100 Jahre Altorientalistik in Würzburg: 1916–2016 3447112891, 9783447112895

Am 6. August 1916 verlieh König Ludwig III. von Bayern dem Altorientalisten Maximilian Streck Titel, Rang und akademisch

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Inhalt
Daniel Schwemer: Vorwort
Herbert Niehr: Anton Ritter von Scholz und Johannes Ferdinand Hehnals Wegbereiter der Altorientalistik in Würzburg
Johannes Renger: Zur Geschichte der Assyriologie in Deutschland
Nils P. Heeßel: Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers:Die ersten drei Lehrstuhlinhaber der Altorientalistik in Würzburg
Gernot Wilhelm: 100 Jahre Altorientalistik in Würzburg: Rückblick und Perspektiven
Daniel Schwemer: Altorientalistik in Würzburg 2016
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100 Jahre Altorientalistik in Würzburg: 1916–2016
 3447112891, 9783447112895

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100

Nils P. Heeßel & Daniel Schwemer (Hg.)

Jahre

A l t o r i e n t a l i s t i k i n Wü r z b u r g

1916 – 2016

Harrassowitz

Nils P. Heeßel & Daniel Schwemer (Hg.) 100 Jahre Altorientalistik in Würzburg 1916–2016

© 2019, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11289-5 -ISBN E-Book: 978-3-447-19912-4

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Nils P. Heeßel & Daniel Schwemer (Hg.)

100 Jahre Altorientalistik in Würzburg 1916–2016

2019 Harrassowitz Verlag · Wiesbaden

© 2019, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11289-5 -ISBN E-Book: 978-3-447-19912-4

Umschlagsabbildung: Siegel der Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abruf bar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the internet at http://dnb.de.

Informationen zum Verlagsprogramm finden Sie unter http://www.harrassowitz-verlag.de © Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und straf bar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung in elektronische Systeme. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISBN 978-3-447-11289-5 e-ISBN 978-3-447-19912-4

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Inhalt

Daniel Schwemer

Vorwort ........................................................................................................... VII Herbert Niehr

Anton Ritter von Scholz und Johannes Ferdinand Hehn als Wegbereiter der Altorientalistik in Würzburg ........................................ 1 Johannes Renger

Zur Geschichte der Assyriologie in Deutschland ......................................... 45 Nils P. Heeßel

Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers: Die ersten drei Lehrstuhlinhaber der Altorientalistik in Würzburg .......... 87 Gernot Wilhelm

100 Jahre Altorientalistik in Würzburg: Rückblick und Perspektiven ...... 109 Daniel Schwemer

Altorientalistik in Würzburg 2016 ................................................................ 125

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Vorwort von Daniel Schwemer

Am 27. und 28. Oktober 2016 feierte die Würzburger Altorientalistik ihr hundertjähriges Bestehen seit der Ernennung von Maximilian Streck zum ordentlichen Professor im Jahr 1916 mit einem Festakt und Kolloqium, dessen Akten hier nun vorgelegt werden. Die Beiträge des vorliegenden Jubiläumsbändchens spannen einen Bogen von den ersten Bemühungen um altorientalistische Forschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, die bis in die 1870er Jahre zurückreichen, (Herbert Niehr) bis zur Situation des Lehrstuhls für Altorientalistik im Jahr 2016 (Daniel Schwemer). Johannes Renger stellt die Einführung der Altorientalistik in Würzburg in den breiteren Kontext der Entwicklung und schließlich Etablierung des neuen Fachs Altorientalistik in Deutschland vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis 1933. Nils P. Heeßels Beitrag ist Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers gewidmet, die als die ersten drei Inhaber des Würzburger Lehrstuhls die Entwicklung des Fachs von 1908 bis 1974 je unterschiedlich prägten. Die darauffolgenden Jahrzehnte bis 2010 nimmt Gernot Wilhelm in den Blick, der als Nachfolger Einar von Schulers den Würzburger Lehrstuhl im Kontext des von ihm mitbegründeten Instituts für Altertumswissenschaften in schwierigen Zeiten zu neuer Blüte führte. Für die tatkräftige Mitwirkung bei der Planung und Durchführung des Kolloquiums „100 Jahre Altorientalistik in Würzburg“ möchte ich Nils P. Heeßel, Dahlia Shehata und Ursula Kraft danken. Nils P. Heeßel betreute die Zusammenstellung der Kolloquiumsakten noch als Professor für Altorientalistik an

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Daniel Schwemer

der Universität Marburg (seit 2017). Claus Ambos, seinem Nachfolger in Würzburg, danke ich für das Mitlesen der Korrekturen. Seit dem Jubiläum im Oktober 2016 sind nahezu drei Jahre vergangen, die trotz der insgesamt erfreulich stabilen Rahmenbedingungen nicht ereignislos verstrichen. Erwähnung verdient an dieser Stelle, dass eine großzügige Förderung der Würzburger Altorientalistik im Rahmen des von der Volkswagen-Stiftung aufgelegten Programms „Weltwissen – Strukturelle Stärkung ‚kleiner Fächer‘“ in den kommenden Jahren den Aufbau des Fachs Vorderasiatische Archäologie und die Einrichtung einer Akademie-Professur für Digitale Geisteswissenschaften in den Fächern Vorderasiatische Archäologie und Altorientalistik erlauben wird. Die Einführung der Vorderasiatischen Archäologie als Schwesterfach der Altorientalischen Philologie war seit den 1990er Jahren von verschiedener Seite immer wieder nachdrücklich gefordert worden (siehe den Beitrag Gernot Wilhelms). Mit der Erfüllung dieses seit langem bestehenden Desiderats stehen der Würzburger Altorientalistik zu Beginn des zweiten Jahrhunderts ihres Bestehens weitreichende Veränderungen bevor, die neue Perspektiven und Potentiale nicht nur für Forschung und Lehre, sondern auch für die Zusammenarbeit mit Partnern an der Alma Julia und an anderen Forschungseinrichtungen innerund außerhalb Deutschlands eröffnen. Würzburg, 1. Juli 2019

Daniel Schwemer

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Anton Ritter von Scholz und Johannes Ferdinand Hehn als Wegbereiter der Altorientalistik in Würzburg von Herbert Niehr (Universität Tübingen und Universität Stellenbosch)1

Dass vor nunmehr einhundert Jahren die Altorientalistik an der Universität Würzburg dank der Einrichtung eines Lehrstuhls fest etabliert wurde und in Maximilian Streck (1873–1945) ihren ersten Fachvertreter fand, verdankt sich neben dem allgemeinen Aufschwung der orientalistischen Entdeckungen und Studien im 19. Jahrhundert in Europa2 sowie der Entwicklung des Faches Assyriologie

1 Ich danke Dominik Burkard (Würzburg) für unsere gemeinsame Arbeit im Diözesanarchiv und im Universitätsarchiv in Würzburg und seine Vermittlung von Archivalien aus dem Universitätsarchiv in Leipzig sowie für seine kritische Lektüre des Artikels, ebenso Reinhard G. Lehmann (Mainz) für die Überlassung eines Exemplars der schwer zugänglichen Lebensbeschreibung von Friedrich Delitzsch und von Archivalien sowie für seine hilfreichen Informationen. Sodann bin ich Nils P. Heeßel (Würzburg/Marburg), Ludger Hiepel (Münster), Peter Machinist (Harvard) für ihre Hinweise und Gerhard Lang (Laudenbach) für Informationen und Archivalien zu Dank verpflichtet, ebenso meiner Mitarbeiterin Janca Brenner (Tübingen) für ihre Mithilfe bei der Abfassung des Artikels, des Weiteren Walter Stauder (Mönchberg) und Joachim Becker (Mönchberg) für die Festschrift 250 Jahre St. Johannes d. Täufer u. Johannes d. Evangelist Schmachtenberg (ohne Herausgeber, Mönchberg 2011). Dem Rektor des Österreichischen Hospizes zur Heiligen Familie in Jerusalem, Markus St. Bugnyar, danke ich für seine Auskunft zum Aufenthalt von Anton Scholz im Österreichischen Hospiz. 2 Die Forschungsreisen in den Orient und die damit verbundenen Entdeckungen sind mehrfach beschrieben worden. Besonders empfehlenswert ist in dieser Hinsicht Larsen, Paläste.

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Herbert Niehr

in Frankreich,3 England4 und Deutschland5 zwei Würzburger Professoren mit ihrer Aufgeschlossenheit für die damals noch junge Assyriologie. Beide hatten den Lehrstuhl für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen6 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Alma Julia inne. Es handelt sich um Anton Scholz (1829–1908) und seinen Schüler und Nachfolger Johannes Ferdinand Hehn (1873–1932), deren beider Leistungen für die Begründung der Altorientalistik in Würzburg im Folgenden in Grundzügen dargestellt werden sollen. Anton Ritter von Scholz und die Assyriologie Der 1829 in Schmachtenberg bei Obernburg am Main geborene Anton Scholz7 (Abb. 1) hatte in den Jahren 1849–1853 seine theologischen Studien am Lyceum in Aschaffenburg und an den Universitäten München und Würzburg absolviert. Nach seiner Priesterweihe 1853 und einer kurzen Zeit in der Seelsorge wurde er am 1. Februar 1855 Sekretär des Würzburger Bischofs Georg Anton von Stahl (1805– 1870).8 Über diese Zeit schreibt Scholz in seinem späteren Bewerbungsschreiben: „Beim Antritte der Stelle als Sekretär des Hochseligen Bischofs wurde mir der Auftrag mich zur theologischen Promotion vorzubereiten und mir zugleich nahe gelegt, mich dem Studium der Exegese und der orientalischen Sprachen zuzuwenden. Ich kam diesem Wunsch um so lieber nach, als ich schon früher diese Fächer mit Vorliebe studiert hatte und habe im Frühjahr 1856 zu Würzburg öffentlich promoviert.“ 9 3 Dazu Lion – Michel, Oppert. 4 Dazu Joannès – Tolini, Alphabet, 71f., und Tenu, Déchiffreurs. 5 Dazu Renger, Geschichte der Altorientalistik; idem, Altorientalistik als Disziplin, sowie sein Beitrag in diesem Band; weiterhin Joannès – Tolini, Alphabet, 66–71. Zur Vorderasiatischen Archäologie vgl. Hauser, Integration. 6 Gegen von Schuler, Information der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität 21/1 (1987) 16, demzufolge erst unter Johannes Hehn ab 1907 aufgrund der Berufung von Maximilian Streck die Präzisierung der Lehrstuhlbezeichnung als „Alttestamentliche Exegese und biblisch-orientalische Sprachen“ erfolgte, ist festzuhalten, dass Scholz bereits 1872 zum Professor für Exegese des Alten Testamentes und der biblisch-orientalischen Sprachen ernannt wurde (vgl. Ganzer, Fakultät, 341, Hausberger, Art. Scholz, 677, und das Titelblatt von Scholz’ Werk Zeit und Ort der Entstehung der Bücher des Alten Testamentes von 1893). 7 Zu Scholz vgl. besonders Hackspill, Revue Biblique 7 (1898) 242–252, 370–394; Johannes, Anschauungen; Selbst, Der Katholik 88 (1908) 396–398; Stummer, Scholz; Kraus, Geschichte, 291f.; Ganzer, Fakultät, 339–341; Hausberger, Art. Scholz; Seidel, Erforschung, 62, 91f., 158f.; Weiß, Modernismuskontroverse, 17f., 80–84; Festschrift Schmachtenberg, 22f. 8 Zu von Stahl vgl. Wittstadt, Art. Stahl. 9 Bewerbungsschreiben vom 20. Dezember 1871; Personalakt Scholz, Universitätsarchiv Würzburg. Das hier genannte frühere Interesse am Alten Testament mag bereits auf das Jahr 1845

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Ritter von Scholz und Hehn als Wegbereiter der Altorientalistik in Würzburg

Dieser Promotion lag die bei dem Würzburger Dogmatiker Heinrich Joseph Denzinger (1819–1883)10 angefertigte Dissertation De Inhabitatione Spiritus Sancti zugrunde. Trotz seiner exegetischen und orientalistischen Studien und seiner Promotion verbrachte Scholz noch einige weitere Zeit in der Seelsorge, gelangte dann aber im Oktober 1872 aufgrund des Sondervotums des Professors für Moraltheologie und späteren Bischofs von Würzburg, Franz Joseph (von) Stein (1832–1908), der selber habilitierter Alttestamentler war11 auf den Würzburger Lehrstuhl für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen, dessen Inhaber er bis zum Ende des Sommersemesters 1903 war. Die Probleme bei seiner Bewerbung auf diesen Lehrstuhl resultierten daraus, dass er bis dahin kein einziges exegetisches Werk verfasst hatte.12 Allerdings hatte er sich ja bereits in Abb. 1: Anton Ritter von Scholz (Bild aus Privatbeseiner Zeit als Bischofssekretär mit sitz der Familie Klingenbeck, Schmachtenberg) Exegese und orientalischen Sprachen beschäftigt und zudem für das in den Jahren 1863–1864 erschienene Werk Ritus Orientalium, Coptorum, Syrorum et Armenorum in administrandis sacramentis von Heinrich Denzinger die koptischen Texte übersetzt und diese auch mit der ara-

zurückgehen, in dem Scholz als Bester im Fach Religion am Königlichen Gymnasium Aschaffenburg mit den beiden Bänden von Joseph Franz Alliolis Biblischer Alter­thumskunde, die im Vorjahr erschienen waren, ausgezeichnet wurde. Vgl. Jahres-Bericht, 17, und zu Allioli vgl. Buxbaum, Allioli. 10 Zu Denzinger vgl. Ganzer, Fakultät, 320–325, 330. 11 Zu Stein vgl. Gatz, Art. Stein. 12 Vgl. die Stellungnahmen von Dekan J. Hergenröther vom 14. Mai 1872 und Prof. F. J. Stein vom 9. Mai 1872 und das Sondervotum Steins vom 2. Juni 1872; Personalakt Scholz, Universitätsarchiv Würzburg. Zum Vorgang vgl. auch Ganzer, Fakultät, 339–341, und Weiß, Modernismuskontroverse, 17f.

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Herbert Niehr

bischen Version kollationiert,13 weshalb man ihm auf jeden Fall eine exegetische und orientalistische Kompetenz zuschreiben muss. Eine 1870 von Scholz unternommene Reise nach Palästina und Ägypten ist für uns nur schwer rekonstruierbar, da er in seinen Schriften nur am Rande darauf eingeht. In seinem Bewerbungsschreiben für den Lehrstuhl in Würzburg schreibt Scholz: „Daß meine Liebe zu den früheren wissenschaftlichen Beschäftigungen hier nicht erkaltete, wird daraus hervorgehen, daß ich im Jahre 1870, also zu einer Zeit, wo die Hoffnung, an der Universität eine Professur zu erhalten, für mich verschwunden schien, eine Reise nach Ägypten und Palästina machte, um meine biblischen Kenntnisse durch den Besuch des hl. Landes zu erweitern und zu vervollständigen.“ 14 Des Weiteren erfahren wir aus seinem Buch Der masorethische Text und die LXXUebersetzung des Buches Jeremias (1875), dass Scholz im Kontext seiner Forschungen

zur Septuaginta-Übersetzung des Jeremiabuches die Hoffnung äußert, den hebräischen Text, der der Septuaginta dieses Prophetenbuches als Vorlage diente, aufzuspüren. In diesem Zusammenhang schreibt er: „Im Jahre 1870 kam der Verfasser zu dem Buchhändler Herrn Shapira in Jerusalem. Dieser zeigte ihm ein sehr schönes ohne Vocale und Accente geschriebenes Manuscript von Jeremias, von dem er behauptete, dass es den Text der LXX darstelle. Die ersten Verse, die ich allein las, entsprachen der LXX-Uebersetzung. Als ich wenige Tage nachher wieder kam, war es an einen Engländer verkauft.“ 15

Auch wenn der hier genannte Altertumshändler Moses Wilhelm Shapira (1830– 1884)16 nur wenig später durch die Affäre der sogenannten Pseudo-Moabitica in der wissenschaftlichen Welt schwer in Misskredit geraten sollte,17 so bedeutet dies nicht, dass die von ihm vertriebenen Bibelhandschriften moderne Fälschungen gewesen wären. Vielmehr zeigen die Qumranfunde, dass Shapira etwa auch mit seinem Deuteronomiumsmanuskript antike Schriftrollen im Ange-

13 14 15 16 17

Vgl. Denzinger, Ritus, VI. Bewerbungsschreiben; Personalakt Scholz, Universitätsarchiv Würzburg. Scholz, Text, 229 Anm. 1. Zu Shapira vgl. Salmon, Life. Dazu Meshorer, Forging, und Beʾer, Charm.

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Ritter von Scholz und Hehn als Wegbereiter der Altorientalistik in Würzburg

bot hatte,18 so dass auch Scholz’ positiver Eindruck von der ihm angebotenen Jeremia­rolle durchaus begründet ist. Etwas weiter kommt man im Hinblick auf diese Reise dadurch, dass der damalige Dekan Josef Hergenröther (1824–1890)19 in seinem Bericht an den Senat der Universität über Scholz lobend hervorhebt, dass er sich „im Jahre 1870 der österreichischen Pilgerkaravane anschloss, die alljährlich das heilige Grab besucht.“20 Über diese Pilgerkarawanen sind wir aufgrund des Archivs des Österreichischen Hospizes an der Via Dolorosa in Jerusalem gut informiert, so dass z.B. bekannt ist, dass die ca. zwei Monate dauernde Reise neben Besichtigungen in Jerusalem und seiner Umgebung auch Besuche in Ägypten, Samaria und Galiläa umfasste.21 Über die von Scholz und Joseph Hergenröther gemachten Angaben hinaus weist das erste Pilgerbuch der Jahre 1863–1883/84 den Aufenthalt von Scholz vom 29. März bis zum 18. April 1870 im Österreichischen Hospiz aus.22 Der 1876 an die Universität Würzburg ergangenen Einladung, einen Vertreter zum Orientalistenkongress nach St. Petersburg zu senden, entsprach der Rektor mit der Delegierung von Scholz, der an diesem Kongress teilnahm.23 An der Würzburger Fakultät vertrat Scholz neben der Exegese des Alten Testaments auch die biblisch-orientalischen Sprachen. So lehrte er regelmäßig Hebräisch, Aramäisch, Syrisch und Arabisch; Akkadisch lässt sich jedoch nicht nachweisen.24 Aufgrund seiner Verdienste um die Universität Würzburg (Senator; Dekan; Rektor 1879/80) wurde Scholz von König Ludwig II. von Bayern (reg. 1864–1886) 1882 mit dem Ritterkreuz I. Classe des Königlichen Verdienstordens vom Heiligen Michael ausgezeichnet. Ein weiteres Mal diente Scholz im akademischen Jahr 1892/93 der Alma Julia als Rektor. Da er sich zudem als Mitglied der Baukommission für die 1896 eingeweihte Neue Universität am Sanderring25 ausgezeichnet hatte, erhielt er vom Prinzregenten Luitpold (reg. 1886–1912) das Ritterkreuz des Königlichen Verdienstordens der Bayerischen Krone und durfte deshalb seit 1897 den persönlichen Adelstitel ‚Ritter von‘ tragen (Abb. 2). Dazu 18 Vgl. Allegro, Affair, 98–139. Es handelt sich bei diesem Manuskript Shapiras um eine Kurzversion des Buches Deuteronomium, angereichert um einige Pentateuchexzerpte; vgl. Allegro, Affair, 79–90. 19 Zu Hergenröther vgl. Bautz, Art. Hergenröther, und Weitlauff, Hergenröther. 20 Bericht von Dekan J. Hergenröther vom 17. Januar 1872; Personalakt Scholz, Universitätsarchiv Würzburg. 21 Vgl. Haider-Wilson, Entwicklung; dort, S. 117, der Hinweis auf den Reiseplan sowie auf den Umstand, dass die Pilgerkarawane von 1870 bereits 33 Teilnehmer umfasste. 22 Eine Abbildung dieses Pilgerbuches findet sich in Bugnyar – Wohnout, Orient, 61. 23 Vgl. den Brief des Rektors vom Juli 1876 im Personalakt Scholz, Universitätsarchiv Würzburg. 24 Vgl. die Vorlesungsverzeichnisse der Universität Würzburg der Jahre 1872–1903. 25 Zu den Baumaßnahmen der Universität Würzburg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. Süß, Geschichte, 112–119.

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Herbert Niehr

kam 1902 noch der Titel eines Geheimrates. An exegetischen Werken verfasste Scholz nach seiner Berufung auf den Würzburger Lehrstuhl die Monographie Der masorethische Text und die LXX-Uebersetzung des Buches Jeremias (1875), sowie einige Kommentare zu alttestamentlichen Büchern, wie z.B. zu Jeremia (1880), Hosea (1882), Joel (1885) und Judith (1887). All dies macht Scholz aber für die Forschungsgeschichte nicht sonderlich interessant, zumal sich die den Kommentaren zugrunde liegende Exegese im Bereich der allegorischen Deutung bewegt, mittels derer er Abb. 2: Wappen von Anton Ritter von Scholz (Festschrift 250 Jahre Schmachtenberg, 23) den historischen Anfragen an die alttestamentliche Exegese und den daraus resultierenden Schwierigkeiten begegnen wollte.26 Sehr viel größere Verdienste um die Zukunft der alttestamentlichen Wissenschaft und die Altorientalistik erwarb sich Scholz jedoch aufgrund einer kleinen Monographie. 1877 publizierte Scholz das für unsere Fragestellung grundlegende Werk Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis (Abb. 3), in dem er anhand der Erzählungen von Genesis 1–11 zum Verhältnis von mesopotamischer und alttestamentlicher Literatur Stellung nahm. Das Werk erschien in Würzburg bei der Leo Woerl'schen Buch- und kirchlichen Kunstverlagshandlung und weist kein Imprimatur auf. Was war der Auslöser für diese Publikation? Das große Interesse, welches man in England und Frankreich den Entdeckungen in Mesopotamien entgegenbrachte, hatte auch dazu geführt, dass man hierin Waffen gegen die Glaubwürdigkeit der biblischen Berichte und insbesondere der ersten Kapitel der Genesis geliefert sah.27 Dieser Fehlentwicklung wollte Scholz entgegenwirken! Er breitet deshalb vor seiner Leserschaft die ersten Ergebnisse der noch jungen Assyriologie aus. Dabei stützt er sich auf zwei grundlegende Werke: Zum einen auf Jules Oppert u.a., Expédition scientifique en Mésopotamie 2. Déchiffrement des inscriptions cu­néi­formes, Paris 1859, zum anderen auf Hermann Delitzschs deutsche Übersetzung von 26 Dazu Hackspill, Œuvre; Selbst, Der Katholik 88 (1908) 396–398; Stummer, Scholz, 297f; Hausberger, Art. Scholz, 677–678; Seidel, Erforschung, 91f. 27 Vgl. Scholz, Keilschrift-Urkunden, 41.

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Ritter von Scholz und Hehn als Wegbereiter der Altorientalistik in Würzburg

George Smiths The Chaldean Account of Genesis, Leipzig 1876. Scholz geht in zwei Schritten vor. In einem ersten Teil erläutert er die Entzifferung der babylonischen Keilschrift sowie die Auffindung und die Relevanz der Bibliothek des Königs Assurbanipal (669–630 v. Chr.) in Ninive.28 Damit eröffnet er seinen Lesern umsichtig und geschickt den Bereich der neuen Entdeckungen zur Geschichte und Religion Mesopotamiens, der ersten Heimat des Patriarchen Abraham, der von Ur in Chaldäa über Harran in Nordsyrien nach Kanaan gezogen war. Der zweite Teil des Bandes setzt sich dann mit drei ‚assyrischen‘ Legenden, die der Bibel am nächsten stehen, auseinander: Schöpfung, Sintflut und Turmbau zu Babel. Darauf folgen Gedanken zum Thema der Unsterblichkeit in Abb. 3: Deckblatt von A. Scholz, Mesopotamien und in der Bibel.29 Die Keilschrift­urkunden und Die Genesis, A. Scholz’ Grundkonzeption, Würzburg 1877 wel­che diese vier Abschnitte des zweiten Teils durchzieht, beruht auf der Annahme, dass die Berichte der Genesis „ursprünglich Gemeingut aller Völker Mesopotamiens waren, wohin die Genesis selbst diese Geschichte verlegt und woher Abraham selber stamme. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Monotheismus die ursprüngliche Religion der Menschheit war.“30 Dahingegen hat die babylonische Sage die Vorgänge „bei der Schöpfung, wie sie die Bibel erzählt, bereits durch das Farbenprisma des Polytheismus gesehen.“31 Das Alte Testament habe im Unterschied dazu den Urmonotheismus bewahrt, weshalb z.B. im Falle der Sintfluterzählung „der bib­lische Bericht […] in allen Stücken den Charakter einer durch die mündliche Fortpflanzung noch nicht veränderten Ursprünglichkeit [behauptet], während die chaldäische Fluthsage 28 Vgl. Scholz, Keilschrift-Urkunden, 10–40. 29 Vgl. Scholz, Keilschrift-Urkunden, 40–91. 30 Scholz, Keilschrift-Urkunden, 41f. 31 Vgl. Scholz, Keilschrift-Urkunden, 58f.

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Herbert Niehr

diesen Einfluß überall zu erkennen gibt. Dies gibt uns einen hohen Begriff von der Objektivität und Wahrheit der biblischen Erzählungen […].“32 Grundsätzlich hält Scholz fest, dass nichts aus den Erzählungen der Keilschrifturkunden der Wahrheit der biblischen Berichte widerspreche. „Im Gegentheil: alle diese Ergebnisse der Assyriologie bestätigen uns in der Ueberzeugung, daß die Bibel die Anfänge der Welt- und Heilsgeschichte rein und wahr berichte.“33 Das Buch schließt mit der markanten Aussage: „Denen, die sich durch das Siegesgeschrei der Feinde der Bibel ängstigen oder gar irre machen ließen, mögen diese Zeilen ein: mod icae f idei, qu a re dubit a st i, Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt! zurufen; wir aber wünschen dieser jungen und doch schon so großen Wissenschaft ein herzliches: Glück auf!“ 34 Bei der Lektüre von Scholz’ Buch fallen einige Grundannahmen auf: 1. Der Urmonotheismus; 2. Die polytheistische Verfremdung der ursprünglichen Tradi­ tion; 3. Die ursprüngliche Einheit der gesamten Menschheit; und 4. Die Authentizität der alttestamentlichen Überlieferung. Alle diese zeitbedingten und von einer apologetischen Grundausrichtung geprägten Positionen können hier nur erwähnt, aber nicht kritisch diskutiert werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang aber folgende Entwicklung. Als Scholz 1898, nachdem die erste Auflage von Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis vergriffen war, vom Verlag um eine Neubearbeitung seines Werkes gebeten wurde, verweigerte er sich diesem Ansinnen und machte den Verlag auf den Breslauer Alttestamentler Johannes Nikel (1863–1924)35 aufmerksam.36 Dieser hatte 1886 in Würzburg bei Anton Scholz promoviert, d.h. neun Jahre, nachdem Scholz sein Buch Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis publiziert hatte. Insofern war Nikel mit der assyriologischen Forschung und ihrer Relevanz für die alttestamentliche Exegese vertraut und konnte dann 1903 sein Buch Genesis und Keilschriftforschung vorlegen. Dazu kam im selben Jahr mit der Schrift Zur Verständigung über ‚Bibel und Babel‘ ein weiteres Werk aus seiner Feder. Unsere einzige Quelle für Scholz’ Weigerung, eine Neubearbeitung vorzulegen, ist Nikels Vorwort zu Genesis und Keilschriftforschung, und auch hier werden keine Gründe genannt. Trotzdem kommt man aber in dieser Frage etwas weiter. 32 Scholz, Keilschrift-Urkunden, 73. 33 Scholz, Keilschrift-Urkunden, 91. 34 Scholz, Keilschrift-Urkunden, 91 (Sperrungen wie im Original). 35 Zu Nikel vgl. Peters, Theologie und Glaube 16 (1924) 449–454; Haag, Art. Nikel; Wahl, Art. Nikel; Seidel, Erforschung, 146–149, 158–161, 181–184. 36 Vgl. Nikel, Genesis, VII.

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Ritter von Scholz und Hehn als Wegbereiter der Altorientalistik in Würzburg

Am 2. Januar 1893 hatte Scholz als Rektor der Universität Würzburg die Festrede zum 311. Stiftungstag der Universität durch Bischof Julius Echter gehalten. Diese Rede und ihre anschließende Publikation unter dem Titel Zeit und Ort der Entstehung der Bücher des Alten Testamentes (Abb. 4) wurde 1898 von der Nuntiatur in München bei der Indexkongregation in Rom zur Anzeige gebracht, wo allerdings kein Prozess gegen den Verfasser angestrengt wurde, da es in dieser Schrift nicht direkt um die heikle Frage der Inspiration der Heiligen Schrift ging.37 Trotzdem wollte die Kritik an dieser und an anderen Arbeiten von Scholz nicht ver­stummen, weshalb sich der Bam­berger Alttestamentler Adolf Johannes (1855–1947)38 veranlasst sah, die zwischen 1875 und 1900 Abb. 4: Deckblatt von A. Scholz, Zeit und Ort der Entstehung der Bücher des Alten Testamentes, publizierten exegetischen Werke von Würzburg 1893 Scholz zu studieren und ihre Inhalte in einem 1900 erschienenen Büchlein eigens darzulegen.39 Möglicherweise wollte sich Johannes damit für die in einigen Jahren zu erwartende Nachfolge von Scholz in Würzburg ins Gespräch bringen. Immerhin setzte die Würzburger Fakultät Johannes dann 1903 auf den ersten Listenplatz, von dem ihn dann Johannes F. Hehn aufgrund einer Intervention von Scholz mittels eines bei dem Berliner Assyriologen Friedrich Delitzsch (1850–1922)40 eingeholten zusätzlichen Gutachtens verdrängen konnte.41

37 Vgl. Hausberger, Art. Scholz, 678. 38 Zu Johannes vgl. Kosch, Deutschland, 1918f. 39 Vgl. Johannes, Anschauungen. 40 Zu Delitzsch vgl. Müller, Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig 28 (1979) 67–71; Johanning, Babel-Bibel-Streit; Lehmann, Zeitschrift für Althebraistik 3 (1990) 24–39; idem, Delitzsch und der Babel-Bibel-Streit; idem, Delitzsch; Crüsemann, Zweistromland, 149–164. 41 Vgl. dazu Weiß, Modernismuskontroverse, 82f.

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Es fällt auf, dass Scholz in seiner im Januar 1893 gehaltenen Festrede Zeit und Ort der Entstehung der Bücher des Alten Testamentes mit keinem Wort auf die Assyriologie einging. Gerade bei seiner Erörterung der Schöpfungserzählungen von Genesis 1–2 sowie der Turmbauepisode von Genesis 11 mit der Sprachenverwirrung42 hätte ein solcher Bezug nahegelegen, zumal er in seinem Werk Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis von 1877 solche Bezüge dargelegt hatte. Aber auch die Sammlung der biblischen Schriften durch die Juden im babylonischen Exil43 und die Thematik von „der Abfassung oder der Wiederherstellung der hl. Bücher in der Schule von Babel“44 veranlassten ihn nicht zur einer Bezugnahme auf die Assyriologie. Suchte Scholz, indem er auf die Neubearbeitung seines Buches Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis verzichtete und in seiner Festrede konsequenterweise von der Nennung der Assyriologie Abstand nahm, weiteren Konflikten aus dem Weg zu gehen? Klar ist, dass Scholz die Relevanz der Assyriologie für die alttestamentliche Exegese nach wie vor ebenso hochschätzte wie zur Zeit der Publikation seines Werkes Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis. Dies ist aufgrund zweier Dokumente gut zu belegen, die zudem zeigen, dass Scholz auch über seine aktive Lehr- und Forschungstätigkeit an der Alma Julia hinaus der Assyriologie einen Platz im Rahmen der alttestamentlichen Wissenschaft erhalten wollte. In dem von ihm verfertigten Gutachten zur Neubesetzung seines Lehrstuhls an der Universität Würzburg vom 17. Juli 1903 hob Scholz sehr pointiert die Bedeutung der Assyriologie für die alttestamentliche Wissenschaft hervor. Zudem ließ er Friedrich Delitzsch ein Gutachten zugunsten von Johannes F. Hehn erstellen, da dieser von allen vier Bewerbern am besten in der Assyriologie ausgewiesen war.45 An dieser Stelle ist sodann das von Scholz mit Datum vom 20. Juni 1905 gestiftete Stipendium anzusprechen, welches folgenden Zweck verfolgt: „Nachdem die Anforderungen an die wissenschaftliche Vorbildung der Vertreter der alttestamentlichen Exegese durch die großen Entdeckungen in Ägypten, den Euphrat- und Tigrisländern u.s.w. sich wesentlich gesteigert haben, indem dieselben gründliches selbstständiges Wissen auf diesem Gebiete für die Erklärung einer Reihe alttest. Bücher nicht entbehren können, soll die Hälfte der jährlichen Rente aus dem vorhandenen 42 Vgl. Scholz, Zeit, 28f. 43 Vgl. Scholz, Zeit, 30–34. 44 Scholz, Zeit, 34. 45 Stellungnahme A. von Scholz vom 17. Juni 1903, Personalakt Hehn, Universitätsarchiv Würzburg sowie zum Vorgang Wittstadt, Hehn, 318.

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Gesammtkapitale die Mittel bieten, daß Theologen, die sich der alttest. Exegese, oder auch dem (sic!) der vorgenannten Disciplinen selbst widmen wollen, sich gute Kenntnisse darin, und in den sog. semitischen Sprachen und Literaturen erwerben können. Das Stipendium soll alle sechs Jahre, erstmals also drei Jahre nachdem die kgl. Universität in den Bezug der Renten des genannten Kapitals getreten ist, auf drei Jahre in der Art vergeben werden, daß der Stipendiat in jedem dieser drei Jahre die Zinsen von je zwei Jahren erhält. Kein Kurs soll ausgeschlossen sein, das Stipendium also auch an Theologen, welche die Universität, jedoch nicht über drei Jahre verlassen haben, vergeben werden können. Der Stipendiumsempfänger soll aus der Theologie, wenigstens mit Note II (zwei), promoviert haben. Derselbe ist verpflichtet, an einer großen Universität – vorerst empfehle ich Berlin – zu studieren und zu promovieren mit Assyriologie, in Ausnahmefällen auch Ägyptologie, als Hauptfach.“ 46 Des Weiteren legt Scholz im selben Dokument fest: „Ein Achtel der Rente erhält jährlich Ein Theologe im letzten Jahre seines theologischen Studiums, der sich durch tüchtige Kenntnisse in den semitischen Sprachen, zuerst Assyriologie, auszeichnet. Derselbe hat eine größere schriftliche Probearbeit zu liefern.“ 47 Im Hintergrund beider Festlegungen stehen zum einen die positive Erfahrung mit dem assyriologischen Studium und der anschließenden Promotion von Hehn in Berlin (siehe unten) und zum andern die Tatsache, dass Hehn ab dem Jahre 1903/04 an der Theologischen Fakultät „Assyrisch“ (also Akkadisch) unterrichtete, womit die Möglichkeit, an der Universität Würzburg Kenntnisse in assyriologischer Philologie zu gewinnen, überhaupt erst gegeben war.48 Was jedoch Scholz selbst angeht, so kannte er die Assyriologie vermutlich nur aus zweiter Hand. Die Lektüre seines Buches Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis von 1877 zeigt deutlich, dass er die Forschungsergebnisse anderer Wissenschaftler (Jules Oppert und George Smith) aufarbeitete, diese aber nicht kritisch beleuchtete oder etwa um neue Einsichten bzw. Forschungsergebnisse erweiterte. Die Vorlesungsverzeichnisse der Universität Würzburg lassen zudem nicht erkennen, dass er Unterricht im ‚Assyrischen‘ erteilt hätte.

46 Scholz’sches Stipendium vom 20. Juni 1905, Universitätsarchiv Würzburg. 47 Scholz’sches Stipendium vom 20. Juni 1905, Universitätsarchiv Würzburg. 48 Siehe unten, Abschnitt 4.

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Dementsprechend gering dürften denn auch die Vorkenntnisse im Akkadischen gewesen sein, die Hehn bei seinem ersten Semester in Berlin, d.h. im Wintersemester 1899, aus Würzburg mitbrachte. Schreibt er doch selbst am 11. Januar 1900 an den Würzburger Theologieprofessor Friedrich Philipp Abert (1852–1912):49 „Meine Verhältnisse in Berlin sind inzwischen unverändert geblieben; meine Studien machen mir jetzt schon viel Freuden, nachdem der schwere Anfang überwunden ist. Assyrisch interessiert mich jetzt sehr, da ich die Wichtigkeit einsehe.“50 Diese Sätze sprechen nicht für eine assyriologische Ausbildung, die Hehn in Würzburg bei Scholz, bzw. bei Oskar Braun (1862–1931),51 dem seit 1894 amtierenden Professor für semitische Sprachen und Literatur an der Theologischen Fakultät, hätte genießen können. Damit korreliert die Beobachtung, dass Hehn in seinen Werken auf die Positionen von Scholz nur sehr am Rande eingeht; sie sind – wie wir später noch sehen werden – für seine Argumentationen nicht ausschlaggebend. Als Schüler von Delitzsch hatte er zudem einen anderen methodischen und philologischen Zugriff auf die Quellen des antiken Mesopotamien. Hehn kannte die Keilschrifttexte aus eigener philologischer Bemühung und nicht mehr nur aus zweiter Hand, d.h. durch die Übersetzung anderer, wie dies bei Scholz noch der Fall gewesen war. Zudem argumentierte Hehn nun religionshistorisch ohne die Annahme eines Urmonotheismus. Des Weiteren schrieb er dem Polytheismus auch nicht mehr einen derart verfälschenden Einfluss auf die ursprüngliche, nur im Alten Testament treu bewahrte Tradition zu. Zu diesem Abweichen von den Grundpositionen seines Lehrers passt es dann auch, dass Hehn Scholz’ Buch Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis nirgends zitiert, obwohl er später z.T. über dieselben Texte arbeitete, die schon Scholz behandelt hatte. Wie sehr sich Hehn inzwischen eine eigene wissenschaftliche Position erarbeitet hatte, zeigt sich auch in seiner zurückhaltenden Beurteilung von Nikels Werk Genesis und Keilschriftforschung von 1903, welches Scholz’ Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis von 1877 ersetzte und fortführte. In seiner Rezension äußerte sich Hehn sehr kritisch über einige Fragen der Methodik des

49 Zu Abert vgl. Neundorfer, Art. Abert. 50 Hehn, Brief an Abert vom 11. Januar 1900; zitiert nach Wittstadt, Würzburger Diözesangeschichtsblätter 42 (1980) 454. 51 Zu Braun vgl. Ganzer, Fakultät, 358–360, und Weiß, Modernismuskontroverse, 275f. Anm. 50.

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Vergleichs von Ergebnissen der Keilschriftforschung und der alttestamentlichen Exegese.52 Trotz allem Zeitbedingtem im Werk von Anton Scholz muss man jedoch positiv hervorheben, dass im Würzburg der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts die Assyriologie in ihrer Relevanz für die alttestamentliche Wissenschaft erkannt und ernstgenommen wurde. Hinzu kommt, dass auf Scholz’ Anregung hin 1894 an der Theologischen Fakultät eine Professur für semitische Sprachen und Literatur eingerichtet wurde, die sich später als die Wiege der Würzburger Alt­ orientalistik erweisen sollte.53 Dass eine derartige Hochschätzung der Assyriologie in ihrem Wert für die alttestamentliche Wissenschaft nicht überall vorzufinden war, zeigt ein Blick auf den bedeutendsten Alttestamentler dieser Zeit, Julius Wellhausen (1844–1918),54 der zwar die Erkenntnisse der jungen Assyriologie kannte, sie aber noch nicht als in ausreichendem Maße wissenschaftlich belastbar ansah. Insofern wandte er sich in seinem wissenschaftlichen Œuvre vielmehr der Semitistik mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der Arabistik, in der er Bedeutendes geschaffen hat, zu. Im Hinblick auf die Assyriologie schrieb Wellhausen 1903: „Ich habe vor 30 Jahren versucht mich in die Keile zu vertiefen, die Sache aber bald aufgegeben, da sie nicht nebenher betrieben werden konnte. Ich bin also nur oberflächlich in Fühlung mit der Assyriologie geblieben.“ 55 Zum Abschluss dieses Abschnittes sein nur kurz darauf hingewiesen, dass Scholz ein Jahr nach der Publikation von Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis diesem ein vergleichbares Werk an die Seite stellte: Die Aegyptologie und Die Bücher Mosis (1878). Scholz zufolge „wird die Aegyptologie nicht minder wichtig für die Erklärung des alten Testaments sein, als die Assyriologie.“ 56 Auch in diesem Werk geht Scholz wieder in zwei Teilen vor, da er zunächst „Die Entzifferung der Hieroglyphen“57 und dann „Die Aegyptologie und die Bücher Mosis“58 be-

52 Vgl. Hehn, Rezension zu Nikel, Genesis, und siehe unten, Abschnitt 3. 53 Siehe unten, Abschnitt 4. 54 Zu Wellhausen vgl. Kraus, Geschichte, 255–274; Smend, Wellhausen; idem, Julius Wellhausen. 55 So Wellhausen an den Assyriologen Carl Bezold; vgl. Smend, Briefe, 424f., Nr. 645. Zum Verhältnis Wellhausens zur Assyriologie vgl. noch ibid., 325, Nr. 461, 468, Nr. 732, und 652, Nr. 289a, sowie Gzella, Bibliotheca Orientalis 73 (2016) 488f. Eine ausführliche und kenntnisreiche Diskussion von Wellhausens Einstellung zur Assyriologie hat Machinist, Road, vorgelegt. Zu Wellhausen und seinem Verhältnis zur Semitistik vgl. Smend, Briefe, 55f., Nr. 65. 56 Scholz, Aegyptologie, 18. 57 Scholz, Aegyptologie, 19–52. 58 Scholz, Aegyptologie, 52–139.

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spricht. Allerdings erfuhr dieses Buch keine dem Werk

Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis vergleichbare Re-

zeption.

