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German Pages 589 [600] Year 1812
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M. A.
VON T H Ü M M E L S
SÄMMTLICHE WERKE
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Frankreich.
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Vom siebenten bis achten Januar — aus meinem Gefängnisse.
M e i n e arme freundschaftliche Feder! Heute zum erstenmale von ekeler Schreiberei abgestumpft, die mir meine miisliche Lage abdrang, nehme ich sie jetzt, wie Mendelssohn die seinige, erst in der Ruhe der Nacht mit Vergnügen wieder in die Hand, — nicht, wie er, um über die Unsterblichkeit der Seele zu schreiben, sondern Dir in kläglichen Tönen das Mifsbehagen meines armen Körpers zu schildern , der gern in die weite Welt möchte, und sich schon zu lange in seinen Bewegungen unnatürlich gehemmt sieht.
Es
giebt einen hübschen Text eine traurige Stunde zu verschwatzen, und ein Gefangener bedarf der Zerstreuung. — Ein Ge-
4 fangener — welch ein häfsliches Wort ! Von Jugend auf ist es mir ein Mifslaut gewesen,
und
Du glaubst
nicht,
wie
widrig der Begriff davon immer auf meine Nerven gewirkt hat.
Ich gehe bei keinem
Kerker vorbei, ohne dal's der Gedanke an Fesseln mir in die Beine fahrt. ich es über das Herz bringen selbst
den
gemeinsten Vogel
Nie habe können, in
einen
Käfich zu sperren; denn der Verlust der Freiheit wirkt> gewifs mit gleichem Kummer auf alle, es mögen die Federn einein Dompfaffen angehören oder einem Zaunkönig.
So mache ich mechanisch schon,
und wenn es mich in der tiefsten Betrachtung der Glorie Gottes unterbrechen sollte, dem Hunde dicThüre a u f , sobald er daran kratzt; und nichts ist mir auch um d e s willen von
jeher lächerlicher und thö-
richter -vorgekommen, als die treuherzige Zuinuthung, bei gewissen Gelegenheiten mein eigener Scherge zu werden, und den besten Theil von mir — meine Vernunft,
5 gefangen zu nehmen. sei Dank!
nie in
Auch bin ich, Gott dein Falle
gewesen,
worin ich jetzt bin.
Denke D i r , Eduard,
wie empfindlich ich
ihn fühlen mufs!
Schon
meine heutige
kleine Erfahrung
läfst mich ahnden, was aus mir werden w ü r d e , wenn sie so viele Jahre fortdauern sollte, als sie Stunden gedauert hat.
Alle
guten Kräfte meiner Seele und meines Leibes würden in eine Lähmung verfallen. Ich könnte in einem Kerker Freunde um mich haben — ich würde sie hassen lern e n ; ' j a es könnten, glaube ich, die drei Grazien mit mir eingesperrt werden, es würde mir nicht besser gehen als den gefangenen Elephanten, und keine Nachkommenschaft würde wider meine Enthaltsamkeit zeugen. Unbegreiflich, dals es Gemüther giebt, die mit diesem natürlichen Gefühle scherzen, ruhig ihre Zeit verschweigen, verjagen und in Schauspielen vertändeln können — bei dem Bewufstseyn,
dafs
inzwischen
6 ihre rechtliche Strenge, oder ihr Überinuth gleich
organisirte Maschinen wie
sie sind, in Ketten und Banden hält! — Wehe dem Regenten, der diese Gewalt, die nur eine noch höhere Pflicht, als das Mitleid i s t , rechtfertigen kann , leichtsinnigen , unmündigen oder boshaften Händen überläfst! — der nicht den Zaum locker h ä l t , den er der Freiheit anlegt, und nicht immer fürchtet, das arme Geschöpf, das unter ihm seufzet, hartmäul i g , stättisch, kollerig und unbrauchbar für diese und jene Welt zu entlassen ! — d e r , statt Lustschlösser zu bauen,
die
seine Nachfolger dem Verfalle Preis geben, nicht lieber seine Baulust — zur Verschönerung der Gefängnisse, zur Erweiterung ihrer Höfe, und zur Bepflanzung derselben mit Blumen und Bäumen
benutzt,
und der den Übertreter, selbst aller Gesetze von der Wohlthat der Sonne auszuschließen w a g t , die doch der oberste Richter ausspendet, um zu scheinen über
7
Gute und Böse, über Gerechte und Ungerechte ! —
Und. was soll ich über euch
a u s r u f e n , o i h r , "die ihr die Kunst eures Gleichen zu m a r t e r n , bis zu dem Grade verfeinert h a b t , dafs ihr nicht allein ihre Körper, n e i n , auch ihre Seelen einzukerkern versteht, — ihren Phantasien alle Wahrung abschneidet, dem Redelustigen keine A n t w o r t , der Neugier keine Zeitungen g ö n n t ,
Feder und Tinte verbie-
t e t , und dem Abgematteten, nach einem mühseligen Tagewerke, die noch gröfsere Strafe der Unthätigkeit a u f b ü r d e t , und ihm zu aller Erholung von seinem Elende nur
die nagende Betrachtung desselben
übrig lafst? Der trostreiche E r s a t z , den mir jetzt mein Schreibtisch f ü r den Verlust der vorher gegangenen einfältigen Stunden gewährt, belehrt m i c h , welche Pein es seyn mag, den Strom seiner Gedanken in sich selbst verrauschen zu h ö r e n ,
ohne ihm
einen
Ausflufs verschaffen zu k ö n n e n , der an
8 das
Herz
eines Mitmenschen
anschlage.
Wie fühle ich nicht jetzt, bester Eduard, selbst in Deiner Entfernung, den Werth Deiner Gegenwart! und zu was für einem Kleinod ist mir nicht meine Feder geworden ! Um mir meine lange Tilade zu gute zu halten, darfst Du nur hören, wie es mir heute ergangen ist.
Als ich mich, ernste-
rer Geschäfte wegen, von Dir losgerissen , und mein Tagebuch weggelegt hatte, setzte ich mich nachdenkend in meinen Lehnstuhl.
Das erste, wonach sich wohl
jeder mehr oder weniger Bedrängte umsieht , sind Freunde:
aber leider! fand
ich diese schöne Aussicht hier noch um vieles eingeschränkter, als an jedem andern Orte der Welt.
Du w e i f s t , wie
klein der Zirkel meiner hiesigen'Bekanntschaften ist.
Aufser meinen Anklägerin-
nen zieht er sich nur noch um drei Geschöpfe herum; soll ich sie Männer nennen — so sey's! davon immer einer zu
9 Unternehmungen ungeschickter ausfällt als der andere. — Auf den elenden Tropf in Purpur,
an
den
mich der Oheim der
Marquise empfahl, kann wohl kein vernünftiger
Manu
machen.
Ein K e r l ,
den
geringsten
Staat
der nichts als die
drei Blasensteine der heiligen Klara von Montefalcone sicherlich Gran
im
jede S a c h e ,
wissen
hat,
verdirbt
zu der nur ein
Menschenverstand
Buchhändler F e z , mag
Kopfe
nöthig
ist.
—
der n u r , . der Himmel
über was von Klaren der
zweiten ? nachgrübelt, das, wenn es auch nicht so tief liegt als jene Beweise der Dreifaltigkeit,
doch alle Strahlen seines
Geistes wie auf einen Brennpunkt zusamsollte
men zieht — Angelegenheiten
der sich mit den
eines andern bemengen,
so müfste es wohl nur einer seyn,
der
ihm von dem, worüber seine Einbildungskraft b r ü t e t , geben könnte, Stande bin. —
angenehmere als ich
Nachrichten
es zu thun
im
Und Laurens W ä c h t e r ?
10
Der steht f e s t , wie eine Bildsäule.
Wo
Beine nöthig sind — und beim Sollicitiren sind sie es gewifs —
ist der
nicht
zu gebrauchen; und dal's meine Herren Inquisitoren — in so einer Angelegenheit w o h l zu verstehn — sich zu ihm bemühen sollten,
ist nicht zu erwarten. —
Indefs, da man von seinen Freunden nur den Vortheil ziehen k a n n ,
den
sie zu
gewähren geschickt s i n d , so schien mir, auch ohne Beine, der Kopf des getauften J u d e n immer noch den Vorzug vor den beiden andern zu verdienen.
So belesen
in dem Petrarch als Er i s t , wird er zu meiner
Schwachheit
bei
Klärchen
nur
lächeln, und die H a r m o n i e , an die der Dichter sein Ohr gewöhnt h a t , wird es ihm unmöglich machen, an dem Geschrei eines Unglücklichen auf dem Scheiterhaufen einen bischöflichen Spafs zu finden. Hat er nicht übrigens in dem
täglichen
und stündlichen Umgänge mit
Fremden
Gelegenheiten
genug
gehabt,
auch
die
guten Seiten eines Ketzers kennen zu lernen? und wer könnte genauer berechnen als E r , sei ?
zu was allem die Toleranz gut
Ohne weiteres Besinnen
setzte ich
mich also an meinen Schreibtisch,
mel-
dete dein Ehrenmanne meine sonderbare Gefangenschaft, bemäntelte die Veranlassung derselben so gut es ging, und legte, um ihm ineine Unschuld desto begreiflicher zu machen, mit dem letzten Dukaten , den ich in meiner Barschaft fand, zugleich
das letzte Versprechen der fal-
schen Concordia b e i ,
auf das ich mich
Schande halber bezog. Sobald meine Depesche fertig w a r ,
trat
ich an das Fenster, und lauerte auf Bastians Zurückkunft,
um ihn damit
abzuferti-
gen. — Ich sah ihn bald genug über die Gasse gesprungen kommen.
Aber zum
Malen war es, wie er nun vor dem Hause stand, bei jedem Schlage, den er mit dem Klopfer that, hinhorchte, und wie ungeberdig er sich anstellte, als er endlich
m e r k t e , dafs er von seinem Herrn abgeschnitten sei.
Ich
rief
ihm z u ,
und
erschreckte ihn vollends durch den kläglichen T o n , den ich in meiner Bekümlnernii's auf seinen Namen legte.
Du hät-
test die Augen sehen ' sollen, die er in die Höhe w a r f ! Mit wilderem Erstaunen hätte sie seine Schwester nicht a u f r e i h e n k ö n n e n , w e n n ich an jenem Abende
kritischen
das liebe Kind wirklich um das
kleine Hausmittel betrogen h ä t t e , das sie m i r , ohne Zeichen des heiligen Kreuzes — und doch gewil's unschuldiger d a r b o t , als das vielfach gesegnete Klärchep.
Es w a r
seit dem neuen Jahre das zweitemal, dafs mich wieder etwas an die gute Margot e r i n n e r t e , und Du kannst nicht glauben, E d u a r d , w i e w o h l e s m i r t h a t ; so wohl, dafs ich beinahe darüber
ihren Bruder
und seine Gesandtschaft vergessen hätte. Es schien, als w e n n es ihm selbst leid t h ä t e , mich in meinem sülsen Traume zu stören.
Er öffnete ein paarmal den Mund,
i5 ehe er es über das Herz bringen konnte, mir die Neuigkeit,
die er von der Post
mitbrachte, zu entdecken: der Legat habe die Verabfolgung meiner Pferde verboten, und der Teufel möge wissen,
warum ?
Seine weinerliche Stimme und sein scheuer Hinblick bald auf m i c h ,
bald auf den
Thürklopfer, zeigten; nur zu deutlich, in welchem furchtbaren Zusammenhange ihm jenes Verbot des Legaten mit dem verschlossenen Hause zu stehen schien; und auch auf mich wirkte seine Nachricht so viel, dafs ich mich nicht länger in seine Familienähnlichkeit vertiefte,
geschwind
von Margots Busen — auf meine gegenwärt i g e , weit unbequemere Lage zurück kam, und nicht weiter säumte, an
der Mauer herab
meinen B r i e f
fallen
zu
lassen.
Bastian fing ihn sehr geschickt mit dem Hut a u f ; und erst jetzt sah ich e i n , wie bedenklich es sei, einen Koinmunikationsweg durch das Fenster zu eröffnen'. Schon die einzelne« W o r t e ,
die wir
einander
i4 z u w a r f e n , hatten eine Menge Neugieriger um mein Haus versammelt; einer theilte dem andern seine Muthmafsungen mit, man setzte vor meinen Augen eine Geschichte zusammen, die ich wohl • hätte hören mögen, und die vermuthlich zur Grundlage aller heutigen Gespräche der Stadt dienen wird. Einige Patrioten hielten sich sogar bereehtigt, meinen Eilboten anzuhalten, und ihm seine Depesche abzufordern. Aber hier zeigte sich's, was für ein herrlicher Freipafs ein guter ltuf sei; denn kaum las man die Überschrift an den Wächter der L a u r a , so zogen sie lachend den Hut a b , liefsen dein Briefe seinen Lauf, und glaubten den Inhalt errathen zu haben. Kaum hatte ich mit meinem Fenster die einzige Öffnung, die mir noch zugänglich w a r , zugemacht, und mich in meinen Lehnstuhl zurück gezogen, so fühlte ich ganz deutlich, dafs der Mittag vorbei s e i , und knöpfte meine Weste enger
i5 zusammen.
Die
französische
Artigkeit,
sagte ich m i r , wird dich doch nicht verhungern lassen, ehe sie dich verhört h a t ? Das sieht ihr nicht gleich-
Selbst in dem
dickköpfigen Deutschland befördert die Gerechtigkeit,
die überall konsequent han-
delt, keinen in die andere W e l t , dem sie nicht eine Henkersmahlzeit mit auf den Weg giebt.
Es mufs, nach der Regel,
dem Verurtheilten erst wieder wohl seyn, ehe sie ihn weiter über
die Granze des
Lebens schickt; die Migräne mufs dich erst verlassen h a b e n , ehe man dir den Kopf abschlägt, und die Strafe des Stranges
wird
aufgeschoben,
so
lange
der
kranke Dieb noch nicht von seiner Bräune kurirt ist. Diese Gedanken, die mir der Hunger eingab , wurden durch einen Auftritt unterbrochen, der ihnen eine ganz andere, aber um nichts bessere Richtung anwies. Meine Nachbarinnen —
auch mein Bastian
ka-
men zurück — Haus und Stube wurden
i6
geöffnet,
und meine verspätete Mahlzeit
wurde aufgetragen.
Wenn
dieses
eine
Veränderung in meiner Lage g a b , so war sie jedoch mit Umständen begleitet,
auf
die ich ganz gern Verzicht gethan hätte. Tante und Nichte brachten eine Verstärkung m i t ,
die mir nicht anstand.
Alte wurde von
einem
Die
schwarzbraunen
Kerle von Prokurator geführt, und Klärchen, was mich am meisten verdrofs, zipperte mit dem Propst über die Gasse, ihre Händchen
so traulich um seinen vielfäl-
tigen Ärmel geschlagen, ausruhen
sollte,
als ob es darin
und zu meiner Thüre,
als sie geöffnet wurde, Schüsseln,
sah ich
statt, wie es sich
meine
gehörte,
durch meinen Bastian, den ich so sehnlich erwartete, von zwei päpstlichen Soldaten auftragen, die man nicht zerlumpter und ausgemergelter hätte
aussuchen
können, um mir meine jetzige Ohnmacht fühlbar zu machen. Truchsesse
benahmen
Diese
schmutzigen
mir
alle Ei'slust.
i7 Ich fühlte keinen Hunger mehr, und begaffte sie nur mit grofsen Augen.
Wer
Preufsen in der Nähe gesehen h a t , noch besser aber von f e r n , kann schon keinen Blick auf diese geistliche Miliz thun, ohne zu lachen; aber der Reiz dazu wurde bei mir gar sehr durch den Arger gemälsiget, der mir über ineine so elende Bewachung aufstieg.
Die beiden verhungerten Kerle
schienen
über ihren Dienst noch verle-
gener zu seyn als ich.
Sie zogen sich
langsam, ernsthaft, und mit gebogenem Knie, au die Thüre zurück, und pflanzten s i c h ,
jeder an einen Pfeiler, davor,
als ob es ihre Schuldigkeit wäre.
Ihre
B l i c k e , die dabei so unverrückt auf meine Schüsseln geheftet blieben, als ob sie in ihrem Leben noch kein altes Huhn in der Suppe gesehen h ä t t e n , würden schon jeden Historiker überzeugt h a b e n , dal's sie unter keinem Heinrich dem Vierten das Land bewachten. seligen Th. W .
Gesellen IV. Th.
Ich hätte diesen armwohl
keinen
gröfsern 2
Itt Possen spielen können, als recht bequem meine duftenden .Gerichte vor ihren Augen zu verzehren. Aber, die Ursachen ungerechnet, die mich schon physisch davon abhielten, würde es mir auch noch eine gewisse Empfindlichkeit der Seele verwehrt haben, die sich immer mit mir zu Tische setzt, und jeden Anblick von Elend, jeden Gedanken an Unterdrückung aus seinein Umkreis entfernt wünscht. Der unreinste Nahrungssaft, dächte ich, müi'ste meine Adern durchströmen, wenn ich mich im Beiseyn eines, zum Hunger Verdammten sättigen könnte, ohne meine Bissen mit ihm zu theilen. Ich würde weniger die wollüstige Befriedigung meines Bedürfnisses, als die gewaltsame Erstickung des seinigen fühlen, und fürchten, dafs sich die gallige Empfindung mit meinen Brüdern vermische, die der Anblick meiner Mahlzeit, in der Angst zu leben, worin er dastände, nothwendig bei ihm erregen müi'ste; denn in solchen
J
1(
animalischen Augenblicken ist wohl kein Herz so gut, dafs es sich nicht gegen die widersprechende Grausamkeit des Schicksals auflehnen sollte, das bei der ungleichen Vertheilung menschlicher Güter und ihres Erwerbs alle Erdenbewohner nur durch den Ungestüm des Hungers gleich gesetzt hat. Ich gab diesen Bettlern, mit denen mich, wenn ich es genau überlege, doch nur meine Thorlieit in der Nebenstube in Bekanntschaft brachte, meine Gerichte Preis ; und eS that mir nur leid, dals mir meine Freigebigkeit so wenig kostete; denn das dankbare Gefühl, das nun ihre entkräfteten Augen überglänzte, würde mich für die höchste Verleugnung meines Gaumens hinlänglich belohnt haben. — „Geht nur, ihr guten L e u t e , " unterbrach ich ihr gratias, „tragt die Schüsseln auf den Vorsaal, und lafst es euch wohl schmecken. Wenn ihr mir meinen Bedienten herbeischafft, soll er euch auch noch ein paar
20 Flaschen Wein auftragen, und es soll euch frei stehen, sundheit ,
ob ihr auf des Papstes Ge-
oder
auf die
meine
trinken
wollt." Es giebt w o h l kein geschwinderes Mittel, eine Gegenrevolution
zu b e w i r k e n ,
das ich eben gebrauchte.
als
Meine Wache
w a r durch meine Herablassung und durch meine Fürsorge für ihren Magen so gut zu meinem Vortheile bestochen, dafs es mir nur einen Wink würde gekostet haben, um die A r m e , die man gegen mich bewaffnet h a t t e , wider ineine Verfolger zu lenken, und den Prokurator und die Alte,
den Propst
und die Nichte,
meine Gewalt zu bekommen.
in
Da ich aber
a u c h , uin mir Pferde zu schaffen, die Post hätte stürmen — da ich Stadt und Vorstadt hätte betrinken müssen,
uin es
dahin zu bringen, einen Mann im Stiche z u l a s s e n , der, kraft des Amtes der Schlüssel, von lange her über sie herrschte; so gab ich
den Einfall a u f ,
und begnügte
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mich vor der Hand mit dem Vortheile, den ich schon dadurch g e w a n n , dai's jetzt die Besatzung des Vorsaals meinen Bastian frei und ungehindert passiren liefs, ohne sich um unsere geheime Unterredung zu bekümmern. —
„ W e i s e jetzt deine Neu-
gier zur R u h e , " rief ich ihm entgegen, als er mit grofsen
Augen
herein
trat,
„ u n d befriedige vorerst die ineinige! Erzähle mir ohne Weitläuftigkeit, wie mein F r e u n d , der Kirchner,
meine Botschaft
aufgenommen h a t . " —
„ A c h , ich will
w ü n s c h e n , " versetzte Bastian, „dals Sie klüger aus dem Geschwätze des ehrlichen Mannes werden als ich.
