstruierte er ein Wasserrad, das er zum Antreiben einer Knet- bzw. Stampfmaschine nutzte. Mit Hilfe dieser „Maschine“ konnte er täglich rund 25-30 kg Schokolade herstellen. Die Qualität seiner Produkte machte ihn auch über die Landesgrenzen hinweg bekannt. 1851 und 1855 gewann Suchard auf den Weltausstellungen in London bzw. Paris für seine Schokolade je eine Goldmedaille.3 Zum damaligen Zeitpunkt wurde der Schokolade noch keine Milch beigemischt. Erst Ende der 1890er Jahre kam die Suchard-Milchschokolade auf den Markt. 1901 wurde die bekannte lila Schokoladentafel geboren und der Name „Milka“ registriert. „Milka“ beschreibt die Hauptbestandteile der Schokolade: Milch und Kakao. Seitdem ist die Milka-Tafel in lila Papier eingeschlagen, verziert mit einer Kuh samt Alpenpanorama. Bis in die 1920er Jahre wurde auf jeder Tafel der Zusatz „zum Rohessen“ vermerkt, da Schokolade bis dahin nur zur Getränkezubereitung oder als Koch- und Blockschokolade bekannt war. 1972 wurde das bekannteste Markenzeichen von Milka geschaffen: die lila Kuh. Seitdem ist sie auf jeder MilkaTafel zu sehen. Philippe Suchard erlebte die Geburtsstunde von Milka nicht mehr. Er starb 1884 in Neuchâtel.4 Bis 1882 wurde Milka ausschließlich in Serrières hergestellt. In jenem Jahr kam eine weitere Produktionsstätte in Lörrach (Deutschland) hinzu. Wenig später folgten Produktionsstätten in Bludenz (Österreich) und in Straßburg (Frankreich). Dank technischer Neuerungen war es bald möglich, das Sortiment zu vergrößern und zu verfeinern. Neben Milka wurden die Marken Velma und Noisettine einge1
Werbeslogan von Milka zit. in: Anders, Stephan; Franz, Stephan; Eising, Susie: Milka – Das Jahrhundertbuch der Schokolade, München 2001, 30 3 vgl. ebd. 4 vgl. Milka, http://www.milka.de, 10.09.2002 2
Marketing
162
führt. Gleichzeitig konnte man die Schokolade preiswerter herstellen. Bereits 1913 wurde in Lörrach 18mal mehr Schokolade produziert als zu Beginn im Jahre 1882. Mittlerweile verlassen jährlich rund 120.000 Tonnen Schokolade das Werk in Lörrach; in Bludenz stellt man etwa 50.000 Tonnen Schokolade pro Jahr her. Und während die Herstellung einer lila verpackten Tafel Schokolade vor einhundert Jahren noch zweieinhalb Stunden dauerte, so genügen heute dafür fünf Minuten.5
Die zarteste Versuchung ...
Aus der Schokoladenfabrik Suchard entwickelte sich später die Suchard-Gruppe. Als Dachgesellschaft bildete sich die Interfood S. A., Lausanne. Mittlerweile wird die Marke Milka im Konzern Kraft Foods hergestellt, zu dem auch bekannte Marken wie Jakobs, Philadelphia, Mirácoli und Toblerone gehören. Schon frühzeitig hatte Suchard erkannt, daß Werbung eine wichtige Rolle spielt. Philippe Suchard war der erste Schokoladenhersteller, der sein Markenzeichen gesetzlich schützen ließ. Stimmungsvolle Bilder auf Plakaten, Emailleschildern und 5
vgl. Anders, Stephan; Franz, Stephan; Eising, Susie: Milka – Das Jahrhundertbuch der Schokolade, München 2001, 31f; Kraft Foods: Milka feiert – 100 Jahre zarteste Versuchung, http://www.kraftfoods.de, 19.06.2002; o.V.: Mit Milka zu neuen Produktionsrekorden (27.09.2008), in: Südkurier, http://www.suedkurier.de, 14.04.2009
Die zarteste Versuchung
163
Postkarten sollten Appetit auf Schokolade machen und die Verbindung einer „heilen Welt“ mit der Schweiz im Bewußtsein der Verbraucher verankern. Die Werbekampagne für Milka-Schokolade basiert noch heute auf drei Säulen: dem eingängigen Namen „Milka“, der Farbe Lila und der Kuh. Zusammen machen diese drei Bestandteile Milka unverwechselbar. Und spätestens seit eine leibhaftige lila Kuh aus dem Berner Oberland über den Fernsehbildschirm wandert, ist Milka für die meisten Verbraucher untrennbar mit der lila Kuh verbunden. Doch nicht nur durch Fernseh-Spots und Internet-Auftritt, auch als Sponsor von Sportlern hat sich Milka einen Namen gemacht.6 Mittlerweile hat sich Milka zu einer Dachmarke entwickelt, unter der zahlreiche weitere Produkte angeboten werden: Tafelschokolade verschiedenster Geschmacksrichtungen, Mini-Tafeln („Naps“), Pralinen („I love Milka“), lila „Schmunzelhasen“, lila Weihnachtsmänner, Weihnachtsbaumschmuck und, und, und. Den Absatzschlager stellt aber nach wie vor die klassische 100g-Tafel dar, die einen Marktanteil von 30 % erreicht. Aufgabe 1 Wodurch sind die Marke Milka und die unter diesem Namen vertriebenen Produkte gekennzeichnet? Aufgabe 2 Was macht Milka so erfolgreich? Aufgabe 3 Vergleichen Sie Milka mit ähnlichen Produkten! Wo liegen – marketingspezifisch betrachtet – Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Aufgabe 4 Welche Besonderheiten sind bei der Werbelinie von Milka augenscheinlich?
6
vgl. Anders, Stephan; Franz, Stephan; Eising, Susie: Milka – Das Jahrhundertbuch der Schokolade, München 2001, 32f
Marketing
164
Lösung Aufgabe 1 Die Produkte zeichnen sich durch gute Qualität und ein einheitliches Erscheinungsbild (lila Verpackung und Milka-Kuh) aus. Dadurch wird ein hoher Wiedererkennungswert erreicht. Es werden umfangreiche Werbemaßnahmen (v.a. auch in Form von Fernsehwerbung) duchgeführt, die dazu beitragen, ein „Heile-Welt-Image“ zu vermitteln. Aufgabe 2 Erfolg resultiert aus der langen Tradition, dem hoher Wiederkennungswert, verläßlicher Qualität sowie der Positionierung als „Familien-Marke“. Aufgabe 3 Milka
Ferrero
•
Produkte firmieren alle unter der Marke Milka (Tafelschokolade, Lila Pause, I love Milka, Milka Naps)
•
•
•
•
einheitliches Erscheinungsbild: alle Produkte sind lila verpackt undifferenzierte Zielgruppe
•
starke Präsenz in der Fernsehwerbung
•
•
verschiedene Produktlinien, die die Herkunft nicht sofort erkennen lassen (Kinder, Giotto, Mon Chérie, Ferrero Küßchen, Ferrero Roché) Aufmachung der einzelnen Produktlinien unterscheidet sich stark verschiedene Produktlinien → verschiedene Zielgruppen starke Präsenz in der Fernsehwerbung
Tabelle 2-1 Milka vs. Ferrero (Beispiele)
Aufgabe 4 Besonders auffallend ist das einheitliche Erscheinungsbild (Schriftzug, lila-farbene Verpakkung, Milka-Kuh). Man setzt einerseits auf Tradition, ist aber dennoch kreativ und innovativ. Das seit Jahrzehnten vermittelte „Bergwelt-Image“ wurde nur unwesentlich verändert.
Das Wirtshaus in Schwechat
3
165
Das Wirtshaus in Schwechat „Ein froher Wirt macht frohe Gäste.“ (Sprichwort aus Holland1)
Angela war jahrelang bei einer österreichischen Fluggesellschaft beschäftigt und mit ihrer Tätigkeit auch ganz zufrieden. Sie träumte jedoch seit ihrer Kindheit davon, ein eigenes Wirtshaus zu besitzen. Vor kurzem wurde dieser Traum Wirklichkeit. Am Rande von Wien, in Schwechat, ganz in der Nähe ihres Wohnortes, fand sie ein Lokal nach ihren Vorstellungen. Der Vorbesitzer hatte es aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen. Jetzt wartete es seit gut einem Jahr auf einen neuen Besitzer. Die Ausstattung war noch nahezu komplett, erst wenige Monate vor Geschäftsaufgabe waren Geschirr und einige Küchengeräte neu angeschafft worden. Auch die sonst übliche, an sich nicht legale „Ablöse“, die bei Objekten dieser Art verlangt wird, war verhältnismäßig gering ausgefallen. Die Lage des Wirtshauses betrachtete Angela als ideal – am Ende einer Gasse im Grüngürtel, als eine Art Gewölbe in einen Felsen eingelassen, davor ein kleiner Biergarten. Personal – ein Koch und eine Kellnerin – fand sich recht schnell. Auch über das Angebot war man sich schnell einig: nicht zu umfangreich und bloß keine Experimente! Man verließ sich auf traditionelle Gerichte. Der Gast konnte aus vier warmen und drei kalten Gerichten, darunter natürlich das berühmte Wiener Schnitzel, und einem wechselnden Tagesmenü wählen. Getränke bezog man von einem Wiener Getränkegroßhändler, der neben einer Wiener Biersorte auch zwei Importbiere sowie alkoholfreie Getränke lieferte. Darüber hinaus stellte er die Ausstattung für den Biergarten (Tische, Schirme usw.) zur Verfügung. Vor der offiziellen Eröffnung bangte Angela dann doch ein wenig: Wie würde das Wirtshaus von den Einwohnern und Gästen aufgenommen werden? Gerade im ländlichen Gebiet ist man ja eher etwas konservativ, und eine neue, unbekannte Wirtin wird nicht immer mit offenen Armen aufgenommen. Die Bedenken stellen sich jedoch als unbegründet heraus. Die Eröffnung im April konnte als „voller Erfolg“ bezeichnet werden. Auch in den nachfolgenden Wochen fanden sich stets viele Gäste im Wirtshaus ein. Die Umsätze erreichten – besonders am Wochenende – Höhen, von denen Angela nie zu träumen gewagt hätte. Sie stand in Spitzenzeiten selbst mit am Herd und brutzelte zusammen mit dem Koch ein Wiener Schnitzel nach dem anderen. Am Zapfhahn half ihr Vater aus. Angela dachte bereits daran, weiteres Personal einzustellen, da ihr „Mini-Team“ derartigen Gästezahlen kaum mehr gewachsen war. Doch dann kam der Regen, und mit ihm blieben die Gäste aus. Wochenlang zeigte sich die Sonne kaum; und wenn, dann mitten in der Woche. Am Wochenende, wenn die Leute Lust und Zeit zum Ausgehen hatten, rückte „wie bestellt“ wieder eine Regenfront an. 1
vgl. Harenberg Lexikon der Sprichwörter und Zitate, Dortmund 2001, 1386
166
Marketing
Obwohl das Wirtshaus neben einem Biergarten über eine recht große, sogar teilbare Gaststube verfügt, ließen sich die potentiellen Gäste vom schlechten Wetter abschrecken. Einen Stammtisch gab es noch nicht; das Wirtshaus lebte vorwiegend von den Ausflüglern, die südlich von Wien unterwegs waren. Auch wenn die Lokale in unmittelbarer Nähe eigentlich nicht attraktiver waren – im Gegenteil: die Speisen sind teurer, die Sitzmöglichkeiten im Freien ungemütlicher – hatten die anderen Wirte meist mehr Gäste als Angela. Die Kellnerin, die hauptsächlich durch Trinkgeld zu einem guten Lohn kam, hatte zunehmend schlechte Laune. Vorfälle, bei denen die wenigen Gäste ruppig bedient wurden, häuften sich. Mehrere Male weigerte sich der Koch, besondere Gästewünsche zu erfüllen. Nicht etwa aus Zeitmangel – es waren ja sowieso kaum Gäste da – er hatte einfach keine Lust. Da mehrmalige Aussprachen nicht fruchteten, entschloß sich Angela, den Koch zu entlassen und sich selbst an den Herd zu stellen. Wenige Tage später verkündete die Kellnerin, sie habe eine neue Stelle in Wien gefunden. Das Kochen selbst macht Angela mittlerweile großen Spaß. Zudem kann sie dadurch das Gehalt des Kochs einsparen und so die Fixkosten reduzieren, was angesichts der derzeitigen „Gewinn“situation wirklich von Vorteil ist. Allerdings würde sie dringend eine Kellnerin bzw. einen Kellner brauchen. Aufgabe 1 Wie würden Sie Angelas Angebotspalette beschreiben? Aufgabe 2 Woraus resultieren Angelas Probleme? Aufgabe 3 Welche Ziele wird sich Angela angesichts der derzeitigen Lage setzen? Aufgabe 4 Was sind die entscheidenden Faktoren im System „Wirtshaus“? Wie wirken diese aufeinander? Stellen Sie die Zusammenhänge in einem Wirkungsgefüge dar! Aufgabe 5 Bewerten Sie nun die Wirkungsstärken der aufgezeigten Zusammenhänge in einer Wirkungsmatrix! Aufgabe 6 Übertragen Sie Ihre Ergebnisse in ein Intensitätsportfolio und interpretieren Sie das Ergebnis! Aufgabe 7 Wie könnte sich das Umfeld des Wirtshauses kurz- bis mittelfristig entwickeln, wenn Angela nicht gezielt in das System „Wirtshaus“ eingreift?
Das Wirtshaus in Schwechat
167
Lösung Aufgabe 1 Angela setzt auf traditionelle Küche, möchte keine Experimente eingehen. Das Angebot ist nicht sehr umfangreich. Bei den Speisen ist die Angebotspalette eng und flach: Es gibt vier warme und drei kalte Gerichte sowie ein wechselndes Tagesmenü. Die Angebotspalette bei den Getränken ist eng und mäßig tief: Es gibt eine Wiener Biersorte, zwei Importbiere, alkoholfreie Getränke. Dabei werden die Getränke sicher in verschiedenen Größen angeboten. Aufgabe 2 Angela ist neu im Ort, noch nicht ausreichend bekannt. In unmittelbarer Nähe gibt es weitere Lokale, die ebenfalls Gäste anziehen. Vielleicht hat sie auch nicht genügend für ihr Wirtshaus geworben, so daß es aus dem Kreis der benachbarten Lokale nicht genug heraussticht. Die Angebotspalette unterscheidet sich nicht sehr von der Konkurrenz, trotzdem hat diese mehr Gäste. Hinzu kommt, daß Angela noch keinen Kundenstamm aufbauen konnte. Es kehren vorrangig Ausflügler ein, der Umsatz konzentriert sich damit auf die Wochenenden. Die Abhängigkeit vom Wetter ist groß, mit der Schlechtwetterperiode blieben die Gäste aus. Kellnerin und Koch sind durch die Umsatzeinbrüche demotiviert, gehen ruppig mit den Gästen um. Aufgabe 3 Prioritäten Oberziel 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Ziele Gewinn erwirtschaften Mehr Gäste ins Wirtshaus bringen Produktpolitik variieren/Speisekarte umbauen Werben Kundenstamm aufbauen Umsatz konstanter halten Den Winter überleben Etwas gegen Überarbeitung bzw. Burnout tun KellnerIn finden Personal motivieren
Tabelle 3-1 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen
Zeitrahmen kurz-, mittel- und langfristig sofort kurzfristig langfristig langfristig kurzfristig kurz-, mittel- und langfristig innerhalb der nächsten 4 Wochen langfristig
Marketing
168 Aufgabe 4
+ Konkurrenz +
Kunden
+
+
+
+ +
+
+ Angebot
+
+
+
+
+
+
Finanzen +
+
+
-
+ +
+
Service/ Bedienung +
+
-
+
+
-
Marketing/ Werbung -
Personal
Abbildung 3-1 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Konkurrenz
auf ... Kunden Angebot Service/ Bedienung Marketing/ Werbung Personal
Kunden
Konkurrenz Finanzen Angebot
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je mehr Kunden von Konkurrenz „abgeworben“, um so weniger Kunden bei Angela je besser Angebot der Konkurrenz, um so mehr muß sich Angela um eigenes Angebot bemühen je besser Service der Konkurrenz, um so mehr muß sich Angela um eigenen Service bemühen je intensiver/effektiver Marketingmaßnahmen der Konkurrenz, um so mehr muß sich Angela bemühen je größer der Anteil des verfügbaren Personals, der zur Konkurrenz geht, um so kleiner ist Auswahl am Arbeitsmarkt für Angela je anspruchsvoller die Kunden, um so innovativer muß Konkurrenz sein, wenn Kunden „angelockt“ werden sollen je mehr Kunden, um so besser die finanzielle Lage je anspruchsvoller die Kunden, um so besser muß das eigene Angebot sein, wenn Kunden „angelockt“ werden sollen
Das Wirtshaus in Schwechat
169
Fortsetzung
Wirkung von ... Kunden
auf ... Service/ Bedienung Marketing/ Werbung Personal
Finanzen
Angebot Marketing/ Werbung Personal
Angebot
Konkurrenz Kunden Finanzen Service/ Bedienung Marketing/ Werbung Personal
Service/ Bedienung
Konkurrenz Kunden Finanzen Marketing/ Werbung
Marketing/ Werbung
Konkurrenz
Kunden Finanzen Personal
Kunden Finanzen Service/ Bedienung
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je anspruchsvoller die Kunden, um so besser muß der Service sein, wenn Kunden „angelockt“ werden sollen je weniger Kunden, um so mehr muß in Marketing investiert werden je mehr Kunden kommen, um so mehr wird das Personal gefordert je besser die finanzielle Lage, um so umfangreicher kann Angebot sein je besser die finanzielle Lage, um so mehr kann in Marketingmaßnahmen investiert werden je besser die finanzielle Lage, um so mehr Personal kann eingestellt bzw. um so besser kann das vorhandene Personal bezahlt werden je besser/attraktiver das Angebot, um so mehr muß sich die Konkurrenz um das eigene Angebot bemühen je besser/attraktiver das eigene Angebot, um so mehr Kunden werden sich angesprochen fühlen je umfangreicher das Angebot, um so mehr werden die Finanzen beansprucht je besser das Angebot, um so besser sollte auch der Service sein je besser das Angebot, um so weniger muß in Marketingmaßnahmen investiert werden (→ Angebot + Service sprechen für sich) je umfangreicher das Angebot, um so mehr wird das Personal gefordert je besser/attraktiver das Angebot, um so mehr muß sich die Konkurrenz um den eigenen Service bemühen je besser/attraktiver der Service, um so zufriedener werden Kunden sein je besser der Service, um so mehr Trinkgeld (für Bedienung bzw. für Angela, da momentan kein Personal) je besser der Service, um so weniger muß in Marketingmaßnahmen investiert werden (→ Angebot + Service sprechen für sich) je erfolgreicher Angelas Marketingmaßnahmen, um so mehr Kunden der Konkurrenz können wahrscheinlich abgeworben werden je intensiver die Marketingmaßnahmen, um so mehr Kunden werden wahrscheinlich erreicht je mehr Marketingmaßnahmen, um so mehr werden die Finanzen beansprucht je freundlicher das Personal, um so zufriedener die Kunden je mehr Personal eingestellt wird, um so mehr werden die Finanzen beansprucht je motivierter und zufriedener das Personal, um so besser wahrscheinlich der Service
Tabelle 3-2 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Marketing
170 Aufgabe 5
Kunden
Finanzen
Angebot
Service/Bedienung
Marketing/Werbung
Personal
Zeilensumme
von auf Konkurrenz Kunden Finanzen Angebot Service/Bedienung Marketing/Werbung Personal Spaltensumme
Konkurrenz
Wirkung
x 3 0 2 2 3 0 10
3 x 0 3 3 3 0 12
0 3 x 3 3 3 3 15
3 3 3 x 0 0 0 9
3 3 0 1 x 0 3 10
2 3 3 3 3 x 0 14
2 2 2 1 0 0 x 7
13 17 7 13 11 9 6 x
Tabelle 3-3 Wirkungsmatrix
Die stärksten Wirkungen gehen hier von den Kunden aus. Mit den Kunden steht und fällt das Unternehmen – regelmäßig wiederkehrende Kunden sind die Überlebensgarantie für das Wirtshaus. Demgegenüber unterliegt die finanzielle Lage den stärksten Beeinflussungen. Einerseits fließen hierbei die Umsätze ein, andererseits müssen sich daraus alle notwendigen Ausgaben bestreiten lassen. Aufgabe 6
18
Beeinflußbarkeit REAKTIV
KRITISCH
16 F 14
M
12
Ku
10
S
Ko A
8
A
Angebot
F
Finanzen
Ko
Konkurrenz
Ku
Kunden
M
Marketing/ Werbung
P
Personal
S
Service/ Bedienung
P 6
4
2 TRÄGE 0
2
4
AKTIV 6
Abbildung 3-2 Intensitätsportfolio
8
10
12
14
Einflußnahme 16
18
Das Wirtshaus in Schwechat Kritische Faktoren
• •
•
171
Konkurrenz: Bei der Masse der Wirts- und Kaffeehäuser ist der Markt relativ unübersichtlich und intransparent; aus Angelas Sicht ist es kaum abschätzbar bzw. vorhersehbar, welche Aktionen die Konkurrenz plant. Kunden: Da es derzeit noch keine Stammkunden und keinen Stammtisch gibt, hat Angela hinsichtlich der Vorlieben und Wünsche ihrer potentiellen Kunden keine konkreten Informationen, sondern kann sich nur an allgemeinen Annahmen orientieren. Service/Bedienung: Der Service trägt entscheidend zum Wohlbefinden der Kunden im Lokal bei und ob sie wiederkommen.
Aktive Faktoren
•
Angebot: Das Angebot bestimmt, ob überhaupt Kunden kommen bzw. ob Kunden, die einmal zu Gast waren, wiederkommen.
Reaktive Faktoren
• •
Finanzen sind stark abhängig von Kundenzahl und anfallenden Kosten. Marketing/Werbung: Angela hat bisher nicht aktiv geworben, ist aber jetzt gezwungen zu reagieren, wenn sich die Lage bessern soll.
Träge Faktoren
•
Personal: Auch wenn die Kellnerin nach der Entlassung des Kochs scheinbar aus einer Kurzschlußhandlung heraus gekündigt hat, kann man davon ausgehen, daß einige „Demotivatoren“ zusammenkommen müssen, bevor ein Mitarbeiter kündigt.
Tabelle 3-4 Erläuterung der Faktoren
Aufgabe 7 Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Angebot Konkurrenz
Service
Marketingaktionen
Kunden
Loyalität
Zahlungsbereitschaft
Personal
Angebot am Arbeitsmarkt Motivation
Engagement
Entwicklung – Trendaussagen (O) bleibt (P) wird besser (W) bleibt (O) bleibt (P) wird besser (W) bleibt (O) bleiben (P) nehmen zu (W) bleiben (O) nimmt zu (P) nimmt ab (W) bleibt (O) nimmt zu (P) nimmt ab (W) bleibt (O) wird besser (P) wird schlechter (W) bleibt (O) wird besser (P) wird schlechter (W) bleibt (O) wird besser (P) wird schlechter (W) bleibt
Wirkung auf Wirtshaus +/+/+/+/+/+/+ +/+ +/+ +/+ +/+ +/-
Tabelle 3-5 Mögliche Entwicklungen
Es wird deutlich, daß sich am Umfeld praktisch nichts zugunsten von Angela verändert. Das heißt, sollen positive Veränderungen herbeigeführt werden, muß sie selbst aktiv werden.
172
4
Marketing
Eine Nacht in Eis und Schnee „The entire Icehotel is on loan from the mighty Torne River and is a place where time stands still.“1
Jedes Jahr aufs Neue entsteht in Jukkasjärvi, einem kleinen, 500 Einwohner zählenden Dorf in Lappland etwa 17 km nordöstlich von Kiruna, ein Hotel der besonderen Art – ein Eishotel. Anfangs war man skeptisch: Kann man hier in diese Gegend, wo es den Winter über dunkel ist und die Temperaturen mitunter bis auf –42°C fallen, Touristen locken? Die Dunkelheit wertete man nicht als Pluspunkt, aber die lang anhaltende Kälte ist Voraussetzung für die Umsetzung der Idee.2 Seit nunmehr 19 Jahren beginnen im November die Arbeiten am Eishotel. Baumaterial sind riesige, kristallklare Eisblöcke, die im Frühjahr, wenn Luft- und Wassertemperatur annähernd gleich sind, zuvor aus dem Fluß Torneälv geschnitten werden. Bis zum Baubeginn im November werden etwa 3.000 Tonnen dieser Blökke gelagert. Hier, etwa 150 km nördlich des Polarkreises, liegt für acht bis zehn Monate pro Jahr Schnee. Dennoch eignet er sich nicht für den Bau des Hotels. Die Bauherren und Betreiber stellen ihr Baumaterial, eine Mischung aus Eis und Schnee, mithilfe von Schneekanonen selbst her. Diese Mischung wird mit hoher Geschwindigkeit auf Metallformen gespritzt, die man nach Aushärtung des Materials herausnimmt. Die aus dem Fluß geschnittenen Eisblöcke dienen u.a. als Stützpfeiler. Gebaut wird in fünf Phasen. Nach Vollendung der ersten Phase können hier die Gäste bereits übernachten, während die anderen Bauabschnitte Schritt für Schritt vollendet werden. Dabei spielen natürlich Witterungseinflüsse eine große Rolle.3 Die einzigartige Idee brachte auch dem Ort Vorteile. Am Bau selbst sind etwa 70 Personen beteiligt, zusätzlich wird Personal für den Empfang, die Reinigung, den kleinen Laden und das Restaurant benötigt. Auch völlig neue Erwerbszweige, wie Eisbearbeitung oder die Herstellung der erforderlichen Werkzeuge, konnten entstehen. Jährlich kann das Hotel einen Umsatz in Höhe von rund 13 Mio. Euro verbuchen, 2 Mio. Euro werden wiederum in der Gemeinde für Einkaufe ausgegeben. Das Hotel brachte den wirtschaftlichen Aufschwung ins Dorf. Man konnte – zumindest saisonal – jungen, von der Anwanderung bedrohten Menschen einen Arbeitsplatz verschaffen, die Schule und den Supermarkt halten.4 Das Hotel des Winters 2008/2009 erstreckt sich auf ca. 6.000 m² und umfaßt 80 Zimmer. Darunter finden sich Eiszimmer, Familienzimmer, Suiten und Suiten deluxe – eingerichtet komplett aus Eis. Beleuchtet werden die Zimmer mithilfe unterschiedlich gefärbter LED-Lampen, um eine große Wärmeentwicklung zu verhin1
Icehotel®: From the Ice Age to the Present, http://www.icehotel.com, 15.01.2008 vgl. Schweden entdecken und erleben, München 1997, 138; Ljungström, Barbro: Das Eishotel (Reportage), RBB, 01.12.2007; Strid, Steve; Andréasson, Claes: Die Wikinger kommen! – Marketing auf Skandinavisch, München 2008, 47f 3 vgl. Icehotel®: Ett hotell byggt av is och snö, http://www.icehotel.com, 15.01.2008; Icehotel®: Från istid till nutid, http://www.icehotel.com, 15.01.2008 4 vgl. Ljungström, Barbro: Das Eishotel (Reportage), RBB, 01.12.2007 2
173
Eine Nacht in Eis und Schnee
dern. Die Zimmeranzahl variiert von Jahr zu Jahr, ebenso die architektonische und künstlerische Gestaltung des Hotels, für die jedes Mal Architekten, Designer und Künstler aus aller Welt gewonnen werden. Auch ein Eishotel muß gereinigt werden, da sich der Schnee im Laufe der Zeit dunkel verfärbt. Die Reinigung geschieht durch Abtragen des verschmutzten und Aufbringen frischen Schnees. Aufgrund der Vergänglichkeit des Eises wird die Innenausstattung zweimal im Jahr erneuert.5 10. bis 29.12. Mo-Mi Do-So 3.500 3.500 Kalte Deluxe Suite Unterkunft Art Suite 1.700 2.100 1.350 1.800 Ice Room 1.250 1.550 Snow Room 1.350 1.595 Warme Unterkunft Alle Angaben in Sek pro Person im Doppelzimmer. Zeitraum
30.12. bis 17.4. Mo-Mi Do-So 3.500 3.500 2.150 2.900 1.850 2.450 1.600 1.900 1.450 1.695
31.12. bis 2.1.
13.2. bis 15.2.
3.500 3.200 2.700 2.050 1695
3.500 3.200 2.700 2.050 1695
Tabelle 4-1 Preisliste (Auszug)6
Die Gäste schlafen, eingehüllt in vom Hotel bereitgestellten dicken Schlafsäcken, auf Rentierfellen und einem Bett aus Eis. Türen besitzen die Zimmer nicht. Die Raumtemperatur schwankt unabhängig von der Außentemperatur zwischen –5 und –8°C. Das Gepäck der Gäste wird in einem separaten Wärmeraum mit Schließfächern verwahrt. Neben den eiskalten Zimmern gibt es auch warme Übernachtungsmöglichkeiten. Üblicherweise bleiben die Gäste für eine Nacht im Eishotel und eine oder mehrere Nächte im normal beheizten Hotel nebenan.7 Während der Wintersaison ist die Rezeption im Eishotel rund um die Uhr geöffnet. Die Gäste können außerdem das Angebot einer Eisbar, in der die Getränke stilgerecht in Gläsern aus Eis serviert werden, nutzen. Regelmäßig sind neue Projekte und Marketingstrategien notwendig, um Gäste nach Jukkasjärvi zu locken. Dazu gehört beispielsweise auch die Ausrichtung von Hochzeiten und Taufen. Eine andere Idee war, weltweit Eisbars zu errichten – einerseits ein lukratives Geschäft, andererseits eine gute Werbung für das Hotel.8 Zusätzlich werden vom Hotel verschiedene Aktivitäten, wie Schneemobilsafaris, Fischen oder Jagen angeboten. Auch die bei Touristen sehr beliebten Fahrten mit den Hundeschlitten gehören zum Programm. Inzwischen hat sich die Hundezucht zu einem einträglichen Geschäft entwickelt – in Jukkasjärvi leben nun 700 Hunde. Allerdings wird dies nicht von allen Seiten positiv betrachtet, denn traditionell verankert sind die Schlittenhunde in der Region nicht. Und sie bringen der Region nicht nur Nutzen: Negative Auswirkungen zeigen sich bei der Rentierzucht. Es ist üblich, das Winterweideland der Rentiere gemeinschaftlich zu nutzen, Eingrenzungen gibt es nicht. Durch die Schlittenfahrten, die durch dieses Weideland führen, werden die 5
vgl. ebd.; Icehotel®: Isnatt at minnas, http://www.icehotel.com, 15.03.2009; Icehotel®: Icehotel tar form, http://www.icehotel.com, 15.01.2008 erstellt nach: Icehotel®: Prislista vintern 08/09, http://www.icehotel.com, 15.03.2009 7 vgl. Icehotel®: Kallt boende i Icehotel, http://www.icehotel.com, 15.03.2009 8 vgl. Ljungström, Barbro: Das Eishotel (Reportage), RBB, 01.12.2007 6
174
Marketing
Rentiere gestört. Touristen verhalten sich zudem oft rücksichtslos und denken nicht daran, daß diese Winterweiden für die Rentiere lebensnotwendig sind.9
Außentemperatur –40°C, Innentemperatur –5°C
Erreichbar ist Jukkasjärvi über Kiruna, das sowohl über einen Bahnhof als auch einen Flughafen verfügt. Von dort aus gelangen die Touristen mit Bus oder Taxi zum Hotel. Die ersten Gäste konnten das diesjährige Hotel im Dezember nutzen. Die Saison hängt von der jeweiligen Wetterlage ab und kann bis Anfang bzw. Ende April reichen. Dann beginnen die Eisblöcke zu schmelzen und das Hotel kehrt dorthin zurück, woraus es entstanden ist – in den Fluß Torneälv. Aufgabe 1 Was ist das Besondere am Eishotel in Jukkasjärvi? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 2 Welche betriebswirtschaftlichen Faktoren sind für das Eishotel relevant? Stellen Sie deren Zusammenwirken in einem Wirkungsgefüge dar! Aufgabe 3 Leiten Sie aus Ihrem Wirkungsgefüge eine Wirkungsmatrix ab! Aufgabe 4 Entwickeln Sie ausgehend von Ihrer Wirkungsmatrix ein Intensitätsportfolio! Aufgabe 5 Analysieren Sie das Umfeld des Eishotels und geben Sie mithilfe eines Szenarios eine Prognose für die möglichen weiteren Entwicklungen! 9
vgl. ebd.; Icehotel®: Äventyr, http://www.icehotel.com, 15.03.2009
175
Eine Nacht in Eis und Schnee
Lösung Aufgabe 1
Polarnacht
jährlicher Neubau
unverbaute Natur, Wildnis
Baumaterial: Wasser und Eis (aus Fluß Torneälv)
strenge, lange Winter bis -30°C
150 km nördlich des Polarkreises
Vorlauf Materialbeschaffung > 1/2 Jahr
Klimawandel
Klima
jährlich unterschiedliche Raumanzahl geographische Lage
Naturliebhaber, Abenteurer aus aller Welt
jährlich wechselnde Architektur und künstlerische Ausgestaltung
i.d.R. nur eine Übernachtung
Wetterabhängikeit des Bauverlaufs Zielgruppe/ Gäste
Hotelzimmer und Einrichtung aus Eis, ohne Türen minimalistische Zimmerausstattung
Bau
Besonderheiten des Eishotels
Schlafen in Schlafsäcken auf Eis und Rentierfellen Betrieb seperate Wärmeräume mit Schließfächern zur Gepäckaufbewahrung LED-Beleuchtung mit unterschiedlichen Lichtfarben
schwankende Betriebszeiten (wetter-/klimaabhängig) Arbeitsbedingungen Personal (niedrige Raumtemperatur: -5 bis -8°C)
Ausstattung
stilgerecht eingerichtete Eisbar
Abbildung 4-1 Mindmap: Besonderheiten des Eishotels
besondere Bedingungen für Reinigung und Wartung stark eingeschränktes Serviceangebot
176
Marketing
Aufgabe 2
Konkurrenz
+
Gäste
+
+
+
+
+ + Personal +
+ Finanzen
+ -
+
-
+
Marketing
+
+
-
+
-
Angebot/ Service
Abbildung 4-2 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Konkurrenz
auf ... Gäste
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je mehr Aktivitäten der Konkurrenz, um so mehr potentielle Gäste können durch Konkurrenz angesprochen werden
Marketing
je mehr Aktivitäten der Konkurrenz, um so mehr muß für das eigene Hotel getan werden
Angebot/Service
je besser das Angebot der Konkurrenz, um so mehr muß man sich um das eigene Angebot bemühen
Konkurrenz
je ausgefallener die Bedürfnisse der Gäste, um so differenzierter muß das Angebot der Konkurrenz sein
Personal
je mehr Touristen im Hotel absteigen, um so mehr wird das Personal gefordert
Finanzen
je mehr Touristen im Hotel absteigen, um so besser gestaltet sich die finanzielle Lage
Marketing
je weniger Touristen, um so mehr muß für die Vermarktung des Hotels getan werden
Angebot/Service
je ausgefallener die Bedürfnisse der Gäste, um so differenzierter muß das Angebot sein (z.B. Hochzeit, Taufe)
Personal
Finanzen
je mehr Personal, um so schlechter gestaltet sich die finanzielle Lage
Finanzen
Personal
je besser die finanzielle Lage, um so mehr Personal kann eingestellt werden
Angebot/Service
je besser die finanzielle Lage, um so ausgefeilter können Angebot und Service sein
Gäste
je mehr Marketingaktivitäten, um so mehr Touristen können angesprochen werden
Gäste
Marketing
177
Eine Nacht in Eis und Schnee Fortsetzung
Wirkung von ... Marketing
auf ... Personal
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je mehr Marketingaktivitäten, um so mehr Personal ist zu deren Umsetzung notwendig
Finanzen
je mehr Marketingaktivitäten, um so schlechter gestaltet sich die finanzielle Lage
Angebot/Service Konkurrenz
je besser/ attraktiver das Angebot, um so mehr muß sich die Konkurrenz um das eigene Angebot bemühen
Gäste
je besser/ attraktiver das eigene Angebot, um so mehr Touristen werden sich angesprochen fühlen
Personal
je umfangreicher das Angebot, um so mehr wird das Personal gefordert
Finanzen
je umfangreicher das Angebot, um so mehr wird die finanzielle Lage beansprucht
Tabelle 4-2 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Aufgabe 3
Personal
Finanzen
Marketing
Angebot/ Service
Zeilensumme
auf
Gäste
von Konkurrenz Gäste Personal Finanzen Marketing Angebot/Service Spaltensumme
Konkurrenz
Wirkung
x 1 0 0 3 1 5
1 x 2 0 3 3 9
0 2 x 3 1 2 8
0 3 3 x 3 3 12
2 1 2 3 x 1 9
1 1 0 2 3 x 7
4 8 7 8 13 10 x
Abbildung 4-3 Wirkungsmatrix
Im vorliegenden Fall beeinflussen die Marketingaktivitäten sowie das Angebot die übrigen Faktoren am stärksten. Das Eishotel ist in seiner Form einzigartig und übt bereits damit eine starke Anziehungskraft aus. Dennoch sind Aufwendungen notwendig, um das Hotel und sein Angebot bekannt zu machen und die potentiellen Gäste von einer Nacht in Eis und Schnee zu überzeugen. Die finanzielle Lage wiederum stellt den am stärksten beeinflußten Faktor dar. Die finanzielle Lage hängt zum einen von der Auslastung des Hotels und den damit verbundenen Einnahmen, andererseits von den Aufwendungen für Personal, Marketing usw. ab.
178
Marketing
Aufgabe 4
Beeinflußbarkeit REAKTIV
14
KRITISCH
12
F
10 G 8
M
P A
A
Angebot/Service
F
Finanzen
G
Gäste
K
Konkurrenz
M
Marketing
P
Personal
6 K 4
2 TRÄGE 0
2
4
AKTIV 6
8
10
12
Einflußnahme 14
Abbildung 4-4 Intensitätsportfolio Kritische Faktoren
•
•
Marketing: Aufgrund der Vergänglichkeit jedes einzelnen Baus ist man auf ein gutes Marketingkonzept angewiesen, um ganzjährig auf das saisonale Angebot aufmerksam zu machen. Preispolitisch besteht ein großer Spielraum, da es keine vergleichbaren Hotels gibt. Finanzen: Ohne abenteuerfreudige, zahlungskräftige Gäste funktioniert das Konzept nicht.
Aktive Faktoren
•
Das Angebot entscheidet über die Akzeptanz bei den Gästen, die finanzielle Lage und den Personaleinsatz. Die Ausrichtung erfolgt nach den Bedürfnissen der potentiellen Gäste.
Reaktive Faktoren
•
Personal: Angesichts der Arbeitsbedingungen ist eine besonders hohe Motivation erforderlich.
Träge Faktoren
•
Konkurrenz: Da es sich bei der Konkurrenz nicht um Hoteliers handelt, besteht für konkurrierende Dienstleister keine Notwendigkeit, das Angebot zu ändern, wenn das Angebot des Eishotels modifiziert wird.
Tabelle 4-3 Erläuterung der Faktoren
Aufgabe 5 Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Anzahl Touristen
Entwicklung – Trendaussagen O) zunehmend P) abnehmend W) zunehmend
Wirkung auf Eishotel + +
Eine Nacht in Eis und Schnee
179
Fortsetzung
Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Abenteuerlust Touristen
Entwicklung – Trendaussagen O) stark zunehmend P) abnehmend W) zunehmend Kaufkraft O) zunehmend P) abnehmend W) gleichbleibend Verkehrsanbindung O) bleibt Infrastruktur P) wird ausgebaut W) bleibt Ver- und Entsorgung O) bleibt P) bleibt W) bleibt gastronomische, kultu- O) zunehmende Anzahl relle und soziale EinP) abnehmend Anzahl richtungen W) Anzahl bleibt wirtschaftliche Lage O) verbessert sich Gemeinde Jukkasjärvi P) bleibt W) verbessert sich Einstellung der EinO) verbessert sich wohnung zum Hotel P) bleibt W) verbessert sich Einstellung der Rentier- O) verbessert sich züchter zum Hotel P) verschlechtert sich W) bleibt Klima O) bleibt Natürliche Umwelt P) Erwärmung W) Erwärmung Flora, Fauna, Habitat O) bleibt P) Veränderung W) Veränderung „abenteuerliche“ Ange- O) bleibt Konkurrenz bote P) starke Zunahme W) Zunahme Anzahl O) bleibt P) starke Zunahme W) Zunahme * Abenteuercharakter nimmt dadurch ab ** Wirkung heute noch nicht absehbar
Wirkung auf Eishotel ++ + + +/+/-* +/+/+/+/+ +/+ +/+ + +/+ + +/+/+/?** ?** +/-+/--
Tabelle 4-4 Mögliche Entwicklungen
Am günstigsten wäre es, wenn sich außer im Bereich der potentiellen Gäste keine weiteren Veränderungen im Umfeld ergeben. Angesichts der wachsenden Abenteuerlust der Reisenden ist jedoch davon auszugehen, daß sowohl die Anzahl konkurrierender Dienstleister als auch die Vielfalt des Angebots zunehmen werden. Zudem könnte der Klimawandel, wenngleich langfristig, den Hotelbetrieb beeinträchtigen (vgl. Statik, Betriebszeiten, Zusatzangebote usw.).