Johannes Ferdinand Hehn und Friedrich Delitzsch Der 1873 in Burghausen bei Münnerstadt geborene Johannes Ferdinand Hehn (Abb. 5)59 studierte in den Jahren 1894 bis 1898 an der Universität Würzburg Theologie. Zudem erlernte er orientalische Sprachen bei Anton Scholz und Oskar Braun. Im Wintersemester 1897/98 errang er mit der Arbeit Die Einsetzung des hl. Abendmahles als Beweis für die Gottheit Christi den Preis der Fakultät. Abb. 5: Johannes Ferdinand Diese Arbeit reichte er 1899 auch als Dissertation ein. Vom Hehn (aus: Wittstadt, Hehn) Wintersemester 1899 bis zum Sommersemester 1902 folgten das Studium der Assyriologie und die anschließende Promotion bei Friedrich Delitzsch an der Universität Berlin. Die theologische Habilitation in Würzburg wurde aufgrund der Verteidigung von zwölf Thesen am 24. Juli 1903 vollzogen. Am 1. Oktober desselben Jahres folgte Hehn auf seinen Lehrer Scholz als Professor für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen an der Theologischen Fakultät in Würzburg, wobei ein von Scholz bei Delitzsch eingeholtes und dem Senat vorgelegtes Votum ausschlaggebend war.60 Im Mai 1907 wurde Hehn zum Ordinarius ernannt. Zugunsten seiner Beförderung konnte Hehn beim akademischen Senat sein noch in der Drucklegung befindliches Werk Siebenzahl und Sabbat bei den Babyloniern und im Alten Testament anführen wie auch – neben dem Urteil aus der Theologischen Fakultät – ein positives Gutachten des Leipziger Assyriologen Heinrich Zimmern (1862–1931).61 Von 1904 bis 1911 erteilte Hehn außerdem den Hebräischunterricht am Königlichen Neuen Gymnasium in Würzburg. Neben seiner dreimaligen Amtszeit als Dekan und mehrfacher Tätigkeit als Senator bekleidete Hehn in den akademischen Jahren 1912/13 und 1927/28 das Amt des Rektors der Universität Würzburg. Aufgrund seines Wirkens für die Alma Julia wurde er durch die Verleihung des Verdienstordens vom Hl. Michael 4. 59 Zu Hehn vgl. Hempel, Art. Hehn; Ziegler, Art. Hehn; Bautz, Art. Hehn; Seidel, Erforschung, 160f., 163–165; Wittstadt, Hehn; Johanning, Babel-Bibel-Streit, 213–217; Weiss, Modernismuskontroverse, 80–84. 60 Siehe oben, Abschnitt 1, und siehe unten. 61 Dies schildert Hehn in seinem Brief an Zimmern vom 21. Januar 1907, Universitätsbibliothek Leipzig. Zu Zimmern vgl. Müller, Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig 28 (1979) 71–77 und Streck, Art. Zimmern.

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Klasse mit Krone sowie mit diversen Medaillen und dem Titel eines Geheimrates ausgezeichnet. Den im Jahr 1924 an ihn ergangenen Ruf auf die Nachfolge des im selben Jahr verstorbenen Johannes Nikel an die Universität Breslau lehnte Hehn ab und blieb bis zu seinem Tode im Mai 1932 der Alma Julia treu. Hehns Hauptwerk Die biblische und die babylonische Gottesidee und seine Würzburger Rektoratsrede Wege zum Monotheismus, die beide 1913 im Druck erschienen waren, wurden 1924 vom Subregens des Würzburger Priesterseminars, Vitus Brander (1880–1969),62 in Rom angezeigt und kamen im Folgejahr auf den Index der verbotenen Bücher. Hinter dieser Anzeige standen neben theologischen Gesichtspunkten die Querelen im Zusammenhang mit Branders Habilitation in Würzburg, in die Hehn als Dekan des akademischen Jahres 1910/11 involviert war und gegen deren Annahme er sich aus wissenschaftlichen Gründen ausgesprochen hatte.63 Dem Würzburger Bischof Matthias Ehrenfried (1871–1948)64 gelang es jedoch, die indizierten Werke Hehns vom Index herunterzuholen, so dass Hehn bis zu seinem Tod im Jahre 1932 an der Theologischen Fakultät lehren konnte.65 Bevor wir uns der Altorientalistik in ihrer Relevanz für das wissenschaftliche Werk von Hehn zuwenden, soll zunächst das Verhältnis von Hehn und Delitzsch vorgestellt werden. Es gibt hierzu einige bezeichnende Aussagen von beiden Wissenschaftlern. Über die erste Kontaktaufnahme zwischen beiden erfahren wir nichts aus den Quellen; vermutlich hat Anton Scholz hierbei seine Stellung als Professor an der Universität Würzburg ins Spiel gebracht. Aus dem vorangehenden Abschnitt wurde bereits deutlich, dass Scholz über die deutsche Übersetzung von George Smiths Werk in Kontakt mit der assyriologischen Forschung von Delitzsch gelangt war, da dieser Smiths Buch mit einer Einleitung und vor allem mit einem Nachwort versehen hatte.66 Aus Delitzschs Einleitung zu Smiths Buch sei hier ein markanter Passus zitiert: „An die Denkmäler aber, welche das vorliegende Buch entziffert, knüpft sich ein noch näheres Interesse als dieses allgemein historische: Chaldäa

62 Zu Brander vgl. Anger, Art. Brander, und Weiß, Modernismuskontroverse, 467–473, 475– 481, 507f. 63 Zu den Komplikationen dieser Habilitation vgl. Weigand, Verhältnis, 142–145, und Weiß, Modernismuskontroverse, 467–482. 64 Zu Ehrenfried vgl. Wittstadt, Art. Ehrenfried. 65 Zum Casus Hehn vgl. die Dokumentation im Diözesanarchiv Würzburg sowie Wittstadt, Hehn, 309–316. 66 Vgl. Delitzsch, Erläuterungen.

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ist die Wiege des israelitischen Volkes, das Stammhaus seiner Ahnen; nach Chaldäa zurück reichen die Wurzeln seines Volksthums und seiner Religion und mittelbar also auch die Wurzeln des Christenthums. Die Inschriften, welchen in diesem Werke die Zunge gelöst ist, datieren aus jener Vorzeit, welche mit der Vorgeschichte Israels zusammenfällt – sie bedürfen keines besonderen Lockrufs, sie zeugen überzeugungskräftig für sich selber und fesseln die Aufmerksamkeit jedes Gebildeten, welcher für die Geschichte der biblischen Religion noch ein Herz hat.“ 67 Wie aus Scholz’ Buch Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis hervorgeht, lag er inhaltlich auf einer Linie mit Delitzsch. Somit hatte es eine gewisse Konsequenz, wenn Scholz, dem die Relevanz der Assyriologie für das Verständnis der Religion Israels bekannt war, 1899 seinen Schüler Hehn nach seiner theologischen Promotion in Würzburg zum Weiterstudium zu Delitzsch nach Berlin schickte. Aber es gab noch einen weiteren Hintergrund für ein assyriologisches Weiterstudium von Hehn bei Delitzsch. Dieser war gegeben in einer allgemeinen Aufgeschlossenheit der katholischen Exegese für die Assyriologie, die z.B. auch der Fürstbischof von Breslau, Georg Kardinal Kopp (1837–1914),68 erkennen ließ. Schreibt doch Delitzsch im Rückblick auf seine Breslauer Zeit: „Auch dort war meine akademische Wirksamkeit eine sehr erfolgreiche, zumal da Seine Eminenz, der Kardinal-Fürstbischof Kopp, in Erkenntnis der Wichtigkeit der assyriologischen Forschung für die alttestamentliche Wissenschaft, nicht wenige katholische Theologen veranlaßte, an meinen Vorlesungen und Seminarübungen teilzunehmen.“ 69 Hier ist noch einmal auf den Breslauer Alttestamentler Johannes Nikel einzugehen. Dieser hatte 1881–1884 in Breslau und 1884–1886 in Würzburg Theologie und Orientalia studiert. In Würzburg war er 1886 von Scholz mit einer erweiterten Version seiner Breslauer Preisarbeit Die Lehre des Alten Testamentes über die Cherubim und Seraphim promoviert worden. Die Arbeit wurde 1890 publiziert. 1897 wurde Nikel zunächst als Extraordinarius, ab 1900 dann als Ordinarius auf den Lehrstuhl für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Breslau berufen. In den Jahren 1893/94–1899 lehrte Delitzsch an der Breslauer Philosophischen Fakultät, so dass Nikel und Delitzsch über einige Jahre in direktem Kontakt miteinander standen. Die oben genannte Aufgeschlossenheit

67 Delitzsch in Smith, Chaldäische Genesis, IX. 68 Zu von Kopp vgl. Gatz, Art. Kopp. 69 Delitzsch, Mein Lebenslauf, 243; vgl. dazu noch Lehmann, Delitzsch, 73 Anm. 161.

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des Fürstbischofs von Breslau, Kardinal Kopp, für die Assyriologie muss wohl dem Einfluss von Nikel zugeschrieben werden. Zugunsten dieser Annahme lässt sich folgender Umstand anführen. In einem Nachruf auf Nikel heißt es, dass Kardinal Kopp von Breslau „ihn als Gelehrten wie als kirchentreuen Priester hochschätzte.“70 Aus diesem Grunde wurde Nikel 1907 durch Vermittlung des Kardinals Konsultor der Päpstlichen Bibelkommission in Rom, sodann 1913 Domherr und 1921 Dompropst in Breslau. Im gleichen Jahr wurde er zudem von Papst Pius XI. zum Apostolischen Protonotar ernannt.71 Als dann Delitzsch ab dem Wintersemester 1899/1900 Professor für Assyriologie in Berlin war, schrieb er in einem Brief an den Hochschulreferenten im Preußischen Kultusministerium, dass zu ihm „aus Würzburg und Münster gleichzeitig 3 Doctoren der katholischen Theologie hierher nach Berlin geschickt“ worden seien, „um Jahre hindurch von mir in allen Zweigen der Keilschriftforschung ausgebildet zu werden.“72 Einer dieser Doktoren war Johannes Hehn aus Würzburg, die beiden anderen kamen aus Münster. Ihre beiden Namen waren leider nicht zu ermitteln.73 Das ergänzende Spezialstudium in Assyriologie von Hehn war folglich nicht die absolute Ausnahme für Doktoren der katholischen Theologie. Lassen wir nun Hehn einmal selber zu Wort kommen. Als Anlage zum Gesuch der Theologischen Fakultät an den Senat bezüglich der Ernennung von Hehn zum Nachfolger von A. Scholz vom 26. Juli 1903 ist die selbstverfasste Vita von Hehn mit überliefert. Hierin schreibt Hehn über seinen wissenschaftlichen Werdegang in Berlin (1899–1903), dass er auf den Rat von Scholz mit einem ihm vom Königlichen Staatsministerium des Inneren verliehenen Reise­stipendium im Oktober 1899 nach Berlin gegangen sei, „um semitische Sprachen und besonders Assyriologie zu studieren. Er hörte in Berlin Assyrisch bei Delitzsch und Winckler, semitische Epigraphik, Aramäisch, Syrisch und Arabisch bei Sachau und Barth, frühnordarabische Inschriften bei Winckler, Türkisch bei Delitzsch; außerdem war er mehrere Semester Mitglied des Seminars für orientalische Sprachen, wo er

70 Peters, Nikel, 450. 71 Peters, Nikel, 450, und Wahl, Art. Nikel, 808. 72 Brief von Delitzsch an den Geheimen Regierungsrat Ludwig Elster vom 3. September 1900, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Sammlung Darmstadt. Lehmann, Delitzsch, 77, liest den Ortsnamen nach „Würzburg“ richtig als „Münster“, während Johanning, Babel-Bibel-Streit, 380, fälschlicherweise „München“ angibt. 73 Trotz der im Sommer 2016 erfolgten Nachforschungen von Ludger Hiepel im Universitätsund Diözesanarchiv Münster.

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Gelegenheit fand, sich eine genauere Kenntnis des modernen Orients und des so wichtigen Vulgär-Arabischen zu erwerben. Er beteiligte sich im orientalischen Seminar an den Übungen bei den Professoren Hartmann und Fischer und den Lektoren Abderrahman Zagluhl und Amin Maʾarbes. In der assyriologischen Abteilung der Königlichen Museen lernte er unter Delitzsch’s Anleitung assyrische und babylonische Thontafeln selbständig kopieren; […].“ 74 Hehn wusste sich bei Delitzsch nicht nur als Student der Assyriologie und als Doktorand gut betreut, sondern er spricht in einem Brief auch die positive Atmosphäre an, in der er sich als katholischer Theologie akzeptiert fühlte. Über Delitzsch schreibt er in dem bereits zitierten Brief an Friedrich  Philipp von Abert vom 11. Januar 1900: „Aber niemals kommt bei ihm etwas vor, was den kathol. Theologen unangenehm berühren könnte; privatim sucht er uns in liebenswürdiger Weise zu unterstützen.“ 75 Nachdem Hehn im März und April 1901 im Britischen Museum Tontafeln mit Texten über den Gott Marduk kopiert hatte,76 schloss er sein assyriologisches Studium mit seiner 1902 vorgelegten Dissertation Hymnen und Gebete an Marduk ab. Die 1905 als Monographie publizierte Dissertation wurde zu einem Standardwerk der Assyriologie, das erst 2011 durch die Neubearbeitung des einschlägigen und mittlerweile erweiterten Textmaterials durch Takayoshi Oshimas Babylonian Prayers to Marduk abgelöst wurde. Über Hehns Werk urteilt Oshima: „Regarding Hehn’s methodology, we have nothing to criticize, however, in terms of its textual basis, his work of almost a century ago is no longer up-to-date.“77 Letzteres kann man natürlich nicht Hehn anlasten, sondern diese Erweiterung der Quellenbasis ist der Normalfall in einer aufstrebenden Wissenschaft. Standen Hehn zu seiner Zeit 25 Keilschrifttafeln und -fragmente zur Verfügung, so benutzt Oshima mittlerweile 79 Textzeugen. So war es auch möglich, einige Lücken in den von Hehn bearbeiteten Texten füllen.78 74 Hehn, Vita, in Personalakt Hehn, Universitätsarchiv Würzburg. 75 Hehn, Brief an Abert vom 11. Januar 1900, zitiert nach Wittstadt, Würzburger Diözesangeschichtsblätter 42 (1980) 454. Die hier verwendete Pluralform „uns“ dürfte sich auf die oben genannten drei katholischen Doktoranden von Delitzsch beziehen. 76 Dazu hatte ihm Delitzsch mit Datum vom 14. März 1901 ein Zeugnis ausgestellt, in dem er Hehn attestiert, „sich mit den semitischen Sprachen im Allgemeinen und mit Assyriologie im besonderen sehr eingehend beschäftigt“ zu haben und „auch im Kopieren und Behandeln der Thontafeln die nöthige Erfahrung“ zu besitzen (Abb. 6); Zeugnis von Friedrich Delitzsch für Johannes Hehn, Britisches Museum London. Ich danke Reinhard G. Lehmann (Mainz) für die Überlassung des Dokuments. 77 Oshima, Prayers, 2. 78 So Oshima, Prayers, 2f.

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Abb. 6: Von F. Delitzsch im März 1901 ausgestelltes Zeugnis für J. Hehn zur Vorlage beim Britischen Museum

Zu Beginn des Babel-Bibel-Streits äußerte sich Hehn, der damals noch in Berlin promovierte, in seiner Rezension zu Delitzschs Babel und Bibel wie folgt: „Was den Zusammenhang zwischen biblischen und babylonischen Anschauungen angeht, so ist gerade die katholische Auffassung von der Inspiration immer so weitherzig gewesen, daß durch die Resultate der Keilschriftforschung unser Glaube an die in der h. Schrift enthaltene göttliche Offenbarung nicht erschüttert, sondern eher bestätigt wird. Wir sehen, daß die σπέρματα des Logos, in dem die Welt geschaffen ist, auch in der Finsternis noch leuchten und leben, obwohl ihn die Finsternis nicht erfaßt (Joh. I,3.5). Jedes sichere Resultat der Wissenschaft begrü-

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ßen wir mit Freuden in der Überzeugung, daß dadurch die eine göttliche Wahrheit in ein neues, helleres Licht gestellt wird.“ 79 Bei Delitzsch genoss Hehn hohes Ansehen, wie die von Scholz bei Delitzsch erbetene Stellungnahme zum Bewerber Hehn für die Wiederbesetzung seines Würzburger Lehrstuhls zeigt. Zwar hat sich diese Stellungnahme vom 22. Juni 1903 in den Unterlagen der Universität nicht mehr erhalten, doch nimmt der Brief des Dekans Sebastian Merkle (1862–1945)80 an den akademischen Senat vom 12. Januar 1907, mittels dessen die Theologische Fakultät nach einstimmig erfolgtem Beschluss die Beförderung Hehns zum Ordinarius beantragte, Bezug auf sie. Merkle schreibt, Delitzsch bezeichne seinen Schüler Hehn „als einen ausnehmend tüchtigen Gelehrten, der unter seine besten Schüler zähle, u. dessen besonnene, methodische Art die Forschung zu großen Hoffnungen berechtige.“ 81 Eine weitere Stellungnahme von Delitzsch zu Hehn liegt in seinem Testament vom 2. November 1916 mit Nachtrag vom 24. November 1916 vor, das nach dem Tode Delitzschs im Jahre 1922 eröffnet wurde. Darin äußert sich Delitzsch auch zu seinem wissenschaftlichen Nachlass. Hierzu gehört ein begonnenes, aber unvollendetes Hebräisch-aramäisches Wörterbuch zum Alten Testament, dessen Abschluss und Drucklegung Delitzsch seinem Schüler Hehn anvertrauen wollte: „Die Beendigung und Herausgabe meines hebräischen Wörterbuches […] sähe ich am liebsten von Herrn Professor Dr. Hehn in Würzburg, meinem Freunde und einem meiner letzten Schüler, besorgt. Er wird pietätvoll an meinem Werke nichts ändern und dafür Sorge tragen im Verein mit der J.C. Hinrich’schen Verlagsbuchhandlung, daß der Erlös dieses Werkes möglichst ungeschmälert meiner Frau zugute kommt. Es versteht sich von selbst, daß Dr. Hehns Mühe und Arbeit, für die ich ihm über das Grab hinaus Dank wissen werde, seinen Wünschen entsprechend honoriert werde.“ 82 Allerdings zerschlug sich dieses Projekt. Nach Delitzschs Tod hatte Hehn Anfang 1923 das Manuskript des Wörterbuchs erhalten, musste aber wegen zu großer Arbeitsbelastung die Bearbeitung ablehnen, zumal das Manuskript bereits seit sechs Jahren vorlag und an ihm nicht weiter gearbeitet worden war. Hehn 79 Hehn, Theologische Revue 1:10 (1902) 310 (Sperrungen wie im Original). Vgl. dazu Lehmann, Delitzsch, 128f. 80 Zu Merkle vgl. Ganzer, Merkle; Weiß, Modernismuskontroverse, 58–79, 262–272, 292–330, 354–372, 398–409; Burkard, Merkle. 81 Brief von Merkle vom 17. Januar 1907; Personalakt Hehn, Universitätsarchiv Würzburg. 82 Zitiert nach Lehmann, Zeitschrift für Althebraistik 3 (1990) 37.

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Ritter von Scholz und Hehn als Wegbereiter der Altorientalistik in Würzburg

gab das Manuskript der Witwe Delitzschs anlässlich des Leipziger Orientalistentages bereits im April 1923 persönlich zurück. Zu einer Publikation – auch durch einen anderen Bearbeiter – ist es nicht gekommen; das Manuskript gilt heute als verschollen.83 Wie sah nun das Verhältnis zwischen Delitzsch und Hehn nach Delitzschs Werk Die große Täuschung84 von 1920 aus? Hehn hat dieses Buch im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 1922 behandelt. Dazu hat sich in den Archiven leider nichts erhalten. Angesichts der vielen von Hehn verfassten Rezensionen hätte man gerade von seiner Seite eine aufschlussreiche Besprechung des Buches Die große Täuschung erwarten können. Allerdings hätte ihn ein derartiges Unternehmen wohl auch in einen schwerwiegenden Loyalitätskonflikt zwischen Theologie und Assyriologie stürzen können, so dass Hehn vermutlich deshalb auf eine entsprechende Rezension verzichtete. Es sind allerdings zwei Reaktionen von Hehn auf Delitzschs Die große Täuschung bekannt, von denen die erste unpubliziert und die zweite publiziert ist. In einem Brief Hehns an Delitzsch vom 27. Juli 1920, in dem er sich für die Zusendung von Delitzschs Buch Die Lese- und Schreibfehler im Alten Testament bedankt, schreibt er en passant: „Ihre Schrift: ‚die große Täuschung‘ hat meine Verehrung für Sie nicht, wie Sie fürchteten, erschüttert.“85 Diese Äußerung zeigt sehr klar, dass Hehn seinem Lehrer auch angesichts dieser in der Öffentlichkeit sehr umstrittenen Publikation die Treue hielt, da er ihn seit zwei Jahrzehnten gut kannte. Es ist natürlich nicht zu übersehen, dass sich Hehn hier direkt an Delitzsch wandte und sich auch deshalb jeglicher negativer Bewertung enthielt. Mit dieser Stellungnahme hebt sich Hehn z.B. deutlich von der Position des Leipziger Alttestamentlers Rudolf Kittel (1853–1929)86 ab, der sich kurz zuvor, am 1. Juli 1920, ebenfalls brieflich bei Delitzsch für die Übersendung des Bandes Die Lese- und Schreibfehler im Alten Testament bedankt und ihm sehr deutlich sein Unbehagen darüber zum Ausdruck gebracht hatte.87 Bemerkenswert ist dabei, dass auch Kittel in seiner Zeit als Professor in Breslau (1888–1898) mehrere Semester Assyriologie bei Delitzsch studiert hatte.88 83 Vgl. zum Vorgang Lehmann, Zeitschrift für Althebraistik 3 (1990) 38. 84 Zu diesem Buch vgl. Lehmann, Delitzsch, 35–37. 85 Brief an Delitzsch. Für die Überlassung einer Kopie dieses Briefes aus dem in Privatbesitz befindlichen Nachlass Delitzsch und die Publikationserlaubnis danke ich Reinhard G. Lehmann sehr herzlich. 86 Zu Kittel vgl. Smend, Theologische Zeitschrift 55 (1999) 326–353, und Bultmann, Art. Kittel. 87 So spricht Kittel davon, dass der Band ihm „lebhaften Schmerz bereitet“ und er ihm ein „ernstes Rätsel [...] darstellt.“ Seine Reaktion auf Delizschs Band bringt Kittel mit den Verben „bedauern & schroff ablehnen“ zum Ausdruck. Der Brief Kittels ist auszugsweise zitiert bei Lehmann, Zeitschrift für Althebraistik 3 (1990) 35 Anm. 43. 88 Vgl. Smend, Theologische Zeitschrift 55 (1999) 335.

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Nach Delitzschs Tod im Jahre 1922 war Hehn unbefangener in seinen Äußerungen, so dass er sich in seinem 1925 publizierten Artikel Nationalismus u. Universalismus, Kollektivismus und Individualismus in der israelitischen Religion gegen Schriftsteller und Wissenschaftler wandte, „die den deutschen Geist von dem semitisch-orientalischen Fremdkörper befreien wollen und den Wiederaufbau unseres Volkes durch eine Neubelebung des germanischen Heidentums, das in eine süße Gefühlssauce aufgelöst wird, erstreben.“89 Bleibt Hehn hier noch im recht Allgemeinen, so distanziert er sich im weiteren Verlauf des Artikels doch sehr deutlich von einigen Positionen, die Delitzsch in seiner Großen Täuschung vertreten hatte.90 Man hat den Eindruck, dass Hehn nunmehr mit größerer Freiheit an die Diskussion herangehen konnte. Die Relevanz der Assyriologie für die alttestamentliche Wissenschaft im Werk Johannes Hehns Die seit dem 19. Jahrhundert neu aufkommenden Disziplinen der Assyriologie und der Vorderasiatischen Archäologie veränderten die Situation der alttestamentlichen Exegese grundlegend. Hehn sah dies sehr klar und äußerte sich dementsprechend in seinen Publikationen. Mehrfach beleuchtete er den damit verbundenen Wandel der Stellung des Alten Testaments im Rahmen der Altertumswissenschaften und nahm auch eine Standortbestimmung für die alttestamentliche Wissenschaft vor. Hier ist zunächst noch einmal auf die Rezension Hehns zu Nikels Genesis und Keilschriftforschung aus dem Jahre 1903 einzugehen, in der Hehn eine grundsätzliche Kritik an der Verarbeitung der Ergebnisse der Assyriologie durch Nikel übt: „Nach N.s Ansicht beschränkt sich der babylonische Einfluß auf die Erzählungen der Genesis auf ein sehr geringes Maß. Nicht mit Unrecht hebt der Verfasser hervor (S. 20), daß es ein methodischer Fehler sei, wenn die Assyriologen nur einseitig babylonische Kultureinflüsse ins Auge fassen, dagegen die ähnlichen Sagen anderer Völker gar nicht berücksichtigen. Allein man darf bei der Vergleichung der außerbabylonischen Sagen auch nicht mechanisch zu Werke gehen und sie einfach nebeneinanderstellen, sondern man muß zuerst die in den einzelnen Kulturkreisen vorhandenen Sagen auf ihren Zusammenhang prüfen. Nun gibt es aber bloß eine altorientalische Kultur in Vorderasien, das ist die babylonische. Und nun war gerade in der Zeit, wo Ägypten politisch über Kanaan herrschte, das Land

89 Hehn, Bonner Zeitschrift für Theologie und Seelsorge 2 (1925) 213. 90 Vgl. Hehn, Bonner Zeitschrift für Theologie und Seelsorge 2 (1925) 221, 225f., 228f., 230.

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eine Domäne babylonischer Kultur. Israels Berührungen mit Ägypten sind also den babylonischen Einflüssen gewiß nicht gleichzuachten. Von einer hettitischen Kultur wissen wir nichts, eine aramäische hat es nicht gegeben. Bei den persischen und griechischen Einflüssen müssen wir erst fragen, was genuin babylonisch und was fremde Zutat ist. Der einfache Vergleich tut es also hier nicht, es müssen vielmehr die einzelnen Elemente in ihrer verschiedenartigen Gestaltung verfolgt und geprüft werden.“ 91 Es reiche also nicht aus, lediglich eine Nichtabhängigkeit der alttestamentlichen von den babylonischen Erzählungen zu erkennen,92 vielmehr sei es „vor allem notwendig, die Grundideen der beiderseitigen Erzählungen klarzustellen. […] Wenn wir uns in den fremden Gedankenkreis einzuleben vermögen, dann werden wir ihn verstehen und gerecht beurteilen.“93 Hehn plädiert für eine Methode, die die Erzählungen der Urgeschichte der Bibel und die entsprechenden babylonischen Werke jeweils für sich untersucht. Das setzt voraus, den babylonischen Kulturraum aus sich heraus zu verstehen und ihn nicht immer schon als auf das Alte Testament bezogen wahrzunehmen. Mit diesem Ansatz hebt sich Hehn sehr deutlich von seinem eigenen Lehrer Scholz wie auch von Nikel ab, der in wissenschaftlicher Weise Scholz’ Nachfolge angetreten hatte. In seinem 1913 erschienenen Werk Die Biblische und die babylonische Gottesidee (Abb. 7) bringt Hehn den für seine Untersuchungen grundlegenden Wandel folgendermaßen auf den Punkt: „Als der unermeßliche Schatz der durch die Ausgrabungen zutage geförderten Dokumente der Geschichte und Kultur des Alten Orients noch unter dem Schutte der Jahrtausende begraben war und das A.T. einsam wie ein erratischer Block aus der Vergangenheit des Alten Orients aufragte, da musste naturgemäß vieles in ihm, was aus dem Boden der damaligen Kultur und aus der gleichzeitigen geschichtlichen Lage hervorgegangen war, mehr oder minder dunkel bleiben. […] Seitdem der Spaten die Archive der alten Kulturzentren in Vorderasien erschlossen und die Keilschriftforschung selbst die Dokumente der grauesten Vorzeit zum Sprechen gebracht hat, hat sich der geschichtliche Horizont gewaltig erweitert, und die Frage nach dem Verhältnis des A.T. zu jener Kultur ist mehr und mehr brennend geworden.“ 94 91 Hehn, Biblische Zeitschrift 2 (1904) 400f. (Sperrungen wie im Original). 92 Hehn, Biblische Zeitschrift 2 (1904) 401. 93 Hehn, Biblische Zeitschrift 2 (1904) 401f. 94 Hehn, Gottesidee, III.

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Abb. 7: Deckblatt von J. Hehn, Die Biblische und die babylonische Gottesidee, Leipzig 1913

Im selben Jahr formuliert Hehn in seiner Rektoratsrede Wege zum Monotheismus: „Die Ära der Ausgrabungen im Orient, die im vorigen Jahrhundert eingesetzt und gerade in den letzten Dezennien die bedeutsamsten Erfolge erzielt hat, inauguriert auch eine neue Ära der Bibelforschung. Eine längst versunkene, uralte Kultur mit ihren manchfachen Verzweigungen ist wie-

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der aus dem Grabe erstanden. Der geschichtliche Horizont hat sich um Jahrtausende erweitert.“ 95 Die hierin angesprochene neue Ära der Bibelwissenschaft, die geprägt ist von der Hinwendung zur Assyriologie und dann auch von einer Verbindung von alttestamentlicher Exegese und Assyriologie, durchzieht konsequenterweise das wissenschaftliche Werk Hehns. Wie lässt sich diese Verbindung beschreiben? In seiner Rektoratsrede von 1913 schreibt Hehn: „Früher war das Alte Testament ein isoliertes Denkmal aus der semitischen Vergangenheit, jetzt wird es hineingestellt in den lebendigen Fluss des kulturellen Milieus, seine Geschichte ist mit der des Orients verflochten. Wir sind nunmehr auch in der Lage, die israelitische Religion, wie sie uns im Alten Testament entgegentritt, mit anderen Religionen des Alten Orients zu vergleichen, das Gemeinsame sowohl wie das Eigenartige herauszustellen und so einen geschichtlichen Massstab für ihre besondere Entwicklung zu gewinnen.“ 96 Damit ergaben sich generell neue Dimensionen der Kultur und Geschichte, speziell jedoch Einblicke in den Bereich der Religionen des Alten Orients, die es nunmehr gestatteten, die Religion Israels einem Vergleich mit anderen Religionen zu unterziehen. Folgt man Hehns Büchern und Monographien, so lässt sich in der Reihenfolge ihrer Publikation ein gewisser Weg der religionsgeschichtlichen Arbeit und Erkenntnisse aufzeigen. Auf seine hier nicht zu diskutierende theologische Dissertation Die Einsetzung des hl. Abendmahles als Beweis für die Gottheit Christi (1900) folgte seine assyriologische Dissertation Hymnen und Gebete an Marduk (1903, publiziert 1905), die eine rein assyriologische Arbeit darstellt und keine religionsvergleichenden Züge aufweist. Zu einer ersten Zusammenschau von alttestamentlicher und assyriologischer Forschung kam es dann in der Würzburger Habilitationsschrift Sünde und Erlösung nach biblischer und babylonischer Anschauung (1903). Dieses Werk verdient unser besonderes Interesse, zumal Hehn im Vorwort seine religionsgeschichtliche Position zum Verhältnis von biblischer und babylonischer Religion offenlegt: „Es ist selbstverständliche Voraussetzung jeder Schrifterklärung, daß man die hl. Bücher betrachtet im Lichte des geschichtlichen 95 Hehn, Wege, 3f. 96 Hehn, Wege, 4.

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Entwicklungsganges des hebräischen Volkes und mit Berücksichtigung der Kulturwelt, in die Israel hineingestellt war. Das A.T. vertritt die Auffassung, daß der Glaube an einen Gott ursprünglich Gemeingut der Menschheit war, das Volk Israel bewahrte lebhafte Erinnerungen an seine babylonische Heimat, wir sehen im 15. Jahrh. v. Chr. ganz Vorderasien unter der Herrschaft der babylonischen Kultur, die Beziehungen zwischen Israel und Babylonien waren niemals ganz abgeschnitten, sondern zu den verschiedensten Zeiten kommt Israel mit den Assyro-Babyloniern in Berührung: Dürfen wir da nicht von vornherein die Erwartung hegen, daß im A.T. mannigfache Reste der Israel umgebenden babylonischen Kultur aufbewahrt sind, daß aber auch aus dem Schutte des babylonischen Heidentums noch recht klar erkennbare Fragmente des biblischen Offenbarungsglaubens sich ausgraben lassen? Es ist gewiß kein Schaden für die Bibel, wenn wir bemüht sind, durch das wuchernde Dickicht der babylonischen Götterlehre hindurchzukommen, um die Spuren zu finden, die zum A.T. hinführen. Für den Forscher, der die Bibel nicht als göttliche Offenbarung anerkennt, hat natürlich die babylonische Religion den Anspruch der zeitlichen und sachlichen Priorität gegenüber dem A.T.; die parallelen Erscheinungsformen muß er jedoch genau so aufsuchen wie derjenige, welcher der Bibel den Wert einer göttlichen Offenbarungsurkunde beimißt. Die Ähnlichkeiten der babylonischen religiösen Ideen mit den biblischen muß man, soweit sie sich wirklich nachweisen lassen, bereitwillig anerkennen. Dagegen müssen die einen nicht notwendig von den anderen abgeleitet werden. Das A.T. mag in der uns überlieferten Form mannigfach überarbeitet und verhältnismäßig jung sein, sicher aber enthält es viele aus ältester Zeit stammende Überlieferungen. Wer mag bei der derzeitigen Lückenhaftigkeit unserer Literatur-Denkmäler eine zuverlässige geradlinige Entwicklung behaupten? Vorläufig bleibt eine solche noch Hypothese. Die Überlieferung des A.T. kann mindestens dasselbe Recht beanspruchen wie jede andere. Es können sich jederzeit Denkmäler finden, welche uns die babylonische Religion auf einer dem biblischen Gottesbegriff näherstehenden Entwicklungsstufe zeigen. Dazu kommen noch die fremden Einflüsse auf die babylonische Religion in Betracht. Es ist also trotz der Ähnlichkeit zwischen alttestamentlichen und babylonischen Ideen nicht ausgeschlossen, daß eine alte gemeinsame Quelle vorhanden ist.“ 97

97 Hehn, Sünde, III–IV.

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Und weiter heißt es: „Das A.T. erzählt von einem Sündenfall der ersten Menschen und von der Verheißung des Überwinders der Verführerin, der Schlange. Wenn diese Verheißung Gottes wirklich an die Stammeltern der Menschheit ergangen ist, warum sollte sich eine Erinnerung an den Fall des Menschen und die Erlöseridee nicht auch im Babylonischen finden?“ 98 Damit vertritt Hehn ein Modell, demzufolge der Glaube an einen Gott Gemeingut der Menschheit und Mesopotamien die Heimat des Volkes Israel war. Dieser Ansatz erinnert noch stark an die Grundannahme von Scholz, der 1877 in seinem Werk Die Keilschrift-Urkunden und Die Genesis die Berichte der Genesis als ein Gemeingut aller Völker Mesopotamiens, woher Abraham selber stammte, verstanden hatte.99 Hehn geht nun allerdings nicht mehr so weit wie Scholz, der davon gesprochen hatte, dass das Alte Testament die Ursprünglichkeit dieser Traditionen besser als die babylonische Literatur bewahrt habe,100 und doch benennt er das „wuchernde Dickicht der babylonischen Götterlehre“,101 worin man noch einen Nachklang dieser Annahme finden kann. Durchaus revolutionär ist hingegen der erste Satz der Einleitung, der auf den geschichtlichen Entwicklungsgang des Volkes Israel und die Berücksichtigung der Kulturwelt, in die Israel hineingestellt war, abhebt. Dies war im Jahre 1903 keineswegs die opinio communis der alttestamentlichen Wissenschaft, zumal sie die Umwelt Israels eher übersah bzw. pauschal abhandelte und geringschätzte. In diesem Bereich der kulturvergleichenden Religionsgeschichte hat Hehn dann auch weiterhin nach seiner Würzburger Habilitationsschrift von 1903 gearbeitet und für die damalige Zeit beachtliche Ergebnisse erzielt. Die nächsten beiden hier zu besprechenden Werke sind Siebenzahl und Sabbat bei den Babyloniern und im Alten Testament (1907) und Der israelitische Sabbath (1909). Das letztgenannte Bändchen nimmt die Ergebnisse des erstgenannten auf. Es erschien in der für ein weiteres katholisches Publikum bestimmten Reihe Biblische Zeitfragen. Um diese Arbeit hatte ihn Nikel, der damalige Herausgeber der Reihe, gebeten.102 In beiden Bänden geht Hehn den babylonischen Wurzeln des Wochenfeiertags Israels nach. Im Hinblick auf das Verhältnis von babylonischem und israelitischem Feiertag hält er fest:

98 99 100 101 102

Hehn, Sünde, IV–V. Siehe oben. Siehe oben. Vgl. Hehn, Sünde, III. So Hehn, Brief an Zimmern vom 26. September 1909; Universitätsbibliothek Leipzig.

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„Die israelitischen Ritualgesetze mögen in der uns vorliegenden Form noch so jung sein, aber es widerspricht allen historischen und psychologischen Gesetzen, wenn man sie als Erfindung der Priesterschaft hinstellt, die sie in und nach dem Exil an die Stelle einer naiven, urwüchsigen Bauernreligion gesetzt und als von alters her tradierte Offenbarung ausgegeben habe. In Israel, wo die Festzeiten so ganz nach dem Monde orientiert sind, wo die Sieben, die Mondzahl, eine solche Zentralstellung erlangte, müssen die durch den Mond abgegrenzten Siebenerperioden von jeher bestanden haben, sie müssen auch der Ausgangspunkt für die Sabbatfeier gewesen sein. So braucht man auch nicht ein von Anfang an bestehendes astralmythologisches Schema, wie es Winckler und Jeremias postulieren, anzunehmen, in das alles eingezwängt wird: ein solches künstliches Schema bringt statt Erklärung des geschichtlichen Verlaufs nur ein neues, großes Rätsel. Wenn die Neumondfeier später verschwunden ist, so erklärt sich das wohl aus ihrer unmittelbaren Beziehung zum Gestirndienste, der als eine Gefahr für das Volk bekämpft wurde.“ 103 Hehns einflussreichstes Buch war Die biblische und die babylonische Gottesidee (1913), ein Werk, das wegweisend wurde für die methodische Verbindung von alttestamentlicher Exegese und Assyriologie. Charakteristisch für den Ansatz Hehns ist, dass die babylonische Dokumentation nicht unter alttestamentlichen Gesichtspunkten herangezogen und diskutiert wird, sondern ihr als Konsequenz der Entdeckung und Entzifferung der babylonischen Texte zu einem eigenständigen Sprechen verholfen wird. Erst nachdem Hehn den babylonischen Textteil erschlossen hat, wendet er sich den westsemitischen außerbiblischen und schließlich auch den alttestamentlichen Quellen zu. Dieser Ansatz kommt im Titel des Buches, in dem die biblische vor der babylonischen Gottesidee genannt wird, allerdings nicht zum Tragen. Vermutlich wollte Hehn eine Anspielung auf das kontroverse Thema ‘Babel und Bibel’ vermeiden, damit sein Buch nicht im Kielwasser dieses Disputes rezipiert werde. Die biblische und die babylonische Gottesidee weist folgendes Vorgehen auf: I. Die Grundanschauungen der Babylonier über das Wesen der Gottheit, II. Die Stellung der babylonischen Religion zum Monotheismus, III. Die Stellung der anderen Völker Vorderasiens zur assyrisch-babylonischen Religion und zum Monotheismus, IV. Gab es einen ursemitischen Gott Ilu oder Ēl?, V. Die Gottesnamen Jahwe, Jahwe Ṣebāōth, Ēl Eljōn und Ēl Šaddaj und VI. Die Grundzüge der israelitischen Religion gegenüber der babylonischen.