Ihren Brief habe
ich freilich nicht gelesen j aber in
der
A n t w o r t wenigstens, die er mir mündlich an Sie a u f t r u g ,
liegt doch gewifs nicht
ein Funken Menscheil verstand." — geht mit allen Orakeln s o , "
„Das
erwiederte
i c h : „der Befrager rnul's ihn erst hinein legen; das .ist in der Ordnung — n u r hören ! " —
Lais
„Als er das Goldstück
¡¡2
aus Ihrem Briefe in Sicherheit gebracht hatte,"
fuhr Bastian f o r t , ,,las er ihn
bedachtsam durch, lächelte, schüttelte den Kopf bei einigen Stellen, sprach durch die N a s e , und wiederholte seinen Unsinn einigemal, damit ich ihn ja nicht vergessen möchte: Sage Er Seinem Herrn meinen Grufs — Er solle sich nicht grämen und wundern,
dafs er in Avignon,
in
dem Gränzstreite zweier Heiligen, verloren — und die hochbelobte
Concordia,
vielleicht aus wohlmeinenden
Ursachen,
ihm verwehrt habe, harmonischen
Cacilia
das Weichbild der zu überschreiten.
Anderwärts, hoffe er, würde sie ihm ihre anscheinende Härte zehnfach ersetzen.
Er
habe nur bald die Schwierigkeiten zu entfernen — die ihm — ich versichere Sie, mein Herr, dafs er diesen Unsinn wörtlich gesagt hat — dieses A n d e r w ä r t s mache.
Die Mittel dazu, behauptete er,
lägen in Ihrer Gewalt. —
Sie. sollten nur
die guten Einfälle aufbieten , wodurch Sie
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ihm Ihre Unterhaltung so angenehm und geistreich gemacht hätten - - - " — „Ich glaube," unterbrach ich hier meinen Gesandten, „der Kerl raset, oder er will mich zum Besten haben." — „Wohl möglich!" antwortete Bastian.— „Wann hätte ich mich denn," fuhr ich nachdenkend fort, „nur im geringsten seinetwegen mit meinem Witze in Unkosten gesteckt? Aber nur w e i t e r ! " — „Ferner sage Er Seinem Herrn," schnarrte Bastian auf das natürlichste dem Kirchner nach, „habe er sich nur die Augen zu reiben, und über die Gasse zu blicken, so werde ihm der Zwerg erscheinen, der allein die Verbrannten aus ihrer Asche wieder erwecken könne." — Hier rifs mir die Geduld, ich sprang vom Stuhle, und: „Was zum T e u f e l , " fluchte ich, „soll ich mit diesem albernen Geschwätze anfangen ? Aber so geht es, wenn ein Narr einen grofsen Dichter nachahmen will. Weil sein Petrarch immer und ewig ihm
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unverständlich seyn w i r d , Tropf,
glaube i c h ,
so denkt der
Laurens
Schatten
möchte es übel n e h m e n , wenn ihr Wächter sich deutlicher ausdrückte.
Den Au-
genblick gehe zu i h m , und sage ihtn zur freundlichen A n t w o r t ,
dafs er f ü r seine
scherzhafte Laune ein anderes Ziel suchen solle als mich — so wie ich zu meinem Goldstücke, das ich mir wieder ausbäte, auch schon einen andern Liebhaber Doch warte n u r . " —
Ich trat ärgerlich
an das F e n s t e r ; aber ich sah nicht lange gedankenlos über die Gasse, so stiefs ich auf etwas —
das mir mit Einem Blicke
jenes verworrne Räthsel in's Licht setzte —
stiefs auf
die
Zwerggestalt
meines
Freundes F e z , d e r , auf seinen Laden gel e h n t , mir gerade in das Gesicht gähnte. — ,, Ja w o h l ,
guter buckliger M a n n , "
rief ich a u s , „ b i s t du es allein, der mich aus meiner Gefangenschaft retten kann — Du bist der Zwerg, auf den mich das Orakel verwies.
Geschwind, Bastian, reiche
mir eine Bücherschale nach der andern von dem Haufen her, der an dem Kamine liegt!
Ihre
betrügerischen Titel sollen
bald in eine Liste gebracht seyn. — Eins bis siebenzehn! Gottlob, dafs ich damit fertig bin! Nun , Bastian, trage geschwind diefs Papier
zu unserm Wachbar, dem
Buchhändler — lafs ihn den Ladenpreis daneben setzen, und lafs ihn unterschreiben , dafs er gegen die Summe sich für die Beischaffung dieser seltenen Werke verbürge! " —
Eben so glücklich löste
sich die andere Hälfte des Käthsels.
Ich
begriff jetzt, ohne lange zu suchen, die guten Einfälle,
die meinem nachsichti-
gen Freunde in meiner schlechten Unterhaltung so wohl gefielen, den in allen Ländern beliebten und bei allen Prozessen anwendbaren Witz — einer gefüllten Börse.
Ich zog die meinige heraus, und
besah sie mit Wohlgefallen;
und da es
einmal dort oben geschrieben ,stand, dafs ich alle meine Thorheiten bezahlen sollte,
26 so nahm ich mir v o r , es mit der besten Art und wie ein grofser Herr zu thun. Meine gute Laune kam während
die6er
Betrachtung in gleichen Schritten mit meinem Hunger zurück, der eben a u f s höchste gestiegen w a r , als Bastian herein trat, und mir die theure Rechnung des Herrn Fez einhändigte.
Ich warf sie gleichgültig
auf den Tisch. —
„ G e s c h w i n d , Bastian,"
rief ich ihm z u , „ s c h a f f e mir etwas Gutes zu essen, und bringe mir auch eine Flasche Sillery m i t , damit ich vergesse, dafs ich noch in Avignon bin." —
Man würde
sich vielen Kummer ersparen, wenn man von den widrigen Vorfällen, die uns in dem kurzen Ubergange vom Leben in's Grab aufstofsen, den finstern Anblick zu vermeiden, und nur die lächerliche Seite davon aufzusuchen gelernt hätte, die jedes menschliche Ereignifs, wenn man es nur recht zu drehen versteht, darbeut.
So-
gar die E m p f i n d u n g eines gewaltsamen, schmerzhaften Todes kann uns durch die
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Gewifsheit zum Lachen bewegen, dafs der T y r a n n , der uns damit belegt, sie doch nicht über eine kurze Spanne der Zeit auszudehnen vermag.
Ich w ü r d e mir vor-
nehmen , sie mit Grofsmuth und mit Verspottung der Ohnmacht meines Feindes zu ertragen, wie man es von den gefangenen Wilden e r z ä h l t , und mich
durch
die Vorstellung erheitern, dafs mein unsterblicher Geist in der unendlichen Zeit, die ihm n a c h f o l g t , über den Einsturz seines Kerkers eben so herzlich lachen werde, als w i r jetzt über den heftigsten Schmerz einer Viertelsekunde — spotten. nimmermehr glauben, dals ich noch
Ich kann nachher
geneigt seyn w ü r d e , die Narren,
die hier
an meiner
ohnehin
morschen
Hütte noch z u p f t e n , zur Verantwortung zu ziehen, oder ihnen zur Bestrafung n u r ein kaltes Fieber an den Hals zu schen.
Mag es ihnen doch gehen
Gott will!
wünwie
Die E m p f i n d u n g der Rache
ist mir so unangenehm, dafs ich ihrer bald
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satt h a b e , und meinen Widersachern den Vortheil nicht einmal gönnen möchte, ihre Bosheit gegen mich durch Erregung dieses widrigen Gefühls noch zu verstärken. Dieser groise Gedanke begleitete mich freundlich zu Tische, u n d hielt' a n ,
bis
ich gesättigt a u f s t a n d , und ein anderer ihn feindselig verdrängte. —
,, Welchen
f r o h e n A b e n d , " seufzte i c h , indem ich meine Weste aufknöpfte, „ w ü r d e ich jetzt genielsen, wenn ich in Berlin w ä r e ! Ich w ü r d e meinen Eduard zu einem Gange in die Komödie oder zu sonst einer gesunden Bewegung abholen. aber hier eine Komödie
Wer soll mir spielen ?
Was
soll ich h i e r , in einem Viereck von zwanzig Quadratellen, mit einem vollen Magen u n d einer erschwerten Verdauung anfangen." — Meine vorige philosophische u n d stolze Betrachtung w ä r e gewifs in den W i n d gewesen, wenn sie nicht die Hoffnung noch ein wenig hingehalten
hätte,
die ich auf die Macht meiner gefüllten
Geldbörse setzte. Ich öffnete behutsam die T h ü r , sah meine Wache fröhlich an ihrem Tische sitzen, und w i n k t e Bastianen , der eben seinem Wachbar ein Glas zubringen wollte. — „ Suche dir einen Eingang in die Nebenstube zu verschaff e n , " sagte ich i h m , , , u n d überbringe der Versammlung daselbst, nebst meinem Empfehl, folgende Vergleichs-Vorschläge, die ich dir der Reihe nach zuzahlen w i l l ! Nimirt deinen ganzen Verstand zusammen, und gieb Acht! Sage ihnen erst insgem e i n , dafs mir der Vorfall, der mir Arrest zugezogen, von Herzen Leid thäte; dafs ich aber erbötig w ä r e , ihn auf alle Art — vergifs diesen Ausdruck nicht, denn er ist hier von Bedeutung — wieder gut zu machen. Überreiche sodann dem Herrn Propste die Liste der verbrannten Bücher! Erkläre i h m , dafs ich sie nach der Taxe bezahlen, und auch noch etwas für die beschädigten Bände
zulegen
wollte.
Dem Prokurator mache verständlich, dafs
3o ich ihm willig die Versäumnifs vergüte« würde, an der ich schuld sei. — Die alte Tante bitte in meinem Namen auf das dexnüthigste um Verzeihung wegen meines übereilten Betragens gegen sie — und der frommen Klara versichere, dafs ich, für das Argernifs, das ich ihr gegeben, auf dem Altare der heiligen Cacilia zwei Wachskerzen zu stiften gedächte, und es ihr überliefse, die Gröfse und Schwere davon selbst zu bestimmen — dafs ich bereit sei, diese Anerbietungen noch diesen Abend in Erfüllung zu bringen, und dagegen erwarte, dafs die hohe Versammlung meine Abreise morgen mit dem frühesten —
oder auch diese Nacht, nicht
weiter erschweren würde."—Nicht wahr, Eduard, das war ein übertriebenes Gebot? —
Ich fühlte es selbst recht gut
als ich es that; aber, bei Gott! ich fühlte auch, dafs ich mich zu noch gröfsern Aufopferungen verstehen könnte, uin nur aus einer Gefangenschaft zu kommen, die
3i ich f ü r die dümmste h i e l t ,
in die w o h l
noch je ein ehrlicher Mann gerieth.
Ich
will g e r n , dachte ich, diese unberechnete Ausgabe auf einer andern Seite wieder ersparen, und liefs Bastian g e h e n , dafs ich es über mich gewinnen
ohne konnte
n u r einen Heller davon zurück zu handeln.
Du wirst s e h e n , dafs ich nichts
bei meiner Freigebigkeit verlor. Nach einer guten Viertelstunde trat Bastian vor ineinen L e h n s t u h l , auf dem mich ein leichter Schlaf gefesselt hatte. — Er räusperte s i c h , u n d ich erwachte. —
,,Nun,"
fragte i c h , ,, sind die Pferde schon anges p a n n t ? ' 4 — ,, Noch n i c h t , " antwortete der arme Schelm, und die Tliränen traten ihm in die Augen. —
,, Was ist dir,
B a s t i a n ? " f u h r ich hastig auf. — „ A c h , mein H e r r , " stockte e r , ,, die Versammlung hat Ihre Friedensvorschläge — nicht angenommen." — sagst d u ? "
„ N i c h t angenommeil,
erwiederte i c h , u n d blickte
ihm halb w ü t h e n d in das Gesicht.
„So
32
erzähle mir den n ! w ^Sic werden sehen, Heber Herr," fuhr Bastian fort, „ dafs ich alles in der Welt gethan habe, was in so einer verwickelten Sache möglich w a r ; aber wir haben mit Felsenherzen zu thun. Ich pochte an — die Tante, die mir aufmachte, ward roth, wie ein Ziegelstein, als sie meiner ansichtig ward. Ich inachte ihnen allen meine tiefste Verbeugung — wendete mich mit meinein Auftrage zuerst an den Propst, der, einem groi'scn Spiegel gegen über, auf einem Sopha safs von hellgelbem Atlafs, mit — wenn ich mich nicht irre — mit Lillastreifen und weil'sen Franzen behängt" — „O, halte dich damit nicht a u f , " unterbrach ich ihn , „ich weifs schon, wo er steht, und wie er aussieht." — „Dann drehte ich mich mit meiner Rede nach dem Prokurator — von ihm nach der Tante, und endigte sie endlich bei Klärcheu, und — erwartete meinen Bescheid. Wie denken Sie dafs er ausfiel? Erschrecken Sie nur nicht zu
35 sehr, mein bester Herr; aber es ist meine Schuldigkeit
Ihnen
klaren Wein einzu-
schenken." — „Das thue nur b a l d , "
sagte
ich lachend, „ s o n s t möchten Dir Deine Freunde draufsen keinen mehr übrig lass e n . " — Der Wink that seine Wirkung. „ D e r P r o p s t , " fuhr jetzt mein wortreicher
Gesandter
weit
gedrungener fort,
„ n a h m zuerst das Wort, mit so vieler Würde, dafs ich selbst vor ihm zittern mufste.
Ist es begreiflich, fuhr er mich
a n , dafs ein Mann, der sich solcher Verbrechen bewufst ist als Sein Herr, wagen kann,
e$
der Gerechtigkeit, mit so
nichtigen Anerbietungen unter die Augen zu treten? und dafs auch Er, mein Freund, der in der reinen Lehre erzogen und geboren i s t , sich nicht scheut, solche Anträge zu übernehmen?
Fällt denn nicht
schon durch die schwarze That
selbst,
die Sein Herr beging, sein Eigenthum, so grofs es auch seyn m a g , dem geistlichen Fiskus anheim? und seine Richter Th. W .
IV. Th.
3
34 sollten sich herablassen, mit ihm
über
seine Bestrafung zu handeln ? O, w i r wollen schon sorgen, dafs sie ausfallen soll.
exemplarisch
E r h a t nicht nur die Gast-
freiheit unsers Landes auf das
undank-
barste erwiedert — nicht n u r einen Kirchenraub an den Schätzen der frommen S t i f t u n g begangen, die ihm Schutz g a b ; n e i n ! er h a t selbst die Werkzeuge
auf
das treuloseste vernichtet, die unsere gottseligen Vorfahren
zur Ausbreitung
der
Religion u n d Tugend diesem Hause übergaben. — Er h a t — schrie der P r o k u r a tor mit einer sehr gelehrten Miene darein, ärger
und
verabscheuungswürdiger
als
Herostratus gehandelt : denn jener verb r a n n t e n u r den Götzentempel einer Diane; er aber h a t das Lehrgebäude unsers heio ligen Glaubens, im Bunde mit dem Satanas , zu Asche verwandelt. —
Er
mich — er h a t G o t t gelästert,
krähete
hat
die alte Bertilia. — E r h a t alle Heiligen beschimpft,
tönte Klärchen.
—
Solche
35 Gräuelthäten, übernahm ihr Nachbar, der P r o p s t , das W o r t , lassen sich nicht mit Gold und Silber verbüken. — Mit Freuden will ich ihn brennen sehen, sagte die Alte. —
Und auch ich will keine
Thräne dabei vergiefsen, stimmte die Nichte bei. — Morgen, donnerte der Prokurator, soll es Sein unwürdiger Herr schon erfahren , mit wem er zu thun hat. — Meine Klagrede ist bald fertig — Schwer soll es ihm werden darauf zu antworten. Und nun tret' Er a b , mein Freund, rief mir der Propst mit einem so ernsthaften Winke z u , als ich nie wieder zu sehen verlange: Sage Er Seinem Herrn — denn heute ist er es noch — was E r gesehn und gehört hat.
Der morgende T a g wird
ihn das Weitere schon lehren." — „ U n d was soll er mich lehren ? " fragte ich mit verächtlichem Grimme, „ w a s ich nicht heute schon w e i f s ?
dafs dieses Winkel-
gericht aus den niedrigsten Heuchlern zusammen gesetzt i s t , verworfener selbst als
356 zwischen, gebot Ruhe, und ersetzte meine verlorne Gewalt
über die Gesellschaft,
durch eine derbe Beredsamkeit. men
legte ich
Den Da-
ihren zweideutigen
Ruf
nahe an das Herz, u n d ermahnte sie brüderlich , die Geistlichkeit nicht noch mehr wider ihr weltliches Leben aufzubringen, u n d w o b l gar n o c h ,
bei zunehmenden
Jahren, in die Exkommunikation z u f a l l e n . Meine Helden beruhigte ich durch einige glückliche Tiraden aus unsern Trauerspielen über die W ü r d e der Standhaftigkeit im U n g l ü c k , und empfahl allen, die mancherlei Erfahrungen nun auch zu nützen, welche sie unter meiner Leitung erlangt hätten.
Der Kleinmuth verlor sich nach
und nach auf ihren geschminkten Gesichtern , der Trieb der Selbsterhaltung
er-
w a c h t e , und mein guter Rath w u r d e befolgt.
Die eine von meinen Grazien ver-
iniethete sich
noch diesen A b e n d ,
die
andere sieben Wochen später, als Amme, die dritte w a r d — um sich, glaube ich,
an dem geistlichen Trib,unale zu rächen — Ausgeberin bei dem Präsidenten.
Mei-
nen eisten Akteur brachte seine Bafsstimme in's Chor.
Mein Dekorateur malt jetzt
Altäre und Kapellen.
Ariadne h a t eine
kleine W i r t h s c h a f t angelegt,
und findet
ihr Conto so gut dabei, als die alte Dame neben an.
Meinen Theseus müssen
oft gesehen h a b e n , mein Herr!
Sie
Erträgt
die kleinen Pasteten zum Frühstück umh e r , d i e , wie man sagt, vortrefflich s i n d ; denn der Undankbare hat
seinem alten
Direktor nie eine zu kosten gegeben.
Ich
wüi'ste init Einem W o r t e keines von meiner Gesellschaft, f ü r das die Vorsehung nicht augenscheinlich gesorgt hätte. Auch f ü r uns beide Brüder sorgte sie, die doch in diesem Tumulte am meisten verloren. Da uns der verhafste Bescheid v e r b o t , mit lebenden Personen zu spielen, so fanden w i r in dieser Klausel selbst den besten W i n k f ü r unsern wahren Beruf.
Wir
schafften uns Drathpuppen a n , u n d waren
50 in kurzem im Stande init einem recht gut besetzten Theater die Märkte zu beziehen. Als die Empfindung der falschen Schaam überwunden,
u n d die erste Auslage ver-
schmerzt w a r , befanden w i r uns sogar selbst besser bei misern Marionetten, al6 bei dem vorigen hochinüthigen Trofs. W i r hatten nun keinen Zank mehr unter unsern
Heerführern
zu
schlichten.
Jede
P u p p e w a r mit der Rolle z u f r i e d e n , zu der sie ihre Gelenke
bestimmten.
Sie
schickten sich weit besser in den engen Kreis, den w i r ihnen a n w i e s e n , u n d stiel'sen nicht an die W o l k e n , wie ich mich wohl
erinnere,
dafs es sonst
geschah,
w e n n meine Helden S t u r m h a u b e n , meine Göttinnen Federbüsche aufsetzten.
Mit
dem einzigen Anzüge des Perseus,
den
ich z e r s c h n i t t ,
konnte ich jetzt meine
ganze Truppe bekleiden, u n d ich bekam zwei Vorhänge aus der Schürze, die der Ariadne zu kurz w a r .
Die Mechanik un-
serer jetzigen Aktricen w a r d nicht so o f t
>59 wandelbar wie bei den vorigen. Könige und Ritter Einem Kasten,
Unsere
lagen mit ihnen in
ohne dal's w i r
unange-
nehme Folgen besorgen inulsten, was das beste w a r ,
und,
so hatten w i r nicht
uöthig unsern brüderlichen Gewinn mit unserer
Gesellschaft zu theilen.