Marketing
180
5
Tante Emma goes Internet „Der Erfolg kam schnell, weil die Schweden einen Appetit auf Hering, Fleischklöße und Knäckebrot in den Genen tragen.“ (Tage Togrimsson, Inhaber von Svenskmat1)
Rund 75 % aller Schweden zwischen 16 und 74 Jahren nutzen mindestens wöchentlich das Internet.2 Die Kinder lernen sogar auf den entlegendsten Schären schon früh in der Schule, mit der neuen Technologie umzugehen. Kleine Gemeinden vor allem im dünn besiedelten Norden werden mit Computern ausgestattet, die kostenlos genutzt werden können. Es ist davon auszugehen, daß die im Ausland lebenden Schweden ebenso computerinteressiert sind wie ihre in Schweden lebenden Landsleute. Anette und Tage Torgrimsson lebten Fröjered, einer 200-Seelen-Gemeinde zwischen Vänern und Vättern. Tage arbeitete in der Entwicklungsabteilung eines Automobilherstellers. Anette führte seit einigen Jahren einen kleinen ICALandhandel3, den es schon seit 1924 im Dorf gab. In den letzten Jahren hatte der Laden mit starken Umsatzrückgängen zu kämpfen. Die in der näheren Umgebung errichteten Einkaufszentren sorgten dafür, daß immer weniger Kunden bei Anette einkauften, die mit dem Preisniveau und der Angebotsvielfalt der Konkurrenz nicht mithalten konnte. Viele Dorfbewohner arbeiteten auswärts und erledigten der Bequemlichkeit halber gleich nach Dienstschluß ihre Besorgungen am Dienstort. Touristen verirrten sich recht selten in den kleinen Ort, zumal es dort auch keine Übernachtungsmöglichkeiten gab. Von den Einkäufen der älteren Dorfbewohner allein konnte der Laden jedoch nicht überleben. Die Lage gestaltete sich so schlecht, daß das Personal nach und nach entlassen werden mußte, bis dem Laden schließlich das Aus drohte. An sich hätte Tages Gehalt den beiden zum Leben gereicht. Anette hatte aber viel Energie und Engagement in den Laden gesteckt, so daß es nicht leicht fiel, ihn einfach aufzugeben. Da sich die Entwicklung schon längere Zeit abzeichnete, machte sich Tage auch schon häufig Gedanken, wie man Anettes Laden mehr Schwung verleihen konnte. Durch einen Arbeitskollegen kam er auf die Idee, das Internet zu nutzen, tat diesen Einfall aber vorerst als utopisch ab. Nun, da kein anderer Ausweg mehr möglich schien, wollten sie diese Chance nutzen. Erfolg rechneten sich 1
zit. in: Helfer, Walter: Tante Emma-Laden im Internet, Blickpunkt Europa, Magazin vom 10.01.2000, http://www.swr.de/blickpunkt-europa, 05.06.2002 2 vgl. Agerskov, Ulla; Statistics Denmark (Eds.): Nordis Statistical Yearbook 2008/Nordisk statistisk årsbook 2008, Copenhagen 2008, 51 Internetnutzer in Prozent der Bevölkerung: Schweden 62 %, Norwegen 60 %, Dänemark 53 %, Niederlande 47 %, Schweiz 42 %, Finnland 42 %, Großbritannien 38 %, Österreich 35 %, Deutschland 35 %, Luxemburg 34 %, Irland 32 %, Italien 27 %, Belgien 27 %, Frankreich 23 %, Spanien 19 % (vgl. Focus, 03.09.2001, 169) 3 ICA = schwedische Lebensmittelkette
Tante Emma goes Internet
181
Anette und Tage insbesondere dadurch aus, daß noch kein vergleichbares Unternehmen existierte. Angeboten wurden nun via Internet über 50 Produkte: Neben Artikeln des klassischen ICA-Sortiments konnte der Kunde auch Zeitschriften und Bücher ordern. Sollte etwas nicht im Warenkorb enthalten sein, konnte es auf Wunsch beschafft werden. Bestellungen gehen per E-Mail oder per Fax ein. Nach erfolgter Bezahlung per Kreditkarte wurde die Ware versandt.
Online Shopping
Anette und Tage wollten dabei drei verschiedene Zielgruppen ansprechen: 1. zum einen diejenigen im Land, die – sei es aus Zeitgründen, mangels Auto oder wegen gesundheitlicher Beschwerden – nicht selbst einkaufen gehen konnten, mit Lebensmitteln versorgen; 2. zum anderen diejenigen Schweden, die im Ausland lebten und dort anderweitig nicht in den Genuß des geliebten schwedischen Essens kamen; 3. und schließlich Touristen, die in Schweden die landestypischen Spezialitäten kennengelernt hatten oder andere an schwedischen Lebensmitteln interessierte Personen. Nachdem man anfangs mit dem Verpackungsmaterial ein wenig experimentieren mußte, um eine Lösung zu finden, wie man die Lebensmittel auch in die entlegensten Orte in guter Qualität transportieren kann, ging alles weitere ziemlich schnell. Man beauftragte eine Firma mit dem Gestalten einer Website und kontaktierte
182
Marketing
schwedische Unternehmen und Institutionen im Ausland, um den neuen Service vorzustellen. Positive Berichterstattung in den schwedischen Medien tat das Übrige. Das von Anette und Tage gesetzte Ziel der Umsatzsteigerung von 10 % im ersten Jahr war bereits nach den ersten beiden Monaten erfüllt. Anfangs ging es im kleinen ICA-Landhandel, der Verkaufsladen und Lager zugleich war, räumlich sehr beengt zu. Nach einem erneuten Umsatzzuwachs entschlossen sich Anette und Tage anzubauen.4 Aufgabe 1 Woraus resultierte die mißliche Lage des kleinen ICA-Landhandels? Aufgabe 2 Welche Ziele hat sich Anette daraufhin wohl gesetzt? Aufgabe 3 Welche betriebswirtschaftlichen Faktoren sind beim Aufbau eines Internethandels zu berücksichtigen? Aufgabe 4 Stellen Sie dar, in welcher Weise diese Faktoren zusammenhängen bzw. aufeinander einwirken! Aufgabe 5 Nun möchten Anette und Tage untersuchen, wie stark die einzelnen Faktoren aufeinander wirken. Sie möchten dadurch herausfinden, welche der betrachteten Faktoren auf andere stark einwirken und welche stark beeinflußt werden. Erstellen Sie dazu eine Wirkungsmatrix! Aufgabe 6 Anette und Tage möchten nun wissen, welche Faktoren des Geschäftsumfeldes sie gezielt beeinflussen können und welche sie kaum oder gar nicht lenken können. Interessant wäre für die beiden außerdem, Frühwarnindikatoren zu identifizieren, die ihnen schon frühzeitig neue Entwicklungen anzeigen.
4
vgl. Reiff, Tatjana: Nie mehr ohne Sill und Snus, in: Nordis-Magazin, 5/2000, 50 und http://www.svenskmat.com, 14.09.2000
Tante Emma goes Internet
183
Lösung Aufgabe 1 Der Dorfladen litt unter der Konkurrenz der großen Einkaufszentren, verfügte über ein begrenztes (enges und flaches) Angebot und lag preislich über dem Niveau der Konkurrenz. Die meist auswärts arbeitenden Dorfbewohner kauften auch auswärts ein. Von den Einkäufen der älteren Bewohner konnte sich der Laden nicht über Wasser halten. Aufgabe 2 Oberziel: „Überleben“ = langfristiges Bestehen und Wachstum des Unternehmens sichern; Teilziele: Aufbau einer Homepage, über die Kunden im virtuellen „Tante-Emma-Laden“ einkaufen können; Aufbau eines entsprechenden Systems zur Entgegennahme und Bearbeitung von Kundenbestellungen und zur finanziellen Abwicklung der Bestellungen; Gewinnung neuer Kunden durch Ansprechen neuer Zielgruppen (z.B. mindestens 10 % mehr Kunden innerhalb der nächsten 6 Monate); Umsatzsteigerung (z.B. um mindesten 10 % innerhalb der nächsten 12 Monate) Aufgabe 3
Lagerraum
Benutzerfreundlichkeit
Lagerkosten
Sortimentsbreite
Homepage
Verderblichkeit der Ware
Sortimentstiefe
Verpackung Angebot
Logistik
Post
Werbung Versand Radio
Zeitungen/ Zeitschriften
Internet
Kurierdienste Frachtkosten
Internethandel
Postalisch
Beschaffung Verfügbarkeit Zulieferer
Qualität
Bestellungen Kosten Telefon
Fax
Zuverlässigkeit
Erfassung Umsatz
Finanzen
Rechnung Abwicklung
Bezahlung
Lastschrift Kreditkarte
Währung
Kosten Reklamationen
Sicherheit
Handhabung/ Abwicklung
Umtausch Erstattung
Bestmögliche Gestaltung des Internethandels zur
Existenzsicherung
Kundenbefriedigung
Abbildung 5-1 Mindmap: Betriebswirtschaftliche Faktoren beim Aufbau eines Internethandels
Marketing
184 Aufgabe 4
Benutzerfreundlichkeit
Angebot +
+
+ Werbung
+ +
+ Kunden
+
-
Finanzen
+ +
+
Umsatz
+
Abbildung 5-2 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Angebot
auf ... Kunden Umsatz Finanzen
Werbung
Kunden Finanzen Umsatz
Umsatz
Finanzen
Finanzen
Angebot Werbung
Benutzerfreundlichkeit
Kunden
Kunden
Umsatz Werbung Angebot
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je besser das Angebot, um so zufriedener werden die Kunden sein je besser das Angebot, um so höher wahrscheinlich der Umsatz je umfangreicher das Angebot, um so schlechter die finanzielle Lage (Lagerhaltung; kleinere Einkaufsmengen pro Artikel) je ansprechender die Werbung, um so mehr Kunden werden aufmerksam je mehr geworben wird, um so schlechter die finanzielle Lage je effektiver die Werbemaßnahmen, um so höher wahrscheinlich der Umsatz je höher der Umsatz, um so besser wahrscheinlich die finanzielle Lage (sofern Dekkungsbeiträge angemessen sind) je besser die finanzielle Lage, um so mehr kann in das Angebot investiert werden je besser die finanzielle Lage, um so mehr kann in die Werbung investiert werden je komfortabler der Bestellvorgang, um so mehr Kunden werden wahrscheinlich den Service nutzen je mehr Kunden einkaufen, um so höher wahrscheinlich der Umsatz je anspruchsvoller die Kunden, umso anspruchsvoller die Werbemaßnahmen je anspruchsvoller die Kunden, um so anspruchsvoller sollte das Angebot gestaltet sein
Tabelle 5-1 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Fristigkeit mittelfristig mittelfristig mittelfristig
kurz- bis mittelfristig kurzfristig langfristig kurzfristig
mittelfristig kurzfristig mittelfristig
kurzfristig kurz- bis mittelfristig mittelfristig
Tante Emma goes Internet
185
Aufgabe 5
Werbung
Umsatz
Finanzen
Benutzerfreundlichkeit
Kunden
Zeilensumme
von auf Angebot Werbung Umsatz Finanzen Benutzerfreundlichkeit Kunden Spaltensumme
Angebot
Wirkung
x 0 0 3 0 2 5
0 x 0 3 0 2 5
3 3 x 0 0 3 9
2 2 3 x 0 0 7
0 0 0 0 x 0 0
3 3 0 0 3 x 9
8 8 3 6 3 7 x
Tabelle 5-2 Wirkungsmatrix
Den größten Einfluß auf die übrigen Faktoren üben Angebot und Werbung aus. Das Angebot bzw. Sortiment entscheidet darüber, inwieweit der Internetladen von den Kunden angenommen und regelmäßig in Anspruch genommen wird. Eine große Bedeutung kommt dabei der Werbung zu, denn nur wenn potentielle Kunden das Angebot kennen, können sie es nutzen. Am stärksten beeinflußt werden Umsatz und Kunden. Der Umsatz resultiert zum einem aus dem Angebot bzw. Sortiment selbst. Zum anderen kann er über wirksame Werbemaßnahmen gesteigert werden. Die Kunden werden sich in ihrer Nutzungsintensität zwar vordergründig vom Angebot leiten lassen, unterliegen aber natürlich auch den Einflüssen der Werbung. Nicht zu unterschätzen ist hierbei die Benutzerfreundlichkeit der Webseite, die – wenn stark ausgeprägt – ebenfalls einen entscheidenden Beitrag leisten kann. Aufgabe 6 Zum Umfeld zählen: Kunden, Zulieferer und Konkurrenz. Im vorliegenden Fall existiert noch kein zweiter Lebensmittel-Internethandel, Konkurrenten wären demzufolge die herkömmlichen Lebensmittelanbieter, die den das vorliegende Konzept kennzeichnenden Service aber nicht bieten. Anettes und Tages Internethandel wäre als „Alternativanbieter“ zu verstehen. Kategorien steuerbare Faktoren
Faktoren
Erläuterung
•
Zahl der Kunden
•
Ein einfacher Bestellmodus, eine ansprechende Angebotspalette, gute Qualität und zuverlässige Lieferungen tragen dazu bei, daß sich die Kundenzahl höchstwahrscheinlich erhöhen wird.
•
Kundenzufriedenheit
•
Stimmen die Erwartungen der Kunden mit der tatsächlichen Qualität der Leistung überein, so kann davon ausgegangen werden, daß die Kunden zufrieden sind.
•
Image bei Kunden
•
In engem Zusammenhang mit der Zufriedenheit der Kunden steht das Image des Internethandels. Zufriedene Kunden können z.B. durch Mundpropaganda dazu beitragen, daß der Internethandel auch von bisherigen „Nicht-“Kunden positiv gesehen wird.
•
Lieferqualität
•
Auf die Qualität der gelieferten Artikel können Anette und Tage ebenfalls direkt einwirken (wie stark, hängt von der Marktmacht der Anbieter ab).
Marketing
186 Fortsetzung
Kategorien steuerbare Faktoren
Faktoren
Erläuterung
•
Image bei Zulieferern
•
Auf das Image des Internethandels können Anette und Tage durch gute Zahlungsmoral, regelmäßige Auftragseingänge sowie das Bemühen um gute Zusammenarbeit einwirken.
wirksam steuerbare Faktoren
•
Kundenzufriedenheit
•
s.o.
•
Lieferqualität
•
s.o.
•
Angebot der Konkurrenz
•
Auch wenn es keinen Internethandel der beschriebenen Art gibt und Anette und Tage somit eine Art „Monopolstellung“ einnehmen, dürfen dabei die zahlreichen herkömmlichen Lebensmittelanbieter nicht vergessen werden. Eben diese waren ja der Grund für die mißliche Lage des Dorfladens. Der Internethandel wird nie eine ernsthafte Konkurrenz für die „großen“ Anbieter darstellen, umgekehrt sollten Anette und Tage jedoch ein Auge auf die Konkurrenten in bezug auf Produktpalette und Werbemaßnahmen werfen. Aus der Sortimentszusammensetzung der Lebensmittelketten lassen sich recht gut Verbrauchertrends ablesen, auf die sich auch der Internethandel einstellen kann (= Frühwarnindikator).
•
Trends im Kaufverhalten
•
Allgemeine Trends im Kaufverhalten können Anette und Tage nicht beeinflussen. Sie können sich diese Trends aber zunutze machen oder aber, sollten sich die Trends nicht in ihrem Interesse entwickeln, sich rechtzeitig absichern.
•
Angebot der Konkurrenz
•
s.o.
•
Trends im Kaufverhalten
•
s.o.
• nicht oder nur unwesentlich steuerbare Faktoren
Frühwarnindikatoren
Tabelle 5-3 Steuerbarkeit der Faktoren
Anmerkung Trotz des guten Starts ist es den Inhabern nicht gelungen, ihre Geschäftsidee langfristig am Laufen zu halten. Den Internetshop Svenskmat gibt es in dieser Form mittlerweile nicht mehr.
Tante Emma goes InterCity
6
187
Tante Emma goes InterCity „Schnell und bequem für alle Kunden, für das Personal und für die Lieferanten.“ (Motto des Convenience-Konzepts von Coop Schweiz1)
In der Schweiz wurde vor einiger Zeit das Bahnfahren wieder ein bißchen attraktiver. Ab dem Fahrplanwechsel im Mai 2000 verkehrten Europas erste Einkaufswagen im Schnellzugtempo zwischen Bern und Zürich.
Abbildung 6-1 Fahrtroute des Coop-Railshop
Gemeinsam mit den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) richtete der schweizerische Lebensmittelkonzern Coop in zwei ehemaligen McDonald’s-Waggons einen Lebensmittelladen auf Schienen ein. Die Fahrt von Bern nach Zürich dauerte rund eineinhalb Stunden, an mehreren Stationen konnten Fahrgäste zu- und aussteigen. Anfangs waren es fünf, später sieben Zugpaare, die montags bis freitags diesen Service anboten.
1
Schmutz, Armin: Unterwegs mit Tante Emma, in: Modelleisenbahner, 6/2001, 28
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Marketing
Der sogenannte „Coop Railshop“, ein Projekt im Rahmen der expo.02, sollte zunächst nur bis zum Ende der Expo im Herbst 2002 fahren. Allerdings dachte man bereits an einen Einsatz auch über diese Zeitpunkt hinaus. Dabei war der rollende Tante-Emma-Laden nicht von Anfang an geplant, sondern nahm erst im Laufe eines neuen Konzepts für den Convenience-Bereich von Coop Formen an. Als klar wurde, daß man Bahnhofshops nicht mehr im herkömmlichen Tempo realisieren konnte, kam die Idee, auf die Schiene zu gehen. Die weißen Waggons mit dem aufgemalten Salatkopf und dem orange-roten CoopLogo waren auf dem Bahnsteig und auch in der Landschaft gut zu erkennen. Das Angebot richtete sich vor allem an Pendler und Etappenpassagiere. Die höchsten Umsätze wurden in den beiden Frühzügen ab Bern bzw. Zürich erzielt. Viele Pendler fuhren um diese Zeit zur Arbeit, frühstückten im Zug oder nahmen sich etwas für die Pause mit. Täglich wurden bis zu 200 Kaffees und 150 Croissants u.ä. verkauft. Parallel zur Auslastung der Züge nahm auch der Ansturm im Railshop über den Tag etwas ab. Wenn allerdings die Pendler wieder auf dem Weg nach Hause waren, gab es an den Kassen viel zu tun. Manch einer hatte etwas vergessen, hatte wenig Zeit oder bereits Hunger und besorgte sich im Railshop das, was er brauchte. Sogar ein kurzer Streifzug durchs Internet war vom Railshop aus möglich. Und wer noch nicht wußte, was er am Abend kochen sollte, konnte sich aus dem Internet die neuesten Rezeptvorschläge von der Coop-Website holen – im Regal daneben gab es dann die notwendigen Zutaten. Angeboten wurde ein kompaktes Coop-Sortiment, angefangen bei Lebensmitteln und Drogerieartikeln über Zeitschriften bis hin zu Kaffee, Backwaren und Bier zum Sofortverzehr – insgesamt rund 800 verschiedene Artikel. Das Preisniveau war mit dem der stationären CoopLäden vergleichbar. Lediglich die Waren zum Sofortverzehr, ca. 20 % des Sortiments, waren etwas teuerer. Nach jedem Zwischenstop wurden die neu zugestiegenen Reisenden – und zwangsläufig auch jene, die bereits im Zug saßen – durch eine Lautsprecherdurchsage auf den Railshop aufmerksam gemacht. Um den Umsatz zu steigern, wurden auch mal kleine Geschenke (Gutscheine, Zeitungen o.ä.) verteilt. Bedient wurden die Kunden von zwei Coop-Mitarbeiterinnen, die auch für die Auffüllung des Lagers verantwortlich waren. Das Sortiment wurde in regelmäßigen Abständen überprüft, fehlende Waren wurden über Barcode-Leser elektronisch im Zentrallager bestellt. Dreimal pro Woche wurde das Bordlager aufgefüllt. Dies geschah jeweils auf dem Hauptbahnhof Zürich, wohin die Waren aus Schafisheim transportiert wurden. Nicht ganz unproblematisch stellte sich die Einreihung des Waggons in den Zug dar. Anfangs war der Waggon entweder am Zugende oder gleich hinter der Lok positioniert, was – je nach Sitzplatz – zu ziemlichen Wegstrecken im Zug für die Passagiere führen konnte. Doch auch die sitzenden Passagiere konnten sich durch die sich ergebenden „Wanderbewegungen“ genervt fühlen. Später hat man sich entschlossen, die Waggons jeweils in der Mitte der Züge zu plazieren. Doch auch dies war nicht unbedingt die günstigste Lösung, z.B. wenn die Zugformationen häufig auseinander gekuppelt werden mußten.
Tante Emma goes InterCity
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Nur vier Monate nach der Inbetriebnahme konnten Coop und SBB eine äußerst positive Zwischenbilanz ziehen. Der im Railshop pro Quadratmeter erwirtschaftete Umsatz entsprach bereits fast dem in herkömmlichen Coop-Läden. Einziger Wermutstropfen: Man hätte mit dem rollen Supermarkt, für den Coop eine Pauschalmiete entrichten muß, noch viel mehr Umsatz machen können, wenn die beiden Waggons, die fest in einer Zugkomposition eingereiht waren, nicht Standzeiten von fünf bis sechs Stunden pro Tag auf irgendwelchen Abstellgleisen in Bern oder Zürich aufgewiesen hätten. Für dieses Problem sollte noch eine Lösung gefunden werden. In der Zwischenzeit hatte auch die Deutsche Bahn Interesse am Konzept angemeldet ...2 Aufgabe 1 Welche Aspekte sind bei der Einrichtung eines solchen Railshops zu beachten? Welche Gestaltungsoptionen gibt es dabei? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 2 Diskutieren Sie die Vor- und Nachteile der im Mindmap aufgeführten Möglichkeiten! Aufgabe 3 Welche Zusammenhänge bestehen zwischen den identifizierten Aspekten und wie wirken diese aufeinander? Aufgabe 4 Stellen Sie sich vor, die Deutsche Bahn (oder auch die Österreichischen Bundesbahnen) möchte(n) das Konzept übernehmen. Welche Art von Strecken kämen für einen derartigen Service in Betracht? Welche Probleme könnte es dabei geben?
2
vgl. Schmutz, Armin: Unterwegs mit Tante Emma, in: Modelleisenbahner, 6/2001, 26ff sowie Schweizer Bundesbahnen (SBB), http://www.sbb.ch, 19.09.2001; Railshop: Einkaufen während der Zugfahrt, http://www.bahnonline.ch, 19.09.2001; o.V.: Der neue Coop Marktauftritt rollt, Gemeinsame Pressemitteilung SBB/Coop vom 24.05.2001,: http://www.sbb.ch, 05.06.2002; Ebner, Martin: Coop Railshops – Einkaufen im rollenden Supermarkt der Bahn, http://www.tagesspiegel.de, 19.09.2001; o.V.: Vom ‚Coop Express‘ über ‚Coop Pronto‘ zum ‚Coop Railshop‘, http://www.coop.ch, 05.06.2002; Blumenthal, Paul: Der Railshop – Kundennutzen steht im Zentrum, Medienkonferenz vom 24.05.2000 in Schafisheim, http://www. coop.ch, 05.06.2002; Schäfer, Matthias: Einkaufen im rollenden Supermarkt (05.03.2001), in: Berliner Zeitung, http://www.berlinonline.de, 14.04.2009
Marketing
190
Lösung Aufgabe 1
Zugdichte
Snacks, Kaffee, Bier zum Sofortverzehr
Passagierzahlen
Zeitungen/ Zeitschriften
Kurzstrecken
gleiches Preisniveau wie in anderen Coop-Läden
Geschenkartikel
Langstrecken
Genußmittel
Streckenwahl
teurer als in anderen Coop-Läden
Drogerieartikel Lebensmittel
Preisgestaltung
Zusammensetzung
Zeitpunkt des Einsatzes
Warenbestand
Angebot
morgens
Menge pro Artikel
mittags nachmittags
Lagerstandort
Railshop
abends
Auffüllzeiten
Passagierzahlen
Auffüllort
Zielgruppe
Einsatzhäufigkeit
Tagestouristen Fernreisende Dienstreisende Berufspendler
einmal täglich Position des Waggons im Zug
mehrmals täglich
Werbung wo?
wie oft?
Zuganfang
wann?
nur an bestimmten Tagen?
Zugende
wie oft?
Mitte
wie?
Abbildung 6-2 Mindmap: Aspekte bei der Einrichtung eines Railshops
an welchen?
Tante Emma goes InterCity
191
Aufgabe 2 Aspekt Zielgruppe
Vor- bzw. Nachteile wer soll mit diesem Angebot angesprochen werden? • Berufspendler, Dienstreisende, Fernreisende, Tagestouristen Angebotspalette Ausrichtung des Angebots auf Zielgruppe welche Waren werden gewünscht? • Waren des täglichen Bedarfs (Lebensmittel, Drogerie), Zeitungen/Zeitschriften, Genußmittel, Geschenkartikel, Snacks, Kaffee, Bier usw. zum Sofortverzehr wie viele Artikel sollen angeboten werden? • nicht mehr als 1.000 Artikel; kompaktes Angebot, das alle Bedürfnisse abdeckt → von jedem etwas; welche Mengen der jeweiligen Artikel sollen in die Regale kommen • da es kein Bordlager gibt: Auffüllen der Regale dreimal pro Woche, jeweils in Zürich; Belieferung aus dem Lager Schafisheim wie soll die Preisgestaltung aussehen? • gleiches Niveau wie in anderen Coop-Läden oder teurer; wenn Kunden zu Dauerkunden werden sollen → gleiches Preisniveau oder nicht wesentlich teurer als in anderen Läden Langstrecken/reiner Fernverkehr? Streckenwahl • weniger geeignet, da Fernreisende meist bereits genügend Gepäck dabei haben – holen sich eher einen Imbiß Kurzstrecken • Fahrgäste müssen genügend Zeit zum Einkauf haben, ansonsten werden sie Angebot wahrscheinlich nicht wahrnehmen • besser: stark frequentierte Strecken bis ca. 150 km mit hohem Anteil an Berufspendlern; kennen Angebot, wissen, was sie dort bekommen • sie müssen zu Dauerkunden werden einmal täglich? mehrmals täglich? wie oft? nur an bestimmten Tagen? an welEinsatzhäufigchen? daraus resultierende Stillstandszeiten? keit • weil sich Angebot an Berufspendler richten soll, ist Einsatz von Montag bis Freitag günstig • Waggons verkehren derzeit sieben Mal täglich morgens? mittags? nachmittags? abends? Zeitpunkt des Einsatzes • Railshop muß zu festgelegten (aus dem Fahrplan ersichtlichen) Zeiten immer auf denselben Strecken verkehren, damit sich Kunden darauf verlassen können • günstig früh, wenn viele Pendler auf dem Weg zur Arbeit sind (Frühstück z.B. im Zug, Pausenverpflegung und Zeitung mitnehmen) • günstig auch nach der Arbeit, wenn Fahrgäste auf dem Heimweg sind (Kaffee oder Bier zum Abschalten, Lebensmitteleinkäufe für zu Hause) Zugende/Zuganfang? Position des Waggons im Zug • wenn Waggon häufig umgehängt werden muß, kommt nur der Zuganfang bzw. das Zugende in Frage • das heißt aber, daß die Kunden durch den gesamten Zug laufen müssen, was bei gut besetzten Zügen mit vollen Einkaufstaschen problematisch sein kann (ist nicht nur für die Einkäufer, sondern auch für die übrigen Fahrgäste lästig) • Position sollte in diesem Fall stets dieselbe sein, daß Stammkunden sich bereits am Bahnsteig entsprechend positionieren können und nicht durch den Zug laufen müssen Mitte des Zuges? • Mitte kann ungünstig sein, wenn Waggons häufig umgehängt werden müssen wo? wann? wie oft? wie? Werbung
Marketing
192 Fortsetzung
•
Werbung
• •
Fahrgäste werden nach jedem Halt direkt im Zug auf den Service aufmerksam gemacht; allerdings könnten sich regelmäßig mit diesen Zügen fahrende Pendler mit der Zeit dadurch auch belästigt fühlen mögliche Lösung: in vorwiegend von Pendlern genutzten Zügen (früh + abends) auf Ansagen verzichten; auf Bahnhöfen an Abfahrtstafeln anzeigen oder bei Durchsagen auf Bahnsteig erwähnen daneben würden sich auch die sonst üblichen Formen der Werbung (Zeitung, Plakate, Radio, Fernsehen) anbieten
Tabelle 6-1 Vor- und Nachteile der einzelnen Gestaltungsoptionen
Aufgabe 3
Angebot Umfang/ Zusammensetzung
Preis +
+ -
Werbung
+/-
+ Zielgruppe/ potentielle Kunden +
Streckenwahl
+
+
+
Waggonposition
+
Einsatzzeitpunkt
Einsatzhäufigkeit +
Abbildung 6-3 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Preis Umfang/Zusammensetzung Zielgruppe
auf ... Zielgruppe
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je höher die Preise, um so weniger potentielle Kunden könnten sich angesprochen fühlen Zielgruppe je attraktiver Umsatz/Zusammensetzung des Angebots, um so mehr potentielle Kunden könnten sich angesprochen fühlen Preis je preissensibler die potentiellen Kunden, um so preisgünstiger sollte das Angebot sein Umfang/Zusam- je anspruchsvoller die Zielgruppe, um so umfangreicher bzw. mensetzung differenzierter sollte das Sortiment sein Werbung die Gestaltung der Werbung sollte in Abhängigkeit von der Zielgruppe erfolgen Streckenwahl die Auswahl der Strecke sollte in Abhängigkeit von der Zielgruppe erfolgen Einsatzzeitpunkt die Einsatzzeitpunkte sollten in Abhängigkeit von der Zielgruppe bestimmt werden Einsatzhäufigkeit die Einsatzhäufigkeit sollte in Abhängigkeit von der Zielgruppe bestimmt werden
Tante Emma goes InterCity
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Fortsetzung
Wirkung von ... Werbung
auf ... Zielgruppe
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je mehr geworben wird, um so mehr potentielle Kunden werden auf den Railshop aufmerksam gemacht aber: je intensiver geworben wird, um so mehr könnten sich die Fahrgäste auch belästigt fühlen je günstiger die Position für den Großteil der Fahrgäste, um so Waggonposition Zielgruppe mehr Kunden werden wahrscheinlich zum Railshop kommen Zielgruppe je mehr Fahrgäste auf der ausgewählten Strecke unterwegs Streckenwahl sind, um so mehr haben die Chance, das Angebot zu nutzen Einsatzzeitpunkt je größer die Zugdichte innerhalb einer gewissen Zeitspanne auf der Strecke, um so öfter kann der Railshop in dieser Zeit zum Einsatz kommen Einsatzhäufigkeit je größer die Zugdichte auf der Strecke, um so öfter kann der Railshop zum Einsatz kommen je günstiger der Einsatzzeitpunkt für den Großteil der FahrgäEinsatzzeitpunkt Zielgruppe ste liegt, um so mehr Fahrgäste haben die Chance, das Angebot zu nutzen Einsatzhäufigkeit Einsatzhäufigkeit und Einsatzzeitpunkt bedingen sich gegenseitig; wird der Railshop nur ein- oder zweimal täglich eingesetzt, sollte das bei stark frequentierten Zügen geschehen; wird der Railshop mehrmals täglich eingesetzt, könnte er auch zusätzlich bei weniger stark frequentierten Zügen angehängt werden Zielgruppe je häufiger der Railshop zum Einsatz kommt, um so mehr EinsatzFahrgäste haben die Chance, das Angebot zu nutzen häufigkeit Einsatzzeitpunkt Einsatzhäufigkeit und Einsatzzeitpunkt bedingen sich gegenseitig; wird der Railshop nur ein- oder zweimal täglich eingesetzt, sollte das bei stark frequentierten Zügen geschehen; wird der Railshop mehrmals täglich eingesetzt, könnte er auch zusätzlich bei weniger stark frequentierten Zügen angehängt werden Tabelle 6-2 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Fazit: Im Prinzip dreht sich alles um die Zielgruppe, nach der das Angebot im Railshop sowie die Aspekte seines Einsatzes ausgerichtet werden sollten. Aufgabe 4 Angesichts der Größe des Netzes in Deutschland wird sich insbesondere die Streckenwahl für eine „Pilotstrecke“ als schwierig erweisen. Es müßte eine von Berufspendlern stark frequentierte Strecke mit entsprechender Zugdichte sein. Die Unterwegshalte müssen eine gewisse zeitliche Distanz aufweisen, so daß sich Gang in den Railshop lohnt. In der Nähe des Endpunktes müßte sich ein Warenlager befinden. Auch die Art der Zuggarnitur spielt eine wichtige Rolle: „Klassische“ Waggonzüge gibt es auf vielen Hauptstrecken nicht mehr. „Klassische“ Waggonzüge beginnen bzw. enden i.d.R. mit einem Triebfahrzeug bzw. Steuerwagen; ein Anhängen des Railshops ist dann nicht möglich, lediglich das Positionieren in Mittellage. Bei Garnituren wie dem ICE ist ein wechselweiser Einsatz des Railshops generell nicht möglich. Anmerkung Der Coop-Railshop existiert mittlerweile nicht mehr.
Marketing
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Der Zoo der Zukunft1 „Am Ende werden wir nur das bewahren, was wir lieben. Wir werden nur das lieben, was wir verstehen. Und wir werden nur das verstehen, was uns beigebracht worden ist.“ (Baba Dioum, senegalesischer Umweltschützer2)
Mit seinen über 130 Jahren gilt der Zoo Leipzig als einer der ältesten zoologischen Gärten der Welt. Gleichzeitig kann der 1878 gegründete Zoo für sich beanspruchen, auch einer der artenreichsten zu sein.3 Auf 22,5 Hektar kann der Besucher rund 900 Tierarten entdecken; über 40 davon sind in internationale Zuchtprogramme vom Aussterben bedrohter Tierarten integriert.4
Eingang zum Zoo Leipzig
Viele Wege sind möglich
Im Zoo wird seit längerem an allen Ecken und Enden gebaut. Unter dem Motto „Zoo der Zukunft“ läuft ein großes Umgestaltungsprojekt. Doch was heißt „Zoo der Zukunft“? Man plant, bis 2014 ein modernes, innovatives Konzept umzusetzen. Dabei wird der Zoo als Naturerlebnispark gesehen, in dem natürlich gestaltete Anlagen die Lebensräume der Tiere zeigen und gleichzeitig in Form von Wassergräben oder Felsen eine natürliche Absperrung bieten. Enge, geflieste Käfige gehören der Vergangenheit an. Verhaltensstörungen, die aufgrund von Langeweile oder Bewegungsarmut entstehen, soll damit vorgebeugt werden. Der Besucher soll dabei sensibilisiert und informiert werden, sich als Teil der Landschaft fühlen. Das GesamtInvestitionsvolumen beläuft sich auf 90 Mio. €.5 Das Gesamtprojekt ist in drei Phasen aufgeteilt. Im Rahmen der Phase 1, die von 2000 bis 2004 lief, wurde der „Kontinent Afrika“ fertiggestellt. In der bis 2008 1
Motto, unter dem der Zoologische Garten Leipzig umgestaltet wird zit. in: Zoo Leipzig: Das Wunder Natur entdecken und bewahren, Informationsbroschüre, Leipzig 2003 vgl. Zoo Leipzig: Mensch, komm in die Welt der Tiere, Informationsbroschüre, Leipzig 2003, o.S. 4 vgl. ebd. 5 vgl. 125 Jahre Leipziger Zoo, Reportage, MDR, 14.06.2003; Sachse, Samira; Schmidt, Wolfgang: Ein bisschen Jurassic Parc im Großstadt-Dschungel, in: Freie Presse, Pfingsten 2003, 5; o.V.: der Zoo der Zukunft, http://www.zoo-leipzig.de, 07.04.2009 2 3
Der Zoo der Zukunft
195
dauernden Phase 2 wurden die Schwerpunkte des „Kontinents Asien“ vollendet. Und schließlich sollen im Rahmen der Phase 3 bis 2014 die Urwelt „Gondwanaland“ und der „Kontinent Südamerika“ den Zoo der Zukunft komplettieren.6 Im Rahmen dieser Großprojekte gilt es jeweils, verschiedene Teilprojekte zu realisieren. Der Zoo der Zukunft soll in einzelne Themenbereiche bzw. Kontinente aufgegliedert werden:
Abbildung 7-1 Geplante Gliederung des Zoos nach dem Umbau7
Im Gründergarten informiert das Entdeckerhaus „Arche“, eingerichtet im denkmalgeschützten ehemaligen Raubtierhaus, über Natur- und Artenschutz. Dabei herrscht keine Museumsatmosphäre, sondern der Besucher kann sich als Entdecker fühlen. Historische Käfige zeigen, wie die Vergangenheit des Zoos aussah und wie sich die Zukunft gestalten soll.8 Pongoland, die mit 30.000 m² größte Menschenaffenanlage der Welt, die 60 Gorillas, Orang-Utans, Schimpansen und Bonobos beherbergt, wurde 2001 fertiggestellt. Finanziert wurde die Anlage – die Baukosten lagen bei rund 15 Mio. Euro – zum größten Teil durch das Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.9
6
vgl. o.V.: der Zoo der Zukunft, http://www.zoo-leipzig.de, 07.04.2009 erstellt nach: Zoo Leipzig: Themenwelten, http://www.zoo-leipzig.de, 07.04.2009 8 o.V.: Von der „Leipziger Löwenfabrik“ zur Entdecker-Arche, in: Zoo live, 02.08.2002, 4 9 vgl. 125 Jahre Leipziger Zoo, Reportage, MDR, 14.06.2003 7
Marketing
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Pongoland
Freianlage im Pongoland
Eine afrikanische Savannenlandschaft – die Kiwara-Savanne – kann seit 2004 in den Rosentalanlagen besucht werden. Der Kontinent Afrika beherbergt u.a. verschiedene Arten von Paarhufern. Der Besucher hat die Möglichkeit, von einer Afrika-Lodge aus die Tiere zu beobachten. Teil der afrikanischen Anlage ist auch die bereits 2001 fertiggestellte Löwensavanne Makasi Simba.10
Das Tor nach Afrika
Erdmännchen – die „Nachbarn“ der Löwen
Die Kiwara-Savanne
Wer beobachtet wen?
10
vgl. ebd.; Zoo Leipzig: Mit dem Zooführer auf Streifzug, Leipzig o.J., Kap. I
Der Zoo der Zukunft
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Teil des Kontinents Asien ist die Tiger-Taiga, die im Frühjahr 2003 nach einem Jahr Bauzeit eröffnet wurde. Die neue Tiger-Anlage ist wesentlich größer, bietet vor allen den Tieren bessere Bedingungen, ist aber auch für den Besucher interessanter. Ebenfalls bereits abgeschlossen ist der Bau der Lippenbären-Schlucht, in dem sich seit 2002 die Bewohner tummeln. 2006 wurde der Elefanten-Tempel Ganesha Mandir eröffnet. Die noch fehlenden Abschnitte des Kontinents sollen bis 2011 errichtet werden.11
Ganesha Mandir – Die Elefantenanlage
Publikumsliebling Voi Nam samt Verwandtschaft
Im Gondwanaland soll ab 2011 die Urzeit lebendig werden, die Vorbereitungen dazu laufen bereits. Bis 2010 entsteht eine Tropenhalle mit 15.000 m² Fläche. Schmale Tropenpfade werden dort durch die Heimat der Saurier in versunkene Welten führen.12 Der Bau am Kontinent Südamerika soll 2014 beendet und damit der Zooumbau komplettiert werden. Ein Abenteuerpfad durch den tropischen Regenwald soll auch verdeutlichen, wie menschliche Eingriffe auf die Tropenwelt wirken. Gleichzeitig will man zeigen, was gegen die Zerstörung dieses Paradieses getan wird.13 Die zur Realisierung des Großprojekts notwendigen finanziellen Mittel werden in erster Linie über Eintrittsgelder, Sponsoren, den Förderverein, aus Mitteln der Stadt Leipzig und über Kredite aufgebracht. Je nach Engagement werden dabei drei Kategorien von Sponsoren unterschieden: Gold-Sponsor (Offizieller Hauptsponsor, dazu gehören derzeit Langnese, Leipziger Volkszeitung, Mercedes-Benz, Reudnitzer, Sparkasse Leipzig), Silber-Sponsor und Bronze-Sponsor (jeweils Offizieller Sponsor).14 Der Freundes- und Förderkreis des Zoologischen Gartens Leipzig e.V. besteht seit 1992 und hat derzeit rund 500 Mitglieder.15 Sein Zweck ist die „ideelle 11
vgl. 125 Jahre Leipziger Zoo, Reportage, MDR, 14.06.2003; o.V.: Geschichte, http://www.zooleipzig.de, 07.04.2009; o.V.: Auf dem Weg zum Zoo der Zukunft – Themenbereich Asien, http://www.zoo-leipzig.de, 07.04.2009 12 vgl. o.V.: Gondwanaland – so entsteht die Tropenhalle, in: Zoo live, 30.08.2008, 4; Zoo Leipzig: Mit dem Zooführer auf Streifzug, Leipzig o.J., Kap. I 13 Zoo Leipzig: Mit dem Zooführer auf Streifzug, Leipzig o.J., Kap. I; Zoo Leipzig, http://www.zooleipzig.de, 11.07.2003 14 o.V.: Der Zoo Leipzig – ein tierisch starker Partner, http://www.zoo-leipzig.de, 07.04.2009 15 vgl. o.V.: Ein Engagement in viele Richtungen, in: Zoo live, 15.03.2008, 13
198
Marketing
und materielle Förderung des Zoologischen Gartens Leipzig durch Gewinnung von Sponsoren, Verwaltung von Spendengeldern, Betreuung von Tierpatenschaften, Unterstützung des Zoos bei der Realisierung seiner Umwelt-, Natur- und Artenschutzaufgaben sowie dessen Beteiligung an nationalen und internationalen Zuchtprogrammen [und] beratende Mitwirkung bei der Gestaltung und Entwicklung des Zoos.“16 Darüber hinaus finanziert sich der Zoo auch über Spenden und Tierpatenschaften. Im Rahmen von Tierpatenschaften übernimmt der Pate anteilige Kosten für die Haltung seines Lieblingstieres, in der Regel bezieht sich die Patenschaft auf 12 Monate, ist aber auch längerfristig vereinbar.17 Nicht nur tiergerecht, auch „besuchergerecht“ muß ein Zoo sein. In erster Linie möchte sich der Besucher im Zoo erholen und abschalten vom Alltag. Er möchte Neues entdecken, etwas erleben. Häufig werden Zoo-Besuche mit der Familie unternommen, und jeder möchte etwas für seinen Geschmack vorfinden. Wesentlich ist dabei die Vielfalt an Tieren und Landschaften. Die Freianlagen müssen tiergerecht und ansprechend gestaltet sein. Durch Umsetzung eines geographischen Konzepts erfährt der Besucher, wie die Tiere geographisch verteilt leben, wer „Räuber“ und „Beute“ sind. Die modernen Anlagen erinnern ein wenig an Freizeitparks, sollen diesen aber keine Konkurrenz machen. Aus Zoo-Sicht sind darüber hinaus tiergerechte und zweckmäßige Innenunterkünfte und moderne technische Anlagen von großer Bedeutung. Ebenso muß die Versorgung der Tiere abgesichert sein. Da die Tiere im Zoo keinerlei natürlichen Gefahren ausgesetzt sind, gestaltet sich auch die Futteraufnahme in der Regel recht einfach. Deshalb lassen sich die Tierpfleger einiges einfallen, um die Tiere zu beschäftigen. Erfahrungsgemäß wollen Besucher beim Besuch eines Zoos wenig lesen. Große Tafeln mit Text wären also weniger angebracht; statt dessen ist es günstiger, mit ansprechenden optischen Beschilderungen aufmerksam zu machen.18 Für Besucher, die mehr über die Tiere erfahren möchten, werden Führungen unterschiedlicher Länge und Schaufütterungen angeboten. Bereits seit 1969 werden in der Zooschule Programme für Schulklassen organisiert.19 Außerdem sind ein Zooführer und ein Kinderzooführer erhältlich. Zweimal jährlich erscheint das Zoo-Journal „Zoo live“, einmal pro Jahr der Panthera-Jahresbericht. Welche Aufgaben nimmt der Zoo darüber hinaus wahr? Er möchte Wissen vermitteln, aufklären, sensibilisieren. Die Zootiere sollen Botschafter sein für bedrohte Tiere in freier Wildbahn. Im Zoo werden beispielsweise die internationalen Zuchtbücher20 für Tiger und Anoa (eine Kleinbüffelart) geführt. Mit 44 Tierarten seines Bestandes ist der Zoo am Europäischen Erhaltungszuchtprogramm beteiligt. Dar16
o.V.: Der Freundes- und Förderkreis des Zoologischen Gartens Leipzig e.V., http://www.zooleipzig.de, 07.04.2009 17 vgl. o.V.: Tierpatenschaften, http://www.zoo-leipzig.de, 07.04.2009 18 vgl. 125 Jahre Leipziger Zoo, Reportage, MDR, 14.06.2003 19 vgl. o.V.: Ganztagsunterricht ist der Rennen, in: Zoo live, 15.03.2008, 3; o.V.: Zoopädagogik: Der Zoo als außerschulischer Lernort, http://www.zoo-leipzig.de, 07.04.2009 20 Diese dienen der Registrierung der Zoo-Bestände vom Aussterben bedrohter Tierarten und sind gleichzeitig Basis regionaler oder weltweiter Zuchtpläne (vgl. Zoo Leipzig: Mit dem Zooführer auf Streifzug, Leipzig o.J., Kap. III).