103 Hehn, Siebenzahl, 117.

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Als Fazit des Vergleichs zwischen der biblischen und die babylonischen Gottesidee hält Hehn fest: „Wir haben gesehen, daß sich die babylonischen Götter dem Menschenauge in den Naturerscheinungen darstellen: Es sind die in der Natur wirkenden, persönlich gedachten Kräfte. Es gibt darum keinen Zweifel an ihrer Existenz und keine scharf und dauernd durchzuführende individuelle Scheidung der einzelnen Göttergestalten, die vielmehr leicht ineinander übergehen. Die Götter gehören nicht einem Volke speziell an, sie sind nicht ausschließlich national, sondern haben als kosmische Kategorien a l lgemei ne Geltung. Die Namen wechseln, das zugrunde ­liegende Wesen aber ist bei den vorderasiatischen Religionen das gleiche. Die Götter vertragen sich aufs beste neben einander. Keiner konnte sich zur absoluten Alleinberechtigung erschwingen, weil im Grunde einer soviel Daseinsrecht hatte wie der andere: Trotz der Erhebung einzelner Götter über die anderen denkt doch niemand daran, einem Gotte ausschließliche Verehrung und Daseinsberechtigung zu vindizieren. Diese Frage konnte in Babel, wo alle Lebensformen vergöttlicht wurden, gar nicht gestellt werden. Einen eigentlichen Abfall von den Göttern gibt es nicht. Bei der israelitischen Religion scheiden kosmologische Betrachtungen und philosophische Reflexionen aus. Daraus ergeben sich die grundlegenden Unterschiede zwischen Babel und Israel. Der Gott Israels ist eine fest stehende, von jeder a nder n scha r f z u u nterscheidende Persön l ich keit , d ie sich i m L au fe der Gesch ichte of fenba r t. Die Religion ist nach dem A.T. fortschreitende Offenbarung dieses bestimmten Gottes. Der Gott Israels wä h lt sich gew isse Persön­ l ich keiten und ei n best i m mtes Vol k aus, um sich diesen in Reden und Erscheinungen als Helfer kundzutun. Auf diesen Offenbarungen Gottes, die von Generation zu Generation überliefert werden und den Späteren die Kunde von den göttlichen Absichten vermitteln, basiert die ganze israelitische Religion. Die babylonische Religion ist Welt a nschauu ng , Naturbeobachtung, Wissenschaft, Gegenwartsreligion, die israelitische dagegen O f fenba r u ng einer bestimmten Gottheit im Laufe der Geschichte. Jahwe hat sich in der Vergangenheit den Stammvätern als hilfreicher Gott erwiesen, darum wurde er von ihnen verehrt.“ 104

104 Hehn, Gottesidee, 271f. (Sperrungen wie im Original).

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Und, an anderer Stelle: „Die Religion Israels beruht auf national-geschichtlicher Basis, auf dieser wird auch Israels Monotheismus am besten verständlich. Man fragt sich: welchen Wert hatte es für Israel, nur einen Gott zu verehren? Warum übt Israels Gott nicht dieselbe Toleranz gegenüber anderen Gottheiten wie die Götter der übrigen Völker Vorderasiens? Israels Antwort darauf lautet: ‚Jahwe a l lei n hat sich durch die Befreiung aus Ägypten als unser Gott erwiesen.‘ Einen anderen Gott kennt das Volk nicht, d.h. ein anderer Gott hat seine Macht nicht an ihm geoffenbart. Also auf gesch icht l ichem Wege ist das Volk seinem Gotte verpflichtet worden. Er stellt sich nicht als eine in der Natur verkörperte Macht dar, sondern ist das persönliche Numen des Volkes, dessen Hort und Schirm.“ 105 Damit kommt der Nationalgedanke als ganz entscheidend für die Argumentation Hehns ins Spiel: „Die Ei n heit des St a at swesens forder te d ie Ei n heit der Got t heit u nd des Ku lt u s. Die israelitische Weltanschauung und Politik ist jahwezentrisch und wird so monotheistisch. Die Kon z ent rat ion au f den ei nen Pu n kt , Jahwe, hat der israelitischen Religion ihr eigenartiges Gepräge gegeben.“ 106 So ergibt sich für Hehn: „In Babel ist alles vom göttlichen Leben durchdrungen. Die Gottheit manifestiert sich im Leben der Natur, im Leben des Einzelnen wie der Gesamtheit, und so ist alles in die göttliche Lebenssphäre hineingezogen. Eine Scheidung des Göttlichen vom Weltlichen gibt es nicht. Der Kosmos, Ēšara, ‚das Haus des Alls‘, ist der große Götterpalast. Das die biblische von der babylonischen Gottesauffassung trennende wesent l iche Unterscheidu ngsmerk ma l darf darin gefunden werden, d a ß sich der Got t I sra­e ls i n kei ner Nat u r­e rschei­ nu ng ver­k ör per t , vielmehr tritt sei­ne Persönlichkeit auf Grund seiner Offenbarung im Laufe der Ge­schichte mit fortschreitender Klar­heit her-

105 Hehn, Gottesidee, 276 (Sperrungen wie im Original). 106 Hehn, Gottesidee, 277 (Sperrungen wie im Original). Vgl. auch ibid., S. 271–277, zum Nationalgedanken.

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Abb. 9: Deckblatt von J. Hehn, Der Untergang des Alten Orients, Würzburg 1928

Abb. 8: Deckblatt von J. Hehn, Wege zum Monotheismus, Würzburg 1913

vor. An die Stelle der Naturerscheinung tritt der unmittelbare Verkehr des Got­tes mit seinen auserwählten Of­fen­bar­ungs­or­ga­nen.“ 107 Auch in den beiden kleineren, auf Festansprachen Hehns als Rektor der Universität Würzburg zurückgehenden Schriften Wege zum Monotheismus (1913) (Abb. 8) und Der Untergang des Alten Orients (1928) (Abb. 9), thematisiert Hehn diese Problematik. Wege zum Monotheismus nimmt das Thema der im selben Jahr erschienenen Monographie Die biblische und die babylonische Gottesidee auf und fragt, wie Israel zu seinem Monotheismus gekommen sei: „Wie war es möglich, dass die Geschichte eines so kleinen Volkes wie Israel, das keine eigene Kultur hervorbrachte, solche Bedeutung in der Weltgeschichte erlangte?“108 Die Antwort darauf liegt im Monotheismus, der später vom Judentum auf das Christentum übergegangen ist. Um den israelitischen Monotheismus besser zu verstehen, erstellte Hehn eine Skizze der verschiedenen „Wege zum Monotheismus“.109

107 Hehn, Gottesidee, 280 (Sperrungen wie im Original). 108 Hehn, Wege, 4 (gesamtes Zitat im Original gesperrt gesetzt). 109 Hehn, Wege, 5 (im Original gesperrt).

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Zunächst geht Hehn ein auf den solaren oder auch kosmischen Monotheismus in Mesopotamien und Ägypten, den später auch die römische Kaiserzeit kennt.110 Diesem stellt er den nationalen Monotheismus in Babylonien und Assyrien gegenüber.111 Schließlich bespricht er den Monotheismus Israels, der „eine ganz eigene Erscheinung für sich dar[stellt].“ 112 Denn hier gilt: „Das besondere Merkmal des israelitischen Monotheismus liegt darin, dass Jahwe streng exklusiv ist und keine anderen Götter neben sich duldet. Und wenn wir fragen: Wa r u m darf Israel nur ei nen Gott verehren? Worin lag der Grund der im Alten Testament mit so rücksichtsloser Strenge aufgestellten Forderung: Du sollst keine fremden Götter neben mir haben? Warum übt der Gott Israels nicht die gleiche Toleranz gegenüber anderen Göttern wie die Götter der anderen Völker Vorderasiens?, so lautet die Antwort des Alten Testaments zunächst nicht, weil es nur einen wahren Gott gibt, sondern der Gott Jahwe hat sich a l lei n als der Gott I sraels erwiesen und darf darum von Israel auch nur allein verehrt werden. Haben aber deswegen andere Götter nicht auch Existenzrecht? A ndere Völ ker mögen andere Göt ter verehren, I srael darf es nicht, Jahwe ist für Israel der einzige Gott.“ 113 Auf die Frage, wie man in Israel zu dieser Auffassung von der Einheit Gottes gekommen war, antwortet Hehn: „Nicht etwa durch philosophische Spekulation über das Verhältnis Gottes zur Welt, sonder n d ie Ei n heit des St a at swesens er forder te d ie Ei n heit der Got t heit u nd des Ku ltes.“ 114 Das Konzept des Monotheismus hat Israel nicht etwa aus Ägypten entlehnt, was zur Zeit des Mose ja nahe gelegen hätte, sondern es liegt im Wesen JHWHs begründet. „Jahwe unterscheidet sich aber von den Göttern Vorderasiens besonders durch seine scharf ausgeprägte Eigenart. Er ist in keiner Naturerscheinung repräsentiert und darf infolgedessen auch durch kein Bild dargestellt werden. Er ist erhaben über die Natur und darum bildlos.“ 115

110 111 112 113 114 115

Vgl. Hehn, Wege, 6–9. Vgl. Hehn, Wege, 9–17. Hehn, Wege, 17. Hehn, Wege, 17f. (Sperrungen wie im Original). Hehn, Wege, 18 (Sperrungen wie im Original). Hehn, Wege, 21.

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Dazu kommt ein zweites Moment: „Was aber den israelitischen Monotheismus besonders auszeichnete und ihm schließlich den Sieg verlieh, das ist die Betonung des sittlichen Momentes. […] Jahwe begnügt sich nicht mit Tempeln, Opfern und einer mehr oder minder glanzvollen Liturgie, sondern er stellt vor allem sit t l iche Forderungen.“ 116 Damit waren die nationalen Schranken durchbrochen und der Weg zum universalen bzw. absoluten Monotheismus frei.117 Dieser geht zurück auf eine Stiftung des Mose, die die Propheten weitergaben, ausgestalteten und gegen die Neigungen eines zur Naturreligion und zum Polytheismus neigenden Volkes schützten.118 Es liegt also keine Entwicklung des Gottesgedankens aus der primitiven Volksauffassung vor.119 Die der Schrift Der Untergang des Alten Orients (1928) zugrundeliegende Rektoratsrede wurde nicht wie die Rede Wege zum Monotheismus vor dem Ersten Weltkrieg gehalten, sondern in der Zeit der Weimarer Republik. Das Thema Der Untergang des Alten Orients hatte seit dem Kriegsende von 1918 eine Gegenwartsrelevanz erhalten, an der Hehn keinen Zweifel lässt: „Vielleicht gewinnen wir ein tieferes Verständnis auch für die Gegenwart, wenn wir uns einmal die Ursachen des Untergangs des Alten Orients klar zu machen suchen.“ 120 Ausführlich schildert Hehn den Aufstieg Babylons und Assurs, deren Herrscher in erster Linie Eroberer waren.121 Eine Vergöttlichung des Königs und Ausrichtung des gesamten politischen und wirtschaftlichen Lebens auf den König hin kamen hinzu.122 Das Volk blieb unbeteiligt und unterjocht, der nationale Sinn konnte sich hier kaum entwickeln.123 Ganz anders waren die Verhältnisse in Israel, da im Mittelpunkt seiner Geschichte nicht der König, sondern das Volk stand, das Gesetz den Einzelnen vor Jahwe verpflichtete und es zum Ausgleich der sozialen Unterschiede bestrebt war und die Kleinen und Schwachen schützte.124 So ist dem Volk Israel „seine Rel ig ion der feste Boden geblieben, auf dem

116 117 118 119 120 121 122 123 124

Hehn, Wege, 23 (Sperrungen wie im Original). Vgl. Hehn, Wege, 23–28. Vgl. Hehn, Wege, 28. Vgl. Hehn, Wege, 28. Vgl. Hehn, Untergang, 4 (Sperrungen wie im Original). Vgl. Hehn, Untergang, 4–13. Vgl. Hehn, Untergang, 13–17. Vgl. Hehn, Untergang, 14. Vgl. Hehn, Untergang, 20.

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es sich erhalten konnte, als es schon längst aus der Heimat vertrieben und in alle Länder zerstreut war.“ 125 Die Begründung der Altorientalistik in Würzburg In diesem Abschnitt sollen zwei Aspekte beleuchtet werden: Die Lehre Hehns an der Universität Würzburg unter der Fragestellung, ob und inwieweit die Assyriologie Eingang in seine vom Wintersemester 1903/04 bis zum Sommersemester 1932 angebotenen Lehrveranstaltungen gefunden hat, und die damit verbundene Frage nach der Einrichtung der Altorientalistik als einer eigenständigen Disziplin an der Universität Würzburg. Ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse der Universität Würzburg lässt für den Zeitraum von 1904 bis 1930 folgende assyriologische Lehrveranstaltungen Hehns erkennen: Assyrisch, zweiter Kursus (SS 1904),126 Lektüre assyrischer historischer Texte mit besonderer Berücksichtigung der alttestamentlichen Parallelen (WS 1904/05), Assyrisch a) für Anfänger, b) für Fortgeschrittene (SS 1905), Assyrische Lektüre und Über die Ausgrabungen in Assyrien und Babylonien und ihre Bedeutung für die Bibel (WS 1905/06), Assyrisch für Anfänger (SS 1908), Die biblische Urgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der babylonischen Mythen (SS 1913), Erklärung der biblischen Urgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der babylonischen Mythen (WS 1915/16), Die biblische und die babylonische Urgeschichte (SS 1921), Kritische Besprechung der Schrift von Friedrich Delitzsch: „Die große Täuschung“ (SS 1922) und Die biblische Urgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der babylonischen Parallelen (SS 1930). Bei einem Blick auf diese Lehrangebote fällt unmittelbar auf, dass sich ab dem Sommersemester 1908 eine Zäsur beobachten lässt: Assyrisch als Sprachkurs wird nun nicht mehr angeboten (dies erklärt sich mit der neueingerichteten Professur von Maximilian Streck) und ab dem Sommersemester 1913 erfolgt eine Erklärung der Urgeschichte auf dem Hintergrund der babylonischen Mythologie, eine Lehrveranstaltung, die insgesamt viermal angeboten wurde. Allerdings

125 Hehn, Untergang, 20 (Sperrung wie im Original). 126 Vermutlich hatte Assyrisch I bereits im WS 1903/04 stattgefunden. In einem Brief an Abert vom 19. September 1903, in dem sich Hehn bei dem damaligen Rektor der Universität Würzburg für seine am 16. September erfolgte Ernennung zum Privatdozenten bedankt, ging Hehn auf die Schwierigkeiten der Abstimmung der Lehre an der Fakultät mit Braun ein. Ihm zuliebe verzichtete Hehn auf das Hebräische und schreibt: „Stattdessen habe ich noch 2 St. Assyrisch genommen.“; vgl. Wittstadt, Würzburger Diözesangeschichtsblätter 42 (1980) 455. Diese dürften im WS 1903/04 stattgefunden haben, gelangten aber aufgrund der späten Anmeldung nicht mehr in das gedruckte Vorlesungsverzeichnis.

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bot Hehns Schüler Friedrich Nötscher (1890–1966)127, der 1922 bei Bruno Meisner (1868–1947)128 im Fach Assyriologie mit einer Arbeit über den Gott Enlil in Berlin promoviert worden129 und seit 1927 außerplanmäßiger Professor an der Theologischen Fakultät in Würzburg war, im Sommersemester 1927 Assyrisch II an. Um dies alles zu verstehen, muss man etwas weiter ausgreifen. Seit 1894 gab es an der Theologischen Fakultät in Würzburg eine Professur für semitische Sprachen und Literatur und ein dem jeweiligen Inhaber dieser Professur unterstelltes Seminar für semitische Sprachen und Literatur.130 Die Etablierung dieser Professur datiert nicht nur in die Amtszeit von Scholz, sie geht auch auf seine Anregung zurück,131 womit ein weiterer Beleg für seine Aufgeschlossenheit für die Orientalistik vorliegt. Bereits anlässlich der ersten Besetzung dieser Professur hatte die Philosophische Fakultät den Versuch unternommen, sie zu übernehmen, war damit aber gescheitert. Allerdings hatte das Ministerium insofern für die Zukunft eine Hintertür offengelassen, als es festhielt, dass zwar der jetzige Stelleninhaber, Oskar Braun, der Theologischen Fakultät angehöre, die Professur aber nicht förmlich dieser Fakultät einverleibt werde.132 O. Braun unterrichtete Arabisch, Äthiopisch, Syrisch, Koptisch, Neupersisch und Armenisch.133 Von diesem philologischen Angebot der Theologischen Fakultät hatte auch der Student Hehn über mehrere Jahre hinweg profitiert. Im Jahre 1903 war dann Hehn nach seiner bei Delitzsch erfolgten Promotion in Assyriologie als Professor wieder an seine alte Fakultät zurückgekommen. 1907 ergab sich im Bereich der Professur für semitische Sprachen und Literatur insofern eine Änderung, als Braun 1907 die Professur für Patrologie, Liturgie und Pastoraltheologie übernahm. Damit wurde die Professur für semitische Sprachen und Literatur frei und im Zusammenhang mit der Neubesetzung kam erneut die Frage auf, wohin diese Professur in Zukunft gehen sollte. Über diese Vorgänge informierte Hehn den Assyriologen Heinrich Zimmern in Leipzig am 21. Januar 1907: „Wahrscheinlich wird demnächst das Extraordinariat für semitische Sprachen an hiesiger Universität frei; die Professur befindet sich z.Z. in der theol. Fakultät, wird aber wahrscheinlich nunmehr in die philoso127 Zu Nötscher vgl. Seidel, Erforschung, 208–211; Scharbert, Nachtrag, 349–360; idem, Art. Nötscher. 128 Zu Meissner vgl. Borger, Art. Meissner. 129 Vgl. Nötscher, Ellil, und idem, Ellil in Sumer und Akkad. 130 Vgl. dazu Ganzer, Fakultät, 358–360; von Schuler, Information der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität 21/1 (1987) 16; Walter, Bildung, 97. 131 So Stummer, Scholz, 298f. 132 Vgl. zum gesamten Vorgang Ganzer, Fakultät, 358–360. 133 Vgl. von Schuler, Information der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität 21/1 (1987) 16.

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phische kommen. Ich habe natürlich in die Besetzḡ vorläufig nichts zu reden, soviel ich aber merke, möchte man einen Assyriologen als Semitisten haben. Die Auswahl ist eigentlich nicht groß, da sich seit langem keine Assyriologen mehr habilitiert haben.“ 134 Hehn hielt seinen Leipziger Kollegen auch weiterhin in Briefen über die Angelegenheit auf dem Laufenden.135 Während eine Fraktion der Theologischen Fakultät für den Verbleib der Professur in der eigenen Fakultät plädierte, sprachen sich Merkle, Hehn und Franz Xaver Kiefl (1869–1928)136 zugunsten einer Integration in die Philosophische Fakultät und somit auch für eine Verselbstständigung der semitischen Sprachen und Literatur und ihre Ausgliederung aus der Theologischen Fakultät aus. Dem widersprach ihrer Ansicht nach nicht, dass die Umschreibung des Lehrstuhls für alttestamentliche Wissenschaft an der Theologischen Fakultät „Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen“ lautete. Zunächst aber konnte sich diese Meinung in der Fakultät nicht durchsetzen. Es bedurfte erst eines Sondervotums von Hehn an den Senat der Universität, um den Weg für die Ansiedlung der Professur in der Philosophischen Fakultät frei zu machen. Zugunsten der Ausgliederung der Professur für semitische Sprachen und Literatur aus der Theologischen Fakultät entschied am 11.3.1908 dann auch der Senat der Universität. Als Professor für semitische Sprachen und Literatur wurde noch im selben Jahr Maximilian Streck 137 an die Philosophische Fakultät berufen. Dem sich damit ergebenden Wechsel der Professur an die Philosophische Fakultät folgte einige Jahre später auch das Seminar für semitische Sprachen und Literatur, das zunächst noch an der Theologischen Fakultät verblieben war, obwohl Braun mittlerweile Professor für Patrologie, Liturgie und Pastoraltheologie geworden war. Nach einigem Hin und Her verzichtete Braun auf die Leitung dieses Seminars, die im März 1909 auf Streck überging.138 Die Professur von Streck wurde 1916 zum Ordinariat aufgewertet.139 Eine weitere Erklärung dafür, dass Hehn immer weniger Assyrisch unterrichtete, liegt darin, dass 1913 sein Buch Die Biblische und die babylonische Gotte134 Brief an Zimmern, Universitätsbibliothek Leipzig. 135 Vgl. Briefe an Zimmern vom 6. Februar 1907, 20. März 1907, 16. Mai 1907 und 26. Februar 1908, Universitätsbibliothek Leipzig. 136 Zu Kiefl vgl. Lesch, Art. Kiefl, und Weiß, Modernismuskontroverse, 90–98, 238–258, 262– 272, 381–394. 137 Zu Streck vgl. Renger, Geschichte, 172f.; von Schuler, Information der Bayerischen JuliusMaximilians-Universität 21/1 (1987) 16f.; Borger, Art. Streck. 138 Dazu Walter, Bildung, 97, 189 Nr. 10. Vgl. jetzt ausführlich den Beitrag von Nils P. Heeßel in diesem Band. 139 Vgl. dazu den Beitrag von Nils P. Heeßel in diesem Band.

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sidee und seine Schrift Wege zum Monotheismus vorlagen. Somit konnte er die Erträge seiner Forschungen jetzt auch im Seminar besprechen. Zudem war seit 1905 der Babel-Bibel-Streit abgeflaut, so dass man die biblische Urgeschichte und ihre babylonischen Parallelen problemlos zum Thema machen konnte. Auch die Indizierung Hehns im Jahre 1925 hielt ihn nicht davon ab, sich im Sommersemester 1930 diesem Thema wieder zuzuwenden. Schluss Unser kurzer Rückblick auf das wissenschaftliche Œuvre und das universitätspolitische Engagement von Anton Ritter von Scholz und Johannes F. Hehn konnte deutlich machen, dass die Wiege der Würzburger Altorientalistik in der Katholisch-Theologischen Fakultät der Alma Julia stand. Das in ihr geborene und gepflegte Kind legte einen weiten Weg zurück von der Apologetik (Scholz) über die altorientalische Philologie und Religionsgeschichte (Hehn) bis hin zur fachlichen Eigenständigkeit (Streck). Seither genießt die mit Streck einsetzende Reihe der Würzburger Altorientalisten, ihre Lehre und ihr wissenschaftliches Œuvre einen international hohen Ruf,140 von dem nicht zuletzt große in Würzburg abgehaltene Kongresse Zeugnis ablegen.141 Ad multos annos!

140 Vgl. den Überblick bis hin zu Wilhelm Eilers bei von Schuler, Information der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität 21/1 (1987) 15–20, sowie die Beiträge von Gernot Wilhelm und Nils P. Heeßel in diesem Band. 141 So fanden der IV. Internationale Kongress für Hethitologie 1999 (vgl. Wilhelm, Akten) und die 54e Rencontre Assyriologie Internationale 2008 (vgl. Wilhelm, Organization) in Würzburg statt.

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Ritter von Scholz und Hehn als Wegbereiter der Altorientalistik in Würzburg

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Herbert Niehr

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Zur Geschichte der Assyriologie in Deutschland von Johannes Renger (Freie Universität Berlin)

Dieser Essay spannt einen Bogen vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Zeit von 1933. Vieles, was hier folgt, ist bereits bekannt und wurde in anderem Zusammenhang erörtert. Aber ich möchte versuchen, bestimmte Linien aufzuzeigen, die sich im Rückblick aus den bloßen Fakten ergeben. Auch ist die Geschichte der Assyriologie in Deutschland so umfangreich und komplex, dass Vieles nur summarisch dargestellt werden kann, und ich kann an dieser Stelle nicht etwas leisten, was Svend Aage Pallis1 auf vielen hundert Seiten getan hat. Auch ist hier der Vergleich mit der Entwicklung des Faches in anderen Ländern (etwa den Niederlanden, Belgien, Frankreich, England, Skandinavien und den USA) nicht möglich. Benno Landsberger spricht 1962 von einem „  … ‘goldenen Zeitalter’ (etwa 1895–1918), aber in die Nachkriegszeit reichend“ hinsichtlich der Assyriologie und ihrer Nachbarwissenschaften, deren Geschichte geschrieben werden müsse.2

1 Pallis, Antiquity. 2 Landsberger, Forschungen und Fortschritte 36 (1962) 219. Im Übrigen gibt Landsberger Auskunft über seine eigene wissenschaftstheoretische Position gegenüber Methoden und wissenschaftlichen Zeitströmungen, denen sich das junge Fach Assyriologie zu stellen hatte.

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Johannes Renger

Carsten Niebuhrs „Reisebeschreibung nach Arabien und den umliegenden Ländern“ und was folgt Ende des 18. Jahrhunderts reiste Carsten Niebuhr in den Orient. In seinem Reisebericht von 1774, Reisebeschreibung nach Arabien und den umliegenden Ländern, hat er zuverlässige Kopien der Achaimeniden-Inschriften aus Persepolis und anderen Plätzen der europäischen Welt bekannt gemacht. Sie gaben Friedrich Münter und schließlich dem Göttinger Gelehrten Georg Friedrich Grotefend (Abb. 1) Anreiz und Grundlage für seine erfolgreiche Entzifferung der altpersischen Keilschrift im Jahr 1802, die später von Henry Creswicke Rawlinson vollendet wurde. Grotefend stützte sich auf die Trilinguen achaimenidischer Herrscher, die in Keilschrift verfasst waren in Altpersisch, Elamisch – einer in den Verwaltungsurkunden des Achaimeniden-Reiches verwendeten Sprache3 – und Babylonisch-Assyrisch. Grotefend legte damit den Grundstein für den wissenschaftlichen Zugang zur Textüberlieferung des Alten Orients. Fast zeitgleich mit Grotefends Entzifferung der altpersischen Keilschrift lieh sich Johann Wolfgang von Goethe in Weimar Niebuhrs Reisebericht in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek aus – vom Januar bis zum Frühjahr 1800. Das ergibt sich aus den Leihzetteln der Bibliothek.4 Worum ging es Goethe? Er war mit der Ausgestaltung des Weimarer Schlosses an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert beschäftigt. In einem Saal des Schlosses sollten die Ursprünge und Grundlagen der gegenwärtigen europäischen Kultur bildlich und symbolisch dargestellt werden. Vertreten waren dabei nun nicht nur die klassische griechisch-römische Antike, sondern auch Ägypten in Gestalt gusseiserner Sphingen, hergestellt in der Kunstgießerei in Lauchhammer in der Niederlausitz, sowie auch der Alte Orient in Gestalt von Pappmaché-Paneelen mit phantasievoll nachgeformter Keilschrift.5 Das Vorbild waren Niebuhrs Zeichnungen der Keilinschriften von Persepolis. Schon etwas früher als Goethe war Johann Gottfried Herder an den Inschriften aus Persepolis interessiert. Herder hatte sich in seiner Schrift von 1787 Persepolis. Eine Mutmaßung und 1798 in Persepolitanische Briefe geäußert. 1802 hatte ihm sein Freund Friedrich Münter, den auch Goethe kannte, seinen Versuch über die keilförmigen Inschriften zu Persepolis zugeeignet.6 Ob Herder die 1801 in London erschienene Dissertation on the newly discovered Ba-

3 Ein Teil der in Persepolis gefundenen Keilschrifttäfelchen wurde von Cameron, Trea­sury Tablets (108 Texte) und von Hallock, Fortification Tablets (2000 Texte) publiziert. 4 Von Keudell, Goethe, 35. 5 Bei rezenten Restaurierungsarbeiten auf dem Dachboden des Schlosses entdeckt, siehe dazu Bothe, Dichter, 84–86 (mit Abbildung der Paneele). 6 Siehe Bothe, Dichter, 84 Anm. 115.

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Zur Geschichte der Assyriologie in Deutschland

bylonian inscriptions von Joseph Hager kannte, lässt sich nur mutmaßen.7 Ganz ähnlich wie Goethe verfuhr Napoleon in Form von pseudo-ägyptischen Hieroglyphen, als er 1814/15 auf Elba die Wände seines Speisesaales in seinem Landsitz, der Villa San Martino bei Portoferraio, schmücken ließ: Eindrucksvoll ist dabei die hieroglyphische Biene als um 180° gedrehtes und von ihm selbst entworfenes Symbol seiner Herrschaft. Die weitere Entzifferung der Keilschriften nach Grotefend verdanken wir hauptsächlich Bemühungen in England und Frankreich. Sie sind vor allem mit dem Namen Henry Rawlinson verbunden, der sich zunächst Abb. 1: Georg Friedrich Grotefend (ca. 1802) der altpersischen Keilschrift zugewandt hatte.8 Edward Hincks, Fox Talbot9 und Jules Oppert widmeten sich der babylonisch-assyrischen Keilschrift. Einen entscheidenden Punkt in der Entzifferung der babylonisch-assyrischen Keilschrift durch sie markieren die umfangreichen Palast-Inschriften des Assyrer-Herrschers Sargon II., die Émile Botta 1845 bei seinen Ausgrabungen in Horsabad, dem assyrischen Dūr-Šarrukīn, gefunden hatte.10 In der Folge bemühten sich zahlreiche Gelehrte um die Erschließung dieser historischen Quellen. Das führte zu einer teils heftig und sehr kontrovers geführten Debatte hinsichtlich der Validität der jeweils vorgelegten Ergebnisse. Es war die Royal Asiatic Society in London, die 1856 einen Wettbewerb ausschrieb, um feststellen zu lassen, 7 Für Herder findet sich kein Eintrag zu Hager in Schneider, Entleihungen. Zu Goethes Austausch über die Inschriften aus Persepolis mit Herder siehe Bothe, Dichter, 84–86. Die deutsche Übersetzung Ueber die vor kurzem entdeckten Babylonischen Inschriften. Aus dem Englischen uebersetzt und mit Anmerkungen begleitet von Julius Klaproth befindet sich in der Universitätsbibliothek Jena, das englische Original in der Universitätsbibliothek Göttingen. Der wissenschaftliche Dienst der Anna-Amalia-Bibliothek konnte keine Hinweise darauf finden, woher Herders Kenntnis von Hagers Schrift stammt. Da die deutsche Übersetzung 1802 in Weimar erschienen ist, dürfte Herder unmittelbare Kenntnis davon gehabt haben, sie vielleicht sogar veranlasst haben. 8 Siehe Borger, Persica 7 (1975–1978) 1–5. 9 Zu Talbot siehe Diekmann, Talbot’s Tools. 10 Publiziert von Botta, Monument.

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Johannes Renger

ob die assyrische Keilschrift als entziffert zu gelten habe. Aufgefordert waren Hincks, Rawlinson, Talbot und Oppert. Als Ergebnis des Wettbewerbs, bei dem es um einen Textabschnitt einer Inschrift auf einem Tonprisma Tiglatpilesers I. ging,11 zeigte sich, dass alle vier Beteiligten den Text gleichermaßen übersetzt hatten. Die Entzifferung der babylonisch-assyrischen Keilschrift konnte nun als gelungen gelten. In den folgenden Jahren wirkten vor allem Hincks, Edwin Norris, George Smith und Rawlinson in England sowie Joachim Ménant und Oppert in Paris zielstrebig an der Publikation und weiteren Erschließung der zahlreichen ins British Museum und in den Louvre gebrachten Texte. Damit wurden das Interesse und das Wissen um die Geschichte und Kultur Babyloniens und Assyriens entscheidend erweitert und beeinflusst. Dazu trugen in besonderer Weise die von Rawlinson seit 1861 in seinem monumentalen Corpus The Cuneiform Inscriptions of Western Asia in Zusammenarbeit mit Norris, Smith and Theophilus Goldridge Pinches herausgegebenen Texte aus den Beständen des British Museum bei. Etwas anders sah die Situation in Deutschland aus: Das neue Wissensfeld, das später mit dem Namen Assyriologie bezeichnet wurde, hatte zunächst einen schweren Stand. In England und Frankreich dagegen hatten, bedingt durch das außenpolitische Interesse der jeweiligen Regierungen im Hinblick auf den schwächelnden oder gar schwachen osmanischen Staat, Diplomaten wie Botta12 für Frankreich und Austin Henry Layard,13 im diplomatischen Dienst in unterschiedlichen Funktionen, später britischer Konsul in Venedig, durch ihre Gra­ bungen in Mesopotamien die Entwicklung der Forschung zum Alten Mesopotamien befördert. Die damit verbundene Rolle der beiden nationalen Museen, Louvre und British Museum, in die die dabei gemachten Funde gelangten, beflügelte auch das Interesse gebildeter Schichten in beiden Ländern,14 wobei die nun bekannt gewordenen Beziehungen zur Geschichte Israels Bedeutung erlangten. Schon im 18. Jahrhundert spielten in Europa vom Orient beeinflusste Modeströmungen, der Orientalismus wie die Turqueries und die Chinoiseries eine Rolle. Aber hinzu kam nun etwas anderes: Entfacht durch Napoleons Ägyptenfeldzug faszinierten Ägypten und Ägyptisches ungemein. Die dadurch entstandene Ägyptomanie,15 die auch Deutschland erreichte, mag letztendlich dazu 11 Siehe Grayson, Inscriptions, 7f. zu A.0.87.1 Exemplare 3 und 4 = BM 91033 und 91034. Diese Exemplare wurden jeweils 1852 von Layard und 1853 von Rassam in Assur gefunden, siehe Rassam, Asshur, 20. 12 Zu Botta siehe Lion – Michel, Botta, 141–143. 13 Zu Layard siehe Fales, Layard, 708–710. 14 Siehe B. Pedde, Orient-Rezeption, 1214, und F. Pedde, Der Alte Orient aktuell 13 (2015) 21–24, u.a. zu der Präsentation assyrischer Reliefs im sogenannten Crystal Palace während der Weltausstellung 1852 in London. 15 Siehe Syndram, Orient-Rezeption, 1205–1210.

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geführt haben, dass König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1842 eine „Königlich Preußische Expedition nach Aegypten und Aethiopien“ unter Leitung des 32-jährigen Ägyptologen Richard Lepsius16 entsandte. Sie kehrte 1845 mit einer reichen inschriftlichen Dokumentation und vielen Denkmälern nach Berlin zurück, d.h. vor Bottas und Layards Ausgrabungen in Mesopotamien. Wie bedeutend das Ergebnis der Ägypten-Expedition war, zeigt sich auch darin, dass daraufhin dem Zurschaustellen der ägyptischen Altertümer eine zentrale Rolle im Gefüge der Königlich Preußischen Museen zufallen sollte: Der Bau und die Gestaltung des sogenannten Neuen Museums in den Jahren 1843–1856 durch den Schinkel-Schüler Friedrich August Stüler wurde alsbald – also noch während der Bauphase – auf die Bedürfnisse der zahlreichen monumentalen Fundstücke der Ägypten-Expedition hin ausgerichtet. Bereits 1842 begannen die Planungen für Wilhelm von Kaulbachs Hauptwerk, die Bilder zu einer „Weltgeschichte“ im Treppenhaus des Neuen Museums in Berlin.17 Dargestellt wurden 1. Der Turmbau zu Babel (Völkerscheidung), 2. Die Blüte Griechenlands (Homer und die Griechen), 3. Die Zerstörung Jerusalems durch Titus (Anfänge des Christentums), 4. Die Hunnenschlacht (Völkerwanderung), 5. Die Kreuzfahrer vor Jerusalem (Mittelalter), 6. Die Reformation.18 Die Vollendung zog sich bis 1865 hin. Die ägyptische Geschichte berücksichtigte von Kaulbach nicht, da sie im Neuen Museum umfassend zur Geltung kam. Die Gemälde wurden im Zweiten Weltkrieg leider vollständig zerstört. Konnte das Interesse der Wissenschaft und der Öffentlichkeit an der Kultur des Alten Ägypten durch die spektakulären Ergebnisse der Ägyptischen Expedition von Lepsius und die Präsentation der von ihm nach Berlin gebrachten Objekte im Neuen Museum enorm geweckt werden, fand die Kultur des Alten Mesopotamien zunächst nur geringe Beachtung in der Öffentlichkeit. Allerdings erwarben seit der Mitte des 19. Jahrhunderts archäologische Sammlung an den Universitäten und die Museen vereinzelt Gipsabgüsse altorientalischer Artefakte, die zum Teil aus den englischen Grabungen im Irak stammten. Dazu gehört ein Abguss des Schwarzen Obelisken Salmanassars III. aus Nimrud (Rehm, In Stein gemeißelt, 564) in der Gipssammlung der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden. Das Archäologische Museum Robertinum der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erstand 1848 einen Gipsabguss der 1846 für die Berliner Museen mit Hilfe des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. erworbenen Stele Sargons II. aus Zypern (Rehm, ibid., 560). Im Institut für Semitistik der Universität Leipzig (mit seinen Abteilungen für Arabistik und Assyriologie) existierte ein Abguss des Reliefs der „Sterbenden Löwin“ aus dem Palast As16 Zu Lepsius siehe im Detail Freier, Lepsius, 724–726. 17 Minkels, Stifter, 255–282, 486. 18 Baedecker, Berlin, 75.

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Johannes Renger

surbanipals in Ninive. Der Zeitpunkt des Erwerbs kann nicht mehr festgestellt werden, da die entsprechenden Unterlagen im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Folgende: Der Tierbildhauer August Gaul (1869–1921), Gründungsmitglied der „Berliner Sezession“, verfremdete eine Fotografie des Reliefs als Abbild Albions auf dem Titelblatt der Zeitschrift Der Bildermann – Steinzeichnungen fürs deutsche Volk (hg. von Paul Cassirer) Nr. 4 vom 20. Mai 1916 mit der Unterschrift „Kut el-Amara“ als beziehungsvollen Verweis auf die vernichtende Niederlage der englischen Armee am 29. April 1916 bei Kut el-Amara im Irak gegen die osmanischen Truppen. Abb. 1a: Titelseite der Zeitschrift Der Drei der Beteiligten an dem WettbeBildermann 1, Mai 1916 (Quelle: Universitätswerb der Royal Asiatic Society – Hincks, bibliothek Heidelberg, http://digi.ub.uniTalbot und Rawlinson – waren gebildete heidelberg.de/diglit/bildermann1916/0019) Laien, stammten nicht aus dem akademischen Milieu. Anders sah die Situation in Deutschland aus. Hier waren es vor allem Althistoriker, Alttestamentler und Semitisten an den Universitäten, die mit massiver Kritik und großer Skepsis dem begegneten, was Hincks, Talbot, Rawlinson und Oppert bereits geleistet hatten. Zum Teil wurde sogar der semitische Charakter der dritten Sprache, d.h. der assyrisch-babylonischen Version der Inschriften von Persepolis, bezweifelt. Vor allem aber stürzte man sich mit harscher Kritik auf die wiederholt notwendigen Korrekturen, besonders was die Lesung von Namen betraf. Man war nicht bereit und in der Lage, das Prinzip der Polyvalenz der Keilschriftzeichen zu akzeptieren. Einen ersten Versuch, die geäußerten Bedenken zu zerstreuen, unternahm der Alttestamentler und Semitist Justus Olshausen. Er gehörte 1844/45 zu den Initiatoren bei der Gründung der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Sie war die letzte der nationalen orientalistischen Gesellschaften: 1822 Societé Asiatique, 1824 Royal Asiatic Society, 1842 American Oriental Society. Olshausen lehrte zuerst in Kiel, dann an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und war seit 1860 ordentliches Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Er gehörte zu den über die eigene Universität hinaus einflussreichen Persönlichkeiten im Wissenschaftsbereich Preußens, denn neben seiner akademischen Position war er von 1858 bis 1874 vortragender Rat und Referent für alle preußischen Universitäten im Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizi-

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Zur Geschichte der Assyriologie in Deutschland

nalangelegenheiten (Kultusministerium) in Berlin. Insofern waren seine beiden Vorträge zur Entzifferung der babylonisch-assyrischen Keilschrift am 5. Dezember 1861 und am 11. Mai 1863 vor der Akademie auch von besonderem Gewicht jenseits ihres rein wissenschaftlichen Inhalts.19 Den entscheidenden Anstoß für die Beseitigung der weiterhin geäußerten Zweifel darüber, ob die Entzifferung der Keilschrift als gelungen zu gelten habe, gab dann schließlich Eberhard Schrader, damals Professor für Altes Testament in Zürich, mit einem ersten grundlegenden Aufsatz „Die Basis der Entzifferung der assyrisch-babylonischen Keilinschriften, geprüft von Eberhard Schrader“ (1869).20 Die sich daraus entwickelnde Auseinandersetzung zwischen Schrader und dem Kirchenrat Ferdinand Hitzig fand zwölf Jahre nach der Ausschreibung der Royal Asiatic Society statt, die doch mit einem überzeugenden Ergebnis geendet hatte! Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die kritische Position Opperts lange bevor die kritisch-historische Herangehensweise an die Überlieferung des Alten Testaments zur Lehrmeinung in der protestantischen Theologie geworden war. Oppert äußert sich 1866 in ausgesprochen witziger, ja sarkastischer Weise, zu den chronologischen Kontroversen zwischen Schrader und Hitzig, die sich bezüglich der Bedeutung der Zeugnisse assyrischer Königsinschriften zu den Angaben des Alten Testaments zur Geschichte Israels entzündet hatten. Oppert schreibt dazu: „So besteht auch die Chronologie darin, biblische und profane Zahlen solange zierlich abzustutzen oder zu vergrößern, bis das im Voraus aufgestellte System ‚glänzend nachgewiesen‘ ist […] So ist es auch mit den assyrischen Studien gegangen, insofern sie mit der biblischen Geschichte in Berührung kommen. Man hat Systeme aufgestellt, die alle mit Salomonis templo und Mosis exodo in Beziehung stehn, und um diesen entfernten Daten in seiner Weise zu genügen, hat man in der spätern Geschichte die Regierungsdauer der Könige zer-, be- und verschnitten. Am schlimmsten ist der sonst wenig bedauernswerthe Manasse weggekommen, der in seinem Gebet vergaß zu bitten, ihn gegen die Chronologen zu schützen.“21 Ganz offensichtlich blieben Schraders Argumente in seinem Aufsatz von 1869 zunächst ohne nennenswerte Wirkung. Schrader nahm gerne an, als ihn, der inzwischen Professor für Altes Testament in Gießen war, deshalb der Vorstand der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft wenig später beauftragte,

19 Gedruckt 1865 als Olshausen, Prüfung. 20 Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 23 (1869) 337–374. 21 Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 20 (1866) 176.

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Johannes Renger

„eine erneute und erweiterte Untersuchung der Grundlagen der Ent­ zifferung der dritten Keilschriftgattung22 vorzunehmen unter gleichzeitiger Berücksichtigung und Entscheidung der wichtigsten in Betracht kommenden Differenzen der Entzifferer, um so eine Einsicht in das Maß der schon jetzt zu erreichenden Gewissheit zu ermöglichen bzw. die schon gewonnene zu verstärken.“23 Die Art der Formulierung des Auftrags des Vorstandes der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft lässt deutlich erkennen, welcher Position der Vorstand zuneigte. Über seine Motive, den Auftrag anzunehmen, sagt Schrader: „schon früher [d.h. 1869, Verf.] haben wir in einer kürzeren Ausführung die vielleicht brennendste Frage der altorientalischen Wissenschaft einer Prüfung unterstellt in der Erwartung, dass durch dieselbe die Gegner der Entzifferung sich zu einer wissenschaftlichen Formulierung und Begründung ihrer Zweifel möchten veranlasst sehen. Diese Erwartung ist leider unerfüllt geblieben. Von keiner einzigen Seite ist ein derartiger Versuch gemacht worden. Scheint es demnach, als ob das begonnene Tirailliergefecht dem Feinde noch zu geringfügig gewesen ist, so gelingt es vielleicht durch Inswerksetzung des Aufmarsches der gesamten zur Verfügung stehenden Truppen den Gegner zur Entfaltung auch seiner Kräfte zu vermögen.“24 Die Gründlichkeit von Schraders Arbeit – 1872 erschienen und knapp 400 Seiten lang – scheint nun endgültig ihre Wirkung gehabt zu haben. Interessanterweise hat es eine Art Nachhutgefecht zwischen zwei prominenten Althistorikern gegeben: zwischen Hermann Alfred von Gutschmid gegenüber Maximilian Duncker25 und Eberhard Schrader. Duncker, aus einer Berliner Verleger-Familie stammend, wegen seiner liberal-demokratischen Aktivitäten für mehrere Jahre zu Festungshaft verurteilt, gehörte später dem Frankfurter Parlament und dann linken Fraktionen im Parlament des Norddeutschen Bundes an. Duncker hatte sich an die Seite Schraders gestellt. Daher übte Gutschmid, der führende Althistoriker von hohen methodischen Graden, weiterhin ätzende Kritik an

22 D.h. der akkadischen Version der Inschriften der Achaimenidenherrscher (neben der altpersischen und elamischen Version). 23 Schrader, Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 26 (1872) 2. 24 Schrader, Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 26 (1872) 1f. 25 Siehe Wiesehöfer, Gutschmid, 729–743.

