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German Pages 11 [12] Year 1887
Zur
Verbesserung der Kirchenmusik in
Preußen.
xJte folgenden Darlegungen wollen sich weder mit der Verbesserungssähigkeit, noch mit der dringenden Verbesserungsbedürftigkeit der evangelischen Kirchenmusik beschäftigen — darüber ist schon mehr als genug geredet und geschrieben worden — sondern mit den Mitteln und Wegen, auf welchen dem von jedem Freunde der Kirche anerkannten und immer unerträglicher werdenden Verfalle unserer gottesdienstlichen Musik gründlich und dauernd abgeholsen werden kann. Auch über die Mittel und Wege dazu ist schon viel geredet und geschrieben, ja zur Erreichung des ersehnten Zieles sogar schon Erheb liches geleistet worden, aber eine durchgreifende und allgemeine Wir kung wird noch immer schmerzlich vermißt, weil das bisher Erreichte und unter den gegenwärtigen Verhältnissen Erreichbare fast ausschließ lich auf dem Gebiete der Theorie, der wissenschaftlichen Forschung und Darstellung liegt, während für die Einführung der theoretisch gewonne nen Resultate in das praktische Leben noch so gut wie gar nichts ge
schehen ist. Mehr als eine Generation von hervorragenden Theologen und künstlerisch gebildeten Laien hat mit Liebe und Begeisterung für den liturgischen Ausbau des Gemeindegottesdienstes und die damit noth wendig verbundene Hebung und Verbesserung der Kirchenmusik gewirkt,
die Risse und Pläne für den hehren Bau sind bis in die kleinsten De tails vollendet, selbst alles Material dazu liegt bereit, aber die Archi tekten haben Feder und Stift aus der Hand gelegt, weil der Bauherr und die Werkleute fehlten, die ihn zur Ausführung bringen sollten. Die Liebe und Begeisterung für das Werk ist nicht erloschen, sollte da die
gegenwärtige Generation nicht die Kraft in sich fühlen, die Saat zur Reife zu bringen und einzuernten, welche die vorige gesäet hat?
4 Die Lösung dieser Aufgabe liegt in rein liturgischer Beziehung den
Generalsynoden ob und diese werden früher oder später ihre Pflicht thun müssen; aber so innig die Frage der Kirchenmusik auch mit der Ausgestaltung des Gottesdienstes in Verbindung steht, so läßt sehr viel des zur Hebung und Verbesserung der Kirchenmusik, speziell des gottes dienstlichen Gesanges Nöthigen sich doch gesondert erledigen, und dies ist der Punkt, bei dem jeder mit Sachkenntniß und Arbeitssreudigkeit Ausgestatte Hand ans Werk legen kann, um die Ideale unserer Väter und unserer Jugend zu verwirklichen, und dies ist der Punkt, bei dem auch die folgenden Vorschläge einsetzen wollen, um das wichtige Werk nach Kräften fördern zu helfen. Es ist bereits angedeutet worden, daß die wissenschaftliche Forschung schon seit Jahrzehnten Klarheit darüber geschafft hat, was zur Hebung der Kirchenmusik geschehen müsse, daß sie auch bereits das Material gesammelt, gesichtet und zugänglich gemacht hat, dessen die Kirche be
darf, wenn sie die nöthigen Verbesserungen ins Werk setzen will; aber wie dies mit sicherer Aussicht aus durchgreifenden und dauernden Er folg geschehen könne, darüber hat noch wenig verlautet. Die Gegen wart beschränkt sich im Ganzen daraus, die bereits gewonnenen Resul tate in immer weiteren Kreisen zum Bewußtsein zu bringen; die ver einzelten Versuche, dieselben wirklich ins praktische Leben einzuführen, so anerkennenswerth sie auch sind und so segensreich sie in ihren Kreisen auch wirken, haben doch bisher nur eine lokale Bedeutung gewonnen, ohne aus die Entwicklung des Ganzen mehr Einfluß zu üben, als über haupt nachahmenswürdige Beispiele zu üben im Stande sind. Das ist aber bei Weitem nicht genug. Von unten muß der Bau be
gonnen werden, nicht von oben, und wenn die Werkleute fehlen, so müssen sie geschaffen werden! Unsere Werkleute sind die Geistlichen, sind die Kantoren, die Organisten, die Lehrer; sie müssen befähigk werden, den Bau aufzurichten, dann wird er wachsen und gedeihen. Freilich geht ihnen Allen, sehr wenige Ausnahmen abgerechnet, bis
jetzt diese Befähigung ab, und es muß das als ein schwerer Mangel in der Vorbildung unserer Kirchendiener bezeichnet werden. Die Stu dierenden der Theologie hören vielleicht Liturgik, nehmen im Seminar vielleicht auch an liturgischen Uebungen Theil, aber beides muß bei der Menge des zu bewältigenden Stoffes ungenügend sein, zumal da unter allen preußischen Universitäten nur in Berlin ein besonderes Seminar für praktische Theologie besteht, während von einer Ausbildung in musi kalischer Liturgik oder selbst nur in liturgischer Musik seit Schöberlein's