Der Zoo der Zukunft
199
über hinaus kooperiert man mit wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen, um Erkenntnisse zum wirksameren Schutz bedrohter Tierarten zu gewinnen. Zudem werden vom Zoo wissenschaftliche Auswilderungsbemühungen unterstützt.21
Schaufütterungen: Gespanntes Warten ...
... auf beiden Seiten
Der Besucher soll sich natürlich möglichst lange im Gelände aufhalten, um sich intensiv mit den einzelnen Tierarten auseinandersetzen zu können. Zweifellos spielen bei der Aufenthaltsqualität die gastronomischen Einrichtungen eine entscheidende Rolle. Im Zoo Leipzig versucht man dabei, verschiedenen Zielgruppen gerecht zu werden. Der Catering-Partner, Sodexho-Zoogastronomie, betreibt drei solcher Einrichtungen: Gegenüber dem Streichelzoo befindet sich „Dschungelfitz“, das hauptsächlich für Kinder konzipiert ist. Dort finden ca. 150 Gäste Platz, zwei Drittel der Plätze befindet sich im Freien. Am Ausgang des Pongolandes kann der Besucher im „Urwalddorf“ aus Gerichten südafrikanischer Küche mit eurasischen Elementen wählen. Im Schweizerhaus, einem originalgetreu restaurierten Jugendstil-Gebäude bei den Rosentalfreianlagen, wird in der „Hacienda Las Casas“ südamerikanische Küche geboten. Darüber hinaus bietet das von der Familie Kandler geführte „Teichcafé“ die Möglichkeit zur Einkehr.22 Zudem gibt es auf dem ZooGelände zwei Marché-Restaurants: Im Gründergarten, der sich im Eingangsbereich befindet, haben bis zu 800 Gäste Platz. Sie können dabei zwischen Sitzplätzen im Wintergarten oder im Freien wählen. Angeboten wird klassische deutsche Küche. In einem weiteren Restaurant mit afrikanischem Flair kann sich der Besucher an der Kiwara-Savanne bewirten lassen.23 Ein Teil dieser gastronomischen Einrichtungen bzw. bestimmte Bereiche des Zoos können auch für Tagungen und Feiern genutzt werden.24
21 vgl. Zoo Leipzig: Das Wunder Natur entdecken und bewahren, Informationsbroschüre, Leipzig 2003; o.V.: Der moderne Zoo – eine Arche für die Tierwelt, http://www.zoo-leipzig.de, 07.04.2009 22 Zoo Leipzig: Mit dem Zooführer auf Streifzug, Leipzig o.J., Kap. V 23 vgl. o.V.: Kulinarische Zoo-Safari, http://www.zoo-leipzig.de, 07.04.2009 24 vgl. Zoo Leipzig: Feiern im Zoo: Abenteuer und Genuss, Leipzig 2008; o.V.: Wo können Sie im Zoo feiern und tagen?, http://www.zoo-leipzig.de, 07.04.2009
Marketing
200
Teichcafé
Pagode am Elefantentempel
Einen Zoo dieser Größe zu managen, ist nicht leicht. Eckpfeiler des modernen ZooManagements sind Innovation, Finanzierung und Marketing. Daß im Zoo Leipzig innovative Ideen geboren und umgesetzt werden, zeigt das unter Zoodirektor Dr. Junhold ins Leben gerufene Projekt vom „Zoo der Zukunft“, das bereits beschrieben wurde. Für den laufenden Betrieb benötigt der Zoo täglich rund 27.000 Euro, wobei in diesem Betrag noch keine Investitionen enthalten sind. Ausgaben fallen an für Personal (42 %), Futter (4 %), Instandhaltung (8 %), Heizung, Wasser, Strom (10 %) sowie Verwaltung, Service, Bewachung, Kassierung, Zoolotsen, Gartenreinigung und Müllabfuhr (36 %). Demgegenüber stehen die Einnahmen, die aus den Eintrittsgeldern der Besucher (56 %), Zuschüssen der Stadt Leipzig (35 %), Tierpatenschaften (2 %), Spenden (2 %), der Zoolotterie (1 %) und Sonstigem (4 %) resultieren.25 Die zoo-eigene Futterküche muß täglich 7.000 Mäuler und Schnäbel versorgen. Bestimmt wird der Speisezettel von den Empfehlungen des Tierarztes sowie der Erfahrung der Pfleger. Da der Zoo mittlerweile einen recht geringen Raubtierbestand aufweist, ist der Fleischbedarf nicht mehr so groß wie früher. Rund 1 bis 1,2 t Fleisch werden pro Woche benötigt. Hinzu kommen rund 500 kg Obst und Gemüse pro Tag. Außerdem züchtet der Zoo Nagetiere, die als Lebendfutter dienen.26 Im Jahr 1999 wurde eine Marketing-Abteilung eingerichtet, deren vordergründige Aufgabe die Sicherung kontinuierlicher Einnahmen unter Anwendung aller marketingpolitischen Instrumente ist. Dazu müssen die Bedürfnisse der Besucher dauerhaft befriedigt werden. Trugen die Eintrittsgelder 1999 noch mit 33 % zu den Gesamteinnahmen bei, war deren Anteil bei kontinuierlich zunehmenden Besucherzahlen 2002 bereits auf 56 % angestiegen. Seit Beginn der Neugestaltung zog der Zoo jährlich mehr Besucher an. Im Jahr 2007 konnte man über 1,7 Mio. Gäste zählen.27 Ein gutes Zeichen dafür, daß das Konzept des Zoos aufzugehen scheint.
25
vgl. Mücke, Susanne: Der Besucher ist König – Wie Marketing die Wirtschaftlichkeit sichern hilft, in: Zoo Leipzig: Unterwegs zum Zoo der Zukunft – Jubiläumsschrift zum Zoojahr 2003, Leipzig 2003, 34 vgl. 125 Jahre Leipziger Zoo, Reportage, MDR, 14.06.2003 27 vgl. Mücke, Susanne: Der Besucher ist König – Wie Marketing die Wirtschaftlichkeit sichern hilft, in: Zoo Leipzig: Unterwegs zum Zoo der Zukunft – Jubiläumsschrift zum Zoojahr 2003, Leipzig 2003, 35; 26
Der Zoo der Zukunft
201
Förderlich wirkt sich dabei sicher auch die starke Medienpräsenz aus. Bereits seit April 2003 produziert der Mitteldeutsche Rundfunk wöchentlich eine Doku-Soap mit dem Titel „Elefant, Tiger & Co.“, in der über große und kleine Ereignisse im Zoo berichtet wird. Anfangs waren lediglich elf Folgen der Sendung geplant, inzwischen hat sie sich zum Selbstläufer entwickelt und viele Nachahmer in der Fernsehwelt gefunden.28 Im Sommer 2002 wurde beschlossen, den städtischen Eigenbetrieb „Zoologischer Garten Leipzig“ in die „Zoo Leipzig GmbH“ als ein Tochterunternehmen der Stadt Leipzig zu überführen. Damit wurde dem Zoo mehr unternehmerische Eigenverantwortung übertragen, wenngleich die Verbindung zur Stadt aufrechterhalten werden soll.29 Aufgabe 1 Welche Ziele hat man sich gesetzt? Welcher Zeitrahmen ist dafür vorgesehen? Aufgabe 2 Ein Zoo versteht sich heute nicht mehr nur als Kultur- und Bildungseinrichtung, sondern muß sich mit seinem Angebot auf dem Markt der Freizeitangebote behaupten. Es wird viel investiert, auf Service und intensives Marketing gesetzt. Was sollte ein moderner Zoo seinen Besuchern bieten? Erstellen Sie dazu – auch unter Nutzung der auf der Webseite des Zoos Leipzig verfügbaren Informationen – ein Mindmap! Aufgabe 3 Was sind die strategischen Erfolgsfaktoren eines zoologischen Gartens? In welchem Zusammenhang stehen diese? Wie wirken sie auf den Erholungs- und Erlebniswert eines Zoos? Erstellen Sie dazu ein Wirkungsgefüge! Aufgabe 6 Welche externen Faktoren könnten sich auf die Umsetzung des Konzepts vom „Zoo der Zukunft“ auswirken? Erstellen sie dazu ein mittel- bis langfristiges Szenario! Aufgabe 7 90 Mio. Euro sind eine stattliche Investitionssumme, die für den „Zoo der Zukunft“ veranschlagt werden. Doch auch der laufende Betrieb muß finanziell abgesichert sein. Wie finanziert sich der Zoo generell? Wie werden die verfügbaren Mittel verwendet? Aufgabe 8 Welche Probleme können im Rahmen des Umbaus bzw. der Neugestaltung des Zoos auftreten?
Zoo Leipzig: Mensch, komm in die Welt der Tiere, Informationsbroschüre, Leipzig 2003, o.S.; Junhold, Jörg: Jubiläum im „Jahr des Frosches“, in: Zoo live, 15.03.2008, 2 28 vgl. Demmler, Eva; Friedrich, Axel; Schneider, Antje; Strohschneider, Jens: Elefant, Tiger & Co, Berlin 2006 29 vgl. Junhold, Jörg: Ein Traum wird wahr – Unterwegs zum Zoo der Zukunft, in: Zoo Leipzig: Unterwegs zum Zoo der Zukunft – Jubiläumsschrift zum Zoojahr 2003, Leipzig 2003, 6
Marketing
202
Lösung Aufgabe 1 Ziele Umbau des Zoos Leipzig zum „Zoo der Zukunft“ (Oberziel) Fertigstellung des „Kontinents Afrika“ (Phase 1) Fertigstellung des „Kontinents Asien“ (Phase 2) Fertigstellung des „Kontinents Südamerika“ und „Gondwanaland“ (Phase 3)
Zeitrahmen 2000 bis 2014 bis 2004 bis 2008 bis 2014
Tabelle 1 Ziele und dazugehöriger Zeitrahmen
Aufgabe 2 Tierkindergarten
Publikationen
Wetterabhängigkeit
Führungen Schaufütterungen Artenvielfalt
Spielplätze
Aufklärung, Sensibilisierung
Beobachtungsmöglichkeiten
Hintergrundinformationen
Attraktivität und Gestaltung
Ausschilderung
Tiere Preise
Entdecken-Wollen Anlagen
Ambiente Auswahlmöglichkeiten
Angebot für Besucher (Erholungs- und Erlebniswert)
Gastronomie
Information und Wissen
Souvenirs
Öffnungszeiten Veranstaltungen
Sommerhalbjahr
Thementage, z.B. Afrika
Geburtstagsfeiern
Ferienprogramm für Kinder
Zoo-Adventskalender
Seniorentage
Feste zugunsten wohltätiger Organisationen
Kombi-Angebote
Open-Air-Veranstaltungen
Differenzierung
Konzerte
Höhe
Eintrittspreise
Familientage Zoo-Jubiläen Sommerfest, Herbstfest usw. Schulanfängerfest
Winterhalbjahr
Fachtagungen
Abbildung 7-2 Mindmap: Angebote für Besucher
Der Zoo der Zukunft
203
Aufgabe 3 Angebot Information und Wissen
Tiere +
+ +
+ +
Anlagen
+
+ +
+
+
+
+
+
+
Zufriedenheit
+
+
Finanzen +
+
Erholungs-/ Erlebniswert
+
+
Veranstaltungen
+
Verweildauer +
-
Marketing
+ Eintrittspreise
Gastronomie
+
-
Besucherzahl
+
+
Abbildung 7-3 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Tiere
Anlagen
auf ... Erholungs-/ Erlebniswert Anlagen Verweildauer Finanzen Tiere Erholungs-/ Erlebniswert Verweildauer Finanzen
Eintrittspreise
Besucherzahlen Finanzen
Gastronomie Information und Wissen Veranstaltungen
Erholungs-/ Erlebniswert Erholungs-/ Erlebniswert Erholungs-/ Erlebniswert Verweildauer Marketing
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je größer die Artenvielfalt, um so erlebnisreicher und interessanter für Besucher je mehr Tiere, um so größere, weitläufigere Anlagen sind nötig je interessanter die Tiere bzw. je größer die Vielfalt, um so länger die Verweildauer je mehr Tiere, um so kostenintensiver deren Unterhalt je artgerechter die Anlagen, um so wohler fühlen sich die Tiere je attraktiver die Anlagen, um so großer der Erholungs-/ Erlebniswert je abwechslungsreicher die Anlagen, um so länger die Verweildauer je größer die Anlagen, um so kostenintensiver deren Bau/Unterhalt je höher die Eintrittspreise, um so weniger Besucher sind bereit, diese zu zahlen je höher die Eintrittspreise, um so größerer Beitrag zur Finanzierung des Zoos wird geleistet je besser das gastronomische Angebot, um so größer der Erholungs-/Erlebniswert je attraktiver das Angebot an Informationen, um so größer der Erholungs-/Erlebniswert je attraktiver die gebotenen Veranstaltungen, um so größer der Erholungs-/Erlebniswert je attraktiver die Veranstaltungen, um so länger die Verweildauer die Art der Veranstaltungen beeinflußt, welche Marketingmaßnahmen ergriffen werden
Marketing
204 Fortsetzung
Wirkung von ... Veranstaltungen
auf ... Finanzen
Erholungs-/ Erlebniswert
Zufriedenheit Verweildauer Besucherzahl
Zufriedenheit
Verweildauer Besucherzahl
Verweildauer
Gastronomie
Marketing
Finanzen Besucherzahl
Finanzen
Tiere Anlagen Veranstaltungen Eintrittspreise Marketing
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je mehr Veranstaltungen organisiert werden, um so mehr finanzielle Mittel müssen bereitgestellt werden je größer der Erholungs-/Erlebniswert, um so höher die Zufriedenheit je größer der Erholungs-/Erlebniswert, um so länger die Verweildauer je größer der Erholungs-/Erlebniswert, um so höher die Besucherzahlen je höher die Zufriedenheit, um so länger die Verweildauer je zufriedener die Besucher, um so öfter werden sie wiederkommen je länger die Verweildauer, um so höher die Wahrscheinlichkeit, daß gastronomische Angebote genutzt werden je intensiver das Marketing, um so mehr finanzielle Mittel werden beansprucht je erfolgreicher das Marketing, um so größer die Besucherzahlen je besser die finanzielle Lage, um so mehr kann in die Anschaffung neuer Tiere investiert werden je besser die finanzielle Lage, um so mehr kann in den (Um-) Bau der Anlagen investiert werden je besser die finanzielle Lage, um so mehr Veranstaltungen können organisiert werden je besser die finanzielle Lage, um so niedriger können die Eintrittspreise angesetzt werden je besser die finanzielle Lage, um so mehr kann in Marketingmaßnahmen investiert werden
Tabelle 2 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Aufgabe 6 Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Interesse Besucher
Anzahl
Kaufkraft
Sponsoren
Bereitschaft, finanzielle Mittel bereitzustellen Wirkungen auf eigenes Image
Stadt Leipzig
Haushaltslage
Entwicklung – Trendaussagen O) nimmt stark zu P) bleibt W) nimmt stark zu O) nimmt stark zu P) bleibt W) nimmt stark zu O) bleibt P) nimmt ab W) bleibt O) steigt P) sinkt W) bleibt O) positiv P) keine W) positiv O) wird besser P) wird schlechter W) wird schlechter
Wirkung auf den Zoo Leipzig ++ +/++ ++ +/++ + + ++ + + + + -
Der Zoo der Zukunft
205
Fortsetzung
Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Stadt Leipzig Bereitschaft, finanzielle Mittel bereitzustellen Image
Andere Freizeitangebote
Anzahl
Attraktivität
Entwicklung – Trendaussagen O) steigt P) nimmt ab W) bleibt O) steigt P) bleibt W) steigt O) bleibt P) nimmt stark zu W) nimmt zu O) bleibt P) nimmt zu W) nimmt zu
Wirkung auf den Zoo Leipzig ++ + + +/+ +/-+/-
Tabelle 3 Mögliche Entwicklungen
Je weiter der Umbau fortschreitet, um so attraktiver wird der Zoo für die Besucher. Durch die ausführliche Berichterstattung in den Medien wird umfassend informiert, so daß der Besucher auch weiß, was er erwarten kann. Es kann – auch angesichts des ständigen Anstiegs der Besucherzahlen seit Beginn des Projekts – davon ausgegangen werden, daß das Interesse der Besucher in Zukunft weiter zunehmen wird. Trotz der wahrscheinlich schwieriger werdenden Haushaltslage ist anzunehmen, daß die Stadt als 100%ige Gesellschafterin der Zoo Leipzig GmbH weiterhin in den Zoo investieren wird. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich insbesondere die Hauptsponsoren in ihrem Engagement in Zukunft stark zurückhalten bzw. ganz zurückziehen, kann als eher gering eingeschätzt werden. Gerade lokale Unternehmen wie Reudnitzer oder die Leipziger Volkszeitung oder auch weltweit tätige Unternehmen wie Mercedes-Benz müßten dadurch mit Imageverlusten rechnen. Natürlich werben auch andere attraktive Freitzeiteinrichtungen um Besucher. Bei begrenztem Budget der potentiellen Besucher ist es wahrscheinlich, daß sie das Budget auch anderweitig verwenden. Aufgabe 7 •
Mittelherkunft: Eintrittsgelder, Tierpatenschaften (auch Prominente), Spenden, Sponsoren, Mitgliedsbeiträge Förderverein, Fördermittel der Stadt Leipzig, sonstige Fördermittel, Kredite
•
Mittelverwendung: Personal- und Verwaltungskosten; Futter; Instandhaltung; Bau- und Investitionskosten; Heizung, Wasser, Strom; Bewachung; Reinigung, Müllabfuhr; Service, Kassierung, Zoolotsen
Aufgabe 8 •
Besucherströme (in Spitzenzeiten bis zu 15.000 Besucher pro Tag) bewältigen: Umbau findet während des normalen Besucherbetriebs statt, für Besucher sollen aber möglichst keine Beeinträchtigungen entstehen, da die Fortführung des Projekts auch vom Erfolg der ersten Phasen abhängt.
•
Finanzierung: Die Kosten des Baus könnten höher ausfallen als geplant; bei Großprojekten dieser Art ist das nicht selten.
•
Marketing: Um geplante Besucherströme anzulocken, muß Zoo auch während des Umbaus entsprechend vermarktet werden, auch um weitere finanzielle Mittel für die noch nicht abgesicherten Phasen aufzubringen.
•
Tourismus: Der Zoo muß in das Gesamt-Touristik-Konzept von Leipzig integriert werden.
Marketing
206
8
Kundenorientierung im Museum „Was der Kunde wirklich will, sind drei Dinge: erstens Service, zweitens Service und drittens Service.“ (unbekannt)
Franz Oberhuber, Mitte 50 und Historiker aus Leidenschaft, ist Direktor des Heimatmuseums in Hintertupfingen. Eingerichtet in einem kleineren Komplex aus mittelalterlichen Fachwerkhäusern bildet die Regionalgeschichte den Schwerpunkt der Dauerausstellung. Von Zeit zu Zeit werden auch Arbeiten einheimischer Künstler ausgestellt. Einmal jährlich wird der Museumsinnenhof im Rahmen des Stadtfestes für Vorführungen ansässiger Handwerker genutzt. Hintertupfingen ist eine 20.000 Einwohner zählende Kleinstadt im idyllisch gelegenen Sonnental. Vorwiegend in den Sommermonaten bevölkern zahlreiche Touristen die Region, die es vor allem zur Sommerrodelbahn und zum gut ausgebauten Wander- und Radwegenetz zieht.
König Kunde
Leider profitiert das Museum – aus welchen Gründen auch immer – nicht von diesen Touristenströmen. An manchen Tagen kann man die – vornehmlich älteren – Museumsbesucher sprichwörtlich an den Fingern abzählen. Auch liegt die durchschnittliche Aufenthaltszeit der Besucher im Museum bei weniger als einer Stunde. Direktor Oberhuber empfindet es schon als außergewöhnliches Glück, wenn ein
Kundenorientierung im Museum
207
vollbesetzter Reisebus vor seinem Museum hält. Aus den geringen Besucherzahlen resultieren natürlich auch finanzielle Probleme. Um die laufenden Ausgaben für die Gehälter überhaupt bestreiten zu können, ist das Museum auf Zuschüsse angewiesen. Die Stadt, wie viele andere Gemeinden auch selbst in finanzieller Not, ist nicht in der Lage, große Summen zuzustecken. Das Stammpersonal des Museums wurde mittlerweile auf drei Vollzeitkräfte (einschließlich Museumsdirektor) und zwei Teilzeitkräfte reduziert. Ein Großteil der Aufgaben (wie Kasse, Einlaß, Aufsicht usw.) wird von Aushilfskräften bestritten. Dies sind zum größten Teil Schüler oder Rentner, die weniger aus Interesse am Museum dort arbeiten, sondern nur etwas dazu verdienen wollen. Folglich fehlt ihnen auch der fachliche Hintergrund. Mehr und mehr verlieren nun auch die festangestellten Mitarbeiter die Lust an der Arbeit im Museum. Direktor Oberhuber ist zu Ohren gekommen, daß sich zwei seiner Mitarbeiter bereits nach einer anderen Stelle umschauen. Franz Oberhuber weiß, das es so mit seinem Museum nicht weitergehen kann. Um das Stammpersonal und die Aushilfskräfte wieder für die Arbeit zu begeistern und das Museum für Besucher attraktiver zu gestalten, sind einige Veränderungen vonnöten. Aufgabe 1 Welche Ziele wird sich Direktor Oberhuber jetzt wohl setzen? Aufgabe 2 Überlegen Sie, wie man das Museum attraktiver gestalten und damit mehr Besucher ins Museum locken könnte! Aufgabe 3 Welche Faktoren spielen im System „Museum“ eine wichtige Rolle? Untersuchen Sie Direktor Oberhubers Steuerungsmöglichkeiten bei diesen Faktoren! Aufgabe 4 Wie kann Franz Oberhuber die personellen Schwierigkeiten im Museum meistern? Aufgabe 5 Im Rahmen der Neupositionierung des Museums möchte man auch vorhandene Begleitschriften, Broschüren und Ansichtskarten neu gestalten. Wichtig erscheint Oberhuber in diesem Zusammenhang auch die Gestaltung der Eintrittskarten. Welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es hierbei? Nutzen Sie für Ihre Überlegungen Kreativitätstechniken, wie beispielsweise die Osborn-Checkliste!
Marketing
208
Lösung Aufgabe 1 Prioritäten Ziele Oberziel langfristiges Bestehen des Museums und seine Fähigkeit, sich weitgehend selbst zu finanzieren, sichern 1 Erarbeitung eines Marketingkonzeptes 2 Steigerung der Besucherzahlen 3
Entwicklung von Maßnahmen zur Motivation des Personals Erstellung eines Finanzplanes
4
Zeitrahmen unbefristet in den nächsten 4 Wochen 10 % mehr Besucher in den nächsten 6 Monaten in den nächsten 4 Wochen in den nächsten 3 Wochen
Abbildung 8-1 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen
Wichtig dabei: Nicht „von oben“ allein entscheiden, sondern das Personal einbinden. Aufgabe 2
in historischer Kleidung Alltag der Vorfahren nachempfinden
Handwerkervorführungen
"Geschichte zum Anfassen"
Familien
an Kunst und Geschichte Interessierte
Erlebnistage
Schulklassen
Zielgruppen definieren und gezielt ansprechen Museumsklub
Sonderausstellungen
Attraktives Museum
Konzerte
ehrenamtliche Mitglieder, Hilfe bei Vorbereitung von Ausstellungen
Lichtbildervorträge Vermarktung
Aufbau bzw. Verbesserung des Images
Brot backen, kochen nach alten Rezepten
Corporate Identity schaffen
Slogan entwickeln
Maskottchen einführen
Museums-Kombitickets
Abbildung 8-2 Mindmap: Möglichkeiten zur attraktiveren Gestaltung
Zusammenschluß mit anderen Museen
gemeinsame Organisation von Veranstaltungen
Kundenorientierung im Museum
209
Aufgabe 3 Kategorien steuerbare Faktoren
Faktoren • Ausstellungen und sonstige Aktivitäten im Museum • gemeinsame Aktivitäten mit anderen Museen oder Einrichtungen • Besucherzahlen • Umsatz • Image des Museums • Arbeitsklima • Motivation der Mitarbeiter und Hilfskräfte
wirksam steuerbare Faktoren
• •
nicht oder nur unwesentlich steuerbare Faktoren Frühwarnindikatoren
• •
•
Ausstellungen und sonstige Aktivitäten im Museum gemeinsame Aktivitäten mit anderen Museen oder Einrichtungen Image des Museums finanzielle Situation der Stadt
Motivation der Mitarbeiter und Hilfskräfte
Erläuterung • Die strategischen Aktionsfelder des Museums (Ausstellungen, Marketing, Kooperationen) dienen dazu, insgesamt ein attraktives Angebot bereitzustellen. Damit lassen sich auch Besucherzahlen und (bedingt) Umsätze beeinflussen. • Gleichzeitig sind die Arbeitsbedingungen im Museum durch die Führungskräfte bzw. auch jeden Mitarbeiter selbst steuerbar. • s.o.
•
Hierauf hat das Museum keinen Einfluß.
•
Diesbezügliche Entwicklungen können im Zeitverlauf beobachtet werden.
Tabelle 8-1 Aus Museumssicht steuerbare und nicht steuerbare Faktoren
Aufgabe 4 Man könnte die Mitarbeiter nach der persönlichen Meinung zur Situation sowie nach Möglichkeiten zur Steigerung der Motivation befragen. Die Mitarbeiter sollten in Entscheidungen eingebunden werden, denn wenn Entscheidungen gemeinsam getroffen werden, kann man sich nicht so leicht davon distanzieren. An Umsetzung eigener Ideen wird i.d.R. motivierter gearbeitet. Schließlich sollten Perspektiven geboten werden, z.B. die Organisation von Ausstellungen in Eigenregie. Dies macht selbständiger, stärkt das Verantwortungsbewußtsein und macht auch stolz. Aufgabe 5 Folgende Gestaltungsmöglichkeiten für Eintrittskarten wurden mit Hilfe der Osborn-Checkliste gefunden: Anders verwenden Anpassen Ändern Vergrößern Verkleinern Ersetzen Umstellen Umkehren Kombinieren Transformieren
Teilnahmekarte für ein Gewinnspiel Ansichtskarte handgeschöpftes Papier Poster, Begleitprospekt, Museumsübersichtsplan auf die Kleidung aufzuklebender Punkt historische Darstellung „Austrittskarte“, beim Verlassen wird vorhandene Eintrittskarte als Andenken „veredelt“ (und z.B. durch Stempelaufdruck gleichzeitig entwertet) Eintrittskarte als Spielkarte Bestandteil einer Ansichtskartenserie des Museums geprägte Münze, Ansteckmotiv, Aufkleber, Stempelabdruck, Holztäfelchen
Tabelle 8-2 Gestaltungsmöglichkeiten für Eintrittskarten
Marketing
210
9
Der Weg der 1.000 Leiden „Der Weg ist das Ziel.“ (unbekannt)
Der jährlich am ersten Märzwochenende in der schwedischen Provinz Dalarna stattfindende Vasaloppet zählt zu den härtesten Skilanglaufrennen der Welt. Er führt von Sälen ins 90 km entfernte Mora und soll an die Flucht des einstigen Königs Gustav Vasa vor den Dänen vor rund 500 Jahren erinnern.
Abbildung 9-1 Vasalauf-Strecke1
Der erste Vasalauf fand am 19.03.1922 statt. Damals nahmen 119 Läufer teil. Da der Lauf bei jedem Wetter startet, können sich Differenzen von mehr als drei Stunden bei den Siegerzeiten ergeben.2 Neben dem klassischen Vasalauf gibt es verschiedene kürzere Varianten, wie einen Damen- oder Kinderlauf, einen halben oder einen kurzen Vasalauf. Zu den Läufen 2009 hatten sich 48.215 Sportler aus über 30 Ländern angemeldet, 43.635 starteten und 42250 kamen ins Ziel.3 In Schweden erfreut sich der Vasalauf großer Beliebtheit. Die fünfeinhalbstündige Direktübertragung des Laufes zählt zu den Fernsehsendungen mit den höchsten Einschaltquoten und wurde beim letzten Lauf von rund 2,0 Mio. Zuschauern gesehen.4 An der Strecke selbst feuern rund 50.000 Zuschauer die Läufer an. Entlang der Strecke sind 15 mit Kommunikationstechnik ausgestattete Beobachtungsfahrzeuge sowie zwei Fahrzeuge, die als Radiozentrale fungieren, unterwegs. Insgesamt sind rund 100 Personen mit der Berichterstattung beschäftigt. Sie leiten Informationen darüber, wer gestartet bzw. nicht ist, unterwegs aufgegeben hat oder im Ziel angekommen ist, an die Informationszentrale weiter, von wo aus die Infor1
erstellt nach: Biwak, http://www.mdr.de/biwak, 06.03.2002 vgl. Biwak, http://www.mdr.de/biwak, 06.03.2002 3 vgl. o.V.: Anmälningsstatistik Vasaloppsveckan 2009, http://www.vasaloppet.se, 01.04.2009 4 vgl. o.V.: Sponsor i Vasaloppet, http://www.vasaloppet.se, 01.04.2009 2
Der Weg der 1.000 Leiden
211
mationen über verschiedene Medien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Auf die Homepage des Vasalaufes, über die man den Lauf mitverfolgen kann5, wird in der Woche des Laufes rund 50 Mio. mal zugegriffen, davon kommen rund 130.000 Zugriffe von WAP-Handys und 40.000 per SMS.6 Aufgrund seiner allgemeinen Attraktivität ist der Lauf auch für Sponsoren interessant: Lauf Vasaloppet (Vasalauf) HalvVasan (Halber Vasalauf) KortVasan (Kurzer Vasalauf) TjejVasan (Damen-Vasalauf) UngdomsVasan (Jugend-Vasalauf) Barnens Vasalopp (Kinder-Vasalauf) Öppet Spår (Offener Lauf) SkejtVasan (Skating-Vasalauf) StafettVasan (Staffel-Vasalauf) Kooperationspartner
Hauptsponsoren IBM (IT), Preem (Mineralöl), Stadium (Sportartikel), Alecta (Versicherung), Megapol Mix (Radio) Axa (Versicherung) ICA (Einzelhandelsorganisation) ICA Korpen (Sport/Wellness) k.A. FM Mattsson (Armaturen), Mora Armatur (Armaturen), WIBE (Elektro/Elektronik) k.A. Ramirent (Dienstleistung/Bau und Industrie) Best Western (Hotellerie), Craft (Sportbekleidung), Ericsson (Telekommunikation), Folksam (Versicherungsunternehmen)
Tabelle 9-1 Sponsoren7
Die Organisation des Vasalaufes verlangt den Verantwortlichen logistische Höchstleistungen ab. Insgesamt sind im Laufe der Vasalauf-Woche 1.270 km Loipe zu präparieren. An der Loipe selbst sind rund 2.500 Helfer postiert, deren Aufgabe die Überwachung des Laufes und die Unterstützung der Skiläufer ist. Nicht jeder Skiläufer hat die Erfahrung oder das Glück, seine Ski mit der richtigen Wachssorte bzw. in ausreichendem Maß behandelt zu haben. Deshalb sind entlang der Strecke sieben Wachsstationen eingerichtet, an denen Material (Wachs, Kleister, Reinigungsflüssigkeit, Schaber, Bürsten und Trockenpapier) im Wert von etwa 500.000 Kronen verbraucht wird. An der Strecke gibt es sieben Verpflegungsstellen, an denen etwa 800 Personen arbeiten. An diesen Stationen werden während des Laufes rund 35.000 Liter Blaubeersuppe, 16.000 Liter Pripps Energy, 5.500 Liter Kaffee, 3.000 Liter Fleischbrühe, 3.000 Liter Milchsuppe und 65.000 Vasalauf-Brötchen konsumiert. Nach dem Lauf können die Läufer an den Umkleidestützpunkten ihre Verpflegung in Empfang nehmen. Verarbeitet werden dafür rund 3.000 kg Kartoffeln, 2.000 kg gebratene köttbullar, 2.000 kg Gemüse, 2.000 kg Soße, 165 kg Butter, 240 kg Käse, 400 in Scheiben geschnittene Brotlaibe, 1.200 kg Gurken und 9.000 Liter Getränke.8
5 1998 wurde eine Neuerung hinsichtlich der Zeitmessung eingeführt. Seitdem tragen alle Läufer am rechten Bein einen Chip, mithilfe dessen eine schnelle und exakte Zeitmessung an jeder Kontrollstation möglich ist. Diese Daten wiederum können an Internet, Mobiltelefone usw. weitergeleitet werden. 6 vgl. o.V.: Sponsor i Vasaloppet, http://www.vasaloppet.se, 01.04.2009 7 vgl. o.V.: Sponsorer, http://www.vasaloppet.se, 01.04.2009 8 vgl. Biwak, http://www.mdr.de/biwak, 06.03.2002; Rávic Strubel, Antje: Gebrauchsanweisung für Schweden, München 2008, 173ff
Marketing
212
Über 90 % der gestarteten Läufer kommen ins Ziel
Da die Läufer nur in Rennkleidung starten und am Ausgangspunkt ihre Rucksäcke bzw. Kleiderbeutel zurücklassen, sind umfangreiche Transporte notwendig. Auf 20 großen Lkw werden die numerierten Gepäckstücke der rund 30.000 Läufer von Sälen nach Mora transportiert. Sind die Lkw in Mora angekommen, beginnt für etwa 240 Mitarbeiter das Sortieren der etwa 30.000 Gepäckstücke, was drei bis sechs Stunden in Anspruch nehmen kann.9
9
vgl. Biwak, http://www.mdr.de/biwak, 06.03.2002; Rávic Strubel, Antje: Gebrauchsanweisung für Schweden, München 2008, 175
Der Weg der 1.000 Leiden
213
Bis 1992 wurde der Vasalauf von IFK Mora und Sälens IF organisiert. 1992 gründete man die Vasalauf-Vereinigung Sälen-Mora, die seitdem für die Durchführung verantwortlich zeichnet. Während der Wettkampftage sind weitere 30 Organisationen und Vereine aktiv. Beim Vasalauf findet das sogenannte Cross-Marketing Anwendung, d.h., daß völlig verschiedene Produkte unter dem Dach des Vasalaufes gemeinsam vermarktet werden.
Zusammenarbeit mit Sponsoren
Teilnehmer
TV/RadioWerbung
Wettkampfüberwachung
Marketing-Mix Internet
Pressearbeit
Messen
Drucksachen/ Anzeigen
Abbildung 9-2 Marketing-Mix rund um den Vasalauf10
Der Vasalauf arbeitet mit einer Reihe ausgewählter Sportartikelhändler, verteilt über das ganze Land, zusammen. Voraussetzungen dafür, um in den auserwählten Kreis der sogenannten vasaloppsbutiker zu kommen, sind ein auf Langlauf ausgerichtetes Sortiment sowie dementsprechend geschultes Personal.11 Aufgabe 1 Welche Bedeutung hat der Vasalauf für die Region? Aufgabe 2 Welche Probleme sind mit dem gigantischen Logistik-Aufwand verbunden? Welche Anforderungen müssen erfüllt werden, um diesen zu bewältigen? Aufgabe 3 Welchen Herausforderungen muß sich das Event-Marketing bei internationalen Sportwettkämpfen stellen? Aufgabe 4 Welche wirtschaftliche Bedeutung hat eine derartige Veranstaltung für die verschiedenen beteiligten Interessengruppen (Veranstalter, Sportler, Sponsoren, Geschäfte, Medien)? 10 11
vgl. Vasaloppet, http://www.vasaloppet.se, 11.06.2002 vgl. ebd.
Marketing
214
Lösung Aufgabe 1 Der Lauf hat eine lange Tradition und stellt ein sportliches Highlight des Jahres dar. Er zieht weltweite Aufmerksamkeit (Medien, Sportler, Touristen, Sponsoren, Kunden) auf sich und bedeutet eine umsatzreiche Zeit für Händler und Gewerbetreibende der Region (Übernachtungen, Verpflegung, Transport, Souvenirs usw.). Aufgabe 2 Probleme
Anforderungen
• • • • •
•
• •
Teilnehmerzahl Distanzen Zeitfaktor Wetterlage Transportkapazitäten (geeignete Transportmittel) Unterbringung, Verpflegung, Versorgung Kooperation mit den Medien und sonstigen Organisationen
• • • • •
exzellente Vorbereitung (insbesondere Planung) Erfahrung funktionierendes Projektmanagement Infrastruktur ausreichende finanzielle Mittel (vgl. Sponsoring) qualifizierte personelle Kapazitäten
Tabelle 9-2 Probleme vs. Anforderungen
Aufgabe 3 Zu bewältigende Herausforderungen sind u.a. •
die Koordination der Abläufe (Wettkämpfe, Logistik, Medien),
•
die Unterbringung und Verpflegung der Teilnehmer, Gäste und Medienvertreter,
•
die Vermarktung sowie
•
die Gewinnung (bzw. Pflege) der Sponsoren.
Aufgabe 4 Insgesamt handelt es sich um eine traditionsreiche, gut besuchte Veranstaltung (Publikumsmagnet), die auch zukunftsträchtig ist. Für die einzelnen Akteure sind hierbei Fragen der Finanzierung bzw. Möglichkeiten der Einnahmenerzielung zu berücksichtigen: Veranstalter
•
Finanzierung des Events, Gewinnung von Sponsoren, evtl. Aufnahme von Krediten, Absicherung gegen Risiken (z.B. Einnahmeverluste bei vorzeitigem Abbruch oder Ausfall)
Sportler
•
Aufwendungen für Wettkampfvorbereitung und -teilnahme, gleichzeitig werden Sponsoren aufmerksam
Sponsoren
•
durch Beteiligung am Event gleichzeitig starke Medienpräsenz, Zielgruppe konzentriert vor Ort bzw. verfolgt Medien aufmerksam
Geschäfte
•
durch zahlreiche Sportler, Gäste und Medienvertreter wahrscheinlich höhere Umsätze
Medien
•
stärkeres Interesse von seiten des Publikums, Medien werden stärker genutzt, höhere Verkaufszahlen
Tabelle 9-3 wirtschaftliche Bedeutung für Interessengruppen
Die Stadt gehört Dir.