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den historischen Schlussfolgerungen Schraders.26 Heute erscheint uns die Kritik Gutschmids schwer nachvollziehbar, wenn er gegen Duncker und sein Geschichtswerk in einer Rezension schreibt: „Die Zeitangaben des Berossos sehe jener […] als durch die Inschriften als widerlegt an und scheine sie an Wert kaum höher einzuschätzen als die des Ktesias und hierin durchaus mit Schrader übereinstimmend.“ 27 Gutschmid fährt dann fort: „… man darf wohl die Frage aufwerfen, ob die Assyriologie in ihrem eigenen Interesse wohl daran thut, gleich von vornherein leichten Herzens das vertrauendwürdigste aus dem Altertum uns erhaltene Denkmal – d.h. die Babyloniaka des Berossos – über die Geschichte der Euphratländer und damit das einzige Correktiv für den Ikarusflug der Entzifferung als lästigen Ballast über Bord zu werfen.“28 Schrader, durch von Gutschmid damit indirekt angesprochen, antwortet 1878 mit seinem Buch Keilschrift und Geschichtsforschung. Ihm geht es darum, seine Leser auf die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel, ihre Zulänglichkeit für die Entzifferung der Keilschrift sowie auf die dabei angewandten Methoden und ihre kritische Überprüfung hinzuweisen. Außerdem ist es sein Anliegen, die gewonnenen orthographischen, sprachlichen und lexikalischen Ergebnisse aufzuzeigen und zu würdigen. Schraders Arbeit besteht darüber hinaus in einer ausführlichen Darstellung der assyrisch-babylonischen Grammatik. Als ein Beispiel für die erreichten Erkenntnisse bietet er in Umschrift und Übersetzung die akkadische Version der Achaimeniden-Inschriften aus Persepolis. Interessant erscheint mir, dass Schrader ausführlich Gebrauch macht von den sumerisch-akkadischen Vokabularen, die Rawlinson und Norris in den beiden ersten Bänden der Cuneiform Inscriptions of Western Asia 1861 und 1866 publiziert hatten. Beachtlich ist, dass Schrader die Sprache, die später als Sumerisch bezeichnet wird, als eine agglutinierende Sprache erkannte, „die weder eine semitische noch eine indogermanische war.“ Aus dem Jahr 1883 stammt auch Paul Haupts Artikel über die akkadische Sprache, womit er das Sumerische be-

26 Ausführlich dargestellt von Wiesehöfer, Gutschmid, 730f.; Cancik-Kirschbaum, Assyrien, 360f. 27 Schrader, Keilschrift, 22. 28 Schrader, Keilschrift, 22 Anm. 38.

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zeichnete.29 Nicht vergessen zu werden verdient Haupts Das babylonische Nimrodepos. Keilschrifttext der Bruchstücke der sogenannten Izdubarlegenden mit dem keilinschriftlichen Sintflutberichte nach den Originalen im Britischen Museum copirt und herausgegeben (Assyriologische Bibliothek 3, 1884–1891). Gegenüber Reginald Campbell Thompsons The Epic of Gilgamish: Text, Transliteration, and Notes (1930) nicht originalgetreuen Kopien des Keilschrifttextes des Gilgamesch-Epos zeichnen sich Haupts Kopien durch ihre bestechende Exaktheit aus. 1874–1875: Assyriologie als akademisches Fach an den Universitäten in Deutschland Die Jahre 1874 und 1875 waren – vielleicht eher zufällig – von großer Bedeutung für die deutsche Assyriologie. Im Jahr 1873 war der gerade 23-jährige Friedrich Delitzsch30 (Abb. 2 und 3) in Jena Eberhard Schrader begegnet, der damals kurz vor seinem 40. Lebensjahr stand. Delitzsch erinnert sich an diese Begegnung in seiner „Selbstbiografie“ in recht amüsanter Weise.31 Der Ausgang dieser Begegnung sollte sich für die Assyriologie – nicht nur in Deutschland – als äußerst fruchtbar erweisen, denn bereits im folgenden Jahr habilitierte sich Delitzsch in Leipzig für das Fach Assyriologie bei dem bedeutenden Arabisten Heinrich Leberecht Fleischer.32 Seine Motive begründete er mit „der Erwägung, dass das Fach Assyriologie in Paris schon seit Jahren durch Jules Oppert, Françoise Lenormant und Joachim Ménant, in Oxford durch Archibald Henry Sayce, in Zürich früher durch Eberhard Schrader vertreten, auch an einer deutschen Universität vertreten zu werden verdiene.“33 Sicher nicht Delitzschs den Professoren der Berliner Universität und den Mitgliedern der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften unbekannte Erwägung in seinem Habilitationsantrag, sondern ein offensichtlich breites Einverständnis hat im Jahr 1875 zur Berufung Schraders auf einen Lehrstuhl für „Assyriologie und semitische Sprachen“ und zur gleichzeitigen Mitgliedschaft in 29 Haupt, Sprache, 102. Siehe dazu im Einzelnen die Bemerkungen zu einer Kontroverse zwischen ihm und Hommel bei Renger, Altorientalistik als … Disziplin, 54. 30 Lehmann, Delitzsch, 293–296. 31 Ausführlich in Renger, Geschichte der Altorientalistik, 152. 32 Für eine ausführliche Würdigung der herausragenden Rolle von Fleischer für die Anfänge der Assyriologie in Leipzig siehe Müller, Fleischer, 40–45. 33 Aus dem handgeschriebenen Lebenslauf von Delitzsch, den er dem Antrag auf Zulassung zur Habilitation beigefügt hatte, zitiert nach Müller, Wissenschaftliche Zeitschrift der KarlMarx-Universität Leipzig 28 (1979) 68 Anm. 6, betr. Antrag auf Zulassung zur Habilitation vom 14.3.1874: Universitätsarchiv Leipzig (UAL) Personalakte (PA) 401 (Friedrich Delitzsch).

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der Akademie geführt. Der Antrag der Philosophischen Fakultät wurde von dem Semitisten Olshausen verfasst, der bereits durch seine beiden Vorträge vor der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften hervorgetreten und sicher durch seine Position als Vortragender Rat im Preußischen Kultusministerium gut vernetzt war. Der Antrag wurde unterstützt von dem Ägyptologen Lepsius und den Althistorikern Theodor Mommsen, Johann Gustav Droysen und Maximilian Duncker. Sie alle gehörten zu den ‚Schwergewichten‘ im Bereich der Altertumswissenschaften. Eduard Sachau wurde erst Abb. 2: Portrait von Friedrich 1876 nach Berlin berufen. Mit der Delitzsch (1902) Berufung Schraders war zugleich die neue Wissenschaft Assyriologie, als ihren Schwestern ebenbürtig, anerkannt und unter die an deutschen Hochschulen vertretenen Fächer aufgenommen. Es war der erste assyriologische Lehrstuhl in Deutschland. Zukunftweisend war Schraders erste Lehrveranstaltung „Die Schrift und Sprache der Assyrer […] in Verbindung mit einer Erklärung der Keilinschriften des Königlichen Museums.“ Diese Verbindung von Universität und Museum sollte dann in der Person von Schraders Nachfolger Friedrich Delitzsch auch eine institutionelle Fortsetzung und Vertiefung finden, als Delitzsch auch zum Direktor der Vorderasiatischen Abteilung der Königlichen Museen ernannt wurde und dieses Amt 1899–1918 versah. 1872 war das Jahr, in dem George Smith im Daily Telegraph von seiner Entdeckung der Geschichte von der großen Flut im Gilgamesch-Epos berichtete. Als er dann im Jahr 1876 sein Buch The Chaldean Genesis, Containing the Description of the Creation. The Fall of Men, the Deluge, the Tower of Babel, the Times of the Patriarchs, and Nimrod – Babylonian Fables of the Gods from the Cuneiform Inscriptions veröffentlichte, bemühte sich Delitzsch sofort um eine Übersetzung ins Deutsche durch seinen Bruder Hermann Delitzsch, erschienen 1876. Er selbst fügte der Übersetzung ein ausführliches Kapitel bei unter dem Titel „Erläuterungen und fortgesetzte Forschungen zu Smith’s Chaldäischer Genesis.“ Neben Schrader war es vor allem Delitzsch, der der Assyriologie als einer ernst zu nehmenden philologischen Disziplin zum endgültigen Durchbruch verhalf. Aufgrund seiner Herkunft aus der indoeuropäischen Sprachwissen-

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Abb. 3: Erste Seite aus Delitzschs Reisetagebuch von 1902/1903 (unpubliziert; ­Abbildung freundlicherweise zur V ­ erfügung ­gestellt von Reinhard G. Lehmann)

schaft methodisch hervorragend geschult, schuf er durch seine grammatischen und lexikalischen Arbeiten eine solide Grundlage für die Weiterentwicklung des Faches. Ihm verdankt das junge Fach sein Assyrisches Handwörterbuch (1896) und seine Assyrischen Lesestücke für den akademischen Unterricht, deren 5. Auflage zu meiner Studienzeit anfangs noch gern benutzt wurde, u.a. wegen seiner Zeichenliste, die auch altbabylonische Zeichenformen enthielt. Delitzschs ausführ-

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liches Assyrisches Wörterbuch ist über einige wenige Faszikel hinaus nicht gediehen. Die formative Phase der deutschen Assyriologie seit 1875 bestimmten zunächst Schrader in Berlin und Delitzsch erst in Leipzig, dann in Berlin. Vor allem Delitzsch gelang es gleich zu Anfang seiner Leipziger Lehrtätigkeit, wie er schrieb, „eine Reihe tüchtigster junger Semitisten, wie Fritz Hommel, Paul Haupt, Hermann Vollrath Hilprecht,34 und weiterhin Heinrich Zimmern (Abb.  4) für die Assyriologie zu gewinnen und im Laufe der Jahrzehnte eine nach Hunderten zählende Schülerschaft heranzubilden, von denen viele teils in Deutschland, teils in Norwegen, Italien, Nordamerika neu Abb. 4: Heinrich Zimmern (nach Müller, begründete assyriologische ProfesWissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marxsuren bekleiden.“ Außerdem waren Universität Leipzig 28 (1979) 78, Abb. 15) Carl Bezold und Felix Peiser seine Studenten. In seiner Berliner Zeit studierten bei ihm oder wurden nach und nach bei ihm promoviert u.a. Alfred Boissier, Franz Marius Theodor de Liagre Böhl; aus den USA: u.a. Carl Wilhelm Belser, Francis Brown, James Alexander Craig, James Horatio Gottheil, Robert Francis Harper (1884 Leipzig, 1884 Berlin),35 Mary Inda Hussey, Morris Jastrow, Daniel David Luckenbill, David Gordon Lyon, Mary Williams Montgomery, Ira M. Price, Samuel Alden Smith; Schüler aus Deutschland waren u.a. Erich Ebeling, Hugo Figulla, Emil Forrer, Johannes Hehn, Peter Jensen (später Promotion bei Schrader in Berlin), Ludwig Kinscherf, Eduard Kotalla, Julius Lewy, Moses Schorr, Otto Schröder, Franz Xaver Steinmetzer, Maximilian Streck, Arthur Ungnad, Ernst Weidner, Franz Heinrich Weissbach. Bemerkenswert ist, dass zahlreiche Assyriologen der „ersten Stunde“ an amerikanischen Universitäten (Union Theological Seminary in New York, Harvard,

34 Zu Hilprecht siehe Frahm, Microphilology. 35 Von Harper stammt die erste Kopie der Monumentalschrift des Codex Hammurabi von 1904.

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Johns Hopkins in Baltimore, Pennsylvania, Chicago, Yale) ihre Ausbildung bei Delitzsch in Leipzig und Berlin fanden, nicht in London oder Paris.36 Zu Schraders zahlreichen Schülern, die die folgende Generation der deutschen Assyriologie in unterschiedlichem Maße prägten, gehörten Ludwig Abel, Paul Haupt, Peter Jensen, Carl Lehmann-Haupt, Mark Lidzbarski, Bruno Meissner, Leopold Messerschmidt, Felix Peiser, Paul Rost, Sinai Schiffer, Maximilian Streck, Knut Tallquist (später bei Delitzsch), Hugo Winckler. Was hat zu dem geradezu explosionsartigen Wachsen des Faches Assyriologie an den Universitäten in Deutschland im letzten Viertel des 19. Jh. geführt? Im Gegensatz zu England und Frankreich, wo die orientalistischen Disziplinen an wenigen Universitäten konzentriert waren und die Assyriologie logischerweise in den beiden Hauptstädten mit ihren jeweiligen Museen vertreten war, fehlte zunächst eine solche natürliche Mitte in Deutschland. Das hatte seine Auswirkungen: Die Kleinteiligkeit der politischen Landschaft in Deutschland und das System der jeweiligen staatlichen Landesuniversitäten führte in einer Art Wettbewerb dazu, dass in Baden (Heidelberg), Bayern (München und Würzburg), im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin (Rostock), Sachsen (Leipzig) und Thüringen/Sachsen-Weimar (Jena) Professoren die Assyriologie vertreten konnten. Aber auch an großen, bedeutenden und traditionsreichen Universitäten in Preußen wurde die Assyriologie außer in Berlin gelehrt: in Bonn, Breslau, Gießen, Göttingen, Greifswald, Halle, Königsberg, Marburg, Münster, sowie an der Reichsuniversität Straßburg. Neben günstigen institutionellen Rahmenbedingungen spielte auch die positive Haltung der bestimmenden Vertreter benachbarter Fächer wie Ägyptologie, Semitistik, der Wissenschaft vom Alten Testament und auch der Alten Geschichte in den jeweiligen Fakultäten zusammen mit den zuständigen Kultusministerien eine entscheidende Rolle. Bemerkenswert für die Generation nach Delitzsch und Schrader war, dass die neu berufenen Professoren wie ihre akademischen Lehrer semitistisch hervorragend ausgebildet waren. Im Unterricht und in Publikationen spielten neben dem Babylonisch-Assyrischen auch die wesentlichen semitischen Sprachen, insbesondere Arabisch, Syrisch und Äthiopisch, eine Rolle. Vor allem das gestiegene Interesse an dem, was die mesopotamischen Quellen zur Interpretation und Verifizierung der in den Büchern des Alten Testaments enthaltenen Nachrichten beizutragen in der Lage waren, hat dazu geführt, das Fach Assyriologie an zahlreichen Universitäten fest zu etablieren. Wichtig für die bedeutende Position orientalistischer Professuren an den preußischen Universitäten war die umsichtige und planvolle Wissenschaftspo-

36 Für Einzelheiten siehe Wade Meade, Road, v.a. 28–37, 71; Kuklick, Puritans.

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litik seitens des Preußischen Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten (Kultusministerium). Die prägende Kraft im Ministerium war Friedrich Althoff, von Hause aus Jurist. Er trat im Oktober 1882 seinen Dienst an als Regierungsrat und Vortragender Rat, später als Ministerialdirektor und Leiter des Universitätsreferats in der 2. Abteilung des preußischen Kultusministeriums. Er spielte für die strategische Entwicklung der preußischen Universitäten und für alle darin vertretenen Disziplinen (zum Schwerpunkt für die Physik wurde z.B. Göttingen) eine entscheidende Rolle. Zum so genannten ‚System Althoff‘ schreibt Sabine Mangold, dass „manche Zeitgenossen eine Gefahr für die Unabhängigkeit und Integrität der Wissenschaftler sahen. Ohne direkte Beziehungen zum ‚allmächtigen’ Ministerialdirektor und seiner Fürsprache ließ sich in Preußen im späten 19. Jahrhundert auf dem Gebiet der Wissenschaft kaum etwas bewegen. Oder anders gesagt: An den universitären Strukturen vorbei konnte der direkte Zugang zur Ministerialbürokratie für einen Wissenschaftler und sein Fach von unschätzbarem Wert sein.“37 Im welchem Maße das im Einzelnen für die orientalistischen Fächer zutraf, kann man zwar vermuten, es müsste aber im Einzelnen durch intensive Studien der Akten des preußischen Kultusministeriums im Preußischen Staatsarchiv in Berlin Dahlem verifiziert werden. Einen Eindruck verschafft die Göttinger Personalakte (UAG Kur 4 Vb 205) zu Paul Haupt im Zusammenhang mit seinem Weggang nach Baltimore. Assyriologie, gelehrt an den deutschen Universitäten außer Berlin und Leipzig vom Ende des 19. Jh. bis 1933: Ein Überblick –– Bonn (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität): Albert Schott Habil. 1926, PD 1927–1936, nichtbeamteter a.o. Prof. 1936 (später Kriegsdienst). –– Breslau (Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität) war für das Fach Assyriologie neben Berlin eine zweite wichtige Universität in Preußen. Breslau war Sprungbrett für Delitzsch und Meissner vor deren Berufung nach Berlin, für Zimmern vor dessen Ruf als Nachfolger von Delitzsch nach Leipzig. Meissner a.o. Prof. 1904, o. Prof. für Orientalische Sprachen 1911–1921; Felix Peiser Habil. 1890, PD bis 1894; Arno Poebel habilitierte sich in Breslau 1910 für das Fach Assyriologie bei Bruno

37 Mangold, „Weltbürgerliche Wissenschaft“, 227.

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Meissner. Friedrich Schmidtke Promotion bei Bruno Meissner 1916. Nach Meissners Berufung nach Berlin wurde Arthur Ungnad 1921 o. Professor daselbst, 1930 emeritiert. Theo Bauer wurde 1932 als sein Nachfolger berufen. Auch die Rolle Breslaus könnte aus den Akten des Preußischen Kultusministeriums weiter erhellt werden. Gießen (Ludwigs-Universität/Universitas Ludoviciana): Julius Lewy Habil. 1922, PD bis 1927, nichtbeamteter a.o. Prof. 1927, a.o. Prof. 1929, o. Prof. 1930–1933 (dann Exil). Göttingen (Georg-August-Universität): Paul Haupt PD 1880, a.o. Prof. 1883– 1889, dann Baltimore; Wolfram von Soden PD 1934–1936, a.o. Prof. 1936– 1940; Adam Falkenstein a.o. Prof. 1940 (dann Kriegsdienst). Greifswald (Königliche Universität zu Greifswald) (Sitz des Gustav-DalmanInstituts / Deutsches Evangelisches Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes): Arthur Ungnad o. Prof. 1919–1921 (dann Breslau). Halle (Academia Fridericiana Hallensis): Heinrich Zimmern PD 1890– 1894 (dann ab 1894 als a.o. Prof. in Leipzig); Bruno Meissner Habil. 1894, PD bis 1901. Heidelberg (Ruperta Carola): Carl Bezold o. Prof. 1894–1922; Albrecht Goetze Habil. 1922, PD bis 1927, a.o. Prof. 1927–1930 (danach Marburg). Jena (Alma mater Ienensis/Salana): Arthur Ungnad a.o. Prof. 1909–1913; Oluf Krückmann Habil. 1933, a.o. Prof. 1940–1941 (danach Kriegsdienst). Königsberg (Albertus-Universität Königsberg): Heinrich Zimmern Habil. 1889; Felix Peiser PD 1894, Prof. 1905 bis zu seinem Tod 1921. Marburg (Alma Mater Philippina): Peter Jensen 1892 (Nachfolger von Julius Wellhausen), o. Prof. 1895–1928; 1914 Promotion von Hans Ehelolf bei Peter Jensen; Benno Landsberger o. Prof. 1928–1929; Albrecht Goetze 1930–1933 (dann Exil); dann Carl Frank38 beurlaubter a.o. Prof. der Reichsuniversität Straßburg, 1919–1936 Lehraufträge an der Berliner Universität, dann beurlaubt an die Universität Marburg als o. Prof. München (Ludwig-Maximilians-Universität München): Martin Haug 1866; Fritz Hommel Habil. 1877, a.o. Prof. 1885–1892, o. Prof. 1893–1925; Carl Bezold Habil. 1883, PD bis 1894; Maximilian Streck Habil. 1900; Ernest Lindl PD 1903–1907, a.o. Prof. 1907–1921 (gest. 1921); Theo Bauer Habil. 1919, PD 1925–1930; Adam Falkenstein Habil. 1933, PD bis 1937. Münster (Westfälische Wilhelms-Universität): Hubert Grimme o. Prof. 1910–1935; Friedrich Schmidtke a.o Prof. 1936–1956, o. Prof. 1956–1959.

38 Frank wurde als Professor an der Reichsuniversität Straßburg 1918 vom preußischen Staat übernommen, siehe dazu Renger, Geschichte der Altorientalistik, 180f.; ausführlich idem, Altorientalistik in Deutschland, 485–487.

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–– Rostock (Universitas Rostochiensis) (Großherzogtum MecklenburgSchwerin): Arno Poebel a.o. Prof. 1919, o. Prof. 1925–1928, danach Theo Bauer bis 1939. –– Straßburg (Kaiser-Wilhelm-Universität): Peter Jensen Habil. 1888; Carl Frank a.o. Prof. bis 1918, als Reichsbeamter im einstweiligen Ruhestand 1919–1936 Lehraufträge an der Berliner Universität. –– Würzburg (Julius-Maximilians-Universität Würzburg): Maximilian Streck a.o. Prof. 1908, o. Prof. 1916–1939. Das Fach Assyriologie im Wissenschaftskanon, im institutionellen und gesellschaftlichen Kontext Die bisherige Darstellung orientierte sich vornehmlich an einzelnen Vertretern des Faches und an einzelnen Universitäten. Fünf Aspekte erscheinen mir aber von genereller Bedeutung für die Entwicklung der Assyriologie in Deutschland. Das Alte Testament und das sich entfaltende neue Fach Assyriologie

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Orientalistik, insbesondere die Semitistik, für eine lange Zeit auch personell und institutionell eng mit der alttestamentlichen Wissenschaft, d.h. mit den theologischen Fakultäten, verbunden.39 Aus dieser Verbindung löste sich die Orientalistik erst allmählich. Das traf für die Assyriologie umso mehr zu, als sie erst ab 1874 und 1875 durch eigene Professuren vertreten war. Die enge Verbindung zwischen alttestamentlicher Wissenschaft und Assyriologie ist schließlich auch darin begründet, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jh. die kritisch-historische Schule die alttestamentliche Wissenschaft prägte, deren herausragender Vertreter Julius Wellhausen war. Es ist bemerkenswert, dass ein Teil der deutschen Assyriologen über das Studium der Theologie zur Assyriologie fand. Das wäre ein Thema, das der Untersuchung wert wäre, vor allem im Hinblick auf den Vergleich mit der Situation in England, Frankreich und in den USA.40 Es ist sicher kein Zufall, dass Eberhard Schrader zunächst Altes Testament lehrte und aus dieser Position heraus zur Assyriologie fand. Seine wichtigen Bücher sind denn auch dem Thema Keilschrift und Altes Testament gewidmet. Schrader war vor allem an den historischen Bezügen interessiert, die sich aus den assyrischen Königsinschriften zur geschichtlichen Überlieferung im Alten Testament ergaben.

39 Für ein Beispiel siehe Heidemann, Paradigmenwechsel, 243, 246, 248 und 252 (zu Heinrich Ewald). 40 Wade Meade, Road, 28–43 – an theologisch orientierten Colleges.

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Abb. 5: Karikatur von Friedrich Delitzsch im Kontext des Babel-Bibel-Streits; Lustige Blätter 18/10 (4. März 1903) 4 (Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/lb18/0161). Text: „Armer Narr. Der Narr: Wenn ich die Unwahrheit sage, bekomme ich die Peitsche. Wenn ich aber die Wahrheit sage, bekomme ich auch die Peitsche.“ (siehe Lehmann, Babel-Bibel- Streit, 518–519)

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Nachdem Friedrich Delitzsch – dessen Vater Professor für Altes Testament in Erlangen war – zunächst Grundlegendes für die Grammatik des AssyrischBabylonischen und für ein Assyrisches Wörterbuch geleistet hatte, widmete er sich später, d.h. in seiner Berliner Zeit seit 1899, dem Verhältnis zwischen dem, was das Alte Testament berichtet, und dem, was die Quellen aus Mesopotamien dazu beitragen konnten. Ausgangspunkt für Delitzschs Überzeugung war, dass das Alte Testament in seinen Aussagen wesentlich auf Babylonisches zurückgehe. Er hat das zum ersten Mal am 13. Januar 1902 in einem Vortrag, initiiert von der Deutschen Orient-Gesellschaft, in der Berliner Singakademie in Gegenwart des Kaisers vorgetragen. Dieser und zwei weitere Vorträge Delitzschs führten zu heftigen öffentlichen Kontroversen, bekannt als Babel-Bibel-Streit, zwischen ihm und konservativen kirchlichen Kreisen, die einen biblischen Offenbarungsbegriff vertraten und diesen angegriffen fühlten (vgl. Abb. 5).41 Dass es Delitzschs Position im Babel-Bibel-Streit war, die dazu führte, dass die Berliner Akademie ihn nicht in ihre Reihen aufnehmen wollte – was ihn sehr verletzt hat – mag man vermuten.42 1902 wurde Delitzsch zum Mitglied der American Academy of Arts and Sciences gewählt. Er war Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Das fortschreitende Wissen um die Kultur und Religion Babyloniens ließ andere Vertreter der Assyriologie in der babylonischen Religion archetypische Phänomene erblicken, wonach das astrale Weltbild der assyrisch-babylonischen Religion Ursprung und Vorbild aller Religionen und Kulturen gewesen sei. Die sich daraus entwickelnde Gedankenwelt des Panbabylonismus wurde vor allem von Alfred Jeremias vertreten. Aber auch Assyriologen wie Hugo Winckler, Peter Jensen und Fritz Hommel gehörten zum Kreis der Panbabylonisten. Manche Assyriologen, unter ihnen auch Heinrich Zimmern, konnten sich zuweilen den Vorgaben theologischer und alttestamentlicher Begrifflichkeit nicht entziehen: Sie benutzten Begriffe wie Buße, Buß-Psalmen, Höllenfahrt 41 Johanning, Babel-Bibel-Streit; Lehmann, Babel-Bibel-Streit, 505–521. 42 Siehe Lehmann, Delitzsch, 262 mit Anm. 80. Lehmann schreibt mir dazu (15. Sept. 2017): „… da D. 1901 wohl auch schon durchaus Beziehungen zur Akademie / Harnack hatte, kann ich mir gut vorstellen, dass tatsächlich seine Babel-Bibel-Aktivitäten die konservative preußische Akademie gehindert haben, ihn aufzunehmen. Man meinte möglicherweise, mit Harnack schon genug Liberalismus am Hals zu haben.“ Am 26. Sept. 2017 schreibt mir Lehmann noch Folgendes: „Ich habe die Liste zwischen Aufnahmedatum 1880 bis 1915 einmal durchgesehen. Akademie-Mitglieder wie Theodor Nöldeke und Julius Euting dürften von einer Mitgliedschaft Delitzschs nicht begeistert gewesen sein, und von Julius Wellhausen weiß ich definitiv, dass er von Delitzsch absolut nichts hielt. … In Wellhausen dürfte Delitzsch aber keinesfalls einen Fürsprecher gehabt haben! Auch bei Adolf Erman oder Eduard Sachau würde ich Ähnliches vermuten.“

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und Sintflut, wenn es darum ging, Phänomene der ihnen bekannten babylonischen Literatur zu klassifizieren und wenn babylonische Religion und Kultur über das Fach hinaus vermittelt werden sollte. So ist es nicht verwunderlich, dass Zimmern in Königsberg als Privatdozent für semitische Sprachen seine Antrittsvorlesung (1889) betitelte: „Die Assyriologie als Hülfswissenschaft.“43 Den engen Bezug zu und die Bedeutung der altorientalischen Umwelt für Geschichte, Kultur und Religion Israels, wie sie im Alten Testament überliefert ist, zu verdeutlichen, war das Anliegen des Alttestamentlers Hugo Gressmann mit seiner Sammlung von Übersetzungen von Anfang des 20. Jh. bekannten Texten aus dem altorientalischen Raum einschließlich Ägyptens.44 Bis die Eigenbegrifflichkeit der babylonischen Welt in der Forschung durch Benno Landsberger thematisiert und grundsätzliche Unterschiede zwischen den theologischen Aussagen des Alten Testaments und denen der religiösen Überlieferung des Alten Mesopotamien akzeptiert wurden, war es noch ein weiter Weg. Die Assyriologie und das im Wissenschaftskanon in Deutschland wichtige Fach Semitistik

Die Semitistik war an deutschen Universitäten vielfach und über Deutschland hinaus prominent vertreten und geprägt durch Koryphäen wie Heinrich Leberecht Fleischer, Heinrich Ewald und Theodor Nöldecke. Es war daher fast selbstverständlich, dass die neue semitische Sprache, das Akkadische, damals zunächst als Babylonisch-Assyrisch bezeichnet, zu den anderen semitischen Sprachen, d.h. v.a. dem Arabischen, Aramäischen, Hebräischen, Syrischen und Äthiopischen als weitere Sprache im Lehrkanon hinzutrat.45 Viele der Lehrstühle, an denen Assyriologie gelehrt wurde, waren daher für lange Zeit als semitistische Lehrstühle definiert. So waren die frühen Professoren der Assyriologie auch hervorragende Semitisten und publizierten als solche. Das Akkadische (Babylonisch-Assyrisch) musste sich erst seine Eigenständigkeit erkämpfen. Noch 1949 wurde der Altorientalist und bedeutende Sumerologe Adam Falkenstein nach Heidelberg auf eine Professur für semitische Sprachen berufen und lehrte in seiner frühen Heidelberger Zeit auch klassisches und Irak-Arabisch.

43 Siehe Renger, Altorientalistik als … Disziplin, 56 mit Anm. 61. 44 Gressmann (Hg.), Altorientalische Texte und Bilder (1909; ²1926). Gressmans Werk war dann viele Jahre später Vorbild für die von James B. Pritchard herausgegebenen Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament (ANET, Princeton 1950) und The Ancient Near East in Pictures Relating to the Old Testament (ANEP, Princeton 1954) sowie die von Otto Kaiser herausgegebenen Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT, Gütersloh 1982–2001; Neue Folge, herausgegeben von Bernd Janowski, Gernot Wilhelm und Daniel Schwemer, Gütersloh 2004ff.). 45 Generell siehe Hanisch, Nachfolger, und Mangold, „Weltbürgerliche Wissenschaft“, 91–100.

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Zur Geschichte der Assyriologie in Deutschland

Die Wissenschaft vom Vorderen Orient: Politik und die gesellschaftlichen Eliten im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Wie auch in England und Frankreich spielte in Deutschland die politische Situation bei der Etablierung des Faches Assyriologie eine nicht zu unterschätzende Rolle. Zunächst hatten bedeutende Gelehrte – Alexander Conze, Generalsekretär des Kaiserlich-Archäologischen Instituts, Ernst Curtius, Direktor bei den Königlichen Museen zu Berlin, der Semitist August Dillmann, der Ägyptologe Adolf Erman, der Ethnologe Fedor Jagusch, sowie Eduard Sachau 46 und Eberhard Schrader – 1887 beschlossen, ein „Comité behufs Erforschung der Trümmerstätten des alten Orients“ zu gründen.47 Als Schatzmeister wurde Gerson Bleichröder, der Bankier Bismarcks,48 gewonnen. Die private Form der Initiative versprach nach den Vorstellungen der Gründungsmitglieder die Möglichkeit, jederzeit innerhalb kürzester Frist „sich bietende Ausgrabungsgelegenheiten wahrnehmen zu können, denn, wenn eventuell der Credit des nächsten Etatjahres abgewartet werden muss oder eine außerordentliche Bewilligung auf langwierigem Instanzenweg zu erwirken ist, so ist der richtige Moment in der Regel verpasst.“ Ziel des Comités war laut § 1 der Satzung, „Alterthümer orientalischer Herkunft in fachmännischer Weise auszugraben resp. zu erwerben und dieselben deutschen Museen zum Selbstkostenpreis zur Verfügung zu stellen.“ Bei den Überlegungen, die zur Gründung des Comités führten, spielte die Überzeugung eine Rolle, dass sich eine Sammlung orientalischer Altertümer wie die in Paris und London nicht durch Ankäufe im Antikenhandel aufbauen lasse. Um die „orientalischen Sammlungen unserer deutschen Museen zu der Höhe, die ihnen gebührt, emporheben zu wollen,“ müsse man „selbst Hand anlegen an die Schutthügel des Orients.“49 Der Grabungstätigkeit des Orient-Comités war kein großer Erfolg beschieden. Nach zehnjähriger Arbeit, hauptsächlich in Zincirli (Sendschirli), stellte es seine Tätigkeit mangels finanzieller Mittel ein. Ein letzter Versuch Rudolf Virchows,50 des liberalen Abgeordneten im Preußischen Landtag, in einer Rede vor dem Landtag am 15. März 1898 führte zu keinem Erfolg. In sarkastischem Ton bemerkte er, namentlich die Franzosen hätten 46 Professor für semitische Sprachen an der Berliner Universität. Sachau war eine einflussreiche Persönlichkeit, die die Entwicklung der orientalischen Fächer an der Berliner Universität und darüber hinaus (Seminar für Orientalische Sprachen, Deutsche Orient-Gesellschaft) maßgeblich zu beeinflussen verstand, siehe Mangold, „Weltbürgerliche Wissenschaft“, 239. 47 Ausführlich Renger, Geschichte der Altorientalistik, 158f. 48 Zu Bleichröder siehe Stern, Gold und Eisen. 49 Für weitere Einzelheiten siehe Crüsemann, Zweistromland. 50 Virchow war im preußischen Wissenschaftsbereich eine bedeutende liberale Stimme. Er war aktiv an der Gründung und Ausrichtung des „Seminars für orientalische Sprachen“ in Berlin beteiligt, siehe Mangold, „Weltbürgerliche Wissenschaft“, 233, 241.

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„in Vorderasien außerordentliche Schätze gesammelt, die Engländer haben Assyrien explorirt. Wir haben recht wenig davon bekommen; wir haben uns lange damit begnügt, große Gipsabgüsse machen zu lassen, die in feierlicher Weise in Museen aufgestellt wurden. Es ist dies ein nicht zu unterschätzender Vorteil, aber es ist nicht zu leugnen, daß die Originale interessanter sind als die Gipsabgüsse.“ Die Antwort des preußischen Kultusministers Dr. Robert Bosse entsprach erst einmal dem, was Minister auch heute auf kleine parlamentarische Anfragen zu antworten pflegen: Man bewegt sich im Allgemeinen und versichert, dass man die geäußerten Sorgen ernst nehme. Allerdings geht aus der Antwort doch als etwas Positives hervor, dass die preußische Staatsregierung keineswegs Desinteresse an den Altertümern des Vorderen Orients zeige. Kultusminister Bosse erinnert den Abgeordneten Virchow an die Expedition, „die jetzt mit Professor Sachau an der Spitze in Assyrien ist und dort Untersuchungen für uns ausführt, von denen wir uns noch erhebliche Vorteile für die Zukunft versprechen.“ Die Mittel für die Erkundung – 24.000 Goldmark – wurden von privater Seite durch Vermittlung der Deutschen Orient-Gesellschaft zur Verfügung gestellt,51 denn fast gleichzeitig mit den Vorbereitungen zu dieser Sachau’schen Expedition vollzogen sich die einleitenden Schritte zur Gründung der Deutschen OrientGesellschaft im Jahr 1898. Zu den frühen Mitgliedern der Deutschen Orient-Gesellschaft gehörte fast alles was Rang und Namen in Industrie und Bankwesen hatte: Angefangen von Borsig, Krupp, Emil Rathenau und die AEG, Siemens, dem Reeder Albert Ballin, dem bedeutenden Zeitungsverleger Rudolf Mosse, den Vertretern der großen Privatbanken Rothschild, Delbrück, Mendelssohn und Bleichröder sowie Paul von Schwabach aus dem Bankhaus Bleichröder, dem Privatbankier Franz von Mendelssohn, den Direktoren der Deutschen Bank und der Disconto-Gesellschaft. Ebenso vertreten waren hohe Beamte und Politiker wie etwa der Freund des Kaisers Admiral Friedrich von Hollmann, der Staatssekretär Oswald Freiherr von Richthofen sowie die Ministerialdirektoren Friedrich Althoff 52 und Friedrich Schmidt-(Ott).53 Schwabach war Schatzmeister der Deutschen Orient-Gesellschaft, James Simon54 stand ihm als zweiter Schatzmeister zur Seite, Franz von Mendelssohn war stellvertretender Vorsitzender. Die ersten Grabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft, vor allem in Ägypten und Mesopotamien, darunter die in Assur und Babylon, waren initiiert worden mit dem ausdrücklichen Ziel, in Berlin eine den Museen in London 51 52 53 54

Vermutlich von James Simon. Zu Althoff siehe oben, Abschnitt 2. Für Schmidt-Ott siehe Sösemann, Zwielicht, 30f. Zu James Simon siehe Matthes, James Simon.

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und Paris ebenbürtige Sammlung mesopotamischer Altertümer zu schaffen. Der Alte Orient als Teil der Alten Geschichte

In den 70er Jahren des 19. Jh. hatte sich ein erbitterter Streit zwischen Adolf von Gutschmid und Maximilian Duncker darüber entzündet, was sich aus keilschriftlichen Quellen – genauer, den assyrischen Königsinschriften – hinsichtlich des historischen Geschehens ergab und was nun das bisher als für verlässlich gehaltene Geschichtsbild der Babyloniaka des Berossos (siehe dazu oben, Abb. 6: Hubert Grimme (Quelle: N ­ achruf Abschnitt 1.) korrigierte oder in Hubert Grimme: Taeschner, Frage stellte. Gegen Ende des 19. Jh. Zeitschrift der Deutschen Morgenländihaben verschiedene Althistoriker in schen Gesellschaft 96 [1942] vor S. 381) Deutschland und anderswo Ägypten und den Vorderen Orient im Altertum in unterschiedlich prononcierter Weise in ihren Werken betont.55 Felix Peisers Orientalistische Li­te­raturzeitung (OLZ) enthielt in ihrem ersten Band im Jahre 1898 einen Aufruf von Hubert Grimme (Abb. 6), orientalische Seminare zu gründen, wiederholt in Grimmes Antrag betreffend die Gründung eines solchen in Münster (1913) und dort am 1. April 1913 installiert.56 Anliegen Grimmes war es, orientalische, speziell altorientalische Geschichte als unabdingbaren Teil von Weltgeschichte darzustellen. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass Julius Wellhausen bereits 1885 auf einen Lehrstuhl für Semitistik und orientalische Geschichte in Marburg berufen worden war.57 Hinzuweisen ist auch auf Cornelis Petrus Tieles Babylonisch-assyrische Geschichte (in: Handbücher der alten Geschichte. I. Serie. 4e Abth., Gotha 1886–1889) und Friedrich Mürdters Kurzgefasste Geschichte Babyloniens und Assyriens nach den 55 Cancik-Kirschbaum, Assyrien, 360f. Im Jahr 1814 ist Johann Gottfried Einhorns mehrbändige Weltgeschichte erschienen, die die Völker Asiens, Afrikas und Amerikas einschloss, siehe Heidemann, Paradigmenwechsel, 246. 56 Zu Grimme siehe ausführlich Hiepel, 50 Jahre. 57 Mangold, „Weltbürgerliche Wissenschaft“, 167.

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Keilschriftdenkmälern mit besonderer Berücksichtigung des Alten Testaments, mit Vorwort und Beigabe von Friedrich Delitzsch (1882, ²1891). Schon Gustav Droysen konnte in Kiel Olshausen als Gewährsmann für die orientalische Geschichte gewinnen, als sie beide zwischen 1840 und 1853 in Kiel lehrten.58 Einen entscheidenden Beitrag, den Alten Orient und seine Geschichte als wesentlichen Teil der Geschichte des Altertums ins Bewusstsein zu rücken, hat Eduard Meyer als einflussreicher Althistoriker mit seiner fünfbändigen Geschichte des Altertums (1884–1902) geleistet.59 Entscheidend dafür war vor allem, dass er auch die altorientalischen Sprachen beherrschte und damit nicht auf die Informationen anderer angewiesen war. Das spielte für die Akzeptanz der Assyriologie als wichtiges historisches Fach eine nicht zu unterschätzende Rolle. Als prominentes Mitglied der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität hat Meyer sich vielfach für die Belange altorientalischer Forschung und Lehre eingesetzt. Eduard Meyers Beispiel, den Alten Orient und das Alte Ägypten zu einem unverzichtbaren Teil Alter Geschichte zu machen, hatte allerdings nur einen ephemeren Erfolg. Die Vorderasiatische Abteilung an den Königlichen Museen zu Berlin und die Assyriologie In Frankreich und England spielten der Louvre und das British Museum eine überragende Rolle wegen ihrer bedeutenden altorientalischen Sammlungen. Dazu gehörten die sumerischen Altertümer aus Girsu und die assyrischen Palastreliefs aus Horsabad im Louvre sowie die Palastreliefs aus Nimrud und Ninive im British Museum. Das British Museum beherbergte zudem eine immense Tontafelsammlung, die vor allem aus den Grabungen in Ninive, u.a. mit der ‚Bibliothek‘ Assurbanipals, und Erwerbungen aus anderen Orten resultierte. Die Vorderasiatische Abteilung an den Berliner Museen dagegen, deren archäologische und keilschriftliche Bestände aus Ankäufen stammten, gewann erst unter Delitzsch eine gewichtige Position im Verbund der Berliner Museen und für die Assyriologie insgesamt, denn als Delitzsch 1899 als Nachfolger von Eberhard Schrader an die Universität berufen worden war, wurde er gleichzeitig zum Direktor der Vorderasiatischen Abteilung der Königlichen Museen ernannt. Seine Aufmerksamkeit galt zunächst den überaus bedeutenden Gruppen von Keilschrifttexten im Bestand des Museums. Sie konnten zwischen 1907 und 1917 in 16 Bänden als Vorderasiatische Schriftdenkmäler publiziert werden: durch Hugo Figulla, Wilhelm Foertsch, Leopold Messerschmidt, Otto Schroeder, Arthur 58 Siehe Mangold, „Weltbürgerliche Wissenschaft“, 105. 59 Zu Eduard Meyer siehe Meißner, Meyer, 817–821, und v.a. Wiesehöfer, „Alle Geschichte“, 217–238.