5 Heimgang kaum irgendwo auch nur die Rede ist.
Und wie wäre das
unter den heutigen Verhältnissen auch anders möglich? Welcher Pro fessor der praktischen Theologie wäre heute im Stande, die nöthigen
Vorlesungen zu halten und daneben zugleich die nöthigen Uebungen zu leiten, und welcher akademische Musikdirektor besäße dieselben Fähigkei
ten, wenn auch in umgekehrter Ordnung? Keinen von diesen Lehrern soll damit auch nur der Schatten eines Vorwurfs treffen, denn sie selbst haben ja die erforderliche Ausbildung aus Mangel an Lehrern nicht genießen können, und der Theologe pflegt zu wenig Musiker, wie der Musiker zu wenig Theologe zu sein, um sich auf dem, wenn auch wich
tigen, doch abgelegenen Gebiete des Andern aus eigenem Antriebe hei misch zu machen. Aus demselben Grunde ist auch kein Vorwurf darin zu finden, wenn sogar behauptet wird, daß die beiden genannten Lehrer
zusammen nicht im Stande find, den jungen Theologen die für ihr
künftiges Amt unerläßliche Vorbildung-und Gewandtheit in der litur gischen Musik zu geben; wäre dies der Fall, so würden wir längst ein Lehrbuch oder mindestens einen Leitfaden für den Unterricht im Altargesange und eine Sammlung von liturgisch-musikalischen Formularen
für akademische Uebungszwecke besitzen. So lange derartige Werke nicht vorhanden und in Gebrauch sind, bleibt die Vorbildung unserer Geist lichen aus der Universität eine ungenügende, und die jungen Theologen sind bei der Ausfüllung dieser Lücke aus das Privatstudium angewiesen; das heißt aber nichts anderes, als daß sie, wenn nicht besonders gün stige Umstände, wie ungewöhnliche Neigung und Begabung für Musik
oder äußere Anregung und Förderung durch besser Vorbereitete ein greifen, diese Lücke bis weit in ihre Amtsführung hinein, vielleicht bis an ihr Lebensende, zum schweren Schaden für sie selbst wie für ihre Ge meinden zu beklagen haben. Nicht besser steht es mit der Vorbildung der Kantoren, Organisten und Lehrer auf diesem Gebiete. Die rein musikalische Ausbildung der selben in den Seminaren mag eine vorzügliche sein, die Begabteren unter den Seminaristen mögen im Berliner Institut für Kirchenmusik oder im Konservatorium theoretisch und praktisch noch höher gebildet
und geschult werden, von der liturgischen, von der eigentlich gottesdienst lichen Musik lernen sie so gut wie nichts, und zwar nicht so sehr, weil ihre Lehrer nichts davon verstehen, als aus dem ebenso einfachen Grunde, weil dieser wesentliche Theil ihres künftigen Berufes in dem Lehrplane jener Anstalten gar keine, oder doch nur eine durchaus nebensächliche Stelle hat, so daß auch sie in dieser Beziehung auf sich selbst angewie
sen sind und sich erst in die gottesdienstlichen Verhältnisse hineinfinden
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lernen, wenn sie im Amte stehen, natürlich kümmerlich genug.