10
215
Die Stadt gehört Dir.1 „In Wien braucht man kein Auto. Fast alles ist bequem mit den Bahnen und Bussen der Wiener Linien erreichbar, auch nachts – dank Nightline und Anruf-Sammeltaxi. Und weil Wien wächst, wächst auch das Öffi-Netz weiter.“2
Die Wiener Linien gelten als der größte Mobilitätsdienstleister Österreichs. Jährlich nutzen mehr als 790 Mio. Fahrgäste das Angebot der 118 U-Bahn-, Straßenbahnund Autobuslinien. Ergänzend zum regulären Verkehr fahren seit 1995 Nachtbusse. Gleichzeitig stellen die Wiener Linien mit über 8.400 Mitarbeitern auch einen der größten Arbeitgeber Wiens dar.3
Fahrgäste Liniennetz Anzahl der Linien Haltestellen Bahnhöfe/Garagen Fahrzeuge
U-Bahn 476,6 Mio. 65,1 km 5 90 3 782
Straßenbahn 200,4 Mio. 227,3 km 32 1.128 8 804
Autobus 116 Mio. 669,1 km 83 3.341 3 478
Gesamt 793 Mio. 961 km 120 4.559 14 2.064
Tabelle 10-1 Wiener Linien – Zahlen und Fakten 20074
2007 wurden rund 434 Mio. Euro in den öffentlichen Nahverkehr investiert, was den Verkehrsdienstleister zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor macht. Ein Großteil der getätigten Investitionen (ca. 271 Mio. Euro) flossen in den U-Bahn-Neubau – derzeit Wiens größtes Infrastrukturvorhaben. Ziel ist die bessere Anbindung der Außenbereiche der Stadt. Im September 2006 wurde die Verlängerung der U-Bahn-Linie U1 in Betrieb genommen. Der Ausbau der Linie U2 ist im Gange.5 Neben dem Netzausbau stellt die Modernisierung des Fuhrparks einen Investitionsschwerpunkt dar. Etwa 54 Mio. Euro wurden in die Beschaffung von Niederflurstraßenbahnen und -bussen investiert.6 Auf den Buslinien sind mittlerweile nur noch Niederflurfahrzeuge im Einsatz, die Straßenbahnflotte wird schrittweise umgerüstet. Bis Ende 2014 werden 300 Niederflurstraßenbahnen vom Typ „Ulf“ unterwegs sein. Auch bei der U-Bahn wird der Fuhrpark systematisch umgestellt. Die Linie U6 (die eigentlich keine U-Bahn, sondern eine Schnellstraßenbahn ist7), ist bereits komplett
1
Werbeslogan der Wiener Linien Wiener Stadtwerke: Nachhaltigkeitsbericht 2007, Wien 2008, 22 3 vgl. ebd., 27 und 52; Wiener Stadtwerke: Geschäftsbericht 2007, Wien 2008, 39 4 erstellt nach: Wiener Stadtwerke: Geschäftsbericht 2007, Wien 2008, 39; Wiener Linien: Alles über uns – Betriebsangaben 2007, Wien 2008, 4ff 5 vgl. Wiener Stadtwerke: Nachhaltigkeitsbericht 2007, Wien 2008, 22 und 27 6 vgl. ebd., 27 7 vgl. Kaiser, Wolfgang: Wiener Schienennahverkehr, München 2008, 117 2
Marketing
216
mit – im Wiener Bombardier-Werk hergestellten – neuen Wagen ausgerüstet worden.8 Dafür fielen 2007 Beschaffungskosten in Höhe von ca. 39 Mio. Euro an.9
Straßenbahnhaltestelle am Kärntner Ring, Oper
Linie 2 auf der Ringstraße (alte Linienführung)
Autobushaltestelle Karlsplatz
Autobus-Linie 3a am Schwarzenbergplatz
U-Bahn-Station Stadtpark
U-Bahn-Linie U4 an der Wienzeile
Eine Angebotsverbesserung wollen die Wiener Linien nicht nur durch die Umstellung auf Niederflurfahrzeuge, sondern auch durch bessere Informationsangebote 8 9
vgl. Wiener Stadtwerke: Geschäftsbericht 2007, Wien 2008, 34f vgl. Wiener Stadtwerke: Nachhaltigkeitsbericht 2007, Wien 2008, 27
Die Stadt gehört Dir.
217
erzielen. Bereits seit 1997 sind an Straßenbahn- und Bushaltestellen Echtzeitanzeiger im Einsatz, die den Fahrgästen die Abfahrt der nächsten Bahnen oder Busse anzeigen. Bis 2012 sollen insgesamt 800 solcher Anzeiger im Einsatz sein. An Umsteigeknoten geben Vorweganzeiger seit 2007 schon beim Verlassen der U-BahnStation Auskunft darüber, wann die nächste Straßenbahn bzw. der nächste Bus fährt. Zusätzlich ist dabei ersichtlich, wann das nächste barrierefreie Fahrzeug kommt.10 Auch an den Straßenbahnhaltestellen wird dem Fahrgast angezeigt, wann die nächste Niederflurstraßenbahn fährt. Die Wiener Linien fallen auch durch ein bemerkenswertes Marketingkonzept auf. Ziel der betont emotional gestalteten Werbekampagne der Wiener Linien ist es zu zeigen, „wie die Wiener Linien tagtäglich zu einem besseren und angenehmeren Leben in dieser Stadt beitragen.“11 Generell ist die Kundenzufriedenheit bei den Wiener Linien als hoch einzustufen. Im Rahmen einer von der EU-Kommission 2007 veröffentlichten Meinungsumfrage unter ÖPNV-Nutzern erreichte Wien hinter Helsinki den zweiten Platz.12 Aufgabe 1 Welche Faktoren sind kennzeichnend für den Erfolg der Wiener Linien? Aufgabe 2 Welche Assoziationen verbinden Sie mit dem Slogan der Wiener Linien „Die Stadt gehört Dir.“? Aufgabe 3 Analysieren Sie mithilfe der im Internet verfügbaren Informationen über die Wiener Linien (http://www.wienerlinien.at) deren Marketing-Mix!
10
vgl. ebd., 37 vgl. Wiener Linien, http://www.wienerlinien.at, 22.02.2005 12 vgl. Wiener Stadtwerke: Nachhaltigkeitsbericht 2007, Wien 2008, 38 11
Marketing
218
Lösungen Aufgabe 1 Wesentlich für den Erfolg sind folgende Faktoren: •
Netzgröße, Netzdichte, Netzausbau;
•
dichte Taktzeiten, lange Bedienungszeiträume;
•
Schnittstellen, Umsteigemöglichkeiten (innerhalb der Wiener Linien sowie zu anderen Betreibern);
•
Kombination zwischen U-Bahn (schnellfahrend, raumerschließend) sowie Straßenbahn und Bus (mit geringen Haltestellenabständen zur Feinerschließung);
•
Fahrgastinformationssysteme (in Fahrzeugen, an Haltestellen und Umsteigeknoten);
•
Fuhrpark (schrittweise, aber konsequente Umstellung auf Niederflurfahrzeuge);
•
günstige Tarife, übersichtliche Tarifgestaltung;
•
hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.
Aufgabe 2 Mögliche Assoziationen wären: •
Mobilität ohne eigenes Auto,
•
gute Erreichbarkeit aller Teile der Stadt zu (fast) jeder Tageszeit,
•
für Einheimische und Gäste der Stadt gleichermaßen einladend.
Aufgabe 3 Merkmale Größe
•
Netz deckt ganz Wien ab
Zielgruppen
•
alle Personen, die möglichen Kontakt zu den Wiener Linien haben Kinder Schüler/Studenten Lehrlinge
• • •
• • • • •
Senioren behinderte Menschen Touristen „Nachtfalter“ „Shopping-Fans“
Konkurrenz
• • •
Pkw/Motorrad alternative Verkehrsmittel, die für den Transfer im jeweiligen Raum angemietet werden können Akzeptanz
Verbundmitglied
•
VOR Verkehrsverbund Ost-Region
Logo
•
Komponenten: Firmenname „Wiener Linien“ und „grüner Knopf“
Slogan
•
„Die Stadt gehört Dir.“
Marketing
•
sehr starkes, erfolgreiches, eigenes Branding
• •
Einwohner Berufsverkehr
Produktpolitik Zweck des Transfers Netz
•
national (Raum Wien)
Fahrzeuge
• •
U-Bahn Straßenbahn
•
Touristen und Besucher
•
Busse
Die Stadt gehört Dir.
219
Fortsetzung
Kommunikationspolitik Werbung • • Verkaufsförderung • • • •
Public Relations
Distributionspolitik Fahrscheine
Information und Fahrplanauskunft Preispolitik Fahrausweisangebot
Tarife
Plakate (40 %) Anzeigen (30 %)
•
Rest: Folder, Internet usw. (30 %)
Sponsoring Events: Flohmärkte, Eintrittskarte als Fahrschein für Liebhaber: Straßenbahnmuseum, Straßenbahnmodelle, Jubiläumszeitschriften usw. Qualitätssicherung: Fahrgastbeirat, ISO-Zertifizierung, regelmäßige Erhebung der Dienstleistungsqualität, Qualitätsverbesserungsprogramm
• • • • •
Kundenfreundlichkeit Zuverlässigkeit Geschwindigkeit Vielseitigkeit Sicherheit
• • • •
Gleichberechtigung Fairness Umweltfreundlichkeit Teil des täglichen Lebens
• • • •
am Automaten am Schalter in Trafiken im Fahrzeug
• • •
per Mobiltelefon per Internet per Post
• • •
im Internet an jeder Haltestelle beim Fahrzeugführer
• •
in den Filialen: persönlich und in Printversion Telefon-Hotline
• Wochenkarte • Monatskarte • Jahreskarte • Seniorenjahreskarte • Schülerstreckenkarte • Nachmittagsbildungskarte • Semesterticket • Lehrlingsfreikarte Ermäßigungen für • Kinder • Schüler/Studenten • Lehrlinge • Senioren
• • • • • • • •
Kurzstreckenfahrscheine Einzelfahrscheine Streifenkarten 8-Tage-Karte 24-/48-/72-Stunden-Karte Wien-Karte Einkaufskarte Night Line
• • • • •
Touristen „Shopping-Fans“ Kurzstrecken-Fahrgäste Fahrgäste auf Zeit VOR-Tarifsystem
Tabelle 10-2 Marketing-Mix der Wiener Linien13
13
modifiziert nach: Heinschink, Karin; Jahn, Christian: Marketing in der öffentlichen Verwaltung/in öffentlichen Unternehmen, Wien 2005 (Forschungsposter); siehe dazu auch Kaiser, Wolfgang: Die Wiener Straßenbahnen, München 2004; Wiener Linien: Tickets, http://www.wienerlinien.at, 28.03.2009
220
Marketing
Öffentliche Wirtschaft
D
1
Zwischen Abriß und Aufbruch
222
2
Zukunftsfähiges Wohnen in Malmö
231
3
Die Grenzenlose Gartenschau
237
4
Schanzenbau in Klingenthal
247
5
Erlebnis Eisenbahn
254
6
Über den Tellerrand
259
7
Unter den Alpen hindurch
265
8
Hochwasserschutz in den Alpen
283
9
Vom Tagebau zum Badesee
291
10 Kiruna zieht um
301
Öffentliche Wirtschaft
222
1
Zwischen Abriß und Aufbruch „Baulärm war früher Krach. Heute ist er Wachstumsmusik.“ (Alfred Biolek1)
Wir befinden uns in Sonnenstadt, einer etwa 70.000 Einwohner zählenden Stadt in den neuen Bundesländern. Wie in vielen anderen Städten auch, konnte man hier in den letzten Jahren einen enormen Baumboom verzeichnen. Der schlechte Zustand der existierenden Wohnungen, die vom Staat bereitgestellten Fördergelder sowie die steuerlichen Vergünstigungen lockten so manchen Bauherrn nach Sonnenstadt. Seit der Wende wurden zahlreiche Häuser neu gebaut oder saniert, gleichzeitig nahmen aber aufgrund der schlechten Arbeitsmarktsituation die Einwohnerzahlen ab. Auch bemüht sich die Stadt seit langem um die Ansiedlung einer Hochschule; vor kurzem konnte die Außenstelle einer tschechischen Universität eröffnet werden. Mittlerweile kommen in Sonnenstadt auf eine Wohnung 1,5 Einwohner. Egal, von welchem Standpunkt aus man die Lage betrachtet: In der Stadt gibt es zu viele Wohnungen oder es leben zu wenige Menschen hier – jedenfalls stehen unzählige Wohnungen leer. Es müssen jährlich hohe Beträge investiert werden, um diese leerstehenden Wohnungen zu unterhalten oder unbewohnte, baufällige Gebäude zu sichern. Besonders auffällig ist der Leerstand, wie in vielen anderen ostdeutschen Städten auch, in der großen Plattenbausiedlung am Stadtrand. 13.000 Wohnungen, rund ein Viertel des Sonnenstädter Wohnungsbestands, befinden sich im Besitz der städtischen Wohnungsbaugesellschaft „Sonnenbau“. Insbesondere in der am Stadtrand gelegenen großen Plattenbausiedlung, in der früher 20.000 Menschen wohnten, gehört ein Großteil der Wohnungen der Gesellschaft. Im Besitz der Wohnungsbaugesellschaft befinden sich ferner 350 Gewerbeeinheiten, wie Ladenlokale oder Gaststätten, und rund 2.000 sonstige Mieteinheiten (z.B. Büroflächen). Hauptproblem der „Sonnenbau“ ist der mittlerweile rund 25 Mio. Euro erreichende Schuldenberg. Bislang werden die Schulden zwar noch durch Vermögen gedeckt, doch auf lange Sicht muß das Unternehmen wieder Gewinne erzielen, um zu überleben. Derzeit stehen rund 2.000 Wohnungen der „Sonnenbau“ leer, wodurch der Gesellschaft nicht unerhebliche Beträge an Mieteinnahmen entgehen. Doch der zunehmende Leerstand ist nur die Spitze des Eisbergs. In den letzten Jahren wurden von der Gesellschaft viele Häuser aus dem Besitz der Stadt übernommen. Außerdem wurden zahlreiche städtebauliche Projekte, z.B. die Sanierung von unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden, durchgeführt. Bei einem Großteil dieser Projekte han-
1
Zitate, http://www.zitate-online.de, 14.04.2009
Zwischen Abriß und Aufbruch
223
delte es sich um städtische Problemfälle, bei denen jeder andere Investor bereits abgesagt hatte. Seit 1990 haben sich fast 100 Mio. Euro Verluste angesammelt, wovon rund 85 Mio. Euro durch Abschreibungen entstanden sind. Für den Instandhaltungsausbau aus DDR-Zeiten wurde jährlich doppelt soviel ausgegeben wie durch Miete eingenommen wird. Saniert hat die „Sonnenbau“ vorrangig in den innerstädtischen Lagen, in denen Alt- und Plattenbauten nebeneinander stehen. Doch auch in den reinen Plattenbausiedlungen hat sich einiges getan. Um die Wohnqualität zu verbessern, wurden Aufzüge und Balkons angebaut, wo bisher noch nicht vorhanden. Wohnungsgrundrisse wurden – sofern aus statischer Sicht möglich – auf Wunsch der Mieter verändert oder kleinere Wohnungen zu größeren zusammengelegt. Auch in die Sanierung der Außenanlagen wurden große Summen investiert.
Sanierungen – oft unter Auflagen des Denkmalschutzes – verschlangen enorme Summen
Auch jetzt noch, nach der Sanierung, sind diese Wohnungen vergleichsweise günstig zu mieten. Mit Kaltmieten um 3 Euro/m² kann kaum ein anderer Anbieter mithalten. Trotzdem finden sich kaum Mieter. Mancherorts hat man sich deshalb bereits zum Rückbau oder Abriß entschieden; auch in Sonnenstadt wurden derartige Schritte schon unternommen. Geschäftsführer Baumann hat aus der mißlichen Lage seiner Gesellschaft bereits Konsequenzen gezogen. Man will sich nun bis auf weiteres auf das Stammgeschäft – Vermieten und Sanieren – konzentrieren. Ab sofort werde es keine Neubauten mehr geben. Lediglich der vorhandene Bestand an Wohnungen soll Schritt für Schritt saniert werden, sofern noch nicht geschehen. Städtebauliche Aktivitäten sollen auf ein Minimum beschränkt, neue Kredite, wenn möglich, nicht aufgenommen werden. Aus einer kürzlich durchgeführten Marktanalyse geht hervor, daß in Sonnenstadt in den nächsten zehn Jahren um die 4.000 Wohnungen abgerissen werden müssen. Für die „Sonnenbau“, die derzeit einen Marktanteil von 25 % hält, würde dies etwa 1.000 Wohnungen bedeuten. Geschäftsführer Baumann plant deshalb, in den nächsten Monaten etwa 30 Häuser (das sind rund 200 Wohnungen) an unattraktiven Standorten abreißen zu lassen.
Öffentliche Wirtschaft
224
Die meisten dieser Wohnungen stehen jetzt bereits leer, so daß sich keine großen Probleme mit Mietern ergeben werden. Seiner Meinung nach ist der Abriß dieser Häuser auch aus städtebaulicher Sicht nicht kritisch, da es sich in den meisten Fällen um freistehende oder Eckhäuser handelt. Das Paradoxe an der Sache: Oft sind diese Häuser technisch noch gut intakt, es will aber einfach niemand dort einziehen. Für ihn scheint die kürzlich beantragte Abrißgenehmigung seitens der Stadt eine reine Formsache.
Planen im großen Stil
Bei der Stadt stößt Geschäftsführer Baumann mit diesen Plänen allerdings auf Widerstand. Man sieht dort nicht ein, daß technisch intakte Häuser abgerissen werden sollen. Zudem beruft man sich in vielen Fällen auf die Regelungen zum Denkmalschutz. Der Stadt sei schon bewußt, daß sich die Instandhaltung leerstehender, derzeit nicht vermietbarer Häuser insbesondere angesichts der finanziellen Lage der „Sonnenbau“ nicht rechnet. Allerdings wird ja auch der Abriß nur zu einem minimalen Teil staatlich gefördert, so daß ein Großteil der Summe aus Gesellschaftsmitteln der „Sonnenbau“ aufgebracht werden muß. Statt des Abrisses empfiehlt man zur Verbesserung der finanziellen Lage den Verkauf von Immobilien. Aufgabe 1 Woraus resultiert die mißliche Lage der „Sonnenbau“? Aufgabe 2 Stellen Sie die Ziele aus Sicht der „Sonnenbau“ dar! Greifen Sie aus Ihrer Zielliste Ziele heraus und spezifizieren Sie diese näher!
Zwischen Abriß und Aufbruch
225
Aufgabe 3 Welche Faktoren beeinflussen die Situation der „Sonnenbau“? Beschreiben Sie deren Wirkungsbeziehungen! Aufgabe 4 Erstellen Sie ausgehend von den im Wirkungsgefüge untersuchten Faktoren eine Wirkungsmatrix! Aufgabe 5 Übertragen Sie nun die Werte aus obiger Wirkungsmatrix in ein Intensitätsportfolio und interpretieren Sie Ihr Ergebnis! Aufgabe 6 Welche Faktoren aus dem Geschäftsumfeld der „Sonnenbau“ können von dieser gezielt beeinflußt werden, welche nicht? Welche Faktoren eignen sich als Frühwarnindikatoren? Aufgabe 7 Diskutieren Sie Handlungsoptionen der „Sonnenbau“ zur Verbesserung der derzeitigen Lage! Aufgabe 8 Was müßte die Stadt tun, um der „Sonnenbau“ langfristig zu helfen?
Öffentliche Wirtschaft
226
Lösung Aufgabe 1 Ursachen für die Lage sind: die abnehmende Einwohnerzahl, Wohnungsüberschuß, Leerstand, Instandhaltungsausgaben, Sanierungen (auch Sanierung städtebaulich wichtiger Objekte), Übernahme alter Objekte, Schuldenlast. Aufgabe 2 Prioritäten Ziele Oberziel Existenz sichern Teilziele 1 Verbesserung der finanziellen Lage und Reduzierung der Schuldenbelastung (Rationalisierung im Verwaltungsbereich; schrittweise Mieterhöhungen) 2 Konzentration aufs Stammgeschäft: Vermieten, Sanieren (Ausarbeitung einer diesbezüglich schlüssigen Strategie und ihre Umsetzung in entsprechende Planungsschritte) 3 kein neuer Leerstand (Halten der bisherigen Mieter durch verbesserte Ausstattung der Wohnungen, zusätzliche Serviceleistungen; Gewinnen neuer Mieter durch intensive Werbemaßnahmen in lokalen und regionalen Zeitungen usw.) 4 keine Neubauten in nächster Zeit (keine diesbezüglichen Aktivitäten und Planungen) 5 städtebauliche Aktivitäten stark reduzieren (in Zusammenarbeit mit den kommunalen Behörden und den politisch Verantwortlichen) 6 keine neuen Kredite aufnehmen (Konsolidierung der gegenwärtigen finanziellen Situation; Rückführung der bestehenden Kredite nach Plan bzw. Möglichkeit) 7 etwa 30 Häuser in den nächsten Monaten abreißen (z.B. Abriß von Häusern im Stadtviertel A; Abriß von Häusern in den Straßen B, C und D) Tabelle 1-1 Ziele und Prioritäten
Aufgabe 3 Geburten
Arbeitsmarktsituation
Mietpreisakzeptanz
Todesfälle +
+ +
+
+
Sonnenbau Auslastung Sonnenbau +
Ausstattung, Miete, Service Sonnenbau +
Einwohnerzahl
+
-
Mietpreisakzeptanz
+
Konkurrenz
-
-
Auslastung Konkurrenz
-
-
+
+ +
+
+
+
+
-
Geschäfts-/ Industrieansiedlungen
Finanzen Sonnenbau +
Abbildung 1-1 Wirkungsgefüge
+ Mietpreisakzeptanz Mieterwünsche, -ansprüche Fördermittel
+
Ausstattung, Miete, Service Konkurrenz +
+ +
Finanzen Konkurrenz +
+
Zwischen Abriß und Aufbruch Wirkung von ... Sonnenbau – Ausstattung, Service, Miete
auf ... Sonnenbau – Auslastung Konkurrenz – Ausstattung, Service, Miete
Sonnenbau – Auslastung
Sonnenbau – Finanzen Sonnenbau – Finanzen Konkurrenz – Auslastung
Sonnenbau – Finanzen
Sonnenbau – Ausstattung
Konkurrenz – Ausstattung, Service, Miete
Sonnenbau – Ausstattung
Einwohnerzahl
Sonnenbau – Auslastung Konkurrenz – Auslastung
Mietpreisakzeptanz
Sonnenbau – Ausstattung, Miete, Service Sonnenbau – Auslastung
Konkurrenz – Ausstattung, Miete, Service Konkurrenz – Auslastung
227 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je besser Ausstattung und Service und um so attraktiver die Miete, je höher wahrscheinlich die Auslastung je besser Ausstattung und Service und um so attraktiver die Miete bei Sonnenbau, um so mehr Anstrengungen müssen auf seiten der Konkurrenz unternommen werden je höher die Mieteinnahmen, um so besser die finanzielle Lage je mehr zahlende Mieter, um so besser die finanzielle Lage je mehr Mieter zu Sonnenbau gehen, um so weniger Mieter bei Konkurrenz (gleichbleibende Einwohnerzahl vorausgesetzt) je besser die finanzielle Lage, um so mehr kann in Ausstattung und Service investiert und um so preiswerter können die Wohnungen angeboten werden je besser Ausstattung und Service bei Konkurrenz, um so mehr muß Sonnenbau bieten bzw. je preiswerter Konkurrenz, um so attraktivere Mieten muß Sonnenbau anbieten je mehr Einwohner, um so höher wahrscheinlich die Auslastung (Gleichverteilung angenommen) je mehr Einwohner, um so höher wahrscheinlich die Auslastung (Gleichverteilung angenommen) je niedriger die Mietpreisakzeptanz, um so niedriger müssen die Mieten angesetzt werden, um Mieter zu halten bzw. zu gewinnen je niedriger die Mietpreisakzeptanz, um so mehr Mieter wahrscheinlich bei Sonnenbau (bei gleichbleibender Mietpreislage in der Stadt) je niedriger die Mietpreisakzeptanz, um so niedriger müssen die Mieten angesetzt werden, um Mieter zu halten bzw. zu gewinnen je niedriger die Mietpreisakzeptanz, um so weniger Mieter wahrscheinlich bei Konkurrenz (bei gleichbleibender Mietpreislage in der Stadt)
Tabelle 1-2 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Fristigkeit mittelfristig
mittelfristig
kurz- bis mittelfristig kurz- bis mittelfristig mittelfristig
mittel- bis langfristig
mittelfristig
langfristig
langfristig
kurz- bis mittelfristig mittel- bis langfristig
kurz- bis mittelfristig mittel- bis langfristig
Öffentliche Wirtschaft
228 Aufgabe 4
SB: Finanzen
K: Ausstattung, Service, Miete
K: Auslastung
Einwohnerzahl
Mietpreisakzeptanz
Zeilensumme
von auf SB: Ausstattung, Serx vice, Miete SB: Auslastung 0 SB: Finanzen 3 K: Ausstattung, Service, 2 Miete K: Auslastung 0 Einwohnerzahl 0 Mietpreisakzeptanz 2 Spaltensumme 7 SB = Sonnenbau; K = Konkurrenz
SB: Auslastung
SB: Ausstattung, Service, Miete
Wirkung
3
3
2
2
0
0
10
x 0
3 x
0 0
3 0
0 0
0 0
6 3
2
0
x
3
0
0
7
3 3 3 14
0 0 0 6
0 0 2 4
x 3 3 14
0 x 0 0
0 0 x 0
3 6 10 x
Tabelle 1-3 Wirkungsmatrix
Aufgabe 5 Beeinflußbarkeit REAKTIV
14
KA
E
KRITISCH
SA
12
10
8 SM
6
SF
4
KM
Einwohnerzahl
KA
Konkurrenz - Auslastung
KM
Konkurrenz - Ausstattung, Service, Miete
M
Mietpreisakzeptanz
SA
Sonnenbau - Auslastung
SF
Sonnenbau - Finanzen
SM
Sonnenbau - Ausstattung, Service, Miete
2
0
2
TRÄGE E 4
M 6
Abbildung 1-2 Intensitätsportfolio
AKTIV 8
10
12
Einflußnahme 14
Zwischen Abriß und Aufbruch
229
Kritische Faktoren
•
bei dieser Faktorenauswahl keine
Aktive Faktoren
•
Sonnenbau – Ausstattung, Service, Miete: Veränderungen (z.B. Mieterhöhungen, Verbesserung der Ausstattung, Anbieten/Streichen von Serviceleistungen) sollten aufgrund der Auswirkungen auf die übrigen Bereiche (Auslastung, Finanzen) wohlüberlegt sein.
Reaktive Faktoren
•
Sonnenbau/Konkurrenz – Auslastung: Die Auslastung ist stark abhängig von den anderen Faktoren. Sie ergibt sich aus Attraktivität für den Mieter (Ausstattung, Service, Miete), dem diesbezüglichen Angebot der Konkurrenz, der allgemeinen Mietpreisakzeptanz und der Einwohnerzahl. Veränderungen bei der Auslastung sind nur über Veränderungen bei anderen Faktoren herbeizuführen. Diese wiederum können nur bedingt von der „Sonnenbau“ beeinflußt werden.
Träge Faktoren
•
Sonnenbau – Finanzen: Die finanzielle Lage ist stark abhängig von Auslastung und Mieteinnahmen. Sie entscheidet darüber, inwieweit in Ausstattung und Service investiert werden kann. Konkurrenz – Ausstattung, Service, Miete beeinflußt Ausstattung, Service, Miete und Auslastung der „Sonnenbau“. Die träge Komponente resultiert daher, daß unter „Konkurrenz“ verschiedene Anbieter zusammengefaßt werden, die als Gesamtheit eher träge auf Veränderungen bei der „Sonnenbau“ reagieren. Die Einwohnerzahl wirkt auch generell träge, d.h. sie reagiert eher langsam auf Veränderung der Rahmenbedingungen und kann als Frühwarnindikator dienen. Die Mietpreisakzeptanz wird von den hier einbezogenen Faktoren nicht beeinflußt; Sie ist trotz der Zuordnung zum trägen Bereich ein wichtiger Faktor und entscheidet in den unteren und mittleren sozialen Schichten meist darüber, ob eine Wohnung gemietet wird oder nicht. Sie kann als Frühwarnindikator dienen.
•
• •
Tabelle 1-4 Erläuterung der Faktoren
Aufgabe 6 Kategorien steuerbare Faktoren
Faktoren
Erläuterung
• • • • •
Wohnungsausstattung Miete teilweise Umfeld der Häuser Mieterzufriedenheit Stadtplanung/Stadtentwicklung
•
wirksam steuerbare Faktoren
• • • •
Wohnungsausstattung Miete teilweise Umfeld der Häuser Mieterzufriedenheit
•
nicht oder nur unwesentlich steuerbare Faktoren
•
Miete, Ausstattung von Wohnungen • der Konkurrenz Zahl der Konkurrenten Fördergelder Einwohnerzahl Arbeitsmarktsituation • Einkommenssituation Kaufkraft Geschäfts-/Industrieansiedlungen
• • • • • • •
•
Diese Faktoren gehören zu den strategischen Geschäftsfeldern der „Sonnenbau“. Demzufolge kann hier zielgerichtet gesteuert werden. Aufgrund der großen Anzahl an Immobilien ist die „Sonnenbau“ auch in die Stadtentwicklung involviert. s.o.
Weder die Zahl der Konkurrenten noch deren Angebot kann die „Sonnebau“ gezielt steuern, wenngleich sicher die Konkurrenz auch von der Tätigkeit des Unternehmens beeinflußt wird. Die übrigen Faktoren setzen die Rahmenbedingungen für die eigene Strategie.
Öffentliche Wirtschaft
230 Fortsetzung
Kategorien Frühwarnindikatoren
Faktoren • • • • •
Einwohnerzahl Arbeitsmarktsituation Einkommenssituation Kaufkraft Geschäfts-/ Industrieansiedlungen
•
Die Entwicklung dieser Faktoren läßt sich im Zeitverlauf beobachten.
Tabelle 1-5 Von der Sonnenbau steuerbare und nicht steuerbare Faktoren
Aufgabe 7 Verkauf
• •
evtl. Häuser bzw. Wohnungen verkaufen Vorsicht! auf Ausgewogenheit des Portfolios achten, nicht alle attraktiven Immobilien verkaufen und auf den unattraktiven sitzen bleiben
Abriß
• • •
unattraktive Häuser abreißen, sofern zu verantworten Denkmalschutz, städtebauliche Aspekte beachten was soll danach mit den Flächen geschehen?
Service
• •
Ausbau der Servicepalette → welche Leistungen, Kosten? Umzugshilfe: Organisation von z.B. Möbelwagen, Möbelträger, neuem Telefonanschluß, Fernsehanmeldung, verschiedene Handwerker preiswerter, wenn über Sonnenbau beauftragt (= Entgelt so ermitteln, daß für Gesellschaft keine überdurchschnittlich hohen Kosten entstehen); Entrümpelungsservice Mitgliedskarte: Vergünstigungen bei verschiedenen Anbietern (z.B. Urlaub, Auto, Freizeiteinrichtungen) Gästewohnungen: wenn Besuch kommt und Mieter nicht genügend Platz in der Wohnung hat (= zusätzliche Einnahmen) Urlaubsservice: Mitarbeiter der Sonnenbau gießen gegen geringes Entgelt Blumen, leeren Briefkästen, schauen nach dem Rechten (= Entgelt so ermitteln, daß für Gesellschaft keine überdurchschnittlich hohen Kosten entstehen) Partyräume: Sonnenbau stellt in einigen Häusern Räume zur Verfügung, die Mieter für Partys günstig mieten können (= zusätzliche Einnahmen) Hobbyräume: leerstehende Wohnungen könnten von Mietern zusätzlich günstig angemietet werden, beispielsweise als Hobbyraum (= zusätzliche Einnahmen)
• • • • •
Tabelle 1-6 Handlungsoptionen der „Sonnenbau“
Aufgabe 8 Die Stadt könnte durch folgende Maßnahmen helfen: •
Abriß genehmigen, wenn aus betriebswirtschaftlicher Sicht notwendig und aus städtebaulicher Sicht und vom Denkmalschutz her vertretbar; jedoch auch klären, was danach mit Flächen geschieht;
•
versuchen, Bevölkerungsrückgang zu stoppen, d.h. Menschen in der Stadt halten bzw. zum Herziehen bewegen;
•
Geschäfts- und Firmenansiedlungen erleichtern, um Schaffung neuer Arbeitsplätze zu begünstigen;
•
Potentiale einer höheren Bildungseinrichtung in der Stadt nutzen;
•
insgesamt die Stadt sowohl für (potentielle) Einwohner als auch Investoren attraktiver gestalten.
Zukunftsfähiges Wohnen in Malmö
2
231
Zukunftsfähiges Wohnen in Malmö „Der Weg von der Industriehochburg zur modernen Metropole war lang – und richtig: Inzwischen besticht Malmö vor allem durch seinen Mut zur Veränderung.“1
In Malmö, der drittgrößten Stadt Schwedens, leben rund 270.000 Einwohner. Die Stadt liegt am Öresund und ist Hauptstadt der südschwedischen Provinz Skåne. Malmö kann auch als kultureller „Schmelztiegel“ betrachtet werden, leben hier doch Menschen aus 160 verschiedenen Nationen. Strukturelle Veränderungen in der Industrie haben auch Malmö beeinflußt. Heute sind dort vor allem kleine und mittelgroße Industrieunternehmen, Dienstleistungsund Handelsunternehmen angesiedelt; die IT-Branche stellt mittlerweile den größten Sektor dar. In den letzten Jahren profitierte die Stadt insbesondere vom Bau der Öresundbrücke, die Schweden und Dänemark näher zusammenrücken ließ. Das Gebiet Västra hamnen ist als Entwicklungsgebiet ausgewiesen und wandelt(e) sich vom Hafen-, Werft- und Industriegelände zu einem zukunftsfähigen Stadtviertel, in dem man gerne lebt und arbeitet.2 In der ersten Etappe, die für die Europäische Wohn- und Baumesse 2001 realisierte Bo01-Phase, wird das Anliegen der Initiatoren bereits sehr deutlich. Vielfältige architektonische Lösungen vermischen sich zu einem neuen Stadtbild, dabei stets das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung im Blick. So wurde und wird großer Wert auf die Schaffung einladender urbaner Räume, die Umsetzung eines nachhaltigen Mobilitätskonzeptes, die Versorgung des Viertels mit erneuerbaren Energien sowie das Anlegen zahlreicher Grünflächen gelegt.3 Architektonisch ist das Viertel abwechslungsreich gehalten. Es gibt sowohl kleine als auch relativ hohe Häuser, die auch als eine Art Windschutz für die inneren Bereiche dienen. Generell ist das Viertel dicht bebaut – man ist davon ausgegangen, daß man dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung zufolge sparsam mit Flächen umgehen muß. Beim Bau der Häuser und Flächen kam Recyclingmaterial zum Einsatz.4 Eine der Hauptideen war es, öffentliche Räume zu schaffen, die zum Zusammentreffen und zum Flanieren einladen. Es gibt individuell gestaltete Straßen, Fußwege, Alleen und Plätze.5 Da in Malmö wie in anderen Städten auch die Flächenversiegelung in der Vergangenheit stark zunahm, hat man nun bewußt auf die Schaffung grüner Räume geachtet. Dazu gehören Parks ebenso wie begrünte Dächer und kleine Gärten (auch zur Selbstversorgung) hinter den Häusern. Zur Schaffung einer 1
Reiff, Tatjana: Malmö, in: Geo-Spezial Schweden, April/Mai 2009, 145 vgl. Malmö stad: Västra hamnen Bo01-området – stad för människan och miljön, Malmö o.J., 2 vgl. Malmö stad: Planer och strategier för Västra hamnen, Malmö 2008, 5 4 vgl. City of Malmö: Ecological sustainable building and living in the Western harbour, Malmö 2001, 2; City of Malmö: Architecture and sustainability, Malmö 2001, 3 5 vgl. Malmö stad: Västra hamnen Bo01-området – stad för människan och miljön, Malmö o.J., 4 2 3
Öffentliche Wirtschaft
232
für einen urbanen Raum vergleichsweise hohen Biodiversität wurden u.a. auch Nistplätze für Fledermäuse und Schmetterlingswiesen angelegt.6 Bezüglich der Müllentsorgung hat man ein System zur Minimierung des Abfalls etabliert. Recycling steht dabei an erster Stelle. Bioabfälle werden zur Gewinnung von Biogas verwendet, was wiederum der Energieversorgung des Viertels dient. Mülltrenneinrichtungen befinden sich nahe der Wohnungen, so daß den Bewohnern deren Nutzung leichtfällt.7
Zukunftsfähiges Wohnen einmal anders
Ein weiteres Ziel der Planer war es, das Viertel zu 100 % mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Die etwa 1.000 Wohnungen nutzen (neben Energie aus Biogas) Energie, die aus Solaranlagen (angebracht auf den Hausdächern), Windkraft (von Norra hamnen) und Wasserkraft stammt. Wesentlicher Bestandteil des Energiekonzeptes ist die Gestaltung der Gebäude als Niedrigenergiehäuser. Jede Wohneinheit darf maximal 105 kWh/m² jährlich verbrauchen. Bislang konnte man dieses Ziel zwar nicht flächendeckend realisieren, ist aber auf gutem Weg.8 Um das Verkehrsaufkommen zu minimieren, aber dennoch Mobilität zu gewährleisten, wurde das Viertel so geplant, daß verschiedene Dienstleistungen auf kurzen 6
vgl. Malmö stad: Västra hamnen Bo01-området – stad för människan och miljön, Malmö o.J., 5; Stickeln, Lutz: Vorbild für ökologisches Bauen, in: Nordis, Juli/August 2008, 55 vgl. Malmö stad: Källsortering på Bo01, Malmö o.J., 2ff 8 vgl. Malmö stad: Västra hamnen Bo01-området – stad för människan och miljön, Malmö o.J., 6; Malmö stad: Ecological sustainable building and living in the Western harbour, Malmö 2001, 2 7
Zukunftsfähiges Wohnen in Malmö
233
Wegen erreichbar sind. Für längere Wege sind die Einwohner angehalten, umweltfreundliche Transportmittel zu nutzen. Von den Wohnungen bis zur nächsten Bushaltestelle sind es maximal 300 m. Busse, die Västra hamnen mit allen wichtigen Punkten Malmös verbinden, fahren im 7-Minuten-Takt. Pro Haushalt sind 0,7 Parkplätze vorgesehen.9 Fakten zum Projekt Västra hamnen im Überblick10: •
Fläche: Gesamtareal 175 ha, Bo01-Gebiet ca. 22 ha
•
Bis 2008 waren rund 2.400 Wohnungen gebaut worden.
•
Nach Projektabschuß sollen 10.000 bis 20.000 Menschen dort leben, studieren, arbeiten.
•
Heute haben sich bereits rund 80 kleinere und größere Unternehmen dort niedergelassen, und es arbeiten 6.000 Menschen im Viertel.
•
Es gibt seit Ende 2006 acht Restaurants/Cafés und sieben Läden.
•
Seit 2002 gibt es eine private Schule, eine staatliche Schule ist geplant.
•
Es gibt einen Skateboardpark mit bereits internationaler Bedeutung.
Auch das historische Erbe des Viertels wurde von den Planern berücksichtigt. Große und oft sehr schöne Industriegebäude werden erhalten und neuen Nutzungen zugeführt.11 Unterstützt wurde das Projekt durch die schwedische Regierung und die EU. Aufgabe 1 Warum kann in Västra hamnen von „nachhaltigem Wohnen“ gesprochen werden? Analysieren Sie das Viertel nach den drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung! Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 2 Stellen Sie mithilfe einer Umfeldeinflußmatrix dar, inwieweit Faktoren des Umfelds die strategischen Aktionsfelder des Projektes Västra hamnen beeinflussen können! Fassen Sie die Ergebnisse zusammen! Aufgabe 3 Untersuchen Sie die betrachteten Umfeldfaktoren in Hinblick auf ihre Steuerbarkeit aus Sicht der Projektorganisatoren! Begründen Sie Ihre Zuordnung! Aufgabe 4 Unter welchen Voraussetzungen wäre Malmös Projekt Västra hamnen auf andere Großstädte übertragbar?
9
vgl. Malmö stad: Västra hamnen Bo01-området – stad för människan och miljön, Malmö o.J., 6; City of Malmö: Tomorrow’s environmentally sensitive transport in Västra hamnen, Malmö 2001 vgl. ebd., 8; Malmö stadsbyggnadskontor: Västra hamnen i siffror 2008, Malmö 2008; Malmö stad: Annual Report 2007, Malmö 2007, 14f 11 vgl. Malmö stad: Västra hamnen Bo01-området – stad för människan och miljön, Malmö o.J., 7 10
Öffentliche Wirtschaft
234
Lösung Aufgabe 1 Mobilität ohne eigenen Pkw
Nahversorgung Wohneigentum und Mietwohnungen
Ansiedlung von Handels- und Gewerbeunternehmen
Flächen für Handel und Gewerbe vor Ort Akzeptanz durch potentielle Nutzer
Förderung sozialer Nähe durch dichte Bebauung
Gewinnung von Mietern und Käufern
Schaffung öffentlicher Räume, die Menschen einander näher bringen
Kostendeckung durch Einnahmen muß erreicht werden
Ökonomische Aspekte
Nachhaltiges Wohnen in Västra hamnen
Berücksichtigung der Bedürfnisse verschiedener Bevölkerungsgruppen Bildungseinrichtungen Freizzeitmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche
Soziale Aspekte
Ökologische Aspekte
Energieversorgung
Abfallentsorgung, Recycling
100 % lokal erneuerbare Energie Sonne, Wind und Wasser minimal gehaltener Energieverbrauch jährliche Energiebilanz
Nachhaltige Mobilität
Erhalt von Natur- und Kulturlandschaften
sparsamer Umgang mit Ressourcen Flächeninanspruchnahme Bamaterial aus Recyclingstoff Recycling und Wiederverwertung optimierte Mülltrennung
Radwege öffentlicher Nahverkehr
Bodensanierung Elektrobus Gärten, Grünflächen und Parks Biotope Artenvielfalt Regenwassergewinnung Erhalt und Umnutzung alter Industriegebäude
Biogaserzeugung aus organischem Abfall
7-MinutenTakt max. 300 m Weg zur Haltestelle autofreie Zonen geringer Parkplatzanteil pro Bewohner Car-SharingKonzept Mobilitätsmanagement Emissionsreduzierung (Abgase, Lärm)
Abbildung 2-1 Mindmap: Nachhaltiges Wohnen in Västra hamnen
Zukunftsfähiges Wohnen in Malmö
235
Aufgabe 2
Kapitalmarkt
ortsübliche Preise für Wohneigentum
ortsübliche Mieten
Mobilitätsbedürfnisse der potentiellen Bewohner
Umweltbewußtsein
geographische Voraussetzungen
technologischer/technischer Stand
Zeilensumme
Spaltensumme
bereitgestellte finanzielle Mittel der Stadt und der Regierung
Strategische Aktionsfelder Miethöhe Kaufpreise Betriebskosten Lage der Wohnungen Gestaltung des Wohnviertels Parkmöglichkeiten Finanzierung
Verkehrsanbindung an Stadtzentrum
Umfeldfaktoren
0 0 0 1
0 1 1 0
0 2 0 0
1 3 0 0
3 1 0 0
0 0 0 2
0 0 1 0
0 0 3 3
0 0 3 3
4 7 8 9
3
3
0
0
0
3
3
3
3
18
3 0
0 3
0 3
0 0
0 0
3 0
3 0
1 0
1 0
7
8
5
4
4
8
7
10
10
11 6 x
Abbildung 2-2 Umfeldeinflußmatrix
Die größten Einflüsse üben die geographischen Voraussetzungen und der technologische Stand aus, die letztendlich darüber entscheiden, ob das geplante Projekt überhaupt realisierbar ist. Ebenfalls von großer Bedeutung sind die finanzielle Unterstützung durch Stadt und Regierung sowie die Mobilitätsbedürfnisse und auch das Umweltbewußtsein der Bevölkerung, was über die Akzeptanz des Projektes bei den potentiellen Bewohnern entscheidet. Den stärksten Einflüssen unterliegt die Gestaltung des Wohnviertels. Hierbei gilt es, die Ideen der Projektplaner sowie die sich aus den Umfeldfaktoren ergebenden Erfordernisse in Einklang zu bringen. Aufgabe 3 Steuerbarkeit
Faktoren
Begründung
Steuerbare Faktoren
•
Verkehrsanbindung an Stadtzentrum
•
Um nachhaltige Mobilität gewährleisten zu können, werden die Projektorganisatoren eng mit den städtischen Verkehrsbetrieben zusammenarbeiten. Demzufolge können sie auch (wirksam) auf die Verkehrsanbindung des Viertels Einfluß nehmen.