Jetzt
spielten w i r den Doktor F a u s t , ohne dafs ein Hahn darüber k r ä h t e ;
u n d da w i r
überall zu Lachen m a c h t e n , u n d von dem Vornehmsten bis zu dem Geringsten Aufm u n t e r u n g und Beifall'erhielten, so glaubten wir endlich das blinde Schicksal eben so gewifs an dem Seilchen zu f ü h r e n als unsere l'uppen.
Es i s t , g l a u b e i c h , kein
Mensch so k l u g , den nicht ein anhaltender Wohlstand zum Thoren macht. denkt
immer
an
den
Fortgang
Er
seines
Glücks — nie an seinen Wechsel.
Die
traurigen Begebenheiten, über denen ich doch
täglich
schwebte,
wenn
ich
sie
auf meiner« kleinen Schaubühne darstellte, wirkten am wenigsten zurück auf mich.
6o Dal's Beiisar in dem e r s t e n Akte, Befehlshaber
mit einem
als
Ordensband be-
hängt, einherstrotzte, und in dein l e t z ten,
als ein Bettler mit einer Klingel
umher ging, £|iel mir gar nicht mehr auf. Ich sah den Nebukadnezar an seiner königlichen Tafel — und bald 'darauf Gras fressen wie ein R i n d , ohne dal's es mich rührte.
Ich hielt mich zu erhaben über
alle Zufälle, die ich andern zur Schau gab;
vermuthlich weil ich sie,
wie der
Regierer der W e l t ? von oben herab sahund lenkte.
Ich dachte, ich war' es.
So
trieb ich mich in dem besten Einverständnisse mit meinem Bruder an die sechs Monate herum.
Unser täglicher Uberschufs
häufte sich dergestalt,
dafs wir unsere
Truppe bis zu fünfzig Stück —
immer
eins künstlicher gebaut als das andere — verstärkten, und nun die weitläufigsten Historien vorzustellen im Stande waren. Aber auf einmal geschah der unerwartete Schlag,
der dieses grofse kostbare
und
6i zusammenhängende Gebäude in seinen Grundpfeilern erschütterte und über den Haufen warf. - - - W a r u m lachen Sie, mein Herr? — Verwechseln Sie mich nicht, ich bitte Sie, mit einein gemeinen Puppenspieler, der seine Kunst wie ein Handwerk t r e i b t , und nicht daran denkt, dafs man auch hölzernen Figuren Gesinnungen in den Mund legen k a n n , die gerade auf das menschliche Herz wirken. Ich w a r , w i e Sie mich hier sehen, der erste meines Standes, der einen schönen Geist besoldete — einen Metastasio in seine Dienste nahm, der unablässig für mein Theater arbeiten mufste, alle W a a r e für das Bedürfnifs der Zeit ausbesserte, und neue fertigte, die gegen die strengste Kritik sich aufrecht erhielt. Durch diese Einrichtung hätte vielleicht mein Puppenspiel endlich so viel zur Aufklärung beigetragen, als die königliche Schaubühne zu Paris. Aber weislich liefs es die hohe Klerisei nicht bis dahin kommen. Es war
62
vor dem Jahre in der Weinlese,
als wir
das älteste Stück
von allen die jemals
gespielt
aufführten,
wurden,
bearbeitet und in
einem
nur neu
Modegewande.
W i r hatten es bis zu dieser Epoche aufgehoben, w o das menschliche Herz, w i e unser Theaterdichter sagte, besonders zum Gefühl des Grofsen stimmt sei.
und Erhabenen ge-
Unsere Zettel kündigten es
von einer Ecke der Stadt bis zur andern unter dem prächtigen Titel an:
D a s all-
g e m e i n e T r a u e r s p i e l der Menschh e i t , oder d a s
verlorne
Paradies.
Hatten w i r gleich auf eine grofse Menge Zuschauer gerechnet, so übertraf der Zulauf doch unsere gröfste Erwartung.
Als
alle Himmelslichter angezündet waren, und der Vorhang nun a u f f l o g , gerieth die Versammlung in einen so lärmenden Beifall, dafs durch die Erschütterung, die es verursachte, ein Stern der ersten Gröfse vom Horizonte herab fiel. Prologus auf —
Indem trat ich als
winkte mit der Hand,
63 und es war rührend anzusehen, wie augenblicklich dieser unbändige Tumult in die tiefste Stille überging. an das Publikum enthielt, Schauspielen der
Meine Anrede wie bei den
Griechen und Römer,
den ganzen Plan des Stücks, und war so gut gearbeitet und' darstellend, dafs es Ihnen seyn w ü r d e , mein Herr, als hätten Sie mit in dem Parterr gesessen, wenn es Ihnen gefällig wäre sie anzuhören.
Ich
weifs sie noch so auswendig als damals; denn,
ob sie mich gleich und die Mei-
nigen in Kummer und Elend
gestürzt,
und ihren poetischen Verfasser genöthigt hat landflüchtig zu ich
doch einmal
werden,
so
kann
das schnakische Ding
nicht vergessen, und recitire es oft mir selbst v o r ,
und gemeiniglich um so viel
pathetischer, je weniger ich vor Hunger weifs was ich anfangen soll.
Heute, hoffe
i c h , wird es noch besser gehn, da ich ein gutes Sou'per in der Aussicht habe. Darf ich, mein H e r r ? " —
„ G a n z gern,
64 lieber G r e n a d i e r , " antwortete i c h ,
und
setzte mich in meinem Lehnstuhle zulechte. — Ich versichere Dich, Eduard, der Mann beschämte in diesem Augenblicke unsere berühmtesten Akteurs; denn kaum hatte er seine Mütze abgenommen und sein rostiges Gewehr, das ihm während seiner Erzählung noch immer im Arme l a g , in die Ecke gelehnt, so befeuerten sich seine Augen, und der Drang des Genies zitterte auf seinen Lippen. Er trat in einer edeln Stellung mir gegenüber, und es herrschte eine Würde auf seinem Gesichte, die mit der Arbeit seines Dichters sonderbar abstach. ,, Ich b i n , " deklainirte e r , mit langsamer, ernster, und besonders mit der sonorischsten Stimme, ohne die selbst das schönste Gedicht keinen Eindruck auf unser Herz macht, „Ich bin der Prologus.
Hört a n ,
W i e Gott der Herr die W e l t begann.
65 Denkt i h r , dafs er m i t E i n e in R u f Dem C h a o s Ordnung
anerschuf,
So denkt ihr falsch — so m a c h t ihr e u c h , Wohlweise Herrn , d e m P ö b e l gleich . Noch i m m e r braufst e s .
Gift u n d Schauin
D u r c h s t r ö m t die Z e i t , v e r s c h l a m m t den H a u m ; So viel es dessen sich e n t l u d , Steht es noch i m m e r f o r t in S u d , C n f ö r m l i c h , wie e s A n f a n g s w a r , S c h ä u m t es nicht aus u n d w i r d nicht k l a r . D e n n , wie auf einem F e u e r h e r d Ein Topf voll Spülicht kocht u n d g ä h r t , Dafs alles wild u n d u n b e s t i m m t Bald abwärts f ä h r t , bald oben s c h w i m m t , So treibt das lieut'ge S e k u l u m Das m o r g e n d e m i t sich h e r u m , D i e Wasserblase , die geblüht Sich jetzt a m Band
des Topfes d r e h t ,
U n d F a r b e n s t r a h l t , zerplatzt u n d sinkt Von ihrer Höh' herab u n d —
stinkt.
N a c h d e m sich hier ein E l e m e n t D e r Fäulnifs von d e m Ganzen
trennt,
U n d s i c h , wie es d e m Z u f a l l g ' n ü g t , Th. W .
IV. Tli.
^
U n d weil er weder wie noch w a n n — W o h e r — w o h i n — begreifen k a n n , Weifs 4r auch weiter nichts zu t h u n V o n der Erschaffung a u s z u r u h n , Als er geht hin u n d strecket sich Z u m erstenmalc — königlich In's Gras — versucht's u n d m a c h t sich blind F ü r E r d ' u n d H i m m e l , u n d ersinnt Das G l ü c k der Menseben — wie bekannt — V o n allen Z u n g e n Schlaf g e n a n n t . Doch bald drauf schwebt von u n g e f ä h r G o t t über das Theater h e r , Blickt u m s i c h , u n d e r b l i c k t , wie tief D e r s c h l ä f t , den er z u m Leben r i e f , U n d steigt herab — sinnt — u n d erschafft Der Ruhe schönste G e g e n k r a f t . Aus A d a m s Rippen steigt ein W e i b V o n weifser Haut u n d schlankem L e i b , Di« erste J u n g f e r ! — die's auch b l i e b ,
Ö9 Bis sich ihr H e r r die Augen
rieb.
Sie sehn sich — w e r d e n F r a u u n d M a n « , W i e ' s die Mechanik wünschen kann . D o c h dauert ach ! n u r kurze Zeit D e r Flitterwochen Der böse F e i n d ,
Herrlichkeit.
der sie so gern
Z u stören s u c h t , lauscht schon von f e r n , N i m m t die Gelegenheit in
Acht,
Die er verschläft u n d sie — b e w a c h t , F ä h r t in die S c h l a n g e , die g e w a n d t Geschlichen k o m m t , wie ein A m a n t Sich schmiegt u n d b i e g t , u n d sich v e r l a n g t . ß i s sie an Evens Lippen h ä n g t . Sie — die nicht weif», was ihr w o h l w i f s t . Dafs sie in ihr den T e u f e l kiif&t, F r e u t sich , dafs sie der Schmeichelei A u c h eines Thieres w ü r d i g s e i , D a s , wie sie's kennen l e r n t , den M a n n , So o f t er s c h l ä f t , ersetzen k a n n , U n d sucht u n d treibt e s , bis zuletzt Die Schlange ganz den Manu ersetzt, U n d m a c h t , dafs w i r von K i n d zu K i n d Des bösen F e i n d s ßastarten s i n d .
7o D e r gute Mann , der n e u gestärkt E r w a c h t , u n d keinen U n r a t h m e r k t , Sucht seine Gattiu h a l b i m T r a u m , U n d trifft sie an a m L e b e n s b a u m , U n d , ohne S k r u p e l u n d V e r d a c h t , W a s ihr die Schlange weifs g e m a c h t , N i m m t e r , uneingedenk der P f l i c h t , D e n A p f e l , den sie eben b r i c h t , A u s i h r e r Hand — dankt u n d beifst a n , W i e Moses uns hat k u n d g e t h a n . D o c h k a u m da& er von dannen g e h t , F i n d t er schon alles u m g e d r e h t : D e r H i m m e l scheint i h m s c h w a r z g e w ö l b t , Sein schönes W e i b scheint i h m y e r g e l b t , Erschlafft ihr j u n g e r Busen — u n d Z u weit u n d grofs i h r
Bosenmund.
Der Löwe brüllt mit Ungestüm I h m n a c h , kein Hase l ä u f t vor i h m , Die ganze S c h ö p f u n g lacht ihn a u s , V o m Elcphanten bis zur M a u s . U n d m u t h l o s , nackend , roth vor S c h a m . Die wie ein F r o s t sie ü b e r n a h m , E r b o r g e n sie —
unüberlegt.
7i V o n einem B a u m , der Feigen t r ä g t , Sich B l a t t e r , lind bedecken sich Z u r H ä l f t e k a u m , gar k ü m m e r l i c h .
U n d Gott der Schöpfer r u f t i h m zu : W a s thust d u A d a m , w o bist d u ? E r horcht u n d kratzt sich h i n t e r m O h r , Schleicht s t u m m m i t seiner F r a u h e r v o r , D i e , ungewifs ob G o t t auch s a h , W a s sie gethan lind i h r geschah , Mit aller Last der ersten S c h a m V o r ' s geistliche Gerichte k a m . I n seinen Blicken Z o r n u n d S p o t t , O , ihr Gefallenen ! rief G o t t , W a r u m erscheint i h r so v e r b l ü f f t ? Was — A d a m !
hast d u a n g e s t i f t ?
Benahm ein A p f e l aus der H a n d Des Weibes dir schon d e n V e r s t a n d , W i e wirst d u wissen , was d u t h u s t , W e n n d u an i h r e m Busen r u h s t , Geschmeichelt u n d berauscht d u r c h sie V o n Lieb' u n d W c i u u n d H a r m o n i e ? U n d d i r , F r a u Eva — noch so j u n g !
Dir war E i n Maiin noch nicht gennng? Selbst hier, wo es nur Einen giebt, Und der dich wie ein Riese liebt ? Wie sollen denn , stellt einst der Lauf Der Zeit und Welt mehr Männer a u f . Sich deine armen Töchter blofs An Einen halten — halb so groß, In keinem Stücke halb so rar Und neu, als es dir Adam war? Was stehst du da und blickst mir grob In das Gesicht, und thust, als ob Für Weiberherzen einerlei Ein Mann und eine Schlange sei ? Gehorsam merk' ich, Ehr' und Pflicht Ist euer beiden Saehe nicht. Gut! Eure Strafe steht bereit, Und breite sich in Ewigkeit Von Eh zu Eh, von Haus zu Haus, Auf eure Söhn' und Töchter aus. Merkt auf! Die Frau soll ewig ein Abhängiges Geschöpfe seyn, Von allen Wirbeln der Natur, Vom Mond — vom Mann — von. seiner U h r ,
Von seiner Laun',
es wäre dann
Sie launiger als selbst ihr Mann • Das F e i g e n b l a t t , d a s , wie d u m e i n s t , So schön dir läfst, weck' auf dereinst Den D r a n g ,
der deine T ö c h t e r toll
A u f neue Moden machen «oll! Selbst unter Muselm u n d
Flor
Tret.' Eva's Lüsternheit h e r v o r , Den Busen zehnfach eingeschnürt, Gescheh' i h m doch was i h m g e b ü h r t , U n d jede bleib' an Seel u n d L e i b , W a s d u verstecken willst — ein W e i b !
U n d n u n z u m M a n n ! d e r sich das Haupt Des Weibes u n d der E r d e g l a u b t , W e n n schon die M ü c k e , die i h n s t i c h t , Dem plumpen Irrthum widerspricht, D e r , w e n n er K o r n u n d W e i z e n s ä t , N u r S t r o h d a f ü r u n d Disteln i n ä h t , U n d i m m e r , zehne gegen Eins ! N u r Essig ziehet statt des W e i n s . So lang' er k a n n , d ü n k ' er sich f r e i , U n d H e r r , selbst in der S k l a v e r e i ,
74 U n d m a c h ' in seinem D ü n k e l sich Vor E r d ' u n d H i m m e l lächerlich ! 'Doch seine Hölle geh' erst a n , W e n n eine F r a u und ihr O r g a n , I h r Trainings - u n d ihr Wochenstaat Sich seiner stillen W i r t h s c h a f t naht 3 W e n n sie schon in der ersten Nacht I h m seine Herrschaft streitig m a c h t , U n d sein Befehl s i c h , K u f s f ü r K u i s , Nach ihren G r i l l e n schmiegen m u f s , U n d sie f ü r E i n Recht das sie giebt Zehn F o r d e r u n g e n
unterschiebt,
Mit i h r e r Schwachheit sie b e s c h ö n t , U n d t ä t l i c h i m m e r weiter d e h n t , Bis ein verdoppeltes Geschrei I h m v o r w i r f t , dafs er Vater s e i ; Indefs er i m Kalender s t ö r t , O b auch der Gast i h m a n g e h ö r t , F ü r d e n er jetzt Geleit u n d Z o l l U n d Wegegeld entrichten s o l l . W e n n dann sein Herz sich ausgespült U n d federleicht und- müfsig f ü h l t , U n d , alt u n d schwach u n d seiner satt,
Sein W e i b ihn überwunden hat; Dann fluch' er noch dem Apfelbifs, Der ihm sein Paradiefs entrils ; Dann erst nehnx' ihm ein ödes Grab Den königlichen Zepter a b !
Und wie der Schöpfer sie v e r d a m m t , Thut auch der Cherubin sein A m t : A l s w a r ' s ein Bettler, heifst er ihn Mit seiner Dirne weiter zielin . Und sie — des d u m m e n Sündenfalls Vermaledeiung auf dem Hals , Sie schlendern n u n , wie's Gott g e f ä l l t , Aus Eden in die weite W e l t , Und lange W e i l e , Spott und Schmach Folgt ihnen auf dem Fufse nach.
Und unter Blitz und Donner packt Gott unser H e r r , i m v i e r t e n A k t , Sein Gärtchen e i n , und Nacht und Graus F ü l l t das Gerüst des Himmels a u s ; Die Bäume werden aufgerollt; Das Reich der bunten Thiere trollt
76 Sich fort — des Ohrs und des Gesichts Erlustigung fällt in ein Nichts; Die Sonne , die so herrlich schien , Verlischt, und Mond und Sterne fliehn . Damit'« nicht stinkt, wird vor dem S c h l u ß Geräuchert vom E p i l o g u s . "
Kaum hörte sich der Epilogus nennen, so fiel er seinem Bruder, au» Furcht, er möchte seine
poetische
Rede in Prosa
fortsetzen, hastig in das Wort, und überraschte mich
nicht
weniger
durch die
unerwartete Lebhaftigkeit, mit welcher auch Er von seinem militärischen Standorte a b , in das f e l d seiner verlassenen Kunst überging. — Vorrede
meines
mein H e r r , "
»»Sie werden an der
Bruders
geuug
haben,
wendete er sich zu mir,
„denn sie enthält alles, was durch unser Schauspiel nachher pur in Handlung gebracht wurde, und ich mag Sie mit meiner Wachrede nicht noch aufhalten.
Auch
77 ist es wahrlich weder diese noch
jene,
die den Umsturz unsers Theaters bewirkte. Sie mufsten nur nachher der Ungerechtigkeit zum Vorwande dienen, die ein Heuchler,
der in seiner eigenen Rolle gestört
wurde, an u n s , an der Schöpfung der W e l t , und dem Stande der Unschuld beging.
Hören S i e , mein Herr und erstau-
nen S i e !
Ich hatte schon alle
Bänke unsers Parterres
Reihen
durchgeräuchert,
als ich in der hintersten, dunkelsten Ecke auf ein paar Zuschauer t r a f , die vermuthlich selbst keine verlangten; denn sie fuhren , aus aller Fassung gebracht, aus einander, als ich ihnen mit meinem Rauchfasse zu nahe kam. Officier,
Es war ein junger
und es war — — stellen Sie
Sich meine Verlegenheit vor! — abermals das schöne Mädchen, das ich schon als Reisegefährtin
des
Herrn
Ducliquet so
unschuldiger Weise erschreckte.
Ich sah
es ihr a n , dafs sie in diesem Augenblicke sich mehr vorzuwerfen hatte als alle unsere
7li
Marionetten-;
und
doch mufsten
diese
schwerer als sie f ü r die Untreue hülsen, die sie diesen Abend an ihrem beging.
Patron
Die damals verlorneu Minuten
des rachgierigen Domherrn liegen schwer auf u n s ,
und werden uns
drücken so
lange wir noch in dieser Zeitlichkeit wallen." — „Das w ä r e sehr Schade um deine ausgezeichneten T a l e n t e , " unterbrach ich den Grenadier : „ Du bist zu pathetischen Rollen wie geboren, und ich h o f f e , dafs der Druck nicht lange mehr dauern soll, der das P u b l i k u m um ein paar so treffliche Redner gebracht hat. — Doch davon ein andermal — J e t z t , fahre nur f o r t ! " Indem meldete Bastian, dafs ihr Abendessen auf dem Tische stehe.
Der Prolo-
gus setzte sich in Bewegung;
aber der
E p i l o g u s , den mein Beifall noch mehr in Feuer gebracht h a t t e , bat seinen Bruder noch uin einige Augenblicke Geduld, und wendete sich m i t
einem
pragmatischen
Ubergange wieder an mich. — „ E s w a r
79
immer noch ein glücklicher Z u f a l l s a g t e er, „ dafs sich mir das schöne Gesicht unter dem Schimmer meines Rauchfasses verrathen mufste; denn sonst würden wir bis diese Stunde noch nicht den geheimen Zusammenhang unserer tragischen Geschichte entdeckt h a b e n . " — „ Sind wir defshalb jetzt besser d a r a n ? " sein hungriger Bruder. —
murmelte
,, So a b e r , "
fuhr d'er andere fort ohne sich stören zu lassen, „ können wir von der ersten verborgenen Feder a n , die so viele Räder in Bewegung setzte, den unglücklichen Vorfall bis zur Auflösung des Knotens verfolgen.