Auch
hier liegt der bündigste Beweis für unsere Behauptungen in dem Fehlen einer einschlägigen Literatur; so zahllose Lehrbücher der allgemeinen Musiktheorie, der Harmonie, des Kontrapunkts und der Komposition es giebt, von praktischen Musikschulen ganz abgesehen, so wenig Werke sind vorhanden, die den Kantor und Organisten für seine gottesdienst
liche Amtsthätigkeit genügend vorbereiteten, nämlich nicht ein Ein ziges. In der mangelhaften Vorbildung der Geistlichen und der sonstigen Kirchendiener für einen wesentlichen und hochwichtigen Theil ihres Be
rufes liegt der wahre, ja der einzige Grund von dem Verfalle unserer Kirchenmusik; sobald dieser gehoben ist, muß die Besserung von selbst eintreten. Sollte es nun so schwer sein, die rechten Mittel zur Abhülfe ausfindig zu machen? Der Verfasser dieser Zeilen steht als Preuße in der preußischen Landeskirche und will nachzuweisen versuchen, wie leicht und mit wie geringen Mitteln innerhalb dieser Gemeinschaft alles Gewünschte im vollsten Maße erreicht werden kann. Ist dies aber in Preußen der Fall, so kann es in den übrigen deutschen Landeskirchen nicht mit größeren Schwierigkeiten verbunden sein.
Der preußische Staatshaushaltsetat enthält im Etat des Kultus ministeriums (Beilage Nr. 21) die folgende Position: „Zu Ausgaben für musikalische Zwecke. Für Ausbildung und Prüfung von Organisten, sowie zur Verbesserung der Kirchenmusik 5312 Mark." Die Position ist
von hervorragender Bedeutung, hauptsächlich weil sie den Nachweis lie fert, daß nicht nur die Kirche, sondern gleicherweise der Staat die Ver
besserungsbedürftigkeit der Kirchenmusik anerkennt und zur Abhülfe des Uebelstandes bereit ist. Aber sie bildet nicht den einzigen Keimpunkt, den der Etat für eine reichere Entwicklung darbietet; bei Weitem wich tiger sind in dieser Beziehung die Institute für Kirchenmusik. Das am reichsten dotirte Institut dieser Art ist das mit der Akademie der Künste verbundene akademische Institut für Kirchenmusik in Berlin. Es ist für dasselbe an persönlichen Ausgaben eingestellt: für einen Direktor understen Lehrer für einen Kalkanten undAufwärter
3300 Mark, 1080 „
für Hülfslehrer 3600 „ für Extrastunden 960 „ während die sachlichen Ausgaben bei der Akademie der Künste etatirt sind. Die zweite Stelle nimmt das mit der Universität in Breslau verbundene Institut ein, für welches 3440 Mk. ausgeworfen sind, aus
7 denen ein Direktor mit 1200 Mk. und zwei Lehrer (ein katholischer und ein evangelischer) mit 2100 Mk. honorirt werden, während für das dritte und letzte Institut dieser Art, das mit der Universität Königsberg verbunden ist, nur 1242 Mk. eingestellt sind, von denen ein Lehrer 1050 Mk. erhält. Was diese Institute gegenwärtig leisten, kann hier unerörtert blei
ben, da die Aufgabe derselben bis jetzt lediglich auf die hier außer Betracht stehende rein musikalische Ausbildung ihrer Zöglinge gerichtet ist, wohl aber ist uns die Frage wichtig, was sie leisten können und was sie leisten müssen, wenn sie ihrer Aufgabe völlig ge nügen wollen. Wenn wir das Berliner Institut als für die allge meinen Landesverhältnisse nicht maßgebend, und das Königsberger als zu ungenügend dotirt außer Acht lassen, so bleibt als Muster oder Anknüpfungspunkt nur'das Breslauer Institut übrig, und dieses scheint allerdings den nothwendigsten finanziellen Ansprüchen vollständig zu