•
bereitgestellte finanzielle Mittel der Stadt und der Regierung
•
Dies ist möglich durch Überzeugungs- und Lobbyarbeit.
•
Verkehrsanbindung an Stadtzentrum
•
s.o.
Wirksam steuerbare Faktoren
Öffentliche Wirtschaft
236 Fortsetzung
Steuerbarkeit
Faktoren
Nicht steuerbare • Faktoren
Begründung
Kapitalmarkt
•
Finanzierungsinstrumente sind nur innerhalb gewisser Schranken frei wählbar. Generell werden diese Instrumente aber von Banken angeboten und können vom Kreditnehmer nicht beeinflußt werden.
•
ortsübliche Preise für Wohneigentum
•
Die Preise können nicht beeinflußt werden, sollten bei der eigenen Planung aber berücksichtigt werden.
•
ortsübliche Mieten
•
Die Mieten können nicht beeinflußt werden, sollten bei der eigenen Planung aber berücksichtigt werden.
•
Mobilitätsbedürfnisse der potentiellen Bewohner
•
Beeinflussen können die Projektplaner die Bedürfnisse nicht, sollten sie aber bei ihrer Planung berücksichtigen bzw. bewußt alternative Möglichkeiten anbieten.
•
geographische Voraussetzungen
•
Sie sind als gegeben hinzunehmen.
•
technologischer/ technischer Stand
•
Die Projektplaner sind bei ihrem Projekt auf vorhandene Technologien angewiesen (z.B. Niedrigenergiehaus, Passivhaus). Teilweise wären gemeinsame Neuentwicklungen denkbar.
• Frühwarnindikatoren
•
Kapitalmarkt
•
Die Zinsentwicklung läßt sich im Zeitverlauf beobachten, Markteinbrüche sind allerdings nicht immer vorhersehbar (vgl. Finanzkrise).
•
ortsübliche Preise für Wohneigentum
•
Preise entwickeln sich im Zeitverlauf.
•
ortsübliche Mieten
•
Mieten entwickeln sich im Zeitverlauf.
•
Mobilitätsbedürfnisse der potentiellen Bewohner
•
Bedürfnisse entwickeln sich über Zeiträume hinweg, Veränderungen sind beobachtbar.
•
Umweltbewußtsein
•
Umweltbewußtsein entwickelt sich im Zeitverlauf.
Tabelle 2-1 Steuerbarkeit der Faktoren
Aufgabe 4 Wichtige Voraussetzungen wären: •
keine Entvölkerung der Innenstadt zu erwarten,
•
Vorhandensein vieler Wohnungssuchender, die weder Eigenheim noch Wohnen im Grünen bevorzugen,
•
künftige Bewohner, die nicht unbedingt alle Pkw-mobil sein müssen (für Deutschland daher eher weniger geeignet),
•
ansprechende Umgebung, Lage des Wohngebietes (z.B. Wasser, Berge),
•
Bereitstellung ausreichender Fördermittel,
•
Unterstützung durch Staat und Regierung.
Die Grenzenlose Gartenschau
3
237
Die Grenzenlose Gartenschau „Gartenschauen entpuppen sich [...] zunehmend als ganzheitliche Herausforderung im Themengeflecht von Ökologie und Ökonomie, Landschaftsarchitektur und Hochbau, Stadtplanung und Denkmalpflege, Kunst und Kultur, Stadtsoziologie und Gartenbau.“1
Am 24. Mai 2006 öffnete die Gartenschau Marktredwitz/Cheb für 124 Tage ihre Pforten. Bereits seit 1978 gibt es Landesgartenschauen in Bayern. Diese „Grenzenlose Gartenschau“ war dennoch etwas Besonderes: Erstmalig wurde in Bayern eine Gartenschau grenzüberschreitend organisiert.2 „Zwei Städte, zwei Länder, zwei Kulturen, zwei Sprachen, schon deshalb ist der blühende Brückenschlag zwischen Marktredwitz und Cheb/Eger mehr als nur eine Blumenschau“3 und wurde auch als Symbol für die EU-Osterweiterung4 gesehen. Der Bürgermeister von Cheb (Region Karlovy Vary) hoffte auf einen Vorbildcharakter für weitere gemeinsame Vorhaben und wünschte sich vor allem, „dass diese Ausstellung dazu beiträgt, den Blick der Öffentlichkeit auf die in der Vergangenheit oft übersehene Grenzregion zu lenken“.5 Die beiden Städte (etwa 50 km voneinander entfernt, jeweils in Grenznähe gelegen) wiesen eine ähnliche Problemlage auf. Das touristische Potential galt als nicht ausreichend genutzt, zudem existierten verschiedene innerstädtische Flächen, die von Altlasten befreit und attraktiver gestaltet werden sollten. Nach dem ersten Spatenstich im September 2003 begannen die eigentlichen Baumaßnahmen in Marktredwitz im Frühjahr 2004. Die Arbeiten konzentrierten sich auf ein Fabrikgelände in Innenstadtnähe. Hier sollten auf 15 ha neue Stadt- und Landschaftsräume hergestellt und eine Verbindungsachse von Stadt und Natur geschaffen werden. Im Rahmen der umfangreichen Bauarbeiten wurden u.a. der Auenpark neu gestaltet, zahlreiche Bäume gepflanzt, ein See mit Seebühne und ein Schilflabyrinth angelegt sowie das Naturbad saniert und nach ökologischen Leitlinien umgestaltet. Diese Anlagen bleiben auch nach der Gartenschau bestehen und verbessern somit die Qualität und Attraktivität des Innenstadtbereichs nachhaltig.6
1
Gesellschaft zur Förderung der bayrischen Landesgartenschauen mbH, http://www.lgs.de, 04.08.2006 vgl. o.V.: Wie alles begann: Allem Anfang wohnt eine Zauber inne, http://www.marktredwitz2006.de, 04.08.2006 3 o.V.: Blumen statt Stacheldraht in Marktredwitz und Eger, Freie Presse, 18.05.2005, 19 4 vgl. o.V.: Konzept – Eine grüne Brücke zwischen den Kulturen, http://www.marktredwitz 2006.de, 04.08.2006 5 Podracký, Vladislav: Bunte Blumen als Markenzeichen, Freie Presse, 23.06.2006, 21 6 vgl. o.V.: Wie alles begann: Allem Anfang wohnt eine Zauber inne, http://www.marktredwitz2006.de, 04.08.2006; o.V.: Was bleibt danach? Auf lange Sicht profitieren!, http://www.marktredwitz2006.de; o.V.: Grenzenlose Städte-Freundschaft – Eine grüne Brücke zwischen den Kulturen, http://www.fichtelgebirge.net, 04.08.2006 2
Öffentliche Wirtschaft
238
Fabrikdach als Aussichtsplattform
Überblick über Gartenschaugelände
Seebühne
Seilfähre
Schilflabyrinth
Naturbad
Das Ausstellungsgelände in Cheb (12 ha) lag in Altstadtnähe im Tal der Eger. Das Gelände war in den letzten Jahrzehnten eher stiefmütterlich behandelt worden und sollte durch verschiedene Umgestaltungsmaßnahmen wieder attraktiver gestaltet werden. Die Baumaßnahmen in Cheb zielten vor allem darauf ab, die Flußlandschaft entlang der Eger zu revitalisieren und die historischen Flächen unterhalb der Burg zu sanieren. Auf diese Weise wollte man attraktive Naherholungsflächen schaffen, die auch nach der Gartenschau erhalten bleiben. Insgesamt trägt dies zu einer Verbes-
Die Grenzenlose Gartenschau
239
serung des Stadtimages bei, was sich auch positiv auf den Tourismus auswirken und letztendlich zu Schaffung weiterer Arbeitsplätze beitragen könnte.7
Burg mit Gartenschaugelände
Eger mit neuer Brücke
Neuer Spielplatz im Tal der Eger
Klostergarten
In erster Linie dient eine Gartenschau der Präsentation der Gartenkunst. Allein in Marktredtwitz wurden 125 Bäume, 575 Heckenpflanzen, 168.000 Blumenzwiebeln und 35.000 Schilfpflanzen für die Schilfreinigung gepflanzt, hinzu kam die Sommerflorpflanzung im Jahr 2006.8 Daneben wurde den Besuchern sowohl in Marktredwitz als auch in Cheb ein abwechslungsreiches Informations- und Kulturprogramm geboten. Zahlreiche Aktionen für alle Altersgruppen sollten eine breite Zielgruppe anlocken. Ein erweitertes touristisches Dienstleistungsangebot sollte für die gesamte Region werben.9 In Marktredwitz ging man davon aus, daß man ab 400.000 Besucher auch schwarze Zahlen schreiben könnte.10
7
vgl. Krajinná výstava bez hraniz Cheb – Marktredwitz 2006, Schautafeln auf dem Gelände der Grenzenlosen Gartenschau in Cheb vgl. o.V. Die Grenzenlose Gartenschau 2006 in Zahlen, http://www.marktredwitz2006.de, 04.08.2006 9 vgl. Krajinná výstava bez hraniz Cheb – Marktredwitz 2006, Schautafeln auf dem Gelände der Grenzenlosen Gartenschau in Cheb 10 vgl. o.V.: Blumen statt Stacheldraht in Marktredwitz und Eger, Freie Presse, 18.05.2005, 19 8
240
Öffentliche Wirtschaft
Erreichbar sind die beiden Städte per Pkw und Bahn. Die Fahrt mit dem stündlich in jede Richtung verkehrenden Triebwagen war im Eintrittspreis inbegriffen. Zudem verbindet die Städte ein neu eingeweihter Radweg. Die Erfahrung zeigt, daß die von Gartenschauen ausgehenden Wirkungen äußerst zahlreich sind. Sie fungieren nicht nur allein als Plattform für Gartenkunst, sondern sind mittlerweile zu „hochkomplexen städtebaulichen, sozialen und sogar ökonomischen Instrumenten der Stadtreparatur geworden“.11 Die ausrichtenden Gemeinden können auf vielfältige Art und Weise davon profitieren. Beispiele dafür sind eine gesteigerte Lebensqualität für die Bevölkerung, Imageverbesserung, touristische (Neu-)Positionierung oder Schaffung neuer Arbeitsplätze. Aufgabe 1 Was sollte mit der Durchführung der Landesgartenschau in Marktredwitz bzw. in Cheb erreicht werden? Aufgabe 2 Welche Wirkungen gingen wahrscheinlich von der Landesgartenschau aus? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 3 Wodurch unterschied sich die Grenzenlose Gartenschau von „klassischen“ Gartenschauen? Aufgabe 4 Welche Erwartungen wurden von den einzelnen Akteuren an die Landesgartenschau geknüpft? Aufgabe 5 Wovon hängt die erfolgreiche Durchführung einer Landesgartenschau ab! Stellen Sie wichtige Faktoren und deren Zusammenwirken in einem Wirkungsgefüge dar! Aufgabe 6 Leiten Sie aus Ihrem Wirkungsgefüge eine Wirkungsmatrix ab! Aufgabe 7 Entwickeln Sie ausgehend von Ihrer Wirkungsmatrix ein Intensitätsportfolio!
11
Gesellschaft zur Förderung der bayrischen Landesgartenschauen mbH, http://www.lgs.de/vision.htm, 04.08.2006
Die Grenzenlose Gartenschau
241
Lösung Aufgabe 1 Oberziel: Steigerung der Attraktivität und Lebensqualität im Innenstadtbereich beider Städte (langfristig) Teilziele: Präsentation der Gartenkunst, Durchführung von Aktivitäten und Veranstaltungen in der Stadt, Präsentation der Region, Schaffung eines erweiterten Angebots an touristischen Dienstleistungen (kurzfristig); Intensivierung des Interesses der Touristen für die Region, Revitalisierung vernachlässigter bzw. ungenutzter (Grün-)Flächen, (Neu-)Gestaltung historischer Flächen, Schaffung von Naherholungsflächen, Verbesserung der Infrastruktur, Verbesserung des Stadtimages, Schaffung neuer Arbeitsplätze (mittel- bis langfristig) Aufgabe 2 Gartenformen
Akzente, Effekte durch farbliche Gestaltung
einheimische vs. exotische Pflanzen
ländertypische Gartenanlagen Verwertung von Gartenerzeugnissen
Nutzpflanzen vs. Zierpflanzen
Anbau von Nutz- und Zierpflanzen
Pflanzen-Sonderschauen (wechselnd in kürzeren Rhythmen)
verschiedene Zierflächen (in Abhängigkeit von Vegetationsperiode)
Naturschutz im Garten und allgemein Bio-Garten Öffentlichkeitsarbeit der Branche Wissensvermittlung bzw. Informationsangebot zum Gartenbau
Branche Präsentationsplattform für Unternehmen
Imageverbesserung
Angebotsspektrum und Qualität
evtl. Kundengewinnung
als Wohn- und Lebensumfeld
Stadt
Investitionsklima
Traditionelles und Modernes
Verbindung von Natur und Ästhetik
Gartenschau i.e.S. als befristete touristische Attraktion
Anregungen für Besucher zur Gestaltung des eigenen Gartens
Kulturangebot
Konzerte, Musical, Theater; Trachtengruppen, Volkstänze; Workshops; Veranstaltungen für Kinder zusätzliche abwechslungsreiche Kulturund gesellschaftliche Programme
Wirkungen der Gartenschau
Schaffung dauerhafter Plattformen für kulturelle Veranstaltungen
Tourismusziel Neubau/Sanierung von kulturellen Einrichtungen Verbesserung der Naherholungsmöglichkeiten
Verbesserung der Umweltqualität
Aufwertung bisher ungenutzter oder verwahrloster Flächen
Beseitigung von Umweltschäden
vielseitiges Angebot
Sanierung von (Industrie-) Brachen
Verbindung schaffen zwischen Stadt und Natur
Rekultivierung
Abbildung 3-1 Mindmap: Wirkungen der Gartenschau
Investitionen in die Infrastruktur
Verkehrswege
Sanierung oder Neubau von Straßen, Rad und Fußwegen
Sport- und Kultureinrichtungen Neubau/Sanierung von Sportplätzen/-hallen, Schwimmbädern, Spielplätzen Errichtung von Parkplätzen
Öffentliche Wirtschaft
242 Aufgabe 3
Es handelt sich um eine ländergrenzenüberschreitende Gartenschau: zwei Städte, zwei Länder, zwei Kulturen, zwei Sprachen. In beiden Städten gab bzw. gibt es ähnliche Probleme: zum einen die grenznahe Lage, zum anderen die bislang als unzureichend empfundene touristische Positionierung. Ein einheitliches EU-Recht ist bindend für beide Städte, allerdings besteht noch ein unterschiedliches Niveau der Umsetzung. Die Landesgartenschau wurde als europäisches Projekt und Symbol der EU-Osterweiterung gesehen.12 Aufgabe 4
EU
Tschechische Republik
BR Deutschland
Region Karlovy Vary
Bundesland Bayern
Cheb
Marktredwitz
Einzelhandel, Hotel- u. Gastgewerbe
Einwohner
Touristen
LGS-Organisation/ Projektträger Einwohner
Abbildung 3-2 Akteure Akteure Städte
Erwartungen • • • • •
Verbesserung der Stadtbildes Imageverbesserung Erhöhung des Bekanntheitsgrades Steigerung der touristischen Attraktivität Schaffung von Arbeitsplätzen
Organisatoren
• •
erfolgreiche Durchführung Schaffung von Synergieeffekten für die Städte
Einwohner
• •
Attraktivitätssteigerung des Wohn- und Lebensumfeldes zusätzliche (allerdings zeitliche begrenzte) touristische Attraktion
12 vgl. o.V.: Grenzenlose Städte-Freundschaft – Eine grüne Brücke zwischen den Kulturen, http://www.fichtelgebirge.net, 04.08.2006
Die Grenzenlose Gartenschau
243
Fortsetzung
Akteure/Beteiligte Einwohner
Erwartungen • •
neue, dauerhafte Naherholungsmöglichkeiten Schaffung von Arbeitsplätzen
Touristen
• • •
touristische Attraktion, die einen Besuch lohnt vielfältiges Angebot gute infrastrukturelle Anbindung
Einzelhandel; Hotelund Gastgewerbe
• •
gesteigerte Nachfrage während der Ausstellung möglicherweise Gewinnung neuer Kunden, die auch nach der Landesgartenschau Angebote nutzen
Tabelle 3-1 Erwartungen der Akteure
Aufgabe 5
+ +
Organisation/ Projektträger
-
+
+
Ausstellungsfläche
+
+
+
+
Fördermittel
+ + Infrastruktur
+
+ +
+
+
Besucher
Blumenschauen + Veranstaltungen
+
Kommunikationspolitik
+ +
Wetter
Abbildung 3-3 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Organisation/ Projektträger
auf .. Ausstellungsfläche Blumenschauen, Veranstaltungen Kommunikationspolitik Infrastruktur Besucher
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen bestimmt Art und Größe bestimmt Art, Anzahl, Durchführung (und damit Erfolg) bestimmt Art, Inhalt und Umfang bestimmt Art und Umfang bestimmen Zielgruppen, auf die Angebot und Aktivitäten ausgerichtet werden
Öffentliche Wirtschaft
244 Fortsetzung
Wirkung von ... Ausstellungsfläche
auf .. Organisation/ Projektträger Blumenschauen, Veranstaltungen Infrastruktur
Besucher Blumenschauen, Organisation/ Veranstaltungen Projektträger Kommunikationspolitik Besucher Fördermittel
Organisation/ Projektträger Ausstellungsfläche Blumenschauen, Veranstaltungen Kommunikationspolitik Infrastruktur
Kommunikationspolitik Infrastruktur
Besucher Organisation/ Projektträger Ausstellungsfläche Fördermittel Besucher
Besucher
Wetter
Organisation/ Projektträger Ausstellungsfläche Blumenschauen, Veranstaltungen Kommunikationspolitik Infrastruktur Blumenschauen, Veranstaltungen Besucher
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je größer die Ausstellungsfläche, um so mehr ist die Organisation gefordert je größer die Ausstellungsfläche, um so mehr Blumenschauen bzw. Veranstaltungen sind (zeitgleich) möglich je größer die Ausstellungsfläche, um so mehr muß infrastrukturell erschlossen werden (mehr Wege, Eingänge, Parkplätze usw.) je attraktiver die Ausstellungsfläche (bzgl. Lage, Größe), um so mehr Besucher werden angezogen je mehr Blumenschauen und Veranstaltungen, um so mehr ist Organisation gefordert beeinflussen Inhalt und Art je attraktiver die Blumenschauen und Veranstaltungen, um so mehr Besucher werden angelockt je mehr Fördermittel verfügbar, um so freier kann Organisation arbeiten bzw. um so mehr Gestaltungsmöglichkeiten hat Organisation je mehr Fördermittel verfügbar, um so größer kann die zu erschließende Ausstellungsfläche sein je mehr Fördermittel verfügbar, um so mehr kann in Blumenschauen und Veranstaltungen investiert werden je mehr Fördermittel verfügbar, um so mehr kann in Kommunikationspolitik investiert werden je mehr Fördermittel verfügbar, um so mehr kann in die Infrastruktur investiert werden je ansprechender die Kommunikationspolitik, um so mehr Besucher kommen je schlechter die vorhandene Infrastruktur, um so mehr ist Organisation gefordert vorhandene Infrastruktur (z.B. Bebauung) beeinflußt Lage und Größe der Ausstellungsfläche geplante Infrastrukturmaßnahmen (wenn dauerhaft nutzbar und sinnvoll) können Höhe der Fördermittel beeinflussen je besser die Infrastruktur, um so mehr Besucher können Ausstellung ungehindert genießen je mehr Besucher, um so höhere Anforderungen werden an Organisation gestellt je mehr Besucher erwartet, um so aufnahmefähiger muß Ausstellungsfläche sein die erwarteten Zielgruppen beeinflussen Art der Blumenschauen und Veranstaltungen Zielgruppen beeinflussen Art und Inhalt der Werbung je mehr Besucher erwartet, um so leistungsfähiger muß die Infrastruktur sein je besser das Wetter, um so günstiger für die Durchführung der Blumenschauen und Veranstaltungen (allerdings kann zu große Hitze auch negativ wirken!) je besser das Wetter, um so mehr Besucher kommen
Tabelle 3-2 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Die Grenzenlose Gartenschau
245
Aufgabe 6
Blumenschauen + Veranstaltungen
Fördermittel
Kommunikationspolitik
Infrastruktur
Besucher
Wetter
Zeilensumme
Spaltensumme
3 x
3 3
0 0
3 0
3 2
3 2
0 0
15 9
0
x
0
3
0
2
0
8
2
3
x
3
3
0
0
14
0
0
0
0
x
0
2
0
2
2 2 0
3 3 0
0 2 2
1 0 0
0 2 0
x 3 0
2 x 2
0 0 x
12
11
13
1
11
11
13
0
8 12 4 x
Organisation
von auf Organisation Ausstellungsfläche Blumenschauen + Veranstaltungen Fördermittel Kommunikationspolitik Infrastruktur Besucher Wetter
Ausstellungsfläche
Wirkung
x 2 3 3
Abbildung 3-4 Wirkungsmatrix
Aufgabe 7 Beeinflussung
REAKTIV
20
KRITISCH
18
16
14 B
Be O
12 K
I
A
10
O
Organisation
A
Ausstellungsfläche
B
Blumenschauen; Veranstaltungen
F
Fördermittel
K
Kommunikationspolitik
I
Infrastruktur
Be
Besucher
W
Wetter
8
6
4
2 F
TRÄGE
0
2
W 4
6
8
Abbildung 3-5 Intensitätsportfolio
10
12
14
AKTIV 16
Einflußnahme 18
20
Öffentliche Wirtschaft
246 Kritische Faktoren
•
•
Die Organisation gestaltet die Landesgartenschau aktiv und versucht, die übrigen Faktoren positiv zu beeinflussen. Sie unterliegt gleichzeitig aber verschiedensten Einflüssen und zählt deshalb zur Gruppe der kritischen Faktoren. Besucher: Einerseits reagieren Besucher auf das bereitgestellte Angebot, andererseits muß die gesamte Landesgartenschau auf die Bedürfnisse der potentiellen Besucher zugeschnitten werden, um letztendlich erfolgreich zu sein.
Aktive Faktoren
•
Fördermittel beeinflussen die übrigen Faktoren aktiv. Von Fördermitteln hängt in großem Maße ab, auf welche Art und Weise die Landesgartenschau gestaltet wird, da Veranstaltungen dieserart vorfinanziert werden müssen und i.d.R. von finanzieller Unterstützung abhängig sind.
Reaktive Faktoren
•
Die Ausstellungsfläche ist von verschiedenen anderen Faktoren abhängig, z.B. vorhandene oder zu errichtende Infrastruktur, geplante Ausstellungen und Veranstaltungen oder den erwarteten Besucherzahlen. Blumenschauen und Ausstellungen werden zum einen durch die Organisation und zur Verfügung stehende Fläche bestimmt, sie unterliegen zusätzlich anderweitigen Einflüssen (z.B. Akzeptanz durch Besucher, Wetter). Die Kommunikationspolitik ist in diesem Fall ein reaktiver Faktor. Sie orientiert sich am Grundkonzept der Landesgartenschau, an den durchzuführenden Veranstaltungen sowie an der Zielgruppe. Die Infrastruktur richtet sich nach den Bedürfnissen anderer Faktoren (z.B. Ausstellungsfläche, Besucher) und wird entsprechend zugeschnitten.
•
• •
Träge Faktoren
•
Das Wetter wird von keinem der anderen Faktoren beeinflußt, kann sich aber auf Erfolg des Gesamtkonzepts auswirken (z.B. Besucherströme bei guten vs. schlechtem Wetter, Einflüsse auf die Vegetation usw.).
Tabelle 3-3 Erläuterung der Faktoren
247
Schanzenbau in Klingenthal
4
Schanzenbau in Klingenthal „Die Vogtland-Arena hat sich einen festen Platz im Herzen der Zuschauer und der Sportler erobert. Neue Begeisterung für eine alte Klingenthaler Tradition ist entfacht.“1
Die Stadt Klingenthal im Vogtland hat eine lange Wintersporttradition. Das erste Paar Ski soll dort 1886 gebaut worden sein, kurze Zeit später begann sich der Skisport organisiert zu entwickeln. Seit 1955 gibt es im Ort ein Skisport-Gymnasium. 1993 wurde Klingenthal zum Landesleistungszentrum ernannt. Mehr als 80 Skisportler aus ganz Sachsen besuchen Klingenthaler Schulen und trainieren vor Ort Skilanglauf, Nordische Kombination und Spezialspringen. Der VSC Klingenthal gilt mit über 500 Mitgliedern als der größte sächsische Wintersportverein.2 Bekannt ist Klingenthal vor allem durch die legendäre Aschbergschanze, die 1959 eingeweiht worden war. Mit deren Abriß im Jahr 1990 verschwand zum einen eine bedeutende Trainings- und Wettkampfstätte, zum anderen ein Wahrzeichen der Region. Lange Zeit wurde um einen Schanzenneubau gerungen, bis es 2002 grünes Licht gab.3 Ende 2005 konnten die ersten Sportler die modernste Großschanze Europas in der Klingenthaler Vogtland-Arena einspringen.4 Die 120-m-Schanze steht den Athleten ganzjährig als Trainings- und Wettkampfstätte zur Verfügung. Im Winter ist bei ungünstigen Witterungsverhältnissen eine Beschneiung möglich. Der Trainingsund Wettkampfbetrieb im Sommer ist durch Mattenbelegung gewährleistet. Dadurch können hohe Auslastungen erreicht und ganzjährig Besucher angelockt werden. Die architektonische Gestaltung der Sprunganlage, für die es mehrfach Auszeichnungen gab, erhöht die Attraktivität des gesamten Wintersportzentrums.5
Die neue Sprungschanze
1
Blick aus Springersicht
Selbmann, Uwe: Am seidenen Faden, in: Freie Presse, 25.09.2008, 18 vgl. Landratsamt Vogtlandkreis: Schanzenimpressionen 2004, Plauen 2004, o.S. vgl. o.V.: Schanzenprojekt, in: Freie Presse, 11.03.2004 4 vgl. Landratsamt Vogtlandkreis: Vogtland-Arena, Informationsfaltblatt, Plauen 2006 5 vgl. Landratsamt Vogtlandkreis: Schanzenimpressionen 2004, Plauen 2004, o.S. 2 3
248
Öffentliche Wirtschaft
Die 2006 in Betrieb genommene Aufstiegshilfe „Wie-Li“, die nach dem Prinzip einer (talwärts gebremsten) Sommerrodelbahn funktioniert, erleichtert den Springern den Aufstieg und kann zudem außerhalb der Wettkampf- und Trainingszeiten von den Besuchern zur Besichtigung der Schanze genutzt werden.6
Aufstiegshilfe Wie-Li
Zuschauertribünen
Klingenthal möchte sich einen festen Platz im Wettkampfkalender des Internationalen Skiverbandes FIS sichern. Dazu galt es zunächst, die Entscheidungsträger von den Qualitäten der Schanze zu überzeugen. Im Februar 2007 hatte man das Glück, daß ein in Harrachov angesetzter Weltcup der Spezialspringer wetterbedingt nicht ausgetragen und von der Vogtland-Arena übernommen werden konnte.7 Durch die neue Schanze erhoffen sich die Stadt Klingenthal und die Region ein kräftiges Zugpferd für Wirtschaft und Tourismus: „Die Anlage ist daher so konzipiert, dass neben der Durchführung von Großereignissen, die als herausragende Attraktion zahlreiche Besucher an wenigen Tagen anziehen, eine ganzjährige grenzüberschreitende Nutzung für Training, Wettkampf, Kultur und Tourismus möglich ist.“8 Außerdem soll die Schanze als Sehenswürdigkeit an sich auch außerhalb der Veranstaltungen zahlreiche Gäste anziehen. Prognoserechnungen gehen von 100.000 Besuchern jährlich aus; nicht eingerechnet sind dabei die Zuschauerzahlen bei Wettkämpfen oder Kulturveranstaltungen. Neben den Eintrittsgeldern verspricht man sich zusätzliche Einnahmen durch den Liftbetrieb, aus dem Verkauf von Souvenirs sowie durch Werbegelder.9 Positive Effekte waren bereits während des Baus zu verzeichnen, da sich bei sämtlichen Ausschreibungen einheimische Unternehmen durchsetzen konnten. Günstig erweist sich auch die geographische Lage Klingenthals, so daß die neue Schanze auch von Sportlern aus der tschechischen Republik als Trainingsanlage genutzt werden und sich der Ort als deutsch-tschechisches Wintersportzentrum in der Euroregion „Euregio Egrensis“ etablieren kann. 6
vgl. o.V.: Die Geschichte der Vogtland-Arena, http://www.klingenthal.de, 14.04.2009 vgl. ebd. Landratsamt Vogtlandkreis: Schanzenimpressionen 2004, Plauen 2004, o.S. 9 vgl. Fischer, Mandy: Klingenthal erwartet an der neuen Schanze 100.000 Besucher im Jahr – 274 jeden Tag, in: Freie Presse, 20.04.2004, 11 7 8
Schanzenbau in Klingenthal
249
Finanziert wurde der Bau zu 30 % vom Vogtlandkreis und zu 70 % vom Freistaat Sachsen. Ursprünglich waren auch EU-Fördermittel in Höhe von 10,5 Mio. Euro aus dem Programm Intereg IIIa bereitgestellt worden. 2008 wurde allerdings bekannt, daß die EU den Bau der Schanze gar nicht hätte fördern dürfen und die bereitgestellten Gelder zurückzog. Die ursprüngliche Fördersumme wurde daraufhin vom Freistaat übernommen.10 Dies waren allerdings nicht die einzigen Probleme, die bezüglich der Finanzierung auftraten. In der Planungsphase waren für den Schanzenbau Gesamtkosten in Höhe von 7,1 Mio. Euro angesetzt worden. Im Laufe des Baus wurden verschiedene Änderungen notwendig, die die Projektverantwortlichen vor allem auf Forderungen der FIS zurückführen: Nachträglich installiert wurden eine Flutlicht- und eine Beschneiungsanlage, Mattenbeläge, Zäune, Mediengebäude und eine Liftanlage sowie zuletzt im Herbst 2008 eine neue Anlaufspur. Letztendlich beliefen sich die Baukosten auf 17,2 Mio. Euro. Obwohl die Schanze damit im Vergleich immer noch auf niedrigem Kostenniveau liegt (ein Umbauprojekt am Holmenkollen in Oslo verursacht Kosten in Höhe von 65 Mio. Euro), wurde der Bauherr deshalb stark kritisiert.11 Nachdem Wettkämpfe mehrfach durch starken Wind beeinträchtigt worden sind, steht nun die Nachrüstung eines Windsegels zur Diskussion. Dafür sowie zur Begradigung der Loipenspur für die nordische Kombination wären weitere 500.000 Euro nötig.12 Aufgabe 1 Welche Chancen und Risiken sind mit dem Neubau der Skisprungschanze verbunden. Beleuchten Sie die Problematik mithilfe eines Mindmaps aus ökonomischer, sozio-kultureller, ökologischer und sportlicher Sicht! Aufgabe 2 Der Neubau der Schanze und deren Nutzung werden als „Motor für die regionale Wirtschaft“ sowie als Bereicherung der Region gesehen. Stellen Sie die vom Bau und der Nutzung ausgehenden Impulse und deren Zusammenwirken in einem Wirkungsgefüge dar! Aufgabe 3 Leiten Sie aus Ihrem Netzwerk eine Wirkungsmatrix ab! Aufgabe 4 Entwickeln Sie ausgehend von Ihrer Wirkungsmatrix ein Intensitätsportfolio!
10
vgl. Selbmann, Uwe: EU storniert Millionen für Klingenthals Großschanze, in: Freie Presse, 25.09.2008, 18 11 vgl. Prenzel, Thomas: Neuer Ärger um die Vogtland-Arena, in: Freie Presse, 12.05.2007, 3; Meisel, Thomas: Windsegel für die Vogtland-Arena, in: Freie Presse, 12.02.2009, 18; Riedel, Ulrich; Selbmann, Uwe: Vogtland-Arena: Fass ohne Boden?, in: Freie Presse, 23.03.2009, 17; Prenzel, Thomas: Neuer Ärger um die Vogtland-Arena, in: Freie Presse, 12.05.2007, 3 12 vgl. Riedel, Ulrich; Selbmann, Uwe: Vogtland-Arena: Fass ohne Boden?, in: Freie Presse, 23.03.2009, 17; Meisel, Thorald: Schanze: Für Windsegel wird es eng, in: Freie Presse, 17.02.2009, 15
250
Öffentliche Wirtschaft
Lösung Aufgabe 1
Motor für die regionale Wirtschaft höhere Attraktivität als Trainings- und Wettkampfstätte
Finanzierung
höhere Attraktivität als Tourismusdestination
Kapazitäten
Amortisation
Know-how/neue Zusammenarbeitsformen
Beherbergung
Tourismus-/ Sportbewußtsein
Verpflegung
Partizipation
Transport
Identität/Werte
aus ökonomischer Sicht
neue Aufgaben für bestehende Organisationen und Behörden Intensivierung der Kontakte in der Euroregion "Euregio Egrensis"
aus soziokultureller Sicht
Skisprungschanze Klingenthal aus ökologischer Sicht
aus sportlicher Sicht
Boden Training
Flora Bau
Betrieb Fauna
Wettkämpfe
Wasser, Energie
Unterkunft/ Verpflegung von Besuchern
Verkehr
Lärm
Chancen
Landschaftsbild
Risiken
Luft
Unterkunft/ Verpflegung von Sportlern/ Funktionären
bessere Trainingsmöglichkeiten für Nachwuchs- und Leistungssportler Austragung von Wettkämpfen möglich Stellenwert der Sportart in Region erhöht Etablierung eines deutschtschechischen Wintersportzentrums
Abbildung 4-1 Mindmap: Durch den Schanzenbau entstehende Chancen und Risiken
251
Schanzenbau in Klingenthal Aufgabe 2
+
Attraktivität als Sportzentrum
+
+
+
internationale Wettkämpfe
+
+
+
+ Verkehrsanbindung
+
+ +
+
+ +
+
+
lokale Bauunternehmen
+
+
+
+
Beherbergung
+
+
Attraktivität als Tourismusdestination
gastronomische Einrichtungen
+
+
+
+
lokaler Arbeitsmarkt
Abbildung 4-2 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Attraktivität als Sportzentrum
auf ... internationale Wettkämpfe Verkehrsanbindung Beherbergung gastronomische Einrichtungen lokaler Arbeitsmarkt
internationale Wettkämpfe
Attraktivität als Sportzentrum Attraktivität als Tourismusdestination Verkehrsanbindung Beherbergung
Attraktivität als Tourismusdestination
Verkehrsanbindung
gastronomische Einrichtungen Beherbergung Verkehrsanbindung gastronomische Einrichtungen Attraktivität als Sportzentrum internationale Wettkämpfe Attraktivität als Tourismusdestination
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je attraktiver das Sportzentrum, um so eher finden dort internationale Wettkämpfe statt je attraktiver das Sportzentrum, um so besser muß die Verkehrsanbindung sein je attraktiver das Sportzentrum, um so mehr Unterbringungsmöglichkeiten werden benötigt je attraktiver das Sportzentrum, um so mehr gastronomische Einrichtungen werden benötigt je attraktiver das Sportzentrum, um so mehr Arbeitsplätze können geschaffen werden je größer/häufiger die Wettkämpfe, um so attraktiver die Tourismusdestination je größer/häufiger die Wettkämpfe, um so attraktiver die Tourismusdestination je größer/häufiger die Wettkämpfe, um so besser muß die Verkehrsanbindung sein je größer/häufiger die Wettkämpfe, um so mehr Unterbringungsmöglichkeiten werden benötigt je größer/häufiger die Wettkämpfe, um so mehr gastronomische Einrichtungen werden benötigt je attraktiver die Tourismusdestination, um so größer der Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten je attraktiver die Tourismusdestination, um so besser muß die Verkehrsanbindung sein je attraktiver die Tourismusdestination, um so größer der Bedarf an gastronomischen Einrichtungen je besser die Verkehrsanbindung, um so attraktiver das Sportzentrum je besser die Verkehrsanbindung, um so wahrscheinlicher die Durchführung internationaler Wettkämpfe je besser die Verkehrsanbindung, um so attraktiver die Tourismusdestination
252
Öffentliche Wirtschaft
Fortsetzung
Wirkung von ... Verkehrsanbindung
Beherbergung
gastronomische Einrichtungen
lokale Bauunternehmen
auf ... Beherbergung
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je besser die Verkehrsanbindung, um so besser können verfügbare Unterkünfte genutzt werden gastronomische Einje besser die Verkehrsanbindung, um so besser können richtungen verfügbare gastronomische Einrichtungen genutzt werden lokale Bauunternehmen je mehr in die Verkehrsanbindung investiert wird, um so mehr Aufträge für Bauunternehmen lokaler Arbeitsmarkt je dichter die Verkehrsanbindung (v.a. ÖPNV), um so mehr Arbeitskräfte werden benötigt Attraktivität als Touris- je mehr Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden, um so musdestination attraktiver die Tourismusdestination je mehr Unterbringungsmöglichkeiten benöVerkehrsanbindung tigt/vorhanden, um so dichtere Verkehrsanbindung nötig gastronomische Einje mehr Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden, um so richtungen größer der Bedarf an gastronomischen Einrichtungen lokale Bauunternehmen je mehr Unterbringungsmöglichkeiten benötigt, um so mehr Aufträge für Bauunternehmen je mehr Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden, um so lokaler Arbeitsmarkt mehr Arbeitskräfte werden benötigt Attraktivität als Touris- je mehr gastronomische Einrichtungen vorhanden, um musdestination so attraktiver die Tourismusdestination je mehr gastronomische Einrichtungen benötigt, um so Verkehrsanbindung dichtere Verkehrsanbindung nötig lokale Bauunternehmen je mehr gastronomische Einrichtungen benötigt, um so mehr Aufträge für Bauunternehmen lokaler Arbeitsmarkt je mehr gastronomische Einrichtungen vorhanden, um so mehr Arbeitskräfte werden benötigt je mehr lokale Bauunternehmen eingebunden, um so lokaler Arbeitsmarkt mehr Arbeitskräfte werden benötigt
Tabelle 4-1 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Verkehrsanbindung
Beherbergung
gastronomische Einrichtungen
lokale Bauunternehmen
lokaler Arbeitsmarkt
Zeilensumme
Spaltensumme
Attraktivität als Tourismusdestination
von auf Attraktivität als Sportzentrum internationale Wettkämpfe Attraktivität als Tourismusdestination Verkehrsanbindung Beherbergung gastronomische Einrichtungen lokale Bauunternehmen lokaler Arbeitsmarkt
internationale Wettkämpfe
Wirkung
Attraktivität als Sportzentrum
Aufgabe 3
x
3
0
2
2
2
0
1
10
3
x
3
3
3
3
0
0
15
0
0
x
2
2
2
0
0
6
2 0
3 0
3 2
x 3
2 x
2 3
3 3
3 2
18 13
0
0
2
3
0
x
3
2
10
0 0 5
0 0 6
0 0 10
0 0 13
0 0 9
0 0 12
x 0 9
2 x 10
2 0 x
Abbildung 4-3 Wirkungsmatrix
253
Schanzenbau in Klingenthal Aufgabe 4 Beeinflussung
REAKTIV
20
KRITISCH
Sp W
18
T 16
14 V
V
Verkehrsanbindung
B
Beherbergung
G
G
12
lB 10 A
T lB
A
B
Attraktivität als Sportzentrum internationale Wettkämpfe Attraktivität als Tourismusdestination
gastronomische Einrichtungen lokale Bauunternehmen lokaler Arbeitsmarkt
8
W
6 Sp 4
2
TRÄGE 0
2
4
AKTIV
6
8
10
12
14
16
Einflußnahme 18
20
Abbildung 4-4 Intensitätsportfolio Kritische Faktoren
•
Eine entsprechende Verkehrsanbindung ist Voraussetzung dafür, daß sich die Einrichtung als anerkannte und stark frequentierte Destination etablieren kann.
Aktive Faktoren
•
Ebenso aktivierend wie der Schanzenneubau an sich wirkt die Durchführung internationaler Wettkämpfe, die allerdings an bestimmte Grundvoraussetzungen geknüpft sind. Dazu müssen auch ausreichende Unterbringungsmöglichkeiten gegeben sein.