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Ungnad und Heinrich Zimmern, die zum Teil Mitarbeiter des Museums waren. Zu nennen sind die altbabylonischen Urkunden und Briefe sowie die neubabylonischen Urkundengruppen. Hervorzuheben sind weiterhin die Amarna-Briefe sowie zwei Bände mit sumerischen literarischen Texten. Die beachtliche Publikationstätigkeit seitens der Vorderasiatischen Abteilung der Königlichen Museen zu Berlin fand 1918 ein plötzliches Ende. Die danach einsetzenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Deutschland erschwerten die Finanzierung weiterer Publikationen seitens des Museums. Delitzsch sorgte auch dafür, dass mit dem Erschließen und der Publikation der umfangreichen inschriftlichen Funde aus Assur bereits während der Grabung unter der Ägide der Deutschen Orient-Gesellschaft begonnen werden konnte. Die Tontafeln und Monumentalinschriften waren durch die vereinbarte Fundteilung mit der türkischen Antikenbehörde zu beachtlichen Teilen nach Berlin gekommen. Die Publikation erfolgte in den Wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Deutschen Orient-Gesellschaft (WVDOG). Im Vorwort zu KAH I (Keilschrifttexte aus Assur historischen Inhalts) hatte Delitzsch auf sein Versprechen in den Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 21 von 1904 verwiesen, die für die assyrische Geschichte bisher kaum bekannten „neu gewonnenen assyrischen Schriftdenkmäler der wissenschaftlichen Forschung mit tunlichster Beschleunigung zugänglich zu machen.“ Das haben er selbst und Leopold Messerschmidt, Kustos an der Vorderasiatischen Abteilung der Berliner Museen, 1904 und 1905 zu Wege gebracht. Messerschmidts Krankheit und früher Tod im März 1911 hatten die Publikation erheblich verzögert. Delitzsch gedachte seines Mitarbeiters und Freundes als eines Forschers von höchster Begabung und unermüdlicher Schaffensfreudigkeit. Die zahlreichen Texte aus dem Milieu der assyrischen Gelehrten60 begann Erich Ebeling zu kopieren und seit 1915 fortlaufend bis 1923 als Keilschrifttexte aus Assur religiösen Inhalts (KAR) zu publizieren. Leo Oppenheim sprach 50 Jahre später in Chicago davon, dass damit das damalige Wissen um die gelehrte Kultur Assyriens und Babyloniens in entscheidender Weise bereichert wurde. Otto Schroeder publizierte 1922 einen zweiten Band mit Kopien von Monumentalinschriften aus Assur als Keilschrifttexte aus Assur historischen Inhalts (KAH) II, womit unsere Kenntnis der assyrischen Geschichte dann ein weiteres Mal erheblich erweitert und präzisiert werden konnte. Bedeutsam für die mesopotamische Rechtsgeschichte war der Text des von Schroeder publizierten assyrischen Rechtsbuches in Keilschrifttexte aus Assur verschiedenen Inhalts (1920), zu dem sich Paul Koschaker 1922 grundsätzlich äußerte,61 indem er den Begriff Rechtsbuch statt Kodex in die altorientalische Rechtsgeschichte

60 Siehe dazu Maul, Tontafelbibliothek. 61 Ehelolf – Koschaker, Rechtsbuch.

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einführte. Erich Ebeling hat seit den zwanziger Jahren bis in die 1950er Jahre juristische Texte (Keilschrifttexte aus Assur juristischen Inhalts = KAJ, 1927) in Kopien publiziert und zahlreiche andere Texte aus Assur in Bearbeitung und Kopie vorgelegt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg ist es erneut möglich geworden, die zahlreichen in Assur gefundenen Texte zu publizieren. Zu einer systematischen Publikation der in Babylon gefundenen Tontafeln ist es bisher nicht gekommen. Otto Weber, dem Nachfolger von Delitzsch als Direktor der Vorderasiatischen Abteilung der Berliner Museen, ist es zu verdanken, dass die im Museum in Berlin liegenden hethitischen Texte aus Boğazköy kopiert und in den ­W VDOG als Keilschrifttexte aus Boghazköi (KBo) seit 1916 veröffentlicht wurden bzw., vom Museum und Weber initiiert, seit 1921 in den Keilschrifturkunden aus Boghazköi (KUB) erschienen sind. Die enge personelle Verknüpfung zwischen Universität und Museum hat sich dann nach Delitzschs Tod nicht fortgesetzt. Ihm folgte Otto Weber (1918–1928), Schüler von Fritz Hommel und von Haus aus Philologe, der sich aber durch Veröffentlichungen zu archäologischen Artefakten und insbesondere durch seine umfangreiche Arbeit Altorientalische Siegelbilder (1920) auf archäologischem Gebiet einen Namen gemacht hatte. Schließlich ergab sich dann nach Webers Tod (1928) durch die Berufung Walter Andraes als Direktor des Museums eine enge Verbindung mit der Deutschen Orient-Gesellschaft (DOG). Bei der Berufung von Weber als Nachfolger von Delitzsch als Direktor der Vorderasiatischen Abteilung der Berliner Museen dürften Erwägungen eine Rolle gespielt haben, nach der bisherigen starken Hinwendung Delitzschs zu den inschriftlichen Beständen im Museum nun die archäologischen Denkmäler stärker zur Geltung zu bringen. Dabei mögen die zu erwartenden und bedeutenden ausstellungswürdigen Funde aus den Grabungen der DOG in Assur und Babylon besonders gewichtig gewesen sein. Für deren Präsentation fehlten aber angemessene Räumlichkeiten – im Gegensatz zum sogenannten Neuen Museum für die ägyptischen Altertümer. Insofern war die Vorderasiatische Abteilung für ein interessiertes Publikum kein attraktiver Anziehungspunkt. Umso notwendiger war es, ausreichende Räumlichkeiten für die Vorderasiatische Abteilung zu schaffen. Daher wurde Alfred Messel, ein wichtiger Reformarchitekt zu Anfang des 20. Jh., mit einem Entwurf (1906–1908) für ein Museum betraut, das zwischen der Stadtbahntrasse und dem Neuen Museum liegen sollte. Der Neubau war vorgesehen für das sogenannte Deutsche Museum, d.h. das Museum für ältere deutsche Kunst, das Pergamonmuseum, das Islamische Museum und das Vorderasiatische Museum. Auch die Bauausführung wurde Messel übertragen. Den Baubeginn 1910 erlebte er nicht (1909 war er gestorben). Der Bau lag nun in den Händen von Ludwig Hoffmann, Stadtbaurat von Berlin. Der Bau des Gebäudes wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen und erst 1930 vollendet. Walter Andrae nahm bereits seit 1914 an den Planungen für das Vorderasiatische

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Museum teil, dem 1926 der südliche Flügel des Neubaus zugesprochen wurde, sodass Andrae noch rechtzeitig seine Planungen umsetzen konnte.62 Die Fertigstellung aller Räume des Vorderasiatischen Museum erfolgte erst 1936.63 Bedeutende Publikationsreihen als Zeugnis assyriologischer Forschung Die sich Ende des 19. Jahrhunderts entwickelnde Assyriologie führte dazu, dass in England, Frankreich, den USA und Deutschland zahlreiche Publikationsreihen gegründet wurden, in denen Texte aus Museen und Sammlungen zugänglich gemacht wurden sowie Studien zu diesen Texten und grammatische und lexikalische Untersuchungen erscheinen konnten, darunter erste Veröffentlichungen zum Sumerischen, etwa durch Haupt, der das Sumerische noch als Akkadisch bezeichnete.64 Schrader hatte das Sumerische bereits 1878 als agglutinierende Sprache erkannt. In Deutschland wurden seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts von Haupt, Schrader, Delitzsch, Bezold, Weber, Zimmern, Meissner und anderen mehrere Publikationsreihen ins Leben gerufen. Zu nennen sind zunächst die von Paul Haupt und Friedrich Delitzsch 1881 gegründete Assyriologische Bibliothek (AB), im Verlag J.  C. Hinrichs’sche Buchhandlung in Leipzig. Seit 1890 gaben Delitzsch und Haupt (mit Unterstützung durch die Johns Hopkins University) die Beiträge zur Assyriologie und semitischen Sprachwissenschaft (BA) heraus, ebenfalls beim Verlag J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung in Leipzig. Nachdem Zimmern nach Delitzschs Berufung nach Berlin dessen Nachfolge in Leipzig angetreten hatte, gründete er zusammen mit seinem arabistischen Kollegen August Fischer die Leipziger semitistische[n] Studien (LSS) (seit 1901 ebenfalls im Verlag J.  C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig). Auf Bruno Meissners Initiative geht die Reihe Altorientalische Texte und Untersuchungen (AOTU) zurück, seit 1917 im Verlag Brill, Leiden. Während in den eben genannten Schriftenreihen wissenschaftliche, zumeist monografische Abhandlungen zur Assyriologie, publiziert wurden, oft aus Dissertationen bei Delitzsch und Zimmern hervorgegangen, verfolgte die Vorderasiatische Gesellschaft (seit 1921 Vorderasiatisch-Ägyptische Gesellschaft), in Berlin von Winckler und Peiser 1886 gegründet, ihren Vereinszweck (Förderung der vorderasiatischen Studien aufgrund der Denkmäler) durch die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Arbeiten ihrer Mitglieder in den Mitteilungen der

62 Klengel-Brandt, Babylon, 89–96. 63 Im Einzelnen siehe Salje, Vorderasiatisches Museum, 9. 64 Haupt, Sprache, 102.

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Vorderasiatischen Gesellschaft, die in zwangsloser Folge erschienen.65 Sie initiierte aber auch die an eine breitere, interessierte Leserschaft gerichtete Schriftenreihe Der Alte Orient. Gemeinverständliche Darstellungen mit Beiträgen namhafter Gelehrter (seit 1899 ebenfalls erschienen im Verlag J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig). Ganz am Anfang steht Wincklers Übersetzung des Kodex Hammurabi im vierten Heft (1903). Schraders Anliegen war es, einem – meist am Alten Testament – interessierten wissenschaftlichen Publikum, die Ergebnisse altorientalistischer Forschung zugänglich zu machen durch in Umschrift und Übersetzung ausgewählte Texte in der Keilinschriftliche[n] Bibliothek (seit 1889 im Verlag Reuther und Reinhard, Berlin). Er konnte dafür eine Reihe seiner Schüler gewinnen: Abel, Bezold, Jensen, Peiser und Winckler. Nach Schraders Tod ‚schlief‘ die Reihe ein. Einige Jahre später trug die J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig, mit der Vorderasiatischen Bibliothek dem gleichen Bedürfnis Rechnung.66 Die Rekonstruktion der altorientalischen Geschichte67 war das Anliegen von Winckler, der Pate stand bei der Gründung der Vorderasiatischen Bibliothek. Programmatisch erklärten Redaktion und Verlag: „Die Wiederentdeckung der vorderasiatischen Kulturwelt hat das historische Gesichtsfeld in außerordentlichem Maße erweitert und unsere Auffassung von den Anfängen der Geschichte und Kultur völlig umgestaltet. Eine weit über den Kreis der Fachgelehrten hinausgehende Zahl von Forschern ist genötigt, den neu erschlossenen Quellen eingehende Beachtung zu schenken. Insbesondere ist jeder, der sich ein Verständnis der alten Geschichte aneignen will, darauf angewiesen, die unmittelbaren Zeugnisse einer Vergangenheit auf sich wirken zu lassen, die noch vor einem Menschenalter als vorgeschichtlich oder mythisch galten.“68 Gleich am Anfang standen zwei epochale Werke: François Thureau-Dangin, Die sumerischen und akkadischen Königsinschriften (1907) mit der genialen Übersetzung der Zylinderinschriften Gudeas und Jørgen Alexander Knudtzon, Die El-Amarna-Tafeln (1915). Beide wurden erst weit nach 1945 durch die Arbeiten von Adam Falkenstein und Dietz Otto Edzard bzw. William Moran ersetzt. Maximilian Strecks Edition der Inschriften Assurbanipals, die editorisch große 65 Siehe im Einzelnen Renger, Geschichte der Altorientalistik, 162; Mangold, „Weltbürgerliche Wissenschaft“, 280f. 66 Die anfängliche ambitionierte Planung geht aus dem Zusatz zum Serientitel im ersten Band hervor (I. Band, Abteilung 1). 67 Siehe im Detail Renger, Geschichte der Altorientalistik, 165f. 68 In Thureau-Dangin, Königsinschriften, IV.

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Anstrengungen verlangten, wurden erst 1997 durch Rykle Borger (Beiträge zum Inschriftenwerk Assurbanipals) auf den neuesten Stand gebracht. Die von Schrader mit seiner Keilinschriftliche[n] Bibliothek begründete Tradition wurde 1909 erneut aufgegriffen durch die von Hugo Gressmann herausgegebenen Altorientalische[n] Texte und Bilder zum Alten Testament. Die Wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Deutschen Orient-Gesellschaft (WVDOG), zunächst in der J. C. Hinrichs’schen Buchhandlung, Leipzig, dienten der Publikation der Ergebnisse der Ausgrabungen der DOG, besonders jenen in Babylon und Assur, die kurz vor 1900 begonnen hatten. Die herausgeberische Betreuung lag von Anfang an in den Händen von Bruno Güterbock,69 der Schriftführer im Vorstand der DOG war. 1884 begründete Carl Bezold zusammen mit Fritz Hommel mit der Zeitschrift für Keilschriftforschung die erste assyriologische Zeitschrift in Deutschland, publiziert bei der Verlags-Buchhandlung von Otto Schulze, Leipzig, nachdem bereits in Frankreich die Revue d’assyriologie et d’archéologie orientale mit gleichem Anspruch ins Leben gerufen worden war. 1886 wechselte die Zeitschrift, herausgegeben von Bezold, unter neuem Namen Zeitschrift für Assyriologie zum Verlag Walter de Gruyter, Berlin. Eine besondere Rolle spielte die von Felix Peiser 1898 gegründete Orientalistische Literaturzeitung (OLZ), bis 1908 im väterlichen Verlag Wolf Peiser, Berlin, seit 1909 in der J. C. Hinrichs’schen Buchhandlung, Leipzig. Anfangs war ihr Anspruch durch den Untertitel Monatsschrift für die Wissenschaft vom vorderen Orient und seine Beziehungen zum Kulturkreise des Mittelmeers definiert. Die OLZ war unter Peiser als Herausgeber auch ein kämpferisches Organ, das sowohl allgemein-politisch als auch wissenschaftspolitisch für einen liberalen Geist stand, und das sich nicht scheute, auch brisante Themen außerhalb der engen Grenzen der Wissenschaft in prononcierten Beiträgen aufzugreifen.70 In den genannten monographischen Serien (BA, AB, LSS, AOTU) wurden bedeutsame Texte und Textgruppen publiziert. Sie stammten meist aus den zahlreichen Dissertationen, die von Delitzsch und Schrader angeregt und betreut worden waren. Sie dienten über viele Jahrzehnte als Standard-Editionen. Manche wurden zum Teil noch für viele Jahre, zum Beispiel noch im letzten Band des Chicago Assyrian Dictionary (CAD U and W, 2010) in der Bibliografie 69 Zu Bruno Güterbock siehe von Schuler, Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 100 (1968) 10–13; siehe auch Sösemann, Zwielicht, 30f., zum Wirken von Güterbock im Kaiser Friedrich-Museums-Verein (dessen Vereinszweck in der mäzenatischen Unterstützung der Berliner Gemälde-Galerie bestand), ab 1929 als Schrift- und Geschäftsführer neben Schmidt-Ott, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins, ein Amt, das Güterbock neben seiner Funktion als Schriftführer der DOG seit deren Gründung 1898 ausübte. 70 Siehe Renger, Geschichte der Altorientalistik, 166f.

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als zitiert aufgeführt. Erst seit den 60er Jahren des 20. Jh. wurden sie allmählich durch neue Bearbeitungen unter Berücksichtigung zusätzlicher neuer Texte und Duplikate ersetzt. Ein Werk von unschätzbarem Wert bis auf den heutigen Tag ist schließlich Bezolds Catalogue of the cuneiform tablets in the Kuyunjik Collection (1889–1899). Schüler von Schrader, Delitzsch und Zimmern – eine Auswahl Die folgende Liste von mehr als vierzig jungen Assyriologen der zweiten Generation, deren Arbeiten zumeist in den von Schrader, Delitzsch und Zimmern ins Leben gerufenen Reihen publiziert worden sind,71 vermittelt ein Bild vom Potential der Assyriologie in Deutschland zu dieser Zeit und der prägenden Tätigkeit ihrer Lehrer am Ende des 19. Jh. und Anfang des 20. Jh. in Leipzig und Berlin. Diese Arbeiten spiegeln auch das Wesen des Fachs zu dieser Zeit wider – nicht nur in Deutschland –, das neben grundlegenden Un­tersuchungen zur Grammatik und zum Lexikon des Babylonisch-Assyrischen von dem Bemühen geprägt war, den reichen Bestand an Texten in Autographien und Textbearbeitungen zu präsentieren. Die Assyriologie war, wie auch andere orientalistische Disziplinen zu dieser Zeit, vornehmlich eine Textphilologie. Inhaltliche Fragestellungen bezogen sich vornehmlich auf die Geschichte des Alten Orients, des alten Mesopotamiens und dessen religiöse Überlieferung. Fragen nach den Strukturen und Prozessen der Gesellschaft und ihrer Wirtschaft wurden erst in einer späteren Zeit wichtig. Eine Ausnahme stellt das Gebiet der altorientalischen Rechtsgeschichte dar, das von Rechtshistorikern wie Josef Kohler und in besonderem Maße von Paul Koschaker (Abb. 7) für die Assyriologie eröffnet wurde. –– Behrens, Emil, LSS 3, 1906 (Assyrisch-babylonische Briefe kultischen Inhalts) –– Belser, Carl Wilhelm (William), BA 2, 1891 (Babylonische KudurruInschriften) –– Billerbeck, Adolf, mit Delitzsch, BA 6, 1908 (Palasttore von Balawat) –– Böhl, Franz  Marius  Theodoor de Liagre, LSS 5, 1908 (Die Sprache der Amarna-Briefe) –– Böllenrücher, Josef, LSS 1, 1904 (Gebete und Hymnen an Nergal) –– Brandis, Johannes, 1866 (Das Münz-, Maß- und Gewichtswesen in Vorderasien) –– Daiches, Samuel, LSS 1, 1903 (Altbabylonische Rechtsurkunden der Hammurabi-Zeit)

71 Verzeichnet sind hauptsächlich Texteditionen, soweit sie in den oben genannten Reihen erschienen sind. Unvollständig berücksichtigt sind Inaugural-Dissertationen.

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Abb. 7: Paul Koschaker (um 1940; ­Universitätsbibliothek Tübingen, Bilddatenbank PA, L XV 60a. 4°, https://tobias-bild.uni-tuebingen.de)

–– Demuth, Ludwig, BA 3, 1897 (Fünfzig Rechtsurkunden aus der Zeit des Kyros) –– Dennefeld, Ludwig (Louis), AB 22, 1914 (Geburts-Omina) –– Dienemann, Max, 1898 (Sumerisch-babylonische Hymnen, Diss. Breslau) –– Ehelolf, Hans, LSS 6, 1916 (Ein Wortfolgeprinzip im Assyrisch-Babylo­ nischen) –– Eisenlohr, August, 1896 (Ein altbabylonischer Felderplan) –– Förtsch, Wilhelm, MVAG 19, 1914 (Religionsgeschichtliche Untersuchungen zu den ältesten babylonischen Inschriften) –– Frank, Carl, LSS 2 und 3, 1906 (Beschwörungsreliefs) –– Friedrich, Thomas, BA 5, 1906 (Altbabylonische Urkunden aus Sippar) –– Geller, Samuel, AOTU 1, 1917 (Die sumerisch-assyrische Serie Lugale-udmelam-bi nir-gál) –– Hagen, Ole E., BA 2, 1891 (Keilschrifturkunden zur Geschichte des Königs Cyrus) –– Hehn, Johannes, BA 5, 1905 (Hymnen und Gebete an Marduk) –– Hehn, Johannes, LSS 3, 1907 (Siebenzahl und Sabbat bei den Babyloniern und im Alten Testament)

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Johannes Renger

–– Huber, Engelbert, AB 21, 1907 (Die Personennamen in den Keilschrift­ urkunden aus der Zeit der Könige von Ur und „Nisin“) –– Hunger, Johannes, LSS 1, 1903 (Becherwahrsagung bei den Babyloniern nach zwei Keilschrifttexten aus der Hammurabi-Zeit) –– Klauber, Ernst Georg, LSS 5, 1910 (Assyrisches Beamtentum nach Briefen aus der Sargonidenzeit) –– Knudtzon, Jörgen Alexander, 1893 (Assyrische Gebete an den Sonnengott) –– Kotalla, Eduard, BA 4, 1902 (Fünfzig babylonische Rechts- und Verwal­ tungsurkunden aus der Zeit des Königs Artaxerxes I., 464–424 v. Chr.) –– Küchler, Friedrich, AB 18, 1904 (Beiträge zur Kenntnis der assyrisch-babylonischen Medizin) –– Landersdorfer, Simon, 1908 (Altbabylonische Privatbriefe) –– Landsberger, Benno, LSS 6, 1915 (Der kultische Kalender der Babylonier und Assyrer) –– Lotz, Wilhelm, 1880 (Die Inschriften Tiglathpilesers I.) –– Marx, Victor, BA 4, 1890 (Die Stellung der Frauen in Babylonien gemäß der Kontrakte aus der Zeit von Nebukadnezar bis Darius, 604–485) –– Michatz, Paul, 1909 (Die Götterlisten der Serie An/ilA-nu-um, Diss. Breslau) –– Mordtmann, Andreas David, ZDMG 26, 1872 (Entzifferung und Erklärung der armenischen Keilschriften von Van und Umgebung) –– Mürdter, Friedrich, 1882, ²1891 (Kurzgefasste Geschichte Babyloniens und Assyriens nach den Keilschriftdenkmälern mit besonderer Berücksichtigung des Alten Testaments, mit Vorwort und Beigabe von Friedrich Delitzsch) –– Nagel, Gottfried, BA 4, 1902 (Die Briefe Hammurabis an Sin-iddinam) –– Nikel, Johannes, SGKA, 1918 (Ein neuer Ninkarrak-Text) –– Oefele, Felix von, 1902 (Einleitendes zur Medizin der Koujunjik-Collection, Diss. Breslau) –– Perry, Guthrie, LSS 2, 1907 (Hymnen und Gebete an Sin) –– Pinkert, Johannes, LSS 3, 1907 (Hymnen und Gebete an Nebo) –– Prinz, Hugo, 1915 (Altorientalische Symbolik) –– Schmidtke, Friedrich, AOTU 1/II, 1917 (Asarhaddons Statthalterschaft in Babylonien und seine Thronbesteigung in Assyrien) –– Schrank, Walther, LSS 3/I, 1908 (Babylonische Sühneriten) –– Tiele, Cornelis Petrus, 1886–1888 (Babylonisch-assyrische Geschichte, in: Handbücher der alten Geschichte, I. Ser. 4e Abth., Gotha) –– Walther, Arnold, LSS 6, 1917 (Das altbabylonische Gerichtswesen) –– Weidner, Ernst F., LSS 7, 1917 (Studien zur hethitischen Sprachwissenschaft I) –– Wohlfromm, Ernst, 1910 (Untersuchungen zur Syntax des Codex Hammu­ rabi’s, Diss. Königsberg) –– Ylvisaker, Sigurd, LSS 5/VI, 1912 (Zur Babylonisch-assyrischen Grammatik. Untersuchung auf Grund der Briefe aus der Sargonidenzeit)

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Zur Geschichte der Assyriologie in Deutschland

–– Zehnpfund, Rudolf, 1890 (Ba­ bylonische Weber­rechnun­gen) –– Ziemer, Ernst, BA 3, 1897 (Fünf­ zig Rechts- und Ver­ wal­ tungs­urkunden aus der Zeit des Kö­nigs Kambyses, 529–521) –– Zimolong, Bertrand Franz, 1922 (Das su­merisch-assyrische Vo­kabular Ass. 523, Diss. Bres­ lau)

Die Jahre nach 1918 Die Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs markieren in mehrfacher Hinsicht einen Einschnitt für die Assyriologie in Deutschland. Der Grund war zunächst die prekäre wirtschaftliche Situation in dieser Abb. 8: Benno Landsberger (Quelle: http:// altorient.gko.uni-­leipzig.de/institut.html; vgl. Zeit. Hinzu kam, dass 1922 FriedMüller, Wissenschaftliche Zeitschrift der Karlrich Delitzsch gestorben war. Er war Marx-Universität Leipzig 28 (1979) 79, Abb. 17) 1899 als Nachfolger von Eberhard Schrader an die Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin berufen worden. Sein Nachfolger wurde Bruno Meissner. Nach Leipzig war bereits 1900 Heinrich Zimmern als Nachfolger Delitzschs berufen worden. So waren Berlin und Leipzig in den 1920er Jahren dann weiterhin die bestimmenden Zentren des Faches. In Berlin unter Meissner wurden zahlreiche junge Assyriologen unterschiedlicher Herkunft promoviert: Sedat Alp, Inez Bernhardt, Viktor Domka, Markus Ehrenkranz, Hans Hirschberg, Paul Kraus, Oluf Krückmann, Gerhard Meier, Gerhard Rudolf Meyer, Friedrich Nötscher, Dietrich Opitz, Heinrich Otten, Pater Anton Pohl, Otto Rössler, Josef Schawe, Hans Schlobies, Anastasius Schollmeyer, Moritz Seidmann, Miriam Seif, Franz Xaver Steinmetzer, Walther Schwenzner, Heinz Waschow und Saul Weingort. Alp, Krückmann, Meyer, Nötscher, Otten, Pohl und Rössler haben später Professuren eingenommen. Zu den in Leipzig Promovierten zählt vor allem zunächst Landsberger selbst (Abb. 8) bei Zimmern. Sowohl bei Zimmern als dann auch bei Landsberger wurden promoviert Hans Gustav Güterbock, Josef Klima, Fritz Rudolf Kraus, Walter Kunstmann, William J. Martin, Lubor Matouš, Karl Friedrich Müller, Wolfram von Soden, Johann Jakob Stamm, Rudolf Scholtz, Hans-Siegfried Schuster, Ernst

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Johannes Renger

F. Weidner (bei Peiser). Gelegentlich wurde Adam Falkenstein fälschlicherweise für einen Schüler Landsbergers gehalten. Landsberger selbst hat das verneint und im Rückblick geäußert, das wäre für ihn eine hohe Ehre gewesen.72 Zu einer engen Zusammenarbeit mit dem Vorderasiatischen Museum wie unter Delitzsch ist es unter Meissner nicht gekommen. Die Akten in den Museumsarchiven lassen dafür nach gegenwärtiger Auskunft keine Anhaltspunkte zu den Gründen erkennen. Vermutlich waren die persönlichen Beziehungen zwischen Meissner und den Direktoren Weber und Andrae dafür verantwortlich.73 Nach Webers frühem Tod 1928 wurde Andrae zum Direktor der Vorderasiatischen Abteilung des Berliner Museums ernannt und konnte die Integration der Funde aus Assur und Babylon beharrlich zu Ende führen. Seinen Visionen verdankt das Vorderasiatische Museum die Rekonstruktion des Ischtar-Tores, der Prozessionsstraße und der Fassaden des Nebukadnezarpalastes aus Babylon. Dass die glasierten Farbziegel aus Babylon in solcher Pracht im Vorderasiatischen Museum zur Verfügung standen, ist dem weitsichtigen Einsatz von Gertrude Bell, seinerzeit Antikendirektorin des Irak, zu verdanken. Sie veranlasste, dass die bei Ankunft der britischen Armee 1917 noch in Babylon verbliebenen Bruchstücke nach Berlin gelangen konnten. Hinzu kam die Rekonstruktion der Fassade des Partherpalastes von Assur. Auch sie gehört zu den großen architektonischen Rekonstruktionen im heutigen Pergamonmuseum: Pergamonaltar, Markttor von Milet und die Fassade des umajjadischen Wüstenschlosses von Mschatta in Jordanien (8. Jh. n. Chr.). Sie stellen eine besondere Attraktion im archäologischen Teil der Berliner Museen dar. Ihre Präsentation wirkte zugleich vorbildhaft für andere Museen. Für die Jahre nach 1918 möchte ich auf einige herausragende Werke verweisen, die für das Fach von Bedeutung sind. Arno Poebels Sumerische Grammatik stellt den Ausgangspunkt dar für die Entwicklung der Sumerologie, insbesondere die Darstellung der grammatischen Struktur des Sumerischen. Arthur Ungnad hat in der Tradition seines Lehrers Friedrich Delitzsch mit seiner BabylonischAssyrische[n] Grammatik den akademischen Unterricht für viele Jahre geprägt. Beeindruckt hat mich Albrecht Goetzes epochales Kleinasien. Meissner unternahm schon frühzeitig den Versuch, das bereits greifbare Wissen in seiner Kulturgeschichte Babylonien und Assyrien zusammenfassend darzustellen. Etwas später führte er dies zusammen mit Erich Ebeling in enzyklopädischer Form im 72 Landsberger mündlich im Sommer 1967. Frank, Lamaštu, 25 Anm. 4, warf Falkenstein eine Abhängigkeit von seinem jüdischen Lehrer Landsberger vor; damit verdrehte er eine fälschlich verbreitete Meinung in eine politische Denunziation. Zu Carl Frank siehe ausführlich Renger, Altorientalistik in Deutschland, 485f., und oben Anm. 37. 73 Eine ausführlichere Darstellung der Umstände bei der Berufung Webers bedarf einer Klärung anhand der Archivbestände im Vorderasiatischen Museum.

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Zur Geschichte der Assyriologie in Deutschland

Reallexikon der Assyriologie fort. Meissner legte zudem den Grundstein für das Akkadische Handwörterbuch, gefördert von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, das Wolfram von Soden 1981 vollendete. Vor allem ist Landsberger zu nennen, gefördert von Zimmern und hoch dekoriert aus dem Krieg nach Leipzig zurückgekehrt. Sein visionäres Wirken hat der Assyriologie für die Zukunft grundlegende Impulse gegeben. Im Gegensatz zu Meissners eher traditionellen Denkmustern und Interpretationsweisen eröffnete Landsberger neue Wege. Ihm ging es um emische Kategorien, in seinen Worten: die Eigenbegrifflichkeit der mesopotamischen Kultur, die der akkadischen Sprache eigenen Strukturen und die daraus resultierenden Denkmuster. Seine Ideen zur Grammatik des Akkadischen fanden ihren Niederschlag in von Sodens Grundriss der akkadischen Grammatik (1952). Landsberger selbst hat dazu nie etwas veröffentlicht. Es existieren aber zwei unveröffentlichte Manuskripte, in denen er seine Sicht vom System des akkadischen Verbums darstellt: Das Manuskript eines Vortrages Akkadisch und Hebräisch und A Comparative Approach to the Study of the Bible (aus den frühen 1950er Jahren). Landsberger betonte immer, dass seine deutsch-tschechische Zweisprachigkeit ihm wesentliche Erkenntnisse für das Wesen des akkadischen Verbalsystems vermittelt habe. Nicht zu vergessen ist aber auch die durch ihn schon in seiner Leipziger Zeit initiierte Rekonstruktion der großen sumerisch-akkadischen Serien von Gegenstandslisten und Vokabularen. Er war deshalb von den Herausgebern des CAD gebeten worden, zitierfähige Manuskripte für das CAD zu erarbeiten. Sie wurden zum Teil noch zu seinen Lebzeiten in den Bänden Materialien zum Sumerischen Lexikon publiziert. Landsberger legte großen Wert auf eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Im Rückblick bedauerte er, dass es seinerzeit, d.h. in den 20er und 30er Jahren des 20. Jh. einen wirklichen Meinungsaustausch zwischen Akademikern kaum gegeben habe. Man beschränkte sich auf ‚Anregungen‘. Dies gelte auch für das Verhältnis zwischen Zimmern und dem Klassiker unter den Arabisten, August Fischer, mit dem er kurz nach seinem Amtsantritt (1900) das Leipziger Semitistische Institut gründete.74 Ein Zeugnis interdisziplinärer Zusammenarbeit ist die unter Mitwirkung des Zoologen Ingo Krumbiegel verfasste Fauna des alten Mesopotamien nach der 14. Tafel der Serie ḪAR.RA = ḫubullu, die noch 1934 in den Abhandlungen der Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften erschien. Besonders bedeutsam aber war Landsbergers Zusammenarbeit mit Paul Koschaker,75 der seit 1915 einen Lehrstuhl für bürgerliches und römisches Recht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig innehatte. Dort stand ihm zunächst Zimmern als

74 Landsberger, Forschungen und Fortschritte 36 (1962) 219. 75 Müller, Altorientalische Forschungen 9 (1982) 271–284. Dazu auch Neumann, Koschaker, und Renger, Karl Marx.

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Johannes Renger

philologischer Begleiter zur Seite, als Landsberger noch im Kriege diente. Landsberger schreibt dazu 1962: „1923 stieß der überragende Rechtshistoriker Paul Koschaker zu uns […] Engste Zusammenarbeit von Philologie und Rechtsgeschichte, eine der Grundforderungen Koschakers, schlug nicht nur zum Segen der Rechtsgeschichte aus, auch wir Philologen profitierten: ein gutes Stück Wirklichkeitssinn wurde uns beigebracht, und wir lernten, daß nicht nur grammatische Sätze, daß auch geschichtliche Phänomene ihre immanente Logik besitzen.“76 Noch kurz vor seinem Tod gedachte Landsberger der gemeinsamen Arbeit mit Koschaker in einem fast einhundertseitigen Aufsatz, der leider unpubliziert geblieben ist und der Martin David gewidmet sein sollte. Er schreibt: „Die intensive Zusammenarbeit von Paul Koschaker und mir währte von 1920 bis 1935. Der führende Assyriologe von heute, Wolfram von Soden, hat ihr, bzw. der ‚Leipziger Schule,‘77 die in dieser Zeitperiode entstand und blühte, einen sehr wohlwollenden Rückblick gewidmet (Forschungen und Fortschritte 1965, 125). Die Zusammenarbeit, die mir zur hohen Ehre, meinem Fach zu großem Nutzen gereichte, fand durch äußere Umstände ein jähes Ende.“ Martin David, dem dieser Beitrag gewidmet sein sollte, repräsentierte „neben Julius Lautner, Victor Korošec, Josef Klíma, Herbert Petschow (diese drei noch am Werke), Wilhelm Eilers (jetzt ausschließlich mit iranischer Philologie befaßt) – den juristischen Zweig der ‚Leipziger Schule‘, und mit dem frühen Schüler Koschakers, M. San Nicolò, die von Koschaker begründete Altorientalische Rechtsgeschichte.“78 In England und Frankreich fand Koschaker nie rechtes Verständnis. 76 Landsberger, Forschungen und Fortschritte 36 (1962) 220. 77 Landsberger, Forschungen und Fortschritte 36 (1962) 219, spricht von Zimmerns Verdienst um die Gründung der Leipziger Assyriologenschule „wobei dieses Wort keinesfalls als ‚wissenschaftliche Richtung‘ oder ‚Lehrmeinung‘ verstanden werden soll. [… sie] bedeutet nur gediegene Philologie, Schmiegsamkeit, Takt, Vielseitigkeit; und negativ: keine doktrinäre Gesinnung, keine Schulmeisterei, kein Sich-Verbohren in unlösbare Fragestellungen, keine leere Pedanterie, aber auch keine hohle Rhetorik.“ Auf die Rivalität zwischen Meissners ‚Schule‘ in Berlin und Landsbergers ‚Leipziger Schule‘ ist oft angespielt worden. Es existiert aber von Landsberger in der Festschrift für Bruno Meissner ein beziehungsreicher und versöhnlicher Beitrag mit dem Titel „Das ‚gute Wort‘“. 78 Renger, Karl Marx.

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Zur Geschichte der Assyriologie in Deutschland

Martin David, der sich – offenbar anders als Landsberger – keinerlei Illusionen hingegeben hatte, über das, was zu erwarten war, hatte sehr schnell die Konsequenzen aus der Machtergreifung Hitlers gezogen und war Ende des Sommersemesters 1933 nach Leiden emigriert, wo er bis in die sechziger Jahre wirkte. Landsberger schreibt: „Mein Meinungsaustausch mit David dauerte noch einige Jahre nach 1935 an durch Briefwechsel und zwei Besuche in Leiden.“ Wir können ermessen, welche großen Chancen durch Landsbergers Entlassung und Emigration den beiden Disziplinen entgangen sind. Eine Geschichte der Assyriologie in den Jahren nach 1918 wäre unvollständig, wenn nicht auf die Geburt der Hethitologie verwiesen würde. Wincklers Grabungen in Boğazköy von 1907 bis 1912 brachten eine große Zahl von Tontafeln zu Tage, die weitgehend nach Berlin gelangten. In die frühen zwanziger Jahre fällt dann der Beginn von Hans Ehelolfs intensiver Beschäftigung mit den tausenden von hethitischen Texten im Vorderasiatischen Museum, die es zu sichten und zu kopieren galt. Zimmerns Weitsicht ist zu verdanken, dass sich Johannes Friedrich 1924 in Leipzig als erster für das Fach Hethitologie habilitieren konnte. Ich breche hier ab, denn über das, was folgt, habe ich mich ausführlich an anderer Stelle geäußert. Es sollte der Weg der Assyriologie seit den Anfängen unter Grotefend nachgezeichnet werden. Meine Darstellung erstreckt sich bis zum Jahre 1933, weil bestimmte Entwicklungslinien berücksichtigt werden sollten, Entwicklungen, die in gewisser Weise bis in die Gegenwart gewirkt haben – und noch wirken.

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Johannes Renger

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Zur Geschichte der Assyriologie in Deutschland

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Johannes Renger

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Zur Geschichte der Assyriologie in Deutschland

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Johannes Renger

Schuler, E. von, Siebzig Jahre Deutsche Orient-Gesellschaft, Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 100 (1968) 6–21. Sösemann, B., Im Zwielicht bürokratischer „Arisierung“. Der Kaiser FriedrichMuseums-Verein zu Berlin und seine jüdischen Mitglieder in der NS-Diktatur, Berlin 2016. Stern, F., Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder, Frankfurt a.  M. 1978. Syndram, D., Orient-Rezeption, I. Ägypten – F. Revolutionszeit und Empire, in: M. Landfester – H. Cancik – H. Schneider (Hg.), Der Neue Pauly, Bd. 15/1: Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte, Stuttgart 2001, 1205–1210. Taeschner, F.,  Hubert Grimme,  Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 96 (1942) 381–392 (mit Schriftenverzeichnis und Bild vor S. 381). Thureau-Dangin, F., Die sumerischen und akkadischen Königsinschriften (Vorderasiatische Bibliothek I/1), Leipzig 1907. Tiele, C.  P., Babylonisch-assyrische Geschichte (Handbücher der alten Geschichte. I. Ser. 4e Abth.), Gotha 1886–1888. Wade Meade, C., Road to Babylon. Development of U.S. Assyriology, Leiden 1974. Wiesehöfer, J., „Alle Geschichte … muß ihrer Betrachtungsweise und Tendenz nach notwendig universalistisch sein“ – Eduard Meyers „Geschichte des Altertums“ und die Universalhistorie, in: W. Hardtwig – Ph. Müller (Hg.), Die Vergangenheit der Weltgeschichte. Universalhistorisches Denken in Berlin 1800–1933, Göttingen 2010, 217–238. Wiesehöfer, J., Alfred von Gutschmid und Eberhard Schrader: Eine Kontroverse, in: S. Gaspa u.a. (Hg.), From Source to History: Studies on Ancient Near Eastern Worlds and Beyond. Dedicated to Giovanni Battista Lanfranchi on the Occasion of His 65th Birthday on June 23 (Alter Orient und Altes Testament 412), Münster 2014, 729–743.

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Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers: Die ersten drei Lehrstuhlinhaber der Altorientalistik in Würzburg von Nils P. Heeßel (Universität Marburg)

Die Anfänge altorientalistischer Forschung in Würzburg An der Theologischen Fakultät der Universität Würzburg war im Jahr 1894 eine Professur für semitische Sprachen und Literatur geschaffen worden, die den Theologiestudenten Aramäisch, Arabisch und Syrisch anbieten sollte.1 Diese Sprachen wurden jedoch von den Studenten kaum nachgefragt, sodass sich die Frage stellte, wie bei der Wiederbesetzung der Professur im Jahr 1908 am besten zu verfahren sei. Im Hinblick auf die gewachsene Bedeutung der Altorientalistik, die in der theologischen Forschung seit der Entdeckung der Parallelen zu alttestamentlichen Texten und auch in der Öffentlichkeit durch den wenige Jahre zurückliegenden „Babel-Bibel-Streit“ an Einfluss gewonnen hatte,2 wurde das Fehlen einer wissenschaftlichen Altorientalistik in Würzburg als Mangel wahr1 Im Vorfeld der Einrichtung gab es einen Versuch, diese Professur der Philosophischen und nicht der Theologischen Fakultät zuzuordnen, der aber erfolglos blieb; siehe dazu von Schuler, Orientalistik, 16, und idem, 400 Jahre, 358. 2 Zum „Babel-Bibel-Streit“ siehe Lehmann, Friedrich Delitzsch, und zum geistigen Hintergrund auch Weichenhan, Panbabylonismus.

