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German Pages 110 [116] Year 2020
NR. 2 / HERBST 2020
AUFWÄRTS
DIE ZUKUNFT
JACOBIN.DE
»Reality is wrong. Dreams are for real.« —Tupac Shakur
10 € (DE), 12 € (AT), 14 CHF (CH)
ISBN 978-3-948608-11-8
9 783948 608118 >
Die Zukunft In einem Theater bricht hinter den Kulissen Feuer aus. Ein Clown rennt auf die Bühne, er brüllt, versucht das Publikum zu warnen. Alle glauben, es sei ein Witz und applaudieren. Der Clown schreit lauter, die Menschen jubeln. »So, denke ich, wird die Welt zu Grunde gehen« schrieb 1843 der dänische Philosoph Søren Kierkegaard. Zeitsprung ins Jahr 2020: In Kalifornien setzen Blitze vertrocknete Wälder in Brand. Ein Fotograf schießt ein letztes Bild von einem fackelnden Seniorenheim. Zwischen den tobenden Flammen ragt ein Schild hervor. Darauf steht in Großbuchstaben »Wear a Mask / Wash your Hands / Social Distance / Stay safe« und darunter »Come join us.« Dann verbrennt es. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir nicht gehandelt – oder zumindest so, dass sich unsere Nachfahren dafür nicht bedanken werden. Seit der wissenschaftlichen Diagnose, dass sich der fossile Kapitalismus nicht mit unserem Überleben vereinbaren lässt, fühlt man sich gefangen in einem elendig langen Theaterstück. Niemand jubelte, aber es stand auch keiner auf, um das Feuer zu löschen. Wir wissen allerdings noch nicht, wie das Stück ausgehen wird. Es gibt nicht die eine Zukunft, sondern mehrere mögliche. Und wir sind aufgefordert, uns zu entscheiden. Einen Augenblick lang hatte die Menschheit im März dieses Jahres ein universelles Anliegen und mit »Flatten the Curve« eine Hymne. Wir denken nun anders über die Zukunft. Und doch ist irgendwie alles gleich geblieben. Es fühlt sich nach einer neuen Ära an, die längst da sein müsste, aber noch nicht gekommen ist. Wie diese aussieht und wie wir dahin kommen werden, darum geht es in dieser JACOBIN-Ausgabe: Eine Gesellschaft, die sich mit der Biosphäre wieder versöhnt und in der wir in Würde leben können. Keine Welt, in der nur Milch und Honig fließen, aber eine, in der das Schlimmste überwunden wurde und jede und jeder genug hat. Come join us. Ines Schwerdtner & Ole Rauch
Interview mit Hans-Jürgen Urban
I. Eine Allianz, die es in sich hat Seite 10
INHALT
Jacobin Ausgabe 2 Herbst 2020
Die Zukunft Von Kapstadt nach Kopenhagen
22
Dmitrij Gawrisch 32
Schöne Empirie
Unsere Neue Sozialistische Ökonomie 34
Jan Groos 40
Das Übermorgen von Vorgestern
8
Wohlstand statt Reichtum Ilker Eğilmez
Kulturpalast 46
Die groben Unterschiede Matthias Ubl
Dietmar Dath
Seite 52
III. Woher kommt das Neue?
Ines Schwerdtner & Linus Westheuser
Seite 16
II. Ein guter Plan
Am Pranger: Commune
Kleine Freuden 6
50
The Internet Speaks Luna Wolters’ Horoskop
Weil Kommunikation das
MAN KANN SICH … @danielmack
Ich mag den Style vom @jacobinmag_de!
… SEINE FANS NICHT AUSSUCHEN @ulfposh
Antwort an @danielmack @jacobinmag_de und @ndaktuell yo, hinter der oberfläche aber oller kram
Die Zukunft Könnten wir durch einen Tunnel laufen und in der Zeit reisen, würden wir es tun? Die Menschen in der Netflix-Serie Dark jedenfalls tun es, um die Atom-Apokalypse im Jahr 2020 noch abzuwenden. Doch auch sie können den Lauf der Dinge nicht aufhalten. Als die gelagerten Atomfässer in der fiktiven Kleinstadt Winden den GAU auslösen, ist das nicht nur eine Hommage an Tschernobyl. Genauso könnte es auch um die Klimakatastrophe gehen. Es ist eine mögliche Zukunft. Wir wissen, dass bereits 1982 alles auf dem Tisch lag. Der Ölkonzern Exxon verbarg die Fakten seiner Studie, damit der fossile Kapitalismus überleben konnte – ein Verbrechen an der Menschheit. Nur leider können wir nicht in das Jahr 1982 zurück reisen und dort die heutigen Zahlen des CO2-Ausstoßes veröffentlichen. Selbst wenn, was hätte die Wahrheit bewirkt? Fakten alleine reichen nicht aus. Es ging um Interessen, und die falsche Seite hat sich unter’m Strich durchgesetzt. Um zu verstehen, wie die kommende Apokalypse aussehen wird, müssen wir ihr ins Auge blicken. Das tun wir in dieser JACOBIN-Ausgabe, erzählerisch und in kleinen Schritten. Vermutlich wird weder – wie auf Netflix – jede deutsche Kleinstadt dem Erdboden gleichgemacht, noch werden wir uns plötzlich über die letzten Rationen Kidneybohnen die Rübe einschlagen. Selbst dann nicht, wenn im Norden das Meer das Flachland überspült und im Süden die Alpen-Almen Wüstengebirgen weichen, oder wenn Demokratien irgendwann durch Krisenstabskabinette ersetzt werden und der Ausnahmezustand zum Normalzustand wird. Es wird hier wahrscheinlich kein Mad Max oder Waterworld geben. Die Vorstellung von der Zukunft als einem Stiefel, der uns unaufhörlich ins Gesicht tritt, ist zu simpel. Dystopien sind nicht nur eine kaufkräftige Marktnische für Hollywood, Buchverlage oder Autohändler. Am Ende sprechen sie uns gerade deshalb an, weil sie in uns das Gefühl herauskitzeln, dass die Dinge besser sein könnten und dass es davon abhängt, was wir tun. Es ist ein Hauch einer Chance. Ines Schwerdtner & Ole Rauch
NR. 2 / HERBST 2020
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DIE ZUKUNFT
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