• Reaktive Faktoren
•
Bedarf an gastronomischen Einrichtungen entsteht zunächst sprunghaft. Die weitere Entwicklung erfolgt eher mittel- bis langfristig, richtet sich aber im wesentlichen danach, wie sich das Sport- und Tourismuszentrum in Zukunft gestaltet.
Träge Faktoren
•
Die Attraktivität als Sportzentrum wird sich mittel- bis langfristig aufgrund der dortigen Trainingsmöglichkeiten entwickeln. Allerdings kann der Wettkampfkalender nicht von den Schanzenbetreibern allein erstellt werden, sondern hängt stark von den Vorgaben der FIS ab. Die Attraktivität als Tourismusdestination leitet sich aus der Schanze selbst sowie den dort stattfindenden Veranstaltungen ab. Von den Entwicklungen der übrigen Faktoren in großem Maße abhängig sind die lokalen Bauunternehmen sowie der Arbeitsmarkt. Aufträge bzw. Arbeitsplätze entstehen nur durch den Schanzenneubau sowie damit in Verbindung stehende Folgeinvestitionen.
• •
Tabelle 4-2 Erläuterung der Faktoren
Öffentliche Wirtschaft
254
5
Erlebnis Eisenbahn „Steile Strecken, atemberaubende Gebirgsbahnen und gewaltige Lokomotiven – ingenieurtechnische Meisterleistungen ermöglichten die Erschließung der faszinierenden Bergwelt der Alpen durch die Eisenbahn.“1
Die drei Gebirgsgemeinden Blautal, Tannendorf und Sonnenberg, entlang einer landschaftlich und eisenbahntechnisch äußerst interessanten Bahnstrecke gelegen, sind auf der Suche nach einer neuen touristischen Attraktion. Kürzlich lernte der Bürgermeister von Tannendorf, Herr Theodor Tannhauer, einen sogenannten „EisenbahnErlebnispfad“ kennen, der ihn sofort faszinierte.
Partnerinnen von Eisenbahnfans haben es nicht immer leicht
Auf mehreren Kilometern Wegstrecke, die neben dem Ausgangs- und Endpunkt verschiedene Zugangsmöglichkeiten aufweist, kann der Eisenbahninteressierte und Wanderer dort Eisenbahntechnik hautnah erleben und erhält auf zahlreichen Informationstafeln Auskünfte zur Eisenbahn, zur Geschichte der Bahnstrecke und der Region. Die Strecke führt den Wanderer entlang der Bahnlinie, hindurch unter Brücken und über Berge, die die Bahn in Tunneln durchquert. Gute Kondition und festes Schuhwerk werden dabei vorausgesetzt. Der Sicherheit wegen ist der von Tannhauer besuchte Pfad nur in den Sommermonaten geöffnet.2 1
o.V.: Die schönsten Alpenbahnen, München 2000 (Klappentext) In der Schweiz wurden derartige Erlebnispfade bereits erfolgreich eingerichtet. Der Bahnhistorische Lehrpfad der Rhätischen Bahn erstreckt sich entlang der Albulastrecke im Kanton Graubünden zwi-
2
Erlebnis Eisenbahn
Gut zu Fuß entlang der Bahn
255
BLS-Nordrampe: Zugverkehr über die LötschbergBergstrecke
Nun versucht Tannhauer gerade, seinem Gemeinderat und denen der beiden anderen Gemeinden diese Idee schmackhaft zu machen. Für ihn liegen die günstigen Voraussetzungen auf der Hand: Die Strecke verfügt auf engstem Raum über viele verschiedene eisenbahntechnische Kunstbauten, wie z.B. Viadukte, Brücken, Tunnel, Kehrtunnel und (Lawinen-)Galerien, verbunden mit einer reizvollen landschaftlichen Szenerie. Von Blautal über Tannendorf nach Sonnenberg überwindet die Bahnstrekke einen Höhenunterschied von etwa 400 m. Aufgabe 1 Was ist vor der Errichtung eines solchen Erlebnispfades zu bedenken? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 2 Stellen Sie den Wirkungszusammenhang der diesbezüglich bedeutenden Faktoren in einem Wirkungsgefüge dar! Aufgabe 3 Welche Ziele könnte sich Bürgermeister Theodor Tannhauer zur Planung und Realisierung seines Vorhabens nun setzen? Aufgabe 4 Wie könnte der Erlebnispfad vermarktet werden?
schen Preda und Bergün (Gesamtlänge 8 km, Höhenunterschied zwischen Anfangs- und Endpunkt 416 m, eröffnet 1985). Der BLS-Erlebnis-Pfad befindet sich im Kanton Berner Oberland an der Nordrampe der Lötschbergstrecke Spiez–Brig zwischen den Bahnhöfen Kandersteg und Frutigen (Gesamtlänge 5 km, Höhenunterschied zwischen Anfangs- und Endpunkt 317 m, eröffnet 1993). Der Höhenweg entlang der Lötschberg-Südrampe von Hohtenn nach Lalden ist zwar nicht als Eisenbahnlehrpfad ausgewiesen, weist aber ähnliche Qualitäten auf (Gesamtlänge 18 km, Höhenunterschied zwischen Anfangs- und Endpunkt 277 m). Zum 125jährigen Jubiläum der Gotthard-Bergstrecke wurde der Bahnwanderweg „Bahn-Natur-Kultur“ entlang der Gotthard-Bahn zwischen Göschenen und Erstfeld im Kanton Uri eingerichtet (Gesamtlänge 23 km, Höhenunterschied zwischen Anfangs- und Endpunkt 651 m, eröffnet 2007).
Öffentliche Wirtschaft
256
Lösung Aufgabe 1
Attraktivität/ Eignung der Strecke
allgemeinde Wegesicherheit, als Wanderweg ausbauen
Anzahl an eisenbahntechnischen Kunstbauten
Gefährdung der Wanderer und des Zugverkehrs vermeiden
Attraktivität der Kunstbauten Bauten können besichtigt werden
Sicherheit sonstige touristische Aspekte
Zugdichte auf der Strecke reizvolle Landschaft Anbindung an vorhandene Infrastruktur
strikte Abtrennung zwischen Pfad und Gleisen + Bahnanlagen, keine "wilden" Übergänge
Informationen
EisenbahnErlebnispfad
Schautafeln Begleithefte
Bahn Familienfreundlichkeit, z.B.
Bus P+R
Grillplätze Spielplätze Finanzierung
Gemeinden
Möglichkeiten der Verpflegung
Organisation Kooperation mit Bahn
Bahn gemeinsam Dritte
Ausbau durch Bahn bzw. gemeinsam
Gasthäuser Läden Kombination mit anderen Attraktionen
Wanderwegbeschilderung Werbung
Abbildung 5-1 Mindmap: Zu berücksichtigende Aspekte bei der Einrichtung eines Erlebnispfades
Erlebnis Eisenbahn
257
Aufgabe 2
+
Attraktivität Strecke/Pfad
Finanzierung
+
-
Familienfreundlichkeit
+
Werbung +
+
+
Zahl der Touristen +
+
+
Anbindung an Infrastruktur
+
+
+ Informationen
Verpflegungsmöglichkeiten
Kombination mit anderen Attraktionen
Abbildung 5-2 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Attraktivität Finanzierung
auf ... Zahl der Touristen Werbung Anbindung an Infrastruktur Informationen
Zahl der Touristen Zahl der Touristen Zahl der TouriInformationen sten Kombination mit Zahl der Tourianderen Attrak- sten tionen Anbindung an Infrastruktur Werbung
Familienfreundlicheit
Zahl der Touristen Attraktivität
Verpflegungsmöglichkeiten
Zahl der Touristen Attraktivität
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je attraktiver die Strecke, um so mehr Touristen werden wahrscheinlich kommen je besser die finanzielle Lage, um so mehr kann in Werbung investiert werden je besser die finanzielle Lage, um so mehr kann in die Anbindung an die vorhandene Infrastruktur bzw. die Erweiterung der Infrastruktur investiert werden je besser die finanzielle Lage, um so mehr Informationen (Schautafeln usw.) können bereitgestellt werden je besser die Anbindung an die Infrastruktur, um so mehr Touristen werden wahrscheinlich kommen je mehr geworben wird, um so mehr Touristen werden auf Erlebnispfad aufmerksam je mehr Informationsmaterial bereitgestellt wird, um so besser kann sich der Tourist über Pfad informieren je besser der Erlebnispfad mit anderen Attraktionen kombiniert wird (Werbung in Zusammenhang mit anderen Angeboten, Ausschilderung von einer Attraktion zur nächsten usw.), um so mehr Touristen werden wahrscheinlich kommen je familienfreundlicher der Pfad gestaltet wird, um so mehr Touristen werden wahrscheinlich kommen je familienfreundlicher der Pfad gestaltet wird, um so attraktiver der Pfad je besser die Verpflegungsmöglichkeiten, um so mehr Touristen werden wahrscheinlich kommen je besser die Verpflegungsmöglichkeiten, um so attraktiver der Pfad
Tabelle 5-1 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Öffentliche Wirtschaft
258 Aufgabe 3 Prioritäten Oberziel Teilziele 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Ziele Einrichtung eines Eisenbahn-Erlebnispfades
Zeitrahmen
Gemeinderäte begeistern eine Art „Vorkonzept“ erstellen Idee bei Bahn vorstellen; Bahn begeistern genaue Strecke auswählen gemeinsam Konzept entwerfen (evtl. lokalen Tourismusverband einbeziehen) Risiken analysieren/Sicherheitscheck Trägerschaft, Verantwortung für Instandhaltung usw. klären Finanzierung klären Projektierung und Einholung evtl. erforderlicher Genehmigungen Realisierung und Ausbau, d.h. Baubeginn, Koordination, Fertigstellung und Abnahme
ein halbes Jahr ein halbes Jahr (parallel) ein halbes Jahr (parallel) kurzfristig 2 Monate 2 Monate (parallel) 2 Monate (parallel) ein halbes Jahr ein Jahr ein Jahr
Abbildung 5-3 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen
Aufgabe 4 Der Erlebnispfad könnte über Fremdenverkehrsverbände, Plakate an Bahnhöfen der Region und an anderen touristischen Attraktionen, Faltblätter, Broschüren, Bahn- und Wandermagazine, Videos und das Internet (Webseiten von Bahn, beteiligten Orten, Fremdenverkehrsverbänden, Wanderclubs usw.) vermarktet werden. Man sollte ihn ins Wanderwegenetz bzw. die Beschilderung integrieren, auf Zubringerstrecken ausschildern. Zudem könnte man Sonderfahrten (Bahn, Reisebüros) und geführte Wanderungen anbieten. Außerdem könnten günstige Fotostandorte für Bahnaufnahmen (Licht, Zugdichte, Zugarten) bekanntgegeben werden.
Über den Tellerrand
6
259
Über den Tellerrand „Lernst du nicht fremde Sprachen in den Ländern am besten, wo sie zu Hause sind?“ (Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre1)
Heike Haller, als ehrgeizig und zielstrebig bekannt, studiert an einer Fachhochschule Betriebswirtschaft. Vor wenigen Wochen hat das dritte Semester begonnen und nun gilt es zu überlegen, welche Studienschwerpunkte sie wählen soll. Ausschlaggebend für ihre Wahl soll neben den persönlichen Interessen auch die internationale Einsatzfähigkeit der Studienfächer sein.
Guter Rat ist teuer
Heike interessiert sich sehr für fremde Länder und Kulturen, beschäftigt sich begeistert mit Fremdsprachen, verbringt die Sommerferien regelmäßig im Ausland und hat nach Abschluß des Gymnasiums schon einen vierwöchigen Englischkurs in Südengland absolviert. Während des Hauptstudiums möchte sie nun gern ein oder zwei Semester im Ausland studieren. Sie hat sich jedoch noch keine weiteren Gedanken über Vor- und Nachteile, Vorbereitung und Ablauf eines Auslandssemesters gemacht. Heike weiß, daß ihre Hochschule bereits Kontakte zu ausländischen Hochschulen geknüpft hat und hat gehört, daß eine Anrechnung von Prüfungsleistungen, die auf diesen Hochschulen erbracht werden, an ihrer Heimathochschule möglich wäre. Heike interessiert sich seit einiger Zeit besonders für Schweden und Finnland, möchte sich aber nicht von vornherein auf ein Studium in einem dieser beiden Län1
vgl. Harenberg Lexikon der Sprichwörter und Zitate, Dortmund 2001, 755
260
Öffentliche Wirtschaft
der festlegen. Sie will zunächst an ihre Überlegungen relativ neutral herangehen, um nicht durch eine schon zu Beginn stark eingeschränkte Betrachtungsweise etwaige Chancen auszuschließen. Aufgabe 1 Vorige Woche hat Heike einige Stunden damit zugebracht, Informationen zum Auslandsstudium im Internet zu suchen. Mit Hilfe der gefundenen Informationen überlegt sie nun, welche Aspekte generell bezüglich eines Auslandsstudiums zu klären werden. Entwickeln Sie ein Mindmap, das alle Ihrer Meinung nach wesentlichen Aspekte der Thematik erfaßt! Aufgabe 2 Damit es nicht bei einer unstrukturierten Suche nach Informationen und zahlreichen mehr oder weniger sinnvoll verbrachten Stunden vor dem Computer bleibt, will Heike eine Liste von Zielen aufstellen, die sie Schritt für Schritt abarbeiten kann. Leiten Sie aus dem Oberziel „Auslandsstudium“ Teilziele ab und bringen Sie diese in eine plausible Reihenfolge! Ordnen Sie zudem den Zielen einen realistischen Zeitrahmen zu! Aufgabe 3 Heike überlegt nun, welche Personen oder Institutionen sie bei der Durchführung ihres Vorhabens unterstützen könnten bzw. wo sie gegebenenfalls mit Schwierigkeiten rechnen muß. Helfen Sie Heike bei ihren Überlegungen und identifizieren Sie die Elemente des Gesamtsystems „Hochschullandschaft“, in das Heike eingebettet ist! Aufgabe 4 Auch wenn sich derzeit die Chancen für die Aufnahme eines Auslandsstudiums vielleicht sehr günstig gestalten, kann die Situation in einem Jahr schon wieder etwas anders aussehen. Heike möchte daher untersuchen, in welcher Weise sich Entwicklungen in der Umwelt positiv oder negativ auf ihr Vorhaben auswirken könnten. Erstellen Sie ein Szenario für eine mögliche mittelfristige Entwicklung!
Über den Tellerrand
261
Lösung Aufgabe 1 Dauer bis Erhalt
Wo?
Beantragung
Förderprogramme
Schweden
Erasmus/ Sokrates
EU
Finnland Aufenthaltsgenehmigung
Voraussetzungen für Teilnahme
ERASMUSMobilitätsStipendien
keine
persönliche Interessen
Studiengebühren
Kulturorganisation der diplomatischen Vertretungen der EU-Länder
Stipendium
private Stipendiengeber
DAAD Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen
restliches Europa
USA
Wo?
Eltern BAföG
Finanzierung
Lebenshaltungskosten im Zielland
Ferienjob
1 Semester 1 Jahr
Kosten
Dauer
Wann?
Land mit Englisch als Muttersprache
eigene Sprachkenntnisse
Landessprache
Wohnheim
Unterbringung
privat/WG
Bewerbung
Bewerbungsunterlagen (z.B. Zeugnisse)
Auslandsstudium
Wo?
Fristen
Zulassungsbeschränkungen
Form des Nachweises erbrachter Leistungen
Englisch
Land mit Englisch als Fremdsprache Sprachkurse nebenbei
Unterrichtssprache
Französisch
Akademisches Auslandsamt der Hochschule
Internet Informationen
Partnerhochschulen
Anrechnung im Inland
Studentenwerk
Spanisch Sprachprüfung vorab notwendig?
ECTS*
Lehrangebot/ Lehrinhalte
DAAD
Broschüren der Bundesregierung
fachbezogene Aufnahmeprüfung vorab
* ECTS = Europäisches System zur Anrechnung von Studienleistungen
Abbildung 6-1 Mindmap: Wichtige Aspekte im Rahmen eines Auslandsstudiums
Aufbau des Studiums (Semester, Trimester)
Schwerpunktfächer an Heimathochschule
Öffentliche Wirtschaft
262 Aufgabe 2 Prioritäten Oberziel Teilziele 1 2
Ziele Aufnahme des Auslandsstudiums
Zeitrahmen in etwa einem Jahr
Beschaffung allgemeiner Informationen 6 Wochen Informieren, in welchen Ländern bzw. an welchen Hochschu- 6 Wochen len ein Studium möglich wäre 3 4 Wochen* Informieren, welche Fachrichtungen diese Hochschulen anbieten 4 Klärung der Frage, ob vorab Sprach- oder fachliche Eig4 Wochen* nungsprüfungen gefordert werden 5 Klärung der Frage, ob eine Anrechnung der im Ausland er4 Wochen* brachten Leistungen möglich ist 6 Informieren, welche Sprache Unterrichtssprache ist 2 Wochen* 7 Klärung der Frage, wie lange der Auslandsaufenthalt dauern 4 Wochen* soll 8 Informieren, wo eine Unterbringung möglich wäre 4 Wochen* 9 Informieren, wie der Aufenthalt finanziert werden kann 6 Wochen* 10 Informieren, wo und bis wann man sich beworben haben muß 2 Wochen* * z.T. parallel zu anderen Schritten Tabelle 6-1 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen
Aufgabe 3
Prüfungsamt
EU-Programme
DAAD
ausländische Partnerhochschulen
private Stipendiengeber
Akademisches Auslandsamt
BAföG-Amt
Professoren
Mitbewerber
Abbildung 6-2 Beteiligte Akteure
Heike
Mitbewerber
Über den Tellerrand
263
Akteure Professoren
Bedeutung •
schon vor der Bewerbung bei den Professoren informieren, welche Sachgebiete im jeweiligen Fach bzw. Modul an der Heimathochschule gelehrt werden, so daß Auslandsstundenplan danach ausgerichtet werden kann
Akademisches Auslandsamt ausländische Partnerhochschulen
•
kann bei der Vermittlung eines Auslandsstudienplatzes behilflich sein
•
informieren, inwieweit Kooperationsabkommen mit Heimathochschule bestehen; informieren, welche Fachrichtungen angeboten werden
EU-Programme (z.B. Erasmus/Sokrates)
•
informieren, inwieweit Heimathochschule in solche Programme eingebunden ist – wichtig für Anrechnung von im Ausland erbrachten Leistungen
Prüfungsamt
•
gibt – nach Genehmigung durch Professoren – Zustimmung, ob Auslandsleistungen an Heimathochschule anerkannt werden
BAföG-Amt
•
Beantragung von Auslands-BAföG, informieren, welches BAföG-Amt für das Zielland zuständig ist (für Schweden beispielsweise BAföG-Amt Flensburg)
DAAD
•
kommt als Stipendiengeber in Betracht, informieren, zu welchen Bedingungen Finanzierung möglich ist
private Stipendiengeber
•
Finanzierung des Auslandsaufenthaltes, falls andere Finanzierungsmöglichkeiten wegfallen; informieren, zu welchen Bedingungen Finanzierung möglich ist
Tabelle 6-2 Akteure und deren Bedeutung
Aufgabe 4 Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren Mitbewerber
EU-Programme
BaföG
Stipendiengeber
Entwicklung – Trendaussagen
Wirkung auf Studium
Anzahl
O) bleibt gleich P) nimmt stark zu W) nimmt zu
+/--
Studienleistungen
O) bleiben gleich P) nehmen zu W) bleiben gleich
+/+/-
Anzahl
O) wird ausgebaut P) wird eingeschränkt W) wird ausgebaut
Zulassungsbeschränkungen
O) nehmen ab P) nehmen zu W) bleiben gleich
+ +/-
Bedarfssätze
O) werden erhöht P) werden gesenkt W) bleiben gleich
+ +/-
+ +
Bemessungsgrundlage/ O) wird gesenkt Höchsteinkommen P) wird erhöht W) bleibt gleich
+ +/-
Voraussetzungen für Stipendienvergabe
+ +/-
O) nehmen ab P) nehmen zu W) bleiben gleich
Öffentliche Wirtschaft
264 Fortsetzung
Umfeldsegmente Schlüsselfaktoren
Entwicklung – Trendaussagen
Wirkung auf Studium
Stipendiengeber
Zahl vergebener Stipendien
O) nimmt zu P) nimmt ab W) bleibt gleich
Partnerhochschulen
Anzahl
O) nimmt zu P) nimmt ab W) nimmt zu
+ +
Lehrangebot
O) wird ausgebaut P) wird eingeschränkt W) wird ausgebaut
+ +
Zulassungsbeschränkungen
O) nehmen ab P) nehmen zu W) bleiben gleich
+ +/-
Zahl
O) nimmt zu P) nimmt ab W) bleibt gleich
+ +/-
Kosten
O) bleiben gleich P) nehmen stark zu W) nehmen zu
+/--
Unterkunftsmöglichkeiten
+ +/-
Tabelle 6-3 Mögliche Entwicklungen
Die Rahmenbedingungen für die Absolvierung eines Auslandssemesters gestalten sich gegenwärtig und auch in Zukunft recht günstig. Die Zahl der grenzüberschreitenden Kooperationen von Hochschulen wird höchstwahrscheinlich zunehmen, gleichzeitig werden internationale Programme und Lehrangebote ausgebaut. Es muß allerdings davon ausgegangen werden, daß sowohl die Zahl der Mitbewerber als auch die Leistungsorientierung bei der Vergabe ausländischer Studienplätze und Stipendien zunehmen.
Unter den Alpen hindurch
7
265
Unter den Alpen hindurch „Der Gotthard ist – wie auch der Lötschberg – inzwischen zum Synonym für ein Großprojekt europäischen Ausmaßes geworden. Die unaufhaltsame Zunahme vor allem des Straßengüterverkehrs beschert den Berggegenden eine Verschlechterung der Luftqualität, der nur durch die Öffnung neuer Verkehrswege begegnet werden kann.“1
Transitverkehr – quo vadis? Die Bedeutung der Schweiz als Transitland in Europa ist unumstritten. Als sensibles und einzigartiges Ökosystem bilden die Alpen jedoch ein verkehrstechnisches Hindernis bei der Bewältigung der zunehmenden Güterströme. Langfristig plant die Schweiz, den Schwerlast-Transitverkehr der nördlich der Alpen liegenden Staaten mit Italien auf die Schiene zu verlagern. Konkret soll dabei die Zahl der alpenquerenden Lkw auf 650.000 jährlich reduziert werden. Bereits heute werden in der Schweiz ca. 66 %2 des alpenquerenden Güterverkehrs mit der Bahn transportiert.3 Erforderlich sind dazu leistungsfähige Eisenbahntunnel. Wurden bisher Tunnel gebaut, so waren dies in der Regel Scheiteltunnel. Das heißt, man führte die Schiene oder Straße bis zum höchstmöglichen Punkt im Gebirge und arbeitete sich von dort aus durch den Gebirgsstock durch. Vorteil dieser Vorgehensweise war, daß die zu durchdringenden Gebirgsmassen minimiert werden konnten. Allerdings bedeutete dies bei der späteren Nutzung lange Anfahrtsrampen zur Tunneleinfahrt, verbunden mit zahlreichen Serpentinen, Brücken und Galerien, um allmählich an Höhe zu gewinnen. In der heutigen Zeit steht der Zeitaspekt an vorderster Stelle. Man möchte Waren schnell von einem Ort zum anderen transportieren. Kurvenreiche Strecken, die nur langsames Fahren ermöglichen, sind also weniger gefragt. Deshalb ist man zum Bau von Basistunneln übergegangen. Das heißt, der Tunnel wird am Fuße des Gebirges bzw. von der Talsohle aus errichtet. Dies erfordert zwar in der Bauphase einen enormen Aufwand, später können aber Züge und Kraftfahrzeuge auf relativ geraden Strecken mit wesentlich höheren Geschwindigkeiten fahren.
Die Neue Eisenbahn-Alpen-Transversale Um die zahlreichen Reise- und Verkehrszüge nicht mehr über lange Rampen und Kehrtunnels mit entsprechend langer Fahrzeit schleppen zu müssen, wurde in der Schweiz bereits seit Jahrzehnten über den Bau je eines Basistunnels durch den St. Gotthard (Strecke Zürich–Chiasso) und den Lötschberg (Strecke Basel–Bern–Brig– 1
o.V.: Die Schweizer Alpen, in: Bahn-Atlas Schweiz 3/1994, 55 In Österreich und in Frankreich werden im Vergleich dazu ca. 75 % der Transitgüter auf der Straße transportiert. 3 vgl. Aregger, Benedicta: Schweizer Verkehrspolitik zur Verlagerung des Transits auf die Schiene, in: Eisenbahntechnische Rundschau, Mai 2007, 250 2
266
Öffentliche Wirtschaft
Domodossola/Italien) diskutiert. Aber erst durch das stetig wachsende Transitaufkommen und den zunehmenden Druck der Nachbarländer, die auf den Alpentransit angewiesen sind, wurde das Projekt „Neue Eisenbahn-Alpen-Transversale“4 (NEAT) ins Leben gerufen, im Rahmen dessen mittlerweile zwei neue Eisenbahntunnel, • ein 35 km langer Basistunnel auf der Lötschbergstrecke aus dem Kander- ins Rhônetal mit Anschluß an den bereits bestehenden Simplontunnel (Bauzeit acht Jahre, Inbetriebnahme der ersten Tunnelröhre 2007) sowie • ein 57 km langer Basistunnel auf der Gotthardstrecke mit Fortsetzung durch den Monte Ceneri und über Chiasso nach Italien (geplante Bauzeit 15 Jahre), gebaut werden. Das offiziell auch unter der Bezeichnung „AlpTransit“ geführte Projekt dient dazu, leistungsfähige Schienenwege für den Nord-Süd-Transit durch die Schweiz sicherzustellen, die einzelnen Schweizer Landesteile besser miteinander zu verbinden, die Verbindungen nach Italien zu beschleunigen sowie die Schweiz insgesamt besser in Europa zu integrieren.5 In einer Volksabstimmung am 27.09.1992 stimmten die Schweizer Bürger mit 63,5 % Ja-Stimmen deutlich für das NEAT- bzw. AlpTransit-Projekt. Die Kosten des Projektes einschließlich der Zufahrtsstrecken aus den östlichen Teilen des Landes wurden anfangs auf rund 15 Mrd. Franken (ohne Teuerung und Zinsen) geschätzt, verteilt auf 15 Jahre Bauzeit.6 Wie hoch die Kosten bei Fertigstellung tatsächlich liegen werden, kann heute noch niemand genau sagen.7 Die Milliardenausgaben der öffentlichen Hand bringen neben den Problemen der Mittelaufbringung auch Vorteile: Durch das gewaltige Investitionsprogramm werden allein auf dem Bausektor 9.000 Arbeitsplätze gesichert. Zudem kann die Umsetzung des Projekts als „Weichenstellung“ für den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und einem etwaigen EU-Beitritt gesehen werden. Der Lötschberg-Basistunnel übernimmt zudem die Funktion einer rollenden Autobahn. Seine Aufgabe ist es, die bestehende Lücke zwischen den Nationalstraßen N6 und N9 durch eine für Fahrzeuge aller Größen geeignete Autoverladung zu überbrücken. Die NEAT stellt auch eine Verpflichtung der Schweiz gegenüber der Europäischen Union dar, die im Landverkehrsabkommen Schweiz-EU geregelt ist. Darin erkennt die EU die Ziele der Schweiz, d.h. die Verlagerungspolitik einschließlich der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe, an.8 4
Als Transversalen werden die großen durchgehenden Hauptstrecken bezeichnet, die die Schweiz von Ost nach West oder von Nord nach Süd (= Alpen-Transversalen) durchziehen. vgl. AlpTransit Gotthard AG: Die neue Gotthardbahn, Luzern 2005, 2ff; Hochuli, Monika: Lötschberg-Basistunnel: Ein Jahrhundertbauwerk ist vollendet, in: Eisenbahningenieur 58/2007, 30ff 6 vgl. o.V.: Votum für AlpTransit, in: Blickpunkt Bahn 11/1992, o.S.; Waldis, Alfed: Es begann am Gotthard – eine Verkehrsgeschichte mit Pionierleistungen, Luzern 2002, 74 7 Bereits 2006 ging man von Mehrkosten allein für den Gotthard-Basistunnel von über 20 % aus (vgl. AlpTransit Gotthard AG: Der Gotthard-Basistunnel – Sedrun, Altdorf 2006, 5). 8 vgl. Aregger, Benedicta: Schweizer Verkehrspolitik zur Verlagerung des Transits auf die Schiene, in: Eisenbahntechnische Rundschau, Mai 2007, 251 5
Unter den Alpen hindurch
267
Abbildung 7-1 Verlauf der NEAT
Der Lötschberg-Basistunnel Die Strecke Bern–Spiez–Frutigen–Kandersteg–Goppenstein–Brig–Domodossola/ Italien stellte eine der Hauptverbindungen von der Zentralschweiz nach Italien dar. Hierbei befährt die Bahn einen Scheiteltunnel zwischen Kandersteg (Norden) und Goppenstein (Süden), wobei bis zu 31 mal täglich auch eine Autoverladung für Pkw (Fahrzeit 15 min) angeboten wird. Lkw im Transitverkehr nach Italien, die diese Strecke befuhren, werden bereits in Freiburg i. Br. (Deutschland) verladen.
268
Öffentliche Wirtschaft
Auf dieser Relation verkehrten täglich 14 Züge, die Fahrzeuge bis zu einer Höhe von 4,0 m befördern können.9 Erst in den 1990er Jahren war die Lötschbergstrecke doppelspurig ausgebaut worden, um dem ständig steigenden Transitaufkommen gerecht zu werden. So konnten nach Abschluß des Streckenausbaus statt der vorherigen 3-4 Mio. Tonnen Güter jährlich bereits 10 Mio. Tonnen pro Jahr transportiert werden. In Spitzenzeiten wurden bis zu 3.700 Lkw monatlich im Huckepackverkehr10 transportiert. Doch auch diese Kapazitäten reichten bald nicht mehr aus, weshalb der Bau des Basistunnels um so dringender war.
Bahnhof Kandersteg mit Halt internationaler Züge
Transit per Bahn im Huckepackverkehr
Im Herbst 1999 wurde mit dem Bau der Tunnelröhren begonnen, im Juni 2007 konnte der 35 km lange Lötschberg-Basistunnel zwischen Frutigen im Kandertal (Kanton Bern) und Raron im Rhônetal (Kanton Wallis) feierlich eingeweiht werden. Die Aufnahme des vollen fahrplanmäßigen Betriebes erfolgte mit dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember 2007.11 Seitdem beträgt die Zuverlässigkeit der Tunnelinfrastruktur 99,8 %.12 Durch ihren Mischverkehr von Reise- und Güterzügen mit Geschwindigkeiten zwischen 100 bis 250 km/h sowie dem 21 km langen einspurigen Abschnitt stellt die Lötschberg-Basisstrecke besonders hohe Anforderungen an die Betriebsführung und die beteiligten Eisenbahnverkehrsunternehmen. Entsprechend einer Vereinbarung über die Aufgabenteilung zwischen der BLS Lötschbergbahn und den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) übernimmt die BLS die Betriebsführungsverantwortung für die gesamte Lötschberg-Simplon-Achse. In Spiez wurde hierfür die Betriebszentrale errichtet.13
9
vgl. o.V.: Schnelle Röhren durch die Schweiz, in: Blickpunkt Bahn 11/93 Hierbei werden die komplett beladenen Lkw auf den Zug verladen. vgl. Andrian, Walter von: Lötschberg-Basistunnel eingeweiht, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 89/2007, 380ff 12 vgl. o.V.: Neues von der NEAT, in: Modell-Eisenbahner, 3/3009, 6 13 vgl. Flühman, Walter; Mosimann, Adrian; Bayard, Olivier: Der künftige Betrieb der LötschbergSimplon-Achse, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 2/2007, 72f 10 11
Unter den Alpen hindurch
Informationstafel an der Lötschberg-Südrampe
269
Tunnelbaustelle bei Raron
Gemäß der Finanzierungsvorlage waren für die Lötschberg-Achse folgende Zielvorgaben festgeschrieben worden: • eine bahnverkehrstechnisch optimale Anbindung des Kantons Wallis an das Schweizer Mittelland mit Verbindungen im Stundentakt (im Rahmen von Bahn 200014), • die Bereitstellung von 110 Güterzugtrassen innerhalb 24 Stunden in beiden Richtungen zwischen Basel und Domodossola sowie • die Aufnahme der Achse Basel–Lötschberg–Simplon–Milano in das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz. Diese hohen Anforderungen können nur unter Einbeziehung der Lötschberg-Bergsowie der Lötschberg-Basisstrecke erfüllt werden: So bleiben die Pkw-Autoverladung (bis zu einem 7,5 Minuten-Takt zwischen Kandersteg und Goppenstein) auf der Bergstrecke, weiterhin Trassen für 36 Regio-Express-Züge sowie 38 Trassen für den Güterverkehr.15 Der Grundfahrplan der Basisstrecke basiert auf einer Normstunde. Dabei werden „zwei IC-Trassen des nationalen Personenfernverkehrs (eine pro Richtung), drei Gütertrassen Nord–Süd [sowie] eine Gütertrasse Süd–Nord [vergeben]. Zusätzlich verkehren sechs Zugpaare des internationalen Personenfernverkehrs stündlich alternierend zwischen 8 Uhr und 20 Uhr durch den Lötschberg-Basistunnel [...] Beim Verkehren eines internationalen Personenfernverkehrszuges Süd–Nord werden entgegen der Normstunde die drei Gütertrassen Nord–Süd über die Lötschberg-Bergstrecke gelenkt.“16 Aus diesem Fahrplan ist zu entnehmen, daß die Lötschberg-Bergstrecke entgegen mancher Befürchtungen auch in den kommenden Jahren benötigt und ihre Bedeutung für den Eisenbahnverkehr behalten wird. Der zwischenzeitlich bereits geforderte vollständige Ausbau der zweiten Tunnelröhre, mit der die Betriebsführung 14
siehe dazu auch die Fallstudie „Mehr Zug für die Schweiz – Das Projekt Bahn 2000“ vgl. Flühman, Walter; Mosimann, Adrian; Bayard, Olivier: Der künftige Betrieb der LötschbergSimplon-Achse, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 2/2007, 74 16 ebd. 15
270
Öffentliche Wirtschaft
wesentlich erleichtert werden könnte, ist im Moment finanzierungsmäßig nicht realisierbar. Nachdem aber das Parlament bereits die Linie für „Bahn 2030“ vorgegeben hat, wäre ein Ausbau des Lötschberg-Basistunnels im Zeitraum von 2017 bis 2040 durchaus machbar.17 Denn man sollte bedenken, daß die gegenwärtig als Zeitreserve zur Verfügung stehende freie Kapazität für den Lötschberg-Basistunnel bei einer vollen Auslastung lediglich 3 %18 beträgt – das sind pro Stunde 1,8 Minuten.
Autoverladestation Goppenstein an der Lötschberg-Südrampe
Rhônetal bei Visp, am Hang die LötschbergSüdrampe
Mit Hilfe des neuen Basistunnels gelangen die Reisenden von der Nord- und Mittelschweiz schneller ins Wallis, sie sparen über eine Stunde an Fahrzeit.19 Allerdings verzichten sie dabei auf die herrliche Fahrt über die Bergstrecke. Und gerade die Dörfer und Landschaften dort haben einen hohen touristischen Wert. Veränderungen ergeben sich auch für die Bahnhöfe in Brig und in Visp. Brig stellte bislang einen bedeutenden Umsteigeknoten zwischen der normalspurigen NordSüd-Achse der BLS, der vom Westen einmündenden SBB-Strecke und der schmalspurigen Ost-Westachse der Matterhorn-Gotthard-Bahn (MGB) dar. Durch den veränderten Streckenverlauf mündet die Nord-Südachse nun in Raron nahe Visp ins Rhônetal. Brig wird zwar nach wie vor von Zügen auf beiden Achsen angefahren, allerdings hat sich Visp als neuer Umsteigebahnhof bereits etabliert. So wurde der Bahnhof komplett umgebaut und dabei u.a. die bislang vor dem Empfangsgebäude liegenden Gleise der Schmalspurbahn in den Bahnhof verlegt. Aber auch in Brig wurde umgebaut: Der bislang als Kopfbahnhof ausgelegte Schmalspurbahnhof wurde zum Durchgangsbahnhof umgestaltet, der zeitintensive Lokwechsel entfällt nun.20 Dennoch halten die Züge nach wie vor auf dem Bahnhofsvorplatz. Geplant ist, die Schmalspurgleise wie bereits in Visp in den Bahnhof zu integrieren.
17
vgl. o.V.: Parlament stellt die Weichen, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 2/2009, 63 vgl. ebd. vgl. Wallis Tourismus: Eine Stunde dem Wallis näher, Sion 2007, o.S. 20 vgl. o.V.: Durchgangsbahnhof in Brig und neue Triebzüge für Matterhorn-Gotthard-Bahn, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 1/2008, 24 18 19
Unter den Alpen hindurch
Alter Knotenpunkt Brig
271
Visp als neuer Knotenpunkt im Wallis
Der Gotthard-Basistunnel Der 57 km lange Basistunnel stellt neben dem Lötschberg-Basistunnel das Kernstück der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale dar. Er liegt an der Strecke von Zürich nach Milano/Italien zwischen den Orten Erstfeld (Kanton Uri) und Bodio (Kanton Tessin). Baubeginn für diese zwei einspurigen Tunnelröhren, die durch Querschläge untereinander verbunden sind und eine Gesamtlänge des Tunnelsystems von 153,5 km21 aufweisen, war im Jahr 1999. Die Kosten für diesen Tunnel werden sich auf 8 Mrd. Franken belaufen.22 Deutliche Verbesserungen im Angebot wird es sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr geben. Gleichzeitig wird er die Schweiz in das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz einbinden. Zusammen mit dem im Tessin zu errichtenden 15 km langen Ceneri-Basistunnel wird eine leistungsfähige Flachbahn durch den Alpenkamm geschaffen. Von Bedeutung ist, daß die Scheitelhöhe des Tunnels lediglich bei 550 m über Meereshöhe liegt. Deshalb sind für die Alpenquerung keine maßgeblichen Steigungen zu überwinden. Die Inbetriebnahme des längsten Eisenbahntunnels der Welt war für das Jahr 2014 geplant, wird aber aufgrund von geologischen Problemen bzw. auch bedingt durch eine mißglückte Bauvergabe seitens der AlpTransit AG erst später als 2016 erfolgen können, die des CeneriBasistunnels voraussichtlich 2019. Den Nutzen der neuen Gotthardbahn beschreibt der Vorsitzende der Geschäftsleitung AlpTransit AG, Peter Zbinden, wie folgt: „Die Anzahl der Güterzüge wird auf der neuen Gotthardstrecke von heute rund 140 auf 220 Züge täglich zunehmen. Zudem verkürzt sich die Fahrzeit, was den Bahntransport auch zeitsensitiver Güter (Flug-Cargo, verderbliche Waren) wieder interessant macht. Die flache, gestreckte Trassierung der neuen Strecke erlaubt die produktive Führung von langen und schweren Zügen, weil dadurch zeitraubende Rangiermanöver entfallen. Heute muss 21
Rellstab, Mathias: Gotthard-Basistunnel: 17 Kilometer in einem Jahr, in: Schweizer EisenbahnRevue 3/2007, 121 22 vgl. Steiner, Reto: Die neue Alpentransversale (NEAT) am Gotthard, in: Eisenbahn-Kurier Special Nr. 84 „125 Jahre Gotthardbahn“, 1/2007, 80
Öffentliche Wirtschaft
272
nämlich ein schwerer Güterzug in Erstfeld beziehungsweise Bellinzona geteilt oder mit einer Schiebe- respektive Zwischenlok versehen werden. Und selbst mit diesen zusätzlichen Transportmitteln lässt sich nur eine Anhängelast von höchstens 2000 Tonnen erreichen. Das Ziel, Güterzüge von mehr als 2000 Tonnen Anhängelast ohne Halt und ohne Schiebelok durch die Schweiz zu führen, kann nur mit den beiden Basistunneln am Gotthard und am Ceneri erreicht werden.“23
Knapp daneben ist auch vorbei
23
Zbinden, Peter: Die neue Flachbahn durch die Alpen, in: Jeker, Rolf E.: Die Zukunft beginnt, Zürich 2002, 32f
Unter den Alpen hindurch
273
Die den Gotthard-Basistunnel mit 250 bis 250 km/h durchfahrenden Hochgeschwindigkeitszüge bewirken im Personenverkehr eine Reisezeitverkürzung um eine Stunde und bringen optimale Anschlußverbindungen auf Schweizer wie auch auf italienischer Seite. Von den kürzeren Reisezeiten könnten 20 Mio. Menschen, die im Einzugsgebiet wohnen, profitieren.