Es sollte einem Dichter leicht
werden ein Trauerspiel daraus zu verfertigen — so regelmäfsig als es die Verschwörung von Venedig oder der Umsturz des babylonischen Reichs i s t ; wären wir nur noch so glücklich
ein Theater
haben , um es aufzuführen.
zu
Die drei Ein-
heiten , mein Herr, des Orts, der Zeit, und der Handlung, finden sich hier, nach
8o den Forderungen des Aristoteles, auf das genaueste veieinigt, und w ü r d e n ,
mein
Herr,
thun,
so
als" - - -
gewifs
ihre
Wirkung
J e t z t fing mir vor der Über-
ströinung seiner Gelehrsamkeit ein wenig an angst zu werden. —
,, Du bist zwar
der erste, den ich s e h e u n t e r b r a c h ich ihn mit einer verwunderten Miene,
„der
seine Unglücksfälle nach der Kunst zu ordnen im S t a n d e , und selbst fähig ist, wie die S p i n n e , aus dem Stoffe seines eigenen Lebens ein Kunstwerk zu w e b e n ; indefs r a t h e ich dir als ein guter Freund, es vor der Hand noch zu verschieben, damit nicht etwa deine Suppe nach den Regeln des Aristoteles — kalt w e r d e . " — , , 0 , der unglücklichen Gabe der Redseligkeit ! " brach er n u n mit einem Seufzer aus:
„ Sie ist mir immer in allem,
wie
mein G e n i e , im Wege gewesen — Sie ist es — w a r u m sollte ich es läugnen ? die mir und meinem armen Bruder alle warmen Suppen vereitelt h a t — D e n n — sehen
8» Sie, mein lieber Herr, ehe ich damals auf meinen angewiesenen Standort k a m , erzählte ich einigen meiner Bekannten im Parterre die Entdeckung, die ich in der Ecke gemacht hatte, ein Nachbar erzählte sie dem andern, und alle Köpfe drehten sich zuletzt nach der verrathenen Gruppe herum. —
Auf dem Theater —
anstatt
zu epilogiren, hielt ich inich damit auf, mein Geheimnifs erst meinem Bruder, dann unserm Theaterdichter, und dann — dem Lichtputzer vorzuschwatzen. Die Zeit verging — ich liefs das Parterre lange pochen und toben,
ehe ich auftrat um meine
Nachrede zu halten — Ach! ich dachte damals nicht, dafs es meine letzte seyn würde! Herr,
Durch diesen Aufenthalt, mein geriethen viele Haushaltungen
Avignon in Unordnung.
in
Jedes kam um
eine halbe Stunde zu spät nach Hause, besonders aber die schöne Klara. J a ! könnten wir immer in die Kabinette der Grofsen blicken, wie viel anders würden wir über Th. W ,
IV. Th.
6
82 deu W e r t h ihrer Z e i t , und über den Einflufs,
den oft der Verlust einer Minute
in ihrer W i r t h s c h a f t auf die Regierung der W e l t h a t , urtheilen!
Die kritische
S t u n d e , w o der Domherr seine Freundin erwartete, w a r verflossen.
E r w a r in die
Abendmette gegangen, ohne sie in ihrem Betstuhle zu finden. war,
Sobald er fertig
eilte er nach Hauae, und sje t r a t
nicht vor ihin h e r , wie sonst.
Er rief,
f r a g t e , suchte nach i h r , und vermifste sie auf das schrecklichste,
und schickte
6eine ganze Dienerschaft,
sogar
seinen
Koch, a u s , sich nach ihr zu erkundigen. Dieser, nachdem er vergebens bei ihrer Tante nachgefragt h a t t e , stiefs von ungefähr auf den H a u f e n , der unser Schauspiel verliefs —
E r sah das verspätete
Mädchen an dem /Anne des jungen Officiers — h ö r t e bald ausführlich das W i e und W a r u m , und brachte es seinem Herrn, Gott weifs mit was
für Zusätzen,
zu
Ohren. Kein Epilogus sollte ausschwatzen,
83 das habe ich damals gelernt.
Der Erfolg
zeigte, wie gut es gewesen w ä r e , ich es eher gewufst hätte.
wenn
Der Domherr
hob alle Gemeinschaft mit Klärchen auf, und verwies sie noch diesen Abend aus seinem Sprengel.
Sie durfte nicht mehr,
wie das Schaf des armen Mannes,
auf
seinem Schoofse schlafen und aus seiner Schüssel essen - - - " — „ Lieber Bruder," fiel ihm
hier der Prologus
in's
Wort,
„würde es nicht gut seyn wenn wir die unsere warm setzen l i e f s e n ? " —
„Thue
d a s , " antwortete der Redner, „ a b e r unterbrich mich nicht."
Und nun fuhr er
mit demselben Feuer fort: „ D e r U n m u t h des Domherrn wirkte jetzt schrecklich zurück auf uns.
E r erweckte den Fiskal,
klagte uns an als Verführer der Jugend, liel's unsere Zettel abreifsen, veranstaltete eine Haussuchung, Unschuldigen ner Eifersucht
und rächte an
uns
das marternde,Gefühl seiauf die grausamste Art.
Die Gerichtsdiener brachen in unsere stille
04 W o h n u n g e i n , beinächtigten sich unserer Dekorationen, unserer Drathpuppen und unserer Papiere - - " — „ Ohne dich zu stören , " unterbrach ich hier seine Erzähl u n g , „ d e i n e r Papiere — sagst d u ? " — „ J a w o h l , unserer Papiere! " wiederholte er und trocknete sich die Stirn.
,>Wir
haben nichts gerettet als was uns im Kopfe blieb — haben zwar seitdem unsere Lustund Trauerspiele noch einmal, — aber, stellen Sie Sich v o r ! — als Akten geheft e t haben w i r sie zu Gesichte bekommen. Die "Stellen d a r i n , die immer den ineisten Beifall erhielten , waren mit rother Tinte unterstrichen,
und der Fiskal hatte sie
in eine Liste zusammen gesetzt, die er unser Sündenregister n a n n t e . " — ,, S o ? " sagte ich e r n s t h a f t , und das Herz schlug mir so h o c h , dafs ich aufstehen mufste. ,,Geht einstweilen h i n , " sagte ich zu den beiden Brüdern: „ W e n n ihr gegessen habt, will ich euch weiter h ö r e n . " — Und so eilte ich von ihnen weg in ineine Biblio-
85 thek, um mich von der schnellen Bestürzung, die mich überfiel, in einem Zimmer
zu erholen,
das dein Nachdenken
gewidmet war. Hier stammte ich meinen o Kopf an den Bücherschrank, und fing an inich mit mir selbst ernstlich über das zu besprechen, was ich so eben vernahm. Das ganze gräfsliche Schicksal, das meinem Tagebuche drohte, trat mir vor die Augen — Ganz gewifs, sagte ich, wird man sich seiner so gut bemächtigen als der Rollen der armen Puppenspieler — Man wird es — ich ward über und über roth bei diesem Gedanken — einem gerichtlichen Translator Preis geben, und die ganze Stadt wird die geheimsten Nachrichten deines hiesigen Aufenthaltes, deiner einfältigen Streiche, und deine kritischen Bemerkungen über die Narrheiten anderer zu lesen bekommen.
Was —- um
aller Bamherzigkeit
was
willen!
sollte
wohl aus dir werden, wenn der Propst deinen dogmatischen Handel mitKlärchen,
8 Nachwelt, auf das beste verdient gemacht, indem ihr mein Tagebuch, das durch die Aufbewahrung
eurer
Geschichte
allein
schon lehrreich seyn würde, von seinem schmählichen Untergange rettet. — Wahrlich das soll euch nicht unbelohnt bleiben! Ich schlug mit diesen Worten in grofser Bewegung meine Augen gen Himmel, f ü h l t e , dals ich auf dem Wege war eine edelmüthige Handlung zu begehen,
und
kann Dir nicht sagen, Eduard, was es mir für Freude machte, noch etwas Gutes aus meiner verworrenen Historie mit Klarchen entstehen zu sehen.
Denn das
ist gewifs , ohne meinen neugierigen Ausfall,auf ihre Tugend und Schönheit, ohne ^neine Zudringlichkeit
in
den Kirchen-
sprengel des Propstes , ohne meinen Feuereifer gegen das kasuistische Gesindel, wäre ich wohl schwerlich in die Bekanntschaft der beiden trübseligen Puppenspieler gerathen.
Wie hätte ich ihnen helfen , wie
hätte sich der edle Gedanke bei mir ent-
lOO
wickeln sollen,
der
Seele erwärmt,
und mich zur Lebenser-
jetzt meine
ganze
haltung zweier ehrlicher und gut organisirter Menschen anspornt, die, so Gott w i l l , der .Natur und der W e l t den Zuschufs meiner Descendenz doppelt ersetzen werden , um die wahrscheinlich mein schreckhafter Traum auf dem Sopha die hiesige Gemeinde gebracht hat? Diese lachende Aussicht, die ich im Hintergründe entdeckte, mehr,
reizte
mich
noch
die Wildnils durchzuhauen,
mich vor der Hand noch umgab.
die
Aber,
grofser G o t t ! wie sollte ich es anfangen? Das Nothwendigste schien mir indefs immer zu seyn, meine Papiere in Sicherheit zu bringen.
Ich ergriff nun , ohne mich
länger zu besinnen, die säinmtlichen Kriininalakten meines Tagebuchs,
rollte sie
und schnürte sie mit Klärchens blauem Struinpfbande bis auf den Bogen zusammen, woran ich schreibe, und so muísten diese
meine offenherzigen Bekennt-
101
nisse sich so lange biegen und schmiegen, bis sie glücklich — gezwängt —
an den Zufluchtsort,
ich ihnen anwies, errathen hast,
obgleich ein wenig den
und den Du längst
glücklich in den hohlen
Gypskopf des guten Rousseau gelangten. Ich konnte mich unmöglich des Lachens erwehren,
als ich die Büste wieder an
ihren Ort gestellt hatte, nun vor ihr stand, und die ernsthafte Miene, die sie mir zuwarf,
mit den Possen verglich,
hinter versteckt waren.
die da-
A c h ! sagte ich,
hätten sie ihren Platz in dem Kopfe dieses Mannes gefunden
als er noch lebte!
hätte der flüchtige Geist meines leichtsinnigen Werkchens die verstopften Röhren seines' trockenen Gehirns bespült und geöffnet, der Durchgang durch die Welt wäre ihm gewifs nicht halb so sauer — nicht schwerer geworden als mir.
Seine
traurigen B e k e n n t n i s s e würden nicht so in's Schwarze gemalt,
und sein Bild
nicht mit so tiefen Furchen entstellt auf
die neugierige Nachwelt kommen. Abel alsdann , begreife ich wohl, war' er auch nicht Rousseau gewesen — hätte zwar, wie ein Eichhörnchen an einer seidenen Schnur, den Kindern zum Spiel werk dienen — Zuckerbrod aus den Händen eines tändelnden Mädchens erlauschen, und manche trauliche Stunde in dem Schauer ihres Halstuches verschlummern können — nur wäre er nicht als Elephant mit zermalmenden Schritten über unsere verdorbene Erde getrabt, und hätte nicht das Erstaunen seiner Zeitgenossen erweckt, denen die Erscheinung eines solchen Denkers eben so unerwartet als ungelegen war. Ich mufste mich mit Gewalt von seiner Büste entfernen, um den Gedanken an ihn los zu werden, und nicht in seinen Ernst zu verfallen, den ich für mein morgendes Verhör für viel zu gut hielt. Die Stimmung, in die mich der Prologus und sein Bruder versetzt hatten, mochte wohl Schuld seyn, dafs ich mich lange nicht
io3 überwinden konnte, an ineinen Vorstand vor Gericht anders zu denken als an ein Puppenspiel. Sosetzen w i r hinterher noch alles auf Noten, beten unter einem Triller , und schlafen nach dem Takt ein — wenn w i r eben aus einem Koncerte gekommen sind. Hätte ich mich gehen gelassen, ich möchte wohl wissen was morgen aus mir geworden w ä r e ! Zu meinem grofsen Glücke hatte i c h , während meiner äufsern und innern Thätigkeit, mein abgebranntes Licht übersehen. — Es senkte sich — sprudelte und verlosch, ehe ich nach einem andern rufen konnte. Unterdefs Bastian es zurecht machte, nöthigte mich die Dunkelheit — denn ich konnte weder den Amor noch seinen Präceptor erkennen — meinen Armstuhl zu suchen. Diese kleine R u h e , so vorübergehend sie auch w a r , gab doch den Ausschlag. In den drei oder vier zerstreuungslosen Minuten , die mir Bastian gönnte, verdunstete meine Verwegenheit
104 g ö a n z ,' die auch hier wie anderwärts nui Sache des Bluts war. Das V e r h ö r , das mir bevorstand, kam mir lange nicht mehr so lustig vor.
Die Her-
ren, gegen die ich mich verantworten sollte , so sehr ich sie auch für'Komödianten h i e l t , schienen mir doch ungleich mehr Freude an tragischen Ausgängen zu haben als an Farcen.
Selbst nach dem langsa-
men Gange der hiesigen Rechtspflege, wie mir ihn meine Wache vorgezeichnet hatte, w a r immer eher auf ein Kerkerfieber zu rechnen, als auf ein Absolutorium.
Ich
verschwieg mir n i c h t , dafs meine Vergehungen ungleich wichtiger waren als die ihrigen, und dafs ein hämischer Referent nicht einmal viel Geschicklichkeit nöthig habe,
um aus den Beweisen,
die wider
mich da lagen, und aus meinem eigenen Geständnisse,
das ich
ungefragt schon
abgelegt h a t t e , ein Verbrechen zusammen zu setzen, über das w o h l selbst das Kammergericht zu Berlin grofse Augen machen,
und, bei aller seiner Liebe zur Gelindigk e i t , ohne einen Kabinets-Befehl nicht wagen würde mich loszusprechen. Den guten Einfällen, die mir der Kirchner aus Unkenntnils meiner Verhältnisse, oder vielleicht nur darum empfahl, weil sie Ihm am meisten behagten, stand leider die trostlose Konfiskation im Wege, die der Propst schon vorläufig über meine Habseligkeiten gesprochen hatte. W a s in aller Welt sollte mich also gegen die Religion meiner Gegner schützen? — eine Religion , die, wider allen Rittergebrauch, die Waffen in Beschlag nimmt, noch ehe sie den Handschuh hinwirft. Ich kratzte mich einmal über 'das andere hinter den Ohren, runzelte die Stirn ärger als Rousseau, und überzählte kleinmüthig die wenigen Stunden, die m i r , nach abgerechneter Nacht, nur noch frei blieben , mich in Vertheidigungsstand zu setzen/ Ich fühlte die N o t w e n d i g k e i t immer dringender werden, einen gescheidten Plan
io6 zu entwerfen; doch, sobald ich alle die Schwierigkeiten der Ausführung übersah, vergingen mir die Gedanken, und ich schien mir ohne Rettung verloren. Meine Einbildungskraft, je geschäftiger sie war, mir die Klagrede nach ihrem ganzeil schreckhaften Inhalte vorzuhalten, mit der mich der Prokurator auf morgen bedroht hatte, machte es meinem armen Verstände nur desto unmöglicher, etwas kluges und bewährtes darauf zu antworten. Mein leichtsinniger Muth fing an gewaltig zu sinken. Natürlich stieg, nach dem Gesetze der Schwere, nun auch dafür meine Furcht desto höher. Nur ein Wunder, rief ich in einer Art von Verzweiflung, kann dich aus dieser höllischen Verlegenheit ziehen; und — Dank, freundlicher Dank sei dem leeren Schalle, der mir entfiel! — Wie mag es doch zugehen, dafs oft das sinnloseste Wort, das der Zunge entschlüpft, unsere Seele so mächtig ergreift, und Gedanken und
107
Entschliefsungen bewirkt, nach denen w i r mit der gröfsten Anstrengung unsers Geistes vergebens herum tappen ? — Ein W u n d e r ? wiederholte ich mir mit hinstaunendem Nachdenken — Und w ä r e es denn so unmöglich, dafs dir eins gelänge, das kräftig genug wäre deine Widersacher zu Boden zu schlagen ? — Ich ging eine Weile alle Wundergeschichten durch, so viel mir deren bekannt w a r e n ; keine aber wollte auf meine Kräfte und meinen Zustand passen. Wenn d u , sagte ich launig zu m i r , zum Fenster hinaus sprängest, so wäre es zwar ein W u n d e r , wenn du nicht den Hals brächest: aber selbst dann — zu was würde dir es helfen? Der Pöbel — da du doch nicht über die Stadt springen, kannst — würde dich zeitig genug einfangen, dich der alten Aufseherin auf's schimpflichste ausliefern , und der Propst und der Prokurator würden in dem Versuche deiner Flucht nur einen Beweis mehr wider dich aufstellen. Nein!
ioß das ist nichts , fertigte ich mich ab , ohne jedoch müde zu werden, mir immer neue und
eben
thun.
so
unsinnige Vorschläge zu
Ein Klügerer als i c h , hätte gewifs
keine Minute länger mit diesen Albernheiten verloren, und hätte unrecht gethan. Ich habe aber das Gute an m i r ,
dafs,
ungeachtet ich in meinem alltäglichen Leb e n , und in dem geineinen Umgänge mit andern,
nur wenig ^ u f den Zusammen-
hang der Dinge a c h t e , die in Gesellschaften verarbeitet werden — ich mich selbst so wenig als meinen Nachbar auffordere, die dunkeln Begriffe des Gesprächs,
um
das sich oft die andern bis zum Schwindel drehen, in's Klare zu setzen, und mit Einem Worte die Kraft meines Nachdenkens schone; so kann ich dagegen, wenn es seyn mul's, auch meinem Kopfe eher etwas zumuthen
als viele andere;
und
das kam mir auch diefsmal gar sehr zu Statten. Sollte Dir dieses einer Prahlerei ähnlich
it>9 sehen,
so entschuldige sie
grofsen Erwartungen,
mit meinen
und bedenke nur
was ich vorhabe! Dagegen will ich auch in so weit wieder einlenken und Dir eingestehen,
dafs, so gut ich auch meine
Mafsregeln genommen, und so fest ich hoffe,
dafs mir mein Wunder um vieles
besser gelingen s o l l ,
als dem Kapellan
der Gräfin Bentink das seinige * ) —
es
doch bei allem dein — selbst in dem albernen Laude, dem ich es zuwenden will, immer ein Wagestück bleibt.
Mehr darf
ich Dir vor der Hand nicht darüber sagen, um Dir weder zu viel Hoffnung, zu viel Angst zu machen. —
noch
Von einer
Person, die dabei mit in's Spiel kommen w i r d , mufs ich jedoch noch ein fallen
lassen,
Wort
damit Du nicht su sehr
erschrickst, wenn sie a u f t r i t t — ich meine den Domherrn, den ich auf morgen früh •) Siehe den launigen Brief Voltaii's an den Köllig von Preufsen in seinen questions unter dem Artikel miraclet
sur
modernes.
l'Encyclopedie.
1 1(1
neun U h r ,
als der Stunde
meines Ver-
hörs , durch ein Handbriefchen eingeladen habe,
dieser übernatürlichen
beizuwohnen.
Ereignung
A u f s e r dein dafs ich nichts
w e n i g e r t h u n k a n n , ihm die H ö f l i c h k e i t seines Hochamts
zu erwiedern,
bin
ich
seiner G e g e n w a r t bei meinem V o r h a b e n so b e n ö t h i g t , dafs ich alles zurück nehme, w a s ich in den vorigen Blättern von seiner U n b r a u c h b a r k e i t zu allen Geschäften viel z u voreilig geurtheilt habe.
p.r steht
jetzt sogar in meiner R e c h n u n g unter den drei elenden M e n s c h e n , die ich D i r , mit Deiner
Erlaubnils,
als
meine
F r e u n d e v o r s t e l l t e , obenan.
hiesigen
Die nähere
Bekanntschaft s e i n e r , die ich der Plauderh a f t i g k e i t meiner W a c h e verdanke, mir ihn jetzt in
einem L i c h t e ,
zeigt
das
den
Buchhändler s o w o h l als den Kirchner gewaltig ich
in
Schatten setzt.