genügen, ja es mag sogar das Gehalt für den katholischen Lehrer noch außer Ansatz bleiben, da hier zunächst nur die Bedürfnisse der evange lischen Kirche in Erwägung stehen. Dieses Institut ist auch deshalb zur Erläuterung unserer Vorschläge besonders geeignet, weil Breslau die einzige preußische Universitätsstadt ist, in welcher sich zugleich ein (katholisches) Lehrerseminar befindet. Denn es ist von vornherein evi
dent, daß die Anstalten für die musikalische Vorbildung der Kirchen
diener ihre Aufgabe nur halb erfüllen, wenn sie ausschließlich Univerfitätsinstitute sind, also nur Theologen, nicht aber zugleich auch Kan toren, Organisten und Lehrer ausbilden; ihre Organisation muß daher eine derartige sein, daß sie neben den Theologen mindestens auch den jenigen Seminaristen und sonstigen jungen Leuten, die sich zu Or
ganisten ausbilden wollen, namentlich aber den künftigen Seminar lehrern, die sich für den betreffenden Unterricht vorbereiten, die Gelegen heit zur Ausbildung darbieten. So lange sich die Lehrerseminare nahezu ausschließlich an kleineren Orten befinden, würden die mit den Univer sitäten verbundenen Institute für Kirchenmusik in ihrer seminaristischen Abtheilung allerdings vorwiegend Seminare für Seminarlehrer und Or ganisten sein, aber das würde keinerlei Unzuträglichkeiten im Gefolge
haben, da schon nach wenigen Jahren eine genügende Anzahl von Theologen und Seminarlehrern ausgebildet sein würde, die es ermög lichte, den Unterricht direkt in die Lehrerseminare zu verlegen, während der Mutteranstalt doch stets ein ausreichender Nachwuchs an Zöglingen verbliebe. Stellen wir nun das Breslauer Institut in seiner gegenwärtigen
8 äußeren Organisation als Muster hin, so würde dasselbe allen Ansprüchen genügen, wenn es auf Grund etwa folgenden Statuts ^wirken könnte. 1. Das Institut für Kirchenmusik hat die Ausgabe, den künftigen Dienern der Kirche und Schule die musikalische Vorbildung für ihren
Berus zu gewähren. 2. Der Unterricht zerfällt in zwei Abtheilungen, von denen die
erste für Theologen, die zweite für Seminaristen und andere genügend vorbereitete Zöglinge bestimmt ist, wobei indessen den musikalisch aus reichend vorgebildeten Theologen die Benutzung des seminaristischen Unterrichts in theoretischer Musik, sowie in Gesang, Orgel- oder Klavier spiel nicht verwehrt sein soll. 3. Jede Abtheilung erreicht ihr Lehrziel getrennt in zwei halb
jährigen Kursen, doch können Zöglinge, die durch Zeugniß oder Prüfung den erforderlichen Grad der Ausbildung nachweisen, sofort in den oberen Kursus eintreten, auch ihre Theilnahme am Unterricht auf einzelne Lehr gegenstände beschränken. 4. In der theologischen Abtheilung werden Vorlesungen über Ge
schichte des Kirchengesanges, über Harmonie- und Formenlehre und über musikalische Liturgik gehalten, während praktische Uebungen im Gesänge und speziell im Altargesange veranstaltet werden. 5. In der seminaristischen Abtheilung wird Geschichte der Musik mit besonderer Berücksichtigung des Kirchengesanges vorgetragen, ferner Harmonielehre und Kontrapunkt bis zur Fuge, Kompositionslehre bis zu erschöpfender Kenntniß der musikalischen Formen, die auch als Aesthetik der Tonkunst behandelt werden kann, endlich die Lehre von der musikalischen Ordnung und Gliederung des Gottesdienstes; praktisch wird Gesang und Orgelspiel, eventuell auch höheres Klavier- und Violinspiel gelehrt. 6. Beide Abtheilungen treten ferner zu gemeinschaftlichen Uebungen
im Altar-, Responsorien-, Choral- und Chorgesang zusammen, an denen auch Nichtmitglieder theilnehmen können.