Gotthard-Basistunnel, Teilabschnitt Erstfeld
Förderbandanlagen, Siebstation
Nordportal
Bahnverladeanlage
Stollenbahn
Tunnelbau
Während des Tunnelbaus treten jedoch auch Probleme auf, die hohe Anforderungen an die Logistik stellen: der Transport und die Aufbereitung des gesamten Aus-
274
Öffentliche Wirtschaft
bruchmaterials (13,5 Mio. Kubikmeter) einschließlich seiner maximalen Verwertung, wobei Wirtschaftlichkeit und minimale Umweltbelastungen Grundbedingungen sind. So werden im Rahmen des Materialbewirtschaftungskonzepts • Betonzuschlagstoffe wie Kies- und Sandprodukte im Rahmen der Eigenversorgung selbst hergestellt (Schonung von Kiessandressourcen und Landschaften), • Transporte vorwiegend mit Transportbändern, Bahn und Schiff vorgenommen und • Schallschutzmaßnahmen an Transporteinrichtungen sowie Kieswerken durchgeführt. Im Urner See, einem Teil des Vierwaldstätter Sees, wird das Ausbruchmaterial dazu benutzt, Bade- und Naturschutzinseln zu errichten.24 Um die Gesamtbauzeit in einem überschaubaren Rahmen halten zu können, wurde von verschiedenen Punkten aus mit dem Tunnelbau begonnen. In der Mitte der Großbaustelle liegt der bedeutendste und geologisch kritischste Zwischenangriff Sedrun. Dort wurden ein 1.000 m langer waagerechter Zugangsstollen sowie zwei je 800 m tiefe Vertikalschächte eingerichtet. Zukünftig werden diese Infrastrukturen als Nothaltestellen genutzt werden. Es kam aber auch die Idee auf, diese Nothaltestellen zu einer öffentlichen Station, der Porta Alpina, auszubauen. Dazu wäre die Einrichtung von je zwei Wartehallen pro Haltestelle, der Ausbau der Bahnsteige und die entsprechende Gestaltung der Personenverkehrswege notwendig. Die erforderlichen Baukosten wurden von den Befürwortern der Idee auf 40-50 Mio. Franken geschätzt, die Betriebskosten würde sich auf ca. 2,5 Mio. Franken (abzüglich der Verkehrserlöse) jährlich belaufen. Die Porta Alpina könnte gleich zwei Rekorde vereinen: den längsten Eisenbahntunnel der Welt und den höchsten Lift der Welt.25 Insbesondere die Bevölkerung der Surselva verspricht sich viel von dieser Idee, könnte der Tourismus doch durch eine optimierte Anbindung (Kreuzung der Ost-West- sowie der Nord-Süd-Eisenbahnachse) an die Schweizer Ballungsräume profitieren. Zwischenzeitlich steht allerdings fest, daß der Traum von der Porta Alpina vorerst auch ein Traum bleiben wird. Aufgrund nicht absehbarer Risiken und Kosten wurde die Realisierung des Projekts abgelehnt.26 Sicherlich wird sich mit der Inbetriebnahme dieses Basistunnels das Betriebskonzept für die alte Gotthard-Bergstrecke wesentlich verändern. Eine erste Neukonzipierung gab es bereits mit der vollen Inbetriebnahme des Lötschberg-Basistunnels am 9. Dezember 2007. Wenn auch der Großteil der Züge später durch das Gotthard-Massiv fährt, sollte die 125jährige Jubiläumsstrecke unbedingt der Nachwelt erhalten bleiben, und dies keinesfalls nur als Museumsbahn! Man sollte bedenken, 24
vgl. Kassubek, Daniel; Weber, Robert; Thalmann-Suter, Cedric: Ein Gewinn für Umwelt und Projekt, in: Jeker, Rolf E.: Die Zukunft beginnt, Zürich 2002, 106f; Stiftung Hänggiturm Ennenda „Museum für Ingenieurbaukunst“: NEAT – Eine Schweizer Pionierleistung, Ennenda 2006, 44ff 25 BVFD Graunbünden; Gemeinde Tujetsch; Verein Visiun Porta Alpina: Porta Alpina – Die wichtigsten Resultate der von Bund und Kanton in Auftrag gegebenen dreiteiligen Machbarkeitsstudie, Chur/Sedrun/Ilanz 2004, 2ff 26 vgl. o.V.: Kein Bahnhof im Basistunnel, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 11/2007, 521
Unter den Alpen hindurch
275
daß gerade die Bergstrecke von enormer touristischer Bedeutung ist, verbindet sie doch die Innerschweiz bzw. das Tessin mit den Gebirgsgemeinden am Gotthard. Auch der Übergang zur Matterhorn-Gotthard-Bahn bzw. in Fortsetzung zur Rhätischen Bahn in Richtung Graubünden besteht nur in Göschenen, dem Beginn des Gotthard-Scheiteltunnels. Wer aus den Schweizer Urkantonen mit der Bahn zum Glacier-Express möchte, muß die Schöllenen-Bahn von Göschenen nach Andermatt benutzen.
Eingang zum Gotthard-Scheiteltunnel
Göschenen als Umsteigeknoten zur MGB
MGB in der Schöllenenschlucht
Andermatt
Anläßlich der Jubiläumsfeierlichkeiten äußerte der SBB-Chef Andreas Meyer, daß die Bergstrecke trotz der Kosten „in der einen oder anderen Form“ bewahrt werden müsse.27 Aufgabe 1 Welche Ziele verfolg(t)en die Befürworter der NEAT im speziellen Fall des LötschbergBasistunnels? Welcher Zeitrahmen war für die Umsetzung der einzelnen Ziele realistisch? 27
vgl. Andrian, Walter von; Rellstab, Mathias: Festwochenende zum Gotthard-Jubiläum, in: Schweizer Eisenbahn-Revue 11/2007, 536; zum Weiterlesen siehe auch: Isliker, Hans Rudolf: LötschbergBasistunnel: Der erste Schritt zur NEAT, in: Eisenbahntechnische Rundschau, Juni 2007, 347-351; Moser, Beat; Jossi, Urs: Die BLS – Eine moderne Alpenbahn, Eisenbahn-Journal Special 1/98, Fürstenfeldbruck 1998; Simoni, Renzo: Die neue Gotthardbahn – Überblick 2007, in: Eisenbahntechnische Rundschau, September 2007, 514-523
276
Öffentliche Wirtschaft
Aufgabe 2 Analysieren Sie die Sichtweisen/Ziele/Bedenken der am Tunnelbau am Lötschberg beteiligten bzw. davon betroffenen Akteure! Aufgabe 3 Identifizieren Sie wichtige Faktoren des vorliegenden Systems und stellen Sie deren Zusammenhänge in einem Wirkungsgefüge dar! Aufgabe 4 Erstellen Sie ausgehend von Ihrem Netzwerk eine Wirkungsmatrix! Aufgabe 5 Erstellen Sie aus obiger Wirkungsmatrix ein Intensitätsportfolio und interpretieren Sie dieses! Aufgabe 6 Welche Auswirkungen hatte die Verlagerung des Umsteigeknotens von Brig nach Visp? Wie könnte man in Brig darauf reagieren? Aufgabe 7 Welche Rolle könnte die Lötschberg-Bergstrecke in der Zukunft spielen? Aufgabe 8 Warum ist der Gotthard-Basistunnel der bedeutendere der beiden Basistunnel? Aufgabe 9 Was hatten sich die Initiatoren von der Umsetzung des Projekts „Porta Alpina“ versprochen? Warum wird das Projekt nicht realisiert?
Unter den Alpen hindurch
277
Lösungen Aufgabe 1 Prioritäten Ziele Oberziel Transitverkehr komplett auf die Schiene bringen Teilziele 1 Sicherstellen leistungsfähiger Schienenwege für den Nord-Süd-Transit durch die Schweiz 2 Entlastung der Tunnel und Paßstraßen 3 Reduzierung der Umweltbelastung (Lärm, Abgase usw.) 4 die einzelnen Schweizer Landesteile besser miteinander verbinden 5 Verbindungen nach Italien beschleunigen 6 Schweiz insgesamt besser in Europa integrieren
Zeitrahmen28 langfristig langfristig mittel- bis langfristig mittel- bis langfristig mittel- bis langfristig mittel- bis langfristig langfristig
Abbildung 7-2 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen
Aufgabe 2
Europäische Staaten
Europäische Union
Transitverkehr
wahlberechtige Bevölkerung
Schweizer Regierung
BLS
Touristen
Kantone
Gemeinde Goppenstein
Gemeinde Kandersteg
Gemeinde Frutigen
Gemeinde Raron
Einwohner
Einwohner
Einwohner
Einwohner
Abbildung 7-3 Am Tunnelbau beteiligte bzw. betroffene Akteure Akteure Gemeinden Kandersteg und Goppenstein
28
Sichtweisen/Ziele/Bedenken • • •
vor Inbetriebnahme des Basistunnels hielten am Bahnhof noch internationale und überregionale Züge wie IC/EC und Cisalpino z.Z. noch Beginn/Ende der Autoverladung bisherige Strecke über Scheiteltunnel soll weiter betrieben werden bzgl. des Personenverkehrs
Bei einem strategischen Vorhaben dieser Art handelt es sich naturgemäß um die Realisierung langfristiger Zielsetzungen.
Öffentliche Wirtschaft
278 Fortsetzung
Akteure Gemeinden Kandersteg und Goppenstein Gemeinden Frutigen und Raron
Sichtweisen/Ziele/Bedenken • •
sind über Emissionsreduzierung durch verminderten Güterverkehr sicher froh sind nach wie vor auf Touristen angewiesen
•
befürchteten u.U. Beeinträchtigungen durch Großbaustelle → stört sowohl Einwohner als auch Touristen (Lärmbelästigung, Dreck, erhöhtes Verkehrsaufkommen durch Materialtransporte usw.) sind daran interessiert, daß ihre Umgebung nach Beendigung der Großbaustellen wieder saniert wird
• Einwohner
• • •
Kantone Bern und Wallis
• •
Schweizer Regierung
• •
viele Einwohner verdienen ihr Geld in der Tourismusbranche ihnen ist sicher daran gelegen, daß auch in Zukunft genügend Touristen in ihre Region kommen werden darauf drängen, daß unabhängig vom durch den Basistunnel geführten Fern- und Transitverkehr die Bedienung der Scheiteltunnel-Strecke aufrechterhalten wird sind an wirtschaftlicher Aufwertung der Region interessiert, wollen aber auch Touristen in der Region halten Wallis ist für Touristen aus nördlicher Richtung jetzt schneller erreichbar mit Transitabkommen der EU gegenüber verpflichtet, den Transitverkehr effektiver zu gestalten dazu soll die „Neue Eisenbahn-Alpen-Transversale“ (NEAT) beitragen, dessen Bestandteil auch der Lötschberg-Basistunnel ist
Europäische Union
• •
an Basistunnel interessiert, um Transitverkehr effektiver zu gestalten übte diesbezüglich Druck auf die Schweizer Regierung aus, die durch Transitabkommen zu Kooperation verpflichtet ist
Europäische Staaten Wahlberechtigte Bevölkerung BLS
•
an Basistunnel interessiert, um Transitverkehr effektiver zu gestalten
•
stimmte dem Projekt neue Eisenbahn-Alpen-Transversale zu
• •
an Basistunnel interessiert durch attraktiveres Angebot (kürzere Fahrzeiten) wahrscheinlich größerer Zuspruch von seiten der Speditionen muß weniger in Instandhaltung und Wartung investieren als auf freier Strecke (Schnee, Eis, Windbruch, Bergrutsch usw.) kann Bedienung der alten Strecken sicher nicht im selben Rhythmus aufrechterhalten → diesbezügliche Kompromißlösung (Regional-Express-Züge „Der Lötschberger“) Bahnpersonal (Lokführer, Zugbegleiter) schätzen sicher die landschaftlich schönen Strecken mehr als Tunnelstrecken
• •
• Transitverkehr
• •
Touristen • (nicht im Transit) •
an Bau Basistunnel stark interessiert Ausweichmöglichkeiten zum Gütertransport bestehen kaum, trotzdem sollte Angebot (hinsichtlich Fahrzeiten, Taktzeiten und Preisen) den Vorstellungen entsprechen schätzen früheres Bahnangebot: Fernzüge (aus Zentralschweiz/Bern und Italien) hielten auch in touristisch attraktiven, kleinen Dörfern; kurze Taktzeiten (Stundentakt in jede Richtung) schätzen landschaftlichen Reiz der bisherigen Strecke, sind (außer für den Fall, daß sehr lange Strecken zurückgelegt werden müssen) sicher nicht an „Untergrundfahrten“ interessiert
Tabelle 7-1 Sichtweisen/Ziele/Bedenken der Beteiligten bzw. Betroffenen
Unter den Alpen hindurch
279
Aufgabe 3
+
+
Basistunnel
+
Umweltbelastung
+ +
+ Gemeinden
Transitverkehr +
+
+
-
Touristen
Zugverkehr/ Scheiteltunnel
+
Abbildung 7-4 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Transitverkehr
Zugverkehr/ Scheiteltunnel
Basistunnel
Umweltbelastung
Touristen (nicht Transit)
auf ... Zugverkehr/ Scheiteltunnel Basistunnel Umweltbelastung Touristen Gemeinden Transitverkehr
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je mehr Verkehr, um so stärker wird Scheiteltunnel beansprucht je mehr Verkehr, um so notwendiger Basistunnel je mehr Verkehr, um so höher die Belastung je mehr Verkehr, um so unangenehmer für Touristen je mehr Verkehr, um so belasteter die Gemeinden je attraktiver das Angebot (Takte, Fahrzeiten und Preise), um so mehr Lkw werden Angebot in Anspruch nehmen Touristen je attraktiver das Angebot (Takte, Fahrzeiten und Preise), um so mehr Pkw werden Angebot in Anspruch nehmen bzw. um so mehr Touristen werden Züge nutzen Gemeinden je mehr Verkehr (Autoverladung und Huckepackverkehr) durch den Tunnel, um so stärker sind die Gemeinden belastet Transitverkehr je attraktiver das Angebot (Takte, Fahrzeiten und Preise), um so mehr Lkw werden Angebot in Anspruch nehmen bzw. je eher der Basistunnel fertig ist, um so eher kann der Transitverkehr umgeleitet werden Zugverkehr/ je mehr Verkehr durch den Basistunnel rollt, um so weniger Scheiteltunnel wird der Scheiteltunnel beansprucht Umweltbelastung je mehr Transitverkehr durch den Basistunnel umgeleitet werden kann, um so geringer die Umweltbelastung Touristen je länger die Bauphase, um so unangenehmer für Touristen Basistunnel je höher die Umweltbelastung, um so notwendiger der Basistunnel Touristen je höher die Umweltbelastung, um so schlechter für die Touristen Gemeinden je höher die Umweltbelastung, um so schlechter für die Gemeinden Umweltbelastung je mehr Touristen, um so höher die Umweltbelastung Gemeinden je mehr Touristen, um so mehr Einnahmen für die Gemeinden
Tabelle 7-2 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Öffentliche Wirtschaft
280 Aufgabe 4
Basistunnel
Umweltbelastung
Touristen
Gemeinden
Zeilensumme
auf
Zugverkehr/ Scheiteltunnel
von Transitverkehr Zugverkehr/ Scheiteltunnel Basistunnel Umweltbelastung Touristen Gemeinden Spaltensumme
Transitverkehr
Wirkung
x
3
3
3
2
3
14
3
x
0
0
3
3
9
3 0 0 0 6
3 0 0 0 6
x 2 0 0 5
3 x 1 0 7
2 2 x 0 9
0 3 3 x 12
11 7 4 0 x
Tabelle 7-3 Wirkungsmatrix
Aufgabe 5 Beeinflußbarkeit REAKTIV
14
KRITISCH
12G
10 T 8 U Z
6
Tr
B
Basistunnel
G
Gemeinden
T
Touristen
Tr
Transitverkehr
U
Umweltbelastung
Z
Zugverkehr/ Scheiteltunnel
B 4
2 TRÄGE 0
2
AKTIV
4
6
8
10
12
Einflußnahme 14
Abbildung 7-5 Intensitätsportfolio Kritische Faktoren
•
Kritische Faktoren ergeben sich bei dieser Faktorenauswahl nicht.
Aktive Faktoren
•
Transitverkehr: wirkt stark auf alle anderen Faktoren; der zunehmende Transitverkehr war schließlich auch der Auslöser für die neuen Tunnelprojekte
Unter den Alpen hindurch
281
Fortsetzung
Aktive Faktoren
• •
Reaktive Faktoren
• •
Träge Faktoren
•
Basistunnel: wirkt auf fast alle Faktoren stark; soll die Lösung des Transitproblems sein und sollte deshalb bei den betrachteten anderen Faktoren Wirkung zeigen Zugverkehr/Scheiteltunnel: wirkt sich bei einem Teil der Faktoren stark aus; stellte mit Autoverladung und der rollenden Landstraße bisher eine Alternative zum Transitproblem dar; ist den Ansprüchen allerdings nicht mehr gewachsen Gemeinden: werden von den anderen Faktoren beeinflußt; spüren sowohl die Auswirkungen des Transitverkehrs als auch des Tunnelbaus; sind zudem von den Einnahmen der Touristen abhängig Touristen: werden mehr von den anderen Faktoren beeinflußt, als daß sie beeinflussen; spüren – wie auch Gemeinden – die Auswirkungen des Transitverkehrs und des Tunnelbaus; sind als Zugtouristen von den Angeboten der Bahn abhängig Umweltbelastung: wird hier zwar dem trägen Bereich zugeordnet, wirkt aber gleichzeitig beeinflussend und wird auch beeinflußt; durch den zunehmenden Transitverkehr stieg auch die Umweltbelastung; eine Reduzierung der Belastung ist durch den Umstieg auf die rollende Landstraße möglich; gleichzeitig werden die Auswirkungen der zunehmenden Verschmutzung bei Gemeinden und Touristen spürbar
Tabelle 7-4 Erläuterung der Faktoren
Aufgabe 6 Brig
Visp
•
•
• • • •
massiver bahnmäßiger Bedeutungsverlust des Standorts Brig freiwerdende Kapazitäten Umgestaltung Bahnhofsgelände einschließlich Empfangsgebäude MGB: vom Kopfbahnhof zum Durchgangsbahnhof Umnutzung: Büro- und Geschäftsflächen (wie in 22 anderen größeren Schweizer Bahnhöfen auch wird hier das Konzept „Mehr Bahnhof“ umgesetzt, welches ein einheitliches Grundangebot an Geschäften mit attraktiven Öffnungszeiten enthält29)
• • •
gleichzeitig starke Aufwertung des Standorts Visp: neue Drehscheibe im Oberwallis Verbesserung der Umsteigebeziehungen zwischen BLS, SBB und MGB sowie PostbusLinien Neubau Empfangsgebäude Schaffung zusätzlicher Kapazitäten
Tabelle 7-5 Auswirkungen der Verlagerung des Umsteigeknotens von Brig nach Visp
Aufgabe 7 Die Lötschberg-Bergstrecke wird entgegen mancher Befürchtungen auch weiterhin benötigt und ihre Bedeutung für den Eisenbahnverkehr behalten. Sie stellt auch eine wichtige Kapazitätsreserve dar, da der zwischenzeitlich bereits geforderte vollständige Ausbau der zweiten Tunnelröhre in absehbarer Zeit finanzierungsmäßig noch nicht abgesichert ist. Die PkwAutoverladung (bis zu einem 7,5 Minuten-Takt zwischen Kandersteg und Goppenstein) bleibt auf der Bergstrecke, ebenfalls verbleiben dort auch Trassen für 36 Regio-Express-Züge sowie 38 Trassen für den Güterverkehr.
29
vgl. o.V.: „Mehr Bahnhof“ in Brig, in: Schweizer Eisenbahn-Revue, 10/2007, 463
Öffentliche Wirtschaft
282 Aufgabe 8
Die Gotthard-Achse hatte immer schon eine größere Bedeutung als die Lötschberg-Achse. Das Gotthard-Basistunnel-Projekt sieht von Anfang an zwei getrennte Tunnelröhren vor. Dies führt zu einer größeren Durchlaßfähigkeit aufgrund der Doppelspurigkeit und dadurch zu einem vereinfachten Betriebsablauf. Die neue Gotthardstrecke bildet im Gegensatz zur Lötschberg-Achse (auf der Simplon-Südrampe sind nach wie vor Kehrtunnel zu bewältigen) eine reine Flachbahn. Aufgabe 9 Nutzen der Porta Alpina
Gegenargumente
•
• •
• •
• • •
optimierte Anbindung (Kreuzung der OstWest- sowie der Nord-Süd-Eisenbahnachse) an die Schweizer Ballungsräume Aufwertung der Region Impulse für Tourismus, insbesondere Wintersport, durch Verkürzung der Fahrzeiten aus Ballungszentren (auch attraktiv für Tagestouristen) Surselva könnte zur Wohngegend für Industriezentren werden, tägliches Pendeln möglich Bremsen der schleichenden Abwanderung zweifacher Rekord der Infrastruktureinrichtung: längster Tunnel der Welt kombiniert mit höchstem Lift der Welt
• •
nicht absehbare Risiken hohes Gefahrenpotential auf dem Bahnsteig: Reisende dürften ihn erst nach Stillstand des Zuges betreten, vor einer Weiterfahrt müßten Reisende den Bahnsteig verlassen haben → lange Standzeiten der Züge zu viele Umstiege ab dieser Station bis Sedrun, zu zeitaufwendige Personenbeförderung bei großem Andrang enorme Kosten für adäquaten Ausbau der unterirdischen Station
Tabelle 7-6 Nutzen der Porta Alpina und Gegenargumente
Hochwasserschutz in den Alpen
8
283
Hochwasserschutz in den Alpen „Das konzeptionell sehr überzeugende Landschaftsrückführungs-Projekt beinhaltet neben dem natürlich verbesserten Hochwasserschutz eine ökologisch erhebliche Aufwertung und eine landschaftlich spektakuläre, jedoch unerwartet naturnahe Umgestaltung.“ (Fonds Landschaft Schweiz1)
Vielerorts wurden – ob zur Stromgewinnung, „besseren“ Grundstücksnutzung oder aus infrastruktureller Sicht – Flußbetten ausgebaut und begradigt, natürliche Überschwemmungsgebiete bebaut. Wurden derartige Maßnahmen auch von verschiedenen Seiten kritisiert, ein wirkliches Umdenken hatte bisher in diesem Zusammenhang noch nicht stattgefunden. Daß gerade Gebirgsflüsse oder gar -bäche, die sich zurück in ihr altes Flußbett „kämpfen“, ein gewaltiges Kraftpotential entwickeln können, zeigten die Geschehnisse im August 1987 im Urner Reusstal und 1993 in Brig sowie im August 2005 in mehreren Schweizer Kantonen. Doch nicht erst seit der letzten Flutkatastrophe wird der Schutz vor dem Hochwasser in den Alpen heiß diskutiert: „In den vergangenen Jahren wurde [...] in der Schweiz der nachhaltige Hochwasserschutz entwickelt. Dies bedeutet, dass die Natur nicht mehr in erster Linie mit Schutzbauten zu bändigen ist, sondern ihr auch Freiräume gewährt werden müssen. Nachhaltige Hochwasserschutzprojekte gestehen dem Fluss auch Überflutungsflächen zu und wägen die ökologischen Vorteile – z.B. eine grössere Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten, die auf periodische Überschwemmungen angewiesen sind – gegen die wirtschaftlichen Nachteile ab.“2 In Samedan, dem Hauptort des Oberengadins im Schweizer Kanton Graubünden, wurde deshalb ein Landschaftsrückführungsprojekt gewaltigen Ausmaßes in Gang gesetzt, das hauptsächlich der Erfüllung von drei Zielen dient: Sicherheit, Lebensqualität und Natur. Der Flaz mäandrierte bis 1870 durch eine offene Ebene von Samedan. Diese hatte sich aus Gesteinsmaterial gebildet, das von Gletschern oder Flüssen zurückgelassen worden war. Bis 1957 hatte Samedan regelmäßig unter Überschwemmungen zu leiden: „Trotz ersten Dammbauten suchten immer wieder Überschwemmungen das Dorf heim und verursachten grosse Schäden. Die Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts gingen mit deren fünf (1951, 54, 55, 56 und 57) als ‚HochwasserJahrzehnt‘ in die Samedaner Geschichte ein.“3 Im Zeitraum von 1956-1958 wurden deshalb Dämme errichtet, die derartige Überschwemmungen in Zukunft verhindern 1
zit. in: Academia Engiadina Samedan: Projekt Hochwasserschutz Samedan 2002 bis 2006 (Informationsbroschüre), Samedan 2002 Kanton Graubünden, Tiefbauamt: Hochwasserschutz Samedan (04.07.2002), http://www. samedan.ch/flaz, 10.09.2002 3 Academia Engiadina Samedan: Projekt Hochwasserschutz Samedan 2002 bis 2006 (Informationsbroschüre), Samedan 2002 2
284
Öffentliche Wirtschaft
sollten. Die mit dem damaligen Kenntnisstand errichteten Gerinne von Flaz und Inn erwiesen sich aber mit der Zeit als unterdimensioniert. Die Ursachen dafür sind auch in den Klimaveränderungen (vgl. Gletscherschwund, ansteigende Schneefallgrenze) zu sehen. Wassermengen, die bei einem außerordentlichen Hochwasser zu erwarten wären, hätten durch die bestehenden Gerinne nicht mehr vollständig abgeführt werden können und damit die Siedlungsgebiete von Samedan gefährdet.4 1987, als Inn und Flaz erneut bedrohliche Pegelstände erreichten, Samedan aber – vorerst noch – vom Hochwasser verschont blieb, begann man zum ersten Mal, an der Wirksamkeit der Dämme zu zweifeln. Anschließende Untersuchungen belegten das bestehende Gefährdungspotenial. Die Kantonsregierung setzte der Gemeinde daraufhin zur Behebung der Gefahren eine Frist bis 2005.
Samedan – Hauptort des Oberengadin
Die zunächst zum Rückstau vorgesehenen Oberengadiner Seen
In einer Feasibility-Study wurden mögliche Schutzmaßnahmen analysiert. So wurde beispielsweise an einen weiteren Ausbau der bestehenden Flußbetten, Staumauern im benachbarten Roseg-Tal und in Morteratsch (Abflußgebiete des BerninaMassivs), einen Rückstau der Oberengadiner Seen, den Bau von Rückhaltebecken und eine Verlegung des Flaz mit Renaturierung des Inn gedacht. Letztendlich erwiesen sich der Ausbau der Flußbetten und die Flazverlegung als machbar. Die Samedaner Stimmberechtigten entschieden sich mit großer Mehrheit für die zwar mehr als doppelt so teure, aber ökologisch sinnvollere Variante, die Flazverlegung. Nach Realisierung des Projekts soll die Hochwassergefahr für die besiedelten Gebiete beseitigt sein. Ab Mai 2002 wurde im Rahmen der größten Flußverlegung in der Schweiz seit 80 Jahren5 ein neues Flazgerinne gebaut, das im Juni 2004 dem Fluß übergeben werden konnte.6 Für die Rekultivierung hatte man einen Zeitraum bis Sommer 2004 eingeplant. Die Renaturierung des teilverlegten Inn sollte spätestens bis zum Som-
4
vgl. Academia Engiadina Samedan: Projekt Hochwasserschutz Samedan 2002 bis 2006 (Informationsbroschüre), Samedan 2002 vgl. o.V.: Ein Fluss wird verlegt (24.11.2003), http://www.3sat.de, 04.04.2009 6 vgl. o.V.: Hochwasserschutz, http://www.samedan.ch, 04.04.2009; Bischoff, Andri: Eine nachhaltige Lösung in Rekordzeit für den Hochwasserschutz von Samedan, in: Wasser Energie Luft, 3-4/2005, 81 5
Hochwasserschutz in den Alpen
285
mer 2005 erfolgen. Der Abschluß des Projekts war für 2006 vorgesehen. Die Gesamtkosten zu dessen Realisierung waren mit ca. 29 Mio. Franken veranschlagt. Getragen wurden diese zu 75 % von Bund und Kanton sowie zu 25 % von den Gemeinden und weiteren Investoren.
Abbildung 8-1 Flaz-Verlegung7
Durch die Flazverlegung werden 17 ha Land beansprucht. Die betroffenen Landwirte reagierten äußerst verständnisvoll und erklärten sich zum Tausch von Land bereit. Zudem wurde der Neubau von Brücken, u.a. auch für die Rhätische Bahn, notwendig. Aushub Schüttungen Blocksatz für Uferschutz Länge Neubau Länge zurückgebaute Dämme
300.000 m³ 245.000 m³ 75.000 t 4.050 m 1.700 m
Länge aufgewerteter Inn Anzahl neuer Brücken Bleibende Rodungsfläche Temporäre Rodungsfläche Beanspruchte Landfläche
3.250 m 6 11.255 m² 3.985 m² 17 ha
Tabelle 8-1 Flazverlegung – Zahlen und Fakten8
7
vgl. Academia Engiadina Samedan: Projekt Hochwasserschutz Samedan 2002 bis 2006 (Informationsbroschüre), Samedan 2002 8 Academia Engiadina Samedan: Projekt Hochwasserschutz Samedan 2002 bis 2006 (Informationsbroschüre), Samedan 2002
286
Öffentliche Wirtschaft
Am Projekt sind neben den Gemeinden auch eine Reihe kantonaler Amtsstellen und der Bund sowie sonstige Organisationen beteiligt: so z.B. Bund (Bundesamt für Wasser und Geologie), Regierung und Amtsstellen des Kanton Graubünden (insbesondere Abteilung Wasserbau des Tiefbauamtes), kantonale Amtsstellen (Umwelt, Raumplanung, Natur und Landschaft, Wald), Umweltorganisationen und örtliche Vereine (Fischerei, Vogelschutz).9 Aufgabe 1 In welchen Etappen soll das Projekt realisiert werden? Welcher Zeitrahmen wird dafür jeweils angesetzt? Aufgabe 2 Analysieren Sie die Sichtweisen/Ziele/Bedenken der am Projekt beteiligten bzw. davon betroffenen Akteure! Aufgabe 3 Stellen Sie die Wirkungszusammenhänge von im vorliegenden Fall bedeutenden Faktoren in einem Wirkungsgefüge dar! Aufgabe 4 Erstellen Sie ausgehend von Ihrem Wirkungsgefüge eine Wirkungsmatrix! Aufgabe 5 Erstellen Sie ein mittel-/langfristiges Szenario für den Fall, daß das Projekt nicht durchgeführt worden wäre bzw. durchgeführt wurde!
9
zum Weiterlesen siehe auch Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft BUWAL, http://www.buwal-natur.ch; Bundesamt für Wasser und Geologie, http://www.bwg.ad-min.ch; Fonds Landschaft Schweiz, http://www.fls-fsp.ch; Nievergelt, Thomas: Hochwasserschutzprojekt aus Sicht der Gemeinde, http://www.samedan.ch/flaz, 10.09.2002; o.V.: Flazverlegung in Samedan – Neue Flussläufe gab es in der Schweiz seit 1920 nicht mehr (04.07.2002), http://www.samedan.ch/flaz, 10.09.2002; Projekt Hochwasserschutz Samedan, http://www.samedan.ch/flaz; Semadeni, Silva: Naturnahe Umgestaltung der Landschaft, http://www.samedan.ch/flaz, 10.09.2002
Hochwasserschutz in den Alpen
287
Lösung Aufgabe 1 Etappen Neues Flazgerinne Rekultivierung Flaz Renaturierung Inn Fertigstellungsarbeiten Gesamtbauzeit
Zeitrahmen 2002 bis 2004 bis Sommer 2004 bis Sommer 2005 bis 2006 4,5 Jahre
Tabelle 8-2 Projektetappen und Zeitrahmen zu deren Umsetzung
Aufgabe 2
Landwirtschaft
Bund
Bundesamt für Wasser und Geologie
Regierung und Amtsstellen des Kantons Graubünden
insbes. Abteilung Wasserbau des Tiefbauamtes
Fauna/Flora
Gemeinde Samedan
Nachbargemeinden
Umweltorganisationen
Einwohner (Stimmberechtigte)
Einwohner
Touristen
Abbildung 8-2 An der Flaz-Verlegung beteiligte bzw. davon betroffene Akteure Beteiligte Bund
Ansichten/Ziele/Bedenken • •
Sicherheit für Mensch und Sachwerte Naturschutz
Regierung und Amtsstellen des Kantons Graubünden
• • •
Sicherheit Naturschutz Berücksichtigung der Belange der kantonalen Amtsstellen Raumplanung, Umwelt, Natur und Landschaft, Wald Katastrophenschutz
• Gemeinde Samedan
• • • • •
Sicherheit Lebensqualität Natur Funktionalität Samedans als Hauptort des Oberengadin starke Abhängigkeit vom Tourismus; Ort muß für Touristen attraktiv bleiben
Öffentliche Wirtschaft
288 Fortsetzung
Beteiligte Einwohner/Stimmberechtigte von Samedan
Ansichten/Ziele/Bedenken
Nachbargemeinden
• Einbeziehung in Projektplanung und -durchführung Bedenken: • kritische Stelle: Einmündung des Flaz wird flußabwärts verlegt • möglicherweise Flutung von Gemeindeflächen, die bisher „sicherer“ waren • mögliche Nutzungseinschränkungen der Verkehrsinfrastruktur (z.B. Flugplatz als Überflutungsfläche) Bedenken: • kritische Stelle: Einmündung des Flaz wird flußabwärts verlegt • möglicherweise Flutung von Gemeindeflächen, die bisher „sicherer“ waren • mögliche Nutzungseinschränkungen der Verkehrsinfrastruktur (z.B. Flugplatz als Überflutungsfläche)
Einwohner der Nachbargemeinden
Landwirtschaft
• • •
• • • •
Umweltorganisationen • • Flora/Fauna • • •
Touristen
siehe Gemeinde Samedan keine allzu große finanzielle Belastung durch das Projekt Bedenken: Flutung großer Gemeindeflächen
keine Enteignungen keine finanziellen Verluste bei Landabgabe bzw. -tausch keine zu großen qualitativen Verluste bei Landtausch keine Überschwemmung der Nutzfläche Berücksichtigung von Umweltbelangen (Vogelschutz, Fische usw.) Minimierung der Belastungen der Umwelt während der Bauzeit bessere Entwicklungschancen ganzjährige Sicherheit (Urlaubsaufenthalt) Bedenken: Nutzungseinschränkungen Verkehrsinfrastruktur (z.B. Flugplatz als Überflutungsfläche)
Tabelle 8-3 Ansichten/Ziele/Bedenken der Beteiligten bzw. Betroffenen
Aufgabe 3
Mensch
Klima
+
+
Flora/Fauna
Hochwassergefahr
+ Hochwasserschäden
+
+ -
Schutz
+
Finanzen +
Abbildung 8-3 Wirkungsgefüge
Hochwasserschutz in den Alpen Wirkung von ... Mensch
auf ... Hochwassergefahr Hochwasserschäden
Flora/Fauna Klima
Hochwassergefahr
Hochwassergefahr Schutz
Schutz
Hochwasserschäden
Finanzen Hochwasserschäden Finanzen
289 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je stärker und je mehr gegen die Natur die Eingriffe des Menschen, umso größer die Hochwassergefahr je rücksichtsloser und unbedachter die Eingriffe, umso größer wahrscheinlich die Schäden im Falle eines Hochwassers je stärker und je mehr gegen die Natur die Eingriffe des Menschen, umso mehr sind Flora und Fauna gefährdet je stärker die Klimaveränderung (Rückzug der Gletscher, Ansteigen der Schneefallgrenze), um so größer die Hochwassergefahr je größer die Gefahr, umso höher die Schutznotwendigkeit je umfangreicher die Schutzmaßnahmen, umso höher wahrscheinlich die Ausgaben je effektiver der Schutz, umso geringer die Schäden je größer die Schäden, umso größer der finanzielle Aufwand zu deren Beseitigung
Tabelle 8-4 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Aufgabe 4
Klima
Hochwassergefahr
Schutz
Hochwasserschäden
Flora/Fauna
Finanzen
Zeilensumme
von auf Mensch Klima Hochwassergefahr Schutz Hochwasserschäden Flora/Fauna Finanzen Zeilensumme
Mensch
Wirkung
x 0 0 0 0 0 0 0
0 x 0 0 0 0 0 0
2 2 x 0 0 0 0 4
0 0 1 x 0 0 0 1
2 0 0 3 x 0 0 5
2 0 0 0 0 x 0 2
0 0 0 2 3 0 x 5
6 2 1 5 3 0 0 x
Tabelle 8-5 Wirkungsmatrix
Die stärksten Einflüsse gehen vom Menschen aus. Dieser kann aktiv (sinnvoll oder – wie in der Vergangenheit häufiger geschehen – weniger sinnvoll) steuernd eingreifen. Von der Art der Eingriffe hängt ab, wie wirksam diese im Falle eines Hochwassers und welche eventuellen Schäden zu beklagen sind. Ebenfalls vergleichsweise stark beeinflussend wirken Schutzmaßnahmen, die ergriffen werden, um Menschen und Sachwerte vor Hochwasser zu schützen. Die Maßnahmen sind präventiver Art, werden also aktiv vor einem eventuellen Hochwasser eingeleitet. Stark reaktiv wirken die Hochwasserschäden. Sie resultieren aus einem Ereignis und können auch erst nach einem Hochwasser genau beziffert werden. Auch die Finanzen, d.h. der finanzielle Aufwand zur Beseitigung der Schäden, resultiert aus deren Ausmaß.
290
Öffentliche Wirtschaft
Aufgabe 5
Umfeldsegmente Schlüsselfaktor Klima Gletscher
Wirkung auf Hochwassergefahr +* +* +* + + ++ ++ + + ++ ++
Entwicklung – Trendaussagen (N) rückläufig (D) rückläufig Schneefallgrenze (N) steigt an (D) steigt an Infrastruktur Bebauung (N) nimmt zu (D) nimmt zu Sickerflächen (N) werden weniger (D) werden weniger Brücken (N) keine Neubauten notwendig (D) Neubauten notwendig Fluß (Flaz) Mäander (N) kaum vorhanden (D) Wiederherstellung Flußbett (N) bleibt künstlich (D) Rückbau Mensch Angst vor Hochwasser (N) bleibt (D) nimmt ab Flora/Fauna Lebensräume (N) Erhaltung (D) Erhaltung und Neuschaffung Selbstregulierung (N) schlecht (D) wird verbessert (N) Nicht-Durchführung des Projekts; (D) Durchführung des Projekts * Bewertung mit „+“, da Gefahr durch Umsetzung des Projekts generell gemindert wird und diese Faktoren dadurch nicht mehr so kritisch sind, wie bei Nicht-Durchführung Tabelle 8-6 Mögliche Entwicklungen
Vom Tagebau zum Badesee
9
291
Vom Tagebau zum Badesee „Die Rekultivierung des Lausitzer Reviers, wo seit 150 Jahren Braunkohle abgebaut wurde, ist eine besondere Herausforderung. 60.000 Hektar Bergbaulandschaft müssen wieder nutzbar gemacht werden.“1
Die Braunkohlebagger sind aus der Lausitz größtenteils abgezogen. Hinterlassen haben sie riesige Flächen, die eher an eine Mondlandschaft erinnern. Dort, wo früher Dörfer standen und später Braunkohle abgebaut wurde, soll im Zuge der Rekultivierung eine Seenplatte entstehen. Einige der Lausitzer Gemeinden hatten Glück: Ihnen blieb das Überbaggern erspart, als nach der Wiedervereinigung Tagebaue stillgelegt wurden. Diese Gemeinden hoffen nun auf eine Zukunft als Seeanrainergemeinden.2 Bis 2010 bildet die Lausitz Aktions- und Schauplatz für die Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land (IBA). Im Rahmen von 25 Teilprojekten sollen das ehemalige Braunkohlerevier – nun die größte Landschaftsbaustelle Europas – ein neues Gesicht erhalten sowie für alte Bergbaugeräte und Kraftwerke neue Nutzungen entwickelt werden. Einen Schwerpunkt stellt dabei die Flutung der Tagebaurestlöcher dar. Bis 2015 sollen zehn größere, durch Kanäle verbundene sowie weitere kleinere Seen geschaffen werden und damit Europas größte künstliche Seenlandschaft mit ca. 14.000 Hektar Wasserfläche entstehen. Bislang wurden dazu rund 20 Mio. Euro investiert.3 Bereits seit 2003 können einzelne Seen touristisch genutzt werden.4 Badestrände, Surfschulen, Bootshäfen oder schwimmende Häuser ziehen dort Besucher an.5 Den Kern der touristischen Vermarktung soll der Wassersport bilden. Man hofft dabei insbesondere auf Gäste aus dem Raum Dresden, Cottbus und Chemnitz, aber auch aus der Tschechischen Republik.6 Doch die Landschaft soll keineswegs zum reinen Freizeitpark werden. Ziel der Gesellschaft „Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land“, die für Rekultivierung verantwortlich zeichnet, ist es ebenfalls, ein Stück Industriekultur zu erhalten. Den Verantwortlichen ist es gelungen, die weltweit größte Abraumförderbrücke nahe Lichterfeld vor der Verschrottung zu retten und zur begehbaren Touristenattraktion – „liegender Eiffelturm der Lausitz“ – umzubauen.7 Eine Rentabilitäts1
o.V.: Landschaft mit Seenkette auf ehemaligem Bergbaugebiet (13.04.2007), http://www.3sat.de, 04.04.2009 vgl. ebd. 3 vgl. Internationale Bauausstellung (IBA): Die Projekte, Großräschen 2009, o.S.; Gasser, Hans: Blühende Wasserlandschaften, in: Süddeutsche Zeitung, 12.03.2009, V2/7 4 vgl. Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH: Landschaften im Wandel – Lausitzer Seenland, Senftenberg 2008, 3 5 vgl. o.V.: Landschaft mit Seenkette auf ehemaligem Bergbaugebiet (13.04.2007), http://www.3sat.de, 04.04.2009 6 vgl. Gasser, Hans: Blühende Wasserlandschaften, in: Süddeutsche Zeitung, 12.03.2009, V2/7 7 vgl. Internationale Bauausstellung (IBA): Die Projekte, Großräschen 2009, o.S. 2
292
Öffentliche Wirtschaft
rechnung prognostizierte ca. 14.000 Besucher pro Jahr, die sich allerdings bereits zwei Monate nach der Eröffnung dort eingefunden hatten.8 Auch wenn diese Zahlen optimistisch stimmen, braucht das touristische Gesamtkonzept noch Zeit zum Reifen: „Bis das Seenland als Ganzes wahrgenommen wird, sich verschiedene Formen des Tourismus herausbilden und man hier genügend Leute hat, ‚die spüren, dass Dienstleistung wichtig ist‘, [wird] es noch mindestens bis zum Jahr 2020 dauern.“9
Abbildung 9-1 Landschaftsinseln und Teilprojekte10
Das Bundesbergbaugesetz bildet die rechtliche Grundlage der Sanierung. Darin ist vorgeschrieben, daß die vom Bergbau beanspruchten Flächen in einen sicheren Zustand versetzt und wieder nutzbar gemacht werden müssen.11 Zunächst wurden hier die Böschungen der Tagebaurestlöcher abgeflacht und eingeebnet, um der Bevölkerung nach der Flutung einen ungefährdeten Zugang zu den Seen zu ermöglichen. Als problematisch erwies sich dabei die Beschaffenheit des Untergrundes, der dort 8
vgl. Müller, Wenzel: Badefreuden in Restlöchern – Das einstige Braunkohlenrevier in der Lausitz wird neu gestaltet, in: Wiener Zeitung, 17.10.2003, http://www.wienerzeitung.at, 25.03.2004 9 Gasser, Hans: Blühende Wasserlandschaften, in: Süddeutsche Zeitung, 12.03.2009, V2/7 10 vereinfachte Darstellung nach: Internationale Bauausstellung (IBA): Die Projekte, Großräschen 2009, o.S. 11 vgl. Sauer, Hans Dieter: Neue Landschaft von Menschenhand im Osten Deutschlands – Aufgelassene Braunkohletagebaue werden zu Seen, in: Neue Zürcher Zeitung, 11.09.2002, http://www.nzz.ch, 25.03.2004
Vom Tagebau zum Badesee
293
überwiegend aus lockeren Sanden besteht. Ein weiteres Problem stellte der Eingriff in den Wasserhaushalt dar. Jahrzehntelang wurden die Tagebaue trocken gehalten und das abgepumpte Wasser in die Spree und die Schwarze Elster eingeleitet. Dadurch entstand im Braunkohlerevier ein weiträumiges Grundwasserdefizit. Bei der Spree wiederum erhöhte sich die durchschnittliche Wassermenge fast auf das Dreifache. Entlang der Spree hatte man sich daran gewöhnt, allerdings traten mit Rückgang der Braunkohleförderung und gleichzeitigem Rückgang der Wassermengen massive Probleme mit der Wasserqualität auf. Wegen der Wassergüte ist eine schnelle Flutung der Restlöcher erforderlich, da bei einer langsamen Füllung schwefelsaures Wasser einsickern würde und die Seen dadurch versauern.12 Ein sorgfältiges Wassermanagement ist also unabdingbar. Planmäßig soll die komplette Flutung der Seen 2018 abgeschlossen sein.13 Weil die Wasserwirtschaft Ländersache ist, arbeiten die Länder Sachsen und Brandenburg hierbei eng zusammen. Somit realisieren die beiden Bundesländer die Vorgaben der Europäischen Wasserrichtlinie, wonach Flußgebiete unabhängig von ihren Grenzen als Einheit zu betrachten sind. Die angestrebte Rekultivierung wird allerdings nicht von allen Seiten befürwortet: Kritik kommt beispielsweise von seiten der Naturschützer, die in den ehemaligen Tagebauen interessante Biotope entdeckt haben: „Auf den mageren Böden, oftmals auf faszinierende Weise von der Erosion zerfurcht, kommen Pflanzen und Tiere vor, die in der Kulturlandschaft kaum zu finden sind. Die Natur sich selbst zu überlassen, ist jedoch nur dort sinnvoll, wo die Böden und Wasserflächen nicht zu stark versauert sind, sonst haben Flora und Fauna kaum eine Chance.“14 Inzwischen hat man 110 km² als naturnahe Flächen ausgewiesen. Dort soll die Regeneration ohne Eingriffe des Menschen ablaufen. Trotz der euphorischen Stimmung gibt es auch Skeptiker, die nicht glauben, daß der ersehnte Aufschwung in der Region (so schnell) kommt: „Statt Aufbruchstimmung hat in der Lausitz seit der Wende Lethargie um sich gegriffen. Mit dem Ende des Tagebaus sind Tausende von Arbeitsplätzen weggefallen. Genug neue sind nicht entstanden. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 15 Prozent. Abwanderung und Überalterung prägen die Lausitz. Vor allem Frauen suchen andernorts ihr Glück.“15 Aufgabe 1 Wer kann aus der Rekultivierung der Tagebaurestlöcher auf welche Art und Weise Nutzen ziehen? Erstellen Sie dazu ein Mindmap!