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Nils P. Heeßel

genommen, der beseitigt werden sollte.3 Daher hatte die Philosophische Fakultät bereits im Januar 1907, sicher auch im Hinblick auf die bevorstehende Wiederbesetzung der Professur für semitische Sprachen und Literatur an der Theologischen Fakultät, einen Antrag zur Einrichtung einer außerordentlichen Professur für orientalische Philologie an der Philosophischen Fakultät im akademischen Senat eingereicht. Vor diesem Hintergrund kam es in der Theologischen Fakultät zu einem Streit um die Zuteilung der Professur zur Theologischen oder zur Philosophischen Fakultät. Einige Professoren waren dafür, diese Professur nicht weiter als bloße ,Hilfswissenschaft‘ für die Theologie aufzufassen, sondern als ein eigenständiges Forschungsgebiet, welches deshalb besser an die Philosophische Fakultät gehöre. Bei der entscheidenden Abstimmung waren drei Professoren (Sebastian Merkle, Franz Xaver Kiefl und Johannes Hehn) dafür, die Professur der Philosophischen Fakultät anzugliedern, drei andere, darunter der Dekan, votierten hingegen für einen Verbleib an der Theologischen Fakultät. Mit seiner Amtsstimme überstimmte der Dekan jedoch diejenigen, die gegen einen Verbleib der Professur an der Theologischen Fakultät waren, was Johannes Hehn, dessen Forschungen sich bereits längere Zeit um den Alten Orient drehten, zur Niederschrift eines an den Senat gerichteten Sondervotums veranlasste.4 Am 29. Februar 1908 stellte die Theologische Fakultät dann den Antrag an den akademischen Senat, die im Jahr 1894 gegründete Professur für semitische Sprachen und Literatur an der Theologischen Fakultät wiederzubesetzen. Am 5. März 1908 stellte die Philosophische Fakultät ihrerseits erneut einen Antrag an den akademischen Senat, eine Professur für semitische Sprachen an ihrer Fakultät einzurichten. Dem Antrag lag bereits eine Liste von vier Kandidaten bei, für die Gutachten von zwölf auswärtigen Fachvertretern eingeholt wurden. Es wurde dabei betont, dass drei Gelehrte auf der Liste aus Bayern stammen.5 Mit Schreiben vom 11. März 1908 an das königlich bayerische Ministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten wurde vom akademischen Senat der Universität Würzburg dem Antrag der Philosophischen Fakultät entsprochen und beim Ministerium wiederum der Antrag gestellt, die Professur für

3 Die Situation der Altorientalistik in Deutschland bis zum Jahr 1933 und die Position der Würzburger Professur beschreibt der Beitrag von Johannes Renger in diesem Band. 4 Zur Debatte in der Theologischen Fakultät und insbesondere zur Rolle von Johannes Hehn, der zur treibenden Kraft bei der Umwidmung der Professur für semitische Sprachen und Literatur zu einer Professur für Altorientalistik und ihrer Eingliederung in die Philosophische Fakultät wurde, siehe den Beitrag von Herbert Niehr in diesem Band. 5 Bei den vorgeschlagenen Gelehrten handelte es sich um M. Streck auf dem ersten Platz, Fr. Schultheiss und K. Dyroff zusammen auf dem zweiten und auf dem dritten Platz J. Hell.

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Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers

Abb. 1: Urkunde zur Ernennung von Maximilian Streck zum „außerplanmäßigen Professor“ im Namen des Prinzregenten Luitpold vom 13. Mai 1908 (Universitätsarchiv Würzburg PA 209/99)

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Abb. 2: Titel der Ausgabe von Maximilian Strecks Assurbanipal und die letzten assyrischen Könige bis zum Untergange Niniveh’s aus der Bibliothek der Altorientalistik der Universität Würzburg

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Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers

semitische Sprachen und Literatur der Philosophischen Fakultät einzugliedern und sie aufgrund der Vorschlagsliste dieser Fakultät zu besetzen. Maximilian Streck Die Gründung der Würzburger Altorientalistik an der Philosophischen Fakultät ist somit untrennbar mit der katholischen Theologie und insbesondere mit Johannes Hehn verbunden. Am 13. Mai 1908 wurde Maximilian Streck, der erste auf der Vorschlagsliste, vom Regenten Luitpold von Bayern zum etatmäßigen außerordentlichen Professor mit Titel, Rang und Rechten eines ordentlichen Professors für semitische Philologie, Türkisch und Neupersisch an die Philosophische Fakultät der Universität Würzburg berufen (Abb. 1). Maximilian Streck wurde am 18. Oktober 1873 in Pfarrkirchen/Niederbayern geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Straubing studierte er ab 1893 in München und Leipzig Orientalistik. An der Universität Leipzig wurde er 1898 bei Heinrich Zimmern mit einer Dissertation zu Armenien, Kurdistân und Westpersien, nach den babylonisch-assyrischen Keilinschriften promoviert. Anschließend kehrte er nach München zu seinem Lehrer Fritz Hommel zurück und habilitierte sich dort im Jahr 1900 mit der Venia „Semitische Philologie“. Kurzzeitig wechselte er an die Universität Berlin, bevor er 1903 dann nach Straßburg übersiedelte, wo ihm die Philosophische Fakultät am 4. Februar 1905 die Venia legendi verlieh. Mit Streck gewann die Philosophische Fakultät einen Gelehrten, der bis dahin vor allem als ausgezeichneter Kenner der historischen Geographie des Vorderen Orients in Erscheinung getreten war. Seiner 1898–1900 in der Zeitschrift für Assyriologie 13–15 publizierten Dissertation folgte die Habilitation über Die alte Landschaft Babylonien nach den arabischen Geographen (2 Bände, Leiden 1900–1901) und 1906 dann die Keilinschriftlichen Beiträge zur Geographie Vorderasiens. Jedoch galt Strecks Interesse nun zunehmend der altorientalischen Geschichte und 1916 veröffentlichte er seine monumentale, dreibändige Edition der spätneuassyrischen Inschriften. Assurbanipal und die letzten assyrischen Könige bis zum Untergange Niniveh’s, als siebter Band der Vorderasiatischen Bibliothek publiziert, war ein Meisterwerk, das an die 100 Jahre ein Standardwerk der Altorientalistik blieb (Abb. 2). Am 6. August 1916 wurden Streck dann – wohl nicht zuletzt aufgrund der Bedeutung dieses Werkes – von König Ludwig III. „ohne Änderung seines Gehalts und seiner Lehraufgabe Titel, Rang und akademische Rechte eines ordentlichen Professors“ verliehen (Abb. 3). Eine Professur war Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur ein enorm respektiertes Amt, sondern wurde auch großzügig entlohnt; mit Professur durfte man sich damals als wohlhabend betrachten und war auf dem Heiratsmarkt ein begehrter Junggeselle. So nimmt es kaum Wunder, dass sich

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Abb. 3: Urkunde zur Ernennung von Maximilian Streck zum „ordentlichen Professor“ im Namen König Ludwigs III. vom 6. August 1916 (Universitätsarchiv Würzburg PA 209/74)

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Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers

Maximilian Streck, am 13. Mai 1908 zum außerordentlichen Professor berufen, bereits am 12. Oktober 1908 in Eggenberg (Bezirk Gmunden, Oberösterreich) mit der damals 29-jährigen Anna Forstinger, Tochter von Caroline Forstinger, Brauerei- und Gutsbesitzerin in Eggenberg, vermählte. Die Brauerei „Schloß Eggenberg“ gibt es noch heute und sie wird immer noch von der Familie Eggenberg, nunmehr in achter Generation, geleitet.6 Nach Würzburg zurückgekehrt erlebte Streck dann aber eine juristische Überraschung: Ihm fehlte die Einwilligung der Universität zu seiner Hochzeit. Bis zur Reichseinigung 1871 waren in Deutschland staatliche Erlaubnisvorbehalte für Ehen ein gängiges Mittel zur Kontrolle des Reproduktions- und Siedlungsverhaltens der Bevölkerung gewesen, nur im Königreich Bayern galten diese Regeln auch noch nach 1871. Streck erbat daraufhin nachträglich die Ehebewilligung, die er irrtümlich vergessen habe. Diese wurde Streck dann auch am 30. Januar 1909 gewährt, wobei ihm zugute kam, dass diese antiquierte Regelung am 1. Januar 1909 abgeschafft worden war. Man darf annehmen, dass Streck diese bayerische Regelung, die im restlichen Deutschen Reich ja bereits 38 Jahre lang aufgehoben war, einfach nicht bekannt gewesen sein dürfte. Mit dem Abschluss der Arbeiten an der Assurbanipal-Edition im Jahr 1916, die seine einzige Textedition blieb, widmete Streck sich wieder verstärkt der historischen Geographie des Vorderen Orients. Seine Ergebnisse legte er nach dem 1917 erschienenen, kurzen Band Seleucia und Ktesiphon vor allem in kurzen Notizen und Lexikoneinträgen vor; Bücher publizierte er danach nicht mehr. Am 28. September 1920 wählte die Strassburger wissenschaftliche Gesellschaft Streck zum ordentlichen Mitglied. Streck war ein sehr zurückhaltender Mensch, der wenig Umgang mit seinen Professorenkollegen pflegte.7 Eine Türkeireise im Wintersemester 1926/27 bildete die einzige Abwechslung zu seiner beständigen, bis zu seiner Emeritierung am 31. März 1939 in Würzburg durchgeführten Lehrtätigkeit.8 Unklar bleibt, wie 6 Siehe https://www.schloss-eggenberg.at/de/brauerei, zuletzt abgerufen am 11. Oktober 2018. 7 Dies geht auch aus der Reaktion von Würzburger Gelehrten im Jahr 1955 hervor, die vom Rektor im Zuge einer Auskunftsbitte für das Lastenausgleichsgesetz von seiner Schwester Frieda Streck (Fürstenfeldbruck) zu ihm und dem Inhalt seiner Wohnung befragt wurden. In diesem Zusammenhang ist auch eine Bemerkung von Maximilian Strecks Nachfolger Theo Bauer in einem Brief vom 4. Juli 1947 an den Altorientalisten Fritz Rudolf Kraus interessant, in dem Bauer Streck zusammen mit den Altorientalisten Karl Frank und Arno Poebel als „Nußknacker“ bezeichnet, im Gegensatz zu Menschen wie Kraus oder Bauer selbst, siehe Schmidt, Dreizehn Jahre Istanbul, 1448. 8 Bereits Ende 1911 hatte Streck geplant, die Türkei zu bereisen, musste die Reise aber wegen des Ausbruchs der Cholera und der veränderten politischen Lage absagen. Eine weitere geplante Türkeireise im nächsten Jahr (Ende 1912) scheiterte ebenfalls. Aber im Wintersemester 1926–27 vertraten ihn Friedrich Stummer und Friedrich Nötscher, beide Schüler Johannes Hehns, so

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Streck die politischen Veränderungen beurteilte. In den Universitätsakten finden sich zwar der am 25. Juli 1933 erfolgte Ariernachweis und der am 12. Dezember 1934 abgelegte Beamtenschwur auf Adolf Hitler, aber Strecks persönliche Ansichten bleiben im Dunkeln. Noch nach seiner Emeritierung arbeitete er an einer Sammlung aller geographischen Angaben in den Keilschrifttexten, diese wurde nach seinem Tod am 25. März 1945 in Fürstenfeldbruck jedoch nicht gefunden. Es ist wahrscheinlich, dass sie in Strecks Wohnung in der Friedenstraße 5 bei der Zerstörung Würzburgs durch britische Bomber am 16. März 1945 verbrannte. Ob Streck den Feuersturm in Würzburg mit- und überlebt hat oder ob er sich zu diesem Zeitpunkt schon in Fürstenfeldbruck bei seiner Schwester aufhielt, ist nicht bekannt und lässt sich wohl angesichts der Wirren der letzten Kriegstage auch nicht mehr rekonstruieren. Mit der Vernichtung des Nachlasses von Streck in seiner Wohnung sind wohl auch alle Fotografien, die ihm sicher zugeordnet werden können, verbrannt.9 Der Lehrstuhl für Orientalische Philologie während des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit Mit der Emeritierung von Maximilian Streck am 1. April 193910 wurde die Professur für Orientalische Philologie gegen den Willen der Philosophischen Fakultät auf Betreiben des damaligen Gauleiters in eine Professur für mainfränkische Kunstgeschichte umgewandelt, „um den damaligen Gaudozentenführer Dr. Clemens Schenk mit einem Lehrstuhl zu befriedigen“.11 Nach Kriegsende wurde Clemens Schenk 12 aus der Universität entlassen, und die Philosophische Fakultät

dass Streck wie geplant seine Reise antreten konnte (Schreiben an die Universität vom 9. Juli 1927, PA 209, Universitätsarchiv Würzburg). 9 Ein am Lehrstuhl für Altorientalistik der Universität Würzburg vorhandenes Foto eines Mannes in Uniform im Feldlager, das einige Zeit als Porträt Strecks angesehen wurde, dürfte ihn eher nicht abbilden, da Streck ausweislich seines Lebenslaufs niemals beim Militär war und auch nicht im Ersten Weltkrieg gekämpft hat. 10 Streck bestätigte am 28. März 1939 den Empfang der (Entpflichtungs-)Urkunde des „Führers und Reichskanzlers“ von 15. Februar 1939 und des Erlasses des Reichserziehungsministers vom 20. Februar 1939. Er wurde somit mit Ablauf des März 1939 von seinen Pflichten entbunden (Schreiben an die Universität vom 28. März 1927, Universitäts-Archiv Würzburg PA 209, Blatt 29). 11 Schreiben der Philosophischen Fakultät an den Senat der Universität Würzburg vom 27. Mai 1946, Universitäts-Archiv Würzburg PA 255, Blatt 125. 12 Zur umstrittenen Person Clemens Schenk siehe auch die von seinem Sohn Josef Schenk verfassten, aber unpubliziert gebliebenen „Erinnerungen an Clemens Schenk“, die im Würzburger Stadtarchiv und der Würzburger Stadtbücherei zugänglich sind. Siehe hierzu auch das Interview in der Zeitung „Mainpost“ vom 15. März 2006: https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/ Kunst-vor-den-Bomben-gerettet;art780,3473875, zuletzt abgerufen am 11. Oktober 2018.

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Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers

erbat im Mai 1946 vom Senat, diese „außerordentliche Professur wieder ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen.“ 13 Neben Theo Bauer war auf der Liste auch der Islamist Franz Babinger vertreten, der sich selbst in Bayern als Dozent beworben hatte und sich auch deshalb große Hoffnungen auf die Stelle machte, weil er von einem Gewährsmann falsch informiert worden war, dass er an erster Stelle der Liste stehe.14 Die Philosophische Fakultät wollte jedoch ausdrücklich einen Altorientalisten, „da die Islamistik in Erlangen vertreten ist, während das Fach Assyriologie auch in Erlangen und München, also in ganz Bayern, ausfällt.“ 15 Wie sich die Situation nach dem Krieg für die Universitäten darstellte, zeigt exemplarisch folgender Satz aus dem Schreiben der Philosophischen Fakultät: „Ein weiterer Kandidat konnte trotz vieler und Langwieriger(sic) Bemühungen nicht ausfindig gemacht werden.“ 16 Theo Bauer Theodor Bauer wurde am 4. März 1896 in Zittau/Sachsen als Sohn des Textilfabrikbesitzers Ludwig Bauer und seiner Frau Anna, geb. Killmann, geboren.17 Er studierte Altorientalistik – wie auch schon Maximilian Streck – in München bei Fritz Hommel.18 Dort wurde er 1919 mit einer ungedruckt gebliebenen umfangreichen Arbeit zu den Venusomina der Serie Enūma Anu Enlil promoviert. Danach ging er nach Breslau, Leipzig und Berlin, um seine Studien bei Meissner, Landsberger und Zimmern fortzusetzen. Insbesondere Benno Landsberger, die schon damals dominierende Figur in Leipzig, prägte den jungen Bauer nachhaltig. Der Arabist Werner Caskel beschrieb in seinen Erinnerungen an diese Zeit im Orientalischen Seminar in Leipzig Bauer folgendermaßen: „Ein junger Herr aus wohlhabendem Hause, vornehm, gepflegt und ruhig, sehr musikalisch, mit der Himmelskunde vertraut, aber auch mit dem Eisenbahnwesen genau bekannt. Ein Hauch von Schwermut hing 13 Schreiben der Philosophischen Fakultät an den Senat der Universität Würzburg vom 27. Mai 1946, Universitäts-Archiv Würzburg PA 255, Blatt 125. 14 Grimm, Welt des Islams 38 (1998) 329f. 15 Schreiben der Philosophischen Fakultät an den Senat der Universität Würzburg vom 27. Mai 1946, Universitäts-Archiv Würzburg PA 255, Blatt 125. 16 Ibid. 17 Der Nachlass von Theo Bauer ist noch zu erschließen, wenn er sich denn erhalten hat. Die Rekonstruktion seiner Biographie stützt sich daher auf seine Personalakte im Universitätsarchiv Würzburg (PA 255) und publizierte Quellen. 18 Bauer diente nicht im Militär und kämpfte – wie Maximilian Streck – nicht als Soldat im Ersten Weltkrieg.

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an ihm, der in einem Herzleiden wurzelte, an dem er so früh starb. Von Landsberger angeleitet, wurde er ein guter Assyriologe und Semitist, ideenreich und genau.“ 19 In Leipzig habilitierte Bauer sich 1925 mit einer Arbeit, die wesentlich erweitert unter dem Titel Die Ostkanaanäer. Eine philologisch-historische Untersuchung über die Wanderschaft der sogenannten „Amoriter“ in Babylonien im folgenden Jahr erschien. Einige Zeit hielt er dann Vorlesungen an der Universität Rostock und am 19. April 1929 heiratete er Dr. Anita Römer; die Ehe hielt jedoch nicht lange und wurde 1935 wieder geschieden. 1931 wurde er zum außerordentlichen Professor in München berufen. Zum Sommersemester 1932 folgte er einem Ruf auf eine ordentliche Professur an die Universität Breslau als Nachfolger Arthur Ungnads. Im folgenden Jahr publizierte er Das Inschriftenwerk Assurbanipals, vervollständigt und bearbeitet; das Material hierzu hatte er bei einer Studienreise zum Britischen Museum in London aufgenommen. Der 1933 beginnenden Herrschaft der Nationalsozialisten stand der der römisch-katholischen Kirche angehörige Bauer sehr ablehnend gegenüber, auch wenn er nicht offen dagegen arbeitete.20 Dies zeigt sich nicht nur in seinen nach dem Krieg geschriebenen Briefen an Fritz Rudolf Kraus, sondern auch darin, dass er zu der vom Regime verfolgten Theologin Katharina Staritz, die bei ihm Arabisch, Syrisch und Hebräisch lernte, auch nach ihrer Verhaftung und Internierung Kontakt hielt.21 Von Katharina Staritz

19 In: Gräf, Fs. Caskel, 14. 20 „Sie kannten ja meine absolut feindliche Einstellung gegenüber der braunen Pest. Ich habe sie nicht verloren, sondern verstärkt. Während des Krieges war wenigstens Gelegenheit, durch Verbreitung der ausländischen Nachrichten, durch Hilfe an Gefangene, an Verfolgte eine Kleinigkeit zu tun. Nicht dass ich damit mein Gewissen vollständig entlastet wähne, aber in solchen Fällen ist der gute Wille eben auch etwas“. Aus einem Brief von Theo Bauer an Fritz Rudolf Kraus vom 1. Juni 1947, siehe Schmidt, Dreizehn Jahre Istanbul, 1277. 21 Bauers ablehnende Haltung den Nationalsozialisten gegenüber wird in seinen nach dem Krieg an den Altorientalisten Fritz Rudolf Kraus, der damals in Istanbul weilte, geschriebenen Briefen sehr deutlich, aber auch in den Briefen von Benno Landsberger an ihn. Zu den Briefwechsel von Bauer und Kraus siehe Schmidt, Dreizehn Jahre Istanbul. Zur evangelischen Theologin Katharina Staritz, die bei ihm in Breslau Veranstaltungen besucht hatte, hielt er auch Kontakt in den Zeiten ihrer Inhaftierung im Konzentrationslager Ravensbrück und stand ihrer Familie bei. Katharina Staritz hatte in Marburg bei dem Kirchengeschichtler und Neutestamentler Hans von Soden, der später ein führender Vertreter der Bekennenden Kirche wurde, studiert und 1928 als erste Frau an der Theologischen Fakultät in Marburg promoviert. Übrigens war Hans von Soden der Vater des Altorientalisten Wolfram von Soden, den Theo Bauer nach dem Krieg aufgrund seiner politischen Einstellung sehr ablehnte. Katharina Staritz war in Breslau als Stadtvikarin in der „Kirchlichen Hilfsstelle für evangelische Nichtarier“ von Pfarrer Heinrich Grüber tätig und im Zuge dieser Tätigkeit mehr als ein Jahr in ,Schutzhaft‘ im Arbeitserziehungslager Breitenau

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Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers

ist auch eine Schilderung des Arabischunterrichts von Bauer aus dem Dezember 1937 erhalten: „Der Lehrer dieser hoffnungsvollen Schülerschar ist Prof. Theo Bauer, der den Unterricht mit verbissenem Grimm gibt, denn Akkadisch ist ihm lieber. Er stößt manchmal gräßliche Drohungen aus wie die, wir dürften nicht nach Hause gehen, ehe wir nicht das Paradigma richtig durchdekliniert hätten! Sogar den Herrn Professor (Professor Koch, katholische Theologie, war einer der am Unterricht beteiligten Studenten, N.P.H.) hat er kürzlich schlecht gemacht. Aber wir nehmen seinen Zorn alle nicht tragisch. Früher hätte ich mich sicher schrecklich vor solchen Stunden gefürchtet, aber jetzt machen sie mir einen diebischen Spaß.“ 22 In einem fast drei Jahre später geschriebenen Brief (ibid. 172, Brief von Katharina Staritz an Hans von Soden vom 31. Oktober 1940) wird Bauer zwar immer noch als gestrenger Lehrer charakterisiert, zugleich zeigt sich aber, was seine Studentin an seinem Unterricht schätzte: „In diesem Trimester habe ich mit 2 anderen, einem älteren Studenten und einem angejahrten Dr. phil. vom Breslauer Rundfunk zusammen zwei Stunden arabische Syntax bei Bauer nach Brockelmann-Socin, wo ich wegen meiner mangelhaften Kenntnisse fortgesetzt fürchterlich schlechtgemacht werde, sodaß es schon meine beiden Studiengenossen erbarmt. Nicht besser ergeht es mir in der Stunde, die ich allein bei Bauer habe, und in der er mit mir Psalmen liest und feststellt, daß ich kein Hebräisch kann. Er hat ja recht, und schließlich bin ich doch dazu da, um meine kümmerlichen Kenntnisse aufzumöbeln. Vielleicht spart er sich durch die Stunden, in denen er sich mit mir quält, ein paar Jahre Fegefeuer. Auch beschränkt sich die rauhe Behandlung, die mir widerfährt, auf das Kolleg und ich nehme sie nicht tragisch. Das wird Sie wundern, aber ich lebe ja nicht mehr in Angst vor einem Examen und ich weiß, daß es größeren Kummer gibt, als eine falsche Form. Übrigens habe ich die Bauerschen Kollegs deshalb gern, weil man durch sie oft einen feinen Einblick in die Zusammenhänge der Sprache als eines eigenartigen Organismus bekommt, in dem vieles nicht auf logische oder naturwissenschaftliche Formeln zu bringen ist. Auch freut es mich, daß er uns nie wilde Theorien vorsetzt, sondern in seinen Thesen vorsichtig und zurückhaltend ist, eben solide Wissenschaft und im Konzentrationslager Ravensbrück interniert. Zur Rolle von Theo Bauer im Leben von Katharina Staritz siehe Erhart – Meseberg-Haubold – Meyer, Katharina Staritz, 89–92. 22 Ibid. 152 (Brief von Katharina Staritz an Hans von Soden vom 31. Dezember 1937).

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im alten Stil. Es ist tröstlich, daß es so etwas doch noch gibt. Es tut mir manchmal leid, daß ich keine Zeit habe ordentlich dafür zu arbeiten, und schon die paar Stunden in der Woche stehle ich meinem Amt mit schlechtem Gewissen, aber ich glaube ohne diese kleine Privatfreude hielte ich all den Kummer, den ich täglich sehe, kaum aus.“23 Mit Landsberger, der nun in Ankara weilte, hielt er auch in dieser Zeit Kontakt.24 Das Ende des Zweiten Weltkriegs traf Bauer hart, denn zum einen wurde er 1944 zum Arbeitsdienst eingezogen, was seiner ohnehin nicht sehr robusten Gesundheit sehr abträglich war, so dass er sich 1944/45 erst langwierig bei seinen Eltern in Zittau erholen musste,25 zum anderen war er nach Kriegsende mit Wirkung vom 9. Mai 1945 arbeitslos, da Breslau nunmehr zu Polen gehörte. Bauer verlor dabei seine umfangreiche Privatbibliothek, seine Zettelkästen und seine Möbel, die er in Breslau zurücklassen musste (Abb. 4). Nach einigen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Umzug von der sowjetischen in die amerikanische Besatzungszone konnte er am 15. März 1947 den Ruf auf die außerordentliche Professur für Orientalische Philologie an der Universität Würzburg annehmen. Unter den schwierigen Arbeitsbedingungen in Würzburg angesichts der zerstörten Bibliothek verzögerte sich die bereits vor dem Krieg geplante Publikation eines Lehrbuchs des Akkadischen, das Delitzschs Assyrische Lesestücke ersetzen sollte; Bauer behalf sich durch mit Lehrtätigkeit verbundene Reisen nach Heidelberg, um die dortige altorientalistische Bibliothek konsultieren zu können, was jedoch in Würzburg zu Irritationen führte. Als Bauer dort einen jede zweite Woche abzuhaltenden Lehrauftrag übernehmen wollte, ließ die Philosophische Fakultät von zwei Fakultätsmitgliedern prüfen, ob diese Reisetätigkeit Bauers zum Schaden der Universität Würzburg ausfallen würde. Vor dem Hintergrund einer fehlenden altorientalistischen Bibliothek in Würzburg (alle Bestände waren 1945 verbrannt) befürworteten Fakultät und Rektor gegenüber dem bayerischen Staatsministerium den Lehrauftrag, „zumal er bei dem Mangel einer Bibliothek auf die Arbeitsmöglichkeit angewiesen ist, die ihm die Universität Heidelberg gewährleistet.“26 Bauer hoffte auf eine Professur in Heidelberg, wie ihm dies auch von der Heidelberger Fakultät, die ihn drei Semester lang immer wieder bat, die Semitistik zu vertreten, suggeriert wurde. Die Berufung von Adam Falkenstein 1949 auf die Heidelberger Professur für Assyriologie beendete nicht nur diese Hoffnung, sondern schnitt ihn auch wieder 23 Ibid. 172 (Brief von Katharina Staritz an Hans von Soden vom 31. Oktober 1940). 24 Schmidt, Dreizehn Jahre Istanbul, 491 (Brief von Benno Landsberger an Fritz Rudolf Kraus vom 5. Mai 1940). 25 Ibid. 1277 (Brief von Theo Bauer an Fritz Rudolf Kraus vom 1. Juni 1947). 26 Universitäts-Archiv Würzburg PA 255, Blätter 105, 107–117.

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Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers

Abb. 5: Theo Bauer 1956 in Würzburg (Lehrstuhl für Altorientalistik, Universität Würzburg)

Abb. 4: Theo Bauer 1945 in Zittau/ Sachsen (Lehrstuhl für Altorientalistik, Universität Würzburg)

von der notwendigen Literatur ab.27 Wie sehr ihn die bücherlose Situation in Würzburg und die damit einhergehende Unmöglichkeit zu forschen verbitterte, schildert er anschaulich in einem Brief an Fritz Rudolf Kraus, nachdem er die Situation von Adam Falkenstein und Wolfram von Soden in Göttingen dargestellt hatte: „Sie sehen, wie peinlich die Ungerechtigkeiten auch einer Besatzungsmacht sein können. Und da platzt auch mir langsam der Papierkragen (eine Phrase, die jetzt in Deutschland gern angewandt wird, um das Ausbrechen eines Wutanfalls metaphorisch zu umschreiben): ich war wohl der einzige Orientalist hier, der mit den Nazis nicht liebäugelte, der aktiv dagegen stand und darf jetzt hier in einer zerstörten Stadt hocken, an einer Universität, wo ich nicht mal Deimels ŠL zur Verfügung habe! Wo es ausgeschlossen ist, daß ich publiziere! Die Folge ist, daß die schreibenden Nazis mich auf diese Weise kalt machen; sie können immer darauf hinweisen, der Mann ist vertrottelt, schreibt nichts mehr und was immer die Anwürfe sind, die sich dann billig wie Meeressand vervielfachen lassen.“ 28

27 Brief Bauers an Krauss vom 13. Februar 1949, siehe Schmidt, Dreizehn Jahre Istanbul, 1558. 28 Brief Bauers an Krauss vom 28. März 1948, siehe Schmidt, Dreizehn Jahre Istanbul, 1414.

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Nils P. Heeßel

Abb. 6: Von Bauer 1951 gefahrene Lokomotive vom Typ 01 (Lehrstuhl für Altorientalistik, Universität Würzburg)

Abb. 7: Theo Bauer und Reichsbahnrat H.-G. Lamers am 13. Juni 1951 vor der von Bauer gefahrenen Lokomotive (Lehrstuhl für Altorientalistik, Universität Würzburg)

So wurden Bauers Akkadische Lesestücke erst 1953 veröffentlicht, die lange als grundlegendes Einführungswerk in die akkadische Schrift und Sprache dienten, bis sie wiederum von Rykle Borgers Babylonisch-assyrische Lesestücke ersetzt wurden. Im Frühjahr 1954 erhielt Theo Bauer einen Ruf an die Universität Wien.29 Zur Rufabwehr beeilte sich die Philosophische Fakultät, Bauer ein Ordinariat, eine Assistentenstelle sowie ein Urlaubssemester für Forschungen am Britischen Museum in London anzubieten, was Bauer dazu bewog, in Würzburg zu bleiben. Ein Fulbright-Sti­pendium ermöglichte ihm ei­nen Aufenthalt in Chicago von September bis Dezember 1956, bei dem er auch seine Freundschaft mit Benno Landsberger erneuern und vertiefen konnte (Abb. 5). Bauer war ein stiller Gelehrter, ohne Familie, der für seine Forschungen lebte. Allerdings hatte er ein Hobby, bei dem er entspannen konnte: die Eisenbahn. In seiner Jugend hatte er sich zum Lokführer ausbilden lassen und eine Prüfung zum Lokführer bei der technischen Nothilfe gemacht. Am 13. Juni 1951 durfte er

29 Aus der Korrespondenz zwischen Landsberger und Bauer geht hervor, dass es die Empfehlung Landsbergers war, der Bauer den Ruf an die Universität Wien im Jahr 1954 verdankte.

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Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers

Abb. 8: Die von der Universität in Druck gegebene Todesanzeige für Theo Bauer (Lehrstuhl für Altorientalistik, Universität Würzburg)

zu seiner großen Genugtuung mit Genehmigung der Bundesbahndirektion eine Lokomotive steuern (Abb. 6 und 7). Nachdem der in Göttingen tätige Wolfram von Soden, den Bauer zutiefst verachtete, im Dezember 1954 einen Ruf an die Universität Wien angenommen hatte, war Bauer als Nachfolger auf den Lehrstuhl an der Universität Göttingen vorgesehen; er hielt dort Anfang Februar 1956 einen zweiwöchigen Lehrauftrag ab.30 Bevor er aber diesen Ruf annehmen konnte, erlag Theo Bauer am 10. Mai 1957 mit 61 Jahren plötzlich seinem langen Herzleiden.31 Da Bauer keine Familie mehr hatte und sein Leichnam von seiner Haushälterin nach Balingen überführt und in aller Stille beigesetzt wurde, übernahm es das Rektorat der Universität Würzburg, die Todesanzeige des amtierenden Ordinarius zu veröffentlichen. Wie damals üblich schickten zahlreiche Universitäten aus allen Teilen Deutschlands, besonders aber aus Bayern, Kondolenzschreiben an den damaligen Rektor der Julius-Maximilians-Universität, Prof. Dr. Heinz Fleckenstein.32 30 Borger, Archiv für Orientforschung 44/45 (1997/98) 593. 31 Siehe den von Ernst Weidner verfassten Nachruf auf Theo Bauer in Archiv für Orientforschung 18 (1957/58) 229–230. 32 Kondolenzschreiben zum Tod Bauers schickten u. a.: Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Nürnberg, Universität Erlangen, Phil.-Theol. Hochschule Passau, Phil.-Theol. Hochschule Freising, Phil.-Theol. Hochschule Bamberg, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, der Regierungspräsident von Unterfranken, Georg-August-Universität Göttingen, Universität

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Nils P. Heeßel

Wilhelm Eilers Wilhelm Max Johannes Eilers, geboren am 27. September 1906 in Leipzig als Sohn des Oberstudienrates Prof. Dr. Wilhelm Eilers und seiner Frau Elly Amelie, geb. Peschech, besuchte das humanistische Gymnasium in Leipzig und Zwickau. Er studierte ab 1925 Musik- und Rechtswissenschaften sowie Orientalistik in Freiburg, München und Leipzig und wurde 1931 in Leipzig bei Hans Heinrich Schaeder mit einer Arbeit zu Gesellschaftsformen im alt-babylonischen Recht zum Doktor der Rechte (Dr. iur.) promoviert. Er folgte seinem Lehrer Schaeder nach Berlin und habilitierte sich dort 1936. Besonders geprägt haben Eilers der Rechtshistoriker Paul Koschaker und der Altorientalist Benno Landsberger. 1932/33 nahm er an den Ausgrabungen in Uruk/Warka teil. 1936 wurde er Wissenschaftlicher Referent am Archäologischen Institut des Deutschen Reiches (AIDR) und am 10. August 1936 heiratete er die sechs Jahre jüngere Erika Eilers, geb. Böhling. Im folgenden Jahr reiste er in den Iran, um in Teheran und dann in Isfahan die Außenstelle des AIDR aufzubauen; der Plan, eine Außenstelle des AIDR in Bagdad zu gründen, scheiterte an mangelnder finanzieller Unterstützung. Im Iran wurden auch seine Söhne Wilhelm und Wolfhart Eilers geboren. Im Mai 1939 wurde Eilers Mitglied der NSDAP. Die Jahre im Iran haben Eilers nachhaltig geprägt. Zu seinen rechtshistorischen Keilschriftstudien, darunter die lange mustergültige Übersetzung der Gesetze des Königs Ḫammurapi (1932), gesellte sich nun sein lebhaftes Interesse an allen persischen Kulturphänomenen von der Antike bis zur Gegenwart. In den dreißiger Jahren erforschte er vor allem iranische Beamtennamen und dieses Interesse an der iranischen Onomastik ließ Eilers bis zu seinem Lebensende nicht los. 1941 wurde Eilers zuerst im Iran, dann in Australien von den Briten interniert. Die Jahre der Internierung lasteten schwer auf ihm, da es zum einen in Australien kaum Bücher zur Weiterbildung gab und er Angst hatte, dort zu „versauern“.33 Zum anderen fürchtete der ehrgeizige Eilers um seine Karrieremöglichkeiten in der Heimat:

München, Phil.-Theol. Hochschule Regensburg, Phil.-Theol. Hochschule Dillingen a. d. Donau, Theologische Schule Bethel (kirchliche Hochschule), Universität Köln, Wirtschaftshochschule Mannheim, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Technische Hochschule München, Universität Rostock, Kirchliche Hochschule Berlin, Technische Hochschule Carolo-Wilhelmina Braunschweig, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Bergakademie Freiberg, Freie Universität Berlin, Technische Hochschule Dresden, Technische Hochschule Stuttgart, Medizinische Akademie Düsseldorf, Universität Hamburg, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Humboldt-Universität Berlin. Durchaus bemerkenswert sind die vielen ostdeutschen Universitäten in dieser Liste. 33 Siehe hierzu Ellinger, Orientalistik, 72. Dort ist auch der Brief Eilers’ an seine Frau vom 14. April 1943 zitiert, in dem er klagt: „Wir dürfen hier doch nicht versauern, die Arbeit an uns selbst ist das einzige, was uns geblieben ist.“

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Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers

„Drei Kameraden von mir erhielten jetzt die freudige Mitteilung aus der Heimat, dass ihnen auf Vorschlag des Dekans ihrer zuständigen Universität die Anerkennung als Professor zuteil wurde. Wie schmerzlich berührt mich auch dieses Gebiet, da man mich völlig vergessen hat. […] Im Jahr 1936 habilitierte ich mich an der Universität Berlin mit Erfolg. […] Seitdem kümmert sich niemand um mein Weiterkommen. Kann man denn nichts für mich tun? Ich bin um mein persönliches Weiterkommen sehr in Sorge. […] Tun wir nicht alle Dienst für unsere grosse deutsche Sache, auch hinter Stacheldraht?“ 34 Hier konnte er sich auf seine tatkräftige Ehefrau Erika Eilers verlassen, die nach seiner Internierung von Isfahan über Istanbul nach Deutschland zurückgekehrt war,35 denn sie leitete solche Briefe an die Kanzlei des Führers und den zitierten Brief an den persönlichen Adjutanten des Führers, Albert Bormann, weiter.36 Man darf annehmen, dass diese Briefe zu eben diesem Zweck der Weiterleitung geschrieben wurden, denn gegenüber seiner Frau wäre es wohl unnötig gewesen, die eigene wissenschaftliche Vita in einem Privatbrief zu beschreiben. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im Jahr 1947 konnte er in Sydney seine Universitätslaufbahn als Dozent für Altes Testament und Hebräisch fortsetzen und unter Ausschlagung eines Rufs an die Universität Colombo (Sri Lanka) kehrte er 1952 mit seiner Familie nach Deutschland zurück. Dort arbeitete er zunächst als Fachreferent für orientalische Manuskripte an der Westdeutschen Bibliothek in Marburg, wobei es sich um die ausgelagerten Bestände der Preußischen Staatsbibliothek handelte. Daneben hatte er am Semitistischen Seminar der Universität Marburg einen Lehrauftrag und habilitierte sich dort 1954 erneut für Orientalische Philologie. Im November 1957 wurde ihm die Nachfolge von Theo Bauer in Würzburg angeboten, wahrscheinlich auf Empfehlung von Wolfram von Soden.37 Nach einigen Problemen, für sich und seine Familie eine passende Wohnung im zerbombten Würzburg zu finden, wobei die Ansprüche Eilers an Größe und Lage durchaus nicht bescheiden waren, trat er die außerordentliche Professur für Orientalische Philologie in Würzburg zum Sommersemester 1958 an. In Würzburg

34 Brief von Eilers an seine Frau vom Oktober 1944, zitiert nach Ellinger, Orientalistik, 72f. 35 Brief von Fritz R. Krauss an Theo Bauer vom 8. Februar 1948, siehe Schmidt, Dreizehn Jahre Istanbul, 1398. 36 BArchB, BS 51/172, Bl. 124, zitiert bei Ellinger, Orientalistik, 73, Anm. 272. 37 Hierauf deutet eine Abrechnung einer Hotelübernachtung von Sodens in Würzburg vom 14. November 1957 in den Personalunterlagen hin. W. von Soden war sicherlich zur Besprechung der Nachfolge Bauers in Würzburg, ob die Fakultät ihm aber persönlich die Professur anbot oder ob er von vorneherein lediglich als Berater angesprochen wurde, lässt sich nicht mehr nachvollziehen.

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vertrat Eilers die Orientalistik in der gesamten Breite und bot Veranstaltungen zum Keilschriftrecht und zum Akkadischen ebenso an wie Persischkurse. In seine Forschungen, die zwischen den Keilschriftkulturen und allem Iranischen pendelten und oft versuchten, beides zu verbinden, ging er zumeist von einzelnen Namensproblemen aus, um an ihnen grundsätzliche Fragestellungen zu erörtern. Er publizierte eine Fülle von Einzelstudien zur Rechtsgeschichte, zur Onomastik Irans und zu geographischen Namen im Iran und im Vorderen Orient allgemein, wobei er zumeist seine „Synnoematik“ geAbb. 9: Wilhelm Eilers (Lehrstuhl für Alt­ nannte vergleichend-semasiologische orientalistik, Universität Würzburg) Methode verwendete; diese Methode zeichnete „sich dadurch aus, daß darin aus einem schier unbegrenzten Fundus einschlägigen Materials assoziativ in großer Zahl semasiologische Namensparallelen aus anderen Kulturkreisen, etwa unserem eigenen mitteleuropäischen, zitiert werden.38 Eilers’ großangelegte Untersuchungen zu Iranische Beamtennamen in der keilschriftlichen Überlieferung oder Deutsch-persisches Wörterbuch blieben zwar unvollendet, jedoch war Eilers durchaus sehr produktiv bei der Mitarbeit an Nachschlagewerken wie der Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG) oder der Encyclopaedia Iranica sowie bei der Analyse seiner Tonaufnahmen moderner westiranischer Dialekte. Im Oktober 1962 wurde Eilers (Abb. 9) dann, wie in den Berufungsverhandlungen abgesprochen, zum ordentlichen Professor ernannt, im selben Jahr lehnte er einen Ruf nach Wien ab. 1962/63 wirkte Eilers – interessanterweise ein Dr. iur. – als Dekan der Philosophischen Fakultät. Zu dieser Zeit wurde das Orientalische Seminar der Universtiät Würzburg – ganz im Sinne Eilers’, der Orientalistik immer als Verbindung von Antike und Moderne verstand – in allen Bereichen wie Altorientalistik, Arabistik, Iranistik und Islamwissenschaft ausgebaut. Neben Eilers als Institutsvorstand wirkten in diesen Jahren Susanne Diwald (1958–1989), Ewald Wagner (1960–1963) sowie der Arabisch-Lektor Ahmed 38 Zitiert nach Schmitt, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 80 (1990) 193–198. Siehe ibid. und Wießner, Oriens 33 (1992) 460–469 für eine ausführliche Darstellung der Schriften Eilers’. Einen weiteren Nachruf hat Braun, Der Islam 67 (1990) 193–198, veröffentlicht.