7. Zur Erlangung der nothwendigen Uebung und Sicherheit in der Behandlung der musikalisch-liturgischen Darstellungsmittel werden liturgische Andachten eingerichtet, eventuell unter Zulassung einer einge ladenen Zuhörerschaft, während eigentliche Ausführungen geistlicher Musik auch öffentlich veranstaltet werden können. 8. Die Zöglinge erhalten nach Absolvirung des Kursus ein Ab gangszeugniß, in welchem die von ihnen besuchten Unterrichtsfächer ver
zeichnet sind.
9 Dieser Studienplan erfordert, wenn von dem fakultativen Instru mental-Unterricht abgesehen wird, wöchentlich etwa fünf Stunden, und dazu sind. bie vorhandenen Lehrkräfte vollständig ausreichend. Der Direktor hätte neben den Direktorialgeschäften als erster Lehrer die gemeinsamen Uebungen zu leiten, in der theologischen Abtheilung höchstens vier Fächer, in der seminaristischen nur ein Fach vorzutragen,
der zweite Lehrer umgekehrt in der theologischen Klasse ein Fach und in der seminaristischen höchstens vier Fächer zu lehren, die sich übrigens bei Beiden auf zwei Semester vertheilen. Zur Ertheilung des Instru mental-Unterrichts müßten eventuell besondere Hülsskräste in Aussicht genommen werden, was aber speziell für Breslau kaum erforderlich sein wird, da hier, dem paritätischen Charakter der Universität ent
sprechend, von vorn herein außer dem Direktor zwei Lehrer angestellt sind, welche sich in die nichtkonfessionellen Lehrgegenstände zu theilen haben würden.. Aus diesem Organisationsplan geht unzweifelhaft hervor, daß das
Königsberger Institut, welches nur über eine einzelne Lehrkraft verfügt, seine Aufgabe in unserem Sinne durchaus nicht zu lösen vermag, daß dazu vielmehr mindestens zwei Lehrer erforderlich sind, von denen der eine mehr die wissenschaftliche, der andere mehr die künstlerische Seite der Sache zu vertreten hat. Ebenso unzweifelhaft geht daraus aber auch hervor, daß das Breslauer Institut in seiner Wirksamkeit vollständig gelähmt sein müßte, wenn die Direktorstelle, die der unvergeßliche Carl
von Winterfeld eine lange Reihe von Jahren hindurch segensreich ver waltet hat, als eine Art Sinecure einem musikliebenden Universitäts lehrer verliehen würde, der, so ausgezeichnet er auch in seinem Fache sein möchte, doch ebensowenig befähigt wäre, ein solches Institut technisch
zu leiten, wie Unterricht an demselben zu ertheilen. Dem damit hingestellten Lehrplan und Lehrkörper des Instituts fehlen nun allerdings noch die Schüler, an denen die Organisation ihre Wirksamkeit zu üben und zu erproben hat. Indessen sind die Mittel, sowohl die jungen Theologen, wie die in Frage stehenden
Kategorien von Seminaristen heranzuziehen, so einfach und naheliegend, daß sie hier kaum näher erörtert zu werden brauchen; ist die neue Lehrordnung einmal in Funktion getreten, so wird eher ein Ueberfluß als ein Mangel an Zöglingen zu. befürchten sein. Denn die Theologen würden auch ohne äußeren Zwang bald erkennen, welche eminenten
Vortheile das Institut ihnen bietet, und die Seminaristen würden keinen einfacheren Weg haben, ihre Befähigung zu dem Amte eines Organisten nachzuweisen, als durch ein Abgangszeugniß des Instituts, -
10 während die künftigen Seminar-Musiklehrer ebenso einen Kursus an dem Universitäts-Institut durchmachen würden, wie die Theologen, die
Seminarlehrer werden wollen, der Regel nach an einem Seminare. Prüfen wir nun die Resultate, die diese Organisation innerhalb
weniger Jahre zur Folge haben müßte. Jeder Theologe, der ins Amt tritt, bringt eine Vorbildung mit, die ihn befähigt, auf musikalisch
liturgischem Gebiete nicht allein sich selbst mit Würde, Sicherheit und Freiheit zu bewegen, sondern nöthigenfalls auch seinem Organisten oder Kantor mit überlegener Sachkunde die erforderlichen Weisungen und Erläuterungen zu geben; jeder neuangestellte Organist kommt seinem Geistlichen mit eingehender Sachkenntniß entgegen und ist im Stande, die Intentionen desselben sofort zur Ausführung zu bringen, während die Gemeinden, die in gottesdienstlichen Dingen bildsam wie Schülerklassen zu sein pflegen, wenn ihre Geistlichen und Organisten von gleichem Streben beseelt sind, sich rasch an das Neue gewöhnen, das ja eigentlich
nur ein Altes ist.