Ich gestehe,
h i e l t ihn bisher ungerechter
Weise
f ü r nichts m e h r , als einen aufgeblasenen abergläubischen Schwtichkopf —
mochte.
seit dem T a g e , w o er mir ain Feste der Genoveva den Possen spielte, nichts weiter mit ihm zu t h u n h a b e n , und begriff n i c h t , wie mich der Bischof von Nimes mit gutem Gewissen an einen so unbedeutenden Menschen h a t t e empfehlen können.
Jetzt a b e r , da mir ihn der Epilogus
auch noch als einen b o s h a f t e n , wollüstig e n , rachgierigen und furchtsamen Mann geschildert h a t ,
der sich aber auf sein
groi'ses Pferd setzen k a n n , wenn ihm ein anderer den Zaum "hält, scheint mir die Empfehlung des guten Bischofs sehr richtig , und genau, auf seine Kenntnifs des hiesigen Lokals b e r e c h n e t ; und ich müfste mir w o h l selbst gram seyn, wenn ich noch länger
versäumen w o l l t e ,
schaften
diese Eigen-
eines ausgebildeten,
und dem
hier herrschenden Gemeingeiste so angemessenen setzen,
Charakters,
in Thätigkeit
um meine Verfolger
eigenen W a f f e n zu schlagen. also niemand,
mit
zu
ihren
Sage n u r
dafs dieser und jener irt
der Welt zu nichts tauge! Irrthum schwacher Regenten.
Es ist der Selbst die
Kröte, vor der Dich elselt, dient Dir zum Abieiter giftiger, und Deinem Körper schädlicher Dünste; u n d mufst Du nicht ieden Bettler, der Dein Mitleiden erregt,
als
Deinen W o h l t h ä t e r betrachten , w e n n Du anders ein F r e u n d gutmüthiger Empfindungen b i s t ? Sprich offenherzig, ob nicht der Blödsinnige —- der Schwärmer — der Tugend - Talent - und Geschmacklose Deinem hungrigen Stolze die beste N a h r u n g gewähren? ob die Vergleichung ihrer Fehler mit Deinen Vorzügen Dir nicht manche Stunde erheitert? u n d ' o b es Deinen schwachen Augen nicht sanfter t h u t , auf die Dunkelheit derer, die unter Dir
stehen,
als in den Glanz jener zu blicken,
die
Fleifs, Natur u n d Erziehung neben Dich oder über Dich gestellt haben ? Ich habe jetzt keine Zeit diei's Thema a u s z u f ü h r e n ; aber ich w ü n s c h t e , E d u a r d , es übernähme ein anderer geschickter Kopf: denn es
" 3
schwebt mir wie im Dunkeln v o r , dafs man leicht, bei weiterm Nachdenken darüber, auf den rechten Weg kommen würde, den man einschlagen mufs, um kein Mit* geschöpf zu verachten, und mit der ganzen Wel
Freundschaft zu halten.
Der Domherr, dein ich diese menschenfreundliche Ausschweifung verdanke, hat mir eben geantwortet.
Er will zur ge-
setzten Stunde erscheinen.
Das überhebt
mich nun der Mühe, diesen Bogen — ob er gleich, wenn er meinen Feinden in die Hände gerieth, so gut seyn würde wie ein Steckbrief — zu seinen Vorläufern zu gesellen , denen selbst, so viel ihrer sind, ich ganz wohl ihre Freiheit wieder geben könnte,
wäre es nicht einerlei, -ob sie
diese Nacht in Rousseaus Kopfe herbergen, oder auf meinem Schreibtische.
Denn da
ich nun sicher b i n , lieber E d u a r d ,
dafs
der Mann im Purpur meinein Verhöre beiwohnen w i r d , so s i n d , glaube ich, die Anstalten zu meinem Wunder so gut geTh. W .
IV. Th.
3
ii/ t troffen, dafs ich sehr wenig von den Puppenspielern müfste gelernt haben, wenn es schief ablaufen sollte. — Nur noch eine einzige Kleinigkeit geht mir ab — das ist meine Defension in einer Gegenrede an den Frokurator, die i c h , mit Deiner Erlaubnifs, Eduard, aus. dem Kopfe zu Papier und von dem Papiere wieder in den Kopf bringen inuis, ehe ich ruhig und mit der vollen Gewifsheit zu Bette gehen darf — morgen das ganze Winkelgeiicht zu meinen Fülsen zu sehen.
Den achten Januar.
W i r f Dich in den Staub nieder vor dem Blatte, das Du hier empfängst,
Eduard!
Folge in Demuth der stolzen Feder, die es b e r ü h r t , und trenne e s , als ein Heiligthum, von der Gemeinschaft der übrigen Blätter, wenn Du einmal so glücklich seyn w i r s t , Welchen
mein Tagebuch zu besitzen.
Genufs von
Glorie
opfere ich
Dir nicht mit der Stunde a u f , Deiner Neugier widme!
die ich
Fühle es einmal
ganz, wie sehr ich Dein Freund b i n ? Mein Wunder ist gethan, und ich bin frei! —
nicht f r e i ,
wie ein entlassener
Sklave, sondern wie ein König. hältst mich a b ,
Du nur
dafs ich nicht jetzt die
Gassen durchfliege, und Tausenden, die, mir zur Seite, auf ihre Knie fallen, meinen Segen ertheile. —
Was für ein mäch-
tiger Sterblicher ist nicht ein Wunderthäter unter einem s o l c h e n Volke! Ich
n6 d ü r f t e n u r winken — und ich schmauste bei allen Prälaten dieses glücklichen Staats, und jede Mutter w ü r d e
mir freundlich
die Kammer ihrer beneideten Tochter eröffnen.
Von dem Sonnenplatze an bis
zum Grabe der Laura —
w o ich
nur
weilte und w a n d e l t e , werden die Wege gekehrt und die Plätze geschmückt. Haus ist umringt von Wallfahrern
Mein und
von summenden Chören, wie das Haus zu Loretto.
Auf der Treppe — auf dem
Vorsaale lauern Schaaren von blühenden J u n g f r a u e n , werfen mir Küsse und Blumen z u , so o f t ich mich zeige, und bitten um das Gegengeschenk meiner Kreuze. Und woher kommt denn dieser Unterschied zwischen Gestern und H e u t e ? W o her diese zügellose Bewunderung — dieser A u f r u h r von E h r f u r c h t , die mich auf den wankenden T h r o n von Avignon
he-
b e n ? W i e entstand dieser schnelle Ubergang aus der Sklaverei eines alten Weibes zu der Herrschaft über die
Gemüther?
ii7 Wie bildete sich diese Masse von grofsen Wirkungen ? Wie entwickelte sie sich in dieser Spanne von Zeit ? — Durch frommen B e t r u g ! Eduard,
Du sollst es gleich höreil,
wenn ich nur vor dem Lärmen
der Hymnen, die aus allen Ecken zu meinem Ruhme
ertönen,
zum W o r t e kom-
men kann. Der entscheidende Morgen war nen.
erschie-
Da trat Bastian, zitternd und blafs,
wie der Diener des Kanzlers Morus, mir vor das B e t t e , ernsten
Pause,
Schwarz
fragte mich
kleiden
mich a n ,
nach
einer
ob ich mich etwan in wollte ?
und
staunte
und rifs das Maul a u f ,
wie
eine Maske von Schlütern, an dem königlichen
Schlosse zu Berlin,
als ich ihm
statt aller Antwort in das Gesicht lachte, und auf meine gewöhnliche Kleidung hinwies.
Sobald ich
mit meinem Anzüge
fertig w a r , setzte ich mich
in meinen
Lehnstuhl, legte meine Uhr vor mir auf den T i s c h ,
und sah dem
Possenspiele,
iiß das meiner wartete, ruhig entgegen.
Ich
beschäftigte mich still mit der ungewohnten R o l l e ,
die ich darin spielen sollte,
überlas meine R e d e ,
mochte wohl eine
Stunde so da gesessen h a b e n ,
und über-
zeugte mich eben auf meiner U h r ,
dafs
ich nur noch eine bis zur Eröffnung meines Verhörs zu ineinen fernem Betrachtungen übrig behielt — als sich die Thüren meines Gefängnisses entriegelten, und meine Ankläger, Richter und Zeugen herein traten — .der Propst und der Prokurator, die alte Bertilia in der M i t t e , und ihre Nichte zum Schlüsse. Besuch,
Hatte mich ihr
den ich so früh nicht erwarten
konnte, überrascht, so that es die kalte gerichtliche Würde noch m e h r , die sie mitbrachten. ner Rechnung;
Beides stand nicht in meidoch ängstigte mich der
jetzt sehr wahrscheinliche Fall am meisten , mein Schutzengel — der Domherr, möchte zu meiner Hülfe zu spät kommen. Der Propst näherte sich gravitätisch
dem Tische, 'warf sich in meinen Armstuhl,
ohne die Verbeugung zu erwie-
d e i n j mit der ich ihm meinen weichen Platz überliefs.
Der P r o k u r a t o r zog erst
das Koncept seiner R ü g e , dann —
die
fünf bis sechs Bogen aus seinem Busen, die zum Protokoll
meiner Aussagen be-
stimmt schienen — legte seine Brille auf den T i s c h , seine Akten darneben,
und
pflanzte sich, so lang und dürr wie er w a r , zur Linken des w o h l beleibten Präsidenten. Die keichende Tante schob ihren Stuhl an die eine Seite des Kamins, mitten unter die Beweise meines Verbrechens, auf die sie gallensüchtig hinblickte, ohne, zu meinem Glücke, zu a h n d e n , was f ü r w e i t wichtigere sich eben so nahe bei i h r , unter der Büste eines Mannes versteckt h i e l t e n , der gar nicht wie ein Verräther aussah.
Klärchcn mit ihrer unbe-
fangenen Miene ,
setzte sich ,
Gegenseite, parallel mit ihrer Tante.
auf
der
würdigen
So drängte mich von selbst die
j2o Ordnung,
in der sie sich zu setzen be-
liebten , auf den einzigen Standpunkt, der mir zwischen den beiden Damen noch frei blieb. —
Der Aschenhaufen der Kasui-
sten lag mir im Rücken, und der Kopf meines Freundes und Hehlers ragte hocji über dem meinen h e r v o r , u n d blickte mit mir zugleich dem Propst in die Augen, ohne ihn in seinem Anstände irre zu machen.
E r w ü r d e es übel nehmen, w e n n
man n u r so etwas von ihm glauben könnte. So stand ich vor diesem Winkelgevichte, aus Mangel eines übrigen S t u h l s ,
kerzen-
gerade, u n d machte mir eine Weile den S p a f s , durch mein schüchternes, inüthigfes Aussehn
ihren
gede-
gerichtlichen
H o c h m u t h zu kitzeln.
Als aber der Pro-
logus
der Epilogus
die Federn —
die
Tinte gebracht — sich sogar der Prokur a t o r gesetzt h a t t e , u n d der Propst sich schon anschickte zu sprechen , und noch immer kein Auge sich höflich nach einem Sitze f ü r mich umsah —
so erschreckte
ich auf einmal die beiden Dainen, die neben mir safsen, durch den vornehmen Anstand, in den ich überging — klingelte nach Bastian, und befahl ihm zwei Stühle zu bringen. „Es ist schon an Einem zu v i e l , " rief der strenge Richter ihm nach; aber Bastian benahm sich so ungeschickt, dafs er auf Gefahr des Kirchenbanns meinen Befehl pünktlich befolgte. Stille Erwartung herrschte nun in unserm Kreise, und der Propst fing zur Einleitung a n , uns die Absicht dieser Zusammenkunft bekannt zu machen, ob sie uns gleich allen mehr als zu gut bekannt war, und die Pflichten und Rechte, die i h m , als Aufseher aller milden S t i f t u n g e n , in diesem Hause zuständen, mit geheimem Wohlgefallen zu zergliedern. Ich merkte es dein Narren bald a b , dafs er mit dein, was er seinem Richteramte schuldig zu seyn glaubte, zugleich die Nebenabsicht verband, den hohen Vorzügen seines Verstandes und dem Talente seiner beredten
122
Zunge gegen einen Ausländer die möglichste Ehre zu machen, und dem armen Sünder noch einen grofsen Begriff von seinem erhabenen Genie und seiner W o h l redcnheit
mit auf
W i r stimmten
den W e g zu geben.
diefsmal vortrefflich zu-
sammen ; denn mir w a r viel zu viel daran gelegen sein Geschwätz
zu
verlängern,
als dafs ich den geringsten Anstand hätte nehmen sollen, jede noch so schiefe Wend u n g , die er seinen Sätzen g a b , \ m i t d e m beifälligsten
Lächeln —
jede
noch
so
schwülstige Redensart mit einem Blicke des Erstaunens zu belohnen.
J a , als er
sich einmal in einer Periode so hoch verstieg, dafs er einen Brocken nach dem andern ergreifen mufste, um sich nur mit Ehren wieder herunter zu helfen,
und
der S c h w a l l von W o r t e n , die ihm darüber n'achrollten,
das unleidlichste Ge-
klirr in meinen* Ohren erregte — boshaft g e n u g , dafs ich w i e
war ich begeistert
mich seitwärts nach dem guten Rousseau
umwendete — ihn mitleidig ansah, und die Achseln zuckte. Nie habe ich so grob einem Wortkrämer geschmeichelt; aber nicht weniger selten war auch die Wirkung, die es hervorbrachte. Wenn ich ihn sinken sah, durfte ich nur einen recht treuherzigen Blick der Erwartung und Aufmerksamkeit auf ihn schiefsen, so trieb ich ihn damit auf wie einen Kreisel, dafs er mit erneuerter Schnellkraft noch eine gute Weile fortlief. Ich wiederholte das Spiel mehr als Einmal mit innerm Vergnügen. Je länger es dauert, dachte ich, desto weniger wird sich der Domherr versäumen. Zuletzt aber ging dem Ehrenmanne im ganzen Ernste der Athein aus. Er konnte kaum noch ein paar Worte heraus bringen, womit er die genauere Entwickelung meiner peinlichen Anklage dem Prokurator anheim gab. Dieser schwarzbraune Kerl, w i e er von seinem Sitz in die Höhe fuhr, verdunkelte sich noch um eine Schattierung mehr.
setzte hästig seine Brille auf, und machte, das Koncept in der Hand, seine gedrohte Beredsamkeit
flott.
Da ich das Spiel, wodurch ich mir den Vortrag des Präsidenten erträglich machte, bei der studierten*Chrie des Prokurators nicht anbringen konnte,
so würde mich
die lange Weile getödtet h a b e n ,
die sie
mir verursachte, hätte sie mir nicht Gelegenheit gegeben, mir das schönste Kompliment über meinen Scharfsinn zu machen , durch den ich schon gestern Abends alles errathen, und bereits in meiner Gegenrede beantwortet hatte, was der alberne Kerl diesen Morgen in Perioden auskramt e , die lange nicht so geschmeidig waren als die meinigen. Dreier
Ich gäbe nicht einen
für die Abschrift seines
Brand-
b r i e f s , uiid Du gewil's auch n i c h t ! Auch setzte mich
sein Geschrei mit allen den
donnernden Ausfällen
gegen die Wider-
sacher des Glaubens nicht eher in Verlegenheit, als in dem Augenblicke,
wo
125
er es endigte.
Sein Dixi
Stich in's Herz. anschicken
gab mir einen
Ich mufste mich nun
darauf
zu antworten;
und
doch w a r , so lange der Domherr ausblieb, der Zeitpunkt noch nicht da, wo ich es mit dem gehörigen Nachdrucke thun konnte. Zwar hatte ich es durch mein Spiel mit dein Propste schon so weit gebracht, dafs nur noch höchstens einige Minuten bis zuip Eintritte dieses Planeten in bnsern Kreis fehlen konnten; aber auch diese, wie hätte ich sie ausfüllen — wie hätte ich die Gefahr meines Stillschweigens abwenden wollen, wäre mir nicht in diesem kritischen Augenblicke,
ein kleiner Vor-
theil, von meinen Schuljahren her,
bei-
gefallen , der bei vielen Gelegenheiten von der trefflichsten Wirkung ist. Es ist so gar selten, dafs man aus dem Schutte seiner
ersten Erziehung
einen Splitter hervorzieht,
einmal
der im wirk-
lichen Leben anwendbar ist und einige Brauchbarkeit zeigt, dafs ich mir nicht
12.6 versagen k a n n , mich selbst zu unterbrechen , um Dich init dem innern Gehalte meines Funds bekannter, und Dir die Freude begreiflich zu machen, die er mir verursachte.
Dergleichen Kabinets - Stücke
sind uns schon um defswillen so kostbar, weil sie uns gewöhnlich unter Schlägen, Scheltwor£en
und
manchen
ominösen
Wahrsagungen anvertraut wurden,
und
uns , so oft wir sie wieder sehen, an den Nothzwang unseres jugendlichen willens,
Muth-
und an alle die Aufopferungen
jener wahren Freuden
der Kindheit
er-
innern. Du hast den klugen Mann gekannt,
lie-
ber Eduard, dessen Unterrichtarich mein Bifschen Beredsamkeit verdanke.
Da er
selbst bestimmt war wöchentlich einmal Reden an Schwache zu halten, so kannte er alle die berauschenden M i t t e l , um die Zuhörer taumelig, machen,
und ihnen weii's zu
dafs sie überzeugt wären.
Er
hatte eine so sichere Geschicklichkeit er-
127
langt, über jedes Thema, das man ihm vorlegte, für und dawider — gleich gut zu predigen, dafs er nach den Gesetzen des Lykurg verdient haben w ü r d e , ohne Umstände aus dein Lande gejagt zu werden ; und das ist doch wohl das Stärkste, was
man
zum Lobe eines öffentlichen
Redners sagen kann. Gott habe ihn selig! E r hat mir die Kunst schicklich von nichts zu reden, gar sehr erleichtert. Unter einer Menge Modellen, die er immer aus allen Sprachen zur Unterstützung seines Unterrichts und als Beweise zusammen trug, w i e man auf dem Strome der Worte eine Stunde fortschwimmen kann , ohne stekken zu bleiben oder zu sinken, war mir besonders Eins durch öfteren Gebrauch sehr geläufig geworden : denn nicht allein wurden
in
jüngern Jahren
alle
meine
Standreden an den Geburtstagen meiner Altern darnach geformt;
sondern selbst
an dem wichtigen T a g e , wo ich in den Schoofs der christlichen Kirche aufgenom-
12Ö inen w u r d e , ordnete ich mein Glaubensbekenntnifs
darnach,
ganze Gemeinde.
und
erbaute
die
Seitdem ist mir frei-
lich nur noch ein eiuzigesmal eine Gelegenheit aufgestolsen, dieses schöne Muster zu nutzen ; und das war bei Eröffnung eines L a n d t a g s , bei dem ich, unschuldiger Weise, als Deputirter meines Kreises erschien.
Auch da zog mir die getreue
Nachbildung
meines
die gröfsten
Lobsprüche
schönen des
Originals Ministers
und die Schmeicheleien der anwesenden Stände zu. Du kannst beurtheilen, Eduard, ob ich sie verdiente, wenn Du jetzt meine Antwort an den Prokurator hören wirst, in der ich mich ganz an jene beredte Vorschrift, und uin so viel lieber hielt, da sie einen französischen Schriftsteller * ) *)
Messieurs
, quand
L'incons tance Lorsque Fas
je regarde
du monde
je vois,
parmi
je vois les Césars ïî acine
— les
exactitude
vicissitude,
tant d'hommes
une étoile f i x e , et tant
Quand,
avec
et sa
d'astres
différents, errants,
etc. Plaideurs
et. 3. Se. 3.
zum Verfasser kennen m u f s ,
hat,
der
die A r t
wohl
w i e man seine Landsleute-
a m besten b e h a n d e l t .