12
vgl. Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH: Landschaften im Wandel – Lausitzer Seenland, Senftenberg 2008, 20; Sauer, Hans Dieter: Neue Landschaft von Menschenhand im Osten Deutschlands – Aufgelassene Braunkohletagebaue werden zu Seen, in: Neue Zürcher Zeitung, 11.09.2002, http://www.nzz.ch, 25.03.2004 13 vgl. Bangert, Ursula: Neue Ufer (11.08.2008), http://www.zeit.de, 07.04.2009 14 Sauer, Hans Dieter: Neue Landschaft von Menschenhand im Osten Deutschlands – Aufgelassene Braunkohletagebaue werden zu Seen, in: Neue Zürcher Zeitung, 11.09.2002, http://www.nzz.ch, 25.03.2004 15 Geiger, Stephanie: Seen, Ideen und ein langer Atem, in: Neue Zürcher Zeitung, 17.11.2008, 8
294
Öffentliche Wirtschaft
Aufgabe 2 Welche Ziele verfolgen die Initiatoren des Projekts? Aufgabe 3 Wer sind im vorliegenden Fall die entscheidenden Akteure bzw. Betroffenen? Welche Ziele haben diese sich gesetzt bzw. welche Ansichten vertreten sie? Aufgabe 4 Welche Impulse gehen vom beschriebenen Projekt aus? Wie können diese und deren Zusammenwirken in einem Wirkungsgefüge dargestellt werden? Aufgabe 5 Wie könnte sich die Umgestaltung der ehemaligen Tagebaulandschaft auf die dortigen Gemeinden auswirken? Aufgabe 6 Inwieweit können die im Szenario erfaßten Schlüsselfaktoren aus Sicht der LausitzGemeinden gesteuert werden? Aufgabe 7 Welche Einflüsse haben die betrachteten Faktoren aus dem Umfeld auf die strategischen Aktionsfelder der Gemeinden?
Vom Tagebau zum Badesee
295
Lösung Aufgabe 1
Kombination: Wohnen, Arbeit, Erholen Anwohner
Anbieter
offen für Trendsportarten und Events
attraktiveres Wohnumfeld
Neuaufbau der touristischen Infrastruktur
Angebote für alle Altersgruppen
wirtschaftliches Umfeld
Verknüpfung von Angebots- und Dienstleistungsketten mit modernem, anspruchsvollem Service
Gemisch aus Wasser- und Bergbaulandschaft
natürliches Umfeld
Zweitwohnsitz
infrastrukturelle Entwicklung
Reisende
Wohnen
Freizeitmöglichkeiten
stark steigende Nachfrage nach Beherbergungsmöglichkeiten
Tourismus
stark steigende Nachrage nach gastronomischen Angeboten
Nutzen durch Rekultivierung von Braunkohletagebauen Wirtschaft
Umwelt Kommunen
Hotel- und Gastgewerbe Einzelhandel Wohnungs- und Immobilienmarkt Baugewerbe
Kooperation der Kommunen ganzheitliche Dorferneuerungen und -sanierungen
Entwicklung der Siedlungsgebiete zu attraktiven Naherholungs- und Tourismusgebieten
infrastrukturelle Entwicklung
Charakter der Bergbaufolgelandschaft erhalten 110 km² als naturnahe Flächen dort: Störungsarmut infolge fehlender Straßen und menschlicher Besiedlung
Abbildung 9-2 Mindmap: Nutzen durch Rekultivierung von Braunkohletagebauen
Aufgabe 2 Prioritäten Ziele des Projekts Oberziel Nutzung der Tagebaulandschaft als Aktions- und Schauplatz für die Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land (IBA) Teilziele 1 vollständige Flutung der Tagebaurestlöcher 2 Schaffung von zehn größeren, durch Kanäle verbundene Seen 3 touristische Nutzung der Seen 4 Erhaltung von Industriekultur 5 Schutz von 110 km² als naturnahe Flächen Tabelle 9-1 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen
Zeitrahmen bis 2010
bis 2018 bis 2015 seit 2003, langfristig langfristig langfristig
Öffentliche Wirtschaft
296 Aufgabe 3
IBA
EU
Wirtschaft
Bundesländer
Umweltschützer
Kreise
Touristen
betroffene Gemeinden
Nachbargemeinden
Einwohner
Einwohner
Abbildung 9-3 Akteure bzw. Betroffene
Hauptakteure IBA
Sichtweisen und Absichten • • • •
Rekultivierung Aufwertung der Region Schaffung touristischer Attraktionen Sicherung des industriegeschichtlichen Erbes
betroffene Gemeinden, Nachbargemeinden, Kreise
• • • •
Aufwertung der Gemeinden Schaffung touristischer Attraktionen Auf- und Ausbau der Infrastruktur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen
Brandenburg und Sachsen EU
•
praktizieren bundeslandübergreifende Zusammenarbeit
•
erwartet Einhaltung der Vorgaben der Europäischen Wasserrichtlinie
Einwohner
• •
allgemein: Wunsch nach attraktiverem Wohn- und Lebensumfeld Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter: erwartet Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen
Umweltschützer
• •
Erhalt der Bergbaufolgelandschaft – oder zumindest von Teilen davon – als Biotop vermeiden, daß Landschaft „kaputt saniert“ wird
Touristen
•
Schaffung attraktiver Destinationen mit abwechslungsreichem Angebot
Wirtschaft
•
steigende Nachfrage im Hotel- und Gastgewerbe durch Auf- und Ausbau touristischer Angebote
Tabelle 9-2 Sichtweisen und Absichten der Akteure und Betroffenen
Vom Tagebau zum Badesee
297
Aufgabe 4
+
Wirtschaft +
Tourismus +
+
+
+ Infrastruktur
Kommunen +
+
+
+
Einwohner
+
+
-
-
Umwelt
Abbildung 9-4 Wirkungsgefüge Wirkung von ... Wirtschaft
auf ... Kommunen
Einwohner Umwelt Tourismus
Wirtschaft Einwohner
Infrastruktur
Umwelt Wirtschaft
Tourismus Einwohner Umwelt Kommunen
Tourismus Einwohner
Umwelt
Tourismus
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je besser die Situation der lokalen Wirtschaft, um so günstiger für die Kommunen (Steuereinnahmen, Arbeitsmarktsituation usw.) je besser die Situation der lokalen Wirtschaft, um so eher bleiben Einwohner in der Region je mehr Unternehmensansiedlungen, um so negativer die Folgen für die Umwelt je mehr Touristen, um so besser für die lokale Wirtschaft (Hotel- und Gastgewerbe, Freizeitangebote usw.) je mehr Touristen, um so höher die Belastung für die Einwohner je mehr Touristen, um so negativer wird Umwelt beeinflußt je besser die Infrastruktur, um so eher siedeln sich weitere Unternehmen (v.a. Hotel- und Gastgewerbe, Freizeiteinrichtungen) an je besser die Infrastruktur, um so mehr Touristen können aufgenommen werden je besser die Infrastruktur, um so eher bleiben Einwohner in der Region je stärker Infrastruktur ausgebaut wird, um so negativer die Folgen für die Umwelt je attraktiver die Kommunen, um so mehr Touristen fühlen sich angezogen je attraktiver die Kommunen, um so eher bleiben Einwohner in der Region je intakter/attraktiver die Umwelt, um so mehr Touristen fühlen sich angezogen
Öffentliche Wirtschaft
298 Fortsetzung
Wirkung von ... Umwelt
auf ... Kommunen Einwohner
Beschreibung der Wirkungsbeziehungen je intakter/attraktiver die Umwelt, um so höher die Attraktivität der Kommunen je intakter/attraktiver die Umwelt, um so eher sind Einwohner bereit zu bleiben
Tabelle 9-3 Beschreibung der Wirkungsbeziehungen
Aufgabe 5 Umfeldsegmente Schlüsselfaktor Arbeitsmarktsituation Wirtschaft
Zahl der Unterkunftsmöglichkeiten und Gaststätten Produktion vor Ort (Lebensmittel, sonstige Dienstleistungen) Finanzlage der Unternehmen Einwohner
Einwohnerzahl
Kaufkraft
Touristen
Anzahl der Touristen
Zufriedenheit
Lebensqualität für Einwohner und Touristen
Erholungswert
Umweltqualität
Freizeit- und Kulturangebote Infrastruktur
ÖPNV
Verkehrswegenetz
Entwicklung – Trendaussagen O) entspannt sich P) bleibt W) entspannt sich O) nimmt stark zu P) bleibt W) nimmt zu O) nimmt stark zu P) bleibt W) nimmt zu O) verbessert sich P) bleibt W) verbessert sich O) nimmt zu P) sinkt W) bleibt O) steigt P) bleibt W) steigt O) nimmt stark zu P) bleibt W) nimmt zu O) nimmt zu P) bleibt W) nimmt zu O) steigt P) bleibt W) steigt O) verbessert sich P) bleibt W) verbessert sich O) nehmen zu P) bleiben W) nehmen zu O) wird attraktiver P) bleibt W) wird attraktiver O) wird ausgebaut P) bleibt W) wird ausgebaut
Wirkung auf Gemeinden + +/+ ++ +/+ ++ +/+ + +/+ + +/+ +/+ ++ +/+ + +/+ + +/+ + +/+ + +/+ + +/+ + +/+
Vom Tagebau zum Badesee
299
Fortsetzung
Umfeldsegmente Schlüsselfaktor Versorgungseinrichtungen Infrastruktur
Entwicklung – Trendaussagen O) Anzahl nimmt zu P) Anzahl bleibt W) Anzahl nimmt zu
Wirkung auf Gemeinden + +/+
Tabelle 9-4 Mögliche Entwicklungen
Aufgabe 6 Steuerbarkeit
Faktoren
Begründung
Steuerbare Faktoren
• •
Erholungswert Freizeit- und Kulturangebote ÖPNV Umweltqualität Verkehrswegenetz Versorgungseinrichtungen Anzahl der Touristen Zufriedenheit
Generell können die Lausitz-Gemeinden im Rahmen ihrer Verwaltungstätigkeit bzw. im Zuge der touristischen Vermarktung auf nebenstehend genannte Faktoren einwirken.
Erholungswert Freizeit- und Kulturangebote ÖPNV Umweltqualität Verkehrswegenetz Versorgungseinrichtungen Anzahl der Touristen Zufriedenheit
Durch planerische und gestalterische Maßnahmen sind diese Faktoren durch die Gemeinden wirksam steuerbar. Sie entscheiden bzw. beeinflussen z.B., inwieweit die Infrastruktur ausgebaut wird oder welche umwelterhaltenden bzw. -verbessernden Maßnahmen durchgeführt werden und tragen entschieden dazu bei, daß sich Touristen vor Ort wohl fühlen.
Arbeitsmarktsituation Einwohnerzahl Finanzlage der Unternehmen Kaufkraft Produktion vor Ort (Lebensmittel, sonstige Dienstleistungen) Zahl der Unterkunftsmöglichkeiten und Gaststätten
Steuerungsmaßnahmen sind bei diesen Faktoren nur über andere Faktoren möglich. So können beispielsweise die Zahl der Beherbergungsund gastronomischen Einrichtungen sowie die Produktion vor Ort nur indirekt über die Schaffung attraktiver Standortbedingungen beeinflußt werden. Auch die Zahl der Einwohner läßt sich nicht direkt, wohl aber über ein angenehmes Wohn- und Arbeitsumfeld, ansprechende Freizeitund Kulturangebote, eine intakte Infrastruktur und eine gute Umweltqualität steuern. Arbeitsmarktsituation, Finanzlage der Unternehmen und Kaufkraft resultieren aus der gesamtwirtschaftlichen Lage und lassen sich z.T. durch die Gemeinden auch über die Schaffung attraktiver Standortbedingungen beeinflussen. Anhand dieser Faktoren sind Entwicklungen im Umfeld ablesbar. Veränderungen bei diesen Faktoren zeigen sich nicht schlagartig, sondern allmählich, so daß bei kontinuierlicher Beobachtung rechtzeitig nach den Ursachen der Veränderungen gesucht und wenn nötig an geeigneter Stelle interveniert werden kann.
• • • • • • Wirksam steuerbare Faktoren
• • • • • • • •
Nicht steuerbare • Faktoren • • • • •
Frühwarnindikatoren
• • • • • •
Anzahl der Touristen Arbeitsmarktsituation Einwohnerzahl Finanzlage der Unternehmen Kaufkraft Umweltqualität
Tabelle 9-5 Steuerbarkeit der Faktoren
Öffentliche Wirtschaft
300 Aufgabe 7
Zeilensumme
Versorgungseinrichtungen
Verkehrswegenetz
ÖPNV
Freizeit- und Kulturangebote
Umweltqualität
Erholungswert
Zufriedenheit der Touristen
Anzahl der Touristen
Kaufkraft der Einwohner
Anzahl der Einwohner
Finanzlage der Unternehmen
Produktion vor Ort
Zahl der Unterkünfte/Gaststätten
Strategische Aktionsfelder Finanzen Bauvorhaben und Instandsetzung Marketing Image Spaltensumme
Arbeitsmarktsituation
Umfeldfaktoren
3
3
3
3
3
2
2
0
0
0
0
1
2
2
24
0
3
3
0
3
0
2
0
1
1
2
2
3
3
23
0 1 4
1 2 9
1 2 9
0 0 3
0 0 6
0 0 2
1 2 7
3 2 5
2 3 6
3 3 7
3 3 8
3 3 9
3 3 11
3 3 11
23 27 x
Abbildung 9-5 Umfeldeinflußmatrix
Aus der Matrix geht hervor, daß die stärksten Wirkungen von der Zahl der Unterkunftsmöglichkeiten/Gaststätten, der Produktion vor Ort, dem Verkehrswegenetz und den Versorgungseinrichtungen ausgehen. Ebenfalls stark beeinflussend wirken der ÖPNV, die Einwohner- und Touristenzahl sowie das Freizeit- und Kulturangebot. Das Image der Gemeinden unterliegt den stärksten Einflüssen. Die aufgeführten Umfeldfaktoren entscheiden z.B., ob sich die Region als attraktive Tourismusdestination und als ansprechendes Wohn- und Arbeitsumfeld präsentiert. Doch auch die Aktionsfelder Finanzen, Bauvorhaben und Instandsetzung und Marketing werden stark beeinflußt. Da von der Finanzlage die Aktivitäten der Gemeinden abhängen, sollten alle Umfeldfaktoren kontinuierlich und sorgfältig untersucht werden. Zudem sollte – wenngleich sich dies angesichts der allgemeinen Haushaltslage als eher schwierig erweisen wird – ein gewisses finanzielles „Polster“ geschaffen werden, so daß die Gemeinden in diesem Bereich gegenüber kurzfristigen Veränderungen der Faktoren unabhängiger werden. Auch das Marketing ist relativ stark von den Umweltfaktoren abhängig. Die Marketingmaßnahmen müssen an die Marktgegebenheiten und an die Zielgruppe angepaßt werden, was aber nur möglich ist, wenn ausreichend diesbezügliche Informationen vorliegen. Inwieweit Bauvorhaben notwendig bzw. sinnvoll sind, hängt von der bisherigen und der angestrebten touristischen Entwicklung ab.
Kiruna zieht um
10
301
Kiruna zieht um „Kiruna skulle inte finnas om det inte vore för järnmalmens skull.“1
Die nordschwedische Stadt Kiruna liegt etwa 250 km nördlich des Polarkreises am Fuße der sehr erzreichen Magneteisenberge Luossavaara (729 m) und Kiirunavaara (749 m) und erstreckt sich auf einer Fläche von über 19.000 km² in der Provinz Norrbottens län. In Kiruna leben ca. 23.000 Einwohner.2 Die 1890 gegründete Luossavaara-Kiirunavaara AB (LKAB)3, die heute der größte Arbeitgeber der Stadt ist, begann hier zu Beginn des 20. Jh. mit dem Erzabbau. Die Bedingungen damals waren nicht einfach: Es gab in der Region weder Arbeitskräfte noch Kunden, weder Straßen noch Häuser. 1903 nahm die Erzbahn (Malmbanan), die den Transport zum ganzjährig eisfreien norwegischen Hafen Narvik ermöglichte, den Betrieb auf. Ohne die Bahn wäre es nicht möglich gewesen, den Erzbergbau profitabel zu betreiben und die Kunden schnell genug zu beliefern.4 Parallel zum Bergbau entwickelte sich auch die Stadt Kiruna, die seitdem untrennbar mit ihm verbunden ist. Ein Großteil des öffentlichen Lebens ist vom Bergbau geprägt. Rund 1.700 Menschen leben direkt vom Eisenerz. Der kontinuierliche Abbau der erzhaltigen Gesteinsschicht, die sich in einem 60°-Winkel unter die Stadt zieht, stellt die Stadt vor große Herausforderungen. Man füllt die durch den Abbau entstehenden Hohlräume zwar mit Abraum auf, trotzdem läßt sich das Entstehen von Rissen im Boden nicht vermeiden. Bislang befinden sich diese Risse zwar noch im Grubengelände, werden aber mit fortschreitendem Gesteinsabbau immer weiter an die Stadt heran wandern und damit Häuser, Versorgungsleitungen und Verkehrswege gefährden.5 Eine Einstellung des Erzbergbaus kommt weder für den Grubenbetreiber noch für die Einwohner in Frage. Zum einen ließen sich dadurch die bereits bestehenden Risse nicht mehr verhindern, zum anderen hat die Erzgrube eine viel zu große Bedeutung für die Stadt, die Region, ja ganz Schweden. Bleibt also nur der Umzug der Stadt. Wie aber soll solch ein Umzug aussehen? Welche Teile der Stadt müssen umziehen, welche Teile bleiben (vorerst) erhalten? Nicht alle Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind bislang geklärt.6 In der Nähe der Deformationszone verläuft die Eisenbahnlinie Luleå–Gällivare– Kiruna–Narvik, die verlegt werden muß. Dabei hat man sich für die westlichste der drei Alternativen entschieden. Baubeginn soll im Laufe des Jahres 2009, Bauende
1
Übersetzung: Kiruna würde es nicht geben, wäre es nicht um des Eisenerzes willen. (Kiruna kommun: Kiruna – En stad i omvandling, Kiruna 2008, 3) 2 vgl. Statistiska centralbyrån: Kiruna kommunfakta 2008, o.O. 2008, 1 3 LKAB: Historik, http://www.lkab.com, 12.01.2009 4 vgl. Kiruna kommun: Kiruna – En stad i omvandling, Kiruna 2008, 3 5 vgl. Güth, Katja: Kiruna – Eine Stadt zieht um, Sveriges Radio, http://www.sr.se, 04.01.2009; Krämer, Thomas: Eine Stadt packt ihre Sachen, in: Nordis 01/2009, 29 6 vgl. Güth, Katja: Kiruna – Eine Stadt zieht um, Sveriges Radio, http://www.sr.se, 04.01.2009
302
Öffentliche Wirtschaft
2012 sein. Der Schieneninfrastrukturbetreiber Banverket hat im Norden der Stadt bereits ein neues Technikgebäude errichtet. Auch die E10 nach Narvik und die Straße 870 nach Nikkaluokta befinden sich in der Nähe der Grube und müssen deshalb verlegt werden. Die Projektierung der neuen Trassen wurde bereits durch den Straßeninfrastrukturbetreiber Vägverket in Angriff genommen. Der Energiekonzern Vattenfall hat mit der Verlegung von Leitungen begonnen und neue Trafostationen errichtet. Obwohl der Flugplatz Kiruna nicht unmittelbar in der Deformationszone liegt, werden höchstwahrscheinlich auch dort Umbauarbeiten stattfinden. Das Luftfahrtsamt Luftfartsverket plant die Verlängerung der Startbahn um 500 m.7
Mit Sack und Pack ...
Das Rathaus, das 1964 zum schönsten Gebäude Schwedens gewählt wurde, befindet sich ebenfalls in der Deformationszone, ebenso gefährdet sind die Feuerwache, das Krankenhaus, der Busbahnhof, die Bibliothek, zwei Schulen, ein Sportplatz und die Kirche. Auswirkungen werden hier zwischen 2013 und 2033 zu spüren sein. Man möchte so viele Gebäude wie möglich erhalten und im Ganzen oder in Teilen umsetzen. Wo das nicht möglich ist, werden die Gebäude abgerissen und das Material weiterverwendet.8
7
vgl. Banverket: Kirunaprojektet, Luleå o.J., 2; Banverket: Utdrag ur järnvägsplanerna 01, 02 samt 04, Luleå o.J., 1ff; Banverket; Vägverket; Kiruna kommun: Kirunaprojektet, Kiruna 2007, 1ff; Kiruna kommun: Planeringsunderlag, Kiruna 2008, 28; Krämer, Thomas: Eine Stadt packt ihre Sachen, in: Nordis 01/2009, 29; Petersson, Linus: Konsten att flytta en stad – en studie av hur kommunikationerna i Kiruna påverkas av stadsomvandlingen, Växjö 2007, 15ff; Banverket: Järnvägsutredning Kiruna, ny järnväg, Luleå 2006, 29 8 vgl. Güth, Katja: Kiruna – Eine Stadt zieht um, Sveriges Radio, http://www.sr.se, 04.01.2009; Näsström, Lina: Hur många människor måste flytta? (24.10.2008), http://www.kommun.kiruna.se,
Kiruna zieht um
303
Im Stadtzentrum Kirunas leben rund 18.000 Menschen. 10 Prozent davon sind unmittelbar vom Stadtumbau betroffen. Im Laufe der nächsten zehn Jahre müssen 160 Wohnungen, aber auch einige Einfamilienhäuser aufgegeben werden. Nach 2023 werden weitere 280 Wohnungen und Häuser folgen, nach 2033 weitere 520 Wohnungen. Kirunas neues Zentrum soll sich im Nordwesten der Stadt etablieren.9 Noch weiß aber niemand genau, wie es dort später aussehen wird. Die Linkspartei im Stadtparlament kritisiert, daß die Bevölkerung bislang zu wenig einbezogen wurde. So war der Umzug beispielsweise kein großes Thema bei den Kommunalwahlen 2006, obwohl über die Idee damals schon zwei Jahre diskutiert worden war. Die Stadtverwaltung hält dagegen, daß man mit vielen Entscheidungen nicht mehr bis zu den nächsten Kommunalwahlen im Jahr 2010 warten könne und deshalb bereits agieren mußte.10 Nicht geklärt ist auch, welche Kosten der Umzug verursachen wird und wer die Kosten letztendlich trägt. Dem Bergbaugesetz zufolge muß der Grubenbetreiber die durch den Abbau verursachten Kosten tragen. Beim Umzug einer Stadt entstehen aber auch viele indirekte Kosten. Nach Ansicht der LKAB würde sich ein weiterer Erzabbau nicht mehr lohnen, sollte das Unternehmen die gesamten Kosten tragen müssen. Da die LKAB dem schwedischen Staat gehört, wird letztendlich der schwedische Steuerzahler für die Kosten aufkommen.11 Bislang wurden folgende Kosten veranschlagt, wobei es nicht möglich ist, bereits jetzt die Gesamtkosten zu prognostizieren: • Verlegung Bahnlinie: 2,5-3,5 Mrd. Kronen, • Verlegung bzw. Neubau E10: 200-350 Mio. Kronen, • Verlegung Nikkaluoktavägen: 45-55 Mio. Kronen, • Verlegung Abwasserleitungen: 49 Mio. Kronen, • Verlegung des Rathauses: 40-50 Mio. Kronen, • Verlegung der Kirche: 20-25 Mio. Kronen, • Verlegung des historischen Hauses „Bläckhorn“: 1 Mio. Kronen.12 Sowohl LKAB als auch die Kommune wünschen sich ein stärkeres Engagement des Staates im Stadtumwandlungsprozeß. Der Staat habe hier sowohl ein wirtschaftliches als auch ein politisches Interesse. Kritisiert wird aber auch, daß die
04.01.2009; Näsström, Lina: Vilka byggnader ska flyttas? (24.10.2008), http://www.kommun.kiruna.se, 04.01.2009 9 vgl. Näsström, Lina: Hur många människor måste flytta? (24.10.2008), http://www.kommun. kiruna.se, 04.01.2009; Krämer, Thomas: Eine Stadt packt ihre Sachen, in: Nordis 01/2009, 29; Gimberger, Christin; Norberg, Karin: Uppdrag: Att flytta en stad – en studie av planeringsprocessen i samband med Kiruna stadsomvandling, Uppsala 2006, 22 10 vgl. Güth, Katja: Kiruna – Eine Stadt zieht um, Sveriges Radio, http://www.sr.se, 04.01.2009 11 vgl. ebd.; Krämer, Thomas: Eine Stadt packt ihre Sachen, in: Nordis 01/2009, 29 12 vgl. Kiruna kommun: Kiruna – En stad i omvandling, Kiruna 2008, 14
304
Öffentliche Wirtschaft
Kommune und die LKAB mit unterschiedlichen Informationen an die Öffentlichkeit treten.13 Nicht unproblematisch ist die Bebauung derzeit ungenutzter Flächen. Im Vorfeld muß untersucht werden, welche Wirkungen eine Bebauung dort nach sich zieht. Dabei gilt es, verschiedene Interessen zu berücksichtigen, so beispielsweise die der Rentierzüchter. In der Nähe der Stadt befinden sich zwei Siedlungen der Samen. Bislang nutzen sie zur saisonalen Verlegung ihrer Rentierherden auf die Winterbzw. Sommerweiden Routen, die durch die Umsiedlung der Stadt beeinflußt werden könnten.14 Aufgabe 1 Welches Oberziel und welche daraus abgeleiteten Teilziele verfolgen die Planer des Projekts „Stadtumwandlung“ in Kiruna? Aufgabe 2 Zahlreiche Akteure bzw. Interessengruppen sind vom Projekt „Stadtumwandlung“ betroffen. Wer ist dies im einzelnen? Welche Ziele werden jeweils verfolgt? Aufgabe 3 Welche Bereiche des städtischen Lebens Kirunas sind vom Umzug betroffen? Erstellen Sie dazu ein Mindmap! Aufgabe 4 Wie könnte sich die Stadt Kiruna im Laufe des Projekts „Stadtumwandlung“ innerhalb der nächsten zehn bis 20 Jahre entwickeln? Stellen Sie die Entwicklungsmöglichkeiten in einem Szenario dar! Aufgabe 5 Welche Faktoren aus dem Umfeld könnten die strategischen Aktionsfelder des Projekts „Stadtumwandlung“ beeinflussen? Erstellen Sie dazu eine Umfeldeinflußmatrix! Aufgabe 6 Inwieweit können die Planer des Projekts „Stadtumwandlung“ die zuvor untersuchten Umfeldfaktoren steuern?
13
vgl. Gimberger, Christin; Norberg, Karin: Uppdrag: Att flytta en stad – en studie av planeringsprocessen i samband med Kiruna stadsomvandling, Uppsala 2006, 36 und 42 14 vgl. Kiruna kommun: Kiruna – En stad i omvandling, Kiruna 2008, 15
305
Kiruna zieht um
Lösung Aufgabe 1 Prioritäten Ziele Oberziel Weiterbetrieb der Eisenerzmine bei gleichzeitiger Sicherstellung der Existenz der Stadt Kiruna (Stadtumwandlung) Teilziele 1 Bau eines neuen Technikgebäudes durch Banverket 2 Neuinstallation Energieversorgung durch Vattenfall 3 Verlegung der Eisenbahntrasse durch Banverket 4 5 6 7 8 9 10
Verlegung der E10 und der Straße 870 durch Vägverket Umsiedlung der Familien aus 160 betroffenen Wohnungen Umsiedlung der Familien aus weiteren 280 Wohnungen Umsiedlung der Familien aus weiteren 520 Wohnungen Umsiedlung des Rathauses Umsiedlung der Kirche, Schulen, Sportplätze ... Etablierung eines neuen Stadtzentrums
Zeitrahmen langfristig
bereits abgeschlossen bereits begonnen Beginn 2009, Fertigstellung 2012 mittelfristig langfristig (10 Jahre) langfristig (nach 2023) langfristig (nach 2033) langfristig langfristig langfristig
Tabelle 10-1 Ziele, Prioritäten und Zeitrahmen
Aufgabe 2
Staat
Staat
Staat
Provinz Norrbottens län
LKAB
Gemeinde Kiruna
Infrastruktur*
Einwohner
Infrastruktur*: Banverket, Vägverket, Vattenfall Wirtschaft**: Lokaler Einzelhandel und Gastgewerbe, lokale Unternehmen, Rentierzüchter, Bauwirtschaft, Speditionsgewerbe
Wirtschaft**
Abbildung 10-1 Akteure Akteure/Betroffene Staat
Ziele • • • • •
Erhalt der Grube, Erhalt der Stadt Sicherung von Arbeitsplätzen Sicherung der Wirtschaftskraft in der Region Wahrnehmung der Aufgaben zur Daseinsvorsorge Kostenminimierung bzgl. Stadtumwandlung
306
Öffentliche Wirtschaft
Fortsetzung
Akteure/Betroffene Provinz Norrbottens län Gemeinde Kiruna
Ziele • • • • • • •
•
Erhalt der Grube, Erhalt der Stadt Sicherung von Arbeitsplätzen Sicherung der Wirtschaftskraft in der Provinz Erhalt der Stadt, Erhalt der Grube Sicherung von Arbeitsplätzen Entwicklung eines lebendigen, attraktiven neuen Stadtzentrums Aufrechterhaltung notwendiger Funktionen im alten Stadtzentrum so lange wie nötig rechtzeitige Fertigstellung der neuen Infrastrukturverknüpfungen (da lebensnotwendig für Stadt) Kostenminimierung bzgl. Stadtumwandlung Belastung der Einwohner so gering wie möglich Vermeiden des Wegzugs von Einwohnern wegen der Umsiedlung Weiterbetrieb der Eisenerzmine rechtzeitige Fertigstellung der neuen Eisenbahnlinie (da unabdingbar für Unternehmenstätigkeit) Kostenminimierung bzgl. Stadtumwandlung sinnvolle Nutzung der Rückbaufläche bei minimalen Kosten fristgemäße Trassenverlegung und Inbetriebnahme der neuen Strecke keine Unterbrechung des Bahnbetriebs Verlegung der E10 nach Narvik und der Straße 870 nach Nikkaluokta Aufrechterhaltung der Anbindung auch während des Baus Bau neuer Trafostationen Verlegung von Leitungen Sicherstellung der Energieversorgung gleichzeitig Modernisierung des Netzes Erhalt der Stadt Erhalt der Arbeitsplätze in der Grube Entwicklung eines lebendigen, attraktiven neuen Stadtzentrums (wenn nötig) Umzug und Neueinrichtung Kostenminimierung bei Umzug und Neueinrichtung Minimierung der persönlichen Einschränkungen Entwicklung eines lebendigen, attraktiven neuen Stadtzentrums Existenzsicherung: (wenn nötig) Umzug und Neueinrichtung Kostenminimierung bei Umzug und Neueinrichtung Abdeckung der Nachfrage bei Neueinrichtung von Wohnungen Versorgung und Beherbergung der zusätzlichen Beteiligten dadurch Umsatzsteigerung Existenzsicherung Erhalt der Migrationsrouten zur Übersiedlung der Rentiere auf Winterbzw. Sommerweiden Minimierung der Beeinflussung der Weideflächen durch Infrastrukturneubauten Verbesserung der Auftragslage durch Neubau von Infrastruktur, Wohnraum, Gewerberäumen zusätzliche Aufträge (Umzüge)
• • •
Existenzsicherung: (wenn nötig) Umzug und Neueinrichtung Kostenminimierung bei Umzug und Neueinrichtung zusätzliche Aufträge
•
LKAB
Banverket Vägverket Vattenfall
Einwohner
Lokaler Einzelhandel und Gastgewerbe
Rentierzüchter
• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Bauwirtschaft (auch überregional) Speditionsgewerbe (auch überregional) Sonstige lokale Unternehmen
•
Tabelle 10-2 Ziele der am Projekt „Stadtumwandlung“ Beteiligten bzw. davon Betroffenen
307
Kiruna zieht um Aufgabe 3 Straßen
Telekommunikation
Bahnhof und Schienenwege
Wasserver-, Abwasserentsorgung
ÖPNV
Müllentsorgung
Neuanbindung an Schienennetz
Energieversorgung
Postzustellung
Neuanbindung Flugplatz
Neuanbindung an Straßennetz
regional/ überregional
lokal
Neuaufteilung Einzugsgebiete
Meldewesen Bestattungswesen, Friedhof
Infrastruktur
Brandschutz/ Feuerwehr, Katastrophenschutz
Verlegung von Schulen und Kitas
Bildung
Umzug Kiruna Gesundheitswesen
Ordnung und Sicherheit
Verlegung von Arztpraxen, Gesundheitsdienstleistern
Umzug Rathaus
Stadtverwaltung Verlegung Krankenhaus lokale Wirtschaft
Umzug
Freizeit, Naherholung
Wohnen
Abriß/Neubau
Verlegung von Kultureinrichtungen
Umzug Möglichkeit Modernisierung
Abriß/Neubau
Preisänderung Grundstücke, Gewerberäume
Preisänderung Grundstücke, Wohnraum
Adreßänderung
Adreßänderung
Auftragslage
soziale Bindungen
Bauwirtschaft
Speditionsgewerbe
Einzelhandel, Gastgewerbe
Verlegung von Sportstätten
Kirche
Verlegung Kirche Bestattungswesen, Friedhof
Abbildung 10-2 Mindmap: Vom Umzug betroffene Bereiche des städtischen Lebens Kirunas
308
Öffentliche Wirtschaft
Aufgabe 4 Umfeldsegmente Wirtschaft
Einwohner
Infrastruktur
Schlüsselfaktoren Anzahl lokaler Unternehmen
Entwicklung – Trendaussagen O) nimmt zu P) bleibt W) bleibt Anzahl Arbeitsplätze O) nimmt zu P) bleibt W) bleibt Immobilienpreise O) geringe Veränderungen (insbes. Steigerungen im zukünftigen Zentrum) P) starke Veränderungen W) starke Veränderungen Anzahl O) nimmt zu (attraktivere Stadt) P) nimmt ab (unattraktivere Stadt) W) bleibt Planungssicherheit O) hoch P) gering W) mittelmäßig Lebensqualität O) steigt P) verschlechtert sich W) steigt Soziale Bindungen O) insgesamt schwache Beeinflussung durch Umzüge P) insgesamt starke Beeinflussung durch Umzüge W) je nach bisheriger Wohnlage mehr oder weniger starke Beeinflussung durch Umzüge Umweltqualität O) erhöht sich15 P) bleibt W) wird geringfügig besser Erschließung der O) verbessert sich Kommune durch ÖPNV P) wird gestört, bleibt lückenhaft W) Verbesserung bei entsprechender Organisation Einbindung in regiona- O) bleibt les/überregionales P) bleibt Verkehrswegenetz W) bleibt Anzahl und Erreichbar- O) wird verbessert keit VersorgungseinP) verschlechtert sich richtungen W) bleibt bei gleichzeitiger Modernisierung Anzahl und Erreichbar- O) Verbesserung keit Freizeit- und KulP) Verschlechterung (evtl. Wegfall) turangebote W) geringfügige Verbesserung
Tabelle 10-3 Mögliche Entwicklungen
15
Verkehrsverlagerung, Entfernung zur Grube
Wirkung auf Kiruna + +/+/+ +/+/-
--+ +/+ +/+ + +/- bis +
++ +/+ + + +/+/+/+ + + +
309
Kiruna zieht um Aufgabe 5
Ausmaß der Umsiedlung
Anzahl beteiligter Akteure
Interessen der beteiligten Akteure
Mitwirkungsbereitschaft der Einwohner
topographische Voraussetzungen
rechtliche Rahmenbedingungen
Zeilensumme
Strategische Aktionsfelder Kommunikation Zielsetzung/Planung Entscheidung Organisation Kontrolle Finanzierung Spaltensumme
Dringlichkeit der Umsiedlung
Umfeldfaktoren
2 3 3 2 1 3 14
2 3 2 3 2 3 15
3 1 1 3 3 2 13
2 3 3 0 0 3 11
3 2 3 1 0 0 9
0 2 2 1 1 3 9
1 2 2 1 2 3 11
13 16 16 11 9 17 x
Abbildung 10-3 Umfeldeinflußmatrix
Die stärksten Wirkungen gehen von Dringlichkeit und Ausmaß der Umsiedlung aus, die aus den Bergbauaktivitäten der LKAB der letzten Jahrzehnte sowie in der Zukunft resultiert. An diesen Faktoren müssen sich sämtliche strategische Aktionsfelder des Umsiedlungsprojektes ausrichten. Den stärksten Wirkungen unterliegt die – letztendlich auch noch nicht vollständig geklärte bzw. in ihrem gesamten Ausmaß abschätzbare – Finanzierung, die von nahezu allen betrachteten Umfeldfaktoren stark beeinflußt wird. Ähnlich stark beeinflußt werden Zielsetzung/Planung und Entscheidung. Aufgabe 6 Steuerbarkeit
Faktoren
Begründung
Steuerbare Faktoren
•
Mitwirkungsbereitschaft der Einwohner
•
Diese kann durch entsprechende Kommunikation und rechtzeitige, zielgerichtete Information beeinflußt werden.
•
Interessen der beteiligten Akteure
•
Eine Steuerung ist hier durch entsprechende Diskussion und Argumentation möglich; Kompromißlösungen könnten bei divergierenden Interessenlagen erzielt werden.
•
Mitwirkungsbereitschaft der Einwohner
•
s.o.
Nicht steuerbare • Faktoren
Dringlichkeit der Umsiedlung
•
Die Dringlichkeit ergibt sich aus den Abbauaktivitäten der LKAB.
•
Ausmaß der Umsiedlung
•
Das Ausmaß ergibt sich aus den Abbauaktivitäten der LKAB sowie der ursprünglichen Lage der Stadt.
Wirksam steuerbare Faktoren
•
Anzahl beteiligter Akteure •
•
topographische Voraussetzungen
•
Dies ist als gegeben hinzunehmen. Ebenso sind die topographischen Voraussetzungen als gegeben hinzunehmen bzw. bei Planung und Ausführung zu berücksichtigen.
310
Öffentliche Wirtschaft
Fortsetzung
Steuerbarkeit
Faktoren
Begründung
Nicht steuerbare • Faktoren
rechtliche Rahmenbedingungen
•
Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen können von den Projektplanern nicht beeinflußt werden, ggf. sind Sonderlösungen möglich aufgrund der Einzigartigkeit des Falles in Schweden.
•
Dringlichkeit der Umsiedlung
•
Die zeitliche Entwicklung der Deformationszone ist langfristig beobachtbar.
•
Ausmaß der Umsiedlung
•
Die räumliche Entwicklung der Deformationszone ist langfristig beobachtbar.
Frühwarnindikatoren
Tabelle 10-4 Steuerbarkeit der Faktoren