Sollte aber eine Gemeinde sich ausnahmsweise
einmal den einzuführenden Verbesserungen abgeneigt zeigen, so ist die Jugend da, die für das Bessere herangezogen wird, bis sie in die
Gemeinde hineingewachsen ist.
Das Ziel braucht ja nicht überall in
wenigen Jahren erreicht zu werden; ist es aber einmal erreicht, so wird es dem ganzen Volke zu unendlichem Segen gereichen.
Und all' dieser Segen kann aus einem so kleinen Keime erwachsen, wie ihn das Breslauer Institut gegenwärtig darbietet. Wird der rechte Mann gesunden, der die angedeutete Organisation ins Leben zu rufen
und zu gedeihlicher Entwicklung zu bringen vermag, so ist kaum zu be zweifeln, daß der Herr Kultusminister schon nach dem ersten Jahresbe richte des Instituts Bedacht darauf nehmen wird, die Segnungen des selben auch den übrigen Provinzen zu Theil werden zu lassen. Der einzig richtige Weg dazu ist nach dem Vorstehenden ohne Zweifel die Begründung von Instituten für Kirchenmusik nach dem Muster der Breslauer Anstalt an allen Universitäten der Monarchie. Das dazu nöthige Lehrerpersonal ist zur Hälfte bereits vorhanden: jede Universität besitzt einen wenn auch meistens schlecht besoldeten,
doch darum nicht
weniger tüchtigen Musikdirektor, der ohne Weiteres befähigt ist, den theoretischen und den größten Theil des praktischen Unterrichts zu er
theilen, es fehlt also im Augenblicke nur an Männern, welche die wissenschaftlichen Fächer zu übernehmen im Stande wären. Aber abge
sehen davon, daß wenigstens an einigen Universitäten bereits Pro fessuren für theoretische Musik oder Musikwissenschaft bestehen, deren Inhaber sich ohne allzu große Schwierigkeit die erforderlichen Kennt-
11 nisse und Fähigkeiten aneignen könnten, zumal wenn inzwischen die nothwendigsten Leitfäden für den Unterricht erschienen sind, so werden sich bald genug musikalisch begabte und geschulte Licentiaten oder junge Professoren der Theologie finden, die entweder durch das Breslauer In stitut gebildet oder durch dessen Wirksamkeit angeregt, sich die Qualifi kationen erworben haben, die zur Uebernahme einer solchen Stellung er
forderlich find. Die Kosten dieser Institute würden im Verhältniß zur Wichtigkeit derselben geradezu minimal sein, nämlich nach Analogie von Breslau 1200 Mark, für den Direktor
für einen Lehrer Insgemein
1050 150 zusammen nur 2400 Mk. betragen, und was bedeutet eine solche Summe in den Etats der Universitäten, die an die Million hinanreichen, wo sie
dieselbe nicht überschreiten, — wenn sie gut und nützlich angelegt ist? Darüber möge dem Breslauer Institut die Entscheidung anheim
gestellt werden!
Druck von Georg Reimer in Berlin.