Ich e r h o b m i c h m i t
W ü r d e von meinem Sitze, überblickte mit furchtlosen
Augen
richten sollte,
den Z i r k e l
u n d m i t der
der mich
bedächtigen
S t i m m e , die g r o f s e W a h r h e i t e n
erwarten
läfst, fing ich a n : Bedenk' ich, meine Herrn, die Unbeständigkeit Der Menschen und der W e l t ,
des Raumes und
der Zeit, Seh' ich in den Bezirk vergänglicher Gestalten Oft einen Irrwisch sich für einen Fixstern halten, Seh, dafs sich Licht und Recht um eigne Axcn dreht, Was früh im Aufgang w a r , des Abends untergeht, Dafs mit erborgtem Glanz, wenn sich die Sonne wendet, Ilir prahlender Trabant noch unsre Augen blendet; Geh' ich die Vorzeit durch, und seh' am Tiberstranil Dort einen Zwerg sich blähn, wo sonst ein Riese stand; Hör' ich des Schicksals Ruf aus grofsen Trümmern schallen , Th. W . IV. Th.
9
»3° Da selbst der Riese f i e l , wird auch der Zwerg wohl fallen; Des Bonzen Fischerring wird ein gemeiner Stein, Als Splitter nur berühmt verlorner Künste sevn; Steig' ich dann in mich selbst, tief in mein Herz, nnd hebe Sein flatterndes Gewand , sein blendendes Gewebe, Und seh', aus welchem Teig von Trug und Heuchelei Und Stolz die kleine Welt, der Mensch, geknetet sei, Geh die Geschichte durch,
und seh,
dafs mit
einander W i r , vom Thersites an bis zu dem Alexander, Nur leichten Federn gleich in ungewissem W i n d , Des Zufalls Gaukelspiel und niemals unser sind, Und dafs, so hoch ein Propst sein Hirtenämtchen achtet, Und seine Schafe schiert, und ihre Milch verpachtet, In mancher schwülen Nacht das Pallium schon trägt, Und sich zum Bischof träumt und seine Kreuze schlägt, Und wenn
sich Miethlinge
in seinen Schafstall
schleichen, Die Hörner des Altars - - -
Doch dixi!
entweichen
Iis
i5i Begriff' und Worte
mir —
Mein Engel
zeigt
sich jetzt In stolzer Purpurtracht mit Hermelin besetzt.
Es war auch hohe Zeit dafs er erschien; denn ich weifs nicht was sonst aus meiner feurigen Rede und dein Eindrucke möchte geworden seyn, der schon anfing sich auf den verzogenen Gesichtern meiner Zuhörer zu zeigen.
Garrick,
sagt
m a n , konnte das Alphabet mit so rührendem Accente aussprechen , dafs alle die ihm zuhörten in Thränen zerflossen. Ohne meine Rede, ihres bessern Zusammenhangs wegen, zu loben, that sie doch, ich mufs es s a g e n , eine nicht minder grofse Wirkung.
Der "Propst gerieth in augenschein-
liche Unruhe, liefs einmal mehr als der durch Cicero's Beredsamkeit
erschütterte
Cäsar, das Schnupftuch fallen —
warf
bei einigen starken Stellen Blicke des ungeduldigsten Zorns auf mich — Blicke eines wüthenden Erstaunens auf das arme Klär-
c h e n , das d a r ü b e r , aufser aller Fassung gesetzt, immer höher erröthete, und eben im Begriff w a r das Weite zu s u c h e n , als der E i n t r i t t des Domherrn meine Rede, d i e , nach ihrer künstlichen Einrichtung, einer Schraube ohne Ende nicht unähnlich w a r , zum Stillstande, und jedes zu bewegte Herz wieder in's Gleichgewicht brachte.
Das Gericht erhob sich,
um
diesen eben so unerwarteten als vornehmen Beisitzer zu bewillkommen.
Ich lief
i h m entgegen, u m a r m t e ihn mit der vertraulichsten Anmafsung, nannte ihn einmal über das andere meinen F r e u n d , meinen E r r e t t e r , u n d —
„Kommen Sie,"
rief ich mit angstvoller S t i m m e , ,, und wenden Sie die unbeschreibliche Gefahr a b , die in diesem Augenblicke über mir — n o c h w e i t mehr über Ihrer Religion schwebet.
geheiligten
Der freundschaftliche
U n t e r r i c h t , edler M a n n ,
durch den Sie
mich an Sich fesselten — die W ü r d e Ihres S t a n d e s , die Sie nicht um nichts in den
i33 Purpur der Könige kleidet, — der Glaube, die Liebe und Hoffnung, die Sie vor aller Welt bekennen — fordern Sie durch mich auf, Ihr Ansehn zu behaupten — Ihre Gewalt zu z e i g e n ! " — Der Mann sah mich während dieses Ausfalls mit stummem Erstaunen an, und setzte sich in der gröfsten Verlegenheit auf den Sessel, den ich in voraus für ihn mit dem meinen zugleich hatte herbei schaffen lassen. Der stolze Trotz auf dem Gesichte des Propstes — die gelbsüchtige Erwartung, die sich in den Augen des Prokurators malte — in den Runzeln der Tante herum irrte, und das Gemisch, Gott weifs welcher Empfindungen, auf den Rosenwangen der Wichte — verdienten wohl eine eigene Schilderung — Aber da müfste ich erst Zeit dazu — müfste Dir nichts wichtigeres zu erzählen, und diesen Mittag nicht Gäste zu erwarten haben. — Froh bin ich nur, dafs ich das wichtige Dokument meiner gerichtlichen Rede, auf das sich
i34 n u n alles b e z i e h t , fertig — und so w i e ich sie gestern Abends zu Papier brachte, vor mir liegen h a b e , und sie n u r da einzuschalten
brauche,
w o sie hingehört.
Sie i s t , wie Du finden w i r s t , nach einem ungleich häklichern Muster g e f o r m t , als ich vorhin — w o es auf weiter nichts ankam als Zeit zu gewinnen —
meiner
Beredsamkeit unterzulegen f ü r nöthig fand. Man sollte kaum glauben, dafs die beiden Modelle, die ich heute so gut ben u t z e , aus einem und demselben Schranke k ä m e n ; u n d doch ist es w a h r , n u r mit Unterschied. — Jenes Jag, mit einem Haufen anderer seines Unwerths, in dem untersten u n d gangbarsten F a c h e ; dieses hingegen lag ganz einzeln in dem obersten. Es w u r d e
f ü r das non plus
ultra
der
Rhetorik gehalten, und w a r n u r auf die nicht gewöhnlichen Unfälle des menschlichen Lebens berechnet.
W e n n das erste
gut i s t , wie Du gesehen h a s t ,
Eduard,
die Laufgräben zu ö f f n e n , so läuft man
i35 mit diesem hier Sturm. Der Meister, wenn er mit seinen Schülern bis än diese letzte Speiche der Redekunst k a m , empfahl es immer mit den nachdrücklichsten Worten. „ I h r glaubt nun w o h l , lieben K i n d e r , " sagte er mit einer feinen Ironie, die selbst, wie Du weifst, einer der stärksten Hebel in der Redekunst i s t , „ a l l e menschenmögliche Mittel in der Gewalt zu haben, um Euch in dem Sprachsaale der Welt fortzuhelfen.
Aber,
Eure
Geschicklichkeit
unbescholten, reicht sie —
figürlich
zu
reden — bei allem dem nicht weiter, als ungefähr — die Mücken zu verjagen.
Das
ist nun zwar für das tägliche Leben ganz g u t ; denn diese unbequemen Geschöpfe sind aller Orten zu
finden.
Wie aber,
wenn Euch nun einmal — wer kann dafür stehen? — ein Löwe begegnet, oder ein Krokodill auf Euch lauert ?
Dann
möchte Euch leicht Euer Kunststück mehr schaden als nutzen, und Ihr seid sicher verloren, wenn Ihr kein anderes Arkanum
i3 , 0 ! " sagte sie, ohne im mindesten aus der Fassung zu k o m m e n , „ v o r einigen Jahren zwar h a t mir dieser gute würdige Mann die Lebensgeschichte
meiner
verklärten
Namens-
schwester zur E r b a u u n g und Nachahmung vorgestellt. —
Es w a r sogar sein erstes
Gespräch mit mir. — Aber ich w a r damals ein Kind. — hatte keine Acht dara u f , und schlief über seinem Unterricht ein. meine
Lange fand ich keine Gelegenheit, Unachtsamkeit
machen. —
wieder
gut
zu
Vorgestern erst glückte es
£06
mir.
Erinnern Sie-Sich w o h l n o c h , wie
begierig ich in einem Buche las, das ich Ihnen nicht sehen liefs ? — ich es Ihnen sagen;
Jetzt kann
aber legen Sie mir
es nicht als Stolz a u s ! Es w a r die Legende dieser Heiligen — w a r eben das Blatt, das G o t t im Feuer erhalten h a t . " —
»So?"
sagte i c h , „ a b e r wie kam es d e n n , dafs Sie das erstemal dabei e i n s c h l i e f e n ? " — „Weil es sehr spät w a r , " antwortete Sie. ,, Sehen-Sie — es w a r Mitternacht - - " — „Aber
um
des Himmels w i l l e n ,
Klär-
c h e n , " fiel ich i h r ein, „ w i e trafen Sie denn so spät mit dem Domherrn zusammen? " —
antwortete sie,
„das
h ä n g t ganz n a t ü r l i c h ' a n einander.
„0»"
Soll
ich es Ihnen erzählen ? " — „ W e n n ich bitten d a r f , liebes K i n d , " lächelte ich sie an,
,, so t h u n Sie es so genau als mög-
lich und mit allen Umständen." — „ N u n g u t , " fing sie schwatzhaft an.
„Meines
Vaters Schwester zu Cavaillon — die W i r thin in dem Propheten
h a t t e uns hier
loj
besucht, und nahm mich mit sich, als sie zurück ging. Wir trafen das ganze Wirthshaus übersetzt an, da wir ankamen. — Es war schon spät, und ich konnte vor Müdigkeit kein Auge mehr aufhalten.— Das gute Weib machte auch alle Anstalt, um mich bald zur Rühe zu bringen — führte mich in eine grofse leere Stube, und wies mir ein Bett an. Ich hatte mich noch nicht ganz aus meinen Reisekleidern geworfen — so brachte mein Vetter einen Passagier in dieselbe Kammer. — Es war Herr Ducliquet. — Er erkundigte sich, was das für ein Kind wäre. — Mein Vetter nannte mich , und wünschte uns eine gute Nacht. Der liebe fromme Herr, wie Sie ihn kennen, nahm sogleich Gelegenheit, mir recht viel Erbauliches über meinen Namen und meine Patronin zu sagen.— Aber, wie Kinder sind — ich hörte die Sache nur halb und schlief darüber ein. Bald nachher - doch das ist eine Geschichte, die weiter
2oa hieher nicht gehört - - " —
„ 0 das t h u t
nichts, Klärchen," sagteich:
„erzählen
Sie n u r immer f o r t — ich könnte Ihnen einen ganzen Tag z u h ö r e n . " — d e n n , mein H e r r , "
„Nun
erwiederte sie, ,, so
ist es Ihre eigene Schuld wenn ich Ihnen lange Weile mache.
Ich schlief also, wie
Sie wissen — aber es w ä h r t e nicht lange, so erweckte mich ein Getös von der andern Welt. —
Ich fahre schlaftrunken
in die Höhe — u n d sehe — , stellen Sie Sich das Erschrecken eines Kindes vor — den Teufel vor meinein Bette." — „ G o t t sei bei u n s ! " unterbrach ich die Schwätzerin. —
„ Ach ! fürchten Sie n i c h t s , "
fiel sie mir hastig in's W o r t : es nicht leibhaftig —
„ Er
war
es w a r n u r ein
K o m ö d i a n t , der ihn den Abend vorgestellt h a t t e , und jetzt sein Bette suchte — und, was Sie erst recht verwundern w i r d , mein H e r r — es w a r einer von den Soldaten, die Sie bewacht h a b e n ! " — rief ich aus. —
,,Unmöglich! "
„ 0 , verlassen Sie Sich
—
2
0
9
d a r a u f ! " versetzte sie:
„ S i e können ihn
selbst darum befragen.
Das S c h r e c k e n , "
f u h r sie f o r t , „ w a r nicht geringe;
aber
die Folgen davon w a r e n doch gut.
Ich
lag die ganze Nacht durch in einem Fieb e r , und w a r so in F u r c h t gesetzt, dafs ich
den Morgen
darauf nicht länger in
Cavaillon aufzuhalten war. —
Ich weinte
so lang und so jämmerlich, dafs endlich meine V e r w a n d t e n
sich heraus nahmen,
den Herrn D u c l i q u e t ,
der wieder
nach
A v i g n o n reiste, um einen Platz f ü r m i c h in seinem W a g e n z u bitten. E r bewilligte ihn auf das gütigste — und dieser Zufall, mein H e r r ,
dieses Schrecken und
Reise machten mein Glück. —
diese Unter-
weges examinirte mich der w ü r d i g e Mann über meine
Glaubenslehren,
ein Morgenlied s i n g e n , me gefiel
ihm. —
liefs
mich
und ineine Stim-
A l s w i r hier anka-
men , überlieferte er mich meinem Vater — denn keine Mutter hatte ich mehr
—
und suchte ihn z u bereden, mich die Noten Th. W . IV. Th.
14
210
und das Singen lernen zu lassen. hätte es auch gern gethan;
Der
aber er war
zu arm um etwas auf meine Erziehung verwenden
zu können.
Da schlug sich
der wohlthätige Herr in's Mittel — und, w i e manchmal ein geringer Umstand in unser ganzes Leben eingreift, erbot sich nicht allein, mir auf seine Kosten im Singen einen Lehrmeister zu halten,- sondern auch in allen andern nützlichen Dingen Sorge für meine Bildung zu tragen.
—
So kam ich in das Doinstift, w o er mich der Aufsicht seiner Haushälterin übergab, die w i e eine Mutter für mich gesorgt hat. — Ach!
ich wäre gewifs noch in dem
Hause dieses guteil Herrn, wenn ich nicht selbst mein Glück verscherzt hätte."
—
„ W i e denn s o ? " fragte ich lächelnd, und glaubte nun gewifs das Mädchen auf einer Unwahrheit
zu
ertappen,
die ich mir
schon vornahm sie recht fühlen zu lassen, aber es war nicht möglich. —
,, Sehen
Sie," fuhr sie fort, „Herr Ducliquet hatte
211
ausgewirkt,
dafs die gefährlichen Men-
s c h e n , die inir so ein Todesschrecken eingejagt hatten,
der Folgen w e g e n ,
weiter mit lebendigen Personen durften.
nicht spielen
Da legten sie nun ein Puppen-
spiel an. —
Einmal, da ich ausgeschickt
war um Semmel zu h o l e n , ging ich eben vorbei, als sie ein geistliches Stück aufführten.
Ich glaubte nicht unrecht zu
thun —
wendete einige Sous daran und
ging hinein.
Man wies mich auf die hin-
terste Bank, noch sah.
w o ich weder etwas hörte
Gern wäre ich wieder heraus
gewesen; aber das w a r bei dem Gedränge schon nicht mehr möglich.
Ich kam ne-
ben einem Officier zu sitzen, und safs w i e auf Kohlen. —
Er hatte die Barm-
herzigkeit, mir den Arm zu geben und durch das Volk zu helfen,
als das Spiel
vorbei war. — - Aber mein G o t t ! w a r die Zeit vergangen!
wie
Es w a r ganz
dunkel, w i e ich zurück k a m ,
und vor
Angst hatte ich die Semmel vergessen. —
212 Ach w i e theuer mufste ich diesen kindischen Einfall und diese Vergessenheit bü fsen! Meiner Pflegemutter war das Ragout verdorben, und der Herr, der den Koch nach mir geschickt hatte, mufste hungrig zu Bette gehn. —
Meine Entschuldigun-
gen halfen nichts; denn sie waren beide keine Liebhaber vom Schauspiele. —
Sie
sagten sich von mir l o s , und ich mufste noch diesen Abend aus ihrem Hause.
Was
sollte ich anfangen?
Seit acht Wochen
w a r ich eine Waise.
Es blieb mir nur
die einzige Verwandte ü b r i g , zu der ich flüchtete,
und die mich mit Erlaubnifs
des Herrn Propsts aufnahm.
Nun geht
es mir z w a r ganz gut hier —
aber was
ich kann das kann ich — denn mit meinen schönen Lehrstunden hat es ein Ende." Ich ward über die natürliche Erzählung des armen Kindes, die der Sache ein ganz anderes Licht g a b , schon etwas nachdenkend. —
„Klärchen! " sagte ich,
und sah ihr scharf in die A u g e n ,
ohne
213
dais i c h , ' Gott weifs, die geringste Verlegenheit Jarin erblickte, „damals waren Sie ein Kind; das entschuldigt viel: aber wie Sind sie denn nachhcr - - " und ich hielt inne, weil ich selbst nicht recht wuiste was ich ihr zuerst vorwerfen sollte. —
„ W a s denn, mein lieber Herr? "
fragte sie hästig, und starrte mich dabei mit ihren grofsen unschuldigen Augen an — und ich f u h r , selbst und allein auiser Fassung gesetzt, stotternd fort — „ z u den Kreuzen gekommen, d i e - - " —
„Das,"
fiel sie mir ganz verwundert in das Wort, „ d a s wissen Sie j a ! die malt mir der Herr Propst meistens einen Tag um den andem." —
„ A b e r um Gottes W i l l e n , "
erwiederte ich und schüttelte den Kopf, „ w i e mag ein so frommes blühendes Mädchen so etwas e r l a u b e n ? " — »»Wie s o ? " fragte sie erstaunt: „ E s geschieht ja zu meinem Besten, um mich, wie der Herr Propst und meine Tante sagen , die immer dabei steht, vor allem zu bewahren, was
2l4 mir" die Stimme verderben kann; und finden Sie denn nicht, mein Hert, dafs es geholfen hat ? — Ach , diese heiligen Zeichen — Sie mögen sagen was Sie'wollen — sind von erstaunlicher Wirkung. " Ich sah das Mädchen mit stiller Verwunderung an. Wäre es möglich! dachte ich, fafste Herz — und that ihr noch eine Frage. — Aber die war umsonst — denn sie verstand sie nicht. Ich sann und sann, und konnte so wenig aus diesem sonderbaren Geschöpfe als aus mir selbst klug werden. — „Es ist d o c h s a g t e ich in stiller Überleg ung, ,,nicht so ganz platterdings unmöglich, dafs ihr der Propst entweder so etwas weifs macht, oder es auch wohl selbst glaubt — denn was glaubt man nicht alles in dieser Religion! — und dafs beide nichts weiter dabei denken, als ein anderes, das Handschuh anzieht um sich vor der Luft zu bewahren. Indefs - - - wundershalber will ich sehen, was sie mir d a r a u f antworten
215 wird! " —
„ Klärchen, " erwiederte ich
mit zunehmendem Interesse an ihren naiven Antworten, setzte mich dabei auf den nächsten S t u h l , und zog sie wieder, wie das letztemal nach Auswechselung unserer Bänder,
an meine Kniee, mit denen
ich sie traulich umfafste. — Sie mir nicht ü b e l ,
Klärchen,
„Nehmen dals ich
auf eine alte vergessene Geschichte zurück komme. —
Gestern, Kind — ich
kann nicht ohne Entzücken daran denken —> was dachten Sie denn gestern — als ich mir die Erlaubnifs des Pater Lessau und Bauny
so gut
zu Nutze m a c h t e ? "
—
„ 0 , d a , " antwortete sie, „war mir nicht wohl zu Muthe — das gestehe ich Ihnen. Ich dächte Sie hätten gesehen, wie angst mir um meinen heiligen Nicaise war. Ich erwartete
immer,
Sie würden
— ihn
noch in tausend kleine Bifschen zerstükkeln. " —
„Weiter,
liebes K l ä r c h e n ! "
indem ich sie sanft mit meinen Knieen drückte. —
„Ja —
und als Sie m i r , "
2 l6 fuhr 6ie mit einem Blicke fort, der gar drollig w a r , „das Kreuz der Cacilia verlöschten , war mir noch weniger wohl um das Herz; doch verliefs ich mich noch auf die Wiederherstellung und auf meinen hübschen Vorrath von geweihter Farbe. — Als Sie aber auch diese verschütteten — nein! ich läugne es nicht — da war ich so toll und böse auf Sie, als ich noch in meinem Leben auf niemanden gewesen bin. Ich dachte gewifs, es wäre nun um meinen Discant geschehen — und ich würde nicht einen Psalmen mehr zur Naht bringen — das Schmählen des Propstes und meiner Tante ungerechnet, das ich voraus sah. Heute mache ich mir freilich weniger daraus, da ich nichts wüfste, was Sie mir nicht durch die heiligen Steine zehnfach ersetzt hätten." Diese unbegreiflich unschuldige Erzählung, durch die das liebe Kind, so als wenn es nichts auf sich hätte, meine Einbildungskraft entflammte, und in die
reizendste Gegend zurück brachte,-
die
ich wohl behaupten kann in meinem Leben gesehen zu haben,
setzte mich erst
ganz aufser mir, als sie schwieg, denn jetzt sprach die gefährliche Stille,
die
uns umgab, nur desto vernehmlicher. — Ich
sprang
wie
verwirrt von meinem
Stuhle a u f , und mit dem Gefühl eines Wunderthäters war ich eben im Begriffe, den Riegel
an der Kammerthür vorzu-
schieben — als sie Bastian mit der einfältigen Frage halb öffnete : was für Wein er diesen Mittag aufsetzen solle ? — Wie er seinen Köpf so vorstreckte, hätte ich ihm lieber in diesem Augenblicke seinen Abschied gegeben; denn die vermaledeite Ähnlichkeit mit seiner Schwester verjagte mir wieder alle die muthigen Gedanken, die mir Klärchen eingab.