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Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers

Abb. 10: Abrechnung über die Ausgaben für die Seminarbibliothek 1960–1968 (Lehrstuhl für Altorientalistik, Universität Würzburg)

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Nils P. Heeßel

Abou-Mandour (1963–mind. 1968) im Bereich der Islamwissenschaft und Arabistik sowie Erich Lüddeckens (1964–1981) für die Ägyptologie neben vielen weiteren Lehrbeauftragten am Orientalischen Seminar. Neben dem Ausbau der Lehrkräfte wurde insbesondere in die Bibliothek des Seminars investiert. Nachdem die Bibliothek des Orientalischen Semi­nars durch den Feuersturm vom 16. März 1945 vollständig zerstört worden war, worunter Theo Bauer so massiv gelitten hatte, konnten nun endlich die Mittel aufgebracht werden, die Bibliothek wieder auf- und auszubauen.39 Insbesondere während der Amtszeit Eilers’ als Dekan der Philosophischen Fakultät wurden aus heutiger Sicht gewaltige Mittel für die Literaturbeschaffung zur Verfügung gestellt. Allein in den drei Jahren von 1962 bis 1964 flossen über 81.000 DM in Abb. 11: Wilhelm Eilers, um die Anschaffung von Büchern und Zeitschriften!40 1966 (Lehrstuhl für Altorienta1966 wurde Eilers zu seinem 60. Geburtstag von seilistik, Universität Würzburg) nem Schüler Gernot Wießner eine Festschrift übergeben.41 In den 1960er Jahren war es auch für Ordinarien durchaus keine Selbstverständlichkeit, eine Festschrift zu erhalten, und entsprechend groß wurde hierüber auch in der lokalen Presse berichtet. Zu seiner Emeritierung am Ende des Sommersemesters 1974 wurde er von der Universität Teheran zum Ehrendoktor ernannt; zudem wurde ihm der Humayun-Orden verliehen.42 39 Siehe hierzu auch den Beitrag von Gernot Wilhelm in diesem Band. 40 Diese DM 81.000 aus den Jahren 1962–1964 entsprechen im Jahr 2017 nach gängigen Kaufkraftrechnern auf Grundlage von Daten des Bundesministeriums für Finanzen über 350.000 Euro. 41 Gernot Wießner (Hg.), Festschrift für Wilhelm Eilers: ein Dokument der internationalen Forschung zum 27. September 1966. Die Festschrift wurde in Druckfahnen übergeben und erst im Jahr 1967 von Harrassowitz in Wiesbaden gedruckt. 42 Bei der Nennung der wissenschaftlichen Ehren darf nicht unerwähnt bleiben, dass es privat kurz vor Wilhelm Eilers’ Emeritierung im Jahr 1974 eine durchaus recht deutliche Störung der Erfolgsgeschichte des Ehepaars Eilers gab: Eilers’ zweiter Sohn Wolfhart hatte 1962 ein Verhältnis mit einer jungen, kurz vor der Abiturprüfung stehenden Gymnasiastin namens Angelika Mechtel gehabt, die schwanger wurde und das Abitur abbrechen musste, da sie als Schwangere von der Schule verwiesen wurde. Wolfhart Eilers heiratete Angelika Mechtel zwar, und das Ehepaar bekam zwei Töchter, jedoch musste Angelika Eilers nunmehr die kleine Familie als Zimmermädchen, kaufmännische Angestellte und Hilfsarbeiterin ernähren, da Wolfhart Eilers hierzu nicht in der Lage war. Nach mehreren Ehejahren trennte sich Angelika Eilers von ihrem Mann und nahm ihren Mädchennamen Mechtel wieder an. Sie zog nach West-Berlin, setzte ihre bereits in Würzburg begonnene schriftstellerische Tätigkeit fort und bewegte sich im literarischen Dunstkreis

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Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers

1981 erhielt er das Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland. Wilhelm Eilers starb am 3. Juli 1989 in Würzburg.43

des westdeutschen PEN-Zentrums. Nach einiger Zeit war ihr literarischer Erfolg beschieden und sie genoss in den späten 70er und 80er Jahren einen großen Bekanntheitsgrad als Schriftstellerin. In dem autobiographischen Roman Das gläserne Paradies, der 1973 bei R. S. Schulz in Percha erschien, verarbeitete sie ihre Erfahrungen in Würzburg als Ehefrau von Wolfhart und als Schwiegertochter von Wilhelm und Erika Eilers.  Die Protagonisten des Romans sind den Eilers eng nachempfunden, die Namen jedoch selbstverständlich gerade so weit verändert, dass man die Familie Eilers erkennen kann, aber nicht muss. Wilhelm Eilers mutiert dabei zu Dr. Friedrich Born, einem Indologieprofessor, seine Frau Erika heißt im Roman Amelie und trägt damit den zweiten Vornamen von Wilhelm Eilers Mutter. Während in dem Buch ihr vormaliger Ehemann noch als grundehrlicher, aber zu gutmütiger Mensch beschrieben und damit relativ positiv geschildert wird, bekommen Wilhelm und besonders Erika Eilers die süße Rache ihrer ehemaligen Schwiegertochter ausgiebig zu spüren. Angelika Mechtel schildert besonders Erika Eilers als statusversessene, dominante Frau, die sich permanent in die Belange ihrer Kinder einmischt und mit aller Macht versucht, eine großbürgerliche Fassade aufrechtzuerhalten, die weit über den Status hinausreicht, den ihr Mann als erfolgreicher Professor hat. Die ganze bleierne Schwere der späten 60er und frühen 70er Jahre in der von der 68er-Bewegung kaum betroffenen Provinzstadt Würzburg und die eingeschliffenen Unterdrückungszwänge der bürgerlichen Lebensform mit ihrer unterschwelligen Brutalität werden in dem Roman ausführlich dargestellt.  Man kann sich vorstellen, wie entsetzt die Eilers bei Erscheinen des Romans gewesen sein müssen. Gerüchten zufolge soll Eilers den Großteil der ersten Auflage des Romans aufgekauft und vernichtet haben. Dem Zeitgeist entsprechend bemühten sich auch die Eilers in den 60er Jahren wie viele bürgerliche Familien um ein respektables Erscheinungsbild; wie bei jeder Familie gab es jedoch immer wieder Risse in der Fassade der heilen Welt, die man möglichst rasch zu verdecken trachtete. Es ist geradezu eine Ironie der Würzburger Lokalgeschichte, dass es gerade die Familie Eilers war, deren bürgerliche Selbstwahrnehmung einer intakten, erfolgreichen Familie vor aller Augen zerstört und die ganze Abgründigkeit dieses Statusbewusstseins der Öffentlichkeit preisgegeben wurde. Zumindest konnten sich die Eilers darauf berufen, dass der Roman bei den Feuilletonisten vollkommen durchfiel und sehr negativ rezensiert wurde. Jochen Schmidt von der FAZ verstieg sich in der Ausgabe vom 28. Januar 1974 (S. 17) gar zu der Behauptung, die Figuren seien „derart schludrig aufgebaut, daß nicht einmal ein auf dem linken Auge Blinder sie für reale Figuren nehmen könnte.“ Ein Altorientalist hätte ihn wohl eines Besseren belehren können. Angelika Mechtel, die ehemalige Schwiegertochter von Wilhelm und Erika Eilers, erwarb sich durch ihre schriftstellerischen Tätigkeiten jedenfalls einen Bekanntheitsgrad, der weit über den je von Wilhelm Eilers erreichten hinausging. 43 Nach seinem Tod stellte seine Frau Erika Eilers seine Veröffentlichungen, soweit sie nicht schon in seiner Festschrift (S. 566–572) versammelt waren, zusammen und publizierte diese „Bibliographie Wilhelm Eilers“ in Archäologische Mitteilungen aus dem Iran 20 (1987, erschienen 1989) 11–16.

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Nils P. Heeßel

Bibliographie Borger, R., Wolfram von Soden (19. 6. 1908 – 6. 10. 1996), Archiv für Orientforschung 44/45 (1997/98) 588–594. Braun, H., Wilhelm Eilers (1906–1989), Der Islam 67 (1990) 193–198. Eilers, E., Bibliographie Wilhelm Eilers, Archäologische Mitteilungen aus dem Iran 20 (1987, erschienen 1989) 11–16. Ellinger, E., Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945, Edingen-Neckarhausen 2006. Erhart, H. – I. Meseberg-Haubold – D. Meyer, Katharina Staritz (1903-1953), Neukirchen-Vluyn 1999. Gräf, E. (Hg.), Festschrift Werner Caskel zum 70. Geburtstag, 5. März 1966, gewidmet von Freunden und Schülern, Leiden 1968. Grimm, G., Franz Babinger (1891–1967). Ein lebensgeschichtlicher Essay, Welt des Islams 38 (1998) 286–333. Lehmann, R.  G., Friedrich Delitzsch und der Babel-Bibel-Streit (Orbis Biblicus et Orientalis 133), Freiburg und Göttingen 1994. Mechtel, A., Der zerbrochene Spiegel, Percha 1973. Schmidt, J. (Hg.), Dreizehn Jahre Istanbul (1937–1949). Der deutsche Assyriologe Fritz Rudolf Kraus und sein Briefwechsel im türkischen Exil, Leiden – Boston 2014. Schmitt, R., Nachruf: Wilhelm Eilers 1906–1989, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 80 (1990) 193–198. Schuler, E. von, Orientalistik – im allgemeinen und in Würzburg, in: Informationen der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg Heft 1/21, 30.1.1987, S. 16. Schuler, E. von, 400 Jahre Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Würzburg 1982. Weichenhan, M., Der Panbabylonismus. Die Faszination des himmlischen Buches im Zeitalter der Zivilisation, Berlin 2016. Weidner, E., Dem Gedächtnis der Toten: Maximilian Streck, Archiv für Orient­ forschung 15 (1945–51) 179. Weidner, E., Dem Gedächtnis der Toten: Theo Bauer (4. März 1896 bis 10. Mai 1957), Archiv für Orientforschung 18 (1957/58) 229–230. Wießner, G. (Hg.), Festschrift für Wilhelm Eilers: ein Dokument der internationalen Forschung zum 27. September 1966, Wiesbaden 1967. Wießner, G., Wilhelm Eilers: Leben und Werk, Oriens 33 (1992) 460–469.

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100 Jahre Altorientalistik in Würzburg: Rückblick und Perspektiven von Gernot Wilhelm (Universität Würzburg)

Das 100. Jubiläum des Lehrstuhls für Altorientalistik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg im Jahre 2016 ist ein willkommener Anlass zum Rückblick auf die Fragestellungen und Leistungen des Faches in Würzburg seit seiner Einführung. Die Bezeichnung des Lehrstuhls wurde mehrfach verändert, und in diesen Veränderungen spiegeln sich unterschiedliche Konzepte von Lehr- und Forschungsgebieten. Diese Veränderungen der Fachdefinitionen und der dahinterstehende Wandel von zentralen Erkenntniszielen und wissenschaftlichen Schwerpunktsetzungen, wie auch wissenschafts­organisatorische Gegebenheiten sollen in dem vorliegenden Beitrag zunächst skizziert werden. Überschneidungen mit anderen Beiträgen in diesem Band sind dabei kaum zu vermeiden, doch sollen sie möglichst beschränkt bleiben. In einem zweiten Abschnitt soll im Anschluss an und in Ergänzung von Nils Heeßels Würdigung der ersten drei Inhaber des Würzburger Lehrstuhls für Altorientalistik ‒ Maximilian Streck, Theo Bauer und Wilhelm Eilers ‒ der von letzterem betriebene Aufbau eines orientalistischen „Großinstituts“ in der ersten Phase der ökonomischen Prosperität der jungen Bundesrepublik („Wirtschaftswunder“) und dessen Fortführung mit neuen Akzenten unter der Leitung von Einar von Schuler beschrieben werden. Im dritten und letzten Abschnitt soll die anschließende Periode von 1988 bis 2010 dargestellt werden, in der der Verfasser selbst den Lehrstuhl innehatte.

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Gernot Wilhelm

Verf., der mit der Darstellung der Lehrstuhl­geschichte in seiner eigenen Amtsperiode dem Wunsche der Veranstalter folgt, ist sich bewusst, dass hierbei eine subjektive Färbung schwer vermeidbar ist, erkennt aber auch den Vorteil, aus persönlicher Erinnerung schöpfen zu können, wo eine Auswertung von aktenmäßigen Quellen kaum möglich ist. Fachdefinitionen und Schwerpunktsetzungen Maximilian Streck, der erste Inhaber des Lehrstuhls, war vor dessen Ein­richtung 1916 Extraordinarius für „Semitische Sprachen und Literatur“ gewesen. Der Begriff „Semitische Sprachen“ war zu dieser Zeit schon mehr als hundert Jahre alt,1 der sprachliche Zusammenhang zwischen dem Hebräischen, Aramäischen und Arabischen war schon im späten Mittelalter bemerkt worden. Allerdings litt die Vergleichung der semitischen Sprachen lange unter der Behauptung, dass Hebräisch die Ursprache sei, aus der sich die anderen entwickelt hätten.2 Erst als sich seit dem frühen 19. Jahrhundert die vergleichende Sprachwissenschaft der „indogermanisch“ oder „indoeuropäisch“ genannten Sprachen3 zu einer hochdifferenzierten Wissenschaft entwickelte, wurde auch die Semitistik zu einer vergleichenden Sprachwissenschaft mit einer strengen komparatistischen Methodik. Die älteren Kumulativbezeichnungen für asiatische Sprachen wie „morgen­ländisch“ oder „orientalisch“ verschwanden trotzdem aus verschiedenen Gründen nicht, vor allem, weil auch weiterhin die Wissenschaften von den asiatisch-afrikanischen Sprachen und Kulturen wissenschafts­organisatorisch einen Zusammenhang bewahrten. Dies gilt für die zum Teil bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück­gehenden Zeitschriften und die dahinter stehenden wissenschaftlichen Gesellschaften. Zunächst in Frankreich und England, zwei Jahrzehnte später in den USA und in Deutschland: Das Journal Asiatique wurde 1822 gegründet, die Transactions, später Journal of the Royal Asiatic Society 1827, das Journal of the American Oriental Society 1843 und die Zeitschrift der Deutschen Morgenländi­schen Gesellschaft 1847. Bald nach Maximilian Strecks Berufung zunächst als persönlicher Ordinarius, wenig später als „Öffentlicher, ordentlicher Professor“ wurde die Bezeich1 J. Fück, Geschichte der semitischen Sprachwissenschaft, in: B. Spuler (Hg.), Semitistik (Handbuch der Orientalistik I/3), Leiden – Köln 1964, 31, verweist auf August Ludwig Schlözer, der 1781 den Begriff „semitisch“ als Bezeichnung eines „Sprachstammes“ eingeführt habe. 2 J. Fück, loc. cit., 31–33. 3 Zur Herkunft der beiden Bezeichnungen siehe A. Morpurgo Davies, Nineteenth-Century Linguistics, London – New York 1998, 147, Anm. 8, die für die erstere Bezeichnung auf den dänisch-französischen Geographen Conrad Malte-Brun (1775–1826) verweist („indo-germanique“) und für die letztere auf den britischen Physiker und Ägyptologen Thomas Young (1773–1829) („Indoeuropean“).

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100 Jahre Altorientalistik in Würzburg: Rückblick und Perspektiven

nung seiner Zuständigkeit von „Semitische Sprachen und Literatur“ in „Semitische Philologie, Türkisch und Neupersisch“ abgeändert. Welche Überlegungen hinter dieser Umbenennung standen, ist nicht unmittelbar einsichtig. Einar von Schuler vermutete, „daß die ursprüngliche Festlegung auf die semitischen Sprachen als unhaltbare Einengung empfunden wurde“.4 Das ist sicherlich richtig, denn außer der semitischen Sprache Arabisch gehören die nicht-semitischen Sprachen Türkisch und Neupersisch zu den wichtigsten Quellensprachen für das Fachgebiet „Islamwissenschaft“. Islamwissenschaft, also die wissenschaftliche Erforschung der vom Islam geprägten Kulturen und Gesellschaften insbesondere des Nahen und Mittleren Ostens, hatte sich als Fachgebiet in den vorausgegangenen Jahrzehnten entwickelt. Aber in Würzburg ging es wohl auch oder sogar vor allem um klarere Abgrenzungen gegenüber bestehenden Einrichtungen. Die Festlegung auf das Neupersische, nicht einfach nur das Persische, nahm vielleicht Rücksicht darauf, dass es seit 1886 einen Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft und Sanskrit gab, in dessen Zuständigkeit die für den Sprachvergleich wichtigen älteren und ältesten iranischen Sprachen gehörten.5 Noch wichtiger war sicherlich die Abgrenzung zu dem traditionellen Zuständigkeitsbereich der Theo­logischen Fakultät. In der 1803 nach dem ersten Anschluss an Bayern neuorgani­sierten Würzburger Universität gehörte zur „Ersten Section der theologischen Wissen­schaften“ das Fachgebiet der „Orientalischen Sprachen und alttestamentlichen Exegese“.6 Diese Zuordnung konnte auf eine alte Tradition zurückgreifen: Schon der Jesuit und Polyhistor Athanasius Kircher, der von 1629–1631 in Würzburg Professor war und später durch seine vielfältigen Forschungen und Sammlungen in Rom7 berühmt wurde, unterrichtete hier Mathematik, Philosophie und orientalische Sprachen; bei letzteren handelte es sich damals vor allem oder ausschließlich um Hebräisch, BiblischAramäisch und Syrisch, aber im 18. und 19. Jh. kamen weitere Sprachen dazu: Arabisch und Äthiopisch, gelegentlich auch Koptisch und sogar Armenisch.8 Die Lehrstuhlbezeichnung änderte sich im Laufe des 19. Jahr­hunderts: Von 1809 an ist von „Orientalischer Philologie“ die Rede, seit 1894 von „Semitischen Sprachen und Literatur“. Die Denomination des Lehrstuhls für die Exegese des Alten Testaments enthielt bereits seit 1872 den Zusatz „und biblisch-orientalische

4 E. von Schuler, Orientalistik ‒ im allgemeinen und in Würzburg, Information der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg 1/21 (1987) 16f. 5 Julius Jolly (1849–1932), der diesen Lehrstuhl von 1886–1920 innehatte, war 1871 in München mit einer altiranistischen Dissertation promoviert worden. 6 E. von Schuler, loc. cit., 16. 7 Athanasius Kircher S.J. Il Museo del Mondo, ed. E. Lo Sardo, Roma 2001. 8 E. von Schuler, loc. cit., 16.

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Sprachen“,9 und bei dieser Bezeichnung ist es geblieben: Noch heute heißt der betreffende Lehrstuhl der Theologischen Fakultät „Lehrstuhl für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen“. Wie verstand Maximilian Streck das Fachgebiet, das er in Würzburg von 1916 bis zu seiner Emeritie­rung 1939 als Ordinarius vertrat? Es ist keine Äußerung von ihm bezeugt, in der er sich persönlich konzeptuell in der Orientalistik positioniert. In seinem wissenschaftlichen Werk erscheint er zum einen als vielsprachiger orientalistischer Polyhistor alter Prägung, zum anderen als ein moderner Spezialist der Assyriologie. Heute sehen wir vor allem den letzteren Aspekt, nicht zuletzt weil seine 1916 erschienene, hervorragende dreibändige Bearbeitung der Inschriften Assurbanipals, des letzten bedeutenden assyrischen Königs, bis heute ein Standardwerk geblieben ist. Aber wenn man seine zahlreichen, zum Teil sehr umfangreichen historisch-geographischen Beiträge zur ersten (deutsch­ sprachigen) Auflage der Enzyklopädie des Islams seit deren 1913 erschienenem ersten Band (A–D) liest, stößt man auf einen Gelehrten, der über einen souveränen Zugriff auf die arabischen, türkischen, persischen und armenischen Quellen sowie auf die einschlägige historisch-geographische Forschungs- und Reiseliteratur seiner Zeit verfügt. Ausbau in der Zeit des „Wirtschaftswunders“ Ein sehr breites Konzept von Orientalistik vertrat auch Wilhelm Eilers (1906– 1989). Eilers wurde 1958 als Nachfolger von Theo Bauer auf den Lehrstuhl berufen, dessen Denomination nach der Wieder­einrichtung 1947 nunmehr „Orientalische Philologie“ lautete. Der Orientalistik-Begriff in dieser Bezeichnung entsprach nun nicht mehr dem Konzept der entsprechenden wissenschaftlichen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts, die die Erforschung aller Schriftkulturen Asiens und Afrikas in den Blick genommen hatten und also auch Gebiete wie Indologie, Sinologie, Japanologie und vieles mehr eingeschlossen hatten. Orientalistik in diesem engeren Konzept bezog sich vielmehr auf den Nahen und Mittleren Osten, die Fachbezeichnungen waren vor allem Islamwissenschaft, Arabistik, Turkologie, Iranistik, Semitistik für die neuere Orientalistik und Assyriologie bzw. Sumerologie und Akkadistik für die Altorientalistik. Eilers hatte sich zunächst als Rechthistoriker und Altorientalist mit Arbeiten zum Keilschriftrecht qualifiziert, sich aber später der Iranistik gewidmet. In seiner Würzburger Lehrtätigkeit dokumentierte Eilers die Breite seines orientalistischen Ansatzes, wenn er zum Beispiel in einem und demselben Semester mit

9 Siehe den Beitrag von H. Niehr in vorliegendem Band (insbesondere Anm. 6).

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seinen Studierenden akkadische Rechtstexte, persische Traktate, osmanische Chroniken und den Qur’ān las. Dass die späten 50er und frühen 60er Jahre nicht zu Unrecht als die Zeit des „deutschen Wirtschafts­w unders“ galten, machte sich nun auch in der Ausstattung des Instituts bemerkbar. Als Eilers 1961 einen Ruf auf den altorientalistischen Lehrstuhl in Wien als Nachfolger von Wolfram von Soden erhielt, konnte er in Rufabwehrverhandlungen Mittel für seinen Lehrstuhl erlangen, die auch ohne Kaufkraftadjustierung heute noch – jedenfalls für ein geisteswissenschaftliches Fach – fabelhaft wären. Mit diesen Mitteln erfolgte ein erheblicher Ausbau der bis dahin nur sehr bescheidenen Bibliothek. Das Ziel, das Eilers vor Augen hatte, war ein großes Orientalistisches Institut, in dem sowohl die Neu- als auch die Altorientalistik gelehrt wurde. Dazu waren ihm die ursprünglich vor­gesehenen Räumlichkeiten im III. Stock des Südflügels der Residenz zu klein, und aus diesem Grunde mietete die Universität zweieinhalb Etagen in dem Wohnhaus Ludwigstraße 6 an. Nachdem Jahrzehnte später das Konzept eines Großinstituts gescheitert war (siehe unten) und die Universität sich aus Kostengründen aus angemieteten Liegenschaften zurückziehen wollte, zog das Institut Anfang Dezember 2004 aus der Ludwigstraße in eben die Räume um, die Wilhelm Eilers seinerzeit zurückgewiesen hatte und die dann von der Slavistik genutzt worden waren. Es war offensichtlich, dass eine Orientalistik, wie Eilers sie im Auge hatte, zusätzlicher Lehrkräfte bedurfte. Für das Gebiet Islamwissenschaft hatte schon Eilers’ Vorgänger, Theo Bauer, Susanne Diwald gewinnen können, die seit 1952 einen entsprechenden Lehrauftrag wahrnahm und nach ihrer Habilitation 1958 Privatdozentin und schließlich Professorin wurde. Dazu kamen später der Iranist Wilhelm Heinz und der Altorientalist Josef Bauer. Bauer, der Eilers’ Assistent gewesen war, wurde später Professor und unterrichtete bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 2003 Sumerologie. Außerdem gab es stets die Stelle eines Wissenschaftlichen Assistenten und Mittel für Lehraufträge. Auf dieser Personalgrundlage wurden fünf Promotionsfächer angeboten: Assyriologie, Semitistik, Arabistik, Islamwissenschaft, Iranistik. Es fällt auf, dass dieses Fächerspektrum im Bereich der Altorientalistik zwei Gebiete unberücksichtigt lässt: Die Vorderasiatische Archäologie und die Hethitologie. Das Fehlen der Vorderasiatischen Archäologie fügt sich in eine Systematik, die methodenorientiert ist – hier Philologie/Sprachwissen­schaft, da Kunstwissenschaft ‒ und dabei in Kauf nimmt, den Kulturzusammenhang, aus dem Texte, Bildwerke, Siedlungen und Gräber gleichermaßen stammen, zu vernachlässigen. Die Nichtberück­sichtigung der Hethitologie verweist auf das primär semitistisch-sprachvergleichende Interesse, das dem Akkadischen als der ältest­bezeugten semitischen Sprache eine besondere Bedeutung verlieh. Nachdem Bedřich Hrozný 1915 den Nachweis erbracht hatte, dass das Hethitische zu

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der indogermanischen Sprachenfamilie gehört, und dies allgemeine Anerkennung gefunden hatte, waren es naturgemäß Indogermanisten, die neben einigen wenigen Assyriologen zuerst dieses neue Feld bearbeiteten. In Würzburg waren es nach dem Zweiten Weltkrieg zwei Indogermanisten, die sich schwerpunkt­mäßig mit dem Hethitischen beschäftigten: Von 1963 bis 1968 hatte Heinz Kronasser den Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft inne. Seine philologische Vertrautheit mit der hethitischen Sprache stellte er 1963 durch die Bearbeitung eines hethitischen Rituals unter Beweis. Von 1962 bis 1966 veröffentlichte er in sechs Lieferungen den ersten Band einer Etymologie der hethitischen Sprache. Hier behandelte er vor allem die WortAbb. 1: Einar von Schuler (Lehrstuhl für bildung des Hethitischen. Zur Ausarbeitung Altorientalistik, Universität Würzburg) des geplanten etymologischen Wörterbuchs kam Kronasser nicht mehr, da er 1968 im Alter von 55 Jahren bei einem Autounfall ums Leben kam. Als sein Nachfolger wurde 1972 Günter Neumann von Bonn nach Würzburg berufen. Schon in seiner Göttinger Habilitationsschrift von 1958 (publiziert 1961) hatte Neumann Untersuchungen zum Weiterleben hethitischen und luwischen Sprachgutes in hellenistischer und römischer Zeit vorgelegt, und die Sprachen und Schriften Altanatoliens und des Ägäis-Raumes blieben neben dem Mykenischen und Griechischen sein Hauptarbeitsgebiet. Besonders die Erforschung des Lykischen und des Hieroglyphenluwischen verdankt ihm viel. Neumanns Schüler Helmut Nowicki hat die Erforschung des Hieroglyphenluwischen weitergeführt und bis in jüngste Zeit Lehrveranstaltungen zu altanatolischen Sprachen angeboten. Nach Wilhelm Eilers’ Emeritierung 1974 wurde Einar von Schuler (1930– 1990; Abb. 1) auf den Lehrstuhl für Orientalische Philologie berufen, was einen Wechsel der Schwerpunkte bedeutete. Von Schuler war ein Schüler des Sprachwissenschaftlers, Hethitologen und Altsemitisten Johannes Friedrich (1893– 1972), dem er als Student von Leipzig an die Freie Universität Berlin gefolgt war. Nach Zwischen­stationen in Heidelberg und Münster war er 1963 auf den Berliner Lehrstuhl seines inzwischen emeritierten Lehrers berufen worden, nachdem Hans-Gustav Güterbock und Heinrich Otten eine Berufung abgelehnt hatten. Von Schuler hatte zwar eine breite altorientalistische Ausbildung genossen und behandelte noch in seinem Würzburger Unterricht regelmäßig auch akkadische, phönizische und aramäische Quellen, jedoch lag sein Forschungsschwerpunkt

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weitgehend auf dem Gebiet der altkleinasiatischen Philologie, insbesondere der Hethitologie, Hurritologie und Urartologie. In wissenschaftsorganisatorischer Hinsicht ist insbesondere der 23. Deutsche Orientalistentag zu nennen, ein traditionsreicher, bis 1921 zurückgehender Kongress, zu dem Einar von Schuler im Auftrag der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 1985 nach Würzburg eingeladen hatte. Unter von Schulers Betreuung fanden einige Promotionen aufgrund von Dissertationen hethitologischen Inhalts statt, allerdings verblieben die Absolventen nicht in universitären oder außeruniversitären Forschungsinstitutionen. Zwei Doktoranden aus Syrien wurden mit aramaistischen Arbeiten promoviert. Einer von ihnen, Aḥmad Hamdeh, wurde später Professor an der Universität Damaskus und kam 1991 noch einmal mit DAAD-Förderung zu einem zweimonatigen Arbeitsaufenthalt nach Würzburg. Nicht lange vor dem Ende der Amtszeit von Schulers wechselten zwei Doktoranden von Marburg nach Würzburg. Sie hatten bei Hans Martin Kümmel, dem Nachfolger von Heinrich Otten, promovieren wollen, jedoch war ihr Doktorvater 1986 bei einem Verkehrsunfall zu Tode gekommen. Beide hat Verf. als Nachfolger von Schulers zur Promotion geführt, und beide haben im Wissenschaftsbereich eine dauernde Tätigkeit gefunden: Mitsuo Nakamura wurde Professor in seinem Heimatland Japan, in Okayama, und Oğuz Soysal wurde am Oriental Institute der Universität Chicago Mitarbeiter am Chicago Hittite Dictionary. Einar von Schuler sah die Notwendigkeit, in Würzburg neben dem philologisch-historischen auch den archäologischen Zugang zum Alten Orient zu eröffnen. Er hatte in Berlin, wo es an der Freien Universität seit 1948 einen Lehrstuhl für Vorderasiatische Archäologie gab, erfahren, dass die Verbindung von altorientalischer Philologie und Vorderasiatischer Archäologie nicht nur produktiv, sondern eigentlich selbstverständlich war. Außerdem hatte er als Schriftführer der Deutschen Orient-Gesellschaft 1969 stellvertretend die Grabungsleitung in Ḥabūba Kabīra und Munbāqa, zwei Ausgrabungen im Gebiet des späteren Assad-Stausees in Syrien, übernehmen müssen und dabei ein wenig Erfahrung mit der Feldarchäologie sammeln können. In den letzten Jahren seiner Tätigkeit bot er deshalb einer in Berlin bei Anton Moortgat promovierten Vorderasiatischen Archäologin, Jutta Börker-Klähn, an, in Würzburg zunächst mit Lehraufträgen Lehrerfahrung zu gewinnen, um sich dann hier zu habilitieren. Da Frau Börker-Klähn vor allem kunstgeschichtlich arbeitete ‒ und dies sowohl mit mesopotamisch-syrischem, sogar elamischem, aber auch mit anatolischem Material ‒, passte ihr Unterricht gut in den Kontext nicht nur der Altorientalistik, sondern auch einiger Nachbarfächer. Nach dem Habilitationsverfahren ergab sich hieraus allerdings keine weitere Lehrtätigkeit. Anfang 1987 musste Einar von Schuler im Alter von 57 Jahren um seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand nachsuchen, da sich eine genetisch beding-

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te Herzschwäche bemerkbar machte. Zwei Jahre später musste er sich einer Herztransplantation unterziehen, welche er aber nur sieben Monate überlebte. Noch in den letzten Monaten seiner Dienstzeit wurde im Senat der Universität über die Zukunft des Lehrstuhls verhandelt. Einar von Schuler war selbst Senator und setzte sich in der Sitzung engagiert für die Beibehaltung der altorientalisti­schen Ausrichtung des Lehrstuhls ein. Dies war nicht selbstverständlich, vielmehr gab es Stimmen, die eine Umwidmung in gegenwartsbezogene Orientwissenschaften befürworteten. Die Entscheidung fiel schließlich im Sinne von Schulers. Dabei mag die besondere emotionale Situation eine Rolle gespielt haben, gewichtig war aber jedenfalls das Argument, dass bei der vorgeschlagenen Umwidmung eine erhebliche Stellen­vermehrung nötig gewesen wäre. Bestandssicherung und neue Konzepte Das Gegenteil war jedoch der Fall: Die Iranistik-Stelle wurde 1987 nach der krankheits­bedingten Pensionierung von Wilhelm Heinz eingezogen, und da die Professur Josef Bauers auf die alte, zu dieser Zeit längst abgeschaffte Stellenkategorie einer „Diäten­dozentur“ zurückging, war sie personengebunden. Josef Bauer unterrichtete, wie schon erwähnt, regelmäßig bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 2003 Sumerologie, anschließend wurde auch diese Stelle eingezogen. Allein die Professur für Islamwissenschaft, die durch Susanne Diwalds krankheitsbedingten Eintritt in den Ruhestand 1988 frei wurde, konnte als Professur für Arabistik und Islamwissenschaft wieder ausgeschrieben und Anfang 1989 mit Angelika Hartmann besetzt werden. Nachdem diese 1993 einem Ruf an die Universität Gießen gefolgt war, wurde diese Stelle nicht wiederbesetzt, allerdings noch ein Jahrzehnt lang in wechselnder Besetzung vertreten. Inzwischen war aber längst eine Entwicklung eingetreten, die das Konzept eines Würzburger Instituts für Orientalistik mit einer Vertretung zumindest der wichtigsten Fächer der neueren Orientalistik durch jeweils eine Professur obsolet gemacht hatte. Im Jahre 1979 war die Universität Bamberg wieder­gegründet worden. Ihr Schwerpunkt lag und liegt auf den Geistes- und Sozialwissenschaften, und dementsprechend entstand in Bamberg ein großes Institut für Orientalistik „mit einer ganzen Gruppe von Fächern, die sich vornehmlich mit den Sprachen und Kulturen des islamisch geprägten Kultur­raums in Asien und Nordafrika befassen. […] Am Institut sind die drei wichtigsten Philologien des genannten Raumes vertreten: die Arabistik, die Iranistik und die Turkologie. Dazu kommen die Islam­wissenschaft [sowie]  die Islamische Kunstgeschichte und Archäolo­gie […]“ (Selbstbeschreibung der Universität).

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Für diese Fächer weist die Website der Universität fünf Professuren, sechs Stellen von Wissenschaftlichen Mitarbeitern und vier Stellen von Lektoren bzw. Lehrkräften für besondere Aufgaben aus. Hiermit konnte die Universität Würzburg, die sich ohnehin vor allem in Medizin und Lebenswissenschaften profilierte, natürlich nicht konkurrieren. Als ich zum Wintersemester 1988/89 auf den Würzburger Lehrstuhl für Orientalische Philologie berufen wurde, war mir rasch klar, dass die Situation in mehrfacher Hinsicht desolat war: Mit nur je einer Professur für Altorientalistik und für Arabistik/Islamwissen­schaft waren beide Fächer unzulänglich ausgestattet, ein Ausbau der Arabistik/Islamwissen­schaft hätte angesichts des in Bamberg vorhandenen Potentials auch im zuständigen Ministerium keine Unterstützung gefunden. Es fügte sich gut, dass die Fakultät – damals noch die kleine Philosophische Fakultät I, die Kunst- und Altertumswissenschaften umfasste – 1992 aufgefordert wurde, einen Strukturplan vorzulegen. Hierzu wurde eine Strukturkommission eingesetzt, die einen ersten und dann (1994) einen zweiten, modifi­ zierten Strukturplan vorlegte. Darin wurden zunächst zwei grundsätzliche Festlegungen getroffen: „Die Philosophische Fakultät I ist der Meinung, daß in einer Situation, in der der Ausbau eines Faches nur durch Umwidmung be­stehender Stellen möglich ist, die Konsoli­dierung und Abrundung der Lehrstuhlbereiche Vorrang haben muß. Dies er­scheint insbesondere nötig in Hinsicht auf die heute schon spürbaren Tendenzen zu Schwer­punktbildungen, die allein die Voraussetzung bie­ten, auch künftig hinsichtlich der Ausbil­dung von Studen­ten und der Einwerbung von Drittmitteln konkurrenzfähig zu bleiben.“ „Die Philosophische Fakultät I ist weiterhin der Auffassung, daß sie auf Grund ihrer Struktur und Tradi­tion, auf Grund der in den letzten Jahrzehnten im nordbay­rischen Raum gewachsenen Universitäts­ struktu­ren und nicht zuletzt auf Grund des in Deutschland einzigartigen Universitäts­museums ihre vorwiegend altertumswissen­schaftliche Orien­ tierung bewahren und sichern sollte.“ Aus diesen beiden Grundsatzaussagen ergab sich für das Institut für Orientalistik die Empfehlung, die Professur für Arabistik und Islamwissenschaft zu Vor­der­asiatischer Archäologie umzuwidmen und einen entsprechenden Studiengang neu einzurichten. Vorausgegangen war eine Befragung mehrerer Islam­ wissenschaftler, um den Mindest­bedarf eines Haupt- und Nebenfachstudiengangs „Arabistik/Islam­wissenschaft“ zu ermitteln. Dabei ergab sich, dass auch dieser Mindestbedarf zusätzliche Stellen erfordert hätte.

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Allerdings wurde dieser Vorschlag der Fakultät von der zentralen Planungs­ kommission nicht aufgegriffen, so dass die künftige Entwicklung der Orientalistik offen und damit unbefriedigend blieb. Ende der 90er Jahre deutete sich in den Diskussionen über eine Studienreform an, dass die kleinen geisteswissenschaftlichen Fächer schweren Zeiten entgegen gehen würden, wenn sie sich nicht frühzeitig für interdisziplinäre Vernetzungen engagieren würden. Die Studienreform, d.h. die Einführung des Bachelor-Master-Systems, stand bevor, und auf Grund einer Experimentierklausel in dem damaligen Hochschulgesetz begründeten die Fächer Ägyptologie, Klassische Archäologie und Orientalische Philologie einen gemeinsamen Studiengang, der im Wintersemester 2001/2002 eröffnet wurde. Der Studiengang musste allerdings nach wenigen Jahren aufgegeben werden, da die formalen Anforderungen an Bachelor- und Masterstudiengänge ins kaum Ermessliche anwuchsen. Immerhin kann dieser Studiengang als Vorläufer und Nukleus des Studiengangs „Alte Welt“ gelten, der noch heute existiert. In den Jahren 2000–2002 bekleidete ich das Amt des Dekans der Philosophischen Fakultät I. Nach eingehenden Diskussionen konnte ich im Mai 2002 den Antrag auf Gründung eines Instituts für Altertumswissenschaften stellen, in dem die Klassische Archäologie, die Vor- und Frühgeschich­te, die Orientalische Philologie, die Vergleichende Sprachwissenschaft und später auch die Ägyptologie organisatorisch zusammengefasst werden sollten. Ende 2002, nun schon unter dem Dekanat des Klassischen Philologen Michael Erler, wurde dieser Antrag vom Bayerischen Wissenschafts­ministerium genehmigt und anschließend vollzogen. Außerdem bereiteten wir die Gründung eines Würzburger Altertumswissenschaftlichen Zentrums (WAZ) vor, in dem die Zusammenarbeit aller Fächer der Universität mit altertumswissenschaftlichem Bezug gefördert werden sollte. Am 2. Juli 2002 wurde in einer Versammlung von 16 Professoren aus fünf Fakultäten (Katholisch-Theologische Fakultät, Philosophische Fakultäten I–III und Fakultät für Geowissenschaften) ein entsprechender Beschluss gefasst, und wenig später wurde dieser Beschluss vom Senat zustimmend zur Kenntnis genommen. Zusammenarbeit, auch über Fakultätsgrenzen hinweg gab es natürlich auch vorher schon; so erinnere ich mich gern an die zahlreichen gemeinsamen Seminare, die ich mit Theodor Seidl, dem damaligen Lehr­stuhlinhaber für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen, abhielt. Aber das WAZ entwickelte doch eine Dynamik, die darüber noch hinausging. In dieser Situation schien es mir auch an der Zeit zu sein, dem Lehrstuhl einen Namen zu geben, der seinen Zuständigkeitsbereich adäquat wiedergab. In einem entsprechenden Antrag der Fakultät, den ich vorbereitet hatte, heißt es:

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„Innerhalb der Altorientalistik haben sich die geschichtswissenschaftliche, sprach­wissen­schaftliche, philologische und andere methodisch differenzierte Bereiche nicht disziplinär getrennt, vielmehr ist mit der modernen Weitung des Blicks hin auf eine kulturwissenschaftliche Perspektive Methodenvielfalt zu einem Gebot geworden. Aus dieser modernen und produktiven Perspektive ist der Begriff Philologie eine Einschränkung, die der tatsächlichen Lehre und Forschung des Faches nicht gerecht wird. […] Pointiert ausgedrückt, ist die Bezeichnung Orientalische Philologie in ihrem ersten Bestandteil in gänzlich un­realistischer Weise zu breit, in ihrem zweiten Bestandteil methodisch zu eng. Die Fachbezeichnung Altorientalistik (engl. Ancient Near Eastern Studies) ist demgegenüber präziser und gleichzeitig weit genug, dazu ist sie in Deutschland gut etabliert. Altorientalistik umfaßt verschiedene Dis­ziplinen wie Assyriologie (Sumerologie und Akkadistik), Hethitologie, Hurritologie, Ugaritistik u. a. m., und läßt genügend Raum für unterschiedliche sachliche und methodische Schwerpunktbildungen in der Forschung.“ Auch dieser Antrag wurde bewilligt. Als bald darauf Evaluierungen der Kleinen Fächer in Bayern in Gang gesetzt wurden, hat uns diese Neustrukturierung, die nicht „verordnet“, sondern von uns selbst angestoßen worden war, sehr geholfen. Bei diesen Evaluierungen wurde auch die Frage der Vorderasisatischen Archäologie wieder aktuell. Die Würzburger Altorientalistik wurde im Auftrag des Rates für Wissenschaft und Forschung des Bayerischen Staatsministers für Wissenschaft, Forschung und Kunst sogar zweimal evaluiert: 2002 im Rahmen der Fächergruppe Alte Welt und 2003 im Rahmen der Fächer­grup­pe Nahöstliche und Europäische Kulturen. Die erstere Kommission stellt in ihrem Votum fest: „Als Defizit ist das Fehlen der Vorderasiatischen Archäologie zu nennen. Die Vorderasiatische Ar­chäo­logie und die Altorientalische Philologie sind in anderen Bundesländern als eng zusam­men­ge­hörige Dis­ziplinen in den Instituten für Vorderasiatische Altertumskunde fest miteinander etabliert. […] Die Einrichtung einer Professur für Vorderasiatische Archäologie, wie sie seit längerem auch in Würzburg erbeten wird, […] würde die Kommission unbedingt befürworten.“ Die letztere Kommission gewichtete die Bedarfe etwas anders: „Anders als in München fehlt in Würzburg die komplementäre Vorderasiatische Archäologie. Bis zu ei­nem gewissen Grad wird dieser

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Mangel ausgeglichen durch temporäre Maßnahmen wie die Besetzung von zeitlich befristeten Mitarbeiterstellen. Andererseits muss man sehen, dass für die Altorien­talische Philologie gegenwärtig von weit höherem Belang die Einrichtung einer zweiten philologischen Pro­fes­sur ist.“ (Gemeint ist eine Professur für Sumerologie, wie sie bis dahin Josef Bauer innehatte). Konsequenzen haben die Empfehlungen der Evaluationsgutachten nicht gezeitigt. Trotzdem hat es in meiner Amtszeit immer auch ein vorderasiatischarchäologisches Lehrangebot gegeben. Ich selbst habe häufig Vorlesungen zu bestimmten Denkmälergattungen oder zu bedeutenden Ausgrabungsorten gehalten. Hintergrund dafür war zum einen, dass ich selbst Vorderasiatische Archäologie als Nebenfach studiert hatte und im Libanon und im Irak eigene Grabungserfahrungen gesammelt hatte. Außerdem hatte ich in den 80er Jahren eine Professur am Archäologischen Institut der Universität Hamburg inne, wo ich der einzige Vertreter für die Altorientalistik war, also neben der Philologie auch Altorientalische Geschichte und Archäologie vertrat. Die Ausgrabung in der Nähe von Mosul im Irak, die im Gang vor dem Altorientalischen Seminar in der Würzburger Residenz dokumentiert ist, hatte ich von 1984 bis 1986 zusammen mit einem italienischen Kollegen, Carlo Zaccagnini, damals an der Universität Bologna, geleitet, und in Würzburg haben wir Anfang der 90er Jahre die Endpublikation vorbereitet. Davon abgesehen aber gelang es auch, Vorderasiatische Archäologen von außen für die Lehre zu gewinnen. Seit 1994 übernahm Johannes Boese für eine Reihe von Jahren regelmäßig einen zweistündigen Lehrauftrag. Er hatte in Berlin seine archäologische Ausbildung erhalten und war danach durch Mitwirkung in zahlreichen Grabungen ein erfahrener Feldarchäologe geworden, hatte sich aber auch eine gute Kenntnis altsumerischer Inschriften erworben. 2001 habilitierte sich die Archäologin Astrid Nunn von München nach Würzburg um und bot bis 2017 als außerplanmäßige Professorin regelmäßig Lehrveranstaltungen in Vorderasiatischer Archäologie an. Anfang 2004 habilitierte sich Rainer Czichon, der ebenfalls in München ausgebildet worden war, in Würzburg und unterrichtete bis 2014 regelmäßig als Privatdozent. Heute ist er Professor an der Universität Uşak in der Türkei. Von 2015 bis 2017 gehörte auch Nils P. Heeßel zum Lehrkörper und verstärkte ebenfalls das archäologische Lehrangebot, und kürzlich hat sich Andreas Schachner, der Leiter der Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts in Ḫattuša, der Hauptstadt des Hethiterreiches in Zentralantolien, nach Würzburg umhabilitiert. So erfreulich dies alles ist, so muss man doch sagen, dass die Einrichtung einer Professur für Vorderasiatische Archäologie immer noch ein Desiderat ist. Das altorientalistische Lehrprogramm, das ich seit 1988 umsetzte, bemühte sich, bei den Studierenden gute Grundlagen in den zentralen Bereichen der Alt­

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orientalistik zu legen, also in Assyriologie und Hethitologie, ihnen aber auch einen Einblick in weitere, nicht in derselben Weise zum Kanon gehörige Gebiete zu ermöglichen, auf denen ich selbst in der Forschung arbeitete. Das Evaluationsgutachten von 2002 liefert eine zusammenfassende Beschreibung meiner Tätigkeit, in der ich mich durchaus wiederfinden kann; es heißt dort: „Der Fachvertreter befasst sich im Rahmen seiner Sprachschwerpunkte mit Fragestellungen, die die religiöse, historische und öko­no­mische Entwicklung in den altorientalischen Gesellschaften umfassen. Seine Forschungs­aktivi­täten sind eingebunden in zahlreiche internationale Kontakte, u.a. durch gemeinsame Heraus­geber­schaft mit Kollegen, durch seine Tätigkeit als Grabungs­philologe und die Organisation von Fach­ tagun­gen. Mit der Übernahme der Leitung des Langzeitprojektes einer Edition der Keilschriftfunde der Boğazköy-Grabung im Rahmen der Akademie der Wisserschaften in Mainz und durch ein lau­fen­des DFGProjekt zur netzbasierten Edition hethitischer Texte hat Würzburg seinen Forschungs­schwerpunkt im Bereich der Hethitologie weiterentwickelt. Die Würzburger Altorientalische Philologie bietet mit der Verbindung von Über­schnei­dungszonen der Hethitologie, der Akkadistik, der Hurri­ to­logie, der Urartologie und der Nuziforschung eine komplexe und produktive Spezialisierung, auf die Doktoranden aus dem In- und Ausland zurückgreifen. Entsprechend vielfältig ist die Förderung des wissen­ schaftlichen Nachwuchses.“ Das im Gutachten genannte Langzeitprojekt war ein Projekt der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, das der Hethitologe Heinrich Otten seit 1960 aufgebaut hatte. Es ging dabei um die Edition der Keilschrifttafeln, die bei den Ausgrabungen in Ḫattuša seit 1931 entdeckt worden waren. Mit meiner Wahl zum ordentlichen Mitglied der Akademie im Jahr 2000 war die Erwartung verbunden, dass ich die Leitung dieses Projekts übernehmen und es bis zum vorgesehenen Förderungsende 2015 zum Abschluss bringen würde. Das ist in der Tat – nicht zuletzt auch durch das Engagement von Hethitologen, die ich als externe Mitarbeiter gewinnen konnte – gelungen. Da für Hethitologen, insbesondere auch für Doktoranden, der Zugang zu den Ressourcen des Projekts in Gestalt von umfangreichen lexikalischen Zettelsammlungen sowie einer Photosammlung für ihre Arbeit wichtig und wertvoll war, wurde Würzburg ein beliebter Ort für ein- bis zweisemestrige Aufenthalte von Studierenden aus aller Welt. Bei den “Fachtagungen”, von denen das Gutachten spricht, handelt es sich um den IV. Internationalen Kongress für Hethitologie 1999, das VI. Colloqui-

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Gernot Wilhelm

um der Deutschen Orient-Gesellschaft 2006 und die 54. Rencontre Assyriologique Internationale 2008. Diese Veranstaltungen haben wohl nicht nur dazu beigetragen, den Bekanntheitsgrad Würzburgs als altorientalistischer Standort international zu verbessern, sondern auch die Position der Altorientalistik innerhalb der Universität zu stärken. Die letzte bayernweite Evaluation, von der die Altorientalistik in meiner Amtszeit betroffen war, war die der sogenannten „Mittelstraß-Kommission“ 2005. Sie nannte das Würzburger Altertumswissenschaftliche Zentrum „beispielhaft“ und schlug als eine „profilbildende Konzentration“ die Verlagerung einer Professur für Assyriologie von Erlangen nach Würzburg vor. Diese Verlagerung fand in der Tat in Form einer Versetzung statt, die aber in mancher Hinsicht unglücklich verlaufen ist und jedenfalls nicht dauerhaft zu einer zweiten Professur geführt hat. In einem Fach wie Altorientalistik kann es nicht darum gehen, mit möglichst großen Absolventenzahlen aufzuwarten. Der Erfolgsnachweis liegt nicht in der Zahl der Examina, sondern in den anschließenden Karriereerfolgen. Und in dieser Hinsicht ist die Bilanz recht erfreulich: In meiner Würzburger Amtszeit sind in der Altorientalistik drei Habilitationen erfolgt, in allen drei Fällen erfolgten später Berufungen auf Professuren. Es fanden zehn erfolgreiche Promotionsverfahren statt, in fünf Fällen haben die Absolventen inzwischen Professorenstellen inne. Über einen Ausbildungserfolg, der in den genannten Zahlen enthalten ist, freue ich mich natürlich besonders: Im Jahr 2000 wurde Daniel Schwemer mit einer monumentalen Dissertation über die Wettergottgestalten Mesopotamiens und Nordsyriens im Zeitalter der Keilschriftkulturen. Materialien und Studien nach den schriftlichen Quellen promoviert. Die Arbeit ist sowohl methodisch als auch in der Quellenausschöpfung ein Meilenstein, der den Autor sofort berühmt machte. Noch im selben Jahr wurde er zur Vertretung einer Professur an der School of Oriental and African Studies, London, eingeladen, 2002 erhielt er den Margarete Häcker-Preis zur Förderung der Altertumswissenschaft, 2003 den Heinz MaierLeibnitz-Preis der DFG, und nach seiner Habilitation wurde er an die School of Oriental and African Studies nach London berufen, wo er schon bald zum Reader avancierte. Die Universität Würzburg war so weitschauend, ihn 2011 auf den Lehrstuhl für Altorientalistik zu berufen, und Schwemer hat mit Energie, Elan, mit einer produktiven Verbindung von Tradition und Innovation dem Institut neue Impulse gegeben. Er hat neue Projekte konzipiert und realisiert, zuletzt ein neues hethitologisches Langzeitprojekt, das von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, betreut wird, in die er 2012 als ordentliches Mitglied aufgenommen wurde. Es gibt also guten Grund, die Rückschau auf das erste Jahrhundert der Alt­ orientalistik in Würzburg mit einer zuversichtlichen, optimistischen Prognose

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100 Jahre Altorientalistik in Würzburg: Rückblick und Perspektiven

für die Zukunft zu verbinden. Was allerdings die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, national wie international, betrifft, zeigen sich krisenhafte Phänomene, die zu Besorgnis Anlass geben und die auch von den Wissenschaften, die sich mit vergangenen Kulturen befassen, wahrgenommen werden müssen. In einem Papier aus meiner Dekanatszeit habe ich dazu einige Sätze gefunden, die vielleicht noch aktueller sind, als dies vor 16 Jahren der Fall war: „Der als Globalisierung beschriebe­ne Prozeß verstärkt die Interdependenz aller Regionen des Globus in ökonomischer Hinsicht. Die unterschiedlichen kulturellen Traditionen können dabei als Kristal­lisa­tions­punkte gegenläufiger Tendenzen in­stru­mentalisiert werden und zu latenten Dysfunktionalitäten, zu Antagonisierungen oder offenen Krisen führen. Der erste Schritt, dies zu vermeiden, ist das ver­stehende Eindringen in andere als die eige­nen kulturellen Prägungen. Ein Dialog der Kulturen ist nur möglich, wenn die Teilnehmer an diesem Dia­log ihre eigene kulturelle Identität auch und gerade in ihrem Gewordensein kennen und ganz allgemein über ein Grundverständnis von der Herausbildung und Veränderung kultu­rel­ler Identitäten in der longue durée der Jahr­tausende verfügen. Hier können die Fächer der Altertumswissen­schaf­ten einen Beitrag leisten. Dabei kann es keinesfalls nur darum gehen, für die ‒ unbedingt notwendige ‒ weitere Forschung auf diesen Gebieten auszubilden, sondern die hier angesprochene kulturelle Kompetenz ‒ zumin­dest in Grundzügen und exemplarisch ‒ auch möglichst vielen Studierenden zu vermitteln, die in ihrer beruflichen Ausbildung und spä­teren Praxis ganz andere Wege gehen.“

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Altorientalistik in Würzburg 2016 von Daniel Schwemer (Universität Würzburg)

Ein Jubiläum wie das hundertjährige Bestehen altorientalistischer Forschung und Lehre an der Universität Würzburg ist nicht nur Anlass zur Rückschau, sondern auch Gelegenheit, die gegenwärtige Situation des Fachs Altorientalistik in Würzburg zu dokumentieren. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Jahre seit 2011 und schließen die Zeit bis zum Abschluss des Manuskripts im Oktober 2017 ein. Voraussetzungen Mit dem Wintersemester 2009–10 endete die mehr als zwanzigjährigen Amtszeit von Gernot Wilhelm, der den Würzburger Lehrstuhl seit 1988 innehatte. In diese Jahre fallen tiefgreifende Umbrüche in der deutschen Universitätslandschaft, sowohl in Hinsicht auf die Formate und Förderung geisteswissenschaftlicher Forschung als auch mit Blick auf die universitäre Lehre. Weitsichtig und mit großem persönlichen Einsatz lenkte Wilhelm die Würzburger Altorientalistik durch diese unsicheren Zeiten, in denen gerade die sogenannten ‚Kleinen Fächer‘ vielerorts erhebliche Beschränkungen erfuhren oder gar in ihrer Existenz bedroht wurden. Wilhelms hervorragende wissenschaftliche Leistungen bescherten dem Alt­ orientalistik-Standort Würzburg neues Prestige und eine vielfältige nationale und internationale Vernetzung. Hier seien nur die Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz (seit 2000), die Ehrenmit-

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Daniel Schwemer

Abb. 1: Der Südflügel der Würzburger Residenz; die zum R ­ esidenzplatz ­weisende Fensterfront des Lehrstuhls für Altorientalistik bildet den M ­ ittelteil des obersten Stockwerks; Foto Daniel Schwemer

gliedschaften in American Oriental Society und Deutscher Orient-Gesellschaft (jeweils 2008) sowie die Ehrendoktorwürde der Universität Chicago (ebenfalls 2008) als äußere Zeichen der Bedeutung seines umfangreichen wissenschaftlichen Schaffens genannt. Die wissenschaftliche Arbeit, nicht zuletzt als Leiter des Langfristprojekts Hethitische Forschungen (Akademienprogramm), das er 2015 zu einem erfolgreichen Abschluss führte, ging für Wilhelm viele Jahre einher mit der Übernahme von Führungspositionen im Fach und in der Wissenschaftsverwaltung. So arbeitete er viele Jahre in den Gremien der Deutschen Forschungsgemeinschaft, diente der Deutschen Orient-Gesellschaft in den Jahren 1994–2000 als Präsident, führte die Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur zunächst als Vizepräsident (2006–13), dann als Präsident (2013–17) und wirkte als Mitglied des Wissenschaftsrats (1998–2000) an der Weiterentwicklung der Geisteswissenschaften in Deutschland mit. In Würzburg gelang es Wilhelm, das Fach Altorientalistik als eine derjenigen Disziplinen, die die Kulturen des Altertums erforschen, fest im interdisziplinären Verbund des Instituts für Altertumswissenschaften zu etablieren. Auf seine Initiative hin wurde das alle altertumswissenschaftlichen Fächer der Universität

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Altorientalistik in Würzburg 2016

verbindende Würzburger Altertumswissenschaftliche Zentrum1 gegründet. In der Umsetzung des Bologna-Prozesses wurde neben Bachelor- und Masterstudiengängen der Altorientalistik ein kooperativer Bachelor-Studiengang Alte Welt ins Leben gerufen, der inzwischen für Studienanfänger zu den beliebtesten Studiengängen der altertumswissenschaftlichen Fächer gehört. So waren 2009 nach positiven Evaluierungen der Würzburger Altertumswissenschaften die Weichen für eine Wiederausschreibung des Lehrstuhls für Altorientalistik gestellt und beste Voraussetzungen für eine neue Phase der Erforschung und Lehre altorientalischer Kulturen in Würzburg geschaffen. Institutionelle Einbindung Der Lehrstuhl für Altorientalistik bildet gemeinsam mit Ägyptologie, Klassischer Archäologie, Vergleichender Sprachwissenschaft (Indogermanistik) und Vor- und Frühgeschichtlicher Archäologie das der Philosophischen Fakultät angehörige Institut für Altertumswissenschaften. Wie die anderen Lehrstühle des

1 http://www.waz.uni-wuerzburg.de; letzter Zugriff 1.10.2017.

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Daniel Schwemer

Abb. 2: Der Hauptraum der Fachbibliothek für Altorientalistik und ­Vorderasiatische Archäologie; Foto Daniel Schwemer

Instituts ist die Altorientalistik im Südflügel der Würzburger Residenz angesiedelt; der Umzug vom Standort Ludwigstr. 6 in die heutigen Räumlichkeiten im III. Stockwerk der Residenz (ehemals Slawistik) erfolgte bereits 2004 (Abb. 1). Alle Fächer des Instituts für Altertumswissenschaften formen gemeinsam mit den Fächern des Instituts für Klassische Philologie die weiter gefasste Fachgruppe Altertumswissenschaften. Da der Standort über diese Fächergruppe hinaus den Lehrstuhl für Alte Geschichte und das Martin von Wagner-Museum mit seiner berühmten Antikensammlung beherbergt, bietet der Südflügel der Würzburger Residenz ideale Bedingungen für Studium und Erforschung alter Kulturen. Nicht zuletzt durch das Würzburger Altertumswissenschaftliche Zentrum ist die Altorientalistik auch mit dem Lehrstuhl für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen verbunden. Die Einbettung der Altorientalistik in eine Gruppe von Altertumswissenschaften eröffnet vielfältige Möglichkeiten der Zusammenarbeit in Lehre, Forschung und Öffentlichkeitsarbeit. Zugleich bietet die Universität Würzburg jedoch nicht jene Vielfalt an Disziplinen, die Fächer wie die Vorderasiatische Archäologie und Semitistik einschlösse. Ebenfalls nicht vertreten sind derzeit die Fächer der Orientalistik (Arabistik, Iranistik, Turkologie, Islamwissenschaft), auch wenn Arabisch- und Türkisch-Sprachkurse im Zentrum für Sprachen der Universität angeboten werden. Fachbibliothek und sonstige räumliche Ausstattung Räumlich genießt die Altorientalistik eine gute Ausstattung. Im Zentrum steht die Fachbibliothek für Altorientalistik und Vorderasiatische Archäologie, die mit über 20.000 Bänden den Bedarf von Studierenden und Forschenden derzeit nahezu vollständig abdecken kann (Teilbibliotheken 406 und 400 der Universitätsbibliothek). Die Bibliothek ist weltweit eine der wenigen verbliebenen disziplinären For-

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Altorientalistik in Würzburg 2016

Abb. 3: Der ‚Seminarraum‘, ein Teil der Fachbibliothek; Foto Dahlia Shehata

schungsbibliotheken der Altorientalistik mit ausschließlichem Präsenzbestand, Freihandzugang und festen Arbeitsplätzen; sie wird daher vielfach von wissenschaftlichen Gästen für Forschungaufenthalte genutzt (Abb. 2).2 Neben einem langgestreckten Hauptraum umfasst die Bibliothek zwei großzügige Nebenräume, die zugleich in Lehre (‚Seminarraum‘) und Forschung (‚Projektraum‘) genutzt werden (Abb. 3). Ein 2016 in Ergänzung zum Standardbeamer beschaffter und viel genutzter Großbildschirm mit hoher Auflösung bietet beste Voraussetzungen für forschungsnahe Lehre und kooperative Projektforschung, insbesondere in Hinsicht auf die Lektüre von Keilschrifttafeln und -fragmenten nach digitalen Fotos oder 3D-Modellen. Der Bibliothek angegliedert sind vier Dienstzimmer, die derzeit den Planstellen des Lehrstuhls zugeordnet sind, während projektfinanzierte Forschung an Arbeitsplätzen in den Bibliotheksräumen stattfindet. Der lange Korridor, der vom Haupttreppenhaus des Südflügels zu den Räumen der Altorientalistik führt, wird vom Lehrstuhl als Ausstellungsfläche und Aufenthaltsbereich genutzt. Hier finden sich eine kleine Ausstellung zur Ausgrabung in Tell Karrana (Nordirak)3 ebenso wie Abgüsse von altorientalischen Reliefs, Skulpturen und 2 Auch in Deutschland fallen die für effiziente Forschung und Lehre in den ‚Kleinen Fächern‘ unerlässlichen Spezialbibliotheken zunehmend bibliothekarischen Zentralisierungsmaßnahmen zum Opfer. Zum Konzept der Präsenzbibliothek als Research Archive im Fach Altorientalistik siehe F. D. Scalf, The Research Archives of the Oriental Institute (https://oi.uchicago.edu/ research/research-archives-oriental-institute; letzter Zugriff 1.10.2017) sowie idem, Recovering the Lost Story of the Rise of Man: The Research Archives of the Oriental Institute, Oriental Institute News and Notes, 2008/1, 1–2. 3 Grabungsprojekt 1984–86; G. Wilhelm in Kooperation mit M. Fales, Venedig, S. Tusa, Palermo, und C. Zaccagnini, Bologna.

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Daniel Schwemer

Abb. 4: Der ‚altorientalische Gang‘, der vom Haupttreppenhaus des Südflügels zu den Räumen des Lehrstuhls für Altorientalistik führt; Foto Daniel Schwemer

Keilschrifttafeln. Würzburger Forschungsprojekte und studentische Arbeiten werden hier ebenfalls in Form von Poster- oder Vitrinenausstellungen dargeboten, so dass der Gang zu einem repräsentativen Eingangsbereich des Lehrstuhls geworden ist (Abb. 4). Personelle Ausstattung Der Lehrstuhl für Altorientalistik ist seit 2014 mit Planstellen in jenem Umfang ausgestattet, der an der Universität Würzburg derzeit als minimales Personalbudget für Fächer gilt, die Bachelor- und Masterstudiengänge anbieten. Neben dem Lehrstuhl selbst (W3-Professur) umfasst dies eine wissenschaftliche Nachwuchsstelle (Assistenz; Akademischer Rat auf Zeit) und eine unbefristete Wissenschaftlerstelle (Beschäftigter im wissenschaftlichen Dienst bzw. Akademischer Rat); hinzu kommt eine Verwaltungsstelle in Teilzeit (0,5). Die Erweiterung des Personaltableaus um eine unbefristete Wissenschaftlerstelle wurde durch die Verlegung der Professur für Assyriologie von der Universität Erlangen an das Würzburger Institut für Altertumswissenschaften ermöglicht.4 4 Karlheinz Kessler; Tätigkeit in Würzburg 2007–14. Bei der Professur von Josef Bauer, der 2003 in den Ruhestand trat, und viele Jahre in Würzburg vor allem die Sumerologie vertrat, handelte es sich nicht um eine Planstelle.

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Altorientalistik in Würzburg 2016

Den Lehrstuhl hat seit dem Wintersemester 2011–12 der Autor inne. Die Nachwuchsstelle wurde zum selben Semester mit Dahlia Shehata besetzt.5 Zum Sommersemester 2014 konnte Nils P. Heeßel für die unbefristete Wissenschaftlerstelle am Lehrstuhl gewonnen werden. Nach seiner Ernennung zum Universitätsprofessor für Altorientalistik an der Universität Marburg (1.9.2017) ist nun Claus Ambos neu zum Würzburger Team gestoßen. Die Verwaltungsstelle hatte seit 1.9.2011 Ursula Kraft inne, die Ende März 2017 in den Ruhestand ging. Seit April 2017 wird das Sekretariat von Sophie-Luise Wollrab geführt. Außerplanmäßiges Personal trägt derzeit erheblich zur Ergänzung des Spektrums von Forschung und Lehre am Lehrstuhl bei. Gerfrid G. W. Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Langfristprojekt Das Corpus der hethitischen Festrituale, ist außerplanmäßiger Professor für Altorientalistik und vertritt in der Lehre in besonderer Weise die Verwendung digitaler Methoden im altorientalistischen Arbeiten. Ein erheblicher Standortnachteil der Würzburger Altorientalistik ist das Fehlen eines Lehrstuhls für Vorderasiatische Archäologie. Daher ist es von besonderer Bedeutung, dass mit Astrid Nunn und Andreas Schachner zwei profilierte Vertreter dieses Fachs als außerplanmäßige Professoren gewonnen werden konnten. Durch Andreas Schachner ist der Würzburger Lehrstuhl in besonderer Weise mit der Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Instituts verbunden. Forschung Im Zentrum altorientalistischen Forschens steht heute wie in der Vergangenheit die Entzifferung, Edition und weitere Interpretation von Keilschrifttexten durch indivuelle Forscher. Für die Dokumentation dieser Individualforschung durch Wissenschaftler auf Planstellen kann auf die jeweiligen Schriftenverzeichnisse verwiesen werden. Die Forschungslandschaft der Würzburger Altorientalistik ist jedoch erheblich durch projektfinanzierte Forschung geprägt. Unter Leitung des Autors wird 2012–18 das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft ge­förderte Projekt Corpus mesopotamischer Rituale und Beschwörungen gegen Schadenzauber: Edition, lexikalische Erschließung, historische und literarische Analyse durchgeführt. An dem Editionsvorhaben, das wesentlich der Vorlage des Corpus of Mesopotamian Anti-witchcraft Rituals (CMAwR) und seiner online-Fassung CMAwRo dient,6 arbeiten in Würzburg Mikko Luukko und Greta Van Buylaere mit; externer Kooperationspartner ist Tzvi Abusch (Brandeis 5 Elternzeitvertretungen: Dr. Paola Paoletti (Sommersemester 2012); Dr. Elena Devecchi (Wintersemester 2013–14); Dr. Greta Van Buylaere (seit 2013); Dr. Michele Cammarosano (Sommersemester 2015); Dr. Matteo Vigo (Sommersemester 2017). 6 Siehe http://www.cmawro.altorientalistik.uni-wuerzburg.de (letzter Zugriff 1.10.2017).

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Daniel Schwemer

University). Im Jahr 2016 erschien der zweite Band von CMAwR;7 der abschließende dritte Band soll Ende des Jahres 2018 in den Druck gehen. Jüngst konnte die Dokumentation und Analyse der handschriftlichen Überlieferung des AbwehrzauberRituals Maqlû vorgelegt werden (Abb. 5).8 Auch künftig sollen die Edition und Interpretation von Ritualen der babylonisch-assyrischen Beschwörungskunst (āšipūtu) einen Forschungsschwerpunkt in Würzburg bilden. Mit Beginn des Jahres 2016 startete das vom Autor gemeinsam mit Elisabeth Rieken (Universität Marburg) geleitete Langfristprojekt Das Corpus der hethitischen Festrituale: Abb. 5: Daniel Schwemer, The Antistaatliche Verwaltung des Kultwesens witchcraft Ritual Maqlû (2017) im spätbronzezeitlichen Anatolien (2016–36; Akademienprogramm).9 Mitarbeiter des Vorhabens sind derzeit (in alphabetischer Folge) Susanne Görke, Silvin Košak, Jürgen Lorenz, Gerfrid G. W. Müller und Charles Steitler sowie als Doktoranden Fabio Bastici und Miriam Pflugmacher. Die Arbeitsstellen sind an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, der Universität Marburg (Vergleichende Sprachwissenschaft) und dem Würzburger Lehrstuhl für Altorientalistik (ab 2019) angesiedelt. Durch dieses weltweit größte hethitologische Forschungsprojekt ist die Würzburger Altorientalistik eng mit dem Hethitologie-Archiv an der Mainzer Akademie assoziiert und übernimmt weiterhin Verantwortung für die digitale Fachinfrastruktur der Hethitologie, das Hethitologie-Portal Mainz (Abb. 6).10 Durch Andreas Schachner ist Würzburg den von ihm geleiteten Ausgrabungen in der Hethiterhauptstadt Boğazköy7 Corpus of Mesopotamian Anti-witchcraft Rituals, Bd. 2 (Ancient Magic and Divination 8/2), Leiden – Boston 2016 (D. Schwemer mit T. Abusch, M. Luukko und G. Van ­Buylaere). 8 D. Schwemer, The Anti-witchcraft Ritual Maqlû. The Cuneiform Sources of a Magic Ceremony from Ancient Mesopotamia, Wiesbaden 2017. 9 Für eine Projektbeschreibung und Arbeitsberichte siehe http://www.adwmainz.de/projekte/corpus-der-hethitischen-festrituale (letzter Zugriff 1.10.2017). 10 Siehe http://www.hethiter.net (letzter Zugriff 1.10.2017).

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Altorientalistik in Würzburg 2016

Abb. 6: Startseite Hethitologie-Portal Mainz (http://www.hethiter.net; Stand Oktober 2017)

Ḫattuša verbunden. Seit 2011 ist der Autor in Nachfolge von Gernot Wilhelm mit der Grabungsphilologie in Boğazköy-Ḫattuša betraut. Das Akademieprojekt, die Verbindung mit der Forschungsstelle HethitologieArchiv an der Mainzer Akademie und die Boğazköy-Grabungsphilologie bilden das Rückgrat einer hethitologischen Forschungsstruktur, die den Altorientalistik-Standort Würzburg nicht nur vielfältig international vernetzt, sondern sich auch als Matrix für weitere hethitologische Forschungsvorhaben erwiesen hat. Zu nennen sind das interdisziplinäre von Gerfrid G. W. Müller in Zusammenarbeit mit Frank Weichert geleitete Vorhaben 3D-Joins und Schriftmetrologie: Rekonstruktion dreidimensionaler Keilschrifttafeln mit dreidimensionaler Schrift (2013– 15; Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung).11 Eine Reihe weiterer Würzburger hethitologischer Forschungsvorhaben werden derzeit von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert: Carlo Corti erforscht die Kulturgeschichte des Weinbaus und des Weins bei den Hethitern: Wine and Viticulture in Hittite Anatolia; DFG-Förderung 2015–18. Michele Cammarosano bereitet eine Edition und Analyse der hethitischen Kultinventare vor: Philologi-

11 Universität Würzburg, TU Dortmund, Akademie Mainz; der Abschlussbericht wurde als digitales Dokument mit der doi-Identifikationsnummer 10.2314/GBV:875677169 veröffentlicht.

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Daniel Schwemer

sche Bearbeitung, digitale Edition und systematische Analyse der hethitischen Kultinventare (CTH 501-530); DFG-Förderung 2016–20. James Burgin arbeitet an den Texten der hethitischen Palastverwaltung: Critical Edition, Electronic Database, and Systematic Analysis of the Hittite Palace Administrative Corpus (CTH 240-250, 503, 504, 513); DFG-Förderung 2017–20. Anschubfinanzierungen aus dem Forschungsfonds der Philosophischen Fakultät unterstützen derzeit die Vorbereitung und Planung weiterer hethitologischer Vorhaben. Gerfrid G. W. Müller bereitet zusammen mit dem Autor ein Projekt zu Erweiterung der digitalen Infrastruktur des Hethitologie-Portals vor: Der Thesaurus Linguarum Hethaeorum digitalis (TLHdig) wird die Transliterationen von Keilschrifttexten aus Fundorten im hethitischen Anatolien, die im Hethitologie-Archiv an der Akademie Mainz analog vorliegen, als recherchierbares, qualitätsgesichertes online-Korpus zur Verfügung stellen. Mit Michele Cammarosano bereitet der Autor unter dem Arbeitstitel Visuelle und materielle Kultur der Religionstraditionen im hethitischen Anatolien ein interdisziplinäres Vorhaben vor, innerhalb dessen Philologen und Archäologen gemeinsam Fragestellungen der hethitischen Religionsgeschichte bearbeiten sollen. Der Universitätsbund der Universität Würzburg fördert derzeit die Forschungen zur polychromen Fassung mesopotamischer Steinstatuen, das Astrid Nunn in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern durchführt.12 In den vergangenen fünf Jahren wurden fünf vom Autor (mit)betreute Dissertationen abgeschlossen: –– Asoss Qader, Arrapḫa (Kirkuk) von den Anfängen bis 1340 v. Chr. nach keilschriftlichen Quellen; Promotion Würzburg 2014; Betreuer: Daniel Schwemer und Gernot Wilhelm –– Francesco Barsacchi, Le cerimonie ittite del tuono. Edizione critica di CTH 630 e 631; Promotion Florenz 2014 (Doctor Europaeus); Betreuer: Daniel Schwemer und Giulia Torri –– Charles Steitler, The Solar Deities of Ancient Anatolia. A Study of the Old and Middle Hittite Texts, Promotion Würzburg 2014; Betreuer: Daniel Schwemer und Gernot Wilhelm –– Gina Konstantopoulos, They are Seven: Demons and Monsters in the Mesopotamian Textual and Artistic Tradition; Promotion University of Michigan 2015; Betreuer: Piotr Michalowski und Daniel Schwemer –– Troels Arbøll, Magical and Medical Healing: Contextualizing Traditions of Magical and Medical Knowledge in Ancient Near Eastern Libraries, Abgabe

12 Für einen Vorbericht siehe A. Nunn – B. Jändl – R. Gebhard, Polychromy on Mesopotamian Stone Statues. Preliminary Report, Studia Mesopotamica 2 (2015) 187–206.

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Altorientalistik in Würzburg 2016

der Dissertation University of Copenhagen 2017; Betreuer: Nicole Brisch und Daniel Schwemer Zwei Promotionsvorhaben befinden sich derzeit in Würzburg in Vorbereitung: –– Avigail Wagschal, Aggressive Magic in Mesopotamia: Between Legitimate and Illegitimate Magic; Erstbetreuer: Daniel Schwemer –– Fabio Bastici, Die hurritische Kulttradition in Ḫattuša. Untersuchungen zu den hurro-hethitischen Festritualen; Erstbetreuer: Daniel Schwemer Dahlia Shehata hat im September 2017 ihre Habilitationsschrift zum Anzu-Vogel und den verschiedenen Fassungen des Anzu-Mythos bei der Philosophischen Fakultät eingereicht und befindet sich nun in der Abschlussphase ihres Habilitationsverfahrens. Lehre Mit 23 Semesterwochenstunden Plandeputat und 3 Semesterwochenstunden außerplanmäßigem Lehrdeputat kann die Würzburger Altorientalistik derzeit Bachelor- und Masterstudiengänge in fünf Ausprägungen anbieten. Alle Studiengänge wurden 2011–12 grundlegend überarbeitet und mussten seither nur geringfügig angepasst werden:13 –– BA-Studiengang Altorientalistik (Hauptfach, 75 ECTS) –– BA-Studiengang Altorientalistik (Nebenfach, 60 ECTS) –– BA-Studiengang Altorientalistik (Nebenfach in Kombination mit Hauptfach Alte Welt, 60 ECTS) –– MA-Studiengang Altorientalische Sprachen und Kulturen (Ein-FachMA, 120 ECTS) –– MA-Studiengang Altorientalische Sprachen und Kulturen (Zwei-FächerMA, 45 ECTS) Zudem wirkt die Altorientalistik an den BA-Studiengängen Alte Welt mit, die seit mehreren Jahren von Seiten der Altorientalistik in Hinsicht auf Studienberatung und Weiterentwicklung betreut werden (Heeßel und Ambos). Der BA-Studiengang Altorientalistik im Hauptfach wird stets mit einem weiteren Hauptfach kombiniert. Der Aufbau des Studiengangs verbindet eine grundlegende Ausbildung in den drei wichtigsten Keilschriftsprachen (Akka-

13 Siehe http://www.altorientalistik.uni-wuerzburg.de/studium (letzter Zugriff 1.10.2017).

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Abb. 7: Schematischer Aufbau des BA-Studiengangs A ­ ltorientalistik (Hauptfach, 75 ECTS); Dahlia Shehata

disch, Sumerisch, Hethitisch) mit einführenden Kursen zur Kulturgeschichte des Alten Orients und Vorderasiens (Abb. 7). Am Anfang des Studiums stehen einführende Vorlesungen und Übungen: –– –– –– ––

Einführung in die Altorientalistik Grundzüge der altvorderasiatischen Geschichte Altvorderasiens Schriften, Sprachen und Literaturen Altvorderasiens Einführung in die altvorderasiatische Kunst, Architektur und Archäo­ logie (Epipaläolithikum–Frühe Bronzezeit) –– Einführung in die altvorderasiatische Kunst, Architektur und Archäologie (2.–1. Jahrtausend v. Chr.) Daneben wird von Anfang an das Studium des Akkadischen und der Keilschrift betrieben. Akkadische Lektürekurse begleiten die Studierenden durch alle sechs Semester ihres Studiums: –– Einführung ins Akkadische 1: Einführung in Grammatik des Akka­di­ schen und Keilschrift –– Einführung ins Akkadische 2: Altbabylonische Rechtstexte, Königsin­ schriften, Briefe –– Akkadische Lektüre 1/1: Jungbabylonische Mythen und Epen

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Altorientalistik in Würzburg 2016

Abb. 8: Exkursion nach Zentral- und Südanatolien, April 2017: Gruppenfoto in Midasstadt (Nils P. Heeßel, mittlere Reihe rechts; Andreas Schachner, mittlere Reihe links; Daniel Schwemer, obere Reihe Mitte); Foto Nils P. Heeßel

Abb. 9: Exkursion nach Zentral- und Südanatolien, April 2017: A ­ ndreas Schachner und Daniel Schwemer betrachten das ­hethitische Felsrelief von Hanyeri (Gezbeli- Pass); Foto Nils P. Heeßel

–– Akkadische Lektüre 1/2: Jungbabylonische Königsinschriften –– Akkadische Lektüre 2/1: Schwierigere akkadische literarische Texte –– Akkadische Lektüre 2/2: Texte im assyrischen Dialekt Im dritten Semester beginnt das Studium der zweiten altorientalischen Sprache (Sumerisch oder Hethitisch), das in den Folgesemestern kontinuierlich fortgeführt wird. Mit dem fünften Semester tritt dann die dritte Sprache hinzu (Sumerisch oder Hethitisch in Abhängigkeit von der Wahl im dritten Semester), die man zumindest ein Semester studiert. Ergänzend zur philologischen Ausbildung werden in den fortgeschrittenen Semestern kulturgeschichtlich orientierte

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Daniel Schwemer

Kurse angeboten, die einen Blick über den speziellen Fachbereich der Altorientalistik hinaus eröffnen. Im Modul Tontafel und Keilschrift beschäftigen sich die Studenten mit der Keilschrifttafel als archäologischem Objekt unter verschiedenen Aspekten (z.B. Formate, Dokumentation und Konservierung, museologische Fragestellungen). Das Modul Historische Geographie des Nahen Ostens nimmt den geographischen Raum Vorderasien in den Blick. Die Studenten lernen die typischen Naturräume Vorderasiens und ihre kulturgeschichtliche Signifikanz kennen. Sie studieren die moderne politische und linguistische Geographie des Nahen Ostens in ihrer historischen Bedingtheit und erarbeiten sich Grundlagen der Landschaftsarchäologie. Weitere kulturgeschichtliche Module, die nach Bedarf zu unterschiedlichen Themenbereichen angeboten werden, runden die Ausbildung ab: –– Themen der altorientalischen Kulturgeschichte –– Themen der Vorderasiatischen Archäologie A (Regionen und Land­schaf­ ten) –– Themen der Vor­der­asia­ti­schen Archäologie B (Artefakte und Bau­werke) Ein besonderer Höhepunkt des Studiums sind die meist im Sommersemester durchgeführten Exkursionen, die in den letzten Jahren in die Museen nach London, Berlin, Paris und Istanbul führten, aber auch längere archäologische Reisen unter Leitung von Andreas Schachner durch Zentralanatolien (2015) sowie Kappadokien, Kilikien und Phrygien (2017) einschlossen (Abb. 8 und 9). Der BA-Studiengang Altorientalistik im Nebenfach nutzt dieselben Module wie der Hauptfachstudiengang, setzt den Schwerpunkt aber stärker auf die kulturhistorischen Module. Um einen Zugang zu altorientalistischen MA-Studiengängen zu gewährleisten, ist im Nebenfach dennoch ein zumindest zweijähriges Studium des Akkadischen obligatorisch (Abb. 10). Die beiden MA-Studiengänge führen durch intensives Studium von Texten aus allen Epochen der altorientalischen Kulturgeschichte zur eigenständigen Forschung hin und sind als Vorbereitung zum Promotionsstudium konzipiert. Der Modulzuschnitt mit allgemeinen Oberthemen (Altorientalische Texte des 3., 2. bzw. 1. Jt. v. Chr.) und gewöhnlich zwei je zweistündigen Veranstaltungen pro Modul erlaubt es, das Lehrprogramm individuell an die jeweilige Studentenkohorte anzupassen. So können Defizite aus dem BA-Studium gezielt ausgeglichen und besondere Interessen der Studenten in Hinsicht auf ihre künftigen Forschungsperspektiven vertieft werden (Abb. 11). Altorientalische Kulturgeschichte über den Kreis der Fachstudenten hinaus an eine weiteres Publikum zu vermitteln, ist eines der Ziele der BA-Studiengänge Alte Welt, die sowohl im Pflicht- als auch im Wahlpflichtbereich altorientalistische Module einschließen. Ein noch weiteres Spektrum von Stu-

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Altorientalistik in Würzburg 2016

Abb. 10: Schematischer Aufbau des BA-Studiengangs ­Altorientalistik (Nebenfach, 60 ECTS); Dahlia Shehata

Abb. 11: Schematischer Aufbau des MA-Studiengangs Altorientalische Sprachen und Kulturen (Ein-Fach-MA, 120 ECTS); Dahlia Shehata

dierenden kann die Altorientalistik seit dem Sommersemester 2017 in jedem Semester durch ihre Mitwirkung am Grundkurs zur Alten Geschichte erreichen. In vier Stunden bekommen alle Studienanfänger der Geschichte in Würzburg unter den Stichworten „Wann und wo beginnt Alte Geschichte?“, „Frühe Komplexität“, „Erste Globalisierung“ und „Erste Weltreiche“ einen Eindruck

139 © 2019, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11289-5 -ISBN E-Book: 978-3-447-19912-4

Daniel Schwemer

von 3000 Jahren Kulturgeschichte Vorderasiens von der Späten Uruk-Zeit bis zu den Achämeniden. Ausblick Mit dem nahenden Abschluss des Corpus of Mesopotamian Anti-witchcraft Rituals und den Personalwechseln im Jahr 2017 strebt eine erste Phase der Würzburger Altorientalistik in der Zeit seit dem Wintersemester 2011–12 ihrem Ende zu. Im Bereich der Lehre scheint ein Zeitraum der kontinuierlichen Weiterentwicklung und Stabilität erreicht worden zu sein, der nach den vielen unbefriedigenden Jahren der Umstellungen im Rahmen des Bologna-Prozesses zu einer hohen Zufriedenheit der Studenten geführt hat. Die Intensität der Forschungsleistung einer so kleinen Abteilung wie dem Würzburger Lehrstuhl für Altorientalistik hängt nicht nur vom individuellen Engagement des wissenschaftlichen Personals ab, sondern wesentlich auch davon, inwieweit es gelingt, durch die eigenen Forschungen und die Infrastruktur vor Ort projektfinanzierte Forschung weiterer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Würzburg zu ermöglichen. Hier zeichen sich für die Zukunft vor allem Perspektiven in drei Bereichen ab: (a) Babylonisch-assyrische magische (und medizinische) Texte; (b) Hethitologie (insbesondere Religionsgeschichte des spätbronzezeitlichen Anatolien); (c) Einsatz digitaler Methoden in der Keilschriftforschung. Auf all diesen Gebieten wird die editorisch-philologische Erschließung der zahllosen noch unpublizierten Keilschrifttexte aus den Kulturen Altvorderasiens ein Kernbereich Würzburger Forschung bleiben.

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