Ob ich nun
gleich kurz nachher darüber froh w a r , so kam mir doch jetzt diese Unterbrechung meiner Ideen zu unerwartet, um mir nicht weh zu thun.
Ich blickte einige Minuten
schweigend gen Himmel — wendete dann mit E r n s t und
Mitleiden ineine -Augen
gegen .das liebliche Mädchen —
,, Hier
i s t , " sagte ich heimlich zu m i r ,
„tau-
send* }a millionenmal mehr als M a r g o t ! " und halb betäubt führte« ich sie nun in die Stube z u r ü c k , w o der Tisch schon gedeckt stand.
Ich zog,
nachdenkend,
die Hände auf den Rücken gelegt,
ein
paarmal meine Zirkellinie um i h n ,
ehe
ich einen herzdrückenden Seufzer, andern ich arbeitete,
los werden k o n n t e ,
der
aber auch dafür mehr Erleichterung nachliefs, als keiner, der bis jetzt in meinem Tagebuche
vorkommt;
mich m i t diesem
und
indem
ich
Bogen zur Aufnahme
meiner Beichte an einen Nebentisch setzte, fertigte ich auch Bastian a b , der immer noch keine A n t w o r t auf seine ungelegene Frage erhalten hatte. —
„ Rechne auf
die P e r s o n , w i r sind unser V i e r e , " sagte ich i h m ,
„eine Flasche B u r g u n d e r , und
eben so viel Champagner — kann doch
jedes
seinem
Nachbar
daran zu viel hat. — sten Sorte , "
abgeben
was es
Aber von der be-
rief ich ihm n a c h , ,, denn
wir haben einen Domherrn bei T i s c h e . " -«- Ich h a b e , kann ich mit Wahrheit sagen , noch nie in besserer Laune ein berauschendes Getränk bestellt.
Indefs nun
das arme Kind, da mir ungewifs gegen über sitzt — auf jeden Zug meiner Feder schielt, und in meinen Augen vergebens zu lesen sucht was in mir vorgeht, bittet mein gerührtes Herz, so oft ich hinblicke, ihr alle die Beleidigungen a b , die ich ihr a n t h a t , und empfiehlt in stiller Andacht diese schöne nackende Seele dem Schutze Gottes und aller Heiligen.
Ach! nie ist
eine, bei dieser namenlosen E i n f a l t , in einer so verdorbenen W e l t als die unsere i s t , dieses Schutzes so bedürftig gewesen! Es ist mir für meine Schreiberei lieb, dal's ich noch eine Weile der albernen Gespräche, die ich mit der Zurückkunft des Domherrn
erwarte, entübrigt, und
220
unter der stillen Aufsicht Klärchens so gut w i e allein bin —
denn so habe ich
doch noch Zeit die mancherlei wider einander laufenden Gedanken für Dich noch durchzufegen, die von allen Seiten her sich immer mehr anhäufen. —
Meine
schwankende D e n k u n g s a r t — lafs mich zuerst von der sprechen — die ich mir w o h l sonst, nicht ganz ohne G r u n d , —
vorwarf
ärgert mich dermalen nicht im gering-
sten.
Ein ehrlicher Mann,
wenn er es
wirklich•seyn w i l l , mufs schwanken, sobald sich an dem Objekte, über das er nachdenkt, die Farben ändern;
und ich
kann die klugen Leute vor meiner Sünde nicht leiden, die sich selbst da ihrer Festigkeit rühmen, w o es offenbar ein Fehler ist fest zu seyri.
Es ist ein wahres
Glück für die p r a k t i s c h e phie,
Philöso-
dafs ich durch meinen Arrest so
lange hier aufgehalten w u r d e ,
um noch
in Zeiten gewisse Vorurtheile zurück zu nehmen, die schon tiefe Wurzeln zu schla-
221
gen anfingen, und die i h r so nachtheilig hätten werden können als dem guten Rufe dieses vortrefflichen Mädchens. — Und noch glücklicher trifft es sich , dafs ich, Gott L o b ! von dem
gewöhnlichen
Eigensinne spekulirender Köpfe frei hin — denrf sonst hätte ich mich gewifs auch jetzt noch nicht aus der Schlufsfolge gefunden, die ich einmal glaubte mir bewiesen zu haben. — mir entwischt,
Die Wahrheit wäre
wo ich ihr am nächsten
w a r , und D u , lieber E d u a r d , wärest so gut als ich um das Resultat meiner mühsamen Experimente gekommen,
das ich
Dir doch n u n , auf das feinste entwickelt, als die lehrreichste Entdeckung meiner Reise mitbringen kann.
Das Vorgeben
unserer grofsen Menschenkenner, dafs jedes Mädchen — unschuldig oder nicht — in ihren eigenen Angelegenheiten dem scharfsichtigsten Manne eine Nase drehe — ist aus der Luft gegriffen, wie viele solcher Sentenzen.
Versteht nur erst, ihr
guten L e u t e , ein weibliches Herz — ohne Einmischung eures eigenen — zu entfalten , so wird euch auch keins so leicht über seinen Werth gen ! —
oder Unwerth betrü-
Freilich ist es eine kitzliche Sa-
che damit;
das kann ich nicht läugnen,
denn mein Beispiel beweist es zu klar. W a r ich nicht drauf und dran,
das schuldlo-
seste Geschöpf zu verdammen,
das viel-
leicht in unserm Welttheile zu finden i s t ? — und wer hätte mich einer Übereilung dabei zeihen können ?
Traten nicht so
viele Anzeigen wider sie a u f ,
die mein
Urtheil vor jedermann rechtfertigen mufsten? —
Und doch war ich in Irrthum,
und wäre es auch,
ohne das letzte zu-
fällige Gespräch mit i h r , immer und ewig geblieben.
Das mag wohl nicht selten
der Fall bei unsern systematischen Grillen seyn.
Wenn wir uns mit vieler Mühe
die Augen verkleistert h a b e n ,
öffnet sie
uns ganz unerwartet das Geschwätz eines Kindes.
Ist die Schamlosigkeit, die ich
223
der guten Seele, nach der gewöhnlichen Bedeutung des W o r t e s ,
vorwarf — ist
sie bei ihr w o h l etwas anders als der höchste Grad
paradiesischer
Unschuld?
Wie lange h a t es nicht gewährt eh* ich das begriffen h a b e !
N u r die Seltenheit
der Sache kann mir zu einiger Entschuldigung dienen. sagt m a n ,
Bei den Wilden
zwar,
fänden sich Spuren davon -—
aber in einem kultivirten L a n d e ! — nach dem Sündenfalle! — ist es das erstaunungswürdigste Phänomen das sich denken läfst.
Konnte ich denn nicht gleich
vom Anfange Klärchens Betragen aus diesem Gesichtspunkte betrachten? Ach, wie viel geschwinder w ü r d e ich alle jene Abweichungen- von dem Gewöhnlichen bei ihr e n t r ä t h s e l t , u n d die undankbare Mühe erspart
haben,
ein
so liebenswürdiges
Geschöpf — bei beständigem Widerspruche meines Herzens — in meiner Vorstellung so abscheulich tief zu erniedrige«! — Aber unsre liebe, herkömmliche,
Euro-
22/j. päische Denkungsart — die doch selbst im Grunde nichts anders als Abweichung von der Natur ist — steht uns immer bei metaphysischen Auflösungen im Wege. Drollig genug, dafs ich durch ein vorgebliches Wunder hinter ein wahres gekommen bin!
Aber was soll ich nun —
da die Sachen bis auf diese Spitze getrieben sind — anfangen ? —
Auf der einen
Seite — fühlt sich das fromme Kind so glücklich in dem Besitze der heiligen Steine ; auf der andern habe ich alle hirnlose Köpfe — das heifst alle Einwohner der Stadt — damit erhitzt. -— Wird das nicht zu den tollsten Planen und Nachforschungen Gelegenheit geben, über die eine Tugend so leicht zu Grunde gehen kann, die durch weit gröi'sere Seltenheiten die Ehrerbietung der Erde verdient? lich ,
Wirk-
es wird mir ganz bange um das
Herz, wenn ich das so recht überlege. Das reizende Mädchen! wie lieb ist sie mir nicht seit einigen Minuten geworden !
225
Ich kann es nicht ausdrücken wie lieb! Wenn ich so von meinem Bogön auf in die Höhe blicke, und diesen schönen grofsen Augen begegne, aus denen die ganze Reinigkeit und Energie i h r e r Seele wiedetstrahlt — so kann ich nicht — nein! wahrlich ich kann mich nicht eines Gedankens erwehren, den mir mein guter Genius gewifs nicht umsonst so warm an das Herz legt. Bei der kleinen Margot ward er schon einmal ziemlich laut bei mir — aber Du weifst, wie flüchtig er damals und wie wenig überdacht er war. Hier aber finde ich ungleich mehr Ursachen ihm nachzuhängen. — Ernstlich, Eduard! Ich kann mir doch an den Fingern abzählen, dafs ich über lang oder kurz — wie man sagt, heirathen werde; und wie wird das geschehen, wenn ich nicht zuvorkomme — als auf die gewöhnliche Weise, die so albern als mifslich ist? Hier hätte ich nun einen Gegenstand gefunden, wie ihn nur die begehrlichste Liebe eines Th. W .
IV. Th.
l Ein heimtückischer Streich!" rief i c h , und warf grtjle Augen auf die Mignatur.
„ Abscheulich
schönes
Ge-
schöpf! wie weit glaubte ich mich schon von dir und deinem Andenken entfernt, während sich dein Bild, grofser Gott! an meinem beängsteten Herzen erwärmte, und sich nun auf einmal so reizend und unverschämt meinen Augen darlegt, wie es deine Kasuisten erlauben! Konnte der Zuf a l l , " fragte ich bitter, „keinen andern Boten auftreiben als mich, Th. W .
IV. T h .
um das Ge-
354 mälde dieser heiligen Buhlerin über die Gränze zu b r i n g e n ? " — Einen Augenblick w a t ich- entschlossen, es an einem Stein zu zermalmen. Die Ehrfurcht für die Kunst a l l e i n , die Achtung für fremdes Eigenthum, hielten mich ab. N u n ! so w i l l ich denn wenigstens, dachte ich, dieser Kreatur, ob sie gleich sonst nicht verdient die Feder eines rechtlichen Mannes zu beschäftigen, ein Monument setzen ,. und ihrem Bilde eine Warnung anhängen , die seine blendenden Farben so gut w i e vernichten, und den lüsternen Herren, denen es nach mir unter die Hände k o m m t , die Lust schon benehmen soll, das Original aufzusuchen. Ich hoffe, die keuschen Musen, wenn sie wirklich keusch sind, sollen es mir vergeben, dafs ich dem Kücken dieser Heiligen den Stempel ihres Lebens zum Correktiv ihres verführerischen Anblicks aufdrücke. Eine widrige Beschäftigung! ich gestehe es gern: da sie aber nur dahin zielt, den Lieblingen
555 meines H e r z e n s , den j u n g e n U n e r f a h r n e n , d e n e n , w i e meinem armen B a s t i a n ,
die
N a t u r so h e f t i g z u s e t z t , dafs sie d a r ü b e r alles v e r h ö r e n , w a s ihnen die Sittlichkeit v o r p r e d i g t — die A u g e n über diesen kasuistischen K o n t r e b a n d z u ö f f n e n ; s o i s t die F r a g e ,
ob
in dem
ganzen
Martial
ein einziges so g e m e i n n ü t z i g e s E p i g r a m m steht,
als
das
meinige h o f f e n t l i c h wer-
den soll. U n t e r diesem
S e l b s t g e s p r ä c h e setzte ich
m i c h | ohne w e i t e r zu ' z w e i f e l n ,
ob ich
a u c h diesen E h r e n p l a t z v e r d i e n e ,
in den
Schatten
iines
Lorberbaums,
w e i t von d e m W e g e s t a n d , nen S i l b e r s t i f t
der
nicht
spitzte mei-
u n d schrieb nun auf die
R ü c k s e i t e des elfenbeinernen Blattes folg e n d e A d d r e s s e an die V o r d e r s e i t e ,
wobei
ich nicht viel a n d r e s t h a t , als die Herzensb e w e g u n g e n meines g u t e n B a s t i a n g e t r e u zu ü b e r s e t z e n ,
Sapienti
sat
u n d a m E n d e ein kurzes
beizufügen:
356 Ach,
welch
ein Engel setzt liier mir Herz und Augen in Brand!
Wirft nicht ein Spiegel, wie der, uns den verlorenen Stand Der Unschuld wieder zurück? Baut dort in schattiger
Lage
Nicht noch die Tugend ihr Nest,
wie seit dem
ersten der Tage , Als Gott ihr stolzes Gefühl mit einem Kleinod verband, Für das, der alles genannt, doch keinen Namen erfand ? Dein
Aug'
Leih'
erst
in Ehreil,
doch,
Freund,
vor der
Entscheidung der Frage dein
prüfendes
Ohr der tausendzün-
gigen Diefs Wunder Gottes,
Sage.
spricht sie,
so
weit das-
Aug' und die Hand Es zu
begreifen
vermag,
steh' als
ein eisernes
Pfand, Gleich andern Wundern
der W e l t ,
in Mönchs-
uhtl Pfaffenbeschlage, Und —
Doch bedarf es wohl noch,
dafs ich um
Worte mich plage?
357 Was dir ein Engel verspricht, mit solchen Geistern verwandt, — Flieh die Erfahrung —
versteht sich ohne Glossen a m Rand.
Sobald ich die Schöne mit dieser Aufschrift gebrandmarkt und mein Müthcheu gekühlt hatte, ward ich ruhig und heiter, wie ein Mann nach einer gethanen mühseligen Pflicht, steckte das Bild in die Schreibtafel, und schwur, es nicht wieder vor meine Augen zu bringen.
So
gar lange wird es ohnediefs nicht in meiner Verwahrung bleiben: denn schwerlich möchten
die Ärzte in Montpellier den
rechtmäfsigen Eigenthümer vorher entlassen , eh' ich hinkomme, wiewohl er ohnehin diefs Souvenir nicht so gar nöthig haben wird,
um sich lebhaft
an sein
Liebchen zu erinnern. Während des Hingangs nach meinem Wagen überlegte ich, wie ich die vielen Tage,
358 die ich durch meinen abgekürzten Aufenthalt
in Avignon
gewonnen hatte,
um
vieles nützlicher in der Hauptstadt der Provence anwenden wollte, nahm meinen geographischen Wegweiser zu Hülfe, überlas alle die Merkwürdigkeiten, die er mir dort versprach, und freute mich herzlich der guten Gesellschaft, die, seiner Versicherung nach, dort so einheimisch seyn soll, als es in Avignon die schlechte ist. Mit diesen Gedanken beschäftigt, erreichte ich meinen Wagen, und eine Stunde nachher die Stadt.
55 p
Ich weifs nicht, lieber Eduard,
ob Dir
die eigene Gewohnheit bekannt ist,
der
ich mich fast mechanisch überlasse, wenn ich in einen fremden Ort komme.
Ich
gehe nämlich, so wie ich aussteige, auf seine Beschauung aus, uud zwar aus mancherlei Ursachen.
Denn einmal kann man
sich den ersten T a g , wo man noch stockfremd auf den Gassen i s t , manches erlauben ,
wozu man schon den zweiten
nach seiner Ankunft nicht mehr das Herz h a t , und darüber,
die niedrigste zwar,
aber auch erste Sprosse überhüpft, die doch unsere Leiter, auf der wir empor steigen,
so gut zusammen hält als die
oberste,
und
mitgezählt
werden mufs,
wenn man die Höhe richtig bestimmen will.
In dieser Rücksicht ist die erste
Stunde Deines Eintritts in ein städtisches Getümmel sicher auch die bequemste.
Sie
ist die einzige, die Deinen Launen und
3
30on ber^anb ber Unfd>ulb gcreid>t.
®icfe SBaijenàfjre behex-
tet bie ftärfenbe 9ia(>rung für Seift unb i j e r j , bie un« biefe Keife geroa&ren tvirb;
biefer Äirfdjen
öurdjfdjimmcrnber ©aft bie flüchtigen aber reinen ©enüffe für Sluge, ßl>r unb alle (Sinne, bie JfiiL-
ttir mit) Wim6 ber ©täbter u«6 bieten w i r b ; biefer Stufe einfae ©djönfjeit,
mit alt i&ren aufbre*
rf;ent>en unb gefd>loffcnen Ä n o S p n i , oerfünbigt uns eben fo Biete Jefftage; Die wir an bec ©eite un= ftftulbiger "üiaturfinber, in gliicfli^en T ä l e r n j w U fd>en Slipcn, bie une oun ber »erfimftelten ® e ( t trennen, fergcitfrei wie Äinber »erleben, an wet* djen wir
jtir ® e r f » ober ©rabffatte perjeitlicber
f e t t e n wallen, unb al« banfbare € n f e l ben 9£a-nen größerer Sßorfa&ren epfern werben;
gefitage,
an benen unfer iperj auf 53erge«fpi&en, am ijocfc altare ber 9 i a t u r , iforem Schöpfet betenb fculbigt; unb
in
©taub
gebeugt,
in
2lnba4>t
gtii&enb
fcbmilat. Unb mir ift bie SKofe, iöilb i e r Siebe,
fpracb ©illjelmine,
bie in
©efcfcwtf itjm bot, »on f t $ geroorfen, unb
mid) beteljrt,
@4mellfa(?ren
bie
mir
ba§ nur unfer
eigemuiSige
Slbfidjt
be«
Änaben »erborgen &abe — >4) n> i i l e« md>t roif= fen; rt>ol)C bem ©liicfiidjen,
ber ffct> ben Ä r a n j
6er Sreube arglo« in bie Socfen roinbet, o^ne ju griibetn, roarum er i&m g e r e i f t mürbe, unb ob alle SSCumen tabello« ft'nb. in i&re
3Bi(lji bu bie Sreube
Q3efianbti>eile jerlegen,
fo
oerfliegt tyt
7 jarter ©toff bir unter freuelnber # a n b ,
benn ba$
SKeffer ber änatomen berührt nur Die »erge&enbe jjülle ber Slbgefcfeiebenen."
„3ebtn)i0 rofrb mir übrigen« aud) in einer anbern Siiicfficbt intereffant bleiben. Siebter
fenneit,
£ i e r lernte i # e r r n
bejTen 53ater(anb
biefe ©egenb
iff, id> meine ben eon ben Seffern ber geehrten unb geliebten 3ean $ a u t .
Nation
Siefe«
fammentreffen fiel in eine^eit, reo idS>, nod> nid^>t oertraut mit itjm als ©djriftfieller,
mid> nid>t
gana in ben Sföenfcfcen finben tonnte, wie er ftc^> in einer aaf)treicfcen
®efellfd;aft gab.
fpannten ©rroartungen »Kanne, gegen;
gei)t
©?it ge=
man einem
folgen
feibft roiber OTillen unb S o r f a ß , roie
ift
e« mögtid),
ba§ er
au
entjeber
©tunbe unb unter allen Umftänben unb llmgebnn= gen beliebigen fonnte? forbert et bodi>.
9Äan fagt fi4> bie§, unb
2iu§erbem fiel mir aber freilief»
nodi> fo mandjeä in feinem 2leu§ern unb 55enefcmen auf, ba« meinem roo&nt »ear!
©efii&l unerwartet unb unge=>
ba« unpate £ i n = unb Verirren feU
ne« o&nej)in nicfct offenen 2iuge6, intö feinet/ wie
ti fcfcicti , nirgend« ju fteirenben Slufmerffamfeit, Da« (Bleiben faji aller anroefenben SOlänner, ofjne Daß Dennoefc feilte Unterhaltung mit grauen
un
j
®laö'are, in= betn ber einen ein lofe«, ber antern ein gefü&U D»Iie« 23ort (beiben, mie es fdjien/ atim Söerfucfr unb jur 2?erfud[>ung ) ,
ber britten eine Srage,
ohne bie Slntroert abauroarten, ber werten — fajt möchte i ober eieime(>r o&ne biefe« ju ieniwn. gefte&e S i r bafjer ju meiner Sefc&ämung, ba§ biefe perfönlic&e ?5efanntfd>aft, in ber erften Seit tariM, beim e*
raiin mit tu f e i n « (Sntfcbulbigung gereic&en, Caft btefi eine nidjt eben feltene Crfa&rmig bei grofien ©djriftfiellern unb ÄünfMern i ß ; 6er gen>6f>nlid)e @runb,
bafi 6er n>irf(id>e 9Äenfd? pi>pfifd> ober
mora(ifd) im 2SiDerfprud) mit Dem au« feinen © e r = feti entworfenen 35ilbe üon ifjm fiel)t,
tritt bei
3ean $ a u ( bunfcau« n i $ t ein, roenigfien« niebt in (euerer Äinficfct
£ « bebarf nur 6er 3 e i t ,
ifrn
311 faffen, bei bem einen mefjr, bei öem anbern weniger, je nadjbem bie 9Jatnr bie ©eele au« a&nlidjem ober tmäl;niid)em (Stoffe fdjuf. SUlmä&lig lernte id? ifcn begreifen, würbigen, (it= ben.
£> wie oft bat i ifrin im jjerjen m«in ftiU
le« Unrecht a b , et>e id; e« &ier beizten fonnte, ben ' j r r t f j u m , ben mürbe,
ben er feit jl mir gern »ergeben Gaaber mir nii^t eerjei&en fonnte.
SBalb fing id> « « , meinen fteigenben ®nt&ufia«tnii« für feine in ifjrcr 2irt einjigen (Bempflingen, für «inen Äulturmefier meine« ©eifte» unb ijerjen« 511 galten.
Äann man gleid> oft an i(jm ben benci=
ben«n>ürDigen gefrier alljugrofier ©ebanfen = gülle tabeln, tnicfcte man .gleicfc frier unb ba mannen üppigen 2lu«nmd;«
roegföneiben,
mag twr falt«
10 Ärititer/ öen
»er »ieficid&tnie
©eiff
bcreidtjcrtc unb
mehreren/
befonberi
6a§
fte fein ©anae«
Sem
«Kafftabe
felbftetwa« bas
£eri
frühem,
ben«
bennod>
gigenfefraften nerer
reo
ftnben mir
in fo feltener Äraft
Bereinigung,
roie
an
©anjen
oerge=
bie
feitenen
unb in nod;
i;ier —
einen
Ißiis neben tieffinnigem Sorfdjungsgeift
Srnff,
einen
unb
»ertraute
©ingeit
ber
55efanntfd;aft
mit
ben troefenffen
unb ffiijTenfcfcaften, neben
ber Sporen
unb
tjeterogenfien Äenntniffe
liebenönn'irbigffen ©eniaiität, bie©ei§e(
feit»
funfenfpriu
^enben
©cfcag
mit
b a f l g e h ö r i g eS B e r f j ä t t - jum
—
rührte,
feien, unb
nt§ ber £f>eiic unter fidi>unb fu^en
tvas
SSBerfen bemerfen,
at« Äunjiroerf
in ber £anb
fd;uf,
ber leid>tef(en
mut^midige
©atrjre,
unb bei S£fj6rid)ten, in frieb=
iidjer Harmonie
mit
einem
allfeitigen, bem
3'
jueiteiiben, SJerffanb im i;ef=
len Äopf,
c i c
finbiic&e Sinfatt
3Bä(>renb feine Äraft= 3)?omente un« bern
bie
tieffiiljfenben ©emfitf),
unb
im
reinen
Sonnerroorte
nieberfd>mettern, trägt uns
einfache ©pradje
ber
jjerjen? in
einem im
an-
"ilatur empor
3«
bemipDcfeffen unb ^eiligen, unb entflammt jur genb
ba«
jjera, fo besSEeifen roie be«
£u=
9iaturfinbes.
I 1 5Bie gern fcfcrieb id> noefr mefjr t>on iljm, 06er oielme&r au« meinem iperjeit über ifyn, bert ol;ne fein SBiffen — ben fern ©eliebten ,
nidijt bie
93cfd)ciben&eit meine Seter a n , unb eerwie« mic& auf eine S e i t , reo S u in Bertrauten, »er Srcunt^ fdjaft
gemeinten ©tunben
Sem
Sdeöc niefct Sinfyalt t&un wirft.
(Strome meiner Heber tfyn f?aben
bie ftinuneOabenben 3 ® ' t g e n o f f e n entfd)ieben— feine
a d) m e ( t möge nodi) fern fegn, weil bie
© e g e n w a r t feiner bebarf. ©ie
lange werben bie Äürner bei feinen foniglt=
d>cn QSauen an geftfrenften unb geraubten 9Kate= rialien oergniigt ju
fahren Oaben, wie m a n n e t
d ü r f t i g e oon ben bem Steigen entfallenen ®rofa= men fiefc unb anbere nähren! S i i r wie Diele« wirb er une ©rfag unb £rofi fetjn miiifen, wenn aud> bie wenigen SSeteranen beut* fcijcc Siteratur
unb
j^unfi
ben vorangegangenen
©enoffen, © f i l i e r , Jjerber, Slopffocf, .fant, 9Ko= jart u. f. w. gefolgt feijn unb un« faft oerwaijt jurücflafien werben, ffiie reid) wir w a r e n , mer= fen w i r , wie immer
im
Seben ber SDienfcfc, erff
je$t, ba wir ba« Scftlic&e eeiloren; wie uiel wir
12 no
fcefi&en,
jeigt uns ber ©ebanfe, n>a« mir
ju cerlieren f i i r d j t c n
—
(Seit jenem Sage fyabe id) 3 " n
nie roieber
sefefcen. — "
„©leicfc t»or 25ernecf, auf bem ®ege «od» 55aireut(), füfjrt «ine SSrücfe über Ben weifen SRain, Der erjl fpäter mit bem rotten SÄain »ereinigt ben 3iu§ biibet, ber f>i« ju feinem 2(u8flu§ in ben äKfjein biefen Flamen o^ne 55eifag fiiijrt,
®troa fcunbert
©dritte oon öiefer ®riicfe (iegt eine X>ratf;müt;(e; aufmerPfam barauf gemad;t, fliegen roh? au« unb gingen ba&in.
3 « Dem untern SKaume ber 9)iiil>(e
werben im S&orbergrunbe bie eifernen @tat>e ge» fd)miebet, im ipititergrunbe beeren ftcf» bie, »er= mittel)? eines äufern Stabes burd> 6a« ©affer in @ung gefegten SBaijen, bie bai ofcere iOta* fcfcinenroerP in Bewegung fetjen, ju meinem man, auf einer SCreppe hinauf feeigt.
Spitt ftgen bie
Arbeiter neben «nanber naefr ben Hummern ber ©tärfe ober ä$t bei Sratfjs.
9}or bem er=
Pen, ttnat feitttmrts, wirb ber gefcfcmiebete, »er.-
i3 Ijer abgcFii^ttc ©tat» burdb ein £o, burd> wel* 4>e« fr fe(bf5 jugefpiflt mit 9ÄüJ)c
Ijeraufge*
ftecft; fo roie 6ieg gefd>iefrt unb bie
SOiü^tc in
@ange ift/ ergreift neben Bern 2(rbeitcr eine mit gemejTener QJeroegung riicfrfärt« unb eorroärt« ge= (>en&e ©cfceere ober g a n g e , bie ftd; bei ber retro= graben
Q5eroegung
öffnet,
auf
bem
»orberften
f ü n f t e i&re« SBege« aber fd>tie§t, auf eben bie= fem f ü n f t e ben l;ier burd) ba« £od? fommenben © t a b , unb jietjt i&n ein ©tiitf mit einer ©etwait heraus, roie e« feine mcnfcfciic^e Äraft t>erm6($)te. 9lun fömmt
ber
länger unb
© t a b auf Biefetbe
2lrt
biinner geworbene
jum 9JacJ)bar,
n>o Da«
jroeite Socb natisrtid) roieber enger ift, gebt e«
t>on Plummer ju
Kummer,
unb fo
roebei
bie
SKenfdten bie ©adtje nur (eiten unb ben ©ratf) in SKolIen jirfelformig miitben unb biegen.
5BJan l?at
feinen ©egriff t>on bem ©rab ber S?i$e, ben bie ©täbe ober Sratlje
»011 biefem ©urci)jie(;cn er=
galten. &
ift ein eigne« 0efiif;t, ba« man bei bieferSDia=
fcf)inerie t>at; bie eingeräudjerten 2Bänbe, bie ge= fc^tvärstcn *Dlenfen /. ba« bonnernbe
jammern
14
iiub .Klopfen, Die gewaltigen, oon ungefe&ener, «ntecirftifdjec Äraft bewegten, gieifam (ebenbi= gen ©beeren unb fangen — alle» bai fann einer lebhaften bei ben minber gebitbeten ©tanben 3veid;tf)um unö £ragljeit, Jirmutf; unb 3nöuf(rie, unD mit beiben wieber ijoc^mutfy unb Demutl) gegen Die fogenannten f)it)trn ©tänbe, jpanb in ipanb gel)t! Sur ein ©efd)ent con einigen 20 £rn. Fiifite mir ber ®iann, ber un« fyer= umgefüllt tyatte, bie jjanb.
9JIid> ergriff ein
mitteibige« SDiifsgefü&t; ber 5Kann fal) aber babei nur cergnügt unb öerjticb aus unb (jatte »orljer fefjr freimüt&ig mit un« gefprodjen. 9iid>t mittber unerträglich ift bie Sräg&eit unb ber ilebermutl) be« llngebilbeten, a(« übergroße Itnterwürfigfeit.
SJuf alle gälte würbe id) bas
Sanb allen anbern eorjie&en, reo ein allgemeiner SBofjiftanb, 9?efuttat ber Srudjtbarfeit, ade Sant>= bauer einanber gfeid;, jufrieben aber &o«i? arbeite fam, neben einanber wohnen lagt,
K5 ©iefe Sicherungen werben Sicfc, lieber Sreunb.' um fo weniger befremben, ©run&fägeii über ffimmen. »on
jemefjr fie mit meinen
9ieid>ti)um überhaupt überein=
® u roeifit, id> legte jtmgftljin in einem
.Kinbern
gegebenen ^Jadjfpiel einem Ijerans
wacfyfenben 5DJäbd;en Die IDortc in Den SDiunb: ®er fei 6er ©liicfticfrffe, 'ber menig brauche, Unb, ita« er braucht, burd) Slrbeit ftd> erfirebt, S e r , jeben 9)iorgen einen Sßunfd) im Singe, £ e n S a g mit einer Hoffnung frei) burdilcbt. ;c. ©iefe t)ier feilen ftnb mein
©(aubenibefenntnifj.
2Baf;r[;aft erfreut nur 6a«, roai man öen eigenen Gräften oer&anft; ober fte&ff £ u etwa 6en SKei-d)en in ber Siegel jufriebener, freier eon üaunen? —
giifcrt nidjt
9tci(i)tf)um aucf> ben ©ebilbeten
ju fiuru« unb SKobceitelfeit — au Sccfcrci ber 4>e unb be« Äellers, bie 6cm Äörper nid)t frcm= men unb ba« ijerj in neue fdjlimmerc 5Serfiid)iin= gen }ie&en'f
3ft ber 9ieid)e nid>t taglid) Der ®e=
fafjr ausgefegt,
»on liftigen i?eud;(em betrogen
ju werben, ober mit au« fo[d;cn Erfahrungen ge-fd)6pftem$!Ji§traucn mieber b i e unbillig unb blinb uon ficf> $ti ftoSett/
welche mit intereffetefer Uiete
1Ö
-
-
unb 5reunbf4>aft i&m na&en?
Unb roie wenige
n>irfi © u mir aufjäljlen fönnen, r»elct>c nid>t eins 6er beiben ertreme,
©eij ober 93erfd)i»enbung/
^ingeriffen fy'attt? iD©4> bte§ olle« iff bas
roenigjie;
es fpricfct flefc
bamit nur ber allgemeine ©runbfafl ( a u f b«n fpe* ciellen Soll bes 3icid;t()»m8
angeroenbet)
au«:
ba§ wenige SOlenfcfren fä&ig jlnb, großes @lüoe§finber/ launig unb .frf>n>adE> ju »erben/ Daß hingegen ber Ä a m p f mit
bem Seiben fiarfe/
unb
ber 3Kenfd> aus itym großer uitb befler IjerBorge&e. £>er ® e n f ä ) , ber e r j o g e n
ju S t e i n u m ge=
langt/ iff unftreitig barin ju beneiben, ba§ fid) bie © u m m e ber Wittel in feiner ijanb mefrrt/ @u= teä ju roirfen — baljer K e i t u m
unb obne Sebenfen erfläre ie$> für ein ©lücf.
21ud> wirb er bem
fcfcwerlitj) fo gefäljrlidj werben/ Xalent unb 3'(ei§ e r w a r b , ner ja nid)t,
ber ifjn bur
benn er bebarf fei-
für i&n ifi fein SReicfct&um immer
nut ber gine b e s . u n w ä g b a r e n unb unverlierbaren Äapital«,
w a s er in fl trägt —
nünftige,
(irebt
überall
nad>
er/ ber 2?er=
einer
äfrljetifctmt
17 g o r m u n » nadS> ^ a r m o n i e , wie feine« 3nttern, fo auef) feiiter Umgebungen/ o&ne ein ® t i a o Des £u= v u i unb Dei roecfofclnben SBiobe ju fetj" / " n b be= fórbert bie Sereollfommnung fetner geit unb geit^ genoffen, inbem er bie Äunft fudjt unb belohnt, unb mit 25auen unb ©artenanlagen bie arbeitenbe Staffe befcfcàftigt unb nàfjrt — ftes © u t , feine Äinber, erroerben reelle
will,
für
aber fein tDeuer= bie
jebermann
bie ftnb es eigentlich,
( m a n »ergeffe nit,
bei
auf
9ieidj>t(jüm,
benn nit eon üöo^tljabcn^eit fprecfce idj),
auf
roelcfce, fage ic&, @efa|)ren aller 3lrt in taufnib ©eftatten lauern. Änaben,
£>a tritt bie Xragfyeit ju bem
wenn er bie erffe Slnftrengung eerfueben
foli, unb ffüftert i&m s u : n>a« qiiäiff bu bi um* fonfl! iiberfa§ bie ^ebanterie bem Sinnen —
bu
roirfi effen unb trinfen unb in Föff(id;en gquipagen fahren el;riebie§ ;
unb j u m 3tmgling
fpridpt fie :
fe&e ber bürftigen ?laerßänbni§
foquetiren,
fo »werten ljunbert f4>6rie Sfugen auf bir mo&tge= fällig ru&en, unb fein fcfconer 3Kunb wirb bie {a» täte Jrage auifprecfoen; ob roofji unter bem fd)c= nen Jpute aud) «in fcfcöner ©eift
roofone?
—
Uitö bie ©djmeicfceiej, ben gierigen Q5licf auf Den »eilen ©elbfaflen ober bie bampfenbe t^dfjüffei ber Sleltern g e r i e t e t , flogt if>r fc^iei^enbe« ©ift i n £)()r unb i?erj nennt
jügettofe
bei
achtjährigen
Sßilbheit
SKabtifen«;
reijenbe SebijaftigEeit/
SSoreiligfcit SOerftaub, Uni;6fti4>feit SRaisetat, lln= wifienfceit 9i«türtidS>feit, 5(6neigung t>or jj>äu«(i4>= feit einen ©eift, ber flc{> über bas ©emeine er&eH. 2Kan fagt biefem SSKäbcfcen fo oft; baß fie fd)6n unb liebensroürbig fei; jeugt iß.
t>i« fie feft baeon über*
9?ie fällt nun ber J u n g f r a u (in ,
jur £ieben«n>iirbtgfeii mefjr gehöre/
ba§
a(8 ein giat>
tes ©eficfct/ unb bag ba« r e i c h e 5ÄäDtt)en / ju begtuefen unb fcegliidt j u werben,
um
eminenter
©genfdjaften bei Jjerjen« unb be« ©eiftes fcebarf —
benn wie fann fle fonfi je bie Ueberjeugung
gewinnen/ ba§ m « n «ac& i&rer Dafür forgt entweber bie
»9 € i t e l f e i t , ober fic fut n>oi;l gar ein ©lüdr tii4>t, f ü r metebe« if>r ©efü&l
fdjon erjiorben
ift
ifi ber @d>ein j u r 'JBirFlic&feit geworben — wenn nur ifir ©atte ein J?aue maefct,
roenn
®efeilfd)aft m i t Stnjlsnb fid? p r o b u c i r t , (i u m ftc brcwgenb ba« fleine ben fii>it>ebcnben £ a n j berounbern/
bie IDamen bie
neue © a m m t r o b e beneiben — bann ift i(jr 3 b e a l e r f ü l l t , bas Uebrige, meint jte, gehört in Siomane. giebon ber £ r ä g l j e i t jtei>t ber ©enufi unb bem jögernben Ä n a b e n .
roinft
S i e auigefuefrteffen ©pef=
fen fißcin fd)on bei Ä i n b e s © a u m e n /
unb taglid?
ein anbere« (gcbaufpiel f ü r Stuge unb D f y r füllt be~ reit« b a i erfie 3"genb[eben , ober bie Ä i n b e r jinb/ aud? in ben © t u n b e n ,
meiere bie L e i t e r n - - f ü r fte
frei fjätten, 0011 i&nen in einen citifamen J & e i i bei 5jaufcß m i t bem fie^rer oermiefen, n>o ftc unjufrtc= ben unb u n a d j t f a m auf ben 21ugen6Iicf lauern/ roo fic erfd>einen b ü r f e n ,
ober bie 95rofamen t>on ber
©äpe Ueberfiufi erhalten, © i n b fte Bon 9 l a t u r iiebensttmrbig, Ijaben jie (ente, macfjen jie, tro? biefen i?inberniffen, einige
Sortfdjritte — fo probucirt ftc bie mültertiitie , oud> ¿ier ber grfolg ungeiiufj i f i ; bsim D u tannft tm= mer ben Jinabcn unö ba« SÖiäbdien mdit ans £e» ti;e« ©trome trinfen (äffen, beiöc wiffen immer, I»a6 nach wenigen 'Jahren tfjrer j u £ a u f e wartet, unö fo bctracfci'en fte biefe Entfernung gewöfjnlid) nidit al« eine tf;nen mißliche '.öil&uugesctt, fonbern als eine Bucbtljausfirafe, Die nur abgefefien roer= ben muffe, um fid; bann befto reichlicher Dafür 311 «ntfdHibigeii: ©ennoch ift e« i m entgegengeffisten Salle noc(> ge^ roiffer, ba§ fd)en ber funfitbnjafyrtge Änabe alle ©eniiffe 511 fennen pflegt, bie ber Jlrme al« 3 l 'u'9= (ing erft afjnet, unb ftd) mit bliibenber'P&antafie j u einer herrlichen 3_0ecmvclt ausmalt, unb ba§ jener öfters alt 3 " t 1 3 i ' | ' 9 mit bem £cbensüberbru§ be« ©reife« 6a f(el;t, wenn ber an Seit) unb (Seele gefunbe SOIann erft au leben beginnt."